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DEUTSCHE KUNST
UND DEKORATION
ILLUSTRIERTE MONATSHEFTE
FÜR MODERNE MALEREI
PLASTIK • ARCHITEKTUR
WOHNUNGS-KUNST UND
KÜNSTLERISCHE FRAUEN-
ARBEITEN
DARMSTADT
VERLAGSANSTALT ALEXANDER KOCH
107680S
N
3
DEUTSCHE KUNST
UND DEKORATION
HERAUSGEGEBEN UND REDIGIERT
HOFRAT ALEXANDER KOCH
BAND XXVII
OKTOBER 1910 - MÄRZ 1911.
ALLE RECniE VORBEHALTEN.
JOH. CONR. HKRBHKI -HHl-: HOFHIT H [1R l'CKERBl NArHK. DK. ADOLF KOCM, DAKMSTAIJT.
PROFRSSOR A. IIKNGELEk-MiTNClIF.N
VH.(;j,MÄi,i'i'.. i'ni\' \ r- i'.i :si iz, i>AUMsiAi>r
PROK. AD. HENGELER.
jPutte«. Ölgemälde.
KUNST, KUNSTGEWERBE UND PUBLIKUM.
VON ARTHUR ROESSLER-WIEN.
\ \ Jir wollen uns heute nicht mit der tüfteln-
V V den Untersuchung aufhalten, was Kunst
ist, was größere oder mindere Kunst ist; wir
wollen auch nicht darüber disputieren , was
schön ist, denn es würde uns dies zu weit ab-
seits führen, gibt es doch vielerlei Arten der
Schönheit. Die G oncourts nannten schön, was
unerzogenen Augen abscheulich vorkommt, was
deine Dienerin aus Instinkt scheußlich findet;
Rodin hält ein Ding nur dann für schön, wenn
es wahr ist und hegt die Meinung, daß es außer-
halb der Wahrheit keine Schönheit gibt ; Wiertz
sagte, das Schöne ist weiter nichts, als was uns
gefällt; Constable erklärte, daß es überhaupt
nichts Häßliches gibt, daß er in seinem Leben
niemals ein häßliches Ding sah, denn wie immer
die Form sein mochte, Licht, Schatten und
Perspektive machten es unter allen Umständen
schön. Wir aber halten es mit Töpffer und
sagen: das Schöne steht über und außerhalb
aller Formeln, worin man es einsperren möchte.
Wir wollen uns daher heute und hier damit be-
gnügen zu wissen, daß Schönheit beglückt ; denn
jeder von uns, nicht nur der Fachmann, der sich
mit Kunst berufsmäßig beschäftigt, empfindet
gewiß das eine oder andere Ding als schön und
fühlt sich durch das von ihm als Schönheit Er-
kannte höher, besser, freudiger oder ernster
gestimmt. Nun ist es gewiß richtig, daß das
Verständnis und Empfinden für das was schön
ist, verfeinert, vertieft, verstärkt werden kann,
daß man viel zulernen muß, um manchmal er-
kennen zu können, warum ein Ding schön ist;
aber eben so richtig ist, daß in jedem gesunden,
mit seinen unverdorben vollen Sinnen begabten
Menschen das Verlangen nach Schönheit leben-
dig wirkt. Zum Beweise dessen will ich nur auf
die Naturvölker hinweisen, bei denen wir oft
einen ganz erstaunlich entwickelten Kunstsinn
finden. Das Schönheitsverlangen ist demnach
ein menschlicher Urtrieb.
Gewiß schreien heute mehr Menschen nach
Brot als nach Kunst. Leider mit Recht. Trotz-
dem sollten die Menschen an der Kunst nicht
gleichgültig vorbeigehen, denn sie gehört nach
der übereinstimmenden Ansicht aller großen und
irgendwie bedeutenden Männer zu den zwar
höheren, aber auch wichtigsten Lebensnotwen-
Arthur Roeßler- Wien .
PKÜFKSSdK
ADOI.r
.\ii'M nl■;^
digkeiten. Daß Wissen Macht ist, weiß heute
schon jeder Nichtanalphabet, daß die Kunst
Wissen ist, in sinnlich wahrnehmbarer Form,
und daß sie reinstes Glück bedeuten kann,
ist wenijjer allgemein bekannt. Dabei kann man
nicht einmal sagen, daß die bildende und die
angewandte Kunst dem Begriffsvermögen und
der Empfindungsfähigkeit des schwer werken-
den Handarbeiters unfaßlich, daß sie für ihn zu
„hoch" sei. Gewiß wird er auch bedeutende
Werke der bildenden Kunst verstehen und
genießen können, wenn ihm erst einmal der
Weg gewiesen wird, auf dem er der Kunst nahe
kommen kann. Doch wie fern erscheint einem
dies Ziel, wenn man die Trägheit bedenkt, mit der
sich die sozial besser gestellten Mittelklassen,
aus welchen sich das große bürgerliche Publi-
kum der Durchschnittsgcbildeten zusammen-
setzt, gegenüber der modernen bildenden und
angewandten Kunst in Unverständnis und flauer
Gleichgültigkeit verhalten. Um als Volk zu
dauernder Bedeutung gelangen zu können,
brauchen wir nicht nur tüchtige politische Öko-
nomen, sondern auch Künstler, oder — da wir,
ohne der dünkelhaften tjberhebung geziehen
werden zu können, sagen dürfen, daß wir
Künstler schon unser eigen nennen — ein
kunstsinniges Publikum. Zu unseren Ko-
lonien muß auch das Land Utopia gehören.
Denn auf geistige, seelische und künstlerische
Werte, mögen auch zahlengeistige Finanziers
dagegen zetern, dürfen wir nicht verzichten.
In unserer Zeit waren in England R u s k i n
und Morris die Prediger in der Wüste, in
Deutschland sind es heute Lichtwark, Mu-
thesius, Naumann, Schultze-Naum-
burg. Van de Velde und viele Andere,
die es sich angelegen sein lassen, in volkstüm-
lich gehaltenen Aufklärungsschriften und Vor-
trägen über Fragen der Kunst und Kultur un-
ermüdlich mit klarer Eindringlichkeit immer
wieder daraufhinzuweisen, wie ungemein wich-
tig für die ersprießliche Entwicklung einer wert-
grädigen Kultur ein kunstverständiges Volk
ist, und wie andererseits durch die Kultur
eine höhere Kunst erreicht werden kann. —
Kunst, Kiinstoeiverbe iind Publikum.
Durch die Kunst wird das materielle Leben
schöner, das geistijSe Leben reicher, und das
Bewußtsein erfährt durch sie seine höchste
Steigerung. Um diese Wirkungen der Kunst
auszulösen, müssen wir uns allerdings mit
ihr in innigste Fühlung bringen. Das gelingt
uns nur, indem wir die Welt vom Stand-
punkt des Künstlers anschauen lernen. Um
Anschauung im buchstäblichen Sinne handelt
es sich also eigentlich, und um das Begreifen-
lernen der Kunst als einer lebendigen Macht,
als eines eingeborenen Naturtriebes des künst-
lerisch gearteten Menschen. Das in sinnlich
wahrnehmbaren Formen sich vollziehende Vor-
denken des schaffenden Künstlers soll nicht
unbestimmte, verschwommene Gefühle, „Stim-
mungen" in uns erregen, sondern Anlaß wer-
den zum ästhetischen Nachdenken; denn mit
dem Gefühl allein ist es sowohl im Kunstver-
stehen wie im Kunstschaffen nicht getan.
Der Weg zum Kunstverständnis ist nun we-
der leicht noch nahe, und allein, ohne Führer,
beschritt ihn bisher noch jeder unter erheb-
lichen Anstrengungen. Es wurde daher von ver-
schiedenen Männern schon oft gesagt und das Ge-
sagte in allerlei Weise oft wiederholt, daß, na-
menthch im heutigen ungeheuer verwickelten
und überwiegend in den Großstädten konzen-
trierten modernen Leben, eine Vermittelung
zwischen den Künstlern und dem Publi-
kum notwendig ist, um eine Verbindung
zwischen beiden überhaupt herzustellen. Diese
Vermittelung besorgt fast ausschließlich, unter-
stützt durch instruktives Anschauungsmaterial in
Form technisch vollendeter Reproduktion von
Kunst-Originalen, in illustrierten Zeitschriften,
unter denen die vorliegende Zeitschrift in
unbestritten mustergültiger Weise führt: der
dolmetschende, auslegendeKritiker.
Dem Volke ist es fast unmöglich, unmittelbar
zum Künstler und zu dessen Werk und zum
Verständnis und Genuß beider zu gelangen;
es braucht vielmehr einen Wegweiser, ja manch-
mal sogar einen Marktschreier, der es zu den
Sehenswürdigkeiten lockt. Wenigstens am An-
fang. Doch auch später noch wird sich der durch
PKOFKSSUR
AUULF
hengelkr-
mI'nchen.
Kunst, Ä7fHs/onv('r//c ?/)/// I^ubliJaiiii.
seine Lektüre und dem ihr beigegebenen An-
schauunfjsmateriale erzogene, also im Denken
und Fühlen geschulte geschmackvolle Mensch,
in schwierigen Fällen der Ungewißheit und des
Zweifels gern von einem vertrauenswürdigen
Sachverständigen führen und beraten lassen.
Flrzieher sind jedenfalls nötig. Das müssen
nun, wie die Verhältnisse liegen. Selbsterzogene
sein , die wahrhaft kulturwertige Kunst in
den sachtesten Merkmalen wahrnehmen und
erkennen können; denn die Kunst ist, wie
Einer einmal sagte, mehr Schleier als Spiegel;
sie hat Blumen, von denen kein Feld weiß, und
Vögel, wie sie noch in keinem Walde sangen ;
sie bildet viele und vernichtet viele Welten;
und ihr gehören die großen Urbilder, die dauern-
des Sein haben. Nur sie, die Kunst, kann Wunder
tun, ganz nach ihrem Belieben, und wenn sie
Ungeheuer aus der Tiefe ruft, kommen sie; sie
kann den Mandelbaum zwingen, im Winter zu
blühen und bei ihrem Wort legt der Frost
seine Silberflügel auf den heißen Mund des
Juni. Die beflügelten Löwen kriechen aus den
Höhlen der lydischen Hügel ; die Waldnymphen
erscheinen im Dickicht , wenn die Kunst da-
ran vorübergeht , und die braunen Faune
lachen sie schüchtern an, wenn sie ihnen naht.
Nur vernimmt der gewöhnliche Mensch des
Maschinenzeitalters nicht mehr das geheimnis-
volle Raunen des Waldes, sondern den mark-
erschütternden, heulenden Ruf der Fabrik-
sirenen. Nicht mehr das Irrlicht im Moor,
sondern der aufzischende blaue Funke am
Leitungskabel der sausenden Tram erregt den
Sinn. Das Sparrenwerk kühngeschwungener
Flisenkonstruktionen überbrückte eben nicht
nurStröme und schauerliche Schluchten, sondern
auch andere Abgründe : man schürfte nicht bloß
in dunkle und warme Tiefen der Erde und baute
nicht bloß hoch in kühle Höhen, und die enormen
Dampfhämmer schmetterten nicht nur wuchtig
auf Flisen nieder, sie schlugen auch sonst noch
mancherlei platt und klein. Es brach eine
neue Zeit an; eine Zeit, für die nicht mehr die
Postkutsche, für die die vierachsige Sleeping
Car charakteristisch ist. Aber aus dem unge-
heuren Industrielärm, dem Zankgeschrei der
Märkte, dem Gestreite um die Kunst, dringt der
wehmütige Ruf einer Sehnsucht nach Schön-
heit, nach Schönheit im Alltag und nach
bunten Märchen und wohlgeratenen Dingen.
Und ganz allmählich beginnt sich die Abkehr
vom allzu Krassen zu vollziehen, indem eine
verfeinerte Sehsinnlichkeit die Schönheit, die
überall mit im Leben ist, zu finden lehrte. Schon
lernten wir die herbe und ernste Schönheit
sehen, die Brangwyns Tonkneter und Schiff-
steerer, die Meuniers in Leib und Leben aus-
dörrender Fronarbeit halb vertierten Puddler
verklärt. Unvergeßlich haften in unserer Er-
innerung die großen Gebärden der Dampfiiäm-
mer und Riesenkrane, die Glut der Feueressen
und die Figuren der modernen Zyklopen, der
Eisenarbeiter, wie wir sie etwa in den Bildern
von Menzel, Kampf, Adler, Roll,Tardieu
und anderen zeitgenössischen Malern sahen.
Aber wir fühlen uns neuerdings auch dazu befä-
higt, daneben noch die tendenzlose Kunst unse-
rer Zeit und vergangener Epochen zu genießen.
Wir fanden wieder die Wege zu den Meistern
früherer Zeiten und die inneren Mittel zu ihrer
gerechten Beurteilung, und je weiter wir uns
zeitlich von ihnen entfernen, desto klarer treten
manche von ihnen in Erscheinung. Wir erkann-
ten, daß mancher bislang verschollen und ver-
kannt gewesene zu den ganz Großen zählt, die
über Zeitmoden erhaben sind. Von einigen
müssen wir allerdings zugeben, daß sie in eine
eiserne Zeit hineinlebten als Spätlinge einer
anderen, romantischen Zeit und daß ihr Ansehen
jahrelang unter der allgemeinen Umwertung litt.
Heute jedoch lassen wir uns durch Schlagworte
nicht mehr abschrecken , gering geachtet ge-
wesene Kunstwerke wieder zu würdigen, und
wir stellen die Frage nach der Wahrheit in der
Kunst nicht mehr, weil wir zwischen Natur-
wahrheit und Kunstwahrheit zu unterscheiden
lernten. Dies in Dingen der bildenden, der
sogenannten großen Kunst: der Malerei, Bild-
hauerei und Architektur. Dem auffälligen Pro-
zeß der Wandlungen der bildenden Kunst in
unserer Zeit lag eine neue Weltanschauung zu-
grunde, und zwar fühlt man sich versucht zu
sagen, die Philosophie des Impressionismus.
Dem nicht minder markanten und überaus wich-
tigen Umwandlungsprozeß der angewandten
Kunst, des Kunstgewerbes lagen gleichfalls,
wenn auch anders geartete, revolutionäre Ge-
danken zugrunde, denn das Suchen nach einer
neuen Form, einem neuen Stil darf man nicht
als etwas bloß Äußerliches auffassen, vielmehr
ist es der Wandel des Gedankens , der den
Wandel der Gegenstandsformen nach sich zog.
Wir besitzen Dinge, die keine Zeit vor uns
besaß, Bauwerke und Maschinen, die nur uns
eigentümlich sind, unser öffentliches Leben voll-
zieht sich in völlig neuen, unser privates Leben in
teilweise neuen Formen, und das führte schließ-
lich zu dem Verlangen, diesem neuen Leben den
entsprechenden neuen künstlerischen Rahmen zu
geben. Wir dürfen uns des Erwachens der künst-
lerischen Schaffenslust und Genußfähigkeit mit
Recht erfreuen, da die kulturelle Wertschätzung
der Völker im friedlichen Wettstreit der Aus-
HANS UXGER-LOSCHWITZ.
BILDXIS MEIXER TOCHTER.
AUS DER KOLLEKTIV- AUSSTELLUNG HANS UNGEKS IM IbMlMSTADTER KUNSTVEREIN.
<
Kunst, Kicnstgeiverbe und Publikum.
Stellungen beispielsweise fast nur nach Maßgabe
des künstlerischen Vermögens, mit dem sie auf-
zutreten wissen, bestimmt wird. Wir können
uns allerdings weder mit den Griechen des so-
genannten goldenen Zeitalters, noch mit den
Italienern der Renaissance vergleichen , stellen
uns aber in kühner Ruhe gelassen und der Be-
deutung unserer Zeit und ihrer künstlerisch-
technischen Hervorbringungen sicher, an ihre
Seite. Immerhin , der Typus des modernen
Deutschen hat noch seine schwachen Seiten.
Es fehlt ihm, wie Prof. Lichtwark sagte, an
äußerer Kultur und F'estigkeit der Form, wie an
einem innerlichen Verhältnis zur bildenden
Kunst. Sein Bedürfnis nach künstlerischen Ge-
nüssen, die eine Erziehung des Auges und des
Herzens voraussetzen, ist verhältnismäßig ge-
ring. Man mag das den Werken der Malerei
und Skulptur gegenüber, die zwar geistig für
das ganze Volk geschaffen sind, deren Erwerb
aber nur wenigen möglich ist , bis zu einem
gewissen Grade gutheißen, aber man findet es
beschämend, auch das „Kunstgewerbe" vernach-
lässigt zu sehen, das doch zu reicherem Lebens-
genüsse und künstlerischem Behagen beiträgt.
Man sollte meinen, an den Werken des
modernen Kunstgewerbes müsse jeder von uns
Teil haben, weil uns doch die Form und die
Farbe der Möbel, die wir benützen, und der
Geräte, deren wir uns täglich bedienen, eben so
wenig gleichgültig sein können, wie die Stoffe
unserer Kleider, die Muster unsererTapetcn und
Teppiche. Tritt doch just hier der eigenste per-
sönliche Geschmack in sein Recht, mag die Mode
noch so gewaltsam und eigensinnig gewisse For-
men und Farben vorschreiben. „An diesem Teil
der Kunst, der sich im Gewerbe äußert, hat jeder
Mensch sein Anrecht, und jeder ist daher auch
berechtigt, von seinem Standpunkt aus als Be-
urteiler und Richter an denselben heranzutreten.
Ist er es doch, der die Sachen schließlich er-
werben und verwenden soll." Nur darf man
verlangen, daß derjenige, der Nutznießer der
schönen und zweckmäßigen Dinge des modernen
Kunstgewerbes sein will, sich bemühe, durch
sorgfältige künstlerische Selbsterziehung des
Auges seiner bisherigen Unzulänglichkeit mit
Kraft und Ausdauer entgegenzuarbeiten. Hilfs-
mittel sind ihm in ausreichender Menge und
Qualität durch die verschiedenen Kunst- und
Kunstgewerbe -Publikationen an die Hand ge-
geben, unter welchen eines der wichtigsten die
vorliegende Zeitschrift darstellt, die seit vielen
Jahren in unermüdlicher Kulturarbeit Pionier-
und Lehrdienste leistet. — Wir haben künst-
lerische Urheber und handwerkliche Ausfertiger
ebenso schöner wie zweckmäßiger Arbeiten der
angewandten Kunst, um die wir von anderen
Nationen beneidet werden — nur ein im Verhält-
nis ebenso kunstsinniges und kauffreu-
diges Publikum haben wir noch nicht!
Das ist unser Leid, dem möchten wir abhelfen,
doch kann uns letzteres nur gelingen, wenn
sich das Publikum weniger passiv als bisher den
Dingen gegenüber, die wahrlich nicht zu den
geringsten Gütern der Nation gehören, verhält.
ETWAS ÜBER KUNSTBESITZ.
VON KRANZ SKRVAES.
ES sind ganz gewiß noch nie soviel Kunst-
werke in der Welt gewesen wie heut-
zutage; und noch nie hat man sich so schlecht
darauf verstanden, ein Kunstwerk im wahren
Sinne des Wortes zu besitzen. Gekauft und
verkauft wird ja genug, oder vielmehr viel zu
viel. DerKunstmarkt zeigt sich von einer Unruhe
befallen, daß jegliche Stetigkeit darüber ver-
loren geht. Jedoch wirklich „besessen" wird
viel zu wenig. Man besitzt nur, um wieder los-
zuwerden; um eine günstige Konjunktur abzu-
warten, bei der man seine hundert bis tausend
Prozent verdienen kann. Dies ist nicht etwa
bloß bei Kunsthändlern so der Fall (deren gutes
Recht es ist); nein, recht häufig auch bei Kunst-
liebhabern und Sammlern (auf die es ein immer-
hin eigentümliches Licht wirft). Kurz heraus:
das Kunstwerk ist heute ein Börsenpapier, mit
dem man spekuliert. Und dies sollte nicht sein.
Vielleicht ist nichts so sehr imstande, das wahre
und echte Kunstgewissen einer Zeit so von
Grund auf zu depravieren wie ein solcher Zu-
stand. Ein tief beschämender Zustand, wie ich
meine. Er muß mit der Zeit die wahre Andacht
zum Kunstwerk bis zur Hoffnungslosigkeit ver-
nichten. Und doch nennt sich unsere Epoche,
mehr eitel als stolz, ein Kunstzeitalter.
Nein, meine Herrschaften, wir werden niemals
ein Kunstzeitalter haben , wenn wir es nicht
wieder lernen, Kunstwerke zu „besitzen". Es
genügt nicht, daß Kunstwerke massenhaft er-
zeugt werden. Daß sie den Markt und die
Häuser wie eine Hochflut überschwemmen. Daß
sie bei mondänen Veranstaltungen, die sich
Kunstausstellungen schelten lassen, zu lausen-
den aufmarschieren. Daß sie in Leitartikeln,
?
HU.
HANS tjNGER Lü.sCHVVITZ. S TUIJIENKOPl'E, PASTELL.
HANh UNGEK l.OhCHVVU/,. M UDltt^ Kul'H-., l'AM l'.UL.
HANS UNGER -DRESDEN-LOSCHWITZ. GEMÄLDE: „THEBEN'
^
HANS UNGER -DRESDEN -LOSCHWITZ. GEMÄLDE: „EISLAUFERIN
1
HANS UNUhK JJKL!>DEN.
»SPANISCHES MÄDCHEN«
1910/11. I. 2.
Franz Sen'ai's.
Zeitschriften, Broschüren, Monographien und
kostbaren Prachtwerken taxiert , analysiert,
publiziert und zelebriert werden. Daß sie über-
haupt in einem nie dajSewesenen Maße von sich
reden machen. Dieses alles genügt nicht. Oder
vielmehr, es kann in jeder Hinsicht völlig ent-
behrt werden. Aber Eines tut not: daß Men-
schen da sind, die mit einem Kunstwerke zu
leben wissen. Menschen, die sich mit einem
Kunstwerke bis zu liebevoller Intimität, ja bis
zur Selbsthingabe durchdringen. Kurz Men-
schen, die einem Kunstwerk das Leben spenden.
Ein jedes Kunstwerk, das wirklich da sein
soll, wird zweimal erzeugt. Einmal in der Seele
seines Schöpfers. Und das andere Mal in der
Seele des echten Genießers. An sich ist es ja
ein totes Ding. Irgend ein Gegenstand , der
nicht dazusein braucht. Ein verschleiertes Bild
zu Sais. Ein harrendes Mauerblümchen. Aber
dann kommt der Ritter, der es liebt; der Weise,
der es enthüllt: und es fängt plötzlich an zu
blühen, zu leben — dazusein. Und das ist es,
was ich sagen wollte. Nur Den kann ich einen
Kunstbesitzer nennen, der ein Kunstwerk als
solch ein verliebter Liebhaber sein eigen heißt.
Der ihm einen Teil seiner Seele schenkt und
dafür des Kunstwerks Seele zurück empfängt.
Der derart innig mit einem Kunstwerke vermählt
ist, daß er eine spekulative Entäußerung des-
selben als Schmach und Treubruch empfinden
würde. Gibt es solche Leute heutzutage noch?
Ich fürchte, sie sind zu zählen.
So ist also der echte Kunstbesitzer nicht in
erster Linie ein Sammler. Vielleicht sind sogar
Sammler die schlechtesten Kunstbesitzer. Im
günstigsten Falle sind sie ihre eigenen Galerie-
direktoren, Beamte und Verwalter ihrer auf-
gestapelten Sammlungen, die für sie ein Prunk-
objekt sind. Ganz andere Gesichtspunkte wer-
den leitend als die der Liebe zum einzelnen
Kunstwerk. Etwa der Wunsch nach irgend-
welcher Vollständigkeit. Man will z. B. die wich-
tigsten und namhaftesten altniederländischen
Meister des 15. Jahrhunderts in Probestücken
beisammen haben. Oder man will sämtliche
Kupferstiche Dürers, möglichst in „erstklassigen "
Exemplaren und Zuständen, bei sich vereinigen.
Oder man legt Wert darauf, sei es Meißener Por-
zellane oder sonst irgendwelche Produkte eines
lokalen Kunstfleißes in solcher Menge zusam-
menzubringen, daß man rivalisierenden Samm-
lungen immer um ein paar Dutzend oder 1 lundert
Nummern vorausbleibt. Ich wüßte nicht, wo-
durch sich derlei Sammler etwa von Rennstall-
besitzern unterschieden. Höchstens , daß der
Rennstallbcsitzer, weil er für lebende Wesen
verantwortlich ist, mehr „Herz" haben muß
als der Magazinierer toter Kunstnummern. —
Im allgemeinen kann man, was den Sammler
angeht, sagen; je kleiner die Sammlung, desto
größer die Möglichkeit echten Kunstbesitzes; je
umfangreicher, nuiseumsähnlicher, desto hoff-
nungsloser. Und ferner dünkt mich irgend ein
närrischer Kauz und Sonderling, der sich alte
Schwarten zusammenkauft und selig darauf
schwört, es seien lau terRembrandts und Rubens,
lieber und verehrungswürdiger als ein millionen-
reicher Großkaufherr, der sich seine „Erwer-
bungen" für teueres Geld von den ersten Kunst-
autoritäten auf ihre Echtheit untersuchen und
bestätigen läßt und sie dann irgendwohin an
die Wand hängt , um die Bilder kaum je
wieder anzublicken. Mag der Erstere eine ko-
mische Figur sein, ein verblendeter Tor und nichts
weniger als ein Kunstverständiger, so besitzt er
doch immer die Gnade der Liebe, die für sein
intimes Empfinden Wunder herbeizaubert und
Rauschzustände schafft. Der Andere aber, mag
er auch seine Kennerschaft amtlich bescheinigt
erhalten und rigoros jedes Falsum oder auch
bloßDubiosum von seiner Schwelle weisen oder
ausmerzen , er bleibt doch ewig ein draußen-
stehender Banause, der zur Kunst nicht die ge-
ringsten Beziehungen hat, weil er Kunst nicht
in sich zu erleben versteht.
Es kommt also jedenfalls garnicht auf die
Massenhaftigkeit, ja nicht einmal auf die Kostbar-
keit des Kunstbesitzes an, dannt unsere Kullur-
forderung erfüllt werde, sondern lediglich auf die
innere Beziehung zwischen Besitzer und Kunst-
werk. Natürlicherweise wird diese Beziehung um
so wertvoller, je gewiegter und tiefer das ästhe-
tische Urteil ist, durch das sie hergestellt wurde.
Und zweifellos kann die Fähigkeit zu künst-
lerischem Erleben bis ins Ungeahnte wachsen,
wenn Jemand das unermeßliche Glück hat, ein
wahrhaft großes Kunstwerk sein eigen zu nennen,
und hierdurch dessen täglichen Umganges ge-
würdigt zu werden. Überhaupt ist es wichtig
und für Besitzer von kaum berechenbarem Vor-
teil, sich von Kunstwerken erziehen zu lassen.
Welcher Weg einer gewaltigen Läuterung, wenn
jemand durch tägliche, intime Andacht und Be-
trachtung von einem Kunstwerk derart empor-
geführt wird, daß er die anfängliche bloß dumpfe
Neigung langsam überwindet und zurückläßt und
sich aus dem Reiche ahnenden Instinktes zu
der seltenen Höhe vollkommenen und idealen
Begreifens und hierdurch einer abgeklärten
Kunstliebe erhebt. Aber selbstverständlich kann
es, schon aus materiellen Gründen, nur den Aller-
wenigsten beschieden sein, an der Hand eines
zu eigen gewordenen Meisterwerkes solch dan-
tischen Weg emporzuwandeln und ganz in die
I6
Ehuas iibcr Kuiistheiitz.
WALTER PUTTNER- MÜNCHEN.
erhabene und überirdische Welt, wo die fSroßen
Kunstwerke thronen, als Genießender und Ver-
stehender Einlaß zu finden. Dies ist ein so seltener
Glücksfall, daß er für unsere Betrachtun;^ nicht
gerechnet werden darf. Hingegen soll hier vor-
zugsweise von solchem Kunstbesitz die Rede
sein , den auch der Minderbemittelte seinem
Hausrat einverleiben und zur Erhöhung seines
Daseins verwenden kann.
In diesem Sinne darf gesagt sein: Zu echtem
Kunstbesitz, so selten er heute ist, vermag ein
Jeder zu gelangen. Es muß nur das tiefe und
ernste Verlangen da sein , der ehrfurchtsvolle
Wille, sei es das Leben des Alltags durch einen
über das ganze Haus verbreiteten Hauch von
Schönheit zu verklären , sei es sein Innen-
dasein durch das intime Zusammenleben mit
ein paar wenigen auserwählten Werken zu be-
reichern und zu steigern. Jedenfalls, wer heute
den Anspruch erheben will als Kulturmensch
zu gelten, der muß in dieser oder jener, aber
Gemälde. Daimslhdter Privatbesitz.
stets in einer seine eigenste Persönlichkeit
kennzeichnenden Form der Kunst Eingang in
sein Haus verschaffen. Daß dies mit ganz ge-
ringen Mitteln heutzutage möglich ist, ist wohl
einer der fundamentalsten Kullurfortschritte
unserer Zeit. In der Tat ist heute Kunstbesitz
nicht mehr so sehr eine Frage des Geldes als
des individuellen Geschmackes und gefühlten
Bedürfnisses. Schon damit wird nicht wenig
erreicht sein , daß man den festen Grundsatz
aufstelle und durchführe , nichts Schlechtes,
Geschniackwidriges, Unechtes oder Seelenloses
in seine Wohnung hineinzulassen. Wer in
wahrem Sinne damit Ernst machen will, Kunst
zu besitzen, der möge damit beginnen, unend-
lich vielen mitgeschleppten Kram erbarmungslos
hinauszubefördern. Nichts ist dem künstle-
rischen Eindruck einer Wohnung hinderlicher als
das allenthalben wuchernde Unkraut dutzend-
mäßiger und spießig sich spreizender Über-
flüssigkeiten. Was zweckvoll ist, ist sinnvoll
I'-.Riril KRT.ERSAMADEN MUNXHEX.
i.I-.MAI.nE: »WINZER -MASKE«. AUSSTELLUNG
KKAKI.S NKJDERNE KUNSTHANDLUNG, MÜNCHEN.
WALTER PUTTNICR MÜNCHEN
öLCEMAr.nn. privat- bksitz, harmstapt
Ehvas über Kunstbesitz.
und hierdurch schön. Es wird nie im Wege
stehen, noch das Auge beleidigen. Es wird viel-
mehr, wenn es nicht mehr als ein unentbehr-
liches Alltagsgerät ist, durch taktvolle Unauf-
fälligkeit sich unterordnen und den Raum frei-
machen für die Wirkung wirklich wertvollen
und künstlerischen Besitzes. Dieser darf ins
Auge fallen und soll es sogar. Er hat das Recht
und die Aufgabe , einem in sich geschlossenen
und harmonischen Raum den edleren und stär-
keren Akzent zu verleihen. Er soll den Mittel-
punkt bilden, auf dem unser Auge ruht, an dem
unser Sinn sich ergötzt.
Vor allem aber sollte jeglicher Kunstbesitz
so gewählt sein, daß ein feiner Menschenkenner,
der durch die Wohnung ginge, aus dem Schmuck
der Wände und der rhythmischen Anordnung
der Räume bündige und sichere Rückschlüsse
auf die Charakterart der Bewohner ziehen
könnte. Dabei wird ein individuell gewähltes
Kunstwerk dennoch niemals indiskret wirken
oder durch plumpe Deutlichkeit verletzen. Denn
es wird von den inneren Beziehungen zu den
Bewohnern nie mehr verraten , als was eine
feingestimmte Seele zu ahnen vermag. Kunst-
werke plaudern nicht aus, sondern verbreiten
eine seelische Atmosphäre, eine Atmosphäre
von harmonischer Wohlgestimmtheit , an der
teilzunehmen man jeden feineren Besucher ein-
laden darf . IhrLetztes und Feinstes aber werden
sie stets nur uns selber verraten — dann näm-
lich, wann wir in Wahrheit uns rühmen dürfen,
ihre echten und seelisch verbundenen Besitzer
zu sein. Mit einem Kunstwerk, das Du ganz
besitzest, wirst Du gewiß einmal in einer merk-
würdigen Stunde Deines Lebens eine bedeu-
tungsvolle geheimnisreiche Zwiesprache ge-
halten haben, in der Euer Beider Seelen sich
klar und voll gegeneinander erschlossen. Solch
eine Stunde erst gibt Deinem Besitz die letzte
Weihe. Blickst Du hierauf zurück, so lächelt
Dir zum Dank dafür eine kleine wohltuende
Wahrheit entgegen: Dein Kunstwerk hat Dich
selber zum Künstler gemacht. — k. s.
ERICH EKLER-iAMAlJEN — MLiN( Hii.N.
(jeniaitie; » i ulpeilgarten<i . (Brakis Moderne Kunsthandlung— München.)
'^^^SSäs.
CURJEL UND MO.^ER KARLSRUHE.
Kuiisthaus in Zürich. Hauptbau.
DAS KUNSTHAUS IN ZÜRICH.
Von IJR C. H. IIAER-^URICH.
Die Kunst hatte sich in Zürich lanj^e mit einem
bescheidenen Heim begnii)5en müssen. Im
idyllischen „Künstlergütli" waren von der
„Kunstgesellschaft", der privaten Vereinigung
zürcherischer Kunstfreunde, die im Laufe der
Jahre mit etwas dilletantenhafter Freude an-
gesammelten Kunstschätze aufgestapelt wor-
den ; und unten in der Stadt, in der Nähe der
Hauptverkehrsader, der Bahnhofstraße, zeigte
dieselbe Gesellschaft in raumbeschränktem,
provisorischem Gebäude Werke neuzeitlicher
Meister in wechselnden Ausstellungen.
Die Schenkung eines Zürcher Bürgers , der
sein am Heimplatz gelegenes, herrliches Garten-
gut der Stadt vermachte, und der bevorstehende
Neubau der Universität, der auf dem Gebiet
des „Künstlergütli" erstehen soll, beschleu-
nigten und erleichterten die Neubaufrage, die
mehr und mehr als kulturelle Pflicht der geistig
und wirtschaftlich so regen Stadt erkannt wurde.
So fanden sich denn verhältnismäßig rasch die
nötigen beträchtlichen Mittel und in zwei Wett-
bewerben auch die Architekten, die Herren
Curjel und Moser in St. Gallen und Karls-
ruiie, die nach langwierigen, durch die öffent-
liche Kritik stark beeinflußten Studien in we-
nigen Jahren, vom Herbst 1907 bis zum Früh-
jahr 1910, das prächtige Haus erbauten, das
als Mittelpunkt des Zürcherischen Kunstlebens
selbst ein Dokument modernsterKunst darstellt.
Der Neubau hatte nach dem ursprünglichen
Programm dreierlei Zwecken zu dienen. Er
war zur würdigen Schaustellung der beträcht-
lichen Gesellschafts-Sammlung alter und neuerer
Kunst bestimmt, er sollte die wechselnden Aus-
stellungen und die Verwaltung aufnehmen und
schließlich auch noch Gesellschaftssäle ent-
halten, die zusammen mit einem wohlabge-
stimmten Garten edler Geselligkeit und frohen
Festen der „Kunstgesellschaft" Raum und Rah-
men böten. Schon die Wettbewerbe ergaben
die Schwierigkeit, allen drei Anforderungen in
gleicherweise gerecht zu werden. Und als die
Verhältnisse zum raschen Handeln drängten,
entschloß man sich, zumal zunächst nur ein Teil
des Bauplatzes zur Verfügung stand, vorerst
das Haus allein der Sammlung, den wechseln-
den Ausstellungen und der Verwaltung zu wid-
men und den Anbau von Gesellschaftsräumen
späteren Zeiten vorzubehalten.
22
Das Kiuisthmis in Zürich.
CURJEI. UNI) MOSER KARLSRUHE.
Dieser Zweckbestimmung entspricht der
äußere Aufbau in seiner Zweiteilung:
Das hochragende Haupthaus, dessen Mauern
in monumentaler Ruhe, festgefügt und ge-
schlossen emporstreben, und nur unter dem
konsolengetragenen Hauptgesims, von Lisenen
geteilt, durch mächtige Reliefs geschmückt wer-
den sollen, behütet den wertvollen Besitz der
Gesellschaft, das unveränderliche Kunstgut.
Der reicher gegliederte seitliche Anbau, der
sich mit weiten Fenstern fröhlich öffnet, dient
den Darbietungen der Kunst des Tages. Seine
leicht geschwungenen Mauerflächen, festliche
Säulen mit wirkungsvollen Statuen dazwischen,
verleihen ihm die freudige Lebendigkeit schöpfe-
rischer Arbeit und setzen ihn so in Gegensatz
zu dem feierlichen Ernst des Hauplhauses. Hier
herrscht das lebhafte Kommen und Gehen des
Neueren und des Neusten, der Streif der Mei-
nungen und Geschmacksrichtungen, der Kampf
um die Anerkennung, dort die Beständigkeit
allgemein gültiger Kunstwerke.
Treppenhalle des Sammlungsliauses.
Ein niedrig Torhaus, fast ungegliedert wie
die Mauern des Hauptgebäudes und doch
flächig belebt wie der hallenartige Anbau, ver-
mittelt den Zugang. Große Dächer aus Glas-
ziegeln sind in logischer Kühnheit auf die grauen
Mauern aus Bolliger und St. Margrether Sand-
stein gestülpt und leiten eine Flut von Licht
in die Überlichtsäle und Kabinette, wie in die
hohe Treppenhalle des Sammlungshauses.
Die so geartete äußere Gestaltung des Bau-
werks hat mancherlei Kritik erfahren; und doch
erscheint sie mir als Tat, als das Werk einer
kraftvoll energischen Persönlichkeit, die,
allein geleitet vom Drang nach künstlerischer
Einheit, eigene Wege zu gehen wagt.
Der doppelte Zweck des neuen Hauses ist
auch in seiner Einteilung und Ausstattung sorg-
sam im Auge behalten worden.
Große ruhige Wände, neutrale Farben an
Sockeln, Mauern und Bodenflächen, hier und
da eine Türumrahmung oder ein Pfeiler aus
farbenschönem gelbem oder grünem Marmor
24
CURJEL UND MOSER -KARLSRUHE.
DETAIL DER DEKORATION D. TREPPENHAUSES.
1910,11. I. 3.
Das Kunsthaus in Zürich.
CURJEL UND MOSER KARLSRUHE.
und sparsam verteilter, ornamentaler Schmuck
an Pfeilern, Friesen und an den weißen Decken
zeichnen die Räume aus, die den wechselnden
Ausstellungen dienen. Sie liegen im Ober-
geschoß des Anbaues und gruppieren sich als
Seitenlichtsäle und Oberlichlkabinette um einen
langgestreckten, von oben belichteten Mittel-
26
Raum für Hodlere »Heilige Stunde«
räum, der an den Schmalseiten durch höher
gelegte Estraden malerische Gliederung eriiält.
In den Sälen und Kabinetten der Sammlung
in den beiden Obergeschossen des Haupthauses
herrschen kräftigere Töne, die mit den ein-
zelnen Bildern trefflich zusammengestimmt
überraschende Raumwirkungen ergeben, aber
o s
<
Das Kimsthaus iu Zürich.
auch den einzel-
nen Kunstwerken
zu neuen Reizen
u. abgeklärterem
Eindruck verhel-
fen. Säle mit dun-
kelroter und licf-
griiner Wandbe-
spannunji enthal-
ten Gemälde des
XVI. u.XVll. Jahr-
hunderts; mit zar-
tem Grau u. Blau
verkleidete Räu-
me berjSen Werke
von Anton Graft,
Tischbein, von den
beiden Geßner,
von Werdmüller,
Freudweiler, Lips
und Heß, ein ande-
rer Saal in Grün-
grau Landschaften
neuererMaler,wie
Calame,Zünd, An-
dreas Achenbach,
J. G. Steffan, Joh.
Jac. Ulrich u. a. m.
In einem achtecki-
gen Kabinett sind
älteste Zürcher
Meister auf leuch-
tendem, mit Gold-
fäden durchwirk-
ten! Rot zu neuem
Leben erwacht;
daneben entzük-
ken Kollers voll-
endete Zeichnun-
gen auf graulihi
Grund. Boecklins
„Gartenlaube"hat
ihrenPlatz im gro-
ßen Oberlichtsaal des obersten Geschosses er-
halten , der in Grau und Gold überaus vor-
nehm geschmückt ist. 1 lodlers „ Heilige Stunde "
wirkt überwältigend in einem einfachen weißen
Raum, in den man durch zwei ganz helle Kabi-
nette schon von weitem Einblick erhält.
Der Gegensatz zwischen der kühlen Ruhe,
mit der die Wände der Ausstellungssäle auf die
stetig wechselnden Kunstwerke warten, und der
fast leidenschaftlichen Intensivität, mit der sich
die Räume der Sammlung mit den ihnen blei-
bend anvertrauten Gemälden zu einheitlicher
Wirkung vereinen, ist zweimal wirksam unter-
brochen, gemildert und verstärkt. — Steigt man
2S
CURJEL UND MUSER.
Kimsthaus in Zürich.
Detail der Fassade.
aus dem schlich-
ten, graublauen
Vestibüle des Erd-
geschosses die
graue Marmor-
treppe empor,
überrascht die
lichte Freudigkeit
der hohen Halle,
die den ersten
Stock mit dem
zweiten verbin-
det. Am Sockel u.
an denweich profi-
lierten Türgewän-
den wiederholt
sich der rötliche
Nassauer Marmor
des unteren Trep-
penhauses; darü-
ber erglänzen die
Wände in leicht
getöntem Weiß,
das unter dem
Oberlicht durch
einen breiten, mit
Gold diskret be-
lebten, ornamen-
talen Fries abge-
schlossen wird.
Köstliche Bilder
und eine Loggia
in Grün und Gold
steigern die fest-
liche Stimmung zu
buntemJubel. Das
ist einer der Ruhe-
punkte des wun-
dersamen Hauses.
— Nicht weit da-
von findet man
einen dunkelge-
mütlichen Raum,
und ein Tisch mit
zum Verweilen und
in dem bequeme Stühle
Büchern und Zeitschriften
Rasten einladen. So waren die Architekten
mit Verständnis und Geschmack bemüht, ihrer
vielgestaltigen Aufgabe gerecht zu werden, und
der Erfolg blieb nicht aus. Die überall sorgsam
abgewogenen Raumverhältnisse , die reiche,
gleichwohl nie aufdringliche Ausschmückung, die
durchaus moderne und geschmacklich selten ab-
geklärte Forniengebung, all das verfehlt seinen
Eindruck nicht; dem feinabgestimmten Zusam-
menklang, der beim Durchschreiten des Hauses
laut und lauter ertönt, diesem „Willen nach
Harmonie" kann sich niemand entziehen. —
PROFESSOR FRANZ METZNER — BERLIN.
EINE D. HELDENFIGUREN D.VÖLKERSCHLACHT-
DENKMALS IN LEIPZIG. GRANIT. 9.50 m HÖHE.
PROFESSOR FRANZ METZNER — BERLIN.
Büste: geheimrat Professor dr. hering.
■■^y
^
itf*
FRANZ WETZNER BERLIN.
i<ragmeiit sLerbender Krieger.
EINDRÜCKE VON DER BRÜSSELER WELT-AUSSTELLUNG.
HLRMA.NN MUTHEMr-
E^ ine der dringendsten Aufgaben der Zeit
V wäre es, Welt-Ausstellungen durch inter-
nationales Abkommen zu verbieten. Das schöne
Programm, das der Prinzgemahl Albert für die
erste Welt-Ausstellung in London 1851 aufge-
stellt hatte: friedlicher Austausch ernster Ar-
beit an Stelle der feindseligen Bekämpfung
der Völker, der Regungen edler Menschlichkeit
durch die Hebung von Technik, Wissenschaft
und Kunst — wer von den Arrangeuren von
Welt-Ausstellungen denkt heute noch an so
etwas ! Das ganze Ziel ist die Heranziehung
der Fremden. Grundstücks -Spekulanten, die
eine Stadtgegend aufschließen wollen, Bier-
brauer und Hotelwirte sind die eigentlichen Ge-
winner. Die Technik, die Kunst, die Wissen-
schaft leisten hierzu Frohndienste. Die Frage
ist für niemand mehr, ob er sich beteiligen wolle
oder nicht, sondern die, ob er sich leisten kann,
wegzubleiben. Und die meisten Industrien
glauben, sich das nicht leisten zu können. So
entstehen die heutigen Welt-Ausstellungen, und
so ist wohl auch die von Brüssel entstanden.
Sie ist erfolgreich, denn es wimmelt von Frem-
den. Alle Hotels sind überfüllt. Täglich finden
Feste statt, die große Hauptstraße Brüssels, die
vom Nord- zum Südbahnhofe führt, ist perma-
nent illuminiert. Allabendlich Umzüge mit Mu-
sik. Kongresse ohne Zahl. In der Ausstellung
selbst sind diesmal, und das ist ein Rekord,
zwei getrennte, große Vergnügungsparks vor-
handen, die „Bruxelles Kermesse" (die nie feh-
lende Stadt in Pappe) und die „Pleine des At-
tractions", die letztere eine amerikanische Ver-
anstaltung ä la Lunapark. An beiden Stellen
Kneipen, Theater, Bänkelsänger, Rutschbahnen,
Bauchtanz, Menagerien, Cowboy truppen, Neger-
dorf. — In diesem Trubel werden nun, gleichsam
als Abwechselung, auch ernste Sachen gezeigt.
Alle Hauptländer führen ihre Industrie-Erzeug-
nisse, ihre Maschinen, ihre Kunst vor, einige
gewähren auch Einblicke in ihr Schulwesen,
ihre Staatseinrichtungen, in die Art und Weise,
wie sie ihre Städte verwalten, ihre Eisenbahnen
befahren , ihre Post befördern , ihre Straßen
pflastern. Natürlich ist Studienstoff in Fülle
aufgehäuft. Nur fragt sich jeder, der ihm näher
treten will, warum denn dies in solchem Trubel
geschehen müsse, der alles andere eher als die
Sammlung zum Studium fördert. Man nimmt
wohl mit Recht an, daß der Studienstoff auf
Welt-Ausstellungen nicht gehörig zur Geltung
33
Dr. Henna7in Jlfuthesncs :
j^elanfjt, und es steht fest, daß Sonder-Ausstel-
lunj^en hier das cinzij* Richtige wären, Ausstcl-
lunj^en, die so eingerichtet sein müßten, daß
sie dem Fachmann alle Mittel zur Orientierung
und alle Möglichkeiten zum ruhigen Studium
gcwäiirten. Aber würden sich solche Ausstel-
lungen rentieren? Sicherlich nicht im Sinne der
Bierwirtc , Schaubudenbesitzer und Grund-
stücksspekulanten.
Solange es nun aber noch Welt-Ausstellungen
gibt, muß mit ihnen gerechnet werden. Wenn
wir das Gefühl haben, nicht wegbleiben zu
dürfen, müssen wir uns auf das denkbar Vor-
teilhafteste präsentieren. Wir müssen die Auf-
merksamkeit auf uns ziehen, dem Besucher im-
ponieren, ihm das Beste, was wir haben, zeigen.
Wer ist der Besucher? Die große Menge auf
der einen, ein internationales Sachverständigen-
Publikum auf der andern Seite. Beide haben
getrennte Interessen, und den Interessen beider
muß, wenigstens bis zu einem gewissen Grade,
Rechnung getragen werden.
Die Neigung und die Veranlagung für Aus-
stellungen sind bei den verschiedenen Natio-
nen ganz verschieden. England hat auf den
letzten Welt- Ausstellungen meist eine gleich-
gültige Zurückhaltung gezeigt; für die Brüsseler
Ausstellung hat es sich, auf Betreiben des eng-
lischen Board of Trade, aufgerappelt und tritt
diesmal imponierend auf. Frankreich war, na-
mentlich auf seinen Hauptinteresse-Gebieten,
Mode und Kunstindustrie, von jeher sehr rührig.
Deutschland ist das Land, das das Ausstellungs-
wesen in den letzten 20 Jahren am ernstesten
aufgefaßt hat, es ist das eigentliche ausstellungs-
tüchtigc Land. Es war stets zur Eröffnung
fertig (ein heutzutage geradezu unerhörter Zu-
stand), die Verwaltung war stets tadellos or-
ganisiert, die deutschen Abteilungen musterhaft
aufgestellt und in sehr wirksame künstlerische
Rahmen gefaßt (und noch eins: das deutsche
Weinrestaurant war stets das beste auf der
Ausstellung, ein nicht zu unterschätzender Um-
stand, der uns bei den Besuchern anderer Natio-
nalität manches Stück Achtung eingebracht hat).
Namentlich aber, und dafür gebührt den Reichs-
kommissaren unser besonderer Dank, wurde
kunstgewerblich immer das Beste geboten, alle
führenden Künstler waren zur Mitarbeit heran-
gezogen, die Ausstellungen zeigten stets das
deutsche Kunstgewerbe auf der Höhe seiner
Leistung. Wer die geradezu musterhafte kunst-
gewerbliche Ausstellung in St. Louis miterlebt
hat, wird sich dessen mit Freuden erinnern.
Einen ganz neuen Schritt hat nun das aus-
stellungstüchtige Deutschland in Brüssel getan,
gewissermaßen die letzte Konsequenz seiner
bisherigen AusstcUungspolitik gezogen: es hat
eine ganze Veranstaltung für sich allein gemacht,
indem es alle deutschen Ausstellungsgebiete in
einem einzigen geschlossenen Rahmen verei-
nigte. Nachdem man die üblichen großen, un-
endlichen Hallen der Allgemein -Ausstellung
durchschritten hat, in denen sich die Nationen
mit ihren verschiedenen Sektionen ablösen, ge-
langt man, über das Freie hinweg, an die ge-
schlossene Gebäudegruppe Deutschlands, die
etwas selbstbewußt und apart sich als letztes
Besuchsobjekt dem Beschauer darbietet. An-
einander reihen sich hier die Eisenbahnhalle,
die Kraftmaschinenhalle, die Hauptmaschinen-
halle, die allgemeine Industriehalle, die Halle
für Unterricht und, als Kopfstation, am Eingang
der ganzen Baupruppc, die Halle für Raumkunst
und Kunstgewerbe. Aus der Gruppe sich her-
ausstreckend schließt sich das deutsche Haus
an, das nur Vcrwaltungs- und Repräsentations-
räume enthält, weiterhin das deutsche Wein-
restaurant und etwas getrennt davon eine Bier-
wirtschaft nach Münchner Art. Alle Gebäude
tragen einheitlichen Charakter. Das getrennte
Auftreten gab Deutschland Veranlassung, die
Aufmerksamkeit stärker auf sich zu lenken und
^•ewissermaßen alle seine heutigen Leistungen
als aus einem Geiste geboren hinzustellen.
Natürlich sind nationale Ausstellungen in Son-
derhäusern nichts Neues, ist es doch das Üb-
liche, daß Kolonien und kleinere Länder diesen
Weg wählen. Bei Deutschland handelt es sich
aber nicht um ein Haus, sondern um eine ganze
Ausstellungsanlage.
Künstlerisch ist, unsrer guten Tradition ent-
sprechend, wieder das Beste wenigstens ange-
strebt. Die innere Gestaltung der einzelnen
Hallen ist in die Hände hervorragender Archi-
tekten gelegt, und in der Abteilung für Raum-
kunst und Kunstgewerbe findet sich, wie es
zuletzt in Dresden 1906 der Fall war, wieder
beinahe alles zusammen, was an der Weiter-
entwicklung des deutschen Kunstgewerbes mit-
arbeitet. Die F'orm der kunstgewerblichen Aus-
stellungen, die uns in Deutschland geläufig ge-
worden ist, ist beibehalten: Die Ausstellung
besteht hauptsächlich aus Raumfolgen, in denen
die verschiedenartigsten fertig ausgestatteten
Innenräume vorgeführt werden, daneben sind
einige Sammlungsräume vorhanden, in denen
die Kleinkunst, wie Edelmetallarbeiten, kera-
mische Erzeugnisse, Stoffe, Stickereien aus-
gestellt werden. Die Vorführung von geschlos-
senen Räumen war bisher ein deutsches Privileg,
und Deutschland stand auf Welt-Ausstellungen
damit, von einzelnen Ausnahmen abgesehen,
allein da. Jetzt hat sich auch England völlig zu
54
Eindrücke von der Brüsseler Welt-Ausstelhing.
diesem System bekannt; und nur Frankreich
stellt noch in Kojen seine Möbelgarnituren aus.
Freilich treten beide Länder nur mit Repro-
duktionen alter Stilmöbel auf.
Deutschland hat an vierzig solcher Innen-
räume ausgestellt ; Räume einer vornehmen
Wohnung , Räume einer einfachen Wohnung,
Klubräume, Leseräume, Amtszimmer, die Woh-
nung eines Kunstfreundes und anderes. Be-
teiligt sind Bruno Paul, Riemerschmid, Behrens,
Kreis, Billing, Niemeyer, Bertsch, Albin Müller,
Länger, Högg.Schultze-Naumburg, R. A. Schrö-
der, Troost, Hoffacker, Birkenholz, Thiele, Veil,
Dobert, Heidrich, Paul Thiersch, Orlik, Otto
Walther, Frl. v. Baczko, also eine große Anzahl
der heute in Deutschland tätigen Kräfte. Offen-
bar war es nicht leicht, allen sich andrängenden
Wünschen gerecht zu werden, denn es waren
räumliche Grenzen gesteckt. So ist eine Viel-
heit kleiner Räume als Resultat zu verzeichnen.
Es würde zu weit führen, das Vorgeführte
klassifizieren oder gar beschreiben zu wollen.
Richtiger erscheint es, einige allgemeine Beob-
achtungen wiederzugeben, die sich auch darauf
beziehen, wie solche Dinge im Ausland wirken,
und wie wir überhaupt mit dem Vorgeführten
der Kritik anderer Nationen standhalten. Denn
wie schon eingangs erwähnt, kommt es, wenn
wir einmal auf eine Welt-Ausstellung gehen,
darauf an, uns in möglichst gutem Lichte zu zei-
gen, die gegenteilige Absicht würde absurd sein.
Hier muß nun gleich eines Umstandes Er-
wähnung geschehen, der es verhindert, die
deutsche Kunstgewerbe-Ausstellung in so vor-
teilhaftem Lichte erscheinen zu lassen, wie es
erwünscht wäre : es ist die zu starke Zusammen
drängung und Ineinanderschachtelung der Räu-
me. Zwanzig Räume von doppelter Größe wären
weit besser gewesen, als die jetzigen vierzig. Fast
keiner der Räume vermittelt einen „Raumein-
druck", es fehlt dazu das Notwendigste: der
Raum. Die Räume sind, bis auf wenige Aus-
nahmen, klein und eng und vollgedrängt mit Mö-
beln, sie machen den Eindruck, als wenn das Mit-
telstück herausgeschnitten und Kopf und Ende
zusammengeleimt wären. Das Publikum schiebt
sich auf den frei gelassenen engen Passagen qual-
voll hindurch und ist froh, wenn es aus dem
Labyrinth wieder heraus ist. Man hat ein be-
engendes, drückendes Gefühl, das den guten
Willen der Würdigung des Gebotenen, selbst
wo er vorhanden ist, beeinträchtigt. Vielen
der Räume fehlt es außerdem an Licht. Kriechig,
dunkel und eng, das ist der erste Eindruck des
Besuchers.
Dadurch ist uns mancher Vorteil verloren ge-
gangen. Was ist es, was dem Beschauer bei
Betrachtung eines Wohnraumes gefällt? Es ist
das Wohnhafte, d. h. die Behäbigkeit, der Kom-
fort. Dieser besteht aber zum nicht geringen
Teile in einer gewissen behaglichen Geräumig-
keit, natürlich vor allem auch in Luft und Licht.
Der Beschauer in Brüssel hat nichts davon, daß
man es hier fertig gebracht hat, die Innen-
künstler ganz Deutschlands zu Worte kommen
zu lassen. Das ist ein ausschließlich interner
Gesichtspunkt. Weniger wäre gerade hier mehr
gewesen. Eine vorzügliche Lehre gibt uns hier
England. Allgemein wird anerkannt, daß ein
Eßzimmer der Firma White, Allom & Co. das
beste Zimmer der Ausstellung sei. Wer das
Zimmer vom rein formal-künstlerischen Stand-
punkte aus betrachtet , kann kaum begreifen,
wo sich dieses Urteil herschreibt. Die weiß
gehaltenen Wände haben eine Säulenarchitektur,
wie sie in England in der ersten Hälfte des
18. Jahrhunderts üblich war (sie ist formal nicht
einmal einwandfrei). Die ebenfalls nach alten
Mustern imitierten Möbel haben keine Bezieh-
ung zu den Wänden, das Mobiliar ist nicht ein-
mal einheitlich, das ganze Zimmer widerspricht
den Prinzipien der künstlerischen Gestaltung.
Aber es vermittelt einen behäbigen, komfor-
tablen Eindruck. Man hat das Gefühl, daß
sich gebildete Menschen darin in Behaglichkeit
bewegen können , man möchte selbst darin
wohnen. Breite, Länge und Höhe stehen im
richtigen Verhältnis zu einander, und die abso-
luten Maße sind eher zu groß als zu klein ge-
wählt. Der räumliche Eindruck ist so stark,
daß alles Formale in den Hintergrund tritt.
Die formale Gestaltung ist der zweite Um-
stand, der dem günstigen Urteile über die deut-
schen Zimmer bei den meisten ausländischen
Betrachtern im Wege steht. Natürlich haben
wir durch die intensive Arbeit der letzten fünf-
zehn Jahre in Deutschland einen heute schon
als national zu bezeichnenden neuartigen Aus-
druck in der Innenarchitektur erreicht; das soll
auch vor dem Auslande weder verheimlicht
noch verschleiert werden. Wir sollten aber so
vorsichtig sein, dort nur das Ausgereifteste und
Beste zu zeigen. Experimente ins Unbekannte
hinaus sollten vermieden werden; sie sind im
Inlande vielleicht interessant und fürdie Weiter-
entwicklung fördernd, vor den Augen des Aus-
landes sollten wir uns mit dem begnügen, was
wir als unseren sicheren Besitz bezeichnen kön-
nen, gilt es doch, selbst diesen nach außen hin
noch tapfer zu verteidigen. Das Launische,
Kapriziöse, Anekdotische, das hier zum ersten
Male vor dem Auslande gezeigt wird, schadet
uns. Namentlich sind dem Ausländer die rück-
läufigen Bestrebungen unerklärlich, die neuer-
3)
Dr. HcnnaiDi Alullicsius :
dings einen Teil unserer Innenkünstler in ihren
Bannkreis gezof^en haben. Die Wiederanknüp-
funjien an Gewesenes würden diejenijien Natio-
nen, die noch Stile reproduzieren, vor allem die
Franzosen, ja keineswegs schockieren. Wenn
man aber gerade das Schrullenhafte, Barocke,
Verdorbene hervorsucht und nachmacht, hört
auch für sie die Gemütlichkeit auf. Und davon
ist gerade auf dieser Ausstellung viel zu sehen.
Was soll man dazu sagen, wenn Künstler
die schlechten Teppiche der fünfziger Jahre
(himmelblauen Fond, Kanten und Mittelstück
aus plastisch dargestellten, mit Gelb und Braun
abschattierten Akantiiusblättern) zum Vorbild
nehmen und sie ziemlich wörtlich wiederholen?
Und wenn man Schnitzerei anbringt, muß sie
dann gerade an jene Zeiten erinnern, in denen
das künstlerische Niveau am tiefsten stand?
Das was man an solchen Dingen auf der Aus-
stellung bemerkt (es stammt meistens aus Mün-
chen), ist für unsere ISewegung direkt besorgnis-
erregend. Gewiß mag es langweilig erscheinen,
immer streng, korrekt und sachlich zu sein. Das
Einerlei, auch das des Guten, wirkt für manchen
aufreizend. Für unsre junge Bewegung ist aber
vorläufig die nüchterne Konsequenz noch ganz
unentbehrlich, wir können uns in unserm gegen-
wärtigen, doch immerhin noch recht wenig ge-
festigten Zustande Debauchen noch nicht leisten.
Vor allem aber — und darauf allein kommt es
hier an — sollen wir uns vor dem Auslande
nicht anders als in guter Haltung zeigen. Die
Ausschreitungen sind umsomehr zu beklagen,
als unsre Nachbarländer , namentlich die des
romanischen Sprachgebietes gerade angefangen
haben, unsre Bewegung in der architektonisch
strengeren Form, wie sie sich seit etwa 1902
entwickelt hat, zu verstehen und zu schätzen.
Sowohl in der französischen als der italieni-
schen Abteilung finden sich diesmal Möbel und
Zimmer, die die deutschen Anregungen dieser
Art aufgenonunen und sehr nett verwertet ha-
ben. Die Zimmer sind für diese Länder ganz
neuartig, sie haben nichts mehr zu tun mit dem
peinlichen nouveau-art-Charakter, den man bis-
her zu sehen gewohnt war. Viele Franzosen
ahnen jetzt, was wir wollen, und selbst die ein-
gefleischtesten Stilmöbelverehrer sprechen es
jetzt aus, daß Frankreich hundert Jahre lang
geschlafen habe und jetzt notwendigerweise
aufgeweckt werden müsse. Sie verstehen die
Rückfälle in die schlechtesten Stilcpochen, die
wir uns übermütig leisten, dann natürlich um-
soweniger.
Muß man so bei unsrcr Ausstellung von Innen-
räumen feststellen, daß sie, so gut sie ist, doch
hätte eindrucksvoller sein können, und daß
sie uns leider nicht die Anerkennung einbringt,
die wir uns sonst füglich hätten erringen kön-
nen, so kann von den Samniel- Ausstellungen
kunstgewerblichen Kleingeräts behauptet wer-
den, daß das Gezeigte Deutschland zur größten
Ehre gereicht. Alles was hier an Metall-Ar-
beiten, Schmuck, Keramik, Glas, an Stoffen,
Stickereien, Leder-Arbeiten, Buch-Einbänden
ausgebreitet ist, atmet höchsten Geschmack
und ist eine wahre Augenweide. Hier können
wir erfreulicherweise unsere Superiorität über
alle andere Völker feststellen. Hier ist es, wo
wir die wahren Früchte unsrer Bewegung er-
kennen, wo wir sagen können, daß sich ein
auch vor einem ganz internationalen Publikum
gültiges , hohes deutsches Geschmacksniveau
dokumentiert. Leider beeinträchtigt auch hier
der Mangel an Licht und die Engigkeit der Auf-
stellung die Wirkung der ausgestellten Gegen-
stände. Sie müßten dem Auge bequem darge-
boten, raffiniert, ohne Zusammendrängung auf-
gestellt sein, im hellen Tageslicht betrachtet
werden können. In dieser Beziehung haben
doch die sonst gewiß langweiligen hohen Aus-
stellungshallen, in denen sich die Ausstellungen
der andern Völker abspielen, ihr Gutes. Man
atmet in ihnen, wenn man aus der deutschen
Kunstgewerbe-Ausstellung kommt, förmlich auf.
In solchen Hallen haben England, Frankreich,
Italien ihre kunstgewerblichen Erzeugnisse aus-
gestellt. Bei England fällt auf, daß es sich fast
lediglich auf die Vorführung von Kopien alter
Möbel beschränkt hat. Mittendurch sind auch
wirkliche alte Möbel ausgestellt. Den Kopien
ist durch „Altmachen" der Charakter alter Ori-
ginale verliehen. Die Chinoiserien und andere
Schrullen des 18. Jahrhunderts spielen dabei
eine große Rolle, Und wäre nicht die nette
Zimmerfolge des unternehmenden Hauses
Waring & Gillow vorhanden, das wenigstens
bei seinen Stilmöbeln nicht so tut, als wären
sie alt, so müßte man glauben, daß in England
alles Lebensgefühl erstorben wäre. Vorzüglich
ist diesmal jedoch die englische Keramik ver-
treten. Was hier, und zwar auch im neuzeit-
lichen Sinne geleistet ist, verdient volle, auf-
richtige Bewunderung.
Frankreich hat seine besten Pariser Tischler
ins Feld geschickt, die eine kleine, aber außer-
ordentlich gute Ausstellung zusammengebracht
haben. Es ist eigentlich alles, was da ist, aller-
ersten Ranges. Und man hat hier wieder Ge-
legenheit, jene eminent feine Technik und jenen
Gipfel werklicher Vollkommenheil zu bewun-
dern, der Paris noch immer eigentümlich ist und
ihm geradezu ein Monopol verleiht. Wie aus-
sichtslos es ist, dies Monopol zu bestreiten.
Eindrücke von der Brüsseler Welt-Ausstellung.
das zeigt das gänzlich von Frankreich abhän-
gige Belgien. Eins sollte von diesen Möbeln
gelernt werden, sie sollten einen Ansporn
für die Erhöhung der Qualität der Tischler-
arbeit abgeben. Wenn sich auch behaupten
läßt, daß unsre deutschen Ausstellungsgegen-
stände im allgemeinen recht gut, zum Teil sogar
vorzüglich gearbeitet sind, so fielen doch ge-
legentlich einige sehr bedenkliche Nachlässig-
keiten auf, die vor einem internationalen Forum
unbedingt hätten vermieden vi'erden müssen
(auf das Glas aufgeleimte dünne Ziersprossen,
die natürlich zum Teil abgesprungen waren).
In der französischen Abteilung ist noch der Clou
der ganzen Welt-Ausstellung zu erwähnen; die
Ausstellung von Damenkleidern. Auch hier wie
bei den Möbeln höchste Technik, wenn auch in
Bezug auf die Materialien, besonders des Be-
satzes, Unsoliditäten üblich sind, die beim Möbel
nie vorkommen würden. Was hier die Pariser
Schneider aus der Frau gemacht haben, spot-
tet jeder Beschreibung. Glich sie, angezogen,
bisher einer auf der Basis stehenden Pyra-
mide, so gleicht sie jetzt einer auf der Spitze
stehenden: oben breit und unten schmal ist
die Devise , dabei verstärkt ein herausfor-
dernder, fast drohender Riesenhut die seltsame
Wirkung. Das sind keine Menschen mehr, es
scheinen große bunte Riesenraupen zu sein, aus
denen oben ein kleines menschliches Gesicht
heraussieht. Übrigens haben eingestandener-
maßen unsre Künstlerkleider Anregung zu diesen
jedenfalls ganz freien, nicht auf historischen Re-
miniszenzen beruhenden Entfaltungen gegeben.
Von belgischem modernen Kunstgewerbe
ist wenig zu sehen, was gezeigt wird, ist meist
französischen Charakters. Serrurier-Bovy, der
für moderne Ideen kämpfte und England kannte,
als auf dem Kontinent noch niemand an Ähn-
liches dachte, stellt in einem kleinen Sonder-
pavillon sechs Zimmer aus. Es ist noch genau
dasselbe, was wir 1895 aus Belgien empfingen.
Horta fehlt auf der Ausstellung, obgleich er in
Brüssel selbst eine lebhafte Bautätigkeit entfal-
tet. — Holland ist außer Deutschland das ein-
zige Land, das alle seine Ausstellungsgegen-
stände in einem für Ausstellungszwecke errich-
teten Sondergebäude zeigt. Das Gebäude ist
eine sehr ansprechende Komposition aus Mo-
tiven des altholländischen Ziegelbaues, trotz der
Stilnachahmung eines der wirkungsvollsten Ar-
chitekturwerke der Ausstellung. Innen erfreuen
uns eine Anzahl recht guter Wohnräume. Sie
schließen sich in ihrer Formensprache ganz den
deutschen Räumen an. Auch sonst bietet Hol-
land viel des Interessanten. Besonders erfreu-
lich ist die vor dem Hause sich ausbreitende
regelmäßige Gartenanlage, die ganz in die Be-
häbigkeit der altholländischen Kultur versetzt.
Überhaupt schließt die Ausstellung außer-
ordentlich viel gärtnerische Anlagen in sich.
Neben den Gärten Belgiens, die sich vor der
Front des Haupt-Ausstellungsgebäudes aus-
dehnen, erregen sehr ausgedehnte französische
Anlagen, mit reicher Verwendung von Wasser,
die Hauptaufmerksamkeit. Auch vor dem
deutschen Hause sind kleinere Gärten ange-
legt. In diesem reichen Blumen- und Pflanzen-
schmuck spiegelt sich die gute Tradition Brüssels
wieder, das auf seine Parks, Schmuckplätze,
Gärten und Avenüen außerordentlich viel Mühe
verwendet. Freundlich und festlich wie das
Stadtbild ist dadurch auch die Ausstellung ge-
worden , auf der diesmal die Nationen zum
Wettkampf erschienen sind.
Alles in allem können wir mit dem Erfolge,
den sich Deutschland in diesem Wettkampfe
errungen hat, wohl zufrieden sein. Der Ein-
druck, daß wir gerade im Kunstgewerbe, ange-
sichts der Anzahl der jetzt in Deutschland täti-
gen Kräfte, und angesichts der immer weiter um
sich greifenden Macht der neuen Ideen noch mehr
Wirkung hätten erzielen können, soll uns die
Freude an dem doch immerhin Erreichten nicht
trüben. Allgemein wird der starke Wille zur
Kultur und die wahrhaft imponierende Kraft
Deutschlands anerkannt. Das tun auch die,
die unsrer Auffassung in künstlerischen Dingen
fern stehen, und das sind, im großen und ganzen
noch immer alle romanischen Völker. Lernt
man aber kennen, wie gut deren Formgefühl
innerhalb des ihnen geläufigen Vorstellungs-
kreises entwickelt ist, wie sie sich in sicheren,
durchaus verfeinerten Lebensformen mit Selbst-
verständlichkeit bewegen, wie ihnen eigentlich
so gar nichts fehlt und sie auch bei ihrer leichte-
ren, weniger nachdenklichen Auffassung des
Lebens auch keinerlei Mangel empfinden, so
versteht man ihr Kopfschütteln gegenüber un-
sern konvulsivischen Bewegungen, uns die un-
serm Wesen entsprechenden Lebensformen neu
zu schaffen. Es wird noch lange dauern , ehe
wir bei ihnen volles Verständnis für das, was
wir wollen, finden. Aber unentwegt neben der
romanischen entwickelt sich bereits die ger-
manische Welt mit ihrer Expansionskraft und
ihrem Bildungsdrange. Sie wird ein Bereich
für sich werden, das notwendigerweise auch
seine künstlerischen Ausdrucksformen nach sei-
nem Innern Bedürfnis gestalten wird. Daß dies
bereits bis zu einem gewissen Grade geschehen
ist, das drängt sich gerade in Brüssel jedem Be-
sucher der deutschen Ausstellung als unwider-
legliches Resultat seiner Besichtigung auf. —
1910/11. I. 4.
37
EMANULL VON SEIUL MÜNCHEN.
Haub Kestranek. \'urder-Ansicht.
HAUS KESTRANEK IN ST. GILGEN.
ERHAUT Vc_)N EMANUEL VON SEIDL.
ES war noch zur Zeit unserer Väter eine
Lust, im „Österreichischen" herumzuwan-
dern, bei luculHschen Genüssen in den reizenden
Stuben zu sitzen und die heiteren poetischen
Orte zu durchstreifen.
Jeder Platz hatte sein charakteristisches Ge-
präge und seine Bewohner ihr typisches Kostüm.
Die Neuzeit hat es allerdings fertig gebracht,
gerade in Österreich durch moderne Villenbauten
und komfortable Gasthäuser diese Bilder so stark
zu stören, daß man oft wehmütig davon betroffen
wird ; — mir ist es so gegangen, als ich jüngst
durch St. Gilgen am Wolfgangsee wanderte ,
woselbst ich noch die Eindrücke meiner Jugend
zu sehen und wieder zu genießen glaubte. Um
so erfreulicher ist es, daß auf einer dominieren-
den Höhe ein neues Gebäude entstanden ist,
das zwar recht komfortabel und modern aussieht
und doch die gemütvolle alte Tonart trägt. Als
ich mich näher erkundigte, hörte ich, daß es
dem Zentraldirektor Wilhelm Kestranek ge-
hörig und von Emanuel von Seidl aus München
erbaut worden sei. Gerade dieser Meister hat
an seinen vielfachen Beispielen, die er in die
Welt gesetzt hat, den Weg gezeigt, wie man
vorbildlich und volkstümlich bauen soll.
Das Haus Kestranek, das ich später zu be-
sichtigen Gelegenheit hatte, ist wie aus dem
Boden gewachsen, in der Silhouette von allen
Seiten reizvoll, und recht im Einklang, einesteils
mit den aufsteigenden Felswänden, andernteils
mit der herrlichen Seelandschaft.
Der Grundriß des Hauses ist ziemlich bewegt,
um den schönen Aussichten tunlichst die Fen-
sterseiten zuzuführen, löst sich aber in großer
Ruhe und Natürlichkeit in der Dachform auf.
PROF. EMANUEL VON SEIDL.
HAUS KESTRANEK IN SANKT GILGEN.
EIXG.ANG VO.M VORDEREN G.\RTEN.
Hans Kestranek in St. Gilden.
auNffiiä
iriüfiy ' Vit
PKOFESSOR EMAMTEL VON SEIDL MÜNCHEN.
Die Wände sind zum Schutze gegen die Stürme
teilweise mit Schindeln versehen, vifodurch
auch die Wirkung des Daches erhöht vi'ird.
Die Fenster in ihren verschiedenen Lagen
und ihrer vk^echselnden Gestaltung lassen jeweils
ohne weiteres den Zweck ersehen , dem sie
dienen, und sie sind für die Räume die haupt-
sächlichste Dekoration. So kommt es denn, da
die Räume ferner durch verschiedenartige Ab-
messungen, durch zwischengelegte Decken oder
Wölbungen und sparsame Gesimse besonders
charakterisiert sind, daß jeder Raum gewisser-
maßen schon im Rohbau fertiggestellt ist.
Wir sehen dies aus dem behaglichen Vestibül
mit seinem eingebauten Kamin, den Türumrah-
Speisezimmer. Haus Kestranek.
inungen aus Tuffstein, dem roten Backsteinpfla-
ster etc., wie wenig zur Ausschmückung notwen-
dig ist, um die größte Behaglichkeit zu erzielen.
Wir sehen im Herrenzimmer einen ganz in
Zirbelholz getäfelten Raum, wir sehen ein kom-
fortables Speisezimmer, welches Anklänge an
Biedermeier-Motive zeigt, jedoch mit solcher
Freiheit behandelt, daß Emanuel von Seidls
Eigenart völlig gewahrt bleibt.
Erwähnenswert ist noch, daß auch die ein-
fachsten Zimmer dieses Hauses, dieV'crbindungs-
gänge etc. interessante und sympathische Lö-
sungen zeigen. In diesem Hause verweilt man
gern; man fühlt sich heimisch, sobald man die
Schwelle betreten hat. — r.
4u
PROFESSOR EMANUEL VON SEIDL. HAUS KESTRANEK AM ABERSEE. RUCKSEITE MIT HAUPT-EINGANG.
CHR. ROSELIUS BREMEN.
Aui dem (rarten Roselius.
BRAUCHBARE GARTENKUNST.
Noch immer steht von all den schönen Er-
folgen, den großen Taten, dem heißen
Wollen unsrer jungen Kunst die größere Hälfte
nur auf dem Papier: Ausstellungserfolge, be-
wundernswerte Entwürfe, die niemals ausge-
führt wurden, Paradeleistungen, die aus irgend
einem besonderen Anlaß entstanden sind —
und daneben immer noch ein unabsehbares
Heer von Kulturlosigkeit und Unverstand, an
guter Nutzkunst für den Alltag überall noch
ein schmerzlicher Mangel. Auch von Brüssel
kommt man mit demselben Gedanken heim :
Ein Spiegelbild des deutschen Schaffens der
Gegenwart ist das leider nicht, was unter Bruno
Pauls und Peter Behrens' Führerschaft dort mit
Recht Bewunderung erregt ; es ist kein Jahres-
durchschnitt durch die Produktion unsererWerk-
stätten und Firmen, sondern eine durch den tat-
kräftigen Willen einiger weniger entstandene
Auslese. Gerade das, was die angewandte
Kunst zum bedeutungsvollen Kulturfaktor macht,
das künstlerisch anständige Niveau in der ge-
samten Produktion muß also unser nächstes
Ziel sein, mehr als die gesteigerte Einzelleistung.
— Es bedarf dazu nicht nur der Führer, deren
Ruf und Werk ja nun zur Genüge unter uns
feststeht und nicht mehr Gefahr läuft, verkannt
oder verachtet zu werden, es bedarf vielmehr
großer Scharen von Mitstreitern, von prakti-
schen Männern mit dem rechten Sinn für die
Ziele der Zeit und mit der Fähigkeit, in der
Arbeit des Alltags die kleine Münze des prak-
tischen Erfolgs aus der großen Theorie zu prägen.
So steht es auch in dem Gebiet, von dem hier
zu sprechen ist, im Gartenbau. Die Zahl der
interessanten großangelegten Ideen, die in den
letzten Jahren bei Park- und Friedhof-Wettbe-
werben, bei Ausstellungen und anderen Ge-
legenheiten auf dem Papier oder in vergäng-
licher Wirklichkeit als Werke moderner Garten-
kunst entstanden, ist fast unübersehbar; aber
wie steht es um die Masse der kleinen und
großen Hausgärten, der täglichen Arbeit im
Gartenbau ? Noch alljährlich kehren die all-
bekannten Schaufenster-Dekorationen wieder,
die uns daran erinnern, was zur Ausstattung
47
Brauchbare Gartenkunst.
CHR. ROSKI.IUS BREMEN.
des Gartens gekauft wird: die Naturholzlaube,
die Zwerge, Rehe und Pilze aus bemaltem Ton,
und was dazu gehört; und wo solche Schmuck-
stücke begehrt werden, da steht es mit der
Weganlage, der Bepflanzung und der Einfrie-
digung, also mit der ganzen Idee moderner
Gartenkunst jedenfalls nicht viel besser.
Die Aufgabendes Alltags haben überdies Vor-
i lartei! ini ilau^e l-.mtl W'aljeii.
züge, die unsere Künstler schätzen sollten. Sie
zwingen durch den beschränkten Raum und die
keineswegs unbegrenzten Mittel, die zur Verfü-
gung stehen, zu einer Ökonomie der erfindenden
Phantasie, zu einer sparsamen Ausnutzung der
künstlerischen Möglichkeiten. Und damit sind
sie die eigentliclie, allein wertvolle Form von
Arbeit, die wir brauchen. — Chr. Roselius, von
^t^l^i:-
%
CHR. ROSELIUS BREMEN. Pavillun in ubigciu Garlen.
4«
CHR. ROSELIUS BREMEN.
BREMER HAUSG.VRTEN.
CHR. ROSELIUS BREMEN.
GARTEN IM HAUSE DK. DANZIGER- BREMEN.
lOlU/ll. X. 6.
49
Dr. K. Schaefey
CK. ROSELIUS-BREMEN.
dessen Gartenan-
lagen hier einige
Proben gezeigt
werden, ist ein
Mann von gründ-
licher handwerk-
licher Schule. An
der Gartenbau-
schule in Proskau
hat er als Gärt-
ner sicher viel
Gutes, aber auch
alle die Torheiten
gelernt, aus de-
nen sich die soge-
nannte Natürlich-
keit der Garten-
anlage vor zwan-
zig Jahren zusam-
mensetzte. Daß
er trotzdem sich
von den Schlan-
genwegen , Tep-
pichbeeten und
Tropf steingrotten
lossagte, ist ein
schöner Beweis
verständnisvoller
f.ARTENI.AUBE BEI 1)R. HESSE -VERDEN.
IKKKASSE. (iARlEN B. HEYE.
Liebe zu seinem
Beruf. Es sind
keine ungewöhn-
lichen Ausnahme-
leistungen, die wir
hier von ihm ver-
öffentlichen, son-
dern Aufgaben all-
täglicher Art. Der
einfache Haus-
garten hinter dem
oft nur 7 — 8 Me-
ter breiten Bre-
mer Einfamilien-
iiaus, der in sei-
ner langen Strei-
fenform künstleri-
scher Gestaltung
oft ernste Schwie-
rigkeiten macht,
ist eine Hauptauf-
gabe in Rose-
lius' Arbeit. Grö-
ßeren Umfangs
und deshalb geeig-
net zu reicheren
Raumwirkungen
ist der Garten des
jü
Brauchbare Gatieiikunsf.
VON ARCHITEKT
hR. A. NAGtL-
vrRSBERn.
1 l> ALI ER
BRINNEN
IN FÜRTH.
\'ACHERSTR.
Hauses Emil Wätjen. dessen Pavillon mit den
geschickt angefügten weißen Lattenwänden den
Abschluß des Ziergartens gegen Tennisplatz und
Stallgebäude bildet, und dessen leicht orna-
mental gezeichnete Rasenflächen durch einige
wenige farbigkräftige Akzente von Blumen-
gruppen unterbrochen werden. Wie Laube und
Gartenbank, wie Weg und Terrasse, wie Wirt-
schaftsgebäude und Einfriedigung sich als Steige-
rung der landschaftlichen Schönheit des Gartens
anfügen können, wie dabei einmal die fest-
licheren Formen der höfischen Gartenkunst, ein
andermal die einfachen Motive der benach-
barten Architektur als Anregung dienen kön-
nen , dies zeigen die abgebildeten Proben,
Alles in allem : Hier wird nicht mit gesuchten
Mitteln um jeden Preis Kunst angestrebt, son-
dern in natürlichster Einfachheit dem Garten
wieder Ausdruck gegeben mit Mitteln, die sich
ungezwungen darbieten. dr. k. schaeker.
51
ARCHITEKT CARL WITZMANX WIEN.
VERGI.ASUNG EINES SPEISEZIMMER-FENSTERS.
.\USGEK. VON CARL GEYLINGS ERBEN WIEN.
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AKCHHEKT CARL WITZMANN WIEN.
ECKE AUS DEM EMPFANGSZIMMER.
ARCHITEKT C. WTTZMANN WIEN. EMI'l- A^■G^ZIMMEK. WOHNUNC. LlE.S I'.ACMEISTERS J. MULLER- BRUNN.
ARCHITEKT CARL VVITZMANN.
Vitrine aus dem Empfangszimmer.
EINE MODERNE WOHNUNG IN BRUNN
EINGERICHTET VON CARL UTTZMANN.
L Tnter den jungen Raumkünstlern Wiens hat
j sich Carl Witzmann seit einiger Zeit zu
einem der ersten Plätze durchgerungen. Mit
einer sicheren, wegfreudigen Beharrlichkeit,
ohne Hast und ohne Drängen, ohne Reklame-
sucht und mit dem frohen Gefühl einer Kraft-
natur, jenem Gefühl des Zeithabens und sich
Zeitgönnenkönnens. Zielbewußt, zäh und ehr-
lich. Es gibt noch immer Blender unter den
Wiener Raumkünstlern, Raketennaturen, die
vom neuen Kunstfrühling nicht den Wuchs, son-
dern den Auswuchs gelernt haben, die bluffende
„Originalität", den Trick des Psychologen, daß
man sich ein Kopfschütteln leichter merkt als
ein stilles, inniges Wohlgefallen. Es ist viel
Überschuß in diesen Jungen und wenig Bändi-
gung. Aber die Mehrzahl ist zum ruhigen Gleich-
maß zurückgekehrt, zur Durchdringung alter
guter Heimatstraditionen mit modernem Geist.
Zu diesen Selbstverständlichen gehört Carl
Witzmann. — Seine schlichte Aufrichtigkeit
steht jedem Möbel auf der Stirn, sie strahlt wie
aus blauen Augen aus jedem Raum, es ist der
gesunde Ausgleich der Kräfte in ihm, der neu-
zeitlichen Wesenhaftigkeit und des guten Ge-
schmackes der alten Zeit. Jene Wesenhaftigkeit
dringt auf strenge Betonung der Gebrauchsfor-
men, auf Entwicklung jedes Gerätes und jedes
Raumes aus seiner Bestimmung, gemäß dem
Materiale, dieser Geschmack gibt noch ein
Plus, den Schmuck, die Verzierung, das mehr
als eben Notwendige. Der glückliche Ausgleich
beider schafft das Behagen.
Das ist vielleicht das Charakteristische für
Witzmanns Raumkunst : daß sie aus einem be-
haglich heiteren Gemüt entsprungen ist und daß
sie auch wirkliches Behagen vermittelt.
Er gibt Wohnräume, die wirklich wohnlich
sind, eine bürgerliche Raumkunst, die wie ein
wohlgefälliges Lächeln ist. Das Gegenständliche
ist Ausgangspunkt und Ziel, das praktische Be-
dürfnis des Alltags, aber in die Formgebung
fließt der ruhige Geschmack und die Fröhlich-
keit des alten Wiens. Man wird Witzmanns
Arbeiten seelisch nicht näher kommen, wenn
man dieses gesunde Element heimischer Über-
lieferung darin übersehen wollte. Das alte Stil-
gefühl der Donaustadt wird in ihm wieder leben-
dig, es tritt jugendlich und kräftig in die neue
Zeit. Da ist nichts nüchtern und stilledern,
unter seiner Hand wird alles schmiegsam, zu-
vorkommend, herzlich und helläugig.
Im Februarheft dieser Zeitschrift sind dem
Bericht über die Ausstellung des k. k, österr.
Museums für Kunst und Industrie in Wien auch
zwei Abbildungen Witzmannscher Räume bei-
gegeben. Man merkt sogleich das Heimatsge-
fühl ihres Schöpfers. Alles ist durchaus modern
empfunden, die Lösung der Raumverteilung,
der Beleuchtungsanlage, der Wandbehandlung
)>
Karl Hans Strobl— Brunn :
AKCHlltKT CARL WlT/.MANlv -WIEN.
Fensterplatz eines \\'ohnzimnier?. Ausführung: Karl Karasek-Wien,
wächst ans den Bedürfnissen unserer Zeit, aber
zugleich kUngt etwas Vertrautes und Heimhches
mit aus den Kurven der Sessellehnen, der
machtvoll ausladenden Anrichte, dem breit über-
spannten Doppelbett, dem ovalen Toilettentisch
mit dem ovalen Spiegel am Fensterplatz. Es
ist wie ein leiser Hauch aus dem vormärzlichen
Wien. Und an dem Fenster des Schlafzimmers
könnte man sich ebensogut eine mondäne Dame
von heute denken wie das kleine Mäderl der
Schwindschen „ Morgenstunde " .
In dieser Möglichkeit liegt der Beweis für die
Wurzelhaftigkeit und gesunde Echtheit dieser
Raumkunst.
Ganz ähnlich wirken die Räume, deren Ab-
bildungen diesem Hefte heigegeben sind. Man
betrachte daraufhin etwa den Fensterplatz in
einem Wohnzimmer oder den des von A. Spitzer
ausgeführten Herrenzimmers.
Sein Bestes hat aber Witzmann in der Woh-
nung des Baumeisters Müller in Brunn gegeben.
Im Speisezimmer ist durch einen Einbau eine
Nische entstanden, die fast ein ganzes Zimmer
ersetzt, ein Ruheplatz nach dem Speisen,
eine kleine Besuchsecke , ein Konversations-
raum, wenn eben nicht gespeist wird. Durch
diese Nische sind dem einen Raum mehrere
Funktionen ermöglicht. Witzmann hat die Höhe
der Wandverkleidung (in geräuchertem Eichen-
holz) genau mit der Nische übereingestimmt
und tun das ganze Zimmer einen ununterbro-
chenen Fries eines originellen Blätlerornamentes
gelegt, so daß ein wohltuender Rhythmus der
Verhältnisse, ein fein abgewogener Zusammen-
klang der Einzelheiten entsteht.
Diese Wohnung ist eine raumkünstlerische
Leistung ersten Ranges und eine beachtens-
werte Lösung unseres so brennend gewordenen
Mietwohnungs - Problems. Die Wohnung des
Baumeisters liegt in dessen eigenem, aber nicht
bloß zu eigenem Gebrauch erbautem dreistöcki-
gen Miethause. Schon dieses Haus verdiente
Eine moderne JVo/imois^ in Bninn.
ARCHITEKT CARL WITZMAN.N — WIEN.
Fensterplatz eines Herrenzimmers. Austuhrung: a. Spitzcr-Wien
als Beitrag zur Lösung jenes Problems eine Be-
achtung. Ein Baumeister, der von modernem
Geist erfüllt ist und dabei doch guter Geschäfts-
mann sein muß, liefert seinen Parteien wohl
auskalkulierte, aber dennoch durchaus moderne
Wohnräume zu normalen Mietzinsen. Das heißt,
er hat alles „Herrschaftliche" beiseite gelassen,
alle Doppelflügeltüren und Renaissancekachel-
öfen und sonstigen Kram. Aber er kann den-
noch nichts mehr bieten als das Gerippe, als
die Möglichkeiten zur Raumgestaltung. Hier
setzt nun die Aufgabe des Innenarchitekten ein.
Witzmann gibt uns die bürgerliche Wohnung
im fremden Haus, denn in ihrer Anlage weicht
die Müllersche Wohnung nur wenig von der
seiner Parteien ab. Was wir in dem Witzmann-
schen Werk vor uns sehen, ist das Erreichbare
für jeden , der das Glück hat, an einen ähn-
lichen Hausherrn zu geraten und der das Herz
hat, mit einer geringen Mehrauslage eine große
und stete Heimfreude zu erkaufen.
Ein Mädchenzimmer, wie das dieser Woh-
nung, mit seinen lichtgestrichenen Möbeln, mit
der bunten Bespannung aus bedrucktem Leinen
und dem fröhlichen Bänderwerk der abnehm-
baren Möbelbezüge muß ein helles Licht in die
Augen des jungen Mädchens bringen, das da-
rin aufwächst. Dieselbe Heiterkeit und Helle
herrscht in dem Schlafzimmer, dem Vorraum,
der Veranda und der Küche. Überall ist der
tägliche Gebrauch und das praktische Bedürfnis
der Hausfrau, die selbst in ihrer Wohnung mit
Hand anlegt, bestimmend gewesen für den Ein-
bau der Schränke in die Wand, die Waschbar-
keit der hellen Stoffe und der gestrichenen
Möbel und die hundert Kleinigkeiten, in denen
sich das Verständnis des Raumkünstlers für die
Bedingungen der Mietwohnung offenbart. Das
Empfangszimmer mit dem hellen Gelb der Mö-
bel aus Zitronenholz , dem Gold des Wand-
musters, der Heizkörper-Verkleidung und der
Vitrinen, mit dem schwereren Ton des Marmors
an der langen, sonst ungegliederten Wand hat
eine gelassene Würde ohne Prunk.
Hier ist Raum für die Vitrinen mit allerlei
hübschen Raritäten und Stücken modemer
19iu;ii. J. 6.
6l
Karl Hans Stroh!- B,
ninn :
ARCHITEKT CAKl- Ull/MANN « II.N.
Kleinkunst (zumeist aus der Wiener Werkstätte).
Carl Witzmann liebt diese Vitrinen. Kr bringt
sie überall an, wo es sich tun läßt. Wir sehen
sie auch in der Nische des Speisezimmers und
über dem Schreibtisch der Tochter. Und darin
scheint mir ein wesentlicher Zug für Witzmanns
künstlerische Art zu liegen, für seine wiene-
rische Lebensfreudigkeit, sein genußfrohes Tem-
perament. Ist dieses Darbieten von Möglich-
keiten für die Zurschaustellung des Erworbenen,
der liebgewordenen Sächelchen nicht ein Aus-
/mimcr iler lochtcr. Wohnung Josef Müller P>rünn.
druck für sein Eigentlichstes, das frohe Behagen
am Genuß, für die lächelnde Beschaulichkeit?
Witzmanns Raumkunst ist aus dem Handwerk
hervorgegangen. Er ist 1883 in Wien geboren.
Sehr bald darauf angewiesen, sich seinen Le-
bensunterhalt selbst zu erwerben, erlernte er
das Tischlerhandwerk und besuchte während
dieser Zeit eine Fachschule. Seine Weiterbil-
dung erfolgte seit 1900 an der Wiener Kunst-
gewerbeschule, wo er zunächst bei Herdle in
die alten Stile und dann von Professor Hoffmann
62
Eine viodenie WohiiiDig in Brunn.
ARCHITEKT CARL WITZMANN WIEN.
ARCH. CARL WITZMANN -WIEN. Schreibtisch im Zimmer der iochter.
Zimmer der Tochter. Wohmuig Josef Miiller— Bninii.
in den modernen Geist des Kunst-
gewerbes eingeführt wurde. Seinen
ersten größeren Erfolg brachte die
internationale Kunstausstellung in
Turin 1902, auf der Witzmanns
Musikraum von der Königin von
Portugal angekauft wurde. Weitere
Etappen seiner Laufbahn bezeich-
nen die Kaiser- Jubiläums- Möbel-
Ausstellung 1908, die Wiener
Kunstschau 1908 und jene oben
erwähnte Weihnachts - Ausstellung
des österreichischen Kunstgewerbe-
Museums. Hier mag auch die Ein-
richtung eines Ringstraßen-Kaffee-
hauses erwähnt werden , in dem
Witzmann erweist, daß es ihm auch
gegeben, mit ehrlichen Mitteln eine
solide, heitere Eleganz zu erreichen.
KAKL HANS STKOBL BRUNN.
Ä
Das Gefühl hcit inancher — man
nniß sich zum klaren Gedanken durch-
gerungen haben. Mathias Auerbach.
Lege den Gehalt einer Gesinnung
in das kleinste Tun. Immermann.
Hygiene in der Wohnung.
'^'
r «• V V ' I
ARCHITEKT CARL WITZMANN WIEN.
CARL WLIZMANN.
Kommode im Schlafzimmer.
Schlafzimmer der W oh innig Josef Miillcr Biiiiin.
HYGIENE IN DER WOHNUNG.
^]ichtdie Bakterienangst, sondern die positive
i Freude des modernen Menschen an allem
Gesunden und Lebens- Fördernden wird unsere
seit langem ersehnte Wohnungs-Hygiene zur Reali-
tät werden lassen. Der in Sport und Körperpflege
aufwachsenden neuen Generation wird die dumpfe
Atmosphäre der heutigen Durchschnittswohnung
ein Greuel sein. — Alles lichtscheue Material
wird aus der modernen bürgerlichen Wohnung zu
verbannen sein. Besser noch verschossene Tep-
piche und Stoffe im Wohnraum als im ungesunden
Halbdunkel mühsam konservierte Plüsche und
Filze. Hellbedruckte Cretonnes, Tülle und Seiden,
waschechte, buntgewebte Leinen, Leder oder
lederartige, abwaschbare Bezüge für Möbel geben
dem Wohnraum eine frische und heilere Atmo-
sphäre. An Stelle schwerer Teppiche dürften für
einfachere Verhältnisse geflochtene Matten ver-
schiedenster Art, in Verbindung mit den prak-
tischen Korbmöbeln, sich stärker einbürgern. Alle
diese, dem täglichen Gebrauch ausgesetzten Dinge
brauchen gar nicht „unbegrenzt haltbar" zu sein!
Eine Utopie wird es wohl vorläufig noch bleiben
zu verlangen, daß jedes Schlafzimmer mit brei-
ter Fenstertür und einer, wenn auch schmalen
64
Hygiene in de)- Wohmmg.
I
ARCHITEKT CARL WITZMANN— WIEN.
Veranda, sowie auf KujSellager-Rollen leicht ver-
schiebbarem Bett ausgestattet wird, eine Ein-
richtung, die das heute so umständUche Lüften
zur alltäghchen Gewohnheit machte, wie das
Zähneputzen. — Der dunkle Korridor mit den
vielen raumbeengenden Eis-, Kleider-, Wäsche-
und Besenschränken und mit den vielen staub-
fangenden und notorisch niemals zu reinigenden
Ecken und Hächen unter und auf den Schränken
ist das weitereübel der heutigen Bürgerwohnung.
Der eingebaute Schrank schafft hier Ab-
hilfe; seine größere Kostspieligkeit fällt in An-
betracht seiner vielen praktischen Vorteile nicht
in die Wagschale. Ein solcher Schrank läßt
sich mit abwaschbarem Material auskleiden.
Daß der Küche und der bisher so stief-
mütterlich behandelten Speisekammer von
Seiten der Bauherren eine verständigere Aus-
stattung und vor allem größere Raumaus-
m a ß e zuerteilt werden, sollte durch nachdrück-
liche Forderungen der Hausfrau allmählich er-
zwungen werden. Wasserdichter Fußboden-
belag aus irgend einem der neueren Mate-
66
Küche der Wohnung Josef Müller -Brunn.
rialien, Majolika oder Fliesenbelag auf der
Wandfläche und wasserfeste Anstriche, und vor
allem entsprechende Lichtzufuhr und Venti-
lation sind hier unerläßlich, um eine tadellose
Erhaltung der Speisen zu gewährleisten.
Es wird heute viel gegen das mangelnde
Empfinden für Qualität der Materialien ge-
schrieben; zum mindesten ebenso nötig ist die
Erweckung des Sinnes der deutschen Hausfrau
für die Qualität der Atmosphäre der
Wohnung. „Wholesome and sweet" muß
diese sein, und der Amerikaner, der in Annoncen
die Güte eßbarer Produkte dadurch darstellt,
daß er die Fabrik einer „hellen sauberen Küche
mit Sonnenschein in allen Ecken" vergleicht,
weiß die überzeugende Wirkung einer solchen
konkreten Vorstellung auf die Sinne richtig ein-
zuschätzen. — Es steht zu hoffen, daß die im
nächsten Jahre in Dresden stattfindende inter-
nationale Hygiene-Ausstellung besonders von
deutscher Seite ästhetisch und praktisch ein-
wandfrei gelöste, für den Mittelstand verwert-
bare Vorbilder uns bringen wird, lang-danoli.
ARCHITEKT CARL WITZMAXX WIEN. STAXD-UHREN IX METALL UXD HOLZ.
HERM. HINZ — KARLSRUHE. KLEIN l'LASTIK, MAJOLIKA. AusfüliiiiTig: Grullh. Majolika-Manufaktur-Kailsrulie.
li
H. LEIPOLI).
MAJOLIKA -PLASTIKKN.
HERMANN BIN/. — KARLSRUHE. KLEIXPLAäTIK, MAJOLIKA.
AUSFÜHRUNG: GROSSHERZOGLICHE MAJOLIKA • MANUFAKTUR — KARLSRUHE.
l^'lii II I. 7,
69
GESELLSCHAFTS-KLKin IN ROSA LIB KRTY-SEIDE iriT CRKMEFARBKNER SEIDEN-STICKEREI.
AUSFÜHRUNG; ATELIER MME. STRUBB - PARIS. PHOTOGRAPHIE REUTIINGER • PARIS.
GtSELLSCH.\FTS-KLEID IN WEISSEM SEIDENVOILE MIT PERLGEHÄNGEN.
AUSFÜHRUNG: MAISON EECHOFF-DAVID - PARIS. PHOTOGRAPHIE REUTLINGER • PARIS.
l'HOTOdEt.
KEÜTLINGER |[
TAKIS.
■'■rKASSr:N-KI,EII>, SCIIWAI;, ■ V, l ;. LAI.KII l. l mit ,sCi!\V.\R/F.K MUSSELIN-ElNFASSl'NG,
PKOTOGR.
KEUTUNGEK
PARIS.
STRASSEN KLEI I) IN CREMEFARBENEM TUt H ÄUT STICKEREI l SD ^LH\VAKZL:^1 Gl KIEL.
ARCHITEKT
lAKL \\U/.MANN — WIKN. ROSRN VOKM ^PIKG!■.L All' KINEM PFFILERSCHR ANKCHEX.
TAFRLDRKORATION. POR/F.LI,AN • TIFRFIC.URFN UNn BH'MRN UND BLATTER IN NIKIIRIGKN GLASVASEN.
DIE QUELLEN DES BEHAGENS.
EIN WICHTIGES KAPITEL UNSERER HEUTIGEN WOHNKULTUR
VON KUNO GRAF HARDENBERG.
/^iitc Luft und richtige Beleuchtung sind
^^ die Grundbedingungen aller Wohnkultur.
Unsere modernen Röhrenheizungen sind die
angenehmsten und unentbehrlichsten Erwärmer
des modernen Hauses, aber die Mühelosigkeit
ihrer Handhabung, ihre wunderbare Bequem-
lichkeit, macht meist die Menschen sorglos und
nachlässig und läßt sie die wichtigen Maßnahmen
zur Aufrechterhaltung einer schönen gesunden
Luft vergessen. So kommt es denn, daß die
Atmosphäre in den Stadthäusern, in den Villen
und sogar auch in den Landhäusern zumeist
schlechter ist als es Raffinement oder auch
nur schlichtes Wohlbehagen verlangt. Hier er-
mangelt sie der Feuchte, dort der Frische, hier
der Leichtigkeit und dort der — • sagen wir
Ungefärbtheit — alles zum hygienischen und
ästhetischen Nachteile der Bewohner. Man sehe
sie an, die ständig in der staubhaltigen und
trockenen Atmosphäre des Großstadthauses
Lebenden; immer haben sie über kleine Leiden
zu klagen, Rachenkartarrhe, Kopfbeschwerden,
Blutandrang sind häufige Quälgeister des Orga-
nismus, von schlimmeren, den Nerven gefähr-
lichen, um keine Schreckgespenster zu malen,
nicht erst zu reden. Von einem wirklichen
Behagen ist in solchen Räumen nie die Rede
und seien sie auch mit Schönheit und Bequem-
lichkeit aller Art versehen. Ich übertreibe
nicht, jeder mit verfeinerten Atmungsorganen
Versehene wird mir zustimmen.
Ähnlich steht's mit der Beleuchtung. Licht
haben wir genug. Alles leuchtet, daß es nur eine
Art hat, Spiritus, Gas, Elektrizität, Azetylen und
Petroleum und wie sie alle heißen die zu höch-
sten Leistungen gepeitschten Sklaven unserer
Lichtherrschaft, sie rächen sich für ihre Fron,
indem sie uns und unsere Werke schonungs-
los und ohne Rücksicht beleuchten zum Über-
druß. Von oben und von den Seiten schleudern
ungezählte Glühbirnen ihre harten Feuergarben
in unsere Festsäle, daß Puderstäubchen auf
schönen Wangen Schlagschatten werfen, und
dort, wo man einst am traulichen Familientische
sich im weichen Lichte einer grüngeschirmten
Hängelampe glücklich nahe fühlte, da verbreitet
nur zu oft ein messingstrotzendes Leuciitmon-
strum ein Licht so öde und nüchtern, als seien
die Bewohner Zahlen, mit denen es gälte, schwere
Berechnungen zu machen oder anatomische
Präparate, die einer gründlichen Prüfung be-
dürfen! Elektrische Aufklärung ä tout prix,
75
Kiiiin Graf I lardcuberi^
bis wir alle Feinheiten, alle zarten Unterschiede
des Seelenlebens eingebüßt haben.
Diesem Licht- und Luft-Barbarcntuni jjejien-
über heißt es drinjslich: Wir müssen lernen,
uns mit Geschmack und Kultur, Körper und
Seelen zum Vorteil, der Errungenschaften unse-
rer erfindungsreichen Tage zu bedienen.
Das erste Erfordernis zur Verbesserung der
Luft in unseren Wohnungen, nicht nur im hygie-
nischen, sondern auch im ästhetischen Sinne,
ist Aufstellung von Kaminen in ausgedehntem
Maßstabe — neben den versteckt unter den
Fenstern anzubringenden Röhrenheizungen.
Dann werden wir auch wieder eine erträgliche
Luft in unseren Räumen haben. In Frankreich
findet sich in der ärmlichsten Portiersloge ein
Kamin, und ein petit bourgeois würde sich ent-
erbt vorkommen, wenn er sich der geheiligten
offenen Feuerstätte begeben müßte. Er bedarf
ihrer zum Ausruhen, zum Träumen nach der
Arbeit, er fühlt instinktiv, daß ein offenes Feuer
uns geheime Kräfte spendet, darum liebt er es,
und ob er darum frieren muß. Sollten wir
nicht von ihm lernen?
Die Poesie des Kaminfeuers ist zu oft ge-
priesen, als daß man noch viel darüber zu
sagen brauchte — eins ist sicher, wer sie in
trüben Winterabenden einmal erlebt hat, sie
ganz gekostet hat, der wird immer den Wunsch
haben, zu ihr zurückzukehren. Nirgendwo plau-
dert, denkt, träumt sichs besser, nirgendwo
liest sich besser ein gutes altes oder neues
Buch als dort, wo allmählich — ein Abbild
unseres Lebens — knorrige Scheite prasselnd
lockernd sich verzehren, um endlich langsam
in Staub zu zerfallen. Mag der Kamin ein
Luxus sein, er ist einer, der besser ist als
tausend andere — wie sie auch heißen mögen,
und ich meine, selbst der Opfer wert.
Ein anderes Erfordernis zur Verbesserung
der Luft ist das Aufstellen von Blumen in Töpfen
und in Vasen. Blumen sind gute Freunde, sie
haben ein Schicksal, sie haben süßen Duft, sie
haben Farben, die das Herz erfreuen — und
sie geben der Luft in den Wohnräumen ein
angenehmes Etwas, eine Würze, die wohltut,
und jeder neue Strauß trägt neuen Reiz hinein.
Bei Festlichkeiten gedenke man auch der
schönen Sitte unserer Großmütter, die, ehe die
Gäste erschienen, auf einer Kohlenschaufel ein
wohlriechendes Lavendelwasser verdunsten
ließen, um so der Atmosphäre Farbe und
Feierlichkeit zu verleihen, und um auch die
Geruchsorgane der Kömnilinge zu bewirten. Im
Herrenzimmer, wo der Rauch der Zigarren
leicht aufdringlich wird, ist ein Ozonlämpchen
wohl am Platze, wenn der brennende Kamin
nicht seine Schuldigkeit tut, und die blauen
W olken dampfender Kräuter verscheucht. Ähn-
lich wirkt auch Fichtennadelduft in einer Räu-
cherlampe. Trockenes Räucherwerk ist weniger
zu empfehlen, es hinterläßt leicht unangenehme
Nebengerüche und bereichert die Luft nicht
mit Feuchtigkeitsgehalt, wie die bekannten
Räucherlämpchen, die brodelnd in einem Eck-
chen erfrischenden Duft verbreiten ! Für Damen-
und Empfangszimmer geben englische Riech-
salzdosen ein leises und angemessenes Parfüm,
auch japanische Riechbüchsen, die mit aroma-
tischen Kräutern gefüllt sind. — Die Luft des
Festsaales schmücke man mit Ambre, das den
Geistern der Heiterkeit wohlgefällig ist.
Viel Angenehmes gewährt auch der Duft
von verbrannten Fichtenzweigen, namentlich
im Winter, wo er die Poesie des Weihnachts-
festes vorgaukelt, um nur eine der vielen Mög-
lichkeiten, die Luft zu „poetisieren", noch auf-
zuzählen. Im Speisezimmer ist eine kühle Tem-
peratur das Angemessene, dabei empfiehlt es
sich, bis zum Eintritt der Gäste für frische Luft
von außen zu sorgen. Nichts ist unerfreulicher,
als wenn den Gast beim Eintritt schon ein Duft-
Potpourri der kommenden Speisekarte begrüßt.
Zimmer geschmackvoll zu erhellen, ist eine
große Kunst. Hier viel, dort wenig — je nach
Bedarf das Richtige zu tun — , ist eine ästhe-
tische Wissenschaft, die einer Hausfrau den
Ruhm, Behagen um sich zu verbreiten, ein-
trägt. Wie wir in Gesellschaften unbeliebt
werden, wofern wir es unternehmen, den Pfad
der Grazien zu verlassen und mit nüchternen
Wahrheiten um uns werfen, so werden wir eine
geladene Freundesschar schwerlich ergötzen,
wenn wir ringsum nackte Glühbirnen strahlen
lassen. So spornen wir denn unsere Phantasie
an, dem Lichte Freundlichkeit und Heiterkeit,
Milde und Geist zu verleihen. Es ist das nicht
so schwer; schöne Seiden, zierlich um Draht-
gestelle gerafft, Papierschirmchen geschmack-
voll angebracht, können Wunder wirken — zu-
mal wenn die Höhen der Lichtquellen wohl
abgewogen sind. Kluge vornehme Damen aus
reichen Häusern bevorzugen noch heute das
goldig schmeichlerische Licht der Wachskerzen
und der glucksenden Moderateurlampen, allen
Künsten der Elektriker zum Trotz. Sie sind
nicht unweise. Wer die Poesie dieser Be-
leuchtung kennen gelernt hat, der weiß, welchen
Zauber sie ausstrahlt: es ist etwas vom Schim-
mer des goldenen Zeitalters, von dem „trink-
baren Golde", in das Rembrandt seinen Pinsel
tauchte, darum. Bei intimen Festen im klei-
nen Freundeskreise sollte man jedenfalls stets
Askese des elektrischen Lichtes pflegen. Elek-
76
Die Oiirlh')) des Behagens.
Eleklrisches Licht wirkt ermüdend, ja einschlä-
fernd, das ist eine wissenschaftHche Tatsache.
Auch eine musikaüsche Veranstaltung gewinnt
an Poesie beim Scheine einiger flackernder
Kerzen, und die von leicht beweglichen Flam-
men vibrierende Luft schmiegt sich gefällig den
Rhythmen der Instrumente oder des Gesanges
an! Kontrastwirkungen zu bedenken ist vor
allem Sache des Beleuchtungs-Ästhetikers. Das
Festliche des Ballsaals mit seinen strahlen-
den Kronen wirkt doppelt glänzend, wenn in
den Zimmern ringsum gedämpftes und weise
gefärbtes Licht waltet. Wo die Farben eines
Gemaches, Blumenschmuck und kostbare Tep-
piche herrschen sollen, verteile man das Licht
so, daß es die gewünschte Wirkung erziele
und dämpfe es nach Bedarf, doch ohne es zu
färben. Bei hellen, einfarbigen und mehr archi-
tektonisch gehaltenen Räumen wende man das
umgekehrte Verfahren an: Farbige Lampen
mögen hier den Fluß edler Linien zeigen.
Die Prunkliebe der 80 er Jahre liebte es,
Festtafeln, die sie reich mit silbernen Tafel-
aufsätzen zierte, nur so zu beleuchten, daß sie
und ihre Schätze und die, die daran festeten,
beleuchtet waren. Eine Beleuchtung der um-
gebenden Wände vermied sie, und bewirkte
dadurch, daß die aufwartenden Diener im Dun-
kel verschwanden oder aus dem Dunkel auf-
tauchten, wie gute Geister im Feenpalast! Es
war das eine kulturell feine Sitte , die der
Wiederbelebung in weiteren Kreisen wert wäre,
sie konzentrierte die Gesellschaft auf sich und
gab den bunten Gestalten, den schönen Frauen
in ihrem Schmucke zumal, den denkbar vor-
teilhaftesten Hintergrund. Die modernen Ver-
suche, das elektrische Licht versteckt anzu-
bringen und eine Art Tageslicht vorzutäuschen,
halte ich für unkünstlerisch, abgesehen davon,
daß dieses Licht durchaus nicht angenehm ist
in seiner reizlosen Gleichmäßigkeit. Der Lebens-
künstler liebt die Nacht zu sehr und ihre Reize,
wenn sie gegen offene Waffen kämpft, als daß
er sich zu Versuchen, sich über seine Freundin
zu belügen hergeben würde.
Das Tageslicht, wie es durch die Fenster
einfällt, richtig für die Stellung des Mobiliars
nutzbar zu machen, ist eines der großen Ge-
heimnisse des Wohnkünstlers. Hierfür ist maß-
gebend, daß den Menschen sein nach Wohl-
behagen lüsterner Instinkt stets zu Sitzplätzen
zieht, wo das Auge keine Blendung erfährt und
sich dem Blick eine erfreuliche Schau bietet.
Ferner will ein im Unterbewußtsein schlummern-
der atavistischer — sagen wir — Sicherheits-
nientor nicht gerne von Eintretenden im Rücken
überrascht werden. Diese beiden Faktoren
geben, wenn sie praktisch nutzbar gemacht und
für die Aufstellung im Auge behalten werden,
eine sichere Gewähr für das, was man ein „ge-
mütlich" eingerichtetes Zimmer heißt.
Man stelle also die bequemsten Sitzgelegen-
heiten möglichst so auf, daß der sie Benutzende
den Rücken der Fensterwand zukehrt und mit
dem Auge die Zimmertür und die Wand,
welche, als den Fenstern gegenüberliegend, zum
Aufhängen von Bildern am geeignetsten er-
scheint, übersehen kann. Man wird das Vor-
teilhafte dieser Maßnahme sofort einsehen.
Für Empfangsräume ist eine solche Vertei-
lung der Möbel eine absolute Notwendigkeit,
denn nur auf diese Weise ist es dem Emp-
fangenden möglich, die Eintretenden zu über-
blicken und zu begrüßen.
Die französische Salonkultur des 18. Jahr-
hunderts und auch die englische unserer Zeit
hatdiesen Grundsätzen stetsRechnunggetragen,
indem sie allen Sitzgelegenheiten größte Be-
weglichkeit verlieh und z. B. Kanapees und
Sofas stets so konstruierte, daß sie, unabhängig
von den Wänden, mitten in den Zimmern auf-
gestellt werden konnten.
Hiervon könnten wir lernen, denn trotzdem
wir als moderne Nomaden auf ein Leben in ge-
mieteten Wohnungen angewiesen sind, lassen
wir uns immer noch von unseren Möbel-
künstlern schwere, nur an Wänden unterzu-
bringende Sitzmöbel erfinden, die uns bei jedem
Wohnungswechsel in Verlegenheit setzen.
Endlich wäre noch dem Spiegel als Faktor
für die Beleuchtung beziehungsweise Erhellung
von Innenräumen ein Wort zu reden.
Der Wunsch unserer Innenraumkünstler,
möglichst viel von weltentrückter Intimität zu
geben, um dem Menschen sein Heim im Sturme
des modernen Lebens besonders lieb zu machen
— hat den Spiegel ganz aus den modernen
Wohnräumen verbannt. Das spiegellose Ge-
mach verschont den Bewohner mit Wahrheiten,
es erzieht nicht an ihm herum, sondern über-
läßt ihn ganz seiner inneren Welt — das ist
ein Vorteil, den man nur begrüßen kann, zu-
mal für Arbeitszimmer oder friedliche Familien-
zimmer. Anders, denke ich, ist es mit Fest-
räumen und Empfangszimmern, hier soll der
Spiegel nicht fehlen. Hier, wo sich jeder im
Festtagskleide und im Schimmer von Licht-
fluten gefällt, wo jeder trachtet, sein Bestes
zu geben und ein Besserer zu sein, da ist der
Spiegel nicht der trockene Pädagoge, da ist er wie
die lachende Wasserfläche in der Natur, die
freundlich und zart das bunte Leben, das sie um-
gibt, zum angenehmen Bilde gerahmt, wiederholt:
Ein Freund der Heiterkeit und der Anmut. —
laio/u. 1. 8.
GOLUSCHMIEIJ EMIL LETTRE BERLIN. TEE- UND KAFFEE-SERVICE IN SILBER.
^Aw
BROSCHE IN GOLD, MIT PERLE UND SAPHIR.
SILBERNER ANHÄNGER MIT KOR.\LLENGEMME.
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I
wf^?t^y^.
ca. KRAUSE,
eil. KKAUM-,. KLI-.INK TKIHEN IN MESMNG.
Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst Dresden G.m.b.H.
PROFESSOR MAX LAI'GER KARLSRUHE.
ELEKTRISCHE TISCHLAMPEN.
PROFESSOR MAX L.\UGER K.\KLSRUHE. ELEKTRISCHE TISCHLAMPEN MM ^L\JOUKA-FU-
General -Vertretung : Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst Dresden G.m.b.H.
MARION KAULITZ' GMÜND.
Münchner Künstlerpuppen.
MÜNCHNER KÜNSTLER-KAULITZ-PUPPEN.
Noch vor wenigen Jahren beherrschte ein gänz-
lich verderbtes Schönheitsideal jene Sonder-
welt der Puppen. Das sachlichste und unentbehr-
lichste Spielzeug war einer verfehlten Prunksucht
zuliebe künstlerisch und auch praktisch völlig ent-
wertet. Die lacherlichsten Kostüme, ausdruckslose,
süßliche (iesichter und karikaturenhafte Oesamt-
formen hatten sich im Laufe der Jahrzehnte so ein-
gebürgert, daf'i die wenigsten eine Besserung für
erstrebenswert erachteten, ja, dag die ersten Ver-
suche einer künstlerischen Reform auf vielfältige
Widersprüche
Stoffen muJ5ten.
Die schädlichen
Einflüsse dieser
„puppenhaften"
Puppen auf das
künstlerische
Empfinden der
heranwachsen-
den Jugend liegt
zu nahe, um wei-
tere Beweise da-
für anzuführen.
Aber es darf da-
rauf hingewie-
sen werden, daf;
die in Kunst- und
Ueschmacksdin-
gen nicht erzo-
gene Menge re-
MARION K.\ULITZ GMÜND.
gelmäftig solchen „Kunst"werken den Vorzug
gibt, die den süf5lich verkitschten Gebilden ent-
sprechen, die ihrer Kindheit Begleiter waren. Eine
gewaltige Kluft liegt zwischen den aufgedonnerten,
geschminkten Dämchen, die man bisher der zärt-
lichen Sorge des Kindes angemessen glaubte und
den hier wiedergegebenen Puppen. Das ist Spiel-
zeug, echtes und kindliches. Köstlich ist Ausdrude
und Geste jedes dieser drolligen Wesen. Jeder
Kopf hat Charakter und doch ist jeder so weit stili-
siert, dag unerwünschte realistische Wirkungen aus-
geschaltet sind.
Ganz besondere
Aufmerksamkeit
wendet Marion
Kaulitj der Be-
kleidung ihrer
kleinen Gesell-
schaft zu. Alles
entspricht wirk-
lichen Kinder-
Kleidchen. Dag
dabei auch die
verschiedenen
Trachtenunserer
Land -Bewohner
berücksichtigt
sind, dürfte in
vielen Fällen be-
sonders schä-
JMünchner Künstlerpuppen. tjCnswert sein. K.
■ ■■I
^4
MARTON KAULIT/
IN GMUMI
AM TEGERNSEE.
GRUPPEN
VON MÜNCHNER
KUNSTLERPUPPEN.
rjIO/ll. I. '.1.
i^^
i5tiifiti itkrid <5rapin(i
//i'»«"^
f^uuwyii^uiju f
~^'. 'ff.
-utlAi^rHc'^ -
fW'^.
']% %
WII.I.I GEIGER FLORENZ. ÜRIEK-VIGNETTEN UND BESUCHS-EARTEN.
REDAKTIONELLER WETTBEWERB: MONOGRAMME UND SIGNETS.
ELLA WELTMANN— WIEN.
••..••
E^ö-
ERSTER PREIS M. lOO.
Formvollendete , durchgearbeitete Mono-
gramme oder Signets mit reicher Ornamen-
tik war die Aufgabe, die wir mit unserem Preis-
Ausschreiben der jungen Künstlerschaft stellten.
Es sollten neue Möglichkeiten gefunden und
Anregungen geboten werden, die bürgerlichen
Zeichen, das Monogramm und das Signet, wei-
ter zu entwickeln. Eine stattHche Zahl von Be-
werbungen lag den Preisrichtern zur Beurtei-
lung vor, und die Sichtung war deshalb beson-
ders schwierig, weil bei den 430 Projekten
durchgängig ein Widerspruch bestand zwischen
der Originalität und der Verwendbarkeit
der Zeichen, indem diese entweder originell
und praktisch unmöglich oder aber brauchbar
und völlig uninteressant waren. Nach sorgfäl-
tiger Prüfung wurden die Preise, wie aus den
Abbildungen ersichtlich, verteilt, und es wurde
dabei der Eleganz der Erscheinung und
dem künstlerischen Herausarbeiten eines
8-
OTTO RODEWALD HAMBURG. ZWEITER PREIS..
REDAKTIONELLER WETTBEWERB: JIOXOGRAMME UND SIGNETS.
-«iiJ^rttK
^^^^^^
MAX KÜRNER UND BERTA PEIPERS STUTTGART. EIN DRITTER PREIS.
89
REDAKTIONELLER WETTBEAVERB: MONOGRAMME UND SIGNETS.
MALER ERICH BÜTTNEK- liEKLlN. EIN UKI ITIiK I'KEIS.
yu
Redaktioneller Wettbciverb : Monos^ramiuc itnd S^i^ets.
••••.
MILLA WELTMANN— WIEN. EIN DRITTER PREIS.
neuen Gedankens eine höhere Bewertung
zugesprochen als der bloßen Deutlichkeit
und unmittelbaren Verwendbarkeit. Die
Preisträger sind: I. Preis Mk. 100 Ella Welt-
mann-Wien, Motto „Adda"; II. Preis Mk. 60
Otto Rodewald -Hamburg, Motto „Deutsche
Kunst und Dekoration"; ein III. Preis Erich
Büttner -Berhn, Motto „R. A.T. D."; ein III.
Preis Max Kömer und Berta Peipers- Stutt-
gart, Motto „Filu"; ein III. Preis Milla Welt-
mann-Wien, Motto „Excelsior".
u Weiter wurden angekauft die Arbeiten Motto
„Nur Acht"; Bruno Eyermann- Leipzig; Motto
„Düne": Jos. Fuchs-Stuttgart; Motto „Peter":
Lotte Krause-Rudolf-Dresden; Motto „Eigen-
zeichen": Joseph Sobainsky- Breslau; Motto
„Vögerl": Ella Weltmann -Wien. Lobend er-
wähnt wurden 14 Arbeiten und zwar: Motto
„Nebenbei": Dipl.-Arch. Marius Amonn-Bozen;
Motto „Ruhe"; Willy Belling- Berlin; Motto
„ Verschiedenes ' : Georg Breitwieser- Langstadt
bei Babenhausen; Motto „Gut Holz- Alle Neun":
Paul Dienst-Dresden; Motto „Rosengarten":
Toni Hofer -Wien; Motto „Germania" und
„1870 1910": A. Holub-Wien; Motto „Thad-
däus"; H. Th. Hoyer-Neubabelsberg; Motto
„Orplid": H. Jost-München; Motto „Arbeit
und Alphabet" : G. Kaihammer- Wien; Motto
„Allerlei": E. Laube Berlin; Motto „Mein
Eigenzeichen": G. Lupke - Hannover; Motto
„Rachel": W. Richter- Zwiesel; Motto „K. T,":
Klemens Thomas-München, die schriftleitung.
91
JOSEPH SOBAINSKY — BRESLAU.
ANGEKAUFTER ENTWURF.
/:
PS
UD
\
HKTNU EVERMANN LEIIV.IG.
ANGEKAUFTER ENTWURF.
LOTTE KRAUSE-RUDOLK DRESDEN.
ANGEKAUFTER ENTWURF.
JOSEPH FUCHS -STUTTGART. ANGEKAUFTER ENTWURF.
i9io;ii.i, 10.
Al'SSlhLl.l'NG
IN HKKKOKD.
Sl H.MI CKHOF
l'. EINC.ANG.
KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.
SEPTEMBER 1910.
HERFORD. Die Vereinigung nordwest-
deutscher Künstler. Nach der glänzen-
den Ausstellung in Oldenburg 1905 hat die Vereini-
gung im großen Wettbewerb auf Berliner und Düs-
seldorfer Ausstellungen eine beachtenswerte Stel-
lung im Deutschen Kunstleben sich gesichert. In
der engeren Heimat ergreift sie jede Gelegenheit,
durch hervorragende Ausstellungen gute Kunst zu
fördern, das hemmende Banausentum so mancher
unserer Kunstvereine aber kraftvoll zu bekämpfen.
So war in diesem Jahre die Ausstellung in Lübeck,
in der alten Katharinenkirche, ein künstlerisches
Ereignis speziell für die Stadt, in der der Kunst-
bedarf gewöhnlich auf Auktionen mit elendester
Kitschware gedeckt wird. Ferner ist in Oldenburg
auf Anregung der Vereinigung ein Galerieverein
gegründet, dem jährlich ca. 8000 Mk. zur Verfügung
stehen zum Ankauf von Werken nordwestdeutscher
Künstler. Der Staat mit seinem Kunstetat von jähr-
lich 10000 Mk. hat erfreulicherweise die Ziele des
G.\RTEN DER .VUSS J EI,H NG UEK VEKEiNIGU.NG NUKUWEbTDEU ISCHEK KUNSILER IN HERFORD.
Kleine Ktmat-Naclu-icIitcn.
Al'SSTELLt-NG
IN HERFORD.
Oalerievereins auch zu seinen eigenen gemacht.
- Mit Freuden folgte man jet3t einer Einladung
nach Herford zu einer Kunstausstellung, die mit
der Gewerbe- und Industrie-Ausstellung verbunden
wurde. Unter den Ausstellern befinden sich die
Ijesten Kräfte der Vereinigung, Kaickreuth mit einer
Sammlung von 5 Bildern, darunter das Porträt der
Frau L., Vogeler mit dem Wintermärchen und vier
anderen Werl%en, Ulrich Hübner, Vi.inen, Kuehl,
Olde, Dettmann, zwei Bilder des verstorbenen
Overbeck, Linde- Walther, Oppler, Burmester, Eitner,
Illies etc., Behn sandte seinen Panther, Peterich
die Büste des Großherzogs von Oldenburg, Roemer
die Pferdchen, Barlach den Zecher. In einer von
Bäumen eingerahmten neu erbauten Kunsthalle
standen für die Vereinigung sechs Räume, sowie
ein kleiner, streng architektonisch gegliederter
Schmuckhof zur Verfügung. Den Übergang zu
le^terem bildet ein heiteres sonniges Garlenzimmer
von Heinrich Vogeler, das mit seinen grünen Wänden,
weißlackierten Binsenmöbeln und lustigen Blumen-
ornamenten zu behaglichem Ruhen einladet. Von
ihm aus sieht man auf den stillen Blumenhof mit
plätscherndem Brunnen, weißen Bänken, geschore-
nen Buchsbäumchen, der einigen Hermen und dem
Ruhenden Knaben von Schmarje Plaf) bot. ono.
HFINR. VOGELER
G.^RTEN-ZIMMER.
Kicijic Kwist-XadnicJiti
•>!.
G. METzE^UüKK— ESSEN. Klciiiwohnhaus.
BRÜSSEL. Gg.Met5endorf Essen,
dem Baumeister der Margarethe
Krupp-Stiftung-, ist es von den Kon-
kurrenten unangenehm leicht gemacht
worden, in der Siedelung der Klein-
häuser der Welt- Ausstellung mit
seinen beiden Holzbauten die beste
Leistung zu bieten. Das belgische,
das französische und das luxembur-
gische Haus haben von vornherein auf
den Versuch einer künstlerischen Ge-
staltung verzichtet, und die Erbauer
des im Entwurf sehr gut ausgear-
beiteten englischen Hauses verdar-
ben sich ihre ganze Arbeit, indem
sie die Ausführung verständnislosen
Unternehmern überlie|gen, die zumal
die Innen-Ausslattung ganz und gar
verpfuschten. Unsere Abbildungen
geben Proben der originellen
Lösung des einen Hauses. Man
sieht, daf5 der Eindruck von Wohn-
lichkeit und Behaglichkeit erstrebt
und erreicht ist, insbesondere in
der Bildung des großen schürenden
Daches mit dem niederen Giebel-
Ausbau und der mit der Dachkon-
struktion verbundenen offenen Halle.
Im Innern die gleiche Absicht, den
traulichen Charakter des deutschen
Wohnraums darzustellen, der sich
auch in der Bildung einer sog.
„Wohnküche" gut festhalten läßt.
GEORG METZENUORE— ESSEN. Veranda des Kleinwohnhauses.
AUS DER SIEDELL-NG DER Kl EI.\H.\USER A. D. BRÜSSELER WELTAUSSTELLUNG.
AVohnraum im Kleinw(»hnhaus.
Das ganze Haus ist nach einem pa-
tentierten Dreischichtverfahren der
Firma Gebrüder Siebel in Düssel-
dorf aus Holz hergestellt. Es han-
delt sich um glatte, durch je zwei
Luftschichten getrennte Bohlen-
flächen, die den Vorzug grofjer
Wärme im Winter und großer Kühle
im Sommer mit dem der Leichtig-
keit des Materials verbinden. Die
Häuser sind in kürzester Frist auf-
gebaut und ebenso geschwind wie-
der auseinandergenommen. Da es
an wirklich wertvollen Vorbildern
für Holzwohnhäuser noch betrüb-
lich mangelt, so darf man den neuen
Kleinhäusern Me^endorfsauch nach
dieser Richtung eine prinzipielle
Bedeutung zuerkennen. - «k.
96
Kleine Kiinst-Nachrichten.
I. I'REIS, WOHN- rxi) SCHLAFRAUM. ENTWURF: FERD. STEINER. AUSFUHRUNG: ADOLF JIRETZ— WIEN.
Eiche halbdunkel imprägniert, mit wasserfestem Lack eingerieben- Preis des Zimmers: K. 550.— (M. 467.50).
n. PREIS. WOHN- UND SCHLAFR.A.UM. ENTWURF: ARCH. HANS HLOUCAL. AUSFUHRUNG: P.\UL DONATH— WIEN.
Eiche geräuchert, gewichst. Preis des Zimmers: K. 570.— (IW. 4S4.50).
lU. PR. SCHLAFZIMMER. Erle. Preis: K 461.- (M. 392 -). L PREIS. KÜCHE. Preis: K. 115 - (M 97.75).
ENTW.: K. K. PROF. O.WYTRLIK. .\USF.: FR. WYTRLIK-WIEN. ENTW. : FERD. STEINER. .iUSFÜHRG.: .M)OLF JIRETZ- WIEN.
KLEIN-BEAMTEN- UND .\RBEITER-WOHNUNGEN IM ML^SEUM FÜR KUNST UND INDUSTRIE WIEN.
Kleine Kiinsl-A 'achrichtoi.
WIEN. Ein Wettbewerb für Kleinbeam-
ten- und Arbeiterwohnungen, veran-
staltet vom k. k. Museum für Kunst und Industrie,
brachte bemerkenswerte Ergebnisse, die bei Oe-
leg'enheit des „Neunten internationalen Wohnungs-
kongresses" zur Schau gestellt wurden.
Die Konkurrenz erstreckte sich auf zwei Woh-
nungstypen, die für österreichische Kleinwohnungen
üblich sind und zwar: Type A bestehend aus:
Zimmer mit Bett, Kabinett, Vorraum und Küche
(oder Wohnküche), Type B bestehend aus: Zimmer
und Küclie (oder Wohnküche); die Wohnungen sind
für Familien zu 4 Personen gedacht.
Die Kosten der (iesamt-Einrichtung für Woh-
nungstype A durfte 900 Kronen, die der Wohnungs-
type B 600 Kronen nicht überschreiten. Die Preis-
Bewerber mußten sich zur Herstellung von min-
destens 50 Exemplaren jeder Einrichtung und Ab-
lieferung innerhalb 2' j Monaten nach Bestellung
verpflichten. Die Bestellung und Lieferung wurde
unter Kontrolle der Museumsleilung gestellt.
Einige der prämiierten Arbeiten sind vorstehend
im Bilde gegeben. Besonders die mit dem 1. Preise
ausgezeichnete Arbeit verdient alle Anerkennung,
aber auch die ohne Preis gebliebenen Einrichtungen
sind durchweg verdienstvolle Arbeilen. Soll jedoch
der minderwertigen Trödelware, die um teures Geld
alle Haushaltungen verunstaltet, der Boden entzogen
werden, so wäre bei künftigen Ko:ikurrenzen auch
zu berücksichtigen, daf'^ dem Durchschnitt der
österreichischen Kleinbeamten und .'\rbeiter selbst
die Summe von 900 Kr. oder 600 Kr. für eine Ein-
richtung kaum erschwinglich ist. k. w.
Ä
ELBERFELD. Die Dreihundertjahrfeier der Stadt
ist nicht nur in ihrer äuf^eren Erscheinung
überaus würdig verlaufen, sondern sie hat auch
Anregung zu einer ganzen Reihe von Stiftungen
und Schenkungen gegeben, von denen ein groger
Teil, auch in direkten Aufträgen, der Kunst zu gute
gekommen ist oder noch kommen soll. So hat
(las Museum allein 10 Ciemäkle von kunstsinnigen
Bürgern erhalten, darunter sehr wertvolle und
künstlerisch bedeutsame Schöpfungen. Das .Mu-
seum erhielt ferner die berühmte Sammlung Weyer-
busch alter Porzellane von Berlin, Meif;en, Wien,
Sevres, Höchst und anderen Manufakturen, mehrere
hundert (iefäfie und Figuren umfassend, sowie eine
kostbare Kollektion neuerer Kopenhagener Por-
zellane, zum Teil nicht mehr im Handel, über-
wiesen. Zum Ankauf von Kupferstichen wurden
.5000 Mk., zum Ankauf einer kleinen Bronze 500 Mk.
gestiftet, weiter als Geschenk eine Bronze von
Kodin. Die neue Knabenmittelschule erhielt den
Cioldschmiedbrunnen des Düsseldorfer Bildhauers
Frit5 Coubillier als Geschenk. Auj^erdem erhielt
die Stadt für den grof^en Exerzierplatz einen monu-
mentalen Brunnen von Bernhard Hoetger als Ge-
schenk des Freiherrn August von der Heydt sen.
Wir werden unsern Lesern demnächst diesen herr-
lichen Brunnen im Bilde vorführen. Fast sämt-
liche Lehrer der Kunstgewerbeschule waren aus
Anlafi der Jubelfeier mit künstlerischen Aufträgen
auf Votivtafeln, Ehrenadressen, Einbandderken,
plastischen Schmuck und dekorativen Malereien
bedacht. Zwei große Geldstiflungen, eine in Höhe
von 40000 Mk. seitens des Herrn Kommerzienrals
August Bayer gegeben, und eine seitens der Stadt
unter Beihülfe privater Zuwendungen auf 100000 Mk.
normiert, sollen für die .Ausbildung begabter Kinder
dienen. Somit wird auch die Kunst im Wupper-
tale zu ihrem Recht kommen. Leider ist die Hand-
werker- und Kunstgewerbeschule als Institut bei
der Jubelfeier ganz leer ausgegangen; die ihr seit
Jahren für diese festliche Gelegenheit in Aussicht
gestellte Grundsteinlegung zu dem ihr zu wün-
schenden, weil notwendigen Neubau, ist unter-
blieben. —
Zur Förderung der bergischen Bauweise, deren
Blütezeit im 18. und zu Beginn des 19. Jahrhun-
derts war, ist ein Wettbewerb für Fassaden- Ent-
würfe zum Austrag gebracht worden, der sich
einer sehr groj^en Beteiligung seitens der deutschen
Architekten zu erfreuen hatte. Eingegangen waren
dafür 741 Zeichnungen. Verlangt waren Entwürfe
zu Einfamilienhäusern mit Vorgärten, zu eingebauten
Miets- und Geschäftshäusern, zu Eckhäusern, grö-
J5eren Geschäftshäusern und zu ländlichen Gehöften.
Neben den zur Verteilung gelangten Preisen des
Ausschreibens konnten noch zahlreiche Entwürfe
angekauft werden. Solche Preis-Ausschreiben sind
gewifj im Sinne der Denkmal- und Heimalschu^-
pflege äußerst anregend. Die Zeit muß lehren,
welcher Gebrauch davon gemacht wird und inwie-
weit solche Entwürfe nun auch in unserer Zeit
wirklich brauchbar sind. Von anderen, verwandten
Wettbewerben ist das künstlerisch gewiß wertvolle
Entwurfsmaterial nicht zur Auferstehung gekommen,
sondern hübsch in großen Mappen verblieben.
Hoffentlich ersteht dieser Wiederbelebung ber-
gischer Bauweise nicht ein ähnliches Schicksal.
Der Neubau des Warenhauses L. Tie^ Akt. -Ges.
ist dem Kunstgewerbeschul- Direktor Professor
Wilhelm Kreis — Düsseldorf übertragen worden.
Das gewaltige Projekt hat in der Fassaden - Aus-
bildung mit drei Straßenfronten zu rechnen. -
Zur Förderung der künstlerischen Interessen hat
sich hier ein „Bergischer Bund" gebildet, der nicht
nur zu allen öffentlichen Kunst- und Baufragen
Stellung nehmen will, sondern auch das geistige
Leben, einschließlich Theater, Literatur und Musik,
zu heben gedenkt. Die Mitglieder werden berufen,
resp. vom Ausschuß und bereits gewählten Mit-
gliedern in Vorschlag gebracht. k. h. o.
i)S
Kleine Ktmst-Naclirichteti.
BILDHAIEK RICHARD ENGELMANN- DAHLEM.
DARMSTADT. Hans Ung-ers Kollektiv-
Ausstellung. Unger hat sich bei den
Darmstädtern auf der „Künstlerbund-.^usstellung"
wohl eingeführt, seine „Sonnen-Adoration", jener
goldene Nachklang süger Erinnerungen an den
Zauber einer Ruth St. Denis, fand Freunde im
Publikum und einen erwerbenden Gönner im Lan-
desherrn. Das wirkte anregend, mehr zu zeigen.
So rüstet der Künstler eine Ausstellung für Darm-
stadt, die im September den Kunstverein bevöl-
kern soll. Es wird viel des Neuen und Anregenden
erscheinen und die verräterischen Kostproben, die
die vorliegende Nummer auf Seite 9-15 bringt,
deuten schon darauf hin, da5 man Gelegenheit
zu ernsten Erwägungen haben wird über mehr denn
einen Punkt der Wirksamkeit Ungers.
Koloristen in dieschwarz-weifie Valeurskalades
Zinks zu bannen, heißt meist soviel wie schillernde
Schmetterlinge alles flimmernden Schimmers be-
rauben. Wo der zeichnerische Gehalt schwach ist,
wird Vorsicht dem Publikum stets erst die Origi-
nale und später die photographische Reduktion
gewähren. Bei Unger durfte das entgegen-
gese^te Verfahren angewendet werden. Sein über-
starker dekorativer Geist weiß das Bildskelett
straff und fest aufzustellen, seine Linien fließen
ohne Kleinlichkeit und vor allem: seine raffinierten
Ein neuer Brunnen in Ijurliu.
Farbensynthesen - stellenweise unerhörte Wag-
stücke — erscheinen im Lichtbilde weniger unwahr-
scheinlich, als man angesichts des Urbildes arg-
wöhnen sollte, mag ihnen auch von ihrem Zauber
das meiste, von ihrem Glänze alles genommen
werden. Das was sie gegenständlich zu bezeichnen
haben, bleibt meist erkenntlich, und wo nicht,
wirkt es, was weit mehr in Betracht kommt für
den Genug reproduzierter Malwerke, als harmo-
nische Stimmungsnote so, daß der Gehalt des
Bildes immer klar bleibt.
Ein Beleg hierfür bildet das „Bildnis der Toch-
ter" des Künstlers, dessen eigentümliche Farben-
reize für den Beschauer nicht zu ahnen sind und
das doch von seiner Seele dem Fühlenden so viel
vermittelt als nötig ist, um in ihm den lebhaften
Wunsch nach dem Original reifen zu lassen. Das-
selbe gilt von der reizvollen „Eisläuferin". Nicht
ganz auf gleicher Höhe stehen die beiden Bilder
„Theben" und das „Spanische Mädchen".
In den Florentiner Pastellstudien begibt sich
Unger auf das Gebiet des psychischen Ausdrucks,
das ihm früher, als sich ihm die Schönheit der
Farbe noch nicht so sicher ergab wie heute, ferner
lag und unbegehrlicher erschien. Ein glücklicher
Schritt, der hoffentlich die Zukunft des Künstlers
bereichert. kuno grae harhenihrg.
y9
Kleine Kiitist-Naclnichtoi.
PROF.E. RlKGEL-DARMSlAUr. PfTTEN IN STEINGl 1.
sorge in Hessen" zu, die ilin zum Besten bedürf-
tiger Mütter und ihrer Kinder verwenden wird.
Es ist zu erwarten, dajs die Bestrebungen der (jroß-
herzogin weitesten Beifall finden, denn es ist sicher-
licli ein sctioiier Gedanl<e, Beiträge zu wotiltätigen
Zwed<en durch Lieferung wirklicher Kunstwertce
anzuregen und zu quittieren. Der Wandteller ist
„Kopenhagener Porzellan" mit blauer Handmalerei
DARMSTADT. Mit den
hier abgebildeten klei-
nen Kunstwerken, die auf
.•\nregung und im Auftrage
der Ciroßherzogin von
Hessen entstanden sind,
wird u. W. erstmals der Ver-
such gemacht, eine in den
nordischen Ländern schon
eingebürgerte schöne Sitte
auch bei uns einzuführen.
Der Verkauf des Wandtellers
und der Putten, zu denen
noch zwei etwas gröf,ere in
Arbeit befindliche Figuren,
„Fürst und Fürstin" hinzu-
kommen, geschieht zum Zwek-
ke der Wohltätigkeit: der
Reingewinn fliegt dem Pro-
tektorat der „Orofjh. Zentrale
für Mutter- u. Säuglings-Für-
(Preis Mk. 10). Die Riegeischen Putten sind „Wäch-
tersbacher Steingut" mit leichter farbiger Bemalung;
sie eignen sich besonders als Tafeldekoration und
als Schmuck für den Damen-Schreibtisch. In allen
größeren Porzellangeschäften werden die Gegen-
stände käuflich sein, auch können sie durch die
Großherzogliche Zentrale für Mutter- und Säuglings-
Fürsorge in Darmstadt bezogen werden. - d. r.
AISF. . WÄCHIERSBACHHR STEINCUT-FABklK.
CHR.THOMSKN
KOl'KSHAGEN.
HHMAl.TER lEI.H-.R
IN l>OR/ELLAN,
r.R(tSSK iS ( M.
vrsi-i'HRi'No:
Ki.I.. PORZEI-LAN-
MANl'FAKTl'R IN
KOPFNHAr.KN.
I
OTTO HETTNKR-1- 1.1 'KP:XZ. ÜL-GEMAI.DK: PORTRÄT I-RAU J. H.
:iTTO HETTNER- FLORENZ.
I lljJ
i),^ ]..,,ke
OTTO HETTNER-FLORENZ.
Von PAUL FECHTER liEKLIN.
Die Versuche, der Sichtbarkeit der Welt ge-
staltend Ausdrucksfähigkeit erlebter Dinge
zu verleihen, bewegen sich im wesentlichen in
zwei Richtungen. Aus der bunten Vielheit der
Umwelt heben die einen das heraus, was ihrer
Seele das Erlebnis gab , um dieses Erlebte in
der Wiedergabe des auslösenden Stückes Natur
zu verfestigen; in den andern verdichtet sich
das vor der Sichtbarkeit Empfundene zu neuer
eigener Eorm, in der sein Gefühlswert am reinsten
zum Ausdruck kommt. Sie suchen den Rhyth-
mus , in dem ihre Seele auf das Bild der Welt
antwortet , in dem Rhythmus und dem Gesetz
des Werkes zu gestalten: der Analyse der an-
deren, die ihre Form der Sichtbarkeitsordnung
der Natur unterordnen, stellen sie die Synthese
entgegen , die formende Entwicklung innerer
Vorstellungen zu von allem Zufälligen des realen
Daseins befreiter gesetzmäßiger Notwendigkeit.
Die Malerei des letzten Menschenalters stand
im wesentlichen unter dem Zeichen der Ana-
lytiker, die man mit einem Zufallswort von ver-
hängnisvoller Schiefheit Impressionisten nannte.
Erst die letzten Jahre haben eine Gegenbe-
wegung gebracht, Probleme der Form wieder
mehr in den Vordergrund gerückt. Da die Ana-
lyse des Impressionismus rein koloristischer
Art war, bewegt sich auch die Reaktion zunächst
hauptsächlich auf diesem Boden; erst nach und
nach beginnt die Erkenntnis der eigentlichen
Probleme der Malerei zu erstarken, stehen
Menschen auf, die wieder im rein Künstle-
rischen, rein „Ästhetischen" im Kantischen
Sinne nach Form und Ausdruck ihres beson-
deren heutigen Weltgefühls suchen gehen.
Zu denen, die hier unter den ersten zu nen-
nen sind, gehört Otto Hettner, Seine Entwick-
lung ist ein Fortschreiten vom Gestalten im rein
Farbigen zu immer stärkerer Betonung rhyth-
misch gesetzmäßigen Formausdrucks und dar-
über hinaus zu Verschmelzungsversuchen beider
Möglichkeiten. Seine Arbeiten aus der Mitte
1910;1I. II. 1.
105
Otto Hcttucr-Floirnz.
OITü HETTNER KLORENZ.
der 90er Jahre sind gediegene Malerei, in der
wohl ein Gefühl für Größe bemerkbar wird, die
aber im wesentlichen bestimmt ist von den
Tendenzen der Zeit. Ein paar Jahre bildhaue-
rischer Tätigkeit bringen den Umschwung: das
Formale, zunächst im Sinne des Gegenständ-
lichen, man könnte sagen Dreidimensionalen
beginnt nach farbigem Leben zu ringen. Aller-
hand Erinnerungen an Hans von Marees tauchen
in den Motiven auf: männliche Akte und Pferde,
Jünglinge von der Abendsonne beschienen und
ähnliche Dinge beschäftigen ihn. Er sucht die
Formwerte des menschlichen Körpers als Aus-
druck zu gestalten, ohne auf die Farbe und ihre
Qualitäten als koloristisches wie als plastisch
bildsames und flächenorganisierendes Material
Verzicht leisten zu wollen. Die Errungenschaf-
ten des Impressionismus mit dem neuen Form-
gefühl zu verschmelzen, ist das Bestreben dieser
Zeit. Durch seine Tätigkeit als Bildhauer ist ihm
zugleich ein starkes Gefühl für die Bedeutung
des Raums in seinen Beziehungen zum Werk
iiomalJe: l-rühstück im Grünen
lebendig geworden ; so ergibt sich die weitere
Aufgabe, zwischen Zwei- und Dreidimensiona-
lem, Raum und Fläche einen Ausgleich zu finden.
Mit Arbeiten dieser Art sind die ersten
Jahre seit 1900 ausgefüllt. Monumentales und
Dekoratives, etwa im Sinne der Fresken van
Rysselberghes entsteht, Landschaften und Por-
träts und Stilversuche, in denen mehrfach ein
starkes intellektuelles Moment fühlbar wird.
Zuweilen erwächst in einem glücklichen Augen-
blick ein Werk von der gedämpften Sciiön-
heit des großen „Frauenporträts" oder des
„Frühstücks im Grünen", zuweilen entstehen
Landschaften von der schönen Ruhe der „Silber-
pappeln" und des „Florentiner Gartens", vor
denen von weitem eine Erinnerung an Feuer-
bach auftaucht. Farbiges und Formal-Lineares
ist hier zu kluger Einheit ausgeglichen und zu-
sammengefaßt, zu malerischen Werten, die in
ihrem klaren Aufbau und sicheren Geschmack
dem besten zugezählt werden dürfen, was die
letzten Jahre gebracht haben.
'X
ÜITO HETTNER FLORENZ.
oben; ITAUE.NilSCHE KUSTENSTAÜT« UNTEN; »APENNIN
lüj
Ollo Hd/iirr- Florenz.
it^i'mmimrmmmie'
Vjäsar?*"-''-
mm
OTTO HETTNEK FLORENZ.
Diese Einheit löst sich noch einmal mit dem
Erstarken des Gefühls für die Beziehungen
zwischen Rhythmus und Bildgesetz. Die Aus-
drucksfunktionen des menschlichen Körpers
treten in den Vordergrund, Bewegungen, für
sich oder wie bei Hodler von dem Gleich-
klang paralleler Vorgänge getragen, durch-
brechen das Bildmäßige: der Rhythmus wird das
Dominierende, zuweilen, wie in dem bekann-
ten „Aufbruch", sogar fast Selbstzweck. Der
Raum gewinnt wieder eigenes Leben, wie in
dem „Ruhenden Mann" vor der sonnigen Land-
schaft, das Intellektuelle tritt noch einmal stär-
ker zu Tage, um fast gleichzeitig von einem in-
tensiven , nach Lösung im Farbig- Formalen
drängenden Gefühlsfaktorparalysiert zu werden,
t^s gibt ein Pastell aus der letzten Zeit, zwei
Bajazzi auf einer „Wippe", der eine hoch oben
schwebend, der andere tief unten. In der merk-
würdig traumhaften Suggestionskraft seiner
räumlichen Anordnung wie in der farbigen Or-
ganisation stünde es neben den früheren Ar-
(lemäkle: »iirientalinnen«
beiten Hettners ziemlich allein, wenn nicht in
verschiedenen anderen Werken der letzten
Zeit die gleiche Erscheinung zu Tage träte. Die
„Traumphantasie" gehört hierher, mit der ganz
eigentümlich unwirklichen Realität der Gestalten,
deren Gefühlsgehalt wie im Unbewußten ver-
ankert scheint, der „schlafende Pierrot", der
auf der „Barke" noch einmal auftaucht. Es ist,
als ob hier Schichten der Seele Ausdrucks-
möglichkeiten gefunden haben, die zu den frühe-
ren Werken noch keine Beziehung hatten und
die vielleicht doch das eigentlich Bedeutsame
aller Produktion ausmachen.
Von hier aus wird man von Otto Hettner
iieulc vielleicht am meisten zu erwarten haben.
F'inc ägyptische Reise scheint ihm mancherlei
Klärung in der Auffassung von der Gefühlsbe-
deutung des Raums und seinem Verhältnis zu
unserem Seinsempfinden gebracht zu haben;
wenigstens spricht eine Reihe von Zeichnungen
und Entwürfen dieser Zeit dafür. Dazu kommt
die Abkehr von dem Teilungsprinzip des Im-
lüb
OTTO HETTNER FLORENZ.
ÜL-GEMALDE : .. BOGENSCHÜTZEN
Otto Hett7icr- Florenz.
OTTO HETTXER FLOREN/..
prcssionismus. Das Zerlegen ist aufgegeben zu
Gunsten einer zusammenfassend fest und ruhig
hingesetzten Farbfläche. Das Resultat gibt
Hettner um so mehr recht, als seiner gesamten
Persönlichkeit wohl überhaupt der Ausdruck
ruhevoll gehaltenen Daseins am besten liegt.
Das vornehm Kraftvolle, Bewußte, das den
Grundton seines ganzen bisherigen Schaffens
ausmacht, kommt in den Werken, in denen er
lediglich auf das Umfassen solcher Momente aus-
geht, am schönsten zur Geltung. Die Faktoren,
die er in seinen jüngsten Arbeiten zu dem bis-
Olgemälde: »Ruhender Mann«
herigen Besitz hinzu erwarb, berechtigen zu der
Hoffnung, daß sie, aus Bewußtem organisches
Eigentum geworden, fortzeugend noch manches
wertvolle Ergebnis zeitigen werden. In jedem
Falle gehört Otto Hettner zu den Wenigen, die
in der Wirrnis der Gegenwart mit ruhiger Kon-
sequenz sich selber nachgegangen sind, mit
voller Bewußtheit Mittel und Möglichkeiten
untersuchten, weil sie erkannten, daß nur auf
diesem Wege ein Herauskommen aus den Halb-
heiten in der heutigen Wirrnis der künstle-
rischen Dinge möglich ist. — im. p. k.-herlin.
onO HKTTNliR-
FLOKKN/.
i.KM.M.llK:
UlK WIPPE«
PAUL GAUGUIN t
Ölgemälde: »Menschliches Elend
-- • PAUL GAUGUIN.
VON RUDOLF MEVER-KIEISTAHL— PARIS.
Anläßlich der Ausstellung d. Sammlung Vollard in der Modernen Galerie Tliannhauser -Münclien u. Arnolds Kunst-Salon - Dresden.
Paul Gauguin ist einer der vier großen Maler,
welche der französischen Kunst im ausge-
henden neunzehnten Jahrhundert neue Wege
gewiesen haben. Sein Platz ist neben Cezanne,
Seurat und van Gogh. Ihm fehlt das tief inner-
liche und leidenschaftliche eines Cezanne oder
van Gogh, er kennt nicht die klare Überlegtheit
eines Seurat. Sein Temperament ist leicht an-
geregt und entflammt sich schnell. Er zerquält
sich nicht über den inneren Sinn der Formen,
sondern berauscht sich schnell am bunten Ge-
wände der Farbe. Man hat ihm vielfach den
Vorwurf gemacht, ein Poseur zu sein und am
Äußerlichen zu hängen, man hat seine Reisen
' in die tropischen Länder als Effekt-Hascherei
I belächelt, ebenso wie sein abenteuerliches
Kostüm in Paris nach seiner Rückkehr aus Ta-
I hiti allgemeines Kopfschütteln erregte. Und
doch gehen alle diese Urteile dem Menschen
Gauguin nicht auf den Grund, sie erkennen seine
wahre Seele nicht, sie verstehen nicht, daß es
Menschen geben kann, denen eine Idee ein
Heiligtum ist, mit der sie zugleich ein komö-
diantenhaftes Spiel treiben. Gauguin ist eine
solche Natur. Wer tiefer in ihn einzudringen
versucht, muß erkennen, daß dieser Mann von
seinen Idealen und Ideen, für die er in so schau-
spielerischer Weise eintrat, im tiefsten Herzens-
grunde erfüllt war, und daß er in diese stellen-
weise etwas karikaturenhafte Opposition zu
unserem heutigen Kulturleben wohl zum großen
Teile auch durch die vollkommene Ablehnung
getrieben wurde, mit der ihn seine Zeitgenossen
zeitlebens kränkten. Ein Cezanne, ein schwer-
mütiger, grüblerischer Kopf, spann sich zu
Aix in der Einsamkeit ein , ein feuriges Tem-
perament wie Gauguin aber war zu solch stiller
Entsagung durchaus nicht geschaffen.
109
Rudolf Meyer-Riefsialil Paris
l'AUL l.ALt
Gauguins abenteuerliche Lebensschicksale
scheinen eine Widerspiegelung des Lebens sei-
ner Vorfahren zu sein. Er wurde am 7. Juni
1 848 geboren. Sein Vater stammte aus Orleans
und war Mitarbeiter des radikalen Blattes
„National". In seiner Mutter Adern rollte süd-
amerikanisches Blut. Sie war die Tochter der
Flora Tristan, die von einem spanischen Ober-
sten und einer Französin abstammte und in
Frankreich als Schriftstellerin und Freundin
Proudhons wie als Anhängerin des Saint Simo-
nismus eine gewisse Berühmtheit erlangt hatte.
In Gauguin scheint der selbständige extra-
vagante Geist seiner Ahnen wieder lebendig
geworden zu sein.
Gauguins Vater war im Jahre 1851 nach Lima
ausgewandert. Hier verlebte Gauguin die frühen
Jahre seiner Kindheit, die wohl einen dauernden
hinfluß auf den Inhalt seines Bewußtseins be-
halten haben. 1855 kehrte die Mutter wieder
nach Europa zurück. Gauguin absolvierte das
Gymnasium und trat dann in die Handelsmarine
ein um später in die Kriegsmarine überzutreten.
1871 wurde Gauguin aus der Marine entlassen
Gemälde: ^losef und Iiau r«>lii*hai^
und beschloß, sich dem Bankfach zuzuwenden.
Er kam hier , wie er überhaupt eine seltene
Fähigkeit sich zu adaptieren besaß, räch vor-
wärts, so daß er sich 1873 verheiratete und eine
materiell glänzende Stellung erlangte. Er soll
in einem Jahre bis vierzigtausend Franken ver-
dient haben. Doch Gauguin fühlte sich in diesem
Berufe nicht befriedigt, er beschäftigte sich in
seinen Mußestunden mit Malerei. Zunächst voll-
kommen dilettantisch und ohne klarere Ziele,
wie eine im Salon des Jahres 1876 ausgestellte
Landschaft beweist. Erst im Jahre 1876 be-
ginnen sich ihm bestimmte künstlerische Ziele
darzustellen, als er die Bekanntschaft mit der
Kunst Camille Pissarros auf einer Ausstellung
bei Durand Ruel machte. Wie für so viele andere
später hervorragende Künstler wurde Camille
Pissarro auch ihm zum Lehrmeister. Gauguin
benützt nun jede Minute, die ihm sein Beruf
frei läßt, dazu, zu zeichnen und zu malen und
die Natur im Sinne des Impressionismus zu stu-
dieren. Bald fühlte er die Kraft in sich, sich an
den verschiedenen Ausstellungen der Impressio-
nisten zu beteiligen, wo er zunächst als Nach-
110
PAUL GAUGUIN. GEMÄLDE: »AUF DEN MARQUESAS-INSELN«.
Paid Gauguin.
■■■■■■■■■■E
m4
PAUL GAUGUIN t
Ölgemälde: »Sitzende Frauen
folger Pissarros eine ziemlich bescheidene Stel-
lung einnahm. 1883 entschloß er sich, sei-
nen Bankberuf vollkommen aufzugeben , was
seine Familie einer materiellen Krisis aussetzte
und sie vollkommen zerstören sollte, während
dieser Schritt seiner Kunst die ersehnte Be-
freiung brachte. Gauguin trennte sich 1885
von seiner Frau und lebte in Paris in materiell
sehr bedrängter Lage, unablässig seiner künst-
lerischen Vervollkommnung nachstrebend. Mit
klarer werdenden Zielen erkannte er, daß seine
Art auf eine starkfarbige primitive Kunst hin-
drängte und so wandte er sich der französischen
Provinz zu, die in ihrem Charakter noch am
meisten Ursprüngliches erhalten hat, der Bre-
tagne. Auch hier arbeitete er zunächst noch
in analytischer, impressionistischer Art weiter.
Erst ganz allmählich begann er die Farben zu
vereinfachen und in großen dekorativen Flächen
zusammenzuziehen und in der Zeichnung die
großzügige Linie zu suchen. Indem er der Ara-
beske und dem dekorativen Farbenklange nach-
ging, begann er sich auf eigene Füße zu stellen
und Ziele zu suchen, die über den Impressionis-
mus hinausgingen. Im Winter 1886 nach Paris
zurückgekehrt, lernt er hier einen zweiten kennen
der unbewußt ähnliches suchte wie er selbst ;
Vincent van Gogh. Doch Gauguins Instinkt trieb
ihn den Erinnerungen seiner Kindheit entgegen:
es ist, als ob er halb unbewußt die bunte tro-
pische Welt suchte: 1887 unternimmt er eine
längere Reise nach den Antillen : in Martinique
findet sein malerischer Stil die volle Freiheit
in Form und Farbe, Als er 1888 wieder in die
Bretagne zurückkehrt, hat er nun den phan-
tastischen und leuchtenden Stil gefunden, der
jene primitiven Menschen und jene seltsamen
Landschaften und den mystischen Zauber dieses
Landes so tief erfaßt hat. Gauguin wird nun zum
reinen Synthetiker, wie inzwischen van Gogh in
der Provence auch zum machtvollen Zusammen-
schließen von Form und Farbe gelangt war.
Bis 1891 arbeitete Gauguin abwechselnd in der
Bretagne und in Paris; sein berühmtestes Werk
aus jener Zeit ist der gelbe Christ, der ihn als
vollkommenen Synthetiker zeigt.
laiu/ll. li 2.
1 I
>«i
PAUL GAUGUIN t Ölgemälde:
»FRAUEN UNTER PAXMEN SITZEND-
AUS UBR GAUGUIN-AUSSTELLUNG DER MOO. GALERIE TUANNHAUSER, ML'NCUEN.
Paul Gauguin.
Die fortwährenden Mißerfolge ließen Gauguins
Sehnsucht nach der tropischen Natur wieder er-
wachen, und nachdem er durch eine Versteige-
rung seiner Werke im Hotel Drouot sich die
nötigen Mittel zur Überfahrt nach Tahiti ver-
schafft hat, trifft er dort am 8. Juni 1891 ein.
Gauguin selber hat sein Leben in der tro-
pischen Natur unter den Eingeborenen in dem
köstlichen Buche Noa-Noa geschildert. Weitere
Zeugen seines dortigen Lebens und Schaffens
sind die lange Reihe von Bildern, welche in Tahiti
bis 1903 und nach einem zweijährigen Aufent-
halt in Europa, der dem Künstler den erhofften
ideellen und materiellen Erfolg seiner Arbeit
nicht brachte, von 1895 — 1901 entstanden.
Durch allerhand Streitigkeiten mit den franzö-
sischen Behörden verbittert, wollte Gauguin sich
noch weiter von der europäischen Zivilisation
entfernen und so siedelte er im Herbst 1901
nach Dominika, der größten unter den Marque-
sas-Inseln über, wo er am 9. Mai 1903 verstarb.
— Schon kurz nach Gauguins Tode stellte sich
der Erfolg ein, auf den er sein Leben lang ver-
gebens hatte warten müssen. Man erkannte,
welch neue Wege er gewiesen hatte. Nach
Cezanne ist er der entschiedenste unter den
Künstlern, die über den Impressionismus hinaus
einer in Form und Farbe vereinfachten Kunst
zustreben. Vom Naturalismus ausgegangen, ge-
langt er zu einer geradezu entgegengesetzten
Doktrin und warnt davor, durch allzuengen An-
schluß an die Einzelheiten in der Natur den
Überblick über das Ganze zu verlieren. So er-
klärt sich seine eigenartige Zeichnung, die von
seinen Gegnern als mangelhaft bezeichnet wird.
Gauguin hat in seiner impressionistischen Zeit
bewiesen, daß er, wenn er wollte, die Natur
auch in ihren Einzelheiten nachzubilden ver-
stand, doch so hätte niemals die Geschlossen-
heit seines Stiles sich ergeben können. Auch
PAULG.VUCUIN I
ÖLGE\LÄXDE :
F.\MILIE AUS
TAHITI.
"5
Otlo Scimlzc-Elhcrfcld :
im Kolorismus steht er in seiner reifen Zeit nicht
auf dem naturalistischen Standpunkte : er ist
sich vollkommen bewußt , daß seine Inter-
pretation der Farben in der Natur eine durchaus
freie Synthese ist. Dem impressionistischen Pro-
gramm ist er insofern treu geblieben , als er
schwarze und braune Farben vermeidet und
seine Bilder nur aus reinen Farbenklängen auf-
baut , wobei er das Prinzip der Teilung des
Tones allerdings bald aufgibt und große har-
monisch zusanmiengestimmte Farbenflächen ge-
geneinander abwiegt. In der Komposition seiner
Gemälde u. Skizzen bringt er überall die großen
dominierenden Linien zum Ausdruck und merzt
die überflüssige Finzelheit streng aus. So ist sein
Gesamtwerk ein zielbewußtes und einheitliches
Hinarbeiten auf einen großen Monumentalstil.
Für die heutige Kunst ist Gauguin einer der
großen Anreger geworden. Schon in Pont Aven
in der Bretagne hatte sich um ihn ein Kreis von
Schülern gebildet, die auf die gesamte franzö-
sische Kunst der neunziger Jahre von hervor-
ragendem Einfluß gewesen sind : es genügt
Künstler wie Bonnard, Vuillard, Serusier, Denis
zu nennen, die mehr oder weniger lange unter
dem direkten Einflüsse Gauguins standen und
von seinen Gedanken nachdauernd beeinflußt
wurden. Gerade in unseren Tagen aber tauchen
zahlreiche Probleme des monumentalen Stiles
aufs neue auf, mit denen sich die neunziger
Generation vielleicht etwas verfrüht und meist
ohne Hoffnung auf Realisierung auseinanderzu-
setzen versuchte. So wird heute Gauguin wieder
von besonderem aktuellen Interesse sein. —
BILDHAUER BERNHARD HOETGER.
VON OTTO SCHUL/E KLBKKKKLD.
Der deutsche Künstler hat es zu allen Zeiten
besonders schwer gehabt, seine besondere
Eigenart zu behaupten. Er hat stets mehr als
andere internationale Beziehungen unterhalten;
er hat stets das Fremde als das Größere zum
Vorbild genommen ; er ist lieber in die Schule
gegangen als selbst Schule zu machen. Und so
ist es nicht ausgeblieben, daß noch bis in die
jüngste Zeit hinein unsere Kunstwissenschaftler
mit Geflissenheit und deutscher Gewissen-
haftigkeit und Gründlichkeit bei unsern deut-
schen Künstlern die fremden Einflüsse in deren
Werken nachzuweisen suchen.
Auch Bernhard Hoetger wäre diesem Schick-
sal verfallen, wenn man nicht noch in letzter
Stunde auf sein starkes Können aufmerksam
gemacht worden wäre. Selbst daß er versehent-
lich innner zu den Franzosen gezählt wurde,
hat ihn nicht davor bewahrt, nur wenig bekannt
zu werden. Bernhard Hoetger ist von Geburt
Westfale, Horde ist seine Heimat. Als er sich
1908 in Mannheim mal wieder seinen deutschen
Landsleuten in Erinnerung brachte, da begeg-
nete er im großen ganzen dem üblichen deut-
schen Kopfschütteln und damit einem gehörigen
Maß Unverständnis. Gewiß, Hoetger zeigte hier-
bei einige Kleinwerke in Holz und Bronze, die
nicht von jedermann verstanden werden konn-
ten, weil sie zu archaisch anmutend waren.
Man dachte dabei an Buddhismus und indische
Kunst. Aber Hoetger fand doch seine Gemeinde,
eine kleine zwar zunächst, aber doch keine
redende, bewundernde und gute Ratschläge
gebende, sondern eine kaufende. In gewissem
Sinne hört die Not des Künstlers auf, wenn
seine Werke museumsfähig werden. Die Lei-
tungen unserer Museen sind tatsächlich ein
Gradmesser für den Wert oder Unwert der
Werke unserer deutschen Künstler geworden.
Und so ist auch Bernhard Hoetger als Plastiker
von dieser seltenen Ausnahme betroffen worden;
in den Museen zu Hagen, Barmen und Elber-
feld begegnen wir seinen Werken, und zwar
nicht vereinzelt , sondern in verschiedenen
Schöpfungen. —
Die wenigsten deutschen Bildhauer sind so
geworden wie Hoetger geworden ist, denn wir
hätten sonst heute eine von der Plastik anderer
Nationen unterschiedliche deutsche Plastik.
Hoetger ist frei von der Abstempelung irgend
einer Schule oder eines Meisterateliers ; er hat
gelernt wie Kinder zu lernen pflegen, die eigen-
willig ihren Weg gehen, die in Erwachsenen
ihre Peiniger und Unterdrücker sehen. Hand-
werklich ist er von der rohesten, unbeholfenen
Technik, künstlerisch von der Seele des Kindes
geknechtet gewesen , das heißt Sklave jener
Unbefangenheit und göttlichen Eingebung, die
sich schöpferisch mit dem Schöpfer selbst eins
fühlt. Der Versuch steht am Anfang der Dinge;
der Seele wird eine Hülle gegeben, die fremden
Augen unbeholfen scheint. Die Seele wächst,
sich immer neue Hüllen suchend, bis schließlich
Seele und Form eins ist wie am sechsten
1 i6
»JUGEND. , PLASTIK VON BERNHARD HOETGER.
Bildhauer Bernhard Hocfger.
BKRNHARD
HOETGER.
W KIBL. BÜSTE.
Schöpfungstage ! Darin dürften der künstlerische
Werdegang und das künstlerische Bekenntnis
Hoetgers skizziert sein.
Das großeTalent wie auch das ausgesprochene
Genie führen den allerschwersten Kampf gegen
sich selbst, gegen das Chaos der Urmaterie, das
geordnet und zum Licht geführt werden soll.
Die Menge, die Nichtpsychologen, erblicken
darin nur die Abweichung vom Hergebrachten,
etwas Abnormes, Krankhaftes. Deshalb blei-
ben sie an der Form hängen, sie fühlen nicht
den ringenden Geist, der irgendwo eben diese
Formen sprengen und ihnen eine neue Schön-
heit geben wird. — Aber immer bleibt bei den
großen Künstlern Form und Inhalt eine Einheit;
sie können im Sinne des Wortes nicht nach-
schaffen, sie müssen neuschaffen; und ihr Neues
ist der Menge gegenüber eben stets das Unver-
standene und deshalb Anfechtbare. Das hat
auch Hoetger des öfteren bitter empfinden
müssen, der doch in seinen Werken zugleich sein
Leben und seine Seele mit ihrem Bekenntnis
niederlegte.
Der Kunstgeübtere wird scheinbar in der
Reihenfolge der Hoetgerschen Werke ihrem
Entstehen nach nicht nur eine Entwicklungsphase
der deutschen Plastik, sondern der Plastik über-
haupt zu erblickenmeinen, denn die Formgebung
nahm auf der Erde denselben Anfang. Sexuelles
mischt sich mit Mystik, Askese mit Religiosität,
Philosophisches mit Symbolik. Orient und Occi-
dent kommen zusammen, Sinnliches wird durch-
geistigt , die Erfüllung des Lebens wird zum
höchsten Gesetz. Und deshalb scheint es mir
belanglos, ob und welche Namen Hoetger seinen
Werken gibt und welche Auslegung hieraus
119
BERNHARD HOETGER.
UER GERECHTIGKEIIS-BRUNNEN IN ELBERFELD. EINE SIIHUNG ZUR DREIJAHRHUNDERT-FEIEK.
i
Olto Schuke-FJberfeld :
seinen Werken zuteil wird. Wo Hoetjjer das
Weib z. B. in seiner Totalität gibt, da ist es
die Eva, nicht eine Eva, also die Allmutter.
UndwodcrKünstlerdenMann in seiner Totalität
gestaltet, da ist es eben der Adam, der Schöp-
fer, der Wecker und
Gestaltende. Hoetgcr
zieht die Summe der
Leidenschaften und
Instinkte; er schafit
keine mordende eroti-
scheFrauenseele, etwa
die Judith, oder einen
knabenhaften David,
dem ein Schleuderwurf
gelingt. Er zieht das
Gute u. Böse als Sum-
me der Lebensener-
gie. Hoetgers Frauen-
körper sind ganz ent-
sinnlicht; nur ihre For-
men gehören der Erde
an. Hoetgers Figuren
sind überwiegend dem
Licht zugewendet oder
sich in ungeahnte Wei-
ten verlierend. Sein
betendes Mädchen,
seine mit ihrem Haar
kosende Frau , die
armbreitende Gestalt
des Elberfelder Brun-
nens sind typische Bei-
spiele eines figuralen
Kultes, wie wir ihn
so tief und eigenartig
in der jüngeren deut-
schen Plastik bisher
nicht kannten. Daß
in Hoetger sich alle
jene Handlungen voll-
zogen, die in der mittel-
alterlichen Plastik, im
Geiste der Antike und
in deren Verschmel-
zung mit der Frühre-
naissance sich kristalli-
sierten, steht außer al-
lem Zweifel, wiederum
aber auch , daß auch
die Kunst weiterschaf-
fend sich der geistigen
Mittel ihrer Zeit be-
dient, um sie auch rein
formal als den Aus-
druck des Schöpferi-
schen der Zeitsumme
B. HOETGER. Torso, als Studie zum Gerechtigkeitsbrunnen.
festzulegen. Im gleichen Maße wie Hoetger
das Geistige seiner Figuren groß erfaßt, geht er
auch in der Form selbst über die rein mensch-
liche Größe bedeutend hinaus. Schon das ist
ein Zeichen ungewöhnlicher Gestaltungskraft.
Daß auch rein tech-
nisch u. formal in den
Hoetgerschen Wer-
ken sich eine große
Meisterschaft bekun-
det, bedarf angesichts
der hier wiederge-
gebenen Werke kaum
einer besonderen Be-
tonung. Ob der Künst-
ler mehr die archa-
ische Strenge oder die
weiche Formenschwel-
lung in anatomischer
Ableitung, oder aber
die Mitte zwischen
beiden hält , immer
sehen wir, daß Hoetger
die Form meistert. —
Alle Realistik, alle nur
natürliche Wiedergabe
seiner Modelle liegt
dem Künstler fern.
Er zieht scharfe Gren-
zen und schließt da-
für jedes Bewegungs-
monient aus. Alle sei-
ne Schöpfungen zei-
gen verharrende Ruhe,
architektonische Ge-
bundenheit, formalen
Rhythmus, eurhythmi-
sches Zusammenflie-
ßen. Als eine Kristalli-
sation höchster Potenz
ist hier das Leben zu
einem wirklich gebun-
denen geworden. —
Der Gerechtigkeits-
brunnen zu Elberfeld,
eine Jubiläums- Gabe
zur Dreihundertjahr-
Feier der Stadt von Ge-
heimrat August Frei-
herrn von der Heydt,
zeigt auch im Becken
u. den drei tragenden
Löwen, daß Hoetger
in allem einem streng-
formalen Prinzip hul-
digt, das in der Entäu-
ßerung jeglicher Pose
122
Bildhauer Bcniliaid Moetger.
und Handlung wurzelt. Hier erinnert der Künst-
ler erneut daran, wie sich Plastik im Zusammen-
hange mit Architektur zu geben hat.
Es blieben noch die Porträtbüsten Hoetgers
zu erwähnen; auch sie bleiben ganz im Rahmen
dieser künstlerischen Persönlichkeit ; auch die
Büsten, Freiherrn und Freifrau von der Heydt
darstellend, umfassen die Totalität der Dar-
gestellten, also die Summe ihrer Individualität.
Das sind keine Momentdarstellungen, es sind
Charakterköpfe eines bestimmten Milieus, einer
auch geistig aristokratischen Atmosphäre. Das
Modell darf im Kunstwerke nicht als Abklatsch
weiterleben, sondern muß in ihm aufgehen.
Bernhard Hoetger steht tatsächlich noch
allein, er hat nur einen, der ihm geistig und
künstlerisch, und damit zugleich formal nahe-
steht ; es ist der Schweizer Ferdinand Hodler, der
ebenfalls in seiner Kunst Summen und Totali-
täten von Personen, Zeiten und Ereignissen gibt.
Vielleicht trägt diese, den Werken des Künst-
lers würdige Veröffentlichung dazu bei, auch
Hoetger eine größere Gemeinde zu gewinnen,
die ihn zu verstehen strebt. Wir müssen auch der
Plastik gegenüber gewisse Verpflichtungen er-
füllen, die uns in der Erfüllung unseres gesamten
Kulturlebens auferlegt worden sind Die Plastik
steht der Architektur am nächsten, sie ist ihres
Geistes; auch sie will Einheiten, Sammlung
und Bannung der Kräfte in formal eurhyth-
mischer Schönheit, die eben in ihrem höchsten
Ausklingen nur dreidimensional sein kann. —
BERNHARD
HOETGER.
»ANBEIENDE«
J910,ll. 11. 3.
l'.KKNUARD HOKTGER.
PORTBAl-BUSTE: FREIFRAU VON DER HEVUl.
BERNHARD HOETGER.
PLASTIK; BETENDES MÄDCHEN.
BERNHARD HOETGER.
portrat-buste; Freiherr von der heydt. i
DIE AUSSTELLUNG ALS KUNSTWERK.
Vi IN HANS SCHI.IF.PMANN.
Die „Industrialisierung" der Erde geht mit
Siebenmeilenstiefeln vorwärts. Sogar die
Passion Jesu Christi wird ja schon heuer in
Oberammergau in amerikanischer Geschäfts-
weise ausgeschlachtet. Was bleibt, das nicht
Geschäft wäre? — Man mag das beklagen, ja
man wird's keinem verdenken, wenn er das
ekelhaft findet, sans phrase. Aber um die Tat-
sache kommen wir deshalb nicht herum. Je
enger die Menschen zusammenrücken müssen
an ihren Krippen, desto wichtiger wird der Platz
an dieser Krippe, desto ausschließlicher müssen
die Gedanken sich darum drehen, rechtzeitig
ein gutes Plätzchen zu bekommen. Darüber
gehen die besseren Gedanken verloren, und
von allen Göttern bleibt nur Götze Erfolg und
Allgott Mammon auf dem Thron. Unsere eigent-
lichen Tempel sind nicht mehr die Gotteshäuser,
sondern Bahnhöfe und Warenhäuser. Sie sind,
ohne daß dabei irgend eine bewußte Absicht
vorgelegen hätte, zu den eigentlichen Wahr-
zeichen der Gegenwart geworden, denen auch
die Kunst unserer Tage das bezeichnende, ja
das bewundernswerte, in aller Vorzeit nicht
seines Gleichen findende Gepräge gegeben.
Das ist aber nur ein Beweis dafür, daß das
Zweckliche alle übrigen Motive in unserer Zeit
verdunkelt. Und nicht bloß in der Baukunst.
Das verkäufliche Bildwerk und Gemälde über-
wiegt in den Ausstellungen mehr und mehr die
Versuche der Wenigen, die die Menge immer
ungenierter sonderbare Schwärmer nennt, weil
sie Offenbarungen des eigenen besonderen Ichs
zu bringen wagen; in Literatur und Musik,
namentlich im Theater sinkt das Niveau mehr
und mehr zur bloßen Unterhaltungsware hinab.
Die neue Herrschaft der Operette ist nichts als
der Beweis, daß Rezepte für anspruchslose
hirnfreie Kitzelung herabgekommener Nerven
das beste Geschäft sind.
Zweifellos sind das alles Erscheinungen natio-
nalen Niederganges. Aber unser Leben ist
vielgestaltiger geworden; die Vielfältigkeit un-
serer Rassenmischungen , der bewußte Indi-
vidualismus hat bewirkt , daß nicht einerlei
Tendenz durch die ganze Zeit geht wie in frühe-
ren Tagen, wo wirklich ein ganzes Volk, von
wenigen Kassandra-Naturen abgesehen, gleich-
mäßig verfiel. Neben dem überall breit wu-
chernden Unkraut sehen wir doch heute überall
neue Triebe hoffnungsfreudig emporwachsen.
Fehlen uns anscheinend die großen Politiker,
so zeigt sich die Nation doch noch immer
ganz unerschöpft in der Hervorbringung künst-
lerischer Naturen. Wie viele von diesen den
Wuchs des Talentes überschreiten, wie viele
sich als bahnbrechende Genies betätigen könn-
ten, läßt sich gar nicht sagen, denn erst in
der Betätigung entwickelt sich die rechte Kraft.
Uns aber fehlt es überall an Aufgaben. Man
denke z. B. an Slevogt, der das Glück hatte,
bei guten, aber keineswegs übermächtigen An-
lagen, schon früh eine „gute Presse" zu finden;
wie reich vermochte er sich unter den Fittichen
des [Glückes zu entwickeln ! Oder man er-
innere sich, wie das zarte und gewissenhafte
feinfühlige Talent Messeis zu bahnbrechen-
den Schöpfungen gelangen konnte, während
weit genialere Köpfe, wie namentlich Bruno
Schmitz, viel brachliegen mußten!
Daß gerade die Architektur am meisten unter
diesem Mangel an Aufgaben leidet, ist natür-
lich. Sie erfordert die größten Mittel, um zu
wirken, denn der architektonische Entwurf mit
seiner Parallelprojektion vermittelt dem Laien
keinen der Wirklichkeit auch nur angenäherten
Eindruck. Da aber der Zweck die Welt regiert,
sind die Mittel für gewaltige Bauten nur ganz
ausnahmsweise vorhanden. Nur solche aber
könnten wieder den Beweis erbringen, daß die
Architektur die führende Kunst zu sein ver-
mag, daß sie Wirkungen erreicht, denen nichts
an die Seite zu setzen ist.
So sehen wir denn , daß unsere hervor-
ragendsten künstlerischen Kräfte von größten
Werken, die einen ganz neuen ästhetischen
Ausdruck und Niederschlag der Strebungen
und Sehnsucht unserer Zeit geben könnten, nur
träumen dürfen. Von der Fülle solcher Gesichte
gab erst kürzlich der Wettbewerb für den Be-
bauungsplan von Groß-Berlin in den Arbeiten
von Bruno Schmitz und Bruno Möhring
hier überwältigende Beweise — Beweise auf
Papier, für verschwiegene Mappen oder höch-
stens für ein menschenleeres Architektur-
museum! — Das also könnten wir leisten, so
könnten wir bauen und uns mit Schönheit um-
geben, wenn — — ja, wenn die Baukunst nicht
12-,
Die Aitssielhms' als Kwishverk.
eine so namenlos teure Liixuskunst wäre!
— Und doch: Eine Gelegenheil hat auch die
Baukunst gefunden, noch in unserer Zeit ihre
Größe zu zeigen: die Ausstellungen! Nicht
die Gemäldeausstellungen mit etwas Archi-
tektur nebenbei, nicht die kleinen Veranstal-
tungen besonderer Industrien , sondern die
großen, zu „Ereignissen" geprägten Riesen-
ausstellungen. Auch sie sind ja nicht viel
mehr als Träume , architektonische Träume
eines oder doch weniger Sommer. Ein schöner
Schein, aus dem dienstwilligsten, aber auch im
vergänglichsten Stoffe, über luftigen Holz- oder
Eisengerüsten gewoben als ein Zaubermantcl
über einer im letzten Sinne auch wieder — rein
geschäftlichen Unternehmung. Aber mag das
doch sein I Kunst ist Eindruck ; das Bild, das
wir in einer fernen Gemäldegalerie sehen, ent-
schwindet ebenfalls aus unserer eigenen Wirk-
lichkeit, das Festspiel in Bayreuth lebt nur in
der Erinnerung über die wenigen Stunden der
Aufführung hinaus. So kann auch eine Aus-
stellung uns künstlerische Werte höchsten
Ranges geben, deren Nachwirkung unser ganzes
Leben durchzittert. In der Tat : Es ist uns noch
viel zu wenig bewußt geworden, daß wir in den
großen Ausstellungsveranstaltungen die hervor-
ragendsten Kunstaufgaben der Gegenwart zu
erblicken haben, daß hier „das" Architektur-
kunstwerk der Gegenwart geschaffen worden
ist oder doch geschaffen werden kann.
Ereilich, um das einzusehen, müssen wir ein-
mal unsere erst langsam und teuer erworbenen
Erkenntnisse von Zwecklichkeit und Material-
gerechtigkeit etwas aus den Augen setzen, wir
müssen den Glauben an Märchen oder doch
Theaterillusionen mitbringen und dann auch
wieder so starke Illusionsstörungen wie Rummel-
platz und Geschäftsbetrieb verwinden. Gerade
den kritischen Köpfen fällt das schwe'r, und so
ist denn in der Presse gerade das Problem der
Ausstellung als eines Kunstwerkes nicht recht
der Rede wert gehalten worden. Aber just weil
uns die idealen Aufgaben ewiger Dauer fehlen,
werden wir um der starken unvergleichlichen
Augenblickseindrücke willen den ästhetischen,
auch erzieherisch-ästhetischen, Wert der Aus-
stellungen nicht hoch genug anschlagen können.
Die heurigen Ausstellungen in London und
Brüssel haben mir dies zu lebendiger Erkennt-
nis gebracht. Nur aus den politischen Spann-
ungen zwischen uns und unseren Vettern jenseits
des Kanales ist es zu erklären, daß man hier gar
nicht ahnt, wie Gleichenloses London in seiner
„Japanisch- Britischen Ausstellung" in „Shep-
herds Bush" geschaffen hat. Und nicht erst
heut, sondern schon vor zwei Jahren zur„Franco-
Britischen" Ausstellung, denn zu dieser sind die
riesigen weißen Bauten errichtet — zum Japa-
nischen passen sie auch im Stile nicht im ge-
ringsten ! Aber was tut für den Gesamteindruck
der Stil? Was tut's im Märchen, ob Sneewitt-
chen im Kostüm des elften oder des fünfzehn-
ten oder sechzehnten Jahrhunderts auftritt?
Alle diese Schnörkel eines rechten „Zucker-
bäckerbarocks", in die der Gips so gern hinein-
fließt; soll man sie mit der philologenhaften
Brille des Stilfanatikers betrachten? Soll man
sie nicht genießen etwa wie die Purzelbäume der
Musik in der Ouvertüre zum Sommernachts-
traum?
Ein Somniernachtstraum ist fürwahr diese
grandiose Ausstellung mit ihrem Palastmaßstab,
ihren wuchtig entwickelten riesigen Achsen und
den dadurch geschaffenen immer wieder neu
sich aufbauenden großartigen Architekturbil-
dern; besonders der erste, der indische Hof, ist
von höchster Schönheit, gar erst zur Zeit der
blauen Stunde, wenn plötzlich alle Architektur-
linien durch tausende gelblicher Glühlämpchen
nachgezogen werden, wenn im großen Mittel-
bassin die Gondeln goldene Furchen ziehen und
die Wasserkunst in der Mittelachse in wech-
selnden Farben strahlt. Mag auch mit den Ein-
bauten innerhalb des Wasserbeckens etwas zu
viel getan sein: dieser Traum überwältigt und
läßt endlich einmal wieder dieMacht von Goethes
Göttin, der
ewig beweglichen,
immer neuen
seltsamen Tochter Jovis,
seinem Schoßkinde,
der Phantasie
mit ehrfürchtigen Schauern fühlen. Das aber
braucht unsere Zeit der exakten Wissenschaft
und zerdröselnden Kritik! Daß diese Kunst vom
Ganges entlehnt ist, raubt dem Eindruck keinen
Deut von seiner Größe. Wir bewundern dann
eben aus frischer Erkenntnis — Indien statt
Englands. Aber wir bewundern! Kein Bild
kann uns das so reich geben, denn wir stehen
eben mittun drin in dieser Welt der Formen- und
Farbenwunder, wir leben, träumen lebend in
diesem Märchen aus Tausend und einer Nacht!
Nur einmal habe ich ähnlich Gewaltiges, im
Maßstabe noch weit Mächtigeres gesehen; auf
dem „Forum" der Weltausstellung von Chi-
cago 1903. Keine andere Weltausstellung hat
die Größe dieses Gesamtbildes übertroffen. —
Dagegen nun Brüssel! — Ein großes Kind hat
seine Spielsachen ausgepackt, plundrige Jahr-
marktsware, dazwischen einige bessere Stücke
von guten Tanten! Das ist der erste Gedanke.
Eine plumpe akademische Semesterarbeit das
128
Hans Schliepmann :
Hauptgebäude in seinen schwindsüchtigen ver-
waschenen Farben, schlecht gestellt; die Wege
mit schwarzem Kohlenstaub eingeebnet , das
Pflanzenwerk kränklich, die Achselbeziehungen
hilflos und verwischt: ein niederschmet-
ternder Gesamteindruck, den selbst das
viele Gute im Innern der Hallen nicht aus-
löschen kann. Ganz hinten dann die einzige
Oase für den Schönheitssucher: die
deutsche Abteilung. Die einzige, die Neues
zu sagen hat. Neues, das noch dazu aus der
Aufgabe und dem Material entwickelt ist.
Nicht überwältigend; dazu war Umgebung und
Maßstab nicht angetan ; aber doch reine Freude,
volle Befriedigung weckend.
Woher nun dieser Unterschied? Genügt zu
seiner Erklärung die oft gehörte Behauptung,
daß Brüssel eben nur ein Geschäft mit einem
Riesenjahrmarkt und dessen Fremdenbesuch
machen wollte? Hätte die Bewunderung der
Besucher nicht den Zufluß vermehrt und so
auch das „Geschäft" noch gehoben? In der
Ausstellungsleitung muß vielmehr jedes Ver-
ständnis für die Aufgabe der „Ausstellung als
Kunstwerk" gefehlt haben. Möglich, daß auch
London und Chicago nicht von theoretischen
Erwägungen ausgegangen sind , sondern daß
das gesunde architektonische Gefühl der Er-
bauer dieser Ausstellungen instinktiv das Rich-
tige traf, zumal sie augenscheinlich weder mit
den Mitteln noch mit dem Raum zu geizen
brauchten, wie unsere Architekten es in Darm-
stadt wie in Mannheim, in München wie
in Dresden tun mußten.
Die deutschen Ausstellungen der letzten
Jahre aber haben durchgehends gezeigt, daß
bei uns ein lebhaftes Gefühl dafür vorhanden
ist, die Ausstellung als ein Gesamtkunstwerk
zu gestalten. So klein der Anfang war; 01b-
richs Kunsthalle auf der Darmstädter
„ Mathildenhöhe " mit dem Festplatze davor war
schon bewußte „Kunst der Ausstellung". Und
inmier wieder in der Folge sehen wir den
höchsten Wert auf die Ausgestaltung des Platzes
und der Gebäude gelegt. Nirgends ist daneben
die Formengebung so neu, so materialgerecht
herausgestaltet worden wie bei uns; nirgends
auch hat man in der Kunst der Aufstellung der
Erzeugnisse innerhalb der Räume so gutes Ver-
ständnis, so sichere Übung gewonnen wie bei
uns. Auch das ließ sich in Brüssel sehen, wo
selbst die Engländer bei ihren überlegenen Er-
zeugnissen nicht über die Schaufensterkunst
der Vitrine hinausgekommen sind.
Schon 1893 habe ich in Alexander Kochs
„In n e n-D e kora ti o n" auf den Mangel an
Wirkung einer Ausstellungsart hingewiesen, bei
der die Objekte frei in einer Riesenhalle auf-
gebaut sind, die nicht mehr den ästhetischen
Eindruck eines Raumes macht. Frankreich hatte
damals in Chicago bewiesen , wie wesentlich
günstiger der einheitlich umschlossene Raum,
auch schon der unüberdeckte, der Hof, wirkt.
Deutschland hat längst die Konsequenzen ge-
zogen. Auch die jetzigen Wirkungen in Lon-
dons Ausstellungen beruhen ja auf der Um-
schließung, auf dem Mittenhineinversetzen in
ein einheitliches großartiges Milieu. Selbst noch
die im geschlossenen Viereck aufgestellten
Riesenschauspinden der Konfektion in Brüssel,
mit den Genreszenen „namenlos entzückend"
kostümierter Figurinen lassen die Überlegenheit
dieses Systemes erkennen, während die unter
keinerlei ästhetisches Gesetz gebrachte Auf-
reihung heterogener Bauwerke dort das kläg-
liche künstlerische Fiasko hauptsächlich ver-
schuldet hat.
Wie jedes Kunstwerk, so muß auch das der
Ausstellung unter eine einheitliche künstlerische
Idee gestellt werden. Da diese meist nicht im
Gegenstande selber liegt, muß das Ausstellungs-
Objekt der Raumidee untergeordnet werden.
Man braucht nicht zu befürchten, daß dadurch
die Aufmerksamkeit vom eigentlichen Aus-
stellungs-Objekt abgelenkt werde. Die erhöhte
Stimmung, die ein großer ästhetischer Eindruck
erregt, kommt dem Einzelgegenstande durchaus
zugute. — Mit dieser Forderung der Einordnung
ist natürlich nicht gesagt, daß sich nicht auch
der Raum nach dessen Inhalt richten könne.
Anders wird ein Raum für Ausstellung von Ju-
welen, anders einer für Bücher, anders einer
für chemische Erzeugnisse zu gestalten sein;
gerade die Absonderung in übersichtliche, cha-
rakteristische Räume ist ja künstlerisches Vor-
gehen. Im Zusammenarbeiten der Räume aber,
in großen Achsenbeziehungen, im Wechsel der
Abmessungen, im Über- und Unterordnen wird
der Ausstellungs -Architekt die Mittel finden,
aus den Einzelräumen das Gesamtkunstwerk
des Inneren zusammenzusetzen, das sich dann
wieder im Äußeren zu einer sprechenden Ge-
sanitgruppe zusammenschließt.
Das sind uns heut kaum noch neue Forde-
rungen ; höchstens unsere Industriellen bilden
sich zuweilen noch ein, sie könnten durch bloße
Massen oder bloße Verblüffung wirken, indem
etwa ganze Gebirge von Weinflaschen ausge-
stellt. Türme und gräßliche Architekturen aus
Schokolade geschaffen oder Springbrunnen aus
Seidenstoffen hergestellt werden. In der deut-
schen Abteilung in Brüssel hat aber die künst-
lerische Leitung derartige hohlköpfige Protze-
reien schon gar nicht mehr aufkommen lassen.
130
Die Ansstcl/iiiiü als Kiiushvcrk.
Wir sahen dort so vornehm kultiviert drein, wie
es leider daheim im Leben lange nicht ist. Nun,
dem Ausland gegenüber mag's schon gelten, daß
nur die Denkweise unserer besten Geister zur
Erscheinung kommt. Für die Ausstellungen ist's
sogar Pflicht, eben weil sie das große Gesamt-
kunstwerk der Neuzeit sein können und sein
sollen. Die strenge Zucht, in die unsere Industrie,
namentlich in Darmstadt und München, ge-
nommen worden ist, hat uns auf dem Wege zu
diesem Kunstwerk tüchtig vorwärts gebracht.
Aber vielleicht könnten wir noch Größeres er-
reichen, wenn wir bei der baulichen Gestaltung
der Ausstellungen der Phantasie einmal ruhig
die Zügel noch etwas mehr schießen ließen. Es
ist nur natürlich und in gewissem Sinne auch
gut, daß dies bisher nicht geschehen ist. Nach
den Orgien der Stilklitterung mußte uns erst
einmal die Besinnung kommen ; wir mußten die
Struktur als die Wurzel aller Formengebung
wiedererkennen und mußten dem modernen
Bedürfnis erst den modernen Ausdruck finden.
Aber dabei ist unleugbar ein wenig Lehrhaftig-
keit und Nüchternheit über uns gekommen —
man erinnere sich der rhythmisch so feinen, aber
doch schließlich fast fanatisch wahrhaftigen und
gesucht einfachen Schöpfung Länger s in der
schönen Mannheimer Gartenbau-Ausstellung.
So notwendig uns Einfachheit war, so vornehm
sie zu wirken vermag: den Eintagsschöpfungen
in Eintagswerkstoff einer Ausstellung gegen-
über ist der Purismus mindestens keine Not-
wendigkeit. „München 1908" war gewiß
gut, namentlich als Erziehung zum modernen
Stilgefühl ; im Gesamteindruck aber blieb es
ohne rechte Aufrüttelung, ohne den letzten Reiz
des Festlichen, Großartigen; es hatte etwas zu
viel — Gut Bürgerliches , möcht ich sagen.
Selbst die verregnete Berliner Gewerbe-Aus-
stellung 1896 gab in ihrem von Bruno Schmitz
geschaffenen Festplatz da unzweifelhaft weit
mehr. Es war die überquellende, in großen
reinen Schmuckniotiven sich auslebende Phan-
tasie, die hier Ungewöhnlichstes Wirklichkeit
werden ließ, nur nicht in solchen Abmessungen
wie heuer in London.
Ein Aufschwung aus dem Zweckgemäßen
zum Denkmalsmäßigen, aus dem Klugen ins Er-
habene und Unerhörte oder auch dreist nur
einmal ins spielend Phantastische — : das ist's,
was uns Neues geben, neue Anregungen ver-
mitteln und erloschene Empfindungen im Volke
wieder entfachen könnte und was in unserer
Zeit der ewigen Sachlichkeit uns nottäte. Für
uns Deutsche wäre es dabei selbstverständlich,
daß solche Phantasiekunst nicht in den Formen
der Vergangenheit schwelgen, sondern auf eige-
nen Bahnen sich ergehen würde. Die Stilklitte-
rung ist für alle Selbstdenkenden seit Dresden
erledigt. Darum aber würde auch eine solche
deutsche Schöpfung sicher den Gipfel aller
Ausstellungskunst bilden. Wir dürfen an unsere
Künstler glauben! —
Ob es sich um eine „Weltausstellung" han-
delt — an deren letzten praktischen Zweck
auch ich nicht mehr recht glaube — oder um
eine große nationale oder auch nur um eine
große Fachausstellung handelt, ist in ästhe-
tischer Hinsicht einerlei. Für unsere Kunst-
entwicklung aber ist es durchaus notwendig,
daß die große Aufgabe der „Ausstellung als
Kunstwerk" allgemein anerkannt werde.
Daß dies z. B. vollständig bei der deutschen
Abteilung für die nächstjährige Ausstel-
lung in T u r i n übersehen ist, halte ich gerade-
zu für eine schwere Einbuße an nationalem
Ansehen. Nach einem mir vorliegenden „Pro-
spekt", der allen als Aussteller in Betracht
kommenden Industriellen zugegangen ist, wird
da am Po an geradezu unvergleichlich schöner
Stelle ein Riesengebäude für die deutsche Ab-
teilung errichtet, das eine geradezu gottver-
lassene, hilflose, aber großsprecherische, zu-
sammengestümperte , aber formenüberladene
Stilklitterung in italienischer Renaissance als
den Ausdruck „deutscher moderner Kunst" zu
geben wagt. Es ist dringend zu fordern, daß
sich die Leiter der Unternehmung verantwort-
lich darüber äußern, wie sie an so vielen her-
vorragenden deutschen Architekten vorbei-
gehen und die große Aufgabe — wahrscheinlich
natürlich um des schundigen Sparsvstems wil-
len! — an eine so völlig unzulängliche Kraft
geben konnten. Hoffentlich fegt die allgemeine
Entrüstung diesen kläglichen Entwurf noch bei-
seite ! Wir hätten sonst Jahrzehnte an der
Scharte zu wetzen, die hier im Dunkeln von
völlig kunstfremden Nur-Kaufleuten der deut-
schen Kunst geschlagen worden ist.
Da Derartiges noch heute möglich ist, muß
um so nachdrücklicher nach einer w ahrhaft
großen deutschen Ausstellung gerufen
werden. Wird Berlin endlich diesen Ruf
hören, das sich seit Jahrzehnten durch kleinere
Kunststädte in den Hintergrund drängen ließ?
Oder werden wir weiter uns mit dem Bewußt-
sein des verkannten Genies begnügen müssen,
daß wir zwar Architekten genug hätten, eine
Unternehmung so prächtig wie die Londoner zu
inszenieren und sie obendrein auch noch in
völlig modernem Geiste zu gestalten — daß
wir aber in Deutschland das Großar-
tige noch niemals zur Wirklichkeit
z u m ach en verm o cht en? — ii. s( ii.
is>ui;ii. u. 4.
lU
PROFESSOR LEO PUTZ— MÜNCHEN.
»AUS DEM LEBEN EINER FRAU-s
\VSnDMALEREI im HAISE BRAKL, MÜNCHEN.
DER DAMEN-SALON IM HAUSE BRAKL-MÜNCHEN.
Seit kurzem ist das D a m e n z i m m e r in dem
von Prof. Emanuel v. Seidl erbauten
und vor einiger Zeit an dieser Stelle gewürdig-
ten Haus Brakl fertiggestellt. Als ganz beson-
deren Schmuck erhielt der Raum eine Wand-
bemalung von Professor Leo Putz, die den
Künstler über ein Jahr beschäftigt hat, und die
man mit einigem Recht das Hauptwerk seines
bisherigen Lebens nennen kann. Die auf Lein-
wand gemalten und in die Wand eingelassenen
Bilder wirken nicht dekorativ-flächenhaft, sozu-
sagen als Arabesken mit Menschen- und Pflan-
zenformen, wie das sonst Wandbilder, die man
lobt, zu tun pflegen. Nein; sie sind das Gegen-
teil davon. Der Künstler hat sie in der gleichen
impressionistischen Technik, wie alle seine Bil-
der gemalt. Nur etwas gereifter scheinen Strich
und Kolorit gegen früher. Der Wirklichkeitsein-
druck der lebensgroßen Figuren ist beabsich-
tigt; denn Putz möchte, daß sie sich gewisser-
maßen mit der Gesellschaft, die hier verkehren
wird, vermengen, in ihr aufgehen sollen. Diese
„Funktion" eines Wandbildes ist entschieden
neu. Aber es läßt sich darüber diskutieren, und
man kann sogar sagen, daß der Versuch, soweit
das eben möglich war, ausgezeichnet geglückt
ist. Es ist übrigens ein Zweifaches, wodurch
dieser Zyklus vom Leben einer Frau,
der sich über drei Wände hinzieht, so stark
und überzeugend wirkt. Das eine ist die Farbe,
das andere der reiche Gehalt an Stimmungs-
werten. Wir sehen die Frau zunächst als Kind,
das Blumen (märchenhaft große Gänseblümchen)
aufliest, die aus der Luft herabfallen. Dann als
etwa neunjähriges Mädchen (das Modell hierzu
war das liebenswürdige Töchterchen des Haus-
besitzers) ; daneben der einzige Akt der Kompo-
sition: ein junges Mädchen, das den bunten
Kleidertand abgestreift hat und eben ins Wasser
steigen will — der Seehintergrund (Motiv:
Chiemsee) und der Kastanienbaum sind allen
Teilen des Zyklus gemeinsam, sein cantus firmus.
Nun folgt, der Fensterwand gegenüber: links
die junge Braut, selig-zaghaft im Arm des Bräu-
Ii
o:>
Do Daiiieiisaloii im Hause Brak/—Müiic//i\
ti^ams; rechts das ^lückliclie Familienleben:
Mann , Frau und Töchterchen. Die rechte
Wand bringt den Abstieg und das Ende: eine
alte Frau, die, in Erinnerungen versunken, auf
einer Bank sitzt, in herbstlich -melancholischer
Landschaft. Zu dem Schmalfeld am Fenster
leitet eine Girlande von Herbstblättern über.
So schließt sich Anfang und Ende, Jugend und
Alter mit Bedeutung zum Lebensring. Aber
die heiteren und sonnigen Klänge überwiegen.
Dafür hat schon der Kolorist Putz gesorgt. Der
helle, blinkende See, vorne das strotzende Grün
der blühenden und der sommerlich üppigen Ka-
stanien; auf den weißen Damcnkleidcrn — nur
die alte Dame ist schwarz gekleidet — die
grünen Baumschatten und lustigen, tanzenden
Sonnenkringel; dazwischen das Leuchten und
Flimmern bunter Tücher, Hüte und anderer
Toilettebestandteile, das Prangen des schlanken
Mädchenleibes, das kräftige Blau und Braun der
Männerröcke und über allem die heiße Sonne:
das eint sich, da in dem Raum sonst kein vor-
lauter Ton stört, zu einem prachtvollen, reichen
und reinen Akkord, zu einer Reihe von solchen
Akkorden. Wir hören sie und wissen, was sie be-
deuten: sie sind das „hohe Lied von der Frau", u n.
PROFESSOR LEO PUT^ MÜNCHEN. Aus dem Zyklus: Das J-eben einer Krau«. »Die Braut«.
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O Professor
O. Prutscher.
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Wien 1910.
■ Pavillon des
Q Niedcröstcrr.
H Oeweibe-
' Fördrriings-
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DIE WIEDERGEBURT DES iMONUMENTALEN.
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ie alle atheistischen Aufstände, so hat
auch der Naturalismus unserer Kinder-
jahre ein schnelles Ende genommen. Die Leute
von Büchner bis Haeckel , die uns den Mut
gaben, als Jünglinge gegen den Thron der Gölt er
zu rennen, verloren gar bald ihre begehrte Un-
fehlbarkeit. Heute glaubt man nicht mehr, daß
aus den Laboratorien und den Leichensälen die
letzte Erkenntnis und der höchste Friede kom-
men können. Die Menschen des zvi'anzigstcn
Jahrhunderts haben wieder die Sehnsucht aus-
gesandt; durch alle Lande und Zeiten, durch
alle Kulturen schweifen die Suchenden, Ant-
wort auf die ehernsten aller Fragen zu finden.
Piatons Phaidros, die Schriften des Giordano
Bruno, die Sprüche desLao-Tse, die Predigten
des Meisters Eckehart und die Rätsel des Para-
celsus wurden neu aufgelegt; die Bibliotheken
füllen sich mit Mystikern und Asketen; die
blaue Blume der Romantik treibt ihre alten
Blüten neu hervor. Man will wieder von der
ewigen Geburt und von der Abgeschiedenheit
Ol
und von denen hören, die Gottes liebe Freunde
und bei ihm heimisch sind. Freilich, entwöhnt,
die Sprache der Romantik zu führen, verirrten
sich die Neuen oft im Schwulst und im Gestrüpp.
Sic überschlugen sich und schwelgten im Ge-
klingel der Worte. Trotz alledem, die Entwick-
lung einer neuen Mystik, einer neuen religiösen
Romantik, scheint langsam zu reifen. Doch
sollte man eigentlich das Wort „Romantik"
nicht gebrauchen, sollte dafür „Kraft" setzen,
Elastizität und Willen. Denn darum handelt es
sich letzten Sinnes : daß die neue , religiöse
Sehnsucht zu einer großen und lachenden Ge-
sundheit, zu einem neuen Emporwachsen des
Menschen helfen soll.
Man beginnt Klopstock und Claudius wieder
zu lieben und sieht in Goethe nicht mehr allein
den großen Heiden. Man erinnert sich, daß der
Sänger des Flohliedleins und der Held des
Prometheus auch nach Frieden rief:
Der du von dem Himmel bist,
Alles Leid und Kummer stillest.
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Aber man gräbt nicht nur nach alten Schätzen,
auch die Lebenden, denen es gegeben ward,
die Seele im Wort zu erschließen, lassen ihre
Sehnsucht reisen. Wie irrende Vögel. O ja, der
Irrflüge geschehen nicht wenige", doch was ver-
schlägt das, wenn nur der Grundzug, wenn nur
das Ziel der Bewegung in den Höhen liegt. Die
Bewegung an sich , das Temperament , der
Rhythmus, das sind die eigentlichen Werte, das
140
ist das Gemeinsame in all den Einzelerschei-
nungen der modernen, zur Religion drängenden
Dichtung. Von den vielen, hier zusammenklin-
genden Stimmen zu sagen, ob sie taub, ob sie
reife Werte bergen, das hält schwer. Aber das
eine ist gewiß: hinter ihnen allen, hinter den
beiden Hauptmann, hinter Lienhard, hinter
Dehnicl, hinter Stephan George, hinter Maeter-
linck und wie sie alle heißen, lebt der Trieb,
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das wahre Gesicht der Dinge zu suchen. —
Die Wandlung, die gerade die Häupter der
Naturalisten durchgemacht haben, läßt keinen
Zweifel mehr : die aufgeklärte Seele tastet
wieder nach dem, was weniger begriffen, nur
empfunden sein will; die Analyse strebt zur
Synthese; die Wissenschaften drängen nach
einer Weltanschauung. Gerhart Hauptmann
begann mit einer nackten Wahrheit : „Vor Son-
nenaufgang"; über „Hanneles Himmelfahrt"
kam er zum „ Armen Heinrich " . Das ist derWeg
von der Hölle über das Märchen zur Erlösung.
Viel leichter, eindeutiger undüberzeugender
läßt sich die Wandlung der modernen Seele
vom Realismus der Einzelheiten zum Pathos
der Synthese in der bildenden Kunst, in der
Malerei, in der Plastik, nachweisen. Wir dürfen
heute schon von einer Neugeburt des Monu-
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Sinne, daß eine reifere, nach kosmischem
Erleben dränjjende Menschheit diesem, ihrem
besten Teil neue Ausdrucksformen sucht. Neue
Formen, weil die allen zu cnf> und arm wurden.
Dennoch im Grunde alle Formen , Formen,
denen verwandte aus allen Zeiten starker
Menschlichkeit, heroischen Selbstbewußtseins
und die Welt umfassender Andacht gefunden
werden können. Es bedarf keines großen Wis-
sens, um zu sehen, wie sehr die neue Monu-
mentalilät nach der Klassik der alten Griechen,
in gleichem Maße nach Michelangelo und nach
den Ägyptern gravitiert. Nicht etwa so, daß nun
nach einer kurzen Spanne nüchternen Wirklich-
keitsinnes die Pioniere müde geworden wären
und vor dem erprobten und bewährten Alten
kapitulierten. Nicht etwa so, als wenn nun der
Bankrott der Moderne , der Zusammenbruch
all dieser realistischen Draufgänger, dieser
Umstürzler und Pietätlosen erklärt werden
müßte. Nicht etwa so, als wenn nun doch die
Großväter recht behielten, und die Ohnmacht
all derer, die der guten alten Zeit keck Trumpf
boten, anzumeldenwäre. Davonkanngarkeine
Rede sein. Nichts ist bankrott. Weder der
Fortschritt , noch der Realismus , noch die
Pietätlosigkeit. Im Gegenteil, sie haben recht
behalten, sie, die einst tausend Widerständen
trotzend, darauf bestanden, die Natur mit eig-
nen Augen gründlicher und wahrhaftiger, un-
verhüllter zu sehen. Nur, daß sie eben ob
all der neuen Schätze , an die sie gerieten
und die sie hoben, so viel Reichtum gewannen,
daß sie nun dem geschürften Metall die letzte
und höchste Prägung zu geben vermögen. Es
wäre töricht, anzunehmen, daß die neue,
monumentale Kunst eine Verneinung des Im-
pressionismus , eine Abkehr von den großen,
französischen Meistern, von Monet, Manet,
Sisley, Pissaro, eine Verleugnung Liebermanns
und derer um ihn sei. Das ist ganz gewiß nicht
der Fall. Die neue, monumentale Kunst ist eine
Frucht des Impressionismus. First mußten die
Augen so unendlich scharf und fein werden, erst
mußten sie all die Phänomene der Atmosphäre
und der Sonne erobern, erst mußten sie sich
ein ganz neues Arsenal von Findrücken, von
Impressionen, verschaffen, ehe sie sich nach
innen kehren konnten, ehe sie unter der Fülle
der neu entdeckten Formen, nach der neuen
Einheit, der neuen Form, zu suchen vermochten.
Man denke nur ja nicht, daß die Geschlossen-
heit und die knappe Präzision einer Form ein
Zeichen primitiven Sehens sei. Man muß wissen,
daß iedc dieser großen Formen das Resultat aus
vielen Einzelbeobaclitungen, die Frucht vieler
Froberungenist. Monumental sein heißt; kom-
primieren, heißt: die Fülle des flatternden Le-
bens in eine Spannung zusammenpressen. Aber
dazu muß man eben dieses Leben zuvor gewon-
nen haben, muß in ihm untergetaucht sein, muß
es besitzen. Dann erst kann man davon, nach
der Vorstellung , die einem das Temperament
und die Sehnsucht diktieren, fortstreichen; nur
wer das Leben kennt, kann es meistern. Monu-
mental sein heißt; dem die Welt beherrschen-
den Willen ein ragendes Denkmal errichten.
Jede Zeit hat ihre eigene Monumentalität, oder
sie hat überhaupt keine. Nur dann hat eine Zeit
Monumentalität, wenn sie ihren Besitz: das
Neue, das sie aus der Welt herauslas, zu einem
Rhythmus, zu Atem und Herzschlag zu ver-
dichten weiß. Das ist nicht monumental, die
klassische Größe einer vorübergegangenen Zeit
zu kopieren; damit schafft manhöchstens irgend
welche Dekorationseffekte. Im Monumentalen
pulst und zittert die ganze, zum Äußersten ge-
triebene Energie eines Zeitalters. Das läßt sich
fühlen, das läßt sich nachempfinden, aber das
läßt sich nicht nachmachen. Eine jede Monu-
mentalität kann man genießen, kann daran ge-
sunden und kann aus ihr Kräfte schöpfen. Aber
man kann nicht von ihr nach der Art der Diebe
profitieren, kann aus einer alten Monumen-
talität keine Stelzen zimmern , um über die
Kürze der eigenen Beine hinwegzutäuschen.
Dennoch: die Monumentalität aller Zeiten ist
unter einander verwandt. Wie alle Menschheit
eine innere Einheit, ein Auseinanderwachsen,
ein Keimen und Reifen, ein Wiederkeimen und
Wiederreifen darstellt. Wie in allen Religionen
ein Gemeinsames ist.
Einerlei mit welchen Namen und Zeichen die
höchsten Güter gerufen werden, unbekümmert
um die Mythologie , um die Etiketten der
Götter, als das eigentlich Wertvolle und Frucht-
bare steht hinter jedem Symbol die Kraft, durch
die der Mensch sich Herr über alles Irdische
und dem Unermeßlichen verwandt fühlt. Weil
dem so ist, weil hinter jedem Kultus eine reli-
giöse Energie waltet, darum können wir uns
mehr oder weniger in alle Religionen einfühlen.
Wenn wir nicht das Dogma und die starre For-
mel mit dem Wehen des Geistes verwechseln,
so können wir trotz der jeweiligen zeitlichen
und ethnographischen Gebundenheit das Er-
habene und die Wirklichkeit aller Religionen
erfassen und selbst erleben. Ein jeder Beter,
einerlei, in wessen Name er fleht, ist uns ein
rührendes Gesicht und zugleich ein Ansporn.
Aus allen Zeremonien vermagunserkosmischer
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Instinkt die nach dem Ideal streifende Geste,
den im höchsten Takt schwingenden Rhythmus,
zu erkennen. Genau so, wie wir durch jeden
Tanz, auch den der fernsten und unkultivier-
testen Wilden , elektrisiert und überzeugt
werden. Der Kriegstanz der Südsee-Insulaner
läßt auch unsere Muskeln sich spannen; und
wenn zum klagenden Ton der Pfeifen die Hindu-
Mädchen wandeln und gleiten, weinen auch
wir. Religion , Tanz und Musik sind nur
Äußerungsformen eines Gemeinsamen; des
Rhythmus, sind zur Deutlichkeit sich ringende
Antworten der menschlichen Seele auf den
Takt des Universums.
So steht es auch um die Monumentalität in
der Architektur, der Malerei und der Plastik.
Auch bei allen Erscheinungen der bildenden
Künste ist das Entscheidende, das eigentliche
Phänomen, stets der Rhythmus, der Kurven-
schlag, der durch die Linien atmet, der im
Konzert der Earben schwingt. Daher kommt
es eben, daß alle monumentale Kunst, so man-
nigfach auch ihre Objekte, ihre Darstellungen,
ihre Themen sein mögen, dennoch im Innersten
und in ihrer Wirkung verwandt ist. Solche
Verwandtschaft aber ist eine unwillkürliche;
sie kann nie gewollt sein, sie kann nie kon-
struiert und erstrebt werden, sie ist einfach da.
Ja, sie ist um so größer und um so unmittel-
barer, je weniger die eine Monumentalität von
der andern weiß, je unbekümmerter die eine
um die andre wurde und v/uchs. Wenn irgend
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als eine schwächliche Historie, als ein gelehrter
Bericht , als ein zweckloses und blutleeres
Schema. Da stehen dann wohl vor uns alte
Griechen , Piaton und Aristoteles , und wir
sehen die diffizilsten Vorgänge auf das Deut-
lichste unterstrichen und mit zahllosen Details
illustriert. Aber es bleibt das alles nur ein
Stück Geschichte, eine Seite aus dem Kon-
versationslexikon, eine illustrierte Philosophie,
eine interessante Arbeit. Und auch nicht eine
Spur von Kraft strömt uns entgegen , greift
uns ans Herz , reißt uns empor. Wir stehen
kühl vor solchen bewußten Wiederholungen
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alter Monumentalität ; wir stehen kühl vor Max
Klingers neuem Griechenbild in der Leipziger
Universität. Wenn wir aber dann an einen
Hodler geraten, an ein Bild, das seiner äußeren
Erscheinung nach auch nicht das Geringste mit
Griechenland gemein hat, an ein Bild, das irgend
welche zeitlosen Akte oder Studenten der
Freiheitskriege zeigt, da spüren wir, unwider-
stehlich hingerissen , das gleiche Pathos , das
den Altar von Pergamon umwettert, die gleiche
reine Klarheit , die aus dem Giebel des Par-
thenon strahlt. Damit sind wir schon zu der
Erkenntnis gelangt, daß die braven Leute, die
sich mit Pietät ereifern , die alte Monumen-
talität zu uns herüberzuretten, nicht die sind,
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talen uns bringen könnten. Nicht die Griechen-
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Enblemen eine ideale Dekoration arrangieren,
und sei sie noch so grandios und rätselhaft,
nicht diese Translateure können uns Mittler
einer neuen Monumentalität sein. Das kön-
nen nur und allein die ganz Starken, nur die,
denen eine innere Stimme wie ein Feuerbrand
im Blut und in der Seele sitzt, nur die, denen
gar keine Zeit bleibt, des \ ergangenen zu ge-
denken, denen nur ein Gesetz, ein heiliges
Müssen leuchtet: der neuen Menschheit, die
sie in sich fühlen , eine Offenbarung und ein
Höhepunkt zu sein. Die Monumentalität ist
stets Höhepunkt eines Zeitalters. Phidias ist
der Extrakt seines Griechenlands , Michel-
angelo die Wurzel und die Krone der Renais-
sance. Die moderne Monumentalität muß ein
vielfältiges Echo unserer höchsten Tugenden
sein, ein Echo der Werte, die uns allen ge-
hören. Die moderne Monumentalität muß ein
Niederschlag unserer besten Kräfte sein und
muß w echselwirkend in uns die besten Kräfte
wecken. Wie das gemeint ist , dafür sei als
Dokument ein Zitat gegeben von einem unserer
feinsten psychologischen Dichter. Hugo v. Hoff-
mannsthal hat einen Essai geschrieben, den er
„Das Erlebnis des Sehens "nannte. Darin läßt er
einen Kauf mann nach langer Ab Wesenheit wich-
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ti)<er Geschäfte wegen nach Europa kommen.
Der Mann ist müde und ohne jede Enerjjie, er
fürchlel bei den bevorstehenden Verhandkin-
}>en schlecht abzuschneiden. AmkritischenTage
streicht er durch die Straßen der Stadt, und
wie ohnjjefähr tritt er in einen Bilderladen.
Dort wird ihm das Erlebnis des Sehens; da-
von berichtet der Mann ;
„Mir war zu Mute wie einem, der nach un-
f'emessenem Taumel festen Boden unter den
Füßen fühlt und um den ein Sturm rast, indes-
sen Rasen hinein er jauchzen möchte. In einem
Sturm geliaren sich vor meinen Augen, geba-
ren sich mir zuliebe diese Bäume , mit den
Wurzeln starrend in der Erde, mit den Zweigen
starrend gegen die Wolken. In einem Sturm
gaben diese Erdrisse, diese Täler zwischen
Hügeln sich preis, noch im Wuchten der Fels-
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blocke war erstarrter Sturm. Und nun konnte
ich von Bild zu Bild ein Etwas fühlen, konnte
das Untereinander, das Miteinander der Ge-
bilde fühlen, wie ihr innerstes Leben in der
Farbe vorbrach, und wie die Farben eine um
der anderen willen lebten, und wie eine, ge-
heimnisvoll-mächtig, die andern alle trug, und
konnte in dem allen ein Herz spüren, die Seele
dessen, der das gemacht hatte, der mit dieser
Vision sich selbst antwortete auf den Starr-
krampf der fürchterlichsten Zweifel, konnte
fühlen, konnte wissen, konnte durchblicken,
konnte genießen Abgründe und Gipfel, Außen
und Innen, E.ins und Alles .... und war wie
doppelt, war Herr über mein Leben zugleich,
Herr über meine Kräfte, meinen Verstand . . .
rief einen Wagen, fuhr hin."
Dies ist also die Beichte von solchem Erleben
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unserer Zeit Kräfte zu spenden vermag. Und
was war nun auf diesen Bildern dargestellt:
feuerwerkten da unerhörte Geistergestalten,
gab es da tiefsinnige Symbole zu sehen? Nichts
davon. Nur einige Bäume, etliche Felder, kurz
eine Landschaft. Das Motiv ist es also nicht,
das auf das Tiefste an die Wurzel des mensch-
lichen Willens greift; wohl aber die Art der
Darstellung, die Form, der Rhythmus. Der
Mann, um dessen Bilder es sich hier handelt,
heißt Vincent van Gogh und ist ein Belgier.
Hodler, von dem ich vorhin sprach , ist ein
Schweizer. Die Nationalität macht wenig aus,
aber das ist bestimmend, daß Beide mit allen
Fasern der Seele tief in die Gegenwart ge-
taucht sind , um aus dem frisch geackerten
Humus Energien zu saugen und als Bilder zu
projizieren, als Erlebnisse, die wiederum Er-
lebnisse zeugen. Und daß solche Tiefen, sol-
che Kräfte nicht etwa in die Dokumente dieses
Vincent van Gogh hineingedeutet werden,
daß der Maler selbst von heiligen Wallungen
durchwühlt, von weitgespannten Sehnsüchten
erfaßt war, dafür läßt sich (ganz abgesehen
von dem Instinkt , der dem Kunstwerk ge-
genüber immer das Ausschlaggebende ist) ein
literarischer Beweis führen, Vincent van Gogh
hat psychologische Autoanalysen geschrieben,
Briefe. Wer diese Dokumente auch nur ein
einziges Mal durchblättert (und das zu tun,
sollte niemand versäumen), der vermag nicht
zu zweifeln, daß in einem Manne, der so in
die Tiefen seiner eignen Seele zu horchen
vermag, der so sehnsüchtig nach einer großen,
herrlichen Heimat die Flügel breitet, nicht auch
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wirklich die Kraft lebt, um Werke zu schaffen,
die allen, die sie betrachten, ein Erlebnis des
Sehens, ein Erleben des Lebens, werden
können. Das aber ist eben der Sinn der
monumentalen Kunst.
Die Neugeburt des Monumentalen kommt
nicht durch die zarten Lyriker, nicht durch
rht)ma ; nicht durch die fabulierenden Roman-
tiker, nicht durch Boecklin ; nicht durch die
interessanten Dekorateure , die parfümierten
Aestheten und jonglierenden Hexenmeister;
niciit durch die gelehrten Systeniatiker, die nach
allen Regeln der Grannnatik gefrorne Gefühle
wieder auftauen möchten, nicht durch Klinger.
Die Neugeburt des Monumentalen kommt allein
durch Männer, die in den Flammen des Zweifels
verbrannten, um als Neue, mit Kraft geladen
und Kräfte spendend, wieder zu erstehen. Die
Monumentalen aller Zeiten tragen ein Kains-
zeichen an der Stirn, sie erschlagen alle Schwa-
chen ; sie fahren aber zugleich wie Elias im
feurigen Wagen und führen alle Glaubenden
durch das Erlebnis des Sehens zu den Seg-
nungen des Rhythmus. Feuerbach und Marees,
van Gogh und Gauguin, Rodin und Maillol
— Hodler, das sind die Propheten und Ge-
burtshelfer des Monumentalen unserer Zeit.
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ROBERT BREUER.
SCHMUCKPLÄTZE UNSERER GROSSTÄDTE.
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Im vorigen Jahre ist der langjährige Garten-
bau-Direktor der Reichs -Hauptstadt, der
Schöpfer des vielbewunderten Viktoriaparks
auf dem Kreuzberg, gestorben ; in den Sielen,
aber, wie es hieß, nicht ohne ein tief schmerz-
liches Empfinden darüber, daß er in dem Kampf
um Prinzip und Stil des gärtnerischen Schmuckes
der Städte unterlegen war. Daß Direktor
Mächtig ein ausgezeichneter Vertreter seines
Faches war, unterliegt keinem Zweifel. Der
Viktoria-Park lobt seinen Meister, und wenn
der berühmte Wassersturz nicht alle Sinne
gleich angenehm berührt, so ändert das nichts
daran, daß in der Anlage selbst ein Mann von
Geschmack, Stilgefühl und Schöpferkraft eine
Oase aus der Sandwüste hervorgezaubert hat,
in die der frühere Weinberg im Lauf der
Jahrhunderte sich verwandelt oder zurückver-
wandelt hatte , und daß der Kreuzberg in
seiner jetzigen Gestalt einen eigen- und einzig-
artigen Schmuck der Reichs-Hauptstadt be-
deutet. Das würde in noch weit höherem
Maße der Fall sein, wenn er einen großen
monumentalen Straßenzug abzuschließen hätte,
aber eine solche Umwandlung eines Groß-
stadtbildcs liegt heute überhaupt nicht mehr
innerhalb der Grenzen menschlicher Kraft,
geschweige denn in der Kompetenz eines
städtischen Gartenbaudirektors.
Was auf den Lebensabend Mächtigs ge-
drückt hat, war seine Niederlage im Kampf
gegen die Blume als Schmuck großstädtischer
Straßen und Plätze. Bei diesem Kampf mochte
wohl etwas von dem Eigensinn beteiligt sein,
der die Verdienste hervorragender Männer
in dem letzten Abschnitt eines langjährigen
öffentlichen Wirkens so oft beschattet, aber
in der Hauptsache war der Widerspruch sicher-
lich von sachlichen Erwägungen bestimmt und
zwar zunächst von der praktisch-technischen
Rücksicht auf die Notwendigkeit einer öfte-
ren umständlichen und kostspieligen Erneu-
erung des Blumenschmucks, dann aber auch
von ästhetischen und stilistischen Erwägungen.
Jene Rücksicht mag füglich außer Betracht
bleiben; selbst wenn, wie es in den Pfingst-
tagen 1910 geschehen ist, Gewitterregen und
Hagel Hunderttausende von Tulpen unbarm-
herzig zerstören, kann der Riesenetat unserer
Großstädte diese relativ kleine Aufgabe und
Ausgabe noch übernehmen, ohne daß irgend
jemand auf den Gedanken kommen würde, es
geschehe zu viel für die Augenfreude ihrer Be-
wohner. Die ästhetischen Bedenken sind aber
an und für sich jedenfalls nicht ganz unberech-
tigt. Man braucht sich nur auf der einen Seite
die Darmstädter Mathildenhöhe im Frühlings-
glanz oder die Hauptplätze der Ausstellung
München 1 908, auf der anderen aber die schwer
wuchtenden architektonischen Zentren unse-
rer alten geschlossenen Städte oder auch die
griechischen Linien des Münchner Königs-
platzes ins Gedächtnis zurückzurufen, um sich
sofort darüber klar zu werden, daß eines sich
nicht für alle schickt, daß der eine Platz nach
der Blume schreit, während der andere sie
ablehnt und nach wie vor die ruhige Fläche
des Rasens und etwa die mehr oder weniger
streng stilisierte Gruppe immergrüner Bäume
und Sträucher heischt.
Wo es die räumlichen Verhältnisse zulassen,
ist sicherlich auch heute noch und für alle
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Zeiten der frische grüne Rasen, dieser fried-
liche Festplatz für müde Augen, der schönste
Schmuck der Stadt, deren Charakter er gleich-
sam verneint und aufhebt, aus der er, wäre es
auch nur für Minuten, hinwegtäuscht, und daß
solche Inseln mitten im wildesten Häuser-
meer noch möglich sind, das beweist in Berlin
z.B. der Leipziger Platz, den die stärksten
Wogen großstädtischen Lebens umbranden
und der doch still und grün wie ein Stück
fashionables Alt- England daliegt. Auch der
imposante Lützow-Platz wirkt noch am stärk-
sten durch die ruhigen Rasenflächen, zeigt
aber in seinen bunten Rabatten schon den
Übergang zu jener andern Art gärtnerischen
Schmucks, der jetzt allgemein bis in das Herz
der Großstädte eindringt, und zwar in Gestalt
des farbenprangenden Blumenbeets.
Überblickt man die Ergebnisse des glänzen-
den Siegeslaufes, den der Blumenschmuck der
öffentlichen Plätze und Straßen speziell in
Berlin zurückgelegt hat, so wird man sich wohl
dem Eindruck nicht verschließen, daß hier und
dort des Guten etwas zu viel geschehen sei
und daß insbesondere die brennenden Farben
der Geranien gelegentlich zu aufdringlich wir-
ken. Aber dieses Unglück ist zumal inmitten
der Großstadt, wo die ermüdeten und abge-
stumpften Sinne starke Reize brauchen, nicht
eben groß, und in Wahrheit ruft so ein jauchzend
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von heute viel lau-
ter: „Sieh her, wie
schön ich bin!" als
die zahmen, wohlge-
tönlcn und wohlbe-
schnittenen Produkte
der Teppichgärtnerei
von ehedem. Im gro-
ßen und ganzen ist
der frohe Mut, der
sich sogar nicht scheut,
Geschäfts- und Ver-
kehrsstraßen allerer-
sten Ranges, wie z. B.
dieSchönebergerFort-
setzung der Potsda-
merstraße, überall, wo
nur irgend der Raum
dafür vorhanden ist,
mit bunt leuchtenden
Blumen -Rabatten zu
flankieren , doch mit
rückhaltloser Freude
zu begrüßen als Bürge
einer besserenZukunft
für uns Großstadt-
bewohner. Natürlich
lassen sich die Groß-
städte von heute nun
und nimmerin Garten-
städte verwandeln,
sondern man wird
stets auf ästhetische
Kompromisse ange-
wiesenbleiben. InBer-
lin und seinen Nach-
barstädten kommt
dann noch erschwe-
rend hinzu, daß auch
in den neuen und vor-
nehmeren Wohnquartieren architektonisch viel
versäumt und gesündigt worden ist. Aber
zumeist gewährt doch ein blumengeschmück-
ter Balkon dem Auge auch da eine gewisse
Erholung, und speziell das dekorative Zu-
sammenwirken des Balkons mit dem Blumen-
flor der Schmuckplätze und der Straßenbeete
erscheint mir als ein überaus glücklicher Ge-
danke, dessen allmähliche Verwirklichung an
dem Straßenbild Berlins schon unendlich viel
gebessert hat und immer noch mehr bessern
wird. Es ist geradezu überraschend, wie stark
und lebensfreudig diese Harmonie auch in
minder schönen und in ilirem Hauptcharakter
niclit mehr zu ändernden Straßenzügen wirkt ;
man gewahrt die
leuchtende Spur eines
Menschheitsfortschrit-
tes, der in die Stein-
wüste der Großstädte
die lebendige Natur,
in die Welt der nüch-
ternen Nützlichkeit
und des häßlichen
Kampfes ums Dasein
die Schönheit zurück-
bringt. Glücklicher-
weise ist nun aber ge-
rade in den allergröß-
ten Städten mit ihrem
riesenhaften Wachs-
tum, das mit seinem
Gegenstück, der Ent-
völkerung des platten
Landes sozial so man-
che Bedenken erregen
muß, die Möglichkeit
gegeben, Stadtbilder
schon in der ersten
Anlage unter die
Gesichtspunkte der
Schönheit zu stellen.
Wie viel in dieser Be-
ziehung in München
versäumt worden ist,
wo man unbegreifli-
cher Weise das „West-
end" zu einem hoff-
nungslosen Proleta-
rier-Viertel und The-
resienhöhe, Bavaria-
Park etc. zu Schlupf-
winkeln verbrecheri-
schen Gesindels hat
werden lassen, — eine
Entwicklung, der auch
die neue Ära des Ausstellungswesens auf der
Theresienhöhe kaum mehr Halt gebieten wird
— darüber ist schon viel geschrieben, geklagt
und angeklagt worden. Dafür hat man sich aller-
dings erfolgreich bemüht, der Prinzregenten-
straße, an der das National-Museum und jetzt
die preußische Gesandtschaft mit dem neuen
würdigen Heim der Schackgalerie sich erheben
und die in der Prinzregentenbrücke mit der
sich darüber erhebenden Anlage des Friedens-
denkmals einen imposanten Abschluß findet,
einen großzügig monumentalen und zugleich
sinnenfroh farbigen Charakter zu geben.
Der schönste Vorort Berlins, die Gemeinde
Grunewald, ist nicht nur durch die landschaft-
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so ungewöhnlichem
Maße begünstigt, daß
er füglich hors con-
cours bleibt. Aber
es darf deshalb doch
gesagt und festge-
stellt werden, daß,
einiger Fehlgriffe der
tastendenÜbergangs-
zeit ungeachtet, Natur
und Kunst auf diesem
köstlichen FleckErde
zur Schaffung einer
Villen- und Garten-
stadt sich vereinigt
haben, die ihresglei-
chen auf der ganzen
Welt suchen dürfte,
auch in solchen Län-
dern, die denn doch
an die Aufgabe land-
schaftlicherSchmuck-
anlagen mit ganz an-
deren Voraussetzun-
gen des Bodens und
des Himmels heran-
treten. Ganz Hervor-
ragendes ist sodann
auch unter wesentlich
bescheideneren Ver-
hältnissen z. B. in der
Gemeinde Friedenau
geschaffen worden,
die im Laufe der letz-
ten 3 — 4 Jahrzehnte
sich zwischen ihre äl-
terenSchwestern Wil-
mersdorf, Schöneberg und Steglitz eingescho-
ben hat und ihren baulichenCharakter durchaus
von Etagenhäusern empfängt. Auch hier gibt
es keine Straße, die nicht Alleestraße wäre, kei-
nen Platz, der nicht durch Baunigruppen, insbe-
sondere herrliche Birkenwäldchen oder durch
prangende Blumenbeete zu einem Labsal für
Augen und Lungen würde, und auch der Ge-
samtplan der in der Längsrichtung durch die
stattliche Kaiserallee in zwei gleiche Hälften ge-
teilten Gemeinde, deren Mittelpunkt die große
Anlage des Friedrich Wilhelmplatzes mit der
Kirche bildet, darf in seiner Art als vorbildlich
gelten. Und das ist ja das sozial und volks-
wirtschaftlich Erfreuliche, daß die Flucht aus
den Steinmauern der
Stadtzentren allmäh-
lich kein Vorrecht der
wohlhabenden Klas-
sen mehr ist, sondern
denbreiten Schichten
des Mittelstandes er-
möglicht wird. Die
Umwandlung einer
ursprünglich als vor-
nehme Villen -Kolo-
nie gedachten An-
siedelung in eine
Heimstätte des Mit-
telstandes repräsen-
tiert geradezu einen
der erfreulichsten
Züge der Zeit; die
dem wachsenden
Reichtum unseres
Volkes entsprechen-
de Steigerung der An-
sprüche an die Kul-
tur der Wohnung und
des Wohnens, die
das Märchen von der
fortschreitenden Pro-
letarisierung unseres
Volkes lachend ad
absurdum führt. —
Was die Großstädte
und ihre Vororte im
allgemeinen für die
Verschönerung des
Stadtbildes, für die
Beschattung der
Stein- oder Tünche-
fassaden mit dem
frischen Grün der
Bäume und Sträu-
cher oder für die
Unterbrechung der öden Pflasterflächen durch
die frohe Farbenpracht der Blumenbeete tun
können, das liegt zwischen den beiden Ex-
tremen einer durch tausend zwingende Rück-
sichten beengten bescheidenen Dekorations-
arbeit im Innern und der freudigen , plan-
vollen Neuschöpfung an der Peripherie. Die
engen, winkligen Straßen und die aneinander-
gepreßten Häuser unserer alten Städte haben
zu ihrer Zeit eine große Bedeutung für die po-
litische, sittliche und wirtschaftliche Entwick-
lung unseres Volkes gehabt; die Stadtluft
machte frei von den Fesseln der Leibeigen-
schaft und Hörigkeit und schuf mit der Sicherung
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nicht mehr not, daß die Häuser sich wie be-
drohte Küchlein zusammenschmiegen ; die
Freiheit ist auch, wenigstens im Prinzip, kein
Privilegium der Städte mehr. Aber um so
mehr gilt es heute, die Stadtluft frei zu
machen und in den Druck von Giebeln und
Dächern den befreienden Strahl des Lichts,
das wohltuende, erfrischende Grün und den
beglückenden Gruß der Farben zu bringen.
Denn ein immer größerer Teil unseres Volkes
wächst in den Großstädten heran und emp-
fängt von ihnen die Bedingungen seiner Ent-
wicklung an Leib und Seele. Glücklicherweise
hat man im letzten Jahrzehnt wieder begon-
nen, die Schulen aus düsteren, staubigen
Kasernen voll Zwang und Strenge in freund-
liche Stätten des Jugendmuts und der Ent-
wickelungsfreude umzuwandeln und
mit der Zeit wird man vielleicht finden,
daß auch in den Kasernen selbst in
dieser Richtung manches zu tun und
zu bessern wäre. Mindestens ebenso
groß aber ist die Bedeutung unserer
städtischen Schmuckplätze für den gan-
zen Charakter unseres Volkstums; sie
spiegeln ihn bis zu einem gewissen Grade
wider; je zahlreicher, mannigfaltiger,
farbenfreudiger u. geschmackvoller sie
sind, um so mehr aber werden sie ihrer-
seits erfrischend beleben, erfreuend und
veredelnd wirken. Denn ein reiner, fro-
her Naturgenuß, sei er auch noch so
flüchtig, wirkt mehr Gutes im Menschen
als die schönste Moralpredigt. — h. d.
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DIE ZUKUNFT UNSERER BAUKUNST UND DER HEIMATSCHUTZ.
VON DK. K. SCHARFER BREMEN.
Als unsere Architektur aus dem Formalismus
^ des 19. Jahrhunderts erwachte, und sich
nach neuen Zielen umsah, fand sie am Wege
einige beredte Maler und begeisterte Alter-
tumsfreunde; die wiesen sie hin auf das liebe
alte malerische deutsche Dorf, auf das gemüt-
liche, tief herunterreichende Dach, die klein-
scheibigen Fenster, die niedrigen, aber behag-
lichen Stockwerkhöhen, auf das anheimelnde
Bild der Dorfstraße, in der 13aum und Hecke,
breite Gemächlichkeit der Giebelreihcn und
lebendige Farbenwirkung des Materials sich
zu so schönen Wirkungen vereinigen. Alter-
tümelei und Stillehre sind der eben aus der
historischen Schule daherkommenden jungen
Architektenschaft so selbstverständlich, daß
sie dies neue Vorbild mit nachdrücklicher Be-
gierde in sicli aufnahm, mit einer Plötzlichkeit,
mit einem Eifer von ungewöhnlicher Art sich
der neuen Aufgabe bemächtigte. Vielleicht
dürfen wir sogar so optimistisch sein, diese
triebkräftige Frische, mit der der Umschwung
erfolgte, als Symptom eines starken Massen-
Willens anzusetzen, von der Technik des
Häuserbauens mit aller Kraft wieder zur Kunst
der Architektur emporzudringen. Wenn sich
auch die Hochschulen noch wenig darum
kümmerten, so wurde doch die ländliche Ar-
chitektur Übernacht und überall im deutschen
Reiche und ganz besonders in Mitteldeutsch-
land und im Süden zur Lieblingsarbeit der
jungen Generation.
Villenkolonie und Arbeitsdorf, das Land-
haus am See, am Waldend, im Hochgebirge,
dorfartig angelegte Krankenhausbauten , die
sehr romantischen aber praktisch gänzlich wert-
losen Ferienhäuser der Werke. Waldkapellen
und Dorfkirchen, Waldfriedhöfe und Bauern-
grabkunst, das ist eine Blütenlese aus den
Lieblingsaufgaben unserer Jugend in der Archi-
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tektur der Gegenwart. Und daß auf dem Wege
dieser Kleinarbeit ein gewaltiges und höchst
wichtiges Stück Kulturarbeit geleistet wird,
davon überzeugt man sich alljährlich mehr,
schon von den Fenstern des Schnellzugs aus,
wenn er einen wieder einmal von Bremen bis
München auf der eiligen Linie eines Quer-
schnitts durch das ganze Reich führt. Wir sind
auf dem Wege, für unsern Tagesbedarf an
anständiger Architektur in Dorf und Stadt
wieder Typen zu schaffen, wie die Jahr-
hunderte sie gehabt haben, in denen die
gepriesene Schönheit unsrer Stadl- und Dorf-
bilder entstand. Vorläufig bedarf es zu dieser
Gestaltungsarbeit noch der Architektur ; sind
die Typen aber einmal gefunden und ein-
gebürgert, dann kann man sie den unaka-
demischen Händen des Baumeisters überlassen,
der sie wieder wie seine Vorfahren weiter-
geben wird von Geschlecht zu Geschlecht,
Auf diese Stimmung der Altertumsfreunde,
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bewegung sich begründet. Sie ist ein ganz
selbstverständliches Kind unsrer Übergangs-
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Alten noch um so stärker lebt, je deutlicher
es noch an einem klaren einheitlichen Stil-
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begeisternd für den Durchschnitts-
menschen, wie nur ein kunstpoli-
tischer Gedanke sein kann. Schon
heute nach einer kaum zehn Jahre
alten Propaganda gilt er überall als
selbstverständlich. Er hat eine Zug-
kraft, mit der er den kunstfremde-
sten Bürgersmann zum Fanatiker
machen kann. Auch die Juristen
der Verwaltungs-Behörden haben
ihn schon aufgegriffen ; haben Para-
graphen formuliert, in deren engen
Grenzen möglichst jede Entgleisung
der Land- und Kleinstadt - Archi-
tektur verhütet werden soll, und
auch wohl kann ; und wo diese Ge-
setze und Ortsstatute heute noch
nicht bestehen, da sind sie unter-
wegs. Zurzeit triumphiert also das
Dogma der Heimatschutz- Archi-
tektur auf der ganzen Linie. — Da-
gegen ist vorläufig nichts einzu-
wenden; denn daß gegen die bei-
spiellose Verrohung in der Alltags-
architektur der letzten Jahrzehnte
die schärfsten Polizeiniittel gerade
gut genug sind, läßt sich kaum be-
streiten. Aber wie wird sich das
Bild in Zukunft darstellen ? —
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HeimatschutzOpposition erregt, allerdings nicht
die der Künstler, sondern die der Zement- und
Daclipappefabrikanten, der Händler von Mar-
mor u. anderen Baustoffen, die von den Fried-
höfen und Fassaden polizeilich verdammt sind
u. a.ni. Sie petitionieren an ihre Regierung und
verlangen Schutz ihres Gevk^erbes, das sonst zu
Grunde gehen müsse. Auf solche Argumente
hört man freilich heute nicht mehr viel, weil
sie im wirtschaftlichen Interessenkampf des
Tages all zu oft schon mißbraucht worden
sind. Und schließlich, wenn höhere Kultur-
ziele auf dem Spiele stehen, ist der Allgemein-
heit mit Recht ganz gleichgültig, ob einige
Fabrikanten ihren Betrieb verkleinern oder
einstellen müssen. Wenn uns heute nachge-
wiesen wurde, daß die deutsche Schundlitera-
tur 10 000 Menschen im Reiche ernährt und
daß sie jährlich so und soviel zum Wachstum
des Volksvermögens beiträgt, würden wir sie
darum für existenzberechtigt oder für nicht
bekämpfenswert halten? Es kann uns also
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ebensowenig rühren, wenn die Zementfabriken
sich beklagen, daß sie ihre himbeerfarbenen
oder schwarz-weißen Dachplatten nicht mehr
auf den Dörfern absetzen dürfen. Sie leiden
augenblicklich unter einer ungünstigen Kon-
junktur, aus der sie für ihre Fabrikation die
richtigen Folgen ziehen müssen, das ist alles.
Die Allgemeinheit ist sicher vollkommen im
Recht, wenn sie sich gegen die Verwüstungen
des Landes zur Wehr setzt, und die beste
Agitation ihrer Verbandssekretäre wird nicht
imstande sein, den Zementfabrikanten dagegen
zu helfen. Aber damit ist nicht gesagt, daß
ihr Material an sich ein künstlerisch untaug-
liches sei.
Jeder Werkstoff ist an sich weder gut noch
schlecht, er wird es erst durch seine richtige
oder sinnwidrige Anwendung. Neue Baustoffe
führen sich in der Kunstgeschichte fast immer
anfangs als Surrogate ein, werden dann erst
in ihrer künstlerischen Ausdrucksfähigkeit und
Eigenart erkannt, und dienen dann oft genug
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unserer Bau-
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stoffe mit liishcr
unerhörten,
künstlerischen
Möglichkeiten
zu Gebote ste-
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jeder: Eisen,
Glas, Zement,
Beton, Eisen-
beton. Und wer
in Berlin die
Bauten Feter
Behrens' für die
A.E. G. und die
großenteils auch
von Behrens angeregten Leistungen der deut-
schen Zementwarenfabrikanten in der Ausstel-
lung in Treptow gesehen hat, der wird unter
dem Eindruck stehen, daß sich da im Gebiete
der Baukunst
— im Industrie-
bau und im Mo-
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I» f' .^^^^^' dekorativer
Äv.i^iJ^^^ Art — Gedan-
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haben, stark ge-
nug, um einer
Formenzu-
kunftswirkung
sicher zu sein.
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bensform , die
uns das 19.Jalir-
hundert hinter-
lassen hat , ist
die der Groß-
stadt. Groß-
stadtgeist wird
die Signatur un-
serer künftigen
Baukunst sein.
Hier im Inge-
nieur- und In-
dustriebau, im
Warenhaus und
Geschäftsgebäude wird sie die Kunst schaffen
müssen, die unserem Zeitalter adäquat und
den Menschen von heute am notwendigsten ist.
Vom Wertheimbau über die Turbinenhalle der
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glaubt vielleicht jemand, daß sich aus dem tief
heruntergezogenen roten Ziegeldach, den wei-
ßen Putzwänden und den grünen Fensterläden
der Heimatschutzarchitektur die Zukunft un-
serer deutschen Baukunst bestreiten lasse?
Es dürfte also an der Zeit sein, die beiden
Wege, die sich in der Gesinnung den Künst-
lern von heute in ihrem Werke schon ganz
deutlich erkennen lassen, klar auszusprechen
und in ihren Grenzen gegen einander abzu-
wägen, damit die Ziele nicht verdunkelt werden
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können. Das wird den
Vorteil haben, daß wir
Übergriffe als solche
erkennen und zurück-
weisen, daß wir die
Mitarbeit derer nicht
entbehren brauchen,
die dazu berufen sind.
Übergriffe und Unstim-
migkeiten, die aus ei-
ner V erkennung dieser
beiden grundverschie-
denen Architekturpro-
blemc entstanden, ha-
ben wir schon zahl-
reich genug erlebt. Ich
erinnere nur an die
deutschen Gebäude
der Brüsseler Ausstel-
lung oder an die Tat-
sache, daß im Namen
der „ I leimatkunst " ge-
gen die Hagener Bau-
ten Peter Behrens' al-
len Ernstes protestiert
wurde. Wenn man die
Wiederbelebung länd-
lich-heimatlicher Bau-
kunst als das A und O
unserer Architektur
ansieht, wenn die Po-
pularität dieses Ge-
dankens weiterwächst
wie bisher, wenn man
Gesetze und Material-
bestimmungen zu de-
ren Schutz und För-
derung in die Hände
von Verwaltungsbe-
amten legt, die eines
eigenen Urteils in
Kunstfragen nicht fähig
sind, dann wird diese
Entwicklung uns Ge-
fahren bringen , vor
denen schon heute ge-
warnt werden muß. —
Die Heimatschutz-Ar-
chitektur ist die letzte
Frucht der romantisch-
historischen Stilschule
des 19. Jahrhunderts;
sie ist ein Portschritt
gegenüber der Grune-
wald-Villa von 1890,
aber sie ist an sicii
keine Stufe zu niodcr-
nerWeiterbildung. Wir
lieben und brauchen
iiireWerke als Massen-
erscheinung, als Juste-
milieu anständiger All-
tagsarbeit. Sie wird
uns helfen, den ein-
fachsten Werken der
Land- und Vorstadt-
baunieister wieder so
viel Haltung zu geben,
als sie bedürfen. Und
sie wird dabei das
Reclit haben, sich aller
möglichen Mittel zu
bedienen, um auch den
Unfähigen in Aus-
drucksformen von ei-
nigem Anstand hinein-
zuzwingen. Die großen
Fragen der Zukunft un-
serer Baukunst werden
aber nicht hier, son-
dern in der Großstadt
entschieden werden.
Und hier wird die Stil-
romantik nicht, son-
dern nur das Material
und seine Technik der
Ausgangspunkt für
alles fortschrittliche
Schaffen sein. Und
kein Material kommt
der Befreiung vom
l'ormalisnuis so sehr
/LI Hilfe und öffnet so
den Blick für neue
konstruktive und äs-
thetische Möglichkei-
ten, wie eben die Bau-
stoffe, die im Gebiet
der „Heimatkunst"
verpönt sind. Und daß
sie starker, eigener,
künstlerischer Wirkun-
gen fähig sind, wenn
nur erst der Meister
gefunden wird, der sie
von ihrem bisherigen
Wesen als Surrogate
befreit , das hat die
Ton- u. Zement -Aus-
stellung dieses Som-
mers deutlich vor un-
sere Augen gestellt.
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KLEINE KUNST-NACHRICHTEN OKT. 1910.
BERLIN. Die winterlichen Ausstellungen bei
Cassirer wurden vor einiger Zeit eröffnet mit
einer Kollektion von Werken Johann Sperls,
der am 3. November dieses Jahres seinen 70. Ge-
Inirlstag feiert. Wer LeibI und seinen Kreis näher
aus allen Zeiten seines Schaffens gemächlich be-
trachten zu können, unseren Dank heraus. Und
daJ5 man die sympathische Kunstübung gerade
dieses Stillen der schnellvergessenden Generation
erinnernd vor Augen führt, veranlaj^t uns zu noch
lauterem Beifall. Der hübsch und warm ge-
Oold mit
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kannte, wugte auch von diesem stillen und ehr-
liehen Maler, aber seine Bilder bekam man selten
zu üesicht. Denn sie verkauften sich anscheinend
schnell und gut und gerieten in Familienbesit3, wo
sie für die Öffentlichkeit verloren gingen. So
fordert allein schon die gebotene Gelegenheit, fast
siebzig Gemälde eines wenig bekannten Künstlers
schriebene Aufsat} Hans Mackowskys, der den Ka-
talog einleitet, läßt zwar das Körnlein Kritik ver-
missen, mit dem man die Lobrede umso sorgsamei
abschmecken muß, je näher man menschlich dem
zu Ehrenden steht. Doch mag das schöne Be-
kenntnis vielen die Augen öffnen für manche feinen
künstlerischen Reize, über die man sonst leicht
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hinweg sähe. —
Als ein fertiger
Genremaler aus
der Schule Ram-
bergsin München
hervorgegangen,
wäre er vielleicht
immer ein mittel-
mägigerKünsller
geblieben; denn
die menschliche
Figur mit jenem
Maß von individu-
ellem Leben zu
füllen, durch das
sie aus einer me-
chanischen Nach-
bildung zu den
Wirkungen der
Kunst erhoben
wird, blieb ihm
zu allen Zeiten
versagt. .Aber da
kamen gerade zu
rechter Zeit die
Franzosen, Cour-
bet, Millet und
die Anderen alle
ausBarbizon. Sie
führten ihn vor
die Natur, u. erst
die Landschaft
machte sein Ta-
lent frei; die far-
bige Technik, die
er sich langsam
von den Franzo-
sen und im Zu-
sammenarbeiten
mit Leibl aneig-
nete, wurde ihm
fügsames Organ,
gerade das zu
sagen, was das
beste in ihm war:
er gab der ein-
Architekt F. J, Wimn
Schuh-Agraffen. Sill'er vergoldet.
fachen Freude an
der farbigen Er-
scheinung Aus-
druck, in deren
augenfrohen Ge-
nuf5 sich oft eine
stille Rührung
mischt und die
den Menschen
wunschlos glück-
lich u. gut macht.
Das ist es, was
Sperls Land-
schaften.dieinall
den Jahren wohl
dasGewand.aber
nicht die Stim-
mung wechsel-
ten, ihren beson-
deren Reiz ver-
leiht, und auch
den freundlichen
Interieurs, so-
lange er auf die
Figur verzichtet,
mit der er nichts
anzufangen weif;.
Das merkte er
bald selbst und
verbannte das
menschliche Mo-
dell nach Mög-
lichkeit ganz von
seiner Leinwand.
— Ein bedeuten-
derTechnikerwar
er nie, und es gibt
kaum ein Bild,
das die höchsten
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reicht, deren Ma-
lereifähig ist. So
erscheint es als
nicht gerecht,
ihn allzu nahe an
Leibl heranzu-
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ihn von seinem
größeren Freunde
trennt. Auch hat er
gutgemeinte Über-
schätjung nicht nö-
tig. Wer Wollen und
Können so in Har-
monie zu bringen ge-
wußt hat, der gehört
eben zu den Besten,
gleichgültig, wie
nahe er den letalen
Dingen in der Kunst
gekommen ist. Von
seinen Werken geht
der Friede gut ver-
brachter Tage aus.
Und das ist im
Grunde alles, was
wir als das Ziel
menschlicher Be-
mühung zu nennen
vermögen, bk.mikr.
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MÖNCHEN -
UND BERLIN.
(Eine Betrachtung
zum Kunstschaffen).
München hat das
(ilück, eine Stätte
deralten Kultur
und des alten
Besitzes zu sein;
Berlins Schicksal ist,
den Sammelplatz
abzugeben für alle
heutigen Em-
porkömmlinge.
Mit dem Vaters-
erbe empfängt der
Münchner ein ver-
trautes Verhältnis
zu Kunst und Künst-
lern; und der durch
(ienerationen ge-
pflegte Instinkt ent-
scheidet sich mit
einiger Selbstver-
ständlichkeit wider
die Formlosigkeit.
Der unter Erwerbs-
nöten keuchende
Berliner kommt auf
solch wohl geeb-
neten Pfaden wohl
niemals zur Kunst;
seine Sinne sind
entweder gegen-
über den Dingen
des ruhigen Genus-
ses stumpf, oder er
brennt nach den
leidenschaftlichen
Erregungen, die
allein aus jenen
Werken sprühen, die
dieSynthese desGe-
genwartsstrebens in
sich tragen. - Mit
den Mächten der
Tradition haben
sich natürlich auch
die Künstler aus-
einander zu se^en:
Es läßt sich nicht
verkennen, daß an
der Spree und der
Isar nicht die
ganz gleichen
Unterströmun-
gen das Kunst-
schaffen beein-
flussen. Viel-
leicht messen wir
dem — doch nicht
ganz so nebensäch-
lichen - Stadt- und
Volksgeist zu ge-
ringe Bedeutung
bei. Der Künstler
mag als Individua-
lität noch so stark
sein, er wird sich
niemalsdenEin-
flüssen der ihn
umgebenden
Wirklichkeit
ganz entziehen
können... schon
deshalb nicht, weil
er sich beständig
mitihrauseinander-
zuseßen hat. Ber-
linische Tr adi-
t ion, die lebendig
und schöpferisch
befruchtend wäre,
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romantische
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in Literatenepisteln von Schinkel her Kurven zie-
hen möchte, die immer wieder in Nichts und Nebel
zerfliefjen. Ebenso aussichtslos fast wäre
es, in München Kunst zu suchen, die
neben der kaum unterbrochenen Lo-
kaltradition entstanden ist. Die Maler
- selbst die weitest
vorgedrungenen
Scholleleute - sind
Erben jener Corne-
lius,Rottmann, Kaul-
bach, Piloty. Archi-
tekten wiedieSeidls
bis hinüber zu Theo-
dor Fischer, Hoch-
eder oder Orässel
wären ohne das
Münchner Barock,
ohne die gemüt-
liche Landsitjwürde
Nymphenburgs,
ohne das sublime
Ciefühl für bewährte
Mittel, wieesKlenze,
Neureuther u. üärt-
ner auch schon hat-
ten,in ihrersicheren
Art kaum denkbar.
Und der Handwer-
ker wird über alle
Fährnisse aufschäu-
mender Brandungen
getragen durch die-
se Tradition , die
ihm den Fortschritt erlaubt, ohne ihn der Ent-
gleisung auszusetzen. - Sie äugert sich, einem
süddeutschen Charakter- oder besser: üemütszug
entgegenkommend, als f a b u 1 i e r f r oh e Nei-
gung zum Illustrativen. Behäbig wie der
Mensch auf der Bierbank seine vergnügliche
l8u
Weisheit aussprudelt, behäbig will der Münchner
vom Kunstwerk angesprochen werden. Form und
Farbe sagen ihm rein sinnlich vielleicht nicht ihr
Letztes; er braucht dazu noch etwas Geistiges,
eine deutbare Schilderei, ein Spiel des Hirnes
und der Phantasie. Dem Ingenieurideal der reinen
Konstruktions- und
glatten Materialwir-
kung hat er sich von
Anfang an mit einem
kühlen Mifjbehagen
entgegengestellt;
van de Velde wurde
hier am wenigsten
verstanden und die
Berechnungen eines
Behrens wurzeln in
einem dem Süddeut-
schen ganz fremd-
artigen Instinkt. Er
flüchtet vor der
Abstraktion und
geniept mit tiefem
Behagen die orna-
mentale u. illustra-
tive Auflockerung
des Raumes, der
Fläche und des
Kolorits. Statt der
Baumassen, wie sie
Bruno Schmiß fügt,
werden Fassaden
und Innen -Räume
mannigfach belebt
durch plastischen Zierral, durch leuchtendes Mal-
werk, Schni^ereien und vielerlei Handwerkskünste,
die alle reichlich aufgewandt werden. Dem
Schmied fällt es gar nicht bei, durch Hammer-
schlag und Konstruktionslinien allein wirken zu
wollen. Er fabuliert mit dem Eisen, wie es die
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Diez, Rehm, Engels mit Buntglas und Mosaik-
steinen tun. Der Buchdrucker kann nicht den
Lockungen eines Behrens, Ehmcke oder Tiemann,
mit rein typographischen Mitteln zu arbeiten,
folgen; er sieht sich immer wieder genötigt,
nach der plauderhaften Vignette zu greifen, und
auch der Kaufmann
hält es in seinen Re-
klamedingen mit die-
ser bewährten und
beliebten Art. - Der
Berliner hat nicht
diese Beschau-
lichkeit vor den
kleinen und grofien
Dingen der Kunst.
Er ergänzt auch nicht
einen fein angejahr-
ten Altväterhausrat.
Wie der größte Teil
der Reichshauptstadt
heule und gestern em-
porgeschossen ist,
blickt er mit einiger
Vorliebe immer nach
dem, was sich für
morgen u. übermor-
gen ankündigt. Und
dieses handgreifliche
Emporschiej^en weckt
Kräfte der Orga-
nisation und tek-
tonischen Diszi-
plin, die dem Men-
schen so sehr ins Blut übergehen, daß er sie in
den Äußerungen der Kunst wiederfinden will. Den
aller Gemütlichkeit baren Rhythmus der Hoch-
bahn will er verspüren in dem Bauwerk, dem Ge-
mälde, der Plastik und dem Kunstindustriegebilde.
In dem Sausen der Maschine, von dem Spiel der
Kurbeln, Wellen und Räder hat er gelernt, aus
dem Organismus und aus organischen Bewe-
gungen eine Epik herauszuhören, die der Mün-
chner mit der Fülle seiner Symbole und Embleme
zu entwid<eln pflegt. - So ist es dem Berliner zu-
bestimmt, mancherlei Entgleisungen zu
erliegen. Er hat
den Mut, den kecken
Wagemut, dem
Sprung ins Dunkle
derZukunftentgegen-
zujagen. Er hascht
mit Eifer nach dem
Morgigen, ohne In-
stinkt genug zu ha-
ben, um zwischen der
Saisonmode und dem
Dauerwert zu unter-
scheiden, ohne ge-
deckt zu sein durch
den Rückhalt, den
der Münchner in
seiner Tradition
besitzt. Sie sichert
ihm immer einen ge-
wissen Chic, bewahrt
ihn vor den proble-
matischen Entartun-
gen, die im Brakwas-
ser neuer Kulturzu-
stände stets auftrei-
ben, macht die Fort-
entwicklung, wie alles
Entstehende, mensch-
licli freundlicher und sinnlich gefälliger. Alle Kunst-
zweige, wie die verschiedenartigen Äußerungen
selbst, können so verschweißt werden zu einem
einheitlich gleichwertigen Niveau - während der
Berliner als Individualist seinen Einzel-
kampf durchzufechten hat. - i'aiu. wf.stheim.
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Z. Architekt
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WALTER GEORGI - LVKLSKUHE. GEMÄLDE: »DAME MIT ASTERN«
PROFESSUR WALTER GEORGI.
Gemälde : »Am Parkweilier«
WALTER GEORGI-KARLSRUHE.
VON WILLY KRANK MUNXHEN.
\ ^orzwei Jahren hatPaulKühn an dieser Stelle
' mit feinen, klugen Worten das Schaffen
Walter Georgis gedeutet. Was in der Zwischen-
zeit neu entstanden ist, ehrt des Künstlers rü-
stiges Vorwärtsstreben. Und nur dieses kann
füglich von einem fast Vierzigjährigen erwartet
werden, keine Überraschungen, für die übrigens
Georgis gesunde und dem Festen zugeneigte
Natur niemals disponiert gewesen ist.
Von Anfang an verbanden sich mit seinem
Namen ruhevolle, klare Eindrücke, Eindrücke,
in denen nicht bloß das Können einer guten
Hand, sondern auch viel menschliche Tüchtig-
keit zu spüren war. Die neuere Kunstbetrach-
tung beachtet dieses ethische Moment im Kunst-
schaffen immer mehr. Der Aberglaube der Äs-
theten, daß die künstlerische Produktion mit
dem Ethos ihres Schöpfers nicht das Mindeste
zu tun habe, hat die längste Zeit gedauert. Wir
werden immer empfänglicher für die Zusammen-
hänge, die zwischen der Welt der künstlerischen
und der Welt der ethischen Werte bestehen.
Was an Georgis Schaffen wertvoll und bleibend
ist, fließt ziemlich unmittelbar aus der Gesund-
heit und Kraft seines menschlichen Wesens.
Seit dem Jahre 1908 hat Georgi seinen Weg
von München nach Karlsruhe gelenkt, wo er an
der Kunstakademie eine Lehrstelle bekleidet.
Daß er die kurze Spanne Zeit gut genutzt hat,
bewiesen seine Ausstellungsdaten. Die Inter-
nationale Kunstausstellung im Glaspalast 1909
sah von ihm das treffliche Interieur „In der
Küche", die Sezession 1910 die hier abgebil-
dete „Dame mit Astern". Das neue Haus Brakl
beherbergt eine dekorative Meisterleistung „ Der
FrühHng zieht vorbei " . Die Hauptfarben, welche
191011. 111. 1
r8s
Wa//er Geoiei Karhruln:
l'KOhESSOR WALTER GEl>RGI KARLSRUHE. »Schwäbin«
das Bild beherrschen, sind; ein starkes Gelb,
Grün, Blau in verschiedenen Abstufungen
und Rotviolett. In den Räumen der Aus-
stellung „München in Paris" (Herbstsalon
1910] befindet sich das große Tafelbild
„Dame am Weiher", in Venedig 1910 vi'ar
das „Mädchen in Blau" zu sehen. Einen
künstlerischen Erfolg ersten Ranges bedeu-
ten vollends die dekorativen Friese auf der
Brüsseler Weltausstellung. In ihnen ist ein
Befähigungsnachweis für das Dekorative ge-
geben, der sicherlich nicht unbemerkt und
ungenutzt bleiben wird. Die Friese sind für
den Empfangs- und Festraum des deutschen
Hauses gedacht und geben, der Bestimmung
des Hauses gemäß, dem einfachen Gedanken
des Empfanges von Gästen und der Fest-
lichkeit selbst Ausdruck. Etwas anderes
wollen sie nicht darstellen. Die Farben sind :
ein ziemlich neutrales Grau — darauf stehen
Blaus in verschiedenen Schattierungen vom
stärksten bis zum schwächsten (in den Klei-
dern) und als Kontrastwirkung dazu: ein
helles Schwefelgelb in der Luft. Um die
Farben - Akkorde zu bereichern, kommen
hinzu: ein Violettrosa in den Rosengirlanden
lS6
und ein stumpfes Grün in der Landschaft. —
Georgi ist seit Jahren nicht mehr Mitglied der
Münchner „Scholle". Daß er trotzdem auf das In-
nigste mit ihr zusammenhängt, lehrt jeder, wenn
auch flüchtige Blick auf seine Produktion. Beson-
ders die Bildnisse. Hier begegnen wir jenen klang-
vollen, wohllautenden Farben, jener stolzen, zeich-
nerischen Geberde, jener breiten, lockeren Pinsel-
sprache, die die auszeichnenden Merkmale der
„Scholle" bilden. In der „Scholle" hat ja von jeher
einer vom andern gelernt, und gerade dadurch
hat diese Künstlervereinigung ihre charakteristi-
sche Gesamt-Physiognomie erhalten. Die Bild-
nisse enthüllen bei eingehenderem Studium koni-
positionelle Qualitäten, die auf dem Wege der
Überwindung naturalistischer Nachlässigkeit einen
wesentlichen Schritt nach vorwärts bedeuten. Die
Verteilung der Massen ist stets bis ins Kleinste
geglückt. Man lieachte beispielsweise, mit wie
feinem Gefühl auf dem Gemälde „Dame mit Astern"
die große Blumenvase in eine leere Stelle des
Bildes gerückt ist, das dringend nötige Gegen-
gewicht zu dem Kopfe und dem oberen Blumen-
strauße liefernd. Zugleich ergibt die Gewand-
kontur mit den beiden Blumenarrangements eine
wirksame Diagonale, der eine andere, schwächere
(Fußspitze, Ecke der Kommode, Statue) reizvoll
begegnet; der Schnittpunkt liegt ziemlich genau in
der Mitte des Bildes, das dadurch eine innere
W.VLTER GEORGI- KARLSRTHE.
^An der grünen Türe
PROF. W. GEORGI- KARLSRUHK.
GEM-iLDE; iDAME IN BLAUEM KLEID«
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III
WALTER CiEORGI KARLSRUHE.
C.EMALUE: .MAiJCllt.N AM \\ A.-^LK
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PROFESSOR \VALTP:R GEORGI KARLSRUHE.
FRIES IM VESTIBÜL DES DEUTSCHEN HAUSES AUF DER WELT-AUSSTELLUNG BRÜSSEL.
Walter Georf^i— Karlsruhe.
PKOtEbbOK
WALT. GEOKl.l-
KARLSRUHE.
KINDER DES
iik. H., kari.sk.
Stabilität erhält, die zu der harmonischen Wir-
kung des Ganzen nicht wenig beiträgt. Oder
man prüfe nach, wie genau in dem Bildnis „An
der grünen Türe" die Helligkeiten quantitativ
den Dunkelheiten entsprechen. Das alles wird
klar, wenn man hört, welche sorgsame Vorar-
beit der Künstler gerade auf den kompositio-
neilen Aufbau verwendet. Die Fleckenwirkung
und Massenverteilung eines jeden Bildes wird
von Georgi vorher in kleinstem Maßstabe sorg-
fältig ausgearbeitet und nichts bleibt in seinen
Arbeiten dem Zufalle überlassen.
Einen nicht geringen Vorzug seiner Kunst
wird man auch in der sicheren, festen, die For-
men voll erschöpfenden Zeichnung der Figuren
finden. Daß Georgi von der Zeichnung her-
kommt, wird jedem klar, wenn er die starke.
jedoch keineswegs undelikate räumliciie Wir-
kung seiner Bilder und Lithographien ins Auge
faßt. Unter seiner breiten, zügigen Malweise
geht von dieser Erfassung auch der kleinsten
Raumunterschiede (denn das sind die „For-
men") nicht das Mindeste verloren. Man
könnte Künstler genug nennen, zumal unter
den Mitgliedern der „Scholle" sind solche zu
finden, zu denen Georgi gerade in dieser Hin-
sicht in erquickendem Gegensatze steht.
Neuerdings beginnt Georgi neben dem Figür-
lichen und der Landschaft auch das Stilleben
intensiver zu pflegen. Das kann man wohl als
eine natürliche Folge oder Äußerungsform sei-
ner künstlerischen Mittel betrachten, denen, wie
bei der ganzen Scholle, das Stillcbenhafte ge-
wissermaßen im Blute steckt. — w. v.
193
E. W. Bredt- München:
WALTER C.EORGI.
(icmälde: »Stilleben«
KÜNSTLER UND HELDEN.
ViiN I'. \V. IIKI-.IJI MUM HI..\.
Wie sind wir doch durcli trockenen Ästhe-
tizismus an frischem Kunstgenuß verarmt !
Wenn wir in den Galerien uns nicht so wilhj^
mit Kunstphrasen abfüttern Heßen, wenn wir
uns selbst mehr um die Künstler, die die
großen Werke jSeschaffen haben, kümmerten,
statt um ästhetische Wertunfjen, die gerade gang
und gebe sind, wir würden reicher, viel reicher,
viel glücklicher heimkehren. Die großen Künst-
ler sind Helden, weil sie große Menschen sind.
Man verstehe das freilich nicht im Sinne einer
bekannten Schul- und Kirchenmoral — das
große Menschentum kennt keine Schranken
solcher Art. Die Künstler sind Helden, die sich
opfern ihrem großen Wollen, einem egoistischen
Ideal, das der Menschheit zu Gute kommt.
Helden sind Kämpfer. Aber man muß nun nicht
meinen, der Künstler müsse immer zeigen, daß
und wie er kämpfe. Auch in der Passivität liegt
Kampf und Energie.
Wie schade um uns, die wir nun aus den
Werken der toten Meister Theorien machen,
Ilemnumgen für die, die unter uns wieder Neues
erwirken. Auch die Bildwerke sind Bücher der
Weltgeschichte. Eine Palissyschüssel ist mir
nicht nur keramisch interessant und wertvoll —
sie spricht mit mir von seinem Schöpfer, dem
Töpfer ohnegleichen, Bernard Palissy. Wie der
alles und alles opfert an Besitz und Glück, um
endlich das Problem zu lösen. — Aber über
alle Alten und Neuen urteilen wir rasch mit
klischierten ästhetischen Sprüchen, die Tat der
Lebenden ist vergessen. Wie wird jetzt Manets
Malerei als alleinführend gepriesen! — Gewiß,
sie gibt den Malern vieles. Aber ist nicht das
Suchen und Probieren, das Lernen
und Drauflosgehen des jüngeren Ma-
nct, dies heldenhafte Eintreten, dies Lachen
über Spott und Hohn das Wertvollere für alle
Zeiten, alle Menschen? —
Es wäre an der Zeit für uns, das Leben der
großen Künstler einmal gründlich kennen zu
lernen; wir müssen nicht nur wissen, in was
ihre Größe besteht, welches ihr Ideal war —
nein, wichtiger ist uns, zu wissen, wie sie ihr
Ideal, ihre Schönheit, ihren Ruf erkämpft. Ge-
gen welche Gewalten des Stumpfsinns, der Au-
torität, der Bosheit. — Es ist ärmlich, daß wir
194
Künstler 7ind He/dt
■II.
uns ästhetisch abfinden mit den fertigen Tat-
saciien, nicht Lust haben, den Werdenden von
früher nachzugehen. So kommt's, daß wir die
großen Künstler auffassen nicht wie unseres-
gleichen, sondern wie Wesen jenseits jeder Be-
ziehung zu menschlichen Erlebnissen.
Weil Künstler nicht gleich und gleich sind
den Philistern und nicht den eingebildeten
Kaffeehausgrößen, die auf Hilfe der Künstler
und auf die gute Stunde der Eingebung warten,
deshalb gerade mußten wir die Folie kennen
lernen, d. h. die kleine Menschheit, die kleine-
ren Künstler, von denen sich die Figuren der
großen Künstler abheben. Goethe übertrug uns
Benvenuto Cellinis Autobiographie auch, um
uns Einfluß und Wert des rein menschlichen
in allem Künstlertum groß und stark fühlen zu
lassen. Freilich, das wäre Irrtum, nur die als
Künstler-Helden zu würdigen, deren Taten so
laut, deren Gewänder so bunt, deren Gesten
so effektvoll wie die des Cellini. Doch man
braucht ja nur an Rembrandt oder Millet, an
Turner, Schinkel oder -- Messel zu denken,
um ergriffen zu werden wie von einem Drama,
nicht der Bühne, aber der Welt. — Das Leben,
nicht die abgeleitete Theorie, nicht die ästhe-
tische Formel aus den Werken der Großen gibt
uns Lust an der Kunst, Lreude und Führung.
Das Leben, nicht Ästhetizismus, lehrt uns Tech-
nik, Handhabung der Mittel, Schulung der Mei-
ster erkennen. Und was wir im Leben der Alten
erschaut, das Überhören oder das Erwidern des
Spotts der Menge, das ruhige, feste Vorwärts-
schreiten oder das Straucheln unserer Helden
— das schärft uns den Blick für die werden-
den künstlerischen Persönlichkeiten von heute.
Der I^unstgeschichte sind wohl manche über-
drüssig — wer aber wird an der Künstlerge-
schichte nicht Freude haben? Mehr als bisher
sei uns das Werden, das Suchen und Kämpfen
der Künstler Führung zu ihren Werken, denn
auch beste Formeln aus reifsten Taten bleiben
ohnedies toter Besitz, Künstler sind Helden —
das heißt Kämpfer und Führer — nicht Lehrer.
Denn nicht ein geistreich konstruiertes Ästheten-
tum, sondern ein starkes, volles, ganzes Men-
schentum macht den Künstler groß — läßt ihn
wohnen auf den Höhen der Menschheit, —
I'KOKE.SSOR WALTER GEORGI K.\RLSRUHE. »-Stilleben«
195
'K')\-. WAl.TKR (ilviiRCil IvARI.SRl'IIK,
<!KMÄI.I)E IM SPEI.SK-/1MMKK DES HAUSES BRAKI.,
HANNS PELLAR MÜNCHEN.
Gemälde; -Die Rivalen«
i
s
MODERNE GALERIE-MÜNCHEN.
Ein Jahr ist seit Begründung der Modernen
Galerie ins Land gegangen. Wenn ich hier
über dieses Unternehmen einige Worte zu sagen
habe, so ist nicht von Versprechungen und Er-
wartungen, sondern von Leistungen und Er-
füllungen zu reden. Die intime, elegante Kunst-
stätte im altberühmten Arcopalais bildet heute
schon einen der wichtigsten Faktoren des
Münchner Kunstlebens. Ihre Mitarbeit könnte
jetzt nicht mehr entbehrt werden.
Zu den hervorstechendsten Zügen im Münch-
ner Kunstleben zählte seit langer Zeit eine all-
zuängstliche, allzukleinbürgerliche Abgeschlos-
senheit gegen das Fremde. Die Neigung, Fremdes
zu bewundern, die man den Deutschen im All-
gemeinen so gerne vorwirft, ist dem Münchner
Kunstleben immer fremd gewesen. Schon Berlin
galt hier lange Zeit als künstlerisches Ausland,
mehr noch Frankreich, obwohl dieses in der
ganzen zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts
stets die entscheidenden Anregungen zur Fort-
entwicklung der Malerei gegeben hat.
In diese Abgeschlossenheit ist durch die Arbeit
der Galerie Thannhauser endgültig Bresche ge-
legt. Gewiß, auch vor Bestehen der Modernen
Galerie haben wir französische Künstler als
Gäste in unseren Salons gesehen. Allein die
Galerie Thannhauser bringt Ausländisches häu-
figer und gewissermaßen programmatischer. Eine
Art Arbeitsteilung hat sich jetzt unter unseren
Salons herausgebildet. Im letzten Jahre haben
alle bedeutenderen Vorführungen französischer
Kunst, die München sah, in der Modernen
Galerie stattgefunden. Man sah dabei, wie
viele Lücken es da noch auszufüllen, wie viel
Versäumnisse es noch nachzuholen gibt. Gleich
191Ü/U. 111. 2.
199
Wilhelm Gchhard —München :
HANNS PEI.LAR MÜNCHEN.
am Anfange die etwa sechzig Werke umfassende
Impressionisten- Ausstellung: sie brachte die
ersten vollwertigen Degas hierher und zeigte
auch einige Renoirs, die von diesem über-
ragenden Künstler mehr zu erzählen wußten,
als die paar wertlosen Atelierabfälle , mit
denen er bisher in München vertreten gewesen.
Januar 1910 kamen Kuno Amiet und Giov.
Giacometti, Namen, die schon Jahrzehnte
lang die Spalten unserer Zeitschriften erfüllt
hatten, bis München endlich bei dieser Gelegen-
heit auch ihre Werke kennen lernte. Mehrere
Ausstellungen machten dann mit dem Schaffen
der jungen Pariser bekannt; dann kam die
interessante Kollektion Felix Valloton, dann
als Glanzstück die Manet- Sammlung Pelerin,
eine Veranstaltung, die große Opfer kostete,
die aber auch das Wissen und die Einsicht
jedes Besuchers wesentlich erweitert hat. Bald
darauf folgte die umfassende Ausstellung Paul
Gauguin. Von diesem Künstler, der seit
langem im Vordergrunde des Interesses steht,
waren in München bisher vielleicht zehn neben-
sächliche Werke bekannt. Hier endlich kam
200
Mode) -iie Galerie -Mwuhen.
HANNS PELLAR— MÜNCHEN.
für die Masse der Gebildeten die Gelegenheit,
sich über den umstrittenen Künstler ein eigenes
Urteil zu bilden.
Als die erste Aufgabe, die die Moderne Galerie
übernommen und gelöst hat, kann also die
Erweiterung der Kenntnis auswärtiger Kunst
genannt werden.
Die zweite Funktion, die die Galerie Thann-
hauser hingebend und gewissenhaft erfüllt hat,
war die Aufgabe, dem lokalen Kunstleben neue
Erscheinungen zuzuführen, sich einzusetzen für
junge Kräfte, die von der Kritik noch nicht
bewertet waren und ihre Anziehungskraft auf
Gemälde: »Der erste Kuß«
das Publikum noch nicht erprobt hatten. Man-
chem jungen Künstler hat die Moderne Galerie
in den zwölf Monaten ihres Bestehens den Weg
in die Öffentlichkeit gebahnt. Wenn heute in
München die Dinge so liegen, daß kein wirklich
begabter junger Künstler über dauernde Ver-
nachlässigung zu klagen hat, so hat daran die
Arbeit der Modernen Galerie einen wesent-
lichen Anteil. Einige kühne Griffe, die Thann-
hauser auf der Suche nach neuen Erscheinungen
tat, waren außerordentlich glücklich. Ich er-
innere an die erfolgreiche Herausstellung des
eminenten Talentes unseres Max Mayrshofer,
201
Wi/helm Gcbhard Mümlicn :
HANNS PELLAR -MÜNCHEN.
das Jahrzehnte lanj5 in selbst}|ewählter Ob-
skurität verharrte, während es licule einen Ruf
von europäischer Bedculun;! {Senicßt. Ebenso
ist Julius Seyler, die beste jun}>e Kraft der
Zügelschule, herausgestellt worden, und der
Stuckschüler Hanns PcUar.
Glänzende Kollektionen vonSlevogt, Corinth,
Hübner, llabermann, Oßwald, Tooby, Julius
Heß vervollständigen das Tätigkeitsbild der
Galerie. Daß in ihren Beständen die Münch-
ner Kunst stark vertreten ist, versteht sich von
selbst, außer Habermann, Oßwald, Tooby und
Heß noch Weisgerber, Pietzsch, Zügel, Hengeler,
Bauriedl, daneben größere und kleinere Kollek-
tionen von Lieberniann , Leibl , Trübner. —
Eines ist besonders hervorzuheben: in der gan-
Gemälde: »Adoptiert«
zen Haltimg der Galerie, in ihrer Aufmachung
wie in ihrem Ausstellungs-Repertoire bemerkt
man eine moderne, großzügige Art. Nirgends
drängt sich der Eindruck kurzsichtiger Geschäft-
lichkeit auf oder ängstlichen Beugens vor dem
Geschmacke der Zahler. In einigen Fällen ging
die Galerie Thannhauser mit Dingen heraus,
von denen von vornherein anzunehmen war,
daß sie den heftigsten Anfeindungen begegnen
würden. Auch ich zähle nicht zu Denen, die die
Extravaganzen der Neuen Münchner Künstler-
vereinigung positiv bewerten. Allein um so
herzlicher muß der Mut anerkannt werden, mit
dem ein geschäftliches Institut — denn das ist -
jeder Kunstsalon — gegen sein nächstes kauf-
männisches Interesse es gewagt hat , solche 1
■ ■■
2U2
Moderne Galerie— 3 fü?ic/icii.
künstlerische Kontrebande mit seiner Flagge
zu decken. Der Dank aller an der Kunst
Interessierten gebührt solchem Verfahren.
Denn es ist unter allen Umständen nötig, die
neuen Tendenzen, seien sie auch Verirrungen,
kennen zu lernen; nötig ist, daß diese Tenden-
zen zu Worte kommen, sonst schafft man ein
falsches Märtyrertum. Die den Vorteil von die-
ser großzügigen Art haben, das sind die großen
Kreise der Kunstinteressenten, In ihrem Dienste
hat die Moderne Galerie dieses erste Jahr über
in einer Weise gearbeitet, die für ein Geschäfts-
haus ungewöhnlich genannt werden muß. —
Von der Raumwirkung des großen Parterre-
saales geben unsere Abbildungen einen Begriff.
Er hat ein prachtvolles, vornehmes Licht und
läßt nichts von der Langeweile spüren, die so
manchen ähnlichen Raum kennzeichnet. Die
architektonische Disposition rührt von Dr. Paul
Wenz her. Ein eigenartiges, reizvolles Entree
bilden die „Vier Jahreszeiten" von R. M.
Eichler, charakteristische figürliche Szenen
mit weiten landschaftlichen Horizonten in kräf-
tige Halbrundbogen hineingesetzt, lauter her-
vorragende kompositionelle Arbeiten, die trotz
des geringen Rücktritts ausgezeichnet wirken.
Ich stehe nicht an, sie zu den besten Werken
des Künstlers zu rechnen.
W. GKBH.XRn-MUN'CHEN.
HANNS PELL.\R-- MÜNCHEN. IM besitze der modernen g.u-erie thanshai'ser — München.
Gemälde: »Libelle
2Ü
■yi
BERNHARD HOETfiER. marmor.
204
BERNHARD HOETGER. Marmor.
20 5
206
GEORG KOLRE-
BERLIN.
WEIBLICHER
TORSO.
BILDHAUER GEORG KOLBE-BERLIN.
VON LOTHAR BRIEGER-WASSERVOGEL.
Georg Kolbe ist 1877 geboren. Er besuchte
zuerst die Münchner Akademie, suchte
dann die Academie Julien in Paris auf und
ging schüeßhch nach Rom , das ihn Jahre lang
fesselte und wo er selbständig arbeitete. Ur-
sprünglich sah er als sein eigentlich Kunstge-
Met die Lithographie an ; eine Anzahl seiner
ISlätter erschienen denn auch z. B. in der Mün-
thener „Jugend" und machten zuerst auf ihn
aufmerksam. Ihnen allen sind ein gewisses
Pathos der menschlichen Gestalt, eine Vehe-
menz der Bewegung gemeinsam, welche zeigen,
daß sich der Künstler schon damals mit ana-
tomischen Problemen trug, die oft bereits eigent-
lich über den Rahmen des lithographischen
Blattes hinausreichten. In Rom, welches auch
das für diese Entwicklung sehr signifikante
Blatt „Prometheus" gebar, entstehen dann seine
ersten plastischen Arbeiten unter der Leitung
Tuaillons, und als er vor fünf Jahren etwa nach
Berlin übersiedelte, war er bereits vollkommen
zur Plastik übergegangen und hatte damit die
seiner Persönlichkeit adäquate künstlerische
Basis endgültig gefunden. Heute ist er unter
unseren jungen sich regenden Kräften zweifel-
los eine der zukunftsreichsten.
Das Überraschende an der plastischen Arbeit
Kolbes ist zunächst die ungeheuere, leider über-
aus seltene Selbstverständlichkeit, mit der er
alles vor ihm Geschaffene gewissermaßen als
nicht vorhanden betrachtet und aus seinem Ge-
sichtssinn, seiner, wenn man will, Auffassung
heraus seine plastischen Prinzipien ex funda-
mento aufbaut. Das ist richtig zu verstehen :
man fühlt wohl auch Vorbilder, ohne deswegen
in die antiquierte Torheit zu verfallen, dieselben
namenweis aufmarschieren zu lassen, als wären
sie Lehrmeister. Der Engländer hat für Künstler
1910/11. 111. 3.
2ü7
Lothar Bries^er- Wasservos^el:
GEORG KOLBE -ISERLIN. »Streitende Mackhen«
von Kolbes Eigenwuchs die prägnante
Charakterisierung „he is broken off from
all perconceived ideas". Es gibt im
Deutschen noch keine gleichwertigen
Ausdrücke für dieses „broken off" und
dieses „perconceived". Der ganz seltene
Fall einer durchaus persönlichen Bega-
bung liegt eben vor, eines Künstlers, der
mit von keinerlei ästhetischen, techni-
schen oder gar ethischen Prinzipien von
vornherein bestimmtem, also falsch ge-
richtetem Blicke in die Welt, seine Welt
hinausschaut. Die plastische Kunst ist
dem Leben gegenüber Konzentration.
Sie will nichts „Anderes", und sie will
auch nicht das „Schöne" geben, der Ge-
danke an Wirkimgen irgend welcher Art
macht die Kunst sofort unkeusch und
drückt sie auf eine der Selbständigkeit
und der möglichen Größe ermangelnde
Stufe hinab. Das ist es ja eben, woran
wir heule in der Kunst leiden : dieser
Überschuß an Wissen gedanklicher und
historischer Natur, das in seiner kom-
pakten Masse doch nur hinderliches
Vorurteil ist. Die wahre „Wirkung"
eines Kunstwerkes beruht auf dem stär-
keren oder schwächeren Gelingen dieser
20S
Konzentration, im Maße ihrer Fähigkeit
beruht die Bedeutung des Bildners. Da
es eine Konzentration des Gesehenen
bedeutet, ist der wirkliche Bildner stets
durchaus ein „Kind seiner Zeit", steht
ganz auf ihrem Boden und erscheint dem
Befangenen zugleich als Revolutionär,
weil er eben in seinem Material konzen-
triert, was die vorher gültige Kunst natur-
gemäß nicht schaffen konnte. Und dann
hat er noch gegen all die schwächeren
Begabungen zu kämpfen, die im Banne
des Traditionellen nie zu einem bleiben-
den Werke kommen, in ihm merkwür-
diger Weise einen pietätlosen Neuerer
sehen und jener Naivität des Auges
ermangeln, die dem echten Künstler
nicht fehlen darf und notwendig ist,
ehe die schaffende Arbeit des Kunst-
verstandes beginnen kann. GeorgKolbe
besitzt diese Vorbedingungen einer ech-
ten und überdauernden Kunst in einem
sehr hohen Maße ; ich wüßte in Deutsch-
land beinahe keinen Bildhauer, der sie
in gleicher Stärke von Hause aus mit-
brächte. Noch jung und in der erfreu-
lichsten Entwicklung, schafft er fast in
GEORC. KOLEE BERLIN.
»Ringende Kinder«
■ '
Uli
Georg Kolbe— Berlin.
jedem seiner Werke einen neuen
Keim, in dem man schon mit Ver-
gnügen die kommende goldne Ähre
ahnt. Er ist tatsächlich in einer mit
Tradition überladenen und daher
trotz aller Produktivitätnicht eigent-
lich produktiven Zeit merkwürdig
traditionslos, ohne Brücken in der
Vergangenheit, über die er hätte
schreiten müssen, wenn man nicht
etwa das der echten Kunst jeder
Zeit eigene Sich ans Lebende Hal-
ten gar für eine solche Brücke neh-
men will. Seine Zukunft ist, daß
ihn keine Vergangenheit belastet,
und alle seine Arbeiten wirken frisch,
weil ihm selbst eine jede Neuland
ist. Betrachten wir seine Werke,
die der Künstler selbst Versuche
nennt, die Erscheinungsform des
Lebens immer vollständiger für sei-
ne Kunst zu gewinnen, so kann uns
deren Besonderheit, Persönlichkeit
wohl kaum entgehen. Wir wandeln
unter ihnen herum als in einer neuen
Welt, in der hier und da noch Lücken
sind und sein müssen, die noch un-
beantwortete, aber auch bereits viel
beantwortete Fragen hat. Diese
Werke haben, wenn man es so sagen
darf, ihren besonderen Blutkreis-
lauf, ihren besonderen Atem. Bei-
des in merkwürdig reiner Linie, die
an ägyptische Kunst erinnert, ein-
zeln und paarweis in Stellungen,
die sich bewußt von allem fernhal-
ten, das zur Schablone verführen
könnte. Was uns an allen auffällt,
ist dieses Fiebernde ihrer Nerven,
das zugleich im ganzen zu einer
merkwürdig monumentalen, eben
echt plastischen Ruhe wird. Ein
Eindruck, der sich bis ins Antlitz
hinauf steigert. Da lebt der Schmerz
und die Erregung in jeder Fiber,
aber das wird niemals zur Grimasse
und liegt allem Pathos weltenfern.
Schmerz und Lust laufen nur wie
die Elektrizität auf dem Draht wind-
schnell mit einem uns deutlich fühl-
baren Schauer über Haut und Ant-
litz hin und geben ihnen den signi-
fikanten Gesichtsausdruck in der
Gesamtheit , ohne durch die Fäl-
schung einer vor dem Übrigen sich
breitmachenden Geste die Harmo-
nie, die Einheitlichkeit des Werkes
BILIiH.\UER GEORG KOLBE— BERLIN.
Gartenfigur in Sandstein.
209
Georg Kolhc
Bcr/hi.
zu zerstören. Solchen bedeutsamen und tiefen
Werken, in denen kein Pathos, sondern ein
Gefühl konzentrierte Form gewinnt, Bezeich-
nungen zu geben, ist schwer, fast unmöglich.
Wir sehen keine „ Erwartung" , keine „Jungfrau" ,
keinen „Helden", sondern das Physiologische
des augenblicklichen Kmpfindens solcher Art
ist gesehen und geformt.
Wir haben es also mit einer Plastik des Mo-
mentanen zu tun, mit einer Kunst, die den
Augenblick monunientalisiert , indem sie ihn
nach jeder Äußerung hin festhält und ihm seine
Würde und konzentrierte Ständigkeit gibt. Das
ist denn die Stärke
und das unzeitlich
Zeitgemäße von Kol-
besKunst. Unser „mo-
dernes" Leben — un-
willkürlich wagt man
im Zeitalter literari-
scher Fruchtbarkeit
solche Worte nur in
Anführungsstrichen
zu setzen — hat dem
Momente , dem Au-
genblick eine Bedeu-
tung eingeräumt, die
er früher nicht besaß.
Es zerfällt in eine un-
endliche Reihe von
Augenblicken , deren
jeder für sich bedeut-
sam ist. Das Momen-
tane spielt die aus-
schlaggebende Rolle,
daher jagt sich das
Leben scheinbar so,
ohne in seiner Summe
eigentlich anders zu
sein als je früheres.
Das ist das Charakte-
ristikum desMenschen
unserer Zeit. Und na-
türlich zeigt sich das
auch im Physiologi-
schen, in der Verände-
rung des ganzen Kör-
pers, seines Aus-
drucksund seinerGe-
sten. Aber es ist merk-
würdig, daß, während
solches im Leben
schon durchaus aner-
kannt und damit eine
Banalität ist, es in der
Kunst nicht wahr sein
soll, oder zum minde-
l![r.l)HAUER GEORG KOLKE HERLIN.
sten noch nicht genügend erkannt ist. Die Pla-
stik der Gegenwart wiederholt im ganzen doch
immer Vergangenes, wehrt sich dagegen, wie sie
doch müßte, ein ganz neues Lernen und Schaffen
auf Grund dieses neuen Lebens zu beginnen.
Hier ist Kolbes Kunst „broken away", und
das hebt sie in die Zukunft. Sie ist die Plastik
des modernen Körpers und seiner Eigenart, die
Plastik des Augenblicks, auf die wir unsere
Augen erst mit einigem lohnenden Zwang ein-
stellen müssen, weil sie von alter Gewohnheit
lange gebunden waren. Und hier muß Kolbe
doch mit einem andern Namen verkoppelt wer-
den: mit Auguste Ro-
din. Est ist interessant
zu sehen, wie zwei
ganz verschiedene
Temperamente, Natu-
ren undPersönlichkei-
ten in verschiedenen
Ländern zu gleicher
Zeit fast dieselben
Wege in die Zukunft
schreiten. Gänzlich
unabhängig von ein-
ander. Kolbes Welt
ist noch nicht so
fest und geschlossen
emporgewachsen um
ihn, sie blüht erst un-
beirrbar und hart-
näckig auf. Aber es
ist bei alledem die
gleiche „Richtung" in
dem Schaffen beider
Künstler, des Künst-
lers Wissen um die
neue Welt des Mo-
mentanen, die neu mit
Ausdauer und Kraft
erobert werden muß.
Es ist ein hartes und
ein großes Werk , dem
Kolbes Arbeit u. Rin-
gen gelten. Ein einsam
Werk, die Eroberung
neuen Besitzes, wäh-
rend sich die anderen
im vorhandenen Be-
sitze freuen. Aber es
ist die echte Schöpfer-
arbeit. Und so wächst
sie denn empor, wo
anderes bereits zu
sein vorgibt, und er-
kämpft sich mit Red-
» Kniendes Mädchen« lichkeit ihre Existenz.
21U
Ausstclli
nie iii
Wiesbadoi.
DEUTSCHE MEDAILLEN UND PLAKETTEN.
BETRACHTUNGEN ANLÄSSLICH DER WIESBADENER AUSSTELLUNG.
VON Dr. W. von GROLMAN.
I lie nebenstehend ab-
^ gebildeten Stich-
proben aus der kürz-
lich von der „Wies-
badener Gesell-
schaft fürbildende
Kunst" veranstalte-
ten „Gesamtaus-
stellung deutscher
Medaillen- undPla-
kettenkunst" mögen
eine ungefähre Vorstel-
lung der überraschen-
den Entwicklung deut-
scher Kleinplastik seit
der Jahrhundertwende
geben. Wasdabeijeder
sofort bemerken wird,
ist der grundsätzliche
Unterschied, der die
deutsche Medaille so-
wohl in der Formge-
bung wie auch in der in-
haltlichen Darstellung
von der französischen
scheidet; und das Er-
freulichste dabei ist,
daß die deutschen Ar-
beiten, was material-
und stilgerechte Behandlung anlangt, den fran-
zösischen schon heute im Durchschnitt über-
legen sind. Nicht umsonst hat eben Adolf
von Hildebrand „das Problem der Form in der
bildenden Kunst" zum intellektuellen Grund-
besitz unserer gegenwärtigen Bildhauergene-
ration gemacht! Die plastisch-tektonische For-
menklarheit und ornamentale Schönheit , wie
sie typisch in dem Revers der Hahnschen
Pettenkofer- Medaille, in der Schlachthof -Me-
daille des vielversprechenden jungen Hörn-
lein (Abb. S. 213) oder dem Revers der Lotte
Kaufmann Theodor von Gosens (Abb. S. 214)
verwirklicht ist, sucht man — ganz vereinzel-
tes, wie den Revers des alten Chevreuil von
Roty ausgenommen — vergebens auf franzö-
sischer Seite; die eigentümliche Kraft der Mo-
dellierung dieser Arbeiten aber fehlt dort gänz-
lich. Hatte schon Ghiberti das malerische Re-
lief an die Grenzen des Erlaubten geführt, so
mangelt der französischen Medaille in ihren
figürlichen Darstellungen oft jedes Gefühl für
FRITZ BEHN-MÜxcHKN. Bronze-Plakette ; »Natalia
den Unterschied von
Malerei und Plastik.
Gewiß wird man den
Ernst und die vorneh-
me, edle Formgebung
in diesen winzigen Mi-
niatur - Darstellungen
menschlicher Figuren
immer aufs höchste be-
wundern — und es sei
gleich gesagt, daß den
köstlich zarten Ideal-
figuren der französi-
schen Medaille die
Deutschen Gleichwer-
tiges nicht zur Seite
zu setzen haben —
aber die überfüllte
Komposition, derMan-
gel anRaumsinn drückt
das Ganze meist wie-
der ins Genrehafte her-
ab. Diese Überfüllung,
die zu kleinliche Be-
handlung des Details
ist nicht zum letzten
eine Folge der Ge-
wohnheit, die Modelle
in ganz großem Maß-
stab anzulegen und die Reduktion auf das Maß
der Medaillen der Maschine zu überlassen.
Endlich noch der Mangel an Stilgefühl, na-
mentlich in der Behandlung des pflanzlichen
Ornaments bei den Franzosen! Ich erinnere
hier an die fast kindlich anmutenden Palni-
wedel-, Lorbeer- und Rosengirlanden, denen
man selbst auf Arbeiten wie der Chaplainschen
Medaille des russischen Kaiserpaares, oder der
Charpentierschen „Malerei" (Revers) begegnen
kann. Sie sind nichts anderes als nächste Ver-
wandte der analogen naturalistischen Darstel-
lungen, die man noch immer auf allen Fried-
höfen findet. Welch ein Fortschritt von hier bis
zu der Fruchtgirlande der Römerschen Schütte-
medaille, die schon vor 1 0 Jahren entstanden ist.
Noch eines weiteren Nachteils der Maschi-
nen-Reduktion ist hier zu gedenken. Nicht zum
letzten beruht auf ihr jene glatte Exaktheit in
der Ausführung, die etwas Unpersönliches an
sich hat und durch das Fehlen energisch geschnit-
tener Konturen zugleich etwas weichliches, ver-
2(1
Deutsche Medaillen u/ul Plakr/trii.
>.
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r .
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1
i
1
Prof. A. V. Hildebrand. »BISMAKCK Professor Hcrmaim Hahn. »l'ETTENKOf ER. Paul Sturm-Berlin.
>KLAUSON.KAAS.
212
Atixstclhüii^ in WieshaJcii.
Fritz Hdrnlein. .ZUR VOLLENDUNG DER
FRIEDR. AUGUST -BRÜCKE, DRESDEN
Fr. Hörnlein. Dresden. .REVERS ZUR
DRESDENER BRÜCKEN-MEDAILLE.
Prof. Max DasiM
.ORPHEUS.
i>^^äi
^^
S
l|
^9^^_M.
^^
>''
Prof. Geore Römer. »ERNTE-MEDAILLE.
Prof Herrn. Hahn. RtVtKS »SIMSON.
Benno Elk.m. REVERS .COMBES Fritz Hörnlein. .SCHLACHTHOF-MEDAILLE-
Prof- Hugo Kaufmann l'NTERRICHTSWESEN Prof. Georg Romer. REVERS »SCHÜTTE Rud. Bosselt. »VERDIENST-MEDAILLE.
Deutsche Medaillen und Plaketten.
1
■^^^HPV^
^^^^H
^^^L
l'laf. Th. V. Qüsen. .JOSEI'HINA..
Revers ..LOTTE KAUFMANN.
•LOTTE KAUFMANN.
waschenes in die F'ormjicbun)' bringt. Selbst
in den Wiedergaben der Autotypien empfindet
man, z. B. an der Schlachthof- und der Brücken-
Medaille Hörnleins, die
lebendige Hand des
Künstlers, die gleichsam
mit dem harten Material
gerungen und dabei nicht
die gleichmäßige, unper-
sönliche Ruhe bewahren
konnte wie die Maschine.
Die letztgenannte Arbeit
läßt zugleich deutlich er-
kennen (z. B. an dem
Maßstab der Figuren) ,
daß die Komposition
gleich fürden engen Raum
und in den kleinen Dimen-
sionen konzipiert ist. Man
vergleiche die genannten
Stücke und die beiden
humoristischen Medaillen
Dasios (Abb. S.213) mit
den Maschinenreduktio-
nen Kaufmanns auf der
gleichen Seite, dem Rad-
dreher R. Bosselts (Abb.
S. 213), um die Reize zu
empfinden, die den erstc-
ren in der persönlichen
Art der Modellierung
innewohnt und ihnen et-
was eigenartig kerniges
verleiht. Dabei soll nicht
verkannt werden, daß es
Hermann Hahn, der wie
die meisten Großplastiker
nicht die schwierige Tech-
nik der Stempelschnei-
dung gelernt hat , auf
Grund eines stark ent-
Pruf. Jos. Ki)wat/ik.
Piof. Ludwig Habicli— StutlE-irt
wickelten Stilgefühls, gelungen ist, in der er-
wähnten Pettenkofer - Medaille den aus der
Anwendung der Reduktionsmaschine und der
Modellierung im Großen
drohenden Gefahren zu
entgehen und mit einer
ganz plastisch gedachten,
einfach klaren Kompo-
sition eine äußerst kraft-
volle Wirkung zu er-
zielen. Es üben eben
Temperament und Rasse
schließlich maßgebend-
sten Einfluß auf den Ge-
sanitcharakter deutscher
und französischer Me-
daillenkunst aus, und
wenn icii den Vergleich
gebrauchen darf, so möch-
te ich sagen , daß die
deutsche Medaille neben
derfranzösischen dasteht,
wie ein in jugendlicher
Kraft erblühter Bruder
neben den weiblichen
Reizen einer anmutigen
Schwester. Noch fehlt es
den Deutschen an der
ihnen gebührenden Aner-
kennung in den Kreisen
der Sammler. Der Erfolg
der Wiesbadener Aus-
stellung (auch bei den
kaufenden Liebhabern)
aber läßt für die Zukunft
einen Umschlag erwarten,
wenn auch die deutsche
Medaille an das Publikum
viel höhere ästhetische
Forderungen stellt als die
Kunst der Franzosen. —
JOH. IKIFDR. STADEL.
214
InImsCHE MINIATUR XVIU. JAHRH. KOLL. SARRE
BERLIN. BAJADERE IN STILISIERTER LAKDSCHAFT.
ELFENBEIN. MESOPOTAMIEN XI. J.\HRH.
N.\TION.\I.-MU.sEUM IN FLORENZ.
DIE MÜNCHNER MUHAMMEDANISCHE AUSSTELLUNG.
VON RUDOLF MEYER-RIKKSTAHI.-PARIS.
Die altorientalische Kunst war bisher nur
einem kleinen Kreise von Kennern und
Liebhabern bekannt, außer den Teppichen, die
von altersher sich der Wertschätzung der
Künstler und Sammler erfreuten. Wohl hatten
schon einzelne Ausstellungen in Paris, London
und Wien stattgefunden, welche dieses neue
Kunstgebiet weiteren Kreisen erschließen woll-
ten, doch sind diese Schaustellungen alle nicht
über den lokalen Rahmen hinausgewachsen.
Not war eine zusammenfassende Ausstellung,
die einmal die Schätze orientalischer Kunst aus
altem Besitze mit den Forschungsresultaten der
letzten Jahre in einer großen Vorführung ver-
einigte, zu der alle in Betracht kommenden
Faktoren mitwirken mußten. Dieses Projekt
ist durch die niuhammedanische Ausstellung in
München verwirklicht worden: 3500 Ausstel-
lungsgegenstände gaben ein vollkommenes Bild
altorientalischer Kunst und erweisen zugleich,
daß diese Kunst etwas formal außerordentlich
streng und folgerichtig Durchgebildetes ist, auf
das die Gesetze der Komposition ebenso anzu-
wenden sind wie auf die europäische Kunst.
Das ist die wichtigste Errungenschaft dieser
Ausstellung, weil dadurch diese Werke ver-
gangener Zeiten für die Welt von heute etwas
aktuelles und lebendiges bekommen.
Ein besonders für den Kunstgewerbler von
heute interessantes Gebiet, das bisher fast voll-
kommen unbekannt war, ist das der Keramik.
Erst zwei Gebiete orientalischer Keramik waren
bis vor wenigen Jahren allgemeiner zugänglich,
zwei Ausläufer einer alten Tradition: die soge-
nannten Rhodus- und Damaskusfayencen einer-
seits, die wir richtiger und kritischer als tür-
kische Fayencen des sechzehnten Jahrhunderts
bezeichnen und andererseits die spanisch-mau-
rische Lüsterkeramik , die unter christlicher
Herrschaft in Spanien noch bis auf den heutigen
Tag fortlebt. Von der älteren, wir möchten
sagen der klassischen Keramik wußte man
nichts, bis europäischeGelehrte und orientalische
Händler .\usgrabungen in Ägypten, Syrien,
Mesopotamien und Persien zu veranstalten be-
gannen. Da wurden nun die seltsamsten Schätze
ans Tageslicht gefördert, welche bewiesen, daß
der Orient um das zwölfte und dreizehnte Jahr-
hundert eine keramische Technik besessen hat,
die vielleicht das höchste geleistet hat, was auf
diesem Gebiete je geleistet worden ist. Nach-
dem man einigermaßen einen Überblick über
die wichtigsten Typen bekommen hatte, wur-
den diese keramische Stücke plötzlich zu den
gesuchtesten Stücken des Antiquitätenhandels,
besonders Amerika legte die höchsten Summen
in diesen Werken an, so daß die altorientalische
Keramik heutzutage mit Preisen bezahlt zu
werden pflegt, denen eine gewisse ungesunde
Übertreibung nicht abzusprechen ist.
Unter den verschiedenen Techniken, welche
die orientalische Keramik verwendet, ist be-
1910AL III. 4.
Rttdolf Mever-Riefsfakl-Pans .
SCHAXE MIT ARABESKEN UND LEOPARD. BEMALUNG IN GRÜN UND GRAU. SULTANABAD XIIL JAHRHUNDERT.
Ars HER SAMMT.l'Ni; KF.VORKEAN^ — LONDON.
sonders die der Lüstermalerei mit ihrem phan-
tastischen Metallglanz hervorzuheben, in ihr
sind die feinsten und kunstvollsten Arbeiten
hergestellt worden. Die ältesten uns erhaltenen
Zeugen der Lüstertechnik stammen einerseits
aus Rakka, der Lustresidenz Harun al Raschids
am oberen Euphratlaufe, andererseits aus Ägyp-
ten von den Ruinenfeldern der alten Stadt
Fostät in der Nähe von Kairo. Es ist schwer
zu entscheiden, ob die ältesten Arbeiten in
dieser Technik der Tradition Ägyptens oder der
des Zweistromlandes entstammen, das letztere
scheint jedoch wahrscheinlicher zu sein.
Die ältesten Lüsterarbeiten aus Ägypten sind
die reizvollen Fragmente, die man in Fostät
findet, diese Stücke zeigen den metallischen
Lüster in vielfältigen Farben: rötlich, gelblich,
grünlich. Mit den verschiedenen Farben der
Glasur des Scherbens zusammengestellt, ergibt
dies ein außerordentlich reizvolles und feines
Farbenspiel. Die Zeichnung dieser Arbeiten ist
entweder rein ornamental oder figural. Unter
den Figurendarstellungen finden sich bald sehr
primitiv gezeichnete Motive oder merkwürdige
großzügige Frauenköpfc, die in ihrem Stile an
den seltsamen Zauber der bekannten Graff- '
2l8
Die Münchner muhanimedavischc Ausstelhnii'.
SCHALE MIT ARABESKEN UND VÖGEL. BEMALUNG IN HELLGRAU UND GRAU. SULTANABAD XHL JAHRHUNDERT.
AIS DER »SAMMLUNG KEVORKIAN« — LONDON.
sehen Mumienporträts erinnern. Daneben findet
sich auch häufig das koptisch christliche Fisch-
motiv. Intakte Stücke sind sehr selten.
Auf mesopotamischeni Gebiet stammen die
ältesten Lüsterarbeiten aus Rakka. Die Funde
von Rakka enthalten nicht wenige intakte Stücke.
Die Lüstermalerei ist meist von einem prächti-
gen purpurroten Metallglanz, dem verschiedent-
lich noch etvk'as blaue Farbe auf dem weißen
Grunde beigesellt ist. Die Zeichnung enthält
meist Arabesken und Inschriften in großen, streng
gebauten kufischen Buchstaben. Die Zeichnung
der Arabesken hatnoch etwas archaisch strenges
und ist mit größter Liebe durchgeführt, so daß
diese Stücke ornamental mit zu den feinsten Er-
zeugnissen orientalischer Kunst gehören , mit
denen z. B. die spätere persische Fayence nicht
mehr wetteifern kann. Neben den Lüstermale-
reien kommen in Rakka noch Stücke mit weiß-
licher oder grünlicher Glasur vor, besonders be-
merkenswert sind jedoch die Stücke mit ein-
facher Flachreliefverzierung und türkisgrüner
Bemalung, die vielfach durch den jahrhunderte-
langen Aufenthalt im Erdboden unter Einwirkung
der Bodenfeuchtigkeit eine wundervolle Irisie-
rung angenommen haben.
219
Rjidolf Me\cr-Riefstahl- Paris :
SCHALE MIT ARABESKFN UM) FISCHEN. BEMAiUNG DUNKELBLAU MIT LUSTER.
AIS DER »SAMMLl'NO KEVORKIAN« — I-O.NliO.V.
SULTANAB.M) XIII. J.\HRHl"NliERT.
I5ie Fayencen aus Rakka gehören in die Zeit
des 11. — 1 3. Jahrhunderts. Aus etwas späterer
Zeit mögen die ältesten persischen und syrischen
Erzeugnisse stammen.
Unter den altpersischen Arbeiten ragen die
h linde von Rhagä besonders hervor. Die ver-
schiedensten Techniken waren hier heimisch.
Am kostbarsten und am ältesten wohl sind eine
Serie von Stücken mit elfenbeinweißeni, matten
Grunde und überaus zierlicher polychromer
Überglasurbemalung (galante und höfische Sze-
nen, Gelage mit Tänzerinnen und Musikantin-
nen, Jagdszenen), deren feine Harmonie noch
durch spärlicli verwandtes Gold gehoben wird.
Der geläufigste Typus jedoch sind die Stücke
mit Lüstermalerei auf weißem Grunde, der viel-
fach noch dunkelblau beigesellt wird. Hier sind
besonders eine Reihe großer Gefäße, tiefe Scha-
len und Schalen mit vertieften Konipartimenten
zu nennen, die durch die feine Zeichnung und
den schön durchdachten Wechsel reichornamen-
tierter und ruhiger Flächen in dem köstlich ge-
zeichneten Figurendekor ein außerordentliches
Stilgefühl verraten. Endlich kommen noch
22U
Die Münchner vnihaninicdanische Aussteihvi".
.SCHALE MIT HGURALEK DARSTELLUNG U. ASABESKEN. DUNKELBLAU U. SCHWARZ. SULTANABAD XII. JAHRH.
AC5 DEK >s.\MMI.t'NG KEVORKIAS« — LONIJON.
Stücke mit dunkelblauem Grunde und goldver-
zierten feinen roten und weißen Ranken vor.
Das sind die vk^csentlichsten Typen der Kera-
miken von Rhagä, denen noch einzelne Abarten,
wie Stücke auf hellblauem und türkisgrünem
Grunde, anzureihen wären.
Die Keramiken des Typus Suitanabad sind
in der Regel weniger kunstvoll durchgearbeitet,
gezeichnet und komponiert. Vorherrschend sind
Gefäße mit dicker, in der Mitte oft zusammen-
gelaufener Glasur, bei denen die Zeichnung meist
phantastische Vögel, Enten oder Kraniche, dann
wieder Figurengruppen, Hasen, Leoparden oder
dergl. in Flachrelief auf Blattrankenhintergrund
darstellt. Die verwandten Farben sind entweder
blau , türkisgrün und schwarz , oder olivbraun
und olivgrau, stets mit ausgespartemWeiß. Wenn
auch hier noch sehr schön gezeichnete Stücke
geschaffen wurden, so haben sie doch nicht die
Großzügigkeit und Ursprünglichkeit der Kera-
miken von Fostät und Rakka, die Grazie der
Arbeiten aus Syrien oder Rhagä. Sie leiten
schon in eine spätere Zeit über, in der die Ke-
ramik nicht mehr den persönlichen Charakter
der älteren Zeit hat. Die großen Fayencefliesen
für den Mauerbelag, besonders für die Gebets-
221
INDISCHER KNÜPI-TEPPICH. UM 160O. BESITZ DES OESTERR. MUSEUMS FÜR KUNST UND INDUSTRIE- WIEN.
ELFENBEIN-SCHNITZEREIEN. BAÜUAU (r) UM I 2 00.
liM NATIONAL-MUSEUM- FLORENZ.
ELFENBEIN-KASTCHEN. SPANIEN IX. XI, JAHRHUNDERT. BESITZER: WERNHER— LONDON.
225
I
1
A
II
I
!1
ii
Al^lFAMANILE. WEST-TURKESTAN VIII. 1\ JAIIRH. SASSANIDISCHE BRONZE-KAN.NE. VI. VII. JAHRII. |
-\rs UKK SAMMLINt; HOllRINSKOY — ST. rKTERSlUKG. .1
AI.1UAMANII.E. .SPANIEN X. JAHRHrNDERT. BESITZER : Mmk. K. STERN PARIS.
is
«
«
■
224
Die Mü7u-liiicr iiui/iammedanische Atisslelhiiig.
nischen, haben gewiß noch malerischen Reiz,
ein so individuelles Leben wie die alten Stücke
haben sie nicht mehr.
Auch das Gebiet der orientalischen Teppich-
kunst konnte bisher nicht in so umfassender
Weise studiert werden, als dies auf der Münch-
ner Ausstellung der Fall war. Das Hauptstück
der gesamten Ausstellung bildete der große
Jagdteppich aus dem Besitze des Kaisers von
Österreich, eines der interessantesten Doku-
mente der feinen künstlerischen Kultur Persiens
unter den Safiwiden im sechzehnten Jahrhun-
dert. Alle wichtigen Gruppen der orientalischen
Teppichkunst: die armenischen Teppiche mit
ihrer strengen primitiven Zeichnung, die süd-
persischen Vasenteppiche, die Baum- und Gar-
tenteppiche, die Jagd- und Tierteppiche mit
ihren zierÜchen Darstellungen, die Herat-Tep-
piche mit ihrem zarten Rankenwerk, die Polen-
teppiche auf prunkendem Gold- und Silber-
grund , die farbenprächtigen Erzeugnisse der
türkischen Teppichkunst, das alles vereinigt
sich zu einem erschöpfenden Gesamtbilde und
zeigt eine klare Linie der Entwicklung.
Auf dem Gebiete der Metallarbeiten brachte
die Ausstellung eine große Überraschung: die
Gruppe sassanidischer Bronze- und Silber-Ar-
beiten aus dem dritten bis siebenten Jahrhun-
dert mit ihrer so strengen und archaischen
Formengebung. Es ist interessant zu sehen, wie
diese Werke manches klar und selbstverständ-
lich geben, wonach das moderne Kunstgewerbe
bei seinem Suchen nach Einfachheit mühsam
strebt. — Auch die ausgestellten Werke der
Buchkunst brachten viele Überraschungen, da
sie interessante, kulturhistorische Streiflichter
auf die kulturellen Beziehungen zwischen chine-
sischer und vorderasiatischer Kunst warfen.
Die persische Buchkunst zeigt sich durchaus
von der chinesischen Formensprache beeinflußt
und versteht doch durch einfache Formen- und
Farbenrhythmen ihre eigenen Gedanken in per-
sönlicher Weise zum Ausdruck zu bringen.
Damit sind die Gebiete der orientalischen
Kunst bei weitem nicht erschöpft: unter den
syrischen Glasarbeiten , den ägyptischen, ge-
schliffenen Bergkristallen, den zarten Elfenbein-
arbeiten aus Spanien und Mesopotamien, den
tauschierten Mossulbronzen befindet sich man-
ches köstliche Stück, das in technischer wie
rein künstlerischer Beziehung dem modernen
Kunstgewerbe wertvolle Anregungen geben
kann. Diese Anregungen werden um so frucht-
barer sein können, als sie eine Nachahmung der
einzelnen Form kaum zulassen, sondern viel-
mehr auf allgemeine stilistische Eigenschaften
und auf die Neubelebung einzelner vernach-
lässigter Techniken sich erstrecken werden. —
FAVENCE-GEFÄSS. PERSIEN XH - XUI. JAHRH. SAMMLUNG KEVORKI.\N— PARIS.
1910;1I. 111.
22i
Alexander Kocli—Dat »isladi :
EINE DEUTSCHE WELT-AUSSTELLUNG?
VON ALEXANDER Ki>l II.
Oft jjenu)5 ma^ diese, dem deutschen Natio-
naljjefülil schmeichelnde Fra)5e von beru-
fener und unberufener Seite aufgeworfen sein.
Jede Ausstellunfi, — nicht zuletzt aber eine
„Welt-Ausstellung" — - bleibt ein großes Wag-
nis, gleichviel aus welchem äußeren Anlaß heraus
die Berechtigung zur Abhaltung einer solchen
„konstruiert" wird. Ob heute, nachdem die
verschiedensten Völker der Erde einander so
nahe getreten sind, überhaupt noch Welt-Aus-
stellungen erforderlich sind? Ich möchte es
bezweifeln, vielmehr dem Gedanken Raum
geben, daß es meist wohl nur Sonderinteressen
waren oder auch den Verfolg ehrgeiziger Pläne
galt, wenn „Welt-Ausstellungen" mit meist viel
zu kurzen Vorbereitungsfristen von 3^5 Jahren
aus dem Boden gestampft wurden, und häufig
war es ja auch nur ein Akt politischer Höflich-
keit, wenn der Einladung zur Beschickung einer
solchen Folge geleistet wurde.
„Welt-Ausstellungen" sollten eigentlich nur
aus Anlaß großer Kulturfeiern, an denen
die ganze Menschheit Anteil nimmt, eine
innere Berechtigung haben; unklug erscheint es
mir, politische Ereignisse irgendwelcher Art
bei einer gewissen Jährung als Anlaß zu einer
Welt-Ausstellung zu wählen. Deutschland sollte
sich darum hüten, etwa eine „Fünfzigjahrsfeier
der Neugründung des Deutschen Reiches", mit
der Veranstaltung einer „Welt-Ausstellung" auf
deutschem Boden verquicken zu wollen. Also
auf keinen Fall etwa zu 1921 eine Welt- Aus-
stellung, zu der Deutschland die Völker zu einem
friedlichen Wettstreit einladet.
Alle Anzeichen sprechen dafür, daß die Be-
deutung der Welt- Ausstellungen schon heute
nicht mehr so hoch bewertet wird, oder viel-
leicht besser ausgedrückt: daß sich diese „inter-
nationalen Schauen" nicht mehr als zeitgemäß
erweisen ! T o k i o wird voraussichtlich noch eine
Ausnahme machen, wenn Ostasien bis dahin
nicht noch ein größeres Schauspiel bieten wird.
Dann aber wird m. E. die Stunde der Welt-Aus-
stellungen geschlagen haben oder sie müßten als
„Unternehmer-Spekulation" weiter gedeihen!
Wohl alle Großstaaten sind seit Jahren aus-
slcUungsmüde. Wenn sie trotzdem immer wieder
mitmachen, entspringt dies oft nur Höflichkeits-
gründen und der Gewohnheit und dem Vor-
bilde der Nachbarn , die das eben auch tun.
Volk und Regierung sind selten von der Not-
wendigkeit solcher Veranstaltungen überzeugt,
die Abneigung dagegen wird in allen Staaten
immer größer. Die Werbekommissare für die
letzten Welt-Ausstellungen haben schon eine
schwere Arbeit zu leisten und einen scharfen
Widerstand zu überwinden gehabt, denn weder
der Gewerbetreibende und Handwerker, noch
der Großindustrielle und Großkaufmann, wollen
von einer Beteiligung an diesen internationalen
Jahrmärkten etwas wissen. Man wird das durch-
aus begreiflich finden, wenn man bedenkt, daß für
1913 wieder eine „Welt-Ausstellung" und zwar
für Madrid vorgesehen ist. Wie leichtfertig das
ist, kann man schon aus der kurzen Vorberei-
lungsfrist von 2 Jahren ersehen, während allein
für die diplomatische Werbearbeit bei den
Staaten so viele Jahre für ein gutes Gelingen
erforderlich sein dürften. Man bedenke aber,
daß zwischendurch sich noch ähnliche Ausstel-
lungen in Turin und Antwerpen abwickeln
werden. Das deutsche Kapital und die
deutsche Arbeit sollte mal eine Zeitlang
in Ruhe bleiben, um Kraft und Mittel für
eine große innere Arbeit zu sammeln!
Deutschland kann demnach von einer „Welt-
Ausstellung" absehen. Es verliert nichts dabei.
Aber — und ich komme damit auf meine früher
mehrfach geäußerten Grundgedanken in Aus-
stellungssachen zurück — es sollte endlich an
eine große deutsch-nationale Landes-
Ausstellung denken, deren Durchführung
nachgerade zu einer nationalen Ehrenpflicht ge-
worden ist. Eine solche Ausstellung würde
den Erfolg in sich tragen: ideell wie
materiell! Denn vom ganzen Erdball würden
die Besucher kommen, um zu sehen und zu
studieren, was Deutschland auf allen Gebieten
leistet. Laden wir die Völker endlich einmal
zu uns zu einem Kulturschauspiel großen
Stils. Vereinigen wir endlich mal die
deutschen Stämme, von denen sich noch
immer wieder welche in der Verfechtung von
Sonderinteressen verlieren, zu einer Großtat!
Von Jahr zu Jahr mehrt sich die Zahl der
Auslandbcsucher, die deutsches Wesen, deut-
sche Einrichtungen, deutschen Handel und Wan-
del, überhaupt in Allem deutsches Leben stu-
226
Eine deutsche Welt-Atisstellung?
dieren wollen. Unsere Industrie, Städte-Einrich-
tungen, soziale Fürsorge, unsere Krankenhäuser
und Schulen sind zu ständigen Studienobjekten
für die Vertreter anderer Nationen geworden.
Was läge da näher, als ein Zusammenfassen
der verschiedenen Kräfte und Leistungen auf
einer deutschenAusstellunglEinerdurch
und durch sorgfältig vorbereiteten und
gewissenhaft, liebevoll und vollendet
durchgeführten Ausstellung des Deut-
schen Reiches.
Selbstverständlich muß dafür eine größere
Arbeit geleistet werden, als wenn wir uns
„ehrenhalber" an einer sogenannten Welt-
Ausstellung beteiligen. Die ganze Nation
muß dafür auftreten und eintreten, wenn
ein so großer Wurf vor den Augen der
Welt gelingen soll! Man greife diesen Ge-
danken auf und betraue führende und schaf-
fende Männer und Frauen unseres Vater-
landes mit der fundierenden Vorarbeit! Die
Tat kann in fünf bis sechs Jahren verwirk-
licht sein, sie darf auch zehn Jahre in An-
spruch nehmen; es kommt nur darauf an, ob
wir klug genug sind, unsere Kräfte ausschließ-
lich allein dafür festzulegen und sie nicht zu
zersplittern durch so und soviel kleine Lokal-
und Sonder-Ausstellungen, vor allem aber auch
das Reich selbst nicht festzulegen durch neue
Verpflichtungen für fragwürdige Weltausstel-
lungen, die zu einem großen Jahrmarktrummel
zu werden drohen. Aber auch uns selbst muß
der Gedanke, an einen „verkleinerten" Welt-
jahrmarkt zu denken, ein für alle Mal als ab-
getan erscheinen.
Meine Reformvorschläge für das Ausstel-
lungswesen, die bisher in kleinerem und größe-
rem Umfange Verwirklichung gefunden haben,
und die darauf abzielen; in unseren Ausstel-
lungen organische, wirtschaftliche und
künstlerische Gebilde als einheitliche
Lebensausschnitte selbst zu schaffen,
die nicht von den notwendigen Ausstellungs-
hallen erdrückt werden, erneuere ich hiermit.
Damals zielten meine Ausführungen für eine
Landesausstellung — etwa im Großherzogtum
Hessen — auf ein zu erbauendes Dorf ab.
Eine „Reichsausstellung" müßte natürlich eine
„Stadt" bieten; keine romantische alte Stadt
mit sogenannten malerischen Winkeln, sondern
eine moderne Stadt mit allen Errungen-
schaften der Technik, der Hygiene, der
Baukunst, des Verwaltungs- und Ver-
kehrswesens, in welchem Gebilde eben so
sehr die Stätte der Erziehung, der Er-
holung, des Vergnügens, wie der Wasser-,
Licht- und Lebensmittel -Versorgung
vertreten sein müßten. Es könnte etwa der
Kern einer „mittleren Stadt" sein, mit Schulen,
Kirchen, Verwaltungs - Gebäude , Markthalle,
Krankenhaus, Museum, Theater, Konzertsaal,
Orpheum, Zirkus etc., Ausstellungshallen, Park,
Gartenanlagen, Brunnen, Badeanstalt, Börse,
Bankgebäude, Verkaufsläden, Post, Verkehrs-
mittel der verschiedensten Art und an was Alles
der moderne Städtebauer zu denken hat. Auch
ein Friedhof und ein Krematorium müßten vor-
gesehen werden, denn selbstverständlich könnte
diese „Stadt" nicht bloß ein Ausstellungs-Ob-
jekt bleiben.
Daß an einer solchen Ausstellung alle Be-
rufe und Gewerbe beteiligt sein würden, bedarf
keiner besonderen Hervorhebung; Gewerbe,
Handwerk, Kunstgewerbe, Kunst, Handel, In-
dustrie und Landwirtschaft könnten hier einan-
der die Hand reichen. Daß hierbei der erfahrene
Ausstellungstechniker und Organisator in allen
Fragen zu hören sein würde, erscheint selbst-
verständlich, denn es gilt doch in erster Linie
wieder eine solche Stadt als „Ausstel-
lungs-Objekt" zu zeigen, das Unternehmen
als solches aber auch rentabel zu gestalten.
Es soll nicht Aufgabe meiner Ausführungen
sein, hier einen Wirtschaftsplan aufzustellen,
denn dafür bedarf es breiterer Unterlagen rech-
nerischer Art und ausführlicherer Pläne. Aber
außer Zweifel dürfte das Gelingen einer so groß-
zügigen und ihrem Gesämtcharakter nach erst-
malig gebotenen Ausstellung garantiert werden
können , wenn alle dafür heranzuziehenden
wirtschaftlichen Faktoren nach Maßgabe ihrer
Mittel die Durchführung decken helfen, noch
zumal wohl jeder Bundesstaat für sich ein leb-
haftes Interesse daran haben müßte, in der Er-
füllung seines Wirtschafts- und Arbeitsanteils
sein Bestes und Höchstes zu leisten.
Ganz außer Frage stände wohl, daß nur
die Reichshauptstadt Berlin für eine derartige
Ausstellung in Betracht käme. Ja, es ist nicht
ausgeschlossen, daß bei den bestehenden Aus-
bau-Absichten Berlins inbezug auf „Groß-
Berlin" Bauten erstehen, die einen Teil der Aus-
stellungsaufgaben erfüllen könnten. Auch das
Jahr 1920 würde für eine solche Ausstellung
noch nicht zu spät liegen; um so besser würden
alle die einleitenden Arbeiten erledigt und das
Unternehmen selbst in der Beschaffung von
Fonds fundiert werden können.
Nur nichts Halbes! Und keine Aufmach-
ung mit fragwürdigen Mitteln, keine faden-
scheinige Repräsentation, keine Kulissen, kein
Abklatsch der Wirklichkeit, sondern — die
Wirklichkeit selbst!
Für Berlin als „Ausstellungsfeld" sprechen
227
Ei7ie deutsche Welt-Atisstellung?
eigentlich fast alle Gründe, nicht nur seine be-
sonders günstige Lage für alle Verkehrswege
und Verkehrsmittel. Hauptsächlich aber seine
Stellung als „Rcichshauptstadt" spricht dafür,
Berlin als Ausstellungsstätte einer
„Deutschen Reichs-Ausstellung" zu
wählen. Sämtliche deutschen Bundes-Staaten
würden sicherlich in diesem Sinne vollste Sym-
pathie für Berlin hegen.
Aber auch alle Völker würden für eine
solche deutsche Ausstellung ihre Sympathie
bekunden, wenn sie lediglich als ein großes,
ja gigantisches Werk des Friedens, der kul-
turellen Macht und Größe erstehen würde.
Dabei würde die politische Größe des Reiches
keineswegs zu kurz kommen, im Gegenteil:
sie würde so in unaufdringlicher Weise erst
recht zur Geltung kommen: denn ein Volk der
Arbeit und Intelligenz ist auch stets ein Volk
in Waffen! Wo nichts ist, ist auch nichts
zu verteidigen!
Würde der hier nur in großen Umrissen dar-
gelegte Plan einer Deutschen Reichs-Ausstel-
lung in den leitenden Kreisen und breiteren
Schichten des Deutschen Volkes verstärkenden
Widerhall finden , so würde darin zugleich
eine Beruhigung und Festigung der politischen
Zukunft liegen. Ein so eklatantes Zeichen
der inneren Arbeit eines Volkes und der An-
spannung seiner besten Kräfte für eine so
lange Zeitspanne bedeutet wohl die beste
Bürgschaft des Friedens!
Wir bedürfen dazu auch keines äußeren An-
lasses, keiner politischen Feier oder eines Re-
gierungs-Jubiläums. Man denke deshalb nicht
an 1918 oder gar an 1921. Es genügt vollauf,
daß wir uns stark genug fühlen, eine solche
Ausstellung zu machen. Je eher wir uns ent-
schließen, desto besser! Nicht was wir wollen,
sondern was wir können, müssen wir der
Welt einmal zeigen!
Sammeln wir unsere Kräfte unter Vermei-
dung jeglicher Zersplitterung endlich einmal
zu einer wirklich großen Tat!" — a. k.
DER DEUTSCHE STIL.
Ratlos steht Frankreich, das heißt Paris, vor
den Räumen der Münchner Künstler im
Herbstsalon ; ratlos, weil diese Erzeugnisse sei-
nem oft bewährten Geschmacke schnurgerade
zuwiderlaufen und weil zugleich die Unmög-
lichkeit, diese Erzeugnisse glatt zu verneinen,
deutlich gefühlt wird. Es kommt auf diese
Weise zu jenen halben Anerkennungen, die uns
lächeln machen, und zu jenen halben Tadels-
kundgebungen, die unser Lächeln in Lachen
verwandeln. Denn beides , Lob und Tadel,
kommt von falschen Standpunkten, Im einen
Falle der mühsame Versuch einer Einfühlung
in Fremdes, ein Versuch mit untauglichen Mit-
teln; im anderen Falle das Messen einer glän-
zenden kulturellen Errungenschaft am Maßstabe
der ästhetischen Harmlosigkeit.
Einen Ausdruck des Erstaunens möchte ich
hier einschalten, des Erstaunens darüber, wie
diese vollkommene Unkenntnis der primitiven
Grundlagen unserer kunstgewerblichen Umwäl-
zung sich auch bei den französischen Kunst-
kritikern bis heute erhalten konnte. Zuge-
geben, daß deutsches Kunstgewerbe in Frank-
reich bisher selten gezeigt worden ist. Wozu
haben aber unsere Kunstzeitschriften seit
fast fünfzehn Jahren eine überwältigende Fülle
bildlichen Materials veröffentlicht, wenn sich
jetzt jeder Pariser Kritiker angesichts der Lei-
stungen im Herbstsalon auf eigene Faust den
228
Kopf zerbrechen muß, um diese fremdartigen
Erscheinungen einigermaßen zu enträtseln? Wir
deutschen Schriftsteller wissen doch in vielen
Fällen auch nur aus den französischen Revuen
Bescheid über die französische Industrie. Wobei
noch zu bemerken, daß unsere Kunstzeitschrif-
ten den französischen an Fülle des Materials
und an Qualität der Abbildungen weit überlegen
sind. Man kann also nur annehmen, daß die fran-
zösische Kunstkritik diese ungeheure Masse an
Stoff nicht beachtet hat, eine Unterlassung, die
sich eben in den letzten Wochen empfindlich
gerächt hat. Man erinnert sich wohl auch noch
des Berichtes der französischen Kommission
über die Ausstellung München 1908, die in
München damals, nach zwölf Jahren deutschen
Kunstgewerbes , noch auf die Renaissance-
Möbel zu stoßen gefaßt war, die vor dreißig
Jahren einmal den Ruhm der Münchner Möbel-
Industrie ausgemacht haben. Bei dieser Un-
kenntnis wichtigster Kulturströmungen des
Nachbarlandes wird freilich die Hilflosigkeit
der Pariser Kritik einigermaßen verständlich,
wenn auch keineswegs gerechtfertigt.
Der Franzose — mit Ausnahmen, die erfreu-
licher Weise nicht selten sind — versteht nichts
von all den Motiven, die die Entwicklung un-
seres Kunstgewerbes bestimmt haben. Schon
sein Ursprung ist ihm dunkel, weil er das Ge-
fühl nicht kennt , das uns dazu drängte , für
LUDWIG HOHLWEIN -MÜNCHEN.
PLAKAT. AUSF: VEREINIGTE DRÜCKEREIEN
U. KUNST-ANSTALTEN, G.M.B.H., MÜNCHEN.
CSRAMMOPHOH
Stiller 2£
PLAKATE VON L. HOHLWEIN. AUSI' . ; VEREINIGTE DRLXKEREIEN U. KUNST-ANSTALTEN, G. M. B. H., MÜNCHEN.
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l'I.AKATE VON L. HOHLWEIN. AUSF. : VEREINIGTE DRUCKEREIEN U. KUNST-ANSTALTEN, G. M. B H., MÜNCHEN.
Dci- dciitsclic S/lV.
Bm
LUDWIG HOHLWEIN-MUNCHE.N.
eine neue Zeit auch
eine neue kunstgewerb-
liche Ausdrucksweise
zu verlangen und zu
suchen. Dem Bedürf-
nis der Malerei nach
einerReform ihrer Aus-
drucksmittel ist Frank-
reich im weitesten
Maße gerecht gewor-
den. In der Schrift-
kunst wie in der Plastik
hat der französische
Genius in neuerer Zeit
stets an der Spitze des
kühnsten Fortschrittes
gestanden. Nun, da in
Deutschland eine ent-
sprechende Revolutio-
nierung der Architektur
u. des Kunstgewerbes
unternommen wird, be-
gegnen wir jenseits des
Rheines der vollkom-
mensten Ratlosigkeit,
wenn nicht unzweideu-
tiger Ablehnung. Wie
ist dieser Widerspruch
LUliWIG HiiHLWElN -MÜNCHE-N. i'lakat.
Ausf.: Vereinijjte Druckereien und Kunst-Aiistalteii— Münche
ZU erklären? Betrach-
tet man etwa in Frank-
reich die Baukunst u.das
Kunstgewerbe nicht als
Erzeugerinnen künst-
lerischer Werte? Es
scheint so. Denn wenn
man annimmt, daß bei-
de auf ihre Weise gleich
den anderen Künsten
Zeitausprägungen, Per-
sönlichkeits-Ausdrücke
liefern, kann es selbst
dem Wahnwitz nicht
einfallen, ihnen die Ent-
wicklungs - Notwendig-
keit zu bestreiten. Daß
aber Baukunst u. Kunst-
gewerbe, mit einigen
Einschränkungen frei-
lich , durchaus unter
künstlerischer Psy-
chologie stehen, ist im
Ernste nicht anzuzwei-
feln und bis jetzt auch
niemals bestritten wor-
den. — Wie dem auch
sei; dunkel bleibt dem
'JJ
Der deutsclic Stil.
ARCHlTtKT LUUWIG HOHLWEIN MÜNCHEN.
Franzosen das gewaltige kulturelle Pathos, das
die Deutschen zwang, die Zeit im Bauwerk und
im Geräte auszuprägen. Vor der ungeheuren
Aufraffung, die ohne jede zentralisierte Anregung
die denkenden Köpfe diesseits des Rheines er-
griff, den Historizismus aus dem Sattel warf und
in unglaublich kurzem Zeiträume eine mächtige
neue Industrie erstehen ließ — vor dieser ge-
waltigen Kraftäußerung steht Frankreich ohne
Verständnis, mit skeptischem Lächeln, hinter
dem sich ein gutes Teil bedrohter nationaler
Eitelkeit verstecken mag. Denn das ethische
Moment in dieser ästhetischen Revolution ist
dem Genius der französischen Rasse fremd und
feind. Das zeigt sich deutlich in dem Verhält-
nis Frankreichs zu den dekorativen Elementen
im Kunstgewerbe. Selbst wenn uns drüben die
Notwendigkeit einer Reform des kunstgewerb-
lichen Ausdruckes zugegeben wird, steht gleich
dahinter die Frage: aber wozu diese Schmuck-
losigkeit, diese fanatische Schlichtheit? Der
Franzose kommt über die Anschauung, das
Frühsuicks-Ziramer im Hause Dr. M. Wunchcn.
Möbel, das Gerät sei in erster Linie ein De-
korationsproblem, nicht hinaus. Was nicht De-
koration ist, gilt ihm kaum als Arbeit. Man be-
trachte nur die in Nancy erscheinende Zeit-
schrift „ Art et Industrie " : gewiß ein Blatt und ein
Kreis von Männern, die den besten Willen an
den Tag legen und im ganzen genommen viel-
leicht auf dem richtigen Wege sind. Aber jede
Nummer der Zeitschrift enthält eine Art Mono-
graphie über eine Pflanze mit Naturaufnahmen
und stilisierten oder ornamentalen Umzeich-
nungen, denen man dann wahrscheinlich auf den
Türfüllungen der Möbel, an ihren Friesen, auf
Buchtiteln, Ofenschirmen und Fenstervergla-
sungen wieder begegnen soll.
Frankreich hat sich niemals ernstlich Mühe
gegeben, die Gründe unserer „dekorativen Ent-
haltsamkeit" einzusehen. Es hält heute noch
diese fanatische Schmucklosigkeit für eine un-
mittelbare Ausstrahlung tristen deutschen We-
sens und wertet sie mit barbarischer Naivität
völlig negativ. — wii.hei.m michel— München.
234
X
o
z
ARCHITEKT LUDWIG HOHLWEIN-MUNCHEN.
Schlafzimmer im Hause Dr. M. -München.
Ausführung: Hof -Möbelfabrik M. Ballin— München.
LUDWIG HOHLWEIN-MÜNCHEN.
VON WILHELM MICHEL— MLNCHE-X.
Die delikate Verbindung von Eleganz und
Gediegenheit, die der Name Hohlwein
bedeutet, zählt zu den einnehmendsten Erschei-
nungen unseres kunstgewerblichen Lebens. Beim
Betreten seiner Räume hat man immer das eine
Erlebnis: den Eindruck der Sauberkeit, der ap-
petitlichen Frische. Das sind durchgehends
feine, höfliche Möbel, Möbel von guten Manie-
ren, etwas englisch angehaucht im Auftreten,
etwas förmlich, wenn man will, wie sich eben
wohlerzogene Menschen und Dinge in Gesell-
schaft zu geben pflegen. Man ist bei ihnen
immer in guter Gesellschaft, und auf die Dauer
läßt sich eben doch mit der Wohlerzogenheit
besser verkehren als mit proletenhafter Form-
losigkeit. Umsomehr als es diesen höflichen
Manieren keineswegs an Herzlichkeit fehlt.
Denn mit der tadellosen Eleganz und gemes-
senen Schlichtheit der Möbelformen verbindet
dieser Künstler die liebenswürdigste Grazie, ja
Koketterie der Aufmachung. Das gibt in allen
Fällen eine neuartige, pikante Mischung, in der
mit Hohlwein vielleicht nur noch Emanuel von
Seidl verglichen werden kann. Die Bänder, an
denen Spiegel und Bilder befestigt sind, die
Rosetten, die Volants, die überall auftauchen,
selbst an paradoxen Stellen, wie an der Rück-
wand einer Kredenz und am Plafond, sie brin-
gen eine Note heiterer Leichtigkeit in die Räume,
die die Formenstrenge der Möbel wieder wett
macht. Die Gewebe spielen in Hohlweins Räu-
men eine überaus große Rolle, die bezeichnend
ist für diese Kunst der zierlichen, heiteren Ele-
ganz. Ja, die Gewebe sind sogar bei ihnen die
einzigen Träger des Ornamentes, dessen die
Möbel ganz entbehren. Großgeblümte Stoffe
bedecken die Sessel und Sofas, dienen als Fen-
stergardinen und als Garderobehüllen, als Bett-
191'J.ll. III. 6.
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05 ±
O
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Ludwig Ho/t/wehi —München.
ARCHITEKT LUDWIG HOHLVVEIN -MÜNCHEN.
Verkleidungen und als Friese. Zu ihnen gesel-
len sich die schablonierten Einfassungen der
Wandfelder, deren Muster nach Möglichkeit
milder farbensatten Ornaiiientierung der Stoffe
übereinstimmen. Und überall die kleinen, hei-
teren, wenn auch keineswegs süßlichen Koket-
terien der Volants und Rüschen, die die Räume
mit hübschen schmückenden Schatten und Li-
nien bevölkern. Die Gewebe bilden in den
neuen Hohlweinschen Räumen eine Welt für
sich; sie liefern die Dekoration und die Möbel
liefern die Architektur.
Ich erblicke in der Vermeidung aller beleb-
teren Möbelformen nicht das letzte Wort, das
unser Kunstgewerbe zu sprechen hat. Dennoch
hat Hohlweins unterstrichene, wohl auch etwas
preziöse Formenschlichtheit in der Möbelgestal-
tung meinen vollen Beifall. Sie gewinnt ihren
Sinn durch die Kontrastierung mit dem farbigen
und ornamentalen Leben der Gewebemuster,
Mitten zwischen üppigen, großblumigen Stoff-
massen erhebt sich da die dunkle, spiegelnde
Fläche eines vollkommen glatten Mahagoni-
Röntgen-Saal im Hause ür. Bmegel— München.
schrankes. Das Auge empfindet die prachtvolle
Ruhe dieser nur von diskreten Reflexen beleb-
ten Fläche genau so, wie einen lang anhalten-
den Orgelton im farbigen Leben der übrigen
Orchesterstimmen. Auf der einen Seite höchste
Strenge , fast Wucht , auf der anderen Seite
Leichtigkeit, fast Tändelei ; die Grundnote tadel-
lose, gemessene Solidität, darüber hin entzük-
kende Glanzlichter der Laune und der Schalk-
haftigkeitgestreut. Das ist Ilohlweins Mischung.
Die strenge, geschlossene und glatte Front-
fläche ist natürlich nicht Hohlweins einzige Er-
scheinungsform des Möbels. Man kann beobach-
ten, daß er den geschlossenen Holzebenen in
kluger Abwägung eine entsprechende Anzahl
aufgelöster Flächen beigesellt. Dem erwähnten
Schranke im eigenen Schlafzimmer entsprechen
beispielsweise die in leichtes Gitterwerk auf-
gelösten Kopf- und Fußteile der Betten. Und
man kann es wohl einen liebenswürdigen Ge-
danken nennen, daß gerade das Bett diese Ver-
minderung an Schwere erfahren hat. Das Bett
ist hier nicht die dumpfe „Schlafkiste", die das
H^
ARCHITEKT LUDW. HOHLWEIN.
SPRECH-ZIMMER DR. BRUEGEL MÜNCHEN.
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ARCHITEKT LUDW. IIOHLWEIN.
WARTE-ZIMMER UK. BRUEGEL MÜNCHEN.
Z.tul7vii' HoJihvei)i—3fihi(he)i.
AKCttlTEKT LUDWIG HÜHLVVEIN— MUNCUE.N.
Schlafen gleichsam als eine schwere, finstere
Verrichtung erscheinen läßt. Es hat etwas Korb-
ctrtiges, Luftiges an sich und weist alle Vor-
stellungen von dumpfer Hitze, die mit den Holz-
und Federburgen älterer Ordnung eng verbun-
den waren, weit von sich.
Immer aber ist für seine Möbelgestaltung —
auch hierin liegt eine Ähnlichkeit mit dem
Schaffen Emanuel v. Seidls — feinstes architek-
tonisches Gefühl maßgebend. Sauber schließt
sich Fläche an Fläche, Winkel an Winkel, die
Massenverteilung berücksichtigt peinlich die Ge-
setze der optischen Statik, und selbst gelegent-
liche Paradoxien, wie die gedrehten Verdickun-
gen an den Füßen des Bibliothektisches, sind
durchaus gelungene Wagnisse.
Ausgezeichnete Effekte erzielt der Künstler
durch die streng durchgeführte Einfassung und
Abteilung der architektonischen Wandfelder.
Sie gliedern den Raum und dienen dem Auge
als „optische Hilfen" zur Einsicht in die Ab-
messungen. Sie grenzen gleichzeitig den Raum,
Wiihnung Dr. D. Herrenzimmer.
Ausführung: Ebner, Reicheneder & Schnell.
den jedes Möbelstück zu beherrschen hat, sauber
ab und geben dem Möbel die stärkste Betonung,
die sich denken läßt. Daß ein Möbel an sol-
chermaßen eingeteilten Wänden heimatlos und
verloren dasteht, wie wir es leider so oft in
der Mietwohnung erleben, ist vollkommen aus-
geschlossen. Die Mietwohnung hat wohl auch
ihre architektonischen Felder, aber sie sind in
der Regel unklar in der Begrenzung und geben
deshalb dem Möbel, das sie zu eigenem Nutzen
fühlbar machen möchte, keine Unterstützung.
Zu den klaren, wohlbegrenzten und verkleiner-
ten Flächen, wie sie Hohlweins Einfassungen
liefern, tritt aber jedes Möbel sofort in irgend
eine Beziehung. Die Abstände der Möbelkon-
turen von den Friesen werden vom Auge so-
fort erfaßt und in ihren Verhältniswerten er-
kannt. Der Erfolg ist wohltuende Beruhigung,
von der nicht bloß die Wand und das einzelne
Möbelstück, sondern auch der ganze Raum
Nutzen zieht. Erstaunlich ist es, wie selbst
kleinere Gegenstände (kleine Bilder, Spiegel,
243
ARCHITEKT lA'DWIG HOHLAVEIN.
SOPHA-ECKE IM SPEISE-ZIMMER DR. D. MÜNCHEN.
ArSFÜHRl'NO : EBNI-.K, RElCHtSl-.DER & SlHNHl.I. — MÜNCHEN.
LUDWIG HOHLWEIN -MÜN'CHEN.
AUS DEM SPEISE-ZIMMER DR. D.— MÜNXHEN.
'■'«s^-f^i-^i^k:-^y^.:^i!^^!^C^V9i^
ARCHITEKT LUDWIG HOHLWEIN-MÜNCHEN.
GLÄSER-SCHRAXK UND KREDENZ IN VORST. SPEISE-ZIMMER.
1910/11. lU. 7.
Liuiima Hoh/wein —Älutichen.
ARCHITEKT LUliWIi; HoHI.WF.lN \1 UNiJH !■ N.
Wandleuchter usw.) durch diese Art der Wand-
einteilung an Wichtigkeit und Bedeutung ge-
winnen, wofern sie an den richtigen geome-
trischen Punkten der freien Wandflächen ihren
Platz finden. Jeder, der schon einmal in der
Lage war, mit den formlosen Wandwüsten der
Mietwohnung um ein paar betonte Punkte für
seine Bilder zu kämpfen, wird das zu würdigen
wissen. Man schwankt da immer : soll der
Wandschmuck nach den formlosen Wandfeldern
geordnet werden oder nach den Möbel, deren
seitliche Grenzlinien aufwärtssteigend ihrer-
seits eine Art von Wandeinteilung erzeugen.
Hohlweins Wandgliederung löst die peinliche
Frage sofort und mühelos. Mir scheint, der
Miethausbau könnte aus seinem Beispiel großen
Nutzen ziehen, indem er, ohne eine selbstän-
dige einengende Wandgliederung zu versuchen,
wenigstens die vorhandenen architektonischen
Felder zu klarer Abgrenzung brächte.
Vergleicht man diese neuesten Schöpfungen
SchlalziiDnicr ilcr eigenen Wohnung.
Aiisfüliriing : Ebner. Reicheneder & Sclinell
Hohlweins mit seinen älteren Arbeiten, so er-
gibt sich der Eindruck erfreulichen Fortschrei-
tens. Das Element Wien, das früher hie und
da hervortrat, fehlt ihnen vollkommen. Ein
engerer Anschluß an das Englische ist unver-
kennbar. Aber er hält sich so sehr in erlaub-
ten Grenzen, daß man nicht ungern mehrere
unserer Architekten auf diesem Wege sähe,
auf dem sie sich etwas von kontinentaler
Schwere befreien könnten. Gewisse Motive
des neu-englischen Zimmers könnten, so sehr
ich auch von der unbedingten Überlegenheit
der deutschen Innenausstattung überzeugt bin,
unseren Architekten sehr wohl als Anregung
dienen, so die Ausgestaltung der Feuerstellen,
der Kaminwände, der Sofas, der Sitzecken, der
Zimmerdecken. Hohlwein hat unter anderem
in seinen neuen Raumschöpfungen bewiesen,
daß das Wohn- oder Arbeitszimmer sehr wohl
ohne die schon zum Klischee gewordene Ver-
einigung von Eckschrank und geteiltem Sofa
249
I
ii
■j^^-j^oi-:
LUDWIG HOHLWEIX MÜNCHEN. WAbCH-TisCH aus dem nebenstehenden schlaf-zimmer.
Ludivis Hohlwein -München.
ARCHITEKT LUDWIG HOHLWEIN- MÜNCHEN.
auskommen kann; auch daß ein Sofa sehr gut
ohne die entsprechenden, gleichartigen Fau-
teuils zu existieren vermag und anderes mehr.
Nicht gerade engUsch, nicht einmal ganz neu,
aber wenig gebraucht und doch sehr hübsch
finde ich sein System der Wandleuchter. Die
Zentralisation des Lichts im Zimmer hat zweifel-
los ihre Vorzüge und kann nicht entbehrt wer-
den, weil man zum Essen oder Lesen alles
Licht auf dem Tisch versammeln muß. Aber
das an der Wand zerstreute Licht ist ungleich
vornehmer und schmeichlerischer, dabei so
stimmungsvoll, daß keinem größeren Räume
die entsprechenden Vorrichtungen fehlen soll-
Schlafzimmer der eigenen Wohnung.
Ausführung: Ebner, Reicheneder & Schnell.
ten. Das Licht ist ein Teil der Toilette eines
Raumes. Warum sollten unsere Wohnräume
nicht einmal die Toilette wechseln dürfen?
Eines darf bei der Würdigung der hier ab-
gebildeten Raumschöpfungen nicht vergessen
werden: der Umstand, daß es sich hier nur um
durchschnittliche, begrenzte Aufgaben handelte,
zum Teil um die schwierige Anpassung an vor-
handene und denkbar ungeeignete Räume. Um
so höher ist der erzielte Effekt zu werten, und
um so interessanter wird die Vorstellung, wie
sich dieser Künstler, der bescheidene Aufgaben
so fein zu lösen wußte, bei freieren oder gar
großen Aufgaben bewähren würde. w. m.
2x1
Norhal Falk^
FRANZ CHRISTOPHE-BERLIN.
Da alles auf Erden Sohn, Tochter und Enkel
ist und unser leidiges Wissen uns immer
gleich an die Genesis der Dinge denken läßt,
statt daß wir uns am Objekt recht objektiv er-
freuen, so belästigt uns beim ersten Anblick
eines Künstlerphänomens der Gedanke an
dessen Elternschaft , Abkunft , Stammbaum,
Der genealogische Sparren sitzt uns im Kopf.
In der Musik haben ihn die Reminiszenzen-
jäger. In der Literatur tritt er als Plagiatäsie
auf. In der bildenden Kunst bläst er auf den-
selben Flöten , aber hier kommt noch eine
Nuance hinzu: das bildnerische Vortänzer-
tum. Wenn man solcher Art Hofballelemente
ins Gebiet der Abstraktionen überpflanzen darf.
Wenn ich eine Mappe mit den berückend
grazilen , schlanken und geistdurchleuchteten
Zeichnungen Franz Christoph es durch-
blättere, so wird mir so ein gelbsüchtiger Haar-
spalter lang und breit zu erzählen beginnen, was
doch die Bekanntschaft mit den japanischen
Holzschneidern für fruchtenden Samen im deut-
schen Kunstland ausgestreut hat , und wie
Beardsley die Brücke ist, über die sie sich alle
drängen. Aber das trifft heute schon jedes
Kind, beim Anblick solcher Blätter zu rufen:
„O, die Japaner! O, du gepudertes Rokoko!"
Franz Christophe ist , über Th. Th. Heine
hinaus, der eminenteste Japanist. Aberbeiwem
der ganze Stil so vollkommen Kunstausdruck
des eigensten Wesens wird wie bei Christophe,
der mag, angeregt durch die gelbe Welle des
Ostens, seine Anlagen zwar erst bewußt ent-
wickelt haben, — im Grunde wäre aber die
Physiognomie seines Oeuvre nicht viel anders
geworden, wenn er vor der Zeit unserer Ja-
panbekanntschaft geschaffen hätte. In dem
schlanken , schmalen , geschmeidig - kantigen
Künstler klingt ein starkes Echo aus den
Glanztagen des französischen Rokoko ; die
Schatten getanzter Gavotten und Menuetts
huschen mit kinematographischer Deutlichkeit
durch das Unterbewußtsein dieser subtilen
Künstlerpsyche, und der Geist der gestutzten
Alleen, der theatralischen Lyrik und des leis
aufklärerischen Sarkasmus hätte den feinen,
schlanken, fest den Griffel führenden Fingern
die bizarr-drollige Note diktiert, auch ohne
die Verschwisterung mit der stilisierten Im-
prcssionistik der Männer von Nippon. Aber
eine glücklichere Berührung hat es wohl selten
gegeben als die des bewußt zitierten Rokoko-
geistes mit der japanischen Formenseele. Die
mit Varieteparfüms durchdüftete Neuroniantik,
252
Franz Christophe— Berlin.
nuanciert mit der krausen Drölerie des Bieder-
meiertums, hat bei Christophe einen entzük-
kend ironischen Stil geschaffen, der in gewoll-
ten Verkünstelungen, in pantomimischen Mum-
mereien, in grotesken Attitüden, in Spaßen
kichernder Burlesken sich köstlich überlegen
auslebt. Christophe ist ein Zeichner, wie wir
wenige haben und hatten. Das abgeschabte
Wort „meisterlich" wäre vielleicht doch an-
zuwenden, aber es drückt zu viel Akademi-
sches aus. Christophe ist aber so gar nicht Aka-
demiker. Er hat die volle, rechte Freude am
Linearen und doch an der Verzerrung, er be-
nützt die reife Kunst der Ausführung, aber er
liebt doch zu sehr die Andeutung; er ist ganz
vom Reiz des Hinweises durchprickelt und
er liebt die Fixierung des huschendsten Mo-
ments. Das, was die andern so gern umgehen,
teils weil sie es gar nicht sehen, teils weil sie
es nicht lebendig festzuhalten vermögen. Er
hat eben auch das Leben studiert, wie nur
irgend ein Naturalist. Den Reichtum natura-
listischen Könnens hat er fest angelegt, wie ein
Kapital, das man Zinsen schwitzen läßt, ohne
sie zu verzehren. Und er transponiert die Lebens-
dokumente in lineare Bizarrerien ; daß sie
nicht dekadent, nicht morbid wirken, daß sie so
frisch, bei aller gespielten Entartung so keck-
gesund sind, das bewirkt eben sein Fonds von
Naturschätzen. Das lebendige Detail ist aber
nicht zusammengetragen, nicht bei Gelegenheit
aus der Botanisier-Trommel ausgepackt und
iR.V:\Z CHklSTÜPHE.
Zeichnung.
Franz Christophe— Berlin.
hingesetzt ; was sein raubvogelscharfes Auge
gesehen hat, das gräbt sich in sein Bewußtsein.
Und im Moment des Schaffens taucht es auf
und ist im Wege der Umstihsierung haarscharf
da. Nicht aus dem Nebeneinandersetzen von
sorgsam inkunst- und kulturhistorischen Museen
mit dem Stift studierten Details aus dem 18. Jahr-
hundert ergibt sich ein professoraler Echtheits-
effekt; in Christophe lebt die Zopfzeit, die er
so liebt, und die ihm seiner graziös-eleganten,
aber gänzlich unsüßen, bei allem Spielerischen
doch männlichen Art so formenreich entspricht.
Es ist in ihm etwas vom chevaleresken Wesen
der Galants im Pompadourkreis ; er hat die
Alkoven-Amouren belauscht, von denen uns
die Novellisten und Biographen erzählen, er sah
die grell geschminkten Bajaderen der Wander-
bühnen, sah die Junker zur Jagd reiten, sah sie
fechten und spielen, sah die geschnürten Frauen
im rauschenden Reifrock und die schlanken
Kavaliere im hohen Stöckelschuh. Sah die galo-
nierten Mohren, die kniend der in dem Seiden-
fauteuil hingelehnten Schönen ein Billetdoux
auf dem Silbertablett überreichen, sah die auf-
horchenden Windspiele, sah die sinnlich-ko-
ketten Damen, die hochgeschürzt im Schäfer-
spiel auftreten und mit grazil-pathetischer Ge-
berde aus Füllhörnern Rosen streuen. Und
ihn fesselten die pittoresken Silhouetten, die
Flimmer und Pünktchen, die Jabots und Spitzen-
guipüren, die Linie der vom prallen Seiden-
strumpf umspannten Wade , die Masche des
Zopfs, die weißgepuderte Haarkrone, der be-
fiederte Dreispitz, die schmale, erregte Mar-
quisenhand, der spitz, wie ein weißes Züng-
lein vorlugende Seidenschuh. Und Christophe
hat die Rhythmik des ancien regime, und er
hat sie nicht in der dekadenten Note der Mit-
lebenden, sie klingt in ihm im hellen Klang
des verliebten Beobachters, der bei all seiner
Neigung nicht die Schärfe des Ironikers ver-
liert. Und eben diese Ironie — F^erment der
Romantik! — ist es, die ihn frei werden läßt
von aller Schwere des Stoffes. Er ist über
den Dingen, und mit fester Hand fügt er das
wahre Leben in die Geometrie seiner souve-
ränen Linienführung. Wie entzückend akkurat,
wie sauber ist doch bei aller Regelfreiheit
seine Arbeit. Es ist alles gesehen, im Leben
oder visionär, gekannt und hingesetzt. Ein
Fanatiker der feinen Linie, des nadelscharfen
Strichs ist doch bei ihm alles wieder weich
und fleischig rund. Stets hat er den Ton, der
dem Gegenstand adäquat ist. Wie trifft er die
Chinoiserie in der Vision des knienden Mäd-
chens, das den gespenstischen Reiter daher-
stürmen sieht! Und wie niederländisch kräftig
und nervengesund ist die prächtig in der Be-
wegung innehaltende Frau vor dem Vorhang.
Eines seiner schönsten Blätter gibt eine Situ-
ation, in der der Geist des galanten Jahrhun-
derts in einer ungemein feinen künstlerischen
Komprimierung erscheint. Die pikante Frau,
die auf der Chaiselongue ruht, ist eben beim
Stelldichein mit ihrem Liebhaber gestört wor-
den. Der Gatte erscheint hoch zu Roß vor der
Balustrade, die eine Loggia oder Garten veranda
graziös abschließt. Mit der Reitpeitsche deutet
der unwillkommene Kömmling , mißtrauisch
lauernd auf einen verdächtigen Punkt. Und
während die junge Frau dem Gatten ein gleich-
gültig-ruhiges Gesicht mit echt Christophe'sch
spitz vorspringendem Kinn zukehrt, schürzt sie
geschickt die geblümten Röcke bis über die
Knien hoch, so daß der Liebhaber eine vor-
zügliche Deckung erhält und in kriechender
Stellung entwischen kann. Der ganze Vorgang
ist höchst bildhaft und in meisterlich sicherer
Komposition in ein Oval gefügt. Und wie einen
Kulissenabschluß setzt der Künstler in den rech-
ten Hintergrund dieses Theaters von 1750 eine
Art gerader, steilgeschorener Laubwand mit
einem fensterartigen Ausschnitt, in den er einen
stehenden weiblichen Akt fügt, der halb ver-
zückt, halb in schreckhafter Vorsicht ein Bein
hochzieht. Diese mitspielende Statuette ist voll
sinnreicher Beziehung zu dem ganzen Vorgang
und macht das Buffoterzelt zum voller tönen-
den Quartett. Das ganze Bild klingt. Wie ja
die ganze Art Christophes auf eine musikalische
Formel zu bringen wäre. Kontrapunktik der
Linienkunst. Alles löst sich ihm zu einem
wundersamen Linienspiel voll intimer Beziehun-
gen. Und wieder aus dem Musikalischen ins
Bildnerische übersetzt: Das Leben — ein Or-
nament. In buntem Spiel läßt Christophe gern
entartete Empfindungen die hingezeichneten
Körper, die verfeinerten Glieder beseelen; das
innerste Ich seiner Kunst wird aber frei, wenn
sich, so bekennt er: die reiche Linienverknäue-
lung im richtig abgewogenen Verhältnis zu ^
großen, ruhigen Flächen aufbaut. Den höchsten '
künstlerischen Reiz machen für ihn dann die
sinnreichen Beziehungen der Figuren und Dinge
untereinander aus. Seelische Korrespondenz.
Am charakteristischsten für ihn ist die Zeich-
nung, die „bei Vermeidung malerischer (im
Sinne unzeichnerischer) Effekte, die den besten ,
Arbeiten immer eignende lyrische und doch 1
gleichzeitig ironische Note voll ausdrückt". In
diesem Satz ist der ganze Christophe umschrie-
ben. Der bewußte, sichere Könner, der subtile
Empfinder und überlegene, kühl vornehme Be-
lächler norbert k.vlk.
III
254
FR.\XZ CHRISTOPHE BERLIN, r.ujieru.ng.
1810,11. 111. 6.
2^6
KAIHARINA GREVE-HAMKURGER CHARLOTTENBURG. TASCHCHEN AUS SEIDEN- U. SAMT-BÄNDERN MIT PERLEN.
DEUTSCHE WERKSTÄTTH FÜR HANDWERKSKUNST DRESDEN, G. M. b! H.
258
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MÜNCHEN.
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TÜLL MIT
GLANZGARN
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ENTWORFEN VON LAURA KUNO STUTTGART.
MONOGRAMME UND EIGENZEICHEN. ENTWORFEN VON HANS THEODOR HOVFR NEV-PABEI PKFRG.
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G. HAUTE BASEL.
JULIUS NITSCHE MÜNCHEN.
G. HAUTE BA.SEL.
RUDOLF KELTEN— HAMBURG. M. SCHELLERT - LOSCHVViTZ. RUDOLF FELTEN HAMBURG.
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MONOGRAMME UND EIGENZEICHEN.
ENTWURF: PAUL DIENST— DRESDEN.
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KARL SIGRIST STUTTGART.
LOTTE PIEPER— OFFENBURG. GUSTAV LUDECKE— DRESDEN.
SCHW.'VNHLLD HENTSCHEL BUCHHOLZ. SCHVVANHILD HENTSCHEL— BUCHHOLZ.
KARL SIGRIST— STUTTGART.
TONI HOFER WIEN.
HEINRICH JO.ST MÜNCHEN.
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MONOGRAMME UND EIGENZEICHEN. ENTWURF; GEORG BREITWIESER— LANGSTADT.
I
I
I II
i
I
KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.
NOVEMBER 1910.
DER BERLINER SCHAUFENSTER- WETTBE-
WERB. Über das Prinzipielle braucht an
dieser Stelle nicht abermals geredet zu werden.
Es ist oft genug erörtert worden und versteht sich
von selbst, daß ein Schaufenster als architektoni-
sches Glied, als Farbfleck, als Plakat, als Bühne
zu begreifen ist. Es ist nicht minder selbstver-
ständlich, dap in das Schaufenster nur die Waren,
die jeweilig von dem Ueschäft gehandelt werden,
hinein gehören; dag diese Waren nicht zu Panop-
tikumseffekten zu mißbrauchen sind. Damit ist
eigentlich alles gesagt; ist zugleich nichts gesagt.
l.erjten Sinnes hängt hier wie überall das Wesent-
liche am Instinkt dessen, der gestaltet. Geset5e
sind Schall und Rauch; das Können ist alles . . .
Aus der diesjährigen Ernte einige typische Fälle:
die Schokoladengeschäfte und Konditoreien blieben
ahnungslos. Sie machen noch immer aus Pralines
und Bonbons mit entsprechenden üestellen Bäume
und Blumen und tausend andere Dinge; ein wenig
im Jugendstil. Sie zeigen zugleich veritable Land-
häuser aus Schokolade; stellen zwischen die Bor-
kenschokolade Heinzelmännchen. Aus Nougat, weils
braun aussieht, machen sie Terrakottavasen. Und
weil Marzipan sich kneten und färben läßt, fabri-
zieren sie daraus tote Hühner und saure Ourken.
Auch bemalen sie die Torten mit waschblauen
Windmühlen, stecken einem Turban aus Kuchenteig
gesponnenes Glas als Federbüschel an und stellen
solche Herrlichkeiten zur Parade in den Guckkasten.
Ähnliche Überraschungen finden sich auch sonst
noch. Eine Stahlwarenfabrik operiert mit einer
Riesenschere; ein Institut für Schreibmaschinen
wandelt das Fenster in einen Seehafen mit richtig
flieJ5endem Wasser, baut den halben Rumpf eines
Ozeandampfers hinein und belastet das Deck, wäh-
rend der Schornstein raucht, mit Kisten. Darin
stecken natürlich besagte Tippmaschinen; Motto:
Kostbare Fracht. Minder unsinnig ist es, wenn
etwa ein Delikatessengeschäft einen Frühstückstisch
aufbaut, oder eine Weinhandlung ein Sektgelage
zeigt; nur dürfen dann nicht angerauchte Zigarren
umherliegen. Auch ist es nicht appetitlich, wenn
ein Geschäft für Herrenwäsche einen wächsernen
Adonis im seidenen Dekollete vorführt. Harmloser
schon verfuhr ein Puppengeschäft, das mit Störchen
und Fröschen ein Kinderparadies komponierte und
darüber schrieb: „Hier sind hübsche kleine Buben
billig zu haben". Daß indessen auch Spielsachen
nach einer geistreicheren Methode aufzubauen sind,
bewies das Albrecht-Dürerhaus, das mit Kaulitj-
puppen, hölzernen Tieren und Soldaten ein ebenso
drastisches wie feines Angebot zusammenstellte.
Am leichtesten haben es immer die Läden für
Damenkleidung und Damenstoffe. Da quellen die
Farben reich, und der Bukets gibt es stets die
Fülle. Einige Stoffe, in ungezwungenen Falten
fallend, gegen "einen" gutgestimmten Hintergrund
gestellt, mit wenigen Blumen^akzentuiert, das ge-
währt stets ein delikates Bild. Besonders, wenn
für jedes Fenster die Skala einer einzigen Farbe
oder ein klarer Zusammenklang gewahrt blieb.
Wesentlich schwieriger schon ist die Unterbringung
von Porzellan, überhaupt die von kleinen Gegen-
ständen. Hier tut man am besten, einen festen
architektonischen Rahmen zu schaffen. So ver-
fahren die Schuhgeschäfte, soweit sie sich einem
geschmackvollen Dekorateur anvertrauen. Julius
Klinger und Lucian Bernhard sind als Spezialisten
der Schusterei gut bekannt und bewährten sich
auch diesmal. Klinger stellt schwarze Lackstiefe-
letten in weiße Rahmung, die durch gelbe Holz-
stäbe nach wienerischem Rhythmus aufgeteilt wurde ;
das ist sehr pikant. Bernhard baut durch das
ganze Fenster eine Reihe von Logen, nach vorn
offen, grau bezogen; darin stehen auf Terrassen
(jede Etage in gereihte Ovale aufgelöst) die zarte-
sten Chaussüren, zu deren Farbe seidene Strümpfe
einen Akkord antönen. Noch besser als diese bei-
den Schuhfenster waren die Auslagen, die Krotowski
für ein Herrenmodegeschäft arrangiert hatte. Arran-
giert, ist falsch gesagt ; er halte Bilder gestellt, dabei
um Haaresbreite die Sachlichkeit gewahrt und das
Stilleben gemieden, dabei zugleich den Raum archi-
tektonisch wirksam gemacht. Am trefflichsten ge-
lungen war ein Eckfenster ; querdurch ein Vorhang aus
violettem Samt, auch der Boden mit dem gleichen
Stoff ausgelegt, und darin nichts weiter als, über
einen kostbaren Lehnstuhl gebreitet, eine Johanniter-
Uniform (es kaufen hier nur feudale Herren), deren
scharlachenes Rot durch den schwarzen Seiden-
mantel und den weißen, daneben liegenden Über-
hang hellauf strahlte. Im Hintergrund, dicht vor
der violetten Wand, hochgehoben, ein bronzener
Leuchter, darin eine Kerze, stark wie ein Hand-
gelenk, mit ruhiger Flamme brennend. Nicht min-
der gut: der Hintergrund mit grobem, braunem
Rupfen bespannt, links ein schwerer Lederkoffer,
darauf ein grünes Plaid, Stocl< und steifer Hut,
rechts ein Rohrstuhl, darübergelegt hellgelbbraun
eine Decke, ein Mantel. Wenn diese Fenster eine
festzugreifende, männliche Entschlossenheit fühlen
ließen, so empfingen wir durch die des Fräulein
von Hahn (A. Wertheim) einen spezifisch femininen
laio/u. 111.
26:
Kleine Kunst-Nachrichten.
Eindruck. Feminin im Sinne einer graziösen Schmieg-
samkeit, einer kapriziösen Lust am Spiel, am Par-
füm und am Tanz schillernder Farben... Gesamt-
eindruck der Konkurrenz: es geht vorwärts; es or-
ganisieren sich immer mehr Spezialisten; auch der
normale Dekorateur beginnt sich anzupassen. Was
ihm hoffentlich bald noch besser gelingen wird,
wenn er erst durch die neue Schaufensterschule
gegangen sein wird. Diese Akademie der höheren
Dekorationskünste hat soeben ihre Pforten ge-
öffnet. Der Kultur des Schaufensters sind die
Wege bereitet. — robkrt breuek.
OLBRICH IN DER AKADEMIE. In der König-
lichen Akademie der Künste zu Berlin wurde
dem früh verstorbenen Olbrich eine Gedächtnis-
Ausstellung gewidmet. Darob möchte man meinen,
daf5 in Preußen jetjt Zeichen und Wunder ge-
schehen. Wie kam einer der Kecksten der Mo-
dernen in den Tempel der unentwegten Tradition.
Schweig' Frage still. Uns kann es recht sein;
hoffentlich bekommt's den Professoren. Die Aus-
stellung gewährte einen guten Einblick in Olbrichs
Arbeitsweise. Man sah das Werk eines Zeichners,
eines, der mit dem Bleistift und mit zarten Feder-
strichen das hinschreibt, was hernach von den
Gehilfen in das Körperhafte und Räumliche über-
setzt werden soll. Aber, und das ist das Entschei-
dende, Wort für Wort, Buchstaben für Buchstaben.
Es wäre gar nicht so paradox zu sagen, daJ3 die
Zeichnung, der Entwurf, dem künstlerischen Wert
nach nur selten von der Ausführung überholt wird.
Die Zeichnung ist das Erschöpfende; das fertige
Haus, das Möbel, das Gerät ist wesentlich nichts
Höheres als das Ornament, das zuvor auf dem
Papier stand. Olbrich war ein fabelhafter Zeich-
ner; keiner in dem üblen Sinne des Fassaden-
reifjers, vielmehr ein Zeichner aus dem Geiste des
alten Handwerkes, aus dem Geiste Dürers, Vischers
und derer, die den gotischen Türmen das plasti-
sche Leben, den Sakramentschreinen die glühende
Herrlichkeit gaben. Recht betrachtet, war eben
Olbrichs Zeichnung nie papiernen, nie leblos, aber
auch nie phantastisch. Jeder Strich war Produktion
und darum blieb alles Schaffen, jede Materialisation
anmutig, blutvoll und reich an Phantasie. Es ist
billig zu sagen, daf^ Olbrich auch als Bauender
nicht eigentlich Architekt war. Das stimmt und
läfit sich leicht an den Dokumenten der Berliner
Ausstellung nachweisen. Olbrich empfand weniger
das Räumliche als die Begrenzung, die schöne
Einfriedung des Raumes. Er regierte aber das
Äuf^erliche so absolut, daf; auch das Innere dadurch
Gestaltung bekam. Diese Entwicklung wird deutlich,
wenn man das Haus für die Wiener Sezession, die
Bauten auf der Mathildenhöhe und das Düssel-
dorfer Warenhaus vergleicht. — i;reuek.
DÜSSELDORF. Die Ausstellung des Son-
der-Bundes. Weder die alte noch die
neue Sezession in Berlin dürften diesmal so viel
Interesse beanspruchen als der „Sonderbund west-
deutscher Kunstfreunde und Künstler". Der Name
sollte besser gewählt sein; und das Vorwort des
Kataloges vollends war geeignet, auf falsche Fährte
zu locken. Keine Sonderbündler haben wir vor
uns, sondern die Zusammenfassung aller vorwärts-
strebenden Kräfte in der Kunst; keine Französlinge
(nach dem Vorwort!), wohl aber ein Programm;
nur das entschieden nach neuen Formen, neuem
Ausdruck Ringende war zugelassen; ob deutsch,
französisch oder belgisch. Das Eigene an dieser
Veranstaltung war eben die internationale Zu-
sammengehörigkeit der Qualität im Sturm und
Drang der Jüngsten; ihr Ruhm die tadellose
Organisation der Zusammenhänge (wenn auch
leider Cezanne und van Gogh fehlten). Die
Düsseldorfer bildeten eine Enklave; Deusser und
Ciarenbach prachtvoll wie immer, Ophey kühn
in Sonnenschimmer schwelgend. Den größten Teil
aber nahmen die jüngsten Bewegungen ein: Die um
Matisse,um Hofer, um Nolde. Merkwürdig altmeister-
lich berührte unter ihnen das Ehrenmitglied Lieber-
mann. Das Düsseldorfer Publikum rang die Hände
und entrüstete sich. Man denke sich auch: Matisse
und Kees van Dongen unvorbereitet genießen zu
müssen ! Von den „weniger jungen" Franzosen
war nur Roussel mit feingetonten Idyllen und Bac-
chanalien nach Gebühr vertreten. Auch Matisse
mit drei, freilich bezeichnenden Bildern erklärte
sich nicht selbst genügend; von van Dongen nur
ein packendes Frauenbild. Der zu hohen Erwar-
tungen spannende Manguin vertrat glänzend die
Nachfolge Cezannes; Puy, Braque, O. Frieß, Camoin,
üuerin die von Matisse. Eine Flut stärksten Kolo-
rismus erschien in den Münchner Polen Kandinsky
und Jawlewsky; dieser, bei manchen Sonderlich-
keiten, oft hinreißend. Vor allem aber interessierten
uns die jungen Deutschen, noch in der Gärung,
noch stark im Banne von Matisse, van Gogh,
Cezanne, aber mit verheißungsvollen Ansäßen:
Karl Hofer, der troß Cezanne noch nie so nahe
Marees war; schwächer Brühlmann, sehr gut
E. R. Weiß und der wundervoll schwermütige
Wätjen. Als entschiedenste Koloristen traten vor
allem Nauen, Nolde und Rohlfs auf; Kirchner und
Schmidt-Rottluff, weit günstiger als in ihrer Graphik,
schließen sich an. Ein neuer und sehr verheißungs-
voller Name war Ottilie Reyländer aus Rom. - Auch
die Auswahl der Plastik stand unter ähnlichen
Prinzipien, aber gerade umgekehrt unter strengster
Stilzucht: zwischen Minne und dem grandios ver-
einfachenden Barlach; Bosselt, Oßwald und Haller
ließen die Nähe Maillols empfinden, v. v. sc h.midi.
Ä
204
K/eiiie Kvnst-Nach richten.
PROFESSOR E. VETTERLEIN ÜARMsTADT.
DARMSTADT. Am 9. November feierte der
Herausgeber der „Deutschen Kunst und Deko-
ration" seinen 50. Geburtstag, zu dem von zahl-
reichen Künstlern, so von Leopold Graf Kalckreuth,
Hans Thoma, Ferdinand Hodler, Franz von Stuck,
Emanuel v. Seidl, Peter Behrens, Ludwig v. Hofmann,
Artur Volkmann, Heinrich Vogeler, Jos. Hoffmann,
Kolo Moser und vielen anderen Glüdiwunschkund-
gebungen einliefen. Auch seitens der städtischen
Verwaltung, auswärtiger Korporationen und vieler
hochstehender Persönlichkeiten wurden Glück-
wünsche ausgesprochen. Von den Mitgliedern der
Verlags-Anstalt und den Vertretern der Druckereien
wurde dem Jubilar eine Festadresse überreicht,
ein kostbares Druckerzeugnis in Gold und Schwarz
auf echt Japan und in Pergament gebunden.
Es darf aus diesem Anlaf; wohl auch hierauf die
Verdienste hingewiesen werden, die Hofrat Alexander
Koch als Förderer des deutschen Kunstgewerbes
errungen hat; seine Arbeit und seine Erfolge sind
aufs engste verknüpft mit dem Aufstieg der ange-
wandten Kunst; er ist ihr Pionier und Vorkämpfer
gewesen. Wenn auch das gewaltige Streben der
jungen Künstlerschar seinen Unternehmungen be-
sonders zustatten gekommen ist, so muß doch aner-
kannt werden, daß Alexander Koch es war, der durch
ein Zusammenfassen und energisches Propagieren
der künstlerischen Produktion Jung- Deutschlands
den Boden ebnete für die stolze Entfaltung, die
unser heutiges Kunstgewerbe erreicht hat. Die
„Deutsche Kunst und Dekoration", die Alexander
Koch eigens dazu ins Leben rief, die Interessen
der neuen Kunst und des jungen Kunstgewerbes
zu vertreten und die Werke der tatenfrohen, nach
Preisgekrönter Entwurf; Theater in Hagen.
einer einheitlichen Kultur drängenden Künstlerschar
weiteren Kreisen nahezubringen, sowie seine der
Weiterentwid<lung der deutschen Wohnkultur ge-
widmete Zeitschrift „Innen-Dekoration" sind der
Sammelplatz geworden für alles Kraftvolle und Ge-
sunde, was in unserer Zeit geschaffen wird.
Zu vermitteln zwischen Schaffenden und Ge-
nießenden, zwischen Produzenten>nd Käufern, so-
wie anzuregen und anzuspornen zu höheren, größeren
Taten ist das Ziel sämtlicher Unternehmungen Alex-
ander Kochs. Daß seine Zeitschriften diese Auf-
gabe in reichstem Maße erfüllen, darf wohl aus-
gesprochen werden. Die überaus sorgfältige Dar-
bietung der künstlerischen Arbeiten in technisch
vollendeten Reproduktionen hat erfolgreich gewirkt
und allenthalben Anerkennung gefunden ; für den
Schaffenden, den Ringenden ist es deshalb eine
besondere Genugtuung, wenn seine Werke an diesen
Stellen veröffentlicht werden.
Neben den weiteren Zeitschriften „Stickerei-
Zeitung und Spieen- Revue", „Tapeten -Zeitung",
sowie der früheren verdienstvollen Zeitschrift „Kind
und Kunst" verdanken eine ganze Reihe bedeutender
Fachwerke, die vornehmlich der künstlerischen
Gestaltung des Eigenhauses gewidmet sind, ihr
Entstehen der unermüdlichen Tätigkeit Kochs.
Auch sein Anteil an der Reform des Ausstellungs-
wesens (man vergl. seine Ausführungen über eine
„Deutsche nationale Ausstellung" im vorliegenden
Hefte Seite 226) und seine Mitarbeit an der Ver
wirklichung der künstlerischen Bestrebungen des
Großherzogs Ernst Ludwig von Hessen, die das
Land teilnehmen lassen am Kunstleben Deutschlands,
mögen hier noch erwähnt werden. — s.
26 j
Kleine Kunst-Nachrichteti.
STADT-THEATER FÜR HAC.EN i. W. Die Stadt
Hagen i.'.W.,'' die fastJlOOOOO Einwohner zählt,
muf; sich zur Zeit zur -»Veranstaltung von Theater-
Aufführungen" mit^einem'^ Saal' begnügen',' dessen
Abmessungen kaum den allerprimitivsten Anforde-
rungen genügen. Um diesem Übelstande abzuhelfen,
hat sich eine Aktiengesellschaft gebildet, die die
Errichtung eines Neubaues veranlaßt hat. Da das
Kapital der Gesellschaft beschränkt ist, muffte bei
dem Entwürfe des Baues auf äufierste Sparsamkeit
gesehen werden, wobei aber, im Interesse einer
angemessenen Betriebseinnahme, 1000 Sit^plätje er-
zielt werden mußten. Der von Prof. Dr. Vetterlein-
Darmstadt entworfene Bau wächst zur Zeit schnell
empor, damit er im Oktober 1^11 schon in Be-
nut3ung genommen werden kann. Er umfaßt elwa
34000 cbm und enthält alles, was zu einem guten
Stadttheater gehört. Die Bühne ist 20 m breit
und 15 m tief. Dazu kommt eine 15 m breite,
6 m tiefe Hinterbühne. Die Kosten des vollständig
betriebsfertigen Baues betragen nur 650 000 Mark.
Der Hauptfront ist seitlich ein Restaurationsbau an-
gegliedert, der einen harmonischen Übergang nach
den Nachbargebäuden bilden wird. Durch die sorg-
fältige Abwägung aller Massen, allmähliches An-
steigen nach hinten und Beschränkung des äuße-
ren dekorativen Aufwands wird ein vornehmer und
edler Eindruck erzielt, der den Bau als einen
Tempel der Musen charakterisiert. - r
Ä
BERLIN. Während des September und Oktober
waren bei Cassirer eine Anzahl von üe-
mälden jüngerer norwegischer Künstler aus-
gestellt, fast durchweg Arbeiten von jenem hohen
Niveau malerischer Kultur, dem wir dank den großen
Franzosen nunmehr überall in Europa begegnen.
Den Besten aber gelingt es auch hier wie bei uns,
über eine allgemeine, spezifisch malerische Leistung
hinauszukommen und das Werk mit jener persön-
lichen Stimmung zu erfüllen, die wir jenseits des
Handwerklichen immer lauter zu fordern berechtigt
sind. Wo man noch direkte Einflüsse konstatieren
muß, wie z. B. den Edward Munchs, da entdecken
wir zugleich das geringste Vermögen bei unzweifel-
hafter Begabung (auch wie bei uns). So L. Karsten
und Theodor Lanring. Wie immer, wenn man
auf die Schulung an Cezannes Werken stößt, ist
das rein Malerische einwandfrei, die individuelle
Empfindung aber verflacht, man könnte fast meinen:
absichtlich, wie bei Bernhard Folkestad, der
das Stilleben pflegt, und den üemälden Sören
Onsagers, der sogar noch Pariser Milieu bringt.
Dann aber kommen zwei Künstler, bei denen das
Handwerkliche nur mehr unbestimmt die Basis
europäischer Impressionisten-Kultur erkennen läßt,
und von denen Henrik Lund das spezifisch Nor-
dische in einer allgemeinen Heiterkeit der Färbung
betont, A. C. Svarstad aber in Koloristik, Wahl
des Ausschnitts, der Optik sich als der weitaus
Persönlichste erweist. Die starken dekorativen
Werte: Rot, Blau, Violett, ürün, Orange sind nicht
nur in vollendete Harmonie zu einander gesetjt,
sondern die Bilder entfernen sich von äußerlicher
Dekoration infolge der gleichzeitigen Pflege eigent-
lich malerischer Probleme: Raum, Form, Luft und
Licht. Auch er ist gereist (ersichtlich aus den
Motiven) und war in Italien, Paris, Flandern. Aber
er blieb stark genug, überall Nordländer zu sein
und Persönlichkeil. - Man kann der „Schwe-
dischen Sezession" vom Jahre 1886, die in den
Räumen der „Berliner Sezession" während des
Oktober und der ersten Novembertage ausstellte,
nicht nachsagen, daß man es an „nordischer Eigen-
art" hätte fehlen lassen. Ja, sie erscheinen als
so gute Schweden, daß man sie in der Mehrzahl
schlechte Maler nennen muß. Beinahe 300 Bilder
und einige 60 Plastiken erlauben eine Charakteristik
der künstlerischen Bestrebungen dort zu Lande,
die im wesentlichen zutreffend sein mag. Man
pflegt die nordische Landschaft und geht nicht
wenig ihren seltsamen Lichteffekten nach. Daher
die unmalerisch hart abgesetjten Farbenkomplexe,
oft durch zeichnerische Konturierung selbst schwar-
zer Färbung, begrenzt. Ja, kohlrabenschwarze
Schatten entdeckt man verwundert, und die Öl-
technik dieser Schweden wirkt wie kolorierter
Holzschnitt oder Farbenlithographie, so bei Nils
Kreuger, der sonst nicht schlecht zeichnet. Ge-
legentlich erinnert sich einer daran, daß er eigent-
lich in Öl und im Tafelbild doch „Maler" sein
müßte, und man findet ein gutes Porträt oder
hübsches Interieur, wie bei Richard Bergh und
Aron Gerle. Aber sobald sie dann zu landschaf-
tern beginnen, wird die Malerei unstofflich, äußer-
lich dekorativ und im ganzen ohne höheres Niveau.
Besonders wenn sich die Technik dem Pointillis-
mus nähert, wie bei Eugene J ansson , Lind-
ström, Nordström, Norrman, von Hennings
usw. Aber mit nicht geringer Freude begegnet man
dann zwei „Malern", Ernst Josephson, dem Be-
gründer der Gruppe, von dem man allerdings schon
weit bessere Sachen sah und dessen nur psycho-
logisch interessierende Arbeiten aus seiner Wahn-
sinnszeit man nicht in solcher Breite hätte aus-
stellen sollen, - und Carl Wilhelmson, der in
der Stimmung und Farbenwahl an Carl Larsson
erinnert und uns suggestiv nordisches Empfinden
und Milieu erleben macht, ein vortrefflicher Künst-
ler. Bruno Liljefors war einmal ein „Maler",
aber heute wendet sich von seiner äußerlichen
Manier der mit Bedauern ab, der seine früheren
Werke kennt. - Die Plastik weist durchaus
sichere und angenehme, freilich auch keine über-
ragenden Leistungen auf. - f.wald benijer.
266
FRANK EUGENE SMITH-
MÜNCHEN. SELBST-BILDNIS.
FRANK EUGKXE SMITH.
Bildnis-Photographie.
NEUE PHOTOGRAPHISCHE KUNSTWERKE
VON FRANK EUGENE SMITH.
Der Begriff des „photographischen Kunst-
werkes" ist eine Neuheit, die einen geist-
vollen Ästhetiker zu einer fesselnden Darstellung
reizen könnte. Noch vor zehn Jahren galt die
Camera als die geheimnislose Abschreiberin des
Lebens. Sie war jener Grenzfall, der den Bereich
der künstlerischenWirklichkeitsdarstellung nach
der Seite der Objektivität hin abschloß. Sie
galt als Unkunst kat-exochen, und tausendfach
haben die Ästhetiker sich auf sie berufen,
wenn es sich den vielfältigen naturalistischen
Tagesströmungen gegenüber darum handelte,
die subjektiv -idealistischen Bestandteile, die
jedem Kunstschaffen doch von nöten sind, ins
rechte Licht zu setzen.
Die letzten Jahre haben diese Auffassung
von der Photographie wesentlich umgestaltet.
Streng genommen kann man heute von einem
einheitlichen Begriffe „Photographie" nicht
mehr sprechen. Die verschiedenartigen Mate-
rialien, deren das photographische Abbild zu
seinem Zustandekommen bedarf, die zahlreichen
Zwischenzustände, die es zu durchlaufen hat,
bildeten ebensoviele Gelegenheiten, die an-
scheinend seelenlose Tätigkeit der Camera mit
„Subjektivem zu infizieren". Diese Gelegen-
heiten wurden nach anfänglich zaghaften Ver-
suchen immer kühner ausgebeutet. Das Er-
gebnis ist das „photographische Kunstwerk",
über dessen vorzüglichsten Vertreter, Frank
Eugene Smith, den Leiter der Münchner Lehr-
und Versuchsanstalt für Photographie, ich hier
zu sprechen habe.
Es wäre Sache eines Fachblattes, die glän-
zenden Ergebnisse, die das von den reinsten
künstlerischen Antrieben geleitete Streben die-
ses seltenen Mannes gezeitigt hat, nach der
Seite der technischen Verfeinerung zu würdigen.
Vielleicht würde sich dabei mit überwältigen-
der Deutlichkeit ergeben, daß es sich bei Smith
nicht um erlernbare Kunstgriffe handelt, son-
dern um feinstes, künstlerisches Empfinden, um
erlesene, schöpferische Einfälle, deren Verwirk-
lichung von Fall zu Fall dem toten Apparate
1911. IV. 1,
269
Netie photooraphischc Ktmstwerke '•oii F. E. S/jii///.
KKANK KUGKNE SMITU MÜNCHEN.
auf Grund genauester Kenntnisse abgerungen
werden muß. Vielleiclit würde eine solche fach-
männische Abliandlung klarer nls die folgende
zeigen können, daß bei Smith und seinem Schaf-
fen menschliche Geistigkeit und künstlerische
Subjektivität bei weitem überwiegen. Wir haben
uns hier jedenfalls nur an die künstlerischen
Endergebnisse dieses Schaffens zu halten.
Ich bekenne, daß ich von diesen Ergebnissen
Kiiiclei-Bildnis-Phiitugraplüe.
nur mit reinstem Entzücken sprechen kann, mit
demselben Entzücken, das hochstehende Werke
der Malerei und der Plastik einzuflößen pflegen.
Man sagt wohl: es kann sich beim „photogra-
phischen Kunstwerke" äußersten Falles um
einen hohen Geschmack handeln. Aber ein
Geschmack, der der rohen Natur die Harmo-
nie der Linien, den Wohllaut der Massenver-
teilung, den Glanz und die siegreiche Kraft der
Wilhelm Michel -Münchm :
F. E. SMITH- Ml'NCHEX
Formen so sicher zu entreißen vermag. Was ist
dieser Geschmack anders als eine schöpferisch-
künstlerische Fähigkeit?
Man nehme beispielsweise das Halstuch des
Knaben mit der Tasse : nur von dem ewig-jungen
Narcisse Diaz, nur vom reifen Leibl oder vom
frühen Trübner ist Totes mit dieser Empfindung,
mit dieser feinschmeckerischen „Mürbheit" des
Farbenauftrages gemalt worden! Dieses Stück
Stilleben wirkt so verblüffend menschlich ge-
macht, daß man die Lupe zur Hand nehmen
möchte, um der Ausdrucksweise des imaginären
Pinsels, der das gegeben haben könnte, bis in
ihre letzten Feinheiten nachzugehen.
Überhaupt dieses ganze Bild. Wieviele „alte
Meister" gibt es, die ein Bildnis so vornehm
zu pointieren verstanden, wie es hier der Pho-
tograph getan? Wer hätte dieses fromme, ade-
lige Binnenlicht aufzuweisen, dieses köstliche
Licht, das die dargebotene Tasse so wunder-
voll betont, wer diesen Einfall mit dem imagi-
nären spitzbogigen Gebilde, das tiefe Schatten
PRINZEN LUITPOLD UND
.«Mtf^J-y-y .\.LBRECHT JOHANN V. BAYER N.
Über das Haupt des Knaben bauen? Keine
Linie redet hier den Dialekt der Natur oder,
was dasselbe ist, des rasch geknipsten photo-
graphischen Abbildes. Überall, in der Linie
wie in der Komposition und in der erlesenen
Abstufung des Lichtes, tönt die gesteigerte, le-
bendige Jambensprache der Kunst. Dichterisch
erhöhter Lebensausdruck — das ist Smith, wie
er sich in seinen besten Schöpfungen darstellt.
Ich erinnere mich, in der verschwenderisch aus-
gestatteten StiegÜtzschen Zeitschrift „Camera-
Work" ein Pferdebildnis von Smith gesehen
zu haben, das mir immer als Höhepunkt photo-
graphischen Lebensausdruckes im Gedächtnis
bleiben wird. Auch hier das Kennzeichen,
das eben genannt wurde, die Steigerung der
Darstellung bis zur deutlichen Überschreitung
der Grenze, die die oft lebhafte, aber immer-
hin reporterhafte Berichterstattung der land-
läufigen Photographie von der leidenschaft-
lichen Sprache der Kunst strenge trennt. Des
Pferdes gedrungener, muskulöser Körper durch
FRANK EUGENE SMITH.
BILDNIS: Dr. P. HEYSE.
Neue photogmphischc Kunstioerkc von F. E. Sm 'f/t.
»i5a BBS- iii^jut-nlflüiif
FRANK EUGENE S.MITH MÜNCHEN.
li plötzliches Licht dicht an den Hintergrund ge-
drängt, in der Aufrollung der Form ein pathe-
tisches, feuriges Übermaß, alles Licht leiden-
schaftlich und blitzend in die kräftigen Finster-
nisse hineingewühlt, ein Anblick, wie ihn allen-
falls ein nie geschaffenes bronzenes Hochrelief
von Rodin bieten könnte. Staunend steht man
Bildiiis-Photographie.
vor dieser verschwenderischen Fülle an Form,
die sich hier ausbreitet und die grundsätzlich
unterschieden ist von der pedantischen unzarten
Genauigkeit, die in der Formenentwicklung der
Photographie sonst so oft zutage tritt. Das
waren Formen, die wirklich nur aus Licht und
Schattengewebtwaren, ohne verstandesmäßige
275
Wilhelm Miclirl München:
Erkenntnis von der tastbaren Gestalt des Gegen-
standes. Von der geheimnisvollen Sendung des
Lichtes auf Erden hat mir kein Werk der bilden-
den Kunst einen so hohen, fast religiösen Be-
griff gegeben, als diese Photographie, ausge-
nommen jene Rcmbrandtschen Radierungen, in
denen das Licht nicht als der Knecht der Eor-
nien und unseres Verstandes, sondern als pro-
phetische Heilsbotschaft über die Dinge wandelt.
Bei der Würdigung der hier beigegebenen
Abbildungen darf das eine nicht vergessen wer-
den, daß zwischen diesen Autotypien, so aus-
gezeichnet ihre Qualitäten sind, und den auf
Japanpapier gedruckten Originalen große Llnter-
schiede bestehen. Die Autotypie unterschlägt
einen wesentlichen Teil der Lichtwertc und
kommt dadurch zu Veränderungen der fein-
fühligen Smithschen Lichtökonomie, die oft
geradezu als Verfälschungen erscheinen. Man
denke sich die Anzahl der Lichtabstufungen
ungefähr verdoppelt , man denke sich den
stumpfen, vornehmen Seidenglanz des Japan-
papieres, das den Formen durch seine delikate
„Maserung" gerade noch das an Härte nimmt,
was ihnen die fein abgewogene Beleuchtung
noch gelassen hat — dann erst käme eine Vor-
stellung von den Reizen der Originale zustande.
Es ist mir nicht möglich, hier in Kürze alle
die Merkmale aufzuzählen, die Smithens feine
porträtistische Auffassung bestimmen. Es wäre
dabei zu reden von der Behandlung der Hinter-
gründe, über die oft flamnienartige Bildungen
wie Feuerflocken dahinwehen oder stimmungs-
volle Finsternisse , die sich prachtvoll in
der Lichtökonomie des Bildes halten und den
Lichtereignissen im eigentlichen Bildnisse oft
einen anderen, höheren Sinn geben. Es wäre
zu reden von der unvergleichlichen Schön-
heit der Komposition , die die Linien die
Eurhythmie des Tanzes lehrt und die Hguren
klassisch gelassen und geberdenschön in ihren
Raum stellt. Es wäre zu reden von der fein-
schmeckerischen Art, mit der das Licht das
Gewand oder das Stillebenhafte betont, von
KR.\NK EUGENE SMITH-MUNCHEiN.
Neue photographi^che Kiinshi'crkc von F. E. Si)iitli.
der Pietät, mit der oft die großen Meister der
Malerei die Patenschaft bei der porträtistischen
Auffassung übertragen bekommen. Da sieht
man manchmal das weiche, prärafaelitische
Bauschen der Gewänder, die schmachtende
englische Zartheit der Geste, wie sie Burne
Jones liebte; oder die innige, klare, volltönige
Form, den reichen, satten, burgundischen Falten-
wurf, die man von den Altarbildern der Brüder
Van Eyck kennt; oder die weiche, lyrische
Empfindung und die gewischten Halbtöne, in
denen sich Carriere gefiel. Einiges ist „locker
im Strich" wie von einem der koloristischen
Zauberer von Barbizon, anders bestimmt, ein-
fach und linear wie ein Holbein. Zu vielem
fehlen die Maler noch, denen die Patenschaft
zuzutrauen wäre, so zu dem Kinderakt, der
wie eine Statuette aus blankem Silber dasteht;
der Glanz erzeugt eine schimmernde Aura, die
den Umriß umleuchtet, als habe der Apparat,
feinfühliger als das Menschenauge, den zarten,
delikaten Duft des kindlichen Fleisches festge-
halten; im Hintergrunde ahnt man Bilder oder
Figuren, aber sie halten sich voll liebenswerter
Scheu im Dunkel,
Genug. Es kam mir darauf an, zu zeigen,
welch einen bedeutenden Künstler wir in Smith
besitzen, aber die endgültige Überzeugung von
seiner hohen Künstlerschaft wird sich schließ-
lich doch nur aus der Kenntnis der Originale
ergeben können. Wo sind die Museen, die
ihre Pforten der neuen Kunst öffnen? Wo die
Sammler, die diese Kostbarkeiten in ihren
Mappen bergen? —
WILHELM MICHEL.
NEUE TECHNISCHE MÖGLICHKEITEN.
VON Dr. PHIL. ERNST JAFFE FRIEÜENAU.
u
nsere moderne Industrie ist vor allem be-
müht, eine möglichst große Gleichmäßig-
keit ihrer Erzeugnisse zu erzielen. Das liegt in
der ganzen Art der Fabrikationsweise begrün-
det, insbesondere in der Benutzung von Ma-
schinen und Formen , sowie in der ingeniös
durchgeführten Arbeitsteilung. Die Maschine
arbeitet viel gleichmäßiger als der Mensch.
Wenn die nötigen Handgriffe gemacht sind, so
verläßt ein Gegenstand wie der andere die Ma-
schine. Das gleiche ist derFall, wenn Industrie-
Erzeugnisse mit Hilfe von Formen irgend wel-
cher Art ihre Gestalt bekommen. Und endlich
bürgt bei komplizierteren Artikeln die Arbeits-
teilung für die Einhaltung der Schablone. Ist in
irgend einem Stadium der Fabrikation ein Ver-
seilen vorgekommen, so wird sicherlich in dem
nächstfolgenden der betreffende Gegenstand
angehalten, weil der Arbeiter den fehlerhaften
Gegenstand nicht weiter bearbeiten kann oder
will, — Früher lag die Sache ganz anders. Zu-
nächst einmal bewirkte die freihändige Arbeit
auch bei dem geschicktesten Arbeiter, daß ein
Stück dem anderen nicht in allen Einzelheiten
völlig glich. Dann kam hinzu, daß im Laufe der
Arbeit hervortretende Materialfehler oder Ver-
sehen durchaus nicht zu einer Aussortierung des
betreffenden Stückes führten. Fast immer war
es dem Arbeiter möglich, den Fehler wieder
gut zu machen oder ihn gar auszunutzen.
Hierfür bietet die Keramik recht interessante
Beispiele, Bei Töpfereien, die mit Glasur be-
deckt sind, kommt ein Fabrikationsfehler ziem-
lich oft vor, der von modernen Fabrikanten als
recht störend empfunden wird. Das ist das
Haar-Rissigwerden der Glasur, Wenn nämlich
der Ausdehnungs - Koeffizient des Scherbens
kleiner ist, als der der ihn bedeckenden Glasur,
so bekommt die Glasur beim Abkühlen ein
ganzes Spinnennetz von feinen Rissen. In der
modernen Fabrikation wird ein Stück, das die-
sen Fehler zeigt, in der Regel zum Ausschuß
getan, obwohl seine Gebrauchsfähigkeit eigent-
lich kaum gelitten hat; denn diese Haar-Risse
sind so fein, daß die Glasur für Wasser in den
meisten Fällen nicht durchlässig ist. Die Chi-
nesen haben auch schon unter diesem Fabri-
kationsfehler zu leiden gehabt, aber sie haben
es verstanden, ihn in künstlerischer Weise aus-
zunutzen. Bei den meisten Töpfereien ver-
schwinden die Haar-Risse nämlich, wenn die
Glasur noch einmal in der Hitze des Brennofens
zum Fließen kommt. Die Chinesen haben sich
nun nicht mit diesem Heilmittel begnügt, sie
überzogen die haarrissigen Gegenstände noch
einmal mit einer leichtflüssigen andersfarbigen
Glasur und unterwarfen sie einem zweiten
Brande. Diese zweite Glasur haftete auf den
glasierten Stellen fast gar nicht, dagegen drang
sie in die feinen Glasurrisse ein. So entstand
ein reizvolles farbiges Muster, dem eine gewisse
Gesetzmäßigkeit zugrunde liegt. Diese Craque-
les der Chinesen werden heute von allen Samm-
lern ostasiatischen Porzellans gesucht und teuer
A. l'.EMBE— MAINZ.
EMPFANGS- U. MUSIKRAUM
g
.Ynir /ir//)iischc Möolichkcitcii.
ARCHITEKT K. KUEUAKl' l;AKML.\. AUSl- . ; A. ItF.M |;L MAI
bezahlt. Je nach der Art der Herstellung des
betreffenden Gefäßes ist die Zeichnung der
Haar-Risse weit- oder engmaschiger, verlaufen
sie von oben nach unten oder in umgekehrter
Riclitung. Der erfahrene Keramiker kann also
dahin gelangen, daß er die Entstehung der Cra-
queles bis zu einem gewissen Grade lenken und
beeinflussen kann.
Ein anderer in der Töpferei häufig vorkom-
mender Fabrikationsfehler ist der folgende. Die
Glasur, die auf den einmal gebrannten Scherben
aufgetragen wird , ist eine wässerige Lösung.
Zieht man den gebrannten porösen Tonkörper
\'illa Hans llucb. .Vnklcitle-Zinimur.
durch die Glasur, so wird das Wasser von den
Scherben aufgesogen und die Glasur bleibt als
feines Pulver auf der Oberfläche liegen. Findet
sich aber an einer Stelle des zu glasierenden
Körpers Staub oder ist er an einem Fleck mit
Fett überzogen, so nehmen diese Stellen die
wässerige Glasur nicht an, sondern sie bleiben
unglasiert. Kommt es heute in der keramischen
Fabrikation vor, daß ein Arbeiter das von ihm
zu glasierende Stück mit fettigen Fingern an-
faßte und so bewirkte, daß es an einigen Stellen
keine Glasur annahm, so kommt das Stück in
den Ausschuß. Man kann aber aus diesem ärger-
281
Neue technische MöoUchkciten.
AKCllHEKT K. KUEBART^ ENTW. U. AUSF. : A. BEMBE— MAINZ.
Kamin-Sitz in nachstehendem Wi'hii-ZimnKr.
liehen Fabrikationsfehler auch andere Schlüsse
ziehen. Man kann in bewußter Weise bestimmte
Stellen des Scherbens einfetten und so von der
Glasur frei halten. In der Hitze des Ofens wird
das Fett aufgezehrt und der reine unglasierte
Scherben tritt dann wieder zutage. Wenn es
sich um eine Töpferei handelt, die nach einem
solchen Brande noch porös bleibt, so kann man
darnach den betreffenden Gegenstand noch ein-
mal durch eine andersfarbige Glasur gehen
lassen und so ein reizvolles Spiel dieser zwei
Glasuren erhalten. In der Tat hat man denn
auch diese sogenannte „Reservage-Technik" in
der Keramik weiter ausgebildet und durch sie
sehr hübsche Wirkungen erzielt.
282
Diese beiden Beispiele, die aus anderen In-
dustrien sich mit Leichtigkeit vermehren lassen
würden, zeigen, wie aus ursprünglichen Fabri-
kationsfehlern sich neue Techniken entwickeln
können , ja , wie sogar Fehler durch künstle-
rische Intuition zur ästhetischen Bereicherung
gewandelt werden können. Freilicii verschwin-
det bei dem modernen Betrieb die Möglichkeit
immer mehr, auf solche Weise der Technik Neu-
land zu erobern, weil der moderne Industrie-
Arbeiter sich das Denken bei seiner Hantierung
nach und nach völlig abgewöhnt hat und weil
auch die beaufsichtigenden Beamten ausschließ-
lich ihr Augenmerk auf eine möglichst korrekte
fehlerfreie Fabrikation richten, im. krn.stjakfe.
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r K. KUEBART IIARMKN. ENTW. V. AI^SFÜHK.: A. I.LMl.l . IIOF-M. iBKI.l' AKRIK, MAINZ. SCHLAF-ZIMMEK.
PROFESSOR GEORG WRBA DRESDEN. BRUNNEN-tIGUR IN BRONZE.
l'AUL ROSSLER.
I'I.AKAT DER
AUSSTELLUNG.
ERSTE AUSSTELLUNG DER „KÜNSTLER-VEREINIGUNG DRESDEN".
Aus dem Zusammenschluß kleinerer Gruppen
. von Künstlern hervorgegangen, trat an-
fangs September die „Künstlervereinigung Dres-
den" mit einer ersten Ausstellung in die Öffent-
lichkeit, Es ist zu begrüßen, daß nun die längst
ersehnte Konzentration des bisher arg zer-
splitterten Kunstlebens von Dresden erreicht
scheint. Man findet Talente dort von gesunder
Struktur, modernen Zielen, ehrlicher Bemühung,
und sie haben jetzt endlich den Schutz einer
großen Gemeinschaft gefunden, der ihre Ent-
wickelung beschleunigen kann. Daß die Ver-
einigung zustande kam, ist wohl besonders der
Energie des Bildhauers Georg Wrba zu danken.
Und diese erste Ausstellung im Gebäude der
Kgl. Kunstakademie auf der Brühischen Terrasse
hat, wenn sie auch keine Überraschungen be-
reitet, doch dank solider Leistungen der Mit-
glieder und gestützt von vortrefflichen Gästen
aus allen Teilen des Reichs, ein durchaus an-
ständiges und erfreuliches Aussehen. — Den
ältesten und bekanntesten der Dresdener Maler,
Gotthard Kuehl, ehrte man durch eine kleine
Kollektion im besonderen Raum. Es sind durch-
weg sichere Arbeiten, von denen ich den „Ab-
bruch der Interimsbrücke" wegen seiner vor-
züglichen farbigen Wirkung hervorhebe. Von
Sterl sah man in den letzten Jahren nicht
sonderlich glückliche Kompositionen: seine
Konzertbilder (Ernst von Schuch und Nikisch)
büßen einen Teil der Wirkung ein durch wenig
überzeugende Darstellung des Orchesters. Das
Problem ist natürlich außerordentlich schwierig
und bis jetzt von dem Künstler noch nicht be-
friedigend gelöst. Ambesten wirkt von den aus-
gestellten Arbeiten der bekannte „Steinbruch".
EugenKampfist mit einer Anzahl von Land-
schaften gut charakterisiert. Zwintscher
sandte neben einem Porträt des Dresdner Ober-
bürgermeisters Beutler einige seiner viel ge-
schätzten, dekorativen Bilder. Es interessieren
neben diesen Älteren vor allem der Dresdner
Nachwuchs und einige Maler mittleren Alters,
deren Schaffen bisher kaum in weitere Kreise
1911. IV. 3.
291
I
iiSKAR ZWINl'SCHER DRESDEN, bildnis; «IM sommergarten«
Erste Ausstellung^ der y> Kwistkrvereininmsi Dirsdew
OTTO FISCHER— DRESDEN.
drang. Otto Gußmann überrascht durch ein
paar gut gemalte, in der Farbenwahl vielleicht
noch etwas zu dekorative Aktstudien. Seine be-
sondere Leistung aber ist das „Porträt des Bild-
hauers Wrba", groß gesehen und von sicherer,
künstlerischer Arbeit, Hegenbarth ist durch
einige seiner sympathischen Landschaften mit
Tierstaffage gut vertreten, Artur Bendrat
und Fritz Beckert laufen Gefahr, zu kolorie-
ren, anstatt zu malen und bei der Vedoute zu
enden. Auch in Otto Altenkirchs Land-
schaften dürfte man etwas mehr von individu-
ellem Leben spüren. Er vertreibt die „Natur"
aus seinen Bildern, und macht aus den schön-
sten Bäumen nicht mehr als eine hübsche far-
bige Komposition. Aus einer Anzahl guter und
hoffnungsvoller , technisch und seelisch aber
noch nicht ganz freier Begabungen treten hervor :
Ferd. Dorsch, Walter Zeising, Siegfried
Berndt, Wilh. Claus, Paul Wilhelm, E.
R. Dietze, Anton Pepino. Als Radierer
erscheinen Otto Fischer und Hans Nadler
Gemäkle: »Disentis»
bedeutender und reifer denn als Maler. Über-
haupt machen die Säle der graphischen Arbei-
ten einen guten Eindruck. Unter den dekora-
tiven Kompositionen fällt die „Studie zu einem
Fresko" von Paul Rößler auf, doch stört
der Kontrast von studierter Naturform und
Stilisierung, den der Künstler in der Folge
wohl noch überbrücken wird. Vorzügliche pla-
stische Arbeiten von Peter Pöppelmann und
Georg Wrba sind zu verzeichnen, doch ge-
winntmandenEindruck, daßWrbas Stärke ihren
reinsten Ausdruck nicht in seinen Porträts fin-
det, Karl Groß, den man als trefflichen Kunst-
gewerbler kennt, erfreut durch ein außerordent-
lich gelungenes Bronzerelief. Erwähnt seien
noch gute Leistungen von Artur Lange,
Walter Sintenis, Felix Pfeifer und Otto
Pilz, bei dem man jedoch einen allzu engen
Anschluß an Gauls Arbeiten konstatieren muß.
— Klinger sandte außer einem schönen weib-
lichen Bildnis seine neuesten Radierungen. Von
Münchnern sind neben Habermann, Sam-
293
E7'ste Ausstellung der y> Künstlen^ereinigung Dresde?i«
berfjer, Georgi u.a., besonders der Land-
schafter Oßwald, Walter Klemm („Regen"),
Adolf Thomann („Dämmerung") und der
Bildhauer Schwegerle (mit einer Anzahl von
Plaketten) zu erwähnen. Karlsruhe ist durch
Trübner, Dill, Hellwag; Stuttgart durch
Pleuer, Pankok, Landenberger („Mädchen
am Fenster") repräsentiert. Von älteren Ber-
linern wie Liebermann, Slevogt, Corinth,
Rhein, Ulrich Hiibner, von Brock husen,
Orlik, Käthe Kollwitz sieht man bekannte
Stücke. Die starken Begabungen des Nach-
wuchses haben ihre jüngsten Arbeiten gesandt:
Max Beckmann außer einigen in der Farbe
nicht ganz überzeugenden Bildern eine geniale
Komposition „die Gefangenen", Waldemar
Rösler u.a. ein ausgezeichnetes „Selbstbild-
nis " . Von Hans Meid hebe ich den „ Abbruch "
hervor. Adolf Seh innerer, der bekannte
Radierer, scheint als Maler mit weiten Schritten
aufwärts zu schreiten. Sein „Rebgarten am
Meer" zeigt ihn bereits auf bedeutender Höhe
der technischen Leistung. — Über die Arbeiten
auf dem Gebiet der Architektur und des Kunst-
gewerbes wird später noch berichtet, e. hfmh k.
Ä
Die Schwierigkeit der Kunsterziehung besteht da-
rin, die Empfindungen wadizurufen und zu stäri<en.
Es gilt dabei, die sich darbietenden Ersatzmittel wie
Gitt zu meiden, denn sie sind es, die die heutige
Kunstwirrnis geschafTen"haben. Hermann Muthesius.
~/v^«^yc ■" "i^hf;
ANTON JOSEF PEPINO DRESDEN. Gemälde: »Frau mit Kind«
f^mfvj. ^%
PROF. ROB. STERL- DRESDEN.
GEMÄLDE; »ARBEITER IM STEINBRUCH«
I
PAUL RÖSSLER -DRESDEN.
STUDIE ZU EINEM FRESKO
l'RijbE.NSUK ollü GUSSMAN.N DRESDEN. GE.M.VLUE: »AKT«
Robai Breuer- J)(r/i)i- Wilmersdorf:
ARTHUR BENDRAT— DRESDEN.
).Auf den Zinnen von Sclildli Helshigver
DIE EROBERUNG DES KUNSTWERKES.
VON ROBERT BREUER.
Analysen wären Akte der Zerstörung, wenn
L sie nicht nah oder fern nach einer neuen
und reicheren Synthese strebten. Dies sei als
ein heiliges Credo auf den Leuchter gehoben,
bevor wir kühnlich einen Feldzugsplan gegen
das Kunstwerk entwerfen. Halali!
Nachdem wir ein Bild lange, herzlich und er-
griffen angeschaut haben, beginnen wir es auf-
zulösen: nach Gruppen, Partien, vorn und hin-
ten. Wir versuchen zu erfassen, wie die Per-
spektive durch das Bild geht, woher das Licht
kommt, wenn mehrere Lichtquellen angegeben,
wo die Treff-, Schnitt- und Schaltenpunkte lie-
gen, welche Tageszeit der Künstler illusionieren
wollte, wie der Wind weht, wohin die Wolken
ziehen, das Wasser fließt. Welche Farben
herrschen vor, welche Harmonie ist erstrebt, in
welchen Ton fließen die Lokalfarbcn über, sil-
bern, blond, golden. Warum steht gerade dies
2^)8
Rot dort, jenes Blau hier. Was macht diese
Figur so hart hervorspringen, drängt den Wald
fast hinter den Horizont zurück. Wie wird
das Raumgefühl vermittelt, was lockt unser
Auge in die Tiefe, daß es die Häuserzeilen ent-
lang läuft, über Gräben springt, in Höhlen
hineinkriecht, an vorspringende Bretter, ver-
tiefte Ecken glaubt. Warum geht der musku-
löse Arm des kraftstrotzenden Mars parallel
mit dem feinen, geschmeidigen der den Kriegs-
gott entwaffnenden Venus. (David, „Venus ent-
waffnet Mars".) Warum liegt der ausschwingen- '
den Dachlinie dasselbe Bewegungsmotiv zu
Grunde wie der Rückensilhouette des in die
Landschaft gestellten Mannes, den Konturen
der Wolken. Warum ist alles, was die Bewe- 1
gungsrichtung dieser Figur verdeutlichen könnte,
hervorgehoben, während der Kopf jegliche feine
Modellierung, sogar die Ohren vermissen läßt.
Die Eroberims des Kunstwerkes.
— Wir suchen mit einer gewissen Altklugheit,
und weil es amüsant ist, nach Fehlern, beson-
ders in der Perspektive und den Proportionen;
nur muß dabei stets erkundet werden, ob Fahr-
lässigkeit, bewußte Gleichgültigkeit oder geniale
Absicht vorliegt.
Dem gleichen Inquisitorium unterwerfen wir
die Plastik. Zunächst gilt es zu erfahren, haben
wir vor uns Knochen, flolz, Bronze oder Mar-
mor, ein Original oder einen Gipsabguß. Eine
Skulptur kann nur in dem Material, auf das hin
der Künstler sie anlegte, gewürdigt werden. —
Nicht minder wichtig ist die Frage, ob es sich um
ein vollständig unabhängiges oder ein in engem
architektonischem Zusammenhang stehendes
Werk handelt, um eine Statue, die für einen
bestimmten Ort oder Raum gedacht und gefer-
tigt wurde, einen Altar, eine Freitreppe, einen
Marktplatz oder um ein von Bosketten versteck-
tes Wasserbecken. — Aus welcher Entfernung
wurde das Werk in der Originalaufstellung wahr-
;4t.nommen : Tempelfriese wollen anders be-
trachtet sein als Porträtbüsten. — Ein Denkmal
kann leicht von ungünstiger Seite in Augen-
schein genommen werden. Um gerecht zu sein,
muß man es in enger werdendem Bogen um-
kreisen ; steht es gegen eine Wand , nach links
und rechts , vorwärts und rückwärts treten ;
führen Straßen-Zugänge direkt darauf hin, muß
der Beschauer aus diesen heraus, langsam näher
kommend , den sich entwickelnden Eindruck
beobachten. Manchmal, so leider auch bis auf
wenige Ausnahmen in Berlin, werden alle Ver-
suche, einen guten Gesamtüberblick zu erlangen,
vergeblich sein. — Besondere Vorsicht ist ge-
boten , wenn eine Unmenge gleichartig arran-
gierter Felsblöcke nebeneinander stehen, eine
Erscheinung, die glücklicherweise in ihrer, die
Augennerven grausamlich malträtierenden Art
nicht häufig. Trotzdem , man lasse sich durch
eine derartige Marmor- Attacke nicht in die
Flucht schlagen, sondern suche ; sogar in der
Markgrafen-Tabelle finden sich drei , vier gute
Werke. Auch betreffs des Sockels ist doppelte
Aufmerksamkeit angebracht, ohne weiteres darf
man ihn dem Konto des Bildners nicht zu-
schreiben; in letzter Zeit sind Fälle vorgekom-
men , da der Meister des Körpers von dem
geplanten Postament, selbst von dem Gesamt-
Arrangement nicht unterrichtet war.
FRITZ EECKERT -DRESUIiN. LicmälJe: »Aiii /.uinger
2^^)
Die Eroberung des Kutistwerkes.
KUMUND KÖRNER- DRESDEN.
In den Museen und Ausstellungen ist die
Sache meist bedeutend einfacher; da haben
Fachleute die Werke so gestellt, daß eine gute
Übersicht des Einzelnen leicht gefunden wird.
Erst dann darf man nach dem Detail fragen. —
Warum wirkt dieser hoch über das Haupt grei-
fende Arm so unruhig, die Luft zerreißend.
Woran liegt es, daß die Gestalt mit dem von
den Schultern fallenden, bis zu den Knöcheln
reichenden Mantel so massig und wuchtig er-
scheint; warum mag dort neben die Figur, eigent-
lich völlig überflüssig, eine Konsole, ein Baum-
stumpf gestellt sein? Der Luftschnitt, die Obe-
liskenwirkung, sollte vermieden werden, auch
der Schwerpunkt konnte die Hilfsmittel fordern.
Unbedingt ist immer darauf zu achten, ob die
steinernen Männer, die bronzenen Damen so,
wie sie hingestellt, auch in natura ständen.
Das Standbein ist aufzusuchen, eine stets sehr
Interieur der Marienkirche in Danzig.
instruktive Aufgabe ; völlig logisch kommt man
dabei zur Frage nach der Verteilung der Massen,
der Stützpunkte, des Gleichgewichts. Dies alles
ist doppelt interessant bei lebhaft bewegten
Figuren. In dieser Hinsicht seien analysiert: ein
sich niederlassender Hermes, Kruses „Läufer
von Marathon", das Reiterstandbild August des
Starken in Dresden, der zur Erde gestürzte
Achilles, Sindings „Gefangene Mutter" , Klimschs
„Salome", die hockenden und gebeugten Kugel-
spielerinnen, auf schräger Ebene abwärts glei-
tende Wasserschöpfer, der sich bäumende Kör-
per am Kreuz, irgend ein barocker St. Georg,
den Drachen tötend.
Durch derartige Sektion kommt man dem
eigentlichen plastischen Problem bald auf die
Spur. Die geistige Arbeit des Bildners wird
wieder flüssig und von dem Betrachter aufgerollt,
nacherlebt; das bedingt ein lebendiges Erfassen
500
OSKAR ZWINTSCHER- DRESDKX.
ÖLGEMÄLDE: »KINDER-KILUNIS^
rK<iH'^S(ik I. III < .1 M: \l; I II ÜKKMiK.X.
\Mil I lll;l
H. NADLER
DRESDF.X.
l
1911. IV. 4.
HANS HAVECK. UACllAL.
GtMALUE: .ZIMMERPLATZ«
PROIESSOR OTTO GUSSMANN DRESDEN. GEMÄLDE: »HALBAKTs
Die Eroberung des Ku7ishverkes.
PROFESSOR LEO SAMBERGER.
aller Schwierigkeiten, die der Aufbau ergab.
Man stößt auf die brüchigen Stellen, auf die
Zentralpunkte der Tektonik; man lernt ver-
blüffende Formen, ein verstelltes Bein, heraus-
gebogene Hüften, einen verzerrt erscheinenden
Hals, ursächlich begreifen. Gleichzeitig dringt
der Blick tief in die Anatomie; offenbare Ab-
weichungen bekommen ihren Sinn, man sieht,
wie die Absicht gewaltet. — Leider sind die
meisten Menschen unsererkulturdurchdämpften
Jahrzehnte in Sachen des nackten Körpers
völlig inkompetent; wir kennen nur den in
röhrenartige Futterale versenkten Adam, ein
lächerliches Moralsurrogat gestattet statt Even
allenfalls eine wespentaillige Modepuppe. Wel-
cher Künstler würde es wagen, sein Weib wie
Bildnis: Hofkapellmeister P'ischer.
Rembrandt die Saskia als Danae zu malen?
Durch des Sittenschutzmanns Gunst werden
die Bildhauer demnächst in die Lage kommen,
uns anatomische Unmöglichkeiten aufzutischen.
Nun, solange die Schneebrille noch nicht Beding-
ung für den Galeriebesuch, solange beachte
man recht gründlich die nackte Körperform,
entkleide man die Figuren, dringe durch Ober-
und Untergewand; eine Indiskretion, die von
den Meistern der Plastik möglichst leicht ge-
macht wird. Die Griechen bedeckten in der
Regel nur die korrespondierenden Formen; die
herrlichen Jungfrauen der mittelalterlichen Dome
lassen durch die Hüllen, wo das plastische Be-
dürfnis es auch immer fordert, den Körper er-
kennen. Man versuche die Knochen zu fühlen
3u>
Robert Breuer— Berlin - Wihnersdor/
und prüfe, ob in der steinernen Brust zwei ge-
sunde Lunjjenfiügel atmen können. — Selbst-
verständlich werden wir nicht den Punktier-
zirkel obersten Richter sein lassen, sondern
unsere VorstelluniJ. Kontrollierende Messungen
an der Mediceischen Venus ergaben sehr be-
deutende Abweichungen von den normalen
Körperproportionen; dennoch empfinden wir
das Götterbild als anatomische Vollkommenheit
im höchsten Sinne. .'\uch Einzelheiten sollen
nicht übersehen werden: wie die Muskeln des
eine schwere Last hebenden Armes sich span-
nen, wie die Glieder in ihren Gelenken sitzen,
die Nase hervorspringt, die Augen im Kopfe
stehen; wie verhalten sich die Maßverhältnisse
von Füßen, Händen und Gesicht, Kopf und
Körper? — Weiterhin betrachte man, wie sich
die einzelnen Körperteile ausFlächen zusammen-
wölben. Die kräftige Bauchniuskulatur des
kauernden Fauns in ihren tiefen Falten ist eine
Aneinanderreihung von Konkaven und Kon-
vexen. Durch den Brustkasten können Schnitte
gelegt werden. Wenn man sich dann die ein-
zelnen Segmente gesondert vorstellt, von der
Formschönheit eines jeden sinnlich entzückt
wird, setzt man die Teile zusammen, Wölbung
an Wölbung, Wunder an Wunder. Die Augen-
abtastung eines machtvollen Schädels ist schon
am Naturobjekt ein himmlisches Entzücken, das
Goethen die Geheimnisse des urewigen Adepten
entschleiert. Das Kunstwerk spricht noch deut-
licher. — Die Flächen dahingleitend, beachtet
PROFESSOR
OTTO GUSSMANN-
DRESDEN.
BILDNIS:
»PROF. WRBA«
Die Eroberung des Kunshverkes.
PROFESSOR GEORG VVRBA— DRESDEN. Porträtbiiste des Kommeizienrats B.
{ man die Übergänge von einer zur andern; ob
] sie klar und leicht, ob der Blick von einer zur
I andern gezogen wird, oder ob er in unerwartete
Löcher fällt, an unverständliche Ecken stößt.
Derartige Hindernisse finden sich häufig bei
den mit Schneidergewissen gekleideten Figuren.
Fangschnüre laufen völlig unbekümmert um die
Flächenführung quer von den Achseln über die
• Rippen, Uniformknöpfe — die zweifellos zur
. Ghederung verwendet werden können — sind
I vorschriftsmäßig angenäht ein Dutzend nach
Regimentsbefehl, wo der Bildner nur vier hätte
gebrauchen können. Ein berüchtigter Form-
zerreißer ist das obligate Feigenblatt; die elasti-
sche Verankerung zwischen den Leibträgern und
der lastenden Rumpfmasse wird zerstört.
Nicht minder wichtig als die Flächengliede-
rung ist der Fluß der Linien, die entweder ideell
durch Verbindung bestimmter, aufeinander re-
flexibler Punkte gelegt werden oder materiell
dargestellt werden. Der Blick gleitet etwa von
der Mitte der Schädeldecke über die Stirn, die
307
Robert Breiur- Berlin- 'Wilmersdorf:
Nase, Mund. Kinn
und Kehlkopf bis
zur Kehlgrube;
oder vom Kopf
über die Schultern
längs des vorge-
streckten rechten
Armes, den diesen
stützenden Stock
herunter, den tan-
gential getroffenen
rechtenFuß herauf,
oder von derHelni-
spitzc über die
Falte des Mantels,
den hinteren Rük-
ken des Pferdes,
den Schvcanz hi-
nunter zur Erde,
oder längs des von
denHalswirbeln an
deutlich hervortre-
tenden Rückgrats,
oder über die wei-
chen Bögen der
Scheitel und Schul-
ter verbindenden
Locken, harte Ge-
wandfalten ab-
wärts. — So wird
ein Umriß, eine Sil-
houette herausge-
rissen. Man kommt
demWerk am näch-
sten, wenn es ge-
lingt , die Profile,
die dem Künstler
besonders wert-
voll, weil präzisierend, herauszufinden ; dies wird
um so eher gelingen, je reifer und durchdachter die
Kunst. Einen besonderen Reiz vermag in dieser
Beziehung die Gruppe zu gewähren, wenn sich
dieUmrisse verschiedener Figuren oderbestimm-
terTeile derselben zu einer gemeinsamen Silhou-
ette schließen. Im entgegengesetzten Fall kann
man nicht einen einzigen Linienzug in der einen
Figur verfolgen, ohne auf ein Hindernis in Gestalt
eines Teiles der andern zu stoßen, es wimmelt
von Überschneidungen; wo man sich auch hin-
stellt, man bekommt keinen Gesamteindruck,
immer eine Störung. Der Linienzug aus der
einen Figur vermag nicht die gähnende Lücke
zu überspringen, um in der anderen sich fort-
zusetzen. — Nun forscht man weiter; worauf
hat der Bildner den Hauptwert gelegt, herrscht
der Kopf oder die Bewegung des Leibes, oder
ist die ganze Anlage ein Hinweis auf die nach
308
.\KTHUR LANGE -DRESDEN.
der Sonne greifen-
den Hände. — Wa-
rum ziseliert Canii-
nica die Finger sei-
ner „Betenden" so
eindringlich, daß
sie nicht weniger
vergeistigt erschei-
nen als das kon-
templative Antlitz;
während sich Klm-
ger getraut, die po-
lychrome Amphi-
trite ohne Arme zu
lassen. Warum
sind die vier Skla-
ven am Schlüter-
schen Denkmal fast
übermäßig unruhig
gestaltet; während
der Kurfürst in ma-
jestätischer Unbe-
weglichkeit, im
vollsten Sinne des
Wortes wie ange-
gossen auf dem
Rosse sitzt. Der-
artiger Akkorde-
Kontraste in ihrer
verdeutlichenden
Wirkung achte der
Beschauer. — An-
regend ist es auch,
auf die gebliebe-
nen Merkmale der
Herstellung und
Technik zu mer-
ken; sieht man die
Meißel-Einsätze, fühlt man noch den Gang des
Stahles durch den Block, läßt sich auch in der
starren Bronze der Fingerdruck spüren.
Der ganze vorstehend entwickelte kritische
Angriffsplan hat keineswegs den Wert eines
festen Schemas. Es läßt sich noch eine ganze
Fülle von Dingen herzählen, auf die zu achten
nicht weniger wichtig wäre, andererseits wird
mancher von uns Begehrtes entbehrlich und
höchst gleichgültig finden. Historisch betriebene
Kunst — oder besser — Stilkritik wertet ein-
deutiger. Sie achtet auf die Zeichen der Zeit;
So lauteten die Absichten der Epoche, derart
war die Normallösung, wie weit steht N. N.
über oder unter diesem Niveau? Woher hat
er seine Eigentümlichkeiten, — von jener Reise,
von diesem Atelierbesuch? Da spüren wir ein
italienisches Element, hier deutsche Technik, die
Formensprache der Antike verschmolzen mit
Mädchen- llalbakt.
Ill<
Die EroberiDio des Kunshverkes.
gotischem Geist, ägyptische Noten, ein wenig
Naturstudium, den Lehrer X und den Professor
\ . . . kurz, der Historiker kann ein klappendes
Rechenexempel aufstellen. Eine bewunderns-
u erte Parallele zu der Taktik, nach der uns die
.lugendverpfuscher den Homer zerpflückten.
Freilich, Philologie ist notwendig und Kunst-
grammatik unentbehrlich; aber für die ästhe-
tische Beurteilung, für den Kunstgenuß, ist der
gelehrte Apparat völlig gleichgültig. Es kommt
garnicht darauf an zu wissen, woher der Künst-
ler dies hat, wem er jenes verdankt. Er ist ein
Wikinger und nimmt und raubt — darüber lese
man Goethe. Aber, was er dann, sei es aus
Gnade, aus Erlöserwillen, sei es aus Übermut
oder Lust am Schaffen, der Welt spendet, ist
so neu und taufrisch wie Athene, als sie Papa
Zeus aus dem Hirnkasten sprang.
Was wird der paradiesische Junggeselle wohl
gemacht haben, als plötzlich elfenbeinern ein
Leib mit goldenem Haar, mit granatenen Lippen
und wie Bernstein leuchtenden Augen im Gras
lag. Er wird hingegangen sein, wird das wunder-
same Ding mit Rosenblättern bedeckt und in
GKABFIGÜR
IX BRONZE.
309
Die Eivhentiii> des Kiins/iverkes.
die Arme geschlossen haben. So will Kunst
genossen sein ! All die kleinen Hinweise und
Ausrufungszeichen haben nur dann einen Wert,
wenn sie zur Steigerung des Genusses bei-
tragen und ein völliges Eindringen, ein restloses
Aufgehen in der Neuoffenbarung erleichtern.
Um des Himmels willen, aus dem harmlosen
Leser soll kein kleiner Kunstgelehrter werden,
der nun selbstbewußt durch die Museen stol-
ziert, weil er von der Sache etwas zu verstehen
glaubt. Wissenschaftlicher Dilettantismus des
Beschauers ist noch greulicher und lächerlicher
als der des Produzierenden. Alles, was das
Verständnis des Kunstwerkes ermöglicht, das
Begreifen der Wirkungsursachen, soll nur die
Wirkung selbst, den Genuß, den Ablauf des
ästhetischen Prozesses, das Erleben, die Assi-
milation des Künstlerischen, erhöhen. Das ist
die Eroberung des Kunstwerkes. — r. h.
Ä
r~\in Kunstwerk zeigt die Welt nicht wie ein
^"^ Spiegel, sondern als einen sinnvollen ZiiStininien-
hang, in dem nlle Energien einer Mensdienseele die
Bedeutung des Gesehenen ein jedem Punkt heraus-
gearbeitet haben. Und diese Bedeutung ist unaij-
hängig von dem einzelnen Gegenstand, sie konunt
aus dem Lebensverhältnis, in dem uns die Wirklidi-
keit überiuuipt gegeben ist, und sie ist realisiert in
der Struktur der Sictierheit überhaupt. Insofern ver-
mag jedes Bild die Totalität der siditbaren Welt und
ihren Sinn zu repräsentieren, weil es eben die Struk-
tur der Siditbnrkeit zeigt, die aus einem Llrerlebnis
dieser Welt stanuut. — — —
Aus: Hermann Nohl: Die Weltansdiauungen der
Malerei. Verlegt bei Eugen Diederidis in |ena. -
OTTO pn.z-
DRESDEN.
I
I
I
BRUNNEN
MIT JUNC.EN
II-'SREN.
I
AKCH. HEINRICH STRAUMER -BERLIN.
HAUS DES MALERS KARL NEUNZIG IN HERMSDORF.
ARCHITEKT H. STRAUMER -BERLIN.
Grappe in Hermsdorf. Prof. Rudolf Neunzig und Maler Karl Neunzig.
LÄNDLICHE HÄUSER VON HEINRICH STRAUMER.
Unsere Architektur befindet sich in einer Pe-
riode der Klärung. Wir stehen, nach dem
vielberedeten Aufschwung des letzten Jahr-
zehnts, an dem Punkte, wieder vollständig um-
lernen zu müssen. Da gewinnen Erscheinungen,
die sich sonst bescheiden in Reih und Glied
hielten, erhöhten Anspruch auf Beachtung. Die
ländlichen Bauten von Heinrich Straumer, von
denen hier einige abgebildet sind, sind keine
glänzenden Architekturstücke, sie würden mit
ihrer natürlichen Einfachheit und gesunden
Kraft nicht im mindesten auffallen, wenn nicht
die jeweilige Umgebung und die zeitgenössische
Architektur überhaupt so voller Unnatur, Ver-
schrobenheit und romantischer Künstelei wäre.
Ein Gang durch die städtischen und ländlichen
Vororte Berlins ist ein Martyrium für die Augen.
Hier und dort stehen als Oasen wirklich künst-
lerische Bauten. Aber angesichts der Durch-
schnittsleistungen darf man beinahe bezweifeln,
ob selbst diese „Künstlerbauten" Gutes gewirkt
haben. Sie waren eine Verführung. Jeder Bau,
selbst das billigste Häuschen sollte nun künst-
lerische Eigenart zeigen, und nichts ist übler.
als mit schwächlichem Können architektonische
Schaustücke schaffen wollen. Über diesen archi-
tektonischen Schulreiternummern wurde das
wichtigste , das einzig Notwendige versäumt,
die Entwicklung eines gesunden Typs für das
Vorstadthaus und für das einfache Haus im
ländlichen Vorort,
Die „Wunderkinder" sind die größten Ge-
fahren für eine vernünftige Erziehung. Während
die Architekturwunder, die falschen wie die
echten , angestaunt wurden , versäumte man
eine richtige, konsequente Erziehung des Ge-
fühls für das gute „Haus" und für die gute
„Wohnung". Die Miethäuser und Villen sind,
trotzdem die sinnlose äußerliche Ornamentie-
rungssucht im Verebben begriffen ist, im wesent-
lichen nicht viel besser geworden. Während
vorher der Schmuck aufgeklebt wurde, erachtet
und behandelt man jetzt das ganze Haus als
Schaustück. Der Architekt sieht den Kern sei-
ner Aufgabe darin, aus dem rohen Baukörper
ein „künstlerisches Gebilde" zu gestalten. Das
Haus darf beileibe nicht so sein, wie seine Nach-
barn, Die schlichte, glatte Mauer ist verpönt.
1911. 17. 6.
Atiton yaiimann— Berlin :
ARCHITEKT H. STRAUMER— BERLIN.
sie muß interessant aufgeteilt werden, die un-
möglichsten Fenster werden ersonnen, das Dach
wird willkürlich herabgezogen, wo es angeblich
die malerische Wirkung erfordert, der zuliebe
auch am kleinsten Häuschen noch die Wand
vielfach gebrochen, der Baukörper geknickt,
hier Höhlungen eingesprengt, dort Erker und
Türme angeflickt werden. Diese Zierarchitek-
tur ödet Besitzer und Passant nach kurzer Zeit.
Eine Qual wird sie in Vororten, wo die einge-
bildete Phrase sich häuft. Eine Gruppenbildung
kommt unter solchen Häusern, wo nicht zwei
gleicher Gesinnung, gleichen Stammes sind, nie
zustande. Sie haben als Einzelmodell aus Pa-
pier oder als farbige Zeichnung den Bauherrn
bestochen, darauf kam es allein an, was wunder,
wenn die fertige Kolonie wie eine Ausstellung
von Modellen wirkt? Von dieser Art Kunst,
die auf dem Polytechnikum eine Anzahl von
„Motiven" erwirbt, um sie nachher ins Unend-
liche zu variieren, haben wir das Heil nicht zu
erwarten. Je mehr in dieser Weise „erfunden"
wird, je mehr „Künstler" es gibt, die ihre Indivi-
dualität betätigen, desto verwirrender gestaltet
sich das Bild des Ortes und desto klarer tritt
die Kulturlosigkeit der ganzen Methode zutage.
i3
Pfarrhaus in Dahlem. Straßenseite.
Im Landhausbau drohen dem Architekten
eine schier endlose Kette von Gefahren, Ent-
weder locken ihn die für ihr Volk und ihr Klima
klassischen englischen Landhäuser, er kopiert
sie direkt ausdemStudio, oder, was nichtbesser,
er entnimmt ihnen Motive, um sie mit deutschen
zu verkoppeln. Man hat holländische Häuschen
gesehen und möchte von ihren Reizen etwas
einfangen, die Finnländcr (Lindgreen und Saa-
rinen) faszinieren mit ihren nordischen Märchen-
burgen, man läßt sich von schwedischen Holz-
häusern beeinflussen , allenthalben schwärmt
man für das alte deutsche Bauernhaus und schon
entwickelt sich eine akademische Dorfarchitek-
tur, die die groben Dialektformen in ein glattes,
salonfähiges Hochdeutsch übersetzt. Dann
sind noch die berühmten Künstlerarchitekten,
die Messel, Muthesius, Fischer, Seidl, Kreis,
Pützer, Metzendorf, Geßner usw., die mit
ihren persönlichen Stilen immer wieder eine
Schar von „Beeinflußten" finden, die teils in
ihrem Geiste zu arbeiten versuchen, teils nur
Motive entnehmen. So bildet der heutige deut-
sche Landhausbau ein Bild bedauerlichster Zer-
rissenheit, eines ewigen Schwankens und ober-
flächlichen Experimentierens und Jonglierens,
314
Lävdliche Häuser von Heinrich Sfraumer.
I nt
ARCHITEKT H. STRAUUER BERLIN.
das keine starke erfolgversprechende Bewegung
auf das Große, Natürliche, Gesunde, Tiefem-
pfundene aufkommen läßt.
Straumers Häuschen sind mir ein Anzeichen
dafür, daß das kritische Unbehagen gegen all
die Künstelei, die malerische Sucht, die Motiv-
wut zu erwachen beginnt. Er hat offenbar die
vielen Klippen gesehen, er hat es sich redliche
Mühe kosten lassen, sein Schifflein ungefährdet
zwischen ihnen hindurchzusteuern, und wenn
mancher seiner Arbeiten darum noch eine ge-
wisse Ängstlichkeit anhaftet, ein tastendes
Suchen, so kann das heute als Vorwurf nicht
selten. Wie viel leichter wäre es ihm gewesen,
iileich den andern ein interessantes „Künstler-
modell" aus einem Gusse hinzustellen. Das Ein-
fache und Natürliche zu wollen, der Entschluß
zur Umkehr war in diesem Falle die Tat, der
lange kritische Kämpfe mit sich selbst voraus-
gehen mußten. Der Architekt, der sich auf
diesen Weg begibt, der mit den alten be-
scheidenen, namenlosen Dorfbaumeistern in
eine Reihe tritt, muß sich auch sagen, daß er
mit solchem unpersönlichen Stil, der nichts von
Reklame an sich hat, für sein persönliches Re-
nommee nicht viel gewinnen wird. Dem Pu-
Pfarrhaus in Dahlem. Gartenseite.
blikum wie dem Kunsthistoriker prägen sich nur
die Künstler mit den sinnfälligen Merkmalen
ein. Wer nicht schreit, wird nicht geliört. Dazu
kommen die Schwierigkeiten mit dem Bauherrn,
der für sein Geld doch etwas Großartiges haben
will, und die mit den Lieferanten, die die
schlichten alten Handwerkstechniken verlernt
haben. Es ist heute eher möglich, einen zehn
Meter großen Reichsadler mit allen Federn
naturalistisch geschmiedet zu erhalten, als ein
tadelloses Fenstergitter, das seinem Zweck ge-
recht wird.
In den Arbeiten Straumers finden sich häufig
ganz unvermittelt alte Stilgebilde, gotische
Fenster, barocke Schnitzereien, Türgriffe, La-
ternen, Geländer, die unmittelbar aus alten
Häusern verpflanzt erscheinen. Das fordert eine
Erklärung. Es handelt sich hier weder um Er-
findungsarmut (wer ein Haus entwirft, hat
schließlich auch die Phantasie, um einen Türgriff
zu erfinden), noch um willkürliche .-Mtertümelei.
Wenn das allgemeine Elend gerade darin be-
steht, daß wir mit formalen oder „malerischen"
oder „architektonischen" Neuerungen über-
schwemmt werden, so kann eine Besserung nur
daher kommen, daß wir wieder mehr die
315
^iStntrrpRT^wT^^-^— ^
ARCHITEKT H. STRAUMER-^JIERI.IX.
VOM PFARRHAUS IN DAHLEM. DER EINGANG.
I
III
I (I
ARrHlTEKT H. STRAUMER- BERLIN.
PFARRHAUS IN DAHLEM. EINGANG ZUM GE-
MEINDE-SAAL UND ZUR MESSNER-WOHNUNG.
Ländliclie Häuser 'vti Hehirirh Stratiiiii
•r.
ARCHITEKT HEINRICH STKAUMER — BERLIN.
schlichte „einjjcborene" Form der Dinge auf-
suchen, aber nicht die öde, nüchterne Nutzform,
die uns nichts bietet, die das Haus zur Scheune,
den Schrank zur Kiste macht, sondern die Form,
in der sich die Stimmunj«, die „Seele" der Dinge
schlicht, rein, unverkünstelt ausspricht. Bei
allem berechtigten Stolz auf die Leistungen der
„Moderne" ließ uns doch immer eine leise Er-
innerung nicht los an die lieben traulichen
Räume in Großvaters Haus, die bei aller for-
malen Armut doch eins, das Wichtigste vor dem
modernen Künstlerraum voraus hatten: Seele,
Stimmung. Der mächtige eichene Kleider-
schrank , der keines Künstlers Signatur trug,
schien selbst eine Person zu sein, man mußte
ihn lieben. So mußte man die Kommode lieben
mit den gedrechselten Füßen, das riesige leder-
bezogene Kanapee, an dem die weißen Nägel
blinkten, die Fenster mit den kleinen Schieber-
chen, die kupfernen Pfannen in der Küche, den
riesigen schwarzen Rauchfang, die quergetcilte
Haustür mit dem Schiebeloch für den Hund.
Straumers Häuser sind voll derartiger Huldi-
l'farrhaus in Dahlem. Aus dem .Speisezimmer.
gungen an die Jugendzeit. Es scheint, als ob
gewisse Dinge ihre Form ein für allemal ge-
funden hätten, (die, in der wir ihre Seele zuerst
vernahmen) und man scheut sich, sie in neue
kalte Reißbrettformen zu kleiden. So existiert
auch bei den Engländern für viele Gegenstände
ein stereotyper Ausdruck. Aber das ist Neben-
sache. Wir sind doch wohl in der Lage, die
Seele der Dinge unserer Umgebung noch ein-
mal mit eigenen Worten auszudrücken. Wenn
es auch hundertmal schwerer ist als alles mo-
derne Ornamentieren und Konstruieren.
Bei der Beurteilung der Einzelheiten in
Straumers Bauten ist also das zu beachten, wenn
man ihm gerecht werden will; Seine Bauten
sollen nicht Stein gewordene Zeichnungen sein,
sondern „Häuser" (mit allem Erinnerungszauber,
der im Worte Haus liegt) und die einzelnen
Dinge sollen nicht zu Kunstwerken aufgebläht
werden , sondern ihre schlichte stille Seele
haben, wie es früher war. Das ist natürlich
nicht alles auf den ersten Hieb gelungen und für
manches brauchte er die Stütze der Erinnerung.
316
Ländliche Häiiser von Heinyich Stratimer.
ARCHITEKT H. STKAUMER -BERLIN.
Aber arbeiten nicht auch die englischen Archi-
tekten zum großen Teil mit alten Elementen?
Für das Pfarrhaus in Dahlem war Straumers
Entwurf in einem engeren Wettbewerb ausge-
wählt worden. Der Bau charakterisiert diskret
und doch verständlich durch verschiedene Mo-
mente seine Bestimmung: es ist ein kleiner Hof
gebildet, der sich gegen die Kirche zu öffnet,
die Gartenmauer setzt die alte, aus Findlings-
blöcken geschichtete Friedhofsmauer fort und
auch die ganze Farbenstimmung des Hauses
(roter handgestrichener Ziegelstein, graue hol-
ländische Pfannen) korrespondiert mit dem Bild
des uralten, wunderbaren Kirchleins. An meh-
reren Punkten, aber nur wo es die Konstruktion
nahelegte, sind interessante, alte Steinverbände,
wie Fischgrätenmuster und ähnliches verwen-
det. Im Innern ist die Diele rot getüncht und
mit roten, handgestrichenen Ziegelplatten aus-
gelegt, Decke und Holzwerk weiß. Oben wurde
noch eine reizende, kleinere Diele gewonnen.
Das Speisezimmer ist blau getüncht, Vorhänge
weiß und bunt, weißer Kamin mit blanker
Messinghaube.
Das „Forsthaus" in Frohnau, das erste Ge-
bäude, das in der neuen Gartenstadt entstand,
Das Forsthaiis in Frohnau.
ist als Verwaltungszentrale des Ortes gedacht.
Die kalkig grün getünchte Wand geht mit der
vergilbten Naturfarbe des Holzes und dem Rot-
braun des Daches herb zusammen. Ungemein
interessant ist die Anlage der Wirtschaftsge-
bäude, die sich anschließen. Da ist ein rich-
tiges Gehöft entstanden mit allerhand Schup-
pen und Werkstätten für die Handwerker, für
die Feuerwehrgeräte, die Sprengwagen usw.,
und mit Wohnungen für die verschiedensten
Angestellten. Wieder grünlicher Putz, blaugrün
lasierte Fensterläden. — Eine reizende, kleine
Häusergruppe haben mit den bescheidensten
Mitteln die Brüder Neunzig erhalten. Der Qua-
dratmeter bebaute Fläche kam nur auf 140 Mk.
Am Haus des Malers ist der Giebel rot ge-
tüncht, die übrige Wand weiß.
Straumer hat in Berliner Vororten bereits
einige zwanzig solcher Häuser teils im Bau,
teils ausgeführt. Wir geben nur ein paar Proben.
Die Bilder am Schluß sind Aufnahmen aus dem
Musiksaal im Hause Tetzner in Chemnitz. Eine
reichere Arbeit; rötlich braunes Mahagoni täfelt
die Wände, die Bezüge sind rot, die schwarzen
Einlagen stammen, wie das bunte Fenster, vom
Maler Pechstein. — a. jaumann.
\
320
:i«.
imMiiiiiiililllll;nliiiillllll!lllll!liiL:..>na^itt^
ARCHllEKT HEINRICH STKAUMER — BERLIN-WILMERSDORF. DAS FuRSTHAUS IN iROHNAU.
lÜII
1911. IV. 6.
ARCHITEKT H. STKAUMER-BERLIN
DAS FORSTHAUS IN FROHNAU. HAUS -TÜRE
1
ARCHITEKT HEINRICH STRAUIIER— BERLIN. FORSTHAUS IN FROHNAU. OBERE DIELE. BUNTE VORHÄNGE UND BEZÜGE.
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ARCHITEKT HEINK. Si RAUMER^BERLIN.
MUSIK-SAAL DES BAXKDIREKTORS TETZXER-CHEMNITZ.
INTARSIEN UND VERGLASUNG, ENTW.: M. PECHSTEIN.
ERNhT KKSCHKE— BERLIN.
POKZELLAN-PLAM IK: »DAME AUh ÜIVAN«
HANS Sl-HKEGERLE-MÜNCHEN. AUSFÜHRUNG: KGL. POR/.ELLAN-MANUFAKTUR-BERUN. MARTIN PRITZSCHE-
I
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BERLIN. :J
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326
1 NTWURF UND AUSFUHRUNG: HUGO F. KIRSCH -WIKN.
PORZELLAN-PLASTIKEN: FRÜHLING, SOMMER, HERBST,
WTNTER, GUITARRE - SPIELERIN UND ACKERSMANN.
l'ROFESS(_>K
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G. A. BREDOW-
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STUTTGART.
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PORZELLAN-
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PLASTIKEN.
^^^^^^^^^^^^^1
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AUSFUHRUNG:
ERNST TEICHERT-
MEISSEN.
328
LOTTE PRITZEL-ML'NCHEN.
Puppen für die Vitrine.
PUPPEN VON LOTTE PRITZEL.
VON WILHELM MICHEL— MÜNCHEN. ' - -
Die Puppe ist eine Bürgerin der neuen Zeit.
Einer Zeit, die das Künstliche innig liebte,
besonders in ihren Anfängen, weil sie des Natür-
lichen, des Lebens, ein wenig müde war. Ja,
es ist wirklich wahr, daß von so einer winzigen
Erscheinung wie es die neue Liebe zum Puppen-
haften ist, Wege führen zur Gesamtpsychologie
unserer Epoche. Wie kommt die moderne Ab-
neigung, oder sagen wir: das moderne Miß-
trauen gegen das Leben zustande? Man müßte
da von der Philosophie des vorigen Jahr-
hunderts reden, von den Maschinen, von der
Entwertung der Ideale, von der Kunst des
Naturalismus, vom Ästhetentuni. All das soll
hier nicht geschehen, in der Voraussetzung, daß
jeder an sich schon die modernen Zweifel am
Leben, am Regelrechten, Gesetzmäßigen und
Natürlichen erfahren hat. In der Flucht vor
dem Leben, dessen laute, pathetische Art die
feinen, jungen Geister des fin dusiecle beleidigte,
wurden ganze Scheinwelten geschaffen, Welten
voller Prunk und Schönheit, ohne den unrein-
lichen „Erdenrest", der dem Wirklichen immer
anhaftet. Die moderne Skepsis mokierte sich
über die lärmenden Gebärden des Lebens, über
seine Schweißgerüche und seine Formlosig-
keiten. Und mit einem ironischen Lächeln ging
sie zum Künstlichen über, das den schönen
Schein lebendiger Form mit dem Adel des
Nichtseins verbindet.
Sieht sich die Puppe nicht ganz wie eine
liebenswürdige Symbolisierung des modernen
Ästhetizismus an? Beide verneinen den Inhalt,
das Leben, zugunsten der Form. Beide sind
letzten Grundes von satanischem Geschlecht
und Wesen. Ist es ein Zufall, daß hier bei
Lotte Pritzels Puppen immer dieselbe, an
Beardsley erinnernde Physiognomie wieder-
kehrt? Und nicht nur dies. Auch die Kostü-
mierung erweckt auf Schritt und Tritt Er-
innerungen an die bizarre, zärtlich verruchte
Linie des großen Dandy und Künstlers. Der
Einfall aber, diese übrigens nicht nur von
Beardsley entwickelte und gepflegte Linie
lau. IV.
32^
Puppe» von Lotte Pritzel.
LOTTE PRITZEL -MÜNCHEN.
prunkvoller Teufelei und traumhafter Lebens-
sclieu auf das spielerische Wesen der Puppe zu
übertragen, dieser Einfall ist zweifellos einer
der liebenswürdigsten und feinsten Gedanken,
welche die letzten Jahre gezeitigt haben.
Lotte Pritzels Puppen sind Farbenarrange-
ments und Liniendemonstrationen voll eines
delikaten erotischen Sinnes. Ihr Duft ist Liebe
und Zärtlichkeit, ihre Gestalt ist Grazie, und
holde, sanfte Schwärmerei liegt als charmanter
Nebel über ihrer ganzen Erscheinung. Sie sind
ganz in süperbe, diffuse Sinnlichkeit getaucht,
wie die Porzellanplastik des Rokoko, und diese
Eigenschaft wird gesteigert durch die zart
melancholische Leichtigkeit, ja Nichtigkeit ihres
Wesens. Diese Puppen sind leicht und hold
wie Schmetterlinge, wie bunte Seifenblasen ;
sie sind frei von aller Schwere des Lebens wie
des Kunstwerkes und haben ganz jenes zarte,
traurige bezaubernde Lächeln, mit denen uns
nichtseiende Dinge, wie Träume, Ahnungen und
Erinnerungen beglücken. Unwirkliche Hauche
sind sie, Gebilde von königlicher Freiheit und
Keuschheit der Erscheinung. Man fühlt, wie
leicht und unmittelbar die Phantasie der Hand
sie hervorgebracht, hervorgespielt hat. Nicht
Puppen für die Vitrine.
der Geist und das Ausdrucksstreben eines
Künstlers haben diese feinen, bunten Wesen
geschaffen, sondern der Geist der Seide, mit
der sie bekleidet sind, der Geist der duftigen
Spitzen und des Wachses, das so rührend bild-
sam ist, daß die Wärme der Hand genügt, um
seine Sprödigkeit zu besiegen. Lotte Pritzels
Puppen wollen nichts sagen und nichts bedeuten.
Sie sind „nichtssagend" und „unbedeutend"
wie Blumen, die nur um ihrer selbst willen
leben, verliebt in ihre eigene Schönheit und
gleichsam heimlich in sich hineinlächelnd. Sie
sind unter den Kunstwerken dasselbe was unter
den Menschen die Kinder sind. Kein Schicksal
drückt sie, keine Geistigkeit beschwert und er-
hebt sie. Jede ist ein Engel inmitten ihrer
Wölkchen aus Seide und Spitzen, gerade nur
mit soviel Körperlichkeit beschwert als not tut,
um in das Farben- und Linienarrangement ganz
gedämpft und von Ferne die bedeutende Vor-
stellung menschlicher Leiblichkeit hineinklingen
zu lassen. Ich möchte an diesem Punkte die
Feder an meinen Kollegen Peter Altenberg
weitergeben, damit er uns den Reiz dieser
wächsernen Händchen, Füßchen und Köpfchen
mit der grenzenlosen Hingabefähigkeit seines
^?o
>:>
LOTTE
PRIT/.EL-
MÜNCHEN.
PUPPEN
FÜR DIE
VITRINE.
LOTTE
PRITZEL-
MliNCHEN.
PUPPEN
FÜR DIE
VITRINE.
LOTTE PRITZEL-MUNCHEN.
PUPPEN FÜR DIE VITRINE.
LOTTE
PRITZEL-
MtJNCHEN.
LOTTE
PRITZEL-
MÜNCHEN.
PUPPEiN
KÜR DIE
VITRINE.
ii^
y.OTTE
PRITZEL-
MÜNCHEN.
■«■
Pupf^en vou Lotte Priizel.
dichterischen Wesens und der Delikatesse seiner
feinen, treuen und kränklichen Hand ausdeute.
„Ach sie haben eine Seele aus weißer Watte,
die Holden!" würde er vielleicht schreiben,
„sie sind die reinsten weiblichen Wesen, von
denen mir je zu träumen erlaubt wurde. Ihre
Händchen sind nur fürs Blumenpfiücken ge-
macht, und barfuß gehen sie, damit die Linien
ihrer feinen Fesseln singen und die Menschen
erfreuen können. Von solchen Händen, kühl,
zart und vibrierend, haben wir als Knaben
geträumt, um dann zu erfahren, daß es sie im
Leben nicht gibt, und Du, Lizzie ß., solltest
Dir sagen lassen, daß Dein süßes Gesichtchen
niemals, niemals soviel Geist, Klugheit, Anmut
und Scheue zeigte wie die Füße dieses braunen
Wachsmädchens, dessen Brüste die rosigen
Spitzen zeigen,"
Ich selbst hätte zu bemeldeten Gliedmaßen
zu bemerken, daß sie delikat und famos gemacht
sind, alle von gleichmäßigem Ausdruck, alle
von derselben nervösen, altadeligen Art. Mon-
däne, wohlerzogene und kühne Mädchen blicken
diese Geschöpfchen alle etwas hochfahrend und
unsagbar scheu von oben herab, haben alle den
großen Mund, den die Erinnerungen verbotener
Küsse schmücken, und dieselben verträumten
Mongolcnaugen, aus denen die Dichter fremd-
ländische Entzückungen schimmern sehen. Nur
das stumpfe Naschen legitimiert sie als Euro-
päerinnen, als Nachkommen der liebenswürdigen
Damen von Watteaus und Bouchers Gnaden,
die die zahmen Lämmer und die ebenso zahmen
Schäfer auf köstliche imaginäre Weiden führten.
Was soll ich noch mehr von ihnen erzählen ~'.
Daß man sie stellen, legen und setzen kann, wie
es gefällt? Daß Lotte Pritzel die erste war, die
in größerem Umfange mit Wachs, Seide, Spitzen
und Perrücken zu dichten begann ? Das möge
denn noch hier verzeichnet sein. — \v. m
EDLES MATERIAL lechzt nach der kun-
digen Hand, die seine heimlichsten Rci/e
entfalte, seine Tugenden zum Erstrahlen bringe
In den nobelen Hölzern, Metallen, Glasflüssen,
dem Leder oder dem Stein schlummern Schön-
heitswerte, die man erahnt, selbst wenn der
nachlässige Bearbeiter keine Mühe aufgewandt
hat, sie den Sinnen offenbar zu machen.
Doch ist es nicht Verbrechen an der von der
Natur reich bedachten Materie, wenn ihre inner-
liche Schöne brach liegen bleibt wie ein unge-
pflügter Acker? Von dieser Schuld können wir
uns nicht ganz frei sprechen. Wohl haben wir
es dahin gebracht , daß mit Freude und Eifer
kostbares Holz, Gold, Silber, Marmor, strah-
lendes Leder und reine Stoffe verwendet wer-
den. Aber wer wollte leugnen, daß diese Dinge
zumeist primitiv und unveredelt bleiben. Und i
wer möchte bestreiten, daß dieser Verzicht auf
eine liebevolle Durchgestaltung beinahe als
Materialvergeudung erscheint. Man betrachte '
doch eine alte Gemme , eine Schnitzerei aus '
früherer Zeit oder eine japanische Bronze. Durch
Heiß und Können ist da der Urstoff aufgehöht '.
zu unerhörter Kostbarkeit. Das Gesetz der Na-
tur ist erfüllt, und der Mensch betrachtet ent-
zückt das so entstandene Werk. p. westheim.
LUTTE I'RITZEL- MÜNCHEN, l^uppen für die Vitrine.
KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.
DEZEMBER 1910.
DEUTSCHE ÜRAPHISCHE AUSSTELLUNG IN
LEIPZIO. Die graphische Ausstellung im
Deutschen Buchgewerbehaus enthält Arbeiten von
fast allen bedeutenden modernen Graphikern. Bei-
nahe 800 Blätter sind ausgestellt, die aus nicht viel
weniger als 3000 eingesandten Arbeiten ausge-
wählt wurden. Die Aufstellung ist in der Weise
getroffen, daß die verschiedenen Schulen und die
in den verschiedenen deutschen Kuiistzentren le-
benden Künstler zusammengestellt sind und da-
durch einheitlich geschlossene Gruppen entstehen,
von denen jede für sich sehr gut zur Geltung kommt.
Der Leipziger Schule ist relativ viel Plat5 eingeräumt,
bei ihr sind auch die drei neuen Blätter von Klinger
aus dem Zyklus „vom Tode 11" ausgestellt. In der
DresdenerKojedominieren als Meister der Radierung
0. Fischer und W. Zeising, dabei als bekann-
tester Vertreter von Weimar L. v. Hofmann, der
durch seine wundervollen Studien hauptsächlich
wirkt. Die Münchner Gruppe ist sehr gut vertreten.
Farbenholzschnitte sind hier in besonders groger
Anzahl zu sehen (H. Neumann, W. Kiemmund
C. Thiemann, Hammer, Heine Rath u. a. m.).
Dann Radierungen von W. Geiger, Joseph Uhl,
Ed. Scharff, F. W. Preuss, Waentig u. a. m.
In der den Berliner Künstlern eingeräumten Koje
lenkt vor allem Käthe Kollwitz das Auge auf
sich und E. Wolfsfeld. Ganz hervorragend
kommt Orlik zur Geltung, daneben Fritz Lederer
und H. Zille. Als eine Art von Wanddekoration
sind nicht ohne farbigen Reiz die Holzschnitte von
M. Melzer, etwas sehr brutal nehmen sich da-
neben die Holzschnitte von M. Pechstein und der
Dresdener Vereinigung „Brücke" aus, die ähn-
liche Ziele verfolgen. Auch E. Nolde gehört in
diese Gruppe. Von den Worpswedern ist Hans
am Ende und H. Vogeler sehr gut vertreten.
Hamburg repräsentiert ausgezeichnet A. Jllies,
dabei noch Kalckreuth, von denen beiden sehr
viele ältere und neuere Arbeiten ausgestellt sind.
Die kleineren Kunsizentren sind in dem Eckraum
zu studieren. W. Thielmann schildert das hes-
sische Bauernleben, tüchtige Porträtradierer sind
W. Giese und R. Winkel in Magdeburg. Frank-
furt vertritt W. Steinhausen, die Karlsruher vor
allem H. v. Volkmann, W. Conz, Kampmann
u. a. m., Stuttgart Carlos Grethe, Eckener,
Hollenberg und Reifferscheid. Von Aman-
dus Faure sind eine Anzahl hübscher neuer Blätter
ausgestellt, ebenso von A. Schinnerer und von
H. Meid, die als originelle künstlerische Persön-
lichkeiten hervorragen. — sch.
BERLIN. Als „Künstlerbund für Glas-
malerei und Glasmosaik" hat sich in
Berlin eine Vereinigung aufgetan, der die auf die-
sem gewerblichen Sondergebiet bewährten Kräfte
wie Paul, Behrens, Gef5ner, Pechstein, Cesar Klein,
Becker -Tempelburg, Billing, Müller-Stegli^ u. a.
angehören. Das Ziel des Bundes ist, Publikum
und Architektenschaft über die dekorativen Mög-
lichkeiten einer architektonisch disziplinierten Glas-
malerei aufzuklären , was durch Ausstellungen,
Publikationen und dergleichen Veranstaltungen
geschehen soll. Als Werkstätten haben sich diesen
Künstlern Gottfr. Heinersdorff und Puhl & Wagner
angeschlossen. Die erste Ausstellung wird im .Januar
im Folkwang-Museum zu Hagen stattfinden. w.
<•
HANNOVER. Die Herbstausstellung bestätigt,
was schon im vergangenen Jahr festzustellen
war: einen Aufstieg. Beim Hängen wurde das
Prinzip der Kollektion durchgeführt ; wir treffen
die Werke der einzelnen Künstler beisammen und
können uns so leichter ein Urteil bilden. Die
einzige Möglichkeit, größere Ausstellungen zu
überschauen. Allerdings eine Gefährdung aller
Manieristen und Halbstarken. An diesem Prinzip
stirbt unreparierbar der Dilettantismus, auch der
professionell gewordene. Hannover Stadt und Land
weist treffliche Künstler auf, reife und aussichts-
reiche. Zu den besten gehört Carl Jörres ; seine
Landschaften sind der kultivierte Extrakt einer
malerischen Melancholie, sie sind mit gefügigem
Pinsel, weich und sinnlich, mit überzeugender
Unbestimmtheit hingestrichen. Tappert und Bengen
sind als Berliner Neu-Secessionisten gut bekannt.
Bengen wird gut tun, sich dem Einflüsse Ludwig
von Hofmanns möglichst zu entziehen, Tappert
pflegt ganz mit Recht einen dekorativen Geschmack.
Sein Gefühl für Valeure und seine Tendenz nach
Effekten ist sympathischer als die ein wenig grelle
Koketterie Rudolf Webers. Georg Tronnier malt mit
sicherem Geschmack lebenswahre Bildnisse. Carl
Weidemeyer ist ein geistreicher, sehr geschickter
Illustrator und Flächendekorateur. In diesem Tem-
perament mischt sich Beardsley und Goya, Walser
und Thoma. Die Konkurrenz um den Duve-Brunnen
halte das seltene Ergebnis, daß die drei ausgeseQten
Preise den Arbeiten des Bildhauers Herting zu-
fielen. Und, wie festgestellt sein muß: mit Recht.
Herting ist zur Zeit weitaus der beste Plastiker
der Leinestadt. Seine Entwürfe achteten der sel-
tenen Geschlossenheit des vorgesehenen Plat3es,
sie unterwarfen sich der horizontalen Tendenz der
mi.iv. 8.
339
HESSISCHE
SPIELSACHEN.
AKCHE NOAH
LANGHOI-Z-
FUHRWEKK,
WERKSTATTEN
VON PROFESSOR
CONR. SUTTER-
BURG BREUBERG i|
IM ODENWALD.
HESSISCHE
SPIELSACHEN.
SCHAKHEkDE,
GÄNSEHEKDE,
PLANWAGEN,
SCHAUKELPONY.
WERKSTATTEN
VON PROFESSOR
CONR. SUTTER-
HÜRG bREUBERG
IM ODENWALD.
Kleine Ktinst-Nachrichtm.
umgrenzenden Architektur; sie wahrten dennoch
ihre plastische Selbständigkeit und verhießen ge-
rade darum dem Raum ein edles Zentrum, eine
Verankerung. Solches zu leisten aber ist die spe-
zifische Aufgabe eines an der Straße stehenden
Denkmals oder Brunnens. - iireuer.
o
C^ÖLN. im Walraff - Richart3museum treffen
' wir jet)t eine bereits beachtenswerte Galerie
moderner Bilder. Es ist überaus erfreulich, die Reihe
der Erwerbungen und Geschenke aus den Jahren
IQOQ und 1910 zu überschauen. Da gibt es: von
Slevogt den „Französischen Dragoner", ein Meister-
stück in gelb — grün- weiß; von Liebermann das
„Selbstporträt" mit der Palette und eine „Juden-
gasse" der legten Periode; von Uhde die „Mädchen
im Garten"; dann E. R. Weiss, Deusser, Liesegang,
Pfuhle, Klarenbach. Aber auch Gauguin und
van Gogh sind mit reifen Werken vertreten. — Von
den Bauten der let5ten Zeit ist das „Gerionshaus"
von Morit), sind einige Geschäftshäuser von Müller —
Erkelenz zu loben. Beide Architekten streben nach
dem Typus des Kontor- und Cityhauses, wie er in
Hamburg bereits wuchs. Dabei ist festzustellen,
daß Morit) seine Neigung, den Stein plastisch zu
erweichen, wie beim Stolberghaus, aufgegeben hat
und die gesündere Art, mit der er durch sein
Bankhaus in Bielefeld einen schönen Erfolg gewann,
energisch fortentvvid<elt. Um den Südpark herum
werden jetjt auch bessere Einfamilienhäuser gebaut;
man sieht auch hier Früchte unseres reformato-
rischen Mühens. Freilich, ein so köstliches Werk
wie das Haus Feinhals, das letjte Geschenk Olbrichs,
sucht man rings umher vergeblich. - bk.
Ä
MAGDEBURG. Im Oktober d. J. ist der erste Teil
der neugegründeten Gartenstadt Hopfen-
garten, etwa 50 Häuser, bezogen worden. Als
eine der ersten Früchte der deutschen Gartenstadt-
bewegung ist Hopfengarten unter schneller Über-
windung aller einem so neuartigen Unternehmen
entgegenstehenden Schwierigkeiten in diesem Som-
mer entstanden. Die Besiedelung geht nun Stück
um Stück vorwärts, so daß man jetjt bereits voll-
ständige Straßenbilder vorfindet. Das fast ebene
Terrain erlaubte eine sachliche Bebauungsart: nach
ihr sind die Straßen den Grundstücken angepaßt,
nicht umgekehrt. So kommt es, daß nicht nur
jedes Haus - denn es handelt sich ausschließlich
ja um Einfamilienhäuser - überall die beste Soiuien-
lage erhalten hat, sondern daß der Gesamteindruck
troß aller Verschiedenheiten der Bauten ein ein-
heitlicher geworden ist. Die neuere Städtebaukunst
hat bei uns noch nicht viele Beispiele, in denen
mit sachlichen Voraussetjungen ein künstlerischer
Eindruck erzielt wird; und es fällt ganz besonders
schwer, die Geschlossenheit der Raumwirkung mit
Kleinhäusern zu erzielen. Eine solche aber ist
hier von dem Bauleiter Amelung erreicht durch
die Bedingung, den PlaQ jedes Hauses selber an-
weisen zu können. Die Ansichten der Siedlung
halten sich fern von allen malerischen Willkürlich-
keiten und bieten doch anheimelnde feine Eindrücke.
Es kommt hier, wie bei aller Städtebaukunst, in
erster Linie nicht so sehr auf die Gebäude selbst
an, als auf den Bebauungsplan. Die Häuser sind
allerdings teilweise zu Baugruppen zusammengelegt,
aber auch die einzelstehenden ordnen sich dem
Raumbild unter. Es sind anspruchslose, hellfarbige,
mit roten Dächern gedeckte Häuschen, deren Wohn-
lichkeit ihr größter Schmuck ist, und wie sie in
England den Typus bilden, bei uns etwa Tessenow
zu bauen versteht. v. k. sihmidt.
Ä
ELBERFELD. Die Bergische Kunslgenossen-
schaft hatte im Elberfelder Museum eine freund-
liche Ausstellung veranstaltet. Das Niveau war ein
Beitrag zu der Beobachtung, daß die Provinz
während der leßten Jahre dem Berliner ülaspalast
in die Flanke rückt. Besondere Aufmerksamkeit
verdient Gustav Wiethüchter aus Barmen. Er hat
sich von van Gogh anregen lassen, weiß aber
sein Eigenes zu wahren. Ein Bild, auf dem der
blutrünstige Sport des Hahnenköpfens betrieben
wird, überraschte durch die groteske Brutalität
des linearen Ausdrucks. Für das Problem des
Gegeneinander und des Parallelismus von scharf
gespannten und mit Energie geladenen Gliedmaßen,
die säbelnden Arme der Vogelhenker oder die
festgestemmten Beine der Schnitter in einem Ähren-
feld, scheint Wiethüchter sich besonders zu inter-
essieren. - Ausgezeichnete Buchbinder- Arbeiten
macht Johannes Rudel aus Elberfeld. Seine Hand-
vergoldungen zeigen die geschickte Verwendung
selbstgeschnittener Stempel und meiden das Arm-
liche nicht minder als den Überfluß. - Rudolf
Wolff aus Solingen graviert Stahl und schlägt
Kupfer mit gutem Gefühl für das Material und
für die Meisterstücke des siebzehnten Jahrhunderts.
DARMSTADT. Eine Ausstellung Hessischer
Spielsachen aus den Werkstätten von Pro-
fessor Conrad Sutter in Burg Breuberg zeigt
mancherlei Wertvolles und Empfehlenswertes.
Einige Proben auf vorstehenden Seiten. Sutter be-
trachtet das Spielzeug als eine ernste Sache, die
dem Kinde vernünftige plastische und bildliche
Eindrücke geben soll. So sind denn die Figuren in
kerniger Schnitjtechnik aus dem Vollen herausge-
arbeitet, und alles Wesentliche ist unter Vermeidung
des Nebensächlichen gegeben. Dadurch unter-
scheiden sich die Sutterschen Spielzeuge vorteil-
haft von anderen modernen Erzeugnissen, die
nicht selten nur künstlerische Spielereien sind.
342
-ANGORA-KATZE«, PHOTOGR. AUFNAHME VON ANNA HERTH.
LEHR- U. VERSUCHS-ANSTALT FÜR PHOTOGRAPHIE, MÜNCHEN.
GUSTE HEKTEL-MUNCHEN.
Phoiogr. Bildnis: ■^Lautenspielenn«
ERZIEHUNGSSTÄTTE FÜR KÜNSTLERISCHE PHOTOGRAPHIE.
VON Dr. M. K. ROHE—MÜNCHEN.
SO süßsauer sich auch die Pariser, echt fran-
zösischer SelbstUebe gemäß, gegen die Aus-
stellung unseres Münchner Kunstgewerbes im
Herbstsalon verhalten haben, an einer Stelle
spendete man ihr doch hohes und einmütiges
Lob — vor den Schülerarbeiten der K. Kunst-
gewerbeschule und der städtischen Gewerbe-
schulen. Die vorliegenden Resultate fanden
staunende Bewunderung, nicht weniger aber
auch die Organisation, die sie ermöglicht hatte.
Diese Anerkennung einer Vertretung unseres
künstlerischen Erziehungswesens von selten des
Auslandes regt zur Betrachtung an, wird doch
bei uns heute viel über künstlerische Erziehungs-
fragen hin- und herdebattiert. Eine Beobach-
tung drängt sich ohne weiteres auf. Während
unsere Kunstakademien von Tag zu Tag an Be-
deutung verlieren, steigert sich die Beachtung,
die die kunstgewerblichen und gewerblichen
Schulen finden, fortwährend. Die Jahresaus-
stellungen der letzteren übertreffen die dererste-
ren, was das Niveau anlangt, durchaus, ja unter
den anonym ausliegenden Ergebnissen finden
sich — eben weil die Arbeiten aus reiner Liebe
zur Sache und nicht schon unter Hinschielen
nach dem Effekt, den sie auf das Publikum aus-
üben sollen, angefertigt sind — oft Leistungen
vor, die jene „fertiger Professionisten" weit
überragen. Der Grund liegt zweifelsohne in
der gründlichen Reorganisation, die genannte
Schulen fast allenthalben im Reich und speziell
in München innerhalb des letzten Jahrzehntes
erfahren haben. Bei ihrem engeren Zusammen-
hang mit dem täglichen Leben, mit Industrie
und Gewerbe hat die Mauserung, in der jene
sich befinden, auch auf sie übergegriffen und,
wo es ging, hat man Lehrkräfte herangezogen,
die mit eigener Tätigkeit mitten im Leben
1911 \, I.
345
Dr. M. K. RoJie Mwichen .
HUl'MSI.AW
riiEUur-/
Mi'NfHI \
I KHK- IMi
ANSTALT Ft'"R
PHOTOr.RAPHlK.
BILDNIS-
AUFNAHME.
stehen und sich als die Besten bewährt haben.
— Die Photographie sollte den sich hier ab-
spielenden Prozeß scharf ins Auge fassen.
Denn, wie mir scheinen will, sind in ihr der-
zeitig Ambitionen erwacht, die ihre bisiier so
glänzenden, weil einer gewissen Keuschheit und
Unbewußtheit der Bemühungen entsprungenen
Resultate wieder in Frage zu stellen drohen.
Und speziell in Deutschland schickt man sich
an, auch in sie jenen Dualismus zwischen Kunst
und Handwerk zu tragen, der über die Malerei
beispielsweise so viel Not und Elend gebracht
346
hat. Man vergißt, daß keine menschliche Be-
tätigung von Haus aus „künstlerisch oder un-
künstlerisch" ist, sondern daß nur der Grad
ihres Gehaltes sie entweder zur Kunst erhebt,
oder in der Niederung des Gewöhnlichen beläßt.
Inmitten der Bedrängnis, die heute über die
deutsche Photographie hereinzubrechen droht, ■
berührt es höchst wohltätig, eine Pflegestätte
für sie zu wissen, an der alles geschieht, diesen
Dualismus ferne zu halten. Es ist dies die
Lehr- und Versuchsanstalt für Pho-
tographie, Chemigraphie. Licht-
'• II
^
Erziehungsstätle für künsilei isclic Photographie.
-* -
FDUARD
SrEUELIN-
MÜNCHEN.
LEHR- UND
VERSLXHS-
ANSTALT FÜR
PHOIOGRAPHIE
1
AUFNAHME.
druck und Gravüre in München, ein Unter-
nehmen des „Süddeutschen Photographen-Ver-
eins" das nunmehr auf eine zehnjährige Tätig-
keit zurückbUckt. Einzig und allein ist es auch
hier die treffliche Organisation, die, ein Ver-
dienst ihres Leiters Prof. Emmerich, das
Institut zu Zielen hat gelangen lassen , die in
dem oben angedeuteten Sinne künstlerisch und
auf deutschen Schulen jedenfalls einzig sind.
In Befolgung der aufgestellten Lehrpläne geht
der Schüler durch einen Drill hindurch, der ihn
aus den Fundamenten zum völligen und viel-
seitigen Herrn über den Handwerksge-
brauch werden läßt und es ihm weiterhin
ermöglicht, für alle in ihm schlummern-
den künstlerischen Potenzen zwang-
los und auf das natürlichste Objek-
tivierung zu finden. Jede Forcierung ist
ebenso vermieden, wie jede unfruchtbare Spe-
zialisierung, an der — die zweite große Ge-
fahr — die heutige Photographie so reich ist.
Sehr bezeichnend für den Geist der Solidität
und diesmal wahrhaft „deutschen Gründlich-
keit" des Institutes scheint mir folgender Einzel-
fall zu sein: Außer den beiden vorzüglichen
Fachlehrern R. Lähnemann und H. Spörl
347
Erzieimngsstätte für künstlerische Photographie.
ist an der Lehr- und Versuchsanstalt auch
Frank Eugene Smith tätig, einer der alier-
bedeutendsten Malerphotographen der Gegen-
wart, dessen Arbeiten ja auch in diesem Blatte
schon ein paarmal einer eingehenden Würdi-
gung unterzogen wurden. Smiths Arbeitsver-
fahren weist nun einige Eigenheiten auf, die sich
(was auch außerhalb der Anstalt geschieht)
wohl äußerlich kopieren und zu Effekten be-
nutzen lassen, die wohl augenblicklich wirksam,
nie aber im Geiste der wundervollen Sniithschen
Kunst gelegen sind. Daß unter den Schülern
der Anstalt, die, wie ich weiß, für ihren Lehrer
Smith begeistert sind, nicht einer sich vorfindet,
der in schwächlichem Replizieren der Arbeits-
weise des Lehrers sich gefällt, sondern daß
alle sich nur bemühen, von dem Geiste seiner
Auffassung zu profitieren, spricht mehr wie
Bände für die Tüchtigkeit der Lehrmethoden
an diesem Institut. Man begreift so auch das
Zustandekommen von Edelprodukten photo-
graphischer Schöpfungen, wie sie die diesen
Zeilen beigegebenen Proben von Schülerarbeiten
darstellen. So gut die Reproduktionen auch
als Reproduktionen sind, sie können naturge-
mäß nicht den vollgültigen Eindruck der Origi-
nale übermitteln, die schon heute die Samm-
lungen der wenigen Sammler in Deutschland
zieren, die Geschmack genug besitzen, den
Kunstwert individueller Photographien richtig
einzuschätzen. Professor Emmerich darf mit
Stolz auf die Resultate seiner zehnjährigen
organisatorischen Tätigkeit an der Lehr- und
Versuchsanstalt zurückblicken. — m k k.
LEHR- UND VERSUCHSANSTALT MÜNCHEN. BILDNIS-PHOTOGRAPmE VON EDUARD STEHELIN.
I kOFESbOR EILANUEL V. bEIDL.
Haus_K.ommerzienrat Karl Benker.
DAS HAUS BENKER IN DÖRFLAS.
ERBAUT VON PROF. EMANÜEL VON SEIDL.
d/ciacöchesä-
nie Eigenart Emanuel von Seidls ist nicht
schwer zu umschreiben; denn seine künst-
lerische Richtung steht klar und deutlich um-
rissen da. Er ist Süddeutscher, das unterschei-
det ihn auf den ersten Blick. Er arbeitet nicht
wie ein Ingenieur,
für den die äußere
und innere Form
eines Gebäudes aus-
schließlich eine Kon-
struktions - Aufgabe
bedeutet. Eine Fa-
brik, die technischen
Prozessen dient, und
wo jede individuelle
Laune ausgeschaltet
ist, wo die Arbeit
einem einzigen Wil-
len gehorcht, mag mit
kühlen Geraden und
Vermeidung jeglicher
Weichheit wohl bestehen; da schadet nicht ein-
mal eine ins Übermäßige gesteigerte Konse-
quenz. Aber wehe dem Wohnhaus, das ein
solcher Geist errichtet. Der Mensch will ein-
mal zuerst nicht „logisch" noch weniger päda-
gogisch, sondern be-
haglich u. geschmack-
voll wohnen; er will
sich bewegen können
u nicht jeden Augen-
blick gleichsam von
einem Zaun unfreund-
licher u. eigensinnig
sich vordrängender
Härten u. Ecken ein-
geengt werden. Selbst
ein repräsentatives
Wohnhaus karm un-
möglich jenes Trop-
fens Liebenswürdig-
keit entbehren, ohne
351
Karl Mayr Mwicheu :
PROFESSOR EMASUEL V. SEIDL— MÜNCHEN.
die auf die Dauer auch der straffste Pflichtmensch
nicht zu leben vermag. Die „Sachlichkeitskunst"
dorthin, wo sie hingehört; zu Hause ist man ge-
mütlich und seinen Gefühlen hingegeben; die
berechnende Atmosphäre des Bureaus bleibt
vor der Schvk'elle zurück. P-nianuel von Seidls
ganze Natur ist solcher Nüchternheit abgeneigt.
Seine Anfänge stammen zwar aus dem Barock,
aber er hat sich nllmählich von dessen Herr-
schaft befreit; die Liebe für eine malerisch de-
korative Gesamterscheinung ist ihm geblieben,
ohne daß er jedoch so davon hingerissen wäre,
daß er nur Nachdichtungen lieferte. Die klassi-
zistisch-französischen Formen der Bauweise des
18. Jahrhunderts, wie sie neuerdings von der
Salon. Blick in das Musikzimmer.
Reichshauptstadt aus sich zu verbreiten drohen,
haben ihn nur vorübergehend angezogen. Ema-
nuel von Seidl benutzt wohl auch heute noch
da und dort ältere Formen — vielleicht mehr
als ein anderer moderner Architekt — , aber
meist doch nur so, wie etwa ein Komponist der
Gegenwart in einem Musikdrama eine ge-
schlossene Form, ein Menuett, einen Kanon auf-
greift, weil er für die Situation kein besseres
Gefäß findet und weil die Form selbst dem be-
absichtigten Ausdruck entgegenkommt. Emanuel
von Seidl ist ein Meister der Situation und sieht
in einem kontrastreichen Farbenaufbau der
Innenräume ein Hauptmittel der Wirkung.
Grundsätzlich verwendet er entschiedene Töne
l^^
Das Haus Beiikcr in Dorf las.
PROFESSOR EMANUEL V. SEIDL — MÜNCHEN.
und moderne Harmonien, die ihren Ursprung
in unserer Kultur haben ; weder alte Paläste und
Bilder, noch seltsame Bauernstickereien haben
daran Anteil. Zweifellos sind sie beeinflußt von
der Farbenanschauung der jüngeren Münchner
Malergeneration. Dies ist überaus begrüßens-
wert; denn nur wenn die Architektur im rich-
tigen Sinne von der Malerei lernt, wie die Ma-
lerei von der Baukunst, erst dann wird all-
mählich eine einheitliche Gesamtwirkung ent-
stehen.
Seidls Eigenschaften treten auch bei Aufgaben
bescheideneren Umfanges hervor, wie bei dem
Umbau des Hauses Karl Benker in Dörflas ge-
genüber Marktredtwitz, wo dem Architekten
Salon im Hause Benker Dörflas.
von vornherein gewisse Grenzen gezogen waren.
Eben deshalb verdienen diese Arbeiten Inte-
resse. Wie sympathisch und traulich liegt dieses
Haus in der fränkischen Marktstraße mitten
unter den übrigen Gebäuden der Reihe : nicht
fremdartig, nur eben stattlicher als die andern,
dominierend, vornehm, aber ohne eine strenge,
abweisende Miene zur Schau zu tragen; man
sieht sofort, es ist die Wohnung eines bedeuten-
den, mit der Gegend eng verwachsenen Mannes.
Art, Einteilung und Abmessungen der Wohn-
räume im Erdgeschoß, wie sie dieses Heft zei-
gen, verraten einen kräftigen, dabei eleganten
Lebenstypus: den größten Raum nehmen das
Musikzimmer mit Flügel und Orgel und der
3jj
Dr. Emil l ■titz- Rostock:
Gartensalon ein. Die Zimmer kontrastieren
untereinander in Form und Farbe; sie sind so
angelegt, daß diese Elemente einander heben
und steigern sollen. Da und dort wurden die
Fcken abgeschrägt oder abgerundet, die Wände
leicht aus dem Rechteck gerückt, um aus der
Wohnung den Todfeind aller Behaglichkeit, die
Monotonie, zu vertreiben. Die verschiedene
Größe und Farbenstimmung der Zimmer be-
zwecken einen angenehmen Rhythmus.
Das Wohn- und Speisezimmer mit seinen
eingebauten Möbeln, dem soliden Büfett in
hellfarbigem Eichenholz setzt behäbig, ohne
Prunk ein; die weiße Balkendecke im alteng-
lischen Sinn verleiht ihm etwas Patrizierhaftes.
Mit dem etwas kleineren Salon wechselt die
Stimmung; er ist mit dem Hauptraum, dem
Musikzimmer, durch eine breite Türöffnung ver-
bunden und kann zum Zuhören benutzt werden.
Das geheimnisvolle Dunkelblau der Wände mit
dem Mahagonischrank, gehoben durch den
grauen, das ganze Zimmer füllenden Belag und
verschiedene Kissen in kühlen, rosafarbenen
Tönen, bereitet gleichsam für die Musik vor,
die im nächsten Raum entsteht. Hier herrscht
Helligkeit und Klarheit; vier funkelnde Kristall-
lüster, die das voll hereinflutende Licht auf-
fangen und zerlegen, das Silber der Orgelpfeifen,
die hoch hinaufgeführten hellen Marmorwände,
der quadrierte Teppich — alles beabsichtigt
eine liebenswürdige Gehobenheit, eine festliche
Stimmung der Musizierenden und der Hörer.
Durch eine kleine Türe hinter der Orgel schlüpft
man in das kleine Jagd- und Kneipzimmer, in
dem der Geist der Erde wieder zu seinem
Rechte kommt. Warmes Zirbelholz, der Back-
steinkamin, bewegte eiserne Beleuchtungskör-
per geben neben den Jagdtrophäen dem ge-
wölbten Raum sein charakteristisches Aussehen
Wie das Musikzimmer den Salon, so soll das
folgende Gartenzimmer als Übergang zum Freien
das Jagdzimmer steigern: leicht und fröhlich ist
hier das Ganze gedacht: ockergelbe Wände,
die durch schönfarbige, geschickte Stilleben
Obermayers betont werden, weiße Vorhänge,
an der Decke in barocker Kartusche ein an die
Lieblingskunst des Hauses erinnerndes Gemälde
von August Fricke, ebenfalls im barocken Sinne
empfunden, Korbmöbel, zarte bewegliche Tisch-
chen, Blumen- und Blattpflanzen (darunter aller-
dings auch die, wie es scheint, unausrottbare
Palme) und vor allem eine schon ans Freie
mahnende Überfülle von Licht. Getrennt von
diesen, dem Zusammensein der Familie ge-
widmeten und deshalb untereinander verbun-
denen Räumen liegt das Herrenzimmer mit
kanellierten Wänden und Kirschbaum-Möbeln,
etwas gehaltener, wie es sich für den Herrn
des Hauses gebührt, aber weit entfernt von
der kahlen Geschäftsmäßigkeit eines Bureaus.
Alles in allem darf das Haus als das Muster
eines bürgerlichen, kultivierten Hauses gelten,
dessen ruhige Formensprache sich von alter-
tümelndem Prunk ebenso wie von unangemesse-
ner Kühle freihält und den Bewohnern eine hei-
tere und vornehme Stimmung bereitet, k. ma\ k.
HEIMATKUNST.
VON Dr. EMIL UTITZ -ROSTOCK.
Heimatkunst!" das ist die stürmische For-
derung weiter Kreise; das Banner, um
das sich viele scharen; das Feldgeschrei, mit
dem sie in den Kampf ausziehen gegen abwei-
chende Kunstanschauungen und Kunstwerke,
die anderen Grundlagen entwachsen sind. Wir
aber wollen uns nun weder von diesem Schlag-
worte blenden, noch auch von der Erbitterung
seiner Gegner hinreißen lassen, sondern ruhig
und nüchtern prüfen, was denn die Tatsachen
— auf die kommt es ja doch letzten Endßs
allein an — zu der Frage der „Heimatkunst"
sagen ; sie sollen hier die Richter sein, auf deren
Urteilsspruch wir hören.
Worin das eigentliche Wesen des Kunstge-
nusses besteht, darüber sind ja heute die An-
sichten noch recht sehr geteilt; aber insoweit
herrscht doch Einigkeit, daß man in allen ernst
zu nehmenden Kreisen deutlich erkannt hat,
den unmittelbaren Zweck der Kunst bilde ein
eigentümlich genießendes Verhalten, eben die
ästhetische Lust. Und diese Gefühle erhalten
ihre charakteristische Note dadurch, daß sie
nicht dem Reich der wirklichen Dinge zugewandt
sind, sondern der bunten und reichen Welt der
Erscheinungen, die der Künstler vor uns ent-
rollt; es sind Freuden an dem Werte der Vor-
stellungen; ein „interesseloses Wohlgefallen"
— wie bereits Kant sagte — „interesselos",
weil die „Wirklichkeitsfrage" gar nicht gestellt
wird und infolge dessen auf das Praktische ge-
richtete Begehrungen nicht eintreten können.
Jedenfalls kann es nicht unmittelbarer Zweck
der Kunst sein, außerästhetische Wirkungen zu
zeitigen, etwa intellektuelle Freuden, ethische
Befriedigung, religiöse Weihe usw. Treten viel-
354
Häviafhuist.
leicht diese Ergebnisse auf, so sind es eben
Nebenerfolge, gleichsam Zugaben, die sich mit-
telbar einstellen, während die ästhetische Lust
stets den Haupterfolg bildet oder wenigstens
bilden soll; sie ist auch der Wertmaßstab, den
wir an die Kunstwerke herantragen ; und wir
müssen dagegen Stellung nehmen, wenn man
außerästhetische Gesichtspunkte der Beurtei-
lung von Kunstwerken zu Grunde legen will ;
CS ist dies ebenso töricht, wie wenn man eine
Maschine lediglich nach ihrer äußeren Erschei-
nung und nicht vor allem nach dem Grade ihrer
praktischen Tauglichkeit abschätzen würde.
Daß eine Maschine auch schön sein kann, ist
eine willkommene Zugabe, ein erwünschter
Nebenerfolg. Ihr eigentlicher Wert aber wur-
zelt in der Arbeit, die sie zu leisten vermag.
Ähnliches gilt nun von der Kunst: erregt sie
außerästhetische, günstige Wirkungen, sind dies
eben auch willkommene Zugaben, erwünschte
Nebenerfolge; aber ihr eigentlicher Wert als
Kunstleistung liegt begründet in der ästhetischen
Lust, die sie zu erwecken im Stande ist.
Nach diesen allgemeinen Erörterungen können
wir uns nun der besonderen Frage der Heimat-
kunst zuwenden; in der Hoffnung, daß die ein-
leitenden Betrachtungen uns den Weg zu ihrem
Verständnis gebahnt und erleichtert haben.
Denn wir sehen jetzt wohl ohne weiteres ein,
daß es nicht eigentlicher Kunstzweck sein kann.
PROFESSOR EMANUEL v. SEIDL— MÜNCHEN. Herrenzimmer im Hause Banker Dörflas,
1911. V. 5.
y->^
Heimatkwist.
PROFESSOR EMANUEL v. SEIDL MÜNCHEN.
in uns die Liebe zur Heimat zu erhöhen, das
nationale Empfinden zu kräftijSen , besondere
Higentümhchkciten unseres Volkstums zu pfle-
gen usw. Daß dies alles Werte sind, will ich
nicht bestreiten; aber unbedingt muß ich be-
streiten, es sei letzter und höchster Zweck der
Kunst, gerade zur Erfassung dieser Werte uns
zu erziehen; denn ästhetische Freuden stellen
sie sicherlich nicht dar. Mit dem nämlichen
Atelierr.-mm im Hause Benker Dorflas.
Rechte könnte man behaupten, Sache der Kunst
sei in erster Linie ethische Heranbildung oder
Stärkung religiöser Gefühle.
Also in diesem Sinne müssen wir „Heimat-
kunst" als Tendenzmache ebenso ablehnen, wie
alle andere Afterkunst, die unmittelbar andere
Zwecke verfolgt, als ästhetische. Aber dies ist
auch nur die plumpste und geradezu törichtste
Form, in der die Forderung nach einer „Heimat-
j6o
PROFESSOR EMA.NUEL von SEIDL.
GARTENSALON IM HAUSE BENKER— DÖRKLAS.
I
r
Heimatkunst.
kunst" erhoben wird; in anderer Gestalt eignet
ihr allerdings ein gewisser Wahrheitsgehalt, nur
daß die Verkünder dieses Schlagwortes sich
meist nicht dessen bewußt sind, daß hier ver-
schiedene Bedeutungen streng auseinander ge-
halten werden müssen, um nicht Sinn und Un-
sinn bunt durcheinander zu werfen und damit
lediglich Verwirrung zu stiften, statt Klärung
und Förderung.
So könnten z. B. scharfsinnigere Verfechter
der „Heimatkunst" geltend machen, ihnen handle
es sich gar nicht in erster Linie und hauptsäch-
lich um ästhetische Werte und möglichst reiche
Kunstgenüsse, sondern die Ausbildung einer
verständnisvollen Heimatsliebe und nationaler
Eigenart bedeute ein so hohes Gut, das mit
allen Mitteln anzustreben es sich wahrlich ver-
lohne. Der Weg, der am sichersten nun zur
Erreichung dieses Zieles leite, gehe durch das
Reich der Kunst, ähnlich wie die katholische
Kirche die Kunst sich dienstbar machte, um
mit stärkerer, zwingenderer Gefühlsgewalt auf
die Herzen des Volkes einzuwirken; so könne
auch die Kunst ihre Kräfte dieser Aufgabe
PROFESSOR ElLVNUEL v. SEIDL -MÜNCHEN. Speisezimmer im Hause Beuker Durllas.
S^-^j
PROF. EMANUEL von SEIDL MÜNCHEN.
KAMIN-ECKE IN NEBENSTEHENDEM KNEIPZIMUER.
PROFESSOR EMANUEL von SEIDL.
KNEIPZIMMER IM HAUSE BENKER— DÖRFLAS.
l
Heimatkimst.
weihen. Und die Kunstwerke wurden doch da-
durch nicht schlechter, nicht geringer, daß sie
kirchlichem Geiste entwuchsen und zur Ver-
breitung und zur Verherrlichung dieses Geistes
in ihrer Weise beitrugen. Wir bewundern ja
noch heute die himnielstürniende Gewalt go-
tischer Dome, verehren die mittelalterliche Holz-
plastik, eine der reinsten Äußerungen innigen
Glaubens und keuscher Verinnerlichung, und
stehen gefesselt vor der reichen Reihe herrlicher
Meisterbilder, welche die erhabenen Gescheh-
nisse des alten und neuen Testaments in stets
neuen Gestaltungen uns vorführen. Warum
sollte es dann der Kunst nicht glücken, aus
dem Geiste heraus prächtige Werke zu ge-
bären, der erfüllt ist von Liebe zur Heimat
und zum eigenen Volkstum?
Ich glaube, daß uns die Antwort auf das Vor-
gebrachte nicht schwer fallen kann. Sicherlich
wurden die Kunstwerke dadurch nicht schlech-
ter, daß sie kirchlichem Geist entwuchsen; aber
Kunstwerke sind sie eben nicht darum, weil sie
religiöse Motive darstellen, sondern weil die
Darstellung künstlerische Werte zeitigte, also
einen ästhetischen Genuß ermöglichte. Und
gleiches gilt von den Werken, die sich die Auf-
gabe stellen, Liebe zu Heimat und Volkstum
zu verbreiten. Dies bedingt keineswegs ihren
Kunstwert, sondern ihre Fähigkeit, ästhetische
Lust zu entfachen. Deswegen erscheint es nun
im höchsten Grade bedenklich, die gesamte
Kunst auf eine Aufgabe gleichsam festlegen zu
wollen, noch dazu auf eine Aufgabe, die letzten
Grundes eine außerkünstlerische, außerästhe-
tische ist. Es geht nun einmal nicht an, die
Kunst in eine bestimmte Bahn einzwängen zu
wollen ; will man sie wirklich fördern, muß man
ihr auch volle Entwicklungsfreiheit lassen und
sie in keiner Weise knechten. Was zu be-
kämpfen ist, ist schlechte Kunst ; und nicht Kunst-
werke, die andere geistige Strömungen wieder-
spiegeln, als diejenigen, die man gerade auf den
Schild erhebt und die doch nur eine zeitlich
und örtlich bestimmte Geltung besitzen. Was
PROKES.soR KM.\.NUEL V. ^EiUL- MÜNCHEN. Garderobe im Hause Benker Dürflas.
Dr. Emil Utitz- Rostock:
ALTE BLUMENbCHALE. NÜRNBERG, HINTER DER VE.VIE. AUtGENOMMEN VON ARCH. ER. AUG. NAGEL NÜRNBERG.
uns an Kunstwerken besonders schätzenswert
erscheint, ist gerade die Art, wie sie alle indivi-
duellen Besonderheiten und lokalen Fligentüm-
lichkeiten überwinden, daß allgemein mensch-
liche Werte durch sie zu überzeugendstem Aus-
druck gelangen ; nur darum stehen heute noch
die Meisterleistungen der Antike frisch und
leuchtend da, wie am ersten Tage. Je enger
nun die Vertreter der „Heimatkunst" die Kunst
an die heimatliche Scholle ketten wollen, je
weiter ihre Forderungen gehen nach Berück-
sichtigung örtlicher und zeitlicher Begeben-
heiten, desto mehr schränken sie den Wirkungs-
kreis der Kunst ein ; denn die Kunstwerke, die
sich in diesen Rahmen fügen, wenden sich doch
nur an eine kleine Minderheit, und die vielen
anderen können sie nicht verstehen, denen sind
und bleiben sie ewig fremd.
Hier könnten nun manche allerdings einen
Einwand erheben; die berühmten Maler des
Dachauer Moores oder der Worpsweder Heide,
die Schule von Barbizon oder auch Leistikow,
der Maler der Grunewaldseen ; sie waren doch
alle in gewissem Sinne Heiniatskünstler, und
trotzdem fanden ihre Werke I^eifall in allerWelt.
Sicherlich, obgleich ich nicht untersuchen will,
wieweit es sich bei diesem „Beifall der Allge-
36Ü
meinheit" um eine Modeerscheinung handelt,
ähnlich wie man früher nur Alpenlandschaften
oder Seestücke bevorzugte. Soweit aber alle
Kenner diese Wertschätzung teilten, geht das
eben darauf zurück, daß hier allgemein künst-
lerisch und menschlich Bedeutungsvolles ge-
schaffen ward, daß neue Schönheit unseren
durstigen Augen sich enthüllte. Und sollen wir
etwa schelten, wenn ein Dürer nach Italien fuhr,
schönheitstrunken dort die Wunder romanischer
Kunst genoß und so bereichert und geläutert
heimkehrte und dann erst seine reifsten Werke
schuf? Oder wenn ein Hans von Marees sein
Leben damit verbrachte, eine monumentale Ma-
lerei zu schaffen, aus der uns ja vielfach
italienische Landschaften und italienische Ge-
stalten grüßen? Oder sollen wir unsere jungen
Künstler daran hindern, nach Paris und Spanien
zu reisen, um an den großen Impressionisten
des neunzehnten Jahrhunderts und an Velasquez
und Goya zu lernen? Nein, nein, und dreimal
nein. Die so sprechen, können es nicht gut mit '
unserer Kunst meinen ; unsere Künstler sind
doch keine Droschkengäule, denen man ängst-
lich Scheuklappen umbinden muß, sondern —
wenn wir schon in diesem Vergleiche bleiben
wollen — stolze, kühne, rassige Rosse; und
Heivmtkunst.
wenn diese Rosse auch scheuen, sich bäumen
und ausschlagen, wild toben und toll dahinrasen ;
immer besser, tausendmal besser als der ewig-
gleiche, müde, gemessene Schritt. Aber nun
ohne Bilder und ohne Vergleich; eine Kunst
muß verkümmern, die sich in irgend einer Weise
einsperrt, und nur d i e entwickelt kräftige Lebens-
möglichkeiten, die von allen Seiten her Anre-
gungen empfängt und sie kräftig verarbeitet. Man
habe nur nicht immer die törichte und unbe-
gründete Angst , nationale Eigenart gehe ver-
loren, wenn ein Künstler seine Heimatsscholle
verläßt und den blühenden Reichtum der ganzen
Welt zu erfassen trachtet. Nein, die Nation wäre
wahrlich wenig wert, die so leicht ihren Cha-
rakter einbüßen würde. Ähnlich wäre es, wenn
man einem jungen Manne verbieten wollte, mit
starken Persönlichkeiten zu verkehren aus Be-
sorgnis, seine Persönlichkeit könnte dabei irgend-
wie Schaden nehmen. „Persönliches", das so
schnell entschwindet, verdient gar nicht diesen
Namen ; ist aber wirklich eine Persönlichkeit da.
BLUMFNSCHAI.K
SCHLOSS THIRN
\(FGRXUMMEN
\-ON ARIHIIKKT
IK, At'G NAOEI.-
NÜK.NUERG.
369
Dr. Emit Utiiz- Rostock:
/.WERG-GROTESKEN. NURNBERG-ST. JOHANNIS.
dann wird sie sich nur im Umgang mit anderen
vervollkommnen und entvk'ickeln, vertiefen und
bereichern, ja sie wird sich dabei immer schär-
fer und klarer ausprägen.
Nun wird es wohl auch an der Zeit sein,
wiedervomkiinstlerischcnSchaffen zu sprechen,
soweit es zu der Frage der „Heimatkunst" in
Beziehung steht. Der Künstler, der aus seiner
Heimat heraus gestaltet aus den ihn umgeben-
den, ihm vertrauten Verhältnissen, läuft nicht
so leicht Gefahr, in leere Abstraktionen sich zu
verlieren. Bekanntes ist es ja, dem sein Sinn
sich zuwendet, und da vermag er eher die in
ihm schlummernden ästhetischen Möglichkeiten
zum Leben zu erwecken und in seinem Werke
zur Darstellung zu bringen. Hier werden wir
also dieses Ausgehen von der heimatlichen
Scholle als eine günstige Bedingung für das
künstlerische Schaffen ansehen dürfen; aber es
wäre eine voreilige und ungerechtfertigte Ver-
allgemeinerung , zu wähnen , ohne Erfüllung
dieser Bedingungen könnten keine trefflichen
Kunstwerke entstehen. Die Erfahrung zeigt ja
deutlich das Gegenteil. Viele sehr bedeutende
Künstler fanden erst in der Fremde den ihnen
gemäßen Stil, und ihre Schaffenskraft erstarkte
unter den Anregungen, die ihnen die Fremde
bot. Sagten wir, das Ausgehen von der heimat-
AUFGENOMMEN VON ARCH. FR. AUG. N.-VGEL.
liehen Scholle könne günstige Bedingungen für
das künstlerische Schaffen bieten, so ist dies
jedenfalls nicht in der Art zu verstehen, daß
ein Künstler sich in seinen Kreis einspinnt, alle
fremden Einflüsse feindlich abwehrt und sich
damit der vielfachen Anregungen beraubt, die
ihm die Welt und die Kunst der anderen ent-
gegentragen. Eine derartige Abgeschlossenheit
könnte höchstens einen reifen Künstler fördern,
indem sie ihn vor Ablenkungen bewahrt und ihm
die für sein Schaffen nötige Ruhe und Samm-
lung gewährt, aber niemals einen jungen Künst-
ler, der erst lernen und sich entwickeln muß.
Wir dürfen nicht vergessen, daß z. B. die mo-
derne deutsche Kunst Italien, Frankreich, Spa-
nien, ja selbst Japan viel verdankt und ohne
diese Einflüsse, die sie kraftvoll und selbstän-
dig verarbeitete , sicherlich nicht auf der Höhe
stünde, die sie heute einnimmt.
Wir sollten überhaupt nicht , wenn wir von
rasseneigentümlicher Kunst sprechen wollen,
unseren Standpunkt so oberflächlich wählen,
daß wir lediglich oder in erster Linie auf die
Stoffwahl sehen, während sich doch die künst-
lerische Leistung erst durch die ästhetische Be-
wältigung des Stoffes offenbart. Und dringen
wir so tiefer, dann erkennen wir auch, daß ein
Goethe deutsch, kerndeutsch war , selbst als
Heimatkunsi.
er seine Iphigenie schrieb , und Böcklin , auch
wenn uns aus manchem seiner Werke Italiens
blauer Himmel entgegenlacht. Und schließlich
kommt es ja unter dem Gesichtspunkt rein
künstlerischer Wertung gar nicht darauf an,
welche Rasse — im ethnologischen oder völker-
psychologischen Sinne — aus einem Kunstwerke
spricht , sondern ob es eben ein gutes oder
schlechtes Kunstwerk ist , ob sich eine künst-
lerisch machtvolle Persönlichkeit uns offenbart,
oder schwächlich langweiliges Menschentum.
Wir hatten z. B. diesen Sommer in München
Gelegenheit, eine Fülle edelster Meisterwerke
mohammedanischer Kunst zu bewundern und
ließen uns in dem reichen Schwelgen in erlesenen
Kunstgenüssen sicherlich nicht durch Unter-
suchungen stören, wie weit die Eigenart dieser
Werke auf Rasseneinflüsse zurückgeht, die uns
fremd , vielleicht sogar feindlich und unsym-
pathisch sind. Ich will nicht leugnen , daß es
sich hierbei um sehr fesselnde und auch be-
deutungsvolle Fragen handelt, wenn man genau
und sorgsam all den Beziehungen nachspürt,
die von den Besonderheiten der Rasse zu der
Ausprägung im Kunstwerke leiten; aber der
ästhetische Genießer hat damit unmittelbar nur
so weit zu tun, als er vielleicht durch diese
Einblicke in fremdes Kulturleben in seinem Ge-
nüsse gefördert wird; keineswegs darf er aber
irgendwie diese Rassenfragen seinen Wertungen
unterschieben und etwa zu Behauptungen ge-
langen, dieser Künstler sei besonders schätzens-
wert, weil er „deutsch" ist. Dem Kunst-Lieb-
haber wird man natürlich derartige persönliche
Vorlieben gerne gönnen; der eine sammelt nur
Gemmen, ein anderer Bronzen; dieser Land-
schafts-Darstellungen, jener religiöse Bildwerke.
Und warum sollte man da nicht auch Kunst-
freunden das Recht zugestehen, die Werke vor-
zuziehen, mit denen sie deswegen ein besonders
inniges Band verbindet , weil der nationale
Geist , der aus ihnen entgegenschlägt , nach-
fühlenden Wiederhall findet , oder weil die
gleiche Liebe zur Heimat, die sie beseelt, warm
und freudig aus den Bildern ihnen entgegen-
lacht? Hier wäre Rigorosität ungerechtfertigte
Intoleranz; aber eine gleiche Intoleranz ist es
nun — wie wir bereits erörtert haben — , wenn
nun diese persönlichen Vorlieben zur Grund-
lage allgemeiner Gebote erhoben werden. Dann
muß man gegen sie Stellung nehmen als brutale
Vergewaltigungen fremder Rechte im Namen
persönlicher Neigungen.
So — vorsichtiger gefaßt — und in dem be-
schränkten Rahmen, den wir abzustecken ver-
suchten, hat nun die „Heimatkunst" ihre volle
Berechtigung. Denn wenn es Aufgabe des Künst-
lers ist, die Schönheit all der unzähligen Dinge,
die Welt und Leben in unübersehbarer Fülle
darbieten, durch seine Werke zu verherrlichen,
warum sollte er nicht auch die Schönheit der
Heimat und des heimatlichen Volkes zum Gegen-
stande sich wählen, warum sollten diese Ge-
gebenheiten nicht im Stande sein, ihn zu seinem
Schaffen zu begeistern? Dagegen wird wohl
kein Urteilsfähiger irgendwelche Bedenken er-
heben können; nur muß man sich klar sein, daß
es sich hier nur um eine Aufgabe unter vielen
anderen handelt, gleichsam um einen einzigen
Bezirk im großen Reiche der Kunst. Und man
darf nicht verlangen, daß das ganze Reich leide
zu Gunsten dieses einen Bezirkes.
Wenn wir uns nun all dessen aber bewußt
sind, können wir ruhig die Vorzüge anerkennen,
die eine richtig angewandte „Heimatkunst" mit
sich bringt, ohne fürchten zu müssen, dabei in
einseitigen Dogmatismus zu verfallen. Die
Kunst, die an heimatliche Besonderheiten der
Landschaft oder der Bevölkerung anknüpft,
wird die Augen öffnen für die Schönheiten und
charakteristische Eigenart der Umgebung und
so reiche Ströme ästhetischer Lust ins Leben
tragen. Es entsteht auf diese Weise eine Art
„Kleinkunst", die sich nur an einen kleinen
Kreis wendet und gar nicht allzu hohe An-
sprüche stellt, aber den Alltag verklärt und ver-
schönt, wie der wilde, sich rankende Wein die
grauen Wände eines Hauses. Und hier und da
wird doch aus diesen bescheidenen Blüten auch
eine sich strahlend erheben, deren Schönheit
über den Zaun des Gärtchens reicht, dem sie
entsprossen. Sie gehört dann der ganzen Welt
und ist wohl die edelste Frucht der „Heimat-
kunst", gerade weil sie die engen Fesseln der
Heimat sprengt, und doch ein Stück Heimat in
sich birgt. Dies ist der Sinn, in dem ich eine
„Heimatkunst" warm befürworte und ihr kräf-
tigstes Gedeihen von Herzen wünsche. —
BRIEFSIGNET
WILLY GEIGEK.
ARCHITEKT INO A. CAMPBELL MÜNCHEN.
Gartenhof im llnicl i iimiin.iual München.
ARCHITEKT INO A. CAMPBELL-MÜNCHEN.
UMB.\U DES HOTEL CONTINENTAL- MÜNCHEN.
Der englische Architekt Ino A. Campbell,
der in München wirkt, gehört zu denen,
deren Arbeiten stets durch ihr künstlerisches
Gepräge auffallen. Das versteht sich nicht von
selbst. Es gibt beträchtlich viele Architekten,
denen die Baukunst nichts weiter, als eine er-
lernbare Wissenschaft ist. Man kann ein ganz
anständiges Haus, ja einen sehr respektablen
Palazzo bauen und doch nichts weiter sein, als
ein ganz nüchterner Baubeamter. Vielleicht ist
es nicht ganz unnötig, das jetzt wieder einmal
zu sagen. Wie man in den letzten Tiefstands-
zeiten der Architektur vergessen hatte, daß
diese eigentlich zu den Künsten zählt, so ist man
jetzt wieder zu sehr geneigt, auch alles, was ein
Architekt mit der Autorität seiner polytechni-
schen Bildung macht, für künstlerische Arbeit,
für Offenbarung persönlicher Werte zu halten.
Und das ist falsch. — Das Künstlerische ist
etwas anderes, freilich etwas mit Worten kaum
faßbares, — doppelt schwer zu fassen, wenn es
sich um Werke der Architektur, der Innende-
korationhandelt. Hier können ja der Empirismus
und der klug abwägende Verstand gar vieles
schaffen, was ästhetisch befriedigt oder wenig-
stens nicht verletzt. Zu den Gefahren, die
heute den dekorativen Künsten in Deutschland
drohen, gehört sogar in erster Linie eine Vor-
herrschaft des Verstandesmäßigen, des Kon-
struierten und nicht Gefühlten. — Campbell hat
in letzter Zeit einige interessante Umbauten
geschaffen und die betreffenden neuen Räume
eingerichtet ; es sind Räume geworden , in
denen seltsam viel wohlige Wärme und hei-
melige Stimmung wohnt , die sich dabei sehr
wohl mit echter Noblesse verträgt. Camp-
bell ist durchaus kein Stilpuritaner, und was
seine Arbeiten von sehr vielen anderen, gerade
Münchner Leistungen auf diesem Gebiete unter-
scheidet, ist die künstlerische Freiheit, mit der
er sich bewegt. Und noch eins ist eine Besonder-
heit des Künstlers, eine ererbte-nationale viel-
leicht: sein Sinn für das Heim, für das Behagen
im Wohnraum. Er geht auf das Wesen seines
374
1911. V. 4.
I
Fritz 7'oti Osfini :
ARCHITEKT 1. A. CAMPBELL. Tee -Raum im Grand Hotel Continental.
Ausführung; A. Pössenbacher— München. Plastik von Wackerle. Ausführ.; Nymphenburger Porzellanfabrik.
Auftrages in vorbildlichem Grade ein und schafft
Räume, die nicht bloß ihm, als dem Architek-
ten, gefallen, sondern sicher auch denen, die
sich darin bewegen und aufhalten müssen. —
Im „Grand Hotel Continental" hat Camp-
bell durch Anbau einen neuen Saal gewonnen,
einen zweiten erweitert, einen großen Hof ar-
chitektonisch ausgestaltet und eine Flucht von
Fremdenzimmern möbliert. Die originellste,
glänzendste Leistung bedeutet der neue Tee-
Raum, eine Art Gartensaal, mit Licht erfüllt
durch fünf hohe Glastüren und auch sonst ganz
hell gehalten. Die Wände sind elfenbeinweiß;
Festons von Blumen und Früchten aus bunten
Fayencen umsäumen die großen Wandfelder;
Pilaster aus großen, gleichfalls mit Blumen und
Früchten bemalten Fayenceplatten — sie wur-
den in solcher Größe noch nicht hergestellt —
gliedern die Wände; die plastische Türbekrö-
nung mit Füllhörnern auf der einen, der reizvolle
Spiegelrahmen über dem Kamin der anderen
Schmalseite sind aus gleichem Material. Mit
diesem heiteren und bei aller Kostbarkeit doch
37«
diskreten Schmuck, den Jos. Wackerle
Berlin, entworfen, die NymphenburgerPorzellan-
manufaktur ausgeführt hat, eröffnet Campbell
der Innendekoration geradezu neue Perspek-
tiven. Hier ist ein Mittel zu reichster, nicht
durch das Material an eine beschränkte Ton-
skalagebundener Farbigkeit gegeben, ein Mittel,
das sich noch unendlich variieren und mit an-
dern Dekorationsmitteln kombinieren läßt! Die
Sitzmöbel des Saales hat Campbell mit einem
Brokat in gebrochenem, feinem Erdbeerrot über-
zogen, ihre Formen sind hübsch und bequem,
ohne Extravaganz. Vielleicht wird man doch
bald einmal darauf kommen, daß überoriginelle
Sitzmöbel — wie alles Überoriginelle in der
Dekoration — überhaupt und immer ignobel
sind. Das Ganze dieses Raumes ist muster-
gültig für seinen besonderen Zweck, muster-
gültig auch deshalb, weil ein wirklich vornehmes
Hotel heute seinen Gästen in der Ausstattung
anderes bieten soll als früher; komfortable
Wohnlichkeit an Stelle des alten Tapezierer-
prunkes von Vergoldung und Plüsch. Man
hw A. Campbell-München.
ARCHITEKT 1. A. CAMPBELL— MÜNCHEN.
Schlafzimmer in Jvüsternholz. Grand Ilutel Continental-Müucheii.
Ausführung: Hofniöbelfabrik Pössenbacher— München.
rechnet jetzt mit dem Geschmack solcher, die
auch zu Hause „gut wohnen", nicht mit den
reichgewordenen Hinterwäldlern, die sich in
der ungewohnten Pracht des Hotelpalastes ge-
legentlich einmal „fürstlich" und hochkultiviert
vorkommen wollen.
Das schönste Hotel ist heute das, in dem sich
der Kulturmensch am wohligsten zu Hause fühlt.
Unter diesem Gesichtswinkel ist Campbell auch
bei der Ausstattung des Nebensaals und
der Fremdenzimmer vorgegangen. Es ist
immer wieder — und in den Kleinigkeiten mit
hebevollster Aufmerksamkeit — auf die be-
sonderen Bedürfnisse der Reisenden Rücksicht
genommen, als Stil der Räume aber ist der eines
geschmackvollen, in seinem Reichtum diskreten
Privathauses gewahrt. Die Möbel sind eher
zierlich als schwer, die Tapeten geben Farbe,
die weißen Decken und Architekturteile das
wohltätige Gefühl der höchsten Sauberkeit. Daß
einebehaglich stimmende Farbenharmonie über-
all angestrebt ist, versteht sich von selbst.
Ganz Vortreffliches ist mit der Ausgestaltung
des großen Gartenhofs erreicht worden und
zwar auf die einfachste Weise. Die einheitlich
gestrichenen, in ihrer Asymmetrie malerisch
wirkenden Rückfronten der Hotelbauten mit
ihren weißen Fensterteilungen, ein paar weiße
Spaliergitter, Laden und Gartenbänke, Stein-
balustraden und niedrige Mauern aus ungleich-
mäßigen und im Ton verschiedenen Kalkstein-
quadern, ein paar große bunte Fayence -Vögel
aus Nymphenburg, grüne Vierecke aus Rasen
und dazwischen breite Steige aus ungleichgroßen
Solnhofer Platten, zwischen deren F'ugen Gras
und Moos sprießen und im Sommer allenthalben
üppige Reihen buntblühender Topfgewächse —
das sind die Dekorationsmittel, mit denen eine
Gesamtheit von höchst originellem Charakter
geschaffen wurde. Ein spitzbedachter Pavillon
in der Ecke, eine lustige Brunnennische an der
einen Wand beleben das Bild. fbii/. v.ostim.
Auf die Veröffentliciiung der neuen Arbeiten Ino A. Campbells
(50 Illustrationen. Färb- und Sepiatondrucke) im Januarheft 1911
der „Innen-Deküration" sei besonders aufmerksam gemacfit.
381
LEOPOLU F'iRSTNER WIEN. r^ETAlL EINES FENSTERS DER ZENTRAL-FRIEDHOFS-KIRCHE- WIEN.
AUSFÜHRI'Nr,: CARL CEYLINGS ERBEN — WIEN.
LEOPOLD FÜRS INER— WIEN.
Detail eines Kirchen-Fensters.
MOSAIK, GLASMALEREI UND MOSAIKVERGLASUNG.
GEn.\NKEN EINES PR.\KT1KERS.
Sowohl die Glasmalerei als auch das Mosaik
sind weite Gebiete ; erstere findet man be-
reits im Mittelalter, letztere schon im frühesten
.Altertum. Beide haben eine riesige Entwick-
lungsstrecke zurückgelegt und wurden beein-
flußt durch rein technische Erfindungen. Der
Grundbegriff des Mosaiks ist das Nebeneinan-
dersetzen von verschiedenfarbigen Materialien,
und so kann man von Stein-, Glas-, Papier-,
Holz-, Ziegel-, Metallmosaik etc. sprechen. So-
weit es sich um Außenschmuck eines Gebäudes
handelt, kommt jedoch nur unverwitterliches
Material, vor allem Marmor in Betracht. Die
ersten und ältesten Arbeiten dieser Art sind
wohl die orientalischen Fußböden- Mosaiken.
Später verwendete man auch Glas und ging
daran, auch die Wände und vor allem die Kup-
peln mit Mosaik zu schmücken. Bis zum Ende
der byzantinischen Zeit war das Mosaik sachlich
und künstlerisch einwandfrei. Als man aber
dazu überging, gemalte Bilder in Mosaik um-
zusetzen, wurde das Gebiet überschritten. Was
i verleiht beispielsweise der Markuskirche in
Venedig ihre Weihe? Gewiß nicht die in Mo-
saik umgesetzten Gemälde, sondern die alten
byzantinischen Mosaiken, bei denen man sieht,
wie der Künstler die Fläche schätzte, mit der
er rechnete und die er mit seinem Werke nicht
optisch durchbrechen mochte. Auch der Laie
wird das erkennen. Wenn er gesehen, wie ein
Mosaik entsteht, wird er auch erkennen, was
möglich, was ehrlich, was Auswuchs und Vor-
täuschung ist. Venedig wird uns als die Pfleg-
stätte des Mosaiks gepriesen. Sie war es; heute
ist der Akkordmosaikist, der Mosaikist, der
en gros Broschen und Manschettenknöpfe ver-
fertigt, der eigentliche Vertreter dieses Kunst-
zweiges in Venedig.
Unsere Zeit bietet dem Mosaik neue Mög-
lichkeiten. Die Anregung hierzu gaben die Ar-
chitekten, die die neuen Materiale, die neuen
technischen Errungenschaften künstlerisch zu
verwerten wußten. Der Betonbau, an den
hier in erster Linie gedacht ist, diese ideale
zeitgemäße Bauweise, ist dem Mosaik besonders
günstig. Den großen Flächen dient am besten
383
Mosaik, Glasmalerei rmd Mosaikverglasuvo;.
LEOPOLD FORSTNER— WIEN.
Detail eines Fensters der Zentral-Friedhofs-Kirche Wien.
die flächige Dekoration; das Mosaik, sei es
nun Glas-, Stein- oder kombiniertes Mosaik
aus größeren Stücken. Die Verwendung von
größeren Glasstücken erlaubt eine kräftigere
Wirkung zu erzielen, erlaubt billiger zu sein als
die alte Art des venetianischen Stiftenmosaiks.
Wie sehr das von Oberbaurat Wagrer angeregte
Plattenmosaik (sichtbar befestigte Glasplatten,
Steinplatten etc.) zu schätzen ist, werden später
noch gereifte Beispiele zeigen.
Die Glasmalerei betrat ebenfalls Bahnen,
die sie nicht der Entwicklung entgegenführten.
Die alten Glasmalereien waren in jeder Hin-
sicht Original -Werke. In frühester Zeit verfer-
tigte der Glasmaler sogar sein Glas selbst, er
goß seine Bleiruten und entwarf auch selbst
die Zeichnungen zu seinen Werken. Die heu-
tigen Glasmalereien sind dagegen nur besser
oder schlechter durchgeführte Kopien nach
Zeichnungen fremder Hand. Der Glasmaler
von heute ist in der Regel kaum als Künstler
zu bezeichnen, er ist in den meisten Fällen
leider nur ein Arbeiter. Er wurde die Maschine
in Menschengestalt, die heute romanische, mor-
gen gotische und übermorgen gar Rokoko-
fenster nach Zeichnungen macht. Bei aller
Wertschätzung der heutigen Glasmalereien
darf nicht übersehen werden, daß ein Unter-
schied besteht zwischen der Arbeit des Glas-
maler-Gehilfen und der künstlerischen Glas-
malerei; der gleiche Unterschied, den jeder
schon erkennt zwischen der Lithographie des
Durchschnitts -Lithographen und der Künstler-
Steinzeichnung. — In letzter Zeit ist an Stelle
der Glasmalerei mehr und mehr die Mosaik-
Verglasung getreten. Ihren Forderungen vermag
die heutige Arbeitsteilung noch am ehesten zu
entsprechen. Das Zuschneiden des Glases nach
i'^i
Mosaik, Glasmalerei und Mosaikverglasung.
den Papierschablonen eines fremden Entwurfs,
das Bleien, das Verzinnen sind rein mechanische
Arbeiten , die sich ein geschickter Arbeiter
während der Lehrzeit gut aneignen kann. Nur
das wird von ihm verlangt; er muß genau und
solid arbeiten. Er braucht, um einwandfreie
Arbeit zu liefern, kein Künstler zu sein, es ge-
nügt, wenn er ein gewissenhafter Arbeiter ist.
Unsere Zeit schätzt im allgemeinen die tech-
nischen Errungenschaften höher als die künst-
lerischen; sie schätzt daher auch die gewerb-
liche Leistung hoch, und ganz mit Recht, wenn
gute gewerbliche Arbeit mit guter künstlerischer
Arbeit vereinigt ist. Unter Berücksichtigung
dessen hat die Mosaik-Verglasung heute mehr
Anspruch auf allgemeine Wertschätzung als die
Glasmalerei und in den letzten Jahren ist ihr
diese auch reichlich zuteil geworden. Über
Mosaik, Glasmalerei und Mosaik -Verglasung
ließe sich noch vieles sagen. Zusammenschließen
lassen sich die künstlerischen Forderungen wie
bei jeder Aufgabe der angewandten Kunst: das
Material gründlich kennen, die Zeit kennen
und das Material durch die Zeichnung nicht um-
bringen. Jeder Entwurf muß dem Material ent-
sprechen und gänzlich in der Technik erdacht
sein. Er darf sozusagen in irgend einer anderen
Technik nicht ausführbar sein. — i.. fukstnf.k.
I.KDI'kLIi I'uK.^TNEK WIEN, GLA.'>.M".sAIK IM) KEK.V.MII., WIE.M.K .Mu,N.\lK-WEKK5. 1 -VT 1 E.
5b6
J^'^v-
♦
jmtmm
PROFESSOR G. A. BREÜOW- STUTTGAKl.
r.KL:N.\t.\>LHALE IN MUSCHELKALK.
387
Professor Koloniau Mose)- Wioi .
PROFESSOR KOLOMAN MOSER- WIEN.
BUHNENBILD »DER MUSIKANT«. I. AKl .
BÜHNENBILDER U. KOSTÜM-ENTWÜRFE ZU „DER MUSIKANT"
ZWEI AKTE VON JULIUS BITTNER.
Bei Aufführung eines dramatischen Werkes
geben die sichtbaren Vorgänge auf der Bühne
das Bühnenbild. Es ermöglicht uns, im Verein
mit den anderen
Mitteln der Dich-
tung, die ureigene
Welt wahrzuneh-
men, die der Dichter
mit seinem Werk
geschaffen. — Die
Mittel zur Gestal-
tung des Bühnen-
bildes sind die For-
men, die Farben u.
das Licht. So un-
begrenzt diese sind,
der Inhalt des dar-
zustellenden Wer-
kes bestimmt sie,
sowie die Art ihrer
Verwendung. Erst
innerhalb dieser Be-
grenzung tritt für
den Gestalter des
Bühnenbildes die
mitschöpferische
388
Arbeit ein. Selbst wenn es sich um Wiedergabe
einer in der Natur bestehenden Realität handeln
würde, müßte eine, nicht nur die Forderungen
der Bühne erfüllende, sondern in erster Linie
dem Wesen der Dichtung entsprechende Um-
oder Neugestaltung stattfinden. Die Natur bietet
stets eine verwirrende Menge von Motiven, es
gibt da nur ein einseitiges Verzichten zu Gun-
sten einer Auswahl jener, die dem Werk dienen,
nützen können. Nicht das der Natur nachge-
bildete, sondern das dem Werk absolut not-
wendige Motiv gibt dem Bühnenbild Wahrheit.
Naturalistik kann die Wahrscheinlichkeit unter-
stützen, ohne zwingende Notwendigkeit bleibt
sie Zutat, Aufputz, Ausstattung. Nicht Reali-
sierung zufälliger Erscheinungsformen der Natur,
sondern Versinnbildlichung der vom Dichter im
Werk geschaffenen Welt ist Ausgangspunkt und
Ziel für die Gestaltung des Bühnenbildes.
Des Autors Forderungen nach einem be-
stimmten Raum, nach einer bestimmten Zeit
für den Rahmen, in dem sich die Handlung ab-
spielen soll, sind Hilfsmittel zur stärkeren Be-
tonung seiner Intentionen. Denselben Zwek-
ken hat das Bühnenbild zu dienen. Der zu ge-
staltende Raum muß die vom Werk geforderte
■ ■■
Entwürfe zu Bittners »Der Musika7it<' .
Stimmung eindring-
lichst wiedergeben
und dabei die best-
möglichste Spielge-
legenheit für die Dar-
steller bieten. Ob
er „möglich" im
Sinne einer Realität
des wirklichen Le-
bens oder „richtig"
im Sinne einer be-
stimmten Zeit , ist
eine sekundäre An-
gelegenheit. Er muß
vor allem eine Ein-
heit mit derDichtung
geben und dabei
selbst eine solche
darstellen. — Eine
Wand aus Stoff, auf
der Bäume gepinselt,
kann dem Beschauer
die Vorstellung eines Waldes geben, obwohl
Bäume, die erfahrungsgemäß in der Natur hin-
ter- und nebeneinander stehen, in nur einer
Fläche dargestellt sind. Nun stelle ich eine Bank
nahe davor. Sofort wird der ehedem noch in
meiner Vorstellung befindliche „Wald" sich
durch die räumliche Bank in eine mit Bäumen
bemalte „Fläche" verwandeln. Stelle ich nun
vor oder seitlich der bemalten Fläche noch
einige gemalte Bäume , so ergibt dies durch
seine räumliche Art schon wieder die Illusion
des Waldes, ohne daß nun die Bank diesen
Eindruck stören wird. Beides, Wald und Bank,
besitzen nun in der Art ihrer Darstellung eine
gemeinsame Einheit. Ebenso muß der Spieler
vor einem flächenhaft dargestellten Wald, durch
große Farbmassen oder stark ornamentale
Flächen seiner Gewandung, durch besondere
Beleuchtung, einen silhouettenartigen Eindruck
erwecken. Ganz anders wieder indem kulissen-
l^
Professor Koloman Moser— Wien :
förmig gestellten Wald , wo schon mit einer
mehrseitigen Beleuchtung das Körperliche des
Darstellers wird betont werden müssen.
Die schönsten Ideen für ein Bühnenbild, ein
Kostüm, sofern sie nicht der dem Werke ent-
stammenden Einheit entsprechen, können ver-
möge ihrer Mannigfaltigkeit verblüffen, eine
höhere Wirkung ist ihnen nicht beizumessen.
Bei der Aufführung des Bittnerschen „Musi-
kanten" tadelte jemand, dessen Urteil mir sonst
wertvoll, die historisch unrichtigen Kostüme.
„Ein Graf um 1780 müsse mit zurückgeschnit-
teneni Rock bekleidet sein, Violetta wäre schon
mehr „Directoire", ebenso wären die Diener
im zweiten Akt ganz falsch." Ich tröstete mich
leicht mit Bittncrs Musik des Werkes. Die ist
auch eins mit der Dichtung und sicher nicht
historisch richtig. Hätte der Graf einen rich-
tigen historischen Rock, bei seinem ersten
Auftritt hätte jeder Anwesende dieser Wiener
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390
Entwürfe zu BiÜners y>Dcr Mtisikant«
Uraufführung heimlich gedacht: Aha, der Kaiser
Josef. — Ein Graf, der für Paris schwärmt (das
noch vor der Revolution, daher das 1780), für
die Stadt höchsten Genusses, der die Geliebte
des Musikanten dorthin entführt, soll der nicht
etwa an einen „Sonnenkönig" erinnern? Vio-
letta, die doppelzüngige italienische Sängerin,
muß „fremdartig" aussehen in der simplen Mu-
sikantentruppe. Die Diener sind Kerle, die auf
Befehl des Grafen den Musikanten knebeln, ja
mehr, sie knebeln im Sinne der Dichtung die
Kunst. Sie veranschaulichen hier die Gemein-
heit, nicht historisch richtig angezogene Lakaien
des Grafen, sondern Diener des Hasses, rot-
gekleidete, in schwarze Mäntel gehüllt. Die
Einheit der dichterischen Gedanken mit dem
zu gebenden Bild steht höher als historischer
Trödel. Wichtig war, daß jede Form und Farbe
des Kostüms, jede Anordnung einer Tür, eines
Fensters unscheinbar Teil hat an dem Spiel.
l^^
Enhincr/e zu BiUncrs y. Der Mus i kauf«.
PROFESSOR KOLOMAN MOSER WIEN.
BUHNENBILD ZU JITLIUS BITTNERS OPER »DER MUSIKANT«. II. AKl.
Zu einem Lied, am Spinett gesungen, sciiuf ich
eine Nische. Nicht nur wirkt das für die Hand-
lung wichtige Lied stimmungsrichtiger, das
Spinett scheint für die weiteren Szenen, wo
es nicht mehr benutzt wird, nicht vorhanden.
Einzige Lichtquelle für diesen ersteren Teil des
Aktes bildet gegenüber der Nische ein Fen-
ster. Die Fensterbank desselben ergibt das
Podium für den seine Musiker dirigierenden
Wolfgang, ohne daß der Beschauer diesen
Platz und seinen Zweck vorher störend er-
kennt. So der Platz am Brunnen im anderen
Bild. Erst in derSchlußszene,die daran spielt,
wird er augenfällig. Alle Häuser, Stiegen,
Tore, Tische, die ebenso wichtig, mußten so
angeordnet sein, daß genügend freier Himmel
bleibt. Denn wie die Sonne, scheidend, das
Spiel des ersten Aktes einleitet, so schließt
das Stück mit den ersten Strahlen ihrer Wie-
derkehr. Und so steht unauffälligjeglicherTeil
des Bildes in Einheit mit der Dichtung, wirkt
mit, und dadurch darüber hinaus. — Nach
Schluß des Stückes sagte eine anwesende
junge Dame zu mir: „Ich höre, die Inszenie-
rung wäre von Ihnen, mir fiel nichts derglei-
chen auf, ich glaubte, das müsse in dem Stück
alles so sein." — „Gnädigste, genau das,
was ich wollte." — koloman moser wien.
392
1 KANZlsKA BRÜCK— BERLIN.
Bunter Zinnienstrauß.
FRANZISKA BRUCK-BERLIN.
VON MAX LEHR.S DRESDEN.
Mannigfach sind die Wege des guten Ge-
schmacks, die zu den sonnigen Höhen der
Kunst führen, lohnend und aussichtsreich, aber
abseits vom ausgetretenen Geleise der Heer-
straße und einsam. Wer sie erwählt und den
hastenden Schwärm der Menge meidet, der blind
und taub, nur dem Vordermann folgend, weiter
drängt, kommt vielleicht später ans Ziel, aber
er wandert in besserer Gesellschaft und hat die
stille Freude, den rechten Weg gefunden zu
haben aus eigener Kraft.
So ging es Einem oder richtiger: Einer, von
der ich hier erzählen will.
Wir reden soviel von Kultur und Kunst ; von
der „Kunst im Hause", von der „Kunst auf der
Straße", von der „Kunst im Leben des Kindes",
und es wurde sogar eine Ausstellung von „Stu-
dentenkunst" veranstaltet. Aber die „Kunst in
der Verwendung der Blumen" hat man, wie es
scheint, vergessen. Und doch spielt sie eine so
große Rolle oder sollte sie wenigstens spielen,
daß man ihr füglich mehr Beachtung schenken
könnte, als es tatsächlich bisher geschehen ist.
Schon zur Zeit unserer Großmütter hat es
zarte Frauenhände gegeben, die einen Blumen-
strauß mit Geschmack zusammenzustellen wuß-
ten und die dafür auch eine passende Vase, ein
Glas fanden, in denen er am besten zur Geltung
kam. Aber das geschah immer nur zur eigenen
Freude oder zur Freude der Nächsten, im Her-
zen des Hauses, unter Ausschluß der Öffent-
lichkeit. Die Blumenhändler begnügten sich
mit der Schaustellung des Rohmaterials; sie
überließen die Kunst dem Käufer. Denn man
wird nicht ernsthaft behaupten können, daß
die in unseren Blumenläden zum Verkauf ge-
stellten Buketts, auch nach Überwindung der
schrecklichen Zeiten des Drahtgestells und der
papierenen Spitzenmanschette, irgend welchen
Anspruch auf künstlerische Bedeutung erheben
konnten. Im besten Falle bot man eben gleich-
artige Blumen, in Bündeln vereinigt, zum Kauf,
und ihre graziöse oder farbige Eigenart sorgte
dann von selber für die künstlerische Wirkung.
Wie sich auch hierin allmählich ein Wandel
vollzog, das hat Lichtwark in seinen dankens-
I i»n. V. 6.
393
Max Lekrs— Dresden .
weiten Schriften') erzählt, und ich selbst habe
das Thema im Hinblick auf die lokalen Berliner
Verhältnisse vor Jahren schon an anderer Stelle
behandelt.**)
Dort hatte ich Gelegenheit, die Berliner auf
Franziska Brück aufmerksam zu machen, die,
eine Pfadfinderin, zuerst mit vollem Verständ-
nis für das Wesen und die Eigenart der Blume
verstanden hatte, ihr durch Vereinigung nach
Form oder Farbe zusammengehöriger Arten,
'I „Makarlboiiqiiet und BKimenstraun*' (1892) und „Blumen-
kultus" (1897).
**) „Durch die Blume, ein Beitrag zur Geschichte des (futen
Geichmacks in BerÜn" Zukunft 1907, Nr. 31).
durch feinsinnige Wahl der zur Aufnahme be-
stimmten Vasen, Töpfe, Körbe oder Schalen
künstlerische Geltung zu verschaffen. Seither
hat sie den eingeschlagenen Weg weiter ver-
folgt und die Beachtung immer größerer Kreise
des Blumen brauchenden und Blumen kaufen-
den Berliner Publikums auf ihre stille Tätigkeit
gelenkt. Daß sie dabei so ganz ohne Nachfolge
geblieben ist, nicht nur in Berlin, sondern, so-
weit mir bekannt, auch in anderen Städten des
deutschen Vaterlandes, erscheint verwunderlich.
Aber der Kaufmann ist mehr noch als der Künst-
ler genötigt, dem schlechten Geschmack der
FRANZISKA
BRUCK-
IIERI.IN.
MAI.VEN U.
KORB MI 1
(HKYSAN
THEMEN'.
394
Franziska Bruck-Berlin.
fKANZISKA BRUCK-BERLIN.
Menge Rechnung zu tragen, wenn er sein Brot
finden will; und da es bei ihm in erster Linie
nicht auf die Verdienste, sondern auf den
Verdienst ankommt, ist es begreiflich, daß er
als der Klügere schließlich nachgibt.
Es gehört eine starke Persönlichkeit, eine
zielbewußte, künstlerische Überzeugung dazu,
wenn man sich wie Franziska Brück trotzdem
durchzusetzen versteht, noch dazu in einer Stadt
wie Berlin, die noch niemand als die Stadt des
guten Geschmacks, ja nicht einmal als den Vor-
ort einer solchen zu rühmen gewagt hat.
Die Proben, die hier von der Eigenart ihrer
Kunst geboten werden, beschränken sich auf
Sommerblumen,*) geben aber immerhin eine
Vorstellung vom Wollen und Können der Künst-
lerin, soweit Photographien überhaupt der sprö-
den Farbigkeit zarter Blumenschönheit gerecht
werden können. Es sind, wenn man will. Ver-
suche, den graziösen Reiz unserer Blumen, ihre
Mannigfaltigkeit und Farbenpracht durch künst-
lerische — nicht „künstliche" — Mittel zur Gel-
tung zu bringen, d. h. ihre Wirkung durch An-
') Eine -Anzahl anderer Kompositionen enthält der vortreff-
liche Aufsatz von Anton Jaumann im vorigen Jahrgang dieser
Zeitschrift (S. 182 — 188). auf den ich leider erst nach Beendigung
der vorliegenden Plauderei aufmerksam gemacht wurde.
Körbchen mit Studenlenbiumen.
Ordnung in Sträußen, Kränzen, ja ganzen Natur-
ausschnitten in dafür passenden Gefäßen oder
Körbchen zu steigern.
Daß diese Kunst in Japan seit Jahrhunderten
gepflegt wird, daß man dort sogar einen be-
stimmten gesetzmäßigen Schönheitskanon ge-
prägt hat, nach dem für die Pflanzen jeder Jah-
reszeit nur nach Material und Form ganz be-
stimmte Gefäße verwendet werden sollen"),
darf ich als den Lesern dieser Zeitschrift be-
kannt voraussetzen. Man hat den Ko-Stil,
den Ikenobo-Stil, den Enshiw-Stil, den Hana-
No-Moto-Stil, den Shinsho-Stil, den Sekishin-
Stil, den Bisho-Stil, den Kodo-Stil, den Seizan-
Stil, den Ikenobo-Reizan-Stil und den Rikkwa-
Stil. — Sie alle haben ihre Namen von Künst-
lern erhalten, denen sie ihren Ursprung ver-
danken, und sie basieren größtenteils auf einer
Harmonie der Verhältnisse, des Materials oder
der Dekoration. Immer ist das leitende Grund-
prinzip, die zu arrangierenden Pflanzen mit
allen Mitteln der Kunst so anzuordnen, daß
") Für den Frühling Bambusgeläße und langhalsige Bronze-
vasen, für den Sommer Blumenkörbe, Bronzeschalen und Holz-
tröge, die möglichst viel Wasserfläche zeigen, für den Herbst
Vasen in Gestalt von Schiffen und Porzellanvasen und für den
Winter kürbisförmige und enghalsige Gefäije.
395
Max Lehrs-Dresden .
FRANZISKA
BRUCK-
BF.RLIN
GARTENMOHN
IN EINEM
SPANISCHEN
BAUERN-
GEFÄSS
die ideale Silhouette des Ganzen ein auf seine
Spitze gestelltes Dreieck füllt, dergestalt, daß
die Hypothenuse senkrecht zur Oberfläche des
Wassers zu stehen kommt. In einzelnen beson-
deren Fällen wird dies imaginäre Konipositions-
dreieck so gestellt, daß die Hypothenuse wage-
recht zu liegen kommt, wenn es sich nämlich
um Blumen in hängenden Gefäßen handelt oder
in solchen, die nur eine geringe Höhenentwick-
lung zulassen. Der Künstler will dadurch den
Eindruck von Pflanzen hervorrufen, die über
Felsränder oder Flußufer herabhängen. Das
Arrangement soll im allgemeinen das Andert-
halbfache bis Doppelte der Vasenhöhe erreichen,
nur bei flachen Schalen gibt nicht die Höhe,
sondern die Breite den Maßstab für die Höhe
der Blumen ab usw.
Diese mit allen möglichen Kniffen und Mühen
verbundene Behandlung der Pflanze, die den
Zweigen und Blättern durch Biegen und Rollen
596
den Schein höchster Natürlichkeit und Grazie
verleiht, aber den Beschauer doch über das
Wesen der abgeschnittenen und zugestutzten
Blumen täuscht, ist der Art unserer Künstlerin
diametral entgegengesetzt. Sie hat vielmehr
unabhängig davon einen neuen Stil für ihre
Blumenarrangements geschaffen , der sich auf
keinen Kanon stützt, als auf den ihres persön-
lichen Schönheitsempfindens, ihres Geschmacks,
liir sind die Blumen , wie sie mir einmal sagte,
etwas Persönliches, und sie muß sie daher
persönlich behandeln. Sie bedient sich zu diesem
Zweck nicht nur der mannigfachen japanischen
Bronzevasen, Schalen und Bambusgefäße, son-
dern zieht auch die keramischen Erzeugnisse
der europäischen Kulturländer, ja selbst die
Textilindustrie durch die Wahl passender
Bauernbänder aus Bayern, Schlesien, dem
Schwarzwald und der Schweiz , Österreich,
Ungarn und Rußland in den Bereich ihrer Tätig-
Franziska Bruck-Berliii.
FRANZISKA
BRUCK-
BERI-IN.
KAMILLEN U.
SCHALE MIT
VERGISS-
MEINNICHT-
KRÄNZCHEN.
keit. So stellt sie einen großen Strauß gefüllten
bunten Gartenmohnes, in dem bezeichnender
Weise auch die abgeblühten, graugrünen Frucht-
kapseln eine feine dekorative Wirkung üben,
in ein spanisches Bauerngefäß oder gelbe Ka-
millen in hohem braunen Korbe neben einen
Vergißmeinnichtkranz in flachem ungarischen
Napf. Orangegelbe und rote Studentenblumen
werden lose, wie zufällig in einen viereckigen
Henkelkorb gesteckt, bunte Zinnien in eine
leicht gewölbte Tonschüssel. Karminrote, zitro-
nengelbe und hellrosa Malven stehen in hohem
Schweizer Krug neben einem Körbchen voll
gelblich weißer Chrysanthemen mit tiefrot-
Kelchen, und geblümte ungarische
bilden dazu einen schönen Farben-
braunen
Bänder
akkord.
Im Frühling
kleinen Ladens
märchenhaften
bietet das Schaufenster des
in der Potsdamerstraße einen
Anblick. Da sieht man auf
hohen Gestellen japanische Bronzevasen mit
riesigen Zweigen von Kirsch- und Apfelblüten.
Die Forsythia überflutet mit ihrem zarten Blaß-
gelb dunkelbraune Bambusgefäße, dazwischen
stehen in Tonvasen Weidenkätzchen und viel-
farbige Tulpen oder leuchten in flachen Glas-
becken tiefblaue Irisblüten neben braunen
Schilfkolben aus dunkelgrünem Moose. Einmal
erinnere ich mich in einem viereckigen Glas-
behälter ein Haferfeld im Kleinen mit rotem
Mohn und blauen Kornblumen gesehen zu
haben, von so entzückend naturalistischer Wir-
kung, wie man es sonst nur weit außerhalb des
lärmenden Straßengetriebes zu finden gewohnt
ist, ein Naturausschnitt, und doch mit höchstem
Geschmack zu künstlerischer Einheit gebunden.
Die zur Aufnahme der Blumen bestimmten
Gefäße und Körbe sind aufs sorgsamste für
ihren jeweiligen Zweck ausgewählt, und zwar
begnügt sich die Künstlerin nicht nur mit den
3^7
Franziska Bnuk— Berlin.
vorhandenen Formen, die sie aus Baden,
Thüringen, Schlesien, Anhalt, aus der Schweiz,
Ungarn und Spanien her bezieht, sondern sie
erfindet selbst neue Formen oder entlehnt das
ihr passend Erscheinende von alten Bildern
und Kupferstichen, um es in irgend einer Ton-
fabrik formen zu lassen, wo sie dann neben
der Drehbank sitzt und den Arbeiter beauf-
sichtigt. Das gleiche gilt zum Teil von den in
Berlin und Coburg geflochtenen Körben. Letz-
tere sucht die Künstlerin auch auf dem Lande
zusammen und macht sie durch unsichtbare
Glas- oder Blecheinsätze gebrauchsfähig für die
wasserbedürftigen Pflanzen, immer darauf ach-
tend, daß sie bequeme Öffnungen haben, damit
die Blumen nicht ersticken, sondern sich bis
zum Entblättern ausleben können.
Die Gerechtigkeit erfordert es hervorzu-
heben, daß Franziska Brück im Berliner Westen
einen Vorgänger hatte, Otto Möhrke, dessen
Laden in der Schillstraße die etwas pomphafte
Aufschrift; „Frische Blumen, Kunsthandlung"
trug. Seine Schaufenster waren jedoch mit
ihren schweren bronzierten Kränzen, den ver-
goldeten Bändern und antiken Riesen -Ton-
krügen auf Münchner Einflüsse zurückzuführen,
auf Festdekorationen , wie sie gelegentlich
Gabriel Seidl, Lenbach und Stuck geschaffen.
Während nun eine ganze Reihe von Berliner
Blumenhändlern diesen überkommenen Stil
ihrerseits kopierte und durch unverstandene
Übertreibungen ins Groteske steigerte, strebte
Franziska Brück eine Rückkehr zur Natur an,
und ihre Darbietungen bedeuten in der Tat eine
Fortentwickelung zur Einfachheit und zur
Schönheit auf Grund eines tiefen Respektes
vor dem natürlichen Wuchs der Pflanze. Sie
ist, wie ich schon oben sagte, eine Pfadfinderin
und Führerin zu neuen dem Blumenhandel bis-
her fremden Zielen. Vielleicht wird eine Zeit
kommen, wo das von ihr Erreichte zum Gemein-
gut Vieler geworden ist, am Ende gar als etwas
Selbstverständliches vom kaufenden Publikum
gefordert wird. Noch sind wir allerdings weit
davon entfernt, und es gilt vielmehr die Menge
mit hingebender Geduld zum Schönen zu er-
ziehen , ohne ihr Konzessionen zu machen.
Dieser dankenswerten Aufgabe hat Franziska
Brück ihr Leben und Streben geweiht, und
darum verdient ihr Name als der einer zielbe-
wußten Vorkämpferin mit Ehren genannt zu
werden. — m \x i.f,hk>
Ä
DAS EMPFINDEN FÜR DIE DINGE AN SICH, FÜR DIE
WIRKLICHKEIT IST VON C.RÖSSERER WICHTIGKEIT ALS
DAS EMPFINDEN DER MALEREU ES IST FRUCHTBARER
UND BELEBENDER. VINZENT VAN GOGH.
Kl iRLll HEX MIT AGERATVM UND CHRYSANTHEMUM SEGETl".M.
E NIELSEN. Biosclic mit roten Steinen. F. k.kastor-haxsen. Gürtelschnalle. EWALD NIELSEN. .Silber-Serviettenring.
DIE DÄNISCHE AUSSTELLUNG.
\ IL Tenn man auf der Brüssler Weltausstellung
V V von ohngefähr an die dänische Ab-
teilung geriet, glaubte man sich in eine Oase
gerettet. Man hatte bislang nicht vermutet,
daß Dänemark eine so einheitliche Kultur des
Geschmackes aufzuweisen habe. Nun begehrte
man davon mehr zu sehen ; und es war nur
selbstverständlich, daß Peter Jessen, der stets
als ein Erster die Initiative zu einem neuen
Fortschritt ergreift, sein Möglichstes tat, die
Dänen zu einer Ausstellung in dem Berliner
Kunstgewerbemuseum zu verführen. Jetzt sind
wir soweit ; eine reichbeschickte Revue der
dänischen Künste ist im großen Lichthof zu
sehen. Man muß sagen, daß der Gesamteindruck
nicht mehr ganz so stark ist , wie damals in
(;korg JENSEN. /iKkerschale u. liuclise. ^überarbeiten aus der Iianisehcn .\usstellung Berlin. Kunslge^verbe-^Iu^eum.
i99
ANNA SOMOFF-MIKHAILOFF ST. PETERSBURG.
TÄSCHCHEN MIT SEIDENBÄNDCHEN-STirKEREl. |
4UO
ANNA SOMOFF-
MIKHAILOFF-
ST. PF.TF.RSBURG.
TÄSCHCHF.N IN
RIPSSKTDE MIT
SEIDENBANI)
U. SCHNUR-
STICKEREI.
WR-' •iWk.^kJJ'
I
ANNA SOMOFF-
MIKHAILOFF-
ST. PETERSBURG.
TÄSCHCHEN IN
SAMT U. SEIDE
MIT BÄNDCHEN-
UND PERLEN-
STICKEREI.
Die Dänische Ausskllung.
Brüssel ; anscheinend ist das Land wohl doch
zu klein, um ein Mannigfaches hervorzubringen.
Immerhin, die zur Schau gestellten Dinge sind
lustig anzusehen und durchaus charakteristisch
für die blonde, blanke Rasse des grünblauen
Eilandes. Da sind zunächst die Möbel. Das
köstlichste an ihnen ist die Reinheit der Holz-
wirkung, gedunkeltes Mahagoni spiegelt in
tiefem Glanz, blonde Birke leuchtet in großen
Flächen. Auch die Technik in allen Einzel-
heiten befriedigt außerordentlich durch ihre
Sorgfalt und zarte Pflegschaft, Der Form nach
sind die meisten Möbel moderne Variationen
des traditionellen Louis seize und Empire. Vom
Empire ist auch BindesböU, der Pionier der
dänischen Moderne, ausgegangen. Aber er hat
mit gleicher Virtuosität chinesische und nor-
dische Ornamentik genutzt. Die Schönheit
dänischer Porzellane und deren Einfluß auf
unsere eigenen Manufakturen ist uns wohl be-
kannt. Ohne Zweifel hat Kopenhagen immer
noch die Meisterschaft bei der Herstellung por-
zellanener Kleinplastik. Die Tiere der könig-
lichen Fabrik wurden noch immer nicht über-
troffen. Bing und Gröndahl scheinen in der
letzten Zeit leider ein wenig zurückzuhalten.
Schon dem Format nach sind viele ihrer Stücke
zu groß ; aber auch mit der Farbe wird oft un-
geschickt gearbeitet. Recht amüsant sind die
bunten Fayencen der Aluminiafabrik; sehr deli-
kat ist das Steinzeug nach japanischem Vorbild.
Von den Buchbindern hat Anker Kyster längst
europäischen Ruhm gewonnen. Ganz trefflich
und außerordentlich begehrenswert sind die
Arbeiten der Silberschmiede. Der weich ge-
hämmerte, schimmernde Frauenschmuck, wie
ihn Georg Jensen aus dem Material empfindet,
wird die Liebe aller gewinnen. breuek.
-VNNA bOMOFF-MIKHAlLuFF ^T. PE FEKSBUki-
Uie S)eideiili:uidchen- iiinl Schnurstickerei vurstchenden Täschchens.
4Uj
/ i't. --" -_■.■■ '■'■ZI!'- _ . _
PROFESSOR DK. TH. KIsCHEK MÜNCHEN. DER NEUliAU DES RATHAUSES IN WORMS. DAS »CORNELIANUM.
PROF. TH. FISCHER. FESTSAAL DES »CORNELI ANUMS« IN WORMS. KOHLE-ZEICHNUNGEN VON .\TTILIO SACCHETTO. ||
406
ARCHITEKT
JOSEF RINGS-
OFFENBACH A. M.
JUNGGESELLEN-
WOHNHAUS
AM MAIN.
ItL»
BODENSTÄNDIGKEIT.
Es wird heute viel von Bodenständigkeit in
der Architektur geredet, ohne daß der Be-
griff richtig verstanden wird. Vielfach begegnet
man der Ansicht, , ,
nach der diejenigen
Neubauten als bo-
denständig be-
zeichnet werden,
die die Architek-
turformen einer
längst entschwun-
denen Zeit, die in
einer Stadt einmal
einen großen Ein-
fluß auf die Bau-
tätigkeit ausgeübt
hat und ihr dadurch
eine besondere
Note aufdrückte,
tragen. Aus dieser
falschen Ansicht in
Vereinigung mit
einer sentimenta-
len Schwärmerei
wurden vielfach
die Formen jener
Zeit kopiert und
schlecht und recht, wo es sich machen ließ,
angewendet, um das Stadtbild nicht zu „stören".
Dadurch ging natürHch alle Frische verloren,
es mußte zu einer
Verödung führen
und die Folge da-
von war auch, daß
mit der Zeit , da
allmählich die mei-
sten alten Bauten
neuen weichen
mußten, nur noch
ein jämmerlich
schwacher Schat-
ten einer früheren
kraftvollen Stil-
periode übrigblieb.
Die Architektur
war nur noch „Fas-
sade". Sie ver-
flachte gänzlich u.
hatte keinen Zu-
sammenhang mehr
mit dem Organis-
mus des Baues, der
sich mittlerweile
im Programm ge-
1
nnuir^/^utm»
PH
i
JL'NGGESELLEN-WOHNHAUS AM M.\IN
4ü-
Boc/ensfävdigkeit.
ARCHITEK T ^^ -, '
JOS. RINGS-
OKFENBACH.
BF.AMTEN-
DOPPELHAU.s
IN DÜSSELDORF.
ändert hatte. Heute liegt die Sache
anders. — Die Lebensbedürfnisse und
Gewohnheiten stellen das Baupro-
granim und diesem sowie der moder-
nen Konstruktion hat sich die Archi-
tektur unterzuordnen und sich gleich-
zeitig mit künstlerischen Rücksichten
und großzügiger Komposition in die
vorhandene Situation einzufügen. —
Bodenständig heißt; sich den klima-
tischen Verhältnissen einer Gegend
in Konstruktion und Form anschlie-
ßen- Bodenständig sind Bauten über-
all da, wo sie diese Bedingung erfül-
len , ihrem Programm in sachlicher
Weise entsprechen und dies im Äuße-
ren in klarer Form zum Ausdruck
bringen, so wie es das Bestreben jeder
baukünstlerisch hochstehenden Zeit
gewesen ist. — Unter Zugrundelegung
dieser Gesichtspunkte und Berück-
sichtigung der erworbenen hygieni-
schen und sozialen Werte frei von aller
Romantik und Phrase werden wieder
gute Wohnhäuser erstehen können.
ARCH. JOS. RINGS.
Sommerhaus am Xiederrhein
ARCHITEKT
JOSEF RINGS-
OFFENBACH
A. MAIN.
KOLUMk
\VKIÜHNHAUM-;N-
MARlUKr. A. I .
KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.
lAMAR Hill.
HERRMANN DERNBURÜ. Wohl kann nicht
gezweifelt werden an dem Steigen des Ni-
veaus für alle künstlerische Produktion; dennoch
verdient es Aufmerksamkeit, dafj solche Entwick-
lung zur Höhe auch an der Architektur der Ciro|5-
stadt nicht vorübergeht. Dies Produktionsgebiet
ist so arg verklausuliert, daß es schon starker
Persönlichkeiten, so der Auftraggeber wie der Aus-
führenden, bedarf, um das Notwendige über das
Modische hinaus zu einer wirklich starken und
schönen Form zu führen. Wir dürfen dankbar sein
dafür, daß unter den Architekten Berlins solche
Persönlichkeiten erstanden. Deren eine, die in den
letjten Jahren sich immer beachtenswerter entfaltet,
ist Herrmann Dernburg. 1010 hat er drei respek-
table Werke fertig gestellt. Im vorderen Westen
schuf er ein großes Geschäftshaus; er fand sehr
geschickt einen iJbergangstypus, wie er sich für
diese, von stillen Wohnvierteln umbaute Oeschäfts-
straße schid<t. Es ist ein Eckhaus; diese Funktion
wurde ohne eigentliche Ecklösung, ohne den auf-
dringlichen und törichten Eckturm sicher gestaltet.
Eine andere Arbeit war das Charlottenburger Ju-
gendheim; es steht eingebaut zwischen den üblichen
Mietshäusern dieser schnell hochgekommenen Ge-
gend für Wohlhabende. Dernburg gab der Fassade
einen strengen, klassizistischen Ausdruck. Die
eigentliche Schwierigkeit der Aufgabe aber lag in
der Unterbringung einer Fülle der verschiedenartig-
sten Räumlichkeiten. Da waren Unterrichtssäle,
Spielzimmer, eine Krippe für die Säuglinge, ein
Heim für Erwachsene, da waren Zentralküchen, große
Wirtschaftsräume, Wohnungen für die Lehrerinnen,
Dachgärten, da war ein großer Saal zu disponieren.
Das alles ist gut gelungen; man ist über den In-
halt des Hauses nicht wenig erstaunt. Nicht recht
glücklich ist die Wandmalerei im großen Saal und
im Treppenhaus; diese ponipejanische Manier ist
nüchtern und ohne Beziehungen zu den Bewohnern.
Dernburgs wertvollste Leistung im vergangenen
Jahr aber war der neue Eis- und Sportpalast.
Gegen das Monstrum, das uns vor etlicher Zeit
beschieden wurde, bedeutet er geradezu eine Er-
lösung. Ein Eispalast ist eine spezifisch groß-
städtische Bauaufgabe; großen Massen soll ein
Gehäus und zugleich ein Rahmen geschaffen wer-
den. Es gilt, mächtige Spannungen in Eisen, Glas
und Beton zu bauen. Die Wände müssen weit
ausladen (die Grundform der Eisfläche ist hier ein
langes Oval); die Decke muß sich leicht und frei
wölben. Nichts darf lasten. Damit den in Kurven
Dahinfliegenden die Architektur nicht ein Hemmnis,
vielmehr ein frischer Luftzug, eine unbewußte Stäh-
lung, ein Temperament, werde. Dernburgs Hallen-
bau hat solchen praktischen und ästhetischen Forde-
rungen eine wirksame und allversländliche Form ge-
funden. Sehr geschickt ist die Disposition der drei
übereinander liegenden, sich nach oben verjüngen-
den und in sich wieder abgestuften Galerien; der
erste Absaß liegt dicht über dem Eisspiegel. Die
Wirkung dieser, das blanke Oval umfassenden Ringe
wird gehoben durch einen amüsanten Beleuchtungs-
effekt; auf den gereihten Tischen stehen Lampen,
deren Schirme, konzentrisch geordnet, rot, gelb
und grün leuchten. Der Effekt ist besonders bei
einer Verdunkelung der Halle sensationell (wie
sich das für großstädtischen Sport gebührt), aber
auch architektonisch. Zu beanstanden bleibt auch
hier eigentlich nur die wiederum pompejanisch
infizierte Dekorationsmalerei. br.
DARMSTADT. Die Wiener Werk stalte,
deren Arbeiten nach den Entwürfen der Pro-
fessoren Jos. Hofmann, Koloman Moser,
C. O. Czeschka und anderer bedeutender Künst-
ler seit Jahren allein in der „Deutschen Kunst
und Dekoration" veröffentlicht worden sind, hat unter
der Direktion des Herrn Gustav St ade- Darm-
stadt für Deutschland eine besondere Gesellschaft
m. b. H. gegründet. Herr Stade ist einer der ersten
Industriellen, die mit Überzeugung für die Arbeiten
moderner Künstler eintraten und es ist zu erwarten,
daß unter seiner F'ührung die Wiener Werkstätte
in Deutschland sehr an Boden gewinnt. Für Berlin
hat Wertheim den Alleinverkauf übernommen;
eine Reihe interessanter Ausstellungen ist geplant,
deren erste bereits in Kürze eröffnet werden soll.
WORMS. Am 15. Dezember IQIO wurde das
neue Rathaus mit dem „Cornelianum",
eine Stiftung des Freiherrn Cornelius von Heyl und
seiner Gemahlin, eingeweiht. Der Architekt, Pro-
fessor Theodor Fischer-München, hat seine
Aufgabe in meisterhafter und im wahren Sinne
schöpferischer Art gelöst. Der Rathausbau enthält
die eigentlichen Geschäfts- und Verwaltungsräume,
während das „Cornelianum" Raum bietet für die
ideellen und repräsentativen Aufgaben der Stadt-
verwaltung. Für künstlerische und wissenschaft-
liche Veranstaltungen, für Vorträge, Ausstellungen,
Konzerte, die zur Hebung der Volksbildung oder
des städtischen Verkehrs unternommen werden, für
Festlichkeiten, Versammlungen und Kongresse soll
das „Cornelianum" die lang ersehnte Heimstätte sein.
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Kleine Kwnt-N^achiichten .
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UASüOLUtSE BUCH DER ROBERT KOCH-SIIH UNti. tNiWLRt UND KAULIGKAFHIE JOH ANN HOLIZ BERLIN. EiNBANU BRl Nli
BERLIN. Im König). Institut für Infektionskrank-
heiten ist fiir Robert Koch, den Begründer
find ersten Leiter des Instituts, eine Qedächt-
nishalle geschaffen und kürzlich eingeweiht
worden. Hinler dem marmornen Reliefbildnis des
großen Gelehrten ruht in bronzener Urne seine
Asche. In dieser Halle ist neben anderem auch
das Goldene Buch der Robert Koch-Stif-
tung aufgestellt worden. Diese, der Bekämpfung
der Tuberkulose dienende Stiftung wurde 1908 be-
gründet bei der Wiederkehr des Tages, an dem
\or 25 Jahren Robert Koch seine Entdeckung
des Tuberkelbazillüs veröffentlicht hatte. Das jet^t
vollendete Goldene Buch enthält
die Chronik und das Statut der ^M*^^^^^^
Stiftung und die Tabula der
Donatoren, die 10000 Mark und
darüber für die Stiftung gespen-
det haben. DasBuch ist daswohl-
gelungene Werk eines jungen
Künstlers, Johann Holt), der
mit dieser Arbeit zum ersten
Male an die Öffentlichkeit tritt.
Er ist zur Zeit Schüler Emil
Doeplers an der Unterrichts-
anslalt des Berliner Kunstge-
werbe - Museums. - Der Ein-
band des Goldenen Buches aus
hellbraunem Maroquin ist nach
dem Entwurf des Künstlers \on
Bruno Scheer in Berlin in rei-
cher exakter Handvergoldung
verziert worden mit Einzelstem-
peln, die eigens dafür geschnitten J
wurden. Das blanke Gold der Ranken und Blumen
und die eingestreuten kleinen blindgedruckten Punkte
geben mit der grün patinierten Bronzeplakette des
Bildhauers Max Ziegler in Hamburg auf dem
gelbbraunen Grunde des narbigen Leders einen
feinen Farbenakkord.
Der ganze Text der Chronik und des Statuts
der Stiftung ist von Holt) kalligraphisch geschrie-
ben, die Eingangsseiten reich umrahmt mit golde-
nen Ranken, bunten Blumen und Initialen, die fol-
genden Textseiten in schlichter, aber künstlerisch
angeordneter Schrift. — Den Texlseiten folgen in
langer Reihe die Blätter der Donatoren mit ihren
eigenhändigen Unterschriften,
vom Künstler mit Wappen und
ornamentalen Leisten in farbiger
Malerei geschmückt. .Ms erster
der Donatoren hat sich der Kaiser
eingetragen, der für die Stiftung
100 000 Mark bewilligte. Dann
folgen Carnegie, der eine halbe
Million spendete, Frau Anna vom
Rath, die Stadt Berlin, Graf
Henckel von Donnersmarck, der
Hamburgische Staat, Krupp von
Bohlen-Halbach, die Stadt Bre-
men und andere Privatmänner
und deutsche Städte, denen die
Stiftung größere Zuwendungen
verdankt. - Das ganze Buch prä-
sentiert sich als ein Weik von
vorbildlicher .Ausführung, das die
Anerkennung, die es gefunden
hat, vollauf verdient, j i.oubier.
411
Kieme Kunst -Nachfichten.
SOHLE
STEH
.ESWIO-HOL-
I STEIN. Der Direktor
des Kunstgewerbemuse-
ums der Stadt Flensburg,
Dr. Ernst Sauermann, hat
einen Kunstkalender her-
ausgegeben. Damit soll
den Künsten Schleswig-
Holsteins so etwas wie
eine Plattform bereitet
werden; sie wollen sich
einmal im Zusammen-
hang dem übrigen
Deutschland vorstellen.
Darum hat sich mit die-
sem Kalender auch nicht
so sehr der Rezensent
als der Chronist zu be-
fassen; er ist weniger ein
Buch als ein Vorgang. In
derTat, wir haben Schles-
wig- Holstein immer ein
wenig stiefmütterlich be-
handelt, und Mumme
Nissen tut recht daran,
uns in einem vortrefflich
orientierten .Artikel eine
Liste derSchleswig-Hol-
steiner zu geben, die
auf Deutschlands Kunst-
entwicklung nicht ohne
Einflufi blieben. Wir ha-
ben kaum je daran gedacht, daf; Semper, Hebbel,
Langbehn, der Rembrandt-Deutsche, daf; A.J.Car-
stens und Louis Qjrlitt, den wir eben wieder entdeck-
ten, dem grünen Nebeleiland gehören. Gegenwärtiger
ist uns schon, daf; Kallmorgen, Dettmann, Olde,
Mohrbutter, Rohlfs, Alberts und der böse Noide
HERTH.VKiiENItl-WOERNER. S'
ausi-lhrung: werkstatte
aus Nordelbien gekom-
men sind. Wir kapitu-
lieren also und sagen:
eine Provinz, der wir so-
lide,charakterfeste, steif-
nackige Exportware ver-
danken. Wir können aber
doch nicht verschweigen,
(laf;eigentlichSchleswig-
Holstein,so einst wie heu-
te, weniger Produktions-
land als Durchgangsge-
biet zu heißen ist. Die
Schleswig - Holsteiner
sind Sammler, sie sind
Kolonisten aus Däne-
mark, Holland, England,
Süddeutschland, selbst
aus Asien ; sie sind
Enkel mit der Lebens-
art von Oroj^vätern. Sie
waren stets trotjige Ge-
sellen; dafür zeugen am
besten ihre meisterlichen
Schnitjer, ihre kargen
Beiderwand -Webereien.
Aus solchen Symptomen
läfit sich wohl erwarten,
da(3 diese nördliche Ras-
se auch künftighin der
deutschen Kunstentwidt-
lung einen gesunden Ein-
schlag liefern wird. Auch dürfen wir hoffen, daß,
wenn einst für Lübeck die Entdecker kommen (wie
Lichtwark und Brinckmann über Hamburg kamen),
unserer Kunstgeschichte ein schönes Kapitel sich
einfügt. Als einen Helfer hierzu bewillkommnen
wir Sauermanns Kunstkalender. — ureuer.
rANDUHR IN PALISANDERHOLZ,
ÜlEliLlR A MOLL— FBEIBUBG.
MKHTHA KOKNK;-
WOHKNl-K-
LKEIBt'KG I. B.
SCHKKIHZEUG IN
GRi'NER FAYENCE.
AUSFÜHRUNG:
OFENFABRIK-
NVMPHENBL'KG.
PROF. AD. HENGELER MÜNCHEN.
GEMÄLDE: '-PUTTE MIT PRIMELN.
l'ROFESSOR AIiOLF HENGELER.
Heilige Xacht . l'inakuthek.
ADOLF HENGELER-MÜNCHEN.
VON WILHELM MICHEL— MÜNCHEN.
ES gibt in der Welt der Kunst Fälle, in denen
der Name eines Mannes bekannter ist als
seine Persönlichkeit. Das will sagen, daß Ruhm
und Ruf sich häufig an vereinzelte glänzende
Leistungen knüpfen und den Namen des Schöp-
fers groß machen, wobei aber zugleich die wich-
tigeren, die verbindenden Teile der Persönlich-
keit im Dunkel bleiben.
Viereinhalb Tausend Zeichnungen für die
„Fliegenden Blätter" haben Adolf Hengelers
Namen gewiß populär gemacht. In den Aus-
stellungen, vorab der Sezession, in Kunsthand-
lungen und Privatgalerien tändeln und lachen
seine Putten, wandeln seine Liebespaare. Seine
Ausstattungen des „Wolkenkuckucksheini" und
des „Kaufmann von Venedig" haben die Kenner
und das Publikum des Künstlertheaters ent-
zückt. Und trotz alledem scheint es mir, als
sei die Persönlichkeit Hengelers heute noch vor
der Öffentlichkeit apokryph, der Gesamtumfang
seines Schaffens noch unbekannt.
Freilich, die Publizität einer künstlerischen
Persönlichkeit ist ja vielleicht ein sehr zweifel-
haftes Glück. In der Stille reift Größeres als
im Lärm, und wer nicht öffentlich diskutiert
wird, entgeht wohl auch mancher Trübung, die
den bedroht, der in der Arena steht. Aber die
Dinge liegen einmal so, daß die Menschheit
meint, durch Diskussion und Publizität einem
Künstler ihre Anerkennung zu verdeutlichen.
Und deshalb liegt es selbst für den, der in
dieser Öffentlichkeit ein Danaergeschenk er-
blickt, nahe, in manchen Fällen zu fragen:
Warum gerade dieser? Warum nicht auch jener,
der die größten Anforderungen vor sich auf-
türmte und ihnen in zäher Arbeit genügte ?
19U. VI. 1.
415
IVil/ichii 3TicIicI Jlfinic/irii .
PROl-E^SOK ADOLF HENGEUER.
Jedenfalls haben mich solche Gedanken be-
wegt, als ich die Gelegenheit, oder ich sage
lieber: das Glück hatte, an der Hand umfang-
reichen Materials einen Blick in Hengelers
Schaffen zu tun. Es war nicht anders, als wenn
mir ein in langer Stille gereifter Künstler über-
raschend vor Augen träte. Keine „Hoffnungen",
keine „Versprechungen", lauter vollwertige,
geleistete Arbeil mit allen Kennzeichen des
Sieges und der Überwindung. Lauter gemünz-
tes Gold, befreit von allen Schlacken und
Il6
iTalerie Heinemann.
klingend von innerer Reinheit. Nirgends ein
unehrlicher, voreiliger Friedensschluß mit den
inneren und äußeren Problemen, sondern lauter
durchgefochtene Waffengänge von der höchsten
Klarheit der Ergebnisse. Der Eindruck dieser
Reinheit gilt, das macht ihn erst wertvoll, von
allenErscheinungsformen undÄußerungen seines
Wesens. Er gilt von seinen Farben, die in
dichterischer Schönheit zusammenklingen, er
gilt von seiner Komposition, die die Linien der
Wirklichkeit sinnvoll steigert und rhythmisiert,
Adolf Heiigeler- München.
er gilt insbesondere auch von seiner geistigen
Persönlichkeit, die, selbst kernhaft und tüchtig,
das Wahre im Leben und in der Kunst uner-
müdlich gesucht hat. Wenn es zutrifft, daß das
auszeichnende Merkmal des Deutschen in seinem
Sinn für das Wesentliche, für das Wahre und
Stichhaltige liegt, dann hat Adolf Hengeler den
Ehrennamen eines in prägnantem Sinne deut-
schen Künstlers vollauf verdient. Es ist reine,
klare Luft um ihn, wie man sie in der Um-
gebung aller derjenigen atmet, die unter Ein-
setzung ihrer ganzen Kraft Anschluß an das
Ewige und Wesentliche der Welt suchen. Für
uns alle, die wir irgendwie schöpferisch tätig
sind, gilt es in erster Linie, den Punkt zu
finden, in dem sich unser subjektiv Not-
wendiges und Wahres mit dem objektiv und
gesetzmäßig Wahren verbindet. Für jeden liegt
dieser Punkt an einer anderen Stelle, jeder
muß seinen eigenen Weg gehen, um ihn zu er-
reichen. Hengeler hat ihn für sich gefunden.
Die innere Klarheit und Echtheit seines Wesens
hat er mit Kraft und unter redlichem Ringen
mit dem Objekt, das sich gerade dem Maler mit
so überwältigender Fühlbarkeit in den Weg
wirft, aus sich herausgestellt. Und dieses Ge-
fühl ist es, das wenigstens mein Verhältnis zu
seiner Kunst vor allen andern bestimmt.
Es ist bekannt, daß sich heute das Ringen
vieler Künstler an jenen Problemen der Palette
l'KOFESSOR ADOLF HENGELER.
Gemälde: Frühling«. Privatbesitz.
417
Wilhehn Mic//ei- Mwic/ich
<i :
ADOLK HENGELER MÜNCHEN
erschöpft, in denen ein weitverbreiteter und
tiefgewurzelter Doktrinarismus die Hauptpro-
bleme der gesamten modernen Malerei erblickt.
Hengeler hat sich sein Ziel höher gesteckt. Ab-
seits von den Wegen der Impressionisten ist er
einem Ideal der Bildform nachgegangen, das
sogar als Ideal der Gegenwart völlig abhanden
gekommen ist. Der Impressionismus steht in
allen seinen Schattierungen, selbst denjenigen,
die die Subjektivität des Ausdrucks bis zum
Schrullenhaften getrieben haben, unter der Herr-
schaft des Natureindruckes. Die kecke, gewagte
Notiz gilt alles, die möglichst knappe und un-
verarbeitete Niederschrift des Naturlauts mit
all seinem Stammeln, sogar mit seinen Roheiten.
Hengeler aber hat, nicht aus Doktrinarismus,
nicht auf Grund rein theoretischer Erwägungen,
den Natureindruck stets nur als den Rohstoff
418
betrachtet, dem erst durch energische und liebe-
volle Arbeit die Vis superba Forniae, die stolze
Kraft der Form, zu entreißen ist. Davon zeugen
alle seine Werke mit ihrer idealistischen Stei-
gerung und Harmonisierung der Farben und
ihrem tiefen Linienwohllaut, davon zeugt vor
allem die große Anzahl jener Landschaften, die
Hengeler seine „Studien" nennt. Gerade sie,
die zunächst nichts sein w o 1 1 e n als getreue, den
Ausdruck fördernde Niederschriften der Natur-
eindrücke, gerade sie beweisen, wie tief die
formenden, wählenden, steigernden Kräfte in
des Künstlers Wesen liegen. Ohne seinen Wil-
len wird jede Studie zum Bilde. Gleichsam un-
bewußt löst er hier schon alle Dissonanzen auf.
Schon seiner bloßen Anschauung der Natur-
dinge liegt ein triebhaftes Streben nach Um-
setzung, liegt eine Fülle echt dichterischer Phan-
• a! ei Z
H O U W
H S Ö g
s, tu K
Q
i
I «
Adolf Henzckr Minichcn.
PROFESSOR ADOLF HENGELER.
tasie zu Grunde. Noch ehe er den Pinsel zur
Hand nimmt, um „die Natur abzuschreiben",
ist diese Abschrift schon unmöglich gemacht,
weil in seinem Innern die Verarbeitung , die
Steigerung schon stattgefunden hat. Hengeler
ist Idealist von Instinkt, wie alle Menschen
von ungewöhnlicher und ungebrochenerVitalität.
Ich sehe da unter diesen Landschaften, die
die Öffentlichkeit nicht kennt, Schöpfungen, die
in ihrer Kraft und Fülle des Naturgefühls guten
Constables an die Seite zu setzen sind. Ich
sehe holländische Impressionen, deren kolo-
ristische Enträtselung der Geländeformen den
Feinschmecker stundenlang beschäftigen könn-
Gemälde: »Sonntag«. Privatbesitz.
ten. Und immer sind sie mehr als Impression,
immer ist in ihnen die Liebe der Gestaltung,
die tiefe, fromme Herzlichkeit des Gefühls, die
ihnen eine Bedeutung weit über den Moment
hinaus gibt. Gewiß, das heute so geschmähte
Braun spielt bei ihrer tonigen Bindung eine
große Rolle ; auch zerreißt kein grimmiger Affekt
den Pinselstrich, der ruhig aus klarer Intuition
fließt. Aber kann man nicht auch auf solche
Weise von der Herrlichkeit der Erde singen?
Es kommt doch wohl nur darauf an, daß das
zunächst Subjektive, das Singen und Klingen
in der Seele, objektiv werde, ohne Lüge, ohne
Falschheit, auf die nächstliegende und notwen-
421
Wilhelm Michel Miuhhoi :
l'RUKESSOR ADOLF HENGELER MÜNCHEN.
dige Art. Das ist in diesen Landschaften ge-
schehen. Ist Braun etwa ein Gegenindizium
gegen Echtheit des Gefühls? Zunächst doch
wohl nicht. Nur die Lüge ist zu scheuen, und
lügen kann man auf jede Art, insbesondere
auch auf jene, die vielen als die ausschließlich
moderne gilt. Ich für mein Teil muß bekennen,
»Mai«, l'leischmanu'sche Hofkunsthandlung.
ich sehe neben den Meisterwerken eines Van
Gogh lieber ein Werk von Hengeler, als eins
der vielen, die dem französischen Meister nur
das Äußerlichste seiner Phraseologie entlehnt
haben. Die Echten begegnen sich überall.
Das, was ich Hengelers „instinktiven Idea-
lismus" genannt habe, hängt mit den poetischen
422
Adolf Hcnockr-Münclioi.
PROFESSOR ADOLF HENGELER.
Elementen seiner ganzen Weltanschauung aufs
engste zusammen. Sie äußern sich besonders
lebhaft in seiner triebhaften Neigung zum Er-
zählen. Erzählen will er immer, mitteilen,
aufrollen. Diese Neigung hat ihn zunächst zum
Illustrator gemacht. Sie hat ihn auch in seiner
Malerei immer dazu getrieben, das, was er in
der Landschaft empfand, möglichst deutlich,
möglichst artikuliert und faßlich auszusprechen.
Schon die Ausschnitte, die er sich für die er-
wähnten „Studien" gewählt hat, sind voll
sprechender Linien, und soweit man durch die
farbige Analyse der Naturerscheinung er-
zählen kann, hat er es hier getan. Man liest
sie wie Lieder ab, die innerlich von schönen
Reimen klingen, denn nicht nur das Auge und
der Pinsel, sondern auch — ich bitte um Ver-
zeihung für das mißliebige Wort — das Gemüt
ist an ihnen hervorragend beteiligt. Daß man
in seinen Gemälden so oft den scherzenden
Putten, den liebreich umschlungenen Menschen-
Gemälde: >An der Quelle«. Privatbesitz.
paaren begegnet, hat nur in dieser dichterischen
Neigung nach Verdeutlichung der landschaft-
lichen Stimmungswerte seinen Grund. In ganz
frühen Zeiten gaben die Maler ihren Figuren
Spruchbänder, die ihnen aus dem Munde gingen
und auf denen Worte verzeichnet waren. Die
Putten auf Hengelers Bildern spielen für die
Landschaft gewissermaßen dieselbe Rolle wie
diese Spruchbänder für die Figuren. Sie wollen
deutlicher als es Bäume, Wiesen und Winde
vermögen, von der Schönheit des Frühlings,
von der Lieblichkeit begrünter Auen reden.
Sie wollen das ausdrücken, was dem Pinsel
entgeht und was doch mit dem Gefühle „Früh-
ling" so eng verbunden ist: Das Kosen der
weichen Winde, die Rührung in des Menschen
Brust, ihre stummen Dankbarkeitsgefühle.
Auf der anderen Seite sind freilich gerade
diese liebenswürdigen Putten daran schuld, daß
die Öffentlichkeit von dem Maler Hengeler
einen ganz unzureichenden Begriff gewonnen
423
Adoll Hcngelcr
Jlfinicln
')!.
ADOI.K HENGELER MÜNCHEN.
hat. Wenn diese Zeilen etwas dazu beitragen
könnten, die Fabel von dem Puttenmaler Henge-
1er in ihrer Geltung zu erschüttern, so hätte ich
daran eine aufrichtige Freude. Viel zu wenig
bekannt sind auch Hengelers ländliche Fassa-
dennialereien, die er auf Anregung seines
Freundes Emanuel von Seid! mit diesem ge-
meinschaftlich in oberbayrischen Orten durch-
geführt hat. Hengelers angeborener Sinn für
Humor und ein lebhaftes Gefühl für die Eigen-
art ländlicher Kunstübung haben ihn zu solcher
Arbeit eminent befähigt. Seine Fülle an illustra-
tiven Ideen läßt ihn in diesen Fassadenmale-
reien für die architektonische Einteilung immer
üemälde: »Am Clüemsee«. PrivatbesiU.
einen neuen, fesselnden Sinn finden. Man ge-
winnt, wenn man die Entwürfe sieht, den deut-
lichen Eindruck, daß sich gerade aus unseren
oberbayrischen Dörfern wahre Schmuckstücke
gestalten ließen, wenn hauptstädtische Künst-
ler dem dörflichen Kollegen in Hengelers
Weise Anregung geben wollten.
Ein Kunstgebiet, das meiner Meinung nach
von Hengeler noch manches Schöne zu erwar-
ten hat, ist das Bildnis. Seine Neigung zum
Erzählen, sein Streben nach Steigerung und
Zusammenfassung der diffusen Momente be-
deuten zwei gute Bürgschaften für eine wahr-
haft porträtistische Auffassung des Bildnisses.
H
III I
424
W
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SCHÖNE, SPOTTBILLIGE ALTE SACHEN.
Wenn ab und zu ein Antiquitätenmacher
zu ungeschickt war, so daß er ertappt
werden mußte, sind alle Zeitungsspalten voll von
den Tricks , denen die Sammelfanatiker zum
Opfer fallen. Mit Ergötzen zucken wir die Ach-
seln über die dummen Yankees, die sich mit
Wonne reinlegen lassen. Und wir, wir neunmal
Weisen. Wie die Maus die geschickte Falle
umschwärmen bei uns die hohen und anderen
Herrschaften alle erdenkbaren Trödelbuden.
Jeder hat irgend eine andere „Quelle", wo er
für ein Butterbrot fabelhafte Sachen hamstert.
Unsere Antiquitätenhändler sind bekanntlich
Philantropen. Sie wollen den naiven Sammlern
die Illusionen belassen und aus diesem Grunde,
(natürlich nur aus diesem Grunde) setzen sie
die geheimnisvolle Augurenmiene auf, lassen
sie sich nichts merken, das sie die wunderbarsten
Antiquitäten für ein Spottgeld hergeben können
— weil die Fabrik den Kram ja alle Tage wieder
frisch liefert. In Thüringen allein wird alljährlich
für Unsummen „echt altes" Meißener Porzellan
hergestellt, und die Produktion von „ alten" Holz-
schnitzereien, Steinarbeiten, Gläsern, Bronzen,
Möbeln wirft nicht weniger ab. Dagegen bleibt
das moderne Kunstgewerbe, so prachtvoll und
preiswert es auch sein mag, unbeachtet und un-
verkauft. Die Pointe bei der ganzen Komödie ist
aber die, daß die Künstler selber erst die Affen-
liebe für die Antiquitäten gezüchtet haben und
nun über die Schwindelei und Narretei stöhnen,
nachdem von ihren eigenen Erzeugnissen so viele
Käufer nichts mehr wissen wollen. Warum auch ?
Es gibt ja so schöne, spottbillige alte Sachen. —
PAUL WESTHEIM.
Das natürliche Empfinden ist bei vielen Heu-
tigen verbildet durch hereingetragene Ge-
sichtspunkte, überwuchert von angelerntem,
kunstfremdem Wissen, verdunkelt von Senti-
mentalität, gefälscht durch das herrschende
Streben nach Prätension. — hefiM. muthesius.
PROFESSOR .\U0LF HENGELER MÜ.NCHE.N'. Gemälde: Porträt'. Privatbesitz.
1^:
Altes Spiekeiig.
ADOLF HF.NGEI.ER MÜNCHEN.
• iemälde: »Am Rieg-See->. Privatbesitz.
ALTES SPIELZEUG. Bei A. Wertheim gibt
es ein Rendezvous der zärtlichsten Pup-
pen und der tapfersten Reiter, der witzigsten Har-
lekins und der seltsamsten Tierlein. Spielzeug aus
der Zeit von 1700-1850; einiges auch ein wenig
früher. Eine zwergige Welt des didaktischen Barock
und des sentimentalen Biedermeier. Hausväter-
slimmung mit Perrücken, Krinolinenlyrik mit Hauben-
stocJ<. Wie viel langer damals die Tage gewesen
sein mögen; daß die Leute Zeit fanden, mit den
Schattenspielen des Lebens zu tändeln. Es waren
gewig nicht nur die Kinder, die mit diesen köst-
lich umhüllten Marionetten, mit diesen zierlichen
Spiegelbildern der Wirklichkeit, ihren Scherz trie-
ben. Dies Spielzeug gehörte zu gleichem Maf^e
den Erwachsenen. Nippes; Überraschungen der
Put5stube, Zwillingskinder der vielberühmten Kunst-
schränke und der Spieldosen. Man erinnere sich
der Alchimisten und Sterndeuter; dann hat man die
Atmosphäre, die puderwolkige, schäferlustige, ma-
gisterliche, dieser kleinen Welttheaterei. Übrigens:
gar so verwunderlich ist solch Puppenspiel der Er-
wachsenen keineswegs. Haben doch die amerikani-
schen Ladies noch kürzlich in irgend einer Season
kleine Schildkröten am Busen getragen und ein ander
Mal Alligatorenbabies spazieren geführt. Und die
Pariserinnen der letjten Mode kokettieren (die Welt
ist ein Repetitorium) mit plastischen Miniaturen des
zauberischen Ichs Wer die Münchner
Krippensammlung kennt, wird sich am ehesten von
den Illusionen dieser Berliner Sammlung Usbedt
eine Vorstellung machen können. Nur, daß das
Temperament dieser weltlichen Gaukelei, dieser
wörtlich nachgeschriebenen Stadt- und Landhäuser,
dieser Patriziate und Handwerkstätten, dieser wohl
eingerichteten Wohnstuben und Schnick-Schnack-
läden um vieles sinnlicher und nervöser ist. Die
Technik des Holzschnitzens und des Wachsbossie-
rens, der Schneiderei und tausend raffinierter Zier-
künste ergoßt sich an den eignen spit^fingrigen
Tänzen. Sie ist ebenso rührend wie unbegreiflich,
die wißige Neugier, mit der in solch einem zwei-
oder dreistöckigen Puppenhaus die heimlichsten
Winkel, verstecktesten Sächelchen in Holz und
Zinn, in Ton und Glas, in Brokat und Perlen, in
Flittern aus Gold und Silber nachgedichtet wurden.
Es steckt in dem allen ein gesunder Instinkt zur
Wirklichkeit. So kommt es, daß, wenn der quir-
lende Traum des fiebrigen Gräflein verfliegt, man
wünscht: Goethe zu lesen. robkrt breuer.
42>S
professor
a.hengelhr.
gkmXlde:
.BKr.EGNUNOt
TKOFESSOK ADOLF HENGELER- Ml NCHEN. GEMÄLDE; »PORTRATt. PRIVATBESITZ.
Dr. A. Pabst- Leipzig:
l'KOFESSOR ADOI.K HEM.ELEI; MLNCHE.N.
»Mädchen am Balkon«. Privatbesitz.
Mit Genehmigung des Bruckmannschen Verl.igs.
TECHNISCHE KULTUR UND ERZIEHUNG.
VON DIREKTOR DR. A. P.\BST LEIPZIG.
Die technischen Wunderwerke unserer Zeit
sind für die wirtschaftUche und sittUche Ent-
wicklung der Menschheit und für ihr leibHches
und geistiges Wohl von der größten Bedeutung.
Sie verschaffen dem Menschen eine fast unbe-
schränkte Herrschaft über die Natur und haben
insbesondere durch die Überwindung des Rau-
mes eine außerordentliche Steigerung der
Lebenstätigkeit jedes einzelnen herbeigeführt.
Und doch, bei aller Bewunderung der Fort-
schritte, die unsere Kultur unter dem Einflüsse
der technischen Errungenschaften gemacht hat,
entsteht immer wieder die Frage, ob durch die
gewaltigen Umgestaltungen das Dasein des
Menschen schöner, glücklicher und edler ge-
worden ist. Man wird diese Frage kaum be-
jahen können, denn wahrscheinlich fühlt sich
der Angehörige eines Nomadenvolkes zufrie-
dener, als der Industriearbeiter einer Großstadt,
und der Fischer, Jäger oder Ackerbauer einer
früheren Kulturperiode war ohne Zweifel ge-
sünder, kräftiger und glücklicher, als es unsere
modernen Maschinensklaven sind. Gerade die
Abhängigkeit von der leblosen Maschine und
das ewige Einerlei mechanischer und geistloser
Teilarbeit ist es, was den Menschen unserer
Zeit in so hohem Grade unzufrieden macht und
ihm sein Schicksal verbittert. Das Glück des
Lebens liegt ja vor allem in der Entfal-
tung der Persönlichkeit, eine tiefe Wahr-
heit, der schon Goethe im „Buch Suleika"
den treffenden Ausdruck gab:
43'
■A
-1
■A
■3
A
X
O
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o
1/5
o
Di
PL,
Technische Kultur U7ic/ Erziehmg.
„\olk und Knecht und Überwinder,
Sie gesteh'n, zu jeder Zeit;
Höchstes Glück der Erdenkinder
Sei nur die Persönlichkeit,"
Die große Kulturfrage unserer Zeit ist also
die, wie wir auch unter den veränderten Ver-
hältnissen dem einzelnen Menschen einen Per-
sönlichkeitswertgeben können. Diese Frage
schließt das Problem der Erziehung ein und
kann ihre glückliche Lösung nur in der Bewäl-
tigung dieses Problems finden. Denn in unse-
rem Zeitalter der Herrschaft der Technik und
der Maschine wird sich der einzelne Mensch
nur dann als Persönlichkeit behaupten
können, wenn er für seine Aufgabe
richtig erzogen worden ist. Die Maschine
schaltet erbarmungslos den Menschen als Per-
sönlichkeit aus, der ihr ohne Verständnis und
ohne die Fähigkeit, sie denkend zu beherrschen,
gegenübersteht. Ein ungeschickter Mensch mit
ungeübten Händen und ungeschulten Sinnen
kann kaum ein grobes Werkzeug handhaben,
geschweige denn eine feine und komplizierte
Maschine bedienen; je feiner und kunstvoller
die Maschine wird, umso besser muß auch der
Mensch ausgebildet werden, der mit ihr arbeiten
soll. Hier versagt jede Wo r t bildung, die allein
auf totes Wissen hinausläuft, auf Sachbildung
kommt es an, auf Erziehung zur Tat und
durch die Tat. Aus dieser quillt die rechte Er-
PROFESSOR ADOLF HENGELER— MÜNCHEN.
tiomaidc; -IntoiiLUi . i'iii,ikt*tiiek -^lünchen.
433
Dr. A. Pabst Leipzig.
I
PROFESSOR ADOLF HE.NGELKK.
kenntnis der Dinge in ihrem Verhältnis zu
einander und zum Menschen, und auf ihr beruht
die W i lle nsbildung, die allein den Menschen
fähig macht, seine Lebensaufgabe zu erfüllen.
Das alles sind Wahrheiten, die schon Pesta-
lozzi, der große Meister der Erziehungskunst,
instinktiv erkannt und in der von ihm geforder-
ten Arbeitserziehung zu verwirklichen gesucht
hat. „Es ist mir zur Unwidersprechlichkeit klar
geworden, um wieviel wahrhafter der Mensch
durch das, was er tut, als durch das, was er
hört, gebildet wird," bekennt er in einem Briefe,
und dem Träger seiner Erziehungsideen legt er
die Worte in den Mund: „Alle Tage sah er
434
Gemälde: >^ Interieur«. Privatbesitz.
mehr, wie die Arbeitsamkeit den Verstand bildet
und den Gefühlen des Herzens Kräfte gibt; wie
sie das den Kräften des Lebens tödliche Schweifen
der Sinne verhütet und von den Schwächen zu-
rückführt, unser Maulbrauchen über das Tun
für das Tun selber anzusehen."
Die Erziehung für den künftigen Beruf durch
eine der Kindesnatur angemessene Arbeit fällt
demnach zusammen mit derwahren Menschen-
bildung. Dieser Gedanke Pestalozzis ist le-
bendig in allen großen Männern, die sich über Er-
ziehung geäußert haben; GoetheundSchiller,
Kant und Fichte, Carlyle und die Philoso-
phen der Gegenwart, sie alle preisen die Arbeit
<lll
Tcciniischc Kulhir Jind Erzieliuns[.
als das oberste und wichtigste Er-
ziehungsmittel, als das letzte Evangelium
in dieser Welt, wie Carlyle in seinem be-
kannten Buche: „Arbeiten und nicht verzwei-
feln" sagt. Nicht nur geistig, sondern auch
physisch muß der Mensch gebildet werden, er
muß seine Hände und Sinne gebrauchen lernen,
wenn er ein Herrscher werden will über die tote
Materie, „Kunstbildung" nennt Pestalozzi
die Ausbildung der menschlichen Sinne und
Glieder, und ihr Ziel ist ihm „der höchste Grad
des Nerventaktes , der uns Schlag und Stoß
sichert und Hand und Fuß gewiß macht". Da-
mit meint er nicht etwa die Ausbildung bloßer
mechanischer Fertigkeiten, sondern die Ent-
wicklung der Individualität und Per-
l'ROFESSOR ADOLF HENGELER -MÜNCHEN.
Gemälde; Kind mit Muff»
43 5
Technische Kultur und Eizie/nino.
sönlichkeil des ZösjlinjSs nach jeder Riclitunjs
hin, körperlich und geistig. Erst im Tun, in
der Übung des Auges und der Hand kommen
Verstand und Wille wirklich zusammen, wird
eine übereinstimmende Bildung des Kopfes und
des Herzens erreicht. Somit läuft alle Erziehungs-
weisheit schließlich darauf hinaus, an Stelle des
Wort Unterrichts, wie er in unserem heutigen
hrziehungssystem vorherrscht, einen Tat-
sachen Unterricht zu setzen, der das Kind als
ein handelndes Wesen ansieht. Jede Erziehung
muß mit dem Tun beginnen und an die Pflege
des Beschäftigungstriebes müssen alle
anderen Maßnahmen anknüpfen.
Die Erfüllung dieser Forderung ergab sich
unter den früheren Bedingungen des wirt-
schaftlichen und häuslichen Lebens ganz von
selbst; unter den heutigen Verhältnissen, wie
sie die technische Kultur geschaffen hat, die
eine vollständige Umwälzung aller wirtschaft-
lichen und sozialen Zustände hervorbrachte,
muß eine wohlüberlegte und sorgfältig durch-
geführte h.rziehung die Schäden ausgleichen,
die im anderen Falle durch die Vernichtung
aller Persönlichkeitswerte entstehen. Diese
Erziehung kann nur die durch Arbeit
und zur Arbeit sein.
Ä
TUGEND-HEIME. Es kommt alles darauf an,
J daß die moderne Kunst, das moderne Emp-
finden volkstümlich werde. Sie soll auf der ge-
sunden Basis des Volkes neu und stark wachsen.
So wollen die Jugendheime begriffen sein. Daß
man es wagen darf, jungen Arbeitern diese rein-
lich und mit Geschmack hergerichteten Räume
zu überlassen, beweist einiges für das steigende
Niveau der völkischen Bedürfnisse und des Re-
spektes vor der Kultur. Zwei solcher Jugend-
heime hat Hermann Münchhausen in Berlin ein-
gerichtet. Er fand den Ausdruck schlichtester
Sachlichkeit, den er durch Farbe fröhlich stei-
gerte. Die jungen Leute, die hier ihre Muße-
stunden verbringen, können nach dem ihnen ge-
setzten Maß Helfer zur neuen Schönheit werden.
PROFE.ssüR AIJOLF HENGELER— .MÜNCHEN. Gemälde; «btlilus.-.LHuiunLii . Privalbesit/.
BILDHAUER PROFESSOR HERMANN HAHN UND ARCHITEKT HERMANN BEs 1 ELMEVER MÜNCHEN. IjLR l.kslL iKl.L-.
WETTBEWERB FÜR DAS BISMARCK-NATIONAL-DENKMAL.
VON MAX SCHMHJ -AACHEN.
Selten ist das Urteil eines Preisgerichtes mit
so viel Spannung erwartet worden, als der
Entscheid über den Entwurf für das Bismarck-
National-Denkmal auf der Elisenhöhe beiBinger-
brück. Durch der Parteien Gunst und Haß war
die Angelegenheit vom ersten Tage an ver-
wirrt. Schon gegen die Wahl der Elisenhöhe
wandten sich sofort erbitterte Gegner. Als
aber am 22. Januar ds. Js. die Preisrichter
auf der Elisenhöhe versammelt waren, um ge-
wissenhaft den Ort selbst zu prüfen, ehe sie
die Entwürfe aburteilten, da ging das Urteil
dahin: „Der Platz ist hervorragend zur Errich-
tung eines Denkmals geeignet". Hoch genug
und frei genug, um nicht durch spätere An-
und Umbauten dem Blick entzogen zu wer-
den. Und doch nicht so wolkenhoch, daß
nicht ein mäßig großes Bauwerk hier zur vollen
Wirkung kommen könnte. Von allen Seiten her
bleibt es immer gleich schön sichtbar. Wer aber
hinaufsteigt durch den stillen Wald, den mäch-
tigen Rheinstrom zur Seite, mit dem Blick auf
Binger Loch, Mäuseturm und Ruine Ehrenfels,
wer droben den herrlichen Ausblick auf den
weiten Rheingau und weiter den Einblick ins
Rhein- und Nahetal genießt, der zweifelt nicht,
daß allen künftigen Besuchern der Denkmal-
stätte hier weihevolle Stunden sich bieten
werden. Wer hier ein Denkmal errichten will,
muß sich den Forderungen dieser Situation
fügen. Mancher Feinfühlige hatte es schon
längst ausgesprochen : „Wie schade, daß auch
diese Stelle durch ein Denkmal verschandelt
werden soll". Aber muß denn jegliches Denk-
mal von Menschenhand die Natur verschimpfie-
ren? Schon steht an jener Stelle ein kleines
tempelartiges Gebäude von rund 8 m Höhe,
dessen außerordentlich malerische und stim-
mungsvolle Wirkung einstimmig anerkannt wird.
An seine Stelle einen besseren, künstlerisch
vollendeten, schön gegliederten Bau zu setzen,
der in den Dimensionen nicht wesentlich über
das Gegebene hinausgeht, das war nach Mei-
nung vieler die eigentliche Aufgabe, die sich
für den Wettbewerb ergab. Dem gegenüber
muß festgestellt werden, daß von rund 379
Wettbewerbern nur wenige so gefühlt. Auch
läßt der Wortlaut des Preisausschreibens ver-
muten, daß bei Erlaß desselben dieser Ge-
dankengang nicht vorherrschte. An dieser
Stelle, die das Rheintal beherrscht, sahen
manche schon im Geiste einen riesigen, den
Hügel als Basis der eignen machtvollen Schön-
heit benutzenden Bau himmelhoch auftrotzen.
Freilich — — gefordert wird das im Preis-
ausschreiben nicht. Ausdrücklich ward erklärt,
daß jede mögliche Lösung den Künstlern frei-
gestellt sei. Einzig die Angabe, daß 1 800 000
Mark als Maximum der Bausumme vorgesehen
seien, ließ die Auffassung zu, als müsse diese
Summe auch erreicht werden. In Wahrheit
hatte der Denkmals-Ausschuß damit nur eine
äußerste Grenze ziehen wollen. Und doch
haben von den Bewerbern nicht wenige die
lÜll. VI. 3.
•137
IVctthrd'eih /ür das Bisniayck-N^aiional-Devkmal.
KEG.-BAUMELSTER ALFRED FISCHER UND BILÜHAUIR WALTER KNIEBE DÜSSELDORF.
E[.\ ZWEITER PREIS
Grenze erreicht, manche sogar überschritten.
Ein Zeichen dafür, daß unseren heutigen Künst-
lern vielfach das Gefühl für das „est modus in
rebus" verloren gegangen ist.
Gewaltig ist heute die Enttäuschung weitaus
der meisten Wettbewerber, weil die Majorität
des Preisgerichtes diesen Standpunkt grund-
sätzlich verwarf. „Jeder Versuch, durch über-
mäßige Ausdehnung eine Wirkung zu erzielen,
konnte nicht den Beifall der Preisrichter fin-
den", so lautet das Schlußurteil der Jury.
Eine bittere Erfahrung für viele Bewerber.
Aber ist das nicht ein Charakteristikum jedes
Wettbewerbes, daß der Künstler dabei nicht
dem ausgesprochenen Willen eines bekannten
Bauherrn, sondern der ungewissen Meinung
einer unbestimmten Mehrheit gegenübersteht?
Daraus resultiert dann eine unendliche Freiheit
und Mannigfaltigkeit der Lösungen. In diesem
Sinne ist natürlich jeder Wettbewerb eine
Lotterie, aber eine Lotterie, in der auch der
Verlierende gewinnt, wenn er nicht mit vor-
gefaßten Meinungen und übertriebenen Hoff-
nungen, sondern mit der Absicht an die Auf-
gabe herantritt, vor allem seine eigne Kraft zu
stählen und aus den Erfolgen der Anderen
im Falle der Niederlage zu lernen, bis auch ihm
einmal der Sieg winkt. So aufgefaßt ist selbst
dieser große Wettbewerb, der unendliche Opfer
forderte, ein Segen für die Künstlerschaft. Da-
mit soll nicht geleugnet werden, daß manchem
diese Opfer bitter schwer geworden sind. Wenn
heute von 379 Teilnehmern nur 20 eine mate-
rielle Entschädigung erhalten und weitere 21
durch eine lobende Erwähnung einen Trost da-
von getragen haben, so bleibt dem großen Rest
nur eines übrig. Das stolze Bewußtsein, daß
sie Zeugnis abgelegt haben für jene ideale Ge-
sinnung, die trotz der unleugbaren materiellen
Notlage in unserer Künstlerschaft steckt. Des-
wegen hat der Kunstausschuß des Bismarck-
denkmals es für notwendig gehalten, sämtliche
Entwürfe auf längere Zeit im Kunstpalast zu
Düsseldorf öffentlich zugänglich zu machen, ehe
sie vielleicht wieder in der Stille eines Magazin-
raumes oder eines Ateliers verschwinden.
» » *
Für das Preisgericht war es eine schwere
Verantwortung, in wenigen Tagen diese 379
Entwürfe, zum Teil riesige Modelle, zahllose
Zeichnungen, Schnitte und Grundrisse auf ihre
künstlerische Qualität, wie auf ihre praktische
Verwendbarkeit zu prüfen ! Welche Verant-
wortung, insbesondere angesichts der Tatsache,
daß schon vor Beginn der Sitzungen in Schrift
und Druck den Preisrichtern Voreingenommen-
heit und allerhand unlautere Absichten vor-
geworfen waren. Merkwürdigerweise haben
Wettherverb für das Bismarck-yational-Dcnkmal.
m^-
•■^aWSwfe-'jjtl-"'''-
ijPiff^'
«#^1*^*5^
ARCHITEKT KRANZ BRANTZKV KÖLN.
gerade die Künstler, zu deren Gunsten die Ju-
roren beschuldigt wurden, gar keine oder nur
ganz nebensächliche Preise erhalten. Aber ver-
gebens warten wir darauf, daß jene ungerechten
Ankläger nun reuig und öffentlich Abbitte tun.
» • •
Es versteht sich, daß dem eigentlichen Preis-
gericht umfassende Vorarbeiten vorausgingen.
Bereits seit Dezember hat ein königlicher Bau-
rat mit drei Technikern die Kostenanschläge
und die übrigen sachlichen Angaben der Wett-
bewerbseingänge geprüft und darüber Bericht
erstattet. Es folgte die Ortsbesichtigung durch
die Preisrichter auf der Elisenhöhe. Das Preis-
gericht setzte sich zusammen aus 4 Architekten:
Theodor Fischer, Muthesius, Hoffmann-
Berlin und Schumacher-Hamburg, aus drei
Bildhauern: Tuaillon und Gaul- Berlin, Floß-
mann-München , dazu aus Malern , Kunstge-
»EIN ZWEITER PRKI.S«
lehrten und dem Vorsitzenden des Gesamtaus-
schusses. Besonderer Wert war darauf gelegt,
daß der Wettbewerb möglichst nach den von
den Künstler-Vereinigungen anerkanntenGrund-
sätzen gestaltet wurde.
Wenn heute etliche Vertreter der Presse
nach einem höchst flüchtigen Rundgang das Ur-
teil des Preisgerichts als „grenzenlos verfehlt"
bezeichnen, wenn sie in ebenso viel Minuten, als
jene Fachleute Stunden brauchten, eine bessere
Liste der zu Prämiierenden fertig stellen, so ist
das eines jener seltsamen und fast unbegreif-
lichen Wunder unserer heutigen Pressekultur,
die im Zeichen des Schnellverkehrs Erstaun-
liches leistet.
Die ethischen, künstlerischen und sozialen
Begleiterscheinungen dieses großen Wettbe-
werbes noch eingehender zu erörtern, wäre
439
Wclthriverh für das Bisviank-Xatioiml-Dotktiial.
PROFESSOR RICHARD RIEMERSCHMID— MÜNCHEN.
verlockend. Es erscheint das beinahe wichtiger,
als die Betrachtung der einzelnen preisgekrönten
Entwürfe, deren Art und Bedeutung aus den
beigegebenen Abbildungen ohnedies erhellt.
Nur soviel sei gesagt ; Der 1. Preis ist als ein
Doppelerfolg zu bezeichnen. Daß einstimmig
die Preisrichter ihn emporhoben, ist einerseits
darin begründet, daß er wie kein anderer still
und feierlich dem Räume sich einpaßt, mit be-
scheidener Würde alles Anmaßende und Über-
schwängliche, kurz, daß er viele Fehler anderer
vermeidet. Man darf mit Bestimmtheit hoffen,
daß er allmählich sich auch in das Herz aller
derer einschmeicheln wird, die heute erstaunt
zurückweichen, weil sie die erhofften Posaunen-
stoße modernen Sichauslebens hier nicht ver-
nehmen. Andrerseits trägt er in sich alle Keime
zukünftiger Vollendung. Die Persönlichkeit des
Bildhauers, Hermann Hahn, wie des Archi-
tekten, Hermann Bestelmeyer, bieten ja da-
für Gewähr, daß der Entwurf in der Ausführung
-.EIN DRITTER PREIS«
jene höchste Reife erreichen kann, die ihn zu
einem wirklichen, das Zufällige gegenwärtiger
Schulmeinungen überdauernden Kunstwerk
machen wird. Leicht trägt der Hügel diese
Last. Unbeschränkt kann sich dahinter der
Festplatz bis zum Waldessaum ausdehnen, un-
behindert bleibt der Ausblick in die Landschaft,
malerisch ist der Durchblick von der Tiefe her.
Eine stimmungsvolle Schöpfung ist jene Statue
Jung-Siegfrieds im Innern des altgermanischen
Steinkreises. Künftige Zeiten soll er daran
mahnen, daß das deutsche Volk als ein jugend-
lich drängendes, kämpfendes und stürmendes
eintrat in den Reigen der Nationen, geführt
durch Jung-Siegfried — Bismarck.
Es gibt nicht wenige, die mit voller Überzeu-
gung diese Gesichtspunkte für die allein maßge-
benden und für alle Zukunft geltenden halten.
Doch läßt sich nicht verkennen, daß damit eine
scharfe Absage an gewisse moderne Bestrebun-
gen verbunden ist. All das Ringen und Streben
44'-
Wetthe'itrrb 'ür das Bis7)iarck-Xational-Denkiiial.
ARCHITEKT OTHO ORLANDO KURZ UND BILDHAUEK BERNH. BLEEKER— MÜNCHEN.
»EIN DRITTER PREIS«
der letzten Generation, all diese Kämpfe für eine
eigene originelle Kunstweise, all dieses Sich-
sehnen nach Zwanzigstem-Jahrhundertstil wird
dadurch als überflüssig, ja schädlich gebrand-
markt. Nicht ohne Grund fragt man sich: Soll die
große sogenannte „moderne Bewegung" nun
klanglos dahingehen? War sie nichts weit er als ein
spannendes Schlußkapitel zur Kunstgeschichte
des XIX. Jahrhunderts? Hat man darum „Los
von Rom", „Los von der Antike", „Los von der
Historie" geschrieen, um nun mit stillem Ent-
sagen nordische Steinbauten neu zu beleben?
Und noch eines. Wird die künstlerische Fein-
heit von Hahns Entwurf , dies bescheidene
Sichgenügenlassen diejenigen befriedigen, die
vor allem ein Monumentalwerk ersehnten,
das auch in der äußeren Größe der Bedeutung
des ersten Kanzlers gerecht wird? Verlangen
nicht die meisten, daß das stilisierte oder rea-
listische Bildnis des großen Mannes zum Mittel-
punkt des ganzen Aufbaues gemacht wird ? So
wird dieser erste Preis Keim eines heftigen
Streites werden, und in den nächsten Wochen
dürften im deutschen Blätterwalde wilde Kampf-
rufe gellen, bis (vermutlich in den Maitagen)
die Entscheidung fällt.
Wenn Hahns Entwurf dann nicht die Mehr-
heit findet, welcher unter den übrigen Preis-
gekrönten könnte als vollwertiger Ersatz oder
gar als besseres Modell gelten? Ein II. Preis
fiel ja auf F. Brantzky-Köln. Sein Entwurf hat
gewisse Qualitäten mit dem vorigen gemein.
Nur schiebt er die Sockelmauer in mächtigem
Schwünge weit vor den Abhang des Berges und
läßt aus ihr ein statthches Reiterbildnis empor-
wachsen. Die Steinpfeilerwerden durch schlichte
Säulen ersetzt, aber leider fast bis zu ^,3 Höhe
durch eine Rundmauer abgeschlossen. Links
und rechts flankieren Halbtürme den Rundbau,
der sich nach der Rückseite zum Festplatz öffnet,
441
Wctthe'iVCfh für das Bisniarck-A^ational-Dcnkmal.
den langgestreckte festungsartige Mauern seit-
lich begrenzen. Das Ganze macht so den Ein-
druck einer alten Bergfeste, d. h. mehr fest als
festlich, mehr trotzig als einladend, aber jeden-
falls wuchtiger, die Landschaft mehr dominie-
rend und doch nicht erdrückend oder gar zer-
störend. Die Silhouette der Elisenhöhe würde
auch beiAusführung dieses Entwurfes gewinnen.
Der andere II. Preis des Architekten Alfred
Fische r-Düsseldorf (Plastik ; Wa IterKniebe-
Düsseldorf) mag zunächst allzu einfach erschei-
nen. Ein griechisches Tempelchen von beschei-
denen Verhältnissen, mit einem etwas unbe-
scheidenen Dache gedeckt. Wie aber dieses
Tempelchen mit seiner davor liegenden tieferen
Terrasse dem Berg angefügt ist, wie sich daran
der Festhof und weiterhin ein langgestreckter
Festplatz angliedert, das ist ohne Zweifel sehr
geschmackvoll und feinfühlig. Hier ist nicht
durch anspruchsvolle Kolonnaden und pompöse
Triumphbogen die Ruhe der Landschaft gestört.
In dem bescheidenen Umfange, in dem klassische
Motive verwendet wurden, hat das Projekt
auch für ausgesprochene Deutschtümler wohl
nichts durch Hellenismus Verletzendes. Denen,
die aus Kreisformen den Platz entwickeln, tritt
hier eine gradlinig und rechtwinklig gegliederte
Lösung entgegen, die doch das gegebene Terrain
nach Kräften schont. Alle Einzelheiten sind
freilich nur flüchtig angedeutet. Doch darf
vorausgesetzt werden, daß diese einfache Ar
chitektur von jedem geschmackvollen Künstler
ohne weiteres gut und richtig detailliert werden
kann. Im ganzen eine kluge und ruhige Arbeit,
die nicht nur auf dem Reißbrett entworfen,
sondern auch im Räume empfunden ist.
In welchem Sinne ein 111. Preis dem Motto;
„Seid einig" (Beruh. Bleeker und O. O.Kurz-
München) zuteil wurde, bedarf nach dem Vor-
gesagten kaum noch der Begründung. Es ist
ein reicherer Typ des ersten preisgekrönten
Entwurfes, eine Übersetzung in den Hellenis-
mus. Leider wird der dorische Rundpfeiler eine
größere Schmuckentwicklung nicht zulassen.
Der andere III. Preis ist auf Rieh. Riemer-
schmids Kuppelbau gefallen. Dieser Entwurf
hat etwas sehr Stimmungsvolles. Er besitzt ein
wenig Romantik, wie sie am Rheine wohl zuläs-
sig ist. Der nicht übermäßig große, aber zu viel-
facher Anbringung von Plastik und Malerei ver-
lockende Kuppelraum ist von bescheidenen Ab-
messungen. Der Umriß erinnert zwar an ver-
schiedene kirchliche Gebäude, wirkt aber doch
auch ein wenig weltlich, denkmalhaft. Rienier-
schmid hat diese Gedächtnishalle zurückgescho-
ben und nach dem Bergabfall hin gegliederte
Terrassen vorgelegt, an deren Fuß, in der Tiefe
des heutigen Steinbruchs, ein poetisches kleines
Heiligtum eingebettet ist. Im Innenraum läßt
sich eine weihevolle Bildsäule, an den Wänden
festlicher Schmuck anbringen und vielen wird
der Gedanke sympathisch sein, daß hier des
großen Dahingeschiedenen an festlichen Tagen
gedacht werden kann, daß er im engeren Kreise
hier durch Lied und Rede gefeiert wird, wäh-
rend auf dem dahinter liegenden Festplatze
öffentliche Versammlungen und Festspiele statt-
finden können. Mancher mag wohl den Umriß
des Baues etwas straffer, die Formen etwas
eigenartiger empfunden wünschen. Das wäre
Sache der Durcharbeitung bei etwaiger Aus-
führung.
Zehn weitere Entwürfe sind mit Entschä-
digungen von je 2000 Mark ausgezeichnet. An
zweien ist Bestelmey er-Dresden beteiligt,
einmal in Gemeinschaft mit Hahn-München. In
beiden Fällen plant er einen Rundbau mit kegel-
förmigem Dache, wobei reicher Reliefschmuck
vorgesehen ist. Georg Wrba will weniger durch
Größe, als durch Anmut und Schönheit zwingen.
Im Verein mit Otto Gußmann schmückt er
eine festliche Halle durch Reliefs und Gemälde.
Einen eleganten Kuppelbau und eine dem
Terrain sehr feinfühlig angepaßte Platzanlage
bietet R. Berndl-München.
Friedrich v. Thiersch gibt einen schlicht
behandelten Turm von quadratischer Grund-
form, der mit seinem Unterbau sich der Sil-
houette rheinischer Burgen anpaßt, im ein-
zelnen aber, besonders auch durch Dasios Re-
liefschmuck, festlich und heiter wirkt. In dem
Entwurf von Johann und Rieh. Miller-Pasing
wird ein stattlicher, ins Vieleck übergehender
turmartiger Bau von einer Säulenhalle in Huf-
eisenform umschlossen. Größere Dimensionen
wählen Biber und Klemm, deren Projekt et-
was stark an Burgruine gemahnt. Der vortreff-
liche Entwurf von E. Schütz, O. und R. Kohtz
scheint über den für die Elisenhöhe zulässigen
Maßstab hinauszugehen.
MaxLäuge r-Karlsruhe bringt feierliche klas-
sische Säulenhallen als Umrahmung eines sehr
wohlgegliederten Festplatzes. PaulPfann und
Pfeifer-München nehmen nochmals den Ge-
danken des altgermanischen Steinkreises auf,
allerdings in zierlichen, fast biedermeierischen
Proportionen.
Unter den angekauften Entwürfen befindet
sich ein solcher von Kreis-Düsseldorf. Kreis ge-
hört mit seiner Serie von Projekten wohl zu
denen, die am intensivsten mit dieser Denkmals-
aufgabe sich beschäftigt haben. Es wäre unrecht,
hier mit wenigen Worten seine imposanten Ent-
würfe abzutun. Ihrer Bedeutung und den Grün-
44;
Wctfbcivcrb für das Bis)iiarck-A"ational-Denk»ial.
den, warum sie wider Erwarten nicht in erster
Linie unter den Preisgekrönten erscheinen, muß
bei anderer Gelegenheit an der Hand reichen
Abbildungsmaterials nachgegangen werden.
Angekauft wurden außerdem die Entwürfe von
Kirchbauer und C. Burger- Aachen, Pech-
stein, H. Schmidt und Wünsche in BerHn,
Baumgarten und Amberg in Berlin.
Daß viele, die zu den Besten in der deutschen
Künstlerschaft zählen , hier erfolglos mitge-
kämpft, ist bekannt. Bei Eröffnung der Aus-
stellung am 1 1 . Eebruar sollen ihre Namen, so-
weit jene beistimmen, genannt werden — denn
in solchem Kampfe mitgeslritten zu haben, ist
in jedem Falle rühmlich, auch für den Unter-
legenen. Die öffentliche Ausstellung wird auch
Gelegenheit bieten, den Vorzügen dieser Werke
noch gerecht zu werden. m. sch.
Ä
Nachdem im vorstehenden die Gesichts-
punkte, die bei der Preisverteilung maß-
gebend waren, von einem Mitgliede der Jury dar-
gelegt sind, mögen, um den Streit der Meinun-
gen zu kennzeichnen, noch einige Abschnitte
aus den Äußerungen der Kunstreferenten zweier
angesehenen Tagesblätter Aufnahme finden.
Dr. Eritz Stahl-Berlin schreibt im „Ber-
liner Tageblatt" u. a. folgendes;
„Der Gedanke, dem großen Kanzler am
Rhein ein Denkmal zu errichten, erscheint so
selbstverständlich, die Aufgabe, die damit der
deutschen Kunst gestellt wurde, ist so groß
und fördernd, daß die verhältnismäßig geringe
Anteilnahme der Nation an dieser Angelegen-
heit auffallen muß. Sie wird dadurch bewiesen,
daß trotz der großen Propaganda die Mittel für
dieses Monument bei weitem noch nicht zu-
sammengebracht worden sind. Nur die Wer-
bekraft eines schönen Entwurfes wird
das noch ändern können.
Einen solchen Entwurf hat die erste Kon-
kurrenz nicht gebracht. Es gibt zwar noch
kein Bismarckmonument, das offiziell den Na-
men eines Nationaldenkmals führt, den die Ur-
heber dieses Planes gewählt haben. Aber Hugo
Lederers Hamburger Bildsäule hat sich, ohne
ernannt zu sein, diese Stellung errungen. Und
kein Werk wird sie aus ihr verdrängen, das sie
nicht übertrifft, das nicht wenigstens neben ihr
bestehen kann. Mit diesem Maßstab muß man
also messen.
Der Gesamteindruck der Konkur-
renz-Entwürfe ist schlecht; die Ab-
lehn un g s te igert sich b ei wie derhol-
ter Betrachtung bis zum Ekel. Der
gute Geschmack , nein , schon der gesunde
Menschenverstand wird auf Schritt und Tritt
schwer beleidigt. Das ist nicht mehr Verehrung,
das istVergötzung, was hier von Hunder-
ten mit dem Helden getrieben wird. Und es
ist unmöglich, dieses schwüle Pathos auch nur
für ehrlich zu halten. In den meisten Eällen
wenigstens handelt es sich um denselben kalten
Wahnsinn, dem wir auch sonst in der Kunst
von heute oft begegnen.
Von der Pyramide und dem Obelisken über
die orientalische Grabmoschee, den antiken
Tempel und die Kirche aller Stile bis zum mo-
dernen Wasserturm gibt es keine monumentale
Bauform, mit der es nicht jemand versucht
hätte. Es ist eine wahre Orgie polytechnischer
Architektur. Und die Bildhauer? Der Aus-
gangspunkt ist zumeist Lederers Bismarck,
Fast alle sind sie von diesem Bilde besessen.
Die einen machen es nach, die andern suchen
es zu vermeiden und zu übertrumpfen. Dazu
brauchen sie andere Muster kolossaler Plastik;
urchaldäische Sitzbilder, ägyptische Pharaonen
und Sphinxe, chinesische Buddhas. Armer
Bismarck! Oder sie stellen ihn auf irgend ein
Vieh. Oder sie bauen ihn als Turm. Man
könnte Seiten mit der Aufzählung der greulich-
sten Verzerrungen füllen. Es ist so schlimm,
daß man jede menschliche Darstellung des Hel-
den, selbst eine konventionelle, aufatmend,
wie das erlösende Aufwachen aus einem schlech-
ten Traume begrüßt.
Der begreifliche Widerwillen gegen das ganze
kolossalische Getue führte die Jury zu einer
prinzipiellen Ablehnung, zu der in einzelnen
Fällen, wo es sich um talentvolle Leistungen
handelte, die Überschreitung der Mittel über-
dies gezwungen haben mag.
Sie hat, wenigstens mit den Hauptpreisen,
nur solche Entwürfe gekrönt, die sich in maß-
voller Größe und in anständigen Formen be-
wegen. Alle haben bei sonst oft unbestreitbaren
Vorzügen den Fehler, daß sie keine Beziehung
zu dem Platz, der Landschaft, demHeldenhaben,
irgendwo für irgendwen errichtet werden könn-
ten oder nirgends und für keinen passen
würden. Riemerschmids Rundbau, mit den ba-
rocken Voluten und der grünen Kuppel, ist aus-
gesprochen Münchnerisch. Der Fischer-Kniebe-
sche antike Tempel wäre vielleicht am Golf von
Neapel an seiner Stelle. Der runde Brunnenhof
mit der doppelten Säulenreihe von Kurz-Bleeker
paßt nur auf eine flache Terrasse und wird nur
oben wirken. Dasselbe gilt von dem Pfeilerrund
Hermann Hahns mit dem Jungsiegfried, das den
ersten Preis erhalten hat, und dessen Vorzüge
ich zu würdigen weiß. Bleibt nur Brantzkys
Entwurf, dessen Unterbau ein großes Relief
Bismarcks als Panzerreiter zeigt, und das mit
443
Weitheivo'h für das Bis»ia)ck-A^ational- Denkmal.
diesem Unterbau die Form des Hügels ausnützt
und mit diesem Relief die Bestimmung des Mo-
numentes anzeigt. Aber, selbst wenn das Relief
viel besser wird, als es ist, und auch der Säulen-
bau, in dem übrigens noch ein Bismarck steht,
charaktervoller durchgebildet wird , mehr als
gutes Mittelmaß kann das Ganze auch nie sein.
Für heute ist es wichtig, zu fragen, was nun
weiter für die Sache des Bismarck am Rhein
geschehen soll. Daß die Prämiierung dieser
Entwürfe praktische Konsequenzen hat, halte
ich für ausgeschlossen. Aber die Konkur-
renz, die dem Komitee hunderttausend Mark
und den beteiligten Künstlern vielleicht mehr
als eine Million kostet, hat doch die Frage
wenigstens geklärt.
Ich meine, das Komitee müßte nun zuerst
noch einmal die Platzfrage erörtern.
Vielleicht kommt es dann zu dem Resultat,
einen anderen zu wählen, was am besten
durch eine Künstlerkommission geschehen
würde. Dann müßte eine engere Konkurrenz
zwischen den Urhebern der talentvollsten Ar-
beiten den endgültigen Entwurf schaffen, den
Entwurf, der genug Werbekraft hat, um
die Angelegenheit dieses Denkmals wirk-
lich zu einer nationalen zu machen. Wer
ein Freund der Denkmalsidee ist, muß
geradezu davor warnen, mit einer Aus-
stellung der diesmal preisgekrönten
Entwürfe in deutschen Städten eine
Propaganda machen zu wollen, wie das
geplant war. Das würde der Sache nicht
nützen." »berliner Tageblatt«, frtt/ stahl.
« » »
Dr. Max Osborn - Berlin äußert sich in der
„B. Z. am Mittag" u. a. wie folgt;
„Ich weiß aus eigener Erfahrung, daß es keine
leichte Arbeit ist, aus Hunderten von Ent-
würfen das Richtige oder auch nur das relativ
Beste herauszufischen, und wer in die endlose
Flut der Zeichnungen, Grundrisse, Pläne und
Modelle getaucht ist, die im Düsseldorfer Kunst-
palast nicht weniger als 64 Säle füllen, wer all
die wüste Verstiegenheit, den Dilettantismus,
den Wahnwitz durchwandert hat, der sich hier
breit macht, wird verstehen, daß die Juroren
diesmal besonders saure Arbeit hatten. Aber
OS handelt sich nicht etwa um einzelne Fehl-
griffe, über die niemand zetern würde, sondern
um das sonderbare und falsche Prinzip, dem das
Preisgericht gefolgt ist [. . . etwas möglichst
Leichtes, Nichtwuchtiges auszuwählen].
So kam die Jury auf den für mich unver-
ständlichen Gedanken, den Entwurf Hermann
Hahns in München mit dem stolzen ersten
i'reise zu krönen. Ich verehre und liebe Hahn,
aber was er hier in Vorschlag bringt, ist einfach
unmöglich. Er modellierte eine halbnackte
Jung -Siegfried -Gestalt, die den rechten Fuß
auf einen Block setzt und mit den Händen ein
Schwert auf seine Schärfe prüft. Und ringsum
ließ er sich von dem Architekten Hermann
Bestelmeyer einen Pfeilerrundgang bauen.
Zwischen dieser Umrahmung und der Figur
sollen große Bäume angepflanzt werden. Das
Ganze ist leicht, spielerisch, fast zierlich. Ein
Bismarckdenkmal , dessen Hauptmotiv nicht
Kraft, sondern — Eleganz ist! Wie eine Osteria
müßte es sich den Rheinfahrem drunten prä-
sentieren.
Aber die Jury hat sich nicht damit begnügt,
ihr anfechtbares Prinzip in diesem einen Falle
zu befolgen. Sie hat es sich bei allen anderen
Preisen, bei fast sämtlichen „Ankäufen" und
„Entschädigungen" zur Richtschnur genommen.
Und darin liegt eine Ungerechtigkeit. Sie hat
z. B. mit Bedacht die prachtvollen Architektur-
werke, die man als Werke von Bruno Schmitz
und von Leder er erkennt, umgangen. Sie hat
sich zu den ausgezeichneten Vorschlägen von
Wilhelm Kreis, der eine ganze Reihe von Zeich-
nungen eingesandt hat, so verhalten, daß sie da-
von — einen Entwurf „ankaufte"; Das ist
fast kränkend. Es herrschte also die ausge-
sprochene Absicht, die eigene und kraftvolle
architektonische Monumentalsprache, die sich
in Deutschland zu unserer Freude immer schö-
ner und freier entwickelt hat, bei dieser Auf-
gabe nicht zu Worte kommen zu lassen, ihr auch
nicht in zweiter und dritter Reihe einen Platz
anzubieten. Man muß sich wohl vorstellen, daß
die Juroren durch die ungeheuren, fratzenhaften
Götzenbilder, die in Massen aufmarschierten,
wütend gemacht wurden und nun die Reaktion er-
lebten, daß sie nur das Leise und Zurück-
haltende als geschmackvoll empfanden.
Aber daß sie in solcher Stimmung einem bieder-
meierisch-gräzisierenden Tempelchen, einem
Landhäuschen, einem gleichgültigen Türmchen
usw. Preise und Ehrungen verliehen, bleibt
gleichwohl unbegreiflich.
Nein, hier muß ein ganz anderer Ton ange-
schlagen werden! Nicht subtile Feinheit
des Geschmacks, sondern gehaltene Kraft
muß hier siegen. Ein Werk, das ohne billige
„Volkstümlichkeit" sich ohne weiteres der Na-
tion einprägt als Sinnbild des gewaltigenLebens-
werkes, das dadurch gefeiert werden soll. Hier-
zu aber ist bisher noch nicht ein Anfang ge-
macht, noch nicht einmal ein Weg gefunden!
-B. /. AM MITTAG . MAX OSBOKN.
Weitere Berichterstattung muß dem nächsten
Hefte vorbehalten werden. die schriftleitüng.
444
TROFESSOR THEODOR FISCHER.
LANDHAUS IN HELLERAU BEI DRESDEN.
PROFESSOR RICHARD RIEMERSCHMID.
Deutsche Werkstätten in Hellerau.
DIE GARTENSTADT HELLERAU.
VON ROBERT BREUER.
Neuen Ideen ist zumeist nichts gefährlicher
als die Zeit der ersten Liebe. Da spannen
der Enthusiasmus und die Sensation gesunde
Erkenntnis und nüchternes Wollen bis zum
Äußersten der Phantastik und des Stürmens.
Vom Abend zum Morgen warten die Wunder-
gläubigen darauf, daß dies Allerneueste von
gestern schon morgen die Lösung jedes Rätsels
und jeder Last bringe. Es ist nur selbstver-
ständlich, daß dann über Nacht der Katzen-
jammer kommt, und leicht geschieht es, daß
im plötzlichen Erwachen mit dem Traum die
gesunde Idee zerschellt. Solcher Art, ein wenig
zum mindesten, ist das Schicksal der Garten-
stadtbewegung in Deutschland. Reformato-
rische Heißsporne haben zuviel von ihr erwar-
tet, haben ihre Verwirklichung für zu leicht er-
achtet, haben gehofft, durch sie eine Erneue-
rung der Menschheit zu gewinnen. Der Idee
von der Gartenstadt, die bürgerlich und nüch-
tern aus England kam, gesellten sich allerlei
Askesen, Naturheilkunde, Vegetarianismus und
eine Wut zum Baden. Solch Methodismus hat
der Propaganda nicht wenig geschadet ; zumal
sich damit noch die Romantik der Heimatkunst
verband. So kam es, daß kluge Leute die Gar-
tenstadt als eine Utopie, als eine Rückentwick-
lung in dörfliche Verhältnisse und paradiesische
Unschuld verwerfen lernten. Und in der Tat,
wenn die Gartenstadt eine Reduzierung der
Kultur auf das Notwendigste, auf eine gezähmte
Animalität, bedeuten würde, so wäre sie vom
Übel; und wenn sie nichts anderes wäre als
ein matter Aufguß völkischer Sentimentalität,
so müßte man sie prinzipiell verw^erfen. Daß
aber die Gartenstadt sich auch in Deutschland
von solchen Ankränkelungen fern zu halten
vermag, daß sie nicht eine Minderung, vielmehr
eine Steigerung der Menschlichkeit und der
Kultur bedeuten kann, dafür ist Hellerau, die
vielgenannte Siedelung bei Dresden, ein treff-
licher Beweis.
Noch eine andere Gefahr ist auf die Idee der
Gartenstadt, als sie nach Deutschland kam, ge-
fallen. Die Spekulation bemächtigte sich, so
paradox das auch einen dünken mag, der Er-
kenntnis, durch die ihr der Garaus gemacht
werden sollte. In des Wortes schlimmstem
Sinne wollten die Spekulanten die Gartenstadt,
diesen Oberteufel der Bodenreform , durch
Beelzebub austreiben. Sie nannten keck die
schäbigsten Gründungen der gierigsten Banken;
Gartenstädte. Wenn es nach ihnen und nach
dem Namen ginge, wäre Deutschland mit Gar-
tenstädten übersät. Leider mangelt dem Publi-
kum oft genug jegliche Einsicht, um raffiniert
verbrämten Bodenwucher von einer gesunden
Verwirklichung sozialen WoUens zu unter-
scheiden. Auch da wiederum kann Hellerau
aufklärendes Beispiel sein; es ist durchaus
nach den Forderungen einer fortschrittlichen
Bodenpolitik gegründet und verwaltet. Das
Land gehört einer Gesellschaft, deren Kapital
nie mehr als vier Prozent bringen darf. Von
dieser Gesellschaft mietet der einzelne seine
Baustelle auf ewige Zeiten. Die Gesellschaft
baut ihm sein Haus und „er erwirbt das
Recht, darin zu wohnen, indem er für den
Grund und Boden einen je nach der Lage
zu ermittelnden Pachtzins entrichtet und für
den Bau des Hauses einen Teil des Bau-
geldes in Form eines Darlehns der Gesellschaft
überweist. Dieses Darlehn wird zu seinen
Gunsten auf dem Grundstück hypothekarisch
ISll. VI, 4,
-147
Robert Breuer Berlin :
HELLERAU.
ii i>KE~iirN
eingetragen. Ihm selbst kann nicht gekündigt
werden, er aber darf kündigen und hat nur für
den Fall, daß das Haus sich nicht weiterver-
mieten läßt, auf ein Jahr den Pachtzins zu zah-
len. Das Darlehn wird verzinst, aber ist un-
kündbar, solange er selbst in dem Hause wohnt,
kann aber fünf Jahre nach seinem Wegzug von
ihm aufgekündigt werden. Das Recht am Haus
geht bei Todesfall des Mieters auf dieErben über,
auch diesen kann nicht gekündigt werden. So ge-
langt er mit verhältnismäßig geringen Aufwen-
dungen zu dem tatsächlichen Genuß eines Hau-
ses, das er wie sein eignes Haus ansehen lernt. "
Nach solcher Ordnung entstehen Landhäuser
zu einem Mietspreise von 700 — 2000 Mk.,
also Wohnstätten , die dem Bedürfnis eines
guten Mittelstandes genügen. Daneben wird
ein anderer Teil des Landes mit Kleinbauten
HELLERAU. ANSirn 1 VOM HELLER.
44'^
Du Gartnntadt Hcllcrau.
PROFESSOR RUHARD RIEMERSi HMID.
besetzt. Hier wird die Bebauung durch eine
Baugenossenschaft geleistet. Der Geschäfts-
anteil ist auf 200 Mk. angesetzt. Jeder Ge-
nosse muß mindestens einen Anteil erwerben.
Die einzelnen Haustypen haben einen Miets-
preis von 250 — 600 Mk. Dafür gibt es eine
bewohnbare Nutzfläche von 46 — 85 Quadrat-
metern. Das kleinste der Häuser enthält im
Deutsche WerksiUtten. Ansiclit vom Heller.
Erdgeschoß Wohnstube und Küche und im
Obergeschoß zwei Schlafzimmer; die größeren
haben je unten und oben ein Zimmer mehr.
Auch diese Häuser sind vom Vermieter unkünd-
bar. Zu jedem Haus gehört ein Vorgarten von
25-35 Quadratmetern und ein hinter dem Haus
gelegener Nutzgarten von 95 — 265 Quadrat-
metern. Die Gartenmiete beträgt pro Quadrat-
(Uli'
PROFESSOR RICK. RlEMERSCHMIIl.
Deutsche Werkstätten. X'erwaltungsgebäude uml Einfahrt.
449
4J0
Die Gayienstadt Hellerau.
I'KÜFESSOR RICH. RIEMERSCHMID.
meter und Jahr 18 Pfennige; in jedem
Garten stehen drei junge Obstbäumchen.
Aus alledem sieht man, daß es sich
bei Hellerau nicht um eine Utopie han-
delt, vielmehr um eine rationelle Orga-
nisation. Man spürt kaufmännischen
Geist jener höchsten Gattung, die alle
Instinkte auf den Verdienst im Interesse
der Gemeinschaft eingestellt hat. So ist
man nicht überrascht zu hören, daß das
wirtschaftliche Zentrum dieser doppel-
artigen Wohnstätten in einem modernen
Fabrikbetrieb ruht. DieDeutschenWerk-
stätten für Handwerkskunst haben in
Hellerau sich neu eingerichtet ; sie waren
es, die zu der Siedelung den Grundstock
legten, ihr Leiter Karl Schmidt hat die
Landschaft Hellerau entdeckt und er-
schlossen. Die Genesis war einfach ge-
nug. Den Werkstätten war die Herberge
drinnen in der Stadt zu eng geworden;
der Betrieb , der mit einer Handvoll
Menschen angefangen hatte und jetzt
mehrere Hundert zählte, verlangte immer
nach größerer Ausdehnung. K. Schmidt,
der zehn Jahre früher noch an der Bank
Deutsche WerksUitten. Kraftzentrale, Hofseite.
ühL IM. HL U tkKsi-il IL-N liELLhR.M . L.\ULk.\MPE.
451
DHITSIUE WERKSTÄTTEN HEIXERAU.
r.I.K K IX DIE TIS(:HI.ER\VERKSTÄTTEN.
Die Garfen'itaiU HcIIermi.
DEUTSCHE WERKSTATTEN— HELLER AU.
gestanden hatte, ging auf die Suche, der Ent-
wicklung seines Reiches eine neue Wohnstatt
zu finden. In ganz Dresden und rings umher
traf er die Spekulation, den hohen Bodenpreis,
der die Anlage einer ungehemmt der Hygiene
der Technik und der Arbeitsfreude gehorchen-
den Fabrik unmöglich machte. Er aber wollte
den Arbeitern Luft, den Maschinen Licht, den
Pflichten Erleichterung und dem Empfinden ein
großes Maß schaffen. So traf er eines Tages,
jenseits von Neustadt, gegen die Dörfer Klotz-
sche und Rähnitz, ein freies, vom Kapital noch
nicht in Beschlag genommenes Gelände. Dessen
gute Vorsehung war der fiskalische Besitz ge-
wesen, der sich zwischen den Grenzen der
Stadt, den Kasernen, und diesen Dorfgemeinden
dehnt. So abgesondert, schienen diese Lände-
reien der Spekulation wertlos. Und umgekehrt,
gerade durch den fiskalischen Gürtel, der sie
davor bewahrte, von der Stadt gefressen zu
werden, empfahlen sie sich als neue Heimat für
eine Organisation, die den Schlingen des städ-
tischen Bodenwuchers entrinnen und in mög-
lichster Freiheit sich entfalten wollte. Hier
also wollte Schmidt die neue Fabrik bauen.
Indessen, er wußte, daß er nicht in die Ein-
samkeit geraten durfte, auch mochte er nicht
riskieren, die Fabrik nun vielleicht doch der
Spekulation zu einem Sprungbrett werden
zu lassen. So wuchs ihm der Gedanke einer
Siedelung im Schatten der Fabrik. Nun hätte
es nahe gelegen, nur eine Arbeiterstadt für
die Angestellten \orzusehen; Schmidt aber,
Blick in den Maschinensaal.
dem die Psyche des Handarbeiters nie ver-
loren gegangen ist, kannte die Gefahren der
von einem Fabrikbetrieb unterhaltenen Arbei-
tersiedelungen, die Gefahren der wirtschaft-
lichen Abhängigkeit und der geistigen Inzucht.
Auch rein rechnerisch ergab sich bald die For-
derung einer gemischten Bebauung ; größere Häu-
ser sollten neben kleinen Heimstätten stehen.
Es könnte Idealisten geben, die an diesem
Zustandekommen Helleraus Anstoß nähmen und
sagten, daß diese Gartenstadt zu sehr Produkt
der finanziellen Bedürfnisse eines kapitalisti-
schen Unternehmens sei. Das wäre aber kurz-
sichtig. Gerade diese kapitalistische Logik bildet
das Rückgrat der Gründung. Es fehlt ihr jede
falsche Philanthropie, jede feminine Wohltätig-
keit. Sie ist das Produkt eines Exempels, von
einem klugen und erfolgreichen Selfmademan
als nützlich , als notwendig erfunden. Noch
immer aber war die wirtschaftliche Notwendig-
keit von längerem Bestand als die blaublümige
Sehnsucht. Und die Entwicklung Helleraus hat
es bereits bewiesen, wie durchaus gesund die
Siedelung gedacht und durchgeführt wurde. Bei
der Baugenossenschaft melden sich weit mehr
Mietlustige als befriedigt werden können. Und
auch für die gehobenen Häuser fehlt es nicht
an Freunden.
Das Gelände ist hügelig, Fichtenwald ist da-
rüber hingesprengt. Vor seiner Südgrenze liegt
ein Paradeplatz ; nachNordensteigt es am stärk-
sten an. Diese Topographie verbot eine schenia-
453
Robert Breuer- Berliu .
PROFESSOR RICK. RIEMERSl'HMID.
Deutsche Werkstätten. Sitzungszimmer.
tische Aufteilung; die Wege und die Terrain- der Wald- und Gartensiedelung zu wahren, war
absteckung mußten sich der Bodenbewegung Richard Riemerschmid der richtige Mann. Er
anschmiegen. Solch Problem des modernen disponierte praktisch und übersichtlich, hütete
Städtebaues zu lösen und dabei den Charakter sich vor einem willkürlichen Zerreißen , faßte
PROFESSOR RICK. RIEMERSCHMID. Deutsclie Werkstätten -Hellerau. Schreibsaal.
4j4
Die Gatioistadt Hellerau.
PROFESSOR RICH. RIEMERSCHMID.
Deutsche Werkstätten. Zimmer der Geschäftsführung.
die Grundelemente , die Blöcke , so groß wie samen Sprengungen fehlen. Angenehm empfan-
möglich und gab dem Ganzen genau den Grad gen uns die Straßen und leiten uns durch die
der intimen Zusammengehörigkeit , wie er sich Ortschaft. Das Auge erhält räumliche Wir-
für Genossen in Freiheit gebührt. Alle gewalt- kungen , und wo es sie heute noch nicht sieht,
PROFESSOR RICHARD KlKMEKsCHMllJ. 1 Jeutbillt ■^\■t•IkM.lUell llflltl.iu. /llnljiM
MbluhlUDg.
1911. VI. S.
45)
■ll«
PROF. RICH. RIEMERSCHMIU.
HELLERAU. »DIE WALDSCHE.N'KE«
PROFESSOR RICH. RIEMERSCHMID.
HELIERAU. DIE WAI.DsrHENKE«
PRUHCSSOK RICH. RIEMERSCHMID.
STRASSENBILD, »PILLNITZER WEG«
PROFESSOR RICH. RIEMERSCHMID.
HELLERA.U. STRASSENBILÜ, »PILLNITZER WEG«
PROKESSOR RICH. RIEMERSCHMID.
HELLERAU. STRASSENBILD, sPILLNITZER WEG»
PROFESSOR RICH. RIE.MERSCHMII).
HELLERAU. STRASSENBILD, AM GRÜNEN ZIPFELt
Robert Breuer Berlin
PROFESSOR RICH. RIEMERSCHUID.
spürt es sie in der Anlage. Die Hauptdisposition
ist deutlich. Am Südrand gegen Osten steht
die Fabrik, umfaßt von einem mächtigen Gehöft.
Weiter östlich bis zur Grenze und bis zum höch-
sten nördlichen Zipfel hinauflaufend, sammelten
sich die Klein-Häuser. Der Westen und Süd-
westen des Geländes blieb den größeren und
reicheren Bauten bewahrt; von hier aus kann
der Blick am weitesten schweifen , bis hinüber
Hellerau. Straßenbild, -Am grünen Zipfeln
in das Eibtal und zu den fernen Bergen. Das
Zentrum von Hellerau ist für Häuser der Ge-
meinsamkeit bestimmt, für die Schule, für ein
Haus des Ernstes und der Heiterkeit. Auch
zentral, aber mehr auf den Südostzipfel zu, liegt
der Marktplatz. Er ist im Entstehen. Sein Typ
mußte den feinen, wohlgeschlossenen, leicht zu-
gänglichen und doch immer wieder neu zu ent-
deckenden Platzräumen der guten alten Klein-
PROFESSOR RICH. RIEMER.Sl. IIMIIJ.
Hellerau. Mjaljciibikl, .\ni yruiieu Zipfel
45>
PROF. RICH. RIEMERSCHMID.
EINFAMILIEN-HÄUSER IN HELLERAU.
Die Gatienstadt Hellerait.
ARCHITEKT HERMANN MUTHESIUS.
Stadt verwandt sein. Hier zeigt sich vielleicht
am offensten der süddeutsche Einschlag, der
durch Riemerschmid der ganzen Kolonie natur-
gemäß gegeben wurde.
Solchem die Landschaft genießenden Tem-
perament der Straßenführung und der Platzan-
Hellerau. Straßenbild, »Beim Giäbcheiv
läge gehorcht nicht weniger der gesamte Hoch-
bau. Dessen bedeutendster Körper ist das
Fabrikgebäude der Werkstätten, Wie bei allem,
was Riemerschmid macht, kann dessen voller
Wert nur im Gebrauch, im Leben des Alltages,
begriffen werden. Es ist der schützende Mantel,
ARCHITEKT H. TESSENOW UNU H, MUTHESIUS.
Hellerau. Straßenbild.
401
Robert Brater Berlin .
PROFESSOR RH H. RlEMERSt HMID.
der sich um die Notwendigkeiten des Betriebes
legt; es ist zugleich ein Ordnungsbringer, ein
Wohltäter, ein Ausdeuter handwerklicher Be-
dürfnisse. Die Tischlerei ist in ihm zu Hause;
es ist den Leuten auf den Leib geschneidert.
Man hat die gegitterten Scheiben gescholten
und sie romanisch genannt; man hat gesagt,
Hellerall. .strallenbiKl, -.Vm grunen ZipfeK
daß das Ganze zu sehr nach dem Rittergut
neige. Solche Vorwürfe würden verstummen,
wenn man diesen Fabrikbau allein von innen
heraus, nach seiner Werkstatt -Tendenz beur-
teilte. — Die gehobenen Landhäuser haben
die Tugenden, die der Profanarchitektur durch
das Reinigungsbad des letzten Dezenniums zum
LUliilili
PROFESSOR RICH. KIEMKRSCHMIU.
Hellerau. Strai'enbild, •>Am grünen Zipfel«
4b2
Die Gartenstadt Hellerau.
PKOFESSOK THEOIJÜK KlbLHEK.
Hellerau. I.anilhai
neuen Besitz wurden; gestuft und variiert nach wirklichung eines in dem Bedürfnis boden-
der Persönlichkeit der die Form bestimmenden festen Ideals sein. Wovon es in dem Vor-
Künstler. Sie alle, vorzüglich aber die Klein- wort zur Ortsbauordnung für Hellerau heißt;
häuser der Genossenschaft, wollen die Ver- „Gäbe es in Dingen der Architektur, im
PRUtESSiiR RICH. RlEMER->( HMli>,
Hellerau. stralteiit)ild, :>.\ni gruiien Zijtfel'
46:
I
ARCHITEKT HERMANN MUTHESIUS.
HELLERAU. ZWEIFAMILIENHAUS.
l'ROKESSOR RICH. RIEMERSCHMll I
HELLERAU. STRA.SSENBILD, »AM GRÜNEN ZIPFEL«
l^om Kleimvofmhaiis.
ARCHITKKT HKRMANN MUlHEblUb.
Haus- und Städtebau, eine künstlerische Tra-
dition, so könnte eine Bauvorschrift mit einem
Mindestmaß von Bestimmungen auskommen.
Die lebendige architektonisch durchgebildete
Baugesinnung, von dem Bewußtsein sozialer
Verpflichtung getragen, träte an die Stelle der
Paragraphen, und die Städte würden empor-
wachsen gleich den alten Dorf- und Stadt-
anlagen, gut und sicher, der gefertigte Aus-
druck einer neuen Lebenszucht und Sitte."
Die Kleinhäuser stehen zumeist in Reihen, zu
vieren, auch zu sechsen und sieben, ohne schei-
denden Brandgiebel. Einige wurden als Ein-
zelhaus gebildet. Bisher den größten Teil baute
Riemerschmid, freundlich und charakterfest.
An andern erprobte Tessenow seine mehr kalli-
graphische und meditierende als architekto-
nische Begabung. Muthesius gab den seinen
einen besonderen Grad der Wohnlichkeit und
der heiteren Zivilisation. — r. r.
Ä
VOM KLEINWOHNHAUS. Die nachfolgen-
den Worte Baillie Scotts, die wir frei
wiedergeben, mögen zum Nachdenken anregen.
„Ein behagliches und schönes Wohnhaus für
eine begrenzte Summe zu bauen, ist vielleicht
eines der schwierigsten Probleme, die der Ar-
chitekt zu lösen hat. Er muß vergessen, daß
Stmlienbild Keim Gräbchen»
er in der Tradition des Baugewerbes erzogen
wurde und muß versuchen, die lang verschol-
lene Baukunst zu erlernen. Er muß mehr den
Wert seines Werkes für die Menschheit
und weniger den eignen Profit im Auge
haben. Die Bewohner solcher Häuser haben
ebenfalls viel zu lernen, und viel zu vergessen
an traditionellen Absurditäten und Vortäu-
schungen. — Gewöhnlich wird der gesamte
Rauminhalt in möglichst viele, getrennte, kleine
Räume aufgeteilt und diese Räume werden dann
mit möglichst vielen Möbeln vollgepfropft. Das
Ergebnis ist wie ein Schuh, der drückt. Gerade
das Kleinwohnhaus muß unter allen Umständen
einen Raum enthalten mit genügender Boden-
fläche und „Ellbogenfreiheit". Alle Räume, die
selten von mehr als ein oder zwei Personen be-
wohnt sind, mögen im Kleinwohnhaus verhält-
nismäßig klein gehalten werden. Sie sollen
gewissermaßen als Einbauten und Nischen des
großen zentralen Raumes wirken, an seiner Ge-
räumigkeit teilnehmen. Im größeren Landhaus
ist das Zimmer- und Korridorsystem wohl am
Platze, im Kleinwohnhaus dagegen muß der
zentrale Hauptteil des Hauses zu einem Innen-
raum gestaltet werden, der dem Eintretenden
sofort den Eindruck vermittelt, daß er sich in
einem Hause befindet. — l.-d.
^6j
GARTENSTADT HELI.ERAU BEI DRESDEN.
DURCHBLICK NACH DFR WALDSCHF.NKE.
GARTENSTÄDTE UND BAUPOLIZEI.
Es gibt eine Gartenstadt, die ihr harmonisches
Aussehen und die vortrefflichen Baufkichten
derBaupolizei verdankt. Während inderStadt
selber die üblichen Fluchtlinien, breiten Straßen
und Verkehrs- „Sterne" von der Bauverwaltung
nach herrschendem Schema fortgepflanzt wer-
den, legt man draußen die Straßen und Plätze in
moderner, heiterer und zweckdienlicher Weise
an ; können die Häuser innerhalb der Grund-
stücke stehen, wo es für das Straßenbild am
günstigsten ist; wird für eine rationelle „Gar-
tenstadt "-Bebauung gesorgt, die nur Einfamilien-
häuser (mit geringen Ausnahmen) duldet und
nur den vierten Teil des Grundstücks der Über-
bauung einräumt. Endlich wird auch über die
notwendige ästhetische Unterordnung der Häu-
ser unter den Gesamleindruck durch eine kluge
Konzessionserteilung von der Baupolizei gesorgt;
denn da in der Genossenschaft Grundstücke
auch zum Eigentum erworben und nach dem
„Geschmack" des Besitzers bebaut werden
können, versteht es sich, daß die Vielköpfigkeit
dieses Kleinleutegeschmackes oft eines sorg-
samen Regulatives nicht entbehren kann.
Das Wunderbare an der Geschichte ist, daß
diese Gartenstadt in Deutschland liegt. In
Deutschland hat die Baupolizei meist nicht den
Ruf zarter Rücksichtnahme; und so ist es viel-
leicht von allgemeinerem Interesse, ihren Namen
zu wissen; es ist Hopfengarten bei Magde-
burg. Hoffentlich bekommt es vorbildliche Be-
deutung; das Eis ist einmal gebrochen; sorge
man dafür, daß es nicht wieder zufriert.
In der Tat wird die praktische Frage bald
brennend werden, wie sich die Baupolizei zu
den neuartigen Siedlungen stellen soll. Sie kann
durch starres Festhalten an ihren städtischen
Forderungen jede Gartenstadt im Keim erstik-
ken; sie kann ebenso durch verständiges Weg-
sehen bei passender Gelegenheit und durch
strenge ästhetische Aussiebung der Bauge-
nehmigungen die Gartenstadtbewegung prak-
tisch besser fördern als die ausschweifendste
Propaganda. Sie hat eine mächtige Waffe in
der Hand, dem Elend der Massenquartiere ein
Halt zu gebieten und selbst ohne die deutsche
Gartenstadtgesellschaft billige Einfamilienhäu-
ser hervorzulocken: sie kann den Bodenpreis
466
V.^1
^
ARCHITEKT BAILLIE SCOTT.
HELLERAU. »UMMERHAUS
AUS DER UMGEBUNG DER GARTENSTADT HEI.LERAU BEI DRESDEN.
GaHenstädte und Baupolizei.
niedrig hallen auch an Orten, wo das Hausbe-
sitzerparlament den Grunderwerb der Stadt-
gemeinde nach Ulmer Vorbild zu verhindern
weiß. Sie kann mit einem Wort sozial in edel-
stem Sinne wirken , indem sie Bodenerwerb
jedem zugänglich macht. Denn sie hat ja allein
über die Bebauungsart zu bestimmen ; und
wenn sie alles noch freie Land der Einfamilien-
haussiedlung (drei Viertel des Grundstücks
müssen frei bleiben!) reserviert, so können sich
die Grundstückspekulanten auf den Kopf stel-
len, es nutzt ihnen nichts.
Dieser Gedanke ist so einfach, daß er na-
türlich noch unbekannt ist. Aber die Ortsgrup-
pen der Gartenstadtgesellschaften sollten sich
doch mehr mit ihren Baupolizeibehörden an-
freunden als es bisher der Fall gewesen zu sein
scheint. — uR- paul keru. schmidt.
PROFESSOR RICH. RiFMERsiiiMU). Ausstelluiigshaus der Deutschen WerkstäUen Hellerau.
PROFESSOR RICH. RIEMERSCHMID.
EMPFANGS - ZIMMER. AUSSTELLUNGS - HAUS
DER DEUTSCHEN WERKSTÄTTEN, HELI.ERAU.
Illl
PROFESSOR RICH. RIEMERSCHMID.
MÖBEL AUS VORSTEHFNDEM EMPFANGSRAUM.
Ernst Zimmejynavn :
ENTWURK KAKI. BKRTSCH.
Damenzimnier. Ausstellungshaus der Deulschen Werkstätten. Ilelleraii.
KUNST UND KULTUR.
VON PROFESSOR Dk. ERNST ZIMMERMANN.
Nicht gerade friedlich und ohne Kampf ist,
wie jedermann weiß, jene Kunst, die wir
die„moderne" nennen und die uns endUch nach
Generationen wieder eine gesunde tiefere Kunst
bringen sollte, in unsere Zeit eingezogen. Es
hat hier Kämpfe, Ignorierungen, Mißhandlungen
und Mißverständnisse in Hülle und Fülle ge-
geben, wie sie nie bisher einem Zeitalter der
Kunst beschieden gewesen und wohl so leicht
auch nicht wieder beschieden sein werden, und
dieser Kampf hat eigentlich, wenn wir die jetzt
immer mehr erkannten und immer mehr ent-
deckten Vorläufer dieser Zeit mit hinzu rechnen,
sofort begonnen, sobald die alte durch Jahr-
hunderte hindurch gegangene Kunst der Renais-
sance im Empire geendet hatte und nun die
durch die französische Revolution geborene
neue Zeit sich auch ihre eigene Kunst erschaffen
wollte. Da platzten alte Gewöhnung und Neue-
rungsdrang bald überall aneinander, und diese
Zusammenstöße wurden nur immer heftiger
luid leidenschaftlicher, je breiter und mutiger
der Ansturm der Neuerungssüchtigen ward.
Die eigentliche Schlacht hat aber dann erst vor
etwa dreißig Jahren begonnen und hat fast
Jahrzehnte getobt, und, wenn es auch jetzt im
allgemeinen nicht mehr zweifelhaft sein kann,
wer hierbei Sieger geblieben ist : ein kleiner
Guerillakrieg tobt immer noch weiter und selbst
an den übrigen Stellen sind die Sieger vielfach
noch nichts weniger als allgemein als solche
gefeiert worden.
Dieser furchtbarste Kampf, den die Jahrhun-
derte je gesehen, ist in der Tat in erster Linie
ein wirklicher Kunstkampf gewesen : echtes
Kunstkönnen stand völligem Kunstunverständ-
nis gegenüber, eine schon wieder höher poten-
zierte Schaffenskraft einem völlig zurückgeblie-
benen Auffassungsvermögen. Es hatten Künst-
ler wie Publikum in ihrer Entwicklung nicht
gleichen Schritt gehalten, und so war der Ab-
stand zwischen beiden, den eine gesunde Ent-
wicklung nur ständig verringern sollte, nur immer
größer geworden, so groß schließlich, daß eine
47^
Kunst itnd Kulhir.
FNTWURF KARI. BKRTSCH.
Herrenzimmer. Ausstelluiigshaus der deutschen Werkstätten. Hellerau.
verbindende Brücke zwisclien den Parteien her-
zustellen kaum noch möglich schien.
Ist dieser Kampf nun wirklich immer ein
reiner Kunstkampf gewesen? Haben hierbei
nicht vielleicht noch andere Momente mit-
gespielt, die zunächst mit der Kunst an sich
noch nicht allzuviel zu tun haben. Man be-
denke, um diese Frage zu beantworten, zu-
nächst, wie diese moderne Bewegung auf allen
Gebieten der Kunst zuerst begonnen und wie
sie z.T. sich noch heute vielfach gebärdet! Man
bedenke, daß sie zunächst eine solche der
stärksten und zum Teil völlig bewußten Oppo-
sition war, eine solche, die der bestehenden
Kunstweise meist gerade das Gegenteil gegen-
überstellen wollte und hierbei, wie das bei
solchen Bestrebungen nur zu leicht geschieht,
dann vielfach völlig beim andern Extrem ange-
kommen war. Dies Gegenteil aber sollte gegen-
über der verweichlichten, süßlichen, zimper-
lichen Kunst, in der sich damals das meist so
gedankenlose, satte Bürgertum so ungemein
wohl fühlte, daß es nach etwas anderem, nach
etwas Neuem garnicht verlangte, Kraft, Energie,
Ehrlichkeit und Selbständigkeit sein. Man wollte
dies alles sowohl durch die Wahl der Motive, wie
auch ihre Durchführung zur Geltung bringen.
Und so erstand auf einmal — so erschreckend
für jenes oben charakterisierte Bürgertum, das
sich bisher fast allein für Kunst interessiert und
sie auch fast allein erworben hatte — jene Kunst
der trostlosen und derben Motive, der krassen
Durchführungen und lebhaften Effekte, die man
auf dem Gebiet der Malerei hinsichtlich ersterer
so sehr bezeichnend Armeleutemalerei, hin-
sichtlich letzterer Pleinairismus oder Impressio-
nismus genannt hat, die es aber in gleicher Weise
auf allen Gebieten der bildenden Kunst ge-
geben hat. Sind doch selbst auf dem Gebiet
des Kunstgewerbes, des am spätesten modern
gewordenen Zweiges der Kunst, Schöpfungen
vorgekommen, die eher für den an derberes
Gerät gewöhnten Bauer , als für den damals
gerade in die zierlichste und eleganteste aller
früheren Kunstperioden, die des Rokoko, ver-
sunkenen Stadtbewohner geschaffen zu sein
schienen. Trotz ihrer Derbheit aber waren sie
leider meist viel teurer, als alle die viel vor-
nehmer sich gebenden Sachen, an die man
nun schon seit einigen Generationen gewöhnt
473
Eitisf Ziiiimcymavyi
•(
AKCHITEKT KARr, BF.RTSCH.
Speisezimmer. Ausstellungshaus der Deutschen Werkstätten. Hellerau.
war: kurz, es gab bald kein Gebiet der bilden-
den Kunst mehr, das ganz frei war von diesem
Extrem, das sich nicht in ganz ersichtlichen
Derb- und Plumpheiten gefiel, die allgemein
gefallen, allgemein anerkannt sein wollten und
den gewünschten Beifall, die gewünschte An-
erkennung doch trotz allem Bemühen nicht
finden konnten. Und diese Zustände sind be-
kanntlich heute noch nicht ganz vorüber.
Um es kurz zu sagen, man hat damals, als man
uns eine wirklich neue Kunst schaffen wollte,
nicht bedacht, daß Kunst auch Kultur ist, daß
die Kunst einer jeden Zeit auch immer der Aus-
druck der Kultur und Gesittung dieser Zeit ge-
474
Knust iiiici Kiiltitr.
INTWÜRK KARl BERTSCH
Wesen, daß sie gänzlich Hand in Hand ging
mit der gesamten Lebensverfeinerung dersel-
ben und daß sie dies auch weiter tun mußte,
wofern sie sich wirklich wieder in die Lebens-
gewohnheiten der Menschen einnisten, ja mit
ihnen ganz verwachsen wollte. Wer die Ge-
schichte der Entwicklung der Kunst mit der der
Menschheit zugleich verfolgt, der wird bestän-
dig in ihr die wunderbarsten Übereinstimmun-
gen, die vollkommensten Harmonien in dieser
Beziehung erblicken, der wird erkennen, wie
beide stets genau dieselben Entwicklungen
durchgemacht haben, genau zu denselben Zielen
gelangt sind. Wo sich ein Anfang einer Kultur
darbietet, wo alles noch in einfacheren, derbe-
ren, ungekünstelten Lebensgewohnheiten sich
;all. VI. 7
47)
Ktnisi imd Ku/fur.
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ENTWURF KARL BERTSCH.
Tnchterzimmer. Ausstelliingshaiis der Deutschen Werkstätten.
bewegt, da wird auch die Kunst noch einfach,
herb oder derb und ungekünstelt erscheinen:
sie wird noch das Zunächsthegende, das, worauf
die nienschUche Phantasie in ihrem Schaffens-
drang zuerst verfallen muß, zeigen; dies alles
aber in voller Schlichtheit, noch ohne Raffine-
ment, aber dafür voller Kraft und Größe, als
ein wuchtiger, geschlossener Effekt. Eine sol-
che Zeit war z. B. bei uns die der Romanik,
bei den Chinesen die vor Christi Geburt, im
Altertum die vor dem Aufkommen der Griechen:
überall damals noch einfache, ungebrochene Le-
bensverhältnisse, ohneVerweichlichung und Ver-
zärtelung und demnach auch überall eine Kunst,
die uns heute so einfach und schlicht und groß
47''
erscheint, daß wir sie garnicht anders denn als
Monumentalkunst bezeichnen können, und die
wir darum immer nachzuahmen pflegen, sobald
wir späten Epigonen auch einmal bei Bedarf
wieder so recht „monumental" werden wollen.
Und dann vergleiche man im Gegensatz da-
zu, nach so und so viel Zwischenstufen, in denen
durch die fortgesetzte Arbeit von Generationen
über Generationen sich ständig Kultur auf Kul-
tur häuft und sich zu immer größerer Verfeine-
rung und Kompliziertheit ausbildet, was schließ-
lich aus der Kultur im Zeitalter des Rokoko,
dem in jeder Beziehung raffiniertesten, das wir
bisher gehabt haben, geworden und mit ihm aus
der Kunst, die dieses hervorgebracht. Denn
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ENTWURF K. BERTSCH-MUNCHEN.
TOCHTER - ZIMMER. AUSSTELLDNGS - UAUS
DER DEUTSCHEN WERKSTÄTTEN'. HELL1:B.\U.
II I
I'KOFESSOR
KlL'tlAKU
Kli;MHK,srHMIT>
PROFKSSÜR RICHARD RIEMKRSCHMID. SCHLAF/.IMMEk. AU.sSTKL LUNGSHAUS DER 1 )EUTSCHEN WERKSTÄTTEN.
47'^
PROFESSUR RICHARD RIEMERSCHMID.
SCHLAFZIMMIR. AUSSTELLUNGSH AUS HIXLERAU.
PKOKESSOK KIlHARD KIEMERSCHMID.
SPEISEZIMMER. AUSSTEIXÜNGSHAUS.
l'ROKESSOR
KICIIAKD
KIEMERSCHMID.
WOHNZIMMER
EINES KLEINHAUSES
IN IIELLEKAU.
Kumt uiiJ Kii/fi/
dies ist die Zeit, da die Gesittung, die Kul-
tur bereits soweit gerückt ist, daß die Frau, die
Dame, die bisher gesellschaftlich doch immer
ziemlich ein Leben für sich geführt hatte, unbe-
sorgt und unangefochten in das gesellschaftliche
Leben eintreten kann, ja so sehr, daß sie bald
zum eigentlichen Mittelpunkt desselben wird,
und nun alles in der Kultur, Unterhaltung, Wis-
senschaft, Literatur und Kunst auf jenen Grund-
ton gestimmt wird, der in erster Linie den
Frauen zusagt, und darum auch den damaligen
Männern, die an dem geselligen Verkehr mit
ihnen ein so ungewohntes Gefallen fanden. Da-
mit aber auch die Zeit, in der sich nun mit
einem Male auch alle Kunst wandelt. Alle Ein-
fachheit, alle Größe, alle Gradlinigkeit, alle
Farbenreinheit ist nun dahin. Statt dessen
Kurven und Schnörkel und Muschelwerk, das
jede größere Fläche aufhebt, die Farben alle
weich und licht, aber fast alle gebrochen, so
daß man kaum noch ein reines Rot, ein reines
Blau erblickt. Es ist, als ob das Auge keinen
lebhaften Effekt mehr, keine sich scharf einprä-
gende Linie , keine leuchtende Farbe mehr
vertragen könnte , dagegen sich sehnt nach
gänzlich neuen Wirkungen, die aber dezent und
raffiniert zugleich auftreten müssen, nach dem
Reiz neuer, nie gesehener weichen Kurven und
ähnlicher Farbenverbindungen. Das Kapriziöse
der Frau aber dominiert an allen Ecken und
Enden und lechzt nach immer neuen Befriedi-
gungen. Und so ist dies das ausgesprochene Zeit-
alter des Raffinements, des pikant Neuen ge-
worden, über dem aber immer versöhnend und
verklärend die zarte Kunst weiblicher Grazie
und Schönheit schwebt. Und dies alles hat
dann auch der folgende Stil, der unter dem Ein-
fluß der wieder erwachenden Antike wieder
ein wenig erstarkte Stil des Louis XVI. noch
nicht verloren; nur daß das Kapriziöse damals
für lange Zeit verschwand. Erst das in der Re-
volutionszeit geborene Empire hat dann diese
ganze Kultur und Kunst hinweggefegt, und jetzt
wieder, wo der Mann allein etwas galt, mit
Hilfe der Antike einen ganz männlichen Stil an
deren Stelle gesetzt.
Was folgt aus diesen Beispielen, die keineAus-
nahmefälle, nur besonders deutliche sind, für
unsere Zeit und unsere Kunst mit unerbittlich
logischer Notwendigkeit? Auch sie muß eben,
wofern sie wirklich mit unserem Leben enger
verwachsen und ein wirkliches Teil desselben
werden will, als unabänderliche Grundlage von
vornherein eine gewisse Verfeinerung, ein ge-
wisses Raffinement annehmen, das dem unserer
Zeit oder vielmehr derjenigen Kreise, für die
heute unsere Kunst in erster Linie arbeitet —
denn eine „Volkskunst", für alle Schichten un-
seres Volkes bestimmt, kann es heute nicht
geben — annähernd entspricht. Sie darf für
gewöhnlich keine Wirkungen hervorbringen,
keine Eindrücke uns aufzwingen, die gar zu weit
entfernt stehen von denen, an die uns sonst
unser kulturelles Leben gewöhnt, die uns so
sehr erschrecken, daß wir darüber jede Ruhe
und Sammlung zum Genuß verlieren. Diese
Forderung gilt in der Kunst immer, mit ganzer
Strenge aber für jene ihrer Gebiete, die wirk-
lich mit unserem Leben völlig verwachsen,
die unsere tägliche Umgebung, unsere stetige
Begleitung ausmacht: für die Architektur und
das Kunstgewerbe, vor allem die Innenkunst,
die Kunst unseres Heims. Mögen da draußen
in jenem Reich der Kunst, das sich selbst Zweck
ist, in jenen Werken der Malerei und Plastik,
die bloß um ihrer selbst willen geschaffen wer-
den, die keine eigentlich schmückende, deko-
rative Bedeutung für unser Leben besitzen,
deren Ziel darum auch meist nicht unser Haus,
sondern das Museum, die Galerie ist, immer-
hin Töne und Stimmungen angeschlagen werden,
die zu denen unseres gewöhnlichen Lebens in
keiner Weise passen. Es sei! Denn in Museen
kann man gehen, wie ins Theater, ins Konzert, mit
der Absicht, eine andere Welt in sich aufzuneh-
men wie die des Alltags. Hier kann man sich
wie bei der Vorführungeines Dramas Wirkungen
aussetzen, die man im gewöhnlichen Leben
meidet, vorausgesetzt, daß eine wahre Kunst
sie verklärt und veredelt. Es ist Feiertagsstim-
mung, mit der man diese Stätten alle betritt,
in der man darum auch etwas Besonderes, Un-
gewöhnliches erleben kann. Die Kunst unserer
engeren Umgebung aber verlangt Harmonie in
sich selbst und mit uns selber, mit unserer ganzen
Lebensweise. Hier diese absichtlich derb und
kräftig, oder auf der anderen Seite absichtlich
raffiniert zu gestalten, würde Affektation sein,
eine Verstellung, die bald durch Überdruß oder
Ekel sich rächen und in sich zerfallen würde.
Eine solche Kunst würde Lüge sein.
Was aber ist nun das Kulturniveau, auf dem
wir augenblicklich stehen und dem sich auch die
Kunst unserer Zeit anpassen muß? Wir sind
unzweifelhaft keine Leute des frühen Mittel-
alters mehr und auch keine des raffinierten Ro-
kokos. Wir sind weder halbe Barbaren noch
mit allen Finessen und allen möglichen Tradi-
tionen gehetzte Aristokraten. Der Adel spielt
in unserem heutigen Kultur- und Kunstleben als
solcher ja überhaupt keine Rolle mehr. Seine
früher auf diesen Gebieten so allgemein tonange-
bende Stellung ist seit der französischen Revolu-
tion und ihren weiteren Folgen mit samt seinen
481
Kitifiir und Kunst.
KAKL BI.KTm 11 MUNlHKN.
Herren/immer. Deutsche Werkstätten. \'erkaufsstelle Berlin, Bellevuestralie lo.
\ orrechten fast ganz vorbei. Was jetzt in dieser
Rezichunf5 bei uns dominiert und für die Kunst
wie überhaupt in Betracht kommt, ist dank
jener Revolution ein freies, mehr oder weniger
wohlhabendes Bürgertum, das zwar vielfach,
weil ja ziemlich plötzlich hochgekommen, noch
stark etwas Parvenümäßiges an sich trägt und
sich darum mit den früheren Trägern von Kunst
und Kultur, der alten eingesessenen Erb-Aristo-
kratie in seinen Empfindungen und kulturellen
Bedürfnissen in keiner Weise vergleichen läßt.
Aber es hat doch trotz alledem, indem es sich
im 19. .lahrhundert die Kultur-Resultate der
vergangenen Jahrhunderte zu eigen zu machen
versucht hat, unleugbar bereits eine gewisse
Stufe der Verfeinerung und Gesittung erlangt,
wie sie so breite Schichten der Bevölkerung
früher nie besessen haben. Etwas Bäuerisches,
etwas Primitives, etwas Derbes und Aufdring-
liches paßt in dieses nicht mehr im geringsten
herein, ebenso wenig wie etwas zu Raffiniertes,
zu sehr Verfeinertes, zu Glanzvolles. Gediegene
Vornehmheit , gesunde Veredelung muß man
hier erstreben, das, was das Empire, die erste
bürgerliche Kunst, die wir besessen, zuerst an-
gestrebt hat und mit vollem Erfolge, bisweilen
reicher, bisweilen einfacher, je nach den Lebens-
gewohnheiten und Mitteln derjenigen, die diese
Kunst besitzen sollen. Die Kunst aber hat auch
innerhalb dieser Grenzen noch immer genug
Möglichkeiten, sich zu betätigen und auszuleben,
und sie kann dies dann mit um so größerer
Frische tun, weil sie von vornherein nun weiß,
daß die Grundlagen, auf denen sie baut, dieje-
nigen sind, die ihr den allgemeinsten Erfolg ver-
sprechen. Ganz ohne diese aber wird sie nie-
mals auskommen können. e. Zimmermann.
Es gibt tun- eine Weise, gute Kunst zu erlangen
— die eiiifiidisle und zugleidi die sdiwieiigste —
nämlich sie zu genielien. |. Ruskin.
482
KARL BERTSCH^MÜNCHEN.
KAMINECKE EINES HERRENZIMMERS. DEUTSCHE WERKSTÄTTEN. VERKAUFSSTELLE IN BERLIN.
X91L VI. 8.
1
KARL BERTSCH .MUNClltN.
HERREN-/.IMMKR. DEUTSCHE WERKSTÄTTEN. AUSGESTELLT IN DER VERKAUFSSTELLE BERLIN, BELLEVUESTR. 10.
48^
* I'LA.RL BERTSCH. HERJ<_ENZIMMER. -x-
Dl.UTSCHK WFJiKSTÄTTKN !• Ü K HANDWERKSKUNST.
VERKAUFS-STELLE BERLIN, BELLEVUE-STRASSE 10.
llK
l'ROFESSOR A. NIEMEVER— MÜNCHEN.
SOPHA-ECKE EINES WOHNZIMMERS.
LUCLL.N BlKNilARLi liKRLl.N. DEUTbClU; WIlKKS I.V I TEN. VERKAUFSSTELLE BERLIN, BELLEVUESTR. 10.
KARL BERTÖCH MÜNCHEN.
AUS EINEM HERREN-ZI^^MER. DEUTSCHE WERKSTATTEN. .AUSGESTELLT IN DER VERKAUFSSTELLE BERLIN.
.fSS
KART, BERTSCH MÜNCHEN.
HERKEN-xnMMER.
ARCHITEKT KARL liERTSCH— MÜNCHEN. HERREN-ZTMMER. DEUTSCHE WERKSTATTEN. VERKAT'FSSTEI.LE BERLIN.
1911. VI. 9.
489
Schriftbeispiele aus vergangenen Jahrhunderten.
CHARLOTTE KRAUSF.. Bestickte I'ensteivorhänge.
SCHRIFT-BEISPIELE
AUS VERGANGENEN
JAHRHUNDERTEN. Ru-
doHvonLarisch ist mit
der vierten Serie seiner
„Beispiele künstleri-
scher Schrift" (Wien,
A. Schröll & Co.) unter die
Schat5gräber gegangen.
Dem Archiv des Ordens
vom Goldenen Vließ hat er
Dokumente und Briefe aus
dem 15. und 16. Jahrhun-
dert entnommen; natürlich
tat er das nicht ohne tak-
tische und pädagogische
Absicht. An der einheit-
lichen Qualität dieser Blät-
ter will er darlegen die für
unsere Begriffe erstaunlich
hohe Schriftkultur jener
Zeit, die am Hofe des
Königs von Aragonien und
Sizilien, des Herzogs von
Cleve, der Könige von
England, Spanien, Neapel
und Polen das gleiche
gute Niveau hatte, wenn
PROFESSOK KicH. RIEMERSCHMID. Fenstervorhang
Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst.
auch zu bedenken wäre,
daß die Schreibmeister
dieser Fürsten doch von
der Zunft gewesen sind.
Aber selbst unter unse-
ren Berufs - Kalligraphen
gibt es kaum einen, der mit
solch individueller Delika-
tesse und objektiver Klar-
heit, mit solch technischer
Selbstverständlichkeit und
verblüffenden Raumbewäl-
tigung ein Blatt zu be-
schreiben vermöchte. Es
mag paradox klingen, von
der Schönheit einer repro-
duzierten Briefsammlung
zu sprechen; aber das
Auge empfängt hier wirk-
lich sinnliche Befriedigung.
Und man kann nur wün-
schen, daß die Absichten
Larischs richtig aufgefaßt,
und daß unsere Schreiber
durch derartige Vorbilder
zu ähnlich hohen Qualitäts-
leistungen angespornt wer-
den. - — P. WESTHEIM.
490
PROFESSOR A. NIEMEYER.
SCHLAFZIMMER.
ALEXANDER V. SALZMANN. SCHLAFZIMMER. DEUTSCHE WERKST.\TTEN. VERKAUFSSTELLE BERLIN, BELLEVUESTR. 10.
BLUMENSi'HALKN UND VASEN IN KRISTALLGLAS.
DEUTS( HE WERKSTÄTTEN V. HANDWERKSKUNST.
KLEINE KUNST-NACHRICHTEN.
ii;i;RrAR I9li.
EIN LADEN VON PETER BEHRENS. In der
Königgrätjerstrafie, zwischen Potsdamerplatj
und Tiergarten, in diesem, von der Ruhe der Mi-
nistergärten und der Millionärs-Etage zum exklusi-
ven Geschäftsviertel sich wandelnden Block, hat
Peter Behrens für die A. E. 0. einen Laden ge-
baut. Er schuf eines der wenigen Beispiele spe-
zifisch merkantiler Architektur. Eine prachtvolle
Nüchternheit und ein geschärfter Instinkt zum We-
sentlichen gestalteten den Raum, indem sie ihn
entkleideten. Man empfängt den Eindruck einer
höheren, geistigen Nacktheit ; die Kälte einer messer-
scharfen Rechnung, der ungemilderte Rhythmus
der Notwendigkeit, sieht einem in das Gesicht.
Ohne irgend welche Symbolik oder angelehnte
Form, allein durch die Verhältnisse, durch die ge-
schmeidige Strenge und die stolze Gastfreundschaft,
lebt in diesem Laden die Elastizität und die Rein-
heit der Antike, spartanische Askese, Athens Gym-
nasium. Doch würde man nicht einen Augenblick
sich historisch verführt glauben; man spürt wohl
den Bogen rückwärts zum klassischen Kodex, aber:
man empfindet bewuJ3t die eiserne Gegenwart, man
erwartet und sucht die Maschinen. Die Wandun-
gen sind weifi; ein schlichter Zahnschnitt sondert
die Decke, deren Achse durch Beleuchtungskörper
von straffer Reinlichkeit betont wird. Aus gläser-
nen Platten und metallenen Streifen wurden die
Tische aufgestellt, und Schauschränke gefügt. Man
erkennt, daß solche geschliffene Präzision die al-
lein mögliche Art ist, die Kraftgefä|3e und Werk-
zeuge der Elektrizität zur Schau zu stellen. hk.
MAGDEBURG. Das Kaiser Friedrich-Museum
sucht allmählich die Lücken in seiner Ge-
mäldesammlung zu schließen. In dieser Absicht
ließ es sich zwei große Kartons aus der Nazarener-
zeit schenken: von Schwind eine schwebende
Frauengestalt mit Putten, eine Allegorie der Kunst,
und von O verbeck eine stark sentimentale Gruppe,
Christus mit Maria in der Engelsglorie. Dann
wurde die schöne Stiftung des verstorbenen Geh.
Kronenrats Wolff dazu benußt, um einen Leibl
zu erwerben, der diesen großen Künstler besser
repräsentiert als die zwei unbedeutenden Studien-
köpfe, die das Museum bisher besaß: das lebens-
große Bildnis seiner Schwester um 1867, das in
der Jahrhundert-Ausstellung 1906 ausgestellt war.
Die flockig-weiche Malerei seiner frühen Zeit, auf
schwarzem Grund, der aber noch ziemlich langweilig
wirkt, ist sehr gut an den Fleischteilen und dem
grau-weißen Halskragen zu studieren. Außerdem
wurde aus demselben Fonds ein frühes Genrebild
von Knaus (1864) gekauft für einen „amerikani-
schen" Preis auf ausdrücklichen Wunsch der Stadt-
verordneten-Versammlung.
<t
1)RAG. Jahres-.Ausstellung des Vereins deutscher
bildender Künstler in Böhmen. (Künstlerhaus
Rudolfinum). Eine gute deutsche Ausstellung auf
dem heißumstrittenen Prager Boden hat nicht nur
künstlerischen, auch nationalen Wert. Die gegen-
wärtige Ausstellung ist reichhaltig, interessant, hat
verzügliche Qualitäten und - was durchaus nicht
zu unterschät3en ist — wird von deutsch-böhmischen
4y^
VASEN UND BLUMENTul'F-HÜLLEN.
DEUTSCHE WERKSTÄTTEN FÜR HANDWERKSKUNST.
JAPANISCHE KÜKBCHEN.
DEUTSCHE WERKSTÄTTEN KÜR HANDWERKSKUNST.
Kkine Kutist-Nachrichten.
1
u
Kl .uiiiiiiip
Künstlern aus eigener Kraft bestritten. Drei der
neun, von Architekt Oskar Schober in ge-
schmackvoller Weise in Szene geset5ten Räume
sind Kollektionen gewidmet. Prof. Hugo Steiner
hat seine trefflichen buchgewerbliehen und illustra-
tiven Arbeiten gesammelt, unter denen besonders
die Zeichnungen zu E. T. A. Hoffmann die Phan-
tasien des Dichters in kongenialer Weise versinn-
lichen. Die durch'ihre kunstgewerblichen Arbeiten
berühmte „Wiener Werkstätte", zu deren
besten Mitarbeiter die Deutschböhmen Richard
Teschner, Prof. Berthold Löffler, Michael
Powolny zählen, hat in einem aparten, mit Bildern
von Teschner und Löffler geschmückten Räume
ihre vorzüglichen, richtunggebenden Arbeiten aus-
gestellt. Ein weiterer Raum ist Willy Nowaks
antikisierenden, in delikaten grauen Farben ge-
malten Bildern gewidmet, die eigenartige stim-
OBEN ; GESTICKTE KISSEN. KNTWI-RF: PKOI-KSSOR l). PRUTSCHEK.
unten: elektrische TISi:HI.AMPEN. ENTWURF: KART. BERTSCH.
WERKSTÄTTEN
HANDWERKSKUNST,
494
Kleine Kunst -Nach richten.
mungsreiche und zarte Wirkungen hervorbringen.
Unter den Plastil<ern fallen Prof. Alois Rieber
und Karl Wilfert d. J. mit neuen, trefflichen
Werken auf. Sehr gute Porträts bringen Alfred
Justitj, Urban Janke, Georg Jilovski,
Otty Schneider. Nebstdem bilden Alois Wierers
glänzende Phanfasiebilder, Georg Kars' leuch-
tende Impressionen, Lily Gödl-Brandhubers
Landschaften, Erzsi Hoppes flotte Mädchen,
O. Th. W. Steins eigenartiger Zyklus ganz lichter
Bilder, Karl Reis' Holländer Mädchen, Ferdinand
Staegers prachtvolle Schwarzweißzeichnungen,
Max Pollaks kraftvolle Radierungen die größten
Anziehungspunkte der Ausstellung. — Man kann
diese Vereinigung aller jungen , frischen künst-
lerischen Kräfte Deutsch-Böhmens zu dem schönen
Erfolge dieser Ausstellung voll Kraft und Leben
nur von Herzen beglückwünschen. - j.
oben; KISSEN. ENTW.: PROFESSOR O. PRITSCHER. CH. KRAUSE.
UNTEN : TISCHLAMPEN, KARL BERTSCH. RICHARD RIEMERSCHMID.
495
Kleine Kumt-JVachrichten.
DANZlü. In diesen alten Hansestädten bedarf
die Kunstpflege eines besonderen, feinfühligen
Taktes. Dem Erbe der Väter, dem üeschichtsruhm,
heiJ5t es gerecht werden; man soll die Denkmale
ehren. Daneben aber verlangt das natürliche Wachs-
tum der Stadt nach moderner Gestaltung. Wir
haben längst erfahren, dafi das scheinbar selbst-
verständliche Mittel, solche Doppelforderung zu
befriedigen, das naive Fortset5en der Gotik oder
des Barod<, nur zu Niederlagen und schwächlicher
Maskerade führt. Wir lernten, daß das Geset5 der
Pietät sich darin erschöpft: die Qualität und die Emp-
findungstiefe der Alten zu wahren. Und wahrhaftig,
das neue Danzig müfjte eine der schönsten Städte
Deutschlands werden, nähme man den Langen
Markt, dieses Juwel des Städtebaues, oder den
abenteuerlich schönen Karpfenseigen, oder das
donnernde Glorie der Marienkirche, was Würde
und Temperament betrifft, zum Maj^stab des neuen
Wollens. Es läfjt sich feststellen, dag solches hier
und da geschieht. Freilich eine moderne Tradition
des architektonischen Ausdruckes hat dies Paradies
des Backsteines noch nicht wieder gewonnen. Hier
und da pflegt man wohl gar eines Irrtums. Etwa:
die Vordergeländer der Beischläge, dieser bizarren
Vorbauten, stehen zu lassen, während die eigent-
lichen Körper fallen und zur Straßenbreite gefügt
werden, das wird nicht gut tun, wird etwas Halbes
und Klägliches bleiben. Ferner: der Polychromie
kann leicht ein Zuviel getan sein. Es stimmt schon,
die im Musikalischen schwelgenden, mit Licht und
Schatten spielenden Bewegungskomplexe des Ba-
rock unterstü^ten das Orchester der ausladenden
Gesimse, des Rollwerkes, der Profile, Wangen,
Vasen und Figuren durch die Farbe. Indessen,
die vom Grau zum Schwarz klingende Patina aus
Ruf; und Nebel gab den alten, viel umwetterten
Zeugen eine so selige, zeitdurchträumte Stimmung,
daf) nur die größte, zarteste Vorsicht das roman-
tisch Malerische durch Malerei erset5en darf. Ein
pompejanisches Rot und eine süße Rokokobuntheit,
auch eine mit dem Schwamm getupfte Manier
empfand ich bereits als Durchbrechen der be-
dingten Zurückhaltung. — Für das neue Danzig
trägt die junge technische Hochschule einen er-
heblichen Teil der Verantwortung. Drei Namen sind
zu nennen: Carsten, Weber, Pfuhle. Carsten
hat der Schule selbst das Haus gebaut. Dessen
Weilräumigkeit ist zu loben. Minder glücklich ge-
lang die formale Mischung von Historizismus und
Wallot. Sie stört besonders in der Eingangshalle
und im großen Wandelflur vor der Aula. Wesent-
lich befriedigender ist das Eigenhaus, das Carsten
sich in Langfuhr gebaut hat; ein amüsantes, mit
Scherzen nicht überladenes Architektenheim.
Webers bedeutsamste Leistung ist das Kurhaus
im nahen Zoppot. Die Aufgabe war sehr schwierig.
496
Vieles ist gelungen. Die Ganzheit der Baumasse
gewährt einen kräftigen, zugleich freundlichen
Eindruck; die rosa getünchten Mauern sind im
Rhythmus eines Landschlosses gegliedert. Doch
spürt man das Programm des wirtlichen Hauses,
die Unterkunftsstätte für Tausende, die Restau-
ration, den Theatersaal. Das Innere des Kur-
hauses birgt manche trefflich geratene Lustig-
keit; besonders mit der Farbe wurde keck und
glücklich gearbeitet. Vieles wäre wohl noch besser
geworden, wenn die Hast nicht gar so im Nacken
gesessen hätte; dann wäre vielleicht für die über-
all, bis zum Verdruß angewandte Wischmarmorie-
rung und Herauswischmalerei auch einmal etwas
anderes gefunden worden. Am auffälligsten ist der
große Musik- und Theatersaal; orange über gelb
lasiert, mit reicher Vergoldung und flotter Orna-
mentik. Wesentlich schwächer ist ein blauer, mit
Stanzen und Grottenmalerei überlasteter Saal. —
Neben den beiden Genannten ist Pfuhle der spezi-
fisch modern empfindende Künstler. Er ist Maler.
Ciern erinnern wir uns seiner milden und von klingen-
der Freude erfüllten Bilder. Von Jahr zu Jahr ge-
wannen sie an Größe und Reinheit des Ausdrud<es.
Immer mehr entkleideten sie sich eines kunstge-
werblichen Einschlages und wurden erfüllt von
Menschlichkeit und Musik. - kohkrt urei-er.
Ä
ZWEI BRÜCKEN VON ARNO KÖRNIG. (Kon-
struktion von Baurat Krause.) Berlin hat be-
griffen, daß für jeglichen Hochbau die Rechnung
des Ingenieurs nicht hinreicht; daß die Hinzu-
ziehung eines Architekten notwendig ist. So arbei-
tet denn auch die Tiefbauabteilung, wenn sie etwas
Oberirdisches schafft, der Erkenntnis gemäß mit
einem Künstler. Jetjt hat Arno Körnig zwei größere
Wasserüberführungen fertig gestellt. Am Ausgang
des Westens die Cöthener Brücke und eine im
fernsten Moabit. Körnig traf ausgezeichnet den
Ton, den die Umgebung bedingt. Im Westen ist er
diskret und anmutig, im Norden robust und heiter.
Hier wie dort aber wahrte er das Maß, das dem
Schönheitshelfer des Eisenkonstrukteurs gesetjt ist.
Bei der Cöthener Brücke wählte er einen grauen
Kalkstein für die Widerlager und die Rampe; die
Fahrbahn wurde durch eine Platte aus rotem Granit
hervorgehoben. Ein hellgrün gestrichenes Gitter
aus Schmiedeeisen, um einige bronzene Schmuck-
stücke bereichert, wirkt als Dominante. Völlig
anders in Moabit. Da wurden für die Wider-
lager und die großen, die Uferstraße überwöl-
benden Bogen unbehauene Findlingsblöcke ver-
wandt. Alle Wirkung ist auf die Horizontale ein-
gestellt; die Riesenschornsteine der Elektrizitäts-
Werke paralysieren. Nur acht, paarweise ge-
koppelte Lampenmasten ragen auf und mehren
den Trotj des Bollwerkes. - breuer.
Inhalts-Verzeichnis.
BAND XXVII
Oktober 1910 — März 1911.
TEXT -BEITRAGE:
Kunst, Kunstgewerbe und Publikum. Von
Arthur Roeßler — Wien ....
Etwas über Kunstbesitz. Von Franz Ser-
vaes — Wien
Das Kunsthaus in Zürich. Von Dr. C. H.
Baer — Zürich
Eindrücke von der Brüssler Welt-Ausstellung.
Von Dr. H. Muthesius.— Berlin
Haus Kestranek in St. Gilgen
Brauchbare Gartenkunst. Von Dr. K.
Schaefer^Bremen
Eine moderne Wohnung in Brunn. Von
Karl Hans Strobl — Brunn .
Hygiene in der Wohnung. Von H. Lang-
Danoli — Darmstadt
Die Quellen des Behagens. Ein wichtiges
Kapitel unserer heutigen Wohnkultur.
Von Kuno Graf Hardenberg
Münchner Künstler-Kaulitz-Puppen
Redaktioneller Wettbewerb : Monogramme
und Signets
Otto Hettner — Florenz. Von Paul Fechter
— Berlin
Paul Gauguin. Von Dr. Meyer-Rief stahl
— Paris
Bildhauer Bernhard Hoetger. Von Otto
Schulze — Elberfeld .....
Die Ausstellung als Kunstwerk. Von Hans
Schliepmann
Der Damen-Salon im Hause Brakl — München.
Die Wiedergeburt des Monumentalen. Von
Robert Breuer
Schmuckplätze unserer Großstädte. Von Dr.
Hermann Diez
Die Zukunft unserer Baukunst und der Heimat-
schutz. Von Dr. K. Schaefer-Bremen
Walther Georgi — Karlsruhe. Von Willy
Frank — München
Künstler und Helden. Von Dr. E. W.Bredt
— München
Seite'
3-8
33—37
38—40
47-5"
55—63
64—66
75 — 77
84
87-
-91
103—
108
109 —
116
116—
123
127—
•3'
■33-
134
'39-
148
148-
156
158-
'72
185-
193
194—
'95
Moderne Galerie^ — München. Von Wilhelm Seite
Gebhard — München 199 — 203
Bildhauer Georg Kolbe — Berlin. Von Lothar
Brieger- Wasservogel — Berlin . 207 — 210
Deutsche Medaillen und Plaketten. Von Dr.
W. V. Grolmann — Wiesbaden . . 211 — 214
Die Münchner Mohammedanische Ausstellung.
Von Dr. R. Meyer- Rief stahl — Paris 217^225
Eine deutsche Welt - Ausstellung ? Von
Alexander Koch — Darmstadt. . 226 — 228
Der deutsche Stil. Von Wilhelm Michel
— München . 228 — 234
Ludwig Hohlwein — München. Von Wilh.
Michel — München 237 — 251
Franz Christophe — Berlin. Von Norbert
Falk — Berlin 252 — 254
Der Berliner Schaufenster-Wettbewerb. Von
Robert Breuer 263 — 264
Olbrich in der Akademie. Von Dr. P. F.
Schmidt — Magdeburg 264
Stadttheater für Hagen i. W. ..... 266
Neue photographische Kunstwerke von Frank
Eugene Smith. Von Wilh. Michel
— München 269 — 277
Neue technische Möglichkeiten. Von Dr.
Ernst Jaff^ — Friedenau .... 277 — 282
Erste Ausstellung der s Künstlervereinigung
Dresden«. Von Dr. E. Bender . . 291 — 294
Die Eroberung des Kunstwerkes. Von Rob.
Breuer 298 — 310
Landliche Häuser von Heinrich Straumer.
Von Anton Jaumann — Berlin . . 313 — 320
Puppen von Lotte Pritzel. Von Wilhelm
Michel — München 329 — 338
Edles Material. Von Paul AVestheim —
Berlin 338
Deutsche Graphische Ausstellung in Leipzig 339
Erziehungsstätte für künstlerische Photographie.
Von Dr. M. K. Rohe — München . 345 — 348
Das Haus Benker in Dörflas. Von Prof.
Karl Mayr — München .... 351 — 354
Heimatkunst. Von Dr. E. Utitz-Rostock 354—373
I
Architekt Ino A. Campbell. Von Fritz Seite
von Ostini — München .... 374 — 381
Mosaik, Glasmalerei und Mosaikverglasung.
Gedanken eines Praktikers. Von Leop.
Forstner — Wien 383 — 386
Bühnenbilder und Kostüm-Entwürfe zu »Der
Musikant«. Zwei Akte von Jul. Bittner.
Von Prof. K. Moser — Wien . . . 388—392
Franziska Brück — Berlin. Von Geheirarat
M. Lehrs — Dresden 393 — 398
Die dänische Ausstellung. Von Robert
Breuer — Berlin 399—405
Bodenständigkeit. Von Architekt Joseph
Rings — Offenbach 407 — 408
Hermann Demburg 410
Adolf Hengeler — München. Von Wilh.
Michel — München 415—424
Schöne, spottbillige alte Sachen. Von Paul
Westheim — Charlottenburg . 427
Technische Kultur und Erziehung. Von
Direktor Dr. A. Pabst — Leipzig 430 — 436
Jugendheime 43 ö
Wettbewerb für das Bismarck-Natinnal-Deuk-
mal. VonProf. Dr. M. Seh mid- Aachen 437 — 443
Die Gartenstadt Hellerau. Von Robert
Breuer — Berlin 447 — 465
Vom Kleinwohnhaus. Von L.-D. . . . 465
Gartenstädte und Baupolizei. Von Dr. P. F.
Schmidt — Magdeburg .... 466 — 468
Kunst und Kultur. Von Prof. Dr. Ernst
Zimmermann — Dresden .... 472 — 482
Ein Laden von Peter Behrens 492
ABBILDUNGEN
(SACHLICH ZUSAMMENGESTELLT);
Ankleidezimmer S. 28 1 ; Arbeiterwohnungen S. 96 —
97; Architektur S. 22—28, 38—39, 46, 94, 129, 139
— 143. 265, 312-317. 320—322. 35'. 374—375.
406 — 409, 437 — 441, 446 — 467; Ausstellungsgebäude
und -Räume S. 22 — 28, 94 — 96, 129, 139 — 147, 206;
Bibliothekszimmer S. 238 — 239, 285 ; Blumenarrangements
S. 393 — 398; Bluraenbehälter , Blumenkübel, Blumen-
ständers. 160 — 163, 166 — 169,393 — 398. 493; Bronzen
S. 159, 224, 290; Bucheinbände S. 153, 41 1; Damen-
zimmer S. 62, 138, 472; Denkmäler S. 437 — 441;
Edelmetall-Arbeiten S. 78 — 79, 160—178, 399; Emp-
fangszimmer S. 241 — 242, 469—471; Erker- u. Fenster-
anlagen S. 59, 61, 485, 490; Figurinen und Kostüme
(Theater) S. 388 — 392; Frühstückszimmer S. 234; Gar-
deroben S. 367; Gärten S. 47 — 51; Gartenanlagen und
Gartenarchitektur S. 47 — 51, 94, 368 — 372; Gartenmöbel
S. 49 — 50; Gemälde S. 2 — 5, 7, 9 — 21, 102 — 115,
132 — 138, 184 — 195 — 203, 216, 292 — 306, 414 — 436;
Gläser und Pokale S. 162, 492; Glasmalereien und Kunst-
verglasungen S. 52, 382 — 386; Hallen und Dielen S. 43,
235. 279, 319, 323; Herren- und Arbeitszimmer S. 45,
61, 240, 243, 285, 359, 364—365, 454—455. 473.
482—485, 488—489; Hüte S. 181 — 182; Kamine und
Öfen S. 43, 45, 279, 282, 318; Kassetten und Dosen
S. 82, 150, 152, 166, 223; Keramik S. 83, 218 — 221,
225, 326 — 328, 493; Keramik, figürliche S. 68 — 69,
100, 154 — 158; Kissen und Decken, gestickte S. 80 — 81,
256 — 259, 494 — 495; Kleinwohnhäuser, Ein- und Mehr-
Familienhäuser S. 96, 407 — 409, 457 — 465; Kostüme
(Gesellschafts- und Straßen-) S. 70 — 73; Küche S. 66,
97; Lampen und Leuchter S. 83, 179, 494 — 495; Land-
häuser und Villen S. 38—39, 46, 312 — 317, 320 — 322,
446, 463, 467; Lauben und Gartenhäuschen S. 47 — 48,
50; Lederarbeiten S. 153, 411; Malerei (dekorative)
S. 132 — 138, 145, 190, 196 — 197; Metallarbeiten S. 67,
82, 166 — 167; Möbel (verschiedene) S. 64, 74, 149, 247,
250; Monogramme und Signets S. 87 — 93, 260 — 262;
Musikzimmer S. 278, 324 — 325,356 — 357,377; Photo-
graphie (künstlerische) S. 268 — 276, 344 — 349; Plakate
S. 229 — 233, 291; Plaketten und Medaillen S. 211 —
214; Plastik (figürliche imd omamentale) S. 28, 30 — 33,
68 — 69, 99 — ICD, 118 — 126, 154 — 159, 204 — 205,
207—214, 217, 223, 290, 307—310, 368—372, 387;
Puppen S. 84 — 85, 329 — 338; Radierungen S. 255;
Salon und Empfangszimmer S. 54, 352 — 353, 361;
Schlafzimmer S. 63 — 65, 97, 237, 248 — 251, 284, 288,
381, 476 — 479, 491: Schnitzereien (Holz und Elfen-
bein etc.) S. 217, 223; Schreib- und Rauchzeuge S. 151
— 152, 412; Schreibtische S. 63; .Schmucksachen S. 79,
170 — 178, 399; Speisezimmer S. 40 — 42, 52 — 53, 58
—59, 244—247, 318, 363, 474—475, 480; Spielzeug
S. 340 — 341; Stickereien S. 80 — 81, 256, 258 — 259,
400 — 405, 494 — 495; Szenerien S. 383 — 392; Tafel-
dekoration S. 75, 393 — 398; Tafelgeräte S. 75, 78 — 79,
160 — 165, 168 — 169, 179, 399; Teeraum S. 378 — 379;
Teppiche S. 222; Treppenhäuser S. 24, 319,468; Uhren
S. 67 — 68, 151, 167, 412; Vignetten S. 86, 373; Vitrinen
S. 55; Vorhänge S. 490; Wohnzimmer S. 56, 96 — 97,
235, 282, 287, 487; Zeichnungen S. 86, 252 — 253.
KLEINE KUNST- NACHRICHTEN:
Berlin . S. 174. 178. 263. 266. 339. 411. 496
Brüssel 96
Cöln 342
Daiizig 496
Darmstadt 99. 100. 265, 342. 410
Elberfeld 9». 342
Hagen i. W 266
Hannover 339
Herford 94
Leipzig 339
Magdeburg 342. 492
München 178
Prag 492
Schleswig-Holstein . . 412
Wien 1)8
Worms 410
■ Namen -Verzeichnis.
■ ■■
Seite
■
Seilt ■
■ Aufseeser, Ernst — München
259
Georgi, Prof. Walther — Karlsruhe . . .
184-
-197 ■
5 Baer, Dr. C. H.— Zürich
22 — 28
Gosen, Prof. Th. von — Breslau ....
214 S
■ Beckert, Fritz — Dresden
299
Greve-Hamburger, Katharina — Charlottenburg
258 ■
■ Bahn, Fritz — München
21 I
Grolmann, Dr. W. von — Wiesbaden .
211-
-214 ■
J Bembe, A. — Mainz
278—288
Gußmann, Prof. Otto — Dresden 297.
304.
306 2
■ Bender, Dr. Ewald— Berlin 174—178. 266.
291—294
Habich, Prof. Ludwig — Stuttgart ....
214 ■
■ Bendrat, Arthur — Dresden
298
Hardenberg, Graf Kimo — Dresden 75 — 77.
99 ■
_ Berlin, Königl. Porzellan-Manufaktur . . .
326
Hahn, Prof. Herrn. — München 212 — 213.
437 s
■ Bernhard, Lucien — Berlin
487
Hayeck, Hans — Dachau
304 ■
■ Bertsch, Karl — Dresden 472 — 477. 482 —
Hegenbarth, Prof. E. — Dresden ....
303 ■
5 485. 488—489.
494
Hengeler, Prof. Adolf — München . 2—5.
414-
-436 s
■ Bestelmeyer, Arch. Herrn. — München
437
Hentschel, Schwanhild — Buchholz ....
262 ■
■ Binz, Herrn. — Karlsruhe
68—69
Hettner, Otto — Florenz
102-
-108 s
J Bleeker, Bildhauer, Bemh. — München
44'
Hildebrand, Prof. Dr. A. von -München
212 J
■ Bosselt, Rud.— Düsseldorf
213
Hoetger, Bernhard— Elberfeld . 118 — 126.
204-
-205 ■
■ Brantzky, Arch. Franz — Köln
439
Hofer, Ton— Wien
262 ■
" Brauchitsch, Margarete von — München
80—81
Hoffmann, Prof. J. — Wien 149. 151 — 153.
■ Bredt, Dr. E. W.— München
194—195
164—169. 176 — 177.
'79-
180 ■
! Bredow, Prof. G. A. — Stuttgart ....
328. 387
Hohlwein, Ludwig — München
229-
-25' z
■ Breitnieser, Georg — Langstadt
262
Holtz, Johann — Berlin
411 ■
g Breuer, Rob. — Berlin 133—134. 139 — 148.
Hömlein, Fritz— Dresden
2'3 ■
■ 263—264. 298—310. 339—342. 399
Hoyer, Theodor — Neu-Babelsberg ....
260 ■
■ — 405. 412. 428.
447—465
Jaffe, Dr. phil. Ernst — München ....
277-
-282 ■
_ Bricger- Wasservogel, Lothar — Berlin . . .
207 — 210
Jaumann, Anton — Berlin
313-
-320 5
■ Brück, Franziska — Berlin
393—398
Jensen, Georg
399 ■
■ Büttner, Erich — Berlin
90
Jost, Heinrich — München
262 z
" Campbell, Arch. Ino A. — München . .
374-381
Kaufmann, Prof. Hugo — Charlotten bürg .
213 5
■ Christophe, Franz — Berlin
252—255
Kaulitz, Marion — Gmünd am Tegemsee
84
-85 ■
H Ciujel & Moser — Karlsruhe
22—28
Kirsch, Hugo F. — Wien
327 s
■ Czeschka, Prof. C. O.— Wien
150. 170
Kniebe, Bildhauer, Walter— Düsseldorf . .
438 ■
■ Dasio, Prof. Max— München
213
Koch, Hofrat, Alexander — Darmstadt . .
226-
-228 s
J Deutsche Werkstätten für Handwerkskunst
Koch, Herta — Dannstadt
256-
-257 s
■ G.m.b.H. -Dresden 82— 83. 258— 259.
447—495
Kolbe, Georg — Berlin
207-
-210 ■
■ Dienst, Paul — Dresden
261
KoUmar, W
68 S
g Diez, Dr. Herrn. — Berlin-Friedenau . .
148 — 156
Koenig-Woemer — Freiburg
412 ■
■ Elkan, Beimo — Karlsruhe
212
Kömer, Max — Stuttgart
89 ■
■ Engelmann, Bildhauer, Richard — Dahlem
99
Kowarzik, Prof. Jos. — Frankfurt a. M. . .
214 ■
_ Erler-Samaden, Erich— München . . . .
18. 21
Krause, Ch 82.
488.
495 S
■ Eyermann, Bruno — Leipzig ... . .
92
Krame -Rudolf, Lotte — Dresden ....
93 ■
■ Falk, Norbert— Berlin
252—254
Kuebart, Architekt, K. — Barmen 281 — 282.
287-
-288 ■
J Fechter, Dr. Paul— Berlin
1 03 ^ 1 08
Kurz, Arch. Otho Orlando — München . .
441 s
■ Feiten, Rudolf — Hamburg
261
Kuno, Laura — Stuttgart
260 ■
■ Fischer, Reg.-Baumeister, Alfred — Düsseldorf
438
Lang-Danoli, H. — Dannstadt
64
—66 S
J Fischer, Prof. Th.— München . . . 406.
446. 463
Lange, Arthur — Dresden
308 ■
■ Fischer, Otto— Dresden
293
Läuger, Prof. Max — Karlsruhe
83 ■
■ Frank, Willy — München
185 — 193
Lehr- und Versuchs-Atelier für Photographie
g Forstner, Leopold — Wien
■ Fuchs, Joseph — Stuttgart
382—386
93
— München
344-
393-
-349 S
-398 ■
Lehre, Geheiim-at, Max — Dresden ....
■ Gauguin, Paul
109 — 1 15
199—203
Leipold, H
69 a
—79 5
J Gebhard, Wilhelm — München
Lettre, Emil — Berlin
78
■ Geiger, Willi — Florenz
86. 373
Löffler, Prof. B.— Wien
'54-
■ ■■■
-156 ■
■■■■■■
Loubier, Dr. J. — Friedenau
Lüdecke, Gustav. — Dresden
Majolika-Manufaktur^Karlsruhe ....
Maute, G. — Basel
Ma)T, Prof. Karl — München
Meyer-Riefstahl, Dr. R. — Paris 109 — 116.
Metzendorf, Arch. G. — Essen
Metzner, Prof. Franz — Berlin
Michel, Wilhelm — München 228—234.
237—251. 269—2;-. 329—338-
Missfeldt, Friedrich — Kiel
Moser, Prof. Koloman — Wien . . . 163.
Mohammedanische Ausstellung — München
Müller, A
Museum für Kunst und Industrie — Wien
Muthesius, Geheimrat, Dr. Herrn. — Berlin
33—37- 427- 4<"-
Nadler, Hans — Dresden
Nagel, Architekt, Fr. — Nürnberg . . 51.
Nielsen, Ewald
Niemeyer, Prof. A. — München ....
Nitsche, Julius — München
Osbom, Dr. Max — Berlin
Ostini, Fritz von — München
Otto, Prof. W.— Bremen
Pabst, Direktor, Dr. A. — Leipzig
Pepino, Anton Josef — Dresden
Peipers, Berta — Stuttgart
Pellar, Hanns — München
Pieper, Lotte — Offenburg
Pilz, Otto — Dresden
Powolny, Prof. M. — Wien
Pritzel, Lotte — München
Pritzsche, Martin — Berlin
Prutscher, Prof. Otto — Wien 13g — 147. 162.
Püttner, Walter — München
Putz, Prof. Leo — München
Reschke, Ernst — Berlin
Reutlinger, Atelier — Paris
Riegel, Prof. E. — Darmstadt
Riemerschmid, Prof. Rieh. — München 440.
447- 449-451- 454—459. 462—464.
468 — 471. 478 — 480.
Rings, Arch. Joseph — Offenbach a. M. .
Rodewald, Otto — Hamburg
Rohe, Dr. M. K. — München
Seile
4>'
262
68-69
261
35'— 354
217- 225
96
30—33
415—424
213
388-392
216 — 225
68
97
464—465
300- 303
368-372
399
487. 491
261
444
374—381
94-95
430—436
294
89
199—203
262
310
156—159
329—338
326
494—495
17. 19
132 — 137
326
70-73
100
490. 495
407—409
88
345—348
Römer, Prof. Georg^ — München . . . .
Roselius, Chr. — Bremen
Roeßler, Arthur — Wien
Rößler, Paul— Dresden
Salzmann, Alexander von
Saraberger, Prof. Leo — München . . . .
Schaefer, Dr. K. — Bremen . . 47 — 51.
Schellert, M. — Loschwitz
Schliepmann, Baurat, Hans — Berlin
Schmid, Geheimrat, Prof. Dr. Max — Aachen
Schmidt, Dr. P. F. — Magdeburg 264. 342.
Schregerle, Hans — München
Schulze, Direktor, Otto^Elberfeld . . .
Scott, Arch. Baillie^Bedford
Seidl, Prof. Emanuel von — München 38 — 46.
Servaes, Dr. Franz — Wien
Sigrist, Karl — Stuttgart
Smith, Frank Eugene — München ....
Sobainsky, Joseph — Breslau
Somoff-Mithailoff, Anna — St. Petersbiu^
Stahl, Dr. Fritz— Beriin
Steri, Prof. Robert— Dresden
Straumer, Arch. H. — Berlin
Strobl, Karl Hans — Brunn
Sturm, Paul — Berlin
Sutter, Prof. Konrad — Burg Breuberg
Teschner, Maler, R
Tessenow, Arch. H
Thannhauser, Heinrich — München ....
Thomsen, Chr.— Kopenhagen
Unger, Maler, Hans — Loschwitz ....
Utitz, Dr. Emil — Rostock
Vereinigung Nordwestdeutscher Künstler —
Herford
Vetterlein, Prof. E. — Darmstadt ....
Weltmann, Ella — Wien
Weltmann, Milla — Wien
Werner, Prof. Selmar — Dresden . . . ,
Westheim, Paul — Berlin . . . 178 — 181.
Wimmer, E. J. — Wien . 150. 160 — 163.
171-175- 178-
Wiener Werkstätte — Wien
Witzmann, Architekt, Carl — Wien 52 — 67
Wrba, Prof. Georg — Dresden . . . 212.
Zimmermann, Prof. Dr. Ernst — Dresden
Zwintscher, Prof. Oskar — Dresden
Seite
212 — 213
47 — 50
3-8
291. 297
258. 491
305
158-172
261
127— 131
437—443
466—468
326
1 16 — 123
467
351-367
8-21
262
268—276
92
400—405
443
295
312-325
55—63
212
340—341
167
461
199 — 206
100
7- 9-15
354—373
94—95
265
87
91
309
338. 427
180 — 182
139-182
74
290. 307
472 — 482
292. 301
l^M£mm
BINDING SECT. OCT 1 4 1976
N
3
Bd. 27
Deutsche Kunst und Dekoration
PLEASE DO NOT REMOVE
CARDS OR SLIPS PROM THIS POCKET
UNIVERSITY OF TORONTO LIBRARY
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