HANDBOUND
AT THE
UNIVERSITY OF
TORONTO PRESS
DEUTSCHE KUNST
UND DEKORATION
ILLUSTRIERTE MONATSHEFTE
FÜR MODERNE MALEREI
PLASTIK • ARCHITEKTUR
WOHNUNGS-KUNST UND
KÜNSTLERISCHE FRAUEN-
ARBEITEN
DARMSTADT
VERLAGSANSTALT ALEXANDER KOCH
1138736
N
3
U ^ \; L
DEUTSCHE KUNST
UND DEKORATION
HERAUSGEGEBEN UND REDIGIERT
VON
ALEXANDER KOCH
BAND XLVI
APRIL 1920-SEPTEMBER 1920.
k
ALLE RECHTE VORBEHALTEN.
JOH. CONR. HERBBRTSCHB HOFBUCHDRUCKERBI NACHF. DR. ADOLF KOCH, DARMSTADT.
JXM.rUS HÜTHKR-MÜNCHEN. GEMÄLUE ^^NE(_tER«
BESITZER A. K. DARMSTAÜT
in.IlS lUlHliK Ml N( IIKN.
.l.M MJpK I WDSIHAI- I
JULIUS HÜTHER-MUNCHEN.
Schenke mir Gott ein hartes Herz, denn mein
Geschick ist schwer und schmerzensreich.
Der Himmel, ob grau, ob blau, ob wolkenschwer,
scheint erbarmungslos über Menschen und
Schicksalen, über den Oedtälern und den zahl-
losen Farben der Felsstücke und des Gerölls.
Klar klingen die Töne gegen einander in der
scharfen , feinen Harmonie dünner Höhenluft.
So begann Julius Hüthers Kunst, Freunde zu
werben. Sie bedeutete eine strikte Absage
an die elegante Tendenz der Mittelmeerkunst,
bedeutete eine Rückkehr zu einigen wichtigen
Grundsätzen der Gotik aus innerer Verwandt-
schaft. Wir können keinen bestimmten Meister
und kein Werk nennen, an den sie uns erinnert.
Es ist eine innere Verwandtschaft und eine
Ähnlichkeit des Ziels vorhanden. Die Welt
seiner Wahlverwandtschaft , für die er in
Vezzano, einem Ort der judikarischen Alpen,
einen Rahmen fand , erfuhr gerade dort
eine erfreuliche Wandlung. Sein Schaffen er-
hellte sich, begann sich zu lockern, der Raum
hatte sich geweitet. Wir finden eine neue,
luftigere Geschlossenheit der Bildform ; an die
Stelle der hartfarbigen Kulisse, die die Figuren
seiner F'rühzeit wie mit einer unerbittlichen
Mauer von der Welt abschloß, treten Dunst
und Nebel, flimmernd und schimmernd, die
Erdenfläche hat sich gedehnt, der Himmel
spricht freundlicher mit, ein kosmisches Element
ist lebendig geworden, es sind dieselben Pro-
bleme, um die im Norden die Begabung Willy
Jaeckels ringt, zwei junge Künstler, die sich
gewiß nicht kennen und doch zum ähnlichen
Ziel streben, so verwandt und so verschieden,
wie der deutsche Süden und der deutsche
Norden. Die Palette ist noch inmier auf ver-
hältnismäßig wenige Farben gestimmt, dennoch
erscheint sie wie befreit, denn die f'-inscliränkung
ist kein herber, innerer Zwang mehr, sondern
freiwillig geworden. Vor manchem Bild denkt
man bei den feinen Perlmutlerfarben, den zar-
ten, blonden und vielfältigen grauen Tönen,
den freudig belebten farbigen Schatten an die
Franzosen. Soweit das nicht auf zufälligen
Ähnlichkeiten beruht — denn natürlich findet
Hüther zu französischen Bildern persönlich gar
kein Verhältnis — ist es ein Beweis, daß der
Künstler die Errungenschaften der letztver-
gangenen Kunstperiode einfach in sich hinein-
:ni, April iwo, I
Julius Hüther - München.
JULIUS HÜTHEK MÜNCHEN.
getrunken hat und mit ihren Mitteln als einer
natürlichen Voraussetzung weiterbaut, wie das
im Gang jeder gesunden Kunst- und Kultur-
entwicklung geschehen muß. Was er annahm,
wurde für ihn ein nicht unwichtiges , aber
durchaus sekundäres Element.
DerKünstlerist in einLebensalter eingetreten,
in dem es gilt, die schwer erworbene Anschauung
vom Wert und der Schönheit des Daseins aus-
zudrücken. Zum ersten Mal kommt der Tropfen
fröhlichen pfälzischen Blutes bei ihm zu seinem
Recht ; er begehrt das Leben und preist ver-
söhnt seine Reize. Eine höchst glückliche Ehe
mit einer poetisch schöpferisch begabten Dame
aus Vezzano hat gewiß das ihrige dazu bei-
getragen. Licht und frei ordnen sich locker
geordnete Gruppen lebensgroß gemalter Men-
schen aneinander, das Licht umspült sie, sie
genießen die Sonnenwärme, der Himmel strahlt
in breiten, leuchtenden Wolken und Streifen,
es ist voller Sommer geworden. Nichts ist
bezeichnender für die Art Hüthers , als die
Stoffe, die er jetzt mit unermüdlicher Vorliebe
aussucht, das belebt-ruhige Zusammensein der
Menschen, diese Akte Farbiger, Sudanesinnen,
GEMALUE cSOMALI-NEGEK.
Negerinnen. Seinem Malerauge geben sie immer
neue Feste koloristischer Pracht. Dann ent-
stehen Zirkusbilder, bisher die bewegtesten
Darstellungen des Künstlers, in denen eine alte
Leidenschaft für die Herrlichkeit des Pferdes
sich zum ersten Mal in großem Format Genüge
tat. Gleichzeitig eröffneten sich ihm auch, da
er durch die Kriegsläufte von der Stätte seiner
Tätigkeit in Vezzano abgeschnitten war, die
Augen für die Landschaft der Münchener Um-
gebung ; zum ersten Mal erscheinen starke
grüne Töne in seinen Bildern, die durchsonnte
Behaglichkeit einer Wiesen- und Baumlandschaft
tut sich auf , ohne daß der Künstler an der
Schärfe und Straffheit des struktiven Elements
sich etwas vergab. Auch das Gefühl für die
atmosphärischen Reize der Ebene hat sich ent-
wickelt. Alle diese Themen, lang vorbereitet
und doch eben erst ergriffen, sind für ihn noch
lange nicht erschöpft : der Künstler steht im
Beginn einer neuen und breiteren Entwicklungs-
epoche, Seit geraumer Zeit gehen neben den
Malereien großen Formats — denn Hüther malt
selten einmal einen Kopf unter Lebensgröße —
jene kleinen Blättchen her, die seine Haupt-
Julius Hüther- Münch
JULIUS HUTHER MINTHE.N.
werke so begleiten und kommentieren, wie
reizvolle Anmerkungen einen Text.
Ihre Genesis ist nicht ganz einfach. Hüther
hatte, da er fast immer alle seine Gemälde
verkaufte, öfter das natürliche Bedürfnis, eine
kleine Erinnerung an das Geschaffene für sich
zu behalten. Die einfarbige Photographie tat
dem gerade seine Farben über alles liebenden
Künstler nicht Genüge, hine kleine Farben-
skizze mit Ölfarben, früher auch mit Wasser-
farben, auf ein kleines Stück Papier geworfen,
erfüllte ihm diesen Zweck besser. Die so ent-
standenen Bildchen, knapp und flüchtig wie sie
waren, hatten einen eigenen Reiz. Bald begann
der Künstler auch das , was ihm einfiel , auf
diese Weise zu notieren: Projekte zu künftigen
Bildern, Keime, die sich vielleicht einmal ent-
wickeln würden. Und damit nicht genug, fing
er an, kleine Skizzen und Studien vor der
Natur ebenso zu machen , manchmal nur ein
Hauch, eine Stimmung, dann aber auch wirk-
liche Kompositionsentwürfe.
In der letzten Zeit hat Hüther diese seine
Kleinkunst mit vollem Bewußtsein gepflegt.
Es erscheinen nicht mehr nur Skizzen, Krinne-
GEMALDE •SOMALI-NEGER'.
rungen, Studien und Notizen, sondern wirkliche
kleine Bilder von einem Reiz , der an gewisse
alte Miniaturen erinnert , etwa an die der
flämischen Schulen seit Brueghel bis zu den
Schülern des Rubens.
Natürlich zeigen auch diese Blätter alle
Merkmale von Hüthers maWrischerEntwicklung.
Früher überwogen die pathetischen Konzeptio-
nen: Bilder aus der heiligen Geschichte, feier-
liche Erscheinungen, viele senkrechte Linien.
Es finden sich aber in ihnen auch neben den
stillen Gruppen viele stürmisch bewegte Szenen
und Kämpfe, Dinge, die dem Temperament des
Künstlers fraglos sehr liegen, aber in seinen
großen Werken erst in letzter Zeil aufzu-
tauchen beginnen. Wieder finden sich, wie
früher, vielfach Frauen im Bade und weibliche
Einzelakte, doch jetzt ganz und gar in die Um-
welt einbezogen. Der Dunst und die grauen
Schleier des Wassers spielen fast traumhaft
schön um die nackten Leiber. Andere in der
Luft der Berghöhen stehen inmitten einer be-
lebten Luftatmosphäre, und das weiche Fleisch
spielt reflektierend den ganzen Reichluiii eines
buntbewegten Himmels. Die Blätter wirken
JULIUS HÜTHER. PFERDE
JULIUS HÜTHER. GEMÄLDE .PFERDE.
JL'LICS IlCUlER. •SELIiSTlill.UNIS
JULIUS HÜTHER. .NEGER-BILDNIS.
/ulius Hüther- Manche
groß, doch ist's unmöglich, sie sich in einem
andern Format vorzustellen, als sie da sind.
Der Charakterkopf ist von je eine der stärk-
sten und gepflegtesten Künste Hüthers. Er
versagt sich auch dem kleinen Format nicht.
Freilich macht er sie selten, denn geviföhnlich
zieht er, um sich in größerer Freiheit zu be-
wegen und alles, vi^as er will, ausdrücken zu
können, das große Format vor. Als Malgrund
nimmt er stets glattes weißes Papier, auf dessen
nüchternem Grund er die Ölfarbe sparsam ver-
wendet. Früher kamen wohl ein paar fetter
und breiter aufgesetzte Stellen in Betracht, die
natürlich stärker leuchteten, neuerdings verreibt
und verarbeitet er die Töne mehr ineinander.
Was der Farbe an Glanz verloren geht, ersetzt
er durch einen unendlich verfeinerten Reichtum
JII.. HirilEK
MÜ.NCHEN.
».STUDIE«
an Übergängen. Wasserfarben verwendet er
kaum mehr. Sie würden ihm die erstaunliche
Weichheit und den gedämpft leuchtenden Ton
der Ölfarbe nicht geben können. Doch ist es
natürlich nicht nur die Originalität und die
Neuheit der Technik, die uns verblüfft und
fängt: es ist der künstlerische Ernst , der den
Blättern den Wert gibt und ihnen in Hüthers
Werk den Platz sichern wird.
Welche Einheitlichkeit und Folgerichtigkeit
seiner Entwicklung! Zuerst seine Geschöpfe in
einer tragischen Ruhe. Auch da, wo Gescheh-
nisse geschildert werden, die darstellenden
Figuren wie gebannt in die stille Äußerung
ihres inneren Lebens. Alle Bewegtheit inner-
lich. Das Geschehen ein Sein. Nur das Wasser
glitzerte, der Wind oder die Wolken zogen.
11
Julius Hüfher- München.
Höchstens eine Nebengruppe, etwa ein paar
Pferde, stürmten dahin, fast nur, um die herbe
Geste der Hauptfiguren recht zu heben. Die
Maltechnik entsprach vollkommen diesem gei-
stigen Inhalt und wandelte sich allmählich in
völliger Einheithchkeit mit ihm. Das skulp-
turale Element löst sich in erhöhter Lichtkraft
auf, in Süßigkeit und Leichtigkeit der Farbe.
Die erhöhte Beachtung des Raums gilt nicht so
sehr dem Genuß des früher für allgemein selig-
machend gehaltenen Raumgefühls, sondern dem
Daseinsgefühl, was für die veränderte Nuan-
cierung des Menschen der Kunst gegenüber
wichtig ist. Dazu galt es für ihn in der ersten
Periode, die ausdruckvollste Form der Mensch-
heit in den Armen, Gedrückten, Schmerzerfüllten,
Verzagten, in der zweiten die derjenigen zu
wählen, die sich mit dem Leben trotz allem
abzufinden suchen : die Zweifelnden, die Suchen-
den der Jugend, die tapferen Proletarier. Wir
zögern nicht mit dem Bekenntnis, daß die
Seelenschilderung manchmal an das Hell-
seherische grenzt. Heute nehmen seine Men-
schen das Dasein als Geschenk des Himmels,
sie genießen es dankbar, still, freudenvoll.
Hüthers Kunst hat sich stets im engen An-
schluß an die Naturbeobachtung entwickelt.
Trotzdem ist von Anfang an — wie in aller
guten bildenden Kunst — ein starkes, expres-
sionistisches Element in ihr regsam gewesen,
insofern er nicht nur in der Flüchtigkeit der
Erscheinung ihr Wesentliches zu erfassen ver-
meinte und der Darstellung seelischer Zustände
Opfer zu bringen wußte. Dadurch gehört Hüther
ganz dem Ausdruckswillen unserer Zeit. Auch
die großen Kunstzeiten der reifen Gotik und
des Barock kennen das Nebeneinander von
rücksichtslosem Realismus und einem geheim-
nisvollen Vertrauen auf unbekannte Mächte,
die an die zweifellos wahre Wirklichkeit des
Daseins unmittelbar angrenzen. Daher zugleich
die Unstimmigkeit wie auch die Größe dieser
Kunstschöpfungen und ihr Schicksal, längere
Epochen hindurch völlig mißverstanden zu
werden. Bei Hüther haben sich beide Kom-
ponenten sogar mit den Jahren aneinander
gestärkt und gerade das ist ein Zeichen für
die Kraft des Künstlers. Seine Bilder sind
heute zugleich wirklicher und mysti-
scher als je W.VLTHER UNUS.
Ä
A A '''oher soll Neues, Untraditionelles ent-
V V stehen, wenn nicht aus dem starken
Eigenwillen der Jugend; woher sollen Kunst-
werke kommen, wenn nicht aus der Sehnsucht
und der Not des Einzelnen, zu blühen und
Frucht zu tragen? Jede gesunde Entwicklung
bedarf nichts notwendiger wie ihres Kraft-
überschusses, der kaum groß genug bemes-
sen werden kann h. he fries.
JULIUS HÜTHER-MÜNCHEX. »STILLEBEN«
ALBRECHT DÜRER 1501. »MÄDCHEN MIT BARETT.
AUFNAHME FRANZ HANFSTAENGl— MÜNCHEN.
KÖLNER MF.ISTKR UM U2K.
i'KEr)i:i.i.A MIT iiKii.niF.M)AKvii;ij.r.\c;.
ALTDEUTSCHE UND ALTNIEDERLÄNDISCHE MALEREI
IHRE WIEDF.KI-.RWF.CKI-M; IM) UT.kirNi; IN Dlk M IF.RK.N DKUTSCREN KllNSliiKbCHlCHI E.
I.
ES war um die Wende des 18. und 19. Jahr-
hunderts , als unter Führung Friedrich
Schlegels eine geistige Gemeinschaft sich bil-
dete, die unter dem Eindruck der gewaltigen
pohtischen Umwälzungen, die in jenen Tagen
Europa erschütterten, gegen die Auswüchse und
dekadenten Äußerungen einer überlebten un-
deutschen Kultur Sturm lief. Ein neues Kultur-
ideal wurde errichtet, Deutschlands Wiederge-
burt sollte aus der Neubelebung nationalen
Geistes erwachsen. Allein, wer diesen Geist
erfassen wollte, konnte unmöglich an die un-
mittelbare Vergangenheit anknüpfen, er mußte
weit in die deutsche Vergangenheit zurück-
greifen und längst vergessenen Traditionen nach-
gehen, die in der Kunst und Religion des deut-
schen Mittelalters am reinsten und stärksten
zum Ausdruck kamen. Es war kein Zufall, daß
in jenen Tagen der Sang von den Nibelungen
zu neuem Leben erweckt wurde, daß deutsche
Volkslieder gesammelt wurden, die Faustsage
eine neue künstlerische Gestaltung erfuhr und
Kleist seine Hermannsschlacht schrieb. Neben
dieser literarisclien Strömung, die unmittelbar
aus dem Born der volkstümlichen Gedanken-
und Gefühlswelt schöpfte,. ist auf dem Gebiete
der bildenden Künste eine parallele Erschei-
nung festzustellen, die von den gleichen rück-
wärts gerichteten Tendenzen beseelt, der bil-
denden Kunst des deutschen Mittelalters zu
ihrem alten Ansehen verhelfen sollte. Die alten
deutschen und niederländischen Meister, die
sich ihre schlichte, tief empfundene Frömmig-
keit und Gefühlsseligkeit in eckiger und herber
Formgebung von der Seele malten, erstanden
plötzlich zu neuem Leben. Sie waren im Zeit-
alter des Rokoko, das auch im Kunstwerke nur
ein Spiegelbild seiner verfeinerten Überkultur
und raffinierten Eleganz suchte, in Vergessen-
heit geraten.
Zwar war schon Goethe als Straßburger Stu-
dent in seinem Aufsatz „Von deutscher Bau-
kunst" für die mittelalterliche Kunst eingetreten.
Daß die absichtslose, nur auf Phantasie und
Gefühl gegründete Malerei der alten deutschen
Meister höhere Werte in sich schlösse, als alles,
was die Routiniers des Rokoko hervorzubringen
vermochten, ist ihm zur Gewißheit geworden
und er bekennt: „Wie sehr unsere geschmink-
ten Puppenmaler mir verhaßt sind, mag ich nicht
deklamieren. Sie haben durch theatralische
Stellungen, erlogene Teints und bunte Kleider
die Augen der Weiber gefangen. Männlicher
Albrecht Dürer, den die Neulinge anspötteln,
deine holzgeschnitztesle Gestalt ist mir will-
kommener!" Diese Worte, die 1771 geschrie-
ben sind, klingen wie ein devinatorisches Wissen
um jene neudeutsche Bewegung in der Kunst,
15
April'Mil 1920 2
Altdeutsche und altniederländische ^ fahr ei.
16
die in den teniperamentvollen „Herzensergieß-
unjSen eines kunstliebendenKlosterbruders", des
jungen Wackenroder, ihren Auftakt fand. Es war
sicherlich kein einseitiger Chauvinismus, den
dieser sonst so kosmopoUtisch veranlagte Geist
hier auf sich geladen hätte — denn Rom und
Deutschland liegen für ihn auf einer Erde —
auch war es nicht bloß literarische Schwärmerei,
durch die das Mittelalter dem jungen Wackenro-
der in einem idealenLichte erstrahlte, es war viel-
mehr der intuitive Glaube, daß hier die Quellen
eines schöpferischsn Formenreichtums, eines un-
endlichen gefühlsmäßigen Erlebens sich öffneten.
Es ist die germanische Seele, die aus dem jungen
Kunslenthusiasten spricht, wenn er in Dürer
die unbefangene Einfalt liebt, wenn er den Geist
und die tiefe Bedeutung seiner Gestalten preist.
Er sieht in Dürer den deutschen Künstler, ohne
den Tizian und Corregio zu vermissen. Gerade
deshalb ist er ihm wert , weil er als Deutscher
in seinen Werken den Ausdruck seiner Zeit
sucht, sie mit dem Atem seines Zeitalters be-
lebt, sie in die geliebten Formen seiner Welt
und seines Gesichtskreises hüllt. Die absolute
Ehrlichkeit der Dürerschen Kunst, die aus dem
Volksempfinden für das Volk schuf, wird ihm
zum Sinnbild des schhchten deutschen Volks-
charakters vergangener Zeit , und sicherlich ist
seine Klage nicht ohne Berechtigung, daß die
Künstler seines Jahrhunderts oberflächliche
Effekthascher geworden sind, die die Kunst zur
Trödelware für eine dekadente Gesellschaft
prostituieren. Daß dieser Ruf zur Selbstbesin-
nung der Deutschen nicht ungehört blieb, hat
die Kunstgeschichte bewiesen. Friedr. Schlegel
war es, der im Jahre 1803 unter dem Titel
„Nachricht von den Gemälden in Paris " , in seiner
von Paris aus redigierten Zeitschrift „Europa"
ausführlich die altdeutsche und altniederländi-
sche Malerei besprach, deren organische Ent-
faltung ihm durch die Namen van Eyck, Dürer
und Holbein klar umschrieben erscheint. Zwi-
schen den Polen van Eyck und Holbein, von
denen der erstere die älteste Stufe der Kunst-
entwicklung bezeichnet und deshalb am ver-
ständlichsten und deutlichsten erscheint, der
letztere durch eine bis zur äußeren Glätte und
Weichheit ausgebildete Genauigkeit charakteri-
siert ist, steht Albrecht Dürer. In ihm wohnt
das Geheimnisvollste, der unergründlichste und
verwickeiste Tiefsinn, er ist für Schlegel der
Shakespeare oder, wenn man lieber will, der
Jacob Böhme der Malerei.
Von Paris in die Heimat zurückgekehrt, war
Schlegel in Köln mit den Kunstschöpfungen der
alten Kölner Malerschule bekannt geworden,
die ihm die innige Verbindung und Identität der
altdeutschen und altniederländischen Malerei
augenscheinUch beweist. Mit dichterischer Em-
phase schildert er die Schönheit des Stephan
Lochnerschen Dombildes : „Man sieht, daß jene
Zeit das Köstlichste und das Höchste in diesem
Bilde aufbieten wollte , was sie vermochte, es
ist mit größter Liebe vollendet. Aber es ist
auch entworfen im Geist und unter der Be-
günstigung der göttlichen Liebe . . . Die Blüte
der Anmut ist diesem beglückten Meister er-
schienen, er hat das Auge der Schönheit ge-
sehen und von ihrem Hauch sind alle seine
Bildungen Übergossen." Die Fülle der Ein-
drücke, die Schlegel in jenen Tagen aus dem
liebevollen Studium der altdeutschen Meister
schöpfte, blieb nicht als ein einmaliges persön-
liches Erlebnis in jenem leicht affizierbaren
Geiste verschlossen. Wie er jedes große künst-
lerische Ereignis nicht bloß genießend in sich
aufnahm, sondern in schöpferischem Sinne weiter
zu verarbeiten bestrebt war, so gestaltete sich
ihm auch hier das Erlebnis zu einem Bekennt-
nis, es wurde ein Axiom seiner Kunstgesinnung
und Weltanschauung. Wohl erscheint es ihm
für die Poesie möglich, die Phantasie in ent-
fernte Regionen schwärmen zu lassen, doch muß
auch sie jederzeit mit fremden Schätzen be-
reichert wieder zur Heimat zurückkehren kön-
nen, „zu dem, was für ihre Zeit, für ihre Nation
einmal der höchste Brennpunkt des Gefühls
und der Dichtung ist, sonst muß sie unvermeid-
lich kalt und kraftlos werden". Im höheren
Maße hält er aber den nationalen Charakter
der Kunst für (iie Malerei erforderlich. Denn
die Malerei wird uns durch die Sinne vermittelt
und der Sinn, führt Schlegel aus, sucht „das
Einzelne und Nächste bis in seine letzte Tiefe und
eigentliche Wurzel zu durchdringen und es dann
im Bilde von neuem zu gebären, sodaß aus dem
nun wiedergeborenen und verklärten Abbilde
des unerforschlichen Naturwesens zugleich das
Rätsel unseres eigenen Gefühls uns überraschend
entgegenscheint und in unaussprechlichen Wor-
ten hervorbricht". Wohl kaum ließen sich Worte
finden, jenen vergleichbar ; die geheimnisvollen
Fäden, durch die ein jeder sich mit dem künst-
lerischen Ausdrucksbedürfnis seines Stammes,
seines Volkes verbunden weiß, sind hier aufs
Tiefinnigste angedeutet. Aus der historischen
Erkenntnis heraus, daß jede Nation, gleich wie
sie ihre bestimmte Physiognomie in Sitte und
Lebensweise, Gefühl und Gestalt hat, so auch
über ihre eigene Musik, Baukunst und Bildnerei
verfügt, wünscht Schlegel auch für die Malerei
den Nationalcharakter gewahrt zu wissen : „Die
malerische Schönheit , welche die körperliche
Form nur im Umriß erraten lassen kann, dafür
GOSSART, GEX. JAN' VAN MABUSE. ^CHRISTUS AM ULBERG« Kaiser kkieür.mus.-berun.
AUKNAHMF.: PHOTOGR. GESELISCHAFT, CHARLOTTENBVRG.
DIERICK BOUTS. -DER PROPHET ELIAS IN DER WÜSTE. Kaiser friedr.-museum-berlin.
AUFNAHME: FRANZ HANFSTAENGL— MCiNXHF.N.
CRANACH D. Ä. »KARDINAL ALBRECHT VON BRANDENBURG« Kaiser friedr. -Museum.
HANS LF.i iNIIARD Si IIAEUFELEIN. CHRISTUS AM ÖLBERG. Kaiser krif.dr.-misf.um hkri.in.
AVI-NAHMK: KRANZ HANHMAENdl. MÜMHKN.
KONRAT WITZ. »CHRISTUS AM KREUZ« Kaiser friedrich-museum Berlin.
AUFN; PHOTOGR. GESEIiSCHAFT- CHARLÜTTENBUKe.
Altdeutsche und altniederländische Male;
aber das Eigenste 'und wahrhaft GeistifSe im
Sinnhchen zu ergreifen und in ihrem Farben-
spiegel magisch zu fixieren vermag, muß durch-
aus eine individuelle sein im Idealischen; aber
freilich individuell in größere Dimension, ob-
jektiv individuell, wie dies bei dem wahrhaft
Lokalen und Nationalen der Fall ist!"
II.
Es war eine der merkwürdigsten Fügungen
des Schicksals, daß in demselben Jahre, als
Schlegel in Paris lebte und durch die Fülle der
dort angehäuften mittelalterlichen Kunstschätze
angeregt, seinem Kunstenthusiasnius eine so
zündende Dialektik zu leihen wußte, die Brüder
Sulpiz und Melchior Boisseree in der französi-
schen Hauptstadt eintrafen. Die beiden jungen
Kunstfreunde hatten das Glück, mit Schlegel
bald in freundschaftliche Beziehungen zu treten.
Der tägliche Umgang mit dem seltenen Manne
wirkte auf die begeisterungsfähigen Gemüter
der jungen Leute in höchstem Maße anregend
und bildend. Unter Schlegels Leitung begannen
sie nach der Rückkehr in ihre Vaterstadt eine
rege Sammlertätigkeit zu entfalten. Ihrem un-
ermüdlichen Eifer, der sich anfangs nur auf die
Kölnischen, später auch auf niederländische
Meister erstreckte, ist es im Wesentlichen zu
danken, wenn eine stattliche Reihe von Meister-
werken niederrheinischer Kunst erhalten ge-
blieben ist. Neben Boisseree war der Kanoni-
kus Wallraf mit der Sammlung von Altertümern
und Gemälden seiner Vaterstadt Köln beschäf-
tigt. Unter den größten Opfern und Entbeh-
rungen häufte er kostbare Schätze auf, die nach
seinem Tode der Stadt Köln zufielen. Seine
Gemäldesammlung bildet heute den Grundstock
des Städtischen Wallraf Richartz-Museums in
Köln. Wie sich aber eine wertvolle Idee, von
einer überragenden Persönlichkeit vertreten,
cmfänglich auf kleine , dann auf immer größere
Kreise mit suggestiver Kraft überträgt, so ist
das von Wackenroder, Tieck und Sciilegel ein-
mal wachgerufene Interesse für die deutsche
Malerei des Mittelalters lange Zeit über leben-
dig geblieben. Mag dieser romantische Einfluß
sich auch im einzelnen nicht immer unmittelbar
nachweisen lassen, Tatsache bleibt, daß gerade
in den ersten Jahrzehnten des 19. Jahrhunderts
verschiedene deutsche Galerien ihren Sammel-
eifer altdeutschen und altniederländischen Mei-
stern zuwandten. So erfuhr die Darmstädter
Galerie mit der Übernahme der Sammlung des
Barons von Hüpsch einen bedeutenden Zu-
wachs an altkölnischen und niederrheinischen
Bildern, Nürnberg erhielt auf Betreiben des
kunstsinnigen Königs Ludwig I. eine deutsche
Gemäldesammlung in der Moritzkapelle ; der-
selbe König bereicherte den A\unchener Gc-
mäldeschatz mit den beiden altniederländischen
und altdeutschen Sammlungen der Gebrüder
Boisseree und des Fürsten Wallerstein und
dem Berliner Museum fielen beim Ankauf der
Privatsammlung Solly 6 Altarflügel des Gen-
ter Altars von Hubert und Jan van Eyck zu.
Verhältnismäßig spät gelang es der Würltem-
bergischen Regierung durch Ankauf der Samm-
lung Abel sich eine hervorragende Kollektion
von Bildern niederländischer und deutscher
Meister zu sichern.
Ebenso befruchtend wie auf die Sammier-
tätigkeit wirkte der Einfluß der romantischen
Bestrebungen auf die kunstgeschichtliche For-
schung. 1816 erschien das erste Heft von
Goethes „Kunst und Altertum in den Rhein-
und Maingegenden". Die Ausführlichkeit, mit
der Goethe bei den gewonnenen Kunstein-
drücken verweilt und die Teilnahme, die er den
historischen Voraussetzungen der niederrheini-
schen Malerei entgegenbringt, erscheint bedeu-
tungsvoll genug. Die Aufmerksamkeit weiterer
Kreise wurde wachgerufen, die kunsthistorische
Forschung setzte ein. Diese Wissenschaft be-
fand sich damals noch am Anfange ihrer Ent-
wicklung. Gleichwohl entstanden in jener Zeit,
und zwar in ziemlich rascher Folge, mehrere
Werke, die sich insbesondere mit der deutschen
und niederländischen Malerei beschäftigten.
1815 — 1 820 erschien die „ Geschichte der zeich-
nerischen Künste" von Johann Dominik Fiorillo,
ein Buch, das zwar heute überholt ist, aber als
fleißige und bcihnbrechende Arbeit erwähnt
werden muß. Die Spezialforschung blieb nicht
zurück: 1822 veröffenthchte Waagen, der spä-
tere Direktor der Berliner Gemäldegalerie, eine
Schrift über Hubert und Johann van Eyck.
Waagen wünschte hiermit ein nordisches Gegen-
stück zu Rumohrs Arbeiten über die altitalie-
nische Malerei zu geben. Er versucht, die
historische Erscheinung dieser beiden Maler
vollständig zu umschreiben und sie dem Ge-
samtbild ihrer Zeit einzugliedern. 1834 folgten
Karl Schnaases „Niederländische Briefe", in
denen der Verfasser von der bisher üblichen
formalen Betrachtungsweise in der Kunstge-
schichte abweichend alles im weiteren Maßstabe
größerer Übersichten gibt, die den inneren
geistigen Zusammenhang der Kunstepochen be-
leuchten. Dieser Gedanke ist nocii kräftiger in
Schnaases „Geschichte der bildenden Künste"
(1843—1864) durchgeführt, in der auch die
Kunst des deutschen Mittelalters eine ausfüfu--
liche Behandlung erfahren hat ; alle künstlerische
Produktion ist hier unter der höheren Idee der
kulturellen Entwicklung der Völker und ihrer
23
jn. April-Mal 1920. 3
Altdeutsche und alfniederländische Malerei.
24
besonderen psychischen und intellektuellen
Voraussetzungen gesehen. Von weiteren Ar-
beiten ist die Darstellung Franz Kuglers in
seiner „Geschichte der Malerei" anzuführen.
Kugler verfügte über eine reiche Fülle von
Spezialstudien ; sie kommen bei der Behandlung
des deutschen Mittelalters, in das er sich liebe-
voll versenkt hatte, vorteilhaft zur Anwendung.
Bereits in die zweite Hälfte des 19. Jahrhun-
derts ragt die schriftstellerischeTätigkeit Hothos.
Sein zweibändiges Werk „Die Malerschule
Hubert van Eycks nebst deutschen Vorgängern
und Zeitgenossen" (1855 — 58) ist unter Be-
rücksichtigung der geschichtlichen Tatsachen
und unter kritischer Benutzung des damals zu-
gänglichen Materials mit außerordentlicher Klar-
heit und feinem Urteil abgefaßt. Den Abschluß
dieser Periode der deutschen Kunstgeschichts-
schreibung bildet das auf Grund reicher Fach-
kenntnisse geschriebene „Handbuch der deut-
schen und niederländischen Malerschulen"
( 1 862) aus der Feder des bereits oben genannten
Museumsdirektors Waagen. Nunmehr konnte
die Detailforschung beginnen, um das, was im
Laufe eines halben Jahrhunderts in großen Um-
rissen festgelegt war, auszubauen und zu ver-
tiefen. Unterdessen hatten sich aber auch
schon neue Strömungen in der Kunstwissen-
schaft bemerkbar gemacht. Die ursprüngliche
Begeisterung für die altdeutschen und altnieder-
ländischen Meister mußte dem zunehmenden
Interesse für die Harmonie und Reife , wie sie
uns in der Kunst der italienischen Hochrenais-
sance entgegentritt, weichen. Jakob Burck-
hardt, der seine schriftstellerische Tätigkeit
unter dem Eindruck der Kölner Malerschule
und der altflämischen Kunst begann, hatte bald
alle nationalbefangenen Interessen weit hinter
sich gelassen. Nur die Höhepunkte in der Kultur-
entwicklung der Menschheit erscheinen ihm
längeren Verweilens würdig; aus dieser hohen
Gesinnung heraus entstand „Die Kultur der
Renaissance" (1860). Mit diesem Buch hat
Burckhardt das Muster einer kulturgeschicht-
lichen Darstellung geschaffen und das Ver-
ständnis für die historischen Voraussetzungen
der Renaissancekunst wesentlich gefördert.
Wenn wir uns heutzutage, nachdem die klas-
sische Kunst lange Zeit hindurch unbestritten
das stärkste Interesse der Kunstwissenschaft
auf sich vereinigt hatte, wieder mit erhöhter
Teilnahme der deutschen Malerei des 14. und
15. Jahrhunderts zuwenden, so leiten uns hier-
bei sicherlich nicht einseitige nationalistische
Tendenzen, wohl aber das Bewußtsein, daß in
der germanischen Kunstübung viele Kompo-
nenten zusammenfließen, die zu einem Ganzen
verbunden uns als überwältigender Ausdruck
eines verwandten Gefühlslebens noch heute
hinzureißen vermögen. Was uns zu dieser Kunst
hinzieht, ist die Akzentuierung des Seelischen,
das Herausdestillieren der Innerlichkeit, die an
kein Maß gebunden ist, jenes schrankenlose
Spiel der Phantasie, das selbst da, wo es gro-
teske Form annimmt, trotz aller Absonderlich-
keit nie aus dem Rahmen nordischen Gefühls-
lebens herausfällt. Hier packen uns die alten
Meister in ihrer ganzen ursprünglichen Aus-
drucksfähigkeit, hier wirken die geheimen Kräfte,
die sich als Eigentümlichkeit der Rasse bis auf
unsere junge Künstlergeneration erhalten haben.
Allein, die kunsthistorische Betrachtung
würde einseitig bleiben, und zu falschen Ergeb-
nissen führen, wenn man sich bei der Wertung
deraltdeutschen und altniederländischenMeister
zu sehr psychologischen Erwägungen anver-
trauen wollte und lediglich das Gefühl sprechen
ließe. Betrachtet man die Geschichte der
abendländischen Malerei nicht unter dem Ge-
sichtspunkte örtlicher und zeitlicher Isolierung,
sondern als ein lebendiges Ganzes, das in fort-
schreitender Entwicklung ein Maximum an Ge-
staltungskraft erreichen will, dann ist die Basis für
eine gerechte historische Würdigung gewonnen.
Von diesem Gesichtspunkt aus gesehen, müs-
sen wir bekennen, daß die altdeutsche u. nieder-
ländische Malerei des 15. Jahrhunderts nur eine
Vorstufe und den Durchgangsposten zu jener
Erfüllung darstellt, die uns die klassische Kunst
der Renaissance bringt. Jeder Vergleich, den
wir in dieser Richtung anstellen, wird uns die
Mängel der Frühzeit entdecken helfen. Bei der
ältesten Malerei treten diese Mängel am klarsten
zutage ; da finden sich Perspektive Fehler, kühne
Stilisierungen, die den dargestellten Gegenstand
fast zu einer Atrappe herunterdrücken, unmög-
liche Verkürzungen und Überschneidungen, aus
denen die ganze lineare und formale Ungeklärt-
heit ohne weiteres erhellt (Abb. S. 21). Aber
auch auf einer höheren Stufe künstlerischer
Entwicklung, in der ein stärkeres zeichnerisches
Vermögen und ein ausgeprägtes Naturempfin-
den festzustellen ist, tritt die quattrocentistische
Unvollkommenheit zutage. Konrat Witz hat den
Goldgrund, auf den die Kölner Meister gern
ihre überschlanken, fast unkörperlichen Figuren
zu setzen liebten (Abb. S. 15) überwunden.
Sein „gekreuzigter Christus" ist in eine feine
von Sonne und zarten Morgennebeln durchwebte
Landschaft hineingestellt; nur schließen Figuren
und Landschaft sich nicht in ein Raumgefühl
zusammen, jedes dieser Elemente führt eine
Sonderexistenz (Abb. S. 22).
HANS MULTSCHER. »AUFERSTEHUNG CHRISTI. Kaiser kkiedrich-miseim kkklin.
AllNAllME: l'HOT GESEl.l.SCH.— CHARLOH liMlUKÜ.
DIERICK BOUTS. »MARIA IN VEREHRUNG« k.user FRiEDRiCH-irusEUM -Berlin.
AUFNAHME: F. HANFSTjVENGL— MÜNCHEN.
ROGER VAN DER WEYDEN. »MARIA MIT DEM KINDE« Kaiser friedr.-museum-beri.in.
AUFNAHME: FRANZ HANFSTAENGL -MÜNCHEN.
Altdfiitschr und nlhürdrrlinidistlir }fn/rrei.
Die Maler des 15. Jalirliuiiderts gehören
einer Epoche linearen Sehens an, allein ihre
Linienführung ist eckig, hart, gebrochen, sie
wissen noch nichts von jener Linienmusik, die
eine spätere Zeit kultivierte. Anfangs ist die Linie
rein silhouettenhaft, erst nach und nach wird sie
einfacher, klarer und nimmt eine sprechendere
Haltung an. In Hugo van der Goes' „Anbetung
der Könige" (Abb. S. 29) ist vielleicht ein Maxi-
mum von dem erreicht, was der Quattrocenttst
an harmonischer Linienführung zu geben vermag.
Die Linie ist hier benutzt, und kommt in einzelnen
Gestalten wohl zum Klingen, aber sie ist nicht
restlos ausgenutzt. Die Gruppe der beiden
stehenden Könige und des knieenden Dieners
auf der rechten Bildhälfte weist noch Unklar-
heiten und Überschneidungen auf, die eine
spätere Generation vermieden hätte.
Weitere Mängel sind in formaler Hinsicht zu
beobachten. Die Formen sind hart, bleiben
isoliert und lassen jene Bindungen , jenen
engen Kontakt vermissen, der es uns ermöglicht,
mehrere zu einer Einheit verbundene Formen
zusammen zu überblicken. Roger van der
Weydens „Maria mit dem Kinde" (Abb. S. 27)
ist darin ein typischesWerk des 1 5. Jahrhunderts ;
Kopf, Hals, Brust, Hände und Locken sind im
einzelnen naturalistisch fein durchgebildet, aber
jedes dieser Elemente führt eine Sonderexistenz
und ist mit Einzelakzenten ausgestattet. Es
fehlt die Rundung, die das Bild zu einem Ganzen
zusammenfügt, jene Überordnung der Gesamt-
form über die Einzelform. Diese hat Dürer als
Künstler des 16. Jahrhunderts erreicht. Das
„Bildnis eines jungen Mädchens", das 1507
wahrscheinlich noch während seines venezia-
nischen Aufenthaltes entstand, besitzt bereits
den Charakter der inneren Geschlossenheit;
Augenhöhlen, Wangen, Nase und Mund stehen
bei diesem Porträt in enger Verbindung, alle
Einzelformen klingen in einander über.
Auch in der Art, wie das figürliche Element
in das landschaftliche eingefügt ist , macht sich
bei dem Maler des Quattrocento der Mangel
an Einheitlichkeit in der Komposition bemerk-
bar. Sie führen wohl die Landschaft in die
Tiefe , allein die Figuren wirken isoliert , sie
bleiben als Inseln an der vorderen Bildfläche
haften, eine Ungeschicklichkeit, worüber eine
interessante Schrägstellung nicht hinweghelfen
kann [Abb. S. 25). Fehlt hier eben noch der
tektonische Zusammenhang beider Faktoren,
so hat die Renaissance die Bindung vollzogen.
Zwar zeigt ein Künstler wie Cranach noch einige
Befangenheit (Abb. S. 20), allein, der Meister
von Meßkirch bringt in seinem Bilde „Christus
am Ölberg" bei aller Elächenhaftigkeit, mit der
die Christusfigur dem Vordergrunde eingeordnet
ist, das Ineinandergehen des landschaftlichen
und figürlichen Elementes zustande.
Diese kurzen Erläuterungen mögen eine all-
gemeine Vorstellung davon geben, wie die
Kunst der deutschen und niederländischen
Meister des 15. Jahrhunderts stilkritisch zu
werten ist. Indes, jeglicher Versuch einer ob-
jektiv kritischen Wirkung bleibt immer Sache
des Verstandes; nichts hindert uns, bei der
Betrachtung der alten Meister unser Herz
sprechen zu lassen und im Sinne der Romantiker
in ihnen ein Stück germanischen Wesens wieder
zu finden. Wir entsprechen hiermit dem Ver-
langen unserer Generation, die so beharrlich
nach geistig-gefühlsmäßigen Ausdruckswerten
sucht und für deren künstlerische Niederschrift
sie jede Gestaltungsmöglichkeit, auch die natur-
fernste, gestattet. Von diesem Standpunkte aus
werden wir Multschers Stilisierungen der Natur
nicht ablehnen, wir verstehen die zarte Innig-
keit, mit der Jan van Eyck die Himmelskönigin
gemalt hat [Abb. S. 30) und wir durchkosten alle
Schauer jenes Seelenkampfes von Gethsemane,
den Mabuse so visionär zu gestalten vermochte
(Abb. S. 17). Wir finden in allen diesen Aus-
drucksarten das Eine wieder, was uns die
höchste Formenschönheit nicht zu ersetzen ver-
mag: die germanische Seele. Sie bedeutet für
uns kein Schlagwort, ist niemals „modern", nie
einer Richtung, einer Laune, einem Geschmack
dienstbar. In ihr liegt vielmehr die Urform all
unseres Empfindens verschlossen, ort- und zeit-
los wirkt sie als immanentes Prinzip in allen
Schöpfungen deutschen Geistes fort. Sie mag
zart und versonnen träumen, sich mit spieleri-
scher Phantasie in einem schier unentwirrbaren
Formenüberfluß verlieren oder mit eigenwilligem
Charakterisierungs-Fanatismus die Naturformen
vergewaltigen und zu bizarren Steigerungen ge-
langen — in allen diesen verschiedenartigen
Manifestationen bleibt sie für uns, die wir sie
kennen, stets dieselbe : die germanische Seele.
JOACHIM KIRCHNER.
* ^ A.
o
y.
u
W
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y.
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JAN VAN EYCK. .ilARIA MIT DEM KINDE IN DER KIRCHE«
KAISER FRIEDRICH-MUSEUM. AUFNAHME: PHOT. GEbELLbCH.- CHARLOTTBÜ,
ANTON HAN AK WIEN. .MÄDCHENc MARMOR,
l'K' iK. ANTON HANAK -WIEN.
ILATIK UHR I.iri/IK Miv^i II
PROFESSOR ANTON HANAK-WIEN.
VON BEKTA ZUCKERKANIil..
ES erübrigt sich schon des knapp bemesse-
nen Textraunies halber den Werdegang
des größten österreichischen Bildhauers näher
zu beleuchten. Deutschlands Kunstkreise ken-
nen — besser als das gegen seine schöpferischen
Menschen immer reaktionär sich verschließende
Wien — die in Dresden, in Köln, in Mannheim
vor dem Krieg ausgestellten Werke, welche
bereits in ihrer Frühepoche eine geniale Syn-
these von tieferschauter Naturoffenbarung und
Wesens-verklärter Symbolik ergaben. Die hier
zur Abbildung gelangten Skulpturen entstam-
men durchweg Hanaks letzter Schaffensperiode.
Sie sind sozusagen das zur Form kristallisierte
Erlebnis, welches in fünf furchtbaren Kriegs-
jahren seine heiße Seele erbeben ließ. Fernab
von realistischer Gestaltung jener Wirklichkeit,
die dem echten Künstler immer als das Unwirk-
lichste erscheinen wird , lauschte er wissend
und schmerzensreich dem tiefsten Sinn der Ent-
wicklung und des Hasses. Nichts blieb Ilanak
fremd. Und aus den Konvulsionen der Mensch-
heit erkannte er einer neuen Menschheit künst-
lerische Rhythmen. Zu allen Zeiten wahrte so
die Kunst ihr Erleben von Kampf, Blut, Rausch
und Tod. Geheimnisvoll verschlossen in der
Werkstatt ihres Geistes. Bis in einer ihrer
besten Diener, in eines echten wahren Künst-
lers Seele das Werk der Klage, der Sehnsucht,
das hohe Werk der Verwandlung ward. Bis
gelebte Wirklichkeil als scheues Geständnis
verklärten Sehertums, im Symbol Reinigung
erfährt. So ist Hanaks grandioser Zyklus von
neun Bildwerken eine einheitliche untrennbare
Vision von durchseelter Körperlichkeit.
Das Geheimnis der Gestaltung ist, seitdem
die Akademie die Werkstatt verdrängte, also
seit der Epoche Ludwigs XIV. der Bildhauer-
^^
I. April-Mai 1920. i
Professor Anton TTanak- Wien.
34
kunst in noch weit allgemeinerem Maße als der
Malerei verloren gegangen. Als Zeugen der
sterbenden Skulptur stehen auf allen Plätzen,
Gebäuden, in allen modernen Galerien Euro-
pas die anämischen, ausdruckslosen Gebilde
iierum, ein gefälschtes Akademie-Ideal mit
puppenhaft toter Bewegungsimitation. Nur im-
mer Einzelne, nur immer wieder auferstehende
Meister wahrten und wahren das Geheimnis
der Menschen-bindenden Kunst. Anton Hanak
hält heute die Eackel hoch. Sein Teil ist, wie einst
es war — ehrfürchtige Schlichtheit des Hand-
werkers allem und jedem Werk zu Grund zu
legen. Das Material ist sein Gebieter. Für das
größte Unglück der modernen Plastik sieht es
Hanak an, wenn sie in Ton erste Formung erhält;
Meißel und Hammer müssen die Figur heraus-
meißeln, soll das Diktat der Materie darin leben.
Ebenso wie er die Spiegelflächen der Lichter auf
dem Bronzeleib im Gips herausraspelt, genau
nach dem System wie die Alten ihre Modelle in
Holz vorerst geschnitzt haben. Und ebenso hand-
werksmäßig feilt er das Werk nach dem Guß.
Dies ist das Wichtigste an Hanaks Schaffens-
art: daß er, dessen lyrische Fülle, dessen dra-
matische Gesichte, dessen dichterisch musizie-
rende Inspiration den Grund der Verzücktheit
erwirken, dennoch niemals diesen Gefühlen die
Vorherrschaft über sein treues Handwerkertum
läßt. Ihm ist das Bildwerk, das er allein in der
Materie verschlossen schaut, so unwandelbar
in Form gebannt, daß er kein Hasten, kein im-
pressionistisches oder expressionistisches, kein
beiläufiges nur auf Erscheinung losstürzendes
Abbilden kennt. Die Arbeit ist Erstes. Und
diese Arbeit dann noch steigern zu können —
das ist — Gnade Gottes! Solcher Frommheit
Gebete sind Anton Hanaks Menschenleiber.
— Menschheit — in monumentaler Zeitlosigkeit
zu bilden, ist des Meisters grundlegende Offen-
barung. Doch ihr gesellt sich als zweite Aussage :
Der vergeistigte Mensch einer besonderen Epo-
che — hier der moderne Zeitmensch, der die für
ihn allein charakteristische Prägung der Ahnen-
reihe der Bildüberlieferung einfügt. Dritte Aus-
sage : Der Mensch als Abglanz eines schöpferi-
schen Genius — Seele von Hanaks Seele, Geist
von seinem Geist ; Körperlichkeit erbebend
vom Impuls eines erbebenden Welterlebens.
In der aus dem Chaos zum ersten Mal neu-
geschöpften Geste ist dieses Zeitgeständnis ge-
prägt. Und nur einem souveränen Künstler
konnte es gelingen die Scheidung von Körper
und Geist so gänzlich aufzuheben , daß die
Geste, als sichtbar werdende Willensübertrag-
ung, Regungen fortsetzt, die tief unter der Ober-
fläche in seelischen Gesetzen verankert ruhen.
Beherrschung aller Formen der Natur, aller
ihrer unendlichen Spielarten ist die selbstver-
ständliche Voraussetzung für Hanaks Schaffens-
Ehrfurcht. Um aber über Natur hinaus der
Kunst ihre niemals nachschaffende , sondern
stets neuschöpferische Herrschaft zu wahren,
sind alle diese, bis auf die geheimnisvollsten
Übergänge erlauschten Formen reine Erinne-
rungsbilder. Niemals bildet Hanak direkt nach
dem Modell. Keines der Bewegungsmotive,
die hier abgebildet sind, ist „gestellte Pose".
Aus stets rein dichterischen Impulsen entstehen
jene für Hanak so einzig charakteristischen, in
Wasserfarbe mit dem Pinsel hingeschriebenen
Zeichnungen, die Licht und Schatten der Wöl-
bungen bis zu dem tiefsten Dunkel der Höh-
lungen fixieren.
Diese Zeichnungen halten die erste Vision
der Formung fest, aus der die wundervolle Ein-
heit leidenschaftlicher Körperbeseelung im Ma-
terial dann ersteht, frei von der Schauspieler-
geste eines nur der Regiekunst des Bildhauers
folgenden Modells. Über die Echtheit, Wahr-
haftigkeit , über die einströmende Kraft des j
Gefühles, das Haltung, Ausdruck, Bewegung
jedes Körpergliedes zur höchsten Intensität der
plastischen Offenbarung steigert, gibt sich der
Meister an seinem eigenen Körper Rechenschaft.
Er nennt das „Durchspüren"; bis in das Spiel
der Zehen geht er so der Empfindung nach, ob
diese ihm untrennbare Einheit seelischer Vision
und bildlicher Bildung vollkommen ist.
* « «
Eine gedankliche Erklärung der hier abge-
bildeten Gestalten ist eigentlich kaum notwen-
dig. Deutung soll die durch das Kunstwerk
befreite Phantasie des Schauenden nicht ein-
engen. Hier sind ja nicht literarische Themen
verarbeitet, hier ist Raum und Seelenzucht zu
lebensströmender Körperlichkeit verdichtet.
Der „Letzte Mensch" ist das Wesenszeichen
jener Jugend, die der Weltkrieg hingemäht hat.
Restlos ist er seiner Pflicht gefolgt, bis ans
Ende seiner Kraft. Nun sinkt er mit den hilflos
ausgebreiteten Armen zusammen. Gekreuzigter
1914. Erschütternd wirken diese nach letzter
Hoffnung ausgreifenden Hände, die zuckenden
Finger, das gebrochene Erschlaffen der Beine
über deren Haut das Beben der Muskeln streicht ;
die ergebene Wölbung des Rückens, der vorne
nach abwärts fallende Kopf von unendlicher
Trauer. — Diesem Abgesang von Kraft ent-
gegen, schwellt der straffe Rhythmus eines wun-
dervollen Jünglingskörper empor, der als „ Neue-
rer" — neue Kraft aus der Erde zieht. —
Führerin aber dieses neuen Heroengeschlechtes
wird „Die nun über die Erde schreiten muß"
PRin-KSSoK ANTON IIANAK -WIKN. IM.ASTIK.
PROFESSOR ANTON HANAK-AVIEN.
.DIE NUN ÜBER DIE ERDE SCHREITEN MUSS^
1
PROFESSOR ANTON HANAK. DAS GROSSE LEU)
y.
-/-I
.PROFESSOR ANTON HANAK. JITXG EVA«
ANTON HANAIC. .DAS GOLDENE ANTLITZ.
M
AXTÜN HAN AK. DIE IRDISCHEN GRENZEN.
Professor An Ion Ilanak- Wien.
l'KOK. AN ION HANAK.
sein. Die Gottheit, die mit uns die Wandlung
antritt, mit uns zur wiedereroberten i^roßen
klassischen Form, zur „Klarheit" zu fSelanjScn.
Die Vorderansicht dieser halb knieenden, halb
sitzenden Gestalt stellt den letzten Augenblick
dar des gleichsam von höherer Macht befohle-
nen Sich-Erhebens. Der Übergang einer Be-
wegung in die andere scheint in diesem Werke
meisterlich gelöst zu sein.
„Die irdisciien Grenzen" aber lassen stür-
mende Sehnsucht neuer Weltaufbauer verbran-
den. Über uns selbst können wir nicht hinaus
— kündet die angestrengt sich überhebende
Gestalt, deren über das Haupt verschlungenen
Arme den Gedanken vom letzten Höhenflug
gebieterisch abschließen.
An dem Marmorblock aber das Gesetz der
Schwere aufzuheben, diese Kühnheit hat Hanak
bei der „Schwebenden" vollbracht, durch die
genial abgewogene Stellung der Hauptformen
zueinander. Die Gerade der Unterschenkel; das
Hineinziehen des Leibes; das meteorgleiche
Herausschnellen des Oberkörpers — gibt dem
Gefühl der Flugkraft überzeugende Sicherheit.
Zärtlich auf einer Wolke gelagert zieht sie dahin,
die von uns in den Jahren desLeids nicht gelebte
Schönheit, Die unwiderbringlich Versäumte. . .
— Großen Bildhauern ist oft auch die Gnade
SKI/./l M K 1-1 A^ I IK
des Wortes gegeben. Michelangelos Sonette,
Rodins Gedanken-Gemmen sind dichterische
und philosophische Bekenntnisse von höchstem
Wert. Daran wird man Anton Hanaks Tage-
bücher einst reihen. Hymnen sind sie an das
Leben. Sind Heiligung der Arbeit, durch die
Reinheit des Gebetes eines Frommen, dessen
Gott nicht in Kirchen wohnt. Wie in Hebbels
Tagebüchern kaum das Skelett seines mate-
riellen Lebenslaufes zu finden ist, weil er nur
die Geschichte seines Geistes niederschrieb,
so bestehen auch Hanaks Aufzeichnungen in
Aneinanderreihungen von Lyrik , von ethisch-
philosophischen Betrachtungen. Aufbau einer
Seele, die Jahr um Jahr ihr Wachstum himmelan
bezeugt. „Der Fanatiker" und der vorerst im
zeichnerischen F.ntwurf vorhandene „ [^rennende
Mensch" (letztes Werk des Zyklus) sind für
diesen ekstasischen Menschen und hingebenden
Künstler ergänzendes Bekenntnis zu dessen
Tagebüchern. Wenn über Hanak der Fanatis-
mus seiner Arbeit stürzt, wenn ihn die Qual der
Angst — sein sich gestelltes Werk nicht vollen-
den zu können — befällt, dann beseelt und
bildet er immer wieder an den vom Trans des
Schöpfertums geschüttelten und verflammenden
Menschen : nach seines Gottwissens Bekenntnis.
Wir verfaulen nicht — wir verbrennen!" i /.
43
iCni. April-Mal 1920. 5
■'■^:
ANTON ILVNAK WIEN.
SKIZZE lUK PLAäTIK.
UMSCHWUNG IM EXPRESSIONISMUS.
Vi IN WILHELM MICHEL.
Auf den Geist berief sich die junge Kunst bei
L ihrem Auftreten. Wie wollte sie dieses
Wort verstanden wissen? Es schwankt zwi-
schen vielen Bedeutungen, die unter einander
verbunden sind, hier mit breiten Grenzstreifen,
dort mit dünnen Stegen. Da scheint es be-
zeichnend : Beliebter als das Wort Geist war
in expressionistischen Erörterungen das ab-
schwächende Adjektiv „geistig". Geistig ist
das Wesen der jungen Kunst in jedem Falle :
geistige Fragestellung ist ihr AnstolB, geistiges
Erleben ihr Gegenstand, geistiges Erfassen ihre
Anschauungsweise, geistiger Ausdruck ihr Ver-
fahren. „Geistig" immer im Gegensatz zu der
impressionistischen Gebundenlieit an Sinne,
Empfindung, Materie, Naturvorbild. Hie und
da verdünnte sich der Begriff des Geistigen bis
zum bloß „Subjektiven". Das bezeichnet unter
anderem die Verbindungshnie, die vom Impres-
sionismus zum Expressionismus geht; der zwi-
schen beiden liegende Neo-Impressionismus ist
wesentlich und entscheidend Subjektivismus.
Aber auch Vieles in der neuesten Kunst ist
bloß subjektiv. Und dies weist auf einen
inhaltsvolleren, positiveren Begriff „Geist", der
bisher nur sehr gelegentlich in junger Kunst
44
Umschwung im Expressionismus.
l'ROFliSSOR ANTON HANAK \MF.N.
erschien und der sich, wenn die Anzeichen nicht
trügen, zu klarer Auswirkung eben anschickt.
Geist ist nicht bloß Subjekt; Subjekt mit all
seinen ZufäUigkeiten und Belastungen, mit sei-
nen Leiden , seiner Enge und Gebundenheit.
Geist ist wesenthch : Sieg des Geistes über
das Verwirrende und Dunkle der Welt. Geist
ist Überwindung der kreatürlichen Enge, Nie-
derkämpfung der kosmischen Feindlichkeit, der
panischen Bedrohtheit. Geist ist, in ethischer
Wendung, G e me i nge ist , Liebe, Erkenntnis
des Gesetzes. Geist ist nicht nur, wie der
Expressionismus gemeint 7U haben scheint,
Offenheit für geistige Fragestellung, Golt-
Suchen, religiöses Leiden, kosmisches Be-
drohtwerden. Er ist das, was über diese
AQUARELUSKIZZE FÜR PLASI IK.
Dinge hinausgeht zum Positiven : ist geistige
Antwort, Gott-Haben, religiöses Erken-
nen, kosmische Freiheit.
Hier scheinen Entwicklungen einzusetzen.
Der Expressionismus hat bis jetzt vorwiegend
das Sprengende, Revolutionäre, Wilde, Fried-
lose des Geistes gezeigt. Er schuldet uns den
Sieg, das Gesetz, das Verbindende, den Frie-
den. Er schuldet uns geistige Heiterkeit und
Wellheiniatgefühl. Er schuldet uns, nachdem
er die Jugend des Geistes in reichster Fülle
der Phänomene ausgebreitet hat, des Geistes
Männlichkeit und Lebensreife. Nach der ro-
manlischen Vorstufe die Klassizität; nach kämp-
ferischer, bewaffneter Tragik den Hymnus des
Weltjubels und der Gesetzesfreude. Es ist mit
45
U»nch-ining im Ex/rcssionisMiis.
dem Geiste noch nicht Ernst gemacht worden.
Es ist nur gefülilt und klargestellt, daß mit dem
impressionistischen Weltbild nicht mehr auszu-
kommen war. Der neue Glaube aber ist noch
nicht da. Er wird vermutlich anders aussehen
als jeder vorhergegangene. Aber er wird Glaube
sein, irgend eine Art von schauendem Fromm-
sein, Bestätigung der Schöpfung. Die Zeit wird
dem Expressionismus sagen : Auf den Geist hast
du dich berufen, zum Geiste sollst du kommen.
Anzeichen sind vorhanden. Schon sind wir
in der Kunst mißtrauisch geworden gegen die
bloß empörerische Geste und gegen die bloße
Subjektivität. Kühnheit allein verfängt nicht
mehr. Wir prüfen sie auf Kraft und Ziel. Im
Bereich der Literatur haben sich Stimmen ge-
funden, die sich gegen Strindberg, Wedekind,
Sternheim erhoben. Obschon nichts fester
steht als die Unentbehrlichkeit dieser Leiden-
den, Zweifelnden und Höhnenden. Aber Bar-
lach steht ähnlich in der Kunst wie Strindberg in
der Dichtung, Und Wedekind, Sternheim kön-
nen kaum als überwundener gelten als Manche,
die der Malerei von heute noch Führer sind.
Auf der andern Seite liegen freilich in Dich-
tung und Kunst Versuche vor, die negative und
vorbereitende, wenn auch schon durchaus gei-
stige Periode, in der sich die Menschheit eben
verjüngt, um einen noch radikaleren Entwick-
lungsabschnitt zu verlängern. Es steckt in der
dadaistischen Unternehmung das richtige
Gefühl, daß es ein ungeheures Wagnis ist, aus
dem Negativen ins Positive zu gehen. Bejahung
bringt Bindung. Die Weite des Welt- und Ich-
gefühls, die Schwingung der kosmischen Woge
muß irgendwie schrumpfen, wenn aus den tau-
send Masken in die eine Wahrheit, aus der
vielfältigen Übertretung in das einfache Gesetz
gegangen werden soll. Trotzdem scheint mir
gegenwärtig der dadaistische Vorstoß wenig
Aussicht auf Erfolg zu haben. Mit allgemeinen
Argumenten läßt sich freilich in der Frage so
großer Bewegungen nicht operieren. Aber in
seinem Äußersten, vor zusammenfassendem,
überschauendem Blick, wird das Geistige wie-
der auf überraschende Weise physisch-mecha-
nisch. Und aus Gefühl für dieses Mechanische
darf gesagt werden , daß wir einer Peripetie
nach der positiven Seite genähert scheinen.
Wie diese Wendung beschaffen sein kann,
darüber ist keine Prophetie zu wagen.
Das Neue kommt immer von der unerwarte-
ten Seite oder unerkennbar vermummt. Der
Schaffende denkt nicht mit unserm Hirn und
schöpft seine Bilder aus einem Vorrat, in den
nie ein Auge einen Blick getan hat w. m.
ANTON HAN AK -WIEN. SKIZZE FÜR PLASTIK.
Ml
PROFESSOR PAUL SCHEURICH. »PORZELLANGRUPPE«
STAATLICHE PORZELLAN-MANUFAKTUR - MEISSEN.
F. SCHKlRlc M.
>AMOR«
MEISSENEK
l'ORZKI.LAN.
NEUE PORZELLAN-FIGUREN.
Es ist merkwürdig, wie schwer es allem An-
scheine nach unserer doch auf manchen
anderen Gebieten der dekorativen Kunst wie-
der recht erfolgreichen Zeit glücken will, zu
einem wirkhch gesunden Porzellanstil zu ge-
langen, in dem sich zugleich auch das spezifisch
Neue derselben, das, was man für gewöhnlich
modern zu nennen pflegt, einigermaßen wider-
spiegelt. Grund hierfür ist wohl zunächst, daß
unserer Zeit mit ihrer nichts weniger als wirklich
innerlich verfeinerten Kultur das Delikate, das
was das eigentliche Wesen einer wirklich feinen
Porzellankunst ausmacht, innerlich fremd ist.
Fast alles, was wir heute auf dem Gebiete der
bildenden Kunst schaffen, hat ja gegenüber dem,
was früher auf ihm geleistet, etwas stark Grob-
schlächtiges an sich. Dann aber weiter, daß die
Auffindung eines Porzellanstils an sich nicht
eben leicht ist. Sie verlangt ein ganz anderes
Einleben in das Wesen und die Technik dieses
Stoffes, als wohl fast alle übrigen ähnlich ver-
wandten Materialien und zugleich auch ein viel
feineres, sicheres Stilgefühl, was beides nur
durch besondere Veranlagung und fleißiges Kr-
arbeiten gewonnen werden kann. Porzellan
ist kein Stoff für jedermann und keiner für ein
Arbeiten so nebenher.
Ganz besonders aber gilt dies alles für die
Wiedergewinnung einer wirklich gesunden Por-
zellanplastik, die einst im 18. Jahrhundert unter
ihrem ersten Begründer Kandier anscheinend so
spielend gelang, daß wir heute von einem wirk-
lichen Ringen hier kaum noch etwas zu spüren
vermeinen. Denn hier wirken einige besondere
Eigenarten dieses Stoffes noch besonders er-
schwerend ein. Zunächst ist da seine vor-
wiegende Unzertrennlichkeit von seiner Glasur,
die, wenn auch in der Regel nur ganz dünn auf-
liegend und durchsichtig, doch alle plastische
Durcharbeit verundcutlicht , zum Teil ja auch
A9
II. AprII-Mli 1920. 6
Nrur PorzeUan-Flgtircn.
50
l'AVL SCHEURICH— URESDEN. STAATL. PORZELLAN-MANUFAKTUR— MEISSKN. »HERR U. liAMh l.\ BlLl ihK.MEIERTRACH 1
gänzlich verwischt. Dann sein Erweichen im
Brande, das gleichfalls aller Schärfe der Fornien-
gebung spottet und vielfach Zufall an Stelle von
Zielbewußtheit setzt. Mit der Gewissenhaftig-
keit des Naturahsmus , wie mit der Formen-
strenge des Klassizismus, diesen beiden End-
polen alles plastischen Arbeitens im 19. Jahr-
hundert, war darum diesem Stoff nicht beizu-
kommen. Die Porzellanplastik mußte so ihren
eigenen Weg gehen, eine eigene Stilisierung ver-
suchen, die ganz auf dem Wesen dieses Stoffes
beruhen, sich ganz in dieses versenken mußte.
Das hat das 19. Jahrhundert und auch der
größte Teil unserer Zeit noch nicht vermocht.
Und doch hätte es ihnen eigentlich an sich
garnicht so schwer fallen können, wofern sie
nur genügend sich angeschaut hätten, was andere
Zeiten auf diesem Gebiete geschaffen. Denn
sowohl die Chinesen seit vielen Jahrhunderten,
wie auch wir Deutschen seit dem 18. hatten
auf diesem schon Stilarten gefunden, die völlig
befriedigen konnten. Man brauchte hier nur
die Augen aufzumachen. Dann aber freilich
mußte man, sobald man schaffen wollte, sich
völlig darüber klar sein, welches von beiden
Vorbildern man sich auserkoren. Denn beider
Stilarten waren recht verschieden, mit einander
durchaus unvereinbar. Bei den Chinesen eine
weiche, rundliche Behandlung des Materials,
die, auf Einzelheiten verzichtend, das vor-
liegende Motiv nur in großen Zügen wiedergab,
dafür aber die Schönheit des Materials zur
vollen Geltung brachte. Bei uns dagegen eine
reichere Durchbildung des Plastischen, ein schär-
feres Betonen der Einzelheiten, ein pikantes
Spielen mit den Glanzlichtern der Glasur und
doch auch ein gewisses Maßhalten in allem
wieder, wie es eben die Eigenart dieses Stoffes
verlangt. Beide Stilarten aber waren durchaus
gleich materialgerecht, durchaus gleich künst-
lerisch verwendbar, nur daß die unsrige viel-
leicht noch mehr einer spezifischen Kleinplastik,
PROI'
■ESSOR PAUL SC] lEURKH- DRESDEN. .RUHENDER SCHÄFER.
Neue Porzellan -Figuren.
»KINDER MIT TIEREN« SCHWARZBURGER \VERKSTÄTTEN IN UNTER WEISSBACH. MODELL VON STORCH.
die in der Hauptsache doch die Porzellanplastik
immer darstellt, entsprechen dürfte.
An beide Stilarten getrennt haben sich nun
einige ganz neue Arbeiten auf diesem Gebiete
angelehnt, die nicht zum wenigsten eben dadurch
auch zu gutem Erfolge gelangt sind. Zunächst
einige in der Meißener Manufaktur ausgeführte
Werke des bekannten Zeichners, Radierers und
Plastikers Paul Scheurich, der schon durch seine
ersten Porzellanarbeiten für die Schwarzburger
Werkstätten in Unterweißbach, dann für die
Meißner Manufaktur berechtigtes Aufsehen er-
regt hat. Scheurich hat sich von Anfang an an
den alten Meißner Stil angelehnt. Er entspricht
auch ganz dem Wesen dieses so flott, launig,
graziös und auch mit Vorliebe kleinschaffenden
Künstlers, der oft wie ein Spätling des längst
sonst überwundenen Rokokos erscheint, das
uns zwar keine allzu tiefe, dafür aber um so
anmutigere Werke hinterlassen hat. Von An-
fang an hat er sich daher auch auf diesem Ge-
biete an diese Zeit angelehnt, hat ihr so manche
seiner Motive entnommen, ihren künstlerischen,
wie materiellen Stil sich möglichst zu eigen ge-
macht und sich auch von ihrer allgemeinen
Auffassung des Lebens und seiner Erschei-
nungen durchdringen lassen. Graziös, pikant,
beschwingt und flott erscheinen so seine Sachen.
Sie strahlen frischestes Leben, froheste Laune,
selbst Übermut und leichten Hohn aus , sind
fern von jeder Erdenschwere, Pedanterie und all-
zugroßer, aufdringUcher Gewissenhciftigkeit und
holen dabei doch aus dem Porzellan stofflich her-
aus, was nur irgend aus diesem durch die von
ihm erwählteStilart zu gewinnen war. Doch ist
Scheurich keineswegs dabei ein bloßer Nach-
ahmer geworden. Dazu war seine schöpferische
Kraft viel zu bedeutend, sein künstlerischer
Eigenwille viel zu stark. Nur ganz im allge-
meinen hat er sich durch seine Vorbilder an-
regen lassen. Im übrigen erfindet er ganz neue
Motive, gestaltet die Bewegungen erregter,
durchquirlt alles mit frischerem, natürlicherem
Leben und streift auch leicht einmal dabei die
Karikatur. Und so sind seine Werke weniger
konventionell ausgefallen, als seine Vorbilder,
geben viel mehr, als jene, von ihren Naturvor-
lagen wieder, sind auch weit sorgfältiger im
einzelnen durchgebildet. Seine Hände sind
keine Rokokohände schlechtweg, seine Typen
keine Kändlertypen oder sonst etwas Ähn-
liches aus dieser Zeit, die Behandlung des Nack-
ten, sowie aller Stoffe ist gleichfalls viel naturali-
stischer erfolgt, als es die Rokokozeit je versucht
hat. Alles ist hier mehr auf wirkUch neuer,
wirklich eingehender Naturbeobachtung ge-
gründet. Und so erscheinen seine Werte alle
als Erzeugnisse einer wahrhaftigeren Zeit, stehen
unserem auf Realität fußendem Empfinden weit
näher und zeigen zugleich meist auch einen
leichten Humor, der, weil mehr satyrischer Art,
auch mehr der Humor unserer spottlustigen Zeit
ist. Es ist so in allem ein Mehr, das unser an-
spruchsvolleren Zeit nur zu willkommen ist.
Von allen diesem dürften die hier abgebildeten
neuesten Arbeiten Scheurichs beredte Kunde ab-
geben (S. 48 — 54). Sie schheßen sich seinen
früheren völlig würdig an. Auch in ihnen zeigt er
sich als Begründer einer neuen Porzellanplastik,
nach der wir so lange gestrebt haben und doch so
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73
PROFESSOR PAUL SCHEUKK H DRESDEN.
sLIEBESPA.\R« STAATLICHE l'OKZELI,AX-MAKUI' AK I UR MEISSEN.
yeitc Ponrllau-Fipiren.
.-.CllWAK/BIKGI K \V1 KKSrÄllKN - l N JKRWEISSBACH. ..\HKE.N-1.I sI.KlN MOllEll. VON ST.mcil.
vergeblich, durch die dies Gebiet in der Tat wie-
der zu einer Kunst geworden ist, an der sich
auch Verwöhnteste wirklich wieder erfreuen
und die sie auch mit gutem Gewissen sich wieder
aneignen können. Wird er nun auf ihm allein
bleiben oder wird sich an ihn, wie einst an
Kandier, eine ganze Schule anschheßen? Das
ist nun die Frage. Übertreffen jedoch wird ihn
sobald wohl keiner. Dazu ist er bereits zu weit
gelangt und auch seine natürliche Veranlagung
für dies Gebiet zu groß. So können wir wohl
nur erhoffen, daß er recht bald auf diesem Ge-
biete allgemeiner erzieherisch wirken und un-
sere ganze Porzellanplastik zu neuer Höhe er-
heben wird. Das wäre dann ein neues Ver-
dienst von ihm.
Ganz anders wie diese Arbeiten wirken da-
neben die anderen neuen, jetzt aus der Meißner
Manufaktur hervorgegangenen, die den Bild-
hauer Marcks, der gleichfalls in den Schwarz-
burger Werkstätten seine Porzellanarbeit be-
gann, zum Urheber haben. Ihm ist im Gegen-
satz zu Scheurich das chinesische Porzellan
Vorbild gewesen, damit jenes Streben nach
vereinfachter, zusammengefaßter Wiedergabe
weicher, rundlicher Formengestaltung und star-
ker Zurschaustellung der Masse, das für jenes
immer so ganz besonders charakteristisch ge-
wesen ist und ihm seinen besonderen plastischen
Stil verschafft hat. Dies Streben ist ihm schon
recht gut gelungen. Es ist erstaunlich, wie
angenehm weich und milde schon die sonst
leicht etwas hart und frostig sich gebende Masse
des Meißner Porzellans wirkt, die hier keine
andere ist, wie sonst. Es ist ein schlagender
Beweis, wie sehr richtige Behandlung ein Ma-
terial zu veredeln vermag. Das Streben nach
Vereinfachung der Form und schärferer Kon-
zentrierung des Ausdrucks aber hat den Künst-
ler dann fast wie von selber in das Heerlager
der neuesten Künstlerschar geführt, der Expres-
sionisten. Wie Scheurich sich mehr rückwärts,
hat er sich so weit, wie nur irgend möglich, nach
vorwärts gewandt. Damit ist nun dieser viel-
umstrittene Stil auch in das Porzellan einge-
zogen, ohne freilich hier gleich, wie leider so
vielfach, durch wüste Orgien oder schreckhafte
Verblüffungen imponieren zu wollen. Es ist
wirklich innerlich, konzentriert, empfunden wor-
den, was in diesen Werken äußerlich, zusam-
mengefaßt und auf das Notwendigste verkürzt,
zur Erscheinung gebracht worden ist. Es gibt
kein Zuviel und kein Zuwenig. Es ist alles da,
was zum wirklichen Ausdruck des in der Natur
Gegebenen dient. Zugleich aber sind trotz
dieser äußersten Vereinfachung diese Arbeiten
55
Neue Porzellan -Fisiuren.
56
doch durchaus spezifische
Porzellanwerke geblie-
ben. Sie enthalten genug
der feineren Einzelheiten,
die bei ihrer feinen Aus-
gestaltung nur im delika-
teren Porzellan , nie in
der gröberen Majolika
oder in Steingut denkbar
sind, die auch nur unter
einer feineren Glasur hin-
durchwirken können. Auf
diese Weise sind schon
zwei als Leuchter ge-
dachteReiterfiguren(Abb.
S. 53), eine schreitende
Nachtwandlerin entstan-
den sowie die recht große
Figur eines stehenden
posauneblasenden Grab-
engels (Abb. S. 56), letz-
tere von wundervoller
Geschlossenheit der äu-
ßerenUmfassung und auch
sonst größter innerlicher
Ruhe. Mit ihr hat Meißen
auch seine traditionelle
Großplastik wieder auf-
genommen , die einst zu
so schönen Erfolgen ge-
führt hat und wie dieses
Werk beweist, auch für
uns noch große Daseins-
berechtigung haben dürf-
te. Alle diese Werke
Marcks sind aber bezeich-
nender Weise unbemalt
geblieben. Es sind die
ersten „weißen" Stücke,
die die Meißner Manu-
faktur seit langer, langer
Zeit wieder herausgege-
ben hat. Sie müssen es
auch bleiben, wofern die
Masse als solche wirken
soll und können es auch,
da diese hier wirklich al-
lein schon durch ihrer rich-
tigen Behandlung ästhe-
tisch zu wirken vermag.
So sind sie auch in dieser
Beziehung für Meißen et-
was ganz Neues gewor-
den. — Groß und einfach
geben sich dann auch
noch einige neue , von
Storch entworfene, in den
»GROSSE GRABFIGUR VON MARCKS«
.ST.\.\TI.ICHE PORZEIXAN-MANUFAKTUR-MEISSEN.
SchwarzburgerWerkslät-
ten ausgeführte Arbeiten
(Abb. S. 52 u. 55). Es
sind, rein künstlerisch ge-
nommen , durchaus ein-
wandsfreie Werke , als
Porzellanwerke jedoch
keine diesen Stoff nach
allen seinen Seiten aus-
nutzende. Sie könnten
wohl ebensogut in Stein-
gut oder Majolika ausge-
führt gedacht werden. Es
fehlt ihnen noch so ziem-
lich alles wirklich Deli-
kate, alles, was von einer
feineren Masse zeugt. So
ist ein Stil zusammen ge-
kommen, der von keiner
der beiden oben charak-
terisierten Stilarten allzu
viel schon in sich aufge-
nommen hat und darum
auch noch nicht so sicher
gegangen ist, wie der je-
ner erst genanntenWerke,
die sich enger an jene an-
gelehnt haben und darum
auch schon zu ganz an-
deren Resultaten gelangt
sind. . ERNST ZIMMERMANN.
Die Beobachtung lehrt
oft,daßzweiim ernst-
haften Sinne Sachverstän-
dige einander schroff wi-
dersprechen , und nicht
selten zeigt es sich, daß
beider Urteile vor der Ge-
schichte keinen Bestand
haben. Fachwissen allein
ist wertlos, weil dasKunst-
werk niemals Erzeugnis
des Fachwissens ist, son-
dern umgekehrt dieses
erst eine nachträglich ge-
wonnene spekulative Ab-
leitung u, Spezialisierung
des Kunstschaffens. So
ist es auch nicht richtig
zu sagen : Kunst kommt
vom Können, Daher ist
auch das Können jeder
neuen Kunst von dem der
alten grundverschieden,
es basiert auf neuen Wil-
lensgesetzen. PAULBEKKER.
VOM KÜNSTLERFEST DER UNTERRICHTS-ANSTALT DES KUNSTGEWERBE-MUSEUMS-BERLIN.
»HULDIGUNG DER KÜNSTE«
MAUiRKIKN DKR KLASSE SCHERZ.
DEKOK ATIOSEN EM I KKPPENllAUS.
DAS KÜNSTLERFEST DER BERLINER KUNSTÜEWERBESCHULE.
Oeit einer Reihe von Jahren gehört der Ball
»/7 der Berliner Kunstßewerbcschule der „Un-
terrichtsanstalt des staatlichen Kunstfiewerbe-
museums", wie sie offiziell heißt, zu den Ver-
anstaltungen, die dem Berliner Wintervergnügen
seinen besonderen Charakter verleihen. Mit
Freude und Wehmut denkt man an die F'este
vor dem Kriege, den Zirkus, die Modetorheiten,
das Fest des weißen Elefanten, die Harlekinade,
die von der Schülerschaft immer mit Geschick
und Eifer in glänzendstem Rahmen veranstaltet
worden waren. Der Krieg ließ eine Pause ent-
stehen. Und noch vor wenigen Wochen fand in
der großen Halle der Unterrichtsanstalt eine Ge-
dächtnisausstellung der gefallenen Schüler statt.
Doch auch die Lebendigen wollten zu ihrem
Recht kommen. Es sollte ein Fest werden, das
wie eine Insel der Seligen aus dem grauen Meer
des Alltags herausragen sollte. Fin Künstler-
fest aller Länder und Zeiten war als Leitmotiv
gedacht. Dabei sollten die Exoten nicht zu
kurz kommen ! Und das Wichtigste: Durch das
Entgegenkommen des Direktors Bruno Paul
konnte das Fest in den Räumen der Schule
selbst stattfinden. Das hatte den Vorzug, daß
die Dekorationen in reichlicherem Maße als
sonst angebracht werden konnten : Zeit dazu
war vorhanden, da das Lokal ja nicht erst am
Tage vorher frei wurde wie die zu mietenden
Säle; und was man an der Miete sparte, kam
ebenfalls den Dekorationen zu gut.
Der Erbauer des Neubaus des Kunstgewerbe-
museums, der die Bibliothek und den größten
1 eil der Unterrichtsanstalt birgt, der verstor-
bene Baurat Büttner, hatte, dem Vorbilde des
genialen Erbauers des Berliner Amtsgerichts,
Schmalz, folgend, einen reichlichen Aufwand
an gewaltigen Treppenhäusern und weiträumi-
gen Korridoren getrieben, freilicii ohne in künst-
lerischer Beziehung auch nur von ferne sein
Ideal zu erreichen. Nun kamen zum ersten
Male die weiten Räumlichkeiten ins rechte Licht.
Das unwahrscheinlich öde Gebäude in seiner
kahlen Nüchternheit, die durch eine stümper-
hafte Barockverziererei nur noch gesteigert wird,
war eine Nacht lang bunt und lebendig, wie ein
Märchen aus 1001 Nacht nur irgend sein kann.
— „Der tolle Slakugemu" war der rätselhafte
.■)9
UI. AprllMii 1920. 7 '
llas Kiivstlrrfcst der Berliner Ktivsts^CiVerheschule.
60
KOSTÜME VOM KUNSTLERFEST.
Titel des Festes. Doch man ist
seit der „Wumba" und „Damu-
ka" an das Lösen solcher Rätsel
gewohnt. Das Abkürzungsun-
getüm hatte aber durch den
Klang derSilben gleichsam durch
die Magie onomatopoetischer
Laute ein eigenes Leben erhal-
ten. Die tolle Statue des Titel-
helden, stakig, mysteriös, exo-
tisch, die Expression von etwas,
was es gar nicht gibt, war mitten
auf der großen Freitreppe, den
neugierigen Besuchern zunächst
noch verhüllt, als Symbol der
neuen Zeit aufgestellt. Erst
als sich das Haus gefüllt hatte,
ging unter Blitz und Donner die
Enthüllung vor sich und in silb-
rig violettem Licht stand der
tolle Stakugemu unter der bun-
ten Schar seiner Verehrer. —
Die große Treppenhalle war zu
einer Symphonie von Karmin-
rot, Orange und Weiß umgestal-
tet worden; das zu stark ge-
dämpfte Licht ließ freilich die
Farben nicht so kräftig wirken, wie sie wohl ursprüng-
lich gedacht waren. Am Eingang standen zwei phan-
tastische, bunte Ungeheuer, die jedem Negerbildhauer
zur Ehre gereicht hätten. Sie paßten wundervoll in den
Rahmen des Festes: ganz stakugemu! Nur ganz leise
meldet sich das Bedenken, daß vielleicht bald kleine
Stakugemus dieser Art nicht bloß als Künstlerwitze auf
Kostümbällen, sondern in Kunstausstellungen als voll-
wertige ernsthafte Leistungen uns angrinsen werden.
Die große Halle war als Raum bedeutend dankbarer.
Obwohl auch in gewöhnlichem Zustande durch 2 seitige
Beleuchtung denkbar ungemütlich, wurde sie nun durch
eingespannte Füllungen zu einem schönen geschlossenen
Saal. Das freundliche Resedagrün bildete mit dem fröh-
lichen Karminrot mit etwas Weiß, Braun und Schwarz
einen angenehmen Grundton. Die Malerei war nicht
allein als Witz gelungen, sondern als künstlerische
Leistung ernst zu nehmen; sie gemahnte an Phantasien
des Rokoko; es tat einem ordentlich leid, daß sie
nicht dauernd in der Halle bleiben konnte.
Außer den Korridoren und Treppenhäusern waren
noch eine Anzahl von anstoßenden Klassenräumen als
Theater, Kosewinkel, Weinstuben und dergleichen ein-
gerichtet worden. Insbesondere die Weinstube, die von
der Klasse Caesar Kleins ausgemalt war, konnte als At-
traktion gelten. Das Wüsteste des Expressionismus war
hier, bunt in bunt, ganz zügellos, zu einer leicht ange-
trunkenen Phantasie zusammengeschlossen. Besonders
Vi>M KINSTLERKEST DER UNTERRICHTSAXST. DES KUNSTGEWERBE-MUSEUMS
Das Küiistlcrfrst der Bfrliiirr Kitiistze'tvcrheschidc.
KOSTÜMK VLi.M KLXSTLEKKESr.
geschickt war der Fußboden durch
tolle Linien mit in die Harmonie des
Raumes einbezogen. Als i-Punkt hing
von der Decke ein kostbares buntes
Schweinewesen, das durch die Leucht-
kraft seines runden Bäuchleins den
Raum mit mildem, farbigem Licht über-
strahlte. — Daneben war die Opium-
höhle von der Klasse E. R. Weiß aus-
staffiert, direkt ein Kirchenraum. Ein
quadratischer Raum, darum rote Chi-
nesen als Karyatiden, die ein zeltartiges
Dach trugen, von dessen Spitze das
Licht herableuchtete. Schwarz mit sil-
bernen Sternen bildete den Grundton.
Ein Raum zum Träumen, wie er nicht
besser gemacht werden kann. — Daran
cuistoßend das neuseeländisch anmu-
tende intime Theater der Klasse Böhm
mit der leuchtenden Bühne, die durch
einen Silberpapier -Hintergrund uner-
hört kostbar aussah. — So hatten Alle
nach Kräften das Ihre zu der gelun-
genen Dekoration beigetragen. Vor
allem war zu bewundern, wie mit ein-
fachen Mitteln die Räume zu der
frohen Feststinmuing umgewandelt
wurden. Hundert kleine Erfindungen
ließen das Unmögliche zur Wahrheit
werden. Einst hatte der Direktor
Bruno Paul, dem von befreundeter
Seite der Vorschlag gemacht wor-
den war, die Räume der Unter-
richlsanslalt durch Farbe, Zudecken
der kläglichen Ornamente und der-
gleichen etwas menschenwürdiger
zu gestalten, den Ausspruch getan:
„Was man auch macht, es wird im-
mer scheußlich bleiben!" Nun haben
seine eigenen Zöglinge dem skepti-
schen Urteil die Spitze abgebrochen.
Sie haben dem Fest einen so herr-
lichen Rahmen geschaffen, daß es in
der Tat als die hervorragendste Ver-
anstaltung des heurigen Winters in
Berhn bezeichnet werden muß. Und
wie der Rahmen war das Bild, das er
umschloß; Bunt, froh, lebendig; Bild
und Rahmen aber hatten einen Fehler:
die allzu kurze Dauer, uk. k. bi kmiii i.i.
■♦''5
KOSTÜME VOM kOnsTLF.RFF.ST »ER U.NTF-RRICHTSANSTALT.
61
MASKKN VOM KINSTI.KKFEST.
UNTEKKICHT.S-ANSTALT, ÜERLLN.
DER QUELL DER KUNST.
Die Antipathie der Künstler gegen die Ästhe-
tik erklärt sich sehr einfach daraus, daß
fast alle philosophische Betrachtungsweise im-
mer wieder begriffliche Erkenntnis als Maßstab
an die Kunstwerke legt. Selbst Schopen-
hauer, obwohl wir ihm so wertvolle Urteile
über das künstlerische Schaffen verdanken,
schreibt: „Der Künstler läßt uns durch seine
Augen in die Welt blicken. Daß er diese Augen
hat, daß er das Wesentliche außer allen Rela-
tionen liegende erkennt, ist die Gabe des
Genius, das Angeborene ; daß er aber im Stande
ist, auch uns diese Gabe zu leihen, uns seine
Augen aufzusetzen, dies ist das Erworbene, das
Technische der Kunst". Auch hier also begeg-
nen wir wieder dem Worte „erkennt". Aber
der Kunst ist es bei ihrem Schaffen, so wenig
wie der Natur, um die Erkenntnis des We-
sens der Dinge zu tun.
Ich begrüße es daher freudig, daß Erich
Major in seinem Buch: „Die Quellen des künst-
lerischen Schaffens" (verlegt bei Khnkhardt &
Biermann, Leipzig) nicht von der Wirkung der
Kunst, sondern von ihrer Entstehung ausgeht.
Er nimmt einen ursprünglichen Kunsttrieb an
und erkennt ihn im spezifischen Sehnsuchts-
gefühl des Künstlers. „Die Sehnsucht nach
dem von uns geliebten, d. h. dem uns schön
erscheinenden ist es, die den Künstler begei-
stert". Aber ein anderes Element muß hinzu-
kommen. Major nennt es „den Willen zur Ver-
ewigung". Diese Verewigung ist für den Künstler
nur im Anorganischen möglich. „Der Lust-
wert der Kunst beruht auf dem Herausziehen
der Erscheinung aus den Zufälligkeiten, aus den
oft peinlichen und jammervollen Wechselfällen
desLebens in die Sicherheit des Anorganischen".
Aber Eros und Wille ergeben noch kein
Kunstwerk. Es muß die Synthese des Gefühls,
des Willens und des Gedankens hinzutreten ;
denn es kommt letzten Endes doch auf das an,
was Wilhelm Wundt „schöpferische Resul-
tante" nennt. Das heißt: verschiedene Ele-
mente der Aktivität setzen sich zusammen und
sind in der Gemeinschaft mehr als die Addition
dieser Einzelkräfte. Auch Majors vielfach
tastender Versuch ergibt noch kein klar er-
schautes Ergebnis. Zu diesem gelangen wir
62
Der (htell der Kunst.
nach meiner Überzeugung am sichersten, wenn
wir von Henri Berjison's Lehre ausgehen,
daß die Natur nicht einmahge Schöpfung ist,
sondern allzeit lebendiger schöpferischerWille.
Diese Einsicht auf die Kunst angewandt,
dürfte uns dazu führen, was Major: Eros und
femer Wille zur Verewigung, sowie Fähigkeit
zur Synthese nennt, nur als Voraussetzungen,
nicht aber als Quellen der Kunst zu bezeichnen.
Der Quell der Kunst ist, ebenso wie bei der
Natur, ein in uns lebender schöpferischer Wille.
In der Natur schafft dieser Wille nur aus dem
Unbewußtsein, in der Wissenschaft gestaltet er
aus dem Bewußtsein. Wo aber haben wir
diesen Quell zu suchen, wenn wir nach der
Entstehung des Kunstwerks fragen ?
Nicht im Unbewußtsein: denn das Kunstwerk
ist das „schon durch ein Subject hindurch ge-
gangene Object" (Schopenhauer); aber auch
nicht im Bewußtsein ; denn mag dieses noch so
sehr bei der Ausgestaltung mitwirken, alle
künstlerische Geburt erfolgt unbewußt, l'-s zeigt
sich also, daß wir hier eines weiteren Begriffs
bedürfen, und dieser Begriff ist unserer Zeit
geboten in der Vorstellung des Unterbewußt-
seins. Das Unterbewußtsein nimmt Gefühle
und Gedanken, welche die Sinne unserem Be-
wußtsein übermittelten, auf, assimiliert sie un-
v.i.M kC.\,sii,krh.>i I)i:k UMi;KKu;iir.'>-.\.N.vi.\i.r Di..s klnsigf.wt.kiii •.\n>i;r.M^. m ki.in
63
Der Quell der Kunst.
serer Seele, wie der menschliche Leib Nahrung
sich assimiliert und sie in Zellen verwandelt.
Wir kommen also, wenn wir die Entstehung
des Kunstwerks erklären wollen, nicht ohne
eine metaphysische Erklärung aus, wie sie in
der Bezeichnung schöpferischer Wille liegt.
Damit müssen wir uns begnügen; denn wir
können nicht endlos nach einer Ursache der
Ursache fragen ohne zu mythologisierenden
Vorstellungen zu gelangen. Aber wir dürfen
uns auch damit begnügen, denn wir haben da-
mit das Tiefste erlangt, was sich erreichen läßt,
nämlich eine Analogie der organischen Natur.
Alles was das Selbstbewußtsein uns als letztes
bietet, ist; schöpferischer Wille. Wir dürfen
uns glückhch schätzen, auf diesem Weg die so
oft widersprechend beantwortete Frage nach
dem Verhältnis des Unbewußten und Be-
wußten in der Kunst klar stellen zu können.
Im Unterbewußtsein verbinden sich ehemals
mehr oder minder bewußte Gefühle und Ge-
danken, um vom schöpferischen Willen befruch-
tet, ein Neues erstehen zu lassen. Meine Ant-
wort auf die Frage, wo ist der Quell des künst-
lerischen Schaffens zu suchen, lautet daher: im
schöpferischen Willen des Unterbewußtseins.
Dort waltet das Unendliche und bemächtigt
sich des Endlichen, das ihm die Anschauung
zugeführt hat. Dort vollzieht sich die Intuition,
jenes durch keine Erkenntnis vermittelte, son-
dern unmittelbare Erleben der Wirklichkeit.
Aber eben darum wird auch für den Genießen-
den ein Kunstwerk nur dann lebendig, wenn
seine Seele sich intuitiv verhält. Die Wissen-
schaft mag uns noch so viel von ästhetischen
Phänomenen erzählen, nur im unmittelbaren Er-
leben kann es erstehen, nur im unmittelbaren Er-
leben kann es genossen werden. kakl heckel.
Allerdings ist in der Kunst und Poesie die Per-
L\ sönlichkeit alles; doch hat es unter den
Kritikern und Kunstrichtern schwache Person-
nagen gegeben, die dieses nicht zugestehen woll-
ten. . . . Aber freilich, um eine große Persön-
lichkeit zu empfinden und zu ehren, muß man
auch wiederum selber etwas sein. Alle, die dem
Euripides das Erhabene abgesprochen, waren
arme Heringe und einer solchen Erhebung nicht
fähig; oder sie waren unverschämte Charlatane,
die durch Anmaßlichkeit in den Augen einer
schwachen Welt mehr aus sich machen wollten
und auch wirklich machten, als sie waren, goethe.
VOM KU.NSTLERFEST der r.NTERRICHrs-.\N.ST.\I.T DES KU.N.STGEWERKE-MU.SEUMS— BERLIN.
MAX. PECHSTEIN BERLIN. KUNSTVERGI^ASUNG .MADONNA.
IM KUNST.SAJ.ON FRITZ GURLITT-BERUN. AUSFÜHRUNG: PUHL i< WAGNER, HEINER.SDORFF-BERUN.
11. AprII-Mll 19X. 3
MAX PECHSTEIN -BERLIN. »TEIL EINER KUNSTVERGLASUNG«
IM KUNSTSALON FRITZ GURLITT- BERLIN. AUSFÜHRUNG: PUHL & WAGNER, HEINERSDORFF-BERLIN.
MAX PECHSTIilX-BEKI.IN. TEIL EINKR KrNSlVERGLASUNC.
IM Kl-NSTSALON fKllV. GUKI.ITl -Bl.KUX. AISFLHKUNG: CUHL >v WAGNER, HEINEKSDORIK l.KKl.lN.
STAATS-FACHSCHULE IN HAIDA.
»GLASER MIT SCHLIEF UND GR.\ VIERUNG«
HANDARBEIT UND MASCHINENARBEIT IM SCHMUCK DES GLASES.
Es gab eine Zeit — und es ist dies noch gar
nicht so lange her — da standen einander
Handarbeit und Maschinenarbeit mit der größ-
ten Feindschaft gegenüber. Der seinerzeit viel-
gefeierte englische Reformator Morris ließ die
erstere gelten und suchte auf jedes Maschinen-
produkt Pech und Schwefel herabregnen zu
lassen. Daß bei aller Hochschätzung künst-
lerischer Einzelarbeit maschinelle Vervielfäl-
tigungen, die die hochentwickelte Technik des
19. Jahrhunderts in virtuoser Weise zu vervoll-
kommnen verstand, nicht mehr entbehrt werden
können, daß es das Rad der Entwicklung zurück-
schrauben hieße, wollten wir lediglich bei der
mittelalterlichen Handwerksart bleiben, haben
wir längst erkannt. Die Großindustrie wird sich
die Herstellung der zahllosen kunstindustriellen
Erzeugnisse nie entwinden lassen; ja wir selbst
werden sie gar nicht entbehren können, und
zwar in der uns bevorstehenden großen Spar-
samkeitsperiode weniger denn je. In vielen Be-
ziehungen ist eben die Maschine nicht nur eine
geniale technische Erfindung, sondern einfach
ein verbessertes Werkzeug, das mit der
größten Pünktlichkeit arbeitet.
Am wenigsten haben die technischen Fort-
schritte das Gebiet der Keramik und des
Glases berührt. Alle vorbereitenden Mani-
pulationen, die das Zerkleinern, Reinigen und
Mischen der Rohstoffe, sowie die Feuerungs-
anlagen betreffen, sind allerdings in staunens-
werter Weise verbessert worden. Die Herstel-
lung der Objekte selbst jedoch erfolgt heute
noch so ziemlich unter denselben Voraus-
setzungen wie vor Jahrhunderten. In der Glas-
industrie bläst der Arbeiter seine Gläser an der
Pfeife wie seit fast zwei Jahrtausenden und nur
für ordinäres Flaschenglas sind besondere Glas-
blasemaschinen erfunden worden, deren Pro-
dukte jedoch nur industriell, keineswegs kunst-
gewerblich zu werten sind. Der Glasraffineur
malt, ätzt, schleift oder schneidet wie früher
seine Stücke, nur daß er gelegentlich auch vom
Umdruck oder von der Guillochierung Gebrauch
macht oder daß verschiedene Erzeugnisse des
Schliffs durch gepreßte oder wenigstens vorge-
preßte Gegenstände verdrängt wurden. — Im
allgemeinen steht in der Gläserdekoration die
Handarbeit mehr oder weniger nach altehr-
würdigem Verfahren weitaus im Vordergrund.
Ist aber deswegen die neuzeitliche
Produktion auf diesem Felde erfreulich?
— Wenn man verschiedene Leipziger Messen
gesehen hat, wird man dies leider nicht bejahen
dürfen. Freilich das meiste, was uns die zahl-
reichen Firmen in fabelhaft reicher Musterkarte
vorzuführen haben, ist „Echte Handarbeit".
Und doch die meisten der Tausende und aber
Tausende von Stücken, für die der im Gebirge
sitzende Maler einen lächerlich niedrigen Ar-
beitslohn für das Dutzend oder das Gros zu be-
kommen pflegt, sind so wenig erfreulich, daß
68
Handarbeit itiid Maschinenarbeit im Schmuck des Glases.
70
man auf solclic „Handarbeit" gerne verziciitet.
— Da sollte dann doch Wandel geschaffen wer-
den, damit der Begriff „Handarbeit" nicht dis-
krediert werde. Es ist dies einzig und allein
nur möglich, wenn man eine Trennung zwischen
den wohlfeilen Gegenständen macht, bei denen
auch die Maschine herangezogen werden darf,
die sich jedoch im allgemeinen möglichst frei
von jedem sogenannten „Schmuck" halten sol-
len, einerseits, und andererseits zwischen den
natürlich viel besser zu bezahlenden Elinzel-
stiicken, bei denen man etwas von der Seele
des Künstlers herausfühlen muß. Allerdings
müßten zu diesem Zweck gerade Einzelkunst-
leistungen der Glasdekoration mehr vor-
geführt und gewürdigt werden können, als dies
bisher der Fall war. Während man in der Kera-
mik doch noch häufiger Einzelkunstwerke zu
sehen bekam, sind solche auf dem Gebiete der
Glasdekoration leider eine immer größere Sel-
tenheit geworden. Wenn ich von Kunstwerken
spreche, meine ich jene poesievollen Einzel-
schöpfungen besonders tüchtiger Spezialkünst-
1er, die eben als Vergleichsmaßstab unbe-
dingt erforderlich sind. Hätte es in früheren
Jahrhunderten Ausstellungen in unserem Sinne
gegeben, so wären Glaskünstler wie Schwan-
hardt oder Schwinger, Spiller oderGun-
delach, Schaper oder Kunkel, Sang oder
Greenwood, Mildner oder Mohn, solche
Persönlichkeiten gewesen, deren Werke man
zur andächtigen Bewunderang den Dutzend-
waren ihrer Zeitgenossen hätte gegenüberstellen
müssen. — Aber auch die Gegenwart hat auf
dem Gebiete der Glasdekoration verschiedene
tüchtige Meister, welche als Schrittmacher
bei keiner großen Ausstellung fehlen sollten.
Was z. B. die Kreise der Wi ener Werkstätte
zu bieten haben, sowie die Anregungen, die von
der Fachschule in Hai da ausgegangen sind, hat
bis zu einem gewissen Grade Schule gemacht.
Daneben muß aber auch wenigstens ab und zu
verschiedenes vorgeführt werden, was eine be-
sondere Rekordleistung repräsentiert, wie die
Arbeiten des jetzt in Stuttgart lebenden Wil-
helm von Eiff, den man ruhig als den ersten
Glasschneider der Welt bezeichnen kann
PROFESSOR GUST.W K. P.VZAUREK- .STUITGAK 1.
ST.V.\TS-FACHS(HL-LE IN HAIDA. »GESCHLIFKE.NES ÜliERFA.\GGI..\S«
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1. PREIS, zu; AKRTN-l-ArKINT. • IH-CKF.I.BII.I).'
r.RXST HF.rOF.NMndSICK— MUNCHKN.
GUTE ZIGARREN-PACKUNGEN.
AUSSTELLUNG DES »tKEIEN BLMJES« IN DER STADT. kU.sslHALI.E M.VNNllEI.M.
ERGEBNISSE EINES WETTBEWERBS DER KIRM.V PAUL J. I.ANDMANN, MANNHEIM.
Kein Gebiet der Gebrauchsgraphik ist an
eine so eigensinnige Tradition und an einen
so besonderen Geschmack des breiten Pubh-
kums gebunden, wie die Zigarren-Packung. So
müßte man sagen, wenn man den Zigarren-
fabrikanten Glauben schenken will, die allen
neuen Versuchen immer wieder die Einrede
entgegenhalten: so etwas wolle ihr Käuferkreis
nicht, oder: das alles möge gute Kunst sein,
aber ihr Pubhkum sei dafür noch nicht „reif".
Mit solchen Flntgegnungen stellt sich der Pro-
duzent abwehrend vor seine Kunden, deren an
und für sich neutralen Geschmack (denn sie
kaufen, was sie sehen) er so bei seinem ein-
seitigen Urteilsvermögen einseitig präjudiziert.
Immer war es die sogenannte echte Packung,
die die Richtung angab, jener Kistenschmuck,
der den Havanna-Zigarren mit auf den Weg ge-
geben wurde. Nach dem besonderen Geschmack
ihrer südlichen Heimat war sie über und über
bedeckt mit erhaben geprägten Goldmünzen,
die zuerst als wirklich verliehene Auszeich-
nungen der Zigarrenfabriken, noch eine schwa-
che innere Berechtigung hatten, die aber schließ-
lich als willkürlich erfundene Medaillen nur ein
gedankenloses Schnuickelement darstellten. Sie
umrahmten in Verbindung mit einem Ornament
aus Tabakblättern südländische Motive, Szenen
aus den Tabakplantagen, Ansichten von Ha-
vanna und ähnliches. Da nun auch das ein-
heimischste Kraut wenigstens in seiner Auf-
machung einer echten Havanna gleichen sollte,
hielt man sich ganz und gar an die ausländischen
Vorbilder, wobei man sich durch übertrieben
süßliche Farbengebung, durch geschmacklose
Auswahl der Motive und dilettantische Art der
Zeichnung bemühte, südländischer zu tun als
der Südländer selbst.
Freilich gab es eine Zeit — sie liegt etwa
70 Jahre zurück — die es verstand, in hand-
werklich tüchtiger Arbeit unter verständiger
Verwendung der wesentlichen traditionellen
Elemente reizvolle Packungen zu fertigen. Da-
mals stand dem Handwerker noch Gefühl für
Sachechtheit, Erfindungsreichtum und techni-
sches Können zur Lösung einer solchen Auf-
gabe, mit der wir heute leider den Künstler
beauftragen müssen, zur Verfügung Die Er-
innerung an die Zeit dieses Könnens ist in un-
seren Tagen fast ganz geschwunden.
Worauf es nun heute bei dem reizvollen
Sondergebiet der Zigarren-Packung hauptsäch-
lich ankommt, ist dieses: an die guten Inhalte
der Tradition anzuknüpfen, ihre Wesensele-
75
111. April-Mai l<nO. 9
Gute Zigarren -Packungen.
76
II. PREIS. ZIGARREN-PACKUNG • nECKEI.RIir).
mente zu übernehmen, um sie in einheitlicher
Verschmelzung mit den Erkenntnissen und
Schöpfungen des modernen Kunstgewerbes zu
einer künstlerisch einwandfreien Höhe zu brin-
gen. Daß die Bestrebungen des modernen
Kunstgewerbes hier noch am wenigsten Fuß
fassen konnten ist deshalb besonders merk-
würdig, weil von allen Arten der angewandten
WILHELM SCHN.VRREXBERGKR— MÜNCHEN.
Graphik die Zigarren-Packung das umfangreich-
ste Gebiet darstellt: hier verlangt die ungeheure
Zahl der verschiedenen Marken und der rasche
Wechsel der Sorten einen gewaltigen Bedarf
verschiedenartigster Sujets.
Die grundsätzlichen Forderungen, die eine
Zigarren-Packung stellt, sind im allgemeinen
dieselben, wie bei jeder anderen Packung, etwa
II. PREIS. .\T-FLEGER. ^\^I.HELM SrHNWRREXBEROER- MÜNCHEN.
Gute Zigarrin -Packungrn.
111. PREIS. UECKEl.lUl.l).
für Zigaretten, Keks, Seife oder Kaffee: klare,
kontrastreiche, geschmackvolle, ausdrucksstar-
ke, färb- und formschöne Darstellung eines
packenden, prägnanten und besonderen Ein-
falls, mit der Absicht, die Aufmerksamkeit eines
an der Auslage gleichgültig Vorbeiwandelnden
an sich zu reißen und dann dem Käufer im
Laden seine Marke so unvergeßlich einzuprägen.
ERICH M. SIMON- KEKl.lN.
daß er, wo auch immer, sie wieder erkenne
und wieder nach ihr verlange.
Zu diesen generellen, sozusagen plakalmäßi-
gen Erfordernissen tritt jedoch bei der Zigarren-
Packung noch ein Besonderes; und dieses Spe-
zifikum vermag gerade die traditionelle Packung
zu lehren, wenn man deren Wesen recht er-
kennt. Das unbestimmbare Gefühl des enra-
EBI
•. . ■ - .
*
«^
111. PREIS. ZIGARREN-P.\CKUNG • AUFLEGER. ERICH M. SIMON— BERUN.
77
Gutt 7.ig(irrcii - Packimgiii.
78
/.ii;akke.\-packu>jg • deckelbild.
jiierten Rauchers fordert von der Beklebung
seiner Zigarrenkiste etwas, was man den „Ta-
bakgeruch" nennen möchte, den die Zigarren-
Packung von sich ausstrahlen soll, der sie nur
für ihre Bestimmung prädestiniert erscheinen
läßt und sie scharf unterscheidet von jeder an-
deren Packungsart, sie sei für Tee oder Seife.
Worin dieses Tabakgemäße nun eigentlich be-
AVII.HEl.M SlHNAKRENliEKGER-Ml-'NCHEX.
steht, ist formelhaft nicht festzulegen. Bald ist
es das Fremdländische im dargestellten Motiv,
bald das Motiv selbst : Darstellungen der Tabak-
pflanze und der Tabakverarbeitung oder Szenen
aus dem Leben des Rauchers; manchmal gibt
nur die Farbe, das gelbliche Braun des Tabaks,
das charakteristische Gepräge.
— Von der Erkenntnis dieser Wesenheiten aus-
L A P X%
ZKIARREX-PACKUXG . DECKELBHIi WUHEIM S( HN ARRENBEROER-MÜNCHEN .
Gute Zt'garrni - Packuni^cii.
W A B A rV I\ A *
/.KiARKKN-rACKlXi; . DEl'KKl.HlM).
(Jeliend, unternahm die lithojSrapliische Anstalt
Paul J. Landniann , Mannheim in enger Zu-
sammenarbeit mit der Städtischen Kunsthalle
Mannheim die Ausschreibunjs eines großzüj^ifSen
Wettbewerbes, um die Aufmerksamkeit aller
schaffenden Gebrauchsfjraphiker — auch und
iJerade der jungen und unbekannten — nach-
drücklich auf dieses Sondergebiet zu lenken
F.KKII M. M.MON IIKRI.LN.
und sich so, unterstützt von einem aus Künstlern,
Kunstsachverständigen und Zigarrenfabrikanten
gleichmäßig zusammengesetzten Preisgericht,
in den Besitz möglichst hochwertiger Entwürfe
zu setzen. Die Beteiligung war denn auch
außerordentlich stark ; weit über 800 Entwürfe
lagen zur Begutachtung vor, die im allgemeinen
ein achtbares künstlerisches Niveau einhielten.
ZIGARREN-PACKUNG • DKCKKI l:ni) n 1 II-S NMTSrHF: MlNrlll\
79
G^ltc Zigarren -Packungen.
80
l*....SL: .^
ZU;AKlUiN-PACKUNG • DECKELBILD
HANS BOHN-FKANKI-UKT A. MAIN'.
Außer den Prämiierungen der besten Arbeiten,
wurden 15 Entwürfe preisgekrönt und 40 Pak-
kungen angekauft. Graphiker aus München,
Stuttgart und Frankfurt a. Main dominierten
unter den preisgekrönten und angekauften Ent-
würfen in besonderem Maße. In der Ausstellung
dieser prämiierten Arbeiten, die in der Städ-
tischen Kunsthalle zu Mannheim als Ausstellung
des „Freien Bundes" stattfand, fielen neben
den ersten Preisträgern , Ernst Heigenmooser
(München), Wilhelm Schnarrenberger (München),
Erich M. Simon (Berlin), noch die Entwürfe von
Hans Bohn (Frankfurt a. Main), Tobias Schwab
(BerHn), E. J. Margold (Darmstadt), Hugo Frank
(Stuttgart) und Hans Schreiber (Offenbach) als
besonders gelungene Lösungen auf.
ZICAKREN-PACKUNO . DECKELBILD. GREIF liELAVlll \-s. 1 1 K AI )EI; - IH AN'Kl- 1 R I A. MMN.
Giifi' Zigarren - Packiutgen.
\
ZIGARRF.N-PArKl"NG • DF.CKl I.l'.TI II.
In (Gesonderten Vitrinen war eine Anzahl guter
Zijjarren-Packungen ausgestellt, die außerhalb
des Wettbewerbs in unmittelbarem Auftrag und
in enger Zusammenarbeit der Kunsthalle und
der lithographischen Anstalt mit den einzelnen
Künstlern entstanden waren. Diese Gegenüber-
stellung zeigte deutlich, daßdieeinzelnenSchöp-
fungen, die solchen Aufträgen entstammen, im
fiOriO- iPtllALMAKK P
Al.liERT Kl\SS— FR.VNKKURT A. MAIN.
allgemeinen noch qualitätvoller, wesensechtcr
und packender sind, als die Ergebnisse des
Wettbewerbs, — eine wertvolle Feststellung,
die sich daraus erklärt, daß verständige Auf-
traggeber, die genau wissen was sie wollen, dem
arbeitenden Künstler von vornherein ein an-
regenderes Gegenüber bieten, als ein oft wider-
spruchsvolles Preisgericht, auf dessen unheit-
ZIOARRF.X-PACKrXG • nFCKF.I.Bn.n. E. J. M.VRGOI.n— n.VRMSTAlJ
Gh fr Ziga rrc ri - Packu ngcv .
82
/Jl.AKKI' \-l' AI kl Ni. • 1>1-1 Kl-l,iai,ll.
liehe Gesinnung der Künstler sich nicht ein-
stellen kann. Andererseits zeigt der Vergleich,
daß die Einheitlichkeit eines einzelnen Urteils
leicht zu einer gewissen Einseitigkeit führt, die
sich beiden außerhalb des Wettbewerbs entstan-
denen Entwürfen in einer besonders starken Be-
tonung der rein traditionellen Packung offenbart.
Ob das Ergebnis dieses Preisausschreibens
mithelfen wird, die üblichen geschmacklosen Be-
HAXS I'AC.E -MÜNCHEN.
klebungen der Zigarrenkisten vom Markte zu
verdrängen, wird die Zukunft zeigen. Durch
ähnliche, frühere Versuche anderer Firmen, die
sich zähe und in undankbarer Arbeit für die
gleichen Absichten einsetzten, müßte allmählich
— so sollte man glauben — ein Pfad gebahnt sein.
Sache der Zigarrenfabrikanten und der Käufer
ist es nunmehr, ihn entschlossen zu beschreiten
und weiterzugehen. . . i>k. hekbert tannenü.vum.
ZUJARREN-PACKUNG • nECKI-LRII.D. T(TBIA.S SCHWAB - H1-:RLIN.
^s^s^
iP«s5»^5S.
/
MOTTO : EXOTISCHER VOGEL
/
fmwtrf: a. w. r. wt.ismanx— iik.ki.in.
»KISSEN KUR EIN DAMENZIMMER«.
ÜBER DIE KUNST.
Es gehört zum Schwersten, durch die Schule
hindurch sich selbst zu retten, zu lernen
und zu vergessen und doch zu behalten, ohne
es zu wissen, auf daß der Strom des Innern
freie Bahn behalte fürs Leben
Kunst kann niemals begriffen werden, wie
der Schmetterling seine Schönheit verliert, den
man begreift. Die Wissenschaft kann nur Kon-
stellationen für das Leben der Kunst ahnen,
ihre Linien sind alle falsch. Ein Buch über
Kunst lasse das Kunstwerk ganz! Der göttliche
Funke, der in dem Unteilbaren ruht, springe
über auf uns und zeuge ein neues, selbständig
intuitives Werk, keine, wenn auch noch so
feindifferenzierte Analyse. Freude allein sei
der Kunstwerke Sendung, deren die Liebe und
die Ehrfurcht Kinder sind
Man kann ein Kunstwerk zerlegen wie ein
Räderwerk, wenn es auch ächzt und schreit
bei jedem Griff; man kann die Teile nach-
ahmen und die Stellungen der Teile zu ein-
ander und es wird doch kein Kunstwerk mehr
daraus. Es gibt keine Rezepte für Kunst.
Kunst lernt man nicht auf der Schule, nur das
Handwerk gebrauchen dafür. Was das Kunst-
werk ausmacht, ist sein göttliches Gesetz, ein-
gehaucht von einem göttlichen Meister
*
Ob die Kunst gewänne, wenn plötzlich alle
Bücher über sie verschwänden? Ich glaube
wohl. Wenn die gesamte Kunst selber wieder
spräche, zu sich und dem Volk, da sollte es
wohl ein neues großes Klingen geben, wie man
es im tiefsten Innern ersehnt
Es ist besser, über ein Kunstwerk zu schwei-
gen als zu reden und so sich einfach den
Schwingungen der Seele hinzugeben, die es
erzeugt im. kunrad \vi:i.\m.\n i k.
Ä
Ein wahrer Glaube , welcher zur Freiheit
führt, fehlt oft der Kunst unserer Zeit; da
heckt man dann Systeme, Theorien, Prinzipien
aus und schwört auf sie
Was ist es, das den Künstler freudig macht
und stark? Es ist ein Frohgefühl, weil er zum
voraus gewußt, daß sein Werk kommenden Ge-
schlechtern Freude machen kann, iians thoma.
83
:UI. AprilMml 1»Z) 10
zu DEN NEUEN BAYERISCHEN POSTWERTZEICHEN.
Das bayerische Postreservat hat eine viel
jSfößerc Bedeutung gehabt als nur die einer
verwaltungstechnischen Eigenbrödelei, als vifel-
che es manchem Norddeutschen erschienen sein
mag, wenn er sich auf seiner Sommerreise da-
rüber ärgerte, daß seine Reichsmarken von
Aschaffenburg ab keine Geltung mehr hatten.
Es war vor allem auch ein ästhetisches Reser-
vat. Der bayerische Postillon im blauen Frack
und roter Weste war ein wundervoll stilechtes
Stück Erinnerung an die absolutistische Zeit,
und die Geschmacklosigkeit der Germania mit
dem Blechbusen ist uns in Bayern Gott sei
Dank erspart geblieben. Jetzt hat die bayerische
Postverwaltung unmittelbar vor ihrem Ende
noch ein Preisausschreiben für neue Postwert-
zeichen zur Erledigung gebracht und damit dem
„öffentlichen Geschmack", wenn dieses Wort
gestattet ist, einen sichtbaren Dienst erwiesen.
Denn die Ergebnisse dieses Preisausschreibens,
zu dem nur bayerische Künstler zugelassen
waren, stehen durchweg über dem Niveau der
Nationalversanimlungsmarken.
Gewiß leiden auch diese Entwürfe unter dem
Grundgebrechen, welches allen Lösungen eines
derartigen Wertzeichens für ein republikanisches
Staatswesen anhaften wird : daß uns ein sicht-
bares Symbol für die deutsche Republik fehlt.
Die „Idee" der deutschen Republik gibt kein
unmittelbar sinnenfälliges Bild. Man fühlt diese
Verlegenheit bei dem schönsten Entwurf, in
dem eine bildhafte Lösung versucht wird, dem
von Franz Paul Glaß. Wenn der Volksmund
diese Marke bereits das „Brillantenliesl" ge-
tauft hat, so ist darin die wesentliche Kritik
enthalten; daß sich das Volk bei dieser barock
bewegten Frauengestalt, so gefällig sie gezeich-
net ist, nichts unmittelbares denken kann. Die
Lösung, die Siegmund v. Weech versucht hat,
aus der Patrona Bavariae das Markenbild zu
gewinnen, muß in unserer Zeit unvermeidlich
auf parteipolitische Mißdeutung stoßen. Als
ungefährlichste Lösung bleibt immer wieder, das
Markenbild rein auf Schrift und Zahl zu stellen.
Lösungen wie die von Julius Nitsche und Ger-
hard Franke sind durchaus glücklich in Linien-
führung und Proportion. An diesen beiden Ent-
würfen wird vielleicht deutlich, was für das
ganze Ergebnis der Konkurrenz in Anspruch
genommen werden kann und was es angenehm
von der Reichskonkurrenz unterscheidet: daß
die Lösungen sich angenehm frei halten von
allem im schlechten Sinn „Kunstgewerblichen".
Um genau zu sagen, was damit gemeint ist,
müßten wir vorerst analysieren, worin das im
schauerlichem Sinne Kunstgewerbliche besteht.
Das würde hier zu weil führen. Genüge der
Hinweis, daß beispielsweise eine kunstgewerb-
liche Sektflasche eine grauenerregende Vorstel-
lung wäre. Eine Sektflasche, einschließlich ihrer
Staniolbeklebung, ist ein Gebrauchsgegenstand,
der älter ist als das moderne Kunstgewerbe,
und das Kunstgewerbe darf nicht versuchen ihn
zu modeln. Ebenso ist eine Briefmarke, obwohl
sie doch nur ein bedrucktes Stück Papier ist
und darum aller Geschmacklosigkeit offen liegt,
die man mit der Druckerpresse anrichten kann,
ein Gegenstand, der seinen eigenen Stil hat, der
gewahrt bleiben muß. Es gibt eine „Brief-
markentradition", es gibt eine ganz gewisse
Brief markenatmosphäre, von der die gute Marke
umgeben sein muß, wenn sie wirklich postmäßig
wirken soll und nicht mit der Reklamemarke
irgend einer kaufmännischen Firma verwechsel-
bar sein soll. Wenn man eine Briefmarken-
sammlung von diesem Gesichtspunkte aus durch-
blättert, so wird man bald ein Gefühl dafür be-
kommen, welche Marken in diesem Sinne gut
sind und welche schlecht. Uns will es scheinen,
daß dieses Briefmarkenmäßige der Wirkung in
vielen Entwürfen der bayerischen Konkurrenz
erreicht ist, und darum kann man mit dem Er-
gebnis im allgemeinen zufrieden sein. Daß es
teilweise mit dem Mittel der Reminiszenz er-
reicht wurde, ist kein Einwand. Unsere Zeit ist
durch eigenwillige Lösungen, die zu mißglückten
Formen führten , in Schätzung ihrer eigenen
Produktionskraft bescheiden genug geworden.
Hoffen wir nun, daß die neuen Markenbilder,
die die bayerische Postverwaltung als ein Erbe
der Reichspostgemeinschaft hinterläßt, auf die
künftige bildhafte Erscheinung der Reichspost
in jederlei Gestalt ihren günstigen Einfluß aus-
üben mögen kino mitten/.wf.y. ,
84
ENTWÜRFE FÜR BAYERISCHE POSTWERTZEICHEN
\ii;k 1. riviasK zr ji; looo mark
KR-VNZ PAUL GL.\SS
MÜNCHEN
E. R. VüUENAUER, MÜNCHEN JULIUS NMSCHE, MÜNCHEN SIEGMUNI) V. WEECH,
MÜNCHEN
ZWKI IIALr.K 1. l'REISE /.UJK500 MARK
i5:-ji3ßsaaai2f^
iMi
rjaaässamt
v K \\/ I'\ri GLASS
Vt-.RlthSSER l E AUShi HRL'SG
SIEGMUND V. \\'EECH, MÜNCHEN GERHARD FRANKE, MÜNCHEN
TROST-PREISE ZU JE 100 MARK
FMII- HEINSTORI-F
TROSTPREIS lOü MARK
PF. • PF.
i2Qi
JiillANN WÜRSTE, MÜNCHEN
j ■ I ji Mi <iifi\ d :i'A'i arm
EUGENIE V. SCHACKY, MÜNCHEN
\V. M llNAkKKMiiJ<t;i:K
KRITZ WITTUNGER, MÜNCHEN
JOSEF GAM;I., MÜNCHEN
V.U-ENTIN ZIETARA
ENTWÜRFE FÜR BAYERISCHE POSTWERTZEICHEN
TROST-PREISE ZU JE 50 MARK
300/^<^^)00
ILVNb PAPE, MÜNCHEN
HANS PAPE, MÜNCHEN
HANS PAPE, MÜNCHEN MAX BERINGER, PASING
KARX \VESTERMAIR,
MÜNCHEN
KARL WESTERMAIR,
MÜNCHEN
KARL WESTERMAIR,
MÜNCHEN
ERNST PFEIFEK,
MÜNCHEN
«O'^fA'^S w
JOSEF HILLERBRANB,
MÜNCHEN
JOSEF HILLERBRAND,
MÜNCHEN
MAX HOFSTETTER,
BAMBERG
lOSEF HILLERBR^VND,
MÜNCHEN
H.\NS PAPE, MÜNCHEN
EDUARD EGE, MÜNCHEN
EDUARD EGE, MÜNCHEN
IM WETTBEWERB MIT TROST-PREISEN ZU JE 50 MARK BEDACHT
B/VVERN
ENTWÜRFE FÜR BAYERISCHE POSTWERTZEICHEN
TROST-PREISE ZU JE 50 MAKIv
nj
5
Ai
MK
f^BAieERKI^'
B/OTEKN
KAKL RIEPL, MÜNCHEN KARL RIEPL, MÜNCHEN KARL RIEPL, MÜNCHEN H. WITTMANN, MÜNCHEN
OTTO FLECHTNER,
MÜNCHEN
JULIUS DIEZ, MÜNCHEN
BAYERN
KARL ROTH, MÜNCHEN
EUGENIE V. SCHACKV,
MÜNCHEN
LORENZ DURNER, MÜNCHEN
LORENZ DURNER, MÜNCHEN
LORENZ DURNER, MÜNCHEN
SIEGMUND V. \VEECH,
MÜNCHEN
W. SCHNARRENBERGER,
MÜNCHEN
E. HEINSTORFF, MÜNCHEN
IM WETTBEWERB MIT TROST-PREISEN ZU JE 50 MARK BEDACHT
L. & R. BAITZ-EERLIN. > TEE PUPPEN«
I.. S: R. BAITZ-
BF.RI.IN.
TF.EWÄRMKR
»riKRROT-i
PETITION BERLINER KÜNSTLER AN DIE DEUTSCHE NATIONAL-VERSAMMLUNG.
Hochgebietende Nat
Der Verkauf eines Kunstwerks durch den
Künstler selbst oder in seinem Namen, der
bisher von der 10 "/o igen Luxussteuer befreit
war, ist jetzt gegen den Widerspruch der Regie-
rung auf Beschluß der Nationalversammlung
von der auf 15 "/o erhöhten neuen Luxussteuer
getroffen.
Es würden jetzt, so haben einzelne Abge-
ordnete zur Begründung in der Kommission
angeführt, viele Kunstwerke und zu hohen Prei-
sen erworben, so daß die Abwälzung der Steuer
auf den Käufer möglich sei. Unterstellt man
dies als richtig — in Wirklichkeit wird sehr
bald nur wenig Geld für Kunst ausgegeben wer-
den können — so bleibt immer noch eine Un-
gerechtigkeit bestehen. Auch in anderen Be-
rufen gibt es nämlich große Einnahmen, so daß
ionalversammlung !
eine hohe Steuer auf den Käufer der Arbeit
abgewälzt werden könnte. Weshalb muß der
Komponist einer 300 mal im Jahr aufgeführten
Operette, der Verfasser eines Romans mit einer
Riesenauflage , der Erfinder mit Millionenver-
diensten und sogar ein bildender Künstler, der
Architekt, selbst bei Prunkbauten für das l'iin-
kommen aus seiner Berufstätigkeit nur eine
Steuer von 1 '/* "!" zahlen wie jeder Gewerbe-
treibende, der Maler und Bildhauer aber gerade
das zehnfache dieses Betrages? Ist es schon
nur durch die Not des Staates zu rechtfertigen,
daß Wissenschaft, Kunst und Literatur für ihre
aus idealer Gesinnung entsprungenen und für
einen rein geistigen Genuß bestimmten Werke
in gleicher Weise besteuert werden wie Handel
und Gewerbe, so liegt doch keine Veranlassung
89
Petition Berliner Künstler an die deutsche National- Versammlung.
vor, auf die eine geistige Arbeit eine 10 mal so
große Abgabe zu legen wie auf die andere.
Eine zweite Ungerechtigkeit dieses Aus-
nahmegesetzes gegen Maler und Bildhauer ist
aber noch größer. Die Abwälzung der Steuer
ist nur den Wenigen vielleicht noch möglich,
die einen berühmten Namen oder den Mode-
geschmack des Publikums für sich haben. Nur
ihre Werke werden so heiß begehrt , daß der
Käufer auch durch eine hohe Steuer nicht ab-
geschreckt wird. Dagegen werden die Arbeiten
der unberühmten Künstler, und das ist die
Mehrheit, wenn überhaupt, nur zu ganz ge-
drückten Preisen gekauft. Ganz besonders gilt
dies für die jungen , strebenden Talente , die
Mühe haben , sich mit ihrer Eigenart gegen die
herrschende Richtung durchzusetzen. Fast alle
unsere großen Meister haben lange Jahre ihres
Lebens dieses harte Brot des verkannten Talen-
tes essen müssen. Sie hungerten lieber, ehe
sie ihrer künstlerischen Überzeugung untreu
wurden. Es heißt also die beste und edelste
Produktion von Geistesgütern hemmen, wenn
man diesen schwer um die Existenz Ringenden
anstatt weniger, mehr Steuer auferlegt. Zahlen
beweisen. Ein Käufer zahlt auf einer Kunst-
ausstellung für ein Gemälde 1000 Mark. Da-
von gehen ab 15 '/o Luxussteuer =150 Mark,
15 "/o Verkaufsprovision der Ausstellung =
150 Mark, ferner 150 Mark für Rahmen, 100
Mark für Leinewand und Farben, 100 Mark
für Anteil an Generalunkosten (Atehermiete,
Kohlen, Modellgeld, Speditionsgebühren usw.).
Danach bleiben also dem Künstler von den
1000 Mark, die der Käufer scheinbar für ihn
zahlt, nur 350 Mark, d. h. also etwa ein Drittel,
während er bisher, ohne Luxussteuer, wenig-
stens die Hälfte bekam , wobei 500 Mark für
die Arbeit von mehreren Wochen gewiß kein
zu großes Entgeld ist. Ein so unsozial wirken-
des Gesetz kann nicht bestehen bleiben. Wir
haben das Vertrauen, daß die Nationalversamm-
lung bei nochmaliger Prüfung unsere Gründe
anerkennen wird und bitten daher, durch einen
schleunigst einzubringenden Nachtrag zum Ge-
setz zu bestimmen, daß der Ankauf von Kunst-
werken vom Künstler selbst, wie in dem sorg-
fältig abgewogenen Gesetzentwurf der Regierung
vorgesehen war, von der Luxussteuer befreit
ist und nur die gewöhnliche Umsatzsteuer zu
tragen hat. — • Der Verein Berliner Künstler:
Professor Max Schlichting, 1. Vorsitzender. —
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EMMA V. SICHART MÜNCHEN. »FLACHE STOFFPUPPEN«
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HUGO KRAYN t. GEMÄLDE »IM THEATER«
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HUGO KR-VYN t- BERLIN.
■•SELBSTBILDNIS UND ML'TTER« IHIN.
HUGO KRAYN f.
VON MAX OSBORN.
Berlin hat in den schrecklichen, von Unheil,
Krankheiten und schwersten Erschütte-
rungen heimgesuchten Anfangsmonaten des
Jahres 1919 in seiner Künstlerschaft eine ganze
Kette traurigster Verluste erlitten — Wilhelm
Lehnibruck starb und Franz Metzner und Louis
Tuaillon, Martin Brandenburg und Theo von
Brockhusen, schnell hintereinander vv'urden sie
fortgerissen — aber keinen hat die Stadt tiefer
betrauert als Hugo Krayn. Nicht nur weil er
den tragischen Tod eines Dreiunddreißigjährigen
erlitt, der mitten in aufwärts führender Ent-
wicklung unbarmherzig von einer tückischen
Seuche gefällt wurde, sondern weil er selbst
ein Stück Berlin war, von seinem Körper und
von seinem Geist. Im kurzen Lebenswerk dieses
Malers spiegelte sich zugleich die große Wand-
lung der berlinischen Kunstgesinnung im neuen
Jahrhundert. Am Beispiel einer fest im Boden
ihrer Herkunft verwurzelten Persönlichkeit ward
hier, wenn wir jetzt den Ablauf rückschauend
überblicken, die Wegbiegung klar, die aus der
alten Naturtreue der norddeutschen Schule zu
völlig anders gearteten Programmen führte.
Krayn begann als ein jüngerer Baluschek. Er
ging durch Berlin und sah mit offenen Augen
ins Herz der Stadt. Der soziale Geist der acht-
ziger und neunziger Jahre wirkte in ihm fort,
zu einer Zeit, da die Gedankenwelt des Natu-
ralismus schon entthront und der Geist der
Revolution noch nicht erwacht war. Nachklang
und Vorklang war in ihm. Sorgen, die ihn aus
der eigenen Nähe anstierten, mögen ihr Teil
dazu beigetragen haben. Aber entscheidend
war doch offenbar ein innerer Trieb, sich mit
der Last der Lebens- und Menschenprobleme
auseinanderzusetzen, die ringsum lagerten. Die
Schicht der Beladenen und Gequälten, die in
einer mechanisierten Industriewelt als Maschi-
nenteile eingeordnet sind, fesselte seinen Blick,
beschäftigte seine Empfindung. Er malte sie
als ein ehrlicher, scharfer Beobachter und als
ein Künstler, dem Wirklichkeitsschilderung an
sich Freude macht. Das große Bild des Ge-
93
Ul. Janl 1«20. I
fftigo Krayn f.
94
HITGO KRAYN t.
müsewagens, das auch in diesem Heft erscheint,
war das bezeichnende Werk aus dieser Gruppe
seiner Arbeiten. Die Proletarierköpfe, von
charaktrischem und unverkennbarem BerUner
Typus, sind mit ungev^föhnlicher Fähigkeit ge-
faßt und durchmodelUert. Es fehlt auch nicht
die Baluscheksche Härte, die aus dem Stoff
selbst entspringt. Der Realismus der Darstel-
lung geht in seiner (schon zu weit getriebenen)
Lust am äußerlich Wahrnehmbaren fast bis auf
die Gussow-Schule zurück.
Dennoch spürt man bereits neue Züge. Der
ausgezeichnet gemalte Rock des Gemüsehänd-
lers im Vordergrunde wäre ohne Cezanne so
nicht entstanden (die Schwarz -Weiß -Wieder-
gabe läßt das nicht erkennen). Und die Anord-
nung der Köpfe, die als Parallele zu dem schwar-
zen Brett am oberen Bildrand auftauchen, er-
geben eine Wirkung, die über den Eindruck der
tatsächlichen Einmaligkeit der Szene hinaus-
weist: sie erweckt die Vorstellung der Reihe,
als einer feinen Vermittlerin der höheren Vor-
»GEMUSEWAGEN«
Stellung einer weitgedehnten Klasse, die Hun-
derttausende umfaßt. Auf einer Ausstellung
der Stadt Berlin (der Gemüsewagen wurde von
der städtischen Kunstdeputation angekauft) hing
dies Bild durch Zufall neben einem Porträt
Gerhart Hauptmanns aus dem Jahre 1892 (von
Hanns Fechner) — 1892 war das Jahr der
„Weber", und unwillkürlich mußte ich daran
denken, wie dort der soziale Gedanke dichte-
risch auch zu dem Ausdruck der großen Ruhe
geführt hat, der hier von einem Maler gesucht
wurde. — Immerhin blieb der Ausdruck noch
stark gebunden. Der seelische Anteil in diesen
Bildern ist Ausgangspunkt und Endziel. Aber
in der Mitte steht breitbeinig die Realität des
Stoffes, die unverändert hingenommen wurde.
Damit soll gar kein herabsetzendes Urteil aus-
gesprochen werden. Im Gegenteil, man hat es
Krayn hoch anzurechnen, daß er mit eisernem
Fleiß sich das Fundament zum Bau der Kunst
zimmerte, den zu errichten ihm vorschwebte.
Durch seinen frühen Tod nehmen diese Arbeiten
HUGO KRjWN t.
• LIEBESPAAR« 1918.
HUGO KRAYX t. vLIEBESPAAR.
Hugo Krayn r.
96
in seinem Lebenswerk natürlich eine schiefe
Stellung ein. Sie wirken leicht als Gültigkeiten,
während sie in Wahrheit Vorspiele waren. Vor-
spiele freilich von ungewöhnlichen Qualitäten,
Zeugnisse einer außerordentlichen Begabung,
Dokumente eines Malersinns , der sich mit
heißem Bemühen, tiefem Gefühl, kräftigem pla-
stischem Formverstehen und natürlicher Far-
benfreude in das Wesen einer Stoffwelt einzu-
bohren und sie in allen Weiten zu erfassen
suchte. Doch nun erst stieg Krayn zu den Ge-
staltungsprinzipien auf, die ihm die Möglichkeit
sichern sollten, den inneren Gehalt seiner Mo-
tive schärfer, eindrucksvoller hervorzutreiben.
Was er mitteilen wollte, war sein vertieftes
Begreifen des schweren, machtvollen Lebens-
kampfes, der im sozialen Themenkreise sym-
bolische Gestalt annahm — dieser in sinnlich
leicht faßlicher Form ausgeprägten Auseinan-
dersetzungen zwischen Mensch und Welt,
Mensch und Schicksal, Mensch und Unbegreif-
lichem. Die Zeit drängte dazu, die seelische
Erregung darüber nicht mehr nach der bisher
üblichen Methode indirekt, durch Schilderung
von Tatsächlichkeiten, auszudrücken, sondern
unmittelbarer und darum stärker, aufwühlender.
Das künstlerische Erlebnis wollte selbst als
solches sprechen, oder wenigstens mitsprechen,
sich nicht hinter Wirklichkeitsillusionen ver-
stecken. Verschiedene Anregungen trieben den
wachen Geist des jungen Malers in diese Rich-
tung, wiesen ihm Mittel nach, die sich nutzen
ließen. Ein Blick von Baluschek zu dem zwei-
ten Berliner, der aus der älteren Generation
als Maler des proletarischen Volkes herüber-
grüßte: zu Heinrich Zille, wies bereits einen
andern Weg. Denn Zille war in manchen Bil-
dern und Zeichnungen eben dazu übergegangen,
die Spiegelung mit einer inneren Vision von den
Dingen und Menschen zu durchsetzen. Anderes
kam hinzu. Gelegentlich ist mir, als habe Krayn
von dem Belgier Laermans Anregungen emp-
fangen, der, eine alte heimische Linie von
Breughel hier fortführend, doch aus dem Ge-
fühl der Gegenwart heraus, den Kern der pro-
letarischen Existenz bloßzulegen verstand. Der
größte Eindruck aber, der ihn traf, ging von
Daumier aus. Der junge Deutsche erkannte
kW, daß dies französische Genie schon vor
zwei Menschenaltern das Problem gelöst hatte.
Gestalten des modernen Alltags zu höherer
Deutung emporzuheben, die Schilderung von
Begebenheiten der uns umgebenden Wirklich-
keit in eine der Realität überlegene, vielsagende
Sprache zu übertragen. Von Daumier hatte das
schon Millet gelernt, und wenn man bedenkt,
was alles in der modernen Arbeiter- und Bauern-
malerei von Millet abstammt, so wird die un-
geheuere Wirkung des Ahnlierrn klar, den ein
geistreicher Zeitgenosse, gar nicht zu Unrecht,
in die Nähe Michelangelos rückte. Nur war
die Daumiersche Art im Laufe der Jahrzehnte
verwässert worden, bis die Pariser Centenuale
von 1900 sie wieder neu entdeckte, im ganzen
Umfang ihrer Größe überhaupt erst entdeckte.
Seitdem datiert die frische Bewunderung Dau-
miers, die Krayn sich zu eigen machte.
Seine Malerei beginnt in völlig veränderte
Bewegung zu geraten, als sie diese Berührung
erfahren hat. Der Ausdruck steigert und be-
reichert sich. Die Zeichnung und Modellierung
wird freier, die Farbenhaltung flüssiger. Ein
neuer Geist kommt über die Bilder. Es ist, als
wenn etwas in ihm aus den Fesseln gelöst wird.
Oft unmittelbar angelehnt an den französischen
Meister, dann in persönlicher Verarbeitung der
empfangenen Blutzufuhr, folgt er ihm. Das
soziale Problem enthüllt Krayn jetzt erst seine
volle Größe, Fruchtbarkeit und Unermeßlich-
keit, seine Schauer und Tragödien, seine An-
klagen und Gewitter, seine seelischen Erschüt-
terungen und seine formalen Ungeheuerlich-
keiten. Die Gestalten wachsen über sich selbst
hinaus, ihr typischer Gehalt füllt sich. Noch
nicht immer gerieten die Pläne. Manches blieb
ein Versuch, ein Wagnis, in der Anlage oder
auch in der Idee stecken und erlag der litera-
rischen Gefahr, die im Stoffgebiet lauert, konnte
nicht zu gestalteter Form werden. Aber man
sah einen Weg. Auch andere Einflüsse traten
hinzu, von Greco her namentlich. Oft stand
das alles noch roh und uneingeschmolzen neben-
einander. Man fühlte das Ringen mit den
Riesen, in deren Schatten er stand. 1
Zugleich aber befreite sich Krayns Malerei '
auch in ihren anderen Bezirken. So im Porträt,
im Gruppenbilde. Besonders war sein Blick
auf die Erscheinungen der modernen Stadtwelt
eingestellt. Es entstanden Landschaften von
Straßen und Häusern, die das Wesen dieser
Steingebilde mit prachtvollem Griff ergründeten.
Auch hier nicht nur ihr äußeres Bild mit ihren
Licht- und Luft- und Farbenphänomen, sondern
den Sinn ihrer Linien, Rhythmen und kubischen
Türmungen. Die Berliner Blicke mit den Schie-
nensträngen der Hochbahn gehören zu seinen
besten Arbeiten.
Noch höher stieg er in der Graphik. Was
inneres Erleben, Studium der Welt und ihres
Elends, die Jahre des Krieges mit ihrer schreck-
haften Aufpeitschung in ihm an Gesichten ent-
banden, kam am reinsten und hinreißendsten
in Lithographien und Radierungen, einzelnen
Blättern und ganzen Zyklen, zur Entladung.
HUGO KRAYX t. GEMÄLDE .VENUS. 1918.
n
Hiigo Krayn f.
HUGO KRAYN t— BERLIN.
Auch hier stand Daumier Pate. Doch alles
sproß aus tiefer innerer Erregung. Oft in wilde,
groteske Gebilde , die die unselige Qual der
gepeinigten Kreatur hinausschrieen.
Immer mehr sog er an sich. Und während
er sein Handwerk weiter gewissenhaft schulte
und bis zur meisterlichen Feinarbeit seiner
Venus kultivierte, suchte er immer tiefer in die
Geheimnisse menschlicher Beziehungen, in die
Rätsel des Körperdaseins einzudringen, in die
mitschwingenden gespenstischenNebenregionen
der Erscheinungen, daß man fast an Wirkungen
von Munch erinnert wird
»STRASSE IN DAVOS« 1914.
Das alles brodelte in Hugo Krayn. Suchte
sich auszugleichen, zu mischen, zusammenzu-
klingen, strebte einer abrundenden Harmonie
zu. Er gehörte nicht zu denen, die rasch zum
Gipfel stürmen, sondern zu denen, die Zeit
brauchen, ihre Keime ausreifen zu lassen. Und
gerade ihn, den solche Eigenschaften vielleicht
zu Großem ausersahen, mußte früh die Werk-
statt schheßen. Gerade das Unfertige, Wider-
spruchsvolle, Ungleiche der Erbschaft, die er
uns hinterlassen, spiegelt sein Ringen, erhöht
unsere Trauer um das Unglück, das ihn und uns
um die Früchte gebracht m. o.
HERMANN GEIBEL-MÜNCHEN. »MÄDCHEN-BÜSTE«
/
^
/
MTHOCRAl'HIE
AUS DER MAPPE
') ZWEI TÄNZERINNEN'.
C.OLTZ-VERLAG
MÜNCHEN.
HERMANN GEIBEL-MÜNCHEN.
N'
Tachdeni die Sintflut des Krieges sich zu
verlaufen beginnt, tauchen hier und da aus
dem aufgehäuften Schlamm einige Gipfel her-
vor, der Zukunft entgegenvi'inkend. Ein solcher
Gipfel ist die Kunst des Bildhauers Hermann
Geibel, dem der Kampf fast die rechte Hand
genommen hätte. Wir konnten unlängst froh
sein Schaffen in der Thannhauser-Ausstellung
in München überschauen.
Geibel ist urdeutsch: träumerisch — weich,
innig — zart in jeder Regung seiner Kunst.
Und doch weht auch ein Hauch südlicher Schön-
heit in seinen Werken. Mütterliche Hingabe
an das Kleine offenbaren seine Tiere : der Fuchs
und der Panther und der Löwe. Und doch ist in
dem schreitenden Bronzelöwen männliche Kraft,
männlicherTrotz ; zumal in der zaudernd, lauernd
gekrümmten linken Vorderpranke des Grim-
migen wird sein inneres Wesen offenbar.
Aber Geibels Arbeiten kopieren niemals das
Leben, die Natur. Der Porträtkopf, so lebendig
er schon ist, ist ihm nicht genug, ist ihm Über-
gang, wertvolles Merkzeichen innerer Ausbil-
dung. Er sucht das tiefste Wesen eines Men-
schen (auch des Tieres) in sich aufzunehmen,
gestaltet dann der Seele einen neuen Körper.
So schafft er nach einer Porträtbüste seine
Sappho („Träumende Frau"), in die sein Weib,
die Dichterin Elfriede Geibel — der Sappho ver-
wandt in der warmen, teils leidenschaftlichen
Sinnlichkeit ihrer Verse — völlig eingegangen ist.
Geibel ist Lyriker — noch Lyriker. Die
Haltung, die Gebärde, aber auch die Form seiner
Körper (und hier beginnt das Problematische
seiner Kunst) wird zum restlosen Ausdruck einer
tiefen Empfindung, Stimmung. Der Kopf wird
blumenhaft schmal bei der„Flora" (aus Bronze),
damit er die Neigung, die Biegung der Linien
111. JanI 1920. 2
101
Hermann Geibel- München
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IHIHBHBHIHHIBIHII
■ ganz wiedergebe, die
höchst einheitlichen
■ Schenkel werden voll
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„Tänzerin" (aus Bron-
^\1
.
ze) hinaus, die gedreht '
^^
fast die Illusion des
■ tig zu wirken. Hier
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^^
Tanzes erweckt (zum
" wird das Expressio-
M^K^ \|
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Ruhme des Werkes?) '
■ nistische der Kunst
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— die Vorstudien lie- i
H am deutlichsten. Aber
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gen in den Zeichnun- '
■ Geibel ist nicht nur
Jn^m ^H^^^ft
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gen vor — zu der ]
■ Expressionist , oder
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Bewegung überhaupt, i
■ kein gewöhnlicher Ex-
t^^K VB^^^^H
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dem Durst und Drang ,
■ pressionist. Seine
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und Trieb dem Auf- !
■ weiblichen Körper
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schrei in seinem mäch- i
2 sind schön, fast klas-
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tigen Frauen - Torso. ]
■ sisch schön. Die Natur
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— Wenn hier zwar die '
■ scheint in den höch-
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Gewähr gegeben ist i
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für Geibels fortstür- |
■ spielsweise in einer
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mende Kraft, die ihre j
■ „Erwachenden", die
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Grenzen immer zer- i
2 in keuscher Nacktheit
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bricht, um sie weiter {
■ gelagert ruht , ihre
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zu setzen , ist doch [
■ Augen aufzuschlagen.
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sein vollkommenstes i
j| Es ist zu hoffen, daß
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Werk eben jene „ Sap- j
■ Geibel, reinseinlnner-
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pho", in Kalkstein ge- [
■ stes aussprechend, auf
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bildet, bei der alle i
\ den Punkt gelangt, wo
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Bewegung wieder ge- 1
■ Subjektives und Ob-
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bunden ist, alle Kräfte j
■ jektives unbedingt zu-
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harmonisch in einan- I
g sammenfallen und eine
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der fließen, um so eng |
■ neue große zukünftige
K^^^^^H
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begrenzt doch auszu- [
■ Natur entsteht, allge-
i ''^^^^^H
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strahlen in das Un- i
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br J^^^^^H
^^H
endliche. Diese Figur |
■ alte andere Natur.
^^J^^^^^^l^l
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schafft eine Atmo- |
■ Dann wäre der Weg
^^H
Sphäre um sich, eine 1
B zum Dramatischen zu-
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rechteckige Halle, vor |
■ rückgelegt. Und Gei-
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deren einer Schmal- J
■ bei ist Plastiker durch-
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Seite sie stehend den i
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Raum vor ihr mit Le- i
■ Zeichnungen sind un-
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ben erfüllt, indem sie j
■ erhört körperlich —
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uns gleichsam entge- •
■ wie denn alle seine
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genschreitet. — Was i
■ Werke Rundplastik
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für ein Gedanke, daß J
■ sind, oft von der Seite
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soderBaumeisterfort- •
■ und vom Rücken be-
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bildete des Bildhauers ■
J sonders bedeutsam.
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Werk! Ist doch die {
■ Der Plastiker aber
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höchste Wirkung der i
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Kunst, fortzuzeugenin i
■ begnügen mit der Wie-
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dem andern Künstler. J
■ dergabe einer vor-
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Wunderbare Gemein- i
B überhuschendenStim-
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. .. ."c' -
Schaft, in der Musi- i
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ker, Maler und Bild- J
■ Geibel vor von der
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hauer sich in das Erbe ■
P ganz augenblicklichen
^^n.
des Dichters teilten ! |
■ Bewegung einer lie-
' K,'"^-^
Glücklicher Staat, in J
■ genden Frau , einer
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Schaffenden geschlos- ■
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102 ■■■■■■■■■■■■■■■■■■■
HERMANN GEISEL— MÜNCHEN.
BRONZE ■jTÄN/.ERIN«
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HERMANN GEIBEI.-MÜNCHEN. BRONZE »Ff-OHA.
HERMANN GEIßEL. »MÄDCHEN-TORSO«
HEBMANN GEIßEL. .MÄDCHEN-TORSO.
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HERMAXX GEIßEL. KALKSTEIN vSAPPHO«
HERMANN GEIBEL-MÜNCHEN. .MÄDCHEN.
»1
GESETZ UND GEFÜHL.
Viel Unfuj! wird jetzt («etrieben, indem, was
jicfülilsniäßi)! entstanden, nachträfslich mit
Worten ausfieputzt und auf irjSend eine jieheim-
nisvolle Lehre zurückzuführen versucht wird.
Wohl die meisten jungen Künstler, die expres-
sionistisch arbeiten, tauchen lediglich in die
strömende Bewegung ein, ihre größte Mühe ist,
sich richtig einzustellen, so daß sie von sich aus
den neuen Stil treffen. Direkte Nachahmung
von Äußerlichkeiten der Manier ist dabei gar
nicht so häufig. Vielmehr sucht jeder seine
eigene Manier zu finden. Der Verstand hilft da
wenig. Denn trotz der Überschwemmung mit
gedankHchen Theorien, der Maler muß doch in
erster Linie auf das bildmäßige, farbige oder
graphische Aussehen achten. Der Künstler
konnnt intuitiv auf seine neuen Farben und Ge-
bilde, und sein Verstand, oder der eines guten
Freundes, erfindet nachher die zugehörige
Theorie, den — ismus. Denn das gehört heule
zum guten Ton. Wer als Künstler etwas auf
sich hält, der muß seinen eigenen Ismus haben.
So ergibt sich die merkwürdige Erscheinung,
daß wir einen ansehnlichen Reichtum an Bild-
schöpfungen, Farbeneffekten und graphischen
Witzen vorfinden, die an sich, nur mit dem
Auge betrachtet, höchst amüsant wirken und
eine geistige Betrachtung gar nicht nahelegen.
daß wir uns aber den sinnlichen Genuß dieser
Reize selbst vergällen, indem überall eine Be-
deutung, ein tiefer Sinn, eine Theorie gesucht
wird. Es ist nicht zu leugnen, daß allerdings
vielenKünstlern dieTheorie nachträglich, hinten-
herum, doch noch in den Pinsel pfuscht, und
so manch schönes Blatt verdorben wird.
Ein vollkommenes Mißverständnis von dem
„Geistigen" in der Kunst liegt dem zugrunde.
Geistig heißt doch nicht verstandesmäßig und
nicht literarisch. Die Schönheit eines Kristalls
ist höchst geistiger Art, und sie enthüllt sich
doch dem naiven Auge. Ob auch die wissen-
schaftliche Formel des Kristalls einfach, knapp,
interessant ist, das hat mit seiner formalen Schön-
heit gar nichts zu tun. So kann die geistvollste
Theorie optisch tote Werke hervorbringen, wäh-
rend zu einem Bild von höchster Wirkung der
Verstand oft eine sehr blöde Erklärung serviert.
Pinsel und Stift sind zur Zeit sehr ausgelassen
und rücksichtslos. So muß die arme Theorie
die tollsten Purzelbäume schlagen, unglaubliche
Verrenkungen ausführen, um allen diesen „Be-
wegungen" zu folgen. Das könnte uns kalt
lassen, wenn es sich nicht immer wieder zeigte,
wie Künstler von starker gefühlsmäßiger Be-
gabung durch ihre Kommentatoren verwirrt
werden anton j.vum.^nn.
HERMANN GEIßEL. HOLZPLASTIK >. ER WACHENDE«
108
oCj
vb ,>a!f!«i?-'?»gr-*'^g-
RICHARD TESCHNER-WIEN. GEMÄLDE »ALOE«
AUSSTELLUNG RICHARD TESCHNER WIEN 1920.
Richard Teschner ist ein in weiten Kreisen
bekannter Künstler. Man kennt ihn als
den überkultivierten Österreicher, als den Sohn
eines Landes von uralter, hoher, künstlerischer
Vergangenheit, eines Landes, das Blulmischung
und Rlutdurchkraftung von Völkern ermög-
licht, die alle künstlerisch begabt sind. In ihm
scheinen sicli die künstlerischen Gaben Öster-
reichs alle zu vereinigen. Er ist der Vielbe-
gabte, ist Maler, Bildhauer, Radierer, Musiker
und auf seine Weise Dramatiker und Schau-
spieler. Zu dieser Begabung tritt eine um-
fassende handwerkliche Fähigkeit, die gründ-
liche Meisterschaft in vielen Handwerken gleich-
kommt. Tüchtigkeit, Ausdauer, Fleiß, ein klarer
Sinn, die Gabe der Improvisation, des F.rfin-
dens, Konzentration, geschlossener Wille und
festes Am-Bodenstehen, ein klarer Blick und
Sinn, hohe Phantasie und Freimut, Geradheit
bis zum derben und unerschöpflichen Humor.
Damit hat die Natur, das Land, die Volkszu-
samniengehörigkeit die Persönlichkeit 'reschners
ausgestaltet. Das ist das Erbe seiner Väter.
Mit diesen Fähigkeiten und Gaben, die er stetig
ausbaut und steigert im Gang seiner Entwick-
lung, kann seine Individualität wie mit einem
Werkzeug wirken. — Diese Individualität —
dies konnte man bei der Vorführung der ge-
schlossenen Reihe seiner Werke in der Wiener
Ausstellung erleben — diese Künstlerindivi-
dualität hat Zugang zu einer Seelen- und Gei-
steswelt, die uns andern verschlossen ist. In
sie wächst sie hinein , ringend und strebend.
Von ihren Wesenheiten gruppiert sich um sie,
was ihr jeweilig verwandt ist, wahlverwandl.
Wesenhaftes, zu dem sie gerade Beziehung hat,
zu dem sie „Du" oder „Ich" sagen kann, dunkle
Sphären zunächst und lichtere, Sphären der
Leidenschaft, der Triebe, des Begehrens, Ge-
spenster, Gnomen, Salamander, Drachen, Ma-
gier, Prinzen und Prinzessinnen, Zaubergärten
und Märchenschlösser, soweit sie selbst noch
in der niederen Ichheit verstrickt ist, in ihrem
Wünschen und Begehren.
So ist er der Romantiker, als den man ihn
bisher kannte und liebte, weil man sofort die
Beziehung zu ilim herstellen kann, aus der eige-
nen Verstricktluit der Seele heraus, weil diese
111
Ul. Juni 1920. 3
Ausstelbing Richard Teschner Wien.
112
RICHARD TESCHNER— WIEN.
Kunst so süß einschläferte, ablenkte von der
Wirklichkeit des Lebens und dazu noch so
liebenswürdig und eigenartig war.
Nun zeigt die Wiener Ausstellung den neuen
Teschner. Er ringt sich durch zu höheren, rei-
neren Sphären. Er stößt in die Sphäre des
Geistes. Zunächst wird sie in Gedankenfomien
künstlerisch erfaßt. Die drei Kulturrassen wer-
den hinausgestellt. Sie sind ein gewaltiger
Sprung aus seiner Romantik heraus. Sein altes
Grundproblem „Wie kann ich Leben gestalten"
sucht sich auch hierin, wie so oft in der Zeit
der Romantik die Antithese. Aber nun gilt es
der Lebenswirklichkeit. Teschner ist einer von
den Deutschen, die ihre Zeit nicht verschlafen
»DIE GELBE KÜLTURRASSE«
haben. Er schaut der Gegenwart geradezu ins
Gesicht. Am bewirkenden geistigen Leben der
braunen Rasse (Buddha), am regsamen gestal-
tenden, sozialen Leben der gelben Rasse (Kon-
fuzius), erlebt er als den Gegensatz, als die Er-
starrung,diegeistigseelische Sterilität derweißen
Rasse der Jetztzeit, die ganz und gar in die
Mechanisierung, in Entseelung und Entgeisti-
gung geraten ist. Wohin wir geraten sind, kann
nicht eindringlicher gezeigt werden, als durch
den Repräsentanten der weißen Rasse mit seinen
leeren Augen. — Ich bin der Weg, das Leben
und die Wahrheit. — Dieses „Ich bin" ist nie
in schrecklicherer Weise ans Kreuz geschlagen
worden, als in der weißen Rasse. — „Die drei
Auistillioii; Richard Teschncr IVi,
RICtt.VRlJ IIXIINEK-WIEN.
Kulturrassen" sind der erste Auftakt der neuen
Epoche. Sie stellen einen Erlebnisakt dar, an
dem das Gehirn als Fragelöser beteiligt ist. Echte
Geisterlebnisse werden in der Folge immer
reiner aus der Erlebenswelt herausgestellt. Die
Ausstellung zeigt die Reihe: Wiedergeburt,
Sonnenland und den Zyklus Feuerelement,
Wassergeist, Imagination und Nachtschauer.
Die Wiedergeburt mag als das Ergebnis des
Erlebens der aufziehenden Sternenwelt, des
Kreislaufes des kosmischen Werdens erfühlt
sein, der Zyklus die Expression des Erlebens
der vier Elemente und zugleich in dieser Schau,
der vier Temperamente.
In dem Maße, in dem sich die Künstlerindi-
vI>IE BRAUNE KULTURRASSE«
viduahtät ringend einlebt in die Welten, aus
denen sie gespeist wird, aus denen sie sich ihre
künstlerischen Imaginationen und Intuitionen
holt, die sie einprägt unter Schmerz und Lust
in die sinnliche Wirklichkeit des Kunstwerkes,
in demselben Maße ringt auch die Künstler-
persönlichkeit nach Formelementen, nach Aus-
drucksmitteln. Die romantische Zeit hat ihre
Entsprechung in dem „Nichtzurruhekommen-
können" in einer bestimmten Technik. Der da-
malige Lebensinhalt will sich in Prunk ausleben,
er sucht das Erhabene in Größe und Mannigfalt.
Teschner langt nach allen bildsamen Stoffen,
nach allen Ausdrucksmitteln, verbessert die gege-
benen Techniken, erfindet sein Radierverfahren,
113
Ausstellung Richard Tcsclincr Wien,
114
KICHARD TESCHNER -WIEN.
die „Handtonätzung", lernt Speckstein färben,
baut seine eigene neue Laute, schafft sich seine
Temperatechnik und lebt in der Puppe seiner
Figurenbühne. — Die neue Entwicklungsstufe,
in der Teschner die Kulturrassen hinstellt, bringt
auch die technische Beschränkung. Sie sind
als Kohlenzeichnung ausgeführt. Teschner hat
nun auch sein Bildformat gefunden und sich für
Tempera entschieden. Die Farben seiner Tem-
perabilder sind so rein, daß sie nun als Farb-
wert an sich Träger des geistig -seelischen Er-
lebens sein können. Aber auch sein ureigenstes
Ausdrucksmittel, sein eigenstes Mittel der Ex-
pression ist zu einem gewissen Abschluß gekom-
men — die Puppe -seiner Figurenbühne
GEMj\LDE »SONNENLAND«
Im Figurentheater kann sich Richard Teschner
ganz ausleben. Hier fließt die Individualität in
die Persönlichkeit aus. Inhalt und Form wer-
den zur Einheit.
Was ist es, daß dieses Theater den wenigen
Hundert Menschen, die es auf der Wiener Aus-
stellung sehen konnten, zu einem so bedeut-
samen Erlebnis machte ? Daß Stimmungen ver-
mittelt werden, Schauspielwirkungen von ihm
ausgehen, die rätselvoll erscheinen.
Das Theater ist eine Pantomime, das gespro-
chene Wort, das sonst maßgebende Ausdrucks-
mittel für den Inhalt der darzustellenden Dich-
tung ist, fällt weg und wird von der Geste der
Puppe als nunmehr alleiniges Formelement er-
AussfcUioi^ Richard Tcschncr Wien.
RICHARD TESCH.NEK-WIEN.
setzt. Das gestellte Problem heißt nun; Die
Geste als einziges Ausdrucksmittel für Kunst.
— Das ist vollkommen neu. Bisher kannte man
die Geste in dieser Sonderstellung, wortent-
kleidet, nur von Schauspielern im körperliclien
Eigenleben ausgeführt, vom Minenspiel unter-
stützt. Auf der Pigurenbühne führt die Puppe
die Geste aus, totes Material, freilich schon ge-
staltetes aber doch nur gestalteter Typus dem
{■"ersönlichen und Individuellen entrückt, ganz
in den Stil gestellt. Die Geste muß dadurch
ganz und gar entpersönlicht werden, ins Übei-
persönliche erhoben, ganz stilisiert werden. Die
Puppe kann nicht, wie auf Marionettenbühnen,
von oben mit Schnüren gezogen werden, da
»IlliC WKI.VSI, kULlUKKAbbE«.
diese Führungsart der Zufälligkeit zu viel Spiel-
raum läßt. Fest und sicher müssen die Be-
wegungen von der Hand des Spielers ausge-
führt werden. Teschner bewegt die Figuren
mit Stäbchen von unten. Durch diese ist er in
der Lage, wie mit einem Stift, wie mit einem
Werkzeug jede Linie zu ziehen, jede, selbst die
feinste Bewegungsnuance zu gestalten. Es ist
klar, daß die gestellte Aufgabe, in der Geste
auf der Figurenbühne sich künstlerisch auszu-
sprechen, weit über den Rahmen der Schau-
spielkunst, der darstellenden Kunst hinausgeht.
Ein Künstler, der die Puppe führt, muß vor
allem bildender Künstler sein, Zeichner, Maler,
Bildhauer. Er gestaltet unmittelbar, wie er eine
Ausstellung Richard Tcsclmcr Wien.
116
RICHARD TESCHNER WIEN.
Plastik schafft oder ein Bild malt. Die Geste
vereinigt, umschließt alle Ausdrucksmittel der
bildenden Kunst in sich, prägt sie aber nicht
dauernd in eine tote Materie ein, sondern wan-
delt das Werk der bildenden Kunst aus einem
Nebeneinander, das bestehen bleibt in ein Nach-
einander, das vergeht. Sie ergibt ein Kunst-
werk, das im Entstehen vergeht, in die Zeit
hineinfließt und stirbt. Es umgeht die Materie,
huscht nur über die bewegten Konturen der
Puppe hinweg direkt in die Seele des Beschauers.
Die Puppe leiht nur ihre Arme, ihren Körper
mit demTeschner die Geste ausführt, das reinste
aller möglichen Ausdruckselemente der bilden-
den Kunst, die bewegte, die lebendige Form,
die wandelnde, fließende, in Rhythmen in die
Zeit hinausprojizierte Form, die reine abge-
zogene Geste. Als Formelement kommt sie an
sich zur realen Wirkung, wie im Expressionis-
mus Farbe, Form, Ton und Linie,
Dieses Kunstwerk ermöglicht dem Beschauer
am lebendigen Werden des Kunstwerkes, am
Schöpfungsakt selbst unmittelbar teilzunehmen.
Er kann wohl zum erstenmal an der Schöpfer-
freude des Künstlers teilnehmen. Denn dieses
Kunstwerk ist das Schaffen an sich. Bildlich
gesprochen, er kann am Sechstagewerk Gottes
zuschauend teilnehmen, mühelos Mitschöpfer
»TESCHNER-AUSSTELLUNG 1920«
werden, er, der den Geschaffenheiten gegen-
über immer zum Nachschaffen verurteilt ist,
die Gedanken, die Absichten Gottes am Ge-
schaffenen immer nur nachdenken kann, wird
zum Mitdenker, zum Vordenker gemacht. Epi-
metheus darf einmal Prometheus werden, der
Nichtkünstler einmal Künstler.
Dies ist genau besehen der Inhalt des Erleb-
nisses, das in den aufgewühlten Seelentiefen
des Beschauers der Teschnerbühne vor sich
gehen mag. Die Geste ist Teschners Expres-
sion, sie ist sein ureigenstes Ausdruckselement.
In die Erscheinung gebracht werden konnte es
nur von einer Künstlerindividualität , die aus
österreichischem Blutzusammenhange ihre Per-
sönlichkeit gestaltet, ausgeführt nur von einem
Künstler, der sich wie Teschner durch alle Ge-
staltungselemente durchgerungen hat und sie
alle beherrscht. Denn die Ausführung der Geste
am „Figurentheater" setzt die ganze Reihe der
Künstlerschaften voraus und umschließt sie:
Malerei, Bildhauerei, Musik, Dichtkunst und
Schauspielkunst. Sie werden alle zur Einheit,
die Eine-Kunst. Die große Absicht des Jesuiten-
stiles wird hier in einer nie geahnten Weise
Wirklichkeit ixg. Rrijoi,!' thkitkk.
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Die erste Eigenschaft des Genius ist Originahtät.
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RICHARD TESCHNER. .HAUSGÖTTIN.
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HOLZ-PLASTIK »PIETA« städtisches museum »raj^kkukt a m.
IIDLZI-LASTIK
-MAnoNNAi.
ANFANG DKs
XIV. JAHRH.
STADT. MUSKl'.Vl
FR.\NKFURT M.
VON DER SEELE DEF^ GOTIK.
Seitdem Wilhelm Lehmbruck seine Figuren
in die Schlankheit und Linie der Gotik auf-
wachsen ließ, gewöhnte man sich daran, alle
moderne Kunst, wenn sie Innerlichkeit suchte,
mit Gotik zu vergleichen.
Vergleiche hinken; und doch, trotz der Ver-
schiedenheit des Weltbilds, das damals und
heute hinter den Künstlern steht, läßt sich Ge-
meinsames nicht anzweifeln.
Räumliche Beziehungen zu setzen und zu lö-
sen, ist die Aufgabe der bildenden Kunst. In
diese räumlichen Werte wird Seelisches gebun-
den. Anders formt ein Gotiker die Mutter
Christi als ein romanischer Künstler oder ein
Renaissancemensch. Ist es nicht bezeichnend,
daß es die Gotik war, die zuerst Mutter und
Kind zusanmienfügte, und nach starren An-
sätzen das innige Verbundensein, körperlich
und seelisch, ausdeutete?
Anfangs nichts anderes als ein menschlicher
Sitz für den jungen Heiland, der mit dem Blick
in die Ferne eigene Aufgaben erfüllte, wird
Madonnaimmergelösterin Gliedern und Geistig-
keit zur Mutter, in deren Armen das Kind keine
andere Aufgabe besitzt, als zu genießen, sei es
den Lebensquell des Mutterbusens, sei es die
zarte Sorge liebender Hut. So wächst mit dem
Einleben in die Beziehung zwischen zwei Men-
schen die Gestaltungskraft. Aus der zärtlichsten
Mutter wird die Dulderin am Leichnam des
Sohnes. Die Falten des Kopfluchs sinken her-
ab wie rinnende Tränen und weinen mit, alle
Linien strömen im Fall Leid, Mitleid.
Doch der Beruf dieser Gestalten war es nicht
121
■illl Juni l»30 I
Vo>/ der Seele der Gotik.
122
ein eijjcnes Dasein
zu führen, als Kult-
bildern kam ihnen
zu neben dem episch
erzählenden Zweck,
den sie erfüllten, Be-
ziehungen zu schaf-
fen zwischen der
Glaubensquelle und
dem Andächtigen.
Wie in der Gotik
immer bewußter die
Blicke aus dem Jen-
seiligen zurückkeh-
ren , wie sie aus
unbegrenzter Feme
erst nach innen ge-
wandt , allmählich
dem Betenden zu-
sprechen, winken u.
trösten, das muß
man erkennen, um
den Begriff der Ent-
wicklung oder des
Stilwandels aus gei-
stiger Steigerung zu
erfassen. — Die
Abbildungen , den
Schätzen des Liebig-
hauses in Frankfurt
a, M. entnommen,
versinnlichen , was
ich andeutete. Starr
und fem den Blick
thront die Madonna
des XIII. Jahrhun-
derts, sie selbst wie-
derThron des jungen
Sohnes, der in Hal-
tung und Tracht, ein
römischer Konsul,
seinen Segen spen-
det. Klage und Leid
weht uns von der
Pietä an ; aber Maria
blickt nicht zu uns
aus ihrem Schmerz;
nur den Sohn sieht
sie, mit ihm verquel-
len alle inneren und
äußeren Linien. Die
späte Madonna mit
dem Kind lächelt
I dem Andächtigen
zu. Minnig und hold
gleitet das Lächeln
über ihre Züge, das
I.ASTIK »JOHANNES« STÄDT. MUSEUM- FRAJJKFURT M.
AUS DEM ANFANG DES XIV. JAHRH.
im Gefällt des Klei-
des und Mantels sein
gleiches Spiel zu
treiben scheint. —
Versunken betet
Maria der franzö-
sischen Gotik am
Kreuz ihres Sohnes,
ihr Schmerz aber
verbindet sie mit
allen Menschen; so
kehrt der Blick aus
dem Innern zurück
und sucht die Men-
schen. Auch an ihr
klagen und rinnen
die Falten der Ge-
wandung. Allein die
Linien fließen in
leichter Schwingung
nach vorn dem Be-
tenden zu. — Die
gleiche Wandlung
der Form unter sich
wandelnder geistiger
Einstellung beim Jo-
hannes. Die erste
Stufe fehlt, wo die
Ferne sich dem Blick
vermählt. Nur die
innere Versunken-
heit in die Tiefe des
Schmerzes trägt Jo-
hannes des 15. Jahr-
hunderts. Der Kopf
und der geraffte Zip-
fel des Mantels stei-
gen und sinken ge-
geneinander , zwei
Gegenbewegungen
finden Ruhe in der
geistigen Mitte. —
Die Farben beglei-
ten die stille Kla-
ge der geschnitzten
Form mit lautem
Weh. Grün schreit
in krampfendes Rot
hinein. Auch der Jo-
hannes der französi-
schen Kreuzesgrup-
pe trägt Schmerz ;
auch hier führt Arm
und Kopf in Gegen-
bewegung zueinan-
der. Wie der Blick
jedoch den Beten-
HOLZPLASTIK >MADONXA« städtisches iiuseum- Frankfurt m.
OBF.RSCHWÄBISCH, MITTE DES XV. J,VHRH. AUS MUNDERKINGEN.
HOLZPLASTIK »THRONENDE MADONNA, .städt. museum-krankfukt.
ERSTE HÄLFTE DES XIIl. JAHRH., SÜDDEUTSCH.
HOLZPLASTIK .DER EVANGELIST JOHANNES« städtisches MUSEUM ficwkkurt.
ENDE DES XV. JAHRHUNDERTS, OBERBAVERISCH.
«
Von der Seelr drr Gotik.
^
GABI I.AGIIS-
MÜSCHL-WIEN.
ILI.rsTKATIÜN
ZU edschmid:
»DF.RBKZWINC.ER«
den streift, aus innerer Klaj^e ins Leben seilend,
so fallen auch alle anderen Linien aus der
Verknotung unterhalb der rechten Backe in
ein Strömen und Rinnen hinab zu den Men-
schen im Kirchenraum.
Unsere Zeit, sie nennt sich die soziale, sucht
auch Verbindung und Verknüpfung der Men-
schen untereinander. Der Begriff der Gemein-
schaft soll aus der Ferne ins Wirkende gewor-
fen werden. Unendliches soll strömende Be-
ziehungen mit andächtig Empfangenden schaf-
fen. Sind hier nicht Gleichnisse mit gotischer
Art? — Wenn Kunst Zeitgeborenes in ent-
gültige, ewige Form hüllt, so muß Verwandtes
zur Gotik im Schaffen unserer Tage nicht aus
äußerlichem Nachahmen, — aus Innerstem er-
wachsen. Einzelne Künstler werden das Ewige
draußen suchen, Toren, wie Parsifal, der Junge,
einer war. Andere werden tief ins eigene Ich
steigen, wohl mancher selbstgefällig sich darin
verlieren; doch die Wegbringer werden aus
dem Ich emporsteigen und die hier gehobenen
Schätze zagend doch opferbereit in wartende
Hände legen, wie segnende, tröstende Blicke
aus den Heiligenbildern der Gotik durchs weile
Kirchenschiff das Auge des Betenden suchen
und finden. . . . (;ust.\v knappei.s— offenbach a. m.
Wenn der Künstler produziert, so borgt er
die Elemente der Darstellung von einer
Welt, die schon existiert und in deren Mitte er
lebt. Die stärkste Phantasie wird genährt von
der Natur, dieser unerschöpflichen Quelle der
Belehrung. Je mehr man in das Wesen .der Natur
eingedrungen ist, um so vollständiger ist das
Erlebnis, das man wiedergeben kann. Je mehr
Mittel des Ausdrucks man besitzt, um so besser
gelingt die bildhafte Verständigung. v. hmulek.
127
GABI LAGITS-MÖSCHI. WIEN. BUCHILLUSTRATIONo
ZUR NOVFXLE »DER KE/.VVINGER« VCIN KASIMIR EDSCHMU).
l'\
PROFESSOR GEORG METZENDORF. .AUS DER MARGARETHEN-HÖHE<
PKÜFESSOR GEORG M£.TZENI)ORF— ESSEN. »ARBEITER-DOppEI.WOHNIIAUn HAUPTANSICHT.
AUS DER GARTENSTADT MARGARETHEN-HÖHE.
Professor Georg Metzendorf, 1909 zum Bau
der Gartenstadt Margarethen-Höhe berufen,
sah sich damit vor eine der bedeutsamsten Auf-
gaben gestellt, die unsere Zeit zu vergeben hat.
Vielen tausend Insassen des Induslriebezirks
weitab vom Qualm und Lärm der Werkstätten
im Schatten des Waldes, im Grün von Gärten
eine Heimat za schaffen, ihre Siedelungen zum
Organismus einer ganzen Stadt zusammenzu-
fassen, welche Aufgabe könnte schöner und
fruchtbarer sein? Die vier Kriegsjahre, die den
Baumeister seiner Tätigkeit fern hielten, haben
in sein Werk eine Pause gebracht, aber die
Baustube der Gartenstadt, in der sein Geist
lebendig blieb, ist doch niemals ganz geschlossen
worden, auch während des Kriegs hat sich Mar-
garethen-Höhe um etliche Straßen vermehrt.
Von den fast sechshundert Häusern der Sied-
lung enthält ein Drittel Etagenwohnungen, zwei
Drittel sind Einfamilienhäuser. Wohnungen, die
weniger wie drei, mehr wie fünf Räume haben,
sind selten. Das häusliche Dasein ihrer in be-
scheidenen Verhältnissen lebenden Insassen hat
zum Mittelpunkt die geräumige Küche, die als
Wohnküche gedacht ist und der darum in allen
Fällen eine Spülküche beigegeben ist, mit Wasch-
kessel und Badewanne versehen und bestimmt,
die Spülgerüche und den Wäschedunst dem
Hause fern zu halten. Der Küchenherd gibt im
Winter seine überschüssige Wärme an die be-
nachbarte Wohnstube und die in den Einfami-
lienhäusern obenliegenden Schlafzimmer ab, sie
bei nicht zu strenger Kälte ausreichend erwär-
mend. Aus diesen Einrichtungen, vor allem der
Spülküche, denen der mit jeder Wohnung ver-
bundene kleine Gemüsegarten hinzuzuzählen
ist, spricht ein hohes soziales Gefühl, welch
ungeheuerer Fortschritt doch gegen das übliche
Muster der Kleinwohnung, wie es die Etagen-
häuser der großen Städte aufweisen! Wer die
Welt dieser von zufriedenen Menschen be-
wohnten Häuschen vor seinem geistigen Auge
auftauchen sieht, den mag leicht bedünken, als
wären sie fast alle nach einem einzigen Plan
entstanden. In Wahrheit sind auf Margarethen-
Höhe der Typen gar viele, wenngleich die Ab-
sicht des Baumeisters, seine Häuser auf eine
ganz strenge, sachliche Kastenform zu bringen,
immer deutlicher hervortritt. Von unseren deut-
schen Gartenstädten, in denen im allgemeinen
131
:ni JUnl 1930. 5
yl7/s dfrGartrintadl Margarethen-IIöhi
132
MAKGAKKTHtN-HoHE BEI ESSEN.
Gleichheit der Bedürfnisse wie der wirtschaft-
lichen GrundlajSen waltet, hätte man vielleicht
erwarten können, daß sie unsrem Volk die na-
tionale Form des Kleinhauses gewonnen hätten,
was indessen nicht gelungen ist; die letzte, die
endgültige Formel steht noch aus. Wohnkolo-
nien von Schniitthcnner und Theodor Fischer
sind Gegensätze, Peter Behrens würde sie an-
ders aufteilen und bauen wie Muthesius, wäh-
rend doch die französische oder die holländische
Kleinstadt von altersher ein festausgeprägtes,
unwandelbares Antlitz zeigen. Das Suchen und
Wägen, das durch die ganze Entwicklung un-
seres Kleinwohnungswesens geht, ist auch in
Margarethen-Höhe noch nicht zur Ruhe gekom-
men, und wie manchmal doch stehen wir vor
Häusern, die uns untadelig erscheinen, bei denen
wir uns mit Bedauern fragen, warum der Bau-
meister nicht bei ihrer Form geblieben ist! Man
muß hier wohl die Besonderheit des ungemein
bewegten Geländes in Rechnung setzen, die
einem durchgehenden Muster beim Hausbau
ZWEIFAMILIENHAUS • GINSSERWEG'.
nicht günstig sein konnte. Wie es immer wieder
Aufschüttungen, Abtragungen bedingt, wie es
die gerade Führung von Straßenzügen verhin-
dert, so erfordert es auch gelegentlichen Wech-
sel der Formen und Typen. Sehr fein ist nun,
wie sich der Baumeister unmerkliche Mittel, das
Verschiedene zu binden und zusammenzuhal-
ten, geschaffen hat. Neben den gemeinsamen
schwarzgrauen Dächern sind es die Türen und
die Fenster, die in ihren Maßen immer wieder
übereinstimmen und dem Ganzen Halt und Maß
und Ruhe geben. Die Putzflächen der Häuser
waren in den ersten Baujahren noch unterbro-
chen durch Backsteinbauten, die indessen aus
wirtschaftlichen Gründen ganz aufgegeben wur-
den. So ist es ein durchgehender grauer Ton,
freilich ein moduliertes, bald licht und silbrig,
bald schwer und dunkel erklingendes Grau, das
den farbigen Eindruck der Siedlung bestimmt.
Aber freilich hat Metzendorf auch die Stellen
herausgefunden, die seine hebenswürdige und
muntere Laune sich ausleben lassen. Es sind
MAR(,ARETHEN-HÖHE. »VIERHÄUSER-BLOCK AN DER SONNENBLICK-STRASSE.
•Farirrait^Ujy-
vVUFRIbS DES OBIGEN VIERHAUSER-BLUCKS.
PROFESSOR GEORG METZENDORK-ESSEN. »ZWEIFAMILIENHAUS«
GEORG METZENDORF. . EINGÄNGE EINES EINFAMILIEN-DOPPELHAUSES.
Aus di-r Gartetistadt Margarcthen-Hölic.
138
die Fensterläden und Haustüren, an denen er
sich schadlos hält, die ersteren auf grünem oder
blauem Grund bunt mit Blumen oder jSeometri-
schen Fijjuren ausmalend , die letzteren mit
weißgestrichenen, lustig gedrechselten Gitter-
einsätzen in immer wieder neuen Formen be-
lebend. Hier scheint der Springquell seiner
Einfälle unerschöpflich zu sein.
So ist denn Margarethen-Höhe, Wirtschaft-
lichkeit, Wohnlichkeit und künstlerische Haltung
in glücklichster Weise vereinigend, in den ^elf
Jahren seines Bestehens, von denen die fünf
Kriegsjahre nicht voll zählen können, groß und
stattlich geworden, im Kranz der deutschen
Gartenstädte ein reifer, voller, gesegneter Strauß.
Wie sich seine Entwicklung in Zukunft gestalten
wird, läßt sich im Augenblick nicht sagen, es
ist kaum anzunehmen, daß die nächste Zeit mit
ihrer namenlosen Verteuerung der Baukosten
dem Ausbau förderlich sein wird. goskbruch.
VOM DEUTSCHEN KÜNSTLERTAG
22. APRIL 1920.
Einen deutschen Künstlertag hat die
Allgemeine Deutsche Kunstgenossenschaft,
die gröI3te und älteste, sich über das ganze
Reich erstreckendeVereinigung bildenderKünst-
1er, am 22. April im ehemaligen Herrenhause
zu Berlin einberufen. Er hatte den Zweck,
einerseits einen Zusammenschluß aller Künstler-
vereine in wirtschaftlichen und Standesfragen
anzubahnen, andererseits von der Regierung
eine angemessene Standesvertretung zu fordern,
und zu verlangen, daß nicht wie seither Gesetze
und Verordnungen ergehen, Einrichtungen und
Ämter geschaffen würden, die die bildende
Kunst betreffen, ohne daß die Künstler vorher
gehört worden sind. Die Versammlung wurde
von Prof. Otto Heinr. Engel geleitet. Als erster
Redner sprach Dr. Maximilian Pfeiffer, Mitglied
der Nationalversammlung. Er konnte der Ver-
sammlung die erfreuliche Mitteilung machen,
daß ihre Bestrebungen schon zum Teil Erfolg
gehabt hätten, indem auf seine Anregung hin
die bildende Kunst im Reichswirtschaftsrat in
Zukunft vertreten sein werde. Und zwar solle
der Werkbund sowie die vereinigten Verbände
bildender Künstler Berlins und diejenigen Mün-
chens je einen Vertreter präsentieren. Professor
Heinrich Straumer, Vorsitzender des Verbandes
deutscher Architekten, sprach sodann über die
Dinge, die die Architektur berühren. Er führte
unter anderem aus: Es ist kein Geheimnis, daß
der unglückliche Ausgang des Krieges uns arm
an Rohstoffen gemacht hat, während wir über
Arbeitskräfte in reichlichem Maße verfügen.
Daraus folgert zwingend, daß es nur ein ein-
ziges Mittel gibt, die deutsche Wirtschaft auf-
recht zu erhalten, wenn nicht mit einem Hunger-
sterben oder Massenauswanderung gerechnet
werden soll, nämlich diese Arbeitskraft so hoch-
wertig wie möglich in Form von Qualitätswaren
auszuführen. Es muß Aufgabe der Regierung
sein, planmäßig auf diese Hochwertigkeit der
deutschen Arbeitskraft hinzuweisen, und hier
beginnt die ungeheuere Bedeutung der Kunst
und der Künstler für die deutsche Wirtschaft
deutlich zu werden. Dort wo die Arbeit des
deutschen Kunstgewerbes schon vor dem Kriege
erfolgreich sich bemüht hat, muß eine staatlich
mit allen Mitteln geförderte Organisation ein-
setzen, das deutsche Volk zu Qualitätsarbeit
erster Klasse zu erziehen. Die gesamte Künst-
lerschaft muß hinein in die Werkstätten ! Wie
wenig die Bedeutung dieser Frage erkannt ist,
beweist das im höchsten Maße kulturfeindliche
und verderbliche Gesetz über die Luxussteuer.
Die Steuer richtet sich nämlich gegen die Qua-
litätsware, welche für die Zukunft unseres Kunst-
gewerbes, für den Export, für die Hebung der
Valuta von höchster Bedeutung ist. Wie wider-
sinnig das Gesetz auch sonst aufgestellt worden
ist, beweist der Unterschied, der zwischen
künstlerisch und schlicht gemacht wird. Künst-
lerisch und schlicht sind durchaus keine Gegen-
sätze ! Es ist ganz unmöglich darnach festzu-
stellen, ob ein Möbel künstlerisch gestaltet ist
und somit der Luxussteuer verfällt, oder ob es
als „schlicht" frei bleibt. So wie man bei diesem
Gesetz die eigentliche Fachwelt, die Künstler
nicht gefragt hat, so hat man es auch mit an-
deren gemacht. Welche großen Worte sind der
Wohnungsfürsorge und der Heimstättenbeschaf-
fung gewidmet worden! Millionen hat man auf-
gewendet. Und was ist dabei herausgekommen?
Nichts! — Warum, weil der zünftige Fachmann,
der Baukünstler mit einer Geste, als den wirt-
schaftlichen Fragen fernstehend, beiseite ge-
schoben wurde. Es ist eine Tatsache, daß in
den gesamten halbamtlichen Wohnungsfürsorge-
Gesellschaften und in den dienstlichen Ämtern
für Wohnungsfürsorge kein einziger derjenigen
Fachleute sitzt, die durch jahrelange Arbeit auf
diesem Gebiete bekannt sind. Die Klubsessel-
krankheit des Krieges ist in der Revolution zur
wütenden Seuche geworden! Der Redner trat
ein für eine feste Organisation der Künstler,
XIII. JnnI IKO. 6
\:'y\
Vo?)i dnttschoi Künsflcrlar.
140
PROFESSOR ÜEORO METZENDORF.
dann muß es ihnen selbst überlassen bleiben,
diejenigen, die iiir Vertrauen genießen, dem
Staate als Berater zu präsentieren.
Professor Lewin-Funcke sprach für die Bild-
hauer, und wies unter anderem darauf hin, wie
die französische Kunst seinerzeit die ganze In-
dustrie des Landes zum Blühen gebracht und die
Ausfuhr des Landes riesenhaft gesteigert habe.
Professor C. Langhammer wies angesichts
der nebensächlichen Behandlung, die die Künst-
ler durch den Staat erfahren, darauf hin, welch
ungeheuere Werte die Kunst z. B. in Italien
geschaffen hat, und wie der italienische Staat
davon heute noch einen gewaltigen Nutzen
ziehe. Diese Werte werden auch bei uns heute
noch tagtäglich geschaffen! Er glossierte so-
dann die lächerliche Behandlung des Künstlers
im Luxussleuergesetz, das ihn zum Kleinhändler
degradiere, von ihm verlange, daß er die viel-
leicht 30 Jahre alten Atelierbestände in einem
Steuerbuch und einem Lagerbuch registriere,
eine für jeden Künstler unmögliche Sache.
»WOHNKÜCHE EINES .A.RBEITERHA.USES <
Der Radierer Paul Herrmann jlegte die spe-
ziellen Verhältnisse in der Graphik dar.
Der Vorsitzende des vorbereitenden Aus-
schusses, Maler Architekt Willy 0, Dreßler,
verlas sodann eine Resolution, in welcher die
bildendenKünstler Einflußnahme auf die Gesetz-
gebung , so weit sie sich mit der bildenden
Kunst beschäftigt, verlangen und gegen die seit-
herige Hintenansetzung und Entrechtung pro-
testieren HERMANN WIDMER.
Ä
Das Handwerk, das gelehrt wird, muß tech-
nisch gediegen gelehrt werden. Alles Halbe
ist widerwärtig und trostlos, und wenn man vom
Handwerk redet, darf man nicht wieder nur ein
neues billiges Schlagwort in die Massen werfen
wollen. Nicht der Lehrer ist der rechte, der
der Jugend zum Maule redet, sondern der ihr
auch bittere Pillen verordnet, der ihr durch den
Ernst einer handwerklichen Ausbildung das Ver-
antwortungsgefühl einprägt, das zur Ausübung
jedes Berufs durchaus notwendig ist. ii. puelzig.
EINFAMILIEN-DOPPELHAUS. WINKELSTRASSE • MARGARETHEN-HÖHE.
lüitinoiis1d)t
-: ! t I f.
Vorstehende Abbildungen sind einem soeben im Verlag von Alexander Koch erschienenen neuen Werk von Prof. Georg
Metzendorf »Kleinwohnungs-Bauten und Siedlungen« (etwa 200 Illustrationen und Grundrisse) entnommen.
\^^
VASEN
IN BLAU,
SCHWARZ
U. WEISS.
MAX LAUGKK KARLSRUHE (BADEN)
.MAX I.AUGER— KARLSRUHK.
»SCHALE IN BLAU U. WELSS«
NEUE LÄUGER-KERAMIK.
VON PROFESSOR DR. A. E. BKLNCKMANN ROSTOCK.
Man kennt den Karlsruher Hochschulprofes-
sor Max Läuger, seit er den Mut hatte,
in Kandern - Südbaden eine Bauerngeschirr-
werkstätte zu übernehmen und deren Erzeug-
nisse unter Vervollkommnung der alten Technik
auf eine künstlerisch hohe Stufe zu heben. Man
findet den Läugerlopf in jedem Kunstgewerbe-
geschäft, dekorative Läugerkeramik als Belag
von Wänden oder Architekturgliedern ist bis
nach Holland und der Schweiz gedrungen.
Die bevorzugte Technik war der Auftrag ge-
färbter Tonschlickermassen auf die Wandungen
des Gefäßes oder der Fliese, sodaß in sehr
kräftigen Farben die dekorative Zeichnung als
leichtes Relief entstand. Bleiglasuren steigerten
dann die Farben zu höchster Leuchtkraft, wäh-
rend durch das leichte Relief die Lichtreflexe
nicht hart auf der Oberfläche stehen blieben,
sondern sich gewissermaßen zersetzten , auf-
lösten und irrationale Spiegelungen formten.
Bei diesen hohen Leistungen, die einen nach-
haltigen Einfluß auch auf andere keramische
Werkstätten ausgeübt haben, ist Läuger nicht
stehen geblieben. Keramisches Arbeiten, so-
lange es nicht in der Art der fabrikmäßig pro-
duzierenden Manufakturen geschieht, erlaubt
beim Tonbereiten, Farbenmischen, Brennen so-
viel persönliches Eingreifen und läßt dem per-
sönlichen Entschluß soviel Freiheit, damit stets
neue und teilweise rätselhaft überraschende
Resultate erzielend , daß der Keramiker von
selbst zum Experimentator wird. Die klugen
Untersuchungen v. Falkes über Rheinische
Keramik lassen immer wieder durchscheinen,
wieviel experimentelle Liebe die Entwicklungs-
geschichte umfaßt; die von Anatole France
herausgegebenen Memoiren Bernard Palissy's
(1510 — 90), die ich allen modernen Keramikern
als Brevier empfehlen möchte, zeigen, mit wel-
cher Inbrunst dieser große Hugenotte sich der
Alchemie keramischer Probleme hingab , wie
denn auch innerlichste Zusammenhänge bloß-
gelegt werden, wenn umgekehrt ein Alchemist
und Goldsucher Entdecker und Erfinder des
Porzellans wird. Und so hat es auch Läuger
in diesem keramischer Tätigkeit innewohnenden
Zwang zum Experimentieren getrieben , nicht
bei den erreichten schönen Resultaten stehen
zu bleiben, sondern die Techniken seines Mate-
rials zu verfeinern, sie schmiegsam seinen höch-
sten Ansprüchen zu machen.
In langen und stillen Versuchen, in stets
neuem Wiederholen nicht gelungener Experi-
mente, im Kampf mit durch Brand veränderten
Farben und den Eigenwilligkeiten der schmel-
zenden Glasur hat Läuger diesen Ausbau der
Technik betrieben und er darf jetzt mit den
neuen Ergebnissen hervortreten.
145
Uli. Juni I<no. 7
Neue Läuger-Keramih.
H6
VASK,
GRÜN, BI.Ar
U. SCHWARZ.
M-\X LÄUGER- KARLSRUHE (HAUEN).
MAX I.ÄUGER— K.\RT,SRX"HE (B.\IjEN)
Nach zwei Richtungen gingen
die Versuche: 1. die Einfarbig-
keit des Schlickers aufzulösen
in eine größere Nuancenskala
und über die groben und un-
schmiegsamen Farbentöne hin-
auszukommen, mit denen heute
die Keramik arbeitet — im Ge-
gensatz etwa zu den märchen-
haften Erzeugnissen altpersi-
scher Werkstätten — , ohne in
die der Staffeleimalerei gleichen
Abstufungen der Porzellanma-
lerei zu verfallen, die Farbtech-
nik also nicht unabhängig von
den übrigen Techniken zu ma-
chen; 2. die Glasur nicht mehr
lackartig als Überzug wirken zu
lassen, sondern ihr in ihrer
Schönheit Eigenexistenz zu ge-
ben und sie zu einem Medium
zu machen, in dem die Farben
zu verändertem Dasein empor-
blühen, — Daraufhin sind also
die neuen Erzeugnisse Läugers
zunächst anzusehen. Länger
vermeidet jetzt im Gegensatz
zu früher verschiedenartige Pri-
.Vntr Länger -Keramik.
BAUCHIGE
\ ASE, HLAU
AUF WEISS.
MAX L.\UGER— KARl^RUHE (BADEN).
märfarben und be^nii^t sich im
allßemeinen mit zwei Grund-
farben, einem Dunkelblau und
einem tiefen sanftem Grün,
die er nach langem Experi-
mentieren gefunden hat — da-
mit gewissermaßen auch in der
Keramik die Wendung von
van Gogh zu Cezanne ma-
chend. Diese Grundfarben,
mit denen sich ab und zu noch
ein Tupfer Rot und Braun ver-
bindet, werden nun in sich
abgestuft und durch dickeren
oder dünneren Auftrag nuan-
ciert, gewinnen dann aber
weitere Nuancen durch ihr
Verhältnis zum Grund. Die
Grundmasse dieserTöpfe oder
Schalen, der sogenannteScher-
ben, ist in seiner Farbe ab-
hängig von dem verwende-
ten Ton, meist ist er rötlich
hart gebrannt, seltener hell
und ins Gelbe spielend. Auf
diesem Scherben sitzt die ei-
gentliche Malschicht auf, die
ganz licht, trotzdem in ihrer
MW lAll.l.K KAKI.sKl Uli (BAlJl.N).
147
Neue Länger -Keramik.
■ am
148
M.LAUGEK-
KARLSRUHK
FLIESE, BLAU,
SCHWARZ.
UND WEISS.
Masse leicht gefärbt ist: bläulicii, firünlich, gelb-
lich. DieseMalschicht ist an verschiedenen Stel-
len absichtlich teils dünner, teils dicker aufge-
legt, deckt also teils den Scherben, läßt ihn teils
durchscheinen. Auf dieser differenzierten Fläche
steht also das farbige Muster, das mit seinen
Nuancen Anpassung an die Nuancen des Grun-
des sucht und in einem Farbakkord unendlich
feine Abschattierungen und Farbverbindungen
zu wecken vermag. Alles kommt darauf an,
wie die Inspiration des Künstlers im raschen
Auftrag des Ornaments diese Farbsymphonien
zu gestalten weiß, denn die vielen Nuancen er-
möglichen unzählige und stets neue Kombina-
tionen, Es leuchtet ein, daß ein solches Arbeiten
nie mehr fabrikmäßig sein kann, daß jedes Stück
ein Einzelstück sein muß, große Anforderungen
an das lebendige, schnelle Improvisieren des
Künstlers stellt. Schon damit werden diese
neuen Läuger-Keramiken Unica und geschlos-
sene Kunstwerke , jedes in seinem eigentüm-
Hchen Leben immer erneute Manifestationen
der Schöpferkraft gebend, entsprechend aber
auch im Preis zu bewerten.
Doch dies alles ist nur Einleitung zu dem
großen entscheidenden Prozeß der Glasierung.
War diese früher nur ein Leuchtendmachen der
Farben, gewissermaßen die Politur des Werk-
stücks, so bekommt sie jetzt eigene Aufgaben,
die sie unter Rücksichtnahme auf die FcU"b-
gebung erfüllt. Schon jetzt, noch vor dem Pro-
zeß der Glasierung, weist die neue Läuger-
Keramik einen farbigen Reichtum auf, der wie
ein Cezannebild dem kultivierten Auge immer
neue Entdeckungen bietet. Und nun erscheint
eine Glasur , die von dickem durchsichtigen
Schmelz bis zu den zartesten opaken, das heißt
mattdurchsichtigen Überzügen verrinnt, die an
einzelnen Stellen sich sammelt und das Licht
aussprüht, an anderen Stellen wieder die samtene
Tiefe der Farben wirken läßt. Diese Glasuren
selbst sind zum Teil ganz zart in der Masse ge-
färbt, sodaß eine weitere Nuancenskala ent-
steht, die mit den Möglichkeiten des Grundes
und des Farbenäuftrags verbunden neue Farben-
reize aufzaubert, wie sie von moderner Keramik
tatsächlich noch nicht erreicht ist. Auch feine
Glasursprünge, das sogenannte Craquele, stel-
len sich ein, die der Oberfläche jenes bewun-
derte rissige Flimmern verleihen, das besonders
japanische Keramiken auszeichnet. Unwillkür-
lich stellt sich der Vergleich mit altpersischen
Fliesen und keramischer Ware ein, die ja auch
in ähnlich liebevoller Einzelbehandlung ent-
standen sind und die heut auf internationalen
Auktionen Phantasiepreise erzielen. Läuger
würde am allerwenigsten leugnen, daß er durch
solche Eindrücke zum Schaffen ermuntert wurde
— doch kann es sich bei einem Läuger auch
nicht entfernt um Nachahmung und Anempfin-
dung handeln. Die Technik ist ein zu empfind-
sames Werkzeug geworden, als daß sie nicht
jeder Regung des Individuell - Künstlerischen
nachfolgen müßte.
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MAX l.AUGER KARLSRUHE.
KUESE; blau, (JKÜ.N fMl SCHWARZ.
Neue Länger -Keramik.
150
Läu)!cr, der den eiiSenartij^en in unserer Zeit
seltenen Typ des Künstlers bildet, in dem sich
die scheue Weichheit des Alemannen' mit einem
im Grunde überaus hartnäckigen, oft vielleicht
sojjar eigensinnigen aber trotz allem Phantasie-
vollen höchst zielsicheren Instinkt verbindet,
der mit Billing die prominenteste PersönUcli-
keit der Architektur-Abteilung der Karlsruher
Hochschule ist, hat sich hier ein Instrument ge-
schaffen, das von zartesten Empfindungen bis
geradezu orgiastischem Rausch sich steigern
kann. Man weiß, daß Japaner und Chinesen
ihre keramischen Kostbarkeiten in köstlichen
Seidenfutteralen aufbewahren und diese Stücke
nur gelegentlich hoher Festlichkeiten herum-
reichen als besonderen Gang des Festessens,
als Augenschmaus. Auch die neue Läuger-
Keramik verlangt, daß man ihr Stunden ruhiger
Betrachtung widmet, daß man sie unter abwech-
selnde Lichtverhältnisse rückt, auf farbige Tü-
cher und Seidenstoffe stellt, Akkorde mit Scha-
len und Gefäßen aufbaut. Fließen vertreten hier
gerahmt die Stelle köstlicher kleiner Miniaturen.
Die Form der keramischen Waren hat sich
verschiedentlich bis zur Sonderexistenz ent-
wickelt — zu anderen Zeiten will die Form nur
Möglichkeiten für Zeichnung, Farbe und Glasur
bieten. Absichtlich wählt Länger ganz einfache
Formen : die Schale flach und tief, im Profil eine
gleichmäßige Kurve zeichnend oder mit beson-
derem Fuß, den kugligen Kopf, der sich oben
zusammenstaucht oder vasenartig sich hoch-
zieht. Formen möglichst, die gut in der Hand
liegen, wie denn auch die Gefäße meist in einer
Größe sich halten, daß die Hand sie leicht zu
fassen vermag. Immer gilt es, Flächen zu ge-
winnen für das Spiel der Farben und Glasuren,
das Auge nicht durch Kompliziertheit der For-
men abzulenken oder aufzuhalten. Ich könnte
mir zwar denken, daß auch Länger noch einen
weiteren Schritt täte und neben Grund, Farbe
und Glasur die Nuancenreihe der Formen weiter
ausbildete — vielleicht gibt es aber für das
moderne Auge eine Reizgrenze, über die hinaus
Komplizierung Verwirrung scheint. Bereits die
jetzigen Arbeiten stellen an das Vermögen des
künstlerisch sehenden Auges außerordentliche
Anforderungen, um allen Feinheiten nachzu-
kommen — wobei es denn andererseits eine
Beruhigung ist, daß diese Meisterwerke nur
noch von einem erzogenen Auge und einem
entwickelten künstlerischen Verständnis aufge-
nommen werden können und von selbst eine
schieberhafte Luxusgesellschaft ausschließen.
Experiment, aber immer durchschlagend in sei-
nem kritischen Erfolg, ist es, einem größeren
Kreis diese Keramik vorzuführen: die einen
sehen Wunder, die anderen Steingut — und so
mögen denn die einen mit uns in den Tempeln
der Kunst weilen, die anderen draußen bleiben.
Jetzt ein Letztes, AUerpersönlichstes : das
Ornament. Seine Wahl bedingt Größe und
Krümmung des Gefäßes — die einfache Fhese
weist ja viel einfacher nur das Quadrat — , an-
dererseits macht das Ornament das Gefäß lei:ht
oder schwer, behäbig ruhend oder munter auf-
steigend. Innenfläche und Außenfläche haben
andere Spannungen und Tektoniken. Auch die
Farbe bedingt das Ornament, die saftige ein
anderes wie das herbe, wie andererseits das
Ornament die Farben graziös in zärtlicher Ran-
kung, pastos und wuchtig in breiten Flächen
vorstellt, oder auch Lyrisches und Episches zu-
sammenstimmt. Endlich bedingt die Glasur noch
die Wahl des Ornaments, die feine Striche auf-
löst oder verschleiert, die große Flecken sprengt,
da nun Lichttupfer auf der Wandung aufleuch-
ten, die allzugroße Formenrhythmik zerreißen.
Man merkt bewundernd, wie das Ornament als
letzter Schluß sehr vieler Kombinationen ent-
steht und wie es immer wieder neu erfunden
sein will, da die Wechselfälle zwischen Scherben
und Form, Farbe und Glasur unendhche sind.
Man merkt auch nach und nach, wie hier für
jedes Gefäß die Peripetie steht und die Prüfung
auf Erlebnis und Sieg des Künstlers. Läuger
wählt im Gegensatz zu früher nicht mehr das
gegenständliche Ornament — wiesen wir vorher
auf Cezanne, so berührt sich diese Gegenstands-
losigkeit mit jüngster Malerei — , er sucht das
Rhythmisch-Lineare. Es entsteht ein gleitend-
phantastisches Spielen einerRankenornamentik,
die an Vegetabilisches anklingt, an Algen und
weiche Kiefernbüschel, die heraldische Tier-
formen sucht und immer wieder die linear-sym-
bolische Schmiegsamkeit des nackten Frauen-
körpers in seiner mädchenhaften Schlankheit
verlangt. Kaum Andeutung von Tiefe, nur so,
als ob unter Schleiern ein anderer Grund zu
ahnen ist, ein Grund, den nicht Zeichnung son-
dern nur Farbe und Glasur geben. Höchste
Besonnenheit, wie sich dies Ornament zu den
Spannungs- und Dehnungsfunktionen des Ge-
fäßes einpendelt, wie Ränder sich schließen,
Bauchungen sich weiten , Schwerpunkt und
Sammelstelle sich festigen, und — das ist letztes
Kriterium — alle bisherigen Symphonien be-
gleitet oder kontrapunktiert werden.
Tatsächlich, was Du in der Hand halst, ist
ein schaubarer Akkord. Dieser klanglose Scher-
ben ist Träger geistiger Regsamkeiten eines un-
gewöhnlich fein empfindenden künstlerischen
Instinkts. Ist ein Gipfelpunkt neuzeitlischer
Keramik a. e. b.
MAX LÄUGER. »SCHALE, BLAU, SCHWARZ. IND WEISS.
MAX LÄUGER KARLSRUHE. .SCHALE, BLAU UNU WEISS.
^t^i^
ENTWURF VON PAUL H. HUBNER— FREIBURG I. B. MONOGRAMME.
H. PREIS IN l'NSFREM WPTTBEWERB: MONOGRAMME IND ZEICHEN«
.is>
ALFRED RETHEL. >DIE MUTTER DES KÜNSTLERSt
BtLDNIS-AUSSTELLUNG DER BERLINER AKADEMIE.
FRIEDRICH RKHKEKG.
BILDNIS PROF. C. l'H. M' iRIlZ.
ALT-BERLINER PORTRÄTS.
VON MAX OSBORN.
Mich dünkt immer, die Gestalt eines Men-
schen ist der beste Text zu allem, was
sich über ihn empfinden und sagen läßt", meint
Goethes Stella — • : es gibt keinen schöneren und
ausdrucksvolleren Kulturspiegel einer Zeit als
eine erlesene Bildnisgalerie. Und jeder großen
Porträtausstellung wird es so ergehen, daß sie
mehr als nur ein kunstgeschichtliches Doku-
ment darstellt.
So war es auch um die Frühjahrsveranstal-
tung der Berliner Akademie der Künste bestellt.
Sie sollte nach dem ursprünglichen Plan eine
umfassende Vorstellung von der deutschen Bild-
niskunst seit dem Ausgang des achtzehnten
Jahrhunderts bis an die Schwelle der Gegen-
wart geben. Da kamen die Tage des Kapp-
Putsches und der folgenden Unruhen dazwi-
schen, bei denen auch das Akademiegebäude
eine Anzahl Infanterietreffer abbekam. Die
privaten Besitzer, auf die man vor allem rech-
nete, wurden zurückhaltend. Die Versicherungs-
quoten stiegen ins Ungeheure. Die chronischen
Transportschwierigkeiten erwiesen sich als so
herrisch, daß man auf pünktliches Eintreffen aus-
155
nii Juli 1920 1
Alt-Berliner Porträts.
156
K \KI. lll.i:i III" \, /KU HNVN'G .AKIHIIKKI MAL:(H
wärtiger Stücke überhaupt nicht mehr rechnen
konnte. Und so beschränkte man sich im wesent-
hchen auf berhnisches Material. Der Kreis
war dadurch kleiner geworden, aber er hatte
auch an Einheitlichkeit und Geschlossenheit
gewonnen, und was wir nun sahen, war ein kul-
turgeschichtliches und gesellschaftsgeschicht-
liches Denkmal von so hohem Reiz, wie wir es
in dieser Form kaum jemals genossen haben.
Gewiß, nicht allein die künstlerische Arbeit
fesselte in jedem Einzelfall, sondern auch die
Menschen, die dargestellt waren. Man muß
sich das bei solchen Gelegenheiten sehr deut-
lich klar machen, um nicht zu falschen Ein-
schätzungen zu gelangen. Bei einerhistorischen
Porträtschau bezaubert manches Werk durch
die Präzision der Vergangenheitsstimmung auch
ohne besondere malerischeQualität. Allerdings:
wie angenehm war der Verkehr mit diesen ver-
sunkenen Generationen eines glücklicheren, be-
haglicheren, anspruchsloseren und geistigeren
Berlin! Das waren Leute, dieZeithatten. Leute,
die ihr Leben als ehrliche Verwalter eines gott-
gegebenen Geschenks sich entwickeln und aus-
reifen ließen. Es quoll deu-aus Genuß und Lehre
und etwas wie Trost für unsere Verworrenheit.
Und das große Einheitsgefühl, das allen Epo-
chen deutschen Lebens bis zum Beginn des
großen materiellen Aufschwungs in der zweiten
Hälfte des vorigen Jahrhunderts eigen war, ord-
nete selbst Kunstwerke geringeren Grades' in
die beruhigte Totalität einer organisch heran-
gewachsenen künstlerischen Kultur ein. Stadt
und Menschen und Kunstschöpfungen waren
von denselben festumrissenen und klar über-
blickbaren Lebensgesetzenbestimmt. Auch Ta-
lente, die nicht in der ersten Reihe marschierten ,
ja schücht handwerkliche Begabungen wurden
durch so glückliche Umstände gesegnet. . .
Der leitende Gedanke derakademischen Aus-
stellung war, aus versteckteren Quellen zu
schöpfen. Die wenig bekannte Kunstsammlung
der Akademie selbst gab den Ausgangspunkt
des ganzen Unternehmens ab undbildete seinen
Kern. Dann forschte man in anderen Staats-
instituten nach. Dann bei den Sammlern und
vor allem bei den alten Berliner Familien. Und
so gelang es mit Eifer und Glück, vor allem
durch die ausgebreitete Kenntnis von Professor
Hans Macko wsky , eine ganze Fülle von Stücken
hohen Wertes aus verborgenen Winkeln her-
vorzuziehen. Anderes, das im einzelnen den
Kennern schon vertraut war, auch früher schon
— so bei der unvergeßlichen Jahrhundertaus-
stellung von 1906 — als Entdeckung überrascht
hatte, rückte nun erst in den rechten Zusam-
menhang und erhielt neue Wirkung. — Kostbar
entfaltete sich vor allem das endende Berliner
JOHANN GOTTFRIED SCHADOW. «BILDNIS-ZEICHNUNG«
Alt-Berliner Porträts.
K. BLECHKN.
/.ElCHNfNG
l'RDI'ESSOK
V. KI.OEBKK.
Rokoko mit seinem kultivierten Geschmack,
seiner Freude an schimmernder Zierhchkeit,
seinem erwachenden ReaUsnius und seiner
bürgerlichen Solidität. Der Vater dieser Schule
war Antoine Pesne, der selbst als geborener
Franzose auf der Ausstellung fehlte, bei der
man sich auf deutsche Künstler beschränken
wollte. Das war wohl ein bißchen doktrinär;
derm Pesne war in jahrzehntelangem Aufent-
halt an der Spree ein rechter Berliner ge-
worden, und es hätten sich von seinen Ar-
beiten namentlich aus den jetzt zum National-
eigentum gewordenen Schlössern zahlreiche
wichtige Stücke herbeischaffen lassen (wie etwa,
um nur ein Beispiel zu nennen, das wundervolle
Bildnis Knobelsdorffs, des Opernhaus-Erbauers).
Doch Pesnes Schüler waren zur Stelle, und
man verfolgte deutlich, wie sich in der nord-
deutsch-preußischen Luft die feine koloristische
Zucht der Pariser Watteau-Lehre mit einem
schlichteren Naturgefühl verband. Wichtig wa-
ren damals in Berlin eine Anzahl polnischer
Künstler, die eine glänzende Tätigkeit entfalte-
ten, an ihrer Spitze G. F. R. Liszewski und
seine noch berühmtere und auch bedeutendere
Tochter Friederike Julie Liszewska. Der
Herrscher in diesen Rokokoräumen aber war
natürlich Anton Graff, der mit seiner treuen,
aus einfachem Handwerkssinn zu höchster Lei-
stung aufsteigenden Kunst die Führer des gei-
stigen Berlin konterfeite. Völlig unbekannt war
bisher Graffs Porträt von Andreas Ricm, einem
157
— 5
BUCHHORN. »JOH. GOTTFRIED SCHADOW«
UNBEKANNTER KÜNSTLER. „KOM.-RA 1 J. LIKBERMANN«
v:^
AU -Berliner Porträts.
160
merkwürdigen Manne, der, wie auf der Rück-
seite der Leinwand zu lesen ist, ein höchst
abenteuerliches Leben geführt hatte, bevor er
als Ständiger Sekretär der Akademie sehr wür-
dig endete — ein Meisterwerk in der Charak-
teristik, im malerischen Vortrag und im Hell-
dunkel desLichterspicls. Völlig unbekannt auch
das außerordentliche Bildnis von Carl Philipp
Moritz, das unter den Abbildungen dieses Heftes
auftaucht, gemalt von Friedrich Rehberg, dem
Vielgewanderten, der von 1786 an nur wenige
Jahre in Berlin wirkte — in der breiten Malerei
und der zarten Mischung kühler Werte wie der un-
befangenen Natürlichkeit der Auffassung weithin
indieZukunft deutend. Wesentlich fürdenhohen
künstlerischen Stand dieser Zeit war die Vorzüg-
lichkeit einer Anzahl von Bildern, deren Maler
vollkommen in Vergessenheit geraten sind. Wie
wenig alle diese Dinge erforscht sind, mag ein
Beispiel beleuchten. Hing da in der einstigen
Königlichen Bibliothek, jetzt Staatsbibliothek,
seit etwa hundert Jahren das Bildchen zweier
musizierender Kinder, das immer unter dem
Titel „Mozart und seine Schwester" geführt
worden war. Jetzt stellte sich heraus, daß es
sich hier um ein Kinderbild der Rahel Levin,
der berühmten späteren Rahel Varnhagen, und
ihres Bruders Markus Levin, handelt, das J. Ch.
Frisch, der wohlbekannte Direktor der Berliner
Akademie, gemalt hat! Aus dem Rokoko zum
Berhner Frühklassizismus führte dann Friedrich
Georg Weit seh hinüber, dernoch viel zu wenig
Gekannte und Geschätzte.
In der großen Zeit des Hochklassizismus aber
bewährte sich gerade im Porträt die gesunde
Berhner Art, die sich durch keine hochgespann-
ten Theorien abhalten ließ, die guten Über-
lieferungen redlicher Wirklichkeitstreue und
malerischen Wissens zu pflegen. Man machte
zwar seine offizielle Studienfahrt nach Rom,
aber man wußte, was man seinem deutschen
Handwerk schuldig war. Von Weitsch führt
über seinen Schüler J. K. H. Kr et seh mar, der
das vielbesprochene Prinz von Homburg-Bild
von 1800 malte (das Heinrich von Kleist die
entscheidende Anregung zu seinem Drama gab),
der aber als Porträtist weit Besseres leistete
denn als Historiker, eine gerade Linie zu Karl
Wilhelm Wach, der 1815 auf drei Jahre nach
Paris ging, um bei David und Gros seine Stu-
dien abzuschließen, und, heimgekehrt, in Berlin
auf die heranwachsende Generation großen Ein-
fluß gewann. Und nun sahen wir wieder, wie
gerade das Porträt sich immer mehr zu einer
Hauptdomäne der Berliner Kunst entwickelte,
hier wie überall mit seinen unbeirrbaren Wirk-
hchkeitsforderungen als Retter aus der blassen
und verblasenen Idealität des Kartonstils auf-
tretend. Auch auf diesem Gebiet thronte über
allen der alte Schadow, der auf der Ausstel-
lung als Plastiker wie als Zeichner und als Lehrer
und Anreger seine unvergleichliche Größe wie-
der entfaltete. Und sein strenger, dabei von
hoher künstlerischer Freiheit beseelter Wirk-
lichkeitssinn blieb auch lebendig, als man ro-
mantisch-nazarenisch-düsseldorferisch gestimmt
wurde, voll Schwärmerei und Sehnsucht war
und sich, fast ähnlich den Bestrebungen unserer
Gegenwart, nach den Primitiven übte. Welche
Holdheit und Liebenswürdigkeit dabei zutage
trat, mag hier als Probe das entzückende Dop-
pelporträt von Adelheid und Gabriele von Hum-
boldt aus dem Jahre 1809 erkennen lassen, das
Gottlieb Schick malte, der sich sonst in hoch-
trabenden antikisierenden und biblischen Kom-
positionen bewegte und in diesem Kinderbilde
ganz natürliche Anmut und treue Beobachtung
blieb. Die Familienbilder der Humboldts hefer-
ten auch sonst manch besonders schönes Stück
der Ausstellung. In ihrem Kreise, und nament-
hch auf ihrem Sommersitz in Tegel draußen
nördlich vor der Stadt fand der von hohen
literarischen und wissenschaftlichen Interessen
getragene Geist der Berliner Kultur jener Jahr-
zehnte eine seiner vornehmsten Pflegestätten.
Die romantische Strömung ebbte ab , und
das Biedermeiertum erhob sein Haupt, Nun
schwelgte das Berliner Bürgertum in einer von
häuslichem Behagen, bravem Wohlstand und
zielklarer Tüchtigkeit erfüllten Luft. In keiner
anderen deutschen Stadt hat die vormärzliche
Epoche eine so runde und reiche Ausbildung
erfahren. Wenn man diese Porträts der Schoppe,
Magnus, Julius Hübner, Carl Begas (des Ahn-
herrn der Begas-Dynastie) betrachtete, so fühlte
man den gesättigten Frieden der Familien , die
sich solche Dinge bestellten. Besonders charak-
teristisch dabei unser Bildnis der jungen Gattin
Hübners, einer Tochter des Bankiers Bende-
mann — „amoris sui monumentum" schrieb der
Maler auf das Bild der neunzehnjährigen Frau.
Wieder tauchen famose Unbekannte auf, wie
der, der Max Liebermanns Großvater porträ- i
tierte — er gehört in die Gegend Franz Krügers, 1
aber mit dem Meister selbst ist er nicht zu
verwechseln.
Noch zwei Beispiele zeugen^ hier von der
Macht des Porträts. Alfred Rethel, der Histo-
riker, dessen Sinn auf monumentalen Ausdruck
gestellt war, ist in dem herrlichen Bilde seiner
Mutter ein Realist von peinlicher- Gewissen-
haftigkeit; freilich, die Größe der Anschauung,
von der Rethels ganzes Wesen erfüllt war, grüßt
imponierend auch aus diesem Denkmal, das '
CARL BEGAS D. ALT. »CONSTANZA von HEINZ.
ANNA VON JAGEMANN. FRAU HENRIETTE WERTHEIMBER.
GEORG FRIEDRICH REIXHOLD LISZENSKI.
»DIE TOCHTER DES KÜNSTLERS»
IM. Juli 1920. 2
JULIUS HÜBNER. .GATTIN DES KÜNSTLERS«
der Sohn seiner Mutter setzte. Und Karl
Blechen, der Lichtpoet der vormenzelschen
Zeit, verblüfft durch die fabelhaften Porträt-
zeichnungen aus dem Kreise des alten (1814
von Schadow gegründeten) Berliner Künstler-
vereins, die bisher völlig unbekannt geblieben
waren. Ganz schnell hingesetzte Spiegelungen;
dabei wundervoll eigenwillig und persönlich,
von jedem Objekt zu anderer Zeichenmelhode
angeregt, durchaus modern in der Führung der
Kreide, alle Konventionen der Zeit sprengend.
Freilich, als nun die Stadt reicher wurde, als
Preußen emporstieg, die Gründung des Kaiser-
staats sich vorbereitete und vollzog, war es mit
der Sicherheit des künstlerischen Schaffens aus.
Geradezu erschreckend hat das die Berliner
Ausstellung wieder bestätigt. Es kommt wohl
hier und dort zu bedeutenden Hinzelleistungen,
aber es fehlt die große Bindung, der Zusammen-
halt. Jene Totalität der Welt- und Lebensan-
schauung war verloren — die Kunst als Mensch-
heitsbaronieter zeigte das an. Vorbei war es
mit der Blüte der Berliner Porträtmalerei. Denn
vorbei war es mit den wurzelechten berlinischen
Menschen als einer Klasse und Rasse , wie sie
Theodor Fontane einmal charakterisiert hatte;
„Die Seele griechisch, der Geist altenfritzisch,
der Charakter märkisch" m.h.
SYNTHESE.
Der Kunstfreund, der in der Kunst die Schön-
heitswerte liebt — verschieden vom Samm-
ler, dem es mehr auf den Namen, auf die Be-
rühmtheit ankommt — steht oft mit aufrich-
tigem Bedauern neben den sich ablösenden
Bewegungen, die mehr in programmatischen
Neuerungen sich kundtun, als in abschließenden,
reifen Werken. Fr vermißt die klassische Lö-
sung, das große, ausschöpfende, starke Werk
und er sucht es in den Ausstellungen fast immer
vergebens. Schon der Impressionismus hat ver-
schwindend wenige in seiner Art klassische
Bilder hervorgebracht, und das „große" Bild
hätte ja auch seiner Absicht, die eine Wieder-
gabe des flüchtigen, optischen Eindruckes er-
strebte, ganz und gar nicht entsprochen. Die
Standardwerke von Manet sind ebenso kompo-
niert wie die von Liebermann. Der Impressio-
nismus ist rein immer nur in der Skizze zum Aus-
druck gekommen. Und wie wurde gerade über
dieses Skizzenhafte vom Kunstfreund geklagt.
Heute ist das Bestreben der jungen Maler
eigentlich ja auf das Bildmäßige gerichtet. Sie
komponieren, konstruieren. Aber wieder suchen
wir das durchgearbeitete, reife „fertige" Bild
vergebens. Wir sehen Liniengerüste ohne Kleid,
Gedanken ohne Verkörperung. Der Kunst-
freund stößt sich an den Verzerrungen wie
früher an den Flüchtigkeiten. Er hält, wenn
er guten Willens ist und den Künstlern gerecht
werden will, mit seiner Entrüstung und Ent-
täuschung zurück, aber im Innern haben ästhe-
tisch gestimmte Menschen dieser Art doch alle
ein Empfinden und eine Hoffnung, es müßte
möglich sein, auch in der neuen Weise volle,
reife, restlos erfreuliche Werke zu schaffen.
Werke, die auch das reiz- und schönlieitshungrige
Auge befriedigen, die mehr sind als Sensation.
— Aber diese Hoffnung wird ebenfalls vergeb-
lich sein. Um das Konstruktive des Bildes, um
den Ausdruck rein herauszuarbeiten , haben
unsere Maler auf alle anderen Zutaten und
Ausschmückungen verzichten müssen. Luft-
stimmungen gibt es nicht mehr, die Sonne hat,
außer als Ornament, ausgespielt. Wer kennt
noch die feineren Schwebungen, die Valeurs
der Farben? Soll das alles abgetan und ver-
gessen sein, ebenso wie die Fähigkeit, auf der
Haut die unendliche Vielfälligkeit der Lichter
und Töne aufzuspüren? Die neuen Ziele for-
dern Verzicht auf alle Blumen, die abseits
vom geraden Wege blühen.
Aber, so fragt der Kunstfreund, sollen wir
uns nun wieder mit ungefähren Lösungen ein-
seitiger Problemstellungen begnügen, um dann
rasch zu neuen, noch einseitigeren Aufgaben
weiterzugehen? Kann es nicht einmal ver-
sucht werden, etwa im Porträt, geistigen Aus-
druck, reine Farbigkeit und Lichtstimmung des
Milieus zu einer frohen Synthese zu vereinen?
Ich wage kaum, diese Verbindung von Dingen
niederzuschreiben, die als unversöhnlicheGegen-
sätze gelten. Und doch ! Der naive Kunst-
freund hegt nun mal diese Sehnsucht nach der
großen Synthese im Herzen, still, furchtsam —
auch in der Kunst herrscht manchmal Terror —
er kann sich das Bild dieser Synthese nicht
vorstellen, aber er erwartet es mit beschei-
dener Hartnäckigkeit.
Die Aussicht auf Erfüllung ist nicht groß.
Denn der Ablauf des Kunstgeschehens stellt in
unseren Tagen eine Folge kurzer Perioden
höchster Einseitigkeit dar. DieKunsl wird inEin-
zelprobleme aufgelöst. Was nicht in diesen engen
Bezirk paßt, gilt überhaupt als kunstfeindlich.
Nichts liegt unserm Kunstbetrieb ferner als
Synthese. Der Kunstfreund wird noch lange
warten müssen anton j m'm \\\.
165
GOTTLIEB SCHICK. »ADELHEID u. GABRIELE von HUMBOLDT«
u
WILHELM KOHLHOFF. .BILDNIS EINES MÄDCHENS.
WILHELM KOHLHOFF.
VON JOACHIM KIRCHNER.
Dem Wanderer durch die Provinzen der mo-
dernen Kunst wird der Wej« heutzulajie
keineswegs leicht gemacht. Aus den leben-
sprühenden, sinnenfreudigen Gefilden des Im-
pressionismus tritt er plötzlich in eine entniate-
rialisierte, vergeistigte Welt ein — sichtlich arm
an dem, was man von dem liebenswürdigen
Reiz des Lebens bisher in der Kunst mit prik-
kelndem Behagen zu genießen pflegte, doch
reich an inneren Klängen, die zu einer lunkehr,
einer Läuterung, zu einer Selbstbesinnung auf
den geistig religiösen Gehalt der Kunst einladen.
In diesem Sinne darf man sich der neuen Be-
wegung in der Kunst freuen. Allein, jede Re-
aktion, mag sie sachlich noch so berechtigt er-
scheinen, büßt einen Teil ihrer Bedeutung ein,
wenn sie über das Ziel hinausgeht, und sie wirkt
unsympathisch, wenn sie mit marktschreieri-
scher Propaganda zu sinnlosen Extremen ge-
führt und damit zu Tode gehetzt wird. Was
wenige starke Talente mit richtigem Impuls ur-
sprünglich, aus innerer Notwendigkeit imagi-
nierten, wird durch skrupellose Nachahmung
und Übertreibung zahlloser und zügelloser Mit-
läufer diskreditiert, und was anfangs so leuch-
tend anhub, erscheint mit einem Male zur Mode-
angelegenheit degradiert. Nicht ohne Sorge
sieht man die moderne Kunst diesen Weg neh-
men. Verheißungsvoll waren die Anfänge; der
Expressionismus der Jungen ließ Großes er-
warten. Doch nur zu schnell wurde von be-
henden Reklamemachern die Idee zum Geschäft
ausgebeutet, und wenn das relativ gemäßigte
Furioso der Ausstellungen des ersten Revolu-
tionsjahres auf den diesjährigen Ausstellungen
nur noch in Fortissimoklängen erschallt, so muß
das den überzeugtesten Parteigänger der jungen
Kunst bedenklich stimmen.
Es ist ein Unding, daß wir uns immer weiter
nur in Ekstasen bewegen sollen. In der Natur
alles Ekstatischen liegt es beschlossen, daß sie
sich in Übertreibungen ergeht, und gewiß gibt es
Momente in einem Künstlerleben, wo sich die
Sehnsucht in zügellosen Verkrampfungen aus-
spricht. Allein das Maßlose darf nicht einen
stationären Charakter annehmen, darf nicht das
einzige Ziel einer ganzen Generation werden.
Es gibt Zwischenstufen des ekstatischen Aus-
drucks, die künstlerisch haltbar und wertvoll
sind, aber doch sicherlich nur dann, wenn ein
Selbstzucht übender starker Wille dahintersteht.
Die Atmosphäre der Großstadt erweist sich
für den Künstler immer als besonders gefähr-
lich; beneidenswert ist der Glückliche, der fern
von allem Kunstbetriebe in der Einsamkeit ganz
seinen Piiantasien nachgehen kann, und der auf
der Basis eines gut fundierten handwerks-
mäßigen Könnens dort seine Visionen auf die
Leinwand bringt. Er lebt abgeschieden von der
geräuschvollen Welt und fragt wenig danach,
wer seine Bilder einmal kauft. Ungern drängt
er sich mit seinen Schöpfungen an die Öffent-
lichkeit, aber wenn er einmal seine Werke zu
einer Ausstellung vereinigt, dann wird es klar,
wie sehr sich seine Einsamkeit belohnt, und
wie sehr er mit dieser selbstgewählten Askese
sich und seine Kunst gefördert hat. Ein Künstlcr-
typus dieser Art tritt uns in Wilhelm Kohl-
hoff entgegen. Kohlhoff, ein geborener Ber-
liner, zog sich vor zwei Jahren aus der Groß-
stadt zurück und lebt seitdem in Heidelberg.
Über seine außerordentliche Begabung bestand
wohl nie ein Zweifel ; vor seinen Bildern, die
er auf den Ausstellungen der Berliner Sezession
zeigte, hatte man stets das Gefühl, einem eigen-
willigen, starken Temperament gegenüber zu
stehen. Seine Kunst hatte von Anfang an etwas
merkwürdig Transzendentes, Erdenfernes. Nicht
als ob Kohlhoff sich gewaltsam von dem Ob-
jekte löste, und mit willkürlichen Stilisierungen
experimentierte, vielmehr war er bemüht, die
in der Natur gegebenen Formen nach Möglich-
keit zu wahren. Aber er erfüllte sie mit einer
visionären Kraft, mit dem Überfluß einer reichen
Phantasie, er steigerte sie durch rhythmische
Akzentuierungen und breitete durch Anwen-
dung dunkler Farbentöne, die durch ein visionär
empfundenes Weiß aufgehellt waren, über jedes
seiner Bilder eine somnambule, fast könnte man
sagen, spiritistische Stinunung aus. Man hat
zuweilen das Empfinden, als ob ihn Grünewald
und Greco beeinflußt hätten. Allein diese Be-
ziehungen sind doch wohl nur zufälliger oder
mindestens sehr oberflächlicher Art, denn Kohl-
hoff hat nie ein Grünewaldsches oder Greco-
sches Original gesehen. Wesentlicher scheint
die Lektüre Dostojewskis auf sein Schaffen ein-
gewirkt zu haben, durch die ihm, wie er selbst
versichert, die stärksten Anregungen gegeben
wurden. Dieser Hinweis ist für das Verständnis
des Malers bedeutungsvoll genug. Wo der
russische Dichter die ekstatisch-visionären und
169
Wilhelm Kohlhofr.
170
dämonischen Seiten der Menschenseele analy-
siert, wo er ihre verworrenen Fäden und grund-
losen Tiefen behandelt und in das weite Reich
des Unbewußten und Rätsclliaften untertaucht,
da hat er am nachhaltijisten an die innersten
Seiten von Kohlhoffs Künstlertum gerührt. Mit
einem unvergleichlichen Einfühlungsvermögen
hat sich hier der Maler in das Wesen des Dich-
ters gefunden ; an seiner bis ans Übersinnliche
streifenden Phantasie erkannte er den Grund-
zug seines eigenen Wesens wieder. . . .
Mag ein gutes Stück phantastischer Schwär-
merei die Eigenart dieses merkwürdigen Malers
ausmachen — niemals verliert sie sich ins Spie-
lerische, nirgends tritt sie zügellos in Erschei-
nung. Es ist anzuerkennen, daß Kohlhoff an
einer immer stärkeren Betonung des linearen
Elementes und an einer immer klareren Behand-
lung der Fläche arbeitete. Eine Kollektivaus-
stellung seiner Werke, die er im März und April
erstmalig in Berlin, bei Fritz Gurlitt, veranstal-
tete, legt von dem Ernste, mit dem er an der
technischen Vervollkommnung seiner Bilder ar-
beitet, Zeugnis ab. Während die frühen Bilder
noch nach Ausdrucksmöglichkeiten tasten, ver-
hältnismäßig wenig farbig sind und in der Be-
handlung von Form und Fläche bisweilen etwas
Übernervöses und Ungeklärtes an sich haben,
sind solche Mängel in den Bildern der letzten
Jahre nicht mehr anzutreffen. Es ist, als ob
dieses überreiche Künstlertemperament über
der Fülle seiner Visionen anfangs das Maß für
die Formen vergaß, in das er seine Phantasien
zu bannen hätte, und als ob es erst ruhigeren
Stunden in ländlicher Abgeschiedenheit vorbe-
halten sein sollte, zwischen den stürmischen
Wallungen der Phantasie und ihrer bildmäßigen
Wiedergabe einen Ausgleich zu schaffen.
Kohlhoffs Kunst beschränkt sich nicht auf ein
bestimmtes Fach — die figürliche Komposition
und das Porträt mag seinem Kunstgefühl die
bedeutsamsten Probleme stellen und die Be-
sonderheit seiner Begabung am augenschein-
lichsten hervortreten lassen, indes auch aus den
Landschaften und Stilleben spricht ein über-
ragendes Künstlernaturell, das mit einer aus
dem Innern strömenden, schöpferischen Gestal-
tungsgabe alles Gegenständliche in seine welt-
ferne verklärte Sphäre erhebt. Und so sehr
sich der Maler hier kompositioneile Freiheiten
erlaubt, wie sie einem Dichter in Farben zu-
kommen, so verliert er doch nie den Zusam-
menhang mit der Materie. Luft, Licht, Berge,
Wasser und Wolken, jedes einzelne dieser Ele-
mente atmet die Eigentümlichkeit seines Stoffes
und kommt in reinen transparenten Farben zum
KHngen. Dabei lebt alles ein traumverklärtes
Dasein, gerade als ob der Maler den ganzen
Zauber der Gotteswelt in eine romantische
Märchenatmosphäre übertragen hätte. Ein glei-
ches Empfinden stellt sich vor seinen Blumen-
stilleben ein. In diesen Blumen, durch ein fahles
Weiß aufgehellt, geistert eine seltsame, über-
sinnliche Lebenskraft : wir suchen sie nicht in
einem deutschen Garten, wohl könnten sie in
einem fremden Zauberreich gewachsen sein.
Die merkwürdigsten Überraschungen bietet
Kohlhoff als Bildnismaler. Mit einer schlecht-
hin erstaunlichen Sachlichkeit steht er seinem
Modell gegenüber: keine anatomischen Gewalt-
tätigkeiten, keine bizarren Verrenkungen, und
doch bei aller porträtistischen Lebensfülle welch
ungeheuere Kraft der Beseelung und Vergei-
stigung des Ausdrucks! Es sind nicht bloß die
Einzelheiten , die Bewunderung hervorrufen,
etwa die feine Modellierung von Kopf und
Händen, oder die Behandlung innerer Gewand-
flächen, die nicht irgendwie pauschal erledigt,
sondern wirklich gemalt sind — es ist vielmehr
die Intensität des psychischen Elementes, das
Kohlhoff restlos aus seinem Modell herausholt,
und das sich mit straff gebundener Einheitlich-
keit der Gesamterscheinung der von ihm dar-
gestellten Personen mitteilt. Der äußere und
innere Habitus dieser Menschen macht durch
den Gestaltungswillen des Künstlers den Ruck
ins Geistige mit. Beachtenswert erscheinen
auch die Farben, durch die jene eindringhch
expressive Note in den Porträts wesentlich ge-
stützt wird. Auf grauer Untermalung entwickelt
Kohlhoff warme Farbentöne, deren Skala sich
von Dunkelkrapplack bis zum lichten Ocker er-
streckt. Er bricht mit Preußischblau und spannt
den Eindruck nach der Seite des Visionären
durch Verwendung von aufgesetztem Kremser-
weiß. Diese Farbenskala, bei der grüne Töne
fast ganz ausgeschaltet sind, wiederholt sich in
seinen figürlichen Kompositionen, in denen Kohl-
hoff mit dem ihm eigentümlichen nachdenklichen
Ernste den Irrungen und Erregungen des See-
lenlebens nachgeht. Schon die Titel dieser Bil-
der (z. B. „Verzückung", „Verzweiflung", „Ver-
führung") kennzeichnen die geistige Zone, in der
seine Phantasie sich heimisch fühlt. In diesen
Werken ist nichts Literarisches, nichts verstan-
desgemäß Konzipiertes anzutreffen , alles ist
stark gefühlt, erlebt, die dämonischen Abgrün-
digkeiten menschlichen Seelenlebens sind ma-
lerisch auf eine letzte sprechende Formel ge-
bracht. Irren wir nicht, so spürt man in diesen
Bildern bisweilen den Hauch einer religiösen
Mystik, womit Kohlhoffs Kunst sich den Ten-
denzen der zu neuem Leben erweckten religiösen
Malerei unserer Zeit anschließt j. k.
WILHELM KOHLHOI-F. »FLUSS-LANDSCHAFT.
BESITZER: 1-R1T7. GVRLirr liF.RUN.
WILHELM KOHLHOFK. »BLUMEN-STILLEBEN«
BESITZER: JÜSTIZRAT LIPMAN-WULF— BERLIN.
WILHELM KOHLHOFF. BILDNIS i'RiVATUF.snz.
XXIII. Juli 1920. 3
WILHELM KOHLHOFF. »FRAUENBILDNIS.
GESCHMACKS- UND WERTURTEILE.
GRrM)SÄrZLRHI-S /.VR KUNSTKRITIK,
Zur Beurteilung von Kunstwerken sind zwei
Gesichtspunkte wesentlich : DerGeschmack
desUrteilenden und das Nacherleben des Kunst-
werkes im Geiste des Urteilenden. Für das
erstere zivilisatorische Moment ist der Bil-
dungsgrad des Kritikers maßgebend, für das
zweite, kulturelle, die Intensität seiner Erleb-
niskraft. Es ist festzustellen, daß in Zeiten, wo
das zivilisatorische Moment ausschlaggebend
war, das kulturelle zurückgedrängt wurde, d.h.
die Kritik, deren Urteil vom Zeitgeschmack
gestempelt wird, besitzt nicht Freiheit genug,
um künstlerische Erlebnisse in ihrer ganzen
Größe restlos in sich aufzunehmen und zu
bewerten. Sie wird sich darauf beschränken
müssen, die technischen Grundelemente eines
Kunstwerkes auf analytischem Wege (d. h, durch
Zersetzung des Ganzen in seine Bestandteile)
zu finden. Die Schale erscheint ihr wesent-
licher als der Kern, und sie wird, wenn es
sich darum handelt, zu einem impressionisti-
schen und zugleich zu einem expressionistischen
Bilde Stellung zu nehmen, eines von beiden ab-
lehnen müssen, weil sie das Stilistische dog-
matisch (d. h. nur von sich aus) beurteilt. Eine
solche Kritik vermag letzthin nur subjektive
Urteile hervorzubringen.
Der wahre Kritiker sieht im Kunstwerk et-
was objektiv Gegebenes; für ihn ist es das na-
tumotwendige Produkt der geistigen Totalität.
Bei dieser Auffassung erweist sich der Ge-
schmack als ein trügerischer Wertmesser. Es
kommt vielmehr darauf an, den künstlerischen
Instinkt reagieren zu lassen. Dies kann positiv
oder negativ geschehen, insofern nämlich, als
sich der Betrachter des Kunstwerks durch das-
selbe angezogen oder abgestoßen fühlt. In bei-
den Fällen kommt ein Erlebnis zustande, denn
der Geist seines Schauens ist demütig. Je nach
der Stärke der Reaktion ist ein Kunstwerk
höher oder niedriger zu bewerten.
Der Kritiker muß also, will er der Wahrheit
die Ehre geben, anerkennen, daß ein Bild, wel-
ches seinem Geschmack widerspricht — ihm
also schlecht erscheint — , welches hingegen
seinen Instinkt zu fassen vermag, dennoch ent-
schieden künstlerisch ist. Sein Urteil lautet
deshalb nie schön oder schlecht (angenehm oder
unangenehm), sondern nur stark oder schwach,
künstlerisch oder unkünstlerisch. Objektive
Kritik steht jenseits von Gut und Böse. Eine
Geschmackswerlung wie „schön", „erhaben",
„geschmackvoll" rülirt aus der harmonischen
Weltanschauung des Griechentums her und ist
voreingenommen. Wahrhafte Kritik aber darf
sich nie nur einer Weltanschauung verpflich-
ten, ebensowenig auf eine vom Standpunkt des
Geschmacks vielleicht verständliche Vorliebe für
einen bestimmten Stil sich gründen , sondern
muß allumfassend und großzügig sein, überall
die geistigen Faktoren ausschlaggebend sein
lassen. Es kann sich beim Urteil auch kaum
darum handeln, den tatsächlichen Wert eines
Kunstwerks festzustellen. Dieses richtet sich
in Wcilirheit selbst : nämlich im Kampf der
schöpferischen Geisteswerte , aus dem (dem
Gesetz der geistigen Zuchtwahl zufolge) nur
das Starke siegreich hervorgeht.
Damit ist die Beschränkung alles kritischen
Erkennens scharf gekennzeichnet. Überhaupt
hat die Kritik im künstlerischen Leben keines-
wegs die Bedeutung, die ihr gemeinhin beige-
messen wird, und sie verdammt sich zur Be-
deutungslosigkeit, sobald sie ihre Grenzen nicht
erkennt, autokratisch wird und es ihr an der
nötigen Ehrfurcht vor der künstlerischen Schaf-
fenskraft fehlt. Schopenhauer sagt einmal, daß
man vor Kunstwerke hintreten müsse wie vor
Fürsten, um abzuwarten, was sie einem zu sagen
haben. Diese Bescheidenheit wird von den
meisten Kritikern leider außer acht gelassen.
Sie sind Pharisäer genug, das eigene Ge-
schmacksurteil mit stillschweigender Selbstver-
ständlichkeit als objektiv maßgebend hinzu-
stellen und zu glauben, ihrerseits ein Wesent-
liches zur Durchsetzung eines Kunstwerks bei-
tragen zu können. Statt Diener der schöpferi-
schen Kräfte zu sein, sind sie Diktatoren der-
selben. Sie begeben sich dadurch der Möglich-
keit einesKonnexes zwischen sich und dem See-
lischen, finden ihre Hauptaufgabe darin, festzu-
stellen, inwieweit die Organisierung der Formen
und die Differenzierung der Farben im Bilde den
Gesetzen entspricht, die sie (weil sie ihnen kon-
form sind) als maßgebend ansehen und die sie
am liebsten dem Künstler aufzwingen möchten.
Wenn die Kritik überhaupt einen Zweck hat,
so kann es nur der sein, daß sie nach^bestem
Wissen und Gewissen die Wege zu den Quellen
des Geistes zu weisen sucht, indem sie sich da-
bei stets der Grenzen ihrer Erkenntnisfähigkeit
bewußt ist und unbefangen den Grad des instink-
tiven Nacherlebens in ihrem Urteil aufklingen
läßt. So und nur so erfüllt sie ihre Aufgabe
175
Geschmacks- nvd Wcrhirteilc.
176
WILHELM KOHLHOFF.
bei der Synthese des kulturellen Lebens ; an-
dernfalls fördert sie den Zersetzungsprozeß,
Nur die Ehrfurcht vor allem schöpferischen
Leben kann jenes tiefste Ergriffensein vermit-
teln, das wir Liebe, Begeisterung oder Erlebnis
nennen, einen Zustand andächtiger Hingabe an
das göttlich Unbegreifliche, der allein die Grund-
lage wahrer Kunstwertung sein kann. Im Wert-
urteil spiegelt sich das Kunstwerk als ein Stück
Ewigkeit, es möchte die Brücke bilden zwischen
Zeit und Ewigkeit, von dem Schöpfer hin zu den
Schauenden, vom Willen zur Tatsächlichkeit.
Opferfeuer glühen auf den Altären der Kunst.
Es ist ein weiter Weg zum Ziel. Der Kritik ob-
»FRAUENBILDNISo BES. gurlitt.
liegt das Suchen, das Finden bleibt der Kunst
vorbehalten. — Beide können ihre Mission nur
dann erfüllen, wenn sie ihre Aufgabe klar erfaßt
haben. Beide ergänzen sich. Nur wo das Be-
grenzte dem Unerschöpfhchen, das ZeitUche
dem Ewigen, das Zweckmäßige dem Geistnot-
wendigen, das Erwägende dem Aktivistischen
sich freudig unterordnet , da entfesseln sich
Kräfte , aus denen lebendiges künstlerisches
Leben und wahre Kultur sich entwickeln. Nur
so ist die Kritik berechtigt, innerhalb ihres Macht-
bereiches selbst, bewußt und entschieden auf-
zutreten ; nur so ist sie fähig, ihre Aufgabe, Weg-
weiser und Brücke zu sein, zu lösen, helm. duve.
IV
GASTON BEGUIN. TERRAKOTTA-PLASTIK »STEHENDE FRAUEN«
GASTON BfeüUIN— LE LOCLE.
»KULLUNO IN HOCHKELIEF«
GASTON BEGUIN.
Der junge Schweizer Bildhauer Gaston Be-
guin kam im Alter von 20 Jahren nach
Paris. Er brachte seine Künstlermappe — die
bereits Skizzen, Malereien, dekorative Studien,
Gravur- und Ciselierarbeiten enthielt — eine
Studienbörse der schweizerischen Regierung
und den festen Willen, etwas in der Bildhauer-
kunst zu werden, mit sich.
Die Ausbildung, die er bei Bourdelle genoß,
enthüllte ihm seine Persönlichkeit. Unter dem
Einfluß des unruhigen Geistes dieses Meisters
festigte sich seine gesunde und optimistische
Natur. Das dem jungen Künstler holde Ge-
schick machte ihn dann zum Schüler Maillols,
desjenigen unter den heutigen französischen
Künstlern, der von Natur aus der geeignetste
war, ihn zu verstehn. Hier erlernte er in mühe-
vollen, aber glücklichen Tagen seinen Beruf als
Bildhauer und Bildner, — DieUmstände brachen
diese nutzvollen Studien jäh ab: In voUkonmie-
ner Unabhängigkeit führte Beguin sein künst-
lerisches Streben in seinem Atelier in Etange la
Ville weiter. Seine ersten Werke, die Frucht
fünfjähriger Arbeit — Statuetten, Terrakotta-
Figuren, Büsten, Flachreliefs, Aktstudien, Land-
schaften — zeugen zugleich vom erworbenen
Können und vom angeborenen künstlerischen
Sinn. — Überall finden wir denselben Frauen-
körper , dessen wechselvolle Schönheit der
Künstler zum Ausdruck bringt. Der Aufbau der
Werke ist streng, die rhythmische Abhängigkeit
der Teile , die Massenverhältnisse unter sich,
sowie die relative Wichtigkeit der Einzelheiten
sind sorgsam erwogen, und die Komposition ist
zu einem harmonischen und unendlich leben-
digen Ganzen verknüpft. Die Statuetten Be-
guins sind gleichsam von Innen nach Außen ge-
staltet. Das Äußere ist in der Tat nur ein Über-
gang von einer Form zu einer andern. Nirgends
findet man tote Stellen, die Kennzeichen der
Oberflächlichkeit so vieler Künstler. Beguin setzt
seine ganze Kraft ein, bis das vollkonmiene
Gleichgewicht seines Werkes erreicht ist, bis es
von jeder Seite aus vollendet erscheint. So ge-
langt er zu Wirkungen von erstaunlicher Größe.
Beguin ist ein einsam Suchender. Er entdeckt
nacheinander die Geheimnisse seiner Kunst und
diejenigen seines Temperaments; weder die
offizielle Schule, noch Theorien stören ihn. Die
Natur ist zugleich sein Beobachtungsfeld und
seine Führerin. Er ist ganz Künstler und beharr-
lich Schaffender zugleich. Wie eine gesunde
Frucht der Erntezeit nicht vorauseilt, und nur
mählich zur vollkommenen Reife gelangt , so
wird auch dieses schöne Talent sich kraftvoll
entwickeln zu schöner Fülle i\t-i \\( '■!'..
179
GASTON BEGÜIN-LE LOCLE.
PLASTIK »ERWACHEN«
DIE KUNST UND IHR PUBLIKUM.
II. TEIL. DER I. ItlL ERSCHIEN IM M.\K7.HEFT 192O.
Ich habe von den Schwierigkeiten gesprochen,
die die neue Kunstentwicklung dem Laien
bereitet. Ich habe versucht, mich in seine Lage
zu setzen. Ich habe angeführt, was zu seiner
Entlastung spricht, wenn er nicht sogleich mit
seinem Verständnis einer neuen Kunstwendung
folgt. Dies alles ausgehend von der Beobach-
tung, daß die innere Bereitschaft des Pu-
blikums, dem künstlerischen Fortschritt zu
folgen, viel größer, viel herzlicher ist als die
Künstler oft annehmen; daß an der Störung
des Einvernehmens zwischen Künstler und Pu-
blikum auch die Künstler ihr Teil Schuld haben.
Freilich nicht ihr Schaffen, denn das steht
unter höherem Zwang; sondern die Schroffheit
ihres Urteils über laienhafte Verständnislosig-
keit, die hochfahrende Überlegenheit, mit der
sie dem zögernden, unentschiedenen Verhalten
des Laien vor der Neuerung oft begegnen. Es
wird freilich nicht möglich sein, jeden Konflikt
zwischen der vorandrängenden Kunstentwick-
lung und dem nachfolgenden Laienverständnis
zu beseitigen. Eine Spannung zwischen beiden
wird von Zeit zu Zeit immer wieder eintreten.
Es liegt etwas Naturgesetzliches in diesem
Gegensatz. Aber eben deshalb, weil höherer
Zwang diesen Gegensatz immer wieder erzeugt,
muß der Mensch stets das Seine tun, ihn zu
mildem oder doch vor Ausartung zu bewahren.
Normalzustand der Natur ist im Geistigen wie
im Physischen der Krieg; Aufgabe des Men-
schen ist es, zu versöhnen. Künstler und Pu-
blikum haben sich bei ihren Konflikten neuer-
dings zu lieblos dem Stolz, der Abneigung, der
Verachtung überlassen. Künstler glaubten ihre
Sache nur vertreten zu können, indem sie wei-
ten Laienkreisen blindes Vorurteil und hämische,
gewollte Selbstverblendung vorwarfen. Laien
glaubten sich künstlerische Neuerungen nur er-
klären zu können, indem sie sie als bewußten
Bluff, als geistige oder gar morahsche Ver-
irrungen hinstellten. Menschen aber sollten
wissen, daß es immer schlecht um eine Sache
steht, die zu ihrer Erklärung oder Verteidigung
den Gegner als einen Schurken oder als einen
Entarteten oder als einen Idioten betrachten
muß. Ich behaupte jedenfalls, daß man in der
Kunst sehr gut ohne diese verdächtigen Hilfs-
mittel auskommen kann.
Nachdem gesagt ist, was zu Gunsten des
Laien spricht, möge besprochen werden, was
seinem Kunsturteil am häufigsten als Mangel
anhaftet. Ich setze dabei einen Laien voraus,
der überhaupt Verhältnis zur Kunst, Lust am
Schönen, Ehrfurcht vor geistigem Wert, sinn-
liche EmpfängÜchkeit für Form hat.
Da ist es denn eine Frage, die der voran-
drängenden Kunst in hundert Gestalten vor-
gelegt zu werden pflegt : Weshalb gibt es in
der Kunst Entwicklung? Weshalb geht es
180
Die Kunst und ihr Publikutn.
CIASTON b£gUIN-LE LOCLE.
von Giotto zu Raffael, von Grünewald zu Rem-
brandt? Weshalb verläßt Rembrandt selbst
den meisterlichen Stand seiner ersten „Anato-
mie", um zum „Saul", zur „Judenbraut" über-
zugehen ? Wenn Mozart und Bach Gipfel aller
Musik sind, weshalb dann Wagner und Schön-
berg? Wenn der Louis XV- Sessel ein Urbild
an Schönheit und Zweckmäßigkeit ist, weshalb
dann Stühle von Bruno Paul und Van de Velde?
Man kann diese Frage fein fassen und sehr
grob, aber sie bleibt immer der Kernpunkt aller
Abwehr gegen neue Wendungen in der Kunst.
Irgendwie fühlt der Laie, wenn er die Kunst
neue, ungebal.nte Wege einschlagen sieht, Be-
fremden darüber, daß sie nicht auf dem Stand-
punkte der Kunst von gestern stehen geblieben
ist. Er weiß zwar und erkennt als notwendig
an, daß in der exakten Wissenschaft, in der
Technik kein Stillstehen stattfindet. Er nimmt
es als unausweichlich hin, wenn Chemiker und
Physiker Entdeckungen machen, die das ganze
bisherige Weltbild der Wissenschaft umstoßen.
Wenn aber Van Gogh wichtiges zum rhythmi-
schen Ausdruck der modernen Seele entdeckt;
wenn der Expressionismus, um wieder mensch-
liche und religiöse Fragestellungen in die Kunst
zu bringen, die genießerische wörtliche Wieder-
gabe der Naturvorlage peinhch flieht — dann
empfindet der Laie Befremdung, als fehle die-
sem Vorgang Zwang und Müssen. Er sieht die
ungeheuere Zumutung, die ihm der Künstler
stellt, und meint, ausgesprochen oder unausge-
^RÜIKSEITE NEHE.NST. PLA.ST1K«
sprochen : wenn Jahrzehnte und Jahrhunderte
mit einer mir geläufigen Kunstanschauung aus-
gekommen sind, so hätten sich doch auch diese
Neuerer dabei genügen lassen können. Er
sträubt sich, die Notwendigkeit der Neuerung
anzuerkennen. Sie scheint ihm irgendwie will-
kürlich. Er hat immer gehört, daß es sich in
der Kunst um Aufsuchung des Schönen handle.
Er sieht das Schöne in der ihm geläufigen Kunst.
Er sieht das Gegenteil von Schönem in der
Neuerung. Daher sein Wehren, daher seine
Empfindung: Dies ist nicht notwendig.
Hier setzt ein, was dem Laien von Künstlers
Seite gesagt werden muß.
Es handelt sich in der Kunst nicht um Schön-
heit schlechthin, sondern um diejenige Schön-
heit, die sich ergibt aus der jungen, unmittel-
baren Auseinandersetzung eines bestimmten
Zeitalters und Menschen mit der einen und
ewigen Welt. Kunst ist vor allem Ausdruck.
Das heißt, sie ist Gestaltung aus ganz bestimm-
ten, einmal gegebenen, unabänderlichen Vor-
aussetzungen heraus, die von Epoche zu Epoche
wechseln. Sie ist Beziehung eines Verän-
derlichen zu einem Ewigen; Darlebung
eines bestimmten Weltgefühls, einer bestimm-
ten Weltanschauung, einer umschriebenen Zeit-
stimmung, einer gegebenen Kunstanschauung.
Mozart konnte aus seiner Zeit heraus in seiner
Weise musizieren : göttlich frei, himmlisch hei-
ter, wohnend in einem unzerstörbaren Glück.
Heute kennen wir das nicht, denn unsere Zeit
181
Die Knust iiiui ihr Publikum.
ist trafjiscli belastet, irdisch
schwer, in ihrem Lebensgefühl
schuldvoll und jSehemnit. Und
so gibt es in jeder Hpoche nur
einen Weg, das Ewige der
Kunst auszusprechen : den
Weg der Zeitkunst. Die Zeit
schenkt ihre Liebe und Kraft
jedesmal nur einer bestimm-
ten Kunstweise. Sie stattet
diese mit dem höchst partei-
ischen Vorrecht aus, daß sie
allein Ausdrucksträgerin ist
und daf3 außerhalb ihrer alles
Ohnmacht, Geschmäcklertum,
Epigonentum sein muß. Jede
Zeit ermächtigt eine bestimmte
Auslese von Gedanken und
ästhetischen Anschauungen,
das Höchste an Gebilde zu
verwirklichen. Die Entwick-
lung der Kunst bewegt sich
zwangläufig mit der umsturz-
reichen Entwicklung des Men-
schengeistes. Nur ein Träu-
mer, nur ein Mensch, der keine
Ahnung von dem Lebens -
gehalt der Kunst hat, vermag
den Gedanken zu denken, daß
die Kunst unergriffen bleiben
KI,liL\l'l,.\STIK JIM;1 S MADI HKNo
müsse von all dem wissen-
schaftlichen, technischen, so-
zialen, geistigen Umsturz, den
wir im 19. Jahrhundert sich
vollziehen sahen. — Der oft
gehörte Einwand, es handle
sich in der Kunst nicht um
Richtung, sondern um Qua-
lität, stützt nur, was hier ge-
sagt wird. Es ist das offen-
bare Geheimnis alles Kunst-
werdens, daß überwundene
Kunstweisen keine Qua-
lität mehr hervorbringen
können ; wenigstens nichtQua-
lität im letzten, tiefsten Sinne
von künstlerischer Lebensent-
rätselung. So gibt es heute,
zehn Jahre nach Entthronung
des Impressionismus, freilich
noch Impressionisten. Sie ar-
beiten weiter, vielleicht nicht
schlechter als früher. Aber
als Bewegung ist der Im-
pressionismus ausgeschöpft.
Zur Not und zum Drang des
Augenblicks hat er nichts Ent-
rätselndes oder Erlösendes
mehr zu sagen. Er ist histo-
risch geworden, wie die Rea-
KLEINPLA.STIK
FRAUEN«
Dir Kumt und ilir Publikum.
listen oder die Nazarener liistorisch geworden
sind. Die Zeit aber, der Moment Leben, den
unsere heutige Sonne bescheint, spricht nicht
mehr durch seinen Mund; er hat sich ein an-
deres Sprachrohr geschaffen, weil ihm das alte
nicht mehr tauglich war. Der Impressionismus
hat Ewiges hervorgebracht aus der Begeisterung
über dem Problem der Luft, des Lichtes, des
vertieften, sinnlichen Naturgefühls. Nie vorher
floß Landschaft so üppig und paradiesisch frisch
in den Bannbezirk des Goldrahmens wie in
dieser Zeit. Heute haben die Probleme des
Impressionismus ihren Entwicklungswert, ihre
Triebkraft, ihre Zeitbedeutung, ihre weltan-
schauliche Wichtigkeit verloren.
Heute handelt es sich brennend darum, den
Menschen, sein Gefühl, sein Leiden und Zwei-
feln, seine Begeisterungen und Erömmigkeiten,
als Maß aller Dinge wieder in den Mittelpunkt
des Weltbildes zu rücken. Es ist ein anderes
Wollen, ein anderes Müssen da, und dieses
prägt der Expressionismus aus. Er flieht die
treue Schilderung der Natur, weil er gerade
das Nicht-Natürliche, den Menschen und seine
ganze ungeheure fremdartige Geistwelt, heraus-
stellen will. Er ist die äußerste Reaktion gegen
die sinnlich-geistige Naturfrömmigkeit des Rea-
lismus, Naturalismus, Impressionismus. Und
nur aus der Heftigkeit dieser Reaktion heraus
kann sein fast verzweifeltes Wehren gegen
Naturversklavung richtig verstanden werden.
Es mag sein, daß er mit diesem Wehren weit
übers Ziel schießt. Es ist sogar sicher, daß er
dies tut. Aber dies eben ist die Weise, in der
die Menschheit sich überhaupt entwickelt: Das
Pendel schwingt stark nach der einen Seite; es
muß ebenso stark nach der andern schwingen, bis
Zeiten kommen, da es sich ruhiger um die gesetz-
gebende Schhchtheit der Senkrechten bewegt.
Das Ideal ist selbstverständlich, daß die Kunst
die Menschen- und Geistwelt darstelle in inniger
Angeschmiegtheit an die seiende Natur- und
Körperwelt. Es ist ganz sicher Art eines inner-
lich verstörten Zeitgeistes, diesen heftigen Krieg
gegen äußere Naturform zu führen. Aber erst
Zeiten, die innerlich befriedet und ruhiggeworden
sind, können diesen Krieg aufgeben. Diesen Zei-
ten eines ruhigeren, tief frommen und gesättigten
Lebensgefühls nähern wir uns gewiß. Aber der
Weg zu ihnen kann niciit schwindelhaft über-
sprungen oder auf Fausts Wunschmantel zurück-
gelegt werden. Er muß redlich gegangen
werden, Schritt für Schritt, Etappe nach Etappe.
Wer das Ziel will, muß auch die Etappe wollen.
Das gilt im Künstlerisciicn wie im Zeitpsycho-
logischen. Künstlerisch kommen wir her von
Epigonentum und von geistfremdem Naturalis-
mus. Wir müssen schrittweise den Weg zur
Vergeistigung gehen, und auf diesem Weg ist
der Expressionismus eine der letzten und wich-
tigsten Etappen. Zeitpsychologisch kommen
wir her von einer grenzenlosen Depossedierung
des Menschen aus seinem geistigen Erbe. Denn
Naturwissenschaft und Technik haben uns Ma-
terialismus und geistige Barbarei gebracht,
haben den Menschen zum Fremdling gemacht
inmitten einer Welt, die nur ihm gehört. Wir
reißen diese Welt geistig nun wieder an uns,
mit heftigen Gebärden, und eine wichtige, ent-
scheidende Phase dieses Kampfes um die gei-
stige Welteroberung ist der Expressionismus.
So müssen diese Dinge verstanden werden.
Und deshalb gilt es für den Laien, mit dem
Künstler jederzeit zum Umschwung bereit zu
sein. Denn der Künstler steht unterm Zwange
der Zeit wie der Laie. Der Künstler arbeitet
für uns alle, wenn er kühn vorandringt, auch
für den, der ihn meint ablehnen zu können.
Geben wir ruhig zu, daß wir gegenwär-
tig noch nicht in einer Zeit leben, da
eine Kunst von breiter, umfassender
Volkswirkung möglich ist. Daran ist der
Künstler so wenig schuld wie der Laie, der ihn
kritisiert. Oder beide zugleich. Das Muß der
Zeit steht über uns allen. Wir wissen solange
von der Kunst nichts, als wir sie nicht be-
greifen als wesentliche, unaufhörliche Umwäl-
zung. Wollen wir am Werden der Kunst teil-
nehmen, so müssen wir uns klar sein, daß dies
ein Teilnehmen an einem Bewegen, an einem
Entwickeln ist. Kunst ist Leben, und Leben
wechselt von Einatmen zum Ausatmen, vom
Steigen der Woge zu ihrem Sinken, Zielen ent-
gegen, die wir ahnen und erwünschen können,
die aber nur dann sich verwirklichen , wenn
sie von allen herangelebt werden in einer
ungeheuren Zusammenfassung der edelsten
Kräfte HEINRICH HIllF.K.
UCIII. JdIi 1920. 4
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FACHSCHULE FÜR
GLASINDUSTRIE
IN HAIDA.
KRISTALLGLAS
MIT SCHLIFF U.
GRAVIERUNG.
FACHSCHULE FÜR
GLASINDUSTRIE
IN HAIDA.
KRISTALLGLAS
MIT SCHLIFF U.
GRAVIERUNG.
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ARCHITEKTONISCHE LÖSUNGEN.
Der Architekt ist zu einem jaulen Teil Rechner.
Er benötigt zwar von der höheren Mathe-
matiiv für die Praxis des Hausbaus nicht allzu-
viel. Aber die allgemeinen rechnerischen Grund-
lagen seines Unternehmens müssen ihm dafür
desto eindringlicher gegenwärtig sein. Für den
Architekten ist der Bau ein System von Maßen,
von Winkeln und Verhältnissen, und zugleich
ein finanzielles Gerüst, in dem Arbeits- und
Materialkosten, Boden- und Gebäudewerte,
Hypotheken, Mieten und Zinsen die wesent-
lichsten Faktoren darstellen. Der Laie sieht
gottlob diese vielfältigen Zahlengebäude nicht,
sonst würde ihm oft der Genuß am schönsten
Hause vergehen. Aber dem Architekten ist
leider das Bauen fast nicht mehr als ein stetes
Rechnen, er muß die Partitur der Zahlen gründ-
lich beherrschen, um trotz alledem noch eine
gute Musik zu machen. —
Nicht minder wichtig ist die technische Lösung.
Wir können das Haus auch als ein System von
Zweckmäßigkeiten auffassen, die entweder mit
seiner eigenen Erhaltung oder mit der mensch-
lichen Benutzung zusammenhängen. Die Mauern
stützen und bergen, das Dach lastet und schützt.
Die Heizung dient nur dem Menschen als
Wärmequelle, die Fundamente existieren aus-
schließlich für die Selbsterhaltung des Hauses.
Diese beiden Zwecksysteme gilt es, nachdem
erst jedes einzelne technische Erfordernis für
sich berücksichtigt ist, noch in Einklang zu
bringen. Der Bau ist technisch gelöst, wenn
alle Zwecke so erfüllt
sind, daß keiner den
andern beeinträchtigt.
— Von Kunst war bei
all dem noch nicht die
Rede. Ein Bau kann
technisch und rechne-
risch einwandfrei da-
stehen, und doch ein
wüster Formenhaufen
sein. Hier setzt der
Architekt als Künstler
ein. Er sorgt dafür,
daß eine Form mit der
anderen harmoniert,
daß ein gutes Verhältnis
entsteht zwischen den
Teilen unier einander
und zum Ganzen. Erge-
staltet die technischen
Dinge so, daß ihre Ge-
RICH.VRD BAITROTH— CH.\RI.OTTENBURG.
samtform und ihre Glieder klar hervortreten,
und daß ein künstlerisch interessantes Gebilde
entsteht. Die Türe wird eine Form, ein Rechteck
mit aparter Teilung, das Dach ein System von
schiefen Ebenen. Künstlerisch gelöst ist die
Bauaufgabe, wenn aus allen Baugliedern gute
künstlerische Formen geworden sind und wenn
diese Formen sich zu einer großen Einheit
zusammenschließen. Insbesondere handelt es
sich hier darum, den Bau stilistisch durchzuar-
beiten. Wo stillose oder stilfremde Formen
sich zeigen, bleibt ein ungelöster Rest.
Daneben gibt es aber noch eine andere künst-
lerische Lösung. Denken wir an eine alte Kirche.
Da kam es dem Baumeister nicht so sehr darauf
an, alle Formen möglichst kunstvoll durchzu-
bilden. Die Kirche war ihm eine Stätte der
Andacht, der Sammlung, der Gottesverehrung,
und er baute seine Kirche so, daß sie dieser
Stimmung, diesem innem Wesen am besten
entsprach. Das ganze Haus wurde zur verkör-
perten Andacht, und desto schöner war die
Kirche, je mehr sie in allem von Ajidacht,
Sammlung, Gottesverehrung erfüllt war. Das
Biedermeierzimmer atmet bürgerliche Behag-
lichkeit, ein alter Barockschrank ist die Ver-
körperung ruhiger, bergender Festigkeit. So
hat jedes Ding seine Seele, seinen Charakter,
seine Stimmung. Künstlerisch gelöst ist das
Haus und sind die Bauglieder erst dann voll-
kommen, wenn jegliches Ding die seinem inneren
Wesen entsprechende Gestalt gefunden hat,
wenn eine Seele so aus
dumpfer Wirrnis erlöst
ist. Man kann die rein
formale Durcharbeitung
leicht zu weit treiben,
wenn das Haus in ein äs-
thetisches Formenspiel
aufgelöst wird, sodaß
für die Beseelung kein
Platz mehr bleibt. Dann
gehtalleBlutwärme, alle
Schwere und irdische
Dinghaf tigkeit verloren.
— Keine der vier archi-
tektonischen Lösungen
kann für sich allein
durchgeführt werden ;
das Haus wird ein guter,
lebensfähiger Organis-
mus erst dann, wenn alle
vier gelungen sind. a. j.
11
THEODOR WENDE-DARMSTADT. «SILBERNE SCHALEN.
TH. WENDE DARMSTADT.
»ASCHENSCIIALE IN SILBER«
THEODOR WENDE.
Hier liegt aus eines Behutsamen Werk weniges
ausgebreitet. Den heule 37 jährigen Ber-
liner hat die Berufung des hessischen Groß-
herzogs 1914 zum Darmstädter Kolonisten
gemacht. Keine Lärmtrommel schrie ihn am
wimmelnden Markte aus. Die Zeit , über-
geschäftig, kleinstes Geräusch durch schmet-
ternde Schallrohre zu dröhnen, ließ diesen Still-
wirkenden unbeachtet. Überzeugt vom Recht
und der Richtigkeit seines Daseins lebt er in
der Arbeit seiner geschmeidigen und sicheren
Hände, beim bedachten Ausführen ganz Hand-
werker, ganz Künstler durch das Glühen des
inneren Gesichts.
Gold und Silber und edle Steine sind seine
Stoffe; sein Werkzeug sind Treibhämmer und
Treibdome, Lötflamme und Kolben, die kleine
Feile und der Grabstichel; seine Gegenstände
sind Ringe, Kelten und Gehänge, Schalen und
Becher, Dosen und feine Gefäße. Mit des
Hemdwerks Genossen teilt er den mühevollen
Weg, welcher von der ungestallen Materie hin-
weggeht und durch Gestaltung demjenigen zu-
führt, was dem Zweck, dem Spiel, der Freude
dient. Mit des Handwerks Genossen teilt er
auch, was der Materie an Glanz und Farbe
und sinnlichen Reizen innewohnt, an Härte und
Dehnbarkeit, was sie selten macht und kostbar;
ihre Kraft Licht zu brechen, Licht zu spiegeln;
ihr Gebundensein in des Menschen Gefühlsreich,
die mystische Sinnbildlichkeit, durch welche das
festliche Gold die Sonne, das grauschimmernde
Silber den Mond hervorbeschwört.
Sein eigen aber ist die Form
Die Gewöhnung des Lebens zeigt uns die
umgebende Welt als wohlgeordneten Bezirk;
darin sind die Dinge tüchtig zueinander gestellt,
in sich formvoll gefügt. In die Fülle fertiger
Gebilde habe der Künstler, glauben wir, glück-
liche Griffe zu tun, Weilil zu treffen nach An-
leitung seines Willens, und es entstehe — in
seinem Stoffe — das Werk. Nimm das Un-
mögliche an, ein gesunder Mensch wachse im
hchtlosen Kerker auf und eines Tages werde
er ins Reich der Sachen gestoßen: Heillosem
Tumult im Innern wird Getös und Gequirl von
draußen antworten. Doch wird er sich ermannen,
Ordnung schaffen in dem, was ordnungslos seine
Sinne befällt, wird Ding von Ding sondern, die
Gesonderten ins Verhältnis bringen, bloßen Reiz
zum Gebilde formen, ihm gemäß. Ein freier
Schöpfungsakt wandelt die angestarrte Wunder-
welt zur daseinsmöglichen Welt der Sinne. Ihr
nun, die ihm von vornhinein gegeben ist, be-
gegnet der Künstler mit neuem Staunen; sie,
die zweckvolle, bedeutet ihm neues Chaos;
sie, die durchrechenbare, ist ihm von Wundern
neu gefüllt. Von sich her ein zweitesmal sie
durchzugestalten, treibt es ihn an. Die untern
menschlichen Zwecke verschmähend, führt er
einer oberen Schicht menschlichster Zwecke
sie zu. Nicht jeder, der Kunst macht, kommt zu
dieser zweiten Welt. Damit sie schlackenrein
werde, muß sie ganz seine Welt der Freiheit
sein, seiner inneren Form im äußeren Bestand
entsprechen. Weil seine Welt so beschaffen
ist, daß über den bloßen Gebrauch und außerhalb
der handwerklichen Geschicklichkeit als F'orm
189
Theodor Wende.
190
THEODOR WENDE— DARMSTADT
sie besteht, darum liegt in den
Arbeiten Theodor Wendes
der große Zauber verborgen.
— Einst Entfesseier vom
Durcheinander überkommner
Stilarten, hat uns Jahr um
Jahre der Irrtum befangen,
der „Kunslgewerbler" habe
genug getan, sei nur sein Ge-
genstand zwfcUiglos dem Roh-
stoff entsprungen, glatt dem
Gebrauche angepaßt. Er glich
zwitterhaft einem Begriff e etvv-a
vom „gehobenen Handwer-
ker". Den schob man zwischen
Kunst und Gewerbe mitten
hinein. Als Künstler mochte
derselbeMann Schränke zeich-
nen, als Gewerbler die dazu
bedurften Bretter hobeln.
Genug, war nur eine Schale
geeignet, saftige Früchte em-
porzuhalten; genug, baumelte
ein Schmuck, ließ ein Becher
den Wein funkeln. Bei so
kurzatmigem Bequemen, wie
TH. WENDE— DARMSTAIJT. »ANHANGER«
SILBER MIT BRILLANTEN.
RINGE UND MANSCHETTENKNÖPFE«
leicht geriet das Werk zur
Flachheit , wie gleichgültig
konnte es lassen, fehlten die
Früchte, der Wein, der ge-
schmückte Frauenhals, stand
oder lag das Ding ohne seinem
Nutzen zu dienen umher. Totes
Metall bheb über, trockener
Wert des Besitzes, graue, auf
die Stunde des Genusses
wartende Höhlung. Kühle Ab-
sicht war verwirklicht, doch
der Aufstieg aus dem dunklen
Untergrund des wachsenden
Lebens war vermißt. Was
gemeint ist, versteht, wer je
in den Bannkreis Wende'scher
Schmucke und Wende'scher
Gefäße gezogen war, nicht
vom Abbild her eine abseitige
Kenntnis hat: Eines Bechers
Fuß breitet als weiches Rund
sich aus, hebt geschmeidig
einen Wellenrücken hoch;
Streben springen ab, pressen
heftig drängende Hände ans
Theodor Wende.
untere Gewölb der
zartgeschobenen
Wandung; eine Lippe
ist dargeboten, ihr
naht, in schöner Kurve
aus und eingebogen,
der Deckel, und, daß
er leicht wegzuziehen
sei, fügt seine Endi-
gung einer Knospe
gleich sich in die sachte
Hand. — Breit und
glatt ruht ein Käst-
chen in aufgeregter
zackiger Fassung ; sie
schwillt an den Ecken
vollgerundet aus und
unter der Rundung
setzen plattkugelige
Füße das Ganze sanft,
doch sicher hin. — An
vielgliedriger Kette
hängt ein zuckendes
Geschmeid; Lichter
übersprühen es ; Wol-
kenbild wallt auf; un-
erhörter Prunk an
einer reichen Frauen-
TH. WENDE - DARMSTADT.
brusl funkelt vorüber.
— Der schlichte Kreis-
.schild einer Brosche
ist kaum gewölbt; von
seiner Mitte neigen,
dreimal und rhyth-
misch, ohne Starrheit,
K ispen sich zum Rand,
und den umkreist
achtfach zerteilt ein
feiner Schwung. —
Drei Füße, dünn im
untersten Gelenk und
Knöchel, stählern fast
im Willen, gehn em-
por und fassen eine
kelchhaft tiefe Schale
zwischen sich; gefaltet
strebt sie auf und öff-
net ihre Höhle. Drin
ist, nicht hell — nicht
dunkel, doch vom
weiten Raum gekühlt,
von seiner lichten
Wand durchstrahlt,
die Luft wie eines
feierlichen Kirchen-
raumes Luft. K. KREUNI).
»TEEBÜCHSE IN SILBER«
TH.AVENDE DARMSTADT. ZIGARETTENDOSE IX SILBER.
V
OTTO REICHERT-
OFFEN BACH AM.
MALEREI DES
PERGAMENT-
EINBANDES DER
NEBENSTEHENDEN
FAMILIENCHRONIK.
SCHRIFTKUNST UND DICHTUNG.
VON OTTO REICHERT.
Das gesprochene Wort verlangt nach einer
bildlichen Form, die das Flüchtige der
Laute bannt und ihren Sinn andern Menschen
und Zeiten übermittelt. Wie die Musik dem
Wort tiefere Schwingungen abringt, so soll die
Schrift das Kleid sein, das seinen Klang um-
hüllt und ihn dem Auge kenntlich macht. Wenn
heute die Kunst der Alten, schön zu schreiben,
wieder lebendig geworden ist, so ist dies nicht
mehr, um als Bildverständigungsmittel zu die-
nen, sondern um irgend etwas Besonderes aus
dem AUtäghchen des Gedruckten herauszu-
heben, ihm neue Bedeutung, neuen Persönlich-
keitswert zu geben.
Die Schrift hat ihre eigene Seele, die zu uns
reden möchte. Wer sie erklingen lassen will,
muß Sinn haben für die Musik, die in den Buch-
staben liegen kann, im Spiel der Linien und
Formen. Erst dies wird ihn über das rein Hand-
werkliche hinausbringen, über das mechanische
Aneinanderreihen von Buchstaben, heute in der,
morgen in jener Schrift. Was die Handschrift
zum Kunstwerk erhebt, ist das schöpferische
Gestalten, das die Buchstaben dem Gedanken-
inhalt des Textes anpaßt und diesen dadurch
in Schrift übersetzt.
Der Musiker, der ein Gedicht zum Lied ver-
tont, läßt schon die Töne reden, malt mit der
Klangfarbe, mit Tonfolgen, mit Dur und Moll
und läßt den Rhythmus so wirken, daß schon
daraus auf die Stimmung der Dichtung zu
schließen ist, auch wenn die Worte noch nicht
gesungen werden. So sollte aus dem Schrift-
bild der Sinn einer Dichtung zu fühlen sein,
noch ehe man die Worte las. Es muß also ein
Gestalten aus dem Geist der Dichtung heraus
werden, und so gelingt es auch nur dem, der
Dichtung zu erleben vermag, der die Musik
192
X
o
1" Juli 1920. 5
SchriftkiDist und Dichtjing.
194
UTO KF.RHF.KT— OFFENBACH A. M. HANDSCHRIFT: EIN ALTER SCHLACHTGESANG. PHOT. EMMY LIMPKR I — FRANKF UKT.
zarter Lyrik, die Wucht harter Verse eines
alten Kriegsüedes in sich wiederklingen lassen
kann. Ihm gehen beim bedächtigen Schreiben
immer neue Schönheiten der Gedanken und
des Wortklangs eines Dichterwerkes auf. Sie
alle auch dem Beschauer näher zu bringen ist
die vornehmste Aufgabe des Buchschreibers.
Daß er sie erfüllt, halte ich aber — im Gegensatz
zu manchen andern Schreibern — nur dann für
möglich, wenn er mehr gibt, als bloßes Abschrei-
ben. (Bildschmuck kann die Gesamtwirkung
einer Handschrift wohl heben, aber fehlende
Ausgestaltung der Schrift nicht ersetzen. Schrift
und Schmuck und Einband müssen unter sich und
mit dem Inhalt des Textes zusammengehen und
ein Ganzes sein, wie sich auch die Farben der
Stimmung der Dichtung einfügen müssen.)
Menschen, die keinen Sinn für Dichtung
haben, oder denen sich die Schönheiten einer
Schrift noch nicht offenbarten — und es gibt
manche Leute dabei, die sonst in Kunstdingen
ein reifes Urteil haben ! — verstehen auch ein
handgeschriebenes Buch nicht; sie blättern rat-
los darin, und wissen auch nicht den persön-
lichen Wert zu schätzen , den es für den
Besitzer hat. Der bekam es vielleicht als Gabe
aus lieber Hand, weil ein besonderes Erinnern
sich gerade mit diesem Gedicht verknüpft, oder
er ließ sich als Freund guter Literatur das ihm
Liebste schreiben, um es in stillen Feierstunden
andächtig zu genießen. —
Die wenigen Kunstfreunde, die das neue Son-
dergebiet der Buchkunst bisher richtig erkann-
ten, betonen immer wieder das Persönliche und
Innige und Lebendigbleibende des geschriebe-
nen Buches. Und die Freude, die ihnen aus dem
köstlichen Besitz erblüht, hilft von selbst dazu,
daß sich ihr Kreis ständig erweitert. ... '. r.
«
Ein Volk ist umso stärker, je mehr Empfin-
dungen und Gedanken in den Herzen und
Köpfen aller lebendig sind, je mehr von den
großen nationalen Werken und Taten als allen
gemeinsamer Besitz gefühlt und geliebt werden.
Wir können nach außen keine Kraft äußern,
die wir nicht in uns besitzen. Jeder einzelne
muß die bildende Kraft und den Willen der
Edelsten seines Volkes in sich wirksam fühlen.
Das gibt im Innern den festen Boden, auf dem
sich alle Glieder des Volkes verstehen und eins
fühlen und nach außen das starke Bollwerk,
das ein Volkstum bewahrt, alirf.d lichtwakk.
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OITO REICHERT— OFKENBACH. HANDGESlHRIEKENES »UCU: SCHILLER »DEUTSCHE GRÖSSE»
(SCHRIFT SCHWARZ, RAM) GOLD, HLAU, ROT).
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ticutna. ituuvtöceiktdie juilau)«|«in:
OTTO REICHERT- OFFENBACH. HANDSCHRIFT: HERTHA KNEIST »EIA« (SCHRIFT INDIGO, GELB U. ROSA AUSGETUNKT).
5at>vfcc.
Oief« *^XJodie ö>U*«: yntt nexicAun^en! ^IScnnnuuv
ftd) cuiirt^tbtäs boet] unmtt cti»a6i foUt't« audinur
«»«ru^fcixx,anx£nAc|uinnu«rt ]ichö6«ch'unA o>ee
tUin€»pi<I l'fhcUthot Unn\jn^c<u6e>audian\ ^tcüun
(fioM inn,unA 6«vn£m« ^Seclull i^ jutMcjfiimar^cn.
£<ivovbtr<liu>ert«n<?5e(tf,yu<inäi:9©ufeaa.,fi»n&
l|aU>.
HANDGESCHR. BUCH: GOETHE .DIE GESCHWISTER« (SCHRIFT SCHW.VK/., .\.\M1'.,\ ROT, KOPFI.El.STE SCHW.\RZ, GRÜN).
^ .rv!.|cUcrferml|uJi'6m6t;t«iniaji^.-
OTTO REH'HERT-OKl-'ENIlAi II. HAMiSIHKni 1 1 M; 1 M \ kMI.-.l M'MNSrCMI IMK.I IMMV ilMI'IKI h K ANK I' UU T A- M .
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OTTO REICHER 1-
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EICHENUORFE:
• AliSCHIED«
•TT'i REICHERT OFI'ENBACH. .SCHRIFTENTWURFE FÜR HANUVERGOLDUNG AUF PERGAMEXTUAXDEX«
HANDWERKLICHES UND GEISTIGES.
Es gibt keinen graduellen Unterschied zwi-
schen Akademie und Kunstgewerbeschule,
nur einen formellen. — Der Maler baut sein
Bild aus einzelnen Farbpartikeln auf. Er muß
sein Handwerk verstehen, es bewußt ausnutzen.
Da wo ihm das Höchste gelingt, schafft er unter
dem Zwang einer ihn beseelenden Idee.
Wie der Maler sein Bild aus Farben, so baut
der Buchkünstler sein Buch aus Lettern. Auch
er muß bewußt sein Handwerk ausüben. Ein
Kunstwerk entsteht aber auch nur da, wo in
dem langen Arbeitsvorgang — der Wahl von
Papier und Typen, Anordnung derselben unter
Rücksichtnahme auf den Text, der Durchbil-
dung des Satzbildes von der ersten bis zur
letzten Seite — die geistige Spannung nicht
nachläßt, die für seine endgültige und einheit-
liche Form das Entscheidende ist. . . .
Die handwerklichen Disziplinen spielen nur
eine untergeordnete Rolle neben den führenden
geistigen Ideen. Die wesentliche Aufgabe
der Schule wird es sein, ihre Schüler mit den
Grundbedingungen alles künstlerischen Schaf-
fens zu erfüllen , die für alle Gebiete der
Kunst die gleichen oder doch ähnliche sind. . , .
— Um nur ein Beispiel zu geben, sei das Ge-
biet der künstlerischen Schrift erwähnt. Ge-
wiß, das Handwerkliche ist eine Vorbedingung,
ist sogar der einzige Weg zur Meisterschaft.
Man muß schreiben, immer wieder schreiben,
sein Handwerkszeug beherrschen und in Ord-
nung haben, aber das Wesentliche dieser Schul-
übungen liegt doch nicht im Handwerküchen,
sondern in der Deutlichmachung des geistigen
Prozesses, in dem sich der schöpferische Form-
wille das widerstrebende Gerät, das spröde
Material gefügig macht, es liegt in der Klar-
legung der zum Schluß alle Kunst beherrschen-
den Gesetze von Verhältnis, Wirkung und Ge-
genwirkung horizontaler, vertikaler, schräger
und runder Linien, zusammengefaßt in 26 ver-
schiedenen Typen, die für die genannten Kunst-
regeln die knappste und prägnanteste Form
darzustellen scheinen, dabei die einfachsten und
erschöpfendsten Mittel für den Ausdruck alles
Geistigen sind
AVS DER BE.\CHTENSWERTEN SCHRIFT F. H. EHMKE »ZUR
KRISIS DER KUNST <i VERLAG EI'GEN DIEDERICHS-JEN.\.
198
iin» KKIlHERT— OKI-ENBArH A. M II \N1 '(;ESrHRIKBENE KÜCHER. PHOT. EMMV I.IMPERT— KR ANKFIRT A. M.
OTTO Ri:i( MF.RT OFlENliACH.
HANDGESCHRIEBENE BÜCHER. (INITIAI. O: l'.ELB MIT SATUR.NRciT. MITTE IM) KAM) BLAU,
ÜRUNI) HELLGRÜN.) I'HOT. EMMV LIMPERT-ERANKKURT
_<^22r^
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OTTO REICHERT -OP^FENBACH A. M. BUCHMARKEN FIRMEN- ITXD XAMENZEICHFX.
HANS SCHREIBER -OFFENBACH.
»DECKELBILDt EIN IV. PREI.S.
WETTBEWERB FÜR ZIGARREN-PACKUNGEN.
VERANSTALTET VON DER FIRMA HEINRICH CONRAD DEINES HANAU A. MAIN UNTER FRÜHEREN
UND JETZIGEN STUDIIiKEXUEN DKR KUNSTGEWERliESCIIUI.E OFFENBACII A. MAIN.
Gleichzeitig mit dem im April-Maiheft der
„Deutschen Kunst und Dekoration" be-
handelten Wettbewerb Landmann-Mannheim
spielte sich in einem enger umrissenen Kreis
von Künstlern und solchen, die sich auf dem
Weg zur Künstlerschaft befinden in Offenbach
a. Main ein gleichartiges Ausschreiben für Zi-
garrenpackungen ab. Die rühmlichst bekannte
Firma Heinrich Conrad Deines, Lithographische
Kunstanstalt in Hanau a. Main stellte der Di-
rektion der Technischen Lehranstalten Offen-
bach den Betrag von 5250 Mk. zur Veranstaltung
eines Ausschreibens unter der jüngeren Gene-
ration früherer und den derzeitigen Studieren-
den der Kunstgewerbeschule zur Verfügung.
Gewiß eine hohe Summe, die zu Preisen führte,
die mit denen des Landmannschen Wettbe-
werbs ziemlich übereinstimmen. — 90 Arbeiten
wurden eingereicht. Das Preisgericht entschied
wie folgt: Zwei I. Preise zu je 1000 Mk. an
Georg Baus-Leipzig und Fritz Rosenthal-Berlin.
Zwei II. Preise zu je 750 Mk. an Hans Schrei-
ber-Offenbach und Hans Bohn-Frankfurt. Fin
III. Preis zu 500 Mk. an Hans Schreiber-Offen-
bach. Weiter fünf IV. Preise zu je 250 Mk. an
Georg Baus-Leipzig, Hans Schreiber-Offenbach,
Hans Bohn-Frankfurt, Frau Leni CoUin-Bohn-
Frankfurt, Wilhelm Grimm-Offenbach. Die Ent-
würfe hielten sich mit wenigen Ausnahmen auf
einem außerordentlich guten Niveau. Was an
dem Wettbewerb besonders erfreute, war das
Vorherrschen vorzüglicher Schrift. Die strenge
Schriftschule der Offenbacher Anstalt, die der-
zeit Inder Kunstgewerbebibliothek Berlin durch
die Sonderausstellung „Offenbacher Schreiber"
unter Rudolf Kochs Leitung mit großem Erfolg
ihre Arbeiten zeigt, trat in augenfälligste Er-
scheinung. Der Charakter der Zigarrenpackung
war ebenfalls durchweg gut getroffen.
Einem der Hauptpreisträger des Landmann-
schen Wettbewerbs begegnen wir auch bei
dieser internen Offenbacher Konkurrenz : Hans
Bohn, der vorzügliche Graphiker, heute Mit-
arbeiter bei Gebrüder Klingspor, stand auch
hier mit einer Reihe von ^ut gelungenen Ent-
würfen im Vordergrund des Interesses. Der
Entwurf Tropenglut müßte insbesondere auch
durch seine frischen und für Tabak charakte-
ristischen Farben eine außerordentlich wirkungs-
volle Zigarrenmarke abgeben. Georg Baus-
Leipzig war mit 4 flott hingeschriebenen Ar-
beiten, worunter der feinfarbige, in gold, grün,
violett gehaltene Entwurf „Brothers Jonathan"
an erste Stelle rückte, vertreten. Nur eine
Arbeit reichte Fritz Rosenthal-Berlin ein, eine
abgeklärte reife, architektonisch vorzüglich auf-
201
(XIII. Juli 1920. 6
Wettbeioerh für Zigarren-Packungen.
202
HANS BOHN— FRANKFURT.
»DECKELBILD« EIN II. PREIS.
gebaute Packung für teure Zigarren in wunder- wiederzugeben ist. Drei der Abbildungen führen
barem Rot mit Schwarz und Gold und weißem auf Hans Schreiber-Offenbach zurück, den
Schriftband, deren vornehme Farbenwirkung wir gleich Bohn auch unter den Siegern des
in Schwarzweißvervielfältigung leider nicht Landmann'schen Wettbewerbs verzeichnet
GEORG BAUS-LEIPZIG. »ZIGARREN-PACKUNG • DECKELBILD« EIN I. PREIS.
Wrtthcivcrb für '/.igarrcji-Packungen.
^
.-^^'-''-^-y^
m\mmMA'(^ irAi^tACiDSjh
HASS SCHREIBER uKKENHACH.
»DECKELBII.n« EIN li. PREIS.
sahen. Besonders bei seinen Arbeiten tritt die das Zurückverlegen der dargestellten Motive
Schrift in Vollendung in Erscheinung, Farbe aus der Gegenwart in altvergangene Tage auch
und subtile Zeichenweise treffen vorzüglich das, Gefahren in sich birgt, über die wir uns im
was uns bei guten alten Packungen als wesent- InteressefortschrittlicherKunstklarseinmüssen.
lieh erscheint. Allerdings muß gesagt sein, daß — Zu hoffen ist, daß die Firma Heinrich Conrad
HANS SCHRI",I|:KK m| ienmia^ h. /I. ■.ARREN-PACKUXr, . Iil. KI.I.llH.I) III. PREIS.
203
Wrffbewerb für Zigarren-Packungen.
Deines, die den beschränkten Wettbewerb in
so (Sroßziijjiger Weise zu einem vollen Erfolg
zu gestalten wußte, auch die Kraft findet, die
Widerstände, die sich der Verwendung ge-
schmackvoller Packungen leider noch immer
entgegenstellen, zu überwinden. Dabei handelt
es sich weniger um den Raucher, der gewiß
seine Freude an einer guten Aufmachung des
Kauchmaterials findet, auch nicht um den Zigar-
renfabrikanten, der einem künstlerischen Fort-
schritt sich auf die Dauer sicher nicht entgegen-
stellt ; der Widerstand tritt uns vielmehr aus dem
Lager der Reisenden entgegen, die zwischen
der lithographischen Firma und dem Zigarren-
fabrikanten stehen. Da wäre allerdings zu
wünschen, daß an diese Herrn die energische
Weisung ergehe, ihre ganze Kraft in den Dienst
der guten Entwürfe zu stellen und dem Wunsch
nach zu süßlich fader, geist- und geschmackloser
Mache sich mit aller Kraft und Überredungs-
kunst entgegenzustemmen. Es geht nicht an,
sich auf die Dauer hinter die Entschuldigung
zu verschanzen: „Unser Publikum kauft das
nicht". Der Reisende — auch der in Zigarren-
packungen — muß sich endlich darauf besinnen,
daß auch er ein Kulturträger zu sein, eine
Mission zu erfüllen hat, daß er sich frei machen
muß von der Freude an Dingen, die geschmack-
vollen Menschen als Geschmacksgreuel er-
scheinen. Nun ist es ja gewiß schwer, sich von
festgesessenen Anschauungen loszusagen, ohne
andere bessere begreifen und erfassen zu können,
es erscheint auch fast unmögUch, Dinge mit
gewandter Sprache zu vertreten, denen das
Herz kalt und teilnahmslos gegenüber steht.
Da bleibt eben nur der Weg des Personen-
wechsels, der Weg, die Vertretung künstlerischer
Dinge nur Leuten anzuvertrauen, die diesem
Arbeitsgebiet Gefühl und Verständnis entgegen-
zubringen vermögen. Keinesfalls darf der Fort-
schritt daran scheitern, daß ungeeignete Men-
schen erfreuliche Ansätze um ihre Auswirkung
bringen. Es muß mit der Ansicht gründhch
aufgeräumt werden, daß, während auf allen
anderen Gebieten derWeg zum guten Geschmack
offen steht, die Zigarrenpackung allein dazu
verurteilt sein soll, sich dauernd im Rahmen
übelster Geschmacklosigkeit gefangen zu sehen.
Man kann nicht glauben , daß während der
Zigarettenraucher die Freuden guter Packung
genießen darf, man an den Zigarrenkonsumenten
für alle Zeiten die Anforderung stellen will,
sich mit der Tatsache abzufinden: „Unser Pu-
blikum lehnt die moderne Richtung der Pak-
kung ab" n. k.
St
Aller Unterricht sollte eine Anleitung sein, der
rv Welt selbständig und unabhängig gegen-
überzutreten und in befestigter Gewohnheit das
erarbeitete Wissen zum Erwerb neuer Kennt-
nisse zu benutzen. In jedem Augenblick muß
alles Wissen zur Verfügung stehen. Dies wird
am sichersten erreicht, wenn es von der ersten
Stunde einem Können dient. Können ist die
höchste Macht. Verstehen und selbständig unter-
suchen können, mitzuempfinden und nachzu-
empfinden vermögen, geht über alles Wissen
weit hinaus alfred lichtwark.
FRITZ ROSENTHAL-BERLIN. »ZIGARREN-PACKONG« EIN I. PREIS.
/
KAY H. NEBEL-DARMSTADT. .MÜTTERLICHKEIT«
KARL HOFEK— GENF.
»GRUNK r,ANUSrHAKr<
DEUTSCHER EXPRESSIONISMUS DARMSTADT 1920.
(ro. JUNI ms 30. SF-PTEMBER I92O.)
Das malerische, graphische und plastische
Material dieser Ausstellunfl voll Sorgfalt
und Vielschichtung ist als künstlerisches und
zeithches Bekenntnis durchaus in Form und
voll Fortissimo, voll von blühender Gegenvkfart
und pochendem Rhythmus, als Wertfaktor in
vielen Linien jedoch ohne letzte Notvi^endigkeit
und Plan. VielfältigeVerzweigung, Einbeziehung,
der weite und ausgespannte Kreis der Einheit-
lichkeit im Stilistischen, die überall bewahrte
Bewußtheit zur Persönlichkeit und zum Ver-
schwisterten machen sie zu einer Tat künst-
lerischer Stärke und Reinheit. Für Darmstadt
ist sie durchaus ein Faktum neuen kräftigen
Kunstwillens, Aufreißung von fruchtbarem Neu-
land, ist sie ein Begeben mitten in die großen
und fruchtbaren Strömungen der Epoche.
Ihre Stärke liegt nicht in der ausschließlichen
Qualität des Materials, sondern in der umfas-
senden Linie, womit sie die zahlreichen Er-
scheinungen der Mitte einschließt und vordrängt ,
sie erstreckt sich mit konsequenter Neigung
mehr in das Ausmaß der Breite als ein einziges
Juwel voll Schönheit und Süße zu sein. Ihr
Charakter wird geprägt und angezeigt durch die
scharfe Aufzeichnung des Mit- und Nachwuchses,
Sie leidet trotz der Betonung zur Schärfe an
der letzten eisigen Klarheit. Sie ist durchblitzt
von Sonnen, Sternen und Edelsteinen einiger
Großen und Führenden, aber ihr großes Ange-
sicht wird von den matten Abendlichtern der
Schwankenden, Tastenden, Angelehnten, Brü-
tenden und Unausgeglichenen komponiert.
Ein Rhythmus durchgeht sie jedoch. Der
große und morgendliche Rhythmus des Kampfes
und des neuen Kunstwillens. Hier ist Luft und
Musik aus der Zeit. Hier sind die Rätsel der
Epoche, die Sünden, die Beschränkungen, die
unendlichen und tragischen Irrgärten, hier sind
die Schönheiten, die Freiiiciten, die göttlichen
311. Angnsl 1920. I
;>«
7
Deutscher Exf<ressionisiiiiis Darnisfadt 11)20.
208
REINHOLD EWALD— HANAU.
Blumen und die Augen der Unsterblichen. Die
Beziehungen hinüberlaufend zu den Franzosen,
von denen sie einige fürstliche und glänzende
Gebilde voll Kultur und Güte zeigt, in der Zu-
spitzung romanischer, superiorer Form, ohne
Schwanken und Konzession in der sicheren und
reizvollen Linie: Sachen von Georges Braque
von Weisheit und Beglänzung, Bilder der Lau-
rencin recht weltmännisch und gutgelaunt in
der niedergleitenden Kontur von Lyrik und
Dandytum, breitere von Impuls und Tempera-
ment durchpochte Schöpfungen, die noch die
Neigung zum Spielerischen haben, von Raoul
Dufy ; klassisch und klug Geformtes von Picas-
so, eine kubisch starre Landschaft von Juan
Gris , heitere, starkbewußte und vorgeschobene
Bilder von Maurice de Vlaminck und die pri-
mitive und bezaubernde Reinheit Rousseau s.
Es sind Bilder in den Sälen, zu denen durch
das Gewaltsame und Ungelöste ihrer Form keine
Beziehung zu finden ist, bei denen die Analyse
des Intellekts zur Erbitterung sich zuspitzt, nicht
GEMÄLDE aiLTTER«
im Sinne einer unvollkommenen und bürger-
lichen Betrachtung, sondern in der erkennenden
und verstehenden des Bewußten und Wissenden,
der die Möglichkeiten sieht, die unausgestaltet
blieben, die Betrügereien, die Schamlosigkeiten,
den das Vergebliche bedrückt, das nicht Gefun-
dene erzürnt. Bilder aus der Erschlaffung ge-
macht, aus der Verführung der Konjunktur,
nachgeahmt dem Stil der Führenden und Reinen,
aber ohne Ertastung des Geistigen und See-
lischen, ohne die fesselnde Dynamik des Inner-
lichen, Sterilitäten expressionistischen Epigo-
nentums.
Aufwühlt mich Marc, aufwühlt mich Lehm-
bruck. Grosz ist prachtvoll. Entzückend ist Klee.
Von Grosz das blühende Bild des „Abenteu-
rers". Dieses Bild ist eine einzige Faszination,
fesselnd durch das Meer seiner Erscheinungen,
durch die Schärfe seiner Technik, durch den Ge-
ruch seiner Exotik, durch das Rauchende seiner
Inbrunst, durch das Brüllen seiner fiebernden
Weltmusik, durch das Mexikanische seiner
CESAR KLEIN -BERLIN. -.RUHE AUF DER ELUCHT«
MIT GENEHMIGVNG DER KUNSTHANDLUNG FRITZ GÜRLITT— BERLIN.
'0
1
GEORG KARS KRALUP. »ZITRONENPACKERINNEN«
MIT GENEHMIG. VON HANS GOLTZ— MÜNCHEN.
Dcufsclitr Expressionisnnis Darvistadt ig20.
mmmmmemmmmmmm
HENRI ROUSSEAU f-
Mache. Hier ist Welteinfangen. Kosmos auf
der Fläche. Hier ist Pracht und Traum in un-
endlichen Variationen. Aus seinen Lithogra-
phien steigt makabre Melodie. Es zerlegt alles
ins Skelettartige. Er zieht alles auf die wesen-
hafte Linie zurück. Ihn reizt das Viehische, die
Stadt, die Dirne und die Straße. Er ist der
zeichnerische Entschäler der Psyche, der Chirurg,
der Anatom. Innig blüht neben ihm Marc mit
seinen Kompositionen, die sich gelb, blau, grün
und südlich über das Tier und seine Seele aus-
schütten. Die Tiere singenihre Seele ans Licht.
Sie werden blau in ihrer Freudigkeit, in ihrem
Adel, sie werden dunkel, gewitterrot, zackig
und gesträubt in ihrem Hunger, ihrer Gier, ihrem
r,EM.\LDE •!«£ ZOLLSIAIION»
(GAL. ALFRBD FLECHTHEIM-DÜSSBLDORF.)
Zorn. Marc war ein Mystiker, ein metaphy-
sischer Mensch. Nur wenige haben diese Linie
erkannt. Rein und einfällig glänzen seine Holz-
schnitte. Lehmbruck, dem ein ganzer Saal voll
Plastik, Radierungen und Zeichnungen zum Ge-
dächtnis gewidmet ist, stößt mich mit allem ins
Licht. Seine Plastik, die hier steht, überglänzt
alle Plastik dieser Ausstellung. Lehmbruck er-
scheint mir als der künstlerische Gesetzesformer
dieser Zeit. Seine Figuren, gotischer Gereckt-
heit voll, mit romanischen Rundungen, ganz
zentralisiert, sind nicht in allem gelöst. In den
Radierungen und Zeichnungen ringt er fanatisch
und glühend um das Problem der Plastik. Man
ist manchmal frappiert, wie Renoir-nahe man-
211
Deutscher Expressionismus Darmsiadt igso.
■ an
212
OTTO VON WATIKN — l>ü.^^ti.lloKl .
ches ist, wie romanisch hingekugelt und gewälzt.
Paul Klee mit vielen Kompositionen, Aquarellen
und Skizzen, die schön und kostbar gemalt, ge-
zeichnet und schraffiert sind. Welt und unbe-
rührtes Leben unter dem Traumuntergrund der
Seele staunt in die Realität. So tief steigt erhinab
bis in eine blaugründige Dämmerung. Astrale
Lyrik, Chimärenhaftes, Fremdes, von Träumen
Zartgesponnenes, Verwirrtes in reizvoller Bin-
dung, Unbeholfenes in exakter Disziplin; es ist
unerschöpfbar. Was von Kokoschka an Gemäl-
den gezeigt wird, gibt keine neuen Erstaunungen
und Prägungen, was von Pechstein hängt, kann
GEMALUE »NACHT« (GRAN.MJA).
MIT GENEHM. DER GALERIE FLBCHTHFIM,
nicht stark interessieren. Das große Ernlebild
von Nauen ist mit gewaltsamem, rohem und sto-
ßendem Atem gemalt. Carlo Mense blüht schön,
großäugig und fremd. Bilder, deren Superiori-
tät in dem farbigen Elan und der glänzenden
Malweise liegt. Davringhausen, derirgendwie
durch Mense beeinflußt ist, fesselt durch den
phosphoreszierenden vorspringenden Glanz sei-
ner intensiven Farbe. Letzten Endes ist er je-
doch eine aus süßlicher Einstellung zweifelhafte
Erscheinung. Kay H. Nebels Bild, „Mütterlich-
keit", scheint mir aus der Fülle eines großen
Zwanges geschaffen. Eine Vision von un-
Drutschir Ex/^ressionisniiis- Darrvstadt igjo.
CARLO MENSE-BONX.
endlicher und frischer Fruchtbarkeit ist so
stark zentralisiert, daß sie fast trocken wirkt.
Eine zärtliche feinnervige und hervorgelockte
Innigkeit gibt dem großen Bild, das formal ohne
Zerrüttung ist, die Anziehungskraft, Ewald aus
Hanau fesselt eminent. Er scheint auf dem Wege
zu sein, der raffinierteste deutsche Maler zu wer-
den. Er lockt die Farbe zur Darstellung des See-
lischen hervor, durchaus anekdotisch eingestellt,
findet er doch immerhin eine Rindung über
dieses nur Situationshafte hinaus. Man muß
seine Farbe beachten, die ganz groß und stark
ist (leider auch mit dekorativ-leerer Wirkung).
gf.mai.de »heu.iger«
IIENKHM. VON HANS OOLTZ-Mi'NCHHN.
Man muß auch das Geistige fühlen und ab-
tasten, das seine Bilder irgendwie beprägt hat.
Für das stärkste halte ich seine „Mütter", seinen
„Eislauf" liebe ich, hier ist neben dem dekora-
tiv Mißglückten eine außerordentliche Wider-
standskraft im Atmosphärischen und im Beobach-
teten, hier ist ein ganz starkes Tremulieren in
den Schattierungen und Gegeneinanderstel-
lungen der Farben, die aus hartnäckiger Wissen-
schaftlichkeit und gutem Gefühl kommen. Josef
Eberz bringt mit dem Bild „Tänzer" ein kolo-
ristisch und rhythmisch urwüchsiges Bild voll
Bewegung, Linie und Freude. „Golgatha" und
213
Dezitscher Expressionismus DarmstadI iq2o.
2t4
i-U.. k ..,1 . I-.JL 1.-..
GENLALDE HEXENBILD«
MIT GENEHM. VON HANS GOLTZ-MÜNCHEN.
„Erstehen" leiden an schwankender Zerghede-
rung, bleiben in der lyrischen Kurve stecken, sind
farbig von feinem Reiz, aber eine letzte Lösung
bilden sie nicht. Ihm nahe steht Karl Gunsch-
mann, der zwei Kompositionen und ein Stilleben
zeigt, GunschmannmeistertdieFläche des großen
Bildes mit vieler Lebendigkeit, oft entzückend
reich in der Variation und Ausstrahlung seiner
Einfälle, erfüllt seine Figuren mit Kurve, Linie,
Biegung und ganz zarter Rhythmik, die harmo-
nisch zusammenstreben, blüht und träumt in
leichten ätherischen Körpern zwischen glockigen
Blumen und brennenden Gewächsen in heiterer
Anspruchslosigkeit und Demut. Irgendwo aber
steht er in der Ermattung. Irgendwo ist die
entzückende etwas melancholische Unschuld
und Sinnenfreudigkeit pedantisch und trocken
geworden. Seine Radierungen sind voll trau-
riger einfacher Melodie. Hermann K e i 1 ist eben-
falls in einer Krisis, die vielleicht aus der Über-
last allzu großer und beherrschender Intellektua-
lität resultiert. CesarKleins Bild „Ruhe auf
der Flucht" ist sehr harmonisch, sehr prägnant
in der Hervorzauberung atmosphärischer Stim-
mung und voll versachlichter Exotik und Phan-
tasie und trotz ganz hervorragend ausgeprägten
Stilgefühls ohne eine manirierte Kurve. Ich raffe
zusammen, was sich noch herauslöst aus der
JOSEF EBERZ-MÜNXHEN. CtEMÄLDE .TÄNZER.
Till. AOZUSl 1
Heinrich m. davringhausen-münchen. »der farmer.
MIT GENEHM. VON HANS GOLTZ - MÜNCHEN.
Deutscher Expressiotiisnuis Darmstadt /gjo.
CARL GUNSCHULVNN -DARMS r.\DT.
Masse, was als Bestätigung betrachtet werden
kann: aus dem Sturmkreis Georg Muche mit
der farbigen Tafel zum Gedächtnis von Wilhelm
Runge, die mit ihrem flockigen gelben und roten
Tupfen eine gewisse Dehkatesse der Farben-
nuanzierung zeigt. In gleicher Linie sein Bild
„Sommer". Von Otto Lange erfrischt das Bild
„Mondlicht", das in den vielfältigen Erschei-
nungen eine zarte süße Überglänzung hat, von
Rohlfs fesselt Einiges, ebenso von Seewald, der
inseinerFächerpalmebemerkenswerteAufleuch-
tungen gibt, Scharff nicht zu vergessen mit
seinen plastisch geformten Bildern. Schrimpf
ermüdet. Schwalbach ist Neoimpressionist.
Schwitters macht Ulk. v. Wätjen ist mondain
in seiner Nacht zu Granada. Rudolf Baur malt
MusikaUsches : Symphonien, Klänge, Fugen.
Boeckstiegel ist sehr krampfhaft. Canipendonk
GEMÄLDE »STH-LEBEN«
entzündet sich lebhaft an Fcirben. Karl Caspar
baut eine dreigegliederte Passion auf, in der in-
brünstige Strömungen fluten. Chagall hängt
eine Geburt hin von slawischer Stärke und
Mystik. Interessant ist das Bild des Nils von
Dardel. Trotz der französischen pointillierten
Schule Originalität und Rhythmik aus dem
Norden. Eine Landschaft hellfröhUcher zarter
Farbigkeit macht auf Mila Eßlinger-Bensheim
aufmerksam. Kars in seinen Citronenpacke-
rinnen ist voll monotoner Schwere und Müdigkeit.
Was Well Habicht -Darmstadt an Plastik
zeigt, ist fundiert in einer cmgespannten geistigen
Intensität, deshalb nicht sehr sinnlich und er-
regend geformt, aber in der Wirkung voll von
Fesselung und Vornehmheit. Seine „Begegnung"
in weicher Schwingung erstarrt, etwas stumpf
und rund in der Modellierung, aber von zarter
217
Deutscher Expressionismus Darinstadt ig2c
218
f • - -^
ERICH HECKEI.- BERLIN.
»LANDSCHAFT« BES. DR. H. si.mon-fkankfurt.
und angedeuteter Seele und Inbrunst reich. Von
Arnold Hensler sind drei Bildnisköpfe voll witzi-
ger eleganter Prägung. Bernhard Hoetger fes-
selt. Seine etwas trächtige, drückende und ge-
ballte Art ist von dumpfer Wirkung. Von Milly
Steg er steht ein leichtsinniges lüsternes Tanz-
grüppchen da, Stärkeres gab sie dem „Unfreien " .
Angegliedert ist mit großer Wirkung Graphik,
die teilweise von hervorragender Qualität ist
und die sehr Prinzipielles und Positives aussagt.
Es ist Wichtigstes vorhanden. Es ist durchweg
Gutes an den Wänden. Es sind ausgezeichnete
Stücke in großer Menge da. Neben der witzig-
ironischen Nadel Rudolf Großmanns, Formun-
genaus einem großen weltmännisch-sicheren und
blitzenden Gefühl, neben der inbrünstigen hin-
gewühlten Art von Kokoschka, die starken
konturtragenden Schnitte und Lithos Pechsteins,
prachtvolle gemeisterte Schnitte von Lasar
Segall, zarte behutsame Radierungen von See-
haus, plastisch hingeworfene von Schärft, amü-
sante Aquarelle voll Kopfsteherei, Unsinn und
Phantastik von Großschem - Einfluß von R.
Schlichter-Berlin. Margarete Schubert-Darm-
stadt reißt eine bösartig lauernde, dämonenhaft
überlagerte Welt voll Unheil, Finsternis, Zu-
sammenrottung, Hunger, Gier und Armut auf.
Subtil und tief gearbeitete Motive aus dem alten
Darmstadt. Hier ist eine rasche, nervöse Phan-
tasie am Werke, durchströmt und durchschmerz-
licht von Visionen apokalyptischer Flügelhaftig-
keit. Sehr flimmernd gibt sich die Graphik von
Rene Beeh. E, M. Engert geht in seinen Scheren-
schnitten überspitzter raffinierter Verfeinerung
zu. Barlach wirkt sehr vornehm und gerundet.
Maurice de Vlaminck schneidet Städte ins
Holz: Marseille, Martignes, S. Michel, mus-
kulös in der Haltung, von energischem Wuchs
und eigenwilligem Selbstbewußtsein. Max Beck-
mann mit Radierungen aus Kasimir Edschmids
Novellenzyklus: Die Fürstin, mit Motiven aus
Bordell und Krieg, mit Köpfen und Gesichtern;
das Kriterium kommt zu der alten Feststellung:
Welt, Dinge, pathologisch unterhöhlt, eigen-
dünkelhaft, jedoch voll Form, liebend hinge-
neigt ans Primitive manchmal und auch oft voll
grauenhafter Aktualität. Man kommt zu der
Erkenntnis : wie unabänderlich dieser Mensch
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Deutscher Expressionismus Darinstadt iy20.
»mi.DNIS NILS VON DARDELS«
MIT GBNEHM, DUR GALBRIB FLBCHTUBIH.
sucht, wie hcirtnäckig, wie fest und treibend.
Holzschnitte Dülbergs aus älterer Zeit — gei-
stige Profile — sind voll bohrendem Fanatis-
mus, gearbeitet in das Intellektuelle hinein, aus
denen überall spielerische Überspitztheit droht.
Die Stickereien seiner Frau (Hedwig Dülberg-
Arnheim) durchzieht stilistische Stärke, sie sind
voll Reiz und Delikatheit, Farbe blüht blumen-
stark und flächig. Otto Gleichmann mit Zeich-
nungen und Lithographien neben einigen Bil-
dern erscheint hier nicht so groß in seiner typi-
schen Selbständigkeit. Aus allem bricht eine
neurotische zerfaserte Art, starke zeichnerische
Begabung, ein Grinsen, ein satyrisches Gelächter.
Im Turmzimmer hängen Kinderzeichnungen aus
dem Formunterricht Lang-Schubert, deren Lei-
terin die begabte, sehr überraschende Marga-
rete Schubert ist. Breite und farbenstarke
Äußerungen kindlichen Entzündetseins, Er-
weckung und Hingebung. — Eberz ist hier sehr
epidermishaft. Das wären die Wichtigsten. Klee,
Lehmbruck, Marc und Grosz habe ich schon
genannt. Und ich will dieses zum Schluß noch
sagen ; Klee und Grosz — welche Klasse !
Marc welch' zarter Kosmos! Lehmbruck welch'
gigantisches Ringen! anion s( hnack.
221
KAI in, DII-Y-l'ARIS.
GEMÄLDE »DER TURKENREITER«
MIT GENEHM. DER GALERIE FLECHTHEIM.
ABKLÄRUNG.
Picasso fait du Ingres, hört man seit einem
Jahre aus Paris. Und man wird gemahnt an
das künstlerische Wunschziel , das Cezanne
einmal aufgestellt hat : refaire Poussin sur na-
ture. In den künstlerischen Hauptstädten drückt
man die Entwicklung, die sich da anzubalinen
scheint, grob und mißtönig aus in dem Schlag-
wort; Ende des Expressionismus. Nur ein
kindliches Gemüt könnte darüber erstaunen.
Die 10 — 15 Jahre Lebensdauer, die jeder Kunst-
wahrheit beschieden sind, gehen für den Ex-
pressionismus ihrem Ende entgegen. Das Schlag-
wort tut das Seinige, um dieses Ende zu be-
schleunigen. Denn wenn auch nicht inneres
Keimen den Expressionismus zersprengen wür-
de : das Schlagwort seines Namens hat man zu
oft und zu laut gehört. Das Ohr verlangt einen
anderen Klang. Und wieder wird die Erfah-
rung gemacht , daß das Schlagwort wirklich
seinem Wortsinn gemäß funktioniert; es be-
nennt nicht nur eine Sache, es erschlägt sie auch.
— Aber davon abgesehen: Picasso macht In-
gres. Er hat die Malerei Europas eine größere
Strecke lang geführt. Das braucht keineswegs
die Konsequenz zu haben, daß sie ihm auch in
diese seine neueste Entwicklung folgen vfird.
Aber zu denken gibt diese Entwicklung doch.
Sie bezeichnet immerhin eine Richtung, in die
unsere Malerei früher oder später wieder wird
einlenken müssen : Aufgabe des Kriegszustan-
des gegenüber der Naturvorlage, Ausdruck des
Geistigen durch das Medium treu bewahrter
Naturform, Klassizität in irgend einer Gestalt.
In Deutschland sind dazu noch keinerlei An-
sätze vorhanden. Wenigstens haben wir noch
nicht die geistige Einstellung, sie zu sehen. Viel
eher scheinen unsere Künstler noch durch die
Reize und Möglichkeiten einer entschlossen
abstrakten Kunst angezogen zu werden; was
bedeuten würde, daß sie es für verfrüht hallen,
GEORGE GROSZ BERLIN. GEMÄLDE -DER ABENTEURER.
MIT GENEHMIGXTNG VON HANS GOLTZ— MÜNCHEN.
ir!?
WELL HABICHT- DARMSTADT. .BEGEGNUNG«
Ahkh'iruuz.
den Frieden mit der seienden Welt zu machen,
den jede Art Klassizität, jedes Verwenden der
Naturform als Ausdrucksmittel in sich schließt.
Auf jeden Fall aber ist es notwendig, den Kunst-
freund nachdrücklich auf die Gespanntheit der
Situation aufmerksam zu machen, sein Auge zu
schärfen für das Neue, das sich entbinden will,
seine Neugier , seine Lust zum Miterleben zu
stimulieren in einem Zeitpunkt, der wieder irgend
welchen Entscheidungen zudrängt. Ks ist eine
ähnlich gespannte Lage wie vor 10 — 12 Jahren,
als unsere Kunst in eine trostlose Sackgasse
geraten war und kein Mensch wußte, wie es
weiter gehen werde: bis plötzlich eine himmel-
hoch und unersteiglich geglaubte Felswand, die
allen Weg verriegelte, vor unseren staunenden
Augen als wesenlose Attrappe zusammensank
und den Blick in unabsehbare Gebreite freigab.
Ähnlich, sage ich, war diese Lage. Nur mit
dem Unterschied, daß heute viel mehr sichtbare
Möglichkeiten vor uns liegen, von denen jede
eine gewisse Ergiebigkeit zu besitzen scheint.
Auf keinen Fall liegt, wie damals, Zwang zu
einer schroff abbrechenden, katastrophalen
Wendung vor. Es gibt so viele Wege, die ganz
natürlich und logisch vom Expressionismus aus-
stralilen; es gibt so Vieles zu erfüllen, was er
versprach, zu vollenden, was er begann, daß
mit einer scharfen Abkehr von seiner bisherigen
Linie kaum gerechnet werden kann. Die aller-
nächste Zeit wird ja wohl den internationalen
Austausch von Kunstwerken in Ausstellungen
etc. wieder in Fluß bringen. Das wird einen
mächtigen Faktor der Entwicklung bilden. Der
Expressionismus hat, rein formal genommen,
die Möglichkeit, seine abstrakten Keime zu
entwickeln oder seine kosmisch-dadaisti-
schen oder seine klassizistischen. Er ist
eine wenig einfache Sache. Er enthält als ein
echtes Chaos Samen der verschiedensten Art.
225
KXIII. Aigllst I9i0. 3
A bkläriing.
Von der allgemeinen Lebensstimmung der Zeit
wird es abhängen, welche dieser Samen zuerst
in Blatt und Stengel schießen werden. Eine
Prophezeiung darüber? Die ist schwer zu wagen.
Es scheint zwar sonnenklar, daß Zeit und Men-
schen zerrissener sind als je und stürmisch be-
wegt und daß daher, trotz Picasso, keine Aus-
sicht auf innere Beruhigung und klassizistischen
Weltfriedensschluß vorliegt. Aber die Kunst
ahnt, was in den Tiefen ist. Sie liefert die
frühesten Ausschläge auf unterirdische elek-
trische Ströme, die sich später sichtbar an der
Oberfläche auswirken wollen. Sie begann sich
vor zehn Jahren, mitten in Frieden und Ge-
deihen, urplötzlich zu erregen, wurde fanatisch
und rebellisch , ging mit revolutionärem Zorn
ins Ethische und hatte rein in ihrer Form den
ganzen Umsturz, der in Krieg und Revolution
grauenhaft über die Welt k# i. Es ist ebenso-
wohl möglich, daß sie jetzt schon eine Beruhigung
ahnt, die kommen will. Eine Beruhigung, die
freihch alles andere eher ist als bürgerliches
Behagen und stumpfsinnige Gottfremdheit. Aber
eine Beruhigung, die die waltenden Mächte der
Welt klar und positiv erkennt und endlich zu
ihnen in eine fromme, direkte und offene Be-
jahung tritt. Wir haben — ich sage dies gerade
aus inniger Fühlung mit dem Zeitgeist heraus —
lange genug mit diesen Mächten Verstecken ge-
spielt, sie illusionistisch verspottet, geleugnet,
gelästert, weil Irdisches durchgelebt werden
mußte, weil wir des Irrtums bedurften, um
wieder ganz in unserer Welt heimisch zu wer-
den. Wir müssen manchmal durch solche Pe-
rioden der Verjüngung und Ver-Erdung gehen,
um dann das Gestirnhafte und Wahre um so
mächtiger zu fühlen. Es ist ganz sicher eine
Ermüdung an diesem Versteckspiel mit den
„Mächten" eingetreten. Und so scheint es nicht
ausgeschlossen, daß in der Tiefe der Zeit etwas
Friedevolles keimt trotz des Aufruhrs an der
Peripherie. Jedenfalls sollen wir mit großer
Lust und frömmster Neugier den Prozeß ver-
folgen und uns der Woge Leben hingeben, die
sich schon in der Höhe des Meeres erhebt und
kraftvoll dunkel auf uns zurollt, willy fr^vnk.
Ä
Alles was gelernt und gelehrt und an Kräften
i\. erworben wird, muß durch das Gefühl in
den Dienst der höheren Entwicklung unseres
Volkes gestellt werden. Jeder einzelne muß
sich mitverpflichtet fühlen, an der Vertiefung
und Veredelung unseres Volkscharakters mit-
zuarbeiten und zwar, indem er nicht bei den
andern, sondern bei sich selber anfängt. In
solchem Boden gepflegt, werden Vaterlands-
gefühl, Volksbewußtsein, Nationalstolz und wie
wir die Äußerungen des einen tiefen Gefühls
der Zugehörigkeit nennen mögen, sich als auf-
bauende und gestaltende Lebensmächte wirk-
sam erweisen, die nicht nur an seltenen Schick-
salstagen fieberhaft aufwallen , sondern auch
an allen Werktagen still und stark an der Ar-
beit sind ALFRED LICHTWARK.
'.MLlll.l.M l.LH.\ll;ia\ K t. Ml/.EMJii.-, ilAUClILN.
IIKinVIG DÜLBERG -ARNHEIM. .BILDSTICKEREI«
'1
KERDINANU
HOÜLKR t.
»KRUHLINGS-
I.AiNDSCHAFT«
GEMÄLDE AUS DARMSTÄDTER PRIVATBESITZ.
(ausstelh'iNc am kheintok: juni bis September 1920.)
Zur Zeit findet in Darmstadt neben der großen
Ausstellung „Deutscher Expressionismus"
auf der Mathildenhöhe in der neuhergerichte-
ten Kunsthalle am Rheintor eine Ausstellung
der Darmstädter Sammlertäligkeit der letzten
Jahrzehnte statt, worunter Namen wie Böcklin,
Thoma und Hodler vertreten sind.
Die Gesamtschau, die nicht in allen dort ge-
zeigten Bildern glücklich zu nennen ist, weist
Werke auf, die dem Geiste der Zeitschrift be-
sonders nahestehen, wobei das Werturteil wohl
mehr zu Gunsten der „expressionistischen"
Werke verschoben sein dürfte, wobei dem Im-
pressionismus — sagen wir in diesem Falle, um
es besser und deutlicher zu bestimmen — einer
gewissen breiteren Verdeutschung desselben
mit allen Vorzügen und Gefahren, das Beste
zu entlocken versucht wurde
Diesen Geist zu beleuchten, möchte der Un-
terzeichnete sich bemühen. Es sind ausgestellt:
Werke von Eugen Zcik und Julius Adam, von
Altheim und Willroider, Bader und Weisgerber,
Beyer und Weise, Böcklin und Weber, Buri
und Vlaminck, Bracht und Trübner, Caspar und
Caspar-Filser, Otto H. Engel, Tooby, Thoma,
Strich-Chapell, Th. W. Stein, Eberz, Steppes,
Seewald, Kopp, Kars, Eimer, Erich Erler, Au-
gust Gebhard, Grützner, Willi Geiger, Goos-
sens, Habermann, Heß, Hodler, Hoelscher, Hoet-
ger , Hofmann , Hüther , Jank , Kallmorgen,
Schwalbach, Schülein, Schuch, Schreuer, Lie-
bermann, Schönleber, Schinnerer, Roth, Raupp,
Putz, Püttner, Pechstein, Orlik und Oswald,
Lenbach und — Heinz Heim
Zuvörderst ist ein wundervolles Werk — ein
Aquarell „Drei nackte Frauen" — von Hoet-
ger zu nennen; außerordentlich sinnliche und
schöne Spannungen der Form sind in Frauen
der Natur abgelauscht und gefrieren zu einem
formalen Gebilde, das schöne und edle Gefühle
auslöst. Rodinverwandt, jedoch eher mit bester
griechischer Vasenmalerei vergleichbar.
Ein äußerst zarter, verhältnismäßig frülier
Hodler, eine „Frühlingslandschaft", ganz ohne
die etwas geschwollene Pathetik seiner späteren
Bilder, fast naiv, mit eigenem Grün, Veilchen-
violett und vergilbtem Gelb frühlingshaft klin-
gend in gewisser Parallele — so peu-adox es
klingen mag — mit Kandinskyschen „Klängen".
Wohl aus derselben Zeit wie das schöne lis-
pelnde Bild — nicht die spätere Seelcindschaft
— der Münchener Staatsgalerie.
Orchideenhaft kostbar — an Picasso und
Matisse erhitzt, ein Deutscher mit der „Pein-
228
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Gemälde aus Daniis/ädler Privatbesitz.
iure" — die „Iris" von Eberz, mit stark my-
stischem Klang, gut in der Statik der gotisie-
renden Fläche, ich möchte sagen, mit einer
böcklinischen Schwermut, nicht räumlich tief,
sondern reliefartig eingeschoben.
Hin sehr schönes Bild, von räumlicher Klarheit
mit dieser geheimen Herrschaft der Naturseele,
die man je nach Zeit als Vorzug oder Ein-
schränkung — mit dem Hinweis auf die Gebiete
der lyrischen Dichtung — erkennen wird, die
„Römische Villa" Bock lins. Meiner Erfas-
sung nach mit dem weltverlorenen Klang des
geheimnisvollen Schwarzgriin , der Silberhelle,
mit der Freiheit des Raumes in diesem Ausmaß
sich unbedingt malerisch behauptend, das Flo-
rentinische — mit gewisser Verkennung von
Giorgione und Tizian — ins Bunte und schön-
geistig Ausartende der „Lachenden Au" glück-
lich vermeidend. Hier wären die beiden Len-
bachs einzufügen.
Von Thoma die „Mutter mit den Kindern",
farbig und formal primitiv mit abendlichem Blau
und Goldbraun, die „Nixen", ein zur Arabeske
neigendes Bild (1875 entstanden), mit allen Vor-
zügen und Schwächen, bleigrau und grüntintig,
von rhythmisch bcu-ocker Bewegung mit der
Gefahr dekorativer Symbolik.
Aus der frühen Periode von Maurice de
V 1 a m i n c k ein sprühendes, räumlich freies Bild
„Blumenstrauß" von einer Farbe, die an alte
Schloßtapeten erinnert.
Von Pechstein, der mit 7 Werken ver-
treten ist, vor allem ein gutes stabiles „Por-
trät" seiner Frau aus guter Zeit, voll und
stark in der Farbe , blau und violettrot mit
starkem Grün ; eine schöne „italienische Land-
schaft" ; etwas lockerer zwei „Stilleben", die
von einer Talentprobe: einer „Strand- und
Meereskurve" mit gelben und roten Segeln
übertroffen werden.
Von See wal d ein gutes Bild mit bäuerlich
stiller Erfindung, ein wenig an das „Ravin" von
Van Gogh erinnernd, mit lockerer Hand gemalt.
— Von Eugen Zak gute Lyrik in schöner
ausgeglichener Farbe und Form.
Geht man auf den spezifisch breiteren und
„süddeutschen Impressionismus" ein, so reprä-
sentieren sich als vermittelnde Glieder etwa
Caspar undWeisgerber, wobei der erstere
besser vertreten erscheint; ein relativ bester
Putz, ein Stilleben von Püttner sind beach-
tenswerte Erscheinungen in diesem Milieu. Da-
zu gehören mit relativ guten Bildern Schinne-
rer, Münzer, Buri, Hüther, Caspar-
Filser, Schwalbach, Willi Geiger,
Ludwig von Hof mann, und ein kleiner
früher Bracht, der überrascht.
Als Outsider hier wirkt der witzige kleine
Max Liebermann.
Man pflegt neuerdings bei retrospektiven
Ausstellungen Entdeckungen zu machen; will
man dies, so beachte man die komplementäre
Farbkraft und das Räumlich - Kubische als
gewisses malerisches Fundament von Reinlich-
keit in den „Apfelessern" des unbekannten
Heinz Heim und ziehe von dem „Odenwald-
bild" das motivisch Genrehaite ab, um ein
Talent von nicht geringem Ausmaß erstehen zu
sehen, das zurückgestellt und trocken, sich an
schlechtem Thema verlor. . . . keinhold ewalu.
Kul'l'- MÜNCHKN. »SPRINGENDE PFERDE«
MAX KUNGER».
»BEETHOVEN«
VOLLENDET 1902.
MAX KLINGER f.
DKM CROnsEN ioTKN.
Er war der Bruder Albrecht Dürer's: wie
dieser mit allen Fasern der Geisteswelt
und den Gestirnen verbunden, wie dieser ein
Könner von Gottes Gnaden, wie dieser ein fau-
stischer Sinner und Dränger. Nur in ihrer künst-
lerischen Handschrift waren sie verschieden.
Was Meister Albrecht auf mittelalterlich-dunk-
lem Grunde mit kraus eichen-deutscher Frciktur
hervorzauberte , das flammte unter Meister
Klingers kundigen Händen in edlen marmor-
weißen Antiqualettern auf blauer Himmelswand
empor. Barg jener sein Leben in Lust und
Schmerz, in Himmel und Hölle der christlich-
römischen Vorstellungswelt, war diesem Hellas,
Olymp und Orkus, Maske und Gewand, sich
selbst zu agieren, von seinem Erleben, Erfühlen,
Erfahren in bewegenden Rhythmen zu reden.
Wie Meister Dürer nicht eigentlich kam, nicht
allmählich heraufzog, erst klein und ringend in
Fernen, dann wachsend, wie er sein Können,
sein Handwerkszeug gleich mitbrachte, nicht
werden brauchte von Unreife zur Reife, so stand
auch Meister Klinger plötzlidi vor unsem Augen,
ein Könnender, Ausgerüsteter, dem die Formen
nur Selbstverständliches sind und der nur zu
leben braucht um reden zu können
Wir, die wir ihn kannten, weinen, daß wir
seine hohe Flammengestalt, die sich in der Er-
innerung immer ins Riesenhafte weitete, nicht
mehr sehen werden , weinen , daß wir seine
Stimme, die so schwerfällig gewaltsam nach
Ausdruck rang, weil Pan und der Wald und
das unendliche Meer, in Allem mitschwingen
wollten, nicht mehr hören werden, weinen, daß
wir nicht mehr diese Aura verspüren dürfen,
die so gewitterschwer mit Titanenkraft und so
sonnenhaft mit Götterliebe und mit Götter-
willen geladen war, weinen, daß unwieder-
bringlich dahin sind die Gelage bei Wein und
dämonischer Musik, zu denen er so gerne die
Besten berief und bei denen er so bescheiden
und anspruchslos und doch so unvergeßHch
überragend den Mittelpunkt abgab — wir wei-
nen als Menschen, als Erschütlerbare, als Er-
fühler einer entstandenen Lücke, als Empfinder
gesteigerter Einsamkeit um uns. Wir weinen
wie bei allen Todesfällen um das Wehmütige
im Tod, das keinem erspart bleibt, um Men-
schenlos und Menschenleid! Aber auch nur so
dürfen wir an seinem Grabe trauern. —
Denn : Sein Werk ist nicht unterbrochen, kein
Bedauern zittert an seiner Bahre. Kein, „ja
231
J/iix A7i//<^fr
wenn er" oder „hätte er noch länger" braucht
den Kopf zu erheben aus den Lorbeeren und
Rosen um seinen Sarg, Sein Werk steht da,
groß, gewaltig, vom Basenzögern bis zur Bluten-
schwellung der Säulenwelt — fertig und voll-
kommen. P^s fehlt nichts — und von diesem
Gesichtspunkte aus darf sich unsere Trauer in
weihevolle Dankesfreude verwandeln, in einen
stillen Lobgesang des Herzens auf die Wunder
der Vorsehung bei der Vollendung eines sol-
chen Menschenlebens.
Man wird nun ihm, der es wie kein Anderer
verstand, durch seine Kunst die Verdienste
Anderer zu ehren, ein liebender Diener aller
Größe zu sein, ein Denkmal setzen müssen.
Doch ach — wo ist die kundige Hand zu
finden, die einen Stein so klingen machen könnte,
wie er es konnte.
Wehmütig halten die Freunde Umschau —
wo ist der Meister, der auf der Stätte, da sein
Sterbliches schläft, ihm den Denkstein errichtet,
wo ist das glühende Herz, das wie das seine,
in Liebe und Hingabe sich in fremder Größe ver-
zehren kann? Suchen wir unter den Alten!
Ach, wer ist unter ihnen, den Denkstein zu
errichten? — Und wenn er mit Menschen- und
mit Engelszungen zu reden vermöchte — die
Kinder der neuen Zeit werden ihn nicht hören
wollen! Und einer der schaffenden Jungen,
einer, der aus dem Geist der letzten Zeit em-
porgebürgten? — Könnte ihr stürmendes Sin-
nen, gepeitscht von der jugendlichen Ehrfurcht
des .,a;j.£ivov£c; s'o;j,ev ~7.t£[>coV sich dazu ver-
stehen, der Größe von Gestern ein Denkmal zu
errichten? Könnte überhaupt die Sprache des
sehnenden Chaos, des Ur- und Neumenschen-
stammelns, einen Funken Hoffnung auf würdiges
Ehrenwort für den ergeben, der ein sonniges
Hellas, und die Ideen eines Piatos in nordische
Fluren verpflanzte?
Sie rufen — aber der Ruf verhallt! Der, der
dem großen Denkmalsetzer ein würdiges Denk-
mal setzen könnte — er ist nicht da, diese Zeit
hat ihn nicht gezeugt!
So wollen wir einen gewaltigen Quaderstein
nehmen, ungeheuer, von unentrückbarer Zent-
nerlast, und wir wollen ihn auf sein Grab legen,
daß niemand an den Gebeinen dessen rühre,
der der Größten einer unseres Volkes war, und
ein Steinmetz soll mit schlichten, ehrwürdigen
Buchstaben darauf schreiben : MAX KLINGER.
Unter diesem Quadersteine soll er ruhen.
Mögen die ewig wechselfrohen Herzen der Men-
schenkinder den Weg zu seiner Stätte verwach-
sen lassen, mögen wilde Rosen ihn umwuchern,
eines Tages, vielleicht in vielen Jahren, wird der
Junge kommen, der Sucher, der Träumer, der
Sohn des Faust! Der wird das Dickicht der
Vergessenheit zerstampfen und sich mit dem
Schwerte Bahn brechen zur heiligen Grabstätte!
Und der Stein wird bei seinem Nahen erklingen.
Musik aus den Tiefen der Dämonen, Musik aus
den lichten Höhen der Sphären wird ihn um-
zittern. Und auf dem Steine wird lächelnd der
alte Meister sitzen, mit flammendem Haar, über-
menschlich an Größe und in seiner Hand wird
ein goldner Bogen sein und Pfeile werden neben
ihm liegen, blanke spitze Pfeile aus Gold. Und
er wird den jungen Kömmling zu sich auf den
Stein laden und wird ihn lehren, den Bogen zu
spannen und die Pfeile zu versenden, die wie
Sonnenblitze das Dunkel der Welt erhellen.
Und während sie so handeln, lehrend und
lernend, wird sich der Stein, von Riesennacken
emporgehoben, vom Boden aufrecken und er
wird sich weiten und breiten und es wird sich
aus ihm eine herrUche Insel gestalten, mit Bergen
und Klüften, mit Wiesen und Pappelbäumen und
Tempeln aus Marmor und rings umher das end-
lose Meer mit weißen Wellenkämmen. Und
glückliche Menschen in Schönheit werden den
Knaben umgeben, weißnackige Frauen mit um-
schatteten fragenden Blicken, Knaben, gebräunt
in Spielenslust und mit straffen Muskeln, Ehr- |
furcht und Sehnen in Sonnenaugen! Und sie
werden ihm huldigen als ihrem rechtmäßigen
König, als den Erben des versunkenen Hellas, k
das wieder einmal erlöst aus den Tiefen empor-
gestiegen ist. Er aber wird wohnen in dem
geheimen Königszelt, dcuin die Braut geboren
wurde und dessen Wände die Teppiche sind
mit den ungezählten Tieren und den ungezählten
Bäumen und den ungezählten Menschen, die
Penelope, die ewig umworbene, webte, Pene- |
lope, die große Mutter Natur! Und in seinen ^
Nächten wird er darin Lust und süße Not der
Liebe, Anziehung und Abstoßung, Raserei und
Verschmelzung und die große Einsamkeit der
Vielsamen fühlen! |
Und der Tag wird süßen Kampf bedeuten um '
Welten und Erkenntnisse, Kampf, Brust an
Brust mit den Größten um das Größte, wie ihn der
alte König auch kämpfte, ehe er verklärt ward.
Und die ungeborenen Kinder einer noch un- i
geborenen Zeit werden dieses Wunder sprach- '
los anstaunen, wie etwas ganz Neues und beten
zu dem Sohn und Erben des alten Schöpfer-
geistes, der immer wieder, wenn seine Zeit
gekommen ist, die Welt mit dem unsterblichen
Hellenentraum erhellt und beglückt! hardenbkrg.
l'^^
PIERO DELLA FRAKCESCA. FRESCO-GEMÄLDE IN DER ST. FRANZISKUS-KIRCHE IN AREZZO.
»DIE KÖNIGIN VON SABA DAS KREUZ VEREHREND.
flERLi UELI_\ FRANCESCA. »ADAMS TOD UMJ GK Alil.KGL .Si_. « l-'RESCO IN DER >l. FKANZISKUS- KIRCHE IN AREZ/.i
PIERO DELLA FRANCESCA.
ANLÄSSLU'H IiEK 50OJÄHKIC.EN WlEIiEKKFHR SEINES GEBURTSJAHRES
ES gibt eine romanische Ader, die von der
Venus von Milo über Raffael — Ingres bis
Renoir hingeht, für unsere Eltern schlechtweg
die klassische Linie.
Sie geht um Norditalien herum. Hier ragen
als große, anders geartete Pfeiler die Byzantiner
in Ravenna, Cimabue, Giotto und dessen Nach-
folger, besonders in Florenz und Pisa hervor.
Der Höhepunkt ist zweifellos der Giotto'sche
Wall der Bilder der Arena-Kapelle in Padua :
Aus der anregenden Natur werden hier etwa 30
malerische Gleichnisse herausgerissen und mit
Mitteln der absoluten Malerei zu Gebilden
geformt, die sich jedem Naturalismus gegenüber-
stellen. Freud und Leid, Schmerz und be-
glückender Himmel der Marienlegende — der
Judaskuß gegenüber der Taufe, die Gericht-
szene vor Pilatus gegenüberder Geburt Christi —
zum erfundenen Gleichnis geformt.
Eingeborene mögen der Nährboden gewesen
sein, die Byzcmtiner hängen mit Konstantinopel
zusammen, Cimabue, Giotto, Duccio erscheinen
ohne gotische Blutsmischung aber undenkbar.
Nach einer Verflachung, die man für Entwick-
lung nahm, der Brancacci-Kapelledes Masaccio,
erscheint etwa um 1450 ein großer Outsider:
Piero della Francesca.
Ein ganz großer Monumentalstil, etwas Asia-
tisches der Alexanderschlacht des Darius scheint
neu aufzuleben als Piero della Francesca seine
Schlachtenbilder im Chor der San Francesco-
kirche in Arezzo malt. Gegenüber Raffael und
Michelangelo ist sein Ruhm verdunkelt wie der
des Baidung Grien gegen Dürer.
Seine Hauptwerke sind in der Provinz in
kleineren Orten verstreut: In seiner Geburts-
stadt Borgo San Sepolcro ein Altarwerk, ein
Fresco in Rimini, sein Hauptwerk in Arezzo.
Es steht fest, daß er bei Domenico Veneziano
in Florenz als Gehilfe tätig war, mit dem ihn
ein — damals ganz neuer — farbiger Pleinai-
rismus verbindet. Durch glückliche Umstände
wird ihm die Aufgabe, in den Chor der San
Franziskuskirche in Arezzo die „Legende des
Heiligen Kreuzes" zu malen.
— Das Thema hat eine riesige Spannweite, uni-
235
III. AUE^st 1920. 4
Piero della Francesca.
236
rlERO DELLA FR.\NrFSi. A
fassender wie das des Giotto: Von derUnnythe
des Todes des Adam und der Pflanzung des
Kreuzbaumes bis in die nachchristliche Zeil des
Kaisers Konstantin und die Rückführung des
Kreuzes über prunkhafte Symbole der Kaiserin
Helena und der Königin von Saba zum Sieg des
Christentums in den Schlachtenbildern.
Der hohe Raum des Chors bedingt glücklich
ein Über- und Nebeneinanderordnen derThemen.
Zum ersten Male tritt hier ein Maler auf, —
und das scheint im Hinblick auf unsere Zeit emi-
nent wichtig, — der die absoluten Mittel der
spezifisch malerischen Kunst restlos beherrscht,
der zugleich deren Anwendung in den verschie-
densten Gesichten schafft.
Erst durch den wiederholten Vergleich der Bil-
der untereinander kommt einem die Erkenntnis.
In asiatischer Wut brennt eine Schlacht, nicht
aber, daß wütende Menschen wütend auf-
einander losgingen und psychologisch richtig
nachgebildet wären, nein — das formale Ge-
bilde, das Piero für die Schlacht erfindet, wogt
diagonal von einer Bildecke in die andere, von
vorne in die Tiefe, stößt sich, keilt sich, ballt
sich, verfängt sich, ringt in der Form, bis es
rechts und links sich beruhigt wie der Schluß-
satz der Matthäuspassion des Bach. Es kommt
zum ureigensten Beweis absoluter Form: Zwei
ineinandergefrorene Krieger erdolchen sich mit
lächelnd grinsenden und teilnahmlosen Gesich-
tern, das Psychologische der Situation an sich
verschwindet ganz, geht unter und entsteht zu-
bschl.\cht bei W A^-l .\/.u
gleich doch wieder in dem, was es für Malerei
wichtig macht, in der Geste der Form.
Der Vorsatz, eine Schlacht zu malen, erzeugt
bei ihm schwarz-, caput mortuum- und blauweiß
angestrichene Ballen von Pferdeleibern , rote
nackte Krieger mit einer Wirkung, die an modern-
ste Farbauseinandersetzungen erinnert, schwarz
durchreißende Kriegsstandarten und giftgrün
aufzuckende Panzerungen wie Kupferdächer.
Ganz anderes Gesicht bei dem Bilde der
Königin von Saba : Wohlige blaue und harmo-
nisch rote Fluten der Gewänder schreiten mit
einer Formgeste von Stolz, Anmut und Größe
in königlichen Jungfrauen beruhigt vor gold-
grünen Oliven und lichtestem, schönsten Blau
des Himmels mit Bergen rhythmisch verbunden.
Groß und verklärt wie ägyptische Königinnen.
Bei dem Tod Adams : Windstille, in der Mitte
der große, mit den Ästen greifende Baum, rechts
und links feierliche stille Größe in der Mitte
der Massen, dicht daneben in der Stille und vor
dem Baum die Geste des formalen Schrei's.
Bei der Kreuztragung die unabänderliche
Schwere und Wucht des breiten Kreuzbalkens,
der das Gegenstemmen der Menschen einzwängt,
sie zermalmend in die Ecke des Bildes drängt
unter geisterhaft erregten Wolken in der Leere
des Weltalls.
Das Feierlichste : Die Wache beim schleifen-
den König mit der lichten Vision in ruhig feier-
licher Stille. In bewußtem Gegensatz zu den
anderen Bildern, in denen die Erfindung der
12
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Piero della Frayicesca.
238
Form- und Farbgebilde primär sind, tritt hier
in dem Bilde des Konstantin-Traums das Hell-
dunkel als Schwerpunkt der malerischen Mittel
hervor, verbunden mit ruhig formaler Raumdis-
position. Das wohlig gerundete Zelt, die zwei
stehenden und der sich stützende Wächter sind
hier zugleich formale Raumzeugende wie Hell-
Dunkel-Massierungen.
Piero della Francesca gilt als der erste Frei-
lichtmaler, deshalb, weil er unmittelbar von der
Natur angeregt, hellste Farben holt. Man kann
die Farbe des Gruppenporträts des Herzogs-
paares von Urbino in den Uffizien unmittelbar
mit der Farbe des Treibhauses des Manet in Ber-
lin oder der Arlesienne zusammenbringen. Doch
ginge man fehl, diese seine farbige ReaHstik als
das Primäre seiner farbigen Bedeutung zu be-
zeichnen. Sein Lehrer Domenico Veneziano
hat ihn, wie das im Kaiser Friedrich-Museum
in Berlin befindliche weibliche Porträt zeigt,
farbig von der Konvention befreit.
Das Ausschlaggebende ist jedoch der Gegen-
satz des Farbgebildes der Schlacht zu dem der
Königin von Saba. Etwa in der Spannweite
der Handlungen zueinander stehen die beiden
Erfindungen der Farbe.
Es steht fest, daß Piero im späten Alter den
frei sich ergehenden Bildraum — den künstle-
rischen Raum an sich — als Fundamental-
Lehrsatz aufgestellt hat. Die Bilder seiner Hoch-
periode in Arezzo füllen kühn dieses fundamen-
tale Gehäuse. Das scheinbar Eingefrorene der
Schlacht, das formale Gebilde, das sich ballt
und wie eine Granate auseinanderberstet, ist
expressionistische formale Schlacht analog der
Alexanderschlacht.
Es scheint mir wichtig, in einer Zeit wie der
unserigen, in der in Frankreich Werke bereits
entstanden sind wie die Badenden des Seurat,
dessen Chahut, das Zirkusbild, in der Derain
Porträts malt wie das des Chevalier X, in der
Matisse so unglaubliche Porträts und den blauen
Tanz gemalt hat, solch Bild wie die Kreuz-
tragung des Piero in die Parallele zu stellen und
den Turm der blauen Pferde des Franz Marc
etwa zu dem mittleren Teil der Schlacht des
Piero. Denn Eines ist all diesen Dingen gleich:
Ein Herausbringen von stärkster, vollster Natur,
nicht von tiefgründiger Psychologie oder gar
Philosophie aus, sondern durch das Gefrieren
aller Erlebnisse in diesen Urmalern zu dem, was
eben Eigenstes in Malerei heißt : Durch be-
hauptend entstehende Gesamtgebilde der Form,
Gesamtgebilde der Farbe, des Großvaleurs
wird Psychologie und Ausdruck geboren. "
In Deutschland geht noch eine Linie, die mir
psychologischer Natur scheint, von den Porträts
Liebermanns zu denen Kokoschka's, sie scheint
mit ihren Wurzeln bis zum Selbstbildnis und
Muffelporträt des Dürer zu greifen.
Rein malerische Ereignisse, wie die Porträts
des Cranach, das der Frau Luthers, des Herzogs
Heinrich des Frommen von 1537, der Herzogin
Catharina u. a. scheinen uns heute noch schwer
einzugehen.
Ich glaube, man müßte Dürer und Beethoven
zusammenzuempfinden suchen , um plötzlich
zu sehen, daß in der Kreuztragung des Piero
della Francesca die Matthäuspassion des Bach
mit ihrer unpsychologischen Reinheit steckt.
Vielleicht kommt dann ein Porträt des Picasso
und die berühmte, aber unphilosophische Violine
auf eine Bach'sche Fuge oder einen Satz des
Mozart heraus reinhold ew.vlü.
DER GENIUS IM KINDE. Die städtische
Kunsthalle Mannheim und der ihr ange-
gliederte „Freie Bund zur Einbürgerung der bil-
denden Kunst" bereitet eine umfangreiche Aus-
stellung vor, die das Verhältnis von Kind
und Kunst behandeln soll. Der Ausstellungs-
plan faßt vorläufig drei Hauptteile ins Auge. Der
erste Teil ist dem Kinde als Künstler gewid-
met. Er zeigt sowohl künstlerische Arbeiten
heute bereits Erwachsener, die es zu bedeuten-
den Künstlern gebracht haben, als solcher, in
denen die künstlerische Anlage später erlosch.
Er zeigt ferner eine große Auswahl von Arbei-
ten heute im Kindheitsalter stehender Menschen,
wobei möglichst viele Individualitäten von frü-
hesten Jahren an über längere Zeiträume der
Kindheit hinaus verfolgt werden sollen.
Der zweite Teil der Ausstellung gilt der
Kunst in der unmittelbaren Lebensum-
gebung des Kindes, also vor allem in Haus
und Schule. Hier soll ein gewähltes Material
an künstlerisch einwandfreien, d. h. zum eigenen
künstlerischen Mitgestalten anregenden Bilder-
büchern , Anschauungsvorlagen, Spielzeugen
usw. vorgeführt werden, die sich zum Gesamt-
bild einer vorbildlichen „Kinderstube" und
„ Schulklasse " zusammenschUeßen.
Der letzte Teil der Ausstellung gilt dem
schwierigen und verzweigten Problem der
künstlerischen Erziehung des Kindes,
also vor allem des Zeichen- und Modellier-
Unterrichts.
Künstler, die Arbeiten aus ihrer Kinderzeit
bewahrt haben, sowie Ellern künstlerisch irgend-
wie begabter Kinder, und alle um die Kunst-
erziehung unserer Jugend bemühten Lehrer und
Erzieher werden um Überlassung ihres Mate-
rials, auch um Erstattung von Anregungen und
Vorschlägen freundlichst ersucht w.
PIERO DELLA FRANXESCA. »FRAUEN DER KÖNIGIN VON SABA<=
IN DER ST. FRANZISKUS-KIRCHE IN AREZZO.
3^
PIERO DELLA FRANCESCA. »KREUZ-TRAGUNG^
IN DER ST. FRANZISKUS-KIRCHE IN AREZZO.
/,J
PIERO DELLA FRANCESCA. »KONSTANTINS TRAUM«
IN DER ST. FRANZISKUS-KIRCHE IN AREZZO.
oM
»DAMEN-SCHLAFZIMMER« AUS DEM PALAIS STOURDZA-BADEN-BADEN.
ENTWURF NACH LENDECKE, GEMÄLDE VON LUDWIG KAINER— BERLIN.
PAIAIS STÜURLIZA — BAUtN-BAUEN.
AUSSTELLXmGSHAUS FRIEDMANN & WEBER.
DAS PALAIS STOURDZA IN BADEN-BADEN.
Wir leben unter sozialer Einstellung unse-
rer Gedankenwelt, da tauchen hie und
da aus seelischen Hintergründen vom Ressen-
timent beflügelte Verdächtigungen auf gegen
alles, was dem Überfluß, dem Luxus dient.
Und doch fühlt man, wie Kunst und Luxus eng
verschwistert zusammengehören, daß sie Kinder
eines Triebes sind. Freilich nicht an jedem Ort
darf uns der Luxus begegnen. Wir mögen ihn
nicht in Stätten nahe der Arbeit, wo vom Ruß
der Industrie er sich wie unter bengalischer
Beleuchtung grell gleich einer Maske am Ascher-
mittwoch abhebt. Aber es gibt Orte unter ge-
segneter Sonne ; hier inmitten eines Rahmens
üppigster Natur scheint er zu Hause, hier wohnt
er in selbstverständlicher Gelassenheit wie die
Marmorgruppen im Rokokopark. Wo die Ver-
gleiche fehlen, schweigt die sittliche Einstellung
aus cmderem Gedankenkreis, man genießt ihn,
genießt ihn glücklich und bedenkenfrei zusam-
men mit den Blumen reicher Sommertage.
Eine Stätte solcher Selbstsicherheit alles
Überflusses liegt umgrenzt von Gürtel grünen-
der Wälder im Tal der Oos, Baden-Baden.
Besonders zur Zeit der Rhododendronblüte,
wenn Busch an Busch von unglaubhaften Farben
prangt und uns südlichere, begnadetere Gegen-
den vortäuscht, freut man sich in dieser Umwelt
schöngeputzten Frauen zu begegnen. Sie wett-
eifern im Farbenspiel ihrer Kleidung mit der
Natur um sie und fügen sich ins Gesamtbild,
da die Freude am Putz der eigensten Frauen-
natur entspringt.
Hier einen Palast der reichen Fee des Luxus
zu schaffen, hier alles das zusammenzutragen,
was dem göttlichen Überfluß dient, war ein
glücklicher Gedanke, weil er an dieser Stelle
berechtigt ist.
Der ehemaUge Palast des Bojarengeschlechtes
der Stourdza wurde dazu erwählt, ein Palast
im vornehmen Stil der Zeit Napoleons III., vor
dessen Geirtenfront weite Rasenflächen unter
schattigen Baumgruppen zum Verweilen ein-
laden. Der Berliner Firma Friedmann & Weber
wurde die Gesamtleitung übertragen, ihr Ge-
schmack schuf in den Räumen und Möbeln die
rahmende Kulisse, von der alle jene entzücken-
den Dinge, die man eigentlich nicht braucht.
245
ÜCIII. Aujust 1920. S"
Das Palais Sfourdza in Baden-Baden.
246
FRIEDMANN & WEBER - B-\DEN-BADEN.
die aber der Freund des Überflusses liebt und
nicht entbehren kann, mit einladender Geste
von der Notwendigkeit des Unnötigen reden.
Ein Teeraum umpfängt uns in indischem Gelb
mit Kobaltblau, die Glasplatten der Tische
leuchten, und der Orangeton lichttragender
Stoffkugeln schmeicheltauf weiße Frauenwangen
rötlichen Schimmer, hebt den Glanz dunkler
Augen. Luxus und Frauen gehören zusammen.
Während man beim gut gekleideten Kavalier
sich nicht erinnern soll, wie er angezogen war,
nur ein unklares Bild eines zusammenpassen-
den Ganzen im Beschauer haften bleibt, hinter-
läßt die elegante Dame mit einem diskreten Duft
ihres besonderen Parfüms die deutliche Erinne-
rung an Einzelheiten ihrer Toilette. Die aparte
Kleinigkeit gibt die eigene Note. Diese eigene
Note muß gut, doch nicht laut betont sein, will
die elegante Frau in der Vielstimmigkeit ihrer
Schwestern die Aufmerksamkeit erregen. Und
welche von ihnen möchte nicht Blicke fesseln,
bewundernde, beneidende. Hinter jedem die-
ser entzückenden Gegenstände, diesen Klei-
dern, Kleinigkeiten kichert im Silberlächeln der
Besitzerfreude ein wenig Schadenfreude der
allein Genießende, der Beneideten. Wermöchte
MODENSCHAU IM PALAIS STOURDZA.
auch bei einer anderen das gleiche Stück wieder-
finden, einen Doppelgänger ? Deswegen sollen
diese reizenden Bijous so teuer sein , der
Preis schließt die Bedingung ihrer Einmaligkeit
mit ein. Neben dem Teeraum blättert man in
schönen Büchern. Die elegante Frau weiß zu
plaudern, und zur Plauderei anregende Bücher
gehören zu ihr. Im weichen Sessel ruhend läßt
sie sich modische Zeitschriften oder in Leder
gebundene Raritäten reichen , wählt , kauft,
kauft, lächelt bestrickend. Wer fragt da noch
nach Preisen? Sie kennt keine Preise, weiß
nur, was ihr gefällt, was ihr steht.
Einer der begabtesten Minnesänger dieser
Frauenart war der verstorbene Maler Lendecke.
Einem Nachen gleicht das Bett nach seinem
Entwurf, und der Schild der Venus, der Spiegel,
(jede Schöne bereichert ihn mit der Farbigkeit
ihres Lächelns) scheint ihm voranzuschweben.
Welche Feinheiten hegt die Kommode. Spin-
nenweben — zart, ein farbiges Nichts, hüllend
enthüllend ! — Einzelheiten und Räume lassen
sich hier nicht beschreiben, denn wie die Mode
wechselt, wechselt hier täglich die Wahl. Nur
den Raum der Lotte Pritzel-Puppen muß man
erwähnen, wo diese feinen Wachsgebilde, gehüllt
Das Palais Stoi<rdza in Baden-Baden.
KRIKDMANN 4 WEBER— B.VDEN-BADEN.
in Samt und Seide, in Nischen stehen oder
ruhen, vornehm, dekadent, als schliche durch
ihre Adern das Blut tausendjähriger Ahnen-
reihe. Durch eine Alabasterplatte am Boden
dringt das Licht, unwahrscheinliche Halbhellig-
keit verbreitend, seltsame Schatten weckend
und doch wahr und echt vor diesen Erschei-
nungen einer seltsamen Märchenwelt.
Rahmen, Kulisse sind diese Räume. Jedes
Möbel, Nippes, Kleidungsstück, glänzendes
Handwerk, jede Einzelheit von Kunst berührt,
und alles doch nur wertvoll, wenn schöne
Frauen, elegante Kavaliere sie beleben. Wohl
wirken die Farben der Kissen an sich, doch die
Puppen, die sich in allen Ecken breit machen
und räkeln, sind nichts als grotesker Ersatz für
Menschen. Hier wird Modeschau abgehalten.
Durch Säle und Garten schreiten die Manne-
quins, sie die Seltenen unter den Frauen, die
gehen können. Leichtfüßig, gewandt, biegsam
in den Hüften tragen sie kostbarste Kleider, Über-
würfe. Und doch spürt man, sie tragen nur zur
Schau. Es fehlt die Selbstverständlichkeit, die
selbstsichere Einschätzung dieser bunten Dinge,
GEDECKTER TEETISCH IM l'.\L.\l.s STOUKI)Z.\.
durch die Grande Dame als eine wandelbare
Hülle, wertvoll, wenn Laune es will, wertlos,
wenn die kurze Zeit des „ dernier Cri " vorüber ist.
Eine eigene Welt entriegeln die Tore des
Palais Stourdza, sicher unzeitgemäß ; und doch
wie die schöne Frau zeitlos, alle Zeiten über-
dauernd KiillRRT COKWKGII.
ZWECKFORM UND KUNSTFORM. Die
reine Zweckform ist unpersönlich. Für
sie gelten bei allen Völkern dieselben Gesetze,
sie ist international. Das aber, was ihr beige-
fügt werden muß , um ihr das Merkmal der
Kunstform aufzudrücken, ist das Persön-
liche. In ihr verrät sich der Volkscharakter:
Das Zarte, das Derbe, das Warmblütige, das
Kühle, das Heitere, das Ernste, das vornehm
Elegante, das bäuerlich Vierschrötige. Die Kunst-
form zeigt die völkische Eigenart, sie schafft den
nationalen Typus, in ihr auch zeigt sich die Höhe
des Geschmacks der Zeitperioden, sie führt zum
Wechsel desStils. DieDauerherrschaftderreinen
Zweckform führt zur Uniformierung, zum Still-
stand künstlerisciier Entwicklung. II, I r.i KU ARhi.
247
VON DER MODESCHAU IM PALAIS STOURDZA-BADEN-BADEN.
VON DER MODESCHAU IM PALAIS STOURDZA-BADEN-RADEN.
~^^1
LAMPENSCHIRME. Licht ist nicht Helligkeit,
_j sondern Strahlung. Es soll nicht zerstreuen,
zerreißen, sondern einigen. Es sammle die Ge-
sellschaft um den Tisch, dir selbst gebe es
Sammlung mit dem Buche. Und wenn drei
Viertel des Raumes in Dämmerung sinken, der
eine bestrahlte Fleck hebt sich dafür desto wär-
merheraus, wiederEdelstein in dunkler Fassung.
Dieser Lichtkegel, auf den kommt es an!
In ihn tauchen wir ein, wenn wir lesen, schrei-
ben, essen. Die dunkelnden Wände weichen
zurück, die Gedanken schweben, während du
liest, hinaus. Du bist allein im Weltraum, allein
mit deiner Seele und dem Dichter!
Der Lampenschirm ist heute nötig. Denn
er scheidet Licht von Dunkel, er gestaltet. Er
gibt der Lichtaura festen Kontur, er entbindet,
befreit die Farbe. Wir schauen in dieses farbige
Leuchten, in das grüne, rote, violette Glühen
und finden Erlösung von irdischer Schwere, ein
Aufbrennen der Schönheit.
Darum, weil der Lampenschirm eine Über-
windung aller zweckhaften Nüchternheit ist,
könnt ihr ihm auch die kühnsten, unwahrschein-
lichsten Formen geben. Ich sah leuchtende
Hörner, Pagoden, Würfel, Spitzkristalle, und die
Frau, die alles „Nüchterne" haßt, kaufte. Die
Zeiten der Mystiker haben an dieses innere
Leuchten geglaubt und sie haben unbedenklich
die Fenster ihrer Kathedralen mit glühenden
Märtyrern gefüllt. Heute haben wir den Lampen-
schirm, in dem wir noch ein bißchen Mystik,
eine Durchseelung der Dinge mit Licht und Fcir-
ben gestalten können anton jaumann.
FMEDMANN & \VEBER— BADEN-BADEN. >TISCHLAMPE«
ERICH M. SIMON-ßERLiN. RADIERUNG .DAS ALTE PaLATS.
E R I r II M. ,S I 1^1 O N
^, M A l i: R U N D R A D I £ K E R ^
m
Es gibt Nachgeborene vergangener Zeiten,
Menschen, die in verklungenen Tagen mit
ihrer Gedankenwelt wurzeln. Und doch stehen
sie in der Vergangenheit nicht wie Eingeborene,
wir spüren die Distanz, graue Schleier zwischen
dem Heut und Einst.
Eine stille Melancholie liegt über den Men-
schen und Dingengleich demverblaßtenSchatlen
auf Photographien Toter.
Ein solcher Nachgeborener des Biedermeier
scheint mir Erich M. Simon. Dabei ist er kein
Unmoderner. Die Kindschaft unserer Zeit ver-
leugnet er nicht, er hat die Nerven des Moder-
nen, und gerade sie befähigten ihn über und
durch die Literatur das Biedermeier-Land mit
der Seele niciit nur zu suchen, sondern in ilim
zu landen.
Wenn man seine Arbeiten durchgeht, sieht
man die Kleinstädte von damals, hört auf dem
holprigen Pflaster das Rasseln großer, schwan-
kender Reisewagen, den Schritt eines einsamen
Wanderers in der Stille der Straßen. Hinter den
Vitragen ahnen wir Mädchenköpfe mit hohen
Frisuren, die dann neugierig, aber verstohlen
dem Einsamen nachblicken. Kleinstadtmilieu ist
Biedermeiermilieu, denn auch die großen Städte
hatten damals Kleinstadtcharakter. Eng war
die Welt, überall Grenzen und Schranken, so
zwischen den Klassen, steife Konvention zwi-
schen Gleichberechtigten und zwischen den Ge-
schlechtern. Und doch träumen wir beim Eilzug-
Tempo unserer Tage so gern von den Zeiten,
da man Zeit hatte, geruhsam genießen, ja selbst
sein Leid bis zur Neige auskosten konnte.
Bei dieser Generation war der unglücklich
Liebende an der Mode. Die Frau spielte,
weil sie in die Welt des Mannes sich nicht sicht-
bar mischte, Herrscherin in Leben und Politik.
Die Fadenarbeiten der immer geschäftigen
Frauenliände waren damals Symbol, daß sie
die Fäden zu allem hielten. Wer solches schil-
dern will, muß Kleinstadt in sich tragen, wenig-
stens als Erinnerung der Kindheit.
Erich M. Simon wurde 1892 in einer Klein-
stadt Pommerns geboren und hat bis zu seinem
9. Lebensjahre, da man nach Berlin übersiedelte,
die ersten, entscheidenden Eindrücke dort emp-
fangen. Früh schon hatte er von seiner Mutter
Unterweisung im Zeichnen erhalten; und die
Malerei, als Beruf zu erwählen, war bald sein
brennendster Wunsch, über dem Schule und
Unterricht im Latein, Mathematik vergessen
wurden. Bruno Paul regte die Aufnahme an
die Berliner Kunstgewerbeschule an, und Emil
Orlik wurde der Lehrer des Achtzehnjährigen.
Neben Beardsley , den er damals auf Grund
von Blättern einer Kunsthandlung der Pots-
danierstraße verehrte, ohne seinen Namen zu
kennen, lockte ihn Buch und Literatur. Über
die Bücher der Museumsbibliolhek gelangte er
zur Schätzung von Menzel, Daumier, Guys und
Gavarni. So landete er in der Zeit, wo er
Wurzel fassen sollte. Orlik ließ ihn zwar genau
und gut die Natur studieren; doch verletzte er
in seiner Kritik nie den Aufstrebenden, wenn er
selbständige Entwürfe vorlegte. Denn Aufträge
erforderten frühzeitiges Entwerfen, da der junge
Künstler in schneller Einfühlung Zigarrenpack-
253
XIII. Antust 1920. 6~'
Erich M. Simon.
254
ERICH M. SIMON -BERLIN.
ungen, Schokoladekartons, Etiketten mit viel-
seitiger Anpassungsfähigkeit entwarf.
Bald wurde die Radierplatte sein Feld. So
entsteht das melancholische Blatt mit dem alten
Palais. Es ist die Zeit des Blätterlalls. Herbst-
nachmittag. Zu ihm paßt die Blinde, der ein
Kavalier Almosen spendet ; deren Elend man
im Gegensatz zur eleganten Kutsche doppelt
empfindet. Es sind Eindrücke an flüchtige
Tageserlebnisse, die so ihren Niederschlag fan-
den. Die winklige Kleinstadt, mit ihrer Enge
und ihrem Geschwätz umrankt den einsamen
Wanderer des zweiten Blattes. Hier mögen
Jugendeindrücke Form gewonnen haben. Lite-
rarisches wurde in diesen Blättern gestaltet,
was Wunder, daß bald Verleger diese Begabung
für Zwecke der Illustration ausnutzten. Thomas
Mann's „Tonio Kroger" war die erste Probe.
Buchausstattungen für die Verleger Georg
Müller, Kiepenheuer, Axel Junker, Reiß, Flei-
schel folgten in bunter Reihe mit Exlibris, die
Bücherfreunde von dem bekannt gewordenen
Illustrator verlangten. Während dieser arbeits-
RAUIERUNG »IJER EINSAME WANDERER«
reichen Zeit fallen zwei Reisen nach Paris (1911
und 1913). Reisen bildet, aber keine Stadt
hat so einprägsame Bedeutung wie Paris. Bilden
bedeutet Wachwerden schlummernder Bilder
in uns. Paris erweckt in jedem von uns Schlum-
merndes. Simon fand im Louvre, bei den Bou-
quinisten am Quai d' Orsay, was er brauchte.
Hier erwuchsen ihm beim Anblick der Antiqui-
täten Vorstellungen und Bilder. Hier wurde
seine Phantasie beflügelt. Bald war es ein altes
Buch mit seinen Abbildungen , das zu ihm
sprach, bald ein altes Möbelstück im weichen
Schwung seines feinmaserigenHolzes, im Schim-
mer der goldenen Beschläge.
Wenn nun Aufträge für die Praxis an ihn
herantraten, Plakate, Werbeblätter, Briefköpfe,
dann wollte er sie mit gleicher Liebe am Kleinen,
mit gleicher liebevollen Hcmdwerklichkeit vol-
lenden, wie der Meister arbeitete, der den alten
Möbeln ihre gediegene Form gab, der Tabciks-
dose des Großvaters ihren dauernden Reiz.
In solcher Gesinnung schuf er wertvolle Ent-
würfe für Packpapiere, Kataloge, Zigarrenaus-
Erich .1/ Si 1)10)1.
stattungen. Was anderen täglichem Brot gleich-
dünkt, war ilim PZrholung von freikünstlerischem
Schaffen. Ihn reizte es , wichtige Dinge , die
vielen zu Gesicht kommen, mit guter künst-
lerischer Form zu versehen.
1914 — 1918 finden wir ü\n im Osten, Westen,
in Etappe und Lazarett, bis er Ende 1918
heimkehrt zur Werkstatt. Wohin nun, nach
diesen Erlebnissen, der Weg gehen wird, muß
die Zukunft erweisen. Wird er weiter in der
stillen Zeit des Biedermeiers sich wiederfin-
den, wird er aus härterem Stoffe Erzählendes
bilden? kobert cokwegh.
KRITIK UND PERSÖNLICHKEIT. Kritik ist
keine Sache des Verstandes, des Wissens.
Sie ist nicht erlernbar und darum in allem zu-
tiefst Wesenhaften logisch nicht zu greifen. Sic
ist ein Geschenk von oben, wie eine schöne
Stimme, wie ein besonders zur Kunst treibendes
Fühlen: eine Begabung, die der Mensch ent-
weder hat oder nicht hat — und zwar eine der
seltensten. Gewiß ist sie disziplinierbar und es
gibt Punkte, über die Meinungsverschieden-
liciten nicht zulässig sind. Aber die Grenzen
hierfür sind sehr eng gezogen, viel enger als
man gemeinhin annimmt fail ükkkkk.
ERICH M. SIMON BERLIN. RADIERUNG .IJER ENUGRANT«
255
ERICH M. SIMON-BERLIN.
KALENDERZEICHNUNG.
X&^
GLEICHNISHAFTES WESEN DER KUNST.
Daß alles Vergängliche nur ein Gleichnis sei,
ist eine Erfahrung religiösen Erlebens. —
Irgend etwas in uns weiß sich eins mit dem
Wesentlichen in allen Daseinsformen. Irgend
etwas in uns kennt nur ein Wissen, lebt nur in
einem Begriff: dem des Einen. Von hier aus
wird die Vielfältigkeit der äußeren Daseins-
formen als unwesentlich und gleichnishaft emp-
funden; notwendig zur Verankerung des Einen
im Leben, unwirklich gegenüber dem Ewigen,
das meerhaft in und um alle Gefäße von Daseins-
formen wogt.
Der Künstler läßt uns das symbolhafte Wesen
der Daseinsformen klar in seinem Schaffensvor-
gang erfahren. Regte sich nicht der schaffende,
wortlose Geist im Künstler; nie hätte ein
Mensch von der Sinnlichkeit her das Bedürfnis
empfunden, einen Baum, ein Tier, einen Men-
schen auf Tafel oder Leinwand nachzuschreiben.
Nur weil im Künstler der hitzige, bildbedürftige
Geist lebt, die innere Zeugung, nur deshalb be-
deckten sich Flächen mit Welt, schieden aus
dem Stein die granitenen Herrscher und Köni-
ginnen, als Gleichnisse dieses wortlosen inneren
Erkühnens. Der Laie liest das Gleichnis ab
als unterhaltende Geschichte und glaubt an
buchstäbliche Mitteilung. Er meint, dies sei
entstanden aus dem Wunsch, ihm etwas zu er-
zählen, und läßt sich daran genügen. Er ahnt
nicht, daß Gedichte aus sinnlosen Klängen vorm
inneren Gehör, Bilder aus Rhythmen ohne jeden
begrifflichen Gehalt entstehen. Das gießt sich
hitzig ins Zeichen, und das Zeichen ist nur dann
begriffen, wenn diese wortlose Erregung in den
Genießenden übergezuckt ist.
Der aber fehlt meist dadurch, daß er sich an
das Tote und Gewandhafte hält, daß er es gar
mißt an seinem nüchternen, wertlosen Weltbild
und so bei der Mauer verweilt, unansichtig des
Gartens, den sie umhegt.
Niemand suche aus dem Kunstwerk zu er-
fahren, wie die Welt beschaffen ist. Sondern
er spüre, wie die Weltseele sich darin regt in
ewiger Wiederholung der Schöpfung, in deren
Formen sie sich nicht festbannte, sondern gleich-
nisweise zu verdeutlichen suchte m. f.
JANUAR
J%).atL -C[ehi irz. die
OSPCJl
ERICH M.SIMON BERUN. FEDERZEICHNUNG 7.D EINEM KALENDER DER FIRMA H. WOI.FF.
OKTOBER
Sem fTinM -man ein gutes
Sldjchen Wein
ERTCH M. SIMON-BERLIN. FEDERZEICHNUNG ZU EINEM KALENDER DER FIRMA H. WOLFF— BERLIN.
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Die JAIJON h^^Jnni
ERICH M. SIMON— BERLIN. FEDERZEICHNUNG ZU EINEM KALENDER DER FIRMA H WOLFK— BERLIN.
XXIIL AuguH 1910. 7
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LUDWIG I CASPERS
ERICH M.
SIMON-
BERUN.
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/.KICHNUNG.
DAS*WEIIKHA US
ERICH M. SIMON BERLIN.
ZIGARREN-PACKUNG • DECKELBILD.
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menjchlUhen und
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tura .Srentaao .Xatl Augi
von Weimar, Con^cienci
Cos t er. DastoJeiPsKy, TIa u-ber^
UqoToscolo.jriedrich d.Srosun,
Sautier, Sexsner, Soefh^e,
9ogol, S.JTjiJCo/fmczan.JCöZy
derlitx,3acohjcih,JeanSb.ui,
Xerner.Xipüng, Kleist, J(,ocb.
KTasiasxi,£eni £ongos£ott
XouifyetdinandLuZian/^urset
Jfovalis, &A.Sbe,Sloienia£b,
Jlu.ng, St. ^'erre^<SeaIsfieB
JophoXles. Stendhal. Stifter.
Oichechow, Szirgenieh^
WacKearoder
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SA MMtl-BAtiDt'
T>autjchje Dcrf-und ZlejQstaB^
/)es-chichten.,
ea moderner Snahln
Ungarische J^ovellezv,
J^ärche • aus unseren. Taperig
Ost/üdische 6riähler,
Jute äeatj-c^itJCariea uJ^Uitiachü'
l I S D S K.
GUSTAV KIEPENHEUER
V E R ly A C
gP
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ERICH M. SIMON- BERLIN. ANKÜNDIGUNG KUR EINE VERLAGS-BUCHHANDLUNG.
DER WETTBEWERB FÜR DIE REICHS-BRIEFMARKE.
VON R£GI£RUNGSBAUM£ISTER A. I>. HANS ^tEYER, BERUN.
Als das Reichspostministerium trotz des Fehl-
. Schlages des Erinnerungsmarken-Wettbe-
werbs zu einem neuen rüstete, wurde es von
allen Seiten mit mehr oder weniger guten Rat-
schlägen bestürmt, wie die Fehler des ersten
zu vermeiden seien. Heute zeigt es sich, daß
die maßgebenden Herren sich das Beste davon
herauszusuchen verstanden haben, denn das
Ergebnis des nunmehr abgeschlossenen Aus-
schreibens kann durchaus als gut bezeichnet
werden. Der beste Gedanke — dennoch (oder
deshalb?) am meisten angegriffen — war der
der Zweiteilung in einen öffentlichen und einen
beschränkten Wettbewerb. Die Bedenken gegen
diesen ungewöhnlichen Schritt waren billig :
Ungerechte Bevorzugung, Verzettelung der Mit-
tel und dergleichen Schlagworte waren schnell
zur Hand — : siegreich haben sich demgegen-
über die Vorzüge dieses Vorgehens behauptet,
als deren wichtigster erwartet wurde und ein-
traf: Beteiligung der Allerbesten, die
einen öffentlichen Wettbewerb erfahrungsgemäß
gemieden hätten. Was von diesen 26 Künst-
lern (eingeladen waren 34) eingegangen ist,
etwa 150 Arbeiten, stand nicht nur im Gesamt-
durchschnitt über dem der 4000 Entwürfe der
andern 11 00 Einsender (was des Rühmens nicht
wert wäre), sondern wurde auch von den besten
Leistungen des allgemeinen Wettbewerbs nicht
übertroffen.
Man hat die Zusammensetzung des Preis-
gerichts bemängelt. Nicht nur die Vielköpfig-
keit — 23 Mcmn — erregte Bedenken, auch die
Wahl der vertretenen Berufsklassen — 3 Be-
amte, 3 Abgeordnete, 9 Künstler, 8 Sachver-
ständige — wurde verurteilt. Einmal heischten
allerhand andere Körperschaften, Sammler, Hei-
matschützler und dergleichen ihrerseits Berück-
sichtigung, die Künstlerschaft andererseits hätte
am liebsten nur ihresgleichen unter den Preis-
richtern gesehen, und die Unentwegtesten unter
ihnen ließen nicht einmal die Auswahl dieser
neun Künstler gelten, da sie bei der Verschie-
denheit ihres Standpunktes Kompromisse be-
fürchteten. Gerade dieser naheliegende, in ähn-
lichen Fällen häufig gehörte Einwand hat sich
diesmal als hinfällig erwiesen. Über gewisse
Arbeiten, auch solche von äußerster neuer Rich-
tung, waren alle anwesenden Künstler einer
Meinung — ein Entwurf zum Beispiel trug auf
dem Begleitzettel als erste Stimme die von
Jacckel und Schlichting ! — Es hat sich weiter-
hin gezeigt, daß die ausübenden Künstler mit
ihrer Fähigkeit, künstlerische Werte zu erken-
nen, keineswegs allein stehen: in keinem Fall
kam es zu einer geschlossenen Gegnerschaft
gegen die andern Preisrichter. So bleibt als
einzige noch nicht bestandene Probe das Urteil
der Öffentlichkeit. Mit der Wiedergabe der
von den Preisrichtern mit Preisen bedachten und
empfohlenen Entwürfe, 16 aus dem beschränk-
ten, 28 aus dem allgemeinen Wettbewerb, legen
diese öffentlich Rechenschaft über ihre Amts-
führung ab. In erweitertem Maße wird das
durch möglichst vollständige Ausstellungen
aller eingegangenen Arbeiten in zahlreichen
Städten und durch ein von der Reichsdruckerei
vorbereitetes Büchlein geschehen.
Welche Marken aus diesem Wettbewerb zur
endgültigen Ausführung hervorgehen werden,
ist noch nicht entschieden. Da aber der Minister
sich verpflichtet hat, seine Auswahl nur aus den
preisgekrönten, angekauften oder sonst vom
Preisgericht hervorgehobenen Arbeiten zu tref-
fen, — eine wichtige Bedingung, auf deren
Aufnahme die Preisrichter bei der früheren
Durchberatung der Ausschreibung rastlos ge-
drängt hatten, — so kann man jeder Entschei-
dung mit gutem Mute entgegensehen. Ob
nun der Pflüger Edwin Scharfs oder die,
neuzeitlichen Geist atmende und doch so fest
in guter Überlieferung ankernde Marke S c h n a r-
renbergers gewählt wird — beide werden
Widerspruch wecken, dem man aber diesmal mit
besserer Überzeugung entgegentreten kann — ,
ob die zur letzten Vollendung gefeilten Arbeiten
Ha dank s zur Ausführung gelangen — das
Schiff wurde allerdings von den Preisrichtern
trotz seiner meisterlichen Durchbildung als Vor-
wurf abgelehnt, während der Hinweis der zur
Beratung anwesenden Sammler auf ähnliche
Marken von Britisch Guyana (!) natürlich wir-
kungslos abprallte — , ob die packend gezeich-
neten Bergarbeiter Paul Neus, Michels
formsicherer Holzschnitt, Cissarz' feine, etwas
gefühlvolle Knieende, Dreschers eigenartige
Gemme, — ob Markus Behmers oder
Schneidlers eigenwilliger Flächenschmuck
oder sonst eine der andern erfolgreichen Arbei-
ten aus der letzten Wahl hervorgeht — : Deutsch-
land wird sich jedenfalls diesmal seiner neuen
Marken nicht zu schämen haben! n. m.
263
i
ENTWÜRFE FÜR DIE NEUEN DEUTSCHEN POSTWERTZEICHEN
BESCHRÄNKTER WETTBEWERB
ERSTE PREISE (JE 1000 MARK)
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DEUTSCHES REICH
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KARL GRÖNING, HAMBURG
KURT ARENDT, BRESLAU
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HANS PAPE, MÜNCHEN
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DOMINI BÖHM U. FRANZ HOLZ,
OFFENBACH A. M.
im
GEORG BAUS,
LEIPZIG-CONNEWITZ
KARL BÜLTMANN,
BERLIN-WILMERSDORF
DfcHTStHES
75 ff PF
FRITZ WITTLINGER,
MÜNCHEN
WILLI DYCK,
DÜSSELDORF
GEORG BAUS,
LEIPZIG-CONNEWITZ
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NJU^
MAURICE DE VLAMIXCK »BLUMEX«
liliSlTZKR A, K., OARMSTADT
SAMMLUNG
A.STKIN-
OÜSSt^LDORF.
M. DE \ U\MI.Ni K,
>SCHNEK IN LA h'M:Hi Ki.
MAURICE DE VLAMINCK.
Dieser in Paris geborene Maler stammt aus
flämischem Blut, Seine Art zu sehen wird
bestimmt von jener vollblütigen Sinnlichkeit,
die von jeher ein besonderes Merkmal der
Kunst in dem Lande des Rubens und Jordens
gewesen ist. Darum steht er den Bestrebungen
um eine neue Mystik, die sich von der Natur-
erscheinung abwendet, die allenfalls noch Ele-
mente der Realität in freiester Umbildung ver-
wendet, um ein Übersinnliches im gemalten
Symbol zu geben, durchaus fremd gegenüber.
Ihn interessiert lediglich die Umwelt und in
erster Linie die Landschaft. Diese seine in-
brünstige Liebe zu Straßen und Plätzen , Häu-
sern und Gärten, zum Wasser, zur Luft, dieses
starke kosmische Gefühl ist es , was ihn mit
den Impressionisten verbindet. Und es ist
vor allem ein Meister der impressionistischen
Epoche, dem er mit seiner Anschauung nahe
steht; Cezanne. Nicht, daß er, wie so viele
Nachläufer, diesem Großen gewisse Äußerlich-
keiten der Perspektive oder der Pinselschrift,
nicht daß er ihm ein koloristisches Rezept ver-
dankte. Was ihn neben den Franzosen rückt,
ist die außerordenthche Gabe, auch die un-
scheinbarste Materie kostbar zu machen durch
malerische Beseelung.
Vlciminck ist ein Künstler, der einer Zeit, die
den „Naturalismus" überwinden zu müssen
glaubt, weil er sich erschöpft habe, durch sein
gesund naives Schaffen den Beweis erbringt,
wie viele Möglichkeiten noch aus der sichtbaren
Welt heraus zu holen sind, wenn ein unbe-
fangenes Auge und eine von keinerlei Kunst-
theorien unsicher gemachte Hand sie zu ge-
stalten unternimmt. Es lebt in ihm nicht die
dämonische Phantastik eines Munch , der die
Wirklichkeit zur gespenstischen Vision steigert.
Er wühlt sich auch nicht in das Problem der
sichtbaren Dinge hinein mit der überreizten Glut
eines van Gogh. Und doch drängt sich neben
der romanisch verfeinerten Sinnlichkeit in dieser
Kunst ein Moment auf, der sie germanischem
Empfinden nahebringt: eben jenes tiefe Welt-
gefühl, jenes Bewußtseinvom großenZusammen-
hang der Dinge, das über das Sinnliche hinaus
ein Werk der Malerei bedeutend zu machen weiß.
Vlaminck ist alles andere als ein Grübler,
wie die genannten Germanen. Aber es ist auch
in seiner Landschciftskunst ein Metaphysisches
269
XMI. September 1920. 1
^^anricr de Vlaminch.
270
VI,AM1.\( K.
lebendig. Mehr als aus den anspruchsvollen
Symbohsmen expressionistischer Phantasten
spricht aus ihr das geheimnisvolle Wesen, das
hinter der elementaren Sichtbarkeit steht. Es
gibt heute kaum einen Maler, der die düster
drohende Stimmung eines heraufziehenden Ge-
witters so suggestiv festzuhalten verstünde, der
die prachtvolle Fülle eines blühenden Gartens,
die sonnenweiße Einsamkeit eines Platzes, den
Schimmer weich spiegelnden Gewässers so un-
mittelbar, so zwingend Erlebnis werden ließe.
Immer fühlen wir, wie die Seele der toten
Dinge durch die farbige Erscheinung hindurch
sprechend geworden ist, wie so eine Mauer
nicht für sich dasteht als ein Zufälliges, wie sie
sich organisch eingliedert in das Sein um sie
her, Leben hat vom Leben der Erde, der Luft,
der Bäume, die sie umschließt, wie eines nicht
sein kann ohne das andere. Wie alles mit Not-
wendigkeit sich zusammenschließt zu einer kos-
mischen Einheit, der als sinnHcher Erscheinung
ein ihr immanentes Übersinnliches, Größe,
höhere Gesetzlichkeit verleiht.
Ich stehe lücht an, es hinzuschreiben: Vla-
mincks Werk hat heute schon klassische Be-
» STRASSEN ECKE« BKS: O. SCHÜLBR-BOCHUM.
deutung. Eine außerordentlich glückliche Mi-
schung von romanischer AugenempfindUchkeit
und germanischer Gefühlstiefe befähigt ihn zu
Leistungen, die in der Landschaftskunst unserer
Tage in solcher Reinlichkeit selten sind. Der
Künstler hat in diesen letzten Jahren viel Be-
achtung gefunden. Die Preise seiner Bilder sind
gestiegen, aber im Verhältnis zu ihrer Qualität
immer noch angemessen, wenn man die Markt-
preise im allgemeinen vergleicht. Eine Gefahr
für Vlaminck wäre, daß ihn diese günstige Kon-
junktur zum Mißbrauch seiner fraglos leicht,
aus der Überfülle eines kraftstrotzenden Tem-
peraments heraus schaffenden Begabung ver-
locken könnte. Daß seine farbig reiche, das
Gegenständliche groß zusammenfassende Kunst
sich veräußerlichen, entarten könnte zu virtuo-
sem Manierismus. Immer wieder wird ihm die
Natur, in der er mit beiden Beinen steht, deren
farbigen Abglanz er mit walirhaf tigen und starken
Sinnen als „Leben" begreift, die Quelle sein,
aus der ihm neue Kraft fließt, die ihm das Auge
gesund, die Hand widerstandsfähig erhält gegen
die Verlockung, einem bilUgen Atelier-Schema
dienstbar zu werden, . , otto albert Schneider.
M. DE VLAMINCK. »LES ANDELEYS«
KUNSTHALLE BREMEN. MIT ÜENEHM. DER GALERIE KI.ECHTHEIM— DÜSSELDORF.
■^V
MAURICE DE VLA\CNCK.
»DIE SEIiNE« A(,iUARKI.I..
SAMML. DR. r. HANIEL-DÜSSBLDORF.
TENDENZIÖSE KUNST.
Erschlagen sind die Wahrheiten von gestern.
Es lebe das Heute! Was wir glauben, ist
wahr, und nur, solange wir glauben. Der Künstler
hat sich in den Feuerwirbel der Politik, der
TagespoUtik geworfen. Nicht anteilnehmen,
schildern, nein, handeln ist seine Losung. Mitten
steht er in dem Gezisch von Haß und Eifer, die
Fackel der Kunst in erhobenen Händen, um zu
leuchten, zu führen, aber auch zu zerstören.
Seine Leidenschaften, lange quälerisch zurück-
gedrängt, sind ausgebrochen und rasen dahin.
In Freund und Feind ist die Welt zerfallen. Der
Künstler flucht, segnet, höhnt, kämpft, er, dessen
höchstes Ziel einst weu-, reinster, aufrichtigster
Spiegel zu sein, einer Welt die er nicht bessern
wollte. Schildern wollte er sie in all ihrer
Zerrissenheit und geflickten Buntheit, in ihrem
großen und doch wieder so kleinen Getriebe.
Welche Aufregung war um die Arme-Leute-
Maler seinerzeit, um Israels, Liebermann, Uhde,
Kollwitz ! Eine umfangreiche Literatur hatte
sich um die Berechtigung der Tendenz in der
Kunst angesammelt. Eine eigene Lehrerver-
einigung hatte sich gegründet zu dem Zweck,
alle und jegliche Tendenz aus der Jugendlite-
ratur auszumerzen, aber auch aus dem Lese-
stoff des Volkes überhaupt. Sie waren natür-
lich der Ansicht, daß der Patriotismus den Stil
verdirbt. Und es galt nur der Stil der Wahrheit,
tendenzloser, voraussetzungsloser Wahrheit,
Diese Anschauung ist heute ganz unverständ-
lich geworden. So geht es mit den Glaubens-
sätzen von gestern ! Die Kunst hat ihre Reserve
vollständig abgelegt, sie will weder abgeklärt
sein, noch wahr, noch tendenzfrei, noch über-
haupt Kunst an sich. Der Maler predigt Welt-
anschauung, der Dichter singt verzückte Hym-
nen und blutige Kampfheder gegen seine poH-
tischen Feinde. Ein Bekenntnis, ein Kampfruf
soll jedes Bild sein ! Jeder Strich zielt auf einen
Gegner, will den „Bürger" vor den Kopf stoßen.
Der eine hat es sich als Programm gesetzt, den
Menschen herabzudrücken zum Kretin. Ein
anderer sieht ihn als Feuerbrand. Die Ver-
göttlichung steht neben der Verkindlichung.
Kunst ist Umsturz. Wo früher patriotische Ge-
272
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u
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M
C/2
H
Q
S
3
Q
W
y
2
;3
TfiidcnziüSf Kunst.
&LA.UR1CE DE VLAMIXCK.
Schichtsklitterung verfolgt wurde, strahlt jetzt
die Apotheose der Weltrevolution. Die Tendenz
ist in unsere heutige Kunst unlösbar verstrickt.
Sie ist ihr Rückgrat.
Nun ist nur die Frage, ob sie dem Künst-
lerischen nicht schadet, ob sie sich überhaupt
mit Kunst verträgt. —
Gehen wir die Kunstgeschichte rückwärts, so
merken wir staunend, daß es eine Kunst ohne
Tendenz, ein l'art pour l'art, in den besten
Zeiten überhaupt nie gegeben hat. Am Nil wie
amEuphratdientenTempel, Pyramiden, Statuen,
Reliefs ausschließlich der Verherrlichung von
Göttern und Königen. Die Heldenhaftigkeit der
Könige wurde ins Riesige gesteigert, die Unter-
tanen, die fremden Völker erscheinen vor ihnen
wie Zwerge. Soweit die Reliefs geschichtliche
Darstellungen sind, sind sie Entstellung. Der
Chauvinismus feiert Orgien. Hat dies dem Kunst-
wert der ägyptischen und assyrischen Werke
geschadet? Hat nicht vielmehr der Wille zur
Verherrhchung gerade den Stil groß, den Aus-
druck stark, den Vortrag volltönend gemacht?
»PORT MARL"/« GrMÄUiK.
SAMMLUNG A. CAHEN-COLN.
Niemals hätte die griechische Plastik diese wun-
derbare Vollendung erklommen, wenn nicht die
Verherrlichung ihrer Götter, ihrer Helden,
ihrer Rasse sie von Anfang leidenschaftlich
beherrscht hätte. Sie kämpften wie Israel für
den Ruhm ihres Gottes, sie kämpften mit ihren
Kunstwerken. Stets fühlten sich ihre Künstler
als Vorkämpfer griechischer Kultur gegen die
Barbaren ringsum. Ihre Kunst war in hohem
Grade Staatskunst. Sie wurde nicht nur von
der Polis bezahlt! Tempel, Statuen, Theater,
Gedichte, sie dienten der Verherrlichung der
Stadt und ihrer großen Männer. Instinktiv
wurde damals schon der Wert der Kulturpro-
paganda erkannt, die uns so garnicht gelingen
will. Freilich, die lobenswerte Tendenz allein
tut es nicht, wenn nicht künstlerisches Können
dahinter steckt. Aber die griechische Geschichte
zeigt eine auffällige Parallele zwischen dem An-
schwellen und Verebben der politischen Energie
und den Höhepunkten ihrer Kunst. Die tech-
nische Fertigkeit allein hätte auch nicht das
letzte Flügelrauschen des griechischen Geistes
275
I
Tendenziöse Km/s/.
276
MAURICE DE VLAMINCK.
im pergamenischen Alter vermocht, wenn nicht
ein großer König Staat und Volk mit neuauf-
flackernder Energie erfüllt hätte. Ihn zu preisen
und das Griechentum überhaupt, war die Ten-
denz der Architekten und Bildhauer, die sie
noch einmal zu großem Wollen und Gelingen
emporriß. In der ganzen ungeheuer reichen
Produktion der griechischen Kunst finden sich
nur verschwindend wenig Werke reinen Atelier-
charakters, solche, die nur aus Lust am Bilden
entstanden sind.
Und die große Gotik? War sie nicht Die-
nerin der Kirche und der Städte? Das darf
nicht so ausgelegt werden, als ob Kirche und
Stadt den Baumeistern nur die Mittel, die Ge-
legenheit gegeben hätten, ihre Werke auszu-
führen. Nein, der inbrünstige Gemeinsinn war
es erst, der die Inspiration und den Willen gab
zu diesen unendlich reichen und hochstrebenden
Bauten. Die religiöse Flamme riß die Kathe-
dralen in Himmelshöhen. Geld allein hat niemals
eine Kunstblüte hervorgebracht , sowenig wie
andrerseits eine Kunst, die sich von aller Be-
einflussung, von jeder Tendenz frei hält, jemals
»PLATZ IN PONTOISE« AQUARELL.
SAMMLUNG A. SABBLSON-AMSTBRDAM.
über artistische Spielerei hinauskommen wird.
— Selbst Rembrandt, der Anführer der indivi-
dualistischen Malerei, wollte mit seiner Kunst
werben, lehren, kämpfen. Er rückt vom Glanz
der offiziellen Heroen allmählich ab und ver-
herrlicht trotzig die Armut, das Elend, das
seelisch reiche ; er predigt einen neuen Trost,
das Licht, den göttlichen Strahl der Liebe, der
nirgends wärmer leuchtet als im Staub und auf
den Falten des Kummers. Auch Rembrandt
freilich hatte vorher den staatlichen, bürger-
lichen, offiziell kirchlichen Tendenzen gedient.
Haben sie seiner Kunst geschadet? Hat er
nicht aus dem Selbstbewußtsein bürgerlicher
Tüchtigkeit kostbare Bilder herausgeholt, eben-
so aus den Staatsaktionen, den repräsentativen
Aufträgen, den großen biblischen Szenen?
Die Impressionisten, Pleinairisten, und die
Maler der „Armen Leute" waren Nachkommen
der Revolutions - Epoche. Sie protestierten,
scheinbar nur schildernd, gegen ein vermoder-
tes, falsch gewordenes Schönheitsideal, gegen
die ganze bürgerliche Weltanschauung. Wer
glaubt, daß sie nichts als frische, neuartige
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Tendinziose Kunst.
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MAURICK Di: VLAMINCK.
Bilder anstrebten, verkennt ihr Wesen stark.
Sie haben ihre Meisterwerke der hohen Er-
regung zu verdanken, sie fühlten sich als Pro-
pheten einer neuen Wahrheit, einer neuen Ge-
sinnung, einer neuen, der Lichtreligion. Und
fast alle waren sie Fanatiker, wenn auch nicht
jeder mit der gleichen, verzehrenden Hingabe
wie Van Gogh.
Freilich tritt die Tendenz in verschiedener
Gestalt auf, aber frei davon ist große Kunst fast
nie. Hat Dostojewsky sein Allrussentum, Tol-
stoi sein Pietismus und Pazifismus, Gerhart
Hauptmann die soziale Ader geschadet? Haben
sie nicht gerade daraus die hochgespannte Ar-
beitsenergie, die seeUsche Erhebung, die Glut
der Gefühle geschöpft?
Voraussetzung ist nun allerdings, daß die
Tendenz dieser seeUschen Erhebung nicht direkt
entgegenwirkt. Und das ist der Fall, wenn die
Tendenz bestellt, bezahlt ist, wenn sie nicht
mit der Überzeugung des Künstlers überein-
stimmt. Patriotismus für den Schulbuchgebrauch
wird niemals ein starkes Gedicht erstehen lassen.
Wer die Armut malt, nur weil es Mode und
HÜGKl-KF.TTE BEI RUElLc
SAMMLUNG: SILIIBR-BARMP.N".
einträglich, der bringt eben nur ein Modebild
zuwege. So ist es auch heute. Der Umsturz
aller Werte, das Hereinspielen der Politik, das
wird unserer bildenden Kunst nicht schaden,
wenn tatsächlich eine innere Anteilnahme vor-
liegt. Brennt wirklich Feuer, so kann sich die
Phantasie daran entzünden. Selbst Zorn, Em-
pörung, Haß sind fruchtbar, soweit sie mit Herz-
blut arbeiten. Heuchelei jedoch treibt taube
Blüten. Was schäbig, heimtückisch, kleinlich
gemeint, wird sich auch keine große und reine
Form als Ausdruck finden.
Die Kunst steht nicht isoliert zwischen den
übrigen Lebensäußerungen. Architektur ist Ge-
staltung des Bauens, Dichtung formvolles Reden.
Wie wir uns auch äußern mögen, durch Worte,
durch Handlungen, durch Werke, stets suchen
wir auch irgendwie den Mitmenschen damit zu
beeinflussen. Kunst will wirken, und beson-
ders die Malerei wirbt und predigt, stachelt die
Sinne auf und den Geist, will den Menschen
packen. Soweit sie das tut, soweit sie also
Tendenz ist, ist sie auch — im tieferen Sinne
_ Kunst \->i"^' i\'M\^^
XXIII. September 1920.
MAURlLi- Di. \1AM1.N(.-K.
»STILLEBEN« GALERIE FLECHTHEIM.
HUNGER NACH MATERIE.
Vi.N WILHELM MICHEL.
Ein Merkmal des heutigen Geistbetriebs ist
die Stofflosigkeif.
Wir sehen im Bereich des Schrifttums un-
geheuere Erkühnungen des Geistes. Die Wert-
setzungen wirbeln, die Standpunkte verschieben
sich unaufhörlich, die ganze Werkstatt des Gei-
stes dröhnt von zyklopischem Bemühen. Aber
sieht man näher zu, so ist die wirkliche Um-
arbeitung an Welt und Stoff gering. Die Sub-
jekte glänzen auf in funkelnder Bewegtheit der
Einstellungen. Aber sie reißen wenig an derbem
Stoff mit. Es ist mehr Wollen und Können in
dieser Gymnastik als Müssen. Die Kühn-
heiten brausen leer hin durch einen Raum ohne
Widerstände. Das Verpflichtende, das Fest-
legende der geistigen Äußerung wird nur
schattenhaft gefühlt. Das endet schließlich bei
einem wahren Überdruß am bloßen Intellekt.
Das Wort kann gewiß tathaft sein. Aber nicht
alles Wort ist Tat. Tathaft wird es nur da, wo
es heraufkommt aus starker Empfindung der
Realitäten, wo es die Widerstände nicht tänze-
risch umgaukelt , sondern ernsthaft überrennt,
wo es gebunden ist an das innere Müssen des
Menschen, wo es festlegt und verpflichtet. Wir
haben heute eine ungeheuere Fülle an Geist;
aber Geist, der nicht eingeschaltet ist als Motor
in ein Getriebe. Die äußerste Folgerung daraus
ist der Dadaismus, der bewußt auf jede Be-
ziehung zu einem Objektiven verzichtet und
affenhaf t in die Luftleere der kosmischen Clow-
nerie klettert. Eine sehr zuträgliche Übung für
den Philister, der sich so den trägen Speck vom
Leibe schwitzen mag; aber ein Irrsinn für jeden,
der irgendwie vom Nichts herkommt, und in
Form und Tat will: Fall aller echten geistigen
Menschen, die wissen, daß Kraft die Welt zu-
sammenhält, nicht etwa träge Spießerei.
Ähnliches gilt für große Mengen der neuen
Kannst. Der Geist hat sich durchgesetzt gegen-
über dem Objekt. Aber es ging gleich in die
Tyrannei des Geistes hinüber, in die Allein-
herrschaft der Gesinnung und der negativen
Persönlichkeit. Das Objektive der Welt, das
Hunger nach Materie
dem Künstler so nötig ist wie dem Weltschöpfer
der Stoff, stöhnt irgendwo in einem fernen Ver-
lies oder ragt nur schemenhaft ins Werk hinein.
Wer das graue, geistverlassene Elend der letz-
ten Impressionisten- Ausstellungen um 1908 9
erlebt hat, wird gewiß die Heftigkeit verstehen,
mit der sich der Geist im Expressionismus von
der Kette der Sinnlichkeit losriß. Er wird auch
verstehen, daß jede derartige Wendung das Ziel
weit überspringt und zunächst einmal in ihr
Gegenteil stürzt. Incidit in Scyllani, qui vult
vitare Charybdin. Aber alles Verständnis dieser
Art kann niciit hindern, zu sehen, was ist. Zu
sehen also, daß das Ziel überlaufen wurde,
daß nach der Naturversklavung die Tyrannei
des Geistes eingetreten ist , daß unter tausend
funkelnden Wie das Was in der Tiefe ver-
dämmert. Das ist beileibe kein Einwand gegen
die Notwendigkeit, mit der der Expressionismus
seinerzeit in die Welt sprang; wohl aber ein
Einwand gegen die Meinung, in ihm sei das
absolute Ziel der Kunst erreicht.
Ein wahrer Hunger nach Materie kann uns
befallen, sehen wir die neue Kunst auf jede
Auseinandersetzung mit dem Stoff verzichten,
sehen wir das Handwerk aus ihr schwinden,
sehen wir sie mit dem objektiven Weltsloff zu-
gleich Tradition, Faßlichkeil, Sinnenreiz und
Aktivität preisgeben. Die Meister tun dies frei-
lich nicht: Ein Kokoschka, ein Beckmann, ein
M. DE VL/VMINCK. -BLUMIN IM .STEI.IKR' Sammlung o. sctlriER-noc IHM.
281
Htinger nach Materie.
Heckel, ein Macke und andere wußten sich das
Nötige an Materie zu retten und ihr Wert ruht
darauf fest und sicher. Aber viele andere
scheinen dies nicht zu sehen und bestehen auf
der Unvermischtheit des Ausdrucks mit einer
toddrohenden Konsequenz.
Mußte früher gegen die Überlastung des
Kunstwerks mit totem Stoff gestritten werden,
so ist heute wichtig, daran zu erinnern, daß
sich das Kunstwerk nur durch die eingeströmten
Naturelemente verfestigt, genau wie sich in der
Welt der Geist nur durch die Materie in Ver-
festigung, Vereinzelung und Wirksamkeit erhält.
Was will unter anderem die neue Erkenntnis
vom Ausdruckswert der Linien und Farben an
sich (diese sehr wichtige und ergiebige Erkennt-
nis), wenn sie vergißt, daß Linie und Farbe sich
an bedeutungsvolle Materie binden müssen?
Man lege das erregendste Linienschema eines
Baldungschen Bildes statt in menschlichen Kör-
pern in einfachen Farbstrichen oder in Gegen-
ständen ohne bedeulungsvolle Assoziationen
dar: so wird es leer und nichtig bleiben. Und
so weiter durch alle Anwendungen.
Ein bemerkenswerter Umstand: Während
die deutsche Kunst immer hitziger dem Phantom
des absoluten Ausdrucks nachjagt und in Armut
stürzt, wendet sich die Kunst Frankreichs
sehr gelassen der Sinnlichkeit, dem Handwerk,
der Überlieferung zu. Sie hatte diese Dinge
nie ganz verlassen. Selbst gewagte französische
Erzeugnisse behielten immer noch einen letzten
Rest an sinnlicher Gebundenheit, an objektivem
Reiz. Dem französischen Geist war Faßlichkeit
immer eine Hauptforderung. Er hat sich in der
Kunst zu ihr durchgefunden; nicht zurück, son-
dern vorwärts. Es scheint, als sei romanische
Gebundenheit an Form und Erde wieder einmal
bestimmt, der deutschen „Liebhaberei für das
Absolute" das nötige Korrektiv zu liefern.
Wie dem nun sei: jedenfalls muß die Kunst
wieder Tore auftun, durch welche Materie in
sie einströmen kann. Materie in diesem Sinne
ist nicht bloß Natur (als Studienobjekt, als sinn-
liche Form), sondern auch Gemütsmaterie: ein
inneres Ernstnehmen der Dinge, ein Fromm-
sein, ein Sich-Hingeben an die Arbeit und an
das Problem der Verfestigung.
Das tut not. Mögüch, daß der Geist des
Geschehens es uns noch femer vorenthalten
muß. Möglich, daß er unsere Kunst über noch
weitere Umwege treiben will. Das geht uns
nichts an. Wir müssen jedem Geschehen mit
Frommheit bereit sein, aber wir sind auf
Menschengedanken verpflichtet und dürfen sie
aussprechen, wie und wann sie uns kommen.
M. DE VLAMINCK. ->DIE KLARINETTE. 1912. gai.erie flechtheim.
MAX UNOLD -MÜNCHEN. »DIE STRASSE. 1919.
KUNSTHALLE BREMEN.
MAX UNOLD-MU.NCREN".
»STRASSE NACH LIBOURKE« 1911.
MAX UNOLD-MÜNCHEN.
'\ KL'Rl rilSTEK.
Von den jüngeren Künstlern Münchens be-
sitzt Max Unold am stärksten das Bewußt-
sein für die Werte der Tradition. Dies be-
sitzen, heißt sich unablässig mit den Ergeb-
nissen früherer Generationen auseinandersetzen
und , auf festem gesichertem Boden stehend,
langsam und gesammelt eine neue Synthese
bilden. Fernab von durchstoßenden und bis-
weilen abwegigen Experimenten stete und ver-
wurzelte Arbeit tun.
In Traditionen wachsen heißt nicht, in Ab-
hängigkeit und Schüler sein. Und wenn man,
um die Richtung von Unolds Weg anzudeuten,
zwei Namen nennt — Marees, Cezanne — so
bedeutet das nichts weiter als einen ungefähren
Anhalt. Flächen wachsen aus der Tiefe, wöl-
ben sich zu Kuben, bauschen sich zu Massen
und strömen in die zweidimensionale Ebene.
So wollte es Marees, so wollte es Cezanne,
der gelegentlich zu Bemard gesagt hat: Die
Kontraste und Übereinstimmungen der Töne :
darin liegt das Geheimnis der Zeichnung und
Modellierung
Cezanne meinte, wenn er von Modellierung
sprach, die Farbe. Jüngere, die in seinen Bahnen
schritten, Picasso, Bracque, setzten an die Stelle
der Farbe, was ihm nur Gerüst bedeutet hatte :
das geometrische Schema; andere den Ton. In
der Tat modeUiert Unold die Flächen nicht
farbig, wie Cezanne es wollte, sondern tonig.
Und bisweilen geht die Modellierung in Ab-
stimmung der Tonwerte über. Dies ist der
innere, eigentliche Sinn dessen, was mcm bei
Unold Tradition nennen könnte.
Unter dem unablässigen Ringen um die Reali-
sierung dieser Formidee hat bisweilen die Un-
befangenheit des Gestaltens gelitten: aii die
Stelle der phantastischen Schöpfung trat Er-
griffenheit durch ein Formerlebnis. Immer kreist
die Bemühung um die gleichen Motive: Still-
leben und bewegte Gruppe. Und wenn sonst
Vorstellung Form wird, hier scheint er sich
umzukehren: die Form ist das Primäre und
erringt sich die ihr gemäße Legende.
Parallel geht das umfangreiche und beträcht-
liche graphische Werk. Illustrationen zu Rabc-
286
:XIII. September 1920 3^
Max Unold- München.
286
MAX UNOLD— MÜNCHEN.
lais, Sankt Julian, Judenbuche, Einzelblätter.
Während frühere Blätter einen reizvollen, trotz
Anregung durch altdeutsche Holzschnitte durch-
aus persönlichen Bilderbogenstil zeigten, gilt die
Bemühung jetzt dem gleichen Problem einer
Bewegung, die sich in der Fläche breitet.
Damit ist die Richtung eines Weges, der trotz
mannigfacher Verknäuelung unablässig weiter-
läuft, andeutend bezeichnet. Das fast fanatische
und oft vergebliche Ringen um das Ziel gab
diesen Bildern einen Hauch von Melancholie
und unsteter Ruhelosigkeit. Er liegt auf ihnen
und ist mit ihnen verwachsen, wie die Patina
der Tafeln alter Meister k. p.
»BIERGARTENi 1919.
Das ist die Gefahr der expressionistischen
Kunst, daß in ihr der seelische Gehalt,
eben weil auf ihn die ganze Betonung fällt,
outriert wird. In dieser Hinsicht bot eine Kunst-
theorie wie die naturalistische, die der expres-
sionistischen gedanklich weit unterlegen ist, doch
auch wieder einen sehr gesunden Nährboden für
den inneren Ausdruck, weil er in ihr ganz unge-
wollt und darum mit aller Frische und Würze des
Unbeabsichtigten in Erscheinung trat; während
der Expressionismus, der den Akzent richtig auf
den Ausdruck gelegt hat, Gefahr läuft, das rein
Gefühlsmäßige zu stark ins Bewußtsein zu heben
und dadurch zu rationalisieren, f. Landsberger.
MAX U.NOI.D— MÜNCHEN.
»LIEBESPAAR« 1819.
KUNSTWERK UND KUNSTTHEORIE.
VilS HKINR. KITll R.
Die Beziehungen zwischen Kunstwerk und
Theorie bilden ein schwieriges Kapitel.
Nur von einem Sonderfall dieser Beziehungen
soll hier die Rede sein: von der Art, wie bei
neuen Kunstwendungen die stützende Theorie
auftaucht, von der Bedeutung, die sie innerhalb
der neuen Kunstwendung beanspruchen kann.
Fast alle neuen Kunstrich-tungen treten mit pro-
grammatischen Erklärungen über ihre Antriebe
und Ziele auf. Der Impressionismus erklärte das
Wesen des Naturausschnittes tiefer zu fassen
als der Naturalismus. Er gab sich erkenntnis-
kritisch, erklärte: Natur, das sind nicht Dinge,
sondern die Art, wie Dinge unter bestimmendem
Einfluß von Luft und Licht , von innerer und
äußerer Bewegung unsern Sinnen erscheinen.
Der Expressionismus schrieb die Formel Geist
auf seine Fahne und behauptete, nur mit Hilfe
dieses Schibbolelhs könne das Endgültige der
Form erreicht werden.
Gemeinsam ist allen Theorien , daß sie die
Sache so darstellen, als sei erst das künst-
287
Kunstwerk und Kunsttheoric.
288
MAX TJNOLD— MUKCHEN.
lerische Strebensziel aufgetaucht und dann das
Kunstwerk; als sei das Kunstwerk die Ver-
wirklichung eines vorher bestehenden, program-
matischen Erkennens, einer zunächst gedanklich
erfaßten theoretischen Einsicht, Jede dieser
Theorien beruft sich auf allgemeine Denknot-
wendigkeiten, entwickelt sich unter Bezugneh-
mung auf ewige Werte und behauptet, eine de-
finitive, allgemein gültige Einsicht vorzutragen.
Aber es geht diesen Denknotwendigkeiten
im Bereich der Kunst genau so , wie es dem
Denken im allgemeinen geht : es tritt auf mit
dem Anspruch vollkommener Freiheit und Selb-
ständigkeit, aber es steht im Dienste einer hö-
heren Macht, des Wollens, des Affekts. Der
Intellekt ist Diener des Willens — diese alte
voluntaristische Wahrheit, von Schopenhauer
und Nietzsche mit größtem Nachdruck neu for-
muUert, gilt nirgends klarer als in der Kunst-
erörterung. Das Wollen ist das Primäre. Und
dem Wollen liefern Verstand und Theorie die
logischen, ästhetischen, sittUchen Begründungen.
Aus Erwägungen, Reflexionen, theoretischen
Ein- und Absichten entspringt niemals eine neue
»KARTOFFELN« 1911.
Wendung in der Kunst. Sondern ein neues
Kunstwollen taucht aus der Tiefe und Not der
Zeit auf. Ein neues Müssen kommt aus ver-
ändertem Weltgefühl und aus dem Schwung der
Entv^icklung. Dann erst tritt als Späteres die
Theorie hinzu und formuliert Ziele, deutet klar-
bewußte Absicht in das Geschehen hinein und
gibt ihm die ewige, verstandesmäßige Grundlage.
Aber gerade dieses Streben der Theorie,
eine neue Kunstrichtung als zeitlose Notwendig-
keit hinzustellen, sie in allgemeinen Denknormen
und Kunstgesetzen zu verankern , verschuldet
jene sonderbare Vieldeutigkeit, die aller
Kunsttheorie anhaftet. Keine Theorie löst alles
Wesentliche der zu ihr gehörigen Kunstwirklich-
keit restlos in Begriff und Einsicht auf. Früher
oder später kommt es zu weithin sichtbaren
Überschneidungen von beiden. Und es zeigt
sich klar, daß das Eigentliche und Feste in jeder
Kunstrichtung das besondere Wollen ist,
das sich fem der Verstjmdessphäre auswirkt
und der bestimmenden Einwirkung des Begriffs
durchaus entzogen ist. Wir lesen bei Schelling
theoretische Kunstanschauungen, die schön und
MAX UNOLD-
MÜNCHEN.
»BIRNEN« 1919.
MAX UXULD-MÜNCHEN. .KARTOFFELN. 191Ö.
Kunstwerk und Kunsttheorie.
kräftijS sind und einer starken Kunstepoche auf
den Leib geschrieben scheinen. Dann aber
sehen wir, daß sie jenes Nazarenertum in der
Malerei zu decken bestimmt waren, in dem wir
heute solche Züge als charakteristisch empfin-
den, die Schelling nicht gesehen hat. Wir sehen
Schwächen, die ihm unbegreiflich entgingen,
wir sehen Entlehnung, Abhängigkeit, Archais-
mus, Ohnmacht, wo er urwüchsiges, idealisti-
sches Bilden zu finden meinte. Die Theorie und
die Wirklichkeit des entsprechenden Kunst-
schaffens überschneiden sich schließlich in gro-
tesker Weise, und klar tritt der ungelöste
Restbestand an Wollen im Kunstwerk her-
vor, den keine theoretische Erwägung einzu-
fangen imstande ist. Die Theorie ist vieldeutig,
das Kunstwerk ist eindeutig, weil es Wille ist.
Kluge und gute Dinge sagte uns sogar die Theo-
rie des Jugendstils, und wir erschrecken, wenn
wir sehen, was die Kunst dieser Zeit nun an
Form wirklich aus diesen Einsichten erzeugt
hat. Ins Ungeheuerliche wächst die Diskrepanz
zwischen Kunstwerk und theoretischer oder
ästhetischer Betrachtung, wenn ein Zeitgenosse
Grünewalds dessen Bilder als zierlich und lieb-
lich bezeichnet oder wenn ein geschulter Kunst-
betrachter allen Ernstes eine Parallele F. Erler-
Michelangelo zieht (wie dies Albert Dresdner be-
gegnet ist). Ähnliches wird sich später zweifel-
los aus einem Vergleich zwischen expressio-
nistischer Theorie und Praxis ergeben.
Nie spricht die Theorie das Wesentliche und
Entscheidende des zu ihr gehörigen Kunst-
schaffens aus, sondern dies geht in der Tiefe
und Dumpfheit des WoUens vor sich. Und nur
weil dies so ist; weil Kunstschaffen kräftiges,
gebundenes Wollen ist, nur deshalb gibt es in
der Kunst Entwicklung, Bewegung, Umsturz
und ewigen Reiz neuer Eroberungen. ... h. r.
Ä
Es ist ja natürlich, daß der Spezialist irgend-
eines Faches leicht vergißt, wozu das Fach
eigentlich da ist. Das trifft im allgemeinen die Ge-
lehrten geradeso, wie die Maler und Bildhauer,
die Musiker und Dichter. Das Virtuosen- und
Speziahstentum ist an der Tagesordnung, junge
Leute nur bauen Weltanschauungen — freilich
auch unter dem Gesichtswinkel des eigenen Fa-
ches. Im allgemeinen sitzt also jeder im Zentrum
des engen Netzes, in das er sich eingesponnen
hat, fängt ein, was da hereinfliegt, und läßt die
Menschheit als Ganzes laufen, jus. strzygowski.
MAX UNi.iLD MÜNCllEX. .LA.NDlJKÜCKK iyi2.
^9/
PROFESSOR BRUNO PAUL. >HAUS HERZ IN DAHLEM • DIE TERRASSE.
MODELL: BILDHAUER BLAZEK.
»SUPRAPORTE IM ESSZIMMER«
EIN LANDHAUS VON BRUNO PAUL.
HAUS HER/ IN liAHLtM BKI liLKI.lN.
Ich glaubte, in ein Bild von Van Gogh hinein-
zugehen. Unter lichtblauem Sommerhimmel
ballten sich die Baumkronen des Grunewalds
zusammen, und aus dem satten Grün leuchtete,
ja schlug und flammte das entschlossene Gelb
der Villenfassade mir entgegen, gekrönt vom
heiteren Grau des hohen Ziegeldaches. Ein
Haus von Charakter, das strahlend und lebens-
froh sich in die Landschaft bettete.
Dann, als ich näher kam, erkannte ich an
der Familienähnlichkeit sofort das Geschlecht,
dem es angehört. Wer im architektonischen
Werke Bruno Pauls Bescheid weiß, kann über
die Herkunft dieses Gebäudes nicht zweifelhaft
sein. Breit und wohlig hingelagert die Front
mit ihren neun Fensterachsen, von gemessener
Ruhe, in die der ein wenig vorgezogene Mitlel-
risalit freundliche Bewegung bringt. Die Strenge
der Anordnung gemildert durch die anmutig
leichten Bogenlinien , mit denen sich das Man-
sardengeschoß gegen die Luft abhebt. Die Fülle
der nicht zu großen Fenster erzählt von Behagen
und lädt den Ankömmling gastlich ein.
Rechts und links von der sorgsam geschorenen
Rasenfläche, die dem Eingang vorgelagert ist,
und um die sich die hübsch geführte Linie der
Anfahrt zieht, erheben sich zwei kleine Vor-
bauten. Niedriger als das Landhaus selbst, das
sie in jeder Hinsicht vorbereiten. Zwei Diener,
die vor ihrem Herrn Aufstellung genommen
haben und seine Livree tragen. Eine Erinnerung
taucht auf an die Anlage der französischen
Hotels der Barockzeit. Hat man die Gitterlür
hinter sich, so fühlt man sich sogleich von Ar-
chitekturteilen umgeben, gleichsam eingehüllt
und behütet. Man ist standesgemäß empfangen.
Und zwischen Chauffeur- und Gärtnerwohnung
schreitet man den jonischen Säulen zu, die die
Haupttür flankieren.
Diese Säulen stehen dort nicht zufällig. Sic
deuten auf eine klassizistische Neigung, die sich
im Hause selbst mit der niederdeutschen
Schlichtheit seines Wesens verbindet. Hier lag
offenbar eine besondere Geschmackstendenz
der Besteller und Bewohner vor, und mit be-
hutsamem Gefühl arbeitete der Künstler sie in
seinen Plan hinein. Das kunstfreundliche Paar,
das sich dies Haus erbauen ließ, in der Berliner
Künstlerschaft wohlbekannt, zumal dem älteren
Sezessionskreise durch vielfache persönliche
Beziehungen verknüpft, liebt Möbelstücke des
späteren Empire, die klaren Linien ihrer archi-
tektonischen Umrisse, ihren reizvollen Wechsel
von Holzfarbe und Vergoldung, die reife Kultur
ihrer ganzen Art, die Festlichkeit und Wohn-
lichkeit zu verschmelzen weiß. Überall in den
Räumen verstreut findet man solche Einzel-
heiten. Runde Tische mit Bronzerand und
Bronzeteilen an den Füßen, die französisch
sprechen. Behäbige Schränke mit ausdrucks-
vollem Gesims und gravitätische Sofas, die uns
schon mehr in der deutschen Mundart anreden.
Und in der Halle zwei prachtvolle Wandtische
mit Spiegelaufbau , die sich italienisch ausdrücken
Reste des mütterlichen Hausrats der aus dem
Rheinland stammenden Herrin. Diese kost-
baren Zierstücke , die sich für diesen Vorraum
empfahlen , gaben den Takt für seine Ausge-
staltung an. Bruno Paul setzte je zwei dorische
Säulen, auf die wir nun durch die lonier draußen
schon vorbereitet sind, rechts und links als
Gebälkträger an das Ende des rechteckigen
Raumes. Links, wo die Zimmereingänge liegen,
füllen sie dieEcken ; rechts flankieren sie schinkel-
293
XIII. September 192«. i
Ein Landhaus von Bnino Paul.
294
PROFESSOR BRUNO PAUL— BERLIN.
haft den offenen Eingang zum Treppenhause.
Ein Teppich von gedämpftem Blau der Grund-
farbe mit gelblich getönten Ornamentbändern
klingt überaus vornehm zu dem keuschen
Weiß der Wandungen, an denen farbige Kupfer-
stiche in schmalen Goldrahmen die Melodie der
Empirezeit aufnehmen, und grüßt zu dem blauen
Läufer der Treppe hinauf, deren Stufenanstieg
alte Aquatinlablätter mit italienischen Architek-
turen begleiten.
Durch die repräsentative Würde der Halle
geht es geradeaus in den Musiksaal, der
durch das leichte Halbrund einer Apsis mit
drei bis zum Boden herabgeführten Fenster-
türen auf die Gartenterrasse hinausdrängt, die
der Rückfront vorgelagert ist. Dieser Musik-
saal, als Mittelpunkt der Wohnräume im Erd-
geschoß, ist das Entzücken des Hauses. Rings
an den Wänden zieht sich eine festlich-heitere
Malerei, die Karl Walser auf dem Kalkbewurf
ausführte : eine Ordnung schlank aufsteigender
exotischer Bäume, auf denen sich seltsames
und phantastisches Getier tummelt und schau-
kelt, Äffchen und Papageien und eine märchen-
hafte Gesellschaft anderer buntgefiederter Ge-
CHAUFFKrU-HArs rXD G F. MUSEGARTEN
schöpfe. Die braungrauen Vertikalen der
Stämme, das kühle Cezanne-Grün der tropi-
schen Blätter, der Kling-Klang der Tierfarben,
delikat abgestimmt, heben sich von dem mit
Blau leicht untermischten Weiß der Flächen ab.
Und der ganze traumhafte Wald , der den Ein-
tretenden sofort in eine Stimmung fern von
Alltäglichkeit entrückt , wird verbunden durch
die zierlichen Girlanden schmaler blaß-violetter
Bänder, die Walser mitsamt den kleinen Ringen,
die sie zu halten vortäuschen, auf die Wände
gemalt hat. So erhalten die Vertikallinien einen
festen Zusammenhang durch ein horizontales
Motiv, von dem dann der Blick zu dem offenen
Gitterwerk der Deckenfläche hinaufgeht. Für
die Beleuchtung sorgen lediglich die rings ver-
teilten Wandarme aus leise angehauchtem
böhmischen Glase. Das ergibt eine glitzernde
und doch nicht laute Beleuchtung. Damit aber
das Ganze nicht gar zu tändelnd dreinschaut,
malte Walser über die drei Türen des Raumes
auf schwerem dunklen Grunde Musikinstrumen-
ten-Bündel in schmale Rechteckfelder, Diese
Supraporten stimmen zu den Empiremöbeln
mit ihrem gelben Tuch, von dem sich charak-
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Ein Landhaus von Bruno Paul.
PKOFESSOR BRUNO PAUL— BERLIN.
teristische palmetten- und mäanderartige Mu-
sterung abhebt, und Walsers Märchenbäume
stehen dazu wie eine Rokokoerinnerung.
Die schöne Einheit, die hier waltet, segnet
auch die Nachbarräume. Nebenan das Eßzim-
mer mit den Möbeln in sattem Nußbraun, mit
dem graziös gewellten niedrigen Büfett, mit den
Stühlen in englischem Geschmack, mit der durch
Diagonal-Linien streng in Rhomben geteilten
Damastseide, von der sich die Wjmdbespannung,
die Gardinen und der Polsterbezug der Stühle
gleichermaßen ernährten — und mit der wun-
dervollen Heiterkeit des großen Teppichs, den
E.R.Weiß aus der gedämpften bunten Glut
üppigen Blumengedränges mit erlesenem Ge-
schmack weben ließ. Einfach und behaglich
das Herrenzimmer in Hellbraun und Dunkel-
braun, mit Nußbaummöbeln, einer besonders
köstlichen Nußbaumtür, niedrigem Regal und
breiten runden Tischen. Weiter der Salon, auf
den roten Ton der Wandbespannung gestimmt.
Bezaubernd im ersten Stock das Schlafzimmer
der Frau des Hauses. Ein großer Aubusson-
Teppich aus der Louis-Philippe-Zeit, im rechten
selbstvergnügten Prunk des damaligen Neu-
Rokoko schwelgend, — wiederum ein Stück
allen Besitzes — , gab hier den Ton an. Treff Uch
»H.\US HERZ IN DAHLEM« • LAGEPLAN.
paßt dazu das große Bett mit dem luftigen Korb-
geflecht seines Gestells, nicht minder die kapri-
ziöse Form der Stühle, das Blau der Seiden-
bezüge an den Möbeln, die zierlichen Relief linien
der Türen. Die Beigefarbe der Wände dämpft
die gute Laune der Einzelstücke, daß sie nicht
zu übermütig werde.
Besondere Freude hat das Auge an der
Sorgfalt und dem reifen Geschmack, die jedes
Detail im ganzen Hause bestimmten. Jede
Klinke und jeder Türgriff — , das alles wurde
noch in den glücküchen Zeiten vor dem Kriege
hergestellt — , jede Profilierung an den Wänden,
jedes Stuckornament in dem gebändigtenBarock-
stil, den Paul schon seit Jahren in sein Herz
geschlossen hat, ist bedacht überlegt und vor-
bildlich ausgeführt. Eine Augenwonne für sich
bilden die Beleuchtungskörper. Die Eleganz
der Messingführungen mit ihren KristaJlvolants,
die hier und dort den Empiregedanken wieder
andeuten. Die Holzkrone im Herrenzimmer mit
ihren vergoldeten Teilen und ihren flachen Licht-
schalen. Die hellgestrichene Eisenkrone im
Schlafzimmer mit der Mittelschale aus Milchglas,
sanfte Stille und Beruhigung verbreitend. Nicht
zuletzt das originelle Stück des Treppenhauses
mit den hochgereckten messingnen Schlangen,
HAUS HERZ IN DAHLEM.
»CHAUIIKUR-UAUS« • GARTr.NSElTK.
PROFESSOR BRUNO PAUL. .CHAUFKEUR-HAUS • .-iTK.VSSENSEITE.
Ein Landhaus von Bnino Pmtl.
PROFESSOR liKL^NO i'AUL - llLKLl.N.
die auf ihren Köpfen wie Krönchen die Licht-
tulpen tragen.
Aber ein Landhaus ist für sich nichts Ganzes,
nur Teil. Es hat sich dem Garten einzufügen,
den es beherrscht, und auf den es immer wieder
hindeutet. Bruno Paul ist längst ein Meister
in der Herstellung dieser Harmonien. Auch
hier hat er wieder seine reifsten Künste entfaltet.
Von der breiten Terrasse der Rückfront, die
als Nebenteil noch die intime Ecke einer gedeck-
tenVeranda birgt — darüber ein geräumiger Frei-
balkon mit handwerklich schön geschnittenem
Eisengitter — führt erst zu einem breiten Quer-
weg und dann zu einem königlich ausladenden
Blumen- und Rasenparterre , das sich freilich
im Kriege mit Kohlköpfen und ähnhchen nahr-
haften Dingen bepflanzte. Die Architektur des
Hauses ist mit ihren großen Linien auf die
Ebene des Gartens projiziert. Überall Durch-
blicke mit betonten Endpunkten, rechtwinklige
»TREPPENHAUS IM HAUSE HEKZi
Bildungen, systematische Ordnungen, die nur
die freie Kiefemgruppe einer Ecke unterbricht.
Das AUerschönste an diesem ganzen stolzen
Besitz aber ist, daß jeder Besucher fühlt: hier
leben Menschen von eigenem und bestimmtem
Kunstempfinden. Von allen Wänden grüßen
Bilder, Zeichnungen, Lithographien der Künstler
aus dem Bannkreis der berlinischen Sezession,
nicht Monstrestücke der Matadore, sondern
allerlei ausgesuchte Gemälde und Kleinwerke
der tüchtigen Kräfte, die sich um die großen
Führer gruppierten — gerade das ein Beweis für
den verstehenden Sinn der Käufer. Aus Ecken
und von Tischen bücken Plastiken von Klimsch
und Gaul herüber. Auch eigene Handarbeit der
Hausfrau hegt anmutig dazwischen. Das ganze
Haus ist erfüllt von der Luft eines kultivierten
persönÜchen Geschmacks, und es ist wundervoll,
wie der Künstler das Wesen seiner Bauherren
verstand und in sein Werkverwob. dr. maxosborn.
PROFESSOR BRUNO PAUL. .IIATXE IM HAUSE HERZ.
CXIII. Sfpttmber 1920. 5
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1
PROFESSOR BRUNO PAUL. >.GARDEROBE IM HAUSE HERZ«:
I'ROKESSOR BRUNO PAUL.
»OBERES TREPPENHAUS«
KUNST UND BILDUNG.
VON KARL HECKEL.
Durch einen Ausspruch von Edwin Redslob,
demVorstandderwürttembergischenKunst-
sammlungen, ist die Frage nach dem Verhältnis
von Kunst und Bildung wieder einmal auf die
Tagesordnung gesetzt worden. Redslob stellt
die Forderung, die Kunst im Interesse einer
freien Entfaltung „aus den überkommenen
Fesseln des wesentlich Bildungsmäßigen zu
lösen". Leider erklärt Redslob nicht, was er
unter Bildung versteht. Ist wissenschaftliche,
künstlerische oder kulturelle Bildung gemeint?
Tote oder lebendige, konventionelle oder per-
sönliche Bildung? Je nach der Antwort ergibt
sich für uns eine wesentlich veränderte Stellung
zu seinem Ausspruch. Darüber sind wir uns
wohl einig, daß der naiv schaffende Künstler
gegenüber dem bewußt bildenden den Vorteil
eines freieren Fluges der Fantasie genießt.
Aber wir müssen uns dagegen verwahren, daß
der von Redslob in erster Linie gemeinte ex-
pressionistische Künstler schon durch Aus-
schaltung der Bildung zu jener Naivität gelange.
Bis zum achtzehnten Jahrhundert bedeutete
gebildet so viel als „gestaltet". Erst mit der
Zunalmie des Intellektualismus und der schul-
mäßigen Erziehung gewann das Wort jene
Bedeutung, die wir ihm heute allgemein bei-
messen, und die Nietzsche seinen Hohn über
den „Bildungsphilister" ausgießen ließ. Mit
vollem Recht, denn jener „Gebildetheit" wohnt
keine Handlung des Bildens inne, keine lebendig
gestaltende Kraft, sondern sie ergibt nur eine
von außen derTraditionentnommene Bekleidung.
Wir kennen genug Maler, die trotz dem
Mangel an Bildung, ja auch bei geringwertiger
Intelligens Tüchtiges leisten, nur daß sie immer
Gefahr laufen, sich im Technischen zu verlieren
und in der Kegel der Poesie entbehren. Das
darf uns nicht wundern; denn, wo weder die
Überlieferung, noch die aus eigener Erkenntnis
gewonneneEinsichtdemQuelldeskünstleriscIien
Schaffens Speisung zuführt, da verbleibt nur
die Möglichkeit technischer Vervollkonminung,
nicht aber die I'.nlfaltung schöpferischer Ideen.
303
Kiuist und Bildung.
304
PROFESSOR BRUNO PAUL— BERLIN.
„Poetischer Gehalt ist Gehalt des eigenen
Lebens", sagt Goethe.
Wir werden daher alsDichter undKüns tler gern
auf den Ballast unfruchtbarer „Gebildetheit"
verzichten, wir werden willig zugestehen, daß
derGebildete leicht Gefahr läuft, seine ursprüng-
liche Eigenart der Tradition und Gewöhnung
zu opfern, aber wir werden nicht die mittelbare
Bedeutung der Bildung für die Kunst preis-
geben, sondern Bildung gemäß den Worten
Nietzsches als Lebensgestaltung definieren:
„Bildung ist es, daß jene edelsten Momente
aller Geschlechter ein Kontinuum bilden , in
dem man weiterleben kann."
»DIE RÄUME DER GARTENSEITE«
„Bildung ist das Leben im Sinne großer
Geister mit dem Zwecke großer Ziele."
„Gebildet nennen wir den, der ein Gebilde
geworden ist."
— Auch wenn wir den kulturellen Wert
gelehrter historischer Bildung voll einschätzen,
werden wir doch stets die Forderung stellen,
daß ihre Wirksamkeit im Leben des Einzelnen
und der Völker durch eine lebendige Kunst ihre
Ergänzung erfahre, und dabei den Kulturwert
der Kunst voranstellen. Denn was sich der
Anschauung verdankt, gilt uns wertvoller als
alles, was der bloßen Reflexion entstammt.
Aber das heißt nicht auf die Forderung der
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BRUNO PAUL. .BLICK VOM MUSIK- INS ESSZIMMER LM HAUSE HERZ.
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PROFESSOR BRUNO PAUL. »MUSIKRAUM • TÜR ZUR TERRASSE«
Kuusf und Bilditno:
BRUNO PAUL. .KACHELOFEN IM HERRENZIMMER.
Bildunji für die Kunst verzich-
ten. Zu wahrer Größe vermag
sich ein Kunstwerk immer nur
dann zu erheben , wenn sein
Schöpfer eine Persönlichkeit
ist. Zur Persönlichkeit aber
bildet sich ein Künstler immer
nur dann aus, wenn ein zentrales
Selbst sich reiche KrfahrunfSen
und tiefe Erlebnisse einverleibt.
— Die Gefahr liejit für eine
Kunst, die auf „Bildung" ver-
zichtet, in chaotischen Auswir-
kun}ien. Nicht an sich ist der
Expressionismus, der das Innen-
leben betont, unkulturell, aber
er wird es, wo dieses Innen-
leben verannt und ohne Diszi-
plin des Gestaltungsdranges sich
in nervöser Hast subjektiv ver-
ausgabt, ehe Gefühle und Ge-
danken sich unterbewußt ver-
dichtet haben. Wohl schöpft der
Künstler aus dem Quell des ei-
genen Gefühlslebens, aber die-
ses bedarf der Zuflüsse, wenn
es nicht versiegen soll. Zum
mindesten wird es ohne die mit-
telbare Bereicherung und Ver-
edelung durch jene harmonische
Einheit schaffende Gestaltung,
die wir unter dem Begriff
Bildung zusammenfassen, des
Wachstums entbehren. Daß
wir dabei an keine wahllos ta-
stende Belehrung, sondern an
Belebung denken, bei der das
eigene schöpferische Selbst mit
weiser Beschränkung unbewußt
Ziel und Grenze bestimmt, be-
darf kaum einer besonderen
Versicherung. Goethe hat uns
gelehrt, daß der Mensch „in der
Fülle der äußeren Well al-
lein Nahrung für sein Wachstum
finde". Der Verzicht auf Bil-
dung würde Verzicht auf kul-
turelles Wachstum bedeuten.
„So ist's mit aller Bildung auch
beschaffen :
Vergebens werden ungebundene
Geister
Nach der Vollendung reiner Höhe
streben.
Wer Großes will, muß sich zu-
sammenraffen.
In der Beschränkung zeigt sich
erst der Meister,
Und das Gesetz nur kann uns
Freiheit geben."
UI. September 1920. 6
PROFESSOR BRUNO PAUL— BERLIN.
äKAMlNPLATZ IM ROTEN ZIMMER«
DIE KUNST DES KUNSTEMPFINDENS.
VON JOSEPH AUG. LUX.
Hört endlich auf mit dem Genießerstand-
punkt des Kunst„genießens" ; Kunst ist
nicht da, zu digestiven Zwecken „genossen" zu
werden; sie will geahnt, erfühlt, im Innersten
erlebt, erlitten sein; der Weg ins Heiligtum
führt über die Schwelle der Andacht ; geht Ihr
in die Kirche, Euren Gott „genießen"?!
Es ist nichts mit den Regeln und Rezepten,
die nur schulmeisterlich an der Außenwand
herumfingern und nicht aus dem Kern springen
wie das Licht aus seinem Brennpunkt; laßt uns
gleich von der Sache zentral reden — Kunst-
empfinden ist ein mystischer Akt wie die Ero-
tik; sie ist nicht Liebe schlechthin, wie sie der
Lüstling „genießt", sie ist Religion!
Empfinde Kunst — dann wirst du ein Schaf-
fender der Seele ! Aktiviere dich , entfalte
seelische Kräfte, indem du das fremde Werk
aus seinem Kern in dir zum Erblühen bringst.
Und dich wachsend an dem erfühlten Geist des
Kunstwerks deiner eigenen tätigen Kräfte freust.
die anders nicht die Auferstehung in ätheri-
schen Gefilden feiern!
Urteile nicht zuerst; empfinde! Dein Urteil
bist gewöhnlich nicht du, sondern ein Anderer,
der Abfälliges sagte; mißtraue den Urteilen!
Mißtraue auch dir, wenn dein Empfinden vor-
erst schweigt; prüfe lang und prüfe dich selbst
am meisten, und suche den Fehler in dir, wenn
du nicht zum Kunstwerk findest. Verwirf nicht,
sonst bist du leicht in den Augen Eingeweihter
selbst ein Verworfener !
Verlange nicht, daß das Kunstwerk zuerst
dir etwas sage; es braucht lang, bis du die
Eigensprache des Kunstwerks in dir vernimmst,
die Seelenschwingung fühlst, durch die es von
seiner ungeahnten Welt dir verkündet. Sage
dir selbst, daß man zur heiligen Empfängnis
bereit und aufgeschlossen sein muß, ehe uns
eine Verkündigung werden kann.
Sie wird uns kaum, wenn wir hundert Bilder
in einer Stunde flüchtigen Ausstellungsbesuchs,
PROFESSOR
IIRUNO PAUL-
BERLIN.
BRUNO PAUL. .KAMIN IM ROTEN ZIMMER.
vs
Die Kunst des Kunstnnpji)!dens.
hundert Gedichte im oberflächlichen Blättern
eines Buches vor unseren Augen vorüber-
spazieren lassen, wobei man gewöhnlich nur
am schon Bekannten hängen bleibt und sagt:
es war nichts Neues !
Klammert Euch nie an das Gegenständliche,
sonst bleibt Ihr ewig draußen ! Bedenkt, daß
Form entsteht, weil Form empfunden wurde;
Farbe, weil Farbe empfunden wurde; Ton oder
Wort, weil Ton oder Wort empfunden wurde.
Bedenkt aber darüber hinaus, daß Form, Farbe,
Ton, Wort ein Seelengeborenes ist, das über
sich hinausweist auf ein höheres Sein, wo alles
Gegenständhche nur Geist, alle Form ewiger
Fluß, Musik, Raummathematik ist, die sich nicht
errechnen sondern nur in der Phantasie an-
schauen läßt. Dieses innere Erleben metaphy-
sischer Bezirke und Sphären ist das Wesent-
liche des Kunstempfindens ; mehr läßt sich nicht
sagen, man muß es fühlen!
Es ist dasselbe, was der Künstler fühlt, ehe
er dazu kommt, seine Vision zu gestalten oder
stammelnd zu offenbaren. Daß er es kann,
dieses Organ Gottes, macht ihn zum Künstler;
nicht die Schule macht ihn dazu — sie hindert
ihn oft; daß Ihr diese Offenbarung versteht,
macht Euch , Kunstempfindende , zu Kindern
Gottes, die seine Herrlichkeit neu schauen wie
am ersten Tag; nicht die Doktrinen machen
Euch dazu, diese Verstandesprodukte hindern
Euch meist, Eure Seele zu gebrauchen, worauf
es einzig und allein ankommt.
Nicht der Verstand, nicht die Kritik, nicht
die Kunstgeschichte, nicht die Vergangenheit ist
Ausgangspunkt des Kunstempfindens, sondern
Eure lebendig und dürstend gewordene Seele,
die im dynamischen Fluß die ätherischen Land-
schaften der Künste, dieser ewig neuen Welt-
erschaffung spiegeln.
Täglich wird die Weltschöpfung erneut in
der Seele des Künstlers und seines geistigen
Schöpferwillens; täglich ist ein Uranfang in der
Welterschaffung , die das verloren geglaubte
Paradies erneuert in der Kunst — Kunstempfin-
dende wandelt darin wie das erste Menschen-
paar, denn auch das Paradies war nichts anders
als das Seelenerleben eines Wunders, das sich
ewig vor unseren Augen vollzieht und das sich
im Kunstwerk als Seelenereignis vollendet ; die
Kritik, der Zweifel, die Verneinung ist der erste
Sündenfall und der grinsende Höcker Verstand
sieht sich in der Wüste, wo er, Kain, seinen
Bruder, die Künstlerseele Abel, erschlägt.
Qualität, dieses Beckmesserwort, Ihr wollt
Qualität im Kunstwerk erspüren. Aber die
Qualität im Kunstwerk ist nichts Stoffliches, sie
ist immer und überall nur der Ausdruck eines
seelisch Wertbaren, das sich irgendwie stofflich
manifestiert; wir können sie künstlerisch nur
in unserem eigenen Seelenelement erfühlen;
sie ist da als eine wesentlich ätherische Eigen-
schaft, die metaphysisch begründet ist.
Alles, was aus wirkHch innerlich Erlebten
kommt, aus genialer Notwendigkeit, hat Qua-
lität, als gottgewollte Zeugung. Es kann psy-
chometrisch gemessen werden. Der entwickelte
Kunstempfinder ist Psychometer.
Qualität empfindet, wer selber Qualität hat.
Sie ist ein geist-menschliches Postulat, nicht ein
Werk der Spekulation und des Handelsgeistes.
Aus dem Grund jedes Kunstwerkes spricht
der reine Mensch, das Fluidum seiner geistigen
Persönlichkeit, die mit ihrer Eigenart im Kos-
mos verankert ist. Diese innerste Menschlich-
keit enthüllt sich im Werke, ihr Fluidum flutet
lebendig darin, der Kunstempfindende ist die
telepathische Station , die dieses ätherische
Fluidum des Kunstwerks mit ihren sensitiven
Sinnen registriert. Kunstempfinden ist eine
eminent menschliche Angelegenheit. Man ist
an den Grundquellen des Daseins.
Dieses Fluidum ist ein untrüglicher Maßstab
für jeden Wert. Daran können wir echte Kunst-
werke von falschen, die nur Werke der Speku-
lation oder der Nachempfindung sind, psycho-
metrisch unterscheiden, was nur auf der Höhe
der Meisterschaft des Kunstempfindens mögHch
ist, die nicht ohne weiteres gegeben ist und er-
worben wird. Aber vor dieser Meisterschaft
steht jeder Betrüger entlarvt da, mag sein Pla-
giat noch so geschickt und täuschend gelungen
sein. Sein eigenes Menschentum, das Fremdes
borgt und verändert als Eigenes ausgibt, verrät
ihn. Wer auf die Geheimkräfte der Kunst zu
reagieren gelernt hat, spürt augenblicklich die
Schwingung, ob sie aus dem eigenen seelischen
Bezirk des Urhebers geboren ist, oder als frem-
des Fluidum nur geborgt ist und mit dem mensch-
lichen inneren Format des angeblichen Schöp-
fers im unlösbaren Mißverhältnis steht. Doch
diese Meisterschaft des Empfindens gehört zu
den letzten Weihen derjenigen, die in der Kunst
als Tempel demütig Gläubige und Empfangende
waren und Erleuchtungen empfangen als Gnade
wie der Priester; doch mutet Euch nicht gleich
das Priesteramt, oder was schlimmer ist, das
Richteramt, oder was das Schlimmste ist, das
Scharfrichteramt zu, sondern seid Gemeinde
und Gläubige und genießt die reinen Freuden
am Tisch der Kunst, wo der Leib des Herrn
und der Seelenwein wie am heiligen Abend-
mahl der Geister verabreicht werden.
Es ist das besondere Merkmal des wahren
Kunstempfinders , daß er nicht nach Schulen
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Dir Kjinst des Kunsteiupßndfns.
und Richtungen urteilt, sondern jedes Werk als
Individualität erfaßt und das Wesentliche daran
erkennt oder erfühlt , ob es nun vergangenen
Kpochen oder der jüngsten Generation angehört.
Für ihn gibt es nur lebendige Kunst und tote
Kunst, die aber keine ist und niemals lebendig
war. Nicht alles ist tot, was nicht modern oder
Mode ist, nicht alles ist lebendig, weil es von
heute stammt und die jüngste Doktrine schreit.
Denkt nicht an die Werke anderer, die Ihr
gestern gesehen habt, wenn Ihr heute vor eine
neue Kunst hintretet, die Euch noch fremd ist.
Es wäre schlimm, wenn die neue Kunst Euch
von dem Gestrigen her bekannt und darum schon
lieb wäre. Schlimm für Euch und für das Kunst-
werk ! Schlimmer noch für Euch , aber nur für
Euch , wenn Euch das neue Werk deshalb zu-
wider wäre, weil es allem Gestrigen so unähn-
lich ist. Doppelte Ehre und Gnade dem Neuen
in seiner Selbstheit und Einsamkeit vor Eurem
Blick, der nicht ahnt, daß der gemeinsame
Ahnenzug aller Kunst tiefer liegt, wo heute und
gestern selbst nicht mehr sind und Ihr nicht
seid, ewig Gestrige!
Das sind nicht die wahren Kunstversteher,
die auf einen Heiligen schwören und soviele
Märtyrer lästern. Oder die nur gerade das er-
kennen, wovon „man" spriciit. Siebeweisen
nur, daß sie gar nichts erkennen und die Kunst
ihrer Liebe im wesentlichen ebensowenig be-
griffen haben, wie sie Kunst begreifen, die sie
abzulehnen sich für berechtigt halten
Wer ein Kunstwerk im tiefsten Grunde be-
griffen hat, der, sollte man glauben, müsse den
Geheimschlüssel zu allen Kunstwerken besitzen,
wie verschieden sie auch nach Zeit und Art
seien. Das ist jedenfalls das ideale Ziel des
Kunstverstehens.
Wenn Kunstempfinden eine hohe Empfängnis
der Seele ist, dann muß das Haus rein sein,
damit der bräutliche Geist cinzieiien kann. Jede
Spur an frühere Geliebten und Sündenfälle muß
ausgetilgt werden, die Seele muß ihre keusche
Unberührheit wieder erlangen, jede Erinnerung
an früheren Umgang, jeder Name von anderer
Kunst, jedes Gedächtnis und jeder Vergleich
muß verschwinden, damit eine geistige Hochzeit
gefeiert werden kann mit dem Werk der neuen
Wahl. Überhaupt Vergleiche! Sie sind in der
Regel die Kurzschlüsse des Verstandes, wie die
Schlagwörter, die jede unmittelbare Regung er-
schlagen zu Gunsten der Konvention, die der
Tod des unmittelbaren Empfindens ist.
Kunstwerk und Kunstempfinden sind wie
Gott und Seele, die keines anderen Mittlers
bedürfen und sich unmittelbar finden müssen
eines im andern! Wer das nicht kann, dem hilft
auch der Katechismus der Kunstregeln nichts.
Begreift es, daß Kunst nicht verharren und
ihre Formen wiederholen kann , sie ist immer
nur ein Einmaliges und zweimal dasselbe ist
schon ein Fluch! Warum verlangt Ihr in der
Kunst immer nur das, was Ihr gewohnt seid,
wenn liir vorgebt, Kunst zu empfinden? Die
»HEIZUNGS-GITTER IM HERRENZIMMER«
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PROFESSOR BRUNO PAUL. »FRISIERTISCH AUS NUSSBAUMHOLZ.
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XXIII. Sjptcmber 1920.
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»WÄSCHESCHRANK IM SCHLAFZIMMER.
.ANKLEIDESPIEGEL IM SCHLiVtZIMMER.
Die Kunst des Kimstempfindens.
PROFESSOR BRUNI1 PAUL.
Menschheitsgeschichte ist die Geschichte der
Ausnahmefälle; Kunst statuiert die Ausnahme
und verwirft das Herkömmliche ; sie behauptet
ihren Rang neben allem Großen, indem sie
immer wieder neu in den Strom der Geistigkeit
hinabtaucht und aus dem ewigen Fluß immer
wieder als anderes emportaucht, das uns von
den gebrauchten Formen erlöst und die Geistig-
keit des Unendlichen in der Unerschöpflichkeit
der Form spiegelt. Dies, Kunstempfindende,
würdet Ihr wissen, wenn Ihr selbst in den Strom
hinabtauchtet, wo Eurem Empfinden das Licht
aufgeht und Ihr den ewigen Inhalt an jeder neuen
Form erkennt, die notwendig neu und jung sein
muß , wenn sie aus der Dynamik des inneren
Lebens geboren ist und nicht im Abschauen von
Vorbildern peripherisch erzeugt wurde , von
Vorbildern und Formen, auf die jene schwören,
die bloß Einäugige und nicht Sehende sind unter
den Künstlern wie unter den Kunstverehrern.
Zur Kunst berufen sind wenige; zum Kunst-
empfinden alle. Es kommt nur darauf an, daß
sie ihre Seele entdecken und deren grenzenlose
Fähigkeiten und den rechten Gebrauch wissen.
Das rechte Empfinden in diesen Dingen führt
»SCHMIEDEEISERNES GITTER«
zum Göttlichen hin, weit über das Elend der
Zeiten hinaus. Der rechte Gebrauch in diesem
Sinn ist die einzige Sittlichkeit, die zur Men-
schenwürde führt, und in der Kunst ihr hohes
Urbild erkennt, vor dem der moralisierende
Splitterrichter in seiner Unduldsamkeit und Lüge
basiliskenhaft erstarrt j.a. l.
P.
Wo beginnt die Ausführung eines Bildes, und
wo endet sie? Im Augenblick, da höchste
Empfindungen in der Tiefe des Wesens in Fluß
sind, im Augenblick, da sie zum Ausbruch kom-
men und der Gedanke wie Lava aus einemVulkan
bricht, ist das nicht die Blüte des plötzlich
geschaffenen, vielleicht brutalen Werkes, das
aber sicherlich groß und übermenschlich ist ? Das
kalte Rechnen der Vernunft hat nicht über dieser
Blüte gewaltet, wer aber weiß, wann in der Tiefe
des Wesens das Werk begonnen wurde? Unbe-
wußt vielleicht. Haben Sie schon gemerkt, daß,
wenn Sie eine Skizze nochmals abzeichnen wol-
len, mit der Sie zufrieden sind und die in einer
Minute, einer Sekunde der Inspiration geschaf-
fen ist, Sie immer nur eine minderwertige Kopie
zu Wege bringen ? paul gauguin.
PKOF1.SS0R BKUNi> PAUL.
• LEUTl-.-ES^RAfM«
LICHTTKÄGER IN DER WOHNUNG.
A A ^as dem baulichen Kunstwerk das Raum-
\ V bedürfnis,dasist demBeleuchtun|Sskörper
das Lichtbedürfnis: ein Anlaß für „Form", Roh-
stoff der GestaltunjS. Der Lichtträger ist keines-
wegs eine praktische Vorrichtung, sondern eine
positiv bestimmte, irgendwie stilisierte Art,
dem Wohnraum das Licht darzubieten. Schon
das Tageslicht flutet in einen baulich wohl durch-
dachten Raum nicht wähl- und fcssellos ein;
das Fenster fängt die ungeheuren Massen des
Freilichts schon in menschlich gebundener Weise
ab und führt sie in bestimmt stilisierter Art über
Gegenstände und Wandflächen. Man spricht
von Regelung des Licht einfalls, von Licht führung,
von Modellierung des Raums und seines Inhalts
durch das Licht, von weiser Abwägung des
Lichtes gegen den Schatten.
Viel stärker noch tritt das Stilisierte der Licht-
darbietung bei den Quellen künstlichen Lichtes
hervor. Die seelische Wirkung der Lichtführung
im Raum wurde sehr früh bemerkt. Von ihr
aus wird alles wichtig, was mit der Präsentierung
des Lichtes im Wohnraum zusammenhängt:
die Farbe des Lichtes, die Anordnung der Licht-
quellen im Raum, die Zerstreuung oder Zu-
sammenfassung, die Abdämpfung durch den
Schirm und insbesondere der Körper selbst,
der die Flamme trägt, faßt und hütet.
Der I3eleuchtungskörper faßt die Flamme im
selben Sinne, wie man von der Fassung einer
Quelle, von der Fassung eines edlen Steines
spricht. Er ist der Übergang vom toten Stoff
zum Geistigsten, das wir kennen; vom Un-
lebendigen zum Lebensvollen; vom Trägen zum
Tätigen. Daher ist der Lichtträger häufig eine
Auflösung der Materie in eine reichere, zartere
Verästelung, ein Spalten in dünne, zweigartige
Röhren, zierliche Gehänge, ein Übergehen aus
Dingen von loter Oberfläche in glänzendes Me-
tall oder durchblitztes Glas, eine Behausung der
Helle in einer funkelnden Wohnung, in der ein
so geistiger, ungreifbarcr Gast sich wohlfühlen
kann. Die letzte F'orm, die die eigentliche
Flamme hegt, wird fast immer zu einer Nach-
bildung des zartesten und zwecklosesten Stoff-
gebildes der Erde: zur Nachbildung des Blu-
menkelches, zu der Vereinigung eines
knospenhaft Zusammenhaltenden, der Dülle,
mit einem breit sich Öffnenden, dem eigent-
lichen Schirm.
Der Lichtträger bietet das Licht dar. Er
hat eine Bewegung in sich, ein Hinausstrecken
und Hochhalten, eine feierliche, spendende
Geste, die wir sogar im derbsten Menschenarm,
der etwa eine Fackel hält, wieder erkennen.
Der Zweig, der den Lichtkelch trägt, setzt an
327
Lichtträger in der Wohnung.
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LICHTTR-\GER IM OBERN TREPPENHAUS«
aus einer Metallkugel oder aus einem schalen-
artigen Holzkörper, legt erst eine abwärts füh-
rende Kurve an, um dann festlich und voll
Energie hochzusteigen in einer stolzen Be-
wegung, die der Wichtigkeit des Dienstes an-
gemessen, des edlen, kostbaren Elementes be-
wußt ist.
Der Lichtträger dient aber nicht nur den
Stunden der Nacht. Auch bei Tag erfüllt er
eine wichtige, schmückende Aufgabe. Ja, das
wertvollste seiner Form wird bei Tag fast noch
wirksamer, als wenn er in seinem eigentlichen
Dienste steht. Was er an sinnvoller Bewegung,
an Bug und Klang der Linien wie an gemüthafter
Bedeutung besitzt, an Wirkung der Farbe und
blinkenden Materials, mischt er bei Tag leicht
und heiter in das strengere Gefüge der Linien,
die den Raum gestalten und teilen. Er spielt
seine Kurven in ernsthafte, meist vom Winkel
beherrschte Gefüge der Deckeneinteilung. Er
erregt, wo er aus der Decke hervortritt, orna-
mentales Leben, wichtig zur Schmückung der
sonst leeren Fläche. Er überschneidet anmutig
die Geraden des Gesimses oder wird, wo Bogen-
fenster und Wölbungen die Raumeinteilung be-
herrschen, als höchster, leichtester Akzent der
gebogenen Linie wirksam. Er schwebt wie ein
Baldachin über dem schön gedeckten Tisch. Er
steht, des Dienstes ledig, im Tagraum wie die
Blume im Garten. Er wird raumgestaltend tä-
tig, indem er die obere Zone des Raumes fast
wie ein Baum organisiert, indem er Verdich-
tung und Teilung schafft an einer Stelle, an die
die übrigen architektonischen Elemente von
Wand und Decke nicht mehr hinreichen.
Der Lichtträger hatte ein Recht auf die große
Aufmerksamkeit und Liebe, mit der er von der
neuen Innenkunst behandelt worden ist. Auf
kaum einem Gebiet hat neues Suchen und For-
men so Endgültiges und Erfreuendes hervor-
gebracht, wie auf diesem n. ritti k.
BRUNO P.VUL. »LICHTTRÄGER IM UNTERN TREPPENHAUS«
PROFESSOR BRUNO PAUL.
»LICHTTRjVGER im HERRENZIMMER
STAAT, STADT UND MODERNE KUNST.
Die Not der Zeit hat uns schon auf mehr als
einen neuen guten — alten Weg geführt.
Sollte es nicht an der Zeit sein, den Ankauf
moderner Werke der Kunst wieder den Stellen
zu überlassen, die vor der Massengründung
großer öffentlicher Museen sich dazu berufen
fühlten zun Vorteil der Erben? Sei nur ein
Wort diesem alten Weg gegönnt. Wer oft genug
dafür eingetreten, daß es Pflicht der modernen
Museen, moderne Werke zu erwerben, bevor
noch der betreffende Künstler ganz allgemein
mit hohen Summen belohnt wird, ist wohl gegen
den Vorwurf gefeit, moderner Kunst das Wasser
abgraben zu wollen. — Aber die Tatsachen
zwingen zum andern Weg. Staat und Gemein-
den haben für ihre Museen leider am aller-
wenigsten Geld übrig. Dagegen werden in un-
serer Ära der Papiergeldfabrikation viele staat-
329
PROFESSOR BRUNO PAUL-BERLIN.
»LICHTTRÄGER IM ESSZIMMER«
PROKESSriR BRUNO PAUI. -RKRLIN.
LICHTTRÄGER IM SCHLAFZIMMER.
XXllI. September 19-.'0. 8
-7, f
Staat, Stadt und moderne Kunst.
liehe und städtische Stellen mit solchen Sum-
men allein für würdige Einrichtung und Reprä-
sentation bedacht, daß unter kluger Führung
manch modernes Kunstwerk , irgend welcher
Art für den Schmuck der Säle und Zimmer oder
für irgendwelche sportliche oder andere Aus-
zeichnung erworben werden könnte. Und das
muß geschehen. Auf diese Weise und nur auf
diese Weise kann der Schaden, den jetzt die
Kunst der Gegenwart erleiden muß, reichlich
wieder gut gemacht werden. Hier kann auch
viel mehr Persönlichkeiten der Kunst öffentliche
Anerkennung verschafft werden als das der
doch immerhin geringen Zahl von Museen mög-
lich war. — Nach einigen oder vielen Jahren
mögen dann aus diesen Kunstschätzen staat-
licher oder gemeindlicher Stellen die Werke
abgestoßen oder ausgewählt werden, die doch
besser in einem Museum ihren ständigen Platz
finden sollten. — Auf diese Weise könnte beim
ersten Ankauf eine viel größere Freiheit zu
Wort kommen als beim unmittelbaren Ankauf
für ein Museum, bei dem die Sorge um die
Ewigkeitsbewertung eines Werkes oft genug
hemmend wirkte. — Der Weg ist wie gesagt
nicht neu — ist weiter — aber viel weniger
kostspielig. Früher kauften das Moderne die
absoluten Fürsten, Magistrate und Kaufherren —
heute sollten es die verschiedensten Behörden für
ihre Pflicht und Schuldigkeit halten. Sie werden
sich auf diese Weise einen bleibenden Njunen
machen. — Auf zum neuen Weg ! i:. w. bredt.
D.'^GOBERT PECHE. »SILBERNE SCHALE« WIENER WERKSTÄTTE.
DAGOBERT PKCHE • WIENER WERKSTATTE.
»FINGERRINGE IN GOLD«
Inhalts-Verzeichnis.
BAND XLVI
April 1920 -September 1920.
TEXT-BEITRAGE:
Seite
Julius Hüther — München. Von Walther
Unus— Berlin 3—22
Altdeutsche und »Itniederländische Malerei.
Ihre Wiedererweckung und Wertung in
der neueren deutschen Kunstgeschichte.
Von Dr. Joachim Kirchner — Berlin . 15 — 28
Professor Anton Hanak — Wien. Von Berta
Zuckerkandl— Wien 3S— 43
Umschwung im Expressionismus. Von Wil-
helm Michel — Darmstadt 44 — 46
Neue Porzellan • Figuren. Von Prof. Dr.
Ernst Zimmermann — Dresden . . . 49 — 56
Das Künstlerfest der Berliner Kunstgewerbe-
schule. Von Dr. R. BernouUi— Berlin 59—61
Der Quell der Kunst. Von Karl Heckel
— Mannheim 62 — 64
Handarbeit und Maschinenarbeit im Schmuck
des Glases. Von Prof. Dr. Gustav
Pazaurek— Stuttgart 68 — 70
Gute Zigarren-Packungen. Von Dr. Herbert
Tannenbaum — Mannheim .... 75 — 82
Ober die Kunst. Von Dr. Konrad Wein-
mayer 83
Zu den neuen bayerischen Postwertzeichen . 84
Petition Berliner Künstler an die Deutsche
National -Versammlung 89 — 90
Hugo Krayn f. Von Dr. Max Osborn —
Berlin 93-9«
Hermann Geibel — München. Von Dr. Georg
Lange— München loi — 102
Gesetz und Gefühl. Von Anton Jau-
mann — Berlin 10°
Ausstellung Richard Teschner Wien 1920.
Von Rudolf Thetter— Wien . . . 1 11 — 116
Von der Seele der Gotik. Von Gustav
Knapp eis— Offenbach a. M 121 — 127
Aus der Gartenstadt Margarethen-Höhe. Von
Direktor Gosebruch — Eissen .... 131 — 138
Vom deutschen Künstlertag. Von Hermann
Widmer— Berlin 138 — 140
Neue Läuger-Keramik. Von Prof. Dr. A. E. Sei«
Brinckmann — Rostock 145 — 150
Alt-Berliner Porträts. Von Dr. Max Os-
born '55— '65
Synthese. Von Anton Jaumann — Berlin 165
Wilhelm Kohlhoff. Von Dr. Joachim
Kirchner— Berlin 169—170
Geschmacks- und Werturteile. Von Hel-
muth DuTC— Preetz 175 — 176
Gaston Beguin Von Paul Jacob ... 179
Die Kunst und ihr Publikum. Von Hein-
rich Ritter 180—183
Architektonische Lösungen. Von A. Jau-
mann— Berlin 186
Theodor Wende. Von Dr. Karl Freund
— Darmstadt 189 — 191
Schriftkunst und Dichtung. Von Otto F.ei-
chert— Offenbach 192—194
Handwerkliches und Geistiges. Von Prof.
F. H. Ehmcke— München .... 198
Wettbewerb für Zigarren-Packungen. Von
H. E 201 — 204
Deutscher Expressionismus Darmstadt 1920.
Von Anton Schnack— Darmstadt . . 207 — 221
Abklärung. Von Willy Frank .... 222—226
Gemälde aus Darmstädter Privatbesitz. Von
Reinhold Ewald— Hanau .... 228—230
Max Klinger f. Dem großen Toten. Von
Kuno Graf v. Hardenberg . . . 231—232
Piero della Francesca. Von Reinhold
Ewald— Hanau 235—^38
Der Genius im Kinde 238
Das Palais Stourdza in Baden-Baden. Von
Dr. Robert Corwegh 245 — 247
Lampenschirme. Von A. Jaumann — Berlin 250
Erich M. Simon. Von Dr. Robert Cor-
wegh—Darmstadt 253—255
Gleichnishaftes Wesen der Kunst. Von M. F. 256
Die neuen deutschen Postwertzeichen. Von
Hans Meyer— Berlin 263
Maurice de Vlaminck. Von Otto Albert
Schneider— Düsseldorf 269—270
-.3^
Seite
Tendenziöse Kunst. Von Ant. Jaumann 272 — 270
Hunger nach Materie. Von Wilh. Michel
— Darmstadt 280 — 282
Max Unold— München. Von Kurt Pf ister 285—286
Kunstwerk und Kunsttheorie. Von Heinr.
Ritter 287 — 290
Ein Landhaus von Bruno Paul. Haus Herz
in Dahlem bei Berlin. Von Dr. Max
Osborn — Beriin 293 — 300
Ku»st und Bildung. Von Karl Heckel . 303—313
Die Kunst des Kunstempfindens. Von Jos.
Aug. Lux 314 — 326
Lichtträger in der Wohnung. Von Heinr.
Ritter 327—328
Staat, Stadt und moderne Kunst. Von Prof.
Dr. E. W. Bredt — München .... 329—332
ABBILDUNGEN
(SACHLICH ZUSAMMENGESTELLT):
Ankleidezimmer S. 325; Architektur S. 130 — 139,
142, 245, 292, 294, 296 — 297, 298 — 299; Ausstellungs-
räume S. 116, 229, 244; Beleuchtungskörper S. 328 —
329, 330 — 331; Blumenschalen S. 68 — 70, 144 — 147;
Briefmarken S 85 — 87,264 — 266; Bucheinbandes. 198;
Bücherschränke S. 72 — 73; Büfett S. 311; Chauffeur-
Häuser S. 294 — 299; Damenzimmer S. 304, 314; De-
korations-Malereien S. 58 — 59; Drucksachen S. 75 — 82,
201 — 204, 256 — 262; Edelmetall-Arbeiten S. 188 — 191,
33^1 334; Exlibris S. 200, 253, 260 — 261; Festdeko-
rationen S. 58 — 59; Fliesen S. 148 — 149; Frisiertisch
S. 320; Garderoben S. 302; Gärten S. 247; Gemälde
S. 2 — 30, 92 — 98, iio — 115, 154 — 176, 206 — 223,
228 — 230, 234 — 242, 268 — 290; Glasfenster S. 65
— 67; Glaswaren S. 68 — 70, 184 — 185; Grabzeichen
S. 56; Hallen S. 300 — 301 ; Heizkörperverkleidung S.
319; Herrenzimmer S. 7 2 — 73,317; Kamine S. 73, 315;
Keramik S. 144 — 151; Kissen S. 83, Kleinplastik S.
48 — 56, 115; Kleinwohnhäuser S. 130 — 142; Kostüme
S. 60 — 64, 248 — 249; Krippenspiel S. 117; Küche S.
140 — 141, 327; Kunstverglasungen S. 65 — 67; Land-
häuser S. 292 — 327; Lichtträger S. 250, 328 — 331;
Liegesofa S. 323; Monogramme S. 152, 200; Musik-
zimmer S. 308 — 312; Oefen und Kamine S. 313, 315;
Plastik, figürliche S. 32^56, 101^108, 120 — 125, 178
— 182, 224—226,231; Pokale S. 68, 184, 185; Por-
zellan-Figuren S. 48 — 56, 118; Postwertzeichen S. 85 —
87, 264—266; Puppen S. 88—90, 117; Reliefs S. 186,
293; Schalen S. 144 — 151, 332; Schlafzimmer S. 244,
321, 323 — 325; Schmiedeeisernes Gitter S. 326; Schmuck
S. 190, 334; Schriftkunst S. 192 — 199; Silberarbeiten
S. 188 — 191, 332, 334; Speisezimmer S. 305, 306 —
307; Stickereien S. 83, 227; Tafelgeiäte und -Schmuck
S. 188 — 191, 332; Xeepuppen S. 88—89; Teetisch S.
247; Tischlampe S. 250; Treppen S. 300, 301, 303;
Trinkgefäße S. 68, 69; Vasen S. 144 — 151; Vorräume
S. 300, 303; Wandgemälde S. 234 — 242; Wäsche-
schrank S. 324; Wohnküche S. 140 — 14I; Wohnzimmer
S. 304; Zeichnungen, Radierungen, Holzschnitte, Litho-
graphien S. 43 — 46, loi, 127 — 128, 15b — 158, 252 —
262, 272, 276—277; Ziergläser S. 68 — 70, 184, 185;
Zigarren-Packungen S. 75 — 82, 201 — 204, 262.
SEPIATON- UND FARBDRUCKE:
Seite
Gemälde »Neger« Von Julius Hüther — Mönchen 2
Gemälde >Pferdec Von Julius Hüther — München 7
Gemälde «Mädchen mit Barett« Von Albrecht
Dürer 14
Plastik »Mädchen« Von Anton Hanak — Wien . 32
Kamin-Nische in einem Herrenzimmer. Von Prof.
Bruno Paul — Berlin 73
Gemälde »Im Theater« Von Hugo Krayn f. . 92
Gemälde »Aloe« Von Richard Teschner — Wien iio
Holzplastik »Pietä« Aus dem Stadt. Museum —
Frankfurt 120
»Aus der Margarethen-Höhe- Von Prof. Georg
Metzendorf — Essen-Puhr 130
Vasen. Von Prof. Max Läuger — Karlsruhe . . 144
Gemälde »Die Mutter des Künstlers« Von Alfred
Rethel 154
Gemälde »Bildnis eines Mädchens« Von Wilhelm
Kohlhoff— Heidelberg 168
Terrakotta-Plastik »Stehende Frauen« Von Gaston
B^guin 178
Silberne Schalen. Von Theodor Wende — Darm-
stadt 188
Gemälde »Mütterlichkeit« Von Kay H. Nebel —
Darmstadt 206
Triptychon »Passion« Von Carl Caspar — München 219
Fresco-Gemälde. Von Piero della Francesca . . 234
Gemälde »Blumen in Vase« Von Maurice de
Vlaminck 268
Zeichnung »Haus am Kanal« Von Maurice de
Vlaminck 277
Haus Herz in Dahlem. Von Prof. Bnmo Paul
— Berlin 292
Musikraum. Von Prof. Bruno Paul — Berlin 306 — 307
Schlafzimmer. Von Prof. Bruno Paul . . . . 321
Namen -Verzeichnis.
Arendt, Kurt — Breslau
Bait2, L. & R.— Berlin
Bauroth, Richard — Charlottenburg ....
Baus, Georg — Leipzig
Beguin, Gaston — Le Locle
Behmer, Markus — Charlottenburg ....
Beringer, Mai — Pasing
Bemoulü, Dr. R.— Berlin
Blazek, Bildhauer — Berlin
Blechen, Karl
Bloch, Albert — St. Louis
Böhm, Ernst — Berlin
Böhm, Domini — Offenbach a. M
Bohn, Hans — Frankfurt a. M
Bouts, Dierick
Bredt, Prof. Dr. E. W.— München . . .
Brinckmann, Prof. Dr. A. E. — P^ostock .
Buhe, Walter — Berlin-Friedenau ....
Büllmann, Karl — Berlin -Wilmersdorf . .
Caspar, Carl — München
Cissarz, Prof. J. V. — Frankfurt ....
Corwegh, Dr. Robert — Datmstadt 245 — 247,
Davringhausen, Heinrich Maria — München .
Delavilla-Schrader, Grete — Frankfurt a, M. .
Diez, Prof. Julius — München
Drescher, Arno — Dresden — Blasewitz . . .
Dufy, Raoul — Paris
Dülberg-Amheim, Hedwig — Oberhambach .
Dürer, Albrecht
Dumer, Lorenz — München
Duve, Helmuth— Preetz
Dyck, WUli- Düsseldorf
Eberz, Josef — München
Ege, Eduard — München
Egg, Karl — Bremen
Ewald, Reinhold — Hanau 208, 228 — 230,
Fachschule für Glasindustrie — Haida 68 — 70,
Flechtner, Otto — München
Francesca, Piero delJa . . 234 — 237, 239,
Frank, Willi
Franke, Gerhard — München
Friedmann & Weber — Baden-Baden . 245-
Freund, Dr. Karl — Darmstadt
Fuß, Albert— Frankfurt a. M
Qangl, Josef — München
Geibel, Hermann — München
Geiger, Willi — München
Glaß, Franz Paul — München
Gosebruch, Direktor — Essen . . 131-
Giöning, Karl — Hamburg
Seite
265
88
-89
186
202,
266
178-
-182
264
87
59
-61
293
156.
'57
214
265
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202
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329-
-332
145-
-150
265,
266
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-176
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-242
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189
81
85
100-
-108
264
85
-'32,
138
265
Seite
Grosz, Georg — Berlin 223
Gunschmann, Carl — Darmstadt 217
Gurlitt, Fritz — Berlin 171 — 176
Haas, Hermann — München 266
Habicht, Well — Darmstadt 224
Hadank, G. H. W.— Berlin-Südende ... 264
Hanak, Prof. Anton — Wien 32 — 46
Hardenberg, Graf Kuno v 231—232
Heckel, Erich— Berlin 218
Heckel, Karl — Mannheim . . . 62 — 64, 303 — 313
Heigenmooser, Ernst — München .... 75
Heinstorff, Emil 85, 87
HiUerbrand, Josef — München 87
Hodler, Ferdinand 228
Hofer, Karl — Genf 207
Hofstetter, Max — Bamberg 87
Holz, Franz — Offenbach a. M 266
Hübner, Julius 164
Hübner, Paul H. — Freiburg i. B 152
Hüther, Julius — München -Vezzano . 2 — 12
Jacob Paul 179
Jageraann, Anna v 162
Jaumann, Anton — Berlin .... 108, 165, 186, 250
Kaiser Friedrich-Museum 20 — 22, 25 — 30
Kars, Georg — Kralup 210
Kirchner, Dr. Joachim — Berlin. . 15 — 28, 169 — 170
Klein, Cesar — Berlin 209
Klinger, Prof. Max 231
Kohlhoff, Wilhelm— Heidelberg 168, 171 — 174, 17b
Kopp, Otto — München 230
Knappeis, Gustav — Offenbach a. M. . . . 121 — 127
Krayn, Hugo 92 — 95, 97 — 98
Lagus-Möschl, Gabi — Wien 127 — 128
Lange, Dr. G. — München lOl — 102
Länger, Prof. Max— Karlsruhe . . . 144 — 149, 151
Lauger, Wilhelm — Leipzig 265
Laurencin, Marie — Paris 221
Lehmbruck, Wilhelm 226
Liszenski, Georg Friedrich Reinhold ... 163
Lux, Joseph Aug. — Bayr. Gmein .... 314 — 326
Margold, E. J. — Darmstadt 81
Mense, Carlo — Bonn 213
Metzendorf, Prof. Georg — Essen .... 130^142
Michel, Karl— Berlin 265
Afichel, Wilhelm— DarmsUdt 44—46
Mittenzwey, Dr. Kuno— München ... 84
Museum — Frankfurt a. M 120 — 125
Nebel, Kay H.— Darmstadt 206
Neu, Paul — München 264
Nilsche, Julius — München 79. 85
•^
Seite
Oertel & Co.— Haida-Böhmen 68—70
Osborn, Dr. Max— Berlin 93—98, 155-165, 293—300
Page, Hans — München 82
Palais Stourdza— Baden-Baden 244—250
Pape, Hans — München 87, 266
Paul, Prof. Bruno— Berlin . . . 72—73. 292—33»
Pazaurek, Prof. G. E.— Stuttgart .... 68—70
Peche, Dagobert— Wien 322—324
Pechstein, Max — Berlin 65 — 67
Pfeiffer, Prof. Ernst— München .... 87
Pfister, Kurt— München 285 — 286
. . 225
. . 56
. . 65-67
• • «55
-194, 195 — 200
• • 154
. . 87
Pilartz, Th. Caspar — München . . .
Porzellan-Manufaktur — Meißen . . .
Puhl & Wagner, Heinersdorff — Berlin
Rehberg, Friedrich
Reichert, Otto — Offenbach a. M. 192-
Rethel, Alfred
Riepl, Karl — München
Ritter, Heinrich . 180—183, 287 — 290, 327 — 328
Rosenthal, Fritz — Berlin 204
Roth, Karl— München 87, 265
Rousseau, Henri 211
Schacky, Eugenie v. — München .... 85, 87
Schadow, Johann Gottfried 156
Scharff, Edwin — München 264
Scheurich, Prof. Paul — Berlin 48 — 54
Schick, Gottlieb 166
Schnack, Anton — Darmstadt 207 — 221
Schnarrenberger, Wilh. — München 76, 78, 85, 87, 264
Schneider, Otto, Alb. — Düsseldorf . . . 269 — 270
Schneidler, F. H. Ernst — Bannen . . . 264, 266
Seile
Schreiber, Hans — Offenbach a. M. . . . 201, 203
Schwab, Tobias — Berlin -Wilmersdorf . . . 82, 265
Schwarburger Werkstätten — Unter weißbach . 55
Sichart, Emma v. — München 90
Simon, Erich M. — Berlin . . . 77, 79, 252 — 262
Szesztokat, Willi- Köln a. Rh 266
Tannenbaum, Dr. Herbert — Mannheim . . 75 — 82
Teschner, Richard — Wien IIO — 118
Thetter, Ing. Rudolf— Wien 1 11 — 116
Thoma, Prof. Hans 83
LJnold, Max — München 284 — 288
Unterrichts -Anstalt des Kunstgewerbe -Mu-
seums— Berlin 58 — 64
Unus, Walter — Berlin 3 — 12
Uzarsky, Adolf — Düsseldorf 265
Vlaminck, Maurice de 268 — 282
Vogenauer, E. R. — München 85
Walser, Karl— BerUn 306—307
Wätjen, Otto v. — Düsseldorf 212
Weech, Siegmund v. — München .... 85, 87
Weiß, Prof. E. R.— Berlin 264
Weißmann, A. W. R.— Berlin .... 83
Wende, Theodor— Darmstadt 188 — 191
Westermair, Karl — München 87
Widmer, Hermaim — Berlin 138 — 140
Wittlinger, Fritz — München ...... 85, 266
Wittmaim, Karl — München 87
Würstl, Johann — München 85, 266
Zi^tara, Valentin 85, 265
Zimmermann, Prof. Dr. Ernst — Dresden . . 49 — 56
Zuckerkandl, Berta — Wien 33 — 43
ii}>)nini /nn/rf'i f>>^
PAUL H. HUBNER.
o
'! Deutsche Kunst und Dekoration
3
DA
Bd. 4.6
PLEASE DO NOT REMOVE
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