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Full text of "Deutsche kunst und dekoration"

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DEUTSCHE  KUNST 
UND  DEKORATION 


ILLUSTRIERTE  MONATSHEFTE 

FÜR  MODERNE  MALEREI 
PLASTIK  •  ARCHITEKTUR 
WOHNUNGS-KUNST  UND 
KÜNSTLERISCHE  FRAUEN- 
ARBEITEN 


DARMSTADT 

VERLAGSANSTALT  ALEXANDER  KOCH 


107680S 

N 
3 


DEUTSCHE  KUNST 
UND  DEKORATION 


HERAUSGEGEBEN   UND  REDIGIERT 
HOFRAT  ALEXANDER  KOCH 


BAND  XXVII 

OKTOBER    1910   -   MÄRZ    1911. 


ALLE    RECniE    VORBEHALTEN. 


JOH.  CONR.  HKRBHKI    -HHl-:  HOFHIT  H  [1R  l'CKERBl    NArHK.    DK.  ADOLF  KOCM,    DAKMSTAIJT. 


PROFRSSOR  A.  IIKNGELEk-MiTNClIF.N 

VH.(;j,MÄi,i'i'..   i'ni\'  \  r-  i'.i  :si  iz,  i>AUMsiAi>r 


PROK.  AD.   HENGELER. 


jPutte«.  Ölgemälde. 


KUNST,  KUNSTGEWERBE  UND  PUBLIKUM. 


VON  ARTHUR  ROESSLER-WIEN. 


\  \  Jir  wollen  uns  heute  nicht  mit  der  tüfteln- 
V  V  den  Untersuchung  aufhalten,  was  Kunst 
ist,  was  größere  oder  mindere  Kunst  ist;  wir 
wollen  auch  nicht  darüber  disputieren ,  was 
schön  ist,  denn  es  würde  uns  dies  zu  weit  ab- 
seits führen,  gibt  es  doch  vielerlei  Arten  der 
Schönheit.  Die  G  oncourts  nannten  schön,  was 
unerzogenen  Augen  abscheulich  vorkommt,  was 
deine  Dienerin  aus  Instinkt  scheußlich  findet; 
Rodin  hält  ein  Ding  nur  dann  für  schön,  wenn 
es  wahr  ist  und  hegt  die  Meinung,  daß  es  außer- 
halb der  Wahrheit  keine  Schönheit  gibt ;  Wiertz 
sagte,  das  Schöne  ist  weiter  nichts,  als  was  uns 
gefällt;  Constable  erklärte,  daß  es  überhaupt 
nichts  Häßliches  gibt,  daß  er  in  seinem  Leben 
niemals  ein  häßliches  Ding  sah,  denn  wie  immer 
die  Form  sein  mochte,  Licht,  Schatten  und 
Perspektive  machten  es  unter  allen  Umständen 
schön.  Wir  aber  halten  es  mit  Töpffer  und 
sagen:  das  Schöne  steht  über  und  außerhalb 
aller  Formeln,  worin  man  es  einsperren  möchte. 
Wir  wollen  uns  daher  heute  und  hier  damit  be- 
gnügen zu  wissen,  daß  Schönheit  beglückt ;  denn 
jeder  von  uns,  nicht  nur  der  Fachmann,  der  sich 


mit  Kunst  berufsmäßig  beschäftigt,  empfindet 
gewiß  das  eine  oder  andere  Ding  als  schön  und 
fühlt  sich  durch  das  von  ihm  als  Schönheit  Er- 
kannte höher,  besser,  freudiger  oder  ernster 
gestimmt.  Nun  ist  es  gewiß  richtig,  daß  das 
Verständnis  und  Empfinden  für  das  was  schön 
ist,  verfeinert,  vertieft,  verstärkt  werden  kann, 
daß  man  viel  zulernen  muß,  um  manchmal  er- 
kennen zu  können,  warum  ein  Ding  schön  ist; 
aber  eben  so  richtig  ist,  daß  in  jedem  gesunden, 
mit  seinen  unverdorben  vollen  Sinnen  begabten 
Menschen  das  Verlangen  nach  Schönheit  leben- 
dig wirkt.  Zum  Beweise  dessen  will  ich  nur  auf 
die  Naturvölker  hinweisen,  bei  denen  wir  oft 
einen  ganz  erstaunlich  entwickelten  Kunstsinn 
finden.  Das  Schönheitsverlangen  ist  demnach 
ein  menschlicher  Urtrieb. 

Gewiß  schreien  heute  mehr  Menschen  nach 
Brot  als  nach  Kunst.  Leider  mit  Recht.  Trotz- 
dem sollten  die  Menschen  an  der  Kunst  nicht 
gleichgültig  vorbeigehen,  denn  sie  gehört  nach 
der  übereinstimmenden  Ansicht  aller  großen  und 
irgendwie  bedeutenden  Männer  zu  den  zwar 
höheren,  aber  auch  wichtigsten  Lebensnotwen- 


Arthur  Roeßler-  Wien . 


PKÜFKSSdK 
ADOI.r 

.\ii'M  nl■;^ 


digkeiten.  Daß  Wissen  Macht  ist,  weiß  heute 
schon  jeder  Nichtanalphabet,  daß  die  Kunst 
Wissen  ist,  in  sinnlich  wahrnehmbarer  Form, 
und  daß  sie  reinstes  Glück  bedeuten  kann, 
ist  wenijjer  allgemein  bekannt.  Dabei  kann  man 
nicht  einmal  sagen,  daß  die  bildende  und  die 
angewandte  Kunst  dem  Begriffsvermögen  und 
der  Empfindungsfähigkeit  des  schwer  werken- 
den Handarbeiters  unfaßlich,  daß  sie  für  ihn  zu 
„hoch"  sei.  Gewiß  wird  er  auch  bedeutende 
Werke  der  bildenden  Kunst  verstehen  und 
genießen  können,  wenn  ihm  erst  einmal  der 
Weg  gewiesen  wird,  auf  dem  er  der  Kunst  nahe 
kommen  kann.  Doch  wie  fern  erscheint  einem 
dies  Ziel,  wenn  man  die  Trägheit  bedenkt,  mit  der 
sich  die  sozial  besser  gestellten  Mittelklassen, 
aus  welchen  sich  das  große  bürgerliche  Publi- 
kum der  Durchschnittsgcbildeten  zusammen- 
setzt, gegenüber  der  modernen  bildenden  und 
angewandten  Kunst  in  Unverständnis  und  flauer 
Gleichgültigkeit  verhalten.  Um  als  Volk  zu 
dauernder  Bedeutung  gelangen  zu  können, 
brauchen  wir  nicht  nur  tüchtige  politische  Öko- 


nomen, sondern  auch  Künstler,  oder  —  da  wir, 
ohne  der  dünkelhaften  tjberhebung  geziehen 
werden  zu  können,  sagen  dürfen,  daß  wir 
Künstler  schon  unser  eigen  nennen  —  ein 
kunstsinniges  Publikum.  Zu  unseren  Ko- 
lonien muß  auch  das  Land  Utopia  gehören. 
Denn  auf  geistige,  seelische  und  künstlerische 
Werte,  mögen  auch  zahlengeistige  Finanziers 
dagegen  zetern,  dürfen  wir  nicht  verzichten. 
In  unserer  Zeit  waren  in  England  R  u  s  k  i  n 
und  Morris  die  Prediger  in  der  Wüste,  in 
Deutschland  sind  es  heute  Lichtwark,  Mu- 
thesius,  Naumann,  Schultze-Naum- 
burg.  Van  de  Velde  und  viele  Andere, 
die  es  sich  angelegen  sein  lassen,  in  volkstüm- 
lich gehaltenen  Aufklärungsschriften  und  Vor- 
trägen über  Fragen  der  Kunst  und  Kultur  un- 
ermüdlich mit  klarer  Eindringlichkeit  immer 
wieder  daraufhinzuweisen,  wie  ungemein  wich- 
tig für  die  ersprießliche  Entwicklung  einer  wert- 
grädigen  Kultur  ein  kunstverständiges  Volk 
ist,  und  wie  andererseits  durch  die  Kultur 
eine    höhere   Kunst   erreicht  werden   kann.    — 


Kunst,  Kiinstoeiverbe  iind  Publikum. 


Durch  die  Kunst  wird  das  materielle  Leben 
schöner,  das  geistijSe  Leben  reicher,  und  das 
Bewußtsein  erfährt  durch  sie  seine  höchste 
Steigerung.  Um  diese  Wirkungen  der  Kunst 
auszulösen,  müssen  wir  uns  allerdings  mit 
ihr  in  innigste  Fühlung  bringen.  Das  gelingt 
uns  nur,  indem  wir  die  Welt  vom  Stand- 
punkt des  Künstlers  anschauen  lernen.  Um 
Anschauung  im  buchstäblichen  Sinne  handelt 
es  sich  also  eigentlich,  und  um  das  Begreifen- 
lernen der  Kunst  als  einer  lebendigen  Macht, 
als  eines  eingeborenen  Naturtriebes  des  künst- 
lerisch gearteten  Menschen.  Das  in  sinnlich 
wahrnehmbaren  Formen  sich  vollziehende  Vor- 
denken des  schaffenden  Künstlers  soll  nicht 
unbestimmte,  verschwommene  Gefühle,  „Stim- 
mungen" in  uns  erregen,  sondern  Anlaß  wer- 
den zum  ästhetischen  Nachdenken;  denn  mit 
dem  Gefühl  allein  ist  es  sowohl  im  Kunstver- 
stehen wie  im  Kunstschaffen  nicht  getan. 

Der  Weg  zum  Kunstverständnis  ist  nun  we- 
der leicht  noch  nahe,  und  allein,  ohne  Führer, 
beschritt    ihn    bisher  noch   jeder   unter    erheb- 


lichen Anstrengungen.  Es  wurde  daher  von  ver- 
schiedenen Männern  schon  oft  gesagt  und  das  Ge- 
sagte in  allerlei  Weise  oft  wiederholt,  daß,  na- 
menthch  im  heutigen  ungeheuer  verwickelten 
und  überwiegend  in  den  Großstädten  konzen- 
trierten modernen  Leben,  eine  Vermittelung 
zwischen  den  Künstlern  und  dem  Publi- 
kum notwendig  ist,  um  eine  Verbindung 
zwischen  beiden  überhaupt  herzustellen.  Diese 
Vermittelung  besorgt  fast  ausschließlich,  unter- 
stützt durch  instruktives  Anschauungsmaterial  in 
Form  technisch  vollendeter  Reproduktion  von 
Kunst-Originalen,  in  illustrierten  Zeitschriften, 
unter  denen  die  vorliegende  Zeitschrift  in 
unbestritten  mustergültiger  Weise  führt:  der 
dolmetschende,  auslegendeKritiker. 
Dem  Volke  ist  es  fast  unmöglich,  unmittelbar 
zum  Künstler  und  zu  dessen  Werk  und  zum 
Verständnis  und  Genuß  beider  zu  gelangen; 
es  braucht  vielmehr  einen  Wegweiser,  ja  manch- 
mal sogar  einen  Marktschreier,  der  es  zu  den 
Sehenswürdigkeiten  lockt.  Wenigstens  am  An- 
fang.  Doch  auch  später  noch  wird  sich  der  durch 


PKOFKSSUR 
AUULF 

hengelkr- 
mI'nchen. 


Kunst,  Ä7fHs/onv('r//c  ?/)///  I^ubliJaiiii. 


seine  Lektüre  und  dem  ihr  beigegebenen  An- 
schauunfjsmateriale   erzogene,  also  im  Denken 
und  Fühlen   geschulte  geschmackvolle  Mensch, 
in  schwierigen  Fällen  der  Ungewißheit  und  des 
Zweifels  gern   von    einem    vertrauenswürdigen 
Sachverständigen    führen   und   beraten    lassen. 
Flrzieher  sind  jedenfalls  nötig.    Das  müssen 
nun,  wie  die  Verhältnisse  liegen.  Selbsterzogene 
sein ,     die     wahrhaft    kulturwertige    Kunst     in 
den   sachtesten   Merkmalen    wahrnehmen    und 
erkennen   können;    denn    die    Kunst   ist,    wie 
Einer  einmal  sagte,   mehr  Schleier  als  Spiegel; 
sie  hat  Blumen,  von  denen  kein  Feld  weiß,  und 
Vögel,   wie  sie  noch  in  keinem  Walde   sangen ; 
sie   bildet  viele   und   vernichtet  viele   Welten; 
und  ihr  gehören  die  großen  Urbilder,  die  dauern- 
des Sein  haben.  Nur  sie,  die  Kunst,  kann  Wunder 
tun,  ganz  nach  ihrem  Belieben,  und  wenn  sie 
Ungeheuer  aus  der  Tiefe  ruft,  kommen  sie;  sie 
kann  den  Mandelbaum  zwingen,  im  Winter  zu 
blühen    und    bei    ihrem   Wort    legt    der    Frost 
seine   Silberflügel   auf   den   heißen   Mund   des 
Juni.    Die  beflügelten  Löwen  kriechen  aus  den 
Höhlen  der  lydischen  Hügel ;  die  Waldnymphen 
erscheinen    im   Dickicht ,    wenn  die  Kunst   da- 
ran   vorübergeht ,     und     die    braunen     Faune 
lachen  sie  schüchtern  an,  wenn  sie  ihnen  naht. 
Nur  vernimmt  der  gewöhnliche  Mensch  des 
Maschinenzeitalters  nicht   mehr  das  geheimnis- 
volle Raunen  des  Waldes,  sondern  den  mark- 
erschütternden,   heulenden    Ruf    der    Fabrik- 
sirenen.    Nicht    mehr    das    Irrlicht    im    Moor, 
sondern    der    aufzischende    blaue    Funke     am 
Leitungskabel  der  sausenden  Tram  erregt  den 
Sinn.     Das    Sparrenwerk    kühngeschwungener 
Flisenkonstruktionen    überbrückte    eben    nicht 
nurStröme  und  schauerliche  Schluchten,  sondern 
auch  andere  Abgründe :    man  schürfte  nicht  bloß 
in  dunkle  und  warme  Tiefen  der  Erde  und  baute 
nicht  bloß  hoch  in  kühle  Höhen,  und  die  enormen 
Dampfhämmer  schmetterten  nicht  nur  wuchtig 
auf  Flisen  nieder,  sie  schlugen  auch  sonst  noch 
mancherlei    platt    und    klein.      Es    brach    eine 
neue  Zeit  an;   eine  Zeit,  für  die  nicht  mehr  die 
Postkutsche,  für  die   die  vierachsige  Sleeping 
Car  charakteristisch  ist.     Aber  aus  dem  unge- 
heuren   Industrielärm,    dem    Zankgeschrei    der 
Märkte,  dem  Gestreite  um  die  Kunst,  dringt  der 
wehmütige   Ruf   einer  Sehnsucht  nach  Schön- 
heit,   nach    Schönheit    im    Alltag    und    nach 
bunten    Märchen    und    wohlgeratenen   Dingen. 
Und  ganz  allmählich  beginnt  sich  die  Abkehr 
vom   allzu   Krassen   zu   vollziehen,   indem  eine 
verfeinerte   Sehsinnlichkeit   die   Schönheit,   die 
überall  mit  im  Leben  ist,  zu  finden  lehrte.  Schon 
lernten   wir   die   herbe   und  ernste    Schönheit 
sehen,   die  Brangwyns  Tonkneter  und  Schiff- 


steerer,  die  Meuniers  in  Leib  und  Leben  aus- 
dörrender  Fronarbeit  halb   vertierten  Puddler 
verklärt.    Unvergeßlich    haften   in   unserer   Er- 
innerung die  großen  Gebärden  der  Dampfiiäm- 
mer  und  Riesenkrane,  die  Glut  der  Feueressen 
und   die   Figuren  der  modernen  Zyklopen,  der 
Eisenarbeiter,  wie  wir  sie  etwa  in  den  Bildern 
von  Menzel,  Kampf,  Adler,  Roll,Tardieu 
und    anderen    zeitgenössischen   Malern    sahen. 
Aber  wir  fühlen  uns  neuerdings  auch  dazu  befä- 
higt, daneben  noch  die  tendenzlose  Kunst  unse- 
rer Zeit  und  vergangener  Epochen  zu  genießen. 
Wir  fanden  wieder  die  Wege  zu  den  Meistern 
früherer  Zeiten  und  die  inneren  Mittel  zu  ihrer 
gerechten   Beurteilung,   und   je   weiter  wir  uns 
zeitlich  von  ihnen  entfernen,  desto  klarer  treten 
manche  von  ihnen  in  Erscheinung.   Wir  erkann- 
ten, daß  mancher  bislang  verschollen  und  ver- 
kannt gewesene  zu  den  ganz  Großen  zählt,  die 
über   Zeitmoden    erhaben    sind.      Von    einigen 
müssen  wir  allerdings  zugeben,  daß  sie  in  eine 
eiserne   Zeit    hineinlebten    als   Spätlinge    einer 
anderen,  romantischen  Zeit  und  daß  ihr  Ansehen 
jahrelang  unter  der  allgemeinen  Umwertung  litt. 
Heute  jedoch  lassen  wir  uns  durch  Schlagworte 
nicht  mehr  abschrecken ,    gering    geachtet   ge- 
wesene  Kunstwerke  wieder  zu  würdigen,  und 
wir  stellen  die  Frage  nach  der  Wahrheit  in  der 
Kunst   nicht  mehr,   weil    wir    zwischen   Natur- 
wahrheit  und  Kunstwahrheit   zu  unterscheiden 
lernten.    Dies  in  Dingen  der  bildenden,  der 
sogenannten  großen  Kunst:  der  Malerei,  Bild- 
hauerei und  Architektur.    Dem  auffälligen  Pro- 
zeß der   Wandlungen  der   bildenden   Kunst  in 
unserer  Zeit  lag  eine  neue  Weltanschauung  zu- 
grunde,  und  zwar  fühlt  man   sich  versucht  zu 
sagen,    die    Philosophie    des    Impressionismus. 
Dem  nicht  minder  markanten  und  überaus  wich- 
tigen Umwandlungsprozeß  der  angewandten 
Kunst,   des   Kunstgewerbes  lagen   gleichfalls, 
wenn  auch  anders  geartete,   revolutionäre  Ge- 
danken zugrunde,  denn  das  Suchen  nach  einer 
neuen  Form,  einem   neuen  Stil  darf  man  nicht 
als  etwas  bloß  Äußerliches  auffassen,  vielmehr 
ist   es   der  Wandel   des  Gedankens ,   der  den 
Wandel  der  Gegenstandsformen  nach  sich  zog. 
Wir  besitzen  Dinge,   die  keine  Zeit  vor  uns 
besaß,   Bauwerke  und  Maschinen,  die  nur  uns 
eigentümlich  sind,  unser  öffentliches  Leben  voll- 
zieht sich  in  völlig  neuen,  unser  privates  Leben  in 
teilweise  neuen  Formen,  und  das  führte  schließ- 
lich zu  dem  Verlangen,  diesem  neuen  Leben  den 
entsprechenden  neuen  künstlerischen  Rahmen  zu 
geben.   Wir  dürfen  uns  des  Erwachens  der  künst- 
lerischen Schaffenslust  und  Genußfähigkeit  mit 
Recht  erfreuen,  da  die  kulturelle  Wertschätzung 
der  Völker  im  friedlichen  Wettstreit  der  Aus- 


HANS  UXGER-LOSCHWITZ. 
BILDXIS  MEIXER  TOCHTER. 


AUS  DER  KOLLEKTIV- AUSSTELLUNG  HANS  UNGEKS  IM  IbMlMSTADTER  KUNSTVEREIN. 


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Kunst,  Kicnstgeiverbe  und  Publikum. 


Stellungen  beispielsweise  fast  nur  nach  Maßgabe 
des  künstlerischen  Vermögens,  mit  dem  sie  auf- 
zutreten wissen,  bestimmt  wird.  Wir  können 
uns  allerdings  weder  mit  den  Griechen  des  so- 
genannten goldenen  Zeitalters,  noch  mit  den 
Italienern  der  Renaissance  vergleichen ,  stellen 
uns  aber  in  kühner  Ruhe  gelassen  und  der  Be- 
deutung unserer  Zeit  und  ihrer  künstlerisch- 
technischen Hervorbringungen  sicher,  an  ihre 
Seite.  Immerhin ,  der  Typus  des  modernen 
Deutschen  hat  noch  seine  schwachen  Seiten. 
Es  fehlt  ihm,  wie  Prof.  Lichtwark  sagte,  an 
äußerer  Kultur  und  F'estigkeit  der  Form,  wie  an 
einem  innerlichen  Verhältnis  zur  bildenden 
Kunst.  Sein  Bedürfnis  nach  künstlerischen  Ge- 
nüssen, die  eine  Erziehung  des  Auges  und  des 
Herzens  voraussetzen,  ist  verhältnismäßig  ge- 
ring. Man  mag  das  den  Werken  der  Malerei 
und  Skulptur  gegenüber,  die  zwar  geistig  für 
das  ganze  Volk  geschaffen  sind,  deren  Erwerb 
aber  nur  wenigen  möglich  ist ,  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  gutheißen,  aber  man  findet  es 
beschämend,  auch  das  „Kunstgewerbe"  vernach- 
lässigt zu  sehen,  das  doch  zu  reicherem  Lebens- 
genüsse und  künstlerischem  Behagen  beiträgt. 
Man  sollte  meinen,  an  den  Werken  des 
modernen  Kunstgewerbes  müsse  jeder  von  uns 
Teil  haben,  weil  uns  doch  die  Form  und  die 
Farbe  der  Möbel,  die  wir  benützen,  und  der 
Geräte,  deren  wir  uns  täglich  bedienen,  eben  so 
wenig  gleichgültig  sein  können,  wie  die  Stoffe 
unserer  Kleider,  die  Muster  unsererTapetcn  und 
Teppiche.    Tritt  doch  just  hier  der  eigenste  per- 


sönliche Geschmack  in  sein  Recht,  mag  die  Mode 
noch  so  gewaltsam  und  eigensinnig  gewisse  For- 
men und  Farben  vorschreiben.  „An  diesem  Teil 
der  Kunst,  der  sich  im  Gewerbe  äußert,  hat  jeder 
Mensch  sein  Anrecht,  und  jeder  ist  daher  auch 
berechtigt,  von  seinem  Standpunkt  aus  als  Be- 
urteiler und  Richter  an  denselben  heranzutreten. 
Ist  er  es  doch,  der  die  Sachen  schließlich  er- 
werben und  verwenden  soll."  Nur  darf  man 
verlangen,  daß  derjenige,  der  Nutznießer  der 
schönen  und  zweckmäßigen  Dinge  des  modernen 
Kunstgewerbes  sein  will,  sich  bemühe,  durch 
sorgfältige  künstlerische  Selbsterziehung  des 
Auges  seiner  bisherigen  Unzulänglichkeit  mit 
Kraft  und  Ausdauer  entgegenzuarbeiten.  Hilfs- 
mittel sind  ihm  in  ausreichender  Menge  und 
Qualität  durch  die  verschiedenen  Kunst-  und 
Kunstgewerbe -Publikationen  an  die  Hand  ge- 
geben, unter  welchen  eines  der  wichtigsten  die 
vorliegende  Zeitschrift  darstellt,  die  seit  vielen 
Jahren  in  unermüdlicher  Kulturarbeit  Pionier- 
und  Lehrdienste  leistet.  —  Wir  haben  künst- 
lerische Urheber  und  handwerkliche  Ausfertiger 
ebenso  schöner  wie  zweckmäßiger  Arbeiten  der 
angewandten  Kunst,  um  die  wir  von  anderen 
Nationen  beneidet  werden  —  nur  ein  im  Verhält- 
nis ebenso  kunstsinniges  und  kauffreu- 
diges Publikum  haben  wir  noch  nicht! 
Das  ist  unser  Leid,  dem  möchten  wir  abhelfen, 
doch  kann  uns  letzteres  nur  gelingen,  wenn 
sich  das  Publikum  weniger  passiv  als  bisher  den 
Dingen  gegenüber,  die  wahrlich  nicht  zu  den 
geringsten  Gütern  der  Nation  gehören,  verhält. 


ETWAS  ÜBER  KUNSTBESITZ. 


VON    KRANZ  SKRVAES. 


ES  sind  ganz  gewiß  noch  nie  soviel  Kunst- 
werke in  der  Welt  gewesen  wie  heut- 
zutage; und  noch  nie  hat  man  sich  so  schlecht 
darauf  verstanden,  ein  Kunstwerk  im  wahren 
Sinne  des  Wortes  zu  besitzen.  Gekauft  und 
verkauft  wird  ja  genug,  oder  vielmehr  viel  zu 
viel.  DerKunstmarkt  zeigt  sich  von  einer  Unruhe 
befallen,  daß  jegliche  Stetigkeit  darüber  ver- 
loren geht.  Jedoch  wirklich  „besessen"  wird 
viel  zu  wenig.  Man  besitzt  nur,  um  wieder  los- 
zuwerden; um  eine  günstige  Konjunktur  abzu- 
warten, bei  der  man  seine  hundert  bis  tausend 
Prozent  verdienen  kann.  Dies  ist  nicht  etwa 
bloß  bei  Kunsthändlern  so  der  Fall  (deren  gutes 
Recht  es  ist);  nein,  recht  häufig  auch  bei  Kunst- 
liebhabern und  Sammlern  (auf  die  es  ein  immer- 
hin eigentümliches  Licht  wirft).  Kurz  heraus: 
das  Kunstwerk  ist  heute  ein  Börsenpapier,  mit 


dem  man  spekuliert.  Und  dies  sollte  nicht  sein. 
Vielleicht  ist  nichts  so  sehr  imstande,  das  wahre 
und  echte  Kunstgewissen  einer  Zeit  so  von 
Grund  auf  zu  depravieren  wie  ein  solcher  Zu- 
stand. Ein  tief  beschämender  Zustand,  wie  ich 
meine.  Er  muß  mit  der  Zeit  die  wahre  Andacht 
zum  Kunstwerk  bis  zur  Hoffnungslosigkeit  ver- 
nichten. Und  doch  nennt  sich  unsere  Epoche, 
mehr  eitel  als  stolz,  ein  Kunstzeitalter. 

Nein,  meine  Herrschaften,  wir  werden  niemals 
ein  Kunstzeitalter  haben ,  wenn  wir  es  nicht 
wieder  lernen,  Kunstwerke  zu  „besitzen".  Es 
genügt  nicht,  daß  Kunstwerke  massenhaft  er- 
zeugt werden.  Daß  sie  den  Markt  und  die 
Häuser  wie  eine  Hochflut  überschwemmen.  Daß 
sie  bei  mondänen  Veranstaltungen,  die  sich 
Kunstausstellungen  schelten  lassen,  zu  lausen- 
den aufmarschieren.    Daß   sie  in  Leitartikeln, 


? 


HU. 


HANS  tjNGER     Lü.sCHVVITZ.      S TUIJIENKOPl'E,  PASTELL. 


HANh  UNGEK      l.OhCHVVU/,.       M  UDltt^  Kul'H-.,  l'AM  l'.UL. 


HANS  UNGER -DRESDEN-LOSCHWITZ.    GEMÄLDE:   „THEBEN' 


^ 


HANS  UNGER -DRESDEN -LOSCHWITZ.    GEMÄLDE:    „EISLAUFERIN 


1 


HANS  UNUhK    JJKL!>DEN. 
»SPANISCHES  MÄDCHEN« 


1910/11.  I.  2. 


Franz  Sen'ai's. 


Zeitschriften,  Broschüren,  Monographien  und 
kostbaren  Prachtwerken  taxiert ,  analysiert, 
publiziert  und  zelebriert  werden.  Daß  sie  über- 
haupt in  einem  nie  dajSewesenen  Maße  von  sich 
reden  machen.  Dieses  alles  genügt  nicht.  Oder 
vielmehr,  es  kann  in  jeder  Hinsicht  völlig  ent- 
behrt werden.  Aber  Eines  tut  not:  daß  Men- 
schen da  sind,  die  mit  einem  Kunstwerke  zu 
leben  wissen.  Menschen,  die  sich  mit  einem 
Kunstwerke  bis  zu  liebevoller  Intimität,  ja  bis 
zur  Selbsthingabe  durchdringen.  Kurz  Men- 
schen, die  einem  Kunstwerk  das  Leben  spenden. 

Ein  jedes  Kunstwerk,  das  wirklich  da  sein 
soll,  wird  zweimal  erzeugt.  Einmal  in  der  Seele 
seines  Schöpfers.  Und  das  andere  Mal  in  der 
Seele  des  echten  Genießers.  An  sich  ist  es  ja 
ein  totes  Ding.  Irgend  ein  Gegenstand ,  der 
nicht  dazusein  braucht.  Ein  verschleiertes  Bild 
zu  Sais.  Ein  harrendes  Mauerblümchen.  Aber 
dann  kommt  der  Ritter,  der  es  liebt;  der  Weise, 
der  es  enthüllt:  und  es  fängt  plötzlich  an  zu 
blühen,  zu  leben  —  dazusein.  Und  das  ist  es, 
was  ich  sagen  wollte.  Nur  Den  kann  ich  einen 
Kunstbesitzer  nennen,  der  ein  Kunstwerk  als 
solch  ein  verliebter  Liebhaber  sein  eigen  heißt. 
Der  ihm  einen  Teil  seiner  Seele  schenkt  und 
dafür  des  Kunstwerks  Seele  zurück  empfängt. 
Der  derart  innig  mit  einem  Kunstwerke  vermählt 
ist,  daß  er  eine  spekulative  Entäußerung  des- 
selben als  Schmach  und  Treubruch  empfinden 
würde.  Gibt  es  solche  Leute  heutzutage  noch? 
Ich  fürchte,  sie  sind  zu  zählen. 

So  ist  also  der  echte  Kunstbesitzer  nicht  in 
erster  Linie  ein  Sammler.  Vielleicht  sind  sogar 
Sammler  die  schlechtesten  Kunstbesitzer.  Im 
günstigsten  Falle  sind  sie  ihre  eigenen  Galerie- 
direktoren, Beamte  und  Verwalter  ihrer  auf- 
gestapelten Sammlungen,  die  für  sie  ein  Prunk- 
objekt sind.  Ganz  andere  Gesichtspunkte  wer- 
den leitend  als  die  der  Liebe  zum  einzelnen 
Kunstwerk.  Etwa  der  Wunsch  nach  irgend- 
welcher Vollständigkeit.  Man  will  z.  B.  die  wich- 
tigsten und  namhaftesten  altniederländischen 
Meister  des  15.  Jahrhunderts  in  Probestücken 
beisammen  haben.  Oder  man  will  sämtliche 
Kupferstiche  Dürers,  möglichst  in  „erstklassigen  " 
Exemplaren  und  Zuständen,  bei  sich  vereinigen. 
Oder  man  legt  Wert  darauf,  sei  es  Meißener  Por- 
zellane oder  sonst  irgendwelche  Produkte  eines 
lokalen  Kunstfleißes  in  solcher  Menge  zusam- 
menzubringen, daß  man  rivalisierenden  Samm- 
lungen immer  um  ein  paar  Dutzend  oder  1  lundert 
Nummern  vorausbleibt.  Ich  wüßte  nicht,  wo- 
durch sich  derlei  Sammler  etwa  von  Rennstall- 
besitzern unterschieden.  Höchstens ,  daß  der 
Rennstallbcsitzer,  weil  er  für  lebende  Wesen 
verantwortlich    ist,    mehr    „Herz"    haben    muß 


als  der  Magazinierer  toter  Kunstnummern.  — 
Im  allgemeinen  kann  man,  was  den  Sammler 
angeht,  sagen;  je  kleiner  die  Sammlung,  desto 
größer  die  Möglichkeit  echten  Kunstbesitzes;  je 
umfangreicher,  nuiseumsähnlicher,  desto  hoff- 
nungsloser. Und  ferner  dünkt  mich  irgend  ein 
närrischer  Kauz  und  Sonderling,  der  sich  alte 
Schwarten  zusammenkauft  und  selig  darauf 
schwört,  es  seien  lau  terRembrandts  und  Rubens, 
lieber  und  verehrungswürdiger  als  ein  millionen- 
reicher Großkaufherr,  der  sich  seine  „Erwer- 
bungen" für  teueres  Geld  von  den  ersten  Kunst- 
autoritäten auf  ihre  Echtheit  untersuchen  und 
bestätigen  läßt  und  sie  dann  irgendwohin  an 
die  Wand  hängt ,  um  die  Bilder  kaum  je 
wieder  anzublicken.  Mag  der  Erstere  eine  ko- 
mische Figur  sein,  ein  verblendeter  Tor  und  nichts 
weniger  als  ein  Kunstverständiger,  so  besitzt  er 
doch  immer  die  Gnade  der  Liebe,  die  für  sein 
intimes  Empfinden  Wunder  herbeizaubert  und 
Rauschzustände  schafft.  Der  Andere  aber,  mag 
er  auch  seine  Kennerschaft  amtlich  bescheinigt 
erhalten  und  rigoros  jedes  Falsum  oder  auch 
bloßDubiosum  von  seiner  Schwelle  weisen  oder 
ausmerzen  ,  er  bleibt  doch  ewig  ein  draußen- 
stehender Banause,  der  zur  Kunst  nicht  die  ge- 
ringsten Beziehungen  hat,  weil  er  Kunst  nicht 
in  sich  zu  erleben  versteht. 

Es  kommt  also  jedenfalls  garnicht  auf  die 
Massenhaftigkeit,  ja  nicht  einmal  auf  die  Kostbar- 
keit des  Kunstbesitzes  an,  dannt  unsere  Kullur- 
forderung  erfüllt  werde,  sondern  lediglich  auf  die 
innere  Beziehung  zwischen  Besitzer  und  Kunst- 
werk. Natürlicherweise  wird  diese  Beziehung  um 
so  wertvoller,  je  gewiegter  und  tiefer  das  ästhe- 
tische Urteil  ist,  durch  das  sie  hergestellt  wurde. 
Und  zweifellos  kann  die  Fähigkeit  zu  künst- 
lerischem Erleben  bis  ins  Ungeahnte  wachsen, 
wenn  Jemand  das  unermeßliche  Glück  hat,  ein 
wahrhaft  großes  Kunstwerk  sein  eigen  zu  nennen, 
und  hierdurch  dessen  täglichen  Umganges  ge- 
würdigt zu  werden.  Überhaupt  ist  es  wichtig 
und  für  Besitzer  von  kaum  berechenbarem  Vor- 
teil, sich  von  Kunstwerken  erziehen  zu  lassen. 
Welcher  Weg  einer  gewaltigen  Läuterung,  wenn 
jemand  durch  tägliche,  intime  Andacht  und  Be- 
trachtung von  einem  Kunstwerk  derart  empor- 
geführt wird,  daß  er  die  anfängliche  bloß  dumpfe 
Neigung  langsam  überwindet  und  zurückläßt  und 
sich  aus  dem  Reiche  ahnenden  Instinktes  zu 
der  seltenen  Höhe  vollkommenen  und  idealen 
Begreifens  und  hierdurch  einer  abgeklärten 
Kunstliebe  erhebt.  Aber  selbstverständlich  kann 
es,  schon  aus  materiellen  Gründen,  nur  den  Aller- 
wenigsten beschieden  sein,  an  der  Hand  eines 
zu  eigen  gewordenen  Meisterwerkes  solch  dan- 
tischen Weg  emporzuwandeln  und  ganz  in  die 


I6 


Ehuas  iibcr  Kuiistheiitz. 


WALTER  PUTTNER-   MÜNCHEN. 


erhabene  und  überirdische  Welt,  wo  die  fSroßen 
Kunstwerke  thronen,  als  Genießender  und  Ver- 
stehender Einlaß  zu  finden.  Dies  ist  ein  so  seltener 
Glücksfall,  daß  er  für  unsere  Betrachtun;^  nicht 
gerechnet  werden  darf.  Hingegen  soll  hier  vor- 
zugsweise von  solchem  Kunstbesitz  die  Rede 
sein ,  den  auch  der  Minderbemittelte  seinem 
Hausrat  einverleiben  und  zur  Erhöhung  seines 
Daseins  verwenden  kann. 

In  diesem  Sinne  darf  gesagt  sein:  Zu  echtem 
Kunstbesitz,  so  selten  er  heute  ist,  vermag  ein 
Jeder  zu  gelangen.  Es  muß  nur  das  tiefe  und 
ernste  Verlangen  da  sein ,  der  ehrfurchtsvolle 
Wille,  sei  es  das  Leben  des  Alltags  durch  einen 
über  das  ganze  Haus  verbreiteten  Hauch  von 
Schönheit  zu  verklären ,  sei  es  sein  Innen- 
dasein durch  das  intime  Zusammenleben  mit 
ein  paar  wenigen  auserwählten  Werken  zu  be- 
reichern und  zu  steigern.  Jedenfalls,  wer  heute 
den  Anspruch  erheben  will  als  Kulturmensch 
zu  gelten,   der  muß   in  dieser  oder  jener,  aber 


Gemälde.   Daimslhdter  Privatbesitz. 


stets  in  einer  seine  eigenste  Persönlichkeit 
kennzeichnenden  Form  der  Kunst  Eingang  in 
sein  Haus  verschaffen.  Daß  dies  mit  ganz  ge- 
ringen Mitteln  heutzutage  möglich  ist,  ist  wohl 
einer  der  fundamentalsten  Kullurfortschritte 
unserer  Zeit.  In  der  Tat  ist  heute  Kunstbesitz 
nicht  mehr  so  sehr  eine  Frage  des  Geldes  als 
des  individuellen  Geschmackes  und  gefühlten 
Bedürfnisses.  Schon  damit  wird  nicht  wenig 
erreicht  sein ,  daß  man  den  festen  Grundsatz 
aufstelle  und  durchführe ,  nichts  Schlechtes, 
Geschniackwidriges,  Unechtes  oder  Seelenloses 
in  seine  Wohnung  hineinzulassen.  Wer  in 
wahrem  Sinne  damit  Ernst  machen  will,  Kunst 
zu  besitzen,  der  möge  damit  beginnen,  unend- 
lich vielen  mitgeschleppten  Kram  erbarmungslos 
hinauszubefördern.  Nichts  ist  dem  künstle- 
rischen Eindruck  einer  Wohnung  hinderlicher  als 
das  allenthalben  wuchernde  Unkraut  dutzend- 
mäßiger und  spießig  sich  spreizender  Über- 
flüssigkeiten.   Was   zweckvoll   ist,   ist  sinnvoll 


I'-.Riril  KRT.ERSAMADEN    MUNXHEX. 

i.I-.MAI.nE:    »WINZER -MASKE«.      AUSSTELLUNG 
KKAKI.S  NKJDERNE  KUNSTHANDLUNG,  MÜNCHEN. 


WALTER  PUTTNICR     MÜNCHEN 
öLCEMAr.nn.  privat-  bksitz,  harmstapt 


Ehvas  über  Kunstbesitz. 


und  hierdurch  schön.  Es  wird  nie  im  Wege 
stehen,  noch  das  Auge  beleidigen.  Es  wird  viel- 
mehr, wenn  es  nicht  mehr  als  ein  unentbehr- 
liches Alltagsgerät  ist,  durch  taktvolle  Unauf- 
fälligkeit  sich  unterordnen  und  den  Raum  frei- 
machen für  die  Wirkung  wirklich  wertvollen 
und  künstlerischen  Besitzes.  Dieser  darf  ins 
Auge  fallen  und  soll  es  sogar.  Er  hat  das  Recht 
und  die  Aufgabe ,  einem  in  sich  geschlossenen 
und  harmonischen  Raum  den  edleren  und  stär- 
keren Akzent  zu  verleihen.  Er  soll  den  Mittel- 
punkt bilden,  auf  dem  unser  Auge  ruht,  an  dem 
unser  Sinn  sich  ergötzt. 

Vor  allem  aber  sollte  jeglicher  Kunstbesitz 
so  gewählt  sein,  daß  ein  feiner  Menschenkenner, 
der  durch  die  Wohnung  ginge,  aus  dem  Schmuck 
der  Wände  und  der  rhythmischen  Anordnung 
der  Räume  bündige  und  sichere  Rückschlüsse 
auf  die  Charakterart  der  Bewohner  ziehen 
könnte.  Dabei  wird  ein  individuell  gewähltes 
Kunstwerk  dennoch  niemals  indiskret  wirken 
oder  durch  plumpe  Deutlichkeit  verletzen.  Denn 


es  wird  von  den  inneren  Beziehungen  zu  den 
Bewohnern  nie  mehr  verraten ,  als  was  eine 
feingestimmte  Seele  zu  ahnen  vermag.  Kunst- 
werke plaudern  nicht  aus,  sondern  verbreiten 
eine  seelische  Atmosphäre,  eine  Atmosphäre 
von  harmonischer  Wohlgestimmtheit ,  an  der 
teilzunehmen  man  jeden  feineren  Besucher  ein- 
laden darf .  IhrLetztes  und  Feinstes  aber  werden 
sie  stets  nur  uns  selber  verraten  —  dann  näm- 
lich, wann  wir  in  Wahrheit  uns  rühmen  dürfen, 
ihre  echten  und  seelisch  verbundenen  Besitzer 
zu  sein.  Mit  einem  Kunstwerk,  das  Du  ganz 
besitzest,  wirst  Du  gewiß  einmal  in  einer  merk- 
würdigen Stunde  Deines  Lebens  eine  bedeu- 
tungsvolle geheimnisreiche  Zwiesprache  ge- 
halten haben,  in  der  Euer  Beider  Seelen  sich 
klar  und  voll  gegeneinander  erschlossen.  Solch 
eine  Stunde  erst  gibt  Deinem  Besitz  die  letzte 
Weihe.  Blickst  Du  hierauf  zurück,  so  lächelt 
Dir  zum  Dank  dafür  eine  kleine  wohltuende 
Wahrheit  entgegen:  Dein  Kunstwerk  hat  Dich 
selber  zum  Künstler  gemacht.  —  k.  s. 


ERICH  EKLER-iAMAlJEN  — MLiN(  Hii.N. 


(jeniaitie;     »  i  ulpeilgarten<i .    (Brakis  Moderne  Kunsthandlung— München.) 


'^^^SSäs. 


CURJEL  UND  MO.^ER     KARLSRUHE. 


Kuiisthaus  in  Zürich.    Hauptbau. 


DAS  KUNSTHAUS  IN  ZÜRICH. 


Von  IJR    C.    H.  IIAER-^URICH. 


Die  Kunst  hatte  sich  in  Zürich  lanj^e  mit  einem 
bescheidenen  Heim  begnii)5en  müssen.  Im 
idyllischen  „Künstlergütli"  waren  von  der 
„Kunstgesellschaft",  der  privaten  Vereinigung 
zürcherischer  Kunstfreunde,  die  im  Laufe  der 
Jahre  mit  etwas  dilletantenhafter  Freude  an- 
gesammelten Kunstschätze  aufgestapelt  wor- 
den ;  und  unten  in  der  Stadt,  in  der  Nähe  der 
Hauptverkehrsader,  der  Bahnhofstraße,  zeigte 
dieselbe  Gesellschaft  in  raumbeschränktem, 
provisorischem  Gebäude  Werke  neuzeitlicher 
Meister  in  wechselnden  Ausstellungen. 

Die  Schenkung  eines  Zürcher  Bürgers ,  der 
sein  am  Heimplatz  gelegenes,  herrliches  Garten- 
gut der  Stadt  vermachte,  und  der  bevorstehende 
Neubau  der  Universität,  der  auf  dem  Gebiet 
des  „Künstlergütli"  erstehen  soll,  beschleu- 
nigten und  erleichterten  die  Neubaufrage,  die 
mehr  und  mehr  als  kulturelle  Pflicht  der  geistig 
und  wirtschaftlich  so  regen  Stadt  erkannt  wurde. 
So  fanden  sich  denn  verhältnismäßig  rasch  die 
nötigen  beträchtlichen  Mittel  und  in  zwei  Wett- 
bewerben auch  die  Architekten,  die  Herren 
Curjel  und  Moser  in  St.  Gallen  und  Karls- 
ruiie,   die   nach  langwierigen,   durch  die  öffent- 


liche Kritik  stark  beeinflußten  Studien  in  we- 
nigen Jahren,  vom  Herbst  1907  bis  zum  Früh- 
jahr 1910,  das  prächtige  Haus  erbauten,  das 
als  Mittelpunkt  des  Zürcherischen  Kunstlebens 
selbst  ein  Dokument  modernsterKunst  darstellt. 
Der  Neubau  hatte  nach  dem  ursprünglichen 
Programm  dreierlei  Zwecken  zu  dienen.  Er 
war  zur  würdigen  Schaustellung  der  beträcht- 
lichen Gesellschafts-Sammlung  alter  und  neuerer 
Kunst  bestimmt,  er  sollte  die  wechselnden  Aus- 
stellungen und  die  Verwaltung  aufnehmen  und 
schließlich  auch  noch  Gesellschaftssäle  ent- 
halten, die  zusammen  mit  einem  wohlabge- 
stimmten Garten  edler  Geselligkeit  und  frohen 
Festen  der  „Kunstgesellschaft"  Raum  und  Rah- 
men böten.  Schon  die  Wettbewerbe  ergaben 
die  Schwierigkeit,  allen  drei  Anforderungen  in 
gleicherweise  gerecht  zu  werden.  Und  als  die 
Verhältnisse  zum  raschen  Handeln  drängten, 
entschloß  man  sich,  zumal  zunächst  nur  ein  Teil 
des  Bauplatzes  zur  Verfügung  stand,  vorerst 
das  Haus  allein  der  Sammlung,  den  wechseln- 
den Ausstellungen  und  der  Verwaltung  zu  wid- 
men und  den  Anbau  von  Gesellschaftsräumen 
späteren  Zeiten  vorzubehalten. 


22 


Das  Kiuisthmis  in  Zürich. 


CURJEI.  UNI)  MOSER     KARLSRUHE. 


Dieser  Zweckbestimmung  entspricht  der 
äußere  Aufbau  in  seiner  Zweiteilung: 

Das  hochragende  Haupthaus,  dessen  Mauern 
in  monumentaler  Ruhe,  festgefügt  und  ge- 
schlossen emporstreben,  und  nur  unter  dem 
konsolengetragenen  Hauptgesims,  von  Lisenen 
geteilt,  durch  mächtige  Reliefs  geschmückt  wer- 
den sollen,  behütet  den  wertvollen  Besitz  der 
Gesellschaft,     das    unveränderliche    Kunstgut. 

Der  reicher  gegliederte  seitliche  Anbau,  der 
sich  mit  weiten  Fenstern  fröhlich  öffnet,  dient 
den  Darbietungen  der  Kunst  des  Tages.  Seine 
leicht  geschwungenen  Mauerflächen,  festliche 
Säulen  mit  wirkungsvollen  Statuen  dazwischen, 
verleihen  ihm  die  freudige  Lebendigkeit  schöpfe- 
rischer Arbeit  und  setzen  ihn  so  in  Gegensatz 
zu  dem  feierlichen  Ernst  des  Hauplhauses.  Hier 
herrscht  das  lebhafte  Kommen  und  Gehen  des 
Neueren  und  des  Neusten,  der  Streif  der  Mei- 
nungen und  Geschmacksrichtungen,  der  Kampf 
um  die  Anerkennung,  dort  die  Beständigkeit 
allgemein  gültiger  Kunstwerke. 


Treppenhalle  des  Sammlungsliauses. 


Ein  niedrig  Torhaus,  fast  ungegliedert  wie 
die  Mauern  des  Hauptgebäudes  und  doch 
flächig  belebt  wie  der  hallenartige  Anbau,  ver- 
mittelt den  Zugang.  Große  Dächer  aus  Glas- 
ziegeln sind  in  logischer  Kühnheit  auf  die  grauen 
Mauern  aus  Bolliger  und  St.  Margrether  Sand- 
stein gestülpt  und  leiten  eine  Flut  von  Licht 
in  die  Überlichtsäle  und  Kabinette,  wie  in  die 
hohe  Treppenhalle  des  Sammlungshauses. 

Die  so  geartete  äußere  Gestaltung  des  Bau- 
werks hat  mancherlei  Kritik  erfahren;  und  doch 
erscheint  sie  mir  als  Tat,  als  das  Werk  einer 
kraftvoll  energischen  Persönlichkeit,  die, 
allein  geleitet  vom  Drang  nach  künstlerischer 
Einheit,  eigene  Wege  zu  gehen  wagt. 

Der  doppelte  Zweck  des  neuen  Hauses  ist 
auch  in  seiner  Einteilung  und  Ausstattung  sorg- 
sam im  Auge  behalten  worden. 

Große  ruhige  Wände,  neutrale  Farben  an 
Sockeln,  Mauern  und  Bodenflächen,  hier  und 
da  eine  Türumrahmung  oder  ein  Pfeiler  aus 
farbenschönem    gelbem    oder  grünem   Marmor 


24 


CURJEL   UND    MOSER -KARLSRUHE. 
DETAIL   DER  DEKORATION  D.  TREPPENHAUSES. 


1910,11.  I.  3. 


Das  Kunsthaus  in  Zürich. 


CURJEL  UND  MOSER     KARLSRUHE. 


und  sparsam  verteilter,  ornamentaler  Schmuck 
an  Pfeilern,  Friesen  und  an  den  weißen  Decken 
zeichnen  die  Räume  aus,  die  den  wechselnden 
Ausstellungen  dienen.  Sie  liegen  im  Ober- 
geschoß des  Anbaues  und  gruppieren  sich  als 
Seitenlichtsäle  und  Oberlichlkabinette  um  einen 
langgestreckten,   von   oben  belichteten  Mittel- 


26 


Raum  für  Hodlere  »Heilige  Stunde« 


räum,  der  an  den  Schmalseiten  durch  höher 
gelegte  Estraden  malerische  Gliederung  eriiält. 
In  den  Sälen  und  Kabinetten  der  Sammlung 
in  den  beiden  Obergeschossen  des  Haupthauses 
herrschen  kräftigere  Töne,  die  mit  den  ein- 
zelnen Bildern  trefflich  zusammengestimmt 
überraschende  Raumwirkungen  ergeben,   aber 


o  s 


< 


Das  Kimsthaus  iu  Zürich. 


auch  den  einzel- 
nen Kunstwerken 
zu  neuen  Reizen 
u.  abgeklärterem 
Eindruck  verhel- 
fen. Säle  mit  dun- 
kelroter und  licf- 
griiner  Wandbe- 
spannunji  enthal- 
ten Gemälde  des 
XVI.  u.XVll.  Jahr- 
hunderts; mit  zar- 
tem Grau  u.  Blau 
verkleidete  Räu- 
me berjSen  Werke 
von  Anton  Graft, 
Tischbein, von  den 
beiden  Geßner, 
von  Werdmüller, 
Freudweiler,  Lips 
und  Heß,  ein  ande- 
rer Saal  in  Grün- 
grau Landschaften 
neuererMaler,wie 
Calame,Zünd,  An- 
dreas Achenbach, 
J.  G.  Steffan,  Joh. 
Jac.  Ulrich  u.  a.  m. 
In  einem  achtecki- 
gen Kabinett  sind 
älteste  Zürcher 
Meister  auf  leuch- 
tendem, mit  Gold- 
fäden durchwirk- 
ten! Rot  zu  neuem 
Leben  erwacht; 
daneben  entzük- 
ken  Kollers  voll- 
endete Zeichnun- 
gen auf  graulihi 
Grund.  Boecklins 
„Gartenlaube"hat 
ihrenPlatz  im  gro- 
ßen Oberlichtsaal  des  obersten  Geschosses  er- 
halten ,  der  in  Grau  und  Gold  überaus  vor- 
nehm geschmückt  ist.  1  lodlers  „  Heilige  Stunde  " 
wirkt  überwältigend  in  einem  einfachen  weißen 
Raum,  in  den  man  durch  zwei  ganz  helle  Kabi- 
nette schon  von  weitem  Einblick  erhält. 

Der  Gegensatz  zwischen  der  kühlen  Ruhe, 
mit  der  die  Wände  der  Ausstellungssäle  auf  die 
stetig  wechselnden  Kunstwerke  warten,  und  der 
fast  leidenschaftlichen  Intensivität,  mit  der  sich 
die  Räume  der  Sammlung  mit  den  ihnen  blei- 
bend anvertrauten  Gemälden  zu  einheitlicher 
Wirkung  vereinen,  ist  zweimal  wirksam  unter- 
brochen, gemildert  und  verstärkt.  —  Steigt  man 


2S 


CURJEL  UND  MUSER. 


Kimsthaus  in  Zürich. 


Detail  der  Fassade. 


aus  dem  schlich- 
ten, graublauen 
Vestibüle  des  Erd- 
geschosses die 
graue  Marmor- 
treppe empor, 
überrascht  die 
lichte  Freudigkeit 
der  hohen  Halle, 
die  den  ersten 
Stock  mit  dem 
zweiten  verbin- 
det. Am  Sockel  u. 
an  denweich  profi- 
lierten Türgewän- 
den wiederholt 
sich  der  rötliche 
Nassauer  Marmor 
des  unteren  Trep- 
penhauses; darü- 
ber erglänzen  die 
Wände  in  leicht 
getöntem  Weiß, 
das  unter  dem 
Oberlicht  durch 
einen  breiten,  mit 
Gold  diskret  be- 
lebten, ornamen- 
talen Fries  abge- 
schlossen wird. 
Köstliche  Bilder 
und  eine  Loggia 
in  Grün  und  Gold 
steigern  die  fest- 
liche Stimmung  zu 
buntemJubel.  Das 
ist  einer  der  Ruhe- 
punkte des  wun- 
dersamen Hauses. 
—  Nicht  weit  da- 
von findet  man 
einen  dunkelge- 
mütlichen Raum, 
und  ein  Tisch  mit 
zum  Verweilen  und 


in  dem  bequeme  Stühle 
Büchern  und  Zeitschriften 
Rasten  einladen.  So  waren  die  Architekten 
mit  Verständnis  und  Geschmack  bemüht,  ihrer 
vielgestaltigen  Aufgabe  gerecht  zu  werden,  und 
der  Erfolg  blieb  nicht  aus.  Die  überall  sorgsam 
abgewogenen  Raumverhältnisse ,  die  reiche, 
gleichwohl  nie  aufdringliche  Ausschmückung,  die 
durchaus  moderne  und  geschmacklich  selten  ab- 
geklärte Forniengebung,  all  das  verfehlt  seinen 
Eindruck  nicht;  dem  feinabgestimmten  Zusam- 
menklang, der  beim  Durchschreiten  des  Hauses 
laut  und  lauter  ertönt,  diesem  „Willen  nach 
Harmonie"   kann   sich    niemand   entziehen.  — 


PROFESSOR  FRANZ  METZNER —  BERLIN. 
EINE  D.  HELDENFIGUREN  D.VÖLKERSCHLACHT- 
DENKMALS  IN  LEIPZIG.    GRANIT.    9.50  m   HÖHE. 


PROFESSOR  FRANZ  METZNER  —  BERLIN. 
Büste:  geheimrat  Professor  dr.  hering. 


■■^y 


^ 


itf* 


FRANZ  WETZNER     BERLIN. 


i<ragmeiit  sLerbender  Krieger. 


EINDRÜCKE  VON  DER  BRÜSSELER  WELT-AUSSTELLUNG. 


HLRMA.NN   MUTHEMr- 


E^  ine  der  dringendsten  Aufgaben  der  Zeit 
V  wäre  es,  Welt-Ausstellungen  durch  inter- 
nationales Abkommen  zu  verbieten.  Das  schöne 
Programm,  das  der  Prinzgemahl  Albert  für  die 
erste  Welt-Ausstellung  in  London  1851  aufge- 
stellt hatte:  friedlicher  Austausch  ernster  Ar- 
beit an  Stelle  der  feindseligen  Bekämpfung 
der  Völker,  der  Regungen  edler  Menschlichkeit 
durch  die  Hebung  von  Technik,  Wissenschaft 
und  Kunst  —  wer  von  den  Arrangeuren  von 
Welt-Ausstellungen  denkt  heute  noch  an  so 
etwas !  Das  ganze  Ziel  ist  die  Heranziehung 
der  Fremden.  Grundstücks -Spekulanten,  die 
eine  Stadtgegend  aufschließen  wollen,  Bier- 
brauer und  Hotelwirte  sind  die  eigentlichen  Ge- 
winner. Die  Technik,  die  Kunst,  die  Wissen- 
schaft leisten  hierzu  Frohndienste.  Die  Frage 
ist  für  niemand  mehr,  ob  er  sich  beteiligen  wolle 
oder  nicht,  sondern  die,  ob  er  sich  leisten  kann, 
wegzubleiben.  Und  die  meisten  Industrien 
glauben,  sich  das  nicht  leisten  zu  können.  So 
entstehen  die  heutigen  Welt-Ausstellungen,  und 
so  ist  wohl  auch  die  von  Brüssel  entstanden. 
Sie  ist  erfolgreich,  denn  es  wimmelt  von  Frem- 
den. Alle  Hotels  sind  überfüllt.  Täglich  finden 
Feste  statt,  die  große  Hauptstraße  Brüssels,  die 


vom  Nord-  zum  Südbahnhofe  führt,  ist  perma- 
nent illuminiert.  Allabendlich  Umzüge  mit  Mu- 
sik. Kongresse  ohne  Zahl.  In  der  Ausstellung 
selbst  sind  diesmal,  und  das  ist  ein  Rekord, 
zwei  getrennte,  große  Vergnügungsparks  vor- 
handen, die  „Bruxelles  Kermesse"  (die  nie  feh- 
lende Stadt  in  Pappe)  und  die  „Pleine  des  At- 
tractions",  die  letztere  eine  amerikanische  Ver- 
anstaltung ä  la  Lunapark.  An  beiden  Stellen 
Kneipen,  Theater,  Bänkelsänger,  Rutschbahnen, 
Bauchtanz,  Menagerien,  Cowboy  truppen,  Neger- 
dorf. —  In  diesem  Trubel  werden  nun,  gleichsam 
als  Abwechselung,  auch  ernste  Sachen  gezeigt. 
Alle  Hauptländer  führen  ihre  Industrie-Erzeug- 
nisse, ihre  Maschinen,  ihre  Kunst  vor,  einige 
gewähren  auch  Einblicke  in  ihr  Schulwesen, 
ihre  Staatseinrichtungen,  in  die  Art  und  Weise, 
wie  sie  ihre  Städte  verwalten,  ihre  Eisenbahnen 
befahren ,  ihre  Post  befördern ,  ihre  Straßen 
pflastern.  Natürlich  ist  Studienstoff  in  Fülle 
aufgehäuft.  Nur  fragt  sich  jeder,  der  ihm  näher 
treten  will,  warum  denn  dies  in  solchem  Trubel 
geschehen  müsse,  der  alles  andere  eher  als  die 
Sammlung  zum  Studium  fördert.  Man  nimmt 
wohl  mit  Recht  an,  daß  der  Studienstoff  auf 
Welt-Ausstellungen  nicht  gehörig  zur  Geltung 


33 


Dr.  Henna7in  Jlfuthesncs  : 


j^elanfjt,  und  es  steht  fest,  daß  Sonder-Ausstel- 
lunj^en  hier  das  cinzij*  Richtige  wären,  Ausstcl- 
lunj^en,  die  so  eingerichtet  sein  müßten,  daß 
sie  dem  Fachmann  alle  Mittel  zur  Orientierung 
und  alle  Möglichkeiten  zum  ruhigen  Studium 
gcwäiirten.  Aber  würden  sich  solche  Ausstel- 
lungen rentieren?  Sicherlich  nicht  im  Sinne  der 
Bierwirtc ,  Schaubudenbesitzer  und  Grund- 
stücksspekulanten. 

Solange  es  nun  aber  noch  Welt-Ausstellungen 
gibt,  muß  mit  ihnen  gerechnet  werden.  Wenn 
wir  das  Gefühl  haben,  nicht  wegbleiben  zu 
dürfen,  müssen  wir  uns  auf  das  denkbar  Vor- 
teilhafteste präsentieren.  Wir  müssen  die  Auf- 
merksamkeit auf  uns  ziehen,  dem  Besucher  im- 
ponieren, ihm  das  Beste,  was  wir  haben,  zeigen. 
Wer  ist  der  Besucher?  Die  große  Menge  auf 
der  einen,  ein  internationales  Sachverständigen- 
Publikum  auf  der  andern  Seite.  Beide  haben 
getrennte  Interessen,  und  den  Interessen  beider 
muß,  wenigstens  bis  zu  einem  gewissen  Grade, 
Rechnung  getragen  werden. 

Die  Neigung  und  die  Veranlagung  für  Aus- 
stellungen sind  bei  den  verschiedenen  Natio- 
nen ganz  verschieden.  England  hat  auf  den 
letzten  Welt- Ausstellungen  meist  eine  gleich- 
gültige Zurückhaltung  gezeigt;  für  die  Brüsseler 
Ausstellung  hat  es  sich,  auf  Betreiben  des  eng- 
lischen Board  of  Trade,  aufgerappelt  und  tritt 
diesmal  imponierend  auf.  Frankreich  war,  na- 
mentlich auf  seinen  Hauptinteresse-Gebieten, 
Mode  und  Kunstindustrie,  von  jeher  sehr  rührig. 
Deutschland  ist  das  Land,  das  das  Ausstellungs- 
wesen in  den  letzten  20  Jahren  am  ernstesten 
aufgefaßt  hat,  es  ist  das  eigentliche  ausstellungs- 
tüchtigc  Land.  Es  war  stets  zur  Eröffnung 
fertig  (ein  heutzutage  geradezu  unerhörter  Zu- 
stand), die  Verwaltung  war  stets  tadellos  or- 
ganisiert, die  deutschen  Abteilungen  musterhaft 
aufgestellt  und  in  sehr  wirksame  künstlerische 
Rahmen  gefaßt  (und  noch  eins:  das  deutsche 
Weinrestaurant  war  stets  das  beste  auf  der 
Ausstellung,  ein  nicht  zu  unterschätzender  Um- 
stand, der  uns  bei  den  Besuchern  anderer  Natio- 
nalität manches  Stück  Achtung  eingebracht  hat). 
Namentlich  aber,  und  dafür  gebührt  den  Reichs- 
kommissaren unser  besonderer  Dank,  wurde 
kunstgewerblich  immer  das  Beste  geboten,  alle 
führenden  Künstler  waren  zur  Mitarbeit  heran- 
gezogen, die  Ausstellungen  zeigten  stets  das 
deutsche  Kunstgewerbe  auf  der  Höhe  seiner 
Leistung.  Wer  die  geradezu  musterhafte  kunst- 
gewerbliche Ausstellung  in  St.  Louis  miterlebt 
hat,  wird   sich   dessen  mit   Freuden    erinnern. 

Einen  ganz  neuen  Schritt  hat  nun  das  aus- 
stellungstüchtige Deutschland  in  Brüssel  getan, 
gewissermaßen  die   letzte   Konsequenz   seiner 


bisherigen  AusstcUungspolitik  gezogen:  es  hat 
eine  ganze  Veranstaltung  für  sich  allein  gemacht, 
indem  es  alle  deutschen  Ausstellungsgebiete  in 
einem  einzigen  geschlossenen  Rahmen  verei- 
nigte. Nachdem  man  die  üblichen  großen,  un- 
endlichen Hallen  der  Allgemein -Ausstellung 
durchschritten  hat,  in  denen  sich  die  Nationen 
mit  ihren  verschiedenen  Sektionen  ablösen,  ge- 
langt man,  über  das  Freie  hinweg,  an  die  ge- 
schlossene Gebäudegruppe  Deutschlands,  die 
etwas  selbstbewußt  und  apart  sich  als  letztes 
Besuchsobjekt  dem  Beschauer  darbietet.  An- 
einander reihen  sich  hier  die  Eisenbahnhalle, 
die  Kraftmaschinenhalle,  die  Hauptmaschinen- 
halle, die  allgemeine  Industriehalle,  die  Halle 
für  Unterricht  und,  als  Kopfstation,  am  Eingang 
der  ganzen  Baupruppc,  die  Halle  für  Raumkunst 
und  Kunstgewerbe.  Aus  der  Gruppe  sich  her- 
ausstreckend schließt  sich  das  deutsche  Haus 
an,  das  nur  Vcrwaltungs-  und  Repräsentations- 
räume enthält,  weiterhin  das  deutsche  Wein- 
restaurant und  etwas  getrennt  davon  eine  Bier- 
wirtschaft nach  Münchner  Art.  Alle  Gebäude 
tragen  einheitlichen  Charakter.  Das  getrennte 
Auftreten  gab  Deutschland  Veranlassung,  die 
Aufmerksamkeit  stärker  auf  sich  zu  lenken  und 
^•ewissermaßen  alle  seine  heutigen  Leistungen 
als  aus  einem  Geiste  geboren  hinzustellen. 
Natürlich  sind  nationale  Ausstellungen  in  Son- 
derhäusern nichts  Neues,  ist  es  doch  das  Üb- 
liche, daß  Kolonien  und  kleinere  Länder  diesen 
Weg  wählen.  Bei  Deutschland  handelt  es  sich 
aber  nicht  um  ein  Haus,  sondern  um  eine  ganze 
Ausstellungsanlage. 

Künstlerisch  ist,  unsrer  guten  Tradition  ent- 
sprechend, wieder  das  Beste  wenigstens  ange- 
strebt. Die  innere  Gestaltung  der  einzelnen 
Hallen  ist  in  die  Hände  hervorragender  Archi- 
tekten gelegt,  und  in  der  Abteilung  für  Raum- 
kunst und  Kunstgewerbe  findet  sich,  wie  es 
zuletzt  in  Dresden  1906  der  Fall  war,  wieder 
beinahe  alles  zusammen,  was  an  der  Weiter- 
entwicklung des  deutschen  Kunstgewerbes  mit- 
arbeitet. Die  F'orm  der  kunstgewerblichen  Aus- 
stellungen, die  uns  in  Deutschland  geläufig  ge- 
worden ist,  ist  beibehalten:  Die  Ausstellung 
besteht  hauptsächlich  aus  Raumfolgen,  in  denen 
die  verschiedenartigsten  fertig  ausgestatteten 
Innenräume  vorgeführt  werden,  daneben  sind 
einige  Sammlungsräume  vorhanden,  in  denen 
die  Kleinkunst,  wie  Edelmetallarbeiten,  kera- 
mische Erzeugnisse,  Stoffe,  Stickereien  aus- 
gestellt werden.  Die  Vorführung  von  geschlos- 
senen Räumen  war  bisher  ein  deutsches  Privileg, 
und  Deutschland  stand  auf  Welt-Ausstellungen 
damit,  von  einzelnen  Ausnahmen  abgesehen, 
allein  da.   Jetzt  hat  sich  auch  England  völlig  zu 


54 


Eindrücke  von  der  Brüsseler  Welt-Ausstelhing. 


diesem  System  bekannt;  und  nur  Frankreich 
stellt  noch  in  Kojen  seine  Möbelgarnituren  aus. 
Freilich  treten  beide  Länder  nur  mit  Repro- 
duktionen alter  Stilmöbel  auf. 

Deutschland  hat  an  vierzig  solcher  Innen- 
räume ausgestellt ;  Räume  einer  vornehmen 
Wohnung ,  Räume  einer  einfachen  Wohnung, 
Klubräume,  Leseräume,  Amtszimmer,  die  Woh- 
nung eines  Kunstfreundes  und  anderes.  Be- 
teiligt sind  Bruno  Paul,  Riemerschmid,  Behrens, 
Kreis,  Billing,  Niemeyer,  Bertsch,  Albin  Müller, 
Länger,  Högg.Schultze-Naumburg,  R.  A.  Schrö- 
der, Troost,  Hoffacker,  Birkenholz,  Thiele,  Veil, 
Dobert,  Heidrich,  Paul  Thiersch,  Orlik,  Otto 
Walther,  Frl.  v.  Baczko,  also  eine  große  Anzahl 
der  heute  in  Deutschland  tätigen  Kräfte.  Offen- 
bar war  es  nicht  leicht,  allen  sich  andrängenden 
Wünschen  gerecht  zu  werden,  denn  es  waren 
räumliche  Grenzen  gesteckt.  So  ist  eine  Viel- 
heit kleiner  Räume  als  Resultat  zu  verzeichnen. 

Es  würde  zu  weit  führen,  das  Vorgeführte 
klassifizieren  oder  gar  beschreiben  zu  wollen. 
Richtiger  erscheint  es,  einige  allgemeine  Beob- 
achtungen wiederzugeben,  die  sich  auch  darauf 
beziehen,  wie  solche  Dinge  im  Ausland  wirken, 
und  wie  wir  überhaupt  mit  dem  Vorgeführten 
der  Kritik  anderer  Nationen  standhalten.  Denn 
wie  schon  eingangs  erwähnt,  kommt  es,  wenn 
wir  einmal  auf  eine  Welt-Ausstellung  gehen, 
darauf  an,  uns  in  möglichst  gutem  Lichte  zu  zei- 
gen, die  gegenteilige  Absicht  würde  absurd  sein. 

Hier  muß  nun  gleich  eines  Umstandes  Er- 
wähnung geschehen,  der  es  verhindert,  die 
deutsche  Kunstgewerbe-Ausstellung  in  so  vor- 
teilhaftem Lichte  erscheinen  zu  lassen,  wie  es 
erwünscht  wäre :  es  ist  die  zu  starke  Zusammen 
drängung  und  Ineinanderschachtelung  der  Räu- 
me. Zwanzig  Räume  von  doppelter  Größe  wären 
weit  besser  gewesen,  als  die  jetzigen  vierzig.  Fast 
keiner  der  Räume  vermittelt  einen  „Raumein- 
druck", es  fehlt  dazu  das  Notwendigste:  der 
Raum.  Die  Räume  sind,  bis  auf  wenige  Aus- 
nahmen, klein  und  eng  und  vollgedrängt  mit  Mö- 
beln, sie  machen  den  Eindruck,  als  wenn  das  Mit- 
telstück herausgeschnitten  und  Kopf  und  Ende 
zusammengeleimt  wären.  Das  Publikum  schiebt 
sich  auf  den  frei  gelassenen  engen  Passagen  qual- 
voll hindurch  und  ist  froh,  wenn  es  aus  dem 
Labyrinth  wieder  heraus  ist.  Man  hat  ein  be- 
engendes, drückendes  Gefühl,  das  den  guten 
Willen  der  Würdigung  des  Gebotenen,  selbst 
wo  er  vorhanden  ist,  beeinträchtigt.  Vielen 
der  Räume  fehlt  es  außerdem  an  Licht.  Kriechig, 
dunkel  und  eng,  das  ist  der  erste  Eindruck  des 
Besuchers. 

Dadurch  ist  uns  mancher  Vorteil  verloren  ge- 
gangen.   Was  ist  es,  was  dem  Beschauer  bei 


Betrachtung  eines  Wohnraumes  gefällt?  Es  ist 
das  Wohnhafte,  d.  h.  die  Behäbigkeit,  der  Kom- 
fort. Dieser  besteht  aber  zum  nicht  geringen 
Teile  in  einer  gewissen  behaglichen  Geräumig- 
keit, natürlich  vor  allem  auch  in  Luft  und  Licht. 
Der  Beschauer  in  Brüssel  hat  nichts  davon,  daß 
man  es  hier  fertig  gebracht  hat,  die  Innen- 
künstler ganz  Deutschlands  zu  Worte  kommen 
zu  lassen.  Das  ist  ein  ausschließlich  interner 
Gesichtspunkt.  Weniger  wäre  gerade  hier  mehr 
gewesen.  Eine  vorzügliche  Lehre  gibt  uns  hier 
England.  Allgemein  wird  anerkannt,  daß  ein 
Eßzimmer  der  Firma  White,  Allom  &  Co.  das 
beste  Zimmer  der  Ausstellung  sei.  Wer  das 
Zimmer  vom  rein  formal-künstlerischen  Stand- 
punkte aus  betrachtet ,  kann  kaum  begreifen, 
wo  sich  dieses  Urteil  herschreibt.  Die  weiß 
gehaltenen  Wände  haben  eine  Säulenarchitektur, 
wie  sie  in  England  in  der  ersten  Hälfte  des 
18.  Jahrhunderts  üblich  war  (sie  ist  formal  nicht 
einmal  einwandfrei).  Die  ebenfalls  nach  alten 
Mustern  imitierten  Möbel  haben  keine  Bezieh- 
ung zu  den  Wänden,  das  Mobiliar  ist  nicht  ein- 
mal einheitlich,  das  ganze  Zimmer  widerspricht 
den  Prinzipien  der  künstlerischen  Gestaltung. 
Aber  es  vermittelt  einen  behäbigen,  komfor- 
tablen Eindruck.  Man  hat  das  Gefühl,  daß 
sich  gebildete  Menschen  darin  in  Behaglichkeit 
bewegen  können ,  man  möchte  selbst  darin 
wohnen.  Breite,  Länge  und  Höhe  stehen  im 
richtigen  Verhältnis  zu  einander,  und  die  abso- 
luten Maße  sind  eher  zu  groß  als  zu  klein  ge- 
wählt. Der  räumliche  Eindruck  ist  so  stark, 
daß  alles  Formale  in  den  Hintergrund  tritt. 

Die  formale  Gestaltung  ist  der  zweite  Um- 
stand, der  dem  günstigen  Urteile  über  die  deut- 
schen Zimmer  bei  den  meisten  ausländischen 
Betrachtern  im  Wege  steht.  Natürlich  haben 
wir  durch  die  intensive  Arbeit  der  letzten  fünf- 
zehn Jahre  in  Deutschland  einen  heute  schon 
als  national  zu  bezeichnenden  neuartigen  Aus- 
druck in  der  Innenarchitektur  erreicht;  das  soll 
auch  vor  dem  Auslande  weder  verheimlicht 
noch  verschleiert  werden.  Wir  sollten  aber  so 
vorsichtig  sein,  dort  nur  das  Ausgereifteste  und 
Beste  zu  zeigen.  Experimente  ins  Unbekannte 
hinaus  sollten  vermieden  werden;  sie  sind  im 
Inlande  vielleicht  interessant  und  fürdie  Weiter- 
entwicklung fördernd,  vor  den  Augen  des  Aus- 
landes sollten  wir  uns  mit  dem  begnügen,  was 
wir  als  unseren  sicheren  Besitz  bezeichnen  kön- 
nen, gilt  es  doch,  selbst  diesen  nach  außen  hin 
noch  tapfer  zu  verteidigen.  Das  Launische, 
Kapriziöse,  Anekdotische,  das  hier  zum  ersten 
Male  vor  dem  Auslande  gezeigt  wird,  schadet 
uns.  Namentlich  sind  dem  Ausländer  die  rück- 
läufigen  Bestrebungen  unerklärlich,  die  neuer- 


3) 


Dr.  HcnnaiDi  Alullicsius  : 


dings  einen  Teil  unserer  Innenkünstler  in  ihren 
Bannkreis  gezof^en  haben.  Die  Wiederanknüp- 
funjien  an  Gewesenes  würden  diejenijien  Natio- 
nen, die  noch  Stile  reproduzieren,  vor  allem  die 
Franzosen,  ja  keineswegs  schockieren.  Wenn 
man  aber  gerade  das  Schrullenhafte,  Barocke, 
Verdorbene  hervorsucht  und  nachmacht,  hört 
auch  für  sie  die  Gemütlichkeit  auf.  Und  davon 
ist  gerade  auf  dieser  Ausstellung  viel  zu  sehen. 
Was  soll  man  dazu  sagen,  wenn  Künstler 
die  schlechten  Teppiche  der  fünfziger  Jahre 
(himmelblauen  Fond,  Kanten  und  Mittelstück 
aus  plastisch  dargestellten,  mit  Gelb  und  Braun 
abschattierten  Akantiiusblättern)  zum  Vorbild 
nehmen  und  sie  ziemlich  wörtlich  wiederholen? 
Und  wenn  man  Schnitzerei  anbringt,  muß  sie 
dann  gerade  an  jene  Zeiten  erinnern,  in  denen 
das  künstlerische  Niveau  am  tiefsten  stand? 
Das  was  man  an  solchen  Dingen  auf  der  Aus- 
stellung bemerkt  (es  stammt  meistens  aus  Mün- 
chen), ist  für  unsere  ISewegung  direkt  besorgnis- 
erregend. Gewiß  mag  es  langweilig  erscheinen, 
immer  streng,  korrekt  und  sachlich  zu  sein.  Das 
Einerlei,  auch  das  des  Guten,  wirkt  für  manchen 
aufreizend.  Für  unsre  junge  Bewegung  ist  aber 
vorläufig  die  nüchterne  Konsequenz  noch  ganz 
unentbehrlich,  wir  können  uns  in  unserm  gegen- 
wärtigen, doch  immerhin  noch  recht  wenig  ge- 
festigten Zustande  Debauchen  noch  nicht  leisten. 
Vor  allem  aber  —  und  darauf  allein  kommt  es 
hier  an  —  sollen  wir  uns  vor  dem  Auslande 
nicht  anders  als  in  guter  Haltung  zeigen.  Die 
Ausschreitungen  sind  umsomehr  zu  beklagen, 
als  unsre  Nachbarländer ,  namentlich  die  des 
romanischen  Sprachgebietes  gerade  angefangen 
haben,  unsre  Bewegung  in  der  architektonisch 
strengeren  Form,  wie  sie  sich  seit  etwa  1902 
entwickelt  hat,  zu  verstehen  und  zu  schätzen. 
Sowohl  in  der  französischen  als  der  italieni- 
schen Abteilung  finden  sich  diesmal  Möbel  und 
Zimmer,  die  die  deutschen  Anregungen  dieser 
Art  aufgenonunen  und  sehr  nett  verwertet  ha- 
ben. Die  Zimmer  sind  für  diese  Länder  ganz 
neuartig,  sie  haben  nichts  mehr  zu  tun  mit  dem 
peinlichen  nouveau-art-Charakter,  den  man  bis- 
her zu  sehen  gewohnt  war.  Viele  Franzosen 
ahnen  jetzt,  was  wir  wollen,  und  selbst  die  ein- 
gefleischtesten Stilmöbelverehrer  sprechen  es 
jetzt  aus,  daß  Frankreich  hundert  Jahre  lang 
geschlafen  habe  und  jetzt  notwendigerweise 
aufgeweckt  werden  müsse.  Sie  verstehen  die 
Rückfälle  in  die  schlechtesten  Stilcpochen,  die 
wir  uns  übermütig  leisten,  dann  natürlich  um- 
soweniger. 

Muß  man  so  bei  unsrcr  Ausstellung  von  Innen- 
räumen feststellen,  daß  sie,  so  gut  sie  ist,  doch 
hätte    eindrucksvoller    sein    können,    und    daß 


sie  uns  leider  nicht  die  Anerkennung  einbringt, 
die  wir  uns  sonst  füglich  hätten  erringen  kön- 
nen, so  kann  von  den  Samniel- Ausstellungen 
kunstgewerblichen  Kleingeräts  behauptet  wer- 
den, daß  das  Gezeigte  Deutschland  zur  größten 
Ehre  gereicht.  Alles  was  hier  an  Metall-Ar- 
beiten, Schmuck,  Keramik,  Glas,  an  Stoffen, 
Stickereien,  Leder-Arbeiten,  Buch-Einbänden 
ausgebreitet  ist,  atmet  höchsten  Geschmack 
und  ist  eine  wahre  Augenweide.  Hier  können 
wir  erfreulicherweise  unsere  Superiorität  über 
alle  andere  Völker  feststellen.  Hier  ist  es,  wo 
wir  die  wahren  Früchte  unsrer  Bewegung  er- 
kennen, wo  wir  sagen  können,  daß  sich  ein 
auch  vor  einem  ganz  internationalen  Publikum 
gültiges ,  hohes  deutsches  Geschmacksniveau 
dokumentiert.  Leider  beeinträchtigt  auch  hier 
der  Mangel  an  Licht  und  die  Engigkeit  der  Auf- 
stellung die  Wirkung  der  ausgestellten  Gegen- 
stände. Sie  müßten  dem  Auge  bequem  darge- 
boten, raffiniert,  ohne  Zusammendrängung  auf- 
gestellt sein,  im  hellen  Tageslicht  betrachtet 
werden  können.  In  dieser  Beziehung  haben 
doch  die  sonst  gewiß  langweiligen  hohen  Aus- 
stellungshallen, in  denen  sich  die  Ausstellungen 
der  andern  Völker  abspielen,  ihr  Gutes.  Man 
atmet  in  ihnen,  wenn  man  aus  der  deutschen 
Kunstgewerbe-Ausstellung  kommt,  förmlich  auf. 

In  solchen  Hallen  haben  England,  Frankreich, 
Italien  ihre  kunstgewerblichen  Erzeugnisse  aus- 
gestellt. Bei  England  fällt  auf,  daß  es  sich  fast 
lediglich  auf  die  Vorführung  von  Kopien  alter 
Möbel  beschränkt  hat.  Mittendurch  sind  auch 
wirkliche  alte  Möbel  ausgestellt.  Den  Kopien 
ist  durch  „Altmachen"  der  Charakter  alter  Ori- 
ginale verliehen.  Die  Chinoiserien  und  andere 
Schrullen  des  18.  Jahrhunderts  spielen  dabei 
eine  große  Rolle,  Und  wäre  nicht  die  nette 
Zimmerfolge  des  unternehmenden  Hauses 
Waring  &  Gillow  vorhanden,  das  wenigstens 
bei  seinen  Stilmöbeln  nicht  so  tut,  als  wären 
sie  alt,  so  müßte  man  glauben,  daß  in  England 
alles  Lebensgefühl  erstorben  wäre.  Vorzüglich 
ist  diesmal  jedoch  die  englische  Keramik  ver- 
treten. Was  hier,  und  zwar  auch  im  neuzeit- 
lichen Sinne  geleistet  ist,  verdient  volle,  auf- 
richtige Bewunderung. 

Frankreich  hat  seine  besten  Pariser  Tischler 
ins  Feld  geschickt,  die  eine  kleine,  aber  außer- 
ordentlich gute  Ausstellung  zusammengebracht 
haben.  Es  ist  eigentlich  alles,  was  da  ist,  aller- 
ersten Ranges.  Und  man  hat  hier  wieder  Ge- 
legenheit, jene  eminent  feine  Technik  und  jenen 
Gipfel  werklicher  Vollkommenheil  zu  bewun- 
dern, der  Paris  noch  immer  eigentümlich  ist  und 
ihm  geradezu  ein  Monopol  verleiht.  Wie  aus- 
sichtslos  es   ist,    dies  Monopol    zu  bestreiten. 


Eindrücke  von  der  Brüsseler  Welt-Ausstellung. 


das  zeigt  das  gänzlich  von  Frankreich  abhän- 
gige Belgien.     Eins  sollte  von  diesen  Möbeln 
gelernt    werden,    sie    sollten    einen    Ansporn 
für    die   Erhöhung    der    Qualität    der  Tischler- 
arbeit  abgeben.     Wenn   sich   auch   behaupten 
läßt,   daß   unsre   deutschen  Ausstellungsgegen- 
stände im  allgemeinen  recht  gut,  zum  Teil  sogar 
vorzüglich  gearbeitet  sind,   so   fielen   doch  ge- 
legentlich  einige   sehr  bedenkliche  Nachlässig- 
keiten auf,  die  vor  einem  internationalen  Forum 
unbedingt   hätten    vermieden    vi'erden    müssen 
(auf  das  Glas  aufgeleimte  dünne  Ziersprossen, 
die  natürlich  zum  Teil  abgesprungen  waren). 
In  der  französischen  Abteilung  ist  noch  der  Clou 
der  ganzen  Welt-Ausstellung  zu  erwähnen;  die 
Ausstellung  von  Damenkleidern.    Auch  hier  wie 
bei  den  Möbeln  höchste  Technik,  wenn  auch  in 
Bezug  auf  die  Materialien,  besonders  des  Be- 
satzes, Unsoliditäten  üblich  sind,  die  beim  Möbel 
nie  vorkommen  würden.    Was  hier  die  Pariser 
Schneider  aus  der  Frau  gemacht  haben,  spot- 
tet jeder  Beschreibung.    Glich  sie,   angezogen, 
bisher   einer   auf   der   Basis    stehenden   Pyra- 
mide,  so  gleicht  sie  jetzt  einer  auf  der  Spitze 
stehenden:    oben   breit   und   unten    schmal  ist 
die    Devise ,     dabei    verstärkt    ein    herausfor- 
dernder, fast  drohender  Riesenhut  die  seltsame 
Wirkung.    Das  sind  keine  Menschen  mehr,   es 
scheinen  große  bunte  Riesenraupen  zu  sein,  aus 
denen   oben   ein  kleines  menschliches  Gesicht 
heraussieht.     Übrigens   haben    eingestandener- 
maßen unsre  Künstlerkleider  Anregung  zu  diesen 
jedenfalls  ganz  freien,  nicht  auf  historischen  Re- 
miniszenzen beruhenden  Entfaltungen  gegeben. 
Von  belgischem  modernen  Kunstgewerbe 
ist  wenig  zu  sehen,  was  gezeigt  wird,  ist  meist 
französischen  Charakters.    Serrurier-Bovy,  der 
für  moderne  Ideen  kämpfte  und  England  kannte, 
als  auf  dem  Kontinent  noch  niemand  an  Ähn- 
liches dachte,  stellt  in  einem  kleinen  Sonder- 
pavillon  sechs  Zimmer  aus.    Es  ist  noch  genau 
dasselbe,  was  wir  1895  aus  Belgien  empfingen. 
Horta  fehlt  auf  der  Ausstellung,   obgleich  er  in 
Brüssel  selbst  eine  lebhafte  Bautätigkeit  entfal- 
tet. —  Holland  ist  außer  Deutschland  das  ein- 
zige Land,   das  alle  seine  Ausstellungsgegen- 
stände in  einem  für  Ausstellungszwecke  errich- 
teten Sondergebäude   zeigt.    Das  Gebäude   ist 
eine  sehr  ansprechende  Komposition  aus  Mo- 
tiven des  altholländischen  Ziegelbaues,  trotz  der 
Stilnachahmung  eines  der  wirkungsvollsten  Ar- 
chitekturwerke der  Ausstellung.   Innen  erfreuen 
uns  eine  Anzahl  recht  guter  Wohnräume.    Sie 
schließen  sich  in  ihrer  Formensprache  ganz  den 
deutschen  Räumen  an.    Auch  sonst  bietet  Hol- 
land viel  des  Interessanten.    Besonders  erfreu- 
lich ist  die  vor  dem  Hause   sich    ausbreitende 


regelmäßige  Gartenanlage,   die  ganz  in  die  Be- 
häbigkeit der  altholländischen  Kultur  versetzt. 

Überhaupt  schließt  die  Ausstellung  außer- 
ordentlich viel  gärtnerische  Anlagen  in  sich. 
Neben  den  Gärten  Belgiens,  die  sich  vor  der 
Front  des  Haupt-Ausstellungsgebäudes  aus- 
dehnen, erregen  sehr  ausgedehnte  französische 
Anlagen,  mit  reicher  Verwendung  von  Wasser, 
die  Hauptaufmerksamkeit.  Auch  vor  dem 
deutschen  Hause  sind  kleinere  Gärten  ange- 
legt. In  diesem  reichen  Blumen-  und  Pflanzen- 
schmuck spiegelt  sich  die  gute  Tradition  Brüssels 
wieder,  das  auf  seine  Parks,  Schmuckplätze, 
Gärten  und  Avenüen  außerordentlich  viel  Mühe 
verwendet.  Freundlich  und  festlich  wie  das 
Stadtbild  ist  dadurch  auch  die  Ausstellung  ge- 
worden ,  auf  der  diesmal  die  Nationen  zum 
Wettkampf  erschienen  sind. 

Alles  in  allem  können  wir  mit  dem  Erfolge, 
den  sich  Deutschland  in  diesem  Wettkampfe 
errungen  hat,  wohl  zufrieden  sein.  Der  Ein- 
druck, daß  wir  gerade  im  Kunstgewerbe,  ange- 
sichts der  Anzahl  der  jetzt  in  Deutschland  täti- 
gen Kräfte,  und  angesichts  der  immer  weiter  um 
sich  greifenden  Macht  der  neuen  Ideen  noch  mehr 
Wirkung  hätten  erzielen  können,  soll  uns  die 
Freude  an  dem  doch  immerhin  Erreichten  nicht 
trüben.  Allgemein  wird  der  starke  Wille  zur 
Kultur  und  die  wahrhaft  imponierende  Kraft 
Deutschlands  anerkannt.  Das  tun  auch  die, 
die  unsrer  Auffassung  in  künstlerischen  Dingen 
fern  stehen,  und  das  sind,  im  großen  und  ganzen 
noch  immer  alle  romanischen  Völker.  Lernt 
man  aber  kennen,  wie  gut  deren  Formgefühl 
innerhalb  des  ihnen  geläufigen  Vorstellungs- 
kreises entwickelt  ist,  wie  sie  sich  in  sicheren, 
durchaus  verfeinerten  Lebensformen  mit  Selbst- 
verständlichkeit bewegen,  wie  ihnen  eigentlich 
so  gar  nichts  fehlt  und  sie  auch  bei  ihrer  leichte- 
ren, weniger  nachdenklichen  Auffassung  des 
Lebens  auch  keinerlei  Mangel  empfinden,  so 
versteht  man  ihr  Kopfschütteln  gegenüber  un- 
sern  konvulsivischen  Bewegungen,  uns  die  un- 
serm  Wesen  entsprechenden  Lebensformen  neu 
zu  schaffen.  Es  wird  noch  lange  dauern ,  ehe 
wir  bei  ihnen  volles  Verständnis  für  das,  was 
wir  wollen,  finden.  Aber  unentwegt  neben  der 
romanischen  entwickelt  sich  bereits  die  ger- 
manische Welt  mit  ihrer  Expansionskraft  und 
ihrem  Bildungsdrange.  Sie  wird  ein  Bereich 
für  sich  werden,  das  notwendigerweise  auch 
seine  künstlerischen  Ausdrucksformen  nach  sei- 
nem Innern  Bedürfnis  gestalten  wird.  Daß  dies 
bereits  bis  zu  einem  gewissen  Grade  geschehen 
ist,  das  drängt  sich  gerade  in  Brüssel  jedem  Be- 
sucher der  deutschen  Ausstellung  als  unwider- 
legliches Resultat  seiner  Besichtigung  auf.   — 


1910/11.  I.  4. 


37 


EMANULL  VON  SEIUL     MÜNCHEN. 


Haub  Kestranek.   \'urder-Ansicht. 


HAUS  KESTRANEK  IN  ST.  GILGEN. 

ERHAUT  Vc_)N  EMANUEL  VON  SEIDL. 


ES  war  noch  zur  Zeit  unserer  Väter  eine 
Lust,  im  „Österreichischen"  herumzuwan- 
dern, bei  luculHschen  Genüssen  in  den  reizenden 
Stuben  zu  sitzen  und  die  heiteren  poetischen 
Orte  zu  durchstreifen. 

Jeder  Platz  hatte  sein  charakteristisches  Ge- 
präge und  seine  Bewohner  ihr  typisches  Kostüm. 

Die  Neuzeit  hat  es  allerdings  fertig  gebracht, 
gerade  in  Österreich  durch  moderne  Villenbauten 
und  komfortable  Gasthäuser  diese  Bilder  so  stark 
zu  stören,  daß  man  oft  wehmütig  davon  betroffen 
wird  ;  —  mir  ist  es  so  gegangen,  als  ich  jüngst 
durch  St.  Gilgen  am  Wolfgangsee  wanderte , 
woselbst  ich  noch  die  Eindrücke  meiner  Jugend 
zu  sehen  und  wieder  zu  genießen  glaubte.  Um 
so  erfreulicher  ist  es,  daß  auf  einer  dominieren- 
den Höhe  ein  neues  Gebäude  entstanden  ist, 
das  zwar  recht  komfortabel  und  modern  aussieht 


und  doch  die  gemütvolle  alte  Tonart  trägt.  Als 
ich  mich  näher  erkundigte,  hörte  ich,  daß  es 
dem  Zentraldirektor  Wilhelm  Kestranek  ge- 
hörig und  von  Emanuel  von  Seidl  aus  München 
erbaut  worden  sei.  Gerade  dieser  Meister  hat 
an  seinen  vielfachen  Beispielen,  die  er  in  die 
Welt  gesetzt  hat,  den  Weg  gezeigt,  wie  man 
vorbildlich  und  volkstümlich  bauen  soll. 

Das  Haus  Kestranek,  das  ich  später  zu  be- 
sichtigen Gelegenheit  hatte,  ist  wie  aus  dem 
Boden  gewachsen,  in  der  Silhouette  von  allen 
Seiten  reizvoll,  und  recht  im  Einklang,  einesteils 
mit  den  aufsteigenden  Felswänden,  andernteils 
mit  der  herrlichen  Seelandschaft. 

Der  Grundriß  des  Hauses  ist  ziemlich  bewegt, 
um  den  schönen  Aussichten  tunlichst  die  Fen- 
sterseiten zuzuführen,  löst  sich  aber  in  großer 
Ruhe  und  Natürlichkeit  in  der  Dachform   auf. 


PROF.  EMANUEL  VON  SEIDL. 
HAUS  KESTRANEK  IN  SANKT  GILGEN. 
EIXG.ANG   VO.M   VORDEREN    G.\RTEN. 


Hans  Kestranek  in  St.  Gilden. 


auNffiiä 


iriüfiy '  Vit 


PKOFESSOR  EMAMTEL  VON  SEIDL     MÜNCHEN. 


Die  Wände  sind  zum  Schutze  gegen  die  Stürme 
teilweise  mit  Schindeln  versehen,  vifodurch 
auch   die  Wirkung    des   Daches    erhöht   vi'ird. 

Die  Fenster  in  ihren  verschiedenen  Lagen 
und  ihrer  vk^echselnden  Gestaltung  lassen  jeweils 
ohne  weiteres  den  Zweck  ersehen ,  dem  sie 
dienen,  und  sie  sind  für  die  Räume  die  haupt- 
sächlichste Dekoration.  So  kommt  es  denn,  da 
die  Räume  ferner  durch  verschiedenartige  Ab- 
messungen, durch  zwischengelegte  Decken  oder 
Wölbungen  und  sparsame  Gesimse  besonders 
charakterisiert  sind,  daß  jeder  Raum  gewisser- 
maßen schon  im  Rohbau  fertiggestellt  ist. 

Wir  sehen  dies  aus  dem  behaglichen  Vestibül 
mit  seinem  eingebauten  Kamin,  den  Türumrah- 


Speisezimmer.   Haus  Kestranek. 


inungen  aus  Tuffstein,  dem  roten  Backsteinpfla- 
ster etc.,  wie  wenig  zur  Ausschmückung  notwen- 
dig ist,  um  die  größte  Behaglichkeit  zu  erzielen. 

Wir  sehen  im  Herrenzimmer  einen  ganz  in 
Zirbelholz  getäfelten  Raum,  wir  sehen  ein  kom- 
fortables Speisezimmer,  welches  Anklänge  an 
Biedermeier-Motive  zeigt,  jedoch  mit  solcher 
Freiheit  behandelt,  daß  Emanuel  von  Seidls 
Eigenart  völlig  gewahrt  bleibt. 

Erwähnenswert  ist  noch,  daß  auch  die  ein- 
fachsten Zimmer  dieses  Hauses,  dieV'crbindungs- 
gänge  etc.  interessante  und  sympathische  Lö- 
sungen zeigen.  In  diesem  Hause  verweilt  man 
gern;  man  fühlt  sich  heimisch,  sobald  man  die 
Schwelle  betreten  hat.  —  r. 


4u 


PROFESSOR  EMANUEL  VON  SEIDL.      HAUS  KESTRANEK  AM  ABERSEE.    RUCKSEITE  MIT  HAUPT-EINGANG. 


CHR.  ROSELIUS     BREMEN. 


Aui  dem  (rarten  Roselius. 


BRAUCHBARE  GARTENKUNST. 


Noch  immer  steht  von  all  den  schönen  Er- 
folgen, den  großen  Taten,  dem  heißen 
Wollen  unsrer  jungen  Kunst  die  größere  Hälfte 
nur  auf  dem  Papier:  Ausstellungserfolge,  be- 
wundernswerte Entwürfe,  die  niemals  ausge- 
führt wurden,  Paradeleistungen,  die  aus  irgend 
einem  besonderen  Anlaß  entstanden  sind  — 
und  daneben  immer  noch  ein  unabsehbares 
Heer  von  Kulturlosigkeit  und  Unverstand,  an 
guter  Nutzkunst  für  den  Alltag  überall  noch 
ein  schmerzlicher  Mangel.  Auch  von  Brüssel 
kommt  man  mit  demselben  Gedanken  heim : 
Ein  Spiegelbild  des  deutschen  Schaffens  der 
Gegenwart  ist  das  leider  nicht,  was  unter  Bruno 
Pauls  und  Peter  Behrens'  Führerschaft  dort  mit 
Recht  Bewunderung  erregt ;  es  ist  kein  Jahres- 
durchschnitt durch  die  Produktion  unsererWerk- 
stätten  und  Firmen,  sondern  eine  durch  den  tat- 
kräftigen Willen  einiger  weniger  entstandene 
Auslese.  Gerade  das,  was  die  angewandte 
Kunst  zum  bedeutungsvollen  Kulturfaktor  macht, 
das  künstlerisch  anständige  Niveau  in  der  ge- 
samten  Produktion    muß    also   unser   nächstes 


Ziel  sein,  mehr  als  die  gesteigerte  Einzelleistung. 
—  Es  bedarf  dazu  nicht  nur  der  Führer,  deren 
Ruf  und  Werk  ja  nun  zur  Genüge  unter  uns 
feststeht  und  nicht  mehr  Gefahr  läuft,  verkannt 
oder  verachtet  zu  werden,  es  bedarf  vielmehr 
großer  Scharen  von  Mitstreitern,  von  prakti- 
schen Männern  mit  dem  rechten  Sinn  für  die 
Ziele  der  Zeit  und  mit  der  Fähigkeit,  in  der 
Arbeit  des  Alltags  die  kleine  Münze  des  prak- 
tischen Erfolgs  aus  der  großen  Theorie  zu  prägen. 
So  steht  es  auch  in  dem  Gebiet,  von  dem  hier 
zu  sprechen  ist,  im  Gartenbau.  Die  Zahl  der 
interessanten  großangelegten  Ideen,  die  in  den 
letzten  Jahren  bei  Park-  und  Friedhof-Wettbe- 
werben, bei  Ausstellungen  und  anderen  Ge- 
legenheiten auf  dem  Papier  oder  in  vergäng- 
licher Wirklichkeit  als  Werke  moderner  Garten- 
kunst entstanden,  ist  fast  unübersehbar;  aber 
wie  steht  es  um  die  Masse  der  kleinen  und 
großen  Hausgärten,  der  täglichen  Arbeit  im 
Gartenbau  ?  Noch  alljährlich  kehren  die  all- 
bekannten Schaufenster-Dekorationen  wieder, 
die   uns   daran   erinnern,   was   zur  Ausstattung 


47 


Brauchbare  Gartenkunst. 


CHR.  ROSKI.IUS     BREMEN. 


des  Gartens  gekauft  wird:  die  Naturholzlaube, 
die  Zwerge,  Rehe  und  Pilze  aus  bemaltem  Ton, 
und  was  dazu  gehört;  und  wo  solche  Schmuck- 
stücke begehrt  werden,  da  steht  es  mit  der 
Weganlage,  der  Bepflanzung  und  der  Einfrie- 
digung, also  mit  der  ganzen  Idee  moderner 
Gartenkunst  jedenfalls  nicht  viel  besser. 

Die  Aufgabendes  Alltags  haben  überdies  Vor- 


i  lartei!  ini  ilau^e  l-.mtl  W'aljeii. 

züge,  die  unsere  Künstler  schätzen  sollten.  Sie 
zwingen  durch  den  beschränkten  Raum  und  die 
keineswegs  unbegrenzten  Mittel,  die  zur  Verfü- 
gung stehen,  zu  einer  Ökonomie  der  erfindenden 
Phantasie,  zu  einer  sparsamen  Ausnutzung  der 
künstlerischen  Möglichkeiten.  Und  damit  sind 
sie  die  eigentliclie,  allein  wertvolle  Form  von 
Arbeit,  die  wir  brauchen.  —  Chr.  Roselius,  von 


^t^l^i:- 


% 


CHR.  ROSELIUS    BREMEN.     Pavillun  in  ubigciu  Garlen. 


4« 


CHR.  ROSELIUS     BREMEN. 


BREMER  HAUSG.VRTEN. 


CHR.  ROSELIUS     BREMEN. 


GARTEN  IM  HAUSE  DK.  DANZIGER- BREMEN. 


lOlU/ll.  X.  6. 


49 


Dr.  K.  Schaefey 


CK.  ROSELIUS-BREMEN. 

dessen  Gartenan- 
lagen hier  einige 
Proben  gezeigt 
werden,  ist  ein 
Mann  von  gründ- 
licher handwerk- 
licher Schule.  An 
der  Gartenbau- 
schule in  Proskau 
hat  er  als  Gärt- 
ner sicher  viel 
Gutes,  aber  auch 
alle  die  Torheiten 
gelernt,  aus  de- 
nen sich  die  soge- 
nannte Natürlich- 
keit der  Garten- 
anlage vor  zwan- 
zig Jahren  zusam- 
mensetzte. Daß 
er  trotzdem  sich 
von  den  Schlan- 
genwegen ,  Tep- 
pichbeeten und 
Tropf  steingrotten 
lossagte,  ist  ein 
schöner  Beweis 
verständnisvoller 


f.ARTENI.AUBE  BEI  1)R.  HESSE  -VERDEN. 


IKKKASSE.    (iARlEN  B.  HEYE. 

Liebe  zu  seinem 
Beruf.  Es  sind 
keine  ungewöhn- 
lichen Ausnahme- 
leistungen, die  wir 
hier  von  ihm  ver- 
öffentlichen, son- 
dern Aufgaben  all- 
täglicher Art.  Der 
einfache  Haus- 
garten hinter  dem 
oft  nur  7  —  8  Me- 
ter breiten  Bre- 
mer Einfamilien- 
iiaus,  der  in  sei- 
ner langen  Strei- 
fenform künstleri- 
scher Gestaltung 
oft  ernste  Schwie- 
rigkeiten macht, 
ist  eine  Hauptauf- 
gabe in  Rose- 
lius'  Arbeit.  Grö- 
ßeren Umfangs 
und  deshalb  geeig- 
net zu  reicheren 
Raumwirkungen 
ist  der  Garten  des 


jü 


Brauchbare  Gatieiikunsf. 


VON   ARCHITEKT 
hR.  A.  NAGtL- 
vrRSBERn. 


1  l>    ALI  ER 
BRINNEN 
IN    FÜRTH. 
\'ACHERSTR. 


Hauses  Emil  Wätjen.  dessen  Pavillon  mit  den 
geschickt  angefügten  weißen  Lattenwänden  den 
Abschluß  des  Ziergartens  gegen  Tennisplatz  und 
Stallgebäude  bildet,  und  dessen  leicht  orna- 
mental gezeichnete  Rasenflächen  durch  einige 
wenige  farbigkräftige  Akzente  von  Blumen- 
gruppen unterbrochen  werden.  Wie  Laube  und 
Gartenbank,  wie  Weg  und  Terrasse,  wie  Wirt- 
schaftsgebäude und  Einfriedigung  sich  als  Steige- 
rung der  landschaftlichen  Schönheit  des  Gartens 


anfügen  können,  wie  dabei  einmal  die  fest- 
licheren Formen  der  höfischen  Gartenkunst,  ein 
andermal  die  einfachen  Motive  der  benach- 
barten Architektur  als  Anregung  dienen  kön- 
nen ,  dies  zeigen  die  abgebildeten  Proben, 
Alles  in  allem  :  Hier  wird  nicht  mit  gesuchten 
Mitteln  um  jeden  Preis  Kunst  angestrebt,  son- 
dern in  natürlichster  Einfachheit  dem  Garten 
wieder  Ausdruck  gegeben  mit  Mitteln,  die  sich 
ungezwungen  darbieten.  dr.  k.  schaeker. 


51 


ARCHITEKT  CARL  WITZMANX    WIEN. 

VERGI.ASUNG      EINES     SPEISEZIMMER-FENSTERS. 
.\USGEK.    VON    CARL    GEYLINGS    ERBEN     WIEN. 


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AKCHHEKT  CARL  WITZMANN      WIEN. 


ECKE  AUS  DEM  EMPFANGSZIMMER. 


ARCHITEKT  C.  WTTZMANN      WIEN.     EMI'l- A^■G^ZIMMEK.    WOHNUNC.  LlE.S  I'.ACMEISTERS  J.  MULLER- BRUNN. 


ARCHITEKT  CARL  VVITZMANN. 


Vitrine  aus  dem  Empfangszimmer. 


EINE  MODERNE  WOHNUNG  IN  BRUNN 

EINGERICHTET  VON  CARL  UTTZMANN. 


L Tnter  den  jungen  Raumkünstlern  Wiens  hat 
j  sich  Carl  Witzmann  seit  einiger  Zeit  zu 
einem  der  ersten  Plätze  durchgerungen.  Mit 
einer  sicheren,  wegfreudigen  Beharrlichkeit, 
ohne  Hast  und  ohne  Drängen,  ohne  Reklame- 
sucht und  mit  dem  frohen  Gefühl  einer  Kraft- 
natur, jenem  Gefühl  des  Zeithabens  und  sich 
Zeitgönnenkönnens.  Zielbewußt,  zäh  und  ehr- 
lich. Es  gibt  noch  immer  Blender  unter  den 
Wiener  Raumkünstlern,  Raketennaturen,  die 
vom  neuen  Kunstfrühling  nicht  den  Wuchs,  son- 
dern den  Auswuchs  gelernt  haben,  die  bluffende 
„Originalität",  den  Trick  des  Psychologen,  daß 
man  sich  ein  Kopfschütteln  leichter  merkt  als 
ein  stilles,  inniges  Wohlgefallen.  Es  ist  viel 
Überschuß  in  diesen  Jungen  und  wenig  Bändi- 
gung. Aber  die  Mehrzahl  ist  zum  ruhigen  Gleich- 
maß zurückgekehrt,  zur  Durchdringung  alter 
guter  Heimatstraditionen  mit  modernem  Geist. 
Zu  diesen  Selbstverständlichen  gehört  Carl 
Witzmann.  —  Seine  schlichte  Aufrichtigkeit 
steht  jedem  Möbel  auf  der  Stirn,  sie  strahlt  wie 
aus  blauen  Augen  aus  jedem  Raum,  es  ist  der 
gesunde  Ausgleich  der  Kräfte  in  ihm,  der  neu- 
zeitlichen Wesenhaftigkeit  und  des  guten  Ge- 
schmackes der  alten  Zeit.  Jene  Wesenhaftigkeit 
dringt  auf  strenge  Betonung  der  Gebrauchsfor- 
men, auf  Entwicklung  jedes  Gerätes  und  jedes 
Raumes  aus  seiner  Bestimmung,  gemäß  dem 
Materiale,     dieser    Geschmack   gibt    noch    ein 


Plus,  den  Schmuck,  die  Verzierung,  das  mehr 
als  eben  Notwendige.  Der  glückliche  Ausgleich 
beider  schafft  das  Behagen. 

Das  ist  vielleicht  das  Charakteristische  für 
Witzmanns  Raumkunst :  daß  sie  aus  einem  be- 
haglich heiteren  Gemüt  entsprungen  ist  und  daß 
sie  auch  wirkliches  Behagen  vermittelt. 

Er  gibt  Wohnräume,  die  wirklich  wohnlich 
sind,  eine  bürgerliche  Raumkunst,  die  wie  ein 
wohlgefälliges  Lächeln  ist.  Das  Gegenständliche 
ist  Ausgangspunkt  und  Ziel,  das  praktische  Be- 
dürfnis des  Alltags,  aber  in  die  Formgebung 
fließt  der  ruhige  Geschmack  und  die  Fröhlich- 
keit des  alten  Wiens.  Man  wird  Witzmanns 
Arbeiten  seelisch  nicht  näher  kommen,  wenn 
man  dieses  gesunde  Element  heimischer  Über- 
lieferung darin  übersehen  wollte.  Das  alte  Stil- 
gefühl der  Donaustadt  wird  in  ihm  wieder  leben- 
dig, es  tritt  jugendlich  und  kräftig  in  die  neue 
Zeit.  Da  ist  nichts  nüchtern  und  stilledern, 
unter  seiner  Hand  wird  alles  schmiegsam,  zu- 
vorkommend, herzlich  und  helläugig. 

Im  Februarheft  dieser  Zeitschrift  sind  dem 
Bericht  über  die  Ausstellung  des  k.  k,  österr. 
Museums  für  Kunst  und  Industrie  in  Wien  auch 
zwei  Abbildungen  Witzmannscher  Räume  bei- 
gegeben. Man  merkt  sogleich  das  Heimatsge- 
fühl  ihres  Schöpfers.  Alles  ist  durchaus  modern 
empfunden,  die  Lösung  der  Raumverteilung, 
der  Beleuchtungsanlage,  der  Wandbehandlung 


)> 


Karl  Hans  Strobl— Brunn  : 


AKCHlltKT  CARL  WlT/.MANlv  -WIEN. 


Fensterplatz  eines  \\'ohnzimnier?.    Ausführung:  Karl  Karasek-Wien, 


wächst  ans  den  Bedürfnissen  unserer  Zeit,  aber 
zugleich  kUngt  etwas  Vertrautes  und  Heimhches 
mit  aus  den  Kurven  der  Sessellehnen,  der 
machtvoll  ausladenden  Anrichte,  dem  breit  über- 
spannten Doppelbett,  dem  ovalen  Toilettentisch 
mit  dem  ovalen  Spiegel  am  Fensterplatz.  Es 
ist  wie  ein  leiser  Hauch  aus  dem  vormärzlichen 
Wien.  Und  an  dem  Fenster  des  Schlafzimmers 
könnte  man  sich  ebensogut  eine  mondäne  Dame 
von  heute  denken  wie  das  kleine  Mäderl  der 
Schwindschen  „  Morgenstunde  " . 

In  dieser  Möglichkeit  liegt  der  Beweis  für  die 
Wurzelhaftigkeit  und  gesunde  Echtheit  dieser 
Raumkunst. 

Ganz  ähnlich  wirken  die  Räume,  deren  Ab- 
bildungen diesem  Hefte  heigegeben  sind.  Man 
betrachte  daraufhin  etwa  den  Fensterplatz  in 
einem  Wohnzimmer  oder  den  des  von  A.  Spitzer 
ausgeführten  Herrenzimmers. 

Sein  Bestes  hat  aber  Witzmann  in  der  Woh- 
nung des  Baumeisters  Müller  in  Brunn  gegeben. 


Im  Speisezimmer  ist  durch  einen  Einbau  eine 
Nische  entstanden,  die  fast  ein  ganzes  Zimmer 
ersetzt,  ein  Ruheplatz  nach  dem  Speisen, 
eine  kleine  Besuchsecke ,  ein  Konversations- 
raum, wenn  eben  nicht  gespeist  wird.  Durch 
diese  Nische  sind  dem  einen  Raum  mehrere 
Funktionen  ermöglicht.  Witzmann  hat  die  Höhe 
der  Wandverkleidung  (in  geräuchertem  Eichen- 
holz) genau  mit  der  Nische  übereingestimmt 
und  tun  das  ganze  Zimmer  einen  ununterbro- 
chenen Fries  eines  originellen  Blätlerornamentes 
gelegt,  so  daß  ein  wohltuender  Rhythmus  der 
Verhältnisse,  ein  fein  abgewogener  Zusammen- 
klang der  Einzelheiten  entsteht. 

Diese  Wohnung  ist  eine  raumkünstlerische 
Leistung  ersten  Ranges  und  eine  beachtens- 
werte Lösung  unseres  so  brennend  gewordenen 
Mietwohnungs  -  Problems.  Die  Wohnung  des 
Baumeisters  liegt  in  dessen  eigenem,  aber  nicht 
bloß  zu  eigenem  Gebrauch  erbautem  dreistöcki- 
gen Miethause.    Schon  dieses  Haus  verdiente 


Eine  moderne  JVo/imois^  in  Bninn. 


ARCHITEKT  CARL  WITZMAN.N  — WIEN. 


Fensterplatz  eines  Herrenzimmers.   Austuhrung:  a.  Spitzcr-Wien 


als  Beitrag  zur  Lösung  jenes  Problems  eine  Be- 
achtung. Ein  Baumeister,  der  von  modernem 
Geist  erfüllt  ist  und  dabei  doch  guter  Geschäfts- 
mann sein  muß,  liefert  seinen  Parteien  wohl 
auskalkulierte,  aber  dennoch  durchaus  moderne 
Wohnräume  zu  normalen  Mietzinsen.  Das  heißt, 
er  hat  alles  „Herrschaftliche"  beiseite  gelassen, 
alle  Doppelflügeltüren  und  Renaissancekachel- 
öfen und  sonstigen  Kram.  Aber  er  kann  den- 
noch nichts  mehr  bieten  als  das  Gerippe,  als 
die  Möglichkeiten  zur  Raumgestaltung.  Hier 
setzt  nun  die  Aufgabe  des  Innenarchitekten  ein. 
Witzmann  gibt  uns  die  bürgerliche  Wohnung 
im  fremden  Haus,  denn  in  ihrer  Anlage  weicht 
die  Müllersche  Wohnung  nur  wenig  von  der 
seiner  Parteien  ab.  Was  wir  in  dem  Witzmann- 
schen  Werk  vor  uns  sehen,  ist  das  Erreichbare 
für  jeden ,  der  das  Glück  hat,  an  einen  ähn- 
lichen Hausherrn  zu  geraten  und  der  das  Herz 
hat,  mit  einer  geringen  Mehrauslage  eine  große 
und  stete  Heimfreude  zu  erkaufen. 

Ein  Mädchenzimmer,  wie  das  dieser  Woh- 
nung, mit  seinen  lichtgestrichenen  Möbeln,  mit 


der  bunten  Bespannung  aus  bedrucktem  Leinen 
und  dem  fröhlichen  Bänderwerk  der  abnehm- 
baren Möbelbezüge  muß  ein  helles  Licht  in  die 
Augen  des  jungen  Mädchens  bringen,  das  da- 
rin aufwächst.  Dieselbe  Heiterkeit  und  Helle 
herrscht  in  dem  Schlafzimmer,  dem  Vorraum, 
der  Veranda  und  der  Küche.  Überall  ist  der 
tägliche  Gebrauch  und  das  praktische  Bedürfnis 
der  Hausfrau,  die  selbst  in  ihrer  Wohnung  mit 
Hand  anlegt,  bestimmend  gewesen  für  den  Ein- 
bau der  Schränke  in  die  Wand,  die  Waschbar- 
keit der  hellen  Stoffe  und  der  gestrichenen 
Möbel  und  die  hundert  Kleinigkeiten,  in  denen 
sich  das  Verständnis  des  Raumkünstlers  für  die 
Bedingungen  der  Mietwohnung  offenbart.  Das 
Empfangszimmer  mit  dem  hellen  Gelb  der  Mö- 
bel aus  Zitronenholz ,  dem  Gold  des  Wand- 
musters, der  Heizkörper-Verkleidung  und  der 
Vitrinen,  mit  dem  schwereren  Ton  des  Marmors 
an  der  langen,  sonst  ungegliederten  Wand  hat 
eine  gelassene  Würde  ohne  Prunk. 

Hier  ist  Raum  für  die  Vitrinen  mit  allerlei 
hübschen    Raritäten    und    Stücken    modemer 


19iu;ii.  J.  6. 


6l 


Karl  Hans  Stroh!- B, 


ninn  : 


ARCHITEKT  CAKl-  Ull/MANN      «  II.N. 


Kleinkunst  (zumeist  aus  der  Wiener  Werkstätte). 
Carl  Witzmann  liebt  diese  Vitrinen.  Kr  bringt 
sie  überall  an,  wo  es  sich  tun  läßt.  Wir  sehen 
sie  auch  in  der  Nische  des  Speisezimmers  und 
über  dem  Schreibtisch  der  Tochter.  Und  darin 
scheint  mir  ein  wesentlicher  Zug  für  Witzmanns 
künstlerische  Art  zu  liegen,  für  seine  wiene- 
rische Lebensfreudigkeit,  sein  genußfrohes  Tem- 
perament. Ist  dieses  Darbieten  von  Möglich- 
keiten für  die  Zurschaustellung  des  Erworbenen, 
der  liebgewordenen  Sächelchen  nicht  ein  Aus- 


/mimcr  iler  lochtcr.    Wohnung  Josef  Müller     P>rünn. 


druck  für  sein  Eigentlichstes,  das  frohe  Behagen 
am  Genuß,  für  die  lächelnde  Beschaulichkeit? 
Witzmanns  Raumkunst  ist  aus  dem  Handwerk 
hervorgegangen.  Er  ist  1883  in  Wien  geboren. 
Sehr  bald  darauf  angewiesen,  sich  seinen  Le- 
bensunterhalt selbst  zu  erwerben,  erlernte  er 
das  Tischlerhandwerk  und  besuchte  während 
dieser  Zeit  eine  Fachschule.  Seine  Weiterbil- 
dung erfolgte  seit  1900  an  der  Wiener  Kunst- 
gewerbeschule, wo  er  zunächst  bei  Herdle  in 
die  alten  Stile  und  dann  von  Professor  Hoffmann 


62 


Eine  viodenie  WohiiiDig  in  Brunn. 


ARCHITEKT  CARL  WITZMANN      WIEN. 


ARCH.  CARL  WITZMANN  -WIEN.    Schreibtisch  im  Zimmer  der  iochter. 


Zimmer  der  Tochter.   Wohmuig  Josef  Miiller— Bninii. 


in  den  modernen  Geist  des  Kunst- 
gewerbes eingeführt  wurde.  Seinen 
ersten  größeren  Erfolg  brachte  die 
internationale  Kunstausstellung  in 
Turin  1902,  auf  der  Witzmanns 
Musikraum  von  der  Königin  von 
Portugal  angekauft  wurde.  Weitere 
Etappen  seiner  Laufbahn  bezeich- 
nen die  Kaiser- Jubiläums- Möbel- 
Ausstellung  1908,  die  Wiener 
Kunstschau  1908  und  jene  oben 
erwähnte  Weihnachts  -  Ausstellung 
des  österreichischen  Kunstgewerbe- 
Museums.  Hier  mag  auch  die  Ein- 
richtung eines  Ringstraßen-Kaffee- 
hauses erwähnt  werden ,  in  dem 
Witzmann  erweist,  daß  es  ihm  auch 
gegeben,  mit  ehrlichen  Mitteln  eine 
solide,  heitere  Eleganz  zu  erreichen. 

KAKL  HANS  STKOBL     BRUNN. 

Ä 

Das  Gefühl  hcit  inancher  —  man 
nniß  sich  zum  klaren  Gedanken  durch- 
gerungen  haben.       Mathias  Auerbach. 

Lege  den  Gehalt  einer  Gesinnung 
in  das  kleinste  Tun.  Immermann. 


Hygiene  in  der  Wohnung. 


'^' 


r  «•  V  V  '  I 


ARCHITEKT  CARL  WITZMANN     WIEN. 


CARL  WLIZMANN. 


Kommode  im  Schlafzimmer. 


Schlafzimmer  der  W  oh  innig  Josef  Miillcr    Biiiiin. 

HYGIENE  IN  DER  WOHNUNG. 

^]ichtdie  Bakterienangst,  sondern  die  positive 
i  Freude  des  modernen  Menschen  an  allem 
Gesunden  und  Lebens- Fördernden  wird  unsere 
seit  langem  ersehnte  Wohnungs-Hygiene  zur  Reali- 
tät werden  lassen.  Der  in  Sport  und  Körperpflege 
aufwachsenden  neuen  Generation  wird  die  dumpfe 
Atmosphäre  der  heutigen  Durchschnittswohnung 
ein  Greuel  sein.  —  Alles  lichtscheue  Material 
wird  aus  der  modernen  bürgerlichen  Wohnung  zu 
verbannen  sein.  Besser  noch  verschossene  Tep- 
piche und  Stoffe  im  Wohnraum  als  im  ungesunden 
Halbdunkel  mühsam  konservierte  Plüsche  und 
Filze.  Hellbedruckte  Cretonnes,  Tülle  und  Seiden, 
waschechte,  buntgewebte  Leinen,  Leder  oder 
lederartige,  abwaschbare  Bezüge  für  Möbel  geben 
dem  Wohnraum  eine  frische  und  heilere  Atmo- 
sphäre. An  Stelle  schwerer  Teppiche  dürften  für 
einfachere  Verhältnisse  geflochtene  Matten  ver- 
schiedenster Art,  in  Verbindung  mit  den  prak- 
tischen Korbmöbeln,  sich  stärker  einbürgern.  Alle 
diese,  dem  täglichen  Gebrauch  ausgesetzten  Dinge 
brauchen  gar  nicht  „unbegrenzt  haltbar"  zu  sein! 
Eine  Utopie  wird  es  wohl  vorläufig  noch  bleiben 
zu  verlangen,  daß  jedes  Schlafzimmer  mit  brei- 
ter  Fenstertür    und   einer,   wenn  auch   schmalen 


64 


Hygiene  in  de)-  Wohmmg. 


I 


ARCHITEKT  CARL  WITZMANN— WIEN. 


Veranda,  sowie  auf  KujSellager-Rollen  leicht  ver- 
schiebbarem Bett  ausgestattet  wird,  eine  Ein- 
richtung, die  das  heute  so  umständUche  Lüften 
zur  alltäghchen  Gewohnheit  machte,  wie  das 
Zähneputzen.  —  Der  dunkle  Korridor  mit  den 
vielen  raumbeengenden  Eis-,  Kleider-,  Wäsche- 
und  Besenschränken  und  mit  den  vielen  staub- 
fangenden und  notorisch  niemals  zu  reinigenden 
Ecken  und  Hächen  unter  und  auf  den  Schränken 
ist  das  weitereübel  der  heutigen  Bürgerwohnung. 
Der  eingebaute  Schrank  schafft  hier  Ab- 
hilfe; seine  größere  Kostspieligkeit  fällt  in  An- 
betracht seiner  vielen  praktischen  Vorteile  nicht 
in  die  Wagschale.  Ein  solcher  Schrank  läßt 
sich  mit  abwaschbarem  Material  auskleiden. 
Daß  der  Küche  und  der  bisher  so  stief- 
mütterlich behandelten  Speisekammer  von 
Seiten  der  Bauherren  eine  verständigere  Aus- 
stattung und  vor  allem  größere  Raumaus- 
m  a  ß  e  zuerteilt  werden,  sollte  durch  nachdrück- 
liche Forderungen  der  Hausfrau  allmählich  er- 
zwungen werden.  Wasserdichter  Fußboden- 
belag   aus    irgend    einem    der    neueren    Mate- 


66 


Küche  der  Wohnung  Josef  Müller  -Brunn. 


rialien,  Majolika  oder  Fliesenbelag  auf  der 
Wandfläche  und  wasserfeste  Anstriche,  und  vor 
allem  entsprechende  Lichtzufuhr  und  Venti- 
lation sind  hier  unerläßlich,  um  eine  tadellose 
Erhaltung  der  Speisen  zu  gewährleisten. 

Es  wird  heute  viel  gegen  das  mangelnde 
Empfinden  für  Qualität  der  Materialien  ge- 
schrieben; zum  mindesten  ebenso  nötig  ist  die 
Erweckung  des  Sinnes  der  deutschen  Hausfrau 
für  die  Qualität  der  Atmosphäre  der 
Wohnung.  „Wholesome  and  sweet"  muß 
diese  sein,  und  der  Amerikaner,  der  in  Annoncen 
die  Güte  eßbarer  Produkte  dadurch  darstellt, 
daß  er  die  Fabrik  einer  „hellen  sauberen  Küche 
mit  Sonnenschein  in  allen  Ecken"  vergleicht, 
weiß  die  überzeugende  Wirkung  einer  solchen 
konkreten  Vorstellung  auf  die  Sinne  richtig  ein- 
zuschätzen. —  Es  steht  zu  hoffen,  daß  die  im 
nächsten  Jahre  in  Dresden  stattfindende  inter- 
nationale Hygiene-Ausstellung  besonders  von 
deutscher  Seite  ästhetisch  und  praktisch  ein- 
wandfrei gelöste,  für  den  Mittelstand  verwert- 
bare Vorbilder  uns  bringen  wird,     lang-danoli. 


ARCHITEKT  CARL  WITZMAXX     WIEN.     STAXD-UHREN  IX  METALL  UXD  HOLZ. 


HERM.   HINZ — KARLSRUHE.     KLEIN  l'LASTIK,  MAJOLIKA.     AusfüliiiiTig:  Grullh.  Majolika-Manufaktur-Kailsrulie. 


li 


H.  LEIPOLI). 


MAJOLIKA -PLASTIKKN. 


HERMANN  BIN/.  — KARLSRUHE.  KLEIXPLAäTIK,  MAJOLIKA. 

AUSFÜHRUNG:   GROSSHERZOGLICHE   MAJOLIKA  •  MANUFAKTUR — KARLSRUHE. 


l^'lii  II    I.  7, 


69 


GESELLSCHAFTS-KLKin  IN  ROSA  LIB  KRTY-SEIDE  iriT  CRKMEFARBKNER  SEIDEN-STICKEREI. 
AUSFÜHRUNG;  ATELIER  MME.  STRUBB  -  PARIS.  PHOTOGRAPHIE  REUTIINGER  •  PARIS. 


GtSELLSCH.\FTS-KLEID  IN  WEISSEM  SEIDENVOILE  MIT  PERLGEHÄNGEN. 
AUSFÜHRUNG:  MAISON  EECHOFF-DAVID  -  PARIS.  PHOTOGRAPHIE  REUTLINGER  •  PARIS. 


l'HOTOdEt. 
KEÜTLINGER    |[ 
TAKIS. 


■'■rKASSr:N-KI,EII>,   SCIIWAI;,  ■  V,  l   ;.       LAI.KII  l.  l     mit  ,sCi!\V.\R/F.K   MUSSELIN-ElNFASSl'NG, 


PKOTOGR. 

KEUTUNGEK 

PARIS. 


STRASSEN  KLEI  I)  IN    CREMEFARBENEM  TUt  H  ÄUT  STICKEREI    l  SD  ^LH\VAKZL:^1  Gl  KIEL. 


ARCHITEKT 


lAKL  \\U/.MANN  — WIKN.    ROSRN  VOKM  ^PIKG!■.L  All'    KINEM  PFFILERSCHR  ANKCHEX. 


TAFRLDRKORATION.    POR/F.LI,AN  •  TIFRFIC.URFN   UNn  BH'MRN   UND   BLATTER  IN  NIKIIRIGKN   GLASVASEN. 


DIE  QUELLEN  DES  BEHAGENS. 

EIN  WICHTIGES    KAPITEL  UNSERER  HEUTIGEN  WOHNKULTUR 

VON  KUNO  GRAF  HARDENBERG. 


/^iitc  Luft  und  richtige  Beleuchtung  sind 
^^  die  Grundbedingungen  aller  Wohnkultur. 
Unsere  modernen  Röhrenheizungen  sind  die 
angenehmsten  und  unentbehrlichsten  Erwärmer 
des  modernen  Hauses,  aber  die  Mühelosigkeit 
ihrer  Handhabung,  ihre  wunderbare  Bequem- 
lichkeit, macht  meist  die  Menschen  sorglos  und 
nachlässig  und  läßt  sie  die  wichtigen  Maßnahmen 
zur  Aufrechterhaltung  einer  schönen  gesunden 
Luft  vergessen.  So  kommt  es  denn,  daß  die 
Atmosphäre  in  den  Stadthäusern,  in  den  Villen 
und  sogar  auch  in  den  Landhäusern  zumeist 
schlechter  ist  als  es  Raffinement  oder  auch 
nur  schlichtes  Wohlbehagen  verlangt.  Hier  er- 
mangelt sie  der  Feuchte,  dort  der  Frische,  hier 
der  Leichtigkeit  und  dort  der  — •  sagen  wir 
Ungefärbtheit  —  alles  zum  hygienischen  und 
ästhetischen  Nachteile  der  Bewohner.  Man  sehe 
sie  an,  die  ständig  in  der  staubhaltigen  und 
trockenen  Atmosphäre  des  Großstadthauses 
Lebenden;  immer  haben  sie  über  kleine  Leiden 
zu  klagen,  Rachenkartarrhe,  Kopfbeschwerden, 
Blutandrang  sind  häufige  Quälgeister  des  Orga- 
nismus, von  schlimmeren,  den  Nerven  gefähr- 
lichen, um  keine  Schreckgespenster  zu  malen, 
nicht    erst   zu    reden.      Von    einem    wirklichen 


Behagen  ist  in  solchen  Räumen  nie  die  Rede 
und  seien  sie  auch  mit  Schönheit  und  Bequem- 
lichkeit aller  Art  versehen.  Ich  übertreibe 
nicht,  jeder  mit  verfeinerten  Atmungsorganen 
Versehene  wird  mir  zustimmen. 

Ähnlich  steht's  mit  der  Beleuchtung.  Licht 
haben  wir  genug.  Alles  leuchtet,  daß  es  nur  eine 
Art  hat,  Spiritus,  Gas,  Elektrizität,  Azetylen  und 
Petroleum  und  wie  sie  alle  heißen  die  zu  höch- 
sten Leistungen  gepeitschten  Sklaven  unserer 
Lichtherrschaft,  sie  rächen  sich  für  ihre  Fron, 
indem  sie  uns  und  unsere  Werke  schonungs- 
los und  ohne  Rücksicht  beleuchten  zum  Über- 
druß. Von  oben  und  von  den  Seiten  schleudern 
ungezählte  Glühbirnen  ihre  harten  Feuergarben 
in  unsere  Festsäle,  daß  Puderstäubchen  auf 
schönen  Wangen  Schlagschatten  werfen,  und 
dort,  wo  man  einst  am  traulichen  Familientische 
sich  im  weichen  Lichte  einer  grüngeschirmten 
Hängelampe  glücklich  nahe  fühlte,  da  verbreitet 
nur  zu  oft  ein  messingstrotzendes  Leuciitmon- 
strum  ein  Licht  so  öde  und  nüchtern,  als  seien 
die  Bewohner  Zahlen,  mit  denen  es  gälte,  schwere 
Berechnungen  zu  machen  oder  anatomische 
Präparate,  die  einer  gründlichen  Prüfung  be- 
dürfen!    Elektrische  Aufklärung    ä   tout    prix, 


75 


Kiiiin   Graf  I lardcuberi^ 


bis  wir  alle  Feinheiten,  alle  zarten  Unterschiede 
des  Seelenlebens  eingebüßt  haben. 

Diesem  Licht-  und  Luft-Barbarcntuni  jjejien- 
über  heißt  es  drinjslich:  Wir  müssen  lernen, 
uns  mit  Geschmack  und  Kultur,  Körper  und 
Seelen  zum  Vorteil,  der  Errungenschaften  unse- 
rer erfindungsreichen  Tage  zu  bedienen. 

Das  erste  Erfordernis  zur  Verbesserung  der 
Luft  in  unseren  Wohnungen,  nicht  nur  im  hygie- 
nischen, sondern  auch  im  ästhetischen  Sinne, 
ist  Aufstellung  von  Kaminen  in  ausgedehntem 
Maßstabe  —  neben  den  versteckt  unter  den 
Fenstern  anzubringenden  Röhrenheizungen. 
Dann  werden  wir  auch  wieder  eine  erträgliche 
Luft  in  unseren  Räumen  haben.  In  Frankreich 
findet  sich  in  der  ärmlichsten  Portiersloge  ein 
Kamin,  und  ein  petit  bourgeois  würde  sich  ent- 
erbt vorkommen,  wenn  er  sich  der  geheiligten 
offenen  Feuerstätte  begeben  müßte.  Er  bedarf 
ihrer  zum  Ausruhen,  zum  Träumen  nach  der 
Arbeit,  er  fühlt  instinktiv,  daß  ein  offenes  Feuer 
uns  geheime  Kräfte  spendet,  darum  liebt  er  es, 
und  ob  er  darum  frieren  muß.  Sollten  wir 
nicht  von  ihm  lernen? 

Die  Poesie  des  Kaminfeuers  ist  zu  oft  ge- 
priesen, als  daß  man  noch  viel  darüber  zu 
sagen  brauchte  —  eins  ist  sicher,  wer  sie  in 
trüben  Winterabenden  einmal  erlebt  hat,  sie 
ganz  gekostet  hat,  der  wird  immer  den  Wunsch 
haben,  zu  ihr  zurückzukehren.  Nirgendwo  plau- 
dert, denkt,  träumt  sichs  besser,  nirgendwo 
liest  sich  besser  ein  gutes  altes  oder  neues 
Buch  als  dort,  wo  allmählich  —  ein  Abbild 
unseres  Lebens  —  knorrige  Scheite  prasselnd 
lockernd  sich  verzehren,  um  endlich  langsam 
in  Staub  zu  zerfallen.  Mag  der  Kamin  ein 
Luxus  sein,  er  ist  einer,  der  besser  ist  als 
tausend  andere  —  wie  sie  auch  heißen  mögen, 
und  ich  meine,   selbst  der  Opfer  wert. 

Ein  anderes  Erfordernis  zur  Verbesserung 
der  Luft  ist  das  Aufstellen  von  Blumen  in  Töpfen 
und  in  Vasen.  Blumen  sind  gute  Freunde,  sie 
haben  ein  Schicksal,  sie  haben  süßen  Duft,  sie 
haben  Farben,  die  das  Herz  erfreuen  —  und 
sie  geben  der  Luft  in  den  Wohnräumen  ein 
angenehmes  Etwas,  eine  Würze,  die  wohltut, 
und  jeder  neue  Strauß  trägt  neuen  Reiz  hinein. 

Bei  Festlichkeiten  gedenke  man  auch  der 
schönen  Sitte  unserer  Großmütter,  die,  ehe  die 
Gäste  erschienen,  auf  einer  Kohlenschaufel  ein 
wohlriechendes  Lavendelwasser  verdunsten 
ließen,  um  so  der  Atmosphäre  Farbe  und 
Feierlichkeit  zu  verleihen,  und  um  auch  die 
Geruchsorgane  der  Kömnilinge  zu  bewirten.  Im 
Herrenzimmer,  wo  der  Rauch  der  Zigarren 
leicht  aufdringlich  wird,  ist  ein  Ozonlämpchen 
wohl   am  Platze,   wenn   der   brennende  Kamin 


nicht  seine  Schuldigkeit  tut,  und  die  blauen 
W  olken  dampfender  Kräuter  verscheucht.  Ähn- 
lich wirkt  auch  Fichtennadelduft  in  einer  Räu- 
cherlampe. Trockenes  Räucherwerk  ist  weniger 
zu  empfehlen,  es  hinterläßt  leicht  unangenehme 
Nebengerüche  und  bereichert  die  Luft  nicht 
mit  Feuchtigkeitsgehalt,  wie  die  bekannten 
Räucherlämpchen,  die  brodelnd  in  einem  Eck- 
chen erfrischenden  Duft  verbreiten !  Für  Damen- 
und  Empfangszimmer  geben  englische  Riech- 
salzdosen ein  leises  und  angemessenes  Parfüm, 
auch  japanische  Riechbüchsen,  die  mit  aroma- 
tischen Kräutern  gefüllt  sind.  —  Die  Luft  des 
Festsaales  schmücke  man  mit  Ambre,  das  den 
Geistern  der  Heiterkeit  wohlgefällig  ist. 

Viel  Angenehmes  gewährt  auch  der  Duft 
von  verbrannten  Fichtenzweigen,  namentlich 
im  Winter,  wo  er  die  Poesie  des  Weihnachts- 
festes vorgaukelt,  um  nur  eine  der  vielen  Mög- 
lichkeiten, die  Luft  zu  „poetisieren",  noch  auf- 
zuzählen. Im  Speisezimmer  ist  eine  kühle  Tem- 
peratur das  Angemessene,  dabei  empfiehlt  es 
sich,  bis  zum  Eintritt  der  Gäste  für  frische  Luft 
von  außen  zu  sorgen.  Nichts  ist  unerfreulicher, 
als  wenn  den  Gast  beim  Eintritt  schon  ein  Duft- 
Potpourri  der  kommenden  Speisekarte  begrüßt. 

Zimmer  geschmackvoll  zu  erhellen,  ist  eine 
große  Kunst.  Hier  viel,  dort  wenig  —  je  nach 
Bedarf  das  Richtige  zu  tun  — ,  ist  eine  ästhe- 
tische Wissenschaft,  die  einer  Hausfrau  den 
Ruhm,  Behagen  um  sich  zu  verbreiten,  ein- 
trägt. Wie  wir  in  Gesellschaften  unbeliebt 
werden,  wofern  wir  es  unternehmen,  den  Pfad 
der  Grazien  zu  verlassen  und  mit  nüchternen 
Wahrheiten  um  uns  werfen,  so  werden  wir  eine 
geladene  Freundesschar  schwerlich  ergötzen, 
wenn  wir  ringsum  nackte  Glühbirnen  strahlen 
lassen.  So  spornen  wir  denn  unsere  Phantasie 
an,  dem  Lichte  Freundlichkeit  und  Heiterkeit, 
Milde  und  Geist  zu  verleihen.  Es  ist  das  nicht 
so  schwer;  schöne  Seiden,  zierlich  um  Draht- 
gestelle gerafft,  Papierschirmchen  geschmack- 
voll angebracht,  können  Wunder  wirken  —  zu- 
mal wenn  die  Höhen  der  Lichtquellen  wohl 
abgewogen  sind.  Kluge  vornehme  Damen  aus 
reichen  Häusern  bevorzugen  noch  heute  das 
goldig  schmeichlerische  Licht  der  Wachskerzen 
und  der  glucksenden  Moderateurlampen,  allen 
Künsten  der  Elektriker  zum  Trotz.  Sie  sind 
nicht  unweise.  Wer  die  Poesie  dieser  Be- 
leuchtung kennen  gelernt  hat,  der  weiß,  welchen 
Zauber  sie  ausstrahlt:  es  ist  etwas  vom  Schim- 
mer des  goldenen  Zeitalters,  von  dem  „trink- 
baren Golde",  in  das  Rembrandt  seinen  Pinsel 
tauchte,  darum.  Bei  intimen  Festen  im  klei- 
nen Freundeskreise  sollte  man  jedenfalls  stets 
Askese  des  elektrischen  Lichtes  pflegen.   Elek- 


76 


Die  Oiirlh'))  des  Behagens. 


Eleklrisches  Licht  wirkt  ermüdend,  ja  einschlä- 
fernd, das  ist  eine  wissenschaftHche  Tatsache. 
Auch  eine  musikaüsche  Veranstaltung  gewinnt 
an  Poesie  beim  Scheine  einiger  flackernder 
Kerzen,  und  die  von  leicht  beweglichen  Flam- 
men vibrierende  Luft  schmiegt  sich  gefällig  den 
Rhythmen  der  Instrumente  oder  des  Gesanges 
an!  Kontrastwirkungen  zu  bedenken  ist  vor 
allem  Sache  des  Beleuchtungs-Ästhetikers.  Das 
Festliche  des  Ballsaals  mit  seinen  strahlen- 
den Kronen  wirkt  doppelt  glänzend,  wenn  in 
den  Zimmern  ringsum  gedämpftes  und  weise 
gefärbtes  Licht  waltet.  Wo  die  Farben  eines 
Gemaches,  Blumenschmuck  und  kostbare  Tep- 
piche herrschen  sollen,  verteile  man  das  Licht 
so,  daß  es  die  gewünschte  Wirkung  erziele 
und  dämpfe  es  nach  Bedarf,  doch  ohne  es  zu 
färben.  Bei  hellen,  einfarbigen  und  mehr  archi- 
tektonisch gehaltenen  Räumen  wende  man  das 
umgekehrte  Verfahren  an:  Farbige  Lampen 
mögen  hier  den  Fluß  edler  Linien  zeigen. 

Die  Prunkliebe  der  80  er  Jahre  liebte  es, 
Festtafeln,  die  sie  reich  mit  silbernen  Tafel- 
aufsätzen zierte,  nur  so  zu  beleuchten,  daß  sie 
und  ihre  Schätze  und  die,  die  daran  festeten, 
beleuchtet  waren.  Eine  Beleuchtung  der  um- 
gebenden Wände  vermied  sie,  und  bewirkte 
dadurch,  daß  die  aufwartenden  Diener  im  Dun- 
kel verschwanden  oder  aus  dem  Dunkel  auf- 
tauchten, wie  gute  Geister  im  Feenpalast!  Es 
war  das  eine  kulturell  feine  Sitte ,  die  der 
Wiederbelebung  in  weiteren  Kreisen  wert  wäre, 
sie  konzentrierte  die  Gesellschaft  auf  sich  und 
gab  den  bunten  Gestalten,  den  schönen  Frauen 
in  ihrem  Schmucke  zumal,  den  denkbar  vor- 
teilhaftesten Hintergrund.  Die  modernen  Ver- 
suche, das  elektrische  Licht  versteckt  anzu- 
bringen und  eine  Art  Tageslicht  vorzutäuschen, 
halte  ich  für  unkünstlerisch,  abgesehen  davon, 
daß  dieses  Licht  durchaus  nicht  angenehm  ist 
in  seiner  reizlosen  Gleichmäßigkeit.  Der  Lebens- 
künstler liebt  die  Nacht  zu  sehr  und  ihre  Reize, 
wenn  sie  gegen  offene  Waffen  kämpft,  als  daß 
er  sich  zu  Versuchen,  sich  über  seine  Freundin 
zu  belügen  hergeben  würde. 

Das  Tageslicht,  wie  es  durch  die  Fenster 
einfällt,  richtig  für  die  Stellung  des  Mobiliars 
nutzbar  zu  machen,  ist  eines  der  großen  Ge- 
heimnisse des  Wohnkünstlers.  Hierfür  ist  maß- 
gebend, daß  den  Menschen  sein  nach  Wohl- 
behagen lüsterner  Instinkt  stets  zu  Sitzplätzen 
zieht,  wo  das  Auge  keine  Blendung  erfährt  und 
sich  dem  Blick  eine  erfreuliche  Schau  bietet. 
Ferner  will  ein  im  Unterbewußtsein  schlummern- 
der atavistischer  —  sagen  wir  —  Sicherheits- 
nientor  nicht  gerne  von  Eintretenden  im  Rücken 
überrascht    werden.     Diese    beiden    Faktoren 


geben,  wenn  sie  praktisch  nutzbar  gemacht  und 
für  die  Aufstellung  im  Auge  behalten  werden, 
eine  sichere  Gewähr  für  das,  was  man  ein  „ge- 
mütlich" eingerichtetes  Zimmer  heißt. 

Man  stelle  also  die  bequemsten  Sitzgelegen- 
heiten möglichst  so  auf,  daß  der  sie  Benutzende 
den  Rücken  der  Fensterwand  zukehrt  und  mit 
dem  Auge  die  Zimmertür  und  die  Wand, 
welche,  als  den  Fenstern  gegenüberliegend,  zum 
Aufhängen  von  Bildern  am  geeignetsten  er- 
scheint, übersehen  kann.  Man  wird  das  Vor- 
teilhafte dieser  Maßnahme  sofort  einsehen. 

Für  Empfangsräume  ist  eine  solche  Vertei- 
lung der  Möbel  eine  absolute  Notwendigkeit, 
denn  nur  auf  diese  Weise  ist  es  dem  Emp- 
fangenden möglich,  die  Eintretenden  zu  über- 
blicken und  zu  begrüßen. 

Die  französische  Salonkultur  des  18.  Jahr- 
hunderts und  auch  die  englische  unserer  Zeit 
hatdiesen  Grundsätzen  stetsRechnunggetragen, 
indem  sie  allen  Sitzgelegenheiten  größte  Be- 
weglichkeit verlieh  und  z.  B.  Kanapees  und 
Sofas  stets  so  konstruierte,  daß  sie,  unabhängig 
von  den  Wänden,  mitten  in  den  Zimmern  auf- 
gestellt werden  konnten. 

Hiervon  könnten  wir  lernen,  denn  trotzdem 
wir  als  moderne  Nomaden  auf  ein  Leben  in  ge- 
mieteten Wohnungen  angewiesen  sind,  lassen 
wir  uns  immer  noch  von  unseren  Möbel- 
künstlern schwere,  nur  an  Wänden  unterzu- 
bringende Sitzmöbel  erfinden,  die  uns  bei  jedem 
Wohnungswechsel  in  Verlegenheit  setzen. 

Endlich  wäre  noch  dem  Spiegel  als  Faktor 
für  die  Beleuchtung  beziehungsweise  Erhellung 
von  Innenräumen  ein  Wort  zu  reden. 

Der  Wunsch  unserer  Innenraumkünstler, 
möglichst  viel  von  weltentrückter  Intimität  zu 
geben,  um  dem  Menschen  sein  Heim  im  Sturme 
des  modernen  Lebens  besonders  lieb  zu  machen 
—  hat  den  Spiegel  ganz  aus  den  modernen 
Wohnräumen  verbannt.  Das  spiegellose  Ge- 
mach verschont  den  Bewohner  mit  Wahrheiten, 
es  erzieht  nicht  an  ihm  herum,  sondern  über- 
läßt ihn  ganz  seiner  inneren  Welt  —  das  ist 
ein  Vorteil,  den  man  nur  begrüßen  kann,  zu- 
mal für  Arbeitszimmer  oder  friedliche  Familien- 
zimmer. Anders,  denke  ich,  ist  es  mit  Fest- 
räumen und  Empfangszimmern,  hier  soll  der 
Spiegel  nicht  fehlen.  Hier,  wo  sich  jeder  im 
Festtagskleide  und  im  Schimmer  von  Licht- 
fluten gefällt,  wo  jeder  trachtet,  sein  Bestes 
zu  geben  und  ein  Besserer  zu  sein,  da  ist  der 
Spiegel  nicht  der  trockene  Pädagoge,  da  ist  er  wie 
die  lachende  Wasserfläche  in  der  Natur,  die 
freundlich  und  zart  das  bunte  Leben,  das  sie  um- 
gibt, zum  angenehmen  Bilde  gerahmt,  wiederholt: 
Ein  Freund  der  Heiterkeit  und  der  Anmut.   — 


laio/u.  1. 8. 


GOLUSCHMIEIJ  EMIL  LETTRE     BERLIN.      TEE-  UND  KAFFEE-SERVICE  IN  SILBER. 


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BROSCHE  IN  GOLD,  MIT  PERLE  UND  SAPHIR. 


SILBERNER  ANHÄNGER  MIT  KOR.\LLENGEMME. 


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EMIL  LETTRE- 

BERLIN. 


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DECKEL-BECHER. 


I 


wf^?t^y^. 


ca.  KRAUSE, 


eil.   KKAUM-,.    KLI-.INK  TKIHEN  IN  MESMNG. 


Deutsche  Werkstätten  für  Handwerkskunst  Dresden  G.m.b.H. 


PROFESSOR  MAX  LAI'GER     KARLSRUHE. 


ELEKTRISCHE  TISCHLAMPEN. 


PROFESSOR  MAX  L.\UGER     K.\KLSRUHE.  ELEKTRISCHE  TISCHLAMPEN  MM    ^L\JOUKA-FU- 

General -Vertretung :  Deutsche  Werkstätten  für  Handwerkskunst  Dresden  G.m.b.H. 


MARION   KAULITZ' GMÜND. 


Münchner  Künstlerpuppen. 


MÜNCHNER  KÜNSTLER-KAULITZ-PUPPEN. 


Noch  vor  wenigen  Jahren  beherrschte  ein  gänz- 
lich verderbtes  Schönheitsideal  jene  Sonder- 
welt der  Puppen.  Das  sachlichste  und  unentbehr- 
lichste Spielzeug  war  einer  verfehlten  Prunksucht 
zuliebe  künstlerisch  und  auch  praktisch  völlig  ent- 
wertet. Die  lacherlichsten  Kostüme,  ausdruckslose, 
süßliche  (iesichter  und  karikaturenhafte  Oesamt- 
formen  hatten  sich  im  Laufe  der  Jahrzehnte  so  ein- 
gebürgert, daf'i  die  wenigsten  eine  Besserung  für 
erstrebenswert  erachteten,  ja,  dag  die  ersten  Ver- 
suche  einer   künstlerischen   Reform   auf   vielfältige 

Widersprüche 
Stoffen    muJ5ten. 
Die  schädlichen 
Einflüsse  dieser 

„puppenhaften" 
Puppen  auf  das 
künstlerische 
Empfinden     der 

heranwachsen- 
den Jugend  liegt 
zu  nahe,  um  wei- 
tere Beweise  da- 
für anzuführen. 
Aber  es  darf  da- 
rauf hingewie- 
sen werden,  daf; 
die  in  Kunst- und 
Ueschmacksdin- 
gen  nicht  erzo- 
gene Menge  re- 


MARION  K.\ULITZ     GMÜND. 


gelmäftig  solchen  „Kunst"werken  den  Vorzug 
gibt,  die  den  süf5lich  verkitschten  Gebilden  ent- 
sprechen, die  ihrer  Kindheit  Begleiter  waren.  Eine 
gewaltige  Kluft  liegt  zwischen  den  aufgedonnerten, 
geschminkten  Dämchen,  die  man  bisher  der  zärt- 
lichen Sorge  des  Kindes  angemessen  glaubte  und 
den  hier  wiedergegebenen  Puppen.  Das  ist  Spiel- 
zeug, echtes  und  kindliches.  Köstlich  ist  Ausdrude 
und  Geste  jedes  dieser  drolligen  Wesen.  Jeder 
Kopf  hat  Charakter  und  doch  ist  jeder  so  weit  stili- 
siert, dag  unerwünschte  realistische  Wirkungen  aus- 
geschaltet sind. 
Ganz  besondere 
Aufmerksamkeit 
wendet  Marion 
Kaulitj  der  Be- 
kleidung ihrer 
kleinen  Gesell- 
schaft zu.  Alles 
entspricht  wirk- 
lichen Kinder- 
Kleidchen.  Dag 
dabei  auch  die 
verschiedenen 
Trachtenunserer 
Land -Bewohner 
berücksichtigt 
sind,  dürfte  in 
vielen  Fällen  be- 
sonders     schä- 

JMünchner  Künstlerpuppen.       tjCnswert  sein.  K. 


■  ■■I 


^4 


MARTON  KAULIT/ 

IN  GMUMI 

AM  TEGERNSEE. 


GRUPPEN 

VON  MÜNCHNER 

KUNSTLERPUPPEN. 


rjIO/ll.  I.  '.1. 


i^^ 


i5tiifiti  itkrid   <5rapin(i 


//i'»«"^ 


f^uuwyii^uiju  f 


~^'.  'ff. 


-utlAi^rHc'^  - 


fW'^. 


']%  % 


WII.I.I  GEIGER      FLORENZ.       ÜRIEK-VIGNETTEN  UND  BESUCHS-EARTEN. 


REDAKTIONELLER  WETTBEWERB:  MONOGRAMME  UND  SIGNETS. 


ELLA  WELTMANN— WIEN. 


••..•• 


E^ö- 


ERSTER  PREIS  M.  lOO. 


Formvollendete ,  durchgearbeitete  Mono- 
gramme oder  Signets  mit  reicher  Ornamen- 
tik war  die  Aufgabe,  die  wir  mit  unserem  Preis- 
Ausschreiben  der  jungen  Künstlerschaft  stellten. 
Es  sollten  neue  Möglichkeiten  gefunden  und 
Anregungen  geboten  werden,  die  bürgerlichen 
Zeichen,  das  Monogramm  und  das  Signet,  wei- 
ter zu  entwickeln.  Eine  stattHche  Zahl  von  Be- 
werbungen lag  den  Preisrichtern  zur  Beurtei- 
lung vor,  und  die  Sichtung  war  deshalb  beson- 


ders schwierig,  weil  bei  den  430  Projekten 
durchgängig  ein  Widerspruch  bestand  zwischen 
der  Originalität  und  der  Verwendbarkeit 
der  Zeichen,  indem  diese  entweder  originell 
und  praktisch  unmöglich  oder  aber  brauchbar 
und  völlig  uninteressant  waren.  Nach  sorgfäl- 
tiger Prüfung  wurden  die  Preise,  wie  aus  den 
Abbildungen  ersichtlich,  verteilt,  und  es  wurde 
dabei  der  Eleganz  der  Erscheinung  und 
dem    künstlerischen    Herausarbeiten    eines 


8- 


OTTO  RODEWALD      HAMBURG.  ZWEITER  PREIS.. 


REDAKTIONELLER  WETTBEWERB:  JIOXOGRAMME  UND  SIGNETS. 


-«iiJ^rttK 


^^^^^^ 


MAX  KÜRNER  UND  BERTA  PEIPERS     STUTTGART.  EIN  DRITTER  PREIS. 


89 


REDAKTIONELLER   WETTBEAVERB:  MONOGRAMME  UND  SIGNETS. 


MALER  ERICH  BÜTTNEK-  liEKLlN.      EIN  UKI  ITIiK  I'KEIS. 


yu 


Redaktioneller  Wettbciverb :  Monos^ramiuc  itnd  S^i^ets. 


••••. 


MILLA  WELTMANN— WIEN.       EIN  DRITTER  PREIS. 


neuen  Gedankens  eine  höhere  Bewertung 
zugesprochen  als  der  bloßen  Deutlichkeit 
und  unmittelbaren  Verwendbarkeit.  Die 
Preisträger  sind:  I.  Preis  Mk.  100  Ella  Welt- 
mann-Wien, Motto  „Adda";  II.  Preis  Mk.  60 
Otto  Rodewald -Hamburg,  Motto  „Deutsche 
Kunst  und  Dekoration";  ein  III.  Preis  Erich 
Büttner -Berhn,  Motto  „R.  A.T.  D.";  ein  III. 
Preis  Max  Kömer  und  Berta  Peipers- Stutt- 
gart, Motto  „Filu";  ein  III.  Preis  Milla  Welt- 
mann-Wien, Motto  „Excelsior". 
u  Weiter  wurden  angekauft  die  Arbeiten  Motto 
„Nur  Acht";  Bruno  Eyermann- Leipzig;  Motto 
„Düne":  Jos.  Fuchs-Stuttgart;  Motto  „Peter": 
Lotte  Krause-Rudolf-Dresden;  Motto  „Eigen- 
zeichen":   Joseph    Sobainsky- Breslau;  Motto 


„Vögerl":  Ella  Weltmann -Wien.  Lobend  er- 
wähnt wurden  14  Arbeiten  und  zwar:  Motto 
„Nebenbei":  Dipl.-Arch.  Marius  Amonn-Bozen; 
Motto  „Ruhe";  Willy  Belling- Berlin;  Motto 
„  Verschiedenes  ' :  Georg  Breitwieser-  Langstadt 
bei  Babenhausen;  Motto  „Gut  Holz- Alle  Neun": 
Paul  Dienst-Dresden;  Motto  „Rosengarten": 
Toni  Hofer -Wien;  Motto  „Germania"  und 
„1870  1910":  A.  Holub-Wien;  Motto  „Thad- 
däus";  H.  Th.  Hoyer-Neubabelsberg;  Motto 
„Orplid":  H.  Jost-München;  Motto  „Arbeit 
und  Alphabet"  :  G.  Kaihammer- Wien;  Motto 
„Allerlei":  E.  Laube  Berlin;  Motto  „Mein 
Eigenzeichen":  G.  Lupke  -  Hannover;  Motto 
„Rachel":  W.  Richter- Zwiesel;  Motto  „K.  T,": 
Klemens  Thomas-München,    die  schriftleitung. 


91 


JOSEPH  SOBAINSKY  — BRESLAU. 


ANGEKAUFTER  ENTWURF. 


/: 


PS 


UD 


\ 


HKTNU  EVERMANN      LEIIV.IG. 


ANGEKAUFTER  ENTWURF. 


LOTTE  KRAUSE-RUDOLK     DRESDEN. 


ANGEKAUFTER  ENTWURF. 


JOSEPH  FUCHS -STUTTGART.  ANGEKAUFTER  ENTWURF. 


i9io;ii.i,  10. 


Al'SSlhLl.l'NG 
IN  HKKKOKD. 
Sl  H.MI  CKHOF 
l'.  EINC.ANG. 


KLEINE  KUNST-NACHRICHTEN. 

SEPTEMBER   1910. 


HERFORD.  Die  Vereinigung  nordwest- 
deutscher Künstler.  Nach  der  glänzen- 
den Ausstellung  in  Oldenburg  1905  hat  die  Vereini- 
gung im  großen  Wettbewerb  auf  Berliner  und  Düs- 
seldorfer Ausstellungen  eine  beachtenswerte  Stel- 
lung im  Deutschen  Kunstleben  sich  gesichert.  In 
der  engeren  Heimat  ergreift  sie  jede  Gelegenheit, 
durch  hervorragende  Ausstellungen  gute  Kunst  zu 
fördern,  das  hemmende  Banausentum  so  mancher 
unserer  Kunstvereine  aber  kraftvoll  zu  bekämpfen. 


So  war  in  diesem  Jahre  die  Ausstellung  in  Lübeck, 
in  der  alten  Katharinenkirche,  ein  künstlerisches 
Ereignis  speziell  für  die  Stadt,  in  der  der  Kunst- 
bedarf gewöhnlich  auf  Auktionen  mit  elendester 
Kitschware  gedeckt  wird.  Ferner  ist  in  Oldenburg 
auf  Anregung  der  Vereinigung  ein  Galerieverein 
gegründet,  dem  jährlich  ca.  8000  Mk.  zur  Verfügung 
stehen  zum  Ankauf  von  Werken  nordwestdeutscher 
Künstler.  Der  Staat  mit  seinem  Kunstetat  von  jähr- 
lich 10000  Mk.  hat  erfreulicherweise  die  Ziele  des 


G.\RTEN  DER  .VUSS  J  EI,H  NG  UEK    VEKEiNIGU.NG  NUKUWEbTDEU  ISCHEK  KUNSILER  IN  HERFORD. 


Kleine  Ktmat-Naclu-icIitcn. 


Al'SSTELLt-NG 
IN    HERFORD. 


Oalerievereins  auch  zu  seinen  eigenen  gemacht. 
-  Mit  Freuden  folgte  man  jet3t  einer  Einladung 
nach  Herford  zu  einer  Kunstausstellung,  die  mit 
der  Gewerbe-  und  Industrie-Ausstellung  verbunden 
wurde.  Unter  den  Ausstellern  befinden  sich  die 
Ijesten  Kräfte  der  Vereinigung,  Kaickreuth  mit  einer 
Sammlung  von  5  Bildern,  darunter  das  Porträt  der 
Frau  L.,  Vogeler  mit  dem  Wintermärchen  und  vier 
anderen  Werl%en,  Ulrich  Hübner,  Vi.inen,  Kuehl, 
Olde,  Dettmann,  zwei  Bilder  des  verstorbenen 
Overbeck,  Linde- Walther,  Oppler,  Burmester,  Eitner, 
Illies  etc.,  Behn  sandte  seinen  Panther,  Peterich 
die  Büste  des  Großherzogs  von  Oldenburg,  Roemer 


die  Pferdchen,  Barlach  den  Zecher.  In  einer  von 
Bäumen  eingerahmten  neu  erbauten  Kunsthalle 
standen  für  die  Vereinigung  sechs  Räume,  sowie 
ein  kleiner,  streng  architektonisch  gegliederter 
Schmuckhof  zur  Verfügung.  Den  Übergang  zu 
le^terem  bildet  ein  heiteres  sonniges  Garlenzimmer 
von  Heinrich  Vogeler,  das  mit  seinen  grünen  Wänden, 
weißlackierten  Binsenmöbeln  und  lustigen  Blumen- 
ornamenten zu  behaglichem  Ruhen  einladet.  Von 
ihm  aus  sieht  man  auf  den  stillen  Blumenhof  mit 
plätscherndem  Brunnen,  weißen  Bänken,  geschore- 
nen Buchsbäumchen,  der  einigen  Hermen  und  dem 
Ruhenden  Knaben  von  Schmarje  Plaf)  bot.      ono. 


HFINR.   VOGELER 
G.^RTEN-ZIMMER. 


Kicijic  Kwist-XadnicJiti 


•>!. 


G.  METzE^UüKK— ESSEN.       Klciiiwohnhaus. 

BRÜSSEL.  Gg.Met5endorf  Essen, 
dem  Baumeister  der  Margarethe 
Krupp-Stiftung-,  ist  es  von  den  Kon- 
kurrenten unangenehm  leicht  gemacht 
worden,  in  der  Siedelung  der  Klein- 
häuser der  Welt- Ausstellung  mit 
seinen  beiden  Holzbauten  die  beste 
Leistung  zu  bieten.  Das  belgische, 
das  französische  und  das  luxembur- 
gische Haus  haben  von  vornherein  auf 
den  Versuch  einer  künstlerischen  Ge- 
staltung verzichtet,  und  die  Erbauer 
des  im  Entwurf  sehr  gut  ausgear- 
beiteten englischen  Hauses  verdar- 
ben sich  ihre  ganze  Arbeit,  indem 
sie  die  Ausführung  verständnislosen 


Unternehmern  überlie|gen,  die  zumal 
die  Innen-Ausslattung  ganz  und  gar 
verpfuschten.  Unsere  Abbildungen 
geben  Proben  der  originellen 
Lösung  des  einen  Hauses.  Man 
sieht,  daf5  der  Eindruck  von  Wohn- 
lichkeit und  Behaglichkeit  erstrebt 
und  erreicht  ist,  insbesondere  in 
der  Bildung  des  großen  schürenden 
Daches  mit  dem  niederen  Giebel- 
Ausbau  und  der  mit  der  Dachkon- 
struktion verbundenen  offenen  Halle. 
Im  Innern  die  gleiche  Absicht,  den 
traulichen  Charakter  des  deutschen 
Wohnraums  darzustellen,  der  sich 
auch  in  der  Bildung  einer  sog. 
„Wohnküche"    gut    festhalten    läßt. 


GEORG  METZENUORE— ESSEN.  Veranda  des  Kleinwohnhauses. 

AUS  DER  SIEDELL-NG  DER  Kl  EI.\H.\USER  A.  D.  BRÜSSELER  WELTAUSSTELLUNG. 


AVohnraum  im  Kleinw(»hnhaus. 

Das  ganze  Haus  ist  nach  einem  pa- 
tentierten Dreischichtverfahren  der 
Firma  Gebrüder  Siebel  in  Düssel- 
dorf aus  Holz  hergestellt.  Es  han- 
delt sich  um  glatte,  durch  je  zwei 
Luftschichten  getrennte  Bohlen- 
flächen, die  den  Vorzug  grofjer 
Wärme  im  Winter  und  großer  Kühle 
im  Sommer  mit  dem  der  Leichtig- 
keit des  Materials  verbinden.  Die 
Häuser  sind  in  kürzester  Frist  auf- 
gebaut und  ebenso  geschwind  wie- 
der auseinandergenommen.  Da  es 
an  wirklich  wertvollen  Vorbildern 
für  Holzwohnhäuser  noch  betrüb- 
lich mangelt,  so  darf  man  den  neuen 
Kleinhäusern  Me^endorfsauch  nach 
dieser  Richtung  eine  prinzipielle 
Bedeutung  zuerkennen.    -       «k. 


96 


Kleine  Kiinst-Nachrichten. 


I.   I'REIS,     WOHN-  rxi)  SCHLAFRAUM.     ENTWURF:  FERD.  STEINER.     AUSFUHRUNG:  ADOLF  JIRETZ— WIEN. 
Eiche  halbdunkel  imprägniert,  mit  wasserfestem  Lack  eingerieben-    Preis  des  Zimmers:  K.  550.—  (M.  467.50). 


n.  PREIS.     WOHN-  UND  SCHLAFR.A.UM.     ENTWURF:  ARCH.  HANS  HLOUCAL.     AUSFUHRUNG:  P.\UL  DONATH— WIEN. 
Eiche  geräuchert,  gewichst.     Preis  des  Zimmers:  K.  570.—  (IW.  4S4.50). 


lU.  PR.  SCHLAFZIMMER.  Erle.  Preis:  K  461.-  (M.  392 -).      L  PREIS.    KÜCHE.  Preis:  K.  115  -  (M   97.75). 

ENTW.:  K.  K.  PROF.  O.WYTRLIK.    .\USF.:  FR.  WYTRLIK-WIEN.       ENTW. :  FERD.  STEINER.    .iUSFÜHRG.:  .M)OLF  JIRETZ- WIEN. 

KLEIN-BEAMTEN-  UND  .\RBEITER-WOHNUNGEN  IM   ML^SEUM  FÜR  KUNST  UND  INDUSTRIE     WIEN. 


Kleine  Kiinsl-A 'achrichtoi. 


WIEN.  Ein  Wettbewerb  für  Kleinbeam- 
ten- und  Arbeiterwohnungen,  veran- 
staltet vom  k.  k.  Museum  für  Kunst  und  Industrie, 
brachte  bemerkenswerte  Ergebnisse,  die  bei  Oe- 
leg'enheit  des  „Neunten  internationalen  Wohnungs- 
kongresses" zur  Schau  gestellt  wurden. 

Die  Konkurrenz  erstreckte  sich  auf  zwei  Woh- 
nungstypen, die  für  österreichische  Kleinwohnungen 
üblich  sind  und  zwar:  Type  A  bestehend  aus: 
Zimmer  mit  Bett,  Kabinett,  Vorraum  und  Küche 
(oder  Wohnküche),  Type  B  bestehend  aus:  Zimmer 
und  Küclie  (oder  Wohnküche);  die  Wohnungen  sind 
für  Familien  zu  4  Personen  gedacht. 

Die  Kosten  der  (iesamt-Einrichtung  für  Woh- 
nungstype A  durfte  900  Kronen,  die  der  Wohnungs- 
type B  600  Kronen  nicht  überschreiten.  Die  Preis- 
Bewerber  mußten  sich  zur  Herstellung  von  min- 
destens 50  Exemplaren  jeder  Einrichtung  und  Ab- 
lieferung innerhalb  2'  j  Monaten  nach  Bestellung 
verpflichten.  Die  Bestellung  und  Lieferung  wurde 
unter  Kontrolle  der  Museumsleilung  gestellt. 

Einige  der  prämiierten  Arbeiten  sind  vorstehend 
im  Bilde  gegeben.  Besonders  die  mit  dem  1.  Preise 
ausgezeichnete  Arbeit  verdient  alle  Anerkennung, 
aber  auch  die  ohne  Preis  gebliebenen  Einrichtungen 
sind  durchweg  verdienstvolle  Arbeilen.  Soll  jedoch 
der  minderwertigen  Trödelware,  die  um  teures  Geld 
alle  Haushaltungen  verunstaltet,  der  Boden  entzogen 
werden,  so  wäre  bei  künftigen  Ko:ikurrenzen  auch 
zu  berücksichtigen,  daf'^  dem  Durchschnitt  der 
österreichischen  Kleinbeamten  und  .'\rbeiter  selbst 
die  Summe  von  900  Kr.  oder  600  Kr.  für  eine  Ein- 
richtung kaum  erschwinglich  ist.  k.  w. 
Ä 

ELBERFELD.  Die  Dreihundertjahrfeier  der  Stadt 
ist  nicht  nur  in  ihrer  äuf^eren  Erscheinung 
überaus  würdig  verlaufen,  sondern  sie  hat  auch 
Anregung  zu  einer  ganzen  Reihe  von  Stiftungen 
und  Schenkungen  gegeben,  von  denen  ein  groger 
Teil,  auch  in  direkten  Aufträgen,  der  Kunst  zu  gute 
gekommen  ist  oder  noch  kommen  soll.  So  hat 
(las  Museum  allein  10  Ciemäkle  von  kunstsinnigen 
Bürgern  erhalten,  darunter  sehr  wertvolle  und 
künstlerisch  bedeutsame  Schöpfungen.  Das  .Mu- 
seum erhielt  ferner  die  berühmte  Sammlung  Weyer- 
busch  alter  Porzellane  von  Berlin,  Meif;en,  Wien, 
Sevres,  Höchst  und  anderen  Manufakturen,  mehrere 
hundert  (iefäfie  und  Figuren  umfassend,  sowie  eine 
kostbare  Kollektion  neuerer  Kopenhagener  Por- 
zellane, zum  Teil  nicht  mehr  im  Handel,  über- 
wiesen. Zum  Ankauf  von  Kupferstichen  wurden 
.5000  Mk.,  zum  Ankauf  einer  kleinen  Bronze  500  Mk. 
gestiftet,  weiter  als  Geschenk  eine  Bronze  von 
Kodin.  Die  neue  Knabenmittelschule  erhielt  den 
Cioldschmiedbrunnen  des  Düsseldorfer  Bildhauers 
Frit5  Coubillier  als  Geschenk.  Auj^erdem  erhielt 
die  Stadt  für  den  grof^en  Exerzierplatz  einen  monu- 


mentalen Brunnen  von  Bernhard  Hoetger  als  Ge- 
schenk des  Freiherrn  August  von  der  Heydt  sen. 
Wir  werden  unsern  Lesern  demnächst  diesen  herr- 
lichen Brunnen  im  Bilde  vorführen.  Fast  sämt- 
liche Lehrer  der  Kunstgewerbeschule  waren  aus 
Anlafi  der  Jubelfeier  mit  künstlerischen  Aufträgen 
auf  Votivtafeln,  Ehrenadressen,  Einbandderken, 
plastischen  Schmuck  und  dekorativen  Malereien 
bedacht.  Zwei  große  Geldstiflungen,  eine  in  Höhe 
von  40000  Mk.  seitens  des  Herrn  Kommerzienrals 
August  Bayer  gegeben,  und  eine  seitens  der  Stadt 
unter  Beihülfe  privater  Zuwendungen  auf  100000  Mk. 
normiert,  sollen  für  die  .Ausbildung  begabter  Kinder 
dienen.  Somit  wird  auch  die  Kunst  im  Wupper- 
tale  zu  ihrem  Recht  kommen.  Leider  ist  die  Hand- 
werker- und  Kunstgewerbeschule  als  Institut  bei 
der  Jubelfeier  ganz  leer  ausgegangen;  die  ihr  seit 
Jahren  für  diese  festliche  Gelegenheit  in  Aussicht 
gestellte  Grundsteinlegung  zu  dem  ihr  zu  wün- 
schenden, weil  notwendigen  Neubau,  ist  unter- 
blieben. — 

Zur  Förderung  der  bergischen  Bauweise,  deren 
Blütezeit  im  18.  und  zu  Beginn  des  19.  Jahrhun- 
derts war,  ist  ein  Wettbewerb  für  Fassaden- Ent- 
würfe zum  Austrag  gebracht  worden,  der  sich 
einer  sehr  groj^en  Beteiligung  seitens  der  deutschen 
Architekten  zu  erfreuen  hatte.  Eingegangen  waren 
dafür  741  Zeichnungen.  Verlangt  waren  Entwürfe 
zu  Einfamilienhäusern  mit  Vorgärten,  zu  eingebauten 
Miets-  und  Geschäftshäusern,  zu  Eckhäusern,  grö- 
J5eren  Geschäftshäusern  und  zu  ländlichen  Gehöften. 
Neben  den  zur  Verteilung  gelangten  Preisen  des 
Ausschreibens  konnten  noch  zahlreiche  Entwürfe 
angekauft  werden.  Solche  Preis-Ausschreiben  sind 
gewifj  im  Sinne  der  Denkmal-  und  Heimalschu^- 
pflege  äußerst  anregend.  Die  Zeit  muß  lehren, 
welcher  Gebrauch  davon  gemacht  wird  und  inwie- 
weit solche  Entwürfe  nun  auch  in  unserer  Zeit 
wirklich  brauchbar  sind.  Von  anderen,  verwandten 
Wettbewerben  ist  das  künstlerisch  gewiß  wertvolle 
Entwurfsmaterial  nicht  zur  Auferstehung  gekommen, 
sondern  hübsch  in  großen  Mappen  verblieben. 
Hoffentlich  ersteht  dieser  Wiederbelebung  ber- 
gischer Bauweise  nicht  ein  ähnliches  Schicksal. 

Der  Neubau  des  Warenhauses  L.  Tie^  Akt. -Ges. 
ist  dem  Kunstgewerbeschul- Direktor  Professor 
Wilhelm  Kreis  — Düsseldorf  übertragen  worden. 
Das  gewaltige  Projekt  hat  in  der  Fassaden  -  Aus- 
bildung mit  drei  Straßenfronten  zu  rechnen.  - 
Zur  Förderung  der  künstlerischen  Interessen  hat 
sich  hier  ein  „Bergischer  Bund"  gebildet,  der  nicht 
nur  zu  allen  öffentlichen  Kunst-  und  Baufragen 
Stellung  nehmen  will,  sondern  auch  das  geistige 
Leben,  einschließlich  Theater,  Literatur  und  Musik, 
zu  heben  gedenkt.  Die  Mitglieder  werden  berufen, 
resp.  vom  Ausschuß  und  bereits  gewählten  Mit- 
gliedern in  Vorschlag  gebracht.  k.  h.  o. 


i)S 


Kleine  Ktmst-Naclirichteti. 


BILDHAIEK  RICHARD  ENGELMANN- DAHLEM. 

DARMSTADT.  Hans  Ung-ers  Kollektiv- 
Ausstellung.  Unger  hat  sich  bei  den 
Darmstädtern  auf  der  „Künstlerbund-.^usstellung" 
wohl  eingeführt,  seine  „Sonnen-Adoration",  jener 
goldene  Nachklang  süger  Erinnerungen  an  den 
Zauber  einer  Ruth  St.  Denis,  fand  Freunde  im 
Publikum  und  einen  erwerbenden  Gönner  im  Lan- 
desherrn. Das  wirkte  anregend,  mehr  zu  zeigen. 
So  rüstet  der  Künstler  eine  Ausstellung  für  Darm- 
stadt, die  im  September  den  Kunstverein  bevöl- 
kern soll.  Es  wird  viel  des  Neuen  und  Anregenden 
erscheinen  und  die  verräterischen  Kostproben,  die 
die  vorliegende  Nummer  auf  Seite  9-15  bringt, 
deuten  schon  darauf  hin,  da5  man  Gelegenheit 
zu  ernsten  Erwägungen  haben  wird  über  mehr  denn 
einen  Punkt  der  Wirksamkeit  Ungers. 

Koloristen  in  dieschwarz-weifie  Valeurskalades 
Zinks  zu  bannen,  heißt  meist  soviel  wie  schillernde 
Schmetterlinge  alles  flimmernden  Schimmers  be- 
rauben. Wo  der  zeichnerische  Gehalt  schwach  ist, 
wird  Vorsicht  dem  Publikum  stets  erst  die  Origi- 
nale und  später  die  photographische  Reduktion 
gewähren.  Bei  Unger  durfte  das  entgegen- 
gese^te  Verfahren  angewendet  werden.  Sein  über- 
starker dekorativer  Geist  weiß  das  Bildskelett 
straff  und  fest  aufzustellen,  seine  Linien  fließen 
ohne  Kleinlichkeit  und  vor  allem:  seine  raffinierten 


Ein  neuer  Brunnen  in  Ijurliu. 

Farbensynthesen  -  stellenweise  unerhörte  Wag- 
stücke —  erscheinen  im  Lichtbilde  weniger  unwahr- 
scheinlich, als  man  angesichts  des  Urbildes  arg- 
wöhnen sollte,  mag  ihnen  auch  von  ihrem  Zauber 
das  meiste,  von  ihrem  Glänze  alles  genommen 
werden.  Das  was  sie  gegenständlich  zu  bezeichnen 
haben,  bleibt  meist  erkenntlich,  und  wo  nicht, 
wirkt  es,  was  weit  mehr  in  Betracht  kommt  für 
den  Genug  reproduzierter  Malwerke,  als  harmo- 
nische Stimmungsnote  so,  daß  der  Gehalt  des 
Bildes  immer  klar  bleibt. 

Ein  Beleg  hierfür  bildet  das  „Bildnis  der  Toch- 
ter" des  Künstlers,  dessen  eigentümliche  Farben- 
reize für  den  Beschauer  nicht  zu  ahnen  sind  und 
das  doch  von  seiner  Seele  dem  Fühlenden  so  viel 
vermittelt  als  nötig  ist,  um  in  ihm  den  lebhaften 
Wunsch  nach  dem  Original  reifen  zu  lassen.  Das- 
selbe gilt  von  der  reizvollen  „Eisläuferin".  Nicht 
ganz  auf  gleicher  Höhe  stehen  die  beiden  Bilder 
„Theben"  und  das  „Spanische  Mädchen". 

In  den  Florentiner  Pastellstudien  begibt  sich 
Unger  auf  das  Gebiet  des  psychischen  Ausdrucks, 
das  ihm  früher,  als  sich  ihm  die  Schönheit  der 
Farbe  noch  nicht  so  sicher  ergab  wie  heute,  ferner 
lag  und  unbegehrlicher  erschien.  Ein  glücklicher 
Schritt,  der  hoffentlich  die  Zukunft  des  Künstlers 
bereichert.  kuno  grae  harhenihrg. 


y9 


Kleine  Kiitist-Naclnichtoi. 


PROF.E.  RlKGEL-DARMSlAUr.    PfTTEN  IN  STEINGl   1. 

sorge  in  Hessen"  zu,  die  ilin  zum  Besten  bedürf- 
tiger Mütter  und  ihrer  Kinder  verwenden  wird. 
Es  ist  zu  erwarten,  dajs  die  Bestrebungen  der  (jroß- 
herzogin  weitesten  Beifall  finden,  denn  es  ist  sicher- 
licli  ein  sctioiier  Gedanl<e,  Beiträge  zu  wotiltätigen 
Zwed<en  durch  Lieferung  wirklicher  Kunstwertce 
anzuregen  und  zu  quittieren.  Der  Wandteller  ist 
„Kopenhagener  Porzellan"  mit  blauer  Handmalerei 


DARMSTADT.  Mit  den 
hier  abgebildeten  klei- 
nen Kunstwerken,  die  auf 
.•\nregung  und  im  Auftrage 
der  Ciroßherzogin  von 
Hessen  entstanden  sind, 
wird  u.  W.  erstmals  der  Ver- 
such gemacht,  eine  in  den 
nordischen  Ländern  schon 
eingebürgerte  schöne  Sitte 
auch  bei  uns  einzuführen. 
Der  Verkauf  des  Wandtellers 
und  der  Putten,  zu  denen 
noch  zwei  etwas  gröf,ere  in 
Arbeit  befindliche  Figuren, 
„Fürst  und  Fürstin"  hinzu- 
kommen, geschieht  zum  Zwek- 
ke  der  Wohltätigkeit:  der 
Reingewinn  fliegt  dem  Pro- 
tektorat der  „Orofjh.  Zentrale 
für  Mutter-  u.  Säuglings-Für- 

(Preis  Mk.  10).  Die  Riegeischen  Putten  sind  „Wäch- 
tersbacher Steingut"  mit  leichter  farbiger  Bemalung; 
sie  eignen  sich  besonders  als  Tafeldekoration  und 
als  Schmuck  für  den  Damen-Schreibtisch.  In  allen 
größeren  Porzellangeschäften  werden  die  Gegen- 
stände käuflich  sein,  auch  können  sie  durch  die 
Großherzogliche  Zentrale  für  Mutter-  und  Säuglings- 
Fürsorge  in  Darmstadt  bezogen  werden.   -    d.  r. 


AISF. .    WÄCHIERSBACHHR    STEINCUT-FABklK. 


CHR.THOMSKN 
KOl'KSHAGEN. 
HHMAl.TER  lEI.H-.R 
IN  l>OR/ELLAN, 
r.R(tSSK  iS  (  M. 


vrsi-i'HRi'No: 

Ki.I..  PORZEI-LAN- 
MANl'FAKTl'R  IN 
KOPFNHAr.KN. 


I 


OTTO  HETTNKR-1- 1.1 'KP:XZ.    ÜL-GEMAI.DK:  PORTRÄT   I-RAU  J.  H. 


:iTTO  HETTNER- FLORENZ. 


I  lljJ 


i),^   ]..,,ke 


OTTO  HETTNER-FLORENZ. 


Von    PAUL  FECHTER      liEKLIN. 


Die  Versuche,  der  Sichtbarkeit  der  Welt  ge- 
staltend Ausdrucksfähigkeit  erlebter  Dinge 
zu  verleihen,  bewegen  sich  im  wesentlichen  in 
zwei  Richtungen.  Aus  der  bunten  Vielheit  der 
Umwelt  heben  die  einen  das  heraus,  was  ihrer 
Seele  das  Erlebnis  gab  ,  um  dieses  Erlebte  in 
der  Wiedergabe  des  auslösenden  Stückes  Natur 
zu  verfestigen;  in  den  andern  verdichtet  sich 
das  vor  der  Sichtbarkeit  Empfundene  zu  neuer 
eigener  Eorm,  in  der  sein  Gefühlswert  am  reinsten 
zum  Ausdruck  kommt.  Sie  suchen  den  Rhyth- 
mus ,  in  dem  ihre  Seele  auf  das  Bild  der  Welt 
antwortet ,  in  dem  Rhythmus  und  dem  Gesetz 
des  Werkes  zu  gestalten:  der  Analyse  der  an- 
deren, die  ihre  Form  der  Sichtbarkeitsordnung 
der  Natur  unterordnen,  stellen  sie  die  Synthese 
entgegen ,  die  formende  Entwicklung  innerer 
Vorstellungen  zu  von  allem  Zufälligen  des  realen 
Daseins  befreiter  gesetzmäßiger  Notwendigkeit. 
Die  Malerei  des  letzten  Menschenalters  stand 
im  wesentlichen   unter  dem  Zeichen   der  Ana- 


lytiker, die  man  mit  einem  Zufallswort  von  ver- 
hängnisvoller Schiefheit  Impressionisten  nannte. 
Erst  die  letzten  Jahre  haben  eine  Gegenbe- 
wegung gebracht,  Probleme  der  Form  wieder 
mehr  in  den  Vordergrund  gerückt.  Da  die  Ana- 
lyse des  Impressionismus  rein  koloristischer 
Art  war,  bewegt  sich  auch  die  Reaktion  zunächst 
hauptsächlich  auf  diesem  Boden;  erst  nach  und 
nach  beginnt  die  Erkenntnis  der  eigentlichen 
Probleme  der  Malerei  zu  erstarken,  stehen 
Menschen  auf,  die  wieder  im  rein  Künstle- 
rischen, rein  „Ästhetischen"  im  Kantischen 
Sinne  nach  Form  und  Ausdruck  ihres  beson- 
deren heutigen  Weltgefühls  suchen  gehen. 

Zu  denen,  die  hier  unter  den  ersten  zu  nen- 
nen sind,  gehört  Otto  Hettner,  Seine  Entwick- 
lung ist  ein  Fortschreiten  vom  Gestalten  im  rein 
Farbigen  zu  immer  stärkerer  Betonung  rhyth- 
misch gesetzmäßigen  Formausdrucks  und  dar- 
über hinaus  zu  Verschmelzungsversuchen  beider 
Möglichkeiten.      Seine  Arbeiten  aus  der  Mitte 


1910;1I.  II.  1. 


105 


Otto  Hcttucr-Floirnz. 


OITü  HETTNER     KLORENZ. 


der  90er  Jahre  sind  gediegene  Malerei,  in  der 
wohl  ein  Gefühl  für  Größe  bemerkbar  wird,  die 
aber  im  wesentlichen  bestimmt  ist  von  den 
Tendenzen  der  Zeit.  Ein  paar  Jahre  bildhaue- 
rischer Tätigkeit  bringen  den  Umschwung:  das 
Formale,  zunächst  im  Sinne  des  Gegenständ- 
lichen, man  könnte  sagen  Dreidimensionalen 
beginnt  nach  farbigem  Leben  zu  ringen.  Aller- 
hand Erinnerungen  an  Hans  von  Marees  tauchen 
in  den  Motiven  auf:  männliche  Akte  und  Pferde, 
Jünglinge  von  der  Abendsonne  beschienen  und 
ähnliche  Dinge  beschäftigen  ihn.  Er  sucht  die 
Formwerte  des  menschlichen  Körpers  als  Aus- 
druck zu  gestalten,  ohne  auf  die  Farbe  und  ihre 
Qualitäten  als  koloristisches  wie  als  plastisch 
bildsames  und  flächenorganisierendes  Material 
Verzicht  leisten  zu  wollen.  Die  Errungenschaf- 
ten des  Impressionismus  mit  dem  neuen  Form- 
gefühl zu  verschmelzen,  ist  das  Bestreben  dieser 
Zeit.  Durch  seine  Tätigkeit  als  Bildhauer  ist  ihm 
zugleich  ein  starkes  Gefühl  für  die  Bedeutung 
des  Raums   in   seinen   Beziehungen   zum  Werk 


iiomalJe:     l-rühstück  im  Grünen 


lebendig  geworden  ;  so  ergibt  sich  die  weitere 
Aufgabe,  zwischen  Zwei-  und  Dreidimensiona- 
lem, Raum  und  Fläche  einen  Ausgleich  zu  finden. 
Mit  Arbeiten  dieser  Art  sind  die  ersten 
Jahre  seit  1900  ausgefüllt.  Monumentales  und 
Dekoratives,  etwa  im  Sinne  der  Fresken  van 
Rysselberghes  entsteht,  Landschaften  und  Por- 
träts und  Stilversuche,  in  denen  mehrfach  ein 
starkes  intellektuelles  Moment  fühlbar  wird. 
Zuweilen  erwächst  in  einem  glücklichen  Augen- 
blick ein  Werk  von  der  gedämpften  Sciiön- 
heit  des  großen  „Frauenporträts"  oder  des 
„Frühstücks  im  Grünen",  zuweilen  entstehen 
Landschaften  von  der  schönen  Ruhe  der  „Silber- 
pappeln" und  des  „Florentiner  Gartens",  vor 
denen  von  weitem  eine  Erinnerung  an  Feuer- 
bach auftaucht.  Farbiges  und  Formal-Lineares 
ist  hier  zu  kluger  Einheit  ausgeglichen  und  zu- 
sammengefaßt, zu  malerischen  Werten,  die  in 
ihrem  klaren  Aufbau  und  sicheren  Geschmack 
dem  besten  zugezählt  werden  dürfen,  was  die 
letzten  Jahre  gebracht  haben. 


'X 


ÜITO  HETTNER     FLORENZ. 


oben;       ITAUE.NilSCHE  KUSTENSTAÜT«      UNTEN;    »APENNIN 


lüj 


Ollo  Hd/iirr- Florenz. 


it^i'mmimrmmmie' 


Vjäsar?*"-''- 


mm 


OTTO  HETTNEK     FLORENZ. 

Diese  Einheit  löst  sich  noch  einmal  mit  dem 
Erstarken  des  Gefühls  für  die  Beziehungen 
zwischen  Rhythmus  und  Bildgesetz.  Die  Aus- 
drucksfunktionen des  menschlichen  Körpers 
treten  in  den  Vordergrund,  Bewegungen,  für 
sich  oder  wie  bei  Hodler  von  dem  Gleich- 
klang paralleler  Vorgänge  getragen,  durch- 
brechen das  Bildmäßige:  der  Rhythmus  wird  das 
Dominierende,  zuweilen,  wie  in  dem  bekann- 
ten „Aufbruch",  sogar  fast  Selbstzweck.  Der 
Raum  gewinnt  wieder  eigenes  Leben,  wie  in 
dem  „Ruhenden  Mann"  vor  der  sonnigen  Land- 
schaft, das  Intellektuelle  tritt  noch  einmal  stär- 
ker zu  Tage,  um  fast  gleichzeitig  von  einem  in- 
tensiven ,  nach  Lösung  im  Farbig- Formalen 
drängenden  Gefühlsfaktorparalysiert  zu  werden, 
t^s  gibt  ein  Pastell  aus  der  letzten  Zeit,  zwei 
Bajazzi  auf  einer  „Wippe",  der  eine  hoch  oben 
schwebend,  der  andere  tief  unten.  In  der  merk- 
würdig traumhaften  Suggestionskraft  seiner 
räumlichen  Anordnung  wie  in  der  farbigen  Or- 
ganisation stünde  es  neben  den  früheren  Ar- 


(lemäkle:   »iirientalinnen« 

beiten  Hettners  ziemlich  allein,  wenn  nicht  in 
verschiedenen  anderen  Werken  der  letzten 
Zeit  die  gleiche  Erscheinung  zu  Tage  träte.  Die 
„Traumphantasie"  gehört  hierher,  mit  der  ganz 
eigentümlich  unwirklichen  Realität  der  Gestalten, 
deren  Gefühlsgehalt  wie  im  Unbewußten  ver- 
ankert scheint,  der  „schlafende  Pierrot",  der 
auf  der  „Barke"  noch  einmal  auftaucht.  Es  ist, 
als  ob  hier  Schichten  der  Seele  Ausdrucks- 
möglichkeiten gefunden  haben,  die  zu  den  frühe- 
ren Werken  noch  keine  Beziehung  hatten  und 
die  vielleicht  doch  das  eigentlich  Bedeutsame 
aller  Produktion  ausmachen. 

Von  hier  aus  wird  man  von  Otto  Hettner 
iieulc  vielleicht  am  meisten  zu  erwarten  haben. 
F'inc  ägyptische  Reise  scheint  ihm  mancherlei 
Klärung  in  der  Auffassung  von  der  Gefühlsbe- 
deutung des  Raums  und  seinem  Verhältnis  zu 
unserem  Seinsempfinden  gebracht  zu  haben; 
wenigstens  spricht  eine  Reihe  von  Zeichnungen 
und  Entwürfen  dieser  Zeit  dafür.  Dazu  kommt 
die   Abkehr  von   dem  Teilungsprinzip   des   Im- 


lüb 


OTTO   HETTNER     FLORENZ. 


ÜL-GEMALDE :    ..  BOGENSCHÜTZEN 


Otto  Hett7icr- Florenz. 


OTTO  HETTXER     FLOREN/.. 


prcssionismus.  Das  Zerlegen  ist  aufgegeben  zu 
Gunsten  einer  zusammenfassend  fest  und  ruhig 
hingesetzten  Farbfläche.  Das  Resultat  gibt 
Hettner  um  so  mehr  recht,  als  seiner  gesamten 
Persönlichkeit  wohl  überhaupt  der  Ausdruck 
ruhevoll  gehaltenen  Daseins  am  besten  liegt. 
Das  vornehm  Kraftvolle,  Bewußte,  das  den 
Grundton  seines  ganzen  bisherigen  Schaffens 
ausmacht,  kommt  in  den  Werken,  in  denen  er 
lediglich  auf  das  Umfassen  solcher  Momente  aus- 
geht, am  schönsten  zur  Geltung.  Die  Faktoren, 
die  er  in  seinen  jüngsten  Arbeiten  zu  dem  bis- 


Olgemälde:  »Ruhender  Mann« 

herigen  Besitz  hinzu  erwarb,  berechtigen  zu  der 
Hoffnung,  daß  sie,  aus  Bewußtem  organisches 
Eigentum  geworden,  fortzeugend  noch  manches 
wertvolle  Ergebnis  zeitigen  werden.  In  jedem 
Falle  gehört  Otto  Hettner  zu  den  Wenigen,  die 
in  der  Wirrnis  der  Gegenwart  mit  ruhiger  Kon- 
sequenz sich  selber  nachgegangen  sind,  mit 
voller  Bewußtheit  Mittel  und  Möglichkeiten 
untersuchten,  weil  sie  erkannten,  daß  nur  auf 
diesem  Wege  ein  Herauskommen  aus  den  Halb- 
heiten in  der  heutigen  Wirrnis  der  künstle- 
rischen Dinge   möglich   ist.    —  im.  p.  k.-herlin. 


onO  HKTTNliR- 
FLOKKN/. 


i.KM.M.llK: 
UlK  WIPPE« 


PAUL  GAUGUIN  t 


Ölgemälde:  »Menschliches  Elend 


--  •    PAUL  GAUGUIN. 


VON  RUDOLF  MEVER-KIEISTAHL— PARIS. 
Anläßlich  der  Ausstellung  d.  Sammlung  Vollard  in  der    Modernen  Galerie  Tliannhauser  -Münclien  u.  Arnolds  Kunst-Salon  -  Dresden. 


Paul  Gauguin  ist  einer  der  vier  großen  Maler, 
welche  der  französischen  Kunst  im  ausge- 
henden neunzehnten  Jahrhundert  neue  Wege 
gewiesen  haben.  Sein  Platz  ist  neben  Cezanne, 
Seurat  und  van  Gogh.  Ihm  fehlt  das  tief  inner- 
liche und  leidenschaftliche  eines  Cezanne  oder 
van  Gogh,  er  kennt  nicht  die  klare  Überlegtheit 
eines  Seurat.  Sein  Temperament  ist  leicht  an- 
geregt und  entflammt  sich  schnell.  Er  zerquält 
sich  nicht  über  den  inneren  Sinn  der  Formen, 
sondern  berauscht  sich  schnell  am  bunten  Ge- 
wände der  Farbe.  Man  hat  ihm  vielfach  den 
Vorwurf  gemacht,  ein  Poseur  zu  sein  und  am 
Äußerlichen  zu  hängen,  man  hat  seine  Reisen 
'  in  die  tropischen  Länder  als  Effekt-Hascherei 
I  belächelt,  ebenso  wie  sein  abenteuerliches 
Kostüm  in  Paris  nach  seiner  Rückkehr  aus  Ta- 
I  hiti  allgemeines  Kopfschütteln  erregte.  Und 
doch  gehen   alle   diese  Urteile   dem  Menschen 


Gauguin  nicht  auf  den  Grund,  sie  erkennen  seine 
wahre  Seele  nicht,  sie  verstehen  nicht,  daß  es 
Menschen  geben  kann,  denen  eine  Idee  ein 
Heiligtum  ist,  mit  der  sie  zugleich  ein  komö- 
diantenhaftes Spiel  treiben.  Gauguin  ist  eine 
solche  Natur.  Wer  tiefer  in  ihn  einzudringen 
versucht,  muß  erkennen,  daß  dieser  Mann  von 
seinen  Idealen  und  Ideen,  für  die  er  in  so  schau- 
spielerischer Weise  eintrat,  im  tiefsten  Herzens- 
grunde erfüllt  war,  und  daß  er  in  diese  stellen- 
weise etwas  karikaturenhafte  Opposition  zu 
unserem  heutigen  Kulturleben  wohl  zum  großen 
Teile  auch  durch  die  vollkommene  Ablehnung 
getrieben  wurde,  mit  der  ihn  seine  Zeitgenossen 
zeitlebens  kränkten.  Ein  Cezanne,  ein  schwer- 
mütiger, grüblerischer  Kopf,  spann  sich  zu 
Aix  in  der  Einsamkeit  ein  ,  ein  feuriges  Tem- 
perament wie  Gauguin  aber  war  zu  solch  stiller 
Entsagung  durchaus  nicht  geschaffen. 


109 


Rudolf  Meyer-Riefsialil   Paris 


l'AUL  l.ALt 


Gauguins  abenteuerliche  Lebensschicksale 
scheinen  eine  Widerspiegelung  des  Lebens  sei- 
ner Vorfahren  zu  sein.  Er  wurde  am  7.  Juni 
1 848  geboren.  Sein  Vater  stammte  aus  Orleans 
und  war  Mitarbeiter  des  radikalen  Blattes 
„National".  In  seiner  Mutter  Adern  rollte  süd- 
amerikanisches Blut.  Sie  war  die  Tochter  der 
Flora  Tristan,  die  von  einem  spanischen  Ober- 
sten und  einer  Französin  abstammte  und  in 
Frankreich  als  Schriftstellerin  und  Freundin 
Proudhons  wie  als  Anhängerin  des  Saint  Simo- 
nismus eine  gewisse  Berühmtheit  erlangt  hatte. 
In  Gauguin  scheint  der  selbständige  extra- 
vagante Geist  seiner  Ahnen  wieder  lebendig 
geworden  zu  sein. 

Gauguins  Vater  war  im  Jahre  1851  nach  Lima 
ausgewandert.  Hier  verlebte  Gauguin  die  frühen 
Jahre  seiner  Kindheit,  die  wohl  einen  dauernden 
hinfluß  auf  den  Inhalt  seines  Bewußtseins  be- 
halten haben.  1855  kehrte  die  Mutter  wieder 
nach  Europa  zurück.  Gauguin  absolvierte  das 
Gymnasium  und  trat  dann  in  die  Handelsmarine 
ein  um  später  in  die  Kriegsmarine  überzutreten. 

1871  wurde  Gauguin  aus  der  Marine  entlassen 


Gemälde:   ^losef  und  Iiau  r«>lii*hai^ 

und  beschloß,  sich  dem  Bankfach  zuzuwenden. 
Er  kam  hier ,  wie  er  überhaupt  eine  seltene 
Fähigkeit  sich  zu  adaptieren  besaß,  räch  vor- 
wärts, so  daß  er  sich  1873  verheiratete  und  eine 
materiell  glänzende  Stellung  erlangte.  Er  soll 
in  einem  Jahre  bis  vierzigtausend  Franken  ver- 
dient haben.  Doch  Gauguin  fühlte  sich  in  diesem 
Berufe  nicht  befriedigt,  er  beschäftigte  sich  in 
seinen  Mußestunden  mit  Malerei.  Zunächst  voll- 
kommen dilettantisch  und  ohne  klarere  Ziele, 
wie  eine  im  Salon  des  Jahres  1876  ausgestellte 
Landschaft  beweist.  Erst  im  Jahre  1876  be- 
ginnen sich  ihm  bestimmte  künstlerische  Ziele 
darzustellen,  als  er  die  Bekanntschaft  mit  der 
Kunst  Camille  Pissarros  auf  einer  Ausstellung 
bei  Durand  Ruel  machte.  Wie  für  so  viele  andere 
später  hervorragende  Künstler  wurde  Camille 
Pissarro  auch  ihm  zum  Lehrmeister.  Gauguin 
benützt  nun  jede  Minute,  die  ihm  sein  Beruf 
frei  läßt,  dazu,  zu  zeichnen  und  zu  malen  und 
die  Natur  im  Sinne  des  Impressionismus  zu  stu- 
dieren. Bald  fühlte  er  die  Kraft  in  sich,  sich  an 
den  verschiedenen  Ausstellungen  der  Impressio- 
nisten zu  beteiligen,  wo   er  zunächst  als  Nach- 


110 


PAUL  GAUGUIN.    GEMÄLDE:   »AUF  DEN  MARQUESAS-INSELN«. 


Paid  Gauguin. 

■■■■■■■■■■E 


m4 


PAUL  GAUGUIN  t 


Ölgemälde:  »Sitzende  Frauen 


folger  Pissarros  eine  ziemlich  bescheidene  Stel- 
lung einnahm.  1883  entschloß  er  sich,  sei- 
nen Bankberuf  vollkommen  aufzugeben ,  was 
seine  Familie  einer  materiellen  Krisis  aussetzte 
und  sie  vollkommen  zerstören  sollte,  während 
dieser  Schritt  seiner  Kunst  die  ersehnte  Be- 
freiung brachte.  Gauguin  trennte  sich  1885 
von  seiner  Frau  und  lebte  in  Paris  in  materiell 
sehr  bedrängter  Lage,  unablässig  seiner  künst- 
lerischen Vervollkommnung  nachstrebend.  Mit 
klarer  werdenden  Zielen  erkannte  er,  daß  seine 
Art  auf  eine  starkfarbige  primitive  Kunst  hin- 
drängte und  so  wandte  er  sich  der  französischen 
Provinz  zu,  die  in  ihrem  Charakter  noch  am 
meisten  Ursprüngliches  erhalten  hat,  der  Bre- 
tagne. Auch  hier  arbeitete  er  zunächst  noch 
in  analytischer,  impressionistischer  Art  weiter. 
Erst  ganz  allmählich  begann  er  die  Farben  zu 
vereinfachen  und  in  großen  dekorativen  Flächen 
zusammenzuziehen  und  in  der  Zeichnung  die 
großzügige  Linie  zu  suchen.  Indem  er  der  Ara- 
beske und  dem  dekorativen  Farbenklange  nach- 
ging, begann  er  sich  auf  eigene  Füße  zu  stellen 


und  Ziele  zu  suchen,  die  über  den  Impressionis- 
mus hinausgingen.  Im  Winter  1886  nach  Paris 
zurückgekehrt,  lernt  er  hier  einen  zweiten  kennen 
der  unbewußt  ähnliches  suchte  wie  er  selbst ; 
Vincent  van  Gogh.  Doch  Gauguins  Instinkt  trieb 
ihn  den  Erinnerungen  seiner  Kindheit  entgegen: 
es  ist,  als  ob  er  halb  unbewußt  die  bunte  tro- 
pische Welt  suchte:  1887  unternimmt  er  eine 
längere  Reise  nach  den  Antillen  :  in  Martinique 
findet  sein  malerischer  Stil  die  volle  Freiheit 
in  Form  und  Farbe,  Als  er  1888  wieder  in  die 
Bretagne  zurückkehrt,  hat  er  nun  den  phan- 
tastischen und  leuchtenden  Stil  gefunden,  der 
jene  primitiven  Menschen  und  jene  seltsamen 
Landschaften  und  den  mystischen  Zauber  dieses 
Landes  so  tief  erfaßt  hat.  Gauguin  wird  nun  zum 
reinen  Synthetiker,  wie  inzwischen  van  Gogh  in 
der  Provence  auch  zum  machtvollen  Zusammen- 
schließen von  Form  und  Farbe  gelangt  war. 
Bis  1891  arbeitete  Gauguin  abwechselnd  in  der 
Bretagne  und  in  Paris;  sein  berühmtestes  Werk 
aus  jener  Zeit  ist  der  gelbe  Christ,  der  ihn  als 
vollkommenen  Synthetiker  zeigt. 


laiu/ll.  li  2. 


1  I 


>«i 


PAUL  GAUGUIN  t  Ölgemälde: 

»FRAUEN  UNTER  PAXMEN  SITZEND- 


AUS    UBR    GAUGUIN-AUSSTELLUNG    DER    MOO.  GALERIE    TUANNHAUSER,  ML'NCUEN. 


Paul  Gauguin. 


Die  fortwährenden  Mißerfolge  ließen  Gauguins 
Sehnsucht  nach  der  tropischen  Natur  wieder  er- 
wachen, und  nachdem  er  durch  eine  Versteige- 
rung seiner  Werke  im  Hotel  Drouot  sich  die 
nötigen  Mittel  zur  Überfahrt  nach  Tahiti  ver- 
schafft hat,  trifft  er  dort  am  8.  Juni  1891  ein. 

Gauguin  selber  hat  sein  Leben  in  der  tro- 
pischen Natur  unter  den  Eingeborenen  in  dem 
köstlichen  Buche  Noa-Noa  geschildert.  Weitere 
Zeugen  seines  dortigen  Lebens  und  Schaffens 
sind  die  lange  Reihe  von  Bildern,  welche  in  Tahiti 
bis  1903  und  nach  einem  zweijährigen  Aufent- 
halt in  Europa,  der  dem  Künstler  den  erhofften 
ideellen  und  materiellen  Erfolg  seiner  Arbeit 
nicht  brachte,  von  1895  —  1901  entstanden. 
Durch  allerhand  Streitigkeiten  mit  den  franzö- 
sischen Behörden  verbittert,  wollte  Gauguin  sich 
noch  weiter  von  der  europäischen  Zivilisation 
entfernen  und  so  siedelte  er  im  Herbst  1901 
nach  Dominika,  der  größten  unter  den  Marque- 


sas-Inseln  über,  wo  er  am  9.  Mai  1903  verstarb. 
—  Schon  kurz  nach  Gauguins  Tode  stellte  sich 
der  Erfolg  ein,  auf  den  er  sein  Leben  lang  ver- 
gebens hatte  warten  müssen.  Man  erkannte, 
welch  neue  Wege  er  gewiesen  hatte.  Nach 
Cezanne  ist  er  der  entschiedenste  unter  den 
Künstlern,  die  über  den  Impressionismus  hinaus 
einer  in  Form  und  Farbe  vereinfachten  Kunst 
zustreben.  Vom  Naturalismus  ausgegangen,  ge- 
langt er  zu  einer  geradezu  entgegengesetzten 
Doktrin  und  warnt  davor,  durch  allzuengen  An- 
schluß an  die  Einzelheiten  in  der  Natur  den 
Überblick  über  das  Ganze  zu  verlieren.  So  er- 
klärt sich  seine  eigenartige  Zeichnung,  die  von 
seinen  Gegnern  als  mangelhaft  bezeichnet  wird. 
Gauguin  hat  in  seiner  impressionistischen  Zeit 
bewiesen,  daß  er,  wenn  er  wollte,  die  Natur 
auch  in  ihren  Einzelheiten  nachzubilden  ver- 
stand, doch  so  hätte  niemals  die  Geschlossen- 
heit seines  Stiles   sich   ergeben  können.    Auch 


PAULG.VUCUIN   I 
ÖLGE\LÄXDE : 
F.\MILIE  AUS 
TAHITI. 


"5 


Otlo  Scimlzc-Elhcrfcld : 


im  Kolorismus  steht  er  in  seiner  reifen  Zeit  nicht 
auf  dem  naturalistischen  Standpunkte :  er  ist 
sich  vollkommen  bewußt ,  daß  seine  Inter- 
pretation der  Farben  in  der  Natur  eine  durchaus 
freie  Synthese  ist.  Dem  impressionistischen  Pro- 
gramm ist  er  insofern  treu  geblieben ,  als  er 
schwarze  und  braune  Farben  vermeidet  und 
seine  Bilder  nur  aus  reinen  Farbenklängen  auf- 
baut ,  wobei  er  das  Prinzip  der  Teilung  des 
Tones  allerdings  bald  aufgibt  und  große  har- 
monisch zusanmiengestimmte  Farbenflächen  ge- 
geneinander abwiegt.  In  der  Komposition  seiner 
Gemälde  u.  Skizzen  bringt  er  überall  die  großen 
dominierenden  Linien  zum  Ausdruck  und  merzt 
die  überflüssige  Finzelheit  streng  aus.  So  ist  sein 
Gesamtwerk  ein  zielbewußtes  und  einheitliches 
Hinarbeiten   auf  einen  großen  Monumentalstil. 


Für  die  heutige  Kunst  ist  Gauguin  einer  der 
großen  Anreger  geworden.  Schon  in  Pont  Aven 
in  der  Bretagne  hatte  sich  um  ihn  ein  Kreis  von 
Schülern  gebildet,  die  auf  die  gesamte  franzö- 
sische Kunst  der  neunziger  Jahre  von  hervor- 
ragendem Einfluß  gewesen  sind :  es  genügt 
Künstler  wie  Bonnard,  Vuillard,  Serusier,  Denis 
zu  nennen,  die  mehr  oder  weniger  lange  unter 
dem  direkten  Einflüsse  Gauguins  standen  und 
von  seinen  Gedanken  nachdauernd  beeinflußt 
wurden.  Gerade  in  unseren  Tagen  aber  tauchen 
zahlreiche  Probleme  des  monumentalen  Stiles 
aufs  neue  auf,  mit  denen  sich  die  neunziger 
Generation  vielleicht  etwas  verfrüht  und  meist 
ohne  Hoffnung  auf  Realisierung  auseinanderzu- 
setzen versuchte.  So  wird  heute  Gauguin  wieder 
von  besonderem  aktuellen  Interesse  sein.   — 


BILDHAUER  BERNHARD  HOETGER. 

VON  OTTO  SCHUL/E  KLBKKKKLD. 


Der  deutsche  Künstler  hat  es  zu  allen  Zeiten 
besonders  schwer  gehabt,  seine  besondere 
Eigenart  zu  behaupten.  Er  hat  stets  mehr  als 
andere  internationale  Beziehungen  unterhalten; 
er  hat  stets  das  Fremde  als  das  Größere  zum 
Vorbild  genommen  ;  er  ist  lieber  in  die  Schule 
gegangen  als  selbst  Schule  zu  machen.  Und  so 
ist  es  nicht  ausgeblieben,  daß  noch  bis  in  die 
jüngste  Zeit  hinein  unsere  Kunstwissenschaftler 
mit  Geflissenheit  und  deutscher  Gewissen- 
haftigkeit und  Gründlichkeit  bei  unsern  deut- 
schen Künstlern  die  fremden  Einflüsse  in  deren 
Werken    nachzuweisen    suchen. 

Auch  Bernhard  Hoetger  wäre  diesem  Schick- 
sal verfallen,  wenn  man  nicht  noch  in  letzter 
Stunde  auf  sein  starkes  Können  aufmerksam 
gemacht  worden  wäre.  Selbst  daß  er  versehent- 
lich innner  zu  den  Franzosen  gezählt  wurde, 
hat  ihn  nicht  davor  bewahrt,  nur  wenig  bekannt 
zu  werden.  Bernhard  Hoetger  ist  von  Geburt 
Westfale,  Horde  ist  seine  Heimat.  Als  er  sich 
1908  in  Mannheim  mal  wieder  seinen  deutschen 
Landsleuten  in  Erinnerung  brachte,  da  begeg- 
nete er  im  großen  ganzen  dem  üblichen  deut- 
schen Kopfschütteln  und  damit  einem  gehörigen 
Maß  Unverständnis.  Gewiß,  Hoetger  zeigte  hier- 
bei einige  Kleinwerke  in  Holz  und  Bronze,  die 
nicht  von  jedermann  verstanden  werden  konn- 
ten,  weil  sie  zu  archaisch  anmutend  waren. 
Man  dachte  dabei  an  Buddhismus  und  indische 
Kunst.  Aber  Hoetger  fand  doch  seine  Gemeinde, 
eine   kleine   zwar   zunächst,   aber  doch   keine 


redende,  bewundernde  und  gute  Ratschläge 
gebende,  sondern  eine  kaufende.  In  gewissem 
Sinne  hört  die  Not  des  Künstlers  auf,  wenn 
seine  Werke  museumsfähig  werden.  Die  Lei- 
tungen unserer  Museen  sind  tatsächlich  ein 
Gradmesser  für  den  Wert  oder  Unwert  der 
Werke  unserer  deutschen  Künstler  geworden. 
Und  so  ist  auch  Bernhard  Hoetger  als  Plastiker 
von  dieser  seltenen  Ausnahme  betroffen  worden; 
in  den  Museen  zu  Hagen,  Barmen  und  Elber- 
feld  begegnen  wir  seinen  Werken,  und  zwar 
nicht  vereinzelt ,  sondern  in  verschiedenen 
Schöpfungen.  — 

Die  wenigsten  deutschen  Bildhauer  sind  so 
geworden  wie  Hoetger  geworden  ist,  denn  wir 
hätten  sonst  heute  eine  von  der  Plastik  anderer 
Nationen  unterschiedliche  deutsche  Plastik. 
Hoetger  ist  frei  von  der  Abstempelung  irgend 
einer  Schule  oder  eines  Meisterateliers  ;  er  hat 
gelernt  wie  Kinder  zu  lernen  pflegen,  die  eigen- 
willig ihren  Weg  gehen,  die  in  Erwachsenen 
ihre  Peiniger  und  Unterdrücker  sehen.  Hand- 
werklich ist  er  von  der  rohesten,  unbeholfenen 
Technik,  künstlerisch  von  der  Seele  des  Kindes 
geknechtet  gewesen ,  das  heißt  Sklave  jener 
Unbefangenheit  und  göttlichen  Eingebung,  die 
sich  schöpferisch  mit  dem  Schöpfer  selbst  eins 
fühlt.  Der  Versuch  steht  am  Anfang  der  Dinge; 
der  Seele  wird  eine  Hülle  gegeben,  die  fremden 
Augen  unbeholfen  scheint.  Die  Seele  wächst, 
sich  immer  neue  Hüllen  suchend,  bis  schließlich 
Seele    und   Form   eins    ist    wie    am    sechsten 


1  i6 


»JUGEND. ,  PLASTIK   VON   BERNHARD  HOETGER. 


Bildhauer  Bernhard  Hocfger. 


BKRNHARD 

HOETGER. 

W  KIBL.  BÜSTE. 


Schöpfungstage  !  Darin  dürften  der  künstlerische 
Werdegang  und  das  künstlerische  Bekenntnis 
Hoetgers   skizziert  sein. 

Das  großeTalent  wie  auch  das  ausgesprochene 
Genie  führen  den  allerschwersten  Kampf  gegen 
sich  selbst,  gegen  das  Chaos  der  Urmaterie,  das 
geordnet  und  zum  Licht  geführt  werden  soll. 
Die  Menge,  die  Nichtpsychologen,  erblicken 
darin  nur  die  Abweichung  vom  Hergebrachten, 
etwas  Abnormes,  Krankhaftes.  Deshalb  blei- 
ben sie  an  der  Form  hängen,  sie  fühlen  nicht 
den  ringenden  Geist,  der  irgendwo  eben  diese 
Formen  sprengen  und  ihnen  eine  neue  Schön- 
heit geben  wird.  —  Aber  immer  bleibt  bei  den 
großen  Künstlern  Form  und  Inhalt  eine  Einheit; 
sie  können  im  Sinne  des  Wortes  nicht  nach- 
schaffen, sie  müssen  neuschaffen;  und  ihr  Neues 
ist  der  Menge  gegenüber  eben  stets  das  Unver- 


standene und  deshalb  Anfechtbare.  Das  hat 
auch  Hoetger  des  öfteren  bitter  empfinden 
müssen,  der  doch  in  seinen  Werken  zugleich  sein 
Leben  und  seine  Seele  mit  ihrem  Bekenntnis 
niederlegte. 

Der  Kunstgeübtere  wird  scheinbar  in  der 
Reihenfolge  der  Hoetgerschen  Werke  ihrem 
Entstehen  nach  nicht  nur  eine  Entwicklungsphase 
der  deutschen  Plastik,  sondern  der  Plastik  über- 
haupt zu  erblickenmeinen,  denn  die  Formgebung 
nahm  auf  der  Erde  denselben  Anfang.  Sexuelles 
mischt  sich  mit  Mystik,  Askese  mit  Religiosität, 
Philosophisches  mit  Symbolik.  Orient  und  Occi- 
dent  kommen  zusammen,  Sinnliches  wird  durch- 
geistigt ,  die  Erfüllung  des  Lebens  wird  zum 
höchsten  Gesetz.  Und  deshalb  scheint  es  mir 
belanglos,  ob  und  welche  Namen  Hoetger  seinen 
Werken   gibt   und   welche   Auslegung   hieraus 


119 


BERNHARD  HOETGER. 


UER  GERECHTIGKEIIS-BRUNNEN  IN  ELBERFELD.     EINE  SIIHUNG  ZUR  DREIJAHRHUNDERT-FEIEK. 


i 


Olto  Schuke-FJberfeld : 


seinen  Werken  zuteil  wird.  Wo  Hoetjjer  das 
Weib  z.  B.  in  seiner  Totalität  gibt,  da  ist  es 
die  Eva,  nicht  eine  Eva,  also  die  Allmutter. 
UndwodcrKünstlerdenMann  in  seiner  Totalität 
gestaltet,  da  ist  es  eben  der  Adam,  der  Schöp- 
fer, der  Wecker  und 
Gestaltende.  Hoetgcr 
zieht  die  Summe  der 
Leidenschaften  und 
Instinkte;  er  schafit 
keine  mordende  eroti- 
scheFrauenseele,  etwa 
die  Judith,  oder  einen 
knabenhaften  David, 
dem  ein  Schleuderwurf 
gelingt.  Er  zieht  das 
Gute  u.  Böse  als  Sum- 
me der  Lebensener- 
gie. Hoetgers  Frauen- 
körper sind  ganz  ent- 
sinnlicht; nur  ihre  For- 
men gehören  der  Erde 
an.  Hoetgers  Figuren 
sind  überwiegend  dem 
Licht  zugewendet  oder 
sich  in  ungeahnte  Wei- 
ten verlierend.  Sein 
betendes  Mädchen, 
seine  mit  ihrem  Haar 
kosende  Frau ,  die 
armbreitende  Gestalt 
des  Elberfelder  Brun- 
nens sind  typische  Bei- 
spiele eines  figuralen 
Kultes,  wie  wir  ihn 
so  tief  und  eigenartig 
in  der  jüngeren  deut- 
schen Plastik  bisher 
nicht  kannten.  Daß 
in  Hoetger  sich  alle 
jene  Handlungen  voll- 
zogen, die  in  der  mittel- 
alterlichen Plastik,  im 
Geiste  der  Antike  und 
in  deren  Verschmel- 
zung mit  der  Frühre- 
naissance sich  kristalli- 
sierten, steht  außer  al- 
lem Zweifel,  wiederum 
aber  auch ,  daß  auch 
die  Kunst  weiterschaf- 
fend sich  der  geistigen 
Mittel  ihrer  Zeit  be- 
dient, um  sie  auch  rein 
formal  als  den  Aus- 
druck des  Schöpferi- 
schen  der  Zeitsumme 


B.  HOETGER.     Torso,  als  Studie  zum  Gerechtigkeitsbrunnen. 


festzulegen.  Im  gleichen  Maße  wie  Hoetger 
das  Geistige  seiner  Figuren  groß  erfaßt,  geht  er 
auch  in  der  Form  selbst  über  die  rein  mensch- 
liche Größe  bedeutend  hinaus.  Schon  das  ist 
ein  Zeichen  ungewöhnlicher  Gestaltungskraft. 
Daß  auch  rein  tech- 
nisch u.  formal  in  den 
Hoetgerschen  Wer- 
ken sich  eine  große 
Meisterschaft  bekun- 
det, bedarf  angesichts 
der  hier  wiederge- 
gebenen Werke  kaum 
einer  besonderen  Be- 
tonung. Ob  der  Künst- 
ler mehr  die  archa- 
ische Strenge  oder  die 
weiche  Formenschwel- 
lung in  anatomischer 
Ableitung,  oder  aber 
die  Mitte  zwischen 
beiden  hält ,  immer 
sehen  wir,  daß  Hoetger 
die  Form  meistert.  — 
Alle  Realistik,  alle  nur 
natürliche  Wiedergabe 
seiner  Modelle  liegt 
dem  Künstler  fern. 
Er  zieht  scharfe  Gren- 
zen und  schließt  da- 
für jedes  Bewegungs- 
monient  aus.  Alle  sei- 
ne Schöpfungen  zei- 
gen verharrende  Ruhe, 
architektonische  Ge- 
bundenheit, formalen 
Rhythmus,  eurhythmi- 
sches  Zusammenflie- 
ßen. Als  eine  Kristalli- 
sation höchster  Potenz 
ist  hier  das  Leben  zu 
einem  wirklich  gebun- 
denen geworden.  — 
Der  Gerechtigkeits- 
brunnen zu  Elberfeld, 
eine  Jubiläums- Gabe 
zur  Dreihundertjahr- 
Feier  der  Stadt  von  Ge- 
heimrat August  Frei- 
herrn von  der  Heydt, 
zeigt  auch  im  Becken 
u.  den  drei  tragenden 
Löwen,  daß  Hoetger 
in  allem  einem  streng- 
formalen Prinzip  hul- 
digt, das  in  der  Entäu- 
ßerung jeglicher  Pose 


122 


Bildhauer  Bcniliaid  Moetger. 


und  Handlung  wurzelt.  Hier  erinnert  der  Künst- 
ler erneut  daran,  wie  sich  Plastik  im  Zusammen- 
hange mit  Architektur  zu  geben  hat. 

Es  blieben  noch  die  Porträtbüsten  Hoetgers 
zu  erwähnen;  auch  sie  bleiben  ganz  im  Rahmen 
dieser  künstlerischen  Persönlichkeit ;  auch  die 
Büsten,  Freiherrn  und  Freifrau  von  der  Heydt 
darstellend,  umfassen  die  Totalität  der  Dar- 
gestellten, also  die  Summe  ihrer  Individualität. 
Das  sind  keine  Momentdarstellungen,  es  sind 
Charakterköpfe  eines  bestimmten  Milieus,  einer 
auch  geistig  aristokratischen  Atmosphäre.  Das 
Modell  darf  im  Kunstwerke  nicht  als  Abklatsch 
weiterleben,  sondern  muß  in  ihm  aufgehen. 

Bernhard  Hoetger  steht  tatsächlich  noch 
allein,    er  hat   nur  einen,   der   ihm   geistig  und 


künstlerisch,  und  damit  zugleich  formal  nahe- 
steht ;  es  ist  der  Schweizer  Ferdinand  Hodler,  der 
ebenfalls  in  seiner  Kunst  Summen  und  Totali- 
täten von  Personen,  Zeiten  und  Ereignissen  gibt. 
Vielleicht  trägt  diese,  den  Werken  des  Künst- 
lers würdige  Veröffentlichung  dazu  bei,  auch 
Hoetger  eine  größere  Gemeinde  zu  gewinnen, 
die  ihn  zu  verstehen  strebt.  Wir  müssen  auch  der 
Plastik  gegenüber  gewisse  Verpflichtungen  er- 
füllen, die  uns  in  der  Erfüllung  unseres  gesamten 
Kulturlebens  auferlegt  worden  sind  Die  Plastik 
steht  der  Architektur  am  nächsten,  sie  ist  ihres 
Geistes;  auch  sie  will  Einheiten,  Sammlung 
und  Bannung  der  Kräfte  in  formal  eurhyth- 
mischer  Schönheit,  die  eben  in  ihrem  höchsten 
Ausklingen  nur  dreidimensional  sein  kann.  — 


BERNHARD 

HOETGER. 

»ANBEIENDE« 


J910,ll.   11.    3. 


l'.KKNUARD   HOKTGER. 


PORTBAl-BUSTE:  FREIFRAU  VON  DER  HEVUl. 


BERNHARD  HOETGER. 


PLASTIK;     BETENDES   MÄDCHEN. 


BERNHARD  HOETGER. 


portrat-buste;  Freiherr  von  der  heydt.      i 


DIE  AUSSTELLUNG  ALS  KUNSTWERK. 


Vi  IN   HANS  SCHI.IF.PMANN. 


Die  „Industrialisierung"  der  Erde  geht  mit 
Siebenmeilenstiefeln  vorwärts.  Sogar  die 
Passion  Jesu  Christi  wird  ja  schon  heuer  in 
Oberammergau  in  amerikanischer  Geschäfts- 
weise ausgeschlachtet.  Was  bleibt,  das  nicht 
Geschäft  wäre?  —  Man  mag  das  beklagen,  ja 
man  wird's  keinem  verdenken,  wenn  er  das 
ekelhaft  findet,  sans  phrase.  Aber  um  die  Tat- 
sache kommen  wir  deshalb  nicht  herum.  Je 
enger  die  Menschen  zusammenrücken  müssen 
an  ihren  Krippen,  desto  wichtiger  wird  der  Platz 
an  dieser  Krippe,  desto  ausschließlicher  müssen 
die  Gedanken  sich  darum  drehen,  rechtzeitig 
ein  gutes  Plätzchen  zu  bekommen.  Darüber 
gehen  die  besseren  Gedanken  verloren,  und 
von  allen  Göttern  bleibt  nur  Götze  Erfolg  und 
Allgott  Mammon  auf  dem  Thron.  Unsere  eigent- 
lichen Tempel  sind  nicht  mehr  die  Gotteshäuser, 
sondern  Bahnhöfe  und  Warenhäuser.  Sie  sind, 
ohne  daß  dabei  irgend  eine  bewußte  Absicht 
vorgelegen  hätte,  zu  den  eigentlichen  Wahr- 
zeichen der  Gegenwart  geworden,  denen  auch 
die  Kunst  unserer  Tage  das  bezeichnende,  ja 
das  bewundernswerte,  in  aller  Vorzeit  nicht 
seines  Gleichen  findende  Gepräge  gegeben. 

Das  ist  aber  nur  ein  Beweis  dafür,  daß  das 
Zweckliche  alle  übrigen  Motive  in  unserer  Zeit 
verdunkelt.  Und  nicht  bloß  in  der  Baukunst. 
Das  verkäufliche  Bildwerk  und  Gemälde  über- 
wiegt in  den  Ausstellungen  mehr  und  mehr  die 
Versuche  der  Wenigen,  die  die  Menge  immer 
ungenierter  sonderbare  Schwärmer  nennt,  weil 
sie  Offenbarungen  des  eigenen  besonderen  Ichs 
zu  bringen  wagen;  in  Literatur  und  Musik, 
namentlich  im  Theater  sinkt  das  Niveau  mehr 
und  mehr  zur  bloßen  Unterhaltungsware  hinab. 
Die  neue  Herrschaft  der  Operette  ist  nichts  als 
der  Beweis,  daß  Rezepte  für  anspruchslose 
hirnfreie  Kitzelung  herabgekommener  Nerven 
das  beste  Geschäft  sind. 

Zweifellos  sind  das  alles  Erscheinungen  natio- 
nalen Niederganges.  Aber  unser  Leben  ist 
vielgestaltiger  geworden;  die  Vielfältigkeit  un- 
serer Rassenmischungen ,  der  bewußte  Indi- 
vidualismus hat  bewirkt ,  daß  nicht  einerlei 
Tendenz  durch  die  ganze  Zeit  geht  wie  in  frühe- 
ren Tagen,  wo  wirklich  ein  ganzes  Volk,  von 
wenigen  Kassandra-Naturen  abgesehen,  gleich- 
mäßig verfiel.    Neben    dem  überall   breit  wu- 


chernden Unkraut  sehen  wir  doch  heute  überall 
neue  Triebe  hoffnungsfreudig  emporwachsen. 
Fehlen  uns  anscheinend  die  großen  Politiker, 
so  zeigt  sich  die  Nation  doch  noch  immer 
ganz  unerschöpft  in  der  Hervorbringung  künst- 
lerischer Naturen.  Wie  viele  von  diesen  den 
Wuchs  des  Talentes  überschreiten,  wie  viele 
sich  als  bahnbrechende  Genies  betätigen  könn- 
ten, läßt  sich  gar  nicht  sagen,  denn  erst  in 
der  Betätigung  entwickelt  sich  die  rechte  Kraft. 
Uns  aber  fehlt  es  überall  an  Aufgaben.  Man 
denke  z.  B.  an  Slevogt,  der  das  Glück  hatte, 
bei  guten,  aber  keineswegs  übermächtigen  An- 
lagen, schon  früh  eine  „gute  Presse"  zu  finden; 
wie  reich  vermochte  er  sich  unter  den  Fittichen 
des  [Glückes  zu  entwickeln !  Oder  man  er- 
innere sich,  wie  das  zarte  und  gewissenhafte 
feinfühlige  Talent  Messeis  zu  bahnbrechen- 
den Schöpfungen  gelangen  konnte,  während 
weit  genialere  Köpfe,  wie  namentlich  Bruno 
Schmitz,  viel  brachliegen  mußten! 

Daß  gerade  die  Architektur  am  meisten  unter 
diesem  Mangel  an  Aufgaben  leidet,  ist  natür- 
lich. Sie  erfordert  die  größten  Mittel,  um  zu 
wirken,  denn  der  architektonische  Entwurf  mit 
seiner  Parallelprojektion  vermittelt  dem  Laien 
keinen  der  Wirklichkeit  auch  nur  angenäherten 
Eindruck.  Da  aber  der  Zweck  die  Welt  regiert, 
sind  die  Mittel  für  gewaltige  Bauten  nur  ganz 
ausnahmsweise  vorhanden.  Nur  solche  aber 
könnten  wieder  den  Beweis  erbringen,  daß  die 
Architektur  die  führende  Kunst  zu  sein  ver- 
mag, daß  sie  Wirkungen  erreicht,  denen  nichts 
an  die  Seite  zu  setzen  ist. 

So  sehen  wir  denn ,  daß  unsere  hervor- 
ragendsten künstlerischen  Kräfte  von  größten 
Werken,  die  einen  ganz  neuen  ästhetischen 
Ausdruck  und  Niederschlag  der  Strebungen 
und  Sehnsucht  unserer  Zeit  geben  könnten,  nur 
träumen  dürfen.  Von  der  Fülle  solcher  Gesichte 
gab  erst  kürzlich  der  Wettbewerb  für  den  Be- 
bauungsplan von  Groß-Berlin  in  den  Arbeiten 
von  Bruno  Schmitz  und  Bruno  Möhring 
hier  überwältigende  Beweise  —  Beweise  auf 
Papier,  für  verschwiegene  Mappen  oder  höch- 
stens für  ein  menschenleeres  Architektur- 
museum! —  Das  also  könnten  wir  leisten,  so 
könnten  wir  bauen  und  uns  mit  Schönheit  um- 
geben, wenn  —  —  ja,  wenn  die  Baukunst  nicht 


12-, 


Die  Aitssielhms'  als  Kwishverk. 


eine  so  namenlos  teure  Liixuskunst  wäre! 
—  Und  doch:  Eine  Gelegenheil  hat  auch  die 
Baukunst  gefunden,  noch  in  unserer  Zeit  ihre 
Größe  zu  zeigen:  die  Ausstellungen!  Nicht 
die  Gemäldeausstellungen  mit  etwas  Archi- 
tektur nebenbei,  nicht  die  kleinen  Veranstal- 
tungen besonderer  Industrien ,  sondern  die 
großen,  zu  „Ereignissen"  geprägten  Riesen- 
ausstellungen. Auch  sie  sind  ja  nicht  viel 
mehr  als  Träume ,  architektonische  Träume 
eines  oder  doch  weniger  Sommer.  Ein  schöner 
Schein,  aus  dem  dienstwilligsten,  aber  auch  im 
vergänglichsten  Stoffe,  über  luftigen  Holz-  oder 
Eisengerüsten  gewoben  als  ein  Zaubermantcl 
über  einer  im  letzten  Sinne  auch  wieder  —  rein 
geschäftlichen  Unternehmung.  Aber  mag  das 
doch  sein  I  Kunst  ist  Eindruck  ;  das  Bild,  das 
wir  in  einer  fernen  Gemäldegalerie  sehen,  ent- 
schwindet ebenfalls  aus  unserer  eigenen  Wirk- 
lichkeit, das  Festspiel  in  Bayreuth  lebt  nur  in 
der  Erinnerung  über  die  wenigen  Stunden  der 
Aufführung  hinaus.  So  kann  auch  eine  Aus- 
stellung uns  künstlerische  Werte  höchsten 
Ranges  geben,  deren  Nachwirkung  unser  ganzes 
Leben  durchzittert.  In  der  Tat :  Es  ist  uns  noch 
viel  zu  wenig  bewußt  geworden,  daß  wir  in  den 
großen  Ausstellungsveranstaltungen  die  hervor- 
ragendsten Kunstaufgaben  der  Gegenwart  zu 
erblicken  haben,  daß  hier  „das"  Architektur- 
kunstwerk der  Gegenwart  geschaffen  worden 
ist  oder  doch  geschaffen  werden  kann. 

Ereilich,  um  das  einzusehen,  müssen  wir  ein- 
mal unsere  erst  langsam  und  teuer  erworbenen 
Erkenntnisse  von  Zwecklichkeit  und  Material- 
gerechtigkeit etwas  aus  den  Augen  setzen,  wir 
müssen  den  Glauben  an  Märchen  oder  doch 
Theaterillusionen  mitbringen  und  dann  auch 
wieder  so  starke  Illusionsstörungen  wie  Rummel- 
platz und  Geschäftsbetrieb  verwinden.  Gerade 
den  kritischen  Köpfen  fällt  das  schwe'r,  und  so 
ist  denn  in  der  Presse  gerade  das  Problem  der 
Ausstellung  als  eines  Kunstwerkes  nicht  recht 
der  Rede  wert  gehalten  worden.  Aber  just  weil 
uns  die  idealen  Aufgaben  ewiger  Dauer  fehlen, 
werden  wir  um  der  starken  unvergleichlichen 
Augenblickseindrücke  willen  den  ästhetischen, 
auch  erzieherisch-ästhetischen,  Wert  der  Aus- 
stellungen nicht  hoch  genug  anschlagen  können. 

Die  heurigen  Ausstellungen  in  London  und 
Brüssel  haben  mir  dies  zu  lebendiger  Erkennt- 
nis gebracht.  Nur  aus  den  politischen  Spann- 
ungen zwischen  uns  und  unseren  Vettern  jenseits 
des  Kanales  ist  es  zu  erklären,  daß  man  hier  gar 
nicht  ahnt,  wie  Gleichenloses  London  in  seiner 
„Japanisch- Britischen  Ausstellung"  in  „Shep- 
herds  Bush"  geschaffen  hat.  Und  nicht  erst 
heut,  sondern  schon  vor  zwei  Jahren  zur„Franco- 


Britischen"  Ausstellung,  denn  zu  dieser  sind  die 
riesigen  weißen  Bauten  errichtet  —  zum  Japa- 
nischen passen  sie  auch  im  Stile  nicht  im  ge- 
ringsten !  Aber  was  tut  für  den  Gesamteindruck 
der  Stil?  Was  tut's  im  Märchen,  ob  Sneewitt- 
chen  im  Kostüm  des  elften  oder  des  fünfzehn- 
ten oder  sechzehnten  Jahrhunderts  auftritt? 
Alle  diese  Schnörkel  eines  rechten  „Zucker- 
bäckerbarocks", in  die  der  Gips  so  gern  hinein- 
fließt; soll  man  sie  mit  der  philologenhaften 
Brille  des  Stilfanatikers  betrachten?  Soll  man 
sie  nicht  genießen  etwa  wie  die  Purzelbäume  der 
Musik  in  der  Ouvertüre  zum  Sommernachts- 
traum? 

Ein  Somniernachtstraum  ist  fürwahr  diese 
grandiose  Ausstellung  mit  ihrem  Palastmaßstab, 
ihren  wuchtig  entwickelten  riesigen  Achsen  und 
den  dadurch  geschaffenen  immer  wieder  neu 
sich  aufbauenden  großartigen  Architekturbil- 
dern; besonders  der  erste,  der  indische  Hof,  ist 
von  höchster  Schönheit,  gar  erst  zur  Zeit  der 
blauen  Stunde,  wenn  plötzlich  alle  Architektur- 
linien durch  tausende  gelblicher  Glühlämpchen 
nachgezogen  werden,  wenn  im  großen  Mittel- 
bassin die  Gondeln  goldene  Furchen  ziehen  und 
die  Wasserkunst  in  der  Mittelachse  in  wech- 
selnden Farben  strahlt.  Mag  auch  mit  den  Ein- 
bauten innerhalb  des  Wasserbeckens  etwas  zu 
viel  getan  sein:  dieser  Traum  überwältigt  und 
läßt  endlich  einmal  wieder  dieMacht  von  Goethes 
Göttin,  der 

ewig  beweglichen, 

immer  neuen 

seltsamen  Tochter  Jovis, 

seinem  Schoßkinde, 

der  Phantasie 
mit  ehrfürchtigen  Schauern  fühlen.  Das  aber 
braucht  unsere  Zeit  der  exakten  Wissenschaft 
und  zerdröselnden  Kritik!  Daß  diese  Kunst  vom 
Ganges  entlehnt  ist,  raubt  dem  Eindruck  keinen 
Deut  von  seiner  Größe.  Wir  bewundern  dann 
eben  aus  frischer  Erkenntnis  —  Indien  statt 
Englands.  Aber  wir  bewundern!  Kein  Bild 
kann  uns  das  so  reich  geben,  denn  wir  stehen 
eben  mittun  drin  in  dieser  Welt  der  Formen-  und 
Farbenwunder,  wir  leben,  träumen  lebend  in 
diesem  Märchen  aus  Tausend  und  einer  Nacht! 
Nur  einmal  habe  ich  ähnlich  Gewaltiges,  im 
Maßstabe  noch  weit  Mächtigeres  gesehen;  auf 
dem  „Forum"  der  Weltausstellung  von  Chi- 
cago 1903.  Keine  andere  Weltausstellung  hat 
die  Größe  dieses  Gesamtbildes  übertroffen.  — 
Dagegen  nun  Brüssel!  —  Ein  großes  Kind  hat 
seine  Spielsachen  ausgepackt,  plundrige  Jahr- 
marktsware,  dazwischen  einige  bessere  Stücke 
von  guten  Tanten!  Das  ist  der  erste  Gedanke. 
Eine  plumpe  akademische  Semesterarbeit  das 


128 


Hans  Schliepmann  : 


Hauptgebäude  in  seinen  schwindsüchtigen  ver- 
waschenen Farben,  schlecht  gestellt;  die  Wege 
mit  schwarzem  Kohlenstaub  eingeebnet ,  das 
Pflanzenwerk  kränklich,  die  Achselbeziehungen 
hilflos  und  verwischt:  ein  niederschmet- 
ternder Gesamteindruck,  den  selbst  das 
viele  Gute  im  Innern  der  Hallen  nicht  aus- 
löschen kann.  Ganz  hinten  dann  die  einzige 
Oase  für  den  Schönheitssucher:  die 
deutsche  Abteilung.  Die  einzige,  die  Neues 
zu  sagen  hat.  Neues,  das  noch  dazu  aus  der 
Aufgabe  und  dem  Material  entwickelt  ist. 
Nicht  überwältigend;  dazu  war  Umgebung  und 
Maßstab  nicht  angetan ;  aber  doch  reine  Freude, 
volle  Befriedigung  weckend. 

Woher  nun  dieser  Unterschied?  Genügt  zu 
seiner  Erklärung  die  oft  gehörte  Behauptung, 
daß  Brüssel  eben  nur  ein  Geschäft  mit  einem 
Riesenjahrmarkt  und  dessen  Fremdenbesuch 
machen  wollte?  Hätte  die  Bewunderung  der 
Besucher  nicht  den  Zufluß  vermehrt  und  so 
auch  das  „Geschäft"  noch  gehoben?  In  der 
Ausstellungsleitung  muß  vielmehr  jedes  Ver- 
ständnis für  die  Aufgabe  der  „Ausstellung  als 
Kunstwerk"  gefehlt  haben.  Möglich,  daß  auch 
London  und  Chicago  nicht  von  theoretischen 
Erwägungen  ausgegangen  sind ,  sondern  daß 
das  gesunde  architektonische  Gefühl  der  Er- 
bauer dieser  Ausstellungen  instinktiv  das  Rich- 
tige traf,  zumal  sie  augenscheinlich  weder  mit 
den  Mitteln  noch  mit  dem  Raum  zu  geizen 
brauchten,  wie  unsere  Architekten  es  in  Darm- 
stadt wie  in  Mannheim,  in  München  wie 
in  Dresden  tun  mußten. 

Die  deutschen  Ausstellungen  der  letzten 
Jahre  aber  haben  durchgehends  gezeigt,  daß 
bei  uns  ein  lebhaftes  Gefühl  dafür  vorhanden 
ist,  die  Ausstellung  als  ein  Gesamtkunstwerk 
zu  gestalten.  So  klein  der  Anfang  war;  01b- 
richs  Kunsthalle  auf  der  Darmstädter 
„  Mathildenhöhe  "  mit  dem  Festplatze  davor  war 
schon  bewußte  „Kunst  der  Ausstellung".  Und 
inmier  wieder  in  der  Folge  sehen  wir  den 
höchsten  Wert  auf  die  Ausgestaltung  des  Platzes 
und  der  Gebäude  gelegt.  Nirgends  ist  daneben 
die  Formengebung  so  neu,  so  materialgerecht 
herausgestaltet  worden  wie  bei  uns;  nirgends 
auch  hat  man  in  der  Kunst  der  Aufstellung  der 
Erzeugnisse  innerhalb  der  Räume  so  gutes  Ver- 
ständnis, so  sichere  Übung  gewonnen  wie  bei 
uns.  Auch  das  ließ  sich  in  Brüssel  sehen,  wo 
selbst  die  Engländer  bei  ihren  überlegenen  Er- 
zeugnissen nicht  über  die  Schaufensterkunst 
der  Vitrine  hinausgekommen  sind. 

Schon  1893  habe  ich  in  Alexander  Kochs 
„In  n  e  n-D  e  kora  ti  o  n"  auf  den  Mangel  an 
Wirkung  einer  Ausstellungsart  hingewiesen,  bei 


der  die  Objekte  frei  in  einer  Riesenhalle  auf- 
gebaut sind,  die  nicht  mehr  den  ästhetischen 
Eindruck  eines  Raumes  macht.  Frankreich  hatte 
damals  in  Chicago  bewiesen ,  wie  wesentlich 
günstiger  der  einheitlich  umschlossene  Raum, 
auch  schon  der  unüberdeckte,  der  Hof,  wirkt. 
Deutschland  hat  längst  die  Konsequenzen  ge- 
zogen. Auch  die  jetzigen  Wirkungen  in  Lon- 
dons Ausstellungen  beruhen  ja  auf  der  Um- 
schließung, auf  dem  Mittenhineinversetzen  in 
ein  einheitliches  großartiges  Milieu.  Selbst  noch 
die  im  geschlossenen  Viereck  aufgestellten 
Riesenschauspinden  der  Konfektion  in  Brüssel, 
mit  den  Genreszenen  „namenlos  entzückend" 
kostümierter  Figurinen  lassen  die  Überlegenheit 
dieses  Systemes  erkennen,  während  die  unter 
keinerlei  ästhetisches  Gesetz  gebrachte  Auf- 
reihung heterogener  Bauwerke  dort  das  kläg- 
liche künstlerische  Fiasko  hauptsächlich  ver- 
schuldet hat. 

Wie  jedes  Kunstwerk,  so  muß  auch  das  der 
Ausstellung  unter  eine  einheitliche  künstlerische 
Idee  gestellt  werden.  Da  diese  meist  nicht  im 
Gegenstande  selber  liegt,  muß  das  Ausstellungs- 
Objekt  der  Raumidee  untergeordnet  werden. 
Man  braucht  nicht  zu  befürchten,  daß  dadurch 
die  Aufmerksamkeit  vom  eigentlichen  Aus- 
stellungs-Objekt abgelenkt  werde.  Die  erhöhte 
Stimmung,  die  ein  großer  ästhetischer  Eindruck 
erregt,  kommt  dem  Einzelgegenstande  durchaus 
zugute.  —  Mit  dieser  Forderung  der  Einordnung 
ist  natürlich  nicht  gesagt,  daß  sich  nicht  auch 
der  Raum  nach  dessen  Inhalt  richten  könne. 
Anders  wird  ein  Raum  für  Ausstellung  von  Ju- 
welen, anders  einer  für  Bücher,  anders  einer 
für  chemische  Erzeugnisse  zu  gestalten  sein; 
gerade  die  Absonderung  in  übersichtliche,  cha- 
rakteristische Räume  ist  ja  künstlerisches  Vor- 
gehen. Im  Zusammenarbeiten  der  Räume  aber, 
in  großen  Achsenbeziehungen,  im  Wechsel  der 
Abmessungen,  im  Über-  und  Unterordnen  wird 
der  Ausstellungs -Architekt  die  Mittel  finden, 
aus  den  Einzelräumen  das  Gesamtkunstwerk 
des  Inneren  zusammenzusetzen,  das  sich  dann 
wieder  im  Äußeren  zu  einer  sprechenden  Ge- 
sanitgruppe  zusammenschließt. 

Das  sind  uns  heut  kaum  noch  neue  Forde- 
rungen ;  höchstens  unsere  Industriellen  bilden 
sich  zuweilen  noch  ein,  sie  könnten  durch  bloße 
Massen  oder  bloße  Verblüffung  wirken,  indem 
etwa  ganze  Gebirge  von  Weinflaschen  ausge- 
stellt. Türme  und  gräßliche  Architekturen  aus 
Schokolade  geschaffen  oder  Springbrunnen  aus 
Seidenstoffen  hergestellt  werden.  In  der  deut- 
schen Abteilung  in  Brüssel  hat  aber  die  künst- 
lerische Leitung  derartige  hohlköpfige  Protze- 
reien schon  gar  nicht  mehr  aufkommen  lassen. 


130 


Die  Ansstcl/iiiiü  als  Kiiushvcrk. 


Wir  sahen  dort  so  vornehm  kultiviert  drein,  wie 
es  leider  daheim  im  Leben  lange  nicht  ist.  Nun, 
dem  Ausland  gegenüber  mag's  schon  gelten,  daß 
nur  die  Denkweise  unserer  besten  Geister  zur 
Erscheinung  kommt.  Für  die  Ausstellungen  ist's 
sogar  Pflicht,  eben  weil  sie  das  große  Gesamt- 
kunstwerk der  Neuzeit  sein  können  und  sein 
sollen.  Die  strenge  Zucht,  in  die  unsere  Industrie, 
namentlich  in  Darmstadt  und  München,  ge- 
nommen worden  ist,  hat  uns  auf  dem  Wege  zu 
diesem  Kunstwerk  tüchtig  vorwärts  gebracht. 
Aber  vielleicht  könnten  wir  noch  Größeres  er- 
reichen, wenn  wir  bei  der  baulichen  Gestaltung 
der  Ausstellungen  der  Phantasie  einmal  ruhig 
die  Zügel  noch  etwas  mehr  schießen  ließen.  Es 
ist  nur  natürlich  und  in  gewissem  Sinne  auch 
gut,  daß  dies  bisher  nicht  geschehen  ist.  Nach 
den  Orgien  der  Stilklitterung  mußte  uns  erst 
einmal  die  Besinnung  kommen  ;  wir  mußten  die 
Struktur  als  die  Wurzel  aller  Formengebung 
wiedererkennen  und  mußten  dem  modernen 
Bedürfnis  erst  den  modernen  Ausdruck  finden. 
Aber  dabei  ist  unleugbar  ein  wenig  Lehrhaftig- 
keit  und  Nüchternheit  über  uns  gekommen  — 
man  erinnere  sich  der  rhythmisch  so  feinen,  aber 
doch  schließlich  fast  fanatisch  wahrhaftigen  und 
gesucht  einfachen  Schöpfung  Länger s  in  der 
schönen  Mannheimer  Gartenbau-Ausstellung. 
So  notwendig  uns  Einfachheit  war,  so  vornehm 
sie  zu  wirken  vermag:  den  Eintagsschöpfungen 
in  Eintagswerkstoff  einer  Ausstellung  gegen- 
über ist  der  Purismus  mindestens  keine  Not- 
wendigkeit. „München  1908"  war  gewiß 
gut,  namentlich  als  Erziehung  zum  modernen 
Stilgefühl ;  im  Gesamteindruck  aber  blieb  es 
ohne  rechte  Aufrüttelung,  ohne  den  letzten  Reiz 
des  Festlichen,  Großartigen;  es  hatte  etwas  zu 
viel  —  Gut  Bürgerliches ,  möcht  ich  sagen. 
Selbst  die  verregnete  Berliner  Gewerbe-Aus- 
stellung 1896  gab  in  ihrem  von  Bruno  Schmitz 
geschaffenen  Festplatz  da  unzweifelhaft  weit 
mehr.  Es  war  die  überquellende,  in  großen 
reinen  Schmuckniotiven  sich  auslebende  Phan- 
tasie, die  hier  Ungewöhnlichstes  Wirklichkeit 
werden  ließ,  nur  nicht  in  solchen  Abmessungen 
wie  heuer  in  London. 

Ein  Aufschwung  aus  dem  Zweckgemäßen 
zum  Denkmalsmäßigen,  aus  dem  Klugen  ins  Er- 
habene und  Unerhörte  oder  auch  dreist  nur 
einmal  ins  spielend  Phantastische  — :  das  ist's, 
was  uns  Neues  geben,  neue  Anregungen  ver- 
mitteln und  erloschene  Empfindungen  im  Volke 
wieder  entfachen  könnte  und  was  in  unserer 
Zeit  der  ewigen  Sachlichkeit  uns  nottäte.  Für 
uns  Deutsche  wäre  es  dabei  selbstverständlich, 
daß  solche  Phantasiekunst  nicht  in  den  Formen 
der  Vergangenheit  schwelgen,  sondern  auf  eige- 


nen Bahnen  sich  ergehen  würde.  Die  Stilklitte- 
rung ist  für  alle  Selbstdenkenden  seit  Dresden 
erledigt.  Darum  aber  würde  auch  eine  solche 
deutsche  Schöpfung  sicher  den  Gipfel  aller 
Ausstellungskunst  bilden.  Wir  dürfen  an  unsere 
Künstler  glauben!  — 

Ob  es  sich  um  eine  „Weltausstellung"  han- 
delt —  an  deren  letzten  praktischen  Zweck 
auch  ich  nicht  mehr  recht  glaube  —  oder  um 
eine  große  nationale  oder  auch  nur  um  eine 
große  Fachausstellung  handelt,  ist  in  ästhe- 
tischer Hinsicht  einerlei.  Für  unsere  Kunst- 
entwicklung aber  ist  es  durchaus  notwendig, 
daß  die  große  Aufgabe  der  „Ausstellung  als 
Kunstwerk"  allgemein  anerkannt  werde. 

Daß  dies  z.  B.  vollständig  bei  der  deutschen 
Abteilung  für  die  nächstjährige  Ausstel- 
lung in  T  u  r  i  n  übersehen  ist,  halte  ich  gerade- 
zu für  eine  schwere  Einbuße  an  nationalem 
Ansehen.  Nach  einem  mir  vorliegenden  „Pro- 
spekt", der  allen  als  Aussteller  in  Betracht 
kommenden  Industriellen  zugegangen  ist,  wird 
da  am  Po  an  geradezu  unvergleichlich  schöner 
Stelle  ein  Riesengebäude  für  die  deutsche  Ab- 
teilung errichtet,  das  eine  geradezu  gottver- 
lassene, hilflose,  aber  großsprecherische,  zu- 
sammengestümperte ,  aber  formenüberladene 
Stilklitterung  in  italienischer  Renaissance  als 
den  Ausdruck  „deutscher  moderner  Kunst"  zu 
geben  wagt.  Es  ist  dringend  zu  fordern,  daß 
sich  die  Leiter  der  Unternehmung  verantwort- 
lich darüber  äußern,  wie  sie  an  so  vielen  her- 
vorragenden deutschen  Architekten  vorbei- 
gehen und  die  große  Aufgabe  —  wahrscheinlich 
natürlich  um  des  schundigen  Sparsvstems  wil- 
len! —  an  eine  so  völlig  unzulängliche  Kraft 
geben  konnten.  Hoffentlich  fegt  die  allgemeine 
Entrüstung  diesen  kläglichen  Entwurf  noch  bei- 
seite !  Wir  hätten  sonst  Jahrzehnte  an  der 
Scharte  zu  wetzen,  die  hier  im  Dunkeln  von 
völlig  kunstfremden  Nur-Kaufleuten  der  deut- 
schen Kunst  geschlagen  worden  ist. 

Da  Derartiges  noch  heute  möglich  ist,  muß 
um  so  nachdrücklicher  nach  einer  w  ahrhaft 
großen  deutschen  Ausstellung  gerufen 
werden.  Wird  Berlin  endlich  diesen  Ruf 
hören,  das  sich  seit  Jahrzehnten  durch  kleinere 
Kunststädte  in  den  Hintergrund  drängen  ließ? 
Oder  werden  wir  weiter  uns  mit  dem  Bewußt- 
sein des  verkannten  Genies  begnügen  müssen, 
daß  wir  zwar  Architekten  genug  hätten,  eine 
Unternehmung  so  prächtig  wie  die  Londoner  zu 
inszenieren  und  sie  obendrein  auch  noch  in 
völlig  modernem  Geiste  zu  gestalten  —  daß 
wir  aber  in  Deutschland  das  Großar- 
tige noch  niemals  zur  Wirklichkeit 
z  u  m  ach  en  verm  o  cht  en?  —  ii.  s(  ii. 


is>ui;ii.  u.  4. 


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PROFESSOR  LEO  PUTZ— MÜNCHEN. 


»AUS  DEM  LEBEN  EINER  FRAU-s 

\VSnDMALEREI  im  HAISE  BRAKL,  MÜNCHEN. 


DER  DAMEN-SALON  IM  HAUSE  BRAKL-MÜNCHEN. 


Seit  kurzem  ist  das  D  a  m  e  n  z i  m  m  e  r  in  dem 
von  Prof.  Emanuel  v.  Seidl  erbauten 
und  vor  einiger  Zeit  an  dieser  Stelle  gewürdig- 
ten Haus  Brakl  fertiggestellt.  Als  ganz  beson- 
deren Schmuck  erhielt  der  Raum  eine  Wand- 
bemalung  von  Professor  Leo  Putz,  die  den 
Künstler  über  ein  Jahr  beschäftigt  hat,  und  die 
man  mit  einigem  Recht  das  Hauptwerk  seines 
bisherigen  Lebens  nennen  kann.  Die  auf  Lein- 
wand gemalten  und  in  die  Wand  eingelassenen 
Bilder  wirken  nicht  dekorativ-flächenhaft,  sozu- 
sagen als  Arabesken  mit  Menschen-  und  Pflan- 
zenformen, wie  das  sonst  Wandbilder,  die  man 
lobt,  zu  tun  pflegen.  Nein;  sie  sind  das  Gegen- 
teil davon.  Der  Künstler  hat  sie  in  der  gleichen 
impressionistischen  Technik,  wie  alle  seine  Bil- 
der gemalt.  Nur  etwas  gereifter  scheinen  Strich 
und  Kolorit  gegen  früher.  Der  Wirklichkeitsein- 
druck der  lebensgroßen  Figuren  ist  beabsich- 
tigt; denn  Putz  möchte,  daß  sie  sich  gewisser- 
maßen mit  der  Gesellschaft,  die  hier  verkehren 
wird,  vermengen,  in  ihr  aufgehen  sollen.  Diese 


„Funktion"  eines  Wandbildes  ist  entschieden 
neu.  Aber  es  läßt  sich  darüber  diskutieren,  und 
man  kann  sogar  sagen,  daß  der  Versuch,  soweit 
das  eben  möglich  war,  ausgezeichnet  geglückt 
ist.  Es  ist  übrigens  ein  Zweifaches,  wodurch 
dieser  Zyklus  vom  Leben  einer  Frau, 
der  sich  über  drei  Wände  hinzieht,  so  stark 
und  überzeugend  wirkt.  Das  eine  ist  die  Farbe, 
das  andere  der  reiche  Gehalt  an  Stimmungs- 
werten. Wir  sehen  die  Frau  zunächst  als  Kind, 
das  Blumen  (märchenhaft  große  Gänseblümchen) 
aufliest,  die  aus  der  Luft  herabfallen.  Dann  als 
etwa  neunjähriges  Mädchen  (das  Modell  hierzu 
war  das  liebenswürdige  Töchterchen  des  Haus- 
besitzers) ;  daneben  der  einzige  Akt  der  Kompo- 
sition: ein  junges  Mädchen,  das  den  bunten 
Kleidertand  abgestreift  hat  und  eben  ins  Wasser 
steigen  will  —  der  Seehintergrund  (Motiv: 
Chiemsee)  und  der  Kastanienbaum  sind  allen 
Teilen  des  Zyklus  gemeinsam,  sein  cantus  firmus. 
Nun  folgt,  der  Fensterwand  gegenüber:  links 
die  junge  Braut,  selig-zaghaft  im  Arm  des  Bräu- 


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Do  Daiiieiisaloii  im  Hause  Brak/—Müiic//i\ 


ti^ams;  rechts  das  ^lückliclie  Familienleben: 
Mann ,  Frau  und  Töchterchen.  Die  rechte 
Wand  bringt  den  Abstieg  und  das  Ende:  eine 
alte  Frau,  die,  in  Erinnerungen  versunken,  auf 
einer  Bank  sitzt,  in  herbstlich -melancholischer 
Landschaft.  Zu  dem  Schmalfeld  am  Fenster 
leitet  eine  Girlande  von  Herbstblättern  über. 
So  schließt  sich  Anfang  und  Ende,  Jugend  und 
Alter  mit  Bedeutung  zum  Lebensring.  Aber 
die  heiteren  und  sonnigen  Klänge  überwiegen. 
Dafür  hat  schon  der  Kolorist  Putz  gesorgt.  Der 
helle,  blinkende  See,  vorne  das  strotzende  Grün 
der  blühenden  und  der  sommerlich  üppigen  Ka- 


stanien;  auf  den  weißen  Damcnkleidcrn  —  nur 
die  alte  Dame  ist  schwarz  gekleidet  —  die 
grünen  Baumschatten  und  lustigen,  tanzenden 
Sonnenkringel;  dazwischen  das  Leuchten  und 
Flimmern  bunter  Tücher,  Hüte  und  anderer 
Toilettebestandteile,  das  Prangen  des  schlanken 
Mädchenleibes,  das  kräftige  Blau  und  Braun  der 
Männerröcke  und  über  allem  die  heiße  Sonne: 
das  eint  sich,  da  in  dem  Raum  sonst  kein  vor- 
lauter Ton  stört,  zu  einem  prachtvollen,  reichen 
und  reinen  Akkord,  zu  einer  Reihe  von  solchen 
Akkorden.  Wir  hören  sie  und  wissen,  was  sie  be- 
deuten: sie  sind  das  „hohe  Lied  von  der  Frau",  u  n. 


PROFESSOR  LEO  PUT^    MÜNCHEN.     Aus  dem  Zyklus:     Das  J-eben  einer  Krau«.    »Die  Braut«. 


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O  Professor 
O.  Prutscher. 

■'  Jagd- 

O  Ausstellung 
Wien  1910. 

■      Pavillon  des 
Q  Niedcröstcrr. 

H  Oeweibe- 
'      Fördrriings- 
rt  Dienstes. 

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DIE  WIEDERGEBURT  DES  iMONUMENTALEN. 


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ie  alle  atheistischen  Aufstände,  so  hat 
auch  der  Naturalismus  unserer  Kinder- 
jahre ein  schnelles  Ende  genommen.  Die  Leute 
von  Büchner  bis  Haeckel ,  die  uns  den  Mut 
gaben,  als  Jünglinge  gegen  den  Thron  der  Gölt  er 
zu  rennen,  verloren  gar  bald  ihre  begehrte  Un- 
fehlbarkeit. Heute  glaubt  man  nicht  mehr,  daß 
aus  den  Laboratorien  und  den  Leichensälen  die 
letzte  Erkenntnis  und  der  höchste  Friede  kom- 
men können.  Die  Menschen  des  zvi'anzigstcn 
Jahrhunderts  haben  wieder  die  Sehnsucht  aus- 
gesandt; durch  alle  Lande  und  Zeiten,  durch 
alle  Kulturen  schweifen  die  Suchenden,  Ant- 
wort auf  die  ehernsten  aller  Fragen  zu  finden. 
Piatons  Phaidros,  die  Schriften  des  Giordano 
Bruno,  die  Sprüche  desLao-Tse,  die  Predigten 
des  Meisters  Eckehart  und  die  Rätsel  des  Para- 
celsus  wurden  neu  aufgelegt;  die  Bibliotheken 
füllen  sich  mit  Mystikern  und  Asketen;  die 
blaue  Blume  der  Romantik  treibt  ihre  alten 
Blüten  neu  hervor.  Man  will  wieder  von  der 
ewigen  Geburt  und  von  der  Abgeschiedenheit 


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und  von  denen  hören,  die  Gottes  liebe  Freunde 
und  bei  ihm  heimisch  sind.  Freilich,  entwöhnt, 
die  Sprache  der  Romantik  zu  führen,  verirrten 
sich  die  Neuen  oft  im  Schwulst  und  im  Gestrüpp. 
Sic  überschlugen  sich  und  schwelgten  im  Ge- 
klingel der  Worte.  Trotz  alledem,  die  Entwick- 
lung einer  neuen  Mystik,  einer  neuen  religiösen 
Romantik,  scheint  langsam  zu  reifen.  Doch 
sollte  man  eigentlich  das  Wort  „Romantik" 
nicht  gebrauchen,  sollte  dafür  „Kraft"  setzen, 
Elastizität  und  Willen.  Denn  darum  handelt  es 
sich  letzten  Sinnes :  daß  die  neue ,  religiöse 
Sehnsucht  zu  einer  großen  und  lachenden  Ge- 
sundheit, zu  einem  neuen  Emporwachsen  des 
Menschen  helfen  soll. 

Man  beginnt  Klopstock  und  Claudius  wieder 
zu  lieben  und  sieht  in  Goethe  nicht  mehr  allein 
den  großen  Heiden.  Man  erinnert  sich,  daß  der 
Sänger  des  Flohliedleins  und  der  Held  des 
Prometheus  auch  nach  Frieden  rief: 
Der  du  von  dem  Himmel  bist, 
Alles  Leid  und  Kummer  stillest. 


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Wien   1410. 

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Aber  man  gräbt  nicht  nur  nach  alten  Schätzen, 
auch  die  Lebenden,  denen  es  gegeben  ward, 
die  Seele  im  Wort  zu  erschließen,  lassen  ihre 
Sehnsucht  reisen.  Wie  irrende  Vögel.  O  ja,  der 
Irrflüge  geschehen  nicht  wenige",  doch  was  ver- 
schlägt das,  wenn  nur  der  Grundzug,  wenn  nur 
das  Ziel  der  Bewegung  in  den  Höhen  liegt.  Die 
Bewegung  an  sich ,  das  Temperament ,  der 
Rhythmus,  das  sind  die  eigentlichen  Werte,  das 


140 


ist  das  Gemeinsame  in  all  den  Einzelerschei- 
nungen der  modernen,  zur  Religion  drängenden 
Dichtung.  Von  den  vielen,  hier  zusammenklin- 
genden Stimmen  zu  sagen,  ob  sie  taub,  ob  sie 
reife  Werte  bergen,  das  hält  schwer.  Aber  das 
eine  ist  gewiß:  hinter  ihnen  allen,  hinter  den 
beiden  Hauptmann,  hinter  Lienhard,  hinter 
Dehnicl,  hinter  Stephan  George,  hinter  Maeter- 
linck und  wie  sie  alle  heißen,  lebt  der  Trieb, 


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das  wahre  Gesicht  der  Dinge  zu  suchen.  — 
Die  Wandlung,  die  gerade  die  Häupter  der 
Naturalisten  durchgemacht  haben,  läßt  keinen 
Zweifel  mehr :  die  aufgeklärte  Seele  tastet 
wieder  nach  dem,  was  weniger  begriffen,  nur 
empfunden  sein  will;  die  Analyse  strebt  zur 
Synthese;  die  Wissenschaften  drängen  nach 
einer  Weltanschauung.  Gerhart  Hauptmann 
begann  mit  einer  nackten  Wahrheit :  „Vor  Son- 


nenaufgang"; über  „Hanneles  Himmelfahrt" 
kam  er  zum  „  Armen  Heinrich  " .  Das  ist  derWeg 
von  der  Hölle  über  das  Märchen  zur  Erlösung. 
Viel  leichter,  eindeutiger  undüberzeugender 
läßt  sich  die  Wandlung  der  modernen  Seele 
vom  Realismus  der  Einzelheiten  zum  Pathos 
der  Synthese  in  der  bildenden  Kunst,  in  der 
Malerei,  in  der  Plastik,  nachweisen.  Wir  dürfen 
heute   schon  von  einer  Neugeburt  des  Monu- 


141 


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a  Professor 
O.  Prutscher. 

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Wien  1910. 
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nifiitalcn  reden,  des  Monumentalen  in  dem 
Sinne,  daß  eine  reifere,  nach  kosmischem 
Erleben  dränjjende  Menschheit  diesem,  ihrem 
besten  Teil  neue  Ausdrucksformen  sucht.  Neue 
Formen,  weil  die  allen  zu  cnf>  und  arm  wurden. 
Dennoch  im  Grunde  alle  Formen ,  Formen, 
denen  verwandte  aus  allen  Zeiten  starker 
Menschlichkeit,  heroischen  Selbstbewußtseins 
und  die  Welt  umfassender  Andacht  gefunden 
werden  können.  Es  bedarf  keines  großen  Wis- 
sens, um  zu  sehen,  wie  sehr  die  neue  Monu- 
mentalilät  nach  der  Klassik  der  alten  Griechen, 
in  gleichem  Maße  nach  Michelangelo  und  nach 
den  Ägyptern  gravitiert.  Nicht  etwa  so,  daß  nun 
nach  einer  kurzen  Spanne  nüchternen  Wirklich- 
keitsinnes die  Pioniere  müde  geworden  wären 
und  vor  dem  erprobten  und  bewährten  Alten 
kapitulierten.  Nicht  etwa  so,  als  wenn  nun  der 
Bankrott  der  Moderne ,  der  Zusammenbruch 
all  dieser  realistischen  Draufgänger,  dieser 
Umstürzler  und  Pietätlosen  erklärt  werden 
müßte.  Nicht  etwa  so,  als  wenn  nun  doch  die 
Großväter  recht  behielten,  und  die  Ohnmacht 
all  derer,  die  der  guten  alten  Zeit  keck  Trumpf 
boten,  anzumeldenwäre.  Davonkanngarkeine 
Rede  sein.  Nichts  ist  bankrott.  Weder  der 
Fortschritt ,  noch  der  Realismus ,  noch  die 
Pietätlosigkeit.  Im  Gegenteil,  sie  haben  recht 
behalten,  sie,  die  einst  tausend  Widerständen 
trotzend,  darauf  bestanden,  die  Natur  mit  eig- 
nen Augen  gründlicher  und  wahrhaftiger,  un- 
verhüllter zu  sehen.  Nur,  daß  sie  eben  ob 
all  der  neuen  Schätze ,  an  die  sie  gerieten 
und  die  sie  hoben,  so  viel  Reichtum  gewannen, 
daß  sie  nun  dem  geschürften  Metall  die  letzte 
und  höchste  Prägung  zu  geben  vermögen.  Es 
wäre  töricht,  anzunehmen,  daß  die  neue, 
monumentale  Kunst  eine  Verneinung  des  Im- 
pressionismus ,  eine  Abkehr  von  den  großen, 
französischen  Meistern,  von  Monet,  Manet, 
Sisley,  Pissaro,  eine  Verleugnung  Liebermanns 
und  derer  um  ihn  sei.  Das  ist  ganz  gewiß  nicht 
der  Fall.  Die  neue,  monumentale  Kunst  ist  eine 
Frucht  des  Impressionismus.  First  mußten  die 
Augen  so  unendlich  scharf  und  fein  werden,  erst 
mußten  sie  all  die  Phänomene  der  Atmosphäre 
und  der  Sonne  erobern,  erst  mußten  sie  sich 
ein  ganz  neues  Arsenal  von  Findrücken,  von 
Impressionen,  verschaffen,  ehe  sie  sich  nach 
innen  kehren  konnten,  ehe  sie  unter  der  Fülle 
der  neu  entdeckten  Formen,  nach  der  neuen 
Einheit,  der  neuen  Form,  zu  suchen  vermochten. 
Man  denke  nur  ja  nicht,  daß  die  Geschlossen- 
heit und  die  knappe  Präzision  einer  Form  ein 
Zeichen  primitiven  Sehens  sei.  Man  muß  wissen, 
daß  iedc  dieser  großen  Formen  das  Resultat  aus 


vielen  Einzelbeobaclitungen,  die  Frucht  vieler 
Froberungenist.  Monumental  sein  heißt;  kom- 
primieren, heißt:  die  Fülle  des  flatternden  Le- 
bens in  eine  Spannung  zusammenpressen.  Aber 
dazu  muß  man  eben  dieses  Leben  zuvor  gewon- 
nen haben,  muß  in  ihm  untergetaucht  sein,  muß 
es  besitzen.  Dann  erst  kann  man  davon,  nach 
der  Vorstellung ,  die  einem  das  Temperament 
und  die  Sehnsucht  diktieren,  fortstreichen;  nur 
wer  das  Leben  kennt,  kann  es  meistern.  Monu- 
mental sein  heißt;  dem  die  Welt  beherrschen- 
den Willen  ein  ragendes  Denkmal  errichten. 
Jede  Zeit  hat  ihre  eigene  Monumentalität,  oder 
sie  hat  überhaupt  keine.  Nur  dann  hat  eine  Zeit 
Monumentalität,  wenn  sie  ihren  Besitz:  das 
Neue,  das  sie  aus  der  Welt  herauslas,  zu  einem 
Rhythmus,  zu  Atem  und  Herzschlag  zu  ver- 
dichten weiß.  Das  ist  nicht  monumental,  die 
klassische  Größe  einer  vorübergegangenen  Zeit 
zu  kopieren;  damit  schafft  manhöchstens  irgend 
welche  Dekorationseffekte.  Im  Monumentalen 
pulst  und  zittert  die  ganze,  zum  Äußersten  ge- 
triebene Energie  eines  Zeitalters.  Das  läßt  sich 
fühlen,  das  läßt  sich  nachempfinden,  aber  das 
läßt  sich  nicht  nachmachen.  Eine  jede  Monu- 
mentalität kann  man  genießen,  kann  daran  ge- 
sunden und  kann  aus  ihr  Kräfte  schöpfen.  Aber 
man  kann  nicht  von  ihr  nach  der  Art  der  Diebe 
profitieren,  kann  aus  einer  alten  Monumen- 
talität keine  Stelzen  zimmern ,  um  über  die 
Kürze  der  eigenen  Beine  hinwegzutäuschen. 
Dennoch:  die  Monumentalität  aller  Zeiten  ist 
unter  einander  verwandt.  Wie  alle  Menschheit 
eine  innere  Einheit,  ein  Auseinanderwachsen, 
ein  Keimen  und  Reifen,  ein  Wiederkeimen  und 
Wiederreifen  darstellt.  Wie  in  allen  Religionen 
ein  Gemeinsames  ist. 

Einerlei  mit  welchen  Namen  und  Zeichen  die 
höchsten  Güter  gerufen  werden,  unbekümmert 
um  die  Mythologie ,  um  die  Etiketten  der 
Götter,  als  das  eigentlich  Wertvolle  und  Frucht- 
bare steht  hinter  jedem  Symbol  die  Kraft,  durch 
die  der  Mensch  sich  Herr  über  alles  Irdische 
und  dem  Unermeßlichen  verwandt  fühlt.  Weil 
dem  so  ist,  weil  hinter  jedem  Kultus  eine  reli- 
giöse Energie  waltet,  darum  können  wir  uns 
mehr  oder  weniger  in  alle  Religionen  einfühlen. 
Wenn  wir  nicht  das  Dogma  und  die  starre  For- 
mel mit  dem  Wehen  des  Geistes  verwechseln, 
so  können  wir  trotz  der  jeweiligen  zeitlichen 
und  ethnographischen  Gebundenheit  das  Er- 
habene und  die  Wirklichkeit  aller  Religionen 
erfassen  und  selbst  erleben.  Ein  jeder  Beter, 
einerlei,  in  wessen  Name  er  fleht,  ist  uns  ein 
rührendes  Gesicht  und  zugleich  ein  Ansporn. 
Aus  allen  Zeremonien  vermagunserkosmischer 


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Instinkt  die  nach  dem  Ideal  streifende  Geste, 
den  im  höchsten  Takt  schwingenden  Rhythmus, 
zu  erkennen.  Genau  so,  wie  wir  durch  jeden 
Tanz,  auch  den  der  fernsten  und  unkultivier- 
testen Wilden ,  elektrisiert  und  überzeugt 
werden.  Der  Kriegstanz  der  Südsee-Insulaner 
läßt  auch  unsere  Muskeln  sich  spannen;  und 
wenn  zum  klagenden  Ton  der  Pfeifen  die  Hindu- 
Mädchen  wandeln  und  gleiten,  weinen  auch 
wir.  Religion ,  Tanz  und  Musik  sind  nur 
Äußerungsformen  eines  Gemeinsamen;  des 
Rhythmus,  sind  zur  Deutlichkeit  sich  ringende 
Antworten  der  menschlichen  Seele  auf  den 
Takt  des  Universums. 

So  steht  es  auch  um  die  Monumentalität  in 
der  Architektur,  der  Malerei  und  der  Plastik. 


Auch  bei  allen  Erscheinungen  der  bildenden 
Künste  ist  das  Entscheidende,  das  eigentliche 
Phänomen,  stets  der  Rhythmus,  der  Kurven- 
schlag, der  durch  die  Linien  atmet,  der  im 
Konzert  der  Earben  schwingt.  Daher  kommt 
es  eben,  daß  alle  monumentale  Kunst,  so  man- 
nigfach auch  ihre  Objekte,  ihre  Darstellungen, 
ihre  Themen  sein  mögen,  dennoch  im  Innersten 
und  in  ihrer  Wirkung  verwandt  ist.  Solche 
Verwandtschaft  aber  ist  eine  unwillkürliche; 
sie  kann  nie  gewollt  sein,  sie  kann  nie  kon- 
struiert und  erstrebt  werden,  sie  ist  einfach  da. 
Ja,  sie  ist  um  so  größer  und  um  so  unmittel- 
barer, je  weniger  die  eine  Monumentalität  von 
der  andern  weiß,  je  unbekümmerter  die  eine 
um  die  andre  wurde  und  v/uchs.   Wenn  irgend 


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Jagd- 
Ausstellung 
Wien  1910. 

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wer  griechischen  Rhytliimis  nachahmen  will, 
Sil  ist  mit  Gewißlieit  nichts  anderes  zuerwarten, 
als  eine  schwächliche  Historie,  als  ein  gelehrter 
Bericht ,  als  ein  zweckloses  und  blutleeres 
Schema.  Da  stehen  dann  wohl  vor  uns  alte 
Griechen ,  Piaton  und  Aristoteles ,  und  wir 
sehen  die  diffizilsten  Vorgänge  auf  das  Deut- 
lichste unterstrichen  und  mit  zahllosen  Details 
illustriert.  Aber  es  bleibt  das  alles  nur  ein 
Stück  Geschichte,  eine  Seite  aus  dem  Kon- 
versationslexikon, eine  illustrierte  Philosophie, 
eine  interessante  Arbeit.  Und  auch  nicht  eine 
Spur  von  Kraft  strömt  uns  entgegen ,  greift 
uns  ans  Herz  ,  reißt  uns  empor.  Wir  stehen 
kühl    vor   solchen    bewußten  Wiederholungen 


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alter  Monumentalität ;  wir  stehen  kühl  vor  Max 
Klingers  neuem  Griechenbild  in  der  Leipziger 
Universität.  Wenn  wir  aber  dann  an  einen 
Hodler  geraten,  an  ein  Bild,  das  seiner  äußeren 
Erscheinung  nach  auch  nicht  das  Geringste  mit 
Griechenland  gemein  hat,  an  ein  Bild,  das  irgend 
welche  zeitlosen  Akte  oder  Studenten  der 
Freiheitskriege  zeigt,  da  spüren  wir,  unwider- 
stehlich hingerissen  ,  das  gleiche  Pathos  ,  das 
den  Altar  von  Pergamon  umwettert,  die  gleiche 
reine  Klarheit ,  die  aus  dem  Giebel  des  Par- 
thenon strahlt.  Damit  sind  wir  schon  zu  der 
Erkenntnis  gelangt,  daß  die  braven  Leute,  die 
sich  mit  Pietät  ereifern  ,  die  alte  Monumen- 
talität zu  uns  herüberzuretten,  nicht  die  sind, 


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dit  wirklich  die  Neugeburt  des  Monumen- 
talen uns  bringen  könnten.  Nicht  die  Griechen- 
maler, nicht  die  AUegoriker,  die  aus  allerlei 
Enblemen  eine  ideale  Dekoration  arrangieren, 
und  sei  sie  noch  so  grandios  und  rätselhaft, 
nicht  diese  Translateure  können  uns  Mittler 
einer  neuen  Monumentalität  sein.  Das  kön- 
nen nur  und  allein  die  ganz  Starken,  nur  die, 
denen  eine  innere  Stimme  wie  ein  Feuerbrand 
im  Blut  und  in  der  Seele  sitzt,  nur  die,  denen 
gar  keine  Zeit  bleibt,  des  \  ergangenen  zu  ge- 
denken, denen  nur  ein  Gesetz,  ein  heiliges 
Müssen  leuchtet:  der  neuen  Menschheit,  die 
sie  in  sich  fühlen ,  eine  Offenbarung  und  ein 
Höhepunkt  zu  sein.     Die  Monumentalität  ist 


stets  Höhepunkt  eines  Zeitalters.  Phidias  ist 
der  Extrakt  seines  Griechenlands ,  Michel- 
angelo die  Wurzel  und  die  Krone  der  Renais- 
sance. Die  moderne  Monumentalität  muß  ein 
vielfältiges  Echo  unserer  höchsten  Tugenden 
sein,  ein  Echo  der  Werte,  die  uns  allen  ge- 
hören. Die  moderne  Monumentalität  muß  ein 
Niederschlag  unserer  besten  Kräfte  sein  und 
muß  w  echselwirkend  in  uns  die  besten  Kräfte 
wecken.  Wie  das  gemeint  ist ,  dafür  sei  als 
Dokument  ein  Zitat  gegeben  von  einem  unserer 
feinsten  psychologischen  Dichter.  Hugo  v.  Hoff- 
mannsthal  hat  einen  Essai  geschrieben,  den  er 
„Das  Erlebnis  des  Sehens  "nannte.  Darin  läßt  er 
einen  Kauf  mann  nach  langer  Ab  Wesenheit  wich- 


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Professor 


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Wien  l-JIO. 

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Q  Niederösteir. 

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■  Förderungs- 
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Q  B.  Loeffler. 

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Prnfe&sor 
O  Piutscher. 
Jagd- 

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Wien  1910. 

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ti)<er  Geschäfte  wegen  nach  Europa  kommen. 
Der  Mann  ist  müde  und  ohne  jede  Enerjjie,  er 
fürchlel  bei  den  bevorstehenden  Verhandkin- 
}>en  schlecht  abzuschneiden.  AmkritischenTage 
streicht  er  durch  die  Straßen  der  Stadt,  und 
wie  ohnjjefähr  tritt  er  in  einen  Bilderladen. 
Dort  wird  ihm  das  Erlebnis  des  Sehens;  da- 
von berichtet  der  Mann  ; 

„Mir  war  zu  Mute  wie  einem,  der  nach  un- 
f'emessenem  Taumel  festen  Boden  unter  den 
Füßen  fühlt  und  um  den  ein  Sturm  rast,  indes- 
sen Rasen  hinein  er  jauchzen  möchte.  In  einem 
Sturm  geliaren  sich  vor  meinen  Augen,  geba- 
ren sich  mir  zuliebe  diese  Bäume ,  mit  den 
Wurzeln  starrend  in  der  Erde,  mit  den  Zweigen 
starrend  gegen  die  Wolken.  In  einem  Sturm 
gaben  diese  Erdrisse,  diese  Täler  zwischen 
Hügeln  sich  preis,  noch  im  Wuchten  der  Fels- 


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blocke  war  erstarrter  Sturm.  Und  nun  konnte 
ich  von  Bild  zu  Bild  ein  Etwas  fühlen,  konnte 
das  Untereinander,  das  Miteinander  der  Ge- 
bilde fühlen,  wie  ihr  innerstes  Leben  in  der 
Farbe  vorbrach,  und  wie  die  Farben  eine  um 
der  anderen  willen  lebten,  und  wie  eine,  ge- 
heimnisvoll-mächtig, die  andern  alle  trug,  und 
konnte  in  dem  allen  ein  Herz  spüren,  die  Seele 
dessen,  der  das  gemacht  hatte,  der  mit  dieser 
Vision  sich  selbst  antwortete  auf  den  Starr- 
krampf der  fürchterlichsten  Zweifel,  konnte 
fühlen,  konnte  wissen,  konnte  durchblicken, 
konnte  genießen  Abgründe  und  Gipfel,  Außen 
und  Innen,  E.ins  und  Alles  ....  und  war  wie 
doppelt,  war  Herr  über  mein  Leben  zugleich, 
Herr  über  meine  Kräfte,  meinen  Verstand  .  .  . 
rief  einen  Wagen,  fuhr  hin." 

Dies  ist  also  die  Beichte  von  solchem  Erleben 


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einer  modernen  Monumentalität,  die  Menschen 
unserer  Zeit  Kräfte  zu  spenden  vermag.  Und 
was  war  nun  auf  diesen  Bildern  dargestellt: 
feuerwerkten  da  unerhörte  Geistergestalten, 
gab  es  da  tiefsinnige  Symbole  zu  sehen?  Nichts 
davon.  Nur  einige  Bäume,  etliche  Felder,  kurz 
eine  Landschaft.  Das  Motiv  ist  es  also  nicht, 
das  auf  das  Tiefste  an  die  Wurzel  des  mensch- 
lichen Willens  greift;  wohl  aber  die  Art  der 
Darstellung,  die  Form,  der  Rhythmus.  Der 
Mann,  um  dessen  Bilder  es  sich  hier  handelt, 
heißt  Vincent  van  Gogh  und  ist  ein  Belgier. 
Hodler,  von  dem  ich  vorhin  sprach ,  ist  ein 
Schweizer.  Die  Nationalität  macht  wenig  aus, 
aber  das  ist  bestimmend,  daß  Beide  mit  allen 
Fasern  der  Seele  tief  in  die  Gegenwart  ge- 
taucht sind ,  um  aus  dem  frisch  geackerten 
Humus  Energien  zu  saugen  und   als  Bilder  zu 


projizieren,  als  Erlebnisse,  die  wiederum  Er- 
lebnisse zeugen.  Und  daß  solche  Tiefen,  sol- 
che Kräfte  nicht  etwa  in  die  Dokumente  dieses 
Vincent  van  Gogh  hineingedeutet  werden, 
daß  der  Maler  selbst  von  heiligen  Wallungen 
durchwühlt,  von  weitgespannten  Sehnsüchten 
erfaßt  war,  dafür  läßt  sich  (ganz  abgesehen 
von  dem  Instinkt ,  der  dem  Kunstwerk  ge- 
genüber immer  das  Ausschlaggebende  ist)  ein 
literarischer  Beweis  führen,  Vincent  van  Gogh 
hat  psychologische  Autoanalysen  geschrieben, 
Briefe.  Wer  diese  Dokumente  auch  nur  ein 
einziges  Mal  durchblättert  (und  das  zu  tun, 
sollte  niemand  versäumen),  der  vermag  nicht 
zu  zweifeln,  daß  in  einem  Manne,  der  so  in 
die  Tiefen  seiner  eignen  Seele  zu  horchen 
vermag,  der  so  sehnsüchtig  nach  einer  großen, 
herrlichen  Heimat  die  Flügel  breitet,  nicht  auch 


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^  Professor 
U  O.  Prutscher. 
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D  Ausstellung 
Wien  1910. 
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Q  Industrie. 


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wirklich  die  Kraft  lebt,  um  Werke  zu  schaffen, 
die  allen,  die  sie  betrachten,  ein  Erlebnis  des 
Sehens,  ein  Erleben  des  Lebens,  werden 
können.  Das  aber  ist  eben  der  Sinn  der 
monumentalen  Kunst. 

Die  Neugeburt  des  Monumentalen  kommt 
nicht  durch  die  zarten  Lyriker,  nicht  durch 
rht)ma  ;  nicht  durch  die  fabulierenden  Roman- 
tiker, nicht  durch  Boecklin  ;  nicht  durch  die 
interessanten  Dekorateure  ,  die  parfümierten 
Aestheten  und  jonglierenden  Hexenmeister; 
niciit  durch  die  gelehrten  Systeniatiker,  die  nach 
allen  Regeln  der  Grannnatik  gefrorne  Gefühle 
wieder  auftauen  möchten,  nicht  durch  Klinger. 


Die  Neugeburt  des  Monumentalen  kommt  allein 
durch  Männer,  die  in  den  Flammen  des  Zweifels 
verbrannten,  um  als  Neue,  mit  Kraft  geladen 
und  Kräfte  spendend,  wieder  zu  erstehen.  Die 
Monumentalen  aller  Zeiten  tragen  ein  Kains- 
zeichen an  der  Stirn,  sie  erschlagen  alle  Schwa- 
chen ;  sie  fahren  aber  zugleich  wie  Elias  im 
feurigen  Wagen  und  führen  alle  Glaubenden 
durch  das  Erlebnis  des  Sehens  zu  den  Seg- 
nungen des  Rhythmus.  Feuerbach  und  Marees, 
van  Gogh  und  Gauguin,  Rodin  und  Maillol 
—  Hodler,  das  sind  die  Propheten  und  Ge- 
burtshelfer des  Monumentalen   unserer  Zeit. 


Hl.Kl.IN-WlLMERSlJOKt. 


ROBERT  BREUER. 


SCHMUCKPLÄTZE  UNSERER  GROSSTÄDTE. 


V(1N   IIK.  HEKM.\NN   DIEZ. 


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Im  vorigen  Jahre  ist  der  langjährige  Garten- 
bau-Direktor der  Reichs -Hauptstadt,  der 
Schöpfer  des  vielbewunderten  Viktoriaparks 
auf  dem  Kreuzberg,  gestorben  ;  in  den  Sielen, 
aber,  wie  es  hieß,  nicht  ohne  ein  tief  schmerz- 
liches Empfinden  darüber,  daß  er  in  dem  Kampf 
um  Prinzip  und  Stil  des  gärtnerischen  Schmuckes 
der  Städte  unterlegen  war.  Daß  Direktor 
Mächtig  ein  ausgezeichneter  Vertreter  seines 
Faches  war,  unterliegt  keinem  Zweifel.  Der 
Viktoria-Park  lobt  seinen  Meister,  und  wenn 
der  berühmte  Wassersturz  nicht  alle  Sinne 
gleich  angenehm  berührt,  so  ändert  das  nichts 
daran,  daß  in  der  Anlage  selbst  ein  Mann  von 
Geschmack,  Stilgefühl  und  Schöpferkraft  eine 
Oase  aus  der  Sandwüste  hervorgezaubert  hat, 
in  die  der  frühere  Weinberg  im  Lauf  der 
Jahrhunderte  sich  verwandelt  oder  zurückver- 
wandelt hatte ,  und  daß  der  Kreuzberg  in 
seiner  jetzigen  Gestalt  einen  eigen-  und  einzig- 
artigen Schmuck  der  Reichs-Hauptstadt  be- 
deutet. Das  würde  in  noch  weit  höherem 
Maße  der  Fall  sein,  wenn  er  einen  großen 
monumentalen  Straßenzug  abzuschließen  hätte, 
aber  eine  solche  Umwandlung  eines  Groß- 
stadtbildcs  liegt  heute  überhaupt  nicht  mehr 
innerhalb  der  Grenzen  menschlicher  Kraft, 
geschweige  denn  in  der  Kompetenz  eines 
städtischen  Gartenbaudirektors. 

Was  auf  den  Lebensabend  Mächtigs  ge- 
drückt hat,  war  seine  Niederlage  im  Kampf 
gegen  die  Blume  als  Schmuck  großstädtischer 
Straßen  und  Plätze.  Bei  diesem  Kampf  mochte 
wohl  etwas  von  dem  Eigensinn  beteiligt  sein, 
der  die  Verdienste  hervorragender  Männer 
in   dem   letzten   Abschnitt   eines   langjährigen 


öffentlichen  Wirkens  so  oft  beschattet,  aber 
in  der  Hauptsache  war  der  Widerspruch  sicher- 
lich von  sachlichen  Erwägungen  bestimmt  und 
zwar  zunächst  von  der  praktisch-technischen 
Rücksicht  auf  die  Notwendigkeit  einer  öfte- 
ren umständlichen  und  kostspieligen  Erneu- 
erung des  Blumenschmucks,  dann  aber  auch 
von  ästhetischen  und  stilistischen  Erwägungen. 
Jene  Rücksicht  mag  füglich  außer  Betracht 
bleiben;  selbst  wenn,  wie  es  in  den  Pfingst- 
tagen  1910  geschehen  ist,  Gewitterregen  und 
Hagel  Hunderttausende  von  Tulpen  unbarm- 
herzig zerstören,  kann  der  Riesenetat  unserer 
Großstädte  diese  relativ  kleine  Aufgabe  und 
Ausgabe  noch  übernehmen,  ohne  daß  irgend 
jemand  auf  den  Gedanken  kommen  würde,  es 
geschehe  zu  viel  für  die  Augenfreude  ihrer  Be- 
wohner. Die  ästhetischen  Bedenken  sind  aber 
an  und  für  sich  jedenfalls  nicht  ganz  unberech- 
tigt. Man  braucht  sich  nur  auf  der  einen  Seite 
die  Darmstädter  Mathildenhöhe  im  Frühlings- 
glanz oder  die  Hauptplätze  der  Ausstellung 
München  1 908,  auf  der  anderen  aber  die  schwer 
wuchtenden  architektonischen  Zentren  unse- 
rer alten  geschlossenen  Städte  oder  auch  die 
griechischen  Linien  des  Münchner  Königs- 
platzes ins  Gedächtnis  zurückzurufen,  um  sich 
sofort  darüber  klar  zu  werden,  daß  eines  sich 
nicht  für  alle  schickt,  daß  der  eine  Platz  nach 
der  Blume  schreit,  während  der  andere  sie 
ablehnt  und  nach  wie  vor  die  ruhige  Fläche 
des  Rasens  und  etwa  die  mehr  oder  weniger 
streng  stilisierte  Gruppe  immergrüner  Bäume 
und  Sträucher  heischt. 

Wo  es  die  räumlichen  Verhältnisse  zulassen, 
ist    sicherlich    auch    heute    noch   und   für   alle 


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Zeiten  der  frische  grüne  Rasen,  dieser  fried- 
liche Festplatz  für  müde  Augen,  der  schönste 
Schmuck  der  Stadt,  deren  Charakter  er  gleich- 
sam verneint  und  aufhebt,  aus  der  er,  wäre  es 
auch  nur  für  Minuten,  hinwegtäuscht,  und  daß 
solche  Inseln  mitten  im  wildesten  Häuser- 
meer noch  möglich  sind,  das  beweist  in  Berlin 
z.B.  der  Leipziger  Platz,  den  die  stärksten 
Wogen  großstädtischen  Lebens  umbranden 
und  der  doch  still  und  grün  wie  ein  Stück 
fashionables  Alt- England  daliegt.  Auch  der 
imposante  Lützow-Platz  wirkt  noch  am  stärk- 
sten durch  die  ruhigen  Rasenflächen,  zeigt 
aber  in  seinen  bunten  Rabatten  schon  den 
Übergang  zu  jener  andern  Art  gärtnerischen 


Schmucks,  der  jetzt  allgemein  bis  in  das  Herz 
der  Großstädte  eindringt,  und  zwar  in  Gestalt 
des  farbenprangenden  Blumenbeets. 

Überblickt  man  die  Ergebnisse  des  glänzen- 
den Siegeslaufes,  den  der  Blumenschmuck  der 
öffentlichen  Plätze  und  Straßen  speziell  in 
Berlin  zurückgelegt  hat,  so  wird  man  sich  wohl 
dem  Eindruck  nicht  verschließen,  daß  hier  und 
dort  des  Guten  etwas  zu  viel  geschehen  sei 
und  daß  insbesondere  die  brennenden  Farben 
der  Geranien  gelegentlich  zu  aufdringlich  wir- 
ken. Aber  dieses  Unglück  ist  zumal  inmitten 
der  Großstadt,  wo  die  ermüdeten  und  abge- 
stumpften Sinne  starke  Reize  brauchen,  nicht 
eben  groß,  und  in  Wahrheit  ruft  so  ein  jauchzend 


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farbiges  Blumenbeet 
von  heute  viel  lau- 
ter: „Sieh  her,  wie 
schön  ich  bin!"  als 
die  zahmen,  wohlge- 
tönlcn  und  wohlbe- 
schnittenen Produkte 
der  Teppichgärtnerei 
von  ehedem.  Im  gro- 
ßen und  ganzen  ist 
der  frohe  Mut,  der 
sich  sogar  nicht  scheut, 
Geschäfts-  und  Ver- 
kehrsstraßen allerer- 
sten Ranges,  wie  z.  B. 
dieSchönebergerFort- 
setzung  der  Potsda- 
merstraße, überall,  wo 
nur  irgend  der  Raum 
dafür  vorhanden  ist, 
mit  bunt  leuchtenden 
Blumen -Rabatten  zu 
flankieren  ,  doch  mit 
rückhaltloser  Freude 
zu  begrüßen  als  Bürge 
einer  besserenZukunft 
für  uns  Großstadt- 
bewohner. Natürlich 
lassen  sich  die  Groß- 
städte von  heute  nun 
und  nimmerin  Garten- 
städte verwandeln, 
sondern  man  wird 
stets  auf  ästhetische 
Kompromisse  ange- 
wiesenbleiben. InBer- 
lin und  seinen  Nach- 
barstädten kommt 
dann  noch  erschwe- 
rend hinzu,  daß  auch 
in  den  neuen  und  vor- 
nehmeren Wohnquartieren  architektonisch  viel 
versäumt  und  gesündigt  worden  ist.  Aber 
zumeist  gewährt  doch  ein  blumengeschmück- 
ter Balkon  dem  Auge  auch  da  eine  gewisse 
Erholung,  und  speziell  das  dekorative  Zu- 
sammenwirken des  Balkons  mit  dem  Blumen- 
flor der  Schmuckplätze  und  der  Straßenbeete 
erscheint  mir  als  ein  überaus  glücklicher  Ge- 
danke, dessen  allmähliche  Verwirklichung  an 
dem  Straßenbild  Berlins  schon  unendlich  viel 
gebessert  hat  und  immer  noch  mehr  bessern 
wird.  Es  ist  geradezu  überraschend,  wie  stark 
und  lebensfreudig  diese  Harmonie  auch  in 
minder  schönen  und  in  ilirem  Hauptcharakter 
niclit  mehr  zu  ändernden  Straßenzügen  wirkt ; 


man  gewahrt  die 
leuchtende  Spur  eines 
Menschheitsfortschrit- 
tes, der  in  die  Stein- 
wüste der  Großstädte 
die  lebendige  Natur, 
in  die  Welt  der  nüch- 
ternen Nützlichkeit 
und  des  häßlichen 
Kampfes  ums  Dasein 
die  Schönheit  zurück- 
bringt. Glücklicher- 
weise ist  nun  aber  ge- 
rade in  den  allergröß- 
ten Städten  mit  ihrem 
riesenhaften  Wachs- 
tum, das  mit  seinem 
Gegenstück,  der  Ent- 
völkerung des  platten 
Landes  sozial  so  man- 
che Bedenken  erregen 
muß,  die  Möglichkeit 
gegeben,  Stadtbilder 
schon  in  der  ersten 
Anlage  unter  die 
Gesichtspunkte  der 
Schönheit  zu  stellen. 
Wie  viel  in  dieser  Be- 
ziehung in  München 
versäumt  worden  ist, 
wo  man  unbegreifli- 
cher Weise  das  „West- 
end" zu  einem  hoff- 
nungslosen Proleta- 
rier-Viertel und  The- 
resienhöhe,  Bavaria- 
Park  etc.  zu  Schlupf- 
winkeln verbrecheri- 
schen Gesindels  hat 
werden  lassen,  —  eine 
Entwicklung,  der  auch 
die  neue  Ära  des  Ausstellungswesens  auf  der 
Theresienhöhe  kaum  mehr  Halt  gebieten  wird 
—  darüber  ist  schon  viel  geschrieben,  geklagt 
und  angeklagt  worden.  Dafür  hat  man  sich  aller- 
dings erfolgreich  bemüht,  der  Prinzregenten- 
straße, an  der  das  National-Museum  und  jetzt 
die  preußische  Gesandtschaft  mit  dem  neuen 
würdigen  Heim  der  Schackgalerie  sich  erheben 
und  die  in  der  Prinzregentenbrücke  mit  der 
sich  darüber  erhebenden  Anlage  des  Friedens- 
denkmals einen  imposanten  Abschluß  findet, 
einen  großzügig  monumentalen  und  zugleich 
sinnenfroh  farbigen  Charakter  zu  geben. 

Der  schönste  Vorort  Berlins,  die  Gemeinde 
Grunewald,  ist  nicht  nur  durch  die  landschaft- 


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liehen  Verhältnisse , 
sondern  auch  durch 
die  wirtschaftlicheLa- 
ge  der  Bewohner  in 
so  ungewöhnlichem 
Maße  begünstigt,  daß 
er  füglich  hors  con- 
cours  bleibt.  Aber 
es  darf  deshalb  doch 
gesagt  und  festge- 
stellt werden,  daß, 
einiger  Fehlgriffe  der 
tastendenÜbergangs- 
zeit  ungeachtet, Natur 
und  Kunst  auf  diesem 
köstlichen  FleckErde 
zur  Schaffung  einer 
Villen-  und  Garten- 
stadt sich  vereinigt 
haben,  die  ihresglei- 
chen auf  der  ganzen 
Welt  suchen  dürfte, 
auch  in  solchen  Län- 
dern, die  denn  doch 
an  die  Aufgabe  land- 
schaftlicherSchmuck- 
anlagen  mit  ganz  an- 
deren Voraussetzun- 
gen des  Bodens  und 
des  Himmels  heran- 
treten. Ganz  Hervor- 
ragendes ist  sodann 
auch  unter  wesentlich 
bescheideneren  Ver- 
hältnissen z.  B.  in  der 
Gemeinde  Friedenau 
geschaffen  worden, 
die  im  Laufe  der  letz- 
ten 3 — 4  Jahrzehnte 
sich  zwischen  ihre  äl- 
terenSchwestern  Wil- 
mersdorf, Schöneberg  und  Steglitz  eingescho- 
ben hat  und  ihren  baulichenCharakter  durchaus 
von  Etagenhäusern  empfängt.  Auch  hier  gibt 
es  keine  Straße,  die  nicht  Alleestraße  wäre,  kei- 
nen Platz,  der  nicht  durch  Baunigruppen,  insbe- 
sondere herrliche  Birkenwäldchen  oder  durch 
prangende  Blumenbeete  zu  einem  Labsal  für 
Augen  und  Lungen  würde,  und  auch  der  Ge- 
samtplan der  in  der  Längsrichtung  durch  die 
stattliche  Kaiserallee  in  zwei  gleiche  Hälften  ge- 
teilten Gemeinde,  deren  Mittelpunkt  die  große 
Anlage  des  Friedrich  Wilhelmplatzes  mit  der 
Kirche  bildet,  darf  in  seiner  Art  als  vorbildlich 
gelten.  Und  das  ist  ja  das  sozial  und  volks- 
wirtschaftlich Erfreuliche,  daß  die  Flucht  aus 


den  Steinmauern  der 
Stadtzentren  allmäh- 
lich kein  Vorrecht  der 
wohlhabenden  Klas- 
sen mehr  ist,  sondern 
denbreiten  Schichten 
des  Mittelstandes  er- 
möglicht wird.  Die 
Umwandlung  einer 
ursprünglich  als  vor- 
nehme Villen -Kolo- 
nie gedachten  An- 
siedelung in  eine 
Heimstätte  des  Mit- 
telstandes repräsen- 
tiert geradezu  einen 
der  erfreulichsten 
Züge  der  Zeit;  die 
dem  wachsenden 
Reichtum  unseres 
Volkes  entsprechen- 
de Steigerung  der  An- 
sprüche an  die  Kul- 
tur der  Wohnung  und 
des  Wohnens,  die 
das  Märchen  von  der 
fortschreitenden  Pro- 
letarisierung unseres 
Volkes  lachend  ad 
absurdum  führt.  — 
Was  die  Großstädte 
und  ihre  Vororte  im 
allgemeinen  für  die 
Verschönerung  des 
Stadtbildes,    für    die 

Beschattung  der 
Stein-  oder  Tünche- 
fassaden mit  dem 
frischen  Grün  der 
Bäume  und  Sträu- 
cher oder  für  die 
Unterbrechung  der  öden  Pflasterflächen  durch 
die  frohe  Farbenpracht  der  Blumenbeete  tun 
können,  das  liegt  zwischen  den  beiden  Ex- 
tremen einer  durch  tausend  zwingende  Rück- 
sichten beengten  bescheidenen  Dekorations- 
arbeit im  Innern  und  der  freudigen ,  plan- 
vollen Neuschöpfung  an  der  Peripherie.  Die 
engen,  winkligen  Straßen  und  die  aneinander- 
gepreßten  Häuser  unserer  alten  Städte  haben 
zu  ihrer  Zeit  eine  große  Bedeutung  für  die  po- 
litische, sittliche  und  wirtschaftliche  Entwick- 
lung unseres  Volkes  gehabt;  die  Stadtluft 
machte  frei  von  den  Fesseln  der  Leibeigen- 
schaft und  Hörigkeit  und  schuf  mit  der  Sicherung 
des  persönlichen  Erwerbs  das  Bürgertum,  den 


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/weiten  j<roßen  und  starken  Grundpfeiler 
unserer  nationalen  Kraft  und  Größe.  Jetzt 
sind  die  Mauern  überall  fSefallen,  und  es  tut 
nicht  mehr  not,  daß  die  Häuser  sich  wie  be- 
drohte Küchlein  zusammenschmiegen ;  die 
Freiheit  ist  auch,  wenigstens  im  Prinzip,  kein 
Privilegium  der  Städte  mehr.  Aber  um  so 
mehr  gilt  es  heute,  die  Stadtluft  frei  zu 
machen  und  in  den  Druck  von  Giebeln  und 
Dächern  den  befreienden  Strahl  des  Lichts, 


das  wohltuende,  erfrischende  Grün  und  den 
beglückenden  Gruß  der  Farben  zu  bringen. 
Denn  ein  immer  größerer  Teil  unseres  Volkes 
wächst  in  den  Großstädten  heran  und  emp- 
fängt von  ihnen  die  Bedingungen  seiner  Ent- 
wicklung an  Leib  und  Seele.  Glücklicherweise 
hat  man  im  letzten  Jahrzehnt  wieder  begon- 
nen, die  Schulen  aus  düsteren,  staubigen 
Kasernen  voll  Zwang  und  Strenge  in  freund- 
liche  Stätten   des  Jugendmuts   und   der   Ent- 


wickelungsfreude  umzuwandeln  und 
mit  der  Zeit  wird  man  vielleicht  finden, 
daß  auch  in  den  Kasernen  selbst  in 
dieser  Richtung  manches  zu  tun  und 
zu  bessern  wäre.  Mindestens  ebenso 
groß  aber  ist  die  Bedeutung  unserer 
städtischen  Schmuckplätze  für  den  gan- 
zen Charakter  unseres  Volkstums;  sie 
spiegeln  ihn  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
wider;  je  zahlreicher,  mannigfaltiger, 
farbenfreudiger  u.  geschmackvoller  sie 
sind,  um  so  mehr  aber  werden  sie  ihrer- 
seits erfrischend  beleben,  erfreuend  und 
veredelnd  wirken.  Denn  ein  reiner,  fro- 
her Naturgenuß,  sei  er  auch  noch  so 
flüchtig,  wirkt  mehr  Gutes  im  Menschen 
als  die  schönste  Moralpredigt.  —  h.  d. 


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DIE  ZUKUNFT  UNSERER  BAUKUNST  UND  DER  HEIMATSCHUTZ. 


VON   DK.   K.    SCHARFER     BREMEN. 


Als  unsere  Architektur  aus  dem  Formalismus 
^  des  19.  Jahrhunderts  erwachte,  und  sich 
nach  neuen  Zielen  umsah,  fand  sie  am  Wege 
einige  beredte  Maler  und  begeisterte  Alter- 
tumsfreunde; die  wiesen  sie  hin  auf  das  liebe 
alte  malerische  deutsche  Dorf,  auf  das  gemüt- 
liche, tief  herunterreichende  Dach,  die  klein- 
scheibigen  Fenster,  die  niedrigen,  aber  behag- 
lichen Stockwerkhöhen,  auf  das  anheimelnde 
Bild  der  Dorfstraße,  in  der  13aum  und  Hecke, 
breite  Gemächlichkeit  der  Giebelreihcn  und 
lebendige  Farbenwirkung  des  Materials  sich 
zu  so  schönen  Wirkungen  vereinigen.  Alter- 
tümelei und  Stillehre  sind  der  eben  aus  der 
historischen  Schule  daherkommenden  jungen 
Architektenschaft  so  selbstverständlich,  daß 
sie  dies  neue  Vorbild  mit  nachdrücklicher  Be- 
gierde in  sicli  aufnahm,  mit  einer  Plötzlichkeit, 
mit  einem  Eifer  von  ungewöhnlicher  Art  sich 
der    neuen    Aufgabe    bemächtigte.    Vielleicht 


dürfen  wir  sogar  so  optimistisch  sein,  diese 
triebkräftige  Frische,  mit  der  der  Umschwung 
erfolgte,  als  Symptom  eines  starken  Massen- 
Willens  anzusetzen,  von  der  Technik  des 
Häuserbauens  mit  aller  Kraft  wieder  zur  Kunst 
der  Architektur  emporzudringen.  Wenn  sich 
auch  die  Hochschulen  noch  wenig  darum 
kümmerten,  so  wurde  doch  die  ländliche  Ar- 
chitektur Übernacht  und  überall  im  deutschen 
Reiche  und  ganz  besonders  in  Mitteldeutsch- 
land und  im  Süden  zur  Lieblingsarbeit  der 
jungen  Generation. 

Villenkolonie  und  Arbeitsdorf,  das  Land- 
haus am  See,  am  Waldend,  im  Hochgebirge, 
dorfartig  angelegte  Krankenhausbauten ,  die 
sehr  romantischen  aber  praktisch  gänzlich  wert- 
losen Ferienhäuser  der  Werke.  Waldkapellen 
und  Dorfkirchen,  Waldfriedhöfe  und  Bauern- 
grabkunst,  das  ist  eine  Blütenlese  aus  den 
Lieblingsaufgaben  unserer  Jugend  in  der  Archi- 


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tektur  der  Gegenwart.  Und  daß  auf  dem  Wege 
dieser  Kleinarbeit  ein  gewaltiges  und  höchst 
wichtiges  Stück  Kulturarbeit  geleistet  wird, 
davon  überzeugt  man  sich  alljährlich  mehr, 
schon  von  den  Fenstern  des  Schnellzugs  aus, 
wenn  er  einen  wieder  einmal  von  Bremen  bis 
München   auf   der   eiligen   Linie   eines   Quer- 


schnitts durch  das  ganze  Reich  führt.  Wir  sind 
auf  dem  Wege,  für  unsern  Tagesbedarf  an 
anständiger  Architektur  in  Dorf  und  Stadt 
wieder  Typen  zu  schaffen,  wie  die  Jahr- 
hunderte sie  gehabt  haben,  in  denen  die 
gepriesene  Schönheit  unsrer  Stadl-  und  Dorf- 
bilder entstand.    Vorläufig  bedarf  es  zu  dieser 


Gestaltungsarbeit  noch  der  Architektur  ;  sind 
die  Typen  aber  einmal  gefunden  und  ein- 
gebürgert, dann  kann  man  sie  den  unaka- 
demischen Händen  des  Baumeisters  überlassen, 
der  sie  wieder  wie  seine  Vorfahren  weiter- 
geben wird  von  Geschlecht  zu  Geschlecht, 
Auf  diese  Stimmung  der  Altertumsfreunde, 


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'  Professor 
M.  Powoliiy. 


Maler  und  Architekten  hat  die  Heimatschutz- 
bewegung sich  begründet.  Sie  ist  ein  ganz 
selbstverständliches  Kind  unsrer  Übergangs- 
zeit, in  der  die  überkommene  Liebe  zu  den 
Alten  noch  um  so  stärker  lebt,  je  deutlicher 
es  noch  an  einem  klaren  einheitlichen  Stil- 
ideal   für    modernes    Schaffen    mangelt.     Der 


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Architekt 

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Silber  mit 
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Architekt 
E,  J.Vt'iminer. 


Gedanke  ist  so  volkstümlich  und 
begeisternd  für  den  Durchschnitts- 
menschen, wie  nur  ein  kunstpoli- 
tischer Gedanke  sein  kann.  Schon 
heute  nach  einer  kaum  zehn  Jahre 
alten  Propaganda  gilt  er  überall  als 
selbstverständlich.  Er  hat  eine  Zug- 
kraft, mit  der  er  den  kunstfremde- 
sten Bürgersmann  zum  Fanatiker 
machen  kann.  Auch  die  Juristen 
der  Verwaltungs-Behörden  haben 
ihn  schon  aufgegriffen  ;  haben  Para- 
graphen formuliert,  in  deren  engen 
Grenzen  möglichst  jede  Entgleisung 
der  Land-  und  Kleinstadt  -  Archi- 
tektur verhütet  werden  soll,  und 
auch  wohl  kann  ;  und  wo  diese  Ge- 
setze und  Ortsstatute  heute  noch 
nicht  bestehen,  da  sind  sie  unter- 
wegs. Zurzeit  triumphiert  also  das 
Dogma  der  Heimatschutz- Archi- 
tektur auf  der  ganzen  Linie.  —  Da- 
gegen ist  vorläufig  nichts  einzu- 
wenden; denn  daß  gegen  die  bei- 
spiellose Verrohung  in  der  Alltags- 
architektur der  letzten  Jahrzehnte 
die  schärfsten  Polizeiniittel  gerade 
gut  genug  sind,  läßt  sich  kaum  be- 
streiten. Aber  wie  wird  sich  das 
Bild  in  Zukunft  darstellen  ?  — 
Schon  jetzt  hat  die  dogmatische 
Unerbittlichkeit   der  Männer  vom 


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HeimatschutzOpposition  erregt,  allerdings  nicht 
die  der  Künstler,  sondern  die  der  Zement-  und 
Daclipappefabrikanten,  der  Händler  von  Mar- 
mor u.  anderen  Baustoffen,  die  von  den  Fried- 
höfen und  Fassaden  polizeilich  verdammt  sind 
u.  a.ni.  Sie  petitionieren  an  ihre  Regierung  und 
verlangen  Schutz  ihres  Gevk^erbes,  das  sonst  zu 
Grunde  gehen  müsse.  Auf  solche  Argumente 
hört  man  freilich  heute  nicht  mehr  viel,  weil 
sie  im  wirtschaftlichen  Interessenkampf  des 
Tages   all  zu    oft   schon   mißbraucht   worden 


sind.  Und  schließlich,  wenn  höhere  Kultur- 
ziele auf  dem  Spiele  stehen,  ist  der  Allgemein- 
heit mit  Recht  ganz  gleichgültig,  ob  einige 
Fabrikanten  ihren  Betrieb  verkleinern  oder 
einstellen  müssen.  Wenn  uns  heute  nachge- 
wiesen wurde,  daß  die  deutsche  Schundlitera- 
tur 10  000  Menschen  im  Reiche  ernährt  und 
daß  sie  jährlich  so  und  soviel  zum  Wachstum 
des  Volksvermögens  beiträgt,  würden  wir  sie 
darum  für  existenzberechtigt  oder  für  nicht 
bekämpfenswert  halten?     Es   kann   uns  also 


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ebensowenig  rühren,  wenn  die  Zementfabriken 
sich  beklagen,  daß  sie  ihre  himbeerfarbenen 
oder  schwarz-weißen  Dachplatten  nicht  mehr 
auf  den  Dörfern  absetzen  dürfen.  Sie  leiden 
augenblicklich  unter  einer  ungünstigen  Kon- 
junktur, aus  der  sie  für  ihre  Fabrikation  die 
richtigen  Folgen  ziehen  müssen,  das  ist  alles. 
Die  Allgemeinheit  ist  sicher  vollkommen  im 
Recht,  wenn  sie  sich  gegen  die  Verwüstungen 
des  Landes  zur  Wehr  setzt,  und  die  beste 
Agitation  ihrer  Verbandssekretäre  wird  nicht 


imstande  sein,  den  Zementfabrikanten  dagegen 
zu  helfen.  Aber  damit  ist  nicht  gesagt,  daß 
ihr  Material  an  sich  ein  künstlerisch  untaug- 
liches sei. 

Jeder  Werkstoff  ist  an  sich  weder  gut  noch 
schlecht,  er  wird  es  erst  durch  seine  richtige 
oder  sinnwidrige  Anwendung.  Neue  Baustoffe 
führen  sich  in  der  Kunstgeschichte  fast  immer 
anfangs  als  Surrogate  ein,  werden  dann  erst 
in  ihrer  künstlerischen  Ausdrucksfähigkeit  und 
Eigenart  erkannt,  und  dienen  dann  oft  genug 


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Q  J.   Hoffmann. 


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J.  Hofftiiann. 

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für  Blumen,      b" 

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J.  Hoffniann.  D 

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Silber  *! 


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dazu,  aus  dem 
neuen  Material 
u.  seiner  Tech- 
nik die  neuen 
Slilelemenle  zu 
entwickeln,  die 
ohne  sie  un- 
denkbar gewe- 
sen wären.  Daß 
für  die  Zukunft 

unserer  Bau- 
kunstneue Bau- 
stoffe mit  liishcr 
unerhörten, 

künstlerischen 

Möglichkeiten 
zu  Gebote   ste- 
hen ,    weiß    ein 

jeder:  Eisen, 
Glas,    Zement, 
Beton,     Eisen- 
beton. Und  wer 
in     Berlin      die 

Bauten  Feter 
Behrens'  für  die 
A.E.  G.  und  die 
großenteils  auch 

von  Behrens  angeregten  Leistungen  der  deut- 
schen Zementwarenfabrikanten  in  der  Ausstel- 
lung in  Treptow  gesehen  hat,  der  wird  unter 
dem  Eindruck  stehen,  daß  sich  da  im  Gebiete 


der      Baukunst 

—  im  Industrie- 
bau und  im  Mo- 

_  numentalbau 

I» f'  .^^^^^'  dekorativer 

Äv.i^iJ^^^  Art  —  Gedan- 

ken entwickelt 
haben,  stark  ge- 
nug,   um    einer 

Formenzu- 
kunftswirkung 
sicher    zu    sein. 

—  Die  neue  Le- 
bensform ,  die 
uns  das  19.Jalir- 
hundert  hinter- 
lassen hat ,  ist 
die  der  Groß- 
stadt. Groß- 
stadtgeist wird 
die  Signatur  un- 
serer künftigen 
Baukunst  sein. 
Hier  im  Inge- 
nieur- und  In- 
dustriebau, im 
Warenhaus  und 

Geschäftsgebäude  wird  sie  die  Kunst  schaffen 
müssen,  die  unserem  Zeitalter  adäquat  und 
den  Menschen  von  heute  am  notwendigsten  ist. 
Vom  Wertheimbau  über  die  Turbinenhalle  der 


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Q  Schreiblisch- 
g  Uhr.    Alpaka. 

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A.E.G.  weist  der  Weg  in  die  Zukunft.  Oder 
glaubt  vielleicht  jemand,  daß  sich  aus  dem  tief 
heruntergezogenen  roten  Ziegeldach,  den  wei- 
ßen Putzwänden  und  den  grünen  Fensterläden 
der  Heimatschutzarchitektur  die  Zukunft  un- 
serer deutschen  Baukunst   bestreiten  lasse? 


Es  dürfte  also  an  der  Zeit  sein,  die  beiden 
Wege,  die  sich  in  der  Gesinnung  den  Künst- 
lern von  heute  in  ihrem  Werke  schon  ganz 
deutlich  erkennen  lassen,  klar  auszusprechen 
und  in  ihren  Grenzen  gegen  einander  abzu- 
wägen, damit  die  Ziele  nicht  verdunkelt  werden 


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g  Maler 
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H  kugel. 


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Aufsatz.  ■• 


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I  Professor 
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Jardiniere 

Silber. 


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Q  Professor 

g  J.  Hoffmann. 
J_  jardiniere. 
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g'  mit  Malachit. 

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Sclimuck.  ■■ 


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können.  Das  wird  den 
Vorteil  haben,  daß  wir 
Übergriffe  als  solche 
erkennen  und  zurück- 
weisen, daß  wir  die 
Mitarbeit  derer  nicht 
entbehren  brauchen, 
die  dazu  berufen  sind. 
Übergriffe  und  Unstim- 
migkeiten, die  aus  ei- 
ner V  erkennung  dieser 
beiden  grundverschie- 
denen Architekturpro- 
blemc  entstanden,  ha- 
ben wir  schon  zahl- 
reich genug  erlebt.  Ich 
erinnere  nur  an  die 
deutschen  Gebäude 
der  Brüsseler  Ausstel- 
lung oder  an  die  Tat- 
sache, daß  im  Namen 
der  „  I  leimatkunst "  ge- 
gen die  Hagener  Bau- 
ten Peter  Behrens'  al- 
len Ernstes  protestiert 
wurde.  Wenn  man  die 
Wiederbelebung  länd- 
lich-heimatlicher Bau- 
kunst als  das  A  und  O 
unserer  Architektur 
ansieht,  wenn  die  Po- 
pularität dieses  Ge- 
dankens weiterwächst 
wie  bisher,  wenn  man 
Gesetze  und  Material- 
bestimmungen zu  de- 
ren Schutz  und  För- 
derung in  die  Hände 
von  Verwaltungsbe- 
amten legt,  die  eines 
eigenen  Urteils  in 
Kunstfragen  nicht  fähig 
sind,  dann  wird  diese 
Entwicklung  uns  Ge- 
fahren bringen ,  vor 
denen  schon  heute  ge- 
warnt werden  muß.  — 
Die  Heimatschutz-Ar- 
chitektur  ist  die  letzte 
Frucht  der  romantisch- 
historischen Stilschule 
des  19.  Jahrhunderts; 
sie  ist  ein  Portschritt 
gegenüber  der  Grune- 
wald-Villa von  1890, 
aber    sie    ist    an    sicii 


keine  Stufe  zu  niodcr- 
nerWeiterbildung.  Wir 
lieben  und  brauchen 
iiireWerke  als  Massen- 
erscheinung, als  Juste- 
milieu  anständiger  All- 
tagsarbeit. Sie  wird 
uns  helfen,  den  ein- 
fachsten Werken  der 
Land-  und  Vorstadt- 
baunieister  wieder  so 
viel  Haltung  zu  geben, 
als  sie  bedürfen.  Und 
sie  wird  dabei  das 
Reclit  haben,  sich  aller 
möglichen  Mittel  zu 
bedienen,  um  auch  den 
Unfähigen  in  Aus- 
drucksformen von  ei- 
nigem Anstand  hinein- 
zuzwingen.  Die  großen 
Fragen  der  Zukunft  un- 
serer Baukunst  werden 
aber  nicht  hier,  son- 
dern in  der  Großstadt 
entschieden  werden. 
Und  hier  wird  die  Stil- 
romantik nicht,  son- 
dern nur  das  Material 
und  seine  Technik  der 
Ausgangspunkt  für 
alles  fortschrittliche 
Schaffen  sein.  Und 
kein  Material  kommt 
der  Befreiung  vom 
l'ormalisnuis  so  sehr 
/LI  Hilfe  und  öffnet  so 
den  Blick  für  neue 
konstruktive  und  äs- 
thetische Möglichkei- 
ten, wie  eben  die  Bau- 
stoffe, die  im  Gebiet 
der  „Heimatkunst" 
verpönt  sind.  Und  daß 
sie  starker,  eigener, 
künstlerischer  Wirkun- 
gen fähig  sind,  wenn 
nur  erst  der  Meister 
gefunden  wird,  der  sie 
von  ihrem  bisherigen 
Wesen  als  Surrogate 
befreit ,  das  hat  die 
Ton-  u.  Zement -Aus- 
stellung dieses  Som- 
mers deutlich  vor  un- 
sere Augen  gestellt. 


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KLEINE  KUNST-NACHRICHTEN  OKT.  1910. 

BERLIN.  Die  winterlichen  Ausstellungen  bei 
Cassirer  wurden  vor  einiger  Zeit  eröffnet  mit 
einer  Kollektion  von  Werken  Johann  Sperls, 
der  am  3.  November  dieses  Jahres  seinen  70.  Ge- 
Inirlstag  feiert.    Wer  LeibI  und  seinen  Kreis  näher 


aus  allen  Zeiten  seines  Schaffens  gemächlich  be- 
trachten zu  können,  unseren  Dank  heraus.  Und 
daJ5  man  die  sympathische  Kunstübung  gerade 
dieses  Stillen  der  schnellvergessenden  Generation 
erinnernd  vor  Augen  führt,  veranlaj^t  uns  zu  noch 
lauterem    Beifall.      Der     hübsch    und    warm    ge- 


Oold  mit 
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Edelsteinen 
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kannte,  wugte  auch  von  diesem  stillen  und  ehr- 
liehen Maler,  aber  seine  Bilder  bekam  man  selten 
zu  üesicht.  Denn  sie  verkauften  sich  anscheinend 
schnell  und  gut  und  gerieten  in  Familienbesit3,  wo 
sie  für  die  Öffentlichkeit  verloren  gingen.  So 
fordert  allein  schon  die  gebotene  Gelegenheit,  fast 
siebzig  Gemälde  eines  wenig  bekannten  Künstlers 


schriebene  Aufsat}  Hans  Mackowskys,  der  den  Ka- 
talog einleitet,  läßt  zwar  das  Körnlein  Kritik  ver- 
missen, mit  dem  man  die  Lobrede  umso  sorgsamei 
abschmecken  muß,  je  näher  man  menschlich  dem 
zu  Ehrenden  steht.  Doch  mag  das  schöne  Be- 
kenntnis vielen  die  Augen  öffnen  für  manche  feinen 
künstlerischen  Reize,  über  die  man   sonst   leicht 


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Q  Halsband. 


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'  (jold  auf 
I  Samtband. 


hinweg  sähe.  — 
Als  ein  fertiger 
Genremaler  aus 
der  Schule  Ram- 
bergsin  München 
hervorgegangen, 
wäre  er  vielleicht 
immer  ein  mittel- 
mägigerKünsller 
geblieben;  denn 
die  menschliche 
Figur  mit  jenem 
Maß  von  individu- 
ellem Leben  zu 
füllen,  durch  das 
sie  aus  einer  me- 
chanischen Nach- 
bildung zu  den 
Wirkungen  der 
Kunst  erhoben 
wird,  blieb  ihm 
zu  allen  Zeiten 
versagt.  .Aber  da 
kamen  gerade  zu 
rechter  Zeit  die 
Franzosen,  Cour- 
bet,  Millet  und 
die  Anderen  alle 
ausBarbizon.  Sie 
führten  ihn  vor 
die  Natur,  u.  erst 
die  Landschaft 
machte  sein  Ta- 
lent frei;  die  far- 
bige Technik,  die 
er  sich  langsam 
von  den  Franzo- 
sen und  im  Zu- 
sammenarbeiten 
mit  Leibl  aneig- 
nete, wurde  ihm 
fügsames  Organ, 
gerade  das  zu 
sagen,  was  das 
beste  in  ihm  war: 
er  gab  der   ein- 


Architekt F.  J,  Wimn 


Schuh-Agraffen.   Sill'er  vergoldet. 


fachen  Freude  an 
der  farbigen  Er- 
scheinung Aus- 
druck, in  deren 
augenfrohen  Ge- 
nuf5  sich  oft  eine 
stille  Rührung 
mischt  und  die 
den  Menschen 
wunschlos  glück- 
lich u.  gut  macht. 
Das  ist  es,  was 
Sperls  Land- 
schaften.dieinall 
den  Jahren  wohl 
dasGewand.aber 
nicht  die  Stim- 
mung wechsel- 
ten, ihren  beson- 
deren Reiz  ver- 
leiht, und  auch 
den  freundlichen 
Interieurs,  so- 
lange er  auf  die 
Figur  verzichtet, 
mit  der  er  nichts 
anzufangen  weif;. 
Das  merkte  er 
bald  selbst  und 
verbannte  das 
menschliche  Mo- 
dell nach  Mög- 
lichkeit ganz  von 
seiner  Leinwand. 
—  Ein  bedeuten- 
derTechnikerwar 
er  nie,  und  es  gibt 
kaum  ein  Bild, 
das  die  höchsten 
Wirkungen  er- 
reicht, deren  Ma- 
lereifähig ist.  So 
erscheint  es  als 
nicht  gerecht, 
ihn  allzu  nahe  an 
Leibl      heranzu- 


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F.. J. Wimmer. 
Anhänger. 
Gold  mit 
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Edelsteinen. 


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rücken.  Sperl  weiß 
gewiß  selbst,  was 
ihn  von  seinem 
größeren  Freunde 
trennt.  Auch  hat  er 
gutgemeinte  Über- 
schätjung  nicht  nö- 
tig. Wer  Wollen  und 
Können  so  in  Har- 
monie zu  bringen  ge- 
wußt hat,  der  gehört 
eben  zu  den  Besten, 
gleichgültig,  wie 
nahe  er  den  letalen 
Dingen  in  der  Kunst 
gekommen  ist.  Von 
seinen  Werken  geht 
der  Friede  gut  ver- 
brachter Tage  aus. 
Und  das  ist  im 
Grunde  alles,  was 
wir  als  das  Ziel 
menschlicher  Be- 
mühung zu  nennen 
vermögen,  bk.mikr. 
Ä 

MÖNCHEN  - 
UND  BERLIN. 
(Eine  Betrachtung 
zum  Kunstschaffen). 
München  hat  das 
(ilück,  eine  Stätte 
deralten  Kultur 
und  des  alten 
Besitzes  zu  sein; 
Berlins  Schicksal  ist, 
den  Sammelplatz 
abzugeben  für  alle 
heutigen  Em- 
porkömmlinge. 
Mit  dem  Vaters- 
erbe empfängt  der 
Münchner  ein  ver- 
trautes Verhältnis 
zu  Kunst  und  Künst- 
lern; und  der  durch 
(ienerationen  ge- 
pflegte Instinkt  ent- 
scheidet sich  mit 
einiger  Selbstver- 
ständlichkeit wider 
die  Formlosigkeit. 
Der  unter  Erwerbs- 
nöten keuchende 
Berliner  kommt  auf 
solch    wohl    geeb- 


neten Pfaden  wohl 
niemals  zur  Kunst; 
seine  Sinne  sind 
entweder  gegen- 
über den  Dingen 
des  ruhigen  Genus- 
ses stumpf,  oder  er 
brennt     nach     den 

leidenschaftlichen 
Erregungen,  die 
allein  aus  jenen 
Werken  sprühen,  die 
dieSynthese  desGe- 
genwartsstrebens  in 
sich  tragen.  -  Mit 
den  Mächten  der 
Tradition  haben 
sich  natürlich  auch 
die  Künstler  aus- 
einander zu  se^en: 
Es  läßt  sich  nicht 
verkennen,  daß  an 
der  Spree  und  der 
Isar  nicht  die 
ganz  gleichen 
Unterströmun- 
gen das  Kunst- 
schaffen beein- 
flussen. Viel- 
leicht messen  wir 
dem  —  doch  nicht 
ganz  so  nebensäch- 
lichen -  Stadt-  und 
Volksgeist  zu  ge- 
ringe Bedeutung 
bei.  Der  Künstler 
mag  als  Individua- 
lität noch  so  stark 
sein,  er  wird  sich 
niemalsdenEin- 
flüssen  der   ihn 

umgebenden 

Wirklichkeit 
ganz  entziehen 
können...  schon 
deshalb  nicht,  weil 
er  sich  beständig 
mitihrauseinander- 
zuseßen  hat.  Ber- 
linische Tr  adi- 
t  ion,  die  lebendig 
und  schöpferisch 
befruchtend  wäre, 
gibt  es   nur   als 

romantische 
Sehnsucht,    die 


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—  J.  Hoffmaiin. 

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in  Literatenepisteln  von  Schinkel  her  Kurven  zie- 
hen möchte,  die  immer  wieder  in  Nichts  und  Nebel 
zerfliefjen.  Ebenso  aussichtslos  fast  wäre 
es,  in  München  Kunst  zu  suchen,  die 
neben  der  kaum  unterbrochenen  Lo- 
kaltradition entstanden  ist.  Die  Maler 
-  selbst  die  weitest 

vorgedrungenen 
Scholleleute  -  sind 
Erben  jener  Corne- 
lius,Rottmann, Kaul- 
bach, Piloty.  Archi- 
tekten wiedieSeidls 
bis  hinüber  zu  Theo- 
dor Fischer,  Hoch- 
eder  oder  Orässel 
wären  ohne  das 
Münchner  Barock, 
ohne  die  gemüt- 
liche Landsitjwürde 

Nymphenburgs, 
ohne  das  sublime 
Ciefühl  für  bewährte 
Mittel, wieesKlenze, 
Neureuther  u.  üärt- 
ner  auch  schon  hat- 
ten,in  ihrersicheren 
Art  kaum  denkbar. 
Und  der  Handwer- 
ker wird  über  alle 
Fährnisse  aufschäu- 
mender Brandungen 
getragen  durch  die- 
se    Tradition ,     die 

ihm  den  Fortschritt  erlaubt,  ohne  ihn  der  Ent- 
gleisung auszusetzen.  -  Sie  äugert  sich,  einem 
süddeutschen  Charakter-  oder  besser:  üemütszug 
entgegenkommend,  als  f  a  b  u  1  i  e  r  f  r  oh  e  Nei- 
gung zum  Illustrativen.  Behäbig  wie  der 
Mensch     auf    der    Bierbank    seine    vergnügliche 


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Weisheit  aussprudelt,  behäbig  will  der  Münchner 
vom  Kunstwerk  angesprochen  werden.  Form  und 
Farbe  sagen  ihm  rein  sinnlich  vielleicht  nicht  ihr 
Letztes;  er  braucht  dazu  noch  etwas  Geistiges, 
eine  deutbare  Schilderei,  ein  Spiel  des  Hirnes 
und  der  Phantasie.   Dem  Ingenieurideal  der  reinen 

Konstruktions-  und 
glatten  Materialwir- 
kung hat  er  sich  von 
Anfang  an  mit  einem 
kühlen  Mifjbehagen 
entgegengestellt; 
van  de  Velde  wurde 
hier  am  wenigsten 
verstanden  und  die 
Berechnungen  eines 
Behrens  wurzeln  in 
einem  dem  Süddeut- 
schen ganz  fremd- 
artigen Instinkt.  Er 
flüchtet  vor  der 
Abstraktion  und 
geniept  mit  tiefem 
Behagen  die  orna- 
mentale u.  illustra- 
tive Auflockerung 
des  Raumes,  der 
Fläche  und  des 
Kolorits.  Statt  der 
Baumassen,  wie  sie 
Bruno  Schmiß  fügt, 
werden  Fassaden 
und  Innen -Räume 
mannigfach  belebt 
durch  plastischen  Zierral,  durch  leuchtendes  Mal- 
werk, Schni^ereien  und  vielerlei  Handwerkskünste, 
die  alle  reichlich  aufgewandt  werden.  Dem 
Schmied  fällt  es  gar  nicht  bei,  durch  Hammer- 
schlag und  Konstruktionslinien  allein  wirken  zu 
wollen.    Er  fabuliert  mit   dem  Eisen,  wie   es   die 


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Diez,  Rehm,  Engels  mit  Buntglas  und  Mosaik- 
steinen tun.  Der  Buchdrucker  kann  nicht  den 
Lockungen  eines  Behrens,  Ehmcke  oder  Tiemann, 
mit  rein  typographischen  Mitteln  zu  arbeiten, 
folgen;  er  sieht  sich  immer  wieder  genötigt, 
nach  der  plauderhaften  Vignette  zu  greifen,  und 
auch  der  Kaufmann 
hält  es  in  seinen  Re- 
klamedingen  mit  die- 
ser bewährten  und 
beliebten  Art.  -  Der 
Berliner  hat  nicht 
diese  Beschau- 
lichkeit vor  den 
kleinen  und  grofien 
Dingen  der  Kunst. 
Er  ergänzt  auch  nicht 
einen  fein  angejahr- 
ten Altväterhausrat. 
Wie  der  größte  Teil 
der  Reichshauptstadt 
heule  und  gestern  em- 
porgeschossen ist, 
blickt  er  mit  einiger 
Vorliebe  immer  nach 
dem,  was  sich  für 
morgen  u.  übermor- 
gen ankündigt.  Und 
dieses  handgreifliche 
Emporschiej^en  weckt 
Kräfte  der  Orga- 
nisation und  tek- 
tonischen  Diszi- 
plin, die  dem  Men- 
schen so  sehr  ins  Blut  übergehen,  daß  er  sie  in 
den  Äußerungen  der  Kunst  wiederfinden  will.  Den 
aller  Gemütlichkeit  baren  Rhythmus  der  Hoch- 
bahn will  er  verspüren  in  dem  Bauwerk,  dem  Ge- 
mälde, der  Plastik  und  dem  Kunstindustriegebilde. 
In  dem  Sausen  der  Maschine,  von  dem  Spiel  der 


Kurbeln,  Wellen  und  Räder  hat  er  gelernt,  aus 
dem  Organismus  und  aus  organischen  Bewe- 
gungen eine  Epik  herauszuhören,  die  der  Mün- 
chner mit  der  Fülle  seiner  Symbole  und  Embleme 
zu  entwid<eln  pflegt.  -  So  ist  es  dem  Berliner  zu- 
bestimmt,    mancherlei     Entgleisungen     zu 

erliegen.      Er    hat 
den  Mut,  den  kecken 

Wagemut,  dem 
Sprung  ins  Dunkle 
derZukunftentgegen- 
zujagen.  Er  hascht 
mit  Eifer  nach  dem 
Morgigen,  ohne  In- 
stinkt genug  zu  ha- 
ben, um  zwischen  der 
Saisonmode  und  dem 
Dauerwert  zu  unter- 
scheiden, ohne  ge- 
deckt zu  sein  durch 
den  Rückhalt,  den 
der  Münchner  in 
seiner  Tradition 
besitzt.  Sie  sichert 
ihm  immer  einen  ge- 
wissen Chic,  bewahrt 
ihn  vor  den  proble- 
matischen Entartun- 
gen, die  im  Brakwas- 
ser neuer  Kulturzu- 
stände stets  auftrei- 
ben, macht  die  Fort- 
entwicklung, wie  alles 
Entstehende,  mensch- 
licli  freundlicher  und  sinnlich  gefälliger.  Alle  Kunst- 
zweige, wie  die  verschiedenartigen  Äußerungen 
selbst,  können  so  verschweißt  werden  zu  einem 
einheitlich  gleichwertigen  Niveau  -  während  der 
Berliner  als  Individualist  seinen  Einzel- 
kampf durchzufechten  hat.  -  i'aiu. wf.stheim. 


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WALTER  GEORGI  -  LVKLSKUHE.     GEMÄLDE:  »DAME  MIT  ASTERN« 


PROFESSUR  WALTER  GEORGI. 


Gemälde :    »Am  Parkweilier« 


WALTER  GEORGI-KARLSRUHE. 


VON    WILLY    KRANK     MUNXHEN. 


\  ^orzwei  Jahren  hatPaulKühn  an  dieser  Stelle 
'  mit  feinen,  klugen  Worten  das  Schaffen 
Walter  Georgis  gedeutet.  Was  in  der  Zwischen- 
zeit neu  entstanden  ist,  ehrt  des  Künstlers  rü- 
stiges Vorwärtsstreben.  Und  nur  dieses  kann 
füglich  von  einem  fast  Vierzigjährigen  erwartet 
werden,  keine  Überraschungen,  für  die  übrigens 
Georgis  gesunde  und  dem  Festen  zugeneigte 
Natur  niemals  disponiert  gewesen  ist. 

Von  Anfang  an  verbanden  sich  mit  seinem 
Namen  ruhevolle,  klare  Eindrücke,  Eindrücke, 
in  denen  nicht  bloß  das  Können  einer  guten 
Hand,  sondern  auch  viel  menschliche  Tüchtig- 
keit zu  spüren  war.  Die  neuere  Kunstbetrach- 
tung beachtet  dieses  ethische  Moment  im  Kunst- 
schaffen immer  mehr.  Der  Aberglaube  der  Äs- 
theten, daß  die  künstlerische  Produktion  mit 
dem  Ethos  ihres  Schöpfers  nicht  das  Mindeste 


zu  tun  habe,  hat  die  längste  Zeit  gedauert.  Wir 
werden  immer  empfänglicher  für  die  Zusammen- 
hänge, die  zwischen  der  Welt  der  künstlerischen 
und  der  Welt  der  ethischen  Werte  bestehen. 
Was  an  Georgis  Schaffen  wertvoll  und  bleibend 
ist,  fließt  ziemlich  unmittelbar  aus  der  Gesund- 
heit und  Kraft  seines  menschlichen  Wesens. 

Seit  dem  Jahre  1908  hat  Georgi  seinen  Weg 
von  München  nach  Karlsruhe  gelenkt,  wo  er  an 
der  Kunstakademie  eine  Lehrstelle  bekleidet. 
Daß  er  die  kurze  Spanne  Zeit  gut  genutzt  hat, 
bewiesen  seine  Ausstellungsdaten.  Die  Inter- 
nationale Kunstausstellung  im  Glaspalast  1909 
sah  von  ihm  das  treffliche  Interieur  „In  der 
Küche",  die  Sezession  1910  die  hier  abgebil- 
dete „Dame  mit  Astern".  Das  neue  Haus  Brakl 
beherbergt  eine  dekorative  Meisterleistung  „  Der 
FrühHng  zieht  vorbei " .  Die  Hauptfarben,  welche 


191011.  111.  1 


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Wa//er  Geoiei  Karhruln: 


l'KOhESSOR  WALTER  GEl>RGI     KARLSRUHE.   »Schwäbin« 

das  Bild  beherrschen,  sind;  ein  starkes  Gelb, 
Grün,  Blau  in  verschiedenen  Abstufungen 
und  Rotviolett.  In  den  Räumen  der  Aus- 
stellung „München  in  Paris"  (Herbstsalon 
1910]  befindet  sich  das  große  Tafelbild 
„Dame  am  Weiher",  in  Venedig  1910  vi'ar 
das  „Mädchen  in  Blau"  zu  sehen.  Einen 
künstlerischen  Erfolg  ersten  Ranges  bedeu- 
ten vollends  die  dekorativen  Friese  auf  der 
Brüsseler  Weltausstellung.  In  ihnen  ist  ein 
Befähigungsnachweis  für  das  Dekorative  ge- 
geben, der  sicherlich  nicht  unbemerkt  und 
ungenutzt  bleiben  wird.  Die  Friese  sind  für 
den  Empfangs-  und  Festraum  des  deutschen 
Hauses  gedacht  und  geben,  der  Bestimmung 
des  Hauses  gemäß,  dem  einfachen  Gedanken 
des  Empfanges  von  Gästen  und  der  Fest- 
lichkeit selbst  Ausdruck.  Etwas  anderes 
wollen  sie  nicht  darstellen.  Die  Farben  sind : 
ein  ziemlich  neutrales  Grau  —  darauf  stehen 
Blaus  in  verschiedenen  Schattierungen  vom 
stärksten  bis  zum  schwächsten  (in  den  Klei- 
dern) und  als  Kontrastwirkung  dazu:  ein 
helles  Schwefelgelb  in  der  Luft.  Um  die 
Farben  -  Akkorde  zu  bereichern,  kommen 
hinzu:  ein  Violettrosa  in  den  Rosengirlanden 


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und  ein  stumpfes  Grün  in  der  Landschaft.  — 
Georgi  ist  seit  Jahren  nicht  mehr  Mitglied  der 
Münchner  „Scholle".  Daß  er  trotzdem  auf  das  In- 
nigste mit  ihr  zusammenhängt,  lehrt  jeder,  wenn 
auch  flüchtige  Blick  auf  seine  Produktion.  Beson- 
ders die  Bildnisse.  Hier  begegnen  wir  jenen  klang- 
vollen, wohllautenden  Farben,  jener  stolzen,  zeich- 
nerischen Geberde,  jener  breiten,  lockeren  Pinsel- 
sprache, die  die  auszeichnenden  Merkmale  der 
„Scholle"  bilden.  In  der  „Scholle"  hat  ja  von  jeher 
einer  vom  andern  gelernt,  und  gerade  dadurch 
hat  diese  Künstlervereinigung  ihre  charakteristi- 
sche Gesamt-Physiognomie  erhalten.  Die  Bild- 
nisse enthüllen  bei  eingehenderem  Studium  koni- 
positionelle  Qualitäten,  die  auf  dem  Wege  der 
Überwindung  naturalistischer  Nachlässigkeit  einen 
wesentlichen  Schritt  nach  vorwärts  bedeuten.  Die 
Verteilung  der  Massen  ist  stets  bis  ins  Kleinste 
geglückt.  Man  lieachte  beispielsweise,  mit  wie 
feinem  Gefühl  auf  dem  Gemälde  „Dame  mit  Astern" 
die  große  Blumenvase  in  eine  leere  Stelle  des 
Bildes  gerückt  ist,  das  dringend  nötige  Gegen- 
gewicht zu  dem  Kopfe  und  dem  oberen  Blumen- 
strauße liefernd.  Zugleich  ergibt  die  Gewand- 
kontur mit  den  beiden  Blumenarrangements  eine 
wirksame  Diagonale,  der  eine  andere,  schwächere 
(Fußspitze,  Ecke  der  Kommode,  Statue)  reizvoll 
begegnet;  der  Schnittpunkt  liegt  ziemlich  genau  in 
der  Mitte   des  Bildes,    das   dadurch    eine    innere 


W.VLTER  GEORGI-  KARLSRTHE. 


^An  der  grünen  Türe 


PROF.  W.  GEORGI-  KARLSRUHK. 
GEM-iLDE;     iDAME    IN    BLAUEM    KLEID« 


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III 


WALTER  CiEORGI     KARLSRUHE. 


C.EMALUE:       .MAiJCllt.N    AM    \\  A.-^LK 


ii 


PROFESSOR   \VALTP:R  GEORGI    KARLSRUHE. 


FRIES  IM  VESTIBÜL  DES  DEUTSCHEN  HAUSES  AUF  DER  WELT-AUSSTELLUNG  BRÜSSEL. 


Walter  Georf^i— Karlsruhe. 


PKOtEbbOK 
WALT.  GEOKl.l- 
KARLSRUHE. 


KINDER  DES 

iik.  H.,  kari.sk. 


Stabilität  erhält,  die  zu  der  harmonischen  Wir- 
kung des  Ganzen  nicht  wenig  beiträgt.  Oder 
man  prüfe  nach,  wie  genau  in  dem  Bildnis  „An 
der  grünen  Türe"  die  Helligkeiten  quantitativ 
den  Dunkelheiten  entsprechen.  Das  alles  wird 
klar,  wenn  man  hört,  welche  sorgsame  Vorar- 
beit der  Künstler  gerade  auf  den  kompositio- 
neilen Aufbau  verwendet.  Die  Fleckenwirkung 
und  Massenverteilung  eines  jeden  Bildes  wird 
von  Georgi  vorher  in  kleinstem  Maßstabe  sorg- 
fältig ausgearbeitet  und  nichts  bleibt  in  seinen 
Arbeiten  dem  Zufalle  überlassen. 

Einen  nicht  geringen  Vorzug  seiner  Kunst 
wird  man  auch  in  der  sicheren,  festen,  die  For- 
men voll  erschöpfenden  Zeichnung  der  Figuren 
finden.  Daß  Georgi  von  der  Zeichnung  her- 
kommt, wird  jedem  klar,   wenn   er  die  starke. 


jedoch  keineswegs  undelikate  räumliciie  Wir- 
kung seiner  Bilder  und  Lithographien  ins  Auge 
faßt.  Unter  seiner  breiten,  zügigen  Malweise 
geht  von  dieser  Erfassung  auch  der  kleinsten 
Raumunterschiede  (denn  das  sind  die  „For- 
men") nicht  das  Mindeste  verloren.  Man 
könnte  Künstler  genug  nennen,  zumal  unter 
den  Mitgliedern  der  „Scholle"  sind  solche  zu 
finden,  zu  denen  Georgi  gerade  in  dieser  Hin- 
sicht in  erquickendem  Gegensatze  steht. 

Neuerdings  beginnt  Georgi  neben  dem  Figür- 
lichen und  der  Landschaft  auch  das  Stilleben 
intensiver  zu  pflegen.  Das  kann  man  wohl  als 
eine  natürliche  Folge  oder  Äußerungsform  sei- 
ner künstlerischen  Mittel  betrachten,  denen,  wie 
bei  der  ganzen  Scholle,  das  Stillcbenhafte  ge- 
wissermaßen im  Blute  steckt.    —  w.  v. 


193 


E.  W.  Bredt- München: 


WALTER  C.EORGI. 


(icmälde:   »Stilleben« 


KÜNSTLER  UND  HELDEN. 


ViiN    I'.  \V.    IIKI-.IJI      MUM  HI..\. 


Wie  sind  wir  doch  durcli  trockenen  Ästhe- 
tizismus  an  frischem  Kunstgenuß  verarmt ! 
Wenn  wir  in  den  Galerien  uns  nicht  so  wilhj^ 
mit  Kunstphrasen  abfüttern  Heßen,  wenn  wir 
uns  selbst  mehr  um  die  Künstler,  die  die 
großen  Werke  jSeschaffen  haben,  kümmerten, 
statt  um  ästhetische  Wertunfjen,  die  gerade  gang 
und  gebe  sind,  wir  würden  reicher,  viel  reicher, 
viel  glücklicher  heimkehren.  Die  großen  Künst- 
ler sind  Helden,  weil  sie  große  Menschen  sind. 
Man  verstehe  das  freilich  nicht  im  Sinne  einer 
bekannten  Schul-  und  Kirchenmoral  —  das 
große  Menschentum  kennt  keine  Schranken 
solcher  Art.  Die  Künstler  sind  Helden,  die  sich 
opfern  ihrem  großen  Wollen,  einem  egoistischen 
Ideal,  das  der  Menschheit  zu  Gute  kommt. 
Helden  sind  Kämpfer.  Aber  man  muß  nun  nicht 
meinen,  der  Künstler  müsse  immer  zeigen,  daß 
und  wie  er  kämpfe.  Auch  in  der  Passivität  liegt 
Kampf  und  Energie. 

Wie  schade  um  uns,  die  wir  nun  aus  den 
Werken  der  toten  Meister  Theorien  machen, 
Ilemnumgen  für  die,  die  unter  uns  wieder  Neues 
erwirken.   Auch  die  Bildwerke  sind  Bücher  der 


Weltgeschichte.  Eine  Palissyschüssel  ist  mir 
nicht  nur  keramisch  interessant  und  wertvoll  — 
sie  spricht  mit  mir  von  seinem  Schöpfer,  dem 
Töpfer  ohnegleichen,  Bernard  Palissy.  Wie  der 
alles  und  alles  opfert  an  Besitz  und  Glück,  um 
endlich  das  Problem  zu  lösen.  —  Aber  über 
alle  Alten  und  Neuen  urteilen  wir  rasch  mit 
klischierten  ästhetischen  Sprüchen,  die  Tat  der 
Lebenden  ist  vergessen.  Wie  wird  jetzt  Manets 
Malerei  als  alleinführend  gepriesen!  —  Gewiß, 
sie  gibt  den  Malern  vieles.  Aber  ist  nicht  das 
Suchen  und  Probieren,  das  Lernen 
und  Drauflosgehen  des  jüngeren  Ma- 
nct,  dies  heldenhafte  Eintreten,  dies  Lachen 
über  Spott  und  Hohn  das  Wertvollere  für  alle 
Zeiten,  alle  Menschen?  — 

Es  wäre  an  der  Zeit  für  uns,  das  Leben  der 
großen  Künstler  einmal  gründlich  kennen  zu 
lernen;  wir  müssen  nicht  nur  wissen,  in  was 
ihre  Größe  besteht,  welches  ihr  Ideal  war  — 
nein,  wichtiger  ist  uns,  zu  wissen,  wie  sie  ihr 
Ideal,  ihre  Schönheit,  ihren  Ruf  erkämpft.  Ge- 
gen welche  Gewalten  des  Stumpfsinns,  der  Au- 
torität, der  Bosheit.  —  Es  ist  ärmlich,  daß  wir 


194 


Künstler  7ind  He/dt 


■II. 


uns  ästhetisch  abfinden  mit  den  fertigen  Tat- 
saciien,  nicht  Lust  haben,  den  Werdenden  von 
früher  nachzugehen.  So  kommt's,  daß  wir  die 
großen  Künstler  auffassen  nicht  wie  unseres- 
gleichen,  sondern  wie  Wesen  jenseits  jeder  Be- 
ziehung zu  menschlichen  Erlebnissen. 

Weil  Künstler  nicht  gleich  und  gleich  sind 
den  Philistern  und  nicht  den  eingebildeten 
Kaffeehausgrößen,  die  auf  Hilfe  der  Künstler 
und  auf  die  gute  Stunde  der  Eingebung  warten, 
deshalb  gerade  mußten  wir  die  Folie  kennen 
lernen,  d.  h.  die  kleine  Menschheit,  die  kleine- 
ren Künstler,  von  denen  sich  die  Figuren  der 
großen  Künstler  abheben.  Goethe  übertrug  uns 
Benvenuto  Cellinis  Autobiographie  auch,  um 
uns  Einfluß  und  Wert  des  rein  menschlichen 
in  allem  Künstlertum  groß  und  stark  fühlen  zu 
lassen.  Freilich,  das  wäre  Irrtum,  nur  die  als 
Künstler-Helden  zu  würdigen,  deren  Taten  so 
laut,  deren  Gewänder  so  bunt,  deren  Gesten 
so  effektvoll  wie  die  des  Cellini.  Doch  man 
braucht  ja  nur  an  Rembrandt  oder  Millet,  an 
Turner,  Schinkel  oder  --  Messel  zu  denken, 
um  ergriffen  zu  werden  wie  von  einem  Drama, 


nicht  der  Bühne,  aber  der  Welt.  —  Das  Leben, 
nicht  die  abgeleitete  Theorie,  nicht  die  ästhe- 
tische Formel  aus  den  Werken  der  Großen  gibt 
uns  Lust  an  der  Kunst,  Lreude  und  Führung. 
Das  Leben,  nicht  Ästhetizismus,  lehrt  uns  Tech- 
nik, Handhabung  der  Mittel,  Schulung  der  Mei- 
ster erkennen.  Und  was  wir  im  Leben  der  Alten 
erschaut,  das  Überhören  oder  das  Erwidern  des 
Spotts  der  Menge,  das  ruhige,  feste  Vorwärts- 
schreiten oder  das  Straucheln  unserer  Helden 
—  das  schärft  uns  den  Blick  für  die  werden- 
den künstlerischen  Persönlichkeiten  von  heute. 
Der  I^unstgeschichte  sind  wohl  manche  über- 
drüssig —  wer  aber  wird  an  der  Künstlerge- 
schichte nicht  Freude  haben?  Mehr  als  bisher 
sei  uns  das  Werden,  das  Suchen  und  Kämpfen 
der  Künstler  Führung  zu  ihren  Werken,  denn 
auch  beste  Formeln  aus  reifsten  Taten  bleiben 
ohnedies  toter  Besitz,  Künstler  sind  Helden  — 
das  heißt  Kämpfer  und  Führer  —  nicht  Lehrer. 
Denn  nicht  ein  geistreich  konstruiertes  Ästheten- 
tum,  sondern  ein  starkes,  volles,  ganzes  Men- 
schentum macht  den  Künstler  groß  —  läßt  ihn 
wohnen  auf  den  Höhen  der  Menschheit,  — 


I'KOKE.SSOR  WALTER  GEORGI     K.\RLSRUHE.       »-Stilleben« 


195 


'K')\-.   WAl.TKR    (ilviiRCil     IvARI.SRl'IIK, 

<!KMÄI.I)E    IM   SPEI.SK-/1MMKK   DES   HAUSES  BRAKI., 


HANNS  PELLAR      MÜNCHEN. 


Gemälde;  -Die  Rivalen« 


i 

s 


MODERNE  GALERIE-MÜNCHEN. 


Ein  Jahr  ist  seit  Begründung  der  Modernen 
Galerie  ins  Land  gegangen.  Wenn  ich  hier 
über  dieses  Unternehmen  einige  Worte  zu  sagen 
habe,  so  ist  nicht  von  Versprechungen  und  Er- 
wartungen, sondern  von  Leistungen  und  Er- 
füllungen zu  reden.  Die  intime,  elegante  Kunst- 
stätte im  altberühmten  Arcopalais  bildet  heute 
schon  einen  der  wichtigsten  Faktoren  des 
Münchner  Kunstlebens.  Ihre  Mitarbeit  könnte 
jetzt  nicht  mehr  entbehrt  werden. 

Zu  den  hervorstechendsten  Zügen  im  Münch- 
ner Kunstleben  zählte  seit  langer  Zeit  eine  all- 
zuängstliche, allzukleinbürgerliche  Abgeschlos- 
senheit gegen  das  Fremde.  Die  Neigung,  Fremdes 
zu  bewundern,  die  man  den  Deutschen  im  All- 
gemeinen so  gerne  vorwirft,  ist  dem  Münchner 
Kunstleben  immer  fremd  gewesen.  Schon  Berlin 
galt  hier  lange  Zeit  als  künstlerisches  Ausland, 


mehr  noch  Frankreich,  obwohl  dieses  in  der 
ganzen  zweiten  Hälfte  des  19.  Jahrhunderts 
stets  die  entscheidenden  Anregungen  zur  Fort- 
entwicklung der  Malerei  gegeben  hat. 

In  diese  Abgeschlossenheit  ist  durch  die  Arbeit 
der  Galerie  Thannhauser  endgültig  Bresche  ge- 
legt. Gewiß,  auch  vor  Bestehen  der  Modernen 
Galerie  haben  wir  französische  Künstler  als 
Gäste  in  unseren  Salons  gesehen.  Allein  die 
Galerie  Thannhauser  bringt  Ausländisches  häu- 
figer und  gewissermaßen  programmatischer.  Eine 
Art  Arbeitsteilung  hat  sich  jetzt  unter  unseren 
Salons  herausgebildet.  Im  letzten  Jahre  haben 
alle  bedeutenderen  Vorführungen  französischer 
Kunst,  die  München  sah,  in  der  Modernen 
Galerie  stattgefunden.  Man  sah  dabei,  wie 
viele  Lücken  es  da  noch  auszufüllen,  wie  viel 
Versäumnisse  es  noch  nachzuholen  gibt.    Gleich 


191Ü/U.  111.  2. 


199 


Wilhelm  Gchhard —München  : 


HANNS  PEI.LAR      MÜNCHEN. 


am  Anfange  die  etwa  sechzig  Werke  umfassende 
Impressionisten- Ausstellung:  sie  brachte  die 
ersten  vollwertigen  Degas  hierher  und  zeigte 
auch  einige  Renoirs,  die  von  diesem  über- 
ragenden Künstler  mehr  zu  erzählen  wußten, 
als  die  paar  wertlosen  Atelierabfälle ,  mit 
denen  er  bisher  in  München  vertreten  gewesen. 
Januar  1910  kamen  Kuno  Amiet  und  Giov. 
Giacometti,  Namen,  die  schon  Jahrzehnte 
lang  die  Spalten  unserer  Zeitschriften  erfüllt 
hatten,  bis  München  endlich  bei  dieser  Gelegen- 
heit auch  ihre  Werke  kennen  lernte.    Mehrere 


Ausstellungen  machten  dann  mit  dem  Schaffen 
der  jungen  Pariser  bekannt;  dann  kam  die 
interessante  Kollektion  Felix  Valloton,  dann 
als  Glanzstück  die  Manet- Sammlung  Pelerin, 
eine  Veranstaltung,  die  große  Opfer  kostete, 
die  aber  auch  das  Wissen  und  die  Einsicht 
jedes  Besuchers  wesentlich  erweitert  hat.  Bald 
darauf  folgte  die  umfassende  Ausstellung  Paul 
Gauguin.  Von  diesem  Künstler,  der  seit 
langem  im  Vordergrunde  des  Interesses  steht, 
waren  in  München  bisher  vielleicht  zehn  neben- 
sächliche Werke  bekannt.     Hier  endlich  kam 


200 


Mode)  -iie  Galerie  -Mwuhen. 


HANNS  PELLAR— MÜNCHEN. 

für  die  Masse  der  Gebildeten  die  Gelegenheit, 
sich  über  den  umstrittenen  Künstler  ein  eigenes 
Urteil  zu  bilden. 

Als  die  erste  Aufgabe,  die  die  Moderne  Galerie 
übernommen  und  gelöst  hat,  kann  also  die 
Erweiterung  der  Kenntnis  auswärtiger  Kunst 
genannt  werden. 

Die  zweite  Funktion,  die  die  Galerie  Thann- 
hauser  hingebend  und  gewissenhaft  erfüllt  hat, 
war  die  Aufgabe,  dem  lokalen  Kunstleben  neue 
Erscheinungen  zuzuführen,  sich  einzusetzen  für 
junge  Kräfte,  die  von  der  Kritik  noch  nicht 
bewertet  waren   und   ihre  Anziehungskraft  auf 


Gemälde:   »Der  erste  Kuß« 

das  Publikum  noch  nicht  erprobt  hatten.  Man- 
chem jungen  Künstler  hat  die  Moderne  Galerie 
in  den  zwölf  Monaten  ihres  Bestehens  den  Weg 
in  die  Öffentlichkeit  gebahnt.  Wenn  heute  in 
München  die  Dinge  so  liegen,  daß  kein  wirklich 
begabter  junger  Künstler  über  dauernde  Ver- 
nachlässigung zu  klagen  hat,  so  hat  daran  die 
Arbeit  der  Modernen  Galerie  einen  wesent- 
lichen Anteil.  Einige  kühne  Griffe,  die  Thann- 
hauser  auf  der  Suche  nach  neuen  Erscheinungen 
tat,  waren  außerordentlich  glücklich.  Ich  er- 
innere an  die  erfolgreiche  Herausstellung  des 
eminenten  Talentes  unseres  Max  Mayrshofer, 


201 


Wi/helm  Gcbhard  Mümlicn  : 


HANNS  PELLAR  -MÜNCHEN. 


das  Jahrzehnte  lanj5  in  selbst}|ewählter  Ob- 
skurität verharrte,  während  es  licule  einen  Ruf 
von  europäischer  Bedculun;!  {Senicßt.  Ebenso 
ist  Julius  Seyler,  die  beste  jun}>e  Kraft  der 
Zügelschule,  herausgestellt  worden,  und  der 
Stuckschüler  Hanns  PcUar. 

Glänzende  Kollektionen  vonSlevogt,  Corinth, 
Hübner,  llabermann,  Oßwald,  Tooby,  Julius 
Heß  vervollständigen  das  Tätigkeitsbild  der 
Galerie.  Daß  in  ihren  Beständen  die  Münch- 
ner Kunst  stark  vertreten  ist,  versteht  sich  von 
selbst,  außer  Habermann,  Oßwald,  Tooby  und 
Heß  noch  Weisgerber,  Pietzsch,  Zügel,  Hengeler, 
Bauriedl,  daneben  größere  und  kleinere  Kollek- 
tionen von  Lieberniann ,  Leibl ,  Trübner.  — 
Eines  ist  besonders  hervorzuheben:  in  der  gan- 


Gemälde:    »Adoptiert« 


zen  Haltimg  der  Galerie,  in  ihrer  Aufmachung 
wie  in  ihrem  Ausstellungs-Repertoire  bemerkt 
man  eine  moderne,  großzügige  Art.  Nirgends 
drängt  sich  der  Eindruck  kurzsichtiger  Geschäft- 
lichkeit auf  oder  ängstlichen  Beugens  vor  dem 
Geschmacke  der  Zahler.  In  einigen  Fällen  ging 
die  Galerie  Thannhauser  mit  Dingen  heraus, 
von  denen  von  vornherein  anzunehmen  war, 
daß  sie  den  heftigsten  Anfeindungen  begegnen 
würden.  Auch  ich  zähle  nicht  zu  Denen,  die  die 
Extravaganzen  der  Neuen  Münchner  Künstler- 
vereinigung positiv  bewerten.  Allein  um  so 
herzlicher  muß  der  Mut  anerkannt  werden,  mit 
dem  ein  geschäftliches  Institut  —  denn  das  ist  - 
jeder  Kunstsalon  —  gegen  sein  nächstes  kauf- 
männisches  Interesse    es   gewagt   hat ,    solche  1 


■  ■■ 


2U2 


Moderne  Galerie— 3 fü?ic/icii. 


künstlerische  Kontrebande  mit  seiner  Flagge 
zu  decken.  Der  Dank  aller  an  der  Kunst 
Interessierten  gebührt  solchem  Verfahren. 
Denn  es  ist  unter  allen  Umständen  nötig,  die 
neuen  Tendenzen,  seien  sie  auch  Verirrungen, 
kennen  zu  lernen;  nötig  ist,  daß  diese  Tenden- 
zen zu  Worte  kommen,  sonst  schafft  man  ein 
falsches  Märtyrertum.  Die  den  Vorteil  von  die- 
ser großzügigen  Art  haben,  das  sind  die  großen 
Kreise  der  Kunstinteressenten,  In  ihrem  Dienste 
hat  die  Moderne  Galerie  dieses  erste  Jahr  über 
in  einer  Weise  gearbeitet,  die  für  ein  Geschäfts- 
haus ungewöhnlich  genannt  werden  muß.  — 
Von   der   Raumwirkung   des    großen   Parterre- 


saales geben  unsere  Abbildungen  einen  Begriff. 
Er  hat  ein  prachtvolles,  vornehmes  Licht  und 
läßt  nichts  von  der  Langeweile  spüren,  die  so 
manchen  ähnlichen  Raum  kennzeichnet.  Die 
architektonische  Disposition  rührt  von  Dr.  Paul 
Wenz  her.  Ein  eigenartiges,  reizvolles  Entree 
bilden  die  „Vier  Jahreszeiten"  von  R.  M. 
Eichler,  charakteristische  figürliche  Szenen 
mit  weiten  landschaftlichen  Horizonten  in  kräf- 
tige Halbrundbogen  hineingesetzt,  lauter  her- 
vorragende kompositionelle  Arbeiten,  die  trotz 
des  geringen  Rücktritts  ausgezeichnet  wirken. 
Ich  stehe  nicht  an,  sie  zu  den  besten  Werken 
des  Künstlers  zu  rechnen. 


W.  GKBH.XRn-MUN'CHEN. 


HANNS  PELL.\R--  MÜNCHEN.  IM  besitze  der  modernen  g.u-erie  thanshai'ser — München. 


Gemälde:  »Libelle 


2Ü 


■yi 


BERNHARD  HOETfiER.     marmor. 


204 


BERNHARD  HOETGER.     Marmor. 


20  5 


206 


GEORG  KOLRE- 
BERLIN. 


WEIBLICHER 
TORSO. 


BILDHAUER  GEORG  KOLBE-BERLIN. 

VON  LOTHAR  BRIEGER-WASSERVOGEL. 


Georg  Kolbe  ist  1877  geboren.  Er  besuchte 
zuerst  die  Münchner  Akademie,  suchte 
dann  die  Academie  Julien  in  Paris  auf  und 
ging  schüeßhch  nach  Rom ,  das  ihn  Jahre  lang 
fesselte  und  wo  er  selbständig  arbeitete.  Ur- 
sprünglich sah  er  als  sein  eigentlich  Kunstge- 
Met  die  Lithographie  an ;  eine  Anzahl  seiner 
ISlätter  erschienen  denn  auch  z.  B.  in  der  Mün- 
thener  „Jugend"  und  machten  zuerst  auf  ihn 
aufmerksam.  Ihnen  allen  sind  ein  gewisses 
Pathos  der  menschlichen  Gestalt,  eine  Vehe- 
menz der  Bewegung  gemeinsam,  welche  zeigen, 
daß  sich  der  Künstler  schon  damals  mit  ana- 
tomischen Problemen  trug,  die  oft  bereits  eigent- 
lich über  den  Rahmen  des  lithographischen 
Blattes  hinausreichten.  In  Rom,  welches  auch 
das  für  diese  Entwicklung  sehr  signifikante 
Blatt  „Prometheus"  gebar,  entstehen  dann  seine 
ersten  plastischen  Arbeiten  unter  der  Leitung 


Tuaillons,  und  als  er  vor  fünf  Jahren  etwa  nach 
Berlin  übersiedelte,  war  er  bereits  vollkommen 
zur  Plastik  übergegangen  und  hatte  damit  die 
seiner  Persönlichkeit  adäquate  künstlerische 
Basis  endgültig  gefunden.  Heute  ist  er  unter 
unseren  jungen  sich  regenden  Kräften  zweifel- 
los eine  der  zukunftsreichsten. 

Das  Überraschende  an  der  plastischen  Arbeit 
Kolbes  ist  zunächst  die  ungeheuere,  leider  über- 
aus seltene  Selbstverständlichkeit,  mit  der  er 
alles  vor  ihm  Geschaffene  gewissermaßen  als 
nicht  vorhanden  betrachtet  und  aus  seinem  Ge- 
sichtssinn, seiner,  wenn  man  will,  Auffassung 
heraus  seine  plastischen  Prinzipien  ex  funda- 
mento  aufbaut.  Das  ist  richtig  zu  verstehen : 
man  fühlt  wohl  auch  Vorbilder,  ohne  deswegen 
in  die  antiquierte  Torheit  zu  verfallen,  dieselben 
namenweis  aufmarschieren  zu  lassen,  als  wären 
sie  Lehrmeister.  Der  Engländer  hat  für  Künstler 


1910/11.  111.  3. 


2ü7 


Lothar  Bries^er-  Wasservos^el: 


GEORG  KOLBE  -ISERLIN.       »Streitende  Mackhen« 

von  Kolbes  Eigenwuchs  die  prägnante 
Charakterisierung  „he  is  broken  off  from 
all  perconceived  ideas".  Es  gibt  im 
Deutschen  noch  keine  gleichwertigen 
Ausdrücke  für  dieses  „broken  off"  und 
dieses  „perconceived".  Der  ganz  seltene 
Fall  einer  durchaus  persönlichen  Bega- 
bung liegt  eben  vor,  eines  Künstlers,  der 
mit  von  keinerlei  ästhetischen,  techni- 
schen oder  gar  ethischen  Prinzipien  von 
vornherein  bestimmtem,  also  falsch  ge- 
richtetem Blicke  in  die  Welt,  seine  Welt 
hinausschaut.  Die  plastische  Kunst  ist 
dem  Leben  gegenüber  Konzentration. 
Sie  will  nichts  „Anderes",  und  sie  will 
auch  nicht  das  „Schöne"  geben,  der  Ge- 
danke an  Wirkimgen  irgend  welcher  Art 
macht  die  Kunst  sofort  unkeusch  und 
drückt  sie  auf  eine  der  Selbständigkeit 
und  der  möglichen  Größe  ermangelnde 
Stufe  hinab.  Das  ist  es  ja  eben,  woran 
wir  heule  in  der  Kunst  leiden  :  dieser 
Überschuß  an  Wissen  gedanklicher  und 
historischer  Natur,  das  in  seiner  kom- 
pakten Masse  doch  nur  hinderliches 
Vorurteil  ist.  Die  wahre  „Wirkung" 
eines  Kunstwerkes  beruht  auf  dem  stär- 
keren oder  schwächeren  Gelingen  dieser 


20S 


Konzentration,  im  Maße  ihrer  Fähigkeit 
beruht  die  Bedeutung  des  Bildners.  Da 
es  eine  Konzentration  des  Gesehenen 
bedeutet,  ist  der  wirkliche  Bildner  stets 
durchaus  ein  „Kind  seiner  Zeit",  steht 
ganz  auf  ihrem  Boden  und  erscheint  dem 
Befangenen  zugleich  als  Revolutionär, 
weil  er  eben  in  seinem  Material  konzen- 
triert, was  die  vorher  gültige  Kunst  natur- 
gemäß nicht  schaffen  konnte.  Und  dann 
hat  er  noch  gegen  all  die  schwächeren 
Begabungen  zu  kämpfen,  die  im  Banne 
des  Traditionellen  nie  zu  einem  bleiben- 
den Werke  kommen,  in  ihm  merkwür- 
diger Weise  einen  pietätlosen  Neuerer 
sehen  und  jener  Naivität  des  Auges 
ermangeln,  die  dem  echten  Künstler 
nicht  fehlen  darf  und  notwendig  ist, 
ehe  die  schaffende  Arbeit  des  Kunst- 
verstandes beginnen  kann.  GeorgKolbe 
besitzt  diese  Vorbedingungen  einer  ech- 
ten und  überdauernden  Kunst  in  einem 
sehr  hohen  Maße  ;  ich  wüßte  in  Deutsch- 
land beinahe  keinen  Bildhauer,  der  sie 
in  gleicher  Stärke  von  Hause  aus  mit- 
brächte. Noch  jung  und  in  der  erfreu- 
lichsten Entwicklung,  schafft  er  fast  in 


GEORC.  KOLEE     BERLIN. 


»Ringende  Kinder« 


■  ' 
Uli 


Georg  Kolbe— Berlin. 


jedem  seiner  Werke  einen  neuen 
Keim,  in  dem  man  schon  mit  Ver- 
gnügen die  kommende  goldne  Ähre 
ahnt.  Er  ist  tatsächlich  in  einer  mit 
Tradition  überladenen  und  daher 
trotz  aller Produktivitätnicht  eigent- 
lich produktiven  Zeit  merkwürdig 
traditionslos,  ohne  Brücken  in  der 
Vergangenheit,  über  die  er  hätte 
schreiten  müssen,  wenn  man  nicht 
etwa  das  der  echten  Kunst  jeder 
Zeit  eigene  Sich  ans  Lebende  Hal- 
ten gar  für  eine  solche  Brücke  neh- 
men will.  Seine  Zukunft  ist,  daß 
ihn  keine  Vergangenheit  belastet, 
und  alle  seine  Arbeiten  wirken  frisch, 
weil  ihm  selbst  eine  jede  Neuland 
ist.  Betrachten  wir  seine  Werke, 
die  der  Künstler  selbst  Versuche 
nennt,  die  Erscheinungsform  des 
Lebens  immer  vollständiger  für  sei- 
ne Kunst  zu  gewinnen,  so  kann  uns 
deren  Besonderheit,  Persönlichkeit 
wohl  kaum  entgehen.  Wir  wandeln 
unter  ihnen  herum  als  in  einer  neuen 
Welt,  in  der  hier  und  da  noch  Lücken 
sind  und  sein  müssen,  die  noch  un- 
beantwortete, aber  auch  bereits  viel 
beantwortete  Fragen  hat.  Diese 
Werke  haben,  wenn  man  es  so  sagen 
darf,  ihren  besonderen  Blutkreis- 
lauf, ihren  besonderen  Atem.  Bei- 
des in  merkwürdig  reiner  Linie,  die 
an  ägyptische  Kunst  erinnert,  ein- 
zeln und  paarweis  in  Stellungen, 
die  sich  bewußt  von  allem  fernhal- 
ten, das  zur  Schablone  verführen 
könnte.  Was  uns  an  allen  auffällt, 
ist  dieses  Fiebernde  ihrer  Nerven, 
das  zugleich  im  ganzen  zu  einer 
merkwürdig  monumentalen,  eben 
echt  plastischen  Ruhe  wird.  Ein 
Eindruck,  der  sich  bis  ins  Antlitz 
hinauf  steigert.  Da  lebt  der  Schmerz 
und  die  Erregung  in  jeder  Fiber, 
aber  das  wird  niemals  zur  Grimasse 
und  liegt  allem  Pathos  weltenfern. 
Schmerz  und  Lust  laufen  nur  wie 
die  Elektrizität  auf  dem  Draht  wind- 
schnell mit  einem  uns  deutlich  fühl- 
baren Schauer  über  Haut  und  Ant- 
litz hin  und  geben  ihnen  den  signi- 
fikanten Gesichtsausdruck  in  der 
Gesamtheit ,  ohne  durch  die  Fäl- 
schung einer  vor  dem  Übrigen  sich 
breitmachenden  Geste  die  Harmo- 
nie, die  Einheitlichkeit  des  Werkes 


BILIiH.\UER  GEORG  KOLBE— BERLIN. 


Gartenfigur  in  Sandstein. 


209 


Georg  Kolhc 


Bcr/hi. 


zu  zerstören.  Solchen  bedeutsamen  und  tiefen 
Werken,  in  denen  kein  Pathos,  sondern  ein 
Gefühl  konzentrierte  Form  gewinnt,  Bezeich- 
nungen zu  geben,  ist  schwer,  fast  unmöglich. 
Wir  sehen  keine  „  Erwartung" ,  keine  „Jungfrau" , 
keinen  „Helden",  sondern  das  Physiologische 
des  augenblicklichen  Kmpfindens  solcher  Art 
ist  gesehen  und  geformt. 

Wir  haben  es  also  mit  einer  Plastik  des  Mo- 
mentanen zu  tun,  mit  einer  Kunst,  die  den 
Augenblick  monunientalisiert ,  indem  sie  ihn 
nach  jeder  Äußerung  hin  festhält  und  ihm  seine 
Würde  und  konzentrierte  Ständigkeit  gibt.  Das 
ist  denn  die  Stärke 
und  das  unzeitlich 
Zeitgemäße  von  Kol- 
besKunst.  Unser  „mo- 
dernes" Leben  —  un- 
willkürlich wagt  man 
im  Zeitalter  literari- 
scher Fruchtbarkeit 
solche  Worte  nur  in 
Anführungsstrichen 
zu  setzen  —  hat  dem 
Momente  ,  dem  Au- 
genblick eine  Bedeu- 
tung eingeräumt,  die 
er  früher  nicht  besaß. 
Es  zerfällt  in  eine  un- 
endliche Reihe  von 
Augenblicken  ,  deren 
jeder  für  sich  bedeut- 
sam ist.  Das  Momen- 
tane spielt  die  aus- 
schlaggebende Rolle, 
daher  jagt  sich  das 
Leben  scheinbar  so, 
ohne  in  seiner  Summe 
eigentlich  anders  zu 
sein  als  je  früheres. 
Das  ist  das  Charakte- 
ristikum desMenschen 
unserer  Zeit.  Und  na- 
türlich zeigt  sich  das 
auch  im  Physiologi- 
schen, in  der  Verände- 
rung des  ganzen  Kör- 
pers, seines  Aus- 
drucksund seinerGe- 
sten.  Aber  es  ist  merk- 
würdig, daß,  während 
solches  im  Leben 
schon  durchaus  aner- 
kannt und  damit  eine 
Banalität  ist,  es  in  der 
Kunst  nicht  wahr  sein 
soll,  oder  zum  minde- 


l![r.l)HAUER  GEORG  KOLKE     HERLIN. 


sten  noch  nicht  genügend  erkannt  ist.  Die  Pla- 
stik der  Gegenwart  wiederholt  im  ganzen  doch 
immer  Vergangenes,  wehrt  sich  dagegen,  wie  sie 
doch  müßte,  ein  ganz  neues  Lernen  und  Schaffen 
auf  Grund  dieses  neuen  Lebens  zu  beginnen. 
Hier  ist  Kolbes  Kunst  „broken  away",  und 
das  hebt  sie  in  die  Zukunft.  Sie  ist  die  Plastik 
des  modernen  Körpers  und  seiner  Eigenart,  die 
Plastik  des  Augenblicks,  auf  die  wir  unsere 
Augen  erst  mit  einigem  lohnenden  Zwang  ein- 
stellen müssen,  weil  sie  von  alter  Gewohnheit 
lange  gebunden  waren.  Und  hier  muß  Kolbe 
doch  mit  einem  andern  Namen  verkoppelt  wer- 
den: mit  Auguste  Ro- 
din.  Est  ist  interessant 
zu  sehen,  wie  zwei 
ganz  verschiedene 
Temperamente,  Natu- 
ren undPersönlichkei- 
ten  in  verschiedenen 
Ländern  zu  gleicher 
Zeit  fast  dieselben 
Wege  in  die  Zukunft 
schreiten.  Gänzlich 
unabhängig  von  ein- 
ander. Kolbes  Welt 
ist  noch  nicht  so 
fest  und  geschlossen 
emporgewachsen  um 
ihn,  sie  blüht  erst  un- 
beirrbar und  hart- 
näckig auf.  Aber  es 
ist  bei  alledem  die 
gleiche  „Richtung"  in 
dem  Schaffen  beider 
Künstler,  des  Künst- 
lers Wissen  um  die 
neue  Welt  des  Mo- 
mentanen, die  neu  mit 
Ausdauer  und  Kraft 
erobert  werden  muß. 
Es  ist  ein  hartes  und 
ein  großes  Werk ,  dem 
Kolbes  Arbeit  u.  Rin- 
gen gelten.  Ein  einsam 
Werk,  die  Eroberung 
neuen  Besitzes,  wäh- 
rend sich  die  anderen 
im  vorhandenen  Be- 
sitze freuen.  Aber  es 
ist  die  echte  Schöpfer- 
arbeit. Und  so  wächst 
sie  denn  empor,  wo 
anderes  bereits  zu 
sein  vorgibt,  und  er- 
kämpft sich  mit  Red- 
» Kniendes  Mädchen«       lichkeit  ihre  Existenz. 


21U 


Ausstclli 


nie   iii 


Wiesbadoi. 


DEUTSCHE  MEDAILLEN  UND  PLAKETTEN. 

BETRACHTUNGEN  ANLÄSSLICH  DER  WIESBADENER  AUSSTELLUNG. 
VON  Dr.  W.  von  GROLMAN. 


I  lie  nebenstehend  ab- 
^  gebildeten  Stich- 
proben aus  der  kürz- 
lich von  der  „Wies- 
badener Gesell- 
schaft fürbildende 
Kunst"  veranstalte- 
ten „Gesamtaus- 
stellung deutscher 
Medaillen- undPla- 
kettenkunst"  mögen 
eine  ungefähre  Vorstel- 
lung der  überraschen- 
den Entwicklung  deut- 
scher Kleinplastik  seit 
der  Jahrhundertwende 
geben.  Wasdabeijeder 
sofort  bemerken  wird, 
ist  der  grundsätzliche 
Unterschied,  der  die 
deutsche  Medaille  so- 
wohl in  der  Formge- 
bung wie  auch  in  der  in- 
haltlichen Darstellung 
von  der  französischen 
scheidet;  und  das  Er- 
freulichste dabei  ist, 
daß  die  deutschen  Ar- 
beiten,  was  material- 

und  stilgerechte  Behandlung  anlangt,  den  fran- 
zösischen schon  heute  im  Durchschnitt  über- 
legen sind.  Nicht  umsonst  hat  eben  Adolf 
von  Hildebrand  „das  Problem  der  Form  in  der 
bildenden  Kunst"  zum  intellektuellen  Grund- 
besitz unserer  gegenwärtigen  Bildhauergene- 
ration gemacht!  Die  plastisch-tektonische  For- 
menklarheit und  ornamentale  Schönheit ,  wie 
sie  typisch  in  dem  Revers  der  Hahnschen 
Pettenkofer- Medaille,  in  der  Schlachthof -Me- 
daille des  vielversprechenden  jungen  Hörn- 
lein (Abb.  S.  213)  oder  dem  Revers  der  Lotte 
Kaufmann  Theodor  von  Gosens  (Abb.  S.  214) 
verwirklicht  ist,  sucht  man  —  ganz  vereinzel- 
tes, wie  den  Revers  des  alten  Chevreuil  von 
Roty  ausgenommen  —  vergebens  auf  franzö- 
sischer Seite;  die  eigentümliche  Kraft  der  Mo- 
dellierung dieser  Arbeiten  aber  fehlt  dort  gänz- 
lich. Hatte  schon  Ghiberti  das  malerische  Re- 
lief an  die  Grenzen  des  Erlaubten  geführt,  so 
mangelt  der  französischen  Medaille  in  ihren 
figürlichen  Darstellungen  oft  jedes   Gefühl  für 


FRITZ  BEHN-MÜxcHKN.     Bronze-Plakette ;  »Natalia 


den  Unterschied  von 
Malerei  und  Plastik. 
Gewiß  wird  man  den 
Ernst  und  die  vorneh- 
me, edle  Formgebung 
in  diesen  winzigen  Mi- 
niatur -  Darstellungen 
menschlicher  Figuren 
immer  aufs  höchste  be- 
wundern —  und  es  sei 
gleich  gesagt,  daß  den 
köstlich  zarten  Ideal- 
figuren der  französi- 
schen Medaille  die 
Deutschen  Gleichwer- 
tiges nicht  zur  Seite 
zu  setzen  haben  — 
aber  die  überfüllte 
Komposition,  derMan- 
gel  anRaumsinn  drückt 
das  Ganze  meist  wie- 
der ins  Genrehafte  her- 
ab. Diese  Überfüllung, 
die  zu  kleinliche  Be- 
handlung des  Details 
ist  nicht  zum  letzten 
eine  Folge  der  Ge- 
wohnheit, die  Modelle 
in  ganz  großem  Maß- 
stab anzulegen  und  die  Reduktion  auf  das  Maß 
der  Medaillen  der  Maschine  zu  überlassen. 

Endlich  noch  der  Mangel  an  Stilgefühl,  na- 
mentlich in  der  Behandlung  des  pflanzlichen 
Ornaments  bei  den  Franzosen!  Ich  erinnere 
hier  an  die  fast  kindlich  anmutenden  Palni- 
wedel-,  Lorbeer-  und  Rosengirlanden,  denen 
man  selbst  auf  Arbeiten  wie  der  Chaplainschen 
Medaille  des  russischen  Kaiserpaares,  oder  der 
Charpentierschen  „Malerei"  (Revers)  begegnen 
kann.  Sie  sind  nichts  anderes  als  nächste  Ver- 
wandte der  analogen  naturalistischen  Darstel- 
lungen, die  man  noch  immer  auf  allen  Fried- 
höfen findet.  Welch  ein  Fortschritt  von  hier  bis 
zu  der  Fruchtgirlande  der  Römerschen  Schütte- 
medaille, die  schon  vor  1 0  Jahren  entstanden  ist. 
Noch  eines  weiteren  Nachteils  der  Maschi- 
nen-Reduktion ist  hier  zu  gedenken.  Nicht  zum 
letzten  beruht  auf  ihr  jene  glatte  Exaktheit  in 
der  Ausführung,  die  etwas  Unpersönliches  an 
sich  hat  und  durch  das  Fehlen  energisch  geschnit- 
tener Konturen  zugleich  etwas  weichliches,  ver- 


2(1 


Deutsche  Medaillen  u/ul  Plakr/trii. 


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Prof.  A.  V.  Hildebrand.      »BISMAKCK  Professor  Hcrmaim  Hahn.         »l'ETTENKOf  ER.         Paul  Sturm-Berlin. 


>KLAUSON.KAAS. 


212 


Atixstclhüii^  in  WieshaJcii. 


Fritz  Hdrnlein.    .ZUR  VOLLENDUNG  DER 
FRIEDR.  AUGUST -BRÜCKE,   DRESDEN 


Fr.  Hörnlein. Dresden.     .REVERS  ZUR 
DRESDENER  BRÜCKEN-MEDAILLE. 


Prof.  Max  DasiM 

.ORPHEUS. 

i>^^äi 

^^ 

S 

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^9^^_M. 

^^ 

>'' 

Prof.  Geore  Römer.  »ERNTE-MEDAILLE. 


Prof    Herrn.  Hahn.  RtVtKS  »SIMSON. 

Benno  Elk.m.  REVERS  .COMBES  Fritz  Hörnlein.   .SCHLACHTHOF-MEDAILLE- 


Prof- Hugo  Kaufmann      l'NTERRICHTSWESEN         Prof.  Georg  Romer.  REVERS  »SCHÜTTE  Rud.  Bosselt.  »VERDIENST-MEDAILLE. 


Deutsche  Medaillen  und  Plaketten. 


1 


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^^^^H 

^^^L 

l'laf.  Th.  V.  Qüsen.     .JOSEI'HINA.. 


Revers  ..LOTTE  KAUFMANN. 


•LOTTE  KAUFMANN. 


waschenes  in  die  F'ormjicbun)'  bringt.  Selbst 
in  den  Wiedergaben  der  Autotypien  empfindet 
man,  z.  B.  an  der  Schlachthof-  und  der  Brücken- 
Medaille  Hörnleins,  die 
lebendige  Hand  des 
Künstlers,  die  gleichsam 
mit  dem  harten  Material 
gerungen  und  dabei  nicht 
die  gleichmäßige,  unper- 
sönliche Ruhe  bewahren 
konnte  wie  die  Maschine. 
Die  letztgenannte  Arbeit 
läßt  zugleich  deutlich  er- 
kennen (z.  B.  an  dem 
Maßstab  der  Figuren) , 
daß  die  Komposition 
gleich  fürden  engen  Raum 
und  in  den  kleinen  Dimen- 
sionen konzipiert  ist.  Man 
vergleiche  die  genannten 
Stücke  und  die  beiden 
humoristischen  Medaillen 
Dasios  (Abb.  S.213)  mit 
den  Maschinenreduktio- 
nen Kaufmanns  auf  der 
gleichen  Seite,  dem  Rad- 
dreher R.  Bosselts  (Abb. 
S.  213),  um  die  Reize  zu 
empfinden,  die  den  erstc- 
ren  in  der  persönlichen 
Art  der  Modellierung 
innewohnt  und  ihnen  et- 
was eigenartig  kerniges 
verleiht.  Dabei  soll  nicht 
verkannt  werden,  daß  es 
Hermann  Hahn,  der  wie 
die  meisten  Großplastiker 
nicht  die  schwierige  Tech- 
nik der  Stempelschnei- 
dung gelernt  hat ,  auf 
Grund    eines    stark    ent- 


Pruf.  Jos.  Ki)wat/ik. 


Piof.  Ludwig  Habicli— StutlE-irt 


wickelten  Stilgefühls,  gelungen  ist,  in  der  er- 
wähnten Pettenkofer  -  Medaille  den  aus  der 
Anwendung  der  Reduktionsmaschine  und  der 
Modellierung  im  Großen 
drohenden  Gefahren  zu 
entgehen  und  mit  einer 
ganz  plastisch  gedachten, 
einfach  klaren  Kompo- 
sition eine  äußerst  kraft- 
volle Wirkung  zu  er- 
zielen. Es  üben  eben 
Temperament  und  Rasse 
schließlich  maßgebend- 
sten Einfluß  auf  den  Ge- 
sanitcharakter  deutscher 
und  französischer  Me- 
daillenkunst aus,  und 
wenn  icii  den  Vergleich 
gebrauchen  darf,  so  möch- 
te ich  sagen ,  daß  die 
deutsche  Medaille  neben 
derfranzösischen  dasteht, 
wie  ein  in  jugendlicher 
Kraft  erblühter  Bruder 
neben  den  weiblichen 
Reizen  einer  anmutigen 
Schwester.  Noch  fehlt  es 
den  Deutschen  an  der 
ihnen  gebührenden  Aner- 
kennung in  den  Kreisen 
der  Sammler.  Der  Erfolg 
der  Wiesbadener  Aus- 
stellung (auch  bei  den 
kaufenden  Liebhabern) 
aber  läßt  für  die  Zukunft 
einen  Umschlag  erwarten, 
wenn  auch  die  deutsche 
Medaille  an  das  Publikum 
viel  höhere  ästhetische 
Forderungen  stellt  als  die 
Kunst  der  Franzosen.  — 


JOH.  IKIFDR.  STADEL. 


214 


InImsCHE  MINIATUR   XVIU.  JAHRH.    KOLL.  SARRE 
BERLIN.    BAJADERE  IN  STILISIERTER  LAKDSCHAFT. 


ELFENBEIN.    MESOPOTAMIEN    XI.  J.\HRH. 


N.\TION.\I.-MU.sEUM  IN  FLORENZ. 


DIE  MÜNCHNER  MUHAMMEDANISCHE  AUSSTELLUNG. 


VON  RUDOLF  MEYER-RIKKSTAHI.-PARIS. 


Die  altorientalische  Kunst  war  bisher  nur 
einem  kleinen  Kreise  von  Kennern  und 
Liebhabern  bekannt,  außer  den  Teppichen,  die 
von  altersher  sich  der  Wertschätzung  der 
Künstler  und  Sammler  erfreuten.  Wohl  hatten 
schon  einzelne  Ausstellungen  in  Paris,  London 
und  Wien  stattgefunden,  welche  dieses  neue 
Kunstgebiet  weiteren  Kreisen  erschließen  woll- 
ten, doch  sind  diese  Schaustellungen  alle  nicht 
über  den  lokalen  Rahmen  hinausgewachsen. 
Not  war  eine  zusammenfassende  Ausstellung, 
die  einmal  die  Schätze  orientalischer  Kunst  aus 
altem  Besitze  mit  den  Forschungsresultaten  der 
letzten  Jahre  in  einer  großen  Vorführung  ver- 
einigte, zu  der  alle  in  Betracht  kommenden 
Faktoren  mitwirken  mußten.  Dieses  Projekt 
ist  durch  die  niuhammedanische  Ausstellung  in 
München  verwirklicht  worden:  3500  Ausstel- 
lungsgegenstände gaben  ein  vollkommenes  Bild 
altorientalischer  Kunst  und  erweisen  zugleich, 
daß  diese  Kunst  etwas  formal  außerordentlich 
streng  und  folgerichtig  Durchgebildetes  ist,  auf 
das  die  Gesetze  der  Komposition  ebenso  anzu- 
wenden sind  wie  auf  die  europäische  Kunst. 
Das  ist  die  wichtigste  Errungenschaft  dieser 
Ausstellung,  weil  dadurch  diese  Werke  ver- 
gangener Zeiten  für  die  Welt  von  heute  etwas 
aktuelles  und  lebendiges  bekommen. 

Ein  besonders  für  den  Kunstgewerbler  von 
heute  interessantes  Gebiet,  das  bisher  fast  voll- 
kommen unbekannt  war,   ist  das  der  Keramik. 


Erst  zwei  Gebiete  orientalischer  Keramik  waren 
bis  vor  wenigen  Jahren  allgemeiner  zugänglich, 
zwei  Ausläufer  einer  alten  Tradition:  die  soge- 
nannten Rhodus-  und  Damaskusfayencen  einer- 
seits, die  wir  richtiger  und  kritischer  als  tür- 
kische Fayencen  des  sechzehnten  Jahrhunderts 
bezeichnen  und  andererseits  die  spanisch-mau- 
rische Lüsterkeramik ,  die  unter  christlicher 
Herrschaft  in  Spanien  noch  bis  auf  den  heutigen 
Tag  fortlebt.  Von  der  älteren,  wir  möchten 
sagen  der  klassischen  Keramik  wußte  man 
nichts,  bis  europäischeGelehrte  und  orientalische 
Händler  .\usgrabungen  in  Ägypten,  Syrien, 
Mesopotamien  und  Persien  zu  veranstalten  be- 
gannen. Da  wurden  nun  die  seltsamsten  Schätze 
ans  Tageslicht  gefördert,  welche  bewiesen,  daß 
der  Orient  um  das  zwölfte  und  dreizehnte  Jahr- 
hundert eine  keramische  Technik  besessen  hat, 
die  vielleicht  das  höchste  geleistet  hat,  was  auf 
diesem  Gebiete  je  geleistet  worden  ist.  Nach- 
dem man  einigermaßen  einen  Überblick  über 
die  wichtigsten  Typen  bekommen  hatte,  wur- 
den diese  keramische  Stücke  plötzlich  zu  den 
gesuchtesten  Stücken  des  Antiquitätenhandels, 
besonders  Amerika  legte  die  höchsten  Summen 
in  diesen  Werken  an,  so  daß  die  altorientalische 
Keramik  heutzutage  mit  Preisen  bezahlt  zu 
werden  pflegt,  denen  eine  gewisse  ungesunde 
Übertreibung  nicht  abzusprechen  ist. 

Unter  den  verschiedenen  Techniken,  welche 
die   orientalische  Keramik  verwendet,  ist  be- 


1910AL  III.  4. 


Rttdolf  Mever-Riefsfakl-Pans . 


SCHAXE  MIT  ARABESKEN  UND  LEOPARD.     BEMALUNG  IN  GRÜN  UND  GRAU.     SULTANABAD  XIIL  JAHRHUNDERT. 

Ars    HER      SAMMT.l'Ni;    KF.VORKEAN^ — LONDON. 


sonders  die  der  Lüstermalerei  mit  ihrem  phan- 
tastischen Metallglanz  hervorzuheben,  in  ihr 
sind  die  feinsten  und  kunstvollsten  Arbeiten 
hergestellt  worden.  Die  ältesten  uns  erhaltenen 
Zeugen  der  Lüstertechnik  stammen  einerseits 
aus  Rakka,  der  Lustresidenz  Harun  al  Raschids 
am  oberen  Euphratlaufe,  andererseits  aus  Ägyp- 
ten von  den  Ruinenfeldern  der  alten  Stadt 
Fostät  in  der  Nähe  von  Kairo.  Es  ist  schwer 
zu  entscheiden,  ob  die  ältesten  Arbeiten  in 
dieser  Technik  der  Tradition  Ägyptens  oder  der 
des  Zweistromlandes  entstammen,  das  letztere 
scheint  jedoch  wahrscheinlicher  zu  sein. 


Die  ältesten  Lüsterarbeiten  aus  Ägypten  sind 
die  reizvollen  Fragmente,  die  man  in  Fostät 
findet,  diese  Stücke  zeigen  den  metallischen 
Lüster  in  vielfältigen  Farben:  rötlich,  gelblich, 
grünlich.  Mit  den  verschiedenen  Farben  der 
Glasur  des  Scherbens  zusammengestellt,  ergibt 
dies  ein  außerordentlich  reizvolles  und  feines 
Farbenspiel.  Die  Zeichnung  dieser  Arbeiten  ist 
entweder  rein  ornamental  oder  figural.  Unter 
den  Figurendarstellungen  finden  sich  bald  sehr 
primitiv  gezeichnete  Motive  oder  merkwürdige 
großzügige  Frauenköpfc,  die  in  ihrem  Stile  an 
den    seltsamen   Zauber    der    bekannten   Graff-  ' 


2l8 


Die  Münchner  muhanimedavischc  Ausstelhnii'. 


SCHALE  MIT  ARABESKEN  UND  VÖGEL.     BEMALUNG  IN  HELLGRAU  UND  GRAU.     SULTANABAD  XHL  JAHRHUNDERT. 

AIS   DER    »SAMMLUNG   KEVORKIAN« — LONDON. 


sehen  Mumienporträts  erinnern.  Daneben  findet 
sich  auch  häufig  das  koptisch  christliche  Fisch- 
motiv.    Intakte  Stücke  sind  sehr  selten. 

Auf  mesopotamischeni  Gebiet  stammen  die 
ältesten  Lüsterarbeiten  aus  Rakka.  Die  Funde 
von  Rakka  enthalten  nicht  wenige  intakte  Stücke. 
Die  Lüstermalerei  ist  meist  von  einem  prächti- 
gen purpurroten  Metallglanz,  dem  verschiedent- 
lich noch  etvk'as  blaue  Farbe  auf  dem  weißen 
Grunde  beigesellt  ist.  Die  Zeichnung  enthält 
meist  Arabesken  und  Inschriften  in  großen,  streng 
gebauten  kufischen  Buchstaben.  Die  Zeichnung 
der  Arabesken  hatnoch  etwas  archaisch  strenges 


und  ist  mit  größter  Liebe  durchgeführt,  so  daß 
diese  Stücke  ornamental  mit  zu  den  feinsten  Er- 
zeugnissen orientalischer  Kunst  gehören ,  mit 
denen  z.  B.  die  spätere  persische  Fayence  nicht 
mehr  wetteifern  kann.  Neben  den  Lüstermale- 
reien kommen  in  Rakka  noch  Stücke  mit  weiß- 
licher oder  grünlicher  Glasur  vor,  besonders  be- 
merkenswert sind  jedoch  die  Stücke  mit  ein- 
facher Flachreliefverzierung  und  türkisgrüner 
Bemalung,  die  vielfach  durch  den  jahrhunderte- 
langen Aufenthalt  im  Erdboden  unter  Einwirkung 
der  Bodenfeuchtigkeit  eine  wundervolle  Irisie- 
rung angenommen  haben. 


219 


Rjidolf  Me\cr-Riefstahl-  Paris  : 


SCHALE  MIT  ARABESKFN  UM)  FISCHEN.     BEMAiUNG  DUNKELBLAU  MIT  LUSTER. 

AIS    DER    »SAMMLl'NO    KEVORKIAN«  — I-O.NliO.V. 


SULTANAB.M)  XIII.  J.\HRHl"NliERT. 


I5ie  Fayencen  aus  Rakka  gehören  in  die  Zeit 
des  11.  —  1  3.  Jahrhunderts.  Aus  etwas  späterer 
Zeit  mögen  die  ältesten  persischen  und  syrischen 
Erzeugnisse  stammen. 

Unter  den  altpersischen  Arbeiten  ragen  die 
h  linde  von  Rhagä  besonders  hervor.  Die  ver- 
schiedensten Techniken  waren  hier  heimisch. 
Am  kostbarsten  und  am  ältesten  wohl  sind  eine 
Serie  von  Stücken  mit  elfenbeinweißeni,  matten 
Grunde  und  überaus  zierlicher  polychromer 
Überglasurbemalung  (galante  und  höfische  Sze- 
nen,  Gelage  mit  Tänzerinnen  und  Musikantin- 


nen, Jagdszenen),  deren  feine  Harmonie  noch 
durch  spärlicli  verwandtes  Gold  gehoben  wird. 
Der  geläufigste  Typus  jedoch  sind  die  Stücke 
mit  Lüstermalerei  auf  weißem  Grunde,  der  viel- 
fach noch  dunkelblau  beigesellt  wird.  Hier  sind 
besonders  eine  Reihe  großer  Gefäße,  tiefe  Scha- 
len und  Schalen  mit  vertieften  Konipartimenten 
zu  nennen,  die  durch  die  feine  Zeichnung  und 
den  schön  durchdachten  Wechsel  reichornamen- 
tierter  und  ruhiger  Flächen  in  dem  köstlich  ge- 
zeichneten Figurendekor  ein  außerordentliches 
Stilgefühl     verraten.     Endlich     kommen    noch 


22U 


Die  Münchner  vnihaninicdanische  Aussteihvi". 


.SCHALE  MIT  HGURALEK  DARSTELLUNG  U.  ASABESKEN.    DUNKELBLAU  U.  SCHWARZ.    SULTANABAD  XII.  JAHRH. 

AC5   DEK    >s.\MMI.t'NG   KEVORKIAS«  —  LONIJON. 


Stücke  mit  dunkelblauem  Grunde  und  goldver- 
zierten feinen  roten  und  weißen  Ranken  vor. 
Das  sind  die  vk^csentlichsten  Typen  der  Kera- 
miken von  Rhagä,  denen  noch  einzelne  Abarten, 
wie  Stücke  auf  hellblauem  und  türkisgrünem 
Grunde,  anzureihen  wären. 

Die  Keramiken  des  Typus  Suitanabad  sind 
in  der  Regel  weniger  kunstvoll  durchgearbeitet, 
gezeichnet  und  komponiert.  Vorherrschend  sind 
Gefäße  mit  dicker,  in  der  Mitte  oft  zusammen- 
gelaufener Glasur,  bei  denen  die  Zeichnung  meist 
phantastische  Vögel,  Enten  oder  Kraniche,  dann 
wieder  Figurengruppen,  Hasen,  Leoparden  oder 


dergl.  in  Flachrelief  auf  Blattrankenhintergrund 
darstellt.  Die  verwandten  Farben  sind  entweder 
blau ,  türkisgrün  und  schwarz ,  oder  olivbraun 
und  olivgrau,  stets  mit  ausgespartemWeiß.  Wenn 
auch  hier  noch  sehr  schön  gezeichnete  Stücke 
geschaffen  wurden,  so  haben  sie  doch  nicht  die 
Großzügigkeit  und  Ursprünglichkeit  der  Kera- 
miken von  Fostät  und  Rakka,  die  Grazie  der 
Arbeiten  aus  Syrien  oder  Rhagä.  Sie  leiten 
schon  in  eine  spätere  Zeit  über,  in  der  die  Ke- 
ramik nicht  mehr  den  persönlichen  Charakter 
der  älteren  Zeit  hat.  Die  großen  Fayencefliesen 
für  den  Mauerbelag,  besonders  für  die  Gebets- 


221 


INDISCHER  KNÜPI-TEPPICH.     UM   160O.     BESITZ  DES  OESTERR.  MUSEUMS  FÜR  KUNST  UND  INDUSTRIE- WIEN. 


ELFENBEIN-SCHNITZEREIEN.     BAÜUAU  (r)  UM    I  2  00. 


liM  NATIONAL-MUSEUM- FLORENZ. 


ELFENBEIN-KASTCHEN.    SPANIEN  IX.      XI,  JAHRHUNDERT.     BESITZER:  WERNHER— LONDON. 


225 


I 
1 

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II 

I 

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ii 

Al^lFAMANILE.    WEST-TURKESTAN  VIII.      1\    JAIIRH.  SASSANIDISCHE  BRONZE-KAN.NE.    VI.      VII.  JAHRII.         | 

-\rs    UKK    SAMMLINt;    HOllRINSKOY — ST.  rKTERSlUKG.  .1 


AI.1UAMANII.E.    .SPANIEN  X.  JAHRHrNDERT.    BESITZER :  Mmk.  K.  STERN     PARIS. 


is 

« 


« 
■ 


224 


Die  Mü7u-liiicr  iiui/iammedanische  Atisslelhiiig. 


nischen,  haben  gewiß  noch  malerischen  Reiz, 
ein  so  individuelles  Leben  wie  die  alten  Stücke 
haben  sie  nicht  mehr. 

Auch  das  Gebiet  der  orientalischen  Teppich- 
kunst konnte  bisher  nicht  in  so  umfassender 
Weise  studiert  werden,  als  dies  auf  der  Münch- 
ner Ausstellung  der  Fall  war.  Das  Hauptstück 
der  gesamten  Ausstellung  bildete  der  große 
Jagdteppich  aus  dem  Besitze  des  Kaisers  von 
Österreich,  eines  der  interessantesten  Doku- 
mente der  feinen  künstlerischen  Kultur  Persiens 
unter  den  Safiwiden  im  sechzehnten  Jahrhun- 
dert. Alle  wichtigen  Gruppen  der  orientalischen 
Teppichkunst:  die  armenischen  Teppiche  mit 
ihrer  strengen  primitiven  Zeichnung,  die  süd- 
persischen Vasenteppiche,  die  Baum-  und  Gar- 
tenteppiche, die  Jagd-  und  Tierteppiche  mit 
ihren  zierÜchen  Darstellungen,  die  Herat-Tep- 
piche  mit  ihrem  zarten  Rankenwerk,  die  Polen- 
teppiche auf  prunkendem  Gold-  und  Silber- 
grund ,  die  farbenprächtigen  Erzeugnisse  der 
türkischen  Teppichkunst,  das  alles  vereinigt 
sich  zu  einem  erschöpfenden  Gesamtbilde  und 
zeigt  eine  klare  Linie  der  Entwicklung. 

Auf  dem  Gebiete  der  Metallarbeiten  brachte 
die  Ausstellung  eine  große  Überraschung:  die 
Gruppe  sassanidischer  Bronze-  und  Silber-Ar- 
beiten aus  dem  dritten  bis  siebenten  Jahrhun- 
dert mit   ihrer   so    strengen   und    archaischen 


Formengebung.  Es  ist  interessant  zu  sehen,  wie 
diese  Werke  manches  klar  und  selbstverständ- 
lich geben,  wonach  das  moderne  Kunstgewerbe 
bei  seinem  Suchen  nach  Einfachheit  mühsam 
strebt.  —  Auch  die  ausgestellten  Werke  der 
Buchkunst  brachten  viele  Überraschungen,  da 
sie  interessante,  kulturhistorische  Streiflichter 
auf  die  kulturellen  Beziehungen  zwischen  chine- 
sischer und  vorderasiatischer  Kunst  warfen. 
Die  persische  Buchkunst  zeigt  sich  durchaus 
von  der  chinesischen  Formensprache  beeinflußt 
und  versteht  doch  durch  einfache  Formen-  und 
Farbenrhythmen  ihre  eigenen  Gedanken  in  per- 
sönlicher Weise  zum  Ausdruck  zu  bringen. 

Damit  sind  die  Gebiete  der  orientalischen 
Kunst  bei  weitem  nicht  erschöpft:  unter  den 
syrischen  Glasarbeiten ,  den  ägyptischen,  ge- 
schliffenen Bergkristallen,  den  zarten  Elfenbein- 
arbeiten aus  Spanien  und  Mesopotamien,  den 
tauschierten  Mossulbronzen  befindet  sich  man- 
ches köstliche  Stück,  das  in  technischer  wie 
rein  künstlerischer  Beziehung  dem  modernen 
Kunstgewerbe  wertvolle  Anregungen  geben 
kann.  Diese  Anregungen  werden  um  so  frucht- 
barer sein  können,  als  sie  eine  Nachahmung  der 
einzelnen  Form  kaum  zulassen,  sondern  viel- 
mehr auf  allgemeine  stilistische  Eigenschaften 
und  auf  die  Neubelebung  einzelner  vernach- 
lässigter Techniken  sich  erstrecken  werden.  — 


FAVENCE-GEFÄSS.    PERSIEN  XH  -  XUI.  JAHRH.    SAMMLUNG  KEVORKI.\N— PARIS. 


1910;1I.  111. 


22i 


Alexander  Kocli—Dat  »isladi : 


EINE  DEUTSCHE  WELT-AUSSTELLUNG? 


VON  ALEXANDER  Ki>l  II. 


Oft  jjenu)5  ma^  diese,  dem  deutschen  Natio- 
naljjefülil  schmeichelnde  Fra)5e  von  beru- 
fener und  unberufener  Seite  aufgeworfen  sein. 
Jede  Ausstellunfi,  —  nicht  zuletzt  aber  eine 
„Welt-Ausstellung"  — -  bleibt  ein  großes  Wag- 
nis, gleichviel  aus  welchem  äußeren  Anlaß  heraus 
die  Berechtigung  zur  Abhaltung  einer  solchen 
„konstruiert"  wird.  Ob  heute,  nachdem  die 
verschiedensten  Völker  der  Erde  einander  so 
nahe  getreten  sind,  überhaupt  noch  Welt-Aus- 
stellungen erforderlich  sind?  Ich  möchte  es 
bezweifeln,  vielmehr  dem  Gedanken  Raum 
geben,  daß  es  meist  wohl  nur  Sonderinteressen 
waren  oder  auch  den  Verfolg  ehrgeiziger  Pläne 
galt,  wenn  „Welt-Ausstellungen"  mit  meist  viel 
zu  kurzen  Vorbereitungsfristen  von  3^5  Jahren 
aus  dem  Boden  gestampft  wurden,  und  häufig 
war  es  ja  auch  nur  ein  Akt  politischer  Höflich- 
keit, wenn  der  Einladung  zur  Beschickung  einer 
solchen  Folge  geleistet  wurde. 

„Welt-Ausstellungen"  sollten  eigentlich  nur 
aus  Anlaß  großer  Kulturfeiern,  an  denen 
die  ganze  Menschheit  Anteil  nimmt,  eine 
innere  Berechtigung  haben;  unklug  erscheint  es 
mir,  politische  Ereignisse  irgendwelcher  Art 
bei  einer  gewissen  Jährung  als  Anlaß  zu  einer 
Welt-Ausstellung  zu  wählen.  Deutschland  sollte 
sich  darum  hüten,  etwa  eine  „Fünfzigjahrsfeier 
der  Neugründung  des  Deutschen  Reiches",  mit 
der  Veranstaltung  einer  „Welt-Ausstellung"  auf 
deutschem  Boden  verquicken  zu  wollen.  Also 
auf  keinen  Fall  etwa  zu  1921  eine  Welt- Aus- 
stellung, zu  der  Deutschland  die  Völker  zu  einem 
friedlichen  Wettstreit  einladet. 

Alle  Anzeichen  sprechen  dafür,  daß  die  Be- 
deutung der  Welt- Ausstellungen  schon  heute 
nicht  mehr  so  hoch  bewertet  wird,  oder  viel- 
leicht besser  ausgedrückt:  daß  sich  diese  „inter- 
nationalen Schauen"  nicht  mehr  als  zeitgemäß 
erweisen !  T  o  k  i  o  wird  voraussichtlich  noch  eine 
Ausnahme  machen,  wenn  Ostasien  bis  dahin 
nicht  noch  ein  größeres  Schauspiel  bieten  wird. 
Dann  aber  wird  m.  E.  die  Stunde  der  Welt-Aus- 
stellungen geschlagen  haben  oder  sie  müßten  als 
„Unternehmer-Spekulation"   weiter  gedeihen! 

Wohl  alle  Großstaaten  sind  seit  Jahren  aus- 
slcUungsmüde.  Wenn  sie  trotzdem  immer  wieder 
mitmachen,  entspringt  dies  oft  nur  Höflichkeits- 
gründen und   der  Gewohnheit  und  dem  Vor- 


bilde der  Nachbarn  ,  die  das  eben  auch  tun. 
Volk  und  Regierung  sind  selten  von  der  Not- 
wendigkeit solcher  Veranstaltungen  überzeugt, 
die  Abneigung  dagegen  wird  in  allen  Staaten 
immer  größer.  Die  Werbekommissare  für  die 
letzten  Welt-Ausstellungen  haben  schon  eine 
schwere  Arbeit  zu  leisten  und  einen  scharfen 
Widerstand  zu  überwinden  gehabt,  denn  weder 
der  Gewerbetreibende  und  Handwerker,  noch 
der  Großindustrielle  und  Großkaufmann,  wollen 
von  einer  Beteiligung  an  diesen  internationalen 
Jahrmärkten  etwas  wissen.  Man  wird  das  durch- 
aus begreiflich  finden, wenn  man  bedenkt,  daß  für 
1913  wieder  eine  „Welt-Ausstellung"  und  zwar 
für  Madrid  vorgesehen  ist.  Wie  leichtfertig  das 
ist,  kann  man  schon  aus  der  kurzen  Vorberei- 
lungsfrist  von  2  Jahren  ersehen,  während  allein 
für  die  diplomatische  Werbearbeit  bei  den 
Staaten  so  viele  Jahre  für  ein  gutes  Gelingen 
erforderlich  sein  dürften.  Man  bedenke  aber, 
daß  zwischendurch  sich  noch  ähnliche  Ausstel- 
lungen in  Turin  und  Antwerpen  abwickeln 
werden.  Das  deutsche  Kapital  und  die 
deutsche  Arbeit  sollte  mal  eine  Zeitlang 
in  Ruhe  bleiben,  um  Kraft  und  Mittel  für 
eine  große  innere  Arbeit  zu  sammeln! 

Deutschland  kann  demnach  von  einer  „Welt- 
Ausstellung"  absehen.  Es  verliert  nichts  dabei. 
Aber  —  und  ich  komme  damit  auf  meine  früher 
mehrfach  geäußerten  Grundgedanken  in  Aus- 
stellungssachen zurück  —  es  sollte  endlich  an 
eine  große  deutsch-nationale  Landes- 
Ausstellung  denken,  deren  Durchführung 
nachgerade  zu  einer  nationalen  Ehrenpflicht  ge- 
worden ist.  Eine  solche  Ausstellung  würde 
den  Erfolg  in  sich  tragen:  ideell  wie 
materiell!  Denn  vom  ganzen  Erdball  würden 
die  Besucher  kommen,  um  zu  sehen  und  zu 
studieren,  was  Deutschland  auf  allen  Gebieten 
leistet.  Laden  wir  die  Völker  endlich  einmal 
zu  uns  zu  einem  Kulturschauspiel  großen 
Stils.  Vereinigen  wir  endlich  mal  die 
deutschen  Stämme,  von  denen  sich  noch 
immer  wieder  welche  in  der  Verfechtung  von 
Sonderinteressen  verlieren,  zu  einer  Großtat! 

Von  Jahr  zu  Jahr  mehrt  sich  die  Zahl  der 
Auslandbcsucher,  die  deutsches  Wesen,  deut- 
sche Einrichtungen,  deutschen  Handel  und  Wan- 
del,  überhaupt  in  Allem  deutsches  Leben  stu- 


226 


Eine  deutsche  Welt-Atisstellung? 


dieren  wollen.  Unsere  Industrie,  Städte-Einrich- 
tungen, soziale  Fürsorge,  unsere  Krankenhäuser 
und  Schulen  sind  zu  ständigen  Studienobjekten 
für  die  Vertreter  anderer  Nationen  geworden. 

Was  läge  da  näher,  als  ein  Zusammenfassen 
der  verschiedenen  Kräfte  und  Leistungen  auf 
einer  deutschenAusstellunglEinerdurch 
und  durch  sorgfältig  vorbereiteten  und 
gewissenhaft,  liebevoll  und  vollendet 
durchgeführten  Ausstellung  des  Deut- 
schen Reiches. 

Selbstverständlich  muß  dafür  eine  größere 
Arbeit  geleistet  werden,  als  wenn  wir  uns 
„ehrenhalber"  an  einer  sogenannten  Welt- 
Ausstellung  beteiligen.  Die  ganze  Nation 
muß  dafür  auftreten  und  eintreten,  wenn 
ein  so  großer  Wurf  vor  den  Augen  der 
Welt  gelingen  soll!  Man  greife  diesen  Ge- 
danken auf  und  betraue  führende  und  schaf- 
fende Männer  und  Frauen  unseres  Vater- 
landes mit  der  fundierenden  Vorarbeit!  Die 
Tat  kann  in  fünf  bis  sechs  Jahren  verwirk- 
licht sein,  sie  darf  auch  zehn  Jahre  in  An- 
spruch nehmen;  es  kommt  nur  darauf  an,  ob 
wir  klug  genug  sind,  unsere  Kräfte  ausschließ- 
lich allein  dafür  festzulegen  und  sie  nicht  zu 
zersplittern  durch  so  und  soviel  kleine  Lokal- 
und  Sonder-Ausstellungen,  vor  allem  aber  auch 
das  Reich  selbst  nicht  festzulegen  durch  neue 
Verpflichtungen  für  fragwürdige  Weltausstel- 
lungen, die  zu  einem  großen  Jahrmarktrummel 
zu  werden  drohen.  Aber  auch  uns  selbst  muß 
der  Gedanke,  an  einen  „verkleinerten"  Welt- 
jahrmarkt zu  denken,  ein  für  alle  Mal  als  ab- 
getan erscheinen. 

Meine  Reformvorschläge  für  das  Ausstel- 
lungswesen, die  bisher  in  kleinerem  und  größe- 
rem Umfange  Verwirklichung  gefunden  haben, 
und  die  darauf  abzielen;  in  unseren  Ausstel- 
lungen organische,  wirtschaftliche  und 
künstlerische  Gebilde  als  einheitliche 
Lebensausschnitte  selbst  zu  schaffen, 
die  nicht  von  den  notwendigen  Ausstellungs- 
hallen erdrückt  werden,   erneuere  ich  hiermit. 

Damals  zielten  meine  Ausführungen  für  eine 
Landesausstellung  —  etwa  im  Großherzogtum 
Hessen  —  auf  ein  zu  erbauendes  Dorf  ab. 
Eine  „Reichsausstellung"  müßte  natürlich  eine 
„Stadt"  bieten;  keine  romantische  alte  Stadt 
mit  sogenannten  malerischen  Winkeln,  sondern 
eine  moderne  Stadt  mit  allen  Errungen- 
schaften der  Technik,  der  Hygiene,  der 
Baukunst,  des  Verwaltungs-  und  Ver- 
kehrswesens, in  welchem  Gebilde  eben  so 
sehr  die  Stätte  der  Erziehung,  der  Er- 
holung, des  Vergnügens,  wie  der  Wasser-, 
Licht-      und     Lebensmittel -Versorgung 


vertreten  sein  müßten.  Es  könnte  etwa  der 
Kern  einer  „mittleren  Stadt"  sein,  mit  Schulen, 
Kirchen,  Verwaltungs  -  Gebäude  ,  Markthalle, 
Krankenhaus,  Museum,  Theater,  Konzertsaal, 
Orpheum,  Zirkus  etc.,  Ausstellungshallen,  Park, 
Gartenanlagen,  Brunnen,  Badeanstalt,  Börse, 
Bankgebäude,  Verkaufsläden,  Post,  Verkehrs- 
mittel der  verschiedensten  Art  und  an  was  Alles 
der  moderne  Städtebauer  zu  denken  hat.  Auch 
ein  Friedhof  und  ein  Krematorium  müßten  vor- 
gesehen werden,  denn  selbstverständlich  könnte 
diese  „Stadt"  nicht  bloß  ein  Ausstellungs-Ob- 
jekt bleiben. 

Daß  an  einer  solchen  Ausstellung  alle  Be- 
rufe und  Gewerbe  beteiligt  sein  würden,  bedarf 
keiner  besonderen  Hervorhebung;  Gewerbe, 
Handwerk,  Kunstgewerbe,  Kunst,  Handel,  In- 
dustrie und  Landwirtschaft  könnten  hier  einan- 
der die  Hand  reichen.  Daß  hierbei  der  erfahrene 
Ausstellungstechniker  und  Organisator  in  allen 
Fragen  zu  hören  sein  würde,  erscheint  selbst- 
verständlich, denn  es  gilt  doch  in  erster  Linie 
wieder  eine  solche  Stadt  als  „Ausstel- 
lungs-Objekt" zu  zeigen,  das  Unternehmen 
als  solches  aber  auch  rentabel  zu  gestalten. 

Es  soll  nicht  Aufgabe  meiner  Ausführungen 
sein,  hier  einen  Wirtschaftsplan  aufzustellen, 
denn  dafür  bedarf  es  breiterer  Unterlagen  rech- 
nerischer Art  und  ausführlicherer  Pläne.  Aber 
außer  Zweifel  dürfte  das  Gelingen  einer  so  groß- 
zügigen und  ihrem  Gesämtcharakter  nach  erst- 
malig gebotenen  Ausstellung  garantiert  werden 
können ,  wenn  alle  dafür  heranzuziehenden 
wirtschaftlichen  Faktoren  nach  Maßgabe  ihrer 
Mittel  die  Durchführung  decken  helfen,  noch 
zumal  wohl  jeder  Bundesstaat  für  sich  ein  leb- 
haftes Interesse  daran  haben  müßte,  in  der  Er- 
füllung seines  Wirtschafts-  und  Arbeitsanteils 
sein  Bestes  und  Höchstes  zu  leisten. 

Ganz  außer  Frage  stände  wohl,  daß  nur 
die  Reichshauptstadt  Berlin  für  eine  derartige 
Ausstellung  in  Betracht  käme.  Ja,  es  ist  nicht 
ausgeschlossen,  daß  bei  den  bestehenden  Aus- 
bau-Absichten Berlins  inbezug  auf  „Groß- 
Berlin"  Bauten  erstehen,  die  einen  Teil  der  Aus- 
stellungsaufgaben erfüllen  könnten.  Auch  das 
Jahr  1920  würde  für  eine  solche  Ausstellung 
noch  nicht  zu  spät  liegen;  um  so  besser  würden 
alle  die  einleitenden  Arbeiten  erledigt  und  das 
Unternehmen  selbst  in  der  Beschaffung  von 
Fonds  fundiert  werden  können. 

Nur  nichts  Halbes!  Und  keine  Aufmach- 
ung mit  fragwürdigen  Mitteln,  keine  faden- 
scheinige Repräsentation,  keine  Kulissen,  kein 
Abklatsch  der  Wirklichkeit,  sondern  —  die 
Wirklichkeit  selbst! 

Für  Berlin  als  „Ausstellungsfeld"  sprechen 


227 


Ei7ie  deutsche  Welt-Atisstellung? 


eigentlich  fast  alle  Gründe,  nicht  nur  seine  be- 
sonders günstige  Lage  für  alle  Verkehrswege 
und  Verkehrsmittel.  Hauptsächlich  aber  seine 
Stellung  als  „Rcichshauptstadt"  spricht  dafür, 
Berlin  als  Ausstellungsstätte  einer 
„Deutschen  Reichs-Ausstellung"  zu 
wählen.  Sämtliche  deutschen  Bundes-Staaten 
würden  sicherlich  in  diesem  Sinne  vollste  Sym- 
pathie für  Berlin  hegen. 

Aber  auch  alle  Völker  würden  für  eine 
solche  deutsche  Ausstellung  ihre  Sympathie 
bekunden,  wenn  sie  lediglich  als  ein  großes, 
ja  gigantisches  Werk  des  Friedens,  der  kul- 
turellen Macht  und  Größe  erstehen  würde. 
Dabei  würde  die  politische  Größe  des  Reiches 
keineswegs  zu  kurz  kommen,  im  Gegenteil: 
sie  würde  so  in  unaufdringlicher  Weise  erst 
recht  zur  Geltung  kommen:  denn  ein  Volk  der 
Arbeit  und  Intelligenz  ist  auch  stets  ein  Volk 
in  Waffen!  Wo  nichts  ist,  ist  auch  nichts 
zu  verteidigen! 

Würde  der  hier  nur  in  großen  Umrissen  dar- 


gelegte Plan  einer  Deutschen  Reichs-Ausstel- 
lung in  den  leitenden  Kreisen  und  breiteren 
Schichten  des  Deutschen  Volkes  verstärkenden 
Widerhall  finden ,  so  würde  darin  zugleich 
eine  Beruhigung  und  Festigung  der  politischen 
Zukunft  liegen.  Ein  so  eklatantes  Zeichen 
der  inneren  Arbeit  eines  Volkes  und  der  An- 
spannung seiner  besten  Kräfte  für  eine  so 
lange  Zeitspanne  bedeutet  wohl  die  beste 
Bürgschaft  des  Friedens! 

Wir  bedürfen  dazu  auch  keines  äußeren  An- 
lasses, keiner  politischen  Feier  oder  eines  Re- 
gierungs-Jubiläums. Man  denke  deshalb  nicht 
an  1918  oder  gar  an  1921.  Es  genügt  vollauf, 
daß  wir  uns  stark  genug  fühlen,  eine  solche 
Ausstellung  zu  machen.  Je  eher  wir  uns  ent- 
schließen, desto  besser!  Nicht  was  wir  wollen, 
sondern  was  wir  können,  müssen  wir  der 
Welt  einmal  zeigen! 

Sammeln  wir  unsere  Kräfte  unter  Vermei- 
dung jeglicher  Zersplitterung  endlich  einmal 
zu  einer  wirklich  großen  Tat!"  —  a.  k. 


DER  DEUTSCHE  STIL. 


Ratlos  steht  Frankreich,  das  heißt  Paris,  vor 
den  Räumen  der  Münchner  Künstler  im 
Herbstsalon  ;  ratlos,  weil  diese  Erzeugnisse  sei- 
nem oft  bewährten  Geschmacke  schnurgerade 
zuwiderlaufen  und  weil  zugleich  die  Unmög- 
lichkeit, diese  Erzeugnisse  glatt  zu  verneinen, 
deutlich  gefühlt  wird.  Es  kommt  auf  diese 
Weise  zu  jenen  halben  Anerkennungen,  die  uns 
lächeln  machen,  und  zu  jenen  halben  Tadels- 
kundgebungen, die  unser  Lächeln  in  Lachen 
verwandeln.  Denn  beides ,  Lob  und  Tadel, 
kommt  von  falschen  Standpunkten,  Im  einen 
Falle  der  mühsame  Versuch  einer  Einfühlung 
in  Fremdes,  ein  Versuch  mit  untauglichen  Mit- 
teln; im  anderen  Falle  das  Messen  einer  glän- 
zenden kulturellen  Errungenschaft  am  Maßstabe 
der  ästhetischen   Harmlosigkeit. 

Einen  Ausdruck  des  Erstaunens  möchte  ich 
hier  einschalten,  des  Erstaunens  darüber,  wie 
diese  vollkommene  Unkenntnis  der  primitiven 
Grundlagen  unserer  kunstgewerblichen  Umwäl- 
zung sich  auch  bei  den  französischen  Kunst- 
kritikern bis  heute  erhalten  konnte.  Zuge- 
geben, daß  deutsches  Kunstgewerbe  in  Frank- 
reich bisher  selten  gezeigt  worden  ist.  Wozu 
haben  aber  unsere  Kunstzeitschriften  seit 
fast  fünfzehn  Jahren  eine  überwältigende  Fülle 
bildlichen  Materials  veröffentlicht,  wenn  sich 
jetzt  jeder  Pariser  Kritiker  angesichts  der  Lei- 
stungen im  Herbstsalon  auf  eigene  Faust  den 


228 


Kopf  zerbrechen  muß,  um  diese  fremdartigen 
Erscheinungen  einigermaßen  zu  enträtseln?  Wir 
deutschen  Schriftsteller  wissen  doch  in  vielen 
Fällen  auch  nur  aus  den  französischen  Revuen 
Bescheid  über  die  französische  Industrie.  Wobei 
noch  zu  bemerken,  daß  unsere  Kunstzeitschrif- 
ten den  französischen  an  Fülle  des  Materials 
und  an  Qualität  der  Abbildungen  weit  überlegen 
sind.  Man  kann  also  nur  annehmen,  daß  die  fran- 
zösische Kunstkritik  diese  ungeheure  Masse  an 
Stoff  nicht  beachtet  hat,  eine  Unterlassung,  die 
sich  eben  in  den  letzten  Wochen  empfindlich 
gerächt  hat.  Man  erinnert  sich  wohl  auch  noch 
des  Berichtes  der  französischen  Kommission 
über  die  Ausstellung  München  1908,  die  in 
München  damals,  nach  zwölf  Jahren  deutschen 
Kunstgewerbes ,  noch  auf  die  Renaissance- 
Möbel  zu  stoßen  gefaßt  war,  die  vor  dreißig 
Jahren  einmal  den  Ruhm  der  Münchner  Möbel- 
Industrie  ausgemacht  haben.  Bei  dieser  Un- 
kenntnis wichtigster  Kulturströmungen  des 
Nachbarlandes  wird  freilich  die  Hilflosigkeit 
der  Pariser  Kritik  einigermaßen  verständlich, 
wenn  auch  keineswegs  gerechtfertigt. 

Der  Franzose  —  mit  Ausnahmen,  die  erfreu- 
licher Weise  nicht  selten  sind  —  versteht  nichts 
von  all  den  Motiven,  die  die  Entwicklung  un- 
seres Kunstgewerbes  bestimmt  haben.  Schon 
sein  Ursprung  ist  ihm  dunkel,  weil  er  das  Ge- 
fühl  nicht  kennt ,    das  uns   dazu   drängte ,    für 


LUDWIG  HOHLWEIN -MÜNCHEN. 

PLAKAT.    AUSF:  VEREINIGTE  DRÜCKEREIEN 
U.  KUNST-ANSTALTEN,  G.M.B.H.,  MÜNCHEN. 


CSRAMMOPHOH 


Stiller  2£ 

PLAKATE  VON  L.  HOHLWEIN.      AUSI' .  ;  VEREINIGTE  DRLXKEREIEN  U.  KUNST-ANSTALTEN,  G.  M.  B.  H.,  MÜNCHEN. 


i 


i 


l'I.AKATE  VON  L.  HOHLWEIN.      AUSF. :  VEREINIGTE  DRUCKEREIEN  U.  KUNST-ANSTALTEN,  G.  M.  B  H.,  MÜNCHEN. 


Dci-  dciitsclic  S/lV. 


Bm 


LUDWIG  HOHLWEIN-MUNCHE.N. 


eine  neue  Zeit  auch 
eine  neue  kunstgewerb- 
liche Ausdrucksweise 
zu  verlangen  und  zu 
suchen.  Dem  Bedürf- 
nis der  Malerei  nach 
einerReform  ihrer  Aus- 
drucksmittel ist  Frank- 
reich im  weitesten 
Maße  gerecht  gewor- 
den. In  der  Schrift- 
kunst wie  in  der  Plastik 
hat  der  französische 
Genius  in  neuerer  Zeit 
stets  an  der  Spitze  des 
kühnsten  Fortschrittes 
gestanden.  Nun,  da  in 
Deutschland  eine  ent- 
sprechende Revolutio- 
nierung der  Architektur 
u.  des  Kunstgewerbes 
unternommen  wird,  be- 
gegnen wir  jenseits  des 
Rheines  der  vollkom- 
mensten Ratlosigkeit, 
wenn  nicht  unzweideu- 
tiger Ablehnung.  Wie 
ist  dieser  Widerspruch 


LUliWIG   HiiHLWElN  -MÜNCHE-N.      i'lakat. 


Ausf.:  Vereinijjte  Druckereien  und  Kunst-Aiistalteii— Münche 


ZU  erklären?  Betrach- 
tet man  etwa  in  Frank- 
reich die  Baukunst  u.das 
Kunstgewerbe  nicht  als 
Erzeugerinnen  künst- 
lerischer Werte?  Es 
scheint  so.  Denn  wenn 
man  annimmt,  daß  bei- 
de auf  ihre  Weise  gleich 
den  anderen  Künsten 
Zeitausprägungen,  Per- 
sönlichkeits-Ausdrücke 
liefern,  kann  es  selbst 
dem  Wahnwitz  nicht 
einfallen,  ihnen  die  Ent- 
wicklungs  -  Notwendig- 
keit zu  bestreiten.  Daß 
aber  Baukunst  u.  Kunst- 
gewerbe, mit  einigen 
Einschränkungen  frei- 
lich ,  durchaus  unter 
künstlerischer  Psy- 
chologie stehen,  ist  im 
Ernste  nicht  anzuzwei- 
feln und  bis  jetzt  auch 
niemals  bestritten  wor- 
den. —  Wie  dem  auch 
sei;  dunkel  bleibt  dem 


'JJ 


Der  deutsclic  Stil. 


ARCHlTtKT  LUUWIG   HOHLWEIN      MÜNCHEN. 


Franzosen  das  gewaltige  kulturelle  Pathos,  das 
die  Deutschen  zwang,  die  Zeit  im  Bauwerk  und 
im  Geräte  auszuprägen.  Vor  der  ungeheuren 
Aufraffung,  die  ohne  jede  zentralisierte  Anregung 
die  denkenden  Köpfe  diesseits  des  Rheines  er- 
griff, den  Historizismus  aus  dem  Sattel  warf  und 
in  unglaublich  kurzem  Zeiträume  eine  mächtige 
neue  Industrie  erstehen  ließ  —  vor  dieser  ge- 
waltigen Kraftäußerung  steht  Frankreich  ohne 
Verständnis,  mit  skeptischem  Lächeln,  hinter 
dem  sich  ein  gutes  Teil  bedrohter  nationaler 
Eitelkeit  verstecken  mag.  Denn  das  ethische 
Moment  in  dieser  ästhetischen  Revolution  ist 
dem  Genius  der  französischen  Rasse  fremd  und 
feind.  Das  zeigt  sich  deutlich  in  dem  Verhält- 
nis Frankreichs  zu  den  dekorativen  Elementen 
im  Kunstgewerbe.  Selbst  wenn  uns  drüben  die 
Notwendigkeit  einer  Reform  des  kunstgewerb- 
lichen Ausdruckes  zugegeben  wird,  steht  gleich 
dahinter  die  Frage:  aber  wozu  diese  Schmuck- 
losigkeit, diese  fanatische  Schlichtheit?  Der 
Franzose   kommt    über    die  Anschauung,    das 


Frühsuicks-Ziramer  im  Hause  Dr.  M.     Wunchcn. 


Möbel,  das  Gerät  sei  in  erster  Linie  ein  De- 
korationsproblem, nicht  hinaus.  Was  nicht  De- 
koration ist,  gilt  ihm  kaum  als  Arbeit.  Man  be- 
trachte nur  die  in  Nancy  erscheinende  Zeit- 
schrift „  Art  et  Industrie  " :  gewiß  ein  Blatt  und  ein 
Kreis  von  Männern,  die  den  besten  Willen  an 
den  Tag  legen  und  im  ganzen  genommen  viel- 
leicht auf  dem  richtigen  Wege  sind.  Aber  jede 
Nummer  der  Zeitschrift  enthält  eine  Art  Mono- 
graphie über  eine  Pflanze  mit  Naturaufnahmen 
und  stilisierten  oder  ornamentalen  Umzeich- 
nungen,  denen  man  dann  wahrscheinlich  auf  den 
Türfüllungen  der  Möbel,  an  ihren  Friesen,  auf 
Buchtiteln,  Ofenschirmen  und  Fenstervergla- 
sungen  wieder  begegnen  soll. 

Frankreich  hat  sich  niemals  ernstlich  Mühe 
gegeben,  die  Gründe  unserer  „dekorativen  Ent- 
haltsamkeit" einzusehen.  Es  hält  heute  noch 
diese  fanatische  Schmucklosigkeit  für  eine  un- 
mittelbare Ausstrahlung  tristen  deutschen  We- 
sens und  wertet  sie  mit  barbarischer  Naivität 
völlig  negativ.    —        wii.hei.m  michel— München. 


234 


X 
o 
z 


ARCHITEKT  LUDWIG  HOHLWEIN-MUNCHEN. 


Schlafzimmer  im  Hause  Dr.  M.  -München. 
Ausführung:    Hof -Möbelfabrik  M.  Ballin— München. 


LUDWIG  HOHLWEIN-MÜNCHEN. 


VON  WILHELM  MICHEL— MLNCHE-X. 


Die  delikate  Verbindung  von  Eleganz  und 
Gediegenheit,  die  der  Name  Hohlwein 
bedeutet,  zählt  zu  den  einnehmendsten  Erschei- 
nungen unseres  kunstgewerblichen  Lebens.  Beim 
Betreten  seiner  Räume  hat  man  immer  das  eine 
Erlebnis:  den  Eindruck  der  Sauberkeit,  der  ap- 
petitlichen Frische.  Das  sind  durchgehends 
feine,  höfliche  Möbel,  Möbel  von  guten  Manie- 
ren, etwas  englisch  angehaucht  im  Auftreten, 
etwas  förmlich,  wenn  man  will,  wie  sich  eben 
wohlerzogene  Menschen  und  Dinge  in  Gesell- 
schaft zu  geben  pflegen.  Man  ist  bei  ihnen 
immer  in  guter  Gesellschaft,  und  auf  die  Dauer 
läßt  sich  eben  doch  mit  der  Wohlerzogenheit 
besser  verkehren  als  mit  proletenhafter  Form- 
losigkeit. Umsomehr  als  es  diesen  höflichen 
Manieren  keineswegs  an  Herzlichkeit  fehlt. 
Denn  mit  der  tadellosen  Eleganz  und  gemes- 
senen Schlichtheit  der  Möbelformen  verbindet 


dieser  Künstler  die  liebenswürdigste  Grazie,  ja 
Koketterie  der  Aufmachung.  Das  gibt  in  allen 
Fällen  eine  neuartige,  pikante  Mischung,  in  der 
mit  Hohlwein  vielleicht  nur  noch  Emanuel  von 
Seidl  verglichen  werden  kann.  Die  Bänder,  an 
denen  Spiegel  und  Bilder  befestigt  sind,  die 
Rosetten,  die  Volants,  die  überall  auftauchen, 
selbst  an  paradoxen  Stellen,  wie  an  der  Rück- 
wand einer  Kredenz  und  am  Plafond,  sie  brin- 
gen eine  Note  heiterer  Leichtigkeit  in  die  Räume, 
die  die  Formenstrenge  der  Möbel  wieder  wett 
macht.  Die  Gewebe  spielen  in  Hohlweins  Räu- 
men eine  überaus  große  Rolle,  die  bezeichnend 
ist  für  diese  Kunst  der  zierlichen,  heiteren  Ele- 
ganz. Ja,  die  Gewebe  sind  sogar  bei  ihnen  die 
einzigen  Träger  des  Ornamentes,  dessen  die 
Möbel  ganz  entbehren.  Großgeblümte  Stoffe 
bedecken  die  Sessel  und  Sofas,  dienen  als  Fen- 
stergardinen und  als  Garderobehüllen,  als  Bett- 


191'J.ll.  III.  6. 


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Ludwig  Ho/t/wehi —München. 


ARCHITEKT  LUDWIG  HOHLVVEIN -MÜNCHEN. 


Verkleidungen  und  als  Friese.  Zu  ihnen  gesel- 
len sich  die  schablonierten  Einfassungen  der 
Wandfelder,  deren  Muster  nach  Möglichkeit 
milder  farbensatten  Ornaiiientierung  der  Stoffe 
übereinstimmen.  Und  überall  die  kleinen,  hei- 
teren, wenn  auch  keineswegs  süßlichen  Koket- 
terien der  Volants  und  Rüschen,  die  die  Räume 
mit  hübschen  schmückenden  Schatten  und  Li- 
nien bevölkern.  Die  Gewebe  bilden  in  den 
neuen  Hohlweinschen  Räumen  eine  Welt  für 
sich;  sie  liefern  die  Dekoration  und  die  Möbel 
liefern  die  Architektur. 

Ich  erblicke  in  der  Vermeidung  aller  beleb- 
teren Möbelformen  nicht  das  letzte  Wort,  das 
unser  Kunstgewerbe  zu  sprechen  hat.  Dennoch 
hat  Hohlweins  unterstrichene,  wohl  auch  etwas 
preziöse  Formenschlichtheit  in  der  Möbelgestal- 
tung meinen  vollen  Beifall.  Sie  gewinnt  ihren 
Sinn  durch  die  Kontrastierung  mit  dem  farbigen 
und  ornamentalen  Leben  der  Gewebemuster, 
Mitten  zwischen  üppigen,  großblumigen  Stoff- 
massen erhebt  sich  da  die  dunkle,  spiegelnde 
Fläche    eines   vollkommen   glatten   Mahagoni- 


Röntgen-Saal  im  Hause  ür.  Bmegel— München. 


schrankes.  Das  Auge  empfindet  die  prachtvolle 
Ruhe  dieser  nur  von  diskreten  Reflexen  beleb- 
ten Fläche  genau  so,  wie  einen  lang  anhalten- 
den Orgelton  im  farbigen  Leben  der  übrigen 
Orchesterstimmen.  Auf  der  einen  Seite  höchste 
Strenge ,  fast  Wucht ,  auf  der  anderen  Seite 
Leichtigkeit,  fast  Tändelei ;  die  Grundnote  tadel- 
lose, gemessene  Solidität,  darüber  hin  entzük- 
kende  Glanzlichter  der  Laune  und  der  Schalk- 
haftigkeitgestreut. Das  ist  Ilohlweins  Mischung. 
Die  strenge,  geschlossene  und  glatte  Front- 
fläche ist  natürlich  nicht  Hohlweins  einzige  Er- 
scheinungsform des  Möbels.  Man  kann  beobach- 
ten, daß  er  den  geschlossenen  Holzebenen  in 
kluger  Abwägung  eine  entsprechende  Anzahl 
aufgelöster  Flächen  beigesellt.  Dem  erwähnten 
Schranke  im  eigenen  Schlafzimmer  entsprechen 
beispielsweise  die  in  leichtes  Gitterwerk  auf- 
gelösten Kopf-  und  Fußteile  der  Betten.  Und 
man  kann  es  wohl  einen  liebenswürdigen  Ge- 
danken nennen,  daß  gerade  das  Bett  diese  Ver- 
minderung an  Schwere  erfahren  hat.  Das  Bett 
ist  hier  nicht  die  dumpfe  „Schlafkiste",  die  das 


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ARCHITEKT   LUDW.   HOHLWEIN. 
SPRECH-ZIMMER  DR.  BRUEGEL     MÜNCHEN. 


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ARCHITEKT  LUDW.  IIOHLWEIN. 
WARTE-ZIMMER  UK.  BRUEGEL     MÜNCHEN. 


Z.tul7vii'  HoJihvei)i—3fihi(he)i. 


AKCttlTEKT  LUDWIG  HÜHLVVEIN— MUNCUE.N. 


Schlafen  gleichsam  als  eine  schwere,  finstere 
Verrichtung  erscheinen  läßt.  Es  hat  etwas  Korb- 
ctrtiges,  Luftiges  an  sich  und  weist  alle  Vor- 
stellungen von  dumpfer  Hitze,  die  mit  den  Holz- 
und  Federburgen  älterer  Ordnung  eng  verbun- 
den waren,  weit  von  sich. 

Immer  aber  ist  für  seine  Möbelgestaltung  — 
auch  hierin  liegt  eine  Ähnlichkeit  mit  dem 
Schaffen  Emanuel  v.  Seidls  —  feinstes  architek- 
tonisches Gefühl  maßgebend.  Sauber  schließt 
sich  Fläche  an  Fläche,  Winkel  an  Winkel,  die 
Massenverteilung  berücksichtigt  peinlich  die  Ge- 
setze der  optischen  Statik,  und  selbst  gelegent- 
liche Paradoxien,  wie  die  gedrehten  Verdickun- 
gen an  den  Füßen  des  Bibliothektisches,  sind 
durchaus  gelungene  Wagnisse. 

Ausgezeichnete  Effekte  erzielt  der  Künstler 
durch  die  streng  durchgeführte  Einfassung  und 
Abteilung  der  architektonischen  Wandfelder. 
Sie  gliedern  den  Raum  und  dienen  dem  Auge 
als  „optische  Hilfen"  zur  Einsicht  in  die  Ab- 
messungen.  Sie  grenzen  gleichzeitig  den  Raum, 


Wiihnung  Dr.  D.  Herrenzimmer. 
Ausführung:  Ebner,  Reicheneder  &  Schnell. 

den  jedes  Möbelstück  zu  beherrschen  hat,  sauber 
ab  und  geben  dem  Möbel  die  stärkste  Betonung, 
die  sich  denken  läßt.  Daß  ein  Möbel  an  sol- 
chermaßen eingeteilten  Wänden  heimatlos  und 
verloren  dasteht,  wie  wir  es  leider  so  oft  in 
der  Mietwohnung  erleben,  ist  vollkommen  aus- 
geschlossen. Die  Mietwohnung  hat  wohl  auch 
ihre  architektonischen  Felder,  aber  sie  sind  in 
der  Regel  unklar  in  der  Begrenzung  und  geben 
deshalb  dem  Möbel,  das  sie  zu  eigenem  Nutzen 
fühlbar  machen  möchte,  keine  Unterstützung. 
Zu  den  klaren,  wohlbegrenzten  und  verkleiner- 
ten Flächen,  wie  sie  Hohlweins  Einfassungen 
liefern,  tritt  aber  jedes  Möbel  sofort  in  irgend 
eine  Beziehung.  Die  Abstände  der  Möbelkon- 
turen von  den  Friesen  werden  vom  Auge  so- 
fort erfaßt  und  in  ihren  Verhältniswerten  er- 
kannt. Der  Erfolg  ist  wohltuende  Beruhigung, 
von  der  nicht  bloß  die  Wand  und  das  einzelne 
Möbelstück,  sondern  auch  der  ganze  Raum 
Nutzen  zieht.  Erstaunlich  ist  es,  wie  selbst 
kleinere   Gegenstände  (kleine  Bilder,   Spiegel, 


243 


ARCHITEKT  lA'DWIG  HOHLAVEIN. 
SOPHA-ECKE  IM  SPEISE-ZIMMER  DR.  D.     MÜNCHEN. 

ArSFÜHRl'NO  :     EBNI-.K,    RElCHtSl-.DER    &     SlHNHl.I. — MÜNCHEN. 


LUDWIG    HOHLWEIN -MÜN'CHEN. 
AUS  DEM  SPEISE-ZIMMER  DR.  D.— MÜNXHEN. 


'■'«s^-f^i-^i^k:-^y^.:^i!^^!^C^V9i^ 


ARCHITEKT    LUDWIG   HOHLWEIN-MÜNCHEN. 
GLÄSER-SCHRAXK  UND  KREDENZ  IN  VORST.  SPEISE-ZIMMER. 


1910/11.  lU.  7. 


Liuiima  Hoh/wein  —Älutichen. 


ARCHITEKT   LUliWIi;    HoHI.WF.lN      \1  UNiJH  !■  N. 


Wandleuchter  usw.)  durch  diese  Art  der  Wand- 
einteilung an  Wichtigkeit  und  Bedeutung  ge- 
winnen, wofern  sie  an  den  richtigen  geome- 
trischen Punkten  der  freien  Wandflächen  ihren 
Platz  finden.  Jeder,  der  schon  einmal  in  der 
Lage  war,  mit  den  formlosen  Wandwüsten  der 
Mietwohnung  um  ein  paar  betonte  Punkte  für 
seine  Bilder  zu  kämpfen,  wird  das  zu  würdigen 
wissen.  Man  schwankt  da  immer :  soll  der 
Wandschmuck  nach  den  formlosen  Wandfeldern 
geordnet  werden  oder  nach  den  Möbel,  deren 
seitliche  Grenzlinien  aufwärtssteigend  ihrer- 
seits eine  Art  von  Wandeinteilung  erzeugen. 
Hohlweins  Wandgliederung  löst  die  peinliche 
Frage  sofort  und  mühelos.  Mir  scheint,  der 
Miethausbau  könnte  aus  seinem  Beispiel  großen 
Nutzen  ziehen,  indem  er,  ohne  eine  selbstän- 
dige einengende  Wandgliederung  zu  versuchen, 
wenigstens  die  vorhandenen  architektonischen 
Felder  zu  klarer  Abgrenzung  brächte. 

Vergleicht  man  diese  neuesten  Schöpfungen 


SchlalziiDnicr  ilcr  eigenen  Wohnung. 
Aiisfüliriing  :    Ebner.  Reicheneder  &  Sclinell 


Hohlweins  mit  seinen  älteren  Arbeiten,  so  er- 
gibt sich  der  Eindruck  erfreulichen  Fortschrei- 
tens. Das  Element  Wien,  das  früher  hie  und 
da  hervortrat,  fehlt  ihnen  vollkommen.  Ein 
engerer  Anschluß  an  das  Englische  ist  unver- 
kennbar. Aber  er  hält  sich  so  sehr  in  erlaub- 
ten Grenzen,  daß  man  nicht  ungern  mehrere 
unserer  Architekten  auf  diesem  Wege  sähe, 
auf  dem  sie  sich  etwas  von  kontinentaler 
Schwere  befreien  könnten.  Gewisse  Motive 
des  neu-englischen  Zimmers  könnten,  so  sehr 
ich  auch  von  der  unbedingten  Überlegenheit 
der  deutschen  Innenausstattung  überzeugt  bin, 
unseren  Architekten  sehr  wohl  als  Anregung 
dienen,  so  die  Ausgestaltung  der  Feuerstellen, 
der  Kaminwände,  der  Sofas,  der  Sitzecken,  der 
Zimmerdecken.  Hohlwein  hat  unter  anderem 
in  seinen  neuen  Raumschöpfungen  bewiesen, 
daß  das  Wohn-  oder  Arbeitszimmer  sehr  wohl 
ohne  die  schon  zum  Klischee  gewordene  Ver- 
einigung von   Eckschrank    und   geteiltem   Sofa 


249 


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LUDWIG  HOHLWEIX    MÜNCHEN.    WAbCH-TisCH  aus  dem  nebenstehenden  schlaf-zimmer. 


Ludivis  Hohlwein  -München. 


ARCHITEKT  LUDWIG  HOHLWEIN-  MÜNCHEN. 


auskommen  kann;  auch  daß  ein  Sofa  sehr  gut 
ohne  die  entsprechenden,  gleichartigen  Fau- 
teuils  zu  existieren  vermag  und  anderes  mehr. 
Nicht  gerade  engUsch,  nicht  einmal  ganz  neu, 
aber  wenig  gebraucht  und  doch  sehr  hübsch 
finde  ich  sein  System  der  Wandleuchter.  Die 
Zentralisation  des  Lichts  im  Zimmer  hat  zweifel- 
los ihre  Vorzüge  und  kann  nicht  entbehrt  wer- 
den, weil  man  zum  Essen  oder  Lesen  alles 
Licht  auf  dem  Tisch  versammeln  muß.  Aber 
das  an  der  Wand  zerstreute  Licht  ist  ungleich 
vornehmer  und  schmeichlerischer,  dabei  so 
stimmungsvoll,  daß  keinem  größeren  Räume 
die  entsprechenden  Vorrichtungen  fehlen  soll- 


Schlafzimmer  der  eigenen  Wohnung. 
Ausführung:    Ebner,  Reicheneder  &  Schnell. 

ten.  Das  Licht  ist  ein  Teil  der  Toilette  eines 
Raumes.  Warum  sollten  unsere  Wohnräume 
nicht  einmal  die  Toilette  wechseln  dürfen? 

Eines  darf  bei  der  Würdigung  der  hier  ab- 
gebildeten Raumschöpfungen  nicht  vergessen 
werden:  der  Umstand,  daß  es  sich  hier  nur  um 
durchschnittliche,  begrenzte  Aufgaben  handelte, 
zum  Teil  um  die  schwierige  Anpassung  an  vor- 
handene und  denkbar  ungeeignete  Räume.  Um 
so  höher  ist  der  erzielte  Effekt  zu  werten,  und 
um  so  interessanter  wird  die  Vorstellung,  wie 
sich  dieser  Künstler,  der  bescheidene  Aufgaben 
so  fein  zu  lösen  wußte,  bei  freieren  oder  gar 
großen  Aufgaben    bewähren   würde.        w.  m. 


2x1 


Norhal  Falk^ 


FRANZ  CHRISTOPHE-BERLIN. 


Da  alles  auf  Erden  Sohn,  Tochter  und  Enkel 
ist  und  unser  leidiges  Wissen  uns  immer 
gleich  an  die  Genesis  der  Dinge  denken  läßt, 
statt  daß  wir  uns  am  Objekt  recht  objektiv  er- 
freuen, so  belästigt  uns  beim  ersten  Anblick 
eines  Künstlerphänomens  der  Gedanke  an 
dessen  Elternschaft ,  Abkunft ,  Stammbaum, 
Der  genealogische  Sparren  sitzt  uns  im  Kopf. 
In  der  Musik  haben  ihn  die  Reminiszenzen- 
jäger. In  der  Literatur  tritt  er  als  Plagiatäsie 
auf.  In  der  bildenden  Kunst  bläst  er  auf  den- 
selben Flöten ,  aber  hier  kommt  noch  eine 
Nuance  hinzu:  das  bildnerische  Vortänzer- 
tum.  Wenn  man  solcher  Art  Hofballelemente 
ins  Gebiet  der  Abstraktionen  überpflanzen  darf. 
Wenn  ich  eine  Mappe  mit  den  berückend 
grazilen ,  schlanken  und  geistdurchleuchteten 
Zeichnungen  Franz  Christoph  es  durch- 
blättere, so  wird  mir  so  ein  gelbsüchtiger  Haar- 
spalter lang  und  breit  zu  erzählen  beginnen,  was 
doch  die  Bekanntschaft  mit  den  japanischen 
Holzschneidern  für  fruchtenden  Samen  im  deut- 
schen Kunstland  ausgestreut  hat ,  und  wie 
Beardsley  die  Brücke  ist,  über  die  sie  sich  alle 
drängen.  Aber  das  trifft  heute  schon  jedes 
Kind,  beim  Anblick  solcher  Blätter  zu  rufen: 
„O,  die  Japaner!    O,  du  gepudertes  Rokoko!" 


Franz  Christophe  ist ,  über  Th.  Th.  Heine 
hinaus,  der  eminenteste  Japanist.  Aberbeiwem 
der  ganze  Stil  so  vollkommen  Kunstausdruck 
des  eigensten  Wesens  wird  wie  bei  Christophe, 
der  mag,  angeregt  durch  die  gelbe  Welle  des 
Ostens,  seine  Anlagen  zwar  erst  bewußt  ent- 
wickelt haben,  —  im  Grunde  wäre  aber  die 
Physiognomie  seines  Oeuvre  nicht  viel  anders 
geworden,  wenn  er  vor  der  Zeit  unserer  Ja- 
panbekanntschaft geschaffen  hätte.  In  dem 
schlanken  ,  schmalen  ,  geschmeidig  -  kantigen 
Künstler  klingt  ein  starkes  Echo  aus  den 
Glanztagen  des  französischen  Rokoko ;  die 
Schatten  getanzter  Gavotten  und  Menuetts 
huschen  mit  kinematographischer  Deutlichkeit 
durch  das  Unterbewußtsein  dieser  subtilen 
Künstlerpsyche,  und  der  Geist  der  gestutzten 
Alleen,  der  theatralischen  Lyrik  und  des  leis 
aufklärerischen  Sarkasmus  hätte  den  feinen, 
schlanken,  fest  den  Griffel  führenden  Fingern 
die  bizarr-drollige  Note  diktiert,  auch  ohne 
die  Verschwisterung  mit  der  stilisierten  Im- 
prcssionistik  der  Männer  von  Nippon.  Aber 
eine  glücklichere  Berührung  hat  es  wohl  selten 
gegeben  als  die  des  bewußt  zitierten  Rokoko- 
geistes mit  der  japanischen  Formenseele.  Die 
mit  Varieteparfüms  durchdüftete  Neuroniantik, 


252 


Franz  Christophe— Berlin. 


nuanciert  mit  der  krausen  Drölerie  des  Bieder- 
meiertums,  hat  bei  Christophe  einen  entzük- 
kend  ironischen  Stil  geschaffen,  der  in  gewoll- 
ten Verkünstelungen,  in  pantomimischen  Mum- 
mereien, in  grotesken  Attitüden,  in  Spaßen 
kichernder  Burlesken  sich  köstlich  überlegen 
auslebt.  Christophe  ist  ein  Zeichner,  wie  wir 
wenige  haben  und  hatten.  Das  abgeschabte 
Wort  „meisterlich"  wäre  vielleicht  doch  an- 
zuwenden, aber  es  drückt  zu  viel  Akademi- 
sches aus.  Christophe  ist  aber  so  gar  nicht  Aka- 
demiker. Er  hat  die  volle,  rechte  Freude  am 
Linearen  und  doch  an  der  Verzerrung,  er  be- 
nützt die  reife  Kunst  der  Ausführung,  aber  er 
liebt  doch  zu  sehr  die  Andeutung;  er  ist  ganz 
vom    Reiz    des    Hinweises    durchprickelt    und 


er  liebt  die  Fixierung  des  huschendsten  Mo- 
ments. Das,  was  die  andern  so  gern  umgehen, 
teils  weil  sie  es  gar  nicht  sehen,  teils  weil  sie 
es  nicht  lebendig  festzuhalten  vermögen.  Er 
hat  eben  auch  das  Leben  studiert,  wie  nur 
irgend  ein  Naturalist.  Den  Reichtum  natura- 
listischen Könnens  hat  er  fest  angelegt,  wie  ein 
Kapital,  das  man  Zinsen  schwitzen  läßt,  ohne 
sie  zu  verzehren.  Und  er  transponiert  die  Lebens- 
dokumente in  lineare  Bizarrerien ;  daß  sie 
nicht  dekadent,  nicht  morbid  wirken,  daß  sie  so 
frisch,  bei  aller  gespielten  Entartung  so  keck- 
gesund sind,  das  bewirkt  eben  sein  Fonds  von 
Naturschätzen.  Das  lebendige  Detail  ist  aber 
nicht  zusammengetragen,  nicht  bei  Gelegenheit 
aus    der    Botanisier-Trommel    ausgepackt   und 


iR.V:\Z  CHklSTÜPHE. 


Zeichnung. 


Franz  Christophe— Berlin. 


hingesetzt ;  was  sein  raubvogelscharfes  Auge 
gesehen  hat,  das  gräbt  sich  in  sein  Bewußtsein. 
Und  im  Moment  des  Schaffens  taucht  es  auf 
und  ist  im  Wege  der  Umstihsierung  haarscharf 
da.  Nicht  aus  dem  Nebeneinandersetzen  von 
sorgsam  inkunst-  und  kulturhistorischen  Museen 
mit  dem  Stift  studierten  Details  aus  dem  18.  Jahr- 
hundert ergibt  sich  ein  professoraler  Echtheits- 
effekt;  in  Christophe  lebt  die  Zopfzeit,  die  er 
so  liebt,  und  die  ihm  seiner  graziös-eleganten, 
aber  gänzlich  unsüßen,  bei  allem  Spielerischen 
doch  männlichen  Art  so  formenreich  entspricht. 
Es  ist  in  ihm  etwas  vom  chevaleresken  Wesen 
der  Galants  im  Pompadourkreis ;  er  hat  die 
Alkoven-Amouren  belauscht,  von  denen  uns 
die  Novellisten  und  Biographen  erzählen,  er  sah 
die  grell  geschminkten  Bajaderen  der  Wander- 
bühnen, sah  die  Junker  zur  Jagd  reiten,  sah  sie 
fechten  und  spielen,  sah  die  geschnürten  Frauen 
im  rauschenden  Reifrock  und  die  schlanken 
Kavaliere  im  hohen  Stöckelschuh.  Sah  die  galo- 
nierten  Mohren,  die  kniend  der  in  dem  Seiden- 
fauteuil  hingelehnten  Schönen  ein  Billetdoux 
auf  dem  Silbertablett  überreichen,  sah  die  auf- 
horchenden Windspiele,  sah  die  sinnlich-ko- 
ketten Damen,  die  hochgeschürzt  im  Schäfer- 
spiel auftreten  und  mit  grazil-pathetischer  Ge- 
berde aus  Füllhörnern  Rosen  streuen.  Und 
ihn  fesselten  die  pittoresken  Silhouetten,  die 
Flimmer  und  Pünktchen,  die  Jabots  und  Spitzen- 
guipüren,  die  Linie  der  vom  prallen  Seiden- 
strumpf umspannten  Wade ,  die  Masche  des 
Zopfs,  die  weißgepuderte  Haarkrone,  der  be- 
fiederte Dreispitz,  die  schmale,  erregte  Mar- 
quisenhand,  der  spitz,  wie  ein  weißes  Züng- 
lein vorlugende  Seidenschuh.  Und  Christophe 
hat  die  Rhythmik  des  ancien  regime,  und  er 
hat  sie  nicht  in  der  dekadenten  Note  der  Mit- 
lebenden, sie  klingt  in  ihm  im  hellen  Klang 
des  verliebten  Beobachters,  der  bei  all  seiner 
Neigung  nicht  die  Schärfe  des  Ironikers  ver- 
liert. Und  eben  diese  Ironie  —  F^erment  der 
Romantik!  —  ist  es,  die  ihn  frei  werden  läßt 
von  aller  Schwere  des  Stoffes.  Er  ist  über 
den  Dingen,  und  mit  fester  Hand  fügt  er  das 
wahre  Leben  in  die  Geometrie  seiner  souve- 
ränen Linienführung.  Wie  entzückend  akkurat, 
wie  sauber  ist  doch  bei  aller  Regelfreiheit 
seine  Arbeit.  Es  ist  alles  gesehen,  im  Leben 
oder  visionär,  gekannt  und  hingesetzt.  Ein 
Fanatiker  der  feinen  Linie,  des  nadelscharfen 
Strichs  ist  doch  bei  ihm  alles  wieder  weich 
und  fleischig  rund.  Stets  hat  er  den  Ton,  der 
dem  Gegenstand  adäquat  ist.  Wie  trifft  er  die 
Chinoiserie  in  der  Vision  des  knienden  Mäd- 
chens, das  den  gespenstischen  Reiter  daher- 
stürmen  sieht!    Und  wie  niederländisch  kräftig 


und  nervengesund  ist  die  prächtig  in  der  Be- 
wegung innehaltende  Frau  vor  dem  Vorhang. 
Eines  seiner  schönsten  Blätter  gibt  eine  Situ- 
ation, in  der  der  Geist  des  galanten  Jahrhun- 
derts in  einer  ungemein  feinen  künstlerischen 
Komprimierung  erscheint.  Die  pikante  Frau, 
die  auf  der  Chaiselongue  ruht,  ist  eben  beim 
Stelldichein  mit  ihrem  Liebhaber  gestört  wor- 
den. Der  Gatte  erscheint  hoch  zu  Roß  vor  der 
Balustrade,  die  eine  Loggia  oder  Garten  veranda 
graziös  abschließt.  Mit  der  Reitpeitsche  deutet 
der  unwillkommene  Kömmling ,  mißtrauisch 
lauernd  auf  einen  verdächtigen  Punkt.  Und 
während  die  junge  Frau  dem  Gatten  ein  gleich- 
gültig-ruhiges Gesicht  mit  echt  Christophe'sch 
spitz  vorspringendem  Kinn  zukehrt,  schürzt  sie 
geschickt  die  geblümten  Röcke  bis  über  die 
Knien  hoch,  so  daß  der  Liebhaber  eine  vor- 
zügliche Deckung  erhält  und  in  kriechender 
Stellung  entwischen  kann.  Der  ganze  Vorgang 
ist  höchst  bildhaft  und  in  meisterlich  sicherer 
Komposition  in  ein  Oval  gefügt.  Und  wie  einen 
Kulissenabschluß  setzt  der  Künstler  in  den  rech- 
ten Hintergrund  dieses  Theaters  von  1750  eine 
Art  gerader,  steilgeschorener  Laubwand  mit 
einem  fensterartigen  Ausschnitt,  in  den  er  einen 
stehenden  weiblichen  Akt  fügt,  der  halb  ver- 
zückt, halb  in  schreckhafter  Vorsicht  ein  Bein 
hochzieht.  Diese  mitspielende  Statuette  ist  voll 
sinnreicher  Beziehung  zu  dem  ganzen  Vorgang 
und  macht  das  Buffoterzelt  zum  voller  tönen- 
den Quartett.  Das  ganze  Bild  klingt.  Wie  ja 
die  ganze  Art  Christophes  auf  eine  musikalische 
Formel  zu  bringen  wäre.  Kontrapunktik  der 
Linienkunst.  Alles  löst  sich  ihm  zu  einem 
wundersamen  Linienspiel  voll  intimer  Beziehun- 
gen. Und  wieder  aus  dem  Musikalischen  ins 
Bildnerische  übersetzt:  Das  Leben  —  ein  Or- 
nament. In  buntem  Spiel  läßt  Christophe  gern 
entartete  Empfindungen  die  hingezeichneten 
Körper,  die  verfeinerten  Glieder  beseelen;  das 
innerste  Ich  seiner  Kunst  wird  aber  frei,  wenn 
sich,  so  bekennt  er:  die  reiche  Linienverknäue- 
lung  im  richtig  abgewogenen  Verhältnis  zu  ^ 
großen,  ruhigen  Flächen  aufbaut.  Den  höchsten  ' 
künstlerischen  Reiz  machen  für  ihn  dann  die 
sinnreichen  Beziehungen  der  Figuren  und  Dinge 
untereinander  aus.  Seelische  Korrespondenz. 
Am  charakteristischsten  für  ihn  ist  die  Zeich- 
nung, die  „bei  Vermeidung  malerischer  (im 
Sinne  unzeichnerischer)  Effekte,  die  den  besten  , 
Arbeiten  immer  eignende  lyrische  und  doch  1 
gleichzeitig  ironische  Note  voll  ausdrückt".  In 
diesem  Satz  ist  der  ganze  Christophe  umschrie- 
ben. Der  bewußte,  sichere  Könner,  der  subtile 
Empfinder  und  überlegene,  kühl  vornehme  Be- 
lächler norbert  k.vlk. 


III 


254 


FR.\XZ  CHRISTOPHE    BERLIN,    r.ujieru.ng. 


1810,11.  111.  6. 


2^6 


KAIHARINA  GREVE-HAMKURGER     CHARLOTTENBURG.       TASCHCHEN  AUS  SEIDEN-  U.  SAMT-BÄNDERN  MIT  PERLEN. 
DEUTSCHE    WERKSTÄTTH    FÜR    HANDWERKSKUNST    DRESDEN,    G.  M.  b!  H. 


258 


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ENTWURF: 

ERNST 

AÜFSEESEK- 

MÜNCHEN. 


FLOR-STIK= 
KEREIEN : 
TÜLL  MIT 
GLANZGARN 
HINTERSTICKT 


RN 


ENTWORFEN  VON  LAURA  KUNO     STUTTGART. 


MONOGRAMME  UND  EIGENZEICHEN.       ENTWORFEN    VON    HANS  THEODOR  HOVFR      NEV-PABEI  PKFRG. 


II 


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G.  HAUTE     BASEL. 


JULIUS  NITSCHE     MÜNCHEN. 


G.  HAUTE     BA.SEL. 


RUDOLF  KELTEN— HAMBURG.  M.  SCHELLERT  -  LOSCHVViTZ.  RUDOLF  FELTEN     HAMBURG. 


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MONOGRAMME  UND  EIGENZEICHEN. 


ENTWURF:  PAUL  DIENST— DRESDEN. 


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KARL    SIGRIST     STUTTGART. 


LOTTE  PIEPER— OFFENBURG.  GUSTAV  LUDECKE— DRESDEN. 

SCHW.'VNHLLD  HENTSCHEL     BUCHHOLZ.  SCHVVANHILD  HENTSCHEL— BUCHHOLZ. 

KARL  SIGRIST— STUTTGART. 


TONI  HOFER     WIEN. 


HEINRICH  JO.ST     MÜNCHEN. 


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MONOGRAMME  UND  EIGENZEICHEN.      ENTWURF;    GEORG  BREITWIESER— LANGSTADT. 


I 


I 

I  II 


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I 


KLEINE  KUNST-NACHRICHTEN. 


NOVEMBER   1910. 


DER  BERLINER  SCHAUFENSTER- WETTBE- 
WERB. Über  das  Prinzipielle  braucht  an 
dieser  Stelle  nicht  abermals  geredet  zu  werden. 
Es  ist  oft  genug  erörtert  worden  und  versteht  sich 
von  selbst,  daß  ein  Schaufenster  als  architektoni- 
sches Glied,  als  Farbfleck,  als  Plakat,  als  Bühne 
zu  begreifen  ist.  Es  ist  nicht  minder  selbstver- 
ständlich, dap  in  das  Schaufenster  nur  die  Waren, 
die  jeweilig  von  dem  Ueschäft  gehandelt  werden, 
hinein  gehören;  dag  diese  Waren  nicht  zu  Panop- 
tikumseffekten zu  mißbrauchen  sind.  Damit  ist 
eigentlich  alles  gesagt;  ist  zugleich  nichts  gesagt. 
l.erjten  Sinnes  hängt  hier  wie  überall  das  Wesent- 
liche am  Instinkt  dessen,  der  gestaltet.  Geset5e 
sind  Schall  und  Rauch;  das  Können  ist  alles  .  .  . 
Aus  der  diesjährigen  Ernte  einige  typische  Fälle: 
die  Schokoladengeschäfte  und  Konditoreien  blieben 
ahnungslos.  Sie  machen  noch  immer  aus  Pralines 
und  Bonbons  mit  entsprechenden  üestellen  Bäume 
und  Blumen  und  tausend  andere  Dinge;  ein  wenig 
im  Jugendstil.  Sie  zeigen  zugleich  veritable  Land- 
häuser aus  Schokolade;  stellen  zwischen  die  Bor- 
kenschokolade Heinzelmännchen.  Aus  Nougat,  weils 
braun  aussieht,  machen  sie  Terrakottavasen.  Und 
weil  Marzipan  sich  kneten  und  färben  läßt,  fabri- 
zieren sie  daraus  tote  Hühner  und  saure  Ourken. 
Auch  bemalen  sie  die  Torten  mit  waschblauen 
Windmühlen,  stecken  einem  Turban  aus  Kuchenteig 
gesponnenes  Glas  als  Federbüschel  an  und  stellen 
solche  Herrlichkeiten  zur  Parade  in  den  Guckkasten. 
Ähnliche  Überraschungen  finden  sich  auch  sonst 
noch.  Eine  Stahlwarenfabrik  operiert  mit  einer 
Riesenschere;  ein  Institut  für  Schreibmaschinen 
wandelt  das  Fenster  in  einen  Seehafen  mit  richtig 
flieJ5endem  Wasser,  baut  den  halben  Rumpf  eines 
Ozeandampfers  hinein  und  belastet  das  Deck,  wäh- 
rend der  Schornstein  raucht,  mit  Kisten.  Darin 
stecken  natürlich  besagte  Tippmaschinen;  Motto: 
Kostbare  Fracht.  Minder  unsinnig  ist  es,  wenn 
etwa  ein  Delikatessengeschäft  einen  Frühstückstisch 
aufbaut,  oder  eine  Weinhandlung  ein  Sektgelage 
zeigt;  nur  dürfen  dann  nicht  angerauchte  Zigarren 
umherliegen.  Auch  ist  es  nicht  appetitlich,  wenn 
ein  Geschäft  für  Herrenwäsche  einen  wächsernen 
Adonis  im  seidenen  Dekollete  vorführt.  Harmloser 
schon  verfuhr  ein  Puppengeschäft,  das  mit  Störchen 
und  Fröschen  ein  Kinderparadies  komponierte  und 
darüber  schrieb:  „Hier  sind  hübsche  kleine  Buben 
billig  zu  haben".  Daß  indessen  auch  Spielsachen 
nach  einer  geistreicheren  Methode  aufzubauen  sind, 
bewies  das  Albrecht-Dürerhaus,  das  mit  Kaulitj- 
puppen,  hölzernen  Tieren  und  Soldaten  ein  ebenso 


drastisches  wie  feines  Angebot  zusammenstellte. 
Am  leichtesten  haben  es  immer  die  Läden  für 
Damenkleidung  und  Damenstoffe.  Da  quellen  die 
Farben  reich,  und  der  Bukets  gibt  es  stets  die 
Fülle.  Einige  Stoffe,  in  ungezwungenen  Falten 
fallend,  gegen  "einen"  gutgestimmten  Hintergrund 
gestellt,  mit  wenigen  Blumen^akzentuiert,  das  ge- 
währt stets  ein  delikates  Bild.  Besonders,  wenn 
für  jedes  Fenster  die  Skala  einer  einzigen  Farbe 
oder  ein  klarer  Zusammenklang  gewahrt  blieb. 
Wesentlich  schwieriger  schon  ist  die  Unterbringung 
von  Porzellan,  überhaupt  die  von  kleinen  Gegen- 
ständen. Hier  tut  man  am  besten,  einen  festen 
architektonischen  Rahmen  zu  schaffen.  So  ver- 
fahren die  Schuhgeschäfte,  soweit  sie  sich  einem 
geschmackvollen  Dekorateur  anvertrauen.  Julius 
Klinger  und  Lucian  Bernhard  sind  als  Spezialisten 
der  Schusterei  gut  bekannt  und  bewährten  sich 
auch  diesmal.  Klinger  stellt  schwarze  Lackstiefe- 
letten in  weiße  Rahmung,  die  durch  gelbe  Holz- 
stäbe nach  wienerischem  Rhythmus  aufgeteilt  wurde ; 
das  ist  sehr  pikant.  Bernhard  baut  durch  das 
ganze  Fenster  eine  Reihe  von  Logen,  nach  vorn 
offen,  grau  bezogen;  darin  stehen  auf  Terrassen 
(jede  Etage  in  gereihte  Ovale  aufgelöst)  die  zarte- 
sten Chaussüren,  zu  deren  Farbe  seidene  Strümpfe 
einen  Akkord  antönen.  Noch  besser  als  diese  bei- 
den Schuhfenster  waren  die  Auslagen,  die  Krotowski 
für  ein  Herrenmodegeschäft  arrangiert  hatte.  Arran- 
giert, ist  falsch  gesagt ;  er  halte  Bilder  gestellt,  dabei 
um  Haaresbreite  die  Sachlichkeit  gewahrt  und  das 
Stilleben  gemieden,  dabei  zugleich  den  Raum  archi- 
tektonisch wirksam  gemacht.  Am  trefflichsten  ge- 
lungen war  ein  Eckfenster ;  querdurch  ein  Vorhang  aus 
violettem  Samt,  auch  der  Boden  mit  dem  gleichen 
Stoff  ausgelegt,  und  darin  nichts  weiter  als,  über 
einen  kostbaren  Lehnstuhl  gebreitet,  eine  Johanniter- 
Uniform  (es  kaufen  hier  nur  feudale  Herren),  deren 
scharlachenes  Rot  durch  den  schwarzen  Seiden- 
mantel und  den  weißen,  daneben  liegenden  Über- 
hang hellauf  strahlte.  Im  Hintergrund,  dicht  vor 
der  violetten  Wand,  hochgehoben,  ein  bronzener 
Leuchter,  darin  eine  Kerze,  stark  wie  ein  Hand- 
gelenk, mit  ruhiger  Flamme  brennend.  Nicht  min- 
der gut:  der  Hintergrund  mit  grobem,  braunem 
Rupfen  bespannt,  links  ein  schwerer  Lederkoffer, 
darauf  ein  grünes  Plaid,  Stocl<  und  steifer  Hut, 
rechts  ein  Rohrstuhl,  darübergelegt  hellgelbbraun 
eine  Decke,  ein  Mantel.  Wenn  diese  Fenster  eine 
festzugreifende,  männliche  Entschlossenheit  fühlen 
ließen,  so  empfingen  wir  durch  die  des  Fräulein 
von  Hahn  (A.  Wertheim)  einen  spezifisch  femininen 


laio/u.  111. 


26: 


Kleine  Kunst-Nachrichten. 


Eindruck.  Feminin  im  Sinne  einer  graziösen  Schmieg- 
samkeit,  einer  kapriziösen  Lust  am  Spiel,  am  Par- 
füm und  am  Tanz  schillernder  Farben...  Gesamt- 
eindruck der  Konkurrenz:  es  geht  vorwärts;  es  or- 
ganisieren sich  immer  mehr  Spezialisten;  auch  der 
normale  Dekorateur  beginnt  sich  anzupassen.  Was 
ihm  hoffentlich  bald  noch  besser  gelingen  wird, 
wenn  er  erst  durch  die  neue  Schaufensterschule 
gegangen  sein  wird.  Diese  Akademie  der  höheren 
Dekorationskünste  hat  soeben  ihre  Pforten  ge- 
öffnet. Der  Kultur  des  Schaufensters  sind  die 
Wege  bereitet.   —  robkrt  breuek. 

OLBRICH  IN  DER  AKADEMIE.  In  der  König- 
lichen Akademie  der  Künste  zu  Berlin  wurde 
dem  früh  verstorbenen  Olbrich  eine  Gedächtnis- 
Ausstellung  gewidmet.  Darob  möchte  man  meinen, 
daf5  in  Preußen  jetjt  Zeichen  und  Wunder  ge- 
schehen. Wie  kam  einer  der  Kecksten  der  Mo- 
dernen in  den  Tempel  der  unentwegten  Tradition. 
Schweig'  Frage  still.  Uns  kann  es  recht  sein; 
hoffentlich  bekommt's  den  Professoren.  Die  Aus- 
stellung gewährte  einen  guten  Einblick  in  Olbrichs 
Arbeitsweise.  Man  sah  das  Werk  eines  Zeichners, 
eines,  der  mit  dem  Bleistift  und  mit  zarten  Feder- 
strichen das  hinschreibt,  was  hernach  von  den 
Gehilfen  in  das  Körperhafte  und  Räumliche  über- 
setzt werden  soll.  Aber,  und  das  ist  das  Entschei- 
dende, Wort  für  Wort,  Buchstaben  für  Buchstaben. 
Es  wäre  gar  nicht  so  paradox  zu  sagen,  daJ3  die 
Zeichnung,  der  Entwurf,  dem  künstlerischen  Wert 
nach  nur  selten  von  der  Ausführung  überholt  wird. 
Die  Zeichnung  ist  das  Erschöpfende;  das  fertige 
Haus,  das  Möbel,  das  Gerät  ist  wesentlich  nichts 
Höheres  als  das  Ornament,  das  zuvor  auf  dem 
Papier  stand.  Olbrich  war  ein  fabelhafter  Zeich- 
ner; keiner  in  dem  üblen  Sinne  des  Fassaden- 
reifjers,  vielmehr  ein  Zeichner  aus  dem  Geiste  des 
alten  Handwerkes,  aus  dem  Geiste  Dürers,  Vischers 
und  derer,  die  den  gotischen  Türmen  das  plasti- 
sche Leben,  den  Sakramentschreinen  die  glühende 
Herrlichkeit  gaben.  Recht  betrachtet,  war  eben 
Olbrichs  Zeichnung  nie  papiernen,  nie  leblos,  aber 
auch  nie  phantastisch.  Jeder  Strich  war  Produktion 
und  darum  blieb  alles  Schaffen,  jede  Materialisation 
anmutig,  blutvoll  und  reich  an  Phantasie.  Es  ist 
billig  zu  sagen,  daf^  Olbrich  auch  als  Bauender 
nicht  eigentlich  Architekt  war.  Das  stimmt  und 
läfit  sich  leicht  an  den  Dokumenten  der  Berliner 
Ausstellung  nachweisen.  Olbrich  empfand  weniger 
das  Räumliche  als  die  Begrenzung,  die  schöne 
Einfriedung  des  Raumes.  Er  regierte  aber  das 
Äuf^erliche  so  absolut,  daf;  auch  das  Innere  dadurch 
Gestaltung  bekam.  Diese  Entwicklung  wird  deutlich, 
wenn  man  das  Haus  für  die  Wiener  Sezession,  die 
Bauten  auf  der  Mathildenhöhe  und  das  Düssel- 
dorfer Warenhaus  vergleicht.  —  i;reuek. 


DÜSSELDORF.  Die  Ausstellung  des  Son- 
der-Bundes.  Weder  die  alte  noch  die 
neue  Sezession  in  Berlin  dürften  diesmal  so  viel 
Interesse  beanspruchen  als  der  „Sonderbund  west- 
deutscher Kunstfreunde  und  Künstler".  Der  Name 
sollte  besser  gewählt  sein;  und  das  Vorwort  des 
Kataloges  vollends  war  geeignet,  auf  falsche  Fährte 
zu  locken.  Keine  Sonderbündler  haben  wir  vor 
uns,  sondern  die  Zusammenfassung  aller  vorwärts- 
strebenden Kräfte  in  der  Kunst;  keine  Französlinge 
(nach  dem  Vorwort!),  wohl  aber  ein  Programm; 
nur  das  entschieden  nach  neuen  Formen,  neuem 
Ausdruck  Ringende  war  zugelassen;  ob  deutsch, 
französisch  oder  belgisch.  Das  Eigene  an  dieser 
Veranstaltung  war  eben  die  internationale  Zu- 
sammengehörigkeit der  Qualität  im  Sturm  und 
Drang  der  Jüngsten;  ihr  Ruhm  die  tadellose 
Organisation  der  Zusammenhänge  (wenn  auch 
leider  Cezanne  und  van  Gogh  fehlten).  Die 
Düsseldorfer  bildeten  eine  Enklave;  Deusser  und 
Ciarenbach  prachtvoll  wie  immer,  Ophey  kühn 
in  Sonnenschimmer  schwelgend.  Den  größten  Teil 
aber  nahmen  die  jüngsten  Bewegungen  ein:  Die  um 
Matisse,um  Hofer,  um  Nolde.  Merkwürdig  altmeister- 
lich berührte  unter  ihnen  das  Ehrenmitglied  Lieber- 
mann. Das  Düsseldorfer  Publikum  rang  die  Hände 
und  entrüstete  sich.  Man  denke  sich  auch:  Matisse 
und  Kees  van  Dongen  unvorbereitet  genießen  zu 
müssen !  Von  den  „weniger  jungen"  Franzosen 
war  nur  Roussel  mit  feingetonten  Idyllen  und  Bac- 
chanalien nach  Gebühr  vertreten.  Auch  Matisse 
mit  drei,  freilich  bezeichnenden  Bildern  erklärte 
sich  nicht  selbst  genügend;  von  van  Dongen  nur 
ein  packendes  Frauenbild.  Der  zu  hohen  Erwar- 
tungen spannende  Manguin  vertrat  glänzend  die 
Nachfolge  Cezannes;  Puy,  Braque,  O.  Frieß,  Camoin, 
üuerin  die  von  Matisse.  Eine  Flut  stärksten  Kolo- 
rismus  erschien  in  den  Münchner  Polen  Kandinsky 
und  Jawlewsky;  dieser,  bei  manchen  Sonderlich- 
keiten, oft  hinreißend.  Vor  allem  aber  interessierten 
uns  die  jungen  Deutschen,  noch  in  der  Gärung, 
noch  stark  im  Banne  von  Matisse,  van  Gogh, 
Cezanne,  aber  mit  verheißungsvollen  Ansäßen: 
Karl  Hofer,  der  troß  Cezanne  noch  nie  so  nahe 
Marees  war;  schwächer  Brühlmann,  sehr  gut 
E.  R.  Weiß  und  der  wundervoll  schwermütige 
Wätjen.  Als  entschiedenste  Koloristen  traten  vor 
allem  Nauen,  Nolde  und  Rohlfs  auf;  Kirchner  und 
Schmidt-Rottluff,  weit  günstiger  als  in  ihrer  Graphik, 
schließen  sich  an.  Ein  neuer  und  sehr  verheißungs- 
voller Name  war  Ottilie  Reyländer  aus  Rom.  -  Auch 
die  Auswahl  der  Plastik  stand  unter  ähnlichen 
Prinzipien,  aber  gerade  umgekehrt  unter  strengster 
Stilzucht:  zwischen  Minne  und  dem  grandios  ver- 
einfachenden Barlach;  Bosselt,  Oßwald  und  Haller 
ließen  die  Nähe  Maillols  empfinden,    v.  v.  sc  h.midi. 

Ä 


204 


K/eiiie  Kvnst-Nach richten. 


PROFESSOR  E.  VETTERLEIN     ÜARMsTADT. 


DARMSTADT.  Am  9.  November  feierte  der 
Herausgeber  der  „Deutschen  Kunst  und  Deko- 
ration" seinen  50.  Geburtstag,  zu  dem  von  zahl- 
reichen Künstlern,  so  von  Leopold  Graf  Kalckreuth, 
Hans  Thoma,  Ferdinand  Hodler,  Franz  von  Stuck, 
Emanuel  v.  Seidl,  Peter  Behrens,  Ludwig  v.  Hofmann, 
Artur  Volkmann,  Heinrich  Vogeler,  Jos.  Hoffmann, 
Kolo  Moser  und  vielen  anderen  Glüdiwunschkund- 
gebungen  einliefen.  Auch  seitens  der  städtischen 
Verwaltung,  auswärtiger  Korporationen  und  vieler 
hochstehender  Persönlichkeiten  wurden  Glück- 
wünsche ausgesprochen.  Von  den  Mitgliedern  der 
Verlags-Anstalt  und  den  Vertretern  der  Druckereien 
wurde  dem  Jubilar  eine  Festadresse  überreicht, 
ein  kostbares  Druckerzeugnis  in  Gold  und  Schwarz 
auf  echt  Japan  und  in  Pergament  gebunden. 

Es  darf  aus  diesem  Anlaf;  wohl  auch  hierauf  die 
Verdienste  hingewiesen  werden,  die  Hofrat  Alexander 
Koch  als  Förderer  des  deutschen  Kunstgewerbes 
errungen  hat;  seine  Arbeit  und  seine  Erfolge  sind 
aufs  engste  verknüpft  mit  dem  Aufstieg  der  ange- 
wandten Kunst;  er  ist  ihr  Pionier  und  Vorkämpfer 
gewesen.  Wenn  auch  das  gewaltige  Streben  der 
jungen  Künstlerschar  seinen  Unternehmungen  be- 
sonders zustatten  gekommen  ist,  so  muß  doch  aner- 
kannt werden,  daß  Alexander  Koch  es  war,  der  durch 
ein  Zusammenfassen  und  energisches  Propagieren 
der  künstlerischen  Produktion  Jung- Deutschlands 
den  Boden  ebnete  für  die  stolze  Entfaltung,  die 
unser  heutiges  Kunstgewerbe  erreicht  hat.  Die 
„Deutsche  Kunst  und  Dekoration",  die  Alexander 
Koch  eigens  dazu  ins  Leben  rief,  die  Interessen 
der  neuen  Kunst  und  des  jungen  Kunstgewerbes 
zu  vertreten  und  die  Werke  der  tatenfrohen,  nach 


Preisgekrönter  Entwurf;  Theater  in  Hagen. 


einer  einheitlichen  Kultur  drängenden  Künstlerschar 
weiteren  Kreisen  nahezubringen,  sowie  seine  der 
Weiterentwid<lung  der  deutschen  Wohnkultur  ge- 
widmete Zeitschrift  „Innen-Dekoration"  sind  der 
Sammelplatz  geworden  für  alles  Kraftvolle  und  Ge- 
sunde, was  in  unserer  Zeit  geschaffen  wird. 

Zu  vermitteln  zwischen  Schaffenden  und  Ge- 
nießenden, zwischen  Produzenten>nd  Käufern,  so- 
wie anzuregen  und  anzuspornen  zu  höheren,  größeren 
Taten  ist  das  Ziel  sämtlicher  Unternehmungen  Alex- 
ander Kochs.  Daß  seine  Zeitschriften  diese  Auf- 
gabe in  reichstem  Maße  erfüllen,  darf  wohl  aus- 
gesprochen werden.  Die  überaus  sorgfältige  Dar- 
bietung der  künstlerischen  Arbeiten  in  technisch 
vollendeten  Reproduktionen  hat  erfolgreich  gewirkt 
und  allenthalben  Anerkennung  gefunden ;  für  den 
Schaffenden,  den  Ringenden  ist  es  deshalb  eine 
besondere  Genugtuung,  wenn  seine  Werke  an  diesen 
Stellen  veröffentlicht  werden. 

Neben  den  weiteren  Zeitschriften  „Stickerei- 
Zeitung  und  Spieen- Revue",  „Tapeten -Zeitung", 
sowie  der  früheren  verdienstvollen  Zeitschrift  „Kind 
und  Kunst"  verdanken  eine  ganze  Reihe  bedeutender 
Fachwerke,  die  vornehmlich  der  künstlerischen 
Gestaltung  des  Eigenhauses  gewidmet  sind,  ihr 
Entstehen  der  unermüdlichen  Tätigkeit  Kochs. 
Auch  sein  Anteil  an  der  Reform  des  Ausstellungs- 
wesens (man  vergl.  seine  Ausführungen  über  eine 
„Deutsche  nationale  Ausstellung"  im  vorliegenden 
Hefte  Seite  226)  und  seine  Mitarbeit  an  der  Ver 
wirklichung  der  künstlerischen  Bestrebungen  des 
Großherzogs  Ernst  Ludwig  von  Hessen,  die  das 
Land  teilnehmen  lassen  am  Kunstleben  Deutschlands, 
mögen  hier  noch  erwähnt  werden.  —  s. 


26  j 


Kleine  Kunst-Nachrichteti. 


STADT-THEATER  FÜR  HAC.EN  i.  W.  Die  Stadt 
Hagen  i.'.W.,'' die  fastJlOOOOO  Einwohner  zählt, 
muf;  sich  zur  Zeit  zur -»Veranstaltung  von  Theater- 
Aufführungen"  mit^einem'^  Saal'  begnügen','  dessen 
Abmessungen  kaum  den  allerprimitivsten  Anforde- 
rungen genügen.  Um  diesem  Übelstande  abzuhelfen, 
hat  sich  eine  Aktiengesellschaft  gebildet,  die  die 
Errichtung  eines  Neubaues  veranlaßt  hat.  Da  das 
Kapital  der  Gesellschaft  beschränkt  ist,  muffte  bei 
dem  Entwürfe  des  Baues  auf  äufierste  Sparsamkeit 
gesehen  werden,  wobei  aber,  im  Interesse  einer 
angemessenen  Betriebseinnahme,  1000  Sit^plätje  er- 
zielt werden  mußten.  Der  von  Prof.  Dr.  Vetterlein- 
Darmstadt  entworfene  Bau  wächst  zur  Zeit  schnell 
empor,  damit  er  im  Oktober  1^11  schon  in  Be- 
nut3ung  genommen  werden  kann.  Er  umfaßt  elwa 
34000  cbm  und  enthält  alles,  was  zu  einem  guten 
Stadttheater  gehört.  Die  Bühne  ist  20  m  breit 
und  15  m  tief.  Dazu  kommt  eine  15  m  breite, 
6  m  tiefe  Hinterbühne.  Die  Kosten  des  vollständig 
betriebsfertigen  Baues  betragen  nur  650  000  Mark. 
Der  Hauptfront  ist  seitlich  ein  Restaurationsbau  an- 
gegliedert, der  einen  harmonischen  Übergang  nach 
den  Nachbargebäuden  bilden  wird.  Durch  die  sorg- 
fältige Abwägung  aller  Massen,  allmähliches  An- 
steigen nach  hinten  und  Beschränkung  des  äuße- 
ren dekorativen  Aufwands  wird  ein  vornehmer  und 
edler  Eindruck  erzielt,  der  den  Bau  als  einen 
Tempel  der  Musen  charakterisiert.   -  r 

Ä 

BERLIN.  Während  des  September  und  Oktober 
waren  bei  Cassirer  eine  Anzahl  von  üe- 
mälden  jüngerer  norwegischer  Künstler  aus- 
gestellt, fast  durchweg  Arbeiten  von  jenem  hohen 
Niveau  malerischer  Kultur,  dem  wir  dank  den  großen 
Franzosen  nunmehr  überall  in  Europa  begegnen. 
Den  Besten  aber  gelingt  es  auch  hier  wie  bei  uns, 
über  eine  allgemeine,  spezifisch  malerische  Leistung 
hinauszukommen  und  das  Werk  mit  jener  persön- 
lichen Stimmung  zu  erfüllen,  die  wir  jenseits  des 
Handwerklichen  immer  lauter  zu  fordern  berechtigt 
sind.  Wo  man  noch  direkte  Einflüsse  konstatieren 
muß,  wie  z.  B.  den  Edward  Munchs,  da  entdecken 
wir  zugleich  das  geringste  Vermögen  bei  unzweifel- 
hafter Begabung  (auch  wie  bei  uns).  So  L.  Karsten 
und  Theodor  Lanring.  Wie  immer,  wenn  man 
auf  die  Schulung  an  Cezannes  Werken  stößt,  ist 
das  rein  Malerische  einwandfrei,  die  individuelle 
Empfindung  aber  verflacht,  man  könnte  fast  meinen: 
absichtlich,  wie  bei  Bernhard  Folkestad,  der 
das  Stilleben  pflegt,  und  den  üemälden  Sören 
Onsagers,  der  sogar  noch  Pariser  Milieu  bringt. 
Dann  aber  kommen  zwei  Künstler,  bei  denen  das 
Handwerkliche  nur  mehr  unbestimmt  die  Basis 
europäischer  Impressionisten-Kultur  erkennen  läßt, 
und  von  denen  Henrik  Lund  das  spezifisch  Nor- 
dische in  einer  allgemeinen  Heiterkeit  der  Färbung 


betont,  A.  C.  Svarstad  aber  in  Koloristik,  Wahl 
des  Ausschnitts,  der  Optik  sich  als  der  weitaus 
Persönlichste  erweist.  Die  starken  dekorativen 
Werte:  Rot,  Blau,  Violett,  ürün,  Orange  sind  nicht 
nur  in  vollendete  Harmonie  zu  einander  gesetjt, 
sondern  die  Bilder  entfernen  sich  von  äußerlicher 
Dekoration  infolge  der  gleichzeitigen  Pflege  eigent- 
lich malerischer  Probleme:  Raum,  Form,  Luft  und 
Licht.  Auch  er  ist  gereist  (ersichtlich  aus  den 
Motiven)  und  war  in  Italien,  Paris,  Flandern.  Aber 
er  blieb  stark  genug,  überall  Nordländer  zu  sein 
und  Persönlichkeil.  -  Man  kann  der  „Schwe- 
dischen Sezession"  vom  Jahre  1886,  die  in  den 
Räumen  der  „Berliner  Sezession"  während  des 
Oktober  und  der  ersten  Novembertage  ausstellte, 
nicht  nachsagen,  daß  man  es  an  „nordischer  Eigen- 
art" hätte  fehlen  lassen.  Ja,  sie  erscheinen  als 
so  gute  Schweden,  daß  man  sie  in  der  Mehrzahl 
schlechte  Maler  nennen  muß.  Beinahe  300  Bilder 
und  einige  60  Plastiken  erlauben  eine  Charakteristik 
der  künstlerischen  Bestrebungen  dort  zu  Lande, 
die  im  wesentlichen  zutreffend  sein  mag.  Man 
pflegt  die  nordische  Landschaft  und  geht  nicht 
wenig  ihren  seltsamen  Lichteffekten  nach.  Daher 
die  unmalerisch  hart  abgesetjten  Farbenkomplexe, 
oft  durch  zeichnerische  Konturierung  selbst  schwar- 
zer Färbung,  begrenzt.  Ja,  kohlrabenschwarze 
Schatten  entdeckt  man  verwundert,  und  die  Öl- 
technik  dieser  Schweden  wirkt  wie  kolorierter 
Holzschnitt  oder  Farbenlithographie,  so  bei  Nils 
Kreuger,  der  sonst  nicht  schlecht  zeichnet.  Ge- 
legentlich erinnert  sich  einer  daran,  daß  er  eigent- 
lich in  Öl  und  im  Tafelbild  doch  „Maler"  sein 
müßte,  und  man  findet  ein  gutes  Porträt  oder 
hübsches  Interieur,  wie  bei  Richard  Bergh  und 
Aron  Gerle.  Aber  sobald  sie  dann  zu  landschaf- 
tern  beginnen,  wird  die  Malerei  unstofflich,  äußer- 
lich dekorativ  und  im  ganzen  ohne  höheres  Niveau. 
Besonders  wenn  sich  die  Technik  dem  Pointillis- 
mus  nähert,  wie  bei  Eugene  J  ansson ,  Lind- 
ström, Nordström,  Norrman,  von  Hennings 
usw.  Aber  mit  nicht  geringer  Freude  begegnet  man 
dann  zwei  „Malern",  Ernst  Josephson,  dem  Be- 
gründer der  Gruppe,  von  dem  man  allerdings  schon 
weit  bessere  Sachen  sah  und  dessen  nur  psycho- 
logisch interessierende  Arbeiten  aus  seiner  Wahn- 
sinnszeit man  nicht  in  solcher  Breite  hätte  aus- 
stellen sollen,  -  und  Carl  Wilhelmson,  der  in 
der  Stimmung  und  Farbenwahl  an  Carl  Larsson 
erinnert  und  uns  suggestiv  nordisches  Empfinden 
und  Milieu  erleben  macht,  ein  vortrefflicher  Künst- 
ler. Bruno  Liljefors  war  einmal  ein  „Maler", 
aber  heute  wendet  sich  von  seiner  äußerlichen 
Manier  der  mit  Bedauern  ab,  der  seine  früheren 
Werke  kennt.  -  Die  Plastik  weist  durchaus 
sichere  und  angenehme,  freilich  auch  keine  über- 
ragenden Leistungen  auf.  -  f.wald  benijer. 


266 


FRANK  EUGENE  SMITH- 
MÜNCHEN.   SELBST-BILDNIS. 


FRANK  EUGKXE  SMITH. 


Bildnis-Photographie. 


NEUE  PHOTOGRAPHISCHE  KUNSTWERKE 
VON  FRANK  EUGENE  SMITH. 


Der  Begriff  des  „photographischen  Kunst- 
werkes" ist  eine  Neuheit,  die  einen  geist- 
vollen Ästhetiker  zu  einer  fesselnden  Darstellung 
reizen  könnte.  Noch  vor  zehn  Jahren  galt  die 
Camera  als  die  geheimnislose  Abschreiberin  des 
Lebens.  Sie  war  jener  Grenzfall,  der  den  Bereich 
der  künstlerischenWirklichkeitsdarstellung  nach 
der  Seite  der  Objektivität  hin  abschloß.  Sie 
galt  als  Unkunst  kat-exochen,  und  tausendfach 
haben  die  Ästhetiker  sich  auf  sie  berufen, 
wenn  es  sich  den  vielfältigen  naturalistischen 
Tagesströmungen  gegenüber  darum  handelte, 
die  subjektiv -idealistischen  Bestandteile,  die 
jedem  Kunstschaffen  doch  von  nöten  sind,  ins 
rechte  Licht  zu  setzen. 

Die  letzten  Jahre  haben  diese  Auffassung 
von  der  Photographie  wesentlich  umgestaltet. 
Streng  genommen  kann  man  heute  von  einem 
einheitlichen  Begriffe  „Photographie"  nicht 
mehr  sprechen.  Die  verschiedenartigen  Mate- 
rialien, deren  das  photographische  Abbild  zu 
seinem  Zustandekommen  bedarf,  die  zahlreichen 


Zwischenzustände,  die  es  zu  durchlaufen  hat, 
bildeten  ebensoviele  Gelegenheiten,  die  an- 
scheinend seelenlose  Tätigkeit  der  Camera  mit 
„Subjektivem  zu  infizieren".  Diese  Gelegen- 
heiten wurden  nach  anfänglich  zaghaften  Ver- 
suchen immer  kühner  ausgebeutet.  Das  Er- 
gebnis ist  das  „photographische  Kunstwerk", 
über  dessen  vorzüglichsten  Vertreter,  Frank 
Eugene  Smith,  den  Leiter  der  Münchner  Lehr- 
und  Versuchsanstalt  für  Photographie,  ich  hier 
zu  sprechen  habe. 

Es  wäre  Sache  eines  Fachblattes,  die  glän- 
zenden Ergebnisse,  die  das  von  den  reinsten 
künstlerischen  Antrieben  geleitete  Streben  die- 
ses seltenen  Mannes  gezeitigt  hat,  nach  der 
Seite  der  technischen  Verfeinerung  zu  würdigen. 
Vielleicht  würde  sich  dabei  mit  überwältigen- 
der Deutlichkeit  ergeben,  daß  es  sich  bei  Smith 
nicht  um  erlernbare  Kunstgriffe  handelt,  son- 
dern um  feinstes,  künstlerisches  Empfinden,  um 
erlesene,  schöpferische  Einfälle,  deren  Verwirk- 
lichung von  Fall  zu  Fall  dem  toten  Apparate 


1911. IV.  1, 


269 


Netie  photooraphischc  Ktmstwerke  '•oii  F.  E.  S/jii///. 


KKANK  KUGKNE  SMITU   MÜNCHEN. 


auf  Grund  genauester  Kenntnisse  abgerungen 
werden  muß.  Vielleiclit  würde  eine  solche  fach- 
männische Abliandlung  klarer  nls  die  folgende 
zeigen  können,  daß  bei  Smith  und  seinem  Schaf- 
fen menschliche  Geistigkeit  und  künstlerische 
Subjektivität  bei  weitem  überwiegen.  Wir  haben 
uns  hier  jedenfalls  nur  an  die  künstlerischen 
Endergebnisse  dieses  Schaffens  zu  halten. 
Ich  bekenne,  daß  ich  von  diesen  Ergebnissen 


Kiiiclei-Bildnis-Phiitugraplüe. 


nur  mit  reinstem  Entzücken  sprechen  kann,  mit 
demselben  Entzücken,  das  hochstehende  Werke 
der  Malerei  und  der  Plastik  einzuflößen  pflegen. 
Man  sagt  wohl:  es  kann  sich  beim  „photogra- 
phischen Kunstwerke"  äußersten  Falles  um 
einen  hohen  Geschmack  handeln.  Aber  ein 
Geschmack,  der  der  rohen  Natur  die  Harmo- 
nie der  Linien,  den  Wohllaut  der  Massenver- 
teilung, den  Glanz  und  die  siegreiche  Kraft  der 


Wilhelm  Michel -Münchm  : 


F.  E.  SMITH- Ml'NCHEX 


Formen  so  sicher  zu  entreißen  vermag.  Was  ist 
dieser  Geschmack  anders  als  eine  schöpferisch- 
künstlerische Fähigkeit? 

Man  nehme  beispielsweise  das  Halstuch  des 
Knaben  mit  der  Tasse :  nur  von  dem  ewig-jungen 
Narcisse  Diaz,  nur  vom  reifen  Leibl  oder  vom 
frühen  Trübner  ist  Totes  mit  dieser  Empfindung, 
mit  dieser  feinschmeckerischen  „Mürbheit"  des 
Farbenauftrages  gemalt  worden!  Dieses  Stück 
Stilleben  wirkt  so  verblüffend  menschlich  ge- 
macht, daß  man  die  Lupe  zur  Hand  nehmen 
möchte,  um  der  Ausdrucksweise  des  imaginären 
Pinsels,  der  das  gegeben  haben  könnte,  bis  in 
ihre  letzten  Feinheiten  nachzugehen. 

Überhaupt  dieses  ganze  Bild.  Wieviele  „alte 
Meister"  gibt  es,  die  ein  Bildnis  so  vornehm 
zu  pointieren  verstanden,  wie  es  hier  der  Pho- 
tograph getan?  Wer  hätte  dieses  fromme,  ade- 
lige Binnenlicht  aufzuweisen,  dieses  köstliche 
Licht,  das  die  dargebotene  Tasse  so  wunder- 
voll betont,  wer  diesen  Einfall  mit  dem  imagi- 
nären spitzbogigen  Gebilde,  das  tiefe  Schatten 


PRINZEN  LUITPOLD  UND 
.«Mtf^J-y-y    .\.LBRECHT  JOHANN  V.  BAYER  N. 


Über  das  Haupt  des  Knaben  bauen?  Keine 
Linie  redet  hier  den  Dialekt  der  Natur  oder, 
was  dasselbe  ist,  des  rasch  geknipsten  photo- 
graphischen Abbildes.  Überall,  in  der  Linie 
wie  in  der  Komposition  und  in  der  erlesenen 
Abstufung  des  Lichtes,  tönt  die  gesteigerte,  le- 
bendige Jambensprache  der  Kunst.  Dichterisch 
erhöhter  Lebensausdruck  —  das  ist  Smith,  wie 
er  sich  in  seinen  besten  Schöpfungen  darstellt. 
Ich  erinnere  mich,  in  der  verschwenderisch  aus- 
gestatteten StiegÜtzschen  Zeitschrift  „Camera- 
Work"  ein  Pferdebildnis  von  Smith  gesehen 
zu  haben,  das  mir  immer  als  Höhepunkt  photo- 
graphischen  Lebensausdruckes  im  Gedächtnis 
bleiben  wird.  Auch  hier  das  Kennzeichen, 
das  eben  genannt  wurde,  die  Steigerung  der 
Darstellung  bis  zur  deutlichen  Überschreitung 
der  Grenze,  die  die  oft  lebhafte,  aber  immer- 
hin reporterhafte  Berichterstattung  der  land- 
läufigen Photographie  von  der  leidenschaft- 
lichen Sprache  der  Kunst  strenge  trennt.  Des 
Pferdes  gedrungener,  muskulöser  Körper  durch 


FRANK  EUGENE  SMITH. 
BILDNIS:    Dr.   P.  HEYSE. 


Neue  photogmphischc  Kunstioerkc  von  F.  E.  Sm  'f/t. 


»i5a  BBS-  iii^jut-nlflüiif 


FRANK  EUGENE  S.MITH     MÜNCHEN. 

li  plötzliches  Licht  dicht  an  den  Hintergrund  ge- 
drängt, in  der  Aufrollung  der  Form  ein  pathe- 
tisches, feuriges  Übermaß,  alles  Licht  leiden- 
schaftlich und  blitzend  in  die  kräftigen  Finster- 
nisse hineingewühlt,  ein  Anblick,  wie  ihn  allen- 
falls ein  nie  geschaffenes  bronzenes  Hochrelief 
von  Rodin  bieten  könnte.   Staunend  steht  man 


Bildiiis-Photographie. 


vor  dieser  verschwenderischen  Fülle  an  Form, 
die  sich  hier  ausbreitet  und  die  grundsätzlich 
unterschieden  ist  von  der  pedantischen  unzarten 
Genauigkeit,  die  in  der  Formenentwicklung  der 
Photographie  sonst  so  oft  zutage  tritt.  Das 
waren  Formen,  die  wirklich  nur  aus  Licht  und 
Schattengewebtwaren,  ohne  verstandesmäßige 


275 


Wilhelm  Miclirl  München: 


Erkenntnis  von  der  tastbaren  Gestalt  des  Gegen- 
standes. Von  der  geheimnisvollen  Sendung  des 
Lichtes  auf  Erden  hat  mir  kein  Werk  der  bilden- 
den Kunst  einen  so  hohen,  fast  religiösen  Be- 
griff gegeben,  als  diese  Photographie,  ausge- 
nommen jene  Rcmbrandtschen  Radierungen,  in 
denen  das  Licht  nicht  als  der  Knecht  der  Eor- 
nien  und  unseres  Verstandes,  sondern  als  pro- 
phetische Heilsbotschaft  über  die  Dinge  wandelt. 
Bei  der  Würdigung  der  hier  beigegebenen 
Abbildungen  darf  das  eine  nicht  vergessen  wer- 
den, daß  zwischen  diesen  Autotypien,  so  aus- 
gezeichnet ihre  Qualitäten  sind,  und  den  auf 
Japanpapier  gedruckten  Originalen  große  Llnter- 
schiede  bestehen.  Die  Autotypie  unterschlägt 
einen  wesentlichen  Teil  der  Lichtwertc  und 
kommt  dadurch  zu  Veränderungen  der  fein- 
fühligen Smithschen  Lichtökonomie,  die  oft 
geradezu  als  Verfälschungen  erscheinen.  Man 
denke  sich  die  Anzahl  der  Lichtabstufungen 
ungefähr  verdoppelt  ,  man  denke  sich  den 
stumpfen,   vornehmen   Seidenglanz   des  Japan- 


papieres,  das  den  Formen  durch  seine  delikate 
„Maserung"  gerade  noch  das  an  Härte  nimmt, 
was  ihnen  die  fein  abgewogene  Beleuchtung 
noch  gelassen  hat  —  dann  erst  käme  eine  Vor- 
stellung von  den  Reizen  der  Originale  zustande. 
Es  ist  mir  nicht  möglich,  hier  in  Kürze  alle 
die  Merkmale  aufzuzählen,  die  Smithens  feine 
porträtistische  Auffassung  bestimmen.  Es  wäre 
dabei  zu  reden  von  der  Behandlung  der  Hinter- 
gründe, über  die  oft  flamnienartige  Bildungen 
wie  Feuerflocken  dahinwehen  oder  stimmungs- 
volle Finsternisse ,  die  sich  prachtvoll  in 
der  Lichtökonomie  des  Bildes  halten  und  den 
Lichtereignissen  im  eigentlichen  Bildnisse  oft 
einen  anderen,  höheren  Sinn  geben.  Es  wäre 
zu  reden  von  der  unvergleichlichen  Schön- 
heit der  Komposition ,  die  die  Linien  die 
Eurhythmie  des  Tanzes  lehrt  und  die  Hguren 
klassisch  gelassen  und  geberdenschön  in  ihren 
Raum  stellt.  Es  wäre  zu  reden  von  der  fein- 
schmeckerischen  Art,  mit  der  das  Licht  das 
Gewand   oder  das   Stillebenhafte   betont,   von 


KR.\NK  EUGENE  SMITH-MUNCHEiN. 


Neue  photographi^che  Kiinshi'crkc  von  F.  E.  Si)iitli. 


der  Pietät,  mit  der  oft  die  großen  Meister  der 
Malerei  die  Patenschaft  bei  der  porträtistischen 
Auffassung  übertragen  bekommen.  Da  sieht 
man  manchmal  das  weiche,  prärafaelitische 
Bauschen  der  Gewänder,  die  schmachtende 
englische  Zartheit  der  Geste,  wie  sie  Burne 
Jones  liebte;  oder  die  innige,  klare,  volltönige 
Form,  den  reichen,  satten,  burgundischen  Falten- 
wurf, die  man  von  den  Altarbildern  der  Brüder 
Van  Eyck  kennt;  oder  die  weiche,  lyrische 
Empfindung  und  die  gewischten  Halbtöne,  in 
denen  sich  Carriere  gefiel.  Einiges  ist  „locker 
im  Strich"  wie  von  einem  der  koloristischen 
Zauberer  von  Barbizon,  anders  bestimmt,  ein- 
fach und  linear  wie  ein  Holbein.  Zu  vielem 
fehlen  die  Maler  noch,  denen  die  Patenschaft 
zuzutrauen  wäre,   so  zu  dem  Kinderakt,  der 


wie  eine  Statuette  aus  blankem  Silber  dasteht; 
der  Glanz  erzeugt  eine  schimmernde  Aura,  die 
den  Umriß  umleuchtet,  als  habe  der  Apparat, 
feinfühliger  als  das  Menschenauge,  den  zarten, 
delikaten  Duft  des  kindlichen  Fleisches  festge- 
halten; im  Hintergrunde  ahnt  man  Bilder  oder 
Figuren,  aber  sie  halten  sich  voll  liebenswerter 
Scheu  im  Dunkel, 

Genug.  Es  kam  mir  darauf  an,  zu  zeigen, 
welch  einen  bedeutenden  Künstler  wir  in  Smith 
besitzen,  aber  die  endgültige  Überzeugung  von 
seiner  hohen  Künstlerschaft  wird  sich  schließ- 
lich doch  nur  aus  der  Kenntnis  der  Originale 
ergeben  können.  Wo  sind  die  Museen,  die 
ihre  Pforten  der  neuen  Kunst  öffnen?  Wo  die 
Sammler,  die  diese  Kostbarkeiten  in  ihren 
Mappen  bergen?  — 


WILHELM  MICHEL. 


NEUE  TECHNISCHE  MÖGLICHKEITEN. 

VON  Dr.  PHIL.  ERNST  JAFFE     FRIEÜENAU. 


u 


nsere  moderne  Industrie  ist  vor  allem  be- 
müht, eine  möglichst  große  Gleichmäßig- 
keit ihrer  Erzeugnisse  zu  erzielen.  Das  liegt  in 
der  ganzen  Art  der  Fabrikationsweise  begrün- 
det, insbesondere  in  der  Benutzung  von  Ma- 
schinen und  Formen ,  sowie  in  der  ingeniös 
durchgeführten  Arbeitsteilung.  Die  Maschine 
arbeitet  viel  gleichmäßiger  als  der  Mensch. 
Wenn  die  nötigen  Handgriffe  gemacht  sind,  so 
verläßt  ein  Gegenstand  wie  der  andere  die  Ma- 
schine. Das  gleiche  ist  derFall,  wenn  Industrie- 
Erzeugnisse  mit  Hilfe  von  Formen  irgend  wel- 
cher Art  ihre  Gestalt  bekommen.  Und  endlich 
bürgt  bei  komplizierteren  Artikeln  die  Arbeits- 
teilung für  die  Einhaltung  der  Schablone.  Ist  in 
irgend  einem  Stadium  der  Fabrikation  ein  Ver- 
seilen vorgekommen,  so  wird  sicherlich  in  dem 
nächstfolgenden  der  betreffende  Gegenstand 
angehalten,  weil  der  Arbeiter  den  fehlerhaften 
Gegenstand  nicht  weiter  bearbeiten  kann  oder 
will,  —  Früher  lag  die  Sache  ganz  anders.  Zu- 
nächst einmal  bewirkte  die  freihändige  Arbeit 
auch  bei  dem  geschicktesten  Arbeiter,  daß  ein 
Stück  dem  anderen  nicht  in  allen  Einzelheiten 
völlig  glich.  Dann  kam  hinzu,  daß  im  Laufe  der 
Arbeit  hervortretende  Materialfehler  oder  Ver- 
sehen durchaus  nicht  zu  einer  Aussortierung  des 
betreffenden  Stückes  führten.  Fast  immer  war 
es  dem  Arbeiter  möglich,  den  Fehler  wieder 
gut  zu  machen  oder  ihn  gar  auszunutzen. 

Hierfür  bietet  die  Keramik  recht  interessante 
Beispiele,    Bei  Töpfereien,  die  mit  Glasur  be- 


deckt sind,  kommt  ein  Fabrikationsfehler  ziem- 
lich oft  vor,  der  von  modernen  Fabrikanten  als 
recht  störend  empfunden  wird.  Das  ist  das 
Haar-Rissigwerden  der  Glasur,  Wenn  nämlich 
der  Ausdehnungs  -  Koeffizient  des  Scherbens 
kleiner  ist,  als  der  der  ihn  bedeckenden  Glasur, 
so  bekommt  die  Glasur  beim  Abkühlen  ein 
ganzes  Spinnennetz  von  feinen  Rissen.  In  der 
modernen  Fabrikation  wird  ein  Stück,  das  die- 
sen Fehler  zeigt,  in  der  Regel  zum  Ausschuß 
getan,  obwohl  seine  Gebrauchsfähigkeit  eigent- 
lich kaum  gelitten  hat;  denn  diese  Haar-Risse 
sind  so  fein,  daß  die  Glasur  für  Wasser  in  den 
meisten  Fällen  nicht  durchlässig  ist.  Die  Chi- 
nesen haben  auch  schon  unter  diesem  Fabri- 
kationsfehler zu  leiden  gehabt,  aber  sie  haben 
es  verstanden,  ihn  in  künstlerischer  Weise  aus- 
zunutzen. Bei  den  meisten  Töpfereien  ver- 
schwinden die  Haar-Risse  nämlich,  wenn  die 
Glasur  noch  einmal  in  der  Hitze  des  Brennofens 
zum  Fließen  kommt.  Die  Chinesen  haben  sich 
nun  nicht  mit  diesem  Heilmittel  begnügt,  sie 
überzogen  die  haarrissigen  Gegenstände  noch 
einmal  mit  einer  leichtflüssigen  andersfarbigen 
Glasur  und  unterwarfen  sie  einem  zweiten 
Brande.  Diese  zweite  Glasur  haftete  auf  den 
glasierten  Stellen  fast  gar  nicht,  dagegen  drang 
sie  in  die  feinen  Glasurrisse  ein.  So  entstand 
ein  reizvolles  farbiges  Muster,  dem  eine  gewisse 
Gesetzmäßigkeit  zugrunde  liegt.  Diese  Craque- 
les  der  Chinesen  werden  heute  von  allen  Samm- 
lern ostasiatischen  Porzellans  gesucht  und  teuer 


A.   l'.EMBE— MAINZ. 

EMPFANGS-  U.  MUSIKRAUM 


g 


.Ynir  /ir//)iischc  Möolichkcitcii. 


ARCHITEKT  K.  KUEUAKl'      l;AKML.\.    AUSl- .  ;  A.    ItF.M  |;L      MAI 


bezahlt.  Je  nach  der  Art  der  Herstellung  des 
betreffenden  Gefäßes  ist  die  Zeichnung  der 
Haar-Risse  weit-  oder  engmaschiger,  verlaufen 
sie  von  oben  nach  unten  oder  in  umgekehrter 
Riclitung.  Der  erfahrene  Keramiker  kann  also 
dahin  gelangen,  daß  er  die  Entstehung  der  Cra- 
queles  bis  zu  einem  gewissen  Grade  lenken  und 
beeinflussen  kann. 

Ein  anderer  in  der  Töpferei  häufig  vorkom- 
mender Fabrikationsfehler  ist  der  folgende.  Die 
Glasur,  die  auf  den  einmal  gebrannten  Scherben 
aufgetragen  wird ,  ist  eine  wässerige  Lösung. 
Zieht  man  den  gebrannten  porösen  Tonkörper 


\'illa  Hans  llucb.    .Vnklcitle-Zinimur. 


durch  die  Glasur,  so  wird  das  Wasser  von  den 
Scherben  aufgesogen  und  die  Glasur  bleibt  als 
feines  Pulver  auf  der  Oberfläche  liegen.  Findet 
sich  aber  an  einer  Stelle  des  zu  glasierenden 
Körpers  Staub  oder  ist  er  an  einem  Fleck  mit 
Fett  überzogen,  so  nehmen  diese  Stellen  die 
wässerige  Glasur  nicht  an,  sondern  sie  bleiben 
unglasiert.  Kommt  es  heute  in  der  keramischen 
Fabrikation  vor,  daß  ein  Arbeiter  das  von  ihm 
zu  glasierende  Stück  mit  fettigen  Fingern  an- 
faßte und  so  bewirkte,  daß  es  an  einigen  Stellen 
keine  Glasur  annahm,  so  kommt  das  Stück  in 
den  Ausschuß.  Man  kann  aber  aus  diesem  ärger- 


281 


Neue  technische  MöoUchkciten. 


AKCllHEKT  K.  KUEBART^  ENTW.  U.  AUSF. :  A.  BEMBE— MAINZ. 


Kamin-Sitz  in  nachstehendem  Wi'hii-ZimnKr. 


liehen  Fabrikationsfehler  auch  andere  Schlüsse 
ziehen.  Man  kann  in  bewußter  Weise  bestimmte 
Stellen  des  Scherbens  einfetten  und  so  von  der 
Glasur  frei  halten.  In  der  Hitze  des  Ofens  wird 
das  Fett  aufgezehrt  und  der  reine  unglasierte 
Scherben  tritt  dann  wieder  zutage.  Wenn  es 
sich  um  eine  Töpferei  handelt,  die  nach  einem 
solchen  Brande  noch  porös  bleibt,  so  kann  man 
darnach  den  betreffenden  Gegenstand  noch  ein- 
mal durch  eine  andersfarbige  Glasur  gehen 
lassen  und  so  ein  reizvolles  Spiel  dieser  zwei 
Glasuren  erhalten.  In  der  Tat  hat  man  denn 
auch  diese  sogenannte  „Reservage-Technik"  in 
der  Keramik  weiter  ausgebildet  und  durch  sie 
sehr  hübsche  Wirkungen  erzielt. 


282 


Diese  beiden  Beispiele,  die  aus  anderen  In- 
dustrien sich  mit  Leichtigkeit  vermehren  lassen 
würden,  zeigen,  wie  aus  ursprünglichen  Fabri- 
kationsfehlern sich  neue  Techniken  entwickeln 
können  ,  ja  ,  wie  sogar  Fehler  durch  künstle- 
rische Intuition  zur  ästhetischen  Bereicherung 
gewandelt  werden  können.  Freilicii  verschwin- 
det bei  dem  modernen  Betrieb  die  Möglichkeit 
immer  mehr,  auf  solche  Weise  der  Technik  Neu- 
land zu  erobern,  weil  der  moderne  Industrie- 
Arbeiter  sich  das  Denken  bei  seiner  Hantierung 
nach  und  nach  völlig  abgewöhnt  hat  und  weil 
auch  die  beaufsichtigenden  Beamten  ausschließ- 
lich ihr  Augenmerk  auf  eine  möglichst  korrekte 
fehlerfreie  Fabrikation  richten,   im.  krn.stjakfe. 


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PROFESSOR  GEORG  WRBA    DRESDEN.     BRUNNEN-tIGUR  IN  BRONZE. 


l'AUL  ROSSLER. 
I'I.AKAT  DER 
AUSSTELLUNG. 


ERSTE  AUSSTELLUNG  DER  „KÜNSTLER-VEREINIGUNG  DRESDEN". 


Aus  dem  Zusammenschluß  kleinerer  Gruppen 
.  von  Künstlern  hervorgegangen,  trat  an- 
fangs September  die  „Künstlervereinigung  Dres- 
den" mit  einer  ersten  Ausstellung  in  die  Öffent- 
lichkeit, Es  ist  zu  begrüßen,  daß  nun  die  längst 
ersehnte  Konzentration  des  bisher  arg  zer- 
splitterten Kunstlebens  von  Dresden  erreicht 
scheint.  Man  findet  Talente  dort  von  gesunder 
Struktur,  modernen  Zielen,  ehrlicher  Bemühung, 
und  sie  haben  jetzt  endlich  den  Schutz  einer 
großen  Gemeinschaft  gefunden,  der  ihre  Ent- 
wickelung  beschleunigen  kann.  Daß  die  Ver- 
einigung zustande  kam,  ist  wohl  besonders  der 
Energie  des  Bildhauers  Georg  Wrba  zu  danken. 
Und  diese  erste  Ausstellung  im  Gebäude  der 
Kgl.  Kunstakademie  auf  der  Brühischen  Terrasse 
hat,  wenn  sie  auch  keine  Überraschungen  be- 
reitet, doch  dank  solider  Leistungen  der  Mit- 
glieder und  gestützt  von  vortrefflichen  Gästen 
aus  allen  Teilen  des  Reichs,  ein  durchaus  an- 
ständiges und  erfreuliches  Aussehen.  —  Den 
ältesten  und  bekanntesten  der  Dresdener  Maler, 


Gotthard  Kuehl,  ehrte  man  durch  eine  kleine 
Kollektion  im  besonderen  Raum.  Es  sind  durch- 
weg sichere  Arbeiten,  von  denen  ich  den  „Ab- 
bruch der  Interimsbrücke"  wegen  seiner  vor- 
züglichen farbigen  Wirkung  hervorhebe.  Von 
Sterl  sah  man  in  den  letzten  Jahren  nicht 
sonderlich  glückliche  Kompositionen:  seine 
Konzertbilder  (Ernst  von  Schuch  und  Nikisch) 
büßen  einen  Teil  der  Wirkung  ein  durch  wenig 
überzeugende  Darstellung  des  Orchesters.  Das 
Problem  ist  natürlich  außerordentlich  schwierig 
und  bis  jetzt  von  dem  Künstler  noch  nicht  be- 
friedigend gelöst.  Ambesten  wirkt  von  den  aus- 
gestellten Arbeiten  der  bekannte  „Steinbruch". 
EugenKampfist  mit  einer  Anzahl  von  Land- 
schaften gut  charakterisiert.  Zwintscher 
sandte  neben  einem  Porträt  des  Dresdner  Ober- 
bürgermeisters Beutler  einige  seiner  viel  ge- 
schätzten, dekorativen  Bilder.  Es  interessieren 
neben  diesen  Älteren  vor  allem  der  Dresdner 
Nachwuchs  und  einige  Maler  mittleren  Alters, 
deren  Schaffen  bisher  kaum  in  weitere  Kreise 


1911.  IV.  3. 


291 


I 


iiSKAR  ZWINl'SCHER     DRESDEN,     bildnis;  «IM  sommergarten« 


Erste  Ausstellung^  der  y> Kwistkrvereininmsi  Dirsdew 


OTTO  FISCHER— DRESDEN. 


drang.  Otto  Gußmann  überrascht  durch  ein 
paar  gut  gemalte,  in  der  Farbenwahl  vielleicht 
noch  etwas  zu  dekorative  Aktstudien.  Seine  be- 
sondere Leistung  aber  ist  das  „Porträt  des  Bild- 
hauers Wrba",  groß  gesehen  und  von  sicherer, 
künstlerischer  Arbeit,  Hegenbarth  ist  durch 
einige  seiner  sympathischen  Landschaften  mit 
Tierstaffage  gut  vertreten,  Artur  Bendrat 
und  Fritz  Beckert  laufen  Gefahr,  zu  kolorie- 
ren, anstatt  zu  malen  und  bei  der  Vedoute  zu 
enden.  Auch  in  Otto  Altenkirchs  Land- 
schaften dürfte  man  etwas  mehr  von  individu- 
ellem Leben  spüren.  Er  vertreibt  die  „Natur" 
aus  seinen  Bildern,  und  macht  aus  den  schön- 
sten Bäumen  nicht  mehr  als  eine  hübsche  far- 
bige Komposition.  Aus  einer  Anzahl  guter  und 
hoffnungsvoller ,  technisch  und  seelisch  aber 
noch  nicht  ganz  freier  Begabungen  treten  hervor : 
Ferd.  Dorsch,  Walter  Zeising,  Siegfried 
Berndt,  Wilh.  Claus,  Paul  Wilhelm,  E. 
R.  Dietze,  Anton  Pepino.  Als  Radierer 
erscheinen  Otto  Fischer  und  Hans  Nadler 


Gemäkle:  »Disentis» 


bedeutender  und  reifer  denn  als  Maler.  Über- 
haupt machen  die  Säle  der  graphischen  Arbei- 
ten einen  guten  Eindruck.  Unter  den  dekora- 
tiven Kompositionen  fällt  die  „Studie  zu  einem 
Fresko"  von  Paul  Rößler  auf,  doch  stört 
der  Kontrast  von  studierter  Naturform  und 
Stilisierung,  den  der  Künstler  in  der  Folge 
wohl  noch  überbrücken  wird.  Vorzügliche  pla- 
stische Arbeiten  von  Peter  Pöppelmann  und 
Georg  Wrba  sind  zu  verzeichnen,  doch  ge- 
winntmandenEindruck,  daßWrbas  Stärke  ihren 
reinsten  Ausdruck  nicht  in  seinen  Porträts  fin- 
det, Karl  Groß,  den  man  als  trefflichen Kunst- 
gewerbler  kennt,  erfreut  durch  ein  außerordent- 
lich gelungenes  Bronzerelief.  Erwähnt  seien 
noch  gute  Leistungen  von  Artur  Lange, 
Walter  Sintenis,  Felix  Pfeifer  und  Otto 
Pilz,  bei  dem  man  jedoch  einen  allzu  engen 
Anschluß  an  Gauls  Arbeiten  konstatieren  muß. 
—  Klinger  sandte  außer  einem  schönen  weib- 
lichen Bildnis  seine  neuesten  Radierungen.  Von 
Münchnern    sind  neben    Habermann,   Sam- 


293 


E7'ste  Ausstellung  der  y> Künstlen^ereinigung  Dresde?i« 


berfjer,  Georgi  u.a.,  besonders  der  Land- 
schafter Oßwald,  Walter  Klemm  („Regen"), 
Adolf  Thomann  („Dämmerung")  und  der 
Bildhauer  Schwegerle  (mit  einer  Anzahl  von 
Plaketten)  zu  erwähnen.  Karlsruhe  ist  durch 
Trübner,  Dill,  Hellwag;  Stuttgart  durch 
Pleuer,  Pankok,  Landenberger  („Mädchen 
am  Fenster")  repräsentiert.  Von  älteren  Ber- 
linern wie  Liebermann,  Slevogt,  Corinth, 
Rhein,  Ulrich  Hiibner,  von  Brock husen, 
Orlik,  Käthe  Kollwitz  sieht  man  bekannte 
Stücke.  Die  starken  Begabungen  des  Nach- 
wuchses haben  ihre  jüngsten  Arbeiten  gesandt: 
Max  Beckmann  außer  einigen  in  der  Farbe 
nicht  ganz  überzeugenden  Bildern  eine  geniale 


Komposition  „die  Gefangenen",  Waldemar 
Rösler  u.a.  ein  ausgezeichnetes  „Selbstbild- 
nis " .  Von  Hans  Meid  hebe  ich  den  „  Abbruch " 
hervor.  Adolf  Seh  innerer,  der  bekannte 
Radierer,  scheint  als  Maler  mit  weiten  Schritten 
aufwärts  zu  schreiten.  Sein  „Rebgarten  am 
Meer"  zeigt  ihn  bereits  auf  bedeutender  Höhe 
der  technischen  Leistung.  —  Über  die  Arbeiten 
auf  dem  Gebiet  der  Architektur  und  des  Kunst- 
gewerbes wird  später  noch  berichtet,  e.  hfmh  k. 
Ä 
Die  Schwierigkeit  der  Kunsterziehung  besteht  da- 
rin, die  Empfindungen  wadizurufen  und  zu  stäri<en. 
Es  gilt  dabei,  die  sich  darbietenden  Ersatzmittel  wie 
Gitt  zu  meiden,  denn  sie  sind  es,  die  die  heutige 
Kunstwirrnis  geschafTen"haben.     Hermann  Muthesius. 


~/v^«^yc  ■"  "i^hf; 


ANTON  JOSEF  PEPINO    DRESDEN.     Gemälde:  »Frau  mit  Kind« 


f^mfvj.  ^% 


PROF.  ROB.  STERL- DRESDEN. 
GEMÄLDE;  »ARBEITER  IM  STEINBRUCH« 


I 


PAUL  RÖSSLER  -DRESDEN. 


STUDIE  ZU  EINEM  FRESKO 


l'RijbE.NSUK  ollü  GUSSMAN.N      DRESDEN.       GE.M.VLUE:    »AKT« 


Robai  Breuer- J)(r/i)i-  Wilmersdorf: 


ARTHUR  BENDRAT— DRESDEN. 


).Auf  den  Zinnen  von  Sclildli  Helshigver 


DIE  EROBERUNG  DES  KUNSTWERKES. 


VON  ROBERT  BREUER. 


Analysen  wären  Akte  der  Zerstörung,  wenn 
L  sie  nicht  nah  oder  fern  nach  einer  neuen 
und  reicheren  Synthese  strebten.  Dies  sei  als 
ein  heiliges  Credo  auf  den  Leuchter  gehoben, 
bevor  wir  kühnlich  einen  Feldzugsplan  gegen 
das  Kunstwerk  entwerfen.    Halali! 

Nachdem  wir  ein  Bild  lange,  herzlich  und  er- 
griffen angeschaut  haben,  beginnen  wir  es  auf- 
zulösen: nach  Gruppen,  Partien,  vorn  und  hin- 
ten. Wir  versuchen  zu  erfassen,  wie  die  Per- 
spektive durch  das  Bild  geht,  woher  das  Licht 
kommt,  wenn  mehrere  Lichtquellen  angegeben, 
wo  die  Treff-,  Schnitt-  und  Schaltenpunkte  lie- 
gen, welche  Tageszeit  der  Künstler  illusionieren 
wollte,  wie  der  Wind  weht,  wohin  die  Wolken 
ziehen,  das  Wasser  fließt.  Welche  Farben 
herrschen  vor,  welche  Harmonie  ist  erstrebt,  in 
welchen  Ton  fließen  die  Lokalfarbcn  über,  sil- 
bern, blond,  golden.    Warum  steht  gerade  dies 


2^)8 


Rot  dort,  jenes  Blau  hier.  Was  macht  diese 
Figur  so  hart  hervorspringen,  drängt  den  Wald 
fast  hinter  den  Horizont  zurück.  Wie  wird 
das  Raumgefühl  vermittelt,  was  lockt  unser 
Auge  in  die  Tiefe,  daß  es  die  Häuserzeilen  ent- 
lang läuft,  über  Gräben  springt,  in  Höhlen 
hineinkriecht,  an  vorspringende  Bretter,  ver- 
tiefte Ecken  glaubt.  Warum  geht  der  musku- 
löse Arm  des  kraftstrotzenden  Mars  parallel 
mit  dem  feinen,  geschmeidigen  der  den  Kriegs- 
gott entwaffnenden  Venus.  (David,  „Venus  ent- 
waffnet Mars".)  Warum  liegt  der  ausschwingen-  ' 
den  Dachlinie  dasselbe  Bewegungsmotiv  zu 
Grunde  wie  der  Rückensilhouette  des  in  die 
Landschaft  gestellten  Mannes,  den  Konturen 
der  Wolken.  Warum  ist  alles,  was  die  Bewe- 1 
gungsrichtung  dieser  Figur  verdeutlichen  könnte, 
hervorgehoben,  während  der  Kopf  jegliche  feine 
Modellierung,  sogar  die  Ohren  vermissen  läßt. 


Die  Eroberims  des  Kunstwerkes. 


—  Wir  suchen  mit  einer  gewissen  Altklugheit, 
und  weil  es  amüsant  ist,  nach  Fehlern,  beson- 
ders in  der  Perspektive  und  den  Proportionen; 
nur  muß  dabei  stets  erkundet  werden,  ob  Fahr- 
lässigkeit, bewußte  Gleichgültigkeit  oder  geniale 
Absicht  vorliegt. 

Dem  gleichen  Inquisitorium  unterwerfen  wir 
die  Plastik.  Zunächst  gilt  es  zu  erfahren,  haben 
wir  vor  uns  Knochen,  flolz,  Bronze  oder  Mar- 
mor, ein  Original  oder  einen  Gipsabguß.  Eine 
Skulptur  kann  nur  in  dem  Material,  auf  das  hin 
der  Künstler  sie  anlegte,  gewürdigt  werden.  — 
Nicht  minder  wichtig  ist  die  Frage,  ob  es  sich  um 
ein  vollständig  unabhängiges  oder  ein  in  engem 
architektonischem  Zusammenhang  stehendes 
Werk  handelt,  um  eine  Statue,  die  für  einen 
bestimmten  Ort  oder  Raum  gedacht  und  gefer- 
tigt wurde,  einen  Altar,  eine  Freitreppe,  einen 
Marktplatz  oder  um  ein  von  Bosketten  versteck- 
tes Wasserbecken.  —  Aus  welcher  Entfernung 
wurde  das  Werk  in  der  Originalaufstellung  wahr- 
;4t.nommen :  Tempelfriese  wollen  anders  be- 
trachtet sein  als  Porträtbüsten.  —  Ein  Denkmal 
kann  leicht  von  ungünstiger  Seite  in  Augen- 
schein genommen  werden.    Um  gerecht  zu  sein, 


muß  man  es  in  enger  werdendem  Bogen  um- 
kreisen ;  steht  es  gegen  eine  Wand ,  nach  links 
und  rechts ,  vorwärts  und  rückwärts  treten ; 
führen  Straßen-Zugänge  direkt  darauf  hin,  muß 
der  Beschauer  aus  diesen  heraus,  langsam  näher 
kommend ,  den  sich  entwickelnden  Eindruck 
beobachten.  Manchmal,  so  leider  auch  bis  auf 
wenige  Ausnahmen  in  Berlin,  werden  alle  Ver- 
suche, einen  guten  Gesamtüberblick  zu  erlangen, 
vergeblich  sein.  —  Besondere  Vorsicht  ist  ge- 
boten ,  wenn  eine  Unmenge  gleichartig  arran- 
gierter Felsblöcke  nebeneinander  stehen,  eine 
Erscheinung,  die  glücklicherweise  in  ihrer,  die 
Augennerven  grausamlich  malträtierenden  Art 
nicht  häufig.  Trotzdem  ,  man  lasse  sich  durch 
eine  derartige  Marmor- Attacke  nicht  in  die 
Flucht  schlagen,  sondern  suche ;  sogar  in  der 
Markgrafen-Tabelle  finden  sich  drei ,  vier  gute 
Werke.  Auch  betreffs  des  Sockels  ist  doppelte 
Aufmerksamkeit  angebracht,  ohne  weiteres  darf 
man  ihn  dem  Konto  des  Bildners  nicht  zu- 
schreiben; in  letzter  Zeit  sind  Fälle  vorgekom- 
men ,  da  der  Meister  des  Körpers  von  dem 
geplanten  Postament,  selbst  von  dem  Gesamt- 
Arrangement  nicht  unterrichtet  war. 


FRITZ  EECKERT -DRESUIiN.      LicmälJe:  »Aiii  /.uinger 


2^^) 


Die  Eroberung  des  Kutistwerkes. 


KUMUND  KÖRNER-   DRESDEN. 

In  den  Museen  und  Ausstellungen  ist  die 
Sache  meist  bedeutend  einfacher;  da  haben 
Fachleute  die  Werke  so  gestellt,  daß  eine  gute 
Übersicht  des  Einzelnen  leicht  gefunden  wird. 
Erst  dann  darf  man  nach  dem  Detail  fragen.  — 
Warum  wirkt  dieser  hoch  über  das  Haupt  grei- 
fende Arm  so  unruhig,  die  Luft  zerreißend. 
Woran  liegt  es,  daß  die  Gestalt  mit  dem  von 
den  Schultern  fallenden,  bis  zu  den  Knöcheln 
reichenden  Mantel  so  massig  und  wuchtig  er- 
scheint; warum  mag  dort  neben  die  Figur,  eigent- 
lich völlig  überflüssig,  eine  Konsole,  ein  Baum- 
stumpf gestellt  sein?  Der  Luftschnitt,  die  Obe- 
liskenwirkung, sollte  vermieden  werden,  auch 
der  Schwerpunkt  konnte  die  Hilfsmittel  fordern. 
Unbedingt  ist  immer  darauf  zu  achten,  ob  die 
steinernen  Männer,  die  bronzenen  Damen  so, 
wie  sie  hingestellt,  auch  in  natura  ständen. 
Das  Standbein  ist  aufzusuchen,  eine  stets  sehr 


Interieur  der  Marienkirche  in  Danzig. 


instruktive  Aufgabe ;  völlig  logisch  kommt  man 
dabei  zur  Frage  nach  der  Verteilung  der  Massen, 
der  Stützpunkte,  des  Gleichgewichts.  Dies  alles 
ist  doppelt  interessant  bei  lebhaft  bewegten 
Figuren.  In  dieser  Hinsicht  seien  analysiert:  ein 
sich  niederlassender  Hermes,  Kruses  „Läufer 
von  Marathon",  das  Reiterstandbild  August  des 
Starken  in  Dresden,  der  zur  Erde  gestürzte 
Achilles,  Sindings  „Gefangene  Mutter" ,  Klimschs 
„Salome",  die  hockenden  und  gebeugten  Kugel- 
spielerinnen, auf  schräger  Ebene  abwärts  glei- 
tende Wasserschöpfer,  der  sich  bäumende  Kör- 
per am  Kreuz,  irgend  ein  barocker  St.  Georg, 
den  Drachen  tötend. 

Durch  derartige  Sektion  kommt  man  dem 
eigentlichen  plastischen  Problem  bald  auf  die 
Spur.  Die  geistige  Arbeit  des  Bildners  wird 
wieder  flüssig  und  von  dem  Betrachter  aufgerollt, 
nacherlebt;  das  bedingt  ein  lebendiges  Erfassen 


500 


OSKAR  ZWINTSCHER-  DRESDKX. 

ÖLGEMÄLDE:   »KINDER-KILUNIS^ 


rK<iH'^S(ik    I.    III  <  .1   M:  \l;  I  II       ÜKKMiK.X. 


\Mil  I   lll;l 


H.  NADLER 
DRESDF.X. 


l 


1911.  IV.  4. 


HANS  HAVECK.     UACllAL. 


GtMALUE:    .ZIMMERPLATZ« 


PROIESSOR  OTTO  GUSSMANN     DRESDEN.    GEMÄLDE:  »HALBAKTs 


Die  Eroberung  des  Ku7ishverkes. 


PROFESSOR  LEO  SAMBERGER. 


aller  Schwierigkeiten,  die  der  Aufbau  ergab. 
Man  stößt  auf  die  brüchigen  Stellen,  auf  die 
Zentralpunkte  der  Tektonik;  man  lernt  ver- 
blüffende Formen,  ein  verstelltes  Bein,  heraus- 
gebogene Hüften,  einen  verzerrt  erscheinenden 
Hals,  ursächlich  begreifen.  Gleichzeitig  dringt 
der  Blick  tief  in  die  Anatomie;  offenbare  Ab- 
weichungen bekommen  ihren  Sinn,  man  sieht, 
wie  die  Absicht  gewaltet.  —  Leider  sind  die 
meisten  Menschen  unsererkulturdurchdämpften 
Jahrzehnte  in  Sachen  des  nackten  Körpers 
völlig  inkompetent;  wir  kennen  nur  den  in 
röhrenartige  Futterale  versenkten  Adam,  ein 
lächerliches  Moralsurrogat  gestattet  statt  Even 
allenfalls  eine  wespentaillige  Modepuppe.  Wel- 
cher Künstler  würde  es  wagen,  sein  Weib  wie 


Bildnis:  Hofkapellmeister  P'ischer. 


Rembrandt  die  Saskia  als  Danae  zu  malen? 
Durch  des  Sittenschutzmanns  Gunst  werden 
die  Bildhauer  demnächst  in  die  Lage  kommen, 
uns  anatomische  Unmöglichkeiten  aufzutischen. 
Nun,  solange  die  Schneebrille  noch  nicht  Beding- 
ung für  den  Galeriebesuch,  solange  beachte 
man  recht  gründlich  die  nackte  Körperform, 
entkleide  man  die  Figuren,  dringe  durch  Ober- 
und  Untergewand;  eine  Indiskretion,  die  von 
den  Meistern  der  Plastik  möglichst  leicht  ge- 
macht wird.  Die  Griechen  bedeckten  in  der 
Regel  nur  die  korrespondierenden  Formen;  die 
herrlichen  Jungfrauen  der  mittelalterlichen  Dome 
lassen  durch  die  Hüllen,  wo  das  plastische  Be- 
dürfnis es  auch  immer  fordert,  den  Körper  er- 
kennen.   Man  versuche  die  Knochen  zu  fühlen 


3u> 


Robert  Breuer— Berlin  -  Wihnersdor/ 


und  prüfe,  ob  in  der  steinernen  Brust  zwei  ge- 
sunde Lunjjenfiügel  atmen  können.  —  Selbst- 
verständlich werden  wir  nicht  den  Punktier- 
zirkel obersten  Richter  sein  lassen,  sondern 
unsere  VorstelluniJ.  Kontrollierende  Messungen 
an  der  Mediceischen  Venus  ergaben  sehr  be- 
deutende Abweichungen  von  den  normalen 
Körperproportionen;  dennoch  empfinden  wir 
das  Götterbild  als  anatomische  Vollkommenheit 
im  höchsten  Sinne.  .'\uch  Einzelheiten  sollen 
nicht  übersehen  werden:  wie  die  Muskeln  des 
eine  schwere  Last  hebenden  Armes  sich  span- 
nen, wie  die  Glieder  in  ihren  Gelenken  sitzen, 
die  Nase  hervorspringt,  die  Augen  im  Kopfe 
stehen;  wie  verhalten  sich  die  Maßverhältnisse 
von  Füßen,    Händen  und   Gesicht,    Kopf   und 


Körper?  —  Weiterhin  betrachte  man,  wie  sich 
die  einzelnen  Körperteile  ausFlächen  zusammen- 
wölben. Die  kräftige  Bauchniuskulatur  des 
kauernden  Fauns  in  ihren  tiefen  Falten  ist  eine 
Aneinanderreihung  von  Konkaven  und  Kon- 
vexen. Durch  den  Brustkasten  können  Schnitte 
gelegt  werden.  Wenn  man  sich  dann  die  ein- 
zelnen Segmente  gesondert  vorstellt,  von  der 
Formschönheit  eines  jeden  sinnlich  entzückt 
wird,  setzt  man  die  Teile  zusammen,  Wölbung 
an  Wölbung,  Wunder  an  Wunder.  Die  Augen- 
abtastung eines  machtvollen  Schädels  ist  schon 
am  Naturobjekt  ein  himmlisches  Entzücken,  das 
Goethen  die  Geheimnisse  des  urewigen  Adepten 
entschleiert.  Das  Kunstwerk  spricht  noch  deut- 
licher.  —  Die  Flächen  dahingleitend,  beachtet 


PROFESSOR 
OTTO  GUSSMANN- 
DRESDEN. 
BILDNIS: 
»PROF.  WRBA« 


Die  Eroberung  des  Kunshverkes. 


PROFESSOR  GEORG  VVRBA— DRESDEN.     Porträtbiiste  des  Kommeizienrats  B. 


{  man  die  Übergänge  von  einer  zur  andern;  ob 

]  sie  klar  und  leicht,    ob  der  Blick  von  einer  zur 

I  andern  gezogen  wird,  oder  ob  er  in  unerwartete 

Löcher  fällt,   an   unverständliche  Ecken   stößt. 

Derartige   Hindernisse    finden    sich   häufig   bei 

den  mit  Schneidergewissen  gekleideten  Figuren. 

Fangschnüre  laufen  völlig  unbekümmert  um  die 

Flächenführung  quer  von  den  Achseln  über  die 

•  Rippen,  Uniformknöpfe   —   die   zweifellos  zur 

.  Ghederung  verwendet  werden  können  —  sind 

I  vorschriftsmäßig    angenäht    ein    Dutzend    nach 


Regimentsbefehl,  wo  der  Bildner  nur  vier  hätte 
gebrauchen  können.  Ein  berüchtigter  Form- 
zerreißer ist  das  obligate  Feigenblatt;  die  elasti- 
sche Verankerung  zwischen  den  Leibträgern  und 
der  lastenden  Rumpfmasse  wird  zerstört. 

Nicht  minder  wichtig  als  die  Flächengliede- 
rung ist  der  Fluß  der  Linien,  die  entweder  ideell 
durch  Verbindung  bestimmter,  aufeinander  re- 
flexibler Punkte  gelegt  werden  oder  materiell 
dargestellt  werden.  Der  Blick  gleitet  etwa  von 
der  Mitte  der  Schädeldecke  über  die  Stirn,  die 


307 


Robert  Breiur- Berlin-  'Wilmersdorf: 


Nase,  Mund.  Kinn 
und  Kehlkopf  bis 
zur  Kehlgrube; 
oder  vom  Kopf 
über  die  Schultern 
längs  des  vorge- 
streckten rechten 
Armes,  den  diesen 
stützenden  Stock 
herunter,  den  tan- 
gential getroffenen 
rechtenFuß  herauf, 
oder  von  derHelni- 
spitzc  über  die 
Falte  des  Mantels, 
den  hinteren  Rük- 
ken  des  Pferdes, 
den  Schvcanz  hi- 
nunter zur  Erde, 
oder  längs  des  von 
denHalswirbeln  an 
deutlich  hervortre- 
tenden Rückgrats, 
oder  über  die  wei- 
chen Bögen  der 
Scheitel  und  Schul- 
ter verbindenden 
Locken,  harte  Ge- 
wandfalten ab- 
wärts. —  So  wird 
ein  Umriß,  eine  Sil- 
houette herausge- 
rissen. Man  kommt 
demWerk  am  näch- 
sten, wenn  es  ge- 
lingt ,  die  Profile, 
die  dem  Künstler 
besonders  wert- 
voll, weil  präzisierend,  herauszufinden ;  dies  wird 
um  so  eher  gelingen,  je  reifer  und  durchdachter  die 
Kunst.  Einen  besonderen  Reiz  vermag  in  dieser 
Beziehung  die  Gruppe  zu  gewähren,  wenn  sich 
dieUmrisse  verschiedener  Figuren  oderbestimm- 
terTeile  derselben  zu  einer  gemeinsamen  Silhou- 
ette schließen.  Im  entgegengesetzten  Fall  kann 
man  nicht  einen  einzigen  Linienzug  in  der  einen 
Figur  verfolgen,  ohne  auf  ein  Hindernis  in  Gestalt 
eines  Teiles  der  andern  zu  stoßen,  es  wimmelt 
von  Überschneidungen;  wo  man  sich  auch  hin- 
stellt, man  bekommt  keinen  Gesamteindruck, 
immer  eine  Störung.  Der  Linienzug  aus  der 
einen  Figur  vermag  nicht  die  gähnende  Lücke 
zu  überspringen,  um  in  der  anderen  sich  fort- 
zusetzen. —  Nun  forscht  man  weiter;  worauf 
hat  der  Bildner  den  Hauptwert  gelegt,  herrscht 
der  Kopf  oder  die  Bewegung  des  Leibes,  oder 
ist  die  ganze  Anlage  ein  Hinweis  auf  die  nach 


308 


.\KTHUR  LANGE -DRESDEN. 


der  Sonne  greifen- 
den Hände.  —  Wa- 
rum ziseliert  Canii- 
nica  die  Finger  sei- 
ner „Betenden"  so 
eindringlich,  daß 
sie  nicht  weniger 
vergeistigt  erschei- 
nen als  das  kon- 
templative Antlitz; 
während  sich  Klm- 
ger  getraut,  die  po- 
lychrome Amphi- 
trite  ohne  Arme  zu 
lassen.  Warum 
sind  die  vier  Skla- 
ven am  Schlüter- 
schen  Denkmal  fast 
übermäßig  unruhig 
gestaltet;  während 
der  Kurfürst  in  ma- 
jestätischer Unbe- 
weglichkeit,  im 
vollsten  Sinne  des 
Wortes  wie  ange- 
gossen auf  dem 
Rosse  sitzt.  Der- 
artiger Akkorde- 
Kontraste  in  ihrer 
verdeutlichenden 
Wirkung  achte  der 
Beschauer.  —  An- 
regend ist  es  auch, 
auf  die  gebliebe- 
nen Merkmale  der 
Herstellung  und 
Technik  zu  mer- 
ken; sieht  man  die 
Meißel-Einsätze,  fühlt  man  noch  den  Gang  des 
Stahles  durch  den  Block,  läßt  sich  auch  in  der 
starren  Bronze  der  Fingerdruck  spüren. 

Der  ganze  vorstehend  entwickelte  kritische 
Angriffsplan  hat  keineswegs  den  Wert  eines 
festen  Schemas.  Es  läßt  sich  noch  eine  ganze 
Fülle  von  Dingen  herzählen,  auf  die  zu  achten 
nicht  weniger  wichtig  wäre,  andererseits  wird 
mancher  von  uns  Begehrtes  entbehrlich  und 
höchst  gleichgültig  finden.  Historisch  betriebene 
Kunst  —  oder  besser  —  Stilkritik  wertet  ein- 
deutiger. Sie  achtet  auf  die  Zeichen  der  Zeit; 
So  lauteten  die  Absichten  der  Epoche,  derart 
war  die  Normallösung,  wie  weit  steht  N.  N. 
über  oder  unter  diesem  Niveau?  Woher  hat 
er  seine  Eigentümlichkeiten,  —  von  jener  Reise, 
von  diesem  Atelierbesuch?  Da  spüren  wir  ein 
italienisches  Element,  hier  deutsche  Technik,  die 
Formensprache  der  Antike  verschmolzen  mit 


Mädchen- llalbakt. 


Ill< 


Die  EroberiDio  des  Kunshverkes. 


gotischem  Geist,  ägyptische  Noten,  ein  wenig 
Naturstudium,  den  Lehrer  X  und  den  Professor 
\  .  .  .  kurz,  der  Historiker  kann  ein  klappendes 
Rechenexempel  aufstellen.  Eine  bewunderns- 
u  erte  Parallele  zu  der  Taktik,  nach  der  uns  die 
.lugendverpfuscher  den  Homer  zerpflückten. 
Freilich,  Philologie  ist  notwendig  und  Kunst- 
grammatik unentbehrlich;  aber  für  die  ästhe- 
tische Beurteilung,  für  den  Kunstgenuß,  ist  der 
gelehrte  Apparat  völlig  gleichgültig.  Es  kommt 
garnicht  darauf  an  zu  wissen,  woher  der  Künst- 
ler dies  hat,  wem  er  jenes  verdankt.   Er  ist  ein 


Wikinger  und  nimmt  und  raubt  —  darüber  lese 
man  Goethe.  Aber,  was  er  dann,  sei  es  aus 
Gnade,  aus  Erlöserwillen,  sei  es  aus  Übermut 
oder  Lust  am  Schaffen,  der  Welt  spendet,  ist 
so  neu  und  taufrisch  wie  Athene,  als  sie  Papa 
Zeus  aus  dem  Hirnkasten  sprang. 

Was  wird  der  paradiesische  Junggeselle  wohl 
gemacht  haben,  als  plötzlich  elfenbeinern  ein 
Leib  mit  goldenem  Haar,  mit  granatenen  Lippen 
und  wie  Bernstein  leuchtenden  Augen  im  Gras 
lag.  Er  wird  hingegangen  sein,  wird  das  wunder- 
same Ding  mit  Rosenblättern  bedeckt  und  in 


GKABFIGÜR 
IX  BRONZE. 


309 


Die  Eivhentiii>  des  Kiins/iverkes. 


die  Arme  geschlossen  haben.  So  will  Kunst 
genossen  sein  !  All  die  kleinen  Hinweise  und 
Ausrufungszeichen  haben  nur  dann  einen  Wert, 
wenn  sie  zur  Steigerung  des  Genusses  bei- 
tragen und  ein  völliges  Eindringen,  ein  restloses 
Aufgehen  in  der  Neuoffenbarung  erleichtern. 
Um  des  Himmels  willen,  aus  dem  harmlosen 
Leser  soll  kein  kleiner  Kunstgelehrter  werden, 
der  nun  selbstbewußt  durch  die  Museen  stol- 
ziert, weil  er  von  der  Sache  etwas  zu  verstehen 
glaubt.  Wissenschaftlicher  Dilettantismus  des 
Beschauers  ist  noch  greulicher  und  lächerlicher 
als  der  des  Produzierenden.  Alles,  was  das 
Verständnis  des  Kunstwerkes  ermöglicht,  das 
Begreifen  der  Wirkungsursachen,  soll  nur  die 
Wirkung  selbst,  den  Genuß,  den  Ablauf  des 
ästhetischen  Prozesses,  das  Erleben,  die  Assi- 


milation des  Künstlerischen,  erhöhen.    Das  ist 

die  Eroberung  des  Kunstwerkes.  —  r.  h. 

Ä 

r~\in  Kunstwerk  zeigt  die  Welt  nicht  wie  ein 
^"^  Spiegel,  sondern  als  einen  sinnvollen  ZiiStininien- 
hang,  in  dem  nlle  Energien  einer  Mensdienseele  die 
Bedeutung  des  Gesehenen  ein  jedem  Punkt  heraus- 
gearbeitet haben.  Und  diese  Bedeutung  ist  unaij- 
hängig  von  dem  einzelnen  Gegenstand,  sie  konunt 
aus  dem  Lebensverhältnis,  in  dem  uns  die  Wirklidi- 
keit  überiuuipt  gegeben  ist,  und  sie  ist  realisiert  in 
der  Struktur  der  Sictierheit  überhaupt.  Insofern  ver- 
mag jedes  Bild  die  Totalität  der  siditbaren  Welt  und 
ihren  Sinn  zu  repräsentieren,  weil  es  eben  die  Struk- 
tur der  Siditbnrkeit  zeigt,  die  aus  einem  Llrerlebnis 
dieser  Welt  stanuut.   —   —   — 

Aus:   Hermann  Nohl:    Die  Weltansdiauungen  der 
Malerei.     Verlegt  bei  Eugen  Diederidis  in   |ena.    - 


OTTO  pn.z- 

DRESDEN. 


I 
I 

I 


BRUNNEN 
MIT  JUNC.EN 
II-'SREN. 


I 


AKCH.  HEINRICH  STRAUMER  -BERLIN. 
HAUS  DES  MALERS  KARL  NEUNZIG  IN  HERMSDORF. 


ARCHITEKT  H.  STRAUMER  -BERLIN. 


Grappe  in  Hermsdorf.   Prof.  Rudolf  Neunzig  und  Maler  Karl  Neunzig. 


LÄNDLICHE  HÄUSER  VON  HEINRICH  STRAUMER. 


Unsere  Architektur  befindet  sich  in  einer  Pe- 
riode der  Klärung.  Wir  stehen,  nach  dem 
vielberedeten  Aufschwung  des  letzten  Jahr- 
zehnts, an  dem  Punkte,  wieder  vollständig  um- 
lernen zu  müssen.  Da  gewinnen  Erscheinungen, 
die  sich  sonst  bescheiden  in  Reih  und  Glied 
hielten,  erhöhten  Anspruch  auf  Beachtung.  Die 
ländlichen  Bauten  von  Heinrich  Straumer,  von 
denen  hier  einige  abgebildet  sind,  sind  keine 
glänzenden  Architekturstücke,  sie  würden  mit 
ihrer  natürlichen  Einfachheit  und  gesunden 
Kraft  nicht  im  mindesten  auffallen,  wenn  nicht 
die  jeweilige  Umgebung  und  die  zeitgenössische 
Architektur  überhaupt  so  voller  Unnatur,  Ver- 
schrobenheit und  romantischer  Künstelei  wäre. 
Ein  Gang  durch  die  städtischen  und  ländlichen 
Vororte  Berlins  ist  ein  Martyrium  für  die  Augen. 
Hier  und  dort  stehen  als  Oasen  wirklich  künst- 
lerische Bauten.  Aber  angesichts  der  Durch- 
schnittsleistungen darf  man  beinahe  bezweifeln, 
ob  selbst  diese  „Künstlerbauten"  Gutes  gewirkt 
haben.  Sie  waren  eine  Verführung.  Jeder  Bau, 
selbst  das  billigste  Häuschen  sollte  nun  künst- 
lerische Eigenart  zeigen,   und   nichts   ist  übler. 


als  mit  schwächlichem  Können  architektonische 
Schaustücke  schaffen  wollen.  Über  diesen  archi- 
tektonischen Schulreiternummern  wurde  das 
wichtigste ,  das  einzig  Notwendige  versäumt, 
die  Entwicklung  eines  gesunden  Typs  für  das 
Vorstadthaus  und  für  das  einfache  Haus  im 
ländlichen  Vorort, 

Die  „Wunderkinder"  sind  die  größten  Ge- 
fahren für  eine  vernünftige  Erziehung.  Während 
die  Architekturwunder,  die  falschen  wie  die 
echten ,  angestaunt  wurden ,  versäumte  man 
eine  richtige,  konsequente  Erziehung  des  Ge- 
fühls für  das  gute  „Haus"  und  für  die  gute 
„Wohnung".  Die  Miethäuser  und  Villen  sind, 
trotzdem  die  sinnlose  äußerliche  Ornamentie- 
rungssucht  im  Verebben  begriffen  ist,  im  wesent- 
lichen nicht  viel  besser  geworden.  Während 
vorher  der  Schmuck  aufgeklebt  wurde,  erachtet 
und  behandelt  man  jetzt  das  ganze  Haus  als 
Schaustück.  Der  Architekt  sieht  den  Kern  sei- 
ner Aufgabe  darin,  aus  dem  rohen  Baukörper 
ein  „künstlerisches  Gebilde"  zu  gestalten.  Das 
Haus  darf  beileibe  nicht  so  sein,  wie  seine  Nach- 
barn,   Die  schlichte,  glatte  Mauer  ist  verpönt. 


1911.  17.  6. 


Atiton  yaiimann— Berlin  : 


ARCHITEKT  H.  STRAUMER— BERLIN. 


sie  muß  interessant  aufgeteilt  werden,  die  un- 
möglichsten Fenster  werden  ersonnen,  das  Dach 
wird  willkürlich  herabgezogen,  wo  es  angeblich 
die  malerische  Wirkung  erfordert,  der  zuliebe 
auch  am  kleinsten  Häuschen  noch  die  Wand 
vielfach  gebrochen,  der  Baukörper  geknickt, 
hier  Höhlungen  eingesprengt,  dort  Erker  und 
Türme  angeflickt  werden.  Diese  Zierarchitek- 
tur ödet  Besitzer  und  Passant  nach  kurzer  Zeit. 
Eine  Qual  wird  sie  in  Vororten,  wo  die  einge- 
bildete Phrase  sich  häuft.  Eine  Gruppenbildung 
kommt  unter  solchen  Häusern,  wo  nicht  zwei 
gleicher  Gesinnung,  gleichen  Stammes  sind,  nie 
zustande.  Sie  haben  als  Einzelmodell  aus  Pa- 
pier oder  als  farbige  Zeichnung  den  Bauherrn 
bestochen,  darauf  kam  es  allein  an,  was  wunder, 
wenn  die  fertige  Kolonie  wie  eine  Ausstellung 
von  Modellen  wirkt?  Von  dieser  Art  Kunst, 
die  auf  dem  Polytechnikum  eine  Anzahl  von 
„Motiven"  erwirbt,  um  sie  nachher  ins  Unend- 
liche zu  variieren,  haben  wir  das  Heil  nicht  zu 
erwarten.  Je  mehr  in  dieser  Weise  „erfunden" 
wird,  je  mehr  „Künstler"  es  gibt,  die  ihre  Indivi- 
dualität betätigen,  desto  verwirrender  gestaltet 
sich  das  Bild  des  Ortes  und  desto  klarer  tritt 
die  Kulturlosigkeit  der  ganzen  Methode  zutage. 


i3 

Pfarrhaus  in  Dahlem.   Straßenseite. 


Im  Landhausbau  drohen  dem  Architekten 
eine  schier  endlose  Kette  von  Gefahren,  Ent- 
weder locken  ihn  die  für  ihr  Volk  und  ihr  Klima 
klassischen  englischen  Landhäuser,  er  kopiert 
sie  direkt  ausdemStudio,  oder,  was  nichtbesser, 
er  entnimmt  ihnen  Motive,  um  sie  mit  deutschen 
zu  verkoppeln.  Man  hat  holländische  Häuschen 
gesehen  und  möchte  von  ihren  Reizen  etwas 
einfangen,  die  Finnländcr  (Lindgreen  und  Saa- 
rinen) faszinieren  mit  ihren  nordischen  Märchen- 
burgen, man  läßt  sich  von  schwedischen  Holz- 
häusern beeinflussen ,  allenthalben  schwärmt 
man  für  das  alte  deutsche  Bauernhaus  und  schon 
entwickelt  sich  eine  akademische  Dorfarchitek- 
tur, die  die  groben  Dialektformen  in  ein  glattes, 
salonfähiges  Hochdeutsch  übersetzt.  Dann 
sind  noch  die  berühmten  Künstlerarchitekten, 
die  Messel,  Muthesius,  Fischer,  Seidl,  Kreis, 
Pützer,  Metzendorf,  Geßner  usw.,  die  mit 
ihren  persönlichen  Stilen  immer  wieder  eine 
Schar  von  „Beeinflußten"  finden,  die  teils  in 
ihrem  Geiste  zu  arbeiten  versuchen,  teils  nur 
Motive  entnehmen.  So  bildet  der  heutige  deut- 
sche Landhausbau  ein  Bild  bedauerlichster  Zer- 
rissenheit, eines  ewigen  Schwankens  und  ober- 
flächlichen Experimentierens  und  Jonglierens, 


314 


Lävdliche  Häuser  von  Heinrich  Sfraumer. 


I    nt 


ARCHITEKT  H.  STRAUUER     BERLIN. 


das  keine  starke  erfolgversprechende  Bewegung 
auf  das  Große,  Natürliche,  Gesunde,  Tiefem- 
pfundene aufkommen  läßt. 

Straumers  Häuschen  sind  mir  ein  Anzeichen 
dafür,  daß  das  kritische  Unbehagen  gegen  all 
die  Künstelei,  die  malerische  Sucht,  die  Motiv- 
wut zu  erwachen  beginnt.  Er  hat  offenbar  die 
vielen  Klippen  gesehen,  er  hat  es  sich  redliche 
Mühe  kosten  lassen,  sein  Schifflein  ungefährdet 
zwischen  ihnen  hindurchzusteuern,  und  wenn 
mancher  seiner  Arbeiten  darum  noch  eine  ge- 
wisse Ängstlichkeit  anhaftet,  ein  tastendes 
Suchen,  so  kann  das  heute  als  Vorwurf  nicht 
selten.  Wie  viel  leichter  wäre  es  ihm  gewesen, 
iileich  den  andern  ein  interessantes  „Künstler- 
modell"  aus  einem  Gusse  hinzustellen.  Das  Ein- 
fache und  Natürliche  zu  wollen,  der  Entschluß 
zur  Umkehr  war  in  diesem  Falle  die  Tat,  der 
lange  kritische  Kämpfe  mit  sich  selbst  voraus- 
gehen mußten.  Der  Architekt,  der  sich  auf 
diesen  Weg  begibt,  der  mit  den  alten  be- 
scheidenen, namenlosen  Dorfbaumeistern  in 
eine  Reihe  tritt,  muß  sich  auch  sagen,  daß  er 
mit  solchem  unpersönlichen  Stil,  der  nichts  von 
Reklame  an  sich  hat,  für  sein  persönliches  Re- 
nommee nicht  viel  gewinnen  wird.      Dem  Pu- 


Pfarrhaus  in  Dahlem.  Gartenseite. 


blikum  wie  dem  Kunsthistoriker  prägen  sich  nur 
die  Künstler  mit  den  sinnfälligen  Merkmalen 
ein.  Wer  nicht  schreit,  wird  nicht  geliört.  Dazu 
kommen  die  Schwierigkeiten  mit  dem  Bauherrn, 
der  für  sein  Geld  doch  etwas  Großartiges  haben 
will,  und  die  mit  den  Lieferanten,  die  die 
schlichten  alten  Handwerkstechniken  verlernt 
haben.  Es  ist  heute  eher  möglich,  einen  zehn 
Meter  großen  Reichsadler  mit  allen  Federn 
naturalistisch  geschmiedet  zu  erhalten,  als  ein 
tadelloses  Fenstergitter,  das  seinem  Zweck  ge- 
recht wird. 

In  den  Arbeiten  Straumers  finden  sich  häufig 
ganz  unvermittelt  alte  Stilgebilde,  gotische 
Fenster,  barocke  Schnitzereien,  Türgriffe,  La- 
ternen, Geländer,  die  unmittelbar  aus  alten 
Häusern  verpflanzt  erscheinen.  Das  fordert  eine 
Erklärung.  Es  handelt  sich  hier  weder  um  Er- 
findungsarmut (wer  ein  Haus  entwirft,  hat 
schließlich  auch  die  Phantasie,  um  einen  Türgriff 
zu  erfinden),  noch  um  willkürliche  .-Mtertümelei. 
Wenn  das  allgemeine  Elend  gerade  darin  be- 
steht, daß  wir  mit  formalen  oder  „malerischen" 
oder  „architektonischen"  Neuerungen  über- 
schwemmt werden,  so  kann  eine  Besserung  nur 
daher    kommen,     daß    wir    wieder    mehr    die 


315 


^iStntrrpRT^wT^^-^— ^ 


ARCHITEKT  H.  STRAUMER-^JIERI.IX. 
VOM  PFARRHAUS  IN  DAHLEM.      DER  EINGANG. 


I 


III 


I      (I 


ARrHlTEKT  H.  STRAUMER-  BERLIN. 

PFARRHAUS    IN    DAHLEM.     EINGANG    ZUM  GE- 
MEINDE-SAAL  UND    ZUR    MESSNER-WOHNUNG. 


Ländliclie  Häuser  'vti  Hehirirh  Stratiiiii 


•r. 


ARCHITEKT  HEINRICH  STKAUMER  — BERLIN. 


schlichte  „einjjcborene"  Form  der  Dinge  auf- 
suchen, aber  nicht  die  öde,  nüchterne  Nutzform, 
die  uns  nichts  bietet,  die  das  Haus  zur  Scheune, 
den  Schrank  zur  Kiste  macht,  sondern  die  Form, 
in  der  sich  die  Stimmunj«,  die  „Seele"  der  Dinge 
schlicht,  rein,  unverkünstelt  ausspricht.  Bei 
allem  berechtigten  Stolz  auf  die  Leistungen  der 
„Moderne"  ließ  uns  doch  immer  eine  leise  Er- 
innerung nicht  los  an  die  lieben  traulichen 
Räume  in  Großvaters  Haus,  die  bei  aller  for- 
malen Armut  doch  eins,  das  Wichtigste  vor  dem 
modernen  Künstlerraum  voraus  hatten:  Seele, 
Stimmung.  Der  mächtige  eichene  Kleider- 
schrank ,  der  keines  Künstlers  Signatur  trug, 
schien  selbst  eine  Person  zu  sein,  man  mußte 
ihn  lieben.  So  mußte  man  die  Kommode  lieben 
mit  den  gedrechselten  Füßen,  das  riesige  leder- 
bezogene Kanapee,  an  dem  die  weißen  Nägel 
blinkten,  die  Fenster  mit  den  kleinen  Schieber- 
chen, die  kupfernen  Pfannen  in  der  Küche,  den 
riesigen  schwarzen  Rauchfang,  die  quergetcilte 
Haustür  mit  dem  Schiebeloch  für  den  Hund. 
Straumers  Häuser  sind   voll   derartiger  Huldi- 


l'farrhaus  in  Dahlem.  Aus  dem  .Speisezimmer. 


gungen  an  die  Jugendzeit.  Es  scheint,  als  ob 
gewisse  Dinge  ihre  Form  ein  für  allemal  ge- 
funden hätten,  (die,  in  der  wir  ihre  Seele  zuerst 
vernahmen)  und  man  scheut  sich,  sie  in  neue 
kalte  Reißbrettformen  zu  kleiden.  So  existiert 
auch  bei  den  Engländern  für  viele  Gegenstände 
ein  stereotyper  Ausdruck.  Aber  das  ist  Neben- 
sache. Wir  sind  doch  wohl  in  der  Lage,  die 
Seele  der  Dinge  unserer  Umgebung  noch  ein- 
mal mit  eigenen  Worten  auszudrücken.  Wenn 
es  auch  hundertmal  schwerer  ist  als  alles  mo- 
derne Ornamentieren   und  Konstruieren. 

Bei  der  Beurteilung  der  Einzelheiten  in 
Straumers  Bauten  ist  also  das  zu  beachten,  wenn 
man  ihm  gerecht  werden  will;  Seine  Bauten 
sollen  nicht  Stein  gewordene  Zeichnungen  sein, 
sondern  „Häuser"  (mit  allem  Erinnerungszauber, 
der  im  Worte  Haus  liegt)  und  die  einzelnen 
Dinge  sollen  nicht  zu  Kunstwerken  aufgebläht 
werden ,  sondern  ihre  schlichte  stille  Seele 
haben,  wie  es  früher  war.  Das  ist  natürlich 
nicht  alles  auf  den  ersten  Hieb  gelungen  und  für 
manches  brauchte  er  die  Stütze  der  Erinnerung. 


316 


Ländliche  Häiiser  von  Heinyich  Stratimer. 


ARCHITEKT  H.  STKAUMER  -BERLIN. 


Aber  arbeiten  nicht  auch  die  englischen  Archi- 
tekten zum  großen  Teil  mit  alten  Elementen? 

Für  das  Pfarrhaus  in  Dahlem  war  Straumers 
Entwurf  in  einem  engeren  Wettbewerb  ausge- 
wählt worden.  Der  Bau  charakterisiert  diskret 
und  doch  verständlich  durch  verschiedene  Mo- 
mente seine  Bestimmung:  es  ist  ein  kleiner  Hof 
gebildet,  der  sich  gegen  die  Kirche  zu  öffnet, 
die  Gartenmauer  setzt  die  alte,  aus  Findlings- 
blöcken geschichtete  Friedhofsmauer  fort  und 
auch  die  ganze  Farbenstimmung  des  Hauses 
(roter  handgestrichener  Ziegelstein,  graue  hol- 
ländische Pfannen)  korrespondiert  mit  dem  Bild 
des  uralten,  wunderbaren  Kirchleins.  An  meh- 
reren Punkten,  aber  nur  wo  es  die  Konstruktion 
nahelegte,  sind  interessante,  alte  Steinverbände, 
wie  Fischgrätenmuster  und  ähnliches  verwen- 
det. Im  Innern  ist  die  Diele  rot  getüncht  und 
mit  roten,  handgestrichenen  Ziegelplatten  aus- 
gelegt, Decke  und  Holzwerk  weiß.  Oben  wurde 
noch  eine  reizende,  kleinere  Diele  gewonnen. 
Das  Speisezimmer  ist  blau  getüncht,  Vorhänge 
weiß  und  bunt,  weißer  Kamin  mit  blanker 
Messinghaube. 

Das  „Forsthaus"  in  Frohnau,  das  erste  Ge- 
bäude, das  in  der  neuen  Gartenstadt  entstand, 


Das  Forsthaiis  in  Frohnau. 


ist  als  Verwaltungszentrale  des  Ortes  gedacht. 
Die  kalkig  grün  getünchte  Wand  geht  mit  der 
vergilbten  Naturfarbe  des  Holzes  und  dem  Rot- 
braun des  Daches  herb  zusammen.  Ungemein 
interessant  ist  die  Anlage  der  Wirtschaftsge- 
bäude, die  sich  anschließen.  Da  ist  ein  rich- 
tiges Gehöft  entstanden  mit  allerhand  Schup- 
pen und  Werkstätten  für  die  Handwerker,  für 
die  Feuerwehrgeräte,  die  Sprengwagen  usw., 
und  mit  Wohnungen  für  die  verschiedensten 
Angestellten.  Wieder  grünlicher  Putz,  blaugrün 
lasierte  Fensterläden.  —  Eine  reizende,  kleine 
Häusergruppe  haben  mit  den  bescheidensten 
Mitteln  die  Brüder  Neunzig  erhalten.  Der  Qua- 
dratmeter bebaute  Fläche  kam  nur  auf  140  Mk. 
Am  Haus  des  Malers  ist  der  Giebel  rot  ge- 
tüncht, die  übrige  Wand  weiß. 

Straumer  hat  in  Berliner  Vororten  bereits 
einige  zwanzig  solcher  Häuser  teils  im  Bau, 
teils  ausgeführt.  Wir  geben  nur  ein  paar  Proben. 
Die  Bilder  am  Schluß  sind  Aufnahmen  aus  dem 
Musiksaal  im  Hause  Tetzner  in  Chemnitz.  Eine 
reichere  Arbeit;  rötlich  braunes  Mahagoni  täfelt 
die  Wände,  die  Bezüge  sind  rot,  die  schwarzen 
Einlagen  stammen,  wie  das  bunte  Fenster,  vom 
Maler  Pechstein.  —  a.  jaumann. 


\ 


320 


:i«. 


imMiiiiiiililllll;nliiiillllll!lllll!liiL:..>na^itt^ 

ARCHllEKT  HEINRICH  STKAUMER  — BERLIN-WILMERSDORF.       DAS  FuRSTHAUS  IN  iROHNAU. 


lÜII 


1911.  IV.  6. 


ARCHITEKT  H.  STKAUMER-BERLIN 
DAS    FORSTHAUS    IN    FROHNAU.      HAUS -TÜRE 


1 


ARCHITEKT  HEINRICH  STRAUIIER— BERLIN.    FORSTHAUS  IN  FROHNAU.    OBERE  DIELE.    BUNTE  VORHÄNGE  UND  BEZÜGE. 


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ARCHITEKT  HEINK.  Si  RAUMER^BERLIN. 
MUSIK-SAAL  DES  BAXKDIREKTORS  TETZXER-CHEMNITZ. 
INTARSIEN  UND  VERGLASUNG,   ENTW.:  M.  PECHSTEIN. 


ERNhT  KKSCHKE— BERLIN. 


POKZELLAN-PLAM  IK:    »DAME  AUh   ÜIVAN« 


HANS  Sl-HKEGERLE-MÜNCHEN.    AUSFÜHRUNG:  KGL.  POR/.ELLAN-MANUFAKTUR-BERUN.       MARTIN  PRITZSCHE- 


I 

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BERLIN.  :J 
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326 


1  NTWURF  UND  AUSFUHRUNG:  HUGO  F.  KIRSCH -WIKN. 


PORZELLAN-PLASTIKEN:  FRÜHLING,  SOMMER,  HERBST, 
WTNTER,    GUITARRE  -  SPIELERIN   UND    ACKERSMANN. 


l'ROFESS(_>K 

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G.  A.  BREDOW- 

^^^^^^^^^^^^^1 

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STUTTGART. 

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K]H 

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PORZELLAN- 

H/" 

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PLASTIKEN. 

^^^^^^^^^^^^^1 

^  ~ 

'^  ^^^l^^^^^^l 

AUSFUHRUNG: 
ERNST  TEICHERT- 
MEISSEN. 


328 


LOTTE  PRITZEL-ML'NCHEN. 


Puppen  für  die  Vitrine. 


PUPPEN  VON  LOTTE  PRITZEL. 

VON  WILHELM  MICHEL— MÜNCHEN.    '  -    - 


Die  Puppe  ist  eine  Bürgerin  der  neuen  Zeit. 
Einer  Zeit,  die  das  Künstliche  innig  liebte, 
besonders  in  ihren  Anfängen,  weil  sie  des  Natür- 
lichen, des  Lebens,  ein  wenig  müde  war.  Ja, 
es  ist  wirklich  wahr,  daß  von  so  einer  winzigen 
Erscheinung  wie  es  die  neue  Liebe  zum  Puppen- 
haften ist,  Wege  führen  zur  Gesamtpsychologie 
unserer  Epoche.  Wie  kommt  die  moderne  Ab- 
neigung, oder  sagen  wir:  das  moderne  Miß- 
trauen gegen  das  Leben  zustande?  Man  müßte 
da  von  der  Philosophie  des  vorigen  Jahr- 
hunderts reden,  von  den  Maschinen,  von  der 
Entwertung  der  Ideale,  von  der  Kunst  des 
Naturalismus,  vom  Ästhetentuni.  All  das  soll 
hier  nicht  geschehen,  in  der  Voraussetzung,  daß 
jeder  an  sich  schon  die  modernen  Zweifel  am 
Leben,  am  Regelrechten,  Gesetzmäßigen  und 
Natürlichen  erfahren  hat.  In  der  Flucht  vor 
dem  Leben,  dessen  laute,  pathetische  Art  die 
feinen,  jungen  Geister  des  fin  dusiecle  beleidigte, 
wurden  ganze  Scheinwelten  geschaffen,  Welten 
voller  Prunk   und  Schönheit,  ohne   den  unrein- 


lichen „Erdenrest",  der  dem  Wirklichen  immer 
anhaftet.  Die  moderne  Skepsis  mokierte  sich 
über  die  lärmenden  Gebärden  des  Lebens,  über 
seine  Schweißgerüche  und  seine  Formlosig- 
keiten. Und  mit  einem  ironischen  Lächeln  ging 
sie  zum  Künstlichen  über,  das  den  schönen 
Schein  lebendiger  Form  mit  dem  Adel  des 
Nichtseins  verbindet. 

Sieht  sich  die  Puppe  nicht  ganz  wie  eine 
liebenswürdige  Symbolisierung  des  modernen 
Ästhetizismus  an?  Beide  verneinen  den  Inhalt, 
das  Leben,  zugunsten  der  Form.  Beide  sind 
letzten  Grundes  von  satanischem  Geschlecht 
und  Wesen.  Ist  es  ein  Zufall,  daß  hier  bei 
Lotte  Pritzels  Puppen  immer  dieselbe,  an 
Beardsley  erinnernde  Physiognomie  wieder- 
kehrt? Und  nicht  nur  dies.  Auch  die  Kostü- 
mierung erweckt  auf  Schritt  und  Tritt  Er- 
innerungen an  die  bizarre,  zärtlich  verruchte 
Linie  des  großen  Dandy  und  Künstlers.  Der 
Einfall  aber,  diese  übrigens  nicht  nur  von 
Beardsley     entwickelte    und    gepflegte    Linie 


lau.  IV. 


32^ 


Puppe»  von  Lotte  Pritzel. 


LOTTE  PRITZEL  -MÜNCHEN. 


prunkvoller  Teufelei  und  traumhafter  Lebens- 
sclieu  auf  das  spielerische  Wesen  der  Puppe  zu 
übertragen,  dieser  Einfall  ist  zweifellos  einer 
der  liebenswürdigsten  und  feinsten  Gedanken, 
welche  die  letzten  Jahre  gezeitigt  haben. 

Lotte  Pritzels  Puppen  sind  Farbenarrange- 
ments und  Liniendemonstrationen  voll  eines 
delikaten  erotischen  Sinnes.  Ihr  Duft  ist  Liebe 
und  Zärtlichkeit,  ihre  Gestalt  ist  Grazie,  und 
holde,  sanfte  Schwärmerei  liegt  als  charmanter 
Nebel  über  ihrer  ganzen  Erscheinung.  Sie  sind 
ganz  in  süperbe,  diffuse  Sinnlichkeit  getaucht, 
wie  die  Porzellanplastik  des  Rokoko,  und  diese 
Eigenschaft  wird  gesteigert  durch  die  zart 
melancholische  Leichtigkeit,  ja  Nichtigkeit  ihres 
Wesens.  Diese  Puppen  sind  leicht  und  hold 
wie  Schmetterlinge,  wie  bunte  Seifenblasen ; 
sie  sind  frei  von  aller  Schwere  des  Lebens  wie 
des  Kunstwerkes  und  haben  ganz  jenes  zarte, 
traurige  bezaubernde  Lächeln,  mit  denen  uns 
nichtseiende  Dinge,  wie  Träume,  Ahnungen  und 
Erinnerungen  beglücken.  Unwirkliche  Hauche 
sind  sie,  Gebilde  von  königlicher  Freiheit  und 
Keuschheit  der  Erscheinung.  Man  fühlt,  wie 
leicht  und  unmittelbar  die  Phantasie  der  Hand 
sie   hervorgebracht,   hervorgespielt   hat.    Nicht 


Puppen  für  die  Vitrine. 


der  Geist  und  das  Ausdrucksstreben  eines 
Künstlers  haben  diese  feinen,  bunten  Wesen 
geschaffen,  sondern  der  Geist  der  Seide,  mit 
der  sie  bekleidet  sind,  der  Geist  der  duftigen 
Spitzen  und  des  Wachses,  das  so  rührend  bild- 
sam ist,  daß  die  Wärme  der  Hand  genügt,  um 
seine  Sprödigkeit  zu  besiegen.  Lotte  Pritzels 
Puppen  wollen  nichts  sagen  und  nichts  bedeuten. 
Sie  sind  „nichtssagend"  und  „unbedeutend" 
wie  Blumen,  die  nur  um  ihrer  selbst  willen 
leben,  verliebt  in  ihre  eigene  Schönheit  und 
gleichsam  heimlich  in  sich  hineinlächelnd.  Sie 
sind  unter  den  Kunstwerken  dasselbe  was  unter 
den  Menschen  die  Kinder  sind.  Kein  Schicksal 
drückt  sie,  keine  Geistigkeit  beschwert  und  er- 
hebt sie.  Jede  ist  ein  Engel  inmitten  ihrer 
Wölkchen  aus  Seide  und  Spitzen,  gerade  nur 
mit  soviel  Körperlichkeit  beschwert  als  not  tut, 
um  in  das  Farben-  und  Linienarrangement  ganz 
gedämpft  und  von  Ferne  die  bedeutende  Vor- 
stellung menschlicher  Leiblichkeit  hineinklingen 
zu  lassen.  Ich  möchte  an  diesem  Punkte  die 
Feder  an  meinen  Kollegen  Peter  Altenberg 
weitergeben,  damit  er  uns  den  Reiz  dieser 
wächsernen  Händchen,  Füßchen  und  Köpfchen 
mit  der  grenzenlosen  Hingabefähigkeit  seines 


^?o 


>:> 


LOTTE 

PRIT/.EL- 

MÜNCHEN. 


PUPPEN 
FÜR  DIE 
VITRINE. 


LOTTE 
PRITZEL- 

MliNCHEN. 


PUPPEN 
FÜR  DIE 
VITRINE. 


LOTTE  PRITZEL-MUNCHEN. 
PUPPEN    FÜR  DIE  VITRINE. 


LOTTE 

PRITZEL- 

MtJNCHEN. 


LOTTE 
PRITZEL- 

MÜNCHEN. 


PUPPEiN 
KÜR  DIE 
VITRINE. 


ii^ 


y.OTTE 

PRITZEL- 

MÜNCHEN. 


■«■ 


Pupf^en  vou  Lotte  Priizel. 


dichterischen  Wesens  und  der  Delikatesse  seiner 
feinen,  treuen  und  kränklichen  Hand  ausdeute. 
„Ach  sie  haben  eine  Seele  aus  weißer  Watte, 
die  Holden!"  würde  er  vielleicht  schreiben, 
„sie  sind  die  reinsten  weiblichen  Wesen,  von 
denen  mir  je  zu  träumen  erlaubt  wurde.  Ihre 
Händchen  sind  nur  fürs  Blumenpfiücken  ge- 
macht, und  barfuß  gehen  sie,  damit  die  Linien 
ihrer  feinen  Fesseln  singen  und  die  Menschen 
erfreuen  können.  Von  solchen  Händen,  kühl, 
zart  und  vibrierend,  haben  wir  als  Knaben 
geträumt,  um  dann  zu  erfahren,  daß  es  sie  im 
Leben  nicht  gibt,  und  Du,  Lizzie  ß.,  solltest 
Dir  sagen  lassen,  daß  Dein  süßes  Gesichtchen 
niemals,  niemals  soviel  Geist,  Klugheit,  Anmut 
und  Scheue  zeigte  wie  die  Füße  dieses  braunen 
Wachsmädchens,  dessen  Brüste  die  rosigen 
Spitzen  zeigen," 

Ich  selbst  hätte  zu  bemeldeten  Gliedmaßen 
zu  bemerken,  daß  sie  delikat  und  famos  gemacht 
sind,  alle  von  gleichmäßigem  Ausdruck,  alle 
von  derselben  nervösen,  altadeligen  Art.  Mon- 
däne, wohlerzogene  und  kühne  Mädchen  blicken 
diese  Geschöpfchen  alle  etwas  hochfahrend  und 
unsagbar  scheu  von  oben  herab,  haben  alle  den 
großen  Mund,  den  die  Erinnerungen  verbotener 
Küsse  schmücken,  und  dieselben  verträumten 
Mongolcnaugen,  aus  denen  die  Dichter  fremd- 
ländische Entzückungen  schimmern  sehen.  Nur 
das  stumpfe  Naschen  legitimiert  sie  als  Euro- 
päerinnen, als  Nachkommen  der  liebenswürdigen 
Damen  von  Watteaus  und  Bouchers  Gnaden, 
die  die  zahmen  Lämmer  und  die  ebenso  zahmen 
Schäfer  auf  köstliche  imaginäre  Weiden  führten. 


Was  soll  ich  noch  mehr  von  ihnen  erzählen  ~'. 
Daß  man  sie  stellen,  legen  und  setzen  kann,  wie 
es  gefällt?  Daß  Lotte  Pritzel  die  erste  war,  die 
in  größerem  Umfange  mit  Wachs,  Seide,  Spitzen 
und  Perrücken  zu  dichten  begann  ?  Das  möge 
denn  noch  hier  verzeichnet  sein.   —  \v.  m 

EDLES  MATERIAL  lechzt  nach  der  kun- 
digen Hand,  die  seine  heimlichsten  Rci/e 
entfalte,  seine  Tugenden  zum  Erstrahlen  bringe 
In  den  nobelen  Hölzern,  Metallen,  Glasflüssen, 
dem  Leder  oder  dem  Stein  schlummern  Schön- 
heitswerte, die  man  erahnt,  selbst  wenn  der 
nachlässige  Bearbeiter  keine  Mühe  aufgewandt 
hat,  sie  den  Sinnen  offenbar  zu  machen. 

Doch  ist  es  nicht  Verbrechen  an  der  von  der 
Natur  reich  bedachten  Materie,  wenn  ihre  inner- 
liche Schöne  brach  liegen  bleibt  wie  ein  unge- 
pflügter  Acker?    Von  dieser  Schuld  können  wir 
uns  nicht  ganz  frei  sprechen.    Wohl  haben  wir 
es  dahin  gebracht ,   daß   mit  Freude   und  Eifer 
kostbares  Holz,   Gold,   Silber,   Marmor,   strah- 
lendes Leder  und  reine  Stoffe  verwendet  wer- 
den. Aber  wer  wollte  leugnen,  daß  diese  Dinge 
zumeist  primitiv  und  unveredelt  bleiben.    Und  i 
wer  möchte  bestreiten,  daß  dieser  Verzicht  auf 
eine    liebevolle    Durchgestaltung    beinahe    als 
Materialvergeudung  erscheint.    Man  betrachte  ' 
doch   eine   alte   Gemme ,   eine   Schnitzerei  aus  ' 
früherer  Zeit  oder  eine  japanische  Bronze.  Durch 
Heiß  und  Können  ist  da  der  Urstoff  aufgehöht  '. 
zu  unerhörter  Kostbarkeit.    Das  Gesetz  der  Na- 
tur ist  erfüllt,   und  der  Mensch  betrachtet  ent- 
zückt das  so  entstandene  Werk.      p.  westheim. 


LUTTE  I'RITZEL-  MÜNCHEN,     l^uppen  für  die  Vitrine. 


KLEINE  KUNST-NACHRICHTEN. 


DEZEMBER  1910. 


DEUTSCHE  ÜRAPHISCHE  AUSSTELLUNG  IN 
LEIPZIO.  Die  graphische  Ausstellung  im 
Deutschen  Buchgewerbehaus  enthält  Arbeiten  von 
fast  allen  bedeutenden  modernen  Graphikern.  Bei- 
nahe 800  Blätter  sind  ausgestellt,  die  aus  nicht  viel 
weniger  als  3000  eingesandten  Arbeiten  ausge- 
wählt wurden.  Die  Aufstellung  ist  in  der  Weise 
getroffen,  daß  die  verschiedenen  Schulen  und  die 
in  den  verschiedenen  deutschen  Kuiistzentren  le- 
benden Künstler  zusammengestellt  sind  und  da- 
durch einheitlich  geschlossene  Gruppen  entstehen, 
von  denen  jede  für  sich  sehr  gut  zur  Geltung  kommt. 
Der  Leipziger  Schule  ist  relativ  viel  Plat5  eingeräumt, 
bei  ihr  sind  auch  die  drei  neuen  Blätter  von  Klinger 
aus  dem  Zyklus  „vom  Tode  11"  ausgestellt.  In  der 
DresdenerKojedominieren  als  Meister  der  Radierung 
0.  Fischer  und  W.  Zeising,  dabei  als  bekann- 
tester Vertreter  von  Weimar  L.  v.  Hofmann,  der 
durch  seine  wundervollen  Studien  hauptsächlich 
wirkt.  Die  Münchner  Gruppe  ist  sehr  gut  vertreten. 
Farbenholzschnitte  sind  hier  in  besonders  groger 
Anzahl  zu  sehen  (H.  Neumann,  W.  Kiemmund 
C.  Thiemann,  Hammer,  Heine  Rath  u.  a.  m.). 
Dann  Radierungen  von  W.  Geiger,  Joseph  Uhl, 
Ed.  Scharff,  F.  W.  Preuss,  Waentig  u.  a.  m. 
In  der  den  Berliner  Künstlern  eingeräumten  Koje 
lenkt  vor  allem  Käthe  Kollwitz  das  Auge  auf 
sich  und  E.  Wolfsfeld.  Ganz  hervorragend 
kommt  Orlik  zur  Geltung,  daneben  Fritz  Lederer 
und  H.  Zille.  Als  eine  Art  von  Wanddekoration 
sind  nicht  ohne  farbigen  Reiz  die  Holzschnitte  von 
M.  Melzer,  etwas  sehr  brutal  nehmen  sich  da- 
neben die  Holzschnitte  von  M.  Pechstein  und  der 
Dresdener  Vereinigung  „Brücke"  aus,  die  ähn- 
liche Ziele  verfolgen.  Auch  E.  Nolde  gehört  in 
diese  Gruppe.  Von  den  Worpswedern  ist  Hans 
am  Ende  und  H.  Vogeler  sehr  gut  vertreten. 
Hamburg  repräsentiert  ausgezeichnet  A.  Jllies, 
dabei  noch  Kalckreuth,  von  denen  beiden  sehr 
viele  ältere  und  neuere  Arbeiten  ausgestellt  sind. 
Die  kleineren  Kunsizentren  sind  in  dem  Eckraum 
zu  studieren.  W.  Thielmann  schildert  das  hes- 
sische Bauernleben,  tüchtige  Porträtradierer  sind 
W.  Giese  und  R.  Winkel  in  Magdeburg.  Frank- 
furt vertritt  W.  Steinhausen,  die  Karlsruher  vor 
allem  H.  v.  Volkmann,  W.  Conz,  Kampmann 
u.  a.  m.,  Stuttgart  Carlos  Grethe,  Eckener, 
Hollenberg  und  Reifferscheid.  Von  Aman- 
dus  Faure  sind  eine  Anzahl  hübscher  neuer  Blätter 
ausgestellt,  ebenso  von  A.  Schinnerer  und  von 
H.  Meid,  die  als  originelle  künstlerische  Persön- 
lichkeiten hervorragen.  —  sch. 


BERLIN.  Als  „Künstlerbund  für  Glas- 
malerei und  Glasmosaik"  hat  sich  in 
Berlin  eine  Vereinigung  aufgetan,  der  die  auf  die- 
sem gewerblichen  Sondergebiet  bewährten  Kräfte 
wie  Paul,  Behrens,  Gef5ner,  Pechstein,  Cesar  Klein, 
Becker -Tempelburg,  Billing,  Müller-Stegli^  u.  a. 
angehören.  Das  Ziel  des  Bundes  ist,  Publikum 
und  Architektenschaft  über  die  dekorativen  Mög- 
lichkeiten einer  architektonisch  disziplinierten  Glas- 
malerei aufzuklären ,  was  durch  Ausstellungen, 
Publikationen  und  dergleichen  Veranstaltungen 
geschehen  soll.  Als  Werkstätten  haben  sich  diesen 
Künstlern  Gottfr.  Heinersdorff  und  Puhl  &  Wagner 
angeschlossen.  Die  erste  Ausstellung  wird  im  .Januar 
im  Folkwang-Museum  zu  Hagen  stattfinden.  w. 
<• 

HANNOVER.  Die  Herbstausstellung  bestätigt, 
was  schon  im  vergangenen  Jahr  festzustellen 
war:  einen  Aufstieg.  Beim  Hängen  wurde  das 
Prinzip  der  Kollektion  durchgeführt ;  wir  treffen 
die  Werke  der  einzelnen  Künstler  beisammen  und 
können  uns  so  leichter  ein  Urteil  bilden.  Die 
einzige  Möglichkeit,  größere  Ausstellungen  zu 
überschauen.  Allerdings  eine  Gefährdung  aller 
Manieristen  und  Halbstarken.  An  diesem  Prinzip 
stirbt  unreparierbar  der  Dilettantismus,  auch  der 
professionell  gewordene.  Hannover  Stadt  und  Land 
weist  treffliche  Künstler  auf,  reife  und  aussichts- 
reiche. Zu  den  besten  gehört  Carl  Jörres  ;  seine 
Landschaften  sind  der  kultivierte  Extrakt  einer 
malerischen  Melancholie,  sie  sind  mit  gefügigem 
Pinsel,  weich  und  sinnlich,  mit  überzeugender 
Unbestimmtheit  hingestrichen.  Tappert  und  Bengen 
sind  als  Berliner  Neu-Secessionisten  gut  bekannt. 
Bengen  wird  gut  tun,  sich  dem  Einflüsse  Ludwig 
von  Hofmanns  möglichst  zu  entziehen,  Tappert 
pflegt  ganz  mit  Recht  einen  dekorativen  Geschmack. 
Sein  Gefühl  für  Valeure  und  seine  Tendenz  nach 
Effekten  ist  sympathischer  als  die  ein  wenig  grelle 
Koketterie  Rudolf  Webers.  Georg  Tronnier  malt  mit 
sicherem  Geschmack  lebenswahre  Bildnisse.  Carl 
Weidemeyer  ist  ein  geistreicher,  sehr  geschickter 
Illustrator  und  Flächendekorateur.  In  diesem  Tem- 
perament mischt  sich  Beardsley  und  Goya,  Walser 
und  Thoma.  Die  Konkurrenz  um  den  Duve-Brunnen 
halte  das  seltene  Ergebnis,  daß  die  drei  ausgeseQten 
Preise  den  Arbeiten  des  Bildhauers  Herting  zu- 
fielen. Und,  wie  festgestellt  sein  muß:  mit  Recht. 
Herting  ist  zur  Zeit  weitaus  der  beste  Plastiker 
der  Leinestadt.  Seine  Entwürfe  achteten  der  sel- 
tenen Geschlossenheit  des  vorgesehenen  Plat3es, 
sie  unterwarfen  sich  der  horizontalen  Tendenz  der 


mi.iv.  8. 


339 


HESSISCHE 
SPIELSACHEN. 
AKCHE  NOAH 

LANGHOI-Z- 
FUHRWEKK, 


WERKSTATTEN 
VON  PROFESSOR 
CONR.  SUTTER- 
BURG  BREUBERG    i| 


IM  ODENWALD. 


HESSISCHE 
SPIELSACHEN. 
SCHAKHEkDE, 
GÄNSEHEKDE, 
PLANWAGEN, 
SCHAUKELPONY. 


WERKSTATTEN 
VON  PROFESSOR 
CONR.  SUTTER- 
HÜRG  bREUBERG 
IM  ODENWALD. 


Kleine  Ktinst-Nachrichtm. 


umgrenzenden  Architektur;  sie  wahrten  dennoch 
ihre  plastische  Selbständigkeit  und  verhießen  ge- 
rade darum  dem  Raum  ein  edles  Zentrum,  eine 
Verankerung.  Solches  zu  leisten  aber  ist  die  spe- 
zifische Aufgabe  eines  an  der  Straße  stehenden 
Denkmals  oder  Brunnens.   -  iireuer. 

o 

C^ÖLN.  im  Walraff  -  Richart3museum  treffen 
'  wir  jet)t  eine  bereits  beachtenswerte  Galerie 
moderner  Bilder.  Es  ist  überaus  erfreulich,  die  Reihe 
der  Erwerbungen  und  Geschenke  aus  den  Jahren 
IQOQ  und  1910  zu  überschauen.  Da  gibt  es:  von 
Slevogt  den  „Französischen  Dragoner",  ein  Meister- 
stück in  gelb  — grün- weiß;  von  Liebermann  das 
„Selbstporträt"  mit  der  Palette  und  eine  „Juden- 
gasse" der  legten  Periode;  von  Uhde  die  „Mädchen 
im  Garten";  dann  E.  R.  Weiss,  Deusser,  Liesegang, 
Pfuhle,  Klarenbach.  Aber  auch  Gauguin  und 
van  Gogh  sind  mit  reifen  Werken  vertreten.  —  Von 
den  Bauten  der  let5ten  Zeit  ist  das  „Gerionshaus" 
von  Morit),  sind  einige  Geschäftshäuser  von  Müller  — 
Erkelenz  zu  loben.  Beide  Architekten  streben  nach 
dem  Typus  des  Kontor-  und  Cityhauses,  wie  er  in 
Hamburg  bereits  wuchs.  Dabei  ist  festzustellen, 
daß  Morit)  seine  Neigung,  den  Stein  plastisch  zu 
erweichen,  wie  beim  Stolberghaus,  aufgegeben  hat 
und  die  gesündere  Art,  mit  der  er  durch  sein 
Bankhaus  in  Bielefeld  einen  schönen  Erfolg  gewann, 
energisch  fortentvvid<elt.  Um  den  Südpark  herum 
werden  jetjt  auch  bessere  Einfamilienhäuser  gebaut; 
man  sieht  auch  hier  Früchte  unseres  reformato- 
rischen Mühens.  Freilich,  ein  so  köstliches  Werk 
wie  das  Haus  Feinhals,  das  letjte  Geschenk  Olbrichs, 
sucht  man  rings  umher  vergeblich.   -  bk. 

Ä 

MAGDEBURG.  Im  Oktober  d.  J.  ist  der  erste  Teil 
der  neugegründeten  Gartenstadt  Hopfen- 
garten, etwa  50  Häuser,  bezogen  worden.  Als 
eine  der  ersten  Früchte  der  deutschen  Gartenstadt- 
bewegung ist  Hopfengarten  unter  schneller  Über- 
windung aller  einem  so  neuartigen  Unternehmen 
entgegenstehenden  Schwierigkeiten  in  diesem  Som- 
mer entstanden.  Die  Besiedelung  geht  nun  Stück 
um  Stück  vorwärts,  so  daß  man  jetjt  bereits  voll- 
ständige Straßenbilder  vorfindet.  Das  fast  ebene 
Terrain  erlaubte  eine  sachliche  Bebauungsart:  nach 
ihr  sind  die  Straßen  den  Grundstücken  angepaßt, 
nicht  umgekehrt.  So  kommt  es,  daß  nicht  nur 
jedes  Haus  -  denn  es  handelt  sich  ausschließlich 
ja  um  Einfamilienhäuser  -  überall  die  beste  Soiuien- 
lage  erhalten  hat,  sondern  daß  der  Gesamteindruck 
troß  aller  Verschiedenheiten  der  Bauten  ein  ein- 
heitlicher geworden  ist.  Die  neuere  Städtebaukunst 
hat  bei  uns  noch  nicht  viele  Beispiele,  in  denen 
mit  sachlichen  Voraussetjungen  ein  künstlerischer 
Eindruck  erzielt  wird;  und  es  fällt  ganz  besonders 
schwer,  die  Geschlossenheit  der  Raumwirkung  mit 


Kleinhäusern  zu  erzielen.  Eine  solche  aber  ist 
hier  von  dem  Bauleiter  Amelung  erreicht  durch 
die  Bedingung,  den  PlaQ  jedes  Hauses  selber  an- 
weisen zu  können.  Die  Ansichten  der  Siedlung 
halten  sich  fern  von  allen  malerischen  Willkürlich- 
keiten und  bieten  doch  anheimelnde  feine  Eindrücke. 
Es  kommt  hier,  wie  bei  aller  Städtebaukunst,  in 
erster  Linie  nicht  so  sehr  auf  die  Gebäude  selbst 
an,  als  auf  den  Bebauungsplan.  Die  Häuser  sind 
allerdings  teilweise  zu  Baugruppen  zusammengelegt, 
aber  auch  die  einzelstehenden  ordnen  sich  dem 
Raumbild  unter.  Es  sind  anspruchslose,  hellfarbige, 
mit  roten  Dächern  gedeckte  Häuschen,  deren  Wohn- 
lichkeit ihr  größter  Schmuck  ist,  und  wie  sie  in 
England  den  Typus  bilden,  bei  uns  etwa  Tessenow 
zu  bauen  versteht.  v.  k.  sihmidt. 

Ä 

ELBERFELD.  Die  Bergische  Kunslgenossen- 
schaft  hatte  im  Elberfelder  Museum  eine  freund- 
liche Ausstellung  veranstaltet.  Das  Niveau  war  ein 
Beitrag  zu  der  Beobachtung,  daß  die  Provinz 
während  der  leßten  Jahre  dem  Berliner  ülaspalast 
in  die  Flanke  rückt.  Besondere  Aufmerksamkeit 
verdient  Gustav  Wiethüchter  aus  Barmen.  Er  hat 
sich  von  van  Gogh  anregen  lassen,  weiß  aber 
sein  Eigenes  zu  wahren.  Ein  Bild,  auf  dem  der 
blutrünstige  Sport  des  Hahnenköpfens  betrieben 
wird,  überraschte  durch  die  groteske  Brutalität 
des  linearen  Ausdrucks.  Für  das  Problem  des 
Gegeneinander  und  des  Parallelismus  von  scharf 
gespannten  und  mit  Energie  geladenen  Gliedmaßen, 
die  säbelnden  Arme  der  Vogelhenker  oder  die 
festgestemmten  Beine  der  Schnitter  in  einem  Ähren- 
feld, scheint  Wiethüchter  sich  besonders  zu  inter- 
essieren. -  Ausgezeichnete  Buchbinder- Arbeiten 
macht  Johannes  Rudel  aus  Elberfeld.  Seine  Hand- 
vergoldungen zeigen  die  geschickte  Verwendung 
selbstgeschnittener  Stempel  und  meiden  das  Arm- 
liche nicht  minder  als  den  Überfluß.  -  Rudolf 
Wolff  aus  Solingen  graviert  Stahl  und  schlägt 
Kupfer  mit  gutem  Gefühl  für  das  Material  und 
für  die  Meisterstücke  des  siebzehnten  Jahrhunderts. 

DARMSTADT.  Eine  Ausstellung  Hessischer 
Spielsachen  aus  den  Werkstätten  von  Pro- 
fessor Conrad  Sutter  in  Burg  Breuberg  zeigt 
mancherlei  Wertvolles  und  Empfehlenswertes. 
Einige  Proben  auf  vorstehenden  Seiten.  Sutter  be- 
trachtet das  Spielzeug  als  eine  ernste  Sache,  die 
dem  Kinde  vernünftige  plastische  und  bildliche 
Eindrücke  geben  soll.  So  sind  denn  die  Figuren  in 
kerniger  Schnitjtechnik  aus  dem  Vollen  herausge- 
arbeitet, und  alles  Wesentliche  ist  unter  Vermeidung 
des  Nebensächlichen  gegeben.  Dadurch  unter- 
scheiden sich  die  Sutterschen  Spielzeuge  vorteil- 
haft von  anderen  modernen  Erzeugnissen,  die 
nicht    selten    nur    künstlerische    Spielereien    sind. 


342 


-ANGORA-KATZE«,  PHOTOGR.  AUFNAHME  VON  ANNA  HERTH. 
LEHR-  U.  VERSUCHS-ANSTALT  FÜR  PHOTOGRAPHIE,  MÜNCHEN. 


GUSTE  HEKTEL-MUNCHEN. 


Phoiogr.  Bildnis:  ■^Lautenspielenn« 


ERZIEHUNGSSTÄTTE  FÜR  KÜNSTLERISCHE  PHOTOGRAPHIE. 

VON  Dr.  M.  K.  ROHE—MÜNCHEN. 


SO  süßsauer  sich  auch  die  Pariser,  echt  fran- 
zösischer SelbstUebe  gemäß,  gegen  die  Aus- 
stellung unseres  Münchner  Kunstgewerbes  im 
Herbstsalon  verhalten  haben,  an  einer  Stelle 
spendete  man  ihr  doch  hohes  und  einmütiges 
Lob  —  vor  den  Schülerarbeiten  der  K.  Kunst- 
gewerbeschule und  der  städtischen  Gewerbe- 
schulen. Die  vorliegenden  Resultate  fanden 
staunende  Bewunderung,  nicht  weniger  aber 
auch  die  Organisation,  die  sie  ermöglicht  hatte. 
Diese  Anerkennung  einer  Vertretung  unseres 
künstlerischen  Erziehungswesens  von  selten  des 
Auslandes  regt  zur  Betrachtung  an,  wird  doch 
bei  uns  heute  viel  über  künstlerische  Erziehungs- 
fragen hin-  und  herdebattiert.  Eine  Beobach- 
tung drängt  sich  ohne  weiteres  auf.  Während 
unsere  Kunstakademien  von  Tag  zu  Tag  an  Be- 
deutung verlieren,  steigert  sich  die  Beachtung, 
die  die    kunstgewerblichen   und   gewerblichen 


Schulen  finden,  fortwährend.  Die  Jahresaus- 
stellungen der  letzteren  übertreffen  die  dererste- 
ren,  was  das  Niveau  anlangt,  durchaus,  ja  unter 
den  anonym  ausliegenden  Ergebnissen  finden 
sich  —  eben  weil  die  Arbeiten  aus  reiner  Liebe 
zur  Sache  und  nicht  schon  unter  Hinschielen 
nach  dem  Effekt,  den  sie  auf  das  Publikum  aus- 
üben sollen,  angefertigt  sind  —  oft  Leistungen 
vor,  die  jene  „fertiger  Professionisten"  weit 
überragen.  Der  Grund  liegt  zweifelsohne  in 
der  gründlichen  Reorganisation,  die  genannte 
Schulen  fast  allenthalben  im  Reich  und  speziell 
in  München  innerhalb  des  letzten  Jahrzehntes 
erfahren  haben.  Bei  ihrem  engeren  Zusammen- 
hang mit  dem  täglichen  Leben,  mit  Industrie 
und  Gewerbe  hat  die  Mauserung,  in  der  jene 
sich  befinden,  auch  auf  sie  übergegriffen  und, 
wo  es  ging,  hat  man  Lehrkräfte  herangezogen, 
die  mit  eigener  Tätigkeit  mitten  im  Leben 


1911    \,  I. 


345 


Dr.  M.  K.  RoJie   Mwichen . 


HUl'MSI.AW 

riiEUur-/ 

Mi'NfHI  \ 
I  KHK-    IMi 

ANSTALT    Ft'"R 
PHOTOr.RAPHlK. 


BILDNIS- 
AUFNAHME. 


stehen  und  sich  als  die  Besten  bewährt  haben. 
—  Die  Photographie  sollte  den  sich  hier  ab- 
spielenden Prozeß  scharf  ins  Auge  fassen. 
Denn,  wie  mir  scheinen  will,  sind  in  ihr  der- 
zeitig Ambitionen  erwacht,  die  ihre  bisiier  so 
glänzenden,  weil  einer  gewissen  Keuschheit  und 
Unbewußtheit  der  Bemühungen  entsprungenen 
Resultate  wieder  in  Frage  zu  stellen  drohen. 
Und  speziell  in  Deutschland  schickt  man  sich 
an,  auch  in  sie  jenen  Dualismus  zwischen  Kunst 
und  Handwerk  zu  tragen,  der  über  die  Malerei 
beispielsweise  so  viel  Not  und  Elend  gebracht 


346 


hat.  Man  vergißt,  daß  keine  menschliche  Be- 
tätigung von  Haus  aus  „künstlerisch  oder  un- 
künstlerisch" ist,  sondern  daß  nur  der  Grad 
ihres  Gehaltes  sie  entweder  zur  Kunst  erhebt, 
oder  in  der  Niederung  des  Gewöhnlichen  beläßt. 
Inmitten  der  Bedrängnis,  die  heute  über  die 
deutsche  Photographie  hereinzubrechen  droht,  ■ 
berührt  es  höchst  wohltätig,  eine  Pflegestätte 
für  sie  zu  wissen,  an  der  alles  geschieht,  diesen 
Dualismus  ferne  zu  halten.  Es  ist  dies  die 
Lehr-  und  Versuchsanstalt  für  Pho- 
tographie,       Chemigraphie.        Licht- 


'•  II 


^ 


Erziehungsstätle  für  künsilei  isclic  Photographie. 


-*  - 


FDUARD 

SrEUELIN- 

MÜNCHEN. 

LEHR-    UND 

VERSLXHS- 

ANSTALT    FÜR 

PHOIOGRAPHIE 


1 


AUFNAHME. 


druck  und  Gravüre  in  München,  ein  Unter- 
nehmen des  „Süddeutschen  Photographen-Ver- 
eins" das  nunmehr  auf  eine  zehnjährige  Tätig- 
keit zurückbUckt.  Einzig  und  allein  ist  es  auch 
hier  die  treffliche  Organisation,  die,  ein  Ver- 
dienst ihres  Leiters  Prof.  Emmerich,  das 
Institut  zu  Zielen  hat  gelangen  lassen  ,  die  in 
dem  oben  angedeuteten  Sinne  künstlerisch  und 
auf  deutschen  Schulen  jedenfalls  einzig  sind. 
In  Befolgung  der  aufgestellten  Lehrpläne  geht 
der  Schüler  durch  einen  Drill  hindurch,  der  ihn 
aus  den  Fundamenten  zum  völligen  und  viel- 
seitigen Herrn  über  den  Handwerksge- 


brauch werden  läßt  und  es  ihm  weiterhin 
ermöglicht,  für  alle  in  ihm  schlummern- 
den künstlerischen  Potenzen  zwang- 
los und  auf  das  natürlichste  Objek- 
tivierung zu  finden.  Jede  Forcierung  ist 
ebenso  vermieden,  wie  jede  unfruchtbare  Spe- 
zialisierung, an  der  —  die  zweite  große  Ge- 
fahr —  die  heutige  Photographie  so  reich  ist. 
Sehr  bezeichnend  für  den  Geist  der  Solidität 
und  diesmal  wahrhaft  „deutschen  Gründlich- 
keit" des  Institutes  scheint  mir  folgender  Einzel- 
fall zu  sein:  Außer  den  beiden  vorzüglichen 
Fachlehrern   R.  Lähnemann   und   H.  Spörl 


347 


Erzieimngsstätte  für  künstlerische  Photographie. 


ist  an  der  Lehr-  und  Versuchsanstalt  auch 
Frank  Eugene  Smith  tätig,  einer  der  alier- 
bedeutendsten  Malerphotographen  der  Gegen- 
wart, dessen  Arbeiten  ja  auch  in  diesem  Blatte 
schon  ein  paarmal  einer  eingehenden  Würdi- 
gung unterzogen  wurden.  Smiths  Arbeitsver- 
fahren weist  nun  einige  Eigenheiten  auf,  die  sich 
(was  auch  außerhalb  der  Anstalt  geschieht) 
wohl  äußerlich  kopieren  und  zu  Effekten  be- 
nutzen lassen,  die  wohl  augenblicklich  wirksam, 
nie  aber  im  Geiste  der  wundervollen  Sniithschen 
Kunst  gelegen  sind.  Daß  unter  den  Schülern 
der  Anstalt,  die,  wie  ich  weiß,  für  ihren  Lehrer 
Smith  begeistert  sind,  nicht  einer  sich  vorfindet, 
der  in  schwächlichem  Replizieren  der  Arbeits- 
weise des  Lehrers  sich  gefällt,  sondern  daß 
alle  sich  nur  bemühen,  von  dem  Geiste  seiner 


Auffassung  zu  profitieren,  spricht  mehr  wie 
Bände  für  die  Tüchtigkeit  der  Lehrmethoden 
an  diesem  Institut.  Man  begreift  so  auch  das 
Zustandekommen  von  Edelprodukten  photo- 
graphischer Schöpfungen,  wie  sie  die  diesen 
Zeilen  beigegebenen  Proben  von  Schülerarbeiten 
darstellen.  So  gut  die  Reproduktionen  auch 
als  Reproduktionen  sind,  sie  können  naturge- 
mäß nicht  den  vollgültigen  Eindruck  der  Origi- 
nale übermitteln,  die  schon  heute  die  Samm- 
lungen der  wenigen  Sammler  in  Deutschland 
zieren,  die  Geschmack  genug  besitzen,  den 
Kunstwert  individueller  Photographien  richtig 
einzuschätzen.  Professor  Emmerich  darf  mit 
Stolz  auf  die  Resultate  seiner  zehnjährigen 
organisatorischen  Tätigkeit  an  der  Lehr-  und 
Versuchsanstalt  zurückblicken.   —  m    k   k. 


LEHR-  UND  VERSUCHSANSTALT     MÜNCHEN.     BILDNIS-PHOTOGRAPmE  VON  EDUARD  STEHELIN. 


I  kOFESbOR  EILANUEL  V.  bEIDL. 


Haus_K.ommerzienrat  Karl  Benker. 


DAS  HAUS  BENKER  IN  DÖRFLAS. 

ERBAUT  VON  PROF.  EMANÜEL  VON  SEIDL. 


d/ciacöchesä- 


nie  Eigenart  Emanuel  von  Seidls  ist  nicht 
schwer  zu  umschreiben;  denn  seine  künst- 
lerische Richtung  steht  klar  und  deutlich  um- 
rissen da.  Er  ist  Süddeutscher,  das  unterschei- 
det ihn  auf  den  ersten  Blick.  Er  arbeitet  nicht 
wie  ein  Ingenieur, 
für  den  die  äußere 
und  innere  Form 
eines  Gebäudes  aus- 
schließlich eine  Kon- 
struktions  -  Aufgabe 
bedeutet.  Eine  Fa- 
brik, die  technischen 
Prozessen  dient,  und 
wo  jede  individuelle 
Laune  ausgeschaltet 
ist,  wo  die  Arbeit 
einem  einzigen  Wil- 
len gehorcht,  mag  mit 
kühlen  Geraden  und 
Vermeidung  jeglicher 


Weichheit  wohl  bestehen;  da  schadet  nicht  ein- 
mal eine  ins  Übermäßige  gesteigerte  Konse- 
quenz. Aber  wehe  dem  Wohnhaus,  das  ein 
solcher  Geist  errichtet.  Der  Mensch  will  ein- 
mal zuerst  nicht  „logisch"  noch  weniger  päda- 
gogisch, sondern  be- 
haglich u.  geschmack- 
voll wohnen;  er  will 
sich  bewegen  können 
u  nicht  jeden  Augen- 
blick gleichsam  von 
einem  Zaun  unfreund- 
licher u.  eigensinnig 
sich  vordrängender 
Härten  u.  Ecken  ein- 
geengt werden.  Selbst 
ein  repräsentatives 
Wohnhaus  karm  un- 
möglich jenes  Trop- 
fens Liebenswürdig- 
keit entbehren,  ohne 


351 


Karl  Mayr   Mwicheu  : 


PROFESSOR  EMASUEL  V.  SEIDL— MÜNCHEN. 

die  auf  die  Dauer  auch  der  straffste  Pflichtmensch 
nicht  zu  leben  vermag.  Die  „Sachlichkeitskunst" 
dorthin,  wo  sie  hingehört;  zu  Hause  ist  man  ge- 
mütlich und  seinen  Gefühlen  hingegeben;  die 
berechnende  Atmosphäre  des  Bureaus  bleibt 
vor  der  Schvk'elle  zurück.  P-nianuel  von  Seidls 
ganze  Natur  ist  solcher  Nüchternheit  abgeneigt. 
Seine  Anfänge  stammen  zwar  aus  dem  Barock, 
aber  er  hat  sich  nllmählich  von  dessen  Herr- 
schaft befreit;  die  Liebe  für  eine  malerisch  de- 
korative Gesamterscheinung  ist  ihm  geblieben, 
ohne  daß  er  jedoch  so  davon  hingerissen  wäre, 
daß  er  nur  Nachdichtungen  lieferte.  Die  klassi- 
zistisch-französischen Formen  der  Bauweise  des 
18.  Jahrhunderts,  wie  sie  neuerdings  von  der 


Salon.    Blick  in  das  Musikzimmer. 


Reichshauptstadt  aus  sich  zu  verbreiten  drohen, 
haben  ihn  nur  vorübergehend  angezogen.  Ema- 
nuel  von  Seidl  benutzt  wohl  auch  heute  noch 
da  und  dort  ältere  Formen  —  vielleicht  mehr 
als  ein  anderer  moderner  Architekt  — ,  aber 
meist  doch  nur  so,  wie  etwa  ein  Komponist  der 
Gegenwart  in  einem  Musikdrama  eine  ge- 
schlossene Form,  ein  Menuett,  einen  Kanon  auf- 
greift, weil  er  für  die  Situation  kein  besseres 
Gefäß  findet  und  weil  die  Form  selbst  dem  be- 
absichtigten Ausdruck  entgegenkommt.  Emanuel 
von  Seidl  ist  ein  Meister  der  Situation  und  sieht 
in  einem  kontrastreichen  Farbenaufbau  der 
Innenräume  ein  Hauptmittel  der  Wirkung. 
Grundsätzlich  verwendet  er  entschiedene  Töne 


l^^ 


Das  Haus  Beiikcr  in  Dorf  las. 


PROFESSOR  EMANUEL  V.  SEIDL  — MÜNCHEN. 

und  moderne  Harmonien,  die  ihren  Ursprung 
in  unserer  Kultur  haben ;  weder  alte  Paläste  und 
Bilder,  noch  seltsame  Bauernstickereien  haben 
daran  Anteil.  Zweifellos  sind  sie  beeinflußt  von 
der  Farbenanschauung  der  jüngeren  Münchner 
Malergeneration.  Dies  ist  überaus  begrüßens- 
wert; denn  nur  wenn  die  Architektur  im  rich- 
tigen Sinne  von  der  Malerei  lernt,  wie  die  Ma- 
lerei von  der  Baukunst,  erst  dann  wird  all- 
mählich eine  einheitliche  Gesamtwirkung  ent- 
stehen. 

Seidls  Eigenschaften  treten  auch  bei  Aufgaben 
bescheideneren  Umfanges  hervor,  wie  bei  dem 
Umbau  des  Hauses  Karl  Benker  in  Dörflas  ge- 
genüber Marktredtwitz,   wo   dem   Architekten 


Salon  im  Hause  Benker    Dörflas. 

von  vornherein  gewisse  Grenzen  gezogen  waren. 
Eben  deshalb  verdienen  diese  Arbeiten  Inte- 
resse. Wie  sympathisch  und  traulich  liegt  dieses 
Haus  in  der  fränkischen  Marktstraße  mitten 
unter  den  übrigen  Gebäuden  der  Reihe :  nicht 
fremdartig,  nur  eben  stattlicher  als  die  andern, 
dominierend,  vornehm,  aber  ohne  eine  strenge, 
abweisende  Miene  zur  Schau  zu  tragen;  man 
sieht  sofort,  es  ist  die  Wohnung  eines  bedeuten- 
den, mit  der  Gegend  eng  verwachsenen  Mannes. 
Art,  Einteilung  und  Abmessungen  der  Wohn- 
räume im  Erdgeschoß,  wie  sie  dieses  Heft  zei- 
gen, verraten  einen  kräftigen,  dabei  eleganten 
Lebenstypus:  den  größten  Raum  nehmen  das 
Musikzimmer  mit   Flügel   und   Orgel    und    der 


3jj 


Dr.  Emil  l  ■titz- Rostock: 


Gartensalon  ein.  Die  Zimmer  kontrastieren 
untereinander  in  Form  und  Farbe;  sie  sind  so 
angelegt,  daß  diese  Elemente  einander  heben 
und  steigern  sollen.  Da  und  dort  wurden  die 
Fcken  abgeschrägt  oder  abgerundet,  die  Wände 
leicht  aus  dem  Rechteck  gerückt,  um  aus  der 
Wohnung  den  Todfeind  aller  Behaglichkeit,  die 
Monotonie,  zu  vertreiben.  Die  verschiedene 
Größe  und  Farbenstimmung  der  Zimmer  be- 
zwecken einen  angenehmen  Rhythmus. 

Das  Wohn-  und  Speisezimmer  mit  seinen 
eingebauten  Möbeln,  dem  soliden  Büfett  in 
hellfarbigem  Eichenholz  setzt  behäbig,  ohne 
Prunk  ein;  die  weiße  Balkendecke  im  alteng- 
lischen Sinn  verleiht  ihm  etwas  Patrizierhaftes. 
Mit  dem  etwas  kleineren  Salon  wechselt  die 
Stimmung;  er  ist  mit  dem  Hauptraum,  dem 
Musikzimmer,  durch  eine  breite  Türöffnung  ver- 
bunden und  kann  zum  Zuhören  benutzt  werden. 
Das  geheimnisvolle  Dunkelblau  der  Wände  mit 
dem  Mahagonischrank,  gehoben  durch  den 
grauen,  das  ganze  Zimmer  füllenden  Belag  und 
verschiedene  Kissen  in  kühlen,  rosafarbenen 
Tönen,  bereitet  gleichsam  für  die  Musik  vor, 
die  im  nächsten  Raum  entsteht.  Hier  herrscht 
Helligkeit  und  Klarheit;  vier  funkelnde  Kristall- 
lüster, die  das  voll  hereinflutende  Licht  auf- 
fangen und  zerlegen,  das  Silber  der  Orgelpfeifen, 
die  hoch  hinaufgeführten  hellen  Marmorwände, 
der  quadrierte  Teppich  —  alles  beabsichtigt 
eine  liebenswürdige  Gehobenheit,  eine  festliche 
Stimmung  der  Musizierenden  und  der  Hörer. 
Durch  eine  kleine  Türe  hinter  der  Orgel  schlüpft 


man  in  das  kleine  Jagd-  und  Kneipzimmer,  in 
dem  der  Geist  der  Erde  wieder  zu  seinem 
Rechte  kommt.  Warmes  Zirbelholz,  der  Back- 
steinkamin, bewegte  eiserne  Beleuchtungskör- 
per geben  neben  den  Jagdtrophäen  dem  ge- 
wölbten Raum  sein  charakteristisches  Aussehen 
Wie  das  Musikzimmer  den  Salon,  so  soll  das 
folgende  Gartenzimmer  als  Übergang  zum  Freien 
das  Jagdzimmer  steigern:  leicht  und  fröhlich  ist 
hier  das  Ganze  gedacht:  ockergelbe  Wände, 
die  durch  schönfarbige,  geschickte  Stilleben 
Obermayers  betont  werden,  weiße  Vorhänge, 
an  der  Decke  in  barocker  Kartusche  ein  an  die 
Lieblingskunst  des  Hauses  erinnerndes  Gemälde 
von  August  Fricke,  ebenfalls  im  barocken  Sinne 
empfunden,  Korbmöbel,  zarte  bewegliche  Tisch- 
chen, Blumen-  und  Blattpflanzen  (darunter  aller- 
dings auch  die,  wie  es  scheint,  unausrottbare 
Palme)  und  vor  allem  eine  schon  ans  Freie 
mahnende  Überfülle  von  Licht.  Getrennt  von 
diesen,  dem  Zusammensein  der  Familie  ge- 
widmeten und  deshalb  untereinander  verbun- 
denen Räumen  liegt  das  Herrenzimmer  mit 
kanellierten  Wänden  und  Kirschbaum-Möbeln, 
etwas  gehaltener,  wie  es  sich  für  den  Herrn 
des  Hauses  gebührt,  aber  weit  entfernt  von 
der  kahlen  Geschäftsmäßigkeit  eines  Bureaus. 
Alles  in  allem  darf  das  Haus  als  das  Muster 
eines  bürgerlichen,  kultivierten  Hauses  gelten, 
dessen  ruhige  Formensprache  sich  von  alter- 
tümelndem  Prunk  ebenso  wie  von  unangemesse- 
ner Kühle  freihält  und  den  Bewohnern  eine  hei- 
tere und  vornehme  Stimmung  bereitet,   k.  ma\  k. 


HEIMATKUNST. 


VON  Dr.  EMIL  UTITZ   -ROSTOCK. 


Heimatkunst!"  das  ist  die  stürmische  For- 
derung weiter  Kreise;  das  Banner,  um 
das  sich  viele  scharen;  das  Feldgeschrei,  mit 
dem  sie  in  den  Kampf  ausziehen  gegen  abwei- 
chende Kunstanschauungen  und  Kunstwerke, 
die  anderen  Grundlagen  entwachsen  sind.  Wir 
aber  wollen  uns  nun  weder  von  diesem  Schlag- 
worte blenden,  noch  auch  von  der  Erbitterung 
seiner  Gegner  hinreißen  lassen,  sondern  ruhig 
und  nüchtern  prüfen,  was  denn  die  Tatsachen 
—  auf  die  kommt  es  ja  doch  letzten  Endßs 
allein  an  —  zu  der  Frage  der  „Heimatkunst" 
sagen ;  sie  sollen  hier  die  Richter  sein,  auf  deren 
Urteilsspruch  wir  hören. 

Worin  das  eigentliche  Wesen  des  Kunstge- 
nusses besteht,  darüber  sind  ja  heute  die  An- 
sichten noch  recht  sehr  geteilt;  aber  insoweit 
herrscht  doch  Einigkeit,  daß  man  in  allen  ernst 


zu  nehmenden  Kreisen  deutlich  erkannt  hat, 
den  unmittelbaren  Zweck  der  Kunst  bilde  ein 
eigentümlich  genießendes  Verhalten,  eben  die 
ästhetische  Lust.  Und  diese  Gefühle  erhalten 
ihre  charakteristische  Note  dadurch,  daß  sie 
nicht  dem  Reich  der  wirklichen  Dinge  zugewandt 
sind,  sondern  der  bunten  und  reichen  Welt  der 
Erscheinungen,  die  der  Künstler  vor  uns  ent- 
rollt; es  sind  Freuden  an  dem  Werte  der  Vor- 
stellungen; ein  „interesseloses  Wohlgefallen" 
—  wie  bereits  Kant  sagte  —  „interesselos", 
weil  die  „Wirklichkeitsfrage"  gar  nicht  gestellt 
wird  und  infolge  dessen  auf  das  Praktische  ge- 
richtete Begehrungen  nicht  eintreten  können. 
Jedenfalls  kann  es  nicht  unmittelbarer  Zweck 
der  Kunst  sein,  außerästhetische  Wirkungen  zu 
zeitigen,  etwa  intellektuelle  Freuden,  ethische 
Befriedigung,  religiöse  Weihe  usw.    Treten  viel- 


354 


Häviafhuist. 


leicht  diese  Ergebnisse  auf,  so  sind  es  eben 
Nebenerfolge,  gleichsam  Zugaben,  die  sich  mit- 
telbar einstellen,  während  die  ästhetische  Lust 
stets  den  Haupterfolg  bildet  oder  wenigstens 
bilden  soll;  sie  ist  auch  der  Wertmaßstab,  den 
wir  an  die  Kunstwerke  herantragen ;  und  wir 
müssen  dagegen  Stellung  nehmen,  wenn  man 
außerästhetische  Gesichtspunkte  der  Beurtei- 
lung von  Kunstwerken  zu  Grunde  legen  will ; 
CS  ist  dies  ebenso  töricht,  wie  wenn  man  eine 
Maschine  lediglich  nach  ihrer  äußeren  Erschei- 
nung und  nicht  vor  allem  nach  dem  Grade  ihrer 
praktischen  Tauglichkeit  abschätzen  würde. 
Daß  eine  Maschine  auch  schön  sein  kann,  ist 
eine    willkommene    Zugabe,     ein    erwünschter 


Nebenerfolg.  Ihr  eigentlicher  Wert  aber  wur- 
zelt in  der  Arbeit,  die  sie  zu  leisten  vermag. 
Ähnliches  gilt  nun  von  der  Kunst:  erregt  sie 
außerästhetische,  günstige  Wirkungen,  sind  dies 
eben  auch  willkommene  Zugaben,  erwünschte 
Nebenerfolge;  aber  ihr  eigentlicher  Wert  als 
Kunstleistung  liegt  begründet  in  der  ästhetischen 
Lust,  die  sie  zu  erwecken  im  Stande  ist. 

Nach  diesen  allgemeinen  Erörterungen  können 
wir  uns  nun  der  besonderen  Frage  der  Heimat- 
kunst zuwenden;  in  der  Hoffnung,  daß  die  ein- 
leitenden Betrachtungen  uns  den  Weg  zu  ihrem 
Verständnis  gebahnt  und  erleichtert  haben. 
Denn  wir  sehen  jetzt  wohl  ohne  weiteres  ein, 
daß  es  nicht  eigentlicher  Kunstzweck  sein  kann. 


PROFESSOR  EMANUEL  v.  SEIDL— MÜNCHEN.     Herrenzimmer  im  Hause  Banker    Dörflas, 


1911.  V.  5. 


y->^ 


Heimatkwist. 


PROFESSOR  EMANUEL  v.  SEIDL     MÜNCHEN. 


in  uns  die  Liebe  zur  Heimat  zu  erhöhen,  das 
nationale  Empfinden  zu  kräftijSen  ,  besondere 
Higentümhchkciten  unseres  Volkstums  zu  pfle- 
gen usw.  Daß  dies  alles  Werte  sind,  will  ich 
nicht  bestreiten;  aber  unbedingt  muß  ich  be- 
streiten, es  sei  letzter  und  höchster  Zweck  der 
Kunst,  gerade  zur  Erfassung  dieser  Werte  uns 
zu  erziehen;  denn  ästhetische  Freuden  stellen 
sie   sicherlich    nicht   dar.     Mit    dem    nämlichen 


Atelierr.-mm  im  Hause  Benker    Dorflas. 


Rechte  könnte  man  behaupten,  Sache  der  Kunst 
sei  in  erster  Linie  ethische  Heranbildung  oder 
Stärkung  religiöser  Gefühle. 

Also  in  diesem  Sinne  müssen  wir  „Heimat- 
kunst" als  Tendenzmache  ebenso  ablehnen,  wie 
alle  andere  Afterkunst,  die  unmittelbar  andere 
Zwecke  verfolgt,  als  ästhetische.  Aber  dies  ist 
auch  nur  die  plumpste  und  geradezu  törichtste 
Form,  in  der  die  Forderung  nach  einer  „Heimat- 


j6o 


PROFESSOR    EMA.NUEL    von  SEIDL. 
GARTENSALON  IM  HAUSE  BENKER— DÖRKLAS. 


I 

r 


Heimatkunst. 


kunst"  erhoben  wird;  in  anderer  Gestalt  eignet 
ihr  allerdings  ein  gewisser  Wahrheitsgehalt,  nur 
daß  die  Verkünder  dieses  Schlagwortes  sich 
meist  nicht  dessen  bewußt  sind,  daß  hier  ver- 
schiedene Bedeutungen  streng  auseinander  ge- 
halten werden  müssen,  um  nicht  Sinn  und  Un- 
sinn bunt  durcheinander  zu  werfen  und  damit 
lediglich  Verwirrung  zu  stiften,  statt  Klärung 
und  Förderung. 

So  könnten  z.  B.  scharfsinnigere  Verfechter 
der  „Heimatkunst"  geltend  machen,  ihnen  handle 
es  sich  gar  nicht  in  erster  Linie  und  hauptsäch- 


lich um  ästhetische  Werte  und  möglichst  reiche 
Kunstgenüsse,  sondern  die  Ausbildung  einer 
verständnisvollen  Heimatsliebe  und  nationaler 
Eigenart  bedeute  ein  so  hohes  Gut,  das  mit 
allen  Mitteln  anzustreben  es  sich  wahrlich  ver- 
lohne. Der  Weg,  der  am  sichersten  nun  zur 
Erreichung  dieses  Zieles  leite,  gehe  durch  das 
Reich  der  Kunst,  ähnlich  wie  die  katholische 
Kirche  die  Kunst  sich  dienstbar  machte,  um 
mit  stärkerer,  zwingenderer  Gefühlsgewalt  auf 
die  Herzen  des  Volkes  einzuwirken;  so  könne 
auch    die    Kunst    ihre    Kräfte    dieser    Aufgabe 


PROFESSOR  ElLVNUEL  v.  SEIDL  -MÜNCHEN.     Speisezimmer  im  Hause  Beuker    Durllas. 


S^-^j 


PROF.  EMANUEL  von  SEIDL    MÜNCHEN. 
KAMIN-ECKE  IN  NEBENSTEHENDEM  KNEIPZIMUER. 


PROFESSOR  EMANUEL  von  SEIDL. 

KNEIPZIMMER  IM  HAUSE  BENKER— DÖRFLAS. 


l 


Heimatkimst. 


weihen.  Und  die  Kunstwerke  wurden  doch  da- 
durch nicht  schlechter,  nicht  geringer,  daß  sie 
kirchlichem  Geiste  entwuchsen  und  zur  Ver- 
breitung und  zur  Verherrlichung  dieses  Geistes 
in  ihrer  Weise  beitrugen.  Wir  bewundern  ja 
noch  heute  die  himnielstürniende  Gewalt  go- 
tischer Dome,  verehren  die  mittelalterliche  Holz- 
plastik, eine  der  reinsten  Äußerungen  innigen 
Glaubens  und  keuscher  Verinnerlichung,  und 
stehen  gefesselt  vor  der  reichen  Reihe  herrlicher 
Meisterbilder,  welche  die  erhabenen  Gescheh- 
nisse des  alten  und  neuen  Testaments  in  stets 
neuen  Gestaltungen  uns  vorführen.  Warum 
sollte  es  dann  der  Kunst  nicht  glücken,  aus 
dem  Geiste  heraus  prächtige  Werke  zu  ge- 
bären, der  erfüllt  ist  von  Liebe  zur  Heimat 
und  zum  eigenen  Volkstum? 

Ich  glaube,  daß  uns  die  Antwort  auf  das  Vor- 
gebrachte nicht  schwer  fallen  kann.  Sicherlich 
wurden  die  Kunstwerke  dadurch  nicht  schlech- 
ter, daß  sie  kirchlichem  Geist  entwuchsen;  aber 
Kunstwerke  sind  sie  eben  nicht  darum,  weil  sie 


religiöse  Motive  darstellen,  sondern  weil  die 
Darstellung  künstlerische  Werte  zeitigte,  also 
einen  ästhetischen  Genuß  ermöglichte.  Und 
gleiches  gilt  von  den  Werken,  die  sich  die  Auf- 
gabe stellen,  Liebe  zu  Heimat  und  Volkstum 
zu  verbreiten.  Dies  bedingt  keineswegs  ihren 
Kunstwert,  sondern  ihre  Fähigkeit,  ästhetische 
Lust  zu  entfachen.  Deswegen  erscheint  es  nun 
im  höchsten  Grade  bedenklich,  die  gesamte 
Kunst  auf  eine  Aufgabe  gleichsam  festlegen  zu 
wollen,  noch  dazu  auf  eine  Aufgabe,  die  letzten 
Grundes  eine  außerkünstlerische,  außerästhe- 
tische ist.  Es  geht  nun  einmal  nicht  an,  die 
Kunst  in  eine  bestimmte  Bahn  einzwängen  zu 
wollen ;  will  man  sie  wirklich  fördern,  muß  man 
ihr  auch  volle  Entwicklungsfreiheit  lassen  und 
sie  in  keiner  Weise  knechten.  Was  zu  be- 
kämpfen ist,  ist  schlechte  Kunst ;  und  nicht  Kunst- 
werke, die  andere  geistige  Strömungen  wieder- 
spiegeln, als  diejenigen,  die  man  gerade  auf  den 
Schild  erhebt  und  die  doch  nur  eine  zeitlich 
und   örtlich  bestimmte  Geltung  besitzen.    Was 


PROKES.soR  KM.\.NUEL  V.  ^EiUL-  MÜNCHEN.      Garderobe  im  Hause  Benker    Dürflas. 


Dr.  Emil  Utitz- Rostock: 


ALTE  BLUMENbCHALE.    NÜRNBERG,  HINTER  DER  VE.VIE.       AUtGENOMMEN  VON  ARCH.  ER.  AUG.  NAGEL     NÜRNBERG. 


uns  an  Kunstwerken  besonders  schätzenswert 
erscheint,  ist  gerade  die  Art,  wie  sie  alle  indivi- 
duellen Besonderheiten  und  lokalen  Fligentüm- 
lichkeiten  überwinden,  daß  allgemein  mensch- 
liche Werte  durch  sie  zu  überzeugendstem  Aus- 
druck gelangen  ;  nur  darum  stehen  heute  noch 
die  Meisterleistungen  der  Antike  frisch  und 
leuchtend  da,  wie  am  ersten  Tage.  Je  enger 
nun  die  Vertreter  der  „Heimatkunst"  die  Kunst 
an  die  heimatliche  Scholle  ketten  wollen,  je 
weiter  ihre  Forderungen  gehen  nach  Berück- 
sichtigung örtlicher  und  zeitlicher  Begeben- 
heiten, desto  mehr  schränken  sie  den  Wirkungs- 
kreis der  Kunst  ein  ;  denn  die  Kunstwerke,  die 
sich  in  diesen  Rahmen  fügen,  wenden  sich  doch 
nur  an  eine  kleine  Minderheit,  und  die  vielen 
anderen  können  sie  nicht  verstehen,  denen  sind 
und  bleiben  sie  ewig  fremd. 

Hier  könnten  nun  manche  allerdings  einen 
Einwand  erheben;  die  berühmten  Maler  des 
Dachauer  Moores  oder  der  Worpsweder  Heide, 
die  Schule  von  Barbizon  oder  auch  Leistikow, 
der  Maler  der  Grunewaldseen  ;  sie  waren  doch 
alle  in  gewissem  Sinne  Heiniatskünstler,  und 
trotzdem  fanden  ihre  Werke  I^eifall  in  allerWelt. 
Sicherlich,  obgleich  ich  nicht  untersuchen  will, 
wieweit  es  sich  bei  diesem  „Beifall  der  Allge- 


36Ü 


meinheit"  um  eine  Modeerscheinung  handelt, 
ähnlich  wie  man  früher  nur  Alpenlandschaften 
oder  Seestücke  bevorzugte.  Soweit  aber  alle 
Kenner  diese  Wertschätzung  teilten,  geht  das 
eben  darauf  zurück,  daß  hier  allgemein  künst- 
lerisch und  menschlich  Bedeutungsvolles  ge- 
schaffen ward,  daß  neue  Schönheit  unseren 
durstigen  Augen  sich  enthüllte.  Und  sollen  wir 
etwa  schelten,  wenn  ein  Dürer  nach  Italien  fuhr, 
schönheitstrunken  dort  die  Wunder  romanischer 
Kunst  genoß  und  so  bereichert  und  geläutert 
heimkehrte  und  dann  erst  seine  reifsten  Werke 
schuf?  Oder  wenn  ein  Hans  von  Marees  sein 
Leben  damit  verbrachte,  eine  monumentale  Ma- 
lerei zu  schaffen,  aus  der  uns  ja  vielfach 
italienische  Landschaften  und  italienische  Ge- 
stalten grüßen?  Oder  sollen  wir  unsere  jungen 
Künstler  daran  hindern,  nach  Paris  und  Spanien 
zu  reisen,  um  an  den  großen  Impressionisten 
des  neunzehnten  Jahrhunderts  und  an  Velasquez 
und  Goya  zu  lernen?  Nein,  nein,  und  dreimal 
nein.  Die  so  sprechen,  können  es  nicht  gut  mit  ' 
unserer  Kunst  meinen ;  unsere  Künstler  sind 
doch  keine  Droschkengäule,  denen  man  ängst- 
lich Scheuklappen  umbinden  muß,  sondern  — 
wenn  wir  schon  in  diesem  Vergleiche  bleiben 
wollen   —  stolze,  kühne,  rassige  Rosse;   und 


Heivmtkunst. 


wenn  diese  Rosse  auch  scheuen,  sich  bäumen 
und  ausschlagen,  wild  toben  und  toll  dahinrasen ; 
immer  besser,  tausendmal  besser  als  der  ewig- 
gleiche, müde,  gemessene  Schritt.  Aber  nun 
ohne  Bilder  und  ohne  Vergleich;  eine  Kunst 
muß  verkümmern,  die  sich  in  irgend  einer  Weise 
einsperrt,  und  nur  d  i  e  entwickelt  kräftige  Lebens- 
möglichkeiten, die  von  allen  Seiten  her  Anre- 
gungen empfängt  und  sie  kräftig  verarbeitet.  Man 
habe  nur  nicht  immer  die  törichte  und  unbe- 
gründete Angst ,   nationale   Eigenart   gehe   ver- 


loren, wenn  ein  Künstler  seine  Heimatsscholle 
verläßt  und  den  blühenden  Reichtum  der  ganzen 
Welt  zu  erfassen  trachtet.  Nein,  die  Nation  wäre 
wahrlich  wenig  wert,  die  so  leicht  ihren  Cha- 
rakter einbüßen  würde.  Ähnlich  wäre  es,  wenn 
man  einem  jungen  Manne  verbieten  wollte,  mit 
starken  Persönlichkeiten  zu  verkehren  aus  Be- 
sorgnis, seine  Persönlichkeit  könnte  dabei  irgend- 
wie Schaden  nehmen.  „Persönliches",  das  so 
schnell  entschwindet,  verdient  gar  nicht  diesen 
Namen ;  ist  aber  wirklich  eine  Persönlichkeit  da. 


BLUMFNSCHAI.K 
SCHLOSS  THIRN 


\(FGRXUMMEN 
\-ON    ARIHIIKKT 
IK,  At'G    NAOEI.- 
NÜK.NUERG. 


369 


Dr.  Emit  Utiiz- Rostock: 


/.WERG-GROTESKEN.    NURNBERG-ST.  JOHANNIS. 


dann  wird  sie  sich  nur  im  Umgang  mit  anderen 
vervollkommnen  und  entvk'ickeln,  vertiefen  und 
bereichern,  ja  sie  wird  sich  dabei  immer  schär- 
fer und  klarer  ausprägen. 

Nun  wird  es  wohl  auch  an  der  Zeit  sein, 
wiedervomkiinstlerischcnSchaffen  zu  sprechen, 
soweit  es  zu  der  Frage  der  „Heimatkunst"  in 
Beziehung  steht.  Der  Künstler,  der  aus  seiner 
Heimat  heraus  gestaltet  aus  den  ihn  umgeben- 
den, ihm  vertrauten  Verhältnissen,  läuft  nicht 
so  leicht  Gefahr,  in  leere  Abstraktionen  sich  zu 
verlieren.  Bekanntes  ist  es  ja,  dem  sein  Sinn 
sich  zuwendet,  und  da  vermag  er  eher  die  in 
ihm  schlummernden  ästhetischen  Möglichkeiten 
zum  Leben  zu  erwecken  und  in  seinem  Werke 
zur  Darstellung  zu  bringen.  Hier  werden  wir 
also  dieses  Ausgehen  von  der  heimatlichen 
Scholle  als  eine  günstige  Bedingung  für  das 
künstlerische  Schaffen  ansehen  dürfen;  aber  es 
wäre  eine  voreilige  und  ungerechtfertigte  Ver- 
allgemeinerung ,  zu  wähnen ,  ohne  Erfüllung 
dieser  Bedingungen  könnten  keine  trefflichen 
Kunstwerke  entstehen.  Die  Erfahrung  zeigt  ja 
deutlich  das  Gegenteil.  Viele  sehr  bedeutende 
Künstler  fanden  erst  in  der  Fremde  den  ihnen 
gemäßen  Stil,  und  ihre  Schaffenskraft  erstarkte 
unter  den  Anregungen,  die  ihnen  die  Fremde 
bot.  Sagten  wir,  das  Ausgehen  von  der  heimat- 


AUFGENOMMEN  VON  ARCH.  FR.  AUG.  N.-VGEL. 


liehen  Scholle  könne  günstige  Bedingungen  für 
das  künstlerische  Schaffen  bieten,  so  ist  dies 
jedenfalls  nicht  in  der  Art  zu  verstehen,  daß 
ein  Künstler  sich  in  seinen  Kreis  einspinnt,  alle 
fremden  Einflüsse  feindlich  abwehrt  und  sich 
damit  der  vielfachen  Anregungen  beraubt,  die 
ihm  die  Welt  und  die  Kunst  der  anderen  ent- 
gegentragen. Eine  derartige  Abgeschlossenheit 
könnte  höchstens  einen  reifen  Künstler  fördern, 
indem  sie  ihn  vor  Ablenkungen  bewahrt  und  ihm 
die  für  sein  Schaffen  nötige  Ruhe  und  Samm- 
lung gewährt,  aber  niemals  einen  jungen  Künst- 
ler, der  erst  lernen  und  sich  entwickeln  muß. 
Wir  dürfen  nicht  vergessen,  daß  z.  B.  die  mo- 
derne deutsche  Kunst  Italien,  Frankreich,  Spa- 
nien, ja  selbst  Japan  viel  verdankt  und  ohne 
diese  Einflüsse,  die  sie  kraftvoll  und  selbstän- 
dig verarbeitete ,  sicherlich  nicht  auf  der  Höhe 
stünde,  die  sie  heute  einnimmt. 

Wir  sollten  überhaupt  nicht ,  wenn  wir  von 
rasseneigentümlicher  Kunst  sprechen  wollen, 
unseren  Standpunkt  so  oberflächlich  wählen, 
daß  wir  lediglich  oder  in  erster  Linie  auf  die 
Stoffwahl  sehen,  während  sich  doch  die  künst- 
lerische Leistung  erst  durch  die  ästhetische  Be- 
wältigung des  Stoffes  offenbart.  Und  dringen 
wir  so  tiefer,  dann  erkennen  wir  auch,  daß  ein 
Goethe   deutsch,    kerndeutsch  war ,   selbst  als 


Heimatkunsi. 


er  seine  Iphigenie  schrieb  ,  und  Böcklin  ,  auch 
wenn  uns  aus  manchem  seiner  Werke  Italiens 
blauer  Himmel  entgegenlacht.  Und  schließlich 
kommt  es  ja  unter  dem  Gesichtspunkt  rein 
künstlerischer  Wertung  gar  nicht  darauf  an, 
welche  Rasse  —  im  ethnologischen  oder  völker- 
psychologischen Sinne  —  aus  einem  Kunstwerke 
spricht ,  sondern  ob  es  eben  ein  gutes  oder 
schlechtes  Kunstwerk  ist ,  ob  sich  eine  künst- 
lerisch machtvolle  Persönlichkeit  uns  offenbart, 
oder  schwächlich  langweiliges  Menschentum. 
Wir  hatten  z.  B.  diesen  Sommer  in  München 
Gelegenheit,  eine  Fülle  edelster  Meisterwerke 
mohammedanischer  Kunst  zu  bewundern  und 
ließen  uns  in  dem  reichen  Schwelgen  in  erlesenen 
Kunstgenüssen  sicherlich  nicht  durch  Unter- 
suchungen stören,  wie  weit  die  Eigenart  dieser 
Werke  auf  Rasseneinflüsse  zurückgeht,  die  uns 
fremd ,  vielleicht  sogar  feindlich  und  unsym- 
pathisch sind.  Ich  will  nicht  leugnen ,  daß  es 
sich  hierbei  um  sehr  fesselnde  und  auch  be- 
deutungsvolle Fragen  handelt,  wenn  man  genau 
und  sorgsam  all  den  Beziehungen  nachspürt, 
die  von  den  Besonderheiten  der  Rasse  zu  der 
Ausprägung  im  Kunstwerke  leiten;  aber  der 
ästhetische  Genießer  hat  damit  unmittelbar  nur 
so  weit  zu  tun,  als  er  vielleicht  durch  diese 
Einblicke  in  fremdes  Kulturleben  in  seinem  Ge- 
nüsse gefördert  wird;  keineswegs  darf  er  aber 
irgendwie  diese  Rassenfragen  seinen  Wertungen 
unterschieben  und  etwa  zu  Behauptungen  ge- 
langen, dieser  Künstler  sei  besonders  schätzens- 
wert, weil  er  „deutsch"  ist.  Dem  Kunst-Lieb- 
haber wird  man  natürlich  derartige  persönliche 
Vorlieben  gerne  gönnen;  der  eine  sammelt  nur 
Gemmen,  ein  anderer  Bronzen;  dieser  Land- 
schafts-Darstellungen, jener  religiöse  Bildwerke. 
Und  warum  sollte  man  da  nicht  auch  Kunst- 
freunden das  Recht  zugestehen,  die  Werke  vor- 
zuziehen, mit  denen  sie  deswegen  ein  besonders 
inniges  Band  verbindet ,  weil  der  nationale 
Geist ,  der  aus  ihnen  entgegenschlägt ,  nach- 
fühlenden Wiederhall  findet ,  oder  weil  die 
gleiche  Liebe  zur  Heimat,  die  sie  beseelt,  warm 
und  freudig  aus  den  Bildern  ihnen  entgegen- 
lacht? Hier  wäre  Rigorosität  ungerechtfertigte 
Intoleranz;  aber  eine  gleiche  Intoleranz  ist  es 
nun  —  wie  wir  bereits  erörtert  haben  — ,  wenn 
nun  diese  persönlichen  Vorlieben  zur  Grund- 


lage allgemeiner  Gebote  erhoben  werden.  Dann 
muß  man  gegen  sie  Stellung  nehmen  als  brutale 
Vergewaltigungen  fremder  Rechte  im  Namen 
persönlicher  Neigungen. 

So  —  vorsichtiger  gefaßt  —  und  in  dem  be- 
schränkten Rahmen,  den  wir  abzustecken  ver- 
suchten, hat  nun  die  „Heimatkunst"  ihre  volle 
Berechtigung.  Denn  wenn  es  Aufgabe  des  Künst- 
lers ist,  die  Schönheit  all  der  unzähligen  Dinge, 
die  Welt  und  Leben  in  unübersehbarer  Fülle 
darbieten,  durch  seine  Werke  zu  verherrlichen, 
warum  sollte  er  nicht  auch  die  Schönheit  der 
Heimat  und  des  heimatlichen  Volkes  zum  Gegen- 
stande sich  wählen,  warum  sollten  diese  Ge- 
gebenheiten nicht  im  Stande  sein,  ihn  zu  seinem 
Schaffen  zu  begeistern?  Dagegen  wird  wohl 
kein  Urteilsfähiger  irgendwelche  Bedenken  er- 
heben können;  nur  muß  man  sich  klar  sein,  daß 
es  sich  hier  nur  um  eine  Aufgabe  unter  vielen 
anderen  handelt,  gleichsam  um  einen  einzigen 
Bezirk  im  großen  Reiche  der  Kunst.  Und  man 
darf  nicht  verlangen,  daß  das  ganze  Reich  leide 
zu  Gunsten  dieses  einen  Bezirkes. 

Wenn  wir  uns  nun  all  dessen  aber  bewußt 
sind,  können  wir  ruhig  die  Vorzüge  anerkennen, 
die  eine  richtig  angewandte  „Heimatkunst"  mit 
sich  bringt,  ohne  fürchten  zu  müssen,  dabei  in 
einseitigen  Dogmatismus  zu  verfallen.  Die 
Kunst,  die  an  heimatliche  Besonderheiten  der 
Landschaft  oder  der  Bevölkerung  anknüpft, 
wird  die  Augen  öffnen  für  die  Schönheiten  und 
charakteristische  Eigenart  der  Umgebung  und 
so  reiche  Ströme  ästhetischer  Lust  ins  Leben 
tragen.  Es  entsteht  auf  diese  Weise  eine  Art 
„Kleinkunst",  die  sich  nur  an  einen  kleinen 
Kreis  wendet  und  gar  nicht  allzu  hohe  An- 
sprüche stellt,  aber  den  Alltag  verklärt  und  ver- 
schönt, wie  der  wilde,  sich  rankende  Wein  die 
grauen  Wände  eines  Hauses.  Und  hier  und  da 
wird  doch  aus  diesen  bescheidenen  Blüten  auch 
eine  sich  strahlend  erheben,  deren  Schönheit 
über  den  Zaun  des  Gärtchens  reicht,  dem  sie 
entsprossen.  Sie  gehört  dann  der  ganzen  Welt 
und  ist  wohl  die  edelste  Frucht  der  „Heimat- 
kunst", gerade  weil  sie  die  engen  Fesseln  der 
Heimat  sprengt,  und  doch  ein  Stück  Heimat  in 
sich  birgt.  Dies  ist  der  Sinn,  in  dem  ich  eine 
„Heimatkunst"  warm  befürworte  und  ihr  kräf- 
tigstes Gedeihen  von  Herzen  wünsche.    — 


BRIEFSIGNET 


WILLY  GEIGEK. 


ARCHITEKT  INO  A.  CAMPBELL     MÜNCHEN. 


Gartenhof  im  llnicl  i  iimiin.iual    München. 


ARCHITEKT  INO  A.  CAMPBELL-MÜNCHEN. 

UMB.\U  DES  HOTEL  CONTINENTAL-  MÜNCHEN. 


Der  englische  Architekt  Ino  A.  Campbell, 
der  in  München  wirkt,  gehört  zu  denen, 
deren  Arbeiten  stets  durch  ihr  künstlerisches 
Gepräge  auffallen.  Das  versteht  sich  nicht  von 
selbst.  Es  gibt  beträchtlich  viele  Architekten, 
denen  die  Baukunst  nichts  weiter,  als  eine  er- 
lernbare Wissenschaft  ist.  Man  kann  ein  ganz 
anständiges  Haus,  ja  einen  sehr  respektablen 
Palazzo  bauen  und  doch  nichts  weiter  sein,  als 
ein  ganz  nüchterner  Baubeamter.  Vielleicht  ist 
es  nicht  ganz  unnötig,  das  jetzt  wieder  einmal 
zu  sagen.  Wie  man  in  den  letzten  Tiefstands- 
zeiten der  Architektur  vergessen  hatte,  daß 
diese  eigentlich  zu  den  Künsten  zählt,  so  ist  man 
jetzt  wieder  zu  sehr  geneigt,  auch  alles,  was  ein 
Architekt  mit  der  Autorität  seiner  polytechni- 
schen Bildung  macht,  für  künstlerische  Arbeit, 
für  Offenbarung  persönlicher  Werte  zu  halten. 
Und  das  ist  falsch.  —  Das  Künstlerische  ist 
etwas  anderes,  freilich  etwas  mit  Worten  kaum 
faßbares,  —  doppelt  schwer  zu  fassen,  wenn  es 
sich  um  Werke  der  Architektur,  der  Innende- 


korationhandelt. Hier  können  ja  der  Empirismus 
und  der  klug  abwägende  Verstand  gar  vieles 
schaffen,  was  ästhetisch  befriedigt  oder  wenig- 
stens nicht  verletzt.  Zu  den  Gefahren,  die 
heute  den  dekorativen  Künsten  in  Deutschland 
drohen,  gehört  sogar  in  erster  Linie  eine  Vor- 
herrschaft des  Verstandesmäßigen,  des  Kon- 
struierten und  nicht  Gefühlten.  —  Campbell  hat 
in  letzter  Zeit  einige  interessante  Umbauten 
geschaffen  und  die  betreffenden  neuen  Räume 
eingerichtet ;  es  sind  Räume  geworden ,  in 
denen  seltsam  viel  wohlige  Wärme  und  hei- 
melige Stimmung  wohnt ,  die  sich  dabei  sehr 
wohl  mit  echter  Noblesse  verträgt.  Camp- 
bell ist  durchaus  kein  Stilpuritaner,  und  was 
seine  Arbeiten  von  sehr  vielen  anderen,  gerade 
Münchner  Leistungen  auf  diesem  Gebiete  unter- 
scheidet, ist  die  künstlerische  Freiheit,  mit  der 
er  sich  bewegt.  Und  noch  eins  ist  eine  Besonder- 
heit des  Künstlers,  eine  ererbte-nationale  viel- 
leicht: sein  Sinn  für  das  Heim,  für  das  Behagen 
im  Wohnraum.    Er  geht  auf  das  Wesen  seines 


374 


1911.  V.  4. 


I 


Fritz  7'oti  Osfini  : 


ARCHITEKT  1.  A.  CAMPBELL.  Tee -Raum  im  Grand  Hotel  Continental. 

Ausführung;  A.  Pössenbacher— München.    Plastik  von  Wackerle.   Ausführ.;  Nymphenburger  Porzellanfabrik. 


Auftrages  in  vorbildlichem  Grade  ein  und  schafft 
Räume,  die  nicht  bloß  ihm,  als  dem  Architek- 
ten, gefallen,  sondern  sicher  auch  denen,  die 
sich  darin  bewegen  und  aufhalten  müssen.  — 
Im  „Grand  Hotel  Continental"  hat  Camp- 
bell durch  Anbau  einen  neuen  Saal  gewonnen, 
einen  zweiten  erweitert,  einen  großen  Hof  ar- 
chitektonisch ausgestaltet  und  eine  Flucht  von 
Fremdenzimmern  möbliert.  Die  originellste, 
glänzendste  Leistung  bedeutet  der  neue  Tee- 
Raum,  eine  Art  Gartensaal,  mit  Licht  erfüllt 
durch  fünf  hohe  Glastüren  und  auch  sonst  ganz 
hell  gehalten.  Die  Wände  sind  elfenbeinweiß; 
Festons  von  Blumen  und  Früchten  aus  bunten 
Fayencen  umsäumen  die  großen  Wandfelder; 
Pilaster  aus  großen,  gleichfalls  mit  Blumen  und 
Früchten  bemalten  Fayenceplatten  —  sie  wur- 
den in  solcher  Größe  noch  nicht  hergestellt  — 
gliedern  die  Wände;  die  plastische  Türbekrö- 
nung  mit  Füllhörnern  auf  der  einen,  der  reizvolle 
Spiegelrahmen  über  dem  Kamin  der  anderen 
Schmalseite  sind  aus  gleichem  Material.  Mit 
diesem  heiteren  und  bei  aller  Kostbarkeit  doch 


37« 


diskreten  Schmuck,  den  Jos.  Wackerle 
Berlin,  entworfen,  die  NymphenburgerPorzellan- 
manufaktur  ausgeführt  hat,  eröffnet  Campbell 
der  Innendekoration  geradezu  neue  Perspek- 
tiven. Hier  ist  ein  Mittel  zu  reichster,  nicht 
durch  das  Material  an  eine  beschränkte  Ton- 
skalagebundener  Farbigkeit  gegeben,  ein  Mittel, 
das  sich  noch  unendlich  variieren  und  mit  an- 
dern Dekorationsmitteln  kombinieren  läßt!  Die 
Sitzmöbel  des  Saales  hat  Campbell  mit  einem 
Brokat  in  gebrochenem,  feinem  Erdbeerrot  über- 
zogen, ihre  Formen  sind  hübsch  und  bequem, 
ohne  Extravaganz.  Vielleicht  wird  man  doch 
bald  einmal  darauf  kommen,  daß  überoriginelle 
Sitzmöbel  —  wie  alles  Überoriginelle  in  der 
Dekoration  —  überhaupt  und  immer  ignobel 
sind.  Das  Ganze  dieses  Raumes  ist  muster- 
gültig für  seinen  besonderen  Zweck,  muster- 
gültig auch  deshalb,  weil  ein  wirklich  vornehmes 
Hotel  heute  seinen  Gästen  in  der  Ausstattung 
anderes  bieten  soll  als  früher;  komfortable 
Wohnlichkeit  an  Stelle  des  alten  Tapezierer- 
prunkes   von    Vergoldung    und    Plüsch.     Man 


hw  A.  Campbell-München. 


ARCHITEKT  1.  A.  CAMPBELL— MÜNCHEN. 


Schlafzimmer  in  Jvüsternholz.    Grand  Ilutel  Continental-Müucheii. 
Ausführung:  Hofniöbelfabrik  Pössenbacher— München. 


rechnet  jetzt  mit  dem  Geschmack  solcher,  die 
auch  zu  Hause  „gut  wohnen",  nicht  mit  den 
reichgewordenen  Hinterwäldlern,  die  sich  in 
der  ungewohnten  Pracht  des  Hotelpalastes  ge- 
legentlich einmal  „fürstlich"  und  hochkultiviert 
vorkommen  wollen. 

Das  schönste  Hotel  ist  heute  das,  in  dem  sich 
der  Kulturmensch  am  wohligsten  zu  Hause  fühlt. 
Unter  diesem  Gesichtswinkel  ist  Campbell  auch 
bei  der  Ausstattung  des  Nebensaals  und 
der  Fremdenzimmer  vorgegangen.  Es  ist 
immer  wieder  —  und  in  den  Kleinigkeiten  mit 
hebevollster  Aufmerksamkeit  —  auf  die  be- 
sonderen Bedürfnisse  der  Reisenden  Rücksicht 
genommen,  als  Stil  der  Räume  aber  ist  der  eines 
geschmackvollen,  in  seinem  Reichtum  diskreten 
Privathauses  gewahrt.  Die  Möbel  sind  eher 
zierlich  als  schwer,  die  Tapeten  geben  Farbe, 
die  weißen  Decken  und  Architekturteile  das 
wohltätige  Gefühl  der  höchsten  Sauberkeit.  Daß 
einebehaglich  stimmende  Farbenharmonie  über- 
all angestrebt  ist,  versteht  sich  von  selbst. 


Ganz  Vortreffliches  ist  mit  der  Ausgestaltung 
des  großen  Gartenhofs  erreicht  worden  und 
zwar  auf  die  einfachste  Weise.  Die  einheitlich 
gestrichenen,  in  ihrer  Asymmetrie  malerisch 
wirkenden  Rückfronten  der  Hotelbauten  mit 
ihren  weißen  Fensterteilungen,  ein  paar  weiße 
Spaliergitter,  Laden  und  Gartenbänke,  Stein- 
balustraden und  niedrige  Mauern  aus  ungleich- 
mäßigen und  im  Ton  verschiedenen  Kalkstein- 
quadern, ein  paar  große  bunte  Fayence -Vögel 
aus  Nymphenburg,  grüne  Vierecke  aus  Rasen 
und  dazwischen  breite  Steige  aus  ungleichgroßen 
Solnhofer  Platten,  zwischen  deren  F'ugen  Gras 
und  Moos  sprießen  und  im  Sommer  allenthalben 
üppige  Reihen  buntblühender  Topfgewächse  — 
das  sind  die  Dekorationsmittel,  mit  denen  eine 
Gesamtheit  von  höchst  originellem  Charakter 
geschaffen  wurde.  Ein  spitzbedachter  Pavillon 
in  der  Ecke,  eine  lustige  Brunnennische  an  der 
einen  Wand  beleben  das  Bild.     fbii/.  v.ostim. 

Auf  die  Veröffentliciiung  der  neuen  Arbeiten  Ino  A.  Campbells 
(50  Illustrationen.  Färb-  und  Sepiatondrucke)  im  Januarheft  1911 
der  „Innen-Deküration"  sei  besonders  aufmerksam  gemacfit. 


381 


LEOPOLU  F'iRSTNER      WIEN.        r^ETAlL  EINES  FENSTERS  DER  ZENTRAL-FRIEDHOFS-KIRCHE- WIEN. 
AUSFÜHRI'Nr,:    CARL    CEYLINGS   ERBEN — WIEN. 


LEOPOLD  FÜRS  INER— WIEN. 


Detail  eines  Kirchen-Fensters. 


MOSAIK,  GLASMALEREI  UND  MOSAIKVERGLASUNG. 


GEn.\NKEN  EINES  PR.\KT1KERS. 


Sowohl  die  Glasmalerei  als  auch  das  Mosaik 
sind  weite  Gebiete  ;  erstere  findet  man  be- 
reits im  Mittelalter,  letztere  schon  im  frühesten 
.Altertum.  Beide  haben  eine  riesige  Entwick- 
lungsstrecke zurückgelegt  und  wurden  beein- 
flußt durch  rein  technische  Erfindungen.  Der 
Grundbegriff  des  Mosaiks  ist  das  Nebeneinan- 
dersetzen von  verschiedenfarbigen  Materialien, 
und  so  kann  man  von  Stein-,  Glas-,  Papier-, 
Holz-,  Ziegel-,  Metallmosaik  etc.  sprechen.  So- 
weit es  sich  um  Außenschmuck  eines  Gebäudes 
handelt,  kommt  jedoch  nur  unverwitterliches 
Material,  vor  allem  Marmor  in  Betracht.  Die 
ersten  und  ältesten  Arbeiten  dieser  Art  sind 
wohl  die  orientalischen  Fußböden- Mosaiken. 
Später  verwendete  man  auch  Glas  und  ging 
daran,  auch  die  Wände  und  vor  allem  die  Kup- 
peln mit  Mosaik  zu  schmücken.  Bis  zum  Ende 
der  byzantinischen  Zeit  war  das  Mosaik  sachlich 
und  künstlerisch  einwandfrei.  Als  man  aber 
dazu  überging,  gemalte  Bilder  in  Mosaik  um- 
zusetzen, wurde  das  Gebiet  überschritten.  Was 
i  verleiht    beispielsweise    der   Markuskirche    in 


Venedig  ihre  Weihe?  Gewiß  nicht  die  in  Mo- 
saik umgesetzten  Gemälde,  sondern  die  alten 
byzantinischen  Mosaiken,  bei  denen  man  sieht, 
wie  der  Künstler  die  Fläche  schätzte,  mit  der 
er  rechnete  und  die  er  mit  seinem  Werke  nicht 
optisch  durchbrechen  mochte.  Auch  der  Laie 
wird  das  erkennen.  Wenn  er  gesehen,  wie  ein 
Mosaik  entsteht,  wird  er  auch  erkennen,  was 
möglich,  was  ehrlich,  was  Auswuchs  und  Vor- 
täuschung ist.  Venedig  wird  uns  als  die  Pfleg- 
stätte des  Mosaiks  gepriesen.  Sie  war  es;  heute 
ist  der  Akkordmosaikist,  der  Mosaikist,  der 
en  gros  Broschen  und  Manschettenknöpfe  ver- 
fertigt, der  eigentliche  Vertreter  dieses  Kunst- 
zweiges in  Venedig. 

Unsere  Zeit  bietet  dem  Mosaik  neue  Mög- 
lichkeiten. Die  Anregung  hierzu  gaben  die  Ar- 
chitekten, die  die  neuen  Materiale,  die  neuen 
technischen  Errungenschaften  künstlerisch  zu 
verwerten  wußten.  Der  Betonbau,  an  den 
hier  in  erster  Linie  gedacht  ist,  diese  ideale 
zeitgemäße  Bauweise,  ist  dem  Mosaik  besonders 
günstig.    Den  großen  Flächen  dient  am  besten 


383 


Mosaik,  Glasmalerei  rmd  Mosaikverglasuvo;. 


LEOPOLD  FORSTNER— WIEN. 


Detail  eines  Fensters  der  Zentral-Friedhofs-Kirche    Wien. 


die  flächige  Dekoration;  das  Mosaik,  sei  es 
nun  Glas-,  Stein-  oder  kombiniertes  Mosaik 
aus  größeren  Stücken.  Die  Verwendung  von 
größeren  Glasstücken  erlaubt  eine  kräftigere 
Wirkung  zu  erzielen,  erlaubt  billiger  zu  sein  als 
die  alte  Art  des  venetianischen  Stiftenmosaiks. 
Wie  sehr  das  von  Oberbaurat  Wagrer  angeregte 
Plattenmosaik  (sichtbar  befestigte  Glasplatten, 
Steinplatten  etc.)  zu  schätzen  ist,  werden  später 
noch  gereifte  Beispiele  zeigen. 

Die  Glasmalerei  betrat  ebenfalls  Bahnen, 
die  sie  nicht  der  Entwicklung  entgegenführten. 
Die  alten  Glasmalereien  waren  in  jeder  Hin- 
sicht Original -Werke.  In  frühester  Zeit  verfer- 
tigte der  Glasmaler  sogar  sein  Glas  selbst,  er 
goß  seine  Bleiruten  und  entwarf  auch  selbst 
die  Zeichnungen  zu  seinen  Werken.  Die  heu- 
tigen Glasmalereien  sind  dagegen  nur  besser 
oder    schlechter    durchgeführte    Kopien    nach 


Zeichnungen  fremder  Hand.  Der  Glasmaler 
von  heute  ist  in  der  Regel  kaum  als  Künstler 
zu  bezeichnen,  er  ist  in  den  meisten  Fällen 
leider  nur  ein  Arbeiter.  Er  wurde  die  Maschine 
in  Menschengestalt,  die  heute  romanische,  mor- 
gen gotische  und  übermorgen  gar  Rokoko- 
fenster nach  Zeichnungen  macht.  Bei  aller 
Wertschätzung  der  heutigen  Glasmalereien 
darf  nicht  übersehen  werden,  daß  ein  Unter- 
schied besteht  zwischen  der  Arbeit  des  Glas- 
maler-Gehilfen und  der  künstlerischen  Glas- 
malerei; der  gleiche  Unterschied,  den  jeder 
schon  erkennt  zwischen  der  Lithographie  des 
Durchschnitts -Lithographen  und  der  Künstler- 
Steinzeichnung.  —  In  letzter  Zeit  ist  an  Stelle 
der  Glasmalerei  mehr  und  mehr  die  Mosaik- 
Verglasung  getreten.  Ihren  Forderungen  vermag 
die  heutige  Arbeitsteilung  noch  am  ehesten  zu 
entsprechen.   Das  Zuschneiden  des  Glases  nach 


i'^i 


Mosaik,  Glasmalerei  und  Mosaikverglasung. 


den  Papierschablonen  eines  fremden  Entwurfs, 
das  Bleien,  das  Verzinnen  sind  rein  mechanische 
Arbeiten ,  die  sich  ein  geschickter  Arbeiter 
während  der  Lehrzeit  gut  aneignen  kann.  Nur 
das  wird  von  ihm  verlangt;  er  muß  genau  und 
solid  arbeiten.  Er  braucht,  um  einwandfreie 
Arbeit  zu  liefern,  kein  Künstler  zu  sein,  es  ge- 
nügt, wenn  er  ein  gewissenhafter  Arbeiter  ist. 
Unsere  Zeit  schätzt  im  allgemeinen  die  tech- 
nischen Errungenschaften  höher  als  die  künst- 
lerischen; sie  schätzt  daher  auch  die  gewerb- 
liche Leistung  hoch,  und  ganz  mit  Recht,  wenn 
gute  gewerbliche  Arbeit  mit  guter  künstlerischer 
Arbeit    vereinigt    ist.     Unter   Berücksichtigung 


dessen  hat  die  Mosaik-Verglasung  heute  mehr 
Anspruch  auf  allgemeine  Wertschätzung  als  die 
Glasmalerei  und  in  den  letzten  Jahren  ist  ihr 
diese  auch  reichlich  zuteil  geworden.  Über 
Mosaik,  Glasmalerei  und  Mosaik -Verglasung 
ließe  sich  noch  vieles  sagen.  Zusammenschließen 
lassen  sich  die  künstlerischen  Forderungen  wie 
bei  jeder  Aufgabe  der  angewandten  Kunst:  das 
Material  gründlich  kennen,  die  Zeit  kennen 
und  das  Material  durch  die  Zeichnung  nicht  um- 
bringen. Jeder  Entwurf  muß  dem  Material  ent- 
sprechen und  gänzlich  in  der  Technik  erdacht 
sein.  Er  darf  sozusagen  in  irgend  einer  anderen 
Technik  nicht  ausführbar  sein.  —    i..  fukstnf.k. 


I.KDI'kLIi  I'uK.^TNEK      WIEN,      GLA.'>.M".sAIK   IM)  KEK.V.MII.,      WIE.M.K  .Mu,N.\lK-WEKK5. 1 -VT  1  E. 


5b6 


J^'^v- 


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PROFESSOR  G.  A.  BREÜOW-  STUTTGAKl. 


r.KL:N.\t.\>LHALE  IN  MUSCHELKALK. 


387 


Professor  Koloniau  Mose)-    Wioi . 


PROFESSOR  KOLOMAN  MOSER-  WIEN. 


BUHNENBILD  »DER  MUSIKANT«.  I.  AKl . 


BÜHNENBILDER  U.  KOSTÜM-ENTWÜRFE  ZU  „DER  MUSIKANT" 

ZWEI   AKTE  VON  JULIUS   BITTNER. 


Bei  Aufführung  eines  dramatischen  Werkes 
geben  die  sichtbaren  Vorgänge  auf  der  Bühne 
das  Bühnenbild.    Es  ermöglicht  uns,  im  Verein 

mit     den     anderen 

Mitteln  der  Dich- 
tung, die  ureigene 
Welt  wahrzuneh- 
men, die  der  Dichter 
mit  seinem  Werk 
geschaffen.  —  Die 
Mittel  zur  Gestal- 
tung des  Bühnen- 
bildes sind  die  For- 
men, die  Farben  u. 
das  Licht.  So  un- 
begrenzt diese  sind, 
der  Inhalt  des  dar- 
zustellenden Wer- 
kes bestimmt  sie, 
sowie  die  Art  ihrer 
Verwendung.  Erst 
innerhalb  dieser  Be- 
grenzung tritt  für 
den  Gestalter  des 
Bühnenbildes  die 
mitschöpferische 


388 


Arbeit  ein.  Selbst  wenn  es  sich  um  Wiedergabe 
einer  in  der  Natur  bestehenden  Realität  handeln 
würde,  müßte  eine,  nicht  nur  die  Forderungen 
der  Bühne  erfüllende,  sondern  in  erster  Linie 
dem  Wesen  der  Dichtung  entsprechende  Um- 
oder  Neugestaltung  stattfinden.  Die  Natur  bietet 
stets  eine  verwirrende  Menge  von  Motiven,  es 
gibt  da  nur  ein  einseitiges  Verzichten  zu  Gun- 
sten einer  Auswahl  jener,  die  dem  Werk  dienen, 
nützen  können.  Nicht  das  der  Natur  nachge- 
bildete, sondern  das  dem  Werk  absolut  not- 
wendige Motiv  gibt  dem  Bühnenbild  Wahrheit. 
Naturalistik  kann  die  Wahrscheinlichkeit  unter- 
stützen, ohne  zwingende  Notwendigkeit  bleibt 
sie  Zutat,  Aufputz,  Ausstattung.  Nicht  Reali- 
sierung zufälliger  Erscheinungsformen  der  Natur, 
sondern  Versinnbildlichung  der  vom  Dichter  im 
Werk  geschaffenen  Welt  ist  Ausgangspunkt  und 
Ziel  für  die  Gestaltung  des  Bühnenbildes. 

Des  Autors  Forderungen  nach  einem  be- 
stimmten Raum,  nach  einer  bestimmten  Zeit 
für  den  Rahmen,  in  dem  sich  die  Handlung  ab- 
spielen soll,  sind  Hilfsmittel  zur  stärkeren  Be- 
tonung seiner  Intentionen.  Denselben  Zwek- 
ken  hat  das  Bühnenbild  zu  dienen.  Der  zu  ge- 
staltende Raum  muß  die  vom  Werk  geforderte 


■  ■■ 


Entwürfe  zu  Bittners  »Der  Musika7it<' . 


Stimmung  eindring- 
lichst wiedergeben 
und  dabei  die  best- 
möglichste Spielge- 
legenheit für  die  Dar- 
steller bieten.  Ob 
er  „möglich"  im 
Sinne  einer  Realität 
des  wirklichen  Le- 
bens oder  „richtig" 
im  Sinne  einer  be- 
stimmten Zeit ,  ist 
eine  sekundäre  An- 
gelegenheit. Er  muß 
vor  allem  eine  Ein- 
heit mit  derDichtung 
geben  und  dabei 
selbst  eine  solche 
darstellen.  —  Eine 
Wand  aus  Stoff,  auf 
der  Bäume  gepinselt, 
kann  dem  Beschauer 


die  Vorstellung  eines  Waldes  geben,  obwohl 
Bäume,  die  erfahrungsgemäß  in  der  Natur  hin- 
ter- und  nebeneinander  stehen,  in  nur  einer 
Fläche  dargestellt  sind.  Nun  stelle  ich  eine  Bank 
nahe  davor.  Sofort  wird  der  ehedem  noch  in 
meiner  Vorstellung  befindliche  „Wald"  sich 
durch  die  räumliche  Bank  in  eine  mit  Bäumen 
bemalte  „Fläche"  verwandeln.  Stelle  ich  nun 
vor  oder  seitlich  der  bemalten  Fläche  noch 
einige   gemalte  Bäume ,    so  ergibt    dies    durch 


seine  räumliche  Art  schon  wieder  die  Illusion 
des  Waldes,  ohne  daß  nun  die  Bank  diesen 
Eindruck  stören  wird.  Beides,  Wald  und  Bank, 
besitzen  nun  in  der  Art  ihrer  Darstellung  eine 
gemeinsame  Einheit.  Ebenso  muß  der  Spieler 
vor  einem  flächenhaft  dargestellten  Wald,  durch 
große  Farbmassen  oder  stark  ornamentale 
Flächen  seiner  Gewandung,  durch  besondere 
Beleuchtung,  einen  silhouettenartigen  Eindruck 
erwecken.  Ganz  anders  wieder  indem  kulissen- 


l^ 


Professor  Koloman  Moser—  Wien  : 


förmig  gestellten  Wald ,  wo  schon  mit  einer 
mehrseitigen  Beleuchtung  das  Körperliche  des 
Darstellers  wird  betont  werden  müssen. 

Die  schönsten  Ideen  für  ein  Bühnenbild,  ein 
Kostüm,  sofern  sie  nicht  der  dem  Werke  ent- 
stammenden Einheit  entsprechen,  können  ver- 
möge ihrer  Mannigfaltigkeit  verblüffen,  eine 
höhere   Wirkung  ist  ihnen  nicht  beizumessen. 

Bei  der  Aufführung  des  Bittnerschen  „Musi- 
kanten" tadelte  jemand,  dessen  Urteil  mir  sonst 


wertvoll,  die  historisch  unrichtigen  Kostüme. 
„Ein  Graf  um  1780  müsse  mit  zurückgeschnit- 
teneni  Rock  bekleidet  sein,  Violetta  wäre  schon 
mehr  „Directoire",  ebenso  wären  die  Diener 
im  zweiten  Akt  ganz  falsch."  Ich  tröstete  mich 
leicht  mit  Bittncrs  Musik  des  Werkes.  Die  ist 
auch  eins  mit  der  Dichtung  und  sicher  nicht 
historisch  richtig.  Hätte  der  Graf  einen  rich- 
tigen historischen  Rock,  bei  seinem  ersten 
Auftritt  hätte  jeder  Anwesende  dieser  Wiener 


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390 


Entwürfe  zu  BiÜners  y>Dcr  Mtisikant« 


Uraufführung  heimlich  gedacht:  Aha,  der  Kaiser 
Josef.  —  Ein  Graf,  der  für  Paris  schwärmt  (das 
noch  vor  der  Revolution,  daher  das  1780),  für 
die  Stadt  höchsten  Genusses,  der  die  Geliebte 
des  Musikanten  dorthin  entführt,  soll  der  nicht 
etwa  an  einen  „Sonnenkönig"  erinnern?  Vio- 
letta,  die  doppelzüngige  italienische  Sängerin, 
muß  „fremdartig"  aussehen  in  der  simplen  Mu- 
sikantentruppe. Die  Diener  sind  Kerle,  die  auf 
Befehl  des  Grafen  den  Musikanten  knebeln,  ja 


mehr,  sie  knebeln  im  Sinne  der  Dichtung  die 
Kunst.  Sie  veranschaulichen  hier  die  Gemein- 
heit, nicht  historisch  richtig  angezogene  Lakaien 
des  Grafen,  sondern  Diener  des  Hasses,  rot- 
gekleidete, in  schwarze  Mäntel  gehüllt.  Die 
Einheit  der  dichterischen  Gedanken  mit  dem 
zu  gebenden  Bild  steht  höher  als  historischer 
Trödel.  Wichtig  war,  daß  jede  Form  und  Farbe 
des  Kostüms,  jede  Anordnung  einer  Tür,  eines 
Fensters   unscheinbar  Teil   hat  an   dem   Spiel. 


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Enhincr/e  zu  BiUncrs  y.  Der  Mus i kauf«. 


PROFESSOR  KOLOMAN  MOSER     WIEN. 


BUHNENBILD  ZU  JITLIUS  BITTNERS  OPER  »DER  MUSIKANT«.    II.  AKl. 


Zu  einem  Lied,  am  Spinett  gesungen,  sciiuf  ich 
eine  Nische.  Nicht  nur  wirkt  das  für  die  Hand- 
lung   wichtige    Lied     stimmungsrichtiger,    das 


Spinett  scheint  für  die  weiteren  Szenen,  wo 
es  nicht  mehr  benutzt  wird,  nicht  vorhanden. 
Einzige  Lichtquelle  für  diesen  ersteren  Teil  des 


Aktes  bildet  gegenüber  der  Nische  ein  Fen- 
ster. Die  Fensterbank  desselben  ergibt  das 
Podium  für  den  seine  Musiker  dirigierenden 
Wolfgang,  ohne  daß  der  Beschauer  diesen 
Platz  und  seinen  Zweck  vorher  störend  er- 
kennt. So  der  Platz  am  Brunnen  im  anderen 
Bild.  Erst  in  derSchlußszene,die  daran  spielt, 
wird  er  augenfällig.  Alle  Häuser,  Stiegen, 
Tore,  Tische,  die  ebenso  wichtig,  mußten  so 
angeordnet  sein,  daß  genügend  freier  Himmel 
bleibt.  Denn  wie  die  Sonne,  scheidend,  das 
Spiel  des  ersten  Aktes  einleitet,  so  schließt 
das  Stück  mit  den  ersten  Strahlen  ihrer  Wie- 
derkehr. Und  so  steht  unauffälligjeglicherTeil 
des  Bildes  in  Einheit  mit  der  Dichtung,  wirkt 
mit,  und  dadurch  darüber  hinaus.  —  Nach 
Schluß  des  Stückes  sagte  eine  anwesende 
junge  Dame  zu  mir:  „Ich  höre,  die  Inszenie- 
rung wäre  von  Ihnen,  mir  fiel  nichts  derglei- 
chen auf,  ich  glaubte,  das  müsse  in  dem  Stück 
alles  so  sein."  —  „Gnädigste,  genau  das, 
was  ich  wollte."  —        koloman  moser    wien. 


392 


1  KANZlsKA  BRÜCK— BERLIN. 


Bunter  Zinnienstrauß. 


FRANZISKA  BRUCK-BERLIN. 


VON  MAX  LEHR.S     DRESDEN. 


Mannigfach  sind  die  Wege  des  guten  Ge- 
schmacks, die  zu  den  sonnigen  Höhen  der 
Kunst  führen,  lohnend  und  aussichtsreich,  aber 
abseits  vom  ausgetretenen  Geleise  der  Heer- 
straße und  einsam.  Wer  sie  erwählt  und  den 
hastenden  Schwärm  der  Menge  meidet,  der  blind 
und  taub,  nur  dem  Vordermann  folgend,  weiter 
drängt,  kommt  vielleicht  später  ans  Ziel,  aber 
er  wandert  in  besserer  Gesellschaft  und  hat  die 
stille  Freude,  den  rechten  Weg  gefunden  zu 
haben  aus  eigener  Kraft. 

So  ging  es  Einem  oder  richtiger:  Einer,  von 
der  ich  hier  erzählen  will. 

Wir  reden  soviel  von  Kultur  und  Kunst ;  von 
der  „Kunst  im  Hause",  von  der  „Kunst  auf  der 
Straße",  von  der  „Kunst  im  Leben  des  Kindes", 
und  es  wurde  sogar  eine  Ausstellung  von  „Stu- 
dentenkunst" veranstaltet.  Aber  die  „Kunst  in 
der  Verwendung  der  Blumen"  hat  man,  wie  es 
scheint,  vergessen.  Und  doch  spielt  sie  eine  so 
große  Rolle  oder  sollte  sie  wenigstens  spielen, 
daß  man  ihr  füglich  mehr  Beachtung  schenken 
könnte,  als  es  tatsächlich  bisher  geschehen  ist. 


Schon  zur  Zeit  unserer  Großmütter  hat  es 
zarte  Frauenhände  gegeben,  die  einen  Blumen- 
strauß mit  Geschmack  zusammenzustellen  wuß- 
ten und  die  dafür  auch  eine  passende  Vase,  ein 
Glas  fanden,  in  denen  er  am  besten  zur  Geltung 
kam.  Aber  das  geschah  immer  nur  zur  eigenen 
Freude  oder  zur  Freude  der  Nächsten,  im  Her- 
zen des  Hauses,  unter  Ausschluß  der  Öffent- 
lichkeit. Die  Blumenhändler  begnügten  sich 
mit  der  Schaustellung  des  Rohmaterials;  sie 
überließen  die  Kunst  dem  Käufer.  Denn  man 
wird  nicht  ernsthaft  behaupten  können,  daß 
die  in  unseren  Blumenläden  zum  Verkauf  ge- 
stellten Buketts,  auch  nach  Überwindung  der 
schrecklichen  Zeiten  des  Drahtgestells  und  der 
papierenen  Spitzenmanschette,  irgend  welchen 
Anspruch  auf  künstlerische  Bedeutung  erheben 
konnten.  Im  besten  Falle  bot  man  eben  gleich- 
artige Blumen,  in  Bündeln  vereinigt,  zum  Kauf, 
und  ihre  graziöse  oder  farbige  Eigenart  sorgte 
dann  von  selber  für  die  künstlerische  Wirkung. 

Wie  sich  auch  hierin  allmählich  ein  Wandel 
vollzog,  das  hat  Lichtwark  in  seinen  dankens- 


I  i»n.  V.  6. 


393 


Max  Lekrs— Dresden . 


weiten  Schriften')  erzählt,  und  ich  selbst  habe 
das  Thema  im  Hinblick  auf  die  lokalen  Berliner 
Verhältnisse  vor  Jahren  schon  an  anderer  Stelle 
behandelt.**) 

Dort  hatte  ich  Gelegenheit,  die  Berliner  auf 
Franziska  Brück  aufmerksam  zu  machen,  die, 
eine  Pfadfinderin,  zuerst  mit  vollem  Verständ- 
nis für  das  Wesen  und  die  Eigenart  der  Blume 
verstanden  hatte,  ihr  durch  Vereinigung  nach 
Form   oder   Farbe   zusammengehöriger    Arten, 

'I  „Makarlboiiqiiet  und  BKimenstraun*'  (1892)  und  „Blumen- 
kultus"  (1897). 

**)  „Durch  die  Blume,  ein  Beitrag  zur  Geschichte  des  (futen 
Geichmacks  in  BerÜn"    Zukunft  1907,  Nr.  31). 


durch  feinsinnige  Wahl  der  zur  Aufnahme  be- 
stimmten Vasen,  Töpfe,  Körbe  oder  Schalen 
künstlerische  Geltung  zu  verschaffen.  Seither 
hat  sie  den  eingeschlagenen  Weg  weiter  ver- 
folgt und  die  Beachtung  immer  größerer  Kreise 
des  Blumen  brauchenden  und  Blumen  kaufen- 
den Berliner  Publikums  auf  ihre  stille  Tätigkeit 
gelenkt.  Daß  sie  dabei  so  ganz  ohne  Nachfolge 
geblieben  ist,  nicht  nur  in  Berlin,  sondern,  so- 
weit mir  bekannt,  auch  in  anderen  Städten  des 
deutschen  Vaterlandes,  erscheint  verwunderlich. 
Aber  der  Kaufmann  ist  mehr  noch  als  der  Künst- 
ler genötigt,    dem   schlechten    Geschmack   der 


FRANZISKA 
BRUCK- 
IIERI.IN. 


MAI.VEN    U. 
KORB  MI  1 
(HKYSAN 
THEMEN'. 


394 


Franziska  Bruck-Berlin. 


fKANZISKA  BRUCK-BERLIN. 


Menge  Rechnung  zu  tragen,  wenn  er  sein  Brot 
finden  will;  und  da  es  bei  ihm  in  erster  Linie 
nicht  auf  die  Verdienste,  sondern  auf  den 
Verdienst  ankommt,  ist  es  begreiflich,  daß  er 
als  der  Klügere  schließlich  nachgibt. 

Es  gehört  eine  starke  Persönlichkeit,  eine 
zielbewußte,  künstlerische  Überzeugung  dazu, 
wenn  man  sich  wie  Franziska  Brück  trotzdem 
durchzusetzen  versteht,  noch  dazu  in  einer  Stadt 
wie  Berlin,  die  noch  niemand  als  die  Stadt  des 
guten  Geschmacks,  ja  nicht  einmal  als  den  Vor- 
ort einer  solchen  zu  rühmen  gewagt  hat. 

Die  Proben,  die  hier  von  der  Eigenart  ihrer 
Kunst  geboten  werden,  beschränken  sich  auf 
Sommerblumen,*)  geben  aber  immerhin  eine 
Vorstellung  vom  Wollen  und  Können  der  Künst- 
lerin, soweit  Photographien  überhaupt  der  sprö- 
den Farbigkeit  zarter  Blumenschönheit  gerecht 
werden  können.  Es  sind,  wenn  man  will.  Ver- 
suche, den  graziösen  Reiz  unserer  Blumen,  ihre 
Mannigfaltigkeit  und  Farbenpracht  durch  künst- 
lerische —  nicht  „künstliche"  —  Mittel  zur  Gel- 
tung zu  bringen,  d.  h.  ihre  Wirkung  durch  An- 

')  Eine  -Anzahl  anderer  Kompositionen  enthält  der  vortreff- 
liche Aufsatz  von  Anton  Jaumann  im  vorigen  Jahrgang  dieser 
Zeitschrift  (S.  182 — 188).  auf  den  ich  leider  erst  nach  Beendigung 
der  vorliegenden  Plauderei  aufmerksam  gemacht  wurde. 


Körbchen  mit  Studenlenbiumen. 


Ordnung  in  Sträußen,  Kränzen,  ja  ganzen  Natur- 
ausschnitten in  dafür  passenden  Gefäßen  oder 
Körbchen  zu  steigern. 

Daß  diese  Kunst  in  Japan  seit  Jahrhunderten 
gepflegt  wird,  daß  man  dort  sogar  einen  be- 
stimmten gesetzmäßigen  Schönheitskanon  ge- 
prägt hat,  nach  dem  für  die  Pflanzen  jeder  Jah- 
reszeit nur  nach  Material  und  Form  ganz  be- 
stimmte Gefäße  verwendet  werden  sollen"), 
darf  ich  als  den  Lesern  dieser  Zeitschrift  be- 
kannt voraussetzen.  Man  hat  den  Ko-Stil, 
den  Ikenobo-Stil,  den  Enshiw-Stil,  den  Hana- 
No-Moto-Stil,  den  Shinsho-Stil,  den  Sekishin- 
Stil,  den  Bisho-Stil,  den  Kodo-Stil,  den  Seizan- 
Stil,  den  Ikenobo-Reizan-Stil  und  den  Rikkwa- 
Stil.  —  Sie  alle  haben  ihre  Namen  von  Künst- 
lern erhalten,  denen  sie  ihren  Ursprung  ver- 
danken, und  sie  basieren  größtenteils  auf  einer 
Harmonie  der  Verhältnisse,  des  Materials  oder 
der  Dekoration.  Immer  ist  das  leitende  Grund- 
prinzip, die  zu  arrangierenden  Pflanzen  mit 
allen  Mitteln   der  Kunst  so  anzuordnen,    daß 


")  Für  den  Frühling  Bambusgeläße  und  langhalsige  Bronze- 
vasen, für  den  Sommer  Blumenkörbe,  Bronzeschalen  und  Holz- 
tröge, die  möglichst  viel  Wasserfläche  zeigen,  für  den  Herbst 
Vasen  in  Gestalt  von  Schiffen  und  Porzellanvasen  und  für  den 
Winter    kürbisförmige  und  enghalsige  Gefäije. 


395 


Max  Lehrs-Dresden . 


FRANZISKA 

BRUCK- 
BF.RLIN 


GARTENMOHN 

IN  EINEM 

SPANISCHEN 

BAUERN- 

GEFÄSS 


die  ideale  Silhouette  des  Ganzen  ein  auf  seine 
Spitze  gestelltes  Dreieck  füllt,  dergestalt,  daß 
die  Hypothenuse  senkrecht  zur  Oberfläche  des 
Wassers  zu  stehen  kommt.  In  einzelnen  beson- 
deren Fällen  wird  dies  imaginäre  Konipositions- 
dreieck so  gestellt,  daß  die  Hypothenuse  wage- 
recht zu  liegen  kommt,  wenn  es  sich  nämlich 
um  Blumen  in  hängenden  Gefäßen  handelt  oder 
in  solchen,  die  nur  eine  geringe  Höhenentwick- 
lung zulassen.  Der  Künstler  will  dadurch  den 
Eindruck  von  Pflanzen  hervorrufen,  die  über 
Felsränder  oder  Flußufer  herabhängen.  Das 
Arrangement  soll  im  allgemeinen  das  Andert- 
halbfache bis  Doppelte  der  Vasenhöhe  erreichen, 
nur  bei  flachen  Schalen  gibt  nicht  die  Höhe, 
sondern  die  Breite  den  Maßstab  für  die  Höhe 
der  Blumen  ab  usw. 

Diese  mit  allen  möglichen  Kniffen  und  Mühen 
verbundene  Behandlung  der  Pflanze,  die  den 
Zweigen  und  Blättern  durch  Biegen  und  Rollen 


596 


den  Schein  höchster  Natürlichkeit  und  Grazie 
verleiht,  aber  den  Beschauer  doch  über  das 
Wesen  der  abgeschnittenen  und  zugestutzten 
Blumen  täuscht,  ist  der  Art  unserer  Künstlerin 
diametral  entgegengesetzt.  Sie  hat  vielmehr 
unabhängig  davon  einen  neuen  Stil  für  ihre 
Blumenarrangements  geschaffen ,  der  sich  auf 
keinen  Kanon  stützt,  als  auf  den  ihres  persön- 
lichen Schönheitsempfindens,  ihres  Geschmacks, 
liir  sind  die  Blumen  ,  wie  sie  mir  einmal  sagte, 
etwas  Persönliches,  und  sie  muß  sie  daher 
persönlich  behandeln.  Sie  bedient  sich  zu  diesem 
Zweck  nicht  nur  der  mannigfachen  japanischen 
Bronzevasen,  Schalen  und  Bambusgefäße,  son- 
dern zieht  auch  die  keramischen  Erzeugnisse 
der  europäischen  Kulturländer,  ja  selbst  die 
Textilindustrie  durch  die  Wahl  passender 
Bauernbänder  aus  Bayern,  Schlesien,  dem 
Schwarzwald  und  der  Schweiz ,  Österreich, 
Ungarn  und  Rußland  in  den  Bereich  ihrer  Tätig- 


Franziska  Bruck-Berliii. 


FRANZISKA 

BRUCK- 

BERI-IN. 


KAMILLEN    U. 
SCHALE  MIT 
VERGISS- 
MEINNICHT- 
KRÄNZCHEN. 


keit.  So  stellt  sie  einen  großen  Strauß  gefüllten 
bunten  Gartenmohnes,  in  dem  bezeichnender 
Weise  auch  die  abgeblühten,  graugrünen  Frucht- 
kapseln eine  feine  dekorative  Wirkung  üben, 
in  ein  spanisches  Bauerngefäß  oder  gelbe  Ka- 
millen in  hohem  braunen  Korbe  neben  einen 
Vergißmeinnichtkranz  in  flachem  ungarischen 
Napf.  Orangegelbe  und  rote  Studentenblumen 
werden  lose,  wie  zufällig  in  einen  viereckigen 
Henkelkorb  gesteckt,  bunte  Zinnien  in  eine 
leicht  gewölbte  Tonschüssel.  Karminrote,  zitro- 
nengelbe und  hellrosa  Malven  stehen  in  hohem 
Schweizer  Krug  neben  einem  Körbchen  voll 
gelblich  weißer  Chrysanthemen  mit  tiefrot- 
Kelchen,  und  geblümte  ungarische 
bilden    dazu   einen    schönen  Farben- 


braunen 

Bänder 

akkord. 

Im  Frühling 
kleinen  Ladens 
märchenhaften 


bietet  das  Schaufenster  des 
in  der  Potsdamerstraße  einen 
Anblick.      Da    sieht    man    auf 


hohen  Gestellen  japanische  Bronzevasen  mit 
riesigen  Zweigen  von  Kirsch-  und  Apfelblüten. 
Die  Forsythia  überflutet  mit  ihrem  zarten  Blaß- 
gelb dunkelbraune  Bambusgefäße,  dazwischen 
stehen  in  Tonvasen  Weidenkätzchen  und  viel- 
farbige Tulpen  oder  leuchten  in  flachen  Glas- 
becken tiefblaue  Irisblüten  neben  braunen 
Schilfkolben  aus  dunkelgrünem  Moose.  Einmal 
erinnere  ich  mich  in  einem  viereckigen  Glas- 
behälter ein  Haferfeld  im  Kleinen  mit  rotem 
Mohn  und  blauen  Kornblumen  gesehen  zu 
haben,  von  so  entzückend  naturalistischer  Wir- 
kung, wie  man  es  sonst  nur  weit  außerhalb  des 
lärmenden  Straßengetriebes  zu  finden  gewohnt 
ist,  ein  Naturausschnitt,  und  doch  mit  höchstem 
Geschmack  zu  künstlerischer  Einheit  gebunden. 
Die  zur  Aufnahme  der  Blumen  bestimmten 
Gefäße  und  Körbe  sind  aufs  sorgsamste  für 
ihren  jeweiligen  Zweck  ausgewählt,  und  zwar 
begnügt  sich  die  Künstlerin  nicht   nur  mit  den 


3^7 


Franziska  Bnuk— Berlin. 


vorhandenen  Formen,  die  sie  aus  Baden, 
Thüringen,  Schlesien,  Anhalt,  aus  der  Schweiz, 
Ungarn  und  Spanien  her  bezieht,  sondern  sie 
erfindet  selbst  neue  Formen  oder  entlehnt  das 
ihr  passend  Erscheinende  von  alten  Bildern 
und  Kupferstichen,  um  es  in  irgend  einer  Ton- 
fabrik formen  zu  lassen,  wo  sie  dann  neben 
der  Drehbank  sitzt  und  den  Arbeiter  beauf- 
sichtigt. Das  gleiche  gilt  zum  Teil  von  den  in 
Berlin  und  Coburg  geflochtenen  Körben.  Letz- 
tere sucht  die  Künstlerin  auch  auf  dem  Lande 
zusammen  und  macht  sie  durch  unsichtbare 
Glas-  oder  Blecheinsätze  gebrauchsfähig  für  die 
wasserbedürftigen  Pflanzen,  immer  darauf  ach- 
tend, daß  sie  bequeme  Öffnungen  haben,  damit 
die  Blumen  nicht  ersticken,  sondern  sich  bis 
zum  Entblättern  ausleben  können. 

Die  Gerechtigkeit  erfordert  es  hervorzu- 
heben, daß  Franziska  Brück  im  Berliner  Westen 
einen  Vorgänger  hatte,  Otto  Möhrke,  dessen 
Laden  in  der  Schillstraße  die  etwas  pomphafte 
Aufschrift;  „Frische  Blumen,  Kunsthandlung" 
trug.  Seine  Schaufenster  waren  jedoch  mit 
ihren  schweren  bronzierten  Kränzen,  den  ver- 
goldeten Bändern  und  antiken  Riesen -Ton- 
krügen auf  Münchner  Einflüsse  zurückzuführen, 
auf  Festdekorationen ,  wie  sie  gelegentlich 
Gabriel  Seidl,    Lenbach   und  Stuck  geschaffen. 


Während  nun  eine  ganze  Reihe  von  Berliner 
Blumenhändlern  diesen  überkommenen  Stil 
ihrerseits  kopierte  und  durch  unverstandene 
Übertreibungen  ins  Groteske  steigerte,  strebte 
Franziska  Brück  eine  Rückkehr  zur  Natur  an, 
und  ihre  Darbietungen  bedeuten  in  der  Tat  eine 
Fortentwickelung  zur  Einfachheit  und  zur 
Schönheit  auf  Grund  eines  tiefen  Respektes 
vor  dem  natürlichen  Wuchs  der  Pflanze.  Sie 
ist,  wie  ich  schon  oben  sagte,  eine  Pfadfinderin 
und  Führerin  zu  neuen  dem  Blumenhandel  bis- 
her fremden  Zielen.  Vielleicht  wird  eine  Zeit 
kommen,  wo  das  von  ihr  Erreichte  zum  Gemein- 
gut Vieler  geworden  ist,  am  Ende  gar  als  etwas 
Selbstverständliches  vom  kaufenden  Publikum 
gefordert  wird.  Noch  sind  wir  allerdings  weit 
davon  entfernt,  und  es  gilt  vielmehr  die  Menge 
mit  hingebender  Geduld  zum  Schönen  zu  er- 
ziehen ,  ohne  ihr  Konzessionen  zu  machen. 
Dieser  dankenswerten  Aufgabe  hat  Franziska 
Brück  ihr  Leben  und  Streben  geweiht,  und 
darum  verdient  ihr  Name  als  der  einer  zielbe- 
wußten Vorkämpferin  mit  Ehren  genannt  zu 
werden.  —  m  \x  i.f,hk> 

Ä 
DAS  EMPFINDEN  FÜR  DIE  DINGE  AN  SICH,  FÜR  DIE 
WIRKLICHKEIT    IST   VON  C.RÖSSERER  WICHTIGKEIT   ALS 
DAS   EMPFINDEN   DER   MALEREU  ES   IST   FRUCHTBARER 
UND  BELEBENDER. VINZENT  VAN  GOGH. 


Kl  iRLll HEX   MIT   AGERATVM   UND  CHRYSANTHEMUM  SEGETl".M. 


E  NIELSEN.  Biosclic  mit  roten  Steinen.     F.  k.kastor-haxsen.  Gürtelschnalle.    EWALD  NIELSEN.       .Silber-Serviettenring. 


DIE  DÄNISCHE  AUSSTELLUNG. 


\  IL  Tenn  man  auf  der  Brüssler Weltausstellung 
V  V  von  ohngefähr  an  die  dänische  Ab- 
teilung geriet,  glaubte  man  sich  in  eine  Oase 
gerettet.  Man  hatte  bislang  nicht  vermutet, 
daß  Dänemark  eine  so  einheitliche  Kultur  des 
Geschmackes  aufzuweisen  habe.  Nun  begehrte 
man  davon  mehr  zu  sehen ;  und  es  war  nur 
selbstverständlich,  daß  Peter  Jessen,  der  stets 


als  ein  Erster  die  Initiative  zu  einem  neuen 
Fortschritt  ergreift,  sein  Möglichstes  tat,  die 
Dänen  zu  einer  Ausstellung  in  dem  Berliner 
Kunstgewerbemuseum  zu  verführen.  Jetzt  sind 
wir  soweit ;  eine  reichbeschickte  Revue  der 
dänischen  Künste  ist  im  großen  Lichthof  zu 
sehen.  Man  muß  sagen,  daß  der  Gesamteindruck 
nicht   mehr  ganz   so   stark   ist ,   wie   damals   in 


(;korg  JENSEN.    /iKkerschale  u.  liuclise.   ^überarbeiten  aus  der  Iianisehcn  .\usstellung     Berlin.    Kunslge^verbe-^Iu^eum. 


i99 


ANNA  SOMOFF-MIKHAILOFF     ST.  PETERSBURG. 


TÄSCHCHEN  MIT  SEIDENBÄNDCHEN-STirKEREl.        | 


4UO 


ANNA  SOMOFF- 
MIKHAILOFF- 
ST.  PF.TF.RSBURG. 
TÄSCHCHF.N  IN 
RIPSSKTDE  MIT 
SEIDENBANI) 
U.  SCHNUR- 
STICKEREI. 


WR-'     •iWk.^kJJ' 


I 


ANNA  SOMOFF- 
MIKHAILOFF- 
ST.  PETERSBURG. 
TÄSCHCHEN  IN 
SAMT  U.  SEIDE 
MIT  BÄNDCHEN- 
UND  PERLEN- 
STICKEREI. 


Die  Dänische  Ausskllung. 


Brüssel ;  anscheinend  ist  das  Land  wohl  doch 
zu  klein,  um  ein  Mannigfaches  hervorzubringen. 
Immerhin,  die  zur  Schau  gestellten  Dinge  sind 
lustig  anzusehen  und  durchaus  charakteristisch 
für  die  blonde,  blanke  Rasse  des  grünblauen 
Eilandes.  Da  sind  zunächst  die  Möbel.  Das 
köstlichste  an  ihnen  ist  die  Reinheit  der  Holz- 
wirkung, gedunkeltes  Mahagoni  spiegelt  in 
tiefem  Glanz,  blonde  Birke  leuchtet  in  großen 
Flächen.  Auch  die  Technik  in  allen  Einzel- 
heiten befriedigt  außerordentlich  durch  ihre 
Sorgfalt  und  zarte  Pflegschaft,  Der  Form  nach 
sind  die  meisten  Möbel  moderne  Variationen 
des  traditionellen  Louis  seize  und  Empire.  Vom 
Empire  ist  auch  BindesböU,  der  Pionier  der 
dänischen  Moderne,  ausgegangen.  Aber  er  hat 
mit  gleicher  Virtuosität  chinesische  und  nor- 
dische Ornamentik  genutzt.  Die  Schönheit 
dänischer    Porzellane    und    deren    Einfluß    auf 


unsere  eigenen  Manufakturen  ist  uns  wohl  be- 
kannt. Ohne  Zweifel  hat  Kopenhagen  immer 
noch  die  Meisterschaft  bei  der  Herstellung  por- 
zellanener Kleinplastik.  Die  Tiere  der  könig- 
lichen Fabrik  wurden  noch  immer  nicht  über- 
troffen. Bing  und  Gröndahl  scheinen  in  der 
letzten  Zeit  leider  ein  wenig  zurückzuhalten. 
Schon  dem  Format  nach  sind  viele  ihrer  Stücke 
zu  groß  ;  aber  auch  mit  der  Farbe  wird  oft  un- 
geschickt gearbeitet.  Recht  amüsant  sind  die 
bunten  Fayencen  der  Aluminiafabrik;  sehr  deli- 
kat ist  das  Steinzeug  nach  japanischem  Vorbild. 
Von  den  Buchbindern  hat  Anker  Kyster  längst 
europäischen  Ruhm  gewonnen.  Ganz  trefflich 
und  außerordentlich  begehrenswert  sind  die 
Arbeiten  der  Silberschmiede.  Der  weich  ge- 
hämmerte, schimmernde  Frauenschmuck,  wie 
ihn  Georg  Jensen  aus  dem  Material  empfindet, 
wird  die  Liebe  aller  gewinnen.  breuek. 


-VNNA  bOMOFF-MIKHAlLuFF      ^T.  PE  FEKSBUki- 


Uie  S)eideiili:uidchen-  iiinl  Schnurstickerei  vurstchenden  Täschchens. 


4Uj 


/    i't. --"  -_■.■■    '■'■ZI!'-     _      .      _ 

PROFESSOR  DK.  TH.  KIsCHEK     MÜNCHEN.  DER  NEUliAU  DES  RATHAUSES  IN  WORMS.    DAS  »CORNELIANUM. 


PROF.  TH.  FISCHER.       FESTSAAL  DES  »CORNELI ANUMS«   IN  WORMS.    KOHLE-ZEICHNUNGEN  VON  .\TTILIO  SACCHETTO.         || 


406 


ARCHITEKT 
JOSEF  RINGS- 
OFFENBACH A.  M. 


JUNGGESELLEN- 
WOHNHAUS 
AM  MAIN. 


ItL» 


BODENSTÄNDIGKEIT. 


Es  wird  heute  viel  von  Bodenständigkeit  in 
der  Architektur  geredet,  ohne  daß  der  Be- 
griff richtig  verstanden  wird.    Vielfach  begegnet 

man    der  Ansicht,  , , 

nach  der  diejenigen 
Neubauten  als  bo- 
denständig be- 
zeichnet werden, 
die  die  Architek- 
turformen einer 
längst  entschwun- 
denen Zeit,  die  in 
einer  Stadt  einmal 
einen  großen  Ein- 
fluß auf  die  Bau- 
tätigkeit ausgeübt 
hat  und  ihr  dadurch 
eine  besondere 
Note  aufdrückte, 
tragen.  Aus  dieser 
falschen  Ansicht  in 
Vereinigung  mit 
einer  sentimenta- 
len Schwärmerei 
wurden  vielfach 
die  Formen  jener 
Zeit     kopiert    und 


schlecht  und  recht,  wo  es  sich  machen  ließ, 
angewendet,  um  das  Stadtbild  nicht  zu  „stören". 
Dadurch   ging  natürHch   alle   Frische   verloren, 

es  mußte  zu  einer 
Verödung  führen 
und  die  Folge  da- 
von war  auch,  daß 
mit  der  Zeit ,  da 
allmählich  die  mei- 
sten alten  Bauten 
neuen  weichen 
mußten,  nur  noch 
ein  jämmerlich 

schwacher  Schat- 
ten einer  früheren 
kraftvollen  Stil- 
periode übrigblieb. 
Die  Architektur 
war  nur  noch  „Fas- 
sade". Sie  ver- 
flachte gänzlich  u. 
hatte  keinen  Zu- 
sammenhang mehr 
mit  dem  Organis- 
mus des  Baues,  der 
sich  mittlerweile 
im    Programm    ge- 


1 

nnuir^/^utm» 

PH 

i 

JL'NGGESELLEN-WOHNHAUS   AM  M.\IN 


4ü- 


Boc/ensfävdigkeit. 


ARCHITEK  T        ^^    -,  ' 
JOS.  RINGS- 
OKFENBACH. 


BF.AMTEN- 
DOPPELHAU.s 
IN  DÜSSELDORF. 


ändert  hatte.  Heute  liegt  die  Sache 
anders.  —  Die  Lebensbedürfnisse  und 
Gewohnheiten  stellen  das  Baupro- 
granim  und  diesem  sowie  der  moder- 
nen Konstruktion  hat  sich  die  Archi- 
tektur unterzuordnen  und  sich  gleich- 
zeitig mit  künstlerischen  Rücksichten 
und  großzügiger  Komposition  in  die 
vorhandene  Situation  einzufügen.  — 
Bodenständig  heißt;  sich  den  klima- 
tischen Verhältnissen  einer  Gegend 
in  Konstruktion  und  Form  anschlie- 
ßen- Bodenständig  sind  Bauten  über- 
all da,  wo  sie  diese  Bedingung  erfül- 
len ,  ihrem  Programm  in  sachlicher 
Weise  entsprechen  und  dies  im  Äuße- 
ren in  klarer  Form  zum  Ausdruck 
bringen,  so  wie  es  das  Bestreben  jeder 
baukünstlerisch  hochstehenden  Zeit 
gewesen  ist.  —  Unter  Zugrundelegung 
dieser  Gesichtspunkte  und  Berück- 
sichtigung der  erworbenen  hygieni- 
schen und  sozialen  Werte  frei  von  aller 
Romantik  und  Phrase  werden  wieder 
gute  Wohnhäuser  erstehen  können. 


ARCH.  JOS.  RINGS. 


Sommerhaus  am  Xiederrhein 


ARCHITEKT 
JOSEF  RINGS- 
OFFENBACH 
A.  MAIN. 


KOLUMk 
\VKIÜHNHAUM-;N- 
MARlUKr.    A.   I  . 


KLEINE  KUNST-NACHRICHTEN. 

lAMAR    Hill. 


HERRMANN  DERNBURÜ.  Wohl  kann  nicht 
gezweifelt  werden  an  dem  Steigen  des  Ni- 
veaus für  alle  künstlerische  Produktion;  dennoch 
verdient  es  Aufmerksamkeit,  dafj  solche  Entwick- 
lung zur  Höhe  auch  an  der  Architektur  der  Ciro|5- 
stadt  nicht  vorübergeht.  Dies  Produktionsgebiet 
ist  so  arg  verklausuliert,  daß  es  schon  starker 
Persönlichkeiten,  so  der  Auftraggeber  wie  der  Aus- 
führenden, bedarf,  um  das  Notwendige  über  das 
Modische  hinaus  zu  einer  wirklich  starken  und 
schönen  Form  zu  führen.  Wir  dürfen  dankbar  sein 
dafür,  daß  unter  den  Architekten  Berlins  solche 
Persönlichkeiten  erstanden.  Deren  eine,  die  in  den 
letjten  Jahren  sich  immer  beachtenswerter  entfaltet, 
ist  Herrmann  Dernburg.  1010  hat  er  drei  respek- 
table Werke  fertig  gestellt.  Im  vorderen  Westen 
schuf  er  ein  großes  Geschäftshaus;  er  fand  sehr 
geschickt  einen  iJbergangstypus,  wie  er  sich  für 
diese,  von  stillen  Wohnvierteln  umbaute  Oeschäfts- 
straße  schid<t.  Es  ist  ein  Eckhaus;  diese  Funktion 
wurde  ohne  eigentliche  Ecklösung,  ohne  den  auf- 
dringlichen und  törichten  Eckturm  sicher  gestaltet. 
Eine  andere  Arbeit  war  das  Charlottenburger  Ju- 
gendheim; es  steht  eingebaut  zwischen  den  üblichen 
Mietshäusern  dieser  schnell  hochgekommenen  Ge- 
gend für  Wohlhabende.  Dernburg  gab  der  Fassade 
einen  strengen,  klassizistischen  Ausdruck.  Die 
eigentliche  Schwierigkeit  der  Aufgabe  aber  lag  in 
der  Unterbringung  einer  Fülle  der  verschiedenartig- 
sten Räumlichkeiten.  Da  waren  Unterrichtssäle, 
Spielzimmer,  eine  Krippe  für  die  Säuglinge,  ein 
Heim  für  Erwachsene,  da  waren  Zentralküchen,  große 
Wirtschaftsräume,  Wohnungen  für  die  Lehrerinnen, 
Dachgärten,  da  war  ein  großer  Saal  zu  disponieren. 
Das  alles  ist  gut  gelungen;  man  ist  über  den  In- 
halt des  Hauses  nicht  wenig  erstaunt.  Nicht  recht 
glücklich  ist  die  Wandmalerei  im  großen  Saal  und 
im  Treppenhaus;  diese  ponipejanische  Manier  ist 
nüchtern  und  ohne  Beziehungen  zu  den  Bewohnern. 
Dernburgs  wertvollste  Leistung  im  vergangenen 
Jahr  aber  war  der  neue  Eis-  und  Sportpalast. 
Gegen  das  Monstrum,  das  uns  vor  etlicher  Zeit 
beschieden  wurde,  bedeutet  er  geradezu  eine  Er- 
lösung. Ein  Eispalast  ist  eine  spezifisch  groß- 
städtische Bauaufgabe;  großen  Massen  soll  ein 
Gehäus  und  zugleich  ein  Rahmen  geschaffen  wer- 
den. Es  gilt,  mächtige  Spannungen  in  Eisen,  Glas 
und  Beton  zu  bauen.  Die  Wände  müssen  weit 
ausladen  (die  Grundform  der  Eisfläche  ist  hier  ein 
langes  Oval);  die  Decke  muß  sich  leicht  und  frei 
wölben.  Nichts  darf  lasten.  Damit  den  in  Kurven 
Dahinfliegenden  die  Architektur  nicht  ein  Hemmnis, 


vielmehr  ein  frischer  Luftzug,  eine  unbewußte  Stäh- 
lung, ein  Temperament,  werde.  Dernburgs  Hallen- 
bau hat  solchen  praktischen  und  ästhetischen  Forde- 
rungen eine  wirksame  und  allversländliche  Form  ge- 
funden. Sehr  geschickt  ist  die  Disposition  der  drei 
übereinander  liegenden,  sich  nach  oben  verjüngen- 
den und  in  sich  wieder  abgestuften  Galerien;  der 
erste  Absaß  liegt  dicht  über  dem  Eisspiegel.  Die 
Wirkung  dieser,  das  blanke  Oval  umfassenden  Ringe 
wird  gehoben  durch  einen  amüsanten  Beleuchtungs- 
effekt; auf  den  gereihten  Tischen  stehen  Lampen, 
deren  Schirme,  konzentrisch  geordnet,  rot,  gelb 
und  grün  leuchten.  Der  Effekt  ist  besonders  bei 
einer  Verdunkelung  der  Halle  sensationell  (wie 
sich  das  für  großstädtischen  Sport  gebührt),  aber 
auch  architektonisch.  Zu  beanstanden  bleibt  auch 
hier  eigentlich  nur  die  wiederum  pompejanisch 
infizierte  Dekorationsmalerei.  br. 

DARMSTADT.  Die  Wiener  Werk  stalte, 
deren  Arbeiten  nach  den  Entwürfen  der  Pro- 
fessoren Jos.  Hofmann,  Koloman  Moser, 
C.  O.  Czeschka  und  anderer  bedeutender  Künst- 
ler seit  Jahren  allein  in  der  „Deutschen  Kunst 
und  Dekoration"  veröffentlicht  worden  sind,  hat  unter 
der  Direktion  des  Herrn  Gustav  St  ade- Darm- 
stadt für  Deutschland  eine  besondere  Gesellschaft 
m.  b.  H.  gegründet.  Herr  Stade  ist  einer  der  ersten 
Industriellen,  die  mit  Überzeugung  für  die  Arbeiten 
moderner  Künstler  eintraten  und  es  ist  zu  erwarten, 
daß  unter  seiner  F'ührung  die  Wiener  Werkstätte 
in  Deutschland  sehr  an  Boden  gewinnt.  Für  Berlin 
hat  Wertheim  den  Alleinverkauf  übernommen; 
eine  Reihe  interessanter  Ausstellungen  ist  geplant, 
deren  erste  bereits  in  Kürze   eröffnet  werden  soll. 

WORMS.  Am  15.  Dezember  IQIO  wurde  das 
neue  Rathaus  mit  dem  „Cornelianum", 
eine  Stiftung  des  Freiherrn  Cornelius  von  Heyl  und 
seiner  Gemahlin,  eingeweiht.  Der  Architekt,  Pro- 
fessor Theodor  Fischer-München,  hat  seine 
Aufgabe  in  meisterhafter  und  im  wahren  Sinne 
schöpferischer  Art  gelöst.  Der  Rathausbau  enthält 
die  eigentlichen  Geschäfts-  und  Verwaltungsräume, 
während  das  „Cornelianum"  Raum  bietet  für  die 
ideellen  und  repräsentativen  Aufgaben  der  Stadt- 
verwaltung. Für  künstlerische  und  wissenschaft- 
liche Veranstaltungen,  für  Vorträge,  Ausstellungen, 
Konzerte,  die  zur  Hebung  der  Volksbildung  oder 
des  städtischen  Verkehrs  unternommen  werden,  für 
Festlichkeiten,  Versammlungen  und  Kongresse  soll 
das  „Cornelianum"  die  lang  ersehnte  Heimstätte  sein. 


.|I(i 


Kleine  Kwnt-N^achiichten . 


^^^^^fcif  nhftVrKf  lir  iV^  T>iflfs 

T^i^^^^'KiJbfrt  KaIi  icuif  cnf' 

yc.  v'>r -nlius  KTortm'tliiht  lurrf  oob 
'-          im!fljnl'\Vi\iiiiin:vitigfn 
PiTiiu^aHw  >fr  ^rurffhrn  in/ 
)i)iniuhm  IPptlvtii'ilirift-iV? 
v:  -■-i-^^Liraiin!'  ni&fniKiiihiPiihri'ii^ 
^>"'-X''^  iVf  IfDfm  bfiiVn  lalirjf hiitc 
'^^^'-■'2- ^^ m^ürrti fnnrr  Jlrt'filfn iw- 

?^::V->"-;  cVfTi  Kpftf  narh  ihm  tfronnf 

:-  -  Jjv     ■--,-  :,,  ,,-■   ;;i:<-  Nxwxxxv^ 

i 

UASüOLUtSE   BUCH   DER   ROBERT    KOCH-SIIH  UNti.      tNiWLRt   UND   KAULIGKAFHIE  JOH  ANN   HOLIZ BERLIN.      EiNBANU  BRl  Nli 


BERLIN.  Im  König).  Institut  für  Infektionskrank- 
heiten ist  fiir  Robert  Koch,  den  Begründer 
find  ersten  Leiter  des  Instituts,  eine  Qedächt- 
nishalle  geschaffen  und  kürzlich  eingeweiht 
worden.  Hinler  dem  marmornen  Reliefbildnis  des 
großen  Gelehrten  ruht  in  bronzener  Urne  seine 
Asche.  In  dieser  Halle  ist  neben  anderem  auch 
das  Goldene  Buch  der  Robert  Koch-Stif- 
tung aufgestellt  worden.  Diese,  der  Bekämpfung 
der  Tuberkulose  dienende  Stiftung  wurde  1908  be- 
gründet bei  der  Wiederkehr  des  Tages,  an  dem 
\or  25  Jahren  Robert  Koch  seine  Entdeckung 
des  Tuberkelbazillüs  veröffentlicht  hatte.  Das  jet^t 
vollendete  Goldene  Buch  enthält 
die  Chronik  und  das  Statut  der  ^M*^^^^^^ 
Stiftung  und  die  Tabula  der 
Donatoren,  die  10000  Mark  und 
darüber  für  die  Stiftung  gespen- 
det haben.  DasBuch  ist  daswohl- 
gelungene  Werk  eines  jungen 
Künstlers,  Johann  Holt),  der 
mit  dieser  Arbeit  zum  ersten 
Male  an  die  Öffentlichkeit  tritt. 
Er  ist  zur  Zeit  Schüler  Emil 
Doeplers  an  der  Unterrichts- 
anslalt  des  Berliner  Kunstge- 
werbe -  Museums.  -  Der  Ein- 
band des  Goldenen  Buches  aus 
hellbraunem  Maroquin  ist  nach 
dem  Entwurf  des  Künstlers  \on 
Bruno  Scheer  in  Berlin  in  rei- 
cher exakter  Handvergoldung 
verziert  worden  mit  Einzelstem- 
peln, die  eigens  dafür  geschnitten      J 


wurden.  Das  blanke  Gold  der  Ranken  und  Blumen 
und  die  eingestreuten  kleinen  blindgedruckten  Punkte 
geben  mit  der  grün  patinierten  Bronzeplakette  des 
Bildhauers  Max  Ziegler  in  Hamburg  auf  dem 
gelbbraunen  Grunde  des  narbigen  Leders  einen 
feinen  Farbenakkord. 

Der  ganze  Text  der  Chronik  und  des  Statuts 
der  Stiftung  ist  von  Holt)  kalligraphisch  geschrie- 
ben, die  Eingangsseiten  reich  umrahmt  mit  golde- 
nen Ranken,  bunten  Blumen  und  Initialen,  die  fol- 
genden Textseiten  in  schlichter,  aber  künstlerisch 
angeordneter  Schrift.  —  Den  Texlseiten  folgen  in 
langer  Reihe  die  Blätter  der  Donatoren  mit  ihren 
eigenhändigen  Unterschriften, 
vom  Künstler  mit  Wappen  und 
ornamentalen  Leisten  in  farbiger 
Malerei  geschmückt.  .Ms  erster 
der  Donatoren  hat  sich  der  Kaiser 
eingetragen,  der  für  die  Stiftung 
100  000  Mark  bewilligte.  Dann 
folgen  Carnegie,  der  eine  halbe 
Million  spendete,  Frau  Anna  vom 
Rath,  die  Stadt  Berlin,  Graf 
Henckel  von  Donnersmarck,  der 
Hamburgische  Staat,  Krupp  von 
Bohlen-Halbach,  die  Stadt  Bre- 
men und  andere  Privatmänner 
und  deutsche  Städte,  denen  die 
Stiftung  größere  Zuwendungen 
verdankt.  -  Das  ganze  Buch  prä- 
sentiert sich  als  ein  Weik  von 
vorbildlicher  .Ausführung,  das  die 
Anerkennung,  die  es  gefunden 
hat,  vollauf  verdient,    j  i.oubier. 


411 


Kieme  Kunst -Nachfichten. 


SOHLE 
STEH 


.ESWIO-HOL- 
I  STEIN.  Der  Direktor 
des  Kunstgewerbemuse- 
ums der  Stadt  Flensburg, 
Dr.  Ernst  Sauermann,  hat 
einen  Kunstkalender  her- 
ausgegeben. Damit  soll 
den  Künsten  Schleswig- 
Holsteins  so  etwas  wie 
eine  Plattform  bereitet 
werden;  sie  wollen  sich 
einmal  im  Zusammen- 
hang dem  übrigen 
Deutschland  vorstellen. 
Darum  hat  sich  mit  die- 
sem Kalender  auch  nicht 
so  sehr  der  Rezensent 
als  der  Chronist  zu  be- 
fassen; er  ist  weniger  ein 
Buch  als  ein  Vorgang.  In 
derTat,  wir  haben  Schles- 
wig- Holstein  immer  ein 
wenig  stiefmütterlich  be- 
handelt,  und  Mumme 
Nissen  tut  recht  daran, 
uns  in  einem  vortrefflich 
orientierten  .Artikel  eine 
Liste  derSchleswig-Hol- 
steiner  zu  geben,  die 
auf  Deutschlands  Kunst- 
entwicklung nicht  ohne 
Einflufi  blieben.  Wir  ha- 
ben kaum  je  daran  gedacht,  daf;  Semper,  Hebbel, 
Langbehn,  der  Rembrandt-Deutsche,  daf;  A.J.Car- 
stens und  Louis  Qjrlitt,  den  wir  eben  wieder  entdeck- 
ten, dem  grünen  Nebeleiland  gehören.  Gegenwärtiger 
ist  uns  schon,  daf;  Kallmorgen,  Dettmann,  Olde, 
Mohrbutter,    Rohlfs,    Alberts    und    der   böse  Noide 


HERTH.VKiiENItl-WOERNER.    S' 
ausi-lhrung:  werkstatte 


aus  Nordelbien  gekom- 
men sind.  Wir  kapitu- 
lieren also  und  sagen: 
eine  Provinz,  der  wir  so- 
lide,charakterfeste,  steif- 
nackige Exportware  ver- 
danken. Wir  können  aber 
doch  nicht  verschweigen, 
(laf;eigentlichSchleswig- 
Holstein,so  einst  wie  heu- 
te, weniger  Produktions- 
land als  Durchgangsge- 
biet zu  heißen  ist.  Die 
Schleswig  -  Holsteiner 
sind  Sammler,  sie  sind 
Kolonisten  aus  Däne- 
mark, Holland,  England, 
Süddeutschland,  selbst 
aus  Asien  ;  sie  sind 
Enkel  mit  der  Lebens- 
art von  Oroj^vätern.  Sie 
waren  stets  trotjige  Ge- 
sellen; dafür  zeugen  am 
besten  ihre  meisterlichen 
Schnitjer,  ihre  kargen 
Beiderwand  -Webereien. 
Aus  solchen  Symptomen 
läfit  sich  wohl  erwarten, 
da(3  diese  nördliche  Ras- 
se auch  künftighin  der 
deutschen  Kunstentwidt- 
lung  einen  gesunden  Ein- 
schlag liefern  wird.  Auch  dürfen  wir  hoffen,  daß, 
wenn  einst  für  Lübeck  die  Entdecker  kommen  (wie 
Lichtwark  und  Brinckmann  über  Hamburg  kamen), 
unserer  Kunstgeschichte  ein  schönes  Kapitel  sich 
einfügt.  Als  einen  Helfer  hierzu  bewillkommnen 
wir  Sauermanns  Kunstkalender.   —  ureuer. 


rANDUHR  IN  PALISANDERHOLZ, 

ÜlEliLlR  A   MOLL— FBEIBUBG. 


MKHTHA  KOKNK;- 

WOHKNl-K- 

LKEIBt'KG    I.    B. 


SCHKKIHZEUG  IN 
GRi'NER  FAYENCE. 
AUSFÜHRUNG: 
OFENFABRIK- 
NVMPHENBL'KG. 


PROF.  AD.  HENGELER     MÜNCHEN. 
GEMÄLDE:   '-PUTTE  MIT  PRIMELN. 


l'ROFESSOR  AIiOLF  HENGELER. 


Heilige  Xacht  .    l'inakuthek. 


ADOLF  HENGELER-MÜNCHEN. 


VON  WILHELM  MICHEL— MÜNCHEN. 


ES  gibt  in  der  Welt  der  Kunst  Fälle,  in  denen 
der  Name  eines  Mannes  bekannter  ist  als 
seine  Persönlichkeit.  Das  will  sagen,  daß  Ruhm 
und  Ruf  sich  häufig  an  vereinzelte  glänzende 
Leistungen  knüpfen  und  den  Namen  des  Schöp- 
fers groß  machen,  wobei  aber  zugleich  die  wich- 
tigeren, die  verbindenden  Teile  der  Persönlich- 
keit im  Dunkel  bleiben. 

Viereinhalb  Tausend  Zeichnungen  für  die 
„Fliegenden  Blätter"  haben  Adolf  Hengelers 
Namen  gewiß  populär  gemacht.  In  den  Aus- 
stellungen, vorab  der  Sezession,  in  Kunsthand- 
lungen und  Privatgalerien  tändeln  und  lachen 
seine  Putten,  wandeln  seine  Liebespaare.  Seine 
Ausstattungen  des  „Wolkenkuckucksheini"  und 
des  „Kaufmann  von  Venedig"  haben  die  Kenner 
und  das  Publikum  des  Künstlertheaters  ent- 
zückt.   Und  trotz  alledem  scheint  es  mir,  als 


sei  die  Persönlichkeit  Hengelers  heute  noch  vor 
der  Öffentlichkeit  apokryph,  der  Gesamtumfang 
seines  Schaffens  noch  unbekannt. 

Freilich,  die  Publizität  einer  künstlerischen 
Persönlichkeit  ist  ja  vielleicht  ein  sehr  zweifel- 
haftes Glück.  In  der  Stille  reift  Größeres  als 
im  Lärm,  und  wer  nicht  öffentlich  diskutiert 
wird,  entgeht  wohl  auch  mancher  Trübung,  die 
den  bedroht,  der  in  der  Arena  steht.  Aber  die 
Dinge  liegen  einmal  so,  daß  die  Menschheit 
meint,  durch  Diskussion  und  Publizität  einem 
Künstler  ihre  Anerkennung  zu  verdeutlichen. 
Und  deshalb  liegt  es  selbst  für  den,  der  in 
dieser  Öffentlichkeit  ein  Danaergeschenk  er- 
blickt, nahe,  in  manchen  Fällen  zu  fragen: 
Warum  gerade  dieser?  Warum  nicht  auch  jener, 
der  die  größten  Anforderungen  vor  sich  auf- 
türmte und  ihnen  in  zäher  Arbeit  genügte  ? 


19U.  VI.  1. 


415 


IVil/ichii  3TicIicI   Jlfinic/irii . 


PROl-E^SOK  ADOLF  HENGEUER. 


Jedenfalls  haben  mich  solche  Gedanken  be- 
wegt, als  ich  die  Gelegenheit,  oder  ich  sage 
lieber:  das  Glück  hatte,  an  der  Hand  umfang- 
reichen Materials  einen  Blick  in  Hengelers 
Schaffen  zu  tun.  Es  war  nicht  anders,  als  wenn 
mir  ein  in  langer  Stille  gereifter  Künstler  über- 
raschend vor  Augen  träte.  Keine  „Hoffnungen", 
keine  „Versprechungen",  lauter  vollwertige, 
geleistete  Arbeil  mit  allen  Kennzeichen  des 
Sieges  und  der  Überwindung.  Lauter  gemünz- 
tes   Gold,    befreit    von    allen    Schlacken    und 


Il6 


iTalerie  Heinemann. 


klingend  von  innerer  Reinheit.  Nirgends  ein 
unehrlicher,  voreiliger  Friedensschluß  mit  den 
inneren  und  äußeren  Problemen,  sondern  lauter 
durchgefochtene  Waffengänge  von  der  höchsten 
Klarheit  der  Ergebnisse.  Der  Eindruck  dieser 
Reinheit  gilt,  das  macht  ihn  erst  wertvoll,  von 
allenErscheinungsformen  undÄußerungen  seines 
Wesens.  Er  gilt  von  seinen  Farben,  die  in 
dichterischer  Schönheit  zusammenklingen,  er 
gilt  von  seiner  Komposition,  die  die  Linien  der 
Wirklichkeit  sinnvoll  steigert  und  rhythmisiert, 


Adolf  Heiigeler- München. 


er  gilt  insbesondere  auch  von  seiner  geistigen 
Persönlichkeit,  die,  selbst  kernhaft  und  tüchtig, 
das  Wahre  im  Leben  und  in  der  Kunst  uner- 
müdlich gesucht  hat.  Wenn  es  zutrifft,  daß  das 
auszeichnende  Merkmal  des  Deutschen  in  seinem 
Sinn  für  das  Wesentliche,  für  das  Wahre  und 
Stichhaltige  liegt,  dann  hat  Adolf  Hengeler  den 
Ehrennamen  eines  in  prägnantem  Sinne  deut- 
schen Künstlers  vollauf  verdient.  Es  ist  reine, 
klare  Luft  um  ihn,  wie  man  sie  in  der  Um- 
gebung aller  derjenigen  atmet,  die  unter  Ein- 
setzung ihrer  ganzen  Kraft  Anschluß  an  das 
Ewige  und  Wesentliche  der  Welt  suchen.  Für 
uns  alle,  die  wir  irgendwie  schöpferisch  tätig 
sind,   gilt   es   in   erster  Linie,    den   Punkt   zu 


finden,  in  dem  sich  unser  subjektiv  Not- 
wendiges und  Wahres  mit  dem  objektiv  und 
gesetzmäßig  Wahren  verbindet.  Für  jeden  liegt 
dieser  Punkt  an  einer  anderen  Stelle,  jeder 
muß  seinen  eigenen  Weg  gehen,  um  ihn  zu  er- 
reichen. Hengeler  hat  ihn  für  sich  gefunden. 
Die  innere  Klarheit  und  Echtheit  seines  Wesens 
hat  er  mit  Kraft  und  unter  redlichem  Ringen 
mit  dem  Objekt,  das  sich  gerade  dem  Maler  mit 
so  überwältigender  Fühlbarkeit  in  den  Weg 
wirft,  aus  sich  herausgestellt.  Und  dieses  Ge- 
fühl ist  es,  das  wenigstens  mein  Verhältnis  zu 
seiner  Kunst  vor  allen  andern  bestimmt. 

Es  ist  bekannt,  daß  sich  heute  das  Ringen 
vieler  Künstler  an  jenen  Problemen  der  Palette 


l'KOFESSOR  ADOLF  HENGELER. 


Gemälde:     Frühling«.    Privatbesitz. 


417 


Wilhehn  Mic//ei-  Mwic/ich 


<i  : 


ADOLK  HENGELER     MÜNCHEN 


erschöpft,  in  denen  ein  weitverbreiteter  und 
tiefgewurzelter  Doktrinarismus  die  Hauptpro- 
bleme der  gesamten  modernen  Malerei  erblickt. 
Hengeler  hat  sich  sein  Ziel  höher  gesteckt.  Ab- 
seits von  den  Wegen  der  Impressionisten  ist  er 
einem  Ideal  der  Bildform  nachgegangen,  das 
sogar  als  Ideal  der  Gegenwart  völlig  abhanden 
gekommen  ist.  Der  Impressionismus  steht  in 
allen  seinen  Schattierungen,  selbst  denjenigen, 
die  die  Subjektivität  des  Ausdrucks  bis  zum 
Schrullenhaften  getrieben  haben,  unter  der  Herr- 
schaft des  Natureindruckes.  Die  kecke,  gewagte 
Notiz  gilt  alles,  die  möglichst  knappe  und  un- 
verarbeitete Niederschrift  des  Naturlauts  mit 
all  seinem  Stammeln,  sogar  mit  seinen  Roheiten. 
Hengeler  aber  hat,  nicht  aus  Doktrinarismus, 
nicht  auf  Grund  rein  theoretischer  Erwägungen, 
den  Natureindruck  stets  nur  als  den  Rohstoff 


418 


betrachtet,  dem  erst  durch  energische  und  liebe- 
volle Arbeit  die  Vis  superba  Forniae,  die  stolze 
Kraft  der  Form,  zu  entreißen  ist.  Davon  zeugen 
alle  seine  Werke  mit  ihrer  idealistischen  Stei- 
gerung und  Harmonisierung  der  Farben  und 
ihrem  tiefen  Linienwohllaut,  davon  zeugt  vor 
allem  die  große  Anzahl  jener  Landschaften,  die 
Hengeler  seine  „Studien"  nennt.  Gerade  sie, 
die  zunächst  nichts  sein  w  o  1 1  e  n  als  getreue,  den 
Ausdruck  fördernde  Niederschriften  der  Natur- 
eindrücke, gerade  sie  beweisen,  wie  tief  die 
formenden,  wählenden,  steigernden  Kräfte  in 
des  Künstlers  Wesen  liegen.  Ohne  seinen  Wil- 
len wird  jede  Studie  zum  Bilde.  Gleichsam  un- 
bewußt löst  er  hier  schon  alle  Dissonanzen  auf. 
Schon  seiner  bloßen  Anschauung  der  Natur- 
dinge liegt  ein  triebhaftes  Streben  nach  Um- 
setzung, liegt  eine  Fülle  echt  dichterischer  Phan- 


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Adolf  Henzckr  Minichcn. 


PROFESSOR  ADOLF  HENGELER. 


tasie  zu  Grunde.  Noch  ehe  er  den  Pinsel  zur 
Hand  nimmt,  um  „die  Natur  abzuschreiben", 
ist  diese  Abschrift  schon  unmöglich  gemacht, 
weil  in  seinem  Innern  die  Verarbeitung ,  die 
Steigerung  schon  stattgefunden  hat.  Hengeler 
ist  Idealist  von  Instinkt,  wie  alle  Menschen 
von  ungewöhnlicher  und  ungebrochenerVitalität. 
Ich  sehe  da  unter  diesen  Landschaften,  die 
die  Öffentlichkeit  nicht  kennt,  Schöpfungen,  die 
in  ihrer  Kraft  und  Fülle  des  Naturgefühls  guten 
Constables  an  die  Seite  zu  setzen  sind.  Ich 
sehe  holländische  Impressionen,  deren  kolo- 
ristische Enträtselung  der  Geländeformen  den 
Feinschmecker  stundenlang  beschäftigen  könn- 


Gemälde:  »Sonntag«.    Privatbesitz. 


ten.  Und  immer  sind  sie  mehr  als  Impression, 
immer  ist  in  ihnen  die  Liebe  der  Gestaltung, 
die  tiefe,  fromme  Herzlichkeit  des  Gefühls,  die 
ihnen  eine  Bedeutung  weit  über  den  Moment 
hinaus  gibt.  Gewiß,  das  heute  so  geschmähte 
Braun  spielt  bei  ihrer  tonigen  Bindung  eine 
große  Rolle  ;  auch  zerreißt  kein  grimmiger  Affekt 
den  Pinselstrich,  der  ruhig  aus  klarer  Intuition 
fließt.  Aber  kann  man  nicht  auch  auf  solche 
Weise  von  der  Herrlichkeit  der  Erde  singen? 
Es  kommt  doch  wohl  nur  darauf  an,  daß  das 
zunächst  Subjektive,  das  Singen  und  Klingen 
in  der  Seele,  objektiv  werde,  ohne  Lüge,  ohne 
Falschheit,  auf  die  nächstliegende  und  notwen- 


421 


Wilhelm  Michel  Miuhhoi : 


l'RUKESSOR   ADOLF  HENGELER     MÜNCHEN. 


dige  Art.  Das  ist  in  diesen  Landschaften  ge- 
schehen. Ist  Braun  etwa  ein  Gegenindizium 
gegen  Echtheit  des  Gefühls?  Zunächst  doch 
wohl  nicht.  Nur  die  Lüge  ist  zu  scheuen,  und 
lügen  kann  man  auf  jede  Art,  insbesondere 
auch  auf  jene,  die  vielen  als  die  ausschließlich 
moderne  gilt.    Ich  für  mein  Teil  muß  bekennen, 


»Mai«,    l'leischmanu'sche  Hofkunsthandlung. 

ich  sehe  neben  den  Meisterwerken  eines  Van 
Gogh  lieber  ein  Werk  von  Hengeler,  als  eins 
der  vielen,  die  dem  französischen  Meister  nur 
das  Äußerlichste  seiner  Phraseologie  entlehnt 
haben.    Die  Echten  begegnen  sich  überall. 

Das,  was  ich  Hengelers  „instinktiven  Idea- 
lismus" genannt  habe,  hängt  mit  den  poetischen 


422 


Adolf  Hcnockr-Münclioi. 


PROFESSOR  ADOLF  HENGELER. 


Elementen  seiner  ganzen  Weltanschauung  aufs 
engste  zusammen.  Sie  äußern  sich  besonders 
lebhaft  in  seiner  triebhaften  Neigung  zum  Er- 
zählen. Erzählen  will  er  immer,  mitteilen, 
aufrollen.  Diese  Neigung  hat  ihn  zunächst  zum 
Illustrator  gemacht.  Sie  hat  ihn  auch  in  seiner 
Malerei  immer  dazu  getrieben,  das,  was  er  in 
der  Landschaft  empfand,  möglichst  deutlich, 
möglichst  artikuliert  und  faßlich  auszusprechen. 
Schon  die  Ausschnitte,  die  er  sich  für  die  er- 
wähnten „Studien"  gewählt  hat,  sind  voll 
sprechender  Linien,  und  soweit  man  durch  die 
farbige  Analyse  der  Naturerscheinung  er- 
zählen kann,  hat  er  es  hier  getan.  Man  liest 
sie  wie  Lieder  ab,  die  innerlich  von  schönen 
Reimen  klingen,  denn  nicht  nur  das  Auge  und 
der  Pinsel,  sondern  auch  —  ich  bitte  um  Ver- 
zeihung für  das  mißliebige  Wort  —  das  Gemüt 
ist  an  ihnen  hervorragend  beteiligt.  Daß  man 
in  seinen  Gemälden  so  oft  den  scherzenden 
Putten,  den  liebreich  umschlungenen  Menschen- 


Gemälde:  >An  der  Quelle«.   Privatbesitz. 

paaren  begegnet,  hat  nur  in  dieser  dichterischen 
Neigung  nach  Verdeutlichung  der  landschaft- 
lichen Stimmungswerte  seinen  Grund.  In  ganz 
frühen  Zeiten  gaben  die  Maler  ihren  Figuren 
Spruchbänder,  die  ihnen  aus  dem  Munde  gingen 
und  auf  denen  Worte  verzeichnet  waren.  Die 
Putten  auf  Hengelers  Bildern  spielen  für  die 
Landschaft  gewissermaßen  dieselbe  Rolle  wie 
diese  Spruchbänder  für  die  Figuren.  Sie  wollen 
deutlicher  als  es  Bäume,  Wiesen  und  Winde 
vermögen,  von  der  Schönheit  des  Frühlings, 
von  der  Lieblichkeit  begrünter  Auen  reden. 
Sie  wollen  das  ausdrücken,  was  dem  Pinsel 
entgeht  und  was  doch  mit  dem  Gefühle  „Früh- 
ling" so  eng  verbunden  ist:  Das  Kosen  der 
weichen  Winde,  die  Rührung  in  des  Menschen 
Brust,  ihre  stummen  Dankbarkeitsgefühle. 

Auf  der  anderen  Seite  sind  freilich  gerade 
diese  liebenswürdigen  Putten  daran  schuld,  daß 
die  Öffentlichkeit  von  dem  Maler  Hengeler 
einen  ganz  unzureichenden  Begriff  gewonnen 


423 


Adoll  Hcngelcr 


Jlfinicln 


')!. 


ADOI.K  HENGELER  MÜNCHEN. 

hat.  Wenn  diese  Zeilen  etwas  dazu  beitragen 
könnten,  die  Fabel  von  dem  Puttenmaler  Henge- 
1er  in  ihrer  Geltung  zu  erschüttern,  so  hätte  ich 
daran  eine  aufrichtige  Freude.  Viel  zu  wenig 
bekannt  sind  auch  Hengelers  ländliche  Fassa- 
dennialereien,  die  er  auf  Anregung  seines 
Freundes  Emanuel  von  Seid!  mit  diesem  ge- 
meinschaftlich in  oberbayrischen  Orten  durch- 
geführt hat.  Hengelers  angeborener  Sinn  für 
Humor  und  ein  lebhaftes  Gefühl  für  die  Eigen- 
art ländlicher  Kunstübung  haben  ihn  zu  solcher 
Arbeit  eminent  befähigt.  Seine  Fülle  an  illustra- 
tiven Ideen  läßt  ihn  in  diesen  Fassadenmale- 
reien für  die  architektonische  Einteilung  immer 


üemälde:  »Am  Clüemsee«.    PrivatbesiU. 

einen  neuen,  fesselnden  Sinn  finden.  Man  ge- 
winnt, wenn  man  die  Entwürfe  sieht,  den  deut- 
lichen Eindruck,  daß  sich  gerade  aus  unseren 
oberbayrischen  Dörfern  wahre  Schmuckstücke 
gestalten  ließen,  wenn  hauptstädtische  Künst- 
ler dem  dörflichen  Kollegen  in  Hengelers 
Weise  Anregung  geben  wollten. 

Ein  Kunstgebiet,  das  meiner  Meinung  nach 
von  Hengeler  noch  manches  Schöne  zu  erwar- 
ten hat,  ist  das  Bildnis.  Seine  Neigung  zum 
Erzählen,  sein  Streben  nach  Steigerung  und 
Zusammenfassung  der  diffusen  Momente  be- 
deuten zwei  gute  Bürgschaften  für  eine  wahr- 
haft porträtistische  Auffassung  des  Bildnisses. 


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III I 


424 


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SCHÖNE,  SPOTTBILLIGE  ALTE  SACHEN. 


Wenn  ab  und  zu  ein  Antiquitätenmacher 
zu  ungeschickt  war,  so  daß  er  ertappt 
werden  mußte,  sind  alle  Zeitungsspalten  voll  von 
den  Tricks ,  denen  die  Sammelfanatiker  zum 
Opfer  fallen.  Mit  Ergötzen  zucken  wir  die  Ach- 
seln über  die  dummen  Yankees,  die  sich  mit 
Wonne  reinlegen  lassen.  Und  wir,  wir  neunmal 
Weisen.  Wie  die  Maus  die  geschickte  Falle 
umschwärmen  bei  uns  die  hohen  und  anderen 
Herrschaften  alle  erdenkbaren  Trödelbuden. 
Jeder  hat  irgend  eine  andere  „Quelle",  wo  er 
für  ein  Butterbrot  fabelhafte  Sachen  hamstert. 
Unsere  Antiquitätenhändler  sind  bekanntlich 
Philantropen.  Sie  wollen  den  naiven  Sammlern 
die  Illusionen  belassen  und  aus  diesem  Grunde, 
(natürlich  nur  aus  diesem  Grunde)  setzen  sie 
die  geheimnisvolle  Augurenmiene  auf,  lassen 
sie  sich  nichts  merken,  das  sie  die  wunderbarsten 
Antiquitäten  für  ein  Spottgeld  hergeben  können 
—  weil  die  Fabrik  den  Kram  ja  alle  Tage  wieder 
frisch  liefert.    In  Thüringen  allein  wird  alljährlich 


für  Unsummen  „echt  altes"  Meißener  Porzellan 
hergestellt,  und  die  Produktion  von  „  alten"  Holz- 
schnitzereien, Steinarbeiten,  Gläsern,  Bronzen, 
Möbeln  wirft  nicht  weniger  ab.  Dagegen  bleibt 
das  moderne  Kunstgewerbe,  so  prachtvoll  und 
preiswert  es  auch  sein  mag,  unbeachtet  und  un- 
verkauft. Die  Pointe  bei  der  ganzen  Komödie  ist 
aber  die,  daß  die  Künstler  selber  erst  die  Affen- 
liebe für  die  Antiquitäten  gezüchtet  haben  und 
nun  über  die  Schwindelei  und  Narretei  stöhnen, 
nachdem  von  ihren  eigenen  Erzeugnissen  so  viele 
Käufer  nichts  mehr  wissen  wollen.  Warum  auch  ? 
Es  gibt  ja  so  schöne,  spottbillige  alte  Sachen.  — 

PAUL  WESTHEIM. 

Das  natürliche  Empfinden  ist  bei  vielen  Heu- 
tigen verbildet  durch  hereingetragene  Ge- 
sichtspunkte, überwuchert  von  angelerntem, 
kunstfremdem  Wissen,  verdunkelt  von  Senti- 
mentalität, gefälscht  durch  das  herrschende 
Streben  nach  Prätension.  —    hefiM.  muthesius. 


PROFESSOR  .\U0LF  HENGELER    MÜ.NCHE.N'.     Gemälde:     Porträt'.    Privatbesitz. 


1^: 


Altes  Spiekeiig. 


ADOLF  HF.NGEI.ER     MÜNCHEN. 


•  iemälde:  »Am  Rieg-See->.    Privatbesitz. 


ALTES  SPIELZEUG.  Bei  A.  Wertheim  gibt 
es  ein  Rendezvous  der  zärtlichsten  Pup- 
pen und  der  tapfersten  Reiter,  der  witzigsten  Har- 
lekins und  der  seltsamsten  Tierlein.  Spielzeug  aus 
der  Zeit  von  1700-1850;  einiges  auch  ein  wenig 
früher.  Eine  zwergige  Welt  des  didaktischen  Barock 
und  des  sentimentalen  Biedermeier.  Hausväter- 
slimmung  mit  Perrücken,  Krinolinenlyrik  mit  Hauben- 
stocJ<.  Wie  viel  langer  damals  die  Tage  gewesen 
sein  mögen;  daß  die  Leute  Zeit  fanden,  mit  den 
Schattenspielen  des  Lebens  zu  tändeln.  Es  waren 
gewig  nicht  nur  die  Kinder,  die  mit  diesen  köst- 
lich umhüllten  Marionetten,  mit  diesen  zierlichen 
Spiegelbildern  der  Wirklichkeit,  ihren  Scherz  trie- 
ben. Dies  Spielzeug  gehörte  zu  gleichem  Maf^e 
den  Erwachsenen.  Nippes;  Überraschungen  der 
Put5stube,  Zwillingskinder  der  vielberühmten  Kunst- 
schränke und  der  Spieldosen.  Man  erinnere  sich 
der  Alchimisten  und  Sterndeuter;  dann  hat  man  die 
Atmosphäre,  die  puderwolkige,  schäferlustige,  ma- 
gisterliche, dieser  kleinen  Welttheaterei.  Übrigens: 
gar  so  verwunderlich  ist  solch  Puppenspiel  der  Er- 
wachsenen keineswegs.  Haben  doch  die  amerikani- 
schen Ladies  noch  kürzlich  in  irgend  einer  Season 
kleine  Schildkröten  am  Busen  getragen  und  ein  ander 


Mal  Alligatorenbabies  spazieren  geführt.  Und  die 
Pariserinnen  der  letjten  Mode  kokettieren  (die  Welt 
ist  ein  Repetitorium)  mit  plastischen  Miniaturen  des 

zauberischen    Ichs Wer    die    Münchner 

Krippensammlung  kennt,  wird  sich  am  ehesten  von 
den  Illusionen  dieser  Berliner  Sammlung  Usbedt 
eine  Vorstellung  machen  können.  Nur,  daß  das 
Temperament  dieser  weltlichen  Gaukelei,  dieser 
wörtlich  nachgeschriebenen  Stadt-  und  Landhäuser, 
dieser  Patriziate  und  Handwerkstätten,  dieser  wohl 
eingerichteten  Wohnstuben  und  Schnick-Schnack- 
läden  um  vieles  sinnlicher  und  nervöser  ist.  Die 
Technik  des  Holzschnitzens  und  des  Wachsbossie- 
rens,  der  Schneiderei  und  tausend  raffinierter  Zier- 
künste ergoßt  sich  an  den  eignen  spit^fingrigen 
Tänzen.  Sie  ist  ebenso  rührend  wie  unbegreiflich, 
die  wißige  Neugier,  mit  der  in  solch  einem  zwei- 
oder  dreistöckigen  Puppenhaus  die  heimlichsten 
Winkel,  verstecktesten  Sächelchen  in  Holz  und 
Zinn,  in  Ton  und  Glas,  in  Brokat  und  Perlen,  in 
Flittern  aus  Gold  und  Silber  nachgedichtet  wurden. 
Es  steckt  in  dem  allen  ein  gesunder  Instinkt  zur 
Wirklichkeit.  So  kommt  es,  daß,  wenn  der  quir- 
lende Traum  des  fiebrigen  Gräflein  verfliegt,  man 
wünscht:  Goethe  zu  lesen.  robkrt  breuer. 


42>S 


professor 

a.hengelhr. 

gkmXlde: 

.BKr.EGNUNOt 


TKOFESSOK  ADOLF  HENGELER- Ml  NCHEN.       GEMÄLDE;   »PORTRATt.     PRIVATBESITZ. 


Dr.  A.  Pabst- Leipzig: 


l'KOFESSOR  ADOI.K  HEM.ELEI;      MLNCHE.N. 


»Mädchen  am  Balkon«.     Privatbesitz. 
Mit  Genehmigung  des  Bruckmannschen  Verl.igs. 


TECHNISCHE  KULTUR  UND  ERZIEHUNG. 

VON  DIREKTOR  DR.  A.  P.\BST     LEIPZIG. 


Die  technischen  Wunderwerke  unserer  Zeit 
sind  für  die  wirtschaftUche  und  sittUche  Ent- 
wicklung der  Menschheit  und  für  ihr  leibHches 
und  geistiges  Wohl  von  der  größten  Bedeutung. 
Sie  verschaffen  dem  Menschen  eine  fast  unbe- 
schränkte Herrschaft  über  die  Natur  und  haben 
insbesondere  durch  die  Überwindung  des  Rau- 
mes eine  außerordentliche  Steigerung  der 
Lebenstätigkeit  jedes  einzelnen  herbeigeführt. 
Und  doch,  bei  aller  Bewunderung  der  Fort- 
schritte, die  unsere  Kultur  unter  dem  Einflüsse 
der  technischen  Errungenschaften  gemacht  hat, 
entsteht  immer  wieder  die  Frage,  ob  durch  die 
gewaltigen  Umgestaltungen  das  Dasein  des 
Menschen  schöner,  glücklicher  und  edler  ge- 
worden ist.    Man  wird  diese  Frage  kaum  be- 


jahen können,  denn  wahrscheinlich  fühlt  sich 
der  Angehörige  eines  Nomadenvolkes  zufrie- 
dener, als  der  Industriearbeiter  einer  Großstadt, 
und  der  Fischer,  Jäger  oder  Ackerbauer  einer 
früheren  Kulturperiode  war  ohne  Zweifel  ge- 
sünder, kräftiger  und  glücklicher,  als  es  unsere 
modernen  Maschinensklaven  sind.  Gerade  die 
Abhängigkeit  von  der  leblosen  Maschine  und 
das  ewige  Einerlei  mechanischer  und  geistloser 
Teilarbeit  ist  es,  was  den  Menschen  unserer 
Zeit  in  so  hohem  Grade  unzufrieden  macht  und 
ihm  sein  Schicksal  verbittert.  Das  Glück  des 
Lebens  liegt  ja  vor  allem  in  der  Entfal- 
tung der  Persönlichkeit,  eine  tiefe  Wahr- 
heit, der  schon  Goethe  im  „Buch  Suleika" 
den  treffenden  Ausdruck  gab: 


43' 


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Technische  Kultur  U7ic/  Erziehmg. 


„\olk  und  Knecht  und  Überwinder, 

Sie  gesteh'n,  zu  jeder  Zeit; 

Höchstes  Glück  der  Erdenkinder 

Sei  nur  die  Persönlichkeit," 
Die  große  Kulturfrage  unserer  Zeit  ist  also 
die,  wie  wir  auch  unter  den  veränderten  Ver- 
hältnissen dem  einzelnen  Menschen  einen  Per- 
sönlichkeitswertgeben können.  Diese  Frage 
schließt  das  Problem  der  Erziehung  ein  und 
kann  ihre  glückliche  Lösung  nur  in  der  Bewäl- 
tigung dieses  Problems  finden.  Denn  in  unse- 
rem Zeitalter  der  Herrschaft  der  Technik  und 
der  Maschine  wird  sich  der  einzelne  Mensch 
nur  dann  als  Persönlichkeit  behaupten 
können,     wenn     er    für    seine    Aufgabe 


richtig  erzogen  worden  ist.  Die  Maschine 
schaltet  erbarmungslos  den  Menschen  als  Per- 
sönlichkeit aus,  der  ihr  ohne  Verständnis  und 
ohne  die  Fähigkeit,  sie  denkend  zu  beherrschen, 
gegenübersteht.  Ein  ungeschickter  Mensch  mit 
ungeübten  Händen  und  ungeschulten  Sinnen 
kann  kaum  ein  grobes  Werkzeug  handhaben, 
geschweige  denn  eine  feine  und  komplizierte 
Maschine  bedienen;  je  feiner  und  kunstvoller 
die  Maschine  wird,  umso  besser  muß  auch  der 
Mensch  ausgebildet  werden,  der  mit  ihr  arbeiten 
soll.  Hier  versagt  jede  Wo  r  t  bildung,  die  allein 
auf  totes  Wissen  hinausläuft,  auf  Sachbildung 
kommt  es  an,  auf  Erziehung  zur  Tat  und 
durch  die  Tat.    Aus  dieser  quillt  die  rechte  Er- 


PROFESSOR  ADOLF  HENGELER— MÜNCHEN. 


tiomaidc;   -IntoiiLUi    .    i'iii,ikt*tiiek  -^lünchen. 


433 


Dr.  A.  Pabst   Leipzig. 


I 


PROFESSOR  ADOLF  HE.NGELKK. 

kenntnis  der  Dinge  in  ihrem  Verhältnis  zu 
einander  und  zum  Menschen,  und  auf  ihr  beruht 
die  W  i  lle  nsbildung,  die  allein  den  Menschen 
fähig  macht,  seine  Lebensaufgabe  zu  erfüllen. 
Das  alles  sind  Wahrheiten,  die  schon  Pesta- 
lozzi, der  große  Meister  der  Erziehungskunst, 
instinktiv  erkannt  und  in  der  von  ihm  geforder- 
ten Arbeitserziehung  zu  verwirklichen  gesucht 
hat.  „Es  ist  mir  zur  Unwidersprechlichkeit  klar 
geworden,  um  wieviel  wahrhafter  der  Mensch 
durch  das,  was  er  tut,  als  durch  das,  was  er 
hört,  gebildet  wird,"  bekennt  er  in  einem  Briefe, 
und  dem  Träger  seiner  Erziehungsideen  legt  er 
die  Worte   in   den  Mund:     „Alle   Tage   sah   er 


434 


Gemälde:  >^  Interieur«.    Privatbesitz. 

mehr,  wie  die  Arbeitsamkeit  den  Verstand  bildet 
und  den  Gefühlen  des  Herzens  Kräfte  gibt;  wie 
sie  das  den  Kräften  des  Lebens  tödliche  Schweifen 
der  Sinne  verhütet  und  von  den  Schwächen  zu- 
rückführt, unser  Maulbrauchen  über  das  Tun 
für  das  Tun  selber  anzusehen." 

Die  Erziehung  für  den  künftigen  Beruf  durch 
eine  der  Kindesnatur  angemessene  Arbeit  fällt 
demnach  zusammen  mit  derwahren Menschen- 
bildung. Dieser  Gedanke  Pestalozzis  ist  le- 
bendig in  allen  großen  Männern,  die  sich  über  Er- 
ziehung geäußert  haben;  GoetheundSchiller, 
Kant  und  Fichte,  Carlyle  und  die  Philoso- 
phen der  Gegenwart,  sie  alle  preisen  die  Arbeit 


<lll 


Tcciniischc  Kulhir  Jind  Erzieliuns[. 


als  das  oberste  und  wichtigste  Er- 
ziehungsmittel, als  das  letzte  Evangelium 
in  dieser  Welt,  wie  Carlyle  in  seinem  be- 
kannten Buche:  „Arbeiten  und  nicht  verzwei- 
feln" sagt.  Nicht  nur  geistig,  sondern  auch 
physisch  muß  der  Mensch  gebildet  werden,  er 
muß  seine  Hände  und  Sinne  gebrauchen  lernen, 
wenn  er  ein  Herrscher  werden  will  über  die  tote 


Materie,  „Kunstbildung"  nennt  Pestalozzi 
die  Ausbildung  der  menschlichen  Sinne  und 
Glieder,  und  ihr  Ziel  ist  ihm  „der  höchste  Grad 
des  Nerventaktes ,  der  uns  Schlag  und  Stoß 
sichert  und  Hand  und  Fuß  gewiß  macht".  Da- 
mit meint  er  nicht  etwa  die  Ausbildung  bloßer 
mechanischer  Fertigkeiten,  sondern  die  Ent- 
wicklung   der    Individualität    und    Per- 


l'ROFESSOR  ADOLF  HENGELER  -MÜNCHEN. 


Gemälde;     Kind  mit  Muff» 


43  5 


Technische  Kultur  und  Eizie/nino. 


sönlichkeil  des  ZösjlinjSs  nach  jeder  Riclitunjs 
hin,  körperlich  und  geistig.  Erst  im  Tun,  in 
der  Übung  des  Auges  und  der  Hand  kommen 
Verstand  und  Wille  wirklich  zusammen,  wird 
eine  übereinstimmende  Bildung  des  Kopfes  und 
des  Herzens  erreicht.  Somit  läuft  alle  Erziehungs- 
weisheit schließlich  darauf  hinaus,  an  Stelle  des 
Wort  Unterrichts,  wie  er  in  unserem  heutigen 
hrziehungssystem  vorherrscht,  einen  Tat- 
sachen Unterricht  zu  setzen,  der  das  Kind  als 
ein  handelndes  Wesen  ansieht.  Jede  Erziehung 
muß  mit  dem  Tun  beginnen  und  an  die  Pflege 
des  Beschäftigungstriebes  müssen  alle 
anderen  Maßnahmen  anknüpfen. 

Die  Erfüllung  dieser  Forderung  ergab  sich 
unter  den  früheren  Bedingungen  des  wirt- 
schaftlichen und  häuslichen  Lebens  ganz  von 
selbst;  unter  den  heutigen  Verhältnissen,  wie 
sie  die  technische  Kultur  geschaffen  hat,  die 
eine  vollständige  Umwälzung  aller  wirtschaft- 
lichen und  sozialen  Zustände  hervorbrachte, 
muß  eine  wohlüberlegte   und  sorgfältig   durch- 


geführte h.rziehung  die  Schäden  ausgleichen, 
die  im  anderen  Falle  durch  die  Vernichtung 
aller  Persönlichkeitswerte  entstehen.  Diese 
Erziehung  kann  nur  die  durch  Arbeit 
und  zur  Arbeit  sein. 

Ä 
TUGEND-HEIME.  Es  kommt  alles  darauf  an, 
J  daß  die  moderne  Kunst,  das  moderne  Emp- 
finden volkstümlich  werde.  Sie  soll  auf  der  ge- 
sunden Basis  des  Volkes  neu  und  stark  wachsen. 
So  wollen  die  Jugendheime  begriffen  sein.  Daß 
man  es  wagen  darf,  jungen  Arbeitern  diese  rein- 
lich und  mit  Geschmack  hergerichteten  Räume 
zu  überlassen,  beweist  einiges  für  das  steigende 
Niveau  der  völkischen  Bedürfnisse  und  des  Re- 
spektes vor  der  Kultur.  Zwei  solcher  Jugend- 
heime hat  Hermann  Münchhausen  in  Berlin  ein- 
gerichtet. Er  fand  den  Ausdruck  schlichtester 
Sachlichkeit,  den  er  durch  Farbe  fröhlich  stei- 
gerte. Die  jungen  Leute,  die  hier  ihre  Muße- 
stunden verbringen,  können  nach  dem  ihnen  ge- 
setzten Maß  Helfer  zur  neuen  Schönheit  werden. 


PROFE.ssüR  AIJOLF  HENGELER— .MÜNCHEN.     Gemälde;  «btlilus.-.LHuiunLii   .    Privalbesit/. 


BILDHAUER  PROFESSOR  HERMANN  HAHN  UND  ARCHITEKT  HERMANN  BEs  1 ELMEVER      MÜNCHEN.  IjLR  l.kslL  iKl.L-. 


WETTBEWERB  FÜR  DAS  BISMARCK-NATIONAL-DENKMAL. 

VON  MAX  SCHMHJ -AACHEN. 


Selten  ist  das  Urteil  eines  Preisgerichtes  mit 
so  viel  Spannung  erwartet  worden,  als  der 
Entscheid  über  den  Entwurf  für  das  Bismarck- 
National-Denkmal  auf  der  Elisenhöhe  beiBinger- 
brück.  Durch  der  Parteien  Gunst  und  Haß  war 
die  Angelegenheit  vom  ersten  Tage  an  ver- 
wirrt. Schon  gegen  die  Wahl  der  Elisenhöhe 
wandten  sich  sofort  erbitterte  Gegner.  Als 
aber  am  22.  Januar  ds.  Js.  die  Preisrichter 
auf  der  Elisenhöhe  versammelt  waren,  um  ge- 
wissenhaft den  Ort  selbst  zu  prüfen,  ehe  sie 
die  Entwürfe  aburteilten,  da  ging  das  Urteil 
dahin:  „Der  Platz  ist  hervorragend  zur  Errich- 
tung eines  Denkmals  geeignet".  Hoch  genug 
und  frei  genug,  um  nicht  durch  spätere  An- 
und  Umbauten  dem  Blick  entzogen  zu  wer- 
den. Und  doch  nicht  so  wolkenhoch,  daß 
nicht  ein  mäßig  großes  Bauwerk  hier  zur  vollen 
Wirkung  kommen  könnte.  Von  allen  Seiten  her 
bleibt  es  immer  gleich  schön  sichtbar.  Wer  aber 
hinaufsteigt  durch  den  stillen  Wald,  den  mäch- 
tigen Rheinstrom  zur  Seite,  mit  dem  Blick  auf 
Binger  Loch,  Mäuseturm  und  Ruine  Ehrenfels, 
wer  droben  den  herrlichen  Ausblick  auf  den 
weiten  Rheingau  und  weiter  den  Einblick  ins 
Rhein-  und  Nahetal  genießt,  der  zweifelt  nicht, 
daß  allen  künftigen  Besuchern  der  Denkmal- 
stätte hier  weihevolle  Stunden  sich  bieten 
werden.  Wer  hier  ein  Denkmal  errichten  will, 
muß  sich  den  Forderungen  dieser  Situation 
fügen.  Mancher  Feinfühlige  hatte  es  schon 
längst  ausgesprochen :   „Wie  schade,   daß  auch 


diese  Stelle  durch  ein  Denkmal  verschandelt 
werden  soll".  Aber  muß  denn  jegliches  Denk- 
mal von  Menschenhand  die  Natur  verschimpfie- 
ren?  Schon  steht  an  jener  Stelle  ein  kleines 
tempelartiges  Gebäude  von  rund  8  m  Höhe, 
dessen  außerordentlich  malerische  und  stim- 
mungsvolle Wirkung  einstimmig  anerkannt  wird. 
An  seine  Stelle  einen  besseren,  künstlerisch 
vollendeten,  schön  gegliederten  Bau  zu  setzen, 
der  in  den  Dimensionen  nicht  wesentlich  über 
das  Gegebene  hinausgeht,  das  war  nach  Mei- 
nung vieler  die  eigentliche  Aufgabe,  die  sich 
für  den  Wettbewerb  ergab.  Dem  gegenüber 
muß  festgestellt  werden,  daß  von  rund  379 
Wettbewerbern  nur  wenige  so  gefühlt.  Auch 
läßt  der  Wortlaut  des  Preisausschreibens  ver- 
muten, daß  bei  Erlaß  desselben  dieser  Ge- 
dankengang nicht  vorherrschte.  An  dieser 
Stelle,  die  das  Rheintal  beherrscht,  sahen 
manche  schon  im  Geiste  einen  riesigen,  den 
Hügel  als  Basis  der  eignen  machtvollen  Schön- 
heit benutzenden  Bau  himmelhoch  auftrotzen. 
Freilich  —  —  gefordert  wird  das  im  Preis- 
ausschreiben nicht.  Ausdrücklich  ward  erklärt, 
daß  jede  mögliche  Lösung  den  Künstlern  frei- 
gestellt sei.  Einzig  die  Angabe,  daß  1  800  000 
Mark  als  Maximum  der  Bausumme  vorgesehen 
seien,  ließ  die  Auffassung  zu,  als  müsse  diese 
Summe  auch  erreicht  werden.  In  Wahrheit 
hatte  der  Denkmals-Ausschuß  damit  nur  eine 
äußerste  Grenze  ziehen  wollen.  Und  doch 
haben  von  den  Bewerbern  nicht   wenige  die 


lÜll.  VI.  3. 


•137 


IVctthrd'eih  /ür  das  Bisniayck-N^aiional-Devkmal. 


KEG.-BAUMELSTER  ALFRED  FISCHER  UND  BILÜHAUIR  WALTER  KNIEBE     DÜSSELDORF. 


E[.\  ZWEITER  PREIS 


Grenze  erreicht,  manche  sogar  überschritten. 
Ein  Zeichen  dafür,  daß  unseren  heutigen  Künst- 
lern vielfach  das  Gefühl  für  das  „est  modus  in 
rebus"  verloren  gegangen  ist. 

Gewaltig  ist  heute  die  Enttäuschung  weitaus 
der  meisten  Wettbewerber,  weil  die  Majorität 
des  Preisgerichtes  diesen  Standpunkt  grund- 
sätzlich verwarf.  „Jeder  Versuch,  durch  über- 
mäßige Ausdehnung  eine  Wirkung  zu  erzielen, 
konnte  nicht  den  Beifall  der  Preisrichter  fin- 
den", so  lautet  das  Schlußurteil  der  Jury. 

Eine  bittere  Erfahrung  für  viele  Bewerber. 
Aber  ist  das  nicht  ein  Charakteristikum  jedes 
Wettbewerbes,  daß  der  Künstler  dabei  nicht 
dem  ausgesprochenen  Willen  eines  bekannten 
Bauherrn,  sondern  der  ungewissen  Meinung 
einer  unbestimmten  Mehrheit  gegenübersteht? 
Daraus  resultiert  dann  eine  unendliche  Freiheit 
und  Mannigfaltigkeit  der  Lösungen.  In  diesem 
Sinne  ist  natürlich  jeder  Wettbewerb  eine 
Lotterie,  aber  eine  Lotterie,  in  der  auch  der 
Verlierende  gewinnt,  wenn  er  nicht  mit  vor- 
gefaßten Meinungen  und  übertriebenen  Hoff- 
nungen, sondern  mit  der  Absicht  an  die  Auf- 
gabe herantritt,  vor  allem  seine  eigne  Kraft  zu 
stählen  und  aus  den  Erfolgen  der  Anderen 
im  Falle  der  Niederlage  zu  lernen,  bis  auch  ihm 
einmal  der  Sieg  winkt.  So  aufgefaßt  ist  selbst 
dieser  große  Wettbewerb,  der  unendliche  Opfer 


forderte,  ein  Segen  für  die  Künstlerschaft.  Da- 
mit soll  nicht  geleugnet  werden,  daß  manchem 
diese  Opfer  bitter  schwer  geworden  sind.  Wenn 
heute  von  379  Teilnehmern  nur  20  eine  mate- 
rielle Entschädigung  erhalten  und  weitere  21 
durch  eine  lobende  Erwähnung  einen  Trost  da- 
von getragen  haben,  so  bleibt  dem  großen  Rest 
nur  eines  übrig.  Das  stolze  Bewußtsein,  daß 
sie  Zeugnis  abgelegt  haben  für  jene  ideale  Ge- 
sinnung, die  trotz  der  unleugbaren  materiellen 
Notlage  in  unserer  Künstlerschaft  steckt.  Des- 
wegen hat  der  Kunstausschuß  des  Bismarck- 
denkmals  es  für  notwendig  gehalten,  sämtliche 
Entwürfe  auf  längere  Zeit  im  Kunstpalast  zu 
Düsseldorf  öffentlich  zugänglich  zu  machen,  ehe 
sie  vielleicht  wieder  in  der  Stille  eines  Magazin- 
raumes oder  eines  Ateliers  verschwinden. 
»         »         * 

Für  das  Preisgericht  war  es  eine  schwere 
Verantwortung,  in  wenigen  Tagen  diese  379 
Entwürfe,  zum  Teil  riesige  Modelle,  zahllose 
Zeichnungen,  Schnitte  und  Grundrisse  auf  ihre 
künstlerische  Qualität,  wie  auf  ihre  praktische 
Verwendbarkeit  zu  prüfen !  Welche  Verant- 
wortung, insbesondere  angesichts  der  Tatsache, 
daß  schon  vor  Beginn  der  Sitzungen  in  Schrift 
und  Druck  den  Preisrichtern  Voreingenommen- 
heit und  allerhand  unlautere  Absichten  vor- 
geworfen   waren.      Merkwürdigerweise    haben 


Wettherverb  für  das  Bismarck-yational-Dcnkmal. 


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•■^aWSwfe-'jjtl-"'''- 


ijPiff^' 


«#^1*^*5^ 


ARCHITEKT  KRANZ  BRANTZKV     KÖLN. 


gerade  die  Künstler,  zu  deren  Gunsten  die  Ju- 
roren beschuldigt  wurden,  gar  keine  oder  nur 
ganz  nebensächliche  Preise  erhalten.  Aber  ver- 
gebens warten  wir  darauf,  daß  jene  ungerechten 
Ankläger  nun  reuig  und  öffentlich  Abbitte  tun. 
»         •         • 

Es  versteht  sich,  daß  dem  eigentlichen  Preis- 
gericht umfassende  Vorarbeiten  vorausgingen. 
Bereits  seit  Dezember  hat  ein  königlicher  Bau- 
rat mit  drei  Technikern  die  Kostenanschläge 
und  die  übrigen  sachlichen  Angaben  der  Wett- 
bewerbseingänge geprüft  und  darüber  Bericht 
erstattet.  Es  folgte  die  Ortsbesichtigung  durch 
die  Preisrichter  auf  der  Elisenhöhe.  Das  Preis- 
gericht setzte  sich  zusammen  aus  4  Architekten: 
Theodor  Fischer,  Muthesius,  Hoffmann- 
Berlin  und  Schumacher-Hamburg,  aus  drei 
Bildhauern:  Tuaillon  und  Gaul- Berlin,  Floß- 
mann-München ,  dazu  aus  Malern ,  Kunstge- 


»EIN  ZWEITER  PRKI.S« 


lehrten  und  dem  Vorsitzenden  des  Gesamtaus- 
schusses. Besonderer  Wert  war  darauf  gelegt, 
daß  der  Wettbewerb  möglichst  nach  den  von 
den  Künstler-Vereinigungen  anerkanntenGrund- 
sätzen  gestaltet  wurde. 

Wenn  heute  etliche  Vertreter  der  Presse 
nach  einem  höchst  flüchtigen  Rundgang  das  Ur- 
teil des  Preisgerichts  als  „grenzenlos  verfehlt" 
bezeichnen,  wenn  sie  in  ebenso  viel  Minuten,  als 
jene  Fachleute  Stunden  brauchten,  eine  bessere 
Liste  der  zu  Prämiierenden  fertig  stellen,  so  ist 
das  eines  jener  seltsamen  und  fast  unbegreif- 
lichen Wunder  unserer  heutigen  Pressekultur, 
die  im  Zeichen  des  Schnellverkehrs  Erstaun- 
liches leistet. 

Die  ethischen,  künstlerischen  und  sozialen 
Begleiterscheinungen  dieses  großen  Wettbe- 
werbes  noch   eingehender  zu   erörtern,    wäre 


439 


Wclthriverh  für  das  Bisviank-Xatioiml-Dotktiial. 


PROFESSOR  RICHARD  RIEMERSCHMID— MÜNCHEN. 

verlockend.  Es  erscheint  das  beinahe  wichtiger, 
als  die  Betrachtung  der  einzelnen  preisgekrönten 
Entwürfe,  deren  Art  und  Bedeutung  aus  den 
beigegebenen  Abbildungen  ohnedies  erhellt. 
Nur  soviel  sei  gesagt ;  Der  1.  Preis  ist  als  ein 
Doppelerfolg  zu  bezeichnen.  Daß  einstimmig 
die  Preisrichter  ihn  emporhoben,  ist  einerseits 
darin  begründet,  daß  er  wie  kein  anderer  still 
und  feierlich  dem  Räume  sich  einpaßt,  mit  be- 
scheidener Würde  alles  Anmaßende  und  Über- 
schwängliche,  kurz,  daß  er  viele  Fehler  anderer 
vermeidet.  Man  darf  mit  Bestimmtheit  hoffen, 
daß  er  allmählich  sich  auch  in  das  Herz  aller 
derer  einschmeicheln  wird,  die  heute  erstaunt 
zurückweichen,  weil  sie  die  erhofften  Posaunen- 
stoße modernen  Sichauslebens  hier  nicht  ver- 
nehmen. Andrerseits  trägt  er  in  sich  alle  Keime 
zukünftiger  Vollendung.  Die  Persönlichkeit  des 
Bildhauers,  Hermann  Hahn,  wie  des  Archi- 
tekten, Hermann  Bestelmeyer,  bieten  ja  da- 
für Gewähr,  daß  der  Entwurf  in  der  Ausführung 


-.EIN  DRITTER  PREIS« 

jene  höchste  Reife  erreichen  kann,  die  ihn  zu 
einem  wirklichen,  das  Zufällige  gegenwärtiger 
Schulmeinungen  überdauernden  Kunstwerk 
machen  wird.  Leicht  trägt  der  Hügel  diese 
Last.  Unbeschränkt  kann  sich  dahinter  der 
Festplatz  bis  zum  Waldessaum  ausdehnen,  un- 
behindert bleibt  der  Ausblick  in  die  Landschaft, 
malerisch  ist  der  Durchblick  von  der  Tiefe  her. 
Eine  stimmungsvolle  Schöpfung  ist  jene  Statue 
Jung-Siegfrieds  im  Innern  des  altgermanischen 
Steinkreises.  Künftige  Zeiten  soll  er  daran 
mahnen,  daß  das  deutsche  Volk  als  ein  jugend- 
lich drängendes,  kämpfendes  und  stürmendes 
eintrat  in  den  Reigen  der  Nationen,  geführt 
durch  Jung-Siegfried — Bismarck. 

Es  gibt  nicht  wenige,  die  mit  voller  Überzeu- 
gung diese  Gesichtspunkte  für  die  allein  maßge- 
benden und  für  alle  Zukunft  geltenden  halten. 
Doch  läßt  sich  nicht  verkennen,  daß  damit  eine 
scharfe  Absage  an  gewisse  moderne  Bestrebun- 
gen verbunden  ist.    All  das  Ringen  und  Streben 


44'- 


Wetthe'itrrb  'ür  das  Bis7)iarck-Xational-Denkiiial. 


ARCHITEKT  OTHO  ORLANDO  KURZ  UND  BILDHAUEK  BERNH.  BLEEKER— MÜNCHEN. 


»EIN  DRITTER  PREIS« 


der  letzten  Generation,  all  diese  Kämpfe  für  eine 
eigene  originelle  Kunstweise,  all  dieses  Sich- 
sehnen nach  Zwanzigstem-Jahrhundertstil  wird 
dadurch  als  überflüssig,  ja  schädlich  gebrand- 
markt. Nicht  ohne  Grund  fragt  man  sich:  Soll  die 
große  sogenannte  „moderne  Bewegung"  nun 
klanglos  dahingehen?  War  sie  nichts  weit  er  als  ein 
spannendes  Schlußkapitel  zur  Kunstgeschichte 
des  XIX.  Jahrhunderts?  Hat  man  darum  „Los 
von  Rom",  „Los  von  der  Antike",  „Los  von  der 
Historie"  geschrieen,  um  nun  mit  stillem  Ent- 
sagen nordische  Steinbauten  neu  zu  beleben? 
Und  noch  eines.  Wird  die  künstlerische  Fein- 
heit von  Hahns  Entwurf ,  dies  bescheidene 
Sichgenügenlassen  diejenigen  befriedigen,  die 
vor  allem  ein  Monumentalwerk  ersehnten, 
das  auch  in  der  äußeren  Größe  der  Bedeutung 
des  ersten  Kanzlers  gerecht  wird?  Verlangen 
nicht  die  meisten,  daß  das  stilisierte  oder  rea- 
listische Bildnis  des  großen  Mannes  zum  Mittel- 


punkt des  ganzen  Aufbaues  gemacht  wird  ?  So 
wird  dieser  erste  Preis  Keim  eines  heftigen 
Streites  werden,  und  in  den  nächsten  Wochen 
dürften  im  deutschen  Blätterwalde  wilde  Kampf- 
rufe gellen,  bis  (vermutlich  in  den  Maitagen) 
die  Entscheidung  fällt. 

Wenn  Hahns  Entwurf  dann  nicht  die  Mehr- 
heit findet,  welcher  unter  den  übrigen  Preis- 
gekrönten könnte  als  vollwertiger  Ersatz  oder 
gar  als  besseres  Modell  gelten?  Ein  II.  Preis 
fiel  ja  auf  F.  Brantzky-Köln.  Sein  Entwurf  hat 
gewisse  Qualitäten  mit  dem  vorigen  gemein. 
Nur  schiebt  er  die  Sockelmauer  in  mächtigem 
Schwünge  weit  vor  den  Abhang  des  Berges  und 
läßt  aus  ihr  ein  statthches  Reiterbildnis  empor- 
wachsen. Die  Steinpfeilerwerden  durch  schlichte 
Säulen  ersetzt,  aber  leider  fast  bis  zu  ^,3  Höhe 
durch  eine  Rundmauer  abgeschlossen.  Links 
und  rechts  flankieren  Halbtürme  den  Rundbau, 
der  sich  nach  der  Rückseite  zum  Festplatz  öffnet, 


441 


Wctthe'iVCfh  für  das  Bisniarck-A^ational-Dcnkmal. 


den  langgestreckte  festungsartige  Mauern  seit- 
lich begrenzen.  Das  Ganze  macht  so  den  Ein- 
druck einer  alten  Bergfeste,  d.  h.  mehr  fest  als 
festlich,  mehr  trotzig  als  einladend,  aber  jeden- 
falls wuchtiger,  die  Landschaft  mehr  dominie- 
rend und  doch  nicht  erdrückend  oder  gar  zer- 
störend. Die  Silhouette  der  Elisenhöhe  würde 
auch  beiAusführung  dieses  Entwurfes  gewinnen. 

Der  andere  II.  Preis  des  Architekten  Alfred 
Fische  r-Düsseldorf  (Plastik ;  Wa  IterKniebe- 
Düsseldorf)  mag  zunächst  allzu  einfach  erschei- 
nen. Ein  griechisches  Tempelchen  von  beschei- 
denen Verhältnissen,  mit  einem  etwas  unbe- 
scheidenen Dache  gedeckt.  Wie  aber  dieses 
Tempelchen  mit  seiner  davor  liegenden  tieferen 
Terrasse  dem  Berg  angefügt  ist,  wie  sich  daran 
der  Festhof  und  weiterhin  ein  langgestreckter 
Festplatz  angliedert,  das  ist  ohne  Zweifel  sehr 
geschmackvoll  und  feinfühlig.  Hier  ist  nicht 
durch  anspruchsvolle  Kolonnaden  und  pompöse 
Triumphbogen  die  Ruhe  der  Landschaft  gestört. 
In  dem  bescheidenen  Umfange,  in  dem  klassische 
Motive  verwendet  wurden,  hat  das  Projekt 
auch  für  ausgesprochene  Deutschtümler  wohl 
nichts  durch  Hellenismus  Verletzendes.  Denen, 
die  aus  Kreisformen  den  Platz  entwickeln,  tritt 
hier  eine  gradlinig  und  rechtwinklig  gegliederte 
Lösung  entgegen,  die  doch  das  gegebene  Terrain 
nach  Kräften  schont.  Alle  Einzelheiten  sind 
freilich  nur  flüchtig  angedeutet.  Doch  darf 
vorausgesetzt  werden,  daß  diese  einfache  Ar 
chitektur  von  jedem  geschmackvollen  Künstler 
ohne  weiteres  gut  und  richtig  detailliert  werden 
kann.  Im  ganzen  eine  kluge  und  ruhige  Arbeit, 
die  nicht  nur  auf  dem  Reißbrett  entworfen, 
sondern  auch  im  Räume  empfunden  ist. 

In  welchem  Sinne  ein  111.  Preis  dem  Motto; 
„Seid  einig"  (Beruh.  Bleeker  und  O.  O.Kurz- 
München)  zuteil  wurde,  bedarf  nach  dem  Vor- 
gesagten kaum  noch  der  Begründung.  Es  ist 
ein  reicherer  Typ  des  ersten  preisgekrönten 
Entwurfes,  eine  Übersetzung  in  den  Hellenis- 
mus. Leider  wird  der  dorische  Rundpfeiler  eine 
größere    Schmuckentwicklung    nicht    zulassen. 

Der  andere  III.  Preis  ist  auf  Rieh.  Riemer- 
schmids  Kuppelbau  gefallen.  Dieser  Entwurf 
hat  etwas  sehr  Stimmungsvolles.  Er  besitzt  ein 
wenig  Romantik,  wie  sie  am  Rheine  wohl  zuläs- 
sig ist.  Der  nicht  übermäßig  große,  aber  zu  viel- 
facher Anbringung  von  Plastik  und  Malerei  ver- 
lockende Kuppelraum  ist  von  bescheidenen  Ab- 
messungen. Der  Umriß  erinnert  zwar  an  ver- 
schiedene kirchliche  Gebäude,  wirkt  aber  doch 
auch  ein  wenig  weltlich,  denkmalhaft.  Rienier- 
schmid  hat  diese  Gedächtnishalle  zurückgescho- 
ben und  nach  dem  Bergabfall  hin  gegliederte 
Terrassen  vorgelegt,  an  deren  Fuß,  in  der  Tiefe 


des  heutigen  Steinbruchs,  ein  poetisches  kleines 
Heiligtum  eingebettet  ist.  Im  Innenraum  läßt 
sich  eine  weihevolle  Bildsäule,  an  den  Wänden 
festlicher  Schmuck  anbringen  und  vielen  wird 
der  Gedanke  sympathisch  sein,  daß  hier  des 
großen  Dahingeschiedenen  an  festlichen  Tagen 
gedacht  werden  kann,  daß  er  im  engeren  Kreise 
hier  durch  Lied  und  Rede  gefeiert  wird,  wäh- 
rend auf  dem  dahinter  liegenden  Festplatze 
öffentliche  Versammlungen  und  Festspiele  statt- 
finden können.  Mancher  mag  wohl  den  Umriß 
des  Baues  etwas  straffer,  die  Formen  etwas 
eigenartiger  empfunden  wünschen.  Das  wäre 
Sache  der  Durcharbeitung  bei  etwaiger  Aus- 
führung. 

Zehn  weitere  Entwürfe  sind  mit  Entschä- 
digungen von  je  2000  Mark  ausgezeichnet.  An 
zweien  ist  Bestelmey er-Dresden  beteiligt, 
einmal  in  Gemeinschaft  mit  Hahn-München.  In 
beiden  Fällen  plant  er  einen  Rundbau  mit  kegel- 
förmigem Dache,  wobei  reicher  Reliefschmuck 
vorgesehen  ist.  Georg  Wrba  will  weniger  durch 
Größe,  als  durch  Anmut  und  Schönheit  zwingen. 
Im  Verein  mit  Otto  Gußmann  schmückt  er 
eine  festliche  Halle  durch  Reliefs  und  Gemälde. 
Einen  eleganten  Kuppelbau  und  eine  dem 
Terrain  sehr  feinfühlig  angepaßte  Platzanlage 
bietet  R.  Berndl-München. 

Friedrich  v.  Thiersch  gibt  einen  schlicht 
behandelten  Turm  von  quadratischer  Grund- 
form, der  mit  seinem  Unterbau  sich  der  Sil- 
houette rheinischer  Burgen  anpaßt,  im  ein- 
zelnen aber,  besonders  auch  durch  Dasios  Re- 
liefschmuck, festlich  und  heiter  wirkt.  In  dem 
Entwurf  von  Johann  und  Rieh.  Miller-Pasing 
wird  ein  stattlicher,  ins  Vieleck  übergehender 
turmartiger  Bau  von  einer  Säulenhalle  in  Huf- 
eisenform  umschlossen.  Größere  Dimensionen 
wählen  Biber  und  Klemm,  deren  Projekt  et- 
was stark  an  Burgruine  gemahnt.  Der  vortreff- 
liche Entwurf  von  E.  Schütz,  O.  und  R.  Kohtz 
scheint  über  den  für  die  Elisenhöhe  zulässigen 
Maßstab  hinauszugehen. 

MaxLäuge  r-Karlsruhe  bringt  feierliche  klas- 
sische Säulenhallen  als  Umrahmung  eines  sehr 
wohlgegliederten  Festplatzes.  PaulPfann  und 
Pfeifer-München  nehmen  nochmals  den  Ge- 
danken des  altgermanischen  Steinkreises  auf, 
allerdings  in  zierlichen,  fast  biedermeierischen 
Proportionen. 

Unter  den  angekauften  Entwürfen  befindet 
sich  ein  solcher  von  Kreis-Düsseldorf.  Kreis  ge- 
hört mit  seiner  Serie  von  Projekten  wohl  zu 
denen,  die  am  intensivsten  mit  dieser  Denkmals- 
aufgabe sich  beschäftigt  haben.  Es  wäre  unrecht, 
hier  mit  wenigen  Worten  seine  imposanten  Ent- 
würfe abzutun.  Ihrer  Bedeutung  und  den  Grün- 


44; 


Wctfbcivcrb  für  das  Bis)iiarck-A"ational-Denk»ial. 


den,  warum  sie  wider  Erwarten  nicht  in  erster 
Linie  unter  den  Preisgekrönten  erscheinen,  muß 
bei  anderer  Gelegenheit  an  der  Hand  reichen 
Abbildungsmaterials  nachgegangen  werden. 
Angekauft  wurden  außerdem  die  Entwürfe  von 
Kirchbauer  und  C.  Burger- Aachen,  Pech- 
stein, H.  Schmidt  und  Wünsche  in  BerHn, 
Baumgarten  und  Amberg  in  Berlin. 

Daß  viele,  die  zu  den  Besten  in  der  deutschen 
Künstlerschaft  zählen ,  hier  erfolglos  mitge- 
kämpft, ist  bekannt.  Bei  Eröffnung  der  Aus- 
stellung am  1 1 .  Eebruar  sollen  ihre  Namen,  so- 
weit jene  beistimmen,  genannt  werden  —  denn 
in  solchem  Kampfe  mitgeslritten  zu  haben,  ist 
in  jedem  Falle  rühmlich,  auch  für  den  Unter- 
legenen. Die  öffentliche  Ausstellung  wird  auch 
Gelegenheit  bieten,  den  Vorzügen  dieser  Werke 
noch  gerecht  zu  werden.  m.  sch. 

Ä 

Nachdem  im  vorstehenden  die  Gesichts- 
punkte, die  bei  der  Preisverteilung  maß- 
gebend waren,  von  einem  Mitgliede  der  Jury  dar- 
gelegt sind,  mögen,  um  den  Streit  der  Meinun- 
gen zu  kennzeichnen,  noch  einige  Abschnitte 
aus  den  Äußerungen  der  Kunstreferenten  zweier 
angesehenen  Tagesblätter  Aufnahme  finden. 

Dr.  Eritz  Stahl-Berlin  schreibt  im  „Ber- 
liner Tageblatt"  u.  a.  folgendes; 

„Der  Gedanke,  dem  großen  Kanzler  am 
Rhein  ein  Denkmal  zu  errichten,  erscheint  so 
selbstverständlich,  die  Aufgabe,  die  damit  der 
deutschen  Kunst  gestellt  wurde,  ist  so  groß 
und  fördernd,  daß  die  verhältnismäßig  geringe 
Anteilnahme  der  Nation  an  dieser  Angelegen- 
heit auffallen  muß.  Sie  wird  dadurch  bewiesen, 
daß  trotz  der  großen  Propaganda  die  Mittel  für 
dieses  Monument  bei  weitem  noch  nicht  zu- 
sammengebracht worden  sind.  Nur  die  Wer- 
bekraft eines  schönen  Entwurfes  wird 
das  noch  ändern  können. 

Einen  solchen  Entwurf  hat  die  erste  Kon- 
kurrenz nicht  gebracht.  Es  gibt  zwar  noch 
kein  Bismarckmonument,  das  offiziell  den  Na- 
men eines  Nationaldenkmals  führt,  den  die  Ur- 
heber dieses  Planes  gewählt  haben.  Aber  Hugo 
Lederers  Hamburger  Bildsäule  hat  sich,  ohne 
ernannt  zu  sein,  diese  Stellung  errungen.  Und 
kein  Werk  wird  sie  aus  ihr  verdrängen,  das  sie 
nicht  übertrifft,  das  nicht  wenigstens  neben  ihr 
bestehen  kann.  Mit  diesem  Maßstab  muß  man 
also  messen. 

Der  Gesamteindruck  der  Konkur- 
renz-Entwürfe ist  schlecht;  die  Ab- 
lehn un  g  s  te  igert  sich  b  ei  wie  derhol- 
ter  Betrachtung  bis  zum  Ekel.  Der 
gute  Geschmack ,  nein ,  schon  der  gesunde 
Menschenverstand  wird  auf  Schritt  und  Tritt 


schwer  beleidigt.  Das  ist  nicht  mehr  Verehrung, 
das  istVergötzung,  was  hier  von  Hunder- 
ten mit  dem  Helden  getrieben  wird.  Und  es 
ist  unmöglich,  dieses  schwüle  Pathos  auch  nur 
für  ehrlich  zu  halten.  In  den  meisten  Eällen 
wenigstens  handelt  es  sich  um  denselben  kalten 
Wahnsinn,  dem  wir  auch  sonst  in  der  Kunst 
von  heute  oft  begegnen. 

Von  der  Pyramide  und  dem  Obelisken  über 
die  orientalische  Grabmoschee,  den  antiken 
Tempel  und  die  Kirche  aller  Stile  bis  zum  mo- 
dernen Wasserturm  gibt  es  keine  monumentale 
Bauform,  mit  der  es  nicht  jemand  versucht 
hätte.  Es  ist  eine  wahre  Orgie  polytechnischer 
Architektur.  Und  die  Bildhauer?  Der  Aus- 
gangspunkt ist  zumeist  Lederers  Bismarck, 
Fast  alle  sind  sie  von  diesem  Bilde  besessen. 
Die  einen  machen  es  nach,  die  andern  suchen 
es  zu  vermeiden  und  zu  übertrumpfen.  Dazu 
brauchen  sie  andere  Muster  kolossaler  Plastik; 
urchaldäische  Sitzbilder,  ägyptische  Pharaonen 
und  Sphinxe,  chinesische  Buddhas.  Armer 
Bismarck!  Oder  sie  stellen  ihn  auf  irgend  ein 
Vieh.  Oder  sie  bauen  ihn  als  Turm.  Man 
könnte  Seiten  mit  der  Aufzählung  der  greulich- 
sten Verzerrungen  füllen.  Es  ist  so  schlimm, 
daß  man  jede  menschliche  Darstellung  des  Hel- 
den, selbst  eine  konventionelle,  aufatmend, 
wie  das  erlösende  Aufwachen  aus  einem  schlech- 
ten Traume  begrüßt. 

Der  begreifliche  Widerwillen  gegen  das  ganze 
kolossalische  Getue  führte  die  Jury  zu  einer 
prinzipiellen  Ablehnung,  zu  der  in  einzelnen 
Fällen,  wo  es  sich  um  talentvolle  Leistungen 
handelte,  die  Überschreitung  der  Mittel  über- 
dies gezwungen  haben  mag. 

Sie  hat,  wenigstens  mit  den  Hauptpreisen, 
nur  solche  Entwürfe  gekrönt,  die  sich  in  maß- 
voller Größe  und  in  anständigen  Formen  be- 
wegen. Alle  haben  bei  sonst  oft  unbestreitbaren 
Vorzügen  den  Fehler,  daß  sie  keine  Beziehung 
zu  dem  Platz,  der  Landschaft,  demHeldenhaben, 
irgendwo  für  irgendwen  errichtet  werden  könn- 
ten oder nirgends  und  für  keinen  passen 

würden.  Riemerschmids  Rundbau,  mit  den  ba- 
rocken Voluten  und  der  grünen  Kuppel,  ist  aus- 
gesprochen Münchnerisch.  Der  Fischer-Kniebe- 
sche  antike  Tempel  wäre  vielleicht  am  Golf  von 
Neapel  an  seiner  Stelle.  Der  runde  Brunnenhof 
mit  der  doppelten  Säulenreihe  von  Kurz-Bleeker 
paßt  nur  auf  eine  flache  Terrasse  und  wird  nur 
oben  wirken.  Dasselbe  gilt  von  dem  Pfeilerrund 
Hermann  Hahns  mit  dem  Jungsiegfried,  das  den 
ersten  Preis  erhalten  hat,  und  dessen  Vorzüge 
ich  zu  würdigen  weiß.  Bleibt  nur  Brantzkys 
Entwurf,  dessen  Unterbau  ein  großes  Relief 
Bismarcks  als  Panzerreiter  zeigt,  und  das  mit 


443 


Weitheivo'h  für  das  Bis»ia)ck-A^ational- Denkmal. 


diesem  Unterbau  die  Form  des  Hügels  ausnützt 
und  mit  diesem  Relief  die  Bestimmung  des  Mo- 
numentes anzeigt.  Aber,  selbst  wenn  das  Relief 
viel  besser  wird,  als  es  ist,  und  auch  der  Säulen- 
bau, in  dem  übrigens  noch  ein  Bismarck  steht, 
charaktervoller  durchgebildet  wird ,  mehr  als 
gutes  Mittelmaß  kann  das  Ganze  auch  nie  sein. 

Für  heute  ist  es  wichtig,  zu  fragen,  was  nun 
weiter  für  die  Sache  des  Bismarck  am  Rhein 
geschehen  soll.  Daß  die  Prämiierung  dieser 
Entwürfe  praktische  Konsequenzen  hat,  halte 
ich  für  ausgeschlossen.  Aber  die  Konkur- 
renz, die  dem  Komitee  hunderttausend  Mark 
und  den  beteiligten  Künstlern  vielleicht  mehr 
als  eine  Million  kostet,  hat  doch  die  Frage 
wenigstens  geklärt. 

Ich  meine,  das  Komitee  müßte  nun  zuerst 
noch  einmal  die  Platzfrage  erörtern. 
Vielleicht  kommt  es  dann  zu  dem  Resultat, 
einen  anderen  zu  wählen,  was  am  besten 
durch  eine  Künstlerkommission  geschehen 
würde.  Dann  müßte  eine  engere  Konkurrenz 
zwischen  den  Urhebern  der  talentvollsten  Ar- 
beiten den  endgültigen  Entwurf  schaffen,  den 
Entwurf,  der  genug  Werbekraft  hat,  um 
die  Angelegenheit  dieses  Denkmals  wirk- 
lich zu  einer  nationalen  zu  machen.  Wer 
ein  Freund  der  Denkmalsidee  ist,  muß 
geradezu  davor  warnen,  mit  einer  Aus- 
stellung der  diesmal  preisgekrönten 
Entwürfe  in  deutschen  Städten  eine 
Propaganda  machen  zu  wollen,  wie  das 
geplant  war.  Das  würde  der  Sache  nicht 
nützen."  »berliner  Tageblatt«,  frtt/ stahl. 
«  »  » 

Dr.  Max  Osborn  -  Berlin  äußert  sich  in  der 
„B.  Z.  am  Mittag"  u.  a.  wie  folgt; 

„Ich  weiß  aus  eigener  Erfahrung,  daß  es  keine 
leichte  Arbeit  ist,  aus  Hunderten  von  Ent- 
würfen das  Richtige  oder  auch  nur  das  relativ 
Beste  herauszufischen,  und  wer  in  die  endlose 
Flut  der  Zeichnungen,  Grundrisse,  Pläne  und 
Modelle  getaucht  ist,  die  im  Düsseldorfer  Kunst- 
palast nicht  weniger  als  64  Säle  füllen,  wer  all 
die  wüste  Verstiegenheit,  den  Dilettantismus, 
den  Wahnwitz  durchwandert  hat,  der  sich  hier 
breit  macht,  wird  verstehen,  daß  die  Juroren 
diesmal  besonders  saure  Arbeit  hatten.  Aber 
OS  handelt  sich  nicht  etwa  um  einzelne  Fehl- 
griffe, über  die  niemand  zetern  würde,  sondern 
um  das  sonderbare  und  falsche  Prinzip,  dem  das 
Preisgericht  gefolgt  ist  [.  .  .  etwas  möglichst 
Leichtes,  Nichtwuchtiges  auszuwählen]. 

So  kam  die  Jury  auf  den  für  mich  unver- 
ständlichen Gedanken,  den  Entwurf  Hermann 
Hahns  in  München  mit  dem  stolzen  ersten 
i'reise  zu  krönen.    Ich  verehre  und  liebe  Hahn, 


aber  was  er  hier  in  Vorschlag  bringt,  ist  einfach 
unmöglich.  Er  modellierte  eine  halbnackte 
Jung -Siegfried -Gestalt,  die  den  rechten  Fuß 
auf  einen  Block  setzt  und  mit  den  Händen  ein 
Schwert  auf  seine  Schärfe  prüft.  Und  ringsum 
ließ  er  sich  von  dem  Architekten  Hermann 
Bestelmeyer  einen  Pfeilerrundgang  bauen. 
Zwischen  dieser  Umrahmung  und  der  Figur 
sollen  große  Bäume  angepflanzt  werden.  Das 
Ganze  ist  leicht,  spielerisch,  fast  zierlich.  Ein 
Bismarckdenkmal ,  dessen  Hauptmotiv  nicht 
Kraft,  sondern  —  Eleganz  ist!  Wie  eine  Osteria 
müßte  es  sich  den  Rheinfahrem  drunten  prä- 
sentieren. 

Aber  die  Jury  hat  sich  nicht  damit  begnügt, 
ihr  anfechtbares  Prinzip  in  diesem  einen  Falle 
zu  befolgen.  Sie  hat  es  sich  bei  allen  anderen 
Preisen,  bei  fast  sämtlichen  „Ankäufen"  und 
„Entschädigungen"  zur  Richtschnur  genommen. 
Und  darin  liegt  eine  Ungerechtigkeit.  Sie  hat 
z.  B.  mit  Bedacht  die  prachtvollen  Architektur- 
werke, die  man  als  Werke  von  Bruno  Schmitz 
und  von  Leder  er  erkennt,  umgangen.  Sie  hat 
sich  zu  den  ausgezeichneten  Vorschlägen  von 
Wilhelm  Kreis,  der  eine  ganze  Reihe  von  Zeich- 
nungen eingesandt  hat,  so  verhalten,  daß  sie  da- 
von —  einen  Entwurf  „ankaufte";  Das  ist 
fast  kränkend.  Es  herrschte  also  die  ausge- 
sprochene Absicht,  die  eigene  und  kraftvolle 
architektonische  Monumentalsprache,  die  sich 
in  Deutschland  zu  unserer  Freude  immer  schö- 
ner und  freier  entwickelt  hat,  bei  dieser  Auf- 
gabe nicht  zu  Worte  kommen  zu  lassen,  ihr  auch 
nicht  in  zweiter  und  dritter  Reihe  einen  Platz 
anzubieten.  Man  muß  sich  wohl  vorstellen,  daß 
die  Juroren  durch  die  ungeheuren,  fratzenhaften 
Götzenbilder,  die  in  Massen  aufmarschierten, 
wütend  gemacht  wurden  und  nun  die  Reaktion  er- 
lebten, daß  sie  nur  das  Leise  und  Zurück- 
haltende als  geschmackvoll  empfanden. 
Aber  daß  sie  in  solcher  Stimmung  einem  bieder- 
meierisch-gräzisierenden  Tempelchen,  einem 
Landhäuschen,  einem  gleichgültigen  Türmchen 
usw.  Preise  und  Ehrungen  verliehen,  bleibt 
gleichwohl  unbegreiflich. 

Nein,  hier  muß  ein  ganz  anderer  Ton  ange- 
schlagen werden!  Nicht  subtile  Feinheit 
des  Geschmacks,  sondern  gehaltene  Kraft 
muß  hier  siegen.  Ein  Werk,  das  ohne  billige 
„Volkstümlichkeit"  sich  ohne  weiteres  der  Na- 
tion einprägt  als  Sinnbild  des  gewaltigenLebens- 
werkes,  das  dadurch  gefeiert  werden  soll.  Hier- 
zu aber  ist  bisher  noch  nicht  ein  Anfang  ge- 
macht, noch  nicht  einmal  ein  Weg  gefunden! 

-B.  /.  AM  MITTAG    .  MAX  OSBOKN. 

Weitere  Berichterstattung  muß  dem  nächsten 
Hefte  vorbehalten  werden.        die  schriftleitüng. 


444 


TROFESSOR  THEODOR  FISCHER. 
LANDHAUS    IN    HELLERAU    BEI  DRESDEN. 


PROFESSOR  RICHARD  RIEMERSCHMID. 


Deutsche  Werkstätten  in  Hellerau. 


DIE  GARTENSTADT  HELLERAU. 


VON  ROBERT  BREUER. 


Neuen  Ideen  ist  zumeist  nichts  gefährlicher 
als  die  Zeit  der  ersten  Liebe.  Da  spannen 
der  Enthusiasmus  und  die  Sensation  gesunde 
Erkenntnis  und  nüchternes  Wollen  bis  zum 
Äußersten  der  Phantastik  und  des  Stürmens. 
Vom  Abend  zum  Morgen  warten  die  Wunder- 
gläubigen darauf,  daß  dies  Allerneueste  von 
gestern  schon  morgen  die  Lösung  jedes  Rätsels 
und  jeder  Last  bringe.  Es  ist  nur  selbstver- 
ständlich, daß  dann  über  Nacht  der  Katzen- 
jammer kommt,  und  leicht  geschieht  es,  daß 
im  plötzlichen  Erwachen  mit  dem  Traum  die 
gesunde  Idee  zerschellt.  Solcher  Art,  ein  wenig 
zum  mindesten,  ist  das  Schicksal  der  Garten- 
stadtbewegung in  Deutschland.  Reformato- 
rische Heißsporne  haben  zuviel  von  ihr  erwar- 
tet, haben  ihre  Verwirklichung  für  zu  leicht  er- 
achtet, haben  gehofft,  durch  sie  eine  Erneue- 
rung der  Menschheit  zu  gewinnen.  Der  Idee 
von  der  Gartenstadt,  die  bürgerlich  und  nüch- 
tern aus  England  kam,  gesellten  sich  allerlei 
Askesen,  Naturheilkunde,  Vegetarianismus  und 
eine  Wut  zum  Baden.  Solch  Methodismus  hat 
der  Propaganda  nicht  wenig  geschadet ;  zumal 
sich  damit  noch  die  Romantik  der  Heimatkunst 
verband.  So  kam  es,  daß  kluge  Leute  die  Gar- 
tenstadt als  eine  Utopie,  als  eine  Rückentwick- 
lung in  dörfliche  Verhältnisse  und  paradiesische 
Unschuld  verwerfen  lernten.  Und  in  der  Tat, 
wenn  die  Gartenstadt  eine  Reduzierung  der 
Kultur  auf  das  Notwendigste,  auf  eine  gezähmte 
Animalität,  bedeuten  würde,  so  wäre  sie  vom 
Übel;  und  wenn  sie  nichts  anderes  wäre  als 
ein  matter  Aufguß  völkischer  Sentimentalität, 
so  müßte  man  sie  prinzipiell  verw^erfen.  Daß 
aber  die  Gartenstadt  sich  auch  in  Deutschland 
von   solchen  Ankränkelungen   fern   zu   halten 


vermag,  daß  sie  nicht  eine  Minderung,  vielmehr 
eine  Steigerung  der  Menschlichkeit  und  der 
Kultur  bedeuten  kann,  dafür  ist  Hellerau,  die 
vielgenannte  Siedelung  bei  Dresden,  ein  treff- 
licher Beweis. 

Noch  eine  andere  Gefahr  ist  auf  die  Idee  der 
Gartenstadt,  als  sie  nach  Deutschland  kam,  ge- 
fallen. Die  Spekulation  bemächtigte  sich,  so 
paradox  das  auch  einen  dünken  mag,  der  Er- 
kenntnis, durch  die  ihr  der  Garaus  gemacht 
werden  sollte.  In  des  Wortes  schlimmstem 
Sinne  wollten  die  Spekulanten  die  Gartenstadt, 
diesen  Oberteufel  der  Bodenreform ,  durch 
Beelzebub  austreiben.  Sie  nannten  keck  die 
schäbigsten  Gründungen  der  gierigsten  Banken; 
Gartenstädte.  Wenn  es  nach  ihnen  und  nach 
dem  Namen  ginge,  wäre  Deutschland  mit  Gar- 
tenstädten übersät.  Leider  mangelt  dem  Publi- 
kum oft  genug  jegliche  Einsicht,  um  raffiniert 
verbrämten  Bodenwucher  von  einer  gesunden 
Verwirklichung  sozialen  WoUens  zu  unter- 
scheiden. Auch  da  wiederum  kann  Hellerau 
aufklärendes  Beispiel  sein;  es  ist  durchaus 
nach  den  Forderungen  einer  fortschrittlichen 
Bodenpolitik  gegründet  und  verwaltet.  Das 
Land  gehört  einer  Gesellschaft,  deren  Kapital 
nie  mehr  als  vier  Prozent  bringen  darf.  Von 
dieser  Gesellschaft  mietet  der  einzelne  seine 
Baustelle  auf  ewige  Zeiten.  Die  Gesellschaft 
baut  ihm  sein  Haus  und  „er  erwirbt  das 
Recht,  darin  zu  wohnen,  indem  er  für  den 
Grund  und  Boden  einen  je  nach  der  Lage 
zu  ermittelnden  Pachtzins  entrichtet  und  für 
den  Bau  des  Hauses  einen  Teil  des  Bau- 
geldes in  Form  eines  Darlehns  der  Gesellschaft 
überweist.  Dieses  Darlehn  wird  zu  seinen 
Gunsten  auf  dem  Grundstück  hypothekarisch 


ISll.  VI,  4, 


-147 


Robert  Breuer    Berlin  : 


HELLERAU. 


ii  i>KE~iirN 


eingetragen.  Ihm  selbst  kann  nicht  gekündigt 
werden,  er  aber  darf  kündigen  und  hat  nur  für 
den  Fall,  daß  das  Haus  sich  nicht  weiterver- 
mieten läßt,  auf  ein  Jahr  den  Pachtzins  zu  zah- 
len. Das  Darlehn  wird  verzinst,  aber  ist  un- 
kündbar, solange  er  selbst  in  dem  Hause  wohnt, 
kann  aber  fünf  Jahre  nach  seinem  Wegzug  von 
ihm  aufgekündigt  werden.  Das  Recht  am  Haus 
geht  bei  Todesfall  des  Mieters  auf  dieErben  über, 


auch  diesen  kann  nicht  gekündigt  werden.  So  ge- 
langt er  mit  verhältnismäßig  geringen  Aufwen- 
dungen zu  dem  tatsächlichen  Genuß  eines  Hau- 
ses, das  er  wie  sein  eignes  Haus  ansehen  lernt. " 
Nach  solcher  Ordnung  entstehen  Landhäuser 
zu  einem  Mietspreise  von  700  —  2000  Mk., 
also  Wohnstätten ,  die  dem  Bedürfnis  eines 
guten  Mittelstandes  genügen.  Daneben  wird 
ein   anderer  Teil   des  Landes  mit   Kleinbauten 


HELLERAU.     ANSirn  1   VOM  HELLER. 


44'^ 


Du  Gartnntadt  Hcllcrau. 


PROFESSOR  RUHARD  RIEMERSi  HMID. 

besetzt.  Hier  wird  die  Bebauung  durch  eine 
Baugenossenschaft  geleistet.  Der  Geschäfts- 
anteil ist  auf  200  Mk.  angesetzt.  Jeder  Ge- 
nosse muß  mindestens  einen  Anteil  erwerben. 
Die  einzelnen  Haustypen  haben  einen  Miets- 
preis von  250 — 600  Mk.  Dafür  gibt  es  eine 
bewohnbare  Nutzfläche  von  46  —  85  Quadrat- 
metern.    Das  kleinste  der  Häuser  enthält  im 


Deutsche  WerksiUtten.     Ansiclit  vom  Heller. 

Erdgeschoß  Wohnstube  und  Küche  und  im 
Obergeschoß  zwei  Schlafzimmer;  die  größeren 
haben  je  unten  und  oben  ein  Zimmer  mehr. 
Auch  diese  Häuser  sind  vom  Vermieter  unkünd- 
bar. Zu  jedem  Haus  gehört  ein  Vorgarten  von 
25-35  Quadratmetern  und  ein  hinter  dem  Haus 
gelegener  Nutzgarten  von  95  —  265  Quadrat- 
metern.   Die  Gartenmiete  beträgt  pro  Quadrat- 


(Uli' 


PROFESSOR  RICK.  RlEMERSCHMIIl. 


Deutsche  Werkstätten.     X'erwaltungsgebäude  uml  Einfahrt. 


449 


4J0 


Die  Gayienstadt  Hellerau. 


I'KÜFESSOR  RICH.  RIEMERSCHMID. 

meter  und  Jahr  18  Pfennige;  in  jedem 
Garten  stehen  drei  junge  Obstbäumchen. 
Aus  alledem  sieht  man,  daß  es  sich 
bei  Hellerau  nicht  um  eine  Utopie  han- 
delt, vielmehr  um  eine  rationelle  Orga- 
nisation. Man  spürt  kaufmännischen 
Geist  jener  höchsten  Gattung,  die  alle 
Instinkte  auf  den  Verdienst  im  Interesse 
der  Gemeinschaft  eingestellt  hat.  So  ist 
man  nicht  überrascht  zu  hören,  daß  das 
wirtschaftliche  Zentrum  dieser  doppel- 
artigen Wohnstätten  in  einem  modernen 
Fabrikbetrieb  ruht.  DieDeutschenWerk- 
stätten  für  Handwerkskunst  haben  in 
Hellerau  sich  neu  eingerichtet ;  sie  waren 
es,  die  zu  der  Siedelung  den  Grundstock 
legten,  ihr  Leiter  Karl  Schmidt  hat  die 
Landschaft  Hellerau  entdeckt  und  er- 
schlossen. Die  Genesis  war  einfach  ge- 
nug. Den  Werkstätten  war  die  Herberge 
drinnen  in  der  Stadt  zu  eng  geworden; 
der  Betrieb ,  der  mit  einer  Handvoll 
Menschen  angefangen  hatte  und  jetzt 
mehrere  Hundert  zählte,  verlangte  immer 
nach  größerer  Ausdehnung.  K.  Schmidt, 
der  zehn  Jahre  früher  noch  an  der  Bank 


Deutsche  WerksUitten.   Kraftzentrale,  Hofseite. 


ühL  IM.  HL  U  tkKsi-il  IL-N      liELLhR.M  .    L.\ULk.\MPE. 


451 


DHITSIUE   WERKSTÄTTEN    HEIXERAU. 
r.I.K  K    IX  DIE  TIS(:HI.ER\VERKSTÄTTEN. 


Die  Garfen'itaiU  HcIIermi. 


DEUTSCHE  WERKSTATTEN— HELLER  AU. 

gestanden  hatte,  ging  auf  die  Suche,  der  Ent- 
wicklung seines  Reiches  eine  neue  Wohnstatt 
zu  finden.  In  ganz  Dresden  und  rings  umher 
traf  er  die  Spekulation,  den  hohen  Bodenpreis, 
der  die  Anlage  einer  ungehemmt  der  Hygiene 
der  Technik  und  der  Arbeitsfreude  gehorchen- 
den Fabrik  unmöglich  machte.  Er  aber  wollte 
den  Arbeitern  Luft,  den  Maschinen  Licht,  den 
Pflichten  Erleichterung  und  dem  Empfinden  ein 
großes  Maß  schaffen.  So  traf  er  eines  Tages, 
jenseits  von  Neustadt,  gegen  die  Dörfer  Klotz- 
sche  und  Rähnitz,  ein  freies,  vom  Kapital  noch 
nicht  in  Beschlag  genommenes  Gelände.  Dessen 
gute  Vorsehung  war  der  fiskalische  Besitz  ge- 
wesen, der  sich  zwischen  den  Grenzen  der 
Stadt,  den  Kasernen,  und  diesen  Dorfgemeinden 
dehnt.  So  abgesondert,  schienen  diese  Lände- 
reien der  Spekulation  wertlos.  Und  umgekehrt, 
gerade  durch  den  fiskalischen  Gürtel,  der  sie 
davor  bewahrte,  von  der  Stadt  gefressen  zu 
werden,  empfahlen  sie  sich  als  neue  Heimat  für 
eine  Organisation,  die  den  Schlingen  des  städ- 
tischen Bodenwuchers  entrinnen  und  in  mög- 
lichster Freiheit  sich  entfalten  wollte.  Hier 
also  wollte  Schmidt  die  neue  Fabrik  bauen. 
Indessen,  er  wußte,  daß  er  nicht  in  die  Ein- 
samkeit geraten  durfte,  auch  mochte  er  nicht 
riskieren,  die  Fabrik  nun  vielleicht  doch  der 
Spekulation  zu  einem  Sprungbrett  werden 
zu  lassen.  So  wuchs  ihm  der  Gedanke  einer 
Siedelung  im  Schatten  der  Fabrik.  Nun  hätte 
es  nahe  gelegen,  nur  eine  Arbeiterstadt  für 
die    Angestellten    \orzusehen;    Schmidt   aber, 


Blick  in  den  Maschinensaal. 

dem  die  Psyche  des  Handarbeiters  nie  ver- 
loren gegangen  ist,  kannte  die  Gefahren  der 
von  einem  Fabrikbetrieb  unterhaltenen  Arbei- 
tersiedelungen, die  Gefahren  der  wirtschaft- 
lichen Abhängigkeit  und  der  geistigen  Inzucht. 
Auch  rein  rechnerisch  ergab  sich  bald  die  For- 
derung einer  gemischten  Bebauung ;  größere  Häu- 
ser sollten  neben  kleinen  Heimstätten  stehen. 
Es  könnte  Idealisten  geben,  die  an  diesem 
Zustandekommen  Helleraus  Anstoß  nähmen  und 
sagten,  daß  diese  Gartenstadt  zu  sehr  Produkt 
der  finanziellen  Bedürfnisse  eines  kapitalisti- 
schen Unternehmens  sei.  Das  wäre  aber  kurz- 
sichtig. Gerade  diese  kapitalistische  Logik  bildet 
das  Rückgrat  der  Gründung.  Es  fehlt  ihr  jede 
falsche  Philanthropie,  jede  feminine  Wohltätig- 
keit. Sie  ist  das  Produkt  eines  Exempels,  von 
einem  klugen  und  erfolgreichen  Selfmademan 
als  nützlich ,  als  notwendig  erfunden.  Noch 
immer  aber  war  die  wirtschaftliche  Notwendig- 
keit von  längerem  Bestand  als  die  blaublümige 
Sehnsucht.  Und  die  Entwicklung  Helleraus  hat 
es  bereits  bewiesen,  wie  durchaus  gesund  die 
Siedelung  gedacht  und  durchgeführt  wurde.  Bei 
der  Baugenossenschaft  melden  sich  weit  mehr 
Mietlustige  als  befriedigt  werden  können.  Und 
auch  für  die  gehobenen  Häuser  fehlt  es  nicht 
an  Freunden. 

Das  Gelände  ist  hügelig,  Fichtenwald  ist  da- 
rüber hingesprengt.  Vor  seiner  Südgrenze  liegt 
ein  Paradeplatz ;  nachNordensteigt  es  am  stärk- 
sten an.    Diese  Topographie  verbot  eine  schenia- 


453 


Robert  Breuer- Berliu . 


PROFESSOR  RICK.  RIEMERSl'HMID. 


Deutsche  Werkstätten.  Sitzungszimmer. 


tische  Aufteilung;   die  Wege  und  die  Terrain-  der  Wald- und  Gartensiedelung  zu  wahren,  war 

absteckung  mußten  sich  der  Bodenbewegung  Richard  Riemerschmid  der  richtige  Mann.    Er 

anschmiegen.     Solch    Problem    des    modernen  disponierte  praktisch  und  übersichtlich,  hütete 

Städtebaues  zu  lösen  und  dabei  den  Charakter  sich  vor  einem   willkürlichen  Zerreißen  ,   faßte 


PROFESSOR  RICK.  RIEMERSCHMID.     Deutsclie  Werkstätten -Hellerau.  Schreibsaal. 


4j4 


Die  Gatioistadt  Hellerau. 


PROFESSOR  RICH.  RIEMERSCHMID. 


Deutsche  Werkstätten.   Zimmer  der  Geschäftsführung. 


die  Grundelemente  ,  die  Blöcke  ,  so  groß  wie  samen  Sprengungen  fehlen.  Angenehm  empfan- 
möglich  und  gab  dem  Ganzen  genau  den  Grad  gen  uns  die  Straßen  und  leiten  uns  durch  die 
der  intimen  Zusammengehörigkeit ,  wie  er  sich  Ortschaft.  Das  Auge  erhält  räumliche  Wir- 
für Genossen  in  Freiheit  gebührt.    Alle  gewalt-  kungen  ,  und  wo  es  sie  heute  noch  nicht  sieht, 


PROFESSOR  RICHARD  KlKMEKsCHMllJ.       1  Jeutbillt ■^\■t•IkM.lUell     llflltl.iu.    /llnljiM 


MbluhlUDg. 


1911.  VI.  S. 


45) 


■ll« 


PROF.  RICH.  RIEMERSCHMIU. 


HELLERAU.      »DIE   WALDSCHE.N'KE« 


PROFESSOR  RICH.  RIEMERSCHMID. 


HELIERAU.        DIE    WAI.DsrHENKE« 


PRUHCSSOK  RICH.  RIEMERSCHMID. 


STRASSENBILD,  »PILLNITZER  WEG« 


PROFESSOR  RICH.  RIEMERSCHMID. 


HELLERA.U.     STRASSENBILÜ,   »PILLNITZER  WEG« 


PROKESSOR  RICH.   RIEMERSCHMID. 


HELLERAU.     STRASSENBILD,  sPILLNITZER  WEG» 


PROFESSOR  RICH.  RIE.MERSCHMII). 


HELLERAU.     STRASSENBILD,      AM  GRÜNEN  ZIPFELt 


Robert  Breuer  Berlin 


PROFESSOR  RICH.  RIEMERSCHUID. 

spürt  es  sie  in  der  Anlage.  Die  Hauptdisposition 
ist  deutlich.  Am  Südrand  gegen  Osten  steht 
die  Fabrik,  umfaßt  von  einem  mächtigen  Gehöft. 
Weiter  östlich  bis  zur  Grenze  und  bis  zum  höch- 
sten nördlichen  Zipfel  hinauflaufend,  sammelten 
sich  die  Klein-Häuser.  Der  Westen  und  Süd- 
westen des  Geländes  blieb  den  größeren  und 
reicheren  Bauten  bewahrt;  von  hier  aus  kann 
der  Blick  am  weitesten  schweifen  ,  bis  hinüber 


Hellerau.    Straßenbild,   -Am  grünen  Zipfeln 

in  das  Eibtal  und  zu  den  fernen  Bergen.  Das 
Zentrum  von  Hellerau  ist  für  Häuser  der  Ge- 
meinsamkeit bestimmt,  für  die  Schule,  für  ein 
Haus  des  Ernstes  und  der  Heiterkeit.  Auch 
zentral,  aber  mehr  auf  den  Südostzipfel  zu,  liegt 
der  Marktplatz.  Er  ist  im  Entstehen.  Sein  Typ 
mußte  den  feinen,  wohlgeschlossenen,  leicht  zu- 
gänglichen und  doch  immer  wieder  neu  zu  ent- 
deckenden Platzräumen  der  guten  alten  Klein- 


PROFESSOR  RICH.  RIEMER.Sl.  IIMIIJ. 


Hellerau.    Mjaljciibikl,     .\ni  yruiieu  Zipfel 


45> 


PROF.  RICH.  RIEMERSCHMID. 
EINFAMILIEN-HÄUSER  IN  HELLERAU. 


Die  Gatienstadt  Hellerait. 


ARCHITEKT  HERMANN  MUTHESIUS. 

Stadt  verwandt  sein.  Hier  zeigt  sich  vielleicht 
am  offensten  der  süddeutsche  Einschlag,  der 
durch  Riemerschmid  der  ganzen  Kolonie  natur- 
gemäß gegeben  wurde. 

Solchem  die  Landschaft  genießenden  Tem- 
perament der  Straßenführung  und  der  Platzan- 


Hellerau.    Straßenbild,  »Beim  Giäbcheiv 

läge  gehorcht  nicht  weniger  der  gesamte  Hoch- 
bau. Dessen  bedeutendster  Körper  ist  das 
Fabrikgebäude  der  Werkstätten,  Wie  bei  allem, 
was  Riemerschmid  macht,  kann  dessen  voller 
Wert  nur  im  Gebrauch,  im  Leben  des  Alltages, 
begriffen  werden.   Es  ist  der  schützende  Mantel, 


ARCHITEKT  H.  TESSENOW  UNU  H,  MUTHESIUS. 


Hellerau.    Straßenbild. 


401 


Robert  Brater  Berlin . 


PROFESSOR  RH  H.  RlEMERSt  HMID. 

der  sich  um  die  Notwendigkeiten  des  Betriebes 
legt;  es  ist  zugleich  ein  Ordnungsbringer,  ein 
Wohltäter,  ein  Ausdeuter  handwerklicher  Be- 
dürfnisse. Die  Tischlerei  ist  in  ihm  zu  Hause; 
es  ist  den  Leuten  auf  den  Leib  geschneidert. 
Man  hat  die  gegitterten  Scheiben  gescholten 
und   sie  romanisch  genannt;    man   hat   gesagt, 


Hellerall.   .strallenbiKl,    -.Vm  grunen  ZipfeK 

daß  das  Ganze  zu  sehr  nach  dem  Rittergut 
neige.  Solche  Vorwürfe  würden  verstummen, 
wenn  man  diesen  Fabrikbau  allein  von  innen 
heraus,  nach  seiner  Werkstatt -Tendenz  beur- 
teilte. —  Die  gehobenen  Landhäuser  haben 
die  Tugenden,  die  der  Profanarchitektur  durch 
das  Reinigungsbad  des  letzten  Dezenniums  zum 


LUliilili 


PROFESSOR  RICH.  KIEMKRSCHMIU. 


Hellerau.    Strai'enbild,  •>Am  grünen  Zipfel« 


4b2 


Die  Gartenstadt  Hellerau. 


PKOFESSOK  THEOIJÜK  KlbLHEK. 


Hellerau.    I.anilhai 


neuen  Besitz  wurden;  gestuft  und  variiert  nach  wirklichung  eines  in  dem  Bedürfnis  boden- 
der  Persönlichkeit  der  die  Form  bestimmenden  festen  Ideals  sein.  Wovon  es  in  dem  Vor- 
Künstler. Sie  alle,  vorzüglich  aber  die  Klein-  wort  zur  Ortsbauordnung  für  Hellerau  heißt; 
häuser    der   Genossenschaft,    wollen   die   Ver-  „Gäbe     es     in    Dingen     der    Architektur,     im 


PRUtESSiiR  RICH.   RlEMER->(  HMli>, 


Hellerau.    stralteiit)ild,  :>.\ni  gruiien  Zijtfel' 


46: 


I 


ARCHITEKT  HERMANN  MUTHESIUS. 


HELLERAU.     ZWEIFAMILIENHAUS. 


l'ROKESSOR  RICH.    RIEMERSCHMll  I 


HELLERAU.     STRA.SSENBILD,    »AM  GRÜNEN  ZIPFEL« 


l^om  Kleimvofmhaiis. 


ARCHITKKT  HKRMANN  MUlHEblUb. 


Haus-  und  Städtebau,  eine  künstlerische  Tra- 
dition, so  könnte  eine  Bauvorschrift  mit  einem 
Mindestmaß  von  Bestimmungen  auskommen. 
Die  lebendige  architektonisch  durchgebildete 
Baugesinnung,  von  dem  Bewußtsein  sozialer 
Verpflichtung  getragen,  träte  an  die  Stelle  der 
Paragraphen,  und  die  Städte  würden  empor- 
wachsen gleich  den  alten  Dorf-  und  Stadt- 
anlagen, gut  und  sicher,  der  gefertigte  Aus- 
druck einer  neuen  Lebenszucht  und  Sitte." 
Die  Kleinhäuser  stehen  zumeist  in  Reihen,  zu 
vieren,  auch  zu  sechsen  und  sieben,  ohne  schei- 
denden Brandgiebel.  Einige  wurden  als  Ein- 
zelhaus gebildet.  Bisher  den  größten  Teil  baute 
Riemerschmid,  freundlich  und  charakterfest. 
An  andern  erprobte  Tessenow  seine  mehr  kalli- 
graphische und  meditierende  als  architekto- 
nische Begabung.  Muthesius  gab  den  seinen 
einen  besonderen  Grad  der  Wohnlichkeit  und 
der  heiteren  Zivilisation.  —  r.  r. 

Ä 

VOM  KLEINWOHNHAUS.  Die  nachfolgen- 
den Worte  Baillie  Scotts,  die  wir  frei 
wiedergeben,  mögen  zum  Nachdenken  anregen. 
„Ein  behagliches  und  schönes  Wohnhaus  für 
eine  begrenzte  Summe  zu  bauen,  ist  vielleicht 
eines  der  schwierigsten  Probleme,  die  der  Ar- 
chitekt zu  lösen  hat.    Er  muß  vergessen,  daß 


Stmlienbild     Keim  Gräbchen» 


er  in  der  Tradition  des  Baugewerbes  erzogen 
wurde  und  muß  versuchen,  die  lang  verschol- 
lene Baukunst  zu  erlernen.  Er  muß  mehr  den 
Wert  seines  Werkes  für  die  Menschheit 
und  weniger  den  eignen  Profit  im  Auge 
haben.  Die  Bewohner  solcher  Häuser  haben 
ebenfalls  viel  zu  lernen,  und  viel  zu  vergessen 
an  traditionellen  Absurditäten  und  Vortäu- 
schungen. —  Gewöhnlich  wird  der  gesamte 
Rauminhalt  in  möglichst  viele,  getrennte,  kleine 
Räume  aufgeteilt  und  diese  Räume  werden  dann 
mit  möglichst  vielen  Möbeln  vollgepfropft.  Das 
Ergebnis  ist  wie  ein  Schuh,  der  drückt.  Gerade 
das  Kleinwohnhaus  muß  unter  allen  Umständen 
einen  Raum  enthalten  mit  genügender  Boden- 
fläche und  „Ellbogenfreiheit".  Alle  Räume,  die 
selten  von  mehr  als  ein  oder  zwei  Personen  be- 
wohnt sind,  mögen  im  Kleinwohnhaus  verhält- 
nismäßig klein  gehalten  werden.  Sie  sollen 
gewissermaßen  als  Einbauten  und  Nischen  des 
großen  zentralen  Raumes  wirken,  an  seiner  Ge- 
räumigkeit teilnehmen.  Im  größeren  Landhaus 
ist  das  Zimmer-  und  Korridorsystem  wohl  am 
Platze,  im  Kleinwohnhaus  dagegen  muß  der 
zentrale  Hauptteil  des  Hauses  zu  einem  Innen- 
raum gestaltet  werden,  der  dem  Eintretenden 
sofort  den  Eindruck  vermittelt,  daß  er  sich  in 
einem  Hause  befindet.  —  l.-d. 


^6j 


GARTENSTADT  HELI.ERAU  BEI  DRESDEN. 


DURCHBLICK  NACH    DFR  WALDSCHF.NKE. 


GARTENSTÄDTE  UND  BAUPOLIZEI. 


Es  gibt  eine  Gartenstadt,  die  ihr  harmonisches 
Aussehen  und  die  vortrefflichen  Baufkichten 
derBaupolizei  verdankt.  Während  inderStadt 
selber  die  üblichen  Fluchtlinien,  breiten  Straßen 
und  Verkehrs- „Sterne"  von  der  Bauverwaltung 
nach  herrschendem  Schema  fortgepflanzt  wer- 
den, legt  man  draußen  die  Straßen  und  Plätze  in 
moderner,  heiterer  und  zweckdienlicher  Weise 
an ;  können  die  Häuser  innerhalb  der  Grund- 
stücke stehen,  wo  es  für  das  Straßenbild  am 
günstigsten  ist;  wird  für  eine  rationelle  „Gar- 
tenstadt "-Bebauung  gesorgt,  die  nur  Einfamilien- 
häuser (mit  geringen  Ausnahmen)  duldet  und 
nur  den  vierten  Teil  des  Grundstücks  der  Über- 
bauung einräumt.  Endlich  wird  auch  über  die 
notwendige  ästhetische  Unterordnung  der  Häu- 
ser unter  den  Gesamleindruck  durch  eine  kluge 
Konzessionserteilung  von  der  Baupolizei  gesorgt; 
denn  da  in  der  Genossenschaft  Grundstücke 
auch  zum  Eigentum  erworben  und  nach  dem 
„Geschmack"  des  Besitzers  bebaut  werden 
können,  versteht  es  sich,  daß  die  Vielköpfigkeit 
dieses  Kleinleutegeschmackes  oft  eines  sorg- 
samen Regulatives  nicht  entbehren  kann. 


Das  Wunderbare  an  der  Geschichte  ist,  daß 
diese  Gartenstadt  in  Deutschland  liegt.  In 
Deutschland  hat  die  Baupolizei  meist  nicht  den 
Ruf  zarter  Rücksichtnahme;  und  so  ist  es  viel- 
leicht von  allgemeinerem  Interesse,  ihren  Namen 
zu  wissen;  es  ist  Hopfengarten  bei  Magde- 
burg. Hoffentlich  bekommt  es  vorbildliche  Be- 
deutung; das  Eis  ist  einmal  gebrochen;  sorge 
man  dafür,  daß  es  nicht  wieder  zufriert. 

In  der  Tat  wird  die  praktische  Frage  bald 
brennend  werden,  wie  sich  die  Baupolizei  zu 
den  neuartigen  Siedlungen  stellen  soll.  Sie  kann 
durch  starres  Festhalten  an  ihren  städtischen 
Forderungen  jede  Gartenstadt  im  Keim  erstik- 
ken;  sie  kann  ebenso  durch  verständiges  Weg- 
sehen bei  passender  Gelegenheit  und  durch 
strenge  ästhetische  Aussiebung  der  Bauge- 
nehmigungen die  Gartenstadtbewegung  prak- 
tisch besser  fördern  als  die  ausschweifendste 
Propaganda.  Sie  hat  eine  mächtige  Waffe  in 
der  Hand,  dem  Elend  der  Massenquartiere  ein 
Halt  zu  gebieten  und  selbst  ohne  die  deutsche 
Gartenstadtgesellschaft  billige  Einfamilienhäu- 
ser hervorzulocken:    sie  kann  den  Bodenpreis 


466 


V.^1 

^ 

ARCHITEKT  BAILLIE  SCOTT. 


HELLERAU.    »UMMERHAUS 


AUS  DER  UMGEBUNG  DER  GARTENSTADT  HEI.LERAU  BEI  DRESDEN. 


GaHenstädte  und  Baupolizei. 


niedrig  hallen  auch  an  Orten,  wo  das  Hausbe- 
sitzerparlament den  Grunderwerb  der  Stadt- 
gemeinde nach  Ulmer  Vorbild  zu  verhindern 
weiß.  Sie  kann  mit  einem  Wort  sozial  in  edel- 
stem Sinne  wirken ,  indem  sie  Bodenerwerb 
jedem  zugänglich  macht.  Denn  sie  hat  ja  allein 
über  die  Bebauungsart  zu  bestimmen ;  und 
wenn  sie  alles  noch  freie  Land  der  Einfamilien- 
haussiedlung   (drei    Viertel    des    Grundstücks 


müssen  frei  bleiben!)  reserviert,  so  können  sich 
die  Grundstückspekulanten  auf  den  Kopf  stel- 
len, es  nutzt  ihnen  nichts. 

Dieser  Gedanke  ist  so  einfach,  daß  er  na- 
türlich noch  unbekannt  ist.  Aber  die  Ortsgrup- 
pen der  Gartenstadtgesellschaften  sollten  sich 
doch  mehr  mit  ihren  Baupolizeibehörden  an- 
freunden als  es  bisher  der  Fall  gewesen  zu  sein 
scheint.   —  uR-  paul  keru.  schmidt. 


PROFESSOR  RICH.  RiFMERsiiiMU).     Ausstelluiigshaus  der  Deutschen  WerkstäUen  Hellerau. 


PROFESSOR  RICH.  RIEMERSCHMID. 

EMPFANGS  -  ZIMMER.      AUSSTELLUNGS  -  HAUS 
DER   DEUTSCHEN  WERKSTÄTTEN,  HELI.ERAU. 


Illl 


PROFESSOR   RICH.  RIEMERSCHMID. 

MÖBEL  AUS  VORSTEHFNDEM  EMPFANGSRAUM. 


Ernst  Zimmejynavn  : 


ENTWURK  KAKI.  BKRTSCH. 


Damenzimnier.    Ausstellungshaus  der  Deulschen  Werkstätten.    Ilelleraii. 


KUNST  UND  KULTUR. 


VON  PROFESSOR  Dk.  ERNST  ZIMMERMANN. 


Nicht  gerade  friedlich  und  ohne  Kampf  ist, 
wie  jedermann  weiß,  jene  Kunst,  die  wir 
die„moderne"  nennen  und  die  uns  endUch  nach 
Generationen  wieder  eine  gesunde  tiefere  Kunst 
bringen  sollte,  in  unsere  Zeit  eingezogen.  Es 
hat  hier  Kämpfe,  Ignorierungen,  Mißhandlungen 
und  Mißverständnisse  in  Hülle  und  Fülle  ge- 
geben, wie  sie  nie  bisher  einem  Zeitalter  der 
Kunst  beschieden  gewesen  und  wohl  so  leicht 
auch  nicht  wieder  beschieden  sein  werden,  und 
dieser  Kampf  hat  eigentlich,  wenn  wir  die  jetzt 
immer  mehr  erkannten  und  immer  mehr  ent- 
deckten Vorläufer  dieser  Zeit  mit  hinzu  rechnen, 
sofort  begonnen,  sobald  die  alte  durch  Jahr- 
hunderte hindurch  gegangene  Kunst  der  Renais- 
sance im  Empire  geendet  hatte  und  nun  die 
durch  die  französische  Revolution  geborene 
neue  Zeit  sich  auch  ihre  eigene  Kunst  erschaffen 
wollte.  Da  platzten  alte  Gewöhnung  und  Neue- 
rungsdrang bald  überall  aneinander,  und  diese 
Zusammenstöße  wurden  nur  immer  heftiger 
luid  leidenschaftlicher,   je   breiter   und  mutiger 


der  Ansturm  der  Neuerungssüchtigen  ward. 
Die  eigentliche  Schlacht  hat  aber  dann  erst  vor 
etwa  dreißig  Jahren  begonnen  und  hat  fast 
Jahrzehnte  getobt,  und,  wenn  es  auch  jetzt  im 
allgemeinen  nicht  mehr  zweifelhaft  sein  kann, 
wer  hierbei  Sieger  geblieben  ist :  ein  kleiner 
Guerillakrieg  tobt  immer  noch  weiter  und  selbst 
an  den  übrigen  Stellen  sind  die  Sieger  vielfach 
noch  nichts  weniger  als  allgemein  als  solche 
gefeiert  worden. 

Dieser  furchtbarste  Kampf,  den  die  Jahrhun- 
derte je  gesehen,  ist  in  der  Tat  in  erster  Linie 
ein  wirklicher  Kunstkampf  gewesen :  echtes 
Kunstkönnen  stand  völligem  Kunstunverständ- 
nis gegenüber,  eine  schon  wieder  höher  poten- 
zierte Schaffenskraft  einem  völlig  zurückgeblie- 
benen Auffassungsvermögen.  Es  hatten  Künst- 
ler wie  Publikum  in  ihrer  Entwicklung  nicht 
gleichen  Schritt  gehalten,  und  so  war  der  Ab- 
stand zwischen  beiden,  den  eine  gesunde  Ent- 
wicklung nur  ständig  verringern  sollte,  nur  immer 
größer  geworden,  so  groß  schließlich,  daß  eine 


47^ 


Kunst  itnd  Kulhir. 


FNTWURF  KARI.  BKRTSCH. 


Herrenzimmer.    Ausstelluiigshaus  der  deutschen  Werkstätten.    Hellerau. 


verbindende  Brücke  zwisclien  den  Parteien  her- 
zustellen kaum  noch  möglich  schien. 

Ist  dieser  Kampf  nun  wirklich  immer  ein 
reiner  Kunstkampf  gewesen?  Haben  hierbei 
nicht  vielleicht  noch  andere  Momente  mit- 
gespielt, die  zunächst  mit  der  Kunst  an  sich 
noch  nicht  allzuviel  zu  tun  haben.  Man  be- 
denke, um  diese  Frage  zu  beantworten,  zu- 
nächst, wie  diese  moderne  Bewegung  auf  allen 
Gebieten  der  Kunst  zuerst  begonnen  und  wie 
sie  z.T.  sich  noch  heute  vielfach  gebärdet!  Man 
bedenke,  daß  sie  zunächst  eine  solche  der 
stärksten  und  zum  Teil  völlig  bewußten  Oppo- 
sition war,  eine  solche,  die  der  bestehenden 
Kunstweise  meist  gerade  das  Gegenteil  gegen- 
überstellen wollte  und  hierbei,  wie  das  bei 
solchen  Bestrebungen  nur  zu  leicht  geschieht, 
dann  vielfach  völlig  beim  andern  Extrem  ange- 
kommen war.  Dies  Gegenteil  aber  sollte  gegen- 
über der  verweichlichten,  süßlichen,  zimper- 
lichen Kunst,  in  der  sich  damals  das  meist  so 
gedankenlose,  satte  Bürgertum  so  ungemein 
wohl  fühlte,  daß  es  nach  etwas  anderem,  nach 
etwas  Neuem  garnicht  verlangte,  Kraft,  Energie, 
Ehrlichkeit  und  Selbständigkeit  sein.  Man  wollte 


dies  alles  sowohl  durch  die  Wahl  der  Motive,  wie 
auch  ihre  Durchführung  zur  Geltung  bringen. 
Und  so  erstand  auf  einmal  —  so  erschreckend 
für  jenes  oben  charakterisierte  Bürgertum,  das 
sich  bisher  fast  allein  für  Kunst  interessiert  und 
sie  auch  fast  allein  erworben  hatte  —  jene  Kunst 
der  trostlosen  und  derben  Motive,  der  krassen 
Durchführungen  und  lebhaften  Effekte,  die  man 
auf  dem  Gebiet  der  Malerei  hinsichtlich  ersterer 
so  sehr  bezeichnend  Armeleutemalerei,  hin- 
sichtlich letzterer  Pleinairismus  oder  Impressio- 
nismus genannt  hat,  die  es  aber  in  gleicher  Weise 
auf  allen  Gebieten  der  bildenden  Kunst  ge- 
geben hat.  Sind  doch  selbst  auf  dem  Gebiet 
des  Kunstgewerbes,  des  am  spätesten  modern 
gewordenen  Zweiges  der  Kunst,  Schöpfungen 
vorgekommen,  die  eher  für  den  an  derberes 
Gerät  gewöhnten  Bauer ,  als  für  den  damals 
gerade  in  die  zierlichste  und  eleganteste  aller 
früheren  Kunstperioden,  die  des  Rokoko,  ver- 
sunkenen Stadtbewohner  geschaffen  zu  sein 
schienen.  Trotz  ihrer  Derbheit  aber  waren  sie 
leider  meist  viel  teurer,  als  alle  die  viel  vor- 
nehmer sich  gebenden  Sachen,  an  die  man 
nun   schon   seit  einigen  Generationen  gewöhnt 


473 


Eitisf  Ziiiimcymavyi 


•( 


AKCHITEKT  KARr,  BF.RTSCH. 


Speisezimmer.    Ausstellungshaus  der  Deutschen  Werkstätten.    Hellerau. 


war:  kurz,  es  gab  bald  kein  Gebiet  der  bilden- 
den Kunst  mehr,  das  ganz  frei  war  von  diesem 
Extrem,  das  sich  nicht  in  ganz  ersichtlichen 
Derb-  und  Plumpheiten  gefiel,  die  allgemein 
gefallen,  allgemein  anerkannt  sein  wollten  und 
den  gewünschten  Beifall,  die  gewünschte  An- 
erkennung  doch    trotz    allem    Bemühen    nicht 


finden  konnten.     Und  diese  Zustände  sind  be- 
kanntlich heute  noch  nicht  ganz  vorüber. 

Um  es  kurz  zu  sagen,  man  hat  damals,  als  man 
uns  eine  wirklich  neue  Kunst  schaffen  wollte, 
nicht  bedacht,  daß  Kunst  auch  Kultur  ist,  daß 
die  Kunst  einer  jeden  Zeit  auch  immer  der  Aus- 
druck der  Kultur  und  Gesittung  dieser  Zeit  ge- 


474 


Knust  iiiici  Kiiltitr. 


INTWÜRK  KARl  BERTSCH 


Wesen,  daß  sie  gänzlich  Hand  in  Hand  ging 
mit  der  gesamten  Lebensverfeinerung  dersel- 
ben und  daß  sie  dies  auch  weiter  tun  mußte, 
wofern  sie  sich  wirklich  wieder  in  die  Lebens- 
gewohnheiten der  Menschen  einnisten,  ja  mit 
ihnen  ganz  verwachsen  wollte.  Wer  die  Ge- 
schichte der  Entwicklung  der  Kunst  mit  der  der 
Menschheit  zugleich  verfolgt,   der  wird  bestän- 


dig in  ihr  die  wunderbarsten  Übereinstimmun- 
gen, die  vollkommensten  Harmonien  in  dieser 
Beziehung  erblicken,  der  wird  erkennen,  wie 
beide  stets  genau  dieselben  Entwicklungen 
durchgemacht  haben,  genau  zu  denselben  Zielen 
gelangt  sind.  Wo  sich  ein  Anfang  einer  Kultur 
darbietet,  wo  alles  noch  in  einfacheren,  derbe- 
ren, ungekünstelten  Lebensgewohnheiten  sich 


;all.  VI.  7 


47) 


Ktnisi  imd  Ku/fur. 


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ENTWURF  KARL  BERTSCH. 


Tnchterzimmer.    Ausstelliingshaiis  der  Deutschen  Werkstätten. 


bewegt,  da  wird  auch  die  Kunst  noch  einfach, 
herb  oder  derb  und  ungekünstelt  erscheinen: 
sie  wird  noch  das  Zunächsthegende,  das,  worauf 
die  nienschUche  Phantasie  in  ihrem  Schaffens- 
drang zuerst  verfallen  muß,  zeigen;  dies  alles 
aber  in  voller  Schlichtheit,  noch  ohne  Raffine- 
ment, aber  dafür  voller  Kraft  und  Größe,  als 
ein  wuchtiger,  geschlossener  Effekt.  Eine  sol- 
che Zeit  war  z.  B.  bei  uns  die  der  Romanik, 
bei  den  Chinesen  die  vor  Christi  Geburt,  im 
Altertum  die  vor  dem  Aufkommen  der  Griechen: 
überall  damals  noch  einfache,  ungebrochene  Le- 
bensverhältnisse, ohneVerweichlichung  und  Ver- 
zärtelung und  demnach  auch  überall  eine  Kunst, 
die  uns  heute  so  einfach  und  schlicht  und  groß 


47'' 


erscheint,  daß  wir  sie  garnicht  anders  denn  als 
Monumentalkunst  bezeichnen  können,  und  die 
wir  darum  immer  nachzuahmen  pflegen,  sobald 
wir  späten  Epigonen  auch  einmal  bei  Bedarf 
wieder  so  recht  „monumental"  werden  wollen. 
Und  dann  vergleiche  man  im  Gegensatz  da- 
zu, nach  so  und  so  viel  Zwischenstufen,  in  denen 
durch  die  fortgesetzte  Arbeit  von  Generationen 
über  Generationen  sich  ständig  Kultur  auf  Kul- 
tur häuft  und  sich  zu  immer  größerer  Verfeine- 
rung und  Kompliziertheit  ausbildet,  was  schließ- 
lich aus  der  Kultur  im  Zeitalter  des  Rokoko, 
dem  in  jeder  Beziehung  raffiniertesten,  das  wir 
bisher  gehabt  haben,  geworden  und  mit  ihm  aus 
der  Kunst,   die  dieses  hervorgebracht.    Denn 


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ENTWURF   K.  BERTSCH-MUNCHEN. 

TOCHTER  -  ZIMMER.     AUSSTELLDNGS  -  UAUS 
DER  DEUTSCHEN  WERKSTÄTTEN'.    HELL1:B.\U. 


II  I 


I'KOFESSOR 

KlL'tlAKU 

Kli;MHK,srHMIT> 


PROFKSSÜR  RICHARD  RIEMKRSCHMID.       SCHLAF/.IMMEk.     AU.sSTKL LUNGSHAUS  DER  1  )EUTSCHEN  WERKSTÄTTEN. 


47'^ 


PROFESSUR  RICHARD  RIEMERSCHMID. 
SCHLAFZIMMIR.    AUSSTELLUNGSH  AUS     HIXLERAU. 


PKOKESSOK  KIlHARD  KIEMERSCHMID. 


SPEISEZIMMER.     AUSSTEIXÜNGSHAUS. 


l'ROKESSOR 

KICIIAKD 

KIEMERSCHMID. 


WOHNZIMMER 
EINES  KLEINHAUSES 
IN    IIELLEKAU. 


Kumt  uiiJ  Kii/fi/ 


dies  ist  die  Zeit,  da  die  Gesittung,  die  Kul- 
tur bereits  soweit  gerückt  ist,  daß  die  Frau,  die 
Dame,  die  bisher  gesellschaftlich  doch  immer 
ziemlich  ein  Leben  für  sich  geführt  hatte,  unbe- 
sorgt und  unangefochten  in  das  gesellschaftliche 
Leben  eintreten  kann,  ja  so  sehr,  daß  sie  bald 
zum  eigentlichen  Mittelpunkt  desselben  wird, 
und  nun  alles  in  der  Kultur,  Unterhaltung,  Wis- 
senschaft, Literatur  und  Kunst  auf  jenen  Grund- 
ton gestimmt  wird,  der  in  erster  Linie  den 
Frauen  zusagt,  und  darum  auch  den  damaligen 
Männern,  die  an  dem  geselligen  Verkehr  mit 
ihnen  ein  so  ungewohntes  Gefallen  fanden.  Da- 
mit aber  auch  die  Zeit,  in  der  sich  nun  mit 
einem  Male  auch  alle  Kunst  wandelt.  Alle  Ein- 
fachheit, alle  Größe,  alle  Gradlinigkeit,  alle 
Farbenreinheit  ist  nun  dahin.  Statt  dessen 
Kurven  und  Schnörkel  und  Muschelwerk,  das 
jede  größere  Fläche  aufhebt,  die  Farben  alle 
weich  und  licht,  aber  fast  alle  gebrochen,  so 
daß  man  kaum  noch  ein  reines  Rot,  ein  reines 
Blau  erblickt.  Es  ist,  als  ob  das  Auge  keinen 
lebhaften  Effekt  mehr,  keine  sich  scharf  einprä- 
gende Linie ,  keine  leuchtende  Farbe  mehr 
vertragen  könnte ,  dagegen  sich  sehnt  nach 
gänzlich  neuen  Wirkungen,  die  aber  dezent  und 
raffiniert  zugleich  auftreten  müssen,  nach  dem 
Reiz  neuer,  nie  gesehener  weichen  Kurven  und 
ähnlicher  Farbenverbindungen.  Das  Kapriziöse 
der  Frau  aber  dominiert  an  allen  Ecken  und 
Enden  und  lechzt  nach  immer  neuen  Befriedi- 
gungen. Und  so  ist  dies  das  ausgesprochene  Zeit- 
alter des  Raffinements,  des  pikant  Neuen  ge- 
worden, über  dem  aber  immer  versöhnend  und 
verklärend  die  zarte  Kunst  weiblicher  Grazie 
und  Schönheit  schwebt.  Und  dies  alles  hat 
dann  auch  der  folgende  Stil,  der  unter  dem  Ein- 
fluß der  wieder  erwachenden  Antike  wieder 
ein  wenig  erstarkte  Stil  des  Louis  XVI.  noch 
nicht  verloren;  nur  daß  das  Kapriziöse  damals 
für  lange  Zeit  verschwand.  Erst  das  in  der  Re- 
volutionszeit geborene  Empire  hat  dann  diese 
ganze  Kultur  und  Kunst  hinweggefegt,  und  jetzt 
wieder,  wo  der  Mann  allein  etwas  galt,  mit 
Hilfe  der  Antike  einen  ganz  männlichen  Stil  an 
deren  Stelle  gesetzt. 

Was  folgt  aus  diesen  Beispielen,  die  keineAus- 
nahmefälle,  nur  besonders  deutliche  sind,  für 
unsere  Zeit  und  unsere  Kunst  mit  unerbittlich 
logischer  Notwendigkeit?  Auch  sie  muß  eben, 
wofern  sie  wirklich  mit  unserem  Leben  enger 
verwachsen  und  ein  wirkliches  Teil  desselben 
werden  will,  als  unabänderliche  Grundlage  von 
vornherein  eine  gewisse  Verfeinerung,  ein  ge- 
wisses Raffinement  annehmen,  das  dem  unserer 
Zeit  oder  vielmehr  derjenigen  Kreise,  für  die 
heute  unsere  Kunst  in  erster  Linie  arbeitet  — 


denn  eine  „Volkskunst",  für  alle  Schichten  un- 
seres Volkes  bestimmt,  kann  es  heute  nicht 
geben  —  annähernd  entspricht.  Sie  darf  für 
gewöhnlich  keine  Wirkungen  hervorbringen, 
keine  Eindrücke  uns  aufzwingen,  die  gar  zu  weit 
entfernt  stehen  von  denen,  an  die  uns  sonst 
unser  kulturelles  Leben  gewöhnt,  die  uns  so 
sehr  erschrecken,  daß  wir  darüber  jede  Ruhe 
und  Sammlung  zum  Genuß  verlieren.  Diese 
Forderung  gilt  in  der  Kunst  immer,  mit  ganzer 
Strenge  aber  für  jene  ihrer  Gebiete,  die  wirk- 
lich mit  unserem  Leben  völlig  verwachsen, 
die  unsere  tägliche  Umgebung,  unsere  stetige 
Begleitung  ausmacht:  für  die  Architektur  und 
das  Kunstgewerbe,  vor  allem  die  Innenkunst, 
die  Kunst  unseres  Heims.  Mögen  da  draußen 
in  jenem  Reich  der  Kunst,  das  sich  selbst  Zweck 
ist,  in  jenen  Werken  der  Malerei  und  Plastik, 
die  bloß  um  ihrer  selbst  willen  geschaffen  wer- 
den, die  keine  eigentlich  schmückende,  deko- 
rative Bedeutung  für  unser  Leben  besitzen, 
deren  Ziel  darum  auch  meist  nicht  unser  Haus, 
sondern  das  Museum,  die  Galerie  ist,  immer- 
hin Töne  und  Stimmungen  angeschlagen  werden, 
die  zu  denen  unseres  gewöhnlichen  Lebens  in 
keiner  Weise  passen.  Es  sei!  Denn  in  Museen 
kann  man  gehen,  wie  ins  Theater,  ins  Konzert,  mit 
der  Absicht,  eine  andere  Welt  in  sich  aufzuneh- 
men wie  die  des  Alltags.  Hier  kann  man  sich 
wie  bei  der  Vorführungeines  Dramas  Wirkungen 
aussetzen,  die  man  im  gewöhnlichen  Leben 
meidet,  vorausgesetzt,  daß  eine  wahre  Kunst 
sie  verklärt  und  veredelt.  Es  ist  Feiertagsstim- 
mung, mit  der  man  diese  Stätten  alle  betritt, 
in  der  man  darum  auch  etwas  Besonderes,  Un- 
gewöhnliches erleben  kann.  Die  Kunst  unserer 
engeren  Umgebung  aber  verlangt  Harmonie  in 
sich  selbst  und  mit  uns  selber,  mit  unserer  ganzen 
Lebensweise.  Hier  diese  absichtlich  derb  und 
kräftig,  oder  auf  der  anderen  Seite  absichtlich 
raffiniert  zu  gestalten,  würde  Affektation  sein, 
eine  Verstellung,  die  bald  durch  Überdruß  oder 
Ekel  sich  rächen  und  in  sich  zerfallen  würde. 
Eine  solche  Kunst  würde  Lüge  sein. 

Was  aber  ist  nun  das  Kulturniveau,  auf  dem 
wir  augenblicklich  stehen  und  dem  sich  auch  die 
Kunst  unserer  Zeit  anpassen  muß?  Wir  sind 
unzweifelhaft  keine  Leute  des  frühen  Mittel- 
alters mehr  und  auch  keine  des  raffinierten  Ro- 
kokos. Wir  sind  weder  halbe  Barbaren  noch 
mit  allen  Finessen  und  allen  möglichen  Tradi- 
tionen gehetzte  Aristokraten.  Der  Adel  spielt 
in  unserem  heutigen  Kultur-  und  Kunstleben  als 
solcher  ja  überhaupt  keine  Rolle  mehr.  Seine 
früher  auf  diesen  Gebieten  so  allgemein  tonange- 
bende Stellung  ist  seit  der  französischen  Revolu- 
tion und  ihren  weiteren  Folgen  mit  samt  seinen 


481 


Kitifiir  und  Kunst. 


KAKL  BI.KTm  11      MUNlHKN. 


Herren/immer.    Deutsche  Werkstätten.   \'erkaufsstelle  Berlin,  Bellevuestralie  lo. 


\  orrechten  fast  ganz  vorbei.  Was  jetzt  in  dieser 
Rezichunf5  bei  uns  dominiert  und  für  die  Kunst 
wie  überhaupt  in  Betracht  kommt,  ist  dank 
jener  Revolution  ein  freies,  mehr  oder  weniger 
wohlhabendes  Bürgertum,  das  zwar  vielfach, 
weil  ja  ziemlich  plötzlich  hochgekommen,  noch 
stark  etwas  Parvenümäßiges  an  sich  trägt  und 
sich  darum  mit  den  früheren  Trägern  von  Kunst 
und  Kultur,  der  alten  eingesessenen  Erb-Aristo- 
kratie  in  seinen  Empfindungen  und  kulturellen 
Bedürfnissen  in  keiner  Weise  vergleichen  läßt. 
Aber  es  hat  doch  trotz  alledem,  indem  es  sich 
im  19.  .lahrhundert  die  Kultur-Resultate  der 
vergangenen  Jahrhunderte  zu  eigen  zu  machen 
versucht  hat,  unleugbar  bereits  eine  gewisse 
Stufe  der  Verfeinerung  und  Gesittung  erlangt, 
wie  sie  so  breite  Schichten  der  Bevölkerung 
früher  nie  besessen  haben.  Etwas  Bäuerisches, 
etwas  Primitives,  etwas  Derbes  und  Aufdring- 
liches paßt  in  dieses  nicht   mehr  im  geringsten 


herein,  ebenso  wenig  wie  etwas  zu  Raffiniertes, 
zu  sehr  Verfeinertes,  zu  Glanzvolles.  Gediegene 
Vornehmheit ,  gesunde  Veredelung  muß  man 
hier  erstreben,  das,  was  das  Empire,  die  erste 
bürgerliche  Kunst,  die  wir  besessen,  zuerst  an- 
gestrebt hat  und  mit  vollem  Erfolge,  bisweilen 
reicher,  bisweilen  einfacher,  je  nach  den  Lebens- 
gewohnheiten und  Mitteln  derjenigen,  die  diese 
Kunst  besitzen  sollen.  Die  Kunst  aber  hat  auch 
innerhalb  dieser  Grenzen  noch  immer  genug 
Möglichkeiten,  sich  zu  betätigen  und  auszuleben, 
und  sie  kann  dies  dann  mit  um  so  größerer 
Frische  tun,  weil  sie  von  vornherein  nun  weiß, 
daß  die  Grundlagen,  auf  denen  sie  baut,  dieje- 
nigen sind,  die  ihr  den  allgemeinsten  Erfolg  ver- 
sprechen. Ganz  ohne  diese  aber  wird  sie  nie- 
mals auskommen  können.  e.  Zimmermann. 

Es  gibt  tun-  eine  Weise,  gute  Kunst  zu  erlangen 
—  die  eiiifiidisle  und  zugleidi  die  sdiwieiigste  — 
nämlich  sie  zu  genielien.  |.  Ruskin. 


482 


KARL  BERTSCH^MÜNCHEN. 
KAMINECKE  EINES  HERRENZIMMERS.    DEUTSCHE  WERKSTÄTTEN.    VERKAUFSSTELLE  IN  BERLIN. 


X91L  VI.  8. 


1 


KARL  BERTSCH    .MUNClltN. 

HERREN-/.IMMKR.    DEUTSCHE  WERKSTÄTTEN.    AUSGESTELLT  IN  DER  VERKAUFSSTELLE  BERLIN,  BELLEVUESTR.  10. 


48^ 


*    I'LA.RL  BERTSCH.    HERJ<_ENZIMMER.    -x- 

Dl.UTSCHK  WFJiKSTÄTTKN  !•  Ü  K  HANDWERKSKUNST. 
VERKAUFS-STELLE   BERLIN,    BELLEVUE-STRASSE  10. 


llK 


l'ROFESSOR  A.  NIEMEVER— MÜNCHEN. 


SOPHA-ECKE  EINES  WOHNZIMMERS. 


LUCLL.N   BlKNilARLi     liKRLl.N.    DEUTbClU;  WIlKKS  I.V  I  TEN.    VERKAUFSSTELLE  BERLIN,  BELLEVUESTR.   10. 


KARL  BERTÖCH    MÜNCHEN. 


AUS  EINEM  HERREN-ZI^^MER.    DEUTSCHE  WERKSTATTEN.    .AUSGESTELLT  IN  DER  VERKAUFSSTELLE  BERLIN. 


.fSS 


KART,  BERTSCH     MÜNCHEN. 


HERKEN-xnMMER. 


ARCHITEKT  KARL  liERTSCH— MÜNCHEN.    HERREN-ZTMMER.    DEUTSCHE  WERKSTATTEN.    VERKAT'FSSTEI.LE  BERLIN. 


1911.   VI.  9. 


489 


Schriftbeispiele  aus  vergangenen  Jahrhunderten. 


CHARLOTTE  KRAUSF..    Bestickte  I'ensteivorhänge. 


SCHRIFT-BEISPIELE 
AUS  VERGANGENEN 
JAHRHUNDERTEN.  Ru- 
doHvonLarisch  ist  mit 
der  vierten  Serie  seiner 
„Beispiele  künstleri- 
scher Schrift"  (Wien, 
A.  Schröll  &  Co.)  unter  die 
Schat5gräber  gegangen. 
Dem  Archiv  des  Ordens 
vom  Goldenen  Vließ  hat  er 
Dokumente  und  Briefe  aus 
dem  15.  und  16.  Jahrhun- 
dert entnommen;  natürlich 
tat  er  das  nicht  ohne  tak- 
tische und  pädagogische 
Absicht.  An  der  einheit- 
lichen Qualität  dieser  Blät- 
ter will  er  darlegen  die  für 
unsere  Begriffe  erstaunlich 
hohe  Schriftkultur  jener 
Zeit,  die  am  Hofe  des 
Königs  von  Aragonien  und 
Sizilien,  des  Herzogs  von 
Cleve,  der  Könige  von 
England,  Spanien,  Neapel 
und  Polen  das  gleiche 
gute    Niveau    hatte,    wenn 


PROFESSOK  KicH.  RIEMERSCHMID.   Fenstervorhang 


Deutsche  Werkstätten  für  Handwerkskunst. 


auch  zu  bedenken  wäre, 
daß  die  Schreibmeister 
dieser  Fürsten  doch  von 
der  Zunft  gewesen  sind. 
Aber  selbst  unter  unse- 
ren Berufs  -  Kalligraphen 
gibt  es  kaum  einen,  der  mit 
solch  individueller  Delika- 
tesse und  objektiver  Klar- 
heit, mit  solch  technischer 
Selbstverständlichkeit  und 
verblüffenden  Raumbewäl- 
tigung ein  Blatt  zu  be- 
schreiben vermöchte.  Es 
mag  paradox  klingen,  von 
der  Schönheit  einer  repro- 
duzierten Briefsammlung 
zu  sprechen;  aber  das 
Auge  empfängt  hier  wirk- 
lich sinnliche  Befriedigung. 
Und  man  kann  nur  wün- 
schen, daß  die  Absichten 
Larischs  richtig  aufgefaßt, 
und  daß  unsere  Schreiber 
durch  derartige  Vorbilder 
zu  ähnlich  hohen  Qualitäts- 
leistungen angespornt  wer- 
den.   -     —        P.  WESTHEIM. 


490 


PROFESSOR  A.  NIEMEYER. 


SCHLAFZIMMER. 


ALEXANDER  V.  SALZMANN.       SCHLAFZIMMER.    DEUTSCHE  WERKST.\TTEN.    VERKAUFSSTELLE  BERLIN,  BELLEVUESTR.  10. 


BLUMENSi'HALKN  UND  VASEN  IN  KRISTALLGLAS. 


DEUTS(  HE  WERKSTÄTTEN  V.   HANDWERKSKUNST. 


KLEINE  KUNST-NACHRICHTEN. 


ii;i;RrAR  I9li. 


EIN  LADEN  VON  PETER  BEHRENS.  In  der 
Königgrätjerstrafie,  zwischen  Potsdamerplatj 
und  Tiergarten,  in  diesem,  von  der  Ruhe  der  Mi- 
nistergärten und  der  Millionärs-Etage  zum  exklusi- 
ven Geschäftsviertel  sich  wandelnden  Block,  hat 
Peter  Behrens  für  die  A.  E.  0.  einen  Laden  ge- 
baut. Er  schuf  eines  der  wenigen  Beispiele  spe- 
zifisch merkantiler  Architektur.  Eine  prachtvolle 
Nüchternheit  und  ein  geschärfter  Instinkt  zum  We- 
sentlichen gestalteten  den  Raum,  indem  sie  ihn 
entkleideten.  Man  empfängt  den  Eindruck  einer 
höheren,  geistigen  Nacktheit ;  die  Kälte  einer  messer- 
scharfen Rechnung,  der  ungemilderte  Rhythmus 
der  Notwendigkeit,  sieht  einem  in  das  Gesicht. 
Ohne  irgend  welche  Symbolik  oder  angelehnte 
Form,  allein  durch  die  Verhältnisse,  durch  die  ge- 
schmeidige Strenge  und  die  stolze  Gastfreundschaft, 
lebt  in  diesem  Laden  die  Elastizität  und  die  Rein- 
heit der  Antike,  spartanische  Askese,  Athens  Gym- 
nasium. Doch  würde  man  nicht  einen  Augenblick 
sich  historisch  verführt  glauben;  man  spürt  wohl 
den  Bogen  rückwärts  zum  klassischen  Kodex,  aber: 
man  empfindet  bewuJ3t  die  eiserne  Gegenwart,  man 
erwartet  und  sucht  die  Maschinen.  Die  Wandun- 
gen sind  weifi;  ein  schlichter  Zahnschnitt  sondert 
die  Decke,  deren  Achse  durch  Beleuchtungskörper 
von  straffer  Reinlichkeit  betont  wird.  Aus  gläser- 
nen Platten  und  metallenen  Streifen  wurden  die 
Tische  aufgestellt,  und  Schauschränke  gefügt.  Man 
erkennt,  daß  solche  geschliffene  Präzision  die  al- 
lein mögliche  Art  ist,  die  Kraftgefä|3e  und  Werk- 
zeuge der  Elektrizität  zur  Schau  zu  stellen.  hk. 


MAGDEBURG.  Das  Kaiser  Friedrich-Museum 
sucht  allmählich  die  Lücken  in  seiner  Ge- 
mäldesammlung zu  schließen.  In  dieser  Absicht 
ließ  es  sich  zwei  große  Kartons  aus  der  Nazarener- 
zeit  schenken:  von  Schwind  eine  schwebende 
Frauengestalt  mit  Putten,  eine  Allegorie  der  Kunst, 
und  von  O verbeck  eine  stark  sentimentale  Gruppe, 
Christus  mit  Maria  in  der  Engelsglorie.  Dann 
wurde  die  schöne  Stiftung  des  verstorbenen  Geh. 
Kronenrats  Wolff  dazu  benußt,  um  einen  Leibl 
zu  erwerben,  der  diesen  großen  Künstler  besser 
repräsentiert  als  die  zwei  unbedeutenden  Studien- 
köpfe, die  das  Museum  bisher  besaß:  das  lebens- 
große Bildnis  seiner  Schwester  um  1867,  das  in 
der  Jahrhundert-Ausstellung  1906  ausgestellt  war. 
Die  flockig-weiche  Malerei  seiner  frühen  Zeit,  auf 
schwarzem  Grund,  der  aber  noch  ziemlich  langweilig 
wirkt,  ist  sehr  gut  an  den  Fleischteilen  und  dem 
grau-weißen  Halskragen  zu  studieren.  Außerdem 
wurde  aus  demselben  Fonds  ein  frühes  Genrebild 
von  Knaus  (1864)  gekauft  für  einen  „amerikani- 
schen" Preis  auf  ausdrücklichen  Wunsch  der  Stadt- 
verordneten-Versammlung. 
<t 

1)RAG.  Jahres-.Ausstellung  des  Vereins  deutscher 
bildender  Künstler  in  Böhmen.  (Künstlerhaus 
Rudolfinum).  Eine  gute  deutsche  Ausstellung  auf 
dem  heißumstrittenen  Prager  Boden  hat  nicht  nur 
künstlerischen,  auch  nationalen  Wert.  Die  gegen- 
wärtige Ausstellung  ist  reichhaltig,  interessant,  hat 
verzügliche  Qualitäten  und  -  was  durchaus  nicht 
zu  unterschät3en  ist  —  wird  von  deutsch-böhmischen 


4y^ 


VASEN  UND  BLUMENTul'F-HÜLLEN. 


DEUTSCHE  WERKSTÄTTEN  FÜR  HANDWERKSKUNST. 


JAPANISCHE  KÜKBCHEN. 


DEUTSCHE  WERKSTÄTTEN  KÜR  HANDWERKSKUNST. 


Kkine  Kutist-Nachrichten. 


1 

u 

Kl .uiiiiiiip 

Künstlern  aus  eigener  Kraft  bestritten.  Drei  der 
neun,  von  Architekt  Oskar  Schober  in  ge- 
schmackvoller Weise  in  Szene  geset5ten  Räume 
sind  Kollektionen  gewidmet.  Prof.  Hugo  Steiner 
hat  seine  trefflichen  buchgewerbliehen  und  illustra- 
tiven Arbeiten  gesammelt,  unter  denen  besonders 
die  Zeichnungen  zu  E.  T.  A.  Hoffmann  die  Phan- 
tasien des  Dichters  in  kongenialer  Weise  versinn- 
lichen.   Die  durch'ihre  kunstgewerblichen  Arbeiten 


berühmte  „Wiener  Werkstätte",  zu  deren 
besten  Mitarbeiter  die  Deutschböhmen  Richard 
Teschner,  Prof.  Berthold  Löffler,  Michael 
Powolny  zählen,  hat  in  einem  aparten,  mit  Bildern 
von  Teschner  und  Löffler  geschmückten  Räume 
ihre  vorzüglichen,  richtunggebenden  Arbeiten  aus- 
gestellt. Ein  weiterer  Raum  ist  Willy  Nowaks 
antikisierenden,  in  delikaten  grauen  Farben  ge- 
malten   Bildern    gewidmet,    die   eigenartige   stim- 


OBEN  ;     GESTICKTE    KISSEN.       KNTWI-RF:     PKOI-KSSOR    l).  PRUTSCHEK. 
unten:     elektrische   TISi:HI.AMPEN.      ENTWURF:     KART.    BERTSCH. 


WERKSTÄTTEN 


HANDWERKSKUNST, 


494 


Kleine  Kunst -Nach  richten. 


mungsreiche  und  zarte  Wirkungen  hervorbringen. 
Unter  den  Plastil<ern  fallen  Prof.  Alois  Rieber 
und  Karl  Wilfert  d.  J.  mit  neuen,  trefflichen 
Werken  auf.  Sehr  gute  Porträts  bringen  Alfred 
Justitj,  Urban  Janke,  Georg  Jilovski, 
Otty  Schneider.  Nebstdem bilden  Alois  Wierers 
glänzende  Phanfasiebilder,  Georg  Kars'  leuch- 
tende Impressionen,  Lily  Gödl-Brandhubers 
Landschaften,     Erzsi    Hoppes    flotte    Mädchen, 


O.  Th.  W.  Steins  eigenartiger  Zyklus  ganz  lichter 
Bilder,  Karl  Reis'  Holländer  Mädchen,  Ferdinand 
Staegers  prachtvolle  Schwarzweißzeichnungen, 
Max  Pollaks  kraftvolle  Radierungen  die  größten 
Anziehungspunkte  der  Ausstellung.  —  Man  kann 
diese  Vereinigung  aller  jungen ,  frischen  künst- 
lerischen Kräfte  Deutsch-Böhmens  zu  dem  schönen 
Erfolge  dieser  Ausstellung  voll  Kraft  und  Leben 
nur  von  Herzen  beglückwünschen.  -  j. 


oben;    KISSEN.       ENTW.:     PROFESSOR    O.  PRITSCHER.      CH.  KRAUSE. 
UNTEN  :    TISCHLAMPEN,       KARL  BERTSCH.      RICHARD  RIEMERSCHMID. 


495 


Kleine  Kumt-JVachrichten. 


DANZlü.  In  diesen  alten  Hansestädten  bedarf 
die  Kunstpflege  eines  besonderen,  feinfühligen 
Taktes.  Dem  Erbe  der  Väter,  dem  üeschichtsruhm, 
heiJ5t  es  gerecht  werden;  man  soll  die  Denkmale 
ehren.  Daneben  aber  verlangt  das  natürliche  Wachs- 
tum der  Stadt  nach  moderner  Gestaltung.  Wir 
haben  längst  erfahren,  dafi  das  scheinbar  selbst- 
verständliche Mittel,  solche  Doppelforderung  zu 
befriedigen,  das  naive  Fortset5en  der  Gotik  oder 
des  Barod<,  nur  zu  Niederlagen  und  schwächlicher 
Maskerade  führt.  Wir  lernten,  daß  das  Geset5  der 
Pietät  sich  darin  erschöpft:  die  Qualität  und  die  Emp- 
findungstiefe der  Alten  zu  wahren.  Und  wahrhaftig, 
das  neue  Danzig  müfjte  eine  der  schönsten  Städte 
Deutschlands  werden,  nähme  man  den  Langen 
Markt,  dieses  Juwel  des  Städtebaues,  oder  den 
abenteuerlich  schönen  Karpfenseigen,  oder  das 
donnernde  Glorie  der  Marienkirche,  was  Würde 
und  Temperament  betrifft,  zum  Maj^stab  des  neuen 
Wollens.  Es  läfjt  sich  feststellen,  dag  solches  hier 
und  da  geschieht.  Freilich  eine  moderne  Tradition 
des  architektonischen  Ausdruckes  hat  dies  Paradies 
des  Backsteines  noch  nicht  wieder  gewonnen.  Hier 
und  da  pflegt  man  wohl  gar  eines  Irrtums.  Etwa: 
die  Vordergeländer  der  Beischläge,  dieser  bizarren 
Vorbauten,  stehen  zu  lassen,  während  die  eigent- 
lichen Körper  fallen  und  zur  Straßenbreite  gefügt 
werden,  das  wird  nicht  gut  tun,  wird  etwas  Halbes 
und  Klägliches  bleiben.  Ferner:  der  Polychromie 
kann  leicht  ein  Zuviel  getan  sein.  Es  stimmt  schon, 
die  im  Musikalischen  schwelgenden,  mit  Licht  und 
Schatten  spielenden  Bewegungskomplexe  des  Ba- 
rock unterstü^ten  das  Orchester  der  ausladenden 
Gesimse,  des  Rollwerkes,  der  Profile,  Wangen, 
Vasen  und  Figuren  durch  die  Farbe.  Indessen, 
die  vom  Grau  zum  Schwarz  klingende  Patina  aus 
Ruf;  und  Nebel  gab  den  alten,  viel  umwetterten 
Zeugen  eine  so  selige,  zeitdurchträumte  Stimmung, 
daf)  nur  die  größte,  zarteste  Vorsicht  das  roman- 
tisch Malerische  durch  Malerei  erset5en  darf.  Ein 
pompejanisches  Rot  und  eine  süße  Rokokobuntheit, 
auch  eine  mit  dem  Schwamm  getupfte  Manier 
empfand  ich  bereits  als  Durchbrechen  der  be- 
dingten Zurückhaltung.  —  Für  das  neue  Danzig 
trägt  die  junge  technische  Hochschule  einen  er- 
heblichen Teil  der  Verantwortung.  Drei  Namen  sind 
zu  nennen:  Carsten,  Weber,  Pfuhle.  Carsten 
hat  der  Schule  selbst  das  Haus  gebaut.  Dessen 
Weilräumigkeit  ist  zu  loben.  Minder  glücklich  ge- 
lang die  formale  Mischung  von  Historizismus  und 
Wallot.  Sie  stört  besonders  in  der  Eingangshalle 
und  im  großen  Wandelflur  vor  der  Aula.  Wesent- 
lich befriedigender  ist  das  Eigenhaus,  das  Carsten 
sich  in  Langfuhr  gebaut  hat;  ein  amüsantes,  mit 
Scherzen  nicht  überladenes  Architektenheim. 
Webers  bedeutsamste  Leistung  ist  das  Kurhaus 
im  nahen  Zoppot.     Die  Aufgabe  war  sehr  schwierig. 


496 


Vieles  ist  gelungen.  Die  Ganzheit  der  Baumasse 
gewährt  einen  kräftigen,  zugleich  freundlichen 
Eindruck;  die  rosa  getünchten  Mauern  sind  im 
Rhythmus  eines  Landschlosses  gegliedert.  Doch 
spürt  man  das  Programm  des  wirtlichen  Hauses, 
die  Unterkunftsstätte  für  Tausende,  die  Restau- 
ration, den  Theatersaal.  Das  Innere  des  Kur- 
hauses birgt  manche  trefflich  geratene  Lustig- 
keit; besonders  mit  der  Farbe  wurde  keck  und 
glücklich  gearbeitet.  Vieles  wäre  wohl  noch  besser 
geworden,  wenn  die  Hast  nicht  gar  so  im  Nacken 
gesessen  hätte;  dann  wäre  vielleicht  für  die  über- 
all, bis  zum  Verdruß  angewandte  Wischmarmorie- 
rung und  Herauswischmalerei  auch  einmal  etwas 
anderes  gefunden  worden.  Am  auffälligsten  ist  der 
große  Musik-  und  Theatersaal;  orange  über  gelb 
lasiert,  mit  reicher  Vergoldung  und  flotter  Orna- 
mentik. Wesentlich  schwächer  ist  ein  blauer,  mit 
Stanzen  und  Grottenmalerei  überlasteter  Saal.  — 
Neben  den  beiden  Genannten  ist  Pfuhle  der  spezi- 
fisch modern  empfindende  Künstler.  Er  ist  Maler. 
Ciern  erinnern  wir  uns  seiner  milden  und  von  klingen- 
der Freude  erfüllten  Bilder.  Von  Jahr  zu  Jahr  ge- 
wannen sie  an  Größe  und  Reinheit  des  Ausdrud<es. 
Immer  mehr  entkleideten  sie  sich  eines  kunstge- 
werblichen Einschlages  und  wurden  erfüllt  von 
Menschlichkeit  und  Musik.   -  kohkrt  urei-er. 

Ä 

ZWEI  BRÜCKEN  VON  ARNO  KÖRNIG.  (Kon- 
struktion von  Baurat  Krause.)  Berlin  hat  be- 
griffen, daß  für  jeglichen  Hochbau  die  Rechnung 
des  Ingenieurs  nicht  hinreicht;  daß  die  Hinzu- 
ziehung eines  Architekten  notwendig  ist.  So  arbei- 
tet denn  auch  die  Tiefbauabteilung,  wenn  sie  etwas 
Oberirdisches  schafft,  der  Erkenntnis  gemäß  mit 
einem  Künstler.  Jetjt  hat  Arno  Körnig  zwei  größere 
Wasserüberführungen  fertig  gestellt.  Am  Ausgang 
des  Westens  die  Cöthener  Brücke  und  eine  im 
fernsten  Moabit.  Körnig  traf  ausgezeichnet  den 
Ton,  den  die  Umgebung  bedingt.  Im  Westen  ist  er 
diskret  und  anmutig,  im  Norden  robust  und  heiter. 
Hier  wie  dort  aber  wahrte  er  das  Maß,  das  dem 
Schönheitshelfer  des  Eisenkonstrukteurs  gesetjt  ist. 
Bei  der  Cöthener  Brücke  wählte  er  einen  grauen 
Kalkstein  für  die  Widerlager  und  die  Rampe;  die 
Fahrbahn  wurde  durch  eine  Platte  aus  rotem  Granit 
hervorgehoben.  Ein  hellgrün  gestrichenes  Gitter 
aus  Schmiedeeisen,  um  einige  bronzene  Schmuck- 
stücke bereichert,  wirkt  als  Dominante.  Völlig 
anders  in  Moabit.  Da  wurden  für  die  Wider- 
lager und  die  großen,  die  Uferstraße  überwöl- 
benden Bogen  unbehauene  Findlingsblöcke  ver- 
wandt. Alle  Wirkung  ist  auf  die  Horizontale  ein- 
gestellt; die  Riesenschornsteine  der  Elektrizitäts- 
Werke  paralysieren.  Nur  acht,  paarweise  ge- 
koppelte Lampenmasten  ragen  auf  und  mehren 
den  Trotj  des  Bollwerkes.  -  breuer. 


Inhalts-Verzeichnis. 

BAND  XXVII 

Oktober  1910  — März  1911. 


TEXT -BEITRAGE: 

Kunst,  Kunstgewerbe    und    Publikum.     Von 

Arthur  Roeßler — Wien     .... 
Etwas  über  Kunstbesitz.      Von  Franz  Ser- 

vaes — Wien 

Das  Kunsthaus   in  Zürich.      Von   Dr.  C.  H. 

Baer  —  Zürich 

Eindrücke  von  der  Brüssler  Welt-Ausstellung. 

Von  Dr.  H.  Muthesius.— Berlin 

Haus  Kestranek  in  St.   Gilgen 

Brauchbare  Gartenkunst.    Von  Dr.  K. 

Schaefer^Bremen 

Eine    moderne    Wohnung    in    Brunn.      Von 

Karl  Hans  Strobl — Brunn    . 
Hygiene  in  der  Wohnung.     Von  H.  Lang- 

Danoli  —  Darmstadt 

Die    Quellen    des    Behagens.      Ein    wichtiges 

Kapitel    unserer    heutigen    Wohnkultur. 

Von  Kuno  Graf  Hardenberg 
Münchner  Künstler-Kaulitz-Puppen 
Redaktioneller     Wettbewerb :     Monogramme 

und  Signets 

Otto  Hettner — Florenz.  Von  Paul  Fechter 

—  Berlin 

Paul  Gauguin.     Von  Dr.  Meyer-Rief stahl 

—  Paris 

Bildhauer    Bernhard    Hoetger.     Von    Otto 

Schulze  —  Elberfeld       ..... 

Die  Ausstellung  als  Kunstwerk.  Von  Hans 
Schliepmann 

Der  Damen-Salon  im  Hause  Brakl — München. 

Die  Wiedergeburt  des  Monumentalen.  Von 
Robert  Breuer 

Schmuckplätze  unserer  Großstädte.  Von  Dr. 
Hermann   Diez 

Die  Zukunft  unserer  Baukunst  und  der  Heimat- 
schutz.  Von  Dr.  K.  Schaefer-Bremen 

Walther  Georgi — Karlsruhe.  Von  Willy 
Frank  —  München 

Künstler  und  Helden.     Von  Dr.  E.  W.Bredt 

—  München 


Seite' 

3-8 


33—37 
38—40 

47-5" 
55—63 
64—66 

75  —  77 


84 

87- 

-91 

103— 

108 

109 — 

116 

116— 

123 

127— 

•3' 

■33- 

134 

'39- 

148 

148- 

156 

158- 

'72 

185- 

193 

194— 

'95 

Moderne  Galerie^ — München.    Von  Wilhelm         Seite 

Gebhard  —  München 199 — 203 

Bildhauer  Georg  Kolbe — Berlin.  Von  Lothar 

Brieger- Wasservogel  —  Berlin  .  207  —  210 
Deutsche  Medaillen  und  Plaketten.     Von  Dr. 

W.  V.  Grolmann — Wiesbaden  .  .  211 — 214 
Die  Münchner  Mohammedanische  Ausstellung. 

Von  Dr.  R.  Meyer- Rief  stahl — Paris  217^225 
Eine   deutsche  Welt  -  Ausstellung  ?     Von 

Alexander  Koch  —  Darmstadt.  .  226 — 228 
Der  deutsche  Stil.     Von  Wilhelm  Michel 

—  München  . 228 — 234 

Ludwig  Hohlwein — München.      Von  Wilh. 

Michel  —  München 237 — 251 

Franz    Christophe — Berlin.     Von    Norbert 

Falk  —  Berlin 252  —  254 

Der  Berliner  Schaufenster-Wettbewerb.     Von 

Robert   Breuer 263  —  264 

Olbrich    in    der   Akademie.     Von  Dr.  P.  F. 

Schmidt  —  Magdeburg 264 

Stadttheater  für  Hagen  i.  W.     .....  266 

Neue  photographische  Kunstwerke  von  Frank 

Eugene    Smith.     Von    Wilh.    Michel 

—  München 269 — 277 

Neue    technische    Möglichkeiten.      Von    Dr. 

Ernst  Jaff^  —  Friedenau  ....  277 — 282 
Erste   Ausstellung    der    s  Künstlervereinigung 

Dresden«.  Von  Dr.  E.  Bender  .  .  291  —  294 
Die  Eroberung  des  Kunstwerkes.     Von  Rob. 

Breuer 298 — 310 

Landliche    Häuser    von    Heinrich    Straumer. 

Von  Anton  Jaumann  —  Berlin  .  .  313 — 320 
Puppen  von  Lotte  Pritzel.      Von  Wilhelm 

Michel  —  München 329 — 338 

Edles  Material.      Von    Paul  AVestheim  — 

Berlin 338 

Deutsche   Graphische  Ausstellung   in   Leipzig  339 

Erziehungsstätte  für  künstlerische  Photographie. 

Von  Dr.  M.  K.  Rohe  —  München  .  345 — 348 
Das    Haus    Benker    in    Dörflas.     Von  Prof. 

Karl  Mayr  —  München  ....  351 — 354 
Heimatkunst.     Von  Dr.  E.  Utitz-Rostock     354—373 


I 


Architekt    Ino    A.   Campbell.      Von    Fritz  Seite 

von  Ostini  —  München  ....  374 — 381 
Mosaik,    Glasmalerei    und    Mosaikverglasung. 

Gedanken  eines  Praktikers.     Von  Leop. 

Forstner  —  Wien 383 — 386 

Bühnenbilder  und  Kostüm-Entwürfe  zu   »Der 

Musikant«.     Zwei  Akte  von  Jul.  Bittner. 

Von  Prof.  K.  Moser  — Wien  .  .  .  388—392 
Franziska    Brück — Berlin.       Von    Geheirarat 

M.   Lehrs  —  Dresden 393 — 398 

Die    dänische    Ausstellung.     Von    Robert 

Breuer  —  Berlin 399—405 

Bodenständigkeit.     Von    Architekt   Joseph 

Rings  —  Offenbach 407 — 408 

Hermann   Demburg 410 

Adolf    Hengeler — München.        Von     Wilh. 

Michel  —  München 415—424 

Schöne,  spottbillige  alte  Sachen.     Von  Paul 

Westheim  —  Charlottenburg  .  427 
Technische    Kultur    und    Erziehung.       Von 

Direktor  Dr.  A.  Pabst  —  Leipzig  430 — 436 

Jugendheime        43  ö 

Wettbewerb  für  das  Bismarck-Natinnal-Deuk- 

mal.  VonProf. Dr.  M. Seh mid- Aachen  437 — 443 
Die    Gartenstadt    Hellerau.     Von    Robert 

Breuer  —  Berlin 447 — 465 

Vom  Kleinwohnhaus.  Von  L.-D.  .  .  .  465 
Gartenstädte  und  Baupolizei.      Von  Dr.  P.  F. 

Schmidt  —  Magdeburg  ....  466 — 468 
Kunst  und  Kultur.      Von  Prof.   Dr.   Ernst 

Zimmermann  —  Dresden    ....  472 — 482 

Ein  Laden  von  Peter  Behrens 492 

ABBILDUNGEN 

(SACHLICH  ZUSAMMENGESTELLT); 

Ankleidezimmer  S.  28 1 ;  Arbeiterwohnungen  S.  96 — 
97;  Architektur  S.  22—28,  38—39,  46,  94,  129,  139 
—  143.  265,  312-317.  320—322.  35'.  374—375. 
406 — 409,  437 — 441,  446 — 467;  Ausstellungsgebäude 
und  -Räume  S.  22 — 28,  94 — 96,  129,  139 — 147,  206; 
Bibliothekszimmer  S.  238 — 239,  285  ;  Blumenarrangements 
S.  393 — 398;  Bluraenbehälter ,  Blumenkübel,  Blumen- 
ständers. 160 — 163,  166 — 169,393 — 398.  493;  Bronzen 
S.  159,  224,  290;  Bucheinbände  S.  153,  41 1;  Damen- 
zimmer S.  62,  138,  472;  Denkmäler  S.  437 — 441; 
Edelmetall-Arbeiten  S.  78 — 79,  160—178,  399;  Emp- 
fangszimmer S.  241 — 242,  469—471;  Erker-  u.  Fenster- 
anlagen S.  59,  61,  485,  490;  Figurinen  und  Kostüme 
(Theater)  S.  388 — 392;  Frühstückszimmer  S.  234;  Gar- 
deroben S.  367;  Gärten  S.  47 — 51;  Gartenanlagen  und 
Gartenarchitektur  S.  47 — 51,  94,  368 — 372;  Gartenmöbel 
S.  49 — 50;  Gemälde  S.  2 — 5,  7,  9 — 21,  102  — 115, 
132  — 138,  184 — 195  —  203,  216,  292 — 306,  414 — 436; 
Gläser  und  Pokale  S.  162,  492;  Glasmalereien  und  Kunst- 
verglasungen  S.  52,  382 — 386;  Hallen  und  Dielen  S.  43, 
235.   279,  319,  323;   Herren-   und  Arbeitszimmer  S.  45, 


61,  240,  243,  285,  359,  364—365,  454—455.  473. 
482—485,  488—489;  Hüte  S.  181  — 182;  Kamine  und 
Öfen  S.  43,  45,  279,  282,  318;  Kassetten  und  Dosen 
S.  82,  150,  152,  166,  223;  Keramik  S.  83,  218 — 221, 
225,  326 — 328,  493;  Keramik,  figürliche  S.  68 — 69, 
100,  154  — 158;  Kissen  und  Decken,  gestickte  S.  80 — 81, 
256 — 259,  494 — 495;  Kleinwohnhäuser,  Ein- und  Mehr- 
Familienhäuser  S.  96,  407 — 409,  457 — 465;  Kostüme 
(Gesellschafts-  und  Straßen-)  S.  70 — 73;  Küche  S.  66, 
97;  Lampen  und  Leuchter  S.  83,  179,  494  —  495;  Land- 
häuser und  Villen  S.  38—39,  46,  312 — 317,  320 — 322, 
446,  463,  467;  Lauben  und  Gartenhäuschen  S.  47 — 48, 
50;  Lederarbeiten  S.  153,  411;  Malerei  (dekorative) 
S.  132 — 138,  145,  190,  196 — 197;  Metallarbeiten  S.  67, 
82,  166 — 167;  Möbel  (verschiedene)  S.  64,  74,  149,  247, 
250;  Monogramme  und  Signets  S.  87 — 93,  260 — 262; 
Musikzimmer  S.  278,  324 — 325,356 — 357,377;  Photo- 
graphie (künstlerische)  S.  268 — 276,  344 — 349;  Plakate 
S.  229 — 233,  291;  Plaketten  und  Medaillen  S.  211  — 
214;  Plastik  (figürliche  imd  omamentale)  S.  28,  30 — 33, 
68 — 69,  99 — ICD,  118 — 126,  154 — 159,  204 — 205, 
207—214,  217,  223,  290,  307—310,  368—372,  387; 
Puppen  S.  84 — 85,  329 — 338;  Radierungen  S.  255; 
Salon  und  Empfangszimmer  S.  54,  352 — 353,  361; 
Schlafzimmer  S.  63 — 65,  97,  237,  248 — 251,  284,  288, 
381,  476 — 479,  491:  Schnitzereien  (Holz  und  Elfen- 
bein etc.)  S.  217,  223;  Schreib-  und  Rauchzeuge  S.  151 
— 152,  412;  Schreibtische  S.  63;  .Schmucksachen  S.  79, 
170 — 178,  399;  Speisezimmer  S.  40 — 42,  52  —  53,  58 
—59,  244—247,  318,  363,  474—475,  480;  Spielzeug 
S.  340 — 341;  Stickereien  S.  80 — 81,  256,  258 — 259, 
400 — 405,  494 — 495;  Szenerien  S.  383 — 392;  Tafel- 
dekoration S.  75,  393 — 398;  Tafelgeräte  S.  75,  78 — 79, 
160 — 165,  168  — 169,  179,  399;  Teeraum  S.  378 — 379; 
Teppiche  S.  222;  Treppenhäuser  S.  24,  319,468;  Uhren 
S.  67  —  68,  151,  167,  412;  Vignetten  S.  86,  373;  Vitrinen 
S.  55;  Vorhänge  S.  490;  Wohnzimmer  S.  56,  96 — 97, 
235,    282,    287,    487;    Zeichnungen    S.   86,    252  —  253. 

KLEINE  KUNST- NACHRICHTEN: 

Berlin   .           S.  174.    178.    263.    266.    339.  411.    496 

Brüssel 96 

Cöln 342 

Daiizig 496 

Darmstadt 99.    100.    265,  342.     410 

Elberfeld 9».    342 

Hagen  i.   W 266 

Hannover        339 

Herford 94 

Leipzig 339 

Magdeburg 342.    492 

München 178 

Prag 492 

Schleswig-Holstein    .      .           412 

Wien 1)8 

Worms 410 


■                            Namen -Verzeichnis. 

■  ■■ 

Seite 

■ 
Seilt                  ■ 

■        Aufseeser,  Ernst — München 

259 

Georgi,  Prof.    Walther — Karlsruhe       .     .     . 

184- 

-197        ■ 

5        Baer,  Dr.  C.  H.— Zürich 

22  —  28 

Gosen,  Prof.  Th.  von — Breslau        .... 

214         S 

■        Beckert,  Fritz — Dresden 

299 

Greve-Hamburger,  Katharina — Charlottenburg 

258        ■ 

■        Bahn,  Fritz — München 

21  I 

Grolmann,  Dr.  W.  von — Wiesbaden  . 

211- 

-214        ■ 

J        Bembe,  A. — Mainz 

278—288 

Gußmann,  Prof.  Otto — Dresden                297. 

304. 

306    2 

■        Bender,  Dr.  Ewald— Berlin    174—178.   266. 

291—294 

Habich,  Prof.  Ludwig — Stuttgart     .... 

214    ■ 

■        Bendrat,  Arthur — Dresden 

298 

Hardenberg,  Graf  Kimo — Dresden     75 — 77. 

99    ■ 

_        Berlin,  Königl.  Porzellan-Manufaktur  .     .     . 

326 

Hahn,  Prof.  Herrn. — München       212 — 213. 

437    s 

■        Bernhard,  Lucien — Berlin 

487 

Hayeck,  Hans — Dachau 

304    ■ 

■        Bertsch,  Karl — Dresden      472 — 477.    482 — 

Hegenbarth,  Prof.   E. — Dresden       .... 

303    ■ 

5                                                           485.  488—489. 

494 

Hengeler,  Prof.  Adolf — München    .        2—5. 

414- 

-436    s 

■        Bestelmeyer,  Arch.   Herrn. — München 

437 

Hentschel,  Schwanhild — Buchholz    .... 

262     ■ 

■        Binz,  Herrn. — Karlsruhe 

68—69 

Hettner,  Otto — Florenz 

102- 

-108    s 

J        Bleeker,  Bildhauer,  Bemh. — München 

44' 

Hildebrand,  Prof.  Dr.  A.  von -München 

212          J 

■        Bosselt,  Rud.— Düsseldorf 

213 

Hoetger,  Bernhard— Elberfeld     .     118  — 126. 

204- 

-205          ■ 

■        Brantzky,  Arch.  Franz — Köln 

439 

Hofer,  Ton— Wien 

262          ■ 

"        Brauchitsch,  Margarete  von — München 

80—81 

Hoffmann,  Prof.  J. — Wien     149.   151  — 153. 

■        Bredt,   Dr.   E.   W.— München 

194—195 

164—169.   176 — 177. 

'79- 

180          ■ 

!        Bredow,  Prof.  G.  A. — Stuttgart      .... 

328.    387 

Hohlwein,  Ludwig — München 

229- 

-25'    z 

■        Breitnieser,   Georg — Langstadt 

262 

Holtz,  Johann — Berlin 

411      ■ 

g        Breuer,   Rob. — Berlin   133—134.    139  —  148. 

Hömlein,  Fritz— Dresden 

2'3          ■ 

■                 263—264.    298—310.    339—342.    399 

Hoyer,  Theodor — Neu-Babelsberg   .... 

260           ■ 

■                                                        — 405.  412.  428. 

447—465 

Jaffe,  Dr.  phil.   Ernst — München     .... 

277- 

-282           ■ 

_        Bricger- Wasservogel,  Lothar — Berlin    .     .     . 

207 — 210 

Jaumann,  Anton — Berlin 

313- 

-320    5 

■        Brück,  Franziska — Berlin 

393—398 

Jensen,  Georg 

399    ■ 

■        Büttner,  Erich — Berlin 

90 

Jost,  Heinrich — München 

262    z 

"        Campbell,  Arch.  Ino  A. — München           .     . 

374-381 

Kaufmann,  Prof.  Hugo — Charlotten  bürg  . 

213    5 

■        Christophe,  Franz — Berlin 

252—255 

Kaulitz,  Marion — Gmünd  am  Tegemsee 

84 

-85    ■ 

H        Ciujel  &  Moser — Karlsruhe 

22—28 

Kirsch,  Hugo  F. — Wien 

327    s 

■        Czeschka,  Prof.  C.   O.— Wien 

150.     170 

Kniebe,  Bildhauer,  Walter— Düsseldorf    .     . 

438    ■ 

■        Dasio,  Prof.  Max— München 

213 

Koch,  Hofrat,  Alexander — Darmstadt       .     . 

226- 

-228    s 

J        Deutsche    Werkstätten    für    Handwerkskunst 

Koch,  Herta — Dannstadt 

256- 

-257    s 

■                 G.m.b.H. -Dresden  82— 83.  258— 259. 

447—495 

Kolbe,  Georg — Berlin        

207- 

-210       ■ 

■        Dienst,  Paul — Dresden 

261 

KoUmar,  W 

68        S 

g        Diez,  Dr.   Herrn. — Berlin-Friedenau           .     . 

148  — 156 

Koenig-Woemer — Freiburg 

412     ■ 

■        Elkan,  Beimo — Karlsruhe 

212 

Kömer,  Max — Stuttgart 

89    ■ 

■        Engelmann,  Bildhauer,   Richard — Dahlem 

99 

Kowarzik,  Prof.  Jos. — Frankfurt  a.  M.    .     . 

214     ■ 

_        Erler-Samaden,  Erich— München     .     .     .     . 

18.     21 

Krause,  Ch 82. 

488. 

495        S 

■        Eyermann,  Bruno — Leipzig    ...           .     . 

92 

Krame -Rudolf,   Lotte — Dresden      .... 

93        ■ 

■        Falk,  Norbert— Berlin 

252—254 

Kuebart,  Architekt,  K. — Barmen    281 — 282. 

287- 

-288        ■ 

J        Fechter,  Dr.  Paul— Berlin 

1 03  ^  1 08 

Kurz,  Arch.  Otho  Orlando — München      .      . 

441    s 

■        Feiten,  Rudolf — Hamburg 

261 

Kuno,  Laura — Stuttgart 

260       ■ 

■        Fischer,  Reg.-Baumeister,  Alfred — Düsseldorf 

438 

Lang-Danoli,  H. — Dannstadt 

64 

—66        S 

J        Fischer,  Prof.  Th.— München     .     .     .    406. 

446.    463 

Lange,  Arthur — Dresden 

308        ■ 

■        Fischer,  Otto— Dresden 

293 

Läuger,  Prof.  Max — Karlsruhe 

83        ■ 

■        Frank,   Willy — München 

185  —  193 

Lehr-  und  Versuchs-Atelier  für  Photographie 

g        Forstner,  Leopold — Wien 

■        Fuchs,  Joseph — Stuttgart 

382—386 
93 

— München 

344- 
393- 

-349       S 
-398       ■ 

Lehre,  Geheiim-at,  Max — Dresden   .... 

■        Gauguin,  Paul 

109 — 1 15 
199—203 

Leipold,  H 

69       a 

—79        5 

J        Gebhard,   Wilhelm — München 

Lettre,  Emil — Berlin 

78 

■        Geiger,  Willi — Florenz 

86.    373 

Löffler,  Prof.  B.— Wien 

'54- 
■  ■■■ 

-156        ■ 

■■■■■■ 

Loubier,  Dr.  J. — Friedenau 

Lüdecke,  Gustav. — Dresden 

Majolika-Manufaktur^Karlsruhe      .... 

Maute,  G. — Basel 

Ma)T,  Prof.  Karl — München 

Meyer-Riefstahl,  Dr.  R. — Paris      109 — 116. 

Metzendorf,  Arch.  G. — Essen 

Metzner,  Prof.  Franz — Berlin 

Michel,  Wilhelm — München  228—234. 

237—251.   269—2;-.  329—338- 

Missfeldt,  Friedrich — Kiel 

Moser,  Prof.  Koloman — Wien   .      .     .     163. 
Mohammedanische  Ausstellung — München 

Müller,  A 

Museum  für  Kunst  und  Industrie — Wien 
Muthesius,    Geheimrat,    Dr.    Herrn. — Berlin 

33—37-  427-  4<"- 

Nadler,   Hans — Dresden 

Nagel,  Architekt,  Fr. — Nürnberg     .      .       51. 

Nielsen,  Ewald 

Niemeyer,  Prof.  A. — München        .... 

Nitsche,  Julius — München 

Osbom,  Dr.  Max — Berlin 

Ostini,  Fritz  von — München 

Otto,  Prof.  W.— Bremen 

Pabst,  Direktor,  Dr.  A.  —  Leipzig 

Pepino,  Anton  Josef — Dresden 

Peipers,  Berta — Stuttgart        

Pellar,  Hanns — München 

Pieper,  Lotte — Offenburg 

Pilz,  Otto  — Dresden 

Powolny,  Prof.   M.  —  Wien 

Pritzel,  Lotte — München 

Pritzsche,  Martin — Berlin 

Prutscher,  Prof.  Otto — Wien  13g — 147.    162. 

Püttner,  Walter — München 

Putz,  Prof.   Leo — München 

Reschke,  Ernst — Berlin 

Reutlinger,  Atelier — Paris 

Riegel,  Prof.  E. — Darmstadt 

Riemerschmid,  Prof.  Rieh. — München     440. 
447-    449-451-    454—459.  462—464. 
468 — 471.  478  —  480. 
Rings,  Arch.  Joseph — Offenbach  a.   M.    . 

Rodewald,  Otto — Hamburg 

Rohe,  Dr.  M.   K. — München 


Seile 

4>' 

262 

68-69 

261 

35'— 354 

217-  225 

96 

30—33 

415—424 

213 

388-392 

216 — 225 

68 

97 

464—465 

300-    303 
368-372 

399 

487.  491 
261 
444 

374—381 

94-95 

430—436 

294 

89 

199—203 

262 

310 

156—159 

329—338 
326 

494—495 
17.    19 

132  —  137 
326 

70-73 
100 


490.    495 

407—409 

88 

345—348 


Römer,  Prof.   Georg^ — München       .     .     .     . 

Roselius,  Chr. — Bremen 

Roeßler,  Arthur — Wien 

Rößler,  Paul— Dresden 

Salzmann,  Alexander  von 

Saraberger,  Prof.  Leo — München  .  .  .  . 
Schaefer,  Dr.  K. — Bremen     .  .  47 — 51. 

Schellert,  M. — Loschwitz        

Schliepmann,  Baurat,  Hans — Berlin 

Schmid,  Geheimrat,  Prof.  Dr.  Max — Aachen 

Schmidt,  Dr.  P.  F. — Magdeburg    264.    342. 

Schregerle,  Hans — München 

Schulze,  Direktor,  Otto^Elberfeld       .      .     . 

Scott,  Arch.   Baillie^Bedford 

Seidl,  Prof.  Emanuel  von — München  38 — 46. 

Servaes,  Dr.  Franz — Wien 

Sigrist,  Karl — Stuttgart 

Smith,  Frank  Eugene — München     .... 

Sobainsky,  Joseph — Breslau 

Somoff-Mithailoff,  Anna — St.  Petersbiu^ 

Stahl,  Dr.   Fritz— Beriin 

Steri,  Prof.  Robert— Dresden 

Straumer,  Arch.  H. — Berlin 

Strobl,  Karl  Hans — Brunn 

Sturm,  Paul — Berlin 

Sutter,  Prof.  Konrad — Burg  Breuberg 

Teschner,  Maler,  R 

Tessenow,  Arch.  H 

Thannhauser,  Heinrich — München   .... 

Thomsen,  Chr.— Kopenhagen 

Unger,  Maler,   Hans — Loschwitz      .... 

Utitz,  Dr.  Emil — Rostock 

Vereinigung     Nordwestdeutscher     Künstler — 

Herford        

Vetterlein,  Prof.  E. — Darmstadt      .... 

Weltmann,  Ella — Wien 

Weltmann,  Milla — Wien        

Werner,  Prof.  Selmar — Dresden  .  .  .  , 
Westheim,  Paul — Berlin  .  .  .  178  — 181. 
Wimmer,  E.  J. — Wien    .     150.     160  —  163. 

171-175-   178- 

Wiener  Werkstätte — Wien 

Witzmann,  Architekt,   Carl — Wien      52 — 67 
Wrba,  Prof.   Georg — Dresden     .      .     .    212. 
Zimmermann,  Prof.  Dr.  Ernst — Dresden 
Zwintscher,  Prof.  Oskar — Dresden 


Seite 
212  —  213 
47  —  50 

3-8 

291.  297 
258.  491 

305 

158-172 

261 
127— 131 

437—443 

466—468 

326 

1 16 — 123 

467 

351-367 

8-21 

262 

268—276 

92 

400—405 

443 

295 

312-325 

55—63 
212 

340—341 
167 
461 

199 — 206 
100 

7-  9-15 

354—373 

94—95 
265 

87 

91 

309 

338.  427 

180  —  182 
139-182 

74 
290.  307 
472 — 482 

292.  301 


l^M£mm 


BINDING  SECT.      OCT  1 4 1976 


N 
3 

Bd. 27 


Deutsche  Kunst  und  Dekoration 


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