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Full text of "Deutsche kunst und dekoration"

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PURCHASED  FOR  THE 

L/N/VTRS/TY  OF  TORONTO  LIBRARY 

FROM  THE 

CANADA  COU^:ClL  SPECIAL  GRANT 


FOR 

lilSTORY  OF  AKT 


l)}{oi-)^£^ 


DEUTSCHE  KUNST 
UND  DEKORATION 


ILLUSTRIERTE  MONATSHEFTE 

FÜR  MODERNE  MALEREI 
PLASTIK      ARCHITEKTUR 
WOHNUNGS-KUNST  UND 
KÜNSTLERISCHE  FRAUEN- 
ARBEITEN 


DARMSTADT 

VERLAGSANSTALT  ALEXANDER  KOCH 


DEUTSCHE  KUNST 
UND  DEKORATION 


HERAUSGEGEBEN  UND  REDIGIERT 

VON 

HOFRAT    ALEXANDER   KOCH 


BAND  XXXIX 

OKTOBER  1916-MÄRZ  1917. 


JUL  131970      ))     3 


ßä.lf 


ALLE   RECHTE    VORBEHALTEN. 


E  HOPBUCHU 


NACHF.  DR.  ADOLF  KOCH, 


MAX  LIEBERMANN-BERLIN.  GEMÄLDE  »DIE  SEILER.  (i'JU4). 


FkuK.  MAX   LIEKKKMANN      BERLIN. 


GEMALUE    »bl'lELENDE  KINDER«  (I»»3). 


MAX  LIEBERMANN-BERLIN. 


VON  ALFRED  GOLD. 


Der  Verfasser  dieses  Aufsalzes  entscfilägt 
sich  leichten  Herzens  der  Sorge,  die  man 
hier  zu  Beginn  vielleicht  erwartet,  ob  die  Kunst 
Max  Liebermanns  augenblicklich  „in  Mode" 
sei.  Er  gesteht,  daß  er  weder  Neigung,  noch 
Begabung  hat,  darüber  eine  ganz  zuverlässige 
Auskunft  zu  geben.  Zu  gering  wiegt  die  Rück- 
sicht darauf  in  seinen  Augen,  als  daß  er  darauf 
achthaben  sollte.  Mode  ist  der  sterbliche  Teil 
einer  Kunst,  ist  das  in  ihr  der  Vernichtung  aus- 
gesetzte, ihrem  Kern  wesensfremde  materielle 
Etwas.  Mode  ist  das  Surrogat  in  der  Kunst. 
Sie  ist  die  irreführende  und  den  Künstler  ent- 
ehrende Gleißnerin,  der  sich  nur  der  Schwäch- 
ling verschreibt.  Wer  wüßte  es  nicht:  was  sie 
dem  einen  Geschlecht  als  Stein  der  Weisen 
preist,  wie  oft  ist  es  schon  dem  darauffolgenden 
ein  Irrglaube,  ein  unverständlicher  Wahn!  Wer 
kennte  nicht  die  Beispiele  dafür!  Hier  genügt 
es  wohl,  an  eines  zu  erinnern;  Der  kraft-  und 
saftlose  Klassizismus  eines  Thorwaldsen  konnte 
einstmals    die  Welt    betören,    die    auf  Mode 


schwor,  und  doch  dämmerte  eines  Tages  die 
Erkenntnis,  daß  man  darüber  die  wirkliche 
Kunst,  daß  man  etwa  die  rassige,  zugreifende 
Stärke  eines  Gottfried  Schadow  ein  Menschen- 
alter hindurch  einfach  nicht  erkannt  hatte. 

Immerhin,  sofern  ein  Blick  auf  die  Welt,  in 
der  man  lebt,  darüber  zu  unterrichten  vermag, 
ist  uns,  als  ob  man  unter  den  „Neuesten"  die 
Kunst  Liebermanns,  sozusagen,  jetzt  gelten 
ließe.  Man  erspare  uns  jede  Beiseite-Bemer- 
kung  darüber,  ob  wir  etwas  Wohlwollendes 
oder  Ungewisses  oder  Anmaßendes  in  dieser 
Anerkennung  sehen.  Als  Schwingung  ist  sie 
fühlbar.  Die  deutsche  Kunst,  so  räsonniert 
man  in  diesem  Fall,  ist  nun  einmal  vorhanden; 
sie  ist  nicht  ganz  wegzustreichen.  Und  Max 
Liebermann  ist  immerhin  eine  ihrer  Potenzen. 
Er  ist  eine  Quelle  von  Einfällen,  von  Einflüssen 
auf  andere.  Er  hat  aus  einer  Umgebung,  die 
nach  Menzel  nichts  Großes  mehr  zu  wollen 
schien,  wie  aus  einem  toten  Stein  Funken  ge- 
schlagen.    Er  hat  Bewegung  und  sogar  eine 


XX.  Oktober  1916.  1 


Max  Liebermann— Berlin. 


PROFESSOR  MAX  LIEHERMANN— BERLIN. 


Strömung  geschaffen  und  dem  Impressionismus 
eine  deutsche  Physiognomie  aufgesetzt.  Das 
ist  richtig,  aber,  so  folgert  man  nun  erst  weiter, 
darauf  kam  die  Entwicklung  und  die  Entwick- 
lung ist  weder  beim  Impressionismus,  noch  bei 
Max  Liebermann  stehen  geblieben.  Die  Ent- 
wicklung hat  später  einen  andern  Weg  einge- 
schlagen. Die  Entwicklung  hat  den  Zeitgenossen 
der  älteren  Franzosen  mit  sanfter  Unerbittlich- 
keit überholt,  als  andere  Zeiten  kamen  und 
andere  Götter  von  jenseits  des  Rheins  aufstan- 
den, und  nun  ist  Max  Liebermann  also  histo- 
risch, nun  ist  er  ein  Zeitdenkmal  geworden. 
Ein  Dokument.  Ein  erledigtes  Kapitel.  Und 
dabei  beruhigt  man  sich  dann  erst  wirklich. 
Die  Vertreter  des  jüngsten  Stils,  die  sich  zum 
Unterschied  von  den  Impressionisten  Expressio- 
nisten nennen  lassen,  weil  sie  nicht  mehr  Söhne, 
sondern  Enkel  der  sichtbaren  Natur  sein  wollen, 
schieben  den  Maler  des  Sichtbaren  nun,  da  er 
sich  den  Siebzigern  nähert,  mit  einem  an  Un- 
geduld grenzenden  Respekt  in  die  Ahnenhalle 


GEM.ÄLDE   «STEVENSSTIFT  IN  LEIDEN«   (1890). 


ab.  —  Irren  wir  nicht,  so  ist  das  die  Fassung 
von  heute,  die  man  Liebermann  gibt.  Man 
studiert  ihn  nicht,  aber  man  huldigt  ihm  „ge- 
schichtlich". Man  schreibt  registrierende  An- 
erkennungen über  ihn,  aber  man  verrät,  ohne 
es  doch  immer  verraten  zu  wollen,  daß  man 
sich  seiner  Kunst  nicht  mit  der  Unbedingtheit 
einer  Empfindung  hingibt. 

Wohlan  denn,  dieser  Auffassung  trete  hier 
eine  völlig  andere  entgegen.  Allen  modegültigen 
Ansichten  über  Entwicklung  und  Überwindung 
im  Künstlerischen,  über  den  einen  Ismus,  der 
einen  andern  ablöst,  über  die  Bedeutsamkeit 
solcher  Einwendungen  einer  künstlerischen  Tat 
gegenüber  sind  wir  so  fern,  daß  wir  nicht  einmal 
ihre  Schatten  bemerken,  wenn  wir  in  die  helle 
Atmosphäre  Liebermannscher  Malerei  treten. 

Vom  Erlebnis  wollen  wir  ausgehen,  nicht  von 
irgend  einem  Glauben  oder  einer  Formel.  Wir 
wollen  uns  Rechenschaft  ablegen  über  die  Art 
des  Erlebnisses,  über  seine  F-inzelheiten  und 


PROFESSOR  MAX  LIEBERMANN-BERLIN. 
GEMÄLDE  »HOLLÄNDISCHE  WAISENMÄDCHEN«  (1886). 


Max  Ltebcrfnann—Berlm. 


PKUFESSOK  MAX  LIEBERMA.N 


seine  Schwankungen.  Ich  greife  nach  einer  Er- 
innerung, Ich  weiß  noch,  wie  in  den  neunziger 
Jahren,  als  ich  in  München  studierte,  das  Bild 
in  der  Pinakothek  „Die  Frau  mit  den  Ziegen" 
wirkte.  Man  stand,  seltsam  gepackt,  vor  dieser 
in  der  ganzen  Pinakothek  damals  noch  verein- 
zelten Liebermannschen  Art  Malerei.  Man 
stand  verblüfft,  aber  was  sah  man  doch  vor 
allem?  War  es  eine  absichtsvolle  neue  Geste, 
ein  umstürzlerisches  Programm ,  ein  neuartig 
erdachtes,  aufrührerisches  Kolorit,  was  sich 
aufdrängte?  Nein,  was  man  sah,  war  —  jetzt 
können  wir  es  uns  ruhig  gestehen  —  bloß  ein 
gut  komponiertes  und  gut  gemaltes  Bild  !  Ein 
Stück  Natur,  einfach  und  schlagend  im  Augen- 
blick festgehalten!  Ein  temperamentvoll  und 
eindringlich  gemaltes,  eindrucksvolles  Motiv ! 
Man  sah  ein  holländisches  Bauernweib,  über 
ein  Stück  Düne  gehend,  zusammengebeugt  in 
der  Energie  des  Auswärtsschreitens  im  Wind 
und   vorwärtsdrängend  im   Kampf   mit   einem 


GEM.-U.DE  »SCHUSTERWERKSTATT«   (Ibsli, 


Ziegenbock,  der  sich  widerwillig  am  Stricke 
ziehen  läßt,  um  noch  ein  paar  Gräser  abzu- 
rupfen. Die  Frau  hurtig  und  ungeduldig  und 
—  man  erkannte  es  an  irgend  einer  winzigen 
Andeutung  im  versunkenen  Profil  —  in  Ge- 
danken versonnen,  der  Bock  breitbeinig  und 
gassenjungenhaft,  ein  köstliches  naives  Gegen- 
stück zu  der  Alten,  und  beide  zusammen  eine 
massige,  große  Silhouette,  die  diagonal  in  den 
Raum  wächst  und  dem  ganzen  Bild  seine  Rich- 
tung gibt.  Links  aber,  klein  und  allein  im 
breiten  Rest  der  Fläche,  trottet  eine  junge  Ziege, 
treu,  als  kopierte  sie  wie  ein  leibliches  Kind 
ihre  Führerin.  Und  beides  zusammengefaßt 
und  umrahmt  von  der  hanfblonden  Helligkeit 
der  Düne,  von  grauweißem  Licht  und  freier 
Strandluft.  —  Das  Bild  eroberte  im  Nu.  Es 
steigerte  die  Freude  und  Energie  des  Auges  im 
Beschauer,  wie  es  auch  nur  aus  gesteigerter 
und  aufs  schärfste  gespornter  Kraft,  zu  sehen 
und  darzustellen,  entstanden  sein  konnte.  Man 


PROFESSOR  MAX  LIEBERMANN  -BERLIN. 

•  CHRISTUS  UNTER  DEN  SCHKIFTGELEHRTEN«    (1879). 


Max  Lieberinarm— Berlin. 


PROFESSOR  MAX  L1EBERM-\NN— BERLIN. 


sah:  hier  ist  eine  Zeichnung,  auf  den  Millimeter 
und  wohl  noch  auf  den  Bruchteil  eines  Milli- 
meters genau  eingestellt.  Eine  Komposition, 
die  den  suggestiv  gewählten  —  und  selbstver- 
ständlich gewählten  und  nicht  etwa  wie  in  der 
Momentphotographie  geistlos  erfaßten  —  Au- 
genblick haarscharf  zu  fixieren  weiß.  Und  bei- 
des nicht  etwa  nur  mechanisch,  da  das  Mecha- 
nische allein  kein  Echo  wecken  könnte,  sondern 
aus  der  Empfindung,  die  wieder  Empfindung 
weckt.  Um  diesen  malerischen  Ausschnitt 
schlägt  auch  der  Klang  menschlichen  Erlebens 
zusammen.  Mit  diesem  Stück  Natur  hält  der 
kühle  Beobachter  auch  seelisch  Zwiesprache. 
Von  dieser  einfachen  Existenz,  die  doch  nicht 
ohne  Größe  ist,  „erzählt"  Liebermann  auch, 
wie  er  sich  niemals  gescheut  hat,  in  seinen  Bil- 
dern zugleich  zu  erzählen.  Ohne  Geschwätzig- 
keit freilich,  ohne  alberne  Kleinlichkeit  und 
Anekdote,  aber  doch  so  verständlich,  daß  es 
lächerlich  wäre  etwa  zu  sagen,  nur  das  optische 
Vergnügen  hielte  uns  bei  einem  solchen  Werk 
fest.  In  Wirklichkeit  ist  es  ebenso  ein  epischer 
und  idyllischer  und  sogar  auch  ein  humoristi- 


GEMALDE    -DAS   1  ISCHGEBET«    ^ISWm. 


scher  Reiz,  der  uns  packt.  In  Wirklichkeit  ist 
die  Fülle  von  menschlich  -  beobachterischen 
Köstlichkeiten  in  diesem  Bild,  das  noch  garnicht 
einmal  zu  den  wirklich  Menzelartigen,  detail- 
reichen Werken  Liebermanns  gehört,  gar  nicht 
mit  einem  Mal  auszuschöpfen,  und  nur  die 
Mittel  freilich  sind  rein  malerisch  optische,  nur 
der  Stil,  in  dem  dieses  Erlebnis  wiederholt  ist, 
ist  um  so  viel  höher  stehend  als  die  übliche 
„Genre"-Darstellung,  wie  etwa  die  meisterhafte 
und  schlagende  Kürze  im  Spiel  eines  großen 
und  reifen  Schauspielers  höher  steht,  als  das 
umständliche  Handwerk  des  akademischen  Ver- 
treters eines  sogenannten  Rollenfachs. 

Und  das  alles  ist  erst  die  eine,  die  zeich- 
nerische Seite,  die  Form.  Mit  dieser  Form  ver- 
bindet sich  in  dem  Münchener  Bild  ein  klares, 
charaktervolles,  aufrichtiges  Kolorit,  ein  Kolo- 
rit, das  seine  Gesamtwirkung  vorzüglich  unter- 
stützt, und  doch  soll  allerdings  nicht  geleugnet 
werden,  daß  dieser  Verbindung  noch  die  letzte 
und  feinste  Natürlichkeit  mancher  anderen  ma- 
lerischen Lösungen  fehlt.  Die  Farbigkeit  ist 
noch  etwas  zaghaft.     Sie  ist  noch  nicht  ganz 


Max  Liebermaym    Berlin. 


PROFESSOR  MAX  LIEBERMANN      BERLIN. 


gesättigt.  Sie  kann  sogar  etwas  trocken  an- 
muten, wenn  sie  nicht  von  dem  Licht  unter- 
stützt wird,  das  sie  braucht.  Die  „Frau  mit 
den  Ziegen"  ist  1890  entstanden.  Das  Jahr  ist 
für  Liebermann  bedeutsam.  Es  weist  auf  einen 
Punkt  seiner  Laufbahn,  der  eine  Schaffens- 
wende bedeutet. 

Orientieren  wir  uns  von  diesem  Zeitpunkt 
aus.  Wo  stand  Liebermann  damals?  Mit  wem 
berührte  er  sich  künstlerisch?  Am  ehesten 
wohl  noch  mit  Josef  Israels,  Heroische  Motive 
aus  dem  Bauern-  und  Seemannsberuf,  drama- 
tische Szenerien,  mit  holländischen  Figuren 
staffiert,  beschäftigten  seine  Einbildungskraft. 
Wenige  Jahre  vor  dem  Ziegenbild  waren  die 
„Nelzflickerinnen",  das  monumentale  Werk  der 
Hamburger  Kunslhalle,  entstanden  und  dieses 
Werk  hatte,  wie  Erich  Hancke  in  seinem  ge- 
wissenhaften und  schönen  Liebermannbuch  er- 
zählt, den  Künstler  als  Vertreter  des  groß- 
naturalistischen  Bauern-  und  Arbeiterbildes  be- 
rühmt gemacht,  ihn  zum  Wortführer  einer  neuen 
—  damals  neuen  —  malerischen  Auffassung  des 
naturgebundenen  ländlichen  Daseins  erhoben. 

Zum   Schibboleth  war  dieses   Bild    mit  den 


»RESTAURANT  JAKOB  AN  DER  ELBE«  (IH 


Frauen,  die  im  Dünengras  sitzen  und  an  den 
Fischernetzen  arbeiten,  und  mit  der  großen 
Monumentalfigur  im  Vordergrunde  geworden. 
Kenner  wie  Emil  Heilbut  fühlten  sich  davon 
aufgerufen  zu  öffentlicher  Parteinahme.  Kein 
geringerer  als  Wilhelm  Bode  hatte  das  Bild  in 
Paris  auf  der  großen  Ausstellung  entdeckt  und 
den  Ankauf  für  Hamburg,  wie  er  in  einer  ver- 
trauten Stunde  einmal  erzählte,  vermittelt.  Der 
Liebermann  der  großen,  heroischen,  wenn  auch 
schon  ganz  in  moderne  Atmosphäre  und  nüch- 
ternes Tageslicht  gehüllten  Historie  war  damals 
seinem  Vaterlande  und  weit  über  die  Grenzen 
seines  Vaterlandes  hinaus  verkündet  worden. 
In  der  Tat  fordert  diese  Epoche  Liebermanns 
zu  einem  Vergleiche  mit  Israels  heraus.  Israels 
und  allenfalls  noch  Bastien  Lepage,  dem  der 
Künstler  um  diese  Zeit  wohl  auch  noch,  wenig- 
stens stofflich,  nahestand,  haben  ähnliches  ge- 
wollt und  ähnliches  entworfen.  Aber  was  zeigt 
dieser  Vergleich?  Er  offenbart  bei  genauerem 
Zusehen  nur,  wie  selbständig,  wie  überlegen, 
ja  unvergleichlich  schon  die  künstlerische  Hand- 
schrift des  Vierzigjährigen  neben  seinen  An- 
regern, die  man  nur  mit  bescheidener  Ein- 
schränkung seine  Vorbilder  nennen  darf,  wirkt. 


MAX  LIEBF.RMANN  »ALTE  FRAU  AM  FENSTER« 
r;i:MÄi.i)K  im  hksitz  von  exz.  krau  f.  a.  kriipp-kssen 


Ma\  lJeber7>iann- Berlin. 


l'RuFESSOR  MAX  LIEBEkMAJ^.N     liliKLlN. 


Malerisch  ist  der  Jüngere  schon  vollständig 
Klasse  für  sich.  Israels'  Handwerk  hat  etwas 
flaches,  wird  in  der  Zeichnung  leicht  anemp- 
findlerisch,  in  der  Farbe  tintig.  Bastien  Lepage 
ist  wächsern.  Liebermanns  Farbenpaste  in  den 
„Nelzflickerinnen"  ist  blühend,  ist  unnachahm- 
lich gesund,  und  seine  Zeichnung  vollends  hat 
die  stählerne  und  elastische  Kraft,  an  der  er 
allein  in  jedem  Strich  zu  erkennen  ist.  Wenn 
man  die  Kunst  derjenigen,  die  damals  um  ihn 
waren,  und  dann  seine  eigene  rein  sinnlich  auf 
sich  einwirken  läßt,  ist  einem  ähnlich  zu  Mute, 
als  würde  mit  einem  Male  ein  Fenster  geöffnet, 
durch  das  ein  intensiveres  Licht  und  eine  stär- 
kere und  freiere  Luft  einströmen,  als  wir  bis  zu 
der  Begegnung  mit  ihm  atmen  durften. 

So  ist  sein  damaliges  Verhältnis  zur  Zeit, 
an  seinen  besten  Werken  gemessen;  auch  an 
den  „Flachsspinnerinnen"  etwa,  deren  Ent- 
stehung in  denselben  Abschnitt  fällt.  Nur  ist 
die  Grundlage  dieser  künstlerischen  Stellung 
freilich  nicht  in  jedem  Werk  gleich  gesichert. 
Auch  eine  Begabung  wie  die  Liebermannsche, 
mit  der  ausgesprochen  intuitiven  Kraft  ihrer 
Sicherheit,  mit  der  von  frühauf  geschulten  und 


XX    Oktober  19U). 


»ÜAKTE.N  AM  .\LTM^VNNERHAUS  AMSTERU.\M«    (IS.Sti). 


geschmiedeten  Energie,  unterlag  manchmal 
Schwankungen.  Gerade  die  holländische  Male- 
rei des  Künstlers,  oder  genauer  das  „Holländer- 
tum"  in  dem  halb  gesellschaftlichen  und  halb 
literarischen  Sinn  aus  der  Mitte  der  Achtziger- 
jahre hatte  ihn  manches  Motiv  nur  um  seiner 
motivischen  Wirkung  willen,  also  nicht  so  ganz 
ehrlich  Liebermannisch,  ergreifen  lassen.  Da 
hatte  er  fast  illustrativ  werden  können,  um 
leichter  verständliche  Bilder  in  Umlauf  zu  brin- 
gen ;  hatte  er  „volkstümliche"  oder  „feierliche" 
oder  „idyllische"  Vorwürfe  gemalt  wie  den 
„Backofen"  oder  die  „Begegnung  auf  der  Dorf- 
straße" oder  das  „Tischgebet",  das  jetzt  in 
einem  religiösen  Stift  in  Hadersleben  einen 
monumentalen  Platz  einnimmt.  Beinahe  kritisch 
mutet  diese  Wende  um  die  Mitte  der  Acht- 
zigerjahre für  Liebermann  an,  und  dennoch: 
selbst  wenn  man  für  den  Augenblick  davon 
absehen  wollte,  daß  sich  in  eben  diesen  Jahren 
mit  eben  diesen  Bildern  auch  wieder  ganz  an- 
dere, reinere,  intimere  Werke  verflechten  zu 
jenem  unzerreißbaren  Gewebe  von  Fleisch  und 
Blut,  das  die  Liebermannsche  Kunst  nun  ein- 
mal in  jedem  Augenblick  ist  —  selbst  wenn 


3Iax  Lteberma7i7i    Berlin. 


PROFESSOR  MAX  LIEBERMANN- BERLIN. 


man  das  übersehen  wollte,  ist  dieser  Übergangs- 
zustand in  Liebermanns  Schaffen  doch  nicht 
etwa  eine  hohle  Niete.  Es  ist  ein  Zustand  neuen 
Ringens  nach  neuen  Ufern.  Man  darf  nicht 
vergessen,  was  diesen  Jahren  schon  vorausge- 
gangen war  an  Schaffensgliick  und  gesicherter 
Ernte,  die  reich  und  überreich  genützte  Zeit- 
spanne von  anderthalb  Jahrzehnten  hindurch. 

Romanhaft  ist  heute  schon  der  Eindruck,  der 
sich  mit  dem  Versuch  verbindet,  die  erste  Schaf- 
fenszeit Liebermanns,  die  Zeit  vor  jenen  großen 
Werken  der  Achtzigerjahre,  aufzurollen.  Roman- 
haft klingt  die  Geschichte  der  Erstlinge  selbst. 

Man  denke :  Ein  junger  Mann  aus  allerbürger- 
lichster  Umgebung,  aus  jüdischer  Berliner  Kauf- 
mannsfamilie, ohne  Anregung,  ohne  Vorbild, 
nicht  einmal  mit  dem  Schicksal  der  Aben- 
teuerlichkeit oder  Armut  belastet,  noch  ge- 
wöhnlicher und  allen  Verlockungen  entrückter 
durch  den  Reichtum  des  Vaterhauses,  das  ist 
Max  Liebermann  in  den  entscheidenden  An- 
fängerjahren. Ein  unentschlossener  Student, 
der  das  Gymnasium  absolviert  hat,  beginnt  er 
zu  zeichnen  bei  dem  gemütlichen  alten  Steffeck 


»AMSTERDAiLER  WAISENM.\DCHEN«   (1883). 


in  Berlin  ;  geht  nach  Weimar  auf  die  Akademie, 
immer  noch  ohne  irgend  ein  besonderes  An- 
zeichen seiner  Bestimmung,  einer  der  Aus- 
erwählten zu  sein;  sucht  und  versucht  und  ver- 
beißt sich  in  akademische  Aufgaben,  die  sich 
ihm  immer  wieder  versagen,  bis  er  eines  Tages 
.  .  .  bis  er  auf  einmal  „sein"  Motiv  findet.  Das 
Volk  bei  der  Arbeit,  wie  es  wirklich  ist,  in  der 
Ungezwungenheit  und  Richtigkeit  seiner  Be- 
wegungen, die  Bauern  im  Feld,  alte  Frauen  bei 
„niedriger"  handwerkUcher  Beschäftigung,  das 
öffnet  irgend  eine  verborgene  naturgeborene 
Kraft  seiner  Sinne.  Das  spannt  seine  Energie 
im  Schauen,  seine  Energie  der  Hand  und  der 
Arbeit  an.  Wohl  bekehrt  er  sich  zu  einem 
Vorbild,  zu  Munkacsy,  dessen  Kunst  er  auf 
einer  Reise  in  Düsseldorf  kennen  lernt,  weil 
Munkacsy  der  Banalität  des  akademischen 
Schemas  gegenüber  ihm  das  Glück  eines  Malens 
auf  eigene  F"aust,  mit  persönlichen  Wirkungen 
und  persönlichen  Möglichkeiten,  zeigt.  Line 
andere  Begegnung  zu  jener  Zeit  hätte  ihn  viel- 
leicht nach  einer  anderen  Richtung  in  die  Frei- 
heit geführt.  Die  Freiheit  ist  die  Hauptsache. 
Und  nun   reifen   in  der  Werkstatt  des  Fünf- 


MAX  LIEBERMANN-BERLIX.  »DIE  KLÖPPLERIN.  (1881-1S82). 


PROFESSOR  MAX  I.IEBEKMAXX- BERLIN. 

GF.MÄLI>E».SPlTAL(iAKTEN  IN  EDAM,  HOLLAND«  (1!I1I4>. 


PROFESSOR  MAX  LIEBERMANN    BERLIN. 
GEMÄLDE  »OBERBÜRGERMEISTER  DR.  ADICKES«  (1911). 


t«)^'M.,M,,r^v.    ^'> 


MAX  I.TEBF.RMANN    BKKI.IN.  . STRASSE  IN  ZAXDVOORT.  (1880). 


Max  Lieberviann    Berlhi. 


PROFESSOR  MAX  LLEBERMANN-BERLIN. 


undzwanzigjährigen  die  ersten  großen  vollen 
Früchte.  Die  „Gänserupferinnen"  geben  den 
Ausschlag.  Die  „Konservenmacherinnen"  ge- 
sellen zu  jenem  Anfängerruhm  den  Ruhm  der 
Feinmalerei,  der  Delikatesse,  verpflanzen  ihn 
auch  in  das  Ausland,  nach  Belgien  zunächst. 
Und  die  „Arbeiter  im  Rübenfeld",  am  stärk- 
sten von  allen  seinen  Bildern  durch  Munkacsy 
inspiriert,  und  schließlich  die  „Kartoffelernte" 
zeigen  auch  noch  die  ganze  Fülle  dieser  ersten 
großen  Schaffenswrelle.  Da  enthüllt  und  vol- 
lendet sich  eine  Kraft,  zu  gestalten  und  zu 
überraschen,  der  für  jene  Zeit  in  Deutschland 
(man  trete  nur  wieder  einmal  vor  die  „Gänse- 
rupferinnen" der  Nationalgalerie  oder  das 
„Kartoffelfeld",  jetzt  in  der  Düsseldorfer  Kunst- 
halle) überhaupt  nichts  ähnliches  an  die  Seite 
gesetzt  werden  konnte.  —  Romanhaft  klingt  es 
heute.  Damals  war  Liebermann  schon  berühmt, 
damals  sogar  auf  dem  Wege,  eine  „Berühmt- 
heit" zu  werden.  Und  doch  ist  er  eigentlich 
nie  wieder  so  revolutionär  und  so  auf  sich  allein 
gestellt  gewesen  wie  in  jenen  Siebzigerjahren. 
Nahe  läge  ja  wohl  eines,  den  Liebermann 


GEM.\LDE  »FR.\U  AUT  ZIEGEN«   (IS'JU). 


von  damals  an  seinem  großen  Gegenstück, 
an  Wilhelm  Leibl  zu  messen.  Sicherlich  war 
Leibl  nicht  weniger  originell  als  Liebermann; 
er,  der  nur  wenig  Ältere,  hatte  seine  un- 
erhörte Tat  die  Begründung  einer  Malerei 
um  ihrer  selbst  ihrer  Qualität  willen,  sogar 
schon  früher  und  sichtbarer  aus  sich  herausge- 
stellt. Und  doch  war  niemand  und  auch  Leibl 
nicht  so  absolut  auf  neuem  Boden  wie  Lieber- 
mann, niemand  in  Deutschland  so  allein  mit 
sich  wie  dieser  nach  Weimar  verschlagene  junge 
Berliner  Akademiker,  niemand  so  sehr  Him- 
melsstürmer und  Kämpfer  mit  dem  Gottessend- 
ling;  „Ich  lasse  Dich  nicht.  Du  segnest  mich 
denn."  Leibl  malte  —  malte  überirdisch 
schön,  aber  der  Grund,  auf  dem  er  stand,  auf 
dem  er  sein  Haus  baute,  seine  Konstruktionen 
errichtete,  ist  der  Grund  der  Meister  vor  ihm 
und  neben  ihm.  Liebermann  ringt  —  ringt 
um  einen  ganz  neuen  Komplex.  Er  kämpft  um 
alles,  um  die  erste  schöpferische  Anregung,  um 
den  Grund  und  die  Welt  seiner  Kunst,  um  ihr 
Format,  ihren  Aufbau,  ihre  Wirkung,  ihre  Inten- 
sität.   Er  kämpft  um  einen  größeren  Kreis  als 


Jlfax  Lieberma7in- Berlin. 


>K  MAX  LlEBERMANiN      ÜkKLIiN. 


alle  Mitslrebenden  neben  ihm,  und  das  Ent- 
scheidende, das  Schicksalhafte:  Er  schließt  ihn. 
Ein  Bild  wie  die  „Gänserupferinnen"  mit  seiner 
vom  Himmel  geholten  Unabsichtlichkeit  und 
Ursprünglichkeit  des  Entwurfs ,  mit  seinem 
großen  breiten  Grauschwarz,  auf  dem  sich  das 
Muster  der  Einzelheiten  in  verborgenem  Reich- 
tum, intim,  leise,  wie  in  stillem  Erröten  stuft 
und  steigert,  ist  der  Einbruch  in  ein  neues  Land, 
Noch  herzhafter,  größer  wirkt  das  „Kartoffel- 
ernte"-Bild.  Hier  lebt  zum  ersten  Male  etwas 
wie  freie  Luft  und  gemalte  Erde,  so  gesund  und 
überzeugend  wie  wirkliche  Erde,  und  darüber 
fließt  das  silbrige  Grau  des  Morgennebels,  und 
Vordergrund  und  Ferne  sind  zu  einer  Raum- 
wirkung verwachsen,  die  seit  den  großen 
Tagen  der  Rembrandtschule  kaum  wieder  er- 
reicht worden  war. 

Mit  Leibl  hat  diese  Kunst  in  der  Tat  keine 
Verwandtschaft,  aber  nun  folgt  eine  Zeit,  die 
Liebermann  in  München  verbringt  und  in  der 
er  zu  dem  Meister  in  Aibling  doch  in  eine  ge- 
wisse indirekte  Beziehung  kommt.  Wieder  stellt 


tii:.M.ALDK  •UuLL.V.NUlbCllt  Dum  »IKAbbK»  ^l^»;.j 


eine  neue  Kombination  sich  ein,  wenn  sich  auch 
äußerlich  die  kämpfe-  und  arbeitsreiche  Reihe 
schlichter  und  in  ihrer  Schlichtheit  echt  Lieber- 
mannscher  Motive  fortsetzt.  Ein  Blick  auf  die 
letzte  Fassung  der  mehrmals  gemalten  Kon- 
servenmacherinnen, die  jetzt  im  Leipziger  Mu- 
seum hängt,  oder  die  holländisciie  Kleinkinder- 
schule, die  bei  Exzellenz  von  Krupp  ist,  oder 
die  Straße  in  Zandvoort  (Liebermann  malte  die 
holländischen  Anregungen  damals  immer  in 
München  zu  Ende)  zeigt,  daß  die  Palette  des 
tieftonigen  Graumalers  Lieberniann  heller  und 
leichter,  daß  sie,  wie  er  selbst  heute  sagt,  blon- 
der zu  werden  beginnt.  Das  wird  ihm  zweifel- 
los von  München  gegeben.  Jene  eigene  kolo- 
ristische Kultur,  die  in  der  bayrischen  Kunst- 
stadt niemals  ganz  unterdrückt  worden  war, 
auch  in  ihren  schwächsten  Akademikerjahren 
nicht,  gibt  ihm  die  Anregung  und  Kraft  zur 
Bereicherung  und  Aufhellung  seiner  Farben- 
skala —  langsam,  bedächtig  sogar,  wie  bei  Lie- 
bermann sich  im  Grunde  jeder  neue  Entwick- 
lungsprozeß, trotz  blitzartig  raschen  Erfassens 


XX    Oklober  1916.  3 


PKOl-ESSOR  MAX  LIEBERMAXN.  GEMÄLDE    SELBSTBILDNIS    (1909). 


J/jx  iJeherinann  -Berlin. 


einer  neuen  Aufgabe  oder  Notwendigkeit, 
langsam  und  in  stets  wiederholten  \  ersuchen 
vollzieht.  Langsam  .  aber  dieses  Langsame  ist 
das  zähe  Fort'wirkende.  Und  da  er.  der  Gast 
aus  dem  Norden,  einmal  auch  dem  Genius  des 
Ortes  opfern  und  ein  richtiges  akademisches 
Bild  malen  will,  entsteht  eben  in  München  iener 
„Christus  im  Tempel " .  der  damals  so%-iel  schmut- 
zigen Staub  aufwirbeln  konnte  und  uns  heute, 
(das  Bild  hängt  in  der  Hamburger  Kunsthalle) 
abgesehen  selbst  von  dem  eminenten  Stück 
Malerei,  das  in  dieser  hellen  und  doch  tonig 
abgestuften  Menschengruppe  liegt,  auch  erzäh- 
lerisch nähergerückt  ist.  seitdem  Uhde.  Lieber- 
manns treuer  jüngerer  Freund  aus  jenen  Jahren. 
diese  moderne  Art,  die  Legende  zu  erzählen, 
bei  uns  eingebürgert  hat. 

Es  kommen  die  Achtzigerjahre.  Die  Reisen 
nach  Holland  werden  regelmäßig,  werden  ent- 
scheidend. Freilicht -Versuche  beginnen  aus 
Amsterdamer  Anregungen.  ^X'ieder  wie  so  oft 
bei  Max  Liebermann  verbindet  sich   ein   das 


GEMAllJE  -VmAc   (1^11  J. 


Auge  beglückender,  bereichernder,  anstacheln- 
der Eindruck  mit  einem  ganz  bestimmten  Motiv. 
Das  Motiv  wird  in  einem  tieferen  ästhetischen 
Sinn  zum  „Inhalt"  einer  neuen  Art  Malerei. 
Das  Amsterdamer  Altmänner-Hospital  wird, 
wie  Hanckes  Buch  anschaulich  erzählt,  zum  Er- 
lebnis. In  einer  von  einem  Laubdach  geschlos- 
senen Allee,  in  der  das  Sonnenlicht  silbrig  und 
die  Atmosphäre  dunkel  wirkt,  sitzen  schwarz- 
rockige  Männer,  müde,  nachdenklich  ruhend. 
Die  schwarzen  und  silbernen  Töne  zittern  in 
der  Luft  und  verbreiten  in  ihr  etwas  Kühles, 
HerbsÜiches  trotz  dem  sommerlichen  Grün  der 
Bäume.  Und  die  Stimmung  dieser  Menschen 
klingt  mit  der  Stimmung  dieser  Luft  zusammen. 
Das  verleiht  dem  Bild  etwas  unendlich  Edles, 
Gehaltvolles,  und  wenn  man  es  heute  wieder- 
sieht —  die  beste  Fassung  ist  die  in  der  Galerie 
Arnhold  in  Berlin  —  dann  glaubt  man  darauf 
schon  die  Patina  eines  alten  ^X'erkes  zu  erken- 
nen. In  diesem  Licht  hat  Liebermann  damals 
mehrere  Arbeiten  hinter  einander  gemalt,  da- 


Max  Lieber?nann    ßerliti. 


I'KOK.  MAX  LIEbEKMANN- BERLIN. 


runter  ein  paar  seiner  bleibendsten,  feinsten. 
Im  Schutz  dieser  malerischen  Kühle  sind  Bilder 
wie  die  „Klöpplerinnen"  in  ihren  bedeutendsten 
Exemplaren  (in  Hamburg  und  Dresden)  und  die 
„spielenden  Kinder"  entstanden.  Auch  Werke 
wie  die  „Schusterwerkstatt"  und  die  „Bleiche" 
und  die  Amsterdamer  „Waisenmädchen"  sind 
noch  mit  jener  zarten  und  gebundenen  Festig- 
keit gezeichnet  und  farbig  durchmodelliert, 
die  beinahe  an  frühniederländische  Meister 
erinnern.  Etwas  von  dem  Schleier  einer  keu- 
schen frühen  Kunst  liegt  auf  diesen  Bildern. 
Wieder  ist  eine  Gruppe  geschlossen.  Sie  steht 
im  Zeichen  eines  stillen  auf  Grau  und  Grün 
gestimmten  zurückhaltenden  Kolorits.  Auf  sie 
folgt  dann  die  Reihe  derberer  und  pastoserer 
Malereien,  von  denen  wir  ausgingen,  die  grö- 
ßeren und  bewegteren  Kompositionen,  die  in 
der  „Frau  mit  den  Ziegen"  ihren  letzten  Höhe- 
punkt erreichen,  und  nun  grade,  nun  wo  man 
den  Künstler  an  einem  Ende  zu  haben  glaubt, 
nun  wo  eine  Formel  gefunden  zu  sein  scheint. 


»NETZFLICKERINNEN«  (1K8S). 


mit  der  mancher  andere  wie  nach  einem  er- 
probten Rezept  sein  weiteres  Lebenswerk  be- 
stritten haben  würde,  nun  häutet  sich  der  Un- 
ermüdliche, von  Leben  und  Bewegung  Sprü- 
hende erst  recht  nocheinmal.  Nun  tritt  an  die 
Stelle  des  zeichnerisch  ausgreifenden  und  farbig 
doch  noch  begrenzten  Könnens  und  Arbeitens 
neues  Kämpfen.  Nun  ringt  die  im  wirklichen, 
nicht  mehr  im  ateliermäßigen  Freilicht  irisie- 
rende, bunte  und  überbunte,  in  voller  Unge- 
bundenheit  waltende  Farbigkeit  der  Natur  um 
ihr  Recht.  Nun  erst  erwacht  der  ganze  Mut 
zum  Leben  selbst,  zum  Leben,  das  auch  einmal 
die  Bildgrenze  sprengen  kann.  Nun  erwacht 
der  Impressionist  Liebermann.  In  demselben 
Jahr  wie  das  Ziegenbild  kommt  der  „Schweine- 
markt zu  Haarlem"  aus  des  Künstlers  Werk- 
statt. In  demselben  Jahr  entsteht  auch  das 
Leidener  „Frauenslift"  mit  seiner  temperament- 
vollen Blumenpracht,  die  in  der  gelben  Sonne 
leuchtet. 


Jllax  Liehernianyi- Berlin. 


PROF.  MAX  LIEBERMANN. 


Der  Impressionismus!  Jetzt  ist  er  da.  Aber 
nicht  in  das  Leben  eines  Neulings,  der  ihm 
macht-  und  fassungslos  seine  Arme  öffnet,  fällt 
er  bei  Liebermann.  Er  kommt  zu  einem  reifen 
und  fertigen  reichen  Künstler.  Was  kann  er 
dem  bringen?  Gestehen  wir  es  uns  aufrichtig: 
noch  eine  weitere ,  eine  letzte  Ausdrucks- 
bereicherung, mehr  nicht.  Liebermann  verjüngt 
sich,  weil  er  auf  eine  Anregung  stößt,  die  ihn 
innerlich  noch  freier  zu  machen  verspricht,  und 
er,  der  nach  eigenem  Geständnis  in  seinen 
Pariser  Jahren  weder  von  Manet,  dem  An- 
regungsreichsten, noch  von  den  jüngeren  impres- 
sionistischen Franzosen  irgendviel  wußte  oder 
gar  annahm,  greift  in  dem  Augenblick  nach  dem 
neuen  aufregenden  Trank,  wo  seine  eigene  tem- 
peramentvolle Natur  durch  Arbeit  schon  ge- 
nügend geschützt  ist  vor  Verlockungen,  die  zu 
Gefahren  werden.  Liebermann  war  immer  zu- 
gleich ein  sehr  guter  Kenner  seiner  selbst  und 
seiner  künstlerischen  Bedürfnisse.  Jener  späte 
Impressionismus,  mit  dem  er  sich  verbindet, 
fällt  bei  ihm  auf  den  Boden  alles  dessen,  was 


»LESENDE  DAME«   (JS!I7). 


er  schon  erarbeitet  hat ,  und  vollendet  seine 
Begabung.  —  Nur  so  ist  diese  letzte  Wandlung 
zu  begreifen,  um  derentwillen  man  soviel  über 
den  Künstler  diskutiert  und  gerechtet  hat.  Nur 
wenn  man  in  ihr  die  weitere  Bereicherung  und 
Ergänzung  eines  auch  im  neuen  Gewände  sich 
treubleibenden  Charakters  erkennt,  versteht 
man  sie  wirklich.  —  Man  werfe  doch  nur  einen 
Blick  auf  den  Reichtum  dieser  letzten  Epoche, 
die  ja  auch  schon  ein  Vierteljahrhundert  um- 
spannt. Man  verkenne  nicht,  daß  derselbe 
Maler,  der  die  großen  Kompositionen  der  Israel- 
Zeit  erarbeitet  hat  —  und  eine  Spätfrucht 
dieser  Art  sind  die  monumentalen  Wandbilder, 
darunter  das  Gemälde  „Die  Arbeiterfamilie" 
im  Hause  eines  norddeutschen  Grundbesitzers 
—  zu  der  gleichen  Zeit  und  mit  gleicher  Inten- 
sität an  die  Natursludien  geht,  die  er  etwa  zu 
einem  Bild  wie  der  öfters  gemalten  Darstellung 
der  in  geschlossener  Reihe  spazierengehenden 
jungen  Holländerinnen  („Sonntagnachmittag  in 
Laren")  oder  die  er  zu  den  ersten  Fassungen 
der  „Badenden  Knaben"  oder  der  „Reifer  am 


PROFESSOR   MAX   LIEBERMANN      BERLIN. 
»HOLLÄNDISCHES  WAISENMÄDCHEN«  (1882). 


Max  Liebermann— Ber/ifi. 


fk..!'.  MAX  LlKliKKMANN      litKLl.'« 


Strande"  entwirft.  Dabei  gewinnen  Aufgaben 
wie  die  letztgenannten,  für  knappe  kurze  Be- 
leucfitungs-  und  Bewegungsprobleme  besonders 
dankbar,  naturgemäß  immer  stärker  die  Ober- 
herrschaft. Die  Strandszenen  und  Tennisbilder 
und  Polodarstellungen  (man  übersehe  nicht  das 
wundervolle  Bild  dieser  Art  in  der  Hamburger 
Kunsthalle)  werden  zu  geschlossenen  Serien, 
die  der  Künstler  mit  unermüdlicher  Lust  an  der 
Sicherheit  und  steten  Verfeinerung  neuer  Visio- 
nen immer  wieder  fortsetzt.  Und  den  geänder- 
ten Vorstellungen  werden  geänderte  Methoden 
dienstbar.  War  früher  zwischen  dem  ausgeführ- 
ten Bild  und  der  Skizze  der  Unterschied  klar, 
eindeutig,  so  wird  die  Grenze  zwischen  beidem 
jetzt  eine  fließende.  Das  „Fertigmachen"  einer 
Arbeit  wird  eine  subjektive  Empfindungssache. 
Der  pastos  hingesetzte  oder  gespachtelte  Fleck, 
den  Liebermann  freilich  schon  von  frühauf  wir- 
kungsvoll zu  verwenden  weiß,  wird  innerhalb 
des  neu  ausgeweiteten  und  endgiltig  frei  und 
hell  gewordenen  Kolorits  zu  einem  schönheit- 
lich  selbständigen,  oft  selbstherrlichen  Wert. 
Die  Zeichnung  verflüchtigt  sich  im  kompositio- 
nellen  Gerüst  und  tritt  hinter  die  räumliche  und 


»SCHWEIN  EMARKl    IN   H  AK  I.EM - 


atmosphärische  Fleckwirkung  innerhalb  eines 
Naturausschnittes  zurück. 

Das  ist  impressionistische  Malweise,  unleug- 
bar. Die  Bilder  dieser  Art  sind  Werke  von 
ganz  anderen  Existenzbedingungen,  als  etwa 
die  Werke  von  früher.  In  den  photograpischen 
Abbildungen  wird  man  sie  bestenfalls  nur  an- 
deutungsweise verstehen  können,  da  das,  was 
jetzt  das  Wichtigste  in  ihnen  geworden  ist,  die 
Spannung  der  farbigen  Werte  gegen  einander, 
ihre  Verteilung,  ihre  auf  Suggestion  ausgehende 
Abmessung  innerhalb  der  Gesamtfläche  nur 
aus  dem  Original  selbst  so  zu  wirken  vermag, 
wie  es  wirken  möchte.  Zweifellos  ist  das  Im- 
pressionismus, und  Liebermann,  der  diesem 
neuen  Wollen  als  Maler  bis  heute  treu  ge- 
blieben ist,  hat  es  auch  in  Büchern  und  Auf- 
sätzen, ein  ausgezeichneter  und  witziger  Schrift- 
steller im  Nebenamt,  am  reinsten  und  über- 
zeugendsten interpretiert.  Und  doch!  —  und 
doch  darf  man  im  Lebenswerk  eines  Ganz- 
großen,  wie  Liebermann  einer  ist,  keine  Rich- 
tung und  keine  Mode  und  auch  diesen  Im- 
pressionismus, soviel  Kluges  und  Frisches  und 
Erfrischendes  er  auch  für  sich  habe,  nicht  etwa 


SONNIAGNACHIIITTAG  IN  LAREN«  (1»9S). 


PROFESSOR  ^tAX  LIEBERMANN     BERLIN.  GEMÄLDE  »IN  DEN  HOLLÄNDISCHEN  DÜNEN«   (1895). 


XX.  Oktober  1916.  4 


J/<2.v  Liebermann— Berli?!. 


PROF.  MAX  UEBERM.\NN     BERLIN. 


ZU  hoch  einschätzen.  Schöpferisch  ist  doch 
nicht  das  Programm,  sondern  der  Mensch.  Und 
die  Konsequenz  einer  Gesamtleistung  liegt  nicht 
im  Wollen,  sondern  in  der  instinktsichern  Natur 
einer  Begabung.  Liebermann  hat  seine  Strand- 
hütten und  Badekarren  mit  unermüdlicher  Lei- 
denschaft immer  wieder  skizziert  und  hat  den- 
noch auch  in  diesen  späten  und  späteren  Jahren 
immer  wieder  nach  der  Kunst  seiner  Jugend, 
nach  der  Komposition,  nach  der  Synthese  von 
Bewegungsstudien,  sogar  nach  „erzählerischen" 
Darstellungen  gegriffen.  Bilder  wie  den  römi- 
schen „Monte  Pincio"  oder  das  wundervolle 
Gruppenbild  der  „Papstsegnung"  in  der  Six- 
tinischen  Kapelle  (beide  in  Privatbesitz)  oder 
den  klangvollen  feierUchen  „Barmherzigen 
Samariter",  der  jetzt  dem  Kölner  Museum  ge- 
hört, hat  er  ebenso  wie  die  große  und  stolze 
Reihe  seiner  Selbst-  und  Herrenporträts,  die 
auch  etwas  anderes  als  etwa  rein  impressio- 
nistische Sehstudien  sind,  innerhalb  der  letzten 
zehn  oder  fünfzehn  Jahre  gemalt.  Und  wenn 
es   noch  eines  Beweises  dafür  bedürfte,    daß 


GEMÄLDE  »TEXNISPL.\TZ« 


das  Genie  in  der  Kunst  nicht  mit  einer  Rich- 
tung zu  erschöpfen  und  nicht  mit  einer  Mode- 
laune zu  erledigen  ist,  so  wäre  er  schon  damit 
gegeben. . . .  Den  Überspannungen  von  heute 
sei  das  hier  noch  einmal  entgegengestellt.  Nicht 
die  Geberde  eines  Schaffenden,  sondern  die 
Summe  seines  Werks  ist  das  Bleibende.  Oder 
wie  wir  in  Liebermanns  eigenem  neuen  Büch- 
lein über  die  „Phantasie  in  der  Malerei"  an 
einer  Stelle  lesen:  „Der  Inhalt  der  Kunst  ist 
.  .  .  die  Persönlichkeit  des  Künstlers."         a.  g. 

Die  Grundsä^e  jedes  künstlerischen  Urteils  sind  ab- 
luingig  von  der  Beantwortung  der  Frage  nach 
dem  Gegenstand  der  künstlerischen  Erkenntnis.  Man 
sagt,  das  Objekt  der  Gestaltung  sei  die  »Natur«. 
Aber  das  se^t  voraus,  daß  man  weill,  was  »Natur« 
ist,  und  allzu  leictit  wird  vergessen,  daß  dies  die  ewige 
Frage  ist,  die  alles  Denken  und  Schaffen  zu  beant- 
worten sucht.  Alle  Erkenntnis  ist  nur  eine  1  heorie 
über  diese  »Natur«,  ein  VersucHi,  sie  in  irgend  einer 
Ordnung  zu  begreifen.  Die  »Natur«  kann  allein  in 
der  Natur  unseres  Denkens  begriffen  werden,  nie 
aber  in  ihrem  eigenen  uns  entgegengese^ten  Wesen. 
Dies  gilt  für  Künstler  und  »Denker«.        FrlH  Burger  f. 


PROFESSOR  NL\X  LIEBERMANN— BERLIN. 


GEMJVLDE  ^BADENDE  KNABEN«   (1900). 


PROFESSOR  MAX  LIEBERMANN— BERLIN.  GEM.ÄLDE  •PFERDEKNECHTE  .\1I  MEKRESSTRANDE«    il909). 


»I  IMll      I   1 

POLOSPIEL  IN  KLEIN-FLOTTBECK^^   (1902). 


SOLLEN  STAATSSAMMLUNGEN  MODERNES  ERWERBEN? 


Die  Meinung  wächst,  der  Staat  führe  meist 
schlecht  mit  seinen  modernen  Ankäufen. 
Die  Ausgaben  erschienen  zu  oft  nach  wenig 
Jahren  zu  hoch.  Der  Geschmack  wechsle  zu 
schnell.  Der  Staat  solle  sicherer  gehen  und  nur 
Meister  kaufen,  deren  Wert  schon  durch  lange 
Zeit  als  gesichert  gelten  könne.  Später  ent- 
ginge ihm  das  Beste  ja  doch  nicht.  Das  sei  Er- 
fahrungssatz, Im  übrigen  sei  es  Sache  der 
Privatleute,  die  Kunst  der  Lebenden  zu  fördern 

—  von  allen  Staatsankäufen  zusammen  könne 
ohnehin  keinKünstler  leben.  Wolle  der  Künstler 
die  wertvolle  Anerkennung  der  Staatsgalerien 

—  so  solle  er  sein  Bestes  dem  Staat  als  Ge- 
schenk anbieten.  Die  Annahme  gelte  als  höchste 
Anerkennung,  sei  dem  Künstler  auch  wirt- 
schaftlich von  höchstem  Vorteil. 

So  hörte  ich  schon  mehrfach.  Nicht  etwa  nur 
von  entschiedenen  Verächtern  der  Modernen.  — 
Obwohl  ich  nicht  glaube,  daß  solche  Anschauung 
so  bald  Eingang  in  unsere  Staatssammlungen 
finde  —  (das  hieße  die  Gepflogenheiten  der 
englischen  Staatssammlungen  annehmen)  —  ist 
die  Vorbesprechung  solcher  Fragen  doch  zeit- 


gemäß.   Nach  dem  Krieg  —  was  wird  da  nicht 
alles  vorgeschlagen  und  versucht  werden? 

Für  erfahrene  Museumsleute  —  zumal  alte 
—  hat  jene  Anschauung  viel  Bestechendes.  Wie 
viel  mehr  Ruhe  haben  sie  dann.  Über  Tote 
läßt  sich  fast  immer  ruhiger  urteilen.  Über  diese 
nur  schweigen  die  Neider,  die  Lobhudler,  die 
Größen,  die  Kleinen,  die  Tagesblätter.  Und 
noch  ein  Menschenalter  nach  dem  Tode  eines 
Großen  unserer  Zeit  —  braucht  man  die  Werke 
gar  nicht  mehr  anzuschauen  —  man  liest  „gesät- 
tigte, ruhige"  Urteile  großer  Kenner,  man  weiß 
genau  was  für  so  einen  Meister  nun  bezahlt 
wird.  Neues  kommt  nicht  mehr  hinzu  —  kurzum 
volle  Orientierung  ist  möglich.  Bei  einiger  Vor- 
sicht sind  dann  Übervorteilungen  des  Käu- 
fers fast  ausgeschlossen.  —  Moderne  Ankäufe 
sind  dagegen  oft  genug  Wagnisse  des  Käufers 
und  seines  persönlichen  Ansehens.  Der  Kauf 
vom  noch  Unbekannten  ist  am  billigsten.  Aber 
rechnerisch  kann  der  Käufer  das  noch  lang 
nicht  beweisen.  Der  Staatsankauf  wird  zur 
Kurssteigerung  des  Künstlers  führen  —  aber 
wie  lange  hält  der  Kurs?    Ankäufe  von  schon 


GEMÄLDE     BADENIIF,  IN  SCHKVENINGEN«   (1U02). 


MAX  LIEBERMjVNN-  BERLIN.  GEMÄLDE  »KINDERSPIELPLATZ  IM  BERLINER  TIERGARTEN« 


r^-^üfi'^  4^^.^  ^X'->^i 


PROFESSUR  MAX  LIEBERMANN -BERLIN.  -STUDIE« 


Solle?!  Staatssammlungen  Modernes  erwerben': 


PROFESSOR  MAX  J.TF.BERM ANN— BERLIN. 


bestens  bekannten  Künstlern  sind  bei  höheren 
Preisen  durchaus  nicht  sicherer  —  relativ  zum 
Preis.  —  So  läßt  sich  gewiß  nach  einer  Reihe 
von  Jahren  schon  nachrechnen,  wie  oft,  wie 
viel  der  Staat  überzahlt  hat.  —  Auf  solche  Be- 
weise stützen  sich  die  Gegner  des  Modernen 
bei  Staatsankäufen.  Sie  vergessen  die  Gegen- 
rechnung. Die  Berechnung  der  Gewinne,  die 
jene  Summen  einbringen,  die  bei  Zeiten  für  die 
bedeutendsten  lebenden  Künstler  ausgegeben 
wurden.  —  Ich  glaube,  daß  diese  Gewinne  bei 
weitem  selbst  jene  Verluste  wettmachen,  die 
sich  aus  zu  teuren  Ankäufen  von  Meistern  un- 
sicherer Zukunft  ergeben  sollten,  selbst  dann, 
wenn  nur  ein  Drittel  aller  Ankäufe  die  aller- 
besten Künstler  unserer  Zeit  angingen. 

Nur  zwei  Hinweise  mögen  meine  Meinung 
bekräften,  daß  die  ungeheuren  Preissteigerungen 
bester  Meisterwerke  sich  gar  nicht  vergleichen 
lassen  mit  den  im  Preise  freilich  sehr  bald  fal- 
lenden Werken  modisch  sensationeller  Künstler 
oder  solcher,  die  der  Zeitrichtung  nur  recht  gut 


GEM.VLDE  -ZWEI  REITER  AM  STRANDE«  (Will) 


folgen.  —  1859  verkaufte  der  von  schweren 
Sorgen  bedrückte  Millet  sein  Gemälde  „l'An- 
gelus",  das  bekanntlich  1889  auf  einer  Auktion 
553  000  Francs  einbrachte,  bald  darauf  für 
640  000  weiter  verkauft  wurde,  für  2500  Francs 
an  einen  belgischen  Künstler.  Hätte  der  fran- 
zösische Staat  gleich  das  Bild  erworben  — 
wieviel  hätte  er  gewonnen,  wieviel  gleichgül- 
tige, überflüssige  Ankäufe  wettgemacht.  Und 
um  wie  viel  früher  wäre  der  Wert  Millet'scher 
Kunst  durch  einen  Staatsankauf  gestiegen ! 

Die  Rentabilität  größter  Meisterwerke  der 
Zeit  bleibt  ungeheuer  —  während  selbst  ver- 
blüffende Modewerke  keine  „Rente"  abwerfen. 
—  Mit  fast  noch  größerer  Sicherheit  als  in 
Malerei  und  Plastik  ist  aber  die  Wertsteigerung 
vorauszusagen  bei  einzigartigen  Werken  der 
Graphik  bedeutender  Meister.  Allerbeste 
Drucke,  die  ein  solcher  Künstler  nur  ein  ein- 
ziges Mal  von  der  Platte  gemacht,  steigen  ganz 
sicher  um  ein  vielzehnfaches  im  Preis.  Man 
verfolge  nur  den  Markt.   Seltene  Drucke  Klin- 


Soilen  Slaatssammlunven  ßToderjies  erwerben'. 


gers,  die  vor  zwanzig  Jahren  um  wenige  Mark 
vom  Künstler  zu  kaufen  waren,  werden  jetzt 
fast  mit  ebensovielen  Tausendern  bezahlt.  Man 
darf  tatsächlich  von  hundertfacher  Preissteige- 
rung reden.  Freilich  gilt  diese  Regel  nur  von 
den  Besten  unserer  Zeit  und  von  den  sorgfäl- 
tigsten und  seltensten  Blättern  des  Künstlers. 
Selbst  wenn  einmal  eine  Zeit  der  geringeren 
Einschätzung  kommen  sollte,  wird  immer  noch 
die  hohe  Rentabilität  der  Ankaufssummen  an- 
erkannt werden  müssen. 

Wer  an  solche  Beispiele  denkt,  wer  sich  die 
Mühe  nimmt,  in  bestimmten  Museen,  die  von 
modernen  aber  kritischen  Männern  geleitet 
wurden,  die  hohen  Wertsteigerungen  früherer 
Erwerbungen  mit  den  kaum  ganz  vermeidbaren 
Fehlkäufen  zu  vergleichen,  wird  entschieden 
wünschen,  daß  der  Staat  auch  künftig  so  früh 
als  möglich  jeweils  das  Beste  seiner  Zeit  zu 
erwerben  trachtet.  —  Für  das  Gebiet  der 
künstlerischen  Graphik  wird  die  Erinnerung 
sogar  zur  Warnung.  Überläßt  der  Staat  die 
besten  und  seltensten  Drucke  den  Privaten, 
mit  der  stillen  Hoffnung  später  doch  von  diesen 
die  Seltenheiten  erwerben  zu  können,  so  würde 


er  sich  einer  Sorglosigkeit  schuldig  machen,  die 
im  Interesse  der  Kultur,  d.  h.  der  besten  Kultur- 
denkmäler einmal  sträflich  leichtsinnig  genannt 
werden  könnte.  In  früheren  Jahrhunderten  gab 
es  keine  Staatsmuseen.  Unendliches  ging  ver- 
loren durch  die  Wechselfälle  allen  privaten 
Eigentums.  Das  Institut  der  Staatsmuseen  hat 
die  Aufgabe  übernommen,  prospektiv  zu  sein. 
Das  ist  das  Resultat  aller  mit  so  viel  Klagen 
durchsetzten  Retrospektivität.  Ging  so  viel 
herrliches  der  papiernen  Graphik  schon  ver- 
loren, sei  der  Staat  nun  der  erste  Sammler 
bester  Graphik  der  Lebenden. 

Freilich  ein  Wunsch  und  guter  Rat  an  die 
Künstler  sei  hier  geäußert.  Möchten  sich  unsere 
deutschen  Graphiker  häufiger  als  bisher  ent- 
schließen, beste  Werke  den  Staatssammlungen 
als  Geschenk  anzubieten.  Die  Annahme  muß 
und  wird  als  ehrenvolle  Auszeichnung  gelten. 
Das  würde  für  Volk  und  Nation  einen  stolzen 
Gewinn  bedeuten,  dem  Künstler  doppelten 
Vorteil  bringen;  wirtschaftlich  fühlbare  Aner- 
kennung —  Monumentalisierung  der  Werke 
durch  denkbar  beste  Erhaltung  durch  Jahr- 
hunderte hinauf.    Professor  e.w.bredt -München. 


MAX   Lltl-LKMAN.N       l.l.KLI 
■IKDKRGABK  DER  MBHK/AKL  UKK  BILDBK  1 


.1   MALliE    -IIEK   HAKMHI;K/Ic,K   >.\MAK1I1   r 
LGT  MIT  GHNHH.MIGUNG  DES  KU.NSTSALONS  PAUL  CASSIRBR- 


EMANUEL  VON  SEIDL-MÜNCHEN.  HAUS  G.  IN  BAD  HARZBURG. 

»EINGANGSSEITE«   BRUNNEN  IM  ZIERHOF  VON  PROF.  JUL.  SEIDLEK     MÜNCHEN. 


EIN  NEUES  LANDHAUS  VON  EMANUEL  VON  SEIDL 

DAS  HAUS  G.  IN  l'.AD  HARZBURG. 


Haus  Giesecke  in  Bad  Harzburg  ist  der  Ruhe- 
sitz eines  Ingenieurs.  Technisch  eigenartig 
und  vollendet  sollte  das  Ganze  sein,  die  Form 
sachlich  und  praktisch,  ohne  an  Behaglichkeit 
und  Vornehmheit  zu  verlieren.  Diese  Forde- 
rung, die  der  Baukünstler,  Emanuel  v.  Seidl, 
sich  selbst  beim  Entwurf  des  Hauses  stellte, 
war  nicht  so  leicht  zu  erfüllen,  als  jetzt  der 
Beschauer  nach  glücklicher  Lösung  der  Auf- 
gabe vermuten  mag. 

Die  Eigenart  des  gebotenen  Bauplatzes 
galt  es  auszunutzen.  Das  Grundstück  ist 
langgestreckt  mit  prachtvoller,  seillicher  Aus- 
sicht und  mit  einem  schmalen  Zufahrlsstreifen 
ebenfalls  von  der  Seite.  In  diesem  Zufahrts- 
streifen wurde  ein  Durchfahrlsgebäude  errichtet, 
wodurch  im  Zusammenhang  mit  dem  Haupt- 
gebäude und  mit  einer  großen  seitlichen  Stütz- 
mauer der  Zierhof  gewonnen  wurde.  Die  vierte 
freie  Seite  senkt  sich  zu  einem  tieferliegenden 
holländischen  Garten  herab.  Durch  dieses 
Durchfahrtsgebäude  wird  auch  das  Wohnhaus 
vom  Lärm  und  von  der  Neugier  der  Straße  ge- 
trennt, man  sieht  durch  den  geöffneten  Bogen 
nur  auf  den  mächtigen  Brunnen  von  Professor 
Julius  Seidler-München,  in  welchem  das  Wasser 
der  eigenen  Quellen  des  Grundstücks  gefaßt 
ist,  und  auf  den  Eingang.  Die  Hauptfront  ist 
ddn  Garten  und  der  schönen  Aussicht  auf  Berge 
und  Wald  zugewendet.  Der  höchsten  Erhebung 
der  Landschaft  —  dem  Burgberge  —  zu  öffnet 
sich  der  halbrunde  Ausbau  des  Salons  mit  der 
vorgelegten  Terrasse. 

Auf  Echtheit  und  Güte  des  Materials  wurde 
am  ganzen  Bau  innen  und  außen  der  größte 
Wert  gelegt.  Alles  Eisenwerk  ist  handge- 
schmiedet. Die  Steinsockel  und  Säulen  aus 
Muschelkalkstein  sind  in  der  Lagerung  des  ge- 
brochenen Gesteins  versetzt.  Der  rauhe  Wand- 
putz wurde  der  Haltbarkeit  wegen  mit  Isarkies 
abgerieben,  und  dunkelpatinierte  Ziegel  decken 
das  Dach.  —  Formen  und  Material,  hier  spricht 
der  Bauherr  und  Ingenieur,  sollten  durch  sich 
selbst  wirken,  daher  nur  einige  Bildhauer- 
arbeit an  Schlußsteinen  mit  symbolischer  Hin- 
weisung auf  den  Ingenieurberuf. 

Betreten  wir  nun  das  Haus  und  die  untere 
Diele.  Das  glatte  weiße  Tonnengewölbe  der 
Decke  mit  den  belebenden  Slichkappen,  die 
Weiße  der  Wand  steht  im  Gegensatz  zum  Dun- 
kelbraun der  Eichentüren,  zum  Marmor  von  Fuß- 


boden, Sockel  und  Umrahmung  der  Mitteltür. 
Drei  Sorten  Marmor  wurden  gewählt.  Hell- 
gelber Botticino,  der  den  Raum  beherrschende 
Kamin  und  die  Füllung.  Er  wird  von  grauem 
Napoleon  umrahmt,  der  sich  auch  in  den  Stufen 
der  Herrschaftstreppe  fortsetzt,  mit  einem 
Teppichläufer  von  Dunkelblau  und  schwarzen 
schmalen  Streifen  belegt.  Sockel  und  Tüi  Um- 
rahmung aus  bräunlichrotem  Imperialmarmor 
harmonieren  in  lebhafter  Färbung  zum  klein- 
gemusterten Perserteppich.  Silzmöbel  mit 
schwarzen  Lederbezügen  entsprechen  der  For- 
derung des  Raumes.  Nur  am  Kamin  lädt  ein 
buntfarbig  gestreifter  Samlsessel  zu  längerem 
Verweilen  ein.  Eine  große  verglaste  Tür  führt 
zur  Garderobe.  Birkenholz  in  kräftiger  Mase- 
rung hebt  sich  von  violetten  Wandfliesen  ab, 
dazu  die  Nickelmetallteile  der  Kleiderablage 
und  Wascheinrichtung  und  das  Schwarz-weiß 
des  Fliesenfußbodens,  das  alles  gibt  eine  gast- 
liche, heitere  Note  gegenüber  der  Strenge  der 
Diele.  Wer  hier  Mantel  und  Hut  abgelegt  hat, 
ihm  soll  sich  ja  erst  das  Heim  erschließen,  wäh- 
rend die  ernste  Diele  auch  zur  Abfertigung 
unerwünschter  Gäste  dient. 

Die  breiten  Flügeltüren  öffnen  sich  zum  Salon. 
Eine  Harmonie  aus  Dunkelgrün  (Bespannung 
der  Wand)  und  dem  kräftigen  Braun  von  Tuja- 
holz  umfängt  uns.  Das  Weiß  der  Decke  wird 
durch  silberne  Kanten  bereichert.  Die  vordere 
Kristallkrone  glänzt  in  zwei  Spiegeln  über  den 
eingebauten  Vitrinen  wider.  Nur  in  diesem 
Raum  sind  die  Heizkörper  durch  Perlgehänge 
verkleidet,  sonst  liegen  sie  unlerMarmorfenster- 
brettern  im  ganzen  Haus  offen.  Sie  sollen  durch 
die  Sauberkeit  ihrer  Konstruktion  das  Auge 
des  Technikers  erfreuen. 

Den  runden  Vorbau  schmücken  Portieren  aus 
gelber  Seide  mit  grünen  Rüschen,  darunter 
liegen  wie  in  allen  Räumen  kürzere  Winter- 
vorhänge. Schwarze  kleine  Sofas  mit  bunt- 
grünem Muster,  hellgrüne  Scidensessel  laden 
zu  vornehmer  Gastlichkeit  ein.  Der  Teppich 
ist  hellviolett  mit  Blumenmuster  und  einfarbiger 
Kante.  Nur  wenige  Bilder  zieren  die  Wand, 
und  ein  großer  Spiegel  hängt  über  dem  Sofa. 
Ein  Salon  soll  den  Rahmen  heiterer  Gesellig- 
keit abgeben,  die  Gesellschaft  selbst  ist  Bild 
in  ihm,  ein  Bild,  das  der  Spiegel  in  der  Klar- 
heit seines  Kristalls  widerstrahlt.  Bei  Tage,  bei 
geöffnetem  Fenster,  ist  die  Harzlandschaft  das 


XX.  Okiober  1916.  5 


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der  ein  \s.\^n^  Pavillon  zoijekehrt 

mit  herbttlicfaem  Weinlaab  atif  r-, 

Dafch  eine  zvreifläsjelige  Schiet > 

wir  da«  Wohnzimmer,  einen  Eckra ....  -.  ...    .^ 

auf  die  fcerjje  und  aaf  Harzburg.    ZwerUchea- 

holz  wurde  für  die  Möbel  gewählt,  unter  denen 

ein  großer  Schrank  und  kleiner  Gewehrschrank 

in  gleicher  Form  auffallen.  StaMblaa  mit  weiBen 


Türen  dieses  rvsusies   s 
der  Arbeit  gewidmeter 


EMANTEL  T.  SEIDL- 

GRL"XDIUSS  rCSI  HAUSG. 
BAC  HARZaCKG. 


EMAN.  VON  SEIDL    MÜNCHEN.   HAUS  G.-BAD  HARZBURG. 

»BLICK    VOM    H.\USGARTEN    ÜUM   HAUPT  -  EINGANG  DES  WOHNH.\USES« 


EMANUEl.  VON  SKIIIl 


»HAUPTFROXT  NACH  DEN  BERGEN  /U« 


PROFESSOR  EMANUEL  VON  SEIDL     MÜNCHEN.    »HAUS  G.     BAD  HARZBÜRG.  BLICK  VOM  TIEFLIEGENDEN  G.\RTEN« 


EMANUEL  V.  SEIDL.  HAUS  G.    BAD  HARZBURG. 

»NEBEN -AUSGANG  DURCH  DEN  GARTEN  ZUM  WESTRINÜ« 


Eiyi  fiaies  iMndhaus  von  Eynamiel  v.  Seidl. 


i'kMi..  1  xi.wriL  \ii\  M'iDL    munchk: 


schlossenheit,  im  Gegensatz  zu  den  Sälen,  deren 
breite  Türflügel  sich  den  Gästen  öffnen.  — 
Eichenholz  mit  Palisandereinlagen  wurde  für 
Möbel  und  Wandbekleidung  gewählt.  An  den 
Türen  bemerken  wir  am  deutlichsten,  was  alle 
Holzgegenstände  in  diesem  Haus  auszeichnet, 
die  Betonung  des  Konstruktiven  d.  h.  die  An- 
schaulichkeit ihrer  Konstruktion.  Ein  niederer 
Anbau  des  Arbeitszimmers  unterhalb  der  ge- 
schwungenen Treppe  ist  rings  mit  den  Schrän- 
ken für  die  Bibliothek  gefüllt.  Neben  dunklen 
Ledersesseln  stehen  zwei  hellgelbe,  gemildert 
in  ihrem  scharfen  Ton  durch  schwarzbestickte 
Kissen.  Leinenvorhänge  mit  schwarzer  Rüsche 
verhängen  die  breiten  Fenster,  die  AusbUck 
auf  Harzburg  gewähren. 

Über  die  graue  Marmortreppe  mit  dunklem 
Geländer  aus  polnischer  Kiefer  betreten  wir  die 
obere  Diele.  —  Sie  ist  auch  als  Konferenzraum 
für  geschäftliche  Sitzungen  gedacht,  und  des- 
halb beherrscht  sie  der  große  langgestreckte 
Eichentisch.  Eine  Matte  bedeckt  den  Parkett- 
boden. Zwei  rote  Sessel  mit  großen,  bunten 
Blumen  —  vom  gleichen  Stoff  wie  die  Fenster- 
vorhänge und  die  Bespannung  der  Glastür  — 
geben  im  Gegensatz  zu  den  gedeckten  Farben 
aller  anderen  Möbel  dem  Raum  Belebung.  — 
Die  Mitteltür,  entsprechend  der  Salontür  der 


»BLICK   ZUM    l'AVlI.I.c 


unteren  Diele,  führt  in  das  Frühstückszimmer, 
das  vom  Schlafzimmer  des  Hausherrn  und  vom 
Fremdenzimmer  durch  direkten  Zugang  erreich- 
bar ist.    Alles  ist  Helligkeit  und  Frische. 

Das  Schlafzimmer  des  Bauherrn  ist  auf  Blau 
mit  Mahagonimöbeln  gestimmt,  blaue  Wand- 
bemalung  in  Brokatmuster,  blau  die  Bezüge 
der  Polstermöbel.  Der  Fußboden  ist  in  hellem 
Violett  ausgeschlagen  und  mit  zwei  Teppichen 
in  grau  und  schwarz  mit  Blumenkränzen  be- 
deckt. Aus  einer  Alabasterschale  leuchtet 
gebrochenes  Licht,  reflektiert  von  der  weißen 
Decke.  Das  Bad  daneben  hat  dunkelblaue 
Kacheln.  —  Auf  der  anderen  Seite  stößt  an 
den  Frühstücksraum  das  Fremdenzimmer.  Weiß 
Lack  mit  Mahagonieinlagen  wurde  für  die  Holz- 
arbeiten einschließlich  der  Türen  gewählt.  Wie 
in  allen  Schlafräumen  des  Hauses  wurde  die 
Wand  bemalt.  Violett  mit  schwarzen  Streifen 
und  nach  oben  abschließender  Silberkante 
geben  gegenüber  dem  Weiß  der  Möbel  und 
Vorhänge  dem  Raum  kräftige  Betonung  durch 
Farbe.  Dazu  kommen  noch  buntgemusterte 
Kissen  und  eine  gleichartige  bezogene  Chaise- 
longue sowie  ein  hellgelberTeppich  mit  dunklem 
Rande.  Dem  anschließenden  Badezimmer  fehlt 
natürlich  nichts,  was  der  Verwöhnteste  begeh- 
ren kann.  —  Im  Dachgeschoß  befinden   sich 


XX.  Oktober  1916.  6 


Ein  neues  Landhaus  :on  Emayniel  v.  Seit//. 


EMAXUEL  VON 


noch  mehrere  Fremdenzimmer  sowie  Wohn- 
und  Schlafräume  des  Wirlschaftspersonals.  An 
den  vielfältigen  technisch-praktischen  Vorkeh- 
rungen für  den  Wirtschaf Isbetrieb,  die  zwar 
nicht  der  Schönheit  dienen,  erkennt  man  das 
überwachende  Auge  des  technisch  gebildeten 
Bauherrn.  Er  sorgte  für  Arbeit-  und  Menschen- 
ersparnis im  Betrieb,  für  Sauberkeit  und  Hand- 
lichkeit im  Maschinellen  von  Heizung,  Lüftung, 
Kühl-  und  Waschanlagen. 

Da  das  Haus  selbst  mehr  für  Erholung  und 
Gastlichkeit  bestimmt  ist  —  dem  Arbeitszimmer 
fehlt  ja  das  für  den  Ingenieur  unerläßliche, 
stehende  Reißbrett,  fehlt  die  Schreibmaschine 
des  modernen  Büros  — wurden  die  notwendigen 
Geschäftsräume  in  das  Durchfahrtsgebäude  ge- 
legt. Die  größere  Seile,  über  der  Tür  zur 
Garage,  nimmt  die  Pförtnerwohnung  ein.  Die 
schön  geschwungene  Außentreppe  führt  zum 
Privatkontor  des  Besitzers,  darunter  liegen  Re- 
gistratur, Schreibmaschinen-  und  Zeichenraum 
mit  Waschtoilette.  Das  weiträumige  Privat- 
büro wird  von  einem  großen  weißen  Kamin 
beherrscht.  Dem  mächtigen  Schreibtisch  gegen- 
über stehen  ein  Konferenztisch  mit  Sofa  und 


.TERE  DIELE« 


wuchtigen  Sesseln.  Um  dem  Raum  bei  aller 
wohnlichen  Behaglichkeit  doch  den  Charakter 
des  Geschäftsraums  zu  wahren,  hat  der  Möbel- 
bezug Ähnlichkeit  mit  der  Polsterung  unserer 
Eisenbahnwagen.  —  Von  der  vorgelagerten  Ter- 
rasse dieses  Raumes  sieht  man  auf  die  Gewächs- 
hausanlage und  auf  den  holländischen  Garten. 

Dieser  holländische  Garten  schließt  sich  an 
die  vierte  offene  Seite  des  Zierhofes  an.  Er 
soll  in  seiner  gezähmten  Natur  überleiten  vom 
künstlerischen  Bauwerk  zum  Park,  in  dem  man 
nur  noch  die  ordnende  Menschenhand  spüren 
darf.  Wohl  sind  im  großen  Naturpark  die  Baum- 
gruppen, vor  allem  mit  gewaltigen  Koniferen, 
an  Stellen  angepflanzt,  die  sich  dem  Ganzen 
der  Anlage  fügen;  doch  diese  Absichtlichkeit 
tritt  in  den  Naturobjekten  nicht  zum  klaren  Be- 
wußtsein. Erst  an  den  Brunnen  und  Fontänen, 
an  der  Wahl  ihrer  Plätze  spüren  wir  Künstler- 
hand, deren  Wirken  wie  Naturnotwendigkeit 
so  unauffällig  und  doch  folgerichtig  gewaltet  hat. 

Hinter  dem  Haus  geht  dann  der  Naturpark 
allmählich  in  den  Wald  über.  Seine  gewaltigen 
Eichen  schützen  das  Haus  vor  den  November- 
stürmen.      DR.  ROH   CORWEGU. 


PROFESSOR  EMAXUEL  v.  SEIDL     MUNIHEX. 


»UNTEKE  ÜIELE  MIT  BLICK  IX  DEN  SALON. 


DIE  AUFGABEN  DER  MALEREI. 


Der  Laie  wie  der  wildeste  Expressionist,  der 
Sammler  wie  der  Theoretiker,  alle  treten 
der  Malerei  mit  vorgefaßten  Meinungen  gegen- 
über. Und  das  Unglück  will,  daß  diese  An- 
sichten über  Wesen  und  Aufgaben  der  Malerei 
sich  schnurstracks  widersprechen.  Dabei  glaubt 
noch  ein  jeder  für  sich,  die  Aufgabe  der  Kunst 
könne  nur  eine  einzige  und  ungeteilte  sein;  wer 
ihr  diene,  könne  es  nur  in  einem  einzigen  Sinne 
tun,  sonst  sei  er  ein  Ketzer,  ein  Verräter  am  hei- 
ligen Geist  der  Kunst.  Nirgends  steht  die  Ver- 
folgung Andersgläubiger  so  sehr  im  Schwünge, 
wie  auf  künstlerischem  Gebiete. 

Der  Glaube  an  die  eine,  unteilbare  Kunst 
ist  nichts,  als  ein  verhängnisvoller  Irrtum.  Der 
Laie,  der  eine  romantische  Landschaft  will,  der 
Expressionist,  dem  es  auf  verstiegene  Flächen- 
konstruktionen ankommt,  sie  haben  beide  recht. 
Es  gibt  mehr  als  nur  eine  Sorte  künstlerisch 
berechtigter  Malerei,  es  gibt  deren  mindestens 
ein  Dutzend.  Wer  soll  den  späteren  Geschlech- 
tern erzählen,  wie  das  schöne  deutsche  Land 


der  Gegenwart  aussah,  wenn  nicht  eben  unsere 
Malerei?  Doch  nicht  minder  wichtig  ist  es,  dar- 
zustellen, wie  das  Weltbild  von  den  Menschen 
der  Gegenwart  aufgefaßt  wurde,  wie  sich 
unsere  Ideen,  Leidenschaften,  Sehnsüchte  im 
Bild  der  Dinge  spiegelten.  Wer  soll  der  Nach- 
welt berichten,  wie  dieser  Krieg,  ein  geschicht- 
liches Ereignis  größten  Formats,  war  und  wie 
wir  ihn  sahen,  wenn  nicht  der  Maler?  Daß 
unsere  Kriegsbilder  so  sehr  ungenügend  sind, 
das  rührt  eben  daher,  daß  die  historische,  die 
berichterstattende  Malerei  in  Acht  und  Bann 
getan  worden  war,  daß  darum  niemand  sich 
für  solche  Aufgaben  vorbereitet  hatte.  Wer 
kann  heute  so  schlagfertig  skizzieren  wie  Hoku- 
shai?  Die  Tyrannei  der  problematischen  Male- 
rei, jenes  Zweiges  der  Ausstellungsmalerei,  der 
die  modischen  Probleme  bearbeitet,  muß  ge- 
brochen werden.  Ihre  Verdienste  um  die  Auf- 
findung neuer  Darstellungsweisen  und  neuer 
Kunstwirkungen  sollen  durchaus  nicht  verkannt 
werden.    Aber  das  Experiment  darf  nicht  allein 


61 


PROFESSOR  EMANUEL  von  SEIDL-MÜNXHEN. 

.AUS   DEM  SPEISEZIMMER  DES  HAUSES  G.   IN  HARZBURG c 


PROFESSOR  EMANUEL  von  SEIDL    MÜNCHEN. 

»Hl-ICK  IN  EINES  DKR  SCHLAK/.IMMICR«  HAUS  C-HARZBURG. 


Die  Aufsahen  der  Malerei. 


EMANUEL  VON  SEIUL     MUNCHt-N 


herrschen  wollen.  Wo  kämen  wir  hin,  wenn 
jedes  Haus  ein  architektonisches  Experiment 
wäre?  Auch  jene  Künstler  sind  achtenswert, 
die  dauernderen  Aufgaben  sich  widmen,  selbst 
wenn  sie  mit  bekannten  Mitteln  arbeiten.  Wa- 
rum sollen  wir  für  unsere  Wohnräume  des 
„schönen"  Bildes  im  satten  Ton  entbehren, 
den  es  als  Schmuck  braucht,  wenn  die  Herren 
Experimentatoren  gerade  bei  den  grellen  Far- 
ben sind?  Leider  hat  die  bisherige  Allein- 
achtung der  experimentellen  Malerei  die  Folge 
gehabt,  daß  alle  Talente  mit  einiger  Begabung 
und  einigem  Ehrgeiz  sich  ihr  zuwenden  mußten, 
wenn  sie  sich  nicht  selbst  als  Künstler  minderen 
Ranges  vorkommenwollten.  So  gingen  vieledem 
eigentlichen  Gebiet  ihrer  Begabung  verloren,  wo 
sie  vielleicht  bitter  entbehrt  wurden.  Trotz  Meier- 
Gräfe  darf  gesagt  werden,  daß,  hätte  Böcklin 
nicht  gelebt,  ein  bedeutendes  Manko  in  unserm 
Schönheitsschatz  bestünde.  Es  gibt  eine  Poesie 
im  Bild  ebenso  gut  wie  im  Wort,  auf  der  Bühne 
wie  in  der  Musik.  Für  Gemälde  mit  tiefpoe- 
tischem Gehalt,  in  einer  Darstellung,  die  des  In- 
haltes würdig  ist,  können  wir  nur  dankbar  sein. 
Vor  kurzer  Zeit  noch  hieß  es,  die  Malerei 
soll  keine  Gedanken  ausdrücken.  Heute  be- 
mühen sich  die  Problematiker  gerade  darum. 
Wann  wird  man  endlich  einsehen,  daß  nur  eines 


HAUS  G.    »FRUHSTUCKS-/.lMMLk« 

Unsinn  und  Ketzerei  ist,  nämlich,  die  Aufgabe 
der  Kunst  auf  eine  einzige  Formel  bringen  zu 
wollen?  Verübeln  wir  es  dem  Naturfreund 
nicht,  wenn  er  an  einem  stimmungsvoll  gemal- 
ten Sonnenuntergang  seine  Freude  hat!  Wer 
dasTalent  dazu  besitzt,  möge  Geschichte  malen, 
ein  anderer  abstrakte  „Begegnungen  von  Rot 
und  Blau",  der  eine  Zierlichkeiten  der  Natur, 
ein  anderer  menschliche  Schönheit!  Die  Brech- 
ungen des  Lichtes  wollen  ebenso  im  Bilde  ein- 
gefangen sein,  wie  das  Mienenspiel  eines  Cha- 
rakterkopfes. Es  sei  aber  auch  nicht  verwehrt, 
kühnste  lineare  Konstruktionen  zu  bringen,  oder 
phantastische  Traumgesichte.  Wer  es  vermag, 
Gedanken  malerischen  Ausdruck  zu  geben,  er 
soll  nicht  behindert,  nicht  belächelt  sein.  Auch 
die  Bildnismalerei  sollte  niemals  als  minder- 
wertig erscheinen.  Wer  Bildnisse  malen  kann 
in  der  Qualität  eines  Holbein  oder  Marees  oder 
Lenbach,  er  ist  immer  modern,  niemand  darf 
ihm  die  künstlerische  Ehre  bestreiten.  Zunächst 
also  wollen  wir  in  der  Malerei  vor  allem  gegen 
die  Unduldsamkeit  ankämpfen,  sie  ist  daran 
schuld,  wenn  die  Talente  ihre  eigensten  Schaf- 
fensgebiete nicht  finden  und  wenn  die  Stile 
heillos  verwirrt  werden,  sodaß  Historien  im- 
pressionistisch und  Porträts  mit  den  Mitteln  des 
Futurismus  dargestellt  werden,  anton  jaumann. 


NACH  EINEK 
I  BILDNISAUF- 
NAHME VON 
t.E.  SMITH. 


Am  22.  August  hat  Professor  Emanuel  v.  Seidl 
.  seinen  60.  Geburtstag  gefeiert.  Der  Name 
der  Seidl  bedarf  keiner  Verkündigung  mehr. 
Was  wichtiger  ist :  daß  der  Ruhm  dieses  Namens, 
so  fest  er  gegründet  ist,  keinerlei  Erstarrung 
zudeckt,  daß  ihm  kein  Hauch  von  Akademizis- 
mus,  keine  im  Lokalen  eng  gewordene  Perso- 
naltradition anhaftet.  Um  die  acht  Jahre,  die 
Emanuel  v.  Seidl  jünger  ist  als  sein  verstorbe- 
ner, als  Pionier  zunächst  berühmterer  Bruder, 
ist  auch  sein  Werk  jünger,  in  der  erstaunlichen 
Elastizität,  wie  er,  der  Meister  eines  dekora- 


tiven Repräsentationsstils,  die  Entwicklung 
des  modernen  Landhausstiles  schöpferisch  mit- 
gemacht hat,  ohne  je  zu  anglisieren,  wie  er  die 
Materialwirkungen  immer  intimer  belauscht  hat, 
ohne  je  prätentiös  zu  werden.  —  Die  Geburts- 
tagsfeier auf  seinem  Murnauer  Landsitz  bewies 
dem  Künstler,  wievieler  Sympathien  er  genießt. 
Julius  Diez  hatte  einen  Glückwunschrahmen 
gezeichnet,  und  Prof.  Bradl  ehrte  den  Mann, 
der  „als  Mensch  und  Künstler  gleich  liebens- 
wert, nicht  nur  Häuser  zu  bauen,  sondern  auch 
Freundschaften  zu  gründen  verstehe".         k.  m. 


74 


KARL  SCHENKER-BERLIN.  .BILDNIS-PHOTOGRAPHIE. 


zu  DEN  BILDNIS-PHOTOGRAPHIEN  VON  KARL  SCHENKER. 


Wer  jemals  Schenke  r  '  sehe  Photogra- 
phien gesehen  hat,  wird  sich  an  den  ge- 
linden Ruck  erinnern,  der  ihn  bei  ihrem  An- 
blick durchfuhr:  er  merkte  nämlich,  daß  hier 
der  egalisierenden  Platte  eines  Apparates  Wir- 
kungen entlockt  worden  sind,  wie  man  sie  sonst 
nur  von  Kunstblättern,  Radierungen,  Bildern 
zu  erwarten  pflegt.  In  derTat  sind  diese  tonigen, 
oft  schummerigen  Bilder  keine  Photos  im  land- 
läufigen Sinne,  sondern  sie  wollen  allen  Ernstes 
als  Kunstäußerungen  gewertet  werden,  selbst- 
bewußt geben  sie  sich  als  solche.  Schenker 
geht  darin  Problemen  nach,  die  eigentlich  der 
bildenden  Kunst  vorbehalten  sind,  er  hat  den 
Ehrgeiz,  es  mit  Porträtmalern  aufzunehmen, 
drum  wird  es  wohl  nicht  unangebracht  sein, 
sich  über  die  Eigenschaften  seiner  Bildnisauf- 
nahmen klar  zu  werden,  um  festzustellen,  wo- 
rin diese  Merkmale  eigentlich  zutage  treten. 

Das  hervorstechendste  Charakteristikum 
seiner  Bilder  ist  eine  ausgesprochen  dekora- 
tive Haltung,  ein  bewußtes  Arbeiten  mit 
dunkeln  und  hellen  Tönen,  deren  Begrenzungs- 
linien ein  eigenartiger  Reiz  innewohnt.  Er  setzt 
die  großen,  breit  ausladenden  Flächen  mit 
scharfem  Abwägen  ihrer  Valeurs  gegeneinander 
ab,  nicht  wie  man  es  bei  Photographen  zu 
sehen  gewohnt  ist,  sondern  eben  wie  ein  Maler, 
der  Zusammenhängendes  zusammenzieht  und 
in  ein  Zufallsgemisch  Struktur  hineinsieht  — 
und  bringt.  Man  hat  sehr  oft,  namentlich  bei 
seinen  Kleidern,  den  Eindruck,  daß  sie  gemalt 
sind,  so  bestimmt  werden  zusammengehörige 
Partien  herausgeholt  und  behandelt. 

Ein  Zweites  ist  seine  entschiedene  Vorliebe 
für  die  Linie,  eine  Leidenschaft  für  den  Duktus 
eines  Kinns,  eines  Augenlides,  einer  Frauen- 
hand. Es  ist  schon  sein  persönlichstes  Geheim- 
nis, wie  er  der  —  für  uns  Laien  —  gefühllosen 
Platte  einen  Linienzug  entlockt,  der  ja  bekannt- 
lich nicht  da  ist,  und  nur  eine  Abkürzung  un- 
seres „denkenden"  Auges  darstellt.  Tatsache 
aber  ist,  daß  eben  jene  Teile  des  Gesichtes, 
die  zur  linearen  Auffassung  direkt  herausfor- 
dern, jene  Züge,  auf  die  von  Holbein  bis  auf 
Lenbach  alle  berühmten  Porträtisten  ihre  Haupt- 
wirkungen setzten,  daß  Schenker  sie  mit  einer 
empfindsamen  Bestimmtheit  betont  und  auf 
ihnen  seine  Bilder  aufbaut. 

Ein  Letztes,  das  schon  nicht  unbedingt  ein 
Reservat   eines    bildenden   Künstlers   zu   sein 


pflegt,  ist  seine  geistige  Differenziertheit,  das, 
was  zumeist  mit  dem  Wort:  Psychologie  be- 
zeichnet wird .  Schenker  hat  ein  sehr  feines  Auge 
für  jene  vom  Normaltypus  eines  Gesichtes  kaum 
wahrnehmbaren  Abweichungen,  die  ihm  eine 
bestimmt  unterstrichene  Note  verleihen.  Es  ist 
oft  ein  unmerkliches  Anziehen  einer  Augen- 
braue, ein  leises  Zucken  um  die  Oberlippe 
herum,  ein  Gleiten  über  die  Fingerspitzen  hin- 
weg, das  seine  Bilder  so  verführerisch  gestal- 
tet. Ein  Absetzen  eines  Fingers,  ein  Lüften 
der  Mundwinkel  können  Entscheidendes  über 
einen  Menschen  mitteilen.  Nach  all  dem  ist 
es  klar,  daß  Schenker  seine  Modelle  mit  der 
Souveränität  eines  Malers  behandelt,  der  es 
bei  seinen  Bildnissen  auf  Eigenschaften  anlegt, 
die  ihm  charakteristisch  erscheinen,  daß  er  sie 
nach  seinem  Gutdünken  formt  und  gestaltet. 
Man  könnte  fast  sagen,  daß  er  seine  bestimm- 
ten Schönheitstypen  hat,  denen  er  seine  Köpfe 
irgendwie  annähert,  wie  dies  übrigens  in  vielen 
Fällen  aus  der  Kunstgeschichte  bekannt  ist. 
Diese  Typen  bewegen  sich  indessen  immer  in 
einer  Welt  von  guterzogenen,  gutgekleideten 
und  gepflegten  Menschen.  Er  ist  der  geborene 
Bildner  eleganter  Gestalten,  vor  allem  vor- 
nehmer Frauen,  deren  Körperkultur  ihrer  gei- 
stigen Verfeinerung  keinen  Eintrag  tut.  Mit  der 
Leidenschaft  für  das  großstädtisch  Mondäne, 
für  die  Schilderung  kaum  ausgesprochener  Nei- 
gungen, rasch  entflammter  —  und  rasch  ver- 
gehender —  Wünsche  ist  Schenker  der  typische 
Photograph  einer  modernen  Großstadt,  der  von 
derem  geistigen  Antlitz  so  wenig  wegzudenken 
ist,  wie  andere  Kunstgepflogenheiten. 

Keiner  vermag  wie  er  ein  schönes  Kleid  zur 
Geltung  zu  bringen,  bei  ihm  erst  —  möchte 
man  sagen  —  verlohnt  es  sich,  schön  angezogen 
zu  sein,  weil  er  jedem  schönen  Einfall,  jeder 
feinen  Linie  gerecht  wird,  sie  betont  und  unter- 
streicht. Feine  Handbewegungen,  verführe- 
rische Blicke,  vorteilhafte  Halbschatten  im  Ge- 
sicht, das  ist  so  recht  das  Gebiet  Schenkers,  auf 
dem  er  seine  Bildniskunst  voll  entfalten  kann, 
und  auf  dem  er  kaum  Rivalen  besitzt.   u;naz  betm. 

Ä 

Ein  neues  Leben  aber  kann  nur  aus  der  Tiefe  einer 
neuen  Liebe  hervorgehen,  und  das  Vortreffliche 
in  der  Kunst  läßt  sich  nidit  so  aus  verschiedenartigen 
Ingredienzien  zusammense^en  und  bereiten,  wie  ein 
Heiitrank  in  der  Medizin Fricdridi  Sdilegel. 


XX.  Oktober  IQlö.  7 


KARL  SCHENKER- BERLIN.  .BILDNIS-PHOTOGRAPHIE. 


KARL  SCHZXKER-BEKLIX.  »BILDNIS-PHOTOGRAPHIE. 


KARX  SCHEXKER.  .BILDNIS-PHOTOGRAPHIE  HENNY  PORTEX. 


GEGEN  DIE  MASSLOSE  REKLAME. 


Zwei  deutsche  Herren,  aus  Berlin  der  eine, 
unterhalten  sich  in  einem  Schweizer  Kur- 
ort über  den  Krieg.  „Was  wird  der  Unterschied 
zwischen  der  Zeit  vor  dem  Kriege  und  nach 
ihm  sein?"  „Sehr  einfach,"  meint  der  Berliner, 
„vor  dem  Kriege  ham  wa  von  achte  bis  siebene 
jearbeetet,  nach  dem  Krieg  wern  wa  von  sie- 
bene bis  achte  arbeeten."  So  Stands  in  einer 
großen  deutschen  Zeitung,  der  es  viele  deutsche 
und  auch  ausländische  nachdruckten.  Ich  wurde 
dabei  an  ein  Wort  eines  ehemaligen  Studien- 
genossen erinnert,  der  es  inzwischen  bis  zum 
Attache  einer  uns  heute  feindlichen  Macht  ge- 
bracht hat.  „Mit  vielen  Titeln,  aber  wenig  Mit- 
teln", wie  er  mir  noch  kurz  vor  dem  Ausbruch 
des  Krieges  aus  Belgrad  schrieb.  Er  liebte 
Deutschland  fast  mehr  als  seine  Heimat.  Auf 
einer  Fahrt  durch  das  westfälische  Kohlenrevier 
meinte  er  traurig :  „Wie  schön  war  auch  einst 
dieses  deutsche  Herzogtum  mit  seinen  großen 
Höfen  und  seiner  stillen  Kleinindustrie."  Ich 
versuchte  philosophisch  diese  äußere  Wandlung 
mit  den  Gesetzen  des  Fortschrittes  der  mensch- 
lichen Gesellschaft  und  des  in  der  Arbeit 
ruhenden  Segens  zu  verteidigen.  „Ja,"  meinte 
er  bitter,  „Ihr  Deutschen  werdet  noch  solange 
arbeiten,  bis  alle  anderen  über  Euch  wie  über 
den  Streber  in  der  Schulklasse  herfallen  wer- 
den." Das  war  im  Sommer  des  Jahres  1906. 
Ich  hatte  bald  das  Wort  vergessen.  Jetzt  wer- 
den manche,  die  gewiß  nicht  zu  den  schlech- 
testen Patrioten  gehören,  angesichts  der  uns 
umgebenden  Kette  von  Haß  und  Mißgunst  mit 
ähnlicher  Erkenntnis  auf  unsere  Art,  zu  arbei- 
ten, geblickt  haben.  Man  braucht  nur  durch 
die  Straßen  unserer  großen,  ja  auch  kleineren 
und  kleinsten  Städte  zu  gehen,  man  mag  zum 
Eisenbahnfenster  hinausschauen  —  überall 
drängt  sich  das  Arbeitsangebot  in  aufdringlicher, 
quälender  Form  in  Tausenden  von  Aufschriften, 
Reklamen  jeder  Art  entgegen.  Firmen  mit 
wenigen  Ladenfenstern  schreien  uns  zwanzig- 
bis  dreißigmal  ihren  Namen  entgegen,  der  klein- 
ste Budiker  bekommt  zwei  bis  drei  Riesen- 
schilder seiner  Brauerei  ans  Haus  fest  ver- 
schraubt, über  Säulen,  Balkone,  übers  Dach, 
selbst  in  die  Nacht  hinein,  klettern  die  Reklame- 
aufschriften, vor  jedem  Kino,  je  kleiner  es  ist, 
desto  größer  drängen  sich  die  Plakattafeln  mit 
den  schauerlichsten  Hintertreppen  -  Darstel- 
lungen, an  die  Ladenwände,  bis  an  die  Vor- 
gartengitter krallen  sich  die  bunten  Emaille- 
schilder der  großen  Konsumfabriken  (Schoko- 


lade, Seife,  Zigaretten,  Suppenwürzen,  Wasch- 
mittel usw.).  Schon  nach  einer  halbstündigen 
Großstadtwanderung  ist  das  Auge  wie  betäubt. 
Die  Industrie  arbeitet  mehr  und  mehr  nach  dem 
Rezepte  des  vor  kurzem  gestorbenen  Odol- 
Lingners  ;  Die  Reklame  muß  derartig  ein  Schlag- 
wort in  das  Gehirn  des  Publikums  hineinhäm- 
mern, daß  es  wie  unter  einer  Suggestion  nur 
noch  auf  diesen  einen  Artikel  sich  besinnen 
kann.  Hat  aber  wirklich  die  Allgemeinheit  an 
den  Fabrikaten  eines  Herrn  ein  solches  Inter- 
esse, daß  es  von  ihnen  bis  zum  letzten  Trunk 
vorm  Schlafengehen  im  Hotel  aus  dem  „Odol- 
glase"  Kenntnis  nehmen  muß  ?  Gehört  nicht  die 
Stadt  mit  ihren  Straßen  der  Allgemeinheit,  in 
denen  leider  schon  der  größte  Teil  unseres 
Volkes  sein  Leben  hinbringen  muß!  Versuchte 
bisher  der  Heimatsschutz,  der  Kunstfreund  auch 
nur  die  schlimmsten  Auswüchse  zu  beschneiden, 
so  durften  sie  mit  Gewißheit  die  lächelnd  vor- 
getragene Antwort  hören:  „Ihre  Bestrebungen 
sind  sicher  schön  und  gut.  Aber  im  Geschäft 
entscheidet  nur  der  Erfolg.  Und  vom  Geschäft 
verstehen  Sie  nichts."  Deutschland  hat  un- 
zweifelhaft auf  diesem  Wege  äußerlich  glän- 
zende Erfolge  gehabt,  hat  prozentual  Frank- 
reich, England,  ja  Amerika  überholt.  Aber 
stehen  die  unendlichen  Opfer  dieses  Krieges, 
dessen  eine  Wurzel  in  der  gewalligen  Konkur- 
renz Deutschlands  zu  suchen  ist,  in  einem  Ver- 
hältnis zu  diesem  Erfolge? 

Wir  haben  während  dieses  Krieges  gründlich 
umdenken  gelernt.  Eingriffe  in  das  persönliche 
Recht  zu  Gunsten  der  Allgemeinheit  sind  selbst- 
verständlich geworden,  werden  sogar  von  allen 
Bevölkerungsschichten  gefordert,  um  den  früher 
fast  künstlich  großgezüchteten  Egoismus  des 
Einzelnen  auszuschalten.  So  erscheint  die  Zeit 
besonders  günstig,  alle  Kunstfreunde  gegen  die 
Auswüchse  und  Unarten  der  Reklame  zum 
Kampfe  aufzurufen.  Der  neue  Polizeipräsident 
von  Berlin,  Herr  v.  Oppen,  begann  seine  Tätig- 
keit mit  dem  Verbot  der  Kinoplakate.  Sofort 
ereignete  sich  ein  Wunder,  das  früher  kein 
Kunstfreund  nach  endlosen  vergeblichen  Be- 
mühungen mehr  für  möglich  gehalten  hätte : 
dieselben  Herren  Kinobesitzer  wandten  sich  an 
Herrn  v.  Oppen  um  Gewährung  künstlerisch 
und  bescheiden  gehaltener  Plakate,  die  früher 
brüsk  jede  Anregung  nach  dieser  Richtung  hin 
abgewiesen  hatten.  Zu  den  Kunstfreunden 
geselle  sich  der  Hygieniker :  Unsere  Nerven 
sind  in  den  letzten  Jahren   nicht    besser  ge- 


Gegen  die  maßlose  Reklame. 


84 


worden.  Sie  verlangen  Stille  und  Sammlung. 
Wir  wollen  unsere  Städte,  groß  und  klein,  in 
ruhiger  Geschäftigkeit  sehen,  die  durchaus  keine 
Grabesruhe  bedeutet.  Sicher  wird  ein  Kind, 
ja  der  Mensch  aller  Lebensjahre,  gesunder  in 
einer  vornehm  gehaltenen  Stadt  sich  entwickeln 
als  in  der,  des  das  bussines  letzte  Weisheit  ist. 
Den  Schlußstein  aber  setze  der  Ethiker  in  den 
Bogen;  Wir  wollen  keine  Stadt,  in  der  der 
Egoismus  sich  schamlos  spreizt,  wo  dem  der 
höchste  Gewinn  winkt,  der  am  lautesten  schreit. 

Such  Er  den  redlichen  Gewinn ! 
Sei  Er  kein  schellenlauter  Tori 
Es  trägt  Verstand  und  rechter  Sinn 
Mit  wenig  Kunst  sich  selber  vor. 

Und  unsere  ganz  großen  Kaufleute  wie  Tietz, 
Wertheim,  Wronker,  Feinhals,  Bahlsen,  Kaffee 
Hag  werden  dem  Zweifelnden  sagen  können, 
daß  sie  bei  ihrer  umfassenden  aber  zurückhal- 
tenden, künstlerisch  geleiteten  Reklame  durch- 
aus auf  ihre  Kosten  kommen. 

Keineswegs  soll  es  sich  um  eine  völlige 
Ausschaltung  der  Reklame  handeln.  Doch 
müssen  in  Zukunft  der  Allgemeinheit  Mittel  zur 
Zurückweisung  unnötiger  geschmack-  und  maß- 
loser Reklame  zur  Verfügung  stehen.  Eine  be- 
rufene Stelle  ihrer  Anwendung  gibt  es  leider 
noch  nicht,  Wohl  werden  Polizeipräsidien  grö- 
ßerer Städte  über  genügend  gebildete  Kräfte 
verfügen,  um  die  Reklame  in  künstlerischen 
und  ethischen  Grenzen  zu  halten.  In  solchen 
Städten    dürften   sich   auch   unschwer   Berater 


finden,  die  ehrenamtlich  und  unparteiisch  der 
Polizei  zur  Seite  träten.  Wesentlich  schwieriger 
liegt  der  Fall  in  kleineren  Orten,  deren  von  den 
Altvordereu  überkommene,  uns  jetzt  doppelt 
liebe  Schönheit  vor  allem  durch  die  Großbe- 
triebs-Reklame bedroht  wird,  die  ohne  Rück- 
sicht auf  den  späteren  Anbringungsort  nach 
einem  Schema  in  Massen  hergestellt  und  fertig 
versandt  wird.  Hier  wäre  den  Provinzial- 
und  Landeskonservatorien  die  Möglichkeit  des 
Einschreitens  zu  übertragen.  Ihren  bewährten 
Vertrauensmännern,  die  besonders  in  derRhein- 
provinz  mustergültig  mit  dem  Provinzialkonser- 
vator  zusammenarbeiten,  wären  zweckdienlich 
alle  Reklamen  vor  der  Anbringung  zur  Be- 
ratung vorzulegen.  Nur  in  letzter  Stelle  hätte 
der  Provinzialkonservator  einzuschreiten. 

Doch  ist  zu  hoffen,  daß  diese  „polizeiliche" 
Aufsicht  nur  von  kurzer  Dauer  sein  wird,  da 
sich  in  unserer  jüngeren  Generation  derartige 
kulturelle  Bestrebungen  mehr  und  mehr  durch- 
setzen. Nur  sollte  verhindert  werden,  daß  der 
künstlerisch  verantwortungsvolle  Geschäfts- 
mann durch  die  rohere  Geschäftsgebahrung 
seiner  Konkurrenz  geschädigt  und  gar  —  wider 
sein  besseres  Gefühl  —  zum  Mittun  gezwungen 
wird.  Wie  heute  jeder  Kaufmann  die  Sonntags- 
ruhe, deren  Einführung  zunächst  schwereKämpfe 
kostete,  als  einen  Segen  empfindet,  so  wird 
er  auch  später  denen  Dank  wissen,  die  ihn  und 
seine  Mitbürger  von  der  heutigen  Reklame- 
seuche befreiten,    dr.  fried  Lübbecke    Frankfurt. 


h\lll.   l'Dl  1M;K- HhKI  l.\.       1  ihKI'l.AMiIvhXv    IX  IWRRIGER  KER.\MIK  .NUSGEFrilRT. 


.SPITZEN-UMHAXG<  IM  BESITZ  DER  FÜRSTIN  ZU  SOLMS-BARUTH. 
AUSSTELLUNG  »AUS  VERGANGENER  ZElTt  IM  HOHENZOLLERN-KUNSTGEWKRBEHAUS. 


KRÖXUNGSFACHER  DER  KAISERIN  AUGUSTA. 


IM  BESITZ  IHRER  MAJESTÄT  DER  KAISERIN. 


STICKEREIEN  UND  SPITZEN  AUS  VERGANGENER  ZEIT. 


Die  „Ausstellung  aus  vergangener  Zeit"  im 
Hohenzollern-Kunstgewerbehaus  —  Fried- 
mann  &  Weber  —  wurde  von  Damen  des  Deut- 
schen Lyceum-Klubs  in  Berlin  zum  Besten  der 
Cecilienhilfe  veranstaltet.  Man  wollte  die  feinen 
Kleinkünste  aus  früheren  Tagen,  die  Heimaus- 
staltung,  Tracht  und  Hausgerät  der  Vorfahren 
durch  ihre  Reize  verschönerten,  einmal  vor 
Augen  führen.  In  trüben,  schönheitsfremden 
Tagen  sollten  die  gedrückten  Lebensenergien 
durch  Darbietungen  schöner  Dinge  belebt  wer- 
den. Es  war  dem  Komitee  bekannt,  daß  eine 
Fülle  köstlicher  Güter  in  Privatbesitz  verborgen 
war,  und  daß  das  deutsche  Kunstgewerbe  durch 
dieses  Wiederauferstehungsfest  reiche  Anre- 
gungen empfangen  müsse.  Tatsächlich  stand 
auch  plötzlich  ein  ganz  entzückendes  Tischlein- 
deck-dich  für  die  Feinschmecker  angewandter 
Künste  bereit.  Ein  gründliches  Studium  der 
Stickereien  und  Spitzen  war  damit  ermöglicht, 
denn  die  Ausstellerinnen  hatten  von  ihrem 
Besten  geboten.  An  diesen  Arbeiten,  die  trotz 
oft  sehr  hohen  Alters  meist  in  Jugendfrische 
prangten,  war  der  Beweis  geliefert,  daß  die 
Texlilkünste  des  höchsten  Einsatzes  an  Fleiß, 
Geschmack  und  Erfindungssinn  wert  sind.  — 
Die  Spitzenabteilung  der  Ausstellung  bot  viel 


Sehenswertes.  Die  Kaiserin  ließ  eine  Nadel- 
leistung von  besonderem  historischen  Wert, 
den  ICrönungsfächer  der  Kaiserin  Augusta,  be- 
wundern. Feinste  Brüsseler  point  d'aiguille- 
Arbeit  auf  juwelengeschmücktem  Perlmutter- 
gestell. Innerhalb  zartester  petits  pois-Füllun- 
gen,  schwingender  Blumenhalbkränze  und  Lor- 
beerzweige prangten  auf  hauchfeinem  Netzgrund 
das  vereinigte  Preußische  und  Sachsen-Meinin- 
gensche  Wappen,  Preußische  Adler  und  das 
gekrönte  Monogramm  der  „Augusta -Regina". 
Weißstickereien,  diese  nahen  Verwandten 
der  Spitzen,  waren  in  auserlesenen  Beispielen, 
vor  allem  aus  Biedermeiertagen,  zu  sehen. 
Als  unvergleichliche  Nadelleistung  fesselte  das 
Taschentuch  der  Fürstin  Thurn  und  Taxis.  Seine 
breite  Bordüre  ist  aus  dem  feinen  Battistleinen 
in  Stickerei-  und  Durchbrucharbeit  herausge- 
arbeitet, ein  Wunderwerk  des  Geschmacks  und 
Fleißes.  Ein  gefügig  gleitendes  Regence-Orna- 
ment  mischt  sich  reizend  mit  Blütentuffs,  und  das 
Geschlinge  zierlich  gefüllter  Durchbrechungen 
betont  den  Flachrelief- Charakter.  Eine  Rand- 
bordüre in  hauchiger  Valenciennes-Spitze  gibt 
den  würdigen  Abschluß.  Verzeihlich  wäre  es 
gewesen,  unter  all  diesen  technischen  Höchst- 
leistungen einige  Weißstickereien  zu  übersehen. 


XX    Oktober  1916-  8 


Stickereim  und  Spitze7i  aus  vergangener  Zeit. 


TER  .sPIT/EX-UMHANGi 


die  sich  bei  näherer  Betrachtung  als  echte  Kunst- 
werke erwiesen.  Liegt  doch  der  Reiz  dieser 
Arbeiten  gerade  in  der  Bescheidenheit  ihres 
Wesens.  Wie  verstand  man  es  zu  GroOmutter- 
zeiten,  feine  Wäsche  zu  schmücken!  Das 
Taschentuch  der  Frau  Tunzelmann  von  Adlers- 
flug ist  ein  Beispiel.  Kein  landläufiges  Mono- 
gramm tritt  hier  auf;  eine  Art  Wäsche-Exlibris 


IM  BESITZ  DER  FÜRSTIN  THÜRN  UXI)  TAXIS 


in  Gestners  Idyllenstil,  gleichsam  ein  Symbol 
weiß  in  weiß,  in  haarfeiner  Leinenfadenarbeit  ist 
dafür  geboten.  —  Anregungen  für  das  Kunstge- 
werbe von  heute  gab  es  überall  in  dieser  Aus- 
stellung aus  vergangener  Zeit.  Es  ist  gut,  daß 
Freunde  des  Schönen  besorgt  bleiben,  daß  sie 
nicht  nur  dahinschwinden  wie  die  Traumgebilde 
im  Hochzeitszuge  des  Grafen.  —     jarno  Jessen. 


s  s 


äg 


1' AUL  seil 


KURICH.UKXLIN.  MODELL  EINER  KLEINPLASTIK  .DAPHNE.  RECHTE  SEITE. 


PAUL  SCHEURICH.  TEIL-ANSICHTEN  DER  KLEINPLASTIK  >DAPHNE. 


PAUL  SCHEURICH.  MODELL  EINER  KLEIN-PLASTIK  .DAPHNE.  LINKE  SEITE. 


XX.  Oktober  1916.  9 


I 


1 


MODELLIERT  VON'  PROFESSOR  MICHAEL  POWOLXV    WIEN. 


MODELLE  FÜR  GARTENPLASTIK  IN  KERAMIK  »VIER  JAHRESZEITEN. 


.MITTELTEIL  EINES  WANDSCHIRMS  IN  GOBELIN-STICKEREI«  IM  BESITZ  DER  GRÄFIN  PERPONCHER. 


»TEIL  EINER  ALTEN  TULI^PnV,E<- 


HES;  F.M.G.  STUCKENSCHMIDT. 


ERLÖSUNG  DER  ZWECKFORM. 


Zweckform  ist  nichts  weiter  als  erstarrte 
Pflichterfüllung.  Ein  Strammstehen  in  der 
Haltung,  wie  sie  von  der  jeweiligen  Aufgabe 
gefordert,  befohlen  wird.  Jeglicher  Nutzgegen- 
stand ist  in  diesem  Sinn  ein  „stummer  Diener", 
stets  bereit,  dem  Wink  seines  menschlichen 
Herrn  zu  gehorchen.  —  Das  könnte  unter  Um- 
ständen ein  Grund  sein,  den  Anblick  der  reinen 
Zweckgeräte  uns  verhaßt  zu  machen.  Denn  wer 
von  uns  ethisch  gestimmten  Mitteleuropäern 
möchte  gern  sklavische  Gesinnung  um  sich 
sehen?  Alle  übermäßige  Liebedienerei  und 
geflissentUches  Speichellecken  wecken  in  uns 
nur  Ekel.  Mit  unserer  Auffassung  der  sozialen 
Ordnung,  aber  auch  der  Pflicht  verträgt  sich 
das  nicht.  Wenn  die  Pflicht  nur  ein  fremdes 
Gebot  wäre,  dem  wir  uns  einfach  zu  fügen 
haben,  sie  wäre  uns  nichts  anders,  als  ein 
peinlicher  Zwang,  eine  verabscheuungswürdige 
Sklaverei.  Aber  der  deutschen  Auffassung  der 
Pflicht  entspricht  das  ganz  und  gar  nicht.  Erst 
wo  der  Wille  frei  sich  der  sitthchen  Forderung 
fügt,  sind  wir  berechtigt,  den  schönen,  urdeut- 
schen Ausdruck  Pflicht  zu  gebrauchen.  Und 
wenn  das  Gerät  seine  Form  allein  vom  rohen 
Gebrauch  diktiert,  aufgezwungen  erhält,  ist  es 
nichts  weiter  als  ein  Sklave,  bar  jedes  eigenen 
Willens,  jeder  eigenen  Wesenheit.    Seine  Er- 


lösung erfolgt  erst  dadurch,  daß  sich  der  Herr 
zu  ihm  herabneigt  und  es  als  seinesgleichen 
anerkennt.  „Auch  du  tust  nur  deine  Pflicht, 
spricht  er  zum  Gerät,  und  der  Adel  der  Pflicht 
hebt  dein  und  mein  Tun  auf  die  gleiche  Höhe. 
Edles  Material  soll  dir  dann  zu  deiner  Arbeit 
gegeben  werden,  einer  tüchtigen  Ausführung 
bist  du  wert.  Ich  weiß,  du  wirst  es  danken, 
indem  auch  du  ein  treuer,  fleißiger  und  aus- 
dauernder Diener,  nein  Helfer  bist.  Und  deine 
Formen  sollen  frei  sein,  sie  sollen  harmonisch 
aus  einem  inneren  Wollen  erwachsen.  Frei  und 
edel  bist  du,  mein  Gerät,  weil  deine  Gestalt 
aus  den  Stoffen  und  Zielen,  die  die  Aufgabe 
bedingt,  organisch  geworden  ist.  Auch  ich,  der 
Mensch,  bin  nur  eine  arme  —  und  doch  so 
reiche  und  edle  Zweckform.  Was  sind  meine 
Glieder  anders  als  Geräte?  Mein  ganzer  Bau 
dient,  dient  der  Erhaltung,  der  Arbeit.  Und 
doch  ist  mein  Körper  das  edelste  plastische 
Gebilde.  Aber  hier  ist  der  Zweck  auch  zur 
höchsten  Weihe  erhoben,  indem  er  dem  Wesen 
dient,  dem  keines  gleich,  dem  Menschen,  a.j. 
* 

Das  Genie  ist  In  mehr  als  einem  Sinne  ein  Nacht- 
wandler; in  seinem  hellen  Traume  vermag  es 
mehr,  als  der  Wache,  und  besteigt  jede  Höhe  der 
Wirklichkeit  im  Dunkeln Jean  Paul. 


K.J.  WIMMER.  WIE.NER  WERKSTATTE. 


»JARDINIERE«  SILBER  GETRIEBEN. 


PUBLIKUMS-KUNST. 


Das  eine  Wort :  Publikumskunst  kennzeichnet 
besser  als  alle  denkbaren  Betrachtungen 
die  verzweifelte  Situation  von  Kunst  und  Künst- 
lern in  dieser  Zeit.  Publikumskunst,  das  ist  die 
Kunst,  die  das  Publikum  willig,  mit  Anteil  und 
offensichtlichem  Vergnügen  aufnimmt,  ist  die 
Kunst,  die  die  Menge,  die  Vielen,  die  Zeit- 
genossen des  Schaffenden  begehren,  ist  das  an 
künstlerischer  Produktion,  was  blindlings  ge- 
schätzt, was  gierig  verschlungen,  was  mit  berei- 
ten und  beträchtlichen  Mitteln  bezahlt  wird. 
Publikumskunst,  das  sind  die  „Schlager  der  Sai- 
son", die  Romane  mit  den  Riesenauflagen,  die 
Schaustellungen,  um  deren  Eintrittskarten  man 
sich  drängt  und  reißt,  sind  die  Bilder,  die  allent- 
halben reproduziert  und  mit  phantastischen 
Summen  angekauft  werden;  Publikumskunst, 
das  ist  das,  wovon  man  spricht,  was  man  ge- 
sehen, gehört,  gelesen  haben  muß,  ist  alles,  was 
beim  Volk,  Volk  im  weitesten  Sinne,  populär 
ist.  Somit  eigentlich  die  bekannteste,  die  be- 
gehrteste, in  gewissem  Sinne  die  lebendigste 
Kunst,  wenn  nur  dieses  Wort:  Publikumskunst 
nicht  in  so  fataler  Weise  ironisch  gemeint  wäre. 
Die  Künstlerschaft,  aus  deren  Reihen  es  stammt, 
hat  mit  dieser  Prägung  sich  einen  Galgenhumor 


von  starken  Graden  geleistet.  In  den  kahlen 
Mansarden,  vor  den  ausgebrannten  Öfen  und 
den  nie  gefüllten  Schüsseln  ist  man  nämlich  zu 
der  Einsicht  gelangt,  daß  in  der  heutigen  Zeit 
die  stürmischen  Erfolge  fast  nur  beschieden  sind 
der  literarischen,  malerischen,  plastischen  oder 
architektonischen  Produktion,  über  deren  künst- 
lerische Qualifikation  Zweifel  nicht  bestehen,  die 
Halbkunst,  Scheinkunst,  Kitschkunst,  seichte, 
vor  dem  Richtstuhl  der  Ästhetik  hochstaple- 
rische Mache  ist.  Die  Banalität  und  Trivialität, 
der  ekelste  Atelier- Auswurf ,  das  ist  das, 
„was  geht",  „was  zieht",  was,  wie  Goethe,  der 
allen  starken  Worten  abholde  Goethe,  sich  aus- 
drückt, das  „vielköpfige,  vielsinnige,  hin  und 
her  schwankende  Tier"  frißt.  Seit  Goethes 
Tagen  —  und  wie  viel  länger  noch?  —  ist  es 
ein  phantastischer  Zufall,  wenn  einmal  der  In- 
stinkt des  großen  Publikums  irrte,  wenn  es 
spontan  sich  zu  einer  genialen  Tat  bekannt  hätte. 
Mit  einer  Treffsicherheit,  die  an  Gesetzlichkeit 
zu  glauben  zwingt,  hat  es  noch  fast  jeden  der 
Großen  verkannt  und  verlacht,  den  das  Publi- 
kum der  nächsten  oder  übernächsten  Generation 
als  klassischen  Meister  der  Nation  gepriesen, 
verhimmelt  und  —  als  Waffe  zum  Erdrosseln 


PROFESSOR 
J.  HOKFMANN. 
»BLUMENSCHALE 
IN  SILBER c 


l'ROFESSOR  JOSEF  HOFFMANN.  AUSFÜHRUNG:  WIICM.K  W  KKK-.TA  1  I  E.    .  BI  UMEN  ■^^  HALF  IN  SILBER  MIT  EMAIL' 


ARCHITEKT  DAGOBERT  PECHE     WIEN.  AUSFUHRUNG:  WIENER  WERKSTATTE.  ».\DRESSE  IN  LEDERKASSETTE« 


XX.  Oktober  1916.    10 


Publikumskunst. 


des    neuen    Talents 
gebraucht    hat.     Bis 
in    die    letzte    Zeit, 
bis    es    nämlich    zu 
einem  Gesellschafts- 
spiel   geworden    ist, 
die  „Jungen  zu  ent- 
decken", gehörte  es 
zur      Legende      des 
Künstlerlebens,  nach 
einem      Bruch      mit 
der   Akademie   eine 
elende  Dachkammer- 
existenz   zu    fristen, 
als  verkanntes  Genie 
durch  das  Leben  zu 
vegetieren,  bis  dann 
nach  dem  Tode  die 
gloriose     Aufersteh- 
ung kam:    die    stür- 
mische Begeisterung 
der  Massen,  die  Rie- 
senpreise und  Riesen- 
honorare, beiBildern 
undPlastiken  der  An- 
kauf für  die   öffent- 
lichen    Sammlungen 
des  Staates.    Kleist, 
Flaubert,      Marees, 
Hebbel,    Feuerbach, 
Leibl,  Böcklin,  Wag- 
ner, in  bunter  Reihe 
ein  paar  der  Schick- 
sale, die  so   —  pro- 
grammäßig verlaufen 
sind.  Noch  Dutzende 
wären    zu     nennen ; 
einzelne  wie  Degas, 
wie  Monet,  wie  unser 
Hagemeister    waren 
von  so  guter  Körper- 
konstitution, daß  sie 
selbst    noch   Zeugen 
dieses    ihres    Nach- 
ruhms zu  werden  ver- 
mochten.    Die    mei- 
sten aber  —  als  ty- 
pischster   wohl    der 
arme   van    Gogh    — 
lebten   das  Klischee 

der  sogenannten 
Künstlerromane.  Sie 
wollten  Kunst,  wirk- 
liche Kunst  und  nicht 
Publikuniskunst  ma- 
chen und  gingen  so 
als  unheilbare  Idea-* 


PROF.  J.  HOFFMANN.  »STEH-LAMPE«  AU.SF:  WIENER  WERK.ST. 


listen   zugrunde.    — 
Das  nämlich  ist  der 
Konfhkt   in   all   die- 
sen Künstler -Roma- 
nen ;      eines     Tages 
nach    endlos   erfolg- 
losen   Mühen    steht 
der  arme  abgehetzte 
Kerl    vor    der    Ent- 
scheidung, entweder 
seine     künstlerische 
Überzeugung,    seine 
innere     Wahrhaftig- 
keit preiszugeben 
oder   ein  Leben    im 
Dunkeln,  ohne  Aner- 
kennung, ohne  Aus- 
sicht auf  die  allerbe- 
scheidenste    bürger- 
liche Existenz  führen 
zu  müssen.  Ist  er  cha- 
rakterlos genug,  dem 
AUerweltsgeschmack 
nachzugeben ,  macht 
er  das  Seichte,  Phra- 
senhafte,     Geleckte 
und    Gezierte,    das, 
was     der     Künstler 
eben  verächtlich  mit 
der     Geste:     Publi- 
kums -  Kunst    abtut, 
dann  blüht  ihm  der 
Tages -Erfolg,  dann 
kommen  die  schmei- 
chelhaften Anerken- 
nungen,  die   großen 
Aufträge,  die  Ströme 
Goldes.     Die  Verle- 
ger, dieTheaterdirek- 
toren,     die     Kunst- 
händler   reißen   sich 
um  jedes  neue  Werk, 
die  Zeitungsleute  lau- 
fen dem  neuen  „Lieb- 
ling des  Publikums" 
nach;   alles,  was   er 
tut,  was  er  spricht, 
was  er  wünscht  oder 
plant,  wird  mit  der 
Druckerschwärze  ge- 
hörig ausgewalzt.  Die 
Gesellschaft  rechnet 
es  sich  als  eine  Ehre 
an,  den  so  Gefeierten 
zu  den  Ihrigen  zählen 
zu  dürfen.    Schönen 
Frauen    ist     es    ein 


Publikumsktmst. 


Glück,  sich  in  seinem  Ruhme 
zu  sonnen.  Ein  rauschendes 
Leben  rollt  ab  zwischen  den 
blendenden  Kulissen  eines 
Künstler- Palais,  wie  es  die 
Makart,  Lenbach  usw.  zur 
Verblüffung  dieses  ihres  Pub- 
likums sich  geschaffen  haben. 
„Er  machte  schlechte,  aber 
doch  berühmte  Bilder", 
dieses  Wort  des  alten  Koch 
auf  seinen  Rom  -  Genossen 
Hackert  ist  der  Nachruf,  den 
die  Kunst  diesen  Abtrün- 
nigen nachzugrollen  pflegt 
—  ohne  eigentlich  zu  be- 
denken, daß  die  Schlechtig- 
keit des  Werkes  ja  die  Vor- 
aussetzung für  seine  Be- 
rühmtheit gewesen,  daß  es 
als  künstlerisch  vollwertige 


ARCH.  D.  FECHE.   »BESTICKTER  BEUTTl 
»GLASPOKALE«  ENTW;  FRL.  FLÖGEL. 


Leistung  von  den  Massen  wohl 
niemals  so  bejubelt  worden 
wäre.  AlsStauffer-Beminden 
80er  Jahren  die  „schönen" 
Porträts  der  reich  gewordenen 
Berliner  malte,  da  war  er  der 
große,  der  begnadete  Mann; 
aber  als  er  Schluß  machte  mit 
diesen  ihm  zum  Ekel  gewor- 
denen Verlogenheiten,  als  er 
wahrhaft  und  groß  bilden 
wollte,  was  er  sah  und  fühlte, 
mußte  er  unter  die  Räder 
geraten.  Die  Welt  will  nicht 
Kunst,  sondern  Publikums- 
kunst. —  Während  der  Künst- 
ler früher  einem  Kontrahen- 
ten gegenüberstand,  der  auf 


der  Höhe  der  jeweiligen 
Gesamtbildung  sich  befand, 
wird  jetzt  die  künstlerische 
Produktion  bestimmt  durch 
Schichten,  die  gelegentlich 
nichts  als  ihren  frisch  erwor- 
benen Reichtum  mitbringen. 
Im  Einzelfall,  wenn  Herr 
Spiesecke  durch  Heeresliefe- 
rungen sich  plötzlich  aus 
einer  Drei -Zimmerwohnung 
in  eine  Grunewaldvilla  em- 
porspekuliert hat,  ergeben 
sich  dann  die  für  die  Kunst  so 
fürchterlichen  Mißgriffe:  die 
Salonplastik  mit  dem  halb 
abgerutschten  Gewand,  das 
Ölbild  von  dem  akademischen 
Kunstmaler,  der  einmal  auf 
einer  großen  Kunst- Ausstel- 
lung eine  Medaille  gehabt  hat, 


Publikumskunst. 


und  wenn  derlei  Fälle  sich 
zu  Hunderten  und  lausen- 
den wiederholen,  dann 
spricht  man  eben  von  Pub- 
likumskunst.  —  Warum 
nun  diese  Sucht  zum  Ge- 
meinen, Nichtigen,  Plat- 
ten? Warum  diese  Un- 
duldsamkeit gegen  das 
geniale  Kunstwerk,  das 
von  seinem  Schöpfer  doch 
als  eine  Beglückung  der 
Menschen  gedacht  war, 
warum  dieser  Haß  der 
im  Falle  der  Manetschen 
Olympia  oder  des  De- 
jeuner sur  l'herbe  sich 
so  steigern  konnte,  daß 
die  Ausstellungsbesucher, 
Herren  und  Damen  der 
Pariser  Gesellschaft,  die 
doch  unmöglich  zum  Mob 
gezählt  werden  können, 
mit  Stöcken  und  Schirmen 
an  den  gemalten  Weibern 


»GLASPOKAL«  ENTWORFEN  VON  FRL.  FLi.iGEL. 


VERTRIEB : 
WIENER  WERK- 
STÄTTE-WIEN. 


Lynchjustiz  üben  woll- 
ten? Dinge,  die  so  die 
Leidenschaft  erregen,  die 
so  zur  Abwehr  herausfor- 
dern, können  dieser  un- 
faßbaren Masse  doch  nicht 
gleichgültig  sein.  Es  kann 
nicht  der  blindwütige  Zu- 
fall sein,  der  sie  vor  einem 
Bild  von  Meyerheim  im- 
mer gleichgültig  gelassen, 
und  ein  Werk  wie  diesen 
Manet  zu  zerstören  an- 
peitscht. Es  muß  in  dem 
wirklichen  Kunstwerk  et- 
was sein,  was  ihnen  die 
Galle  reizt.  Gewiß,  es 
mag  einmal  vorkommen, 
daß  die  haltlose  Menge 
von  irgendeinem,  einem 
Konkurrenten  des  Künst- 
lers, einem  verständnis- 
losen Zeitungsschreiber, 
sonst  einem  Mißvergnüg- 
ten oder  Mißgünstigen  zu 


GL.VSl'OKALE  MIT 
EINFACH.  BE^L\LU^^ 
ENTW:  FRL.  FLÖGEL. 


WIENER  WERKS  lATTE. 


■;M  \II,-I:K'  »chen« 


ENTW:  FRL.  FLÖGEL. 
WIENER  VVERKSTÄTTE. 


»BILDCHEN  U.  BROSCHEN 
IN  BUNTEM  EMAIL« 


112 


Pu  blikuniskujist. 


ihrem  Exzeß  aufgeputscht  worden 
ist;  aber  an  solch  zufällige  Bosheit 
zu  glauben  bei  einer  Sache,  die, 
ob  es  sich  um  das  Auftreten  eines 
Flaubert,  eines  Strindberg,  eines 
Munch  oder  Wedekind  handelt,  so 
selbstverständlich  wie  der  Donner 
nach  dem  Blitz  einzutreten  pflegt, 
ist  doch  mehr  als  man  einem  den- 
kenden Menschen  zumuten  kann. 
Es  muß  doch  da  eine  Gesetzlichkeit 
geben,  daß  ein  Ibsensches  Stück,  ein 
Liebermannsches  Bild,  ein  Nolde, 
ein  Lehmbruck  überall,  wo  sie 
zum  ersten  Mal  auftauchten,  einen 
Sturm  der  Entrüstung  entfesselten, 
während  allenthalben,  wohin  die 
„Lustige  Witwe",  das  „Tagebuch 
einer  Verlorenen"  oder  dergleichen 
Schmarren  kamen,  das  hingerissene 
Publikum  nach  mehr,  nach  viel, 
viel  mehr  von  der  Trivialität  gierte. 
Die  Unklugheit,  die  Unbildung,  die 
Gleichgültigkeit  der  „blöden"Masse 
kann  es  nicht  sein,  sonst  müßte  es 
einmal  wenigstens  vorgekommen 
sein,  daß  diese  Unwissenheit  sich 
geirrt,  daß  sie  gegen  die  Regel  ein 
bedeutendes   Werk   verkannt    und 


deshalb  wie  einen  Kitsch  bejubelt 
hätte.  Solcher  Irrtum  ist  ausge- 
schlossen, weil  sie  an  der  Flachheit 
das  ihr  Gemäße,  das  ihr  Wesens- 
verwandte liebt.  Sie  entscheidet 
sich  nicht  aus  der  Unkenntnis  über 
den  künstlerischen  Wert ,  sondern 
aus  einem  ganz  positiven  Verlangen 
nach  dem  Mittelmäßigen.  Das  Mit- 
telmäßige, das  nicht  zu  erregend, 
nicht  zu  stürmisch,  nicht  zu  erhaben, 
nicht  zu  edel  und  nicht  zu  machtvoll 
ist,  das  unterhält  und  doch  jeden 
auf  seiner  Alltagstraße  läßt,  das 
harmlos  Nette,  das  wie  Limonade 
eingeht,  das  ist  das,  was  die  Vielen 
wollen,  wenn  sie  die  Absicht  haben 
sich  einmal  mit  der  Kunst  einen 
guten  Tag  zu  machen.  „Kein  Wun- 
der", das  ist  die  Reflexion  Goethes 
zu  diesem  Fall,  „kein  Wunder,  daß 
wir  uns  alle  im  Mittelmäßigen  gefal- 
len, weil  es  uns  in  Ruhe  läßt;  es 
gibt  das  behagliche  Gefühl,  als  wenn 
man  mit  seinesgleichen  umginge". 
Fürwahr,  das  ist  es,  dieses  behag- 
liche Gefühl,  diese  Pantoffelweich- 
heit, diese  geistige  Trägheit,  die  der 
Künstler,  sofern  er  eben  zu  Recht 


JOS.  HOl-FMANN.  -cANH-iNGER« 


w 


ARCHrrEKT  BLONDER. 


PRÜFEND'   K   l.is    II.    I  I  MANN.   »ANH.\NGER  IN  SILBER« 
VERTRIEB:  WIE.NEK  \VERK.STÄTTE-\VIEN. 


»KR-WATTENNADEL« 


Sehnsucht.  —  Phantasie. 


diesen  Namen  trägt, 
nicht  respektiert,  sei- 
nem Wesen  nach  nicht 
respektieren  kann,  weil 
er  immer  ein  Aufrüt- 
teier und  Aufrührer  zu 
sein  bestimmt  ist,  die- 
ses Unruhige  und  Un- 
befriedigte im  schöp- 
ferischen Geist,  dieses 
Himmelstürmende  ist 
es,  was  das  Philisterium 
so  zur  Abwehr  zusam- 
menschweißt. Es  will 
aus  seiner  Gewohn- 
heit des  Denkens  und 
Fühlens  nicht  heraus- 
gebracht werden,  es 
wehrt  sich  instinktiv 
gegen  die  unbequeme 
Zumutung, et  was  Neues 
—  und  sei  es  auch 
eine  geistige  Delika- 
tesse ohnegleichen  — 
aufnehmen  zu  sollen. 
Es  lehnt  mit  mehr  oder 
minder  großer  Ent- 
schiedenheit ab,  wie  der 
Bauer,  dem  man  Arti- 
schocken oder  Hum- 
mern vorsetzt.  Ja,  es 
ist  so,  „man  verdient", 
um  noch  einmal  mit 
Goethe  zu  reden,  „we- 
nig Dank  von  den  Men- 
schen, wenn  man  ihr 
inneres  Bedürfnis  er- 
höhen, ihnen  eine  große 
Idee  von  ihnen  selbst 
geben,  ihnen  das  Herr- 
liche eines  wahren  ed- 
len Daseins  zum  Ge- 
fühl bringen  will.  Aber 
wenn  man  die  Vögel 
belügt,  ihnen  Märchen 
erzählt,  von  Tag  zu  Tag 

ihnen  forthelfend  sie  verschlechtert,  da  ist  man 
ihr  Mann  und  darum  gefällt  sich  die  neuere  Zeit 
in  so  viel  Abgeschmacktem".  .     paul  westheim. 

Ä 

SEHNSUCHT.  Wir  alle  möchten  ein  Leben 
führen,  das  reicher  und  höher  ist,  als  das 
von  der  Beschränktheit  des  Menschentums  uns 
gestattete.  In  einem  düsteren  Keller  sitzen  wir 
und  strecken  wie  einen  Fühler,  wie  ein  Periskop 
die  Kunst  in  die  höhere  Sphäre,  um  ab  und  zu 
ein   leuchtendes    Bild    aus    ihr   niederzuholen. 


PROF.  O.  PRUTSCHER.  »SPIEGEL  MIT  KERZENHALTER 


Das  tut  nicht  nur  die 
idealistische  Kunst.  Wir 
möchten  auch  größer 
sein  im  Spott,  im  Leid, 
im  Zerstören!  —  Wir 
sind  einmal  und  möch- 
ten noch  viel  tausend- 
mal anders  sein;  Be- 
wegte Linie,  wuchtende 
Masse,  ein  beseelter 
Hauch,  polterndes  Ge- 
witter, eine  Geste  des 
Stolzes,  der  Liebe,  der 
Trauer.  Da  zwingen 
wir  unsere  explosive 
Sehnsucht  zwischen 
die  vier  Wände  des  Bil- 
des, und  die  unerlöste 
menschliche  Seele  be- 
freit sich,  sieht  sich 
starr  und  groß,  fein, 
zierlich,  in  wunderba- 
rer melodischer  Bewe- 
gung, zerreißend,  auf- 
bäumend im  Trotz  und 
weich  im  All  zerflie- 
ßend. Niemals  wird 
das  Bild  die  unzähligen 
Weisen  des  Seins,  die 
wir  leben  möchten,  er- 
schöpfen. Kaum  ist  eine 
unserer  Möglichkeiten 
gestaltet,  wird  uns  die 
Beschränkung  leid.  Wir 
hassen  das  selbstge- 
schaffene Idol,  um  bald 
eine  andere  Sehnsucht 
anzubeten.  ...        a.  j. 

PHANTASIE.  In  dem 
■'■  Dunkel  der  Mög- 
lichkeiten brauen  die 
Träume.  Welten  glän- 
zen hinter  den  Vorhän- 
gen, die  eiserne  Not- 
wendigkeit verschlos- 
sen hält.  Wem  wäre  dieses  graue  Leben  erträg- 
lich, der  einmal  sich  an  dem  Gift  der  Zukunfls- 
träume  berauscht  hat?  Rings  um  uns  her,  und 
weit  in  die  menschliche  Zukunft  hinein,  mögen 
die  herrlichsten  Wunder  blühen.  Wir  dürfen  ihr 
gespenstisches  Locken  nicht  hören.  Die  Phanta- 
sie nährt  und  beschwingt  den  menschlichen  Geist 
nur,  soweit  sie  von  grauer  Erde,  von  grauem 
Alltag  sich  nährt.  Stürmt  sie  hemmungslos  ins 
Blaue,  so  ist  sie  kein  Gefährt,  dem  der  Mensch, 
der  leben  will,  sich  anvertrauen  darf.  .  .      a.j. 


ENTW.U.  AUSF:  TILLI  LORCH— FRANKFURT. 


»GOLDFARBENES  KISSEN  MIT  SEIDENSTICKEREI« 


DIE  UNERSETZBARKEIT  DER  STICKEREI. 


Nein,  werte  Freundin,  Ihre  Besorgnisse  ver- 
mag ich  nicht  zu  teilen.  Sie  sehen  die 
Zukunft  unseres  edlen  Kunstzweiges  entschie- 
den zu  düster.  Wenn  auch  fast  täglich  neue 
Stickerei-Imitationen  auftauchen  und  angeprie- 
sen werden  —  nur  Geduld,  binnen  kurzem 
werden  diese  „Neuheiten"  dahin  gewandert 
sein,  wo  bereits  Hunderte  und  Tausende  ihrer 
Vorgängerinnen  ruhen,  in  den  Orkus  der  Ver- 
gessenheit. Es  war  noch  immer  so:  Ging  ein 
Artikel  mal  ausnahmsweise  gut,  flugs  tauchte 
auch  schon  eine  Erfindung  auf,  ein  Ersatz, 
der  zehnmal  billiger  war,  und  alle  kaufmännisch 
Denkenden  nahmen  an,  mit  der  guten  alten 
Ware  ist  es  nun  vorbei,  sie  ist  tot,  mausetot ; 
erschlagen  von  dem  „Ersatz".    Was  aber  war 


in  Wirklichkeit  die  Folge  der  VerbiUigung,  des 
Massenangebots,  der  Verschlechterung?  Der 
ganze  Artikel  wurde  totgeschlagen,  totge- 
hetzt, die  Ersatzmänner  gruben  sich  selbst  das 
Grab,  rissen  allerdings  den  ganzen  wertvollen 
Artikel  mit,  auf  den  sie  sich  mit  ihrer  Verbil- 
ligungssucht  geworfen  hatten.  Und  seien  Sie 
überzeugt,  mit  den  imitierten  Filetdecken,  den 
gedruckten  Applikationen,  und  was  sonst  noch 
Ihr  Herz  beschwert,  wird  es  nicht  anders  er- 
gehen. Sie  beherrschen  für  eine  kurze  Weile 
das  Warenhaus,  bis  der  Herr  Einkäufer  wieder 
eine  andere  Neuheit,  einen  andern  „Reißer" 
findet,  da  sich  auch  das  Publikum  bald  an  dem 
Überangebot  sattgesehen  hat.  Na,  und  nach 
einiger  Zeit  werden  wieder  die  guten,  echten 


XX.  Oktober  1910.  11 


Die  Unersetzbarkeit  der  Stickerei. 


TILLI  LORCH— FRANKFURT. 


Filetdecken  auftauchen,  man  wird  sie  wieder 
liebgewinnen,  wie  man  sie  nur  je  geliebt  hatte. 
Seit  es  eine  Industrie  und  ein  Unternehmer- 
tum im  heuligen  Sinne  gibt,  ist  die  Stickerei 
immer  bedroht  gewesen.  Von  allen  denkbaren 
Seiten  her  sind  Einbrüche  in  ihr  Gebiet  ver- 
sucht worden,  kein  Material,  keine  Technik,  die 
nicht  zur  Imitation  von  Stickerei  mißbraucht 
worden  wäre.  So  hat  man  Buntstickerei  durch 
Malen,  Drucken,  Weben,  Prägen,  Ätzen  und 
Brennen,  Spritzen  und  wer  weiß  welche  Teufels- 
künste noch,  täuschend  imitiert.  Ist  die  Bunt- 
stickerei dadurch  zugrunde  gegangen  ?  Im  Ge- 
genteil !  Sie  erlebt  heute  geradezu  eine  Blüte- 
zeit. Aber  die  Imitationsverfahren,  die  sind, 
wie  sie  gekommen,  wieder  dahingeschwunden, 
ihre  Erinnerung  wird  nur  in  alten  Modeblättern 
und  Patentschriften  noch  festgehalten,  zur 
Schande  und  Warnung  fürkommende  Geschlech- 
ter. Wo  ist  der  famose  „Seidenglanz"  aus  Glas- 
pulver geblieben  ?  Wer  macht  noch  Knüpfereien 
aus  gefärbten  Bohnen  ?  Da  haben  sie  den  edlen 


»DECKE  MIT  TULI.STICKEREH 


königlichen  Samt  mit  glühenden  Formen  gepreßt 
und  die  Zeichnung  in  schreiend  natürlichen  Far- 
ben ausgespritzt:  —  Welch  eine  wunderbare 
Erfindung !  Reisende  durchzogen  ganz  Deutsch- 
land mit  diesem  „effektvollen  Artikel",  der  die 
Stickerei  unbedingt  totmachen  mußte,  und  — 
der  Rest  ist  Schweigen.  Schade  um  den  Samt, 
werden  auch  Sie  gesagt  haben!  Soll  ich  noch 
weitere  dieser  Ersatzkunststücke  anführen?  Ich 
glaube,  es  wird  ihnen  damit  zuviel  Ehre  angetan. 
Mögen  die  Erfinder  selbst  ihre  Imitationen  be- 
wundern und  sich  damit  begraben  lassen!  Die 
übrige  Menschheit  hat  sie  noch  immer  rasch  ab- 
gewimmelt, die  feste  Position  der  Stickerei  ver- 
mochten diese  Abenteurer  nicht  zu  erschüttern. 
Nun  will  ich  Ihnen  nur  noch,  werte  Freundin, 
zu  Ihrer  völligen  Beruhigung  mit  ein  paar  Worten 
sagen,  warum  denn  die  Stickerei  so  unersetz- 
bar ist,  warum  die  Totschlagsversuche  der  Imi- 
tatoren auch  in  alle  Zukunft  vergeblich  bleiben 
werden  und  bleiben  müssen.  Ja,  wenn  es  sich 
bei  unserer  Arbeit  nur  darum  handelte,  einen 


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oben: 
»deckchen  mit 
tüllstickerei« 


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EVA  UND 
LOTI'E  RIESS- 
DESSAU. 
»FILET- 
ARBEITEN« 


Die  Unersetzbarkeit  der  Stickerei. 


MARIANNE  THEINER-PRAG. 


zeichnerischen  Entwurf  möglichst  genau  in  Stoff 
und  Faden  wiederzugeben!  Dann  wäre  natür- 
lich jenes  Verfahren  am  besten  und  erfolgreich- 
sten, das  einen  möglichst  zeichnerischen,  gra- 
phischen Eindruck  hervorbringt.  Wir  könnten 
uns  mit  Malen  auf  Stoff,  dem  Drucken,  Scha- 
blonieren ,  Spritzen  in  keiner  Weise  messen, 
zumal  diese  Verfahren  ja  auch  viel  rascher  ar- 
beiten, als  die  Stickerei.  Aber  das  ist  eben 
ein,  leider  recht  verbreitetes,  Mißverständnis. 
Wenn  eine  Dame  heute  eine  feine  Tischdecke 
erwirbt  mit  allerlei  Weißstickerei  darauf  und 
eingesetzten  Spitzenmotiven,  so  weiß  oder  fühlt 
sie  sehr  wohl,  daß  sie  mehr  nach  Hause  trägt, 
als  nur  eine  in  Leinenfäden  ausgeführte  Zeich- 
nung.   Sie  fühlt  plötzlich  durch  dieses  kunst- 


ȆECKCHEN  MIT  WEISS-STICKEREU 


volle  Werk  sich  in  stiller  Sympathie  verbunden 
mit  den  geschickten  Fingern  der  Verfertigerin, 
mit  ihrer  bis  ins  kleinste  liebevollen  Sorgfalt, 
mit  ihrer  aufopfernden  Geduld  und  ihrem  feinen 
Sinn  für  schöne,  edle  Nadelarbeit.  Das  Band 
der  Sympathie  greift  sogar  noch  weiter,  greift 
zurück  auf  die  Frauen  vergangener  Zeiten,  mit 
denen  man  sich  auf  einmal  geistesverwandt 
fühlt;  sie  grüßen  uns  aus  den  von  ihnen  erfun- 
denen und  geübten  Stichen,  Figuren,  Slickerei- 
auffassungen.  Solche  echte,  edle  Stickerei  ist 
eine  zeitlose  und  internationale  Sprache  der 
Frau;  wie  sie  seit  Jahrtausenden  geübt  wird. 
Wir  dürfen  sicher  sein ,  sie  wird  mindestens 
noch  einmal  so  alt  werden,  als  sie  schon  ist. 
—  Lassen  wir  uns  also  von  dem  lauten  Getue 


BORTE  FÜR  WEISS-STICKEREI. 


MARIANNE  THEIN'ER      PRAG. 


»BORTE  FÜR  EINE  ANRICHT-DECKE« 


ENTWURP"  UND  AUSFÜHRUNG:  MARIANNE  THEINER-PRAG. 

»RUNDES  KISSEN  AUS  GOLDSTOFF  MIT  STICKEREI  UND  REICHER  SPITZE.  MITTELTEIL  IN  B.VTIKARBEIT« 


WEISS-STICKEREI-ARBEITEN. 


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MARIANNE  THELNER--PKAG. 


-BORTE  EINER  DECKE  IN  HOCHSTICKEREI « 


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MARIANNE  THEINER  -PRAG.  .LEINEN-BATISTDECKE  FÜR  EINE  ANRICHTE. 
AUSFÜHRUNG  IN  HOCHSTICKEREI  UND  DURCHBRUCH-ARBEIT  MIT  HOHLSÄUMEN.  VERGL.  DIE  OBERE  ABBILDUNG  SEITE  120. 


Die  Unersetzbarkeil  der  Stickerei. 


der  Fälscher  nicht  be- 
irren, halten  wir  treu 
zur  edlen  Kunst  der 
Nadel,  sie  wird  es  uns 
wie  bisher  reichlich  loh- 
nen. Jene  oberfläch- 
lichen Leute,  die  jeder 
Sensation  nachlaufen, 
sind  nie  unsere  wahren 
Freunde  gewesen.  Sie 
haben  auch  in  unserer 
Stickerei  die  Vergröbe- 
rungen und  Verbilligun- 
gen  erfunden,  die  uns 
schon  so  manche  schöne 
alte  Technik  verleide- 
ten. Wenn  sie  sich  jetzt 
im  Drucken  und  Weben 
betätigen,  um  so  besser 
für  die  Stickerei!  Aber 
gute,  hochwertige  Stik- 
kerei  wird  niemals  von 
Imitationen,  und  seien 
sie  noch  so  raffiniert, 
ersetzt  oder  verdrängt 
werden.  —  Ihr  sehr  er- 
gebener   ANTON  JAUMANN. 


DIE  VOLLEtlDUNG. 
Wenn  höchste  Bequem- 
lichkeit und  höchste  Schön- 
heit in  einem  Gebrauchs- 
gegenstand zusammenfallen, 
so  ist  er  kunstgewerblich  voll- 
endet. Zwang  und  Freiheit 
sind  die  beiden  Eltern  der 
Geschwister:  Kunst  und  Kunst- 
gewerbe; aber  dieses  muß 
mehr  dem  Vater,  jenes  mehr 
der  Mutter  ähnlich  sehen; 
hier  gilt  es;  die  gegebene  In- 
dividualität zur  Gese^mäßig- 
keit  auszubilden,  dort:  das 
gegebene  Gese^  der  Indi- 
vidualität gemäß  auszugestal- 
ten. Die  Kunst  wädist  von 
innen  nadi  außen,  das 
Kunstgewerbe  von  außen 
nach  innen.  Sowie  man  den 
beiderseitigen  Standpunkt 
vertauscht,  wird  die  Kunst 
zur  Manier  und  das  Kunst- 
gewerbe zum  bloßen  Luxus- 
gewerbe            Langbfhn. 


HEDE  FLF.ISCHER     PR.\r,-\VEINBERGE. 
•  BEUTEL  UND  I.^VUTENBÄNDER  MIT  STICKEREI« 


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:{ANZ  SEIFERT    WIEN.   »ENTWURF  FÜR  EIN  DENKMAL  AUF  DEM  „BISAMBERG"  AN  DER  DONAU«   (BEI  WIEN) 


AI.EXANUliK  JAKAV— WIEiN.  DENKM-VL, 


KAUEKfiLlEK  ACMILLE.S» 


KRIEGER-DENKMÄLER. 


Im  Februar  1915  hatte  das  österreichische 
Kultusministerium  einen  Wettbewerb  für 
Kriegerdenkmäler  ausgeschrieben.  66  000  Kr 
waren  insgesamt  für  Preise  ausgesetzt.  Die 
außerordentliche  Aufgabe  fand  unter  den  Künst- 
lern Österreichs  eine  außerordentliche  Betei- 
ligung. Die  wichtigeren  der  Entwürfe  liegen 
jetzt  in  einem  Sammelwerk  vor,  das  der  Verlag 
Anton  Schroll  in  Wien  unter  dem  Titel  „Krie- 
gerdenkmäler" herausgebracht  hat.  Zusammen 
mit  dem  früher  erschienenen  Werke  „Soldaten- 
gräber und  Kriegerdenkmäler"  (im  gleichen  Ver- 
lag), worüber  wir  im  November-Heft  1915  der 
„Deutschen  Kunst  und  Dekoration"  berichte- 
ten, besitzt  jetzt  Österreich  eine  solche  Fülle 
von  Anregungen  und  Vorbildern,  daß  gewiß 
keine  Gemeinde  in  Verlegenheit  kommen  dürfte. 
Was  die  Künstler  Österreichs  hier  in  Erfindung 
und  Gestaltung  geleistet  haben,  ist  staunens- 
wert. Wir  können  mit  aller  Bestimmtheit  aus- 
sprechen, sie  werden  der  Aufgabe,  die  Helden 
des  Weltkrieges  würdig  zu  ehren,  voll  und  ganz 
gewachsen  sein.  —  Einige  andere  Bedenken 
und  Fragen  lassen  sich  aber  angesichts  so  präch- 
tiger Werke  nicht  unterdrücken:  Werden  die 
Denkmalsausschüsse  dem  sachkundigen  Künst- 


ler nun  wirklich  freie  Hand  geben?  Wenn  sie, 
wie  bisher.  Ort  und  Art  des  Denkmals  selbst 
bestimmen  wollen,  ist  trotz  alledem  eine  Besse- 
rung nicht  zu  erhoffen.  Und  werden  die  Künst- 
ler, die  oft  durch  verwandtschaftliche  und  son- 
stige Beziehungen  den  Auftrag  erhalten,  sich 
auch  selbst  die  nötige  Sachkunde  erwerben? 
Nicht  jeder  gute  Plastiker  hat  ohne  weiteres 
das  Zeug  zu  einem  Denkmalbauer,  mancher 
versteht  es  nicht  einmal,  seinen  eigenen  Wer- 
ken den  günstigsten  Platz,  die  rechte  Aufstel- 
lung zu  finden.  Denn  hier  spricht  noch  ande- 
res mit,  als  Fragen  der  plastischen  Form.  Und 
endlich:  Wird  es  überhaupt  angehen,  nach 
einem  so  sinnlosen ,  kulturwidrigen  Völker- 
morden triumphierende  Denkmäler  aufzurich- 
ten, Zeichen  des  Stolzes,  versteinerte  Hurra- 
rufe? Oder  wäre  es  nicht  vielmehr  angezeigt, 
der  tiefen  Trauer  über  die  ungeheuren  Verluste 
Ausdruck  zu  geben,  Zeichen  zu  schaffen,  die 
auf  Jahrhunderte  hinaus  zum  Ernst,  zum  Opfer- 
sinn, zur  Einfachheit,  zur  Einigkeit  mahnen? 
Der  Geist  von  1914  ist  verflucht  rasch  ver- 
flogen. Wir  brauchen  „Denk"-Mäler,  die  zur 
Einkehr  mahnen,  die  die  Völker  aufrütteln  und 
erschüttern  auf  ewige  Zeiten.  ...     a.  jauuann. 


XX.  Oktober  1916.   12 


EMIL  HOPPE,  MARCEI.L  KAMMERER,  OTTO  SCHÖNTHAL    WIEN. 
.ENTWURF  ZU  EINEM  DENKMAL  FÜR  GEFALLENE  KRIEGER. 


ARTUR  PAYR-INNSBRUCK.  .DENKMAL  FÜR  EINE  HÖHE  BEI  WIEN« 

AUS   DEM  WERKE  »KRIEGSDENKMÄLER«   VERLAG  VON  ANTON   SCHROLL  &  CO.   IN  WIEN. 


JOSEF  MÜLLNER— WIEN.   »ENTWURF  FÜR  EINE  WEIHESTATTE  DER  GEFALLENEN  HELDEN«  AUS  •KRIEGSDENKiLiLER«  VERLAG  A.  SCHROIX. 


l'KEILlClll-ALH'UUKL.Nc;   IN   UAKMSTADT. 


»FRL.  EICHEI.SHEIM  ALS  SAITHO«   IIL  AUK/.Il 


FREILICHT-THEATER  AUF  DER  »MATHILDENHÖHE« 


Zum  erstenmal  seit  Ausbruch  des  Weltkrieges 
war  am  12.  August  dieses  Jahres  das  edel- 
heitere  Kunsteiland  der  Darmstädter  Mathilden- 
höhe seiner  ureigentlichen  Bestimmung  wieder- 
gegeben. Frieda  Eichelsheim,  die  unver- 
gessene einstige  Zierde  unseres  Hoflheaters 
und,  seit  etlichen  Jahren,  Wiesbadener  Heroine, 
hatte  sich  mit  dem  rühmlichst  bekannten  Wies- 
badener Theatermann  Paul  Linsemann  ver- 
bündet, um  die  Wirkung  einer  sommerlichen 
Freilichtaufführung  mit  dem  Hintergrunde  des 
stolzen  Olbrich-Baues  zu  erproben.  Der  wohl- 
tätige Zweck,  die  Begünstigung  des  Unterneh- 
mens durch  den  Hof  und  die  Gesellschaft  und 
auch  wohl  die  Sehnsucht  der  harten  Zeit  nach 
einer  nicht  würdelosen  Entspannung  hatten  den, 
vernünftiger  Weise  nicht  allzu  ausgedehnten, 
Zuschauerraum  dicht  zu  füllen  vermocht.  Ganz 
leicht  war  der  Genuß  dieses  seltenen  Freilicht- 
spieles nicht  erkauft,  denn  in  den  ersten  zwei 
Stunden  brannte  die  liebe  Sonne  recht  unbarm- 
herzig dem  Zuschauer  auf  den  Rücken,  blendete 
die  Schauspieler,  und  auf  den  entfernteren 
Plätzen  ließ  die  Verständlichkeit  viel  zu  wün- 
schen übrig;  aber  die  vortreffliche  Eignung  des 
Schauplatzes    für    derartige    festliche   Vorfüh- 


rungen wurde  durch  den  geglückten  ersten  Ver- 
such erwiesen.  Man  hätte  auch  keine  verstän- 
digere Wahl  für  diesen  Versuch  treffen  können, 
alsgeradeGrillparzersoft bewährte ,  f  r e u n d- 
liche  Tragödie  „Sappho".  Gehalt  und  Aus- 
drucksmittel dieses  liebenswürdigen  Bieder- 
manns-Spieles stehen  stilistisch  in  nächster  Ver- 
wandtschaft zum  Stile  des  Bauwerks,  das  den 
Hintergrund  dafür  abgab,  denn  auch  Olbrichs 
heiter-feierlicher  Ausstellungsbau  darf  wohl  als 
eine  Synthese  von  hellenistischer  Klassizität 
mit  Wiener,  ein  wenig  biedermeierisch  koketter 
Anmut  gekennzeichnet  werden.  Doch  immer- 
hin: Olbrich  ist  klassischer  als  Grillparzer,  dem 
unter  dem  Halsausschnitt  des  Chiton  doch  im- 
mer der  saubere  Vatermörder  von  1840  hervor- 
guckt. Seine  gehobene  Sprache  von  anno  da- 
zumal ist,  an  den  Maßstäben  heutiger  Vers- 
kunst gemessen,  auf  den  Pegel  einer  anständigen 
Trivialität  herabgesunken  und  hinter  seinen 
tragischen  Masken  entdecken  wir  mit  verständ- 
nisvollem Lächeln  eine  geheime  Hofratstochter 
gesetzten  Alters ,  die  sich  durch  erfolgreiche 
Schriftstellerei  einen  Namen  gemacht  hat 
(Sappho),  einen  tadellos  gewachsenen,  herzigen 
und  leidlich  feschen  Sportsmann,  k.  k.  Funk- 


XX.  Okiober  1916.  13 


Das  Haus  der  Freundschaft  in  Konstantinopel. 


FREILlCHT-ArKFUHRUNG  IN  DARMSTADT. 


tionär  oder  Leutnant  (Phaon),  und  ein  belie- 
biges süßes  Mäderl,  Zöfchen  oder  Ladnerin 
(Melitta).  Die  uralte  traurige,  aber  naturgemäß 
unabänderliche  Geschichte  von  dem  aussichts- 
losen Wettstreit  der  weiblichen  Überreife  mit 
der  siegreichen  dummen  Jugend  wird  durch  das 
klassische  Kostüm  keineswegs  zu  einer  auf- 
wühlenden Tragödie,  aber  die  warme  Mensch- 
lichkeit des  Dichters  undder  meisterhaft  schlichte 
dramatische  Aufbau  zwingen  selbst  uns  ge- 
hetzten Nervenmenschen  von  heute  noch  herz- 
liche Teilnahme  und  künstlerische  Hochachtung 
auf.  Der  feinsinnige  Spielleiter  hatte  mit  er- 
lesenem Geschmack  in  den  ungemein  stimmungs- 
vollen architektonischen  Rahmen  Bilder  von 
hohem  malerischen  Reiz  hineingestellt  und  als 
trennenden  Vorhang  zwischen  den  Akten  eine 
versteckte,  gedämpfte  Musik  wirken  lassen. 
Fräulein  Eichelsheim  wurde  der  gekrönten 
Dichterin  durch  ihre  edle,  beseelte  Deklamation 
und  vielleicht  noch  mehr  durch  ihre  herrliche 
Gebärdensprache  vollkommen  gerecht,  und  der 
junge  Frankfurter  Darsteller  Adolf  Manz  war 
ein  idealer  Phaon,  ganz  nur  lieber,  unverdorbe- 
ner Bub.  Auch  die  übrigen  schauspielerischen 
Leistungen    standen   auf   achtbarer  Höhe   und 


•MELITTA  UND  I'HAÜN  '    SAPPHO  II.  AUFZUG. 


auch  der  spürbare  Dilettantismus  der  anmutigen 
Melitta  störte  nicht  bei  soviel  Sonnenschein  und 
blauemHimmel,  Blumenduft  und  Farbenschmelz 
—  ebensowenig  wie  die  christlichen  Abend- 
glocken und  das  vorwitzige  Motorgebrumm 
des  Kriegsvogels  von  1916,  der  seine  Kreise 
nahe  an  die  Insel  Lesbos  heranschwang.  Alles 
in  allem  genommen:  es  war  diese  Sappho  auf 
der  Mathildenhöhe  ein  reines,  herzerquickend 
idyllisches  Kunsterlebnis,  das  alle  Teilnehmer 
in  dankbarer  Erinnerung  behalten  werden.   — 

ERNST  VON  WOLZOGEN. 

DAS  HAUS  DER  FREUNDSCHAFT  IN 
KONSTANTINOPEL.  Der  Wettbewerb 
um  das  Deutsch-türkische  Freundschaftshaus, 
an  dem  auf  Vorschlag  des  Deutschen  Werk- 
bundes 12  deutsche  Architekten  aufgefordert 
wurden  und  zwar  Prof.  Peter  Behrens,  Prof. 
German  Bestelmeyer,  Prof,  Paul  Bonatz,  Prof. 
Hugo  Eberhardl,  Professor  Marlin  Elsässer, 
August  Endell,  Prof.  Theodor  Fischer,  Walter 
Gropius,  Prof.  Hans  Pölzig,  Prof.  Bruno  Paul, 
Prof.  Richard  Riemerschmid,  Bruno  Taut,  führte 
dazu,  daß  in  den  letzten  Wochen  eine  Reihe 
dieser  Herren,   eingeladen  von  der  Deutsch- 


Das  Haus  der  Freufidschaß  in  KonstantinopeL. 


türkischen  Vereinigung,  Studiums  halber  in 
Konstantinopel  weilten,  um  den  von  der  tür- 
kischen Regierung  zur  Verfügung  gestellten, 
am  höchstgelegenen  Punkte  Stambuls  befind- 
lichen Platz  in  Augenschein  zu  nehmen.  Es 
wurde  ihnen  daselbst  durch  unsere  Bundesge- 
nossen eine  außerordentlich  sympathische  Auf- 
nahme zuteil.  Das  Haus  kommt  an  die  Divan 
Jolu  in  das  Viertel  zwischen  der  Aja  Sophia 
und  At  Meidan  einerseits  und  dem  Kriegsmini- 
sterium und  der  Bajasid  Moschee  andererseits 
zu  liegen,  gegenüber  der  berühmten  Mahmuds- 
türbe. Dem  Bauplatz  vorgelagert  ist  der  Platz 
mit  der  Cisterne  der  1001  Säulen.    Nach  Süd- 


westen, Süden  und  Osten  eröffnet  sich  ein  ge- 
waltiger Rundblick  auf  das  Marmarameer,  bei 
der  Einfahrt  von  den  Dardanellen  her  wird  das 
Gebäude  stark  in  Erscheinung  treten.  Das  Haus 
soll  umfassen  einen  großen  Versammlungssaal 
für  1800  Personen,  einen  Konzertsaal  für  500 
Personen,  zahlreiche  Räume  für  Ausstellungen 
auf  dem  Gebiete  der  bildenden  Kunst,  der 
Technik,  des  Handels  und  der  Warenkunde, 
Heer  und  Schulwesen  etc.,  ein  großes  öffent- 
liches Kaffee,  ausgedehnte  Bibliothek- und  Klub- 
räume und  weiterhinWohngelasse  für  Studenten. 
Für  den  Bau  des  Hauses  sind  Beträge  in  Höhe 
von  1  '  J  Millionen  Mark  bereits  gesammelt.  — 


freu.icht- 
.\uffChkung 
in  darmstadt. 

»SAPPHO» 

SCHI,USS-SZENE: 

PHAON  UNI) 

MEi.rn'A. 


ST.\ATL.  KUNSTGEW.-SCHULE  HAMBURG. 


SCHULERAK-BEIT  -PUI'PENbl'lEL« 


KINDERARBEITEN- EINE  FORDERUNG  AN  DIE  SCHULE. 


Im  Märchenlande  zu  wandeln  ist  eins  der  herr- 
lichsten Vorrechte  der  Kinder.  Es  war  ein- 
mal. —  Köstliche  Empfindungen  werden  in  uns 
wach,  wenn  wir  uns  der  Geschichten  erinnern, 
die  uns  durch  jene  einleitenden  Worte  in  die 
Zaubergärten  der  Phantasie ,  die  mit  gütigen 
Feen  und  mit  bösen  Geistern  bevölkert  waren, 
führten.  Noch  deutlich  erinnern  wir  uns  der 
Wirkungen,  die  die  Kunst  der  Poesie  geheim- 
nisvoll in  unseren  Herzen  entzündete.  Wir 
fühlen  noch  unsere  Wangen  glühen,  wenn  wir 
jener  ersten  Wallungen  unseres  Gefühls  ge- 
denken. In  unserer  Phantasie  baute  sich  eine 
besondere  Welt  auf,  reich  und  schön,  gut  und 
böse,  die  allmählich  durch  die  rauhe  Wirklich- 
keit abgelöst  wurde.  Unsere  Erfahrungen,  so 
gering  sie  anfänglich  waren,  häuften  sich,  sie 
wuchsen  mit  uns.  Wir  drängten  von  einem 
Erlebnis  zum  anderen,  denn  im  Erleben  emp- 
fanden wir  unsere  stärksten  Glücksempfin- 
dungen. Wenn  wir  uns  eine  Grube  gruben,  mit 
nassem  Sand  Kuchen  backten,  oder,  größer 
geworden,  mit  alten  Balken  und  Brettern  uns 
Häuser  bauten,  dann  schwand  die  Zeit  im  Fluge 


dahin,  dann  waren  wir  glückliche  Kinder.  — 
Aus  dem  Spiel  wurde  bitter  böser  Ernst. 

Ein  zweiter  Abschnitt  unseres  Lebens,  der 
scharf  vom  ersten  gesondert  war,  folgte.  Aus 
der  fröhlichen  Kinderstube,  aus  dem  sonnigen 
Garten  kamen  wir  in  die  Schule,  um  mit  vielen 
anderen  zusammen  die  „Arbeit"  zu  lernen. 
Kannten  wir  sie  denn  nicht?  —  Hatten  wir 
denn  nicht  gearbeitet  vom  Aufstehen  bis  zum 
Niederlegen?  —  Wir  hatten  gespielt  —  ja,  aber 
wir  hatten  mit  eigenem  Willen  gestaltet  und 
höchste  Lust  dabei  empfunden.  Nun  mußten 
wir  lernen,  lernen  und  unsere  Hände  gefaltet 
auf  dem  Tische  halten,  die  so  gerne  alles  das 
verwirklicht  hätten,  was  die  Phantasie  uns  er- 
sann, die  anfänglich  neben  dem  Lernen  einher- 
ging und  darauf  wartete,  wieder  frei  zu  werden. 
Der  Tag  der  Befreiung  für  unsere  unterdrückte 
Phantasie  kam  nicht,  unsere  Hände  hatten  nichts 
mehr  zu  tun,  nur  unser  armer  Kopf,  und  so 
wurde  die  Arbeit,  die  uns  einst  so  unendliche 
Freuden  bereitet  hatte,  vielfach  zur  Qual.  Aus 
Kindern  werden  Leute,  die  im  praktischen 
Leben  sich  abfinden  müssen,  ob  sie  nun  dafür 


XX.  Oktober  1916.  14 


Kinderarbeiten  -  eine  Forderung  an  die  Schule. 


durch  die  Schule  er- 
zogen sind  oder  nicht. 
Das  Leben  slellt  An- 
sprüche, fordert  seine 
Rechte.  Die  Lebens- 
äußerungen der  Ein- 
zelnen verdichten  sich 
zu  Niederschlägen  der 
Kultur.  Die  Höhe  der 
Kultur  richtet  sich  füg- 
lich nach  der  Bildung 
der  Gesamtheit  und  da 
diese  eine  einseitige 
genossen  hat,  so  ist  es 
nicht  verwunderlich, 
daß  wir  des  Verständ- 
nisses ermangeln  für 
die  technische  und 
künstlerische  Arbeit. 
Da  das  Verlangen 
nach  werktätiger  Ar- 
beit und  Schönheit  un- 
serer Kunst  sich  nie- 
mals zurückdrängen 
läßt,  weil  es  einem 
natürlichen    Bedürfnis 


entspringt,  so  ist  es 
begreiflich,  daß  die 
Zahl  derer  sich  täglich 
mehrt,  die  an  der  ein- 
seitigen Bildung  durch 
die  Schule  rüttelt  mit 
aller  Kraft  und  daß 
Forderungen  an  die 
Schule  erhoben  wer- 
den, obgleich  wir  ihrer 
Erziehungs- Arbeit  zu 
größtem  Danke  ver- 
pflichtet sind.  —  Un- 
sere Schulen  haben 
uns  auf  einen  hohen 
Stand  der  Kultur  ge- 
führt, sie  haben  uns 
stark  und  mächtig  ge- 
macht, sie  haben  das 
Volk  der  Denker  erzo- 
gen, das  in  den  Wis- 
senschaften führend  ist, 
sie  haben  eine  hoch- 
entwickelte Technik 
ermöglicht  und  uns  in 
den  Stand  gesetzt,  un- 


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ST.VATLICHE  KUNSTÜEWERBE-SCHULE  ZU  HAMliUKG.   .SCHULER^VRBEITEN  AUS  EINEM  Sl'lELZEUG-WETTBEWERB. 


Kinderarbeiten  —  eitie  Forderung  an  die  Schule. 


140 


seren  Handel  über 
die  ganze  Erde  zu 
verbreiten,  und  uns 
schließlich  zu  einer 
Machtstellung  ge- 
führt, die  uns  un- 
sere Feinde  neide- 
ten und  sie  schließ- 
lich veranlaßte,  uns 
mit  Krieg  zu  über- 
ziehen. —  Und 
doch!  Sind  Wün- 
sche und  Forde- 
rungen aller  Orten 
laut  geworden  und 
erhoben,  sind  neue 
Bildungsziele  aufge- 
stellt, die  eine  Re- 
form unseres  Schul- 
wesens nötig  ma- 
chen. Schon vor dem 
Kriege  war  man  in 
eine  Besprechung 
einer  Reihe  von 
Fragen  eingetreten 
und  hatte  bestimm- 
te Wünsche  formu- 
liert. So  z.  B.  wurde 
die  Forderung  einer 
besseren  staatsbür- 


KUNSTGEWEKBE-SCHULE  ZU  HAMKUKG.    .  KASPERL-THEATER« 


gerlichen  Erziehung 
erhoben ,  die  dem 
Einzelnen  sein  Ver- 
hältnis zum  Staate 
klarlegt,  ihm  den 
Platz,  auf  den  er 
gestellt  ist ,  ver- 
ständlich macht  und 
die  Aufgaben  zeigt, 
die  er  der  Allge- 
meinheit gegenüber 
zu  erfüllen  hat,  oder 
die  Forderung  einer 
Umformung  unserer 
Schulorganisationen 
mit  dem  Zwecke, 
den  Begabten  den 
Weg  zu  ihrer  vollen 
Entwicklung  frei  zu 
machen,  damit  sie 
für  die  Allgemein- 
heit ausgewertet 
werden  können. 
Denn  Deutschland 
braucht  besonders 
alle  begabten  Kräf- 
te, und  sie  zur  Ent- 
faltung zu  bringen, 
heißt  zugleich  un- 
serem    Vaterlande 


STAATLICHE  Kr 


\rs  EINKM  WETTHEWERH. 


Kinderarbeiten  —  eine  Forderung  an  die  Schule. 


die  höchsten  Dienste  erweisen.  Oder  aber 
die  Forderung  einer  besseren  körperlichen  Er- 
tüchtigung und  Wehrhaftmachung  der  Jugend, 
eine  Forderung,  die  durch  den  Krieg  beson- 
deren Nachdruck  erhalten  hat.  Und  nun  wollen 
wir  zu  diesen  Wünschen  noch  einen  hinzu- 
fügen, einen  Wunsch,  der  im  Zusammenhange 
mit  den  Arbeiten  der  Kinder  steht.  Die  Bitte, 
die  wir  aussprechen  müssen,  ist  nicht  neu. 
Schon  im  Jahre  1908  wurde  auf  dem  Inter- 
nationalen Kunst  -  Erziehungstage  in  London 
auf  das  Eindringlichste  die  zu  stellende  For- 
derung erörtert,  daß  nämlich  die  Schulen  all- 
gemein den  Handfertigkeitsunterricht  pflegen 
und  daß  der  Zeichenunterricht  immer  mehr  zu 
einem  Mittel  der  künstlerischen  Erziehung  der 
Jugend  ausgestaltet  werden  möchte.  Warum 
wohl?  Weil  die  bisherige  Erziehung  im  wesent- 
lichen auf  eine  Schulung  des  Verstandes  und 
auf  die  Aneignung  eines  Wissens  abzielt,  die 
Erziehungs-  und  Bildungswerte ,  die  in  der 
praktischen  Arbeit  begründet  sind,  nicht  aus- 
nutzt, die  Entwicklung  schöpferischer  Fähig- 
keiten nur  einseitig  anbahnt  und  die  Gebiete 
künstlerischen  Schaffens  nicht  genügend  berück- 
sichtigt. Die  Schule  soll  doch  eine  allgemeine 
Bildung  vermitteln  und  zur  allgemeinen  Bildung 
gehört  doch  vor  allem,  was  das  Wesen  der 
deutschen  Art  ausmacht,  gehört  neben  einem 
allgemeinen  Wissen  auch  ein  allgemeines  Ver- 
ständnis für  die  künstlerische  Arbeit.  Vor  allem 
verlangen  wir  heute  von  der  Schule  die  har- 
monische Entwicklung  aller  Kräfte  des  Ver- 
standes, des  Gefühls,  die  Entwicklung  aller 
Organe,  der  Augen  zum  Beobachten,  zum  be- 
wußten Erschauen,  der  Ohren  zum  Aufmerken, 
zum  Hören  und  Unterscheiden  der  Geräusche, 
der  Hände,  um  sie  geschickt  zu  machen  für  die 
Befehle  des  Geistes  für  das,  was  Augen  sehen 
und  Ohren  hören.  Die  im  Kriege  gemachten 
Erfahrungen  weisen  mit  großer  Bestimmtheit 
auf  eine  klaffende  Lücke  in  der  Schulerziehung 
hin,  auf  die  mangelhafte  Ausbildung  des  Auges 
und  der  Hand.  Der  Handgeschickte  ist  der 
brauchbarere  Soldat,  denn  mit  der  Erwerbung 
der  Handgeschicklichkeit  ist  die  Ausbildung  des 
Sehens  und  des  Beobachtens  aufs  engste  ver- 
knüpft. Beobachten  und  Handgeschicklichkeit 
verhalten  sich  wie  Ursache  und  Wirkung.  Dem 
Beobachten  erfolgt  das  Erkennen.  Das  genau 
Erkannte  kann  veranschaulicht  werden  durch 
die  Sprache  oder  durch  die  Hände,  sei  es  in 
Zeichnung  oder  durch  die  Form  in  beliebigem 
Material,  geschickt  oder  ungeschickt,  ganz  nach 
der  erzogenen  Fähigkeit  der  Hände.  Die 
Sprache  und  die  Hände  sind  die  gleichen  Diener 
des  Erkennens,  des  Verstandes. 


Was  nun  für  den  Krieg  gilt,  gilt  auch  für  das 
gesamte  Leben.  Krieg  ist  die  potenzierteste 
Form  des  Lebens,  die  äußerste  Anstrengung 
aller  Kräfte.  Die  Schule  wird  sich  bewußt 
werden  müssen,  in  Zukunft  mehr  im  Geiste 
Fröbels  zu  arbeiten,  durch  das  Spiel  zur  Arbeit 
zu  leiten,  praktische  Arbeit  aufzunehmen,  wie 
andere  Völker  es  systematisch  mit  größtem  Er- 
folge schon  lange  getan  haben.  Die  Arbeit- 
samkeit und  die  Entwicklung  des  jungen  Men- 
schen ist  nicht  allein  durch  wissenschaftliche 
Disziplinen  zu  fördern,  sie  scheitert  an  der  Ver- 
schiedenarligkeit  der  Veranlagung  der  Indivi- 
duen. Wenn  auch  die  geistige  Schulung  das 
Hauptziel  der  Erziehung  sein  wird,  so  wird  sie 
doch  die  wertvollste  Hilfe  durch  die  Förderung 
der  manuellen  Fähigkeiten  erfahren  und  ihre 
Pflege  wird  wohltuend  die  Verschiedenartigkeit 
der  Begabungen  ausgleichen,  und  nicht  unwich- 
tige Forderungen  des  praktischen  Lebens  er- 
füllen. Die  Wissenschaft  und  das  praktische 
Leben  dürfen  nicht  im  Gegensatz  stehen.  Sie 
sollen  sich  gegenseitig  durchdringen  und  unsere 
Jugend  soll  so  erzogen  werden,  daß  sie  weder 
den  Anforderungen  der  Wissenschaft  roch 
denen  des  praktischen  Lebens  fremd  gegenüber- 
steht. Wer  gelernt  hat,  Material  zu  bewältigen, 
es  zu  formen,  schon  in  der  Schule,  durch  die 
wir  alle  gehen,  während  nach  der  Schule  vielen 
die  praktische  Arbeit  verschlossen  bleibt,  wird 
nicht  nur  durch  seine  Fühlungnahme  mit  der 
Handarbeit  bereichert  und  seine  Verstandes- 
kräfte gefördert  haben,  er  wird  auch  die  Arbeit 
lieben,  zum  wenigsten  schätzen  gelernt  haben. 
Die  Wertschätzung  der  Arbeit  ist  aber  sowohl 
für  ihre  Entwicklung  als  auch  für  die  Erhaltung 
der  Art  von  höchster  Bedeutung.  Die  Arbeits- 
leistung des  Einzelnen,  die  eines  ganzen  Vol- 
kes, findet  ihren  Maßstab  in  den  Äußerungen 
vergangener  Epochen  und  in  der  Arbeit  der 
mitstrebenden  Völker,  Den  höchsten  Stand 
der  Arbeitsgebiete  aller  Art,  der  Kultur,  wird 
das  Volk  erringen,  das  seine  Arbeit  am  tiefsten 
und  in  der  Form  am  schönsten  gestallet.  Es 
ist  einmal  gesagt  worden,  wenn  wir  von  den 
Griechen  nichts  weiter  kennen  würden,  als  ihre 
Plastik  und  Tempelbaukunst,  wir  sie  doch  als 
Kulturvolk  von  höchster  Bedeutung  anzuer- 
kennen hätten.  Die  Schönheit  der  Form  war 
ihnen  Symbol  und  Ausdruck  ihres  geistigen 
Lebens.  —  Was  hat  nun  die  Schule  getan  um 
unser  Leben  zu  formen,  um  Verständnis  für  die 
künstlerischen  Absichten  zu  erwecken,  um  das 
ganze  Volk  lebendigen  Anteil  an  dem  sichtbaren 
Aufbau  seiner  Kultur  nehmen  zu  lassen,  sein 
Empfindungsleben  zur  Entfaltung  zu  bringen 
und   die  sittlichen  Kräfte  nutzbar  zu  machen, 


KtTiderarbeiten  —  eine  Forderung  an  die  Schule. 


die  von  dem  Kunstwerk  ausstrahlen?  Es  soll 
die  Bedeutung  des  Unterrichtes  in  der  Literatur 
und  die  Pflege  des  Gesanges  nicht  verkannt 
werden.  Von  dem  Zeichenunterricht  kann  nur 
gesagt  werden,  daß  er  seiner  Bedeutung  nicht 
entsprechend  behandelt  wurde. 

Die  natürlichen  Forderungen  des  Kindes  sind 
nicht  unbeachtet  geblieben  und  nach  mancherlei 
Richtungen  sind  Versuche  gemacht  worden,  an 
das  Spiel  des  Kindes  anzuknüpfen,  die  im  Spiel 
Hegenden  Werte  zu  benutzen  und  die  Erziehung 
durch  das  Spiel  hindurch  zu  leiten.  Das  Spiel 
ist  fraglos  die  Arbeit  des  Kindes,  es  ist  eine 
Nuance  der  Arbeit  auf  einer  gewissen  Entwick- 
lungsstufe des  Menschen.  Im  Spiel  wurzelt  die 
Freude,  die  durch  die  selbstgewählte  Art  der 
Beschäftigung  bedingt  ist,  und  die  um  so  höher 
ist,  je  selbständiger  das  Kind  beim  Spiel  ver- 
fahren kann.  Dieses  Moment  der  Freude,  das 
im  Spiele  liegt,  darf  bei  der  Arbeit  ebensowenig 
fehlen,  als  eine  gewisse  selbständige  Betätigung, 
wenn  sie  eine  Lust  sein  soll.  Die  Arbeit  wird 
erst  zur  Arbeit,  wenn  sie  als  Last  empfunden 
wird,  wenn  sie  keine  Freude  macht.  Wenn 
innerhalb  der  Schulzeit  immer  wieder  die  Lust 
zum  Spielen  durchbricht,  so  ist  das  nichts  an- 
deres, als  ein  Ringen  nach  selbstgewählter  Be- 
schäftigung, als  ein  Sichauflehnen  gegen  den 
Zwang,  gegen  das  unerbitthche  Schulgesetz. 

Spielen  heißt  im  gewissen  Sinne  auch  Ge- 
stalten. Alles,  was  das  Kind  tut,  deutet  auf 
eine  von  der  Natur  vorgeschriebene  Entwick- 
lung des  Schaffenstriebes;  es  drängt  nach  har- 
monischer Entfaltung  aller  seiner  Kräfte.  In 
dem  Unterrichtsgebiete  des  Zeichnens  ist  seit 
länger  als  15  Jahren  eifrig  gearbeitet  worden, 
um  aus  dem  „technischen  Fach"  den  Unterricht 
für  die  künstlerische  Erziehung  zu  gewinnen. 
Den  Schülern  sollen  die  Augen  geöffnet  werden, 
um  sehen  zu  lernen,  sie  sollen  in  ein  intimeres 
und  in  ein  ästhetisches  Verhältnis  zur  Natur 
und  Kunst  treten.  Das  Zeichnen  soll  ein  Aus- 
drucksmittel werden.  Wie  aber  vom  exakten 
Beobachter  der  Natur,  dem  naturwissenschaft- 
lichen Sehen,  die  Wege  zur  Kunst  führen,  das 
wird  von  den  Vertretern  des  Zeichenunter- 
richtes, den  Vertretern  der  künstlerischen  Er- 
ziehung ganz  verschieden  gezeigt.  Die  einen 
wollen  nur  die  Sinne  aufnähme-  und  genuß- 
fähig machen,  die  anderen  wollen  mehr,  wollen 
durch  den  Zeichenunterricht  die  produktiven 
Kräfte  entwickeln  helfen.  —  Es  dürfte  ein- 
leuchten, daß  durch  diese  Förderung  noch 
höhere  Ziele  in  den  Zeichenunterricht  hinein- 
getragen werden,  weil  in  der  Entwicklung  der 
schöpferischen  Kräfte  zugleich  die  Entwicklung 
des  Individuums  zur  Persönlichkeit  steckt  und 


zugleich  aus  dem  künstlerischen  Schaffen  das 
künstlerische  Genießen  erwächst. 

Der  kommende  Friede  wird  ein  fortgesetzter 
Kampf  auf  wirtschaftlichem  Gebiete  sein,  in 
der  Schönheit  der  Form  wird  der  endgültige 
Sieg  liegen.  Die  Geschichte  beweist  das.  Es 
ist  nicht  nötig  auf  den  Zusammenhang  der 
Blüteperioden  künstlerischer  Tätigkeit  mit  dem 
Hochstand  der  Wirtschaft  hinzuweisen.  Wir 
sind  uns  darüber  völlig  klar,  daß  wir  in  Zu- 
kunft nicht  durch  billige  Arbeit  den  ausländi- 
schen Markt  uns  sichern  können,  dazu  sind  die 
Löhne  in  unserem  Lande  zu  hoch  und  die  Roh- 
materialien zu  teuer  geworden.  Wir  werden 
auf  die  bestmögliche  technische  Herstellung 
unserer  Erzeugnisse  bedacht  sein  und  bestrebt 
sein  müssen,  die  Dinge  geschmacklich  so  gut 
es  geht  zu  formen.  Ein  teures  Rohmaterial 
kann  auch  nur  durch  seine  Verarbeitung  Ge- 
winn bringen,  wenn  es  sich  um  etwas  Beson- 
deres handelt,  wenn  es  durch  eine  Erfindung 
oder  um  eine  Höchstleistung  im  technischen 
und  formalen  Sinne,  wenn  es  durch  die  Gestal- 
tung und  Formung  veredelt  oder  wie  man  auch 
gesagt  hat,  durch  die  Arbeit  vergeistigt  wird. 
Die  Vergeistigung  wird  künstlerischen  Ursprungs 
sein  müssen.  Sie  ist  das  Mittel  für  eine  höhere 
Preisbestimmung,  die  über  die  Festsetzung  der 
Preise  von  Waren  steht,  die  dieses  Plus  von 
geschmacklicher,  von  künstlerischer  Zutat  nicht 
haben.  —  Daraus  wird  ersichtlich,  daß  die 
künstlerische  Erziehung  neben  ihrer  Bedeutung 
für  unser  geistiges  Leben  von  großer  Wichtig- 
keit für  die  Förderung  unserer  Wirtschaft  ist. 
Je  mehr  nun  unser  ganzes  Volk  auf  den  Stand- 
punkt eines  geläuterten  Geschmackes  erhoben 
wird,  um  so  höhere  Anforderungen  wird  es  an 
die  Gestaltung  der  Dinge  stellen  und  so  die 
deutsche  Art  zur  Entfaltung  bringen  und  unserer 
Kultur  ihre  sichtbare  formale  Gestaltung  geben. 

Wenn  wir  Kinderarbeiten  kritisch  betrachten, 
werden  wir  uns  bewußt  werden,  was  für  eine 
Fülle  von  Kraft  des  Gestaltens,  für  eine  Tiefe 
des  Gefühlslebens,  was  für  schöpferische  Fähig- 
keiten in  unserer  Jugend  ruhen.  In  den  Ma- 
lereien ringen  ihre  Empfindungen  nach  Aus- 
druck, ob  sie  nun  durch  äußeren  Anreiz,  durch 
Betrachten  eines  Bildes,  durch  Erschautes  oder 
Erlebtes  lebendig  wurden  oder  durch  Aufgaben 
veranlaßt  zur  Lösung  kamen.  Ebenso  zeugen 
ihre  ornamentalen  Arbeiten,  ob  sie  nun  auf 
dem  Papier,  in  Pappe,  Holz  oder  Wolle  ausge- 
führt sind,  von  Phantasie,  von  Erfindungskraft. 
Aus  den  spielenden  Kräften  der  Phantasie  ent- 
wickeln sich  die  Kräfte  schöpferischer  Gestal- 
tung. Sie  sind  die  wertvollsten  geistigen  Kräfte 
der  Menschen,  auf  ihnen  ruht  der  Fortschritt 


143 


Kinderarbeiten  —  eine  Forderuno  an  die  Schule. 


und  die  Gesamtentwicklung  der  Kultur.  Diese 
Kräfte  müssen  auch  in  künstlerischem  und  tech- 
nischem Sinne  schon  während  der  Schulzeit 
entwickelt  werden  und  zwar  im  Handfertig- 
keitsunterricht und  im  Zeichenunterricht,  Wenn 
wir  den  angedeuteten  Weg  mit  Erfolg  beschrei- 
ten, dann  dürfte  die  Unselbständigkeit  des  Ur- 
teils weiter  Kreise  in  allen  Fragen  des  Ge- 
schmackes allmählich  behoben  werden  und  dann 
dürften  unsere  Gebildeten  auch  an  der  tech- 
nischen Arbeit  nicht  so  achtlos  vorübergehen, 
wie  es  vielfach  der  Fall  ist.  Unsere  künftige 
Generation  würde  technisch,  d.  h.  praktisch 
denken  gelernt  haben  und  eine  starke  Empfin- 


dung für  das  Schöne  und  ein  Vertrauen  für  die 
eigene  Kraft  des  Gestaltens  mit  für  den  Lebens- 
kampf bekommen  haben.  Dann  wird  auch  der 
Zustand  der  Abhängigkeit  dem  Auslande  gegen- 
über aufhören  und  auch  die  Abhängigkeit  von 
denen,  die  vorgeben  für  uns  zu  denken,  die 
angefangene  Stickereien,  Näh-,  Häkel-  und  an- 
dere Arbeiten  anbieten,  die  jede  Selbstbetä- 
tigung in  Fragen  des  Geschmacks  und  der  häus- 
lichen Kunstpflege  ausgeschaltet  haben.  Die 
Betrachtung  der  Kinderarbeiten  hat  uns  zu 
sehr  ernsten  Fragen  geführt,  über  die  nach- 
zudenken und  sie  zur  Lösung  zu  bringen,  wir 
alle  die  Pflicht  haben,   kichard  meyer— Hamburg. 


GERTRUD  UL.M.\N\-DARMSTADT.  GEMÄLDE  »MUTTER  UND  KIND* 


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1 


ERICH  ERLER.  GEMÄLDE  >DAVID.  brakls  kunsthaus-mOnchen. 


ERICH  ERLER     MÜNCHEN. 


»WIESEN-QUELLE«  BRAKLS  l 


AUS  BRAKLS  KUNSTHAUS  IN  MÜNCHEN. 


Brakls  Kunsthaus  in  München,  das  seines- 
gleichen nirgends  hat  und  seinen  Namen 
in  doppeltem  Sinne  —  als  künstlerisches  Haus 
und  Haus  für  die  Kunst  —  zu  Recht  und  mit 
Ehren  trägt,  ist  gewiß  auch  deshalb  ein  so  an- 
genehmer Aufenthalt  für  jeden  Genießer,  weil 
man  sich  dort  vor  den  oft  recht  aussichtslosen 
Kämpfen  auf  den  Kriegsschauplätzen  der  Kunst 
ebenso  geborgen  fühlt  wie  vor  der  Zudringlich- 
keit der  rückständigen,  glatten  Mittelmäßigkeit. 
Die  hellen  und  behaglichen  Räume,  die  Emanuel 
von  Seidl  geschaffen  hat,  sind  vom  ersten  Tage 
ihres  Bestehens  an  ein  Versammlungsort  für 
jene  Münchnerische  Kunst  gewesen,  die  auf 
den  Gefilden  der  „Sezession"  und  der  einstigen 


„Scholle"  ihr  Gedeihen  gefunden  hat.  Das  ist 
ein  gar  weites  Gebiet,  das  keine  dogmatische 
Einschränkung  kennt  und  dessen  Grenzen  dort 
beginnen,  wo  die  Reaktion,  der  Dilettantismus 
und  der  Kitsch,  der  vergangene  und  der  zukünf- 
tige, anfangen.  Und  man  mag  zu  Brakl  kom- 
men, wann  man  will,  immer  wird  man  eine 
große  Zahl  wunderschöner  Bilder  dort  vereinigt 
finden,  die  ein  Stück  lebendigster  Münchener 
Kunst  darstellen  und  deren  Eindruck  dem  der 
modernen  Abteilung  irgend  einer  unserer  öffent- 
lichen Galerien  sehr  häufig  zum  mindesten 
gleichkommt.  Eine  kleine  Auswahl  solcher 
Bilder,  von  denen  jedes  zu  jeder  Zeit  durch  ein 
Dutzend  anderer  von  gleicher  Qualität  ersetzt 


XX.  Dezember  I9I6.  1 


Aus  Brakls  Kunstbaus  in  Alünchen. 


Sfc^V^  ->i 


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nsi^^f*-' 


ERICH  EKLER     MUNXlll 


werden  könnte,  ist  hier  wiedergegeben,  gewiß 
zur  Freude  aller,  die  sich  den  Sinn  für  gute, 
moderne,  deutsche  Kunst  Münchnerischer  Fär- 
bung ungetrübt  bewahrt  haben.  Da  ist  zunächst 
der  Romantiker  Erich  Erler-Samaden,  benannt 
nach  jenem  Ort  im  Engadin,  wo  er  einst  Ge- 
sundung nach  langem  Leiden  und  später  un- 
zählige Motive  für  seine  tiefempfundenen  und 
großgesehenen,  dem  dekorativen  Flächensfil 
sich  nähernden  Hochgebirgsschilderungen  ge- 
funden hat.    Einfachstes,  Urmenschliches  sozu- 


sagen, gewinnt  hier  Gestalt:  der  Hirte,  zeitge- 
nössisch oder  biblisch,  selbst  ein  Stück  Natur, 
mit  ihr  trauernd  und  sich  mit  ihr  freuend,  oder 
der  Wanderer,  der  seinen  Durst  an  der  Quelle 
stillt.  In  starkem  Gegensatz  zu  diesem  Rhap- 
soden, der  stets  den  gesteigerten  Ausdruck  der 
Wirklichkeit  gibt,  steht  der  Realist  und  Im- 
pressionist Hermann  Groeber.  In  ihm  wirkt 
Leibische  und  Holbeinsche  Tradition  im  Mal- 
technischen wie  in  der  Auffassung  lebendig 
fort,  und  die  Wahrheit  und  Posenlosigkeit  seiner 


HERMANN  GROEBER  »IM  GEBET«  brakls  kunsthaüs-mOnchen. 


HERMANN  GROEBER  .BÄUERIN  MIT  KIND«  Privatbesitz. 


JOSSE  GOOSSENS-MÜNCHEN.  »SELBSTBILDNIS. 

AUSGEST.  IN  DER  SEZESSIONS-AUSSTKLLUNG— MÜNCHEN  Wli;. 


^-Itis  Brakls  Ku7isihaus  in  Jlünchen. 


ländlichen  Modelle,  die  er  besonders  liebt,  be- 
rührt ebenso  sympathisch,  wie  seine  frisch- 
bunte, saftige  Primamalerei  ein  Fest  für  fein- 
schraeckerische  Augen  ist.  Höchst  gediegen  ist 
alles,  was  der  Tiermaler  Paul  Junghanns  von 
seiner  Staffelei  entläßt.  Rinder  und  Ziegen  sind 
seine  bevorzugten  Objekte,  und  man  braucht 
wohl  eine  Weile,  bis  man  zu  dieser  stillen, 
grundehrlichen  Kunst  ein  näheres  Verhältnis 
gewinnt.    Aber  es  lohnt  sich.    Spezifisch  städ- 


tische Kulturmalerei  sind  die  Bilder  des  in 
München  lebenden  Aacheners  Josse  Goos- 
sens.  Während  er  sonst  gerne  Park-  und  Jahr- 
marktszenen malt,  stellt  er  sich  hier  selbst  vor, 
und  in  einem  Stilleben  gibt  er  einen  Begriff  von 
dem  Temperament  seines  Strichs,  seinem  Ge- 
schmack und  seinem  dekorativen  Geschick.  Ein 
Paradestück  dekorativer  Münchener  Malerei 
ist  das  Stilleben  mit  dem  goldenen  Leuchter 
von  R.  M.  Eichler.    Man  weiß  nicht,  was  man 


Kl   INH'  II  I.   MAX    I  b   HIJ;K      .NU    Ni   111 


PROFE'^';nR  ANGET  n  JANK-MÜNCHEN.  »HINDENBURG. 


.  lus  Brak/s  Kunsthaus  ifi  Müftc/ien. 


ALBERT  WEISGERBER  t 

an  diesem  köstlichen  Werk  mehr  rühmen  soll; 
die  frische,  großzügige  Malerei  oder  das  festlich- 
bunte Allerlei  von  Blumen,  Geschirren  und 
Stoffen,  das  sich  aufs  Glücklichste  zu  einer 
dekorativen  Einheit  zusammenschließt.  Die 
zwei  Bilder  endlich,  die  noch  zu  nennen  übrig 
sind,  weisen  uns  mittelbar  bezw.  unmittelbar 
auf  den  Krieg.  Mittelbar  das  erste,  eine  Land- 
schaft von  Albert  Weisgerber,  der  in  Flan- 
dern gefallen  ist.  Das  schöne  Werk  ist  in  jedem 
Strich  ein  echter  Weisgerber  und  läßt  wohl 
ahnen,  was  wir  an  diesem  starken  Talent  ver- 
loren haben.  Das  zweite  Bild  aber  stammt  von 
der  Meisterhand  Angelo  Janks.  Es  ist  viel- 
leicht das  beste  aller  Hindenburgbildnisse,  die 
dieser  berufene  Soldatenmaler  bis  jetzt  ge- 
schaffen hat;  und  die  Vermutung  ist  nicht  von 
der  Hand  zu  weisen,  daß  die  Bildnisse  Janks  in 
erster  Linie  mitberufen  sein  werden,  die  Erschei- 
nung des  größten  Feldherrn  dieses  Weltkriegs 
der  Nachwelt  zu  übermitteln.  ,  .  .   r.  braungart. 


GEMÄLDE  »PILSEXSEE« 


AUSSAAT  UND  ERNTE.  Eine  der  auffal- 
£\.  lendsten  Erscheinungen  in  der  Kunstge- 
schichte, namentlich  der  jüngsten,  ist  die  geringe 
Neigung,  mühsam  errungenes  Können  auszu- 
münzen, in  Ruhe  zu  ernten,  was  in  schwerer 
Arbeit  vorbereitet  wurde.  Manche  Künstler 
haben  wenigstens  den  einmal  errungenen  per- 
sönlichen Stil  festgehalten,  um  in  gerader  Linie 
Meisterwerke  aneinanderzureihen.  Die  meisten 
entwickeln  sich  in  Umstürzen.  Kaum  haben  sie 
eine  Höhe  erklettert,  reizt  sie  schon  eine  an- 
dere zu  neuem  Klettern  über  Abgründe.  Nie- 
mals wurde  das  von  einem  Meister  Errungene 
durch  eine  Generation  von  Künstlern  festge- 
halten, ausgebaut,  angewendet.  Oft  bedauert 
man  diese  leidige  Unruhe  der  Menschheit.  Was 
hätte  der  Impressionismus  auch  an  großen  Wer- 
ken noch  hervorbringen  können !  Die  Art  Van 
Goghs  war  so  fruchtbar  und  blieb  doch  auf  den 
einen  Namen  beschränkt !  Man  kann  sich  in 
dem  Stil  der  Ruderer  von  Marees  Hunderte 


Aussaat  und  Ernte. 


monumentaler  Gemälde  denken,  alles  verpaßte 
Gelegenheiten.  Es  ist,  als  ob  es  den  Künstlern 
immer  genügt  hätte,  zu  sehen,  daß  es  so  geht 
und  daß  ihre  Kraft  dazu  reicht,  daß  sie  dem 
Problem  gewachsen.  Ein  Werk  sagte  ihnen 
das.  Jede  Anwendung  war  ihnen  eine  nicht 
bloß  überflüssige,  sondern  in  gewissem  Sinne 
unehrliche  Wiederholung.  Sie  wollten  sich  nicht 
selbst  kopieren,  sei  es  auch  nur,  indem  sie  die 
Art  der  Problemlösung  wiederholten.  So  hat 
die  Kunst  eine  Unmenge  guter  Rezepte  aufge- 
häuft, von  denen  niemand  Gebrauch  macht, 
außer  untergeordneten  Kräften,  die  das  Wesent- 


liche mißverstehen.  Künstlerisches  Schaffen 
wird  also  für  identisch  gehalten  mit  „Versuchen", 
„Bearbeitung  neuer  Probleme".  —  Dieses  Sy- 
stem hat  manche  Schattenseite.  Die  Hast  des 
Wechsels  wird  immer  stürmischer,  die  Meister- 
werke immer  seltener.  Bis  schließlich  nur  mehr 
die  Andeutung  der  Lösung  genügen  wird.  Die 
Aufgaben,  die  die  Kunst  dem  Leben  gegenüber 
hat,  zu  schmücken,  zu  erheben,  zu  erheitern, 
bleiben  hierbei  vollkommen  unberücksichtigt. 
Das  Können  verzehrt  sich  in  unendlichen  Über- 
windungen. Wir  sehen  ein  stetes  Keimen,  aber 
kein  Reifen,  keine  Ernte a.  jaumann. 


EMIL  BEITHAN    BUCHSCHLAG.  GEMÄLDE  .OBERllKSSlSCllES  BAUEKNPAAK. 


1-RANZ  ILVKC  t 


I  KKl  1LM)L   li-hKliEi 


FRANZ  MARC  t 

GEDÄCHTNIS-AUSSTELLUNG  IN  DER  MÜNCHENER  NEUEN  SEZESSION. 


VON  DR.  HANS  HILDEBRANDT. 


Deutlicher  als  diese  Ausstellung  fast  des  ge- 
samten Lebenswerks,  das  einer  der  Besten, 
Unersetzlichen  hinterlassen  hat,  enthüllte  kaum 
je  eine  Ausstellung  das  Werden  einer  bedeu- 
tenden Persönlichkeit  wie  die  Entwicklung  jener 
Kunst,  die  Gegenwart  —  und  vor  allem  Zu- 
kunft ist.  Sie  umfaßt  gegen  200  Ölgemälde, 
Aquarelle,  Holzschnitte,  Zeichnungen,  Studien 
und  eine  Reihe  von  Skizzenbüchern. 

Das  Schaffen  Franz  Marcs,  dem  es  nur  ver- 
gönnt war,  ein  Alter  von  35  Jahren  zu  er- 
reichen, setzt  ein  mit  schlichten  Bildnissen  und 
Naturstudien,  vor  allem  nach  Tieren.  Sehr 
eigenartig  sind  diese  frühesten  Arbeiten  nicht, 
die  von  der  Schulung  an  der  Münchener  Aka- 
demie erzählen.  Allein  die  Bildnisse  der  Eltern 
und  des  Bruders  bezeugen  die  Innerlichkeit, 
und  die  mit  sorglichster  Liebe  ausgeführten 
Naturstudien  die  Fähigkeit  des  Künstlers,  ein- 
zudringen in  den  Baugedanken  eines  Organis- 
mus, die  Formen  groß  zu  sehen  und  jeder  Tier- 
gattung das  Eigentümliche  der  durch  ihr  Kör- 
pergefühl bedingten  Bewegung  abzulauschen. 


Die  umfangreicheren  Bilder  der  Frühzeit  hat 
Marc  vernichtet.  Die  ersten  noch  vorhandenen 
Ölgemälde  entstammen  den  Tagen  der  allge- 
meinen Begeisterung  für  die  Freilichtmalerei. 
Sie  wirken  einfach  licht.  Ein  sehr  helles  Grün 
ist  die  einzige  Farbe,  die  neben  Weiß  in  feinen, 
vielen  Tönungen  sich  behauptet.  Wieder  tritt 
der  Mensch  hinter  Tier  und  Landschaft  zurück. 
Sehr  bezeichnend  für  Marc,  dessen  Erkenntnis 
vom  künstlerisch  Wesentlichen  seinem  Gestal- 
tungsvermögen vorauseilte,  ist  die  mehrfache 
Darstellung  eines  Gerölls  von  großen,  glatten 
Steinen:  Der  Sinn  für  die  Geschlossenheit  der 
Form,  für  rhythmische  Wiederholung  desselben 
Formmolivs  ist  bereits  wach. 

Nun  hebt  das  Tasten  und  Suchen  an  und 
Jahr  für  Jahr  zerbricht  der  Künstler  eine  der 
Schalen,  die  den  Kern  seines  Schöpfer-Ichs  um- 
hüllen. Eindrücken  in  Paris  gehorchend,  wo 
die  junge  Generation  sich  an  dem  Vorbild  Ce- 
zannes.  Van  Goghs  und  Renoirs  aufrichtet  und 
die  rhythmische  Kunst  der  Japaner  verehrt, 
übernimmt   er   gelegentlich    die   Technik   Van 


Gedächtnis- Ausslelluncr  für  Franz  Marc  in  der  Münchener  N^eue^i  Sezession. 


^ 


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1  K.\Sl  MARC  t 


Goghs  und  versucht  die  Farbenzerlegung  im 
Sinne  der  Neo-Impressionisten.  Schon  werden 
die  Bewegungen  der  Tiere,  wird  ihre  Gruppen- 
bildung rhythmischer  belebt.  Aber  noch  immer 
sind  die  Bilder  vor  allem  hell.  Dann  fügt  Marc 
eine  einzelne  starke  Farbe  —  am  liebsten  ein 
leuchtendes  Rot  —  in  die  lichte  Bildwelt  ein. 
Die  Lösung  von  den  Natureindrücken  beginnt. 
Zunächst  bei  der  Farbe.  Die  ungebrochenen 
reinen  Töne  des  Farbkreises  werden  nebenein- 
andergesetzt. Mißgriffe  kommen  mitunter  vor. 
Manches  dieser  Gemälde  ist  nur  bunt,  und  der 
Naturalismus  der  Formen  widerstreitet  der 
naturfernen  Farbe.  — 

Mit  einemmal  greift  die  Befreiung  von  zu- 
fälligen Eindrücken  auch  auf  die  Formen  über. 
Jedes  Tier  offenbart  den  ihm  eigenen  Rhythmus 
und  die  Linien  seines  Körpers  klingen  mit  den 


jL\;_VLL>L      ~1'KL\G].\M     lil  K1>I- 


Linien  der  Landschaft  zusammen.  Selbst  Far- 
ben von  stärkster  Gegensätzlichkeit  werden 
zur  Harmonie  gezwungen.  Manche  Schöpfung 
von  bleibendem  Wert  ist  Marc  schon  in  diesen 
Jahren  geglückt.  Allein  noch  ist  das  Schaffen 
nicht  völlig  frei.  Zwar  haben  Tiere,  Bäume  und 
Hügel  so  wenig  mehr  die  Lokalfarben  der  sicht- 
baren Wirklichkeit,  wie  ihre  Formen  mit  den 
zufällig  beobachteten  sich  decken.  Aber  noch 
immer  hat  jedes  Ding  seine  bestimmte  Lokal- 
farbe, die  es  von  der  Umgebung  trennt. 

Franz  Marc  ließ  sich  an  dem  Erreichten  nicht 
genügen.  Die  Jahre,  in  denen  er  die  letzte 
Selbstbefreiung  vollzog,  waren  die  Jahre,  in 
denen  die  moderne  Ausdruckskunst  mit  stärk- 
ster Energieanspannung  abschüttelte,  was  ihr 
aus  den  Tagen  des  Impressionismus  noch  an- 
haftete.   Ein  Kreis  Gleichgesinnter  hatte  sich 


Gedächtnis-.  Uissiellwig;  für  Franz  Marc  iri  der  Mü7iche7ier  Ntuen  Sezessio7i. 


FRANZ  MARC  t  MU.NXHKX. 


in  München,  Marcs  Geburtsstadt,  gebildet,  dem 
Macke,  Klee,  Kandinsky  u.  a.  m.  angehörten, 
dessen  Sprecher  Marc  selbst  und  Kandinsky 
(„Der  Blaue  Reiter"  usw.)  wurden,  und  der 
Fühlung  hielt  mit  Picasso  und  den  verwandten 
Geistern  zu  Paris.  Jeder  schenkte  und  empfing 
und  durfte  so  handeln,  weil  keiner  dieser  Ech- 


GKMAI.UE    .KSELIKIES« 

ten  zu  fürchten  brauchte,  daß  er  sich  selbst 
verlieren  werde.  Marc  malte  auch  nun  fast  nur 
Tiere  in  freier  Natur.  Ein  „Tiermaler"  etwa 
im  Sinne  Potters  war  er  darum  nicht.  Kein 
Spezialist  war  er,  der  aus  der  Not  eine  Tugend 
machte;  Marc  liebte  den  Kosmos.  Für  sein 
Gefühl  hatte  sich  der  zwiespältige  Mensch,  der 


FR.-\N/.  MARC  t  MÜNCHEN.  GEM.^LDE. 


X.\.  Dezember  1916  2 


»LIEGENDER  HUND  I.\I  SCHXEE« 


165 


Gedächtnis- Aussiellutiz  /ür  Franz  Marc  in  der  JlTünchener  Ahuen  Sezessiott. 


FRANZ  1LA.RC  t  MÜNCHEN. 


niemals  aufgeht  in  der  Gegenwart,  den  sein 
Wissen  mit  Vergangenheit  und  Zukunft  belädt, 
außerhalb  des  Kosmos  gestellt.  Darum  wirken, 
wo  Marc  doch  einmal  menschliche  Gestalten 
einfügt,  diese  als  nicht  völlig  zugehörig.  Sie 
sind  nicht  eins  mit  Baum  und  Felsen,  Licht  und 
Wasser.  Das  Tier  aber  ist  ganz  Gegenwart. 
Seele  und  Körper  sind  nicht  entzweit,  sein 
Charakter  ist  auch  seine  Gestalt,  und  jeder 
Trieb  bewegt  den  letzten  Nerv.  Nun  suchte 
Marc  das  Wesen  der  Tiere  zu  gestalten:  Die 
pralle  Rundung  des  stolzen  Pferdes  —  die  Spitz- 
heit des  klugen  Fuchses  —  die  geschmeidige 
Kurve  des  leichten  Rehs  —  das  Gebirge  der 
Kühe  und  der  mächtigen  Stiere.  Nicht  minder 
seltsame  Fabeltiere,  wie  nur  der  Dichter  sie 
schaut  —  denn  Marc  war  ein  solcher  der  For- 
men und  Farben.  Aber  nicht  mehr  gesondert 
stehen  die  Tiere  in  einer  Landschaft,  die  aus 
vielerlei  Dingen  sich  fügt:  Sie  verschmelzen 
mit  Bäumen,  Blumen,  Felsen,  Blitzen  und  Was- 
sern. Der  Formenrhythmus  des  Tieres  gibt  das 
Thema  an;  Die  Landschaft  wandelt  es  hundert- 
fältig ab.     So   beherrscht  die   Wagrechte   der 


GEM.VLDE  »DIE  HIRTEN« 


grausamen,  mit  vorgeschobener  Schnauze  vor- 
dringenden Wölfe  alle  Formen  des  Bildes,  ja 
seinen  langgestreckten  Rahmen  selbst  —  dem 
Flügelschlag  eines  Vogels  antworten  alle  nahen 
und  fernen  Formen  mit  Flattern  und  Flirren  — 
und  neben  dem  machtvollen  Körpergefüge  der 
„blauen  Pferde"  türmen  die  Felsen  sich  ge- 
waltig empor.  Der  Aufbau  der  letzten  Gemälde 
erinnert  an  den  von  Symphonien  und  Sonaten. 
Musikalischer  war  kaum  je  ein  Maler  als  Marc, 
der  neben  der  architektonischen  Strenge  Bachs 
die  Grazie  Haydns  und  Mozarts  selige  Schön- 
heit liebte.  So  lebt  denn  auch  etwas  vom 
Wesen  dieser  Drei  in  seinen  Werken.  Die 
straffe  Geometrie  (Systeme  senkrecht  und  wag- 
recht ,  diagonal  und  strahlenförmig  geführter 
Gerader,  Systeme  von  Kurven)  gibt  den  Halt; 
die  Farbe  spendet  das  sinnlichste  Leben.  Und 
wie  die  Farbe  verwertet  wird,  den  stärksten 
Eindruck  eines  „idealen"  Raumes  zu  erzeugen, 
dient  sie  der  Bindung  der  Formen.  Sie  bricht 
sich  nur  leise,  wo  sie  von  einem  Ding  zum  an- 
deren hinübergleitet,  aber  sie  ist  nicht  mehr 
unterscheidendes  Merkmal  getrennter  Wesen. 


Gedächt nis-Ausstellu7i er  für  Franz  Marc  in  der  Münchener  N^euen  Sezessio. 


FRAXZ  MARC  t  MUNlHEN. 


Zugleich  schafft  sie  wie  die  Form  den  geistigen 
Ausdruck,  scheint  zart,  jung  und  unschuldig, 
wo  das  Reh  durch  wuchernde  Blumen  schlüpft, 
und  grausam,  düster  und  lauernd  neben  den 
unheilvollen  Wölfen.  Darum  durfte  Marc  auch 
wagen,  Bilder  zu  malen,  die  jeden  Gegenstandes 
bar  sind,  wie  die  „Heiteren"  und  die  „Spielen- 
den Formen".  Jenes  (Sammlung  Bernhard 
Köhler)  ist  schlechthin  beglückend:  wer  diese 
Farben  schaut,  die  aus  Äther,  reinster  Flut  und 
Licht  gewoben  scheinen,  muß  allem  düsteren 
Sinnen  entsagen.  Ganz  nahe  darf  man  an  Marcs 
Gemälde  treten,  darf  sie  Stück  für  Stück  ab- 
lesen wie  eine  vielstimmige  Partitur.  — ■  Dann 
offenbaren  sie  den  sonst  nur  erfühlten  Reich- 
tum der  Farbe,  deren  Glut  und  Tiefe  mit  denen 
mittelalterlicher  Glasgemälde  wetteifert. 

Als  Artillerieleutnant  fiel  Marc  zu  Beginn 
des  Jahres  1916.  Schwer  ward  ihm  die  Ent- 
sagung auf  künstlerisches  Wirken  in  den  Tagen 
der  Vollkraft  —  als  ganzer  Mann  fand  er  sich 
mit  ihr  ab.  Gesteigertes  Menschentum  ward 
ihm,  wie  seine  Briefe  bezeugten,  aus  der  großen 
Prüfung ,  und  er  selbst  ahnte  und  wußte  um 


GEM.^XDE  »PFERDE  MIT  AIJLER« 


gesteigertes  Künstlertum.  Wie  er  nach  glück- 
licher Rückkunft  geschaffen  hätte  —  wir  er- 
raten es  nicht,  und  die  Frage  ist  müssig.  Denn 
uns  ist,  auch  was  der  Frühverstorbene  hinter- 
ließ, schon  eine  Erfüllung!  hans  hildebrandt. 
& 

Wann  die  Wolken  ziehen ,  sind  die  Figuren, 
weldie  sie  bilden,  ihnen  nicht  wesentlich,  sind 
für  sie  gleichgültig:  aber  daß  sie  als  elastisdier  Dunst, 
vom  Stoß  des  Windes  zusammengepreßt,  wegge- 
trieben, ausgedehnt,  zeiiissen  werden;  dies  ist  ihre 
Natur,  ist  das  Wesen  der  Kräfte,  die  sich  in  ihnen 
objektiviren,  ist  die  Idee:  nur  für  den  individuellen 
Beobaditer  sind  die  jedesmaligen  Figuren.  —  Dem 
Bach,  der  über  Steine  abwärts  rollt,  sind  die  Strudel, 
Wellen,  Sdiaumgebilde,  die  er  sehen  läßt,  gleich- 
gültig und  unwesentlidi:  daß  er  der  Schwere  folgt, 
sich  als  unelastische,  gänzlidi  verschiebbare,  formlose, 
durchsiditige  Flüssigkeit  verhält;  dies  ist  sein  Wesen, 
dies  ist,  wenn  ansdiaulidi  erkannt,  die  Idee:  nur  für 
uns,  solange  wir  als  Individuum  erkennen,  sind  jene 
Gebilde.  —  Welche  Erkenntnisart  nun  aber  betrachtet 
jenes  .  .  allein  eigentlich  Wesentliche  der  Welt .  .  ?  — 
Es  ist  die  Kunst,  das  Werk  des  Genius.  Sdiopenliaucr 


FRANZ  lIAKr  f  MUN'CIIEN. 


GEM  \I  III-:    >I)IE  KÜHE« 


FRANZ  MARC  t  MÜNXJIEN.  GEMALDK  »DIE  WEISSE  KAIZE 


NACH  EINEM  ÖLDRUCK  VON  RUDOLF  u.  MINYA-DÜHRKOOP, 


ÄHNLICHKEIT  IM  PHOTOGRAPHISCHEN  BILDNIS. 

zu  DEN  PHOTOGRAPHIEN  VON  RUDOLF  U.  MINYA  DÜHRKOOP. 


Das  Problem  der  Ähnlichkeit  ist  in  der  Bild- 
nisphotographie  ein  grundlegend  anderes 
als  in  der  ßildnismalerei.  Das  ergibt  sich  schon 
aus  den  psychologischen  und  technischen  Vor- 
aussetzungen, unter  denen  sich  die  Arbeit  des 
Malers  einerseits,  die  des  Bildnisphotographen 
anderseits  vollzieht.  —  Jedes  gemalte  Bildnis 
ist  das  Resultat  einer  längere  Zeit  fortgesetzten 
Beobachtung.  Bei  dem  Studium  seines  Mo- 
delles  trägt  der  Maler  Zug  um  Zug  die  Einzel- 
heiten zusammen,  die  ihm  für  dessen  Persön- 
lichkeit wertvoll  und  ausdrucksvoll  erscheinen, 
Einzelheiten  vielleicht,  die  er  zu  ganz  verschie- 
denen Zeiten  in  der  Erscheinung,  der  Haltung, 
dem  Ausdruck  des  Modelies  aufgefaßt  hat. 
Jedes  gemalte  Bildnis  ist  in  diesem  Sinne  ein 
Niederschlag  unzählig  vieler  Eindrücke  und  Er- 
fahrungen, die  der  Maler  gegenüber  dem  Modell 
halte,  es  ist  eine  Gesamtdarstellung  der 
Persönlichkeit.  Daher  rührt  es  auch,  daß 
uns  die  malerische  Ähnlichkeit  als  etwas  Run- 
des, lebensvoll  Plastisches  und  daher  selbst- 
sicher in  sich  Ruhendes  erscheint. 

Der  Bildnisphotograph  befindet  sich  dagegen 
infolge  der  Eigentümlichkeit  seiner  Technik  bei 
der  Bewältigung  des  Ähnlichkeitsproblems  in 
einer  ganz  anderen  und  in  mancher  Beziehung 
viel  schwierigeren  Lage.  Während  der  Künstler 
seine  Eindrücke  im  Bilde  summiert,  schneidet 
der  photographische  Apparat  aus  dem  leben- 
digen Flusse  des  Geschehens,  des  Lebens  der 
Persönlichkeit  einen  einzelnen  Augenblick,  einen 
Einzeleindruck  heraus,  und  die  Aufgabe  des 
Bildnisphotographen  ist  dann  diese,  den  Augen- 
blick so  zu  wählen  und  auszugestalten,  daß  er 
zum  Bilde  und  zwar  zum  ähnlichen  Bilde  wird. 

Allerdings  darf  man  den  Begriff  der  „Ähn- 
lichkeit" dabei  nicht  in  dem  Sinne  allein  fassen, 
den  das  große  Publikum  davon  hat  und  nach  dem 
es  seinerseits  in  gar  zu  vielen  Fällen  die  Bildnis- 
photographie  beurteilt.  Für  das  Publikum  ist 
meistens  das  „ähnlich",  was  ihm  hübsch  und 
gefällig  erscheint,  „unähnlich"  aber  erscheint 
ihm  eine  Photographie  vor  allen  Dingen  dann, 
wenn  man  sich  nicht  vorteilhaft  darin  vor- 
kommt. Für  den  B''dnisphotographen  müssen 
aber  vor  allen  Dingen  solche  Augenblicke  als 
„ähnlich"  und  dat  jtellenswert  erscheinen,  in 
denen  die  Persönlichkeit,  das  geistige,  seelische 
Leben  des  Modelles  am  klarsten  und  unmittel- 


barsten aus  seiner  Haltung,  seiner  Bewegung, 
seinem  Gesichtsausdruck  strahlt.  Diese  Augen- 
blicke muß  er  mit  Zielsicherheit  zu  beobachten, 
zu  erkennen  und  zugleich  mit  seiner  Kamera 
festzuhalten  verstehen.  —  Nun  ist  es  selbst- 
verständlich eine  sehr  schwierige,  vielfach  fast 
unerfüllbare  Zumutung  an  das  Modell,  daß  es 
sich  beim  Photographen,  unter  dem  drohenden 
Cyklopenauge  des  photographischen  Objektivs, 
so  geben  soll,  wie  in  den  besten,  vertieftesten 
Augenblicken  seines  Lebens,  wie  auf  den  Höhe- 
punkten seines  persönlichen  Daseins.  Denn 
abgesehen  davon,  daß  solche  Augenblicke  sich 
schheßlich  nicht  ohne  weiteres  durch  bewußten 
Entschluß  herbeiführen  lassen,  treten  für  sehr 
viele  Menschen  gerade  beim  Photographen  Hem- 
mungen in  Wirksamkeit,  die  ihnen  es  erschwe- 
ren ,  sich  auch  nur  frei  und  unbefangen  wie 
in  ihrem  Alltag  zu  geben. 

Noch  immer  wirkt  bei  vielen  Menschen  die 
Überlieferung  aus  den  ersten  Zeiten  der  Photo- 
graphie nach,  daß  man  beim  Pholographen  vor 
allen  Dingen  stille  sitzen  müsse,  und  sehr  häufig 
wird  dann  aus  dem  Stillsitzen  ein  Steifdasitzen, 
womöglich  noch  mit  gezwungener  Hallung  und 
Muskelverzerrungen  namentlich  auch  im  Ge- 
sichte. Von  einer  verständnisvollen  Unter- 
stützung des  Photographen  durch  ein  unbefan- 
genes Sichgeben  ist  dann  natürlich  keine  Rede. 
Und  wo  diese  schlechte  Tradition  selbst  nicht 
mehr  wirksam  ist,  da  tritt  doch  eine  gewisse 
Befangenheit  vor  dem  photographischen  Appa- 
rat ein,  und  das  Bewußtsein,  photographiert 
zu  werden,  vernichtet  in  gleicher  Weise  den 
natürlichen,  persönlichen  Ausdruck. 

Wie  alle  diese  Schwierigkeiten  trotzdem  über- 
wunden werden  können  und  wie  der  künst- 
lerisch-zielbewußte und  feinempfindende  Pho- 
tograph dennoch  zu  persönlichem  und  seelisch 
vertieftem  Ausdruck,  damit  aber  zu  künstleri- 
scher Ähnlichkeit  in  der  Bildnisphotographie 
gelangen  kann,  das  zeigen  uns  die  Bildnisse 
von  Rudolf  Dührkoop  und  seiner  Tochter  Frau 
MinyaDiez-Dührkoop,  deren  beide  Werkstätten 
in  Berhn  und  Hamburg  nicht  nur  in  der  Ge- 
schichte der  künstlerischen  Photographie  in 
Deutschland  eine  hervorragende  Rolle  gespielt 
haben,  sondern  wegen  ihrer  tatsächlichen,  vor- 
bildlichen Leistungen  noch  heute  an  führender 
Stelle  bei  uns  stehen.  —  Diese  beiden  Photo- 


X.X.  Deitmber  1916    3 


.GENERALOBERST  VON  KLUCK«  AUFNAHME  VON  R.  u.  M.  DCHRKOOP. 


»BILDNIS  DES  MALERS  H.  FR.  HARTMANN«  VON  R.  u.  M.  DÜHRKOOP. 


Ähnlichkeit  im  photographischen  Bildnis. 


graphen  verstehen  es,  auch  dea  widerstreben- 
den Geist  im  ungezwungenen  Gespräch  aus 
sich  selbst  herauszulocken,  die  Persönlichkeit 
in  eine  Umgebung  und  eine  Situation  zu  bringen, 
in  der  ihr  das  Bewußtsein,  photographiert  zu 
werden,  nicht  mehr  im  Vordergrund  aller  Ge- 
danken steht.  Man  muß  es  bewundern ,  mit 
welcher  Sicherheit  sie  in  der  verhältnismäßig 
kurzen,  ihnen  zur  Verfügung  stehenden  Zeit 
das  Wesen  der  vor  ihnen  sich  bewegenden 
Persönlichkeit  zu  beurteilen  und  dann  den  tref- 
fenden Moment  aus  ihrem  Dasein  herauszu- 
schneiden vermögen.  So  bietet  auf  diese  Weise 
eine  Reihe  von  Dührkoopschen  Bildnissen  nicht 
nur  ebensoviele  Beispiele  persönlicher  und 
künstlerischer  Ähnlichkeit,  sondern  man  kann 
auch  sagen,  eine  Reihe  von  typischen  Aus- 
drucks- und  Charakterstudien. 

Besonders  die  weibliche  Lebhaftigkeit,  die 
lebensprühende  Geste  des  Weibes  und  ander- 
seits auch  die  naiv-lebendige  Bewegung  des 
Kindes  finden  in  den  beiden  Dührkoops  immer 
wieder  geschickte  Beobachter  und  glückliche 
Gestalter.  DasThema  „Mutter  und  Kind"  haben 
sie  wiederholt  und  zwar  fern  von  allem  Sche- 
matismus, in  einfacher  Natürlichkeit  trefflich 
behandelt.  Und  wo  dem  Bestreben  des  Pho- 
tographen nach  Erfassung  des  ähnlichen,  weil 
persönlichkeitsgetränkten  Ausdrucks  ein  aus- 
drucksgeschulter Körper  entgegenkommt,  da 
treten  erstklassige  Leistungen  zu  Tage,  wie 
in  den  Bildern  der  tragisch-dramatischen  Geste 
Clotilde  van  Derps  oder  des  südlich-koketten 
Reizes  der  Tortola  Valenzia. 

Die  ruhige  Geschlossenheit  und  innere  Ver- 
tiefung der  männlichen  Haltung  bietet  dem 
Photographen  eine  noch  schwierigere  Aufgabe 
als  die  Lebendigkeit  des  Kindes  oder  der  Frau. 
Denn  gerade  diese  einfache  Geschlossenheit 
geht  leicht  in  Steifheit  über.  Es  ist  eben  schwie- 
riger, in  der  Ruhe  den  Geist  und  das  Gefühl 
ahnen  zu  lassen  als  in  der  Bewegung.  Wer  aber 
in  den  Dührkoopschen  Bildern  den  grübelnden 
Ernst  Dehmels  und  den  suchenden  Blick  Mom- 
berts  oder  das  innere  Lauschen  Sauers  auf  sich 
wirken  läßt,  der  fühlt  unmittelbar,  daß  hier  die 
Persönlichkeit  belauscht  ist.  Und  dasselbe  gilt 
von  dem  intensiven  Schauen  des  Malers  Hart- 
mann. Wie  endlich  der  Photograph  durch  die 
Anordnung  des  Bildnisses,  durch  seine  gesamte 
Auffassung  mit  zum  Persönlichkeitsausdruck 
beitragen  kann,  das  lehren  uns  das  in  etwas 


strengen  Linien  stilisierte  Seitenbildnis  des  Bild- 
hauers Lücksch :  die  stilisierte  Bewegung  der 
Plastik  findet  einen  Nachhall  in  der  Haltung  des 
Künstlers  selbst  —  und  das  durch  die  Einfach- 
heit und  Geradheit  der  Auffassung  wirkende 
Bildnis  des  Generaloberst  von  Klucks. 

Wir  dürfen  nun  aber  nicht  vergessen,  daß 
die  ausdrucksvolle  und  deshalb  künstlerisch- 
ähnliche Haltung  und  Bewegung,  deren  Beob- 
achtung und  Fixierung  als  erste  Aufgabe  des 
Bildnisphotographen  erscheint,  gewissermaßen 
nur  das  Rohmaterial  bedeutet,  daß  sie  nun  erst 
künstlerisch  geformt  werden  muß,  wenn  sie  eine 
befriedigende  ästhetische  Wirkung  haben  soll. 

Der  Photograph  muß  diese  künstlerische  For- 
mung vermöge  einer  Technik  vornehmen,  die 
an  bestimmte  optisch- physikalische  Gesetze 
gebunden  ist.  Er  muß  also  schon  bei  seiner 
Beobachtung  und  vor  allem  bei  der  Auswahl 
des  darzustellenden  Momentes  auf  diese  optisch- 
physikalischen Gesetze  stets  Rücksicht  nehmen. 
Diese  müssen  ihm  so  ins  Blut  übergegangen 
sein,  daß  er  die  Natur  stets  gewissermaßen 
unter  ihrem  Gesichtswinkel  sieht.  Nur  dann 
wird  es  ihm  gelingen,  seine  Bildnisse  im  per- 
sönlichen Ausdruck  ähnlich  zu  machen,  ohne 
auf  eine  einwandfreie  Komposition  der  Linien 
und  Formen,  in  der  Massenverteilung  von  Licht 
und  Schatten,  in  der  Beleuchtung  und  Model- 
lierung zu  verzichten.  —  Wo  dann  noch  ein  so 
feines  Empfinden  für  die  mittels  der  photogra- 
phischen Technik  erreichbaren  ästhetischen  und 
künstlerischen  Qualitäten  im  Bilde  hinzutritt 
wie  bei  den  Dührkoops,  für  die  feine  Abstufung 
der  Tonwerte  und  die  reizvolle  Modellierung 
des  Fleisches  hier,  für  die  großartigere  Wirkung 
breiter,  dunkler  Flächen  und  ruhiger  Linien 
dort,  wo  ferner  eine  völlige  Beherrschung  der 
modernen  Positivverfahren  die  Anwendung  eines 
bestimmten  Kornes,  einer  Tönung,  eines  beson- 
deren Papieres  erlaubt,  die  dem  ganzen  Cha- 
rakter des  Bildes  angepaßt  ist ,  da  stellt  das 
photographische  Bildnis  trotz  seiner  Beschrän- 
kung auf  einen  einzigen  Ausschnitt  aus  dem 
Leben  der  Persönlichkeit  eine  ästhetisch  in 
hohem  Grade  befriedigende  und  sachlich  das 
Wesen  der  Persönlichkeit  eigenartig  treffende 
Leistung  dar.  Und  wenn  man  diese  Leistung 
nicht  Kunstwerk  benennen  will  —  schön,  man 
nenne  sie  eben  Bildnisphotographie.  Dieser 
Name  trägt  dann  eben  schon  in  sich  einen 
ejgenartigen,  kulturellen  Wert.     dr.  w.  warstat. 


.MÄDCHEN-BILDXIS.  AUFNAHME  VON  R.  u.  M.  DUHRKOOP. 


AUFNAHME  VON  R.  u.  M.  DÜHRKOOP-BERLIX-HAMBURG. 


»TILI.A  DURIEUXo  AUFNAHME  VON  R.  u.  M.  DÜHRKOOP    BERLIN-HAMBURG. 


-•^ 


•  KNABEN-BILDNIS.  AUFNAHME  VON  R.  u.  M.  DÜHRKOOP. 


XX.  Dtzember  1916.  4 


»RICHARD  DEHMEL.  AUFNAHME  VON  R.  r.  M.  DÜHRKOOP. 


»BILDNIS  PROF.  E.  SAUER«  AUFNAHME  VON  R.  u.  M.  DÜHRKOOP. 


.DOPPELBILDNIS.  AUFKAHME  VOK  R.  v.  M.  DÜHRKOOP. 


-KXABEN-BILDNIS.  AUFGENOMMEN  VON  RUDOLF  u.  MINYA  DÜHRKOOP    BERLIN-HAMBURG. 


l'ROF.  GEORG  HERTING— HANNOVER. 


»RELIEF  VOM  DUVE-BRUNNEN,  HANNOVER« 


HOFFNUNG  AUF  DIE  DEUTSCHE  KUNST. 

VON  DR.  KARL  GERSTEN  BERG. 


Herrlicher  deutscher  Sommer  1914,  wohin 
bist  du  verweht?  Hast  du  die  Ernte  ge- 
bracht, die  wir  schon  in  vollen  Ähren  wogen 
sahen?  Wohin  kam  die  Klarheit  der  Augen 
und  die  Reinheit  des  Herzens  jener  Tage,  wo 
wir  nur  uns  gehörten?  Damals  stand  eine  deut- 
sche Kunst  so  nahe  vor  uns.  Als  ob  wir  nur 
zuzugreifen  brauchten,  sie  aller  Welt  zu  offen- 
baren. —  Deutsch  im  Stoff,  deutsch  im  Gehalt, 
deutsch  auch  den  Mitteln  nach:  so  haben  die 
Besten  gefühlt.  Aber  geschrieen  haben  es  die 
andern,  die  kein  inneres  Recht  dazu  hatten.  Es 
war  ein  Klüngel  der  Unzufriedenen,  der  Auch- 
Künstler  niederer  Ordnung,  denen  ihr  Ich  höher 
steht  als  die  Kunst.  Sie  konnten  gewiß  keine 
deutsche  Kunst  schaffen,  sie  dachten  auch  gar- 
nicht  so  weit,  sie  wollten  nur  die  fremde  Kunst 
beiseite  schaffen.  Sie  war  ihnen  verhaßt  nicht 
als  Form  dem  geistigen  Werte  nach,  sondern 


als  käufliches  Gut  auf  dem  Kunstmarkt.  Die 
diese  Trommel  rührten,  waren  selbst  verkappte 
Händler  und  schändeten  den  Tempel.  Unter 
dem  Schutzmantel  deutscher  Gesinnung  sollten 
die  lästigen  Mitbewerber  ein  für  allemal  aus 
dem  Wege  geräumt  werden.  Wer  scharfe  Augen 
hatte,  sah  das  Lammfell  um  ihr  Wolfsgebein 
schlottern.  Aber  neben  diesen,  die  den  Schlamm 
peitschten,  haben  doch  die  andern  in  kristall- 
klarer Umgebung  gelebt.  Sie  blieben  stumm. 
Das  waren  die  berufenen  Wärter  der  Kunst. 
Denn  die  Kunst  läßt  sich  nicht  von  der  Zeit 
gebieten.  — 

Wir  haben  es  nun  selber  erlebt:  die  großen 
Gefühlserlebnisse  schlagen  sich  am  schnellsten 
rein  nieder  in  Dichtung  und  Musik,  kurzum  im 
Liede.  Dafür  hatten  wir  als  Vorläufer  über 
zeitliche  Schöpfungen,  die  unvergänglichen 
Lieder  aus  dem  niederländischen  Unabhängig- 


XX.  Dezember  1916.  5 


Hoffnung  auf  die  deutsche  Kunst. 


PROFESSOR 
G.  HERTING- 
HANNOVER. 


keitskampf  und  die  flammende  Lyrik  der  Befrei- 
ungskriege. In  diesen  Liedern  ist  die  Scfiwüle 
der  bebendenFurcht  und  das Getaumel  derHoff- 
nung  und  die  wucfilig  stehende  Kraft  der  Zuver- 
sicht. In  diesen  Gedichten  klingt  der  brennende 
Zorn,  die  klirrende  Kraft  und  das  jauchzende 
Glück  der  Freiheit. 

Aber  für  die  bildende  Kunst  ist  kein  Platz. 
Nur  ein  dürftiges  Rinnsal  läuft,  um  das  Tages- 
bedürfnis zu  befriedigen.  Flüchtige  Eindrücke, 
Tagesstimmungen  werden  uns  gereicht  in  far- 
bigen Skizzen,  zumeist  in  Schwarz- Weiß-Kunst, 
immer  absichtsvoll  mit  Werten  inhaltlicher  Art. 


Wir  gewöhnten  uns  an  die  unerhörten  Stoffe, 
blättern  und  gehen  gleichmütig  weiter.  Nur 
selten  durchzuckt  es  uns  jäh,  wenn  uns  [ein 
fremdartig  Feuerzeichen  ungesehener  Formen 
entgegenschlägt.  Das,  was  aller  Augen  sehen, 
ist  nur  die  Neuheit  der  Stoffe;  die  Bilder  des 
Krieges  im  umfänglichsten  Sinne.  Daran  werden 
die  begleitenden  Werte  des  Vorwurfs,  allenfalls 
der  Auffassung  geschätzt,  die  sich  vordrängen, 
weil  Form  und  Farbe  überkommen  und  ver- 
kommen sind.  Der  neue  Wein  läßt  sich  nicht 
in  die  alten  verschlissenen  Schläuche  füllen. 
Wir  brauchen  eine  Kunst  von  solcher  Großheit, 


Hoffnung  auf  die  dnäsche  Kunst. 


»PUTTEN  AM 
DUVE-BRUNNEN 
IN  HANNOVER« 


daß  ihr  Anblick  uns  hochgemuter  stimmt,  daß 
wir  den  Alltag  dann  leichter  ertragen. 

Im  Deutschland  des  18.  Jahrhunderts  war  die 
führende  Kunst  an  den  Höfen  der  weltlichen 
und  geistlichen  Fürsten  zu  finden.  An  Wänden 
und  Gewölben  prangten  Ruhmesapotheosen  für 
den  lebenden  Fürsten  oder  den  Namensheiligen 
des  regierenden  geistlichen  Herrn.  Im  19.  Jahr- 
hundert wurde  diese  Hofkunst  abgelöst  von 
einer  Kunst  des  Bürgertums.  Das  anfängliche 
grobe  stoffliche  Verlangen  verschob  sich  soweit, 
daß  allmählich  alleBildgedanken  verpöntwurden. 
Das  20.  Jahrhundert  könnte  die  deutsche  Kunst 


aufgipfeln  lassen  zu  einer  Kunst  des  bürgerlichen 
Heldentums.  So  würde  auf  die  Kunst  des  indi- 
viduellen Machtbewußtseins  im  1 8.  Jahrhundert, 
die  auf  den  Ruhm  des  einzelnen  zugespitzt 
war,  die  breite  bürgerliche  Kunst  im  19,  Jahr- 
hundert folgen  mit  einer  Wahl  von  Stoffen,  die 
der  bürgerlichen  Kultur  allgemein  und  gleich- 
mäßig angehören.  Aus  Welle  und  Gegenwelle 
aber  erwächst  als  Wellenberg  die  Kunst,  die 
das  Bürgerliche  zum  Heldischen  emporführt, 
die  Kunst,  die  das  Heldentum  eines  Volkes 
bildhaft  vor  aller  Augen  stellt.  Diese  stofflich 
neue,  gehaltlich  reichere  Kunst  könnte  nur  dann 


193 


Hoffnuncr  avf  die  deutsche  Kiiiist. 


auf  einen  tiefen  nachhaltigen  Eindruck  rechnen, 
wenn  ihr  auch  formal  andere  Ausdrucksmittel 
zur  Verfügung  ständen,  Ausdrucksmittel,  die 
noch  nicht  im  Dienste  jener  überwundenen  und 
zu  Grabe  sinkenden  bürgerlichen  Kunststufe 
verbraucht  wurden.  Es  wäre  aber  ein  gefähr- 
licher Irrtum  zu  glauben,  daß  diese  dem  geistigen 
Gehalt  nach  nationale  Kunst  auch  rein  deutsche 
Darstellungsformen  finden  müßte,  daß  nun  alles, 
was  an  fremde  Kunst  in  Form  und  Farbe  er- 
innert, ausgeschlossen  wäre.  Das  wäre  eine  völ- 
ligeVerwirrung  der  Begriffe,  denn  dieGesamtent- 
wicklung  der  Darstellungsformen  strömt  gleich- 
mäßig unter  den  abendländischen  Völkern  fort. 
Vom  Impressionismus  ist  diese  Kunst  nicht 
mehr  zu  erhoffen.  Ein  Stoff  ist  Nebensache, 
wenn  er  nur  gut  gemalt  ist.  Diesen  Satz  hat 
der  Impressionismus  aufgestellt  und  als  allge- 
meingültig für  die  Kunst  gepriesen.  Aber  dieser 
Satz  steht  und  fällt  mit  dem  Impressionismus. 
Heute  kann  uns  eine  solche  Kunst  nichts  mehr 
sagen.  Heute  gilt  es  Bildgedanken  zu  haben. 
Wo  sind  die  Maler,  die  sie  gestalten?  Gedanken 
von  Heldenverehrung,  Begeisterung  für  Waffen- 
taten, Machlgefühl,  Ruhmbewußlsein  und  trun- 


kenerSiegesfreude.  Gewiß  will  niemand  schlecht 
gemalte  Bilder.  Aber  ist  denn  nur  die  Malerei 
gut,  die  auf  den  naturalistischen  Schein  der 
Dinge  sieht?  Und  für  andere  Arten  zu  malen 
gilt  der  Satz  von  der  Gleichgültigkeit  der  Stoffe 
nicht  mehr.  Von  hier  aus  sieht  man,  wie  weit 
der  Impressionismus  reicht,  wie  diese  Kunst 
nicht  die  größte  Freiheit,  sondern  die  größte 
Engherzigkeit  darstellt.  Und  alles  andere  kann 
die  Kunst  eher  ertragen  als  Engherzigkeit. 
Einer  künstlerischen  Gestaltungsart,  die  das 
Erlebnis  in  Formen  oder  Farben  neu  erbaut, 
können  die  Bildinhalte  nicht  mehr  gleichgültig 
sein.  Eine  solche  Kunst  aber  kann  sich  auf  den 
ruhmreichsten  Vorgang  aus  einer  Zeit  höchster 
nationaler  Blüte  berufen.  Das  sind  die  unter- 
gegangenen Wandbilder  aus  Karls  des  Großen 
spanischem  Feldzug  in  der  Pfalz  zu  Aachen. 
Wir  kennen  sie  nur  aus  literarischen  Berichten. 
Aber  nach  Art  der  karolingischen  Miniaturen 
waren  es  nicht  fade  Episodendarsteliungen 
eines  blutleeren  Naturalismus,  sondern  symbo- 
lisch-dekorative Stilisierungen,  die  gehaltvolle 
Stoffe  zu  schlagend  monumentaler  Großartig- 
keit verdichteten (Schluß  folgt.) 


PROFESSOR   OF,"KG   HEKIl.NG       HANNi'VEK. 


\M  i)r\i>i;KrNM: 


zu  DEN  ARBEITEN  VON  FRITZ  HUF. 

VON  KASIMIR  KDSCHMIU. 


AUS  Luzern  zu  stammen  ist  kein  Verdienst, 
L  kann  aber  eine  Bestimmung  sein.  Eines 
Tages  entlief  Fritz  Huf,  erstieg  einen  Berg  und 
sah  in  das  blaue  und  sehr  weit  gespannte  Leben 
hinein.  Über  Handwerk  kam  er  zu  Sehnsucht 
und  schöpferischer  Tätigkeit.  Muskulärer  An- 
lage folgend  fuhr  er  nach  Paris  und  sah  Rodin 
an,  ein  wenig  die  Hände  in  den  Hosentaschen. 
Zurückfahrend  begann  er  den  großen  Kampf 
um  den  gewaltigsten  Ausdruck.  Natürlich  lockt 
das  Impressionistische  als  erster  Hebel  zum 
Außergewöhnlichen;  strotzenden  Köpfen,  ver- 
zogenen Gesichtern,  rauschenden  Gebärden. 
Er  stürzt  sich  auf  die  Gegenstände,  wühlt  sich 
hinein,  bestaunt  sie  und  wirft  sie  weg.  Nimmt 
sie  wieder  auf.  Biegt  sie  in  neue  Form,  wilder, 
suchender,  und  schlägt  sie  entzwei.  Er  greift 
nach  Köpfen  ungewöhnlicher  Menschen,  be- 
lauert den  Ausdruck,  greift  zu  und  baut  auf. 
Der  Dichter  Franz  Werfel  kreuzt  seinen  Weg. 
Er  modelliert  ihn  und  erreicht  in  dieser  Arbeit 
die  letzte  Hölle  des  Impressionismus :  In  be- 
täubenden Linien  wölbt  sich  die  zerrissene 
Fläche  des  Gesichts  nach  den  Schläfen  hinauf 
und  rauscht  symphonisch  in  den  zuckenden 
Büschel  der  Haare.  Die  Augen  abgeplattet 
stieren  nach  oben  in  die  Höhle  der  Stirn,  als 
brannten  sie  durch  das  Hirn  hindurch  testamen- 
tarische Flammenbündel  in  den  Raum.  Die 
letzte  Äußerung  des  impressionistischen  Augen- 
blicks ist  erreicht.  — 

Huf  geht  an  die  Figur.  In  Savonarola  packt 
er  den  menschlichen  Körper.  Er  baut  und 
zerschlägt.  Er  sucht  die  große  Linie.  Wenn 
man  aus  Luzern  ist,  braucht  man  keine  Theorie 
zu  kennen.  Expressionismus  kann  ein  tauber 
Klang  sein,  dem,  der  mit  wenig  Jahren  den 
Berg  bestieg  und  in  das  Leben  rannte.  Es  gibt 
nur  einen  Trieb,  elementar  und  einfach:  Kraft. 
Hitzig  geht  er  dem  Geheimnis  gestalteter  Kör- 
per nach.  Savonarola  steigt  von  Form  zu  Form. 
Das  Maul  aufgerissen,  die  Augenhöhlen  des 
Geiers,  fanatisch  Arme  und  Beine  zum  Sprung 
gestellt,  so  beginnt  es.  In  steifer  Ruhe  eines 
glattgewandeten  Priesters  endet  es.  Doch  es 
genügt  nicht.  Es  ist  nicht  letzter  Ausdruck,  es 
schwebt  etwas  hinter  dem  zeitlich  gefangenen 
des  Impressionistischen,  das  ausgeschöpft  ist. 
Es  fehlt  die  lange  Wirkung. 

Der  Schauspieler  Wegner  kreuzt  seinen  Weg. 
Huf  wirft  sich  auf  diesen  Kopf.  Der  Bemühung 
entsteigt  eine  Büste,  aus  Flächen  zusammen- 
geschlossen, ohne  Fuge,  einfach,  die  Nähte  der 


Flächen  vernietet  mit  Gewalt.  Stärke  nicht 
mehr  auf  die  Oberfläche  gehauen,  sondern  aus 
den  einfachen  Mitteln  selbst  herausgeholt, 
geistig  verankert.  Eine  Lösung  ist  erreicht. 
Es  schließt  die  erste  Phase. 

Der  Weg  zum  Expressionismus  ist  nie  schwe- 
rer als  vom  Expressionismus  selbst  aus,  ehr- 
licher nirgends  als  vom  Impressionistischen  her. 
Denn  diesen  Beginn  nehmen,  in  dem  eine  tita- 
nenhafte Natur  wie  Rodin  schon  ganz  sich  aus- 
gab, heißt  triebhaften  Gesetzen  folgen,  und  im 
Expressionistischen  landen  will  dann  sagen: 
dem  Ausdruck  Vertiefung  geben  müssen.  Es 
ist  nicht  der  einzige  Weg  zur  künstlerischen 
Glückseligkeit,  aber  es  ist  ein  guter  und  ehr- 
lich, das  sei  bemerkt.  —  Früh  schon  brach  sich 
der  Schöpferstrom  vor  dem  Kunstwerk  in  zwei 
Teile.  Einer  holte  real  Kräftiges  aus  dem 
Gegenstand,  der  andere  zog  ins  Unwirkliche 
und  löste  Visionäres  aus,  Frauenmasken,  dem 
athletischen  schweizer  Körper  entsprechende 
muskuläre  Halluzinationen,  sehr  rätselvolle  von 
Abenteuer  und  Gefahr  verdichtete  Gesichte, 
nach  einer  anderen  Welt  hinschauend. 

Sonst  fiel  alles  in  Vereinfachung.  Torsos,  in 
sich  selbst  stehend,  Klarheit  und  reines  Leben 
ausgebend,  tierhaft  stille  nach  innen  hin  lebende 
Körper.  In  den  Köpfen  legt  sich  die  Wut. 
Ekstatische  Linien  laufen  in  reinen  Flächen.  Ein- 
fache Ebenen  fügen  sich  in  den  klaren  Abfall 
des  Linearen,  von  innerem  Rhythmus  überfüllt. 
Die  Erkenntnis  vom  unbedingteren  Wert  innerer 
Form  zwingt  das  ursprünglich  Robuste  des  Ta- 
lents in  den  höheren  Zwang  des  Stils.  Die 
stürmische  Gebärde  ergibt  sich  originalerer 
Sachlichkeit.  —  Neue  Menschen  queren  seinen 
Weg.  Franz  Bleis  Abbe-haften  Wikingerkopf 
treibt  er  zurück  auf  die  einfache  Äußerung  einer 
intellektuellen  Hydra  :  zwischen  zusammenge- 
preßten Wangen  das  Lid  durch  die  Hälfte  der 
Pupille  gezogen ,  eingefroren  in  satanischem 
Geist.  Der  Dichter  Rilke,  im  Gleichfluß  schöner 
Bogen  der  Brauen  und  des  Schnurbarts  mit  den 
schweren  Augenlidern  in  sich  selbst  ausruhend. 
Der  Fürstin  Lichnowsky  dichterisches  Gesicht, 
glashell  und  zart  in  das  spröde  Netz  ägyptischer 
Linien  gezogen.  Schon  bilden  sich  Formeln: 
der  Ring  der  Haare,  der  metallene  Schwung 
der  Brauen,  der  Schnitt  des  Augapfels  —  nicht 
als  Träger  der  Manier,  sondern  als  Konstante 
eines  Willens  zu  strenger  Form,  deren  Inhalt 
unendlich  neu  zu  gestalten  die  Fülle  des  zurück- 
gedämmten Kraftstroms  berufen  scheint 


FRITZ  HUF    BERLIN.  .KOPF  EINER  JAVANERIN,  laiö. 


FRITZ  HUF-BERLIN,  BILDNIS-BÜSTE  »FÜRSTIN  M.  LICHNOWSKV. 


FRITZ  HUF-BERLIN.  BILDNIS-BÜSTE  .DÄUBNER« 


XX.  Dezember  19l(i.  6 


ARCHITEKT  HERMANN  MUTHESIUS. 


»HAUS  RASCH  IN  WIESBADEN« 


EIN  WOHNHAUSBAU  VON  HERMANN  MUTHESIUS. 


Das  Haus  Rasch  wurde  auf  einem  hochge- 
legenen Bauplatze  am  Neroberg  in  Wies- 
baden in  der  Nähe  der  russischen  Kapelle  er- 
richtet. Die  hervorragende  Aussicht,  die  der 
Bauplatz  bot,  sollte  in  der  ganzen  Anlage  des 
Hauses  berücksichtigt  werden.  Glücklicher- 
weise vereinigte  sich  hier  die  gute  Aussicht- 
seite mit  der  guten  Sonnenlage,  sodaß  alle 
Wohn-  und  Schlafzimmer  an  die  Aussichtsfron- 
ten gelegt  werden  konnten.  Aber  es  bestand 
auch  der  Wunsch,  im  obersten  Stockwerk  die 
dort  sich  ergebenden  Fernsichten  noch  beson- 
ders nutzbar  zu  machen,  was  durch  einen  voll- 
ständigen um  dieses  Geschoß  gelegten  Umgang 
erreicht  wurde.  Das  Haus  lehnt  sich  an  das 
Berggelände  derart  an,  daß  die  Vorderfront  ein 
Stockwerk  mehr  hat  als  die  Rückfront.  Vom 
unteren  Wohngeschoß  tritt  man  auf  die  vordere 
Terrasse,  vom  oberen  Geschoß  auf  eine  rück- 
wärtige Terrasse.  Der  Garten  ist  terrassen- 
förmig angelegt.  An  das  untere  Wohngeschoß 
schließt  sich  seitlich  ein  langgestreckter  Rosen- 
garten, an  das  obere  rückwärtig  ein  Lauben- 


gang an.  Das  Haus  enthält  im  unteren  Wohn- 
geschoß die  Halle,  das  Eßzimmer  und  die  Wirt- 
schaftsräume, im  oberen  ein  ovales  Empfangs- 
zimmer, ein  Herren-  und  ein  Damenzimmer, 
sowie  das  Schlafzimmer  der  Eltern.  Im  obersten 
Geschoß  hinter  dem  Rundgang  liegen  die  üb- 
rigen Schlafzimmer  sowie  eine  Reihe  von  Gast- 
zimmern. Die  Außenmauern  sind  durchweg  in 
Muschelkalkstein  ausgeführt.  Für  die  umfang- 
reiche Umwehrung  des  Hauses  wurde  Sonnen- 
berger  Bruchstein  verwandt.  Bei  Ausbruch  des 
Krieges  konnte  das  Haus  im  Innern  nur  notdürf- 
tig fertiggestellt  werden,  der  vollständige  Aus- 
bau ist  der  Zeit  nach  dem  Kriege  vorbehalten. 
Ä 

Dem  Aediten  und  Vortrefflichen  steht,  bei  seinem 
Auftreten,  zunüdist  das  Sdiledite  im  Wege,  von 
weldicm  es  seinen  Platj  bereits  eingenommen  findet, 
und  da%  eben  fiir  lenes  gilt.  Wenn  es  nun  audi, 
nadi  langer  Zeit  und  hartem  Kampfe,  ihm  wirklidi 
gelingt,  den  Pla^  für  sidi  zu  vindiciren  und  sich  in 
Anselm  zu  bringen,  so  wird  es  wieder  nicht  lange 
dauern,  bis  sie  mit  irgend  einem  manierirten,  geist- 
losen, plumpen  Nadiahmer  herangeschleppt  kommen, 
. . .  denn  sie  sehn  den  Unterschied  nidit.  . . .  Sdiopcnh.iucr. 


w  5  5  j:  w 

*-  s  a  <  5 

E  S  s  *  n 

!_>  M  H  m  (/, 


ARCHITEKl'  HERMANN  MUTHESIUS. 


»HATJS  RASCH«  SEITENANSICHT. 


,NÄHE  UND  FERNE". 

VON  DR.  ADOLF  BEHNE. 


Ein  Gesetz  der  Trägheit  gibt  es  auch  in  der 
Kunstbetrachtung.  Ja  auch  mancher  nicht 
ganz  zielsichere  Künstler  verfällt  der  Macht  die- 
ses Gesetzes.  Wenn  wir  Dinge,  nur  weil  sie  uns 
seit  langem  rings  umgeben,  schon  für  innere 
Notwendigkeiten  halten,  obgleich  sie  nur  zeit- 
lich bedingte  Übereinkunft  sind,  so  dürfen  wir 
das  wohl  unter  das  Trägheitsgesetz  nehmen. 

Macht  der  Gewohnheit !  Viel  größer  ist  diese 
Macht,  als  wir  gewöhnlich  glauben.  So  manches 
läßt  sie  als  unantastbares  Gut  erscheinen,  was 
ledi;^lich  Konvention  ist.  Beispielsweise  sind 
die  Beziehungen  zwischen  Malerei  und  Per- 
spektive noch  getrübt  für  die  Erkennfnis  durch 
ein  unphilosophisches  Fürwahrnehmen  schein- 
barer Selbstverständlichkeiten  —  die  durchaus 
keine  Selbstverständlichkeiten  sind.  Überhaupt 
gibt  es  Selbstverständlichkeiten  in  der  Kunst 
nicht,  und  gerade  die  naheliegendsten  der  so- 
genannten Selbstverständlichkeiten  sind  oft, 
weil  sie  fast  stets  unbewußt  angenommen 
werden,  Bekenntnisse,  über  deren  Tragweite 
der  Künstler  selbst  wohl  erstaunen  mag. 


Ich  will  das  am  erwähnten  Beispiel,  der  Per- 
spektive, hier  näher  erläutern. 

Ist  ein  Bild  perspektivisch  gemalt,  so  wird 
das  —  weil  „selbstverständlich"  !  —  kaum  noch 
empfunden.  Daß  der  Maler  die  Landschaft 
perspektivisch  gibt,  wird  zu  den  belanglosen 
technischen  Nebendingen,  wie  Pinselwaschen 
und  Grundieren  gerechnet.  Man  glaubt,  daß 
die  eigentliche  künstlerische  Arbeit  erst  da- 
hinter beginne.  Es  machen  ja  doch  alle  so. 
Tausende  ringsum!  Also,  lautet  der  Schluß, 
wird  es  wohl  eine  Notwendigkeit  sein.  —  Ein 
Trugschluß !  Wohl  gibt  es  in  der  Kunst  tiefe, 
unentrinnbare  Zwangsläufigkeilen.  Doch  sind 
diese  im  Inneren  des  künstlerischen  Individuums 
wirksam,  das  niemals  und  nimmer  dem  Rhyth- 
mus seines  Blutes  untreu  werden  kann.  Keiner- 
lei Zwangsläufigkeit  aber  gibt  es  im  Verhalten 
des  Künstlers  zur  Wirklichkeit.  Da  ist  schlecht- 
hin alles  in  seine  Wahl  gestellt.  Nun  hängt  es 
aber  mit  dem  ganzen  naturalistischen  Charakter 
der  landläufigen  Ästhetik  zusammen,  daß  wir 
die  Wahl  des  Künstlers  in  ihrem  Umfange  und 


,Nähe  und  Fer7ie' 


208 


PROFESSOR  J'iM'.F  \\OV\ 


MANN       Wll   N 


in  ihren  Möglichkeiten  viel  zu  eng  umgrenzen. 
Tatsächlich  ist  es  mindestens  ebenso  wichtig, 
unsere  Ästhetik  vom  Naturalismus  zu  befreien, 
wie  die  Kunst.  Die  landläufige  Ästhetik  verengt, 
wie  gesagt ,  die  Auswahlsmöglichkeiten  des 
Künstlers  im  Bewußtsein  des  Publikums  und  läßt 
auch  dadurch  in  Dingen  den  Anschein  der  inne- 
ren Notwendigkeit  aufkommen ,  wo  nur  von 
einer  Einseitigkeit  gesprochen  werden  dürfte. 
So  weit  freilich  scheinen  wir  heute  doch  wohl 
zu  sein,  daß  wir  die  Perspektive  nicht  mehr 
für  eine  absolute  Notwendigkeit  künstle- 
rischer Darstellung  annehmen.  Früher  maß 
man  die  Entwicklungsfortschritte  der  Malerei 
geradezu  an  der  wachsenden  Richtigkeit  der 
Perspektive,  und  Fluchtpunkt,  Augenpunkt  und 
Horizont  boten  eine  Art  Thermometer  dar  für 
den  Höhenstand  der  Kunst.  Da  war  dann  Fra 
Angelico  ungefähr  der  neutrale  Punkt,  die  Gotik 
war  ein  großes  Minus  und  erst  über  Masaccio, 
Mantegna,  Jacopo  de  Barbari  stieg  die  Kunst 
zum  Ziel  der  Skala,  dem  Photogramm,  empor. 
Gewiß,  ganz  so  einseitig  sind  heute  nur  noch 
Wenige.  Die  meisten  haben  eingesehen,  daß 
es  unmöglich  ist,  die  reiche  Kunst  auf  eine  ein- 
fache Skala  zu  bringen.  Außer  der  realistischen 


»BÜFETT  AUS  GEBEIZTER  EICHE« 


Kunst  haben  wir  eine  bewußt  irrealistische 
Kunst  verstehen  und  lieben  gelernt.  Nicht 
mehr  sehen  wir  diese  als  unvollkommene  Vor- 
stufe jener  an,  und  nicht  mehr  verlangen  wir 
von  ihr,  daß  sie  sich  den  Gesetzen  der  Per- 
spektive unterordne.  Für  s  i e  wenigstens  ist  uns 
die  Perspektive  keine  Notwendigkeit  mehr. 

Um  so  entschiedener  aber  für  die  realistische 
Kunst  wird  die  Allgemeinheit  der  Perspektive 
Notwendigkeitscharakter  zusprechen ;  scheint 
doch  beides  unzertrennlich,  und  perspektivische 
Darstellung  mit  realistischer  Darstellung  gleich- 
bedeutend zu  sein.  —  Das  aber  ist  eben  ein 
Irrtum  I  Perspektivische  Darstellung  ist  höch- 
stens eine  Möglichkeit  realistischer  Darstel- 
lung, und  eine  Kunstpsychologie,  die  aus  dem 
Vorhandensein  einer  realistischen  Anschauung 
schon  die  Notwendigkeit  perspektivischer  Dar- 
stellung folgert,  verrät  mehr  Kurzsichtigkeit, 
als  ihr  von  Rechtswegen  erlaubt  ist. 

Anhänger  solcher  Psychologie  werden  fol- 
gendes sagen:  es  ist  eine  Tatsache,  daß  der 
Mensch  —  der  normale  Mensch  —  die  Natur 
perspektivisch  sieht.  Folglich  muß  der  Maler, 
der  realistisch  sein  will,  das  heißt  doch,  der  die 
Natur  so  malen  will,  wie  „man  sie  sieht",  per- 


"RF  PROFESSOR  JOSEF  HOFF^L\NN  -  WIEN.   »AUSZIEHTISCH  EINES  SPEISEZIMMERS« 


Nälie  joid  Ferne". 


bildenden  Kunst"  stellte  bewußt 
das  Fernbild  als  Norm  für  das 
Schaffen  des  guten  Bildhauers 
auf,  und  Werner  Weisbach  hatte 
durchaus  Recht,  als  er  das  Fern- 
bild auch  für  den  impressioni- 
stischen Maler  aller  Zeiten  und 
Länder  als  Norm  annahm.  Nur 
dort  tritt  die  Perspektive  mit 
Notwendigkeit  auf,  wo  der 
Drang  oder  die  Sucht  zum  Fern- 
bild herrscht.  Und  deshalb  sagte 
ich ,  die  bewußte  oder  unbe- 
wußte Wahl  perspektivischer 
Darstellung  verrate  ein  nicht 
unwichtiges  Stück  Weltanschau- 
ung des  Einzelnen  wie  der  Epo- 
che. Mit  anderen  Worten:  die 
Perspektive  in  der  Kunst  ist 
eine  Stilfrage,  nicht  eine  Frage 
der  Technik  — •  dieses  vielmehr 
erst  in  zweiter  Linie.  Nur  un- 
sere naturalistisch  gerichtete 
Ästhetik  vermochte  den  Tatbe- 
stand zu  verdunkeln  und  der 
Anwendung  der  Perspektive, 
weil  angeblich  für  sie  eine  Be- 
stätigung ,  den  Charakter  des 
Selbstverständlichen,   Nolwen- 


PROFESSOR  JOS.  HOFFMANN.   »SCHREIBTISCH« 

spektivisch  malen.  —  Was  wäre  denn 
dagegen  einzuwenden  ?  —  Es  ist  aller- 
dings nachgerade  ein  Fatum  gewor- 
den ,  daß  wir  die  Natur  perspek- 
tivisch sehen,  und  doch  liegt  hierbei 
keine  Notwendigkeit  vor.  Das  per- 
spektivische Sehen  der  Natur,  rich- 
tiger gesagt:  das  ausschließlich 
perspektivische  Sehen  der  Natur, 
resultiert  vielmehr  erst  aus  einer  be- 
stimmten psychischen  Disposition, 
ist  bereits  ein  Stück  unbewußter 
Weltanschauung.  Denn  nur  unter 
einer  Bedingung  ist  zuzugeben,  daß 
perspektivisches  Sehen  der  Natur 
gegenüber  mit  Notwendigkeit 
auftritt,  nämlich  nur  dann,  wenn 
wir  zwischen  uns  und  die  Ob- 
jekte einen  größeren  Abstand 
legen.  —  Und  das  ist  der  entschei- 
dende Punkt!  Es  ist  uns  in  Fleisch 
und  Blut  übergegangen,  alle  Dinge 
aus  der  Ferne,  aus  der  Distanz  an- 
zusehen. Adolf  V.  Hildebrandt  in 
seinem  „Problem  der  Form  in  der 


>K  .lO-EF  Höll-M  ' 


,Nähe  wid  Ferne". 


digen,  Absoluten  zu 
geben.  —  Und  doch 
bedarf  es  nur  eines 
unbefangenen  Blik- 
kes  über  die  engsten 
Zeit-  und  Raumgren- 
zen, um  zu  erkennen, 
daß  es  eine  realisti- 
sche Kunst  auch  ohne 
und  gegen  die  Per- 
spektive gibt.  Denn 
es  ist  nicht  so,  daß 
der  Verzicht  auf  die 
Perspektive  zu  einer 
irrealistischen,  deko- 
rativen ,  symboli- 
schen usw.  Kunst 
führe.  Gibt  es  etwas 
realistischeres  als  die 
Menschen  einesMult- 
scher,  die  Pflanzen 
und  Tiere  Chinas  und 
Japans?  Sie  stehen 
doch  an  scharfem 
Realismus  den  Men- 
schen, Tieren  und 
Pflanzen  der  Moder- 
nen bestimmt  nicht 
nach.  Was  sie  von 
diesen  unterscheidet, 
istderUmstand,  daß 
sie  aus  der  Nähe 
gesehen  sind.  — 
Geist  der  Feme  und 
Geist  der  Nähe!  Das 
sind  die  beiden  Pole 
menschlicher  Stel- 
lungnahme zur  Welt. 
Geist  der  Nähe 
schließt  durchaus  kei- 
nen Realismus  aus, 
im  Gegenteil;  aber 
er  schließt  die  Per- 
spektive aus.  Denn 
diese  legt  ja  stets  ei- 
nj  Distanz  zv^rischen 
Mensch  und  Ding. 
Zeiten,  Menschen, 
die  dazu  neigen,  die 
fertigen,  abgeschlos- 
senen Dinge  über- 
legen aus  der  Ferne 
zu  betrachten,  kom- 
men bei  Umsetzung 
ihrer  Weltanschau- 
ung im  Kunstgebilde 
—  also  aus  Stilgrün- 


PROFESSOR  Josef  hoffmann.  »Blumentisch  und  sessel« 


den !  —  mit  Notwen- 
digkeit zur  Perspek- 
tive. Deshalb  ist  die 
moderne  Kunst  „ge- 
genständlich" gewe- 
sen, von  Masaccio 
bis  Manet  und  seinen 
Nachfolgern.  Denn 
erst  aus  der  Ferne, 
der  Distanz  gesehen, 
schließen  sich  die  Er- 
scheinungen der  Na- 
tur zu  runden,  abge- 
schlossenen, benenn- 
baren Gegenstän- 
den zusammen.  — 
Der  Geist  der  Nähe 
kennt  in  dieser 
Strenge  keine  Gegen- 
stände. Er  läßt  sich 
von  den  Erscheinun- 
gen ringsum  dicht 
einschließen;  er  ge- 
winnt eine  gestei- 
gerte Lebendigkeit 
und  Innigkeit,  für 
welche  die  fortschie- 
bende Perspektive 
„  selbstverständlich" 
kein  Ausdrucksmittel 
mehr  sein  kann.  — 
Und  das  ist  die  ein- 
zige Selbstverständ- 
lichkeit, die  es  in  der 
Anwendung  der  Per- 
spektiven -  Gesetze 
gibt.  —  Alles  ist  Stil 
—  nichts  ist  Zwang! 

Ä 

Die  Kunst  macht,  was 
dem  kunstfremden 
Moralisten  zu  einem 
.\rgernis  und  dem  rohen 
verwahrlosten  Herzen 
zu  einem  Gegenstand 
trüber  Sinnenlust  wird, 
zu  einem  reinen  Seelen- 
genuß. Sie  führt  den 
Blick  in  die  Weite  der 
Welt  und  in  die  Tiefe 
des  eigenen  Gemüts 
und  macht  das  Herz  zu- 
gleich bescheiden  und 
stolz.  .  .     Heinrich  Wolgast. 

Der  Mensch  ist  der 
höchste,  ja  der  ei- 
gentliche Gegenstand 
bildender  Kunst.  Goethe. 


PROFESSOR  MICHAEL  POWOLNY-WIEN.  .RELIEF  IN  FARBIGER  KERAMIK« 

AUSFÜHRUNG  VEREINIGTE  WIENER  UND  GMUNDNER  KERAMIK. 


ERICH  BÜTTNER  UND  ELSA  HOFFMAXN.  .FRÜHLING.  FARBIGE  SEIDENSTICKEREL 


^ 

^^ 

^^ 

-H  BCTTXES  f. 
>.  HOFFXANN 

-  EI  DEssncKgaei  < 

NATÜPX.  GRÖSSE. 


ERICH  BÜTTXER  LWD  ELSA  HOFF.MAXX:  ..KLEINE  STICKEREIEN^ 

XEB5T  EISIGEN  LEITSÄTZEN  VON  EÄICE  BCTTNES. 


esultate  erfreulicher  Zu- 
sammenarbeit und  Aus- 
nutzung sich  ergänzender 
Kräfte  zu  erfreulir'ien  Zie- 
len scheinen  diese  Sticke- 
ereien  wohl  zu  bedeuten. 
'Im  Frühling  1915  zeigten 
wir  zum  ersten  Male  eine  Anzahl  solcher  Ar- 
beiten in  der  Berliner  Sezession.  Und  hier 
und  auch  später  und  an  anderen  Orten  fand 
sich  lebhaftes  Interesse  für  die  kleinenProbleme. 
Auf  welchem  komplizierten  ^'ege  dieselben 
entstanden  sind,  möchte  ich  hier  mit  einigen 
Worten  schildern,  wozu  vorher  eine  kleine 
Charakteristik  der  Verfasser  erforderlich  ist. 

In  manchen  kunsfgewerbUchen  Erziehungs- 
iahren haben  beide  vielerlei  gelernt  —  und  sich 
dann  bemüht,  in  weiterer  Arbrlt  manches  da- 
von zu  vergessen.  Vor  allem,  daß  das  Kunst- 
gewerbe ein  Beruf  ist,  (den  man  ebenso  ausübt, 
■wie  man  Schuster  und  Schneider  oder  Kauf- 
mann und  Beamter  im  üblichen  Sinne  wird), 
d.  h.  ein  mit  recht  v\e\  Geschäftsgeist,  etwas 
Geschmack  und  gut  Haushalten  mit  wenig  Kön- 


nen betriebenes  Geschäft.  Zum  großen  Leid- 
wesen verschiedener  Kunstgewerbe  -  Päpste 
schwor  ich  also  den  Beruf  ab  ;  malte,  zeichnete 
und  radierte  —  und  machte  nebenbei,  wenn 
es  gerade  verlangt  wurde,  doch  noch  Kunst- 
gewerbliches. Aber  mehr  aus  Vergnügen,  etwas 
Notwendiges  gut  zu  machen  und  um  d;e  An- 
forderungen des  praktischen  Lebens  gern  zu 
erfüllen.  Also  Kunstgewerbe  mehr  aus  Kunst- 
gründen, denn  aus  Gewerbegründen.  Elsa 
Hoffmann  war  mittlerweile  auf  eine  ähnliche 
Bahn  gekommen.  Lnd  hatte  so  auch  das  Sticken 
fast  gänzlich  beiseite  gelegt.  Dieweil  dabei 
besonders  ein  ungeheuer  großer  Zeit-  und  Ar- 
beitsaufwand meist  in  keinem  ausgleichenden 
\  erhältnis  zu  dem  Erreichten  stand. 

Bis  wir  in  den  kleinen  Bildstickereien  einen 
Ausgleich  von  Zweck  und  Form  entdeckten,  der 
eine  für  uns  angenehme  Erlösung  verschiedener 
Möglichkeiten  bildete.  \  ielerlei  kleine  Skizzen, 
Bildideen,  mannigfach  \  erschiedenes,  entstan- 
den durch  Auftrag  oder  Neigung,  hatte  sich  in 
meinen  Mappen  zusammen  gefunden  und  war- 
teten auf  den  Zeitpunkt  der  Vollendung.  Und  in 


.XX    Doeaibir  19ie 


Erich  Büttner  und  Elsa  Hof I mann: ,.  Kleine  Stickereien' 


den  Stickereien  fand  sich  ein  Weg  dazu.  Und 
auch  die  Stickkunst  feierte  so  Auferstehung. 
Die  Konturen  waren  da  oder  wurden  zu  diesem 
Zwecke  ergänzt.  Über  die  allgemeine  Anlage 
und  Hauptfarbenverteilung  wurden  wir  einig. 
Und  Elsa  Hoffmann  stickte  und  suchte  zwischen 
Seidenfäden  und  -Stücken  den  Weg  zur  Vollen- 
dung, der  oft  große  Schwierigkeiten  bot,  bis  die 
Möglichkeiten  des  Materiales  gefunden  und  aus- 
genutzt waren.  Mancherlei  Versuche  mußten 
gemacht  werden  und  Vielerlei  beraten  werden, 
um  das  Richtige  zu  entdecken.  Doch  war 
Freude  nicht  minder  vorhanden,  wenn  endlich 
aus  vielen  Stichen  und  bunten  Fäden  ein  far- 
benglänzendes Bild  geworden,  wie  es  nur  so 
und  nicht  anders  denkbar  war. 

Die  technischen  Mittel  sind  jeweils  verschie- 
den den  Bildern  passend  gewählt  worden.  Die 
„Madonna  mit  der  Sonne"  ist  voll  und  ganz 
gestickt.  Bei  den  anderen  ist  mehr  oder  minder 
der  farbige  Seidengrund  freigeblieben.  Dieser 
ist  z.  B.  gelb  bei  „Feuer"  und  „Erde"  und  blau 


bei  „Wasser"  und  „Luft".  Verschiedentlich 
sind  größere  Flächen  oder  Figuren  appliziert. 
Bei  der  „Madonna  auf  dem  Monde"  ist  ein 
Goldgrund  verwandt. 

Selbstverständlich  sind  alle  diese  Dinge  als 
Versuche  entstanden  und  nicht  als  industrielle 
Dutzendware.  Auch  besteht  für  die  Zukunft 
keine  Absicht  dazu.  Gelegentlich  haben  wir 
zwar  auch  Stickereien  wiederholt.  Doch  sind 
selbst  diese  Wiederholungen  meist  veränderte 
Neuschöpfungen,  wobei  meist  wieder  neue 
Schwierigkeiten  überwunden  werden  mußten. 
Wir  arbeiten  an  den  Stickereien  genau  so,  wie 
wir  uns  sonst  jeweils  mit  unseren  anderen  Bil- 
dern oder  Problemen  beschäftigen.  Wir  sammeln 
Erfahrungen  auch  dabei  und  freuen  uns,  daß 
wir  zwischendurch  mal  etwas  „komplizier- 
teres" machen,  das  auch  seinen  Reiz  an 
passender  Stelle  im  Zimmer  ausübt b 

Vergiß  niemals,  mit  welchem  Material  du  arbeitest; 
und  suche  es  stets  zu  der  Wirkung,  die  es  am 
besten  zu  erfüllen  vermag,  zu  benu^en.«  .  .  .     Morris. 


ERICH  BUTTNER 


KLSA  HOFFM.WN. 


ERICH  BÜTTNER  U.  ELSA  HOFFMANN.  KLEINE  STICKEREIEN.  »LUFT,  ERDE,  FEUER,  WASSER«.  NATÜRL.  GRÖSSE. 


FRITZ  BOEHLE  f 

In  der  Nacht  vom  19.  auf 
den  20.  Oktober  1916 
ist  Fritj  Boehle  im  Alter 
von  noch  nicht  44  Jahren 
gestorben.  Mit  ihm  ha- 
ben wir  eine  der  größten 
Hoffnungen  Deutscher 
Kunst  zu  Grabe  getra- 
gen. Als  ich  in  dieser 
Zeilschrift  Januar  1915 
das  Schaffen  des  Künst- 
lers zu  würdigen  ver- 
suchte, ahnte  ich  nicht, 
in  welch  kurzer  Zeit  ich 
einen  Nachruf  folgen  zu 
lassen  habe.  Bei  der  Ab- 
geschiedenheit, in  wel- 
cher Boehle  lebte,  erhält 
man  erst  jet3t  die  Kunde, 
daß  er  schon  seit  Jahren 

schwer  leidend  war;  Krankheiten,  die  nur  durch 
größte  Ruhe  erträglich  werden,  vermochten  nicht, 
ihn  von  rastloser  Arbeit  abzuhalten,  und  so  ist  er 
schließlich  auch  für  seine  Angehörigen  unerwartet 
dahingeschieden.  —  AlsdasStä- 
delsche  Kunstinstitut  um  Neujahr 
1908  eine  umfangreiche  Ausstel- 
lung seiner  Werke  —  Gemälde 
und  Radierungen  —  zeigte,wirkte 
dieselbe  wie  eine  Offenbarung, 
und  es  war  nur  freudigst  zu  be- 
grüßen, daß  die  Stadt  Frank- 
furt alle  ausgestellten  noch  im 
Besiß  des  Künstlers  befindlichen 
Gemälde  erwarb.  Ob  der  Künst- 
ler die  in  ihn  gesellen  Hoff- 
nungen erfüllte,  können  wir  noch 
nicht  beurteilen,  da  er  nach  die- 
ser Zeit  sich  noch  ängstlicher 
als  vorher  gegen  die  Mitwelt  ab- 
schloß, denn  trotjdem  er  für  heu- 
tige Verhältnisse  ein  Frühreifer 
gewesen  —  im  Alter  von  19  Jah- 
ren schuf  er  schon  Radierungen 
von  ansehnlicher  Größe  -  war 
er  doch  kein  Frühvollendeter,  da 
seine  bisher  bekannten  Werke 
immer  noch  mehr  oder  weniger 
im  Banne  gediegener  Vorbilder 
entstanden  und  er  der  Welt  noch 
den  Boehle  schuldig  war.  Sein 
Nachlaß  wird  uns  auch  zeigen, 
was  wir  von  ihm  als  Bildhauer 
zu  erwarten  hatten.  Das  Reiter- 
standbild Karls  des  Großen  für 
Frankfurt  ist  über  Entwürfe  nicht 


U?-  - 

m 

1 

^PP^^ 

hinausgekommen.    Nach 
Anfertigung  eines  neue- 
ren in  kleinerer  Ausfüh- 
rung soll  der  Künstler, 
der    immer    schonungs- 
loseste Selbstkritik  übte, 
das  frühere  große  Gips- 
modell vernichtet  haben. 
—  Es  ist  ein  Verhängnis, 
hervorgerufen  durch  eine 
Verkettung  von  Umstän- 
den, daß  man  zwar  viel 
von  seinenWerken  hörte, 
aber   wenige    derselben 
zu  sehen  bekam.     Auch 
die  von  Frankfurt  ange- 
kauften Gemälde  konn- 
ten vorerst  nur  in  unzu- 
reichender    Weise     ge- 
'  "^^'''       zeigt  werden,  dann  muß- 
ten fast  alle  beiseite  ge- 
stellt werden,  harrend  ihrer  Auferstehung  in  dem 
der  Vollendung   entgegengehenden  Anbau  an  das 
Städelsche  Kunstinstitut ;  der  gewaltige  in  Bronze  ge- 
gossene Stier  steht  in  einer  Ecke  des  Grundstückes 
der  Kunstschule,  ebenfalls  einer 
würdigen  Aufstellung  harrend. 
So  mußte  man  sich  begnügen, 
allerlei  mehr  oder  minder  erbau- 
liche Geschichten  über  den  Men- 
schen Boehle  zu  hören,  die  auch 
die  Nachrufe  der  Zeitungen  nicht 
gerade  geschmackvoll  verbräm- 
ten. Wir  werden  uns  von  jetjt  ab 
wohl  nur  noch  mit  dem  Künstler 
auseinanderzusetjen    haben.  — 
Weiteren   Kreisen  ist  er  durch 
seine    Radierungen   und   Stein- 
zeichnungen bekannt,  und  in  den 
Sammlungen  in  Berlin,  Bremen, 
Dresden,  Frankfurt  finden  wir  sie 
reich  vertreten,  zur  Zeit  veran- 
stalten Berlin,  Frankfurt  und  an- 
dere Städte  Ausstellungen  der- 
selben.   Viel  zu  wenig  beachtet 
sind   seine   Drucke  vom   Stein, 
die, meist  vongroßen  Ausmaßen, 
einen  gediegenen  Wandschmuck 
abgeben  und  durch  ihren  billigen 
Preis  auch  dem  nicht  mit  beson- 
dernOlüiksgütern  ausgerüsteten 
Kunstfreund  leicht  erschwinglich 
sind.     Der  Künstler   wollte  mit 
diesen  Werken  den  Bestrebun- 
gen nach  Volkskunst  entgegen- 
kommen; die  meisten   entstan- 
den   im  Jahre  1908,    das    wohl 


FRITZ  BOHLE  t  GEMÄLDE  »CHRISTOPHORUS« 

IM  BESITZ  DES  STÄDELSCHEN  INSTITUTS— FRANKFURT  A.  M, 


das  bedeutendste  in  seinem  Kunstschaffen  gewesen. 
—  Vielleicht  ist  mir  in  nicht  allzuferner  Zeit  Ge- 
legenheit gegeben,  in  diesen  Blättern,  anlä)5lich 
des  Zutagetretens  seines  Nachlasses,  von  dem  uns 
und  der  Deutschen  Kunst  zu  früh  Entrissenen 
weiteres  in  Bild  und  Wort  vorzuführen.      scbrev. 


merkung.  Neu  hinzutretenden  Lesern  mö 
emerken,  daß  die  im  Januar  1915  erschienen 
'  mit  IQ  Bildern  und  Beilagen  als  Heft  ve 
i  Semesterband  erhältlich  ist 


BERICHTIGUNG. 

Die  auf  Seite  112  des  Oktober-November- 
heftes wiedergegebenen  Emailarbeiten  sind 
von  Frl.  Maria  Likarz  in  den  Emailwerkstätten 
der  K.  K.  Kunslgewerbeschule  Wien  (Lehrerin 
Frl.  Adele  von  Stark)  gearbeitet;  nicht  wie  irr- 
tümlich angegeben  von  Frl.  Flögel.  Die  sieben 
kleinen  Emailplättchen  sind  Schmuckstücke  für 
silberne  Blumenschalen,  wie  solche  auf  S.  105 
abgebildet  sind,  aber  keine  Broschen,  schriktl. 


SPIEL.  Wie  ein  jungenhafter  Gott  spielt 
der  Künstler  mit  dieser  Welt  des  Scheins. 
Ein  Kaleidoskop  ist  sie  ihm,  er  kabelt  gedan- 
kenlos die  lustigen  Bilder  heraus  und  läßt  sie 
mit  leiser  Wehmut  wieder  verschwinden.  Dem 
Künstler  ist  die  Welt  die  große  Puppe,  mit  der 
zu  spielen  nie  müde  macht.  Er  legt  sie  schlafen, 
und  sie  ist  voll  starrer  Ruhe.  Er  richtet  sie  auf, 
morgenfrisch  lacht  ihn  ihr  Kindergesicht  an.  Ihr 
altes  Kleid  freut  ilin  nicht  mehr,  flugs  zieht  er 
ihr  neue  farbige  Flicken  an,  er  kleidet  sie  als 
Kind,  als  Braut,  als  Mutter.  Eine  Harlekin- 
mütze macht  sie  zur  Närrin  —  und  so  liebt  er 
sie  am  meisten.  Da  malt  er  ihr  andächtig  zwei 
runde  Flecken  auf  die  Backen,  ein  sündhaft 
rotes  Lippenpaar  und  Brauen,  die  aus  andern 
Weltteilen  zu  greifen  scheinen.  Plötzlich  aber 
sieht  sie  ihn  an  aus  abgrundtiefen  Augen  wie 
ein  lebend  Wesen.  Er  erschrickt.  LJnd  eilig 
kritzelt  er  irre  Zeichen  über  ihr  Gesicht,  bis  es 
ganz  versinkt  in  Stücken  und  Klexen.  —    a.  j. 


ERICH  BUTTNER     BERLIN.   FEDERZKU'HNUNG.  ENTWURF  ZU  EINER  STICKEREI. 


PROFESSOR  E.  R.  WEISS.  »SELBSTBILDNIS«  (Bernau,  1907). 


l'kuKE.SMjK  t.  K.  WEISS- BEi. '.IN. 


RliUl    LWlJ  GLOCKENBLUME»    UIUl. 


EMIL  RUDOLF  WEISS. 

VON  MORITZ  HEIMANN. 


In  diesem  Sommer  hat  E.  R.  Weiß  bei  Gurlitt 
eine  groß  ^usstellung  seiner  Bilder  gehabt; 
keine  umfas  .^1-^2,  denn  es  fehlte  das  Jahrzehnt 
seiner  Anfänge,  und  selbst  aus  der  Zeit,  von 
der  die  Bilder  Zeugnis  gaben,  vermißte  man 
einige  ')'.cht  unwichtige  Ausstrahlungen  seiner 
künstlerischen  Arbeit.  Wenn  also  auch  für  die 
Kenntnis  seines  Entwicklungsganges  fragmen- 
tarisch, war  die  Ausstellung  für  die  seines 
Wesens  vollständig  genug,  —  und  der  Betrachter 
des  vorliegenden  Heftes,  der  eine  noch  engere 


Auswahlvor  sich  hat,  möge  sich  erinnern,  daß  es 
vor  dem  Kunstwerk  schließlich  nicht  auf  Kennt- 
nis, weder  auf  diese  noch  auf  jene,  ankommt, 
sondern  auf  das  Gefühl  von  einem  Gegen- 
wärtigen, der  Zeit  Entronnenen,  in  sich  und 
auf  sich  Beruhenden,  und  auf  die  Freude  daran. 
Stand  man  in  der  Mitte  des  Hauptsaals,  so 
hatte  man  zunächst,  bevor  man  sich  ins  Einzelne 
ziehen  ließ ,  einen  allgemeinen  Eindruck  von 
den  vielen,  eben  nur  flüchtig  mit  dem  Blick 
durchstreiften  Bildern:  den  Eindruck  vonSchön- 


XX    Januar  1917.   I 


Emil  Rudolf  IVeiß. 


E.  R.  WEISS.  »BLUMENFENSTER«  U'MO. 


heit.  Es  war  angenehm,  im  Mittelpunkt  aller 
der  von  den  Wänden  herschießenden  farbigen 
Strahlen,  als  in  einem  heitern,  kräftigenden,  be- 
lebenden Feuer,  zu  stehn.  Es  erfüllte  sich,  was 
Goethe  sagt,  daß  „  ein  jedesKunst  werk,  wenn  man 
auch  von  dem  Inhalt  abstrahiert,  wenn  man  in 
der  Entfernung  auch  nur  die  allgemeinsten  Um- 
risse sieht,  noch  immer  dem  Auge  als  ein  Zierat 
erscheint"  ;  nur  daß  die  Wirkung  nicht  besonders 
von  Umriß  und  Linienspiel  ausging,  sondern  von 
der  Gesamtheit  der  farbigen  Erscheinung.  Damit 
ist  nicht  zu  verwechseln,  was  man  früher  mit  Be- 
flissenheit und  auch  noch  heute  zuweilen  das 
Dekorative  nennt;  in  diesem  plumpen  Sinne 
dekorative  Bilder  vertragen  sich  überhaupt  nicht 
miteinander,  sind  neidisch  aufeinander,  stören 
sich  wechselseitig,  und  ein  jedes  will  allein, 
will  womöglich  die  ganze  Wand  sein.  „Was 
aber  schön  ist,  selig  scheint  es  in  ihm  selbst," 
heißt  es  bei  Mörike;  und  also  schmückt  es 
edler,  als  alles,  was  von  vornherein  darauf  aus 
ist,  zu  schmücken 


BES:  DR.  REINH.\RT     WIXTEKTHUR. 


E.  R.  Weiß  ist  bekanntlich  einer  unsrer  besten 
Kenner  und  Künstler  des  Schreibens,  seine 
Adressen  —  deren  letzte  ,  beiläufig ,  die  der 
Verwaltung  Polens  an  Hindenburg  war  — ■  be- 
halten neben  ihren  Vorbildern  aus  der  Blütezeit 
der  Schreibekunst  Figur.  Er  hat  eine  Schrift 
gezeichnet,  die  TempeJklassikerfraklur,  von  der 
berufene  Urteiler  viel  Lobendes  und  Rühmendes 
gesagt  haben,  nur  das  eine  nicht,  was  aber  fast 
den  Ausschlag  gibt:  daß  diese  Schrift,  noch 
beim  Lesen  mit  schlechtem  Licht,  die  Augen 
schont.  Das  kalligraphische  Element  würde 
für  einen  Maler  vielleicht  zur  Gefahr  werden, 
wenn  es  nicht  durch  das  Konstruktive ,  das 
beim  Entwerfen  eines  Druckbuchstabens  die 
schärfste  Konzentration,  das  Gesetz  des  klein- 
sten Kraftmaßes  auferlegt,  zu  einer  sehr  männ- 
lichen Eigenschaft  würde.  Und  so,  als  Festig- 
keit, Gedrungenheit,  Prallheit,  erkennen  wir  es 
in  der  Schönheit  bei  Weiß.  Sie  ist  spröde;  sie 
hat  den  natürlichen  Adel,  der  es  lieber  verfehlt 
und    irre    geht,    als    daß    er   sich   durch   eine 


Emil  Rudolf  Weiß. 


E.  R.  W-EISS.  »HYACINTHEN«  1902. 


elegante  Unwahrhafligkeit,  eine  temperament- 
volle Liederlichkeit  oder  sonstiges  Obenhin 
einschmeicheln  möchte. 

Nicht  die  Schönheit  der  Natur,  selbst  nicht 
der  Anschauung  der  Natur,  sondern  die  Schön- 
heit des  Kunstwerks  ist  das  Ziel.  Ich  habe 
Weiß  selbst  diese  Absichten  öfters  voll  Eifer 
und  Leidenschaft  auseinandersetzen  hören; 
er  pflegt  dabei  mit  Daumen  und  Zeigefinger 
einen  Millimeter  Distanz  zu  greifen:  „Diese 
dünne  Schicht  auf  der  Leinwand  ist  unsere 
Aufgabe  viel  wörtlicher,  als  man  sich  gewöhnlich 
vorstellt;  aus  diesen  Pasten  von  Farben,  im 
Laden  zu  kaufen,  mögen  sie  von  italienischer 
Erde  oder  aus  orientalischemKamelmist  stammen, 
eine  neue  Materie  zu  läutern,  kostbarer  als 
Edelsteine,  ohnegleichen  in  der  ganzen  Natur, 
mit  den  Jahren  zu  immer  tieferer  Glut  und 
Ruhe  zusammenwachsend,  das  ist's,  was  den 
Maler  macht!"  Es  war  natürlich,  daß  er,  von 
einem  solchen  Ziel  gelockt,  weder  vom  naiv 
naturabschildernden  Naturalismus ,  noch   vom 


SAMMLG.  BOCHTLINGK— K.\RLSRUHE. 


Impressionismus  seine  befreiende,  befestigende 
Lehre  empfing,  sondern  erst  von  Cezanne.  In 
seiner  eigenen  Seele  aber,  im  wahren  Innern, 
nicht  etwa  am  Himmel  des  europäischen  Erfolges, 
ist  ihm  dieser  Stern  aufgegangen;  denn  Schön- 
heit lag  in  ihm,  wie  sehr  er  auch  ein  Sucher  und 
Versucher  vieler  Methoden  war,  als  die  Grund- 
bedingung, als  die  Einheit  seines  künst- 
lerischen Triebes. 

Eine  Zwischenbemerkung  drängt  sich  mir 
auf,  die  etwas  lang  geraten  wird,  die  aber  — 
Umweg  ist  der  beste  Weg  —  zur  Sache  selbst 
hinführt.  Einige  Berliner  Kritiker  seiner  Aus- 
stellung haben  dem  Künstler  die  Schönheit  des 
einzelnen  Bildes  anerkannt,  haben  ihm  aber, 
dem  Sucher  und  Versucher,  die  Einheit  der 
künstlerischen  Persönlichkeit  bestritten.  Es 
will  mir  scheinen,  daß  ein  Urteil  dieser  Art 
über  einen  Lebenden  und  zumal  über  einen 
jungen  Lebenden  —  denn  Weiß  ist  vierzig,  und 
in  der  Kunst  können  dreißig  Jahre  so  gut  einen 


225 


Eviil  Rudolf  Weiß. 


PKOKESSOK  EMU,  KlIiOl.l'    WEIS 


Abschluß,  wie  fünfzig  einen  Anfang  bedeuten 
—  daß  ein  solches  Urteil  über  unsere  Kompetenz 
hinausgeht.  Einheit  liegt  nach  dem  Gesetz 
der  Natur  in  jedem  Menschen;  aber  freilich  ist 
sie  erst  vollendet,  wenn  sich  seine  Wimpern 
für  immer  schließen.  Wird  sie  nicht  erkannt 
und  ist  sie  wirklich  gar  vorläufig  nicht  erkennbar, 
so  fehlt  es  am  Subjekt,  nicht  am  Objekt.  Wo 
sie  aber,  zur  Freude  und  Bequemlichkeit  des 


»BLÜllENLiER  BIRNBAUM"   HAGEN  I.W.  laOG. 


Subjekts,  schnell  und  leicht  erkennbar  ist,  dort 
pflegt  statt  des  seltenen  Stils  sein  trübes  Ge- 
genspiel vorzuliegen;  Manier.  Ohnehin  ist  es 
bedenklich  und  sollte  nur  mit  schonender  Vor- 
sicht geübt  werden,  von  der  Persönlichkeit 
eines  Künstlers  zu  früh  zu  sprechen ;  bedenklich 
deshalb,  weil  man  damit  das  künstlerische  Inter- 
esse auf  das  psychologische  abwälzt ,  also  auf 
ein  ungewisses,  deutungsfähiges  und  unverant- 


PROFESSOR  E.  R.  WEISS.  .KINDER-BILDNIS«  BADEN-BADEN  1905. 


Eviil  Rudolf  Weiß. 


PROFESSOR  EMIL  RUDOLF  WEISS. 


wortliches  Gebiet;  —  ein  Verfahren,  das  in 
dem  Maße  beliebt  geworden  ist,  wie  das  gesell- 
schaftliche Bedürfais,  über  die  Kunst  zu  reden, 
zugenommen  hat.  Denn  was  gehört  sich  eigent- 
lich vor  einem  Bilde?  Daß  man  schweigt,  sieht 
und  sich  freut;  und  selbst  das  Seelische  sollte 
erst  aus  dieser  Freude,  mittelbar  und  fast 
unerwartet,  hervorbrechen. 

Wer  redet,  der  redet  eigentlich  immer  nur  von 
sich  selbst;  und  damit  ist  er  wie  durch  eine  zwar 


»ORANGEN  UND  CITRONEN»  ROM  IfOT 


zarte ,  aber  undurchdringliche  Haut  von  den 
Objekten  geschieden.  Wer  diese  Gefahr,  diese 
Bedingung,  diesen  allerparadoxesten  Zustand 
erkennt,  vermag  sich  ihnen  zu  entwinden;  wer 
sie  nicht  einmal  von  ferne  mahnen  spürt,  bleibt 
gerade  von  der  Kunst  deshalb  so  tief  getrennt, 
weil  sie  und  allein  sie  die  Kraft  des  Menschen 
ist,  die  Objekte  rein  zu  sehen.  Auch  an  ihnen, 
den  Objekten  der  Natur,  ist  etwas,  und  es  ist 
das  fleilige  an  ihnen,  was  stumm  bleiben,  was 


PROFESSOR  E.  R.  WEISS.  »BILDNIS  EINES  GELEHRTEN.  HAGEN  I.  W  I90G. 


Emil  Rudolf  Weiß. 


PROFESSOR  E.  R.  WEISS. 


nicht  angeredet,  sondern  nur  gesehen  werden 
will.  Das  Kunstwerk  nimmt  diese  Abwehr  der 
Natur  in  sich  auf;  und  der  Betrachter,  der  das 
fühlt,  fühlt  sich  je  nach  seinem  Temperament 
dadurch  in  Verlegenheit  gesetzt  oder  in  seiner 
Eitelkeit  gekränkt  und  ruht  nicht  eher,  als  bis  er 
Mittel  undWege  gefunden  hat,  das  Stumme  reden 
zu  machen;  da  liegt  es  ihm  denn  am  nächsten, 
vom  Werk  auf  die  Persönlichkeit  zu  kommen. 
Daß  hierbei  Gescheites  und  Bedeutendes  zu 
Tage  gefördert  werden  kann,  das  zu  leugnen 
wäre  sinnlos.  Graf  Schack  war  beinah  blind 
und  brachte  seine  schönen  Bilder  auf  Grund 
eines  offenbar  rein  psychologischen  Vertrauens 
zusammen.  So  wird  auch  einem  Kritiker  Seelen- 
kunde das  reine  Kunstgefühl  bereichern  und 
zum  Teil  ersetzen  können.  Abgeschlossene, 
durch  den  Tod  und  durch  die  Vergangenheit 


•  SCH\VARZ\V.\LD«  191 1; 


bestimmte  Erscheinungen,  vor  allem  die  ganz 
großen  Meister,  werden  der  psychologischen 
Untersuchung  einen  großen  Teil  ihres  wirkenden 
Wertes  offenbaren.  Die  Gefahr  aber  ist,  daß 
man  nach  Prinzipien,  die  dem  Toten  gemäß 
sind,  zu  früh  auch  den  Lebenden  betrachtet; 
wobei  man  oft  genug  vor  sich  selbst  der  Prüfung 
entgeht,  ob  man  zu  dem  Wesentlichen  fähig 
ist:  zu  sehen  und  sich  zu  freuen. 

Wenn  etwa  von  Weißens  Bildern  ein  Kritiker 
sagte:  „Ja,  jedes  einzelne  Stück  ist  schön;  aber 
zuviele  Anregungen  und  Strömungen  der  Kunst, 
darunter  einander  widersprechende,  bestimmen 
ihn;  es  fehlt  die  Einheit  — ",  so  würde,  wenn 
wir  den  zweiten  Teil  des  Urteils  vorläufig  gelten 
ließen,  im  ersten  noch  genug  enthalten  sein, 
was  uns  berechtigte,  zu  fragen:  „Sind  es  schöne 


Emil  Rudolf  Weiß. 


PROFESSOR  E.  R.  WEISS. 


Dinge,  warum  freut  ihr  euch  nicht  ihrer?  Und 
glaubt  ihr  etwa,  es  sei  ein  leichtes  und  kleines 
Ding,  schöne  Dinge  herzustellen?"  Ich  wollte, 
wir  wären  alle  wieder  imstande,  uns  zu  jedem 
schönen  Ding  mit  offenen  Sinnen,  mit  Freude 
am  Schmuck  des  Lebens  heiter  und  gut  zu 
stellen,  undüberließen  es  den  seltenen,  wägenden 
und  zusammenfassenden  Augenblicken  des  Le- 
bens, den  letzten,  immer  schwermütigen 
Sinn  der  Dinge  zu  erkennen.  Es  würden  dann 
sicherlich  auch  wieder  mehr  schöne  Dinge  ge- 
macht werden,  und  wir  kämen,  statt  in  ein 
sentimentales ,  endlich  wieder  in  ein  klassi- 
sches Verhältnis  zur  Kunst  überhaupt 


xQUlTTEN-STlLLEBEN«  1911. 


Daß  aber  Weiß  diesen  seinen  Trieb  zur 
reinen  Schönheit  und  Ruhe  der  Existenz  nicht 
als  Erfüllung,  sondern  als  Begrenzung  und 
Beengung  fühlt  und  in  widersprechenden  Ver- 
suchen dagegen  ankämpft,  das  gereicht  ihm 
zum  hohen  Lob.  Der  Mensch  muß  überall  die 
ihm  von  der  Natur  mitgegebenen  Güter  noch 
erst  erwerben;  er  muß,  wie  der  Ausdruck  lautet, 
zu  sich  kommen.  Weiß  war  in  der  Tat  vielen 
Anregungen  offen,  er  ist  ein  unermüdlicher  Ler- 
ner. Wie  aber  lernt  ein  Künstler?  Immer  tätig, 
immer  schaffend.  Sobald  er  den  objektiven 
Wert  einer  Errungenschaft  der  ohne  Pause  rin- 
genden Kunst  erkennt,  begnügt  er  sich  nicht. 


PROFESSOR  E.  R.  WEISS.  >BAUERNSTRAUSS.  1909. 


E.  R.  WEISS.  »NIKI«  FRIEDENAU  1907.  wallraf-rich.-mus.  cöln. 


Emil  Rudolf  Weiß. 


ihn  sich  begrifflich  zu  eigen  zu  machen,  sondern 
er  übt  ihn;  und  das  ist  etwas  ganz  anderes  als 
ein  unfreies  Nachahmen.  Das  Wundervolle  am 
Schicksal  des  Künstlers  ist  es  ja,  daß  ihm  ein 
glorreiches  Ziel,  ein  Äußerstes,  eine  Vollendung 
vorschwebt  und  daß  trotzdem  schon  jeder 
Schritt  auf  dem  Wege  eine  Erfüllung  ist. 

Die  Arbeit,  die  Weiß  an  sich  und  zuweilen 
selbstquälerisch  gegen  sich  tat,  hatte  zwei  sich 
gegenseitig  bedingende  Richtungen;  sie  galt 
seinem  Kolorit  und  galt  dem  Funktionellen  des 
Bildes,  der  Komposition. 

Schon  auf  den  frühen  Bildern  von  Weiß 
ist  die  Farbe  von  charakteristischer  Reinheit 
und  Stille;  aber  sie  ist  dort  tonlos;  sie  hat  keine 
Resonanz;  sie  wagt  sich  vor  Sprödigkeit  nicht 
aus  der  Bildfläche  hinaus.  Mit  allen  Kräften 
strebt  er  darum,  sie  locker,  reich  und  tief  zu 


machen.  Das  ist  gegen  seine  Natur  nur  in  dem 
preisenswertenSinn  gehandelt,  wieDemosthenes 
an  der  brandenden  Meeresküste  seine  schwache 
Stimme  zum  Rednerorgan  hinaufzwang.  Blumen, 
die  reinsten  Gotteszeugnisse  der  Farbe  auf 
dieser  unreinen  Erde,  werden  seine  Meister; 
Früchte,  mit  ihrer  komplizierteren  Farbstruktur 
und  dem  getrübteren  Hauch,  helfen  ihm  zu  einer 
schwebenden  Verteilung;  und  endlich  wütet  er 
in  einer  fanatischen  Aktmalerei  gegen  den  letzten 
Rest  von  unfruchtbarer  Zurückhaltung  in  sich. 
Schrittweise  erreicht  er,  wonach  es  ihn  lockt. 
Anfänglich  liegt  auch  über  den  im  Einzelnen  schon 
befreiten  Bildern  noch  ein  Gesamtton  von  un- 
frischem, salzlosem  Blond;  aber  immer  fester 
wächst  es  zusammen  und  wird  zum  starken,  er- 
frischenden, beglückenden  Klang.  Man  ver- 
gleiche die  Zitronen  und  den  Kaktus  von  1907 


Emil  Rudolf  Weiß. 


PROFESSOR  E.  R.  WEISS. 


etwa  mit  den  Tulpen  von  1915,  und  man  wird 
noch  in  der  Reproduktion  erkennen,  daß  sie  sich 
zu  einander  verhalten,  wie  ein  zarter,  gebrannter 
Tonscherben  zu  einem  Edelsteinkrystall.  Vieles 
Vergebliche,  von  ihm  selbst  rücksichtslos  für 
vergeblich  Gehaltene  ist  auf  diesem  Weg,  und 
ganze  Jahre  hat  er  von  der  Leinwand  gekratzt; 
aber  auch  genug  an  Bleibendem  wurde  ihm 
geschenkt,  das  dadurch,  daß  es  überholt  wurde, 
nicht  widerlegt  ist.  Welch  eine  Erquickung  ist 
zum  Beispiel  die  Figur  des  liegenden  jungen 
Mädchens !  welche  köstliche ,  künstlerische 
Sinnlichkeit,  nicht,  weil  der  Ausdruck  im  Ge- 
sicht oder  die  Haltung,  die  halbe  Nacktheit 
an  Sinnliches  der  Natur  erinnern,  sondern 
wegen  der  Zärtlichkeit,  der  Poesie  des  Pinsels! 
—  Die  Befreiung  zur  Farbe  hatte  für  Weiß  außer 


ITALIENISCHER  BLUMEXSTRAUSS«  1S12. 


ihrer  eigenen  Bedeutung  noch  die  große  Aufgabe, 
das  Problem  der  Komposition  zumindest  vorerst 
zu  klären.  Unter  jenen  frühen,  oben  erwähnten 
Bildern  gab  es  solche,  auf  denen  Menschen 
unsrer  Tage,  Mann  und  Frau,  in  modernen 
Kleidern,  doch  über  das  Realistische  gesteigert, 
in  bedeutungsvoller  Haltung,  wie  umfangen  von 
einem  stummen,  weiten  Weltgefühl,  gegeneinan- 
der standen.  Es  war  Symbolisches  in  diesen 
Bildern,  doch  sie  selbst  waren  kein  Symbol;  ein 
Dichtergedanke  außerhalb  ihrer  hatte  ihnen 
vorgewaltet,  nicht  ein  Malergedanke  in  ihnen 
sie  organisiert.  Weiß,  der  als  einer  der  ersten 
bei  uns  über  Marees  mit  Enthusiasmus  geschrie- 
ben hat,  erkannte  den  Mangel,  und  mit  Strenge 
entsagte  er  der  dichterischen  Lust  zu  gunsten 
der  malerischen  Pflicht.   Er  entfernte  aus  seiner 


PROFESSOR  EMIL  RUDOLF  WEISS.  .NIKIc  BERLIN  1909. 


Emil  Rudolf  Weiß. 


PKOFESSUR  K.  R.  WEIS 


Komposition  jede  aus  einer  andern  Sphäre  stam- 
mende Absicht.  Er  bevorzugte  immer  mehr  die 
einzelne,  für  sich  geltende  Gestalt.  Seine  Still- 
leben sind  keine  Huldigung  gegen  die  Natur, 
sondern  gegen  die  bildkomponierende  Farbe. 
Dabei  aber  fühlte  er,  daß  ihm  zu  solcher  Kom- 
position vielleicht  doch  noch  etwas  Formales 
fehle,  ich  möchte  es  das  Funktionelle  nennen, 
und  er  suchte  darnach.  Man  betrachte  die,  bei- 
läufig, vifundervoll  in  tiefer,  feuchter  Frische 
gemalte  Kalla.  Das  Motiv:  eine  Blume  in  einer 
Vase  auf  einem  Tisch.  Was  tut  nun  der  Tisch? 
Er  stößt  mit  seinem  Winkel  in  das  Bild  hinein. 
Zu  dieser  Gewaltsamkeit  und  Durchbrechung 
des  natürlichen  Anblicks  ist  in  dem  Motiv  kein 
Grund.  Wenn  bei  Cezanne  ein  Tisch  zu  klein 
ist  für  das,  was  er  trägt,  seine  Perspektive  nicht 
stimmt  zu  dem,  was  er  trägt,  so  haben  wir  das 
Gefühl  einer  so  unbedingten,  innerlich  drang- 
vollen Not  und  Notwendigkeit,  daß  wir,  weit 
davon  entfernt,  eine  nicht  erreichte  Annäherung 


XX.  Januar  1917.  3 


».SCHI  AIK.NDI  >   MADCIUN«    1»HI. 


an  die  Natur  zu  bemängeln,  vielmehr  den 
Triumph  der  Kunst  über  die  Natur  und  ihre 
wahren  Absichten  bewundernd  erkennen;  es 
wirkt  wie  die  Engführung  im  Fugensatz. 

Hier,  wie  gesagt,  fehlt  etwas  bei  Weiß;  es 
fehlt,  —  aber  das  heißt  nicht,  daß  hier  ein 
Mangel  ist.  Das  Innerste  seiner  Natur  sucht 
darnach  nicht  als  nach  seinem  Ziel,  sondern  nur, 
um  nicht  in  einer  zu  frühen,  zu  bereitwilligen 
Selbstbescheidung  zu  verflauen.  Nicht  Funk- 
tion, sondern  Ruhe  ist  das  Element  seines  künst- 
lerischen Weltsinns;  und  das  Leben,  das  Ge- 
heimnis der  Ruhe  heißt  Schönheit.  Schönheit, 
von  einer  mannhaften  Art,  gibt  er  mit  reichen 
Händen,  immer  feuriger  sich  sammelnd,  immer 
fester  sich  gründend.  Seine  Blumen  funkeln  in 
ihrem  offenen,  klaren  Glanz;  seine  Menschen 
sehen  aus  ihrer  unantastbaren  Existenz  fast 
kalt  auf  dich,  so  ruhevoll  sind  sie  auf  sich  selbst 
bezogen,  sehr  fern  davon,  dir  zu  Willen  und 
Gefallen  zu  sein;  und  wenn  die  Einsamkeit  sie 


Emil  Rudolf  Waß. 


PROFESSOR  E.  R.  WEISS. 

übermannt,  wird  in  sprödem  Schmerz  ihre 
Seele  rege,  und  ein  Trauernder  neigt  seinen 
Kopf  auf  den  Arm ;  keine  ergreifendere,  schlich- 
tere Elegie  auf  die  schwer  lastende  Zeit  wurde 
uns  gemalt.  — 

Alle  diese  Bilder  von  Weiß,  die  Blumen,  die 
Früchte,  die  Landschaften,  die  Porträts  —  wie 
unverwüstlich  in  Bürgergeistesfreiheit  der  Ge- 
lehrte, wie  amazonenhaft  streng  die  Bilhauerin, 
wie  kinderernst  Nikil  —  und  selbst  der  an- 
mutig-schwermütige Pierrot  sind  aus  der  Natur 
direkt,  ohne  Umschweif,  mit  schaffendem  Auge 
herausgelesen.  Zu  mehr  als  Natur  macht  sie 
die  über  alle  Absichten  siegende  Lauterkeit 
der  Gesinnung,  eine  Idealität,  die  von  den 
Dingen  nichts  weiter  will,  als  daß  sie  in  einer  At- 
mosphäre von  einigen  Prozent  mehr  Sauerstoff, 
als  unserer  irdischen,  kraftvoll  still  aufglänzen! 


»UORFSTRASSE  IM  KAISERSTUHL«  1911. 


Überhaupt  aber  ist  aller  Kumt,  allem  Schönen, 
aller  geistigen  Darstellung  die  Einfachheit,  welche 
ja  auch  der  Wahrheit  anzuhängen  pflegt,  ein  wesent- 
liches Gese^:  wenigstens  ist  es  immer  gefährlich 
sidi  von   ihr   zu   entfernen 

Zum  MaQstab  eines  Genies  soll  man  nldit  die 
Fehler  in  seinen  Produktionen,  oder  die  sdiwächeren 
seiner  Werke  nehmen,  um  es  dann  danadi  tief  zu 
stellen;  sondern  blol!  sein  Vortrcfflidistes.  Denn 
audi  im  Intellektuellen  klebt  Sdiwadie  und  Verkehrt- 
heit der  mensdilidien  Natur  so  fest  an,  dali  selbst 
der  glänzendeste  Geist  nicht  durchweg  jederzeit  von 
ihnen  frei  ist 

Was  hingegen  das  Genie  auszeichnet  und  daher 
sein  Malistab  seyn  sollte,  ist  die  Höhe,  zu  der  es 
sich,  als  Zeit  und  Stimmung  günstig  waren,  hat  auf- 
sdiwingen  können,  und  weldie  den  gewöhnlidien 
Talenten  ewig   uncrreidibar  bleibt.  Aiilmr  Sdio|,euh.iiicr. 


T»  >•  •      ^    V't  ^  ';_-gT-T--V 


JTrgarrr« 
1913 
SÜQCLrTCG 

SSAFT-3FH  T  TS 


VON  DER  FARBE. 


Die  Natur  gehört  sich  selbst  an,  Wesen  dem 
Wesen;  der  Mensch  gehört  ihr,  sie  dem 
Menschen.  Wer  mit  gestmden,  offenen,  freien 
Sinnen  sich hineinfühlt,übtseinRecht  aus, ebenso 
das  frische  Kind  als  der  ernsteste  Betrachter.  . .  . 
Gegen  die  Reize  der  Farben,  welche  über 
die  ganze  sichtbare  Natur  ausgebreitet  sind, 
werden  nur  wenig  Menschen  unempfindl ich 
bleiben.  Auch  ohne  Bezug  auf  Gestalt  sind 
diese  Erscheinungen  dem  Auge  gefällig  und 
machen  an  und  für  sich  einen  vergnügenden 
Eindruck.    Wir  sehen  das  einfache  Grün  einer 


frischgemähten  Wiese  mit  Zufriedenheit,  ob  es 
gleich  nur  eine  unbedeutende  Fläche  ist,  und 
ein  Wald  thut  in  einiger  Entfernung  schon  als 
große  einförmige  Masse  unserm  Auge  wohL  .  .  . 
Reizender  als  dieses  allgemeine  grüne  Ge- 
wand, in  welches  sich  die  ganze  vegetabilische 
Natur  gewöhnlich  kleidet,  sind  iene  entschie- 
denem Farben,  womit  sie  sich  in  den  Stunden 
ihrer  Hocfazeitfeier  schmückt.  Sie  tritt  ans  ihrer 
alltäglichen  Gleichgültigkeit  hervor  und  zeigt 
endHch,  was  sie  lange  vorbereitet,  unserm  Auge. 


246 


PROFESSOR  EMIL  RUDOLF  WEISS.  .BOGENSCHÜTZEc  1915. 


PROFESSOR  EMIL  RUDOLF  WEISS.  .TULPEN.  iDi5 


PROFESSOR  EMIL  RUDOLF  WEISS.  .STREIFENROSEN.  1916. 


PROFESSOR  EMIL  RUDOLF  WEISS-BERLLN.  .KALLA.  191B. 


PROFESSOR  EMIL  RUDOLF  WEISS  »BEGONIEN«  1914 


Von  der  Farbe. 


PKuFES;>oR  EMIL  RUDOLF  WEISS. 


Zwecke.  Die  Dauer  künftiger  Geschlechter 
wird  entschieden,  und  wir  sehe  in  diesemn 
Augenblicke  die  schönsten  und  muntersten 
Blumen  und  Blüten 

Wenn  wir  die  Körper,  aus  denen  die  Welt 
besteht,  im  Bezüge  auf  Farben  betrachten,  so 
können  wir  leicht  bemerken,  daß  diese  zarten 
Erscheinungen,  die  bei  gewissen  Veränderungen 
des  Körpers  so  leicht  entstehen  und  verschwin- 
den, nicht  etwa  zufällig  sind,  sondern  von  be- 
ständigen Gesetzen  abhangen.  Gewisse  Farben 
sind  gewissen  Geschöpfen  eigen,  und  jedeVer- 
änderung  der  äußerlichen  Erscheinung  läßt  uns 
auf  eine  innere  wesentliche  Veränderung 
schließen.  Die  Rose  verbleicht,  indem  sie  ver- 
blüht, und  die  bunte  Farbe  des  Waldes  ver- 
kündigt uns  die  rauhe  Jahreszeit 

Von  diesen  Erfahrungen  geleitet,  schließen 
wir,  daß  es  mit  andern  Wirkungen  der  Natur 
ebenso  beschaffen  sei.  Indem  wir  den  Himmel 
blau  sehen,  schreiben  wir  der  Luft  eine  blaue 
Eigenschaft  zu  und  nehmen  an,  daß  wir  diese 


»LlliK  TRAUERNDE«  UHJ 


alsdann  erst  gewahr  werden,  wann  wir  eine 
große  Luftmasse  vor  uns  haben.  Wir  erklären 
auch  die  blaue  Farbe  der  Berge  auf  dieseWeise, 
ob  wir  gleich  bei  näherer  Aufmerksamkeit  leicht 
bemerken,  daß  wir  mit  dieser  Erklärung  nicht 
auslangen;  denn  wäre  sie  richtig,  so  müßten 
die  entferntesten  Berge  am  dunkelblauesten 
erscheinen,  weil  sich  zwischen  uns  und  ihnen 
die  größte  Luftmasse  befindet.  Wir  bemerken 
aber  gerade  das  Gegenteil;  denn  nur  in  einer 
gewissen  Entfernung  erscheinen  die  Berge  im 
schönen  hohen  Blau,  da  die  entferntere  immer 
heller  werden  und  sich  zuletzt  ins  Weißliche 

verlieren 

Die  Farben  sind  Thaten  des  Lichts,  Thaten 
und  Leiden.  In  diesem  Sinne  können  wir  von 
denselben  Aufschlüsse  über  das  Licht  erwarten. 
Farben  und  Licht  stehen  zwar  untereinander 
in  dem  genausten  Verhältnis,  aber  wir  müssen 
unsbeide  als  der  ganzen  Natur  angehörig  denken; 
denn  sie  ist  es  ganz,  die  sich  dadurch  dem  Sinne 
des  Auges  besonders  offenbaren  will,    goethe. 


PROFESSOR  JOZSEF  PECSI-BUDAPEST.  »BILDNIS-AUFNAHME. 


UNTERHALTUNG  ÜBER  PHOTOGRAPHISCHE  BILDER. 


Wie  ich  in  der  Photographie  aussehen 
möchte?  So,  wie  ich  mich  im  Spiegel 
sehe.  Sieht  man  sich  im  Spiegel  anders?  Freilich. 
Geben  Sie  acht,  wenn  eine  Person  sich  in  den 
Schaufenstern  betrachtet  oder  im  Kaffee  einem 
Spiegel  gegenüber  sitzt  und  plötzlich  hinein- 
blickt. Wie  groß  die  Veränderung  ist,  die  vor- 
geht. Sie  korrigiert  sich.  Oft  mit  Erfolg.  Es 
kann  eine  Untugend  werden,  eine  Afferei, 
Spiegelnarrheit,  immerhin.  Eine  Autosuggestion 
findet  stall.  Ein  Seelenvorgang.  Der  Spiegel 
wirkt  immer  magisch,  hypnotisch.  Das  Gesicht 
tritt  aus  dem  Alllag  heraus,  beseelt  sich,  nimmt 
Bedeutung  an,  von  innen  her. 

Wieso? 

Ich  erkläre  es  ja.  Und  nehme  mich  zum 
Beispiel  aus  Höflichkeit  gegen  andere.  Man 
wird  mir  gestatten,  daß  ich  von  mir  eine  bes- 
sere Meinung  habe,  als  sie  der  bekrittelnde 
Nachbar  von  mir  hat.  Ich  habe  von  mir  ein 
inwendiges,  psychologisch  bedingtes  Bild,  wie 
das  Wort  Ein-bild-ung  ganz  treffend  sagt.  Die 
Eigenliebe  tut  das  Nötige,  das  Selbst-Bewußt- 
sein sorgt  schon  für  eine  möglichst  schmeichel- 
hafte Innenphotographie  des  lieben  Ich.  Ich 
nenne  dieses  Ichporträt,  die  eine  innere  Vor- 
stellung der  höchsteigenen  Person  ist,  das 
Autopholo.  Mein  Seelenporträt,  von  nieman- 
dem gesehen  als  von  meinem  inneren  Auge,  das 
sozusagen  wie  ein  geistiger  photographischer 
Apparat  funktioniert  und  auf  die  ebenfalls 
geistige  Glasplatte  des  Ichbewußtseins  diese 
mehr  oder  weniger  gottähnlichen  Züge  wirft, 
„wie  ich  mich  innerlich  sehe".  Gesehen  mit 
meiner  psychischen  Optik. 

Aber  der  Teufel  hat  sein  Spiel.  Er  hält  mir 
Ahnungslosen  irgendwo  auf  der  Straße  plötz- 
lich einen  Spiegel  entgegen,  er  fängt  mein  Bild 
auf,  stellt  es  mir  in  den  Weg  —  ich  kenne 
meinen  Doppelgänger  im  ersten  Augenblick 
nicht.  Er  ist  mir  fremd,  unangenehm.  Mein 
leibliches  Auge  hat  ihn  photographiert,  das 
menschliche  psychische  Auge  ist  nämlich  der 
vollkommenste  photographische  Apparat,  die 
Materialisation  des  inneren,  geistigen  Auges. 
Im  nächsten  Augenblick  trifft  der  Erkenntnis- 
strahl mein  Ich- Bewußtsein.  Wie  bei  einer 
schlechten  Momentaufnahme  sagt  man  zuerst 
instinktiv:  das  bin  ich  nicht!  (Obzwar  mans 
ja  doch  ist,  nur  nicht  ganz.)  Der  Teufel  grinst 
heimlich  vor  Vergnügen.  Na  wart.  Du  wirst 
schon  noch  geprellt!    In  einem  nicht  mehr  meß- 


baren winzigen  Zeitraum  —  der  wahrscheinlich 
ein  Vacuum  von  Zeit  vorstellt  —  vollzieht  sich 
ein  Prozeß  des  Vergleichens  mit  diesem  äußeren 
Detektivbild  und  dem  inwendigen  Ichporträt 
der  Ein-bild-ung,  dem  Autopholo.  Im  nächsten 
Augenblick  betrachtet  man  sich  schon  mit  Be- 
wußtsein in  diesem  Teufelsspiegel.  Mein 
forschendes ,  kritisches  Auge  als  phologra- 
phischer  Apparat  fängt  mil  psychischer  Optik 
zu  arbeiten  an ,  weil  es  an  dem  Spiegelbild 
interessiert  ist.  Die  Relouche  beginnt,  sozu- 
sagen. Man  korrigiert  sich.  Nimmt  Hallung 
an,  Pose.  Es  hat  seine  Richtigkeil  damit,  daß 
die  schwierigste  aller  Posen  die  Natürlichkeit 
ist.  Nun  sieht  man  ganz  anders  drein.  Geistig 
belebt.  Durch  Willen  erhöht.  Das  Ich-Bewußl- 
sein  hat  soviel  Ausdruck  in  diesen  schlechten 
äußeren  Abklatsch  der  Natur  hineingetragen, 
daß  er  mehr  und  mehr  dem  Aulopholo,  der 
Ein-bild-ung,  dem  seelischen  Innenporlrät  ent- 
spricht, ohne  die  äußere  Spiegel  wahrheit  zu  ver- 
lieren. Ist  es  nicht  so?  Geben  Sie  nur  einmal 
auf  sich  acht,  wenn  Sie  vor  den  Spiegel  treten! 

Trotzdem,  ich  bin  auf  Widerspruch  gefaßt. 
Er  kommt  von  Frauen,  nicht  von  allen;  aber 
von  solchen,  die  den  Puppenkopf  des  Hof- 
photographen Heben  und  die  Relouche,  die  der 
Schminke  gleicht,  dagegen  aber  ihr  Spiegel- 
geheimnis für  sich  behalten  wollen.  Man  sagt, 
weil  sie  um  jeden  Preis  jünger  aussehen  wollen 
—  ich  weiß,  meine  Gnädige,  das  ist  ein  Kurz- 
schluß. Sie  möchten  so  vorteilhaft  aussehen 
als  möglich,  und  das  ist  ein  gutes  Recht.  Für 
die  Bildnisphotographie  Pflicht.  Es  ist  aber 
die  Frage,  ob  der  Hofphotograph  üblichen  Stils 
wirklich  dieser  Forderung  entspricht.  Ge- 
schmackssache. Frauen  lieben  nicht  harte 
Psychologie ,  das  sagt  mir  meine  Erfahrung. 
Die  Kamera  soll  dem  Anbeter  gleichen  ,  der 
für  die  Fehler  blind  ist  und  alles  schön  findet. 
Der  Künstlerphotograph  hingegen  muß  scharfer 
Psychologe  sein,  wenn  er  die  interessante  Seite 
der  Kunst  ergreifen  will,  die  in  der  Charakte- 
ristik liegt.  Es  ist  ja  die  Regel,  daß  er  Männer 
besser  trifft,  als  Frauen.  Aber  auch  das  ist 
eine  schiefe  Wahrheit.  Auf  der  Höhe  des  guten 
Geschmacks  sind  wir  alle  einig  in  der  Ver- 
urteilung des  süßlichen  Puppenkopfes,  nicht 
wahr,  meine  Gnädige? 

Und  dann  haben  wir  einen  unfehlbaren  Trost 
in  der  Erkenntnis ,  daß  ein  Mensch  ebenso- 
wenig wie  ein  Bild  so  langweilig  sein  dürfte. 


Unterhaltung  über photogro pliische  Bilder 


keinen  Fehler  zu  haben.  Der  Mensch  muß  es 
im  Leben  wie  im  Bild  so  zu  halten  wissen,  daß 
man  sich  in  seine  Fehler  verlieben  könnte ! 

So  also  möchte  ich  in  der  Photographie  aus- 
sehen, wie  ich  mich  im  Spiegel  sehe.  Wie  in 
einem  Selbslporträts.  —  Man  sehe  sich  doch 
die  Selbslporträts  der  Künstler  an!  Das  Selbst- 
bildnis des  Künstlerphotographen  zeigt  ihn  so, 
wie  er  sich  sieht,  im  eigenen  Spiegelbild.  Die 
Summe  seines  ganzen  Bewußtseinsinhalts  ist 
eine  subjektive  Kunst,  wie  die  Lyrik;  etwas, 
das  dem  Künstler  meistens  am  ersten  und  am 
besten  gelingt.  Die  photographische  Linse  sieht 
nur  mit  der  mechanisch-physikalischen  Optik 
und  enttäuscht  darum  so  olt.  Das  Künstler- 
auge sieht  mit  der  psychischen  Optik,  indem 
es  verborgene  Möglichkeiten  wahrnimmt,  die 
aber  nicht  selten  von  der  Kamera  unterschlagen 
werden.  Man  muß  die  Kamera  überlisten.  Sie 
so  in  Einklang  mit  dem  psychischen  Auge 
bringen ,  daß  sie  das  Gewollte  herausbringt. 
Wie  im  Selbstporträt.  Darum  ist  hier  dem 
Künstler  das  Problem  immer  neu ,  nicht  nur 
von  seiner  Kamera  aus,  sondern  auch  von  der 
Psyche  seines  Modells  aus  zu  lösen.  Er  muß 
sich  in  die  Seele  des  Modells  verwandeln 
können,  wieder  epische  und  dramatische  Dichter 
in  die  Seele  der  handelnden  Personen.  Er 
muß  mich  durch  das  Medium  der  Kamera  so 
zeigen  können ,  wie  ich  mich  selbst  sehe  in 
meinem  Spiegel.  Dann  sagt  das  Bild  erst  von 
mir  aus ,  von  meinen  inneren  Ähnlichkeiten, 
und  ebensosehr  von  dem  Künstler,  von  seinem 
Genius.  —  Unsere  persönliche  Wirkung  beruht 
auf  Suggestion.  Wir  treiben  Magie,  ohne  es 
zu  wissen.  Der  Künstler  weiß  es.  Schließlich 
ist  alle  Kunst  Magie.  Er  versucht  es  im  Stil- 
vollen, im  Dekorativen,  in  den  kunstgewerb- 
lichen Imperativen  seiner  Zeit,  er  geht  auf  den 
Spuren  berühmter  Porträtmaler,  aber  in  allen 
diesen  Äußerlichkeiten  liegt  nicht  das  Wesent- 
liche. Es  liegt  in  den  suggestiven  Momenten. 
Sie  ruhen  in  der  Persönlichkeit,  in  der  Psyche, 
oft  in  den  sichtbaren  „Fehlern",  die  unsere 
besondere  Art  von  Schönheit  ausmachen 
können,  das  Charakteristische,  das  „Interes- 
sante". Nicht  indem  man  sie  verbirgt,  diese 
„Fehler",  sondern  künstlerisch  betont,  stiHsiert, 
seelisch  adelt.  „Schön  wird  häßlich,  häßlich 
schön."  Man  fürchtet  das  Bedeutungslose  wie 
die  Sünde.  Wogegen  man  die  Sünde  liebt, 
oder  wenigstens  so  tut  als  ob ,  weil  sie  das 
„Dämonische"  ist,  die  beliebte  Pose  von  heute. 
Man  wird  Sphinx  —  wenn  auch  ohne  Rätsel. 
Oder  Monna  Lisa.  Monna  Vanna.  Oder  Me- 
phisto, weil  jeder  ein  wenig  im  Leib  auch  den 
Teufel  spürt,  wenn  auch  nichts  dahinter  steckt 


als  ein  kleiner  Egoist  mit  Fettgesicht  und  all- 
täglichen Lastern.  Oder  Snob,  der  immer  ver- 
kappter Philister  ist.  Aber  die  eigentliche  Sünde 
wider  den  Geist,  die  in  der  Kunst  nie  verziehen 
wird,  heißt  Langeweile. 

Unter  der  Herrschaft  der  Schablone  und  der 
Methoden,  wo  selbst  die  Gedanken  die  Uniform 
anlegen,  flüchtet  die  Persönlichkeit  in  die  Kunst, 
in  die  Frauenmode,  vor  den  Spiegel,  in  die 
Künstlerphotographie,  um  sich  selber  Mut  zu 
machen  und  den  Späteren  zu  zeigen,  daß  auch 
wir  Originalität  und  Phantasie  gehabt  haben, 
die  immer  nur  in  der  viel  geschmähten,  ver- 
leugneten, kritisierten,  gefürchteten,  verhaßten, 
vor  allem  aber  unentbehrlichen,  immer  wieder 
nachgeahmten  Persönlichkeit  liegen.  Sie  will 
sich  unterscheiden,  wird  erfinderisch,  schöpfe- 
risch und  hat  unbegrenzte  Möglichkeiten,  sich 
zu   offenbaren.     Eine   davon   ist   die   Bildnis- 

photographie joseph  aug.  lux. 

Ä 
VON  DER  FREIHEIT  DES  KÜNSTLERS. 

Der  Gewissenhafte  wird  Sklave  des  Scheins. 
Je  genauer  er  die  Züge  der  Welt  abzu- 
lesen sich  bestrebt,  desto  leerer  und  unver- 
ständlicher werden  sie  ihm.  Er  wird  zum  Schüler, 
der  die  Handschrift  kopiert,  die  er  noch  nicht 
entziffern  darf.  Da  hilft  kein  Zorn,  kein  Eifer, 
keine  Verzweiflung.  Und  wenn  du  deine  Hände 
grausam  drillst,  bis  sie  jede  Falte,  jede  Runzel 
im  Weltenantlitz  aufspüren  und  „treffen",  diese 
Zeichen  verraten  dir  nichts,  sie  werden  dir 
unter  dem  Griffel  leer  und  häßlich  —  das  Unver- 
standene sklavisch  nachahmen  heißt  stets  fäl- 
schen und  verderben.  Nur  die  freie  Gestaltung 
deutet  richtig.  Erkenntnisund  Anschauung,  viel- 
leicht ein  und  dasselbe,  nur  in  Freiheit  möglich,  j. 

Ä 

DUNKEL.  ImDunkel  schlummern  die  Gestal- 
ten, ungeboren.  Das  Auge  sucht,  tastet  die 
Möglichkeiten  ab.  Lebendig  ist  das  Dunkel  trotz 
alledem,  strotzend  voll  von  Bildern  und  Formen, 
die  wir  nur  ahnen.  Da  tanzen  die  Träume  und 
Gesichte,  schemenhaft,  Nichtse,  Wünsche  nur 
nach  Sein  und  Namen.  Gott,  welches  Schwel- 
gen in  kühnsten  Andeutungen,  welche  über- 
quellende Fülle!  Das  Dunkel  ist  schwer  und 
reich  und  tausendmal  fruchtbarer  als  das  Licht. 
Licht  gebiert  die  Gestaltungen,  es  weckt  zum 
wirklichen  Sein,  aber  es  tötet  zugleich  alle  die 
andern  Formkeime  außer  dem  einen,  den  es 
gelten  läßt.  Es  scheucht  die  Träume  und  reißt 
ihnen  den  dünnen  Lebensfaden  entzwei.  Wie 
geplatzte  Seifenblasen  fallen  sie  zusammen. 
Wir  können  nicht  leben  ohne  die  Gewißheiten 
des  Lichts,  aber  es  ist  arm,  wie  Sehen  ärmer 
ist  als  Ahnen anton  jaumann. 


PROFESSOR  JOZSEf  PECSI-BUDAPEST.  .BILDMIS-AUFNAHME. 


PROFESSOR  JOZSEB"  PECSI- BUDAPEST.  .BILDNIS-AUtNAHMEt 


PROFESSOR  JOZSEF  PECSI-BUDAPEST.  >KINDER-BILDNISf 


l'ROl-ESSOR  JOZSEF  PECSI-BUDAPEST.  .BILDNIS-AUFNAHME« 


PROFESSOR  JOZSEF  PECSI— BUDAPEST. 


»PHilTiiGR.   mUJNIS-AUKNAHME« 


HOFFNUNG  AUF  DIE  DEUTSCHE  KUNST. 


VON  DR.  KURT  GERSTENBERG. 


Heute  hat  die  Kunst  Darstellungsmöglich- 
keiten, auch  wieder  Bildgedanken  auszu- 
drücken. Es  kommt  nicht  darauf  an,  den  Reiz 
der  stofflichen  Neuheit  zu  befriedigen,  sondern 
darauf,  die  Zeitinhalte  auszuschöpfen.  Niemals 
gehen  Krieg  und  Kunst  zusammen. 

Goethe  wünscht  in  der  Kampagne  in  Frank- 
reich einen  van  der  Meulen  herbei,  daß  er  den 
Ruhm  des  Feldzugs  im  Bild  überliefere.  Gewiß 
ein  bescheidener  Wunsch  und  geboren  aus  der 
Anschauung  eines  Geschlechts,  das  sich  in  den 
Befreiungskriegen  zufrieden  gab  mit  den  land- 
schaftlichen Schlachtenbildern  eines  Kobell  und 
Adam.  Sie  vergegenwärtigen  nur  eben  die 
Situation,  was  aber  bringen  sie  von  dem  Gehalt 
der  Zeit  ?  Nirgends  schlägt  die  Stimmung  der 
Stunde  rein  durch  und  zwingt  die  Herzen  in 
gleichen  Takt.  Der  einzige  Cornelius  wäre 
hierzu  imstande  gewesen,  aber  er  lebte  in 
einer  anderen  Ideenwelt.  Und  doch  ist  in  seinen 
Linien  die  bittere  Herbheit,  in  der  etwas  von 


der  ehernen  Zeit  mitklingt.  Der  Siegerstolz  der 
Florentiner  aber,  die  in  der  Schlacht  bei  An- 
ghiari  1440  die  mailändischen  Truppen  unter 
Piccinino  aufs  Haupt  schlugen,  hat  sechs  Jahr- 
zehnte warten  müssen,  bis  ihn  Lionardo  1503 
im  Karton  für  alle  Ewigkeit  formte. 

Niemals  gehen  Krieg  und  Kunst  zusammen. 
Heute  heißt  es  sich  besinnen  auf  die  Urforderung 
aller  künstlerischen  Gestaltung:  das  umgebende 
Chaos  in  einen  Kosmos  zu  verwandeln.  Jagt 
man  den  tausend  Einzelfällen  des  äußeren  Ge- 
schehens nach,  so  verzettelt  die  Kraft.  Wird  aber 
der  Kern,  die  allgemeine  Bedeutung,  der  Fall 
schlechthin  herausgeläutert ,  so  strahlt  die  ge- 
sammelte Klarheit  weiter  fort.  Das  ist  die  For- 
derung einer  Verinnerlichung  des  künstlerischen 
Denkens.  Es  gilt,  an  den  inneren  Bildersinn 
zu  appellieren  und  heraufzubeschwören,  was 
auf  dem  dunklen  Grunde  der  Seele  ruht.  Eine 
neue  Fülle  in  der  Gedankenwelt  quillt  in  un- 
seren Tagen  hervor,  wo  eben  die  ersten  neuen 


Hoffnung;  auf  die  deutsche  Kunst. 


Formen  gegossen  wurden,  die,  weiter  vollendet, 
allein  fähig  sind,  diese  Fülle  zu  fassen.  Die 
neue  Kunst  war  schon  da,  ehe  der  Krieg  aus- 
brach. Sie  will  auchinhalthchBedeutendes  sagen, 
und  daran  fehlte  es  ihr  vor  dem  Erlebnis  unserer 
Tage.  So  zitterte  und  schwankte  sie  ahnungs- 
voll dieser  Weltumwälzung  entgegen  gleich  dem 
feinsten  Seismographen.  Aber  in  den  Flammen 
dieses  Wellbrandes  kamen  viele  um,  die  eine 
Hoffnung  waren.  Weisgerber  ist  nicht  mehr, 
Marc  ist  gefallen.  Aber  wir  hoffen  auf  die  Jungen, 
Unfertigen,  noch  Namenlosen.  Alle  verbindet 
das  gleiche  Feldgeschrei:  Mehr  Ausdruck!  Es 
gehören  schon  bedeutende  Köpfe  dazu,  die 
großen  Ideen,  die  unsere  Zeit  bewegen,  im 
Bilde  zu  gestalten.  Der  Expressionismus  hat 
die  Ausdruckswerte  der  Farben  und  Formen 
zu  unerhörter  Kraft  gesteigert.  Nur  von  dieser 
Kunst  können  wir  erhoffen,  daß  sie  Verzweif- 
lung und  Begeisterung,  Unmut  und  Tatendurst, 
Trauer  und  Siegesjubel  gestalten  wird.  Sie  allein 
wird  für  alle  Gefühle,  die  in  uns  leben,  Aus- 
drucksfarben und  Ausdrucksformen  fmden. 
Dann  werden  die  Erlebnisse,  die  unsere  Seele 
all  die  Zeit  bis  ins  tiefste  aufwühlen,  nicht  mit 
uns  verklungen  sein,  sondern  künftigen  Ge- 
schlechtern immer  wieder  ins  Herz  hämmern. 
Der  Expressionismus  wagt  es  wieder,  Gefühle 
zu  gestalten,  Gedanken  im  Bilde  zu  geben.  Das 
wäre  ein  jämmerliches  Geschlecht  von  Malern, 
das  heute  keine  Bildgedanken  hätte  !  Jahrelang 
hocken  wir  in  dem  trüben  Dunstkreis  der  Unter- 
stände. Ein  sparsames  Dämmern  umfängt  uns, 
an  das  sich  das  Auge  immer  erst  wieder  ge- 
wöhnen muß  beim  Eintritt.  Lichlfremd,  grau 
und  düster  glotzen  uns  Beton  und  Balken,  Stein 
und  Schiene  an.  Wir  wollen  Farben  sehen,  wir 
schreien  nach  Farben.  Unser  Ohr  wird  zer- 
martert ,  täglich  und  nächtlich  im  rollenden 
Wirbel  des  Feuers.  Unser  Auge  sitzt  gepeinigt 
und  starrt  sich  wund.  Wir  sagen  uns;  jetzt 
muß  der  Sommer  sein,  jetzt  leuchtet  die  Welt 
in  Farben.  Wo  ist  das  Grün  unserer  Wälder? 
Unser  Berg  ist  ein  grauer  Leicham  und  die 
Nachbarberge,  über  die  die  Stellungen  hinweg- 
klettern, liegen  da  wie  tote,  gerupfte  Vögel.  Die 
wüsten  Schwärme  der  Geschosse  zerfraßen  die 
farbige  Schale  unseres  Berges.  Wer  gestaltet 
die  herbe  Zucht  und  den  Harm  unseres  Da- 
seins? Wer  predigt  mit  gewaltiger  Stimme  das 
Wellfreudlose  unseres  klösterlichen  Wartens 
im  Schützengraben?  Manche  Tage,  manche 
Wochen  leben  wir  nicht  anders  wie  die  Ein- 
siedler auf  dem  Fresko  im  Pisaner  Camposanto. 
Der  Kampf  unserer  Tage  ist  der  Kampf  mit  der 
Handgranate.  Es  gibt  nichts  prächtigeres  als 
diese  im  Abziehen  der  Sicherung  und  im  Werfen 


der  Granate  bewegten  Männergestalten.  Ihr 
Bildhauer,  das  sind  unsere  Diskuswerfer!  Nie 
sah  ich  einen  geschmeidigeren  Rhythmus  ab- 
laufen als  den  einer  Gruppe  solcher  Handgra- 
natenwerfer zwischen  zwei  Schulterwehren.  Wir 
wollen  nicht  mehr  eine  illusionistische  Schein- 
welt in  vielfältig  gebrochenen  Tönen  und  tau- 
sendfach verfetzten  Farben  sehen.  Wir  wollen 
die  gesammelte  Ruhe  und  Kraft,  wir  wollen  die 
Macht  der  Farbe  in  großen  Flächen  und  die 
Biegsamkeit  rhythmischer  Linien.  Das  wird 
der  Stil  sein,  der  unserem  kampferprobten  Ge- 
schlecht zukommt. 

Wann  werden  die  Baumeister  aufhören,  nach 
menschlichen  Maßen  zu  bauen?  Sahen  wir 
nicht,  wie  der  Mensch  das  erbärmhchste,  zer- 
brechlichste Maß  ist?  Nur  eine  Baukunst,  ge- 
waltig in  den  Abmessungen,  frei  von  kleinlicher 
Schmuckform  kann  uns  genügen.  Kein  Ge- 
schlecht kann  sich  mehr  gesehnt  haben  nach 
dem  freien  Schreiten  unter  sich  dehnenden 
Wandelgängen  als  das  unsrige,  das  den  krummen 
Rücken  jahrelang  durch  die  Enge  des  Schützen- 
grabens schob.  Unser  Geschlecht  erträgt  den 
bedrückten  Dunstraum  enger  Unterstände  in 
der  Hoffnung,  die  stolze  Siegerkraft  in  der 
Weite  hallender  Säle  ausjubeln  zu  können. 
Königlich  stolz  müssen  die  Hallen  des  Friedens 
sich  wölben,  zu  denen  wir  durch  steilragende 
Tore  schreiten.  In  starrer  steifnackiger  Wucht 
kyklopischerMauern  türmen  sich  künftige  Denk- 
mäler zum  Himmel.  Unser  Bauen  wird  Kraft 
und  Form  aus  dem  völkerumspannenden  Bau- 
stil empfangen,  der  unaulhaltsam  zur  Entfaltung 
drängt  und  für  den  die  Bedingungen  in  der  Ent- 
wicklung der  Großstädte  gegeben  sind. 

Und  wenn  die  Ströme  unserer  Volkskraft 
wieder  in  das  alte  Bett  friedlichen  Wettbewerbs 
einbrausen,  und  die  Teilnahme  an  öffentlichen 
Geschehnissen  lebendiger  bleibt  als  sie  früher 
war,  so  braucht  sich  nicht  Furcht  einzuschleichen, 
daß  die  Kunst  in  diesen  Strudel  hineingerissen 
wurde.  Das  Ungeheure  dieses  unseres  Daseins- 
kampfes läßt  sich  nur  vergleichen  mit  dem 
Standhalten  der  Griechen  gegen  den  Ansturm 
der  Persermacht.  Und  damals  entstand  das 
stille  Reich  der  Kunst  neben  der  erstaunlichsten 
politischen  Bewegtheit.  So  hoffen  wir  auf  die 
neue  deutsche  Kunst.  Vielleicht  hatte  uns  da- 
mals im  Sommer  1914  die  Schwungkraft  unsrer 
Seele  hochgetragen,  daß  wir  nahe  und  deutlich 
wie  ein  Land  der  Verheißung  diese  neue  deutsche 
Kunst  erschauten.  Heute,  wo  wir  lange  schon 
wieder  auf  den  Boden  gestoßen  sind  und  uns 
hart  um  jeden  Schritt  mühen,  sehen  wir  nur 
alles  in  der  Brache.  Aber  sollen  wir  nicht 
hoffen  auf  die  deutsche  Kunst? 


PROFESSOR  JOZSEF  PECSI-BUDAPEST.  .BILDNIS-AUFNAHME. 


KUNSTGEWERBESCHULE— BUDAPEST. 


»SCHRIFTFELD  UND  UMRAHMUNG« 


VOM  WESEN  DES  KITSCHES. 


In  den  ersten  Kriegsmonaten  traf  man  überall 
auf  Zeitungsaufsätze  mit  Überschriften  wie 
„Der  Krieg  und  die  Kunst"  oder  dergleichen,  da- 
rinnen mehr  oder  minder  pathetische  Betrach- 
tungen angestellt  wurden,  wie  von  der  großen 
Welle  der  Kriegsbegeisterung  recht  viele  be- 
fruchtende Gewässer  auf  die  stillen  Gefilde  der 
Kunst  übergeleitet  werden  könnten.  Ange- 
sichts der  großen  Ungewißheit  des  Krieges 
waren  solche  Betrachtungen,  die  vornehmlich 
aus  einem  Bedürfnis  geistiger  Selbstbehauptung 
entsprungen  waren,  sicherlich  berechtigt.  Je 
mehr  sich  der  Krieg  aus  etwas  unbekanntem 
Kommenden  zu  etwas  nur  zu  bekanntem 
Gegenwärtigen  ausgewachsen  hat,  ist  es  mit 
solchen  programmatischen  Verkündigungen  stil- 
ler geworden.  Wir  wissen  jetzt,  daß  der  Schüt- 
zengraben nicht  der  Ort  ist,  wo  neue  Formen 
gefunden  werden.  Was  an  Leistungen  der 
Kriegsmaler  usw.  bekannt  geworden  ist,  erhebt 
sich  nicht  über  das  Niveau  darstellender  Jour- 
nalistik. Dabei  erlebt  man  immer  wieder  die 
Bestätigung,  daß  dieser  Krieg  merkwürdig  un- 


bildhaft ist.  Aber  das  Phänomen,  daß  dieser 
Krieg,  so  sehr  er  uns  ergreift,  künstlerisch  doch 
merkwürdig  ertraglos  ist,  beschränkt  sich  nicht 
auf  das  bildnerische  Ausdrucksgebiet.  So  un- 
geheuer viel  Kriegslyrik  produziert  worden  ist, 
so  ist  doch  kein  Gesang  vernommen  worden 
von  der  packenden  Gewalt  etwa  auch  nur  der 
„Wacht  am  Rhein"  oder  des  „König  Wilhelm 
saß  ganz  heiter".  Von  der  dramatischen  Dich- 
tung ganz  zu  schweigen.  Alle  diese  Erschei- 
nungen haben  wieder  ihre  tieferen  Gründe, 
und  man  sollte  über  diese  Dinge  nicht  schelten 
und  vorschnell  auf  eine  Unfähigkeit  unserer 
Künstler  zurückschließen,  unserer  Zeit  ihren 
Ausdruck  zu  geben.  Ganz  im  Gegenteil  spricht 
es  in  unseren  Augen  für  unsere  Kunst,  daß 
sie,  nach  einem  Augenblick  des  Atemanhaltens, 
zu  ihren  früheren  Aufgaben  zurückgekehrt  ist 
und  ihre  Arbeit  dort  fortsetzt,  wo  sie  vor  dem 
Kriege  stand.  Denn  in  der  Kunst  wird  nichts 
geschenkt,  und  jede  Entwicklung  muß  Schritt 
für  Schritt  erarbeitet  werden.  Wenn  aus  dem 
ungeheueren  Erleben  dieses  Krieges  wirklich 


267 


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Vom  JJ'esen  (/es  Kitsches. 


ARBEITEN  DER  KUNSTGEWERBESCHULE— BUDAPEST.  «MODELLE  FÜR  DIE  AUSGESTALTUNG  VON  DACUKANDELN. 


ein  Gewinn  für  die  Kunst  abfällt,  so  könnte  er 
nur  in  einer  veränderten  Gesinnung,  in  einer 
Veränderung  der  ganzen  geistigen  Atmosphäre 
bestehen.  Der  Ausdruck  einer  solchen  Ver- 
änderung könnte  nur  nach  und  nach  in  die  Er- 
scheinung treten. 

Während  so  die  echte  Kunst  zu  einer  wohl- 
berechtigten Reserve  gegenüber  den  Kriegs- 
dingen zurückgekehrt  ist,  hat  sich  als  ein  Aus- 
druck der  Stimmung  des  Tages  der  Hurrakitsch 
breit  gemacht.  Gegen  dieses  Zeitprodukt  ist 
oft  und  energisch  gepredigt  worden,  aber  mit 
dem  Predigen  ist  dieser  Kitsch  noch  nicht  aus 
der  Welt  geschafft.  Wir  meinen,  zur  Erkennt- 
nis der  künstlerischen  und  gewerblichen  Lage 
unserer  Zeit  muß  es  lehrreich  sein ,  diesen 
Dingen  ohne  Aufregung  ins  Gesicht  zu  sehen 
und  sich  klar  zu  werden,  was  eigentlich  in  dieser 
ICitschfabrikation  in  die  Erscheinung  tritt. 

Zunächst  lehrt  die  Existenz  des  Hurrakitsches 
einmal,  daß  wir  lange  noch  nicht  soweit  ge- 
kommen sind,  als  wir  dachten.  Vor  dem  Kriege 
machte  sich  sicherlich  eine  Hebung  der  Ge- 
schmacksansprüche im  Bilde  des  allgemeinen 
Lebens  bemerkbar.  Die  Fabrikanten  überboten 
sich  an  Eleganz  ihrer  Erzeugnisse  oder  doch 
mindestens  deren  dekorativer  Verpackung.  Die 
Veränderung  im  Straßenbilde,  wie  das  Deutsch- 
land der  letzten  Jahre  „elegant"  geworden  sei, 
ist  oft  genug  beschrieben  worden,  und  viele 
glaubten,  daß  damit  auch  eine  wirkliche  Hebung 
des  Geschmacksniveaus  erreicht  sei.  Der  Hurra- 
kitsch lehrt,  wie  vorschnell  dieser  Glaube  war. 
Gewiß  ist  das  Pubhkum  für  Augendinge  emp- 
fänglicher geworden,  aber  es  ist  darum  nicht 
urteilsfähiger  geworden.  Die  moderne  kunstge- 
werbliche Bewegung  hat  gesiegt,  aber  unter- 
scheiden können  nach  wie  vor  nur  die  Wenigen. 
Der  Krieg  mit  seiner  Unterbrechung  aller  Dinge 
war  gewissermaßen  eine  Belastungsprobe  dafür, 
bis  in  welche  Tiefen  die  moderne  Bewegung  ge- 
drungen sei  und  verändernd  gewirkt  habe.  Der 
Hurrakitsch  ist  die  Antwort.    Sie  besagt,  daß 


alle  Arbeit  noch  zu  tun  ist.  Das  große  Publikum, 
aber  auch  das  Gros  der  Fabrikanten,  hat  von 
der  Bewegung  nur  die  Außenseite  erfaßt.  Man 
hat  sich  die  Mittel  des  neuen  Kunstgewerbes 
angeeignet,  und  gewiß  sind  die  Eisernen  Kreuze 
und  Vivatbänder  zumeist  energischer  und  far- 
biger ausgefallen,  als  sie  vermutlich  gezeichnet 
worden  wären,  wenn  der  Krieg  vor  zwanzig 
Jahren  gewesen  wäre.  Aber  man  benutzt  diese 
Mittel  sofort,  um  Kitschinhalte  zu  verwirklichen, 
sobald  dies  einträglich  erscheint.  Auch  das 
simpelste  Fabrikantengemüt  hatte  sich  in  den 
Schlagworten  von  „Unterordnung  unter  den 
Gebrauchszweck"  und  „Materialgerechtheit" 
wenigstens  eine  Ahnung  von  den  modernen 
Bestrebungen  angeeignet.  Aber  da  die  Waffen 
die  Stunde  regierten,  trat  eben  an  Stelle  der 
„Tangokultur"  mit  ihrer  Scheineleganz  —  der 
Hurrakitsch  mit  seinem  Scheinpatriotismus.  — 
Und  erst  dann  werden  wir  den  Hurrakitsch 
verstehen,  wenn  wir  seinem  eigenen  Wesen 
und  Wollen  nachgehen.  Dazu  müssen  wir  für 
einen  Augenblick  analysieren,  wie  Kitsch  zu 
stände  kommt.  —  Wenn  jemand  ein  Behältnis 
haben  will,  darin  er  einer  Dame  Bonbons 
überbringen  möchte,  so  kann  dieses  Gefäß 
durch  die  Vornehmheit  seiner  Form  und  durch 
die  Schönheit  des  Materials  ausgezeichnet  sein. 
Es  kann  auch  gern  einen  ornamentalen  Schmuck 
haben,  welcher  auf  die  Süßigkeit  des  Inhaltes 
oder  auf  die  Zärtlichkeit,  die  in  der  Spende 
gelegen  ist,  gefällig  hinweist.  Mit  diesen  natür- 
lichen Qualitäten,  wie  man  das  Gefäß  ausstatten 
kann,  gibt  sich  der  Hurrakitsch  nicht  zufrieden. 
Er  verleiht  ihm  eine  Form,  die  weder  dem 
Inhalt  noch  der  Empfängerin  gemäß  ist,  bei- 
spielsweise die  Form  eines  Stabes,  wie  er 
einem  Feldherrn  als  Zeichen  der  Marschall- 
würde verliehen  wird.  Hier  sind  wir  an  der 
Entstehungsstelle  des  Kitsches  angelangt.  Der 
Kitsch  arbeitet  so,  daß  er  unsachgemäße  Re- 
miniszenzen herbeizieht.  Darum  hat  auch  aller 
Kitsch  solch  eine  fatale  Nähe  zum  „Sinnigen". 


Vo7n  Wese?i  des  Kitsches. 


KUNSTGEWERBE- 
SCHULE -BUDAPEST. 


VERSCHIEDENE 
METALL-GEFÄSSE. 


Er  kann  die  schöne  Gestal- 
tung eines  Gegenstandes  nicht 
leisten;  darum  zieht  er  un- 
sachliche Dinge  heran  und 
schmückt  nun,  in  friedlichen 
Zeiten  mit  Täubchen  und 
Herzchen ,  in  kriegerischen 
mit  Kreuzen  und  Granaten. 
—  Wie  aber  ist  es  möglich, 
daß  ein  gesunder  Mensch  an 
solchen  Greueln  Freude  hat? 
Denn  das  ist  ja  nun  erst  das 
wirklich  Rätselhafte:  solche 
Sachen  werden  nicht  nur 
fabriziert  und  gekauft,  son- 
dern f  inden  m  e  h  r  Abnehmer, 
als  wirklich  schöne  Formen. 
Die  Freude  an  solchen  unsach- 
gemäßen Reminiszenzen  ist 
nur  so  zu  verstehen,  daß  die 
Freude  an  den  unmittelbaren 


sinnenfälligen  Qualitäten  der 
Schönheit  verkümmert  und  ver- 
bildet ist.  Denn  der  besondere 
Reiz  einer  wohlproportionierten 
Form,  eines  edlen  Materials,  so 
offen  er  zu  liegen  scheint,  er- 
schließt sich  erst  im  liebenden 
Erfassen.  Man  muß  Liebe  zu 
schönenDingen  haben,  wenn  man 
ihrer  Reize  teilhaftig  werdenwill. 
DerKitsch  dagegen  braucht  keine 
Liebe,  er  wendet  sich  mit  seinen 
Reminiszenzen  an  den  Intellekt. 
Wenn  jene  Form  der  Bonbon- 
niere als  Märschallstab  einmal 
gefunden  ist,  so  ist  es  dem  Geist 
des  Kitsches  ganz  gleichgültig, 
wie  diese  Form  ausgeführt  wird, 
sondern  er  begibt  sich  sofort 
auf  die  Suche  nach  einer  neuen 

„Idee".    .    .      DR.  KUNO  MITTENZVVEV. 


MhlAI.I.-AKl'.lUil'.X.  KM  WuRi'KX  U.  AUSGEl' .  IX  DKR  KUNSl  GKWKKBKSCllULE-BUDAPEST. 


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PROF.  PAUL  RÜSSLER.  WANDMALEREI  .CHRISTUS  ALS  GÄRTNER. 


l'KOFESSOR 
PAUL  RÖSSLER. 
GLASMALEREI 
»GEISSELUNG« 


NEUE  GLASMALEREIEN  VON  PROF.  PAUL  RÖSSLER. 


Die  Glasmalerei  ist  auf  dem  Wege  eine  ganz 
große  Kunst  zu  werden.  Man  war  schon 
erstaunt  über  die  endlose  Reihe  von  malerischen 
Effekten,  die  sich  aus  der  Verbindung  von  Glas, 
Farbe  und  Blei  ergaben.  Der  steigerte  die  zeich- 
nerische Wirkung  der  Konturen,  ein  anderer 
operiert  vornehmlich  mit  der  Glut  der  farbigen 
Gläser.  Man  entdeckte  aufs  neue  den  mysti- 
schen Zauber  des  Schwarzlots,  das  in  den  ver- 
schiedensten Graden  der  Düsterkeit  oder  Auf- 
lösung aufgetragen,  das  Licht  bald  verschlang, 
bald  desto  heller  erstrahlen  ließ.  Im  Grunde 
waren  das  technische  oder  artistische  Reize, 
an  denen  das  oberflächlich  erregte  Auge  sich 
gewiß  bald  satt  gesehen  hätte. 

Es  ist  ein  großes  Glück,  daß  die  Entwicklung 
der  Glasmalerei  jetzt  doch  eine  neue  Bahn  ein- 


schlägt, daß  man  von  artistischen  Experimenten 
den  Weg  zu  finden  scheint  zu  einer  starken, 
hohen,  monumentalen  Glaskunst, 

Rössler  hat  sich  dieser  neuen  Richtung  monu- 
mentaler Glasmalerei,  die  darum  die  technischen 
Errungenschaften  nicht  vernachlässigt,  mit  aller 
Energie  angeschlossen.  Seine  an  vielen  be- 
deutenden Aufgaben  bewährte  Erfahrung  kommt 
ihm  dabei  in  hohem  Maße  zu  gute.  So  schafft 
er  denn  Kartons,  die,  obwohl  sie  offenbar  noch 
nicht  das  Reifste  darstellen,  was  ihm  erreichbar 
ist,  doch  wenig  Rivalen  inbezug  auf  Größe  der 
Auffassung,  Wucht  der  Gestaltung  und  zeich- 
nerische Darstellungskunst  haben.  Was  irgend 
an  monumentaler  Bedeutsamkeit  die  Glas- 
malerei geben  kann,  ist  hier  mit  sicherer  Hand 
herausgeholt.  Solcher  Faltenwurf  ist  nicht  mehr 


XX.   Jaau«r  1917.  5 


Neue  Glasmalereien  V07i  Prof.  Paul  Rößler. 


effektvoll,  nicht  theatralisch,  es  liegt  tatsäch- 
lich Wucht  und  Größe  drin  in  diesem  „Wurf". 
Am  stärksten  wirkt  der  Ecce-Homo,  in  dem  Auf- 
fassung und  Technik  in  eins  zusammenfließen, 
um  ein  Bild  monumentaler  Tragik  zu  schaffen. 
Kämpfe  von  grellem  Licht  und  tiefster  Nacht 
zucken  in  heftigen  Gewittern  über  die  Fläche. 
Das  spezifische  Helldunkel  der  Glasmalerei  ist 
damit  zu  äußerster  Wirkung  gesteigert.  Was 
sind  diese  Glieder  und  Muskeln  anderes  als 
beißkalte  Ströme  von  Leid,  peinvolles  Erstarren 


und  Zerreißen?  Gleich  grimmen  Lanzen  schnei- 
den die  schwarzen  Bleiruten  in  den  Fluß  der 
Figuren.  Berge  und  Schluchten  meint  das  Auge 
zu  sehen,  nicht  kleine  Menschen,  ein  Geschehen, 
das  Welten  mitreißt,  ein  Leid,  das  in  die  Un- 
endlichkeiten hineinschreit.  Hat  das  Glas  zu 
solcher  Größe  erzogen,  oder  hat  die  innere 
Erhebung  des  Künstlers  die  Technik  mitge- 
rissen? Beide,  die  Glasmalerei  wie  der  Künst- 
ler, werden  sich  gegenseitig  für  solche  Werke 
Dank  schulden anton  jaumann. 


ZUM  100.  TODESTAGE  VON  JOHANN  FRIEDRICH  STAEDEL. 


Im  hohen  Alter  von  mehr  als  88  Jahren  starb 
am  2.  Dezember  1816  der  Bankherr  Johann 
Friedrich  Stadel  zu  Frankfurt  a.  M.  und  damit 
trat  das  von  ihm  seiner  Vaterstadt  gestiftete 
„Städelsche  Kunst-Institut"  ins  Leben,  dessen 
erste  Ideen  bis  zum  Jahre  1793  zurückzuver- 
folgen  sind.  Dem  größeren  Kreis  der  Kunst- 
freunde brauche  ich  die  Bedeutung  der  Kunst- 
schätze, die  seit  1878  am  Schaumainkai  unter- 
gebracht sind,  wohl  nicht  besonders  zu  betonen. 
Die  Geschichte  der  Sammlung  ist  ebenfalls  in 
ihren  Umrissen  bekannt  und  außerdem  in  jedem 
Gemäldeverzeichnis  zu  finden.  Es  soll  hier  mehr 
der  Geist  der  Stiftung  betont  werden,  der  vom 
Stiftungsbrief  ausgehend  in  allen  Zeiten  bei  der 
Leitung  der  Sammlungen  den  Ausschlag  ge- 
geben hat  und  auch  noch  weiter  fortwirken  wird. 

Stadel  besaß  eine  Sammlung  von  Gemälden, 
Zeichnungen,  Kupferstichen  und  Kunstbüchern. 
Hierzu  bestimmte  nun  Stadel  mit  weitblicken- 
der Selbstlosigkeit,  daß  es  den  Administratoren 
freistehe,  unter  den  von  ihm  hinterlassenen 
Kunstsachen  auszuschließen,  was  nicht  würdig 
befunden  würde,  bedingte  sich  aber  dieselbe 
strenge  Prüfung  bei  Schenkungen  aus,  mit  der 
Mahnung  an  die  Mitbürger,  sich  durch  eine 
Abweisung  nicht  beleidigt  zu  fühlen,  „massen 
ich  in  Ansehung  meiner  eigenen  Sammlung  nem- 
liche  vorsichtige  Auswahl  verordnet  habe" .  Wie 
segensreich  diese  Anordnung  war,  lehrt  uns  ein 
Gang  durch  das  Sammlungsgebäude  und  ein 
Vergleich  mit  anderen,  meist  städtischen,  Ga- 
lerien, die  sich  genötigt  fühlen,  jedes  von  einem 
geehrten  Mitbürger  gestiftete  Gemälde ,  das 
dieser  meist  nicht  mehr  ansehen  konnte,  oder 
das  ihm  im  Weg  hing,  vorzuführen.  Es  ist  sehr 
leicht,  Galerien  aufzuzählen,  die  die  Frankfurter 
Sammlung  an  Zahl  der  Werke  übertreffen,  es 
sind  aber  deren  wenige,  die  sie  in  der  vorsich- 
tigen Auswahl  des  Gezeigten  auch  nur  erreichen. 

Die  Sichtung  der  Gemälde  aus  der  Hinter- 
lassenschaft des  Stifters  führte  im  Laufe   der 


Jahrzehnte  dazu,  daß  von  seinen  495  Ölge- 
mälden nur  130  der  Aufbewahrung  würdig  be- 
funden wurden;  sie  illustrieren  heute  die  Kunst 
von  Malern  zweiten  und  dritten  Ranges,  doch 
befinden  sich  darunter  auch  einige  Schöpfungen 
großer  Meister,  wie  die  Bildnisse  eines  Ehe- 
paares von  Franz  Hals  und  der  Reiter  in  weißem 
Wams  von  Thomas  de  Keijser.  Die  übrigen 
Gemälde  wurden  durch  Tausch  und  in  Ver- 
steigerungen abgestoßen. 

Daß  der  Stifter  Vorkehrung  getroffen,  daß 
das  „Kunstinstitut"  für  sich  bestehe  und  mit 
keinem  andern  verbunden  werde,  ist  selbst- 
verständlich, wurde  aber  vor  mehreren  Jahren, 
als  die  Stadt  Frankfurt  sich,  vornehmlich  durch 
das  reiche  Pfungst'sche  Vermächtnis,  veranlaßt 
sah,  die  Kunstpflege  in  den  Kreis  ihier  Tätig- 
keit zu  ziehen,  als  großes  Hemmnis  der  Ver- 
einigung unter  einer  Leitung  und  unter  einem 
Dache  empfunden  und  gab  zu  langen  Verhand- 
lungen Anlaß.  Aber  auch  hier  bot  abermals 
der  hohe  Sinn  des  Stifters  den  gesuchten  Aus- 
weg. Der  prächtige  §  7  sei  hier  mitgeteilt:  „Da 
ich  mein  ganzes  Vertrauen  in  die  Einsicht  und 
Rechtschaffenheit  der  von  mir  ernannten  Ad- 
ministratoren setze,  und  es  weder  räthlich  noch 
nützlich  ist  alle  künftigen  Einrichtungen  im 
Voraus  durch  Instruktionen  zu  bestimmen;  so 
genügt  es  mir,  den  Geist  und  die  Absicht  meines 
Instituts  in  diesem  Vorstehenden  sattsam  aus- 
gedrückt, und  den  Herren  Vorstehern  alle  unbe- 
schränkte Macht  und  Gewalt  zur  Erreichung 
meiner  wohlgemeinten  Intention  erteilt  zu 
haben".  Es  wurden  dadurch  alle  Bedenken 
überwunden  und  das  Ergebnis  ist  die  Inangriff- 
nahme eines  umfangreichen  Anbaues  an  die 
schon  lange  überfüllten  Räume  des  Sammlungs- 
gebäudes. —  Das  Städelsche  Kunst-Institut  ist 
Gemeingut  der  ganzen  Kulturwelt,  möge  es 
auch  fernerhin  segensreich  wirken  und  im  Geiste 
seines  hochsinnigen  Stifters  zu  immer  größerer 
Vollkommenheit  geführt  werden,  kudolf  schrev. 


PROFESSOR 
PAUL  RÖSSLER. 
GLASMALEREI 
»MARIA  MIT 
OEM  KINDE« 


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PAUL  RÖSSLER.  GLASMALEREI  .BARMHERZIGER  SAMARITER. 


PROF.  PAUL  RÖSSLER.  GLASMALEREI  »UNGLÄUBIGER  THOMAS« 


W.  HABICHT- 
IlARMSTAÜT 
»BILDNIS- 
BÜSTE« 


Von  Anfang  an  erstrebt  die  Kunst  den  Rulie- 
punkt  zwischen  Teufelischem  und  Engel- 
ischem, zwischen  heftig  Persönlichem  (das  im 
Übermaß  seiner  Attribute  sich  ins  Chaotische 
verliert)  und  klassisch  Unpersönlichem  (das 
durch  Abstreifung  aller  Attribute  in  der  Voll- 
kommenheit des  Nicht-seienden  anlangt)  — 
zwischen  Energie  und  Ruhe.  Den  Punkt,  den 
sie  dabei  festzuhalten  strebte,  nannte  man  — 
auch  Kant  schlug  sich  mit  der  Nomenklatur 
herum  —  das  Schöne,  oder  auch  die  Harmonie. 


Eine  ZeillanjS  —  dann  kam  man  davon  ab,  was 
übrigens  an  der  Sache  nichts  änderte.  Gefühls- 
werte scheeren  sich  den  Teufel  um  Definitionen. 
Nach  wie  vor  sitzt  die  Kunst  auf  den 
Schenkeln  des  Wagebalkens,  der  diese  beiden 
Begriffe  verbindet,  bemüht,  dem  Angelpunkt 
der  inneren  Gesetzmäßigkeit  nahezukommen 
und  nicht  allzuweit  ins  Chaotische  einerseits, 
ins  Wesenlose  andererseits  hinab-  oder  hinaus- 
zurutschen. —  Die  Lage  dieses  Angelpunkts 
ist  im  Gefühl.    Das  absolute  Gefühl  dafür  ist 


?     W.  HABICHT- 
DARMSTADT. 
»BILDNIS- 
MASKE« 


aber  ebenso  selten  zu  finden,  wie  etwa  das 
absolute  Gehör  in  der  Musik. 

Dies  absolute  Gefühl  für  die  innere  Gesetz- 
mäßigkeit der  Dinge  erscheint  mir  das  Wesent- 
liche in  Habichts  Kunst.  Seine  Arbeiten  be- 
ruhen darauf  in  wohltuender  Balanziertheit. 
Augenblicklich  begrenzt  er  die  innere  Bewegung 
der  Materie  durch  Flächen  und  Kanten.  Gleich- 
sam als  herbe  Hülle  für  ihre  intensive  Ausge- 
glichenheit, die  durch  diese  Begrenzung  leuchtet, 
wie  die  Flamme  durch  die  geschliffenen  Fas- 


setten  einer  Ampel.  Doch  schon  ist  ihm  diese 
Ausdrucksweise  (zu  der  der  hier  wiederge- 
gebene Kopf  und  die  Maske  gehören),  Über- 
gangsphase zu  tieferem  Sich-finden.  In  den 
Werken,  die  Habicht  uns  in  der  unmittelbaren 
Zukunft  schenkt,  strebt  die  Idee,  nackt  und 
mit  knappsten  Mitteln  ihrem  Scheitelpunkt  zu 
—  das  Unwesentliche,  fast  wesenlos  geworden, 
an  die  Peripherie  verbannt,  übt  seine  beschei- 
denen Funktionen  aus,  dient  ihr,  wie  der  Sockel 
der  Bildsäule  dient 


L.  M.  SCHULTHEIS. 


279 


]    2 


XX.  Januar  1917.  i 


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LUCIAN  BERNHARD-BERLIN.  .SCHRANK  IN  VORST.  SCHLAFZIMMER. 


283 


GUSTAV  WUNDEKWALD.  BLIl.N 


Mu/ARl    »HOCHZEIT  DES  FIGAROa    GARTENSAAL. 


BÜHNEN-ENTWÜRFE  VON  GUSTAV  WUNDERVVALD. 


Seit  etwa  anderthalb  Jahrzehnten  sind  Malerei 
und  Theater  eng  verbunden.  Aus  dieser 
Ehe  ist  manches  Erfreuliche  gewachsen,  beide 
Teile,  besonders  aber  das  Theater,  haben  pro- 
fitiert und  sind  befruchtet  worden.  Die  male- 
rische Bewegung  auf  der  Bühne,  die  in  den 
ersten  Jahren  ein  wenig  zu  weit  um  sich  ge- 
griffen und  öfter  die  Bedingungen  der  Szene 
mit  den  Bedingungen  des  Bildes  verwechselt 
halte,  setzte  sich  bald  selber  Ufer.  Man  lernte 
schnell  erkennen,  daß  das  Bühnenbild  eine  be- 
sondere Konzentration  verlangt,  daß  der  wirk- 
liche Raum,  in  dem  der  Theaterkünstler  schafft, 
anders  zu  behandeln  ist,  als  der  imaginäre  Raum 
des  Malers,  daß  hier  alles  viel  stärker  zur  stren- 
geren Form  drängt,  das  größere  Format  seine 
eigenen  Gesetze  hat  und  —  das  Wichtigste!  — 
das  Bild  etwas  Fertiges  und  in  sich  Vollkom- 
menes darstellt,  während  das  Bühnenbild  seine 
Vollendung  erst  durch  die  sich  in  ihm  bewegen- 
den Menschen  erhält  (deren  Gestalt,  Kostüm, 
Bewegung  in  jedem  Augenblick  zu  seinen  Kon- 
turen,  Farben,    Beleuchtungen   in   einem   be- 


stimmten Verhältnis  stehen  muß),  und  dies  so 
entstandene  Gesamtbild  nur  ein  Teil  desTheater- 
kunslwerkes,  des  Ganzen  wegen  geschaffen  und 
daher  auch  vom  Ganzen  abhängig  ist. 

Sehr  deutlich  lassen  sich  in  der  Entwicklungs- 
linie, die  den  Weg  der  Theatermalerei  in  den 
letzten  Zeitabläufen  bezeichnet,  zwei  Abschnitte 
und  Wegbiegungen  erkennen.  Der  erste  dieser 
Wendepunkte  wurde  erreicht,  als  man,  ich 
möchte  sagen  aus  der  Arbeit  heraus,  jene  oben 
kurz  skizzierten  besonderen  Gesetze  der  Büh- 
nenmalerei fand  und  sich  eine  ganze  Anzahl 
von  Malern,  die  es  anfangs  dorthin  gezogen 
halte,  vom  Theater  wieder  abwandte,  weil  sie 
fühlten,  daß  sie  künstlerisch  doch  an  eine  andere 
Stelle  gehörten.  Am  zweiten  Wendepunkt  aber 
■war  man  angekommen,  als  es  klar  wurde,  daß 
auf  dem  Theater  —  seinem  ganzen  Wesen 
nach  —  jeder  Naturalismus  des  Bildes,  ja  jeder 
Realismus  gegebenenfalls  zurücktreten  müsse 
hinter  einer  starken,  sinnfälligen  und  nach  Mög- 
lichkeit einfachen  symbolischen  Gestaltung. 
Eines  der  kräftigsten  und  eigenartigsten  Talente, 


zu  HEBBEL  »HERODES  UND  MARIAMNEt   DAS  FEST. 


GUSTAV  WUNDERWALD.  BUHNEN-ENTWURF  ZU  TSCHAIKOWSKI   »EUGEN  ONEGIN«    »FRÜHLINGSTAG« 


Bühyieyi-Enhvürle  z'on  Gustaz'  ^Vundenvald. 


GUSTAV  WL'XDERWALD.  BUHNE.V-ENTWTJRJ-. 


das  diese  letzte  Entwicklungsperiode  zum  Vor- 
schein gebracht  hat,  gehört  dem  Rheinländer 
Gustav  Wunderwald. 

Was  an  Wunderwald  besonders  auffällt,  ist 
seine  Vielseitigkeit  als  Bühnenmaler,  der  unbe- 
dingt sichere  Instinkt,  mit  dem  er  auf  alles 
Dramatische  antwortet.  Walser,  Roller,  Orlik 
haben  ihre  besondere  Note,  dem  einen  liegt 
das  Lyrische,  dem  andern  das  Monumentale, 
dem  Dritten  das  Farbig-Phantastische  am  näch- 
sten; Wunderwald  ist  vielseitiger,  hat  das  Zar- 
teste ebenso  wie  das  Härteste,  scheint  sich  in 
einem  Frühlingstag  im  „Eugen  Onegin"  ebenso 
ganz  zu  geben  wie  in  einem  düsteren,  auf  wenige 
Linien  gestellten  Donaubild  in  den  „Nibelun- 
gen", in  der  Spelunkenatmosphäre  des  Kellers, 
in  dem  er  die  Libertinerszene  der  „Räuber" 
sich  abspielen  läßt,  wie  in  der  Heiterkeit  von 
Mozarts  Rokokowelt.  Er  trifft  die  seltsame 
Schattenstimmung,  die  das  Herodesfest  bei 
Hebbel  hat,  gibt  dem  Sommernachtstraumwald 
eine  ganz  unwirkliche  Märchenphantastik  und 
schafft  der  „Penthesilea",  aus  dem  innersten 
Stil  des  Werkes  heraus,  einen  völlig  unrealisti- 
schen Rahmen:  Licht  fällt  von  oben  auf  weißes 


oL-\-   Du.NAU-UFEK. 


Urgestein,  während  ringsumher  wie  ein  Mantel 
schwärzestes  Dunkel  liegt;  aus  diesem  Dunkel 
treten  die  Gestalten  in  den  Lichtkreis,  handeln, 
und  treten,  wenn  sie  ihre  Taten  vollbracht  haben, 
wieder  in  die  Finsternis  zurück.  — 

Wunderwald  ist  immer  ein  Einsamer,  Eige- 
ner, auf  sich  Gestellter  gewesen,  dem  nie  das 
Glück  vergönnt  war,  auf  einer  der  zwei,  drei 
ganz  großen  Bühnen  Deutschlands  mit  seiner 
eigen  Arbeit  zu  wachsen,  dem  nie  die  reiche 
innere  Förderung  zuteil  wurde,  die  Roller  durch 
Mahler,  Stern  durch  Reinhardt  empfing.  Trotz- 
dem —  oder  vielleicht  gerade  deswegen  —  hat 
erin  seinen  Entwürfen  für  die  Szene  das  Höchste 
offenbart,  was  ein  Bühnenmaler  überhaupt  zu 
geben  imstande  ist:  ins  Bildhafte,  in  Form, 
Farbe  und  Atmosphäre,  umgesetztes  dramatur- 
gisches  Gefühl HEINZ  HERALD. 

Die  sogendiinte  moralische  Ansicht  ist  der  größte 
Feind  der  wahren  Kunst,  da  einer  der  Haupt- 
vor:üge  dieser  le^tern  gerade  darin  bestellt,  daß  man 
durch  ihr  Medium  auch  jene  Seiten  der  menschlichen 
tlatur  genießen  kann,  weldie  dasMoralgese^  n\it  Recht 
aus  dem  wirklichen  Leben  entfernt  hält.      Grillpdr:er. 


FRAU  KÄTHE  KRUSE. 


»KÄTHE  KRUSE-PUPPEN« 


ZU  MEINEN  PUPPEN. 


Man  hat  gegen  meine  kleinen  1 1  cm.  hohen 
Soldaten,  neben  aller  Bewunderung  ihrer 
Natürlichkeit,  drei  skeptische  Einwände  ge- 
macht: erstens:  ein  Stück  Holz  sei  noch  das 
allerbeste  Spielzeug  für  das  Kind  und  zweitens : 
da  man  Soldaten  massenweis  besitzen  muß,  so 
seien  sie  drittens:  mit2M.  und  2,50  M.  zu  teuer. 

Den  ersten  Einwand  würde  ich  im  Interesse 
der  Kinder  gern  gelten  lassen,  aber  dann  müßte 
die  Allgemeinheit  unserer  Kinder  sehr  anders 
aufwachsen  können,  als  es  der  Fall  ist.  —  Auf 
dem  Lande,  in  Luft  und  Sonne,  unbekümmert 
und  von  keinem  Zwang  gehemmt,  ja  dann  mag 
wohl  die  Phantasie  schwelgen.  Jedoch  auch 
diese  Kinder  brauchten  noch  Anregung,  wenn 
sie  nicht  vegetieren  sollen  wie  kleine  Bauern. 
Und  je  mehr  diese  Anregung  aus  dem  leben- 
digen Leben  kommt,  desto  größere  Möglich- 
keiten eröffnet  sie  der  spielerischen  Phantasie. 
Ich  bin  aber  gegen  stilisiertes  Spielzeug  und 
gegen  Witz  und  Karikatur  und  Charakter  im 
Spielzeug.  —  Dies  alles  greift  der  Phantasie 
des  Kindes  vor,  setzt  ihr  ein  Halt. 

Das  Kind,  das  heute  eine  gute  Erziehung  ge- 
nießt, hat  zum  Selbstentwickeln  seines  Spiel- 
zeugs vom  Holzklotz  an  gar  nicht  mehr  die  Zeit. 


— -  Abgesehen  davon,  daß  es  zu  viel  sieht,  als 
daß  seine  Vorstellungskraft  dauernd  in  einem 
Holzklotz  Genüge  fände.  Und  das  Kind  strebt 
nicht  nach  Witz,  Karikatur  und  Charakter.  — 
Es  hat  für  diese  Spielereien  der  Großen  gar 
kein  Gefühl.  Es  wird  versuchen,  diese  Bei- 
gaben auszuschalten  um,  gleichsam  mit  ge- 
schlossenen Augen,  sich  aus  der  Karikatur  ein 
beseeltes  Wesen  zu  machen,  ein  natürliches 
Geschöpf,  ein  veränderliches,  nicht  ein  für  alle 
Mal  auf  eine  (gewöhnlich  nicht  sehr  sympathi- 
sche) Note  festgelegtes.  Oder  es  geht  etwa  auch 
auf  diesen  Humor  der  Großen  ein,  wobei  es 
Schaden  an  seiner  Seele  nehmen  muß. 

Also  wir  können  nur  zweierlei  tun.  Entweder 
dem  Kinde  überhaupt  kein  Spielzeug  schenken 
(Bilderbücher  kann  es  sich  aber  nicht  machen) 
—  oder,  wenn  wir  es  anregen  wollen,  dann 
kann  was  wir  ihm  in  die  Hand  geben  gar  nicht 
ehrlich  und  naturähnlich  genug  sein,  um  seine 
Phantasie  günstig  zu  befruchten. 

Der  zweite  Einwurf  verkennt  den  Unterschied 
zwischen  den  bekannten  steifen  Soldaten  aus 
Zinn  oder  sonst  einer  Guß-  oder  Preßmasse  mit 
den  Meinen,  beweglichen.  Die  ersteren  sind 
zum  Aufbauen  bestimmt,  zu  nichts  weiter,  und 


FRAU  PR>  li 
KÄTHE  KRUSI 


»BEWEGLICHE 

POTSDAMER 

SOLDATEN« 


288 


OBEN : 
BEWEGLICHE 
PUPPEN  KURS 
PUPPENTHEATER. 


UNTEN : 
•  KciNIGIX  UND 
IJER  NARR« 
PUPPEN  VON 
KÄTHE  KRUSE. 


289 


XX,  Januar  1917,  7 


Fi-au  Käthe  Kruse. 


KRAU  KÄTHE  KRUSE— BAD  KOSEN. 


PUPPEN  »SPORTSLEUTE« 


müssen  deshalb,  um  zu  beschäftigen,  und  zu 
wirken,  in  großer  Zahl  erscheinen.  Sie  illu- 
strieren dann  den  Begriff  „unser  Heer";  die 
Freude  an  Machtentfaltung,  Zahl  und  bunter 
Pracht,  Trommelwirbel  und  Fahnenrauschen 
und  klingendem  Spiel,  Parade  und  Stolz,  und 
im  ganzen:   o,  welche  Lust  Soldat  zu  sein! 

Ich  glaube  aber,  diese  harmlose  Freude  ist 
uns  verloren  gegangen.  Ertränkt  in  dem  Grauen 
des  Krieges,  erstickt  in  dem  Mitgefühl  mit 
dem  Schicksal  der  Einzelnen.  Aus  der  Freude 
an  unserem  Heer  ist  das  Mitfühlen  mit  dem 
Individuum  und  die  tiefe  Dankbarkeit  gegen 
jeden  Einzelnen  geworden.  Und  diesem  Ge- 
fühl dienen  meine  kleinen  Soldaten.  Und  darum 
mußten  sie  menschenähnlich  und  typisch  werden. 

Nicht  in  der  Masse  liegt  hierbei  das  Interesse, 
sondern  in  der  Möglichkeit  lebendiger  Darstel- 
lung. Das  genießt  man  schon  an  einem  einzelnen 
Figürchen,  —  mit  dreien,  sechsen  oder  zwölfen 
läßt  sich  schon  Unendliches  erleben,  da  sie  ja 
in  jede  Situation  hineinzubringen  sind.  Und 
damit  erledigt  sich  auch  der  dritte  Satz. 

Ich  möchte  hinzufügen,  um  nicht  falsch  ver- 
standen zu  werden,  daß  ich  nicht  etwa  von  der- 
artigen Vorstellungen  aus  auf  dieses  Resultat 
ausgegangen  bin.  Vielmehr  entstanden  auch 
diese  Geschöpfchen  ganz  intuitiv,  ohneTendenz. 
Was  ich  selbst  dabei  instinktiv  wollte  und  in 
welcher  Weise  diese  Puppen  auf  das  Kind  wir- 


ken mögen,  das  muß  ich  mir,  da  ich  sehe,  daß 
es  notwendig,  erst  jetzt  ziemlich  mühsam  selbst 
erhellen.  —  In  der  Konstruktion  dieser  Puppen 
lagen  unbeabsichtigt  unzählige  andere  Mög- 
lichkeiten, die  mir  erst  nach  und  nach  auf- 
gingen. Einen  winzigen  Anfang  zu  ihrer  Ver- 
wirklichung lege  ich  hier  im  Bilde  vor.  Es  ist 
natürlich  dasselbe,  ob  ich  Soldaten  oder  andere 
Menschlein  mache,  Kutscher,  Schaffner,  Fracht- 
leute und  was  sonst  zu  wünschen  wäre  —  und 
von  da  zur  Puppentheaterfigurine  und  Puppen- 
stubefamilie (die  beiden  schreien  nach  Refor- 
mierung) ist  nur  ein  kleiner,  reizvoller  Schritt. 
Aber  was  für  ein  Feld  allein  in  dieser  winzigen 
Größe!  Das  dürfte  über  meine  persönliche 
Kraft  gehen,  sowohl  körperlich  als  kaufmännisch. 
Für  diesmal  jedoch  wollte  ich  nur  von  meinen 
Absichten  reden,  die  weiß  ich  rein  und  kann 
sie  ringsrum  vertreten.  Wenn  mich  doch  nun 
nie  wieder  jemand  als  die  Erfinderin  der  Cha- 
rakterpuppen feiern  wollte!  —  das  ist  wirklich 
bitter!  —  Denn  ich  habe  ja,  meine  großen  erst 
und  dann  meine  kleinen  Puppen  und  alles  was 
ich  noch  machen  werde,  gerade  in  der  Abwehr 
geschaffen.  Seele  sollen  sie  haben  und  zur 
Seele  des  Kindes  sollen  sie  sprechen.  —  Wenn 
aber  einer  sagen  würde,  der  Jockei  oder  Lili 
oder  Christinchen  oder  mein  Seppl  oder  wer 

es  sonst  sei,  haben  Charakter hernach 

möchte  ich  mich  hinlegen  und  sterben.  —     k.  k. 


Zu  meifiefi  Puppen. 


FRAU  KÄTHE  KKUSE     BAU  KOSEN.  NEUE  KÄTHE  KKUbE-I'UPtEN    •ULI,  HUSAR,  SCHWESTERCHEN. 


VERWANDLUNG. 


Der  Künstler  war  eia  Zauberer  von  Anbe- 
ginn. Er  nimmt  ein  Stück  Holz,  Späne 
fallen,  ein  menschliches  Gesicht  schaut  dir  ent- 
gegen. In  Stein  bannt  er  die  Gestalt  Verstor- 
bener. Er  zitiert  Geisler,  aus  Ton  formt  er 
Menschen.  Es  ist  noch  deuthch  zu  erkennen, 
wie  die  Künstler  lange  sich  scheuten,  das  Wesen 
des  Stoffes,  des  Steines  vollkommen  zu  ver- 
wandeln, uud  die  Gestalt  in  ganzer  Menschlich- 
keit dastehen  zu  lassen.  Die  ägyptischen  Bild- 
hauer hielten  lange  an  der  Ebene  der  Platte, 
an  dem  Umriß  des  Blockes  fest,  mit  einem 
schüchternen  Lächeln  löste  sich  die  griechische 
Stalue  erst  um  500  aus  der  steinernen  Gebun- 
denheit. Doch,  obwohl  zwei  Jahrtausende  und 
mehr  seit  jenen  Wendezeiten  vergangen  sind, 
den  Verwandlungszauber  empfinden  wir  noch 
heute  in  der  Kunst  mit  einer  gewissen  Scheu. 
Und  zwar  desto  stärker,  je  weniger  radikal  die 
Stofflichkeit  von  der  Gestalt,  vom  Bild  aufge- 
löst wurde.  Es  ist  rührend  zu  sehen,  wie  die 
Wilden  sich  vor  einem  absonderlich  gewach- 
senen, entfernt  menschenähnlichen  Stück  Holz 
gleich  einem  bösen  Spuck  fürchten.  Laß  das 
Kind  ein  paar  Lappen  zusammen  knäueln,  es 
empfindet  einen  glücklichen  Schauer,  wenn 
daraus  eine  Gestalt  wird.  Keine  fertige  Puppe 
vermag  ihm  diese  Verwandlungsfreude  zu  er- 


setzen. Das  russisch-griechische  Christentum 
kennt  noch  heute  in  weitem  Umfang  die  Bilder- 
verehrung, das  Bild,  die  Form  saugt  da  angeb- 
lich das  göttliche  Wesen  in  sich  ein.  So  hat 
jeder  naive  Mensch  eine  gewisse  Ehrfurcht  vor 
dem  Bild,  das  eine  Holztafel  ist  und  doch  zu- 
gleich eine  Art  lebendes  Wesen,  oder  ein  Teil 
eines  Anwesenheitszeichen  von  Gott.  Ist  es 
nicht  so,  daß  der  Mensch  auch  in  seinem  Bilde 
existiert?  Wenn  es  eine  Fernphotographie  gäbe, 
sodaß  man  den  Kaiser  in  jeder  fernsten  Hütte 
sehen  könnte,  wäre  der  Unterschied  so  groß 
gegen  jetzt,  wo  uns  sein  Bild  überall  entgegen- 
grüßt? Wir  sehen  ja  auch  in  der  Wirklichkeit 
immer  nur  das  Bild  des  Menschen. 

Das  Zauberhafte  an  der  Puppe  besteht  so- 
lange, als  die  Zusammensetzung  aus  Stoffflicken 
zu  erkennen  ist.  Wenn  die  Marionetten  einmal 
so  vollendet  sein  werden,  daß  sie  ihre  Puppen- 
natur verlieren,  dann  geht  uns  das  Wunder  der 
„lebenden,  sprechenden,  fühlenden  Puppe" 
verloren.  Auch  das  Bildwunder  löst  sich  mehr 
und  mehr  auf,  je  mehr  im  Bild  die  Zeichen  des 
stofflichen  Grundes,  der  Farbkörper,  der  Striche 
hinweggefeilt  werden.  Nur  wenn  die  Statue 
zugleich  Stein  und  Mensch  ist,  packt  uns  der 
Zauber  dieses  Doppelseins,  der  Menschwerdung 
eines  Felsblocks anton  jaumann. 


MODE-PROGNOSE,  Man  sagt,  die  Frauen 
sind  unberechenbar  wie  das  Wetter.  Aus 
blauem  Himmel  zuckt  plötzlich  der  verderbliche 
Blitz,  zwischen  Regenwolken  lacht  die  gute 
Sonne  doppelt  hell  und  doppelt  warm.  Doch, 
es  reizt  nichts  den  menschlichen  Geist  so  sehr 
als  gerade  das  Unberechenbare.  Auf  allerlei 
dunklen  Schleichwegen  suchte  er  den  Geheim- 
nissen des  Schicksals  näherzukommen.  Wetter- 
propheten gab  es  zu  allen  Zeiten,  und  sie  trafen 
auch  nicht  öfter  daneben  als  die  Prognose  der 
Gelehrten.  Eine  schöne  Mode  ist  uns  ein  dank- 
bar begrüßtes  Glück,  solange  als  wir  den  Gang 
der  Mode  nicht  errechnen  ,  kaum  beeinflussen 
können.  Und  doch  macht  die  Prognose  auch  hier 
nicht  halt.    Wissen  wir  erst  einmal  auf  Jahre 


voraus,  was  sie  uns  bringen  werden  an  neuen 
Linien,  neuen  Tragweisen ,  das  Moment  der 
Überraschung  wird  dann  vollkommen  verloren 
sein,  und  was  ist  die  Mode,  wenn  nicht  eine 
raffinierte  Frauenlist,  um  den  Mann  durch  eine 
neue  Erscheinung  des  weiblichen  Körpers, 
weiblichen  Wesens  zu  überraschen  und  zu 
reizen?  Die  Fortschritte  der  Wissenschaft  sind 
unheimlich;  gewiß  wird  sie  auch  eines  Tages 
die  verborgenen  Gesetze  der  Modeentwicklung, 
ihres  Keimens,  Blühens  und  Verfalls,  aufspüren, 
und  ich  fürchte  sogar,  es  wird  ein  Deutscher 
sein,  dem  diese  Entzifferung  des  Moderätsels 
gelingt.  Aber  er  wird  nur  das  Ende  der  Mode 
weissagen  dürfen.  Sie  lebt  vom  Geheimnis,  die 
Entschleierung  wird  sie  töten a.j 


ENTW.  U.   AIISK:   fRAU   Uli 


-EIDF.NE  HANDTASCHEN  MIT  Gl  AS-  UMI  H01.Zl>ERI  KN. 


PAUL  KNAUER-HASE-MÜNCHEN.  >SELBSTBILDNIS€ 


PAUL  KNAUER-HASE  -  MUNXHEN. 


GEMÄLDE  »LANDSCHAFT« 


PAUL  Ki\AUER-HASE-MÜXCHEN'. 


Die  bunte  Zersplitterung  des  Münchener 
Kunstlebens  in  Gruppen  und  Grüppchen 
hat  fraglos  das  eine  Gute,  daß  uns  die  Aus- 
stellungen dieser  kleinen  Verbände  von  Zeit  zu 
Zeit  die  überraschende  Bekanntschaft  mit  einer 
wirklichen  Begabung  vermitteln.  Bei  den  großen 
Ausstellungsgelegenheiten  kommt  der  Neuling 
allenfalls  einmal  mit  einem  vereinzelten  Werke 
zu  Wort,  das  ein  Zufallstreffer  sein  kann,  wer 
aber  wie  Paul  Knauer-Hase  in  einer  Aus- 
stellung der  Münchener  „Freien"  mit  vier 
Qualitätsarbeiten  zumal  auf  den  Plan  treten 
kann,  der  ist  rascher  legitimiert. 

Die  ausgesprochen  neuzeitliche  Form  seiner 
Landschaften  und  Stilleben  wird  wahrhafte 
Kunstfreunde  nicht  befremden  in  diesen  Tagen, 
da  so  mancher  glaubt,  die  neue  Weltlage  er- 
heische von  heute  auf  morgen  auch  eine  neue 
Kunstgesinnung.  Überzeugt,  daß  das  Beste, 
das  uns  der  Künstler  zu  geben  hat,  immer  nur 


aus  der  Wurzel  seines  Volkstums  emporwächst, 
entschlagen  wir  uns  gleichwohl  der  beschränk- 
ten Forderung,  dem  Heranreifenden  den  Aus- 
blick über  die  Grenzen  versperren,  ihn  festlegen 
zu  wollen  auf  das,  was  etwa  dem  Gegenstande 
oder  der  Tendenz  nach  als  deutsche,  als  vater- 
ländische Kunst  mißverstanden  werden  könnte. 
Der  Künstler  dient  seinem  Volke  am  besten, 
der  den  Antrieb  zum  Guten  dort  aufnimmt,  wo 
er  ihn  findet,  der  nicht  als  Nachahmer  fremder 
Eigentümlichkeiten,  sondern  als  Vollender  wert- 
voller Anregungen  schließlich  zur  Eigenart,  zur 
Meisterschaft  durchdringt. 

Die  entscheidende  Anregung,  die  dem  nach 
harter  Lebensschule  verhältnismäßig  erst  spät 
zur  Kunst  Gelangten  in  Paris  zu  Teil  geworden, 
waren  nicht  so  sehr  die  Farbe  und  gewisse 
Kompositionseigentümlichkeiten  Cezannes,  als 
vielmehr  die  generelle  Einsicht  in  die  Möglich- 
keit, auch  ohne  das  impressionistische  Schema 


Paul  Kriauer-Hase—AIwicheyi. 


PAUL  KNAÜER-HASE— MÜNCHEN. 


eine  im  besten,  im  entwicklungsgeschichtlichen 
Sinne  aktuelle  und  doch  zugleich  zeitlose,  all- 
gemeingültige Kunst  treiben  zu  können.  Die 
Parisismen  Knauers  sind  ebensowenig  zu  über- 
sehen wie  die  Tatsache,  daß  er  seine  grund- 
sätzliche Stellungnahme  zu  den  verschiedenen 
Möglichkeiten  der  Landschaftsmalerei  —  immer 
von  der  Farbe  abgesehen  —  ebensogut  vor 
Rottmann  hätte  finden  können,  wie  nicht  so 
sehr  vor  Cezanne  und  den  neueren  Franzosen, 
sondern  in  erster  Linie  vor  der  Landschaft 
des  Südens,  die  für  jene  ebenso  bestimmend 
war  wie  für  den  farbehungernden  Deutschen, 
den  seine  gänzlich  unkalligraphische  Veranlag- 
ung zu  zügigen,  offenen  Formen  drängte. 

Gleich  die  erste  Abbildung  dieser  Veröffent- 
lichung, die  weiträumige  Korsische  Landschaft, 
die  der  Farbe  nach  allerdings  nicht  das  stärkste 
von  Knauers  Bildern  ist,  zeigt  uns  den  Unter- 
schied, den  Fortschritt  gegenüber  der  realisti- 
schen Studien-  und  Ausschnittmalerei,  der 
nichts  so  unzugänglich  gewesen  wie  gerade  die 


GEMÄLDE  »AQUÄDUKT« 


gehobenen  festlichen  Empfindungen  vor  einer 
durch  Raumabstufungen,  Linienzüge  u.  Farben- 
beziehungen reichgegliederten  schönen  Land- 
schaft, wie  Knauer  sie  nicht  etwa  auf  die  äußer- 
lich romantische  Wirkung  des  Motivs  hin  kom- 
poniert, sondern  auf  Korsika  und  an  der  dalma- 
tinischen Küste  aufgesucht  hat. 

So  viel  gute  Überlieferung  denn  auch  im 
Aufbau  dieser  Bilder  steckt,  beispielsweise  in 
der  Rahmung  durch  den  Vordergrund  (S.  295), 
die  der  alten  Bildform  des  panoramenhaften 
Ausblickes  eine  reizende  Neuwendung  gibt, 
oder  in  der  raumgliedernden  Palme  (S.  297) 
oder  ferner  in  der  großzügigen  Strenge,  mit  der 
auf  dem  Aquaduktbilde  Straße,  Architektur 
und  Laubmassen  auseinandergehalten  sind,  so 
lebendig  und  frei,  so  modern  im  besten  Sinne 
durchflutet  der  Strom  einer  kraftvollen  und  doch 
sensitiven  Farbenkunst  diese  erlebten,  niemals 
formelhaft  aufgerissenen  Kompositionsformen. 

Die  Schönheit  der  Farbe  ist  es,  ihr  natür- 
licher, ungezwungener  Wohllaut,  die  auch  den 


Paul  Knaicer- Hase— München. 


P.  KNAUER-HASE— MÜNCHEN. 


stark  ausgesprochenen  atmosphärischen  Stim- 
mungen dieser  Landschaften  das  störend  Zu- 
fällige, das  Sensationelle  im  Sinne  des  Natura- 
lismus benimmt.  Knauer  gibt  die  mannigfachen 
Wirkungen  des  frühen  und  des  späten  Sonnen- 
lichtes gelassen  und  ruhig  wieder,  ohne  sie,  aus 
dem  Zusammenhange  gerissen,  zum  Effekt,  zur 
Pointe  werden  zu  lassen.  Innerhalb  der  ge- 
schlossenen Schönheit  des  farbigen  und  formalen 
Aufbaus  von  Bildern  wie  den  Alten  Häusern 
in  Ragusa  oder  dem  Aquädukt  ist  das  Morgen- 
bezw.  Spätnachmittagslicht  kein  auf  Illusion 
berechneter  Täuschungswitz,  sondern  die  subli- 
mierteste  Äußerung  der  alle  Bildelemente  durch- 
strömenden Bildseele. 

Knauer  zeigt  die  Schönheit  seiner  Farbe, 
die  reichen  Abstufungen  des  Grüns  der  süd- 
lichen Vegetation  von  hellen  milchigen  Schilf- 
tönen über  den  silbrig  gedämpften  Glanz  der 
Oliven  bis  zu  metallisch  funkelnden  Dunkel- 
heiten,   die  altgolddurchschimmerten  Lilatöne 


GEMÄLDE  •  LANDSCHAFT« 


der  Schatten,  die  rötliche  Kraft  des  Erdreiches 
und  das  Farbenspiel  des  Mauerwerks ,  dies 
letztere  gern  mit  den  prickelnden  Lokalfarben- 
akzenten grüner  Fensterläden,  mit  der  ganzen 
Unbefangenheit  eines  naturfrohen  recht  ein- 
dringlichen Beobachters,  aber  auch  nie  ohne 
den  großen  synthetischen  Willen  des  über  die 
Wirklichkeit  hinausstrebenden  Künstlers,  den 
auch  die  leckerste  Einzelheit  nur  dann  freut, 
wenn  sie  der  Bildidee  zu  dienen  vermag. 

Die  Malerei  Knauers,  auch  die  seiner  Still- 
leben, ist  trotz  der  unkleinlichen,  zügigen  Pinsel- 
führungnichts weniger  als  „dekorativ",  sondern 
durchaus  intim.  Sie  hat  Tiefe  und  Sinn  für 
pikante  Raumgestaltung,  sie  ist  ohne  natura- 
listische Akribie  aufs  reichste  differenziert,  sie 
hat  in  manchem  Falle  wohl  eine  noch  feinere 
Unterscheidung  der  verschiedenen  Stofflich- 
keiten zu  lernen,  aber  es  gereicht  ihr  zum  Lobe 
und  nicht  zum  Tadel,  die  Körperlichkeit  der 
Dinge  nicht  unschön  und  unnütz  zu  übertreiben. 


Paul  Knauer-Hase-Müncken. 


Ik-Ii  \sF.  -MÜNCHEN. 


Ob  wir  das  Stilleben  mit  dem  Alpenveilchen 
betrachten,  das  Stilleben  mit  der  Vase  oder  das 
ganz  besonders  reizvoll  aufgebaute  Tulpenstill- 
leben,  allenthalben  bemerken  wir  ein  ruhiges 
und  vornehmes  Dasein  der  Gegenstände  in 
ihrer  ungesuchten,  ungestellten  Funktion  als 
Träger  einer  erlesenen  malerischen  Schönheit. 
Hier  gelingt  es  Knauer,  die  stärksten  Wirkungen 
der  modernen  Palette  am  vollkommensten,  am 
anmutigsten  zu  bändigen. 

Daß  wir  auch  im  Bildnisfache  von  diesem 
klar  und  redlich  Strebenden  Tüchtiges  erwarten 
dürfen,  lassen  die  diesem  Hefte  beigegebenen 
Proben  auch  im  Schwarz-Weiß  erkennen. 

Voraussagungen  über  die  mutmaßliche  Ent- 
wicklungsrichtung starker  Talente  sind  müßig. 
Sie  werden  zu  häufig  durch  das  lügengestraft, 
was  dem  systembefangenen  Kritiker  als  Sprung- 
haftigkeit  erscheint  und  was  dann  meistens 
durch  spätere  Schaffensperioden  der  Künstler 
die  glänzendste  Rechtfertigung  findet.  Also 
keine  guten  Ratschläge  für  Paul  Knauer-Hase, 
sondern  ein  herzliches  Glückauf!  Nicht  erst 
das  Lebenswerk ,  sondern  schon  die  unzwei- 
deutig erbrachte  Talentprobe  genüge  den  Kunst- 
freunden zur  Äußerung  ihres  Vertrauens. 


KLDE  »LANDSCHAFT« 


Dem  menschlichen  Interesse  am  Künstler 
mag  mit  folgenden  biographischen  Notizen  ge- 
dient sein:  Paul  Knauer-Hase  ist  1878  zu  Bre- 
men geboren  und  verlebte  die  Jahre  seiner 
Kindheit  in  Breslau  und  Hannover.  Später 
widmete  er  sich  in  Amerika  (New-York  und 
Kuba)  kunstfremder  und  schließlich  kunstge- 
werblicher Brotarbeit.  1911;  12  steht  er  in 
Paris  mit  Othon  Friesz  und  Guerin  in  Ver- 
bindung. Während  des  anschließenden  Studien- 
aufenthalts auf  Korsika  unterhält  er  fruchtbare 
Beziehungen  zu  Purrmann.  1913  lebt  und 
arbeitet  er  zu  Ragusa  und  übersiedelt  von  da 

nach  München hekmann  fsswein. 

Ä 

Die  Vollkommenheit  in  der  Kunst  findet  sich  da,  wo 
die  Idee  und  das  Leben  völlig  Eins  sind  in  einem 
Werke;  jede  Abweichung,  jeder  Mangel  von  der  einen 
oder  von  der  andern  Seite  ist  ein  Fehler  und  wird, 
fortgese^t  oder  gar  als  Grundsa^  cuifgestellt,  Manier 
genannt.  Die  Idee,  wenn  sie  allein  vorlierrsdiend  ist, 
gebiert  Werke,  die  kalt  und  tot  sind,  oder  in  gerin- 
gerem Maße  wenigstens  den  Vorwurf  der  Härte  auf 
sich  laden.  Wer  auf  der  anderen  Seite  nur  nach  dem 
Leben  hascht  in  der  Kunst,  der  kann  wohl  Effekt 
madien,  was  mandien  Naturalisten  gelingt ;  aber  mit 
der  Idee  fehlt  dem  Werke  auch  die  tiefere  Bedeutung, 
ja  alle  innere  Form,  weldies  dodi  die  erste  und  wesent- 
lidiste  Bedingung  der  Kunst  ist.  .  .  .     Triedrirfi  Sdileoel. 


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P.  KNAUER-HASE— MÜNCHEN. 


LANDSCHAFT    .  HAFEN  PLATZ« 


STADTISCHE  (PROVINZ-)  SAMMLUNGEN. 


Im  währenden  Kriege  hat  sich  erwiesen,  daß 
zwar  aller  Technik  eine  größte  Bedeutung 
zuzuweisen  ist,  daß  aber  alle  diese  mechani- 
schen Werkzeuge  kraftlos  geblieben  wären, 
wenn  sie  nicht  ein  selbstloser  und  hingebender 
Wille  geleitet  hätte.  Und  diesem  wird  auch  bei 
der  Wiederaufnahme  der  Friedensarbeit  die 
ausschlaggebende  Einwirkung  zuzuweisen  sein. 
Derartige  ethische  Werte  im  Volk  erstarken  zu 
lassen,  sind  in  erster  Reihe  die  bildenden  Künste 
berufen.  Zur  Pflege  dieses  Fühlens  und  Wol- 
lens  dienen  für  die  Laienwelt  die  Universitäten 
und  die  Museen.  Ich  denke  hier  an  kunst- 
wissenschaftliche Arbeitsgebiete  jedes  Namens, 
und  hoffe,  daß  sie  wieder  von  der  ästhetisieren- 
den-technischen  Auffassung  befreit  und  unter 
dem  Schutz  der  historischen  bezw.  kulturhisto- 
rischen Betrachtung  gestellt  werden.  Und  ich 
denke  weiter  an  die  praktische  Erweiterung 
dieser  historischen  Schulung  durch  Sammlungen 
in  Stadt  und  Land;  denn  von  Jugend  auf  muß 
der  künstlerische  Sinn  gepflegt  werden.  Das 
„Beispiel"  muß  auch  in  diesem  Falle  das  maß- 


gebende erzieherische  Wort  erhalten.  —  Was 
verlangen  wir  in  der  Provinz  von  einer  Kunst- 
sammlung? Es  soll  ein  Zentrum  aller  künst- 
lerischer Erziehung  sein.  Aus  diesem  Grunde 
muß  sowohl  die  lokale  wie  auch  die  groß- 
deutsche bezw.  die  internationale  Kunst  ge- 
pflegt werden.  Die  angewandte  wie  die  hohe 
Kunst  soll  in  gleichem  Maße  zu  ihrem  Recht 
gelangen.  Allerdings  darf  dann  nicht  nur  der 
feinsinnige  Antiquar  und  Sammler  am  Bera- 
tungstische sitzen,  sondern  auch  der  tiefblik- 
kende  Freund  der  Musen,  der  kulturhistorische 
Kunsthistoriker.  Die  „eingeborene"  künst- 
lerische Tätigkeit  wird  allerorten  in  erster  Linie 
dem  praktischen  Leben  zugewandt  sein.  Die 
Heimatmuseen  und  die  Kunstgewerbesamm- 
lungen finden  hier  ihr  Arbeitsfeld.  Überall 
müssen  in  unserm  Vaterlande  bis  in  die  Dörfer 
hinein  derartige  Museen  begründet  werden. 
Erhebliche  Anfänge  sind  auch  bereits  vielfach 
vorhanden.  Denn  es  heißt:  „gehe  vom  Häus- 
lichen aus  und  verbreite  dich,  so  du  kannst 
über  die  ganze  Welt".   So  du  kannst!   Sind  nur 


Städtische  ( Provinz-)  Sammhingen. 


P.  KNAUER-HASE-MUNCHEN. 


geringe  Mittel  vorhanden,  so  darf  die  lokale, 
die  Heimatkunst  den  Vorzug  verlangen.  Auch 
dann,  wenn,  vifie  es  ja  nicht  selten  eintritt,  der 
künstlerische  Wert  ein  geringerer  ist.  Der  hei- 
matliche Charakter  muß  in  solchen  Fällen  des- 
halb höher  geschätzt  werden,  weil  es  unbedingt 
nötig  ist,  zuerst  einmal  die  Anteilnahme  an  der 
künstlerischen  Tätigkeit  überhaupt  zu  erwecken. 
Auf  diesem  rohen,  aber  festen  Boden  wird  sich 
das  Interesse  für  absolute  künstlerische  Werte 
ganz  von  selbst  aufbauen  und  bei  der  Frage 
alt-  oder  neuzeitlich  muß  für  die  Provinz  zu- 
nächst stets  die  Antwort  erfolgen:  neuzeitlich. 
Aus  einer  Reihe  von  Gründen.  Die  Provinz 
steht  immer  und  unabweisbar,  natürlich  gra- 
duell verschieden,  den  Weltstädten  nach ;  daran 
ändern  selbst  die  besten  Verkehrsverhältnisse 
wenig.  Am  rückständigsten  sind  die  Landes- 
teile, in  denen  der  adlige  oder  nichtadlige  Land- 
mann vorwiegt;  am  fortgeschrittensten  stehen 
die  Gebiete  da,  deren  rege  kommerzielle  Be- 
ziehungen das  schaffende  Leben  der  Gegenwart 


GEMÄLDE  »STILLEBEN« 


mit  seinen  erdumspannenden  Kräften  unmittel- 
bar in  die  Provinz  eindringen  lassen.  Überall 
bleibt  trotzdem  ein  provinzieller  Einschlag  er- 
kennbar. Diesen  kennzeichnet  ein  Verharren 
bei  dem  Überlieferten.  In  Übereinstimmung  mit 
der  geringen  allgemeinen  Geschmackausbildung 
herrscht  demzufolge  ein  ärmeres  künstlerisches 
Verständnis.  Aus  diesem  Grunde  muß  die 
„Moderne",  d.  h.  die  Gegenwart  den  Vorrang 
erhalten.  Auch  diesmal  soll  der  einheimischen 
Arbeit  das  besondere  Augenmerk  zugewandt 
werden,  einesteils  um  sie  zu  unterstützen,  an- 
dernteils  um  sie  zu  erziehen.  Es  darf  hinwie- 
derum niemals  diese  Hilfe  in  solchem  Maße 
geboten  werden,  daß  der  Einheimische  als  sol- 
cher ein  Anrecht  auf  den  Ankauf  seines  Werkes 
erwarten  kann,  ohne  eine  entsprechende  Qua- 
lität geboten  zu  haben.  Diese  Gefahr  liegt  aber 
nicht  nur  nahe,  sondern  sie  bricht  oft  genug 
herein.  Irgendwelche  Sicherheitsventile  sind 
hier  nicht  zu  schaffen,  denn  weder  künstleri- 
sches Gefühl,  noch  historische  Bildung  sind  un- 


PAUL  KNAUER-HASE-MÜNCHEN.  .BLUMEN  UND  FRÜCHTE. 


Städtische  (Provinz-)  Samnilungeyu 


bedingt  sichere  Führer.  Goethe  war  gewiß  im 
Besitz  einer  echt  künstlerischen  Begabung,  hat 
aber  als  Sammler  von  Kunstwerken  wie  als 
Kritiker  den  wahren  Kunstwert  oft  nicht  zu 
erkennen  vermocht ,  und  unser  bedeutendster 
Sammler,  Wilhelm  Bode,  hat  selbst  vor  Werken 
von  so  scharf  umrissenen  künstlerischen  Per- 
sönlichkeiten wie  Dürer,  Michelangelo,  Leo- 
nardo, Rubens,  Rembrandt  usw.  den  Blick  ver- 
lieren können.  Trotzdem  dürfen  wir  berech- 
tigterweise sagen,  das  historisch  geschulte 
künstlerische  Auge  läßt  unbeirrbarer  den  Blick 
auf  dem  krausen  Leben  des  Alltags  ruhen,  und 
kann  von  hier  aus  mit  einem  gewissen  Maße 


von  Sicherheit  die  Bedürfnisse  seiner  Gegen- 
wart, seiner  Mitmenschen  erfassen,  leiten  und 
fördern.  Die  ältere  Kunst,  welche  wir  mit 
fein  durchgearbeiteten  historischen  Maßstäben 
beurteilen,  objektiviert  auch  das  Urteil  über 
die  Kunst  des  Tages. 

Die  Frage,  was  in  Provinzstädten,  insbeson- 
dere von  dem  Leiter  eines  öffentlichen  Museums, 
von  modernen  Kunstwerken  gesammelt  werden 
soll,  wird  umso  schwieriger,  je  mehr  sich  die 
Ausübung  der  Kunst  von  dem  Bedürfnis  des 
Alltages  loslöst,  d.  h.  sich  von  dem  Gebiete  der 
angewandten  zur  hohen  Kunst  wendet.  Hier 
wird  auch  die  Frage  nach  Art  und  Wesen  der 


PAUL  KXAUEK-IIASE    ilÜNCllEN.  GEMÄLDE  .TULPEN- STILLEBEN. 


305 


Städtische  f  Pro2n?iz-)  Sammlungen. 


lokalen  Kunst  eine  besonders  schwerwiegende. 
Die  Malerei,  Bildhauerei  und  Architektur  findet 
in  einer  Provinzstadt ,  immer  unter  Berück- 
sichtigung gradueller  Unterschiede,  nur  ein  be- 
schränkteres Tätigkeitsfeld,  das  durch  die  Kon- 
kurrenz der  großen  Haupt-  und  Weltstädte 
noch  verkleinert  wird;  sogar  an  Ort  und  Stelle 
wird  die  Ausdehnungsfähigkeit  der  Künstler 
jedesmal  dann  stärker  beschnitten,  wenn  sich 
hier  eine  staatliche  Kunstschule  irgendwelcher 
Art  befindet.  Dem  Staate  muß  daran  liegen, 
daß  die  von  ihm  hierhin  gesetzten  Arbeits- 
kräfte möglichst  „frisch"  bleiben,  demzufolge 
wird  er  die  Aufgaben,  welche  er  zu  vergeben 
hat,  vorwiegend  den  beamteten  Künstlern  zu- 
wenden. Der  besitzende  Bürger  in  einer  solchen 
Stadt  wird  geneigt  sein,  den  staatlich  angestell- 
ten Künstler  wieder  als  den  besseren  anzuer- 
kennen ,  und  ihn  seinerseits  vorwiegend  be- 
schäftigen, um  sein  Geld  möglichst  sicher  an- 
zulegen. Die  lokale  Kunstpflege  kann  unter 
solchen  Umständen  überaus  leicht  dahin  aus- 
arten, daß  entweder  eine  kleine  Zahl  behörd- 
lich konzessionierter  Künstler  begünstigt  wird, 
oder  daß  unbedeutende  lokale  Kunstwerke 
gekauft  werden  —  oder  daß  frisch  und  froh  der 
„Modernste"  berücksichtigt  wird.  Ob  das 
immer  von  Nachteil  ist?  Gerade  die  Anfänge 
eines  großen  Künstlers  richtig  zu  erkennen  und 
zu  sammeln,  dürfte  zu  den  wichtigsten  Aufgaben 
eines  Sammlungsleiters  gehören.  An  dieser 
Stelle  eröffnet  sich  auch  dem  Bürger  als  Kunst- 
freund ein  weites,  segenbringendes  Feld.  Wie- 
viel von  einem  zielbewußten  Kunstfreund  er- 
reicht werden  kann,  beweisen  u.  a.  die  ehe- 
malige Schacksche  Sammlung  oder  das  Folk- 
wang- Museum  zu  Hagen  in  Westfalen.  Die 
Hauptsache  muß  sein  und  bleiben ,  überall 
zunächst  ein  möglichst  geschlossenes  Bild  der 
Grundlagen  des  Ringens  und  der  Ergebnisse 
der  neuzeitlichen  Kunst  zu  bringen!  „Denn 
vom  Häuslichen  gehe  aus!"  —  Sobald  ein  den 
zur  Verfügung  stehenden  Geldmitteln  ent- 
sprechendes festes  Haus  gezimmert  ist,  mag 
dann  ein  zweites  für  ältere  Kunstwerke  folgen. 
Es  ist  aber  hier  nicht  zu  empfehlen,  daß  Stadt- 
oder Provinzmuseen  Geld  für  Kunstwerke 
zweiten  oder  dritten  Grades  ausgeben,  nur  um 
Bilder  älterer  Meister  zu  besitzen.  Der  kulturell 


wichtige  Einfluß  der  vergangenen  künstlerischen 
Schaffenszeiten  kann  und  darf  nur  aus  der  Arbeit 
der  richtunggebenden  Persönlichkeiten  ge- 
wonnen werden.  In  allen  Fällen  wäre  es  daher 
notwendig,  daß  wenigstens  ein  Meisterwerk  von 
der  Hand  dieser  Führer  im  Reich  der  bildenden 
Künste  vorhanden  wäre,  um  welches  dann  ge- 
ringere Künstler  gruppiert  werden  könnten.  Es 
würde  zur  Erreichung  dieses  Zieles  notwendig 
sein,  daß  die  großen  staatlichen  Kunstsamm- 
lungen von  ihren  erstenMeisterwerken  dauernde 
Leihgaben  zum  mindesten  in  die  bedeutendsten 
Stadt-  und  Provinzmuseen  abgeben.  Warum 
sollen  auch  in  einzelnen  großen  Sammlungen  die 
besten  alten  Meisterwerke  im  halben  Dutzend 
vorhanden  sein,  um  in  anderen  Städten  ganz 
zu  fehlen?  Der  Kunstwissenschaft  halber? 
Diese  muß  und  darf  umso  ruhiger  zurücktreten, 
als  in  keinem  Museum  die  Großen  unter  den 
Künstlern  allseitig  erfaßt  werden  können.  Jede 
betonte  Zentralisation  für  Kunstsammlungen 
ist  der  Öffentlichkeit  gegenüber  vom  Übel,  und 
zeugt  meiner  Auffassung  nach  von  einem  starken 
Verkennen  der  Aufgaben  der  Museen,  wie  von 
der  Kulturentwicklung  unseres  deutschen  Vater- 
landes. Die  Stadt-  und  Provinzmuseen  müssen 
weiterhin,  um  nicht  im  Lokalen  zu  ersticken, 
umfangreiche  Sammlungen  von  Griffelarbeiten 
aller  Art  bezw.  von  mechanischen  Nachbildungen 
anlegen.  Besonderes  Interesse  dürften  heute 
bereits  die  vorzüglichen  farbigen  Wiedergaben 
beanspruchen ,  welche  nach  der  Erweiterung 
der  Farbenphotographie  zu  Auflagedrucken  in 
vielen  Fällen  geradezu  einen  Ersatz  für  die 
Originale  bieten  werden.  Die  notgedrungene 
Enthaltsamkeit  der  Stadtmuseen  könnte  durch 
solche  und  ähnliche  Beihilfen  in  so  hohem  Grade 
ausgeglichen  werden,  daß  sie  als  Bildungsstätten 
inhaltlich  größere  Werte  zu  bieten  vermöchten, 
als  es  heute  mancher  kostbaren  „Königlichen 
Sammlung"  möglich  ist.  — Ich  fasse  mich  dahin 
zusammen:  Zunächst  die  engere  Heimat  in 
ihrem  ganzen  Umfange  in  Kunstwerken  darstel- 
len, dann  die  Kunst  der  Gegenwart,  des  heutigen 
und  des  kommenden  Tages  in  Originalwerken 
wie  Nachbildungen  sammeln,  und  endlich  die 
künstlerische  Vergangenheit  der  deutschen 
Stämme  in  ihrer  Gesamtheit  und  die  der  frem- 
den Völker  repräsentieren b.  haendcke. 


ERICH  BÜTTNER-BERLIN.  ORIGINAL-LITHOGRAPHIE  »FRÜHLING» 


vf:<iV>i^ 


ERICH  BUTTNER-  BERLIN. 


SKIZZE  »AM  DEUTSCHEN  MUSEUM« 


ERICH  BÜTTNER-BERLIN. 


uch  der  zeitgenössischen 
^  Kunst  gegenüber  bemüht  sich 
I  die  moderne  Kunstbetrach- 
tung das  Problem  des  Kunst- 
willens einer  Zeit  in  den  Vor- 
dergrund zu  stellen.  Oft  wird 
Lhiermit  jedoch  die  Aufgabe 
mehr  umgangen  als  gelöst.  Einer  Erscheinung 
wie  Erich  Büttner  würde  man  nicht  gerecht 
werden,  wollte  man  die  Elemente  seiner  Kunst 
zuerst  mit  den  Prinzipien  des  modernen  Kunst- 
woUens  zusammenstellen.  Obwohl  er  inmit- 
ten der  jüngsten  Talente  der  Berliner  Sezes- 
sion steht,  mit  ihnen  geworden  ist,  wird  und 
kämpft,  tritt  in  der  Betrachtung  seiner  Kunst 
das  Problematische  zurück  hinter  das,  was  wir 
„Charakter"  nennen.  — Von  den  Jüngsten  der 
Berliner  Sezession  ist  er  derjenige,  welcher  am 
stärksten  berlinische  Färbung  zeigt.  Wir  haben 
heute  eine  klare  Vorstellung  von  der  Eigenart 


der  Kunst,  die  im  Laufe  des  Jahrhunderts  in 
jenen  Mauern  geworden  ist.  Wenn  in  der 
Charakterisierung  ihrer  Eigentümlichkeiten  man 
geneigt  ist,  die  sachliche  Stimmung  voran  zu 
stellen,  so  darf  man  aber  nicht  vergessen,  daß 
diese  nur  der  Grundtrieb  ist,  der  die  anderen 
Elemente  in  Bewegung  brachte  und  stumpfen 
Gesichten  und  Dingen  Charakter,  vergessenen 
Erscheinungen  Seele  und  reichem  Milieu  Ge- 
schichte und  Poesie  zu  geben  vermochte. 

Büttners  Wiege  hat  im  Zentrum  dieser  rast- 
losen Stadt  gestanden  und  das  bewegte  Leben 
eines  rümpligen  Hofes  und  einer  Werkstatt 
waren  seine  ersten  Eindrücke.  Seine  Arbeits- 
freudigkeit setzt  früh  ein  und  erledigt  kunst- 
gewerblichen Unterricht  nicht  mit  dem  gelang- 
weilten Gefühl  eines,  dem  über  das  Problem- 
suchen das  Lernen  nicht  schmeckt.  Die  Energie 
seiner  Arbeit  treibt  ihn  von  Ding  zu  Ding,  und 
so  sitzt  er  eines  Tages  in  der  märkischen  Land- 


XX.  Febniir  I9I7   2 


Erich  Bmtner- Berlin. 


ERICH  BÜTTNER- BERLIN. 


Schaft,  malt  Aquarell  auf  Aquarelle,  wohl  hun- 
dert in  einem  Monat,  um  die  Hände  frei  zu 
bekommen.  Als  moralisches  Element  steht 
hinter  ihm  Menzel  und  als  Sehform  vor  ihm 
Leistikow.  So  tritt  er  vor  Orlik  hin,  der  ihm 
in  fünfjährigem Unterrichtbesonders  seine  zeich- 
nerische Begabung  fördert  und  die  Ökonomie 
der  Mittel  lehrt.  Die  Malerei  wird  nur  als 
Aquarell  fortgesetzt  und  auf  dunkle  Tonigkeit 
gestimmt.  Es  gibt  wohl  nur  wenige  Winkel  des 
alten  malerischen  Berlin,  die  Büttner  nicht  ge- 
malt hätte,  und  das  trübe,  etwas  undurchsich- 
tige Kolorit  bringt  gut  die  melancholischen 
Reize  dieser  Stätten  zum  Ausdruck.  Auch  diese 
Arbeit  gab  eine  neue  Freiheit;  die  der  Auf- 
fassung des  bewegten  Lebens.  Mit  den  in  ehr- 
licher Arbeit  frei  gewordenen  Mitteln  der  Zeich- 
nung und  der  Auffassung  stand  er  dem  Impres- 
sionismus freier  gegenüber,  wenngleich  auch  er 
die  Analyse  von  Licht  und  Luft  im  Sinne  von 
Monets  Heuschober  ausübte.  Das  zeichnerische 
Sehen  blieb  jedoch  im  gewissen  Sinne  seine 
Grundlage,  ebenso  die  Sachlichkeit  der  Form, 
und  die  Indifferenz  dem  Inhalt  gegenüber,  die 
ein  Begleitmoment  des  Impressionismus  war, 


RADIERUNG  »UNIVERSITATS-GARTEN«   i;U2. 


hat  dieser  „Erzähler"  nie  gekannt.  Das  bloße 
Licht-  und  Luftdasein  der  Dinge  im  Räume 
haben  Büttner  nie  ganz  befriedigt.  So  tritt 
neben  dem  impressionistischen  Problem  der 
breiten  Sonne  im  Vordergrund,  mit  den  durch- 
sichtigen Schatten  im  Hintergrund  der  „Bau- 
platz des  Deutschen  Museums"  (Abb.  S.  309) 
als  intergrierendes  Moment  hinzu,  und  ein  an- 
derer Neubau,  des  Aquariums  (Abb.  S.  325) 
spielt  nicht  nur  mit  den  hellen  Tönen  des  Him- 
mels und  des  Kalkes,  sondern  auch  mit  dem 
Liniengewirr  und  den  Arbeitern.  Man  muß  oft 
an  Menzel  denken;  wie  ein  Tagesausschnitt  un- 
merklich zu  einem  Stück  Geschichte  wird.  Auch 
Büttner  entdeckt  seinen  Gegenstand  und  findet 
ihn,  weil  er  ihn  nicht  als  Problem  sucht. 

Er  wendet  sich  eines  Tages  dem  Leben  im 
und  um  den  Zoologischen  Garten  zu.  (Abb. 
S.  323.)  Immer  einheitlicher  wird  das  Erlebnis. 
Form  und  Licht  kämpfen  nicht  mehr,  sondern 
scheinen  ausgeglichen,  und  die  Komposition 
weiß  mit  wenigen  Akzenten  Fläche  und  Raum 
abzurunden.  Das  Kolorit  bekommt  eine  Har- 
monie von  hellen,  leuchtenden  Farben,  die 
durch  viel  Weiß  zwischen  den  Lokalfarben  er- 


Erich  Büttner -Berlin. 


reicht  wird.  Dieses  Abwägen  der  ganzen  Bild- 
haltung läßt  sich  auf  englische  Einflüsse  wie 
Whistler  zurückführen.  Auch  dieses  mag  ein 
Zeichen  sein,  daß  die  konsequente  Problem- 
stellung des  Impressionismus  nie  seine  Art  war 
und  der  „Strand"  (Abb.  S.  329)  mag  als  tref- 
fender Beweis  gelten,  wie  wenig  ihm  bei  diesem 
Vorwurf  das  impressionistische  Vorbild  Lieber- 
manns etwas  gesagt  hat.  Die  Dinge  selbst  als  in- 
dividueller Charakter  sprechen  zu  stark  zu  ihm, 
als  daß  sie  bloße  Lichtstation  werden  könnten. 
Ein  solches  Sehen  und  Auffassen  mußte  mit 
den  Mitteln  der  Graphik  nicht  nur  schneller 
und  sicherer  zu  Werke  gehen,  sondern  auch 
eine  Vertiefung  seiner  Anlagen  erhoffen.  Nach 
dem  Holzschnitt  kam  die  Radierung,  die  auch 
Büttners  ganz  unstilisierten  Linie  mehr  ent- 
sprach und  mit  der  mehr  oder  weniger  kunst- 
gewerblichen Linie  des  modernen  Holzschnittes 
nichts  zu  tun  hat.  Obwohl  die  Radierung  „  Grune- 


wald" (Abb.  S.  313)  im  Ausschnitt  wie  im  Licht 
und  den  vielen  interessant  gemachten  Bewe- 
gungsrichtungen der  Menschen,  noch  das  „im- 
pressionistische" Leben  des  Momentes  charak- 
terisieren will,  bekommt  jedoch  die  einzelne 
Erscheinung  wie  Baum  und  Mensch  eine  höhere 
Festigkeit  und  Existens.  Und  hält  man  diesem 
Blatt  den  „Straßenbahnbau"  (Abb.  S.  320)  ent- 
gegen, der  nur  ein  Jahr  später  entstand,  so 
sieht  man,  daß  das  zeichnerische  Sehen,  das 
die  Existens  der  Dinge  betont,  die  interessante 
Erscheinung  des  Dinges,  die  der  Impressionis- 
mus anstrebt,  überwunden  hat. 

Diese  Wandlung  vom  Impressionismus  zum 
Expressionismus  vollzieht  sich  bei  Büttner  nicht 
von  Partei  zu  Partei.  Seinen  ganzen  Anlagen 
nach  konnte  man  sagen,  daß  der  Impressionis- 
mus bei  ihm  nur  eine  glückliche  Lernperiode 
sein  werde,  glücklich,  weil  wir  ja  seine  Lern- 
freude allen  Dingen   gegenüber  schon   früher 


ERICH  BÜTTNER-BERLIN.  BLEISTIFT-ZEICHNUNG  »VILLA  IN  HERINGSDORF.  1911. 


311 


E.  BÜTTNER-BERLIN.  RADIERUNG  »OSTPREUSSISCHE  ROMANZE.  1916. 


^m-:  J^vU-^'ä^ 


ERICH  BÜTTNER    BERLIN.  RADIERUNG  .DEUTSCHE  LEGENDE.  1916. 


Erich  Büttner- Berlin. 


LITHOGRAPHIE    »ARNO  HOLZ«  ISlfi. 


fß,/  %J»,h^k, 


erwähnten.  Der  Zeichner  in  ihm  mußte  dahin 
kommen  und  der,  der  nie  die  Indifferenz  des 
Inhalts  gekannt  hatte,  mußte  im  Expressionis- 
mus ein  Ziel  erblicken.  Daß  diese  Wandlung 
bei  dem  jungen  Künstler,  der  heute  erst  27jährig 
ist,  in  der  Graphik  erfolgte,  zeigt,  wie  auch  die 
Wendung  zu  dieser  Technik  hin  ein  Stück  Ent- 
wicklung war  und  nicht  als  bloße  andere  Tech- 
nik nebenher  ging.  Noch  mehr  war  es  die 
Zeichnung  selbst,  die  diesen  Wandel  vorbe- 
reitete. Das  Lineare  trat  besonders  bei  Por- 
träts und  figürlichen  Studien  immer  stärker 
hervor.  Schon  in  der  Bildnisstudie  „I.  K." 
(Abb.  S.  317)  sind  die  Oberflächenwerte   der 


Linie  untergeordnet,  und  der  Ausdruck  in  die- 
sen ängstlich  und  scheu  abirrenden  Augen  setzt 
an  Stelle  des  Eindrucks  der  Erscheinung  den 
Ausdruck  des  Innern.  Ganz  frei  erscheint  dieses 
Sehen  und  Auffassen  dann  in  dem  schönen 
„Frühling",  wo  die  Linie  zur  reinen  Ausdrucks- 
form wird  und  ihre  Bewegungen  und  ihre 
Proportionen  erzeugt.  Und  was  in  des  Künst- 
lers impressionistischen  Arbeiten  Erzählung 
war,  wird  hier  „Poesie",  die  sich  wie  in  der 
Lyrik  als  Ausdruck  der  Form  und  nicht  des 
Motivs  einstellt.  Ebenso  stellt  sich  der  „Aus- 
druck" in  dem  Bildnis  des  Dichters  Franz  Evers 
und  Arno  Holz  (Abb.  S.  324  u.  330)  ein;  nicht 


Erich  Büthier- Berlin. 


0/ 


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LITHOGRAPHIE     DR.  W.  K.    Itlin. 


als  ein  besonderes  Motiv  der  Haltung,  sondern 
als  das  Resultat  der  ganzen  neuen  Formen- 
energie und  Linienkraft,  die  zusammen  mit  dem 
ruhenden  Licht ,  die  Existenz  des  Subjektes 
ausdrücken.  Die  Farbe  wird  jetzt  Flächenwert 
und  sie  ist  es  vor  allen  Dingen,  die  ohne  male- 
rische Sonderabsicht  die  Bilderscheinung  kon- 
stituiert. Wenn  man  so  Studien  und  Bild  bei 
Büttner  vergleicht  und  sieht  wie  erst  in  diesem 
jene  zur  Existenz  aus  dem  momentanen  Einfall 
aufsteigen  durch  die  Bindung  von  Linie  und 
Farbe,  könnte  man  an  die  italienischen  Quat- 
trocentisten  denken,  sofern  man  das  Mittels- 
glied Hodler  außer  Betracht  lassen  will. 


Der  Krieg  hat  auch  diesen  jungen  Künstler 
ein  Jahr  lang  seiner  Arbeit  entzogen.  Viele 
Eindrücke  aber  hat  er  in  Lithographien  in  der 
„Kriegszeit"  niedergeschrieben,  und  die  schöne 
Radierung  „Romanze"  (Abb.  S.  312)  hinterläßt 
die  tröstliche  Erinnerung  an  Stunden  im  La- 
zarett mit  dem  Darmstädter  Bruno  Stumpf,  der 
hier  als  Geiger  dargestellt  ist.  Wie  still  und 
sicher  ist  diese  Kunst  herangereift,  wie  selbst- 
verständlich stellt  sich  jetzt  das  Poetische  ein, 
wo  alle  Mittel  gekonnt  sind.  Man  könnte  bei 
diesem  Geiger  in  der  Landschaft  mit  der  Engels- 
wolke oder  bei  der  Legende  (Abb.  S.  313)  an 
alte  deutsche  Meister,  wie  Cranach  oder  Alt- 


319 


Erich  Büttner— Berliji. 


dorfer,  denken.  Die  ausdrucksvolle  Ruhe  dieser 
letzten  Arbeiten  stellt  wieder  einen  Abschnitt 
in  seiner  Entwicklung  dar. 

Das  Kunstgewerbe,  das  einst  neben  der  Ma- 
lerei einherging,  ließ  der  Künstler  fallen,  als  er 
es  konnte  und  der  beste  Teil  dieser  Übung  ging 
in  der  neuen  Vorstellung  von  „Bildeinheit"  auf, 
wie  wir  sie  bei  seinen  letzten  Malereien  er- 
wähnten. Das  Stilmoment  als  Prinzip  konnte 
sich  mit  seinem  unbefangenen  Verhältnis  zur 
Natur  nicht  vereinigen.  Doch  hat  er  umgekehrt 
seine  leichte  Erfindung  und  seine  poetischen 
Einfälle  dem  Kunstgewerbe  zugute  kommen 
lassen  und  jene  Stickereientwürfe  geschaffen, 
derderLeserausdemDezemberheft  1916  dieser 
Zeitschrift  sich  erinnern  wird.  .  .     dr.  w.  kurth. 

DAS  STAFFELEIBILD  hat  die  merkwürdige 
Eigenschaft,  daß  es,  obwohl  freistehend 
gemalt,  am  besten  an  der  Wand  wirkt,  als 
Schmuck, als  architektonischerBestandteil  einer 
raumabschließenden  Wand.  Da  hat  es  den 
weiten  Raum  vor  sich,  es  steigert  sein  eigenes 
Leben,  indem  es  die  Kräfte  des  Raumes  weckt 
und  richtet.  Doch  es  gibt  auch  Ausnahmen. 
Wenn  wir  gotische  Flügelaltäre  an  Museums- 
wände angeklebt  sehen,  so  verlieren  sie  gerade 
ihre  feinsten  architektonischen  Reize,  das  Freie 


und  Schwebende,  das  Sparrige,  die  Erinnerung 
an  die  Herkunft  von  Schnitzerei,  die  Körper- 
lichkeit der  Tafeln.  Man  versteht  ihre  Farben 
nur,  wenn  man  die  Holztafeln  als  Träger  sieht. 
Andere  Bilder  gibt  es,  die  gehören  an  Säulen, 
in  schmale  Nischen,  oder  gar,  wenn  es  Minia- 
turen sind,  in  den  Glasschrank.  Nur  auf  der 
Staffelei,  wo  sie  doch  entstanden  sind,  machen 
die  meisten  keinen  guten  Eindruck.  Sollen  sie 
einmal  ausnahmsweise  freistehend  verwendet 
werden,  so  baue  man  ihnen  Säulen,  kleine 
Altäre,  Postamente  ;  auch  das  Bild  braucht  einen 
architektonischen  Halt a.  j. 

«r 

DIE  BAUKUNST  enthält  in  ihren  Hauptzügen 
keine  Nachahmung  natürlicher  Bildungen. 
Glaubt  doch  heute  niemand  mehr,  daß  die  hoch- 
strebende gotische  Architektur  den  Fichten  und 
Buchen  der  deutschen  Wälder  ihre  Entstehung 
verdanke!  Selbst  dort,  wo  anscheinend  Pflan- 
zenformen wiedergegeben  werden,  sind  sie  aus 
anderen  Bedingungen  hervorgegangen;  und  die 
meisten  Beispiele,  an  die  man  denken  würde, 
liegen  innerhalb  des  plastischen  oder  rein  orna- 
mentalen Schmuckes.  Hingegen  scheint  auf  die- 
sem Gebiet  das  tätige  Prinzip  der  Natur  sich 
durchzusetzen,  der  unorganische  Stoff  ins  Le- 
bendige umgewandelt  zu  sehen.  .  .  .       dessoir. 


ERICH  BUITNER     BERLIN.  R.VDIERUNG     BAHNIi.\U  ,\UI-'  DEM  TEMPELHOl- EK  FIIIi     Ü'U 


n  S  H 
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ERICH  BÜTTNER-  BERLIN. 


GEMÄLDE  «DIE  LICHTENSTEIX-BRCcKE     1913. 


DIE  SUGGESTION  DER  ANTIQUITÄT. 


VON  PAUL  WESTHEIM. 


Was  der  Philister  an  dem  Künstler  seiner 
Zeit  immer  und  vor  allem  verdammt,  ist 
das  „Revolutionäre",  das  Aufbegehren  gegen 
eine  in  sich  gefügte  Welt.  Er  wird  es  nie  ver- 
stehen, daß  die  Kunst,  wenn  eine  neue  Zeit 
kommt,  aus  dieser  Zeit  heraus  einen  neuen, 
lebendigen  Gehalt  zu  gewinnen  sucht.  Immer 
wird  er  der  Meinung  sein,  daß  die  Kunst  der 
Alten  noch  längst  für  die  Neuen  gut  genug  sei, 
daß  es  Veränderungssucht,  Unbotmäßigkeit, 
Modegier,  frivoler  Zynismus  und  dergleichen 
Lasterhaftigkeit  wäre,  was  diese  „Neuerer" 
immer  wieder  heraustreibe  aus  den  Bahnen, 
die  sich  sehr  wohl  doch  bewährt  hätten.  Die 
alten  Meister,  die  von  vor  zwanzig,  vor  fünfzig, 
vor  hundert  oder  etlichen  hundert  Jahren  zu 
übertreffen,  das  sei  von  solchen  Stürmern  doch 
wohl  nicht  anzunehmen.  Der  guten  Kunst  sei 
in  der  Vergangenheit  überhaupt  so  viel  gemacht. 


daß  ein  Bedürfnis  nach  mehr,   ein  Bedürfnis 
nach  anderem  gar,  nicht  vorliege. 

So  ist  es  begreiflich,  daß  alles,  was  aus  frü- 
herer Zeit  stammt,  was  in  irgend  einem  Sinne 
Antiquität  ist,  über  die  Maßen  begehrt  wird. 
Echt  antik,  echt  Renaissance,  aus  dem  und  dem 
Jahrhundert  zu  so  fabelhaftem  Preis  (fabelhaft 
hoch  oder  fabelhaft  niedrig)  erstanden,  das  sind 
ein  paar  der  Koseworte,  mit  denen  die  künst- 
lerisch gleichgültigsten,  banalsten  und  lächer- 
lichsten Dinge  von  ihren  verzückten  Erwerbern 
gehätschelt  zu  werden  pflegen.  Es  ist  ganz 
klar,  daß  sich  in  dieser  Liebe  zu  Altertümern 
gelegentlich  ganz  starke  künstlerische  Triebe 
auswirken.  Menschen  von  intensivster  künst- 
lerischer Erlebnisfähigkeit  geben  sich  den 
großen  Meistern,  den  unerschöpflichen  Ewig- 
keitswerken hin  und  genießen  dabei  Wonnen 
von   unsagbarer   Süße.     Auch   manche   kleine 


ERICH  BÜTTNER-BERLIN.  GEMÄLDE  .HIPPODROM  K\I  TIKRGARTEN-  ms. 


KRICH  BÜTTNER-BKRLIX.  BILDNIS  >FRAXZ  EVIZRS-  I9ie. 


Die  Suggestion  der  Anti(/uHät. 


ERICH  BUTTNER-- BERLIN. 


Leistung,  manch  artig  erfundenes  und  empfun- 
denes Werkchen,  manche  penible  technische 
Arbeit  in  Kunst  und  Kunsthandwerk  erregen 
die  Sinne.  Gegen  eine  Verehrung  alles  dessen, 
was  frühere  Zeiten  schön  und  gut  hervorge- 
bracht haben,  ist  gewiß  nichts  einzuwenden; 
nur  anmaßliche  Aufgeblasenheit  könnte  es  be- 
dauern, daß  die  Kunst-  und  Geistesschätze  der 
Vergangenheit  ihrem  Wert  nach  geschätzt  und 
nach  bestem  Vermögen  erhalten  bleiben.  Allein 
es  ist  endlich  einmal  zu  unterscheiden  zwischen 
dieser  echten  Hingabe  an  ein  Werk  älteren  Ur- 
sprungs, das  nicht  als  Antiquität,  sondern  als 
ewig  gültiger,  lebendiger  Wert  empfunden  wird 
und  dieser  eingebildeten  Liebe  zum  Vorgest- 
rigen, die  Bilder  oder  Holzskulpturen  oder 
Ludwigsburger  Porzellan  oder  Lebkuchen- 
modelle nicht  anders  begehrt,  als  sie  Thurn  und 
Taxis'sche  Briefmarken  sammeln  würde,  wenn 
das  ebenso  in  der  Mode  wäre.  Das  Pürschen 
nach  alten  Sachen  hat  nämlich  bei  neun  Zehntel 


GEMjVLDE     NEUBAU  DES  AQUARIUMS«  l'Jlä. 


der  vielen  Leute,  die  sich  jetzt  dieses  Sportes 
befleißigen.  Formen  angenommen,  die  dabei 
an  irgendwelches  künstlerisches  Interesse  kaum 
noch  glauben  lassen.  Man  kauft  das  Alte  nicht, 
weil  es  Kunst,  sondern  weil  es  alt,  weil  es  aus 
dem  und  dem  Jahrhundert,  weil  es  von  der  und 
der  Seltenheit  ist.  Es  ist  ein  rein  statistisches, 
wenn  man  will:  ein  philologisches  Interesse, 
das  auf  solche  Weise  befriedigt  wird.  Einen 
Porzellan-Sammler  etwa  packt  der  Ehrgeiz  alle 
noch  nicht  in  Museums  -  Besitz  befindlichen 
Wegely  -  Porzellane  zusammenzubringen.  Er 
konzentriert  sich  ganz  auf  diese  bizarre  Auf- 
gabe, hat  Interesse  nur  für  die  paar  Stücke  des 
verunglückten  Wegelyschen  Unternehmens  und 
würde  es  gar  als  eine  Verschwendung  seiner 
Mittel  empfinden,  wenn  er  delikate  Porzellan- 
kunstwerke von  Barlach  bis  zu  den  Meistern 
von  Sevres  oder  Meißen  kaufen  sollte.  Unmög- 
lich, hier  zu  untersuchen,  wieso  diese  kunst- 
fremde und  kunstfeindliche  Leidenschaftlichkeit 


Die  Sugo^estion  der  Ayiiiquität. 


ERICH  BUTTNEK     BERLIN. 


für  Dinge,  die  früher  einmal  aus  Kunstwerk- 
stätten hervorgegangen  sind,  sich  zu  einer  Ra- 
serei fast  auswachsen  konnte.  Nicht  unerheb- 
liche Schuld  daran  hat  die  eigenartige  Sammel- 
tätigkeit unserer  Museen,  die  statt  Institute 
zum  Kunstgenuß  und  zur  künstlerischen  Er- 
hebung zu  Aufbewahrungsstätten  von  alter 
Kunst  geworden  sind.  Der  guten  alten  Kunst, 
aber  auch,  aber  fast  mehr  der  alten  Kunst 
dritten,  vierten,  fünften,  achten,  zehnten  Ran- 
ges, all  des  Zeugs,  das  gewiß  eine  entwicklungs- 
geschichtliche, kulturhistorische,  philologische 
Bedeutung  hat,  das  aber  für  den  Kunstgenuß 
ganz  ohne  Belang  ist.  Für  die  Wissenschaft 
von  der  Kunst,  für  gewisse  Spezialforschungen 
mag  es  nicht  ganz  gleichgültig  sein,  zu  wissen, 
daß  es  im  17.  Jahrhundert  in  Prag  einen  itali- 
sierenden  Historienmaler  namens  Screta  oder 
in  München  einen  Eklektiker  Karl  Lolh  gegeben, 
daß  am  Ende  des  19.  Jahrhunderts  ein  Gott- 
schall gelebt  und  gedichtet  hat,  aber  kann  für 


IN    lI]LRINiJ.-.liORi-       1:44. 


Menschen,  die  auf  künstlerische  Erlebnisse  aus 
sind,  etwas  gleichgültiger  sein  als  die  Existenz 
von  derlei  Geistern?  Das  Museum  nun,  wie 
es  sich  im  letzten  Jahrhundert  entwickelt  hat, 
gibt  solchen  Sachen  eine  lächerliche  Importanz, 
die  in  der  Folge  das  große  Publikum  verleiten 
mußte,  jeden,  auch  den  unzulänglichsten  alten 
Schinken  als  etwas  Sakrosantes  zu  behandeln. 
Als  Männer  wie  Tschudi  und  Lichtwark  bei  der 
Organisation  öffentlicher  und  privater  Samm- 
lungen vom  lebendigen  Kunstempfinden  aus- 
zugehen verlangten,  als  sie  forderten,  auch  das 
Alte  auf  seinen  Gehalt  an  Menschlichkeit  zu 
beklopfen,  wurde  auch  das  als  revolutionär 
empfunden.  Ja,  es  begab  sich,  nachdem  doch 
bei  einigen  neueren  Sammlern  und  Museums- 
leitern die  Richtigkeit  dieser  Erkenntnis  sich 
durchzubrechen  begann,  daß  von  einem  unserer 
einflußreichsten  Museumsmänner  eine  Aus- 
stellung arrangiert  wurde,  eine  Ausstellung 
alter  Meister  aus  privatem  Besitz,  mit  der  den 


ERICH  BÜTTNER    BERLIN.  GEMÄLDE  .DAS  GARTENHAUS.  IHK!. 


Die  Sugcrestimi  der  Antiquität. 


ERICH   UUTINEK      BERLIN. 


Museumsleuten  bewiesen  werden  sollte,  daß 
es  für  sie  noch  immer  zu  erschwinglichem  Preis 
alte  Meister  zu  erstehen  gäbe  und  daß  es  des- 
halb nicht  notwendig  wäre,  sich  aus  Mangel  an 
altem  Material  mit  der  t  heutigen  Kunst  ein- 
zulassen. Eine  Beweisführung,  die  bezeichnend 
genug  für  eine  in  weitesten  Kreisen  verbreitete 
Denkweise  ist.  Aber  was  soll  ein  kleiner  be- 
langloser Italiener  oder  Niederländer  —  und 
nur  darum  kann  es  sich  ja  bei  der  heutigen 
Preisbildung  des  Kunstmarktes  handeln  —  in 
einem  unserer  Provinzmuseen?!  Was  soll  er 
da,  wo  es  eine  lokale  und  kulturelle  Beziehung 
zu  ihm  nicht  gibt  und  von  einer  besonderen 
künstlerischen  Beziehung  keine  Rede  sein 
kann?  Ich  weiß  nicht,  was  mich  irgendwie  in 
der  deutschen  Landschaft  gleichgültiger  lassen 
könnte,  als  einen  gelegentlichen  Guardi,  als  ein 
Köpfchen  des  Cima,  eine  Madonna  des  Previ- 
tali  oder  eine  mythologische  Theatralik  des  van 
Noord.  Was  soll  man  damit  in  Halle,  in  Stettin 
oder  sonstwo,  wo  den  Leuten  an  kunsthistori- 
schen Belegstückchen  gar  nichts  liegen  kann, 
wo  zu  ihnen  am  stärksten  doch  die  Kunst  ihrer 
Heimat  und  die  Kunst  ihrer  Zeit  spricht.  Aber 
es  gibt  unter  denen,  die  sich  wissentlich  mit 


GEMAXDE     STRANIJi   Vn'i. 

alter  Kunst  befassen,  einen  Dünkel,  ja,  ich  wage 
zu  sagen:  eine  Art  von  Verfolgungswahn  gegen 
alle  Kunst,  die  nach  Abschluß  ihrer  Hand-, 
Lehr-  und  Nachschlagebücher  entstanden  ist. 
Natürlich  ist  es  ein  Trugschluß  mit  alter  Kunsl, 
und  zwar  mit  derjenigen  zweiten  und  dritten 
Ranges,  die  neue  in  Grund  und  Boden  beweisen 
zu  wollen.  Für  den  Zuschauer  haben  sie  sogar 
etwas  sehr  Paradoxes,  diese  Bemühungen,  die 
Leute,  die  früher  die  Kunst  machten,  zu  be- 
wundern und  gleichzeitig  die,  die  sie  jetzt 
machen,  zu  verachten.  — 

Es  ist  das  ja  ein  Laster,  dem  seit  Jahrhun- 
derten, seit  den  Tagen  der  Renaissance,  die 
gesamte  Menschheit  mit  immer  neuer  Wollust 
zu  erliegen  scheint.  Von  dem  Tage  an,  da  der 
römische  Boden  die  erste  Antike  wieder  von 
sich  gab  und  dieser  Fund  einen  Glücksrausch 
in  allen  kunstempfänglichen  Gemütern  entzün- 
dede,  von  dem  Tage  an,  da  man  einem  Bild- 
hauer zujubelte,  weil  er  ein  der  Antike  wür- 
diges ,  ein  mit  den  Antiken  verwechselbares 
Werk  geschaffen  hatte,  war  alle  gegenwärtige 
Kunst  nur  noch  Schatten  einer  großen,  unwie- 
derbringlichen Vergangenheit.  Wenn  Brandi 
von  der  Renaissance  auch  noch  schreiben  kann  : 


KRICII  BÜTTXIvR     BERLIN.  l'.lI.liNI-^  .AKXM  Hui,/     r.'ir, 


Die  Suggestion  der  AntiijuHät. 


„Daß  die  Baumeister  genau  so  wie  die  Huma- 
nisten sich  mit  Unrecht  einbildeten,  in  ihren 
Werken  recht  antik  zu  sein ,  darf  uns  nicht 
stören.  Das  Beste  mußten  sie  doch  fort  und 
fort  aus  sich  nehmen,  und  die  Antike  war  ihnen 
nicht  mehr  als  ein  guter  Lehrer,  der  ein  Talent 
zur  vollen  Entfaltung  bringt,  das  ohne  ihn  viel- 
leicht verwildert  wäre",  so  war  für  die  Wert- 
schätzung dieser  Kunst  doch  nicht  maßgebend 
das  Selbständig-Persönliche,  sondern  jene  vor- 
gebliche Verwandtschaft  mit  der  Antike.  Der 
Künstler  galt  als  der  größte,  der  diesem  — 
wirklichen  oder  eingebildeten  —  Vergangen- 
heitsideal am  nächsten  zu  kommen  schien.  Und 
diese  Stimmungstendenz,  angefacht  von  Leuten 
mit  so  gewalligem  Einfluß  auf  die  Geisteswelt 
wie  Mengs,  wie  Winkelmann,  Goethe  und  so 
viele  andere,  mußte  von  Jahrzehnt  zu  Jahr- 
zehnt, von  Jahrhundert  zu  Jahrhundert  ins  Un- 
ermeßliche wachsen.  Ohnmächtig,  erdrückt  von 
diesem  Erbe,  saß  die  Künstler-Generation  nach 
Goethe,  die  Bruderschaft  der  Nazarener,  die 
Overbeck,  Schadow,  Veit,  Cornelius  usw.  in 
den  römischen  Osterien  und  es  war  selbstver- 
ständlich, daß  in  der  Folge  der  Bürger  zu  einer 
grenzenlosen  Geringschätzung  alles  gegenwär- 
tigen Schaffens  im  Vergleich  zu  der  Kunst  der 
Alten  kommen  mußte.  Zugegeben,  daß  nach 
Rembrandt,  nach  Michelangelo,  nach  der  Anti- 
gone  oder  der  Statue  des  Chertihotep  nichts 
mehr  von  der  gleichen  Vollkommenheit  ent- 
standen ist,  das  berechtigt  doch  noch  lange 
nicht  jede  Gleichgültigkeit  aus  alter  Zeit  über 
alles,  was  heute  an  Kunst  gemacht  wird,  zu 
stellen.  Für  Menschen  mit  einem  Minimum  von 
künstlerischem  Empfinden  ist  es  selbstverständ- 
lich, daß  keine  der  unzähligen  Porträts  der 
deutschen  Barockmaler:  der  Sandrart,  Stech, 
Schulz,  Scheits,  Denner,  Prugger,  Kupetzky, 
Manjoki  und  wie  sie  noch  alle  heißen  mögen 
auch  nur  im  Enferntesten  heranzureichen  ver- 
mag an  irgend  ein  Porträt  von  Liebermann  oder 
Munch;  aber  ich  glaube,  man  könnte  hundert 
gegen  eins  wetten,  daß  das  Durchschnitts- 
Publikum  bei  der  Wahl  zwischen  einem  solchen 
alten  Bildnis,  gar  einem  Niederländer  oder  einem 
Italiener,  und  diesen  modernen  Porträts  sich 
aus  diesem  antiquarischen  Trieb  heraus  gegen 
den  Liebermann  und  gegen  den  Munch  ent- 
scheiden würde.  In  Künstlerkreisen  hat  man 
sich  von  diesem  Bann,  der  lähmend  auf  allem 
Schaffen  lag,  der  uns  in  den  70er  und  80er 
Jahren  die  modernen  Großstädte  mit  gotisie- 
renden Fabrikkasernen  und  dergleichen  Scheuß- 
lichkeiten brachte,  bereits  zu  emanzipieren  be- 
gonnen. Man  steht  dem  alten  wie  dem  neuen 
Schaffen  kritisch  gegenüber,  schätzt  einen  Hals, 


einen  Grecco,  einen  gotischen  Glasmaler,  weiß, 
daß  Guido  Reni  ein  flauer  Routinier  gewesen 
und  wagt  es  sogar  gewisse  Kompositionen  von 
Raphael  als  „affektiert"  abzulehnen  (Scheffler). 
Allein  die  große  Masse  bleibt  nach  wie  vor 
vergangenheitsgläubig.  Auch  bei  diesem  Gegen- 
satz von  alter  und  neuer  Produktion  ist  ihr  der 
künstlerische  Gehalt  im  Grunde  genommen 
gleichgültig.  Sie  bevorzugt,  sie  schätzt  und  ver- 
ehrt das  Alte,  weil  es  alt  ist.  Sie  nimmt  dieser 
Altertümlichkeit  zuliebe  sogar  mit  großen  Un- 
zweckmäßigkeiten  und  Unbequemlichkeiten 
vorlieb,  wie  jeder  Innendekorateur  und  jeder 
Möbelfabrikant  bestätigen  wird,  der  Leute 
einmal  „stilvoll"  eingerichtet  hat.  Um  der  Louis 
seize-Konvention  willen  opfert  Madame  bereit- 
willigst allen  möglichen  modernen  Komfort, 
vielleicht  nicht  einmal,  weil  sie  in  der  Seele  ein 
Verlangen  nach  Louis  seize-Formen  trägt,  son- 
dern weil  sie  weiß  oder  gehört  hat,  daß  Louis 
seize  der  Stil  der  feinen  Leute,  der  Stil  ehe- 
maliger Könige  gewesen  und  weil  es  der  natür- 
liche Ehrgeiz  aller  arrivierten  Bourgeois-Mada- 
mes  ist,  um  sich  herum  einen  königlichen  Rah- 
men zu  spannen.  Daß  dies  Verlangen  nach 
Louis  seize  in  vielen  Fällen  gar  nicht  auf  einem 
bestimmten  Bedürfnis  und  ebensowenig  auf 
festgegründeten  Anschauungen  basiert,  beweist 
die  von  so  vielen  modernen  Innendekorateuren 
berichtete  Anekdote,  daß,  wenn  Leute  zu  ihnen 
kamen  mit  dem  Wunsch  nach  einem  Louis 
seize  Boudoir  oder  einem  Louis  seize  Salon, 
sie  ihnen  als  kulante  Kaufleute  „das  modernste 
Louis  seize,  was  man  eben  hat"  versprachen 
und  ihnen  dann  einen  modernen  kunstgewerb- 
lichen Raum,  der  vielleicht  nicht  allzu  starr  in 
der  Linienführung  und  nicht  allzu  grell  im  Ko- 
lorit war,  lieferten,  womit  der  Louis  seize  Ein- 
bildung durchaus  genügt  war. 

Derlei  Vorfälle  gestatteten  den  Schluß,  daß 
diese  scheinbar  so  lohende  Liebe  zur  alten 
Kunst  bei  einem  nicht  unbeträchtlichen  Teil  des 
Publikums  nicht  auf  ästhetischen  Einsichten 
beruht ,  sondern  daß  diese  Begeisterung  aus 
ganz  anderen  Quellen  fließt.  Gibt  man  zu  — 
und  ich  wüßte  nicht,  wie  man  das  leugnen 
wollte  —  daß  eine  Truhe,  ein  Brokat,  eine 
Miniatur,  ein  Bild  aus  irgend  einem  früheren 
Jahrhundert  von  zahllosen  dieser  Antiquitäten- 
schwärmer kaum  eines  Blickes  gewürdigt  würde, 
wenn  man  sie  ihnen  als  das  Werk  eines  heute 
Lebenden  vorlegte,  so  ist  es  nicht  mehr  mög- 
lich die  These  zu  bestreiten,  daß  dieser  (nicht 
kleine)  Teil  des  Publikums  selbst  da ,  wo  er 
eine  so  heftige  Leidenschaft  für  Kunst  vorzu- 
geben pflegt,  seine  Befriedigung  an  etwas  findet, 
was  mit  der  Kunst  eigentlich  nichts  zu  tun  hat.  — 


^<J^1  H  ^^ 


c- 


FRAU  LILI.I  TERSTEGEN  — MÜNCHEN. 


»HAUSKLEID  AUS  WÜISSEM  WuLLFRIESi 


MODE-ENTWÜRFE. 

ZU  DEM  WETTBEWERBE  DES  MODEBUNDES  SITZ  FRANKFURT  A.  M. 


Das  Modebild  begibt  sich  seiner  Hauptwir- 
kungskraft, wenn  es  nur  Wirklichkeitswert 
anstrebt.  Es  muß,  um  seine  künstlerische  Mis- 
sion zu  erfüllen  und  volle  Propagandakraft  zu 
erreichen,  mit  stärkeren  Reizen  arbeiten,  auch 
wenn  sie  dergestalt  garnicht  verwirklicht  wer- 
den können.  Das  Modebild  eilt  also  der  zeit- 
lichen Entwicklung  voraus  und  darf  daher  an 
das  Einbildungsvermögen  der  Betrachter  weit- 
gehende Anforderungen  stellen.  Ja,  es  wird 
sogar  um  so  sympathischer  empfangen  werden, 
je  höher  es  die  Phantasie  der  Interessenten 
einschätzt.  Dann  sehen  sich  die  Kreise,  an  die 
sich  das  Modebild  wendet,  als  vollwertig,  als 
kunstverständig  und  geschmackssicher  genom- 
men und  werden  alles  aufbieten,  diese  Ein- 
schätzung zu  rechtfertigen.  Und  die  Frau  ist  ja 
gerade  zu  einer  quecksilberschnellen  Steigerung 
ihrer  Kräfte  und  ihrer  Fähigkeiten  bereit,  wenn 
sie  psychisch  dazu  angeregt  wird. 

Das  Modebild  soll  also  den  Anreiz  geben. 
Es  wird  dabei  die  Charakteristika  einer  kom- 
menden  Mode   recht   deutlich,    recht  reizvoll 


unterstreichen.  Nur  v/enn  schlummernde  Wün- 
sche und  ungenützte  Schöpferkräfte  dadurch 
geweckt  werden,  erfüllt  es  seinen  Zweck,  nicht 
etwa  durch  schulmeisterliches  Vorschreiben 
aller  Schnitte  und  Nähte;  das  Technische  muß 
jede  Schneiderin  schon  können.  Solche  geschul- 
ten Kräfte  vermögen  dank  der  ihnen  in  die  Hand 
gegebenen  schöpferischen  Anregung  jene  unter- 
geordneten Einzelfragen  des  Schnitts  und  der 
Anpassung  für  jeden  Spezialfall  spielend  leicht 
zu  bewältigen.  Denn  umgekehrt,  aus  Schnitt- 
mustern und  Formlappen  entsteht  nie  ein  trag- 
bares Kleid,  immer  nur  etwas  Geschneidertes. 
Was  man  den  durch  das  Preisausschreiben 
des  Frankfurier  Modebunds  zutage  geförderten 
Entwürfen  jedenfalls  schon  nachrühmen  kann, 
ist  weniger  die  verblüffende  Wirkung  der  ein- 
zelnen Skizze,  als  vielmehr  diese  Parallelität 
in  den  Absichten,  die  der  Gesamtheit  der  Er- 
scheinungen erst  das  spezifisch  Modegemäße 
gibt.  So  weit  dieser  Vortrupp  der  Künstler  auch 
dem  breiteren  Troß  des  Publikums  vorauseilen 
und  wagemutig  ausschwärmen  muß,    die   Ein- 


Mode-Enhvürfe. 


zelnen  bleiben  doch  in  Fühlung  miteinander, 
sind  sich  der  Zusammengehörigkeit  stets  be- 
wußt. Das  ist  natürhch  nicht  von  gestern  auf 
heute  so  zielbewußt  geworden.  Man  muß  viel- 
mehr annehmen,  daß  diese  Einheitlichkeit  zu 
danken  ist  der  durch  ihre  Unaufdringlichkeit 
gerade  so  sympathischen  Wirksamkeit  des 
Modebunds.  Denn  ohne  dessen  großzügige,  noch 
ganz  unsubstantielle  Direktiven  können  auch 
die  talentvollsten  Künstler,  wenn  sie  da  und 
dort  sich  noch  so  sehr  einsetzen,  keine  Mode 
machen,  ja  die  verschiedenen  Bemühungen  wer- 
den sich  gegenseitig  geradezu  aufheben.  Mode 
ist  bedingt  nicht  allein  durch  schöpferische  Kraft 
u.  Fähigkeiten,  son- 
dern fast  noch  mehr 
durch  die  Bereit- 
schaft zur  Einfüg- 
ung, ja  zur  Unter- 
ordnung unter  den 
Willen  der  Gesamt- 
heit. —  Beides  läßt 
sich  nicht  erzwin- 
gen. Und  deshalb 
will  der  Modebund 
auch  nicht  als  Ge- 
schmacksdiktatur 
aufgefaßt  werden, 
höchstens  als  eine 
Art  Zensur,  die  — 
es  kann  nicht  oft 
genug  gesagt  wer- 
den —  möglichst 
unmerklich  ihre 
Wirksamkeit  aus- 
zuüben hat,  indem 
sie  Irrungen  vor- 
beugtund  Fehlgriffe 
verhindert.  Viele 
Hände  sind  an  der 
Arbeit ,  nicht  alle 
Köpfe  erkennen 
klar  genug  das  ge- 
meinsameZiel.  Des- 
halb bedarf  es  auch 
hier  organisierter 
Arbeit.  —  Denn 
schließlich  ist,  so 
belanglos  dieses 
Symptom  auch  vor- 
erst noch  sein  mag, 
selbst  die  neue 
Modebewegung  ein 
Zeichen  des  Ge- 
meinschaftsgefühls 
unserer  Zeit 

W.  MÜLLER-WULCKOW. 


S' 


FRAU  LILLI  TERSTEGEN.  «SCHLAFROCK  MIT  STICKEREI  UND  l'ELZ. 


vollen  Schmuck  zu  tragen,  geht  rapid  dem 
Verfall  entgegen.  Man  kauft  Brillanten  und 
teure  Steine,  aber  nur  die  ältere  Frau  hat  manch- 
mal noch  die  Ruhe,  sie  würdevoll  zu  tragen. 
Der  Reichtum  wird  zur  Schau  gestellt,  doch  nur 
in  den  allerseltensten  Fällen  gehen  die  Ringe, 
Hänger,  Reifen  eine  organische  Verbindung  ein 
mit  dem  Kleid  und  dem  Menschen.  Die  Mode 
hat  alles  an  sich  gerissen,  allen  Aufwand,  alle 
Gedanken,  auch  die  Bewegungen  der  Frau.  Das 
wippt  und  stelzt,  tänzelt  und  spielt.  Zu  spiele- 
risch und  zu  gewollt  jugendlich  ist  die  Mode; 
würdiger,  künstlerischer  Schmuck  paßt  in  dieses 
System  nichthinein. 
Wo  soll  die  reiche 
Brosche,  das  Brust- 
gehänge denn  auch 
Platz  finden?  Wo 
sind  die  großen 
Stoff  -  Flächen  als 
Hintergrund?  Jede 
Mode  trägt  den 
Stempel  der  Ver- 
gänglichkeit. Flüch- 
tige Reize  will  sie 
nur  bieten.  Der 
gute,  künstlerische 
Schmuck  dagegen 
will  für  die  Dauer 
sein,  er  ist  vielleicht 
auch  zu  persönlich 
und  eigenartig,  als 
daß  er  sich  dem 
allgemeinen  Mode- 
bild einfügte.  So 
schmückt  man  Gür- 
tel, Hut,  Hals  mit 
leichten  Bändern, 
Knöpfen  und  Fe- 
dern ;  was  an  metal- 
lenen Zutaten  nötig 
ist,  wird  durch  ei- 
nen kleinen  Witz, 
eine  nette  Linie  auf- 
geputzt, das  genügt 
für  den  Stil  des 
Modekleides.  —  Ich 
wage  es  nicht  hier  zu 
prophezeien,  aber 
der  Künstler  wird 
gut  tun,  mehr  der 
Kleinkunst  sich  zu- 
zuwenden ,  denn 
Schmuck  verheißt 
seiner  Mühe  keinen 
guten  Lohn.  . .  a,  v. 


FRAU  IRMA.  FIRI.E     MÜNCHEN. 


»ENTWURFE  ZU  JACKENKLEIDER- 


DIE  BÜHNE  DES  HÄUSLICHEN  LEBENS. 


Eine  eigentümliche  Beobachtung  ist  in  un- 
serm  Wohnwesen  täglich  zu  machen :  Je 
größer  die  Zahl  der  Räume,  je  prunkhafter  die 
Ausstattung,  desto  geringer  pflegt  die  Bewe- 
gungsfreiheit und  die  NutzungsmögUchkeit  für 
den  Bewohner  zu  sein.  Er  wird  zum  Sklaven 
seiner  Möbel.  Diese  teuren  Stoffe,  diepolierten 
Wandflächen,  die  kostbaren  Porzellane  und 
Schnitzereien !  Nichts  soll  man  berühren,  nichts 
aus  seiner  wohlberechnetcn  Stellung  verrücken, 
kaum  wagt  dur  Fuß  auf  die  seidenen  Teppiche 
zu  treten.  —  Muß  es  denn  so  sein?    0  nein! 


Nichts  liegt  im  Wege,  auch  das  Heim  zu  einem 
Festplatz  zu  gestalten,  zu  einer  Bühne  des 
Lebens,  auf  der  häusliche  Spiele  der  Freude, 
der  Schönheit,  heiterer  Laune  ohne  Unterlaß 
sich  folgen.  Das  Leben,  besonders  das  häus- 
liche Leben,  erscheint  der  Mehrzahl  deshalb  so 
nüchtern,  schwer,  öde,  weil  sie  aus  einem  un- 
verzeihlichen Mangel  an  Phantasie  und  geisti- 
ger Elastizität  nicht  über  den  oberflächlichsten 
Sinn  und  Zweck  ihrer  Umgebung  hinaussehen. 
Nur  die  Phantasie  hilft  uns,  Schönheit  wahrzu- 
nehmen, tiefern  Sinn,  Ausdruck,  Beziehungen, 


Die  Bühne  den  liäualichen  Jxbens. 


KiCA.U  LILLI  TERSTEGEN— MÜNCHEN. 


Symbole.  Ohne  Phantasie  kein  höherer  Genuß ! 
Wem  die  Wohnung  nicht  mehr  ist  als  eine  Ge- 
legenheit zum  Wohnen,  Schlafen,  Essen,  Ar- 
beiten, den  wird  sie  eben  anöden,  und  wenn 
ihre  künstlerische  Ausstattung  Hunderttausende 
verschlungen  hat.  Es  darf  nicht  verschwiegen 
werden,  unsere  Raumkunst  hat  sich  bisher 
schwer  versündigt,  indem  sie  die  starre,  nüch- 
terne Auffassung  des  häuslichen  Lebens  nur 
allzu  sehr  gefördert  hat.  Sie  ist  mitverant- 
wortlich für  die  Regie  der  Häuslichkeit,  und 
dieser  Verantwortung  hat  sie  sich  keineswegs 
gewachsen  gezeigt.  Da  ist  ein  Übermaß  an 
Säulen,  Getäfel,  Ein-  und  Umbauten.    Doch  sie 


»HAUSKLEID  IN  WOLLMUSSELIN  UND  SAMTJACKCHEN  . 

dienen  nur  „architektonischen  Zwecken".  Wir 
brauchen  Nischen  und  Lauben,  wo  es  sich  an- 
genehm sitzt  und  plaudert.  Sofort  wird  man 
Lust  haben,  daheim  zu  bleiben  und  zu  plau- 
dern. Welcher  Architekt  hat  daran  gedacht, 
Türen  und  Möbel  so  zu  verteilen,  daß  dem  Fuß 
angenehme  Wege  vorgezeichnet  sind,  daß  sie 
elegante  Wendungen  bezwingen,  daß  sich  die 
Körper  der  Wandelnden  als  Bild  darbieten? 
Die  Wandtäfelung  soll  in  erster  Linie  nicht, 
wie  man  zu  glauben  scheint,  die  Wand  „auf- 
teilen", sondern  den  davor  Stehenden  oder 
SitzendengünstigeHintergründeundRahmungen 
darbieten.  Schafft  Sitz-  und  Ruhegelegenheiten, 


Die  Bühne  des  häuslichen  Lebens. 


FRAU  ST.  NATHAN— BERLIN.    .WEISSER  ROCK,  GRUNSEIUENE  TAILLE  U.  ÜBERWURF  MIT  ROTEM  MUSTER« 


die  nicht  bloß  bequem  sind,  sondern  auch  eine 
dem  Auge  erfreuliche  Stellung  bedingen!  Be- 
sonders die  Frau  wird  dafür  sehr  empfänglich 
sein  und  den  Künstler  loben,  der  ihre  Schön- 
heit ins  rechte  Licht  zu  setzen  vermochte.  Die 
eine  wird  Polster  und  Schemel  lieben,  eine  an- 
dere Hochsitze,  Treppenstufen  oder  langge- 
streckte Ruhesessel.  Kein  Architekt  dürfte 
sich  sträuben,  so  interessante  Geräte  zur  Be- 
reicherung seiner  Raumbilder  zu  erhalten.  Das 
häusliche  Leben  braucht  aber  noch  mehr  sol- 
cher Requisiten:  Vorhänge  zum  Teilen  langer 
Räume,  zum  Abtrennen  von  Nischen,  Schleier 
zum  Dämpfen,  Winkel  zum  Verstecken,  Schran- 


ken, Geländer.  Laßt  die  Schaukel,  das  schönste 
Requisit  der  Schäferspiele,  wieder  schwingen! 
Erlöst  sie  von  ihrer  entwürdigenden  Rolle  als 
Turngerät!  Und  wie  jämmerlich  erstarrt  sind 
die  Beleuchtungskünste!  Was  ließ  sich  allein 
für  ein  reizender  Zauber  aufführen  mit  der 
wandelnden  Kerze,  mit  den  verstellbaren 
Schirmchen!  Jedes  Licht  ist  natürlicher  Sam- 
melpunkt für  eine  Gruppe;  es  gruppiert,  indem 
es  in  Hell  und  Dunkel  scheidet,  es  läßt  Züge 
geheimnisvoll  autleuchten  und  verschwinden. 
Diese  Enthüllungen,  Deutungen,  Verdunke- 
lungen sind  so  reizvoll  und  anregend,  wie  die 
Unterhaltungen,  die  sie  hervorrufen,  während 


Die  Bühie  des  häuslichen  Lebens. 


FRAU   LILLI  REICH      11EK1.1> 


die  grelle  Beleuchtung  der  vieltausendkerzigen 
Kronen  nichts  erzeugt  als  eine  künstliche, 
marmorne  Erstarrung. 

Der  Spiegel  ist  der  Frau  ein  vertrauterFreund 
und  Spielgenosse.  Der  Architekt  soll  ihn  darum 
nicht  wie  ein  Stück  Tapete  ankleben,  wo  seine 
Architektur  gerade  zufällig  eine  Lücke  ließ. 
Der  Spiegel  ist  für  einen  Lückenbüßer  viel  zu 
schade.    Baut  ihm  Nischen,  Wände  ! 

Selbst  in  der  luxuriösesten  Wohnung  fehlt 
es  allenthalben  an  Spielgerät.  Man  hat  viel- 
leicht einen  Kartentisch  im  Herrenzimmer, 
einen  Flügel  im  Musikraum.  Alles  übrige  mußte 
sich  ins  Kinderzimmer  zurückziehen,  denn  wir 


XX.  Februar  1917.  5 


Erwachsenen  sind  zum  Spielen  doch  zu  ernst! 
Und  wie  leicht  könnte  den  teuren  Sachen  was 
geschehen !  Dabei  verstehen  es  die  Wenigsten, 
um  ihren  Flügel  einen  wirklich  stimmungsvollen 
Musikraum  herumzubauen.  Mit  dem  vielbe- 
liebten Grammophon  ist  es  ebenso.  Es  steht 
blöd  und  starr  in  seiner  Ecke,  wo  gerade  Platz 
war.  Von  Verständnis  für  seine  eigenartige 
Rolle  keine  Spur!  Warum  errichten  wir  ihm 
nicht  einen  Tempel  oder  die  Andeutung  eines 
Tempels,  und  ein  Tanzplätzchen  dazu?  Die 
Hausaltäre  sind  verschwunden,  aber  Räume 
der  Sammlung,  des  Kunstgenusses  haben  sie 
nicht  ersetzt.    Wißt  ihr,  warum  auch  Verwöhn- 


337 


WIENER  WERKSTÄTTE.  -THEATER-KOSTÜME  FÜR  BUDAPEST. 


WIENER  WERKSTÄTTE.  .THEATER-KOSTÜME  FÜR  BUDAPEST. 


Die  Bühne  des  häuslichen  Lebens. 


tere  das  Kino  lieben?  Es  ist  die  Verdunkelung, 
das  Sitzen  in  den  Logen!  Dunkelräume  für 
Stimmung  und  Sammlung  könnten  wir  aber 
wahrhaftig  auch  zuhause  schaffen.  Wir  wollen 
spielen,  eintauchen  in  die  Rolle,  die  uns  in  dem 
Stück  „Häusliches  Leben"  mit  seinen  Akten  : 
Kindheit,  Liebe,  Vater  und  Mutter,  Alter  — 
zugewiesen  ist.  Der  alte  Herr  liebt  den  Ohren- 
stuhl, den  Schlafrock,  Mütze,  Pantoffel,  Fuß- 
kissen, die  lange  Pfeife  nicht  allein  der  Bequem- 
lichkeit wegen.  Sie  helfen  ihm  so  hübsch,  seine 
Rolle  des  geruhsamen  Alters  spielen,  und  darum 


möchte  er  sie  nicht  entbehren.  So  strebt  jeder 
zu  seiner  Rolle.  Macht  das  Spiel  amüsant, 
reich,  schön!  Dazu  ist  die  Wohnung  in  erster 
Linie  da.  „Essen"  kann  ich  auch  im  Gasthaus, 
„arbeiten"  im  Büro,  „schlafen"  im  Hotel.  —  Ich 
beurteile  eine  Wohnung  darnach,  wie  sie  den  Be- 
wohnern dient,  ob  sie  nur  ein  architektonisches 
Schmuckstück  sein  will,  oder  eine  würdige 
Bühne  für  das  Stück  Leben,  das  sich  in  ihr  ab- 
spielt. Und  diese  Entwicklung  möchte  ich  unserm 
Luxus  wünschen,  die  eine  Bereicherung  und  He- 
bung des  häuslichen  Lebens  bringt,    a.  jaumann. 


WIICNER   \VI   KKslAIll  .     Xl  Tl-:  Mnlil   LI  |:  DIR  .M()l)i;AIVH  .1 1.UM 


340 


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ARCHITEKT  DAGOBERT  PECHE-WIEN.  »WANDMALEREI  IM  VERKAUFSRAUM  DER  WIENER  WERKSTÄTTE    WIEN« 


AR(  HITEKT  D.  PECHE- WIEN. 


■  LEUCHTER  UND  SPIEGEL« 


DAGOBERT  PECHE-WIEN. 


Friedrich  Naumann  hat  in  seinem  Standard- 
Werk  „Mittel-Europa",  in  welchem  er  die 
Kräfte  der  verbundenen  Mittelmächte  wägt  und 
verteilt,  dem  österreichischen  Kunstgewerbe 
eine  hervorragende  Bedeutung  in  dem  künf- 
tigen Wirtschaftsstaat  zugesprochen.  In  Öster- 
reichs klassisch  gebundenem  und  dennoch  phan- 
tasiebeschwingtem Stil  sieht  er  die  glücklichste 
Harmonie,  weil  Typus  und  Individualistik  sich 
darin  die  Wage  halten.  Zu  den  interessantesten 
Künstlern  dieser  Art  muß  Dagobert  Peche  ge- 
zählt werden.  Dieser  der  jungen  Generation 
gehörende  Architekt  ist  eine  stark  umrissene 
Persönlichkeit.  Seine  Charakteristik:  seltsame 
Bewegtheit.  Peche  lenkte  in  der  Tapeten- 
Ausstellung  des  österreichischen  Museums 
(Winter  1914)  zum  ersten  Mal  die  Aufmerk- 
samkeit auf  sich  durch  die  übertriebene  Dyna- 
mik seiner  Formen.  Man  hätte  diese  Stühle, 
Tische,  Kanapees  expressionistisch  oder  futu- 
risch nennen  können.    Denn  der  junge  Künstler 


verschmähte  es  dort  einzusetzen,  wo  die  abge- 
klärte Entwicklung  der  führenden  Stil-Meister 
bereits  Typen  schaffend  angelangt  war.  Er 
lebte  seine  eigene  Sturm-  und  Drang-Periode 
durch,  wie  einst  die  Älteren  den  Jugend-Stil. 
Damit  aber  wurde  ihm  auch  die  Kraft  als  ein 
Eigener  sich  allmählich  zu  bändigen.  Er  steht 
trotz  seines  starken  Kontrastes  zu  der  klassi- 
schen Abgewogenheit  des  österreichischen  Stil- 
gefühls dennoch  im  tiefen  Zusammenhang  mit 
dem  reichen  Erlebnis  der  Hoffmann  -  Schule. 
Und  Hoffmann  war  es,  der  jetzt,  weil  Architekt 
Wimmer  als  Leiter  der  Mode-Abteilung  zu  sehr 
in  Anspruch  genommen  ist,  sich  als  zweite  für 
die  Wiener  Werkstätte  schaffende  dekorative 
Kraft  Dagobert  Peche  wählte.  Es  schien  ihm 
wertvoll,  die  barocke  Note  einer  leidenschaft- 
lich bewegten  Phantasie  seiner  eigenen  monu- 
mentalen Art  entgegenzustellen,  um  dadurch 
Spannungen  der  Polarität  Zugewinnen,  die  kein 
Zur-Ruhe-kommen    gestatten.      Schon    in   der 


Daoobert  Peche -Wien. 


ARCHITEKT  DAGOHERT  PECHE— WIEN. 

Werkbund-Ausstellung  zu  Köln  erregten  die 
Glasfenster  dieses  Künstlers  das  allgemeine 
Interesse.  Ganz  aber  fand  sich  Peche  zum  ersten 
Mal,  als  er  im  vorigen  Jahr  die  große  Wiener 
Mode -Ausstellung  räumlich  gestalten  durfte. 
Die  Leser  dieser  Zeitschrift 
kennen  aus  Abbildungen 
die  poetische  ,  sensitive 
Stimmung  in  der  der  Innen- 
Dekorateur  den  Duft  von 
Frauenmode  einfing.  Zärt- 
lichkeit ist  ja  eine  der  Leit- 
gefühle, die  Peches  Linie 
ihre  bewegte  Kurve  gibt. 
Und  aus  dieser  Linie  spricht 
im  letzten,  geheimsten  Ge- 
ständnis der  Gotiker,  der 
wie  überall  hinter  dem  ge- 
lösten, leidenschaftlichen 
Sein  des  Barocks  aufer- 
steht. —  Und  auch  der 
Flammen-Stil  Peches  kennt 
den  Sang  der  unerwarte- 
ten Farben  -  Harmonien. 
Der  neuen  Stoffniederlage 
der  Wiener  Werkstätte 
prägt  Dagobert  Peches 
Phantasie  in  Geweben  und 
Spitzen  einen  intensiven, 
beschwingten  Stil.  Er  ist 
der  Künstler  des  unwieder- 
holbaren  Einfalls;  er  ist 
aber  auch  der  von  Joseph 
Hoffmann  erzogene  tekto- 
nisch  durchgebildete  Ord- 
ner, der  den  Überschwang 
seines  Rhythmus  zu  däm- 
men weiß.     B    ZUCKEKKANDL,  1  lAGi  )HERT  l'ECHE 


-ÜObEN  IN'  SILBER  MIT  MOOSACHAT. 

VOM  STILLEBEN.  Das  klassische  Volk  des 
Stillebens  sind  die  Niederländer.  Und  erst 
von  der  niederländischen  Blüte  des  Stillebens 
aus  hat  sich  dieses  auf  dem  Wege  des  Völker- 
verkehrs die  Welt  erobert.  —  Auch  die  Nieder- 
länder freilich  haben  das 
Stilleben  nicht  erfunden. 
Dieses  ist  vielmehr  uralt. 
Schon  die  alten  Griechen 
haben  es  gekannt,  und  es 
sind  uns  auch  antike  Still- 
leben erhalten  geblieben. 
Ein  Fischstilleben  aus  der 
Markthalle  von  Pompeji 
sei  genannt  und  ein  Stiil- 
leben  aus  Büchern, Schreib- 
zeug und  Rollen,  das  eben- 
falls in  Pompeji  in  einem 
Privathause  zum  Vorschein 
gekommen  ist.  —  Nach 
dem  Untergang  der  grie- 
chisch-römischen Welt  ge- 
riet das  Stilleben  wohl  et- 
was in  Vergessenheit.  Das 
Mittelalter  hatte  für  das 
beschauliche  Betrachten 
der  irdischen  Umwelt  nur 
wenig  übrig.  Es  lebte  und 
dachte  in  Begriffen  und 
Symbolen.  Erst  Franz  von 
Assisi  hatte  wieder  ein 
Gefühl  für  die  Natur.  Ihm 
war  sie  nicht  mehr  ein 
Werk  des  Satans,  nur  ge- 
schaffen, um  denMenschen 
in  Versuchung  zu  führen, 
ihm  war  sie  wieder  etwas 
■lEEDosE  iNMi-HEK       Nahcs  uud  Vertrautcs.    Er 


Vom  Stilleben. 


DAGOBERT  PECHE- WIEN. 

sprach  zu  den  Vögeln  wie  zu  Menschen,  und 
die  Blumen  waren  seine  lieben  Freunde.  Aber 
bis  solche  naturinnigen  Gedanken  des  heiligen 
Franz  (der  1226  starb)  Allgemeingut  der  Mensch- 
heit wurden ,  verging  lange  Zeit.  Immerhin 
sehen  wir  im  15.  Jahrhundert,  auch  hier  und 
da  schon  früher,  wie  die  nordischen  Maler,  am 
meisten  die  von  Köln,  auf  ihren  Heiligen-Bildern 
mit  einer  besonderen  Liebe  den  Gräsern,  den 


BROSCHEN  IN  ELFENBEIN 

Blüten,  den  Steinchen,  den  Ästen  und  Zweigen 
und  Blättern  nachgehen. 

Daß  wir  diese  Beobachtung  gerade  im  ger- 
manischen Norden  machen,  ist  nicht  auffällig. 
Es  entspricht  das  der  Liebe  zum  Einzelnen, 
Kleinen,  oft  Unscheinbaren,  die  ein  allgemeiner 
Wesenszug  der  nordischen  germanischen  Kunst 
ist.  Intensives  Sichversenken  in  die  intimen 
Schönheiten   irgend   eines  harmlosen  Wesens 


DAGOBERT  PECHE-WIEN.  »ANHÄNGER  IN  ELFENBEIN.  WIENER  WERKSTÄTTE. 


345 


Vom  Stilleben. 


DAGOBERT  PECHE— WIEN. 

oder  Dinges  zeichnete  den  deutschen  wie  den 
niederländischen  Künstler  von  jeher  aus;  nicht 
nur  in  der  Kunst,  in  allem  und  jedem  beseelt 
den  Nordländer  ein  Drang  zum  Besonderen, 
zum  Individuellen,  Charakteristischen.  So  er- 
freute sich  der  Künstler  im  Norden,  in  den 
Niederlanden,  in  Deutschland  und  teilweise 
auch  in  Frankreich,  bereits  zu  einer  Zeit  an  der 
genauen  Schilderung  von  Gräsern  und  Blüten, 
von  Früchten  und  von  den  verschiedenen  Dingen 
des  Alltages,  als  der  Südländer,  besonders  der 


»OSTEK-GEaCHENKE«   P.VFPE  BEMALT. 

Italiener,  an  ihre  Beachtung  noch  nicht  im  ent- 
ferntesten dachte.  Als  der  niederländische 
Maler  Hugo  van  der  Goes  um  das  Jahr  1480 
in  Florenz  eine  Geburt  Christi  ausstellte,  auf 
dem  ein  paar  Blumen  im  Glase  und  im  bunten 
Steinkruge  vorn  am  Rande,  mit  unendlicher 
Liebe  und  Treue  gemalt,  zu  sehen  waren,  er- 
regte das  in  Florenz  ein  ungeheueres  Aufsehen. 
Ein  Bild  zu  malen,  auf  dem  nur  Blumen  darge- 
stellt gewesen  wären,  war  damals  allerdings  völ- 
lig undenkbar.   Aber  wir  sehen  in  den  Blumen 


HArinr.i.Ri  i'i  (  in;,   (isi  i.K-f.i-si  in  \ki     r.\i'i'i  iumali.  \i. 


;i;:   WIINI   !<.  \VI  KKMA  I  I  I 


346 


XX.  Februar  1917.  6 


Vom  Stilleben. 


ARCHITEKT  DAGOBERT  PECHE— WIEN. 


des  Portinari- Altares  von  van  derGoes  die  Ah- 
nen des  späteren  niederländischen  Stillebens. 
Näher  kommen  wir  dem  eigentlichen  Stilleben 
schon  mit  einigen  Arbeiten  unseres  Albrecht 


•SILBERNE  DOSEN«   WIENER  WERKSTATTE. 

Dürer,  Malereien  in  Wasserfarben,  die  ein  Stück 
Erde  mit  einem  Büschel  Gras,  einen  Vogelflügel, 
einzelne  Blumen  und  anderes  darstellen,  auf 
Blättern,  die  nun  nicht  mehr  in  der  Hauptsache 


ARCHITEKT  D.\G.  PECHE.     FRUCHTSCHALE  IN  GETRIEBENEM  SILBER«   WIENER  WERKSTÄTTE. 


349 


Vom  Stilleben. 


D.  PECHE.     DOSE«  KERAMIK  MIT  GOLDDEKOR. 

irgend  einen  anderen,  religiösen 
Stoff  behandeln,  sondern  nichts  als 
eben  nur  diese  unscheinbaren  Ob- 
jekte der  Natur  enthalten.  Aber 
ein  Unterschied  vom  Stilleben  be- 
steht doch.  Die  Blätter  dieser  Art 
waren  für  Dürer  nur  Studien.  Nie- 
mals sah  er  sie  für  fertige  Bilder 
an,  die  einen  Anspruch  darauf  hät- 
ten, öffentlich  gezeigt  und  als  Ge- 
mälde in  den  Handel  gebracht  zu 
werden.  Sie  waren  ihm  nur  ein 
Mittel ,  um  sein  Auge  und  die 
Sicherheit  seinei  Hand  zu  vervoll- 
kommnen, waren  Mittel  zum  Zweck, 
nicht  Selbstzweck.  Das  eigentliche 
Stilleben  aber,  das,  was  wir  heute 
so  benennen,  ist  durchaus  Selbst- 
zweck. —  Das  wurde  es  bei  den 
Niederländern.  Auch  hier  nicht  von 
heute  auf  morgen,  sondern  in  einer 
allmählichen  Entwicklung.  Den  Aus- 
gangspunkt bildeten  notwendig 
solche  religiösen  Bilder,  auf  denen 
Früchte,  Geräte,  Blumen  von  der 
Situation  gefordert  wurden,  wie 
etwa  bei  der  Hochzeit  zu  Kanaa, 


Noahs  Dankopfer,  oder  bei  der 
Schlußszene  aus  der  Geschich- 
te vom  verlorenen  Sohn,  die 
das  dem  Heimgekehrten  zu 
Ehren  gefeierte  Festmahl  schil- 
dert. Auf  solchen  Bildern  nahm 
allmählich  die  Ausmalung  der 
Stillebenelemente  einen  immer 
größeren  Raum  ein,  die  reli- 
giöse Szene  wurde  immer  mehr 
in  den  Hintergrund  gedrängt, 
schließlich  blieb  nur  noch  ir- 
gend eine  der  Personen  übrig, 
oft  genug  eine  für  die  Ge- 
schichte sehr  gleichgültige;  eine 
Köchin,  ein  Bauer  in  der  Tracht 
ihres  Alltages,  bis  dann  eines 
Tages  auch  diese  fortfiel  —  und 
damit  war  das  Stilleben  ge- 
boren. —  Daß  diese  Ausbil- 
dung des  Stillebens  nun' ge- 
rade bei  den  Niederländern 
erfolgte,  hatte  seine  tieferen 
Gründe.  Einmal  war  bei  ihnen 
jener  allgemein  germanische 
Hang  zur  ruhigen  und  liebe- 


AkcHIl     liM.olIKl    l'lclll       \M1  i\        1"J>I 


Vom  Stilleben. 


DAG.  PECHE.    »DOSr..    KI".K.\MIK  MIT  C;(IL1J. 

vollen  Betrachtung  einer  an- 
spruchslosen Umgebung  beson- 
ders deutlich  ausgeprägt.  Dazu 
war  das  Volk  relativ  wohlhabend 
und  einem  frohen  Genießen  der 
irdischen  Güter  zugetan.  Gut 
Essen  und  Trinken  war  für  sie 
nichts  Gleichgültiges,  ein  Glas 
Wein,  ein  tüchtiger  Braten,  ge- 
sottene Krebse ,  prangendes 
Obst  —  das  sahen  sie  gern  auf 
ihrem  Tisch.  Kein  Wunder,  daß 
sie  es  auch  gern  geraalt  sahen. 
Und  schließlich  hatten  die  Nie- 
derländer —  darin  einzig  den 
Venezianern  zu  vergleichen  — 
ein  besonders  fein  ausgebildetes 
Farbengefühl,  sie  waren  Kolo- 
risten,  die  ihre  Farben  bis  aufs 
äußerste  und  feinste  auszunut- 
zen verstanden.  Natürlich  such- 
ten sich  also  die  niederländi- 
schen Maler,  nachdem  der  Zwang 
des  religiösen  Bildes  einmal  ge- 
brochen war,  für  ihre  Gemälde 
solche  Stoffe  zum  Vorbild,  an 


denen  sie  ihre  Stärke ,  eben  die 
Farbe,  am  deutlichsten  beweisen 
konnten.  Was  aber  war  da  geeig- 
neter als  Blumen,  Früchte,  buntes 
Geschirr,  schillernde  Vogelfedern, 
seidige  Tierfelle,  Gläser,  in  denen 
das  Licht  reflektiert  wird,  Wein, 
der  durch  grüne  Römer  schimmert 
u.  a.  Alle  diese  Tatsachen  kamen 
zusammen,  um  den  Niederländer 
zum  klassischen  Stillebenmaler  zu 
machen.  Es  genügt,  die  Namen  Jan 
Wenix  d.J,  Franz  Snyders,Davidsz 
de  Heem,  Heda  zu  nennen.  —  Von 
den  Niederlanden  aus  nahm  nun 
das  Stilleben  seinen  Weg  über  ganz 
Europa.  Es  fand  bei  den  einzelnen 
Völkern  eine  sehr  verschiedene 
Aufnahme,  je  nach  dem  Tempera- 
ment und  den  künstlerischen  Idea- 
len. Daß  es  im  stammverwandten 
Deutschland  ohne  weiteres  Hei- 
matsrecht gewann ,  versteht  sich 
von  selbst.  Freilich  können  wir 
dem  Heere  hervorragender  nieder- 
ländischer Stillebenmaler  für  das 
17.  Jahrhundert  nur  wenige  eben- 


ARCHITEKT  D.VGOBERT  PECHE  -WIEN.   »DOSE  IN  KERAMIK  MIT  REUEFDEKOR« 


/  oyn  Stilleben. 


PROFESSOR  M.  rOWOLNY  -WIEN. 


bürtige  Künstler  gegenüberstellen,  aber  in  mo- 
derner Zeit  haben  wir  einige  ausgezeichnete 
Künstler  des  Stillebens  zu  verzeichnen,  allen 
voran  Charles  Schuch,  aber  auch  Ferdinand 
Waldmüller,  Scholderer,  Kurt  Herrmann  u.  a.  — 
Die  Italiener  haben  von  Hause  aus  eine  sehr 
geringe  Neigung  zum  Stilleben,  ja  man  kann 
sagen,  daß  dieser  Begriff  sich  zum  italienischen 
Wesen  geradezu  gegensätzlich  verhält.  Der 
Italiener  ist  als  Künstler  auf  ganz  andere  Dinge 
eingestellt.  Ihn  interessiert  recht  wenig  das  Un- 
scheinbare, Kleine  und  Einzelne,  sein  Sinn  ist 
auf  das  Große,  das  Gewaltige  und  von  allem 
Zufälligen  Befreite  hingewandt,  für  ihn  ist  alles 
das,  was  sich  der  niederländische  Maler  mit 
Geduld  zu  einem  Stilleben  aufbaut,  nichts  als 
„Kleinkram".  Der  Italiener  hätte  bei  dieser 
Gesinnung  niemals  zum  Erfinder  des  Stillebens 
werden  können,  und  wenn  wir  nun  doch  in  den 


»GL.\SIERTE  OFENKACHEL. 

späteren  Jahrhunderten  der  italienischen  Ma- 
lerei das  Stilleben  auftauchen  sehen,  so  ist  es 
klar,  daß  es  sich  nur  um  eine  Übernahme  aus 
dem  Norden  handeln  kann.  Es  ist  auch  charak- 
teristisch, daß  das  Stilleben  innerhalb  Italiens 
eigentlich  nur  in  Venedig  eine  Pflegestätte  fand, 
in  derjenigen  Stadt  Italiens,  die  dem  Norden 
am  nächsten  lag,  am  ehesten  Einflüssen  von 
dort  offen  stand  und  die  wir  schon  vorhin  als 
den  Niederländern  im  Punkte  der  künstleri- 
schen Ideale  verwandt  bezeichneten. 

Etwas  anderes  war  es  mit  Spanien.  Die 
spanischen  Maler  sind  in  ihrem  Wesen  immer 
eine  eigenartige  Mischung  von  religiöser  Mystik 
und  realistischer  Freude  am  täglichen  Leben 
gewesen.  Der  Trieb  zum  Großartigen,  Erha- 
benen hat  bei  ihnen  nicht,  wie  bei  den  Italienern, 
den  anderen  Trieb  erstickt,  freilich  war  ihrem 
südlichen    Charakter   doch    das    Stilleben    als 


Vom  Stilleben. 


PROFESSOR  M.  POWOLN  Y- WIEN. 

ausschließlicher,  einziger  Inhalt  eines  Bildes 
nicht  interessant  genug.  Dem  Niederländer  ge- 
nügten ein  paar  Blumen  und  Früchte  als  Stoff 
eines  Gemäldes,  der  Spanier  wollte  doch  etwas 
mehr  sehen.  So  nehmen  auf  manchen  Bildern 
des  Velasquez  die  Früchte,  Geräte,  Krüge  zwar 
einen  großen  Raum  ein  und  sind  mit  augen- 
scheinlicher Liebe  gemalt,  aber  stets  hat  Velas- 
quez dazu  einen  Bduern,  einen  Winzerburschen, 
eine  Köchin  gemalt,  damit  das  menschliche 
Element  nicht  ganz  fehle.  Und  ganz  ähnlich  ist 
es  bekanntlich  auch  bei  MuriUo. 

Wieder  anders  steht  der  Franzose  zum  Still- 
leben. Einige  der  bedeutendsten  unter  den 
neueren  Stiilebenmalern  sind  Franzosen,  so 
Chardin,  Courbet,  Manet.  Was  den  modernen 
Franzosen  zu  diesem  Zweige  der  Malerei  ge- 
trieben hat,  ist  nicht  wie  bei  dem  Niederländer 
eine  gewisse  Genießerfreude  am  Dargestellten, 

XX.  Februar  1917.  7 


>GL.\SIERTE  OFENKACHEL: 


auch  nicht  wie  bei  dem  Spanier  eine  ganz  naive 
Teilnahme  an  allem  Realem  gewesen,  sondern 
ein  fast  wissenschaftliches  Interesse  an  gewissen 
optischen  Problemen,  die  der  französische  Maler 
glaubte  am  Stilleben  am  ehesten  zur  Lösung 
bringen  zu  können,  weil  hier  derSloif  ein  relativ 
einfacher  und  unverworrener  ist.  Gerade  weil 
Äpfel  und  Birnen  für  den  Geist  nur  ein  geringes 
Interesse  bieten,  durfte  erhoffen,  bei  ihrer  Be- 
obachtung den  optischen  und  malerischen  Ge- 
setzen, dem  Spiel  des  Lichtes  um  so  schärfer, 
umsokonzentrieternachgehenzukönnen,  durch 
nichts  abgelenkt,  nur  ganz  Beobachter,  „ganz 
Auge."  —  In  diesem  modern  wissenschaftlichen 
Sinne  haben  sich  in  letzter  Zeit  fast  alle  Maler, 
die  das  Stilleben  gelegentlich  oder  ausschließ- 
lich pflegen,  demselben  genähert.  Man  kann 
schwerlich  behaupten,  daß  die  Kunst  dabei  zu 
kurz  gekommen  sei dr.  adolf  behne. 


ERNA  PINNER- 
FRANKFURT M. 
•  GROTESK- 
PUPPE« 


GROTESK-PUPPEN  VON  ERNA  PINNER. 


Es  hat  keinen  Sinn,  erst  darauf  hinzuweisen, 
daß  diese  Arbeiten  keineswegs  die  sehr 
künstlerische  morbide  Geistigkeit  von  Puppen 
der  Lotte  Prilzel  erstreben,  die  ihre  Art  des 
Seins  erst  in  der  Vitrine  erhalten  und  eher  aus 
Stoffen  und  Wachs  errichteten  Plastiken 
eines  unsäglich  verfeinerten  neueren  Barocks 
gleichen.  Die  Puppen  der  Erna  Pinner  — 
gleichweit  entfernt  des  weiteren  von  den  Ent- 
würfen der  Kruse,  die  für  kindliche  Vorstel- 
lung den  Geschmack  eines  künstlerischen  For- 
mats liefert,  weiter  nichts  —  diese  Puppen 
haben  einen  anderen  Sinn.  Denn  sie  haben 
jenen  grotesken  Unterion,  der  sie,  die  Nach- 
bildungen der  Natur  sind  ,  dennoch  über  sie 
hinaushebt.  Sie  sind  in  der  eigentlichsten  und 
ersten  Bedeutung  Puppen  und  haben  doch  ein 
inneres  Lächeln  über  sich  selbst.  Sie  scheinen 
weiter  nichts  als  Menschliches  darzustellen  und 
widersprechen  sich  doch.  In  irgend  einer  Form 
scheinen  sie  Synthesen  aus  dem  Geistigen  der 
Prilzel  und  dem  Formal-Massiven  der  Kruse. 


Sie  sind  kurz  Puppen,  also  Dinge  für  die  Hand 
zum  Zerstreuen,  Kneten,  Arrangieren,  die  man 
liebt,  zerstört  und  verwirft,  Dinge  aus  Material, 
aus  Stoff  ganz  und  gar,  Dinge  einfach  zum 
Spielen,  aber  unter  der  Hand  erhält  dies  all 
schon  seinen  Widersinn.  Aus  dem  spielerischen 
Gegenstand  wird  eine  Sache,  die  mit  uns  spielt. 
So  ist  ihre  Bestimmung  nicht  wie  bei  Lotte 
Pritzel  ein  Erlesenes  für  Connaisseure,  nicht 
andrerseits  ein  geschmackvoll  errichteter  Gegen- 
stand für  Kinder,  es  wird  hier  mit  Menschen 
gerechnet,  die  die  beängstigende  Atmosphäre 
des  widersprechenden  Seins  im  Bilde  sehen 
können.  —  Dastechnische  Geheimnis  grotesker 
Wirkung  dieser  Puppen  liegt  im  Unverhältnis 
von  Körper  und  Gesicht.  Über  sehr  langen, 
stilistisch  wohl  erzogenen  grazilen  Gliedern 
stehen  Köpfe,  einfach  aus  Stoff  gebildet  und 
schematisch  mit  Zügen  übermalt,  fast  alle  gleich 
in  der  Form.  So  haben  sie  eine  neutrale  Ge- 
fühlslosigkeit,  die  den  raschen  Wechsel  sehr 
bewegter    Körperlichkeit    stereotypisch   über- 


iB==ai 


Gyoiesk- Puppen  von  Enm  Pinner. 


dauert.  Dies  Mißverhältnis,  zuerst  scheinbar 
Fehler,  bestürzt  auf  die  Dauer  und  reizt  zu 
neuem  Versuch.  Zu  jeder  Geste,  jeder  Gefühls- 
darstellung des  Gliederhaften  bildet  sich  im 
Gesicht  maskenhaftes  Schweigen,  ein  Verhüllen 
vor  der  Welt,  ein  Desavouieren  der  eigenen 
Situation.  Daher  wird  langsam  das  zuerst  Un- 
charakteristische dann  das  eigentlich  Bedeu- 
tende, der  Akzent,  der  tiefere  Sinn.  —  Dazu 
kommt,  daß  diese  Puppen  im  Grunde  schlicht 
sind,  keine  Überfeinerung  ist  versucht,  keine 
Dekadenz  erstrebt,  nirgends  Drastik  erprobt, 
die  im  Äußeren  hafte.  Man  kann  sagen,  daß 
sie,  nachfühlend  dem  guten  Material,  mit  Ta- 
lent für  den  einfachen  Kontrast  und  mit  Ge- 
schmack im  Künstlerischen  gemacht  seien,  nicht 
mehr.  Denn  ein  Übertreiben  des  äußeren  Rah- 
mens verhüllte  wohl  den  eigentlichen  Sinn,  der 
nicht  aus  dem  Augenblick,  wohl  abi  r  aus  der 


dauernden  Verbindung  mit  den  Puppen,  aus  dem 
Wechsel,  der  Vertrautheit  mit  ihnen  entspringt. 
Die  Industrie  des  Effekts  erkennt  Wirkungs- 
volles bald.  Die  Körner  führt  diese  halblebens- 
groß handgefertigten  Puppen  in  das  Deutsche 
Theater.  Die  Asta  Nielsen  stellt  sie  in  die  Mitte 
eines  Films.  Überall  steht  in  Hitze  und  Leiden- 
schaft dermaskenhaft rätselvolle  KopfderPuppe 
schweigend  neben  dem  Vorgang  und  löst  so  den 
tieferen  Sinn  des  eigentlicii  Grotesken  aus,  der 
im  Einzelnen  und  Primitiven  hier  noch  bedeu- 
tet; Spannungen  hervorzubringen  zwischen  Be- 
wegtem und  Unbewegtem,  zwischen  Geschehen 
und  Stummbleiben  ....  im  Größeren  aber  sym- 
bolischer schon  nichts  anderes  aussagt,  als 
jenes  Lächeln,  das  den  Irrsinn  zwischen  Sein 
und  Schein,  zwischen  Leben  und  Well,  zwischen 
Sinn-  und  Zwecklosigkeit  des  Daseins  tragisch 
anklagend  erhebt kasimir  edscumiu. 


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ENTW.  r.  AUSF.  El 


^KFURT  A.  MAIN.  GROTE.SK-PfPPE     SCHÄFERIN« 


ZUM  60.  GEBURTSTAG  MAX  KLINGER. 

l8.  FEBRUAR   1917. 


Um  Bergesgipfel  herrscht  Stille.  Größe  ver- 
einsamt. Trotz  Freundschaft  und  Frauen- 
gunst ist  Max  Klinger  inmitten  seines  Ruhmes 
ein  Einsamer.  Schon  seine  Art  des  Sprechens, 
das  langsame ,  mühevolle  Hervorstoßen  der 
Worte  verrät  es;  allein  die  Stille  um  ihn  vifird 
erfüllt  von  eigenstem  Leben,  von  stets  wech- 
selnden Gesichten  seiner  Phantasie.  Äußerlich 
einsam,  innerlich  voller  Gestalt ,  lebt  Klinger 
allein  seinem  Werke.  Wer  sein  Haus  betritt, 
das  fern  allem  Getriebe  der  Großstadt  tief  in 
einem  Garten  zurückliegt,  bemerkt  bald  zu 
seiner  Überraschung  :  Hier  waltet  kein  Künstler 
umgeben  vom  Zierat  des  Lebens,  hier  herrscht 
die  Arbeit.  Den  Vorraum  füllen  fast  bis  zur 
Hälfte  hohe  Bücherschränke.  Die  Namen  der 
antiken  und  deutschen  Klassiker  leuchten  uns 
entgegen,  aber  auch  Schopenhauer,  Nietzsche, 
Dehmel,  Hauptmann  lesen  wir  im  Vorüber- 
schreiten. Den  Schmuck  des  großen  Zimmers 
bilden  die  eigenen  Radierungen  des  Meisters 
und  einige  Werke  seinem  Schaffen  verwandter 
Künstler.  Drei  Böcklins,  ein  paar  prachtvolle 
Zeichnungen  Menzels  entdecken  wir  neben 
einigen  kostbaren  Torsen  der  Blütezeit  der 
Antike.  Die  große  Halle,  nach  der  Elster  zu 
gelegen,  die  wir  nun  betreten,  ist  seine  Arbeits- 
stätte. Das  helle  Tageslicht  spielt  über  Mar- 
morblöcke, an  denen  der  Künstler  soeben  ge- 
schaffen, über  Studien  seiner  früheren  Werke. 
Nahe  dem  Fenster  steht  ein  Tisch  mit  dem 
Werkzeug  des  Radierers,  die  Mitte  aber  des 
Raumes  beherrscht  ein  Flügel,  über  den  im 
Durcheinander  Notenblätter  liegen.  Im  Vor- 
übergehen erhaschen  wir  die  Namen  Brahms, 
Mendelssohn.  Doch  in  den  letzten  Jahren  sind 
die  schönsten  Werke  nicht  hier  empfangen  wor- 
den, wo  sie  der  Vollendung  entgegen  reifen ; 
vor  den  Toren  von  Naumburg  auf  einem  Wein- 
berg hat  sich  der  Künstler  ein  Tuskulum  ge- 
schaffen. In  diesem  entlegenen  Winkel  nahte 
ihm  die  Muse,  hier  wurden  die  ersten  Skizzen 
zu  allen  Werken  der  letzten  Jahre  entworfen, 
hier  entstand  der  letzte  große  Zyklus  seiner 
Radierkunst  „Das  Zelt". 

Die  Geschehnisse  dieses  nach  Außen  so 
schlichten  Künstlerlebens  sind  schnell  umrissen. 
In  Leipzig  wurde  der  Künstler  am  18.  Februar 
1857  geboren.  Künstlerische  Eigenschaften  des 
Vaters,  angenehme  äußere  Verhältnisse  gestat- 


teten dem  Frühbegabten  seine  Neigungen  zu 
entfalten.  Die  gute  Schulbildung  des  Thomas- 
gymnasiums legte  den  Grund  für  eine  weltum- 
fassende Allgemeinbildung.  Die  Tradilon  dieser 
Schule  führte  ihn  auch  von  Jugend  an  zur 
Musik.  Nach  vorübergehendem  Aufenthalt  in 
Karlsruhe  (1873)  folgte  Klinger  seinem  Lehrer 
Gussow,  dessen  er  heute  noch  in  Dankbar- 
keit gedenkt,  nach  Berlin  (1875).  Nach  kur- 
zem Verweilen  in  Brüssel  (1879)  zog  es 
ihn  nach  München  (1880).  Nach  einigen  Ber- 
liner Jahren,  in  denen  Klinger  den  Mittelpunkt 
eines  Kreises  junger  Mitstrebenden  bildete 
(1886—1889),  schloß  ein  Aufenthalt  in  Rom 
(1889  —  1893)  seine  Wander-  und  Lehrjahre. 
Hier  im  Süden  fand  er,  ein  echter  Deutscher, 
die  volle  Entfaltung  seiner  eigensten  Art.  Sein 
Atelier,  das  nach  ihm  Otto  Greiner  bis  zum 
Wellkrieg  zu  eigen  hatte,  ließ  ihn  das  ge- 
schlossene Bild  der  ewigen  Stadt  genießen.  In 
Licht  und  Luft  des  Südens  erhält  alles  ge- 
schlossene Form.  Hier  wurde  Klinger  auch  zum 
Plastiker.  Seit  1893  lebt  der  Meister  in  seiner 
Heimatstadt,  aus  der  ihn  kein  noch  so  günstiges 
Angebot  fortlockte;  nur  für  Reisen  nach  Grie- 
chenland, Spanien  und  Italien  verließ  er  sie 
vorübergehend. 

Seine  Werke,  Aufsehen  erregend  seit  seinen 
frühesten  Schöpfungen  der  Radiernadel  und  des 
Pinsels,  sind  allen,  denen  die  Kunst  im  Zeitalter 
der  Technik  nicht  fremd  geworden  ist,  wohl 
bekannt.  In  reichen  Formen  suchte  das  über- 
quellende Innenleben  nach  Ausdruck,  und  zur 
Verkündigung  seiner  Kunst  und  Art  hat  er 
selbst  zur  Feder  gegriffen.  Heut  bedarf  es  dessen 
nicht  mehr.  Der  Radierer,  Maler  und  Plastiker 
Max  Klinger  zählt  zu  den  Großen  unserer  Zeit, 
wird  in  seinen  Werken  für  alle  Zeit  leben. 

Jetzt,  da  der  Meister  vom  Gipfel  seines 
Lebens  den  Abstieg  beginnt,  da  er  die  reiche 
Ernte  seines  Schaffens  birgt,  dürfen  wir  in 
Dankbarkeit  ihm  den  Lorbeer  reichen.  Dem 
Menschen  Klinger  aber  spendet  rote  Rosen, 
die  blühenden  Blumen  des  Lebens,  die  Blumen, 
die  bei  Gelagen  der  Freundschaft  und  der  Liebe 
duften.  Laßt  es  den  Einsamen  fühlen  und  durch 
die  Blume  lehrt  ihn  verstehen,  wie  nahe  er  uns 
trat,  wie  nur  eines  verhinderte,  daß  alle  die 
Liebe  ihn  erreichte,  —  seine  Größe  als  Künstler, 
als  Mensch dr.  robkrt  corwegh- Leipzig. 


PROFESSOR  SASCHA  SCHNEIDER. 
STUDIE  ZU  EINEM  WANDGEMÄLDE  IN  DER  UNIVERSITÄT  JENA. 


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GROSSHERZOG  ERNST  LUDWIG 

ALS  WECKER  UND  FÖRDERER  KÜNSTLERISCHER  BESTREBUNGEN. 
ANLASSLICH  DES  25  JÄHRIGEN  REGIERUNQS-JUBILÄUMS.  13.  MÄRZ  1917. 

Was  wufete  man  in  Deutschland  bis  zum  Schlug  des  neunzehnten  Jahrhunderts 
von  Darmstadt?  Mit  Ausnahme  des  ehemals  befestigten  Stadtschlosses  waren 
bedeutsame  Bauten  nicht  vorhanden,  und  das  Wahrzeichen  der  Stadt,  die  Ludwigssäule, 
eine  Nachbildung  der  Pariser  Vendöme-Säule,  trug  durch  das  Mißverhältnis  ihrer  Maße 
zu  der  Bedeutung  des  braven  Fürsten,  dessen  Kolossalstandbild  sie  krönte,  eher  noch 
dazu  bei,  den  Eindruck  behäbig-eigensinniger  Biedermeierbeschränktheit  zu  verstärken, 
der  dem  Begriff  „Darmstadt"  anhaftete.  Die  schöne,  wahrhaft  großstädtisch  gedachte 
via  triumphalis  vom  Walde  zum  Schloß,  die  Rheinstraße,  erlangte  zwar  in  ganz 
Deutschland  eine  Spezialberühmtheit  —  aber  nicht  ihrer  Großartigkeit,  sondern  ihrer 
Verlassenheit  wegen.  Die  Residenz  am  Großen  Woog  führte  tatsächlich  zwischen 
den  machtvoll  aufstrebenden  Handels-  und  Industriestädten  Frankfurt  und  Mannheim 
und  den  durch  ihre  Altertümer  und  Naturschönheiten  weltberühmten  Städten  Heidelberg, 
Mainz  und  Worms  ein  mehr  als  bescheidenes  Dasein.  Es  stritt  sich  mit  Karlsruhe 
um  den  Preis  der  Langweiligkeit  und  mit  noch  viel  kleineren  Residenzstädten  um 
den  Preis  spießbürgerlicher  Verschlafenheit.  Wohl  hatten  sich  unter  den  Landgrafen 
und  ersten  Großherzögen  einige  mit  Erfolg  bemüht,  hervorragende  Künstler  in  ihrer 
Residenz  heimisch  zu  machen;  aber  die  Bemühungen  dieser  vereinzelten  Persönlich- 
keiten hatten  niemals  lange  nachgewirkt.  Einzig  das  Hoftheater  besaß  seit  den  Zeiten 
Ludwigs  L  eine  gute  Überlieferung,  die  seinen  Ehrgeiz  dermaßen  anspornte,  daß  es 
in  den  siebziger  Jahren  durch  die  prunkvollen  Ausstattungskünste  des  berühmten 
Maschinenmeisters  Brand  großes  Ansehen  in  der  deutschen  Theaterwelt  gewann. 
Der  junge  Großherzog  Ernst  Ludwig  trat  im  Jahre  1892  die  Regierung  an  mit 
dem  festen  Vorsaß,  sein  Hessenland  von  der  Residenz  aus  künstlerisch  zu  befruchten. 
Auch  wenn  seine  Wesensart,  die  ihn  selber  zur  schöpferischen  Betätigung  von  allerlei 
künstlerischen  Liebhabereien  drängte,  ihm  nicht  den  Weg  zur  Kunst  gewiesen  hätte, 
so  würde  ihn  doch  kühl  kluge  Erwägung  darauf  hingeführt  haben,  das  an  Mineral- 
schäßen  und  anderen  Rohprodukten  nicht  reiche  Land  von  dem  aussichtslosen  Wett- 
bewerb mit  den  deutschen  Industriegegenden  abzuhalten  und  dafür  lieber  die  in  der 
Volksart  liegenden  künstlerischen  Instinkte  zu  entwickeln.    Es  kann  wohl  kein  Zufall 


XX.  März  1917.  1 


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sein,  daß  das  Hessenland  fast  gleichzeitig  einige  der  bedeutendsten  Architekten  hervor- 
brachte: Karl  Hofmann,  den  Wormser  Dombaumeister,  Wallot,  den  Erbauer  des 
Reichstagsgebäudes,  den  Berliner  Stadtbaumeister  Hoffmann  und  den  genialen 
Alfred  Messet.  Und  die  bedeutenden  Baumeister,  die  um  die  Jahrhundertwende 
als  Lehrer  an  der  Technischen  Hochschule  wirkten,  wie  Hofmann,  Püt5er,  Wickop  und 
andere,  fanden  gerade  unter  den  geborenen  Hessen  ihre  talentvollsten  Schüler.  Diese 
auffallende  Tatsache  muß  in  einem  inneren  Zusammenhang  stehen  mit  einer  ursprüng- 
lichen Begabung  des  ganzen  Volkes  —  auch  die  Maler  Bracht,  Bantzer,  Peter  Halm, 
Heinz  Heim,  Ludwig  von  Hofmann  entstammen  dem  Hessenland  —  mit  dem  ange- 
borenen Formen-  und  Farbensinn,  der  in  den  Überresten  der  alten  Volkstrachten, 
in  den  bäuerlichen  Behausungen,  in  der  liebevollen  Pflege  kleinkünstlerischer  Haus- 
industrie, wie  z.  B.  der  Elfenbeinschnitjerei  und  Töpferei  im  Odenwald,  und  schließ- 
lich auch  in  der  Tüchtigkeit  des  Handwerks  sich  kundgibt.  Der  junge  Fürst  erkannte 
sehr  wohl,  daß  aus  diesen  Eigenschaften  nicht  nur  zu  flüchtigem  Ruhm,  sondern 
zum  dauernden  Besten  seines  Landes  etwas  Neues  zu  schaffen,  etwas  Bleibendes  aufzu- 
bauen wäre.  Aber  die  Geduldprobe  eines  liebevollen  Ausbaues  alter  Überlieferungen 
sagte  seinem  Temperament  nicht  zu;  ihn  reizte  das  Wagnis.  Und  so  brachte  er  einen 
Gedanken  zur  Ausführung,  den  seit  den  Tagen  Karl  Augusts  von  Weimar  und 
Maximilians  von  Bayern  kein  deutscher  Fürst  mehr  gehabt  hatte.  Er  lud  eine  Anzahl 
von  jungen,  noch  unfertigen,  aber  durch  die  Kundgabe  neuartiger  Absichten  ihm 
aufgefallenen  Künstlern  ein,  in  seiner  Residenz  ihren  Wohnsit5  zu  nehmen  und  hier 
völlig  frei  nach  Herzenslust  zu  schaffen.  Das  war  das  Neue  an  der  Gründung  der 
ersten  Künstlerkolonie  Ernst  Ludwigs,  daß  er  seinen  Erwählten  den  jedem  künstlerisch 
Schaffenden  so  verhaßten  „Zwang  der  Verhältnisse"  aus  dem  Wege  räumte.  Die 
nach  Darmstadt  verpflanzten,  so  verschiedenartigen  Persönlichkeiten  sollten  in  Freiheit 
sich  entwickeln;  sie  sollten  unbeeinflußt  von  dem  Bedürfnis  des  Marktes,  von  den 
Wünschen  ihrer  Auftraggeber,  ja  selbst  unbeeinflußt  von  dem  Geschmack  ihres  fürst- 
lichen Beschüt3ers  den  Eingebungen  ihres  Geistes  folgen  und  als  einzige  Gegen- 
leistung für  die  Gewährung  so  kostbarer  Freiheit  nur  gehalten  sein,  ihre  Entwürfe 
hauptsächlich  von  Darmstädter  Handwerkern  und  Industriellen  ausführen  zu  lassen. 
Die  erste  „Darmstädter  Künstlerkolonie"  bestand  bekanntlich  aus  sieben  Mitgliedern: 
den  Malern  Hans  Christiansen  und  Paul  Bürck,  den  Bildhauern  Rud.  Bosselt 
und  Ludw.  Habich,  den  Architekten  Josef  Olbrich  und  Patriz  Huber  und  endlich 
Peter  Behrens,  der  ursprünglich  Maler  gewesen  war,  aber  sich  zusehends  über 
verschiedene  Arten  der  angewandten  Kunst  hinüber  zum  Architekten  entwickelte. 
Diese  vorläufige  Zusammenstellung  wurde  als  wunderlich  buntscheckig  wohl  vielfach 
bespöttelt,  aber  sie  bildete  doch  in  der  einen  Beziehung  eine  geistige  Einheit, 
daß  jene  Männer  alle  keine  Akademiker  und  alle  von  dem  Ehrgeiz  beseelt  waren, 
etwas  Neues  zu  schaffen  aus  den  Bedürfnissen  und  den  technischen  Möglich- 
keiten der  Zeit  heraus.  Und  das  war  wohl  eben  des  jungen  Großherzogs  treibende 
Idee:  die  Suggestion  der  eigenwilligen  Persönlichkeit  sollte  an  die  Stelle 
des  langsamen  sanften  Zwanges  der  Schule  treten.  Seine  Beobachtung  des 
Lehrbetriebes  unserer  Kunstakademien  und  Gewerbeschulen  hatten  ihn  wohl  zu  der 
Erkenntnis  gebracht,  daß  jenes  leidige  Einmünden  aller  Bestrebungen  zur  Geschmacks- 


362 


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erneuerung  in  die  Nachahmung  längst  historisch  gewordener  Stilperioden  bei  jedem 
obrigkeitlich  festgelegten  Schulbetrieb  schier  unvermeidlich  sei.  Darum  wollte  er  es 
einmal  mit  dem  geraden  Gegenteil  versuchen.  Die  kecke  Tat  und  die  Erfahrungen 
über  ihren  Erfolg  sollten  allein  richtunggebend  sein. 

Neuartig  wie  die  Berufung  so  verschieden  gearteter  werdender  Talente  zu 
selbstherrlichem  Schaffen  war  auch  der,  der  ersten  Ausstellung  dieser  Kolonie  zugrunde 
liegende  Gedanke:  Keine  museumsmäßige  Zurschaustellung  von  Gegenständen,  keine 
Verkaufsstände  wurden  unter  dem  Schlagwort  „Ein  Dokument  deutscher  Kunst"  1901 
vorgeführt.  In  Wirklichkeit  war  es  freilich  nicht  die  deutsche  Kunst,  die  1901  auf 
der  Darmstädter  Mathildenhöhe  zu  sehen  war,  sondern  Persönlichkeitsdokumente  von 
sieben  deutschen  Künstlern,  die  sich  ihre  Häuser  selbst  gebaut,  oder  wenigstens  nach 
ihren  Sonderwünschen  hatten  bauen  lassen,  und  die  gesamte  Einrichtung  von  Tapeten, 
Möbeln,  Stoffen,  Gerätschaften,  Schmuck-  und  Gebrauchsgegenständen  selbst  entworfen 
und  von  hessischen  Fabriken  und  Handwerkern  hatten  ausführen  lassen.  Der  Erfolg 
dieser  Ausstellung  war  ein  ganz  außergewöhnlicher.  Nicht  als  ob  die  zahlreichen 
auswärtigen  Besucher,  oder  auch  nur  die  geschäftlich  dabei  interessierten  einheimischen 
Kreise  widerspruchlos  alles  bejubelt  hätten,  was  ihnen  jene  sieben  Neutöner  verlockend 
vorflöteten;  nicht  als  ob  mit  einem  Schlage  die  älteren  Bestrebungen  zur  Durchse^ung 
einer  zeitiicmäßen  Geschmackskultur  auf  kunstgewerblichem  Gebiete,  wie  sie  in 
München,  Wien,  Dresden  und  anderwärts  auch  schon  gepflegt  wurden,  von  Darmstadt 
überholt  worden  wären  —  im  Gegenteil:  der  Chor  der  höhnischen  Lacher,  der 
mißvergnügt  Grollenden  übertönte  recht  laut  den  freudig  gespendeten  Beifall  der 
begeisterten  Minderheit.  Nicht  nur  dem  gesamten  Spießertum,  sondern  auch  einem 
großen  Teil  der  Künstlerschaft  bedeutete  jenes  „Dokument  deutscher  Kunst"  ein 
Ärgernis.  Auch  die  wohlwollenden  Besucher  konnten  es  unmöglich  übersehen,  daß 
gerade  die  genialsten  unter  den  Kolonisten  ihre  Unreife  in  den  hohen  Fieber- 
temperaturen der  Kinderkrankheiten  austobten.  Alle  Welt  lachte  über  Olbrichs 
„Blaues  Wunder"  (Spottname  für  ein  mit  blauen  Kacheln  verziertes  bizarres  Privat- 
haus), über  desselben  buntbemalte  Pylonen,  die  an  die  wilden  Schnit3ereien  der 
Südseeinsulaner  erinnerten,  über  Christiansens  Farbenorgien  an  und  in  seinem  Haus 
„In  Rosen"  und  seine  fest  eingebauten  Kinderbetten,  die  seinen  Sprößlingen  das 
Wachstum  verwehrten,  über  die  hieratisch  kalte  Feierlichkeit  des  Behrens-Hauses  und 
über  die  dunkelblaue  Festspielbaracke,  deren  Inneres  einem  gepolsterten  Besteckkasten 
glich.  -  Die  Gesamtleistung  aber  konnte  dieses  Gelächter  ohne  Schaden  ertragen, 
weil  dem  offenbar  Verfehlten  gar  so  viel  glänzend  Gelungenes,  Zukunftsicheres  gegen- 
überstand. Ja  selbst  das  finanzielle  Defizit  machte  sich  reichlich  dadurch  bezahlt, 
daß  auf  dieser  ersten  Ausstellung  der  Begriff  „Darmstädter  Kunst"  zur  Welt  geboren 
ward  und  die  Befruchtung  des  hessischen  Kunstgewerbes  sich  als  nachhaltig  erwies. 
Es  war  nicht  nur  der  Ehrgeiz  des  jungen  Fürsten  befriedigt,  sondern  seinem  Lande 
neue  Quellen  des  Wohlstandes  erschlossen  worden.  Zudem  hatte  die  junge  Kunst  durch 
diese  Ausstellung  eine  ungeahnte  Stärkung  erfahren.  So  mag  es  denn  als  ein  großer 
ideeller  Erfolg  gedeutet  werden,  daß  alsbald  fast  alle  deutschen  Kunstgewerbeschulen 
reformiert  und  mit  neuzeitlich  schaffenden  Lehrkräften  beset5t  wurden.  Andere  ähnliche 
Ausstellungen  erfolgten  in  Turin,  Dresden,  München  und  Oldenburg,  und  wenn  heute 


363 


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das  deutsche  Kunstgewerbe  einen  Höhenpunkt  erreicht  hat,  um  den  uns  das  ganze 
Ausland,  insbesondere  England  beneidet,  so  ist  das  nicht  zulet5t  das  grof5e  Verdienst 
der  hochherzigen  Kunstbestrebungen  des  Großherzogs  Ernst  Ludwig. 

Es  war  bedauerlich,  aber  bei  der  Ungleichheit  so  eigenwilliger  Persönlichkeiten 
unvermeidlich,  daß  die  Kolonie  schon  bald  nach  jener  ersten  Ausstellung  zerfiel.  Der 
hochbegabte  Patriz  Huber  starb  allzufrüh,  Peter  Behrens,  Christiansen,  Habich, 
Bosselt  und  Bürck  folgten  verlockenden  Berufungen  in  Wirkungskreise,  wo  ihnen 
eine  ertragreiche  Ausnutjung  ihres  Könnens  winkte.  Einzig  der  Wiener  Meister 
Olbrich  behauptete  das  Feld,  weil  er  nicht  nur  der  vielseitigste  und  leichtest  Schaffende 
unter  den  sieben  Kolonisten,  sondern  auch  mit  einer  seltenen  Geschäftsklugheit  begabt 
war,  die  ihn  auch  außerhalb  Hessens  lohnende  Aufträge  finden  ließ.  An  die  Stelle 
der  Ausgeschiedenen  traten  neue  Kräfte  von  vielleicht  weniger  draufgängerischer 
Eigenart,  die  aber  dafür  ein  harmonisches  Zusammenarbeiten,  eine  ruhige  Entwicklung 
verbürgten.  Vincenz  Cissarz,  Paul  Haustein,  F.  W.  Kleukens  als  Graphiker, 
Heinrich  Jobst  als  Bildhauer,  Albin  Müller  als  Architekt,  Ernst  Riegel  als 
Goldschmied  arbeiteten  in  schöner  Eintracht  nebeneinander  und  verhalfen  der  zweiten 
Ausstellung  im  Jahre  1908  zu  einem  von  keiner  Seite  mehr  ernstlich  bestrittenen 
Erfolg.  Olbrich  hatte  neben  seinen  wunderlichen  Hochzeitsturm  das  stolze  städtische 
Ausstellungsgebäude  auf  den  Gipfel  der  Mathildenhöhe  gestellt.  Und  in  diesem 
Gebäude  wurden  nun  auch  Werke  der  reinen  Kunst,  die  nicht  nur  von  Kolonie- 
mitgliedern herrührten,  zur  Schau  gestellt,  während  die  von  Olbrich,  Albin  Müller 
und  andern  herrührenden,  teils  dauernden,  teils  provisorischen  Wohngebäude  mit 
ihrer  Innenausstattung  wie  1901  den  Hauptbestand  der  Schau  bildeten.  Der  stürmische 
Übermut  hatte  sich  ausgetobt,  und  das  Gesamtbild  der  Ausstellung  bedeutete  die 
schier  restlose  Erfüllung  aller  modernen  kunstgewerblichen  Bestrebungen,  nämlich  dem 
modernen  deutschen  Menschen  Wohnräume  zu  schaffen  und  Gebrauchs- 
gegenstände in  die  Hand  zu  geben,  die  ihm  Behaglichkeit  und  ästhetische 
Besi^esfreudigkeit  verschaffen,  Räume  und  Dinge,  deren  künstlerische 
Gestaltung  durch  das  Bedürfnis  dieses  modernen  deutschen  Menschen 
nach  Harmonie  zwischen  Zweck  und  Form,  nach  Ordnung,  Sauberkeit  und 
bequemer  Handlichkeit  genügten  und  die  Schönheitswerte  des  Materials 
ohne  Vergewaltigung  ebenso  wie  die  handwerkliche  Tüchtigkeit  zur 
Geltung  brachten. 

Im  Herbst  desselben  Jahres  erlitt  Ernst  Ludwigs  Künstlerkolonie  durch  Meister 
Olbrichs  plöt3lichen  Tod  ihren  bisher  schwersten  Schlag.  Aber  der  Gedanke,  der 
schon  so  viele  fruchtbringende  Taten  gewirkt  hatte,  war  nun  nicht  mehr  an  die  einzelne 
künstlerische  Persönlichkeit  auf  Leben  und  Sterben  gebunden.  Der  Kunstwille  des 
Landesherrn  hatte  die  Darmstädter  Kunst  ins  Leben  gerufen  und  weder  der  Wechsel 
in  den  Personen  der  Kolonisten,  noch  das  Mißglücken  hoffnungsvoll  begonnener  Unter- 
nehmungen —  wie  die  der  Lehranstalt  für  angewandte  Kunst,  der  Großh.  keramischen 
Anstalt  und  der  Edelglas-Manufaktur  -  konnte  der  Blüte  des  hessischen  Kunstgewerbes 
mehr  großen  Schaden  tun.  Die  Neuberufungen,  die  der  Großherzog  für  seine  Kolonie 
ergehen  ließ,  bewiesen,  daß  er  selbst  keineswegs  entmutigt  und  seine  Lust  an  kecken 
Wagestücken  durch  die  gelegentlichen  Mißerfolge  nicht  gedämpft  war.     Zu   den  treu 


364 


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verbliebenen  Künstlern  holte  er  sich  den  Architekten  Edmund  Georg  Körner,  den 
Erbauer  der  weit  berühmten  Synaj^joge  zu  Essen,  den  phantasievollen,  vielseitigen 
Emanuel  Josef  Margold,  den  farbenschwelgerischen  Maler  Hans  Pellar  und  den 
problematisch  interessanten  Bildhauer  Bernhard   Hötger  hinzu. 

Gleichzeitig  mit  der  im  aligemeinen  sehr  wohl  gelungenen  und  besonders  für  die 
vielseitige  Künstlerschaft  der  Architekten  Müller,  Körner  und  Margold  ruhmreichen 
„Kunstgewerbeschau"  1914  veranstaltete  der  Großherzog  in  zwei  Stockwerken  seines 
Schlosses  eine  Ausstellung  der  Bildniskunsf  des  17.  und  18.  Jahrhunderts,  die  von 
Prof.  Biermann  in  Gemeinschaft  mit  anderen  hervorragenden  Kunstgelehrten  mit 
feinem  Verständnis  zusammengestellt  war,  aber  niemals  einen  derartigen  Reichtum  an 
kostbarsten  Schät5en  aus  Privatbesit5  hätte  aufweisen  können,  wenn  eben  nicht  ein 
regierender  Herr  seine  höfischen  Beziehungen  hätte  ausnutjen  können.  Der  Ausbruch 
des  Krieges  bereitete  leider  den  beiden  Unternehmungen  ein  vorzeitiges  Ende. 

Grofeherzog  Ernst  Ludwig  dilettiert,  wie  schon  erwähnt,  selbst  in  verschiedenen 
Künsten.  Er  hat  sich  als  Dichter,  Komponist  und  im  Entwerfen  künstlerischer  Blumen 
und  kunstgewerblicher  Muster,  besonders  für  Stickereien  vielfach,  und  namentlich  auf 
let5terem  Gebiet  mit  Glück  versucht.  Aber  er  denkt  nicht  daran,  diesen  eigenen 
Versuchen  eine  ihnen  nicht  gebührende  Wichtigkeit  beizumessen  und  gibt  sie  auch  un- 
gescheut  der  öffentlichen  Kritik  preis.  Der  Ruhm  des  Anregers,  des  Vorausspürers 
neuer  Entwicklungsmöglichkeiten,  des  Finders  neuer  Talente  gilt  ihm  mehr.  Und  was 
ihm  vielleicht  am  höchsten  anzurechnen  ist:  er  se^t  die  von  ihm  erwählten  künstleri- 
schen Mitarbeiter  und  Freunde  nicht  in  Bewegung,  um  den  Glanz  seines  Hofes  zu 
vermehren,  sondern  um  dem  Gewerbe  seines  Landes  neue  Wirkungskreise 
und  Einnahmequellen  zu  verschaffen  und  seine  Residenz  zum  Mittelpunkt  einer 
neuen  vielgestaltigen  Betriebssamkeit  zu  machen. 

In  den  let5ten  Jahren  hat  sich  übrigens  die  Teilnahme  des  Großherzogs  auch 
auf  das  Hoftheater  erstreckt.  Seit  er  im  Jahre  1913  den  ebenso  klugen  wie  energischen 
jungen  Wiener  Literaten  Dr.  Paul  Eger  mit  der  Leitung  des  Hoftheaters  betraute, 
ist  ein  neues  Leben  in  dem  stattlichen  Musentempel  erwacht.  Die  Künstler  können 
sich  nicht  mehr  als  wackere  Hof-Darstellungsbeamte  in  das  pensionsfähige  Alter  ohne 
Erhit5ung  hinübermimen,  sie  spüren  jeßt  den  Sporn  des  Ehrgeizes  beständig  in  ihren 
Weichen.  Es  wird  rastlos  gearbeitet,  um  Vorstellungen  herauszubringen,  die  den 
Ansprüchen  eines  verwöhnten  Großstadtpublikums  genügen,  um  mit  dem  Spielplan 
nicht  nur  auf  der  Höhe  der  Zeit  zu  stehen,  sondern  auch  um  tonangebend  mit  neu- 
artigen Versuchen,  mit  Uraufführungen  und  besonderen  festlichen  Veranstaltungen 
voranzuschreiten.  Bei  all  diesen  neuen  Versuchen  und  festlichen  Gelegenheiten  beteiligt 
sich  der  Großherzog  persönlich  mit  großem  Eifer  an  der  Inszeneset5ung  und  läßt  sich 
zumal  die  malerische  Gestaltung  des  Bühnenbildes  angelegen  sein. 

Ungefähr  zwanzig  Jahre  von  der  Regierungszeit  Ernst  Ludwigs  waren  durch 
seine  künstlerischen  und  gewerblichen  Bestrebungen  ausgefüllt.  Nun  freilich,  zwanzig 
Jahre  genügen  längst  nicht,  um  den  Charakter  eines  Volksstammes  erzieherisch  so 
stark  zu  beeinflussen,  daß  schon  von  einer  Wandlung  gesprochen  werden  könnte. 
Noch  vieles  ist  zu  erstreben.  Der  Hesse  besit5t  nicht  die  glückliche  Leichtlebigkeit 
der  niederrheinischen  Stämme;  er  stürzt  sich  nicht  heißhungrig  auf  das  Neue,  behagliche 


365 


Ruhe  ist  ihm  lieber.  Darum  stemmt  er  sich  dem  Neuen  gern  entgegen  und  ist  mit 
seiner  Anerkennung  recht  zurüdihaltend.  So  kann  denn  auch  der  Groi3herzog  nicht 
darüber  klagen,  daß  ihn  sein  Volk  mit  Huldigungen  erdrückt  hätte  zum  Dank  für  seine 
unablässigen  Bemühungen ;  und  dem  Hoftheater  ist  bis  heute  noch  kein  nervös  erregtes, 
dankbar  teilnehmendes  Publikum  für  seine  Uraufführungen  herangewachsen  ;  aber  die 
im  Hessenvolk  schlummernde  künstlerische  Begabung  und  handwerkliche  Tüchtigkeit 
haben  starken  Antrieb  zur  lebendigen  Tätigkeit  empfangen.  Dem  eifrigen  Zusammen- 
wirken überaus  zahlreicher  junger  Kräfte  ist  es  zu  verdanken,  daß  das  Darmstädter 
Stadtbild  unter  der  Regierung  Ernst  Ludwigs  ein  ganz  anderes  Gesicht  bekommen 
hat.  Alles  was  in  Darmstadt  an  Bauten,  Denkmälern  und  öffentlichen  Anlagen  neu 
erstanden  ist,  darf  ohne  Einschränkung  als  geschmackvoll,  eigenartig  und  doch  unauf- 
dringlich gerühmt  werden.  Meister  Messeis  schlichter,  wundervoll  harmonischer 
Museumsbau,  Meister  Pützers  köstlicher  Bahnhof  und  heiter  idyllische  Pauluskirche, 
Meissners  überaus  stimmungsvolle  Hypothekenbank,  Buxbaums  mustergültiges  Hallen- 
schwimmbad und  zahlreiche  eigenartige  und  behagliche  Villen  in  den  neuen  Garten- 
vierteln seien  als  glückliche  Merkmale  des  neuen  Darmstadt  hervorgehoben.  Das  Ge- 
fühl für  die  zeitgemäße  Schönheit  des  neuen  Stils  ist  schon  so  in  das  Volksbewußtsein 
eingedrungen,  daß  man  behaupten  darf,  es  könnte  wohl  kaum  noch  ein  Architekt  oder 
Maurermeister  hier  sein  Brot  finden,  der  sich  hartnäckig  dem  Einfluß  dieses  Stils  ent- 
ziehen wollte.  Wer  sich  hier  anbauen  will,  der  kann  sicher  sein,  daß  er  selbst  von 
unbekannten  jungen  Baumeistern  gut  bedient  wird,  während  andererseits  der  Händler 
mit  kunstgewerblichem  Kitsch  hier  nimmer  auf  seine  Rechnung  kommen  dürfte.  Und 
während  früher  nur  die  wundervolle  landschaftliche  Umgebung  einen  Anziehungspunkt 
für  den  Fremden  bildete,  lohnt  es  sich  für  diesen  jeßt  in  Darmstadt  auszusteigen, 
nicht  nur  zu  flüchtiger  Umschau  nach  Bädeckerisch  besternten  Altertümern,  sondern 
zu  genießendem  Verweilen  bei  der  Fülle  des  schönen  Neuen 

Dies  schöne  neue  Darmstadt  ist  die  Tat  Ernst  Ludwigs! 

Ernst  Frhr.  von  Wolzogen. 


tg^^tm^mtmtatmmtaim 


DAS  »ERNST  LUDWIG-HAUS«  AUF  DER  »MATHILDENHÖHE«  ZU  DARMSTADT.  ERBAUT  IM  JAHRE   I9OI 
VON  ARCHITEKT  PROF.  JOSEF  OLBRICH  t.  PLASTIK  »MANN  UND  WEIB«  VON  PROF.  LUDWIG  HABICH. 


DER  fHOCHZEITS-TURKN   UND  DAS  »STÄDTISCHE  KUNSTAUSSTELLUHGS-GEBÄUDEc  AUF  DER  MaTHII.DENHÖHE     DARMSTADT. 
ERBAUT  IM  JAHRE  I907   VON  ARCHITEKT  PROFESSOR  JOSEF  OLBRICH. 


HENRY  NIESTLE  — MÜNCHEN     BLUMENSTÜCK« 


HENRY  NIESTLE  -MÜNCHEN, 


STILLEBEN  MIT  GRAUEM  KKUI 


ABSTRAKTE  KUNST  UND  AUSFÜHRUNG. 


VON  DR.  KUNO  MITTENZWEY. 


In  der  bayrischen  Kammer  der  Reichsräte  hat 
sich  vor  einiger  Zeit  ein  bayrischer  Reichsrat 
gegen  die  moderne  Kunst  gewandt  und  ihr  vor 
allem  ihre  „skizzenhafte"  Art  zum  Vorwurf  ge- 
macht. Ausgehend  von  den  Unterstützungen, 
die  der  Staat  den  Künstlern  in  Kriegszeiten 
gewährt,  führte  er  aus,  es  sei  nun  Aufgabe  der 
Künstler,  sich  auch  dieses  Vertrauens  würdig 
zu  erweisen.  „Ich  möchte  vor  allem  darauf 
hinweisen,  daß  in  der  sogenannten  modernen 
Kunst  einigermaßen  Einhalt  geschehen  möchte 
in  der  skizzenhaften  Arbeit,  die  dem  Laien  die 
Begriffe  irre  macht,  was  schön  und  was  nicht 
schön  ist.  Die  Kunst  muß  immer  Kunst  bleiben, 
und  der  Ausdruck  „moderne  Kunst",  der  ein 
wechselnder  Begriff  ist,  sollte  für  die  neue  Kunst 
nicht  angewendet  werden.  Denn  Mode  ist 
etwas  Schreckliches,  das  sehen  wir  jeden  Tag. 
Man  gewöhnt  sich  aber  auch  an  die  Mode,  die 


man  schrecklich  gefunden  hat.  Das  darf  aber 
bei  der  Kunst  nicht  der  Fall  sein  usw." 

Wir  würden  auf  diese  Ausführungen  nicht 
weiter  eingehen,  wenn  wir  nicht  vermuteten, 
daß  der  darin  enthaltene  Grundvorwurf  von 
der  „skizzenhaften"  Arbeit  der  neuen  Kunst 
in  Laienkreisen  vielfach  geteilt  wird.  Sicherlich 
sind  angesichts  mancher  Schöpfungen  einer 
neoidealistischen  Kunstübung  viele  aus  dem 
Publikum  der  Meinung,  es  würden  ihnen  da 
„bloße  Skizzen"  vorgesetzt,  sei  es  nun  weil 
es  augenblicklich  so  Mode  sei,  den  gewissen 
„Schmiss"  der  Entwurfsskizze  zu  kultivieren, 
oder  aber  weil  dem  Künstler  zur  „eigentlichen 
Ausführung"  das  Können  fehle. 

Jener  Vorwurf  ist  ja  in  seiner  allgemeinen 
Art  nicht  neu.  So  oft  eine  Künstlergeneration 
etwas  wirklich  neues  zu  sagen  hatte  und  sich 
von  der  älteren  dadurch  distanzierte,   daß  sie 


XX,   März  1917.  2 


Abstrakte  Kunst  und  Ausführung. 


HENRY  NIESTI.E     ML.' 


die  neuentdeckten  Werte  unterstrich  und  die 
von  der  älteren  gepflegten  Werte  geflissentlich 
vernachlässigte ,  sah  die  mit  älteren  Augen 
sehensgewohnte  Menge  nur  die  Vernachlässig- 
ung und  virarf  den  Verkündern  des  Neuen 
mangelndes  Können  vor.  Das  vk^ar  zu  Beginn 
der  impressionistischen  Bewegung  genau  so. 
Doch  gewinnt  dieser  Vorwurf  angesichts  der 
gegenwärtigen  Kunstbestrebungen  seinen  be- 
sonderen Akzent,  der  ihn  interessant  macht. 
Die  neue  idealistische  Malerei  bemüht  sich  be- 
kanntlich, für  die  abstrakten  Formelemente, 
für  lineare  Bewegung  und  Volumaufbau  ein 
neues  Gefühl  zu  gewinnen.  Hierauf  vornehm- 
lich eingestellt,  verlieren  alle  die  Probleme  der 
Luft  und  des  Lichts,  von  der  „naturgetreuen" 
Wiedergabe  des  Detail  ganz  zu  schweigen,  an 
Interesse.  Sich  darauf  einzulassen,  hätte  nicht 
nur    keinen    besonderen   Wert,    weil    andere 


GEMÄLDE  »JUNI-MORGENc 

Meister  hierfür  längst  vorzügliche,  teilweise  die 
endgültigen  Lösungen  gefunden  haben  —  es 
stünde  sogar  zu  den  erstrebten  Dingen  in  ge- 
wissem Widerstreit  und  würde  den  gesuch- 
ten Wirkungen  Abbruch  tun.  Die  geschlossene 
Kontur  würde  locker  und  offen  werden,  wenn 
man  sie  vom  Licht  umfließen  lassen  wollte,  die 
Fläche  würde  ihr  kompositorisches  Schwer- 
gewicht verlieren,  wenn  man  sie  durch  Einzel- 
heiten unterbrechen  wollte  usw.  Darum  findet 
der  Laie,  der  immer  zunächst  interessiert  ist, 
in  den  Bildern  „die  Natur"  wiederzufinden,  hier 
überall  nur  Andeutungen,  summarische  Wir- 
kungen, wie  er  es  von  der  Skizze  her  kennt. 
So  ist  der  Vorwurf  gegenüber  dem  Beginn  der 
impressionistischen  Zeit  verändert ;  während 
damals  den  Malern,  denen  besonders  an  einer 
temperamentvollen  Erneuerung  der  Farbe  und 
des  Lichtes  gelegen  war,   „Sudelei"  und  „Pat- 


Abstrakte  Kunst  und  Ausßchrung. 


HENRY  NIESTLE— MÜNCHEN. 

zerei"  vorgeworfen  wurde,  lautet  jetzt  der  Vor- 
wurf auf  Unfertigkeit  und  mangelnde  Fähigkeit 
der  Ausführung,  und  oftmals  kann  man  die 
Meinung  hören,  daß  namentlich  die  jüngeren 
Graphikernurnoch  „bloße  Skizzen"  publizieren. 
Der  Laie  beruft  sich  zur  Begründung  seines 
Vorwurfs  gern  auf  die  alten  Meister.  Ihre 
Werke  lehren  doch,  daß  es  ihnen  an  allererster 
Stelle  auf  handwerkliche  Solidität  und  Gedie- 
genheit der  Ausführung  ankam.  —  Diese  In- 
stanz müßte  von  allerschwerstem  Gewicht  sein. 


GEMÄLDE  »GARTENBLUMEN«  PRlVATBESiTZ-ni'sSELDORF. 

Für  die  neue  Kunst  noch  mehr  als  für  die  Im- 
pressionisten. Denn  während  diese  zwar  woll- 
ten, daß  ihre  Werke  den  alten  Meistern  wohl 
an  innerem  Wert  vergleichbar  sein  möchten, 
sich  dabei  aber  doch  immer  als  spezifisch  „Mo- 
derne" fühlten,  die  eine  „neue  Art  des  Sehens" 
kultivierten,  ist  es  die  Absicht  der  neuen  Idea- 
listen, daß  in  ihren  Werken  ganz  genau  die- 
selben Kräfte  waltend  vorhanden  sein  sollen, 
wie  in  den  alten  Meisterwerken  aller  stilstarken 
Zeiten.    Sieht  man  aber  näher  zu,  woran  der 


373 


Abstrakte  Kunst  und  Ausführung. 


HENRY  NIESTLE— MINCHEN. 


Laie  bei  seiner  Berufung  auf  die  alten  Meister 
denkt,  so  findet  man,  daß  ihm  ungefähr  die 
Tafelbildmalerei  der  klassischen  Renaissance 
vorschwebt.  Und  auch  diese  nicht  in  ihrer 
ganzen  Fülle,  die  ja  wahrhaftig  Saft  und  male- 
rische Intensität  genug  enthält,  sondern  in  jener 
blassen,  schönmalerischen  Auffassung,  wie  sie 
der  Akademizismus  des  neunzehnten  Jahrhun- 
derts hatte.  Würde  man  dem  Laien  etwa  ein 
Werk  der  Frühgotik,  vielleicht  einen  alten  deut- 
schen Holzschnitt,  oder  gar  ein  Werk  prähisto- 
rischer Kunstübung  vorlegen,  die  ja  zu  den 
Werken  der  jungen  Kunst  viel  unmittelbarere 
Beziehungen  aufweisen,  so  würde  er  erwidern, 
daß  die  Urheber  jener  Werke  eben  „noch  nicht 


»JUNGE  BUSSAKDE« 


so  weit  waren"  und  „noch  nicht  mehr  konnten". 
—  An  dieser  Stelle  sieht  man,  daß  Künstler- 
urteil und  Laienurteil  bereits  bei  der  Bewertung 
der  Vergangenheit  auseinandergehen,  und  daß 
das,  was  sie  trennt,  nicht  erst  bei  den  Produkten 
der  Tagesmode  beginnt.  Denn  das  ist  nun  das 
erste,  was  der  Künstler  dem  Laien  bestreiten 
würde,  daß  jene  Härten  und  Unbeholfenheiten, 
die  uns  an  den  Werken  archaischer  Zeiten  auf- 
fallen und  das  ungeschulte  Auge  zuerst  be- 
fremden, der  Ausdruck  mangelnden  Könnens 
seien.  Gewiß  stehen  die  Urheber  jener  frühen 
Werke  an  Gewandtheit  der  naturalen  Form- 
gebung gegen  die  Meister  späterer  Zeiten  zu- 
rück.  Aber  was  nun  in  ihren  Schöpfungen  zum 


H.  NIESTLE- 


»  STILLEBEN 
MIT  MELONE« 


HENRY  NIESTLE  -MUNCHEN-PASING. 


»SONNENBLUMEN« 


Abstrakte  Kunst  utid  Ausführung. 


HENRY  XIESTLE     MU>-CHEN-PASING. 


Ausdruck  kommt,  ist  nicht  einfach  ein  Mangel 
an  Beherrschung  dernaturalen  Gegenständlich- 
keit, und  ihre  Werke  sind  alles  andere  als 
„nicht  gekonnt".  Ganz  im  Gegenteil  findet  sich 
in  diesen  frühen  Werken,  vom  ersten  Erwachen 
des  künstlerischen  Bildens  an,  ein  Gefühl  für 
die  Typik  der  Erscheinung,  eine  Sicherheit,  mit 
den  anscheinend  primitiven  Mitteln  das  Cha- 
rakteristische zu  treffen ,  eine  Naivität  des 
Raumsinns,  eine  ehrfürchtige  Sachlichkeit,  mit 
der  jede  einzelne  Figur  in  Angriff  genommen 
ist  —  alles  Eigenschaften,  wie  sie  späteren 
Zeiten,  die  in  der  Wiedergabe  des  Individuellen 
virtuoser  waren,  wieder  abhanden  gekommen 
sind,  und  wie  wir  Spätgeborene  heute  sie  nur 
mit  staunender  Bewunderung  anerkennen  kön- 
nen, ratlos,  woher  jenen  Zeiten  diese  beson- 
dere Gnade  des  Sehens  und  Bildens  kam,  an 
der  wir  so  gar  keinen  Anteil  haben. 


GEMÄLDE  »IM  M.\rEXW.U.D€ 


So  wenig  Anteil,  daß  der  gebildete  Vertreter 
des  Durchschnittspublikums  davon  gar  nichts 
sieht.  Und  er  ist  auch  ganz  im  Recht,  davon 
nichts  zu  sehen,  denn  die  Kunstgeschichte,  wie 
er  sie  gelernt  hat,  hat  ihn  nichts  davon  gelehrt. 
Das  ist  das  Interessante  an  dem  besprochenen 
Vorwurf  von  der  skizzenhaften  Arbeit  der  mo- 
dernen Kunst,  daß  in  ihm  die  ganze  Kunstge- 
schichte der  älteren  Generation  enthalten  ist. 
Ebenso  wie  die  Bestrebungen  der  jungen  Maler- 
generation unmittelbar  einig  gehen  mit  den  Um- 
gestaltungen, die  die  wissenschaftliche  Kunst- 
geschichte in  unseren  Tagen  erfährt.  Die  ge- 
lehrte Kunstgeschichte  wurde  begründet  im 
neunzehnten  Jahrhundert  von  einer  Generation, 
die  zu  dem  Stoffgebiet,  das  sie  beschrieb,  kein 
allzu  direktes  Verhältnis  hatte,  vielmehr  zu  ihm 
im  Verhältnis  der  bürgerlichen  und  literarischen 
Distanz  stand.    Ihre  Grundwertung  (ohne  die 


376 


Abstrakte  Kunst  und  Ausführung. 


eine  Geschichtsschreibung  nicht  möglich  ist) 
entnahm  sie  dem  herrschenden  klassizistischen 
Schönheitsideal.  So  konstruierte  sie  alle  ge- 
schichtliche Wandlung  als  aufsteigende  Ent- 
wicklung zu  diesem  für  absolut  genommenen 
Ideal  hin  und  als  absteigenden  Verfall  von  ihm 
weg.  Diese  zuerst  ganz  fraglos  hingenommene 
Grundwertung  ist  über  dem  Fortgang  der  kunst- 
geschichtlichen Arbeit  immer  fragwürdiger  ge- 
worden. Sicher  ist,  daß  sich  die  Kurve  der 
Entwicklung  so  einfach  nicht  ziehen  läßt.  Wir 
wissen  heute,  daß  jede  Erwerbung  einer  neuen 
Freiheit  der  Bewegung,  jeder  Fortschritt  in  der 
Entbindung  des  Lebens,  erkauft  wird  mit  einem 
Verlust  an  Geschlossenheit  der  Form,  mit  einem 
Herabsteigen  vom  Wesenhaften  zum  Flüchtigen. 
Die  Bewegung  der  kunstgeschichtlichen  Ent- 
wicklung scheint  sich  irgendwie  abzuspielen 
zwischen  zwei  gegenpoligen  Mächten,  Mächten 
der  Bindung  und  Mächten  der  Lösung,  Aus- 
druck des  ruhenden,  wesenhaften  Seins  und 


Ausdruck  des  bewegten,  vorübergehenden  Le- 
bens. Im  Anfang  aber  des  künstlerischen  Schaf- 
fens steht  das  Ergriffensein  von  der  Strenge 
der  Form,  die  Ehrfurcht  vor  der  Geometrizität, 
der  Wille  zur  Haltung  und  Geschlossenheit  — 
und  nicht  ein  Unvermögen  zur  Freiheit  oder 
ein  Mangel  an  Können.  Diesen  in  neuer  Tiefe 
erkannten  bindenden  Mächten  gilt  gegenwärtig 
das  Hauptinteresse  der  kunsthistorischen  Ar- 
beit. In  der  Bevorzugung  der  Zeiten  der  Gotik 
und  des  Barock  gegenüber  der  Renaissance 
gewinnt  diese  Veränderung  einen  nur  sympto- 
matischen Ausdruck  —  der  freilich  manchem 
äußerlichen  Beobachter  gleichfalls  nur  als  eine 
Art  „Mode"  erscheinen  mag. 

Und  denselben  Mächten  gilt  das  Bemühen 
unserer  jungen  Malergeneration.  Von  ihnen 
erwartet  sie  die  anregende  Kraft,  wie  über  das 
naturale  Sehen,  das  die  impressionistische  Zeit 
in  neuer,  voraussetzungsloser  Art  revidiert  und 
um    unerwartete    Reichtümer    vermehrt    hat. 


HENRY  NIESTLE      MUN'CHE-N. 


STILLEB]  N   MIT  FLASCHEN» 


Abstrakte  Kunst  und  Ausfükrutig. 


hinauszukommen  und  eine  höhere  Bildge- 
schlossenheit zu  gewinnen  sei;  von  ihnen  er- 
wartet sie  Aufschluß  über  die  elementaren 
Kräfte  jener  geheimnisvollen  höheren  Stufe  des 
Formseins,  das  mit  dem  geistlos  oft  gebrauchten 
Wort  „Stil"  bezeichnet  wird.  Die  historische 
Forschung  hatte  nichts  weiter  getan,  als  eine 
Mehrheit  von  „Stilen"  aufzuzeigen,  ohne  über 
deren  eigentliches  Wesen  irgendwelchen  Auf- 
schluß geben  zu  können.  Daß  mit  der  Nach- 
ahmung irgend  einer  historischen  „Slilform" 
nichts  getan  ist,  daß  dies  vielmehr  nur  der  Weg 
zu  Kostüm  und  Unwahrhaftigkeit  ist,  weiß  heut 
jeder,  der  ehrlich  ist.  Daß  es  mit  einem  bloßen 
Mut  oder  Willen  zum  „Eigenstil"  nicht  getan 
ist,  weiß  heute  ebenfalls  jeder.  Weiter  zu 
kommen  können  wir  nur  hoffen,  wenn  wir  das 
Ereignis  bei  seinen  Uranlängen  belauschen. 
Daß  die  Künstler  dabei  auch  das  Geheimnis 
von  Negerplastiken  und  Kinderzeichnungen  ins 
Gefühl  zu  bekommen  sich  bemühen,  schelte 
man  nicht  voreilig  als  Ratlosigkeit  oder  Sensa- 
tionslust. Es  ist  die  einzige  Möglichkeit,  über 
das  Bedingte  jeder  speziellen  historischen  Stil- 
form hinauszukommen,  wenn  man  das  Ereignis 
der  Formgewinnung  überall  studiert,  wo  es 
auftritt,  und  am  meisten  bei  seinen  Anfängen. 
—  Wenn  wir  uns  bemüht  haben,  gegenüber 
einem  summarischen  Vorwurf  die  wahren  Ab- 


sichten der  neoidealistischen  Malerei  aufzuzei- 
gen, so  ist  damit  natürlich  nicht  gesagt,  daß  wir 
ebenso  summarisch  alles  loben  und  gutheißen, 
was  in  ihrem  Zeichen  in  die  Erscheinung  tritt. 
So  oft  eine  Generation  neue  Wege  betritt,  ge- 
sellen sich  Mitläufer  dazu,  angelockt  von  dem 
Instinkt,  daß  „hier  etwas  zu  machen"  sei, 
welche  das  noch  tastende  Probieren  der  neuen 
Mittel  benutzen,  um  das  eigene  Unvermögen 
damit  zu  maskieren.  Gerade  solche  Vertreter 
sind  dann  am  lautesten  bereit,  die  ungekonnten 
Auslassungen  ihrer  undisziplinierten  Scheinbe- 
gabung als  die  Proben  eines  neuen,  höheren 
Könnens  anzupreisen.  Mit  gutem  Gewissen 
dabei,  denn  kein  Selbstzweifel  verhindert  sie, 
mit  ihren  Produkten  jederzeit  zufrieden  zu  sein. 
Für  solche  Auchkönner  sind  Beispiele  in  jeder 
historischen  Sturm-  und  Drangperiode  anzu- 
treffen. Sie  sind  irgendwie  unvermeidlich;  man 
tröste  sich  damit  über  sie,  daß  der  Fortgang 
der  Entwicklung  sie  sehr  bald  ausschaltet,  so- 
bald aus  dem  allgemeinen  Suchen  ein  höheres 
Können  herauswächst.  Auch  in  der  neuen  Be- 
wegung mögen  manche  mitlaufen,  die  im  Chaos 
fischen  und  denen  es  einfach  an  Geduld  und 
Disziplin  fehlen  würde,  ein  Bild  im  alten  Stil 
zu  Ende  zu  malen.  So  wenig  wir  das  leugnen, 
so  wenig  hat  das  mit  dem  Sinn  der  ganzen  Be- 
wegung irgend  etwas  zu  tun k.  m. 


HEXR\-  XIESTLE    MÜXCHEX.  GEMÄLDE  -IM  GAKTEX 


LENE  SCHNEIDER-KAINER-BERLIN.  BILDNIS  .KAMILLA  EIBENSCHUTZt 


LENE  SCHNEIDER-KAINER— BERLIN. 


GEMÄLDE  »GARIENBILD« 


LENE  SCHNEIDER-KAINER. 


Lene  Schneider-Kainer  fand  erst  im  vorigen 
^  Jahr  die  eingehende  Beachtung  der  reichs- 
hauptstädtischen Kritik.  Sie  hatte  sich  zwar 
schon  vorher  gezeigt,  in  Wien  und  auf  mehreren 
Berliner  Sezessions-Ausstellungen.  Aber  in 
Berlin  ist  ja  dem  kritischen  Spürsinn  der  ver- 
fügbare Raum  der  Zeitung  durch  d  ie  anerkannten 
Namen  des  Kunstmarktes  verlegt.  So  bot  erst 
die  letzte  „juryfreie"  Ausstellung  Berlins  Gele- 
genheit zu  ihrer  Entdeckung.  Sodann  aber 
haben  sie  gleich  mehrere  Kritiker  als  den  „Clou" 
der  Ausstellung  kennzeichnen  wollen.  Das  mag 
ein  wenig  bewußte  Animosität  gegen  den  männ- 
lichen Talentnachwuchs  gewesen  sein,  dem  man 
ja  gar  so  gern  eins  auswischt.  Trotzdem  mußte 
Lene  Schneider-Kainer  doch  einige  besondere 
künstlerische  Qualitäten  besitzen,  wenn  man 
sie  als  taugliches  Objekt  solcher  „Politik"  aus- 


wählte. —  Nun  ist  aber  Lene  Schneider-Kainer 
durchaus  nicht  mehr  Anfängerin  mit  irgendwel- 
chen verblüff  endenTalenlbeweisen.  Ein  Blick  auf 
ihre  Bilder  zeigt,  daß  sie  schon  lang  und  schwer 
arbeitet.  Vor  Jahren  kam  sie  von  Wien  nach 
München,  und  ging  von  da  nach  Paris.  Aber 
die  Schule,  das  Museum,  die  Ateliers  der  Mit- 
strebenden gaben  ihr  fast  keine  Anregung, 
weckten  nicht  ihren  malerischen  Willen.  Der 
springt  nur  vor  der  „wiederzugebenden  Wirk- 
lichkeit" an.  Es  interessieren  sie  sichtlich  keine 
übertragenen,  ästhetischen  Probleme,  sondern 
nur  unmittelbare,  vor  allem:  die  Farbe.  Ihre 
Bilder  verraten  eine  hinreichend  differenzierte 
Künstlernatur,  man  merkt,  sie  ist  beweglich, 
fähig,  unpedantisch- schweifend  ,  von  feinem 
weiblichen  Geschmack,  lyrisch  und  rhythmisch, 
zugleich  von  ehrgeizigster  Energie,  von  beträcht- 


XX.  März  1917.   3 


Lene  Schneider- Kainer. 


LENE  SCHNEIDER-KAINER— BERLIN. 


lichem  „Stehvermögen".  Aber  diese  Bilder 
verraten  auch  keinerlei  „Vorbild",  keinerlei 
Voreingenommenheiten  und  Beeinflussungen 
der  Phantasie.  — 

Dies  ist  allerdings  zugleich  auch  eine  Ein- 
schränkung, die  vorweggenommen  werden  kann. 
Lene  Schneider- Kainer  bekundet  überhaupt 
noch  keine  freischöpferische  Phantasie,  sie  ist 
noch  jugendlich,  d.  h.  reinaufnehmendund  gegen- 
ständlich, gibt  nur  unmittelbare  Wirklichkeits- 
eindrücke wieder.  Aber  diese  Aufnahme-, 
Empfindungs-  und  Reproduktionsfähigkeit  ist 
im  besten  Sinne  unbeschränkt.  Diese  Malerin 
hat  ebensoviel  Gefühl  für  die  Zeichnung  (sie 
ist  auch  Graphikerin)  wie  für  die  Farbe,  für 
die  Stimmung  wie  für  den  Ausdruck,  für  das 
Thema  wie  für  den  Vortrag.  Sie  empfindet 
gleich  lebhaft  den  Akt,  die  Landschaft,  Still- 
leben, Porträts, Kompositionen.  UndimWechsel 
machen  sich  da  alle  voraufgezählten  Eigen- 
schaften elementar  geltend.    Sie  ist  ästhetisch 


GEMÄLDE  »ALTER  HAFEN,  LÜBECK« 


zart  in  den  Blumen-  und  Zierstücken ;  voll 
Musik  und  Rhythmik  in  den  Lübecker  Ha- 
fenbildern ;  ganz  weiblich-mütterlich  in  der 
Innigkeit  der  Kinderbilder;  dekorativ,  stil- 
bewußt, effektvoll  in  den  mit  ungemeiner 
Festigkeit  hingelegten  Damenporträts  und 
Frauenakten.  Das  Beste  aber,  die  Resultante 
von  all  dem,  sind  das  lyrische  „Gartenbild" 
und  das  „Mädchen  am  Fenster".  Hier  ist  eine 
Geschlossenheit  der  Darstellung  erreicht,  die 
frei  oder  gar  genial  schaffender  Gestaltung 
nicht  mehr  sehr  fern  steht. 

„Unweiblich"  aber  ist  sie  in  der  heftigen 
Ehrlichkeit  ihrer  Bestrebungen.  Sie  weicht 
keinem  Problem  aus,  das  ihr  bei  der  Betrach- 
tung und  Wiedergabe  malerischer  Wirklichkeiten 
aufstößt.  Sie  ringt  um  Licht,  Luft  und  Farbe, 
sie  haut  lieber  einmal  daneben,  als  daß  sie 
schwindelte.  So  ist  keines  ihrer  Bilder  weiblich 
„verpimpelt".  Eher  läßt  sie  sich  manchmal  aus 
Nervosität,  ihre  Kraft  könnte  mit  dem  Wurf 


382 


LENE  SCHNEIDER-KAINER-BERLIN.  »STILLEBEN  MIT  KAKTUSc 


LENE  SCHNEIDER-KAINER-BERLIN.  .DAMENBILDNIS« 


LENE  SCHNEIDER-KAINER-BERLIN.  .DOPPELBILDNIS. 


Lene  Schneider- Kainer. 


LENE  SCHNEIDER-KAINER-  BERLIN. 


des  Geistes  nicht  mitkommen,  zu  einer  gewissen 
Brutalität  des  Zugriffes  verleiten.  Sie  macht 
es  sich  nie  leicht,  lieber  hetzt  sie  sich  selber, 
steigert  sich,  nie  selbstgenügsam.  Und  gerade 
dieser  ehrlich  unbändige  Ehrgeiz  entscheidet, 
—  bei  soviel  Veranlagung  —  ihre  Bedeutung  als 
eine  der  echten  und  starken  malerischen  Hoff- 
nungen unserer  Zeit gfk. 

Ä 

DIE  GEBURT  DES  IMPRESSIONISMUS. 

Es  ist  zweifelhaft,  ob  der  Impressionismus 
im  Auge  entstanden  ist  oder  im  Pinsel. 
Man  sagt,  er  habe  eine  neue  Art,  die  Welt  zu 
sehen,  verkörpert,  eine  Art,  die  mehr  dem 
modernen,  nervösen,  hastigen  Wesen  entsprach. 
Er  wollte  die  flüchtigen  optischen  Reize  ein- 
fangen, die  auf  der  Oberfläche  spielen,  er  sei 
also  der  genaue  Ausdruck  einer  Periode  ge- 
wesen, die  im  Zeichen  der  „Reizsamkeit"  wie 
es  Lamprecht  nannte,  stand. 

Sehen  wir  genauer  zu!  Ist  der  Impressionis- 
mus nicht  gerade  in  einer  Zeit  zur  Welt  ge- 
kommen, wo  in  der  Naturwissenschaft  die  ge- 
naue Forschung  und  die  tiefschürfende  For- 
schung Triumphe  feierte,  wo  sie  die  großartig- 


GEM.\LDE  >AM  IIAFKN,  LUIJECK« 

sten  Systeme  baute?  Hat  nicht  ein  Zweig  des 
Impressionismus  für  die  Zerlegung  der  Farben 
sich  geradezu  auf  die  Wissenschaft  berufen? 

Ob  die  Erfinder  des  Impressionismus  be- 
sonders nervöse,  „reizsame"  Persönlichkeiten 
waren?  Nun,  nach  ihren  Bildnissen  zu  schließen, 
müßten  sie  im  Gegenteil  recht  robuste  Kerle 
gewesen  sein.  Cezanne,  der  extremste,  sah 
aus  und  lebte  wie  ein  Bauer.  In  seiner  Lehre 
war  er  starr  und  rechthaberisch.  Keineswegs 
„flüchtig".  Auch  die  andern  verwandten  recht 
viel  Geist  und  Schweiß  auf  die  logische,  wissen- 
schaftHche  Begründung  ihres  Tuns. 

Wir  dürfen  annehmen ,  daß  auch  hier ,  wie 
so  oft,  die  Träger  einer  großen  Bewegung  sich 
über  deren  eigentlichen  Sinn  im  Unklaren  waren. 
Was  hilft  eine  noch  so  geniale  neue  Art,  zu 
sehen ,  was  hilft  alle  wissenschaftliche  Be- 
gründung ,  wenn  der  Pinsel  sie  nicht  recht- 
fertigt? Wenn  das  nach  der  neuen  Methode 
entstandene  Bild  der  Reize  entbehrt?  Vielleicht 
war  auch  hier  die  Entwicklungsfolge  gerade 
umgekehrt,  als  wie  es  die  Theorie  nachher  dar- 
stellte. Vielleicht  hat  auch  hier  der  Pinsel  das 
Auge  gelehrt?  —  Etwa  so:  Jene  Maler  sahen 
die  Reize  der  Skizzenhaftigkeit,  sowohl  in  der 


Die  Geburt  des  Impressmiismus. 


388 


Zeichnung,  wie  auch  im  halbvollendeten  Bilde. 
Da  warmehr  Wucht,  mehr  Frische,  reinere  Farbe 
und  mehr  technischer  Witz.  Und  die  Maler  ent- 
deckten auch  in  ihren  eigenen  Skizzen  —  vor 
allem  während  des  Arbeitens  —  diese  Reize, 
die  so  unmittelbar  aus  dem  Pinsel  und  aus  den 
Farben  der  Palette  flössen.  Das  Entscheidende 
war  nun,  daß  sie  beschlossen,  diese  Reize  nicht 
wieder  hinwegzufeilen.  Sie  ließen  stehen,  was 
ihnen  in  ihrer  Malerherrlichkeit  gefiel. 

Das  war  ein  Schritt.  Die  nächsten  mußten 
bald  folgen.  Die  Farben,  wie  sie  frisch  und 
blank  auf  Palette  und  Pinsel  saßen,  waren 
eigentlich  doch  viel  kraftvoller,  feuriger,  gehalt- 
reicher, „farbiger"  als  das  trübe  Braun  und 
Grau,  das  sich  bisher  über  die  Bilder  ergoß. 
Man  wagte  es  also,  die  Farben  unvermischt  zu 
geben,  und  man  ließ  auch  die  so  seltsam  leben- 
digen einzelnen  Pinselschläge  stehen,  wie  sie 
eben    auf    die    Leinwand    aufgesetzt    waren. 


Aus  einem  solchen  anfänglichen  Hazardspiel 
ist  dann  wohl  der  ganze  französische  Impres- 
sionismus hervorgegangen.  —  Aber  nun  ge- 
schah das  Merkwürdige.  Diese  Malereien, 
mit  all  ihrer  Flüchtigkeit  und  Unmittelbarkeit, 
schienen  den  Malern  die  Welt  als  Schein 
viel  überzeugender  und  sinnfälliger  wieder- 
zugeben, als  alle  die  mühseligen  Fertigbilder, 
die  die  Welt  abzuschreiben  versucht  hatten. 
Die  lebendige  Technik  ersetzte  die  Lebendig- 
keit des  Lichts,  der  Atmosphäre,  der  Be- 
wegung. Um  diese  wiederzugeben,  sagte  man 
nun  in  erklärlicher  Selbsttäuschung,  wäre  eine 
ganze  Umwälzung  unternommen  worden. 

Wenn  der  Impressionismus  so  entstanden 
ist,  wie  hier  angedeutet  wurde,  dann  mußten 
ihn  auch  Pinsel  und  Palette  wieder  töten. 
Und  so  ist  es  auch  gekommen,  während  die 
Periode  der  „Reizsamkeit"  und  der  Wissen- 
schaftlichkeit unverändert  weiterwährt. . .     a.  j. 


LENE  SCIINEIDER-KAINER.  t.E.\l.\LDE  »  KIN'DERBILDNIS« 


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)HAUER  KARL  ALBIKER-KARLSRUHE-ETTLINGEN.  ZEICHNUNG   . KNIEENDE  FRAU« 


VOM  VORSTELLEN  UND  GESTALTEN  DES  KUNSTWERKS. 

VON  PROF.  DR.  A.  E.  BRINCKMANN— KARLSRUHE. 


In  jedem  Kunstwerk  veranschaulicht  sich  für 
die  rezeptive  Vorstellung  des  Betrachtenden 
eine  Summe  geistiger  Arbeitsleistung  des  ge- 
staltenden Künstlers,  dessen  längere  oder  kür- 
zere produktive  Vorstellungsreihen  sich  im  Ma- 
terial objektiviert  haben.  Alle  anschaulichen 
Formen  haben  ihr  Leben  in  der  Vorstellung  des 
gestaltenden  Künstlers  hinter  sich.  Man  ist 
versucht,  für  ihre  langsame  Herausschälung  aus 
dem  Geistigen  zum  Anschaulichen  das  Bild  der 
Kristallisation  zu  gebrauchen,  doch  träfe  ein 
solches  Gleichnis  den  Gestaltungsvorgang  nur 
halb.  Es  werden  nicht  einzig  Teile,  die  das 
Kunstwerk  ausmachen,  angezogen  und  nach 
gefaßtem  Plan  gebildet,  sondern  ebensosehr  und 
vielleicht  sogar  in  reichlicherem  Maß  werden 
Teile  als  unrein  abgestoßen.  Das  Endergebnis 
schwebt  nicht  sogleich  intuitiv  vor,  sondern  es 
entfaltet  sich  nach  und  nach  im  Vorstellen,  Ge- 
stalten, Bilden  und  Formen.  Im  gestaltenden 
Künstler  herrscht  geradezu  ein  Chaos  von  her- 
vorstrahlenden und  erbleichenden  Ideen  und 
Formen ,  von  Gestaltungsmöglichkeiten  und 
Ausdrucksbeziehungen,  die  seinen  Geist  dehnen 
und  ihn  oft  zu  sprengen  drohen,  ohne  daß  er 
sich  sofort  Rechenschaft  von  ihrem  Wert  für 
das  endgültige  Ergebnis,  für  das  Kunstwerk,  zu 
geben  vermöchte.  Vielmehr  erscheint  ihm,  dem 
Gestaltenden,  jeder  Zustand  seiner  Vorstel- 
lungen als  Repräsentant  einer  wahren  Ewigkeit 
von  besonderem  Wert ;  erst  der  zeitliche  Ab- 
lauf der  sich  folgenden  Vorstellungen  sondert 
aus,  bewertet  relativ,  sodaß  gerade  eine  reiche 
Begabung  höchstes  Glück  und  tiefste  Qualen 
im  Gestalten  findet. 

Und  selbst  das  Endergebnis,  das  anschau- 
liche Kunstwerk,  ist  kein  Abschluß  der  Vor- 
stellungsreihen. Häufige  neue  Fassungen  des 
alten  Motivs  sind  dafür  Beweis,  die  einmal  in 
Bewegung  gesetzte  Vorstellung  hält  nicht  plötz- 
lich ein,  der  zeitlich  festgelegte  Punkt  der  Bild- 
beendigung ist  nicht  zugleich  auch  für  sie  Ziel 
und  Ende,  sondern  sie  gestaltet  an  dem  aufge- 
nommenen bildnerischen  Problem  weiter.  Es 
hat  Künstler  gegeben,  wie  Lionardo  da  Vinci, 
mit  einer  so  ungeheueren  Fülle  innerlichen  Vor- 
stellungsvermögens —  „innerlich  voller  Figur 
sein"  nennt  es  Dürer  — ,  daß  sie  kaum  noch 
Interesse  für  zeitraubende  Veranschaulichung 
eines  Vorstellungs- Ergebnisses  fanden.  Ein 
schlechter  Künstler,  der  jemals  fertig  wird,  der 


nicht  zugleich  auch  gegenüber  dem  abgeschlos- 
senen Kunstwerk  —  und  man  nehme  den  Aus- 
druck abgeschlossen  ganz  wörtlich  —  in  dem 
Gefühl  der  endlichen  Befreiung  heimgesucht 
würde  von  einer  schmerzlichen  Ergriffenheit, 
wie  sie  der  Eremit  haben  mag,  der  freiwillig  die 
Welt  mit  der  Einsamkeit  vertauscht  —  nur  daß 
dem  Künstler  die  Vorstellung  zum  Schlüssel  einer 
erneut  aufleuchtenden  Welt  zu  werden  vermag. 
Versteht  man  das  Vorstellen  und  das  Ge- 
stalten am  Kunstwerk  als  Wirbel  geistiger  Vor- 
stellungen, so  findet  man  auch  einen  Weg  zu 
einer  Seite  des  Expressionismus,  der  diesen 
Wirbel  nicht  in  zeitlicher  Abfolge  und  Welle 
um  Welle  nicht  durcheinander  bedingt  nehmen 
möchte,  sondern  das  Nacheinander  und  die  Be- 
dingtheit ersetzt  durch  Gleichzeitigkeit  und 
Gleichwertigkeit.  Und  es  sind  letzten  Grundes 
nur  Prinzipienfragen  und  Fragen  der  geistigen 
Beweglichkeit,  ob  man  das  eine  oder  das  andere 
ablehnt  oder  die  Berechtigung  beider  Kunst- 
ausdrücke zugibt.  Ob  man  verlangt,  daß  die 
künstlerische  Gestaltungskraft  alles  Nachein- 
ander der  sich  ablösenden  Vorstellungen  auf 
eine  Quersumme  bringe,  oder  ob  man  zugibt, 
daß  dieses  Nacheinander  zu  einem  Beieinander 
im  Kunstwerk  werden  könne  und  es  dem  Be- 
trachter überlassen  bleibt,  wie  einstmals  gegen- 
über der  letzten  Entwicklung  des  Impressionis- 
mus eine  Synthese  der  Farbenteilchen  selbst 
vorzunehmen,  so  nun  auch  hier  eine  Synthese 
der  Vorstellungsreihen  nach  Idee  und  Form  zu 
finden.  Auch  darin  liegt  die  Bedeutung  des 
expressionistischen  Kunstwerks  für  die  rezep- 
tive Vorstellung  des  Betrachtenden:  Fäden, 
die  sich  nicht  zu  einem  Knoten  schürzen,  spinnen 
sich  fort.  Mit  anderen  Worten:  der  Betrachter 
wird  leichter  in  den  Vorstellungsvorgang  mit 
hineingerissen.  Wenn  wir  aber,  wie  weiter 
unten  dargelegt  wird,  dem  Vorstellungsvorgang 
größte  Bedeutung  für  das  Verständnis  des  end- 
gültigen Kunstwerks  zuschreiben,  so  ruhen  hier 
nicht  zu  unterschätzende  Werte  des  expressio- 
nistischen Kunstwerks.  Fast  paradox  klingt  es, 
aber  es  ist  doch  so,  daß  das  expressionistische 
Kunstwerk  sich  leichter  gibt ,  wie  die  kühle 
Ruhe  einer  endgültig  vereinheitlichten  Vorstel- 
lung im  Kunstwerk.  Es  scheint  einzig  darum 
anders,  weil  die  rezeptive  Vorstellung  so  gar- 
nicht  geschult  ist,  produktiven  Vorstellungs- 
reihen   nachzudenken.      Wir    sind    der   Über- 


XX.  März  1917.  4 


Vom  VorsteUe7i  und  Gestalten  des  Kunstwerks. 


Zeugung,  daß  gerade  die  in  unfaßlicher  Unendlich- 
keit auf  uns  hereinhämmernden  Ereignisse  dieser 
Zeit,  die  völlige  Unmöglichkeit,  sie  zu  einer 
einzigen  Synthese  zu  bringen ,  uns  den  Ge- 
dankengängen des  Expressionismus  nahebrin- 
gen werden,  obgleich  doch  gerade  seiner  rela- 
tiven Einfachheit  wegen  als  komplizierteres  Ziel 
einer  späteren  Zeit  wieder  vorschweben  dürfte, 
das  ganze  Strahlenbündel  in  einem  Brennpunkt 
zusammenzuziehen  und  erst  wieder  in  der  rezep- 
tiven Vorstellung  des  Betrachtenden  als  eine 
Unendlichkeit  von  Wirkungen  auseinander 
fliegen  zu  lassen. 

Die  Kunstwissenschaft  hat  sich  fast  aus- 
schließlich um  die  ästhetische  Auslegung  des 
fertigen  Werks  vor  eben  diesem  fertigen  Werk 
bemüht.  Man  wird  aber  die  Anschauung  ge- 
wordenen Form  vorstellungen  nur  teilweise  oder 
gar  nur  äußerlich  verstehen,  wenn  man  sich 
einzig  um  das  Endergebnis  kümmert.  Denn  hier 
nimmt  die  rezeptive  Vorstellung  nur  auf,  was 
sie  anspricht.  Besonders  gut  verdeutlicht  diese 
Ungerechtigkeit  dem  Kunstwerk  gegenüber  die 
Neuaufnahme  der  historischen  Stile  im  19.  Jahr- 
hundert. Aus  jenen  wurde  herausgenommen 
und  ohne  starke  Kraft  neugebildet,  was  die 
rezeptive  Vorstellung  des  betreffenden  Nach- 
ahmers aufzunehmen  vermochte.  Eine  spätere, 
historisch  geschultere  und  wissenschaftlich 
klarere  Zeit  hat  sehr  auffällig  den  Unterschied 
dem  Vorbild  gegenüber  trotz  allen  Mühen  um 
echte  Wirkung  anmerken  können.  Wie  es  jenen 
historisierenden  Künstlern  dem  historischen 
Kunstwerk  gegenüber  ging,  so  ergeht  es  uns 
selbstverständlich  auch  jedem  Kunstwerk  un- 
serer Zeit  gegenüber,  mögen  wir  auch  als  Kinder 
gleicher  Zeit  leichtere  Annäherungsmöglich- 
keiten haben.  Wir  haften  am  Einzelnen,  ohne 
der  Gesamtheit  des  Vorstellungsprozesses,  aus 
dem  das  Kunstwerk  ein  Querschnitt  ist,  näher- 
zukommen, falls  wir  nicht  befähigt  sind,  den 
Vorgang  werdender  Vorstellungen  gegenüber 
dem  endgültigen  Kunstwerk  nacherlebt  zu 
haben.  Alles  Schwergewicht  der  Betrachtung 
wird  immer  noch  auf  das  Endergebnis  verlegt. 
Daß  aber  selbst  dieses  Endergebnis  kein  solches 
für  den  Gestaltenden  ist,  wurde  schon  gesagt. 
Wir  werden  ja  auch  einem  Menschen  nicht 
gerecht,  wenn  wir  aus  seinem  steten  Werden 
einen  Moment  herausgreifen,  wir  verstehen 
einen  philosophischen  Gedanken  ohne  Prä- 
missen und  Folgerungen  nicht.  Dem  Kunstwerk 
aber,  das  doch  auch  nur  Teil  eines  größeren 
steten  Werdens  ist,  glauben  wir  diese  abtötende 
Isolierung  zumuten  zu  können.  Was  uns  not 
tut,  ist  eine  evolutionistische  Betrachtungsweise 
auch  dem  Kunstwerk  gegenüber,  nicht  einzig 


die  Analyse  eines  nach  vorwärts  und  rückwärts 
begrenzten  Schaustücks.  Man  hat  philosophisch 
selbst  rezeptiv  noch  nicht  denken  gelernt,  wenn 
man  einige  Sentenzen  kennt,  ebenso  bleibt  das 
Reich  künstlerischen  Gestaltens  dem  fremd, 
der  nur  Ergebnisse  sieht,  dem  Werden  dieser 
Ergebnisse  aber  nicht  nachzudenken  vermag. 
Das  Mit-  und  Nachdenken  des  künstlerischen 
Vorstellungsgangs  bleibt  eine  Aufgabe,  die  noch 
unendlich  viel  zu  erfüllen  hat,  denn  einzig  sie 
führt  aus  der  Oberfläche  in  die  Tiefe  des  Kunst- 
werks ein.  —  Für  große  Gebiete  alter  Kunst 
fehlen  die  Möglichkeiten  zum  Nachdenken  des 
künstlerischenVorstellungsganges  allerdings  fast 
vollkommen,  nur  Rückschlüsse  aus  gegenwär- 
tigem künstlerischen  Schaffen  werden  schwach 
diese  fernen  Gebiete  erhellen.  Eine  Mahnung 
übrigens  für  den  Kunsthistoriker,  die  förder- 
lichen Werte  nicht  zu  verkennen,  die  in  der 
Beschäftigung  mit  moderner  Kunst  auch  für 
den  Deuter  alter  Kunst  liegen. 

Wird  nun  derjenige,  der  nicht  selbst  schöp- 
ferisch gestaltet,  in  dieses  wirbelvolle  Labyrinth 
überhaupt  einen  Zugang  finden?  Kann  nicht 
allerletzt  nur  noch  der,  dem  es  vergönnt  ist, 
den  gestaltenden  Künstler  zu  umlauern,  wie 
der  Biologe  sein  Studienobjekt  umlauert,  darauf 
rechnen,  einige  Wellen  aus  jenem  dunklen 
Wirbel  aufzufangen?  Ist  damit  aber  nicht  gar 
das  weite  Reich  der  Kunst  dem  Nichtkünstler 
verschlossen,  bleibt  nicht  sogar  der  Künstler 
dem  Künstler  als  anderem  Individuum  fern,  und 
schafft  er  nicht  als  ein  ewig  Einsamer  einzig  für 
sich  selbst,  einzig  für  seine  Erkenntnis?  Leider 
muß  eingestanden  werden,  daß  diese  Fragen 
keine  fröhliche  Auflösung  erhoffen  lassen.  Wer 
sie  weiter  ausspinnt,  wird  bescheiden  und  schon 
beglückt  mit  einem  Blick  durch  die  vergoldeten 
Gitter  dieses  verschlossenen  Reichs.  Den  Blick 
aber  sollten  wir  wohl  festhalten  und  auch  ver- 
suchen, die  Stangen  etwas  auseinander  zu 
biegen.  Denn  im  Ablauf  des  künstlerischen 
Vorstellungsvorgangs  lüftet  sich  der  Schleier 
hier  und  dort.  Eine  Skizze,  ein  Wort  lassen 
manches  erraten,  die  Erlebnisse  eigener  pro- 
duktiver Tätigkeit  auf  jedwedem  geistigen  Ge- 
biet gesellen  sich  hinzu,  und  so  erhellt  sich  dort 
ein  Werden,  wo  vorher  nur  ein  Sein  erkannt 
wurde.  In  der  Aufdeckung  solchen  Werdens, 
in  dem  Bemühen  um  Erkenntnis  jenes  zweiten 
großen  Reichs  neben  dem  Reich  des  begriff- 
lichen Denkens  harrt  der  Kunstwissenschaft 
eine  mächtige  Aufgabe.  Der  geistige  Vorgang 
des  künstlerischen  Gestaltens  will  erkannt  sein 
im  einzelnen  Kunstwerk,  in  der  zeitlichen  Ab- 
folge der  Kunstwerke. 

Künstler  sind  stets   ablehnend  gegen   eine 


Vom  Vorstellen  und  Gestalten  des  Kunst^verks. 


Kunstkritik ,  ernste  sogar  gegen  eine  günstige. 
Sie  sagt  ihnen  wenig  oder  nichts,  höchstens 
aus  wirtschaftlichen  Gründen  mag  man  sich  um 
sie  kümmern.  (Hierin  liegt  der  amoralische 
Grund  jeglicher  Kunstkritik  beschlossen.)  Wenn 
man  liest,  was  sie  selbst  schreiben,  wird  klar, 
warum.  Mag  es  nun  Marees,  Hildebrand, 
Liebermann,  Signac  sein,  sie  alle  sagen 
wenig  von  dem,  was  im  allgemeinen  den  naiven 
Betrachter  am  Kunstwerk  einfängt,  sondern  sie 
legen  allen  Wert  auf  den  Gestaltungsvorgang 
an  sich.  Sollten  wir  es  nicht  ebenso  machen? 
Lohnender  für  uns,  förderlicher  für  die  Durch- 
setzung eines  Künstlers  wird  es  auf  alle  Fälle 
sein,  statt  zehn  Werke  von  ihm  zu  bringen,  an 
einem  einzigen  die  verschiedenen  Vorstellungs- 
etappen aufzuweisen,  seine  besondere  Vor- 
stellungsart zu  verdeutlichen,  bis  dahin,  wo  die 
anschauliche  Form  endgültig  vorliegt.  Gar  nicht 
von  der  widernatürlichen  Art  zu  sprechen,  die 
Analyse  des  Kunstwerks  zu  einer  einzig  Ge- 
fühlswerte umschreibenden  literarischen  Neu- 
schöpfung zu  machen.  Eine  Kunstbetrachtungs- 
art, die  mit  Wackenroder  (1797)  aufkam  und 
unter  dem  Einfluß  Muthers  unsere  Literatur 
über  bildende  Kunst  stark  vergiftet  hat.  Sind 
wir  uns  andrerseits  nicht  über  die  Belanglosig- 
keit einer  Buchillustration  im  klaren,  die  litera- 
rische Begriffe  anschaulich  aufzeichen  will? 

Gern  gebe  ich  zu,  daß  bei  einer  solchen  Wen- 
dung dem  Kunstwerk  gegenüber  leicht  das  un- 
behagliche Gefühl  des  Akademischen  in  der 
Behandlung  auftauchen  kann.  Auch  ein  Hilde- 
brand mag  das  gespürt  haben,  wenn  er  meint, 
daß  eine  solche  Behandlung  in  die  Lage  käme, 
zu  demjenigen,  dem  die  Anschauungen  (Vor- 
stellungen) geläufig  sind,  in  einer  ungewohnten 
Sprache  zu  reden.  Und  hier  begründet  sich 
letzten  Endes  für  uns  die  schon  angedeutete 
Auffassung,  daß  die  Gesetze  des  künstlerischen 
Vorstellens  sprachlich  nicht  feststellbar  sind. 
Die  unüberbrückbare  Kluft  ist  diese :  Der  be- 
sondere geistige  Vorgang  des  künstlerischen 
Vorstellens  und  Gestaltens  wird  durch  Begriffe 
ersetzt,  um  uns  in  einer  uns  geläufigen  Form 
mitteilbar  zu  werden.  Diese  Begriffe  gehören 
jedoch  einer  durchaus  unterschiedlichen  gei- 
stigen Sphäre  an.  Aber  noch  etwas  Schlim- 
meres und  eben  akademisch  Vereisendes  ge- 
schieht: durch  feste  Begriffe  wird  der  unendliche 
Reichtum  bildnerischen  Gestaltens  einge- 
schränkt. Hildebrand  ist  in  seinem  „Problem 
der  Form"  dieser  Gefahr  nicht'entgangen,  aus 
einem  individuellen  Schaffen  hat  er  ein  abso- 
lutes begriffliches  Gesetz  machen  wollen  —  ein 
Fehler,  den  ihm  der  jüngste  Kunsthistoriker, 
der  Antike,  Gotik,  Barock  mit  freien  Augen 


nebeneinander  angesehen  hat,  nachzurechnen 
vermag  — ,  wo  es  dann  allerdings  nichts  Einfäl- 
tigeres gäbe,  als  mit  solch  primitiver  Erkenntnis 
einen  Hildebrand  selbst  angreifen  zu  wollen. 
Die  Begriffe  drängen  nach  Begrenzung,  die 
schöpferischen  Vorstellungen  dagegen  sind  flie- 
ßend frei.  Gebundenheit  und  Freiheit  stehen 
einander  gegenüber,  und  doch  wird  der  Versuch 
gemacht,  eines  durch  das  andere  zu  ersetzen, 
ja  wir  selbst  kommen  ohne  dies  ja  nicht  aus. 
Nun,  wir  können  uns  aus  diesem  Widerspruch 
retten,  wenn  wir  uns  gegenwärtig  halten  wollen, 
daß  alle  Begriffe  dem  Kunstwerk  gegenüber 
fließende  bleiben  müssen,  nicht  etwa  unklare, 
sondern  von  Fall  zu  Fall  durchaus  klare,  aber 
immer  mit  neuem  Gesicht.  Der  Reiz  liegt  ge- 
rade darin,  zu  zeigen,  daß  der  Begriff  der  Fläche 
begrifflich  mathematisch  bestimmt  ist,  in  der 
bildenden  Kunst  jedoch  stets  als  ein  anderer 
erscheint,  und  daß,  gehen  wir  über  diese  Ele- 
mente hinaus,  die  Kombinationen  im  Kunstwerk 
unendlich  vieldeutige  werden,  im  rein  begriff- 
lichen Denken  stets  eindeutige  bleiben  müssen, 
oder  jedenfalls  sollten. 

Einen  Einwand  hiergegen  könnte  man  unter 
Verweis  auf  das  mystische  Denken  machen, 
aber  eben  dieses  unterscheidet  sich  von  dem 
begrifflichen  dadurch,  daß  es  eine  Umschreibung 
von  Gefühlswerten  ist.  Es  schwebt  gewisser- 
maßen zwischen  Philosophie  und  Kunst,  wie 
denn  auch  die  darstellende  Kunst  leicht  in  die 
Mystik,  nie  aber  in  die  Philosophie  einzuführen 
vermag  —  trotz  Kaulbachs. 

Bei  allem  Bemühen  um  das  Werden  des 
Kunstwerks  wollen  wir  aber  schließlich  noch 
eins  festhalten,  dieses  eine  wird  auch  die  Be- 
scheidenheit dem  Kunstwerk  gegenüber  immer 
wieder  erneuem:  nicht  nur,  daß  es  unmöglich 
ist,  sein  besonderes  Leben  in  Begriffe  aufzu- 
lösen, sondern  daß  wir  stets  an  die  Grenzen 
des  Unbegreiflichen  kommen,  wo  man  sich  denn, 
nach  großem  Gewinn,  wohl  bescheiden  kann. 
Und  man  mag  sich  trösten.  Selbst  der  vor- 
stellende Künstler  wird  diese  Grenzen  des  Un- 
begreiflichen fortwährend  in  sich  spüren,  ja 
nicht  einmal  durchbrechen  mögen,  so  klar  er 
auch  den  Weg  im  Ganzen  verfolgt,  von  dem 
wir  nur  Teile  sehen.  „Man  hat  zu  allen  Zeiten 
gesagt  und  wiederholt",  meint  Goethe  zu 
Eckermann,  „man  solle  trachten,  sich  selber  zu 
erkennen.  Dies  ist  eine  seltsame  Forderung, 
der  bis  jetzt  niemand  genügt  hat,  und  der  auch 
eigentlich  niemand  genügen  soll." 

Nicht  also  die  Lichtquelle  selbst  gilt  es  zu 
finden,  wohl  aber  die  Strahlenbüschel  zu  sehen, 
die  sich  schließlich  im  Brennpunkt  des  Kunst- 
werks verdichten.  —  Bei  der  unendlichen  Fülle 


Vom  Vorstellen  und  Gestalien  des  Kunstwerks. 


394 


KARL  ALBIKEK— KARLSRUHE-ETTLINGEN. 


von  Ideen  und  Formen  während  des  Gestal- 
tungsvorgangs, die  wir  zum  Verständnis  des 
endgültigen  Kunstwerks  nachzuerleben  wün- 
schen müssen,  selbst  wenn, die  vermittelnde 
begriffliche  Übersetzung  nur  mangelhaft  sein 
kann,  wird,  wie  schon  einleitend  vermerkt, 
dieser  Gestaltungsvorgang  selbst  ein  ständig 
wechselnder  sein,  nicht  nur  in  den  verschiedenen 
Kategorien  des  bildnerischen  Gestaltens,  in  den 
verschiedenen  Zeltabschnitten  oder  bei  den 
einzelnen  Künstlern  einer  und  derselben  Zeit, 
sondern  sogar  in  einem  Künstler  bei  der  Schöp- 
fung seiner  verschiedenen  Werke.  Diese  Auf- 
fassung wird  leicht  den  gewandten  Macher  aus 
der  Schar  wahrer  Künstler  herauszusondern 
vermögen ;  er  ist  derjenige,  bei  dem  der  Ablauf 
des  Gestaltungsvorgangs  stets  der  gleiche  ist. 
Für  uns  ergibt  sich  aber  aus  der  Erkenntnis  der 
unendlichen  Möglichkeiten  der  Gestaltungsvor- 
gänge die  Forderung,  eine  Unendlichkeit  von 
Formsprachen  als  an  sich  gleichberechtigt  an- 
zuerkennen (ohne  das  Recht  persönlicher,  ihrer 
selbstgewählten  Beschränkung  jedoch  bewußter 
Entscheidung  zu  bestreiten),  weiterhin  jegliche 
Analyse  unter  stets  wechselnden  Gesichtspunk- 
ten vorzunehmen.   Man  mag  getrost  sagen,  dem 


ENTWURF  ZU  NEBENSTEH.  RELIEF. 


Werden  des  Kunstwerks  mangelt  dieLogik.  Und 
damit  mangelt  auch  die  Logik  seiner  begriff- 
lichen Umsetzung,  nachdem  wir  uns  schon  damit 
bescheiden  mußten,  daß  auf  diesem  Gebiete  die 
Begriffe  nicht  begrenzend  sein  können,  son- 
dern notwendig  fließende  werden  müssen. 

Wie  weit  sich  nun  aber  doch  trotz  alledem 
allgemeine  künstlerische  Vorstellungsbegriffe 
festlegen  lassen,  läßt  sich  hier  vorerst  nicht 
sagen.  Das  große  Verdienst  der  „Kunstge- 
schichtlichen Grundbegriffe"  Wölfflins  beruht 
gerade  darin,  einen  solchen  Versuch  unternom- 
men zu  haben,  wenn  er  auch  selbst  davon  ent- 
fernt ist,  diese  Grundbegriffe  für  abschließende 
zu  halten  und  sein  Buch  ein  tastendes  und  er- 
öffnendes nennt.  Auf  alle  Fälle  dürfte  die  Ein- 
beziehung anderer  kunstgeschichtlicher  Zeit- 
abschnitte die  von  ihm  festgelegten  Grundbe- 
griffe in  mancherWeise  umfärben  und  besonders 
das  von  Wölfflin  aufgestellte  System  ihrer  Be- 
ziehungen beeinflussen.  Gelangt  man  nicht  gar 
dahin,  jedwede  logische  Determinierung  auf  dem 
Gebiet  der  Kunst  von  vornherein  für  unmöglich 
zu  halten  im  Gegensatz  zum  begrifflichen  Den- 
ken. Und  selbst  diesem  gegenüber  ist  man  nicht 
mehr  so  sicher  wie  einst  (Bergson).    Bis  dahin 


KARL  ALBIKER-KARLSRUHE.  RELIEF  .MUSIZIERENDE  FRAUEN« 


Vom  Vorstellen  loid  Gestalkti  des  Kunshverks. 


sind  aber  noch  eine  Fülle  von  Einzelstudien 
notwendig,  die  Einblick  gewähren  in  das  Wesen 
des  künstlerischen  Vorstellens  und  Gestaltens. 

Wir  möchten  in  verschiedenen  Aufsätzen 
zwanglos  die  verschiedenen  Gestaltungsvor- 
gänge für  Baukunst,  Skulptur  und  Malerei  der 
Gegenwart  verfolgen,  wenn  es  auch  nicht  zu- 
fällig ist,  daß  wir  den  Beginn  mit  einem  Relief 
und  einer  Freiskulptur  machen. 

Das  Relief,  mit  dem  Albiker  ein  Theater  in 
Basel  schmückte,  macht  thematisch  keine 
Schwierigkeiten.  Es  ist  gedacht  für  die  beson- 
dere Bestimmung  seines  Standorts:  drei  musi- 
zierende Frauen,  eine  Tamburinschlägerin, 
eine  Lautenspielerin  und  eine  Bläserin.  Un- 
schwer erfaßt  man  auch  das  Verhältnis  der  drei 
Figuren  zur  Relieffläche;  die  architektonische 
Strenge  ihrer  Verteilung  in  drei  ähnlich  vari- 
ierten Rhythmen,  die  klare  Dreitrennung  und 
zugleich  doch  wieder  den  Zusammenfluß  des 
gesamten  Liniennetzes.  Hierin  scheint  das  End- 
ergebnis aller  gewandelten  Vorstellungen  des 
gestaltenden  Künstlers  anschauliche  Form  ge- 
worden zu  sein,  stark  unter  diesem  Eindruck 
stehend,  könnte  man  sich  dankbar  bescheiden. 
Und  doch,  meinen  wir,  kann  diese  letzte  Form 
noch  an  wirksamer  Lebendigkeit  gewinnen, 
wenn  wir  Einblick  in  ihren  Entstehungsvorgang 
gewinnen.  Es  mag  gleich  gesagt  werden,  daß 
derjenige,  der  gewohnt  ist,  künstlerischen  Ge- 
staltungsvorgängen nachzuleben,  ohne  diesen 
Umweg  noch  weitere  Vorstellungsbegriffe  allein 
aus  dem  Relief  herauszunehmen  vermöchte; 
hier  handelt  es  sich  aber  vor  allem  um  die,  die 
solchen  Gestaltungsvorgängen  fremder  gegen- 
über stehen.  Und  um  es  nochmals  mit  anderen 
Worten  zu  wiederholen :  Begriffe ,  stets  ver- 
änderlich, versagen  einer  solchen  ungeübtenVor- 
stellung  gegenüber  doch,  wenn  sie  nicht  erfährt, 
auf  welche  Weise  sich  diese  Begriffe  entwickeln. 

Der  flüchtige  Eindruck  von  der  Bewegung 
eines  knieenden  Frauenkörpers  war  Ausgang 
aller  der  Vorstellungen ,  deren  Endergebnis 
das  Relief  selbst  ist ,  mag  diese  erste  Vor- 
stellung nun  im  Geiste  des  Gestaltenden  ent- 
standen sein,  mag  sie  der  selbstentzückten 
Bewegung  des  freien  Modells  abgelauert  sein. 
Rodin  zum  Beispiel  hat  mit  flüchtigem  Stift 
ganze  Reihen  solcher  freien  Bewegungen  fest- 
gehalten. Blatt  um  Blatt  füllte  er  nach  den 
Tänzen  zartgliedriger  Kambodschanerinnen,  bis 
ein  Eindruck  plötzlich  über  allen  anderen  em- 
porwuchs und  sich  auszuformen  begann.  So 
ist  auch  dieser  knieende  Akt  mit  den  hochge- 
worfenen Armen  vielleicht  ein  flüchtiger  Bewe- 
gungseindruck emporschnellenden  Jubels,  viel- 
leicht ist  grade  diese  Stellung  geboren  in  dem 


eigenen  dithyrambischen  Lebensgefühl  des 
Künstlers  und  ohne  Modell  mit  schnellen  Tusch- 
strichen auf  das  Papier  geworfen  —  gewiß  Un- 
terschiede ,  aber  doch  in  dem  Gange  der  Vor- 
stellungen belanglos.  Diesem  Bewegungsein- 
druck wird  nun  weiter  nachgedacht.  Zunächst 
frei,  isoliert,  flächig  aufgebaut  wird  er  in 
der  Vorstellung  verwoben  zur  Dreibindigkeit 
mit  zwei  weiteren  Figuren,  für  die  sich  ein  ähn- 
licher Gestaltungsausgang  nachweisen  ließe. 
Und  nun  ein  weiterer  Schritt;  das  Format  der 
rechtwinkligen  Steinfläche  wird  von  dieser  Vor- 
stellungsgruppe gewählt  und  zwingt  gleichzeitig 
diese  Vorstellungsgruppe  in  ihre  festen  und  von 
jetzt  ab  unvermeidbaren  Grenzen.  Die  isolierte 
Bewegung  verschmilzt  in  eine  dreifache  sich 
gegenseitig  bedingende  und  beeinflussende,  die 
freiwillig  gestellten  Forderungen  der  Steiufläche 
werden  zum  Gesetz  des  weiteren  Gestaltens. 
Die  überreichen  Möglichkeiten  müssen  durch 
das  enge  Tor  eines  besonderen  Vorstellungs- 
willen hindurchgehen.  Die  Kohlezeichnung  zeigt 
diese  bestimmte  Wendung.  Man  wird  mit 
einemmal  inne,  wieviel  Entsagungsvolles  in 
dieser  Fassung  liegt,  obgleich  doch  Wort  für 
Wort  die  Analyse  auf  sie  passen  würde,  die 
vorher  das  vollendete  Relief  umschrieb.  Die 
Bedeutung  dieser  Kohlezeichnung  liegt  grade 
darin,  daß  mau  ihr  gegenüber  dem  Künstler 
nachzudenken  vermag,  wie  sie  wohl  eine  Lö- 
sung bedeuten  und  doch  gleichzeitig  für  ihn  zu 
einer  Enttäuschung  werden  konnte.  Denn  die 
Ausgangsvorstellung  jener  jubelnden  Bewegung 
ist  verblaßt,  verblaßt  zu  einem  starrgebannten 
Schema.  Der  schwerste  Teil  der  Arbeit  be- 
ginnt; nicht  nur  hinüberzuretten,  sondern  aus- 
zubauen das,  was  ursprünglich  vorhanden  war. 
Die  Ausgangsvorstellung  einer  schwungvollen 
Bewegung  wird  zum  Gestaltungsproblem.  Man 
verfolge  in  den  drei  Stadien  das  Aufsetzen  des 
Körpers  auf  dem  Schenkeldreieck,  Schwung 
und  Drehung  des  Torso,  die  Kurvenlinie  der 
beiden  Arme  und  ihre  Richtung  gegen  den 
Körper,  immer  erscheint  auf  Bewegung  hin  an- 
gesehen die  Tuschzeichnung  wie  ein  wilder 
Rausch,  die  Kohlezeichnung  wie  ein  geome- 
trisches Schema,  das  Relief  wie  ein  Schwung 
voll  Energien,  die  wohl  das  umschreibende 
Format  des  Steins  einhalten,  zugleich  aber  dies 
Format  als  behinderndes,  pressendes  völlig 
vergessen  machen  und  sich  unbehindert  auszu- 
rasen scheinen.  Unter  dem  anderen  Gesichts- 
punkt der  Einzwängung  in  das  Format  be- 
trachtet: die  TuschzeichnuDg  jede  Grenze  des 
Raumes  vergessend  machend,  die  Kohlezeich- 
nung die  Figur  in  das  Format  des  Steins  hinein- 
duckend, das  Relief  dieses  Format  als  eigen- 


Vovi  Vof stellen  und  Gestalten  des  Kunstxverks. 


K.  ALBtKER.  ZEICHNUNG 
«STEHENDE  FRAUEN« 


gesetzliches  bestimmend.  Zwei  Wurzeln  des 
Vorstellungsvorganges  sind  so  deutlich  gewor- 
den, Bewegung  und  Format.  Feindlich  fast 
sich  gegenübertretend,  harmonisch  geeint,  ja 
weit  mehr,  sich  gegenseitig  steigernd  die  Werk- 
statt verlassend.  Und  wir  sagen  wohl  nicht  zu 
viel,  daß  nun  erst,  wo  wir  diesen  Entwicklungs- 


<%J^C' 


gang  übersehen,  das  Relief  in  der  rezeptiven 
Vorstellung  des  Betrachtenden  ganz  andere 
Wirkungen  auslöst  wie  vorher.  Wir  haben  selbst 
an  den  Vorstellungsbegriffen  mitgearbeitet,  und 
diese  Tätigkeit  ist  für  ihr  Verstehen  von  gleicher 
Bedeutung,  wie  das  Mitarbeiten  an  den  rein- 
begrifflichen  Gedankengängen   eines   Philoso- 


KARL 

AlBIKER- 

KARLSRUHE. 

>STEHENDE 

FRAUEN« 


K.  ALBIKER- 
KARLSRUHE. 
»FRAUEN- 
GRUPPE« 


XX.  März  1917.  5 


Vom  Vorstellen  tind  Gestalten  des  Kunstiverks. 


K.  ALBIKER- 
KARLSRUHE. 


PINSEL- 
ZEICHNUNG: 
»KNIEENDE 
FRAU. 


phen  für  das  Verstehen  seiner  Schlußsätze  es  ist. 
—  Von  einer  flächenhaft  vorgestellten  —  im 
Gegensatz  zur  räumlich  vorgestellten  —  Linien- 
bewegung nimmt  auch  die  zweite  Schöpfung 
Albikers  ihren  Ausgang.  Eine  Gruppe  von 
zwei  stehenden  Frauen,  aneinanderge- 
schlossen  in  gleicher  Bogenbewegung  der  Kör- 
perkonturen, während  die  Sehne  dieses  Bogens, 
die  der  ganzen  Gruppe  Flankenhalt  gibt,  fest- 
gelegt wird  durch  den  linken  Arm  der  rechten 
Figur  und  ein  herabhängendes  Gewandstück, 
Eine  kräftige  Diagonale  legen  die  beiden  rechten 
Arme  durch  die  Gruppe ,  verdeutlichender 
Gegensatz  zu  den  großen  Bogenlinien  und  doch 


gleichzeitig  sich  aus  ihnen  abzweigend.  Man 
könnte  sich  nun  denken,  daß  der  Künstler  aus 
dieser  ersten  Vorstellung  eine  Reliefplastik  ent- 
wickelt hätte,  vielleicht  in  ähnlichen  Vorstel- 
lungsvorgängen, wie  sie  vorhin  entwickelt  wur- 
den, vielleicht  aber  auch  in  glatterem  Ablauf, 
da  diese  Vorstellung  sich  von  selbst  in  ein  be- 
stimmtes Steinformat  zu  fügen  scheint.  Um  zu 
zeigen,  wie  leicht  sich  immerhin  ein  solcher 
Vorstellungsgang  abspielen  kann,  fügen  wir  hier 
ein  weiteres  Relief  einer  knieenden  Frau  mit 
der  ersten  Studienzeichnung  ein,  bei  dem  die 
Figur  selbst  nur  geringe  Wandlungen  durchge- 
macht hat,  wogegen  die  Bedeutung  der  Schilf- 


402 


K.  ALBIKER- 
KARLSRDHE. 
RELIEF  »KNIE- 
ENDE FRAUc 


Vom  J  'orstelleyi  und  Geifal/eti  r/es  Ku7isia  -erks. 


gewächse  für  die  endgültige  Gestaltung  sich 
wesentlich  gewandelt  hat.  Indem  bei  der 
Gruppe  die  flächenhaft  vorgestellte  Linienbe- 
wegung nun  aber  durch  einen  plötzlich  auf- 
zuckenden, auf  ein  bestimmtes  Ziel  gerichteten 
Vorstellungsimpuls  genötigt  wird,  sich  in  eine 
Freiskulptur  hineinzuformen,  treten  ganz  neue 
Forderungen  an  sie  heran.  Die  dritte  Dimen- 
sion erscheint,  die  Fläche  bricht  auf  zum  Raum, 
der  nicht  einzig  wie  die  Fläche  nach  oben  und 
unten,  rechts  und  links  Freiheiten  gibt,  sondern 
sein  eigentliches  Leben  grade  in  einem  Vor  und 
Zurück  offenbart.  Deutete  vorher  die  Linie  die 
Fläche  aus,  so  muß  nun  im  Raum  diese  Linie 
sich  selbst  zur  Fläche  entfalten.  Jeder  einzelne 
Frauenkörper  wird  mit  kontrastierenden  und 
sekundierenden  Richtungsebenen  durchsetzt 
und  die  vormals  einfachen  Bogenlinienbezieh- 
ungen  beider  Körper  verschieben  sich  jetzt 
räumlich  gegeneinander.  Man  verfolge  in  der 
Freigruppe  gegenüber  der  Zeichnung  das  neue 
Verhältnis  beider  Schultern,  die  Verschiebung 
der  Brust-  und  Bauchpartien  gegen  die  Schul- 
tern und  gegeneinander,  die  Veränderungen  und 
Deckungen  der  Beinstellungen,  die  man  als  eine 
der  schwersten  Partien  im  Gesamtaufbau  be- 
trachten kann.  Hier  ist  nicht  nur  der  einstige 
Linienrhythmus  gewahrt,  die  Vorstellung  nicht 
nur  kompliziert  und  bereichert  —  von  Bedeu- 
tung ist  die  Unterstützung  und  Gegensätzlich- 
keit der  Gewandfalten  und  dicken  Säume  — , 
sondern  in  dieser  Komplizierung  ist  zugleich 
ein  höchst  klares  und  leicht  faßliches  Vorstel- 
lungselementherausgearbeitet:  diebeiden  rech- 
ten Füße  sind  bis  an  die  vordere  Ebene  gleich- 
mäßig herangestellt,  die  beiden  linken  Füße 
fast  gleichmäßig  zurückgezogen,  was  bei  der 
kreuzweisen  Versetzung  der  einen  Figur  eine 
dreieckige  Basis  mit  der  Spitze  gegen  den  Be- 
trachter ergibt.  Diese  Spitze  aber  wird  der 
Aufschwungpunkt  für  den  Aufbau  der  plasti- 
schen Massen,  der  erhobene  Kopf  der  linken 
Figur  biegt  diese  schwingend  steigenden  Massen 
wieder  zusammen  und  gewinnt  hier  oben  eine 
ähnliche  Bedeutung  wie  das  Fußpaar  unten.  " 
Der  Gestaltungsvorgang  des  Reliefs  ging  von 
der  Linie  über  eine  Flächengeometrie  zur  Linie, 
der  Gestaltungsvorgang  der  Freiskulptur  von 
der  Linie  zum  Raum.   Der  Gestaltungsvorgang 


hat  im  ersten  Fall  gewissermaßen  einen  Kreis 
beschrieben,  im  zweiten  Fall  stetig  eine  neue 
Richtung  eingeschlagen.  Einmal  hat  die  Linie 
sich  in  der  Fläche  erfüllt,  das  andere  Mal  hat 
sich  die  Linie  zur  Fläche  entfaltet  und  damit 
den  Raum  gewonnen,  so  entschieden,  daß  diese 
Freiskulptur  sich  Werken  des  Barock  nähert. 
Man  wende  nicht  ein,  daß  ja  auch  das  Relief 
räumliche  Werte  einschließe,  die  Freiskulptur 
Linienumgrenzungen  aufweise.  Ausschlag- 
gebend sind  hier  die  Hauplbegriffe,  mit  denen 
die  Vorstellung  arbeitet. 

Wichtig  wird  nun  weiter  die  Erkenntnis,  daß 
dieVorstellungsbegriffe  linear,  flächig  und  räum- 
lich einheitlich  beieinander  ruhen  und  einzig 
durch  den  besonders  gerichteten  Vorstellungs- 
willen Realität  erlangen.  Sie  schließen  sich  im 
Vorstellungsgang  nicht  gegenseitig  aus,  bilden 
in  unserem  Fall  keine  Paarigkeit,  wie  sie  etwa 
für  einen  bestimmten  Zeitabschnitt  Wölfflin 
nachgewiesenhat,  sodaß  etwa  das  linear-flächige 
Sehen  in  Gegensatz  zu  dem  malerisch-räum- 
lichen Sehen  tritt.  Sollen  wir  annehmen,  daß 
unsere  Zeit  diese  Fähigkeiten  neuer  Gruppier- 
ungen alter  \'orstellungsbegriffe  erlangte,  weil 
sie  so  unendlich  viel  von  dem  künstlerischen 
Vermächtnis  früherer  Zeiten  in  sich  eingesogen 
hat?  Ich  glaube,  dieser  Einwurf,  den  man  viel- 
leicht zur  restlosen  Verteidigung  der  ihrem  be- 
sonderen Objekt  gegenüber  wundervollen  Dar- 
legungen Wölfflins  machen  möchte,  scheitert 
an  der  außerordentlichen  Kraft  der  Albiker- 
schen  Vorstellungsformen.  Und  wir  kommen 
da  auf  einen  schon  ausgesprochenen  Satz  zu- 
rück: daß  diese  Vorstellungsbegriffe  eine  un- 
endliche Kombinationsfähigkeit  und  Bildsam- 
keit im  Gestaltungsvorgang  besitzen,  daß  grade 
die  schöpferische  Art  unserer  Zeit  auf  solcher 
Kombinationsmöglichkeit  beruht.  Gleichzeitig 
erinnern  wir  noch  einmal  daran,  daß  alle  Vor- 
stellungsbegriffe gegenüber  den  auf  Eindeutig- 
keit ausgehenden  abstrakten  Begriffen  unend- 
lichdeutige  sind,  und  daß  die  eigentliche  Auf- 
gabe nun  wohl  die  wäre,  immer  neue  Eigen- 
schaften undWesensarten  der  Linie,  der  Fläche 
und  des  Raumes  zu  enthüllen,  nicht  nur  aus 
ihrer  optischen  Sehbarkeit,  sondern  vor  allem 
aus  ihrer  Einreihung  in  den  Vorstellungsvor- 
gang heraus a.  e.  br. 


EDUARD  PFEIFFER    BERLIN.  «RELIEF  IN  HOLZ  GESCHNITZT«  SCHRANKFÜLLUNG. 


XX.  März  1917.  6 


ARCHITEKT  EDUARD  PFEIFFER-BERLIN.  »HERRENKLEIDER-  UND  WÄSCHESCHRANK.  FÜLLUNG  vergl.  S 


RICHARD  L.  F.  SCHULZ  -BERLIN. 


>ELEKTRISCHE  STEHLAMPEN« 


SICHTBARE  SCHÖNHEIT  ALS  AUSDRUCK  DER  SEELENKULTUR. 

UNSER  VERHÄLTNIS  ZU  DEN  SCHÖNEN  DINGEN  VON  JOSEPH  AUG.  LUX. 


Bleiben  wir  stets  dessen  eingedenk,  daß  der 
künstlerische  Geschmack  der  Ausdruck  ver- 
borgener Seelenkräfte  ist,  die  in  jeder  Brust 
ein  eigenes  Gesetz  bilden.  Wer  da  glaubt,  die 
Sache  mit  einfachen  Regeln  abzutun,  ist  schon 
auf  dem  Holzweg.  Die  Tyrannei  nüchterner 
Rezepte  und  Vorschriften,  die  für  alle  Menschen 
oder  für  ein  ganzes  Volk  bindend  sein  sollen, 
führt  direkt  in  die  Erstarrung,  in  Kunstblind- 
heit und  hilflosen  Manierismus.  Hüten  wir  uns, 
das  Flügelroß  schöpferischer  Phantasie  an  die- 
sen dürren  Ast  zu  binden  ! 

Unerschöpflichkeit  der  Erfindung,  ewige 
Wiedergeburt  des  edlen  Geschmackes  ist  uns 
gegeben,  weil  es  etwas  ist,  das  aus  geheimnis- 
vollen Seelentiefen  kommt  und  dort  von  dem 
Sternengesetz  des  Kosmos  geleitet  wird.  In 
diesem  schöpferischen  Urgrund  der  Seele  voll- 
zieht sich  das  Urbild  des  Schönen,  die  plato- 
nische Idee,  die  Inspiration,  die  von  der  gestal- 
tenden oder  ordnenden  Hand  hernach  in  Sicht- 
barkeit umgesetzt  wird.  Aber  sie  könnte  nicht 
greifbare  Gestalt  gewinnen  in  Holz,  Stein,  Me- 
tall, Farbe  oder  Ton,  wenn  sie  nicht  vorher 
schon  als  ein  Seelisch-Geistiges  vorhanden 
wäre.  Nicht  der  Intellekt  oder  die  verstandes- 
mäßige Alltagslogik  ist  schöpferisch;  sie  kann 
höchstens  Regeln  und  Rezepte  verschreiben; 
sondern  jenes  tiefere,  individuelle  Gefühl  ist 
produktiv,  das  jene  Regeln  und  Rezepte  immer 


wieder  durchbricht  und  umwirft  und  an  Stelle 
der  Schulweisheit  die  überraschenden  Taten 
des  Genius  setzt. 

Die  Geistform,  im  dunklen  Seelenbereich 
entstanden,  ist  früher  da  als  die  sichtbare 
materielle  Form.  Wie  schön  spricht  der  Dichter 
Eichendorff  von  den  heimlichen  Liedern,  die  in 
allen  Dingen  schlummern  und  wie  richtig  redet 
der  Orientale  von  dem  Geist  des  Tisches  oder 
von  dem  Geist  jeglichen  gefertigten  Dinges,  wie 
er  auch  von  dem  Geist  des  Baumes  oder  des 
Felsens  redet.  Erinnern  wir  uns,  daß  auch  unser 
Naturempfinden  um  die  Seele  des  Baumes,  um 
die  Dryaden  weiß,  um  den  Geist  über  den 
Wassern,  um  den  Erlkönig  usw. 

Unser  seelisches  Verhältnis  zu  den  Dingen 
beruht  darauf,  daß  diese  Dinge  ursprünglich 
geistig  vorhanden  waren,  und  daß  somit  der 
Geist  an  ihnen  es  ist,  der  ihnen  erst  ihr  Dasein 
in  dieser  Welt  und  ihr  individuelles  Leben  gibt. 
Wenn  man  das  erkannt  hat,  ist  man  mit  den 
Gegenständen  seiner  Wahl  innerlich  verknüpft. 
Sie  sind  beseelt,  weil  sie  aus  den  Händen 
eines  Verfertigers  hervorgingen,  der  sie  aus 
seiner  Seele  geschöpft,  und  ihnen  mithin  etwas 
von  seinem  inneren  Wesen  und  eine  Ahnung 
des  göttlichen  Gesetzes  mitgegeben  hat.  Wenn 
man  in  dem  Verfertiger  außerdem  eine  beson- 
dere Künstlerindividualität  verehrt,  die  ihre 
innere   Eigenart   in  dem  Werk  seiner   Hände 


Sichtbare  Schönheit  als  Ausdruck  der  Seelenkultur. 


oder  seines  Geistes  zum  Ausdruck  bringt,  oder 
wenn  sich  in  dem  Gegenstand  die  Erinne- 
rung an  den  Geber  manifestiert,  so  haben  wir 
eine  vielfache  Seelenverknüpfung,  durch  die 
der  Geist  der  Dinge  oder  die  heimlichen  Lieder 
darin  zum  eigenen  Herzen  sprechen.  Indem  wir 
auf  den  „Geist"  sehen,  der  verborgen  in  der 
Sache  lebt,  unterscheiden  wir  schon  zwischen 
den  Dingen,  die  im  hohen  Grad  geistig  geladen 
sind,  wie  künstlerische  Werke  überhaupt,  und 
jenen  anderen  Dingen,  die  gleich  der  Fabriks- 
ware als  Reproduktionswert  oder  Facsimile 
diese  Gnaden  nur  im  geringen  Maße  besitzen, 
ganz  abgesehen  von  den  häßlichen  Dingen,  die 
den  Geist  der  Niedrigkeit  und  Verworrenheit 
atmen  und  die  beglückende  Erlösungsmacht 
edler  Schöpfungen  nicht  besitzen.  Wir  müssen 
uns  von  diesem  bösen  Geist,  der  sich  immer  in 
schlechter  oder  disharmonischer  Form  bietet, 
sehr  wohl  hüten;  auch  die  scheinbar  toten 
Dinge  haben  eine  Schicksalsmacht  und  können 
uns  auf  eine  unheilsame  Weise  beeinflussen. 
Denn  die  scheinbar  toten  Dinge  sind  vermöge 
ihrer  Geistnatur  doch  zugleich  auch  lebendige 
Wesen,  wie  es  der  Baum  ist  oder  der  Fels  und 
sie  wirken  kraft  des  psychischen  Gesetzes, 
dessen  Ausdruck  sie  sind,  weiter.  —  Das  gött- 
liche Gesetz,  das  jeder  menschlichen  Schöpfung 
zugrunde  liegt,  ist  das- 
selbe, das  nach  Gottes 
Wort:  ES  WERDE  allem 
Welt-  und  Naturgesche- 
hen zugrunde  liegt.  Es 
war  eine  geistige  Kraft, 
die  das  Chaos  entwirrte 
und  eine  Veste,  eine  Tren- 
nungslinie zwischen  Land 
und  Wasser ,  zwischen 
Himmel  und  Erde  errich- 
tete und  dennoch  in  allen 
Teilen  die  heimlich  fluten- 
de, verbindende  und  ewig 
hervorwirkende  Geistes- 
kraft blieb,  die  die  un- 
erschöpfliche Mannigfal- 
tigkeit des  Werdens  in 
der  Natur  und  in  der 
menschlichen  Seele  be- 
wirkt. Nichts  ist  Wieder- 
holung, alles  ist  Entwick- 
lung. Die  ganze  Welt  mit 
ihren  Sphären  und  was 
auf  Erden  geschieht  und 
in  der  geistigen  Werk- 
statt des  Künstlers  oder 
in  der  schöpferischen 
Seele ,    befindet    sich  in 


einem  fortwährenden  Flusse,  der  immer  die- 
ses eine  göttliche  Geheimnis  der  Zeugung  in 
stets  neuen  und  wechselnden  Formen  hervor- 
spiegelt. Der  ewig  wandelbare  Ausdruck  der 
Form  ist  der  vielfache  Reflex  des  unwandel- 
baren verborgenen  Antlitz  Gottes  oder  seines 
geistigen,  schöpferischen  Atems.  Nie  kehrt  das 
Gleiche  wieder,  die  Sterne  wandeln,  und  die 
Sterne  in  der  Brust  haben  in  jeder  einzelnen 
Individualität,  in  jedem  neuen  menschlichen 
Leben  eine  andere  Konstellation.  Sie  geben 
jeder  Seele  ihr  eigenes  Ausdrucksgesetz.  Und 
diese  Tatsache  allein  sichert  uns  im  mensch- 
lichen Schaffen,  in  der  Kunst  ein  ewig  neues 
Hervorbringen,  dessen  einziger  Maßstab  die 
Individualität  des  Künstlers  ist.  Der  Künstler 
ist  frei,  wenn  er  nicht  der  Schulsatzung,  sondern 
seinem  Genius  folgt,  dem  Gebot,  das  in  seinem 
Seelen-Ich  geschrieben  steht. 

Gewiß  haben  ganze  Zeiten  oder  bestimmte 
Völker  ihre  besonderen  Imperative  und  ihre 
eigenen  Charakterzüge ;  aber  von  jenen  all- 
gemeinen Grundlinien  abgesehen,  die  den  Künst- 
ler als  Sohn  einer  bestimmten  Zeit  oder  eines 
bestimmten  Volkes  erkennen  lassen,  muß  er 
mit  jener  inneren  Freiheit  aus  seiner  besondern 
seelischen  Individualität  heraus  schaffen  oder 
wirken  können,  wenn  anders  seine  Werke  von 
„ewiger"  Dauer  sein  sol- 
len, das  heißt,  wenn  der 
Atem  Gottes,  jene  gei- 
stige Ideenkraft,  in  ihnen 
lebendig  pulsieren  soll. 
Es  sind  die  höheren  him- 
melgeborenen IntelUgen- 
zen,  die  dem  Künstler 
verliehen  sind,  als  ein 
seelisch  Gegebenes;  man 
spricht  darum  ganz  richtig 
von  Begabungen,  die 
natürlich  je  echter,  desto 
verschiedenartiger  sind. 
Begabung  ist  individuell; 
und  nur  die  Individualität 
ist  schöpferisch.  —  Von 
diesem  tiefsten  Punkt  aus 
müssen  wir,  ob  wir  nun 
Künstler  sind  oder  nicht, 
unser  Verhältnis  zur  Um- 
welt innerlich  regeln,  und 
dafür  kann  ich  außer  die- 
sem allgemeinen  Hinweis 
kein  Rezept  geben.  Wohl 
aber  ein  persönliches  Bei- 
spiel, das  gleich  wieder 
die  Aufforderung  enthält, 
jeder  müsse  anstatt  nach- 


F.  SCHULZ.  »ELEKTRISCHE  STEHLAMPE« 


Sichtbare  Schönheit  als  Ausdruck  der  Seelenkultur. 


R.  L.F.SCHULZ 

BERLIN. 

»  RtVNGE- 

LEUCHTER« 


zuahmen,  von  sich  aus  wirken.  Wenn  ich  Kunst 
hervorbringe  oder  Dichtung,  dann  geschieht  es, 
weil  ich  auf  dem  Grund  meiner  Seele  eine 
geistige  Kraft  spüre,  die  meine  Gestaltung 
leitet;  aber  ich  lasse  mich  auch  wieder  von  der 
gleichen  Seelenkraft  leiten,  wenn  ich  nach  per- 
sönlichem Geschmack  auswählend  verfahre  und 
demgemäß  meine  Umgebung  gestalte,  gleichviel 
ob  ich  es  mit  ganz  einfachen  oder  mit  reichen 
Mitteln  tun  kann.  Nach  diesem  Prinzip  wähle 
ich  mir  die  Menschen  meines  Umganges  und 
wähle  mir  die  Dinge  meines  Gebrauches  oder 
meines  Schönheitsbedürfnisses,  also  wahlver- 
wandtschaftlich, wofern  die  Menschen  und 
Dinge  zu  mir  gehören  und  mit  meinem  Inneren 
in  Harmonie  leben  sollen  oder  ich  mit  ihnen. 
Ich  nehme  sie  von  meinem  Seelenstandpunkt 
aus  als  geistige  Wesen,  die  mich  innerlich  an- 
sprechen; insoferne  sind  die  Gegenstände 
meiner  Geschmackswahl  zugleich  auch  Aus- 
druck meiner  Seelenkultur.  Diese  Seelenkultur 
kann  eine  hohe  oder  niedere  sein,  je  nach  dem 
Grad  meiner  Erkenntnis  und  Fähigkeit ;   aber 


sie  kann  niemals  eine  ganz  schlechte  sein,  wenn 
ich  das  individuelle  geistige  Gesetz  des  Edlen 
in  mir  erkannt  und  angefangen  habe ,  darnach 
zu  leben.  Wer  anfängt  darnach  zu  leben,  wird 
die  anfänglichen  Irrtümer  schon  bald  selber 
gewahr  werden  und  nach  einer  gewissen  Zeit 
sich  wie  von  selbst  in  Übereinstimmung  mit 
dem  Besten  der  Welt  befinden,  je  nach  seinem 
individuellen  Gesetz. 

„In  allen  meinen  Taten  —  Lass'  ich  den 
Höchsten  raten",  singt  derMystikerPaul  Fleming. 
Der  Höchste,  das  ist  jenes  göttliche  Gesetz, 
der  Sternenhimmel  in  der  eigenen  Brust,  die 
innere  Stimme,  wofern  man  den  Seelengrund 
und  seine  Weltzusammenhänge  in  sich  erkannt 
hat.  Es  wird  soviel  über  Geschmacks-Erziehung 
gefaselt  und  Vorschläge  werden  laut,  eine  Art 
Geschmacks-Kunde  in  der  Schule  einzuführen, 
um  der  Jugend  einzuprägen,  was  sie  für  schön 
und  für  häßlich  zu  finden  hat.  Ich  halte  die 
Schematisierung  des  natürlichen  und  unbeschol- 
tenen Schönheitsgefühlsfür  verhängnisvoll.  Man 
kann   das   absolut   Häßliche    an    den   Pranger 


Sichtbare  Schönheit  ah  Ausdruck  der  Seelenkultur. 


K.r..  F.SCHULZ 
HERLIN. 
•  HÄNGE- 
I.EUCHTER« 


stellen;  man  kann  ein  persönliches  Beispiel  im 
Guten  geben,  aber  man  kann  nicht  ein  Durch- 
schnittsrezept für  das  Künstlerische  oder  Ge- 
schmackvolle aufstellen,  damit  alle  darnach 
selig  werden  sollen.  Bewahre  uns  der  Himmel 
vor  diesen  kunstblinden  Doktrinären,  die  beck- 
messerisch an  Schöpfungen  der  Kunst  oder  des 
individuellen  Geschmackes  heruranörgeln,  an- 
statt die  Dinge  mit  schöpferischem  Gefühl 
liebend  zu  umfassen  und  wahlverwandtschaft- 
lich ein  seelisch  geistiges  Verhältnis  zur  Umwelt 
zu  suchen.  Wir  können  nicht  Geschmackskultur 
treiben  wollen,  wenn  wir  nicht  früher  seelisch 
erweckt  worden  sind,  dessen  eingedenk,  daß 
künstlerische  Kultur  nichts  anderes  ist  als  sicht- 
bar gewordene  persönliche  Seelenkultur.  .  .    l. 

Ä 

DER  UNGARISCHE  KRÖNUNGSKELCH. 
Auf  Bestellung  des  Kardinal-Fürstprimas 
Dr.  von  Csernoch  fertigte  Professor  R.  A.  Zutt 
an  der  K.  Ungar.  Landes-Kunstgewerbeschule 
einenKrönungsgedenkkelch.  Das  Werkist  40cm 
hoch  in  edlem  Silbermaterial  ausgeführt.    Auf 


Elfenbeinpiedestalen  knieen  vier  betende  En- 
gelskinder, auf  den  Flügeln  einen  emaillierten 
Reifen  tragend  mit  der  Aufschrift:  Gloria  et 
Honore  Coronasti  Eum  Anno  Domini  MCMXVI. 
XXX  Decembris.  —  Aus  diesem  Reifen  er- 
hebt sich  der  F"uß  des  Kelches,  mit  Rauch-  und 
Goldtopasen,  Smaragd  und  Perlen  und  dem 
Bilde  der  heiligen  Krone  geschmückt.  An  der 
schlanken  Endung  halten  Pelikane  ein  Elfen- 
beinstück, die  eigentliche  Basis  des  Kelches. 
Aus  dieser  Elfenbein-Knospe  erblüht  der  Kelch, 
mit  Ähren  und  Trauben  geschmückt ;  dazwischen 
emaillierte  Medaillons:  St.  Gregor  der  Große, 
St.  Thomas  von  Aquius,  Paschalis  und  Chry- 
sostomus.  Reiche  Symbole  birgt  der  Schmuck 
des  Kelches.  Der  Künstler  wollte  mit  dem  Ge- 
dankeninhalte der  Edelsteine  und  Perlen,  dem 
geheimen  Sinne  der  Materialien,  dem  Schwünge 
der  Formen  und  dem  objektiven  Inhalte  der  Mo- 
tive den  Schmerz  der  Vergangenheit,  die  Hoff- 
nung der  Zukunft,  die  Schönheit  der  Opferwillig- 
keit, die  Fruchtbarkeit  der  ungarischen  Erde 
und  die  Einigkeit  der  Nation  symbolisieren.  — 


i 


»UNGARISCHER  KRÖNÜNGS-KELCH«  SILBER,  EMAIL,  PERLEN  U.  EDELSTEINEN.  PROF.  A.  ZÜTT. 


Hans  BEYSSELL-BRESLAU.  RELIEF  in  eisen  getrieben,  breite  1,30  m 


H,  BEVSSELL- 
BKESLAU. 
»RELIEF  IN 
EISEN« 
HÖHE  80  cm. 


GETRI'^BENE  EISENRELIEFS. 


Nichts  läge  näher,  als  den  Arbeiten  von  Hans 
Beyssell  mit  den  vielmißbrauchtf  n  Schlag- 
worten „Materialechtheit"  u.  „materialgerechte 
Formgebung"  zu  begegnen;  sind  sie  doch  in  aller 
Mund,  gleichviel  ob  es  gilt  eine  gute  Leistung 
hervorzuheben,  oder  eine  Entschuldigung  zu 
finden,  die  allen  mundet,  denen  es  nicht  ge- 
lingen will,  Holz  anders  als  rechtwiaklig  zuzu- 
schneiden oder  den  Stein  anders  als  in  primi- 
tivster Weise  zu  bearbeiten.  Zumeist  ist  es 
augenscheinliche  Unbeholfenheit  und  handwerk- 
liches Unvermögen,  was  mit  dem  Begriff  „Ma- 
terialgerecht" bemäntelt  werden  soll. 

In  ihrem  besonderen  Charakter  mögen  die 
Reliefs  von  Hans  Beyssell  wohl  durch  das  Ma- 
terial bestimmt  worden  sein.  Nur  Eisenblech 
stand  für  diese  große  Arbeiten  zur  Verfügung, 
weil  die  Verwendung  von  Kupfer  und  Messing 
durch  den  Krieg  unmöglich  geworden  ist.  „Ich 
ließ  mich  vollständig  durch  das  Material  leiten, 
und  entwickelte  die  Form  aus  dem  Material", 
so  äußerte  sich  der  Künstler  zu  seinen  Arbeiten. 


„Das  Material  sagt  einem  selber,  wie  man  es 
behandeln  muß.  Man  muß  nur  genügend  Hand- 
werker sein,  um  seine  Sprache  zu  verstehen. 
Das  störrische  Eisenblech  zwingt  zur  Verein- 
fachung und  zur  großen  Form;  so  ist  seine  Ver- 
arbeitung eine  gute  Schulung,  die  allen  ernst- 
haften Bildhauern  zu  empfehlen  ist". 

Soweit  der  Künstler.  Es  mag  zugegeben  sein, 
daß  es  ihm  gelungen  ist,  die  Schwierigkeiten,  die 
das  Material  bietet,  glücklich  zu  überwinden, 
und  mit  beachtenswerter  handwerklicher  Mei- 
sterschaft eigenartige,  reizvolle  Wirkungen  da- 
raus zu  entwickeln.  Aber  damit  ist  bei  weitem 
nicht  alles  gesagt.  Aus  den  Richtlinien  allein, 
die  das  Material  bei  seiner  Verarbeitung  einer 
feinempfindenden  Hand  weist,  können  künst- 
lerische Werke  nicht  geboren  werden.  So  ist 
denn  auch  bei  der  Wertung  dieser  Reliefs  den 
künstlerischen  Absichten  und  deren  Verwirk- 
lichung weit  mehr  Beachtung  zu  schenken,  als 
der  technischen  Eigenart,  die  doch  nur  die  Ober- 
haut der  Gebilde  zu  berühren  vermag.  .   i.  d.  k. 


H.  BEVSSF.LL- 

BRESLAU 

.RELIEF  IN 

EISEN- 


NATIONALE  KUNST. 


Im  Kriege  ist  es  verständlich,  daß  aus  den  Um- 
wälzungen heraus  jeder  einen  Ausblick  ge- 
winnen möchte,  um  festzustellen,  wie  sich  die 
Lebensbedingungen  und  das  Dasein  in  der 
Zukunft  gestalten  werden.  Hiermit  aber  nicht 
zufrieden,  möchte  man  noch  wissen,  welchen 
Einfluß  der  Krieg  auf  das  Geistesleben,  auf 
Kunst-  und  Weltanschauung  haben  wird.  Aus 
diesem  Bedürfnis  heraus  erklären  sich  die  vielen 
Vermutungen,  denen  wir  in  der  letzten  Zeit 
begegnen  und  die  nachzuweisen  versuchen,  daß 
wir  auf  dem  Gebiete  der  Kunst  eine  nationale 
Kunst  zu  erwarten  haben.  Es  ist  aber  fraglich, 
ob  derartige  Bestrebungen  überhaupt  von  Vor- 
teil sind,  und  ob  die  Betrachlungen  und  Gründe, 
die  man  zum  Beweis  für  eine  nationale  Ent- 
wickelung  heranzieht,  auch  von  den  richtigen 
Voraussetzungen  ausgehen. 

Stellt  man  sich  auf  den  Standpunkt  Schnaases 
und  Taines,  die  einen  Zusammenhang  nachzu- 
weisenversuchen zwischen  demgesamtenLeben 
und  den  Erscheinungen  der  Kunst,  zwischen 
dem  künstlerischen  Ausdruck  und  dem  jewei- 


ligen Volksgeist,  so  könnte  man  Schlüsse  ziehen, 
die  den  Anschein  erwecken,  als  gingen  wir 
tatsächlich  einer  Zeit  entgegen,  die  von  den 
höchsten  national -künstlerischen  Leistungen 
erfüllt  sei.  —  Ist  aber  die  Voraussetzung 
für  diese  Schlußfolgerung  richtig?  Die  Gefahr 
für  dieselbe  liegt  darin,  daß  sie  leicht  in  eine 
Richtung  der  phantastischen  und  willkürlichen 
Annahmen  endigt.  Wir  müssen  uns  darüber 
klar  sein,  daß  der  Grad  der  künstlerischen 
Leistung  wohl  durch  das  gesamte  nationale 
Leben  gefördert  oder  behindert  werden  kann, 
daß  dieses  aber  nie  hervorbringend,  nie  pro- 
duktiv ist,  da  nur  das  Werk  des  Einzelnen  die 
Produktion  bedeutet.  Der  künstlerische  Trieb 
ist  das  Suchen  nach  Erkenntnis,  welches  darauf 
hinausläuft,  sich  die  Welt  in  ihrer  gesamten 
Erscheinung  zum  Bewußtsein  zu  bringen.  Diese 
Erkenntnis  kann  durch  das  Leben  einer  Zeit 
oder  eines  Volkes  wohl  gefördert  werden, 
wie  wir  in  der  Renaissance  sehen,  in  welchem 
Zeitraum  sie  ganz  besonders  hervortrat,  aber 
nie   können   die   äußeren  Verhältnisse   verur- 


I 


Nationale  Kunst 


sachend  auftreten.  Den  Weg  suchen,  der 
in  das  Innere  des  persönlichen  Wesens  führt 
und  die  Erfahrung,  die  auf  dem  Wege  des 
Erkennens  gesammelt  wurde,  der  Welt  als 
Offenbarung  zurückgeben  —  das  ist  das  Wesen 
des  Genies.  In  diesem  Sinne  kann  aber  die 
Kunst  nur  in  einzelnen  Erscheinungen  zu 
Tage  treten,  und  selbst  bei  einem  gleichzei- 
tigen Auftreten  mehrerer,  würden  alle  Erkennt- 
nisse verschiedener  Natur  sein.  Wir  müssen 
deshalb  die  Erwartungen,  die  wir  in  die  Zukunft 
setzen,  auf  sich  beruhen  lassen,  dürfen  uns  von 
vornherein  nicht  zu  sehr  an  den  Gedanken 
einer  nationalen  Kunst  gewöhnen.    Die  wirk- 


liche Kunst,  die  des  Genies,  atmet  eben  nicht 
in  einem  nationalen  Volksbewußtsein,  sondern 
hat  ihr  Leben  in  der  ganzen  Welt.  Alles  andere 
aber,  das  nicht  diese  höchsten  Forderungen  er- 
füllt, verdient  auch  nur  vorübergehender  Be- 
achtung, da  sein  Leben  ein  vorübergehendes  ist. 
Eine  Bewegung,  die  sich  ausdrücklich  auf  die 
nationale  Seite  der  Kunst  stellt,  muß  deshalb 
vorsichtig  aufgenommen  werden,  weil  jede  Be- 
wegung, welcher  Art  sie  auch  sei,  ihrer  Natur 
nach  mehr  zum  Niederreißen,  als  zum  Aufrichten 
geschaffen  ist,  dabei  leicht  die  Mittelmäßigkeit 
emporbringt,  indem  sie  dem  Unfähigen  den 
Schein  von  Bedeutung  gibt.  —  k.  ulmer-hamburg. 


HANS  BEYSSELL-RRESLAU.   .RELIEF  IX  EISEN  GETRIEBEN«   hOhe  90  cm. 


V0\  DER  KUNST 
DKS  DtKORIE- 
RENS.  —  Von  einer 
eigentlichen  Kunst 
des  Dekorierens.  ei- 
ner Kunst,  die  be- 
ruflich geübt  wird, 
können  wir  erst  seit 
ungefähr  einem  hal- 
ben Jahrhundert 
sprechen  Ursprüng- 
lich ist  es  eineLaien- 
kunst;  denn  ihre 
Grundlage  wurzelt 
im  Geschmack,  dem 
Organ  des  kunst- 
freundlichen Laien. 
Ausnutzung  gebo- 
tener Bedingungen, 
Verwenden  des 
nicht  Selbstgeschaf- 
fenen bilden  ihre 
Kennzeichen.  Der 
Kompromiß  ist  stets 
Pate  ihrer  Leistun- 
gen, Ihr  höchstes 
Ziel  beruht  in  der 
harmonischenGrup- 
pierung  des  Unhar- 
monischen. Von  der 
Bühneund  der  Fest- 
dekoration her  zog 
sie  in  unsere  Woh- 
nungen ein.  Von 
beiden  lieh  sie  sich 
die  Vorhänge  als 
ihre  Hauptstütze  In 
Johann  George  Sul- 
zers „Allgemeine 
Theorie  der  schö- 
nen Künste" .  einem 
Kunst-Lexikon  aus 
GoethcsTagen  fehlt 
das  Kapitel  „Deko- 
rateur und  Dekorie- 
ren". Die  stillen 
Zimmer  de  «Empire, 
die  spießbürger- 
licheBehausungdes 
Biedermeier  kennt 
die  Kunst  des  un- 
nützen Vorhangs 
nicht.  Erst  die  Düs- 
seldorfer Genrema- 
lerei  und   die   von 

falschverstande- 
nem Meiningertum 


11.   BEVSSEIX     BRESL.-\U.   iSTEHLEUCHTER»    MESSING  POLIERT. 


geschaffene,  neue 
Deutschrenaissan- 
ce unserer  Wohn- 
und  Eßzimmer  lie- 
ßen einen  Türspalt 
offen,  durch  den 
der  Dekorateur  in 
unsere  Wohnung 
schlüpfte.  Aber  bald 
machte  er  sich  da- 
rin breit  und  fühlte 
sich  als  Herr.  Por- 
tieren, Lichträuber 
und  Staubfänger, 
hing  er  um  P'enster 
und  Türen.  Eck- 
borde mit  dem  be- 
rüchtigten Makart- 
bukett  füllten  die 
Ecken,  Schandflek- 
ke  der  Tapeten  be- 
kamen eine  Ver- 
kleidung. Ja,  es  war 
eine  Verkleidurgs- 
kunst,  die  bei  uns, 
ein  echtes  Kind  der 
Bühne,  einzog.  Mit 
ihrem  Haß  gegen 
den  „toten,  leeren 
Winkel " ,  gegen  den 
„kahlen  Fleck"  an 
der  Wand  schuf  sie 
eine  Überfüllung. 
Erst  allmählichmuß- 
ten wir  uns  von  ihr 
freimachen,  und 
unsere  Loslö- 
sung von  ihrer 
Macht  wurde  ihre 
eigeneErlösung. 
—  Tür-  und  Fen- 
stervorhänge ,  Va- 
sen, Uhren,  Ther- 
mometer, Waffen, 
Raritäten,  dieses 
Vielerlei  wird  nun 
einmal  als  Gabe, 
Erbschaft  oder 

sonstwie  in  unsere 
Wohnung  hineinge- 
schwemmt. Liebe 
Erinnerungen  hal- 
ten sie  als  sichtbare 
Zeichen,  Dienerin- 
nen und  Stützen  der 
Wohnlichkeit  und 
des  Behagens  sind 


HANS  BEVSSELL -BRESLAU.   »ORNAMENTALES  RELIEF  IN  METALL  GETRIEBEN« 


»ANHANGER«  SILBER  GETRIEBEN 


IIROSCHE«   ELFENBEIN  IN  SILBER 


HANS  BEYSSELL     BRESLAU.  »ANHANGER«  ELFENBEIN  IN  RELIEF  IN  GETR.  SILBERFASSUNG. 


Von  der  Kunst  des  JJekorierens. 


PROFESSOR  OTTO  PRUTSCHER— WIEN. 

sie  geworden.  Wir  wollen  fortan  sie  nicht 
missen,  wir  wollen  aber  nicht,  daß  sie  unsere 
Räume  überwuchern.  Dies  Vielerlei  soll  sich 
als  einheitliche  Bestimmung  und  Stimmung  un- 
serer Wohnung  fügen.  Um  sie  der  Einheitlich- 
keit dienstbar  zu  machen,  müssen  sie  sich  fortan 
bestimmten  Prinzipien  der  Auslese  unterord- 
nen. Erst  unter  diesem  Prinzip,  unter  der  Ge- 
bundenheit seiner  Einheit  wird  aus  dem  früheren 
Chaos,  aus  der  Anarchie  des  einstigen  Tapezier- 
dekorateurs, die  Kunst  des  Dekorierens. 

Nach  verschiedenen  Prinzipien  läßt  sich  die 
Harmonie  herstellen,  wir  nennen  als  die  wich- 
tigsten: Linie,  Stile  und  Farbe.  Die  Linie  wird 
beim  Raffen  von  Vorhängen,  beim  Einordnen 
von  Büchern  in  Regale,  beim  Aufstellen  von 
Gläsern  auf  Borde  oder  in  Vitrinen  eine  ge- 
wisse und  nicht  unbedeutende  Rolle  bean- 
spruchen, aber  das  Spiel  der  Linie  kann  nicht 
ausschlaggebend  sein,   ebenso  wenig  wie  die 


»SPEISEZIMMER-SCHRANK  IN  EICHEN« 


Einheit  des  Stils.  Stileinheit  und  Stilechtheit 
läßt  sich  in  einer  Wohnung  wegen  der  Forde- 
rungen des  alltäglichen  Lebens  nicht  erzwingen. 
Was  wir  aber  immer  erreichen  können,  ist  der 
Zusammenklang  der  Farben  in  jeder  Grup- 
pierung. Durch  das  Überwiegen  der  Malerei 
unter  den  bildenden  Künsten  ist  in  jahrelanger 
Gewöhnung  unser  Auge  für  Farbwerte  so  ge- 
schult, daß  wir  den  Wert  der  Farbigkeit  gerade 
in  unserer  nächsten  Umgebung  beachten.  Dabei 
wissen  wir  genau,  wie  in  der  modernen  Musik, 
neben  dem  Gleichklang  dieDissonanz  zu  nützen. 
Wir  können  den  bunten  Farbenfleck,  der  aus 
der  Umgebung  herausspringt  und  sie  unter- 
drückt, in  gewissem  Sinne  zurückdrängt,  ganz 
anders  als  die  Malerei  selbst  verwenden,  weil 
Licht  und  Luft  vermittelnd  mitwirken,  wie  auf 
dem  bunten  Blumenteppich  einer  Wiese,  wo 
niemals  irgend  eine  leuchtende  Farbe  das  Ge- 
samtbild stört.  —  Bei  kleineren  Aufgaben  des 


PROFES^< 
O.  PRUTSCHI 

»STANDUHK 
SILBER-EMAIL 


JiiiiniiHiiiniiiiiiiiiiiniiiiiiimiiiiiiimiiiiiinnniinffl 


PROFESSOR  OTTO  PRUTSCHER-WIEN.  »ZIGARETTEN-DOSEN  IN 


MAIL«  AUSFÜHRUNG;  JOH.  SOUVAL     WIEN. 


426 


•  TEESERVICE« 
SILBER  GETR. 
MIT  ELFENBEIN. 


XX.  März  1917.  8 


Vofi  der  Kunat  des  Dekoriereyis. 


428 


Dekorierens  wissen  unsere  Hausfrauen  diese 
Kunst  wohl  zu  üben  und  aus  schöpferischem 
Instinkt  anzuwenden.  Dem  Weiß  der  gedeckten 
Tafel  geben  sie  eigenes  Licht  durch  dazwischen 
gestelltes  Silber  oder  Kristall  und  verleihen 
seiner  Reinheit  Bedeutung  mit  dem  Farbenfleck 
bunter  Blumen  oder  eines  gestickten  Mittel- 
stücks. Die  langweilige  Linie  der  zur  Ruhe 
einladenden  Chaiselongue  beleben  sie  durch 
die  Buntheit  darüber  gebreiteter  Kissen  und 
Decken.  —  Aus  diesen  Anfängen  erwuchs  die 
heutige  Kunst  des  Dekorateurs  für  schwierigere 


Aufgaben.  Nicht  Neuschöpfung  gibt  es  dabei, 
sondern  Nachschöpfung,  Ausnutzung  des  Vor- 
handenen, stets  unter  dem  Gesichtspunkt,  die 
Wohnlichkeit  zu  heben,  und  das  schöne  Einzel- 
stück nicht  zu  unterdrücken.  Die  Kunst  des 
Dekorierens  ist  vor  allem  die  echte  Kunst  der 
Frau.  —  Wer  jemals  die  Düse  als  Kameliendame 
in  eine  Vase  Blumen  einordnen  sah,  der  weiß, 
wie  sich  unter  Frauenhänden  Buntheit  in  Har- 
monie löst,  der  lernte  das  Geheimnis  der  Kunst 
des  Dekorierens  am  zartesten  Objekt,  an  leben- 
den Blüten,  entdecken robert  corwegh. 


PROFESSOR 
OTTO  PRUT  SCHER- 
WIEN. 


»l.KUCHTER  IN   MESSl-NC.  GETRIEBEN«   AUSFUHRG:  WIENER  WERKST.VllE. 


»ALTE  BRÜSSELER  KLÖPPELSPITZE<>  ERSTE  HÄLFTE  DES   l  8.  JAHRHUNDERTS  (DARSTELLUNG  DER  HEILIGEN  FAMILIE). 


ERINNERUNG  AN  GUSTAV  SCHÖNLEBER  f 


Selbst  bei  denen,  die  zuHause  sterben,  scheint 
der  Tod  heute  andere  Bedeutung  zu  haben 
als  sonst.  Glaubt  man  nur,  daß  alles  mit  dem 
Krieg  zusammenhänge,  oder  ist  es  so?  Ganz 
kann  niemand  Ursachen  und  Wirkungen  kon- 
trollieren: am  allerwenigsten,  wenn  sie  aus 
dem  Körperlichen  ins  Geistige  hinübergreifen 
—  in  das,  was  am  irdischen  Menschen  meta- 
physisch ist.  Als  ich  die  Nachricht  vom  Tode 
Gustav  Schönlebers  las,  vermochte  ich  nicht, 
sie  vom  Zustand  der  gegenwärtigen  Mensch- 
heit zu  trennen.  Dies  mag  ganz  töricht  sein 
oder  ein  wenig  richtig :  sicher  ist,  daß  ein  guter, 
ganz  menschUcher  Mensch,  ein  Freund  der 
Menschen  gestorben  ist.    Ich  zähle  es  als  ein 


Glück,  einen  elysäischen  Sommer  in  seiner  un- 
mittelbaren Nähe  gelebt  zu  haben  —  heute 
vielleicht  mehr  als  je. 

Kein  Eindruck  von  ihm  ist  —  ohne  daß  darum 
seiner  Kunst  das  Mindeste  entzogen  werden 
soll  —  nachhaltiger  geblieben  als  der  seiner 
liebenswerten  und  verehrungswürdigen  Mensch- 
lichkeit. Als  ich  vor  bald  17  Jahren  als  Haus- 
lehrer seiner  Söhne  seine  Sommerwohnung  am 
flandrischen  Strand  betrat,  sah  ich  zum  ersten- 
mal das  Haus  eines  Künstlers.  Dem  Bild  dieses 
Daseins  fehlte  jede  artistische  Geste.  Dinge, 
Menschen,  Gewohnheiten  hatten  einfachen  und 
unbefangenen  Zuschnitt.  Alles  war  frei  und 
klar  —  gleich   fern   vom  Preziösen  wie  vom 


429 


»BRÜSSELER  SPITZEN-DECKCHEN  IN  KI.i'iPPELARBEIT  FÜR  KIRCHLICHE  ZWECKE«  AUS  DEM  ACHTZEHNTEN  JAHRHVNDERT. 


Erinneru7io  an  Gtistav  Schönleber. 


»DECKCHEN  MIT  NADELSPITZE« 


Unbedeutenden.  Das  Sinnliche,  das  zugrunde 
lag,  war  von  Anmut  und  Ruhe  gehalten.  Ich 
habe  denselben  humanistischen,  um  nicht  zu 
sagen  griechischen  Hauch  in  dem  Karlsruher 
Hause  des  Künstlers  immer  wieder  gefunden. 
Nur  als  einen  Vorzug  konnte  man  es  rechnen, 
daß  das  Künstlerische  Schönlebers  und  seiner 
Umwelt  von  Diskretion  umgeben  war.  Wurde 
in  den  Dünen  oder  sonst  von  Kunst  gesprochen, 
dann  so  krampflos,  so  ohne  Gewaltsamkeit,  daß 
aus  dem  Besonderen,  das  die  Kunst  während 
des  vergangenen  Jahrhunderts  geworden  ist, 
wieder  etwas  Selbstverständliches  wurde:  etwas 


AUS  CATALONIEN  (SPANIEN). 

NatürUches  und  durch  sich  selber  rhythmisch 
Abgemessenes  wie  Schlafen ,  Essen ,  Trinken 
und  Spazierengehen  oder  ein  Bad  in  den  Wel- 
len von  La  Panne.  Dies  ist  die  Art,  wie  das 
Künstlerische  vorhanden  und  entscheidend  war ; 
so  gab  das  Künstlerische  dem  Leben  Versmaß 
und  einen  Sinn,  dem  Übertreibung  fremd  blieb. 
Wahr  ist  freilich,  daß  damit  nicht  alles  gesagt 
wird.  Dieser  Lebenston  war  eine  natürliche 
gute  Form,  die  in  diesem  Hause  jeder  dem  an- 
dern gegenüber,  vor  allem  der  Meister  gegen- 
über den  Seinen  und  den  Gästen,  sich  ohne 
weiteres  auferlegte,  oder  die  dort  jeder,  da  ein 


431 


Ennyiertmo  an  Gustav  Schönleber. 


Gedanke  wie  Pflicht  zu  hart  erschien,  auf  die 
einfachste  Weise  besaß.  Jenseits  dieses  Zusam- 
menlebens sah  man  von  weitem  den  Künstler 
hartnäckig,  mit  dem  Fleiß,  der  Zähigkeit,  der 
Intimität  und  dem  ausschließlichen  Hingegeben- 
sein eines  fertigen  und  von  jeher  entschlossenen 
Mannes  schaffen.  Ich  sehe  ihn,  wie  er  mit 
nackten  Beinen,  fast  arbeitergleich,  und  immer 
schwere  Zigarren  rauchend  weit  draußen  am 
Wasser  hockte,  im  Wasser  stand  und  ohne  Rast 
die  schwarzen  Rümpfe,  die  rostbraunen  Segel 
der  Schiffe,  die  olivgelben  Gummimäntel  der 
Fischer  von  La  Panne  malte.  Kam  er  dann 
nach  Hause,  so  schwieg  er  von  der  Kunst,  oder 
es  fiel  in  liebenswürdige,  erholende,  entzückend 
maßvolle  Gespräche  ,  in  Tischgespräche ,  die 
aus  Heiterkeit  und  Bedeutung  reizend  gemischt 
waren,  von  Zeit  zu  Zeit  ein  Wort  vom  Getanen 
und  Geplanten  —  gerade  soviel,  als  die  anderen 
brauchten,  damit  ihnen  von  der  Struktur  dieses 
Künstlerlebens  das  Mitteilbare  ersichtlich  blieb. 

Seine  Malerei  wurzelte  im  Menschlichen,  in 
der  Liebe  zur  Welt,  in  dem  schönen  Wohl- 
wollen, das  durch  Bilder  erfreuen  will.  Sie 
war  nicht  radikal,  aber  sehr  gründlich,  nicht 
visionär,  aber  tief  andächtig,  nicht  glorreich, 
aber  voll  von  reinem  innerem  Licht,  Gemessen 
am  Größeren  blieb  sie  ganz  sicher  gut. 

Von  seinen  Bildern,  die  vor  allem  an  drei 
Orten  gemalt  wurden ;  an  der  italienischen 
Riviera,  an  der  belgischen  Küste  und  im  Schwä- 
bischen, zwischen  Pforzheim  und  Stuttgart,  im 
Enztal,  das  der  Bietigheimer  Schwabe,  der 
Karlsruher  Akademielehrer  liebte  und  das  die 
Empfindungen  bewegt,  führt  die  Verbindung 
für  mich  immer  wieder  auf  dem  kürzesten  Weg 
zu  seiner  Persönlichkeit:  am  raschesten  zu 
seiner  Art.  den  Besucher  seines  Hauses,  seines 
von  genialen  Schnörkeln  freien  Ateliers  zu 
empfangen.  Der  starke  Mann  mit  dem  aufrecht- 
stehenden gebleichten  Haar,  dem  altmeisterlich 
kräftigen  Gesicht,  dem  rüstigen  Skelett,  den 
betonten  Wangenknochen  hatte  eine  zarte  Art, 
zu  begrüßen,  und  wiewohl  die  dicken  Brillen- 


gläser des  schwer  Kurzsichtigen ,  der  nur  mit 
einem  Auge  sah  und  malte,  da  das  andere  früh 
zerstört  war,  abblendend  den  Blick  verdeckten, 
empfand  man  die  reine  Herzlichkeit  seiner  Art, 
anzuschauen.  —  Es  ist  unzweifelhaft,  daß  seine 
Kunst,  als  Summe  genommen,  in  eine  bestimmte 
Generation  und  Art  gebunden  ist.  Er  kam  von 
Lier;  er  lieble  die  Maler  von  Barbizon,  ver- 
ehrte Spitzweg  und  Eduard  Schleich.  Das  ist 
eine  Einreihung.  Aber  sie  besagt  im  Grunde 
wenig  gegenüber  der  tief  dezenten  Tatsächlich- 
keit seines  Lebens  und  Arbeitens,  die  in  der 
Nähe  gesehen  —  und  irgendwie  überhaupt  auf 
Nähe  gestellt  —  den  unwiderstehlichen  Zauber 
des  Absoluten  gewinnen  konnte.  Seine  Kunst 
hatte  einen  bestimmten  Instinkt  für  das  im  for- 
malen,vielleicht  zeitgeschichtlichen  Sinn  Schick- 
liche und  verfeinerte  dies  Schickliche  auf 
eine  zugleich  persönliche  und  zurückhaltende 
Art.  Das  ist  weniger  als  die  Formel  der  Kunst 
überhaupt.  Aber  gewiß  ist,  daß,  was  er  schuf, 
menschlich  und  künstlerisch  überzeugte. 

Meine  persönliche  Verpflichtung  gegen  den 
Toten  bleibt  für  mich,  daß  ich  in  seinem  Kreis 
Tage,  Wochen,  Monate  verlebte,  die  zu  den 
glücklichsten  meines  Lebens  gehören,  und  daß 
ich  durch  ihn  zuerst  erfuhr,  was  Kunst  ist  (durch 
sein  sparsames  Wort  weniger  als  durch  die  ge- 
samte Wirklichkeit  seines  Daseins).  Sehr  weit 
bin  ich  von  ihm  seitdem  weggegangen.  Weitab 
liegen  schon  die  Tage,  in  denen  ich  ihn  sah, 
wie  er  die  Mitte  eines  Hauses  war,  und  in  denen 
ich  an  seiner  Seite  zwischen  den  Ginsterbüschen 
von  La  Panne,  am  Markt  von  Furnes,  in  den 
Straßen  und  Museen  Brüssels  umherging  oder, 
mit  seinen  lieben  Söhnen  auf  einen  Ausflug  ge- 
schickt, vor  der  Tuchhalle  in  Ypern  stand.  Wenn 
ich  heute  eines  seiner  Bilder  aus  der  gemein- 
samen Heimat,  aus  dem  badisch-schwäbischen 
Weltwinkel  sehe,  dann  wüßte  ich  nicht,  daß 
ich   es    vor    mir    und    irgendwem    verleugnen 

müßte WILHELM  HAUSENSTEIN. 

Anmerkung  der  Schri  f  tieilu  ng;  Auf  das  künstlerische 
Schaffen  des  Meisters  gedenken  wir  in  einem  der  nächsten  Hefte 
noch  ausführlich  zurückzukommen. 


BILDHAUER  ANTES— DARMSTADT.   »BILDNISBÜSTE  IN  MARMOR« 


Inhalts-Verzeichnis. 

BAND  XXXIX 

Oktober  1916— März  1917. 


TEXT-BEITRAGE: 

Seite 
Max  Liebermann  —  Berlin.   Von  Alf  red  Gol  d  3  —  38 

Sollen  Staatssammlungen  Modernes  erwerben. 

Von   Prof.  E.  W.  Bredt^München  .      .  40 — 44 

Ein  neues  I^ndhaus  von  Emanuel  von  Seidl. 

Von  Dr.   Robert  Corwegh — Leipzig  .  47  —  60 

Die  Aufgaben  der  Malerei.  Von  Anton  Jau- 

mann 61  —  78 

Zu    den     Bildnis  -  Photographien     von     Karl 

Schenker.     Von  Ignaz  Beth — Berlin    .  77 

Gegen  die  maßlose  Reklame.    Von  Dr.  Fried 

Lübbecke — Frankfurt 83—84 

Stickereien  und  Spitzen  aus  vergangener  Zeit. 

Von  Jarno  Jessen — Berlin      ....  87 — 88 

Erlösung  der  Zweckform 1 03 

Publikumskunst.     Von   Paul   Westheim  104 — 114 

Sehnsucht 114 

Phantasie 114 

Die    Unersetzbarkeit     der     Stickerei.       Von 

Anton  Jaumann 115  — 122 

Krieger-Denkmäler.     Von  A.  Jaumann       .  125 

Freilicht-Theater    auf    der    »Mathildenhöhe«. 

Von  Ernst  von  Wolzogen  ....  131  — 132 
Das  Haus  der  Freundschaft  in  Konstantinopel  132  — 136 
Kinderarbeiten   —    Eine    Forderung    an    die 

Schule.  Von  Rieh.  Meyer — Hamburg  137  — 144 
Aus  Brakls  Kunsthaus  in  München.    Von  R. 

Braungart — München 147  — 157 

Aussaat  und  Ernte.     Von  A.  Jaumann  157  — 158 

Kranz  Marc  f.   Von  Dr.  Hans  Hildebrandt      159  —  167 
.\hnlichkeit     im     photographischen     Bildnis. 

Von  Dr.  W.  Warstat 171  —  174 

Hoffnung  auf  die  deutsche  Kunst.    Von   Dr. 

Kurt  Gerstenberg iqi  — 194 

Zu  den  Arbeiten  von  Fritz  Huf.     Von   Ka- 
simir Edschmid 197 

Ein  Wohnhausbau  von   Herrn.   Muthesius  202 

Xähe  und  Ferne.     Von  Dr.   Adolf  Behne     207  —  211 
Erich  Büttner  und  Elsa  Hoffmann:    »Kleine 

Stickereien«.  Von  Erich  Büttner  .  215  —  216 
Fritz  Boehle  f.      Von  Rudolf  Schrey      .      218 — 220 


Spiel 220 

Emil  Rudolf  Weiß.    Von  Moritz  Heimann      223  —  242 

Von  der  Farbe 245  —  254 

Unterhaltung    über    photographische     Bilder. 

Von  Joseph  Aug.  Lux 255  —  25b 

Von  der  Freiheit  des   Künstlers      ....  256 

Dunkel.     Von  Anton  Jaumann  ....  256 

Hoffnung  auf  die  deutsche  Kunst.     Von  Dr. 

Kurt  Gerstenberg  (SchluH)  .  .  .  .  263  —  264 
Vom  Wesen  des  Kitsches.     Von   Dr.   Kunc 

Mittenzwey — München 267  —  270 

Neue  Glasmalereien   von  Prof.   Paul   Kößler. 

Von  Anton  Jaumann 273  —  274 

Zum    100.  Todestage    von   Johann   Friedrich 

Stadel.      Von   Rudolf  Schrey     .     .     .  274 

Bühnen-Entwürfe    von    Gustav  Wunderwald. 

Von  Heinz  Herald— Beriin  ....  284  —  286 
Zu  meinen  Puppen.  Von  Käthe  Kruse  .  287  —  290 
Verwandlung.     Von   Anton  Jaumann  .     .  291 

Mode-Prognose 292 

Paul  Knauer-Hase — München.  Von  Her- 
mann Eßwein 295  —  298 

Städtische  (Provinz-)  Sammlungen.     Von    B. 

Haendcke — Königsberg 301 — 306 

Erich  Büttner — Berlin.   Von    Dr.   W.  Kurth     309 — 320 

Das  Staffeleibild 320 

Die  Baukunst 320 

Die  Suggestion    der  Antiquität.     Von    Paul 

Westheim — Berlin 322 — 331 

Mode-Entwürfe  Von  W.  MüUer-Wulckow     332—333 

.Schmuck  und  Mode 333 

Die  Bühne  des  häuslichen   Lebens.      Von  A. 

Jaumann 334 — ^40 

Dagobert  Peche — Wien.     Von    B.   Zucker- 

kandl— Wien 343—344 

Vom  Stilleben.     Von   Dr.  Adolf  Behne— 

Charlottenburg 344 — 355 

Grotesk-Puppen  von  Erna  Pinner.  Von  Ka- 
simir Edschmid — Darmstadt  .  .  356 — 357 
Zum    60.   Geburtstage    Max    Klinger.       Von 

Dr.   Robert  Corwegh — Leipzig       .  358 


36i- 


3:1 
381- 


-366 

-378 


412- 

-4 

5 

41 

5 

4 

9 

420- 

-4- 

I 

422- 

-428 

42q- 

"43' 

Großherzog  Ernst  Ludwig.  Von  Ernst  Frhr 
%on  Wolzogen — Damistadt    . 

Abstrakte  Kunst  und  Ausführung.  Von  Dr 
Kuno  Mittenzwey — München  . 

Lene  Schneider-Kainer 

Die  Geburt  des  Impressionismus.     Von  An 

ton  Jauraann — Berlin 387 — 388 

Vom  Vorstellen  und  Gestalten  des  Kunst- 
werks. Von  Dr.  A.  E.  Brinckmann  — 
Karlsruhe 391—404 

Sichtbare  Schönheit  als  Ausdruck  der  Seelen- 
kultur.    Von  Jos.  Aug.  Lux 

Der  L'^ngarische  Krönungskelch 

Getriebene  Eisenreliefs 

Nationale  Kunst.   Von  K.Ulme  r — Hamburg 

Von  der  Kunst  des  Dekorierens.  Von  Dr. 
Robert  Corwegh —Leipzig    .... 

Erinnerung  an  Gustav  Schönleber.  Von  Dr. 
Wilhelm  Hausenstein 

ABBILDUNGEN 

(SACHLICH  ZUSAMMENGESTELLT): 

Architektur  S.  4b,  48,  50-59,  202,  204 — 20;,  36;, 
368;  Ausstellungsgebäude  S.  367—368;  Becher  und  Po- 
kale S.  416;  Beleuchtungskörper  S.  108,  114,  412 — 415: 
Bildnisphotographien  S.  74,  76,  78—82,  170—189,  254 
—  265;  Büdnisstickereien  S.  214 — 218;  Broschen  und 
Anhängers.  112  — 113,  345,  423;  Brunnen  S.  190;  Bü- 
fetts und  Kredenzen  S.  208,  425 ;  Bühnen-Entwürfe  S. 
284 — 286;  Damenzimmer  S.  62,  66 — 67;  Decken  S.  116, 
117,  118,  iig,  120,  121,430 — 431;  Edelmetallarbeiten 
S.  104  — 105,  107,  344,  349,  418 — 423;  Emailarbeiten 
S.  112,426;  Einzelmöbels.  208 — 211,280,  283;  Erker- 
und  Fensteranlagen  S.  66—67:  preilicht-Theater  S.  131  — 
136;  Frisiertisch  S.  409;  Frühstückszimmer  S.  73;  Qar- 
tenanlagen  und  Gartenarchitekturen  S.  57  —  59;  Gemälde 
S.  2  —  44,  144,  146—168,  219,  222—254,  294—305, 
321 — 330,  370 — 388;  Glasmalereien  S.  273 — 277  ;  Gläser, 
geschliffene  und  gravierte  S.  Iio— iil;  Grotesk-Puppen 
S.  356 — 357;  Gmindrisse  S.  49;  Hallen  und  Treppenhäuser 
S.  60;  Herren-  und  Arbeitszimmer  S.  71;  Kämme  353; 
Kartonarbeiten  S.  346:  Kassetten  S.  106,  107;  Keramik 
S.  84,  212,  350—351;  Kissen  S.  115,  120;  Kleider  imd 
Kostüme  S.  332 — 340;  Kriegsdenkmale  und  -Kreuze  S. 
124  —  129;  Land-,  Stadthäuser  und  Villen  S.  202,  204  — 
207;  Leuchter  S.  343,  422,  428;  Malerei,  dekorative 
S.  272 ;  Metallarbeiten  S.  270, 4 1 8 — 423 ;  Modezeichnungen 
S.  332—337;  Ostereier,  bemalte  S.  346—347;  Plastik, 
figürliche  und  omamentale  S.  94-  99,  100 — loi,  190 — 
193,  196,  198  —  201,  267 — 269,  278 — 279,  399,  401; 
Puppen  S.  287 — 291;  I^eliefs  S.  191,  194,  212,  354  — 
355i  395>  4°3'  4°^-  4'8 — 421.  4^3;  Schalen  und  Dosen 
S.  104—105,  270,  344,  349,  350—351,  426;  Schlaf- 
zimmer S.  72,  280  —  283,  4'^?  •  Schmuck  S.  112  — 113, 
345,  352.  423;  Schnitzereien  S.  352,  353,  406,  409, 
410 — 41 1 ;  Schlanke  und  Vitrinen  S.  283,  410,  411,  425: 


Ser\-ice  S  427;  Speisezimmer  S.  63,  65,  424;  Spiegel 
S.  114,  343;  Spielzeug  S.  137  — 141 ;  Stickereien  und 
Spitzen  S.  86 — 93,  102  — 103,  110,  115  — 122,  429 — 
431;  Stuckarbeiten  S.  267 — 269;  Tafelgeräte  und  Tafel- 
schmuck  S.  104 — 105,  349;  Täschchen  S.  292;  Theater- 
Kostüme  S.  338 — 339;  Tierplastiken  S.  84;  Uhren  S. 
109,  426;  Verkaufsräume  S.  342;  Wohndielen  und  Wohn- 
zimmer S.  60 — 61,  68,  69;  Zeichnungen,  Radierungen, 
Holzschnitte,  Lithographien  S.  42,  220,  308 — 320,  360, 
361,  366,  390,  394,  398,  402. 

SEPIATON-  UND  FARBDRUCKE: 

Se.t; 

Gemälde   -Die  Seilerc   Max  Liebermann — Berlin  .  2 

Gemälde  »Alte  Frau  am  Fenster«  Max  Liebermaim  i  2 

Gemälde  »Die  Gänserupferinnen^  Max  Liebermann  17 

Gemälde   »Die  Bleiche«   Max  Liebermann — Berlin  19 

Gemälde   »Kartoffel-Emte«   Max   Liebermann  .     .  25 

Skizze   »Strickendes  Mädchen»   Max  Liebermann  .  32 

»Haus  G.   in  Harzburg«   Emanuel  von  Seidl   .      .  46 

Haus  G.    »Ansicht  der  Gartenseite« 52 

»Speisezimmer    im     Hause    G. — Bad    Harzburg« 

Emanuel  von  Seidl — München 63 

»Aus  vorstehendem  Speisezimmer«   Em.  von  Seidl  65 

»Daiiienzimmer  mit  Blick  ins  Freie«   Em.  v.  Seidl  60 

»Fensterseite  im  Damenzimmer«   Em.  von  Seidl   .  67 

»Diele  im  Obergeschoß«  Em.  von  Seidl — München  68 

»Blick  in  das  Wohnzimmer«   Emanuel  von  Seidl  69 

»Bildnis-Photographie«   Karl  Schenker — Berlin      .  7b 

»Bildnis-Photographie«   Karl  Schenker — Berlin      .  79 

BUdnis-Photogiaphie   »Erna  Morena«  K.  Schenker  80 

»Bildnis-Photographie«   Karl  Schenker — Berlin      .  81 

Bildnis-Photographie  »Henny  Porten«  K.  Schenker  82 

Gemälde   »David«   Erich  Erler — München  ...  146 

»Auf  blumiger  Weide«  Paul  Junghanns — München  149 

»Im  Gebet«   Hermann  Groeber — München       .  150 

»Bäuerin  mit  Kind«   Herrn.  Groeber — München  .  151 

Gemälde  »Selbstbildnis«  Josse  Goossens— München  1  52 

»Hmdenburg«   Prof.  Angelo  Jank — München  .     .  156 

Gemälde   »Akte  im  Freien«   Franz  Marc  f      .     .  ibi 

Gemälde   » Hirsche  •■   Franz  ^farc  + 163 

Öldruck  von  R.  u.  M.  Dührkoop — Hamburg   .     .  170 

Bildnis   »Tortola  Valencia«   R.  u.  M.  Dührkoop    .  175 

Bildnis   »Clotilde  von  Derp«   R.  u.  M.  Dührkoop  177 

Bewegungsstudie  von  R.  u.  M.  Dührkoop-Hamburg  1  78 

»Frauenmaske«   Fritz  Huf — Berlin 196 

»Haus  Rasch  in  Wiesbaden«   Herrn.  Muthesius   204,  205 

»Selbstbildnisf   Prof.  E.  R.  Weiß— Beriin   ...  222 

Gemälde  .Niki«  Prof.  Emil  Rudolf  Weiß  .  .  239 
»Biltlnis   der    Bildhauerin    Renee  Sintenis«    Prof. 

E.   R.  Weiß 244 

»Bogenschüue«   Prof.  Emil  Rudolf  Weiß— Berlin  247 

»Tulpen.   Prof.  Emil  Rudolf  Weiß— Berlin    .     .  248 

»Streifenrosen«   Prof.  Emil   Rudolf  Weiß —Berlin  249 

»Kallas   Prof.   Emil  Rudolf  Weiß— Berün      .     .  250 

»Begonien«   Prof.  Emil  Rudolf  Weiß— Berlin     .  251 

»Bildnis- Auf  nähme«   Prof.  Jozsef  Fecsi — Budapest  254 


»Bildnis-Aufnahme«   Prof.  Jozsef  Pecsi — Budapest 
»Bildnis- Auf  nähme«   Prof.  Jozsef  Pecsi — Budapest 
>  Kinderbildnis«   Prof.  Jozsef  Pecsi — Budapest 
»Bildnis-Aufnahme«   Prof.  Jozsef  Pecsi — Budapest 
Wandmalerei    »Christus    als    Gärtner«    Prof.  Paul 

Rößler 

Gemälde  »Selbstbildnis«  P.  Knauer-Hase-München 
Gemälde   »Im  Hafen«   P.  Knauer-Hase — München 
»Blumen  und  Früchte«   Paul  Knauer-Hase 
»Original-I.ithographie«   Erich  Büttner — Berlin 
Original-Radierung   »Grunewald«   Erich  Büttner    . 
Gemälde  »Das  Gartenhaus«   Erich  Büttner — Berlin 


258 
259 


272 
294 
299 
304 
308 

3'3 

328 


»  Wandmalerei  im  Verkaufsraum  der  Wiener  Werk- 
stätte«  Dagobert  Peche — Wien 342 

•  Studie  zu  einem  Wandgemälde  in  der  Universität 

Jena«   Prof.  Sascha  Schneider 360 

»Blumen-Stilleben«   Henry  Xiestle — Pasing      .     .        370 

»Kamilla  Eibenschütz«    Lene  Schneider-Kainer — 

Berlin jgo 

/eiclmung  »Knieende  Frau«  Karl  Albiker — Ett- 
lingen              390 

Plastik   »Stehende  Frauen«    Karl  Albiker — Karls- 

ruhe-Ettlingen 399 

»Relief  in  Eisen  getrieben«  Hans  Beyssell — Breslau       418 


Namen -Verzeichnis. 


Albiker,  Karl — Karlsruhe 

Behne,  Dr.  Adolf — Charlottenburg    207  —  211, 

Beithan,  Emil — Buchschlag 

Bernhard,   Lucian — Berlin 

Beth,   Ignaz — Berlin 

Beyssell,   Hans — Breslau 

Blonder,  Architekt — Berlin 

Boehle,  Fritz  t 

Braungart,  R. — München 

Bredt,  Prof.  Dr.  E.  W.— München       .      .     . 
Brinckmann,  Prof.  Dr.  A.   E. — Karlsruhe    . 
Büttner,  Erich — Berlin     .     .   214 — 218,   220, 
Corwegh,  Dr.   Robert — Leipzig  47 — 60,  358, 
Deutsche  Werkstätten — Helletau 
Dührkoop,   R.  u.  M. — Hamburg 
Edschmid,   Kasimir — Darmstadt 
Eichelsheim,   Frieda — Wiesbaden 
Eichler,   Reinhold,  Max — München 
Eller,  Erich — München     .     . 
Eßwein,  Hermann — München     . 
Firle,  Irma — München       .     .     . 
Fleischer,   Hede — Prag      .      .     . 
Flögel,   Frl. — Wien       .... 
Qerstenberg,  Dr.   Kurt — Berlin 
Gold,  Dr.   Alfred— Beriin       .     . 
Goossens,  Josse — München 
Groeber,   Hermann — München     . 
Habicht,  W. — Darmstadt       .     . 
Haendcke,  Prof.   B. — Königsberg 
Hausenstein,  Dr.   Wilhelm — Brüssel 
Heimann,  Moritz — Berlin       .     . 
Herald,   Heinz — Berlin      .     . 
Herting,  Prof.  Georg — Hannover 
Hildebrandt,  Dr.  Hans— Stuttgart 
Hoffmann,  Elsa — Berlin    .     . 


194 


390 — 403  Hoffmann,   Prof.  Josef — Wien   .      .105,    107  — 108,   113 

344—355  208  —  211 

158  Hohenzollern-Kunstgewerbehaus — Berlin    86 — 93,   102 — 

280  —  283  103,  356—357 

77  Hoppe,  Emil — Wien    .      .  .     .  126 

418 — 423  Huf,  Fritz — Berlin ig6 — 201 

113  Jank,  Prof.  Angelo — München 156 

219  Jaray,  Alexander — Wien 125 

'47 — '57  Jaumann,  Anton — Berlin  61 — 73,  115  — 122,  125,  157  — 
40—44  158,   256.   273  —  274,   291,  334—340,  387—388 

391 — 404  Jessen,  Jarno — Berlin 87 — 88 

308 — 330  Junghanns,  Paul — München 149 

422 — 428  Kammerer,  Marcell — Wien 12b 

280 — 283  Knauer-Hase,  Paul — München 294 — 305 

170 — 189  Kozma,  Arch.   Lajos — Budapest      ....  410 

356 — 357  Kruse,  Käthe — Bad  Kosen 287 — 291 

131 — 136  Kunstgewerbeschule — Budapest 267 — 270 

154  Kunstgewerbeschule,  Staatl. — Hamburg    .     .      137  — 141 

146  —  148  Kurth,  Dr.   W. — Beriin 309 — 320 

295 — 298  Liebermann,  Prof.  Max — Berlin      ....  2 — 44 

334  Lorch,  Tilli — Frankfurt  a.  M 115  — 117 

122  I^udwig,  Richard — Wien 424 — 425 

1 10 — 112  Lübbecke,  Dr.  Fried — Frankfurt  a.  M.     .     .  83 — 84 

263  —  264  Lux,  Joseph,  Aug. — Bayr.  Gmain     255 — 256,  412 — 415 

3 — 38  Marc,  Franz  f — München 159 — 168 

152  — 153  Meyer,  Prof.   Richard — Hamburg    ....      137  — 144 

150 — 151  Mittenzwey,  Dr.  Kuno — München   267 — 270,  371 — 378 

278  —  279  MüUer-Wulckow,  Dr.  W. — Frankfurt      .     .     332 — 333 

301 — 306  Müllner,  Josef — Wien 129 

429 — 432  Muthesius,  Geheimrat  Herrn. — Berlin  .     .     .      202 — 207 

223 — 242  Nathan,  Frau  St. — Berlin 336 

284 — 286  Niestle,  Henry — Pasing 370 — 378 

190  — 194  Payr,  Artur — Innsbruck 127 

159  — 167  Peche,  Arch.  Dagobert — Wien.        106,   iio,  342 — 353 

214 — 218  Pecsi,  Prof.  Jozsef — Budapest 254 — 265 


Pfeiffer,  Arch.  Eduard — Berlin  .       40b — 

Pinner,  Erna — Frankfurt 

Pottner,  Emil — Berlin 

Powolny,  Prof.  Michael — Wien   1 00 — 101,212 
Prutscher,  Prof.  Otto — Wien  109,    114, 

Reich,  LiUi— Berlin 

Rieß,  Lotte  und  Eva — Dessau 

Rößler,  Prof.   Paul— Dresden 

Schenker,  Karl — Berlin 

Scheurich,  Paul — Berlin 

Schneider-Kainer,  Lene — Berlin       .... 

Schneider,  Prof.  Sascha 

Schönthal,  Otto— Wien 

Schrey,  Rudolf — Frankfurt    .  218- 

Schultheiß,  L.  M. — Darmstadt 

Schulz,  Richard  L.  F. — Berlin 

Seid],  Prof.  Em.  von — München     .... 
Seifert,  Franz — Wien 


-409, 

411 

356- 

-357 

84 

334- 

-3-=;  5 

424- 

-428 

337 

118 

272- 

-277 

76 

-82 

94 

-99 

380- 

-388 

360 

12b 

-220, 

274 

278- 

279 

412- 

-415 

4b 

-73 

124 

Smith,  Prof.   Frank  Eugen — Leipzig 
Souval,  Joh.  —  Wien 
Stockar,  Frau   Lud.  —  Prag 
Terstegen,   Lilli — München 
rheiner,  Marianne — Prag 
Ulmann,  Gertrud — Darmstadt 
l'lmer,  K. — Hamburg 
Warstat,  Dr.   W.— Altona 
Weisgerber,  Albert  j   . 
Weiß,  Prof.  E.  R.— Berlin 
Westheim,  Paul — Berlin  . 
Wiener  Werkstätte — Wien 


104 —  1 14, 
104— 114,  338 


Wimmer,  Arch.  E.  J. — Wien 

Wolzogen,  Ernst  von — Dannstadt    131  — 132, 

Wunderwald,  Gustav — Berlin 

Zuckerkandl,  Berta — Wien 

Zutt,  Prof.   A.  R. — Budapest 


-333^ 
119- 

420- 
171- 

222- 

322- 

-340^ 

-353, 

361- 
284- 
343- 


42b 

292 

33.S 

-121 

'44 

-421 

-"74 

'57 

-254 

-33' 

342 

428 

104 

-366 

-28b 

-344 
41  b 


N 
3 

DA 
Bd.  39 


Deutsche  Kunst  und  Dekoration 


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