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PURCHASED FOR THE
L/N/VTRS/TY OF TORONTO LIBRARY
FROM THE
CANADA COU^:ClL SPECIAL GRANT
FOR
lilSTORY OF AKT
l)}{oi-)^£^
DEUTSCHE KUNST
UND DEKORATION
ILLUSTRIERTE MONATSHEFTE
FÜR MODERNE MALEREI
PLASTIK ARCHITEKTUR
WOHNUNGS-KUNST UND
KÜNSTLERISCHE FRAUEN-
ARBEITEN
DARMSTADT
VERLAGSANSTALT ALEXANDER KOCH
DEUTSCHE KUNST
UND DEKORATION
HERAUSGEGEBEN UND REDIGIERT
VON
HOFRAT ALEXANDER KOCH
BAND XXXIX
OKTOBER 1916-MÄRZ 1917.
JUL 131970 )) 3
ßä.lf
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
E HOPBUCHU
NACHF. DR. ADOLF KOCH,
MAX LIEBERMANN-BERLIN. GEMÄLDE »DIE SEILER. (i'JU4).
FkuK. MAX LIEKKKMANN BERLIN.
GEMALUE »bl'lELENDE KINDER« (I»»3).
MAX LIEBERMANN-BERLIN.
VON ALFRED GOLD.
Der Verfasser dieses Aufsalzes entscfilägt
sich leichten Herzens der Sorge, die man
hier zu Beginn vielleicht erwartet, ob die Kunst
Max Liebermanns augenblicklich „in Mode"
sei. Er gesteht, daß er weder Neigung, noch
Begabung hat, darüber eine ganz zuverlässige
Auskunft zu geben. Zu gering wiegt die Rück-
sicht darauf in seinen Augen, als daß er darauf
achthaben sollte. Mode ist der sterbliche Teil
einer Kunst, ist das in ihr der Vernichtung aus-
gesetzte, ihrem Kern wesensfremde materielle
Etwas. Mode ist das Surrogat in der Kunst.
Sie ist die irreführende und den Künstler ent-
ehrende Gleißnerin, der sich nur der Schwäch-
ling verschreibt. Wer wüßte es nicht: was sie
dem einen Geschlecht als Stein der Weisen
preist, wie oft ist es schon dem darauffolgenden
ein Irrglaube, ein unverständlicher Wahn! Wer
kennte nicht die Beispiele dafür! Hier genügt
es wohl, an eines zu erinnern; Der kraft- und
saftlose Klassizismus eines Thorwaldsen konnte
einstmals die Welt betören, die auf Mode
schwor, und doch dämmerte eines Tages die
Erkenntnis, daß man darüber die wirkliche
Kunst, daß man etwa die rassige, zugreifende
Stärke eines Gottfried Schadow ein Menschen-
alter hindurch einfach nicht erkannt hatte.
Immerhin, sofern ein Blick auf die Welt, in
der man lebt, darüber zu unterrichten vermag,
ist uns, als ob man unter den „Neuesten" die
Kunst Liebermanns, sozusagen, jetzt gelten
ließe. Man erspare uns jede Beiseite-Bemer-
kung darüber, ob wir etwas Wohlwollendes
oder Ungewisses oder Anmaßendes in dieser
Anerkennung sehen. Als Schwingung ist sie
fühlbar. Die deutsche Kunst, so räsonniert
man in diesem Fall, ist nun einmal vorhanden;
sie ist nicht ganz wegzustreichen. Und Max
Liebermann ist immerhin eine ihrer Potenzen.
Er ist eine Quelle von Einfällen, von Einflüssen
auf andere. Er hat aus einer Umgebung, die
nach Menzel nichts Großes mehr zu wollen
schien, wie aus einem toten Stein Funken ge-
schlagen. Er hat Bewegung und sogar eine
XX. Oktober 1916. 1
Max Liebermann— Berlin.
PROFESSOR MAX LIEHERMANN— BERLIN.
Strömung geschaffen und dem Impressionismus
eine deutsche Physiognomie aufgesetzt. Das
ist richtig, aber, so folgert man nun erst weiter,
darauf kam die Entwicklung und die Entwick-
lung ist weder beim Impressionismus, noch bei
Max Liebermann stehen geblieben. Die Ent-
wicklung hat später einen andern Weg einge-
schlagen. Die Entwicklung hat den Zeitgenossen
der älteren Franzosen mit sanfter Unerbittlich-
keit überholt, als andere Zeiten kamen und
andere Götter von jenseits des Rheins aufstan-
den, und nun ist Max Liebermann also histo-
risch, nun ist er ein Zeitdenkmal geworden.
Ein Dokument. Ein erledigtes Kapitel. Und
dabei beruhigt man sich dann erst wirklich.
Die Vertreter des jüngsten Stils, die sich zum
Unterschied von den Impressionisten Expressio-
nisten nennen lassen, weil sie nicht mehr Söhne,
sondern Enkel der sichtbaren Natur sein wollen,
schieben den Maler des Sichtbaren nun, da er
sich den Siebzigern nähert, mit einem an Un-
geduld grenzenden Respekt in die Ahnenhalle
GEM.ÄLDE «STEVENSSTIFT IN LEIDEN« (1890).
ab. — Irren wir nicht, so ist das die Fassung
von heute, die man Liebermann gibt. Man
studiert ihn nicht, aber man huldigt ihm „ge-
schichtlich". Man schreibt registrierende An-
erkennungen über ihn, aber man verrät, ohne
es doch immer verraten zu wollen, daß man
sich seiner Kunst nicht mit der Unbedingtheit
einer Empfindung hingibt.
Wohlan denn, dieser Auffassung trete hier
eine völlig andere entgegen. Allen modegültigen
Ansichten über Entwicklung und Überwindung
im Künstlerischen, über den einen Ismus, der
einen andern ablöst, über die Bedeutsamkeit
solcher Einwendungen einer künstlerischen Tat
gegenüber sind wir so fern, daß wir nicht einmal
ihre Schatten bemerken, wenn wir in die helle
Atmosphäre Liebermannscher Malerei treten.
Vom Erlebnis wollen wir ausgehen, nicht von
irgend einem Glauben oder einer Formel. Wir
wollen uns Rechenschaft ablegen über die Art
des Erlebnisses, über seine F-inzelheiten und
PROFESSOR MAX LIEBERMANN-BERLIN.
GEMÄLDE »HOLLÄNDISCHE WAISENMÄDCHEN« (1886).
Max Ltebcrfnann—Berlm.
PKUFESSOK MAX LIEBERMA.N
seine Schwankungen. Ich greife nach einer Er-
innerung, Ich weiß noch, wie in den neunziger
Jahren, als ich in München studierte, das Bild
in der Pinakothek „Die Frau mit den Ziegen"
wirkte. Man stand, seltsam gepackt, vor dieser
in der ganzen Pinakothek damals noch verein-
zelten Liebermannschen Art Malerei. Man
stand verblüfft, aber was sah man doch vor
allem? War es eine absichtsvolle neue Geste,
ein umstürzlerisches Programm , ein neuartig
erdachtes, aufrührerisches Kolorit, was sich
aufdrängte? Nein, was man sah, war — jetzt
können wir es uns ruhig gestehen — bloß ein
gut komponiertes und gut gemaltes Bild ! Ein
Stück Natur, einfach und schlagend im Augen-
blick festgehalten! Ein temperamentvoll und
eindringlich gemaltes, eindrucksvolles Motiv !
Man sah ein holländisches Bauernweib, über
ein Stück Düne gehend, zusammengebeugt in
der Energie des Auswärtsschreitens im Wind
und vorwärtsdrängend im Kampf mit einem
GEM.-U.DE »SCHUSTERWERKSTATT« (Ibsli,
Ziegenbock, der sich widerwillig am Stricke
ziehen läßt, um noch ein paar Gräser abzu-
rupfen. Die Frau hurtig und ungeduldig und
— man erkannte es an irgend einer winzigen
Andeutung im versunkenen Profil — in Ge-
danken versonnen, der Bock breitbeinig und
gassenjungenhaft, ein köstliches naives Gegen-
stück zu der Alten, und beide zusammen eine
massige, große Silhouette, die diagonal in den
Raum wächst und dem ganzen Bild seine Rich-
tung gibt. Links aber, klein und allein im
breiten Rest der Fläche, trottet eine junge Ziege,
treu, als kopierte sie wie ein leibliches Kind
ihre Führerin. Und beides zusammengefaßt
und umrahmt von der hanfblonden Helligkeit
der Düne, von grauweißem Licht und freier
Strandluft. — Das Bild eroberte im Nu. Es
steigerte die Freude und Energie des Auges im
Beschauer, wie es auch nur aus gesteigerter
und aufs schärfste gespornter Kraft, zu sehen
und darzustellen, entstanden sein konnte. Man
PROFESSOR MAX LIEBERMANN -BERLIN.
• CHRISTUS UNTER DEN SCHKIFTGELEHRTEN« (1879).
Max Lieberinarm— Berlin.
PROFESSOR MAX L1EBERM-\NN— BERLIN.
sah: hier ist eine Zeichnung, auf den Millimeter
und wohl noch auf den Bruchteil eines Milli-
meters genau eingestellt. Eine Komposition,
die den suggestiv gewählten — und selbstver-
ständlich gewählten und nicht etwa wie in der
Momentphotographie geistlos erfaßten — Au-
genblick haarscharf zu fixieren weiß. Und bei-
des nicht etwa nur mechanisch, da das Mecha-
nische allein kein Echo wecken könnte, sondern
aus der Empfindung, die wieder Empfindung
weckt. Um diesen malerischen Ausschnitt
schlägt auch der Klang menschlichen Erlebens
zusammen. Mit diesem Stück Natur hält der
kühle Beobachter auch seelisch Zwiesprache.
Von dieser einfachen Existenz, die doch nicht
ohne Größe ist, „erzählt" Liebermann auch,
wie er sich niemals gescheut hat, in seinen Bil-
dern zugleich zu erzählen. Ohne Geschwätzig-
keit freilich, ohne alberne Kleinlichkeit und
Anekdote, aber doch so verständlich, daß es
lächerlich wäre etwa zu sagen, nur das optische
Vergnügen hielte uns bei einem solchen Werk
fest. In Wirklichkeit ist es ebenso ein epischer
und idyllischer und sogar auch ein humoristi-
GEMALDE -DAS 1 ISCHGEBET« ^ISWm.
scher Reiz, der uns packt. In Wirklichkeit ist
die Fülle von menschlich - beobachterischen
Köstlichkeiten in diesem Bild, das noch garnicht
einmal zu den wirklich Menzelartigen, detail-
reichen Werken Liebermanns gehört, gar nicht
mit einem Mal auszuschöpfen, und nur die
Mittel freilich sind rein malerisch optische, nur
der Stil, in dem dieses Erlebnis wiederholt ist,
ist um so viel höher stehend als die übliche
„Genre"-Darstellung, wie etwa die meisterhafte
und schlagende Kürze im Spiel eines großen
und reifen Schauspielers höher steht, als das
umständliche Handwerk des akademischen Ver-
treters eines sogenannten Rollenfachs.
Und das alles ist erst die eine, die zeich-
nerische Seite, die Form. Mit dieser Form ver-
bindet sich in dem Münchener Bild ein klares,
charaktervolles, aufrichtiges Kolorit, ein Kolo-
rit, das seine Gesamtwirkung vorzüglich unter-
stützt, und doch soll allerdings nicht geleugnet
werden, daß dieser Verbindung noch die letzte
und feinste Natürlichkeit mancher anderen ma-
lerischen Lösungen fehlt. Die Farbigkeit ist
noch etwas zaghaft. Sie ist noch nicht ganz
Max Liebermaym Berlin.
PROFESSOR MAX LIEBERMANN BERLIN.
gesättigt. Sie kann sogar etwas trocken an-
muten, wenn sie nicht von dem Licht unter-
stützt wird, das sie braucht. Die „Frau mit
den Ziegen" ist 1890 entstanden. Das Jahr ist
für Liebermann bedeutsam. Es weist auf einen
Punkt seiner Laufbahn, der eine Schaffens-
wende bedeutet.
Orientieren wir uns von diesem Zeitpunkt
aus. Wo stand Liebermann damals? Mit wem
berührte er sich künstlerisch? Am ehesten
wohl noch mit Josef Israels, Heroische Motive
aus dem Bauern- und Seemannsberuf, drama-
tische Szenerien, mit holländischen Figuren
staffiert, beschäftigten seine Einbildungskraft.
Wenige Jahre vor dem Ziegenbild waren die
„Nelzflickerinnen", das monumentale Werk der
Hamburger Kunslhalle, entstanden und dieses
Werk hatte, wie Erich Hancke in seinem ge-
wissenhaften und schönen Liebermannbuch er-
zählt, den Künstler als Vertreter des groß-
naturalistischen Bauern- und Arbeiterbildes be-
rühmt gemacht, ihn zum Wortführer einer neuen
— damals neuen — malerischen Auffassung des
naturgebundenen ländlichen Daseins erhoben.
Zum Schibboleth war dieses Bild mit den
»RESTAURANT JAKOB AN DER ELBE« (IH
Frauen, die im Dünengras sitzen und an den
Fischernetzen arbeiten, und mit der großen
Monumentalfigur im Vordergrunde geworden.
Kenner wie Emil Heilbut fühlten sich davon
aufgerufen zu öffentlicher Parteinahme. Kein
geringerer als Wilhelm Bode hatte das Bild in
Paris auf der großen Ausstellung entdeckt und
den Ankauf für Hamburg, wie er in einer ver-
trauten Stunde einmal erzählte, vermittelt. Der
Liebermann der großen, heroischen, wenn auch
schon ganz in moderne Atmosphäre und nüch-
ternes Tageslicht gehüllten Historie war damals
seinem Vaterlande und weit über die Grenzen
seines Vaterlandes hinaus verkündet worden.
In der Tat fordert diese Epoche Liebermanns
zu einem Vergleiche mit Israels heraus. Israels
und allenfalls noch Bastien Lepage, dem der
Künstler um diese Zeit wohl auch noch, wenig-
stens stofflich, nahestand, haben ähnliches ge-
wollt und ähnliches entworfen. Aber was zeigt
dieser Vergleich? Er offenbart bei genauerem
Zusehen nur, wie selbständig, wie überlegen,
ja unvergleichlich schon die künstlerische Hand-
schrift des Vierzigjährigen neben seinen An-
regern, die man nur mit bescheidener Ein-
schränkung seine Vorbilder nennen darf, wirkt.
MAX LIEBF.RMANN »ALTE FRAU AM FENSTER«
r;i:MÄi.i)K im hksitz von exz. krau f. a. kriipp-kssen
Ma\ lJeber7>iann- Berlin.
l'RuFESSOR MAX LIEBEkMAJ^.N liliKLlN.
Malerisch ist der Jüngere schon vollständig
Klasse für sich. Israels' Handwerk hat etwas
flaches, wird in der Zeichnung leicht anemp-
findlerisch, in der Farbe tintig. Bastien Lepage
ist wächsern. Liebermanns Farbenpaste in den
„Nelzflickerinnen" ist blühend, ist unnachahm-
lich gesund, und seine Zeichnung vollends hat
die stählerne und elastische Kraft, an der er
allein in jedem Strich zu erkennen ist. Wenn
man die Kunst derjenigen, die damals um ihn
waren, und dann seine eigene rein sinnlich auf
sich einwirken läßt, ist einem ähnlich zu Mute,
als würde mit einem Male ein Fenster geöffnet,
durch das ein intensiveres Licht und eine stär-
kere und freiere Luft einströmen, als wir bis zu
der Begegnung mit ihm atmen durften.
So ist sein damaliges Verhältnis zur Zeit,
an seinen besten Werken gemessen; auch an
den „Flachsspinnerinnen" etwa, deren Ent-
stehung in denselben Abschnitt fällt. Nur ist
die Grundlage dieser künstlerischen Stellung
freilich nicht in jedem Werk gleich gesichert.
Auch eine Begabung wie die Liebermannsche,
mit der ausgesprochen intuitiven Kraft ihrer
Sicherheit, mit der von frühauf geschulten und
XX Oktober 19U).
»ÜAKTE.N AM .\LTM^VNNERHAUS AMSTERU.\M« (IS.Sti).
geschmiedeten Energie, unterlag manchmal
Schwankungen. Gerade die holländische Male-
rei des Künstlers, oder genauer das „Holländer-
tum" in dem halb gesellschaftlichen und halb
literarischen Sinn aus der Mitte der Achtziger-
jahre hatte ihn manches Motiv nur um seiner
motivischen Wirkung willen, also nicht so ganz
ehrlich Liebermannisch, ergreifen lassen. Da
hatte er fast illustrativ werden können, um
leichter verständliche Bilder in Umlauf zu brin-
gen ; hatte er „volkstümliche" oder „feierliche"
oder „idyllische" Vorwürfe gemalt wie den
„Backofen" oder die „Begegnung auf der Dorf-
straße" oder das „Tischgebet", das jetzt in
einem religiösen Stift in Hadersleben einen
monumentalen Platz einnimmt. Beinahe kritisch
mutet diese Wende um die Mitte der Acht-
zigerjahre für Liebermann an, und dennoch:
selbst wenn man für den Augenblick davon
absehen wollte, daß sich in eben diesen Jahren
mit eben diesen Bildern auch wieder ganz an-
dere, reinere, intimere Werke verflechten zu
jenem unzerreißbaren Gewebe von Fleisch und
Blut, das die Liebermannsche Kunst nun ein-
mal in jedem Augenblick ist — selbst wenn
3Iax Lteberma7i7i Berlin.
PROFESSOR MAX LIEBERMANN- BERLIN.
man das übersehen wollte, ist dieser Übergangs-
zustand in Liebermanns Schaffen doch nicht
etwa eine hohle Niete. Es ist ein Zustand neuen
Ringens nach neuen Ufern. Man darf nicht
vergessen, was diesen Jahren schon vorausge-
gangen war an Schaffensgliick und gesicherter
Ernte, die reich und überreich genützte Zeit-
spanne von anderthalb Jahrzehnten hindurch.
Romanhaft ist heute schon der Eindruck, der
sich mit dem Versuch verbindet, die erste Schaf-
fenszeit Liebermanns, die Zeit vor jenen großen
Werken der Achtzigerjahre, aufzurollen. Roman-
haft klingt die Geschichte der Erstlinge selbst.
Man denke : Ein junger Mann aus allerbürger-
lichster Umgebung, aus jüdischer Berliner Kauf-
mannsfamilie, ohne Anregung, ohne Vorbild,
nicht einmal mit dem Schicksal der Aben-
teuerlichkeit oder Armut belastet, noch ge-
wöhnlicher und allen Verlockungen entrückter
durch den Reichtum des Vaterhauses, das ist
Max Liebermann in den entscheidenden An-
fängerjahren. Ein unentschlossener Student,
der das Gymnasium absolviert hat, beginnt er
zu zeichnen bei dem gemütlichen alten Steffeck
»AMSTERDAiLER WAISENM.\DCHEN« (1883).
in Berlin ; geht nach Weimar auf die Akademie,
immer noch ohne irgend ein besonderes An-
zeichen seiner Bestimmung, einer der Aus-
erwählten zu sein; sucht und versucht und ver-
beißt sich in akademische Aufgaben, die sich
ihm immer wieder versagen, bis er eines Tages
. . . bis er auf einmal „sein" Motiv findet. Das
Volk bei der Arbeit, wie es wirklich ist, in der
Ungezwungenheit und Richtigkeit seiner Be-
wegungen, die Bauern im Feld, alte Frauen bei
„niedriger" handwerkUcher Beschäftigung, das
öffnet irgend eine verborgene naturgeborene
Kraft seiner Sinne. Das spannt seine Energie
im Schauen, seine Energie der Hand und der
Arbeit an. Wohl bekehrt er sich zu einem
Vorbild, zu Munkacsy, dessen Kunst er auf
einer Reise in Düsseldorf kennen lernt, weil
Munkacsy der Banalität des akademischen
Schemas gegenüber ihm das Glück eines Malens
auf eigene F"aust, mit persönlichen Wirkungen
und persönlichen Möglichkeiten, zeigt. Line
andere Begegnung zu jener Zeit hätte ihn viel-
leicht nach einer anderen Richtung in die Frei-
heit geführt. Die Freiheit ist die Hauptsache.
Und nun reifen in der Werkstatt des Fünf-
MAX LIEBERMANN-BERLIX. »DIE KLÖPPLERIN. (1881-1S82).
PROFESSOR MAX I.IEBEKMAXX- BERLIN.
GF.MÄLI>E».SPlTAL(iAKTEN IN EDAM, HOLLAND« (1!I1I4>.
PROFESSOR MAX LIEBERMANN BERLIN.
GEMÄLDE »OBERBÜRGERMEISTER DR. ADICKES« (1911).
t«)^'M.,M,,r^v. ^'>
MAX I.TEBF.RMANN BKKI.IN. . STRASSE IN ZAXDVOORT. (1880).
Max Lieberviann Berlhi.
PROFESSOR MAX LLEBERMANN-BERLIN.
undzwanzigjährigen die ersten großen vollen
Früchte. Die „Gänserupferinnen" geben den
Ausschlag. Die „Konservenmacherinnen" ge-
sellen zu jenem Anfängerruhm den Ruhm der
Feinmalerei, der Delikatesse, verpflanzen ihn
auch in das Ausland, nach Belgien zunächst.
Und die „Arbeiter im Rübenfeld", am stärk-
sten von allen seinen Bildern durch Munkacsy
inspiriert, und schließlich die „Kartoffelernte"
zeigen auch noch die ganze Fülle dieser ersten
großen Schaffenswrelle. Da enthüllt und vol-
lendet sich eine Kraft, zu gestalten und zu
überraschen, der für jene Zeit in Deutschland
(man trete nur wieder einmal vor die „Gänse-
rupferinnen" der Nationalgalerie oder das
„Kartoffelfeld", jetzt in der Düsseldorfer Kunst-
halle) überhaupt nichts ähnliches an die Seite
gesetzt werden konnte. — Romanhaft klingt es
heute. Damals war Liebermann schon berühmt,
damals sogar auf dem Wege, eine „Berühmt-
heit" zu werden. Und doch ist er eigentlich
nie wieder so revolutionär und so auf sich allein
gestellt gewesen wie in jenen Siebzigerjahren.
Nahe läge ja wohl eines, den Liebermann
GEM.\LDE »FR.\U AUT ZIEGEN« (IS'JU).
von damals an seinem großen Gegenstück,
an Wilhelm Leibl zu messen. Sicherlich war
Leibl nicht weniger originell als Liebermann;
er, der nur wenig Ältere, hatte seine un-
erhörte Tat die Begründung einer Malerei
um ihrer selbst ihrer Qualität willen, sogar
schon früher und sichtbarer aus sich herausge-
stellt. Und doch war niemand und auch Leibl
nicht so absolut auf neuem Boden wie Lieber-
mann, niemand in Deutschland so allein mit
sich wie dieser nach Weimar verschlagene junge
Berliner Akademiker, niemand so sehr Him-
melsstürmer und Kämpfer mit dem Gottessend-
ling; „Ich lasse Dich nicht. Du segnest mich
denn." Leibl malte — malte überirdisch
schön, aber der Grund, auf dem er stand, auf
dem er sein Haus baute, seine Konstruktionen
errichtete, ist der Grund der Meister vor ihm
und neben ihm. Liebermann ringt — ringt
um einen ganz neuen Komplex. Er kämpft um
alles, um die erste schöpferische Anregung, um
den Grund und die Welt seiner Kunst, um ihr
Format, ihren Aufbau, ihre Wirkung, ihre Inten-
sität. Er kämpft um einen größeren Kreis als
Jlfax Lieberma7in- Berlin.
>K MAX LlEBERMANiN ÜkKLIiN.
alle Mitslrebenden neben ihm, und das Ent-
scheidende, das Schicksalhafte: Er schließt ihn.
Ein Bild wie die „Gänserupferinnen" mit seiner
vom Himmel geholten Unabsichtlichkeit und
Ursprünglichkeit des Entwurfs , mit seinem
großen breiten Grauschwarz, auf dem sich das
Muster der Einzelheiten in verborgenem Reich-
tum, intim, leise, wie in stillem Erröten stuft
und steigert, ist der Einbruch in ein neues Land,
Noch herzhafter, größer wirkt das „Kartoffel-
ernte"-Bild. Hier lebt zum ersten Male etwas
wie freie Luft und gemalte Erde, so gesund und
überzeugend wie wirkliche Erde, und darüber
fließt das silbrige Grau des Morgennebels, und
Vordergrund und Ferne sind zu einer Raum-
wirkung verwachsen, die seit den großen
Tagen der Rembrandtschule kaum wieder er-
reicht worden war.
Mit Leibl hat diese Kunst in der Tat keine
Verwandtschaft, aber nun folgt eine Zeit, die
Liebermann in München verbringt und in der
er zu dem Meister in Aibling doch in eine ge-
wisse indirekte Beziehung kommt. Wieder stellt
tii:.M.ALDK •UuLL.V.NUlbCllt Dum »IKAbbK» ^l^»;.j
eine neue Kombination sich ein, wenn sich auch
äußerlich die kämpfe- und arbeitsreiche Reihe
schlichter und in ihrer Schlichtheit echt Lieber-
mannscher Motive fortsetzt. Ein Blick auf die
letzte Fassung der mehrmals gemalten Kon-
servenmacherinnen, die jetzt im Leipziger Mu-
seum hängt, oder die holländisciie Kleinkinder-
schule, die bei Exzellenz von Krupp ist, oder
die Straße in Zandvoort (Liebermann malte die
holländischen Anregungen damals immer in
München zu Ende) zeigt, daß die Palette des
tieftonigen Graumalers Lieberniann heller und
leichter, daß sie, wie er selbst heute sagt, blon-
der zu werden beginnt. Das wird ihm zweifel-
los von München gegeben. Jene eigene kolo-
ristische Kultur, die in der bayrischen Kunst-
stadt niemals ganz unterdrückt worden war,
auch in ihren schwächsten Akademikerjahren
nicht, gibt ihm die Anregung und Kraft zur
Bereicherung und Aufhellung seiner Farben-
skala — langsam, bedächtig sogar, wie bei Lie-
bermann sich im Grunde jeder neue Entwick-
lungsprozeß, trotz blitzartig raschen Erfassens
XX Oklober 1916. 3
PKOl-ESSOR MAX LIEBERMAXN. GEMÄLDE SELBSTBILDNIS (1909).
J/jx iJeherinann -Berlin.
einer neuen Aufgabe oder Notwendigkeit,
langsam und in stets wiederholten \ ersuchen
vollzieht. Langsam . aber dieses Langsame ist
das zähe Fort'wirkende. Und da er. der Gast
aus dem Norden, einmal auch dem Genius des
Ortes opfern und ein richtiges akademisches
Bild malen will, entsteht eben in München iener
„Christus im Tempel " . der damals so%-iel schmut-
zigen Staub aufwirbeln konnte und uns heute,
(das Bild hängt in der Hamburger Kunsthalle)
abgesehen selbst von dem eminenten Stück
Malerei, das in dieser hellen und doch tonig
abgestuften Menschengruppe liegt, auch erzäh-
lerisch nähergerückt ist. seitdem Uhde. Lieber-
manns treuer jüngerer Freund aus jenen Jahren.
diese moderne Art, die Legende zu erzählen,
bei uns eingebürgert hat.
Es kommen die Achtzigerjahre. Die Reisen
nach Holland werden regelmäßig, werden ent-
scheidend. Freilicht -Versuche beginnen aus
Amsterdamer Anregungen. ^X'ieder wie so oft
bei Max Liebermann verbindet sich ein das
GEMAllJE -VmAc (1^11 J.
Auge beglückender, bereichernder, anstacheln-
der Eindruck mit einem ganz bestimmten Motiv.
Das Motiv wird in einem tieferen ästhetischen
Sinn zum „Inhalt" einer neuen Art Malerei.
Das Amsterdamer Altmänner-Hospital wird,
wie Hanckes Buch anschaulich erzählt, zum Er-
lebnis. In einer von einem Laubdach geschlos-
senen Allee, in der das Sonnenlicht silbrig und
die Atmosphäre dunkel wirkt, sitzen schwarz-
rockige Männer, müde, nachdenklich ruhend.
Die schwarzen und silbernen Töne zittern in
der Luft und verbreiten in ihr etwas Kühles,
HerbsÜiches trotz dem sommerlichen Grün der
Bäume. Und die Stimmung dieser Menschen
klingt mit der Stimmung dieser Luft zusammen.
Das verleiht dem Bild etwas unendlich Edles,
Gehaltvolles, und wenn man es heute wieder-
sieht — die beste Fassung ist die in der Galerie
Arnhold in Berlin — dann glaubt man darauf
schon die Patina eines alten ^X'erkes zu erken-
nen. In diesem Licht hat Liebermann damals
mehrere Arbeiten hinter einander gemalt, da-
Max Lieber?nann ßerliti.
I'KOK. MAX LIEbEKMANN- BERLIN.
runter ein paar seiner bleibendsten, feinsten.
Im Schutz dieser malerischen Kühle sind Bilder
wie die „Klöpplerinnen" in ihren bedeutendsten
Exemplaren (in Hamburg und Dresden) und die
„spielenden Kinder" entstanden. Auch Werke
wie die „Schusterwerkstatt" und die „Bleiche"
und die Amsterdamer „Waisenmädchen" sind
noch mit jener zarten und gebundenen Festig-
keit gezeichnet und farbig durchmodelliert,
die beinahe an frühniederländische Meister
erinnern. Etwas von dem Schleier einer keu-
schen frühen Kunst liegt auf diesen Bildern.
Wieder ist eine Gruppe geschlossen. Sie steht
im Zeichen eines stillen auf Grau und Grün
gestimmten zurückhaltenden Kolorits. Auf sie
folgt dann die Reihe derberer und pastoserer
Malereien, von denen wir ausgingen, die grö-
ßeren und bewegteren Kompositionen, die in
der „Frau mit den Ziegen" ihren letzten Höhe-
punkt erreichen, und nun grade, nun wo man
den Künstler an einem Ende zu haben glaubt,
nun wo eine Formel gefunden zu sein scheint.
»NETZFLICKERINNEN« (1K8S).
mit der mancher andere wie nach einem er-
probten Rezept sein weiteres Lebenswerk be-
stritten haben würde, nun häutet sich der Un-
ermüdliche, von Leben und Bewegung Sprü-
hende erst recht nocheinmal. Nun tritt an die
Stelle des zeichnerisch ausgreifenden und farbig
doch noch begrenzten Könnens und Arbeitens
neues Kämpfen. Nun ringt die im wirklichen,
nicht mehr im ateliermäßigen Freilicht irisie-
rende, bunte und überbunte, in voller Unge-
bundenheit waltende Farbigkeit der Natur um
ihr Recht. Nun erst erwacht der ganze Mut
zum Leben selbst, zum Leben, das auch einmal
die Bildgrenze sprengen kann. Nun erwacht
der Impressionist Liebermann. In demselben
Jahr wie das Ziegenbild kommt der „Schweine-
markt zu Haarlem" aus des Künstlers Werk-
statt. In demselben Jahr entsteht auch das
Leidener „Frauenslift" mit seiner temperament-
vollen Blumenpracht, die in der gelben Sonne
leuchtet.
Jllax Liehernianyi- Berlin.
PROF. MAX LIEBERMANN.
Der Impressionismus! Jetzt ist er da. Aber
nicht in das Leben eines Neulings, der ihm
macht- und fassungslos seine Arme öffnet, fällt
er bei Liebermann. Er kommt zu einem reifen
und fertigen reichen Künstler. Was kann er
dem bringen? Gestehen wir es uns aufrichtig:
noch eine weitere , eine letzte Ausdrucks-
bereicherung, mehr nicht. Liebermann verjüngt
sich, weil er auf eine Anregung stößt, die ihn
innerlich noch freier zu machen verspricht, und
er, der nach eigenem Geständnis in seinen
Pariser Jahren weder von Manet, dem An-
regungsreichsten, noch von den jüngeren impres-
sionistischen Franzosen irgendviel wußte oder
gar annahm, greift in dem Augenblick nach dem
neuen aufregenden Trank, wo seine eigene tem-
peramentvolle Natur durch Arbeit schon ge-
nügend geschützt ist vor Verlockungen, die zu
Gefahren werden. Liebermann war immer zu-
gleich ein sehr guter Kenner seiner selbst und
seiner künstlerischen Bedürfnisse. Jener späte
Impressionismus, mit dem er sich verbindet,
fällt bei ihm auf den Boden alles dessen, was
»LESENDE DAME« (JS!I7).
er schon erarbeitet hat , und vollendet seine
Begabung. — Nur so ist diese letzte Wandlung
zu begreifen, um derentwillen man soviel über
den Künstler diskutiert und gerechtet hat. Nur
wenn man in ihr die weitere Bereicherung und
Ergänzung eines auch im neuen Gewände sich
treubleibenden Charakters erkennt, versteht
man sie wirklich. — Man werfe doch nur einen
Blick auf den Reichtum dieser letzten Epoche,
die ja auch schon ein Vierteljahrhundert um-
spannt. Man verkenne nicht, daß derselbe
Maler, der die großen Kompositionen der Israel-
Zeit erarbeitet hat — und eine Spätfrucht
dieser Art sind die monumentalen Wandbilder,
darunter das Gemälde „Die Arbeiterfamilie"
im Hause eines norddeutschen Grundbesitzers
— zu der gleichen Zeit und mit gleicher Inten-
sität an die Natursludien geht, die er etwa zu
einem Bild wie der öfters gemalten Darstellung
der in geschlossener Reihe spazierengehenden
jungen Holländerinnen („Sonntagnachmittag in
Laren") oder die er zu den ersten Fassungen
der „Badenden Knaben" oder der „Reifer am
PROFESSOR MAX LIEBERMANN BERLIN.
»HOLLÄNDISCHES WAISENMÄDCHEN« (1882).
Max Liebermann— Ber/ifi.
fk..!'. MAX LlKliKKMANN litKLl.'«
Strande" entwirft. Dabei gewinnen Aufgaben
wie die letztgenannten, für knappe kurze Be-
leucfitungs- und Bewegungsprobleme besonders
dankbar, naturgemäß immer stärker die Ober-
herrschaft. Die Strandszenen und Tennisbilder
und Polodarstellungen (man übersehe nicht das
wundervolle Bild dieser Art in der Hamburger
Kunsthalle) werden zu geschlossenen Serien,
die der Künstler mit unermüdlicher Lust an der
Sicherheit und steten Verfeinerung neuer Visio-
nen immer wieder fortsetzt. Und den geänder-
ten Vorstellungen werden geänderte Methoden
dienstbar. War früher zwischen dem ausgeführ-
ten Bild und der Skizze der Unterschied klar,
eindeutig, so wird die Grenze zwischen beidem
jetzt eine fließende. Das „Fertigmachen" einer
Arbeit wird eine subjektive Empfindungssache.
Der pastos hingesetzte oder gespachtelte Fleck,
den Liebermann freilich schon von frühauf wir-
kungsvoll zu verwenden weiß, wird innerhalb
des neu ausgeweiteten und endgiltig frei und
hell gewordenen Kolorits zu einem schönheit-
lich selbständigen, oft selbstherrlichen Wert.
Die Zeichnung verflüchtigt sich im kompositio-
nellen Gerüst und tritt hinter die räumliche und
»SCHWEIN EMARKl IN H AK I.EM -
atmosphärische Fleckwirkung innerhalb eines
Naturausschnittes zurück.
Das ist impressionistische Malweise, unleug-
bar. Die Bilder dieser Art sind Werke von
ganz anderen Existenzbedingungen, als etwa
die Werke von früher. In den photograpischen
Abbildungen wird man sie bestenfalls nur an-
deutungsweise verstehen können, da das, was
jetzt das Wichtigste in ihnen geworden ist, die
Spannung der farbigen Werte gegen einander,
ihre Verteilung, ihre auf Suggestion ausgehende
Abmessung innerhalb der Gesamtfläche nur
aus dem Original selbst so zu wirken vermag,
wie es wirken möchte. Zweifellos ist das Im-
pressionismus, und Liebermann, der diesem
neuen Wollen als Maler bis heute treu ge-
blieben ist, hat es auch in Büchern und Auf-
sätzen, ein ausgezeichneter und witziger Schrift-
steller im Nebenamt, am reinsten und über-
zeugendsten interpretiert. Und doch! — und
doch darf man im Lebenswerk eines Ganz-
großen, wie Liebermann einer ist, keine Rich-
tung und keine Mode und auch diesen Im-
pressionismus, soviel Kluges und Frisches und
Erfrischendes er auch für sich habe, nicht etwa
SONNIAGNACHIIITTAG IN LAREN« (1»9S).
PROFESSOR ^tAX LIEBERMANN BERLIN. GEMÄLDE »IN DEN HOLLÄNDISCHEN DÜNEN« (1895).
XX. Oktober 1916. 4
J/<2.v Liebermann— Berli?!.
PROF. MAX UEBERM.\NN BERLIN.
ZU hoch einschätzen. Schöpferisch ist doch
nicht das Programm, sondern der Mensch. Und
die Konsequenz einer Gesamtleistung liegt nicht
im Wollen, sondern in der instinktsichern Natur
einer Begabung. Liebermann hat seine Strand-
hütten und Badekarren mit unermüdlicher Lei-
denschaft immer wieder skizziert und hat den-
noch auch in diesen späten und späteren Jahren
immer wieder nach der Kunst seiner Jugend,
nach der Komposition, nach der Synthese von
Bewegungsstudien, sogar nach „erzählerischen"
Darstellungen gegriffen. Bilder wie den römi-
schen „Monte Pincio" oder das wundervolle
Gruppenbild der „Papstsegnung" in der Six-
tinischen Kapelle (beide in Privatbesitz) oder
den klangvollen feierUchen „Barmherzigen
Samariter", der jetzt dem Kölner Museum ge-
hört, hat er ebenso wie die große und stolze
Reihe seiner Selbst- und Herrenporträts, die
auch etwas anderes als etwa rein impressio-
nistische Sehstudien sind, innerhalb der letzten
zehn oder fünfzehn Jahre gemalt. Und wenn
es noch eines Beweises dafür bedürfte, daß
GEMÄLDE »TEXNISPL.\TZ«
das Genie in der Kunst nicht mit einer Rich-
tung zu erschöpfen und nicht mit einer Mode-
laune zu erledigen ist, so wäre er schon damit
gegeben. . . . Den Überspannungen von heute
sei das hier noch einmal entgegengestellt. Nicht
die Geberde eines Schaffenden, sondern die
Summe seines Werks ist das Bleibende. Oder
wie wir in Liebermanns eigenem neuen Büch-
lein über die „Phantasie in der Malerei" an
einer Stelle lesen: „Der Inhalt der Kunst ist
. . . die Persönlichkeit des Künstlers." a. g.
Die Grundsä^e jedes künstlerischen Urteils sind ab-
luingig von der Beantwortung der Frage nach
dem Gegenstand der künstlerischen Erkenntnis. Man
sagt, das Objekt der Gestaltung sei die »Natur«.
Aber das se^t voraus, daß man weill, was »Natur«
ist, und allzu leictit wird vergessen, daß dies die ewige
Frage ist, die alles Denken und Schaffen zu beant-
worten sucht. Alle Erkenntnis ist nur eine 1 heorie
über diese »Natur«, ein VersucHi, sie in irgend einer
Ordnung zu begreifen. Die »Natur« kann allein in
der Natur unseres Denkens begriffen werden, nie
aber in ihrem eigenen uns entgegengese^ten Wesen.
Dies gilt für Künstler und »Denker«. FrlH Burger f.
PROFESSOR NL\X LIEBERMANN— BERLIN.
GEMJVLDE ^BADENDE KNABEN« (1900).
PROFESSOR MAX LIEBERMANN— BERLIN. GEM.ÄLDE •PFERDEKNECHTE .\1I MEKRESSTRANDE« il909).
»I IMll I 1
POLOSPIEL IN KLEIN-FLOTTBECK^^ (1902).
SOLLEN STAATSSAMMLUNGEN MODERNES ERWERBEN?
Die Meinung wächst, der Staat führe meist
schlecht mit seinen modernen Ankäufen.
Die Ausgaben erschienen zu oft nach wenig
Jahren zu hoch. Der Geschmack wechsle zu
schnell. Der Staat solle sicherer gehen und nur
Meister kaufen, deren Wert schon durch lange
Zeit als gesichert gelten könne. Später ent-
ginge ihm das Beste ja doch nicht. Das sei Er-
fahrungssatz, Im übrigen sei es Sache der
Privatleute, die Kunst der Lebenden zu fördern
— von allen Staatsankäufen zusammen könne
ohnehin keinKünstler leben. Wolle der Künstler
die wertvolle Anerkennung der Staatsgalerien
— so solle er sein Bestes dem Staat als Ge-
schenk anbieten. Die Annahme gelte als höchste
Anerkennung, sei dem Künstler auch wirt-
schaftlich von höchstem Vorteil.
So hörte ich schon mehrfach. Nicht etwa nur
von entschiedenen Verächtern der Modernen. —
Obwohl ich nicht glaube, daß solche Anschauung
so bald Eingang in unsere Staatssammlungen
finde — (das hieße die Gepflogenheiten der
englischen Staatssammlungen annehmen) — ist
die Vorbesprechung solcher Fragen doch zeit-
gemäß. Nach dem Krieg — was wird da nicht
alles vorgeschlagen und versucht werden?
Für erfahrene Museumsleute — zumal alte
— hat jene Anschauung viel Bestechendes. Wie
viel mehr Ruhe haben sie dann. Über Tote
läßt sich fast immer ruhiger urteilen. Über diese
nur schweigen die Neider, die Lobhudler, die
Größen, die Kleinen, die Tagesblätter. Und
noch ein Menschenalter nach dem Tode eines
Großen unserer Zeit — braucht man die Werke
gar nicht mehr anzuschauen — man liest „gesät-
tigte, ruhige" Urteile großer Kenner, man weiß
genau was für so einen Meister nun bezahlt
wird. Neues kommt nicht mehr hinzu — kurzum
volle Orientierung ist möglich. Bei einiger Vor-
sicht sind dann Übervorteilungen des Käu-
fers fast ausgeschlossen. — Moderne Ankäufe
sind dagegen oft genug Wagnisse des Käufers
und seines persönlichen Ansehens. Der Kauf
vom noch Unbekannten ist am billigsten. Aber
rechnerisch kann der Käufer das noch lang
nicht beweisen. Der Staatsankauf wird zur
Kurssteigerung des Künstlers führen — aber
wie lange hält der Kurs? Ankäufe von schon
GEMÄLDE BADENIIF, IN SCHKVENINGEN« (1U02).
MAX LIEBERMjVNN- BERLIN. GEMÄLDE »KINDERSPIELPLATZ IM BERLINER TIERGARTEN«
r^-^üfi'^ 4^^.^ ^X'->^i
PROFESSUR MAX LIEBERMANN -BERLIN. -STUDIE«
Solle?! Staatssammlungen Modernes erwerben':
PROFESSOR MAX J.TF.BERM ANN— BERLIN.
bestens bekannten Künstlern sind bei höheren
Preisen durchaus nicht sicherer — relativ zum
Preis. — So läßt sich gewiß nach einer Reihe
von Jahren schon nachrechnen, wie oft, wie
viel der Staat überzahlt hat. — Auf solche Be-
weise stützen sich die Gegner des Modernen
bei Staatsankäufen. Sie vergessen die Gegen-
rechnung. Die Berechnung der Gewinne, die
jene Summen einbringen, die bei Zeiten für die
bedeutendsten lebenden Künstler ausgegeben
wurden. — Ich glaube, daß diese Gewinne bei
weitem selbst jene Verluste wettmachen, die
sich aus zu teuren Ankäufen von Meistern un-
sicherer Zukunft ergeben sollten, selbst dann,
wenn nur ein Drittel aller Ankäufe die aller-
besten Künstler unserer Zeit angingen.
Nur zwei Hinweise mögen meine Meinung
bekräften, daß die ungeheuren Preissteigerungen
bester Meisterwerke sich gar nicht vergleichen
lassen mit den im Preise freilich sehr bald fal-
lenden Werken modisch sensationeller Künstler
oder solcher, die der Zeitrichtung nur recht gut
GEM.VLDE -ZWEI REITER AM STRANDE« (Will)
folgen. — 1859 verkaufte der von schweren
Sorgen bedrückte Millet sein Gemälde „l'An-
gelus", das bekanntlich 1889 auf einer Auktion
553 000 Francs einbrachte, bald darauf für
640 000 weiter verkauft wurde, für 2500 Francs
an einen belgischen Künstler. Hätte der fran-
zösische Staat gleich das Bild erworben —
wieviel hätte er gewonnen, wieviel gleichgül-
tige, überflüssige Ankäufe wettgemacht. Und
um wie viel früher wäre der Wert Millet'scher
Kunst durch einen Staatsankauf gestiegen !
Die Rentabilität größter Meisterwerke der
Zeit bleibt ungeheuer — während selbst ver-
blüffende Modewerke keine „Rente" abwerfen.
— Mit fast noch größerer Sicherheit als in
Malerei und Plastik ist aber die Wertsteigerung
vorauszusagen bei einzigartigen Werken der
Graphik bedeutender Meister. Allerbeste
Drucke, die ein solcher Künstler nur ein ein-
ziges Mal von der Platte gemacht, steigen ganz
sicher um ein vielzehnfaches im Preis. Man
verfolge nur den Markt. Seltene Drucke Klin-
Soilen Slaatssammlunven ßToderjies erwerben'.
gers, die vor zwanzig Jahren um wenige Mark
vom Künstler zu kaufen waren, werden jetzt
fast mit ebensovielen Tausendern bezahlt. Man
darf tatsächlich von hundertfacher Preissteige-
rung reden. Freilich gilt diese Regel nur von
den Besten unserer Zeit und von den sorgfäl-
tigsten und seltensten Blättern des Künstlers.
Selbst wenn einmal eine Zeit der geringeren
Einschätzung kommen sollte, wird immer noch
die hohe Rentabilität der Ankaufssummen an-
erkannt werden müssen.
Wer an solche Beispiele denkt, wer sich die
Mühe nimmt, in bestimmten Museen, die von
modernen aber kritischen Männern geleitet
wurden, die hohen Wertsteigerungen früherer
Erwerbungen mit den kaum ganz vermeidbaren
Fehlkäufen zu vergleichen, wird entschieden
wünschen, daß der Staat auch künftig so früh
als möglich jeweils das Beste seiner Zeit zu
erwerben trachtet. — Für das Gebiet der
künstlerischen Graphik wird die Erinnerung
sogar zur Warnung. Überläßt der Staat die
besten und seltensten Drucke den Privaten,
mit der stillen Hoffnung später doch von diesen
die Seltenheiten erwerben zu können, so würde
er sich einer Sorglosigkeit schuldig machen, die
im Interesse der Kultur, d. h. der besten Kultur-
denkmäler einmal sträflich leichtsinnig genannt
werden könnte. In früheren Jahrhunderten gab
es keine Staatsmuseen. Unendliches ging ver-
loren durch die Wechselfälle allen privaten
Eigentums. Das Institut der Staatsmuseen hat
die Aufgabe übernommen, prospektiv zu sein.
Das ist das Resultat aller mit so viel Klagen
durchsetzten Retrospektivität. Ging so viel
herrliches der papiernen Graphik schon ver-
loren, sei der Staat nun der erste Sammler
bester Graphik der Lebenden.
Freilich ein Wunsch und guter Rat an die
Künstler sei hier geäußert. Möchten sich unsere
deutschen Graphiker häufiger als bisher ent-
schließen, beste Werke den Staatssammlungen
als Geschenk anzubieten. Die Annahme muß
und wird als ehrenvolle Auszeichnung gelten.
Das würde für Volk und Nation einen stolzen
Gewinn bedeuten, dem Künstler doppelten
Vorteil bringen; wirtschaftlich fühlbare Aner-
kennung — Monumentalisierung der Werke
durch denkbar beste Erhaltung durch Jahr-
hunderte hinauf. Professor e.w.bredt -München.
MAX Lltl-LKMAN.N l.l.KLI
■IKDKRGABK DER MBHK/AKL UKK BILDBK 1
.1 MALliE -IIEK HAKMHI;K/Ic,K >.\MAK1I1 r
LGT MIT GHNHH.MIGUNG DES KU.NSTSALONS PAUL CASSIRBR-
EMANUEL VON SEIDL-MÜNCHEN. HAUS G. IN BAD HARZBURG.
»EINGANGSSEITE« BRUNNEN IM ZIERHOF VON PROF. JUL. SEIDLEK MÜNCHEN.
EIN NEUES LANDHAUS VON EMANUEL VON SEIDL
DAS HAUS G. IN l'.AD HARZBURG.
Haus Giesecke in Bad Harzburg ist der Ruhe-
sitz eines Ingenieurs. Technisch eigenartig
und vollendet sollte das Ganze sein, die Form
sachlich und praktisch, ohne an Behaglichkeit
und Vornehmheit zu verlieren. Diese Forde-
rung, die der Baukünstler, Emanuel v. Seidl,
sich selbst beim Entwurf des Hauses stellte,
war nicht so leicht zu erfüllen, als jetzt der
Beschauer nach glücklicher Lösung der Auf-
gabe vermuten mag.
Die Eigenart des gebotenen Bauplatzes
galt es auszunutzen. Das Grundstück ist
langgestreckt mit prachtvoller, seillicher Aus-
sicht und mit einem schmalen Zufahrlsstreifen
ebenfalls von der Seite. In diesem Zufahrts-
streifen wurde ein Durchfahrlsgebäude errichtet,
wodurch im Zusammenhang mit dem Haupt-
gebäude und mit einer großen seitlichen Stütz-
mauer der Zierhof gewonnen wurde. Die vierte
freie Seite senkt sich zu einem tieferliegenden
holländischen Garten herab. Durch dieses
Durchfahrtsgebäude wird auch das Wohnhaus
vom Lärm und von der Neugier der Straße ge-
trennt, man sieht durch den geöffneten Bogen
nur auf den mächtigen Brunnen von Professor
Julius Seidler-München, in welchem das Wasser
der eigenen Quellen des Grundstücks gefaßt
ist, und auf den Eingang. Die Hauptfront ist
ddn Garten und der schönen Aussicht auf Berge
und Wald zugewendet. Der höchsten Erhebung
der Landschaft — dem Burgberge — zu öffnet
sich der halbrunde Ausbau des Salons mit der
vorgelegten Terrasse.
Auf Echtheit und Güte des Materials wurde
am ganzen Bau innen und außen der größte
Wert gelegt. Alles Eisenwerk ist handge-
schmiedet. Die Steinsockel und Säulen aus
Muschelkalkstein sind in der Lagerung des ge-
brochenen Gesteins versetzt. Der rauhe Wand-
putz wurde der Haltbarkeit wegen mit Isarkies
abgerieben, und dunkelpatinierte Ziegel decken
das Dach. — Formen und Material, hier spricht
der Bauherr und Ingenieur, sollten durch sich
selbst wirken, daher nur einige Bildhauer-
arbeit an Schlußsteinen mit symbolischer Hin-
weisung auf den Ingenieurberuf.
Betreten wir nun das Haus und die untere
Diele. Das glatte weiße Tonnengewölbe der
Decke mit den belebenden Slichkappen, die
Weiße der Wand steht im Gegensatz zum Dun-
kelbraun der Eichentüren, zum Marmor von Fuß-
boden, Sockel und Umrahmung der Mitteltür.
Drei Sorten Marmor wurden gewählt. Hell-
gelber Botticino, der den Raum beherrschende
Kamin und die Füllung. Er wird von grauem
Napoleon umrahmt, der sich auch in den Stufen
der Herrschaftstreppe fortsetzt, mit einem
Teppichläufer von Dunkelblau und schwarzen
schmalen Streifen belegt. Sockel und Tüi Um-
rahmung aus bräunlichrotem Imperialmarmor
harmonieren in lebhafter Färbung zum klein-
gemusterten Perserteppich. Silzmöbel mit
schwarzen Lederbezügen entsprechen der For-
derung des Raumes. Nur am Kamin lädt ein
buntfarbig gestreifter Samlsessel zu längerem
Verweilen ein. Eine große verglaste Tür führt
zur Garderobe. Birkenholz in kräftiger Mase-
rung hebt sich von violetten Wandfliesen ab,
dazu die Nickelmetallteile der Kleiderablage
und Wascheinrichtung und das Schwarz-weiß
des Fliesenfußbodens, das alles gibt eine gast-
liche, heitere Note gegenüber der Strenge der
Diele. Wer hier Mantel und Hut abgelegt hat,
ihm soll sich ja erst das Heim erschließen, wäh-
rend die ernste Diele auch zur Abfertigung
unerwünschter Gäste dient.
Die breiten Flügeltüren öffnen sich zum Salon.
Eine Harmonie aus Dunkelgrün (Bespannung
der Wand) und dem kräftigen Braun von Tuja-
holz umfängt uns. Das Weiß der Decke wird
durch silberne Kanten bereichert. Die vordere
Kristallkrone glänzt in zwei Spiegeln über den
eingebauten Vitrinen wider. Nur in diesem
Raum sind die Heizkörper durch Perlgehänge
verkleidet, sonst liegen sie unlerMarmorfenster-
brettern im ganzen Haus offen. Sie sollen durch
die Sauberkeit ihrer Konstruktion das Auge
des Technikers erfreuen.
Den runden Vorbau schmücken Portieren aus
gelber Seide mit grünen Rüschen, darunter
liegen wie in allen Räumen kürzere Winter-
vorhänge. Schwarze kleine Sofas mit bunt-
grünem Muster, hellgrüne Scidensessel laden
zu vornehmer Gastlichkeit ein. Der Teppich
ist hellviolett mit Blumenmuster und einfarbiger
Kante. Nur wenige Bilder zieren die Wand,
und ein großer Spiegel hängt über dem Sofa.
Ein Salon soll den Rahmen heiterer Gesellig-
keit abgeben, die Gesellschaft selbst ist Bild
in ihm, ein Bild, das der Spiegel in der Klar-
heit seines Kristalls widerstrahlt. Bei Tage, bei
geöffnetem Fenster, ist die Harzlandschaft das
XX. Okiober 1916. 5
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k'^rioen wir die gedeckte 'i errs - - -
der ein \s.\^n^ Pavillon zoijekehrt
mit herbttlicfaem Weinlaab atif r-,
Dafch eine zvreifläsjelige Schiet >
wir da« Wohnzimmer, einen Eckra .... -. ... .^
auf die fcerjje und aaf Harzburg. ZwerUchea-
holz wurde für die Möbel gewählt, unter denen
ein großer Schrank und kleiner Gewehrschrank
in gleicher Form auffallen. StaMblaa mit weiBen
Türen dieses rvsusies s
der Arbeit gewidmeter
EMANTEL T. SEIDL-
GRL"XDIUSS rCSI HAUSG.
BAC HARZaCKG.
EMAN. VON SEIDL MÜNCHEN. HAUS G.-BAD HARZBURG.
»BLICK VOM H.\USGARTEN ÜUM HAUPT - EINGANG DES WOHNH.\USES«
EMANUEl. VON SKIIIl
»HAUPTFROXT NACH DEN BERGEN /U«
PROFESSOR EMANUEL VON SEIDL MÜNCHEN. »HAUS G. BAD HARZBÜRG. BLICK VOM TIEFLIEGENDEN G.\RTEN«
EMANUEL V. SEIDL. HAUS G. BAD HARZBURG.
»NEBEN -AUSGANG DURCH DEN GARTEN ZUM WESTRINÜ«
Eiyi fiaies iMndhaus von Eynamiel v. Seidl.
i'kMi.. 1 xi.wriL \ii\ M'iDL munchk:
schlossenheit, im Gegensatz zu den Sälen, deren
breite Türflügel sich den Gästen öffnen. —
Eichenholz mit Palisandereinlagen wurde für
Möbel und Wandbekleidung gewählt. An den
Türen bemerken wir am deutlichsten, was alle
Holzgegenstände in diesem Haus auszeichnet,
die Betonung des Konstruktiven d. h. die An-
schaulichkeit ihrer Konstruktion. Ein niederer
Anbau des Arbeitszimmers unterhalb der ge-
schwungenen Treppe ist rings mit den Schrän-
ken für die Bibliothek gefüllt. Neben dunklen
Ledersesseln stehen zwei hellgelbe, gemildert
in ihrem scharfen Ton durch schwarzbestickte
Kissen. Leinenvorhänge mit schwarzer Rüsche
verhängen die breiten Fenster, die AusbUck
auf Harzburg gewähren.
Über die graue Marmortreppe mit dunklem
Geländer aus polnischer Kiefer betreten wir die
obere Diele. — Sie ist auch als Konferenzraum
für geschäftliche Sitzungen gedacht, und des-
halb beherrscht sie der große langgestreckte
Eichentisch. Eine Matte bedeckt den Parkett-
boden. Zwei rote Sessel mit großen, bunten
Blumen — vom gleichen Stoff wie die Fenster-
vorhänge und die Bespannung der Glastür —
geben im Gegensatz zu den gedeckten Farben
aller anderen Möbel dem Raum Belebung. —
Die Mitteltür, entsprechend der Salontür der
»BLICK ZUM l'AVlI.I.c
unteren Diele, führt in das Frühstückszimmer,
das vom Schlafzimmer des Hausherrn und vom
Fremdenzimmer durch direkten Zugang erreich-
bar ist. Alles ist Helligkeit und Frische.
Das Schlafzimmer des Bauherrn ist auf Blau
mit Mahagonimöbeln gestimmt, blaue Wand-
bemalung in Brokatmuster, blau die Bezüge
der Polstermöbel. Der Fußboden ist in hellem
Violett ausgeschlagen und mit zwei Teppichen
in grau und schwarz mit Blumenkränzen be-
deckt. Aus einer Alabasterschale leuchtet
gebrochenes Licht, reflektiert von der weißen
Decke. Das Bad daneben hat dunkelblaue
Kacheln. — Auf der anderen Seite stößt an
den Frühstücksraum das Fremdenzimmer. Weiß
Lack mit Mahagonieinlagen wurde für die Holz-
arbeiten einschließlich der Türen gewählt. Wie
in allen Schlafräumen des Hauses wurde die
Wand bemalt. Violett mit schwarzen Streifen
und nach oben abschließender Silberkante
geben gegenüber dem Weiß der Möbel und
Vorhänge dem Raum kräftige Betonung durch
Farbe. Dazu kommen noch buntgemusterte
Kissen und eine gleichartige bezogene Chaise-
longue sowie ein hellgelberTeppich mit dunklem
Rande. Dem anschließenden Badezimmer fehlt
natürlich nichts, was der Verwöhnteste begeh-
ren kann. — Im Dachgeschoß befinden sich
XX. Oktober 1916. 6
Ein neues Landhaus :on Emayniel v. Seit//.
EMAXUEL VON
noch mehrere Fremdenzimmer sowie Wohn-
und Schlafräume des Wirlschaftspersonals. An
den vielfältigen technisch-praktischen Vorkeh-
rungen für den Wirtschaf Isbetrieb, die zwar
nicht der Schönheit dienen, erkennt man das
überwachende Auge des technisch gebildeten
Bauherrn. Er sorgte für Arbeit- und Menschen-
ersparnis im Betrieb, für Sauberkeit und Hand-
lichkeit im Maschinellen von Heizung, Lüftung,
Kühl- und Waschanlagen.
Da das Haus selbst mehr für Erholung und
Gastlichkeit bestimmt ist — dem Arbeitszimmer
fehlt ja das für den Ingenieur unerläßliche,
stehende Reißbrett, fehlt die Schreibmaschine
des modernen Büros — wurden die notwendigen
Geschäftsräume in das Durchfahrtsgebäude ge-
legt. Die größere Seile, über der Tür zur
Garage, nimmt die Pförtnerwohnung ein. Die
schön geschwungene Außentreppe führt zum
Privatkontor des Besitzers, darunter liegen Re-
gistratur, Schreibmaschinen- und Zeichenraum
mit Waschtoilette. Das weiträumige Privat-
büro wird von einem großen weißen Kamin
beherrscht. Dem mächtigen Schreibtisch gegen-
über stehen ein Konferenztisch mit Sofa und
.TERE DIELE«
wuchtigen Sesseln. Um dem Raum bei aller
wohnlichen Behaglichkeit doch den Charakter
des Geschäftsraums zu wahren, hat der Möbel-
bezug Ähnlichkeit mit der Polsterung unserer
Eisenbahnwagen. — Von der vorgelagerten Ter-
rasse dieses Raumes sieht man auf die Gewächs-
hausanlage und auf den holländischen Garten.
Dieser holländische Garten schließt sich an
die vierte offene Seite des Zierhofes an. Er
soll in seiner gezähmten Natur überleiten vom
künstlerischen Bauwerk zum Park, in dem man
nur noch die ordnende Menschenhand spüren
darf. Wohl sind im großen Naturpark die Baum-
gruppen, vor allem mit gewaltigen Koniferen,
an Stellen angepflanzt, die sich dem Ganzen
der Anlage fügen; doch diese Absichtlichkeit
tritt in den Naturobjekten nicht zum klaren Be-
wußtsein. Erst an den Brunnen und Fontänen,
an der Wahl ihrer Plätze spüren wir Künstler-
hand, deren Wirken wie Naturnotwendigkeit
so unauffällig und doch folgerichtig gewaltet hat.
Hinter dem Haus geht dann der Naturpark
allmählich in den Wald über. Seine gewaltigen
Eichen schützen das Haus vor den November-
stürmen. DR. ROH CORWEGU.
PROFESSOR EMAXUEL v. SEIDL MUNIHEX.
»UNTEKE ÜIELE MIT BLICK IX DEN SALON.
DIE AUFGABEN DER MALEREI.
Der Laie wie der wildeste Expressionist, der
Sammler wie der Theoretiker, alle treten
der Malerei mit vorgefaßten Meinungen gegen-
über. Und das Unglück will, daß diese An-
sichten über Wesen und Aufgaben der Malerei
sich schnurstracks widersprechen. Dabei glaubt
noch ein jeder für sich, die Aufgabe der Kunst
könne nur eine einzige und ungeteilte sein; wer
ihr diene, könne es nur in einem einzigen Sinne
tun, sonst sei er ein Ketzer, ein Verräter am hei-
ligen Geist der Kunst. Nirgends steht die Ver-
folgung Andersgläubiger so sehr im Schwünge,
wie auf künstlerischem Gebiete.
Der Glaube an die eine, unteilbare Kunst
ist nichts, als ein verhängnisvoller Irrtum. Der
Laie, der eine romantische Landschaft will, der
Expressionist, dem es auf verstiegene Flächen-
konstruktionen ankommt, sie haben beide recht.
Es gibt mehr als nur eine Sorte künstlerisch
berechtigter Malerei, es gibt deren mindestens
ein Dutzend. Wer soll den späteren Geschlech-
tern erzählen, wie das schöne deutsche Land
der Gegenwart aussah, wenn nicht eben unsere
Malerei? Doch nicht minder wichtig ist es, dar-
zustellen, wie das Weltbild von den Menschen
der Gegenwart aufgefaßt wurde, wie sich
unsere Ideen, Leidenschaften, Sehnsüchte im
Bild der Dinge spiegelten. Wer soll der Nach-
welt berichten, wie dieser Krieg, ein geschicht-
liches Ereignis größten Formats, war und wie
wir ihn sahen, wenn nicht der Maler? Daß
unsere Kriegsbilder so sehr ungenügend sind,
das rührt eben daher, daß die historische, die
berichterstattende Malerei in Acht und Bann
getan worden war, daß darum niemand sich
für solche Aufgaben vorbereitet hatte. Wer
kann heute so schlagfertig skizzieren wie Hoku-
shai? Die Tyrannei der problematischen Male-
rei, jenes Zweiges der Ausstellungsmalerei, der
die modischen Probleme bearbeitet, muß ge-
brochen werden. Ihre Verdienste um die Auf-
findung neuer Darstellungsweisen und neuer
Kunstwirkungen sollen durchaus nicht verkannt
werden. Aber das Experiment darf nicht allein
61
PROFESSOR EMANUEL von SEIDL-MÜNXHEN.
.AUS DEM SPEISEZIMMER DES HAUSES G. IN HARZBURG c
PROFESSOR EMANUEL von SEIDL MÜNCHEN.
»Hl-ICK IN EINES DKR SCHLAK/.IMMICR« HAUS C-HARZBURG.
Die Aufsahen der Malerei.
EMANUEL VON SEIUL MUNCHt-N
herrschen wollen. Wo kämen wir hin, wenn
jedes Haus ein architektonisches Experiment
wäre? Auch jene Künstler sind achtenswert,
die dauernderen Aufgaben sich widmen, selbst
wenn sie mit bekannten Mitteln arbeiten. Wa-
rum sollen wir für unsere Wohnräume des
„schönen" Bildes im satten Ton entbehren,
den es als Schmuck braucht, wenn die Herren
Experimentatoren gerade bei den grellen Far-
ben sind? Leider hat die bisherige Allein-
achtung der experimentellen Malerei die Folge
gehabt, daß alle Talente mit einiger Begabung
und einigem Ehrgeiz sich ihr zuwenden mußten,
wenn sie sich nicht selbst als Künstler minderen
Ranges vorkommenwollten. So gingen vieledem
eigentlichen Gebiet ihrer Begabung verloren, wo
sie vielleicht bitter entbehrt wurden. Trotz Meier-
Gräfe darf gesagt werden, daß, hätte Böcklin
nicht gelebt, ein bedeutendes Manko in unserm
Schönheitsschatz bestünde. Es gibt eine Poesie
im Bild ebenso gut wie im Wort, auf der Bühne
wie in der Musik. Für Gemälde mit tiefpoe-
tischem Gehalt, in einer Darstellung, die des In-
haltes würdig ist, können wir nur dankbar sein.
Vor kurzer Zeit noch hieß es, die Malerei
soll keine Gedanken ausdrücken. Heute be-
mühen sich die Problematiker gerade darum.
Wann wird man endlich einsehen, daß nur eines
HAUS G. »FRUHSTUCKS-/.lMMLk«
Unsinn und Ketzerei ist, nämlich, die Aufgabe
der Kunst auf eine einzige Formel bringen zu
wollen? Verübeln wir es dem Naturfreund
nicht, wenn er an einem stimmungsvoll gemal-
ten Sonnenuntergang seine Freude hat! Wer
dasTalent dazu besitzt, möge Geschichte malen,
ein anderer abstrakte „Begegnungen von Rot
und Blau", der eine Zierlichkeiten der Natur,
ein anderer menschliche Schönheit! Die Brech-
ungen des Lichtes wollen ebenso im Bilde ein-
gefangen sein, wie das Mienenspiel eines Cha-
rakterkopfes. Es sei aber auch nicht verwehrt,
kühnste lineare Konstruktionen zu bringen, oder
phantastische Traumgesichte. Wer es vermag,
Gedanken malerischen Ausdruck zu geben, er
soll nicht behindert, nicht belächelt sein. Auch
die Bildnismalerei sollte niemals als minder-
wertig erscheinen. Wer Bildnisse malen kann
in der Qualität eines Holbein oder Marees oder
Lenbach, er ist immer modern, niemand darf
ihm die künstlerische Ehre bestreiten. Zunächst
also wollen wir in der Malerei vor allem gegen
die Unduldsamkeit ankämpfen, sie ist daran
schuld, wenn die Talente ihre eigensten Schaf-
fensgebiete nicht finden und wenn die Stile
heillos verwirrt werden, sodaß Historien im-
pressionistisch und Porträts mit den Mitteln des
Futurismus dargestellt werden, anton jaumann.
NACH EINEK
I BILDNISAUF-
NAHME VON
t.E. SMITH.
Am 22. August hat Professor Emanuel v. Seidl
. seinen 60. Geburtstag gefeiert. Der Name
der Seidl bedarf keiner Verkündigung mehr.
Was wichtiger ist : daß der Ruhm dieses Namens,
so fest er gegründet ist, keinerlei Erstarrung
zudeckt, daß ihm kein Hauch von Akademizis-
mus, keine im Lokalen eng gewordene Perso-
naltradition anhaftet. Um die acht Jahre, die
Emanuel v. Seidl jünger ist als sein verstorbe-
ner, als Pionier zunächst berühmterer Bruder,
ist auch sein Werk jünger, in der erstaunlichen
Elastizität, wie er, der Meister eines dekora-
tiven Repräsentationsstils, die Entwicklung
des modernen Landhausstiles schöpferisch mit-
gemacht hat, ohne je zu anglisieren, wie er die
Materialwirkungen immer intimer belauscht hat,
ohne je prätentiös zu werden. — Die Geburts-
tagsfeier auf seinem Murnauer Landsitz bewies
dem Künstler, wievieler Sympathien er genießt.
Julius Diez hatte einen Glückwunschrahmen
gezeichnet, und Prof. Bradl ehrte den Mann,
der „als Mensch und Künstler gleich liebens-
wert, nicht nur Häuser zu bauen, sondern auch
Freundschaften zu gründen verstehe". k. m.
74
KARL SCHENKER-BERLIN. .BILDNIS-PHOTOGRAPHIE.
zu DEN BILDNIS-PHOTOGRAPHIEN VON KARL SCHENKER.
Wer jemals Schenke r ' sehe Photogra-
phien gesehen hat, wird sich an den ge-
linden Ruck erinnern, der ihn bei ihrem An-
blick durchfuhr: er merkte nämlich, daß hier
der egalisierenden Platte eines Apparates Wir-
kungen entlockt worden sind, wie man sie sonst
nur von Kunstblättern, Radierungen, Bildern
zu erwarten pflegt. In derTat sind diese tonigen,
oft schummerigen Bilder keine Photos im land-
läufigen Sinne, sondern sie wollen allen Ernstes
als Kunstäußerungen gewertet werden, selbst-
bewußt geben sie sich als solche. Schenker
geht darin Problemen nach, die eigentlich der
bildenden Kunst vorbehalten sind, er hat den
Ehrgeiz, es mit Porträtmalern aufzunehmen,
drum wird es wohl nicht unangebracht sein,
sich über die Eigenschaften seiner Bildnisauf-
nahmen klar zu werden, um festzustellen, wo-
rin diese Merkmale eigentlich zutage treten.
Das hervorstechendste Charakteristikum
seiner Bilder ist eine ausgesprochen dekora-
tive Haltung, ein bewußtes Arbeiten mit
dunkeln und hellen Tönen, deren Begrenzungs-
linien ein eigenartiger Reiz innewohnt. Er setzt
die großen, breit ausladenden Flächen mit
scharfem Abwägen ihrer Valeurs gegeneinander
ab, nicht wie man es bei Photographen zu
sehen gewohnt ist, sondern eben wie ein Maler,
der Zusammenhängendes zusammenzieht und
in ein Zufallsgemisch Struktur hineinsieht —
und bringt. Man hat sehr oft, namentlich bei
seinen Kleidern, den Eindruck, daß sie gemalt
sind, so bestimmt werden zusammengehörige
Partien herausgeholt und behandelt.
Ein Zweites ist seine entschiedene Vorliebe
für die Linie, eine Leidenschaft für den Duktus
eines Kinns, eines Augenlides, einer Frauen-
hand. Es ist schon sein persönlichstes Geheim-
nis, wie er der — für uns Laien — gefühllosen
Platte einen Linienzug entlockt, der ja bekannt-
lich nicht da ist, und nur eine Abkürzung un-
seres „denkenden" Auges darstellt. Tatsache
aber ist, daß eben jene Teile des Gesichtes,
die zur linearen Auffassung direkt herausfor-
dern, jene Züge, auf die von Holbein bis auf
Lenbach alle berühmten Porträtisten ihre Haupt-
wirkungen setzten, daß Schenker sie mit einer
empfindsamen Bestimmtheit betont und auf
ihnen seine Bilder aufbaut.
Ein Letztes, das schon nicht unbedingt ein
Reservat eines bildenden Künstlers zu sein
pflegt, ist seine geistige Differenziertheit, das,
was zumeist mit dem Wort: Psychologie be-
zeichnet wird . Schenker hat ein sehr feines Auge
für jene vom Normaltypus eines Gesichtes kaum
wahrnehmbaren Abweichungen, die ihm eine
bestimmt unterstrichene Note verleihen. Es ist
oft ein unmerkliches Anziehen einer Augen-
braue, ein leises Zucken um die Oberlippe
herum, ein Gleiten über die Fingerspitzen hin-
weg, das seine Bilder so verführerisch gestal-
tet. Ein Absetzen eines Fingers, ein Lüften
der Mundwinkel können Entscheidendes über
einen Menschen mitteilen. Nach all dem ist
es klar, daß Schenker seine Modelle mit der
Souveränität eines Malers behandelt, der es
bei seinen Bildnissen auf Eigenschaften anlegt,
die ihm charakteristisch erscheinen, daß er sie
nach seinem Gutdünken formt und gestaltet.
Man könnte fast sagen, daß er seine bestimm-
ten Schönheitstypen hat, denen er seine Köpfe
irgendwie annähert, wie dies übrigens in vielen
Fällen aus der Kunstgeschichte bekannt ist.
Diese Typen bewegen sich indessen immer in
einer Welt von guterzogenen, gutgekleideten
und gepflegten Menschen. Er ist der geborene
Bildner eleganter Gestalten, vor allem vor-
nehmer Frauen, deren Körperkultur ihrer gei-
stigen Verfeinerung keinen Eintrag tut. Mit der
Leidenschaft für das großstädtisch Mondäne,
für die Schilderung kaum ausgesprochener Nei-
gungen, rasch entflammter — und rasch ver-
gehender — Wünsche ist Schenker der typische
Photograph einer modernen Großstadt, der von
derem geistigen Antlitz so wenig wegzudenken
ist, wie andere Kunstgepflogenheiten.
Keiner vermag wie er ein schönes Kleid zur
Geltung zu bringen, bei ihm erst — möchte
man sagen — verlohnt es sich, schön angezogen
zu sein, weil er jedem schönen Einfall, jeder
feinen Linie gerecht wird, sie betont und unter-
streicht. Feine Handbewegungen, verführe-
rische Blicke, vorteilhafte Halbschatten im Ge-
sicht, das ist so recht das Gebiet Schenkers, auf
dem er seine Bildniskunst voll entfalten kann,
und auf dem er kaum Rivalen besitzt. u;naz betm.
Ä
Ein neues Leben aber kann nur aus der Tiefe einer
neuen Liebe hervorgehen, und das Vortreffliche
in der Kunst läßt sich nidit so aus verschiedenartigen
Ingredienzien zusammense^en und bereiten, wie ein
Heiitrank in der Medizin Fricdridi Sdilegel.
XX. Oktober IQlö. 7
KARL SCHENKER- BERLIN. .BILDNIS-PHOTOGRAPHIE.
KARL SCHZXKER-BEKLIX. »BILDNIS-PHOTOGRAPHIE.
KARX SCHEXKER. .BILDNIS-PHOTOGRAPHIE HENNY PORTEX.
GEGEN DIE MASSLOSE REKLAME.
Zwei deutsche Herren, aus Berlin der eine,
unterhalten sich in einem Schweizer Kur-
ort über den Krieg. „Was wird der Unterschied
zwischen der Zeit vor dem Kriege und nach
ihm sein?" „Sehr einfach," meint der Berliner,
„vor dem Kriege ham wa von achte bis siebene
jearbeetet, nach dem Krieg wern wa von sie-
bene bis achte arbeeten." So Stands in einer
großen deutschen Zeitung, der es viele deutsche
und auch ausländische nachdruckten. Ich wurde
dabei an ein Wort eines ehemaligen Studien-
genossen erinnert, der es inzwischen bis zum
Attache einer uns heute feindlichen Macht ge-
bracht hat. „Mit vielen Titeln, aber wenig Mit-
teln", wie er mir noch kurz vor dem Ausbruch
des Krieges aus Belgrad schrieb. Er liebte
Deutschland fast mehr als seine Heimat. Auf
einer Fahrt durch das westfälische Kohlenrevier
meinte er traurig : „Wie schön war auch einst
dieses deutsche Herzogtum mit seinen großen
Höfen und seiner stillen Kleinindustrie." Ich
versuchte philosophisch diese äußere Wandlung
mit den Gesetzen des Fortschrittes der mensch-
lichen Gesellschaft und des in der Arbeit
ruhenden Segens zu verteidigen. „Ja," meinte
er bitter, „Ihr Deutschen werdet noch solange
arbeiten, bis alle anderen über Euch wie über
den Streber in der Schulklasse herfallen wer-
den." Das war im Sommer des Jahres 1906.
Ich hatte bald das Wort vergessen. Jetzt wer-
den manche, die gewiß nicht zu den schlech-
testen Patrioten gehören, angesichts der uns
umgebenden Kette von Haß und Mißgunst mit
ähnlicher Erkenntnis auf unsere Art, zu arbei-
ten, geblickt haben. Man braucht nur durch
die Straßen unserer großen, ja auch kleineren
und kleinsten Städte zu gehen, man mag zum
Eisenbahnfenster hinausschauen — überall
drängt sich das Arbeitsangebot in aufdringlicher,
quälender Form in Tausenden von Aufschriften,
Reklamen jeder Art entgegen. Firmen mit
wenigen Ladenfenstern schreien uns zwanzig-
bis dreißigmal ihren Namen entgegen, der klein-
ste Budiker bekommt zwei bis drei Riesen-
schilder seiner Brauerei ans Haus fest ver-
schraubt, über Säulen, Balkone, übers Dach,
selbst in die Nacht hinein, klettern die Reklame-
aufschriften, vor jedem Kino, je kleiner es ist,
desto größer drängen sich die Plakattafeln mit
den schauerlichsten Hintertreppen - Darstel-
lungen, an die Ladenwände, bis an die Vor-
gartengitter krallen sich die bunten Emaille-
schilder der großen Konsumfabriken (Schoko-
lade, Seife, Zigaretten, Suppenwürzen, Wasch-
mittel usw.). Schon nach einer halbstündigen
Großstadtwanderung ist das Auge wie betäubt.
Die Industrie arbeitet mehr und mehr nach dem
Rezepte des vor kurzem gestorbenen Odol-
Lingners ; Die Reklame muß derartig ein Schlag-
wort in das Gehirn des Publikums hineinhäm-
mern, daß es wie unter einer Suggestion nur
noch auf diesen einen Artikel sich besinnen
kann. Hat aber wirklich die Allgemeinheit an
den Fabrikaten eines Herrn ein solches Inter-
esse, daß es von ihnen bis zum letzten Trunk
vorm Schlafengehen im Hotel aus dem „Odol-
glase" Kenntnis nehmen muß ? Gehört nicht die
Stadt mit ihren Straßen der Allgemeinheit, in
denen leider schon der größte Teil unseres
Volkes sein Leben hinbringen muß! Versuchte
bisher der Heimatsschutz, der Kunstfreund auch
nur die schlimmsten Auswüchse zu beschneiden,
so durften sie mit Gewißheit die lächelnd vor-
getragene Antwort hören: „Ihre Bestrebungen
sind sicher schön und gut. Aber im Geschäft
entscheidet nur der Erfolg. Und vom Geschäft
verstehen Sie nichts." Deutschland hat un-
zweifelhaft auf diesem Wege äußerlich glän-
zende Erfolge gehabt, hat prozentual Frank-
reich, England, ja Amerika überholt. Aber
stehen die unendlichen Opfer dieses Krieges,
dessen eine Wurzel in der gewalligen Konkur-
renz Deutschlands zu suchen ist, in einem Ver-
hältnis zu diesem Erfolge?
Wir haben während dieses Krieges gründlich
umdenken gelernt. Eingriffe in das persönliche
Recht zu Gunsten der Allgemeinheit sind selbst-
verständlich geworden, werden sogar von allen
Bevölkerungsschichten gefordert, um den früher
fast künstlich großgezüchteten Egoismus des
Einzelnen auszuschalten. So erscheint die Zeit
besonders günstig, alle Kunstfreunde gegen die
Auswüchse und Unarten der Reklame zum
Kampfe aufzurufen. Der neue Polizeipräsident
von Berlin, Herr v. Oppen, begann seine Tätig-
keit mit dem Verbot der Kinoplakate. Sofort
ereignete sich ein Wunder, das früher kein
Kunstfreund nach endlosen vergeblichen Be-
mühungen mehr für möglich gehalten hätte :
dieselben Herren Kinobesitzer wandten sich an
Herrn v. Oppen um Gewährung künstlerisch
und bescheiden gehaltener Plakate, die früher
brüsk jede Anregung nach dieser Richtung hin
abgewiesen hatten. Zu den Kunstfreunden
geselle sich der Hygieniker : Unsere Nerven
sind in den letzten Jahren nicht besser ge-
Gegen die maßlose Reklame.
84
worden. Sie verlangen Stille und Sammlung.
Wir wollen unsere Städte, groß und klein, in
ruhiger Geschäftigkeit sehen, die durchaus keine
Grabesruhe bedeutet. Sicher wird ein Kind,
ja der Mensch aller Lebensjahre, gesunder in
einer vornehm gehaltenen Stadt sich entwickeln
als in der, des das bussines letzte Weisheit ist.
Den Schlußstein aber setze der Ethiker in den
Bogen; Wir wollen keine Stadt, in der der
Egoismus sich schamlos spreizt, wo dem der
höchste Gewinn winkt, der am lautesten schreit.
Such Er den redlichen Gewinn !
Sei Er kein schellenlauter Tori
Es trägt Verstand und rechter Sinn
Mit wenig Kunst sich selber vor.
Und unsere ganz großen Kaufleute wie Tietz,
Wertheim, Wronker, Feinhals, Bahlsen, Kaffee
Hag werden dem Zweifelnden sagen können,
daß sie bei ihrer umfassenden aber zurückhal-
tenden, künstlerisch geleiteten Reklame durch-
aus auf ihre Kosten kommen.
Keineswegs soll es sich um eine völlige
Ausschaltung der Reklame handeln. Doch
müssen in Zukunft der Allgemeinheit Mittel zur
Zurückweisung unnötiger geschmack- und maß-
loser Reklame zur Verfügung stehen. Eine be-
rufene Stelle ihrer Anwendung gibt es leider
noch nicht, Wohl werden Polizeipräsidien grö-
ßerer Städte über genügend gebildete Kräfte
verfügen, um die Reklame in künstlerischen
und ethischen Grenzen zu halten. In solchen
Städten dürften sich auch unschwer Berater
finden, die ehrenamtlich und unparteiisch der
Polizei zur Seite träten. Wesentlich schwieriger
liegt der Fall in kleineren Orten, deren von den
Altvordereu überkommene, uns jetzt doppelt
liebe Schönheit vor allem durch die Großbe-
triebs-Reklame bedroht wird, die ohne Rück-
sicht auf den späteren Anbringungsort nach
einem Schema in Massen hergestellt und fertig
versandt wird. Hier wäre den Provinzial-
und Landeskonservatorien die Möglichkeit des
Einschreitens zu übertragen. Ihren bewährten
Vertrauensmännern, die besonders in derRhein-
provinz mustergültig mit dem Provinzialkonser-
vator zusammenarbeiten, wären zweckdienlich
alle Reklamen vor der Anbringung zur Be-
ratung vorzulegen. Nur in letzter Stelle hätte
der Provinzialkonservator einzuschreiten.
Doch ist zu hoffen, daß diese „polizeiliche"
Aufsicht nur von kurzer Dauer sein wird, da
sich in unserer jüngeren Generation derartige
kulturelle Bestrebungen mehr und mehr durch-
setzen. Nur sollte verhindert werden, daß der
künstlerisch verantwortungsvolle Geschäfts-
mann durch die rohere Geschäftsgebahrung
seiner Konkurrenz geschädigt und gar — wider
sein besseres Gefühl — zum Mittun gezwungen
wird. Wie heute jeder Kaufmann die Sonntags-
ruhe, deren Einführung zunächst schwereKämpfe
kostete, als einen Segen empfindet, so wird
er auch später denen Dank wissen, die ihn und
seine Mitbürger von der heutigen Reklame-
seuche befreiten, dr. fried Lübbecke Frankfurt.
h\lll. l'Dl 1M;K- HhKI l.\. 1 ihKI'l.AMiIvhXv IX IWRRIGER KER.\MIK .NUSGEFrilRT.
.SPITZEN-UMHAXG< IM BESITZ DER FÜRSTIN ZU SOLMS-BARUTH.
AUSSTELLUNG »AUS VERGANGENER ZElTt IM HOHENZOLLERN-KUNSTGEWKRBEHAUS.
KRÖXUNGSFACHER DER KAISERIN AUGUSTA.
IM BESITZ IHRER MAJESTÄT DER KAISERIN.
STICKEREIEN UND SPITZEN AUS VERGANGENER ZEIT.
Die „Ausstellung aus vergangener Zeit" im
Hohenzollern-Kunstgewerbehaus — Fried-
mann & Weber — wurde von Damen des Deut-
schen Lyceum-Klubs in Berlin zum Besten der
Cecilienhilfe veranstaltet. Man wollte die feinen
Kleinkünste aus früheren Tagen, die Heimaus-
staltung, Tracht und Hausgerät der Vorfahren
durch ihre Reize verschönerten, einmal vor
Augen führen. In trüben, schönheitsfremden
Tagen sollten die gedrückten Lebensenergien
durch Darbietungen schöner Dinge belebt wer-
den. Es war dem Komitee bekannt, daß eine
Fülle köstlicher Güter in Privatbesitz verborgen
war, und daß das deutsche Kunstgewerbe durch
dieses Wiederauferstehungsfest reiche Anre-
gungen empfangen müsse. Tatsächlich stand
auch plötzlich ein ganz entzückendes Tischlein-
deck-dich für die Feinschmecker angewandter
Künste bereit. Ein gründliches Studium der
Stickereien und Spitzen war damit ermöglicht,
denn die Ausstellerinnen hatten von ihrem
Besten geboten. An diesen Arbeiten, die trotz
oft sehr hohen Alters meist in Jugendfrische
prangten, war der Beweis geliefert, daß die
Texlilkünste des höchsten Einsatzes an Fleiß,
Geschmack und Erfindungssinn wert sind. —
Die Spitzenabteilung der Ausstellung bot viel
Sehenswertes. Die Kaiserin ließ eine Nadel-
leistung von besonderem historischen Wert,
den ICrönungsfächer der Kaiserin Augusta, be-
wundern. Feinste Brüsseler point d'aiguille-
Arbeit auf juwelengeschmücktem Perlmutter-
gestell. Innerhalb zartester petits pois-Füllun-
gen, schwingender Blumenhalbkränze und Lor-
beerzweige prangten auf hauchfeinem Netzgrund
das vereinigte Preußische und Sachsen-Meinin-
gensche Wappen, Preußische Adler und das
gekrönte Monogramm der „Augusta -Regina".
Weißstickereien, diese nahen Verwandten
der Spitzen, waren in auserlesenen Beispielen,
vor allem aus Biedermeiertagen, zu sehen.
Als unvergleichliche Nadelleistung fesselte das
Taschentuch der Fürstin Thurn und Taxis. Seine
breite Bordüre ist aus dem feinen Battistleinen
in Stickerei- und Durchbrucharbeit herausge-
arbeitet, ein Wunderwerk des Geschmacks und
Fleißes. Ein gefügig gleitendes Regence-Orna-
ment mischt sich reizend mit Blütentuffs, und das
Geschlinge zierlich gefüllter Durchbrechungen
betont den Flachrelief- Charakter. Eine Rand-
bordüre in hauchiger Valenciennes-Spitze gibt
den würdigen Abschluß. Verzeihlich wäre es
gewesen, unter all diesen technischen Höchst-
leistungen einige Weißstickereien zu übersehen.
XX Oktober 1916- 8
Stickereim und Spitze7i aus vergangener Zeit.
TER .sPIT/EX-UMHANGi
die sich bei näherer Betrachtung als echte Kunst-
werke erwiesen. Liegt doch der Reiz dieser
Arbeiten gerade in der Bescheidenheit ihres
Wesens. Wie verstand man es zu GroOmutter-
zeiten, feine Wäsche zu schmücken! Das
Taschentuch der Frau Tunzelmann von Adlers-
flug ist ein Beispiel. Kein landläufiges Mono-
gramm tritt hier auf; eine Art Wäsche-Exlibris
IM BESITZ DER FÜRSTIN THÜRN UXI) TAXIS
in Gestners Idyllenstil, gleichsam ein Symbol
weiß in weiß, in haarfeiner Leinenfadenarbeit ist
dafür geboten. — Anregungen für das Kunstge-
werbe von heute gab es überall in dieser Aus-
stellung aus vergangener Zeit. Es ist gut, daß
Freunde des Schönen besorgt bleiben, daß sie
nicht nur dahinschwinden wie die Traumgebilde
im Hochzeitszuge des Grafen. — jarno Jessen.
s s
äg
1' AUL seil
KURICH.UKXLIN. MODELL EINER KLEINPLASTIK .DAPHNE. RECHTE SEITE.
PAUL SCHEURICH. TEIL-ANSICHTEN DER KLEINPLASTIK >DAPHNE.
PAUL SCHEURICH. MODELL EINER KLEIN-PLASTIK .DAPHNE. LINKE SEITE.
XX. Oktober 1916. 9
I
1
MODELLIERT VON' PROFESSOR MICHAEL POWOLXV WIEN.
MODELLE FÜR GARTENPLASTIK IN KERAMIK »VIER JAHRESZEITEN.
.MITTELTEIL EINES WANDSCHIRMS IN GOBELIN-STICKEREI« IM BESITZ DER GRÄFIN PERPONCHER.
»TEIL EINER ALTEN TULI^PnV,E<-
HES; F.M.G. STUCKENSCHMIDT.
ERLÖSUNG DER ZWECKFORM.
Zweckform ist nichts weiter als erstarrte
Pflichterfüllung. Ein Strammstehen in der
Haltung, wie sie von der jeweiligen Aufgabe
gefordert, befohlen wird. Jeglicher Nutzgegen-
stand ist in diesem Sinn ein „stummer Diener",
stets bereit, dem Wink seines menschlichen
Herrn zu gehorchen. — Das könnte unter Um-
ständen ein Grund sein, den Anblick der reinen
Zweckgeräte uns verhaßt zu machen. Denn wer
von uns ethisch gestimmten Mitteleuropäern
möchte gern sklavische Gesinnung um sich
sehen? Alle übermäßige Liebedienerei und
geflissentUches Speichellecken wecken in uns
nur Ekel. Mit unserer Auffassung der sozialen
Ordnung, aber auch der Pflicht verträgt sich
das nicht. Wenn die Pflicht nur ein fremdes
Gebot wäre, dem wir uns einfach zu fügen
haben, sie wäre uns nichts anders, als ein
peinlicher Zwang, eine verabscheuungswürdige
Sklaverei. Aber der deutschen Auffassung der
Pflicht entspricht das ganz und gar nicht. Erst
wo der Wille frei sich der sitthchen Forderung
fügt, sind wir berechtigt, den schönen, urdeut-
schen Ausdruck Pflicht zu gebrauchen. Und
wenn das Gerät seine Form allein vom rohen
Gebrauch diktiert, aufgezwungen erhält, ist es
nichts weiter als ein Sklave, bar jedes eigenen
Willens, jeder eigenen Wesenheit. Seine Er-
lösung erfolgt erst dadurch, daß sich der Herr
zu ihm herabneigt und es als seinesgleichen
anerkennt. „Auch du tust nur deine Pflicht,
spricht er zum Gerät, und der Adel der Pflicht
hebt dein und mein Tun auf die gleiche Höhe.
Edles Material soll dir dann zu deiner Arbeit
gegeben werden, einer tüchtigen Ausführung
bist du wert. Ich weiß, du wirst es danken,
indem auch du ein treuer, fleißiger und aus-
dauernder Diener, nein Helfer bist. Und deine
Formen sollen frei sein, sie sollen harmonisch
aus einem inneren Wollen erwachsen. Frei und
edel bist du, mein Gerät, weil deine Gestalt
aus den Stoffen und Zielen, die die Aufgabe
bedingt, organisch geworden ist. Auch ich, der
Mensch, bin nur eine arme — und doch so
reiche und edle Zweckform. Was sind meine
Glieder anders als Geräte? Mein ganzer Bau
dient, dient der Erhaltung, der Arbeit. Und
doch ist mein Körper das edelste plastische
Gebilde. Aber hier ist der Zweck auch zur
höchsten Weihe erhoben, indem er dem Wesen
dient, dem keines gleich, dem Menschen, a.j.
*
Das Genie ist In mehr als einem Sinne ein Nacht-
wandler; in seinem hellen Traume vermag es
mehr, als der Wache, und besteigt jede Höhe der
Wirklichkeit im Dunkeln Jean Paul.
K.J. WIMMER. WIE.NER WERKSTATTE.
»JARDINIERE« SILBER GETRIEBEN.
PUBLIKUMS-KUNST.
Das eine Wort : Publikumskunst kennzeichnet
besser als alle denkbaren Betrachtungen
die verzweifelte Situation von Kunst und Künst-
lern in dieser Zeit. Publikumskunst, das ist die
Kunst, die das Publikum willig, mit Anteil und
offensichtlichem Vergnügen aufnimmt, ist die
Kunst, die die Menge, die Vielen, die Zeit-
genossen des Schaffenden begehren, ist das an
künstlerischer Produktion, was blindlings ge-
schätzt, was gierig verschlungen, was mit berei-
ten und beträchtlichen Mitteln bezahlt wird.
Publikumskunst, das sind die „Schlager der Sai-
son", die Romane mit den Riesenauflagen, die
Schaustellungen, um deren Eintrittskarten man
sich drängt und reißt, sind die Bilder, die allent-
halben reproduziert und mit phantastischen
Summen angekauft werden; Publikumskunst,
das ist das, wovon man spricht, was man ge-
sehen, gehört, gelesen haben muß, ist alles, was
beim Volk, Volk im weitesten Sinne, populär
ist. Somit eigentlich die bekannteste, die be-
gehrteste, in gewissem Sinne die lebendigste
Kunst, wenn nur dieses Wort: Publikumskunst
nicht in so fataler Weise ironisch gemeint wäre.
Die Künstlerschaft, aus deren Reihen es stammt,
hat mit dieser Prägung sich einen Galgenhumor
von starken Graden geleistet. In den kahlen
Mansarden, vor den ausgebrannten Öfen und
den nie gefüllten Schüsseln ist man nämlich zu
der Einsicht gelangt, daß in der heutigen Zeit
die stürmischen Erfolge fast nur beschieden sind
der literarischen, malerischen, plastischen oder
architektonischen Produktion, über deren künst-
lerische Qualifikation Zweifel nicht bestehen, die
Halbkunst, Scheinkunst, Kitschkunst, seichte,
vor dem Richtstuhl der Ästhetik hochstaple-
rische Mache ist. Die Banalität und Trivialität,
der ekelste Atelier- Auswurf , das ist das,
„was geht", „was zieht", was, wie Goethe, der
allen starken Worten abholde Goethe, sich aus-
drückt, das „vielköpfige, vielsinnige, hin und
her schwankende Tier" frißt. Seit Goethes
Tagen — und wie viel länger noch? — ist es
ein phantastischer Zufall, wenn einmal der In-
stinkt des großen Publikums irrte, wenn es
spontan sich zu einer genialen Tat bekannt hätte.
Mit einer Treffsicherheit, die an Gesetzlichkeit
zu glauben zwingt, hat es noch fast jeden der
Großen verkannt und verlacht, den das Publi-
kum der nächsten oder übernächsten Generation
als klassischen Meister der Nation gepriesen,
verhimmelt und — als Waffe zum Erdrosseln
PROFESSOR
J. HOKFMANN.
»BLUMENSCHALE
IN SILBER c
l'ROFESSOR JOSEF HOFFMANN. AUSFÜHRUNG: WIICM.K W KKK-.TA 1 I E. . BI UMEN ■^^ HALF IN SILBER MIT EMAIL'
ARCHITEKT DAGOBERT PECHE WIEN. AUSFUHRUNG: WIENER WERKSTATTE. ».\DRESSE IN LEDERKASSETTE«
XX. Oktober 1916. 10
Publikumskunst.
des neuen Talents
gebraucht hat. Bis
in die letzte Zeit,
bis es nämlich zu
einem Gesellschafts-
spiel geworden ist,
die „Jungen zu ent-
decken", gehörte es
zur Legende des
Künstlerlebens, nach
einem Bruch mit
der Akademie eine
elende Dachkammer-
existenz zu fristen,
als verkanntes Genie
durch das Leben zu
vegetieren, bis dann
nach dem Tode die
gloriose Aufersteh-
ung kam: die stür-
mische Begeisterung
der Massen, die Rie-
senpreise und Riesen-
honorare, beiBildern
undPlastiken der An-
kauf für die öffent-
lichen Sammlungen
des Staates. Kleist,
Flaubert, Marees,
Hebbel, Feuerbach,
Leibl, Böcklin, Wag-
ner, in bunter Reihe
ein paar der Schick-
sale, die so — pro-
grammäßig verlaufen
sind. Noch Dutzende
wären zu nennen ;
einzelne wie Degas,
wie Monet, wie unser
Hagemeister waren
von so guter Körper-
konstitution, daß sie
selbst noch Zeugen
dieses ihres Nach-
ruhms zu werden ver-
mochten. Die mei-
sten aber — als ty-
pischster wohl der
arme van Gogh —
lebten das Klischee
der sogenannten
Künstlerromane. Sie
wollten Kunst, wirk-
liche Kunst und nicht
Publikuniskunst ma-
chen und gingen so
als unheilbare Idea-*
PROF. J. HOFFMANN. »STEH-LAMPE« AU.SF: WIENER WERK.ST.
listen zugrunde. —
Das nämlich ist der
Konfhkt in all die-
sen Künstler -Roma-
nen ; eines Tages
nach endlos erfolg-
losen Mühen steht
der arme abgehetzte
Kerl vor der Ent-
scheidung, entweder
seine künstlerische
Überzeugung, seine
innere Wahrhaftig-
keit preiszugeben
oder ein Leben im
Dunkeln, ohne Aner-
kennung, ohne Aus-
sicht auf die allerbe-
scheidenste bürger-
liche Existenz führen
zu müssen. Ist er cha-
rakterlos genug, dem
AUerweltsgeschmack
nachzugeben , macht
er das Seichte, Phra-
senhafte, Geleckte
und Gezierte, das,
was der Künstler
eben verächtlich mit
der Geste: Publi-
kums - Kunst abtut,
dann blüht ihm der
Tages -Erfolg, dann
kommen die schmei-
chelhaften Anerken-
nungen, die großen
Aufträge, die Ströme
Goldes. Die Verle-
ger, dieTheaterdirek-
toren, die Kunst-
händler reißen sich
um jedes neue Werk,
die Zeitungsleute lau-
fen dem neuen „Lieb-
ling des Publikums"
nach; alles, was er
tut, was er spricht,
was er wünscht oder
plant, wird mit der
Druckerschwärze ge-
hörig ausgewalzt. Die
Gesellschaft rechnet
es sich als eine Ehre
an, den so Gefeierten
zu den Ihrigen zählen
zu dürfen. Schönen
Frauen ist es ein
Publikumsktmst.
Glück, sich in seinem Ruhme
zu sonnen. Ein rauschendes
Leben rollt ab zwischen den
blendenden Kulissen eines
Künstler- Palais, wie es die
Makart, Lenbach usw. zur
Verblüffung dieses ihres Pub-
likums sich geschaffen haben.
„Er machte schlechte, aber
doch berühmte Bilder",
dieses Wort des alten Koch
auf seinen Rom - Genossen
Hackert ist der Nachruf, den
die Kunst diesen Abtrün-
nigen nachzugrollen pflegt
— ohne eigentlich zu be-
denken, daß die Schlechtig-
keit des Werkes ja die Vor-
aussetzung für seine Be-
rühmtheit gewesen, daß es
als künstlerisch vollwertige
ARCH. D. FECHE. »BESTICKTER BEUTTl
»GLASPOKALE« ENTW; FRL. FLÖGEL.
Leistung von den Massen wohl
niemals so bejubelt worden
wäre. AlsStauffer-Beminden
80er Jahren die „schönen"
Porträts der reich gewordenen
Berliner malte, da war er der
große, der begnadete Mann;
aber als er Schluß machte mit
diesen ihm zum Ekel gewor-
denen Verlogenheiten, als er
wahrhaft und groß bilden
wollte, was er sah und fühlte,
mußte er unter die Räder
geraten. Die Welt will nicht
Kunst, sondern Publikums-
kunst. — Während der Künst-
ler früher einem Kontrahen-
ten gegenüberstand, der auf
der Höhe der jeweiligen
Gesamtbildung sich befand,
wird jetzt die künstlerische
Produktion bestimmt durch
Schichten, die gelegentlich
nichts als ihren frisch erwor-
benen Reichtum mitbringen.
Im Einzelfall, wenn Herr
Spiesecke durch Heeresliefe-
rungen sich plötzlich aus
einer Drei -Zimmerwohnung
in eine Grunewaldvilla em-
porspekuliert hat, ergeben
sich dann die für die Kunst so
fürchterlichen Mißgriffe: die
Salonplastik mit dem halb
abgerutschten Gewand, das
Ölbild von dem akademischen
Kunstmaler, der einmal auf
einer großen Kunst- Ausstel-
lung eine Medaille gehabt hat,
Publikumskunst.
und wenn derlei Fälle sich
zu Hunderten und lausen-
den wiederholen, dann
spricht man eben von Pub-
likumskunst. — Warum
nun diese Sucht zum Ge-
meinen, Nichtigen, Plat-
ten? Warum diese Un-
duldsamkeit gegen das
geniale Kunstwerk, das
von seinem Schöpfer doch
als eine Beglückung der
Menschen gedacht war,
warum dieser Haß der
im Falle der Manetschen
Olympia oder des De-
jeuner sur l'herbe sich
so steigern konnte, daß
die Ausstellungsbesucher,
Herren und Damen der
Pariser Gesellschaft, die
doch unmöglich zum Mob
gezählt werden können,
mit Stöcken und Schirmen
an den gemalten Weibern
»GLASPOKAL« ENTWORFEN VON FRL. FLi.iGEL.
VERTRIEB :
WIENER WERK-
STÄTTE-WIEN.
Lynchjustiz üben woll-
ten? Dinge, die so die
Leidenschaft erregen, die
so zur Abwehr herausfor-
dern, können dieser un-
faßbaren Masse doch nicht
gleichgültig sein. Es kann
nicht der blindwütige Zu-
fall sein, der sie vor einem
Bild von Meyerheim im-
mer gleichgültig gelassen,
und ein Werk wie diesen
Manet zu zerstören an-
peitscht. Es muß in dem
wirklichen Kunstwerk et-
was sein, was ihnen die
Galle reizt. Gewiß, es
mag einmal vorkommen,
daß die haltlose Menge
von irgendeinem, einem
Konkurrenten des Künst-
lers, einem verständnis-
losen Zeitungsschreiber,
sonst einem Mißvergnüg-
ten oder Mißgünstigen zu
GL.VSl'OKALE MIT
EINFACH. BE^L\LU^^
ENTW: FRL. FLÖGEL.
WIENER WERKS lATTE.
■;M \II,-I:K' »chen«
ENTW: FRL. FLÖGEL.
WIENER VVERKSTÄTTE.
»BILDCHEN U. BROSCHEN
IN BUNTEM EMAIL«
112
Pu blikuniskujist.
ihrem Exzeß aufgeputscht worden
ist; aber an solch zufällige Bosheit
zu glauben bei einer Sache, die,
ob es sich um das Auftreten eines
Flaubert, eines Strindberg, eines
Munch oder Wedekind handelt, so
selbstverständlich wie der Donner
nach dem Blitz einzutreten pflegt,
ist doch mehr als man einem den-
kenden Menschen zumuten kann.
Es muß doch da eine Gesetzlichkeit
geben, daß ein Ibsensches Stück, ein
Liebermannsches Bild, ein Nolde,
ein Lehmbruck überall, wo sie
zum ersten Mal auftauchten, einen
Sturm der Entrüstung entfesselten,
während allenthalben, wohin die
„Lustige Witwe", das „Tagebuch
einer Verlorenen" oder dergleichen
Schmarren kamen, das hingerissene
Publikum nach mehr, nach viel,
viel mehr von der Trivialität gierte.
Die Unklugheit, die Unbildung, die
Gleichgültigkeit der „blöden"Masse
kann es nicht sein, sonst müßte es
einmal wenigstens vorgekommen
sein, daß diese Unwissenheit sich
geirrt, daß sie gegen die Regel ein
bedeutendes Werk verkannt und
deshalb wie einen Kitsch bejubelt
hätte. Solcher Irrtum ist ausge-
schlossen, weil sie an der Flachheit
das ihr Gemäße, das ihr Wesens-
verwandte liebt. Sie entscheidet
sich nicht aus der Unkenntnis über
den künstlerischen Wert , sondern
aus einem ganz positiven Verlangen
nach dem Mittelmäßigen. Das Mit-
telmäßige, das nicht zu erregend,
nicht zu stürmisch, nicht zu erhaben,
nicht zu edel und nicht zu machtvoll
ist, das unterhält und doch jeden
auf seiner Alltagstraße läßt, das
harmlos Nette, das wie Limonade
eingeht, das ist das, was die Vielen
wollen, wenn sie die Absicht haben
sich einmal mit der Kunst einen
guten Tag zu machen. „Kein Wun-
der", das ist die Reflexion Goethes
zu diesem Fall, „kein Wunder, daß
wir uns alle im Mittelmäßigen gefal-
len, weil es uns in Ruhe läßt; es
gibt das behagliche Gefühl, als wenn
man mit seinesgleichen umginge".
Fürwahr, das ist es, dieses behag-
liche Gefühl, diese Pantoffelweich-
heit, diese geistige Trägheit, die der
Künstler, sofern er eben zu Recht
JOS. HOl-FMANN. -cANH-iNGER«
w
ARCHrrEKT BLONDER.
PRÜFEND' K l.is II. I I MANN. »ANH.\NGER IN SILBER«
VERTRIEB: WIE.NEK \VERK.STÄTTE-\VIEN.
»KR-WATTENNADEL«
Sehnsucht. — Phantasie.
diesen Namen trägt,
nicht respektiert, sei-
nem Wesen nach nicht
respektieren kann, weil
er immer ein Aufrüt-
teier und Aufrührer zu
sein bestimmt ist, die-
ses Unruhige und Un-
befriedigte im schöp-
ferischen Geist, dieses
Himmelstürmende ist
es, was das Philisterium
so zur Abwehr zusam-
menschweißt. Es will
aus seiner Gewohn-
heit des Denkens und
Fühlens nicht heraus-
gebracht werden, es
wehrt sich instinktiv
gegen die unbequeme
Zumutung, et was Neues
— und sei es auch
eine geistige Delika-
tesse ohnegleichen —
aufnehmen zu sollen.
Es lehnt mit mehr oder
minder großer Ent-
schiedenheit ab, wie der
Bauer, dem man Arti-
schocken oder Hum-
mern vorsetzt. Ja, es
ist so, „man verdient",
um noch einmal mit
Goethe zu reden, „we-
nig Dank von den Men-
schen, wenn man ihr
inneres Bedürfnis er-
höhen, ihnen eine große
Idee von ihnen selbst
geben, ihnen das Herr-
liche eines wahren ed-
len Daseins zum Ge-
fühl bringen will. Aber
wenn man die Vögel
belügt, ihnen Märchen
erzählt, von Tag zu Tag
ihnen forthelfend sie verschlechtert, da ist man
ihr Mann und darum gefällt sich die neuere Zeit
in so viel Abgeschmacktem". . paul westheim.
Ä
SEHNSUCHT. Wir alle möchten ein Leben
führen, das reicher und höher ist, als das
von der Beschränktheit des Menschentums uns
gestattete. In einem düsteren Keller sitzen wir
und strecken wie einen Fühler, wie ein Periskop
die Kunst in die höhere Sphäre, um ab und zu
ein leuchtendes Bild aus ihr niederzuholen.
PROF. O. PRUTSCHER. »SPIEGEL MIT KERZENHALTER
Das tut nicht nur die
idealistische Kunst. Wir
möchten auch größer
sein im Spott, im Leid,
im Zerstören! — Wir
sind einmal und möch-
ten noch viel tausend-
mal anders sein; Be-
wegte Linie, wuchtende
Masse, ein beseelter
Hauch, polterndes Ge-
witter, eine Geste des
Stolzes, der Liebe, der
Trauer. Da zwingen
wir unsere explosive
Sehnsucht zwischen
die vier Wände des Bil-
des, und die unerlöste
menschliche Seele be-
freit sich, sieht sich
starr und groß, fein,
zierlich, in wunderba-
rer melodischer Bewe-
gung, zerreißend, auf-
bäumend im Trotz und
weich im All zerflie-
ßend. Niemals wird
das Bild die unzähligen
Weisen des Seins, die
wir leben möchten, er-
schöpfen. Kaum ist eine
unserer Möglichkeiten
gestaltet, wird uns die
Beschränkung leid. Wir
hassen das selbstge-
schaffene Idol, um bald
eine andere Sehnsucht
anzubeten. ... a. j.
PHANTASIE. In dem
■'■ Dunkel der Mög-
lichkeiten brauen die
Träume. Welten glän-
zen hinter den Vorhän-
gen, die eiserne Not-
wendigkeit verschlos-
sen hält. Wem wäre dieses graue Leben erträg-
lich, der einmal sich an dem Gift der Zukunfls-
träume berauscht hat? Rings um uns her, und
weit in die menschliche Zukunft hinein, mögen
die herrlichsten Wunder blühen. Wir dürfen ihr
gespenstisches Locken nicht hören. Die Phanta-
sie nährt und beschwingt den menschlichen Geist
nur, soweit sie von grauer Erde, von grauem
Alltag sich nährt. Stürmt sie hemmungslos ins
Blaue, so ist sie kein Gefährt, dem der Mensch,
der leben will, sich anvertrauen darf. . . a.j.
ENTW.U. AUSF: TILLI LORCH— FRANKFURT.
»GOLDFARBENES KISSEN MIT SEIDENSTICKEREI«
DIE UNERSETZBARKEIT DER STICKEREI.
Nein, werte Freundin, Ihre Besorgnisse ver-
mag ich nicht zu teilen. Sie sehen die
Zukunft unseres edlen Kunstzweiges entschie-
den zu düster. Wenn auch fast täglich neue
Stickerei-Imitationen auftauchen und angeprie-
sen werden — nur Geduld, binnen kurzem
werden diese „Neuheiten" dahin gewandert
sein, wo bereits Hunderte und Tausende ihrer
Vorgängerinnen ruhen, in den Orkus der Ver-
gessenheit. Es war noch immer so: Ging ein
Artikel mal ausnahmsweise gut, flugs tauchte
auch schon eine Erfindung auf, ein Ersatz,
der zehnmal billiger war, und alle kaufmännisch
Denkenden nahmen an, mit der guten alten
Ware ist es nun vorbei, sie ist tot, mausetot ;
erschlagen von dem „Ersatz". Was aber war
in Wirklichkeit die Folge der VerbiUigung, des
Massenangebots, der Verschlechterung? Der
ganze Artikel wurde totgeschlagen, totge-
hetzt, die Ersatzmänner gruben sich selbst das
Grab, rissen allerdings den ganzen wertvollen
Artikel mit, auf den sie sich mit ihrer Verbil-
ligungssucht geworfen hatten. Und seien Sie
überzeugt, mit den imitierten Filetdecken, den
gedruckten Applikationen, und was sonst noch
Ihr Herz beschwert, wird es nicht anders er-
gehen. Sie beherrschen für eine kurze Weile
das Warenhaus, bis der Herr Einkäufer wieder
eine andere Neuheit, einen andern „Reißer"
findet, da sich auch das Publikum bald an dem
Überangebot sattgesehen hat. Na, und nach
einiger Zeit werden wieder die guten, echten
XX. Oktober 1910. 11
Die Unersetzbarkeit der Stickerei.
TILLI LORCH— FRANKFURT.
Filetdecken auftauchen, man wird sie wieder
liebgewinnen, wie man sie nur je geliebt hatte.
Seit es eine Industrie und ein Unternehmer-
tum im heuligen Sinne gibt, ist die Stickerei
immer bedroht gewesen. Von allen denkbaren
Seiten her sind Einbrüche in ihr Gebiet ver-
sucht worden, kein Material, keine Technik, die
nicht zur Imitation von Stickerei mißbraucht
worden wäre. So hat man Buntstickerei durch
Malen, Drucken, Weben, Prägen, Ätzen und
Brennen, Spritzen und wer weiß welche Teufels-
künste noch, täuschend imitiert. Ist die Bunt-
stickerei dadurch zugrunde gegangen ? Im Ge-
genteil ! Sie erlebt heute geradezu eine Blüte-
zeit. Aber die Imitationsverfahren, die sind,
wie sie gekommen, wieder dahingeschwunden,
ihre Erinnerung wird nur in alten Modeblättern
und Patentschriften noch festgehalten, zur
Schande und Warnung fürkommende Geschlech-
ter. Wo ist der famose „Seidenglanz" aus Glas-
pulver geblieben ? Wer macht noch Knüpfereien
aus gefärbten Bohnen ? Da haben sie den edlen
»DECKE MIT TULI.STICKEREH
königlichen Samt mit glühenden Formen gepreßt
und die Zeichnung in schreiend natürlichen Far-
ben ausgespritzt: — Welch eine wunderbare
Erfindung ! Reisende durchzogen ganz Deutsch-
land mit diesem „effektvollen Artikel", der die
Stickerei unbedingt totmachen mußte, und —
der Rest ist Schweigen. Schade um den Samt,
werden auch Sie gesagt haben! Soll ich noch
weitere dieser Ersatzkunststücke anführen? Ich
glaube, es wird ihnen damit zuviel Ehre angetan.
Mögen die Erfinder selbst ihre Imitationen be-
wundern und sich damit begraben lassen! Die
übrige Menschheit hat sie noch immer rasch ab-
gewimmelt, die feste Position der Stickerei ver-
mochten diese Abenteurer nicht zu erschüttern.
Nun will ich Ihnen nur noch, werte Freundin,
zu Ihrer völligen Beruhigung mit ein paar Worten
sagen, warum denn die Stickerei so unersetz-
bar ist, warum die Totschlagsversuche der Imi-
tatoren auch in alle Zukunft vergeblich bleiben
werden und bleiben müssen. Ja, wenn es sich
bei unserer Arbeit nur darum handelte, einen
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EVA UND
LOTI'E RIESS-
DESSAU.
»FILET-
ARBEITEN«
Die Unersetzbarkeit der Stickerei.
MARIANNE THEINER-PRAG.
zeichnerischen Entwurf möglichst genau in Stoff
und Faden wiederzugeben! Dann wäre natür-
lich jenes Verfahren am besten und erfolgreich-
sten, das einen möglichst zeichnerischen, gra-
phischen Eindruck hervorbringt. Wir könnten
uns mit Malen auf Stoff, dem Drucken, Scha-
blonieren , Spritzen in keiner Weise messen,
zumal diese Verfahren ja auch viel rascher ar-
beiten, als die Stickerei. Aber das ist eben
ein, leider recht verbreitetes, Mißverständnis.
Wenn eine Dame heute eine feine Tischdecke
erwirbt mit allerlei Weißstickerei darauf und
eingesetzten Spitzenmotiven, so weiß oder fühlt
sie sehr wohl, daß sie mehr nach Hause trägt,
als nur eine in Leinenfäden ausgeführte Zeich-
nung. Sie fühlt plötzlich durch dieses kunst-
ȆECKCHEN MIT WEISS-STICKEREU
volle Werk sich in stiller Sympathie verbunden
mit den geschickten Fingern der Verfertigerin,
mit ihrer bis ins kleinste liebevollen Sorgfalt,
mit ihrer aufopfernden Geduld und ihrem feinen
Sinn für schöne, edle Nadelarbeit. Das Band
der Sympathie greift sogar noch weiter, greift
zurück auf die Frauen vergangener Zeiten, mit
denen man sich auf einmal geistesverwandt
fühlt; sie grüßen uns aus den von ihnen erfun-
denen und geübten Stichen, Figuren, Slickerei-
auffassungen. Solche echte, edle Stickerei ist
eine zeitlose und internationale Sprache der
Frau; wie sie seit Jahrtausenden geübt wird.
Wir dürfen sicher sein , sie wird mindestens
noch einmal so alt werden, als sie schon ist.
— Lassen wir uns also von dem lauten Getue
BORTE FÜR WEISS-STICKEREI.
MARIANNE THEIN'ER PRAG.
»BORTE FÜR EINE ANRICHT-DECKE«
ENTWURP" UND AUSFÜHRUNG: MARIANNE THEINER-PRAG.
»RUNDES KISSEN AUS GOLDSTOFF MIT STICKEREI UND REICHER SPITZE. MITTELTEIL IN B.VTIKARBEIT«
WEISS-STICKEREI-ARBEITEN.
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MARIANNE THELNER--PKAG.
-BORTE EINER DECKE IN HOCHSTICKEREI «
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MARIANNE THEINER -PRAG. .LEINEN-BATISTDECKE FÜR EINE ANRICHTE.
AUSFÜHRUNG IN HOCHSTICKEREI UND DURCHBRUCH-ARBEIT MIT HOHLSÄUMEN. VERGL. DIE OBERE ABBILDUNG SEITE 120.
Die Unersetzbarkeil der Stickerei.
der Fälscher nicht be-
irren, halten wir treu
zur edlen Kunst der
Nadel, sie wird es uns
wie bisher reichlich loh-
nen. Jene oberfläch-
lichen Leute, die jeder
Sensation nachlaufen,
sind nie unsere wahren
Freunde gewesen. Sie
haben auch in unserer
Stickerei die Vergröbe-
rungen und Verbilligun-
gen erfunden, die uns
schon so manche schöne
alte Technik verleide-
ten. Wenn sie sich jetzt
im Drucken und Weben
betätigen, um so besser
für die Stickerei! Aber
gute, hochwertige Stik-
kerei wird niemals von
Imitationen, und seien
sie noch so raffiniert,
ersetzt oder verdrängt
werden. — Ihr sehr er-
gebener ANTON JAUMANN.
DIE VOLLEtlDUNG.
Wenn höchste Bequem-
lichkeit und höchste Schön-
heit in einem Gebrauchs-
gegenstand zusammenfallen,
so ist er kunstgewerblich voll-
endet. Zwang und Freiheit
sind die beiden Eltern der
Geschwister: Kunst und Kunst-
gewerbe; aber dieses muß
mehr dem Vater, jenes mehr
der Mutter ähnlich sehen;
hier gilt es; die gegebene In-
dividualität zur Gese^mäßig-
keit auszubilden, dort: das
gegebene Gese^ der Indi-
vidualität gemäß auszugestal-
ten. Die Kunst wädist von
innen nadi außen, das
Kunstgewerbe von außen
nach innen. Sowie man den
beiderseitigen Standpunkt
vertauscht, wird die Kunst
zur Manier und das Kunst-
gewerbe zum bloßen Luxus-
gewerbe Langbfhn.
HEDE FLF.ISCHER PR.\r,-\VEINBERGE.
• BEUTEL UND I.^VUTENBÄNDER MIT STICKEREI«
\
:{ANZ SEIFERT WIEN. »ENTWURF FÜR EIN DENKMAL AUF DEM „BISAMBERG" AN DER DONAU« (BEI WIEN)
AI.EXANUliK JAKAV— WIEiN. DENKM-VL,
KAUEKfiLlEK ACMILLE.S»
KRIEGER-DENKMÄLER.
Im Februar 1915 hatte das österreichische
Kultusministerium einen Wettbewerb für
Kriegerdenkmäler ausgeschrieben. 66 000 Kr
waren insgesamt für Preise ausgesetzt. Die
außerordentliche Aufgabe fand unter den Künst-
lern Österreichs eine außerordentliche Betei-
ligung. Die wichtigeren der Entwürfe liegen
jetzt in einem Sammelwerk vor, das der Verlag
Anton Schroll in Wien unter dem Titel „Krie-
gerdenkmäler" herausgebracht hat. Zusammen
mit dem früher erschienenen Werke „Soldaten-
gräber und Kriegerdenkmäler" (im gleichen Ver-
lag), worüber wir im November-Heft 1915 der
„Deutschen Kunst und Dekoration" berichte-
ten, besitzt jetzt Österreich eine solche Fülle
von Anregungen und Vorbildern, daß gewiß
keine Gemeinde in Verlegenheit kommen dürfte.
Was die Künstler Österreichs hier in Erfindung
und Gestaltung geleistet haben, ist staunens-
wert. Wir können mit aller Bestimmtheit aus-
sprechen, sie werden der Aufgabe, die Helden
des Weltkrieges würdig zu ehren, voll und ganz
gewachsen sein. — Einige andere Bedenken
und Fragen lassen sich aber angesichts so präch-
tiger Werke nicht unterdrücken: Werden die
Denkmalsausschüsse dem sachkundigen Künst-
ler nun wirklich freie Hand geben? Wenn sie,
wie bisher. Ort und Art des Denkmals selbst
bestimmen wollen, ist trotz alledem eine Besse-
rung nicht zu erhoffen. Und werden die Künst-
ler, die oft durch verwandtschaftliche und son-
stige Beziehungen den Auftrag erhalten, sich
auch selbst die nötige Sachkunde erwerben?
Nicht jeder gute Plastiker hat ohne weiteres
das Zeug zu einem Denkmalbauer, mancher
versteht es nicht einmal, seinen eigenen Wer-
ken den günstigsten Platz, die rechte Aufstel-
lung zu finden. Denn hier spricht noch ande-
res mit, als Fragen der plastischen Form. Und
endlich: Wird es überhaupt angehen, nach
einem so sinnlosen , kulturwidrigen Völker-
morden triumphierende Denkmäler aufzurich-
ten, Zeichen des Stolzes, versteinerte Hurra-
rufe? Oder wäre es nicht vielmehr angezeigt,
der tiefen Trauer über die ungeheuren Verluste
Ausdruck zu geben, Zeichen zu schaffen, die
auf Jahrhunderte hinaus zum Ernst, zum Opfer-
sinn, zur Einfachheit, zur Einigkeit mahnen?
Der Geist von 1914 ist verflucht rasch ver-
flogen. Wir brauchen „Denk"-Mäler, die zur
Einkehr mahnen, die die Völker aufrütteln und
erschüttern auf ewige Zeiten. ... a. jauuann.
XX. Oktober 1916. 12
EMIL HOPPE, MARCEI.L KAMMERER, OTTO SCHÖNTHAL WIEN.
.ENTWURF ZU EINEM DENKMAL FÜR GEFALLENE KRIEGER.
ARTUR PAYR-INNSBRUCK. .DENKMAL FÜR EINE HÖHE BEI WIEN«
AUS DEM WERKE »KRIEGSDENKMÄLER« VERLAG VON ANTON SCHROLL & CO. IN WIEN.
JOSEF MÜLLNER— WIEN. »ENTWURF FÜR EINE WEIHESTATTE DER GEFALLENEN HELDEN« AUS •KRIEGSDENKiLiLER« VERLAG A. SCHROIX.
l'KEILlClll-ALH'UUKL.Nc; IN UAKMSTADT.
»FRL. EICHEI.SHEIM ALS SAITHO« IIL AUK/.Il
FREILICHT-THEATER AUF DER »MATHILDENHÖHE«
Zum erstenmal seit Ausbruch des Weltkrieges
war am 12. August dieses Jahres das edel-
heitere Kunsteiland der Darmstädter Mathilden-
höhe seiner ureigentlichen Bestimmung wieder-
gegeben. Frieda Eichelsheim, die unver-
gessene einstige Zierde unseres Hoflheaters
und, seit etlichen Jahren, Wiesbadener Heroine,
hatte sich mit dem rühmlichst bekannten Wies-
badener Theatermann Paul Linsemann ver-
bündet, um die Wirkung einer sommerlichen
Freilichtaufführung mit dem Hintergrunde des
stolzen Olbrich-Baues zu erproben. Der wohl-
tätige Zweck, die Begünstigung des Unterneh-
mens durch den Hof und die Gesellschaft und
auch wohl die Sehnsucht der harten Zeit nach
einer nicht würdelosen Entspannung hatten den,
vernünftiger Weise nicht allzu ausgedehnten,
Zuschauerraum dicht zu füllen vermocht. Ganz
leicht war der Genuß dieses seltenen Freilicht-
spieles nicht erkauft, denn in den ersten zwei
Stunden brannte die liebe Sonne recht unbarm-
herzig dem Zuschauer auf den Rücken, blendete
die Schauspieler, und auf den entfernteren
Plätzen ließ die Verständlichkeit viel zu wün-
schen übrig; aber die vortreffliche Eignung des
Schauplatzes für derartige festliche Vorfüh-
rungen wurde durch den geglückten ersten Ver-
such erwiesen. Man hätte auch keine verstän-
digere Wahl für diesen Versuch treffen können,
alsgeradeGrillparzersoft bewährte , f r e u n d-
liche Tragödie „Sappho". Gehalt und Aus-
drucksmittel dieses liebenswürdigen Bieder-
manns-Spieles stehen stilistisch in nächster Ver-
wandtschaft zum Stile des Bauwerks, das den
Hintergrund dafür abgab, denn auch Olbrichs
heiter-feierlicher Ausstellungsbau darf wohl als
eine Synthese von hellenistischer Klassizität
mit Wiener, ein wenig biedermeierisch koketter
Anmut gekennzeichnet werden. Doch immer-
hin: Olbrich ist klassischer als Grillparzer, dem
unter dem Halsausschnitt des Chiton doch im-
mer der saubere Vatermörder von 1840 hervor-
guckt. Seine gehobene Sprache von anno da-
zumal ist, an den Maßstäben heutiger Vers-
kunst gemessen, auf den Pegel einer anständigen
Trivialität herabgesunken und hinter seinen
tragischen Masken entdecken wir mit verständ-
nisvollem Lächeln eine geheime Hofratstochter
gesetzten Alters , die sich durch erfolgreiche
Schriftstellerei einen Namen gemacht hat
(Sappho), einen tadellos gewachsenen, herzigen
und leidlich feschen Sportsmann, k. k. Funk-
XX. Okiober 1916. 13
Das Haus der Freundschaft in Konstantinopel.
FREILlCHT-ArKFUHRUNG IN DARMSTADT.
tionär oder Leutnant (Phaon), und ein belie-
biges süßes Mäderl, Zöfchen oder Ladnerin
(Melitta). Die uralte traurige, aber naturgemäß
unabänderliche Geschichte von dem aussichts-
losen Wettstreit der weiblichen Überreife mit
der siegreichen dummen Jugend wird durch das
klassische Kostüm keineswegs zu einer auf-
wühlenden Tragödie, aber die warme Mensch-
lichkeit des Dichters undder meisterhaft schlichte
dramatische Aufbau zwingen selbst uns ge-
hetzten Nervenmenschen von heute noch herz-
liche Teilnahme und künstlerische Hochachtung
auf. Der feinsinnige Spielleiter hatte mit er-
lesenem Geschmack in den ungemein stimmungs-
vollen architektonischen Rahmen Bilder von
hohem malerischen Reiz hineingestellt und als
trennenden Vorhang zwischen den Akten eine
versteckte, gedämpfte Musik wirken lassen.
Fräulein Eichelsheim wurde der gekrönten
Dichterin durch ihre edle, beseelte Deklamation
und vielleicht noch mehr durch ihre herrliche
Gebärdensprache vollkommen gerecht, und der
junge Frankfurter Darsteller Adolf Manz war
ein idealer Phaon, ganz nur lieber, unverdorbe-
ner Bub. Auch die übrigen schauspielerischen
Leistungen standen auf achtbarer Höhe und
•MELITTA UND I'HAÜN ' SAPPHO II. AUFZUG.
auch der spürbare Dilettantismus der anmutigen
Melitta störte nicht bei soviel Sonnenschein und
blauemHimmel, Blumenduft und Farbenschmelz
— ebensowenig wie die christlichen Abend-
glocken und das vorwitzige Motorgebrumm
des Kriegsvogels von 1916, der seine Kreise
nahe an die Insel Lesbos heranschwang. Alles
in allem genommen: es war diese Sappho auf
der Mathildenhöhe ein reines, herzerquickend
idyllisches Kunsterlebnis, das alle Teilnehmer
in dankbarer Erinnerung behalten werden. —
ERNST VON WOLZOGEN.
DAS HAUS DER FREUNDSCHAFT IN
KONSTANTINOPEL. Der Wettbewerb
um das Deutsch-türkische Freundschaftshaus,
an dem auf Vorschlag des Deutschen Werk-
bundes 12 deutsche Architekten aufgefordert
wurden und zwar Prof. Peter Behrens, Prof.
German Bestelmeyer, Prof, Paul Bonatz, Prof.
Hugo Eberhardl, Professor Marlin Elsässer,
August Endell, Prof. Theodor Fischer, Walter
Gropius, Prof. Hans Pölzig, Prof. Bruno Paul,
Prof. Richard Riemerschmid, Bruno Taut, führte
dazu, daß in den letzten Wochen eine Reihe
dieser Herren, eingeladen von der Deutsch-
Das Haus der Freufidschaß in KonstantinopeL.
türkischen Vereinigung, Studiums halber in
Konstantinopel weilten, um den von der tür-
kischen Regierung zur Verfügung gestellten,
am höchstgelegenen Punkte Stambuls befind-
lichen Platz in Augenschein zu nehmen. Es
wurde ihnen daselbst durch unsere Bundesge-
nossen eine außerordentlich sympathische Auf-
nahme zuteil. Das Haus kommt an die Divan
Jolu in das Viertel zwischen der Aja Sophia
und At Meidan einerseits und dem Kriegsmini-
sterium und der Bajasid Moschee andererseits
zu liegen, gegenüber der berühmten Mahmuds-
türbe. Dem Bauplatz vorgelagert ist der Platz
mit der Cisterne der 1001 Säulen. Nach Süd-
westen, Süden und Osten eröffnet sich ein ge-
waltiger Rundblick auf das Marmarameer, bei
der Einfahrt von den Dardanellen her wird das
Gebäude stark in Erscheinung treten. Das Haus
soll umfassen einen großen Versammlungssaal
für 1800 Personen, einen Konzertsaal für 500
Personen, zahlreiche Räume für Ausstellungen
auf dem Gebiete der bildenden Kunst, der
Technik, des Handels und der Warenkunde,
Heer und Schulwesen etc., ein großes öffent-
liches Kaffee, ausgedehnte Bibliothek- und Klub-
räume und weiterhinWohngelasse für Studenten.
Für den Bau des Hauses sind Beträge in Höhe
von 1 ' J Millionen Mark bereits gesammelt. —
freu.icht-
.\uffChkung
in darmstadt.
»SAPPHO»
SCHI,USS-SZENE:
PHAON UNI)
MEi.rn'A.
ST.\ATL. KUNSTGEW.-SCHULE HAMBURG.
SCHULERAK-BEIT -PUI'PENbl'lEL«
KINDERARBEITEN- EINE FORDERUNG AN DIE SCHULE.
Im Märchenlande zu wandeln ist eins der herr-
lichsten Vorrechte der Kinder. Es war ein-
mal. — Köstliche Empfindungen werden in uns
wach, wenn wir uns der Geschichten erinnern,
die uns durch jene einleitenden Worte in die
Zaubergärten der Phantasie , die mit gütigen
Feen und mit bösen Geistern bevölkert waren,
führten. Noch deutlich erinnern wir uns der
Wirkungen, die die Kunst der Poesie geheim-
nisvoll in unseren Herzen entzündete. Wir
fühlen noch unsere Wangen glühen, wenn wir
jener ersten Wallungen unseres Gefühls ge-
denken. In unserer Phantasie baute sich eine
besondere Welt auf, reich und schön, gut und
böse, die allmählich durch die rauhe Wirklich-
keit abgelöst wurde. Unsere Erfahrungen, so
gering sie anfänglich waren, häuften sich, sie
wuchsen mit uns. Wir drängten von einem
Erlebnis zum anderen, denn im Erleben emp-
fanden wir unsere stärksten Glücksempfin-
dungen. Wenn wir uns eine Grube gruben, mit
nassem Sand Kuchen backten, oder, größer
geworden, mit alten Balken und Brettern uns
Häuser bauten, dann schwand die Zeit im Fluge
dahin, dann waren wir glückliche Kinder. —
Aus dem Spiel wurde bitter böser Ernst.
Ein zweiter Abschnitt unseres Lebens, der
scharf vom ersten gesondert war, folgte. Aus
der fröhlichen Kinderstube, aus dem sonnigen
Garten kamen wir in die Schule, um mit vielen
anderen zusammen die „Arbeit" zu lernen.
Kannten wir sie denn nicht? — Hatten wir
denn nicht gearbeitet vom Aufstehen bis zum
Niederlegen? — Wir hatten gespielt — ja, aber
wir hatten mit eigenem Willen gestaltet und
höchste Lust dabei empfunden. Nun mußten
wir lernen, lernen und unsere Hände gefaltet
auf dem Tische halten, die so gerne alles das
verwirklicht hätten, was die Phantasie uns er-
sann, die anfänglich neben dem Lernen einher-
ging und darauf wartete, wieder frei zu werden.
Der Tag der Befreiung für unsere unterdrückte
Phantasie kam nicht, unsere Hände hatten nichts
mehr zu tun, nur unser armer Kopf, und so
wurde die Arbeit, die uns einst so unendliche
Freuden bereitet hatte, vielfach zur Qual. Aus
Kindern werden Leute, die im praktischen
Leben sich abfinden müssen, ob sie nun dafür
XX. Oktober 1916. 14
Kinderarbeiten - eine Forderung an die Schule.
durch die Schule er-
zogen sind oder nicht.
Das Leben slellt An-
sprüche, fordert seine
Rechte. Die Lebens-
äußerungen der Ein-
zelnen verdichten sich
zu Niederschlägen der
Kultur. Die Höhe der
Kultur richtet sich füg-
lich nach der Bildung
der Gesamtheit und da
diese eine einseitige
genossen hat, so ist es
nicht verwunderlich,
daß wir des Verständ-
nisses ermangeln für
die technische und
künstlerische Arbeit.
Da das Verlangen
nach werktätiger Ar-
beit und Schönheit un-
serer Kunst sich nie-
mals zurückdrängen
läßt, weil es einem
natürlichen Bedürfnis
entspringt, so ist es
begreiflich, daß die
Zahl derer sich täglich
mehrt, die an der ein-
seitigen Bildung durch
die Schule rüttelt mit
aller Kraft und daß
Forderungen an die
Schule erhoben wer-
den, obgleich wir ihrer
Erziehungs- Arbeit zu
größtem Danke ver-
pflichtet sind. — Un-
sere Schulen haben
uns auf einen hohen
Stand der Kultur ge-
führt, sie haben uns
stark und mächtig ge-
macht, sie haben das
Volk der Denker erzo-
gen, das in den Wis-
senschaften führend ist,
sie haben eine hoch-
entwickelte Technik
ermöglicht und uns in
den Stand gesetzt, un-
•HUI.ERARKKirKN AI'.S IiKK MAAlIhlll N KT N s I i ,F \VK Kl;l:-sil I T I l". /C HAMHTKC. ITPI'l' \ W 1 1 ( ; K. TM. KAKr»MI,
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ST.VATLICHE KUNSTÜEWERBE-SCHULE ZU HAMliUKG. .SCHULER^VRBEITEN AUS EINEM Sl'lELZEUG-WETTBEWERB.
Kinderarbeiten — eitie Forderung an die Schule.
140
seren Handel über
die ganze Erde zu
verbreiten, und uns
schließlich zu einer
Machtstellung ge-
führt, die uns un-
sere Feinde neide-
ten und sie schließ-
lich veranlaßte, uns
mit Krieg zu über-
ziehen. — Und
doch! Sind Wün-
sche und Forde-
rungen aller Orten
laut geworden und
erhoben, sind neue
Bildungsziele aufge-
stellt, die eine Re-
form unseres Schul-
wesens nötig ma-
chen. Schon vor dem
Kriege war man in
eine Besprechung
einer Reihe von
Fragen eingetreten
und hatte bestimm-
te Wünsche formu-
liert. So z. B. wurde
die Forderung einer
besseren staatsbür-
KUNSTGEWEKBE-SCHULE ZU HAMKUKG. . KASPERL-THEATER«
gerlichen Erziehung
erhoben , die dem
Einzelnen sein Ver-
hältnis zum Staate
klarlegt, ihm den
Platz, auf den er
gestellt ist , ver-
ständlich macht und
die Aufgaben zeigt,
die er der Allge-
meinheit gegenüber
zu erfüllen hat, oder
die Forderung einer
Umformung unserer
Schulorganisationen
mit dem Zwecke,
den Begabten den
Weg zu ihrer vollen
Entwicklung frei zu
machen, damit sie
für die Allgemein-
heit ausgewertet
werden können.
Denn Deutschland
braucht besonders
alle begabten Kräf-
te, und sie zur Ent-
faltung zu bringen,
heißt zugleich un-
serem Vaterlande
STAATLICHE Kr
\rs EINKM WETTHEWERH.
Kinderarbeiten — eine Forderung an die Schule.
die höchsten Dienste erweisen. Oder aber
die Forderung einer besseren körperlichen Er-
tüchtigung und Wehrhaftmachung der Jugend,
eine Forderung, die durch den Krieg beson-
deren Nachdruck erhalten hat. Und nun wollen
wir zu diesen Wünschen noch einen hinzu-
fügen, einen Wunsch, der im Zusammenhange
mit den Arbeiten der Kinder steht. Die Bitte,
die wir aussprechen müssen, ist nicht neu.
Schon im Jahre 1908 wurde auf dem Inter-
nationalen Kunst - Erziehungstage in London
auf das Eindringlichste die zu stellende For-
derung erörtert, daß nämlich die Schulen all-
gemein den Handfertigkeitsunterricht pflegen
und daß der Zeichenunterricht immer mehr zu
einem Mittel der künstlerischen Erziehung der
Jugend ausgestaltet werden möchte. Warum
wohl? Weil die bisherige Erziehung im wesent-
lichen auf eine Schulung des Verstandes und
auf die Aneignung eines Wissens abzielt, die
Erziehungs- und Bildungswerte , die in der
praktischen Arbeit begründet sind, nicht aus-
nutzt, die Entwicklung schöpferischer Fähig-
keiten nur einseitig anbahnt und die Gebiete
künstlerischen Schaffens nicht genügend berück-
sichtigt. Die Schule soll doch eine allgemeine
Bildung vermitteln und zur allgemeinen Bildung
gehört doch vor allem, was das Wesen der
deutschen Art ausmacht, gehört neben einem
allgemeinen Wissen auch ein allgemeines Ver-
ständnis für die künstlerische Arbeit. Vor allem
verlangen wir heute von der Schule die har-
monische Entwicklung aller Kräfte des Ver-
standes, des Gefühls, die Entwicklung aller
Organe, der Augen zum Beobachten, zum be-
wußten Erschauen, der Ohren zum Aufmerken,
zum Hören und Unterscheiden der Geräusche,
der Hände, um sie geschickt zu machen für die
Befehle des Geistes für das, was Augen sehen
und Ohren hören. Die im Kriege gemachten
Erfahrungen weisen mit großer Bestimmtheit
auf eine klaffende Lücke in der Schulerziehung
hin, auf die mangelhafte Ausbildung des Auges
und der Hand. Der Handgeschickte ist der
brauchbarere Soldat, denn mit der Erwerbung
der Handgeschicklichkeit ist die Ausbildung des
Sehens und des Beobachtens aufs engste ver-
knüpft. Beobachten und Handgeschicklichkeit
verhalten sich wie Ursache und Wirkung. Dem
Beobachten erfolgt das Erkennen. Das genau
Erkannte kann veranschaulicht werden durch
die Sprache oder durch die Hände, sei es in
Zeichnung oder durch die Form in beliebigem
Material, geschickt oder ungeschickt, ganz nach
der erzogenen Fähigkeit der Hände. Die
Sprache und die Hände sind die gleichen Diener
des Erkennens, des Verstandes.
Was nun für den Krieg gilt, gilt auch für das
gesamte Leben. Krieg ist die potenzierteste
Form des Lebens, die äußerste Anstrengung
aller Kräfte. Die Schule wird sich bewußt
werden müssen, in Zukunft mehr im Geiste
Fröbels zu arbeiten, durch das Spiel zur Arbeit
zu leiten, praktische Arbeit aufzunehmen, wie
andere Völker es systematisch mit größtem Er-
folge schon lange getan haben. Die Arbeit-
samkeit und die Entwicklung des jungen Men-
schen ist nicht allein durch wissenschaftliche
Disziplinen zu fördern, sie scheitert an der Ver-
schiedenarligkeit der Veranlagung der Indivi-
duen. Wenn auch die geistige Schulung das
Hauptziel der Erziehung sein wird, so wird sie
doch die wertvollste Hilfe durch die Förderung
der manuellen Fähigkeiten erfahren und ihre
Pflege wird wohltuend die Verschiedenartigkeit
der Begabungen ausgleichen, und nicht unwich-
tige Forderungen des praktischen Lebens er-
füllen. Die Wissenschaft und das praktische
Leben dürfen nicht im Gegensatz stehen. Sie
sollen sich gegenseitig durchdringen und unsere
Jugend soll so erzogen werden, daß sie weder
den Anforderungen der Wissenschaft roch
denen des praktischen Lebens fremd gegenüber-
steht. Wer gelernt hat, Material zu bewältigen,
es zu formen, schon in der Schule, durch die
wir alle gehen, während nach der Schule vielen
die praktische Arbeit verschlossen bleibt, wird
nicht nur durch seine Fühlungnahme mit der
Handarbeit bereichert und seine Verstandes-
kräfte gefördert haben, er wird auch die Arbeit
lieben, zum wenigsten schätzen gelernt haben.
Die Wertschätzung der Arbeit ist aber sowohl
für ihre Entwicklung als auch für die Erhaltung
der Art von höchster Bedeutung. Die Arbeits-
leistung des Einzelnen, die eines ganzen Vol-
kes, findet ihren Maßstab in den Äußerungen
vergangener Epochen und in der Arbeit der
mitstrebenden Völker, Den höchsten Stand
der Arbeitsgebiete aller Art, der Kultur, wird
das Volk erringen, das seine Arbeit am tiefsten
und in der Form am schönsten gestallet. Es
ist einmal gesagt worden, wenn wir von den
Griechen nichts weiter kennen würden, als ihre
Plastik und Tempelbaukunst, wir sie doch als
Kulturvolk von höchster Bedeutung anzuer-
kennen hätten. Die Schönheit der Form war
ihnen Symbol und Ausdruck ihres geistigen
Lebens. — Was hat nun die Schule getan um
unser Leben zu formen, um Verständnis für die
künstlerischen Absichten zu erwecken, um das
ganze Volk lebendigen Anteil an dem sichtbaren
Aufbau seiner Kultur nehmen zu lassen, sein
Empfindungsleben zur Entfaltung zu bringen
und die sittlichen Kräfte nutzbar zu machen,
KtTiderarbeiten — eine Forderung an die Schule.
die von dem Kunstwerk ausstrahlen? Es soll
die Bedeutung des Unterrichtes in der Literatur
und die Pflege des Gesanges nicht verkannt
werden. Von dem Zeichenunterricht kann nur
gesagt werden, daß er seiner Bedeutung nicht
entsprechend behandelt wurde.
Die natürlichen Forderungen des Kindes sind
nicht unbeachtet geblieben und nach mancherlei
Richtungen sind Versuche gemacht worden, an
das Spiel des Kindes anzuknüpfen, die im Spiel
Hegenden Werte zu benutzen und die Erziehung
durch das Spiel hindurch zu leiten. Das Spiel
ist fraglos die Arbeit des Kindes, es ist eine
Nuance der Arbeit auf einer gewissen Entwick-
lungsstufe des Menschen. Im Spiel wurzelt die
Freude, die durch die selbstgewählte Art der
Beschäftigung bedingt ist, und die um so höher
ist, je selbständiger das Kind beim Spiel ver-
fahren kann. Dieses Moment der Freude, das
im Spiele liegt, darf bei der Arbeit ebensowenig
fehlen, als eine gewisse selbständige Betätigung,
wenn sie eine Lust sein soll. Die Arbeit wird
erst zur Arbeit, wenn sie als Last empfunden
wird, wenn sie keine Freude macht. Wenn
innerhalb der Schulzeit immer wieder die Lust
zum Spielen durchbricht, so ist das nichts an-
deres, als ein Ringen nach selbstgewählter Be-
schäftigung, als ein Sichauflehnen gegen den
Zwang, gegen das unerbitthche Schulgesetz.
Spielen heißt im gewissen Sinne auch Ge-
stalten. Alles, was das Kind tut, deutet auf
eine von der Natur vorgeschriebene Entwick-
lung des Schaffenstriebes; es drängt nach har-
monischer Entfaltung aller seiner Kräfte. In
dem Unterrichtsgebiete des Zeichnens ist seit
länger als 15 Jahren eifrig gearbeitet worden,
um aus dem „technischen Fach" den Unterricht
für die künstlerische Erziehung zu gewinnen.
Den Schülern sollen die Augen geöffnet werden,
um sehen zu lernen, sie sollen in ein intimeres
und in ein ästhetisches Verhältnis zur Natur
und Kunst treten. Das Zeichnen soll ein Aus-
drucksmittel werden. Wie aber vom exakten
Beobachter der Natur, dem naturwissenschaft-
lichen Sehen, die Wege zur Kunst führen, das
wird von den Vertretern des Zeichenunter-
richtes, den Vertretern der künstlerischen Er-
ziehung ganz verschieden gezeigt. Die einen
wollen nur die Sinne aufnähme- und genuß-
fähig machen, die anderen wollen mehr, wollen
durch den Zeichenunterricht die produktiven
Kräfte entwickeln helfen. — Es dürfte ein-
leuchten, daß durch diese Förderung noch
höhere Ziele in den Zeichenunterricht hinein-
getragen werden, weil in der Entwicklung der
schöpferischen Kräfte zugleich die Entwicklung
des Individuums zur Persönlichkeit steckt und
zugleich aus dem künstlerischen Schaffen das
künstlerische Genießen erwächst.
Der kommende Friede wird ein fortgesetzter
Kampf auf wirtschaftlichem Gebiete sein, in
der Schönheit der Form wird der endgültige
Sieg liegen. Die Geschichte beweist das. Es
ist nicht nötig auf den Zusammenhang der
Blüteperioden künstlerischer Tätigkeit mit dem
Hochstand der Wirtschaft hinzuweisen. Wir
sind uns darüber völlig klar, daß wir in Zu-
kunft nicht durch billige Arbeit den ausländi-
schen Markt uns sichern können, dazu sind die
Löhne in unserem Lande zu hoch und die Roh-
materialien zu teuer geworden. Wir werden
auf die bestmögliche technische Herstellung
unserer Erzeugnisse bedacht sein und bestrebt
sein müssen, die Dinge geschmacklich so gut
es geht zu formen. Ein teures Rohmaterial
kann auch nur durch seine Verarbeitung Ge-
winn bringen, wenn es sich um etwas Beson-
deres handelt, wenn es durch eine Erfindung
oder um eine Höchstleistung im technischen
und formalen Sinne, wenn es durch die Gestal-
tung und Formung veredelt oder wie man auch
gesagt hat, durch die Arbeit vergeistigt wird.
Die Vergeistigung wird künstlerischen Ursprungs
sein müssen. Sie ist das Mittel für eine höhere
Preisbestimmung, die über die Festsetzung der
Preise von Waren steht, die dieses Plus von
geschmacklicher, von künstlerischer Zutat nicht
haben. — Daraus wird ersichtlich, daß die
künstlerische Erziehung neben ihrer Bedeutung
für unser geistiges Leben von großer Wichtig-
keit für die Förderung unserer Wirtschaft ist.
Je mehr nun unser ganzes Volk auf den Stand-
punkt eines geläuterten Geschmackes erhoben
wird, um so höhere Anforderungen wird es an
die Gestaltung der Dinge stellen und so die
deutsche Art zur Entfaltung bringen und unserer
Kultur ihre sichtbare formale Gestaltung geben.
Wenn wir Kinderarbeiten kritisch betrachten,
werden wir uns bewußt werden, was für eine
Fülle von Kraft des Gestaltens, für eine Tiefe
des Gefühlslebens, was für schöpferische Fähig-
keiten in unserer Jugend ruhen. In den Ma-
lereien ringen ihre Empfindungen nach Aus-
druck, ob sie nun durch äußeren Anreiz, durch
Betrachten eines Bildes, durch Erschautes oder
Erlebtes lebendig wurden oder durch Aufgaben
veranlaßt zur Lösung kamen. Ebenso zeugen
ihre ornamentalen Arbeiten, ob sie nun auf
dem Papier, in Pappe, Holz oder Wolle ausge-
führt sind, von Phantasie, von Erfindungskraft.
Aus den spielenden Kräften der Phantasie ent-
wickeln sich die Kräfte schöpferischer Gestal-
tung. Sie sind die wertvollsten geistigen Kräfte
der Menschen, auf ihnen ruht der Fortschritt
143
Kinderarbeiten — eine Forderuno an die Schule.
und die Gesamtentwicklung der Kultur. Diese
Kräfte müssen auch in künstlerischem und tech-
nischem Sinne schon während der Schulzeit
entwickelt werden und zwar im Handfertig-
keitsunterricht und im Zeichenunterricht, Wenn
wir den angedeuteten Weg mit Erfolg beschrei-
ten, dann dürfte die Unselbständigkeit des Ur-
teils weiter Kreise in allen Fragen des Ge-
schmackes allmählich behoben werden und dann
dürften unsere Gebildeten auch an der tech-
nischen Arbeit nicht so achtlos vorübergehen,
wie es vielfach der Fall ist. Unsere künftige
Generation würde technisch, d. h. praktisch
denken gelernt haben und eine starke Empfin-
dung für das Schöne und ein Vertrauen für die
eigene Kraft des Gestaltens mit für den Lebens-
kampf bekommen haben. Dann wird auch der
Zustand der Abhängigkeit dem Auslande gegen-
über aufhören und auch die Abhängigkeit von
denen, die vorgeben für uns zu denken, die
angefangene Stickereien, Näh-, Häkel- und an-
dere Arbeiten anbieten, die jede Selbstbetä-
tigung in Fragen des Geschmacks und der häus-
lichen Kunstpflege ausgeschaltet haben. Die
Betrachtung der Kinderarbeiten hat uns zu
sehr ernsten Fragen geführt, über die nach-
zudenken und sie zur Lösung zu bringen, wir
alle die Pflicht haben, kichard meyer— Hamburg.
GERTRUD UL.M.\N\-DARMSTADT. GEMÄLDE »MUTTER UND KIND*
> ■»
\\ -Kj ■■'.■-'
1
ERICH ERLER. GEMÄLDE >DAVID. brakls kunsthaus-mOnchen.
ERICH ERLER MÜNCHEN.
»WIESEN-QUELLE« BRAKLS l
AUS BRAKLS KUNSTHAUS IN MÜNCHEN.
Brakls Kunsthaus in München, das seines-
gleichen nirgends hat und seinen Namen
in doppeltem Sinne — als künstlerisches Haus
und Haus für die Kunst — zu Recht und mit
Ehren trägt, ist gewiß auch deshalb ein so an-
genehmer Aufenthalt für jeden Genießer, weil
man sich dort vor den oft recht aussichtslosen
Kämpfen auf den Kriegsschauplätzen der Kunst
ebenso geborgen fühlt wie vor der Zudringlich-
keit der rückständigen, glatten Mittelmäßigkeit.
Die hellen und behaglichen Räume, die Emanuel
von Seidl geschaffen hat, sind vom ersten Tage
ihres Bestehens an ein Versammlungsort für
jene Münchnerische Kunst gewesen, die auf
den Gefilden der „Sezession" und der einstigen
„Scholle" ihr Gedeihen gefunden hat. Das ist
ein gar weites Gebiet, das keine dogmatische
Einschränkung kennt und dessen Grenzen dort
beginnen, wo die Reaktion, der Dilettantismus
und der Kitsch, der vergangene und der zukünf-
tige, anfangen. Und man mag zu Brakl kom-
men, wann man will, immer wird man eine
große Zahl wunderschöner Bilder dort vereinigt
finden, die ein Stück lebendigster Münchener
Kunst darstellen und deren Eindruck dem der
modernen Abteilung irgend einer unserer öffent-
lichen Galerien sehr häufig zum mindesten
gleichkommt. Eine kleine Auswahl solcher
Bilder, von denen jedes zu jeder Zeit durch ein
Dutzend anderer von gleicher Qualität ersetzt
XX. Dezember I9I6. 1
Aus Brakls Kunstbaus in Alünchen.
Sfc^V^ ->i
V\
nsi^^f*-'
ERICH EKLER MUNXlll
werden könnte, ist hier wiedergegeben, gewiß
zur Freude aller, die sich den Sinn für gute,
moderne, deutsche Kunst Münchnerischer Fär-
bung ungetrübt bewahrt haben. Da ist zunächst
der Romantiker Erich Erler-Samaden, benannt
nach jenem Ort im Engadin, wo er einst Ge-
sundung nach langem Leiden und später un-
zählige Motive für seine tiefempfundenen und
großgesehenen, dem dekorativen Flächensfil
sich nähernden Hochgebirgsschilderungen ge-
funden hat. Einfachstes, Urmenschliches sozu-
sagen, gewinnt hier Gestalt: der Hirte, zeitge-
nössisch oder biblisch, selbst ein Stück Natur,
mit ihr trauernd und sich mit ihr freuend, oder
der Wanderer, der seinen Durst an der Quelle
stillt. In starkem Gegensatz zu diesem Rhap-
soden, der stets den gesteigerten Ausdruck der
Wirklichkeit gibt, steht der Realist und Im-
pressionist Hermann Groeber. In ihm wirkt
Leibische und Holbeinsche Tradition im Mal-
technischen wie in der Auffassung lebendig
fort, und die Wahrheit und Posenlosigkeit seiner
HERMANN GROEBER »IM GEBET« brakls kunsthaüs-mOnchen.
HERMANN GROEBER .BÄUERIN MIT KIND« Privatbesitz.
JOSSE GOOSSENS-MÜNCHEN. »SELBSTBILDNIS.
AUSGEST. IN DER SEZESSIONS-AUSSTKLLUNG— MÜNCHEN Wli;.
^-Itis Brakls Ku7isihaus in Jlünchen.
ländlichen Modelle, die er besonders liebt, be-
rührt ebenso sympathisch, wie seine frisch-
bunte, saftige Primamalerei ein Fest für fein-
schraeckerische Augen ist. Höchst gediegen ist
alles, was der Tiermaler Paul Junghanns von
seiner Staffelei entläßt. Rinder und Ziegen sind
seine bevorzugten Objekte, und man braucht
wohl eine Weile, bis man zu dieser stillen,
grundehrlichen Kunst ein näheres Verhältnis
gewinnt. Aber es lohnt sich. Spezifisch städ-
tische Kulturmalerei sind die Bilder des in
München lebenden Aacheners Josse Goos-
sens. Während er sonst gerne Park- und Jahr-
marktszenen malt, stellt er sich hier selbst vor,
und in einem Stilleben gibt er einen Begriff von
dem Temperament seines Strichs, seinem Ge-
schmack und seinem dekorativen Geschick. Ein
Paradestück dekorativer Münchener Malerei
ist das Stilleben mit dem goldenen Leuchter
von R. M. Eichler. Man weiß nicht, was man
Kl INH' II I. MAX I b HIJ;K .NU Ni 111
PROFE'^';nR ANGET n JANK-MÜNCHEN. »HINDENBURG.
. lus Brak/s Kunsthaus ifi Müftc/ien.
ALBERT WEISGERBER t
an diesem köstlichen Werk mehr rühmen soll;
die frische, großzügige Malerei oder das festlich-
bunte Allerlei von Blumen, Geschirren und
Stoffen, das sich aufs Glücklichste zu einer
dekorativen Einheit zusammenschließt. Die
zwei Bilder endlich, die noch zu nennen übrig
sind, weisen uns mittelbar bezw. unmittelbar
auf den Krieg. Mittelbar das erste, eine Land-
schaft von Albert Weisgerber, der in Flan-
dern gefallen ist. Das schöne Werk ist in jedem
Strich ein echter Weisgerber und läßt wohl
ahnen, was wir an diesem starken Talent ver-
loren haben. Das zweite Bild aber stammt von
der Meisterhand Angelo Janks. Es ist viel-
leicht das beste aller Hindenburgbildnisse, die
dieser berufene Soldatenmaler bis jetzt ge-
schaffen hat; und die Vermutung ist nicht von
der Hand zu weisen, daß die Bildnisse Janks in
erster Linie mitberufen sein werden, die Erschei-
nung des größten Feldherrn dieses Weltkriegs
der Nachwelt zu übermitteln. , . . r. braungart.
GEMÄLDE »PILSEXSEE«
AUSSAAT UND ERNTE. Eine der auffal-
£\. lendsten Erscheinungen in der Kunstge-
schichte, namentlich der jüngsten, ist die geringe
Neigung, mühsam errungenes Können auszu-
münzen, in Ruhe zu ernten, was in schwerer
Arbeit vorbereitet wurde. Manche Künstler
haben wenigstens den einmal errungenen per-
sönlichen Stil festgehalten, um in gerader Linie
Meisterwerke aneinanderzureihen. Die meisten
entwickeln sich in Umstürzen. Kaum haben sie
eine Höhe erklettert, reizt sie schon eine an-
dere zu neuem Klettern über Abgründe. Nie-
mals wurde das von einem Meister Errungene
durch eine Generation von Künstlern festge-
halten, ausgebaut, angewendet. Oft bedauert
man diese leidige Unruhe der Menschheit. Was
hätte der Impressionismus auch an großen Wer-
ken noch hervorbringen können ! Die Art Van
Goghs war so fruchtbar und blieb doch auf den
einen Namen beschränkt ! Man kann sich in
dem Stil der Ruderer von Marees Hunderte
Aussaat und Ernte.
monumentaler Gemälde denken, alles verpaßte
Gelegenheiten. Es ist, als ob es den Künstlern
immer genügt hätte, zu sehen, daß es so geht
und daß ihre Kraft dazu reicht, daß sie dem
Problem gewachsen. Ein Werk sagte ihnen
das. Jede Anwendung war ihnen eine nicht
bloß überflüssige, sondern in gewissem Sinne
unehrliche Wiederholung. Sie wollten sich nicht
selbst kopieren, sei es auch nur, indem sie die
Art der Problemlösung wiederholten. So hat
die Kunst eine Unmenge guter Rezepte aufge-
häuft, von denen niemand Gebrauch macht,
außer untergeordneten Kräften, die das Wesent-
liche mißverstehen. Künstlerisches Schaffen
wird also für identisch gehalten mit „Versuchen",
„Bearbeitung neuer Probleme". — Dieses Sy-
stem hat manche Schattenseite. Die Hast des
Wechsels wird immer stürmischer, die Meister-
werke immer seltener. Bis schließlich nur mehr
die Andeutung der Lösung genügen wird. Die
Aufgaben, die die Kunst dem Leben gegenüber
hat, zu schmücken, zu erheben, zu erheitern,
bleiben hierbei vollkommen unberücksichtigt.
Das Können verzehrt sich in unendlichen Über-
windungen. Wir sehen ein stetes Keimen, aber
kein Reifen, keine Ernte a. jaumann.
EMIL BEITHAN BUCHSCHLAG. GEMÄLDE .OBERllKSSlSCllES BAUEKNPAAK.
1-RANZ ILVKC t
I KKl 1LM)L li-hKliEi
FRANZ MARC t
GEDÄCHTNIS-AUSSTELLUNG IN DER MÜNCHENER NEUEN SEZESSION.
VON DR. HANS HILDEBRANDT.
Deutlicher als diese Ausstellung fast des ge-
samten Lebenswerks, das einer der Besten,
Unersetzlichen hinterlassen hat, enthüllte kaum
je eine Ausstellung das Werden einer bedeu-
tenden Persönlichkeit wie die Entwicklung jener
Kunst, die Gegenwart — und vor allem Zu-
kunft ist. Sie umfaßt gegen 200 Ölgemälde,
Aquarelle, Holzschnitte, Zeichnungen, Studien
und eine Reihe von Skizzenbüchern.
Das Schaffen Franz Marcs, dem es nur ver-
gönnt war, ein Alter von 35 Jahren zu er-
reichen, setzt ein mit schlichten Bildnissen und
Naturstudien, vor allem nach Tieren. Sehr
eigenartig sind diese frühesten Arbeiten nicht,
die von der Schulung an der Münchener Aka-
demie erzählen. Allein die Bildnisse der Eltern
und des Bruders bezeugen die Innerlichkeit,
und die mit sorglichster Liebe ausgeführten
Naturstudien die Fähigkeit des Künstlers, ein-
zudringen in den Baugedanken eines Organis-
mus, die Formen groß zu sehen und jeder Tier-
gattung das Eigentümliche der durch ihr Kör-
pergefühl bedingten Bewegung abzulauschen.
Die umfangreicheren Bilder der Frühzeit hat
Marc vernichtet. Die ersten noch vorhandenen
Ölgemälde entstammen den Tagen der allge-
meinen Begeisterung für die Freilichtmalerei.
Sie wirken einfach licht. Ein sehr helles Grün
ist die einzige Farbe, die neben Weiß in feinen,
vielen Tönungen sich behauptet. Wieder tritt
der Mensch hinter Tier und Landschaft zurück.
Sehr bezeichnend für Marc, dessen Erkenntnis
vom künstlerisch Wesentlichen seinem Gestal-
tungsvermögen vorauseilte, ist die mehrfache
Darstellung eines Gerölls von großen, glatten
Steinen: Der Sinn für die Geschlossenheit der
Form, für rhythmische Wiederholung desselben
Formmolivs ist bereits wach.
Nun hebt das Tasten und Suchen an und
Jahr für Jahr zerbricht der Künstler eine der
Schalen, die den Kern seines Schöpfer-Ichs um-
hüllen. Eindrücken in Paris gehorchend, wo
die junge Generation sich an dem Vorbild Ce-
zannes. Van Goghs und Renoirs aufrichtet und
die rhythmische Kunst der Japaner verehrt,
übernimmt er gelegentlich die Technik Van
Gedächtnis- Ausslelluncr für Franz Marc in der Münchener N^eue^i Sezession.
^
i/
m
rA ,/
1 K.\Sl MARC t
Goghs und versucht die Farbenzerlegung im
Sinne der Neo-Impressionisten. Schon werden
die Bewegungen der Tiere, wird ihre Gruppen-
bildung rhythmischer belebt. Aber noch immer
sind die Bilder vor allem hell. Dann fügt Marc
eine einzelne starke Farbe — am liebsten ein
leuchtendes Rot — in die lichte Bildwelt ein.
Die Lösung von den Natureindrücken beginnt.
Zunächst bei der Farbe. Die ungebrochenen
reinen Töne des Farbkreises werden nebenein-
andergesetzt. Mißgriffe kommen mitunter vor.
Manches dieser Gemälde ist nur bunt, und der
Naturalismus der Formen widerstreitet der
naturfernen Farbe. —
Mit einemmal greift die Befreiung von zu-
fälligen Eindrücken auch auf die Formen über.
Jedes Tier offenbart den ihm eigenen Rhythmus
und die Linien seines Körpers klingen mit den
jL\;_VLL>L ~1'KL\G].\M lil K1>I-
Linien der Landschaft zusammen. Selbst Far-
ben von stärkster Gegensätzlichkeit werden
zur Harmonie gezwungen. Manche Schöpfung
von bleibendem Wert ist Marc schon in diesen
Jahren geglückt. Allein noch ist das Schaffen
nicht völlig frei. Zwar haben Tiere, Bäume und
Hügel so wenig mehr die Lokalfarben der sicht-
baren Wirklichkeit, wie ihre Formen mit den
zufällig beobachteten sich decken. Aber noch
immer hat jedes Ding seine bestimmte Lokal-
farbe, die es von der Umgebung trennt.
Franz Marc ließ sich an dem Erreichten nicht
genügen. Die Jahre, in denen er die letzte
Selbstbefreiung vollzog, waren die Jahre, in
denen die moderne Ausdruckskunst mit stärk-
ster Energieanspannung abschüttelte, was ihr
aus den Tagen des Impressionismus noch an-
haftete. Ein Kreis Gleichgesinnter hatte sich
Gedächtnis-. Uissiellwig; für Franz Marc iri der Mü7iche7ier Ntuen Sezessio7i.
FRANZ MARC t MU.NXHKX.
in München, Marcs Geburtsstadt, gebildet, dem
Macke, Klee, Kandinsky u. a. m. angehörten,
dessen Sprecher Marc selbst und Kandinsky
(„Der Blaue Reiter" usw.) wurden, und der
Fühlung hielt mit Picasso und den verwandten
Geistern zu Paris. Jeder schenkte und empfing
und durfte so handeln, weil keiner dieser Ech-
GKMAI.UE .KSELIKIES«
ten zu fürchten brauchte, daß er sich selbst
verlieren werde. Marc malte auch nun fast nur
Tiere in freier Natur. Ein „Tiermaler" etwa
im Sinne Potters war er darum nicht. Kein
Spezialist war er, der aus der Not eine Tugend
machte; Marc liebte den Kosmos. Für sein
Gefühl hatte sich der zwiespältige Mensch, der
FR.-\N/. MARC t MÜNCHEN. GEM.^LDE.
X.\. Dezember 1916 2
»LIEGENDER HUND I.\I SCHXEE«
165
Gedächtnis- Aussiellutiz /ür Franz Marc in der JlTünchener Ahuen Sezessiott.
FRANZ 1LA.RC t MÜNCHEN.
niemals aufgeht in der Gegenwart, den sein
Wissen mit Vergangenheit und Zukunft belädt,
außerhalb des Kosmos gestellt. Darum wirken,
wo Marc doch einmal menschliche Gestalten
einfügt, diese als nicht völlig zugehörig. Sie
sind nicht eins mit Baum und Felsen, Licht und
Wasser. Das Tier aber ist ganz Gegenwart.
Seele und Körper sind nicht entzweit, sein
Charakter ist auch seine Gestalt, und jeder
Trieb bewegt den letzten Nerv. Nun suchte
Marc das Wesen der Tiere zu gestalten: Die
pralle Rundung des stolzen Pferdes — die Spitz-
heit des klugen Fuchses — die geschmeidige
Kurve des leichten Rehs — das Gebirge der
Kühe und der mächtigen Stiere. Nicht minder
seltsame Fabeltiere, wie nur der Dichter sie
schaut — denn Marc war ein solcher der For-
men und Farben. Aber nicht mehr gesondert
stehen die Tiere in einer Landschaft, die aus
vielerlei Dingen sich fügt: Sie verschmelzen
mit Bäumen, Blumen, Felsen, Blitzen und Was-
sern. Der Formenrhythmus des Tieres gibt das
Thema an; Die Landschaft wandelt es hundert-
fältig ab. So beherrscht die Wagrechte der
GEM.VLDE »DIE HIRTEN«
grausamen, mit vorgeschobener Schnauze vor-
dringenden Wölfe alle Formen des Bildes, ja
seinen langgestreckten Rahmen selbst — dem
Flügelschlag eines Vogels antworten alle nahen
und fernen Formen mit Flattern und Flirren —
und neben dem machtvollen Körpergefüge der
„blauen Pferde" türmen die Felsen sich ge-
waltig empor. Der Aufbau der letzten Gemälde
erinnert an den von Symphonien und Sonaten.
Musikalischer war kaum je ein Maler als Marc,
der neben der architektonischen Strenge Bachs
die Grazie Haydns und Mozarts selige Schön-
heit liebte. So lebt denn auch etwas vom
Wesen dieser Drei in seinen Werken. Die
straffe Geometrie (Systeme senkrecht und wag-
recht , diagonal und strahlenförmig geführter
Gerader, Systeme von Kurven) gibt den Halt;
die Farbe spendet das sinnlichste Leben. Und
wie die Farbe verwertet wird, den stärksten
Eindruck eines „idealen" Raumes zu erzeugen,
dient sie der Bindung der Formen. Sie bricht
sich nur leise, wo sie von einem Ding zum an-
deren hinübergleitet, aber sie ist nicht mehr
unterscheidendes Merkmal getrennter Wesen.
Gedächt nis-Ausstellu7i er für Franz Marc in der Münchener N^euen Sezessio.
FRAXZ MARC t MUNlHEN.
Zugleich schafft sie wie die Form den geistigen
Ausdruck, scheint zart, jung und unschuldig,
wo das Reh durch wuchernde Blumen schlüpft,
und grausam, düster und lauernd neben den
unheilvollen Wölfen. Darum durfte Marc auch
wagen, Bilder zu malen, die jeden Gegenstandes
bar sind, wie die „Heiteren" und die „Spielen-
den Formen". Jenes (Sammlung Bernhard
Köhler) ist schlechthin beglückend: wer diese
Farben schaut, die aus Äther, reinster Flut und
Licht gewoben scheinen, muß allem düsteren
Sinnen entsagen. Ganz nahe darf man an Marcs
Gemälde treten, darf sie Stück für Stück ab-
lesen wie eine vielstimmige Partitur. — ■ Dann
offenbaren sie den sonst nur erfühlten Reich-
tum der Farbe, deren Glut und Tiefe mit denen
mittelalterlicher Glasgemälde wetteifert.
Als Artillerieleutnant fiel Marc zu Beginn
des Jahres 1916. Schwer ward ihm die Ent-
sagung auf künstlerisches Wirken in den Tagen
der Vollkraft — als ganzer Mann fand er sich
mit ihr ab. Gesteigertes Menschentum ward
ihm, wie seine Briefe bezeugten, aus der großen
Prüfung , und er selbst ahnte und wußte um
GEM.^XDE »PFERDE MIT AIJLER«
gesteigertes Künstlertum. Wie er nach glück-
licher Rückkunft geschaffen hätte — wir er-
raten es nicht, und die Frage ist müssig. Denn
uns ist, auch was der Frühverstorbene hinter-
ließ, schon eine Erfüllung! hans hildebrandt.
&
Wann die Wolken ziehen , sind die Figuren,
weldie sie bilden, ihnen nicht wesentlich, sind
für sie gleichgültig: aber daß sie als elastisdier Dunst,
vom Stoß des Windes zusammengepreßt, wegge-
trieben, ausgedehnt, zeiiissen werden; dies ist ihre
Natur, ist das Wesen der Kräfte, die sich in ihnen
objektiviren, ist die Idee: nur für den individuellen
Beobaditer sind die jedesmaligen Figuren. — Dem
Bach, der über Steine abwärts rollt, sind die Strudel,
Wellen, Sdiaumgebilde, die er sehen läßt, gleich-
gültig und unwesentlidi: daß er der Schwere folgt,
sich als unelastische, gänzlidi verschiebbare, formlose,
durchsiditige Flüssigkeit verhält; dies ist sein Wesen,
dies ist, wenn ansdiaulidi erkannt, die Idee: nur für
uns, solange wir als Individuum erkennen, sind jene
Gebilde. — Welche Erkenntnisart nun aber betrachtet
jenes . . allein eigentlich Wesentliche der Welt . . ? —
Es ist die Kunst, das Werk des Genius. Sdiopenliaucr
FRANZ lIAKr f MUN'CIIEN.
GEM \I III-: >I)IE KÜHE«
FRANZ MARC t MÜNXJIEN. GEMALDK »DIE WEISSE KAIZE
NACH EINEM ÖLDRUCK VON RUDOLF u. MINYA-DÜHRKOOP,
ÄHNLICHKEIT IM PHOTOGRAPHISCHEN BILDNIS.
zu DEN PHOTOGRAPHIEN VON RUDOLF U. MINYA DÜHRKOOP.
Das Problem der Ähnlichkeit ist in der Bild-
nisphotographie ein grundlegend anderes
als in der ßildnismalerei. Das ergibt sich schon
aus den psychologischen und technischen Vor-
aussetzungen, unter denen sich die Arbeit des
Malers einerseits, die des Bildnisphotographen
anderseits vollzieht. — Jedes gemalte Bildnis
ist das Resultat einer längere Zeit fortgesetzten
Beobachtung. Bei dem Studium seines Mo-
delles trägt der Maler Zug um Zug die Einzel-
heiten zusammen, die ihm für dessen Persön-
lichkeit wertvoll und ausdrucksvoll erscheinen,
Einzelheiten vielleicht, die er zu ganz verschie-
denen Zeiten in der Erscheinung, der Haltung,
dem Ausdruck des Modelies aufgefaßt hat.
Jedes gemalte Bildnis ist in diesem Sinne ein
Niederschlag unzählig vieler Eindrücke und Er-
fahrungen, die der Maler gegenüber dem Modell
halte, es ist eine Gesamtdarstellung der
Persönlichkeit. Daher rührt es auch, daß
uns die malerische Ähnlichkeit als etwas Run-
des, lebensvoll Plastisches und daher selbst-
sicher in sich Ruhendes erscheint.
Der Bildnisphotograph befindet sich dagegen
infolge der Eigentümlichkeit seiner Technik bei
der Bewältigung des Ähnlichkeitsproblems in
einer ganz anderen und in mancher Beziehung
viel schwierigeren Lage. Während der Künstler
seine Eindrücke im Bilde summiert, schneidet
der photographische Apparat aus dem leben-
digen Flusse des Geschehens, des Lebens der
Persönlichkeit einen einzelnen Augenblick, einen
Einzeleindruck heraus, und die Aufgabe des
Bildnisphotographen ist dann diese, den Augen-
blick so zu wählen und auszugestalten, daß er
zum Bilde und zwar zum ähnlichen Bilde wird.
Allerdings darf man den Begriff der „Ähn-
lichkeit" dabei nicht in dem Sinne allein fassen,
den das große Publikum davon hat und nach dem
es seinerseits in gar zu vielen Fällen die Bildnis-
photographie beurteilt. Für das Publikum ist
meistens das „ähnlich", was ihm hübsch und
gefällig erscheint, „unähnlich" aber erscheint
ihm eine Photographie vor allen Dingen dann,
wenn man sich nicht vorteilhaft darin vor-
kommt. Für den B''dnisphotographen müssen
aber vor allen Dingen solche Augenblicke als
„ähnlich" und dat jtellenswert erscheinen, in
denen die Persönlichkeit, das geistige, seelische
Leben des Modelles am klarsten und unmittel-
barsten aus seiner Haltung, seiner Bewegung,
seinem Gesichtsausdruck strahlt. Diese Augen-
blicke muß er mit Zielsicherheit zu beobachten,
zu erkennen und zugleich mit seiner Kamera
festzuhalten verstehen. — Nun ist es selbst-
verständlich eine sehr schwierige, vielfach fast
unerfüllbare Zumutung an das Modell, daß es
sich beim Photographen, unter dem drohenden
Cyklopenauge des photographischen Objektivs,
so geben soll, wie in den besten, vertieftesten
Augenblicken seines Lebens, wie auf den Höhe-
punkten seines persönlichen Daseins. Denn
abgesehen davon, daß solche Augenblicke sich
schheßlich nicht ohne weiteres durch bewußten
Entschluß herbeiführen lassen, treten für sehr
viele Menschen gerade beim Photographen Hem-
mungen in Wirksamkeit, die ihnen es erschwe-
ren , sich auch nur frei und unbefangen wie
in ihrem Alltag zu geben.
Noch immer wirkt bei vielen Menschen die
Überlieferung aus den ersten Zeiten der Photo-
graphie nach, daß man beim Pholographen vor
allen Dingen stille sitzen müsse, und sehr häufig
wird dann aus dem Stillsitzen ein Steifdasitzen,
womöglich noch mit gezwungener Hallung und
Muskelverzerrungen namentlich auch im Ge-
sichte. Von einer verständnisvollen Unter-
stützung des Photographen durch ein unbefan-
genes Sichgeben ist dann natürlich keine Rede.
Und wo diese schlechte Tradition selbst nicht
mehr wirksam ist, da tritt doch eine gewisse
Befangenheit vor dem photographischen Appa-
rat ein, und das Bewußtsein, photographiert
zu werden, vernichtet in gleicher Weise den
natürlichen, persönlichen Ausdruck.
Wie alle diese Schwierigkeiten trotzdem über-
wunden werden können und wie der künst-
lerisch-zielbewußte und feinempfindende Pho-
tograph dennoch zu persönlichem und seelisch
vertieftem Ausdruck, damit aber zu künstleri-
scher Ähnlichkeit in der Bildnisphotographie
gelangen kann, das zeigen uns die Bildnisse
von Rudolf Dührkoop und seiner Tochter Frau
MinyaDiez-Dührkoop, deren beide Werkstätten
in Berhn und Hamburg nicht nur in der Ge-
schichte der künstlerischen Photographie in
Deutschland eine hervorragende Rolle gespielt
haben, sondern wegen ihrer tatsächlichen, vor-
bildlichen Leistungen noch heute an führender
Stelle bei uns stehen. — Diese beiden Photo-
X.X. Deitmber 1916 3
.GENERALOBERST VON KLUCK« AUFNAHME VON R. u. M. DCHRKOOP.
»BILDNIS DES MALERS H. FR. HARTMANN« VON R. u. M. DÜHRKOOP.
Ähnlichkeit im photographischen Bildnis.
graphen verstehen es, auch dea widerstreben-
den Geist im ungezwungenen Gespräch aus
sich selbst herauszulocken, die Persönlichkeit
in eine Umgebung und eine Situation zu bringen,
in der ihr das Bewußtsein, photographiert zu
werden, nicht mehr im Vordergrund aller Ge-
danken steht. Man muß es bewundern , mit
welcher Sicherheit sie in der verhältnismäßig
kurzen, ihnen zur Verfügung stehenden Zeit
das Wesen der vor ihnen sich bewegenden
Persönlichkeit zu beurteilen und dann den tref-
fenden Moment aus ihrem Dasein herauszu-
schneiden vermögen. So bietet auf diese Weise
eine Reihe von Dührkoopschen Bildnissen nicht
nur ebensoviele Beispiele persönlicher und
künstlerischer Ähnlichkeit, sondern man kann
auch sagen, eine Reihe von typischen Aus-
drucks- und Charakterstudien.
Besonders die weibliche Lebhaftigkeit, die
lebensprühende Geste des Weibes und ander-
seits auch die naiv-lebendige Bewegung des
Kindes finden in den beiden Dührkoops immer
wieder geschickte Beobachter und glückliche
Gestalter. DasThema „Mutter und Kind" haben
sie wiederholt und zwar fern von allem Sche-
matismus, in einfacher Natürlichkeit trefflich
behandelt. Und wo dem Bestreben des Pho-
tographen nach Erfassung des ähnlichen, weil
persönlichkeitsgetränkten Ausdrucks ein aus-
drucksgeschulter Körper entgegenkommt, da
treten erstklassige Leistungen zu Tage, wie
in den Bildern der tragisch-dramatischen Geste
Clotilde van Derps oder des südlich-koketten
Reizes der Tortola Valenzia.
Die ruhige Geschlossenheit und innere Ver-
tiefung der männlichen Haltung bietet dem
Photographen eine noch schwierigere Aufgabe
als die Lebendigkeit des Kindes oder der Frau.
Denn gerade diese einfache Geschlossenheit
geht leicht in Steifheit über. Es ist eben schwie-
riger, in der Ruhe den Geist und das Gefühl
ahnen zu lassen als in der Bewegung. Wer aber
in den Dührkoopschen Bildern den grübelnden
Ernst Dehmels und den suchenden Blick Mom-
berts oder das innere Lauschen Sauers auf sich
wirken läßt, der fühlt unmittelbar, daß hier die
Persönlichkeit belauscht ist. Und dasselbe gilt
von dem intensiven Schauen des Malers Hart-
mann. Wie endlich der Photograph durch die
Anordnung des Bildnisses, durch seine gesamte
Auffassung mit zum Persönlichkeitsausdruck
beitragen kann, das lehren uns das in etwas
strengen Linien stilisierte Seitenbildnis des Bild-
hauers Lücksch : die stilisierte Bewegung der
Plastik findet einen Nachhall in der Haltung des
Künstlers selbst — und das durch die Einfach-
heit und Geradheit der Auffassung wirkende
Bildnis des Generaloberst von Klucks.
Wir dürfen nun aber nicht vergessen, daß
die ausdrucksvolle und deshalb künstlerisch-
ähnliche Haltung und Bewegung, deren Beob-
achtung und Fixierung als erste Aufgabe des
Bildnisphotographen erscheint, gewissermaßen
nur das Rohmaterial bedeutet, daß sie nun erst
künstlerisch geformt werden muß, wenn sie eine
befriedigende ästhetische Wirkung haben soll.
Der Photograph muß diese künstlerische For-
mung vermöge einer Technik vornehmen, die
an bestimmte optisch- physikalische Gesetze
gebunden ist. Er muß also schon bei seiner
Beobachtung und vor allem bei der Auswahl
des darzustellenden Momentes auf diese optisch-
physikalischen Gesetze stets Rücksicht nehmen.
Diese müssen ihm so ins Blut übergegangen
sein, daß er die Natur stets gewissermaßen
unter ihrem Gesichtswinkel sieht. Nur dann
wird es ihm gelingen, seine Bildnisse im per-
sönlichen Ausdruck ähnlich zu machen, ohne
auf eine einwandfreie Komposition der Linien
und Formen, in der Massenverteilung von Licht
und Schatten, in der Beleuchtung und Model-
lierung zu verzichten. — Wo dann noch ein so
feines Empfinden für die mittels der photogra-
phischen Technik erreichbaren ästhetischen und
künstlerischen Qualitäten im Bilde hinzutritt
wie bei den Dührkoops, für die feine Abstufung
der Tonwerte und die reizvolle Modellierung
des Fleisches hier, für die großartigere Wirkung
breiter, dunkler Flächen und ruhiger Linien
dort, wo ferner eine völlige Beherrschung der
modernen Positivverfahren die Anwendung eines
bestimmten Kornes, einer Tönung, eines beson-
deren Papieres erlaubt, die dem ganzen Cha-
rakter des Bildes angepaßt ist , da stellt das
photographische Bildnis trotz seiner Beschrän-
kung auf einen einzigen Ausschnitt aus dem
Leben der Persönlichkeit eine ästhetisch in
hohem Grade befriedigende und sachlich das
Wesen der Persönlichkeit eigenartig treffende
Leistung dar. Und wenn man diese Leistung
nicht Kunstwerk benennen will — schön, man
nenne sie eben Bildnisphotographie. Dieser
Name trägt dann eben schon in sich einen
ejgenartigen, kulturellen Wert. dr. w. warstat.
.MÄDCHEN-BILDXIS. AUFNAHME VON R. u. M. DUHRKOOP.
AUFNAHME VON R. u. M. DÜHRKOOP-BERLIX-HAMBURG.
»TILI.A DURIEUXo AUFNAHME VON R. u. M. DÜHRKOOP BERLIN-HAMBURG.
-•^
• KNABEN-BILDNIS. AUFNAHME VON R. u. M. DÜHRKOOP.
XX. Dtzember 1916. 4
»RICHARD DEHMEL. AUFNAHME VON R. r. M. DÜHRKOOP.
»BILDNIS PROF. E. SAUER« AUFNAHME VON R. u. M. DÜHRKOOP.
.DOPPELBILDNIS. AUFKAHME VOK R. v. M. DÜHRKOOP.
-KXABEN-BILDNIS. AUFGENOMMEN VON RUDOLF u. MINYA DÜHRKOOP BERLIN-HAMBURG.
l'ROF. GEORG HERTING— HANNOVER.
»RELIEF VOM DUVE-BRUNNEN, HANNOVER«
HOFFNUNG AUF DIE DEUTSCHE KUNST.
VON DR. KARL GERSTEN BERG.
Herrlicher deutscher Sommer 1914, wohin
bist du verweht? Hast du die Ernte ge-
bracht, die wir schon in vollen Ähren wogen
sahen? Wohin kam die Klarheit der Augen
und die Reinheit des Herzens jener Tage, wo
wir nur uns gehörten? Damals stand eine deut-
sche Kunst so nahe vor uns. Als ob wir nur
zuzugreifen brauchten, sie aller Welt zu offen-
baren. — Deutsch im Stoff, deutsch im Gehalt,
deutsch auch den Mitteln nach: so haben die
Besten gefühlt. Aber geschrieen haben es die
andern, die kein inneres Recht dazu hatten. Es
war ein Klüngel der Unzufriedenen, der Auch-
Künstler niederer Ordnung, denen ihr Ich höher
steht als die Kunst. Sie konnten gewiß keine
deutsche Kunst schaffen, sie dachten auch gar-
nicht so weit, sie wollten nur die fremde Kunst
beiseite schaffen. Sie war ihnen verhaßt nicht
als Form dem geistigen Werte nach, sondern
als käufliches Gut auf dem Kunstmarkt. Die
diese Trommel rührten, waren selbst verkappte
Händler und schändeten den Tempel. Unter
dem Schutzmantel deutscher Gesinnung sollten
die lästigen Mitbewerber ein für allemal aus
dem Wege geräumt werden. Wer scharfe Augen
hatte, sah das Lammfell um ihr Wolfsgebein
schlottern. Aber neben diesen, die den Schlamm
peitschten, haben doch die andern in kristall-
klarer Umgebung gelebt. Sie blieben stumm.
Das waren die berufenen Wärter der Kunst.
Denn die Kunst läßt sich nicht von der Zeit
gebieten. —
Wir haben es nun selber erlebt: die großen
Gefühlserlebnisse schlagen sich am schnellsten
rein nieder in Dichtung und Musik, kurzum im
Liede. Dafür hatten wir als Vorläufer über
zeitliche Schöpfungen, die unvergänglichen
Lieder aus dem niederländischen Unabhängig-
XX. Dezember 1916. 5
Hoffnung auf die deutsche Kunst.
PROFESSOR
G. HERTING-
HANNOVER.
keitskampf und die flammende Lyrik der Befrei-
ungskriege. In diesen Liedern ist die Scfiwüle
der bebendenFurcht und das Getaumel derHoff-
nung und die wucfilig stehende Kraft der Zuver-
sicht. In diesen Gedichten klingt der brennende
Zorn, die klirrende Kraft und das jauchzende
Glück der Freiheit.
Aber für die bildende Kunst ist kein Platz.
Nur ein dürftiges Rinnsal läuft, um das Tages-
bedürfnis zu befriedigen. Flüchtige Eindrücke,
Tagesstimmungen werden uns gereicht in far-
bigen Skizzen, zumeist in Schwarz- Weiß-Kunst,
immer absichtsvoll mit Werten inhaltlicher Art.
Wir gewöhnten uns an die unerhörten Stoffe,
blättern und gehen gleichmütig weiter. Nur
selten durchzuckt es uns jäh, wenn uns [ein
fremdartig Feuerzeichen ungesehener Formen
entgegenschlägt. Das, was aller Augen sehen,
ist nur die Neuheit der Stoffe; die Bilder des
Krieges im umfänglichsten Sinne. Daran werden
die begleitenden Werte des Vorwurfs, allenfalls
der Auffassung geschätzt, die sich vordrängen,
weil Form und Farbe überkommen und ver-
kommen sind. Der neue Wein läßt sich nicht
in die alten verschlissenen Schläuche füllen.
Wir brauchen eine Kunst von solcher Großheit,
Hoffnung auf die dnäsche Kunst.
»PUTTEN AM
DUVE-BRUNNEN
IN HANNOVER«
daß ihr Anblick uns hochgemuter stimmt, daß
wir den Alltag dann leichter ertragen.
Im Deutschland des 18. Jahrhunderts war die
führende Kunst an den Höfen der weltlichen
und geistlichen Fürsten zu finden. An Wänden
und Gewölben prangten Ruhmesapotheosen für
den lebenden Fürsten oder den Namensheiligen
des regierenden geistlichen Herrn. Im 19. Jahr-
hundert wurde diese Hofkunst abgelöst von
einer Kunst des Bürgertums. Das anfängliche
grobe stoffliche Verlangen verschob sich soweit,
daß allmählich alleBildgedanken verpöntwurden.
Das 20. Jahrhundert könnte die deutsche Kunst
aufgipfeln lassen zu einer Kunst des bürgerlichen
Heldentums. So würde auf die Kunst des indi-
viduellen Machtbewußtseins im 1 8. Jahrhundert,
die auf den Ruhm des einzelnen zugespitzt
war, die breite bürgerliche Kunst im 19, Jahr-
hundert folgen mit einer Wahl von Stoffen, die
der bürgerlichen Kultur allgemein und gleich-
mäßig angehören. Aus Welle und Gegenwelle
aber erwächst als Wellenberg die Kunst, die
das Bürgerliche zum Heldischen emporführt,
die Kunst, die das Heldentum eines Volkes
bildhaft vor aller Augen stellt. Diese stofflich
neue, gehaltlich reichere Kunst könnte nur dann
193
Hoffnuncr avf die deutsche Kiiiist.
auf einen tiefen nachhaltigen Eindruck rechnen,
wenn ihr auch formal andere Ausdrucksmittel
zur Verfügung ständen, Ausdrucksmittel, die
noch nicht im Dienste jener überwundenen und
zu Grabe sinkenden bürgerlichen Kunststufe
verbraucht wurden. Es wäre aber ein gefähr-
licher Irrtum zu glauben, daß diese dem geistigen
Gehalt nach nationale Kunst auch rein deutsche
Darstellungsformen finden müßte, daß nun alles,
was an fremde Kunst in Form und Farbe er-
innert, ausgeschlossen wäre. Das wäre eine völ-
ligeVerwirrung der Begriffe, denn dieGesamtent-
wicklung der Darstellungsformen strömt gleich-
mäßig unter den abendländischen Völkern fort.
Vom Impressionismus ist diese Kunst nicht
mehr zu erhoffen. Ein Stoff ist Nebensache,
wenn er nur gut gemalt ist. Diesen Satz hat
der Impressionismus aufgestellt und als allge-
meingültig für die Kunst gepriesen. Aber dieser
Satz steht und fällt mit dem Impressionismus.
Heute kann uns eine solche Kunst nichts mehr
sagen. Heute gilt es Bildgedanken zu haben.
Wo sind die Maler, die sie gestalten? Gedanken
von Heldenverehrung, Begeisterung für Waffen-
taten, Machlgefühl, Ruhmbewußlsein und trun-
kenerSiegesfreude. Gewiß will niemand schlecht
gemalte Bilder. Aber ist denn nur die Malerei
gut, die auf den naturalistischen Schein der
Dinge sieht? Und für andere Arten zu malen
gilt der Satz von der Gleichgültigkeit der Stoffe
nicht mehr. Von hier aus sieht man, wie weit
der Impressionismus reicht, wie diese Kunst
nicht die größte Freiheit, sondern die größte
Engherzigkeit darstellt. Und alles andere kann
die Kunst eher ertragen als Engherzigkeit.
Einer künstlerischen Gestaltungsart, die das
Erlebnis in Formen oder Farben neu erbaut,
können die Bildinhalte nicht mehr gleichgültig
sein. Eine solche Kunst aber kann sich auf den
ruhmreichsten Vorgang aus einer Zeit höchster
nationaler Blüte berufen. Das sind die unter-
gegangenen Wandbilder aus Karls des Großen
spanischem Feldzug in der Pfalz zu Aachen.
Wir kennen sie nur aus literarischen Berichten.
Aber nach Art der karolingischen Miniaturen
waren es nicht fade Episodendarsteliungen
eines blutleeren Naturalismus, sondern symbo-
lisch-dekorative Stilisierungen, die gehaltvolle
Stoffe zu schlagend monumentaler Großartig-
keit verdichteten (Schluß folgt.)
PROFESSOR OF,"KG HEKIl.NG HANNi'VEK.
\M i)r\i>i;KrNM:
zu DEN ARBEITEN VON FRITZ HUF.
VON KASIMIR KDSCHMIU.
AUS Luzern zu stammen ist kein Verdienst,
L kann aber eine Bestimmung sein. Eines
Tages entlief Fritz Huf, erstieg einen Berg und
sah in das blaue und sehr weit gespannte Leben
hinein. Über Handwerk kam er zu Sehnsucht
und schöpferischer Tätigkeit. Muskulärer An-
lage folgend fuhr er nach Paris und sah Rodin
an, ein wenig die Hände in den Hosentaschen.
Zurückfahrend begann er den großen Kampf
um den gewaltigsten Ausdruck. Natürlich lockt
das Impressionistische als erster Hebel zum
Außergewöhnlichen; strotzenden Köpfen, ver-
zogenen Gesichtern, rauschenden Gebärden.
Er stürzt sich auf die Gegenstände, wühlt sich
hinein, bestaunt sie und wirft sie weg. Nimmt
sie wieder auf. Biegt sie in neue Form, wilder,
suchender, und schlägt sie entzwei. Er greift
nach Köpfen ungewöhnlicher Menschen, be-
lauert den Ausdruck, greift zu und baut auf.
Der Dichter Franz Werfel kreuzt seinen Weg.
Er modelliert ihn und erreicht in dieser Arbeit
die letzte Hölle des Impressionismus : In be-
täubenden Linien wölbt sich die zerrissene
Fläche des Gesichts nach den Schläfen hinauf
und rauscht symphonisch in den zuckenden
Büschel der Haare. Die Augen abgeplattet
stieren nach oben in die Höhle der Stirn, als
brannten sie durch das Hirn hindurch testamen-
tarische Flammenbündel in den Raum. Die
letzte Äußerung des impressionistischen Augen-
blicks ist erreicht. —
Huf geht an die Figur. In Savonarola packt
er den menschlichen Körper. Er baut und
zerschlägt. Er sucht die große Linie. Wenn
man aus Luzern ist, braucht man keine Theorie
zu kennen. Expressionismus kann ein tauber
Klang sein, dem, der mit wenig Jahren den
Berg bestieg und in das Leben rannte. Es gibt
nur einen Trieb, elementar und einfach: Kraft.
Hitzig geht er dem Geheimnis gestalteter Kör-
per nach. Savonarola steigt von Form zu Form.
Das Maul aufgerissen, die Augenhöhlen des
Geiers, fanatisch Arme und Beine zum Sprung
gestellt, so beginnt es. In steifer Ruhe eines
glattgewandeten Priesters endet es. Doch es
genügt nicht. Es ist nicht letzter Ausdruck, es
schwebt etwas hinter dem zeitlich gefangenen
des Impressionistischen, das ausgeschöpft ist.
Es fehlt die lange Wirkung.
Der Schauspieler Wegner kreuzt seinen Weg.
Huf wirft sich auf diesen Kopf. Der Bemühung
entsteigt eine Büste, aus Flächen zusammen-
geschlossen, ohne Fuge, einfach, die Nähte der
Flächen vernietet mit Gewalt. Stärke nicht
mehr auf die Oberfläche gehauen, sondern aus
den einfachen Mitteln selbst herausgeholt,
geistig verankert. Eine Lösung ist erreicht.
Es schließt die erste Phase.
Der Weg zum Expressionismus ist nie schwe-
rer als vom Expressionismus selbst aus, ehr-
licher nirgends als vom Impressionistischen her.
Denn diesen Beginn nehmen, in dem eine tita-
nenhafte Natur wie Rodin schon ganz sich aus-
gab, heißt triebhaften Gesetzen folgen, und im
Expressionistischen landen will dann sagen:
dem Ausdruck Vertiefung geben müssen. Es
ist nicht der einzige Weg zur künstlerischen
Glückseligkeit, aber es ist ein guter und ehr-
lich, das sei bemerkt. — Früh schon brach sich
der Schöpferstrom vor dem Kunstwerk in zwei
Teile. Einer holte real Kräftiges aus dem
Gegenstand, der andere zog ins Unwirkliche
und löste Visionäres aus, Frauenmasken, dem
athletischen schweizer Körper entsprechende
muskuläre Halluzinationen, sehr rätselvolle von
Abenteuer und Gefahr verdichtete Gesichte,
nach einer anderen Welt hinschauend.
Sonst fiel alles in Vereinfachung. Torsos, in
sich selbst stehend, Klarheit und reines Leben
ausgebend, tierhaft stille nach innen hin lebende
Körper. In den Köpfen legt sich die Wut.
Ekstatische Linien laufen in reinen Flächen. Ein-
fache Ebenen fügen sich in den klaren Abfall
des Linearen, von innerem Rhythmus überfüllt.
Die Erkenntnis vom unbedingteren Wert innerer
Form zwingt das ursprünglich Robuste des Ta-
lents in den höheren Zwang des Stils. Die
stürmische Gebärde ergibt sich originalerer
Sachlichkeit. — Neue Menschen queren seinen
Weg. Franz Bleis Abbe-haften Wikingerkopf
treibt er zurück auf die einfache Äußerung einer
intellektuellen Hydra : zwischen zusammenge-
preßten Wangen das Lid durch die Hälfte der
Pupille gezogen , eingefroren in satanischem
Geist. Der Dichter Rilke, im Gleichfluß schöner
Bogen der Brauen und des Schnurbarts mit den
schweren Augenlidern in sich selbst ausruhend.
Der Fürstin Lichnowsky dichterisches Gesicht,
glashell und zart in das spröde Netz ägyptischer
Linien gezogen. Schon bilden sich Formeln:
der Ring der Haare, der metallene Schwung
der Brauen, der Schnitt des Augapfels — nicht
als Träger der Manier, sondern als Konstante
eines Willens zu strenger Form, deren Inhalt
unendlich neu zu gestalten die Fülle des zurück-
gedämmten Kraftstroms berufen scheint
FRITZ HUF BERLIN. .KOPF EINER JAVANERIN, laiö.
FRITZ HUF-BERLIN, BILDNIS-BÜSTE »FÜRSTIN M. LICHNOWSKV.
FRITZ HUF-BERLIN. BILDNIS-BÜSTE .DÄUBNER«
XX. Dezember 19l(i. 6
ARCHITEKT HERMANN MUTHESIUS.
»HAUS RASCH IN WIESBADEN«
EIN WOHNHAUSBAU VON HERMANN MUTHESIUS.
Das Haus Rasch wurde auf einem hochge-
legenen Bauplatze am Neroberg in Wies-
baden in der Nähe der russischen Kapelle er-
richtet. Die hervorragende Aussicht, die der
Bauplatz bot, sollte in der ganzen Anlage des
Hauses berücksichtigt werden. Glücklicher-
weise vereinigte sich hier die gute Aussicht-
seite mit der guten Sonnenlage, sodaß alle
Wohn- und Schlafzimmer an die Aussichtsfron-
ten gelegt werden konnten. Aber es bestand
auch der Wunsch, im obersten Stockwerk die
dort sich ergebenden Fernsichten noch beson-
ders nutzbar zu machen, was durch einen voll-
ständigen um dieses Geschoß gelegten Umgang
erreicht wurde. Das Haus lehnt sich an das
Berggelände derart an, daß die Vorderfront ein
Stockwerk mehr hat als die Rückfront. Vom
unteren Wohngeschoß tritt man auf die vordere
Terrasse, vom oberen Geschoß auf eine rück-
wärtige Terrasse. Der Garten ist terrassen-
förmig angelegt. An das untere Wohngeschoß
schließt sich seitlich ein langgestreckter Rosen-
garten, an das obere rückwärtig ein Lauben-
gang an. Das Haus enthält im unteren Wohn-
geschoß die Halle, das Eßzimmer und die Wirt-
schaftsräume, im oberen ein ovales Empfangs-
zimmer, ein Herren- und ein Damenzimmer,
sowie das Schlafzimmer der Eltern. Im obersten
Geschoß hinter dem Rundgang liegen die üb-
rigen Schlafzimmer sowie eine Reihe von Gast-
zimmern. Die Außenmauern sind durchweg in
Muschelkalkstein ausgeführt. Für die umfang-
reiche Umwehrung des Hauses wurde Sonnen-
berger Bruchstein verwandt. Bei Ausbruch des
Krieges konnte das Haus im Innern nur notdürf-
tig fertiggestellt werden, der vollständige Aus-
bau ist der Zeit nach dem Kriege vorbehalten.
Ä
Dem Aediten und Vortrefflichen steht, bei seinem
Auftreten, zunüdist das Sdiledite im Wege, von
weldicm es seinen Platj bereits eingenommen findet,
und da% eben fiir lenes gilt. Wenn es nun audi,
nadi langer Zeit und hartem Kampfe, ihm wirklidi
gelingt, den Pla^ für sidi zu vindiciren und sich in
Anselm zu bringen, so wird es wieder nicht lange
dauern, bis sie mit irgend einem manierirten, geist-
losen, plumpen Nadiahmer herangeschleppt kommen,
. . . denn sie sehn den Unterschied nidit. . . . Sdiopcnh.iucr.
w 5 5 j: w
*- s a < 5
E S s * n
!_> M H m (/,
ARCHITEKl' HERMANN MUTHESIUS.
»HATJS RASCH« SEITENANSICHT.
,NÄHE UND FERNE".
VON DR. ADOLF BEHNE.
Ein Gesetz der Trägheit gibt es auch in der
Kunstbetrachtung. Ja auch mancher nicht
ganz zielsichere Künstler verfällt der Macht die-
ses Gesetzes. Wenn wir Dinge, nur weil sie uns
seit langem rings umgeben, schon für innere
Notwendigkeiten halten, obgleich sie nur zeit-
lich bedingte Übereinkunft sind, so dürfen wir
das wohl unter das Trägheitsgesetz nehmen.
Macht der Gewohnheit ! Viel größer ist diese
Macht, als wir gewöhnlich glauben. So manches
läßt sie als unantastbares Gut erscheinen, was
ledi;^lich Konvention ist. Beispielsweise sind
die Beziehungen zwischen Malerei und Per-
spektive noch getrübt für die Erkennfnis durch
ein unphilosophisches Fürwahrnehmen schein-
barer Selbstverständlichkeiten — die durchaus
keine Selbstverständlichkeiten sind. Überhaupt
gibt es Selbstverständlichkeiten in der Kunst
nicht, und gerade die naheliegendsten der so-
genannten Selbstverständlichkeiten sind oft,
weil sie fast stets unbewußt angenommen
werden, Bekenntnisse, über deren Tragweite
der Künstler selbst wohl erstaunen mag.
Ich will das am erwähnten Beispiel, der Per-
spektive, hier näher erläutern.
Ist ein Bild perspektivisch gemalt, so wird
das — weil „selbstverständlich" ! — kaum noch
empfunden. Daß der Maler die Landschaft
perspektivisch gibt, wird zu den belanglosen
technischen Nebendingen, wie Pinselwaschen
und Grundieren gerechnet. Man glaubt, daß
die eigentliche künstlerische Arbeit erst da-
hinter beginne. Es machen ja doch alle so.
Tausende ringsum! Also, lautet der Schluß,
wird es wohl eine Notwendigkeit sein. — Ein
Trugschluß ! Wohl gibt es in der Kunst tiefe,
unentrinnbare Zwangsläufigkeilen. Doch sind
diese im Inneren des künstlerischen Individuums
wirksam, das niemals und nimmer dem Rhyth-
mus seines Blutes untreu werden kann. Keiner-
lei Zwangsläufigkeit aber gibt es im Verhalten
des Künstlers zur Wirklichkeit. Da ist schlecht-
hin alles in seine Wahl gestellt. Nun hängt es
aber mit dem ganzen naturalistischen Charakter
der landläufigen Ästhetik zusammen, daß wir
die Wahl des Künstlers in ihrem Umfange und
,Nähe und Fer7ie'
208
PROFESSOR J'iM'.F \\OV\
MANN Wll N
in ihren Möglichkeiten viel zu eng umgrenzen.
Tatsächlich ist es mindestens ebenso wichtig,
unsere Ästhetik vom Naturalismus zu befreien,
wie die Kunst. Die landläufige Ästhetik verengt,
wie gesagt , die Auswahlsmöglichkeiten des
Künstlers im Bewußtsein des Publikums und läßt
auch dadurch in Dingen den Anschein der inne-
ren Notwendigkeit aufkommen , wo nur von
einer Einseitigkeit gesprochen werden dürfte.
So weit freilich scheinen wir heute doch wohl
zu sein, daß wir die Perspektive nicht mehr
für eine absolute Notwendigkeit künstle-
rischer Darstellung annehmen. Früher maß
man die Entwicklungsfortschritte der Malerei
geradezu an der wachsenden Richtigkeit der
Perspektive, und Fluchtpunkt, Augenpunkt und
Horizont boten eine Art Thermometer dar für
den Höhenstand der Kunst. Da war dann Fra
Angelico ungefähr der neutrale Punkt, die Gotik
war ein großes Minus und erst über Masaccio,
Mantegna, Jacopo de Barbari stieg die Kunst
zum Ziel der Skala, dem Photogramm, empor.
Gewiß, ganz so einseitig sind heute nur noch
Wenige. Die meisten haben eingesehen, daß
es unmöglich ist, die reiche Kunst auf eine ein-
fache Skala zu bringen. Außer der realistischen
»BÜFETT AUS GEBEIZTER EICHE«
Kunst haben wir eine bewußt irrealistische
Kunst verstehen und lieben gelernt. Nicht
mehr sehen wir diese als unvollkommene Vor-
stufe jener an, und nicht mehr verlangen wir
von ihr, daß sie sich den Gesetzen der Per-
spektive unterordne. Für s i e wenigstens ist uns
die Perspektive keine Notwendigkeit mehr.
Um so entschiedener aber für die realistische
Kunst wird die Allgemeinheit der Perspektive
Notwendigkeitscharakter zusprechen ; scheint
doch beides unzertrennlich, und perspektivische
Darstellung mit realistischer Darstellung gleich-
bedeutend zu sein. — Das aber ist eben ein
Irrtum I Perspektivische Darstellung ist höch-
stens eine Möglichkeit realistischer Darstel-
lung, und eine Kunstpsychologie, die aus dem
Vorhandensein einer realistischen Anschauung
schon die Notwendigkeit perspektivischer Dar-
stellung folgert, verrät mehr Kurzsichtigkeit,
als ihr von Rechtswegen erlaubt ist.
Anhänger solcher Psychologie werden fol-
gendes sagen: es ist eine Tatsache, daß der
Mensch — der normale Mensch — die Natur
perspektivisch sieht. Folglich muß der Maler,
der realistisch sein will, das heißt doch, der die
Natur so malen will, wie „man sie sieht", per-
"RF PROFESSOR JOSEF HOFF^L\NN - WIEN. »AUSZIEHTISCH EINES SPEISEZIMMERS«
Nälie joid Ferne".
bildenden Kunst" stellte bewußt
das Fernbild als Norm für das
Schaffen des guten Bildhauers
auf, und Werner Weisbach hatte
durchaus Recht, als er das Fern-
bild auch für den impressioni-
stischen Maler aller Zeiten und
Länder als Norm annahm. Nur
dort tritt die Perspektive mit
Notwendigkeit auf, wo der
Drang oder die Sucht zum Fern-
bild herrscht. Und deshalb sagte
ich , die bewußte oder unbe-
wußte Wahl perspektivischer
Darstellung verrate ein nicht
unwichtiges Stück Weltanschau-
ung des Einzelnen wie der Epo-
che. Mit anderen Worten: die
Perspektive in der Kunst ist
eine Stilfrage, nicht eine Frage
der Technik — • dieses vielmehr
erst in zweiter Linie. Nur un-
sere naturalistisch gerichtete
Ästhetik vermochte den Tatbe-
stand zu verdunkeln und der
Anwendung der Perspektive,
weil angeblich für sie eine Be-
stätigung , den Charakter des
Selbstverständlichen, Nolwen-
PROFESSOR JOS. HOFFMANN. »SCHREIBTISCH«
spektivisch malen. — Was wäre denn
dagegen einzuwenden ? — Es ist aller-
dings nachgerade ein Fatum gewor-
den , daß wir die Natur perspek-
tivisch sehen, und doch liegt hierbei
keine Notwendigkeit vor. Das per-
spektivische Sehen der Natur, rich-
tiger gesagt: das ausschließlich
perspektivische Sehen der Natur,
resultiert vielmehr erst aus einer be-
stimmten psychischen Disposition,
ist bereits ein Stück unbewußter
Weltanschauung. Denn nur unter
einer Bedingung ist zuzugeben, daß
perspektivisches Sehen der Natur
gegenüber mit Notwendigkeit
auftritt, nämlich nur dann, wenn
wir zwischen uns und die Ob-
jekte einen größeren Abstand
legen. — Und das ist der entschei-
dende Punkt! Es ist uns in Fleisch
und Blut übergegangen, alle Dinge
aus der Ferne, aus der Distanz an-
zusehen. Adolf V. Hildebrandt in
seinem „Problem der Form in der
>K .lO-EF Höll-M '
,Nähe wid Ferne".
digen, Absoluten zu
geben. — Und doch
bedarf es nur eines
unbefangenen Blik-
kes über die engsten
Zeit- und Raumgren-
zen, um zu erkennen,
daß es eine realisti-
sche Kunst auch ohne
und gegen die Per-
spektive gibt. Denn
es ist nicht so, daß
der Verzicht auf die
Perspektive zu einer
irrealistischen, deko-
rativen , symboli-
schen usw. Kunst
führe. Gibt es etwas
realistischeres als die
Menschen einesMult-
scher, die Pflanzen
und Tiere Chinas und
Japans? Sie stehen
doch an scharfem
Realismus den Men-
schen, Tieren und
Pflanzen der Moder-
nen bestimmt nicht
nach. Was sie von
diesen unterscheidet,
istderUmstand, daß
sie aus der Nähe
gesehen sind. —
Geist der Feme und
Geist der Nähe! Das
sind die beiden Pole
menschlicher Stel-
lungnahme zur Welt.
Geist der Nähe
schließt durchaus kei-
nen Realismus aus,
im Gegenteil; aber
er schließt die Per-
spektive aus. Denn
diese legt ja stets ei-
nj Distanz zv^rischen
Mensch und Ding.
Zeiten, Menschen,
die dazu neigen, die
fertigen, abgeschlos-
senen Dinge über-
legen aus der Ferne
zu betrachten, kom-
men bei Umsetzung
ihrer Weltanschau-
ung im Kunstgebilde
— also aus Stilgrün-
PROFESSOR Josef hoffmann. »Blumentisch und sessel«
den ! — mit Notwen-
digkeit zur Perspek-
tive. Deshalb ist die
moderne Kunst „ge-
genständlich" gewe-
sen, von Masaccio
bis Manet und seinen
Nachfolgern. Denn
erst aus der Ferne,
der Distanz gesehen,
schließen sich die Er-
scheinungen der Na-
tur zu runden, abge-
schlossenen, benenn-
baren Gegenstän-
den zusammen. —
Der Geist der Nähe
kennt in dieser
Strenge keine Gegen-
stände. Er läßt sich
von den Erscheinun-
gen ringsum dicht
einschließen; er ge-
winnt eine gestei-
gerte Lebendigkeit
und Innigkeit, für
welche die fortschie-
bende Perspektive
„ selbstverständlich"
kein Ausdrucksmittel
mehr sein kann. —
Und das ist die ein-
zige Selbstverständ-
lichkeit, die es in der
Anwendung der Per-
spektiven - Gesetze
gibt. — Alles ist Stil
— nichts ist Zwang!
Ä
Die Kunst macht, was
dem kunstfremden
Moralisten zu einem
.\rgernis und dem rohen
verwahrlosten Herzen
zu einem Gegenstand
trüber Sinnenlust wird,
zu einem reinen Seelen-
genuß. Sie führt den
Blick in die Weite der
Welt und in die Tiefe
des eigenen Gemüts
und macht das Herz zu-
gleich bescheiden und
stolz. . . Heinrich Wolgast.
Der Mensch ist der
höchste, ja der ei-
gentliche Gegenstand
bildender Kunst. Goethe.
PROFESSOR MICHAEL POWOLNY-WIEN. .RELIEF IN FARBIGER KERAMIK«
AUSFÜHRUNG VEREINIGTE WIENER UND GMUNDNER KERAMIK.
ERICH BÜTTNER UND ELSA HOFFMAXN. .FRÜHLING. FARBIGE SEIDENSTICKEREL
^
^^
^^
-H BCTTXES f.
>. HOFFXANN
- EI DEssncKgaei <
NATÜPX. GRÖSSE.
ERICH BÜTTXER LWD ELSA HOFF.MAXX: ..KLEINE STICKEREIEN^
XEB5T EISIGEN LEITSÄTZEN VON EÄICE BCTTNES.
esultate erfreulicher Zu-
sammenarbeit und Aus-
nutzung sich ergänzender
Kräfte zu erfreulir'ien Zie-
len scheinen diese Sticke-
ereien wohl zu bedeuten.
'Im Frühling 1915 zeigten
wir zum ersten Male eine Anzahl solcher Ar-
beiten in der Berliner Sezession. Und hier
und auch später und an anderen Orten fand
sich lebhaftes Interesse für die kleinenProbleme.
Auf welchem komplizierten ^'ege dieselben
entstanden sind, möchte ich hier mit einigen
Worten schildern, wozu vorher eine kleine
Charakteristik der Verfasser erforderlich ist.
In manchen kunsfgewerbUchen Erziehungs-
iahren haben beide vielerlei gelernt — und sich
dann bemüht, in weiterer Arbrlt manches da-
von zu vergessen. Vor allem, daß das Kunst-
gewerbe ein Beruf ist, (den man ebenso ausübt,
■wie man Schuster und Schneider oder Kauf-
mann und Beamter im üblichen Sinne wird),
d. h. ein mit recht v\e\ Geschäftsgeist, etwas
Geschmack und gut Haushalten mit wenig Kön-
nen betriebenes Geschäft. Zum großen Leid-
wesen verschiedener Kunstgewerbe - Päpste
schwor ich also den Beruf ab ; malte, zeichnete
und radierte — und machte nebenbei, wenn
es gerade verlangt wurde, doch noch Kunst-
gewerbliches. Aber mehr aus Vergnügen, etwas
Notwendiges gut zu machen und um d;e An-
forderungen des praktischen Lebens gern zu
erfüllen. Also Kunstgewerbe mehr aus Kunst-
gründen, denn aus Gewerbegründen. Elsa
Hoffmann war mittlerweile auf eine ähnliche
Bahn gekommen. Lnd hatte so auch das Sticken
fast gänzlich beiseite gelegt. Dieweil dabei
besonders ein ungeheuer großer Zeit- und Ar-
beitsaufwand meist in keinem ausgleichenden
\ erhältnis zu dem Erreichten stand.
Bis wir in den kleinen Bildstickereien einen
Ausgleich von Zweck und Form entdeckten, der
eine für uns angenehme Erlösung verschiedener
Möglichkeiten bildete. \ ielerlei kleine Skizzen,
Bildideen, mannigfach \ erschiedenes, entstan-
den durch Auftrag oder Neigung, hatte sich in
meinen Mappen zusammen gefunden und war-
teten auf den Zeitpunkt der Vollendung. Und in
.XX Doeaibir 19ie
Erich Büttner und Elsa Hof I mann: ,. Kleine Stickereien'
den Stickereien fand sich ein Weg dazu. Und
auch die Stickkunst feierte so Auferstehung.
Die Konturen waren da oder wurden zu diesem
Zwecke ergänzt. Über die allgemeine Anlage
und Hauptfarbenverteilung wurden wir einig.
Und Elsa Hoffmann stickte und suchte zwischen
Seidenfäden und -Stücken den Weg zur Vollen-
dung, der oft große Schwierigkeiten bot, bis die
Möglichkeiten des Materiales gefunden und aus-
genutzt waren. Mancherlei Versuche mußten
gemacht werden und Vielerlei beraten werden,
um das Richtige zu entdecken. Doch war
Freude nicht minder vorhanden, wenn endlich
aus vielen Stichen und bunten Fäden ein far-
benglänzendes Bild geworden, wie es nur so
und nicht anders denkbar war.
Die technischen Mittel sind jeweils verschie-
den den Bildern passend gewählt worden. Die
„Madonna mit der Sonne" ist voll und ganz
gestickt. Bei den anderen ist mehr oder minder
der farbige Seidengrund freigeblieben. Dieser
ist z. B. gelb bei „Feuer" und „Erde" und blau
bei „Wasser" und „Luft". Verschiedentlich
sind größere Flächen oder Figuren appliziert.
Bei der „Madonna auf dem Monde" ist ein
Goldgrund verwandt.
Selbstverständlich sind alle diese Dinge als
Versuche entstanden und nicht als industrielle
Dutzendware. Auch besteht für die Zukunft
keine Absicht dazu. Gelegentlich haben wir
zwar auch Stickereien wiederholt. Doch sind
selbst diese Wiederholungen meist veränderte
Neuschöpfungen, wobei meist wieder neue
Schwierigkeiten überwunden werden mußten.
Wir arbeiten an den Stickereien genau so, wie
wir uns sonst jeweils mit unseren anderen Bil-
dern oder Problemen beschäftigen. Wir sammeln
Erfahrungen auch dabei und freuen uns, daß
wir zwischendurch mal etwas „komplizier-
teres" machen, das auch seinen Reiz an
passender Stelle im Zimmer ausübt b
Vergiß niemals, mit welchem Material du arbeitest;
und suche es stets zu der Wirkung, die es am
besten zu erfüllen vermag, zu benu^en.« . . . Morris.
ERICH BUTTNER
KLSA HOFFM.WN.
ERICH BÜTTNER U. ELSA HOFFMANN. KLEINE STICKEREIEN. »LUFT, ERDE, FEUER, WASSER«. NATÜRL. GRÖSSE.
FRITZ BOEHLE f
In der Nacht vom 19. auf
den 20. Oktober 1916
ist Fritj Boehle im Alter
von noch nicht 44 Jahren
gestorben. Mit ihm ha-
ben wir eine der größten
Hoffnungen Deutscher
Kunst zu Grabe getra-
gen. Als ich in dieser
Zeilschrift Januar 1915
das Schaffen des Künst-
lers zu würdigen ver-
suchte, ahnte ich nicht,
in welch kurzer Zeit ich
einen Nachruf folgen zu
lassen habe. Bei der Ab-
geschiedenheit, in wel-
cher Boehle lebte, erhält
man erst jet3t die Kunde,
daß er schon seit Jahren
schwer leidend war; Krankheiten, die nur durch
größte Ruhe erträglich werden, vermochten nicht,
ihn von rastloser Arbeit abzuhalten, und so ist er
schließlich auch für seine Angehörigen unerwartet
dahingeschieden. — AlsdasStä-
delsche Kunstinstitut um Neujahr
1908 eine umfangreiche Ausstel-
lung seiner Werke — Gemälde
und Radierungen — zeigte,wirkte
dieselbe wie eine Offenbarung,
und es war nur freudigst zu be-
grüßen, daß die Stadt Frank-
furt alle ausgestellten noch im
Besiß des Künstlers befindlichen
Gemälde erwarb. Ob der Künst-
ler die in ihn gesellen Hoff-
nungen erfüllte, können wir noch
nicht beurteilen, da er nach die-
ser Zeit sich noch ängstlicher
als vorher gegen die Mitwelt ab-
schloß, denn trotjdem er für heu-
tige Verhältnisse ein Frühreifer
gewesen — im Alter von 19 Jah-
ren schuf er schon Radierungen
von ansehnlicher Größe - war
er doch kein Frühvollendeter, da
seine bisher bekannten Werke
immer noch mehr oder weniger
im Banne gediegener Vorbilder
entstanden und er der Welt noch
den Boehle schuldig war. Sein
Nachlaß wird uns auch zeigen,
was wir von ihm als Bildhauer
zu erwarten hatten. Das Reiter-
standbild Karls des Großen für
Frankfurt ist über Entwürfe nicht
U?- -
m
1
^PP^^
hinausgekommen. Nach
Anfertigung eines neue-
ren in kleinerer Ausfüh-
rung soll der Künstler,
der immer schonungs-
loseste Selbstkritik übte,
das frühere große Gips-
modell vernichtet haben.
— Es ist ein Verhängnis,
hervorgerufen durch eine
Verkettung von Umstän-
den, daß man zwar viel
von seinenWerken hörte,
aber wenige derselben
zu sehen bekam. Auch
die von Frankfurt ange-
kauften Gemälde konn-
ten vorerst nur in unzu-
reichender Weise ge-
' "^^''' zeigt werden, dann muß-
ten fast alle beiseite ge-
stellt werden, harrend ihrer Auferstehung in dem
der Vollendung entgegengehenden Anbau an das
Städelsche Kunstinstitut ; der gewaltige in Bronze ge-
gossene Stier steht in einer Ecke des Grundstückes
der Kunstschule, ebenfalls einer
würdigen Aufstellung harrend.
So mußte man sich begnügen,
allerlei mehr oder minder erbau-
liche Geschichten über den Men-
schen Boehle zu hören, die auch
die Nachrufe der Zeitungen nicht
gerade geschmackvoll verbräm-
ten. Wir werden uns von jetjt ab
wohl nur noch mit dem Künstler
auseinanderzusetjen haben. —
Weiteren Kreisen ist er durch
seine Radierungen und Stein-
zeichnungen bekannt, und in den
Sammlungen in Berlin, Bremen,
Dresden, Frankfurt finden wir sie
reich vertreten, zur Zeit veran-
stalten Berlin, Frankfurt und an-
dere Städte Ausstellungen der-
selben. Viel zu wenig beachtet
sind seine Drucke vom Stein,
die, meist vongroßen Ausmaßen,
einen gediegenen Wandschmuck
abgeben und durch ihren billigen
Preis auch dem nicht mit beson-
dernOlüiksgütern ausgerüsteten
Kunstfreund leicht erschwinglich
sind. Der Künstler wollte mit
diesen Werken den Bestrebun-
gen nach Volkskunst entgegen-
kommen; die meisten entstan-
den im Jahre 1908, das wohl
FRITZ BOHLE t GEMÄLDE »CHRISTOPHORUS«
IM BESITZ DES STÄDELSCHEN INSTITUTS— FRANKFURT A. M,
das bedeutendste in seinem Kunstschaffen gewesen.
— Vielleicht ist mir in nicht allzuferner Zeit Ge-
legenheit gegeben, in diesen Blättern, anlä)5lich
des Zutagetretens seines Nachlasses, von dem uns
und der Deutschen Kunst zu früh Entrissenen
weiteres in Bild und Wort vorzuführen. scbrev.
merkung. Neu hinzutretenden Lesern mö
emerken, daß die im Januar 1915 erschienen
' mit IQ Bildern und Beilagen als Heft ve
i Semesterband erhältlich ist
BERICHTIGUNG.
Die auf Seite 112 des Oktober-November-
heftes wiedergegebenen Emailarbeiten sind
von Frl. Maria Likarz in den Emailwerkstätten
der K. K. Kunslgewerbeschule Wien (Lehrerin
Frl. Adele von Stark) gearbeitet; nicht wie irr-
tümlich angegeben von Frl. Flögel. Die sieben
kleinen Emailplättchen sind Schmuckstücke für
silberne Blumenschalen, wie solche auf S. 105
abgebildet sind, aber keine Broschen, schriktl.
SPIEL. Wie ein jungenhafter Gott spielt
der Künstler mit dieser Welt des Scheins.
Ein Kaleidoskop ist sie ihm, er kabelt gedan-
kenlos die lustigen Bilder heraus und läßt sie
mit leiser Wehmut wieder verschwinden. Dem
Künstler ist die Welt die große Puppe, mit der
zu spielen nie müde macht. Er legt sie schlafen,
und sie ist voll starrer Ruhe. Er richtet sie auf,
morgenfrisch lacht ihn ihr Kindergesicht an. Ihr
altes Kleid freut ilin nicht mehr, flugs zieht er
ihr neue farbige Flicken an, er kleidet sie als
Kind, als Braut, als Mutter. Eine Harlekin-
mütze macht sie zur Närrin — und so liebt er
sie am meisten. Da malt er ihr andächtig zwei
runde Flecken auf die Backen, ein sündhaft
rotes Lippenpaar und Brauen, die aus andern
Weltteilen zu greifen scheinen. Plötzlich aber
sieht sie ihn an aus abgrundtiefen Augen wie
ein lebend Wesen. Er erschrickt. LJnd eilig
kritzelt er irre Zeichen über ihr Gesicht, bis es
ganz versinkt in Stücken und Klexen. — a. j.
ERICH BUTTNER BERLIN. FEDERZKU'HNUNG. ENTWURF ZU EINER STICKEREI.
PROFESSOR E. R. WEISS. »SELBSTBILDNIS« (Bernau, 1907).
l'kuKE.SMjK t. K. WEISS- BEi. '.IN.
RliUl LWlJ GLOCKENBLUME» UIUl.
EMIL RUDOLF WEISS.
VON MORITZ HEIMANN.
In diesem Sommer hat E. R. Weiß bei Gurlitt
eine groß ^usstellung seiner Bilder gehabt;
keine umfas .^1-^2, denn es fehlte das Jahrzehnt
seiner Anfänge, und selbst aus der Zeit, von
der die Bilder Zeugnis gaben, vermißte man
einige ')'.cht unwichtige Ausstrahlungen seiner
künstlerischen Arbeit. Wenn also auch für die
Kenntnis seines Entwicklungsganges fragmen-
tarisch, war die Ausstellung für die seines
Wesens vollständig genug, — und der Betrachter
des vorliegenden Heftes, der eine noch engere
Auswahlvor sich hat, möge sich erinnern, daß es
vor dem Kunstwerk schließlich nicht auf Kennt-
nis, weder auf diese noch auf jene, ankommt,
sondern auf das Gefühl von einem Gegen-
wärtigen, der Zeit Entronnenen, in sich und
auf sich Beruhenden, und auf die Freude daran.
Stand man in der Mitte des Hauptsaals, so
hatte man zunächst, bevor man sich ins Einzelne
ziehen ließ , einen allgemeinen Eindruck von
den vielen, eben nur flüchtig mit dem Blick
durchstreiften Bildern: den Eindruck vonSchön-
XX Januar 1917. I
Emil Rudolf IVeiß.
E. R. WEISS. »BLUMENFENSTER« U'MO.
heit. Es war angenehm, im Mittelpunkt aller
der von den Wänden herschießenden farbigen
Strahlen, als in einem heitern, kräftigenden, be-
lebenden Feuer, zu stehn. Es erfüllte sich, was
Goethe sagt, daß „ ein jedesKunst werk, wenn man
auch von dem Inhalt abstrahiert, wenn man in
der Entfernung auch nur die allgemeinsten Um-
risse sieht, noch immer dem Auge als ein Zierat
erscheint" ; nur daß die Wirkung nicht besonders
von Umriß und Linienspiel ausging, sondern von
der Gesamtheit der farbigen Erscheinung. Damit
ist nicht zu verwechseln, was man früher mit Be-
flissenheit und auch noch heute zuweilen das
Dekorative nennt; in diesem plumpen Sinne
dekorative Bilder vertragen sich überhaupt nicht
miteinander, sind neidisch aufeinander, stören
sich wechselseitig, und ein jedes will allein,
will womöglich die ganze Wand sein. „Was
aber schön ist, selig scheint es in ihm selbst,"
heißt es bei Mörike; und also schmückt es
edler, als alles, was von vornherein darauf aus
ist, zu schmücken
BES: DR. REINH.\RT WIXTEKTHUR.
E. R. Weiß ist bekanntlich einer unsrer besten
Kenner und Künstler des Schreibens, seine
Adressen — deren letzte , beiläufig , die der
Verwaltung Polens an Hindenburg war — ■ be-
halten neben ihren Vorbildern aus der Blütezeit
der Schreibekunst Figur. Er hat eine Schrift
gezeichnet, die TempeJklassikerfraklur, von der
berufene Urteiler viel Lobendes und Rühmendes
gesagt haben, nur das eine nicht, was aber fast
den Ausschlag gibt: daß diese Schrift, noch
beim Lesen mit schlechtem Licht, die Augen
schont. Das kalligraphische Element würde
für einen Maler vielleicht zur Gefahr werden,
wenn es nicht durch das Konstruktive , das
beim Entwerfen eines Druckbuchstabens die
schärfste Konzentration, das Gesetz des klein-
sten Kraftmaßes auferlegt, zu einer sehr männ-
lichen Eigenschaft würde. Und so, als Festig-
keit, Gedrungenheit, Prallheit, erkennen wir es
in der Schönheit bei Weiß. Sie ist spröde; sie
hat den natürlichen Adel, der es lieber verfehlt
und irre geht, als daß er sich durch eine
Emil Rudolf Weiß.
E. R. W-EISS. »HYACINTHEN« 1902.
elegante Unwahrhafligkeit, eine temperament-
volle Liederlichkeit oder sonstiges Obenhin
einschmeicheln möchte.
Nicht die Schönheit der Natur, selbst nicht
der Anschauung der Natur, sondern die Schön-
heit des Kunstwerks ist das Ziel. Ich habe
Weiß selbst diese Absichten öfters voll Eifer
und Leidenschaft auseinandersetzen hören;
er pflegt dabei mit Daumen und Zeigefinger
einen Millimeter Distanz zu greifen: „Diese
dünne Schicht auf der Leinwand ist unsere
Aufgabe viel wörtlicher, als man sich gewöhnlich
vorstellt; aus diesen Pasten von Farben, im
Laden zu kaufen, mögen sie von italienischer
Erde oder aus orientalischemKamelmist stammen,
eine neue Materie zu läutern, kostbarer als
Edelsteine, ohnegleichen in der ganzen Natur,
mit den Jahren zu immer tieferer Glut und
Ruhe zusammenwachsend, das ist's, was den
Maler macht!" Es war natürlich, daß er, von
einem solchen Ziel gelockt, weder vom naiv
naturabschildernden Naturalismus , noch vom
SAMMLG. BOCHTLINGK— K.\RLSRUHE.
Impressionismus seine befreiende, befestigende
Lehre empfing, sondern erst von Cezanne. In
seiner eigenen Seele aber, im wahren Innern,
nicht etwa am Himmel des europäischen Erfolges,
ist ihm dieser Stern aufgegangen; denn Schön-
heit lag in ihm, wie sehr er auch ein Sucher und
Versucher vieler Methoden war, als die Grund-
bedingung, als die Einheit seines künst-
lerischen Triebes.
Eine Zwischenbemerkung drängt sich mir
auf, die etwas lang geraten wird, die aber —
Umweg ist der beste Weg — zur Sache selbst
hinführt. Einige Berliner Kritiker seiner Aus-
stellung haben dem Künstler die Schönheit des
einzelnen Bildes anerkannt, haben ihm aber,
dem Sucher und Versucher, die Einheit der
künstlerischen Persönlichkeit bestritten. Es
will mir scheinen, daß ein Urteil dieser Art
über einen Lebenden und zumal über einen
jungen Lebenden — denn Weiß ist vierzig, und
in der Kunst können dreißig Jahre so gut einen
225
Eviil Rudolf Weiß.
PKOKESSOK EMU, KlIiOl.l' WEIS
Abschluß, wie fünfzig einen Anfang bedeuten
— daß ein solches Urteil über unsere Kompetenz
hinausgeht. Einheit liegt nach dem Gesetz
der Natur in jedem Menschen; aber freilich ist
sie erst vollendet, wenn sich seine Wimpern
für immer schließen. Wird sie nicht erkannt
und ist sie wirklich gar vorläufig nicht erkennbar,
so fehlt es am Subjekt, nicht am Objekt. Wo
sie aber, zur Freude und Bequemlichkeit des
»BLÜllENLiER BIRNBAUM" HAGEN I.W. laOG.
Subjekts, schnell und leicht erkennbar ist, dort
pflegt statt des seltenen Stils sein trübes Ge-
genspiel vorzuliegen; Manier. Ohnehin ist es
bedenklich und sollte nur mit schonender Vor-
sicht geübt werden, von der Persönlichkeit
eines Künstlers zu früh zu sprechen ; bedenklich
deshalb, weil man damit das künstlerische Inter-
esse auf das psychologische abwälzt , also auf
ein ungewisses, deutungsfähiges und unverant-
PROFESSOR E. R. WEISS. .KINDER-BILDNIS« BADEN-BADEN 1905.
Eviil Rudolf Weiß.
PROFESSOR EMIL RUDOLF WEISS.
wortliches Gebiet; — ein Verfahren, das in
dem Maße beliebt geworden ist, wie das gesell-
schaftliche Bedürfais, über die Kunst zu reden,
zugenommen hat. Denn was gehört sich eigent-
lich vor einem Bilde? Daß man schweigt, sieht
und sich freut; und selbst das Seelische sollte
erst aus dieser Freude, mittelbar und fast
unerwartet, hervorbrechen.
Wer redet, der redet eigentlich immer nur von
sich selbst; und damit ist er wie durch eine zwar
»ORANGEN UND CITRONEN» ROM IfOT
zarte , aber undurchdringliche Haut von den
Objekten geschieden. Wer diese Gefahr, diese
Bedingung, diesen allerparadoxesten Zustand
erkennt, vermag sich ihnen zu entwinden; wer
sie nicht einmal von ferne mahnen spürt, bleibt
gerade von der Kunst deshalb so tief getrennt,
weil sie und allein sie die Kraft des Menschen
ist, die Objekte rein zu sehen. Auch an ihnen,
den Objekten der Natur, ist etwas, und es ist
das fleilige an ihnen, was stumm bleiben, was
PROFESSOR E. R. WEISS. »BILDNIS EINES GELEHRTEN. HAGEN I. W I90G.
Emil Rudolf Weiß.
PROFESSOR E. R. WEISS.
nicht angeredet, sondern nur gesehen werden
will. Das Kunstwerk nimmt diese Abwehr der
Natur in sich auf; und der Betrachter, der das
fühlt, fühlt sich je nach seinem Temperament
dadurch in Verlegenheit gesetzt oder in seiner
Eitelkeit gekränkt und ruht nicht eher, als bis er
Mittel undWege gefunden hat, das Stumme reden
zu machen; da liegt es ihm denn am nächsten,
vom Werk auf die Persönlichkeit zu kommen.
Daß hierbei Gescheites und Bedeutendes zu
Tage gefördert werden kann, das zu leugnen
wäre sinnlos. Graf Schack war beinah blind
und brachte seine schönen Bilder auf Grund
eines offenbar rein psychologischen Vertrauens
zusammen. So wird auch einem Kritiker Seelen-
kunde das reine Kunstgefühl bereichern und
zum Teil ersetzen können. Abgeschlossene,
durch den Tod und durch die Vergangenheit
• SCH\VARZ\V.\LD« 191 1;
bestimmte Erscheinungen, vor allem die ganz
großen Meister, werden der psychologischen
Untersuchung einen großen Teil ihres wirkenden
Wertes offenbaren. Die Gefahr aber ist, daß
man nach Prinzipien, die dem Toten gemäß
sind, zu früh auch den Lebenden betrachtet;
wobei man oft genug vor sich selbst der Prüfung
entgeht, ob man zu dem Wesentlichen fähig
ist: zu sehen und sich zu freuen.
Wenn etwa von Weißens Bildern ein Kritiker
sagte: „Ja, jedes einzelne Stück ist schön; aber
zuviele Anregungen und Strömungen der Kunst,
darunter einander widersprechende, bestimmen
ihn; es fehlt die Einheit — ", so würde, wenn
wir den zweiten Teil des Urteils vorläufig gelten
ließen, im ersten noch genug enthalten sein,
was uns berechtigte, zu fragen: „Sind es schöne
Emil Rudolf Weiß.
PROFESSOR E. R. WEISS.
Dinge, warum freut ihr euch nicht ihrer? Und
glaubt ihr etwa, es sei ein leichtes und kleines
Ding, schöne Dinge herzustellen?" Ich wollte,
wir wären alle wieder imstande, uns zu jedem
schönen Ding mit offenen Sinnen, mit Freude
am Schmuck des Lebens heiter und gut zu
stellen, undüberließen es den seltenen, wägenden
und zusammenfassenden Augenblicken des Le-
bens, den letzten, immer schwermütigen
Sinn der Dinge zu erkennen. Es würden dann
sicherlich auch wieder mehr schöne Dinge ge-
macht werden, und wir kämen, statt in ein
sentimentales , endlich wieder in ein klassi-
sches Verhältnis zur Kunst überhaupt
xQUlTTEN-STlLLEBEN« 1911.
Daß aber Weiß diesen seinen Trieb zur
reinen Schönheit und Ruhe der Existenz nicht
als Erfüllung, sondern als Begrenzung und
Beengung fühlt und in widersprechenden Ver-
suchen dagegen ankämpft, das gereicht ihm
zum hohen Lob. Der Mensch muß überall die
ihm von der Natur mitgegebenen Güter noch
erst erwerben; er muß, wie der Ausdruck lautet,
zu sich kommen. Weiß war in der Tat vielen
Anregungen offen, er ist ein unermüdlicher Ler-
ner. Wie aber lernt ein Künstler? Immer tätig,
immer schaffend. Sobald er den objektiven
Wert einer Errungenschaft der ohne Pause rin-
genden Kunst erkennt, begnügt er sich nicht.
PROFESSOR E. R. WEISS. >BAUERNSTRAUSS. 1909.
E. R. WEISS. »NIKI« FRIEDENAU 1907. wallraf-rich.-mus. cöln.
Emil Rudolf Weiß.
ihn sich begrifflich zu eigen zu machen, sondern
er übt ihn; und das ist etwas ganz anderes als
ein unfreies Nachahmen. Das Wundervolle am
Schicksal des Künstlers ist es ja, daß ihm ein
glorreiches Ziel, ein Äußerstes, eine Vollendung
vorschwebt und daß trotzdem schon jeder
Schritt auf dem Wege eine Erfüllung ist.
Die Arbeit, die Weiß an sich und zuweilen
selbstquälerisch gegen sich tat, hatte zwei sich
gegenseitig bedingende Richtungen; sie galt
seinem Kolorit und galt dem Funktionellen des
Bildes, der Komposition.
Schon auf den frühen Bildern von Weiß
ist die Farbe von charakteristischer Reinheit
und Stille; aber sie ist dort tonlos; sie hat keine
Resonanz; sie wagt sich vor Sprödigkeit nicht
aus der Bildfläche hinaus. Mit allen Kräften
strebt er darum, sie locker, reich und tief zu
machen. Das ist gegen seine Natur nur in dem
preisenswertenSinn gehandelt, wieDemosthenes
an der brandenden Meeresküste seine schwache
Stimme zum Rednerorgan hinaufzwang. Blumen,
die reinsten Gotteszeugnisse der Farbe auf
dieser unreinen Erde, werden seine Meister;
Früchte, mit ihrer komplizierteren Farbstruktur
und dem getrübteren Hauch, helfen ihm zu einer
schwebenden Verteilung; und endlich wütet er
in einer fanatischen Aktmalerei gegen den letzten
Rest von unfruchtbarer Zurückhaltung in sich.
Schrittweise erreicht er, wonach es ihn lockt.
Anfänglich liegt auch über den im Einzelnen schon
befreiten Bildern noch ein Gesamtton von un-
frischem, salzlosem Blond; aber immer fester
wächst es zusammen und wird zum starken, er-
frischenden, beglückenden Klang. Man ver-
gleiche die Zitronen und den Kaktus von 1907
Emil Rudolf Weiß.
PROFESSOR E. R. WEISS.
etwa mit den Tulpen von 1915, und man wird
noch in der Reproduktion erkennen, daß sie sich
zu einander verhalten, wie ein zarter, gebrannter
Tonscherben zu einem Edelsteinkrystall. Vieles
Vergebliche, von ihm selbst rücksichtslos für
vergeblich Gehaltene ist auf diesem Weg, und
ganze Jahre hat er von der Leinwand gekratzt;
aber auch genug an Bleibendem wurde ihm
geschenkt, das dadurch, daß es überholt wurde,
nicht widerlegt ist. Welch eine Erquickung ist
zum Beispiel die Figur des liegenden jungen
Mädchens ! welche köstliche , künstlerische
Sinnlichkeit, nicht, weil der Ausdruck im Ge-
sicht oder die Haltung, die halbe Nacktheit
an Sinnliches der Natur erinnern, sondern
wegen der Zärtlichkeit, der Poesie des Pinsels!
— Die Befreiung zur Farbe hatte für Weiß außer
ITALIENISCHER BLUMEXSTRAUSS« 1S12.
ihrer eigenen Bedeutung noch die große Aufgabe,
das Problem der Komposition zumindest vorerst
zu klären. Unter jenen frühen, oben erwähnten
Bildern gab es solche, auf denen Menschen
unsrer Tage, Mann und Frau, in modernen
Kleidern, doch über das Realistische gesteigert,
in bedeutungsvoller Haltung, wie umfangen von
einem stummen, weiten Weltgefühl, gegeneinan-
der standen. Es war Symbolisches in diesen
Bildern, doch sie selbst waren kein Symbol; ein
Dichtergedanke außerhalb ihrer hatte ihnen
vorgewaltet, nicht ein Malergedanke in ihnen
sie organisiert. Weiß, der als einer der ersten
bei uns über Marees mit Enthusiasmus geschrie-
ben hat, erkannte den Mangel, und mit Strenge
entsagte er der dichterischen Lust zu gunsten
der malerischen Pflicht. Er entfernte aus seiner
PROFESSOR EMIL RUDOLF WEISS. .NIKIc BERLIN 1909.
Emil Rudolf Weiß.
PKOFESSUR K. R. WEIS
Komposition jede aus einer andern Sphäre stam-
mende Absicht. Er bevorzugte immer mehr die
einzelne, für sich geltende Gestalt. Seine Still-
leben sind keine Huldigung gegen die Natur,
sondern gegen die bildkomponierende Farbe.
Dabei aber fühlte er, daß ihm zu solcher Kom-
position vielleicht doch noch etwas Formales
fehle, ich möchte es das Funktionelle nennen,
und er suchte darnach. Man betrachte die, bei-
läufig, vifundervoll in tiefer, feuchter Frische
gemalte Kalla. Das Motiv: eine Blume in einer
Vase auf einem Tisch. Was tut nun der Tisch?
Er stößt mit seinem Winkel in das Bild hinein.
Zu dieser Gewaltsamkeit und Durchbrechung
des natürlichen Anblicks ist in dem Motiv kein
Grund. Wenn bei Cezanne ein Tisch zu klein
ist für das, was er trägt, seine Perspektive nicht
stimmt zu dem, was er trägt, so haben wir das
Gefühl einer so unbedingten, innerlich drang-
vollen Not und Notwendigkeit, daß wir, weit
davon entfernt, eine nicht erreichte Annäherung
XX. Januar 1917. 3
».SCHI AIK.NDI > MADCIUN« 1»HI.
an die Natur zu bemängeln, vielmehr den
Triumph der Kunst über die Natur und ihre
wahren Absichten bewundernd erkennen; es
wirkt wie die Engführung im Fugensatz.
Hier, wie gesagt, fehlt etwas bei Weiß; es
fehlt, — aber das heißt nicht, daß hier ein
Mangel ist. Das Innerste seiner Natur sucht
darnach nicht als nach seinem Ziel, sondern nur,
um nicht in einer zu frühen, zu bereitwilligen
Selbstbescheidung zu verflauen. Nicht Funk-
tion, sondern Ruhe ist das Element seines künst-
lerischen Weltsinns; und das Leben, das Ge-
heimnis der Ruhe heißt Schönheit. Schönheit,
von einer mannhaften Art, gibt er mit reichen
Händen, immer feuriger sich sammelnd, immer
fester sich gründend. Seine Blumen funkeln in
ihrem offenen, klaren Glanz; seine Menschen
sehen aus ihrer unantastbaren Existenz fast
kalt auf dich, so ruhevoll sind sie auf sich selbst
bezogen, sehr fern davon, dir zu Willen und
Gefallen zu sein; und wenn die Einsamkeit sie
Emil Rudolf Waß.
PROFESSOR E. R. WEISS.
übermannt, wird in sprödem Schmerz ihre
Seele rege, und ein Trauernder neigt seinen
Kopf auf den Arm ; keine ergreifendere, schlich-
tere Elegie auf die schwer lastende Zeit wurde
uns gemalt. —
Alle diese Bilder von Weiß, die Blumen, die
Früchte, die Landschaften, die Porträts — wie
unverwüstlich in Bürgergeistesfreiheit der Ge-
lehrte, wie amazonenhaft streng die Bilhauerin,
wie kinderernst Nikil — und selbst der an-
mutig-schwermütige Pierrot sind aus der Natur
direkt, ohne Umschweif, mit schaffendem Auge
herausgelesen. Zu mehr als Natur macht sie
die über alle Absichten siegende Lauterkeit
der Gesinnung, eine Idealität, die von den
Dingen nichts weiter will, als daß sie in einer At-
mosphäre von einigen Prozent mehr Sauerstoff,
als unserer irdischen, kraftvoll still aufglänzen!
»UORFSTRASSE IM KAISERSTUHL« 1911.
Überhaupt aber ist aller Kumt, allem Schönen,
aller geistigen Darstellung die Einfachheit, welche
ja auch der Wahrheit anzuhängen pflegt, ein wesent-
liches Gese^: wenigstens ist es immer gefährlich
sidi von ihr zu entfernen
Zum MaQstab eines Genies soll man nldit die
Fehler in seinen Produktionen, oder die sdiwächeren
seiner Werke nehmen, um es dann danadi tief zu
stellen; sondern blol! sein Vortrcfflidistes. Denn
audi im Intellektuellen klebt Sdiwadie und Verkehrt-
heit der mensdilidien Natur so fest an, dali selbst
der glänzendeste Geist nicht durchweg jederzeit von
ihnen frei ist
Was hingegen das Genie auszeichnet und daher
sein Malistab seyn sollte, ist die Höhe, zu der es
sich, als Zeit und Stimmung günstig waren, hat auf-
sdiwingen können, und weldie den gewöhnlidien
Talenten ewig uncrreidibar bleibt. Aiilmr Sdio|,euh.iiicr.
T» >• • ^ V't ^ ';_-gT-T--V
JTrgarrr«
1913
SÜQCLrTCG
SSAFT-3FH T TS
VON DER FARBE.
Die Natur gehört sich selbst an, Wesen dem
Wesen; der Mensch gehört ihr, sie dem
Menschen. Wer mit gestmden, offenen, freien
Sinnen sich hineinfühlt,übtseinRecht aus, ebenso
das frische Kind als der ernsteste Betrachter. . . .
Gegen die Reize der Farben, welche über
die ganze sichtbare Natur ausgebreitet sind,
werden nur wenig Menschen unempfindl ich
bleiben. Auch ohne Bezug auf Gestalt sind
diese Erscheinungen dem Auge gefällig und
machen an und für sich einen vergnügenden
Eindruck. Wir sehen das einfache Grün einer
frischgemähten Wiese mit Zufriedenheit, ob es
gleich nur eine unbedeutende Fläche ist, und
ein Wald thut in einiger Entfernung schon als
große einförmige Masse unserm Auge wohL . . .
Reizender als dieses allgemeine grüne Ge-
wand, in welches sich die ganze vegetabilische
Natur gewöhnlich kleidet, sind iene entschie-
denem Farben, womit sie sich in den Stunden
ihrer Hocfazeitfeier schmückt. Sie tritt ans ihrer
alltäglichen Gleichgültigkeit hervor und zeigt
endHch, was sie lange vorbereitet, unserm Auge.
246
PROFESSOR EMIL RUDOLF WEISS. .BOGENSCHÜTZEc 1915.
PROFESSOR EMIL RUDOLF WEISS. .TULPEN. iDi5
PROFESSOR EMIL RUDOLF WEISS. .STREIFENROSEN. 1916.
PROFESSOR EMIL RUDOLF WEISS-BERLLN. .KALLA. 191B.
PROFESSOR EMIL RUDOLF WEISS »BEGONIEN« 1914
Von der Farbe.
PKuFES;>oR EMIL RUDOLF WEISS.
Zwecke. Die Dauer künftiger Geschlechter
wird entschieden, und wir sehe in diesemn
Augenblicke die schönsten und muntersten
Blumen und Blüten
Wenn wir die Körper, aus denen die Welt
besteht, im Bezüge auf Farben betrachten, so
können wir leicht bemerken, daß diese zarten
Erscheinungen, die bei gewissen Veränderungen
des Körpers so leicht entstehen und verschwin-
den, nicht etwa zufällig sind, sondern von be-
ständigen Gesetzen abhangen. Gewisse Farben
sind gewissen Geschöpfen eigen, und jedeVer-
änderung der äußerlichen Erscheinung läßt uns
auf eine innere wesentliche Veränderung
schließen. Die Rose verbleicht, indem sie ver-
blüht, und die bunte Farbe des Waldes ver-
kündigt uns die rauhe Jahreszeit
Von diesen Erfahrungen geleitet, schließen
wir, daß es mit andern Wirkungen der Natur
ebenso beschaffen sei. Indem wir den Himmel
blau sehen, schreiben wir der Luft eine blaue
Eigenschaft zu und nehmen an, daß wir diese
»LlliK TRAUERNDE« UHJ
alsdann erst gewahr werden, wann wir eine
große Luftmasse vor uns haben. Wir erklären
auch die blaue Farbe der Berge auf dieseWeise,
ob wir gleich bei näherer Aufmerksamkeit leicht
bemerken, daß wir mit dieser Erklärung nicht
auslangen; denn wäre sie richtig, so müßten
die entferntesten Berge am dunkelblauesten
erscheinen, weil sich zwischen uns und ihnen
die größte Luftmasse befindet. Wir bemerken
aber gerade das Gegenteil; denn nur in einer
gewissen Entfernung erscheinen die Berge im
schönen hohen Blau, da die entferntere immer
heller werden und sich zuletzt ins Weißliche
verlieren
Die Farben sind Thaten des Lichts, Thaten
und Leiden. In diesem Sinne können wir von
denselben Aufschlüsse über das Licht erwarten.
Farben und Licht stehen zwar untereinander
in dem genausten Verhältnis, aber wir müssen
unsbeide als der ganzen Natur angehörig denken;
denn sie ist es ganz, die sich dadurch dem Sinne
des Auges besonders offenbaren will, goethe.
PROFESSOR JOZSEF PECSI-BUDAPEST. »BILDNIS-AUFNAHME.
UNTERHALTUNG ÜBER PHOTOGRAPHISCHE BILDER.
Wie ich in der Photographie aussehen
möchte? So, wie ich mich im Spiegel
sehe. Sieht man sich im Spiegel anders? Freilich.
Geben Sie acht, wenn eine Person sich in den
Schaufenstern betrachtet oder im Kaffee einem
Spiegel gegenüber sitzt und plötzlich hinein-
blickt. Wie groß die Veränderung ist, die vor-
geht. Sie korrigiert sich. Oft mit Erfolg. Es
kann eine Untugend werden, eine Afferei,
Spiegelnarrheit, immerhin. Eine Autosuggestion
findet stall. Ein Seelenvorgang. Der Spiegel
wirkt immer magisch, hypnotisch. Das Gesicht
tritt aus dem Alllag heraus, beseelt sich, nimmt
Bedeutung an, von innen her.
Wieso?
Ich erkläre es ja. Und nehme mich zum
Beispiel aus Höflichkeit gegen andere. Man
wird mir gestatten, daß ich von mir eine bes-
sere Meinung habe, als sie der bekrittelnde
Nachbar von mir hat. Ich habe von mir ein
inwendiges, psychologisch bedingtes Bild, wie
das Wort Ein-bild-ung ganz treffend sagt. Die
Eigenliebe tut das Nötige, das Selbst-Bewußt-
sein sorgt schon für eine möglichst schmeichel-
hafte Innenphotographie des lieben Ich. Ich
nenne dieses Ichporträt, die eine innere Vor-
stellung der höchsteigenen Person ist, das
Autopholo. Mein Seelenporträt, von nieman-
dem gesehen als von meinem inneren Auge, das
sozusagen wie ein geistiger photographischer
Apparat funktioniert und auf die ebenfalls
geistige Glasplatte des Ichbewußtseins diese
mehr oder weniger gottähnlichen Züge wirft,
„wie ich mich innerlich sehe". Gesehen mit
meiner psychischen Optik.
Aber der Teufel hat sein Spiel. Er hält mir
Ahnungslosen irgendwo auf der Straße plötz-
lich einen Spiegel entgegen, er fängt mein Bild
auf, stellt es mir in den Weg — ich kenne
meinen Doppelgänger im ersten Augenblick
nicht. Er ist mir fremd, unangenehm. Mein
leibliches Auge hat ihn photographiert, das
menschliche psychische Auge ist nämlich der
vollkommenste photographische Apparat, die
Materialisation des inneren, geistigen Auges.
Im nächsten Augenblick trifft der Erkenntnis-
strahl mein Ich- Bewußtsein. Wie bei einer
schlechten Momentaufnahme sagt man zuerst
instinktiv: das bin ich nicht! (Obzwar mans
ja doch ist, nur nicht ganz.) Der Teufel grinst
heimlich vor Vergnügen. Na wart. Du wirst
schon noch geprellt! In einem nicht mehr meß-
baren winzigen Zeitraum — der wahrscheinlich
ein Vacuum von Zeit vorstellt — vollzieht sich
ein Prozeß des Vergleichens mit diesem äußeren
Detektivbild und dem inwendigen Ichporträt
der Ein-bild-ung, dem Autopholo. Im nächsten
Augenblick betrachtet man sich schon mit Be-
wußtsein in diesem Teufelsspiegel. Mein
forschendes , kritisches Auge als phologra-
phischer Apparat fängt mil psychischer Optik
zu arbeiten an , weil es an dem Spiegelbild
interessiert ist. Die Relouche beginnt, sozu-
sagen. Man korrigiert sich. Nimmt Hallung
an, Pose. Es hat seine Richtigkeil damit, daß
die schwierigste aller Posen die Natürlichkeit
ist. Nun sieht man ganz anders drein. Geistig
belebt. Durch Willen erhöht. Das Ich-Bewußl-
sein hat soviel Ausdruck in diesen schlechten
äußeren Abklatsch der Natur hineingetragen,
daß er mehr und mehr dem Aulopholo, der
Ein-bild-ung, dem seelischen Innenporlrät ent-
spricht, ohne die äußere Spiegel wahrheit zu ver-
lieren. Ist es nicht so? Geben Sie nur einmal
auf sich acht, wenn Sie vor den Spiegel treten!
Trotzdem, ich bin auf Widerspruch gefaßt.
Er kommt von Frauen, nicht von allen; aber
von solchen, die den Puppenkopf des Hof-
photographen Heben und die Relouche, die der
Schminke gleicht, dagegen aber ihr Spiegel-
geheimnis für sich behalten wollen. Man sagt,
weil sie um jeden Preis jünger aussehen wollen
— ich weiß, meine Gnädige, das ist ein Kurz-
schluß. Sie möchten so vorteilhaft aussehen
als möglich, und das ist ein gutes Recht. Für
die Bildnisphotographie Pflicht. Es ist aber
die Frage, ob der Hofphotograph üblichen Stils
wirklich dieser Forderung entspricht. Ge-
schmackssache. Frauen lieben nicht harte
Psychologie , das sagt mir meine Erfahrung.
Die Kamera soll dem Anbeter gleichen , der
für die Fehler blind ist und alles schön findet.
Der Künstlerphotograph hingegen muß scharfer
Psychologe sein, wenn er die interessante Seite
der Kunst ergreifen will, die in der Charakte-
ristik liegt. Es ist ja die Regel, daß er Männer
besser trifft, als Frauen. Aber auch das ist
eine schiefe Wahrheit. Auf der Höhe des guten
Geschmacks sind wir alle einig in der Ver-
urteilung des süßlichen Puppenkopfes, nicht
wahr, meine Gnädige?
Und dann haben wir einen unfehlbaren Trost
in der Erkenntnis , daß ein Mensch ebenso-
wenig wie ein Bild so langweilig sein dürfte.
Unterhaltung über photogro pliische Bilder
keinen Fehler zu haben. Der Mensch muß es
im Leben wie im Bild so zu halten wissen, daß
man sich in seine Fehler verlieben könnte !
So also möchte ich in der Photographie aus-
sehen, wie ich mich im Spiegel sehe. Wie in
einem Selbslporträts. — Man sehe sich doch
die Selbslporträts der Künstler an! Das Selbst-
bildnis des Künstlerphotographen zeigt ihn so,
wie er sich sieht, im eigenen Spiegelbild. Die
Summe seines ganzen Bewußtseinsinhalts ist
eine subjektive Kunst, wie die Lyrik; etwas,
das dem Künstler meistens am ersten und am
besten gelingt. Die photographische Linse sieht
nur mit der mechanisch-physikalischen Optik
und enttäuscht darum so olt. Das Künstler-
auge sieht mit der psychischen Optik, indem
es verborgene Möglichkeiten wahrnimmt, die
aber nicht selten von der Kamera unterschlagen
werden. Man muß die Kamera überlisten. Sie
so in Einklang mit dem psychischen Auge
bringen , daß sie das Gewollte herausbringt.
Wie im Selbstporträt. Darum ist hier dem
Künstler das Problem immer neu , nicht nur
von seiner Kamera aus, sondern auch von der
Psyche seines Modells aus zu lösen. Er muß
sich in die Seele des Modells verwandeln
können, wieder epische und dramatische Dichter
in die Seele der handelnden Personen. Er
muß mich durch das Medium der Kamera so
zeigen können , wie ich mich selbst sehe in
meinem Spiegel. Dann sagt das Bild erst von
mir aus , von meinen inneren Ähnlichkeiten,
und ebensosehr von dem Künstler, von seinem
Genius. — Unsere persönliche Wirkung beruht
auf Suggestion. Wir treiben Magie, ohne es
zu wissen. Der Künstler weiß es. Schließlich
ist alle Kunst Magie. Er versucht es im Stil-
vollen, im Dekorativen, in den kunstgewerb-
lichen Imperativen seiner Zeit, er geht auf den
Spuren berühmter Porträtmaler, aber in allen
diesen Äußerlichkeiten liegt nicht das Wesent-
liche. Es liegt in den suggestiven Momenten.
Sie ruhen in der Persönlichkeit, in der Psyche,
oft in den sichtbaren „Fehlern", die unsere
besondere Art von Schönheit ausmachen
können, das Charakteristische, das „Interes-
sante". Nicht indem man sie verbirgt, diese
„Fehler", sondern künstlerisch betont, stiHsiert,
seelisch adelt. „Schön wird häßlich, häßlich
schön." Man fürchtet das Bedeutungslose wie
die Sünde. Wogegen man die Sünde liebt,
oder wenigstens so tut als ob , weil sie das
„Dämonische" ist, die beliebte Pose von heute.
Man wird Sphinx — wenn auch ohne Rätsel.
Oder Monna Lisa. Monna Vanna. Oder Me-
phisto, weil jeder ein wenig im Leib auch den
Teufel spürt, wenn auch nichts dahinter steckt
als ein kleiner Egoist mit Fettgesicht und all-
täglichen Lastern. Oder Snob, der immer ver-
kappter Philister ist. Aber die eigentliche Sünde
wider den Geist, die in der Kunst nie verziehen
wird, heißt Langeweile.
Unter der Herrschaft der Schablone und der
Methoden, wo selbst die Gedanken die Uniform
anlegen, flüchtet die Persönlichkeit in die Kunst,
in die Frauenmode, vor den Spiegel, in die
Künstlerphotographie, um sich selber Mut zu
machen und den Späteren zu zeigen, daß auch
wir Originalität und Phantasie gehabt haben,
die immer nur in der viel geschmähten, ver-
leugneten, kritisierten, gefürchteten, verhaßten,
vor allem aber unentbehrlichen, immer wieder
nachgeahmten Persönlichkeit liegen. Sie will
sich unterscheiden, wird erfinderisch, schöpfe-
risch und hat unbegrenzte Möglichkeiten, sich
zu offenbaren. Eine davon ist die Bildnis-
photographie joseph aug. lux.
Ä
VON DER FREIHEIT DES KÜNSTLERS.
Der Gewissenhafte wird Sklave des Scheins.
Je genauer er die Züge der Welt abzu-
lesen sich bestrebt, desto leerer und unver-
ständlicher werden sie ihm. Er wird zum Schüler,
der die Handschrift kopiert, die er noch nicht
entziffern darf. Da hilft kein Zorn, kein Eifer,
keine Verzweiflung. Und wenn du deine Hände
grausam drillst, bis sie jede Falte, jede Runzel
im Weltenantlitz aufspüren und „treffen", diese
Zeichen verraten dir nichts, sie werden dir
unter dem Griffel leer und häßlich — das Unver-
standene sklavisch nachahmen heißt stets fäl-
schen und verderben. Nur die freie Gestaltung
deutet richtig. Erkenntnisund Anschauung, viel-
leicht ein und dasselbe, nur in Freiheit möglich, j.
Ä
DUNKEL. ImDunkel schlummern die Gestal-
ten, ungeboren. Das Auge sucht, tastet die
Möglichkeiten ab. Lebendig ist das Dunkel trotz
alledem, strotzend voll von Bildern und Formen,
die wir nur ahnen. Da tanzen die Träume und
Gesichte, schemenhaft, Nichtse, Wünsche nur
nach Sein und Namen. Gott, welches Schwel-
gen in kühnsten Andeutungen, welche über-
quellende Fülle! Das Dunkel ist schwer und
reich und tausendmal fruchtbarer als das Licht.
Licht gebiert die Gestaltungen, es weckt zum
wirklichen Sein, aber es tötet zugleich alle die
andern Formkeime außer dem einen, den es
gelten läßt. Es scheucht die Träume und reißt
ihnen den dünnen Lebensfaden entzwei. Wie
geplatzte Seifenblasen fallen sie zusammen.
Wir können nicht leben ohne die Gewißheiten
des Lichts, aber es ist arm, wie Sehen ärmer
ist als Ahnen anton jaumann.
PROFESSOR JOZSEf PECSI-BUDAPEST. .BILDMIS-AUFNAHME.
PROFESSOR JOZSEB" PECSI- BUDAPEST. .BILDNIS-AUtNAHMEt
PROFESSOR JOZSEF PECSI-BUDAPEST. >KINDER-BILDNISf
l'ROl-ESSOR JOZSEF PECSI-BUDAPEST. .BILDNIS-AUFNAHME«
PROFESSOR JOZSEF PECSI— BUDAPEST.
»PHilTiiGR. mUJNIS-AUKNAHME«
HOFFNUNG AUF DIE DEUTSCHE KUNST.
VON DR. KURT GERSTENBERG.
Heute hat die Kunst Darstellungsmöglich-
keiten, auch wieder Bildgedanken auszu-
drücken. Es kommt nicht darauf an, den Reiz
der stofflichen Neuheit zu befriedigen, sondern
darauf, die Zeitinhalte auszuschöpfen. Niemals
gehen Krieg und Kunst zusammen.
Goethe wünscht in der Kampagne in Frank-
reich einen van der Meulen herbei, daß er den
Ruhm des Feldzugs im Bild überliefere. Gewiß
ein bescheidener Wunsch und geboren aus der
Anschauung eines Geschlechts, das sich in den
Befreiungskriegen zufrieden gab mit den land-
schaftlichen Schlachtenbildern eines Kobell und
Adam. Sie vergegenwärtigen nur eben die
Situation, was aber bringen sie von dem Gehalt
der Zeit ? Nirgends schlägt die Stimmung der
Stunde rein durch und zwingt die Herzen in
gleichen Takt. Der einzige Cornelius wäre
hierzu imstande gewesen, aber er lebte in
einer anderen Ideenwelt. Und doch ist in seinen
Linien die bittere Herbheit, in der etwas von
der ehernen Zeit mitklingt. Der Siegerstolz der
Florentiner aber, die in der Schlacht bei An-
ghiari 1440 die mailändischen Truppen unter
Piccinino aufs Haupt schlugen, hat sechs Jahr-
zehnte warten müssen, bis ihn Lionardo 1503
im Karton für alle Ewigkeit formte.
Niemals gehen Krieg und Kunst zusammen.
Heute heißt es sich besinnen auf die Urforderung
aller künstlerischen Gestaltung: das umgebende
Chaos in einen Kosmos zu verwandeln. Jagt
man den tausend Einzelfällen des äußeren Ge-
schehens nach, so verzettelt die Kraft. Wird aber
der Kern, die allgemeine Bedeutung, der Fall
schlechthin herausgeläutert , so strahlt die ge-
sammelte Klarheit weiter fort. Das ist die For-
derung einer Verinnerlichung des künstlerischen
Denkens. Es gilt, an den inneren Bildersinn
zu appellieren und heraufzubeschwören, was
auf dem dunklen Grunde der Seele ruht. Eine
neue Fülle in der Gedankenwelt quillt in un-
seren Tagen hervor, wo eben die ersten neuen
Hoffnung; auf die deutsche Kunst.
Formen gegossen wurden, die, weiter vollendet,
allein fähig sind, diese Fülle zu fassen. Die
neue Kunst war schon da, ehe der Krieg aus-
brach. Sie will auchinhalthchBedeutendes sagen,
und daran fehlte es ihr vor dem Erlebnis unserer
Tage. So zitterte und schwankte sie ahnungs-
voll dieser Weltumwälzung entgegen gleich dem
feinsten Seismographen. Aber in den Flammen
dieses Wellbrandes kamen viele um, die eine
Hoffnung waren. Weisgerber ist nicht mehr,
Marc ist gefallen. Aber wir hoffen auf die Jungen,
Unfertigen, noch Namenlosen. Alle verbindet
das gleiche Feldgeschrei: Mehr Ausdruck! Es
gehören schon bedeutende Köpfe dazu, die
großen Ideen, die unsere Zeit bewegen, im
Bilde zu gestalten. Der Expressionismus hat
die Ausdruckswerte der Farben und Formen
zu unerhörter Kraft gesteigert. Nur von dieser
Kunst können wir erhoffen, daß sie Verzweif-
lung und Begeisterung, Unmut und Tatendurst,
Trauer und Siegesjubel gestalten wird. Sie allein
wird für alle Gefühle, die in uns leben, Aus-
drucksfarben und Ausdrucksformen fmden.
Dann werden die Erlebnisse, die unsere Seele
all die Zeit bis ins tiefste aufwühlen, nicht mit
uns verklungen sein, sondern künftigen Ge-
schlechtern immer wieder ins Herz hämmern.
Der Expressionismus wagt es wieder, Gefühle
zu gestalten, Gedanken im Bilde zu geben. Das
wäre ein jämmerliches Geschlecht von Malern,
das heute keine Bildgedanken hätte ! Jahrelang
hocken wir in dem trüben Dunstkreis der Unter-
stände. Ein sparsames Dämmern umfängt uns,
an das sich das Auge immer erst wieder ge-
wöhnen muß beim Eintritt. Lichlfremd, grau
und düster glotzen uns Beton und Balken, Stein
und Schiene an. Wir wollen Farben sehen, wir
schreien nach Farben. Unser Ohr wird zer-
martert , täglich und nächtlich im rollenden
Wirbel des Feuers. Unser Auge sitzt gepeinigt
und starrt sich wund. Wir sagen uns; jetzt
muß der Sommer sein, jetzt leuchtet die Welt
in Farben. Wo ist das Grün unserer Wälder?
Unser Berg ist ein grauer Leicham und die
Nachbarberge, über die die Stellungen hinweg-
klettern, liegen da wie tote, gerupfte Vögel. Die
wüsten Schwärme der Geschosse zerfraßen die
farbige Schale unseres Berges. Wer gestaltet
die herbe Zucht und den Harm unseres Da-
seins? Wer predigt mit gewaltiger Stimme das
Wellfreudlose unseres klösterlichen Wartens
im Schützengraben? Manche Tage, manche
Wochen leben wir nicht anders wie die Ein-
siedler auf dem Fresko im Pisaner Camposanto.
Der Kampf unserer Tage ist der Kampf mit der
Handgranate. Es gibt nichts prächtigeres als
diese im Abziehen der Sicherung und im Werfen
der Granate bewegten Männergestalten. Ihr
Bildhauer, das sind unsere Diskuswerfer! Nie
sah ich einen geschmeidigeren Rhythmus ab-
laufen als den einer Gruppe solcher Handgra-
natenwerfer zwischen zwei Schulterwehren. Wir
wollen nicht mehr eine illusionistische Schein-
welt in vielfältig gebrochenen Tönen und tau-
sendfach verfetzten Farben sehen. Wir wollen
die gesammelte Ruhe und Kraft, wir wollen die
Macht der Farbe in großen Flächen und die
Biegsamkeit rhythmischer Linien. Das wird
der Stil sein, der unserem kampferprobten Ge-
schlecht zukommt.
Wann werden die Baumeister aufhören, nach
menschlichen Maßen zu bauen? Sahen wir
nicht, wie der Mensch das erbärmhchste, zer-
brechlichste Maß ist? Nur eine Baukunst, ge-
waltig in den Abmessungen, frei von kleinlicher
Schmuckform kann uns genügen. Kein Ge-
schlecht kann sich mehr gesehnt haben nach
dem freien Schreiten unter sich dehnenden
Wandelgängen als das unsrige, das den krummen
Rücken jahrelang durch die Enge des Schützen-
grabens schob. Unser Geschlecht erträgt den
bedrückten Dunstraum enger Unterstände in
der Hoffnung, die stolze Siegerkraft in der
Weite hallender Säle ausjubeln zu können.
Königlich stolz müssen die Hallen des Friedens
sich wölben, zu denen wir durch steilragende
Tore schreiten. In starrer steifnackiger Wucht
kyklopischerMauern türmen sich künftige Denk-
mäler zum Himmel. Unser Bauen wird Kraft
und Form aus dem völkerumspannenden Bau-
stil empfangen, der unaulhaltsam zur Entfaltung
drängt und für den die Bedingungen in der Ent-
wicklung der Großstädte gegeben sind.
Und wenn die Ströme unserer Volkskraft
wieder in das alte Bett friedlichen Wettbewerbs
einbrausen, und die Teilnahme an öffentlichen
Geschehnissen lebendiger bleibt als sie früher
war, so braucht sich nicht Furcht einzuschleichen,
daß die Kunst in diesen Strudel hineingerissen
wurde. Das Ungeheure dieses unseres Daseins-
kampfes läßt sich nur vergleichen mit dem
Standhalten der Griechen gegen den Ansturm
der Persermacht. Und damals entstand das
stille Reich der Kunst neben der erstaunlichsten
politischen Bewegtheit. So hoffen wir auf die
neue deutsche Kunst. Vielleicht hatte uns da-
mals im Sommer 1914 die Schwungkraft unsrer
Seele hochgetragen, daß wir nahe und deutlich
wie ein Land der Verheißung diese neue deutsche
Kunst erschauten. Heute, wo wir lange schon
wieder auf den Boden gestoßen sind und uns
hart um jeden Schritt mühen, sehen wir nur
alles in der Brache. Aber sollen wir nicht
hoffen auf die deutsche Kunst?
PROFESSOR JOZSEF PECSI-BUDAPEST. .BILDNIS-AUFNAHME.
KUNSTGEWERBESCHULE— BUDAPEST.
»SCHRIFTFELD UND UMRAHMUNG«
VOM WESEN DES KITSCHES.
In den ersten Kriegsmonaten traf man überall
auf Zeitungsaufsätze mit Überschriften wie
„Der Krieg und die Kunst" oder dergleichen, da-
rinnen mehr oder minder pathetische Betrach-
tungen angestellt wurden, wie von der großen
Welle der Kriegsbegeisterung recht viele be-
fruchtende Gewässer auf die stillen Gefilde der
Kunst übergeleitet werden könnten. Ange-
sichts der großen Ungewißheit des Krieges
waren solche Betrachtungen, die vornehmlich
aus einem Bedürfnis geistiger Selbstbehauptung
entsprungen waren, sicherlich berechtigt. Je
mehr sich der Krieg aus etwas unbekanntem
Kommenden zu etwas nur zu bekanntem
Gegenwärtigen ausgewachsen hat, ist es mit
solchen programmatischen Verkündigungen stil-
ler geworden. Wir wissen jetzt, daß der Schüt-
zengraben nicht der Ort ist, wo neue Formen
gefunden werden. Was an Leistungen der
Kriegsmaler usw. bekannt geworden ist, erhebt
sich nicht über das Niveau darstellender Jour-
nalistik. Dabei erlebt man immer wieder die
Bestätigung, daß dieser Krieg merkwürdig un-
bildhaft ist. Aber das Phänomen, daß dieser
Krieg, so sehr er uns ergreift, künstlerisch doch
merkwürdig ertraglos ist, beschränkt sich nicht
auf das bildnerische Ausdrucksgebiet. So un-
geheuer viel Kriegslyrik produziert worden ist,
so ist doch kein Gesang vernommen worden
von der packenden Gewalt etwa auch nur der
„Wacht am Rhein" oder des „König Wilhelm
saß ganz heiter". Von der dramatischen Dich-
tung ganz zu schweigen. Alle diese Erschei-
nungen haben wieder ihre tieferen Gründe,
und man sollte über diese Dinge nicht schelten
und vorschnell auf eine Unfähigkeit unserer
Künstler zurückschließen, unserer Zeit ihren
Ausdruck zu geben. Ganz im Gegenteil spricht
es in unseren Augen für unsere Kunst, daß
sie, nach einem Augenblick des Atemanhaltens,
zu ihren früheren Aufgaben zurückgekehrt ist
und ihre Arbeit dort fortsetzt, wo sie vor dem
Kriege stand. Denn in der Kunst wird nichts
geschenkt, und jede Entwicklung muß Schritt
für Schritt erarbeitet werden. Wenn aus dem
ungeheueren Erleben dieses Krieges wirklich
267
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KUNSTGE\\'ERBESCHULr. BrnAPEST.
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C
Vom JJ'esen (/es Kitsches.
ARBEITEN DER KUNSTGEWERBESCHULE— BUDAPEST. «MODELLE FÜR DIE AUSGESTALTUNG VON DACUKANDELN.
ein Gewinn für die Kunst abfällt, so könnte er
nur in einer veränderten Gesinnung, in einer
Veränderung der ganzen geistigen Atmosphäre
bestehen. Der Ausdruck einer solchen Ver-
änderung könnte nur nach und nach in die Er-
scheinung treten.
Während so die echte Kunst zu einer wohl-
berechtigten Reserve gegenüber den Kriegs-
dingen zurückgekehrt ist, hat sich als ein Aus-
druck der Stimmung des Tages der Hurrakitsch
breit gemacht. Gegen dieses Zeitprodukt ist
oft und energisch gepredigt worden, aber mit
dem Predigen ist dieser Kitsch noch nicht aus
der Welt geschafft. Wir meinen, zur Erkennt-
nis der künstlerischen und gewerblichen Lage
unserer Zeit muß es lehrreich sein , diesen
Dingen ohne Aufregung ins Gesicht zu sehen
und sich klar zu werden, was eigentlich in dieser
ICitschfabrikation in die Erscheinung tritt.
Zunächst lehrt die Existenz des Hurrakitsches
einmal, daß wir lange noch nicht soweit ge-
kommen sind, als wir dachten. Vor dem Kriege
machte sich sicherlich eine Hebung der Ge-
schmacksansprüche im Bilde des allgemeinen
Lebens bemerkbar. Die Fabrikanten überboten
sich an Eleganz ihrer Erzeugnisse oder doch
mindestens deren dekorativer Verpackung. Die
Veränderung im Straßenbilde, wie das Deutsch-
land der letzten Jahre „elegant" geworden sei,
ist oft genug beschrieben worden, und viele
glaubten, daß damit auch eine wirkliche Hebung
des Geschmacksniveaus erreicht sei. Der Hurra-
kitsch lehrt, wie vorschnell dieser Glaube war.
Gewiß ist das Pubhkum für Augendinge emp-
fänglicher geworden, aber es ist darum nicht
urteilsfähiger geworden. Die moderne kunstge-
werbliche Bewegung hat gesiegt, aber unter-
scheiden können nach wie vor nur die Wenigen.
Der Krieg mit seiner Unterbrechung aller Dinge
war gewissermaßen eine Belastungsprobe dafür,
bis in welche Tiefen die moderne Bewegung ge-
drungen sei und verändernd gewirkt habe. Der
Hurrakitsch ist die Antwort. Sie besagt, daß
alle Arbeit noch zu tun ist. Das große Publikum,
aber auch das Gros der Fabrikanten, hat von
der Bewegung nur die Außenseite erfaßt. Man
hat sich die Mittel des neuen Kunstgewerbes
angeeignet, und gewiß sind die Eisernen Kreuze
und Vivatbänder zumeist energischer und far-
biger ausgefallen, als sie vermutlich gezeichnet
worden wären, wenn der Krieg vor zwanzig
Jahren gewesen wäre. Aber man benutzt diese
Mittel sofort, um Kitschinhalte zu verwirklichen,
sobald dies einträglich erscheint. Auch das
simpelste Fabrikantengemüt hatte sich in den
Schlagworten von „Unterordnung unter den
Gebrauchszweck" und „Materialgerechtheit"
wenigstens eine Ahnung von den modernen
Bestrebungen angeeignet. Aber da die Waffen
die Stunde regierten, trat eben an Stelle der
„Tangokultur" mit ihrer Scheineleganz — der
Hurrakitsch mit seinem Scheinpatriotismus. —
Und erst dann werden wir den Hurrakitsch
verstehen, wenn wir seinem eigenen Wesen
und Wollen nachgehen. Dazu müssen wir für
einen Augenblick analysieren, wie Kitsch zu
stände kommt. — Wenn jemand ein Behältnis
haben will, darin er einer Dame Bonbons
überbringen möchte, so kann dieses Gefäß
durch die Vornehmheit seiner Form und durch
die Schönheit des Materials ausgezeichnet sein.
Es kann auch gern einen ornamentalen Schmuck
haben, welcher auf die Süßigkeit des Inhaltes
oder auf die Zärtlichkeit, die in der Spende
gelegen ist, gefällig hinweist. Mit diesen natür-
lichen Qualitäten, wie man das Gefäß ausstatten
kann, gibt sich der Hurrakitsch nicht zufrieden.
Er verleiht ihm eine Form, die weder dem
Inhalt noch der Empfängerin gemäß ist, bei-
spielsweise die Form eines Stabes, wie er
einem Feldherrn als Zeichen der Marschall-
würde verliehen wird. Hier sind wir an der
Entstehungsstelle des Kitsches angelangt. Der
Kitsch arbeitet so, daß er unsachgemäße Re-
miniszenzen herbeizieht. Darum hat auch aller
Kitsch solch eine fatale Nähe zum „Sinnigen".
Vo7n Wese?i des Kitsches.
KUNSTGEWERBE-
SCHULE -BUDAPEST.
VERSCHIEDENE
METALL-GEFÄSSE.
Er kann die schöne Gestal-
tung eines Gegenstandes nicht
leisten; darum zieht er un-
sachliche Dinge heran und
schmückt nun, in friedlichen
Zeiten mit Täubchen und
Herzchen , in kriegerischen
mit Kreuzen und Granaten.
— Wie aber ist es möglich,
daß ein gesunder Mensch an
solchen Greueln Freude hat?
Denn das ist ja nun erst das
wirklich Rätselhafte: solche
Sachen werden nicht nur
fabriziert und gekauft, son-
dern f inden m e h r Abnehmer,
als wirklich schöne Formen.
Die Freude an solchen unsach-
gemäßen Reminiszenzen ist
nur so zu verstehen, daß die
Freude an den unmittelbaren
sinnenfälligen Qualitäten der
Schönheit verkümmert und ver-
bildet ist. Denn der besondere
Reiz einer wohlproportionierten
Form, eines edlen Materials, so
offen er zu liegen scheint, er-
schließt sich erst im liebenden
Erfassen. Man muß Liebe zu
schönenDingen haben, wenn man
ihrer Reize teilhaftig werdenwill.
DerKitsch dagegen braucht keine
Liebe, er wendet sich mit seinen
Reminiszenzen an den Intellekt.
Wenn jene Form der Bonbon-
niere als Märschallstab einmal
gefunden ist, so ist es dem Geist
des Kitsches ganz gleichgültig,
wie diese Form ausgeführt wird,
sondern er begibt sich sofort
auf die Suche nach einer neuen
„Idee". . . DR. KUNO MITTENZVVEV.
MhlAI.I.-AKl'.lUil'.X. KM WuRi'KX U. AUSGEl' . IX DKR KUNSl GKWKKBKSCllULE-BUDAPEST.
/a^*<^
PROF. PAUL RÜSSLER. WANDMALEREI .CHRISTUS ALS GÄRTNER.
l'KOFESSOR
PAUL RÖSSLER.
GLASMALEREI
»GEISSELUNG«
NEUE GLASMALEREIEN VON PROF. PAUL RÖSSLER.
Die Glasmalerei ist auf dem Wege eine ganz
große Kunst zu werden. Man war schon
erstaunt über die endlose Reihe von malerischen
Effekten, die sich aus der Verbindung von Glas,
Farbe und Blei ergaben. Der steigerte die zeich-
nerische Wirkung der Konturen, ein anderer
operiert vornehmlich mit der Glut der farbigen
Gläser. Man entdeckte aufs neue den mysti-
schen Zauber des Schwarzlots, das in den ver-
schiedensten Graden der Düsterkeit oder Auf-
lösung aufgetragen, das Licht bald verschlang,
bald desto heller erstrahlen ließ. Im Grunde
waren das technische oder artistische Reize,
an denen das oberflächlich erregte Auge sich
gewiß bald satt gesehen hätte.
Es ist ein großes Glück, daß die Entwicklung
der Glasmalerei jetzt doch eine neue Bahn ein-
schlägt, daß man von artistischen Experimenten
den Weg zu finden scheint zu einer starken,
hohen, monumentalen Glaskunst,
Rössler hat sich dieser neuen Richtung monu-
mentaler Glasmalerei, die darum die technischen
Errungenschaften nicht vernachlässigt, mit aller
Energie angeschlossen. Seine an vielen be-
deutenden Aufgaben bewährte Erfahrung kommt
ihm dabei in hohem Maße zu gute. So schafft
er denn Kartons, die, obwohl sie offenbar noch
nicht das Reifste darstellen, was ihm erreichbar
ist, doch wenig Rivalen inbezug auf Größe der
Auffassung, Wucht der Gestaltung und zeich-
nerische Darstellungskunst haben. Was irgend
an monumentaler Bedeutsamkeit die Glas-
malerei geben kann, ist hier mit sicherer Hand
herausgeholt. Solcher Faltenwurf ist nicht mehr
XX. Jaau«r 1917. 5
Neue Glasmalereien V07i Prof. Paul Rößler.
effektvoll, nicht theatralisch, es liegt tatsäch-
lich Wucht und Größe drin in diesem „Wurf".
Am stärksten wirkt der Ecce-Homo, in dem Auf-
fassung und Technik in eins zusammenfließen,
um ein Bild monumentaler Tragik zu schaffen.
Kämpfe von grellem Licht und tiefster Nacht
zucken in heftigen Gewittern über die Fläche.
Das spezifische Helldunkel der Glasmalerei ist
damit zu äußerster Wirkung gesteigert. Was
sind diese Glieder und Muskeln anderes als
beißkalte Ströme von Leid, peinvolles Erstarren
und Zerreißen? Gleich grimmen Lanzen schnei-
den die schwarzen Bleiruten in den Fluß der
Figuren. Berge und Schluchten meint das Auge
zu sehen, nicht kleine Menschen, ein Geschehen,
das Welten mitreißt, ein Leid, das in die Un-
endlichkeiten hineinschreit. Hat das Glas zu
solcher Größe erzogen, oder hat die innere
Erhebung des Künstlers die Technik mitge-
rissen? Beide, die Glasmalerei wie der Künst-
ler, werden sich gegenseitig für solche Werke
Dank schulden anton jaumann.
ZUM 100. TODESTAGE VON JOHANN FRIEDRICH STAEDEL.
Im hohen Alter von mehr als 88 Jahren starb
am 2. Dezember 1816 der Bankherr Johann
Friedrich Stadel zu Frankfurt a. M. und damit
trat das von ihm seiner Vaterstadt gestiftete
„Städelsche Kunst-Institut" ins Leben, dessen
erste Ideen bis zum Jahre 1793 zurückzuver-
folgen sind. Dem größeren Kreis der Kunst-
freunde brauche ich die Bedeutung der Kunst-
schätze, die seit 1878 am Schaumainkai unter-
gebracht sind, wohl nicht besonders zu betonen.
Die Geschichte der Sammlung ist ebenfalls in
ihren Umrissen bekannt und außerdem in jedem
Gemäldeverzeichnis zu finden. Es soll hier mehr
der Geist der Stiftung betont werden, der vom
Stiftungsbrief ausgehend in allen Zeiten bei der
Leitung der Sammlungen den Ausschlag ge-
geben hat und auch noch weiter fortwirken wird.
Stadel besaß eine Sammlung von Gemälden,
Zeichnungen, Kupferstichen und Kunstbüchern.
Hierzu bestimmte nun Stadel mit weitblicken-
der Selbstlosigkeit, daß es den Administratoren
freistehe, unter den von ihm hinterlassenen
Kunstsachen auszuschließen, was nicht würdig
befunden würde, bedingte sich aber dieselbe
strenge Prüfung bei Schenkungen aus, mit der
Mahnung an die Mitbürger, sich durch eine
Abweisung nicht beleidigt zu fühlen, „massen
ich in Ansehung meiner eigenen Sammlung nem-
liche vorsichtige Auswahl verordnet habe" . Wie
segensreich diese Anordnung war, lehrt uns ein
Gang durch das Sammlungsgebäude und ein
Vergleich mit anderen, meist städtischen, Ga-
lerien, die sich genötigt fühlen, jedes von einem
geehrten Mitbürger gestiftete Gemälde , das
dieser meist nicht mehr ansehen konnte, oder
das ihm im Weg hing, vorzuführen. Es ist sehr
leicht, Galerien aufzuzählen, die die Frankfurter
Sammlung an Zahl der Werke übertreffen, es
sind aber deren wenige, die sie in der vorsich-
tigen Auswahl des Gezeigten auch nur erreichen.
Die Sichtung der Gemälde aus der Hinter-
lassenschaft des Stifters führte im Laufe der
Jahrzehnte dazu, daß von seinen 495 Ölge-
mälden nur 130 der Aufbewahrung würdig be-
funden wurden; sie illustrieren heute die Kunst
von Malern zweiten und dritten Ranges, doch
befinden sich darunter auch einige Schöpfungen
großer Meister, wie die Bildnisse eines Ehe-
paares von Franz Hals und der Reiter in weißem
Wams von Thomas de Keijser. Die übrigen
Gemälde wurden durch Tausch und in Ver-
steigerungen abgestoßen.
Daß der Stifter Vorkehrung getroffen, daß
das „Kunstinstitut" für sich bestehe und mit
keinem andern verbunden werde, ist selbst-
verständlich, wurde aber vor mehreren Jahren,
als die Stadt Frankfurt sich, vornehmlich durch
das reiche Pfungst'sche Vermächtnis, veranlaßt
sah, die Kunstpflege in den Kreis ihier Tätig-
keit zu ziehen, als großes Hemmnis der Ver-
einigung unter einer Leitung und unter einem
Dache empfunden und gab zu langen Verhand-
lungen Anlaß. Aber auch hier bot abermals
der hohe Sinn des Stifters den gesuchten Aus-
weg. Der prächtige § 7 sei hier mitgeteilt: „Da
ich mein ganzes Vertrauen in die Einsicht und
Rechtschaffenheit der von mir ernannten Ad-
ministratoren setze, und es weder räthlich noch
nützlich ist alle künftigen Einrichtungen im
Voraus durch Instruktionen zu bestimmen; so
genügt es mir, den Geist und die Absicht meines
Instituts in diesem Vorstehenden sattsam aus-
gedrückt, und den Herren Vorstehern alle unbe-
schränkte Macht und Gewalt zur Erreichung
meiner wohlgemeinten Intention erteilt zu
haben". Es wurden dadurch alle Bedenken
überwunden und das Ergebnis ist die Inangriff-
nahme eines umfangreichen Anbaues an die
schon lange überfüllten Räume des Sammlungs-
gebäudes. — Das Städelsche Kunst-Institut ist
Gemeingut der ganzen Kulturwelt, möge es
auch fernerhin segensreich wirken und im Geiste
seines hochsinnigen Stifters zu immer größerer
Vollkommenheit geführt werden, kudolf schrev.
PROFESSOR
PAUL RÖSSLER.
GLASMALEREI
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PAUL RÖSSLER. GLASMALEREI .BARMHERZIGER SAMARITER.
PROF. PAUL RÖSSLER. GLASMALEREI »UNGLÄUBIGER THOMAS«
W. HABICHT-
IlARMSTAÜT
»BILDNIS-
BÜSTE«
Von Anfang an erstrebt die Kunst den Rulie-
punkt zwischen Teufelischem und Engel-
ischem, zwischen heftig Persönlichem (das im
Übermaß seiner Attribute sich ins Chaotische
verliert) und klassisch Unpersönlichem (das
durch Abstreifung aller Attribute in der Voll-
kommenheit des Nicht-seienden anlangt) —
zwischen Energie und Ruhe. Den Punkt, den
sie dabei festzuhalten strebte, nannte man —
auch Kant schlug sich mit der Nomenklatur
herum — das Schöne, oder auch die Harmonie.
Eine ZeillanjS — dann kam man davon ab, was
übrigens an der Sache nichts änderte. Gefühls-
werte scheeren sich den Teufel um Definitionen.
Nach wie vor sitzt die Kunst auf den
Schenkeln des Wagebalkens, der diese beiden
Begriffe verbindet, bemüht, dem Angelpunkt
der inneren Gesetzmäßigkeit nahezukommen
und nicht allzuweit ins Chaotische einerseits,
ins Wesenlose andererseits hinab- oder hinaus-
zurutschen. — Die Lage dieses Angelpunkts
ist im Gefühl. Das absolute Gefühl dafür ist
? W. HABICHT-
DARMSTADT.
»BILDNIS-
MASKE«
aber ebenso selten zu finden, wie etwa das
absolute Gehör in der Musik.
Dies absolute Gefühl für die innere Gesetz-
mäßigkeit der Dinge erscheint mir das Wesent-
liche in Habichts Kunst. Seine Arbeiten be-
ruhen darauf in wohltuender Balanziertheit.
Augenblicklich begrenzt er die innere Bewegung
der Materie durch Flächen und Kanten. Gleich-
sam als herbe Hülle für ihre intensive Ausge-
glichenheit, die durch diese Begrenzung leuchtet,
wie die Flamme durch die geschliffenen Fas-
setten einer Ampel. Doch schon ist ihm diese
Ausdrucksweise (zu der der hier wiederge-
gebene Kopf und die Maske gehören), Über-
gangsphase zu tieferem Sich-finden. In den
Werken, die Habicht uns in der unmittelbaren
Zukunft schenkt, strebt die Idee, nackt und
mit knappsten Mitteln ihrem Scheitelpunkt zu
— das Unwesentliche, fast wesenlos geworden,
an die Peripherie verbannt, übt seine beschei-
denen Funktionen aus, dient ihr, wie der Sockel
der Bildsäule dient
L. M. SCHULTHEIS.
279
] 2
XX. Januar 1917. i
~'5r^^:
'^v^'J7y^.:^v^^: =5^5
?^3!|F?~.:t^
LUCIAN BERNHARD-BERLIN. .SCHRANK IN VORST. SCHLAFZIMMER.
283
GUSTAV WUNDEKWALD. BLIl.N
Mu/ARl »HOCHZEIT DES FIGAROa GARTENSAAL.
BÜHNEN-ENTWÜRFE VON GUSTAV WUNDERVVALD.
Seit etwa anderthalb Jahrzehnten sind Malerei
und Theater eng verbunden. Aus dieser
Ehe ist manches Erfreuliche gewachsen, beide
Teile, besonders aber das Theater, haben pro-
fitiert und sind befruchtet worden. Die male-
rische Bewegung auf der Bühne, die in den
ersten Jahren ein wenig zu weit um sich ge-
griffen und öfter die Bedingungen der Szene
mit den Bedingungen des Bildes verwechselt
halte, setzte sich bald selber Ufer. Man lernte
schnell erkennen, daß das Bühnenbild eine be-
sondere Konzentration verlangt, daß der wirk-
liche Raum, in dem der Theaterkünstler schafft,
anders zu behandeln ist, als der imaginäre Raum
des Malers, daß hier alles viel stärker zur stren-
geren Form drängt, das größere Format seine
eigenen Gesetze hat und — das Wichtigste! —
das Bild etwas Fertiges und in sich Vollkom-
menes darstellt, während das Bühnenbild seine
Vollendung erst durch die sich in ihm bewegen-
den Menschen erhält (deren Gestalt, Kostüm,
Bewegung in jedem Augenblick zu seinen Kon-
turen, Farben, Beleuchtungen in einem be-
stimmten Verhältnis stehen muß), und dies so
entstandene Gesamtbild nur ein Teil desTheater-
kunslwerkes, des Ganzen wegen geschaffen und
daher auch vom Ganzen abhängig ist.
Sehr deutlich lassen sich in der Entwicklungs-
linie, die den Weg der Theatermalerei in den
letzten Zeitabläufen bezeichnet, zwei Abschnitte
und Wegbiegungen erkennen. Der erste dieser
Wendepunkte wurde erreicht, als man, ich
möchte sagen aus der Arbeit heraus, jene oben
kurz skizzierten besonderen Gesetze der Büh-
nenmalerei fand und sich eine ganze Anzahl
von Malern, die es anfangs dorthin gezogen
halte, vom Theater wieder abwandte, weil sie
fühlten, daß sie künstlerisch doch an eine andere
Stelle gehörten. Am zweiten Wendepunkt aber
■war man angekommen, als es klar wurde, daß
auf dem Theater — seinem ganzen Wesen
nach — jeder Naturalismus des Bildes, ja jeder
Realismus gegebenenfalls zurücktreten müsse
hinter einer starken, sinnfälligen und nach Mög-
lichkeit einfachen symbolischen Gestaltung.
Eines der kräftigsten und eigenartigsten Talente,
zu HEBBEL »HERODES UND MARIAMNEt DAS FEST.
GUSTAV WUNDERWALD. BUHNEN-ENTWURF ZU TSCHAIKOWSKI »EUGEN ONEGIN« »FRÜHLINGSTAG«
Bühyieyi-Enhvürle z'on Gustaz' ^Vundenvald.
GUSTAV WL'XDERWALD. BUHNE.V-ENTWTJRJ-.
das diese letzte Entwicklungsperiode zum Vor-
schein gebracht hat, gehört dem Rheinländer
Gustav Wunderwald.
Was an Wunderwald besonders auffällt, ist
seine Vielseitigkeit als Bühnenmaler, der unbe-
dingt sichere Instinkt, mit dem er auf alles
Dramatische antwortet. Walser, Roller, Orlik
haben ihre besondere Note, dem einen liegt
das Lyrische, dem andern das Monumentale,
dem Dritten das Farbig-Phantastische am näch-
sten; Wunderwald ist vielseitiger, hat das Zar-
teste ebenso wie das Härteste, scheint sich in
einem Frühlingstag im „Eugen Onegin" ebenso
ganz zu geben wie in einem düsteren, auf wenige
Linien gestellten Donaubild in den „Nibelun-
gen", in der Spelunkenatmosphäre des Kellers,
in dem er die Libertinerszene der „Räuber"
sich abspielen läßt, wie in der Heiterkeit von
Mozarts Rokokowelt. Er trifft die seltsame
Schattenstimmung, die das Herodesfest bei
Hebbel hat, gibt dem Sommernachtstraumwald
eine ganz unwirkliche Märchenphantastik und
schafft der „Penthesilea", aus dem innersten
Stil des Werkes heraus, einen völlig unrealisti-
schen Rahmen: Licht fällt von oben auf weißes
oL-\- Du.NAU-UFEK.
Urgestein, während ringsumher wie ein Mantel
schwärzestes Dunkel liegt; aus diesem Dunkel
treten die Gestalten in den Lichtkreis, handeln,
und treten, wenn sie ihre Taten vollbracht haben,
wieder in die Finsternis zurück. —
Wunderwald ist immer ein Einsamer, Eige-
ner, auf sich Gestellter gewesen, dem nie das
Glück vergönnt war, auf einer der zwei, drei
ganz großen Bühnen Deutschlands mit seiner
eigen Arbeit zu wachsen, dem nie die reiche
innere Förderung zuteil wurde, die Roller durch
Mahler, Stern durch Reinhardt empfing. Trotz-
dem — oder vielleicht gerade deswegen — hat
erin seinen Entwürfen für die Szene das Höchste
offenbart, was ein Bühnenmaler überhaupt zu
geben imstande ist: ins Bildhafte, in Form,
Farbe und Atmosphäre, umgesetztes dramatur-
gisches Gefühl HEINZ HERALD.
Die sogendiinte moralische Ansicht ist der größte
Feind der wahren Kunst, da einer der Haupt-
vor:üge dieser le^tern gerade darin bestellt, daß man
durch ihr Medium auch jene Seiten der menschlichen
tlatur genießen kann, weldie dasMoralgese^ n\it Recht
aus dem wirklichen Leben entfernt hält. Grillpdr:er.
FRAU KÄTHE KRUSE.
»KÄTHE KRUSE-PUPPEN«
ZU MEINEN PUPPEN.
Man hat gegen meine kleinen 1 1 cm. hohen
Soldaten, neben aller Bewunderung ihrer
Natürlichkeit, drei skeptische Einwände ge-
macht: erstens: ein Stück Holz sei noch das
allerbeste Spielzeug für das Kind und zweitens :
da man Soldaten massenweis besitzen muß, so
seien sie drittens: mit2M. und 2,50 M. zu teuer.
Den ersten Einwand würde ich im Interesse
der Kinder gern gelten lassen, aber dann müßte
die Allgemeinheit unserer Kinder sehr anders
aufwachsen können, als es der Fall ist. — Auf
dem Lande, in Luft und Sonne, unbekümmert
und von keinem Zwang gehemmt, ja dann mag
wohl die Phantasie schwelgen. Jedoch auch
diese Kinder brauchten noch Anregung, wenn
sie nicht vegetieren sollen wie kleine Bauern.
Und je mehr diese Anregung aus dem leben-
digen Leben kommt, desto größere Möglich-
keiten eröffnet sie der spielerischen Phantasie.
Ich bin aber gegen stilisiertes Spielzeug und
gegen Witz und Karikatur und Charakter im
Spielzeug. — Dies alles greift der Phantasie
des Kindes vor, setzt ihr ein Halt.
Das Kind, das heute eine gute Erziehung ge-
nießt, hat zum Selbstentwickeln seines Spiel-
zeugs vom Holzklotz an gar nicht mehr die Zeit.
— - Abgesehen davon, daß es zu viel sieht, als
daß seine Vorstellungskraft dauernd in einem
Holzklotz Genüge fände. Und das Kind strebt
nicht nach Witz, Karikatur und Charakter. —
Es hat für diese Spielereien der Großen gar
kein Gefühl. Es wird versuchen, diese Bei-
gaben auszuschalten um, gleichsam mit ge-
schlossenen Augen, sich aus der Karikatur ein
beseeltes Wesen zu machen, ein natürliches
Geschöpf, ein veränderliches, nicht ein für alle
Mal auf eine (gewöhnlich nicht sehr sympathi-
sche) Note festgelegtes. Oder es geht etwa auch
auf diesen Humor der Großen ein, wobei es
Schaden an seiner Seele nehmen muß.
Also wir können nur zweierlei tun. Entweder
dem Kinde überhaupt kein Spielzeug schenken
(Bilderbücher kann es sich aber nicht machen)
— oder, wenn wir es anregen wollen, dann
kann was wir ihm in die Hand geben gar nicht
ehrlich und naturähnlich genug sein, um seine
Phantasie günstig zu befruchten.
Der zweite Einwurf verkennt den Unterschied
zwischen den bekannten steifen Soldaten aus
Zinn oder sonst einer Guß- oder Preßmasse mit
den Meinen, beweglichen. Die ersteren sind
zum Aufbauen bestimmt, zu nichts weiter, und
FRAU PR> li
KÄTHE KRUSI
»BEWEGLICHE
POTSDAMER
SOLDATEN«
288
OBEN :
BEWEGLICHE
PUPPEN KURS
PUPPENTHEATER.
UNTEN :
• KciNIGIX UND
IJER NARR«
PUPPEN VON
KÄTHE KRUSE.
289
XX, Januar 1917, 7
Fi-au Käthe Kruse.
KRAU KÄTHE KRUSE— BAD KOSEN.
PUPPEN »SPORTSLEUTE«
müssen deshalb, um zu beschäftigen, und zu
wirken, in großer Zahl erscheinen. Sie illu-
strieren dann den Begriff „unser Heer"; die
Freude an Machtentfaltung, Zahl und bunter
Pracht, Trommelwirbel und Fahnenrauschen
und klingendem Spiel, Parade und Stolz, und
im ganzen: o, welche Lust Soldat zu sein!
Ich glaube aber, diese harmlose Freude ist
uns verloren gegangen. Ertränkt in dem Grauen
des Krieges, erstickt in dem Mitgefühl mit
dem Schicksal der Einzelnen. Aus der Freude
an unserem Heer ist das Mitfühlen mit dem
Individuum und die tiefe Dankbarkeit gegen
jeden Einzelnen geworden. Und diesem Ge-
fühl dienen meine kleinen Soldaten. Und darum
mußten sie menschenähnlich und typisch werden.
Nicht in der Masse liegt hierbei das Interesse,
sondern in der Möglichkeit lebendiger Darstel-
lung. Das genießt man schon an einem einzelnen
Figürchen, — mit dreien, sechsen oder zwölfen
läßt sich schon Unendliches erleben, da sie ja
in jede Situation hineinzubringen sind. Und
damit erledigt sich auch der dritte Satz.
Ich möchte hinzufügen, um nicht falsch ver-
standen zu werden, daß ich nicht etwa von der-
artigen Vorstellungen aus auf dieses Resultat
ausgegangen bin. Vielmehr entstanden auch
diese Geschöpfchen ganz intuitiv, ohneTendenz.
Was ich selbst dabei instinktiv wollte und in
welcher Weise diese Puppen auf das Kind wir-
ken mögen, das muß ich mir, da ich sehe, daß
es notwendig, erst jetzt ziemlich mühsam selbst
erhellen. — In der Konstruktion dieser Puppen
lagen unbeabsichtigt unzählige andere Mög-
lichkeiten, die mir erst nach und nach auf-
gingen. Einen winzigen Anfang zu ihrer Ver-
wirklichung lege ich hier im Bilde vor. Es ist
natürlich dasselbe, ob ich Soldaten oder andere
Menschlein mache, Kutscher, Schaffner, Fracht-
leute und was sonst zu wünschen wäre — und
von da zur Puppentheaterfigurine und Puppen-
stubefamilie (die beiden schreien nach Refor-
mierung) ist nur ein kleiner, reizvoller Schritt.
Aber was für ein Feld allein in dieser winzigen
Größe! Das dürfte über meine persönliche
Kraft gehen, sowohl körperlich als kaufmännisch.
Für diesmal jedoch wollte ich nur von meinen
Absichten reden, die weiß ich rein und kann
sie ringsrum vertreten. Wenn mich doch nun
nie wieder jemand als die Erfinderin der Cha-
rakterpuppen feiern wollte! — das ist wirklich
bitter! — Denn ich habe ja, meine großen erst
und dann meine kleinen Puppen und alles was
ich noch machen werde, gerade in der Abwehr
geschaffen. Seele sollen sie haben und zur
Seele des Kindes sollen sie sprechen. — Wenn
aber einer sagen würde, der Jockei oder Lili
oder Christinchen oder mein Seppl oder wer
es sonst sei, haben Charakter hernach
möchte ich mich hinlegen und sterben. — k. k.
Zu meifiefi Puppen.
FRAU KÄTHE KKUSE BAU KOSEN. NEUE KÄTHE KKUbE-I'UPtEN •ULI, HUSAR, SCHWESTERCHEN.
VERWANDLUNG.
Der Künstler war eia Zauberer von Anbe-
ginn. Er nimmt ein Stück Holz, Späne
fallen, ein menschliches Gesicht schaut dir ent-
gegen. In Stein bannt er die Gestalt Verstor-
bener. Er zitiert Geisler, aus Ton formt er
Menschen. Es ist noch deuthch zu erkennen,
wie die Künstler lange sich scheuten, das Wesen
des Stoffes, des Steines vollkommen zu ver-
wandeln, uud die Gestalt in ganzer Menschlich-
keit dastehen zu lassen. Die ägyptischen Bild-
hauer hielten lange an der Ebene der Platte,
an dem Umriß des Blockes fest, mit einem
schüchternen Lächeln löste sich die griechische
Stalue erst um 500 aus der steinernen Gebun-
denheit. Doch, obwohl zwei Jahrtausende und
mehr seit jenen Wendezeiten vergangen sind,
den Verwandlungszauber empfinden wir noch
heute in der Kunst mit einer gewissen Scheu.
Und zwar desto stärker, je weniger radikal die
Stofflichkeit von der Gestalt, vom Bild aufge-
löst wurde. Es ist rührend zu sehen, wie die
Wilden sich vor einem absonderlich gewach-
senen, entfernt menschenähnlichen Stück Holz
gleich einem bösen Spuck fürchten. Laß das
Kind ein paar Lappen zusammen knäueln, es
empfindet einen glücklichen Schauer, wenn
daraus eine Gestalt wird. Keine fertige Puppe
vermag ihm diese Verwandlungsfreude zu er-
setzen. Das russisch-griechische Christentum
kennt noch heute in weitem Umfang die Bilder-
verehrung, das Bild, die Form saugt da angeb-
lich das göttliche Wesen in sich ein. So hat
jeder naive Mensch eine gewisse Ehrfurcht vor
dem Bild, das eine Holztafel ist und doch zu-
gleich eine Art lebendes Wesen, oder ein Teil
eines Anwesenheitszeichen von Gott. Ist es
nicht so, daß der Mensch auch in seinem Bilde
existiert? Wenn es eine Fernphotographie gäbe,
sodaß man den Kaiser in jeder fernsten Hütte
sehen könnte, wäre der Unterschied so groß
gegen jetzt, wo uns sein Bild überall entgegen-
grüßt? Wir sehen ja auch in der Wirklichkeit
immer nur das Bild des Menschen.
Das Zauberhafte an der Puppe besteht so-
lange, als die Zusammensetzung aus Stoffflicken
zu erkennen ist. Wenn die Marionetten einmal
so vollendet sein werden, daß sie ihre Puppen-
natur verlieren, dann geht uns das Wunder der
„lebenden, sprechenden, fühlenden Puppe"
verloren. Auch das Bildwunder löst sich mehr
und mehr auf, je mehr im Bild die Zeichen des
stofflichen Grundes, der Farbkörper, der Striche
hinweggefeilt werden. Nur wenn die Statue
zugleich Stein und Mensch ist, packt uns der
Zauber dieses Doppelseins, der Menschwerdung
eines Felsblocks anton jaumann.
MODE-PROGNOSE, Man sagt, die Frauen
sind unberechenbar wie das Wetter. Aus
blauem Himmel zuckt plötzlich der verderbliche
Blitz, zwischen Regenwolken lacht die gute
Sonne doppelt hell und doppelt warm. Doch,
es reizt nichts den menschlichen Geist so sehr
als gerade das Unberechenbare. Auf allerlei
dunklen Schleichwegen suchte er den Geheim-
nissen des Schicksals näherzukommen. Wetter-
propheten gab es zu allen Zeiten, und sie trafen
auch nicht öfter daneben als die Prognose der
Gelehrten. Eine schöne Mode ist uns ein dank-
bar begrüßtes Glück, solange als wir den Gang
der Mode nicht errechnen , kaum beeinflussen
können. Und doch macht die Prognose auch hier
nicht halt. Wissen wir erst einmal auf Jahre
voraus, was sie uns bringen werden an neuen
Linien, neuen Tragweisen , das Moment der
Überraschung wird dann vollkommen verloren
sein, und was ist die Mode, wenn nicht eine
raffinierte Frauenlist, um den Mann durch eine
neue Erscheinung des weiblichen Körpers,
weiblichen Wesens zu überraschen und zu
reizen? Die Fortschritte der Wissenschaft sind
unheimlich; gewiß wird sie auch eines Tages
die verborgenen Gesetze der Modeentwicklung,
ihres Keimens, Blühens und Verfalls, aufspüren,
und ich fürchte sogar, es wird ein Deutscher
sein, dem diese Entzifferung des Moderätsels
gelingt. Aber er wird nur das Ende der Mode
weissagen dürfen. Sie lebt vom Geheimnis, die
Entschleierung wird sie töten a.j
ENTW. U. AIISK: fRAU Uli
-EIDF.NE HANDTASCHEN MIT Gl AS- UMI H01.Zl>ERI KN.
PAUL KNAUER-HASE-MÜNCHEN. >SELBSTBILDNIS€
PAUL KNAUER-HASE - MUNXHEN.
GEMÄLDE »LANDSCHAFT«
PAUL Ki\AUER-HASE-MÜXCHEN'.
Die bunte Zersplitterung des Münchener
Kunstlebens in Gruppen und Grüppchen
hat fraglos das eine Gute, daß uns die Aus-
stellungen dieser kleinen Verbände von Zeit zu
Zeit die überraschende Bekanntschaft mit einer
wirklichen Begabung vermitteln. Bei den großen
Ausstellungsgelegenheiten kommt der Neuling
allenfalls einmal mit einem vereinzelten Werke
zu Wort, das ein Zufallstreffer sein kann, wer
aber wie Paul Knauer-Hase in einer Aus-
stellung der Münchener „Freien" mit vier
Qualitätsarbeiten zumal auf den Plan treten
kann, der ist rascher legitimiert.
Die ausgesprochen neuzeitliche Form seiner
Landschaften und Stilleben wird wahrhafte
Kunstfreunde nicht befremden in diesen Tagen,
da so mancher glaubt, die neue Weltlage er-
heische von heute auf morgen auch eine neue
Kunstgesinnung. Überzeugt, daß das Beste,
das uns der Künstler zu geben hat, immer nur
aus der Wurzel seines Volkstums emporwächst,
entschlagen wir uns gleichwohl der beschränk-
ten Forderung, dem Heranreifenden den Aus-
blick über die Grenzen versperren, ihn festlegen
zu wollen auf das, was etwa dem Gegenstande
oder der Tendenz nach als deutsche, als vater-
ländische Kunst mißverstanden werden könnte.
Der Künstler dient seinem Volke am besten,
der den Antrieb zum Guten dort aufnimmt, wo
er ihn findet, der nicht als Nachahmer fremder
Eigentümlichkeiten, sondern als Vollender wert-
voller Anregungen schließlich zur Eigenart, zur
Meisterschaft durchdringt.
Die entscheidende Anregung, die dem nach
harter Lebensschule verhältnismäßig erst spät
zur Kunst Gelangten in Paris zu Teil geworden,
waren nicht so sehr die Farbe und gewisse
Kompositionseigentümlichkeiten Cezannes, als
vielmehr die generelle Einsicht in die Möglich-
keit, auch ohne das impressionistische Schema
Paul Kriauer-Hase—AIwicheyi.
PAUL KNAÜER-HASE— MÜNCHEN.
eine im besten, im entwicklungsgeschichtlichen
Sinne aktuelle und doch zugleich zeitlose, all-
gemeingültige Kunst treiben zu können. Die
Parisismen Knauers sind ebensowenig zu über-
sehen wie die Tatsache, daß er seine grund-
sätzliche Stellungnahme zu den verschiedenen
Möglichkeiten der Landschaftsmalerei — immer
von der Farbe abgesehen — ebensogut vor
Rottmann hätte finden können, wie nicht so
sehr vor Cezanne und den neueren Franzosen,
sondern in erster Linie vor der Landschaft
des Südens, die für jene ebenso bestimmend
war wie für den farbehungernden Deutschen,
den seine gänzlich unkalligraphische Veranlag-
ung zu zügigen, offenen Formen drängte.
Gleich die erste Abbildung dieser Veröffent-
lichung, die weiträumige Korsische Landschaft,
die der Farbe nach allerdings nicht das stärkste
von Knauers Bildern ist, zeigt uns den Unter-
schied, den Fortschritt gegenüber der realisti-
schen Studien- und Ausschnittmalerei, der
nichts so unzugänglich gewesen wie gerade die
GEMÄLDE »AQUÄDUKT«
gehobenen festlichen Empfindungen vor einer
durch Raumabstufungen, Linienzüge u. Farben-
beziehungen reichgegliederten schönen Land-
schaft, wie Knauer sie nicht etwa auf die äußer-
lich romantische Wirkung des Motivs hin kom-
poniert, sondern auf Korsika und an der dalma-
tinischen Küste aufgesucht hat.
So viel gute Überlieferung denn auch im
Aufbau dieser Bilder steckt, beispielsweise in
der Rahmung durch den Vordergrund (S. 295),
die der alten Bildform des panoramenhaften
Ausblickes eine reizende Neuwendung gibt,
oder in der raumgliedernden Palme (S. 297)
oder ferner in der großzügigen Strenge, mit der
auf dem Aquaduktbilde Straße, Architektur
und Laubmassen auseinandergehalten sind, so
lebendig und frei, so modern im besten Sinne
durchflutet der Strom einer kraftvollen und doch
sensitiven Farbenkunst diese erlebten, niemals
formelhaft aufgerissenen Kompositionsformen.
Die Schönheit der Farbe ist es, ihr natür-
licher, ungezwungener Wohllaut, die auch den
Paul Knaicer- Hase— München.
P. KNAUER-HASE— MÜNCHEN.
stark ausgesprochenen atmosphärischen Stim-
mungen dieser Landschaften das störend Zu-
fällige, das Sensationelle im Sinne des Natura-
lismus benimmt. Knauer gibt die mannigfachen
Wirkungen des frühen und des späten Sonnen-
lichtes gelassen und ruhig wieder, ohne sie, aus
dem Zusammenhange gerissen, zum Effekt, zur
Pointe werden zu lassen. Innerhalb der ge-
schlossenen Schönheit des farbigen und formalen
Aufbaus von Bildern wie den Alten Häusern
in Ragusa oder dem Aquädukt ist das Morgen-
bezw. Spätnachmittagslicht kein auf Illusion
berechneter Täuschungswitz, sondern die subli-
mierteste Äußerung der alle Bildelemente durch-
strömenden Bildseele.
Knauer zeigt die Schönheit seiner Farbe,
die reichen Abstufungen des Grüns der süd-
lichen Vegetation von hellen milchigen Schilf-
tönen über den silbrig gedämpften Glanz der
Oliven bis zu metallisch funkelnden Dunkel-
heiten, die altgolddurchschimmerten Lilatöne
GEMÄLDE • LANDSCHAFT«
der Schatten, die rötliche Kraft des Erdreiches
und das Farbenspiel des Mauerwerks , dies
letztere gern mit den prickelnden Lokalfarben-
akzenten grüner Fensterläden, mit der ganzen
Unbefangenheit eines naturfrohen recht ein-
dringlichen Beobachters, aber auch nie ohne
den großen synthetischen Willen des über die
Wirklichkeit hinausstrebenden Künstlers, den
auch die leckerste Einzelheit nur dann freut,
wenn sie der Bildidee zu dienen vermag.
Die Malerei Knauers, auch die seiner Still-
leben, ist trotz der unkleinlichen, zügigen Pinsel-
führungnichts weniger als „dekorativ", sondern
durchaus intim. Sie hat Tiefe und Sinn für
pikante Raumgestaltung, sie ist ohne natura-
listische Akribie aufs reichste differenziert, sie
hat in manchem Falle wohl eine noch feinere
Unterscheidung der verschiedenen Stofflich-
keiten zu lernen, aber es gereicht ihr zum Lobe
und nicht zum Tadel, die Körperlichkeit der
Dinge nicht unschön und unnütz zu übertreiben.
Paul Knauer-Hase-Müncken.
Ik-Ii \sF. -MÜNCHEN.
Ob wir das Stilleben mit dem Alpenveilchen
betrachten, das Stilleben mit der Vase oder das
ganz besonders reizvoll aufgebaute Tulpenstill-
leben, allenthalben bemerken wir ein ruhiges
und vornehmes Dasein der Gegenstände in
ihrer ungesuchten, ungestellten Funktion als
Träger einer erlesenen malerischen Schönheit.
Hier gelingt es Knauer, die stärksten Wirkungen
der modernen Palette am vollkommensten, am
anmutigsten zu bändigen.
Daß wir auch im Bildnisfache von diesem
klar und redlich Strebenden Tüchtiges erwarten
dürfen, lassen die diesem Hefte beigegebenen
Proben auch im Schwarz-Weiß erkennen.
Voraussagungen über die mutmaßliche Ent-
wicklungsrichtung starker Talente sind müßig.
Sie werden zu häufig durch das lügengestraft,
was dem systembefangenen Kritiker als Sprung-
haftigkeit erscheint und was dann meistens
durch spätere Schaffensperioden der Künstler
die glänzendste Rechtfertigung findet. Also
keine guten Ratschläge für Paul Knauer-Hase,
sondern ein herzliches Glückauf! Nicht erst
das Lebenswerk , sondern schon die unzwei-
deutig erbrachte Talentprobe genüge den Kunst-
freunden zur Äußerung ihres Vertrauens.
KLDE »LANDSCHAFT«
Dem menschlichen Interesse am Künstler
mag mit folgenden biographischen Notizen ge-
dient sein: Paul Knauer-Hase ist 1878 zu Bre-
men geboren und verlebte die Jahre seiner
Kindheit in Breslau und Hannover. Später
widmete er sich in Amerika (New-York und
Kuba) kunstfremder und schließlich kunstge-
werblicher Brotarbeit. 1911; 12 steht er in
Paris mit Othon Friesz und Guerin in Ver-
bindung. Während des anschließenden Studien-
aufenthalts auf Korsika unterhält er fruchtbare
Beziehungen zu Purrmann. 1913 lebt und
arbeitet er zu Ragusa und übersiedelt von da
nach München hekmann fsswein.
Ä
Die Vollkommenheit in der Kunst findet sich da, wo
die Idee und das Leben völlig Eins sind in einem
Werke; jede Abweichung, jeder Mangel von der einen
oder von der andern Seite ist ein Fehler und wird,
fortgese^t oder gar als Grundsa^ cuifgestellt, Manier
genannt. Die Idee, wenn sie allein vorlierrsdiend ist,
gebiert Werke, die kalt und tot sind, oder in gerin-
gerem Maße wenigstens den Vorwurf der Härte auf
sich laden. Wer auf der anderen Seite nur nach dem
Leben hascht in der Kunst, der kann wohl Effekt
madien, was mandien Naturalisten gelingt ; aber mit
der Idee fehlt dem Werke auch die tiefere Bedeutung,
ja alle innere Form, weldies dodi die erste und wesent-
lidiste Bedingung der Kunst ist. . . . Triedrirfi Sdileoel.
oe s ta
w w "
s o a
P. KNAUER-HASE— MÜNCHEN.
LANDSCHAFT . HAFEN PLATZ«
STADTISCHE (PROVINZ-) SAMMLUNGEN.
Im währenden Kriege hat sich erwiesen, daß
zwar aller Technik eine größte Bedeutung
zuzuweisen ist, daß aber alle diese mechani-
schen Werkzeuge kraftlos geblieben wären,
wenn sie nicht ein selbstloser und hingebender
Wille geleitet hätte. Und diesem wird auch bei
der Wiederaufnahme der Friedensarbeit die
ausschlaggebende Einwirkung zuzuweisen sein.
Derartige ethische Werte im Volk erstarken zu
lassen, sind in erster Reihe die bildenden Künste
berufen. Zur Pflege dieses Fühlens und Wol-
lens dienen für die Laienwelt die Universitäten
und die Museen. Ich denke hier an kunst-
wissenschaftliche Arbeitsgebiete jedes Namens,
und hoffe, daß sie wieder von der ästhetisieren-
den-technischen Auffassung befreit und unter
dem Schutz der historischen bezw. kulturhisto-
rischen Betrachtung gestellt werden. Und ich
denke weiter an die praktische Erweiterung
dieser historischen Schulung durch Sammlungen
in Stadt und Land; denn von Jugend auf muß
der künstlerische Sinn gepflegt werden. Das
„Beispiel" muß auch in diesem Falle das maß-
gebende erzieherische Wort erhalten. — Was
verlangen wir in der Provinz von einer Kunst-
sammlung? Es soll ein Zentrum aller künst-
lerischer Erziehung sein. Aus diesem Grunde
muß sowohl die lokale wie auch die groß-
deutsche bezw. die internationale Kunst ge-
pflegt werden. Die angewandte wie die hohe
Kunst soll in gleichem Maße zu ihrem Recht
gelangen. Allerdings darf dann nicht nur der
feinsinnige Antiquar und Sammler am Bera-
tungstische sitzen, sondern auch der tiefblik-
kende Freund der Musen, der kulturhistorische
Kunsthistoriker. Die „eingeborene" künst-
lerische Tätigkeit wird allerorten in erster Linie
dem praktischen Leben zugewandt sein. Die
Heimatmuseen und die Kunstgewerbesamm-
lungen finden hier ihr Arbeitsfeld. Überall
müssen in unserm Vaterlande bis in die Dörfer
hinein derartige Museen begründet werden.
Erhebliche Anfänge sind auch bereits vielfach
vorhanden. Denn es heißt: „gehe vom Häus-
lichen aus und verbreite dich, so du kannst
über die ganze Welt". So du kannst! Sind nur
Städtische ( Provinz-) Sammhingen.
P. KNAUER-HASE-MUNCHEN.
geringe Mittel vorhanden, so darf die lokale,
die Heimatkunst den Vorzug verlangen. Auch
dann, wenn, vifie es ja nicht selten eintritt, der
künstlerische Wert ein geringerer ist. Der hei-
matliche Charakter muß in solchen Fällen des-
halb höher geschätzt werden, weil es unbedingt
nötig ist, zuerst einmal die Anteilnahme an der
künstlerischen Tätigkeit überhaupt zu erwecken.
Auf diesem rohen, aber festen Boden wird sich
das Interesse für absolute künstlerische Werte
ganz von selbst aufbauen und bei der Frage
alt- oder neuzeitlich muß für die Provinz zu-
nächst stets die Antwort erfolgen: neuzeitlich.
Aus einer Reihe von Gründen. Die Provinz
steht immer und unabweisbar, natürlich gra-
duell verschieden, den Weltstädten nach ; daran
ändern selbst die besten Verkehrsverhältnisse
wenig. Am rückständigsten sind die Landes-
teile, in denen der adlige oder nichtadlige Land-
mann vorwiegt; am fortgeschrittensten stehen
die Gebiete da, deren rege kommerzielle Be-
ziehungen das schaffende Leben der Gegenwart
GEMÄLDE »STILLEBEN«
mit seinen erdumspannenden Kräften unmittel-
bar in die Provinz eindringen lassen. Überall
bleibt trotzdem ein provinzieller Einschlag er-
kennbar. Diesen kennzeichnet ein Verharren
bei dem Überlieferten. In Übereinstimmung mit
der geringen allgemeinen Geschmackausbildung
herrscht demzufolge ein ärmeres künstlerisches
Verständnis. Aus diesem Grunde muß die
„Moderne", d. h. die Gegenwart den Vorrang
erhalten. Auch diesmal soll der einheimischen
Arbeit das besondere Augenmerk zugewandt
werden, einesteils um sie zu unterstützen, an-
dernteils um sie zu erziehen. Es darf hinwie-
derum niemals diese Hilfe in solchem Maße
geboten werden, daß der Einheimische als sol-
cher ein Anrecht auf den Ankauf seines Werkes
erwarten kann, ohne eine entsprechende Qua-
lität geboten zu haben. Diese Gefahr liegt aber
nicht nur nahe, sondern sie bricht oft genug
herein. Irgendwelche Sicherheitsventile sind
hier nicht zu schaffen, denn weder künstleri-
sches Gefühl, noch historische Bildung sind un-
PAUL KNAUER-HASE-MÜNCHEN. .BLUMEN UND FRÜCHTE.
Städtische (Provinz-) Samnilungeyu
bedingt sichere Führer. Goethe war gewiß im
Besitz einer echt künstlerischen Begabung, hat
aber als Sammler von Kunstwerken wie als
Kritiker den wahren Kunstwert oft nicht zu
erkennen vermocht , und unser bedeutendster
Sammler, Wilhelm Bode, hat selbst vor Werken
von so scharf umrissenen künstlerischen Per-
sönlichkeiten wie Dürer, Michelangelo, Leo-
nardo, Rubens, Rembrandt usw. den Blick ver-
lieren können. Trotzdem dürfen wir berech-
tigterweise sagen, das historisch geschulte
künstlerische Auge läßt unbeirrbarer den Blick
auf dem krausen Leben des Alltags ruhen, und
kann von hier aus mit einem gewissen Maße
von Sicherheit die Bedürfnisse seiner Gegen-
wart, seiner Mitmenschen erfassen, leiten und
fördern. Die ältere Kunst, welche wir mit
fein durchgearbeiteten historischen Maßstäben
beurteilen, objektiviert auch das Urteil über
die Kunst des Tages.
Die Frage, was in Provinzstädten, insbeson-
dere von dem Leiter eines öffentlichen Museums,
von modernen Kunstwerken gesammelt werden
soll, wird umso schwieriger, je mehr sich die
Ausübung der Kunst von dem Bedürfnis des
Alltages loslöst, d. h. sich von dem Gebiete der
angewandten zur hohen Kunst wendet. Hier
wird auch die Frage nach Art und Wesen der
PAUL KXAUEK-IIASE ilÜNCllEN. GEMÄLDE .TULPEN- STILLEBEN.
305
Städtische f Pro2n?iz-) Sammlungen.
lokalen Kunst eine besonders schwerwiegende.
Die Malerei, Bildhauerei und Architektur findet
in einer Provinzstadt , immer unter Berück-
sichtigung gradueller Unterschiede, nur ein be-
schränkteres Tätigkeitsfeld, das durch die Kon-
kurrenz der großen Haupt- und Weltstädte
noch verkleinert wird; sogar an Ort und Stelle
wird die Ausdehnungsfähigkeit der Künstler
jedesmal dann stärker beschnitten, wenn sich
hier eine staatliche Kunstschule irgendwelcher
Art befindet. Dem Staate muß daran liegen,
daß die von ihm hierhin gesetzten Arbeits-
kräfte möglichst „frisch" bleiben, demzufolge
wird er die Aufgaben, welche er zu vergeben
hat, vorwiegend den beamteten Künstlern zu-
wenden. Der besitzende Bürger in einer solchen
Stadt wird geneigt sein, den staatlich angestell-
ten Künstler wieder als den besseren anzuer-
kennen , und ihn seinerseits vorwiegend be-
schäftigen, um sein Geld möglichst sicher an-
zulegen. Die lokale Kunstpflege kann unter
solchen Umständen überaus leicht dahin aus-
arten, daß entweder eine kleine Zahl behörd-
lich konzessionierter Künstler begünstigt wird,
oder daß unbedeutende lokale Kunstwerke
gekauft werden — oder daß frisch und froh der
„Modernste" berücksichtigt wird. Ob das
immer von Nachteil ist? Gerade die Anfänge
eines großen Künstlers richtig zu erkennen und
zu sammeln, dürfte zu den wichtigsten Aufgaben
eines Sammlungsleiters gehören. An dieser
Stelle eröffnet sich auch dem Bürger als Kunst-
freund ein weites, segenbringendes Feld. Wie-
viel von einem zielbewußten Kunstfreund er-
reicht werden kann, beweisen u. a. die ehe-
malige Schacksche Sammlung oder das Folk-
wang- Museum zu Hagen in Westfalen. Die
Hauptsache muß sein und bleiben , überall
zunächst ein möglichst geschlossenes Bild der
Grundlagen des Ringens und der Ergebnisse
der neuzeitlichen Kunst zu bringen! „Denn
vom Häuslichen gehe aus!" — Sobald ein den
zur Verfügung stehenden Geldmitteln ent-
sprechendes festes Haus gezimmert ist, mag
dann ein zweites für ältere Kunstwerke folgen.
Es ist aber hier nicht zu empfehlen, daß Stadt-
oder Provinzmuseen Geld für Kunstwerke
zweiten oder dritten Grades ausgeben, nur um
Bilder älterer Meister zu besitzen. Der kulturell
wichtige Einfluß der vergangenen künstlerischen
Schaffenszeiten kann und darf nur aus der Arbeit
der richtunggebenden Persönlichkeiten ge-
wonnen werden. In allen Fällen wäre es daher
notwendig, daß wenigstens ein Meisterwerk von
der Hand dieser Führer im Reich der bildenden
Künste vorhanden wäre, um welches dann ge-
ringere Künstler gruppiert werden könnten. Es
würde zur Erreichung dieses Zieles notwendig
sein, daß die großen staatlichen Kunstsamm-
lungen von ihren erstenMeisterwerken dauernde
Leihgaben zum mindesten in die bedeutendsten
Stadt- und Provinzmuseen abgeben. Warum
sollen auch in einzelnen großen Sammlungen die
besten alten Meisterwerke im halben Dutzend
vorhanden sein, um in anderen Städten ganz
zu fehlen? Der Kunstwissenschaft halber?
Diese muß und darf umso ruhiger zurücktreten,
als in keinem Museum die Großen unter den
Künstlern allseitig erfaßt werden können. Jede
betonte Zentralisation für Kunstsammlungen
ist der Öffentlichkeit gegenüber vom Übel, und
zeugt meiner Auffassung nach von einem starken
Verkennen der Aufgaben der Museen, wie von
der Kulturentwicklung unseres deutschen Vater-
landes. Die Stadt- und Provinzmuseen müssen
weiterhin, um nicht im Lokalen zu ersticken,
umfangreiche Sammlungen von Griffelarbeiten
aller Art bezw. von mechanischen Nachbildungen
anlegen. Besonderes Interesse dürften heute
bereits die vorzüglichen farbigen Wiedergaben
beanspruchen , welche nach der Erweiterung
der Farbenphotographie zu Auflagedrucken in
vielen Fällen geradezu einen Ersatz für die
Originale bieten werden. Die notgedrungene
Enthaltsamkeit der Stadtmuseen könnte durch
solche und ähnliche Beihilfen in so hohem Grade
ausgeglichen werden, daß sie als Bildungsstätten
inhaltlich größere Werte zu bieten vermöchten,
als es heute mancher kostbaren „Königlichen
Sammlung" möglich ist. — Ich fasse mich dahin
zusammen: Zunächst die engere Heimat in
ihrem ganzen Umfange in Kunstwerken darstel-
len, dann die Kunst der Gegenwart, des heutigen
und des kommenden Tages in Originalwerken
wie Nachbildungen sammeln, und endlich die
künstlerische Vergangenheit der deutschen
Stämme in ihrer Gesamtheit und die der frem-
den Völker repräsentieren b. haendcke.
ERICH BÜTTNER-BERLIN. ORIGINAL-LITHOGRAPHIE »FRÜHLING»
vf:<iV>i^
ERICH BUTTNER- BERLIN.
SKIZZE »AM DEUTSCHEN MUSEUM«
ERICH BÜTTNER-BERLIN.
uch der zeitgenössischen
^ Kunst gegenüber bemüht sich
I die moderne Kunstbetrach-
tung das Problem des Kunst-
willens einer Zeit in den Vor-
dergrund zu stellen. Oft wird
Lhiermit jedoch die Aufgabe
mehr umgangen als gelöst. Einer Erscheinung
wie Erich Büttner würde man nicht gerecht
werden, wollte man die Elemente seiner Kunst
zuerst mit den Prinzipien des modernen Kunst-
woUens zusammenstellen. Obwohl er inmit-
ten der jüngsten Talente der Berliner Sezes-
sion steht, mit ihnen geworden ist, wird und
kämpft, tritt in der Betrachtung seiner Kunst
das Problematische zurück hinter das, was wir
„Charakter" nennen. — Von den Jüngsten der
Berliner Sezession ist er derjenige, welcher am
stärksten berlinische Färbung zeigt. Wir haben
heute eine klare Vorstellung von der Eigenart
der Kunst, die im Laufe des Jahrhunderts in
jenen Mauern geworden ist. Wenn in der
Charakterisierung ihrer Eigentümlichkeiten man
geneigt ist, die sachliche Stimmung voran zu
stellen, so darf man aber nicht vergessen, daß
diese nur der Grundtrieb ist, der die anderen
Elemente in Bewegung brachte und stumpfen
Gesichten und Dingen Charakter, vergessenen
Erscheinungen Seele und reichem Milieu Ge-
schichte und Poesie zu geben vermochte.
Büttners Wiege hat im Zentrum dieser rast-
losen Stadt gestanden und das bewegte Leben
eines rümpligen Hofes und einer Werkstatt
waren seine ersten Eindrücke. Seine Arbeits-
freudigkeit setzt früh ein und erledigt kunst-
gewerblichen Unterricht nicht mit dem gelang-
weilten Gefühl eines, dem über das Problem-
suchen das Lernen nicht schmeckt. Die Energie
seiner Arbeit treibt ihn von Ding zu Ding, und
so sitzt er eines Tages in der märkischen Land-
XX. Febniir I9I7 2
Erich Bmtner- Berlin.
ERICH BÜTTNER- BERLIN.
Schaft, malt Aquarell auf Aquarelle, wohl hun-
dert in einem Monat, um die Hände frei zu
bekommen. Als moralisches Element steht
hinter ihm Menzel und als Sehform vor ihm
Leistikow. So tritt er vor Orlik hin, der ihm
in fünfjährigem Unterrichtbesonders seine zeich-
nerische Begabung fördert und die Ökonomie
der Mittel lehrt. Die Malerei wird nur als
Aquarell fortgesetzt und auf dunkle Tonigkeit
gestimmt. Es gibt wohl nur wenige Winkel des
alten malerischen Berlin, die Büttner nicht ge-
malt hätte, und das trübe, etwas undurchsich-
tige Kolorit bringt gut die melancholischen
Reize dieser Stätten zum Ausdruck. Auch diese
Arbeit gab eine neue Freiheit; die der Auf-
fassung des bewegten Lebens. Mit den in ehr-
licher Arbeit frei gewordenen Mitteln der Zeich-
nung und der Auffassung stand er dem Impres-
sionismus freier gegenüber, wenngleich auch er
die Analyse von Licht und Luft im Sinne von
Monets Heuschober ausübte. Das zeichnerische
Sehen blieb jedoch im gewissen Sinne seine
Grundlage, ebenso die Sachlichkeit der Form,
und die Indifferenz dem Inhalt gegenüber, die
ein Begleitmoment des Impressionismus war,
RADIERUNG »UNIVERSITATS-GARTEN« i;U2.
hat dieser „Erzähler" nie gekannt. Das bloße
Licht- und Luftdasein der Dinge im Räume
haben Büttner nie ganz befriedigt. So tritt
neben dem impressionistischen Problem der
breiten Sonne im Vordergrund, mit den durch-
sichtigen Schatten im Hintergrund der „Bau-
platz des Deutschen Museums" (Abb. S. 309)
als intergrierendes Moment hinzu, und ein an-
derer Neubau, des Aquariums (Abb. S. 325)
spielt nicht nur mit den hellen Tönen des Him-
mels und des Kalkes, sondern auch mit dem
Liniengewirr und den Arbeitern. Man muß oft
an Menzel denken; wie ein Tagesausschnitt un-
merklich zu einem Stück Geschichte wird. Auch
Büttner entdeckt seinen Gegenstand und findet
ihn, weil er ihn nicht als Problem sucht.
Er wendet sich eines Tages dem Leben im
und um den Zoologischen Garten zu. (Abb.
S. 323.) Immer einheitlicher wird das Erlebnis.
Form und Licht kämpfen nicht mehr, sondern
scheinen ausgeglichen, und die Komposition
weiß mit wenigen Akzenten Fläche und Raum
abzurunden. Das Kolorit bekommt eine Har-
monie von hellen, leuchtenden Farben, die
durch viel Weiß zwischen den Lokalfarben er-
Erich Büttner -Berlin.
reicht wird. Dieses Abwägen der ganzen Bild-
haltung läßt sich auf englische Einflüsse wie
Whistler zurückführen. Auch dieses mag ein
Zeichen sein, daß die konsequente Problem-
stellung des Impressionismus nie seine Art war
und der „Strand" (Abb. S. 329) mag als tref-
fender Beweis gelten, wie wenig ihm bei diesem
Vorwurf das impressionistische Vorbild Lieber-
manns etwas gesagt hat. Die Dinge selbst als in-
dividueller Charakter sprechen zu stark zu ihm,
als daß sie bloße Lichtstation werden könnten.
Ein solches Sehen und Auffassen mußte mit
den Mitteln der Graphik nicht nur schneller
und sicherer zu Werke gehen, sondern auch
eine Vertiefung seiner Anlagen erhoffen. Nach
dem Holzschnitt kam die Radierung, die auch
Büttners ganz unstilisierten Linie mehr ent-
sprach und mit der mehr oder weniger kunst-
gewerblichen Linie des modernen Holzschnittes
nichts zu tun hat. Obwohl die Radierung „ Grune-
wald" (Abb. S. 313) im Ausschnitt wie im Licht
und den vielen interessant gemachten Bewe-
gungsrichtungen der Menschen, noch das „im-
pressionistische" Leben des Momentes charak-
terisieren will, bekommt jedoch die einzelne
Erscheinung wie Baum und Mensch eine höhere
Festigkeit und Existens. Und hält man diesem
Blatt den „Straßenbahnbau" (Abb. S. 320) ent-
gegen, der nur ein Jahr später entstand, so
sieht man, daß das zeichnerische Sehen, das
die Existens der Dinge betont, die interessante
Erscheinung des Dinges, die der Impressionis-
mus anstrebt, überwunden hat.
Diese Wandlung vom Impressionismus zum
Expressionismus vollzieht sich bei Büttner nicht
von Partei zu Partei. Seinen ganzen Anlagen
nach konnte man sagen, daß der Impressionis-
mus bei ihm nur eine glückliche Lernperiode
sein werde, glücklich, weil wir ja seine Lern-
freude allen Dingen gegenüber schon früher
ERICH BÜTTNER-BERLIN. BLEISTIFT-ZEICHNUNG »VILLA IN HERINGSDORF. 1911.
311
E. BÜTTNER-BERLIN. RADIERUNG »OSTPREUSSISCHE ROMANZE. 1916.
^m-: J^vU-^'ä^
ERICH BÜTTNER BERLIN. RADIERUNG .DEUTSCHE LEGENDE. 1916.
Erich Büttner- Berlin.
LITHOGRAPHIE »ARNO HOLZ« ISlfi.
fß,/ %J»,h^k,
erwähnten. Der Zeichner in ihm mußte dahin
kommen und der, der nie die Indifferenz des
Inhalts gekannt hatte, mußte im Expressionis-
mus ein Ziel erblicken. Daß diese Wandlung
bei dem jungen Künstler, der heute erst 27jährig
ist, in der Graphik erfolgte, zeigt, wie auch die
Wendung zu dieser Technik hin ein Stück Ent-
wicklung war und nicht als bloße andere Tech-
nik nebenher ging. Noch mehr war es die
Zeichnung selbst, die diesen Wandel vorbe-
reitete. Das Lineare trat besonders bei Por-
träts und figürlichen Studien immer stärker
hervor. Schon in der Bildnisstudie „I. K."
(Abb. S. 317) sind die Oberflächenwerte der
Linie untergeordnet, und der Ausdruck in die-
sen ängstlich und scheu abirrenden Augen setzt
an Stelle des Eindrucks der Erscheinung den
Ausdruck des Innern. Ganz frei erscheint dieses
Sehen und Auffassen dann in dem schönen
„Frühling", wo die Linie zur reinen Ausdrucks-
form wird und ihre Bewegungen und ihre
Proportionen erzeugt. Und was in des Künst-
lers impressionistischen Arbeiten Erzählung
war, wird hier „Poesie", die sich wie in der
Lyrik als Ausdruck der Form und nicht des
Motivs einstellt. Ebenso stellt sich der „Aus-
druck" in dem Bildnis des Dichters Franz Evers
und Arno Holz (Abb. S. 324 u. 330) ein; nicht
Erich Büthier- Berlin.
0/
<=^'C
LITHOGRAPHIE DR. W. K. Itlin.
als ein besonderes Motiv der Haltung, sondern
als das Resultat der ganzen neuen Formen-
energie und Linienkraft, die zusammen mit dem
ruhenden Licht , die Existenz des Subjektes
ausdrücken. Die Farbe wird jetzt Flächenwert
und sie ist es vor allen Dingen, die ohne male-
rische Sonderabsicht die Bilderscheinung kon-
stituiert. Wenn man so Studien und Bild bei
Büttner vergleicht und sieht wie erst in diesem
jene zur Existenz aus dem momentanen Einfall
aufsteigen durch die Bindung von Linie und
Farbe, könnte man an die italienischen Quat-
trocentisten denken, sofern man das Mittels-
glied Hodler außer Betracht lassen will.
Der Krieg hat auch diesen jungen Künstler
ein Jahr lang seiner Arbeit entzogen. Viele
Eindrücke aber hat er in Lithographien in der
„Kriegszeit" niedergeschrieben, und die schöne
Radierung „Romanze" (Abb. S. 312) hinterläßt
die tröstliche Erinnerung an Stunden im La-
zarett mit dem Darmstädter Bruno Stumpf, der
hier als Geiger dargestellt ist. Wie still und
sicher ist diese Kunst herangereift, wie selbst-
verständlich stellt sich jetzt das Poetische ein,
wo alle Mittel gekonnt sind. Man könnte bei
diesem Geiger in der Landschaft mit der Engels-
wolke oder bei der Legende (Abb. S. 313) an
alte deutsche Meister, wie Cranach oder Alt-
319
Erich Büttner— Berliji.
dorfer, denken. Die ausdrucksvolle Ruhe dieser
letzten Arbeiten stellt wieder einen Abschnitt
in seiner Entwicklung dar.
Das Kunstgewerbe, das einst neben der Ma-
lerei einherging, ließ der Künstler fallen, als er
es konnte und der beste Teil dieser Übung ging
in der neuen Vorstellung von „Bildeinheit" auf,
wie wir sie bei seinen letzten Malereien er-
wähnten. Das Stilmoment als Prinzip konnte
sich mit seinem unbefangenen Verhältnis zur
Natur nicht vereinigen. Doch hat er umgekehrt
seine leichte Erfindung und seine poetischen
Einfälle dem Kunstgewerbe zugute kommen
lassen und jene Stickereientwürfe geschaffen,
derderLeserausdemDezemberheft 1916 dieser
Zeitschrift sich erinnern wird. . . dr. w. kurth.
DAS STAFFELEIBILD hat die merkwürdige
Eigenschaft, daß es, obwohl freistehend
gemalt, am besten an der Wand wirkt, als
Schmuck, als architektonischerBestandteil einer
raumabschließenden Wand. Da hat es den
weiten Raum vor sich, es steigert sein eigenes
Leben, indem es die Kräfte des Raumes weckt
und richtet. Doch es gibt auch Ausnahmen.
Wenn wir gotische Flügelaltäre an Museums-
wände angeklebt sehen, so verlieren sie gerade
ihre feinsten architektonischen Reize, das Freie
und Schwebende, das Sparrige, die Erinnerung
an die Herkunft von Schnitzerei, die Körper-
lichkeit der Tafeln. Man versteht ihre Farben
nur, wenn man die Holztafeln als Träger sieht.
Andere Bilder gibt es, die gehören an Säulen,
in schmale Nischen, oder gar, wenn es Minia-
turen sind, in den Glasschrank. Nur auf der
Staffelei, wo sie doch entstanden sind, machen
die meisten keinen guten Eindruck. Sollen sie
einmal ausnahmsweise freistehend verwendet
werden, so baue man ihnen Säulen, kleine
Altäre, Postamente ; auch das Bild braucht einen
architektonischen Halt a. j.
«r
DIE BAUKUNST enthält in ihren Hauptzügen
keine Nachahmung natürlicher Bildungen.
Glaubt doch heute niemand mehr, daß die hoch-
strebende gotische Architektur den Fichten und
Buchen der deutschen Wälder ihre Entstehung
verdanke! Selbst dort, wo anscheinend Pflan-
zenformen wiedergegeben werden, sind sie aus
anderen Bedingungen hervorgegangen; und die
meisten Beispiele, an die man denken würde,
liegen innerhalb des plastischen oder rein orna-
mentalen Schmuckes. Hingegen scheint auf die-
sem Gebiet das tätige Prinzip der Natur sich
durchzusetzen, der unorganische Stoff ins Le-
bendige umgewandelt zu sehen. . . . dessoir.
ERICH BUITNER BERLIN. R.VDIERUNG BAHNIi.\U ,\UI-' DEM TEMPELHOl- EK FIIIi Ü'U
n S H
w !^ o
^jT^
ERICH BÜTTNER- BERLIN.
GEMÄLDE «DIE LICHTENSTEIX-BRCcKE 1913.
DIE SUGGESTION DER ANTIQUITÄT.
VON PAUL WESTHEIM.
Was der Philister an dem Künstler seiner
Zeit immer und vor allem verdammt, ist
das „Revolutionäre", das Aufbegehren gegen
eine in sich gefügte Welt. Er wird es nie ver-
stehen, daß die Kunst, wenn eine neue Zeit
kommt, aus dieser Zeit heraus einen neuen,
lebendigen Gehalt zu gewinnen sucht. Immer
wird er der Meinung sein, daß die Kunst der
Alten noch längst für die Neuen gut genug sei,
daß es Veränderungssucht, Unbotmäßigkeit,
Modegier, frivoler Zynismus und dergleichen
Lasterhaftigkeit wäre, was diese „Neuerer"
immer wieder heraustreibe aus den Bahnen,
die sich sehr wohl doch bewährt hätten. Die
alten Meister, die von vor zwanzig, vor fünfzig,
vor hundert oder etlichen hundert Jahren zu
übertreffen, das sei von solchen Stürmern doch
wohl nicht anzunehmen. Der guten Kunst sei
in der Vergangenheit überhaupt so viel gemacht.
daß ein Bedürfnis nach mehr, ein Bedürfnis
nach anderem gar, nicht vorliege.
So ist es begreiflich, daß alles, was aus frü-
herer Zeit stammt, was in irgend einem Sinne
Antiquität ist, über die Maßen begehrt wird.
Echt antik, echt Renaissance, aus dem und dem
Jahrhundert zu so fabelhaftem Preis (fabelhaft
hoch oder fabelhaft niedrig) erstanden, das sind
ein paar der Koseworte, mit denen die künst-
lerisch gleichgültigsten, banalsten und lächer-
lichsten Dinge von ihren verzückten Erwerbern
gehätschelt zu werden pflegen. Es ist ganz
klar, daß sich in dieser Liebe zu Altertümern
gelegentlich ganz starke künstlerische Triebe
auswirken. Menschen von intensivster künst-
lerischer Erlebnisfähigkeit geben sich den
großen Meistern, den unerschöpflichen Ewig-
keitswerken hin und genießen dabei Wonnen
von unsagbarer Süße. Auch manche kleine
ERICH BÜTTNER-BERLIN. GEMÄLDE .HIPPODROM K\I TIKRGARTEN- ms.
KRICH BÜTTNER-BKRLIX. BILDNIS >FRAXZ EVIZRS- I9ie.
Die Suggestion der Anti(/uHät.
ERICH BUTTNER-- BERLIN.
Leistung, manch artig erfundenes und empfun-
denes Werkchen, manche penible technische
Arbeit in Kunst und Kunsthandwerk erregen
die Sinne. Gegen eine Verehrung alles dessen,
was frühere Zeiten schön und gut hervorge-
bracht haben, ist gewiß nichts einzuwenden;
nur anmaßliche Aufgeblasenheit könnte es be-
dauern, daß die Kunst- und Geistesschätze der
Vergangenheit ihrem Wert nach geschätzt und
nach bestem Vermögen erhalten bleiben. Allein
es ist endlich einmal zu unterscheiden zwischen
dieser echten Hingabe an ein Werk älteren Ur-
sprungs, das nicht als Antiquität, sondern als
ewig gültiger, lebendiger Wert empfunden wird
und dieser eingebildeten Liebe zum Vorgest-
rigen, die Bilder oder Holzskulpturen oder
Ludwigsburger Porzellan oder Lebkuchen-
modelle nicht anders begehrt, als sie Thurn und
Taxis'sche Briefmarken sammeln würde, wenn
das ebenso in der Mode wäre. Das Pürschen
nach alten Sachen hat nämlich bei neun Zehntel
GEMjVLDE NEUBAU DES AQUARIUMS« l'Jlä.
der vielen Leute, die sich jetzt dieses Sportes
befleißigen. Formen angenommen, die dabei
an irgendwelches künstlerisches Interesse kaum
noch glauben lassen. Man kauft das Alte nicht,
weil es Kunst, sondern weil es alt, weil es aus
dem und dem Jahrhundert, weil es von der und
der Seltenheit ist. Es ist ein rein statistisches,
wenn man will: ein philologisches Interesse,
das auf solche Weise befriedigt wird. Einen
Porzellan-Sammler etwa packt der Ehrgeiz alle
noch nicht in Museums - Besitz befindlichen
Wegely - Porzellane zusammenzubringen. Er
konzentriert sich ganz auf diese bizarre Auf-
gabe, hat Interesse nur für die paar Stücke des
verunglückten Wegelyschen Unternehmens und
würde es gar als eine Verschwendung seiner
Mittel empfinden, wenn er delikate Porzellan-
kunstwerke von Barlach bis zu den Meistern
von Sevres oder Meißen kaufen sollte. Unmög-
lich, hier zu untersuchen, wieso diese kunst-
fremde und kunstfeindliche Leidenschaftlichkeit
Die Sugo^estion der Ayiiiquität.
ERICH BUTTNEK BERLIN.
für Dinge, die früher einmal aus Kunstwerk-
stätten hervorgegangen sind, sich zu einer Ra-
serei fast auswachsen konnte. Nicht unerheb-
liche Schuld daran hat die eigenartige Sammel-
tätigkeit unserer Museen, die statt Institute
zum Kunstgenuß und zur künstlerischen Er-
hebung zu Aufbewahrungsstätten von alter
Kunst geworden sind. Der guten alten Kunst,
aber auch, aber fast mehr der alten Kunst
dritten, vierten, fünften, achten, zehnten Ran-
ges, all des Zeugs, das gewiß eine entwicklungs-
geschichtliche, kulturhistorische, philologische
Bedeutung hat, das aber für den Kunstgenuß
ganz ohne Belang ist. Für die Wissenschaft
von der Kunst, für gewisse Spezialforschungen
mag es nicht ganz gleichgültig sein, zu wissen,
daß es im 17. Jahrhundert in Prag einen itali-
sierenden Historienmaler namens Screta oder
in München einen Eklektiker Karl Lolh gegeben,
daß am Ende des 19. Jahrhunderts ein Gott-
schall gelebt und gedichtet hat, aber kann für
IN lI]LRINiJ.-.liORi- 1:44.
Menschen, die auf künstlerische Erlebnisse aus
sind, etwas gleichgültiger sein als die Existenz
von derlei Geistern? Das Museum nun, wie
es sich im letzten Jahrhundert entwickelt hat,
gibt solchen Sachen eine lächerliche Importanz,
die in der Folge das große Publikum verleiten
mußte, jeden, auch den unzulänglichsten alten
Schinken als etwas Sakrosantes zu behandeln.
Als Männer wie Tschudi und Lichtwark bei der
Organisation öffentlicher und privater Samm-
lungen vom lebendigen Kunstempfinden aus-
zugehen verlangten, als sie forderten, auch das
Alte auf seinen Gehalt an Menschlichkeit zu
beklopfen, wurde auch das als revolutionär
empfunden. Ja, es begab sich, nachdem doch
bei einigen neueren Sammlern und Museums-
leitern die Richtigkeit dieser Erkenntnis sich
durchzubrechen begann, daß von einem unserer
einflußreichsten Museumsmänner eine Aus-
stellung arrangiert wurde, eine Ausstellung
alter Meister aus privatem Besitz, mit der den
ERICH BÜTTNER BERLIN. GEMÄLDE .DAS GARTENHAUS. IHK!.
Die Sugcrestimi der Antiquität.
ERICH UUTINEK BERLIN.
Museumsleuten bewiesen werden sollte, daß
es für sie noch immer zu erschwinglichem Preis
alte Meister zu erstehen gäbe und daß es des-
halb nicht notwendig wäre, sich aus Mangel an
altem Material mit der t heutigen Kunst ein-
zulassen. Eine Beweisführung, die bezeichnend
genug für eine in weitesten Kreisen verbreitete
Denkweise ist. Aber was soll ein kleiner be-
langloser Italiener oder Niederländer — und
nur darum kann es sich ja bei der heutigen
Preisbildung des Kunstmarktes handeln — in
einem unserer Provinzmuseen?! Was soll er
da, wo es eine lokale und kulturelle Beziehung
zu ihm nicht gibt und von einer besonderen
künstlerischen Beziehung keine Rede sein
kann? Ich weiß nicht, was mich irgendwie in
der deutschen Landschaft gleichgültiger lassen
könnte, als einen gelegentlichen Guardi, als ein
Köpfchen des Cima, eine Madonna des Previ-
tali oder eine mythologische Theatralik des van
Noord. Was soll man damit in Halle, in Stettin
oder sonstwo, wo den Leuten an kunsthistori-
schen Belegstückchen gar nichts liegen kann,
wo zu ihnen am stärksten doch die Kunst ihrer
Heimat und die Kunst ihrer Zeit spricht. Aber
es gibt unter denen, die sich wissentlich mit
GEMAXDE STRANIJi Vn'i.
alter Kunst befassen, einen Dünkel, ja, ich wage
zu sagen: eine Art von Verfolgungswahn gegen
alle Kunst, die nach Abschluß ihrer Hand-,
Lehr- und Nachschlagebücher entstanden ist.
Natürlich ist es ein Trugschluß mit alter Kunsl,
und zwar mit derjenigen zweiten und dritten
Ranges, die neue in Grund und Boden beweisen
zu wollen. Für den Zuschauer haben sie sogar
etwas sehr Paradoxes, diese Bemühungen, die
Leute, die früher die Kunst machten, zu be-
wundern und gleichzeitig die, die sie jetzt
machen, zu verachten. —
Es ist das ja ein Laster, dem seit Jahrhun-
derten, seit den Tagen der Renaissance, die
gesamte Menschheit mit immer neuer Wollust
zu erliegen scheint. Von dem Tage an, da der
römische Boden die erste Antike wieder von
sich gab und dieser Fund einen Glücksrausch
in allen kunstempfänglichen Gemütern entzün-
dede, von dem Tage an, da man einem Bild-
hauer zujubelte, weil er ein der Antike wür-
diges , ein mit den Antiken verwechselbares
Werk geschaffen hatte, war alle gegenwärtige
Kunst nur noch Schatten einer großen, unwie-
derbringlichen Vergangenheit. Wenn Brandi
von der Renaissance auch noch schreiben kann :
KRICII BÜTTXIvR BERLIN. l'.lI.liNI-^ .AKXM Hui,/ r.'ir,
Die Suggestion der AntiijuHät.
„Daß die Baumeister genau so wie die Huma-
nisten sich mit Unrecht einbildeten, in ihren
Werken recht antik zu sein , darf uns nicht
stören. Das Beste mußten sie doch fort und
fort aus sich nehmen, und die Antike war ihnen
nicht mehr als ein guter Lehrer, der ein Talent
zur vollen Entfaltung bringt, das ohne ihn viel-
leicht verwildert wäre", so war für die Wert-
schätzung dieser Kunst doch nicht maßgebend
das Selbständig-Persönliche, sondern jene vor-
gebliche Verwandtschaft mit der Antike. Der
Künstler galt als der größte, der diesem —
wirklichen oder eingebildeten — Vergangen-
heitsideal am nächsten zu kommen schien. Und
diese Stimmungstendenz, angefacht von Leuten
mit so gewalligem Einfluß auf die Geisteswelt
wie Mengs, wie Winkelmann, Goethe und so
viele andere, mußte von Jahrzehnt zu Jahr-
zehnt, von Jahrhundert zu Jahrhundert ins Un-
ermeßliche wachsen. Ohnmächtig, erdrückt von
diesem Erbe, saß die Künstler-Generation nach
Goethe, die Bruderschaft der Nazarener, die
Overbeck, Schadow, Veit, Cornelius usw. in
den römischen Osterien und es war selbstver-
ständlich, daß in der Folge der Bürger zu einer
grenzenlosen Geringschätzung alles gegenwär-
tigen Schaffens im Vergleich zu der Kunst der
Alten kommen mußte. Zugegeben, daß nach
Rembrandt, nach Michelangelo, nach der Anti-
gone oder der Statue des Chertihotep nichts
mehr von der gleichen Vollkommenheit ent-
standen ist, das berechtigt doch noch lange
nicht jede Gleichgültigkeit aus alter Zeit über
alles, was heute an Kunst gemacht wird, zu
stellen. Für Menschen mit einem Minimum von
künstlerischem Empfinden ist es selbstverständ-
lich, daß keine der unzähligen Porträts der
deutschen Barockmaler: der Sandrart, Stech,
Schulz, Scheits, Denner, Prugger, Kupetzky,
Manjoki und wie sie noch alle heißen mögen
auch nur im Enferntesten heranzureichen ver-
mag an irgend ein Porträt von Liebermann oder
Munch; aber ich glaube, man könnte hundert
gegen eins wetten, daß das Durchschnitts-
Publikum bei der Wahl zwischen einem solchen
alten Bildnis, gar einem Niederländer oder einem
Italiener, und diesen modernen Porträts sich
aus diesem antiquarischen Trieb heraus gegen
den Liebermann und gegen den Munch ent-
scheiden würde. In Künstlerkreisen hat man
sich von diesem Bann, der lähmend auf allem
Schaffen lag, der uns in den 70er und 80er
Jahren die modernen Großstädte mit gotisie-
renden Fabrikkasernen und dergleichen Scheuß-
lichkeiten brachte, bereits zu emanzipieren be-
gonnen. Man steht dem alten wie dem neuen
Schaffen kritisch gegenüber, schätzt einen Hals,
einen Grecco, einen gotischen Glasmaler, weiß,
daß Guido Reni ein flauer Routinier gewesen
und wagt es sogar gewisse Kompositionen von
Raphael als „affektiert" abzulehnen (Scheffler).
Allein die große Masse bleibt nach wie vor
vergangenheitsgläubig. Auch bei diesem Gegen-
satz von alter und neuer Produktion ist ihr der
künstlerische Gehalt im Grunde genommen
gleichgültig. Sie bevorzugt, sie schätzt und ver-
ehrt das Alte, weil es alt ist. Sie nimmt dieser
Altertümlichkeit zuliebe sogar mit großen Un-
zweckmäßigkeiten und Unbequemlichkeiten
vorlieb, wie jeder Innendekorateur und jeder
Möbelfabrikant bestätigen wird, der Leute
einmal „stilvoll" eingerichtet hat. Um der Louis
seize-Konvention willen opfert Madame bereit-
willigst allen möglichen modernen Komfort,
vielleicht nicht einmal, weil sie in der Seele ein
Verlangen nach Louis seize-Formen trägt, son-
dern weil sie weiß oder gehört hat, daß Louis
seize der Stil der feinen Leute, der Stil ehe-
maliger Könige gewesen und weil es der natür-
liche Ehrgeiz aller arrivierten Bourgeois-Mada-
mes ist, um sich herum einen königlichen Rah-
men zu spannen. Daß dies Verlangen nach
Louis seize in vielen Fällen gar nicht auf einem
bestimmten Bedürfnis und ebensowenig auf
festgegründeten Anschauungen basiert, beweist
die von so vielen modernen Innendekorateuren
berichtete Anekdote, daß, wenn Leute zu ihnen
kamen mit dem Wunsch nach einem Louis
seize Boudoir oder einem Louis seize Salon,
sie ihnen als kulante Kaufleute „das modernste
Louis seize, was man eben hat" versprachen
und ihnen dann einen modernen kunstgewerb-
lichen Raum, der vielleicht nicht allzu starr in
der Linienführung und nicht allzu grell im Ko-
lorit war, lieferten, womit der Louis seize Ein-
bildung durchaus genügt war.
Derlei Vorfälle gestatteten den Schluß, daß
diese scheinbar so lohende Liebe zur alten
Kunst bei einem nicht unbeträchtlichen Teil des
Publikums nicht auf ästhetischen Einsichten
beruht , sondern daß diese Begeisterung aus
ganz anderen Quellen fließt. Gibt man zu —
und ich wüßte nicht, wie man das leugnen
wollte — daß eine Truhe, ein Brokat, eine
Miniatur, ein Bild aus irgend einem früheren
Jahrhundert von zahllosen dieser Antiquitäten-
schwärmer kaum eines Blickes gewürdigt würde,
wenn man sie ihnen als das Werk eines heute
Lebenden vorlegte, so ist es nicht mehr mög-
lich die These zu bestreiten, daß dieser (nicht
kleine) Teil des Publikums selbst da , wo er
eine so heftige Leidenschaft für Kunst vorzu-
geben pflegt, seine Befriedigung an etwas findet,
was mit der Kunst eigentlich nichts zu tun hat. —
^<J^1 H ^^
c-
FRAU LILI.I TERSTEGEN — MÜNCHEN.
»HAUSKLEID AUS WÜISSEM WuLLFRIESi
MODE-ENTWÜRFE.
ZU DEM WETTBEWERBE DES MODEBUNDES SITZ FRANKFURT A. M.
Das Modebild begibt sich seiner Hauptwir-
kungskraft, wenn es nur Wirklichkeitswert
anstrebt. Es muß, um seine künstlerische Mis-
sion zu erfüllen und volle Propagandakraft zu
erreichen, mit stärkeren Reizen arbeiten, auch
wenn sie dergestalt garnicht verwirklicht wer-
den können. Das Modebild eilt also der zeit-
lichen Entwicklung voraus und darf daher an
das Einbildungsvermögen der Betrachter weit-
gehende Anforderungen stellen. Ja, es wird
sogar um so sympathischer empfangen werden,
je höher es die Phantasie der Interessenten
einschätzt. Dann sehen sich die Kreise, an die
sich das Modebild wendet, als vollwertig, als
kunstverständig und geschmackssicher genom-
men und werden alles aufbieten, diese Ein-
schätzung zu rechtfertigen. Und die Frau ist ja
gerade zu einer quecksilberschnellen Steigerung
ihrer Kräfte und ihrer Fähigkeiten bereit, wenn
sie psychisch dazu angeregt wird.
Das Modebild soll also den Anreiz geben.
Es wird dabei die Charakteristika einer kom-
menden Mode recht deutlich, recht reizvoll
unterstreichen. Nur v/enn schlummernde Wün-
sche und ungenützte Schöpferkräfte dadurch
geweckt werden, erfüllt es seinen Zweck, nicht
etwa durch schulmeisterliches Vorschreiben
aller Schnitte und Nähte; das Technische muß
jede Schneiderin schon können. Solche geschul-
ten Kräfte vermögen dank der ihnen in die Hand
gegebenen schöpferischen Anregung jene unter-
geordneten Einzelfragen des Schnitts und der
Anpassung für jeden Spezialfall spielend leicht
zu bewältigen. Denn umgekehrt, aus Schnitt-
mustern und Formlappen entsteht nie ein trag-
bares Kleid, immer nur etwas Geschneidertes.
Was man den durch das Preisausschreiben
des Frankfurier Modebunds zutage geförderten
Entwürfen jedenfalls schon nachrühmen kann,
ist weniger die verblüffende Wirkung der ein-
zelnen Skizze, als vielmehr diese Parallelität
in den Absichten, die der Gesamtheit der Er-
scheinungen erst das spezifisch Modegemäße
gibt. So weit dieser Vortrupp der Künstler auch
dem breiteren Troß des Publikums vorauseilen
und wagemutig ausschwärmen muß, die Ein-
Mode-Enhvürfe.
zelnen bleiben doch in Fühlung miteinander,
sind sich der Zusammengehörigkeit stets be-
wußt. Das ist natürhch nicht von gestern auf
heute so zielbewußt geworden. Man muß viel-
mehr annehmen, daß diese Einheitlichkeit zu
danken ist der durch ihre Unaufdringlichkeit
gerade so sympathischen Wirksamkeit des
Modebunds. Denn ohne dessen großzügige, noch
ganz unsubstantielle Direktiven können auch
die talentvollsten Künstler, wenn sie da und
dort sich noch so sehr einsetzen, keine Mode
machen, ja die verschiedenen Bemühungen wer-
den sich gegenseitig geradezu aufheben. Mode
ist bedingt nicht allein durch schöpferische Kraft
u. Fähigkeiten, son-
dern fast noch mehr
durch die Bereit-
schaft zur Einfüg-
ung, ja zur Unter-
ordnung unter den
Willen der Gesamt-
heit. — Beides läßt
sich nicht erzwin-
gen. Und deshalb
will der Modebund
auch nicht als Ge-
schmacksdiktatur
aufgefaßt werden,
höchstens als eine
Art Zensur, die —
es kann nicht oft
genug gesagt wer-
den — möglichst
unmerklich ihre
Wirksamkeit aus-
zuüben hat, indem
sie Irrungen vor-
beugtund Fehlgriffe
verhindert. Viele
Hände sind an der
Arbeit , nicht alle
Köpfe erkennen
klar genug das ge-
meinsameZiel. Des-
halb bedarf es auch
hier organisierter
Arbeit. — Denn
schließlich ist, so
belanglos dieses
Symptom auch vor-
erst noch sein mag,
selbst die neue
Modebewegung ein
Zeichen des Ge-
meinschaftsgefühls
unserer Zeit
W. MÜLLER-WULCKOW.
S'
FRAU LILLI TERSTEGEN. «SCHLAFROCK MIT STICKEREI UND l'ELZ.
vollen Schmuck zu tragen, geht rapid dem
Verfall entgegen. Man kauft Brillanten und
teure Steine, aber nur die ältere Frau hat manch-
mal noch die Ruhe, sie würdevoll zu tragen.
Der Reichtum wird zur Schau gestellt, doch nur
in den allerseltensten Fällen gehen die Ringe,
Hänger, Reifen eine organische Verbindung ein
mit dem Kleid und dem Menschen. Die Mode
hat alles an sich gerissen, allen Aufwand, alle
Gedanken, auch die Bewegungen der Frau. Das
wippt und stelzt, tänzelt und spielt. Zu spiele-
risch und zu gewollt jugendlich ist die Mode;
würdiger, künstlerischer Schmuck paßt in dieses
System nichthinein.
Wo soll die reiche
Brosche, das Brust-
gehänge denn auch
Platz finden? Wo
sind die großen
Stoff - Flächen als
Hintergrund? Jede
Mode trägt den
Stempel der Ver-
gänglichkeit. Flüch-
tige Reize will sie
nur bieten. Der
gute, künstlerische
Schmuck dagegen
will für die Dauer
sein, er ist vielleicht
auch zu persönlich
und eigenartig, als
daß er sich dem
allgemeinen Mode-
bild einfügte. So
schmückt man Gür-
tel, Hut, Hals mit
leichten Bändern,
Knöpfen und Fe-
dern ; was an metal-
lenen Zutaten nötig
ist, wird durch ei-
nen kleinen Witz,
eine nette Linie auf-
geputzt, das genügt
für den Stil des
Modekleides. — Ich
wage es nicht hier zu
prophezeien, aber
der Künstler wird
gut tun, mehr der
Kleinkunst sich zu-
zuwenden , denn
Schmuck verheißt
seiner Mühe keinen
guten Lohn. . . a, v.
FRAU IRMA. FIRI.E MÜNCHEN.
»ENTWURFE ZU JACKENKLEIDER-
DIE BÜHNE DES HÄUSLICHEN LEBENS.
Eine eigentümliche Beobachtung ist in un-
serm Wohnwesen täglich zu machen : Je
größer die Zahl der Räume, je prunkhafter die
Ausstattung, desto geringer pflegt die Bewe-
gungsfreiheit und die NutzungsmögUchkeit für
den Bewohner zu sein. Er wird zum Sklaven
seiner Möbel. Diese teuren Stoffe, diepolierten
Wandflächen, die kostbaren Porzellane und
Schnitzereien ! Nichts soll man berühren, nichts
aus seiner wohlberechnetcn Stellung verrücken,
kaum wagt dur Fuß auf die seidenen Teppiche
zu treten. — Muß es denn so sein? 0 nein!
Nichts liegt im Wege, auch das Heim zu einem
Festplatz zu gestalten, zu einer Bühne des
Lebens, auf der häusliche Spiele der Freude,
der Schönheit, heiterer Laune ohne Unterlaß
sich folgen. Das Leben, besonders das häus-
liche Leben, erscheint der Mehrzahl deshalb so
nüchtern, schwer, öde, weil sie aus einem un-
verzeihlichen Mangel an Phantasie und geisti-
ger Elastizität nicht über den oberflächlichsten
Sinn und Zweck ihrer Umgebung hinaussehen.
Nur die Phantasie hilft uns, Schönheit wahrzu-
nehmen, tiefern Sinn, Ausdruck, Beziehungen,
Die Bühne den liäualichen Jxbens.
KiCA.U LILLI TERSTEGEN— MÜNCHEN.
Symbole. Ohne Phantasie kein höherer Genuß !
Wem die Wohnung nicht mehr ist als eine Ge-
legenheit zum Wohnen, Schlafen, Essen, Ar-
beiten, den wird sie eben anöden, und wenn
ihre künstlerische Ausstattung Hunderttausende
verschlungen hat. Es darf nicht verschwiegen
werden, unsere Raumkunst hat sich bisher
schwer versündigt, indem sie die starre, nüch-
terne Auffassung des häuslichen Lebens nur
allzu sehr gefördert hat. Sie ist mitverant-
wortlich für die Regie der Häuslichkeit, und
dieser Verantwortung hat sie sich keineswegs
gewachsen gezeigt. Da ist ein Übermaß an
Säulen, Getäfel, Ein- und Umbauten. Doch sie
»HAUSKLEID IN WOLLMUSSELIN UND SAMTJACKCHEN .
dienen nur „architektonischen Zwecken". Wir
brauchen Nischen und Lauben, wo es sich an-
genehm sitzt und plaudert. Sofort wird man
Lust haben, daheim zu bleiben und zu plau-
dern. Welcher Architekt hat daran gedacht,
Türen und Möbel so zu verteilen, daß dem Fuß
angenehme Wege vorgezeichnet sind, daß sie
elegante Wendungen bezwingen, daß sich die
Körper der Wandelnden als Bild darbieten?
Die Wandtäfelung soll in erster Linie nicht,
wie man zu glauben scheint, die Wand „auf-
teilen", sondern den davor Stehenden oder
SitzendengünstigeHintergründeundRahmungen
darbieten. Schafft Sitz- und Ruhegelegenheiten,
Die Bühne des häuslichen Lebens.
FRAU ST. NATHAN— BERLIN. .WEISSER ROCK, GRUNSEIUENE TAILLE U. ÜBERWURF MIT ROTEM MUSTER«
die nicht bloß bequem sind, sondern auch eine
dem Auge erfreuliche Stellung bedingen! Be-
sonders die Frau wird dafür sehr empfänglich
sein und den Künstler loben, der ihre Schön-
heit ins rechte Licht zu setzen vermochte. Die
eine wird Polster und Schemel lieben, eine an-
dere Hochsitze, Treppenstufen oder langge-
streckte Ruhesessel. Kein Architekt dürfte
sich sträuben, so interessante Geräte zur Be-
reicherung seiner Raumbilder zu erhalten. Das
häusliche Leben braucht aber noch mehr sol-
cher Requisiten: Vorhänge zum Teilen langer
Räume, zum Abtrennen von Nischen, Schleier
zum Dämpfen, Winkel zum Verstecken, Schran-
ken, Geländer. Laßt die Schaukel, das schönste
Requisit der Schäferspiele, wieder schwingen!
Erlöst sie von ihrer entwürdigenden Rolle als
Turngerät! Und wie jämmerlich erstarrt sind
die Beleuchtungskünste! Was ließ sich allein
für ein reizender Zauber aufführen mit der
wandelnden Kerze, mit den verstellbaren
Schirmchen! Jedes Licht ist natürlicher Sam-
melpunkt für eine Gruppe; es gruppiert, indem
es in Hell und Dunkel scheidet, es läßt Züge
geheimnisvoll autleuchten und verschwinden.
Diese Enthüllungen, Deutungen, Verdunke-
lungen sind so reizvoll und anregend, wie die
Unterhaltungen, die sie hervorrufen, während
Die Bühie des häuslichen Lebens.
FRAU LILLI REICH 11EK1.1>
die grelle Beleuchtung der vieltausendkerzigen
Kronen nichts erzeugt als eine künstliche,
marmorne Erstarrung.
Der Spiegel ist der Frau ein vertrauterFreund
und Spielgenosse. Der Architekt soll ihn darum
nicht wie ein Stück Tapete ankleben, wo seine
Architektur gerade zufällig eine Lücke ließ.
Der Spiegel ist für einen Lückenbüßer viel zu
schade. Baut ihm Nischen, Wände !
Selbst in der luxuriösesten Wohnung fehlt
es allenthalben an Spielgerät. Man hat viel-
leicht einen Kartentisch im Herrenzimmer,
einen Flügel im Musikraum. Alles übrige mußte
sich ins Kinderzimmer zurückziehen, denn wir
XX. Februar 1917. 5
Erwachsenen sind zum Spielen doch zu ernst!
Und wie leicht könnte den teuren Sachen was
geschehen ! Dabei verstehen es die Wenigsten,
um ihren Flügel einen wirklich stimmungsvollen
Musikraum herumzubauen. Mit dem vielbe-
liebten Grammophon ist es ebenso. Es steht
blöd und starr in seiner Ecke, wo gerade Platz
war. Von Verständnis für seine eigenartige
Rolle keine Spur! Warum errichten wir ihm
nicht einen Tempel oder die Andeutung eines
Tempels, und ein Tanzplätzchen dazu? Die
Hausaltäre sind verschwunden, aber Räume
der Sammlung, des Kunstgenusses haben sie
nicht ersetzt. Wißt ihr, warum auch Verwöhn-
337
WIENER WERKSTÄTTE. -THEATER-KOSTÜME FÜR BUDAPEST.
WIENER WERKSTÄTTE. .THEATER-KOSTÜME FÜR BUDAPEST.
Die Bühne des häuslichen Lebens.
tere das Kino lieben? Es ist die Verdunkelung,
das Sitzen in den Logen! Dunkelräume für
Stimmung und Sammlung könnten wir aber
wahrhaftig auch zuhause schaffen. Wir wollen
spielen, eintauchen in die Rolle, die uns in dem
Stück „Häusliches Leben" mit seinen Akten :
Kindheit, Liebe, Vater und Mutter, Alter —
zugewiesen ist. Der alte Herr liebt den Ohren-
stuhl, den Schlafrock, Mütze, Pantoffel, Fuß-
kissen, die lange Pfeife nicht allein der Bequem-
lichkeit wegen. Sie helfen ihm so hübsch, seine
Rolle des geruhsamen Alters spielen, und darum
möchte er sie nicht entbehren. So strebt jeder
zu seiner Rolle. Macht das Spiel amüsant,
reich, schön! Dazu ist die Wohnung in erster
Linie da. „Essen" kann ich auch im Gasthaus,
„arbeiten" im Büro, „schlafen" im Hotel. — Ich
beurteile eine Wohnung darnach, wie sie den Be-
wohnern dient, ob sie nur ein architektonisches
Schmuckstück sein will, oder eine würdige
Bühne für das Stück Leben, das sich in ihr ab-
spielt. Und diese Entwicklung möchte ich unserm
Luxus wünschen, die eine Bereicherung und He-
bung des häuslichen Lebens bringt, a. jaumann.
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340
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ARCHITEKT DAGOBERT PECHE-WIEN. »WANDMALEREI IM VERKAUFSRAUM DER WIENER WERKSTÄTTE WIEN«
AR( HITEKT D. PECHE- WIEN.
■ LEUCHTER UND SPIEGEL«
DAGOBERT PECHE-WIEN.
Friedrich Naumann hat in seinem Standard-
Werk „Mittel-Europa", in welchem er die
Kräfte der verbundenen Mittelmächte wägt und
verteilt, dem österreichischen Kunstgewerbe
eine hervorragende Bedeutung in dem künf-
tigen Wirtschaftsstaat zugesprochen. In Öster-
reichs klassisch gebundenem und dennoch phan-
tasiebeschwingtem Stil sieht er die glücklichste
Harmonie, weil Typus und Individualistik sich
darin die Wage halten. Zu den interessantesten
Künstlern dieser Art muß Dagobert Peche ge-
zählt werden. Dieser der jungen Generation
gehörende Architekt ist eine stark umrissene
Persönlichkeit. Seine Charakteristik: seltsame
Bewegtheit. Peche lenkte in der Tapeten-
Ausstellung des österreichischen Museums
(Winter 1914) zum ersten Mal die Aufmerk-
samkeit auf sich durch die übertriebene Dyna-
mik seiner Formen. Man hätte diese Stühle,
Tische, Kanapees expressionistisch oder futu-
risch nennen können. Denn der junge Künstler
verschmähte es dort einzusetzen, wo die abge-
klärte Entwicklung der führenden Stil-Meister
bereits Typen schaffend angelangt war. Er
lebte seine eigene Sturm- und Drang-Periode
durch, wie einst die Älteren den Jugend-Stil.
Damit aber wurde ihm auch die Kraft als ein
Eigener sich allmählich zu bändigen. Er steht
trotz seines starken Kontrastes zu der klassi-
schen Abgewogenheit des österreichischen Stil-
gefühls dennoch im tiefen Zusammenhang mit
dem reichen Erlebnis der Hoffmann - Schule.
Und Hoffmann war es, der jetzt, weil Architekt
Wimmer als Leiter der Mode-Abteilung zu sehr
in Anspruch genommen ist, sich als zweite für
die Wiener Werkstätte schaffende dekorative
Kraft Dagobert Peche wählte. Es schien ihm
wertvoll, die barocke Note einer leidenschaft-
lich bewegten Phantasie seiner eigenen monu-
mentalen Art entgegenzustellen, um dadurch
Spannungen der Polarität Zugewinnen, die kein
Zur-Ruhe-kommen gestatten. Schon in der
Daoobert Peche -Wien.
ARCHITEKT DAGOHERT PECHE— WIEN.
Werkbund-Ausstellung zu Köln erregten die
Glasfenster dieses Künstlers das allgemeine
Interesse. Ganz aber fand sich Peche zum ersten
Mal, als er im vorigen Jahr die große Wiener
Mode -Ausstellung räumlich gestalten durfte.
Die Leser dieser Zeitschrift
kennen aus Abbildungen
die poetische , sensitive
Stimmung in der der Innen-
Dekorateur den Duft von
Frauenmode einfing. Zärt-
lichkeit ist ja eine der Leit-
gefühle, die Peches Linie
ihre bewegte Kurve gibt.
Und aus dieser Linie spricht
im letzten, geheimsten Ge-
ständnis der Gotiker, der
wie überall hinter dem ge-
lösten, leidenschaftlichen
Sein des Barocks aufer-
steht. — Und auch der
Flammen-Stil Peches kennt
den Sang der unerwarte-
ten Farben - Harmonien.
Der neuen Stoffniederlage
der Wiener Werkstätte
prägt Dagobert Peches
Phantasie in Geweben und
Spitzen einen intensiven,
beschwingten Stil. Er ist
der Künstler des unwieder-
holbaren Einfalls; er ist
aber auch der von Joseph
Hoffmann erzogene tekto-
nisch durchgebildete Ord-
ner, der den Überschwang
seines Rhythmus zu däm-
men weiß. B ZUCKEKKANDL, 1 lAGi )HERT l'ECHE
-ÜObEN IN' SILBER MIT MOOSACHAT.
VOM STILLEBEN. Das klassische Volk des
Stillebens sind die Niederländer. Und erst
von der niederländischen Blüte des Stillebens
aus hat sich dieses auf dem Wege des Völker-
verkehrs die Welt erobert. — Auch die Nieder-
länder freilich haben das
Stilleben nicht erfunden.
Dieses ist vielmehr uralt.
Schon die alten Griechen
haben es gekannt, und es
sind uns auch antike Still-
leben erhalten geblieben.
Ein Fischstilleben aus der
Markthalle von Pompeji
sei genannt und ein Stiil-
leben aus Büchern, Schreib-
zeug und Rollen, das eben-
falls in Pompeji in einem
Privathause zum Vorschein
gekommen ist. — Nach
dem Untergang der grie-
chisch-römischen Welt ge-
riet das Stilleben wohl et-
was in Vergessenheit. Das
Mittelalter hatte für das
beschauliche Betrachten
der irdischen Umwelt nur
wenig übrig. Es lebte und
dachte in Begriffen und
Symbolen. Erst Franz von
Assisi hatte wieder ein
Gefühl für die Natur. Ihm
war sie nicht mehr ein
Werk des Satans, nur ge-
schaffen, um denMenschen
in Versuchung zu führen,
ihm war sie wieder etwas
■lEEDosE iNMi-HEK Nahcs uud Vertrautcs. Er
Vom Stilleben.
DAGOBERT PECHE- WIEN.
sprach zu den Vögeln wie zu Menschen, und
die Blumen waren seine lieben Freunde. Aber
bis solche naturinnigen Gedanken des heiligen
Franz (der 1226 starb) Allgemeingut der Mensch-
heit wurden , verging lange Zeit. Immerhin
sehen wir im 15. Jahrhundert, auch hier und
da schon früher, wie die nordischen Maler, am
meisten die von Köln, auf ihren Heiligen-Bildern
mit einer besonderen Liebe den Gräsern, den
BROSCHEN IN ELFENBEIN
Blüten, den Steinchen, den Ästen und Zweigen
und Blättern nachgehen.
Daß wir diese Beobachtung gerade im ger-
manischen Norden machen, ist nicht auffällig.
Es entspricht das der Liebe zum Einzelnen,
Kleinen, oft Unscheinbaren, die ein allgemeiner
Wesenszug der nordischen germanischen Kunst
ist. Intensives Sichversenken in die intimen
Schönheiten irgend eines harmlosen Wesens
DAGOBERT PECHE-WIEN. »ANHÄNGER IN ELFENBEIN. WIENER WERKSTÄTTE.
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Vom Stilleben.
DAGOBERT PECHE— WIEN.
oder Dinges zeichnete den deutschen wie den
niederländischen Künstler von jeher aus; nicht
nur in der Kunst, in allem und jedem beseelt
den Nordländer ein Drang zum Besonderen,
zum Individuellen, Charakteristischen. So er-
freute sich der Künstler im Norden, in den
Niederlanden, in Deutschland und teilweise
auch in Frankreich, bereits zu einer Zeit an der
genauen Schilderung von Gräsern und Blüten,
von Früchten und von den verschiedenen Dingen
des Alltages, als der Südländer, besonders der
»OSTEK-GEaCHENKE« P.VFPE BEMALT.
Italiener, an ihre Beachtung noch nicht im ent-
ferntesten dachte. Als der niederländische
Maler Hugo van der Goes um das Jahr 1480
in Florenz eine Geburt Christi ausstellte, auf
dem ein paar Blumen im Glase und im bunten
Steinkruge vorn am Rande, mit unendlicher
Liebe und Treue gemalt, zu sehen waren, er-
regte das in Florenz ein ungeheueres Aufsehen.
Ein Bild zu malen, auf dem nur Blumen darge-
stellt gewesen wären, war damals allerdings völ-
lig undenkbar. Aber wir sehen in den Blumen
HArinr.i.Ri i'i ( in;, (isi i.K-f.i-si in \ki r.\i'i'i iumali. \i.
;i;: WIINI !<. \VI KKMA I I I
346
XX. Februar 1917. 6
Vom Stilleben.
ARCHITEKT DAGOBERT PECHE— WIEN.
des Portinari- Altares von van derGoes die Ah-
nen des späteren niederländischen Stillebens.
Näher kommen wir dem eigentlichen Stilleben
schon mit einigen Arbeiten unseres Albrecht
•SILBERNE DOSEN« WIENER WERKSTATTE.
Dürer, Malereien in Wasserfarben, die ein Stück
Erde mit einem Büschel Gras, einen Vogelflügel,
einzelne Blumen und anderes darstellen, auf
Blättern, die nun nicht mehr in der Hauptsache
ARCHITEKT D.\G. PECHE. FRUCHTSCHALE IN GETRIEBENEM SILBER« WIENER WERKSTÄTTE.
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Vom Stilleben.
D. PECHE. DOSE« KERAMIK MIT GOLDDEKOR.
irgend einen anderen, religiösen
Stoff behandeln, sondern nichts als
eben nur diese unscheinbaren Ob-
jekte der Natur enthalten. Aber
ein Unterschied vom Stilleben be-
steht doch. Die Blätter dieser Art
waren für Dürer nur Studien. Nie-
mals sah er sie für fertige Bilder
an, die einen Anspruch darauf hät-
ten, öffentlich gezeigt und als Ge-
mälde in den Handel gebracht zu
werden. Sie waren ihm nur ein
Mittel , um sein Auge und die
Sicherheit seinei Hand zu vervoll-
kommnen, waren Mittel zum Zweck,
nicht Selbstzweck. Das eigentliche
Stilleben aber, das, was wir heute
so benennen, ist durchaus Selbst-
zweck. — Das wurde es bei den
Niederländern. Auch hier nicht von
heute auf morgen, sondern in einer
allmählichen Entwicklung. Den Aus-
gangspunkt bildeten notwendig
solche religiösen Bilder, auf denen
Früchte, Geräte, Blumen von der
Situation gefordert wurden, wie
etwa bei der Hochzeit zu Kanaa,
Noahs Dankopfer, oder bei der
Schlußszene aus der Geschich-
te vom verlorenen Sohn, die
das dem Heimgekehrten zu
Ehren gefeierte Festmahl schil-
dert. Auf solchen Bildern nahm
allmählich die Ausmalung der
Stillebenelemente einen immer
größeren Raum ein, die reli-
giöse Szene wurde immer mehr
in den Hintergrund gedrängt,
schließlich blieb nur noch ir-
gend eine der Personen übrig,
oft genug eine für die Ge-
schichte sehr gleichgültige; eine
Köchin, ein Bauer in der Tracht
ihres Alltages, bis dann eines
Tages auch diese fortfiel — und
damit war das Stilleben ge-
boren. — Daß diese Ausbil-
dung des Stillebens nun' ge-
rade bei den Niederländern
erfolgte, hatte seine tieferen
Gründe. Einmal war bei ihnen
jener allgemein germanische
Hang zur ruhigen und liebe-
AkcHIl liM.olIKl l'lclll \M1 i\ 1"J>I
Vom Stilleben.
DAG. PECHE. »DOSr.. KI".K.\MIK MIT C;(IL1J.
vollen Betrachtung einer an-
spruchslosen Umgebung beson-
ders deutlich ausgeprägt. Dazu
war das Volk relativ wohlhabend
und einem frohen Genießen der
irdischen Güter zugetan. Gut
Essen und Trinken war für sie
nichts Gleichgültiges, ein Glas
Wein, ein tüchtiger Braten, ge-
sottene Krebse , prangendes
Obst — das sahen sie gern auf
ihrem Tisch. Kein Wunder, daß
sie es auch gern geraalt sahen.
Und schließlich hatten die Nie-
derländer — darin einzig den
Venezianern zu vergleichen —
ein besonders fein ausgebildetes
Farbengefühl, sie waren Kolo-
risten, die ihre Farben bis aufs
äußerste und feinste auszunut-
zen verstanden. Natürlich such-
ten sich also die niederländi-
schen Maler, nachdem der Zwang
des religiösen Bildes einmal ge-
brochen war, für ihre Gemälde
solche Stoffe zum Vorbild, an
denen sie ihre Stärke , eben die
Farbe, am deutlichsten beweisen
konnten. Was aber war da geeig-
neter als Blumen, Früchte, buntes
Geschirr, schillernde Vogelfedern,
seidige Tierfelle, Gläser, in denen
das Licht reflektiert wird, Wein,
der durch grüne Römer schimmert
u. a. Alle diese Tatsachen kamen
zusammen, um den Niederländer
zum klassischen Stillebenmaler zu
machen. Es genügt, die Namen Jan
Wenix d.J, Franz Snyders,Davidsz
de Heem, Heda zu nennen. — Von
den Niederlanden aus nahm nun
das Stilleben seinen Weg über ganz
Europa. Es fand bei den einzelnen
Völkern eine sehr verschiedene
Aufnahme, je nach dem Tempera-
ment und den künstlerischen Idea-
len. Daß es im stammverwandten
Deutschland ohne weiteres Hei-
matsrecht gewann , versteht sich
von selbst. Freilich können wir
dem Heere hervorragender nieder-
ländischer Stillebenmaler für das
17. Jahrhundert nur wenige eben-
ARCHITEKT D.VGOBERT PECHE -WIEN. »DOSE IN KERAMIK MIT REUEFDEKOR«
/ oyn Stilleben.
PROFESSOR M. rOWOLNY -WIEN.
bürtige Künstler gegenüberstellen, aber in mo-
derner Zeit haben wir einige ausgezeichnete
Künstler des Stillebens zu verzeichnen, allen
voran Charles Schuch, aber auch Ferdinand
Waldmüller, Scholderer, Kurt Herrmann u. a. —
Die Italiener haben von Hause aus eine sehr
geringe Neigung zum Stilleben, ja man kann
sagen, daß dieser Begriff sich zum italienischen
Wesen geradezu gegensätzlich verhält. Der
Italiener ist als Künstler auf ganz andere Dinge
eingestellt. Ihn interessiert recht wenig das Un-
scheinbare, Kleine und Einzelne, sein Sinn ist
auf das Große, das Gewaltige und von allem
Zufälligen Befreite hingewandt, für ihn ist alles
das, was sich der niederländische Maler mit
Geduld zu einem Stilleben aufbaut, nichts als
„Kleinkram". Der Italiener hätte bei dieser
Gesinnung niemals zum Erfinder des Stillebens
werden können, und wenn wir nun doch in den
»GL.\SIERTE OFENKACHEL.
späteren Jahrhunderten der italienischen Ma-
lerei das Stilleben auftauchen sehen, so ist es
klar, daß es sich nur um eine Übernahme aus
dem Norden handeln kann. Es ist auch charak-
teristisch, daß das Stilleben innerhalb Italiens
eigentlich nur in Venedig eine Pflegestätte fand,
in derjenigen Stadt Italiens, die dem Norden
am nächsten lag, am ehesten Einflüssen von
dort offen stand und die wir schon vorhin als
den Niederländern im Punkte der künstleri-
schen Ideale verwandt bezeichneten.
Etwas anderes war es mit Spanien. Die
spanischen Maler sind in ihrem Wesen immer
eine eigenartige Mischung von religiöser Mystik
und realistischer Freude am täglichen Leben
gewesen. Der Trieb zum Großartigen, Erha-
benen hat bei ihnen nicht, wie bei den Italienern,
den anderen Trieb erstickt, freilich war ihrem
südlichen Charakter doch das Stilleben als
Vom Stilleben.
PROFESSOR M. POWOLN Y- WIEN.
ausschließlicher, einziger Inhalt eines Bildes
nicht interessant genug. Dem Niederländer ge-
nügten ein paar Blumen und Früchte als Stoff
eines Gemäldes, der Spanier wollte doch etwas
mehr sehen. So nehmen auf manchen Bildern
des Velasquez die Früchte, Geräte, Krüge zwar
einen großen Raum ein und sind mit augen-
scheinlicher Liebe gemalt, aber stets hat Velas-
quez dazu einen Bduern, einen Winzerburschen,
eine Köchin gemalt, damit das menschliche
Element nicht ganz fehle. Und ganz ähnlich ist
es bekanntlich auch bei MuriUo.
Wieder anders steht der Franzose zum Still-
leben. Einige der bedeutendsten unter den
neueren Stiilebenmalern sind Franzosen, so
Chardin, Courbet, Manet. Was den modernen
Franzosen zu diesem Zweige der Malerei ge-
trieben hat, ist nicht wie bei dem Niederländer
eine gewisse Genießerfreude am Dargestellten,
XX. Februar 1917. 7
>GL.\SIERTE OFENKACHEL:
auch nicht wie bei dem Spanier eine ganz naive
Teilnahme an allem Realem gewesen, sondern
ein fast wissenschaftliches Interesse an gewissen
optischen Problemen, die der französische Maler
glaubte am Stilleben am ehesten zur Lösung
bringen zu können, weil hier derSloif ein relativ
einfacher und unverworrener ist. Gerade weil
Äpfel und Birnen für den Geist nur ein geringes
Interesse bieten, durfte erhoffen, bei ihrer Be-
obachtung den optischen und malerischen Ge-
setzen, dem Spiel des Lichtes um so schärfer,
umsokonzentrieternachgehenzukönnen, durch
nichts abgelenkt, nur ganz Beobachter, „ganz
Auge." — In diesem modern wissenschaftlichen
Sinne haben sich in letzter Zeit fast alle Maler,
die das Stilleben gelegentlich oder ausschließ-
lich pflegen, demselben genähert. Man kann
schwerlich behaupten, daß die Kunst dabei zu
kurz gekommen sei dr. adolf behne.
ERNA PINNER-
FRANKFURT M.
• GROTESK-
PUPPE«
GROTESK-PUPPEN VON ERNA PINNER.
Es hat keinen Sinn, erst darauf hinzuweisen,
daß diese Arbeiten keineswegs die sehr
künstlerische morbide Geistigkeit von Puppen
der Lotte Prilzel erstreben, die ihre Art des
Seins erst in der Vitrine erhalten und eher aus
Stoffen und Wachs errichteten Plastiken
eines unsäglich verfeinerten neueren Barocks
gleichen. Die Puppen der Erna Pinner —
gleichweit entfernt des weiteren von den Ent-
würfen der Kruse, die für kindliche Vorstel-
lung den Geschmack eines künstlerischen For-
mats liefert, weiter nichts — diese Puppen
haben einen anderen Sinn. Denn sie haben
jenen grotesken Unterion, der sie, die Nach-
bildungen der Natur sind , dennoch über sie
hinaushebt. Sie sind in der eigentlichsten und
ersten Bedeutung Puppen und haben doch ein
inneres Lächeln über sich selbst. Sie scheinen
weiter nichts als Menschliches darzustellen und
widersprechen sich doch. In irgend einer Form
scheinen sie Synthesen aus dem Geistigen der
Prilzel und dem Formal-Massiven der Kruse.
Sie sind kurz Puppen, also Dinge für die Hand
zum Zerstreuen, Kneten, Arrangieren, die man
liebt, zerstört und verwirft, Dinge aus Material,
aus Stoff ganz und gar, Dinge einfach zum
Spielen, aber unter der Hand erhält dies all
schon seinen Widersinn. Aus dem spielerischen
Gegenstand wird eine Sache, die mit uns spielt.
So ist ihre Bestimmung nicht wie bei Lotte
Pritzel ein Erlesenes für Connaisseure, nicht
andrerseits ein geschmackvoll errichteter Gegen-
stand für Kinder, es wird hier mit Menschen
gerechnet, die die beängstigende Atmosphäre
des widersprechenden Seins im Bilde sehen
können. — Dastechnische Geheimnis grotesker
Wirkung dieser Puppen liegt im Unverhältnis
von Körper und Gesicht. Über sehr langen,
stilistisch wohl erzogenen grazilen Gliedern
stehen Köpfe, einfach aus Stoff gebildet und
schematisch mit Zügen übermalt, fast alle gleich
in der Form. So haben sie eine neutrale Ge-
fühlslosigkeit, die den raschen Wechsel sehr
bewegter Körperlichkeit stereotypisch über-
iB==ai
Gyoiesk- Puppen von Enm Pinner.
dauert. Dies Mißverhältnis, zuerst scheinbar
Fehler, bestürzt auf die Dauer und reizt zu
neuem Versuch. Zu jeder Geste, jeder Gefühls-
darstellung des Gliederhaften bildet sich im
Gesicht maskenhaftes Schweigen, ein Verhüllen
vor der Welt, ein Desavouieren der eigenen
Situation. Daher wird langsam das zuerst Un-
charakteristische dann das eigentlich Bedeu-
tende, der Akzent, der tiefere Sinn. — Dazu
kommt, daß diese Puppen im Grunde schlicht
sind, keine Überfeinerung ist versucht, keine
Dekadenz erstrebt, nirgends Drastik erprobt,
die im Äußeren hafte. Man kann sagen, daß
sie, nachfühlend dem guten Material, mit Ta-
lent für den einfachen Kontrast und mit Ge-
schmack im Künstlerischen gemacht seien, nicht
mehr. Denn ein Übertreiben des äußeren Rah-
mens verhüllte wohl den eigentlichen Sinn, der
nicht aus dem Augenblick, wohl abi r aus der
dauernden Verbindung mit den Puppen, aus dem
Wechsel, der Vertrautheit mit ihnen entspringt.
Die Industrie des Effekts erkennt Wirkungs-
volles bald. Die Körner führt diese halblebens-
groß handgefertigten Puppen in das Deutsche
Theater. Die Asta Nielsen stellt sie in die Mitte
eines Films. Überall steht in Hitze und Leiden-
schaft dermaskenhaft rätselvolle KopfderPuppe
schweigend neben dem Vorgang und löst so den
tieferen Sinn des eigentlicii Grotesken aus, der
im Einzelnen und Primitiven hier noch bedeu-
tet; Spannungen hervorzubringen zwischen Be-
wegtem und Unbewegtem, zwischen Geschehen
und Stummbleiben .... im Größeren aber sym-
bolischer schon nichts anderes aussagt, als
jenes Lächeln, das den Irrsinn zwischen Sein
und Schein, zwischen Leben und Well, zwischen
Sinn- und Zwecklosigkeit des Daseins tragisch
anklagend erhebt kasimir edscumiu.
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ZUM 60. GEBURTSTAG MAX KLINGER.
l8. FEBRUAR 1917.
Um Bergesgipfel herrscht Stille. Größe ver-
einsamt. Trotz Freundschaft und Frauen-
gunst ist Max Klinger inmitten seines Ruhmes
ein Einsamer. Schon seine Art des Sprechens,
das langsame , mühevolle Hervorstoßen der
Worte verrät es; allein die Stille um ihn vifird
erfüllt von eigenstem Leben, von stets wech-
selnden Gesichten seiner Phantasie. Äußerlich
einsam, innerlich voller Gestalt , lebt Klinger
allein seinem Werke. Wer sein Haus betritt,
das fern allem Getriebe der Großstadt tief in
einem Garten zurückliegt, bemerkt bald zu
seiner Überraschung : Hier waltet kein Künstler
umgeben vom Zierat des Lebens, hier herrscht
die Arbeit. Den Vorraum füllen fast bis zur
Hälfte hohe Bücherschränke. Die Namen der
antiken und deutschen Klassiker leuchten uns
entgegen, aber auch Schopenhauer, Nietzsche,
Dehmel, Hauptmann lesen wir im Vorüber-
schreiten. Den Schmuck des großen Zimmers
bilden die eigenen Radierungen des Meisters
und einige Werke seinem Schaffen verwandter
Künstler. Drei Böcklins, ein paar prachtvolle
Zeichnungen Menzels entdecken wir neben
einigen kostbaren Torsen der Blütezeit der
Antike. Die große Halle, nach der Elster zu
gelegen, die wir nun betreten, ist seine Arbeits-
stätte. Das helle Tageslicht spielt über Mar-
morblöcke, an denen der Künstler soeben ge-
schaffen, über Studien seiner früheren Werke.
Nahe dem Fenster steht ein Tisch mit dem
Werkzeug des Radierers, die Mitte aber des
Raumes beherrscht ein Flügel, über den im
Durcheinander Notenblätter liegen. Im Vor-
übergehen erhaschen wir die Namen Brahms,
Mendelssohn. Doch in den letzten Jahren sind
die schönsten Werke nicht hier empfangen wor-
den, wo sie der Vollendung entgegen reifen ;
vor den Toren von Naumburg auf einem Wein-
berg hat sich der Künstler ein Tuskulum ge-
schaffen. In diesem entlegenen Winkel nahte
ihm die Muse, hier wurden die ersten Skizzen
zu allen Werken der letzten Jahre entworfen,
hier entstand der letzte große Zyklus seiner
Radierkunst „Das Zelt".
Die Geschehnisse dieses nach Außen so
schlichten Künstlerlebens sind schnell umrissen.
In Leipzig wurde der Künstler am 18. Februar
1857 geboren. Künstlerische Eigenschaften des
Vaters, angenehme äußere Verhältnisse gestat-
teten dem Frühbegabten seine Neigungen zu
entfalten. Die gute Schulbildung des Thomas-
gymnasiums legte den Grund für eine weltum-
fassende Allgemeinbildung. Die Tradilon dieser
Schule führte ihn auch von Jugend an zur
Musik. Nach vorübergehendem Aufenthalt in
Karlsruhe (1873) folgte Klinger seinem Lehrer
Gussow, dessen er heute noch in Dankbar-
keit gedenkt, nach Berlin (1875). Nach kur-
zem Verweilen in Brüssel (1879) zog es
ihn nach München (1880). Nach einigen Ber-
liner Jahren, in denen Klinger den Mittelpunkt
eines Kreises junger Mitstrebenden bildete
(1886—1889), schloß ein Aufenthalt in Rom
(1889 — 1893) seine Wander- und Lehrjahre.
Hier im Süden fand er, ein echter Deutscher,
die volle Entfaltung seiner eigensten Art. Sein
Atelier, das nach ihm Otto Greiner bis zum
Wellkrieg zu eigen hatte, ließ ihn das ge-
schlossene Bild der ewigen Stadt genießen. In
Licht und Luft des Südens erhält alles ge-
schlossene Form. Hier wurde Klinger auch zum
Plastiker. Seit 1893 lebt der Meister in seiner
Heimatstadt, aus der ihn kein noch so günstiges
Angebot fortlockte; nur für Reisen nach Grie-
chenland, Spanien und Italien verließ er sie
vorübergehend.
Seine Werke, Aufsehen erregend seit seinen
frühesten Schöpfungen der Radiernadel und des
Pinsels, sind allen, denen die Kunst im Zeitalter
der Technik nicht fremd geworden ist, wohl
bekannt. In reichen Formen suchte das über-
quellende Innenleben nach Ausdruck, und zur
Verkündigung seiner Kunst und Art hat er
selbst zur Feder gegriffen. Heut bedarf es dessen
nicht mehr. Der Radierer, Maler und Plastiker
Max Klinger zählt zu den Großen unserer Zeit,
wird in seinen Werken für alle Zeit leben.
Jetzt, da der Meister vom Gipfel seines
Lebens den Abstieg beginnt, da er die reiche
Ernte seines Schaffens birgt, dürfen wir in
Dankbarkeit ihm den Lorbeer reichen. Dem
Menschen Klinger aber spendet rote Rosen,
die blühenden Blumen des Lebens, die Blumen,
die bei Gelagen der Freundschaft und der Liebe
duften. Laßt es den Einsamen fühlen und durch
die Blume lehrt ihn verstehen, wie nahe er uns
trat, wie nur eines verhinderte, daß alle die
Liebe ihn erreichte, — seine Größe als Künstler,
als Mensch dr. robkrt corwegh- Leipzig.
PROFESSOR SASCHA SCHNEIDER.
STUDIE ZU EINEM WANDGEMÄLDE IN DER UNIVERSITÄT JENA.
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^1^
GROSSHERZOG ERNST LUDWIG
ALS WECKER UND FÖRDERER KÜNSTLERISCHER BESTREBUNGEN.
ANLASSLICH DES 25 JÄHRIGEN REGIERUNQS-JUBILÄUMS. 13. MÄRZ 1917.
Was wufete man in Deutschland bis zum Schlug des neunzehnten Jahrhunderts
von Darmstadt? Mit Ausnahme des ehemals befestigten Stadtschlosses waren
bedeutsame Bauten nicht vorhanden, und das Wahrzeichen der Stadt, die Ludwigssäule,
eine Nachbildung der Pariser Vendöme-Säule, trug durch das Mißverhältnis ihrer Maße
zu der Bedeutung des braven Fürsten, dessen Kolossalstandbild sie krönte, eher noch
dazu bei, den Eindruck behäbig-eigensinniger Biedermeierbeschränktheit zu verstärken,
der dem Begriff „Darmstadt" anhaftete. Die schöne, wahrhaft großstädtisch gedachte
via triumphalis vom Walde zum Schloß, die Rheinstraße, erlangte zwar in ganz
Deutschland eine Spezialberühmtheit — aber nicht ihrer Großartigkeit, sondern ihrer
Verlassenheit wegen. Die Residenz am Großen Woog führte tatsächlich zwischen
den machtvoll aufstrebenden Handels- und Industriestädten Frankfurt und Mannheim
und den durch ihre Altertümer und Naturschönheiten weltberühmten Städten Heidelberg,
Mainz und Worms ein mehr als bescheidenes Dasein. Es stritt sich mit Karlsruhe
um den Preis der Langweiligkeit und mit noch viel kleineren Residenzstädten um
den Preis spießbürgerlicher Verschlafenheit. Wohl hatten sich unter den Landgrafen
und ersten Großherzögen einige mit Erfolg bemüht, hervorragende Künstler in ihrer
Residenz heimisch zu machen; aber die Bemühungen dieser vereinzelten Persönlich-
keiten hatten niemals lange nachgewirkt. Einzig das Hoftheater besaß seit den Zeiten
Ludwigs L eine gute Überlieferung, die seinen Ehrgeiz dermaßen anspornte, daß es
in den siebziger Jahren durch die prunkvollen Ausstattungskünste des berühmten
Maschinenmeisters Brand großes Ansehen in der deutschen Theaterwelt gewann.
Der junge Großherzog Ernst Ludwig trat im Jahre 1892 die Regierung an mit
dem festen Vorsaß, sein Hessenland von der Residenz aus künstlerisch zu befruchten.
Auch wenn seine Wesensart, die ihn selber zur schöpferischen Betätigung von allerlei
künstlerischen Liebhabereien drängte, ihm nicht den Weg zur Kunst gewiesen hätte,
so würde ihn doch kühl kluge Erwägung darauf hingeführt haben, das an Mineral-
schäßen und anderen Rohprodukten nicht reiche Land von dem aussichtslosen Wett-
bewerb mit den deutschen Industriegegenden abzuhalten und dafür lieber die in der
Volksart liegenden künstlerischen Instinkte zu entwickeln. Es kann wohl kein Zufall
XX. März 1917. 1
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sein, daß das Hessenland fast gleichzeitig einige der bedeutendsten Architekten hervor-
brachte: Karl Hofmann, den Wormser Dombaumeister, Wallot, den Erbauer des
Reichstagsgebäudes, den Berliner Stadtbaumeister Hoffmann und den genialen
Alfred Messet. Und die bedeutenden Baumeister, die um die Jahrhundertwende
als Lehrer an der Technischen Hochschule wirkten, wie Hofmann, Püt5er, Wickop und
andere, fanden gerade unter den geborenen Hessen ihre talentvollsten Schüler. Diese
auffallende Tatsache muß in einem inneren Zusammenhang stehen mit einer ursprüng-
lichen Begabung des ganzen Volkes — auch die Maler Bracht, Bantzer, Peter Halm,
Heinz Heim, Ludwig von Hofmann entstammen dem Hessenland — mit dem ange-
borenen Formen- und Farbensinn, der in den Überresten der alten Volkstrachten,
in den bäuerlichen Behausungen, in der liebevollen Pflege kleinkünstlerischer Haus-
industrie, wie z. B. der Elfenbeinschnitjerei und Töpferei im Odenwald, und schließ-
lich auch in der Tüchtigkeit des Handwerks sich kundgibt. Der junge Fürst erkannte
sehr wohl, daß aus diesen Eigenschaften nicht nur zu flüchtigem Ruhm, sondern
zum dauernden Besten seines Landes etwas Neues zu schaffen, etwas Bleibendes aufzu-
bauen wäre. Aber die Geduldprobe eines liebevollen Ausbaues alter Überlieferungen
sagte seinem Temperament nicht zu; ihn reizte das Wagnis. Und so brachte er einen
Gedanken zur Ausführung, den seit den Tagen Karl Augusts von Weimar und
Maximilians von Bayern kein deutscher Fürst mehr gehabt hatte. Er lud eine Anzahl
von jungen, noch unfertigen, aber durch die Kundgabe neuartiger Absichten ihm
aufgefallenen Künstlern ein, in seiner Residenz ihren Wohnsit5 zu nehmen und hier
völlig frei nach Herzenslust zu schaffen. Das war das Neue an der Gründung der
ersten Künstlerkolonie Ernst Ludwigs, daß er seinen Erwählten den jedem künstlerisch
Schaffenden so verhaßten „Zwang der Verhältnisse" aus dem Wege räumte. Die
nach Darmstadt verpflanzten, so verschiedenartigen Persönlichkeiten sollten in Freiheit
sich entwickeln; sie sollten unbeeinflußt von dem Bedürfnis des Marktes, von den
Wünschen ihrer Auftraggeber, ja selbst unbeeinflußt von dem Geschmack ihres fürst-
lichen Beschüt3ers den Eingebungen ihres Geistes folgen und als einzige Gegen-
leistung für die Gewährung so kostbarer Freiheit nur gehalten sein, ihre Entwürfe
hauptsächlich von Darmstädter Handwerkern und Industriellen ausführen zu lassen.
Die erste „Darmstädter Künstlerkolonie" bestand bekanntlich aus sieben Mitgliedern:
den Malern Hans Christiansen und Paul Bürck, den Bildhauern Rud. Bosselt
und Ludw. Habich, den Architekten Josef Olbrich und Patriz Huber und endlich
Peter Behrens, der ursprünglich Maler gewesen war, aber sich zusehends über
verschiedene Arten der angewandten Kunst hinüber zum Architekten entwickelte.
Diese vorläufige Zusammenstellung wurde als wunderlich buntscheckig wohl vielfach
bespöttelt, aber sie bildete doch in der einen Beziehung eine geistige Einheit,
daß jene Männer alle keine Akademiker und alle von dem Ehrgeiz beseelt waren,
etwas Neues zu schaffen aus den Bedürfnissen und den technischen Möglich-
keiten der Zeit heraus. Und das war wohl eben des jungen Großherzogs treibende
Idee: die Suggestion der eigenwilligen Persönlichkeit sollte an die Stelle
des langsamen sanften Zwanges der Schule treten. Seine Beobachtung des
Lehrbetriebes unserer Kunstakademien und Gewerbeschulen hatten ihn wohl zu der
Erkenntnis gebracht, daß jenes leidige Einmünden aller Bestrebungen zur Geschmacks-
362
•V. -^-^'^fMC^ "^ '^
erneuerung in die Nachahmung längst historisch gewordener Stilperioden bei jedem
obrigkeitlich festgelegten Schulbetrieb schier unvermeidlich sei. Darum wollte er es
einmal mit dem geraden Gegenteil versuchen. Die kecke Tat und die Erfahrungen
über ihren Erfolg sollten allein richtunggebend sein.
Neuartig wie die Berufung so verschieden gearteter werdender Talente zu
selbstherrlichem Schaffen war auch der, der ersten Ausstellung dieser Kolonie zugrunde
liegende Gedanke: Keine museumsmäßige Zurschaustellung von Gegenständen, keine
Verkaufsstände wurden unter dem Schlagwort „Ein Dokument deutscher Kunst" 1901
vorgeführt. In Wirklichkeit war es freilich nicht die deutsche Kunst, die 1901 auf
der Darmstädter Mathildenhöhe zu sehen war, sondern Persönlichkeitsdokumente von
sieben deutschen Künstlern, die sich ihre Häuser selbst gebaut, oder wenigstens nach
ihren Sonderwünschen hatten bauen lassen, und die gesamte Einrichtung von Tapeten,
Möbeln, Stoffen, Gerätschaften, Schmuck- und Gebrauchsgegenständen selbst entworfen
und von hessischen Fabriken und Handwerkern hatten ausführen lassen. Der Erfolg
dieser Ausstellung war ein ganz außergewöhnlicher. Nicht als ob die zahlreichen
auswärtigen Besucher, oder auch nur die geschäftlich dabei interessierten einheimischen
Kreise widerspruchlos alles bejubelt hätten, was ihnen jene sieben Neutöner verlockend
vorflöteten; nicht als ob mit einem Schlage die älteren Bestrebungen zur Durchse^ung
einer zeitiicmäßen Geschmackskultur auf kunstgewerblichem Gebiete, wie sie in
München, Wien, Dresden und anderwärts auch schon gepflegt wurden, von Darmstadt
überholt worden wären — im Gegenteil: der Chor der höhnischen Lacher, der
mißvergnügt Grollenden übertönte recht laut den freudig gespendeten Beifall der
begeisterten Minderheit. Nicht nur dem gesamten Spießertum, sondern auch einem
großen Teil der Künstlerschaft bedeutete jenes „Dokument deutscher Kunst" ein
Ärgernis. Auch die wohlwollenden Besucher konnten es unmöglich übersehen, daß
gerade die genialsten unter den Kolonisten ihre Unreife in den hohen Fieber-
temperaturen der Kinderkrankheiten austobten. Alle Welt lachte über Olbrichs
„Blaues Wunder" (Spottname für ein mit blauen Kacheln verziertes bizarres Privat-
haus), über desselben buntbemalte Pylonen, die an die wilden Schnit3ereien der
Südseeinsulaner erinnerten, über Christiansens Farbenorgien an und in seinem Haus
„In Rosen" und seine fest eingebauten Kinderbetten, die seinen Sprößlingen das
Wachstum verwehrten, über die hieratisch kalte Feierlichkeit des Behrens-Hauses und
über die dunkelblaue Festspielbaracke, deren Inneres einem gepolsterten Besteckkasten
glich. - Die Gesamtleistung aber konnte dieses Gelächter ohne Schaden ertragen,
weil dem offenbar Verfehlten gar so viel glänzend Gelungenes, Zukunftsicheres gegen-
überstand. Ja selbst das finanzielle Defizit machte sich reichlich dadurch bezahlt,
daß auf dieser ersten Ausstellung der Begriff „Darmstädter Kunst" zur Welt geboren
ward und die Befruchtung des hessischen Kunstgewerbes sich als nachhaltig erwies.
Es war nicht nur der Ehrgeiz des jungen Fürsten befriedigt, sondern seinem Lande
neue Quellen des Wohlstandes erschlossen worden. Zudem hatte die junge Kunst durch
diese Ausstellung eine ungeahnte Stärkung erfahren. So mag es denn als ein großer
ideeller Erfolg gedeutet werden, daß alsbald fast alle deutschen Kunstgewerbeschulen
reformiert und mit neuzeitlich schaffenden Lehrkräften beset5t wurden. Andere ähnliche
Ausstellungen erfolgten in Turin, Dresden, München und Oldenburg, und wenn heute
363
'^^ '^^^^^JlC^ ^^ r^
das deutsche Kunstgewerbe einen Höhenpunkt erreicht hat, um den uns das ganze
Ausland, insbesondere England beneidet, so ist das nicht zulet5t das grof5e Verdienst
der hochherzigen Kunstbestrebungen des Großherzogs Ernst Ludwig.
Es war bedauerlich, aber bei der Ungleichheit so eigenwilliger Persönlichkeiten
unvermeidlich, daß die Kolonie schon bald nach jener ersten Ausstellung zerfiel. Der
hochbegabte Patriz Huber starb allzufrüh, Peter Behrens, Christiansen, Habich,
Bosselt und Bürck folgten verlockenden Berufungen in Wirkungskreise, wo ihnen
eine ertragreiche Ausnutjung ihres Könnens winkte. Einzig der Wiener Meister
Olbrich behauptete das Feld, weil er nicht nur der vielseitigste und leichtest Schaffende
unter den sieben Kolonisten, sondern auch mit einer seltenen Geschäftsklugheit begabt
war, die ihn auch außerhalb Hessens lohnende Aufträge finden ließ. An die Stelle
der Ausgeschiedenen traten neue Kräfte von vielleicht weniger draufgängerischer
Eigenart, die aber dafür ein harmonisches Zusammenarbeiten, eine ruhige Entwicklung
verbürgten. Vincenz Cissarz, Paul Haustein, F. W. Kleukens als Graphiker,
Heinrich Jobst als Bildhauer, Albin Müller als Architekt, Ernst Riegel als
Goldschmied arbeiteten in schöner Eintracht nebeneinander und verhalfen der zweiten
Ausstellung im Jahre 1908 zu einem von keiner Seite mehr ernstlich bestrittenen
Erfolg. Olbrich hatte neben seinen wunderlichen Hochzeitsturm das stolze städtische
Ausstellungsgebäude auf den Gipfel der Mathildenhöhe gestellt. Und in diesem
Gebäude wurden nun auch Werke der reinen Kunst, die nicht nur von Kolonie-
mitgliedern herrührten, zur Schau gestellt, während die von Olbrich, Albin Müller
und andern herrührenden, teils dauernden, teils provisorischen Wohngebäude mit
ihrer Innenausstattung wie 1901 den Hauptbestand der Schau bildeten. Der stürmische
Übermut hatte sich ausgetobt, und das Gesamtbild der Ausstellung bedeutete die
schier restlose Erfüllung aller modernen kunstgewerblichen Bestrebungen, nämlich dem
modernen deutschen Menschen Wohnräume zu schaffen und Gebrauchs-
gegenstände in die Hand zu geben, die ihm Behaglichkeit und ästhetische
Besi^esfreudigkeit verschaffen, Räume und Dinge, deren künstlerische
Gestaltung durch das Bedürfnis dieses modernen deutschen Menschen
nach Harmonie zwischen Zweck und Form, nach Ordnung, Sauberkeit und
bequemer Handlichkeit genügten und die Schönheitswerte des Materials
ohne Vergewaltigung ebenso wie die handwerkliche Tüchtigkeit zur
Geltung brachten.
Im Herbst desselben Jahres erlitt Ernst Ludwigs Künstlerkolonie durch Meister
Olbrichs plöt3lichen Tod ihren bisher schwersten Schlag. Aber der Gedanke, der
schon so viele fruchtbringende Taten gewirkt hatte, war nun nicht mehr an die einzelne
künstlerische Persönlichkeit auf Leben und Sterben gebunden. Der Kunstwille des
Landesherrn hatte die Darmstädter Kunst ins Leben gerufen und weder der Wechsel
in den Personen der Kolonisten, noch das Mißglücken hoffnungsvoll begonnener Unter-
nehmungen — wie die der Lehranstalt für angewandte Kunst, der Großh. keramischen
Anstalt und der Edelglas-Manufaktur - konnte der Blüte des hessischen Kunstgewerbes
mehr großen Schaden tun. Die Neuberufungen, die der Großherzog für seine Kolonie
ergehen ließ, bewiesen, daß er selbst keineswegs entmutigt und seine Lust an kecken
Wagestücken durch die gelegentlichen Mißerfolge nicht gedämpft war. Zu den treu
364
•\i^ -^'V^arra^Xs M>^ r*i^
verbliebenen Künstlern holte er sich den Architekten Edmund Georg Körner, den
Erbauer der weit berühmten Synaj^joge zu Essen, den phantasievollen, vielseitigen
Emanuel Josef Margold, den farbenschwelgerischen Maler Hans Pellar und den
problematisch interessanten Bildhauer Bernhard Hötger hinzu.
Gleichzeitig mit der im aligemeinen sehr wohl gelungenen und besonders für die
vielseitige Künstlerschaft der Architekten Müller, Körner und Margold ruhmreichen
„Kunstgewerbeschau" 1914 veranstaltete der Großherzog in zwei Stockwerken seines
Schlosses eine Ausstellung der Bildniskunsf des 17. und 18. Jahrhunderts, die von
Prof. Biermann in Gemeinschaft mit anderen hervorragenden Kunstgelehrten mit
feinem Verständnis zusammengestellt war, aber niemals einen derartigen Reichtum an
kostbarsten Schät5en aus Privatbesit5 hätte aufweisen können, wenn eben nicht ein
regierender Herr seine höfischen Beziehungen hätte ausnutjen können. Der Ausbruch
des Krieges bereitete leider den beiden Unternehmungen ein vorzeitiges Ende.
Grofeherzog Ernst Ludwig dilettiert, wie schon erwähnt, selbst in verschiedenen
Künsten. Er hat sich als Dichter, Komponist und im Entwerfen künstlerischer Blumen
und kunstgewerblicher Muster, besonders für Stickereien vielfach, und namentlich auf
let5terem Gebiet mit Glück versucht. Aber er denkt nicht daran, diesen eigenen
Versuchen eine ihnen nicht gebührende Wichtigkeit beizumessen und gibt sie auch un-
gescheut der öffentlichen Kritik preis. Der Ruhm des Anregers, des Vorausspürers
neuer Entwicklungsmöglichkeiten, des Finders neuer Talente gilt ihm mehr. Und was
ihm vielleicht am höchsten anzurechnen ist: er se^t die von ihm erwählten künstleri-
schen Mitarbeiter und Freunde nicht in Bewegung, um den Glanz seines Hofes zu
vermehren, sondern um dem Gewerbe seines Landes neue Wirkungskreise
und Einnahmequellen zu verschaffen und seine Residenz zum Mittelpunkt einer
neuen vielgestaltigen Betriebssamkeit zu machen.
In den let5ten Jahren hat sich übrigens die Teilnahme des Großherzogs auch
auf das Hoftheater erstreckt. Seit er im Jahre 1913 den ebenso klugen wie energischen
jungen Wiener Literaten Dr. Paul Eger mit der Leitung des Hoftheaters betraute,
ist ein neues Leben in dem stattlichen Musentempel erwacht. Die Künstler können
sich nicht mehr als wackere Hof-Darstellungsbeamte in das pensionsfähige Alter ohne
Erhit5ung hinübermimen, sie spüren jeßt den Sporn des Ehrgeizes beständig in ihren
Weichen. Es wird rastlos gearbeitet, um Vorstellungen herauszubringen, die den
Ansprüchen eines verwöhnten Großstadtpublikums genügen, um mit dem Spielplan
nicht nur auf der Höhe der Zeit zu stehen, sondern auch um tonangebend mit neu-
artigen Versuchen, mit Uraufführungen und besonderen festlichen Veranstaltungen
voranzuschreiten. Bei all diesen neuen Versuchen und festlichen Gelegenheiten beteiligt
sich der Großherzog persönlich mit großem Eifer an der Inszeneset5ung und läßt sich
zumal die malerische Gestaltung des Bühnenbildes angelegen sein.
Ungefähr zwanzig Jahre von der Regierungszeit Ernst Ludwigs waren durch
seine künstlerischen und gewerblichen Bestrebungen ausgefüllt. Nun freilich, zwanzig
Jahre genügen längst nicht, um den Charakter eines Volksstammes erzieherisch so
stark zu beeinflussen, daß schon von einer Wandlung gesprochen werden könnte.
Noch vieles ist zu erstreben. Der Hesse besit5t nicht die glückliche Leichtlebigkeit
der niederrheinischen Stämme; er stürzt sich nicht heißhungrig auf das Neue, behagliche
365
Ruhe ist ihm lieber. Darum stemmt er sich dem Neuen gern entgegen und ist mit
seiner Anerkennung recht zurüdihaltend. So kann denn auch der Groi3herzog nicht
darüber klagen, daß ihn sein Volk mit Huldigungen erdrückt hätte zum Dank für seine
unablässigen Bemühungen ; und dem Hoftheater ist bis heute noch kein nervös erregtes,
dankbar teilnehmendes Publikum für seine Uraufführungen herangewachsen ; aber die
im Hessenvolk schlummernde künstlerische Begabung und handwerkliche Tüchtigkeit
haben starken Antrieb zur lebendigen Tätigkeit empfangen. Dem eifrigen Zusammen-
wirken überaus zahlreicher junger Kräfte ist es zu verdanken, daß das Darmstädter
Stadtbild unter der Regierung Ernst Ludwigs ein ganz anderes Gesicht bekommen
hat. Alles was in Darmstadt an Bauten, Denkmälern und öffentlichen Anlagen neu
erstanden ist, darf ohne Einschränkung als geschmackvoll, eigenartig und doch unauf-
dringlich gerühmt werden. Meister Messeis schlichter, wundervoll harmonischer
Museumsbau, Meister Pützers köstlicher Bahnhof und heiter idyllische Pauluskirche,
Meissners überaus stimmungsvolle Hypothekenbank, Buxbaums mustergültiges Hallen-
schwimmbad und zahlreiche eigenartige und behagliche Villen in den neuen Garten-
vierteln seien als glückliche Merkmale des neuen Darmstadt hervorgehoben. Das Ge-
fühl für die zeitgemäße Schönheit des neuen Stils ist schon so in das Volksbewußtsein
eingedrungen, daß man behaupten darf, es könnte wohl kaum noch ein Architekt oder
Maurermeister hier sein Brot finden, der sich hartnäckig dem Einfluß dieses Stils ent-
ziehen wollte. Wer sich hier anbauen will, der kann sicher sein, daß er selbst von
unbekannten jungen Baumeistern gut bedient wird, während andererseits der Händler
mit kunstgewerblichem Kitsch hier nimmer auf seine Rechnung kommen dürfte. Und
während früher nur die wundervolle landschaftliche Umgebung einen Anziehungspunkt
für den Fremden bildete, lohnt es sich für diesen jeßt in Darmstadt auszusteigen,
nicht nur zu flüchtiger Umschau nach Bädeckerisch besternten Altertümern, sondern
zu genießendem Verweilen bei der Fülle des schönen Neuen
Dies schöne neue Darmstadt ist die Tat Ernst Ludwigs!
Ernst Frhr. von Wolzogen.
tg^^tm^mtmtatmmtaim
DAS »ERNST LUDWIG-HAUS« AUF DER »MATHILDENHÖHE« ZU DARMSTADT. ERBAUT IM JAHRE I9OI
VON ARCHITEKT PROF. JOSEF OLBRICH t. PLASTIK »MANN UND WEIB« VON PROF. LUDWIG HABICH.
DER fHOCHZEITS-TURKN UND DAS »STÄDTISCHE KUNSTAUSSTELLUHGS-GEBÄUDEc AUF DER MaTHII.DENHÖHE DARMSTADT.
ERBAUT IM JAHRE I907 VON ARCHITEKT PROFESSOR JOSEF OLBRICH.
HENRY NIESTLE — MÜNCHEN BLUMENSTÜCK«
HENRY NIESTLE -MÜNCHEN,
STILLEBEN MIT GRAUEM KKUI
ABSTRAKTE KUNST UND AUSFÜHRUNG.
VON DR. KUNO MITTENZWEY.
In der bayrischen Kammer der Reichsräte hat
sich vor einiger Zeit ein bayrischer Reichsrat
gegen die moderne Kunst gewandt und ihr vor
allem ihre „skizzenhafte" Art zum Vorwurf ge-
macht. Ausgehend von den Unterstützungen,
die der Staat den Künstlern in Kriegszeiten
gewährt, führte er aus, es sei nun Aufgabe der
Künstler, sich auch dieses Vertrauens würdig
zu erweisen. „Ich möchte vor allem darauf
hinweisen, daß in der sogenannten modernen
Kunst einigermaßen Einhalt geschehen möchte
in der skizzenhaften Arbeit, die dem Laien die
Begriffe irre macht, was schön und was nicht
schön ist. Die Kunst muß immer Kunst bleiben,
und der Ausdruck „moderne Kunst", der ein
wechselnder Begriff ist, sollte für die neue Kunst
nicht angewendet werden. Denn Mode ist
etwas Schreckliches, das sehen wir jeden Tag.
Man gewöhnt sich aber auch an die Mode, die
man schrecklich gefunden hat. Das darf aber
bei der Kunst nicht der Fall sein usw."
Wir würden auf diese Ausführungen nicht
weiter eingehen, wenn wir nicht vermuteten,
daß der darin enthaltene Grundvorwurf von
der „skizzenhaften" Arbeit der neuen Kunst
in Laienkreisen vielfach geteilt wird. Sicherlich
sind angesichts mancher Schöpfungen einer
neoidealistischen Kunstübung viele aus dem
Publikum der Meinung, es würden ihnen da
„bloße Skizzen" vorgesetzt, sei es nun weil
es augenblicklich so Mode sei, den gewissen
„Schmiss" der Entwurfsskizze zu kultivieren,
oder aber weil dem Künstler zur „eigentlichen
Ausführung" das Können fehle.
Jener Vorwurf ist ja in seiner allgemeinen
Art nicht neu. So oft eine Künstlergeneration
etwas wirklich neues zu sagen hatte und sich
von der älteren dadurch distanzierte, daß sie
XX, März 1917. 2
Abstrakte Kunst und Ausführung.
HENRY NIESTI.E ML.'
die neuentdeckten Werte unterstrich und die
von der älteren gepflegten Werte geflissentlich
vernachlässigte , sah die mit älteren Augen
sehensgewohnte Menge nur die Vernachlässig-
ung und virarf den Verkündern des Neuen
mangelndes Können vor. Das vk^ar zu Beginn
der impressionistischen Bewegung genau so.
Doch gewinnt dieser Vorwurf angesichts der
gegenwärtigen Kunstbestrebungen seinen be-
sonderen Akzent, der ihn interessant macht.
Die neue idealistische Malerei bemüht sich be-
kanntlich, für die abstrakten Formelemente,
für lineare Bewegung und Volumaufbau ein
neues Gefühl zu gewinnen. Hierauf vornehm-
lich eingestellt, verlieren alle die Probleme der
Luft und des Lichts, von der „naturgetreuen"
Wiedergabe des Detail ganz zu schweigen, an
Interesse. Sich darauf einzulassen, hätte nicht
nur keinen besonderen Wert, weil andere
GEMÄLDE »JUNI-MORGENc
Meister hierfür längst vorzügliche, teilweise die
endgültigen Lösungen gefunden haben — es
stünde sogar zu den erstrebten Dingen in ge-
wissem Widerstreit und würde den gesuch-
ten Wirkungen Abbruch tun. Die geschlossene
Kontur würde locker und offen werden, wenn
man sie vom Licht umfließen lassen wollte, die
Fläche würde ihr kompositorisches Schwer-
gewicht verlieren, wenn man sie durch Einzel-
heiten unterbrechen wollte usw. Darum findet
der Laie, der immer zunächst interessiert ist,
in den Bildern „die Natur" wiederzufinden, hier
überall nur Andeutungen, summarische Wir-
kungen, wie er es von der Skizze her kennt.
So ist der Vorwurf gegenüber dem Beginn der
impressionistischen Zeit verändert ; während
damals den Malern, denen besonders an einer
temperamentvollen Erneuerung der Farbe und
des Lichtes gelegen war, „Sudelei" und „Pat-
Abstrakte Kunst und Ausßchrung.
HENRY NIESTLE— MÜNCHEN.
zerei" vorgeworfen wurde, lautet jetzt der Vor-
wurf auf Unfertigkeit und mangelnde Fähigkeit
der Ausführung, und oftmals kann man die
Meinung hören, daß namentlich die jüngeren
Graphikernurnoch „bloße Skizzen" publizieren.
Der Laie beruft sich zur Begründung seines
Vorwurfs gern auf die alten Meister. Ihre
Werke lehren doch, daß es ihnen an allererster
Stelle auf handwerkliche Solidität und Gedie-
genheit der Ausführung ankam. — Diese In-
stanz müßte von allerschwerstem Gewicht sein.
GEMÄLDE »GARTENBLUMEN« PRlVATBESiTZ-ni'sSELDORF.
Für die neue Kunst noch mehr als für die Im-
pressionisten. Denn während diese zwar woll-
ten, daß ihre Werke den alten Meistern wohl
an innerem Wert vergleichbar sein möchten,
sich dabei aber doch immer als spezifisch „Mo-
derne" fühlten, die eine „neue Art des Sehens"
kultivierten, ist es die Absicht der neuen Idea-
listen, daß in ihren Werken ganz genau die-
selben Kräfte waltend vorhanden sein sollen,
wie in den alten Meisterwerken aller stilstarken
Zeiten. Sieht man aber näher zu, woran der
373
Abstrakte Kunst und Ausführung.
HENRY NIESTLE— MINCHEN.
Laie bei seiner Berufung auf die alten Meister
denkt, so findet man, daß ihm ungefähr die
Tafelbildmalerei der klassischen Renaissance
vorschwebt. Und auch diese nicht in ihrer
ganzen Fülle, die ja wahrhaftig Saft und male-
rische Intensität genug enthält, sondern in jener
blassen, schönmalerischen Auffassung, wie sie
der Akademizismus des neunzehnten Jahrhun-
derts hatte. Würde man dem Laien etwa ein
Werk der Frühgotik, vielleicht einen alten deut-
schen Holzschnitt, oder gar ein Werk prähisto-
rischer Kunstübung vorlegen, die ja zu den
Werken der jungen Kunst viel unmittelbarere
Beziehungen aufweisen, so würde er erwidern,
daß die Urheber jener Werke eben „noch nicht
»JUNGE BUSSAKDE«
so weit waren" und „noch nicht mehr konnten".
— An dieser Stelle sieht man, daß Künstler-
urteil und Laienurteil bereits bei der Bewertung
der Vergangenheit auseinandergehen, und daß
das, was sie trennt, nicht erst bei den Produkten
der Tagesmode beginnt. Denn das ist nun das
erste, was der Künstler dem Laien bestreiten
würde, daß jene Härten und Unbeholfenheiten,
die uns an den Werken archaischer Zeiten auf-
fallen und das ungeschulte Auge zuerst be-
fremden, der Ausdruck mangelnden Könnens
seien. Gewiß stehen die Urheber jener frühen
Werke an Gewandtheit der naturalen Form-
gebung gegen die Meister späterer Zeiten zu-
rück. Aber was nun in ihren Schöpfungen zum
H. NIESTLE-
» STILLEBEN
MIT MELONE«
HENRY NIESTLE -MUNCHEN-PASING.
»SONNENBLUMEN«
Abstrakte Kunst utid Ausführung.
HENRY XIESTLE MU>-CHEN-PASING.
Ausdruck kommt, ist nicht einfach ein Mangel
an Beherrschung dernaturalen Gegenständlich-
keit, und ihre Werke sind alles andere als
„nicht gekonnt". Ganz im Gegenteil findet sich
in diesen frühen Werken, vom ersten Erwachen
des künstlerischen Bildens an, ein Gefühl für
die Typik der Erscheinung, eine Sicherheit, mit
den anscheinend primitiven Mitteln das Cha-
rakteristische zu treffen , eine Naivität des
Raumsinns, eine ehrfürchtige Sachlichkeit, mit
der jede einzelne Figur in Angriff genommen
ist — alles Eigenschaften, wie sie späteren
Zeiten, die in der Wiedergabe des Individuellen
virtuoser waren, wieder abhanden gekommen
sind, und wie wir Spätgeborene heute sie nur
mit staunender Bewunderung anerkennen kön-
nen, ratlos, woher jenen Zeiten diese beson-
dere Gnade des Sehens und Bildens kam, an
der wir so gar keinen Anteil haben.
GEMÄLDE »IM M.\rEXW.U.D€
So wenig Anteil, daß der gebildete Vertreter
des Durchschnittspublikums davon gar nichts
sieht. Und er ist auch ganz im Recht, davon
nichts zu sehen, denn die Kunstgeschichte, wie
er sie gelernt hat, hat ihn nichts davon gelehrt.
Das ist das Interessante an dem besprochenen
Vorwurf von der skizzenhaften Arbeit der mo-
dernen Kunst, daß in ihm die ganze Kunstge-
schichte der älteren Generation enthalten ist.
Ebenso wie die Bestrebungen der jungen Maler-
generation unmittelbar einig gehen mit den Um-
gestaltungen, die die wissenschaftliche Kunst-
geschichte in unseren Tagen erfährt. Die ge-
lehrte Kunstgeschichte wurde begründet im
neunzehnten Jahrhundert von einer Generation,
die zu dem Stoffgebiet, das sie beschrieb, kein
allzu direktes Verhältnis hatte, vielmehr zu ihm
im Verhältnis der bürgerlichen und literarischen
Distanz stand. Ihre Grundwertung (ohne die
376
Abstrakte Kunst und Ausführung.
eine Geschichtsschreibung nicht möglich ist)
entnahm sie dem herrschenden klassizistischen
Schönheitsideal. So konstruierte sie alle ge-
schichtliche Wandlung als aufsteigende Ent-
wicklung zu diesem für absolut genommenen
Ideal hin und als absteigenden Verfall von ihm
weg. Diese zuerst ganz fraglos hingenommene
Grundwertung ist über dem Fortgang der kunst-
geschichtlichen Arbeit immer fragwürdiger ge-
worden. Sicher ist, daß sich die Kurve der
Entwicklung so einfach nicht ziehen läßt. Wir
wissen heute, daß jede Erwerbung einer neuen
Freiheit der Bewegung, jeder Fortschritt in der
Entbindung des Lebens, erkauft wird mit einem
Verlust an Geschlossenheit der Form, mit einem
Herabsteigen vom Wesenhaften zum Flüchtigen.
Die Bewegung der kunstgeschichtlichen Ent-
wicklung scheint sich irgendwie abzuspielen
zwischen zwei gegenpoligen Mächten, Mächten
der Bindung und Mächten der Lösung, Aus-
druck des ruhenden, wesenhaften Seins und
Ausdruck des bewegten, vorübergehenden Le-
bens. Im Anfang aber des künstlerischen Schaf-
fens steht das Ergriffensein von der Strenge
der Form, die Ehrfurcht vor der Geometrizität,
der Wille zur Haltung und Geschlossenheit —
und nicht ein Unvermögen zur Freiheit oder
ein Mangel an Können. Diesen in neuer Tiefe
erkannten bindenden Mächten gilt gegenwärtig
das Hauptinteresse der kunsthistorischen Ar-
beit. In der Bevorzugung der Zeiten der Gotik
und des Barock gegenüber der Renaissance
gewinnt diese Veränderung einen nur sympto-
matischen Ausdruck — der freilich manchem
äußerlichen Beobachter gleichfalls nur als eine
Art „Mode" erscheinen mag.
Und denselben Mächten gilt das Bemühen
unserer jungen Malergeneration. Von ihnen
erwartet sie die anregende Kraft, wie über das
naturale Sehen, das die impressionistische Zeit
in neuer, voraussetzungsloser Art revidiert und
um unerwartete Reichtümer vermehrt hat.
HENRY NIESTLE MUN'CHE-N.
STILLEB] N MIT FLASCHEN»
Abstrakte Kunst und Ausfükrutig.
hinauszukommen und eine höhere Bildge-
schlossenheit zu gewinnen sei; von ihnen er-
wartet sie Aufschluß über die elementaren
Kräfte jener geheimnisvollen höheren Stufe des
Formseins, das mit dem geistlos oft gebrauchten
Wort „Stil" bezeichnet wird. Die historische
Forschung hatte nichts weiter getan, als eine
Mehrheit von „Stilen" aufzuzeigen, ohne über
deren eigentliches Wesen irgendwelchen Auf-
schluß geben zu können. Daß mit der Nach-
ahmung irgend einer historischen „Slilform"
nichts getan ist, daß dies vielmehr nur der Weg
zu Kostüm und Unwahrhaftigkeit ist, weiß heut
jeder, der ehrlich ist. Daß es mit einem bloßen
Mut oder Willen zum „Eigenstil" nicht getan
ist, weiß heute ebenfalls jeder. Weiter zu
kommen können wir nur hoffen, wenn wir das
Ereignis bei seinen Uranlängen belauschen.
Daß die Künstler dabei auch das Geheimnis
von Negerplastiken und Kinderzeichnungen ins
Gefühl zu bekommen sich bemühen, schelte
man nicht voreilig als Ratlosigkeit oder Sensa-
tionslust. Es ist die einzige Möglichkeit, über
das Bedingte jeder speziellen historischen Stil-
form hinauszukommen, wenn man das Ereignis
der Formgewinnung überall studiert, wo es
auftritt, und am meisten bei seinen Anfängen.
— Wenn wir uns bemüht haben, gegenüber
einem summarischen Vorwurf die wahren Ab-
sichten der neoidealistischen Malerei aufzuzei-
gen, so ist damit natürlich nicht gesagt, daß wir
ebenso summarisch alles loben und gutheißen,
was in ihrem Zeichen in die Erscheinung tritt.
So oft eine Generation neue Wege betritt, ge-
sellen sich Mitläufer dazu, angelockt von dem
Instinkt, daß „hier etwas zu machen" sei,
welche das noch tastende Probieren der neuen
Mittel benutzen, um das eigene Unvermögen
damit zu maskieren. Gerade solche Vertreter
sind dann am lautesten bereit, die ungekonnten
Auslassungen ihrer undisziplinierten Scheinbe-
gabung als die Proben eines neuen, höheren
Könnens anzupreisen. Mit gutem Gewissen
dabei, denn kein Selbstzweifel verhindert sie,
mit ihren Produkten jederzeit zufrieden zu sein.
Für solche Auchkönner sind Beispiele in jeder
historischen Sturm- und Drangperiode anzu-
treffen. Sie sind irgendwie unvermeidlich; man
tröste sich damit über sie, daß der Fortgang
der Entwicklung sie sehr bald ausschaltet, so-
bald aus dem allgemeinen Suchen ein höheres
Können herauswächst. Auch in der neuen Be-
wegung mögen manche mitlaufen, die im Chaos
fischen und denen es einfach an Geduld und
Disziplin fehlen würde, ein Bild im alten Stil
zu Ende zu malen. So wenig wir das leugnen,
so wenig hat das mit dem Sinn der ganzen Be-
wegung irgend etwas zu tun k. m.
HEXR\- XIESTLE MÜXCHEX. GEMÄLDE -IM GAKTEX
LENE SCHNEIDER-KAINER-BERLIN. BILDNIS .KAMILLA EIBENSCHUTZt
LENE SCHNEIDER-KAINER— BERLIN.
GEMÄLDE »GARIENBILD«
LENE SCHNEIDER-KAINER.
Lene Schneider-Kainer fand erst im vorigen
^ Jahr die eingehende Beachtung der reichs-
hauptstädtischen Kritik. Sie hatte sich zwar
schon vorher gezeigt, in Wien und auf mehreren
Berliner Sezessions-Ausstellungen. Aber in
Berlin ist ja dem kritischen Spürsinn der ver-
fügbare Raum der Zeitung durch d ie anerkannten
Namen des Kunstmarktes verlegt. So bot erst
die letzte „juryfreie" Ausstellung Berlins Gele-
genheit zu ihrer Entdeckung. Sodann aber
haben sie gleich mehrere Kritiker als den „Clou"
der Ausstellung kennzeichnen wollen. Das mag
ein wenig bewußte Animosität gegen den männ-
lichen Talentnachwuchs gewesen sein, dem man
ja gar so gern eins auswischt. Trotzdem mußte
Lene Schneider-Kainer doch einige besondere
künstlerische Qualitäten besitzen, wenn man
sie als taugliches Objekt solcher „Politik" aus-
wählte. — Nun ist aber Lene Schneider-Kainer
durchaus nicht mehr Anfängerin mit irgendwel-
chen verblüff endenTalenlbeweisen. Ein Blick auf
ihre Bilder zeigt, daß sie schon lang und schwer
arbeitet. Vor Jahren kam sie von Wien nach
München, und ging von da nach Paris. Aber
die Schule, das Museum, die Ateliers der Mit-
strebenden gaben ihr fast keine Anregung,
weckten nicht ihren malerischen Willen. Der
springt nur vor der „wiederzugebenden Wirk-
lichkeit" an. Es interessieren sie sichtlich keine
übertragenen, ästhetischen Probleme, sondern
nur unmittelbare, vor allem: die Farbe. Ihre
Bilder verraten eine hinreichend differenzierte
Künstlernatur, man merkt, sie ist beweglich,
fähig, unpedantisch- schweifend , von feinem
weiblichen Geschmack, lyrisch und rhythmisch,
zugleich von ehrgeizigster Energie, von beträcht-
XX. März 1917. 3
Lene Schneider- Kainer.
LENE SCHNEIDER-KAINER— BERLIN.
lichem „Stehvermögen". Aber diese Bilder
verraten auch keinerlei „Vorbild", keinerlei
Voreingenommenheiten und Beeinflussungen
der Phantasie. —
Dies ist allerdings zugleich auch eine Ein-
schränkung, die vorweggenommen werden kann.
Lene Schneider- Kainer bekundet überhaupt
noch keine freischöpferische Phantasie, sie ist
noch jugendlich, d. h. reinaufnehmendund gegen-
ständlich, gibt nur unmittelbare Wirklichkeits-
eindrücke wieder. Aber diese Aufnahme-,
Empfindungs- und Reproduktionsfähigkeit ist
im besten Sinne unbeschränkt. Diese Malerin
hat ebensoviel Gefühl für die Zeichnung (sie
ist auch Graphikerin) wie für die Farbe, für
die Stimmung wie für den Ausdruck, für das
Thema wie für den Vortrag. Sie empfindet
gleich lebhaft den Akt, die Landschaft, Still-
leben, Porträts, Kompositionen. UndimWechsel
machen sich da alle voraufgezählten Eigen-
schaften elementar geltend. Sie ist ästhetisch
GEMÄLDE »ALTER HAFEN, LÜBECK«
zart in den Blumen- und Zierstücken ; voll
Musik und Rhythmik in den Lübecker Ha-
fenbildern ; ganz weiblich-mütterlich in der
Innigkeit der Kinderbilder; dekorativ, stil-
bewußt, effektvoll in den mit ungemeiner
Festigkeit hingelegten Damenporträts und
Frauenakten. Das Beste aber, die Resultante
von all dem, sind das lyrische „Gartenbild"
und das „Mädchen am Fenster". Hier ist eine
Geschlossenheit der Darstellung erreicht, die
frei oder gar genial schaffender Gestaltung
nicht mehr sehr fern steht.
„Unweiblich" aber ist sie in der heftigen
Ehrlichkeit ihrer Bestrebungen. Sie weicht
keinem Problem aus, das ihr bei der Betrach-
tung und Wiedergabe malerischer Wirklichkeiten
aufstößt. Sie ringt um Licht, Luft und Farbe,
sie haut lieber einmal daneben, als daß sie
schwindelte. So ist keines ihrer Bilder weiblich
„verpimpelt". Eher läßt sie sich manchmal aus
Nervosität, ihre Kraft könnte mit dem Wurf
382
LENE SCHNEIDER-KAINER-BERLIN. »STILLEBEN MIT KAKTUSc
LENE SCHNEIDER-KAINER-BERLIN. .DAMENBILDNIS«
LENE SCHNEIDER-KAINER-BERLIN. .DOPPELBILDNIS.
Lene Schneider- Kainer.
LENE SCHNEIDER-KAINER- BERLIN.
des Geistes nicht mitkommen, zu einer gewissen
Brutalität des Zugriffes verleiten. Sie macht
es sich nie leicht, lieber hetzt sie sich selber,
steigert sich, nie selbstgenügsam. Und gerade
dieser ehrlich unbändige Ehrgeiz entscheidet,
— bei soviel Veranlagung — ihre Bedeutung als
eine der echten und starken malerischen Hoff-
nungen unserer Zeit gfk.
Ä
DIE GEBURT DES IMPRESSIONISMUS.
Es ist zweifelhaft, ob der Impressionismus
im Auge entstanden ist oder im Pinsel.
Man sagt, er habe eine neue Art, die Welt zu
sehen, verkörpert, eine Art, die mehr dem
modernen, nervösen, hastigen Wesen entsprach.
Er wollte die flüchtigen optischen Reize ein-
fangen, die auf der Oberfläche spielen, er sei
also der genaue Ausdruck einer Periode ge-
wesen, die im Zeichen der „Reizsamkeit" wie
es Lamprecht nannte, stand.
Sehen wir genauer zu! Ist der Impressionis-
mus nicht gerade in einer Zeit zur Welt ge-
kommen, wo in der Naturwissenschaft die ge-
naue Forschung und die tiefschürfende For-
schung Triumphe feierte, wo sie die großartig-
GEM.\LDE >AM IIAFKN, LUIJECK«
sten Systeme baute? Hat nicht ein Zweig des
Impressionismus für die Zerlegung der Farben
sich geradezu auf die Wissenschaft berufen?
Ob die Erfinder des Impressionismus be-
sonders nervöse, „reizsame" Persönlichkeiten
waren? Nun, nach ihren Bildnissen zu schließen,
müßten sie im Gegenteil recht robuste Kerle
gewesen sein. Cezanne, der extremste, sah
aus und lebte wie ein Bauer. In seiner Lehre
war er starr und rechthaberisch. Keineswegs
„flüchtig". Auch die andern verwandten recht
viel Geist und Schweiß auf die logische, wissen-
schaftHche Begründung ihres Tuns.
Wir dürfen annehmen , daß auch hier , wie
so oft, die Träger einer großen Bewegung sich
über deren eigentlichen Sinn im Unklaren waren.
Was hilft eine noch so geniale neue Art, zu
sehen , was hilft alle wissenschaftliche Be-
gründung , wenn der Pinsel sie nicht recht-
fertigt? Wenn das nach der neuen Methode
entstandene Bild der Reize entbehrt? Vielleicht
war auch hier die Entwicklungsfolge gerade
umgekehrt, als wie es die Theorie nachher dar-
stellte. Vielleicht hat auch hier der Pinsel das
Auge gelehrt? — Etwa so: Jene Maler sahen
die Reize der Skizzenhaftigkeit, sowohl in der
Die Geburt des Impressmiismus.
388
Zeichnung, wie auch im halbvollendeten Bilde.
Da warmehr Wucht, mehr Frische, reinere Farbe
und mehr technischer Witz. Und die Maler ent-
deckten auch in ihren eigenen Skizzen — vor
allem während des Arbeitens — diese Reize,
die so unmittelbar aus dem Pinsel und aus den
Farben der Palette flössen. Das Entscheidende
war nun, daß sie beschlossen, diese Reize nicht
wieder hinwegzufeilen. Sie ließen stehen, was
ihnen in ihrer Malerherrlichkeit gefiel.
Das war ein Schritt. Die nächsten mußten
bald folgen. Die Farben, wie sie frisch und
blank auf Palette und Pinsel saßen, waren
eigentlich doch viel kraftvoller, feuriger, gehalt-
reicher, „farbiger" als das trübe Braun und
Grau, das sich bisher über die Bilder ergoß.
Man wagte es also, die Farben unvermischt zu
geben, und man ließ auch die so seltsam leben-
digen einzelnen Pinselschläge stehen, wie sie
eben auf die Leinwand aufgesetzt waren.
Aus einem solchen anfänglichen Hazardspiel
ist dann wohl der ganze französische Impres-
sionismus hervorgegangen. — Aber nun ge-
schah das Merkwürdige. Diese Malereien,
mit all ihrer Flüchtigkeit und Unmittelbarkeit,
schienen den Malern die Welt als Schein
viel überzeugender und sinnfälliger wieder-
zugeben, als alle die mühseligen Fertigbilder,
die die Welt abzuschreiben versucht hatten.
Die lebendige Technik ersetzte die Lebendig-
keit des Lichts, der Atmosphäre, der Be-
wegung. Um diese wiederzugeben, sagte man
nun in erklärlicher Selbsttäuschung, wäre eine
ganze Umwälzung unternommen worden.
Wenn der Impressionismus so entstanden
ist, wie hier angedeutet wurde, dann mußten
ihn auch Pinsel und Palette wieder töten.
Und so ist es auch gekommen, während die
Periode der „Reizsamkeit" und der Wissen-
schaftlichkeit unverändert weiterwährt. . . a. j.
LENE SCIINEIDER-KAINER. t.E.\l.\LDE » KIN'DERBILDNIS«
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-4
)HAUER KARL ALBIKER-KARLSRUHE-ETTLINGEN. ZEICHNUNG . KNIEENDE FRAU«
VOM VORSTELLEN UND GESTALTEN DES KUNSTWERKS.
VON PROF. DR. A. E. BRINCKMANN— KARLSRUHE.
In jedem Kunstwerk veranschaulicht sich für
die rezeptive Vorstellung des Betrachtenden
eine Summe geistiger Arbeitsleistung des ge-
staltenden Künstlers, dessen längere oder kür-
zere produktive Vorstellungsreihen sich im Ma-
terial objektiviert haben. Alle anschaulichen
Formen haben ihr Leben in der Vorstellung des
gestaltenden Künstlers hinter sich. Man ist
versucht, für ihre langsame Herausschälung aus
dem Geistigen zum Anschaulichen das Bild der
Kristallisation zu gebrauchen, doch träfe ein
solches Gleichnis den Gestaltungsvorgang nur
halb. Es werden nicht einzig Teile, die das
Kunstwerk ausmachen, angezogen und nach
gefaßtem Plan gebildet, sondern ebensosehr und
vielleicht sogar in reichlicherem Maß werden
Teile als unrein abgestoßen. Das Endergebnis
schwebt nicht sogleich intuitiv vor, sondern es
entfaltet sich nach und nach im Vorstellen, Ge-
stalten, Bilden und Formen. Im gestaltenden
Künstler herrscht geradezu ein Chaos von her-
vorstrahlenden und erbleichenden Ideen und
Formen , von Gestaltungsmöglichkeiten und
Ausdrucksbeziehungen, die seinen Geist dehnen
und ihn oft zu sprengen drohen, ohne daß er
sich sofort Rechenschaft von ihrem Wert für
das endgültige Ergebnis, für das Kunstwerk, zu
geben vermöchte. Vielmehr erscheint ihm, dem
Gestaltenden, jeder Zustand seiner Vorstel-
lungen als Repräsentant einer wahren Ewigkeit
von besonderem Wert ; erst der zeitliche Ab-
lauf der sich folgenden Vorstellungen sondert
aus, bewertet relativ, sodaß gerade eine reiche
Begabung höchstes Glück und tiefste Qualen
im Gestalten findet.
Und selbst das Endergebnis, das anschau-
liche Kunstwerk, ist kein Abschluß der Vor-
stellungsreihen. Häufige neue Fassungen des
alten Motivs sind dafür Beweis, die einmal in
Bewegung gesetzte Vorstellung hält nicht plötz-
lich ein, der zeitlich festgelegte Punkt der Bild-
beendigung ist nicht zugleich auch für sie Ziel
und Ende, sondern sie gestaltet an dem aufge-
nommenen bildnerischen Problem weiter. Es
hat Künstler gegeben, wie Lionardo da Vinci,
mit einer so ungeheueren Fülle innerlichen Vor-
stellungsvermögens — „innerlich voller Figur
sein" nennt es Dürer — , daß sie kaum noch
Interesse für zeitraubende Veranschaulichung
eines Vorstellungs- Ergebnisses fanden. Ein
schlechter Künstler, der jemals fertig wird, der
nicht zugleich auch gegenüber dem abgeschlos-
senen Kunstwerk — und man nehme den Aus-
druck abgeschlossen ganz wörtlich — in dem
Gefühl der endlichen Befreiung heimgesucht
würde von einer schmerzlichen Ergriffenheit,
wie sie der Eremit haben mag, der freiwillig die
Welt mit der Einsamkeit vertauscht — nur daß
dem Künstler die Vorstellung zum Schlüssel einer
erneut aufleuchtenden Welt zu werden vermag.
Versteht man das Vorstellen und das Ge-
stalten am Kunstwerk als Wirbel geistiger Vor-
stellungen, so findet man auch einen Weg zu
einer Seite des Expressionismus, der diesen
Wirbel nicht in zeitlicher Abfolge und Welle
um Welle nicht durcheinander bedingt nehmen
möchte, sondern das Nacheinander und die Be-
dingtheit ersetzt durch Gleichzeitigkeit und
Gleichwertigkeit. Und es sind letzten Grundes
nur Prinzipienfragen und Fragen der geistigen
Beweglichkeit, ob man das eine oder das andere
ablehnt oder die Berechtigung beider Kunst-
ausdrücke zugibt. Ob man verlangt, daß die
künstlerische Gestaltungskraft alles Nachein-
ander der sich ablösenden Vorstellungen auf
eine Quersumme bringe, oder ob man zugibt,
daß dieses Nacheinander zu einem Beieinander
im Kunstwerk werden könne und es dem Be-
trachter überlassen bleibt, wie einstmals gegen-
über der letzten Entwicklung des Impressionis-
mus eine Synthese der Farbenteilchen selbst
vorzunehmen, so nun auch hier eine Synthese
der Vorstellungsreihen nach Idee und Form zu
finden. Auch darin liegt die Bedeutung des
expressionistischen Kunstwerks für die rezep-
tive Vorstellung des Betrachtenden: Fäden,
die sich nicht zu einem Knoten schürzen, spinnen
sich fort. Mit anderen Worten: der Betrachter
wird leichter in den Vorstellungsvorgang mit
hineingerissen. Wenn wir aber, wie weiter
unten dargelegt wird, dem Vorstellungsvorgang
größte Bedeutung für das Verständnis des end-
gültigen Kunstwerks zuschreiben, so ruhen hier
nicht zu unterschätzende Werte des expressio-
nistischen Kunstwerks. Fast paradox klingt es,
aber es ist doch so, daß das expressionistische
Kunstwerk sich leichter gibt , wie die kühle
Ruhe einer endgültig vereinheitlichten Vorstel-
lung im Kunstwerk. Es scheint einzig darum
anders, weil die rezeptive Vorstellung so gar-
nicht geschult ist, produktiven Vorstellungs-
reihen nachzudenken. Wir sind der Über-
XX. März 1917. 4
Vom VorsteUe7i und Gestalten des Kunstwerks.
Zeugung, daß gerade die in unfaßlicher Unendlich-
keit auf uns hereinhämmernden Ereignisse dieser
Zeit, die völlige Unmöglichkeit, sie zu einer
einzigen Synthese zu bringen , uns den Ge-
dankengängen des Expressionismus nahebrin-
gen werden, obgleich doch gerade seiner rela-
tiven Einfachheit wegen als komplizierteres Ziel
einer späteren Zeit wieder vorschweben dürfte,
das ganze Strahlenbündel in einem Brennpunkt
zusammenzuziehen und erst wieder in der rezep-
tiven Vorstellung des Betrachtenden als eine
Unendlichkeit von Wirkungen auseinander
fliegen zu lassen.
Die Kunstwissenschaft hat sich fast aus-
schließlich um die ästhetische Auslegung des
fertigen Werks vor eben diesem fertigen Werk
bemüht. Man wird aber die Anschauung ge-
wordenen Form vorstellungen nur teilweise oder
gar nur äußerlich verstehen, wenn man sich
einzig um das Endergebnis kümmert. Denn hier
nimmt die rezeptive Vorstellung nur auf, was
sie anspricht. Besonders gut verdeutlicht diese
Ungerechtigkeit dem Kunstwerk gegenüber die
Neuaufnahme der historischen Stile im 19. Jahr-
hundert. Aus jenen wurde herausgenommen
und ohne starke Kraft neugebildet, was die
rezeptive Vorstellung des betreffenden Nach-
ahmers aufzunehmen vermochte. Eine spätere,
historisch geschultere und wissenschaftlich
klarere Zeit hat sehr auffällig den Unterschied
dem Vorbild gegenüber trotz allen Mühen um
echte Wirkung anmerken können. Wie es jenen
historisierenden Künstlern dem historischen
Kunstwerk gegenüber ging, so ergeht es uns
selbstverständlich auch jedem Kunstwerk un-
serer Zeit gegenüber, mögen wir auch als Kinder
gleicher Zeit leichtere Annäherungsmöglich-
keiten haben. Wir haften am Einzelnen, ohne
der Gesamtheit des Vorstellungsprozesses, aus
dem das Kunstwerk ein Querschnitt ist, näher-
zukommen, falls wir nicht befähigt sind, den
Vorgang werdender Vorstellungen gegenüber
dem endgültigen Kunstwerk nacherlebt zu
haben. Alles Schwergewicht der Betrachtung
wird immer noch auf das Endergebnis verlegt.
Daß aber selbst dieses Endergebnis kein solches
für den Gestaltenden ist, wurde schon gesagt.
Wir werden ja auch einem Menschen nicht
gerecht, wenn wir aus seinem steten Werden
einen Moment herausgreifen, wir verstehen
einen philosophischen Gedanken ohne Prä-
missen und Folgerungen nicht. Dem Kunstwerk
aber, das doch auch nur Teil eines größeren
steten Werdens ist, glauben wir diese abtötende
Isolierung zumuten zu können. Was uns not
tut, ist eine evolutionistische Betrachtungsweise
auch dem Kunstwerk gegenüber, nicht einzig
die Analyse eines nach vorwärts und rückwärts
begrenzten Schaustücks. Man hat philosophisch
selbst rezeptiv noch nicht denken gelernt, wenn
man einige Sentenzen kennt, ebenso bleibt das
Reich künstlerischen Gestaltens dem fremd,
der nur Ergebnisse sieht, dem Werden dieser
Ergebnisse aber nicht nachzudenken vermag.
Das Mit- und Nachdenken des künstlerischen
Vorstellungsgangs bleibt eine Aufgabe, die noch
unendlich viel zu erfüllen hat, denn einzig sie
führt aus der Oberfläche in die Tiefe des Kunst-
werks ein. — Für große Gebiete alter Kunst
fehlen die Möglichkeiten zum Nachdenken des
künstlerischenVorstellungsganges allerdings fast
vollkommen, nur Rückschlüsse aus gegenwär-
tigem künstlerischen Schaffen werden schwach
diese fernen Gebiete erhellen. Eine Mahnung
übrigens für den Kunsthistoriker, die förder-
lichen Werte nicht zu verkennen, die in der
Beschäftigung mit moderner Kunst auch für
den Deuter alter Kunst liegen.
Wird nun derjenige, der nicht selbst schöp-
ferisch gestaltet, in dieses wirbelvolle Labyrinth
überhaupt einen Zugang finden? Kann nicht
allerletzt nur noch der, dem es vergönnt ist,
den gestaltenden Künstler zu umlauern, wie
der Biologe sein Studienobjekt umlauert, darauf
rechnen, einige Wellen aus jenem dunklen
Wirbel aufzufangen? Ist damit aber nicht gar
das weite Reich der Kunst dem Nichtkünstler
verschlossen, bleibt nicht sogar der Künstler
dem Künstler als anderem Individuum fern, und
schafft er nicht als ein ewig Einsamer einzig für
sich selbst, einzig für seine Erkenntnis? Leider
muß eingestanden werden, daß diese Fragen
keine fröhliche Auflösung erhoffen lassen. Wer
sie weiter ausspinnt, wird bescheiden und schon
beglückt mit einem Blick durch die vergoldeten
Gitter dieses verschlossenen Reichs. Den Blick
aber sollten wir wohl festhalten und auch ver-
suchen, die Stangen etwas auseinander zu
biegen. Denn im Ablauf des künstlerischen
Vorstellungsvorgangs lüftet sich der Schleier
hier und dort. Eine Skizze, ein Wort lassen
manches erraten, die Erlebnisse eigener pro-
duktiver Tätigkeit auf jedwedem geistigen Ge-
biet gesellen sich hinzu, und so erhellt sich dort
ein Werden, wo vorher nur ein Sein erkannt
wurde. In der Aufdeckung solchen Werdens,
in dem Bemühen um Erkenntnis jenes zweiten
großen Reichs neben dem Reich des begriff-
lichen Denkens harrt der Kunstwissenschaft
eine mächtige Aufgabe. Der geistige Vorgang
des künstlerischen Gestaltens will erkannt sein
im einzelnen Kunstwerk, in der zeitlichen Ab-
folge der Kunstwerke.
Künstler sind stets ablehnend gegen eine
Vom Vorstellen und Gestalten des Kunst^verks.
Kunstkritik , ernste sogar gegen eine günstige.
Sie sagt ihnen wenig oder nichts, höchstens
aus wirtschaftlichen Gründen mag man sich um
sie kümmern. (Hierin liegt der amoralische
Grund jeglicher Kunstkritik beschlossen.) Wenn
man liest, was sie selbst schreiben, wird klar,
warum. Mag es nun Marees, Hildebrand,
Liebermann, Signac sein, sie alle sagen
wenig von dem, was im allgemeinen den naiven
Betrachter am Kunstwerk einfängt, sondern sie
legen allen Wert auf den Gestaltungsvorgang
an sich. Sollten wir es nicht ebenso machen?
Lohnender für uns, förderlicher für die Durch-
setzung eines Künstlers wird es auf alle Fälle
sein, statt zehn Werke von ihm zu bringen, an
einem einzigen die verschiedenen Vorstellungs-
etappen aufzuweisen, seine besondere Vor-
stellungsart zu verdeutlichen, bis dahin, wo die
anschauliche Form endgültig vorliegt. Gar nicht
von der widernatürlichen Art zu sprechen, die
Analyse des Kunstwerks zu einer einzig Ge-
fühlswerte umschreibenden literarischen Neu-
schöpfung zu machen. Eine Kunstbetrachtungs-
art, die mit Wackenroder (1797) aufkam und
unter dem Einfluß Muthers unsere Literatur
über bildende Kunst stark vergiftet hat. Sind
wir uns andrerseits nicht über die Belanglosig-
keit einer Buchillustration im klaren, die litera-
rische Begriffe anschaulich aufzeichen will?
Gern gebe ich zu, daß bei einer solchen Wen-
dung dem Kunstwerk gegenüber leicht das un-
behagliche Gefühl des Akademischen in der
Behandlung auftauchen kann. Auch ein Hilde-
brand mag das gespürt haben, wenn er meint,
daß eine solche Behandlung in die Lage käme,
zu demjenigen, dem die Anschauungen (Vor-
stellungen) geläufig sind, in einer ungewohnten
Sprache zu reden. Und hier begründet sich
letzten Endes für uns die schon angedeutete
Auffassung, daß die Gesetze des künstlerischen
Vorstellens sprachlich nicht feststellbar sind.
Die unüberbrückbare Kluft ist diese : Der be-
sondere geistige Vorgang des künstlerischen
Vorstellens und Gestaltens wird durch Begriffe
ersetzt, um uns in einer uns geläufigen Form
mitteilbar zu werden. Diese Begriffe gehören
jedoch einer durchaus unterschiedlichen gei-
stigen Sphäre an. Aber noch etwas Schlim-
meres und eben akademisch Vereisendes ge-
schieht: durch feste Begriffe wird der unendliche
Reichtum bildnerischen Gestaltens einge-
schränkt. Hildebrand ist in seinem „Problem
der Form" dieser Gefahr nicht'entgangen, aus
einem individuellen Schaffen hat er ein abso-
lutes begriffliches Gesetz machen wollen — ein
Fehler, den ihm der jüngste Kunsthistoriker,
der Antike, Gotik, Barock mit freien Augen
nebeneinander angesehen hat, nachzurechnen
vermag — , wo es dann allerdings nichts Einfäl-
tigeres gäbe, als mit solch primitiver Erkenntnis
einen Hildebrand selbst angreifen zu wollen.
Die Begriffe drängen nach Begrenzung, die
schöpferischen Vorstellungen dagegen sind flie-
ßend frei. Gebundenheit und Freiheit stehen
einander gegenüber, und doch wird der Versuch
gemacht, eines durch das andere zu ersetzen,
ja wir selbst kommen ohne dies ja nicht aus.
Nun, wir können uns aus diesem Widerspruch
retten, wenn wir uns gegenwärtig halten wollen,
daß alle Begriffe dem Kunstwerk gegenüber
fließende bleiben müssen, nicht etwa unklare,
sondern von Fall zu Fall durchaus klare, aber
immer mit neuem Gesicht. Der Reiz liegt ge-
rade darin, zu zeigen, daß der Begriff der Fläche
begrifflich mathematisch bestimmt ist, in der
bildenden Kunst jedoch stets als ein anderer
erscheint, und daß, gehen wir über diese Ele-
mente hinaus, die Kombinationen im Kunstwerk
unendlich vieldeutige werden, im rein begriff-
lichen Denken stets eindeutige bleiben müssen,
oder jedenfalls sollten.
Einen Einwand hiergegen könnte man unter
Verweis auf das mystische Denken machen,
aber eben dieses unterscheidet sich von dem
begrifflichen dadurch, daß es eine Umschreibung
von Gefühlswerten ist. Es schwebt gewisser-
maßen zwischen Philosophie und Kunst, wie
denn auch die darstellende Kunst leicht in die
Mystik, nie aber in die Philosophie einzuführen
vermag — trotz Kaulbachs.
Bei allem Bemühen um das Werden des
Kunstwerks wollen wir aber schließlich noch
eins festhalten, dieses eine wird auch die Be-
scheidenheit dem Kunstwerk gegenüber immer
wieder erneuem: nicht nur, daß es unmöglich
ist, sein besonderes Leben in Begriffe aufzu-
lösen, sondern daß wir stets an die Grenzen
des Unbegreiflichen kommen, wo man sich denn,
nach großem Gewinn, wohl bescheiden kann.
Und man mag sich trösten. Selbst der vor-
stellende Künstler wird diese Grenzen des Un-
begreiflichen fortwährend in sich spüren, ja
nicht einmal durchbrechen mögen, so klar er
auch den Weg im Ganzen verfolgt, von dem
wir nur Teile sehen. „Man hat zu allen Zeiten
gesagt und wiederholt", meint Goethe zu
Eckermann, „man solle trachten, sich selber zu
erkennen. Dies ist eine seltsame Forderung,
der bis jetzt niemand genügt hat, und der auch
eigentlich niemand genügen soll."
Nicht also die Lichtquelle selbst gilt es zu
finden, wohl aber die Strahlenbüschel zu sehen,
die sich schließlich im Brennpunkt des Kunst-
werks verdichten. — Bei der unendlichen Fülle
Vom Vorstellen und Gestalien des Kunstwerks.
394
KARL ALBIKEK— KARLSRUHE-ETTLINGEN.
von Ideen und Formen während des Gestal-
tungsvorgangs, die wir zum Verständnis des
endgültigen Kunstwerks nachzuerleben wün-
schen müssen, selbst wenn, die vermittelnde
begriffliche Übersetzung nur mangelhaft sein
kann, wird, wie schon einleitend vermerkt,
dieser Gestaltungsvorgang selbst ein ständig
wechselnder sein, nicht nur in den verschiedenen
Kategorien des bildnerischen Gestaltens, in den
verschiedenen Zeltabschnitten oder bei den
einzelnen Künstlern einer und derselben Zeit,
sondern sogar in einem Künstler bei der Schöp-
fung seiner verschiedenen Werke. Diese Auf-
fassung wird leicht den gewandten Macher aus
der Schar wahrer Künstler herauszusondern
vermögen ; er ist derjenige, bei dem der Ablauf
des Gestaltungsvorgangs stets der gleiche ist.
Für uns ergibt sich aber aus der Erkenntnis der
unendlichen Möglichkeiten der Gestaltungsvor-
gänge die Forderung, eine Unendlichkeit von
Formsprachen als an sich gleichberechtigt an-
zuerkennen (ohne das Recht persönlicher, ihrer
selbstgewählten Beschränkung jedoch bewußter
Entscheidung zu bestreiten), weiterhin jegliche
Analyse unter stets wechselnden Gesichtspunk-
ten vorzunehmen. Man mag getrost sagen, dem
ENTWURF ZU NEBENSTEH. RELIEF.
Werden des Kunstwerks mangelt dieLogik. Und
damit mangelt auch die Logik seiner begriff-
lichen Umsetzung, nachdem wir uns schon damit
bescheiden mußten, daß auf diesem Gebiete die
Begriffe nicht begrenzend sein können, son-
dern notwendig fließende werden müssen.
Wie weit sich nun aber doch trotz alledem
allgemeine künstlerische Vorstellungsbegriffe
festlegen lassen, läßt sich hier vorerst nicht
sagen. Das große Verdienst der „Kunstge-
schichtlichen Grundbegriffe" Wölfflins beruht
gerade darin, einen solchen Versuch unternom-
men zu haben, wenn er auch selbst davon ent-
fernt ist, diese Grundbegriffe für abschließende
zu halten und sein Buch ein tastendes und er-
öffnendes nennt. Auf alle Fälle dürfte die Ein-
beziehung anderer kunstgeschichtlicher Zeit-
abschnitte die von ihm festgelegten Grundbe-
griffe in mancherWeise umfärben und besonders
das von Wölfflin aufgestellte System ihrer Be-
ziehungen beeinflussen. Gelangt man nicht gar
dahin, jedwede logische Determinierung auf dem
Gebiet der Kunst von vornherein für unmöglich
zu halten im Gegensatz zum begrifflichen Den-
ken. Und selbst diesem gegenüber ist man nicht
mehr so sicher wie einst (Bergson). Bis dahin
KARL ALBIKER-KARLSRUHE. RELIEF .MUSIZIERENDE FRAUEN«
Vom Vorstellen loid Gestalkti des Kunshverks.
sind aber noch eine Fülle von Einzelstudien
notwendig, die Einblick gewähren in das Wesen
des künstlerischen Vorstellens und Gestaltens.
Wir möchten in verschiedenen Aufsätzen
zwanglos die verschiedenen Gestaltungsvor-
gänge für Baukunst, Skulptur und Malerei der
Gegenwart verfolgen, wenn es auch nicht zu-
fällig ist, daß wir den Beginn mit einem Relief
und einer Freiskulptur machen.
Das Relief, mit dem Albiker ein Theater in
Basel schmückte, macht thematisch keine
Schwierigkeiten. Es ist gedacht für die beson-
dere Bestimmung seines Standorts: drei musi-
zierende Frauen, eine Tamburinschlägerin,
eine Lautenspielerin und eine Bläserin. Un-
schwer erfaßt man auch das Verhältnis der drei
Figuren zur Relieffläche; die architektonische
Strenge ihrer Verteilung in drei ähnlich vari-
ierten Rhythmen, die klare Dreitrennung und
zugleich doch wieder den Zusammenfluß des
gesamten Liniennetzes. Hierin scheint das End-
ergebnis aller gewandelten Vorstellungen des
gestaltenden Künstlers anschauliche Form ge-
worden zu sein, stark unter diesem Eindruck
stehend, könnte man sich dankbar bescheiden.
Und doch, meinen wir, kann diese letzte Form
noch an wirksamer Lebendigkeit gewinnen,
wenn wir Einblick in ihren Entstehungsvorgang
gewinnen. Es mag gleich gesagt werden, daß
derjenige, der gewohnt ist, künstlerischen Ge-
staltungsvorgängen nachzuleben, ohne diesen
Umweg noch weitere Vorstellungsbegriffe allein
aus dem Relief herauszunehmen vermöchte;
hier handelt es sich aber vor allem um die, die
solchen Gestaltungsvorgängen fremder gegen-
über stehen. Und um es nochmals mit anderen
Worten zu wiederholen : Begriffe , stets ver-
änderlich, versagen einer solchen ungeübtenVor-
stellung gegenüber doch, wenn sie nicht erfährt,
auf welche Weise sich diese Begriffe entwickeln.
Der flüchtige Eindruck von der Bewegung
eines knieenden Frauenkörpers war Ausgang
aller der Vorstellungen , deren Endergebnis
das Relief selbst ist , mag diese erste Vor-
stellung nun im Geiste des Gestaltenden ent-
standen sein, mag sie der selbstentzückten
Bewegung des freien Modells abgelauert sein.
Rodin zum Beispiel hat mit flüchtigem Stift
ganze Reihen solcher freien Bewegungen fest-
gehalten. Blatt um Blatt füllte er nach den
Tänzen zartgliedriger Kambodschanerinnen, bis
ein Eindruck plötzlich über allen anderen em-
porwuchs und sich auszuformen begann. So
ist auch dieser knieende Akt mit den hochge-
worfenen Armen vielleicht ein flüchtiger Bewe-
gungseindruck emporschnellenden Jubels, viel-
leicht ist grade diese Stellung geboren in dem
eigenen dithyrambischen Lebensgefühl des
Künstlers und ohne Modell mit schnellen Tusch-
strichen auf das Papier geworfen — gewiß Un-
terschiede , aber doch in dem Gange der Vor-
stellungen belanglos. Diesem Bewegungsein-
druck wird nun weiter nachgedacht. Zunächst
frei, isoliert, flächig aufgebaut wird er in
der Vorstellung verwoben zur Dreibindigkeit
mit zwei weiteren Figuren, für die sich ein ähn-
licher Gestaltungsausgang nachweisen ließe.
Und nun ein weiterer Schritt; das Format der
rechtwinkligen Steinfläche wird von dieser Vor-
stellungsgruppe gewählt und zwingt gleichzeitig
diese Vorstellungsgruppe in ihre festen und von
jetzt ab unvermeidbaren Grenzen. Die isolierte
Bewegung verschmilzt in eine dreifache sich
gegenseitig bedingende und beeinflussende, die
freiwillig gestellten Forderungen der Steiufläche
werden zum Gesetz des weiteren Gestaltens.
Die überreichen Möglichkeiten müssen durch
das enge Tor eines besonderen Vorstellungs-
willen hindurchgehen. Die Kohlezeichnung zeigt
diese bestimmte Wendung. Man wird mit
einemmal inne, wieviel Entsagungsvolles in
dieser Fassung liegt, obgleich doch Wort für
Wort die Analyse auf sie passen würde, die
vorher das vollendete Relief umschrieb. Die
Bedeutung dieser Kohlezeichnung liegt grade
darin, daß mau ihr gegenüber dem Künstler
nachzudenken vermag, wie sie wohl eine Lö-
sung bedeuten und doch gleichzeitig für ihn zu
einer Enttäuschung werden konnte. Denn die
Ausgangsvorstellung jener jubelnden Bewegung
ist verblaßt, verblaßt zu einem starrgebannten
Schema. Der schwerste Teil der Arbeit be-
ginnt; nicht nur hinüberzuretten, sondern aus-
zubauen das, was ursprünglich vorhanden war.
Die Ausgangsvorstellung einer schwungvollen
Bewegung wird zum Gestaltungsproblem. Man
verfolge in den drei Stadien das Aufsetzen des
Körpers auf dem Schenkeldreieck, Schwung
und Drehung des Torso, die Kurvenlinie der
beiden Arme und ihre Richtung gegen den
Körper, immer erscheint auf Bewegung hin an-
gesehen die Tuschzeichnung wie ein wilder
Rausch, die Kohlezeichnung wie ein geome-
trisches Schema, das Relief wie ein Schwung
voll Energien, die wohl das umschreibende
Format des Steins einhalten, zugleich aber dies
Format als behinderndes, pressendes völlig
vergessen machen und sich unbehindert auszu-
rasen scheinen. Unter dem anderen Gesichts-
punkt der Einzwängung in das Format be-
trachtet: die TuschzeichnuDg jede Grenze des
Raumes vergessend machend, die Kohlezeich-
nung die Figur in das Format des Steins hinein-
duckend, das Relief dieses Format als eigen-
Vovi Vof stellen und Gestalten des Kunstxverks.
K. ALBtKER. ZEICHNUNG
«STEHENDE FRAUEN«
gesetzliches bestimmend. Zwei Wurzeln des
Vorstellungsvorganges sind so deutlich gewor-
den, Bewegung und Format. Feindlich fast
sich gegenübertretend, harmonisch geeint, ja
weit mehr, sich gegenseitig steigernd die Werk-
statt verlassend. Und wir sagen wohl nicht zu
viel, daß nun erst, wo wir diesen Entwicklungs-
<%J^C'
gang übersehen, das Relief in der rezeptiven
Vorstellung des Betrachtenden ganz andere
Wirkungen auslöst wie vorher. Wir haben selbst
an den Vorstellungsbegriffen mitgearbeitet, und
diese Tätigkeit ist für ihr Verstehen von gleicher
Bedeutung, wie das Mitarbeiten an den rein-
begrifflichen Gedankengängen eines Philoso-
KARL
AlBIKER-
KARLSRUHE.
>STEHENDE
FRAUEN«
K. ALBIKER-
KARLSRUHE.
»FRAUEN-
GRUPPE«
XX. März 1917. 5
Vom Vorstellen tind Gestalten des Kunstiverks.
K. ALBIKER-
KARLSRUHE.
PINSEL-
ZEICHNUNG:
»KNIEENDE
FRAU.
phen für das Verstehen seiner Schlußsätze es ist.
— Von einer flächenhaft vorgestellten — im
Gegensatz zur räumlich vorgestellten — Linien-
bewegung nimmt auch die zweite Schöpfung
Albikers ihren Ausgang. Eine Gruppe von
zwei stehenden Frauen, aneinanderge-
schlossen in gleicher Bogenbewegung der Kör-
perkonturen, während die Sehne dieses Bogens,
die der ganzen Gruppe Flankenhalt gibt, fest-
gelegt wird durch den linken Arm der rechten
Figur und ein herabhängendes Gewandstück,
Eine kräftige Diagonale legen die beiden rechten
Arme durch die Gruppe , verdeutlichender
Gegensatz zu den großen Bogenlinien und doch
gleichzeitig sich aus ihnen abzweigend. Man
könnte sich nun denken, daß der Künstler aus
dieser ersten Vorstellung eine Reliefplastik ent-
wickelt hätte, vielleicht in ähnlichen Vorstel-
lungsvorgängen, wie sie vorhin entwickelt wur-
den, vielleicht aber auch in glatterem Ablauf,
da diese Vorstellung sich von selbst in ein be-
stimmtes Steinformat zu fügen scheint. Um zu
zeigen, wie leicht sich immerhin ein solcher
Vorstellungsgang abspielen kann, fügen wir hier
ein weiteres Relief einer knieenden Frau mit
der ersten Studienzeichnung ein, bei dem die
Figur selbst nur geringe Wandlungen durchge-
macht hat, wogegen die Bedeutung der Schilf-
402
K. ALBIKER-
KARLSRDHE.
RELIEF »KNIE-
ENDE FRAUc
Vom J 'orstelleyi und Geifal/eti r/es Ku7isia -erks.
gewächse für die endgültige Gestaltung sich
wesentlich gewandelt hat. Indem bei der
Gruppe die flächenhaft vorgestellte Linienbe-
wegung nun aber durch einen plötzlich auf-
zuckenden, auf ein bestimmtes Ziel gerichteten
Vorstellungsimpuls genötigt wird, sich in eine
Freiskulptur hineinzuformen, treten ganz neue
Forderungen an sie heran. Die dritte Dimen-
sion erscheint, die Fläche bricht auf zum Raum,
der nicht einzig wie die Fläche nach oben und
unten, rechts und links Freiheiten gibt, sondern
sein eigentliches Leben grade in einem Vor und
Zurück offenbart. Deutete vorher die Linie die
Fläche aus, so muß nun im Raum diese Linie
sich selbst zur Fläche entfalten. Jeder einzelne
Frauenkörper wird mit kontrastierenden und
sekundierenden Richtungsebenen durchsetzt
und die vormals einfachen Bogenlinienbezieh-
ungen beider Körper verschieben sich jetzt
räumlich gegeneinander. Man verfolge in der
Freigruppe gegenüber der Zeichnung das neue
Verhältnis beider Schultern, die Verschiebung
der Brust- und Bauchpartien gegen die Schul-
tern und gegeneinander, die Veränderungen und
Deckungen der Beinstellungen, die man als eine
der schwersten Partien im Gesamtaufbau be-
trachten kann. Hier ist nicht nur der einstige
Linienrhythmus gewahrt, die Vorstellung nicht
nur kompliziert und bereichert — von Bedeu-
tung ist die Unterstützung und Gegensätzlich-
keit der Gewandfalten und dicken Säume — ,
sondern in dieser Komplizierung ist zugleich
ein höchst klares und leicht faßliches Vorstel-
lungselementherausgearbeitet: diebeiden rech-
ten Füße sind bis an die vordere Ebene gleich-
mäßig herangestellt, die beiden linken Füße
fast gleichmäßig zurückgezogen, was bei der
kreuzweisen Versetzung der einen Figur eine
dreieckige Basis mit der Spitze gegen den Be-
trachter ergibt. Diese Spitze aber wird der
Aufschwungpunkt für den Aufbau der plasti-
schen Massen, der erhobene Kopf der linken
Figur biegt diese schwingend steigenden Massen
wieder zusammen und gewinnt hier oben eine
ähnliche Bedeutung wie das Fußpaar unten. "
Der Gestaltungsvorgang des Reliefs ging von
der Linie über eine Flächengeometrie zur Linie,
der Gestaltungsvorgang der Freiskulptur von
der Linie zum Raum. Der Gestaltungsvorgang
hat im ersten Fall gewissermaßen einen Kreis
beschrieben, im zweiten Fall stetig eine neue
Richtung eingeschlagen. Einmal hat die Linie
sich in der Fläche erfüllt, das andere Mal hat
sich die Linie zur Fläche entfaltet und damit
den Raum gewonnen, so entschieden, daß diese
Freiskulptur sich Werken des Barock nähert.
Man wende nicht ein, daß ja auch das Relief
räumliche Werte einschließe, die Freiskulptur
Linienumgrenzungen aufweise. Ausschlag-
gebend sind hier die Hauplbegriffe, mit denen
die Vorstellung arbeitet.
Wichtig wird nun weiter die Erkenntnis, daß
dieVorstellungsbegriffe linear, flächig und räum-
lich einheitlich beieinander ruhen und einzig
durch den besonders gerichteten Vorstellungs-
willen Realität erlangen. Sie schließen sich im
Vorstellungsgang nicht gegenseitig aus, bilden
in unserem Fall keine Paarigkeit, wie sie etwa
für einen bestimmten Zeitabschnitt Wölfflin
nachgewiesenhat, sodaß etwa das linear-flächige
Sehen in Gegensatz zu dem malerisch-räum-
lichen Sehen tritt. Sollen wir annehmen, daß
unsere Zeit diese Fähigkeiten neuer Gruppier-
ungen alter \'orstellungsbegriffe erlangte, weil
sie so unendlich viel von dem künstlerischen
Vermächtnis früherer Zeiten in sich eingesogen
hat? Ich glaube, dieser Einwurf, den man viel-
leicht zur restlosen Verteidigung der ihrem be-
sonderen Objekt gegenüber wundervollen Dar-
legungen Wölfflins machen möchte, scheitert
an der außerordentlichen Kraft der Albiker-
schen Vorstellungsformen. Und wir kommen
da auf einen schon ausgesprochenen Satz zu-
rück: daß diese Vorstellungsbegriffe eine un-
endliche Kombinationsfähigkeit und Bildsam-
keit im Gestaltungsvorgang besitzen, daß grade
die schöpferische Art unserer Zeit auf solcher
Kombinationsmöglichkeit beruht. Gleichzeitig
erinnern wir noch einmal daran, daß alle Vor-
stellungsbegriffe gegenüber den auf Eindeutig-
keit ausgehenden abstrakten Begriffen unend-
lichdeutige sind, und daß die eigentliche Auf-
gabe nun wohl die wäre, immer neue Eigen-
schaften undWesensarten der Linie, der Fläche
und des Raumes zu enthüllen, nicht nur aus
ihrer optischen Sehbarkeit, sondern vor allem
aus ihrer Einreihung in den Vorstellungsvor-
gang heraus a. e. br.
EDUARD PFEIFFER BERLIN. «RELIEF IN HOLZ GESCHNITZT« SCHRANKFÜLLUNG.
XX. März 1917. 6
ARCHITEKT EDUARD PFEIFFER-BERLIN. »HERRENKLEIDER- UND WÄSCHESCHRANK. FÜLLUNG vergl. S
RICHARD L. F. SCHULZ -BERLIN.
>ELEKTRISCHE STEHLAMPEN«
SICHTBARE SCHÖNHEIT ALS AUSDRUCK DER SEELENKULTUR.
UNSER VERHÄLTNIS ZU DEN SCHÖNEN DINGEN VON JOSEPH AUG. LUX.
Bleiben wir stets dessen eingedenk, daß der
künstlerische Geschmack der Ausdruck ver-
borgener Seelenkräfte ist, die in jeder Brust
ein eigenes Gesetz bilden. Wer da glaubt, die
Sache mit einfachen Regeln abzutun, ist schon
auf dem Holzweg. Die Tyrannei nüchterner
Rezepte und Vorschriften, die für alle Menschen
oder für ein ganzes Volk bindend sein sollen,
führt direkt in die Erstarrung, in Kunstblind-
heit und hilflosen Manierismus. Hüten wir uns,
das Flügelroß schöpferischer Phantasie an die-
sen dürren Ast zu binden !
Unerschöpflichkeit der Erfindung, ewige
Wiedergeburt des edlen Geschmackes ist uns
gegeben, weil es etwas ist, das aus geheimnis-
vollen Seelentiefen kommt und dort von dem
Sternengesetz des Kosmos geleitet wird. In
diesem schöpferischen Urgrund der Seele voll-
zieht sich das Urbild des Schönen, die plato-
nische Idee, die Inspiration, die von der gestal-
tenden oder ordnenden Hand hernach in Sicht-
barkeit umgesetzt wird. Aber sie könnte nicht
greifbare Gestalt gewinnen in Holz, Stein, Me-
tall, Farbe oder Ton, wenn sie nicht vorher
schon als ein Seelisch-Geistiges vorhanden
wäre. Nicht der Intellekt oder die verstandes-
mäßige Alltagslogik ist schöpferisch; sie kann
höchstens Regeln und Rezepte verschreiben;
sondern jenes tiefere, individuelle Gefühl ist
produktiv, das jene Regeln und Rezepte immer
wieder durchbricht und umwirft und an Stelle
der Schulweisheit die überraschenden Taten
des Genius setzt.
Die Geistform, im dunklen Seelenbereich
entstanden, ist früher da als die sichtbare
materielle Form. Wie schön spricht der Dichter
Eichendorff von den heimlichen Liedern, die in
allen Dingen schlummern und wie richtig redet
der Orientale von dem Geist des Tisches oder
von dem Geist jeglichen gefertigten Dinges, wie
er auch von dem Geist des Baumes oder des
Felsens redet. Erinnern wir uns, daß auch unser
Naturempfinden um die Seele des Baumes, um
die Dryaden weiß, um den Geist über den
Wassern, um den Erlkönig usw.
Unser seelisches Verhältnis zu den Dingen
beruht darauf, daß diese Dinge ursprünglich
geistig vorhanden waren, und daß somit der
Geist an ihnen es ist, der ihnen erst ihr Dasein
in dieser Welt und ihr individuelles Leben gibt.
Wenn man das erkannt hat, ist man mit den
Gegenständen seiner Wahl innerlich verknüpft.
Sie sind beseelt, weil sie aus den Händen
eines Verfertigers hervorgingen, der sie aus
seiner Seele geschöpft, und ihnen mithin etwas
von seinem inneren Wesen und eine Ahnung
des göttlichen Gesetzes mitgegeben hat. Wenn
man in dem Verfertiger außerdem eine beson-
dere Künstlerindividualität verehrt, die ihre
innere Eigenart in dem Werk seiner Hände
Sichtbare Schönheit als Ausdruck der Seelenkultur.
oder seines Geistes zum Ausdruck bringt, oder
wenn sich in dem Gegenstand die Erinne-
rung an den Geber manifestiert, so haben wir
eine vielfache Seelenverknüpfung, durch die
der Geist der Dinge oder die heimlichen Lieder
darin zum eigenen Herzen sprechen. Indem wir
auf den „Geist" sehen, der verborgen in der
Sache lebt, unterscheiden wir schon zwischen
den Dingen, die im hohen Grad geistig geladen
sind, wie künstlerische Werke überhaupt, und
jenen anderen Dingen, die gleich der Fabriks-
ware als Reproduktionswert oder Facsimile
diese Gnaden nur im geringen Maße besitzen,
ganz abgesehen von den häßlichen Dingen, die
den Geist der Niedrigkeit und Verworrenheit
atmen und die beglückende Erlösungsmacht
edler Schöpfungen nicht besitzen. Wir müssen
uns von diesem bösen Geist, der sich immer in
schlechter oder disharmonischer Form bietet,
sehr wohl hüten; auch die scheinbar toten
Dinge haben eine Schicksalsmacht und können
uns auf eine unheilsame Weise beeinflussen.
Denn die scheinbar toten Dinge sind vermöge
ihrer Geistnatur doch zugleich auch lebendige
Wesen, wie es der Baum ist oder der Fels und
sie wirken kraft des psychischen Gesetzes,
dessen Ausdruck sie sind, weiter. — Das gött-
liche Gesetz, das jeder menschlichen Schöpfung
zugrunde liegt, ist das-
selbe, das nach Gottes
Wort: ES WERDE allem
Welt- und Naturgesche-
hen zugrunde liegt. Es
war eine geistige Kraft,
die das Chaos entwirrte
und eine Veste, eine Tren-
nungslinie zwischen Land
und Wasser , zwischen
Himmel und Erde errich-
tete und dennoch in allen
Teilen die heimlich fluten-
de, verbindende und ewig
hervorwirkende Geistes-
kraft blieb, die die un-
erschöpfliche Mannigfal-
tigkeit des Werdens in
der Natur und in der
menschlichen Seele be-
wirkt. Nichts ist Wieder-
holung, alles ist Entwick-
lung. Die ganze Welt mit
ihren Sphären und was
auf Erden geschieht und
in der geistigen Werk-
statt des Künstlers oder
in der schöpferischen
Seele , befindet sich in
einem fortwährenden Flusse, der immer die-
ses eine göttliche Geheimnis der Zeugung in
stets neuen und wechselnden Formen hervor-
spiegelt. Der ewig wandelbare Ausdruck der
Form ist der vielfache Reflex des unwandel-
baren verborgenen Antlitz Gottes oder seines
geistigen, schöpferischen Atems. Nie kehrt das
Gleiche wieder, die Sterne wandeln, und die
Sterne in der Brust haben in jeder einzelnen
Individualität, in jedem neuen menschlichen
Leben eine andere Konstellation. Sie geben
jeder Seele ihr eigenes Ausdrucksgesetz. Und
diese Tatsache allein sichert uns im mensch-
lichen Schaffen, in der Kunst ein ewig neues
Hervorbringen, dessen einziger Maßstab die
Individualität des Künstlers ist. Der Künstler
ist frei, wenn er nicht der Schulsatzung, sondern
seinem Genius folgt, dem Gebot, das in seinem
Seelen-Ich geschrieben steht.
Gewiß haben ganze Zeiten oder bestimmte
Völker ihre besonderen Imperative und ihre
eigenen Charakterzüge ; aber von jenen all-
gemeinen Grundlinien abgesehen, die den Künst-
ler als Sohn einer bestimmten Zeit oder eines
bestimmten Volkes erkennen lassen, muß er
mit jener inneren Freiheit aus seiner besondern
seelischen Individualität heraus schaffen oder
wirken können, wenn anders seine Werke von
„ewiger" Dauer sein sol-
len, das heißt, wenn der
Atem Gottes, jene gei-
stige Ideenkraft, in ihnen
lebendig pulsieren soll.
Es sind die höheren him-
melgeborenen IntelUgen-
zen, die dem Künstler
verliehen sind, als ein
seelisch Gegebenes; man
spricht darum ganz richtig
von Begabungen, die
natürlich je echter, desto
verschiedenartiger sind.
Begabung ist individuell;
und nur die Individualität
ist schöpferisch. — Von
diesem tiefsten Punkt aus
müssen wir, ob wir nun
Künstler sind oder nicht,
unser Verhältnis zur Um-
welt innerlich regeln, und
dafür kann ich außer die-
sem allgemeinen Hinweis
kein Rezept geben. Wohl
aber ein persönliches Bei-
spiel, das gleich wieder
die Aufforderung enthält,
jeder müsse anstatt nach-
F. SCHULZ. »ELEKTRISCHE STEHLAMPE«
Sichtbare Schönheit als Ausdruck der Seelenkultur.
R. L.F.SCHULZ
BERLIN.
» RtVNGE-
LEUCHTER«
zuahmen, von sich aus wirken. Wenn ich Kunst
hervorbringe oder Dichtung, dann geschieht es,
weil ich auf dem Grund meiner Seele eine
geistige Kraft spüre, die meine Gestaltung
leitet; aber ich lasse mich auch wieder von der
gleichen Seelenkraft leiten, wenn ich nach per-
sönlichem Geschmack auswählend verfahre und
demgemäß meine Umgebung gestalte, gleichviel
ob ich es mit ganz einfachen oder mit reichen
Mitteln tun kann. Nach diesem Prinzip wähle
ich mir die Menschen meines Umganges und
wähle mir die Dinge meines Gebrauches oder
meines Schönheitsbedürfnisses, also wahlver-
wandtschaftlich, wofern die Menschen und
Dinge zu mir gehören und mit meinem Inneren
in Harmonie leben sollen oder ich mit ihnen.
Ich nehme sie von meinem Seelenstandpunkt
aus als geistige Wesen, die mich innerlich an-
sprechen; insoferne sind die Gegenstände
meiner Geschmackswahl zugleich auch Aus-
druck meiner Seelenkultur. Diese Seelenkultur
kann eine hohe oder niedere sein, je nach dem
Grad meiner Erkenntnis und Fähigkeit ; aber
sie kann niemals eine ganz schlechte sein, wenn
ich das individuelle geistige Gesetz des Edlen
in mir erkannt und angefangen habe , darnach
zu leben. Wer anfängt darnach zu leben, wird
die anfänglichen Irrtümer schon bald selber
gewahr werden und nach einer gewissen Zeit
sich wie von selbst in Übereinstimmung mit
dem Besten der Welt befinden, je nach seinem
individuellen Gesetz.
„In allen meinen Taten — Lass' ich den
Höchsten raten", singt derMystikerPaul Fleming.
Der Höchste, das ist jenes göttliche Gesetz,
der Sternenhimmel in der eigenen Brust, die
innere Stimme, wofern man den Seelengrund
und seine Weltzusammenhänge in sich erkannt
hat. Es wird soviel über Geschmacks-Erziehung
gefaselt und Vorschläge werden laut, eine Art
Geschmacks-Kunde in der Schule einzuführen,
um der Jugend einzuprägen, was sie für schön
und für häßlich zu finden hat. Ich halte die
Schematisierung des natürlichen und unbeschol-
tenen Schönheitsgefühlsfür verhängnisvoll. Man
kann das absolut Häßliche an den Pranger
Sichtbare Schönheit ah Ausdruck der Seelenkultur.
K.r.. F.SCHULZ
HERLIN.
• HÄNGE-
I.EUCHTER«
stellen; man kann ein persönliches Beispiel im
Guten geben, aber man kann nicht ein Durch-
schnittsrezept für das Künstlerische oder Ge-
schmackvolle aufstellen, damit alle darnach
selig werden sollen. Bewahre uns der Himmel
vor diesen kunstblinden Doktrinären, die beck-
messerisch an Schöpfungen der Kunst oder des
individuellen Geschmackes heruranörgeln, an-
statt die Dinge mit schöpferischem Gefühl
liebend zu umfassen und wahlverwandtschaft-
lich ein seelisch geistiges Verhältnis zur Umwelt
zu suchen. Wir können nicht Geschmackskultur
treiben wollen, wenn wir nicht früher seelisch
erweckt worden sind, dessen eingedenk, daß
künstlerische Kultur nichts anderes ist als sicht-
bar gewordene persönliche Seelenkultur. . . l.
Ä
DER UNGARISCHE KRÖNUNGSKELCH.
Auf Bestellung des Kardinal-Fürstprimas
Dr. von Csernoch fertigte Professor R. A. Zutt
an der K. Ungar. Landes-Kunstgewerbeschule
einenKrönungsgedenkkelch. Das Werkist 40cm
hoch in edlem Silbermaterial ausgeführt. Auf
Elfenbeinpiedestalen knieen vier betende En-
gelskinder, auf den Flügeln einen emaillierten
Reifen tragend mit der Aufschrift: Gloria et
Honore Coronasti Eum Anno Domini MCMXVI.
XXX Decembris. — Aus diesem Reifen er-
hebt sich der F"uß des Kelches, mit Rauch- und
Goldtopasen, Smaragd und Perlen und dem
Bilde der heiligen Krone geschmückt. An der
schlanken Endung halten Pelikane ein Elfen-
beinstück, die eigentliche Basis des Kelches.
Aus dieser Elfenbein-Knospe erblüht der Kelch,
mit Ähren und Trauben geschmückt ; dazwischen
emaillierte Medaillons: St. Gregor der Große,
St. Thomas von Aquius, Paschalis und Chry-
sostomus. Reiche Symbole birgt der Schmuck
des Kelches. Der Künstler wollte mit dem Ge-
dankeninhalte der Edelsteine und Perlen, dem
geheimen Sinne der Materialien, dem Schwünge
der Formen und dem objektiven Inhalte der Mo-
tive den Schmerz der Vergangenheit, die Hoff-
nung der Zukunft, die Schönheit der Opferwillig-
keit, die Fruchtbarkeit der ungarischen Erde
und die Einigkeit der Nation symbolisieren. —
i
»UNGARISCHER KRÖNÜNGS-KELCH« SILBER, EMAIL, PERLEN U. EDELSTEINEN. PROF. A. ZÜTT.
Hans BEYSSELL-BRESLAU. RELIEF in eisen getrieben, breite 1,30 m
H, BEVSSELL-
BKESLAU.
»RELIEF IN
EISEN«
HÖHE 80 cm.
GETRI'^BENE EISENRELIEFS.
Nichts läge näher, als den Arbeiten von Hans
Beyssell mit den vielmißbrauchtf n Schlag-
worten „Materialechtheit" u. „materialgerechte
Formgebung" zu begegnen; sind sie doch in aller
Mund, gleichviel ob es gilt eine gute Leistung
hervorzuheben, oder eine Entschuldigung zu
finden, die allen mundet, denen es nicht ge-
lingen will, Holz anders als rechtwiaklig zuzu-
schneiden oder den Stein anders als in primi-
tivster Weise zu bearbeiten. Zumeist ist es
augenscheinliche Unbeholfenheit und handwerk-
liches Unvermögen, was mit dem Begriff „Ma-
terialgerecht" bemäntelt werden soll.
In ihrem besonderen Charakter mögen die
Reliefs von Hans Beyssell wohl durch das Ma-
terial bestimmt worden sein. Nur Eisenblech
stand für diese große Arbeiten zur Verfügung,
weil die Verwendung von Kupfer und Messing
durch den Krieg unmöglich geworden ist. „Ich
ließ mich vollständig durch das Material leiten,
und entwickelte die Form aus dem Material",
so äußerte sich der Künstler zu seinen Arbeiten.
„Das Material sagt einem selber, wie man es
behandeln muß. Man muß nur genügend Hand-
werker sein, um seine Sprache zu verstehen.
Das störrische Eisenblech zwingt zur Verein-
fachung und zur großen Form; so ist seine Ver-
arbeitung eine gute Schulung, die allen ernst-
haften Bildhauern zu empfehlen ist".
Soweit der Künstler. Es mag zugegeben sein,
daß es ihm gelungen ist, die Schwierigkeiten, die
das Material bietet, glücklich zu überwinden,
und mit beachtenswerter handwerklicher Mei-
sterschaft eigenartige, reizvolle Wirkungen da-
raus zu entwickeln. Aber damit ist bei weitem
nicht alles gesagt. Aus den Richtlinien allein,
die das Material bei seiner Verarbeitung einer
feinempfindenden Hand weist, können künst-
lerische Werke nicht geboren werden. So ist
denn auch bei der Wertung dieser Reliefs den
künstlerischen Absichten und deren Verwirk-
lichung weit mehr Beachtung zu schenken, als
der technischen Eigenart, die doch nur die Ober-
haut der Gebilde zu berühren vermag. . i. d. k.
H. BEVSSF.LL-
BRESLAU
.RELIEF IN
EISEN-
NATIONALE KUNST.
Im Kriege ist es verständlich, daß aus den Um-
wälzungen heraus jeder einen Ausblick ge-
winnen möchte, um festzustellen, wie sich die
Lebensbedingungen und das Dasein in der
Zukunft gestalten werden. Hiermit aber nicht
zufrieden, möchte man noch wissen, welchen
Einfluß der Krieg auf das Geistesleben, auf
Kunst- und Weltanschauung haben wird. Aus
diesem Bedürfnis heraus erklären sich die vielen
Vermutungen, denen wir in der letzten Zeit
begegnen und die nachzuweisen versuchen, daß
wir auf dem Gebiete der Kunst eine nationale
Kunst zu erwarten haben. Es ist aber fraglich,
ob derartige Bestrebungen überhaupt von Vor-
teil sind, und ob die Betrachlungen und Gründe,
die man zum Beweis für eine nationale Ent-
wickelung heranzieht, auch von den richtigen
Voraussetzungen ausgehen.
Stellt man sich auf den Standpunkt Schnaases
und Taines, die einen Zusammenhang nachzu-
weisenversuchen zwischen demgesamtenLeben
und den Erscheinungen der Kunst, zwischen
dem künstlerischen Ausdruck und dem jewei-
ligen Volksgeist, so könnte man Schlüsse ziehen,
die den Anschein erwecken, als gingen wir
tatsächlich einer Zeit entgegen, die von den
höchsten national -künstlerischen Leistungen
erfüllt sei. — Ist aber die Voraussetzung
für diese Schlußfolgerung richtig? Die Gefahr
für dieselbe liegt darin, daß sie leicht in eine
Richtung der phantastischen und willkürlichen
Annahmen endigt. Wir müssen uns darüber
klar sein, daß der Grad der künstlerischen
Leistung wohl durch das gesamte nationale
Leben gefördert oder behindert werden kann,
daß dieses aber nie hervorbringend, nie pro-
duktiv ist, da nur das Werk des Einzelnen die
Produktion bedeutet. Der künstlerische Trieb
ist das Suchen nach Erkenntnis, welches darauf
hinausläuft, sich die Welt in ihrer gesamten
Erscheinung zum Bewußtsein zu bringen. Diese
Erkenntnis kann durch das Leben einer Zeit
oder eines Volkes wohl gefördert werden,
wie wir in der Renaissance sehen, in welchem
Zeitraum sie ganz besonders hervortrat, aber
nie können die äußeren Verhältnisse verur-
I
Nationale Kunst
sachend auftreten. Den Weg suchen, der
in das Innere des persönlichen Wesens führt
und die Erfahrung, die auf dem Wege des
Erkennens gesammelt wurde, der Welt als
Offenbarung zurückgeben — das ist das Wesen
des Genies. In diesem Sinne kann aber die
Kunst nur in einzelnen Erscheinungen zu
Tage treten, und selbst bei einem gleichzei-
tigen Auftreten mehrerer, würden alle Erkennt-
nisse verschiedener Natur sein. Wir müssen
deshalb die Erwartungen, die wir in die Zukunft
setzen, auf sich beruhen lassen, dürfen uns von
vornherein nicht zu sehr an den Gedanken
einer nationalen Kunst gewöhnen. Die wirk-
liche Kunst, die des Genies, atmet eben nicht
in einem nationalen Volksbewußtsein, sondern
hat ihr Leben in der ganzen Welt. Alles andere
aber, das nicht diese höchsten Forderungen er-
füllt, verdient auch nur vorübergehender Be-
achtung, da sein Leben ein vorübergehendes ist.
Eine Bewegung, die sich ausdrücklich auf die
nationale Seite der Kunst stellt, muß deshalb
vorsichtig aufgenommen werden, weil jede Be-
wegung, welcher Art sie auch sei, ihrer Natur
nach mehr zum Niederreißen, als zum Aufrichten
geschaffen ist, dabei leicht die Mittelmäßigkeit
emporbringt, indem sie dem Unfähigen den
Schein von Bedeutung gibt. — k. ulmer-hamburg.
HANS BEYSSELL-RRESLAU. .RELIEF IX EISEN GETRIEBEN« hOhe 90 cm.
V0\ DER KUNST
DKS DtKORIE-
RENS. — Von einer
eigentlichen Kunst
des Dekorierens. ei-
ner Kunst, die be-
ruflich geübt wird,
können wir erst seit
ungefähr einem hal-
ben Jahrhundert
sprechen Ursprüng-
lich ist es eineLaien-
kunst; denn ihre
Grundlage wurzelt
im Geschmack, dem
Organ des kunst-
freundlichen Laien.
Ausnutzung gebo-
tener Bedingungen,
Verwenden des
nicht Selbstgeschaf-
fenen bilden ihre
Kennzeichen. Der
Kompromiß ist stets
Pate ihrer Leistun-
gen, Ihr höchstes
Ziel beruht in der
harmonischenGrup-
pierung des Unhar-
monischen. Von der
Bühneund der Fest-
dekoration her zog
sie in unsere Woh-
nungen ein. Von
beiden lieh sie sich
die Vorhänge als
ihre Hauptstütze In
Johann George Sul-
zers „Allgemeine
Theorie der schö-
nen Künste" . einem
Kunst-Lexikon aus
GoethcsTagen fehlt
das Kapitel „Deko-
rateur und Dekorie-
ren". Die stillen
Zimmer de «Empire,
die spießbürger-
licheBehausungdes
Biedermeier kennt
die Kunst des un-
nützen Vorhangs
nicht. Erst die Düs-
seldorfer Genrema-
lerei und die von
falschverstande-
nem Meiningertum
11. BEVSSEIX BRESL.-\U. iSTEHLEUCHTER» MESSING POLIERT.
geschaffene, neue
Deutschrenaissan-
ce unserer Wohn-
und Eßzimmer lie-
ßen einen Türspalt
offen, durch den
der Dekorateur in
unsere Wohnung
schlüpfte. Aber bald
machte er sich da-
rin breit und fühlte
sich als Herr. Por-
tieren, Lichträuber
und Staubfänger,
hing er um P'enster
und Türen. Eck-
borde mit dem be-
rüchtigten Makart-
bukett füllten die
Ecken, Schandflek-
ke der Tapeten be-
kamen eine Ver-
kleidung. Ja, es war
eine Verkleidurgs-
kunst, die bei uns,
ein echtes Kind der
Bühne, einzog. Mit
ihrem Haß gegen
den „toten, leeren
Winkel " , gegen den
„kahlen Fleck" an
der Wand schuf sie
eine Überfüllung.
Erst allmählichmuß-
ten wir uns von ihr
freimachen, und
unsere Loslö-
sung von ihrer
Macht wurde ihre
eigeneErlösung.
— Tür- und Fen-
stervorhänge , Va-
sen, Uhren, Ther-
mometer, Waffen,
Raritäten, dieses
Vielerlei wird nun
einmal als Gabe,
Erbschaft oder
sonstwie in unsere
Wohnung hineinge-
schwemmt. Liebe
Erinnerungen hal-
ten sie als sichtbare
Zeichen, Dienerin-
nen und Stützen der
Wohnlichkeit und
des Behagens sind
HANS BEVSSELL -BRESLAU. »ORNAMENTALES RELIEF IN METALL GETRIEBEN«
»ANHANGER« SILBER GETRIEBEN
IIROSCHE« ELFENBEIN IN SILBER
HANS BEYSSELL BRESLAU. »ANHANGER« ELFENBEIN IN RELIEF IN GETR. SILBERFASSUNG.
Von der Kunst des JJekorierens.
PROFESSOR OTTO PRUTSCHER— WIEN.
sie geworden. Wir wollen fortan sie nicht
missen, wir wollen aber nicht, daß sie unsere
Räume überwuchern. Dies Vielerlei soll sich
als einheitliche Bestimmung und Stimmung un-
serer Wohnung fügen. Um sie der Einheitlich-
keit dienstbar zu machen, müssen sie sich fortan
bestimmten Prinzipien der Auslese unterord-
nen. Erst unter diesem Prinzip, unter der Ge-
bundenheit seiner Einheit wird aus dem früheren
Chaos, aus der Anarchie des einstigen Tapezier-
dekorateurs, die Kunst des Dekorierens.
Nach verschiedenen Prinzipien läßt sich die
Harmonie herstellen, wir nennen als die wich-
tigsten: Linie, Stile und Farbe. Die Linie wird
beim Raffen von Vorhängen, beim Einordnen
von Büchern in Regale, beim Aufstellen von
Gläsern auf Borde oder in Vitrinen eine ge-
wisse und nicht unbedeutende Rolle bean-
spruchen, aber das Spiel der Linie kann nicht
ausschlaggebend sein, ebenso wenig wie die
»SPEISEZIMMER-SCHRANK IN EICHEN«
Einheit des Stils. Stileinheit und Stilechtheit
läßt sich in einer Wohnung wegen der Forde-
rungen des alltäglichen Lebens nicht erzwingen.
Was wir aber immer erreichen können, ist der
Zusammenklang der Farben in jeder Grup-
pierung. Durch das Überwiegen der Malerei
unter den bildenden Künsten ist in jahrelanger
Gewöhnung unser Auge für Farbwerte so ge-
schult, daß wir den Wert der Farbigkeit gerade
in unserer nächsten Umgebung beachten. Dabei
wissen wir genau, wie in der modernen Musik,
neben dem Gleichklang dieDissonanz zu nützen.
Wir können den bunten Farbenfleck, der aus
der Umgebung herausspringt und sie unter-
drückt, in gewissem Sinne zurückdrängt, ganz
anders als die Malerei selbst verwenden, weil
Licht und Luft vermittelnd mitwirken, wie auf
dem bunten Blumenteppich einer Wiese, wo
niemals irgend eine leuchtende Farbe das Ge-
samtbild stört. — Bei kleineren Aufgaben des
PROFES^<
O. PRUTSCHI
»STANDUHK
SILBER-EMAIL
JiiiiniiHiiiniiiiiiiiiiiniiiiiiimiiiiiiimiiiiiinnniinffl
PROFESSOR OTTO PRUTSCHER-WIEN. »ZIGARETTEN-DOSEN IN
MAIL« AUSFÜHRUNG; JOH. SOUVAL WIEN.
426
• TEESERVICE«
SILBER GETR.
MIT ELFENBEIN.
XX. März 1917. 8
Vofi der Kunat des Dekoriereyis.
428
Dekorierens wissen unsere Hausfrauen diese
Kunst wohl zu üben und aus schöpferischem
Instinkt anzuwenden. Dem Weiß der gedeckten
Tafel geben sie eigenes Licht durch dazwischen
gestelltes Silber oder Kristall und verleihen
seiner Reinheit Bedeutung mit dem Farbenfleck
bunter Blumen oder eines gestickten Mittel-
stücks. Die langweilige Linie der zur Ruhe
einladenden Chaiselongue beleben sie durch
die Buntheit darüber gebreiteter Kissen und
Decken. — Aus diesen Anfängen erwuchs die
heutige Kunst des Dekorateurs für schwierigere
Aufgaben. Nicht Neuschöpfung gibt es dabei,
sondern Nachschöpfung, Ausnutzung des Vor-
handenen, stets unter dem Gesichtspunkt, die
Wohnlichkeit zu heben, und das schöne Einzel-
stück nicht zu unterdrücken. Die Kunst des
Dekorierens ist vor allem die echte Kunst der
Frau. — Wer jemals die Düse als Kameliendame
in eine Vase Blumen einordnen sah, der weiß,
wie sich unter Frauenhänden Buntheit in Har-
monie löst, der lernte das Geheimnis der Kunst
des Dekorierens am zartesten Objekt, an leben-
den Blüten, entdecken robert corwegh.
PROFESSOR
OTTO PRUT SCHER-
WIEN.
»l.KUCHTER IN MESSl-NC. GETRIEBEN« AUSFUHRG: WIENER WERKST.VllE.
»ALTE BRÜSSELER KLÖPPELSPITZE<> ERSTE HÄLFTE DES l 8. JAHRHUNDERTS (DARSTELLUNG DER HEILIGEN FAMILIE).
ERINNERUNG AN GUSTAV SCHÖNLEBER f
Selbst bei denen, die zuHause sterben, scheint
der Tod heute andere Bedeutung zu haben
als sonst. Glaubt man nur, daß alles mit dem
Krieg zusammenhänge, oder ist es so? Ganz
kann niemand Ursachen und Wirkungen kon-
trollieren: am allerwenigsten, wenn sie aus
dem Körperlichen ins Geistige hinübergreifen
— in das, was am irdischen Menschen meta-
physisch ist. Als ich die Nachricht vom Tode
Gustav Schönlebers las, vermochte ich nicht,
sie vom Zustand der gegenwärtigen Mensch-
heit zu trennen. Dies mag ganz töricht sein
oder ein wenig richtig : sicher ist, daß ein guter,
ganz menschUcher Mensch, ein Freund der
Menschen gestorben ist. Ich zähle es als ein
Glück, einen elysäischen Sommer in seiner un-
mittelbaren Nähe gelebt zu haben — heute
vielleicht mehr als je.
Kein Eindruck von ihm ist — ohne daß darum
seiner Kunst das Mindeste entzogen werden
soll — nachhaltiger geblieben als der seiner
liebenswerten und verehrungswürdigen Mensch-
lichkeit. Als ich vor bald 17 Jahren als Haus-
lehrer seiner Söhne seine Sommerwohnung am
flandrischen Strand betrat, sah ich zum ersten-
mal das Haus eines Künstlers. Dem Bild dieses
Daseins fehlte jede artistische Geste. Dinge,
Menschen, Gewohnheiten hatten einfachen und
unbefangenen Zuschnitt. Alles war frei und
klar — gleich fern vom Preziösen wie vom
429
»BRÜSSELER SPITZEN-DECKCHEN IN KI.i'iPPELARBEIT FÜR KIRCHLICHE ZWECKE« AUS DEM ACHTZEHNTEN JAHRHVNDERT.
Erinneru7io an Gtistav Schönleber.
»DECKCHEN MIT NADELSPITZE«
Unbedeutenden. Das Sinnliche, das zugrunde
lag, war von Anmut und Ruhe gehalten. Ich
habe denselben humanistischen, um nicht zu
sagen griechischen Hauch in dem Karlsruher
Hause des Künstlers immer wieder gefunden.
Nur als einen Vorzug konnte man es rechnen,
daß das Künstlerische Schönlebers und seiner
Umwelt von Diskretion umgeben war. Wurde
in den Dünen oder sonst von Kunst gesprochen,
dann so krampflos, so ohne Gewaltsamkeit, daß
aus dem Besonderen, das die Kunst während
des vergangenen Jahrhunderts geworden ist,
wieder etwas Selbstverständliches wurde: etwas
AUS CATALONIEN (SPANIEN).
NatürUches und durch sich selber rhythmisch
Abgemessenes wie Schlafen , Essen , Trinken
und Spazierengehen oder ein Bad in den Wel-
len von La Panne. Dies ist die Art, wie das
Künstlerische vorhanden und entscheidend war ;
so gab das Künstlerische dem Leben Versmaß
und einen Sinn, dem Übertreibung fremd blieb.
Wahr ist freilich, daß damit nicht alles gesagt
wird. Dieser Lebenston war eine natürliche
gute Form, die in diesem Hause jeder dem an-
dern gegenüber, vor allem der Meister gegen-
über den Seinen und den Gästen, sich ohne
weiteres auferlegte, oder die dort jeder, da ein
431
Ennyiertmo an Gustav Schönleber.
Gedanke wie Pflicht zu hart erschien, auf die
einfachste Weise besaß. Jenseits dieses Zusam-
menlebens sah man von weitem den Künstler
hartnäckig, mit dem Fleiß, der Zähigkeit, der
Intimität und dem ausschließlichen Hingegeben-
sein eines fertigen und von jeher entschlossenen
Mannes schaffen. Ich sehe ihn, wie er mit
nackten Beinen, fast arbeitergleich, und immer
schwere Zigarren rauchend weit draußen am
Wasser hockte, im Wasser stand und ohne Rast
die schwarzen Rümpfe, die rostbraunen Segel
der Schiffe, die olivgelben Gummimäntel der
Fischer von La Panne malte. Kam er dann
nach Hause, so schwieg er von der Kunst, oder
es fiel in liebenswürdige, erholende, entzückend
maßvolle Gespräche , in Tischgespräche , die
aus Heiterkeit und Bedeutung reizend gemischt
waren, von Zeit zu Zeit ein Wort vom Getanen
und Geplanten — gerade soviel, als die anderen
brauchten, damit ihnen von der Struktur dieses
Künstlerlebens das Mitteilbare ersichtlich blieb.
Seine Malerei wurzelte im Menschlichen, in
der Liebe zur Welt, in dem schönen Wohl-
wollen, das durch Bilder erfreuen will. Sie
war nicht radikal, aber sehr gründlich, nicht
visionär, aber tief andächtig, nicht glorreich,
aber voll von reinem innerem Licht, Gemessen
am Größeren blieb sie ganz sicher gut.
Von seinen Bildern, die vor allem an drei
Orten gemalt wurden ; an der italienischen
Riviera, an der belgischen Küste und im Schwä-
bischen, zwischen Pforzheim und Stuttgart, im
Enztal, das der Bietigheimer Schwabe, der
Karlsruher Akademielehrer liebte und das die
Empfindungen bewegt, führt die Verbindung
für mich immer wieder auf dem kürzesten Weg
zu seiner Persönlichkeit: am raschesten zu
seiner Art. den Besucher seines Hauses, seines
von genialen Schnörkeln freien Ateliers zu
empfangen. Der starke Mann mit dem aufrecht-
stehenden gebleichten Haar, dem altmeisterlich
kräftigen Gesicht, dem rüstigen Skelett, den
betonten Wangenknochen hatte eine zarte Art,
zu begrüßen, und wiewohl die dicken Brillen-
gläser des schwer Kurzsichtigen , der nur mit
einem Auge sah und malte, da das andere früh
zerstört war, abblendend den Blick verdeckten,
empfand man die reine Herzlichkeit seiner Art,
anzuschauen. — Es ist unzweifelhaft, daß seine
Kunst, als Summe genommen, in eine bestimmte
Generation und Art gebunden ist. Er kam von
Lier; er lieble die Maler von Barbizon, ver-
ehrte Spitzweg und Eduard Schleich. Das ist
eine Einreihung. Aber sie besagt im Grunde
wenig gegenüber der tief dezenten Tatsächlich-
keit seines Lebens und Arbeitens, die in der
Nähe gesehen — und irgendwie überhaupt auf
Nähe gestellt — den unwiderstehlichen Zauber
des Absoluten gewinnen konnte. Seine Kunst
hatte einen bestimmten Instinkt für das im for-
malen,vielleicht zeitgeschichtlichen Sinn Schick-
liche und verfeinerte dies Schickliche auf
eine zugleich persönliche und zurückhaltende
Art. Das ist weniger als die Formel der Kunst
überhaupt. Aber gewiß ist, daß, was er schuf,
menschlich und künstlerisch überzeugte.
Meine persönliche Verpflichtung gegen den
Toten bleibt für mich, daß ich in seinem Kreis
Tage, Wochen, Monate verlebte, die zu den
glücklichsten meines Lebens gehören, und daß
ich durch ihn zuerst erfuhr, was Kunst ist (durch
sein sparsames Wort weniger als durch die ge-
samte Wirklichkeit seines Daseins). Sehr weit
bin ich von ihm seitdem weggegangen. Weitab
liegen schon die Tage, in denen ich ihn sah,
wie er die Mitte eines Hauses war, und in denen
ich an seiner Seite zwischen den Ginsterbüschen
von La Panne, am Markt von Furnes, in den
Straßen und Museen Brüssels umherging oder,
mit seinen lieben Söhnen auf einen Ausflug ge-
schickt, vor der Tuchhalle in Ypern stand. Wenn
ich heute eines seiner Bilder aus der gemein-
samen Heimat, aus dem badisch-schwäbischen
Weltwinkel sehe, dann wüßte ich nicht, daß
ich es vor mir und irgendwem verleugnen
müßte WILHELM HAUSENSTEIN.
Anmerkung der Schri f tieilu ng; Auf das künstlerische
Schaffen des Meisters gedenken wir in einem der nächsten Hefte
noch ausführlich zurückzukommen.
BILDHAUER ANTES— DARMSTADT. »BILDNISBÜSTE IN MARMOR«
Inhalts-Verzeichnis.
BAND XXXIX
Oktober 1916— März 1917.
TEXT-BEITRAGE:
Seite
Max Liebermann — Berlin. Von Alf red Gol d 3 — 38
Sollen Staatssammlungen Modernes erwerben.
Von Prof. E. W. Bredt^München . . 40 — 44
Ein neues I^ndhaus von Emanuel von Seidl.
Von Dr. Robert Corwegh — Leipzig . 47 — 60
Die Aufgaben der Malerei. Von Anton Jau-
mann 61 — 78
Zu den Bildnis - Photographien von Karl
Schenker. Von Ignaz Beth — Berlin . 77
Gegen die maßlose Reklame. Von Dr. Fried
Lübbecke — Frankfurt 83—84
Stickereien und Spitzen aus vergangener Zeit.
Von Jarno Jessen — Berlin .... 87 — 88
Erlösung der Zweckform 1 03
Publikumskunst. Von Paul Westheim 104 — 114
Sehnsucht 114
Phantasie 114
Die Unersetzbarkeit der Stickerei. Von
Anton Jaumann 115 — 122
Krieger-Denkmäler. Von A. Jaumann . 125
Freilicht-Theater auf der »Mathildenhöhe«.
Von Ernst von Wolzogen .... 131 — 132
Das Haus der Freundschaft in Konstantinopel 132 — 136
Kinderarbeiten — Eine Forderung an die
Schule. Von Rieh. Meyer — Hamburg 137 — 144
Aus Brakls Kunsthaus in München. Von R.
Braungart — München 147 — 157
Aussaat und Ernte. Von A. Jaumann 157 — 158
Kranz Marc f. Von Dr. Hans Hildebrandt 159 — 167
.\hnlichkeit im photographischen Bildnis.
Von Dr. W. Warstat 171 — 174
Hoffnung auf die deutsche Kunst. Von Dr.
Kurt Gerstenberg iqi — 194
Zu den Arbeiten von Fritz Huf. Von Ka-
simir Edschmid 197
Ein Wohnhausbau von Herrn. Muthesius 202
Xähe und Ferne. Von Dr. Adolf Behne 207 — 211
Erich Büttner und Elsa Hoffmann: »Kleine
Stickereien«. Von Erich Büttner . 215 — 216
Fritz Boehle f. Von Rudolf Schrey . 218 — 220
Spiel 220
Emil Rudolf Weiß. Von Moritz Heimann 223 — 242
Von der Farbe 245 — 254
Unterhaltung über photographische Bilder.
Von Joseph Aug. Lux 255 — 25b
Von der Freiheit des Künstlers .... 256
Dunkel. Von Anton Jaumann .... 256
Hoffnung auf die deutsche Kunst. Von Dr.
Kurt Gerstenberg (SchluH) . . . . 263 — 264
Vom Wesen des Kitsches. Von Dr. Kunc
Mittenzwey — München 267 — 270
Neue Glasmalereien von Prof. Paul Kößler.
Von Anton Jaumann 273 — 274
Zum 100. Todestage von Johann Friedrich
Stadel. Von Rudolf Schrey . . . 274
Bühnen-Entwürfe von Gustav Wunderwald.
Von Heinz Herald— Beriin .... 284 — 286
Zu meinen Puppen. Von Käthe Kruse . 287 — 290
Verwandlung. Von Anton Jaumann . . 291
Mode-Prognose 292
Paul Knauer-Hase — München. Von Her-
mann Eßwein 295 — 298
Städtische (Provinz-) Sammlungen. Von B.
Haendcke — Königsberg 301 — 306
Erich Büttner — Berlin. Von Dr. W. Kurth 309 — 320
Das Staffeleibild 320
Die Baukunst 320
Die Suggestion der Antiquität. Von Paul
Westheim — Berlin 322 — 331
Mode-Entwürfe Von W. MüUer-Wulckow 332—333
.Schmuck und Mode 333
Die Bühne des häuslichen Lebens. Von A.
Jaumann 334 — ^40
Dagobert Peche — Wien. Von B. Zucker-
kandl— Wien 343—344
Vom Stilleben. Von Dr. Adolf Behne—
Charlottenburg 344 — 355
Grotesk-Puppen von Erna Pinner. Von Ka-
simir Edschmid — Darmstadt . . 356 — 357
Zum 60. Geburtstage Max Klinger. Von
Dr. Robert Corwegh — Leipzig . 358
36i-
3:1
381-
-366
-378
412-
-4
5
41
5
4
9
420-
-4-
I
422-
-428
42q-
"43'
Großherzog Ernst Ludwig. Von Ernst Frhr
%on Wolzogen — Damistadt .
Abstrakte Kunst und Ausführung. Von Dr
Kuno Mittenzwey — München .
Lene Schneider-Kainer
Die Geburt des Impressionismus. Von An
ton Jauraann — Berlin 387 — 388
Vom Vorstellen und Gestalten des Kunst-
werks. Von Dr. A. E. Brinckmann —
Karlsruhe 391—404
Sichtbare Schönheit als Ausdruck der Seelen-
kultur. Von Jos. Aug. Lux
Der L'^ngarische Krönungskelch
Getriebene Eisenreliefs
Nationale Kunst. Von K.Ulme r — Hamburg
Von der Kunst des Dekorierens. Von Dr.
Robert Corwegh —Leipzig ....
Erinnerung an Gustav Schönleber. Von Dr.
Wilhelm Hausenstein
ABBILDUNGEN
(SACHLICH ZUSAMMENGESTELLT):
Architektur S. 4b, 48, 50-59, 202, 204 — 20;, 36;,
368; Ausstellungsgebäude S. 367—368; Becher und Po-
kale S. 416; Beleuchtungskörper S. 108, 114, 412 — 415:
Bildnisphotographien S. 74, 76, 78—82, 170—189, 254
— 265; Büdnisstickereien S. 214 — 218; Broschen und
Anhängers. 112 — 113, 345, 423; Brunnen S. 190; Bü-
fetts und Kredenzen S. 208, 425 ; Bühnen-Entwürfe S.
284 — 286; Damenzimmer S. 62, 66 — 67; Decken S. 116,
117, 118, iig, 120, 121,430 — 431; Edelmetallarbeiten
S. 104 — 105, 107, 344, 349, 418 — 423; Emailarbeiten
S. 112,426; Einzelmöbels. 208 — 211,280, 283; Erker-
und Fensteranlagen S. 66—67: preilicht-Theater S. 131 —
136; Frisiertisch S. 409; Frühstückszimmer S. 73; Qar-
tenanlagen und Gartenarchitekturen S. 57 — 59; Gemälde
S. 2 — 44, 144, 146—168, 219, 222—254, 294—305,
321 — 330, 370 — 388; Glasmalereien S. 273 — 277 ; Gläser,
geschliffene und gravierte S. Iio— iil; Grotesk-Puppen
S. 356 — 357; Gmindrisse S. 49; Hallen und Treppenhäuser
S. 60; Herren- und Arbeitszimmer S. 71; Kämme 353;
Kartonarbeiten S. 346: Kassetten S. 106, 107; Keramik
S. 84, 212, 350—351; Kissen S. 115, 120; Kleider imd
Kostüme S. 332 — 340; Kriegsdenkmale und -Kreuze S.
124 — 129; Land-, Stadthäuser und Villen S. 202, 204 —
207; Leuchter S. 343, 422, 428; Malerei, dekorative
S. 272 ; Metallarbeiten S. 270, 4 1 8 — 423 ; Modezeichnungen
S. 332—337; Ostereier, bemalte S. 346—347; Plastik,
figürliche und omamentale S. 94- 99, 100 — loi, 190 —
193, 196, 198 — 201, 267 — 269, 278 — 279, 399, 401;
Puppen S. 287 — 291; I^eliefs S. 191, 194, 212, 354 —
355i 395> 4°3' 4°^- 4'8 — 421. 4^3; Schalen und Dosen
S. 104—105, 270, 344, 349, 350—351, 426; Schlaf-
zimmer S. 72, 280 — 283, 4'^? • Schmuck S. 112 — 113,
345, 352. 423; Schnitzereien S. 352, 353, 406, 409,
410 — 41 1 ; Schlanke und Vitrinen S. 283, 410, 411, 425:
Ser\-ice S 427; Speisezimmer S. 63, 65, 424; Spiegel
S. 114, 343; Spielzeug S. 137 — 141 ; Stickereien und
Spitzen S. 86 — 93, 102 — 103, 110, 115 — 122, 429 —
431; Stuckarbeiten S. 267 — 269; Tafelgeräte und Tafel-
schmuck S. 104 — 105, 349; Täschchen S. 292; Theater-
Kostüme S. 338 — 339; Tierplastiken S. 84; Uhren S.
109, 426; Verkaufsräume S. 342; Wohndielen und Wohn-
zimmer S. 60 — 61, 68, 69; Zeichnungen, Radierungen,
Holzschnitte, Lithographien S. 42, 220, 308 — 320, 360,
361, 366, 390, 394, 398, 402.
SEPIATON- UND FARBDRUCKE:
Se.t;
Gemälde -Die Seilerc Max Liebermann — Berlin . 2
Gemälde »Alte Frau am Fenster« Max Liebermaim i 2
Gemälde »Die Gänserupferinnen^ Max Liebermann 17
Gemälde »Die Bleiche« Max Liebermann — Berlin 19
Gemälde »Kartoffel-Emte« Max Liebermann . . 25
Skizze »Strickendes Mädchen» Max Liebermann . 32
»Haus G. in Harzburg« Emanuel von Seidl . . 46
Haus G. »Ansicht der Gartenseite« 52
»Speisezimmer im Hause G. — Bad Harzburg«
Emanuel von Seidl — München 63
»Aus vorstehendem Speisezimmer« Em. von Seidl 65
»Daiiienzimmer mit Blick ins Freie« Em. v. Seidl 60
»Fensterseite im Damenzimmer« Em. von Seidl . 67
»Diele im Obergeschoß« Em. von Seidl — München 68
»Blick in das Wohnzimmer« Emanuel von Seidl 69
»Bildnis-Photographie« Karl Schenker — Berlin . 7b
»Bildnis-Photographie« Karl Schenker — Berlin . 79
BUdnis-Photogiaphie »Erna Morena« K. Schenker 80
»Bildnis-Photographie« Karl Schenker — Berlin . 81
Bildnis-Photographie »Henny Porten« K. Schenker 82
Gemälde »David« Erich Erler — München ... 146
»Auf blumiger Weide« Paul Junghanns — München 149
»Im Gebet« Hermann Groeber — München . 150
»Bäuerin mit Kind« Herrn. Groeber — München . 151
Gemälde »Selbstbildnis« Josse Goossens— München 1 52
»Hmdenburg« Prof. Angelo Jank — München . . 156
Gemälde »Akte im Freien« Franz Marc f . . ibi
Gemälde » Hirsche •■ Franz ^farc + 163
Öldruck von R. u. M. Dührkoop — Hamburg . . 170
Bildnis »Tortola Valencia« R. u. M. Dührkoop . 175
Bildnis »Clotilde von Derp« R. u. M. Dührkoop 177
Bewegungsstudie von R. u. M. Dührkoop-Hamburg 1 78
»Frauenmaske« Fritz Huf — Berlin 196
»Haus Rasch in Wiesbaden« Herrn. Muthesius 204, 205
»Selbstbildnisf Prof. E. R. Weiß— Beriin ... 222
Gemälde .Niki« Prof. Emil Rudolf Weiß . . 239
»Biltlnis der Bildhauerin Renee Sintenis« Prof.
E. R. Weiß 244
»Bogenschüue« Prof. Emil Rudolf Weiß— Berlin 247
»Tulpen. Prof. Emil Rudolf Weiß— Berlin . . 248
»Streifenrosen« Prof. Emil Rudolf Weiß —Berlin 249
»Kallas Prof. Emil Rudolf Weiß— Berün . . 250
»Begonien« Prof. Emil Rudolf Weiß— Berlin . 251
»Bildnis- Auf nähme« Prof. Jozsef Fecsi — Budapest 254
»Bildnis-Aufnahme« Prof. Jozsef Pecsi — Budapest
»Bildnis- Auf nähme« Prof. Jozsef Pecsi — Budapest
> Kinderbildnis« Prof. Jozsef Pecsi — Budapest
»Bildnis-Aufnahme« Prof. Jozsef Pecsi — Budapest
Wandmalerei »Christus als Gärtner« Prof. Paul
Rößler
Gemälde »Selbstbildnis« P. Knauer-Hase-München
Gemälde »Im Hafen« P. Knauer-Hase — München
»Blumen und Früchte« Paul Knauer-Hase
»Original-I.ithographie« Erich Büttner — Berlin
Original-Radierung »Grunewald« Erich Büttner .
Gemälde »Das Gartenhaus« Erich Büttner — Berlin
258
259
272
294
299
304
308
3'3
328
» Wandmalerei im Verkaufsraum der Wiener Werk-
stätte« Dagobert Peche — Wien 342
• Studie zu einem Wandgemälde in der Universität
Jena« Prof. Sascha Schneider 360
»Blumen-Stilleben« Henry Xiestle — Pasing . . 370
»Kamilla Eibenschütz« Lene Schneider-Kainer —
Berlin jgo
/eiclmung »Knieende Frau« Karl Albiker — Ett-
lingen 390
Plastik »Stehende Frauen« Karl Albiker — Karls-
ruhe-Ettlingen 399
»Relief in Eisen getrieben« Hans Beyssell — Breslau 418
Namen -Verzeichnis.
Albiker, Karl — Karlsruhe
Behne, Dr. Adolf — Charlottenburg 207 — 211,
Beithan, Emil — Buchschlag
Bernhard, Lucian — Berlin
Beth, Ignaz — Berlin
Beyssell, Hans — Breslau
Blonder, Architekt — Berlin
Boehle, Fritz t
Braungart, R. — München
Bredt, Prof. Dr. E. W.— München . . .
Brinckmann, Prof. Dr. A. E. — Karlsruhe .
Büttner, Erich — Berlin . . 214 — 218, 220,
Corwegh, Dr. Robert — Leipzig 47 — 60, 358,
Deutsche Werkstätten — Helletau
Dührkoop, R. u. M. — Hamburg
Edschmid, Kasimir — Darmstadt
Eichelsheim, Frieda — Wiesbaden
Eichler, Reinhold, Max — München
Eller, Erich — München . .
Eßwein, Hermann — München .
Firle, Irma — München . . .
Fleischer, Hede — Prag . . .
Flögel, Frl. — Wien ....
Qerstenberg, Dr. Kurt — Berlin
Gold, Dr. Alfred— Beriin . .
Goossens, Josse — München
Groeber, Hermann — München .
Habicht, W. — Darmstadt . .
Haendcke, Prof. B. — Königsberg
Hausenstein, Dr. Wilhelm — Brüssel
Heimann, Moritz — Berlin . .
Herald, Heinz — Berlin . .
Herting, Prof. Georg — Hannover
Hildebrandt, Dr. Hans— Stuttgart
Hoffmann, Elsa — Berlin . .
194
390 — 403 Hoffmann, Prof. Josef — Wien . .105, 107 — 108, 113
344—355 208 — 211
158 Hohenzollern-Kunstgewerbehaus — Berlin 86 — 93, 102 —
280 — 283 103, 356—357
77 Hoppe, Emil — Wien . . . . 126
418 — 423 Huf, Fritz — Berlin ig6 — 201
113 Jank, Prof. Angelo — München 156
219 Jaray, Alexander — Wien 125
'47 — '57 Jaumann, Anton — Berlin 61 — 73, 115 — 122, 125, 157 —
40—44 158, 256. 273 — 274, 291, 334—340, 387—388
391 — 404 Jessen, Jarno — Berlin 87 — 88
308 — 330 Junghanns, Paul — München 149
422 — 428 Kammerer, Marcell — Wien 12b
280 — 283 Knauer-Hase, Paul — München 294 — 305
170 — 189 Kozma, Arch. Lajos — Budapest .... 410
356 — 357 Kruse, Käthe — Bad Kosen 287 — 291
131 — 136 Kunstgewerbeschule — Budapest 267 — 270
154 Kunstgewerbeschule, Staatl. — Hamburg . . 137 — 141
146 — 148 Kurth, Dr. W. — Beriin 309 — 320
295 — 298 Liebermann, Prof. Max — Berlin .... 2 — 44
334 Lorch, Tilli — Frankfurt a. M 115 — 117
122 I^udwig, Richard — Wien 424 — 425
1 10 — 112 Lübbecke, Dr. Fried — Frankfurt a. M. . . 83 — 84
263 — 264 Lux, Joseph, Aug. — Bayr. Gmain 255 — 256, 412 — 415
3 — 38 Marc, Franz f — München 159 — 168
152 — 153 Meyer, Prof. Richard — Hamburg .... 137 — 144
150 — 151 Mittenzwey, Dr. Kuno — München 267 — 270, 371 — 378
278 — 279 MüUer-Wulckow, Dr. W. — Frankfurt . . 332 — 333
301 — 306 Müllner, Josef — Wien 129
429 — 432 Muthesius, Geheimrat Herrn. — Berlin . . . 202 — 207
223 — 242 Nathan, Frau St. — Berlin 336
284 — 286 Niestle, Henry — Pasing 370 — 378
190 — 194 Payr, Artur — Innsbruck 127
159 — 167 Peche, Arch. Dagobert — Wien. 106, iio, 342 — 353
214 — 218 Pecsi, Prof. Jozsef — Budapest 254 — 265
Pfeiffer, Arch. Eduard — Berlin . 40b —
Pinner, Erna — Frankfurt
Pottner, Emil — Berlin
Powolny, Prof. Michael — Wien 1 00 — 101,212
Prutscher, Prof. Otto — Wien 109, 114,
Reich, LiUi— Berlin
Rieß, Lotte und Eva — Dessau
Rößler, Prof. Paul— Dresden
Schenker, Karl — Berlin
Scheurich, Paul — Berlin
Schneider-Kainer, Lene — Berlin ....
Schneider, Prof. Sascha
Schönthal, Otto— Wien
Schrey, Rudolf — Frankfurt . 218-
Schultheiß, L. M. — Darmstadt
Schulz, Richard L. F. — Berlin
Seid], Prof. Em. von — München ....
Seifert, Franz — Wien
-409,
411
356-
-357
84
334-
-3-=; 5
424-
-428
337
118
272-
-277
76
-82
94
-99
380-
-388
360
12b
-220,
274
278-
279
412-
-415
4b
-73
124
Smith, Prof. Frank Eugen — Leipzig
Souval, Joh. — Wien
Stockar, Frau Lud. — Prag
Terstegen, Lilli — München
rheiner, Marianne — Prag
Ulmann, Gertrud — Darmstadt
l'lmer, K. — Hamburg
Warstat, Dr. W.— Altona
Weisgerber, Albert j .
Weiß, Prof. E. R.— Berlin
Westheim, Paul — Berlin .
Wiener Werkstätte — Wien
104 — 1 14,
104— 114, 338
Wimmer, Arch. E. J. — Wien
Wolzogen, Ernst von — Dannstadt 131 — 132,
Wunderwald, Gustav — Berlin
Zuckerkandl, Berta — Wien
Zutt, Prof. A. R. — Budapest
-333^
119-
420-
171-
222-
322-
-340^
-353,
361-
284-
343-
42b
292
33.S
-121
'44
-421
-"74
'57
-254
-33'
342
428
104
-366
-28b
-344
41 b
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3
DA
Bd. 39
Deutsche Kunst und Dekoration
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