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Full text of "Deutsche kunst und dekoration"

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HANDBOUND 
AT  THE 


UNIVERSITY  OF 
TORONTO  PRESS 


DEUTSCHE  KUNST 
UND  DEKORATION 


ILLUSTRIERTE  MONATSHEFTE 

FÜR  MODERNE  MALEREI 
PLASTIK  •  ARCHITEKTUR 
WOHNUNGS-KUNST  UND 
KÜNSTLERISCHE  FRAUEN- 
ARBEITEN 


DARMSTADT 

VERLAGSANSTALT  ALEXANDER  KOCH 


1138736 


N 
3 


U   ^        \;     L 


DEUTSCHE  KUNST 
UND  DEKORATION 


HERAUSGEGEBEN  UND  REDIGIERT 

VON 

ALEXANDER    KOCH 


BAND  XLVI 

APRIL  1920-SEPTEMBER  1920. 


k 


ALLE   RECHTE   VORBEHALTEN. 


JOH.  CONR.  HERBBRTSCHB  HOFBUCHDRUCKERBI    NACHF.  DR.  ADOLF  KOCH,  DARMSTADT. 


JXM.rUS  HÜTHKR-MÜNCHEN.  GEMÄLUE  ^^NE(_tER« 


BESITZER   A.  K.  DARMSTAÜT 


in.IlS   lUlHliK      Ml  N(  IIKN. 


.l.M  MJpK       I    WDSIHAI-  I 


JULIUS  HÜTHER-MUNCHEN. 


Schenke  mir  Gott  ein  hartes  Herz,  denn  mein 
Geschick  ist  schwer  und  schmerzensreich. 
Der  Himmel,  ob  grau,  ob  blau,  ob  wolkenschwer, 
scheint  erbarmungslos  über  Menschen  und 
Schicksalen,  über  den  Oedtälern  und  den  zahl- 
losen Farben  der  Felsstücke  und  des  Gerölls. 
Klar  klingen  die  Töne  gegen  einander  in  der 
scharfen ,  feinen  Harmonie  dünner  Höhenluft. 
So  begann  Julius  Hüthers  Kunst,  Freunde  zu 
werben.  Sie  bedeutete  eine  strikte  Absage 
an  die  elegante  Tendenz  der  Mittelmeerkunst, 
bedeutete  eine  Rückkehr  zu  einigen  wichtigen 
Grundsätzen  der  Gotik  aus  innerer  Verwandt- 
schaft. Wir  können  keinen  bestimmten  Meister 
und  kein  Werk  nennen,  an  den  sie  uns  erinnert. 
Es  ist  eine  innere  Verwandtschaft  und  eine 
Ähnlichkeit  des  Ziels  vorhanden.  Die  Welt 
seiner  Wahlverwandtschaft ,  für  die  er  in 
Vezzano,  einem  Ort  der  judikarischen  Alpen, 
einen  Rahmen  fand ,  erfuhr  gerade  dort 
eine  erfreuliche  Wandlung.  Sein  Schaffen  er- 
hellte sich,  begann  sich  zu  lockern,  der  Raum 
hatte  sich  geweitet.  Wir  finden  eine  neue, 
luftigere  Geschlossenheit  der  Bildform  ;  an  die 
Stelle  der  hartfarbigen  Kulisse,  die  die  Figuren 


seiner  F'rühzeit  wie  mit  einer  unerbittlichen 
Mauer  von  der  Welt  abschloß,  treten  Dunst 
und  Nebel,  flimmernd  und  schimmernd,  die 
Erdenfläche  hat  sich  gedehnt,  der  Himmel 
spricht  freundlicher  mit,  ein  kosmisches  Element 
ist  lebendig  geworden,  es  sind  dieselben  Pro- 
bleme, um  die  im  Norden  die  Begabung  Willy 
Jaeckels  ringt,  zwei  junge  Künstler,  die  sich 
gewiß  nicht  kennen  und  doch  zum  ähnlichen 
Ziel  streben,  so  verwandt  und  so  verschieden, 
wie  der  deutsche  Süden  und  der  deutsche 
Norden.  Die  Palette  ist  noch  inmier  auf  ver- 
hältnismäßig wenige  Farben  gestimmt,  dennoch 
erscheint  sie  wie  befreit,  denn  die  f'-inscliränkung 
ist  kein  herber,  innerer  Zwang  mehr,  sondern 
freiwillig  geworden.  Vor  manchem  Bild  denkt 
man  bei  den  feinen  Perlmutlerfarben,  den  zar- 
ten, blonden  und  vielfältigen  grauen  Tönen, 
den  freudig  belebten  farbigen  Schatten  an  die 
Franzosen.  Soweit  das  nicht  auf  zufälligen 
Ähnlichkeiten  beruht  —  denn  natürlich  findet 
Hüther  zu  französischen  Bildern  persönlich  gar 
kein  Verhältnis  —  ist  es  ein  Beweis,  daß  der 
Künstler  die  Errungenschaften  der  letztver- 
gangenen Kunstperiode  einfach  in  sich   hinein- 


:ni,  April  iwo,  I 


Julius  Hüther  -  München. 


JULIUS  HÜTHEK  MÜNCHEN. 


getrunken  hat  und  mit  ihren  Mitteln  als  einer 
natürlichen  Voraussetzung  weiterbaut,  wie  das 
im  Gang  jeder  gesunden  Kunst-  und  Kultur- 
entwicklung geschehen  muß.  Was  er  annahm, 
wurde  für  ihn  ein  nicht  unwichtiges ,  aber 
durchaus  sekundäres  Element. 

DerKünstlerist  in  einLebensalter  eingetreten, 
in  dem  es  gilt,  die  schwer  erworbene  Anschauung 
vom  Wert  und  der  Schönheit  des  Daseins  aus- 
zudrücken. Zum  ersten  Mal  kommt  der  Tropfen 
fröhlichen  pfälzischen  Blutes  bei  ihm  zu  seinem 
Recht ;  er  begehrt  das  Leben  und  preist  ver- 
söhnt seine  Reize.  Eine  höchst  glückliche  Ehe 
mit  einer  poetisch  schöpferisch  begabten  Dame 
aus  Vezzano  hat  gewiß  das  ihrige  dazu  bei- 
getragen. Licht  und  frei  ordnen  sich  locker 
geordnete  Gruppen  lebensgroß  gemalter  Men- 
schen aneinander,  das  Licht  umspült  sie,  sie 
genießen  die  Sonnenwärme,  der  Himmel  strahlt 
in  breiten,  leuchtenden  Wolken  und  Streifen, 
es  ist  voller  Sommer  geworden.  Nichts  ist 
bezeichnender  für  die  Art  Hüthers ,  als  die 
Stoffe,  die  er  jetzt  mit  unermüdlicher  Vorliebe 
aussucht,  das  belebt-ruhige  Zusammensein  der 
Menschen,  diese  Akte  Farbiger,  Sudanesinnen, 


GEMALUE    cSOMALI-NEGEK. 


Negerinnen.  Seinem  Malerauge  geben  sie  immer 
neue  Feste  koloristischer  Pracht.  Dann  ent- 
stehen Zirkusbilder,  bisher  die  bewegtesten 
Darstellungen  des  Künstlers,  in  denen  eine  alte 
Leidenschaft  für  die  Herrlichkeit  des  Pferdes 
sich  zum  ersten  Mal  in  großem  Format  Genüge 
tat.  Gleichzeitig  eröffneten  sich  ihm  auch,  da 
er  durch  die  Kriegsläufte  von  der  Stätte  seiner 
Tätigkeit  in  Vezzano  abgeschnitten  war,  die 
Augen  für  die  Landschaft  der  Münchener  Um- 
gebung ;  zum  ersten  Mal  erscheinen  starke 
grüne  Töne  in  seinen  Bildern,  die  durchsonnte 
Behaglichkeit  einer  Wiesen-  und  Baumlandschaft 
tut  sich  auf ,  ohne  daß  der  Künstler  an  der 
Schärfe  und  Straffheit  des  struktiven  Elements 
sich  etwas  vergab.  Auch  das  Gefühl  für  die 
atmosphärischen  Reize  der  Ebene  hat  sich  ent- 
wickelt. Alle  diese  Themen,  lang  vorbereitet 
und  doch  eben  erst  ergriffen,  sind  für  ihn  noch 
lange  nicht  erschöpft :  der  Künstler  steht  im 
Beginn  einer  neuen  und  breiteren  Entwicklungs- 
epoche, Seit  geraumer  Zeit  gehen  neben  den 
Malereien  großen  Formats  —  denn  Hüther  malt 
selten  einmal  einen  Kopf  unter  Lebensgröße  — 
jene   kleinen   Blättchen  her,   die  seine  Haupt- 


Julius  Hüther- Münch 


JULIUS  HUTHER     MINTHE.N. 


werke  so  begleiten  und  kommentieren,  wie 
reizvolle  Anmerkungen  einen  Text. 

Ihre  Genesis  ist  nicht  ganz  einfach.  Hüther 
hatte,  da  er  fast  immer  alle  seine  Gemälde 
verkaufte,  öfter  das  natürliche  Bedürfnis,  eine 
kleine  Erinnerung  an  das  Geschaffene  für  sich 
zu  behalten.  Die  einfarbige  Photographie  tat 
dem  gerade  seine  Farben  über  alles  liebenden 
Künstler  nicht  Genüge,  hine  kleine  Farben- 
skizze mit  Ölfarben,  früher  auch  mit  Wasser- 
farben, auf  ein  kleines  Stück  Papier  geworfen, 
erfüllte  ihm  diesen  Zweck  besser.  Die  so  ent- 
standenen Bildchen,  knapp  und  flüchtig  wie  sie 
waren,  hatten  einen  eigenen  Reiz.  Bald  begann 
der  Künstler  auch  das ,  was  ihm  einfiel ,  auf 
diese  Weise  zu  notieren:  Projekte  zu  künftigen 
Bildern,  Keime,  die  sich  vielleicht  einmal  ent- 
wickeln würden.  Und  damit  nicht  genug,  fing 
er  an,  kleine  Skizzen  und  Studien  vor  der 
Natur  ebenso  zu  machen ,  manchmal  nur  ein 
Hauch,  eine  Stimmung,  dann  aber  auch  wirk- 
liche Kompositionsentwürfe. 

In  der  letzten  Zeit  hat  Hüther  diese  seine 
Kleinkunst  mit  vollem  Bewußtsein  gepflegt. 
Es  erscheinen  nicht  mehr  nur  Skizzen,  Krinne- 


GEMALDE   •SOMALI-NEGER'. 


rungen,  Studien  und  Notizen,  sondern  wirkliche 
kleine  Bilder  von  einem  Reiz ,  der  an  gewisse 
alte  Miniaturen  erinnert ,  etwa  an  die  der 
flämischen  Schulen  seit  Brueghel  bis  zu  den 
Schülern  des  Rubens. 

Natürlich  zeigen  auch  diese  Blätter  alle 
Merkmale  von  Hüthers  maWrischerEntwicklung. 
Früher  überwogen  die  pathetischen  Konzeptio- 
nen: Bilder  aus  der  heiligen  Geschichte,  feier- 
liche Erscheinungen,  viele  senkrechte  Linien. 
Es  finden  sich  aber  in  ihnen  auch  neben  den 
stillen  Gruppen  viele  stürmisch  bewegte  Szenen 
und  Kämpfe,  Dinge,  die  dem  Temperament  des 
Künstlers  fraglos  sehr  liegen,  aber  in  seinen 
großen  Werken  erst  in  letzter  Zeil  aufzu- 
tauchen beginnen.  Wieder  finden  sich,  wie 
früher,  vielfach  Frauen  im  Bade  und  weibliche 
Einzelakte,  doch  jetzt  ganz  und  gar  in  die  Um- 
welt einbezogen.  Der  Dunst  und  die  grauen 
Schleier  des  Wassers  spielen  fast  traumhaft 
schön  um  die  nackten  Leiber.  Andere  in  der 
Luft  der  Berghöhen  stehen  inmitten  einer  be- 
lebten Luftatmosphäre,  und  das  weiche  Fleisch 
spielt  reflektierend  den  ganzen  Reichluiii  eines 
buntbewegten    Himmels.     Die    Blätter    wirken 


JULIUS  HÜTHER.     PFERDE 


JULIUS  HÜTHER.  GEMÄLDE  .PFERDE. 


JL'LICS  IlCUlER.  •SELIiSTlill.UNIS 


JULIUS  HÜTHER.  .NEGER-BILDNIS. 


/ulius  Hüther- Manche 


groß,   doch  ist's  unmöglich,  sie  sich  in  einem 
andern  Format  vorzustellen,  als  sie  da  sind. 

Der  Charakterkopf  ist  von  je  eine  der  stärk- 
sten und  gepflegtesten  Künste  Hüthers.  Er 
versagt  sich  auch  dem  kleinen  Format  nicht. 
Freilich  macht  er  sie  selten,  denn  geviföhnlich 
zieht  er,  um  sich  in  größerer  Freiheit  zu  be- 
wegen und  alles,  vi^as  er  will,  ausdrücken  zu 
können,  das  große  Format  vor.  Als  Malgrund 
nimmt  er  stets  glattes  weißes  Papier,  auf  dessen 
nüchternem  Grund  er  die  Ölfarbe  sparsam  ver- 
wendet. Früher  kamen  wohl  ein  paar  fetter 
und  breiter  aufgesetzte  Stellen  in  Betracht,  die 
natürlich  stärker  leuchteten,  neuerdings  verreibt 
und  verarbeitet  er  die  Töne  mehr  ineinander. 
Was  der  Farbe  an  Glanz  verloren  geht,  ersetzt 
er  durch  einen  unendlich  verfeinerten  Reichtum 


JII..  HirilEK 

MÜ.NCHEN. 

».STUDIE« 


an  Übergängen.  Wasserfarben  verwendet  er 
kaum  mehr.  Sie  würden  ihm  die  erstaunliche 
Weichheit  und  den  gedämpft  leuchtenden  Ton 
der  Ölfarbe  nicht  geben  können.  Doch  ist  es 
natürlich  nicht  nur  die  Originalität  und  die 
Neuheit  der  Technik,  die  uns  verblüfft  und 
fängt:  es  ist  der  künstlerische  Ernst ,  der  den 
Blättern  den  Wert  gibt  und  ihnen  in  Hüthers 
Werk  den  Platz  sichern  wird. 

Welche  Einheitlichkeit  und  Folgerichtigkeit 
seiner  Entwicklung!  Zuerst  seine  Geschöpfe  in 
einer  tragischen  Ruhe.  Auch  da,  wo  Gescheh- 
nisse geschildert  werden,  die  darstellenden 
Figuren  wie  gebannt  in  die  stille  Äußerung 
ihres  inneren  Lebens.  Alle  Bewegtheit  inner- 
lich. Das  Geschehen  ein  Sein.  Nur  das  Wasser 
glitzerte,   der  Wind  oder  die  Wolken   zogen. 


11 


Julius  Hüfher-  München. 


Höchstens  eine  Nebengruppe,  etwa  ein  paar 
Pferde,  stürmten  dahin,  fast  nur,  um  die  herbe 
Geste  der  Hauptfiguren  recht  zu  heben.  Die 
Maltechnik  entsprach  vollkommen  diesem  gei- 
stigen Inhalt  und  wandelte  sich  allmählich  in 
völliger  Einheithchkeit  mit  ihm.  Das  skulp- 
turale  Element  löst  sich  in  erhöhter  Lichtkraft 
auf,  in  Süßigkeit  und  Leichtigkeit  der  Farbe. 
Die  erhöhte  Beachtung  des  Raums  gilt  nicht  so 
sehr  dem  Genuß  des  früher  für  allgemein  selig- 
machend gehaltenen  Raumgefühls,  sondern  dem 
Daseinsgefühl,  was  für  die  veränderte  Nuan- 
cierung des  Menschen  der  Kunst  gegenüber 
wichtig  ist.  Dazu  galt  es  für  ihn  in  der  ersten 
Periode,  die  ausdruckvollste  Form  der  Mensch- 
heit in  den  Armen, Gedrückten, Schmerzerfüllten, 
Verzagten,  in  der  zweiten  die  derjenigen  zu 
wählen,  die  sich  mit  dem  Leben  trotz  allem 
abzufinden  suchen :  die  Zweifelnden,  die  Suchen- 
den der  Jugend,  die  tapferen  Proletarier.  Wir 
zögern  nicht  mit  dem  Bekenntnis,  daß  die 
Seelenschilderung  manchmal  an  das  Hell- 
seherische grenzt.  Heute  nehmen  seine  Men- 
schen das  Dasein  als  Geschenk  des  Himmels, 
sie  genießen  es  dankbar,  still,  freudenvoll. 

Hüthers  Kunst  hat  sich  stets  im  engen  An- 
schluß an  die  Naturbeobachtung  entwickelt. 
Trotzdem  ist  von  Anfang  an  —  wie  in  aller 
guten  bildenden  Kunst  —  ein  starkes,  expres- 
sionistisches Element   in  ihr  regsam   gewesen, 


insofern  er  nicht  nur  in  der  Flüchtigkeit  der 
Erscheinung  ihr  Wesentliches  zu  erfassen  ver- 
meinte und  der  Darstellung  seelischer  Zustände 
Opfer  zu  bringen  wußte.  Dadurch  gehört  Hüther 
ganz  dem  Ausdruckswillen  unserer  Zeit.  Auch 
die  großen  Kunstzeiten  der  reifen  Gotik  und 
des  Barock  kennen  das  Nebeneinander  von 
rücksichtslosem  Realismus  und  einem  geheim- 
nisvollen Vertrauen  auf  unbekannte  Mächte, 
die  an  die  zweifellos  wahre  Wirklichkeit  des 
Daseins  unmittelbar  angrenzen.  Daher  zugleich 
die  Unstimmigkeit  wie  auch  die  Größe  dieser 
Kunstschöpfungen  und  ihr  Schicksal,  längere 
Epochen  hindurch  völlig  mißverstanden  zu 
werden.  Bei  Hüther  haben  sich  beide  Kom- 
ponenten sogar  mit  den  Jahren  aneinander 
gestärkt  und  gerade  das  ist  ein  Zeichen  für 
die  Kraft  des  Künstlers.  Seine  Bilder  sind 
heute  zugleich  wirklicher  und  mysti- 
scher   als    je W.VLTHER  UNUS. 

Ä 

A  A  '''oher  soll  Neues,  Untraditionelles  ent- 
V  V  stehen,  wenn  nicht  aus  dem  starken 
Eigenwillen  der  Jugend;  woher  sollen  Kunst- 
werke kommen,  wenn  nicht  aus  der  Sehnsucht 
und  der  Not  des  Einzelnen,  zu  blühen  und 
Frucht  zu  tragen?  Jede  gesunde  Entwicklung 
bedarf  nichts  notwendiger  wie  ihres  Kraft- 
überschusses, der  kaum  groß  genug  bemes- 
sen werden  kann h.  he  fries. 


JULIUS  HÜTHER-MÜNCHEX.  »STILLEBEN« 


ALBRECHT  DÜRER  1501.  »MÄDCHEN  MIT  BARETT. 

AUFNAHME  FRANZ  HANFSTAENGl— MÜNCHEN. 


KÖLNER  MF.ISTKR  UM   U2K. 


i'KEr)i:i.i.A  MIT  iiKii.niF.M)AKvii;ij.r.\c;. 


ALTDEUTSCHE  UND  ALTNIEDERLÄNDISCHE  MALEREI 

IHRE  WIEDF.KI-.RWF.CKI-M;  IM)  UT.kirNi;   IN   Dlk   M  IF.RK.N  DKUTSCREN  KllNSliiKbCHlCHI  E. 


I. 


ES  war  um  die  Wende  des  18.  und  19.  Jahr- 
hunderts ,  als  unter  Führung  Friedrich 
Schlegels  eine  geistige  Gemeinschaft  sich  bil- 
dete, die  unter  dem  Eindruck  der  gewaltigen 
pohtischen  Umwälzungen,  die  in  jenen  Tagen 
Europa  erschütterten,  gegen  die  Auswüchse  und 
dekadenten  Äußerungen  einer  überlebten  un- 
deutschen Kultur  Sturm  lief.  Ein  neues  Kultur- 
ideal wurde  errichtet,  Deutschlands  Wiederge- 
burt sollte  aus  der  Neubelebung  nationalen 
Geistes  erwachsen.  Allein,  wer  diesen  Geist 
erfassen  wollte,  konnte  unmöglich  an  die  un- 
mittelbare Vergangenheit  anknüpfen,  er  mußte 
weit  in  die  deutsche  Vergangenheit  zurück- 
greifen und  längst  vergessenen  Traditionen  nach- 
gehen, die  in  der  Kunst  und  Religion  des  deut- 
schen Mittelalters  am  reinsten  und  stärksten 
zum  Ausdruck  kamen.  Es  war  kein  Zufall,  daß 
in  jenen  Tagen  der  Sang  von  den  Nibelungen 
zu  neuem  Leben  erweckt  wurde,  daß  deutsche 
Volkslieder  gesammelt  wurden,  die  Faustsage 
eine  neue  künstlerische  Gestaltung  erfuhr  und 
Kleist  seine  Hermannsschlacht  schrieb.  Neben 
dieser  literarisclien  Strömung,  die  unmittelbar 
aus  dem  Born  der  volkstümlichen  Gedanken- 
und  Gefühlswelt  schöpfte,. ist  auf  dem  Gebiete 
der  bildenden  Künste  eine  parallele  Erschei- 
nung festzustellen,  die  von  den  gleichen  rück- 
wärts gerichteten  Tendenzen  beseelt,  der  bil- 


denden Kunst  des  deutschen  Mittelalters  zu 
ihrem  alten  Ansehen  verhelfen  sollte.  Die  alten 
deutschen  und  niederländischen  Meister,  die 
sich  ihre  schlichte,  tief  empfundene  Frömmig- 
keit und  Gefühlsseligkeit  in  eckiger  und  herber 
Formgebung  von  der  Seele  malten,  erstanden 
plötzlich  zu  neuem  Leben.  Sie  waren  im  Zeit- 
alter des  Rokoko,  das  auch  im  Kunstwerke  nur 
ein  Spiegelbild  seiner  verfeinerten  Überkultur 
und  raffinierten  Eleganz  suchte,  in  Vergessen- 
heit geraten. 

Zwar  war  schon  Goethe  als  Straßburger  Stu- 
dent in  seinem  Aufsatz  „Von  deutscher  Bau- 
kunst" für  die  mittelalterliche  Kunst  eingetreten. 
Daß  die  absichtslose,  nur  auf  Phantasie  und 
Gefühl  gegründete  Malerei  der  alten  deutschen 
Meister  höhere  Werte  in  sich  schlösse,  als  alles, 
was  die  Routiniers  des  Rokoko  hervorzubringen 
vermochten,  ist  ihm  zur  Gewißheit  geworden 
und  er  bekennt:  „Wie  sehr  unsere  geschmink- 
ten Puppenmaler  mir  verhaßt  sind,  mag  ich  nicht 
deklamieren.  Sie  haben  durch  theatralische 
Stellungen,  erlogene  Teints  und  bunte  Kleider 
die  Augen  der  Weiber  gefangen.  Männlicher 
Albrecht  Dürer,  den  die  Neulinge  anspötteln, 
deine  holzgeschnitztesle  Gestalt  ist  mir  will- 
kommener!" Diese  Worte,  die  1771  geschrie- 
ben sind,  klingen  wie  ein  devinatorisches  Wissen 
um  jene  neudeutsche  Bewegung  in  der  Kunst, 


15 


April'Mil  1920    2 


Altdeutsche  und  altniederländische  ^  fahr  ei. 


16 


die  in  den  teniperamentvollen  „Herzensergieß- 
unjSen  eines  kunstliebendenKlosterbruders",  des 
jungen  Wackenroder,  ihren  Auftakt  fand.  Es  war 
sicherlich  kein  einseitiger  Chauvinismus,  den 
dieser  sonst  so  kosmopoUtisch  veranlagte  Geist 
hier  auf  sich  geladen  hätte  —  denn  Rom  und 
Deutschland  liegen  für  ihn  auf  einer  Erde  — 
auch  war  es  nicht  bloß  literarische  Schwärmerei, 
durch  die  das  Mittelalter  dem  jungen  Wackenro- 
der in  einem  idealenLichte  erstrahlte,  es  war  viel- 
mehr der  intuitive  Glaube,  daß  hier  die  Quellen 
eines  schöpferischsn Formenreichtums,  eines  un- 
endlichen gefühlsmäßigen  Erlebens  sich  öffneten. 
Es  ist  die  germanische  Seele,  die  aus  dem  jungen 
Kunslenthusiasten  spricht,  wenn  er  in  Dürer 
die  unbefangene  Einfalt  liebt,  wenn  er  den  Geist 
und  die  tiefe  Bedeutung  seiner  Gestalten  preist. 
Er  sieht  in  Dürer  den  deutschen  Künstler,  ohne 
den  Tizian  und  Corregio  zu  vermissen.  Gerade 
deshalb  ist  er  ihm  wert ,  weil  er  als  Deutscher 
in  seinen  Werken  den  Ausdruck  seiner  Zeit 
sucht,  sie  mit  dem  Atem  seines  Zeitalters  be- 
lebt, sie  in  die  geliebten  Formen  seiner  Welt 
und  seines  Gesichtskreises  hüllt.  Die  absolute 
Ehrlichkeit  der  Dürerschen  Kunst,  die  aus  dem 
Volksempfinden  für  das  Volk  schuf,  wird  ihm 
zum  Sinnbild  des  schhchten  deutschen  Volks- 
charakters vergangener  Zeit ,  und  sicherlich  ist 
seine  Klage  nicht  ohne  Berechtigung,  daß  die 
Künstler  seines  Jahrhunderts  oberflächliche 
Effekthascher  geworden  sind,  die  die  Kunst  zur 
Trödelware  für  eine  dekadente  Gesellschaft 
prostituieren.  Daß  dieser  Ruf  zur  Selbstbesin- 
nung der  Deutschen  nicht  ungehört  blieb,  hat 
die  Kunstgeschichte  bewiesen.  Friedr.  Schlegel 
war  es,  der  im  Jahre  1803  unter  dem  Titel 
„Nachricht  von  den  Gemälden  in  Paris " ,  in  seiner 
von  Paris  aus  redigierten  Zeitschrift  „Europa" 
ausführlich  die  altdeutsche  und  altniederländi- 
sche Malerei  besprach,  deren  organische  Ent- 
faltung ihm  durch  die  Namen  van  Eyck,  Dürer 
und  Holbein  klar  umschrieben  erscheint.  Zwi- 
schen den  Polen  van  Eyck  und  Holbein,  von 
denen  der  erstere  die  älteste  Stufe  der  Kunst- 
entwicklung bezeichnet  und  deshalb  am  ver- 
ständlichsten und  deutlichsten  erscheint,  der 
letztere  durch  eine  bis  zur  äußeren  Glätte  und 
Weichheit  ausgebildete  Genauigkeit  charakteri- 
siert ist,  steht  Albrecht  Dürer.  In  ihm  wohnt 
das  Geheimnisvollste,  der  unergründlichste  und 
verwickeiste  Tiefsinn,  er  ist  für  Schlegel  der 
Shakespeare  oder,  wenn  man  lieber  will,  der 
Jacob  Böhme  der  Malerei. 

Von  Paris  in  die  Heimat  zurückgekehrt,  war 
Schlegel  in  Köln  mit  den  Kunstschöpfungen  der 
alten  Kölner  Malerschule  bekannt  geworden, 
die  ihm  die  innige  Verbindung  und  Identität  der 


altdeutschen  und  altniederländischen  Malerei 
augenscheinUch  beweist.  Mit  dichterischer  Em- 
phase schildert  er  die  Schönheit  des  Stephan 
Lochnerschen  Dombildes  :  „Man  sieht,  daß  jene 
Zeit  das  Köstlichste  und  das  Höchste  in  diesem 
Bilde  aufbieten  wollte ,  was  sie  vermochte,  es 
ist  mit  größter  Liebe  vollendet.  Aber  es  ist 
auch  entworfen  im  Geist  und  unter  der  Be- 
günstigung der  göttlichen  Liebe  .  .  .  Die  Blüte 
der  Anmut  ist  diesem  beglückten  Meister  er- 
schienen, er  hat  das  Auge  der  Schönheit  ge- 
sehen und  von  ihrem  Hauch  sind  alle  seine 
Bildungen  Übergossen."  Die  Fülle  der  Ein- 
drücke, die  Schlegel  in  jenen  Tagen  aus  dem 
liebevollen  Studium  der  altdeutschen  Meister 
schöpfte,  blieb  nicht  als  ein  einmaliges  persön- 
liches Erlebnis  in  jenem  leicht  affizierbaren 
Geiste  verschlossen.  Wie  er  jedes  große  künst- 
lerische Ereignis  nicht  bloß  genießend  in  sich 
aufnahm,  sondern  in  schöpferischem  Sinne  weiter 
zu  verarbeiten  bestrebt  war,  so  gestaltete  sich 
ihm  auch  hier  das  Erlebnis  zu  einem  Bekennt- 
nis, es  wurde  ein  Axiom  seiner  Kunstgesinnung 
und  Weltanschauung.  Wohl  erscheint  es  ihm 
für  die  Poesie  möglich,  die  Phantasie  in  ent- 
fernte Regionen  schwärmen  zu  lassen,  doch  muß 
auch  sie  jederzeit  mit  fremden  Schätzen  be- 
reichert wieder  zur  Heimat  zurückkehren  kön- 
nen, „zu  dem,  was  für  ihre  Zeit,  für  ihre  Nation 
einmal  der  höchste  Brennpunkt  des  Gefühls 
und  der  Dichtung  ist,  sonst  muß  sie  unvermeid- 
lich kalt  und  kraftlos  werden".  Im  höheren 
Maße  hält  er  aber  den  nationalen  Charakter 
der  Kunst  für  (iie  Malerei  erforderlich.  Denn 
die  Malerei  wird  uns  durch  die  Sinne  vermittelt 
und  der  Sinn,  führt  Schlegel  aus,  sucht  „das 
Einzelne  und  Nächste  bis  in  seine  letzte  Tiefe  und 
eigentliche  Wurzel  zu  durchdringen  und  es  dann 
im  Bilde  von  neuem  zu  gebären,  sodaß  aus  dem 
nun  wiedergeborenen  und  verklärten  Abbilde 
des  unerforschlichen  Naturwesens  zugleich  das 
Rätsel  unseres  eigenen  Gefühls  uns  überraschend 
entgegenscheint  und  in  unaussprechlichen  Wor- 
ten hervorbricht".  Wohl  kaum  ließen  sich  Worte 
finden,  jenen  vergleichbar ;  die  geheimnisvollen 
Fäden,  durch  die  ein  jeder  sich  mit  dem  künst- 
lerischen Ausdrucksbedürfnis  seines  Stammes, 
seines  Volkes  verbunden  weiß,  sind  hier  aufs 
Tiefinnigste  angedeutet.  Aus  der  historischen 
Erkenntnis  heraus,  daß  jede  Nation,  gleich  wie 
sie  ihre  bestimmte  Physiognomie  in  Sitte  und 
Lebensweise,  Gefühl  und  Gestalt  hat,  so  auch 
über  ihre  eigene  Musik,  Baukunst  und  Bildnerei 
verfügt,  wünscht  Schlegel  auch  für  die  Malerei 
den  Nationalcharakter  gewahrt  zu  wissen :  „Die 
malerische  Schönheit ,  welche  die  körperliche 
Form  nur  im  Umriß  erraten  lassen  kann,  dafür 


GOSSART,  GEX.  JAN'  VAN  MABUSE.  ^CHRISTUS  AM  ULBERG«  Kaiser  kkieür.mus.-berun. 

AUKNAHMF.:  PHOTOGR.  GESELISCHAFT,  CHARLOTTENBVRG. 


DIERICK  BOUTS.  -DER  PROPHET  ELIAS  IN  DER  WÜSTE.  Kaiser  friedr.-museum-berlin. 

AUFNAHME:  FRANZ  HANFSTAENGL— MCiNXHF.N. 


CRANACH  D.  Ä.  »KARDINAL  ALBRECHT  VON  BRANDENBURG«  Kaiser  friedr. -Museum. 


HANS  LF.i  iNIIARD  Si  IIAEUFELEIN.    CHRISTUS  AM  ÖLBERG.  Kaiser  krif.dr.-misf.um    hkri.in. 

AVI-NAHMK:  KRANZ  HANHMAENdl.     MÜMHKN. 


KONRAT  WITZ.  »CHRISTUS  AM  KREUZ«  Kaiser  friedrich-museum    Berlin. 

AUFN;  PHOTOGR.  GESEIiSCHAFT-  CHARLÜTTENBUKe. 


Altdeutsche  und  altniederländische  Male; 


aber  das  Eigenste  'und  wahrhaft  GeistifSe  im 
Sinnhchen  zu  ergreifen  und  in  ihrem  Farben- 
spiegel magisch  zu  fixieren  vermag,  muß  durch- 
aus eine  individuelle  sein  im  Idealischen;  aber 
freilich  individuell  in  größere  Dimension,  ob- 
jektiv individuell,  wie  dies  bei  dem  wahrhaft 
Lokalen  und  Nationalen  der  Fall  ist!" 
II. 
Es  war  eine  der  merkwürdigsten  Fügungen 
des  Schicksals,  daß  in  demselben  Jahre,  als 
Schlegel  in  Paris  lebte  und  durch  die  Fülle  der 
dort  angehäuften  mittelalterlichen  Kunstschätze 
angeregt,  seinem  Kunstenthusiasnius  eine  so 
zündende  Dialektik  zu  leihen  wußte,  die  Brüder 
Sulpiz  und  Melchior  Boisseree  in  der  französi- 
schen Hauptstadt  eintrafen.  Die  beiden  jungen 
Kunstfreunde  hatten  das  Glück,  mit  Schlegel 
bald  in  freundschaftliche  Beziehungen  zu  treten. 
Der  tägliche  Umgang  mit  dem  seltenen  Manne 
wirkte  auf  die  begeisterungsfähigen  Gemüter 
der  jungen  Leute  in  höchstem  Maße  anregend 
und  bildend.  Unter  Schlegels  Leitung  begannen 
sie  nach  der  Rückkehr  in  ihre  Vaterstadt  eine 
rege  Sammlertätigkeit  zu  entfalten.  Ihrem  un- 
ermüdlichen Eifer,  der  sich  anfangs  nur  auf  die 
Kölnischen,  später  auch  auf  niederländische 
Meister  erstreckte,  ist  es  im  Wesentlichen  zu 
danken,  wenn  eine  stattliche  Reihe  von  Meister- 
werken niederrheinischer  Kunst  erhalten  ge- 
blieben ist.  Neben  Boisseree  war  der  Kanoni- 
kus Wallraf  mit  der  Sammlung  von  Altertümern 
und  Gemälden  seiner  Vaterstadt  Köln  beschäf- 
tigt. Unter  den  größten  Opfern  und  Entbeh- 
rungen häufte  er  kostbare  Schätze  auf,  die  nach 
seinem  Tode  der  Stadt  Köln  zufielen.  Seine 
Gemäldesammlung  bildet  heute  den  Grundstock 
des  Städtischen  Wallraf  Richartz-Museums  in 
Köln.  Wie  sich  aber  eine  wertvolle  Idee,  von 
einer  überragenden  Persönlichkeit  vertreten, 
cmfänglich  auf  kleine ,  dann  auf  immer  größere 
Kreise  mit  suggestiver  Kraft  überträgt,  so  ist 
das  von  Wackenroder,  Tieck  und  Sciilegel  ein- 
mal wachgerufene  Interesse  für  die  deutsche 
Malerei  des  Mittelalters  lange  Zeit  über  leben- 
dig geblieben.  Mag  dieser  romantische  Einfluß 
sich  auch  im  einzelnen  nicht  immer  unmittelbar 
nachweisen  lassen,  Tatsache  bleibt,  daß  gerade 
in  den  ersten  Jahrzehnten  des  19.  Jahrhunderts 
verschiedene  deutsche  Galerien  ihren  Sammel- 
eifer altdeutschen  und  altniederländischen  Mei- 
stern zuwandten.  So  erfuhr  die  Darmstädter 
Galerie  mit  der  Übernahme  der  Sammlung  des 
Barons  von  Hüpsch  einen  bedeutenden  Zu- 
wachs an  altkölnischen  und  niederrheinischen 
Bildern,  Nürnberg  erhielt  auf  Betreiben  des 
kunstsinnigen  Königs  Ludwig  I.  eine  deutsche 
Gemäldesammlung  in  der  Moritzkapelle ;   der- 


selbe König  bereicherte  den  A\unchener  Gc- 
mäldeschatz  mit  den  beiden  altniederländischen 
und  altdeutschen  Sammlungen  der  Gebrüder 
Boisseree  und  des  Fürsten  Wallerstein  und 
dem  Berliner  Museum  fielen  beim  Ankauf  der 
Privatsammlung  Solly  6  Altarflügel  des  Gen- 
ter Altars  von  Hubert  und  Jan  van  Eyck  zu. 
Verhältnismäßig  spät  gelang  es  der  Würltem- 
bergischen  Regierung  durch  Ankauf  der  Samm- 
lung Abel  sich  eine  hervorragende  Kollektion 
von  Bildern  niederländischer  und  deutscher 
Meister  zu  sichern. 

Ebenso  befruchtend  wie  auf  die  Sammier- 
tätigkeit  wirkte  der  Einfluß  der  romantischen 
Bestrebungen  auf  die  kunstgeschichtliche  For- 
schung. 1816  erschien  das  erste  Heft  von 
Goethes  „Kunst  und  Altertum  in  den  Rhein- 
und  Maingegenden".  Die  Ausführlichkeit,  mit 
der  Goethe  bei  den  gewonnenen  Kunstein- 
drücken verweilt  und  die  Teilnahme,  die  er  den 
historischen  Voraussetzungen  der  niederrheini- 
schen Malerei  entgegenbringt,  erscheint  bedeu- 
tungsvoll genug.  Die  Aufmerksamkeit  weiterer 
Kreise  wurde  wachgerufen,  die  kunsthistorische 
Forschung  setzte  ein.  Diese  Wissenschaft  be- 
fand sich  damals  noch  am  Anfange  ihrer  Ent- 
wicklung. Gleichwohl  entstanden  in  jener  Zeit, 
und  zwar  in  ziemlich  rascher  Folge,  mehrere 
Werke,  die  sich  insbesondere  mit  der  deutschen 
und  niederländischen  Malerei  beschäftigten. 
1815 —  1 820  erschien  die  „  Geschichte  der  zeich- 
nerischen Künste"  von  Johann  Dominik  Fiorillo, 
ein  Buch,  das  zwar  heute  überholt  ist,  aber  als 
fleißige  und  bcihnbrechende  Arbeit  erwähnt 
werden  muß.  Die  Spezialforschung  blieb  nicht 
zurück:  1822  veröffenthchte  Waagen,  der  spä- 
tere Direktor  der  Berliner  Gemäldegalerie,  eine 
Schrift  über  Hubert  und  Johann  van  Eyck. 
Waagen  wünschte  hiermit  ein  nordisches  Gegen- 
stück zu  Rumohrs  Arbeiten  über  die  altitalie- 
nische Malerei  zu  geben.  Er  versucht,  die 
historische  Erscheinung  dieser  beiden  Maler 
vollständig  zu  umschreiben  und  sie  dem  Ge- 
samtbild ihrer  Zeit  einzugliedern.  1834  folgten 
Karl  Schnaases  „Niederländische  Briefe",  in 
denen  der  Verfasser  von  der  bisher  üblichen 
formalen  Betrachtungsweise  in  der  Kunstge- 
schichte abweichend  alles  im  weiteren  Maßstabe 
größerer  Übersichten  gibt,  die  den  inneren 
geistigen  Zusammenhang  der  Kunstepochen  be- 
leuchten. Dieser  Gedanke  ist  nocii  kräftiger  in 
Schnaases  „Geschichte  der  bildenden  Künste" 
(1843—1864)  durchgeführt,  in  der  auch  die 
Kunst  des  deutschen  Mittelalters  eine  ausfüfu-- 
liche  Behandlung  erfahren  hat ;  alle  künstlerische 
Produktion  ist  hier  unter  der  höheren  Idee  der 
kulturellen  Entwicklung   der  Völker   und   ihrer 


23 


jn.  April-Mal  1920.  3 


Altdeutsche  und  alfniederländische  Malerei. 


24 


besonderen  psychischen  und  intellektuellen 
Voraussetzungen  gesehen.  Von  weiteren  Ar- 
beiten ist  die  Darstellung  Franz  Kuglers  in 
seiner  „Geschichte  der  Malerei"  anzuführen. 
Kugler  verfügte  über  eine  reiche  Fülle  von 
Spezialstudien ;  sie  kommen  bei  der  Behandlung 
des  deutschen  Mittelalters,  in  das  er  sich  liebe- 
voll versenkt  hatte,  vorteilhaft  zur  Anwendung. 
Bereits  in  die  zweite  Hälfte  des  19.  Jahrhun- 
derts ragt  die  schriftstellerischeTätigkeit  Hothos. 
Sein  zweibändiges  Werk  „Die  Malerschule 
Hubert  van  Eycks  nebst  deutschen  Vorgängern 
und  Zeitgenossen"  (1855  —  58)  ist  unter  Be- 
rücksichtigung der  geschichtlichen  Tatsachen 
und  unter  kritischer  Benutzung  des  damals  zu- 
gänglichen Materials  mit  außerordentlicher  Klar- 
heit und  feinem  Urteil  abgefaßt.  Den  Abschluß 
dieser  Periode  der  deutschen  Kunstgeschichts- 
schreibung bildet  das  auf  Grund  reicher  Fach- 
kenntnisse geschriebene  „Handbuch  der  deut- 
schen und  niederländischen  Malerschulen" 
( 1 862)  aus  der  Feder  des  bereits  oben  genannten 
Museumsdirektors  Waagen.  Nunmehr  konnte 
die  Detailforschung  beginnen,  um  das,  was  im 
Laufe  eines  halben  Jahrhunderts  in  großen  Um- 
rissen festgelegt  war,  auszubauen  und  zu  ver- 
tiefen. Unterdessen  hatten  sich  aber  auch 
schon  neue  Strömungen  in  der  Kunstwissen- 
schaft bemerkbar  gemacht.  Die  ursprüngliche 
Begeisterung  für  die  altdeutschen  und  altnieder- 
ländischen Meister  mußte  dem  zunehmenden 
Interesse  für  die  Harmonie  und  Reife ,  wie  sie 
uns  in  der  Kunst  der  italienischen  Hochrenais- 
sance entgegentritt,  weichen.  Jakob  Burck- 
hardt,  der  seine  schriftstellerische  Tätigkeit 
unter  dem  Eindruck  der  Kölner  Malerschule 
und  der  altflämischen  Kunst  begann,  hatte  bald 
alle  nationalbefangenen  Interessen  weit  hinter 
sich  gelassen.  Nur  die  Höhepunkte  in  der  Kultur- 
entwicklung der  Menschheit  erscheinen  ihm 
längeren  Verweilens  würdig;  aus  dieser  hohen 
Gesinnung  heraus  entstand  „Die  Kultur  der 
Renaissance"  (1860).  Mit  diesem  Buch  hat 
Burckhardt  das  Muster  einer  kulturgeschicht- 
lichen Darstellung  geschaffen  und  das  Ver- 
ständnis für  die  historischen  Voraussetzungen 
der  Renaissancekunst  wesentlich  gefördert. 

Wenn  wir  uns  heutzutage,  nachdem  die  klas- 
sische Kunst  lange  Zeit  hindurch  unbestritten 
das  stärkste  Interesse  der  Kunstwissenschaft 
auf  sich  vereinigt  hatte,  wieder  mit  erhöhter 
Teilnahme  der  deutschen  Malerei  des  14.  und 
15.  Jahrhunderts  zuwenden,  so  leiten  uns  hier- 
bei sicherlich  nicht  einseitige  nationalistische 
Tendenzen,  wohl  aber  das  Bewußtsein,  daß  in 
der   germanischen    Kunstübung    viele   Kompo- 


nenten zusammenfließen,  die  zu  einem  Ganzen 
verbunden  uns  als  überwältigender  Ausdruck 
eines  verwandten  Gefühlslebens  noch  heute 
hinzureißen  vermögen.  Was  uns  zu  dieser  Kunst 
hinzieht,  ist  die  Akzentuierung  des  Seelischen, 
das  Herausdestillieren  der  Innerlichkeit,  die  an 
kein  Maß  gebunden  ist,  jenes  schrankenlose 
Spiel  der  Phantasie,  das  selbst  da,  wo  es  gro- 
teske Form  annimmt,  trotz  aller  Absonderlich- 
keit nie  aus  dem  Rahmen  nordischen  Gefühls- 
lebens herausfällt.  Hier  packen  uns  die  alten 
Meister  in  ihrer  ganzen  ursprünglichen  Aus- 
drucksfähigkeit, hier  wirken  die  geheimen  Kräfte, 
die  sich  als  Eigentümlichkeit  der  Rasse  bis  auf 
unsere  junge  Künstlergeneration  erhalten  haben. 

Allein,  die  kunsthistorische  Betrachtung 
würde  einseitig  bleiben,  und  zu  falschen  Ergeb- 
nissen führen,  wenn  man  sich  bei  der  Wertung 
deraltdeutschen  und  altniederländischenMeister 
zu  sehr  psychologischen  Erwägungen  anver- 
trauen wollte  und  lediglich  das  Gefühl  sprechen 
ließe.  Betrachtet  man  die  Geschichte  der 
abendländischen  Malerei  nicht  unter  dem  Ge- 
sichtspunkte örtlicher  und  zeitlicher  Isolierung, 
sondern  als  ein  lebendiges  Ganzes,  das  in  fort- 
schreitender Entwicklung  ein  Maximum  an  Ge- 
staltungskraft erreichen  will,  dann  ist  die  Basis  für 
eine  gerechte  historische  Würdigung  gewonnen. 

Von  diesem  Gesichtspunkt  aus  gesehen,  müs- 
sen wir  bekennen,  daß  die  altdeutsche  u.  nieder- 
ländische Malerei  des  15.  Jahrhunderts  nur  eine 
Vorstufe  und  den  Durchgangsposten  zu  jener 
Erfüllung  darstellt,  die  uns  die  klassische  Kunst 
der  Renaissance  bringt.  Jeder  Vergleich,  den 
wir  in  dieser  Richtung  anstellen,  wird  uns  die 
Mängel  der  Frühzeit  entdecken  helfen.  Bei  der 
ältesten  Malerei  treten  diese  Mängel  am  klarsten 
zutage ;  da  finden  sich  Perspektive  Fehler,  kühne 
Stilisierungen,  die  den  dargestellten  Gegenstand 
fast  zu  einer  Atrappe  herunterdrücken,  unmög- 
liche Verkürzungen  und  Überschneidungen,  aus 
denen  die  ganze  lineare  und  formale  Ungeklärt- 
heit ohne  weiteres  erhellt  (Abb.  S.  21).  Aber 
auch  auf  einer  höheren  Stufe  künstlerischer 
Entwicklung,  in  der  ein  stärkeres  zeichnerisches 
Vermögen  und  ein  ausgeprägtes  Naturempfin- 
den festzustellen  ist,  tritt  die  quattrocentistische 
Unvollkommenheit  zutage.  Konrat  Witz  hat  den 
Goldgrund,  auf  den  die  Kölner  Meister  gern 
ihre  überschlanken,  fast  unkörperlichen  Figuren 
zu  setzen  liebten  (Abb.  S.  15)  überwunden. 
Sein  „gekreuzigter  Christus"  ist  in  eine  feine 
von  Sonne  und  zarten  Morgennebeln  durchwebte 
Landschaft  hineingestellt;  nur  schließen  Figuren 
und  Landschaft  sich  nicht  in  ein  Raumgefühl 
zusammen,  jedes  dieser  Elemente  führt  eine 
Sonderexistenz  (Abb.  S.  22). 


HANS  MULTSCHER.  »AUFERSTEHUNG  CHRISTI.  Kaiser  kkiedrich-miseim    kkklin. 

AllNAllME:  l'HOT  GESEl.l.SCH.— CHARLOH  liMlUKÜ. 


DIERICK  BOUTS.  »MARIA  IN  VEREHRUNG«  k.user  FRiEDRiCH-irusEUM -Berlin. 

AUFNAHME:  F.  HANFSTjVENGL— MÜNCHEN. 


ROGER  VAN  DER  WEYDEN.  »MARIA  MIT  DEM  KINDE«  Kaiser  friedr.-museum-beri.in. 

AUFNAHME:  FRANZ  HANFSTAENGL -MÜNCHEN. 


Altdfiitschr  und  nlhürdrrlinidistlir  }fn/rrei. 


Die  Maler  des  15.  Jalirliuiiderts  gehören 
einer  Epoche  linearen  Sehens  an,  allein  ihre 
Linienführung  ist  eckig,  hart,  gebrochen,  sie 
wissen  noch  nichts  von  jener  Linienmusik,  die 
eine  spätere  Zeit  kultivierte.  Anfangs  ist  die  Linie 
rein  silhouettenhaft,  erst  nach  und  nach  wird  sie 
einfacher,  klarer  und  nimmt  eine  sprechendere 
Haltung  an.  In  Hugo  van  der  Goes'  „Anbetung 
der  Könige"  (Abb.  S.  29)  ist  vielleicht  ein  Maxi- 
mum von  dem  erreicht,  was  der  Quattrocenttst 
an  harmonischer  Linienführung  zu  geben  vermag. 
Die  Linie  ist  hier  benutzt,  und  kommt  in  einzelnen 
Gestalten  wohl  zum  Klingen,  aber  sie  ist  nicht 
restlos  ausgenutzt.  Die  Gruppe  der  beiden 
stehenden  Könige  und  des  knieenden  Dieners 
auf  der  rechten  Bildhälfte  weist  noch  Unklar- 
heiten und  Überschneidungen  auf,  die  eine 
spätere  Generation  vermieden  hätte. 

Weitere  Mängel  sind  in  formaler  Hinsicht  zu 
beobachten.  Die  Formen  sind  hart,  bleiben 
isoliert  und  lassen  jene  Bindungen ,  jenen 
engen  Kontakt  vermissen,  der  es  uns  ermöglicht, 
mehrere  zu  einer  Einheit  verbundene  Formen 
zusammen  zu  überblicken.  Roger  van  der 
Weydens  „Maria  mit  dem  Kinde"  (Abb.  S.  27) 
ist  darin  ein  typischesWerk  des  1 5.  Jahrhunderts ; 
Kopf,  Hals,  Brust,  Hände  und  Locken  sind  im 
einzelnen  naturalistisch  fein  durchgebildet,  aber 
jedes  dieser  Elemente  führt  eine  Sonderexistenz 
und  ist  mit  Einzelakzenten  ausgestattet.  Es 
fehlt  die  Rundung,  die  das  Bild  zu  einem  Ganzen 
zusammenfügt,  jene  Überordnung  der  Gesamt- 
form über  die  Einzelform.  Diese  hat  Dürer  als 
Künstler  des  16.  Jahrhunderts  erreicht.  Das 
„Bildnis  eines  jungen  Mädchens",  das  1507 
wahrscheinlich  noch  während  seines  venezia- 
nischen Aufenthaltes  entstand,  besitzt  bereits 
den  Charakter  der  inneren  Geschlossenheit; 
Augenhöhlen,  Wangen,  Nase  und  Mund  stehen 
bei  diesem  Porträt  in  enger  Verbindung,  alle 
Einzelformen  klingen  in  einander  über. 

Auch  in  der  Art,  wie  das  figürliche  Element 
in  das  landschaftliche  eingefügt  ist ,  macht  sich 
bei  dem  Maler  des  Quattrocento  der  Mangel 
an  Einheitlichkeit  in  der  Komposition  bemerk- 
bar. Sie  führen  wohl  die  Landschaft  in  die 
Tiefe ,  allein  die  Figuren  wirken  isoliert ,  sie 
bleiben  als  Inseln  an  der  vorderen  Bildfläche 
haften,  eine  Ungeschicklichkeit,  worüber  eine 
interessante  Schrägstellung  nicht  hinweghelfen 


kann  [Abb.  S.  25).  Fehlt  hier  eben  noch  der 
tektonische  Zusammenhang  beider  Faktoren, 
so  hat  die  Renaissance  die  Bindung  vollzogen. 
Zwar  zeigt  ein  Künstler  wie  Cranach  noch  einige 
Befangenheit  (Abb.  S.  20),  allein,  der  Meister 
von  Meßkirch  bringt  in  seinem  Bilde  „Christus 
am  Ölberg"  bei  aller  Elächenhaftigkeit,  mit  der 
die  Christusfigur  dem  Vordergrunde  eingeordnet 
ist,  das  Ineinandergehen  des  landschaftlichen 
und  figürlichen  Elementes  zustande. 

Diese  kurzen  Erläuterungen  mögen  eine  all- 
gemeine Vorstellung  davon  geben,  wie  die 
Kunst  der  deutschen  und  niederländischen 
Meister  des  15.  Jahrhunderts  stilkritisch  zu 
werten  ist.  Indes,  jeglicher  Versuch  einer  ob- 
jektiv kritischen  Wirkung  bleibt  immer  Sache 
des  Verstandes;  nichts  hindert  uns,  bei  der 
Betrachtung  der  alten  Meister  unser  Herz 
sprechen  zu  lassen  und  im  Sinne  der  Romantiker 
in  ihnen  ein  Stück  germanischen  Wesens  wieder 
zu  finden.  Wir  entsprechen  hiermit  dem  Ver- 
langen unserer  Generation,  die  so  beharrlich 
nach  geistig-gefühlsmäßigen  Ausdruckswerten 
sucht  und  für  deren  künstlerische  Niederschrift 
sie  jede  Gestaltungsmöglichkeit,  auch  die  natur- 
fernste, gestattet.  Von  diesem  Standpunkte  aus 
werden  wir  Multschers  Stilisierungen  der  Natur 
nicht  ablehnen,  wir  verstehen  die  zarte  Innig- 
keit, mit  der  Jan  van  Eyck  die  Himmelskönigin 
gemalt  hat  [Abb.  S.  30)  und  wir  durchkosten  alle 
Schauer  jenes  Seelenkampfes  von  Gethsemane, 
den  Mabuse  so  visionär  zu  gestalten  vermochte 
(Abb.  S.  17).  Wir  finden  in  allen  diesen  Aus- 
drucksarten das  Eine  wieder,  was  uns  die 
höchste  Formenschönheit  nicht  zu  ersetzen  ver- 
mag: die  germanische  Seele.  Sie  bedeutet  für 
uns  kein  Schlagwort,  ist  niemals  „modern",  nie 
einer  Richtung,  einer  Laune,  einem  Geschmack 
dienstbar.  In  ihr  liegt  vielmehr  die  Urform  all 
unseres  Empfindens  verschlossen,  ort-  und  zeit- 
los wirkt  sie  als  immanentes  Prinzip  in  allen 
Schöpfungen  deutschen  Geistes  fort.  Sie  mag 
zart  und  versonnen  träumen,  sich  mit  spieleri- 
scher Phantasie  in  einem  schier  unentwirrbaren 
Formenüberfluß  verlieren  oder  mit  eigenwilligem 
Charakterisierungs-Fanatismus  die  Naturformen 
vergewaltigen  und  zu  bizarren  Steigerungen  ge- 
langen —  in  allen  diesen  verschiedenartigen 
Manifestationen  bleibt  sie  für  uns,  die  wir  sie 
kennen,  stets  dieselbe :  die  germanische  Seele. 

JOACHIM  KIRCHNER. 


*  ^ A. 


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JAN  VAN  EYCK.  .ilARIA  MIT  DEM  KINDE  IN  DER  KIRCHE« 

KAISER  FRIEDRICH-MUSEUM.   AUFNAHME:  PHOT.  GEbELLbCH.- CHARLOTTBÜ, 


ANTON  HAN  AK    WIEN.  .MÄDCHENc  MARMOR, 


l'K'  iK.  ANTON   HANAK  -WIEN. 


ILATIK       UHR    I.iri/IK   Miv^i   II 


PROFESSOR  ANTON  HANAK-WIEN. 


VON  BEKTA  ZUCKERKANIil.. 


ES  erübrigt  sich  schon  des  knapp  bemesse- 
nen Textraunies  halber  den  Werdegang 
des  größten  österreichischen  Bildhauers  näher 
zu  beleuchten.  Deutschlands  Kunstkreise  ken- 
nen —  besser  als  das  gegen  seine  schöpferischen 
Menschen  immer  reaktionär  sich  verschließende 
Wien  —  die  in  Dresden,  in  Köln,  in  Mannheim 
vor  dem  Krieg  ausgestellten  Werke,  welche 
bereits  in  ihrer  Frühepoche  eine  geniale  Syn- 
these von  tieferschauter  Naturoffenbarung  und 
Wesens-verklärter  Symbolik  ergaben.  Die  hier 
zur  Abbildung  gelangten  Skulpturen  entstam- 
men durchweg  Hanaks  letzter  Schaffensperiode. 
Sie  sind  sozusagen  das  zur  Form  kristallisierte 
Erlebnis,  welches  in  fünf  furchtbaren  Kriegs- 
jahren  seine  heiße  Seele  erbeben  ließ.  Fernab 
von  realistischer  Gestaltung  jener  Wirklichkeit, 
die  dem  echten  Künstler  immer  als  das  Unwirk- 
lichste  erscheinen    wird ,    lauschte    er   wissend 


und  schmerzensreich  dem  tiefsten  Sinn  der  Ent- 
wicklung und  des  Hasses.  Nichts  blieb  Ilanak 
fremd.  Und  aus  den  Konvulsionen  der  Mensch- 
heit erkannte  er  einer  neuen  Menschheit  künst- 
lerische Rhythmen.  Zu  allen  Zeiten  wahrte  so 
die  Kunst  ihr  Erleben  von  Kampf,  Blut,  Rausch 
und  Tod.  Geheimnisvoll  verschlossen  in  der 
Werkstatt  ihres  Geistes.  Bis  in  einer  ihrer 
besten  Diener,  in  eines  echten  wahren  Künst- 
lers Seele  das  Werk  der  Klage,  der  Sehnsucht, 
das  hohe  Werk  der  Verwandlung  ward.  Bis 
gelebte  Wirklichkeil  als  scheues  Geständnis 
verklärten  Sehertums,  im  Symbol  Reinigung 
erfährt.  So  ist  Hanaks  grandioser  Zyklus  von 
neun  Bildwerken  eine  einheitliche  untrennbare 
Vision  von  durchseelter  Körperlichkeit. 

Das  Geheimnis  der  Gestaltung  ist,  seitdem 
die  Akademie  die  Werkstatt  verdrängte,  also 
seit  der  Epoche  Ludwigs  XIV.  der  Bildhauer- 


^^ 


I.  April-Mai  1920.  i 


Professor  Anton  TTanak-  Wien. 


34 


kunst  in  noch  weit  allgemeinerem  Maße  als  der 
Malerei  verloren  gegangen.  Als  Zeugen  der 
sterbenden  Skulptur  stehen  auf  allen  Plätzen, 
Gebäuden,  in  allen  modernen  Galerien  Euro- 
pas die  anämischen,  ausdruckslosen  Gebilde 
iierum,  ein  gefälschtes  Akademie-Ideal  mit 
puppenhaft  toter  Bewegungsimitation.  Nur  im- 
mer Einzelne,  nur  immer  wieder  auferstehende 
Meister  wahrten  und  wahren  das  Geheimnis 
der  Menschen-bindenden  Kunst.  Anton  Hanak 
hält  heute  die  Eackel  hoch.  Sein  Teil  ist,  wie  einst 
es  war  —  ehrfürchtige  Schlichtheit  des  Hand- 
werkers allem  und  jedem  Werk  zu  Grund  zu 
legen.  Das  Material  ist  sein  Gebieter.  Für  das 
größte  Unglück  der  modernen  Plastik  sieht  es 
Hanak  an,  wenn  sie  in  Ton  erste  Formung  erhält; 
Meißel  und  Hammer  müssen  die  Figur  heraus- 
meißeln, soll  das  Diktat  der  Materie  darin  leben. 
Ebenso  wie  er  die  Spiegelflächen  der  Lichter  auf 
dem  Bronzeleib  im  Gips  herausraspelt,  genau 
nach  dem  System  wie  die  Alten  ihre  Modelle  in 
Holz  vorerst  geschnitzt  haben.  Und  ebenso  hand- 
werksmäßig feilt  er  das  Werk  nach  dem  Guß. 
Dies  ist  das  Wichtigste  an  Hanaks  Schaffens- 
art: daß  er,  dessen  lyrische  Fülle,  dessen  dra- 
matische Gesichte,  dessen  dichterisch  musizie- 
rende Inspiration  den  Grund  der  Verzücktheit 
erwirken,  dennoch  niemals  diesen  Gefühlen  die 
Vorherrschaft  über  sein  treues  Handwerkertum 
läßt.  Ihm  ist  das  Bildwerk,  das  er  allein  in  der 
Materie  verschlossen  schaut,  so  unwandelbar 
in  Form  gebannt,  daß  er  kein  Hasten,  kein  im- 
pressionistisches oder  expressionistisches,  kein 
beiläufiges  nur  auf  Erscheinung  losstürzendes 
Abbilden  kennt.  Die  Arbeit  ist  Erstes.  Und 
diese  Arbeit  dann  noch  steigern  zu  können  — 
das  ist  —  Gnade  Gottes!  Solcher  Frommheit 
Gebete  sind  Anton  Hanaks  Menschenleiber. 
—  Menschheit  —  in  monumentaler  Zeitlosigkeit 
zu  bilden,  ist  des  Meisters  grundlegende  Offen- 
barung. Doch  ihr  gesellt  sich  als  zweite  Aussage : 
Der  vergeistigte  Mensch  einer  besonderen  Epo- 
che —  hier  der  moderne  Zeitmensch,  der  die  für 
ihn  allein  charakteristische  Prägung  der  Ahnen- 
reihe der  Bildüberlieferung  einfügt.  Dritte  Aus- 
sage :  Der  Mensch  als  Abglanz  eines  schöpferi- 
schen Genius  —  Seele  von  Hanaks  Seele,  Geist 
von  seinem  Geist ;  Körperlichkeit  erbebend 
vom  Impuls  eines  erbebenden  Welterlebens. 

In  der  aus  dem  Chaos  zum  ersten  Mal  neu- 
geschöpften Geste  ist  dieses  Zeitgeständnis  ge- 
prägt. Und  nur  einem  souveränen  Künstler 
konnte  es  gelingen  die  Scheidung  von  Körper 
und  Geist  so  gänzlich  aufzuheben ,  daß  die 
Geste,  als  sichtbar  werdende  Willensübertrag- 
ung, Regungen  fortsetzt,  die  tief  unter  der  Ober- 
fläche in  seelischen  Gesetzen  verankert  ruhen. 


Beherrschung  aller  Formen  der  Natur,  aller 
ihrer  unendlichen  Spielarten  ist  die  selbstver- 
ständliche Voraussetzung  für  Hanaks  Schaffens- 
Ehrfurcht.  Um  aber  über  Natur  hinaus  der 
Kunst  ihre  niemals  nachschaffende ,  sondern 
stets  neuschöpferische  Herrschaft  zu  wahren, 
sind  alle  diese,  bis  auf  die  geheimnisvollsten 
Übergänge  erlauschten  Formen  reine  Erinne- 
rungsbilder. Niemals  bildet  Hanak  direkt  nach 
dem  Modell.  Keines  der  Bewegungsmotive, 
die  hier  abgebildet  sind,  ist  „gestellte  Pose". 
Aus  stets  rein  dichterischen  Impulsen  entstehen 
jene  für  Hanak  so  einzig  charakteristischen,  in 
Wasserfarbe  mit  dem  Pinsel  hingeschriebenen 
Zeichnungen,  die  Licht  und  Schatten  der  Wöl- 
bungen bis  zu  dem  tiefsten  Dunkel  der  Höh- 
lungen fixieren. 

Diese  Zeichnungen  halten  die  erste  Vision 
der  Formung  fest,  aus  der  die  wundervolle  Ein- 
heit leidenschaftlicher  Körperbeseelung  im  Ma- 
terial dann  ersteht,  frei  von  der  Schauspieler- 
geste eines  nur  der  Regiekunst  des  Bildhauers 
folgenden  Modells.  Über  die  Echtheit,  Wahr- 
haftigkeit ,  über  die  einströmende  Kraft  des  j 
Gefühles,  das  Haltung,  Ausdruck,  Bewegung 
jedes  Körpergliedes  zur  höchsten  Intensität  der 
plastischen  Offenbarung  steigert,  gibt  sich  der 
Meister  an  seinem  eigenen  Körper  Rechenschaft. 
Er  nennt  das  „Durchspüren";  bis  in  das  Spiel 
der  Zehen  geht  er  so  der  Empfindung  nach,  ob 
diese  ihm  untrennbare  Einheit  seelischer  Vision 
und  bildlicher  Bildung  vollkommen  ist. 
*  «  « 

Eine  gedankliche  Erklärung  der  hier  abge- 
bildeten Gestalten  ist  eigentlich  kaum  notwen- 
dig. Deutung  soll  die  durch  das  Kunstwerk 
befreite  Phantasie  des  Schauenden  nicht  ein- 
engen. Hier  sind  ja  nicht  literarische  Themen 
verarbeitet,  hier  ist  Raum  und  Seelenzucht  zu 
lebensströmender  Körperlichkeit  verdichtet. 
Der  „Letzte  Mensch"  ist  das  Wesenszeichen 
jener  Jugend,  die  der  Weltkrieg  hingemäht  hat. 
Restlos  ist  er  seiner  Pflicht  gefolgt,  bis  ans 
Ende  seiner  Kraft.  Nun  sinkt  er  mit  den  hilflos 
ausgebreiteten  Armen  zusammen.  Gekreuzigter 
1914.  Erschütternd  wirken  diese  nach  letzter 
Hoffnung  ausgreifenden  Hände,  die  zuckenden 
Finger,  das  gebrochene  Erschlaffen  der  Beine 
über  deren  Haut  das  Beben  der  Muskeln  streicht ; 
die  ergebene  Wölbung  des  Rückens,  der  vorne 
nach  abwärts  fallende  Kopf  von  unendlicher 
Trauer.  —  Diesem  Abgesang  von  Kraft  ent- 
gegen, schwellt  der  straffe  Rhythmus  eines  wun- 
dervollen Jünglingskörper  empor,  der  als  „  Neue- 
rer" —  neue  Kraft  aus  der  Erde  zieht.  — 
Führerin  aber  dieses  neuen  Heroengeschlechtes 
wird    „Die  nun  über  die  Erde   schreiten   muß" 


PRin-KSSoK  ANTON  IIANAK  -WIKN.   IM.ASTIK. 


PROFESSOR  ANTON  HANAK-AVIEN. 


.DIE  NUN  ÜBER  DIE  ERDE  SCHREITEN  MUSS^ 


1 


PROFESSOR  ANTON  HANAK.     DAS  GROSSE  LEU) 


y. 


-/-I 


.PROFESSOR  ANTON  HANAK.    JITXG  EVA« 


ANTON  HANAIC.  .DAS  GOLDENE  ANTLITZ. 


M 


AXTÜN  HAN  AK.     DIE  IRDISCHEN  GRENZEN. 


Professor  An  Ion  Ilanak-  Wien. 


l'KOK.  AN  ION  HANAK. 


sein.  Die  Gottheit,  die  mit  uns  die  Wandlung 
antritt,  mit  uns  zur  wiedereroberten  i^roßen 
klassischen  Form,  zur  „Klarheit"  zu  fSelanjScn. 
Die  Vorderansicht  dieser  halb  knieenden,  halb 
sitzenden  Gestalt  stellt  den  letzten  Augenblick 
dar  des  gleichsam  von  höherer  Macht  befohle- 
nen Sich-Erhebens.  Der  Übergang  einer  Be- 
wegung in  die  andere  scheint  in  diesem  Werke 
meisterlich  gelöst  zu  sein. 

„Die  irdisciien  Grenzen"  aber  lassen  stür- 
mende Sehnsucht  neuer  Weltaufbauer  verbran- 
den.   Über  uns  selbst  können  wir  nicht  hinaus 

—  kündet  die  angestrengt  sich  überhebende 
Gestalt,  deren  über  das  Haupt  verschlungenen 
Arme  den  Gedanken  vom  letzten  Höhenflug 
gebieterisch  abschließen. 

An  dem  Marmorblock  aber  das  Gesetz  der 
Schwere  aufzuheben,  diese  Kühnheit  hat  Hanak 
bei  der  „Schwebenden"  vollbracht,  durch  die 
genial  abgewogene  Stellung  der  Hauptformen 
zueinander.  Die  Gerade  der  Unterschenkel;  das 
Hineinziehen  des  Leibes;  das  meteorgleiche 
Herausschnellen  des  Oberkörpers  —  gibt  dem 
Gefühl  der  Flugkraft  überzeugende  Sicherheit. 
Zärtlich  auf  einer  Wolke  gelagert  zieht  sie  dahin, 
die  von  uns  in  den  Jahren  desLeids  nicht  gelebte 
Schönheit,    Die  unwiderbringlich  Versäumte.  .  . 

—  Großen  Bildhauern  ist   oft   auch  die  Gnade 


SKI/./l     M    K    1-1  A^  I  IK 


des  Wortes  gegeben.  Michelangelos  Sonette, 
Rodins  Gedanken-Gemmen  sind  dichterische 
und  philosophische  Bekenntnisse  von  höchstem 
Wert.  Daran  wird  man  Anton  Hanaks  Tage- 
bücher einst  reihen.  Hymnen  sind  sie  an  das 
Leben.  Sind  Heiligung  der  Arbeit,  durch  die 
Reinheit  des  Gebetes  eines  Frommen,  dessen 
Gott  nicht  in  Kirchen  wohnt.  Wie  in  Hebbels 
Tagebüchern  kaum  das  Skelett  seines  mate- 
riellen Lebenslaufes  zu  finden  ist,  weil  er  nur 
die  Geschichte  seines  Geistes  niederschrieb, 
so  bestehen  auch  Hanaks  Aufzeichnungen  in 
Aneinanderreihungen  von  Lyrik ,  von  ethisch- 
philosophischen Betrachtungen.  Aufbau  einer 
Seele,  die  Jahr  um  Jahr  ihr  Wachstum  himmelan 
bezeugt.  „Der  Fanatiker"  und  der  vorerst  im 
zeichnerischen  F.ntwurf  vorhandene  „  [^rennende 
Mensch"  (letztes  Werk  des  Zyklus)  sind  für 
diesen  ekstasischen  Menschen  und  hingebenden 
Künstler  ergänzendes  Bekenntnis  zu  dessen 
Tagebüchern.  Wenn  über  Hanak  der  Fanatis- 
mus seiner  Arbeit  stürzt,  wenn  ihn  die  Qual  der 
Angst  —  sein  sich  gestelltes  Werk  nicht  vollen- 
den zu  können  —  befällt,  dann  beseelt  und 
bildet  er  immer  wieder  an  den  vom  Trans  des 
Schöpfertums  geschüttelten  und  verflammenden 
Menschen :  nach  seines  Gottwissens  Bekenntnis. 
Wir  verfaulen  nicht  —  wir  verbrennen!"    i    /. 


43 


iCni.  April-Mal  1920.  5 


■'■^: 


ANTON  ILVNAK      WIEN. 


SKIZZE  lUK  PLAäTIK. 


UMSCHWUNG  IM  EXPRESSIONISMUS. 


Vi  IN  WILHELM  MICHEL. 


Auf  den  Geist  berief  sich  die  junge  Kunst  bei 
L  ihrem  Auftreten.  Wie  wollte  sie  dieses 
Wort  verstanden  wissen?  Es  schwankt  zwi- 
schen vielen  Bedeutungen,  die  unter  einander 
verbunden  sind,  hier  mit  breiten  Grenzstreifen, 
dort  mit  dünnen  Stegen.  Da  scheint  es  be- 
zeichnend :  Beliebter  als  das  Wort  Geist  war 
in  expressionistischen  Erörterungen  das  ab- 
schwächende Adjektiv  „geistig".  Geistig  ist 
das  Wesen  der  jungen  Kunst  in  jedem  Falle : 
geistige  Fragestellung  ist  ihr  AnstolB,  geistiges 
Erleben  ihr  Gegenstand,  geistiges  Erfassen  ihre 
Anschauungsweise,  geistiger  Ausdruck  ihr  Ver- 


fahren. „Geistig"  immer  im  Gegensatz  zu  der 
impressionistischen  Gebundenlieit  an  Sinne, 
Empfindung,  Materie,  Naturvorbild.  Hie  und 
da  verdünnte  sich  der  Begriff  des  Geistigen  bis 
zum  bloß  „Subjektiven".  Das  bezeichnet  unter 
anderem  die  Verbindungshnie,  die  vom  Impres- 
sionismus zum  Expressionismus  geht;  der  zwi- 
schen beiden  liegende  Neo-Impressionismus  ist 
wesentlich  und  entscheidend  Subjektivismus. 
Aber  auch  Vieles  in  der  neuesten  Kunst  ist 
bloß  subjektiv.  Und  dies  weist  auf  einen 
inhaltsvolleren,  positiveren  Begriff  „Geist",  der 
bisher  nur  sehr   gelegentlich  in  junger  Kunst 


44 


Umschwung  im  Expressionismus. 


l'ROFliSSOR  ANTON   HANAK     \MF.N. 


erschien  und  der  sich,  wenn  die  Anzeichen  nicht 
trügen,  zu  klarer  Auswirkung  eben  anschickt. 
Geist  ist  nicht  bloß  Subjekt;  Subjekt  mit  all 
seinen  ZufäUigkeiten  und  Belastungen,  mit  sei- 
nen Leiden ,  seiner  Enge  und  Gebundenheit. 
Geist  ist  wesenthch :  Sieg  des  Geistes  über 
das  Verwirrende  und  Dunkle  der  Welt.  Geist 
ist  Überwindung  der  kreatürlichen  Enge,  Nie- 
derkämpfung der  kosmischen  Feindlichkeit,  der 
panischen  Bedrohtheit.  Geist  ist,  in  ethischer 
Wendung,  G  e  me  i  nge  ist ,  Liebe,  Erkenntnis 
des  Gesetzes.  Geist  ist  nicht  nur,  wie  der 
Expressionismus  gemeint  7U  haben  scheint, 
Offenheit  für  geistige  Fragestellung,  Golt- 
Suchen,  religiöses  Leiden,  kosmisches  Be- 
drohtwerden.    Er  ist   das,   was  über  diese 


AQUARELUSKIZZE  FÜR  PLASI IK. 


Dinge  hinausgeht  zum  Positiven :  ist  geistige 
Antwort,  Gott-Haben,  religiöses  Erken- 
nen, kosmische  Freiheit. 

Hier  scheinen  Entwicklungen  einzusetzen. 
Der  Expressionismus  hat  bis  jetzt  vorwiegend 
das  Sprengende,  Revolutionäre,  Wilde,  Fried- 
lose des  Geistes  gezeigt.  Er  schuldet  uns  den 
Sieg,  das  Gesetz,  das  Verbindende,  den  Frie- 
den. Er  schuldet  uns  geistige  Heiterkeit  und 
Wellheiniatgefühl.  Er  schuldet  uns,  nachdem 
er  die  Jugend  des  Geistes  in  reichster  Fülle 
der  Phänomene  ausgebreitet  hat,  des  Geistes 
Männlichkeit  und  Lebensreife.  Nach  der  ro- 
manlischen  Vorstufe  die  Klassizität;  nach  kämp- 
ferischer, bewaffneter  Tragik  den  Hymnus  des 
Weltjubels  und  der  Gesetzesfreude.    Es  ist  mit 


45 


U»nch-ining  im  Ex/rcssionisMiis. 


dem  Geiste  noch  nicht  Ernst  gemacht  worden. 
Es  ist  nur  gefülilt  und  klargestellt,  daß  mit  dem 
impressionistischen  Weltbild  nicht  mehr  auszu- 
kommen war.  Der  neue  Glaube  aber  ist  noch 
nicht  da.  Er  wird  vermutlich  anders  aussehen 
als  jeder  vorhergegangene.  Aber  er  wird  Glaube 
sein,  irgend  eine  Art  von  schauendem  Fromm- 
sein, Bestätigung  der  Schöpfung.  Die  Zeit  wird 
dem  Expressionismus  sagen :  Auf  den  Geist  hast 
du  dich  berufen,  zum  Geiste  sollst  du  kommen. 

Anzeichen  sind  vorhanden.  Schon  sind  wir 
in  der  Kunst  mißtrauisch  geworden  gegen  die 
bloß  empörerische  Geste  und  gegen  die  bloße 
Subjektivität.  Kühnheit  allein  verfängt  nicht 
mehr.  Wir  prüfen  sie  auf  Kraft  und  Ziel.  Im 
Bereich  der  Literatur  haben  sich  Stimmen  ge- 
funden, die  sich  gegen  Strindberg,  Wedekind, 
Sternheim  erhoben.  Obschon  nichts  fester 
steht  als  die  Unentbehrlichkeit  dieser  Leiden- 
den, Zweifelnden  und  Höhnenden.  Aber  Bar- 
lach steht  ähnlich  in  der  Kunst  wie  Strindberg  in 
der  Dichtung,  Und  Wedekind,  Sternheim  kön- 
nen kaum  als  überwundener  gelten  als  Manche, 
die   der  Malerei  von  heute   noch  Führer  sind. 

Auf  der  andern  Seite  liegen  freilich  in  Dich- 
tung und  Kunst  Versuche  vor,  die  negative  und 
vorbereitende,  wenn  auch  schon  durchaus  gei- 
stige Periode,  in  der  sich  die  Menschheit  eben 


verjüngt,  um  einen  noch  radikaleren  Entwick- 
lungsabschnitt zu  verlängern.  Es  steckt  in  der 
dadaistischen  Unternehmung  das  richtige 
Gefühl,  daß  es  ein  ungeheures  Wagnis  ist,  aus 
dem  Negativen  ins  Positive  zu  gehen.  Bejahung 
bringt  Bindung.  Die  Weite  des  Welt-  und  Ich- 
gefühls, die  Schwingung  der  kosmischen  Woge 
muß  irgendwie  schrumpfen,  wenn  aus  den  tau- 
send Masken  in  die  eine  Wahrheit,  aus  der 
vielfältigen  Übertretung  in  das  einfache  Gesetz 
gegangen  werden  soll.  Trotzdem  scheint  mir 
gegenwärtig  der  dadaistische  Vorstoß  wenig 
Aussicht  auf  Erfolg  zu  haben.  Mit  allgemeinen 
Argumenten  läßt  sich  freilich  in  der  Frage  so 
großer  Bewegungen  nicht  operieren.  Aber  in 
seinem  Äußersten,  vor  zusammenfassendem, 
überschauendem  Blick,  wird  das  Geistige  wie- 
der auf  überraschende  Weise  physisch-mecha- 
nisch. Und  aus  Gefühl  für  dieses  Mechanische 
darf  gesagt  werden ,  daß  wir  einer  Peripetie 
nach  der  positiven  Seite  genähert  scheinen. 
Wie  diese  Wendung  beschaffen  sein  kann, 
darüber  ist  keine  Prophetie  zu  wagen. 

Das  Neue  kommt  immer  von  der  unerwarte- 
ten Seite  oder  unerkennbar  vermummt.  Der 
Schaffende  denkt  nicht  mit  unserm  Hirn  und 
schöpft  seine  Bilder  aus  einem  Vorrat,  in  den 
nie  ein  Auge  einen  Blick  getan  hat w.  m. 


ANTON  HAN  AK -WIEN.   SKIZZE  FÜR  PLASTIK. 


Ml 


PROFESSOR  PAUL  SCHEURICH.  »PORZELLANGRUPPE« 

STAATLICHE  PORZELLAN-MANUFAKTUR  -  MEISSEN. 


F.  SCHKlRlc  M. 
>AMOR« 
MEISSENEK 
l'ORZKI.LAN. 


NEUE  PORZELLAN-FIGUREN. 


Es  ist  merkwürdig,  wie  schwer  es  allem  An- 
scheine nach  unserer  doch  auf  manchen 
anderen  Gebieten  der  dekorativen  Kunst  wie- 
der recht  erfolgreichen  Zeit  glücken  will,  zu 
einem  wirkhch  gesunden  Porzellanstil  zu  ge- 
langen, in  dem  sich  zugleich  auch  das  spezifisch 
Neue  derselben,  das,  was  man  für  gewöhnlich 
modern  zu  nennen  pflegt,  einigermaßen  wider- 
spiegelt. Grund  hierfür  ist  wohl  zunächst,  daß 
unserer  Zeit  mit  ihrer  nichts  weniger  als  wirklich 
innerlich  verfeinerten  Kultur  das  Delikate,  das 
was  das  eigentliche  Wesen  einer  wirklich  feinen 
Porzellankunst  ausmacht,  innerlich  fremd  ist. 
Fast  alles,  was  wir  heute  auf  dem  Gebiete  der 
bildenden  Kunst  schaffen,  hat  ja  gegenüber  dem, 
was  früher  auf  ihm  geleistet,  etwas  stark  Grob- 
schlächtiges an  sich.  Dann  aber  weiter,  daß  die 
Auffindung  eines  Porzellanstils  an  sich  nicht 
eben  leicht  ist.  Sie  verlangt  ein  ganz  anderes 
Einleben  in  das  Wesen  und  die  Technik  dieses 


Stoffes,  als  wohl  fast  alle  übrigen  ähnlich  ver- 
wandten Materialien  und  zugleich  auch  ein  viel 
feineres,  sicheres  Stilgefühl,  was  beides  nur 
durch  besondere  Veranlagung  und  fleißiges  Kr- 
arbeiten  gewonnen  werden  kann.  Porzellan 
ist  kein  Stoff  für  jedermann  und  keiner  für  ein 
Arbeiten  so  nebenher. 

Ganz  besonders  aber  gilt  dies  alles  für  die 
Wiedergewinnung  einer  wirklich  gesunden  Por- 
zellanplastik, die  einst  im  18.  Jahrhundert  unter 
ihrem  ersten  Begründer  Kandier  anscheinend  so 
spielend  gelang,  daß  wir  heute  von  einem  wirk- 
lichen Ringen  hier  kaum  noch  etwas  zu  spüren 
vermeinen.  Denn  hier  wirken  einige  besondere 
Eigenarten  dieses  Stoffes  noch  besonders  er- 
schwerend ein.  Zunächst  ist  da  seine  vor- 
wiegende Unzertrennlichkeit  von  seiner  Glasur, 
die,  wenn  auch  in  der  Regel  nur  ganz  dünn  auf- 
liegend und  durchsichtig,  doch  alle  plastische 
Durcharbeit  verundcutlicht ,  zum  Teil  ja  auch 


A9 


II.  AprII-Mli  1920.  6 


Nrur  PorzeUan-Flgtircn. 


50 


l'AVL  SCHEURICH— URESDEN.    STAATL.  PORZELLAN-MANUFAKTUR— MEISSKN.    »HERR  U.   liAMh  l.\   BlLl  ihK.MEIERTRACH  1 


gänzlich  verwischt.  Dann  sein  Erweichen  im 
Brande,  das  gleichfalls  aller  Schärfe  der  Fornien- 
gebung  spottet  und  vielfach  Zufall  an  Stelle  von 
Zielbewußtheit  setzt.  Mit  der  Gewissenhaftig- 
keit des  Naturahsmus ,  wie  mit  der  Formen- 
strenge des  Klassizismus,  diesen  beiden  End- 
polen alles  plastischen  Arbeitens  im  19.  Jahr- 
hundert, war  darum  diesem  Stoff  nicht  beizu- 
kommen. Die  Porzellanplastik  mußte  so  ihren 
eigenen  Weg  gehen,  eine  eigene  Stilisierung  ver- 
suchen, die  ganz  auf  dem  Wesen  dieses  Stoffes 
beruhen,  sich  ganz  in  dieses  versenken  mußte. 
Das  hat  das  19.  Jahrhundert  und  auch  der 
größte  Teil  unserer  Zeit  noch  nicht  vermocht. 
Und  doch  hätte  es  ihnen  eigentlich  an  sich 
garnicht  so  schwer  fallen  können,  wofern  sie 
nur  genügend  sich  angeschaut  hätten,  was  andere 
Zeiten  auf  diesem  Gebiete  geschaffen.  Denn 
sowohl  die  Chinesen  seit  vielen  Jahrhunderten, 
wie  auch  wir  Deutschen  seit  dem  18.  hatten 
auf  diesem  schon  Stilarten  gefunden,  die  völlig 


befriedigen  konnten.  Man  brauchte  hier  nur 
die  Augen  aufzumachen.  Dann  aber  freilich 
mußte  man,  sobald  man  schaffen  wollte,  sich 
völlig  darüber  klar  sein,  welches  von  beiden 
Vorbildern  man  sich  auserkoren.  Denn  beider 
Stilarten  waren  recht  verschieden,  mit  einander 
durchaus  unvereinbar.  Bei  den  Chinesen  eine 
weiche,  rundliche  Behandlung  des  Materials, 
die,  auf  Einzelheiten  verzichtend,  das  vor- 
liegende Motiv  nur  in  großen  Zügen  wiedergab, 
dafür  aber  die  Schönheit  des  Materials  zur 
vollen  Geltung  brachte.  Bei  uns  dagegen  eine 
reichere  Durchbildung  des  Plastischen,  ein  schär- 
feres Betonen  der  Einzelheiten,  ein  pikantes 
Spielen  mit  den  Glanzlichtern  der  Glasur  und 
doch  auch  ein  gewisses  Maßhalten  in  allem 
wieder,  wie  es  eben  die  Eigenart  dieses  Stoffes 
verlangt.  Beide  Stilarten  aber  waren  durchaus 
gleich  materialgerecht,  durchaus  gleich  künst- 
lerisch verwendbar,  nur  daß  die  unsrige  viel- 
leicht noch  mehr  einer  spezifischen  Kleinplastik, 


PROI' 


■ESSOR  PAUL  SC]  lEURKH-  DRESDEN.  .RUHENDER  SCHÄFER. 


Neue  Porzellan  -Figuren. 


»KINDER  MIT  TIEREN«  SCHWARZBURGER  \VERKSTÄTTEN  IN  UNTER  WEISSBACH.    MODELL  VON  STORCH. 


die  in  der  Hauptsache  doch  die  Porzellanplastik 
immer  darstellt,  entsprechen  dürfte. 

An  beide  Stilarten  getrennt  haben  sich  nun 
einige  ganz  neue  Arbeiten  auf  diesem  Gebiete 
angelehnt,  die  nicht  zum  wenigsten  eben  dadurch 
auch  zu  gutem  Erfolge  gelangt  sind.  Zunächst 
einige  in  der  Meißener  Manufaktur  ausgeführte 
Werke  des  bekannten  Zeichners,  Radierers  und 
Plastikers  Paul  Scheurich,  der  schon  durch  seine 
ersten  Porzellanarbeiten  für  die  Schwarzburger 
Werkstätten  in  Unterweißbach,  dann  für  die 
Meißner  Manufaktur  berechtigtes  Aufsehen  er- 
regt hat.  Scheurich  hat  sich  von  Anfang  an  an 
den  alten  Meißner  Stil  angelehnt.  Er  entspricht 
auch  ganz  dem  Wesen  dieses  so  flott,  launig, 
graziös  und  auch  mit  Vorliebe  kleinschaffenden 
Künstlers,  der  oft  wie  ein  Spätling  des  längst 
sonst  überwundenen  Rokokos  erscheint,  das 
uns  zwar  keine  allzu  tiefe,  dafür  aber  um  so 
anmutigere  Werke  hinterlassen  hat.  Von  An- 
fang an  hat  er  sich  daher  auch  auf  diesem  Ge- 
biete an  diese  Zeit  angelehnt,  hat  ihr  so  manche 
seiner  Motive  entnommen,  ihren  künstlerischen, 
wie  materiellen  Stil  sich  möglichst  zu  eigen  ge- 
macht und  sich  auch  von  ihrer  allgemeinen 
Auffassung  des  Lebens  und  seiner  Erschei- 
nungen durchdringen  lassen.  Graziös,  pikant, 
beschwingt  und  flott  erscheinen  so  seine  Sachen. 
Sie  strahlen  frischestes  Leben,  froheste  Laune, 
selbst  Übermut  und  leichten  Hohn  aus ,  sind 
fern  von  jeder  Erdenschwere,  Pedanterie  und  all- 
zugroßer, aufdringUcher  Gewissenhciftigkeit  und 
holen  dabei  doch  aus  dem  Porzellan  stofflich  her- 
aus, was  nur  irgend  aus  diesem  durch  die  von 
ihm  erwählteStilart  zu  gewinnen  war.  Doch  ist 


Scheurich  keineswegs  dabei  ein  bloßer  Nach- 
ahmer geworden.  Dazu  war  seine  schöpferische 
Kraft  viel  zu  bedeutend,  sein  künstlerischer 
Eigenwille  viel  zu  stark.  Nur  ganz  im  allge- 
meinen hat  er  sich  durch  seine  Vorbilder  an- 
regen lassen.  Im  übrigen  erfindet  er  ganz  neue 
Motive,  gestaltet  die  Bewegungen  erregter, 
durchquirlt  alles  mit  frischerem,  natürlicherem 
Leben  und  streift  auch  leicht  einmal  dabei  die 
Karikatur.  Und  so  sind  seine  Werke  weniger 
konventionell  ausgefallen,  als  seine  Vorbilder, 
geben  viel  mehr,  als  jene,  von  ihren  Naturvor- 
lagen wieder,  sind  auch  weit  sorgfältiger  im 
einzelnen  durchgebildet.  Seine  Hände  sind 
keine  Rokokohände  schlechtweg,  seine  Typen 
keine  Kändlertypen  oder  sonst  etwas  Ähn- 
liches aus  dieser  Zeit,  die  Behandlung  des  Nack- 
ten, sowie  aller  Stoffe  ist  gleichfalls  viel  naturali- 
stischer erfolgt,  als  es  die  Rokokozeit  je  versucht 
hat.  Alles  ist  hier  mehr  auf  wirkUch  neuer, 
wirklich  eingehender  Naturbeobachtung  ge- 
gründet. Und  so  erscheinen  seine  Werte  alle 
als  Erzeugnisse  einer  wahrhaftigeren  Zeit,  stehen 
unserem  auf  Realität  fußendem  Empfinden  weit 
näher  und  zeigen  zugleich  meist  auch  einen 
leichten  Humor,  der,  weil  mehr  satyrischer  Art, 
auch  mehr  der  Humor  unserer  spottlustigen  Zeit 
ist.  Es  ist  so  in  allem  ein  Mehr,  das  unser  an- 
spruchsvolleren Zeit  nur  zu  willkommen  ist. 

Von  allen  diesem  dürften  die  hier  abgebildeten 
neuesten  Arbeiten  Scheurichs  beredte  Kunde  ab- 
geben (S.  48 — 54).  Sie  schheßen  sich  seinen 
früheren  völlig  würdig  an.  Auch  in  ihnen  zeigt  er 
sich  als  Begründer  einer  neuen  Porzellanplastik, 
nach  der  wir  so  lange  gestrebt  haben  und  doch  so 


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PROFESSOR  PAUL  SCHEUKK  H     DRESDEN. 
sLIEBESPA.\R«  STAATLICHE  l'OKZELI,AX-MAKUI' AK  I  UR     MEISSEN. 


yeitc  Ponrllau-Fipiren. 


.-.CllWAK/BIKGI  K  \V1  KKSrÄllKN  -  l  N  JKRWEISSBACH.    ..\HKE.N-1.I  sI.KlN      MOllEll.  VON  ST.mcil. 


vergeblich,  durch  die  dies  Gebiet  in  der  Tat  wie- 
der zu  einer  Kunst  geworden  ist,  an  der  sich 
auch  Verwöhnteste  wirklich  wieder  erfreuen 
und  die  sie  auch  mit  gutem  Gewissen  sich  wieder 
aneignen  können.  Wird  er  nun  auf  ihm  allein 
bleiben  oder  wird  sich  an  ihn,  wie  einst  an 
Kandier,  eine  ganze  Schule  anschheßen?  Das 
ist  nun  die  Frage.  Übertreffen  jedoch  wird  ihn 
sobald  wohl  keiner.  Dazu  ist  er  bereits  zu  weit 
gelangt  und  auch  seine  natürliche  Veranlagung 
für  dies  Gebiet  zu  groß.  So  können  wir  wohl 
nur  erhoffen,  daß  er  recht  bald  auf  diesem  Ge- 
biete allgemeiner  erzieherisch  wirken  und  un- 
sere ganze  Porzellanplastik  zu  neuer  Höhe  er- 
heben wird.  Das  wäre  dann  ein  neues  Ver- 
dienst von  ihm. 

Ganz  anders  wie  diese  Arbeiten  wirken  da- 
neben die  anderen  neuen,  jetzt  aus  der  Meißner 
Manufaktur  hervorgegangenen,  die  den  Bild- 
hauer Marcks,  der  gleichfalls  in  den  Schwarz- 
burger Werkstätten  seine  Porzellanarbeit  be- 
gann, zum  Urheber  haben.  Ihm  ist  im  Gegen- 
satz zu  Scheurich  das  chinesische  Porzellan 
Vorbild  gewesen,  damit  jenes  Streben  nach 
vereinfachter,  zusammengefaßter  Wiedergabe 
weicher,  rundlicher  Formengestaltung  und  star- 
ker Zurschaustellung  der  Masse,  das  für  jenes 
immer  so  ganz   besonders   charakteristisch   ge- 


wesen ist  und  ihm  seinen  besonderen  plastischen 
Stil  verschafft  hat.    Dies  Streben  ist  ihm  schon 
recht    gut    gelungen.      Es   ist    erstaunlich,    wie 
angenehm    weich    und    milde   schon    die    sonst 
leicht  etwas  hart  und  frostig  sich  gebende  Masse 
des  Meißner  Porzellans  wirkt,  die  hier  keine 
andere  ist,  wie  sonst.    Es  ist  ein  schlagender 
Beweis,   wie   sehr  richtige  Behandlung  ein  Ma- 
terial  zu   veredeln   vermag.    Das  Streben  nach 
Vereinfachung   der   Form  und  schärferer  Kon- 
zentrierung des  Ausdrucks  aber  hat  den  Künst- 
ler dann  fast  wie   von   selber  in  das  Heerlager 
der  neuesten  Künstlerschar  geführt,  der  Expres- 
sionisten.   Wie  Scheurich  sich  mehr  rückwärts, 
hat  er  sich  so  weit,  wie  nur  irgend  möglich,  nach 
vorwärts  gewandt.    Damit  ist   nun   dieser  viel- 
umstrittene Stil   auch   in   das  Porzellan   einge- 
zogen, ohne  freilich   hier  gleich,   wie   leider  so 
vielfach,  durch  wüste  Orgien  oder  schreckhafte 
Verblüffungen    imponieren    zu   wollen.     Es   ist 
wirklich  innerlich,  konzentriert,  empfunden  wor- 
den, was  in  diesen  Werken   äußerlich,   zusam- 
mengefaßt und  auf  das  Notwendigste  verkürzt, 
zur  Erscheinung  gebracht  worden   ist.    Es  gibt 
kein  Zuviel  und  kein  Zuwenig.    Es  ist  alles  da, 
was  zum  wirklichen  Ausdruck  des  in  der  Natur 
Gegebenen    dient.      Zugleich    aber   sind    trotz 
dieser  äußersten  Vereinfachung  diese  Arbeiten 


55 


Neue  Porzellan -Fisiuren. 


56 


doch  durchaus  spezifische 
Porzellanwerke  geblie- 
ben. Sie  enthalten  genug 
der  feineren  Einzelheiten, 
die  bei  ihrer  feinen  Aus- 
gestaltung nur  im  delika- 
teren Porzellan  ,  nie  in 
der  gröberen  Majolika 
oder  in  Steingut  denkbar 
sind,  die  auch  nur  unter 
einer  feineren  Glasur  hin- 
durchwirken können.  Auf 
diese  Weise  sind  schon 
zwei  als  Leuchter  ge- 
dachteReiterfiguren(Abb. 
S.  53),  eine  schreitende 
Nachtwandlerin  entstan- 
den sowie  die  recht  große 
Figur  eines  stehenden 
posauneblasenden  Grab- 
engels (Abb.  S.  56),  letz- 
tere von  wundervoller 
Geschlossenheit  der  äu- 
ßerenUmfassung  und  auch 
sonst  größter  innerlicher 
Ruhe.  Mit  ihr  hat  Meißen 
auch  seine  traditionelle 
Großplastik  wieder  auf- 
genommen ,  die  einst  zu 
so  schönen  Erfolgen  ge- 
führt hat  und  wie  dieses 
Werk  beweist,  auch  für 
uns  noch  große  Daseins- 
berechtigung haben  dürf- 
te. Alle  diese  Werke 
Marcks  sind  aber  bezeich- 
nender Weise  unbemalt 
geblieben.  Es  sind  die 
ersten  „weißen"  Stücke, 
die  die  Meißner  Manu- 
faktur seit  langer,  langer 
Zeit  wieder  herausgege- 
ben hat.  Sie  müssen  es 
auch  bleiben,  wofern  die 
Masse  als  solche  wirken 
soll  und  können  es  auch, 
da  diese  hier  wirklich  al- 
lein schon  durch  ihrer  rich- 
tigen Behandlung  ästhe- 
tisch zu  wirken  vermag. 
So  sind  sie  auch  in  dieser 
Beziehung  für  Meißen  et- 
was ganz  Neues  gewor- 
den. —  Groß  und  einfach 
geben  sich  dann  auch 
noch  einige  neue ,  von 
Storch  entworfene,  in  den 


»GROSSE  GRABFIGUR  VON  MARCKS« 
.ST.\.\TI.ICHE  PORZEIXAN-MANUFAKTUR-MEISSEN. 


SchwarzburgerWerkslät- 
ten  ausgeführte  Arbeiten 
(Abb.  S.  52  u.  55).  Es 
sind,  rein  künstlerisch  ge- 
nommen ,  durchaus  ein- 
wandsfreie  Werke ,  als 
Porzellanwerke  jedoch 
keine  diesen  Stoff  nach 
allen  seinen  Seiten  aus- 
nutzende. Sie  könnten 
wohl  ebensogut  in  Stein- 
gut oder  Majolika  ausge- 
führt gedacht  werden.  Es 
fehlt  ihnen  noch  so  ziem- 
lich alles  wirklich  Deli- 
kate, alles,  was  von  einer 
feineren  Masse  zeugt.  So 
ist  ein  Stil  zusammen  ge- 
kommen, der  von  keiner 
der  beiden  oben  charak- 
terisierten Stilarten  allzu 
viel  schon  in  sich  aufge- 
nommen hat  und  darum 
auch  noch  nicht  so  sicher 
gegangen  ist,  wie  der  je- 
ner erst  genanntenWerke, 
die  sich  enger  an  jene  an- 
gelehnt haben  und  darum 
auch  schon  zu  ganz  an- 
deren Resultaten  gelangt 

sind.    .     ERNST  ZIMMERMANN. 

Die  Beobachtung  lehrt 
oft,daßzweiim  ernst- 
haften Sinne  Sachverstän- 
dige einander  schroff  wi- 
dersprechen ,  und  nicht 
selten  zeigt  es  sich,  daß 
beider  Urteile  vor  der  Ge- 
schichte keinen  Bestand 
haben.  Fachwissen  allein 
ist  wertlos,  weil  dasKunst- 
werk  niemals  Erzeugnis 
des  Fachwissens  ist,  son- 
dern umgekehrt  dieses 
erst  eine  nachträglich  ge- 
wonnene spekulative  Ab- 
leitung u,  Spezialisierung 
des  Kunstschaffens.  So 
ist  es  auch  nicht  richtig 
zu  sagen  :  Kunst  kommt 
vom  Können,  Daher  ist 
auch  das  Können  jeder 
neuen  Kunst  von  dem  der 
alten  grundverschieden, 
es  basiert  auf  neuen  Wil- 
lensgesetzen. PAULBEKKER. 


VOM  KÜNSTLERFEST  DER  UNTERRICHTS-ANSTALT  DES  KUNSTGEWERBE-MUSEUMS-BERLIN. 

»HULDIGUNG  DER  KÜNSTE« 


MAUiRKIKN  DKR  KLASSE  SCHERZ. 


DEKOK ATIOSEN   EM    I  KKPPENllAUS. 


DAS  KÜNSTLERFEST  DER  BERLINER  KUNSTÜEWERBESCHULE. 


Oeit  einer  Reihe  von  Jahren  gehört  der  Ball 
»/7  der  Berliner  Kunstßewerbcschule  der  „Un- 
terrichtsanstalt  des  staatlichen  Kunstfiewerbe- 
museums",  wie  sie  offiziell  heißt,  zu  den  Ver- 
anstaltungen, die  dem  Berliner  Wintervergnügen 
seinen  besonderen  Charakter  verleihen.  Mit 
Freude  und  Wehmut  denkt  man  an  die  F'este 
vor  dem  Kriege,  den  Zirkus,  die  Modetorheiten, 
das  Fest  des  weißen  Elefanten,  die  Harlekinade, 
die  von  der  Schülerschaft  immer  mit  Geschick 
und  Eifer  in  glänzendstem  Rahmen  veranstaltet 
worden  waren.  Der  Krieg  ließ  eine  Pause  ent- 
stehen. Und  noch  vor  wenigen  Wochen  fand  in 
der  großen  Halle  der  Unterrichtsanstalt  eine  Ge- 
dächtnisausstellung der  gefallenen  Schüler  statt. 
Doch  auch  die  Lebendigen  wollten  zu  ihrem 
Recht  kommen.  Es  sollte  ein  Fest  werden,  das 
wie  eine  Insel  der  Seligen  aus  dem  grauen  Meer 
des  Alltags  herausragen  sollte.  Fin  Künstler- 
fest aller  Länder  und  Zeiten  war  als  Leitmotiv 
gedacht.  Dabei  sollten  die  Exoten  nicht  zu 
kurz  kommen  !  Und  das  Wichtigste:  Durch  das 
Entgegenkommen  des  Direktors  Bruno  Paul 
konnte   das   Fest    in   den   Räumen   der  Schule 


selbst  stattfinden.  Das  hatte  den  Vorzug,  daß 
die  Dekorationen  in  reichlicherem  Maße  als 
sonst  angebracht  werden  konnten :  Zeit  dazu 
war  vorhanden,  da  das  Lokal  ja  nicht  erst  am 
Tage  vorher  frei  wurde  wie  die  zu  mietenden 
Säle;  und  was  man  an  der  Miete  sparte,  kam 
ebenfalls  den  Dekorationen  zu  gut. 

Der  Erbauer  des  Neubaus  des  Kunstgewerbe- 
museums, der  die  Bibliothek  und  den  größten 
1  eil  der  Unterrichtsanstalt  birgt,  der  verstor- 
bene Baurat  Büttner,  hatte,  dem  Vorbilde  des 
genialen  Erbauers  des  Berliner  Amtsgerichts, 
Schmalz,  folgend,  einen  reichlichen  Aufwand 
an  gewaltigen  Treppenhäusern  und  weiträumi- 
gen Korridoren  getrieben,  freilicii  ohne  in  künst- 
lerischer Beziehung  auch  nur  von  ferne  sein 
Ideal  zu  erreichen.  Nun  kamen  zum  ersten 
Male  die  weiten  Räumlichkeiten  ins  rechte  Licht. 
Das  unwahrscheinlich  öde  Gebäude  in  seiner 
kahlen  Nüchternheit,  die  durch  eine  stümper- 
hafte Barockverziererei  nur  noch  gesteigert  wird, 
war  eine  Nacht  lang  bunt  und  lebendig,  wie  ein 
Märchen  aus  1001  Nacht  nur  irgend  sein  kann. 
—  „Der  tolle  Slakugemu"  war  der  rätselhafte 


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UI.  AprllMii  1920.  7  ' 


llas  Kiivstlrrfcst  der  Berliner  Ktivsts^CiVerheschule. 


60 


KOSTÜME  VOM  KUNSTLERFEST. 

Titel  des  Festes.  Doch  man  ist 
seit  der  „Wumba"  und  „Damu- 
ka"  an  das  Lösen  solcher  Rätsel 
gewohnt.  Das  Abkürzungsun- 
getüm hatte  aber  durch  den 
Klang  derSilben  gleichsam  durch 
die  Magie  onomatopoetischer 
Laute  ein  eigenes  Leben  erhal- 
ten. Die  tolle  Statue  des  Titel- 
helden, stakig,  mysteriös,  exo- 
tisch, die  Expression  von  etwas, 
was  es  gar  nicht  gibt,  war  mitten 
auf  der  großen  Freitreppe,  den 
neugierigen  Besuchern  zunächst 
noch  verhüllt,  als  Symbol  der 
neuen  Zeit  aufgestellt.  Erst 
als  sich  das  Haus  gefüllt  hatte, 
ging  unter  Blitz  und  Donner  die 
Enthüllung  vor  sich  und  in  silb- 
rig violettem  Licht  stand  der 
tolle  Stakugemu  unter  der  bun- 
ten Schar  seiner  Verehrer.  — 
Die  große  Treppenhalle  war  zu 
einer  Symphonie  von  Karmin- 
rot, Orange  und  Weiß  umgestal- 
tet worden;  das  zu  stark  ge- 
dämpfte Licht  ließ  freilich  die 


Farben  nicht  so  kräftig  wirken,  wie  sie  wohl  ursprüng- 
lich gedacht  waren.  Am  Eingang  standen  zwei  phan- 
tastische, bunte  Ungeheuer,  die  jedem  Negerbildhauer 
zur  Ehre  gereicht  hätten.  Sie  paßten  wundervoll  in  den 
Rahmen  des  Festes:  ganz  stakugemu!  Nur  ganz  leise 
meldet  sich  das  Bedenken,  daß  vielleicht  bald  kleine 
Stakugemus  dieser  Art  nicht  bloß  als  Künstlerwitze  auf 
Kostümbällen,  sondern  in  Kunstausstellungen  als  voll- 
wertige ernsthafte  Leistungen  uns  angrinsen  werden. 

Die  große  Halle  war  als  Raum  bedeutend  dankbarer. 
Obwohl  auch  in  gewöhnlichem  Zustande  durch  2  seitige 
Beleuchtung  denkbar  ungemütlich,  wurde  sie  nun  durch 
eingespannte  Füllungen  zu  einem  schönen  geschlossenen 
Saal.  Das  freundliche  Resedagrün  bildete  mit  dem  fröh- 
lichen Karminrot  mit  etwas  Weiß,  Braun  und  Schwarz 
einen  angenehmen  Grundton.  Die  Malerei  war  nicht 
allein  als  Witz  gelungen,  sondern  als  künstlerische 
Leistung  ernst  zu  nehmen;  sie  gemahnte  an  Phantasien 
des  Rokoko;  es  tat  einem  ordentlich  leid,  daß  sie 
nicht  dauernd  in  der  Halle  bleiben  konnte. 

Außer  den  Korridoren  und  Treppenhäusern  waren 
noch  eine  Anzahl  von  anstoßenden  Klassenräumen  als 
Theater,  Kosewinkel,  Weinstuben  und  dergleichen  ein- 
gerichtet worden.  Insbesondere  die  Weinstube,  die  von 
der  Klasse  Caesar  Kleins  ausgemalt  war,  konnte  als  At- 
traktion gelten.  Das  Wüsteste  des  Expressionismus  war 
hier,  bunt  in  bunt,  ganz  zügellos,  zu  einer  leicht  ange- 
trunkenen Phantasie  zusammengeschlossen.    Besonders 


Vi>M  KINSTLERKEST  DER  UNTERRICHTSAXST.  DES  KUNSTGEWERBE-MUSEUMS 


Das  Küiistlcrfrst  der  Bfrliiirr  Kitiistze'tvcrheschidc. 


KOSTÜMK  VLi.M  KLXSTLEKKESr. 

geschickt  war  der  Fußboden  durch 
tolle  Linien  mit  in  die  Harmonie  des 
Raumes  einbezogen.  Als  i-Punkt  hing 
von  der  Decke  ein  kostbares  buntes 
Schweinewesen,  das  durch  die  Leucht- 
kraft seines  runden  Bäuchleins  den 
Raum  mit  mildem,  farbigem  Licht  über- 
strahlte. —  Daneben  war  die  Opium- 
höhle von  der  Klasse  E.  R.  Weiß  aus- 
staffiert, direkt  ein  Kirchenraum.  Ein 
quadratischer  Raum,  darum  rote  Chi- 
nesen als  Karyatiden,  die  ein  zeltartiges 
Dach  trugen,  von  dessen  Spitze  das 
Licht  herableuchtete.  Schwarz  mit  sil- 
bernen Sternen  bildete  den  Grundton. 
Ein  Raum  zum  Träumen,  wie  er  nicht 
besser  gemacht  werden  kann.  —  Daran 
cuistoßend  das  neuseeländisch  anmu- 
tende intime  Theater  der  Klasse  Böhm 
mit  der  leuchtenden  Bühne,  die  durch 
einen  Silberpapier -Hintergrund  uner- 
hört kostbar  aussah.  —  So  hatten  Alle 
nach  Kräften  das  Ihre  zu  der  gelun- 
genen Dekoration  beigetragen.  Vor 
allem  war  zu  bewundern,  wie  mit  ein- 


fachen Mitteln  die  Räume  zu  der 
frohen  Feststinmuing  umgewandelt 
wurden.  Hundert  kleine  Erfindungen 
ließen  das  Unmögliche  zur  Wahrheit 
werden.  Einst  hatte  der  Direktor 
Bruno  Paul,  dem  von  befreundeter 
Seite  der  Vorschlag  gemacht  wor- 
den war,  die  Räume  der  Unter- 
richlsanslalt  durch  Farbe,  Zudecken 
der  kläglichen  Ornamente  und  der- 
gleichen etwas  menschenwürdiger 
zu  gestalten,  den  Ausspruch  getan: 
„Was  man  auch  macht,  es  wird  im- 
mer scheußlich  bleiben!"  Nun  haben 
seine  eigenen  Zöglinge  dem  skepti- 
schen Urteil  die  Spitze  abgebrochen. 
Sie  haben  dem  Fest  einen  so  herr- 
lichen Rahmen  geschaffen,  daß  es  in 
der  Tat  als  die  hervorragendste  Ver- 
anstaltung des  heurigen  Winters  in 
Berhn  bezeichnet  werden  muß.  Und 
wie  der  Rahmen  war  das  Bild,  das  er 
umschloß;  Bunt,  froh,  lebendig;  Bild 
und  Rahmen  aber  hatten  einen  Fehler: 
die  allzu  kurze  Dauer,  uk.  k.  bi  kmiii  i.i. 


■♦''5 


KOSTÜME  VOM  kOnsTLF.RFF.ST  »ER  U.NTF-RRICHTSANSTALT. 


61 


MASKKN   VOM   KINSTI.KKFEST. 


UNTEKKICHT.S-ANSTALT,  ÜERLLN. 


DER  QUELL  DER  KUNST. 


Die  Antipathie  der  Künstler  gegen  die  Ästhe- 
tik erklärt  sich  sehr  einfach  daraus,  daß 
fast  alle  philosophische  Betrachtungsweise  im- 
mer wieder  begriffliche  Erkenntnis  als  Maßstab 
an  die  Kunstwerke  legt.  Selbst  Schopen- 
hauer, obwohl  wir  ihm  so  wertvolle  Urteile 
über  das  künstlerische  Schaffen  verdanken, 
schreibt:  „Der  Künstler  läßt  uns  durch  seine 
Augen  in  die  Welt  blicken.  Daß  er  diese  Augen 
hat,  daß  er  das  Wesentliche  außer  allen  Rela- 
tionen liegende  erkennt,  ist  die  Gabe  des 
Genius,  das  Angeborene  ;  daß  er  aber  im  Stande 
ist,  auch  uns  diese  Gabe  zu  leihen,  uns  seine 
Augen  aufzusetzen,  dies  ist  das  Erworbene,  das 
Technische  der  Kunst".  Auch  hier  also  begeg- 
nen wir  wieder  dem  Worte  „erkennt".  Aber 
der  Kunst  ist  es  bei  ihrem  Schaffen,  so  wenig 
wie  der  Natur,  um  die  Erkenntnis  des  We- 
sens der  Dinge  zu  tun. 

Ich  begrüße  es  daher  freudig,  daß  Erich 
Major  in  seinem  Buch:  „Die  Quellen  des  künst- 
lerischen Schaffens"  (verlegt  bei  Khnkhardt  & 
Biermann,  Leipzig)  nicht  von  der  Wirkung  der 
Kunst,   sondern  von  ihrer  Entstehung   ausgeht. 


Er  nimmt  einen  ursprünglichen  Kunsttrieb  an 
und  erkennt  ihn  im  spezifischen  Sehnsuchts- 
gefühl des  Künstlers.  „Die  Sehnsucht  nach 
dem  von  uns  geliebten,  d.  h.  dem  uns  schön 
erscheinenden  ist  es,  die  den  Künstler  begei- 
stert". Aber  ein  anderes  Element  muß  hinzu- 
kommen. Major  nennt  es  „den  Willen  zur  Ver- 
ewigung". Diese  Verewigung  ist  für  den  Künstler 
nur  im  Anorganischen  möglich.  „Der  Lust- 
wert der  Kunst  beruht  auf  dem  Herausziehen 
der  Erscheinung  aus  den  Zufälligkeiten,  aus  den 
oft  peinlichen  und  jammervollen  Wechselfällen 
desLebens  in  die  Sicherheit  des  Anorganischen". 
Aber  Eros  und  Wille  ergeben  noch  kein 
Kunstwerk.  Es  muß  die  Synthese  des  Gefühls, 
des  Willens  und  des  Gedankens  hinzutreten ; 
denn  es  kommt  letzten  Endes  doch  auf  das  an, 
was  Wilhelm  Wundt  „schöpferische  Resul- 
tante" nennt.  Das  heißt:  verschiedene  Ele- 
mente der  Aktivität  setzen  sich  zusammen  und 
sind  in  der  Gemeinschaft  mehr  als  die  Addition 
dieser  Einzelkräfte.  Auch  Majors  vielfach 
tastender  Versuch  ergibt  noch  kein  klar  er- 
schautes   Ergebnis.     Zu    diesem    gelangen    wir 


62 


Der  (htell  der  Kunst. 


nach  meiner  Überzeugung  am  sichersten,  wenn 
wir  von  Henri  Berjison's  Lehre  ausgehen, 
daß  die  Natur  nicht  einmahge  Schöpfung  ist, 
sondern  allzeit  lebendiger  schöpferischerWille. 
Diese  Einsicht  auf  die  Kunst  angewandt, 
dürfte  uns  dazu  führen,  was  Major:  Eros  und 
femer  Wille  zur  Verewigung,  sowie  Fähigkeit 
zur  Synthese  nennt,  nur  als  Voraussetzungen, 
nicht  aber  als  Quellen  der  Kunst  zu  bezeichnen. 
Der  Quell  der  Kunst  ist,  ebenso  wie  bei  der 
Natur,  ein  in  uns  lebender  schöpferischer  Wille. 
In  der  Natur  schafft  dieser  Wille  nur  aus  dem 
Unbewußtsein,  in  der  Wissenschaft  gestaltet  er 
aus    dem    Bewußtsein.     Wo    aber    haben    wir 


diesen  Quell    zu   suchen,    wenn    wir    nach   der 
Entstehung  des  Kunstwerks  fragen  ? 

Nicht  im  Unbewußtsein:  denn  das  Kunstwerk 
ist  das  „schon  durch  ein  Subject  hindurch  ge- 
gangene Object"  (Schopenhauer);  aber  auch 
nicht  im  Bewußtsein  ;  denn  mag  dieses  noch  so 
sehr  bei  der  Ausgestaltung  mitwirken,  alle 
künstlerische  Geburt  erfolgt  unbewußt,  l'-s  zeigt 
sich  also,  daß  wir  hier  eines  weiteren  Begriffs 
bedürfen,  und  dieser  Begriff  ist  unserer  Zeit 
geboten  in  der  Vorstellung  des  Unterbewußt- 
seins. Das  Unterbewußtsein  nimmt  Gefühle 
und  Gedanken,  welche  die  Sinne  unserem  Be- 
wußtsein übermittelten,  auf,  assimiliert  sie  un- 


v.i.M  kC.\,sii,krh.>i  I)i:k  UMi;KKu;iir.'>-.\.N.vi.\i.r  Di..s  klnsigf.wt.kiii  •.\n>i;r.M^.  m  ki.in 


63 


Der  Quell  der  Kunst. 


serer  Seele,  wie  der  menschliche  Leib  Nahrung 
sich  assimiliert  und  sie  in  Zellen  verwandelt. 
Wir  kommen  also,  wenn  wir  die  Entstehung 
des  Kunstwerks  erklären  wollen,  nicht  ohne 
eine  metaphysische  Erklärung  aus,  wie  sie  in 
der  Bezeichnung  schöpferischer  Wille  liegt. 

Damit  müssen  wir  uns  begnügen;  denn  wir 
können  nicht  endlos  nach  einer  Ursache  der 
Ursache  fragen  ohne  zu  mythologisierenden 
Vorstellungen  zu  gelangen.  Aber  wir  dürfen 
uns  auch  damit  begnügen,  denn  wir  haben  da- 
mit das  Tiefste  erlangt,  was  sich  erreichen  läßt, 
nämlich  eine  Analogie  der  organischen  Natur. 
Alles  was  das  Selbstbewußtsein  uns  als  letztes 
bietet,  ist;  schöpferischer  Wille.  Wir  dürfen 
uns  glückhch  schätzen,  auf  diesem  Weg  die  so 
oft  widersprechend  beantwortete  Frage  nach 
dem  Verhältnis  des  Unbewußten  und  Be- 
wußten in  der  Kunst  klar  stellen  zu  können. 
Im  Unterbewußtsein  verbinden  sich  ehemals 
mehr  oder  minder  bewußte  Gefühle  und  Ge- 
danken, um  vom  schöpferischen  Willen  befruch- 
tet, ein  Neues  erstehen  zu  lassen.  Meine  Ant- 
wort auf  die  Frage,  wo  ist  der  Quell  des  künst- 
lerischen Schaffens  zu  suchen,  lautet  daher:  im 
schöpferischen  Willen   des   Unterbewußtseins. 


Dort  waltet  das  Unendliche  und  bemächtigt 
sich  des  Endlichen,  das  ihm  die  Anschauung 
zugeführt  hat.  Dort  vollzieht  sich  die  Intuition, 
jenes  durch  keine  Erkenntnis  vermittelte,  son- 
dern unmittelbare  Erleben  der  Wirklichkeit. 
Aber  eben  darum  wird  auch  für  den  Genießen- 
den ein  Kunstwerk  nur  dann  lebendig,  wenn 
seine  Seele  sich  intuitiv  verhält.  Die  Wissen- 
schaft mag  uns  noch  so  viel  von  ästhetischen 
Phänomenen  erzählen,  nur  im  unmittelbaren  Er- 
leben kann  es  erstehen,  nur  im  unmittelbaren  Er- 
leben kann  es  genossen  werden.      kakl  heckel. 

Allerdings  ist  in  der  Kunst  und  Poesie  die  Per- 
L\  sönlichkeit  alles;  doch  hat  es  unter  den 
Kritikern  und  Kunstrichtern  schwache  Person- 
nagen gegeben,  die  dieses  nicht  zugestehen  woll- 
ten. .  .  .  Aber  freilich,  um  eine  große  Persön- 
lichkeit zu  empfinden  und  zu  ehren,  muß  man 
auch  wiederum  selber  etwas  sein.  Alle,  die  dem 
Euripides  das  Erhabene  abgesprochen,  waren 
arme  Heringe  und  einer  solchen  Erhebung  nicht 
fähig;  oder  sie  waren  unverschämte  Charlatane, 
die  durch  Anmaßlichkeit  in  den  Augen  einer 
schwachen  Welt  mehr  aus  sich  machen  wollten 
und  auch  wirklich  machten,  als  sie  waren,  goethe. 


VOM  KU.NSTLERFEST  der  r.NTERRICHrs-.\N.ST.\I.T  DES  KU.N.STGEWERKE-MU.SEUMS— BERLIN. 


MAX.  PECHSTEIN    BERLIN.  KUNSTVERGI^ASUNG  .MADONNA. 

IM  KUNST.SAJ.ON  FRITZ  GURLITT-BERUN.    AUSFÜHRUNG:  PUHL  i<  WAGNER,  HEINER.SDORFF-BERUN. 


11.  AprII-Mll  19X.  3 


MAX  PECHSTEIN -BERLIN.  »TEIL  EINER  KUNSTVERGLASUNG« 
IM  KUNSTSALON  FRITZ  GURLITT- BERLIN.    AUSFÜHRUNG:  PUHL  &  WAGNER,  HEINERSDORFF-BERLIN. 


MAX  PECHSTIilX-BEKI.IN.    TEIL  EINKR  KrNSlVERGLASUNC. 

IM  Kl-NSTSALON  fKllV.  GUKI.ITl   -Bl.KUX.  AISFLHKUNG:  CUHL  >v  WAGNER,  HEINEKSDORIK     l.KKl.lN. 


STAATS-FACHSCHULE  IN  HAIDA. 


»GLASER  MIT  SCHLIEF  UND  GR.\ VIERUNG« 


HANDARBEIT  UND  MASCHINENARBEIT  IM  SCHMUCK  DES  GLASES. 


Es  gab  eine  Zeit  —  und  es  ist  dies  noch  gar 
nicht  so  lange  her  —  da  standen  einander 
Handarbeit  und  Maschinenarbeit  mit  der  größ- 
ten Feindschaft  gegenüber.  Der  seinerzeit  viel- 
gefeierte englische  Reformator  Morris  ließ  die 
erstere  gelten  und  suchte  auf  jedes  Maschinen- 
produkt Pech  und  Schwefel  herabregnen  zu 
lassen.  Daß  bei  aller  Hochschätzung  künst- 
lerischer Einzelarbeit  maschinelle  Vervielfäl- 
tigungen, die  die  hochentwickelte  Technik  des 
19.  Jahrhunderts  in  virtuoser  Weise  zu  vervoll- 
kommnen verstand,  nicht  mehr  entbehrt  werden 
können,  daß  es  das  Rad  der  Entwicklung  zurück- 
schrauben hieße,  wollten  wir  lediglich  bei  der 
mittelalterlichen  Handwerksart  bleiben,  haben 
wir  längst  erkannt.  Die  Großindustrie  wird  sich 
die  Herstellung  der  zahllosen  kunstindustriellen 
Erzeugnisse  nie  entwinden  lassen;  ja  wir  selbst 
werden  sie  gar  nicht  entbehren  können,  und 
zwar  in  der  uns  bevorstehenden  großen  Spar- 
samkeitsperiode weniger  denn  je.  In  vielen  Be- 
ziehungen ist  eben  die  Maschine  nicht  nur  eine 
geniale  technische  Erfindung,  sondern  einfach 
ein  verbessertes  Werkzeug,  das  mit  der 
größten  Pünktlichkeit  arbeitet. 

Am  wenigsten  haben  die  technischen  Fort- 
schritte das  Gebiet  der  Keramik  und  des 
Glases  berührt.  Alle  vorbereitenden  Mani- 
pulationen, die  das  Zerkleinern,  Reinigen  und 
Mischen  der  Rohstoffe,  sowie  die  Feuerungs- 
anlagen betreffen,  sind  allerdings  in  staunens- 


werter Weise  verbessert  worden.  Die  Herstel- 
lung der  Objekte  selbst  jedoch  erfolgt  heute 
noch  so  ziemlich  unter  denselben  Voraus- 
setzungen wie  vor  Jahrhunderten.  In  der  Glas- 
industrie bläst  der  Arbeiter  seine  Gläser  an  der 
Pfeife  wie  seit  fast  zwei  Jahrtausenden  und  nur 
für  ordinäres  Flaschenglas  sind  besondere  Glas- 
blasemaschinen erfunden  worden,  deren  Pro- 
dukte jedoch  nur  industriell,  keineswegs  kunst- 
gewerblich zu  werten  sind.  Der  Glasraffineur 
malt,  ätzt,  schleift  oder  schneidet  wie  früher 
seine  Stücke,  nur  daß  er  gelegentlich  auch  vom 
Umdruck  oder  von  der  Guillochierung  Gebrauch 
macht  oder  daß  verschiedene  Erzeugnisse  des 
Schliffs  durch  gepreßte  oder  wenigstens  vorge- 
preßte Gegenstände  verdrängt  wurden.  —  Im 
allgemeinen  steht  in  der  Gläserdekoration  die 
Handarbeit  mehr  oder  weniger  nach  altehr- 
würdigem Verfahren  weitaus  im  Vordergrund. 
Ist  aber  deswegen  die  neuzeitliche 
Produktion  auf  diesem  Felde  erfreulich? 
—  Wenn  man  verschiedene  Leipziger  Messen 
gesehen  hat,  wird  man  dies  leider  nicht  bejahen 
dürfen.  Freilich  das  meiste,  was  uns  die  zahl- 
reichen Firmen  in  fabelhaft  reicher  Musterkarte 
vorzuführen  haben,  ist  „Echte  Handarbeit". 
Und  doch  die  meisten  der  Tausende  und  aber 
Tausende  von  Stücken,  für  die  der  im  Gebirge 
sitzende  Maler  einen  lächerlich  niedrigen  Ar- 
beitslohn für  das  Dutzend  oder  das  Gros  zu  be- 
kommen pflegt,   sind   so  wenig   erfreulich,   daß 


68 


Handarbeit  itiid  Maschinenarbeit  im  Schmuck  des  Glases. 


70 


man  auf  solclic  „Handarbeit"  gerne  verziciitet. 
—  Da  sollte  dann  doch  Wandel  geschaffen  wer- 
den, damit  der  Begriff  „Handarbeit"  nicht  dis- 
krediert  werde.  Es  ist  dies  einzig  und  allein 
nur  möglich,  wenn  man  eine  Trennung  zwischen 
den  wohlfeilen  Gegenständen  macht,  bei  denen 
auch  die  Maschine  herangezogen  werden  darf, 
die  sich  jedoch  im  allgemeinen  möglichst  frei 
von  jedem  sogenannten  „Schmuck"  halten  sol- 
len, einerseits,  und  andererseits  zwischen  den 
natürlich  viel  besser  zu  bezahlenden  Elinzel- 
stiicken,  bei  denen  man  etwas  von  der  Seele 
des  Künstlers  herausfühlen  muß.  Allerdings 
müßten  zu  diesem  Zweck  gerade  Einzelkunst- 
leistungen der  Glasdekoration  mehr  vor- 
geführt und  gewürdigt  werden  können,  als  dies 
bisher  der  Fall  war.  Während  man  in  der  Kera- 
mik doch  noch  häufiger  Einzelkunstwerke  zu 
sehen  bekam,  sind  solche  auf  dem  Gebiete  der 
Glasdekoration  leider  eine  immer  größere  Sel- 
tenheit geworden.  Wenn  ich  von  Kunstwerken 
spreche,  meine  ich  jene  poesievollen  Einzel- 
schöpfungen besonders  tüchtiger  Spezialkünst- 
1er,  die  eben  als  Vergleichsmaßstab  unbe- 


dingt erforderlich  sind.  Hätte  es  in  früheren 
Jahrhunderten  Ausstellungen  in  unserem  Sinne 
gegeben,  so  wären  Glaskünstler  wie  Schwan- 
hardt  oder  Schwinger,  Spiller  oderGun- 
delach,  Schaper  oder  Kunkel,  Sang  oder 
Greenwood,  Mildner  oder  Mohn,  solche 
Persönlichkeiten  gewesen,  deren  Werke  man 
zur  andächtigen  Bewunderang  den  Dutzend- 
waren ihrer  Zeitgenossen  hätte  gegenüberstellen 
müssen.  —  Aber  auch  die  Gegenwart  hat  auf 
dem  Gebiete  der  Glasdekoration  verschiedene 
tüchtige  Meister,  welche  als  Schrittmacher 
bei  keiner  großen  Ausstellung  fehlen  sollten. 
Was  z.  B.  die  Kreise  der  Wi  ener  Werkstätte 
zu  bieten  haben,  sowie  die  Anregungen,  die  von 
der  Fachschule  in  Hai  da  ausgegangen  sind,  hat 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  Schule  gemacht. 
Daneben  muß  aber  auch  wenigstens  ab  und  zu 
verschiedenes  vorgeführt  werden,  was  eine  be- 
sondere Rekordleistung  repräsentiert,  wie  die 
Arbeiten  des  jetzt  in  Stuttgart  lebenden  Wil- 
helm von  Eiff,  den  man  ruhig  als  den  ersten 
Glasschneider  der  Welt  bezeichnen  kann 


PROFESSOR  GUST.W  K.  P.VZAUREK-  .STUITGAK 1. 


ST.V.\TS-FACHS(HL-LE  IN  HAIDA.  »GESCHLIFKE.NES  ÜliERFA.\GGI..\S« 


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1.  PREIS,    zu;  AKRTN-l-ArKINT.  •  IH-CKF.I.BII.I).' 


r.RXST  HF.rOF.NMndSICK— MUNCHKN. 


GUTE  ZIGARREN-PACKUNGEN. 

AUSSTELLUNG  DES  »tKEIEN  BLMJES«   IN   DER  STADT.  kU.sslHALI.E  M.VNNllEI.M. 
ERGEBNISSE  EINES  WETTBEWERBS  DER  KIRM.V  PAUL  J.  I.ANDMANN,  MANNHEIM. 


Kein  Gebiet  der  Gebrauchsgraphik  ist  an 
eine  so  eigensinnige  Tradition  und  an  einen 
so  besonderen  Geschmack  des  breiten  Pubh- 
kums  gebunden,  wie  die  Zigarren-Packung.  So 
müßte  man  sagen,  wenn  man  den  Zigarren- 
fabrikanten Glauben  schenken  will,  die  allen 
neuen  Versuchen  immer  wieder  die  Einrede 
entgegenhalten:  so  etwas  wolle  ihr  Käuferkreis 
nicht,  oder:  das  alles  möge  gute  Kunst  sein, 
aber  ihr  Pubhkum  sei  dafür  noch  nicht  „reif". 
Mit  solchen  Flntgegnungen  stellt  sich  der  Pro- 
duzent abwehrend  vor  seine  Kunden,  deren  an 
und  für  sich  neutralen  Geschmack  (denn  sie 
kaufen,  was  sie  sehen)  er  so  bei  seinem  ein- 
seitigen Urteilsvermögen  einseitig  präjudiziert. 
Immer  war  es  die  sogenannte  echte  Packung, 
die  die  Richtung  angab,  jener  Kistenschmuck, 
der  den  Havanna-Zigarren  mit  auf  den  Weg  ge- 
geben wurde.  Nach  dem  besonderen  Geschmack 
ihrer  südlichen  Heimat  war  sie  über  und  über 
bedeckt  mit  erhaben  geprägten  Goldmünzen, 
die  zuerst  als  wirklich  verliehene  Auszeich- 
nungen der  Zigarrenfabriken,  noch  eine  schwa- 
che innere  Berechtigung  hatten,  die  aber  schließ- 
lich als  willkürlich  erfundene  Medaillen  nur  ein 
gedankenloses  Schnuickelement  darstellten.  Sie 
umrahmten  in  Verbindung  mit  einem  Ornament 


aus  Tabakblättern  südländische  Motive,  Szenen 
aus  den  Tabakplantagen,  Ansichten  von  Ha- 
vanna und  ähnliches.  Da  nun  auch  das  ein- 
heimischste Kraut  wenigstens  in  seiner  Auf- 
machung einer  echten  Havanna  gleichen  sollte, 
hielt  man  sich  ganz  und  gar  an  die  ausländischen 
Vorbilder,  wobei  man  sich  durch  übertrieben 
süßliche  Farbengebung,  durch  geschmacklose 
Auswahl  der  Motive  und  dilettantische  Art  der 
Zeichnung  bemühte,  südländischer  zu  tun  als 
der  Südländer  selbst. 

Freilich  gab  es  eine  Zeit  —  sie  liegt  etwa 
70  Jahre  zurück  —  die  es  verstand,  in  hand- 
werklich tüchtiger  Arbeit  unter  verständiger 
Verwendung  der  wesentlichen  traditionellen 
Elemente  reizvolle  Packungen  zu  fertigen.  Da- 
mals stand  dem  Handwerker  noch  Gefühl  für 
Sachechtheit,  Erfindungsreichtum  und  techni- 
sches Können  zur  Lösung  einer  solchen  Auf- 
gabe, mit  der  wir  heute  leider  den  Künstler 
beauftragen  müssen,  zur  Verfügung  Die  Er- 
innerung an  die  Zeit  dieses  Könnens  ist  in  un- 
seren Tagen  fast  ganz  geschwunden. 

Worauf  es  nun  heute  bei  dem  reizvollen 
Sondergebiet  der  Zigarren-Packung  hauptsäch- 
lich ankommt,  ist  dieses:  an  die  guten  Inhalte 
der    Tradition    anzuknüpfen,    ihre    Wesensele- 


75 


111.    April-Mai  l<nO.  9 


Gute  Zigarren -Packungen. 


76 


II.  PREIS.    ZIGARREN-PACKUNG  •  nECKEI.RIir). 


mente  zu  übernehmen,  um  sie  in  einheitlicher 
Verschmelzung  mit  den  Erkenntnissen  und 
Schöpfungen  des  modernen  Kunstgewerbes  zu 
einer  künstlerisch  einwandfreien  Höhe  zu  brin- 
gen. Daß  die  Bestrebungen  des  modernen 
Kunstgewerbes  hier  noch  am  wenigsten  Fuß 
fassen  konnten  ist  deshalb  besonders  merk- 
würdig, weil  von  allen  Arten  der  angewandten 


WILHELM  SCHN.VRREXBERGKR— MÜNCHEN. 


Graphik  die  Zigarren-Packung  das  umfangreich- 
ste Gebiet  darstellt:  hier  verlangt  die  ungeheure 
Zahl  der  verschiedenen  Marken  und  der  rasche 
Wechsel  der  Sorten  einen  gewaltigen  Bedarf 
verschiedenartigster  Sujets. 

Die  grundsätzlichen  Forderungen,  die  eine 
Zigarren-Packung  stellt,  sind  im  allgemeinen 
dieselben,  wie  bei  jeder  anderen  Packung,  etwa 


II.  PREIS.    .\T-FLEGER.    ^\^I.HELM  SrHNWRREXBEROER- MÜNCHEN. 


Gute  Zigarrin -Packungrn. 


111.  PREIS.    UECKEl.lUl.l). 


für  Zigaretten,  Keks,  Seife  oder  Kaffee:  klare, 
kontrastreiche,  geschmackvolle,  ausdrucksstar- 
ke, färb-  und  formschöne  Darstellung  eines 
packenden,  prägnanten  und  besonderen  Ein- 
falls, mit  der  Absicht,  die  Aufmerksamkeit  eines 
an  der  Auslage  gleichgültig  Vorbeiwandelnden 
an  sich  zu  reißen  und  dann  dem  Käufer  im 
Laden  seine  Marke  so  unvergeßlich  einzuprägen. 


ERICH  M.  SIMON-  KEKl.lN. 


daß   er,   wo  auch  immer,   sie  wieder  erkenne 
und  wieder  nach  ihr  verlange. 

Zu  diesen  generellen,  sozusagen  plakalmäßi- 
gen  Erfordernissen  tritt  jedoch  bei  der  Zigarren- 
Packung  noch  ein  Besonderes;  und  dieses  Spe- 
zifikum  vermag  gerade  die  traditionelle  Packung 
zu  lehren,  wenn  man  deren  Wesen  recht  er- 
kennt.   Das  unbestimmbare  Gefühl  des  enra- 


EBI 


•.  .  ■  -  . 

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111.  PREIS.    ZIGARREN-P.\CKUNG  •  AUFLEGER.    ERICH  M.  SIMON— BERUN. 


77 


Gutt   7.ig(irrcii - Packimgiii. 


78 


/.ii;akke.\-packu>jg  •  deckelbild. 


jiierten  Rauchers  fordert  von  der  Beklebung 
seiner  Zigarrenkiste  etwas,  was  man  den  „Ta- 
bakgeruch" nennen  möchte,  den  die  Zigarren- 
Packung  von  sich  ausstrahlen  soll,  der  sie  nur 
für  ihre  Bestimmung  prädestiniert  erscheinen 
läßt  und  sie  scharf  unterscheidet  von  jeder  an- 
deren Packungsart,  sie  sei  für  Tee  oder  Seife. 
Worin  dieses  Tabakgemäße   nun  eigentlich  be- 


AVII.HEl.M   SlHNAKRENliEKGER-Ml-'NCHEX. 


steht,  ist  formelhaft  nicht  festzulegen.  Bald  ist 
es  das  Fremdländische  im  dargestellten  Motiv, 
bald  das  Motiv  selbst :  Darstellungen  der  Tabak- 
pflanze und  der  Tabakverarbeitung  oder  Szenen 
aus  dem  Leben  des  Rauchers;  manchmal  gibt 
nur  die  Farbe,  das  gelbliche  Braun  des  Tabaks, 
das  charakteristische  Gepräge. 
—  Von  der  Erkenntnis  dieser  Wesenheiten  aus- 


L  A   P X% 


ZKIARREX-PACKUXG  .  DECKELBHIi     WUHEIM  S(  HN ARRENBEROER-MÜNCHEN . 


Gute  Zt'garrni  - Packuni^cii. 


W         A         B  A  rV  I\  A       * 


/.KiARKKN-rACKlXi;  .  DEl'KKl.HlM). 


(Jeliend,  unternahm  die  lithojSrapliische  Anstalt 
Paul  J.  Landniann ,  Mannheim  in  enger  Zu- 
sammenarbeit mit  der  Städtischen  Kunsthalle 
Mannheim  die  Ausschreibunjs  eines  großzüj^ifSen 
Wettbewerbes,  um  die  Aufmerksamkeit  aller 
schaffenden  Gebrauchsfjraphiker  —  auch  und 
iJerade  der  jungen  und  unbekannten  —  nach- 
drücklich   auf  dieses   Sondergebiet  zu   lenken 


F.KKII   M.  M.MON      IIKRI.LN. 


und  sich  so,  unterstützt  von  einem  aus  Künstlern, 
Kunstsachverständigen  und  Zigarrenfabrikanten 
gleichmäßig  zusammengesetzten  Preisgericht, 
in  den  Besitz  möglichst  hochwertiger  Entwürfe 
zu  setzen.  Die  Beteiligung  war  denn  auch 
außerordentlich  stark  ;  weit  über  800  Entwürfe 
lagen  zur  Begutachtung  vor,  die  im  allgemeinen 
ein  achtbares  künstlerisches  Niveau  einhielten. 


ZIGARREN-PACKUNG  •  DKCKKI  l:ni)     n  1  II-S  NMTSrHF:     MlNrlll\ 


79 


G^ltc  Zigarren -Packungen. 


80 


l*....SL:     .^ 


ZU;AKlUiN-PACKUNG  •  DECKELBILD 


HANS  BOHN-FKANKI-UKT  A.  MAIN'. 


Außer  den  Prämiierungen  der  besten  Arbeiten, 
wurden  15  Entwürfe  preisgekrönt  und  40  Pak- 
kungen  angekauft.  Graphiker  aus  München, 
Stuttgart  und  Frankfurt  a.  Main  dominierten 
unter  den  preisgekrönten  und  angekauften  Ent- 
würfen in  besonderem  Maße.  In  der  Ausstellung 
dieser  prämiierten  Arbeiten,  die  in  der  Städ- 
tischen Kunsthalle  zu  Mannheim  als  Ausstellung 


des  „Freien  Bundes"  stattfand,  fielen  neben 
den  ersten  Preisträgern ,  Ernst  Heigenmooser 
(München),  Wilhelm  Schnarrenberger  (München), 
Erich  M.  Simon  (Berlin),  noch  die  Entwürfe  von 
Hans  Bohn  (Frankfurt  a.  Main),  Tobias  Schwab 
(BerHn),  E.  J.  Margold  (Darmstadt),  Hugo  Frank 
(Stuttgart)  und  Hans  Schreiber  (Offenbach)  als 
besonders  gelungene  Lösungen  auf. 


ZICAKREN-PACKUNO  .  DECKELBILD.    GREIF   liELAVlll    \-s.  1 1  K  AI  )EI;  -  IH  AN'Kl- 1  R  I    A.  MMN. 


Giifi'  Zigarren  -  Packiutgen. 


\ 


ZIGARRF.N-PArKl"NG  •  DF.CKl  I.l'.TI  II. 


In  (Gesonderten  Vitrinen  war  eine  Anzahl  guter 
Zijjarren-Packungen  ausgestellt,  die  außerhalb 
des  Wettbewerbs  in  unmittelbarem  Auftrag  und 
in  enger  Zusammenarbeit  der  Kunsthalle  und 
der  lithographischen  Anstalt  mit  den  einzelnen 
Künstlern  entstanden  waren.  Diese  Gegenüber- 
stellung zeigte  deutlich,  daßdieeinzelnenSchöp- 
fungen,  die  solchen  Aufträgen  entstammen,  im 


fiOriO-    iPtllALMAKK  P 

Al.liERT  Kl\SS— FR.VNKKURT  A.  MAIN. 


allgemeinen  noch  qualitätvoller,  wesensechtcr 
und  packender  sind,  als  die  Ergebnisse  des 
Wettbewerbs,  —  eine  wertvolle  Feststellung, 
die  sich  daraus  erklärt,  daß  verständige  Auf- 
traggeber, die  genau  wissen  was  sie  wollen,  dem 
arbeitenden  Künstler  von  vornherein  ein  an- 
regenderes Gegenüber  bieten,  als  ein  oft  wider- 
spruchsvolles Preisgericht,  auf  dessen  unheit- 


ZIOARRF.X-PACKrXG  •  nFCKF.I.Bn.n.    E.  J.  M.VRGOI.n— n.VRMSTAlJ 


Gh  fr  Ziga  rrc  ri  -  Packu  ngcv . 


82 


/Jl.AKKI'  \-l' AI   kl   Ni.  •    1>1-1  Kl-l,iai,ll. 


liehe  Gesinnung  der  Künstler  sich  nicht  ein- 
stellen kann.  Andererseits  zeigt  der  Vergleich, 
daß  die  Einheitlichkeit  eines  einzelnen  Urteils 
leicht  zu  einer  gewissen  Einseitigkeit  führt,  die 
sich  beiden  außerhalb  des  Wettbewerbs  entstan- 
denen Entwürfen  in  einer  besonders  starken  Be- 
tonung der  rein  traditionellen  Packung  offenbart. 
Ob  das  Ergebnis  dieses  Preisausschreibens 
mithelfen  wird,  die  üblichen  geschmacklosen  Be- 


HAXS  I'AC.E  -MÜNCHEN. 


klebungen  der  Zigarrenkisten  vom  Markte  zu 
verdrängen,  wird  die  Zukunft  zeigen.  Durch 
ähnliche,  frühere  Versuche  anderer  Firmen,  die 
sich  zähe  und  in  undankbarer  Arbeit  für  die 
gleichen  Absichten  einsetzten,  müßte  allmählich 
—  so  sollte  man  glauben  —  ein  Pfad  gebahnt  sein. 
Sache  der  Zigarrenfabrikanten  und  der  Käufer 
ist  es  nunmehr,  ihn  entschlossen  zu  beschreiten 
und  weiterzugehen.  .  .    i>k.  hekbert  tannenü.vum. 


ZUJARREN-PACKUNG  •  nECKI-LRII.D.    T(TBIA.S  SCHWAB  -  H1-:RLIN. 


^s^s^ 


iP«s5»^5S. 


/ 


MOTTO  :   EXOTISCHER  VOGEL 


/ 


fmwtrf:  a.  w.  r.  wt.ismanx— iik.ki.in. 


»KISSEN  KUR  EIN  DAMENZIMMER«. 


ÜBER  DIE  KUNST. 


Es  gehört  zum  Schwersten,  durch  die  Schule 
hindurch  sich  selbst  zu  retten,  zu  lernen 
und  zu  vergessen  und  doch  zu  behalten,  ohne 
es  zu  wissen,  auf  daß  der  Strom  des  Innern 
freie  Bahn  behalte  fürs  Leben 

Kunst  kann  niemals  begriffen  werden,  wie 
der  Schmetterling  seine  Schönheit  verliert,  den 
man  begreift.  Die  Wissenschaft  kann  nur  Kon- 
stellationen für  das  Leben  der  Kunst  ahnen, 
ihre  Linien  sind  alle  falsch.  Ein  Buch  über 
Kunst  lasse  das  Kunstwerk  ganz!  Der  göttliche 
Funke,  der  in  dem  Unteilbaren  ruht,  springe 
über  auf  uns  und  zeuge  ein  neues,  selbständig 
intuitives  Werk,  keine,  wenn  auch  noch  so 
feindifferenzierte  Analyse.  Freude  allein  sei 
der  Kunstwerke  Sendung,  deren  die  Liebe  und 
die  Ehrfurcht  Kinder  sind 

Man  kann  ein  Kunstwerk  zerlegen  wie  ein 
Räderwerk,  wenn  es  auch  ächzt  und  schreit 
bei  jedem  Griff;  man  kann  die  Teile  nach- 
ahmen und  die  Stellungen  der  Teile  zu  ein- 
ander und  es  wird  doch  kein  Kunstwerk  mehr 
daraus.     Es    gibt    keine    Rezepte    für    Kunst. 


Kunst  lernt  man  nicht  auf  der  Schule,  nur  das 
Handwerk  gebrauchen  dafür.  Was  das  Kunst- 
werk ausmacht,  ist  sein  göttliches  Gesetz,  ein- 
gehaucht von  einem  göttlichen  Meister 

* 

Ob  die  Kunst  gewänne,  wenn  plötzlich  alle 
Bücher  über  sie  verschwänden?  Ich  glaube 
wohl.  Wenn  die  gesamte  Kunst  selber  wieder 
spräche,  zu  sich  und  dem  Volk,  da  sollte  es 
wohl  ein  neues  großes  Klingen  geben,  wie  man 
es  im  tiefsten  Innern  ersehnt 

Es  ist  besser,  über  ein  Kunstwerk  zu  schwei- 
gen als  zu  reden  und  so  sich  einfach  den 
Schwingungen   der  Seele   hinzugeben,    die    es 

erzeugt im.  kunrad  \vi:i.\m.\n  i  k. 

Ä 

Ein   wahrer   Glaube ,    welcher   zur   Freiheit 
führt,  fehlt  oft  der  Kunst  unserer  Zeit;  da 
heckt  man  dann  Systeme,  Theorien,  Prinzipien 

aus  und  schwört  auf  sie 

Was  ist  es,  das  den  Künstler  freudig  macht 
und  stark?  Es  ist  ein  Frohgefühl,  weil  er  zum 
voraus  gewußt,  daß  sein  Werk  kommenden  Ge- 
schlechtern Freude  machen  kann,    iians  thoma. 


83 


:UI.  AprilMml  1»Z)    10 


zu  DEN  NEUEN  BAYERISCHEN  POSTWERTZEICHEN. 


Das  bayerische  Postreservat  hat  eine  viel 
jSfößerc  Bedeutung  gehabt  als  nur  die  einer 
verwaltungstechnischen  Eigenbrödelei,  als  vifel- 
che  es  manchem  Norddeutschen  erschienen  sein 
mag,  wenn  er  sich  auf  seiner  Sommerreise  da- 
rüber ärgerte,  daß  seine  Reichsmarken  von 
Aschaffenburg  ab  keine  Geltung  mehr  hatten. 
Es  war  vor  allem  auch  ein  ästhetisches  Reser- 
vat. Der  bayerische  Postillon  im  blauen  Frack 
und  roter  Weste  war  ein  wundervoll  stilechtes 
Stück  Erinnerung  an  die  absolutistische  Zeit, 
und  die  Geschmacklosigkeit  der  Germania  mit 
dem  Blechbusen  ist  uns  in  Bayern  Gott  sei 
Dank  erspart  geblieben.  Jetzt  hat  die  bayerische 
Postverwaltung  unmittelbar  vor  ihrem  Ende 
noch  ein  Preisausschreiben  für  neue  Postwert- 
zeichen zur  Erledigung  gebracht  und  damit  dem 
„öffentlichen  Geschmack",  wenn  dieses  Wort 
gestattet  ist,  einen  sichtbaren  Dienst  erwiesen. 
Denn  die  Ergebnisse  dieses  Preisausschreibens, 
zu  dem  nur  bayerische  Künstler  zugelassen 
waren,  stehen  durchweg  über  dem  Niveau  der 
Nationalversanimlungsmarken. 

Gewiß  leiden  auch  diese  Entwürfe  unter  dem 
Grundgebrechen,  welches  allen  Lösungen  eines 
derartigen  Wertzeichens  für  ein  republikanisches 
Staatswesen  anhaften  wird :  daß  uns  ein  sicht- 
bares Symbol  für  die  deutsche  Republik  fehlt. 
Die  „Idee"  der  deutschen  Republik  gibt  kein 
unmittelbar  sinnenfälliges  Bild.  Man  fühlt  diese 
Verlegenheit  bei  dem  schönsten  Entwurf,  in 
dem  eine  bildhafte  Lösung  versucht  wird,  dem 
von  Franz  Paul  Glaß.  Wenn  der  Volksmund 
diese  Marke  bereits  das  „Brillantenliesl"  ge- 
tauft hat,  so  ist  darin  die  wesentliche  Kritik 
enthalten;  daß  sich  das  Volk  bei  dieser  barock 
bewegten  Frauengestalt,  so  gefällig  sie  gezeich- 
net ist,  nichts  unmittelbares  denken  kann.  Die 
Lösung,  die  Siegmund  v.  Weech  versucht  hat, 
aus  der  Patrona  Bavariae  das  Markenbild  zu 
gewinnen,  muß  in  unserer  Zeit  unvermeidlich 
auf  parteipolitische  Mißdeutung  stoßen.  Als 
ungefährlichste  Lösung  bleibt  immer  wieder,  das 
Markenbild  rein  auf  Schrift  und  Zahl  zu  stellen. 
Lösungen  wie  die  von  Julius  Nitsche  und  Ger- 
hard Franke  sind  durchaus  glücklich  in  Linien- 
führung und  Proportion.   An  diesen  beiden  Ent- 


würfen wird  vielleicht  deutlich,  was  für  das 
ganze  Ergebnis  der  Konkurrenz  in  Anspruch 
genommen  werden  kann  und  was  es  angenehm 
von  der  Reichskonkurrenz  unterscheidet:  daß 
die  Lösungen  sich  angenehm  frei  halten  von 
allem  im  schlechten  Sinn  „Kunstgewerblichen". 
Um  genau  zu  sagen,  was  damit  gemeint  ist, 
müßten  wir  vorerst  analysieren,  worin  das  im 
schauerlichem  Sinne  Kunstgewerbliche  besteht. 
Das  würde  hier  zu  weil  führen.  Genüge  der 
Hinweis,  daß  beispielsweise  eine  kunstgewerb- 
liche Sektflasche  eine  grauenerregende  Vorstel- 
lung wäre.  Eine  Sektflasche,  einschließlich  ihrer 
Staniolbeklebung,  ist  ein  Gebrauchsgegenstand, 
der  älter  ist  als  das  moderne  Kunstgewerbe, 
und  das  Kunstgewerbe  darf  nicht  versuchen  ihn 
zu  modeln.  Ebenso  ist  eine  Briefmarke,  obwohl 
sie  doch  nur  ein  bedrucktes  Stück  Papier  ist 
und  darum  aller  Geschmacklosigkeit  offen  liegt, 
die  man  mit  der  Druckerpresse  anrichten  kann, 
ein  Gegenstand,  der  seinen  eigenen  Stil  hat,  der 
gewahrt  bleiben  muß.  Es  gibt  eine  „Brief- 
markentradition", es  gibt  eine  ganz  gewisse 
Brief markenatmosphäre,  von  der  die  gute  Marke 
umgeben  sein  muß,  wenn  sie  wirklich  postmäßig 
wirken  soll  und  nicht  mit  der  Reklamemarke 
irgend  einer  kaufmännischen  Firma  verwechsel- 
bar sein  soll.  Wenn  man  eine  Briefmarken- 
sammlung von  diesem  Gesichtspunkte  aus  durch- 
blättert, so  wird  man  bald  ein  Gefühl  dafür  be- 
kommen, welche  Marken  in  diesem  Sinne  gut 
sind  und  welche  schlecht.  Uns  will  es  scheinen, 
daß  dieses  Briefmarkenmäßige  der  Wirkung  in 
vielen  Entwürfen  der  bayerischen  Konkurrenz 
erreicht  ist,  und  darum  kann  man  mit  dem  Er- 
gebnis im  allgemeinen  zufrieden  sein.  Daß  es 
teilweise  mit  dem  Mittel  der  Reminiszenz  er- 
reicht wurde,  ist  kein  Einwand.  Unsere  Zeit  ist 
durch  eigenwillige  Lösungen,  die  zu  mißglückten 
Formen  führten ,  in  Schätzung  ihrer  eigenen 
Produktionskraft  bescheiden  genug  geworden. 
Hoffen  wir  nun,  daß  die  neuen  Markenbilder, 
die  die  bayerische  Postverwaltung  als  ein  Erbe 
der  Reichspostgemeinschaft  hinterläßt,  auf  die 
künftige  bildhafte  Erscheinung  der  Reichspost 
in  jederlei  Gestalt  ihren  günstigen  Einfluß  aus- 
üben mögen kino  mitten/.wf.y.      , 


84 


ENTWÜRFE  FÜR  BAYERISCHE  POSTWERTZEICHEN 


\ii;k  1.  riviasK  zr  ji;  looo  mark 


KR-VNZ  PAUL  GL.\SS 
MÜNCHEN 


E.  R.  VüUENAUER,  MÜNCHEN  JULIUS  NMSCHE,  MÜNCHEN  SIEGMUNI)  V.  WEECH, 

MÜNCHEN 


ZWKI  IIALr.K  1.  l'REISE  /.UJK500  MARK 


i5:-ji3ßsaaai2f^ 


iMi 


rjaaässamt 


v  K  \\/   I'\ri     GLASS 
Vt-.RlthSSER  l  E  AUShi  HRL'SG 


SIEGMUND  V.  \\'EECH,  MÜNCHEN      GERHARD  FRANKE,  MÜNCHEN 


TROST-PREISE  ZU  JE  100  MARK 


FMII-    HEINSTORI-F 
TROSTPREIS  lOü  MARK 


PF.    •    PF. 

i2Qi 


JiillANN  WÜRSTE,  MÜNCHEN 


j  ■  I  ji  Mi  <iifi\  d  :i'A'i  arm 

EUGENIE  V.  SCHACKY,   MÜNCHEN 


\V.   M  llNAkKKMiiJ<t;i:K 


KRITZ  WITTUNGER,  MÜNCHEN 


JOSEF  GAM;I.,  MÜNCHEN 


V.U-ENTIN  ZIETARA 


ENTWÜRFE  FÜR  BAYERISCHE  POSTWERTZEICHEN 

TROST-PREISE  ZU  JE  50  MARK 


300/^<^^)00 


ILVNb  PAPE,  MÜNCHEN 


HANS  PAPE,  MÜNCHEN 


HANS  PAPE,  MÜNCHEN  MAX  BERINGER,  PASING 


KARX  \VESTERMAIR, 
MÜNCHEN 


KARL  WESTERMAIR, 
MÜNCHEN 


KARL  WESTERMAIR, 
MÜNCHEN 


ERNST  PFEIFEK, 
MÜNCHEN 


«O'^fA'^S   w 


JOSEF  HILLERBRANB, 
MÜNCHEN 


JOSEF  HILLERBRAND, 
MÜNCHEN 


MAX  HOFSTETTER, 
BAMBERG 


lOSEF  HILLERBR^VND, 
MÜNCHEN 


H.\NS  PAPE,  MÜNCHEN 


EDUARD  EGE,  MÜNCHEN 


EDUARD  EGE,  MÜNCHEN 


IM  WETTBEWERB  MIT  TROST-PREISEN  ZU  JE  50  MARK  BEDACHT 


B/VVERN 


ENTWÜRFE  FÜR  BAYERISCHE  POSTWERTZEICHEN 

TROST-PREISE  ZU  JE  50  MAKIv 


nj 

5 


Ai 


MK 


f^BAieERKI^' 


B/OTEKN 


KAKL  RIEPL,  MÜNCHEN  KARL  RIEPL,  MÜNCHEN  KARL  RIEPL,  MÜNCHEN  H.  WITTMANN,  MÜNCHEN 


OTTO  FLECHTNER, 
MÜNCHEN 


JULIUS  DIEZ,  MÜNCHEN 


BAYERN 

KARL  ROTH,  MÜNCHEN 


EUGENIE  V.  SCHACKV, 

MÜNCHEN 


LORENZ  DURNER,  MÜNCHEN 


LORENZ  DURNER,  MÜNCHEN 


LORENZ  DURNER,  MÜNCHEN 


SIEGMUND  V.  \VEECH, 
MÜNCHEN 


W.  SCHNARRENBERGER, 
MÜNCHEN 


E.  HEINSTORFF,  MÜNCHEN 


IM  WETTBEWERB  MIT  TROST-PREISEN  ZU  JE  50  MARK  BEDACHT 


L.  &  R.  BAITZ-EERLIN.  >  TEE  PUPPEN« 


I..  S:  R.  BAITZ- 
BF.RI.IN. 
TF.EWÄRMKR 
»riKRROT-i 


PETITION  BERLINER  KÜNSTLER  AN  DIE  DEUTSCHE  NATIONAL-VERSAMMLUNG. 


Hochgebietende  Nat 

Der  Verkauf  eines  Kunstwerks  durch  den 
Künstler  selbst  oder  in  seinem  Namen,  der 
bisher  von  der  10  "/o  igen  Luxussteuer  befreit 
war,  ist  jetzt  gegen  den  Widerspruch  der  Regie- 
rung auf  Beschluß  der  Nationalversammlung 
von  der  auf  15  "/o  erhöhten  neuen  Luxussteuer 
getroffen. 

Es  würden  jetzt,  so  haben  einzelne  Abge- 
ordnete zur  Begründung  in  der  Kommission 
angeführt,  viele  Kunstwerke  und  zu  hohen  Prei- 
sen erworben,  so  daß  die  Abwälzung  der  Steuer 
auf  den  Käufer  möglich  sei.  Unterstellt  man 
dies  als  richtig  —  in  Wirklichkeit  wird  sehr 
bald  nur  wenig  Geld  für  Kunst  ausgegeben  wer- 
den können  —  so  bleibt  immer  noch  eine  Un- 
gerechtigkeit bestehen.  Auch  in  anderen  Be- 
rufen gibt  es  nämlich  große  Einnahmen,  so  daß 


ionalversammlung ! 

eine  hohe  Steuer  auf  den  Käufer  der  Arbeit 
abgewälzt  werden  könnte.  Weshalb  muß  der 
Komponist  einer  300  mal  im  Jahr  aufgeführten 
Operette,  der  Verfasser  eines  Romans  mit  einer 
Riesenauflage ,  der  Erfinder  mit  Millionenver- 
diensten und  sogar  ein  bildender  Künstler,  der 
Architekt,  selbst  bei  Prunkbauten  für  das  l'iin- 
kommen  aus  seiner  Berufstätigkeit  nur  eine 
Steuer  von  1  '/*  "!"  zahlen  wie  jeder  Gewerbe- 
treibende, der  Maler  und  Bildhauer  aber  gerade 
das  zehnfache  dieses  Betrages?  Ist  es  schon 
nur  durch  die  Not  des  Staates  zu  rechtfertigen, 
daß  Wissenschaft,  Kunst  und  Literatur  für  ihre 
aus  idealer  Gesinnung  entsprungenen  und  für 
einen  rein  geistigen  Genuß  bestimmten  Werke 
in  gleicher  Weise  besteuert  werden  wie  Handel 
und  Gewerbe,  so  liegt  doch  keine  Veranlassung 


89 


Petition  Berliner  Künstler  an  die  deutsche  National-  Versammlung. 


vor,  auf  die  eine  geistige  Arbeit  eine  10  mal  so 
große  Abgabe  zu  legen  wie  auf  die  andere. 

Eine  zweite  Ungerechtigkeit  dieses  Aus- 
nahmegesetzes gegen  Maler  und  Bildhauer  ist 
aber  noch  größer.  Die  Abwälzung  der  Steuer 
ist  nur  den  Wenigen  vielleicht  noch  möglich, 
die  einen  berühmten  Namen  oder  den  Mode- 
geschmack des  Publikums  für  sich  haben.  Nur 
ihre  Werke  werden  so  heiß  begehrt ,  daß  der 
Käufer  auch  durch  eine  hohe  Steuer  nicht  ab- 
geschreckt wird.  Dagegen  werden  die  Arbeiten 
der  unberühmten  Künstler,  und  das  ist  die 
Mehrheit,  wenn  überhaupt,  nur  zu  ganz  ge- 
drückten Preisen  gekauft.  Ganz  besonders  gilt 
dies  für  die  jungen ,  strebenden  Talente ,  die 
Mühe  haben ,  sich  mit  ihrer  Eigenart  gegen  die 
herrschende  Richtung  durchzusetzen.  Fast  alle 
unsere  großen  Meister  haben  lange  Jahre  ihres 
Lebens  dieses  harte  Brot  des  verkannten  Talen- 
tes essen  müssen.  Sie  hungerten  lieber,  ehe 
sie  ihrer  künstlerischen  Überzeugung  untreu 
wurden.  Es  heißt  also  die  beste  und  edelste 
Produktion  von  Geistesgütern  hemmen,  wenn 
man  diesen  schwer  um  die  Existenz  Ringenden 
anstatt  weniger,  mehr  Steuer  auferlegt.  Zahlen 
beweisen.    Ein  Käufer  zahlt  auf  einer  Kunst- 


ausstellung für  ein  Gemälde  1000  Mark.  Da- 
von gehen  ab  15  '/o  Luxussteuer  =150  Mark, 
15  "/o  Verkaufsprovision  der  Ausstellung  = 
150  Mark,  ferner  150  Mark  für  Rahmen,  100 
Mark  für  Leinewand  und  Farben,  100  Mark 
für  Anteil  an  Generalunkosten  (Atehermiete, 
Kohlen,  Modellgeld,  Speditionsgebühren  usw.). 
Danach  bleiben  also  dem  Künstler  von  den 
1000  Mark,  die  der  Käufer  scheinbar  für  ihn 
zahlt,  nur  350  Mark,  d.  h.  also  etwa  ein  Drittel, 
während  er  bisher,  ohne  Luxussteuer,  wenig- 
stens die  Hälfte  bekam ,  wobei  500  Mark  für 
die  Arbeit  von  mehreren  Wochen  gewiß  kein 
zu  großes  Entgeld  ist.  Ein  so  unsozial  wirken- 
des Gesetz  kann  nicht  bestehen  bleiben.  Wir 
haben  das  Vertrauen,  daß  die  Nationalversamm- 
lung bei  nochmaliger  Prüfung  unsere  Gründe 
anerkennen  wird  und  bitten  daher,  durch  einen 
schleunigst  einzubringenden  Nachtrag  zum  Ge- 
setz zu  bestimmen,  daß  der  Ankauf  von  Kunst- 
werken vom  Künstler  selbst,  wie  in  dem  sorg- 
fältig abgewogenen  Gesetzentwurf  der  Regierung 
vorgesehen  war,  von  der  Luxussteuer  befreit 
ist  und  nur  die  gewöhnliche  Umsatzsteuer  zu 
tragen  hat.  — •  Der  Verein  Berliner  Künstler: 
Professor  Max  Schlichting,  1.  Vorsitzender.  — 


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EMMA  V.  SICHART    MÜNCHEN.  »FLACHE  STOFFPUPPEN« 


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HUGO  KRAYN  t.  GEMÄLDE  »IM  THEATER« 


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HUGO  KR-VYN  t- BERLIN. 


■•SELBSTBILDNIS  UND  ML'TTER«  IHIN. 


HUGO  KRAYN  f. 

VON  MAX  OSBORN. 


Berlin  hat  in  den  schrecklichen,  von  Unheil, 
Krankheiten  und  schwersten  Erschütte- 
rungen heimgesuchten  Anfangsmonaten  des 
Jahres  1919  in  seiner  Künstlerschaft  eine  ganze 
Kette  traurigster  Verluste  erlitten  —  Wilhelm 
Lehnibruck  starb  und  Franz  Metzner  und  Louis 
Tuaillon,  Martin  Brandenburg  und  Theo  von 
Brockhusen,  schnell  hintereinander  vv'urden  sie 
fortgerissen  —  aber  keinen  hat  die  Stadt  tiefer 
betrauert  als  Hugo  Krayn.  Nicht  nur  weil  er 
den  tragischen  Tod  eines  Dreiunddreißigjährigen 
erlitt,  der  mitten  in  aufwärts  führender  Ent- 
wicklung unbarmherzig  von  einer  tückischen 
Seuche  gefällt  wurde,  sondern  weil  er  selbst 
ein  Stück  Berlin  war,  von  seinem  Körper  und 
von  seinem  Geist.  Im  kurzen  Lebenswerk  dieses 
Malers  spiegelte  sich  zugleich  die  große  Wand- 
lung der  berlinischen  Kunstgesinnung  im  neuen 
Jahrhundert.  Am  Beispiel  einer  fest  im  Boden 
ihrer  Herkunft  verwurzelten  Persönlichkeit  ward 
hier,  wenn  wir  jetzt  den  Ablauf  rückschauend 
überblicken,  die  Wegbiegung  klar,  die  aus  der 


alten  Naturtreue  der  norddeutschen  Schule  zu 
völlig  anders  gearteten  Programmen  führte. 

Krayn  begann  als  ein  jüngerer  Baluschek.  Er 
ging  durch  Berlin  und  sah  mit  offenen  Augen 
ins  Herz  der  Stadt.  Der  soziale  Geist  der  acht- 
ziger und  neunziger  Jahre  wirkte  in  ihm  fort, 
zu  einer  Zeit,  da  die  Gedankenwelt  des  Natu- 
ralismus schon  entthront  und  der  Geist  der 
Revolution  noch  nicht  erwacht  war.  Nachklang 
und  Vorklang  war  in  ihm.  Sorgen,  die  ihn  aus 
der  eigenen  Nähe  anstierten,  mögen  ihr  Teil 
dazu  beigetragen  haben.  Aber  entscheidend 
war  doch  offenbar  ein  innerer  Trieb,  sich  mit 
der  Last  der  Lebens-  und  Menschenprobleme 
auseinanderzusetzen,  die  ringsum  lagerten.  Die 
Schicht  der  Beladenen  und  Gequälten,  die  in 
einer  mechanisierten  Industriewelt  als  Maschi- 
nenteile eingeordnet  sind,  fesselte  seinen  Blick, 
beschäftigte  seine  Empfindung.  Er  malte  sie 
als  ein  ehrlicher,  scharfer  Beobachter  und  als 
ein  Künstler,  dem  Wirklichkeitsschilderung  an 
sich   Freude   macht.    Das   große   Bild   des   Ge- 


93 


Ul.  Janl  1«20.  I 


fftigo  Krayn  f. 


94 


HITGO  KRAYN  t. 

müsewagens,  das  auch  in  diesem  Heft  erscheint, 
war  das  bezeichnende  Werk  aus  dieser  Gruppe 
seiner  Arbeiten.  Die  Proletarierköpfe,  von 
charaktrischem  und  unverkennbarem  BerUner 
Typus,  sind  mit  ungev^föhnlicher  Fähigkeit  ge- 
faßt und  durchmodelUert.  Es  fehlt  auch  nicht 
die  Baluscheksche  Härte,  die  aus  dem  Stoff 
selbst  entspringt.  Der  Realismus  der  Darstel- 
lung geht  in  seiner  (schon  zu  weit  getriebenen) 
Lust  am  äußerlich  Wahrnehmbaren  fast  bis  auf 
die  Gussow-Schule  zurück. 

Dennoch  spürt  man  bereits  neue  Züge.  Der 
ausgezeichnet  gemalte  Rock  des  Gemüsehänd- 
lers im  Vordergrunde  wäre  ohne  Cezanne  so 
nicht  entstanden  (die  Schwarz -Weiß -Wieder- 
gabe läßt  das  nicht  erkennen).  Und  die  Anord- 
nung der  Köpfe,  die  als  Parallele  zu  dem  schwar- 
zen Brett  am  oberen  Bildrand  auftauchen,  er- 
geben eine  Wirkung,  die  über  den  Eindruck  der 
tatsächlichen  Einmaligkeit  der  Szene  hinaus- 
weist:  sie  erweckt  die  Vorstellung  der  Reihe, 
als  einer  feinen  Vermittlerin  der  höheren  Vor- 


»GEMUSEWAGEN« 

Stellung  einer  weitgedehnten  Klasse,  die  Hun- 
derttausende umfaßt.  Auf  einer  Ausstellung 
der  Stadt  Berlin  (der  Gemüsewagen  wurde  von 
der  städtischen  Kunstdeputation  angekauft)  hing 
dies  Bild  durch  Zufall  neben  einem  Porträt 
Gerhart  Hauptmanns  aus  dem  Jahre  1892  (von 
Hanns  Fechner)  —  1892  war  das  Jahr  der 
„Weber",  und  unwillkürlich  mußte  ich  daran 
denken,  wie  dort  der  soziale  Gedanke  dichte- 
risch auch  zu  dem  Ausdruck  der  großen  Ruhe 
geführt  hat,  der  hier  von  einem  Maler  gesucht 
wurde.  —  Immerhin  blieb  der  Ausdruck  noch 
stark  gebunden.  Der  seelische  Anteil  in  diesen 
Bildern  ist  Ausgangspunkt  und  Endziel.  Aber 
in  der  Mitte  steht  breitbeinig  die  Realität  des 
Stoffes,  die  unverändert  hingenommen  wurde. 
Damit  soll  gar  kein  herabsetzendes  Urteil  aus- 
gesprochen werden.  Im  Gegenteil,  man  hat  es 
Krayn  hoch  anzurechnen,  daß  er  mit  eisernem 
Fleiß  sich  das  Fundament  zum  Bau  der  Kunst 
zimmerte,  den  zu  errichten  ihm  vorschwebte. 
Durch  seinen  frühen  Tod  nehmen  diese  Arbeiten 


HUGO  KRjWN  t. 


•  LIEBESPAAR«  1918. 


HUGO  KRAYX  t.  vLIEBESPAAR. 


Hugo  Krayn  r. 


96 


in  seinem  Lebenswerk  natürlich  eine  schiefe 
Stellung  ein.  Sie  wirken  leicht  als  Gültigkeiten, 
während  sie  in  Wahrheit  Vorspiele  waren.  Vor- 
spiele freilich  von  ungewöhnlichen  Qualitäten, 
Zeugnisse  einer  außerordentlichen  Begabung, 
Dokumente  eines  Malersinns ,  der  sich  mit 
heißem  Bemühen,  tiefem  Gefühl,  kräftigem  pla- 
stischem Formverstehen  und  natürlicher  Far- 
benfreude in  das  Wesen  einer  Stoffwelt  einzu- 
bohren und  sie  in  allen  Weiten  zu  erfassen 
suchte.  Doch  nun  erst  stieg  Krayn  zu  den  Ge- 
staltungsprinzipien auf,  die  ihm  die  Möglichkeit 
sichern  sollten,  den  inneren  Gehalt  seiner  Mo- 
tive schärfer,  eindrucksvoller  hervorzutreiben. 
Was  er  mitteilen  wollte,  war  sein  vertieftes 
Begreifen  des  schweren,  machtvollen  Lebens- 
kampfes, der  im  sozialen  Themenkreise  sym- 
bolische Gestalt  annahm  —  dieser  in  sinnlich 
leicht  faßlicher  Form  ausgeprägten  Auseinan- 
dersetzungen zwischen  Mensch  und  Welt, 
Mensch  und  Schicksal,  Mensch  und  Unbegreif- 
lichem. Die  Zeit  drängte  dazu,  die  seelische 
Erregung  darüber  nicht  mehr  nach  der  bisher 
üblichen  Methode  indirekt,  durch  Schilderung 
von  Tatsächlichkeiten,  auszudrücken,  sondern 
unmittelbarer  und  darum  stärker,  aufwühlender. 
Das  künstlerische  Erlebnis  wollte  selbst  als 
solches  sprechen,  oder  wenigstens  mitsprechen, 
sich  nicht  hinter  Wirklichkeitsillusionen  ver- 
stecken. Verschiedene  Anregungen  trieben  den 
wachen  Geist  des  jungen  Malers  in  diese  Rich- 
tung, wiesen  ihm  Mittel  nach,  die  sich  nutzen 
ließen.  Ein  Blick  von  Baluschek  zu  dem  zwei- 
ten Berliner,  der  aus  der  älteren  Generation 
als  Maler  des  proletarischen  Volkes  herüber- 
grüßte: zu  Heinrich  Zille,  wies  bereits  einen 
andern  Weg.  Denn  Zille  war  in  manchen  Bil- 
dern und  Zeichnungen  eben  dazu  übergegangen, 
die  Spiegelung  mit  einer  inneren  Vision  von  den 
Dingen  und  Menschen  zu  durchsetzen.  Anderes 
kam  hinzu.  Gelegentlich  ist  mir,  als  habe  Krayn 
von  dem  Belgier  Laermans  Anregungen  emp- 
fangen, der,  eine  alte  heimische  Linie  von 
Breughel  hier  fortführend,  doch  aus  dem  Ge- 
fühl der  Gegenwart  heraus,  den  Kern  der  pro- 
letarischen Existenz  bloßzulegen  verstand.  Der 
größte  Eindruck  aber,  der  ihn  traf,  ging  von 
Daumier  aus.  Der  junge  Deutsche  erkannte 
kW,  daß  dies  französische  Genie  schon  vor 
zwei  Menschenaltern  das  Problem  gelöst  hatte. 
Gestalten  des  modernen  Alltags  zu  höherer 
Deutung  emporzuheben,  die  Schilderung  von 
Begebenheiten  der  uns  umgebenden  Wirklich- 
keit in  eine  der  Realität  überlegene,  vielsagende 
Sprache  zu  übertragen.  Von  Daumier  hatte  das 
schon  Millet  gelernt,  und  wenn  man  bedenkt, 
was  alles  in  der  modernen  Arbeiter-  und  Bauern- 


malerei von  Millet  abstammt,  so  wird  die  un- 
geheuere Wirkung  des  Ahnlierrn  klar,  den  ein 
geistreicher  Zeitgenosse,  gar  nicht  zu  Unrecht, 
in  die  Nähe  Michelangelos  rückte.  Nur  war 
die  Daumiersche  Art  im  Laufe  der  Jahrzehnte 
verwässert  worden,  bis  die  Pariser  Centenuale 
von  1900  sie  wieder  neu  entdeckte,  im  ganzen 
Umfang  ihrer  Größe  überhaupt  erst  entdeckte. 
Seitdem  datiert  die  frische  Bewunderung  Dau- 
miers,  die  Krayn  sich  zu  eigen  machte. 

Seine  Malerei  beginnt  in  völlig  veränderte 
Bewegung  zu  geraten,  als  sie  diese  Berührung 
erfahren  hat.  Der  Ausdruck  steigert  und  be- 
reichert sich.  Die  Zeichnung  und  Modellierung 
wird  freier,  die  Farbenhaltung  flüssiger.  Ein 
neuer  Geist  kommt  über  die  Bilder.  Es  ist,  als 
wenn  etwas  in  ihm  aus  den  Fesseln  gelöst  wird. 
Oft  unmittelbar  angelehnt  an  den  französischen 
Meister,  dann  in  persönlicher  Verarbeitung  der 
empfangenen  Blutzufuhr,  folgt  er  ihm.  Das 
soziale  Problem  enthüllt  Krayn  jetzt  erst  seine 
volle  Größe,  Fruchtbarkeit  und  Unermeßlich- 
keit, seine  Schauer  und  Tragödien,  seine  An- 
klagen und  Gewitter,  seine  seelischen  Erschüt- 
terungen und  seine  formalen  Ungeheuerlich- 
keiten. Die  Gestalten  wachsen  über  sich  selbst 
hinaus,  ihr  typischer  Gehalt  füllt  sich.  Noch 
nicht  immer  gerieten  die  Pläne.  Manches  blieb 
ein  Versuch,  ein  Wagnis,  in  der  Anlage  oder 
auch  in  der  Idee  stecken  und  erlag  der  litera- 
rischen Gefahr,  die  im  Stoffgebiet  lauert,  konnte 
nicht  zu  gestalteter  Form  werden.  Aber  man 
sah  einen  Weg.  Auch  andere  Einflüsse  traten 
hinzu,  von  Greco  her  namentlich.  Oft  stand 
das  alles  noch  roh  und  uneingeschmolzen  neben- 
einander. Man  fühlte  das  Ringen  mit  den 
Riesen,  in  deren  Schatten  er  stand.  1 

Zugleich  aber  befreite  sich  Krayns  Malerei  ' 
auch  in  ihren  anderen  Bezirken.  So  im  Porträt, 
im  Gruppenbilde.  Besonders  war  sein  Blick 
auf  die  Erscheinungen  der  modernen  Stadtwelt 
eingestellt.  Es  entstanden  Landschaften  von 
Straßen  und  Häusern,  die  das  Wesen  dieser 
Steingebilde  mit  prachtvollem  Griff  ergründeten. 
Auch  hier  nicht  nur  ihr  äußeres  Bild  mit  ihren 
Licht-  und  Luft-  und  Farbenphänomen,  sondern 
den  Sinn  ihrer  Linien,  Rhythmen  und  kubischen 
Türmungen.  Die  Berliner  Blicke  mit  den  Schie- 
nensträngen der  Hochbahn  gehören  zu  seinen 
besten  Arbeiten. 

Noch  höher  stieg  er  in  der  Graphik.  Was 
inneres  Erleben,  Studium  der  Welt  und  ihres 
Elends,  die  Jahre  des  Krieges  mit  ihrer  schreck- 
haften Aufpeitschung  in  ihm  an  Gesichten  ent- 
banden, kam  am  reinsten  und  hinreißendsten 
in  Lithographien  und  Radierungen,  einzelnen 
Blättern  und  ganzen  Zyklen,   zur  Entladung. 


HUGO  KRAYX  t.  GEMÄLDE  .VENUS.  1918. 


n 


Hiigo  Krayn  f. 


HUGO  KRAYN  t— BERLIN. 


Auch  hier  stand  Daumier  Pate.  Doch  alles 
sproß  aus  tiefer  innerer  Erregung.  Oft  in  wilde, 
groteske  Gebilde ,  die  die  unselige  Qual  der 
gepeinigten  Kreatur  hinausschrieen. 

Immer  mehr  sog  er  an  sich.  Und  während 
er  sein  Handwerk  weiter  gewissenhaft  schulte 
und  bis  zur  meisterlichen  Feinarbeit  seiner 
Venus  kultivierte,  suchte  er  immer  tiefer  in  die 
Geheimnisse  menschlicher  Beziehungen,  in  die 
Rätsel  des  Körperdaseins  einzudringen,  in  die 
mitschwingenden  gespenstischenNebenregionen 
der  Erscheinungen,  daß  man  fast  an  Wirkungen 
von  Munch  erinnert  wird 


»STRASSE  IN  DAVOS«   1914. 


Das  alles  brodelte  in  Hugo  Krayn.  Suchte 
sich  auszugleichen,  zu  mischen,  zusammenzu- 
klingen, strebte  einer  abrundenden  Harmonie 
zu.  Er  gehörte  nicht  zu  denen,  die  rasch  zum 
Gipfel  stürmen,  sondern  zu  denen,  die  Zeit 
brauchen,  ihre  Keime  ausreifen  zu  lassen.  Und 
gerade  ihn,  den  solche  Eigenschaften  vielleicht 
zu  Großem  ausersahen,  mußte  früh  die  Werk- 
statt schheßen.  Gerade  das  Unfertige,  Wider- 
spruchsvolle, Ungleiche  der  Erbschaft,  die  er 
uns  hinterlassen,  spiegelt  sein  Ringen,  erhöht 
unsere  Trauer  um  das  Unglück,  das  ihn  und  uns 
um  die  Früchte  gebracht m.  o. 


HERMANN  GEIBEL-MÜNCHEN.  »MÄDCHEN-BÜSTE« 


/ 


^ 


/ 


MTHOCRAl'HIE 

AUS  DER  MAPPE 

') ZWEI  TÄNZERINNEN'. 

C.OLTZ-VERLAG 

MÜNCHEN. 


HERMANN  GEIBEL-MÜNCHEN. 


N' 


Tachdeni  die  Sintflut  des  Krieges  sich  zu 
verlaufen  beginnt,  tauchen  hier  und  da  aus 
dem  aufgehäuften  Schlamm  einige  Gipfel  her- 
vor, der  Zukunft  entgegenvi'inkend.  Ein  solcher 
Gipfel  ist  die  Kunst  des  Bildhauers  Hermann 
Geibel,  dem  der  Kampf  fast  die  rechte  Hand 
genommen  hätte.  Wir  konnten  unlängst  froh 
sein  Schaffen  in  der  Thannhauser-Ausstellung 
in  München  überschauen. 

Geibel  ist  urdeutsch:  träumerisch  —  weich, 
innig  —  zart  in  jeder  Regung  seiner  Kunst. 
Und  doch  weht  auch  ein  Hauch  südlicher  Schön- 
heit in  seinen  Werken.  Mütterliche  Hingabe 
an  das  Kleine  offenbaren  seine  Tiere :  der  Fuchs 
und  der  Panther  und  der  Löwe.  Und  doch  ist  in 
dem  schreitenden  Bronzelöwen  männliche  Kraft, 
männlicherTrotz ;  zumal  in  der  zaudernd,  lauernd 
gekrümmten  linken  Vorderpranke  des  Grim- 
migen wird  sein  inneres  Wesen  offenbar. 


Aber  Geibels  Arbeiten  kopieren  niemals  das 
Leben,  die  Natur.  Der  Porträtkopf,  so  lebendig 
er  schon  ist,  ist  ihm  nicht  genug,  ist  ihm  Über- 
gang, wertvolles  Merkzeichen  innerer  Ausbil- 
dung. Er  sucht  das  tiefste  Wesen  eines  Men- 
schen (auch  des  Tieres)  in  sich  aufzunehmen, 
gestaltet  dann  der  Seele  einen  neuen  Körper. 
So  schafft  er  nach  einer  Porträtbüste  seine 
Sappho  („Träumende  Frau"),  in  die  sein  Weib, 
die  Dichterin  Elfriede  Geibel  —  der  Sappho  ver- 
wandt in  der  warmen,  teils  leidenschaftlichen 
Sinnlichkeit  ihrer  Verse  —  völlig  eingegangen  ist. 

Geibel  ist  Lyriker  —  noch  Lyriker.  Die 
Haltung,  die  Gebärde,  aber  auch  die  Form  seiner 
Körper  (und  hier  beginnt  das  Problematische 
seiner  Kunst)  wird  zum  restlosen  Ausdruck  einer 
tiefen  Empfindung,  Stimmung.  Der  Kopf  wird 
blumenhaft schmal  bei  der„Flora"  (aus Bronze), 
damit  er  die  Neigung,  die  Biegung  der  Linien 


111.  JanI  1920.  2 


101 


Hermann  Geibel- München 

[■■■■■■■■■■■■■ 

IHIHBHBHIHHIBIHII 

■       ganz  wiedergebe,  die 

höchst      einheitlichen 

■       Schenkel  werden  voll 

^i^*^ 

„Tänzerin"  (aus  Bron- 

^\1 

. 

ze)  hinaus,  die  gedreht      ' 

^^ 

fast   die   Illusion   des 

■       tig    zu    wirken.     Hier 

/il^w         V- 

^^ 

Tanzes  erweckt  (zum 

"       wird    das   Expressio- 

M^K^           \| 

^^L 

Ruhme  des  Werkes?)     ' 

■       nistische    der    Kunst 

J^^^^ 

^^^ 

—  die  Vorstudien  lie-     i 

H       am  deutlichsten.  Aber 

^^m        >^^^^ 

^^^ 

gen  in  den  Zeichnun-     ' 

■       Geibel    ist    nicht    nur 

Jn^m        ^H^^^ft 

^^^^^ 

gen    vor    —    zu    der     ] 

■       Expressionist ,      oder 

f'^M      H^^^l 

^^^^ 

Bewegung  überhaupt,      i 

■       kein  gewöhnlicher  Ex- 

t^^K               VB^^^^H 

^^^^B 

dem  Durst  und  Drang     , 

■         pressionist.     Seine 

ij^V^      ^k^^^H 

^^^H 

und  Trieb  dem  Auf-     ! 

■       weiblichen        Körper 

^^^^^^^^  ^^H^H 

H^^H 

schrei  in  seinem  mäch-     i 

2       sind  schön,   fast  klas- 

^^^^^^^^^^^^H 

K^^H 

tigen   Frauen  -  Torso.     ] 

■       sisch  schön.  Die  Natur 

^^^^^^H^Kt      ^^ 

J^^M 

—  Wenn  hier  zwar  die     ' 

■       scheint  in   den  höch- 

^^^^E 

^^H 

Gewähr    gegeben    ist     i 

\       sten    Werken,      bei- 

^^f 

.j^^^   ' 

für   Geibels    fortstür-     | 

■       spielsweise    in    einer 

j^^^ 

mende  Kraft,  die  ihre     j 

■        „Erwachenden",     die 

i^^^v 

Grenzen    immer   zer-     i 

2       in  keuscher  Nacktheit 

^^H 

bricht,  um  sie  weiter     { 

■       gelagert     ruht ,      ihre 

V  \m[A 

^^^H 

zu    setzen ,    ist    doch     [ 

■       Augen  aufzuschlagen. 

MtwM 

^^B 

sein    vollkommenstes     i 

j|       Es  ist  zu  hoffen,  daß 

.^^mJ^I 

^^V 

Werk  eben  jene  „  Sap-     j 

■       Geibel, reinseinlnner- 

^Bm^B 

^^V 

pho",  in  Kalkstein  ge-     [ 

■       stes  aussprechend,  auf 

^^1 

bildet,    bei    der    alle     i 

\       den  Punkt  gelangt,  wo 

m'-  'ii^^^^l 

^^H 

Bewegung  wieder  ge-     1 

■       Subjektives  und  Ob- 

m  "W^^^M 

^H| 

bunden  ist,  alle  Kräfte     j 

■       jektives  unbedingt  zu- 

£'  j^^^^H 

^^^^ 

harmonisch  in   einan-    I 

g       sammenfallen  und  eine 

Kv^^^^l 

^^H 

der  fließen,  um  so  eng     | 

■       neue  große  zukünftige 

K^^^^^H 

^^^B 

begrenzt  doch  auszu-     [ 

■       Natur  entsteht,  allge- 

i  ''^^^^^H 

^^H 

strahlen    in    das   Un-    i 

B       meingültig     wie    jene 

br  J^^^^^H 

^^H 

endliche.  Diese  Figur    | 

■       alte     andere     Natur. 

^^J^^^^^^l^l 

i^^B 

schafft     eine    Atmo-    | 

■       Dann  wäre   der  Weg 

^^H 

Sphäre  um  sich,    eine     1 

B       zum  Dramatischen  zu- 

^^H 

^^^m 

rechteckige  Halle,  vor    | 

■       rückgelegt.    Und  Gei- 

^^v 

deren    einer   Schmal-    J 

■       bei  ist  Plastiker  durch- 

^^^^^11 

^^v 

Seite  sie  stehend  den    i 

a       aus    —    auch     seine 

^^^^u 

^Hf 

Raum  vor  ihr  mit  Le-     i 

■       Zeichnungen  sind  un- 

I^^H 

^F 

ben  erfüllt,  indem  sie    j 

■       erhört    körperlich   — 

^^^^1 

^m 

uns  gleichsam  entge-    • 

■       wie    denn    alle    seine 

^^^Hj 

^B 

genschreitet.  —  Was    i 

■       Werke      Rundplastik 

^^^Hj 

^m 

für  ein  Gedanke,  daß    J 

■       sind,  oft  von  der  Seite 

^^^H 

W 

soderBaumeisterfort-    • 

■       und  vom  Rücken  be- 

^^^H 

■ 

bildete  des  Bildhauers    ■ 

J       sonders     bedeutsam. 

^^H 

^ 

Werk!     Ist  doch  die    { 

■       Der     Plastiker     aber 

^^1 

^L 

höchste  Wirkung  der    i 

B       wird  sich   nicht  mehr 

~^l 

SVb^' 

Kunst, fortzuzeugenin    i 

■       begnügen  mit  der  Wie- 

djü 

p     '■"" 

dem  andern  Künstler.    J 

■       dergabe     einer     vor- 

fjr                                   *"     yüqff*^ 

W- 

Wunderbare  Gemein-    i 

B       überhuschendenStim- 

T 

.   ..  ."c'  - 

Schaft,   in    der   Musi-    i 

■       mung.  So  dringt  denn 

j^^^^^H^ 

ker,   Maler  und  Bild-    J 

■       Geibel    vor    von    der 

nBHjHr 

hauer  sich  in  das  Erbe    ■ 

P       ganz  augenblicklichen 

^^n. 

des   Dichters   teilten !    | 

■       Bewegung    einer    lie- 

'    K,'"^-^ 

Glücklicher  Staat,  in    J 

■       genden    Frau ,     einer 

dem    die    Kette     der    ■ 

g       umarmenden     Geste, 

Schaffenden  geschlos-    ■ 

■       über    den    Tanz    der 
102   ■■■■■■■■■■■■■■■■■■■ 

HERMANN  GEISEL— MÜNCHEN. 

BRONZE    ■jTÄN/.ERIN« 

sen  ist !     dr.  <;.  lange.    J 

1  V£i      ■■■■^■■■■■■■■■■B  ■■■ 

■■■■■■■■■■■■■■■■■■ 

' 

■■■■■■■■■■■■■■■■1 « 
1 

1 

HERMANN  GEIBEI.-MÜNCHEN.  BRONZE  »Ff-OHA. 


HERMANN  GEIßEL.  »MÄDCHEN-TORSO« 


HEBMANN  GEIßEL.  .MÄDCHEN-TORSO. 


lo' 


/ 


HERMAXX  GEIßEL.   KALKSTEIN  vSAPPHO« 


HERMANN  GEIBEL-MÜNCHEN.  .MÄDCHEN. 


»1 


GESETZ  UND  GEFÜHL. 


Viel  Unfuj!  wird  jetzt  («etrieben,  indem,  was 
jicfülilsniäßi)!  entstanden,  nachträfslich  mit 
Worten  ausfieputzt  und  auf  irjSend  eine  jieheim- 
nisvolle  Lehre  zurückzuführen  versucht  wird. 
Wohl  die  meisten  jungen  Künstler,  die  expres- 
sionistisch arbeiten,  tauchen  lediglich  in  die 
strömende  Bewegung  ein,  ihre  größte  Mühe  ist, 
sich  richtig  einzustellen,  so  daß  sie  von  sich  aus 
den  neuen  Stil  treffen.  Direkte  Nachahmung 
von  Äußerlichkeiten  der  Manier  ist  dabei  gar 
nicht  so  häufig.  Vielmehr  sucht  jeder  seine 
eigene  Manier  zu  finden.  Der  Verstand  hilft  da 
wenig.  Denn  trotz  der  Überschwemmung  mit 
gedankHchen  Theorien,  der  Maler  muß  doch  in 
erster  Linie  auf  das  bildmäßige,  farbige  oder 
graphische  Aussehen  achten.  Der  Künstler 
konnnt  intuitiv  auf  seine  neuen  Farben  und  Ge- 
bilde, und  sein  Verstand,  oder  der  eines  guten 
Freundes,  erfindet  nachher  die  zugehörige 
Theorie,  den  —  ismus.  Denn  das  gehört  heule 
zum  guten  Ton.  Wer  als  Künstler  etwas  auf 
sich  hält,  der  muß  seinen  eigenen  Ismus  haben. 
So  ergibt  sich  die  merkwürdige  Erscheinung, 
daß  wir  einen  ansehnlichen  Reichtum  an  Bild- 
schöpfungen, Farbeneffekten  und  graphischen 
Witzen  vorfinden,  die  an  sich,  nur  mit  dem 
Auge  betrachtet,  höchst  amüsant  wirken  und 
eine  geistige  Betrachtung   gar  nicht  nahelegen. 


daß  wir  uns  aber  den  sinnlichen  Genuß  dieser 
Reize  selbst  vergällen,  indem  überall  eine  Be- 
deutung, ein  tiefer  Sinn,  eine  Theorie  gesucht 
wird.  Es  ist  nicht  zu  leugnen,  daß  allerdings 
vielenKünstlern  dieTheorie  nachträglich, hinten- 
herum, doch  noch  in  den  Pinsel  pfuscht,  und 
so  manch  schönes  Blatt  verdorben  wird. 

Ein  vollkommenes  Mißverständnis  von  dem 
„Geistigen"  in  der  Kunst  liegt  dem  zugrunde. 
Geistig  heißt  doch  nicht  verstandesmäßig  und 
nicht  literarisch.  Die  Schönheit  eines  Kristalls 
ist  höchst  geistiger  Art,  und  sie  enthüllt  sich 
doch  dem  naiven  Auge.  Ob  auch  die  wissen- 
schaftliche Formel  des  Kristalls  einfach,  knapp, 
interessant  ist,  das  hat  mit  seiner  formalen  Schön- 
heit gar  nichts  zu  tun.  So  kann  die  geistvollste 
Theorie  optisch  tote  Werke  hervorbringen,  wäh- 
rend zu  einem  Bild  von  höchster  Wirkung  der 
Verstand  oft  eine  sehr  blöde  Erklärung  serviert. 

Pinsel  und  Stift  sind  zur  Zeit  sehr  ausgelassen 
und  rücksichtslos.  So  muß  die  arme  Theorie 
die  tollsten  Purzelbäume  schlagen,  unglaubliche 
Verrenkungen  ausführen,  um  allen  diesen  „Be- 
wegungen" zu  folgen.  Das  könnte  uns  kalt 
lassen,  wenn  es  sich  nicht  immer  wieder  zeigte, 
wie  Künstler  von  starker  gefühlsmäßiger  Be- 
gabung durch  ihre  Kommentatoren  verwirrt 
werden anton  j.vum.^nn. 


HERMANN  GEIßEL.  HOLZPLASTIK  >.  ER  WACHENDE« 


108 


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vb  ,>a!f!«i?-'?»gr-*'^g- 


RICHARD  TESCHNER-WIEN.  GEMÄLDE  »ALOE« 


AUSSTELLUNG  RICHARD  TESCHNER  WIEN  1920. 


Richard  Teschner  ist  ein  in  weiten  Kreisen 
bekannter  Künstler.  Man  kennt  ihn  als 
den  überkultivierten  Österreicher,  als  den  Sohn 
eines  Landes  von  uralter,  hoher,  künstlerischer 
Vergangenheit,  eines  Landes,  das  Blulmischung 
und  Rlutdurchkraftung  von  Völkern  ermög- 
licht, die  alle  künstlerisch  begabt  sind.  In  ihm 
scheinen  sicli  die  künstlerischen  Gaben  Öster- 
reichs alle  zu  vereinigen.  Er  ist  der  Vielbe- 
gabte, ist  Maler,  Bildhauer,  Radierer,  Musiker 
und  auf  seine  Weise  Dramatiker  und  Schau- 
spieler. Zu  dieser  Begabung  tritt  eine  um- 
fassende handwerkliche  Fähigkeit,  die  gründ- 
liche Meisterschaft  in  vielen  Handwerken  gleich- 
kommt. Tüchtigkeit,  Ausdauer,  Fleiß,  ein  klarer 
Sinn,  die  Gabe  der  Improvisation,  des  F.rfin- 
dens,  Konzentration,  geschlossener  Wille  und 
festes  Am-Bodenstehen,  ein  klarer  Blick  und 
Sinn,  hohe  Phantasie  und  Freimut,  Geradheit 
bis  zum  derben  und  unerschöpflichen  Humor. 
Damit  hat  die  Natur,  das  Land,  die  Volkszu- 
samniengehörigkeit  die  Persönlichkeit 'reschners 
ausgestaltet.  Das  ist  das  Erbe  seiner  Väter. 
Mit  diesen  Fähigkeiten  und  Gaben,  die  er  stetig 


ausbaut  und  steigert  im  Gang  seiner  Entwick- 
lung, kann  seine  Individualität  wie  mit  einem 
Werkzeug  wirken.  —  Diese  Individualität  — 
dies  konnte  man  bei  der  Vorführung  der  ge- 
schlossenen Reihe  seiner  Werke  in  der  Wiener 
Ausstellung  erleben  —  diese  Künstlerindivi- 
dualität hat  Zugang  zu  einer  Seelen-  und  Gei- 
steswelt, die  uns  andern  verschlossen  ist.  In 
sie  wächst  sie  hinein ,  ringend  und  strebend. 
Von  ihren  Wesenheiten  gruppiert  sich  um  sie, 
was  ihr  jeweilig  verwandt  ist,  wahlverwandl. 
Wesenhaftes,  zu  dem  sie  gerade  Beziehung  hat, 
zu  dem  sie  „Du"  oder  „Ich"  sagen  kann,  dunkle 
Sphären  zunächst  und  lichtere,  Sphären  der 
Leidenschaft,  der  Triebe,  des  Begehrens,  Ge- 
spenster, Gnomen,  Salamander,  Drachen,  Ma- 
gier, Prinzen  und  Prinzessinnen,  Zaubergärten 
und  Märchenschlösser,  soweit  sie  selbst  noch 
in  der  niederen  Ichheit  verstrickt  ist,  in  ihrem 
Wünschen  und  Begehren. 

So  ist  er  der  Romantiker,  als  den  man  ihn 
bisher  kannte  und  liebte,  weil  man  sofort  die 
Beziehung  zu  ilim  herstellen  kann,  aus  der  eige- 
nen Verstricktluit  der  Seele  heraus,  weil  diese 


111 


Ul.  Juni  1920.  3 


Ausstelbing  Richard  Teschner  Wien. 


112 


RICHARD  TESCHNER— WIEN. 


Kunst  so  süß  einschläferte,  ablenkte  von  der 
Wirklichkeit  des  Lebens  und  dazu  noch  so 
liebenswürdig  und  eigenartig  war. 

Nun  zeigt  die  Wiener  Ausstellung  den  neuen 
Teschner.  Er  ringt  sich  durch  zu  höheren,  rei- 
neren Sphären.  Er  stößt  in  die  Sphäre  des 
Geistes.  Zunächst  wird  sie  in  Gedankenfomien 
künstlerisch  erfaßt.  Die  drei  Kulturrassen  wer- 
den hinausgestellt.  Sie  sind  ein  gewaltiger 
Sprung  aus  seiner  Romantik  heraus.  Sein  altes 
Grundproblem  „Wie  kann  ich  Leben  gestalten" 
sucht  sich  auch  hierin,  wie  so  oft  in  der  Zeit 
der  Romantik  die  Antithese.  Aber  nun  gilt  es 
der  Lebenswirklichkeit.  Teschner  ist  einer  von 
den  Deutschen,  die  ihre  Zeit  nicht  verschlafen 


»DIE  GELBE  KÜLTURRASSE« 


haben.  Er  schaut  der  Gegenwart  geradezu  ins 
Gesicht.  Am  bewirkenden  geistigen  Leben  der 
braunen  Rasse  (Buddha),  am  regsamen  gestal- 
tenden, sozialen  Leben  der  gelben  Rasse  (Kon- 
fuzius), erlebt  er  als  den  Gegensatz,  als  die  Er- 
starrung,diegeistigseelische  Sterilität  derweißen 
Rasse  der  Jetztzeit,  die  ganz  und  gar  in  die 
Mechanisierung,  in  Entseelung  und  Entgeisti- 
gung  geraten  ist.  Wohin  wir  geraten  sind,  kann 
nicht  eindringlicher  gezeigt  werden,  als  durch 
den  Repräsentanten  der  weißen  Rasse  mit  seinen 
leeren  Augen.  —  Ich  bin  der  Weg,  das  Leben 
und  die  Wahrheit.  —  Dieses  „Ich  bin"  ist  nie 
in  schrecklicherer  Weise  ans  Kreuz  geschlagen 
worden,  als  in  der  weißen  Rasse.  —  „Die  drei 


Auistillioii;  Richard  Teschncr  IVi, 


RICtt.VRlJ    IIXIINEK-WIEN. 


Kulturrassen"  sind  der  erste  Auftakt  der  neuen 
Epoche.  Sie  stellen  einen  Erlebnisakt  dar,  an 
dem  das  Gehirn  als  Fragelöser  beteiligt  ist.  Echte 
Geisterlebnisse  werden  in  der  Folge  immer 
reiner  aus  der  Erlebenswelt  herausgestellt.  Die 
Ausstellung  zeigt  die  Reihe:  Wiedergeburt, 
Sonnenland  und  den  Zyklus  Feuerelement, 
Wassergeist,  Imagination  und  Nachtschauer. 

Die  Wiedergeburt  mag  als  das  Ergebnis  des 
Erlebens  der  aufziehenden  Sternenwelt,  des 
Kreislaufes  des  kosmischen  Werdens  erfühlt 
sein,  der  Zyklus  die  Expression  des  Erlebens 
der  vier  Elemente  und  zugleich  in  dieser  Schau, 
der  vier  Temperamente. 

In  dem  Maße,  in  dem  sich   die  Künstlerindi- 


vI>IE  BRAUNE  KULTURRASSE« 


viduahtät  ringend  einlebt  in  die  Welten,  aus 
denen  sie  gespeist  wird,  aus  denen  sie  sich  ihre 
künstlerischen  Imaginationen  und  Intuitionen 
holt,  die  sie  einprägt  unter  Schmerz  und  Lust 
in  die  sinnliche  Wirklichkeit  des  Kunstwerkes, 
in  demselben  Maße  ringt  auch  die  Künstler- 
persönlichkeit nach  Formelementen,  nach  Aus- 
drucksmitteln. Die  romantische  Zeit  hat  ihre 
Entsprechung  in  dem  „Nichtzurruhekommen- 
können"  in  einer  bestimmten  Technik.  Der  da- 
malige Lebensinhalt  will  sich  in  Prunk  ausleben, 
er  sucht  das  Erhabene  in  Größe  und  Mannigfalt. 
Teschner  langt  nach  allen  bildsamen  Stoffen, 
nach  allen  Ausdrucksmitteln,  verbessert  die  gege- 
benen Techniken,  erfindet  sein  Radierverfahren, 


113 


Ausstellung  Richard  Tcsclincr  Wien, 


114 


KICHARD  TESCHNER  -WIEN. 


die  „Handtonätzung",  lernt  Speckstein  färben, 
baut  seine  eigene  neue  Laute,  schafft  sich  seine 
Temperatechnik  und  lebt  in  der  Puppe  seiner 
Figurenbühne.  —  Die  neue  Entwicklungsstufe, 
in  der  Teschner  die  Kulturrassen  hinstellt,  bringt 
auch  die  technische  Beschränkung.  Sie  sind 
als  Kohlenzeichnung  ausgeführt.  Teschner  hat 
nun  auch  sein  Bildformat  gefunden  und  sich  für 
Tempera  entschieden.  Die  Farben  seiner  Tem- 
perabilder  sind  so  rein,  daß  sie  nun  als  Farb- 
wert an  sich  Träger  des  geistig -seelischen  Er- 
lebens sein  können.  Aber  auch  sein  ureigenstes 
Ausdrucksmittel,  sein  eigenstes  Mittel  der  Ex- 
pression ist  zu  einem  gewissen  Abschluß  gekom- 
men —  die   Puppe  -seiner  Figurenbühne 


GEMj\LDE  »SONNENLAND« 


Im  Figurentheater  kann  sich  Richard  Teschner 
ganz  ausleben.  Hier  fließt  die  Individualität  in 
die  Persönlichkeit  aus.  Inhalt  und  Form  wer- 
den zur  Einheit. 

Was  ist  es,  daß  dieses  Theater  den  wenigen 
Hundert  Menschen,  die  es  auf  der  Wiener  Aus- 
stellung sehen  konnten,  zu  einem  so  bedeut- 
samen Erlebnis  machte  ?  Daß  Stimmungen  ver- 
mittelt werden,  Schauspielwirkungen  von  ihm 
ausgehen,  die  rätselvoll  erscheinen. 

Das  Theater  ist  eine  Pantomime,  das  gespro- 
chene Wort,  das  sonst  maßgebende  Ausdrucks- 
mittel für  den  Inhalt  der  darzustellenden  Dich- 
tung ist,  fällt  weg  und  wird  von  der  Geste  der 
Puppe  als  nunmehr  alleiniges  Formelement  er- 


AussfcUioi^  Richard  Tcschncr  Wien. 


RICHARD  TESCH.NEK-WIEN. 


setzt.  Das  gestellte  Problem  heißt  nun;  Die 
Geste  als  einziges  Ausdrucksmittel  für  Kunst. 
—  Das  ist  vollkommen  neu.  Bisher  kannte  man 
die  Geste  in  dieser  Sonderstellung,  wortent- 
kleidet, nur  von  Schauspielern  im  körperliclien 
Eigenleben  ausgeführt,  vom  Minenspiel  unter- 
stützt. Auf  der  Pigurenbühne  führt  die  Puppe 
die  Geste  aus,  totes  Material,  freilich  schon  ge- 
staltetes aber  doch  nur  gestalteter  Typus  dem 
{■"ersönlichen  und  Individuellen  entrückt,  ganz 
in  den  Stil  gestellt.  Die  Geste  muß  dadurch 
ganz  und  gar  entpersönlicht  werden,  ins  Übei- 
persönliche  erhoben,  ganz  stilisiert  werden.  Die 
Puppe  kann  nicht,  wie  auf  Marionettenbühnen, 
von  oben  mit   Schnüren  gezogen  werden,   da 


»IlliC  WKI.VSI,  kULlUKKAbbE«. 


diese  Führungsart  der  Zufälligkeit  zu  viel  Spiel- 
raum läßt.  Fest  und  sicher  müssen  die  Be- 
wegungen von  der  Hand  des  Spielers  ausge- 
führt werden.  Teschner  bewegt  die  Figuren 
mit  Stäbchen  von  unten.  Durch  diese  ist  er  in 
der  Lage,  wie  mit  einem  Stift,  wie  mit  einem 
Werkzeug  jede  Linie  zu  ziehen,  jede,  selbst  die 
feinste  Bewegungsnuance  zu  gestalten.  Es  ist 
klar,  daß  die  gestellte  Aufgabe,  in  der  Geste 
auf  der  Figurenbühne  sich  künstlerisch  auszu- 
sprechen, weit  über  den  Rahmen  der  Schau- 
spielkunst, der  darstellenden  Kunst  hinausgeht. 
Ein  Künstler,  der  die  Puppe  führt,  muß  vor 
allem  bildender  Künstler  sein,  Zeichner,  Maler, 
Bildhauer.   Er  gestaltet  unmittelbar,  wie  er  eine 


Ausstellung  Richard  Tcsclmcr  Wien. 


116 


RICHARD  TESCHNER     WIEN. 


Plastik  schafft  oder  ein  Bild  malt.  Die  Geste 
vereinigt,  umschließt  alle  Ausdrucksmittel  der 
bildenden  Kunst  in  sich,  prägt  sie  aber  nicht 
dauernd  in  eine  tote  Materie  ein,  sondern  wan- 
delt das  Werk  der  bildenden  Kunst  aus  einem 
Nebeneinander,  das  bestehen  bleibt  in  ein  Nach- 
einander, das  vergeht.  Sie  ergibt  ein  Kunst- 
werk, das  im  Entstehen  vergeht,  in  die  Zeit 
hineinfließt  und  stirbt.  Es  umgeht  die  Materie, 
huscht  nur  über  die  bewegten  Konturen  der 
Puppe  hinweg  direkt  in  die  Seele  des  Beschauers. 
Die  Puppe  leiht  nur  ihre  Arme,  ihren  Körper 
mit  demTeschner  die  Geste  ausführt,  das  reinste 
aller  möglichen  Ausdruckselemente  der  bilden- 
den Kunst,  die  bewegte,  die  lebendige  Form, 
die  wandelnde,  fließende,  in  Rhythmen  in  die 
Zeit  hinausprojizierte  Form,  die  reine  abge- 
zogene Geste.  Als  Formelement  kommt  sie  an 
sich  zur  realen  Wirkung,  wie  im  Expressionis- 
mus Farbe,  Form,  Ton  und  Linie, 

Dieses  Kunstwerk  ermöglicht  dem  Beschauer 
am  lebendigen  Werden  des  Kunstwerkes,  am 
Schöpfungsakt  selbst  unmittelbar  teilzunehmen. 
Er  kann  wohl  zum  erstenmal  an  der  Schöpfer- 
freude des  Künstlers  teilnehmen.  Denn  dieses 
Kunstwerk  ist  das  Schaffen  an  sich.  Bildlich 
gesprochen,  er  kann  am  Sechstagewerk  Gottes 
zuschauend  teilnehmen,  mühelos    Mitschöpfer 


»TESCHNER-AUSSTELLUNG  1920« 


werden,  er,  der  den  Geschaffenheiten  gegen- 
über immer  zum  Nachschaffen  verurteilt  ist, 
die  Gedanken,  die  Absichten  Gottes  am  Ge- 
schaffenen immer  nur  nachdenken  kann,  wird 
zum  Mitdenker,  zum  Vordenker  gemacht.  Epi- 
metheus  darf  einmal  Prometheus  werden,  der 
Nichtkünstler  einmal  Künstler. 

Dies  ist  genau  besehen  der  Inhalt  des  Erleb- 
nisses, das  in  den  aufgewühlten  Seelentiefen 
des  Beschauers  der  Teschnerbühne  vor  sich 
gehen  mag.  Die  Geste  ist  Teschners  Expres- 
sion, sie  ist  sein  ureigenstes  Ausdruckselement. 
In  die  Erscheinung  gebracht  werden  konnte  es 
nur  von  einer  Künstlerindividualität ,  die  aus 
österreichischem  Blutzusammenhange  ihre  Per- 
sönlichkeit gestaltet,  ausgeführt  nur  von  einem 
Künstler,  der  sich  wie  Teschner  durch  alle  Ge- 
staltungselemente  durchgerungen  hat  und  sie 
alle  beherrscht.  Denn  die  Ausführung  der  Geste 
am  „Figurentheater"  setzt  die  ganze  Reihe  der 
Künstlerschaften  voraus  und  umschließt  sie: 
Malerei,  Bildhauerei,  Musik,  Dichtkunst  und 
Schauspielkunst.  Sie  werden  alle  zur  Einheit, 
die  Eine-Kunst.  Die  große  Absicht  des  Jesuiten- 
stiles wird  hier    in   einer   nie   geahnten  Weise 

Wirklichkeit ixg.  Rrijoi,!'  thkitkk. 

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Die  erste  Eigenschaft  des  Genius  ist  Originahtät. 


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RICHARD  TESCHNER.  .HAUSGÖTTIN. 


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HOLZ-PLASTIK  »PIETA«  städtisches  museum    »raj^kkukt  a   m. 


IIDLZI-LASTIK 

-MAnoNNAi. 
ANFANG  DKs 
XIV.  JAHRH. 
STADT.  MUSKl'.Vl 
FR.\NKFURT  M. 


VON  DER  SEELE  DEF^  GOTIK. 


Seitdem  Wilhelm  Lehmbruck  seine  Figuren 
in  die  Schlankheit  und  Linie  der  Gotik  auf- 
wachsen ließ,  gewöhnte  man  sich  daran,  alle 
moderne  Kunst,  wenn  sie  Innerlichkeit  suchte, 
mit  Gotik  zu  vergleichen. 

Vergleiche  hinken;  und  doch,  trotz  der  Ver- 
schiedenheit des  Weltbilds,  das  damals  und 
heute  hinter  den  Künstlern  steht,  läßt  sich  Ge- 
meinsames nicht  anzweifeln. 

Räumliche  Beziehungen  zu  setzen  und  zu  lö- 
sen, ist  die  Aufgabe  der  bildenden  Kunst.  In 
diese  räumlichen  Werte  wird  Seelisches  gebun- 
den. Anders  formt  ein  Gotiker  die  Mutter 
Christi  als  ein  romanischer  Künstler  oder  ein 
Renaissancemensch.  Ist  es  nicht  bezeichnend, 
daß  es  die  Gotik  war,  die  zuerst  Mutter  und 
Kind   zusanmienfügte,    und    nach    starren    An- 


sätzen das  innige  Verbundensein,  körperlich 
und  seelisch,  ausdeutete? 

Anfangs  nichts  anderes  als  ein  menschlicher 
Sitz  für  den  jungen  Heiland,  der  mit  dem  Blick 
in  die  Ferne  eigene  Aufgaben  erfüllte,  wird 
Madonnaimmergelösterin Gliedern  und  Geistig- 
keit zur  Mutter,  in  deren  Armen  das  Kind  keine 
andere  Aufgabe  besitzt,  als  zu  genießen,  sei  es 
den  Lebensquell  des  Mutterbusens,  sei  es  die 
zarte  Sorge  liebender  Hut.  So  wächst  mit  dem 
Einleben  in  die  Beziehung  zwischen  zwei  Men- 
schen die  Gestaltungskraft.  Aus  der  zärtlichsten 
Mutter  wird  die  Dulderin  am  Leichnam  des 
Sohnes.  Die  Falten  des  Kopfluchs  sinken  her- 
ab wie  rinnende  Tränen  und  weinen  mit,  alle 
Linien  strömen  im  Fall  Leid,  Mitleid. 

Doch  der  Beruf  dieser  Gestalten  war  es  nicht 


121 


■illl    Juni  l»30    I 


Vo>/  der  Seele  der  Gotik. 


122 


ein  eijjcnes  Dasein 
zu  führen,  als  Kult- 
bildern kam  ihnen 
zu  neben  dem  episch 
erzählenden  Zweck, 
den  sie  erfüllten,  Be- 
ziehungen zu  schaf- 
fen zwischen  der 
Glaubensquelle  und 
dem  Andächtigen. 
Wie  in  der  Gotik 
immer  bewußter  die 
Blicke  aus  dem  Jen- 
seiligen zurückkeh- 
ren ,  wie  sie  aus 
unbegrenzter  Feme 
erst  nach  innen  ge- 
wandt ,  allmählich 
dem  Betenden  zu- 
sprechen, winken  u. 
trösten,  das  muß 
man  erkennen,  um 
den  Begriff  der  Ent- 
wicklung oder  des 
Stilwandels  aus  gei- 
stiger Steigerung  zu 
erfassen.  —  Die 
Abbildungen ,  den 
Schätzen  des  Liebig- 
hauses  in  Frankfurt 
a,  M.  entnommen, 
versinnlichen ,  was 
ich  andeutete.  Starr 
und  fem  den  Blick 
thront  die  Madonna 
des  XIII.  Jahrhun- 
derts, sie  selbst  wie- 
derThron  des  jungen 
Sohnes,  der  in  Hal- 
tung und  Tracht,  ein 
römischer  Konsul, 
seinen  Segen  spen- 
det. Klage  und  Leid 
weht  uns  von  der 
Pietä  an ;  aber  Maria 
blickt  nicht  zu  uns 
aus  ihrem  Schmerz; 
nur  den  Sohn  sieht 
sie,  mit  ihm  verquel- 
len  alle  inneren  und 
äußeren  Linien.  Die 
späte  Madonna  mit 
dem  Kind  lächelt 
I  dem  Andächtigen 
zu.  Minnig  und  hold 
gleitet  das  Lächeln 
über  ihre  Züge,  das 


I.ASTIK  »JOHANNES«  STÄDT.  MUSEUM- FRAJJKFURT  M. 
AUS  DEM  ANFANG  DES  XIV.  JAHRH. 


im  Gefällt  des  Klei- 
des und  Mantels  sein 
gleiches      Spiel     zu 
treiben   scheint.   — 
Versunken    betet 
Maria    der     franzö- 
sischen   Gotik     am 
Kreuz  ihres  Sohnes, 
ihr    Schmerz     aber 
verbindet    sie     mit 
allen  Menschen;   so 
kehrt  der  Blick   aus 
dem   Innern   zurück 
und  sucht  die  Men- 
schen.   Auch  an  ihr 
klagen    und    rinnen 
die  Falten  der  Ge- 
wandung. Allein  die 
Linien      fließen     in 
leichter  Schwingung 
nach  vorn  dem  Be- 
tenden  zu.    —    Die 
gleiche   Wandlung 
der  Form  unter  sich 
wandelnder  geistiger 
Einstellung  beim  Jo- 
hannes.     Die    erste 
Stufe  fehlt,  wo  die 
Ferne  sich  dem  Blick 
vermählt.     Nur    die 
innere     Versunken- 
heit  in  die  Tiefe  des 
Schmerzes  trägt  Jo- 
hannes des  15.  Jahr- 
hunderts.   Der  Kopf 
und  der  geraffte  Zip- 
fel des  Mantels  stei- 
gen und  sinken  ge- 
geneinander ,     zwei 
Gegenbewegungen 
finden  Ruhe  in  der 
geistigen  Mitte.    — 
Die   Farben  beglei- 
ten   die   stille   Kla- 
ge der  geschnitzten 
Form     mit     lautem 
Weh.     Grün  schreit 
in  krampfendes  Rot 
hinein.  Auch  der  Jo- 
hannes der  französi- 
schen Kreuzesgrup- 
pe   trägt    Schmerz ; 
auch  hier  führt  Arm 
und  Kopf  in  Gegen- 
bewegung   zueinan- 
der.   Wie  der  Blick 
jedoch    den   Beten- 


HOLZPLASTIK  >MADONXA«  städtisches  iiuseum- Frankfurt  m. 

OBF.RSCHWÄBISCH,  MITTE  DES  XV.  J,VHRH.  AUS  MUNDERKINGEN. 


HOLZPLASTIK  »THRONENDE  MADONNA,  .städt.  museum-krankfukt. 

ERSTE  HÄLFTE  DES  XIIl.  JAHRH.,  SÜDDEUTSCH. 


HOLZPLASTIK  .DER  EVANGELIST  JOHANNES«  städtisches  MUSEUM    ficwkkurt. 

ENDE  DES  XV.  JAHRHUNDERTS,  OBERBAVERISCH. 


« 


Von  der  Seelr  drr  Gotik. 


^ 


GABI  I.AGIIS- 

MÜSCHL-WIEN. 

ILI.rsTKATIÜN 

ZU  edschmid: 

»DF.RBKZWINC.ER« 


den  streift,  aus  innerer  Klaj^e  ins  Leben  seilend, 
so  fallen  auch  alle  anderen  Linien  aus  der 
Verknotung  unterhalb  der  rechten  Backe  in 
ein  Strömen  und  Rinnen  hinab  zu  den  Men- 
schen im  Kirchenraum. 

Unsere  Zeit,  sie  nennt  sich  die  soziale,  sucht 
auch  Verbindung  und  Verknüpfung  der  Men- 
schen untereinander.  Der  Begriff  der  Gemein- 
schaft soll  aus  der  Ferne  ins  Wirkende  gewor- 
fen werden.  Unendliches  soll  strömende  Be- 
ziehungen mit  andächtig  Empfangenden  schaf- 
fen. Sind  hier  nicht  Gleichnisse  mit  gotischer 
Art?  —  Wenn  Kunst  Zeitgeborenes  in  ent- 
gültige, ewige  Form  hüllt,  so  muß  Verwandtes 
zur  Gotik  im  Schaffen  unserer  Tage  nicht  aus 
äußerlichem  Nachahmen,  —  aus  Innerstem  er- 
wachsen. Einzelne  Künstler  werden  das  Ewige 
draußen  suchen,  Toren,  wie  Parsifal,  der  Junge, 
einer  war.    Andere   werden  tief  ins  eigene  Ich 


steigen,  wohl  mancher  selbstgefällig  sich  darin 
verlieren;  doch  die  Wegbringer  werden  aus 
dem  Ich  emporsteigen  und  die  hier  gehobenen 
Schätze  zagend  doch  opferbereit  in  wartende 
Hände  legen,  wie  segnende,  tröstende  Blicke 
aus  den  Heiligenbildern  der  Gotik  durchs  weile 
Kirchenschiff  das  Auge  des  Betenden  suchen 
und  finden.  .  .  .   (;ust.\v  knappei.s— offenbach  a.  m. 

Wenn  der  Künstler  produziert,  so  borgt  er 
die  Elemente  der  Darstellung  von  einer 
Welt,  die  schon  existiert  und  in  deren  Mitte  er 
lebt.  Die  stärkste  Phantasie  wird  genährt  von 
der  Natur,  dieser  unerschöpflichen  Quelle  der 
Belehrung.  Je  mehr  man  in  das  Wesen  .der  Natur 
eingedrungen  ist,  um  so  vollständiger  ist  das 
Erlebnis,  das  man  wiedergeben  kann.  Je  mehr 
Mittel  des  Ausdrucks  man  besitzt,  um  so  besser 
gelingt  die  bildhafte  Verständigung.      v.  hmulek. 


127 


GABI  LAGITS-MÖSCHI.    WIEN.     BUCHILLUSTRATIONo 

ZUR  NOVFXLE   »DER  KE/.VVINGER«  VCIN  KASIMIR  EDSCHMU). 


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PROFESSOR  GEORG  METZENDORF.  .AUS  DER  MARGARETHEN-HÖHE< 


PKÜFESSOR  GEORG  M£.TZENI)ORF— ESSEN.    »ARBEITER-DOppEI.WOHNIIAUn      HAUPTANSICHT. 


AUS  DER  GARTENSTADT  MARGARETHEN-HÖHE. 


Professor  Georg  Metzendorf,  1909  zum  Bau 
der  Gartenstadt  Margarethen-Höhe  berufen, 
sah  sich  damit  vor  eine  der  bedeutsamsten  Auf- 
gaben gestellt,  die  unsere  Zeit  zu  vergeben  hat. 
Vielen  tausend  Insassen  des  Induslriebezirks 
weitab  vom  Qualm  und  Lärm  der  Werkstätten 
im  Schatten  des  Waldes,  im  Grün  von  Gärten 
eine  Heimat  za  schaffen,  ihre  Siedelungen  zum 
Organismus  einer  ganzen  Stadt  zusammenzu- 
fassen, welche  Aufgabe  könnte  schöner  und 
fruchtbarer  sein?  Die  vier  Kriegsjahre,  die  den 
Baumeister  seiner  Tätigkeit  fern  hielten,  haben 
in  sein  Werk  eine  Pause  gebracht,  aber  die 
Baustube  der  Gartenstadt,  in  der  sein  Geist 
lebendig  blieb,  ist  doch  niemals  ganz  geschlossen 
worden,  auch  während  des  Kriegs  hat  sich  Mar- 
garethen-Höhe  um  etliche  Straßen  vermehrt. 

Von  den  fast  sechshundert  Häusern  der  Sied- 
lung enthält  ein  Drittel  Etagenwohnungen,  zwei 
Drittel  sind  Einfamilienhäuser.  Wohnungen,  die 
weniger  wie  drei,  mehr  wie  fünf  Räume  haben, 
sind  selten.  Das  häusliche  Dasein  ihrer  in  be- 
scheidenen Verhältnissen  lebenden  Insassen  hat 
zum  Mittelpunkt  die  geräumige  Küche,  die  als 
Wohnküche  gedacht  ist  und  der  darum  in  allen 


Fällen  eine  Spülküche  beigegeben  ist,  mit  Wasch- 
kessel und  Badewanne  versehen  und  bestimmt, 
die  Spülgerüche  und  den  Wäschedunst  dem 
Hause  fern  zu  halten.  Der  Küchenherd  gibt  im 
Winter  seine  überschüssige  Wärme  an  die  be- 
nachbarte Wohnstube  und  die  in  den  Einfami- 
lienhäusern obenliegenden  Schlafzimmer  ab,  sie 
bei  nicht  zu  strenger  Kälte  ausreichend  erwär- 
mend. Aus  diesen  Einrichtungen,  vor  allem  der 
Spülküche,  denen  der  mit  jeder  Wohnung  ver- 
bundene kleine  Gemüsegarten  hinzuzuzählen 
ist,  spricht  ein  hohes  soziales  Gefühl,  welch 
ungeheuerer  Fortschritt  doch  gegen  das  übliche 
Muster  der  Kleinwohnung,  wie  es  die  Etagen- 
häuser der  großen  Städte  aufweisen!  Wer  die 
Welt  dieser  von  zufriedenen  Menschen  be- 
wohnten Häuschen  vor  seinem  geistigen  Auge 
auftauchen  sieht,  den  mag  leicht  bedünken,  als 
wären  sie  fast  alle  nach  einem  einzigen  Plan 
entstanden.  In  Wahrheit  sind  auf  Margarethen- 
Höhe  der  Typen  gar  viele,  wenngleich  die  Ab- 
sicht des  Baumeisters,  seine  Häuser  auf  eine 
ganz  strenge,  sachliche  Kastenform  zu  bringen, 
immer  deutlicher  hervortritt.  Von  unseren  deut- 
schen Gartenstädten,  in  denen  im  allgemeinen 


131 


:ni    JUnl  1930.  5 


yl7/s  dfrGartrintadl  Margarethen-IIöhi 


132 


MAKGAKKTHtN-HoHE  BEI  ESSEN. 


Gleichheit  der  Bedürfnisse  wie  der  wirtschaft- 
lichen GrundlajSen  waltet,  hätte  man  vielleicht 
erwarten  können,  daß  sie  unsrem  Volk  die  na- 
tionale Form  des  Kleinhauses  gewonnen  hätten, 
was  indessen  nicht  gelungen  ist;  die  letzte,  die 
endgültige  Formel  steht  noch  aus.  Wohnkolo- 
nien von  Schniitthcnner  und  Theodor  Fischer 
sind  Gegensätze,  Peter  Behrens  würde  sie  an- 
ders aufteilen  und  bauen  wie  Muthesius,  wäh- 
rend doch  die  französische  oder  die  holländische 
Kleinstadt  von  altersher  ein  festausgeprägtes, 
unwandelbares  Antlitz  zeigen.  Das  Suchen  und 
Wägen,  das  durch  die  ganze  Entwicklung  un- 
seres Kleinwohnungswesens  geht,  ist  auch  in 
Margarethen-Höhe  noch  nicht  zur  Ruhe  gekom- 
men, und  wie  manchmal  doch  stehen  wir  vor 
Häusern,  die  uns  untadelig  erscheinen,  bei  denen 
wir  uns  mit  Bedauern  fragen,  warum  der  Bau- 
meister nicht  bei  ihrer  Form  geblieben  ist!  Man 
muß  hier  wohl  die  Besonderheit  des  ungemein 
bewegten  Geländes  in  Rechnung  setzen,  die 
einem   durchgehenden   Muster   beim  Hausbau 


ZWEIFAMILIENHAUS  •  GINSSERWEG'. 


nicht  günstig  sein  konnte.  Wie  es  immer  wieder 
Aufschüttungen,  Abtragungen  bedingt,  wie  es 
die  gerade  Führung  von  Straßenzügen  verhin- 
dert, so  erfordert  es  auch  gelegentlichen  Wech- 
sel der  Formen  und  Typen.  Sehr  fein  ist  nun, 
wie  sich  der  Baumeister  unmerkliche  Mittel,  das 
Verschiedene  zu  binden  und  zusammenzuhal- 
ten, geschaffen  hat.  Neben  den  gemeinsamen 
schwarzgrauen  Dächern  sind  es  die  Türen  und 
die  Fenster,  die  in  ihren  Maßen  immer  wieder 
übereinstimmen  und  dem  Ganzen  Halt  und  Maß 
und  Ruhe  geben.  Die  Putzflächen  der  Häuser 
waren  in  den  ersten  Baujahren  noch  unterbro- 
chen durch  Backsteinbauten,  die  indessen  aus 
wirtschaftlichen  Gründen  ganz  aufgegeben  wur- 
den. So  ist  es  ein  durchgehender  grauer  Ton, 
freilich  ein  moduliertes,  bald  licht  und  silbrig, 
bald  schwer  und  dunkel  erklingendes  Grau,  das 
den  farbigen  Eindruck  der  Siedlung  bestimmt. 
Aber  freilich  hat  Metzendorf  auch  die  Stellen 
herausgefunden,  die  seine  hebenswürdige  und 
muntere  Laune  sich  ausleben  lassen.    Es  sind 


MAR(,ARETHEN-HÖHE.  »VIERHÄUSER-BLOCK  AN  DER  SONNENBLICK-STRASSE. 


•Farirrait^Ujy- 


vVUFRIbS  DES  OBIGEN  VIERHAUSER-BLUCKS. 


PROFESSOR  GEORG  METZENDORK-ESSEN.  »ZWEIFAMILIENHAUS« 


GEORG  METZENDORF.  . EINGÄNGE  EINES  EINFAMILIEN-DOPPELHAUSES. 


Aus  di-r  Gartetistadt  Margarcthen-Hölic. 


138 


die  Fensterläden  und  Haustüren,  an  denen  er 
sich  schadlos  hält,  die  ersteren  auf  grünem  oder 
blauem  Grund  bunt  mit  Blumen  oder  jSeometri- 
schen  Fijjuren  ausmalend ,  die  letzteren  mit 
weißgestrichenen,  lustig  gedrechselten  Gitter- 
einsätzen in  immer  wieder  neuen  Formen  be- 
lebend. Hier  scheint  der  Springquell  seiner 
Einfälle  unerschöpflich  zu  sein. 

So  ist   denn  Margarethen-Höhe,  Wirtschaft- 
lichkeit, Wohnlichkeit  und  künstlerische  Haltung 


in  glücklichster  Weise  vereinigend,  in  den  ^elf 
Jahren  seines  Bestehens,  von  denen  die  fünf 
Kriegsjahre  nicht  voll  zählen  können,  groß  und 
stattlich  geworden,  im  Kranz  der  deutschen 
Gartenstädte  ein  reifer,  voller,  gesegneter  Strauß. 
Wie  sich  seine  Entwicklung  in  Zukunft  gestalten 
wird,  läßt  sich  im  Augenblick  nicht  sagen,  es 
ist  kaum  anzunehmen,  daß  die  nächste  Zeit  mit 
ihrer  namenlosen  Verteuerung  der  Baukosten 
dem  Ausbau  förderlich  sein  wird.       goskbruch. 


VOM  DEUTSCHEN  KÜNSTLERTAG 

22.  APRIL  1920. 


Einen  deutschen  Künstlertag  hat  die 
Allgemeine  Deutsche  Kunstgenossenschaft, 
die  gröI3te  und  älteste,  sich  über  das  ganze 
Reich  erstreckendeVereinigung  bildenderKünst- 
1er,  am  22.  April  im  ehemaligen  Herrenhause 
zu  Berlin  einberufen.  Er  hatte  den  Zweck, 
einerseits  einen  Zusammenschluß  aller  Künstler- 
vereine in  wirtschaftlichen  und  Standesfragen 
anzubahnen,  andererseits  von  der  Regierung 
eine  angemessene  Standesvertretung  zu  fordern, 
und  zu  verlangen,  daß  nicht  wie  seither  Gesetze 
und  Verordnungen  ergehen,  Einrichtungen  und 
Ämter  geschaffen  würden,  die  die  bildende 
Kunst  betreffen,  ohne  daß  die  Künstler  vorher 
gehört  worden  sind.  Die  Versammlung  wurde 
von  Prof.  Otto  Heinr.  Engel  geleitet.  Als  erster 
Redner  sprach  Dr.  Maximilian  Pfeiffer,  Mitglied 
der  Nationalversammlung.  Er  konnte  der  Ver- 
sammlung die  erfreuliche  Mitteilung  machen, 
daß  ihre  Bestrebungen  schon  zum  Teil  Erfolg 
gehabt  hätten,  indem  auf  seine  Anregung  hin 
die  bildende  Kunst  im  Reichswirtschaftsrat  in 
Zukunft  vertreten  sein  werde.  Und  zwar  solle 
der  Werkbund  sowie  die  vereinigten  Verbände 
bildender  Künstler  Berlins  und  diejenigen  Mün- 
chens je  einen  Vertreter  präsentieren.  Professor 
Heinrich  Straumer,  Vorsitzender  des  Verbandes 
deutscher  Architekten,  sprach  sodann  über  die 
Dinge,  die  die  Architektur  berühren.  Er  führte 
unter  anderem  aus:  Es  ist  kein  Geheimnis,  daß 
der  unglückliche  Ausgang  des  Krieges  uns  arm 
an  Rohstoffen  gemacht  hat,  während  wir  über 
Arbeitskräfte  in  reichlichem  Maße  verfügen. 
Daraus  folgert  zwingend,  daß  es  nur  ein  ein- 
ziges Mittel  gibt,  die  deutsche  Wirtschaft  auf- 
recht zu  erhalten,  wenn  nicht  mit  einem  Hunger- 
sterben oder  Massenauswanderung  gerechnet 
werden  soll,  nämlich  diese  Arbeitskraft  so  hoch- 
wertig wie  möglich  in  Form  von  Qualitätswaren 
auszuführen.  Es  muß  Aufgabe  der  Regierung 
sein,  planmäßig  auf  diese  Hochwertigkeit  der 
deutschen  Arbeitskraft  hinzuweisen,   und  hier 


beginnt  die  ungeheuere  Bedeutung  der  Kunst 
und  der  Künstler  für  die  deutsche  Wirtschaft 
deutlich  zu  werden.  Dort  wo  die  Arbeit  des 
deutschen  Kunstgewerbes  schon  vor  dem  Kriege 
erfolgreich  sich  bemüht  hat,  muß  eine  staatlich 
mit  allen  Mitteln  geförderte  Organisation  ein- 
setzen, das  deutsche  Volk  zu  Qualitätsarbeit 
erster  Klasse  zu  erziehen.  Die  gesamte  Künst- 
lerschaft muß  hinein  in  die  Werkstätten !  Wie 
wenig  die  Bedeutung  dieser  Frage  erkannt  ist, 
beweist  das  im  höchsten  Maße  kulturfeindliche 
und  verderbliche  Gesetz  über  die  Luxussteuer. 
Die  Steuer  richtet  sich  nämlich  gegen  die  Qua- 
litätsware, welche  für  die  Zukunft  unseres  Kunst- 
gewerbes, für  den  Export,  für  die  Hebung  der 
Valuta  von  höchster  Bedeutung  ist.  Wie  wider- 
sinnig das  Gesetz  auch  sonst  aufgestellt  worden 
ist,  beweist  der  Unterschied,  der  zwischen 
künstlerisch  und  schlicht  gemacht  wird.  Künst- 
lerisch und  schlicht  sind  durchaus  keine  Gegen- 
sätze !  Es  ist  ganz  unmöglich  darnach  festzu- 
stellen, ob  ein  Möbel  künstlerisch  gestaltet  ist 
und  somit  der  Luxussteuer  verfällt,  oder  ob  es 
als  „schlicht"  frei  bleibt.  So  wie  man  bei  diesem 
Gesetz  die  eigentliche  Fachwelt,  die  Künstler 
nicht  gefragt  hat,  so  hat  man  es  auch  mit  an- 
deren gemacht.  Welche  großen  Worte  sind  der 
Wohnungsfürsorge  und  der  Heimstättenbeschaf- 
fung gewidmet  worden!  Millionen  hat  man  auf- 
gewendet. Und  was  ist  dabei  herausgekommen? 
Nichts!  —  Warum,  weil  der  zünftige  Fachmann, 
der  Baukünstler  mit  einer  Geste,  als  den  wirt- 
schaftlichen Fragen  fernstehend,  beiseite  ge- 
schoben wurde.  Es  ist  eine  Tatsache,  daß  in 
den  gesamten  halbamtlichen  Wohnungsfürsorge- 
Gesellschaften  und  in  den  dienstlichen  Ämtern 
für  Wohnungsfürsorge  kein  einziger  derjenigen 
Fachleute  sitzt,  die  durch  jahrelange  Arbeit  auf 
diesem  Gebiete  bekannt  sind.  Die  Klubsessel- 
krankheit des  Krieges  ist  in  der  Revolution  zur 
wütenden  Seuche  geworden!  Der  Redner  trat 
ein  für  eine  feste  Organisation    der  Künstler, 


XIII.  JnnI  IKO.  6 


\:'y\ 


Vo?)i  dnttschoi  Künsflcrlar. 


140 


PROFESSOR  ÜEORO  METZENDORF. 


dann  muß  es  ihnen  selbst  überlassen  bleiben, 
diejenigen,  die  iiir  Vertrauen  genießen,  dem 
Staate  als  Berater  zu  präsentieren. 

Professor  Lewin-Funcke  sprach  für  die  Bild- 
hauer, und  wies  unter  anderem  darauf  hin,  wie 
die  französische  Kunst  seinerzeit  die  ganze  In- 
dustrie des  Landes  zum  Blühen  gebracht  und  die 
Ausfuhr  des  Landes  riesenhaft  gesteigert  habe. 

Professor  C.  Langhammer  wies  angesichts 
der  nebensächlichen  Behandlung,  die  die  Künst- 
ler durch  den  Staat  erfahren,  darauf  hin,  welch 
ungeheuere  Werte  die  Kunst  z.  B.  in  Italien 
geschaffen  hat,  und  wie  der  italienische  Staat 
davon  heute  noch  einen  gewaltigen  Nutzen 
ziehe.  Diese  Werte  werden  auch  bei  uns  heute 
noch  tagtäglich  geschaffen!  Er  glossierte  so- 
dann die  lächerliche  Behandlung  des  Künstlers 
im  Luxussleuergesetz,  das  ihn  zum  Kleinhändler 
degradiere,  von  ihm  verlange,  daß  er  die  viel- 
leicht 30  Jahre  alten  Atelierbestände  in  einem 
Steuerbuch  und  einem  Lagerbuch  registriere, 
eine  für  jeden  Künstler  unmögliche  Sache. 


»WOHNKÜCHE  EINES  .A.RBEITERHA.USES  < 


Der  Radierer  Paul  Herrmann  jlegte  die  spe- 
ziellen Verhältnisse  in  der  Graphik  dar. 

Der  Vorsitzende  des  vorbereitenden  Aus- 
schusses, Maler  Architekt  Willy  0,  Dreßler, 
verlas  sodann  eine  Resolution,  in  welcher  die 
bildendenKünstler  Einflußnahme  auf  die  Gesetz- 
gebung ,  so  weit  sie  sich  mit  der  bildenden 
Kunst  beschäftigt,  verlangen  und  gegen  die  seit- 
herige Hintenansetzung  und  Entrechtung  pro- 
testieren         HERMANN  WIDMER. 

Ä 

Das  Handwerk,  das  gelehrt  wird,  muß  tech- 
nisch gediegen  gelehrt  werden.  Alles  Halbe 
ist  widerwärtig  und  trostlos,  und  wenn  man  vom 
Handwerk  redet,  darf  man  nicht  wieder  nur  ein 
neues  billiges  Schlagwort  in  die  Massen  werfen 
wollen.  Nicht  der  Lehrer  ist  der  rechte,  der 
der  Jugend  zum  Maule  redet,  sondern  der  ihr 
auch  bittere  Pillen  verordnet,  der  ihr  durch  den 
Ernst  einer  handwerklichen  Ausbildung  das  Ver- 
antwortungsgefühl einprägt,  das  zur  Ausübung 
jedes  Berufs  durchaus  notwendig  ist.  ii.  puelzig. 


EINFAMILIEN-DOPPELHAUS.  WINKELSTRASSE  •  MARGARETHEN-HÖHE. 


lüitinoiis1d)t 


-: ! t    I     f. 


Vorstehende  Abbildungen  sind  einem  soeben  im  Verlag  von  Alexander  Koch  erschienenen  neuen  Werk  von  Prof.  Georg 
Metzendorf  »Kleinwohnungs-Bauten  und  Siedlungen«   (etwa  200  Illustrationen  und  Grundrisse)  entnommen. 


\^^ 


VASEN 
IN  BLAU, 
SCHWARZ 
U.  WEISS. 


MAX  LAUGKK    KARLSRUHE  (BADEN) 


.MAX  I.AUGER— KARLSRUHK. 


»SCHALE  IN  BLAU  U.  WELSS« 


NEUE  LÄUGER-KERAMIK. 

VON  PROFESSOR  DR.  A.  E.  BKLNCKMANN     ROSTOCK. 


Man  kennt  den  Karlsruher  Hochschulprofes- 
sor Max  Läuger,  seit  er  den  Mut  hatte, 
in  Kandern  -  Südbaden  eine  Bauerngeschirr- 
werkstätte  zu  übernehmen  und  deren  Erzeug- 
nisse unter  Vervollkommnung  der  alten  Technik 
auf  eine  künstlerisch  hohe  Stufe  zu  heben.  Man 
findet  den  Läugerlopf  in  jedem  Kunstgewerbe- 
geschäft, dekorative  Läugerkeramik  als  Belag 
von  Wänden  oder  Architekturgliedern  ist  bis 
nach  Holland  und  der  Schweiz  gedrungen. 

Die  bevorzugte  Technik  war  der  Auftrag  ge- 
färbter Tonschlickermassen  auf  die  Wandungen 
des  Gefäßes  oder  der  Fliese,  sodaß  in  sehr 
kräftigen  Farben  die  dekorative  Zeichnung  als 
leichtes  Relief  entstand.  Bleiglasuren  steigerten 
dann  die  Farben  zu  höchster  Leuchtkraft,  wäh- 
rend durch  das  leichte  Relief  die  Lichtreflexe 
nicht  hart  auf  der  Oberfläche  stehen  blieben, 
sondern  sich  gewissermaßen  zersetzten ,  auf- 
lösten und  irrationale  Spiegelungen  formten. 

Bei  diesen  hohen  Leistungen,  die  einen  nach- 
haltigen Einfluß  auch  auf  andere  keramische 
Werkstätten  ausgeübt  haben,  ist  Läuger  nicht 
stehen  geblieben.  Keramisches  Arbeiten,  so- 
lange es  nicht  in  der  Art  der  fabrikmäßig  pro- 
duzierenden Manufakturen  geschieht,  erlaubt 
beim  Tonbereiten,  Farbenmischen,  Brennen  so- 
viel persönliches  Eingreifen  und  läßt  dem  per- 
sönlichen Entschluß  soviel  Freiheit,  damit  stets 


neue  und  teilweise  rätselhaft  überraschende 
Resultate  erzielend ,  daß  der  Keramiker  von 
selbst  zum  Experimentator  wird.  Die  klugen 
Untersuchungen  v.  Falkes  über  Rheinische 
Keramik  lassen  immer  wieder  durchscheinen, 
wieviel  experimentelle  Liebe  die  Entwicklungs- 
geschichte umfaßt;  die  von  Anatole  France 
herausgegebenen  Memoiren  Bernard  Palissy's 
(1510 — 90),  die  ich  allen  modernen  Keramikern 
als  Brevier  empfehlen  möchte,  zeigen,  mit  wel- 
cher Inbrunst  dieser  große  Hugenotte  sich  der 
Alchemie  keramischer  Probleme  hingab ,  wie 
denn  auch  innerlichste  Zusammenhänge  bloß- 
gelegt werden,  wenn  umgekehrt  ein  Alchemist 
und  Goldsucher  Entdecker  und  Erfinder  des 
Porzellans  wird.  Und  so  hat  es  auch  Läuger 
in  diesem  keramischer  Tätigkeit  innewohnenden 
Zwang  zum  Experimentieren  getrieben ,  nicht 
bei  den  erreichten  schönen  Resultaten  stehen 
zu  bleiben,  sondern  die  Techniken  seines  Mate- 
rials zu  verfeinern,  sie  schmiegsam  seinen  höch- 
sten Ansprüchen  zu  machen. 

In  langen  und  stillen  Versuchen,  in  stets 
neuem  Wiederholen  nicht  gelungener  Experi- 
mente, im  Kampf  mit  durch  Brand  veränderten 
Farben  und  den  Eigenwilligkeiten  der  schmel- 
zenden Glasur  hat  Läuger  diesen  Ausbau  der 
Technik  betrieben  und  er  darf  jetzt  mit  den 
neuen  Ergebnissen  hervortreten. 


145 


Uli.  Juni  I<no.  7 


Neue  Läuger-Keramih. 


H6 


VASK, 
GRÜN,  BI.Ar 
U.  SCHWARZ. 


M-\X  LÄUGER-  KARLSRUHE  (HAUEN). 


MAX  I.ÄUGER— K.\RT,SRX"HE  (B.\IjEN) 


Nach  zwei  Richtungen  gingen 
die  Versuche:  1.  die  Einfarbig- 
keit des  Schlickers  aufzulösen 
in  eine  größere  Nuancenskala 
und  über  die  groben  und  un- 
schmiegsamen Farbentöne  hin- 
auszukommen, mit  denen  heute 
die  Keramik  arbeitet  —  im  Ge- 
gensatz etwa  zu  den  märchen- 
haften Erzeugnissen  altpersi- 
scher Werkstätten  — ,  ohne  in 
die  der  Staffeleimalerei  gleichen 
Abstufungen  der  Porzellanma- 
lerei zu  verfallen,  die  Farbtech- 
nik also  nicht  unabhängig  von 
den  übrigen  Techniken  zu  ma- 
chen; 2.  die  Glasur  nicht  mehr 
lackartig  als  Überzug  wirken  zu 
lassen,  sondern  ihr  in  ihrer 
Schönheit  Eigenexistenz  zu  ge- 
ben und  sie  zu  einem  Medium 
zu  machen,  in  dem  die  Farben 
zu  verändertem  Dasein  empor- 
blühen, —  Daraufhin  sind  also 
die  neuen  Erzeugnisse  Läugers 
zunächst  anzusehen.  Länger 
vermeidet  jetzt  im  Gegensatz 
zu  früher  verschiedenartige  Pri- 


.Vntr  Länger -Keramik. 


BAUCHIGE 
\  ASE,  HLAU 
AUF  WEISS. 


MAX  L.\UGER— KARl^RUHE  (BADEN). 


märfarben  und  be^nii^t  sich  im 
allßemeinen  mit  zwei  Grund- 
farben, einem  Dunkelblau  und 
einem  tiefen  sanftem  Grün, 
die  er  nach  langem  Experi- 
mentieren gefunden  hat  —  da- 
mit gewissermaßen  auch  in  der 
Keramik  die  Wendung  von 
van  Gogh  zu  Cezanne  ma- 
chend. Diese  Grundfarben, 
mit  denen  sich  ab  und  zu  noch 
ein  Tupfer  Rot  und  Braun  ver- 
bindet, werden  nun  in  sich 
abgestuft  und  durch  dickeren 
oder  dünneren  Auftrag  nuan- 
ciert, gewinnen  dann  aber 
weitere  Nuancen  durch  ihr 
Verhältnis  zum  Grund.  Die 
Grundmasse  dieserTöpfe  oder 
Schalen, der  sogenannteScher- 
ben,  ist  in  seiner  Farbe  ab- 
hängig von  dem  verwende- 
ten Ton,  meist  ist  er  rötlich 
hart  gebrannt,  seltener  hell 
und  ins  Gelbe  spielend.  Auf 
diesem  Scherben  sitzt  die  ei- 
gentliche Malschicht  auf,  die 
ganz  licht,  trotzdem  in  ihrer 


MW    lAll.l.K      KAKI.sKl  Uli  (BAlJl.N). 


147 


Neue  Länger -Keramik. 


■  am 


148 


M.LAUGEK- 
KARLSRUHK 


FLIESE,  BLAU, 
SCHWARZ. 
UND  WEISS. 


Masse  leicht  gefärbt  ist:  bläulicii,  firünlich,  gelb- 
lich. DieseMalschicht  ist  an  verschiedenen  Stel- 
len absichtlich  teils  dünner,  teils  dicker  aufge- 
legt, deckt  also  teils  den  Scherben,  läßt  ihn  teils 
durchscheinen.  Auf  dieser  differenzierten  Fläche 
steht  also  das  farbige  Muster,  das  mit  seinen 
Nuancen  Anpassung  an  die  Nuancen  des  Grun- 
des sucht  und  in  einem  Farbakkord  unendlich 
feine  Abschattierungen  und  Farbverbindungen 
zu  wecken  vermag.  Alles  kommt  darauf  an, 
wie  die  Inspiration  des  Künstlers  im  raschen 
Auftrag  des  Ornaments  diese  Farbsymphonien 
zu  gestalten  weiß,  denn  die  vielen  Nuancen  er- 
möglichen unzählige  und  stets  neue  Kombina- 
tionen, Es  leuchtet  ein,  daß  ein  solches  Arbeiten 
nie  mehr  fabrikmäßig  sein  kann,  daß  jedes  Stück 
ein  Einzelstück  sein  muß,  große  Anforderungen 
an  das  lebendige,  schnelle  Improvisieren  des 
Künstlers  stellt.  Schon  damit  werden  diese 
neuen  Läuger-Keramiken  Unica  und  geschlos- 
sene Kunstwerke ,  jedes  in  seinem  eigentüm- 
Hchen  Leben  immer  erneute  Manifestationen 
der  Schöpferkraft  gebend,  entsprechend  aber 
auch  im  Preis  zu  bewerten. 

Doch  dies  alles  ist  nur  Einleitung  zu  dem 
großen  entscheidenden  Prozeß  der  Glasierung. 
War  diese  früher  nur  ein  Leuchtendmachen  der 
Farben,  gewissermaßen  die  Politur  des  Werk- 
stücks, so  bekommt  sie  jetzt  eigene  Aufgaben, 
die  sie  unter  Rücksichtnahme  auf  die  FcU"b- 
gebung  erfüllt.  Schon  jetzt,  noch  vor  dem  Pro- 
zeß   der    Glasierung,    weist   die    neue  Läuger- 


Keramik  einen  farbigen  Reichtum  auf,  der  wie 
ein  Cezannebild  dem  kultivierten  Auge  immer 
neue  Entdeckungen  bietet.  Und  nun  erscheint 
eine  Glasur ,  die  von  dickem  durchsichtigen 
Schmelz  bis  zu  den  zartesten  opaken,  das  heißt 
mattdurchsichtigen  Überzügen  verrinnt,  die  an 
einzelnen  Stellen  sich  sammelt  und  das  Licht 
aussprüht,  an  anderen  Stellen  wieder  die  samtene 
Tiefe  der  Farben  wirken  läßt.  Diese  Glasuren 
selbst  sind  zum  Teil  ganz  zart  in  der  Masse  ge- 
färbt, sodaß  eine  weitere  Nuancenskala  ent- 
steht, die  mit  den  Möglichkeiten  des  Grundes 
und  des  Farbenäuftrags  verbunden  neue  Farben- 
reize aufzaubert,  wie  sie  von  moderner  Keramik 
tatsächlich  noch  nicht  erreicht  ist.  Auch  feine 
Glasursprünge,  das  sogenannte  Craquele,  stel- 
len sich  ein,  die  der  Oberfläche  jenes  bewun- 
derte rissige  Flimmern  verleihen,  das  besonders 
japanische  Keramiken  auszeichnet.  Unwillkür- 
lich stellt  sich  der  Vergleich  mit  altpersischen 
Fliesen  und  keramischer  Ware  ein,  die  ja  auch 
in  ähnlich  liebevoller  Einzelbehandlung  ent- 
standen sind  und  die  heut  auf  internationalen 
Auktionen  Phantasiepreise  erzielen.  Läuger 
würde  am  allerwenigsten  leugnen,  daß  er  durch 
solche  Eindrücke  zum  Schaffen  ermuntert  wurde 
—  doch  kann  es  sich  bei  einem  Läuger  auch 
nicht  entfernt  um  Nachahmung  und  Anempfin- 
dung  handeln.  Die  Technik  ist  ein  zu  empfind- 
sames Werkzeug  geworden,  als  daß  sie  nicht 
jeder  Regung  des  Individuell  -  Künstlerischen 
nachfolgen  müßte. 


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MAX  l.AUGER     KARLSRUHE. 

KUESE;    blau,  (JKÜ.N   fMl  SCHWARZ. 


Neue  Länger -Keramik. 


150 


Läu)!cr,  der  den  eiiSenartij^en  in  unserer  Zeit 
seltenen  Typ  des  Künstlers  bildet,  in  dem  sich 
die  scheue  Weichheit  des  Alemannen'  mit  einem 
im  Grunde  überaus  hartnäckigen,  oft  vielleicht 
sojjar  eigensinnigen  aber  trotz  allem  Phantasie- 
vollen höchst  zielsicheren  Instinkt  verbindet, 
der  mit  Billing  die  prominenteste  PersönUcli- 
keit  der  Architektur-Abteilung  der  Karlsruher 
Hochschule  ist,  hat  sich  hier  ein  Instrument  ge- 
schaffen, das  von  zartesten  Empfindungen  bis 
geradezu  orgiastischem  Rausch  sich  steigern 
kann.  Man  weiß,  daß  Japaner  und  Chinesen 
ihre  keramischen  Kostbarkeiten  in  köstlichen 
Seidenfutteralen  aufbewahren  und  diese  Stücke 
nur  gelegentlich  hoher  Festlichkeiten  herum- 
reichen als  besonderen  Gang  des  Festessens, 
als  Augenschmaus.  Auch  die  neue  Läuger- 
Keramik  verlangt,  daß  man  ihr  Stunden  ruhiger 
Betrachtung  widmet,  daß  man  sie  unter  abwech- 
selnde Lichtverhältnisse  rückt,  auf  farbige  Tü- 
cher und  Seidenstoffe  stellt,  Akkorde  mit  Scha- 
len und  Gefäßen  aufbaut.  Fließen  vertreten  hier 
gerahmt  die  Stelle  köstlicher  kleiner  Miniaturen. 

Die  Form  der  keramischen  Waren  hat  sich 
verschiedentlich  bis  zur  Sonderexistenz  ent- 
wickelt —  zu  anderen  Zeiten  will  die  Form  nur 
Möglichkeiten  für  Zeichnung,  Farbe  und  Glasur 
bieten.  Absichtlich  wählt  Länger  ganz  einfache 
Formen :  die  Schale  flach  und  tief,  im  Profil  eine 
gleichmäßige  Kurve  zeichnend  oder  mit  beson- 
derem Fuß,  den  kugligen  Kopf,  der  sich  oben 
zusammenstaucht  oder  vasenartig  sich  hoch- 
zieht. Formen  möglichst,  die  gut  in  der  Hand 
liegen,  wie  denn  auch  die  Gefäße  meist  in  einer 
Größe  sich  halten,  daß  die  Hand  sie  leicht  zu 
fassen  vermag.  Immer  gilt  es,  Flächen  zu  ge- 
winnen für  das  Spiel  der  Farben  und  Glasuren, 
das  Auge  nicht  durch  Kompliziertheit  der  For- 
men abzulenken  oder  aufzuhalten.  Ich  könnte 
mir  zwar  denken,  daß  auch  Länger  noch  einen 
weiteren  Schritt  täte  und  neben  Grund,  Farbe 
und  Glasur  die  Nuancenreihe  der  Formen  weiter 
ausbildete  —  vielleicht  gibt  es  aber  für  das 
moderne  Auge  eine  Reizgrenze,  über  die  hinaus 
Komplizierung  Verwirrung  scheint.  Bereits  die 
jetzigen  Arbeiten  stellen  an  das  Vermögen  des 
künstlerisch  sehenden  Auges  außerordentliche 
Anforderungen,  um  allen  Feinheiten  nachzu- 
kommen —  wobei  es  denn  andererseits  eine 
Beruhigung  ist,  daß  diese  Meisterwerke  nur 
noch  von  einem  erzogenen  Auge  und  einem 
entwickelten  künstlerischen  Verständnis  aufge- 
nommen werden  können  und  von  selbst  eine 
schieberhafte  Luxusgesellschaft  ausschließen. 
Experiment,  aber  immer  durchschlagend  in  sei- 
nem kritischen  Erfolg,  ist  es,  einem  größeren 
Kreis   diese  Keramik   vorzuführen:    die    einen 


sehen  Wunder,  die  anderen  Steingut  —  und  so 
mögen  denn  die  einen  mit  uns  in  den  Tempeln 
der  Kunst  weilen,  die  anderen  draußen  bleiben. 

Jetzt  ein  Letztes,  AUerpersönlichstes :  das 
Ornament.  Seine  Wahl  bedingt  Größe  und 
Krümmung  des  Gefäßes  —  die  einfache  Fhese 
weist  ja  viel  einfacher  nur  das  Quadrat  — ,  an- 
dererseits macht  das  Ornament  das  Gefäß  lei:ht 
oder  schwer,  behäbig  ruhend  oder  munter  auf- 
steigend. Innenfläche  und  Außenfläche  haben 
andere  Spannungen  und  Tektoniken.  Auch  die 
Farbe  bedingt  das  Ornament,  die  saftige  ein 
anderes  wie  das  herbe,  wie  andererseits  das 
Ornament  die  Farben  graziös  in  zärtlicher  Ran- 
kung, pastos  und  wuchtig  in  breiten  Flächen 
vorstellt,  oder  auch  Lyrisches  und  Episches  zu- 
sammenstimmt. Endlich  bedingt  die  Glasur  noch 
die  Wahl  des  Ornaments,  die  feine  Striche  auf- 
löst oder  verschleiert,  die  große  Flecken  sprengt, 
da  nun  Lichttupfer  auf  der  Wandung  aufleuch- 
ten, die  allzugroße  Formenrhythmik  zerreißen. 
Man  merkt  bewundernd,  wie  das  Ornament  als 
letzter  Schluß  sehr  vieler  Kombinationen  ent- 
steht und  wie  es  immer  wieder  neu  erfunden 
sein  will,  da  die  Wechselfälle  zwischen  Scherben 
und  Form,  Farbe  und  Glasur  unendhche  sind. 
Man  merkt  auch  nach  und  nach,  wie  hier  für 
jedes  Gefäß  die  Peripetie  steht  und  die  Prüfung 
auf  Erlebnis  und  Sieg  des  Künstlers.  Läuger 
wählt  im  Gegensatz  zu  früher  nicht  mehr  das 
gegenständliche  Ornament  —  wiesen  wir  vorher 
auf  Cezanne,  so  berührt  sich  diese  Gegenstands- 
losigkeit mit  jüngster  Malerei  — ,  er  sucht  das 
Rhythmisch-Lineare.  Es  entsteht  ein  gleitend- 
phantastisches Spielen  einerRankenornamentik, 
die  an  Vegetabilisches  anklingt,  an  Algen  und 
weiche  Kiefernbüschel,  die  heraldische  Tier- 
formen sucht  und  immer  wieder  die  linear-sym- 
bolische Schmiegsamkeit  des  nackten  Frauen- 
körpers in  seiner  mädchenhaften  Schlankheit 
verlangt.  Kaum  Andeutung  von  Tiefe,  nur  so, 
als  ob  unter  Schleiern  ein  anderer  Grund  zu 
ahnen  ist,  ein  Grund,  den  nicht  Zeichnung  son- 
dern nur  Farbe  und  Glasur  geben.  Höchste 
Besonnenheit,  wie  sich  dies  Ornament  zu  den 
Spannungs-  und  Dehnungsfunktionen  des  Ge- 
fäßes einpendelt,  wie  Ränder  sich  schließen, 
Bauchungen  sich  weiten ,  Schwerpunkt  und 
Sammelstelle  sich  festigen,  und  —  das  ist  letztes 
Kriterium  —  alle  bisherigen  Symphonien  be- 
gleitet oder  kontrapunktiert  werden. 

Tatsächlich,  was  Du  in  der  Hand  halst,  ist 
ein  schaubarer  Akkord.  Dieser  klanglose  Scher- 
ben ist  Träger  geistiger  Regsamkeiten  eines  un- 
gewöhnlich fein  empfindenden  künstlerischen 
Instinkts.  Ist  ein  Gipfelpunkt  neuzeitlischer 
Keramik a.  e.  b. 


MAX  LÄUGER.   »SCHALE,  BLAU,  SCHWARZ.  IND  WEISS. 


MAX  LÄUGER     KARLSRUHE.   .SCHALE,  BLAU  UNU  WEISS. 


^t^i^ 


ENTWURF  VON  PAUL  H.  HUBNER— FREIBURG  I.  B.    MONOGRAMME. 

H.  PREIS  IN  l'NSFREM  WPTTBEWERB:       MONOGRAMME  IND  ZEICHEN« 


.is> 


ALFRED  RETHEL.  >DIE  MUTTER  DES  KÜNSTLERSt 

BtLDNIS-AUSSTELLUNG  DER  BERLINER  AKADEMIE. 


FRIEDRICH   RKHKEKG. 


BILDNIS   PROF.  C.  l'H.  M'  iRIlZ. 


ALT-BERLINER  PORTRÄTS. 

VON  MAX  OSBORN. 


Mich  dünkt  immer,  die  Gestalt  eines  Men- 
schen ist  der  beste  Text  zu  allem,  was 
sich  über  ihn  empfinden  und  sagen  läßt",  meint 
Goethes  Stella  — • :  es  gibt  keinen  schöneren  und 
ausdrucksvolleren  Kulturspiegel  einer  Zeit  als 
eine  erlesene  Bildnisgalerie.  Und  jeder  großen 
Porträtausstellung  wird  es  so  ergehen,  daß  sie 
mehr  als  nur  ein  kunstgeschichtliches  Doku- 
ment darstellt. 

So  war  es  auch  um  die  Frühjahrsveranstal- 
tung  der  Berliner  Akademie  der  Künste  bestellt. 
Sie   sollte   nach   dem   ursprünglichen  Plan  eine 


umfassende  Vorstellung  von  der  deutschen  Bild- 
niskunst seit  dem  Ausgang  des  achtzehnten 
Jahrhunderts  bis  an  die  Schwelle  der  Gegen- 
wart geben.  Da  kamen  die  Tage  des  Kapp- 
Putsches  und  der  folgenden  Unruhen  dazwi- 
schen, bei  denen  auch  das  Akademiegebäude 
eine  Anzahl  Infanterietreffer  abbekam.  Die 
privaten  Besitzer,  auf  die  man  vor  allem  rech- 
nete, wurden  zurückhaltend.  Die  Versicherungs- 
quoten stiegen  ins  Ungeheure.  Die  chronischen 
Transportschwierigkeiten  erwiesen  sich  als  so 
herrisch,  daß  man  auf  pünktliches  Eintreffen  aus- 


155 


nii  Juli  1920  1 


Alt-Berliner  Porträts. 


156 


K  \KI.   lll.i:i   III"  \,     /KU   HNVN'G    .AKIHIIKKI     MAL:(H 


wärtiger  Stücke  überhaupt  nicht  mehr  rechnen 
konnte.  Und  so  beschränkte  man  sich  im  wesent- 
hchen  auf  berhnisches  Material.  Der  Kreis 
war  dadurch  kleiner  geworden,  aber  er  hatte 
auch  an  Einheitlichkeit  und  Geschlossenheit 
gewonnen,  und  was  wir  nun  sahen,  war  ein  kul- 
turgeschichtliches und  gesellschaftsgeschicht- 
liches Denkmal  von  so  hohem  Reiz,  wie  wir  es 
in  dieser  Form  kaum  jemals  genossen  haben. 
Gewiß,  nicht  allein  die  künstlerische  Arbeit 
fesselte  in  jedem  Einzelfall,  sondern  auch  die 
Menschen,  die  dargestellt  waren.  Man  muß 
sich  das  bei  solchen  Gelegenheiten  sehr  deut- 
lich klar  machen,  um  nicht  zu  falschen  Ein- 
schätzungen zu  gelangen.  Bei  einerhistorischen 
Porträtschau  bezaubert  manches  Werk  durch 
die  Präzision  der  Vergangenheitsstimmung  auch 
ohne  besondere  malerischeQualität.  Allerdings: 
wie  angenehm  war  der  Verkehr  mit  diesen  ver- 
sunkenen Generationen  eines  glücklicheren,  be- 
haglicheren, anspruchsloseren  und  geistigeren 
Berlin!  Das  waren  Leute,  dieZeithatten.  Leute, 
die  ihr  Leben  als  ehrliche  Verwalter  eines  gott- 
gegebenen Geschenks  sich  entwickeln  und  aus- 
reifen ließen.  Es  quoll  deu-aus  Genuß  und  Lehre 
und  etwas  wie  Trost  für  unsere  Verworrenheit. 
Und  das  große  Einheitsgefühl,  das  allen  Epo- 
chen deutschen  Lebens  bis  zum  Beginn  des 
großen  materiellen  Aufschwungs  in  der  zweiten 
Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  eigen  war,  ord- 


nete selbst  Kunstwerke  geringeren  Grades' in 
die  beruhigte  Totalität  einer  organisch  heran- 
gewachsenen künstlerischen  Kultur  ein.  Stadt 
und  Menschen  und  Kunstschöpfungen  waren 
von  denselben  festumrissenen  und  klar  über- 
blickbaren Lebensgesetzenbestimmt.  Auch  Ta- 
lente, die  nicht  in  der  ersten  Reihe  marschierten , 
ja  schücht  handwerkliche  Begabungen  wurden 
durch  so  glückliche  Umstände  gesegnet.  .  . 

Der  leitende  Gedanke  derakademischen  Aus- 
stellung war,  aus  versteckteren  Quellen  zu 
schöpfen.  Die  wenig  bekannte  Kunstsammlung 
der  Akademie  selbst  gab  den  Ausgangspunkt 
des  ganzen  Unternehmens  ab  undbildete  seinen 
Kern.  Dann  forschte  man  in  anderen  Staats- 
instituten nach.  Dann  bei  den  Sammlern  und 
vor  allem  bei  den  alten  Berliner  Familien.  Und 
so  gelang  es  mit  Eifer  und  Glück,  vor  allem 
durch  die  ausgebreitete  Kenntnis  von  Professor 
Hans  Macko  wsky ,  eine  ganze  Fülle  von  Stücken 
hohen  Wertes  aus  verborgenen  Winkeln  her- 
vorzuziehen. Anderes,  das  im  einzelnen  den 
Kennern  schon  vertraut  war,  auch  früher  schon 
—  so  bei  der  unvergeßlichen  Jahrhundertaus- 
stellung von  1906  —  als  Entdeckung  überrascht 
hatte,  rückte  nun  erst  in  den  rechten  Zusam- 
menhang und  erhielt  neue  Wirkung.  —  Kostbar 
entfaltete  sich  vor  allem  das  endende  Berliner 


JOHANN  GOTTFRIED  SCHADOW.   «BILDNIS-ZEICHNUNG« 


Alt-Berliner  Porträts. 


K.  BLECHKN. 

/.ElCHNfNG 
l'RDI'ESSOK 
V.  KI.OEBKK. 


Rokoko  mit  seinem  kultivierten  Geschmack, 
seiner  Freude  an  schimmernder  Zierhchkeit, 
seinem  erwachenden  ReaUsnius  und  seiner 
bürgerlichen  Solidität.  Der  Vater  dieser  Schule 
war  Antoine  Pesne,  der  selbst  als  geborener 
Franzose  auf  der  Ausstellung  fehlte,  bei  der 
man  sich  auf  deutsche  Künstler  beschränken 
wollte.  Das  war  wohl  ein  bißchen  doktrinär; 
derm  Pesne  war  in  jahrzehntelangem  Aufent- 
halt an  der  Spree  ein  rechter  Berliner  ge- 
worden, und  es  hätten  sich  von  seinen  Ar- 
beiten namentlich  aus  den  jetzt  zum  National- 
eigentum gewordenen  Schlössern  zahlreiche 
wichtige  Stücke  herbeischaffen  lassen  (wie  etwa, 
um  nur  ein  Beispiel  zu  nennen,  das  wundervolle 
Bildnis  Knobelsdorffs,  des  Opernhaus-Erbauers). 


Doch  Pesnes  Schüler  waren  zur  Stelle,  und 
man  verfolgte  deutlich,  wie  sich  in  der  nord- 
deutsch-preußischen Luft  die  feine  koloristische 
Zucht  der  Pariser  Watteau-Lehre  mit  einem 
schlichteren  Naturgefühl  verband.  Wichtig  wa- 
ren damals  in  Berlin  eine  Anzahl  polnischer 
Künstler,  die  eine  glänzende  Tätigkeit  entfalte- 
ten, an  ihrer  Spitze  G.  F.  R.  Liszewski  und 
seine  noch  berühmtere  und  auch  bedeutendere 
Tochter  Friederike  Julie  Liszewska.  Der 
Herrscher  in  diesen  Rokokoräumen  aber  war 
natürlich  Anton  Graff,  der  mit  seiner  treuen, 
aus  einfachem  Handwerkssinn  zu  höchster  Lei- 
stung aufsteigenden  Kunst  die  Führer  des  gei- 
stigen Berlin  konterfeite.  Völlig  unbekannt  war 
bisher  Graffs  Porträt  von  Andreas  Ricm,  einem 


157 


— 5 


BUCHHORN.  »JOH.  GOTTFRIED  SCHADOW« 


UNBEKANNTER  KÜNSTLER.  „KOM.-RA  1  J.  LIKBERMANN« 


v:^ 


AU -Berliner  Porträts. 


160 


merkwürdigen  Manne,  der,  wie  auf  der  Rück- 
seite der  Leinwand  zu  lesen  ist,  ein  höchst 
abenteuerliches  Leben  geführt  hatte,  bevor  er 
als  Ständiger  Sekretär  der  Akademie  sehr  wür- 
dig endete  —  ein  Meisterwerk  in  der  Charak- 
teristik, im  malerischen  Vortrag  und  im  Hell- 
dunkel desLichterspicls.  Völlig  unbekannt  auch 
das  außerordentliche  Bildnis  von  Carl  Philipp 
Moritz,  das  unter  den  Abbildungen  dieses  Heftes 
auftaucht,  gemalt  von  Friedrich  Rehberg,  dem 
Vielgewanderten,  der  von  1786  an  nur  wenige 
Jahre  in  Berlin  wirkte  —  in  der  breiten  Malerei 
und  der  zarten  Mischung  kühler  Werte  wie  der  un- 
befangenen Natürlichkeit  der  Auffassung  weithin 
indieZukunft  deutend.  Wesentlich  fürdenhohen 
künstlerischen  Stand  dieser  Zeit  war  die  Vorzüg- 
lichkeit einer  Anzahl  von  Bildern,  deren  Maler 
vollkommen  in  Vergessenheit  geraten  sind.  Wie 
wenig  alle  diese  Dinge  erforscht  sind,  mag  ein 
Beispiel  beleuchten.  Hing  da  in  der  einstigen 
Königlichen  Bibliothek,  jetzt  Staatsbibliothek, 
seit  etwa  hundert  Jahren  das  Bildchen  zweier 
musizierender  Kinder,  das  immer  unter  dem 
Titel  „Mozart  und  seine  Schwester"  geführt 
worden  war.  Jetzt  stellte  sich  heraus,  daß  es 
sich  hier  um  ein  Kinderbild  der  Rahel  Levin, 
der  berühmten  späteren  Rahel  Varnhagen,  und 
ihres  Bruders  Markus  Levin,  handelt,  das  J.  Ch. 
Frisch,  der  wohlbekannte  Direktor  der  Berliner 
Akademie,  gemalt  hat!  Aus  dem  Rokoko  zum 
Berhner  Frühklassizismus  führte  dann  Friedrich 
Georg  Weit  seh  hinüber,  dernoch  viel  zu  wenig 
Gekannte  und  Geschätzte. 

In  der  großen  Zeit  des  Hochklassizismus  aber 
bewährte  sich  gerade  im  Porträt  die  gesunde 
Berhner  Art,  die  sich  durch  keine  hochgespann- 
ten Theorien  abhalten  ließ,  die  guten  Über- 
lieferungen redlicher  Wirklichkeitstreue  und 
malerischen  Wissens  zu  pflegen.  Man  machte 
zwar  seine  offizielle  Studienfahrt  nach  Rom, 
aber  man  wußte,  was  man  seinem  deutschen 
Handwerk  schuldig  war.  Von  Weitsch  führt 
über  seinen  Schüler  J.  K.  H.  Kr  et  seh  mar,  der 
das  vielbesprochene  Prinz  von  Homburg-Bild 
von  1800  malte  (das  Heinrich  von  Kleist  die 
entscheidende  Anregung  zu  seinem  Drama  gab), 
der  aber  als  Porträtist  weit  Besseres  leistete 
denn  als  Historiker,  eine  gerade  Linie  zu  Karl 
Wilhelm  Wach,  der  1815  auf  drei  Jahre  nach 
Paris  ging,  um  bei  David  und  Gros  seine  Stu- 
dien abzuschließen,  und,  heimgekehrt,  in  Berlin 
auf  die  heranwachsende  Generation  großen  Ein- 
fluß gewann.  Und  nun  sahen  wir  wieder,  wie 
gerade  das  Porträt  sich  immer  mehr  zu  einer 
Hauptdomäne  der  Berliner  Kunst  entwickelte, 
hier  wie  überall  mit  seinen  unbeirrbaren  Wirk- 
hchkeitsforderungen  als  Retter  aus  der  blassen 


und  verblasenen  Idealität  des  Kartonstils  auf- 
tretend. Auch  auf  diesem  Gebiet  thronte  über 
allen  der  alte  Schadow,  der  auf  der  Ausstel- 
lung als  Plastiker  wie  als  Zeichner  und  als  Lehrer 
und  Anreger  seine  unvergleichliche  Größe  wie- 
der entfaltete.  Und  sein  strenger,  dabei  von 
hoher  künstlerischer  Freiheit  beseelter  Wirk- 
lichkeitssinn blieb  auch  lebendig,  als  man  ro- 
mantisch-nazarenisch-düsseldorferisch  gestimmt 
wurde,  voll  Schwärmerei  und  Sehnsucht  war 
und  sich,  fast  ähnlich  den  Bestrebungen  unserer 
Gegenwart,  nach  den  Primitiven  übte.  Welche 
Holdheit  und  Liebenswürdigkeit  dabei  zutage 
trat,  mag  hier  als  Probe  das  entzückende  Dop- 
pelporträt von  Adelheid  und  Gabriele  von  Hum- 
boldt aus  dem  Jahre  1809  erkennen  lassen,  das 
Gottlieb  Schick  malte,  der  sich  sonst  in  hoch- 
trabenden antikisierenden  und  biblischen  Kom- 
positionen bewegte  und  in  diesem  Kinderbilde 
ganz  natürliche  Anmut  und  treue  Beobachtung 
blieb.  Die  Familienbilder  der  Humboldts  hefer- 
ten  auch  sonst  manch  besonders  schönes  Stück 
der  Ausstellung.  In  ihrem  Kreise,  und  nament- 
hch  auf  ihrem  Sommersitz  in  Tegel  draußen 
nördlich  vor  der  Stadt  fand  der  von  hohen 
literarischen  und  wissenschaftlichen  Interessen 
getragene  Geist  der  Berliner  Kultur  jener  Jahr- 
zehnte eine  seiner  vornehmsten  Pflegestätten. 

Die  romantische  Strömung  ebbte  ab ,  und 
das  Biedermeiertum  erhob  sein  Haupt,  Nun 
schwelgte  das  Berliner  Bürgertum  in  einer  von 
häuslichem  Behagen,  bravem  Wohlstand  und 
zielklarer  Tüchtigkeit  erfüllten  Luft.  In  keiner 
anderen  deutschen  Stadt  hat  die  vormärzliche 
Epoche  eine  so  runde  und  reiche  Ausbildung 
erfahren.  Wenn  man  diese  Porträts  der  Schoppe, 
Magnus,  Julius  Hübner,  Carl  Begas  (des  Ahn- 
herrn der  Begas-Dynastie)  betrachtete,  so  fühlte 
man  den  gesättigten  Frieden  der  Familien ,  die 
sich  solche  Dinge  bestellten.  Besonders  charak- 
teristisch dabei  unser  Bildnis  der  jungen  Gattin 
Hübners,  einer  Tochter  des  Bankiers  Bende- 
mann  —  „amoris  sui  monumentum"  schrieb  der 
Maler  auf  das  Bild  der  neunzehnjährigen  Frau. 
Wieder  tauchen  famose  Unbekannte  auf,  wie 
der,  der  Max  Liebermanns  Großvater  porträ-  i 
tierte  —  er  gehört  in  die  Gegend  Franz  Krügers,  1 
aber  mit  dem  Meister  selbst  ist  er  nicht  zu 
verwechseln. 

Noch  zwei  Beispiele  zeugen^  hier  von  der 
Macht  des  Porträts.  Alfred  Rethel,  der  Histo- 
riker, dessen  Sinn  auf  monumentalen  Ausdruck 
gestellt  war,  ist  in  dem  herrlichen  Bilde  seiner 
Mutter  ein  Realist  von  peinlicher- Gewissen- 
haftigkeit; freilich,  die  Größe  der  Anschauung, 
von  der  Rethels  ganzes  Wesen  erfüllt  war,  grüßt 
imponierend   auch   aus   diesem   Denkmal,   das      ' 


CARL  BEGAS  D.  ALT.  »CONSTANZA  von  HEINZ. 


ANNA  VON  JAGEMANN.    FRAU  HENRIETTE  WERTHEIMBER. 


GEORG  FRIEDRICH  REIXHOLD  LISZENSKI. 

»DIE  TOCHTER  DES  KÜNSTLERS» 


IM.  Juli  1920.  2 


JULIUS  HÜBNER.  .GATTIN  DES  KÜNSTLERS« 


der  Sohn  seiner  Mutter  setzte.  Und  Karl 
Blechen,  der  Lichtpoet  der  vormenzelschen 
Zeit,  verblüfft  durch  die  fabelhaften  Porträt- 
zeichnungen aus  dem  Kreise  des  alten  (1814 
von  Schadow  gegründeten)  Berliner  Künstler- 
vereins, die  bisher  völlig  unbekannt  geblieben 
waren.  Ganz  schnell  hingesetzte  Spiegelungen; 
dabei  wundervoll  eigenwillig  und  persönlich, 
von  jedem  Objekt  zu  anderer  Zeichenmelhode 
angeregt,  durchaus  modern  in  der  Führung  der 
Kreide,  alle  Konventionen  der  Zeit  sprengend. 
Freilich,  als  nun  die  Stadt  reicher  wurde,  als 
Preußen  emporstieg,  die  Gründung  des  Kaiser- 
staats sich  vorbereitete  und  vollzog,  war  es  mit 


der  Sicherheit  des  künstlerischen  Schaffens  aus. 
Geradezu  erschreckend  hat  das  die  Berliner 
Ausstellung  wieder  bestätigt.  Es  kommt  wohl 
hier  und  dort  zu  bedeutenden  Hinzelleistungen, 
aber  es  fehlt  die  große  Bindung,  der  Zusammen- 
halt. Jene  Totalität  der  Welt-  und  Lebensan- 
schauung war  verloren  —  die  Kunst  als  Mensch- 
heitsbaronieter  zeigte  das  an.  Vorbei  war  es 
mit  der  Blüte  der  Berliner  Porträtmalerei.  Denn 
vorbei  war  es  mit  den  wurzelechten  berlinischen 
Menschen  als  einer  Klasse  und  Rasse  ,  wie  sie 
Theodor  Fontane  einmal  charakterisiert  hatte; 
„Die  Seele  griechisch,  der  Geist  altenfritzisch, 
der  Charakter  märkisch" m.h. 


SYNTHESE. 


Der  Kunstfreund,  der  in  der  Kunst  die  Schön- 
heitswerte liebt  —  verschieden  vom  Samm- 
ler, dem  es  mehr  auf  den  Namen,  auf  die  Be- 
rühmtheit ankommt  —  steht  oft  mit  aufrich- 
tigem Bedauern  neben  den  sich  ablösenden 
Bewegungen,  die  mehr  in  programmatischen 
Neuerungen  sich  kundtun,  als  in  abschließenden, 
reifen  Werken.  Fr  vermißt  die  klassische  Lö- 
sung, das  große,  ausschöpfende,  starke  Werk 
und  er  sucht  es  in  den  Ausstellungen  fast  immer 
vergebens.  Schon  der  Impressionismus  hat  ver- 
schwindend wenige  in  seiner  Art  klassische 
Bilder  hervorgebracht,  und  das  „große"  Bild 
hätte  ja  auch  seiner  Absicht,  die  eine  Wieder- 
gabe des  flüchtigen,  optischen  Eindruckes  er- 
strebte, ganz  und  gar  nicht  entsprochen.  Die 
Standardwerke  von  Manet  sind  ebenso  kompo- 
niert wie  die  von  Liebermann.  Der  Impressio- 
nismus ist  rein  immer  nur  in  der  Skizze  zum  Aus- 
druck gekommen.  Und  wie  wurde  gerade  über 
dieses  Skizzenhafte  vom  Kunstfreund  geklagt. 
Heute  ist  das  Bestreben  der  jungen  Maler 
eigentlich  ja  auf  das  Bildmäßige  gerichtet.  Sie 
komponieren,  konstruieren.  Aber  wieder  suchen 
wir  das  durchgearbeitete,  reife  „fertige"  Bild 
vergebens.  Wir  sehen  Liniengerüste  ohne  Kleid, 
Gedanken  ohne  Verkörperung.  Der  Kunst- 
freund stößt  sich  an  den  Verzerrungen  wie 
früher  an  den  Flüchtigkeiten.  Er  hält,  wenn 
er  guten  Willens  ist  und  den  Künstlern  gerecht 
werden  will,  mit  seiner  Entrüstung  und  Ent- 
täuschung zurück,  aber  im  Innern  haben  ästhe- 
tisch gestimmte  Menschen  dieser  Art  doch  alle 
ein  Empfinden  und  eine  Hoffnung,  es  müßte 
möglich  sein,  auch  in  der  neuen  Weise  volle, 
reife,  restlos  erfreuliche  Werke  zu  schaffen. 
Werke,  die  auch  das  reiz-  und  schönlieitshungrige 
Auge  befriedigen,  die  mehr  sind  als  Sensation. 
—  Aber  diese  Hoffnung  wird  ebenfalls  vergeb- 


lich sein.  Um  das  Konstruktive  des  Bildes,  um 
den  Ausdruck  rein  herauszuarbeiten ,  haben 
unsere  Maler  auf  alle  anderen  Zutaten  und 
Ausschmückungen  verzichten  müssen.  Luft- 
stimmungen gibt  es  nicht  mehr,  die  Sonne  hat, 
außer  als  Ornament,  ausgespielt.  Wer  kennt 
noch  die  feineren  Schwebungen,  die  Valeurs 
der  Farben?  Soll  das  alles  abgetan  und  ver- 
gessen sein,  ebenso  wie  die  Fähigkeit,  auf  der 
Haut  die  unendliche  Vielfälligkeit  der  Lichter 
und  Töne  aufzuspüren?  Die  neuen  Ziele  for- 
dern Verzicht  auf  alle  Blumen,  die  abseits 
vom  geraden  Wege  blühen. 

Aber,  so  fragt  der  Kunstfreund,  sollen  wir 
uns  nun  wieder  mit  ungefähren  Lösungen  ein- 
seitiger Problemstellungen  begnügen,  um  dann 
rasch  zu  neuen,  noch  einseitigeren  Aufgaben 
weiterzugehen?  Kann  es  nicht  einmal  ver- 
sucht werden,  etwa  im  Porträt,  geistigen  Aus- 
druck, reine  Farbigkeit  und  Lichtstimmung  des 
Milieus  zu  einer  frohen  Synthese  zu  vereinen? 
Ich  wage  kaum,  diese  Verbindung  von  Dingen 
niederzuschreiben,  die  als  unversöhnlicheGegen- 
sätze  gelten.  Und  doch !  Der  naive  Kunst- 
freund hegt  nun  mal  diese  Sehnsucht  nach  der 
großen  Synthese  im  Herzen,  still,  furchtsam  — 
auch  in  der  Kunst  herrscht  manchmal  Terror  — 
er  kann  sich  das  Bild  dieser  Synthese  nicht 
vorstellen,  aber  er  erwartet  es  mit  beschei- 
dener Hartnäckigkeit. 

Die  Aussicht  auf  Erfüllung  ist  nicht  groß. 
Denn  der  Ablauf  des  Kunstgeschehens  stellt  in 
unseren  Tagen  eine  Folge  kurzer  Perioden 
höchster  Einseitigkeit  dar.  DieKunsl  wird  inEin- 
zelprobleme  aufgelöst.  Was  nicht  in  diesen  engen 
Bezirk  paßt,  gilt  überhaupt  als  kunstfeindlich. 
Nichts  liegt  unserm  Kunstbetrieb  ferner  als 
Synthese.  Der  Kunstfreund  wird  noch  lange 
warten  müssen anton  j  m'm  \\\. 


165 


GOTTLIEB  SCHICK.  »ADELHEID  u.  GABRIELE  von  HUMBOLDT« 


u 


WILHELM  KOHLHOFF.  .BILDNIS  EINES  MÄDCHENS. 


WILHELM  KOHLHOFF. 

VON  JOACHIM  KIRCHNER. 


Dem  Wanderer  durch  die  Provinzen  der  mo- 
dernen Kunst  wird  der  Wej«  heutzulajie 
keineswegs  leicht  gemacht.  Aus  den  leben- 
sprühenden, sinnenfreudigen  Gefilden  des  Im- 
pressionismus tritt  er  plötzlich  in  eine  entniate- 
rialisierte,  vergeistigte  Welt  ein  —  sichtlich  arm 
an  dem,  was  man  von  dem  liebenswürdigen 
Reiz  des  Lebens  bisher  in  der  Kunst  mit  prik- 
kelndem  Behagen  zu  genießen  pflegte,  doch 
reich  an  inneren  Klängen,  die  zu  einer  lunkehr, 
einer  Läuterung,  zu  einer  Selbstbesinnung  auf 
den  geistig  religiösen  Gehalt  der  Kunst  einladen. 
In  diesem  Sinne  darf  man  sich  der  neuen  Be- 
wegung in  der  Kunst  freuen.  Allein,  jede  Re- 
aktion, mag  sie  sachlich  noch  so  berechtigt  er- 
scheinen, büßt  einen  Teil  ihrer  Bedeutung  ein, 
wenn  sie  über  das  Ziel  hinausgeht,  und  sie  wirkt 
unsympathisch,  wenn  sie  mit  marktschreieri- 
scher Propaganda  zu  sinnlosen  Extremen  ge- 
führt und  damit  zu  Tode  gehetzt  wird.  Was 
wenige  starke  Talente  mit  richtigem  Impuls  ur- 
sprünglich, aus  innerer  Notwendigkeit  imagi- 
nierten,  wird  durch  skrupellose  Nachahmung 
und  Übertreibung  zahlloser  und  zügelloser  Mit- 
läufer diskreditiert,  und  was  anfangs  so  leuch- 
tend anhub,  erscheint  mit  einem  Male  zur  Mode- 
angelegenheit degradiert.  Nicht  ohne  Sorge 
sieht  man  die  moderne  Kunst  diesen  Weg  neh- 
men. Verheißungsvoll  waren  die  Anfänge;  der 
Expressionismus  der  Jungen  ließ  Großes  er- 
warten. Doch  nur  zu  schnell  wurde  von  be- 
henden Reklamemachern  die  Idee  zum  Geschäft 
ausgebeutet,  und  wenn  das  relativ  gemäßigte 
Furioso  der  Ausstellungen  des  ersten  Revolu- 
tionsjahres auf  den  diesjährigen  Ausstellungen 
nur  noch  in  Fortissimoklängen  erschallt,  so  muß 
das  den  überzeugtesten  Parteigänger  der  jungen 
Kunst  bedenklich  stimmen. 

Es  ist  ein  Unding,  daß  wir  uns  immer  weiter 
nur  in  Ekstasen  bewegen  sollen.  In  der  Natur 
alles  Ekstatischen  liegt  es  beschlossen,  daß  sie 
sich  in  Übertreibungen  ergeht,  und  gewiß  gibt  es 
Momente  in  einem  Künstlerleben,  wo  sich  die 
Sehnsucht  in  zügellosen  Verkrampfungen  aus- 
spricht. Allein  das  Maßlose  darf  nicht  einen 
stationären  Charakter  annehmen,  darf  nicht  das 
einzige  Ziel  einer  ganzen  Generation  werden. 
Es  gibt  Zwischenstufen  des  ekstatischen  Aus- 
drucks, die  künstlerisch  haltbar  und  wertvoll 
sind,  aber  doch  sicherlich  nur  dann,  wenn  ein 
Selbstzucht  übender  starker  Wille  dahintersteht. 


Die  Atmosphäre  der  Großstadt  erweist  sich 
für  den  Künstler  immer  als  besonders  gefähr- 
lich; beneidenswert  ist  der  Glückliche,  der  fern 
von  allem  Kunstbetriebe  in  der  Einsamkeit  ganz 
seinen  Piiantasien  nachgehen  kann,  und  der  auf 
der  Basis  eines  gut  fundierten  handwerks- 
mäßigen Könnens  dort  seine  Visionen  auf  die 
Leinwand  bringt.  Er  lebt  abgeschieden  von  der 
geräuschvollen  Welt  und  fragt  wenig  danach, 
wer  seine  Bilder  einmal  kauft.  Ungern  drängt 
er  sich  mit  seinen  Schöpfungen  an  die  Öffent- 
lichkeit, aber  wenn  er  einmal  seine  Werke  zu 
einer  Ausstellung  vereinigt,  dann  wird  es  klar, 
wie  sehr  sich  seine  Einsamkeit  belohnt,  und 
wie  sehr  er  mit  dieser  selbstgewählten  Askese 
sich  und  seine  Kunst  gefördert  hat.  Ein  Künstlcr- 
typus  dieser  Art  tritt  uns  in  Wilhelm  Kohl- 
hoff  entgegen.  Kohlhoff,  ein  geborener  Ber- 
liner, zog  sich  vor  zwei  Jahren  aus  der  Groß- 
stadt zurück  und  lebt  seitdem  in  Heidelberg. 
Über  seine  außerordentliche  Begabung  bestand 
wohl  nie  ein  Zweifel  ;  vor  seinen  Bildern,  die 
er  auf  den  Ausstellungen  der  Berliner  Sezession 
zeigte,  hatte  man  stets  das  Gefühl,  einem  eigen- 
willigen, starken  Temperament  gegenüber  zu 
stehen.  Seine  Kunst  hatte  von  Anfang  an  etwas 
merkwürdig  Transzendentes,  Erdenfernes.  Nicht 
als  ob  Kohlhoff  sich  gewaltsam  von  dem  Ob- 
jekte löste,  und  mit  willkürlichen  Stilisierungen 
experimentierte,  vielmehr  war  er  bemüht,  die 
in  der  Natur  gegebenen  Formen  nach  Möglich- 
keit zu  wahren.  Aber  er  erfüllte  sie  mit  einer 
visionären  Kraft,  mit  dem  Überfluß  einer  reichen 
Phantasie,  er  steigerte  sie  durch  rhythmische 
Akzentuierungen  und  breitete  durch  Anwen- 
dung dunkler  Farbentöne,  die  durch  ein  visionär 
empfundenes  Weiß  aufgehellt  waren,  über  jedes 
seiner  Bilder  eine  somnambule,  fast  könnte  man 
sagen,  spiritistische  Stinunung  aus.  Man  hat 
zuweilen  das  Empfinden,  als  ob  ihn  Grünewald 
und  Greco  beeinflußt  hätten.  Allein  diese  Be- 
ziehungen sind  doch  wohl  nur  zufälliger  oder 
mindestens  sehr  oberflächlicher  Art,  denn  Kohl- 
hoff hat  nie  ein  Grünewaldsches  oder  Greco- 
sches  Original  gesehen.  Wesentlicher  scheint 
die  Lektüre  Dostojewskis  auf  sein  Schaffen  ein- 
gewirkt zu  haben,  durch  die  ihm,  wie  er  selbst 
versichert,  die  stärksten  Anregungen  gegeben 
wurden.  Dieser  Hinweis  ist  für  das  Verständnis 
des  Malers  bedeutungsvoll  genug.  Wo  der 
russische  Dichter  die  ekstatisch-visionären  und 


169 


Wilhelm  Kohlhofr. 


170 


dämonischen  Seiten  der  Menschenseele  analy- 
siert, wo  er  ihre  verworrenen  Fäden  und  grund- 
losen Tiefen  behandelt  und  in  das  weite  Reich 
des  Unbewußten  und  Rätsclliaften  untertaucht, 
da  hat  er  am  nachhaltijisten  an  die  innersten 
Seiten  von  Kohlhoffs  Künstlertum  gerührt.  Mit 
einem  unvergleichlichen  Einfühlungsvermögen 
hat  sich  hier  der  Maler  in  das  Wesen  des  Dich- 
ters gefunden ;  an  seiner  bis  ans  Übersinnliche 
streifenden  Phantasie  erkannte  er  den  Grund- 
zug seines  eigenen  Wesens  wieder.  .  .  . 

Mag  ein  gutes  Stück  phantastischer  Schwär- 
merei die  Eigenart  dieses  merkwürdigen  Malers 
ausmachen  —  niemals  verliert  sie  sich  ins  Spie- 
lerische, nirgends  tritt  sie  zügellos  in  Erschei- 
nung. Es  ist  anzuerkennen,  daß  Kohlhoff  an 
einer  immer  stärkeren  Betonung  des  linearen 
Elementes  und  an  einer  immer  klareren  Behand- 
lung der  Fläche  arbeitete.  Eine  Kollektivaus- 
stellung seiner  Werke,  die  er  im  März  und  April 
erstmalig  in  Berlin,  bei  Fritz  Gurlitt,  veranstal- 
tete, legt  von  dem  Ernste,  mit  dem  er  an  der 
technischen  Vervollkommnung  seiner  Bilder  ar- 
beitet, Zeugnis  ab.  Während  die  frühen  Bilder 
noch  nach  Ausdrucksmöglichkeiten  tasten,  ver- 
hältnismäßig wenig  farbig  sind  und  in  der  Be- 
handlung von  Form  und  Fläche  bisweilen  etwas 
Übernervöses  und  Ungeklärtes  an  sich  haben, 
sind  solche  Mängel  in  den  Bildern  der  letzten 
Jahre  nicht  mehr  anzutreffen.  Es  ist,  als  ob 
dieses  überreiche  Künstlertemperament  über 
der  Fülle  seiner  Visionen  anfangs  das  Maß  für 
die  Formen  vergaß,  in  das  er  seine  Phantasien 
zu  bannen  hätte,  und  als  ob  es  erst  ruhigeren 
Stunden  in  ländlicher  Abgeschiedenheit  vorbe- 
halten sein  sollte,  zwischen  den  stürmischen 
Wallungen  der  Phantasie  und  ihrer  bildmäßigen 
Wiedergabe  einen  Ausgleich  zu  schaffen. 

Kohlhoffs  Kunst  beschränkt  sich  nicht  auf  ein 
bestimmtes  Fach  —  die  figürliche  Komposition 
und  das  Porträt  mag  seinem  Kunstgefühl  die 
bedeutsamsten  Probleme  stellen  und  die  Be- 
sonderheit seiner  Begabung  am  augenschein- 
lichsten hervortreten  lassen,  indes  auch  aus  den 
Landschaften  und  Stilleben  spricht  ein  über- 
ragendes Künstlernaturell,  das  mit  einer  aus 
dem  Innern  strömenden,  schöpferischen  Gestal- 
tungsgabe alles  Gegenständliche  in  seine  welt- 
ferne verklärte  Sphäre  erhebt.  Und  so  sehr 
sich  der  Maler  hier  kompositioneile  Freiheiten 
erlaubt,  wie  sie  einem  Dichter  in  Farben  zu- 
kommen, so  verliert  er  doch  nie  den  Zusam- 
menhang mit  der  Materie.  Luft,  Licht,  Berge, 
Wasser  und  Wolken,  jedes  einzelne  dieser  Ele- 
mente atmet  die  Eigentümlichkeit  seines  Stoffes 
und  kommt  in  reinen  transparenten  Farben  zum 
KHngen.    Dabei  lebt   alles  ein  traumverklärtes 


Dasein,  gerade  als  ob  der  Maler  den  ganzen 
Zauber  der  Gotteswelt  in  eine  romantische 
Märchenatmosphäre  übertragen  hätte.  Ein  glei- 
ches Empfinden  stellt  sich  vor  seinen  Blumen- 
stilleben ein.  In  diesen  Blumen,  durch  ein  fahles 
Weiß  aufgehellt,  geistert  eine  seltsame,  über- 
sinnliche Lebenskraft :  wir  suchen  sie  nicht  in 
einem  deutschen  Garten,  wohl  könnten  sie  in 
einem  fremden  Zauberreich  gewachsen  sein. 

Die  merkwürdigsten  Überraschungen  bietet 
Kohlhoff  als  Bildnismaler.  Mit  einer  schlecht- 
hin erstaunlichen  Sachlichkeit  steht  er  seinem 
Modell  gegenüber:  keine  anatomischen  Gewalt- 
tätigkeiten, keine  bizarren  Verrenkungen,  und 
doch  bei  aller  porträtistischen  Lebensfülle  welch 
ungeheuere  Kraft  der  Beseelung  und  Vergei- 
stigung des  Ausdrucks!  Es  sind  nicht  bloß  die 
Einzelheiten ,  die  Bewunderung  hervorrufen, 
etwa  die  feine  Modellierung  von  Kopf  und 
Händen,  oder  die  Behandlung  innerer  Gewand- 
flächen, die  nicht  irgendwie  pauschal  erledigt, 
sondern  wirklich  gemalt  sind  —  es  ist  vielmehr 
die  Intensität  des  psychischen  Elementes,  das 
Kohlhoff  restlos  aus  seinem  Modell  herausholt, 
und  das  sich  mit  straff  gebundener  Einheitlich- 
keit der  Gesamterscheinung  der  von  ihm  dar- 
gestellten Personen  mitteilt.  Der  äußere  und 
innere  Habitus  dieser  Menschen  macht  durch 
den  Gestaltungswillen  des  Künstlers  den  Ruck 
ins  Geistige  mit.  Beachtenswert  erscheinen 
auch  die  Farben,  durch  die  jene  eindringhch 
expressive  Note  in  den  Porträts  wesentlich  ge- 
stützt wird.  Auf  grauer  Untermalung  entwickelt 
Kohlhoff  warme  Farbentöne,  deren  Skala  sich 
von  Dunkelkrapplack  bis  zum  lichten  Ocker  er- 
streckt. Er  bricht  mit  Preußischblau  und  spannt 
den  Eindruck  nach  der  Seite  des  Visionären 
durch  Verwendung  von  aufgesetztem  Kremser- 
weiß. Diese  Farbenskala,  bei  der  grüne  Töne 
fast  ganz  ausgeschaltet  sind,  wiederholt  sich  in 
seinen  figürlichen  Kompositionen,  in  denen  Kohl- 
hoff mit  dem  ihm  eigentümlichen  nachdenklichen 
Ernste  den  Irrungen  und  Erregungen  des  See- 
lenlebens nachgeht.  Schon  die  Titel  dieser  Bil- 
der (z.  B.  „Verzückung",  „Verzweiflung",  „Ver- 
führung") kennzeichnen  die  geistige  Zone,  in  der 
seine  Phantasie  sich  heimisch  fühlt.  In  diesen 
Werken  ist  nichts  Literarisches,  nichts  verstan- 
desgemäß Konzipiertes  anzutreffen ,  alles  ist 
stark  gefühlt,  erlebt,  die  dämonischen  Abgrün- 
digkeiten menschlichen  Seelenlebens  sind  ma- 
lerisch auf  eine  letzte  sprechende  Formel  ge- 
bracht. Irren  wir  nicht,  so  spürt  man  in  diesen 
Bildern  bisweilen  den  Hauch  einer  religiösen 
Mystik,  womit  Kohlhoffs  Kunst  sich  den  Ten- 
denzen der  zu  neuem  Leben  erweckten  religiösen 
Malerei  unserer  Zeit  anschließt j.  k. 


WILHELM  KOHLHOI-F.  »FLUSS-LANDSCHAFT. 
BESITZER:  1-R1T7.  GVRLirr     liF.RUN. 


WILHELM  KOHLHOFK.  »BLUMEN-STILLEBEN« 

BESITZER:  JÜSTIZRAT  LIPMAN-WULF— BERLIN. 


WILHELM  KOHLHOFF.     BILDNIS    i'RiVATUF.snz. 


XXIII.  Juli  1920.  3 


WILHELM  KOHLHOFF.  »FRAUENBILDNIS. 


GESCHMACKS-  UND  WERTURTEILE. 

GRrM)SÄrZLRHI-S  /.VR  KUNSTKRITIK, 


Zur  Beurteilung  von  Kunstwerken  sind  zwei 
Gesichtspunkte  wesentlich :  DerGeschmack 
desUrteilenden  und  das  Nacherleben  des  Kunst- 
werkes im  Geiste  des  Urteilenden.  Für  das 
erstere  zivilisatorische  Moment  ist  der  Bil- 
dungsgrad des  Kritikers  maßgebend,  für  das 
zweite,  kulturelle,  die  Intensität  seiner  Erleb- 
niskraft. Es  ist  festzustellen,  daß  in  Zeiten,  wo 
das  zivilisatorische  Moment  ausschlaggebend 
war,  das  kulturelle  zurückgedrängt  wurde,  d.h. 
die  Kritik,  deren  Urteil  vom  Zeitgeschmack 
gestempelt  wird,  besitzt  nicht  Freiheit  genug, 
um  künstlerische  Erlebnisse  in  ihrer  ganzen 
Größe  restlos  in  sich  aufzunehmen  und  zu 
bewerten.  Sie  wird  sich  darauf  beschränken 
müssen,  die  technischen  Grundelemente  eines 
Kunstwerkes  auf  analytischem  Wege  (d.  h,  durch 
Zersetzung  des  Ganzen  in  seine  Bestandteile) 
zu  finden.  Die  Schale  erscheint  ihr  wesent- 
licher als  der  Kern,  und  sie  wird,  wenn  es 
sich  darum  handelt,  zu  einem  impressionisti- 
schen und  zugleich  zu  einem  expressionistischen 
Bilde  Stellung  zu  nehmen,  eines  von  beiden  ab- 
lehnen müssen,  weil  sie  das  Stilistische  dog- 
matisch (d.  h.  nur  von  sich  aus)  beurteilt.  Eine 
solche  Kritik  vermag  letzthin  nur  subjektive 
Urteile  hervorzubringen. 

Der  wahre  Kritiker  sieht  im  Kunstwerk  et- 
was objektiv  Gegebenes;  für  ihn  ist  es  das  na- 
tumotwendige  Produkt  der  geistigen  Totalität. 
Bei  dieser  Auffassung  erweist  sich  der  Ge- 
schmack als  ein  trügerischer  Wertmesser.  Es 
kommt  vielmehr  darauf  an,  den  künstlerischen 
Instinkt  reagieren  zu  lassen.  Dies  kann  positiv 
oder  negativ  geschehen,  insofern  nämlich,  als 
sich  der  Betrachter  des  Kunstwerks  durch  das- 
selbe angezogen  oder  abgestoßen  fühlt.  In  bei- 
den Fällen  kommt  ein  Erlebnis  zustande,  denn 
der  Geist  seines  Schauens  ist  demütig.  Je  nach 
der  Stärke  der  Reaktion  ist  ein  Kunstwerk 
höher  oder  niedriger  zu  bewerten. 

Der  Kritiker  muß  also,  will  er  der  Wahrheit 
die  Ehre  geben,  anerkennen,  daß  ein  Bild,  wel- 
ches seinem  Geschmack  widerspricht  —  ihm 
also  schlecht  erscheint  — ,  welches  hingegen 
seinen  Instinkt  zu  fassen  vermag,  dennoch  ent- 
schieden künstlerisch  ist.  Sein  Urteil  lautet 
deshalb  nie  schön  oder  schlecht  (angenehm  oder 
unangenehm),  sondern  nur  stark  oder  schwach, 
künstlerisch  oder  unkünstlerisch.  Objektive 
Kritik  steht  jenseits  von  Gut  und  Böse.  Eine 
Geschmackswerlung  wie   „schön",  „erhaben", 


„geschmackvoll"  rülirt  aus  der  harmonischen 
Weltanschauung  des  Griechentums  her  und  ist 
voreingenommen.  Wahrhafte  Kritik  aber  darf 
sich  nie  nur  einer  Weltanschauung  verpflich- 
ten, ebensowenig  auf  eine  vom  Standpunkt  des 
Geschmacks  vielleicht  verständliche  Vorliebe  für 
einen  bestimmten  Stil  sich  gründen ,  sondern 
muß  allumfassend  und  großzügig  sein,  überall 
die  geistigen  Faktoren  ausschlaggebend  sein 
lassen.  Es  kann  sich  beim  Urteil  auch  kaum 
darum  handeln,  den  tatsächlichen  Wert  eines 
Kunstwerks  festzustellen.  Dieses  richtet  sich 
in  Wcilirheit  selbst :  nämlich  im  Kampf  der 
schöpferischen  Geisteswerte ,  aus  dem  (dem 
Gesetz  der  geistigen  Zuchtwahl  zufolge)  nur 
das  Starke  siegreich  hervorgeht. 

Damit  ist  die  Beschränkung  alles  kritischen 
Erkennens  scharf  gekennzeichnet.  Überhaupt 
hat  die  Kritik  im  künstlerischen  Leben  keines- 
wegs die  Bedeutung,  die  ihr  gemeinhin  beige- 
messen wird,  und  sie  verdammt  sich  zur  Be- 
deutungslosigkeit, sobald  sie  ihre  Grenzen  nicht 
erkennt,  autokratisch  wird  und  es  ihr  an  der 
nötigen  Ehrfurcht  vor  der  künstlerischen  Schaf- 
fenskraft fehlt.  Schopenhauer  sagt  einmal,  daß 
man  vor  Kunstwerke  hintreten  müsse  wie  vor 
Fürsten,  um  abzuwarten,  was  sie  einem  zu  sagen 
haben.  Diese  Bescheidenheit  wird  von  den 
meisten  Kritikern  leider  außer  acht  gelassen. 
Sie  sind  Pharisäer  genug,  das  eigene  Ge- 
schmacksurteil mit  stillschweigender  Selbstver- 
ständlichkeit als  objektiv  maßgebend  hinzu- 
stellen und  zu  glauben,  ihrerseits  ein  Wesent- 
liches zur  Durchsetzung  eines  Kunstwerks  bei- 
tragen zu  können.  Statt  Diener  der  schöpferi- 
schen Kräfte  zu  sein,  sind  sie  Diktatoren  der- 
selben. Sie  begeben  sich  dadurch  der  Möglich- 
keit einesKonnexes  zwischen  sich  und  dem  See- 
lischen, finden  ihre  Hauptaufgabe  darin,  festzu- 
stellen, inwieweit  die  Organisierung  der  Formen 
und  die  Differenzierung  der  Farben  im  Bilde  den 
Gesetzen  entspricht,  die  sie  (weil  sie  ihnen  kon- 
form sind)  als  maßgebend  ansehen  und  die  sie 
am  liebsten  dem  Künstler  aufzwingen  möchten. 

Wenn  die  Kritik  überhaupt  einen  Zweck  hat, 
so  kann  es  nur  der  sein,  daß  sie  nach^bestem 
Wissen  und  Gewissen  die  Wege  zu  den  Quellen 
des  Geistes  zu  weisen  sucht,  indem  sie  sich  da- 
bei stets  der  Grenzen  ihrer  Erkenntnisfähigkeit 
bewußt  ist  und  unbefangen  den  Grad  des  instink- 
tiven Nacherlebens  in  ihrem  Urteil  aufklingen 
läßt.     So  und   nur  so  erfüllt  sie  ihre  Aufgabe 


175 


Geschmacks-  nvd  Wcrhirteilc. 


176 


WILHELM  KOHLHOFF. 


bei  der  Synthese  des  kulturellen  Lebens ;  an- 
dernfalls fördert  sie  den  Zersetzungsprozeß, 

Nur  die  Ehrfurcht  vor  allem  schöpferischen 
Leben  kann  jenes  tiefste  Ergriffensein  vermit- 
teln, das  wir  Liebe,  Begeisterung  oder  Erlebnis 
nennen,  einen  Zustand  andächtiger  Hingabe  an 
das  göttlich  Unbegreifliche,  der  allein  die  Grund- 
lage wahrer  Kunstwertung  sein  kann.  Im  Wert- 
urteil spiegelt  sich  das  Kunstwerk  als  ein  Stück 
Ewigkeit,  es  möchte  die  Brücke  bilden  zwischen 
Zeit  und  Ewigkeit,  von  dem  Schöpfer  hin  zu  den 
Schauenden,   vom   Willen    zur  Tatsächlichkeit. 

Opferfeuer  glühen  auf  den  Altären  der  Kunst. 
Es  ist  ein  weiter  Weg  zum  Ziel.   Der  Kritik  ob- 


»FRAUENBILDNISo  BES.  gurlitt. 


liegt  das  Suchen,  das  Finden  bleibt  der  Kunst 
vorbehalten.  —  Beide  können  ihre  Mission  nur 
dann  erfüllen,  wenn  sie  ihre  Aufgabe  klar  erfaßt 
haben.  Beide  ergänzen  sich.  Nur  wo  das  Be- 
grenzte dem  Unerschöpfhchen,  das  ZeitUche 
dem  Ewigen,  das  Zweckmäßige  dem  Geistnot- 
wendigen, das  Erwägende  dem  Aktivistischen 
sich  freudig  unterordnet ,  da  entfesseln  sich 
Kräfte ,  aus  denen  lebendiges  künstlerisches 
Leben  und  wahre  Kultur  sich  entwickeln.  Nur 
so  ist  die  Kritik  berechtigt,  innerhalb  ihres  Macht- 
bereiches selbst,  bewußt  und  entschieden  auf- 
zutreten ;  nur  so  ist  sie  fähig,  ihre  Aufgabe,  Weg- 
weiser und  Brücke  zu  sein,  zu  lösen,  helm.  duve. 


IV 


GASTON  BEGUIN.  TERRAKOTTA-PLASTIK  »STEHENDE  FRAUEN« 


GASTON  BfeüUIN— LE  LOCLE. 


»KULLUNO  IN  HOCHKELIEF« 


GASTON  BEGUIN. 


Der  junge  Schweizer  Bildhauer  Gaston  Be- 
guin  kam  im  Alter  von  20  Jahren  nach 
Paris.  Er  brachte  seine  Künstlermappe  —  die 
bereits  Skizzen,  Malereien,  dekorative  Studien, 
Gravur-  und  Ciselierarbeiten  enthielt  —  eine 
Studienbörse  der  schweizerischen  Regierung 
und  den  festen  Willen,  etwas  in  der  Bildhauer- 
kunst zu  werden,  mit  sich. 

Die  Ausbildung,  die  er  bei  Bourdelle  genoß, 
enthüllte  ihm  seine  Persönlichkeit.  Unter  dem 
Einfluß  des  unruhigen  Geistes  dieses  Meisters 
festigte  sich  seine  gesunde  und  optimistische 
Natur.  Das  dem  jungen  Künstler  holde  Ge- 
schick machte  ihn  dann  zum  Schüler  Maillols, 
desjenigen  unter  den  heutigen  französischen 
Künstlern,  der  von  Natur  aus  der  geeignetste 
war,  ihn  zu  verstehn.  Hier  erlernte  er  in  mühe- 
vollen, aber  glücklichen  Tagen  seinen  Beruf  als 
Bildhauer  und  Bildner,  —  DieUmstände  brachen 
diese  nutzvollen  Studien  jäh  ab:  In  voUkonmie- 
ner  Unabhängigkeit  führte  Beguin  sein  künst- 
lerisches Streben  in  seinem  Atelier  in  Etange  la 
Ville  weiter.  Seine  ersten  Werke,  die  Frucht 
fünfjähriger  Arbeit  —  Statuetten,  Terrakotta- 
Figuren,  Büsten,  Flachreliefs,  Aktstudien,  Land- 
schaften —  zeugen  zugleich  vom  erworbenen 
Können  und  vom  angeborenen  künstlerischen 
Sinn.  —  Überall  finden  wir  denselben  Frauen- 


körper ,  dessen  wechselvolle  Schönheit  der 
Künstler  zum  Ausdruck  bringt.  Der  Aufbau  der 
Werke  ist  streng,  die  rhythmische  Abhängigkeit 
der  Teile ,  die  Massenverhältnisse  unter  sich, 
sowie  die  relative  Wichtigkeit  der  Einzelheiten 
sind  sorgsam  erwogen,  und  die  Komposition  ist 
zu  einem  harmonischen  und  unendlich  leben- 
digen Ganzen  verknüpft.  Die  Statuetten  Be- 
guins  sind  gleichsam  von  Innen  nach  Außen  ge- 
staltet. Das  Äußere  ist  in  der  Tat  nur  ein  Über- 
gang von  einer  Form  zu  einer  andern.  Nirgends 
findet  man  tote  Stellen,  die  Kennzeichen  der 
Oberflächlichkeit  so  vieler  Künstler.  Beguin  setzt 
seine  ganze  Kraft  ein,  bis  das  vollkonmiene 
Gleichgewicht  seines  Werkes  erreicht  ist,  bis  es 
von  jeder  Seite  aus  vollendet  erscheint.  So  ge- 
langt er  zu  Wirkungen  von  erstaunlicher  Größe. 
Beguin  ist  ein  einsam  Suchender.  Er  entdeckt 
nacheinander  die  Geheimnisse  seiner  Kunst  und 
diejenigen  seines  Temperaments;  weder  die 
offizielle  Schule,  noch  Theorien  stören  ihn.  Die 
Natur  ist  zugleich  sein  Beobachtungsfeld  und 
seine  Führerin.  Er  ist  ganz  Künstler  und  beharr- 
lich Schaffender  zugleich.  Wie  eine  gesunde 
Frucht  der  Erntezeit  nicht  vorauseilt,  und  nur 
mählich  zur  vollkommenen  Reife  gelangt ,  so 
wird  auch  dieses  schöne  Talent  sich  kraftvoll 
entwickeln  zu  schöner  Fülle i\t-i  \\( '■!'.. 


179 


GASTON  BEGÜIN-LE  LOCLE. 


PLASTIK  »ERWACHEN« 


DIE  KUNST  UND  IHR  PUBLIKUM. 

II.  TEIL.    DER  I.    ItlL  ERSCHIEN  IM  M.\K7.HEFT    192O. 


Ich  habe  von  den  Schwierigkeiten  gesprochen, 
die  die  neue  Kunstentwicklung  dem  Laien 
bereitet.  Ich  habe  versucht,  mich  in  seine  Lage 
zu  setzen.  Ich  habe  angeführt,  was  zu  seiner 
Entlastung  spricht,  wenn  er  nicht  sogleich  mit 
seinem  Verständnis  einer  neuen  Kunstwendung 
folgt.  Dies  alles  ausgehend  von  der  Beobach- 
tung, daß  die  innere  Bereitschaft  des  Pu- 
blikums, dem  künstlerischen  Fortschritt  zu 
folgen,  viel  größer,  viel  herzlicher  ist  als  die 
Künstler  oft  annehmen;  daß  an  der  Störung 
des  Einvernehmens  zwischen  Künstler  und  Pu- 
blikum auch  die  Künstler  ihr  Teil  Schuld  haben. 
Freilich  nicht  ihr  Schaffen,  denn  das  steht 
unter  höherem  Zwang;  sondern  die  Schroffheit 
ihres  Urteils  über  laienhafte  Verständnislosig- 
keit,  die  hochfahrende  Überlegenheit,  mit  der 
sie  dem  zögernden,  unentschiedenen  Verhalten 
des  Laien  vor  der  Neuerung  oft  begegnen.  Es 
wird  freilich  nicht  möglich  sein,  jeden  Konflikt 
zwischen  der  vorandrängenden  Kunstentwick- 
lung und  dem  nachfolgenden  Laienverständnis 
zu  beseitigen.  Eine  Spannung  zwischen  beiden 
wird  von  Zeit  zu  Zeit  immer  wieder  eintreten. 
Es  liegt  etwas  Naturgesetzliches  in  diesem 
Gegensatz.  Aber  eben  deshalb,  weil  höherer 
Zwang  diesen  Gegensatz  immer  wieder  erzeugt, 
muß  der  Mensch  stets  das  Seine  tun,  ihn  zu 
mildem  oder  doch  vor  Ausartung  zu  bewahren. 
Normalzustand  der  Natur  ist  im  Geistigen  wie 


im  Physischen  der  Krieg;  Aufgabe  des  Men- 
schen ist  es,  zu  versöhnen.  Künstler  und  Pu- 
blikum haben  sich  bei  ihren  Konflikten  neuer- 
dings zu  lieblos  dem  Stolz,  der  Abneigung,  der 
Verachtung  überlassen.  Künstler  glaubten  ihre 
Sache  nur  vertreten  zu  können,  indem  sie  wei- 
ten Laienkreisen  blindes  Vorurteil  und  hämische, 
gewollte  Selbstverblendung  vorwarfen.  Laien 
glaubten  sich  künstlerische  Neuerungen  nur  er- 
klären zu  können,  indem  sie  sie  als  bewußten 
Bluff,  als  geistige  oder  gar  morahsche  Ver- 
irrungen  hinstellten.  Menschen  aber  sollten 
wissen,  daß  es  immer  schlecht  um  eine  Sache 
steht,  die  zu  ihrer  Erklärung  oder  Verteidigung 
den  Gegner  als  einen  Schurken  oder  als  einen 
Entarteten  oder  als  einen  Idioten  betrachten 
muß.  Ich  behaupte  jedenfalls,  daß  man  in  der 
Kunst  sehr  gut  ohne  diese  verdächtigen  Hilfs- 
mittel auskommen  kann. 

Nachdem  gesagt  ist,  was  zu  Gunsten  des 
Laien  spricht,  möge  besprochen  werden,  was 
seinem  Kunsturteil  am  häufigsten  als  Mangel 
anhaftet.  Ich  setze  dabei  einen  Laien  voraus, 
der  überhaupt  Verhältnis  zur  Kunst,  Lust  am 
Schönen,  Ehrfurcht  vor  geistigem  Wert,  sinn- 
liche EmpfängÜchkeit  für  Form  hat. 

Da  ist  es  denn  eine  Frage,  die  der  voran- 
drängenden Kunst  in  hundert  Gestalten  vor- 
gelegt zu  werden  pflegt :  Weshalb  gibt  es  in 
der  Kunst  Entwicklung?    Weshalb  geht  es 


180 


Die  Kunst  und  ihr  Publikutn. 


CIASTON  b£gUIN-LE  LOCLE. 


von  Giotto  zu  Raffael,  von  Grünewald  zu  Rem- 
brandt?  Weshalb  verläßt  Rembrandt  selbst 
den  meisterlichen  Stand  seiner  ersten  „Anato- 
mie", um  zum  „Saul",  zur  „Judenbraut"  über- 
zugehen ?  Wenn  Mozart  und  Bach  Gipfel  aller 
Musik  sind,  weshalb  dann  Wagner  und  Schön- 
berg? Wenn  der  Louis  XV- Sessel  ein  Urbild 
an  Schönheit  und  Zweckmäßigkeit  ist,  weshalb 
dann  Stühle  von  Bruno  Paul  und  Van  de  Velde? 
Man  kann  diese  Frage  fein  fassen  und  sehr 
grob,  aber  sie  bleibt  immer  der  Kernpunkt  aller 
Abwehr  gegen  neue  Wendungen  in  der  Kunst. 
Irgendwie  fühlt  der  Laie,  wenn  er  die  Kunst 
neue,  ungebal.nte  Wege  einschlagen  sieht,  Be- 
fremden darüber,  daß  sie  nicht  auf  dem  Stand- 
punkte der  Kunst  von  gestern  stehen  geblieben 
ist.  Er  weiß  zwar  und  erkennt  als  notwendig 
an,  daß  in  der  exakten  Wissenschaft,  in  der 
Technik  kein  Stillstehen  stattfindet.  Er  nimmt 
es  als  unausweichlich  hin,  wenn  Chemiker  und 
Physiker  Entdeckungen  machen,  die  das  ganze 
bisherige  Weltbild  der  Wissenschaft  umstoßen. 
Wenn  aber  Van  Gogh  wichtiges  zum  rhythmi- 
schen Ausdruck  der  modernen  Seele  entdeckt; 
wenn  der  Expressionismus,  um  wieder  mensch- 
liche und  religiöse  Fragestellungen  in  die  Kunst 
zu  bringen,  die  genießerische  wörtliche  Wieder- 
gabe der  Naturvorlage  peinhch  flieht  —  dann 
empfindet  der  Laie  Befremdung,  als  fehle  die- 
sem Vorgang  Zwang  und  Müssen.  Er  sieht  die 
ungeheuere  Zumutung,  die  ihm  der  Künstler 
stellt,  und  meint,  ausgesprochen  oder  unausge- 


^RÜIKSEITE  NEHE.NST.  PLA.ST1K« 


sprochen :  wenn  Jahrzehnte  und  Jahrhunderte 
mit  einer  mir  geläufigen  Kunstanschauung  aus- 
gekommen sind,  so  hätten  sich  doch  auch  diese 
Neuerer  dabei  genügen  lassen  können.  Er 
sträubt  sich,  die  Notwendigkeit  der  Neuerung 
anzuerkennen.  Sie  scheint  ihm  irgendwie  will- 
kürlich. Er  hat  immer  gehört,  daß  es  sich  in 
der  Kunst  um  Aufsuchung  des  Schönen  handle. 
Er  sieht  das  Schöne  in  der  ihm  geläufigen  Kunst. 
Er  sieht  das  Gegenteil  von  Schönem  in  der 
Neuerung.  Daher  sein  Wehren,  daher  seine 
Empfindung:    Dies  ist  nicht  notwendig. 

Hier  setzt  ein,  was  dem  Laien  von  Künstlers 
Seite  gesagt  werden  muß. 

Es  handelt  sich  in  der  Kunst  nicht  um  Schön- 
heit schlechthin,  sondern  um  diejenige  Schön- 
heit, die  sich  ergibt  aus  der  jungen,  unmittel- 
baren Auseinandersetzung  eines  bestimmten 
Zeitalters  und  Menschen  mit  der  einen  und 
ewigen  Welt.  Kunst  ist  vor  allem  Ausdruck. 
Das  heißt,  sie  ist  Gestaltung  aus  ganz  bestimm- 
ten, einmal  gegebenen,  unabänderlichen  Vor- 
aussetzungen heraus,  die  von  Epoche  zu  Epoche 
wechseln.  Sie  ist  Beziehung  eines  Verän- 
derlichen zu  einem  Ewigen;  Darlebung 
eines  bestimmten  Weltgefühls,  einer  bestimm- 
ten Weltanschauung,  einer  umschriebenen  Zeit- 
stimmung, einer  gegebenen  Kunstanschauung. 
Mozart  konnte  aus  seiner  Zeit  heraus  in  seiner 
Weise  musizieren :  göttlich  frei,  himmlisch  hei- 
ter, wohnend  in  einem  unzerstörbaren  Glück. 
Heute  kennen  wir  das  nicht,   denn   unsere  Zeit 


181 


Die  Knust  iiiui  ihr  Publikum. 


ist  trafjiscli  belastet,  irdisch 
schwer,  in  ihrem  Lebensgefühl 
schuldvoll  und  jSehemnit.  Und 
so  gibt  es  in  jeder  Hpoche  nur 
einen  Weg,  das  Ewige  der 
Kunst  auszusprechen :  den 
Weg  der  Zeitkunst.  Die  Zeit 
schenkt  ihre  Liebe  und  Kraft 
jedesmal  nur  einer  bestimm- 
ten Kunstweise.  Sie  stattet 
diese  mit  dem  höchst  partei- 
ischen Vorrecht  aus,  daß  sie 
allein  Ausdrucksträgerin  ist 
und  daf3  außerhalb  ihrer  alles 
Ohnmacht,  Geschmäcklertum, 
Epigonentum  sein  muß.  Jede 
Zeit  ermächtigt  eine  bestimmte 
Auslese  von  Gedanken  und 
ästhetischen  Anschauungen, 
das  Höchste  an  Gebilde  zu 
verwirklichen.  Die  Entwick- 
lung der  Kunst  bewegt  sich 
zwangläufig  mit  der  umsturz- 
reichen Entwicklung  des  Men- 
schengeistes. Nur  ein  Träu- 
mer, nur  ein  Mensch,  der  keine 
Ahnung  von  dem  Lebens - 
gehalt  der  Kunst  hat,  vermag 
den  Gedanken  zu  denken,  daß 
die  Kunst  unergriffen  bleiben 


KI,liL\l'l,.\STIK      JIM;1  S  MADI  HKNo 


müsse  von  all  dem  wissen- 
schaftlichen, technischen,  so- 
zialen, geistigen  Umsturz,  den 
wir  im  19.  Jahrhundert  sich 
vollziehen  sahen.  —  Der  oft 
gehörte  Einwand,  es  handle 
sich  in  der  Kunst  nicht  um 
Richtung,  sondern  um  Qua- 
lität, stützt  nur,  was  hier  ge- 
sagt wird.  Es  ist  das  offen- 
bare Geheimnis  alles  Kunst- 
werdens, daß  überwundene 
Kunstweisen  keine  Qua- 
lität mehr  hervorbringen 
können ;  wenigstens  nichtQua- 
lität im  letzten,  tiefsten  Sinne 
von  künstlerischer  Lebensent- 
rätselung. So  gibt  es  heute, 
zehn  Jahre  nach  Entthronung 
des  Impressionismus,  freilich 
noch  Impressionisten.  Sie  ar- 
beiten weiter,  vielleicht  nicht 
schlechter  als  früher.  Aber 
als  Bewegung  ist  der  Im- 
pressionismus ausgeschöpft. 
Zur  Not  und  zum  Drang  des 
Augenblicks  hat  er  nichts  Ent- 
rätselndes oder  Erlösendes 
mehr  zu  sagen.  Er  ist  histo- 
risch geworden,  wie  die  Rea- 


KLEINPLA.STIK 

FRAUEN« 


Dir  Kumt  und  ilir  Publikum. 


listen  oder  die  Nazarener  liistorisch  geworden 
sind.  Die  Zeit  aber,  der  Moment  Leben,  den 
unsere  heutige  Sonne  bescheint,  spricht  nicht 
mehr  durch  seinen  Mund;  er  hat  sich  ein  an- 
deres Sprachrohr  geschaffen,  weil  ihm  das  alte 
nicht  mehr  tauglich  war.  Der  Impressionismus 
hat  Ewiges  hervorgebracht  aus  der  Begeisterung 
über  dem  Problem  der  Luft,  des  Lichtes,  des 
vertieften,  sinnlichen  Naturgefühls.  Nie  vorher 
floß  Landschaft  so  üppig  und  paradiesisch  frisch 
in  den  Bannbezirk  des  Goldrahmens  wie  in 
dieser  Zeit.  Heute  haben  die  Probleme  des 
Impressionismus  ihren  Entwicklungswert,  ihre 
Triebkraft,  ihre  Zeitbedeutung,  ihre  weltan- 
schauliche Wichtigkeit  verloren. 

Heute  handelt  es  sich  brennend  darum,  den 
Menschen,  sein  Gefühl,  sein  Leiden  und  Zwei- 
feln, seine  Begeisterungen  und  Erömmigkeiten, 
als  Maß  aller  Dinge  wieder  in  den  Mittelpunkt 
des  Weltbildes  zu  rücken.  Es  ist  ein  anderes 
Wollen,  ein  anderes  Müssen  da,  und  dieses 
prägt  der  Expressionismus  aus.  Er  flieht  die 
treue  Schilderung  der  Natur,  weil  er  gerade 
das  Nicht-Natürliche,  den  Menschen  und  seine 
ganze  ungeheure  fremdartige  Geistwelt,  heraus- 
stellen will.  Er  ist  die  äußerste  Reaktion  gegen 
die  sinnlich-geistige  Naturfrömmigkeit  des  Rea- 
lismus, Naturalismus,  Impressionismus.  Und 
nur  aus  der  Heftigkeit  dieser  Reaktion  heraus 
kann  sein  fast  verzweifeltes  Wehren  gegen 
Naturversklavung  richtig  verstanden  werden. 
Es  mag  sein,  daß  er  mit  diesem  Wehren  weit 
übers  Ziel  schießt.  Es  ist  sogar  sicher,  daß  er 
dies  tut.  Aber  dies  eben  ist  die  Weise,  in  der 
die  Menschheit  sich  überhaupt  entwickelt:  Das 
Pendel  schwingt  stark  nach  der  einen  Seite;  es 
muß  ebenso  stark  nach  der  andern  schwingen, bis 
Zeiten  kommen,  da  es  sich  ruhiger  um  die  gesetz- 
gebende Schhchtheit  der  Senkrechten  bewegt. 

Das  Ideal  ist  selbstverständlich,  daß  die  Kunst 
die  Menschen-  und  Geistwelt  darstelle  in  inniger 
Angeschmiegtheit  an  die  seiende  Natur-  und 
Körperwelt.  Es  ist  ganz  sicher  Art  eines  inner- 
lich verstörten  Zeitgeistes,  diesen  heftigen  Krieg 
gegen  äußere  Naturform  zu  führen.  Aber  erst 
Zeiten,  die  innerlich  befriedet  und  ruhiggeworden 
sind,  können  diesen  Krieg  aufgeben.  Diesen  Zei- 
ten eines  ruhigeren,  tief  frommen  und  gesättigten 
Lebensgefühls  nähern  wir  uns  gewiß.    Aber  der 


Weg  zu  ihnen  kann  niciit  schwindelhaft  über- 
sprungen oder  auf  Fausts  Wunschmantel  zurück- 
gelegt werden.  Er  muß  redlich  gegangen 
werden,  Schritt  für  Schritt,  Etappe  nach  Etappe. 
Wer  das  Ziel  will,  muß  auch  die  Etappe  wollen. 
Das  gilt  im  Künstlerisciicn  wie  im  Zeitpsycho- 
logischen. Künstlerisch  kommen  wir  her  von 
Epigonentum  und  von  geistfremdem  Naturalis- 
mus. Wir  müssen  schrittweise  den  Weg  zur 
Vergeistigung  gehen,  und  auf  diesem  Weg  ist 
der  Expressionismus  eine  der  letzten  und  wich- 
tigsten Etappen.  Zeitpsychologisch  kommen 
wir  her  von  einer  grenzenlosen  Depossedierung 
des  Menschen  aus  seinem  geistigen  Erbe.  Denn 
Naturwissenschaft  und  Technik  haben  uns  Ma- 
terialismus und  geistige  Barbarei  gebracht, 
haben  den  Menschen  zum  Fremdling  gemacht 
inmitten  einer  Welt,  die  nur  ihm  gehört.  Wir 
reißen  diese  Welt  geistig  nun  wieder  an  uns, 
mit  heftigen  Gebärden,  und  eine  wichtige,  ent- 
scheidende Phase  dieses  Kampfes  um  die  gei- 
stige Welteroberung  ist  der  Expressionismus. 
So  müssen  diese  Dinge  verstanden  werden. 
Und  deshalb  gilt  es  für  den  Laien,  mit  dem 
Künstler  jederzeit  zum  Umschwung  bereit  zu 
sein.  Denn  der  Künstler  steht  unterm  Zwange 
der  Zeit  wie  der  Laie.  Der  Künstler  arbeitet 
für  uns  alle,  wenn  er  kühn  vorandringt,  auch 
für  den,  der  ihn  meint  ablehnen  zu  können. 
Geben  wir  ruhig  zu,  daß  wir  gegenwär- 
tig noch  nicht  in  einer  Zeit  leben,  da 
eine  Kunst  von  breiter,  umfassender 
Volkswirkung  möglich  ist.  Daran  ist  der 
Künstler  so  wenig  schuld  wie  der  Laie,  der  ihn 
kritisiert.  Oder  beide  zugleich.  Das  Muß  der 
Zeit  steht  über  uns  allen.  Wir  wissen  solange 
von  der  Kunst  nichts,  als  wir  sie  nicht  be- 
greifen als  wesentliche,  unaufhörliche  Umwäl- 
zung. Wollen  wir  am  Werden  der  Kunst  teil- 
nehmen, so  müssen  wir  uns  klar  sein,  daß  dies 
ein  Teilnehmen  an  einem  Bewegen,  an  einem 
Entwickeln  ist.  Kunst  ist  Leben,  und  Leben 
wechselt  von  Einatmen  zum  Ausatmen,  vom 
Steigen  der  Woge  zu  ihrem  Sinken,  Zielen  ent- 
gegen, die  wir  ahnen  und  erwünschen  können, 
die  aber  nur  dann  sich  verwirklichen ,  wenn 
sie  von  allen  herangelebt  werden  in  einer 
ungeheuren    Zusammenfassung    der    edelsten 

Kräfte HEINRICH   HIllF.K. 


UCIII.  JdIi  1920.   4 


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FACHSCHULE  FÜR 
GLASINDUSTRIE 
IN  HAIDA. 


KRISTALLGLAS 
MIT  SCHLIFF  U. 
GRAVIERUNG. 


FACHSCHULE  FÜR 
GLASINDUSTRIE 
IN  HAIDA. 


KRISTALLGLAS 
MIT  SCHLIFF  U. 
GRAVIERUNG. 


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ARCHITEKTONISCHE  LÖSUNGEN. 


Der  Architekt  ist  zu  einem  jaulen  Teil  Rechner. 
Er  benötigt  zwar  von  der  höheren  Mathe- 
matiiv  für  die  Praxis  des  Hausbaus  nicht  allzu- 
viel. Aber  die  allgemeinen  rechnerischen  Grund- 
lagen seines  Unternehmens  müssen  ihm  dafür 
desto  eindringlicher  gegenwärtig  sein.  Für  den 
Architekten  ist  der  Bau  ein  System  von  Maßen, 
von  Winkeln  und  Verhältnissen,  und  zugleich 
ein  finanzielles  Gerüst,  in  dem  Arbeits-  und 
Materialkosten,  Boden-  und  Gebäudewerte, 
Hypotheken,  Mieten  und  Zinsen  die  wesent- 
lichsten Faktoren  darstellen.  Der  Laie  sieht 
gottlob  diese  vielfältigen  Zahlengebäude  nicht, 
sonst  würde  ihm  oft  der  Genuß  am  schönsten 
Hause  vergehen.  Aber  dem  Architekten  ist 
leider  das  Bauen  fast  nicht  mehr  als  ein  stetes 
Rechnen,  er  muß  die  Partitur  der  Zahlen  gründ- 
lich beherrschen,  um  trotz  alledem  noch  eine 
gute  Musik  zu  machen.  — 

Nicht  minder  wichtig  ist  die  technische  Lösung. 
Wir  können  das  Haus  auch  als  ein  System  von 
Zweckmäßigkeiten  auffassen,  die  entweder  mit 
seiner  eigenen  Erhaltung  oder  mit  der  mensch- 
lichen Benutzung  zusammenhängen.  Die  Mauern 
stützen  und  bergen,  das  Dach  lastet  und  schützt. 
Die  Heizung  dient  nur  dem  Menschen  als 
Wärmequelle,  die  Fundamente  existieren  aus- 
schließlich für  die  Selbsterhaltung  des  Hauses. 
Diese  beiden  Zwecksysteme  gilt  es,  nachdem 
erst  jedes  einzelne  technische  Erfordernis  für 
sich  berücksichtigt  ist,  noch  in  Einklang  zu 
bringen.  Der  Bau  ist  technisch  gelöst,  wenn 
alle  Zwecke  so  erfüllt 
sind,  daß  keiner  den 
andern  beeinträchtigt. 
—  Von  Kunst  war  bei 
all  dem  noch  nicht  die 
Rede.  Ein  Bau  kann 
technisch  und  rechne- 
risch einwandfrei  da- 
stehen, und  doch  ein 
wüster  Formenhaufen 
sein.  Hier  setzt  der 
Architekt  als  Künstler 
ein.  Er  sorgt  dafür, 
daß  eine  Form  mit  der 
anderen  harmoniert, 
daß  ein  gutes  Verhältnis 
entsteht  zwischen  den 
Teilen  unier  einander 
und  zum  Ganzen.  Erge- 
staltet die  technischen 
Dinge  so,  daß  ihre  Ge- 


RICH.VRD  BAITROTH— CH.\RI.OTTENBURG. 


samtform  und  ihre  Glieder  klar  hervortreten, 
und  daß  ein  künstlerisch  interessantes  Gebilde 
entsteht.  Die  Türe  wird  eine  Form,  ein  Rechteck 
mit  aparter  Teilung,  das  Dach  ein  System  von 
schiefen  Ebenen.  Künstlerisch  gelöst  ist  die 
Bauaufgabe,  wenn  aus  allen  Baugliedern  gute 
künstlerische  Formen  geworden  sind  und  wenn 
diese  Formen  sich  zu  einer  großen  Einheit 
zusammenschließen.  Insbesondere  handelt  es 
sich  hier  darum,  den  Bau  stilistisch  durchzuar- 
beiten. Wo  stillose  oder  stilfremde  Formen 
sich  zeigen,  bleibt  ein  ungelöster  Rest. 

Daneben  gibt  es  aber  noch  eine  andere  künst- 
lerische Lösung.  Denken  wir  an  eine  alte  Kirche. 
Da  kam  es  dem  Baumeister  nicht  so  sehr  darauf 
an,  alle  Formen  möglichst  kunstvoll  durchzu- 
bilden. Die  Kirche  war  ihm  eine  Stätte  der 
Andacht,  der  Sammlung,  der  Gottesverehrung, 
und  er  baute  seine  Kirche  so,  daß  sie  dieser 
Stimmung,  diesem  innem  Wesen  am  besten 
entsprach.  Das  ganze  Haus  wurde  zur  verkör- 
perten Andacht,  und  desto  schöner  war  die 
Kirche,  je  mehr  sie  in  allem  von  Ajidacht, 
Sammlung,  Gottesverehrung  erfüllt  war.  Das 
Biedermeierzimmer  atmet  bürgerliche  Behag- 
lichkeit, ein  alter  Barockschrank  ist  die  Ver- 
körperung ruhiger,  bergender  Festigkeit.  So 
hat  jedes  Ding  seine  Seele,  seinen  Charakter, 
seine  Stimmung.  Künstlerisch  gelöst  ist  das 
Haus  und  sind  die  Bauglieder  erst  dann  voll- 
kommen, wenn  jegliches  Ding  die  seinem  inneren 
Wesen  entsprechende  Gestalt  gefunden  hat, 
wenn  eine  Seele  so  aus 
dumpfer  Wirrnis  erlöst 
ist.  Man  kann  die  rein 
formale  Durcharbeitung 
leicht  zu  weit  treiben, 
wenn  das  Haus  in  ein  äs- 
thetisches Formenspiel 
aufgelöst  wird,  sodaß 
für  die  Beseelung  kein 
Platz  mehr  bleibt.  Dann 
gehtalleBlutwärme,  alle 
Schwere  und  irdische 
Dinghaf  tigkeit  verloren. 
—  Keine  der  vier  archi- 
tektonischen Lösungen 
kann  für  sich  allein 
durchgeführt  werden ; 
das  Haus  wird  ein  guter, 
lebensfähiger  Organis- 
mus erst  dann,  wenn  alle 
vier  gelungen  sind.  a.  j. 


11 


THEODOR  WENDE-DARMSTADT.  «SILBERNE  SCHALEN. 


TH.  WENDE     DARMSTADT. 


»ASCHENSCIIALE  IN  SILBER« 


THEODOR  WENDE. 


Hier  liegt  aus  eines  Behutsamen  Werk  weniges 
ausgebreitet.  Den  heule  37  jährigen  Ber- 
liner hat  die  Berufung  des  hessischen  Groß- 
herzogs 1914  zum  Darmstädter  Kolonisten 
gemacht.  Keine  Lärmtrommel  schrie  ihn  am 
wimmelnden  Markte  aus.  Die  Zeit ,  über- 
geschäftig, kleinstes  Geräusch  durch  schmet- 
ternde Schallrohre  zu  dröhnen,  ließ  diesen  Still- 
wirkenden unbeachtet.  Überzeugt  vom  Recht 
und  der  Richtigkeit  seines  Daseins  lebt  er  in 
der  Arbeit  seiner  geschmeidigen  und  sicheren 
Hände,  beim  bedachten  Ausführen  ganz  Hand- 
werker, ganz  Künstler  durch  das  Glühen  des 
inneren  Gesichts. 

Gold  und  Silber  und  edle  Steine  sind  seine 
Stoffe;  sein  Werkzeug  sind  Treibhämmer  und 
Treibdome,  Lötflamme  und  Kolben,  die  kleine 
Feile  und  der  Grabstichel;  seine  Gegenstände 
sind  Ringe,  Kelten  und  Gehänge,  Schalen  und 
Becher,  Dosen  und  feine  Gefäße.  Mit  des 
Hemdwerks  Genossen  teilt  er  den  mühevollen 
Weg,  welcher  von  der  ungestallen  Materie  hin- 
weggeht und  durch  Gestaltung  demjenigen  zu- 
führt, was  dem  Zweck,  dem  Spiel,  der  Freude 
dient.  Mit  des  Handwerks  Genossen  teilt  er 
auch,  was  der  Materie  an  Glanz  und  Farbe 
und  sinnlichen  Reizen  innewohnt,  an  Härte  und 
Dehnbarkeit,  was  sie  selten  macht  und  kostbar; 
ihre  Kraft  Licht  zu  brechen,  Licht  zu  spiegeln; 
ihr  Gebundensein  in  des  Menschen  Gefühlsreich, 
die  mystische  Sinnbildlichkeit,  durch  welche  das 
festliche  Gold  die  Sonne,  das  grauschimmernde 
Silber  den  Mond  hervorbeschwört. 

Sein   eigen   aber  ist   die  Form 


Die  Gewöhnung  des  Lebens  zeigt  uns  die 
umgebende  Welt  als  wohlgeordneten  Bezirk; 
darin  sind  die  Dinge  tüchtig  zueinander  gestellt, 
in  sich  formvoll  gefügt.  In  die  Fülle  fertiger 
Gebilde  habe  der  Künstler,  glauben  wir,  glück- 
liche Griffe  zu  tun,  Weilil  zu  treffen  nach  An- 
leitung seines  Willens,  und  es  entstehe  —  in 
seinem  Stoffe  —  das  Werk.  Nimm  das  Un- 
mögliche an,  ein  gesunder  Mensch  wachse  im 
hchtlosen  Kerker  auf  und  eines  Tages  werde 
er  ins  Reich  der  Sachen  gestoßen:  Heillosem 
Tumult  im  Innern  wird  Getös  und  Gequirl  von 
draußen  antworten.  Doch  wird  er  sich  ermannen, 
Ordnung  schaffen  in  dem,  was  ordnungslos  seine 
Sinne  befällt,  wird  Ding  von  Ding  sondern,  die 
Gesonderten  ins  Verhältnis  bringen,  bloßen  Reiz 
zum  Gebilde  formen,  ihm  gemäß.  Ein  freier 
Schöpfungsakt  wandelt  die  angestarrte  Wunder- 
welt zur  daseinsmöglichen  Welt  der  Sinne.  Ihr 
nun,  die  ihm  von  vornhinein  gegeben  ist,  be- 
gegnet der  Künstler  mit  neuem  Staunen;  sie, 
die  zweckvolle,  bedeutet  ihm  neues  Chaos; 
sie,  die  durchrechenbare,  ist  ihm  von  Wundern 
neu  gefüllt.  Von  sich  her  ein  zweitesmal  sie 
durchzugestalten,  treibt  es  ihn  an.  Die  untern 
menschlichen  Zwecke  verschmähend,  führt  er 
einer  oberen  Schicht  menschlichster  Zwecke 
sie  zu.  Nicht  jeder,  der  Kunst  macht,  kommt  zu 
dieser  zweiten  Welt.  Damit  sie  schlackenrein 
werde,  muß  sie  ganz  seine  Welt  der  Freiheit 
sein,  seiner  inneren  Form  im  äußeren  Bestand 
entsprechen.  Weil  seine  Welt  so  beschaffen 
ist,  daß  über  den  bloßen  Gebrauch  und  außerhalb 
der  handwerklichen  Geschicklichkeit  als  F'orm 


189 


Theodor  Wende. 


190 


THEODOR  WENDE— DARMSTADT 


sie  besteht,  darum  liegt  in  den 
Arbeiten  Theodor  Wendes 
der  große  Zauber  verborgen. 
—  Einst  Entfesseier  vom 
Durcheinander  überkommner 
Stilarten,  hat  uns  Jahr  um 
Jahre  der  Irrtum  befangen, 
der  „Kunslgewerbler"  habe 
genug  getan,  sei  nur  sein  Ge- 
genstand zwfcUiglos  dem  Roh- 
stoff entsprungen,  glatt  dem 
Gebrauche  angepaßt.  Er  glich 
zwitterhaft  einem  Begriff  e  etvv-a 
vom  „gehobenen  Handwer- 
ker". Den  schob  man  zwischen 
Kunst  und  Gewerbe  mitten 
hinein.  Als  Künstler  mochte 
derselbeMann  Schränke  zeich- 
nen, als  Gewerbler  die  dazu 
bedurften  Bretter  hobeln. 
Genug,  war  nur  eine  Schale 
geeignet,  saftige  Früchte  em- 
porzuhalten; genug,  baumelte 
ein  Schmuck,  ließ  ein  Becher 
den  Wein  funkeln.  Bei  so 
kurzatmigem  Bequemen,  wie 


TH.  WENDE— DARMSTAIJT.  »ANHANGER« 
SILBER  MIT  BRILLANTEN. 


RINGE  UND  MANSCHETTENKNÖPFE« 


leicht  geriet  das  Werk  zur 
Flachheit ,  wie  gleichgültig 
konnte  es  lassen,  fehlten  die 
Früchte,  der  Wein,  der  ge- 
schmückte Frauenhals,  stand 
oder  lag  das  Ding  ohne  seinem 
Nutzen  zu  dienen  umher.  Totes 
Metall  bheb  über,  trockener 
Wert  des  Besitzes,  graue,  auf 
die  Stunde  des  Genusses 
wartende  Höhlung.  Kühle  Ab- 
sicht war  verwirklicht,  doch 
der  Aufstieg  aus  dem  dunklen 
Untergrund  des  wachsenden 
Lebens  war  vermißt.  Was 
gemeint  ist,  versteht,  wer  je 
in  den  Bannkreis  Wende'scher 
Schmucke  und  Wende'scher 
Gefäße  gezogen  war,  nicht 
vom  Abbild  her  eine  abseitige 
Kenntnis  hat:  Eines  Bechers 
Fuß  breitet  als  weiches  Rund 
sich  aus,  hebt  geschmeidig 
einen  Wellenrücken  hoch; 
Streben  springen  ab,  pressen 
heftig  drängende  Hände  ans 


Theodor  Wende. 


untere    Gewölb     der 

zartgeschobenen 
Wandung;  eine  Lippe 
ist  dargeboten,  ihr 
naht,  in  schöner  Kurve 
aus  und  eingebogen, 
der  Deckel,  und,  daß 
er  leicht  wegzuziehen 
sei,  fügt  seine  Endi- 
gung einer  Knospe 
gleich  sich  in  die  sachte 
Hand.  —  Breit  und 
glatt  ruht  ein  Käst- 
chen in  aufgeregter 
zackiger  Fassung ;  sie 
schwillt  an  den  Ecken 
vollgerundet  aus  und 
unter  der  Rundung 
setzen  plattkugelige 
Füße  das  Ganze  sanft, 
doch  sicher  hin.  —  An 
vielgliedriger  Kette 
hängt  ein  zuckendes 
Geschmeid;  Lichter 
übersprühen  es ;  Wol- 
kenbild wallt  auf;  un- 
erhörter Prunk  an 
einer  reichen  Frauen- 

TH.  WENDE  -  DARMSTADT. 


brusl  funkelt  vorüber. 
—  Der  schlichte  Kreis- 
.schild  einer  Brosche 
ist  kaum  gewölbt;  von 
seiner  Mitte  neigen, 
dreimal  und  rhyth- 
misch, ohne  Starrheit, 
K  ispen  sich  zum  Rand, 
und  den  umkreist 
achtfach  zerteilt  ein 
feiner  Schwung.  — 
Drei  Füße,  dünn  im 
untersten  Gelenk  und 
Knöchel,  stählern  fast 
im  Willen,  gehn  em- 
por und  fassen  eine 
kelchhaft  tiefe  Schale 
zwischen  sich;  gefaltet 
strebt  sie  auf  und  öff- 
net ihre  Höhle.  Drin 
ist,  nicht  hell  —  nicht 
dunkel,  doch  vom 
weiten  Raum  gekühlt, 
von  seiner  lichten 
Wand  durchstrahlt, 
die  Luft  wie  eines 
feierlichen  Kirchen- 
raumes Luft.  K.  KREUNI). 

»TEEBÜCHSE  IN  SILBER« 


TH.AVENDE    DARMSTADT.     ZIGARETTENDOSE  IX  SILBER. 


V 


OTTO  REICHERT- 

OFFEN  BACH  AM. 

MALEREI  DES 


PERGAMENT- 
EINBANDES DER 
NEBENSTEHENDEN 
FAMILIENCHRONIK. 


SCHRIFTKUNST  UND  DICHTUNG. 


VON  OTTO  REICHERT. 


Das  gesprochene  Wort  verlangt  nach  einer 
bildlichen  Form,  die  das  Flüchtige  der 
Laute  bannt  und  ihren  Sinn  andern  Menschen 
und  Zeiten  übermittelt.  Wie  die  Musik  dem 
Wort  tiefere  Schwingungen  abringt,  so  soll  die 
Schrift  das  Kleid  sein,  das  seinen  Klang  um- 
hüllt und  ihn  dem  Auge  kenntlich  macht.  Wenn 
heute  die  Kunst  der  Alten,  schön  zu  schreiben, 
wieder  lebendig  geworden  ist,  so  ist  dies  nicht 
mehr,  um  als  Bildverständigungsmittel  zu  die- 
nen, sondern  um  irgend  etwas  Besonderes  aus 
dem  AUtäghchen  des  Gedruckten  herauszu- 
heben, ihm  neue  Bedeutung,  neuen  Persönlich- 
keitswert zu  geben. 

Die  Schrift  hat  ihre  eigene  Seele,  die  zu  uns 
reden  möchte.  Wer  sie  erklingen  lassen  will, 
muß  Sinn  haben  für  die  Musik,  die  in  den  Buch- 
staben liegen  kann,  im  Spiel  der  Linien  und 
Formen.   Erst  dies  wird  ihn  über  das  rein  Hand- 


werkliche hinausbringen,  über  das  mechanische 
Aneinanderreihen  von  Buchstaben,  heute  in  der, 
morgen  in  jener  Schrift.  Was  die  Handschrift 
zum  Kunstwerk  erhebt,  ist  das  schöpferische 
Gestalten,  das  die  Buchstaben  dem  Gedanken- 
inhalt des  Textes  anpaßt  und  diesen  dadurch 
in  Schrift  übersetzt. 

Der  Musiker,  der  ein  Gedicht  zum  Lied  ver- 
tont, läßt  schon  die  Töne  reden,  malt  mit  der 
Klangfarbe,  mit  Tonfolgen,  mit  Dur  und  Moll 
und  läßt  den  Rhythmus  so  wirken,  daß  schon 
daraus  auf  die  Stimmung  der  Dichtung  zu 
schließen  ist,  auch  wenn  die  Worte  noch  nicht 
gesungen  werden.  So  sollte  aus  dem  Schrift- 
bild der  Sinn  einer  Dichtung  zu  fühlen  sein, 
noch  ehe  man  die  Worte  las.  Es  muß  also  ein 
Gestalten  aus  dem  Geist  der  Dichtung  heraus 
werden,  und  so  gelingt  es  auch  nur  dem,  der 
Dichtung   zu   erleben  vermag,    der   die   Musik 


192 


X 
o 


1"    Juli  1920.  5 


SchriftkiDist  und  Dichtjing. 


194 


UTO  KF.RHF.KT— OFFENBACH  A.  M.  HANDSCHRIFT:  EIN  ALTER  SCHLACHTGESANG.   PHOT.  EMMY  LIMPKR  I  — FRANKF  UKT. 


zarter  Lyrik,  die  Wucht  harter  Verse  eines 
alten  Kriegsüedes  in  sich  wiederklingen  lassen 
kann.  Ihm  gehen  beim  bedächtigen  Schreiben 
immer  neue  Schönheiten  der  Gedanken  und 
des  Wortklangs  eines  Dichterwerkes  auf.  Sie 
alle  auch  dem  Beschauer  näher  zu  bringen  ist 
die  vornehmste  Aufgabe  des  Buchschreibers. 
Daß  er  sie  erfüllt,  halte  ich  aber  —  im  Gegensatz 
zu  manchen  andern  Schreibern  —  nur  dann  für 
möglich,  wenn  er  mehr  gibt,  als  bloßes  Abschrei- 
ben. (Bildschmuck  kann  die  Gesamtwirkung 
einer  Handschrift  wohl  heben,  aber  fehlende 
Ausgestaltung  der  Schrift  nicht  ersetzen.  Schrift 
und  Schmuck  und  Einband  müssen  unter  sich  und 
mit  dem  Inhalt  des  Textes  zusammengehen  und 
ein  Ganzes  sein,  wie  sich  auch  die  Farben  der 
Stimmung  der  Dichtung  einfügen  müssen.) 

Menschen,  die  keinen  Sinn  für  Dichtung 
haben,  oder  denen  sich  die  Schönheiten  einer 
Schrift  noch  nicht  offenbarten  —  und  es  gibt 
manche  Leute  dabei,  die  sonst  in  Kunstdingen 
ein  reifes  Urteil  haben !  —  verstehen  auch  ein 
handgeschriebenes  Buch  nicht;  sie  blättern  rat- 
los darin,  und  wissen  auch  nicht  den  persön- 
lichen Wert  zu  schätzen ,  den  es  für  den 
Besitzer  hat.    Der  bekam  es  vielleicht  als  Gabe 


aus  lieber  Hand,  weil  ein  besonderes  Erinnern 
sich  gerade  mit  diesem  Gedicht  verknüpft,  oder 
er  ließ  sich  als  Freund  guter  Literatur  das  ihm 
Liebste  schreiben,  um  es  in  stillen  Feierstunden 
andächtig  zu  genießen.  — 

Die  wenigen  Kunstfreunde,  die  das  neue  Son- 
dergebiet der  Buchkunst  bisher  richtig  erkann- 
ten, betonen  immer  wieder  das  Persönliche  und 
Innige  und  Lebendigbleibende  des  geschriebe- 
nen Buches.  Und  die  Freude,  die  ihnen  aus  dem 
köstlichen  Besitz  erblüht,  hilft  von  selbst  dazu, 
daß  sich  ihr  Kreis  ständig  erweitert.  ...  '.  r. 
« 

Ein  Volk  ist  umso  stärker,  je  mehr  Empfin- 
dungen und  Gedanken  in  den  Herzen  und 
Köpfen  aller  lebendig  sind,  je  mehr  von  den 
großen  nationalen  Werken  und  Taten  als  allen 
gemeinsamer  Besitz  gefühlt  und  geliebt  werden. 
Wir  können  nach  außen  keine  Kraft  äußern, 
die  wir  nicht  in  uns  besitzen.  Jeder  einzelne 
muß  die  bildende  Kraft  und  den  Willen  der 
Edelsten  seines  Volkes  in  sich  wirksam  fühlen. 
Das  gibt  im  Innern  den  festen  Boden,  auf  dem 
sich  alle  Glieder  des  Volkes  verstehen  und  eins 
fühlen  und  nach  außen  das  starke  Bollwerk, 
das   ein  Volkstum  bewahrt,     alirf.d  lichtwakk. 


JLöctiöniidtcöictfoflii 

ömieiRÜrfituiiöüm^utit       1 

lliiaUlDitoLataiifmij]!^       1 

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.  RtlCllKKl.   HAMJSCHKiFl:   IIEKTUA  KNEIST   ilÜR  UIE  SuNNEo   (iNlllAl.  III.AU,  SCIIKIM    hCHWAK/,  GEI-li  AUSGETUNKT). 


■äb^cfonAcet  oon  6«m  f>6: 
Utifehcn  Uat  6«c  btulfchc 
fuh  tinen  ci^iun  "IBect 
d^0cünAct  I  un6  awnn  6<u 
^  mf>ectunx  tutttr^in^^  i 
f»  bliebe  tit  6<ut0ic  ■Qluri 
6*unat\^tfeä\tta.  öit 
M  ciiu  futlülic  tPco^e^ 
fU  ivolvtt  in6cc  AuUuc 


tUT^ünCliacaiitt  £<r7W 

tioni&<r  o«n  UiccnpoUti' 

fd\(n  <^u^äl<n  tmob' 

tjänöi0ijt. 

■  1t\  cm  1 6cr  *m  ^ri(H 

mu|>  jult^t  6u  lV3;rfd>afl 
OMc^cni  6cnn  cn&lUti  an 
6«m  ^i<16cc3(iti>oei\n' 
<u\Acr»  6i(  »ZOclt  cüwn.<i 


OITO  REICHERT— OFKENBACH.  HANDGESlHRIEKENES  »UCU:  SCHILLER   »DEUTSCHE  GRÖSSE» 
(SCHRIFT  SCHWARZ,  RAM)  GOLD,  HLAU,  ROT). 


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■  £u\  1 6u.Licl.iflc  nvun 

■  <Ocl  ior»E^X5clttn  kiefini  ajic^«  ruui« 

<£iaii»  i-tooftct:  m>: 

ajö  folleaasu:  jcijnfan 

(^.^iiiactltc-tTui 


.>llc3i>linca.>Ött«nc.<uifunenw*ttfcl\n.'- 
-Oi4\lof  .Jü^iiMi  A«3«  mewv 

Wi.icn.löioncn.yyiurien.cin..'' 

unkte  4«m»Vuiclic«in.( 

H"iiU[l  in rruiacm «^ciiij^e  ein, 
ticutna.  ituuvtöceiktdie  juilau)«|«in: 


OTTO  REICHERT- OFFENBACH.  HANDSCHRIFT:  HERTHA  KNEIST  »EIA«    (SCHRIFT  INDIGO,  GELB  U.   ROSA  AUSGETUNKT). 


5at>vfcc. 


Oief«  *^XJodie  ö>U*«:  yntt  nexicAun^en!  ^IScnnnuuv 
ftd)  cuiirt^tbtäs  boet]  unmtt  cti»a6i  foUt't«  audinur 
«»«ru^fcixx,anx£nAc|uinnu«rt  ]ichö6«ch'unA  o>ee 
tUin€»pi<I  l'fhcUthot  Unn\jn^c<u6e>audian\  ^tcüun 
(fioM  inn,unA  6«vn£m«  ^Seclull  i^  jutMcjfiimar^cn. 

£<ivovbtr<liu>ert«n<?5e(tf,yu<inäi:9©ufeaa.,fi»n& 
l|aU>. 


HANDGESCHR.  BUCH:   GOETHE    .DIE  GESCHWISTER«    (SCHRIFT  SCHW.VK/.,  .\.\M1'.,\    ROT,  KOPFI.El.STE  SCHW.\RZ,  GRÜN). 


^  .rv!.|cUcrferml|uJi'6m6t;t«iniaji^.- 


OTTO  REH'HERT-OKl-'ENIlAi   II.     HAMiSIHKni       1 1  M;  1  M  \    kMI.-.l        M'MNSrCMI        IMK.I      IMMV    ilMI'IKI        h  K  ANK  I' UU  T   A-  M  . 


OtäteÄ  EÄta 

1 

olttioiittigimtüiii 

(HilMÜlftlÜlIIttltR 

rtiitgtulfrtalt 

SaöcMftR^litöigcJii 

fi|t[i[tgtl'[t]filtgtldt 

ftifigiifitiMialtoSogta 

ENTW.  U.  AUSt: 

OTTO  REICHER  1- 

UKFEXBACH   M 

lllJlltlliSÄjÄ 

IIAM>GESChlR    Bl'CH: 

EICHENUORFE: 

•  AliSCHIED« 


•TT'i  REICHERT     OFI'ENBACH.    .SCHRIFTENTWURFE  FÜR  HANUVERGOLDUNG  AUF  PERGAMEXTUAXDEX« 


HANDWERKLICHES  UND  GEISTIGES. 


Es  gibt  keinen  graduellen  Unterschied  zwi- 
schen Akademie  und  Kunstgewerbeschule, 
nur  einen  formellen.  —  Der  Maler  baut  sein 
Bild  aus  einzelnen  Farbpartikeln  auf.  Er  muß 
sein  Handwerk  verstehen,  es  bewußt  ausnutzen. 
Da  wo  ihm  das  Höchste  gelingt,  schafft  er  unter 
dem  Zwang  einer  ihn  beseelenden  Idee. 

Wie  der  Maler  sein  Bild  aus  Farben,  so  baut 
der  Buchkünstler  sein  Buch  aus  Lettern.  Auch 
er  muß  bewußt  sein  Handwerk  ausüben.  Ein 
Kunstwerk  entsteht  aber  auch  nur  da,  wo  in 
dem  langen  Arbeitsvorgang  —  der  Wahl  von 
Papier  und  Typen,  Anordnung  derselben  unter 
Rücksichtnahme  auf  den  Text,  der  Durchbil- 
dung des  Satzbildes  von  der  ersten  bis  zur 
letzten  Seite  —  die  geistige  Spannung  nicht 
nachläßt,  die  für  seine  endgültige  und  einheit- 
liche Form  das  Entscheidende  ist.  .  .  . 

Die  handwerklichen  Disziplinen  spielen  nur 
eine  untergeordnete  Rolle  neben  den  führenden 
geistigen  Ideen.  Die  wesentliche  Aufgabe 
der  Schule  wird  es  sein,  ihre  Schüler  mit  den 
Grundbedingungen  alles  künstlerischen  Schaf- 
fens   zu    erfüllen ,    die    für    alle    Gebiete    der 


Kunst  die  gleichen  oder  doch  ähnliche  sind.  .  ,  . 
—  Um  nur  ein  Beispiel  zu  geben,  sei  das  Ge- 
biet der  künstlerischen  Schrift  erwähnt.  Ge- 
wiß, das  Handwerkliche  ist  eine  Vorbedingung, 
ist  sogar  der  einzige  Weg  zur  Meisterschaft. 
Man  muß  schreiben,  immer  wieder  schreiben, 
sein  Handwerkszeug  beherrschen  und  in  Ord- 
nung haben,  aber  das  Wesentliche  dieser  Schul- 
übungen liegt  doch  nicht  im  Handwerküchen, 
sondern  in  der  Deutlichmachung  des  geistigen 
Prozesses,  in  dem  sich  der  schöpferische  Form- 
wille das  widerstrebende  Gerät,  das  spröde 
Material  gefügig  macht,  es  liegt  in  der  Klar- 
legung der  zum  Schluß  alle  Kunst  beherrschen- 
den Gesetze  von  Verhältnis,  Wirkung  und  Ge- 
genwirkung horizontaler,  vertikaler,  schräger 
und  runder  Linien,  zusammengefaßt  in  26  ver- 
schiedenen Typen,  die  für  die  genannten  Kunst- 
regeln die  knappste  und  prägnanteste  Form 
darzustellen  scheinen,  dabei  die  einfachsten  und 
erschöpfendsten  Mittel  für  den  Ausdruck  alles 
Geistigen  sind 

AVS  DER  BE.\CHTENSWERTEN  SCHRIFT  F.  H.  EHMKE  »ZUR 
KRISIS    DER   KUNST <i    VERLAG    EI'GEN   DIEDERICHS-JEN.\. 


198 


iin»  KKIlHERT— OKI-ENBArH  A.  M      II  \N1 '(;ESrHRIKBENE  KÜCHER.    PHOT.  EMMV  I.IMPERT— KR  ANKFIRT  A.  M. 


OTTO  Ri:i(  MF.RT     OFlENliACH. 


HANDGESCHRIEBENE  BÜCHER.    (INITIAI.  O:  l'.ELB  MIT  SATUR.NRciT.  MITTE  IM)  KAM)  BLAU, 
ÜRUNI)  HELLGRÜN.)    I'HOT.  EMMV  LIMPERT-ERANKKURT 


_<^22r^ 


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OTTO  REICHERT  -OP^FENBACH  A.  M.      BUCHMARKEN     FIRMEN-  ITXD  XAMENZEICHFX. 


HANS  SCHREIBER  -OFFENBACH. 


»DECKELBILDt    EIN  IV.  PREI.S. 


WETTBEWERB  FÜR  ZIGARREN-PACKUNGEN. 

VERANSTALTET  VON  DER  FIRMA  HEINRICH  CONRAD  DEINES     HANAU  A.  MAIN  UNTER  FRÜHEREN 
UND  JETZIGEN  STUDIIiKEXUEN  DKR  KUNSTGEWERliESCIIUI.E  OFFENBACII  A.  MAIN. 


Gleichzeitig  mit  dem  im  April-Maiheft  der 
„Deutschen  Kunst  und  Dekoration"  be- 
handelten Wettbewerb  Landmann-Mannheim 
spielte  sich  in  einem  enger  umrissenen  Kreis 
von  Künstlern  und  solchen,  die  sich  auf  dem 
Weg  zur  Künstlerschaft  befinden  in  Offenbach 
a.  Main  ein  gleichartiges  Ausschreiben  für  Zi- 
garrenpackungen ab.  Die  rühmlichst  bekannte 
Firma  Heinrich  Conrad  Deines,  Lithographische 
Kunstanstalt  in  Hanau  a.  Main  stellte  der  Di- 
rektion der  Technischen  Lehranstalten  Offen- 
bach den  Betrag  von  5250  Mk.  zur  Veranstaltung 
eines  Ausschreibens  unter  der  jüngeren  Gene- 
ration früherer  und  den  derzeitigen  Studieren- 
den der  Kunstgewerbeschule  zur  Verfügung. 
Gewiß  eine  hohe  Summe,  die  zu  Preisen  führte, 
die  mit  denen  des  Landmannschen  Wettbe- 
werbs ziemlich  übereinstimmen.  —  90  Arbeiten 
wurden  eingereicht.  Das  Preisgericht  entschied 
wie  folgt:  Zwei  I.  Preise  zu  je  1000  Mk.  an 
Georg  Baus-Leipzig  und  Fritz  Rosenthal-Berlin. 
Zwei  II.  Preise  zu  je  750  Mk.  an  Hans  Schrei- 
ber-Offenbach und  Hans  Bohn-Frankfurt.  Fin 
III.  Preis  zu  500  Mk.  an  Hans  Schreiber-Offen- 
bach. Weiter  fünf  IV.  Preise  zu  je  250  Mk.  an 
Georg  Baus-Leipzig,  Hans  Schreiber-Offenbach, 
Hans  Bohn-Frankfurt,  Frau  Leni  CoUin-Bohn- 
Frankfurt,  Wilhelm  Grimm-Offenbach.  Die  Ent- 


würfe hielten  sich  mit  wenigen  Ausnahmen  auf 
einem  außerordentlich  guten  Niveau.  Was  an 
dem  Wettbewerb  besonders  erfreute,  war  das 
Vorherrschen  vorzüglicher  Schrift.  Die  strenge 
Schriftschule  der  Offenbacher  Anstalt,  die  der- 
zeit Inder  Kunstgewerbebibliothek  Berlin  durch 
die  Sonderausstellung  „Offenbacher  Schreiber" 
unter  Rudolf  Kochs  Leitung  mit  großem  Erfolg 
ihre  Arbeiten  zeigt,  trat  in  augenfälligste  Er- 
scheinung. Der  Charakter  der  Zigarrenpackung 
war  ebenfalls  durchweg  gut  getroffen. 

Einem  der  Hauptpreisträger  des  Landmann- 
schen Wettbewerbs  begegnen  wir  auch  bei 
dieser  internen  Offenbacher  Konkurrenz  :  Hans 
Bohn,  der  vorzügliche  Graphiker,  heute  Mit- 
arbeiter bei  Gebrüder  Klingspor,  stand  auch 
hier  mit  einer  Reihe  von  ^ut  gelungenen  Ent- 
würfen im  Vordergrund  des  Interesses.  Der 
Entwurf  Tropenglut  müßte  insbesondere  auch 
durch  seine  frischen  und  für  Tabak  charakte- 
ristischen Farben  eine  außerordentlich  wirkungs- 
volle Zigarrenmarke  abgeben.  Georg  Baus- 
Leipzig  war  mit  4  flott  hingeschriebenen  Ar- 
beiten, worunter  der  feinfarbige,  in  gold,  grün, 
violett  gehaltene  Entwurf  „Brothers  Jonathan" 
an  erste  Stelle  rückte,  vertreten.  Nur  eine 
Arbeit  reichte  Fritz  Rosenthal-Berlin  ein,  eine 
abgeklärte  reife,  architektonisch  vorzüglich  auf- 


201 


(XIII.  Juli  1920.  6 


Wettbeioerh  für  Zigarren-Packungen. 


202 


HANS  BOHN— FRANKFURT. 


»DECKELBILD«    EIN  II.  PREIS. 


gebaute  Packung  für  teure  Zigarren  in  wunder-  wiederzugeben  ist.  Drei  der  Abbildungen  führen 

barem  Rot  mit  Schwarz  und  Gold  und  weißem  auf  Hans  Schreiber-Offenbach  zurück,  den 

Schriftband,    deren   vornehme  Farbenwirkung  wir  gleich  Bohn   auch  unter  den  Siegern  des 

in     Schwarzweißvervielfältigung     leider    nicht  Landmann'schen      Wettbewerbs      verzeichnet 


GEORG  BAUS-LEIPZIG.    »ZIGARREN-PACKUNG  •  DECKELBILD«    EIN  I.  PREIS. 


Wrtthcivcrb  für  '/.igarrcji-Packungen. 


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m\mmMA'(^  irAi^tACiDSjh 


HASS  SCHREIBER     uKKENHACH. 


»DECKELBII.n«    EIN  li.  PREIS. 


sahen.    Besonders  bei  seinen  Arbeiten  tritt  die  das  Zurückverlegen   der  dargestellten  Motive 

Schrift  in  Vollendung  in  Erscheinung,   Farbe  aus  der  Gegenwart  in  altvergangene  Tage  auch 

und  subtile  Zeichenweise  treffen  vorzüglich  das,  Gefahren  in   sich   birgt,   über  die  wir  uns  im 

was  uns  bei  guten  alten  Packungen  als  wesent-  InteressefortschrittlicherKunstklarseinmüssen. 

lieh  erscheint.    Allerdings  muß  gesagt  sein,  daß  —  Zu  hoffen  ist,  daß  die  Firma  Heinrich  Conrad 


HANS  SCHRI",I|:KK     m|  ienmia^  h.       /I.  ■.ARREN-PACKUXr,  .  Iil.  KI.I.llH.I)       III.  PREIS. 


203 


Wrffbewerb  für  Zigarren-Packungen. 


Deines,  die  den  beschränkten  Wettbewerb  in 
so  (Sroßziijjiger  Weise  zu  einem  vollen  Erfolg 
zu  gestalten  wußte,  auch  die  Kraft  findet,  die 
Widerstände,  die  sich  der  Verwendung  ge- 
schmackvoller Packungen  leider  noch  immer 
entgegenstellen,  zu  überwinden.  Dabei  handelt 
es  sich  weniger  um  den  Raucher,  der  gewiß 
seine  Freude  an  einer  guten  Aufmachung  des 
Kauchmaterials  findet,  auch  nicht  um  den  Zigar- 
renfabrikanten, der  einem  künstlerischen  Fort- 
schritt sich  auf  die  Dauer  sicher  nicht  entgegen- 
stellt ;  der  Widerstand  tritt  uns  vielmehr  aus  dem 
Lager  der  Reisenden  entgegen,  die  zwischen 
der  lithographischen  Firma  und  dem  Zigarren- 
fabrikanten stehen.  Da  wäre  allerdings  zu 
wünschen,  daß  an  diese  Herrn  die  energische 
Weisung  ergehe,  ihre  ganze  Kraft  in  den  Dienst 
der  guten  Entwürfe  zu  stellen  und  dem  Wunsch 
nach  zu  süßlich  fader,  geist-  und  geschmackloser 
Mache  sich  mit  aller  Kraft  und  Überredungs- 
kunst entgegenzustemmen.  Es  geht  nicht  an, 
sich  auf  die  Dauer  hinter  die  Entschuldigung 
zu  verschanzen:  „Unser  Publikum  kauft  das 
nicht".  Der  Reisende  —  auch  der  in  Zigarren- 
packungen  —  muß  sich  endlich  darauf  besinnen, 
daß  auch  er  ein  Kulturträger  zu  sein,  eine 
Mission  zu  erfüllen  hat,  daß  er  sich  frei  machen 
muß  von  der  Freude  an  Dingen,  die  geschmack- 
vollen Menschen  als  Geschmacksgreuel  er- 
scheinen. Nun  ist  es  ja  gewiß  schwer,  sich  von 
festgesessenen  Anschauungen  loszusagen,  ohne 
andere  bessere  begreifen  und  erfassen  zu  können, 
es  erscheint  auch  fast  unmögUch,  Dinge  mit 
gewandter   Sprache    zu    vertreten,    denen    das 


Herz  kalt  und  teilnahmslos  gegenüber  steht. 
Da  bleibt  eben  nur  der  Weg  des  Personen- 
wechsels, der  Weg,  die  Vertretung  künstlerischer 
Dinge  nur  Leuten  anzuvertrauen,  die  diesem 
Arbeitsgebiet  Gefühl  und  Verständnis  entgegen- 
zubringen vermögen.  Keinesfalls  darf  der  Fort- 
schritt daran  scheitern,  daß  ungeeignete  Men- 
schen erfreuliche  Ansätze  um  ihre  Auswirkung 
bringen.  Es  muß  mit  der  Ansicht  gründhch 
aufgeräumt  werden,  daß,  während  auf  allen 
anderen  Gebieten  derWeg  zum  guten  Geschmack 
offen  steht,  die  Zigarrenpackung  allein  dazu 
verurteilt  sein  soll,  sich  dauernd  im  Rahmen 
übelster  Geschmacklosigkeit  gefangen  zu  sehen. 
Man  kann  nicht  glauben ,  daß  während  der 
Zigarettenraucher  die  Freuden  guter  Packung 
genießen  darf,  man  an  den  Zigarrenkonsumenten 
für  alle  Zeiten  die  Anforderung  stellen  will, 
sich  mit  der  Tatsache  abzufinden:  „Unser  Pu- 
blikum lehnt  die  moderne  Richtung  der  Pak- 

kung  ab" n.  k. 

St 
Aller  Unterricht  sollte  eine  Anleitung  sein,  der 
rv  Welt  selbständig  und  unabhängig  gegen- 
überzutreten und  in  befestigter  Gewohnheit  das 
erarbeitete  Wissen  zum  Erwerb  neuer  Kennt- 
nisse zu  benutzen.  In  jedem  Augenblick  muß 
alles  Wissen  zur  Verfügung  stehen.  Dies  wird 
am  sichersten  erreicht,  wenn  es  von  der  ersten 
Stunde  einem  Können  dient.  Können  ist  die 
höchste  Macht.  Verstehen  und  selbständig  unter- 
suchen können,  mitzuempfinden  und  nachzu- 
empfinden vermögen,  geht  über  alles  Wissen 
weit  hinaus alfred  lichtwark. 


FRITZ  ROSENTHAL-BERLIN.     »ZIGARREN-PACKONG«   EIN  I.  PREIS. 


/ 


KAY  H.  NEBEL-DARMSTADT.  .MÜTTERLICHKEIT« 


KARL  HOFEK— GENF. 


»GRUNK  r,ANUSrHAKr< 


DEUTSCHER  EXPRESSIONISMUS  DARMSTADT  1920. 

(ro.  JUNI  ms  30.  SF-PTEMBER   I92O.) 


Das  malerische,  graphische  und  plastische 
Material  dieser  Ausstellunfl  voll  Sorgfalt 
und  Vielschichtung  ist  als  künstlerisches  und 
zeithches  Bekenntnis  durchaus  in  Form  und 
voll  Fortissimo,  voll  von  blühender  Gegenvkfart 
und  pochendem  Rhythmus,  als  Wertfaktor  in 
vielen  Linien  jedoch  ohne  letzte  Notvi^endigkeit 
und  Plan.  VielfältigeVerzweigung,  Einbeziehung, 
der  weite  und  ausgespannte  Kreis  der  Einheit- 
lichkeit im  Stilistischen,  die  überall  bewahrte 
Bewußtheit  zur  Persönlichkeit  und  zum  Ver- 
schwisterten  machen  sie  zu  einer  Tat  künst- 
lerischer Stärke  und  Reinheit.  Für  Darmstadt 
ist  sie  durchaus  ein  Faktum  neuen  kräftigen 
Kunstwillens,  Aufreißung  von  fruchtbarem  Neu- 
land, ist  sie  ein  Begeben  mitten  in  die  großen 
und  fruchtbaren  Strömungen  der  Epoche. 

Ihre  Stärke  liegt  nicht  in  der  ausschließlichen 
Qualität  des  Materials,  sondern  in  der  umfas- 
senden  Linie,    womit   sie    die   zahlreichen   Er- 


scheinungen der  Mitte  einschließt  und  vordrängt , 
sie  erstreckt  sich  mit  konsequenter  Neigung 
mehr  in  das  Ausmaß  der  Breite  als  ein  einziges 
Juwel  voll  Schönheit  und  Süße  zu  sein.  Ihr 
Charakter  wird  geprägt  und  angezeigt  durch  die 
scharfe  Aufzeichnung  des  Mit-  und  Nachwuchses, 

Sie  leidet  trotz  der  Betonung  zur  Schärfe  an 
der  letzten  eisigen  Klarheit.  Sie  ist  durchblitzt 
von  Sonnen,  Sternen  und  Edelsteinen  einiger 
Großen  und  Führenden,  aber  ihr  großes  Ange- 
sicht wird  von  den  matten  Abendlichtern  der 
Schwankenden,  Tastenden,  Angelehnten,  Brü- 
tenden und  Unausgeglichenen  komponiert. 

Ein  Rhythmus  durchgeht  sie  jedoch.  Der 
große  und  morgendliche  Rhythmus  des  Kampfes 
und  des  neuen  Kunstwillens.  Hier  ist  Luft  und 
Musik  aus  der  Zeit.  Hier  sind  die  Rätsel  der 
Epoche,  die  Sünden,  die  Beschränkungen,  die 
unendlichen  und  tragischen  Irrgärten,  hier  sind 
die  Schönheiten,   die  Freiiiciten,  die  göttlichen 


311.  Angnsl  1920.    I 


;>« 


7 


Deutscher  Exf<ressionisiiiiis  Darnisfadt  11)20. 


208 


REINHOLD  EWALD— HANAU. 


Blumen  und  die  Augen  der  Unsterblichen.  Die 
Beziehungen  hinüberlaufend  zu  den  Franzosen, 
von  denen  sie  einige  fürstliche  und  glänzende 
Gebilde  voll  Kultur  und  Güte  zeigt,  in  der  Zu- 
spitzung romanischer,  superiorer  Form,  ohne 
Schwanken  und  Konzession  in  der  sicheren  und 
reizvollen  Linie:  Sachen  von  Georges  Braque 
von  Weisheit  und  Beglänzung,  Bilder  der  Lau- 
rencin  recht  weltmännisch  und  gutgelaunt  in 
der  niedergleitenden  Kontur  von  Lyrik  und 
Dandytum,  breitere  von  Impuls  und  Tempera- 
ment durchpochte  Schöpfungen,  die  noch  die 
Neigung  zum  Spielerischen  haben,  von  Raoul 
Dufy ;  klassisch  und  klug  Geformtes  von  Picas- 
so, eine  kubisch  starre  Landschaft  von  Juan 
Gris ,  heitere,  starkbewußte  und  vorgeschobene 
Bilder  von  Maurice  de  Vlaminck  und  die  pri- 
mitive und  bezaubernde  Reinheit  Rousseau s. 
Es  sind  Bilder  in  den  Sälen,  zu  denen  durch 
das  Gewaltsame  und  Ungelöste  ihrer  Form  keine 
Beziehung  zu  finden  ist,  bei  denen  die  Analyse 
des  Intellekts  zur  Erbitterung  sich  zuspitzt,  nicht 


GEMÄLDE    aiLTTER« 


im  Sinne  einer  unvollkommenen  und  bürger- 
lichen Betrachtung,  sondern  in  der  erkennenden 
und  verstehenden  des  Bewußten  und  Wissenden, 
der  die  Möglichkeiten  sieht,  die  unausgestaltet 
blieben,  die  Betrügereien,  die  Schamlosigkeiten, 
den  das  Vergebliche  bedrückt,  das  nicht  Gefun- 
dene erzürnt.  Bilder  aus  der  Erschlaffung  ge- 
macht, aus  der  Verführung  der  Konjunktur, 
nachgeahmt  dem  Stil  der  Führenden  und  Reinen, 
aber  ohne  Ertastung  des  Geistigen  und  See- 
lischen, ohne  die  fesselnde  Dynamik  des  Inner- 
lichen, Sterilitäten  expressionistischen  Epigo- 
nentums. 

Aufwühlt  mich  Marc,  aufwühlt  mich  Lehm- 
bruck.  Grosz  ist  prachtvoll.  Entzückend  ist  Klee. 
Von  Grosz  das  blühende  Bild  des  „Abenteu- 
rers". Dieses  Bild  ist  eine  einzige  Faszination, 
fesselnd  durch  das  Meer  seiner  Erscheinungen, 
durch  die  Schärfe  seiner  Technik,  durch  den  Ge- 
ruch seiner  Exotik,  durch  das  Rauchende  seiner 
Inbrunst,  durch  das  Brüllen  seiner  fiebernden 
Weltmusik,    durch     das    Mexikanische    seiner 


CESAR  KLEIN  -BERLIN.  -.RUHE  AUF  DER  ELUCHT« 

MIT  GENEHMIGVNG  DER  KUNSTHANDLUNG  FRITZ  GÜRLITT— BERLIN. 


'0 


1 


GEORG  KARS    KRALUP.    »ZITRONENPACKERINNEN« 

MIT  GENEHMIG.  VON  HANS  GOLTZ— MÜNCHEN. 


Dcufsclitr  Expressionisnnis  Darvistadt  ig20. 


mmmmmemmmmmmm 


HENRI  ROUSSEAU  f- 


Mache.  Hier  ist  Welteinfangen.  Kosmos  auf 
der  Fläche.  Hier  ist  Pracht  und  Traum  in  un- 
endlichen Variationen.  Aus  seinen  Lithogra- 
phien steigt  makabre  Melodie.  Es  zerlegt  alles 
ins  Skelettartige.  Er  zieht  alles  auf  die  wesen- 
hafte Linie  zurück.  Ihn  reizt  das  Viehische,  die 
Stadt,  die  Dirne  und  die  Straße.  Er  ist  der 
zeichnerische  Entschäler  der  Psyche,  der  Chirurg, 
der  Anatom.  Innig  blüht  neben  ihm  Marc  mit 
seinen  Kompositionen,  die  sich  gelb,  blau,  grün 
und  südlich  über  das  Tier  und  seine  Seele  aus- 
schütten. Die  Tiere  singenihre  Seele  ans  Licht. 
Sie  werden  blau  in  ihrer  Freudigkeit,  in  ihrem 
Adel,  sie  werden  dunkel,  gewitterrot,  zackig 
und  gesträubt  in  ihrem  Hunger,  ihrer  Gier,  ihrem 


r,EM.\LDE  •!«£  ZOLLSIAIION» 
(GAL.  ALFRBD  FLECHTHEIM-DÜSSBLDORF.) 


Zorn.  Marc  war  ein  Mystiker,  ein  metaphy- 
sischer Mensch.  Nur  wenige  haben  diese  Linie 
erkannt.  Rein  und  einfällig  glänzen  seine  Holz- 
schnitte. Lehmbruck,  dem  ein  ganzer  Saal  voll 
Plastik,  Radierungen  und  Zeichnungen  zum  Ge- 
dächtnis gewidmet  ist,  stößt  mich  mit  allem  ins 
Licht.  Seine  Plastik,  die  hier  steht,  überglänzt 
alle  Plastik  dieser  Ausstellung.  Lehmbruck  er- 
scheint mir  als  der  künstlerische  Gesetzesformer 
dieser  Zeit.  Seine  Figuren,  gotischer  Gereckt- 
heit  voll,  mit  romanischen  Rundungen,  ganz 
zentralisiert,  sind  nicht  in  allem  gelöst.  In  den 
Radierungen  und  Zeichnungen  ringt  er  fanatisch 
und  glühend  um  das  Problem  der  Plastik.  Man 
ist  manchmal  frappiert,  wie  Renoir-nahe  man- 


211 


Deutscher  Expressionismus  Darmsiadt  igso. 


■  an 


212 


OTTO  VON  WATIKN  — l>ü.^^ti.lloKl  . 


ches  ist,  wie  romanisch  hingekugelt  und  gewälzt. 
Paul  Klee  mit  vielen  Kompositionen,  Aquarellen 
und  Skizzen,  die  schön  und  kostbar  gemalt,  ge- 
zeichnet und  schraffiert  sind.  Welt  und  unbe- 
rührtes Leben  unter  dem  Traumuntergrund  der 
Seele  staunt  in  die  Realität.  So  tief  steigt  erhinab 
bis  in  eine  blaugründige  Dämmerung.  Astrale 
Lyrik,  Chimärenhaftes,  Fremdes,  von  Träumen 
Zartgesponnenes,  Verwirrtes  in  reizvoller  Bin- 
dung, Unbeholfenes  in  exakter  Disziplin;  es  ist 
unerschöpfbar.  Was  von  Kokoschka  an  Gemäl- 
den gezeigt  wird,  gibt  keine  neuen  Erstaunungen 
und  Prägungen,  was  von  Pechstein  hängt,  kann 


GEMALUE  »NACHT«  (GRAN.MJA). 

MIT  GENEHM.  DER  GALERIE  FLBCHTHFIM, 


nicht  stark  interessieren.  Das  große  Ernlebild 
von  Nauen  ist  mit  gewaltsamem,  rohem  und  sto- 
ßendem Atem  gemalt.  Carlo  Mense  blüht  schön, 
großäugig  und  fremd.  Bilder,  deren  Superiori- 
tät  in  dem  farbigen  Elan  und  der  glänzenden 
Malweise  liegt.  Davringhausen,  derirgendwie 
durch  Mense  beeinflußt  ist,  fesselt  durch  den 
phosphoreszierenden  vorspringenden  Glanz  sei- 
ner intensiven  Farbe.  Letzten  Endes  ist  er  je- 
doch eine  aus  süßlicher  Einstellung  zweifelhafte 
Erscheinung.  Kay  H.  Nebels  Bild,  „Mütterlich- 
keit", scheint  mir  aus  der  Fülle  eines  großen 
Zwanges     geschaffen.     Eine    Vision    von    un- 


Drutschir  Ex/^ressionisniiis-  Darrvstadt  igjo. 


CARLO  MENSE-BONX. 


endlicher  und  frischer  Fruchtbarkeit  ist  so 
stark  zentralisiert,  daß  sie  fast  trocken  wirkt. 
Eine  zärtliche  feinnervige  und  hervorgelockte 
Innigkeit  gibt  dem  großen  Bild,  das  formal  ohne 
Zerrüttung  ist,  die  Anziehungskraft,  Ewald  aus 
Hanau  fesselt  eminent.  Er  scheint  auf  dem  Wege 
zu  sein,  der  raffinierteste  deutsche  Maler  zu  wer- 
den. Er  lockt  die  Farbe  zur  Darstellung  des  See- 
lischen hervor,  durchaus  anekdotisch  eingestellt, 
findet  er  doch  immerhin  eine  Rindung  über 
dieses  nur  Situationshafte  hinaus.  Man  muß 
seine  Farbe  beachten,  die  ganz  groß  und  stark 
ist  (leider  auch   mit  dekorativ-leerer  Wirkung). 


gf.mai.de  »heu.iger« 

IIENKHM.  VON  HANS  OOLTZ-Mi'NCHHN. 


Man  muß  auch  das  Geistige  fühlen  und  ab- 
tasten, das  seine  Bilder  irgendwie  beprägt  hat. 
Für  das  stärkste  halte  ich  seine  „Mütter",  seinen 
„Eislauf"  liebe  ich,  hier  ist  neben  dem  dekora- 
tiv Mißglückten  eine  außerordentliche  Wider- 
standskraft im  Atmosphärischen  und  im  Beobach- 
teten, hier  ist  ein  ganz  starkes  Tremulieren  in 
den  Schattierungen  und  Gegeneinanderstel- 
lungen der  Farben,  die  aus  hartnäckiger  Wissen- 
schaftlichkeit und  gutem  Gefühl  kommen.  Josef 
Eberz  bringt  mit  dem  Bild  „Tänzer"  ein  kolo- 
ristisch und  rhythmisch  urwüchsiges  Bild  voll 
Bewegung,  Linie   und  Freude.  „Golgatha"  und 


213 


Dezitscher  Expressionismus  DarmstadI  iq2o. 


2t4 


i-U..  k      ..,1  .  I-.JL  1.-.. 


GENLALDE     HEXENBILD« 
MIT  GENEHM.  VON  HANS  GOLTZ-MÜNCHEN. 


„Erstehen"  leiden  an  schwankender  Zerghede- 
rung,  bleiben  in  der  lyrischen  Kurve  stecken,  sind 
farbig  von  feinem  Reiz,  aber  eine  letzte  Lösung 
bilden  sie  nicht.  Ihm  nahe  steht  Karl  Gunsch- 
mann,  der  zwei  Kompositionen  und  ein  Stilleben 
zeigt,  GunschmannmeistertdieFläche  des  großen 
Bildes  mit  vieler  Lebendigkeit,  oft  entzückend 
reich  in  der  Variation  und  Ausstrahlung  seiner 
Einfälle,  erfüllt  seine  Figuren  mit  Kurve,  Linie, 
Biegung  und  ganz  zarter  Rhythmik,  die  harmo- 
nisch zusammenstreben,  blüht  und  träumt  in 
leichten  ätherischen  Körpern  zwischen  glockigen 
Blumen  und  brennenden  Gewächsen  in  heiterer 
Anspruchslosigkeit  und  Demut.    Irgendwo  aber 


steht  er  in  der  Ermattung.  Irgendwo  ist  die 
entzückende  etwas  melancholische  Unschuld 
und  Sinnenfreudigkeit  pedantisch  und  trocken 
geworden.  Seine  Radierungen  sind  voll  trau- 
riger einfacher  Melodie.  Hermann  K  e  i  1  ist  eben- 
falls in  einer  Krisis,  die  vielleicht  aus  der  Über- 
last allzu  großer  und  beherrschender  Intellektua- 
lität  resultiert.  CesarKleins  Bild  „Ruhe  auf 
der  Flucht"  ist  sehr  harmonisch,  sehr  prägnant 
in  der  Hervorzauberung  atmosphärischer  Stim- 
mung und  voll  versachlichter  Exotik  und  Phan- 
tasie und  trotz  ganz  hervorragend  ausgeprägten 
Stilgefühls  ohne  eine  manirierte  Kurve.  Ich  raffe 
zusammen,  was   sich  noch  herauslöst  aus  der 


JOSEF  EBERZ-MÜNXHEN.   CtEMÄLDE  .TÄNZER. 


Till.    AOZUSl    1 


Heinrich  m.  davringhausen-münchen.  »der  farmer. 

MIT  GENEHM.  VON  HANS  GOLTZ  -  MÜNCHEN. 


Deutscher  Expressiotiisnuis  Darmstadt  /gjo. 


CARL  GUNSCHULVNN -DARMS r.\DT. 


Masse,  was  als  Bestätigung  betrachtet  werden 
kann:  aus  dem  Sturmkreis  Georg  Muche  mit 
der  farbigen  Tafel  zum  Gedächtnis  von  Wilhelm 
Runge,  die  mit  ihrem  flockigen  gelben  und  roten 
Tupfen  eine  gewisse  Dehkatesse  der  Farben- 
nuanzierung  zeigt.  In  gleicher  Linie  sein  Bild 
„Sommer".  Von  Otto  Lange  erfrischt  das  Bild 
„Mondlicht",  das  in  den  vielfältigen  Erschei- 
nungen eine  zarte  süße  Überglänzung  hat,  von 
Rohlfs  fesselt  Einiges,  ebenso  von  Seewald,  der 
inseinerFächerpalmebemerkenswerteAufleuch- 
tungen  gibt,  Scharff  nicht  zu  vergessen  mit 
seinen  plastisch  geformten  Bildern.  Schrimpf 
ermüdet.  Schwalbach  ist  Neoimpressionist. 
Schwitters  macht  Ulk.  v.  Wätjen  ist  mondain 
in  seiner  Nacht  zu  Granada.  Rudolf  Baur  malt 
MusikaUsches :  Symphonien,  Klänge,  Fugen. 
Boeckstiegel  ist  sehr  krampfhaft.   Canipendonk 


GEMÄLDE  »STH-LEBEN« 


entzündet  sich  lebhaft  an  Fcirben.  Karl  Caspar 
baut  eine  dreigegliederte  Passion  auf,  in  der  in- 
brünstige Strömungen  fluten.  Chagall  hängt 
eine  Geburt  hin  von  slawischer  Stärke  und 
Mystik.  Interessant  ist  das  Bild  des  Nils  von 
Dardel.  Trotz  der  französischen  pointillierten 
Schule  Originalität  und  Rhythmik  aus  dem 
Norden.  Eine  Landschaft  hellfröhUcher  zarter 
Farbigkeit  macht  auf  Mila  Eßlinger-Bensheim 
aufmerksam.  Kars  in  seinen  Citronenpacke- 
rinnen  ist  voll  monotoner  Schwere  und  Müdigkeit. 
Was  Well  Habicht -Darmstadt  an  Plastik 
zeigt,  ist  fundiert  in  einer  cmgespannten  geistigen 
Intensität,  deshalb  nicht  sehr  sinnlich  und  er- 
regend geformt,  aber  in  der  Wirkung  voll  von 
Fesselung  und  Vornehmheit.  Seine  „Begegnung" 
in  weicher  Schwingung  erstarrt,  etwas  stumpf 
und  rund  in  der  Modellierung,  aber  von  zarter 


217 


Deutscher  Expressionismus  Darinstadt  ig2c 


218 


f    •       -  -^ 


ERICH  HECKEI.-   BERLIN. 


»LANDSCHAFT«  BES.  DR.  H.  si.mon-fkankfurt. 


und  angedeuteter  Seele  und  Inbrunst  reich.  Von 
Arnold  Hensler  sind  drei  Bildnisköpfe  voll  witzi- 
ger eleganter  Prägung.  Bernhard  Hoetger  fes- 
selt. Seine  etwas  trächtige,  drückende  und  ge- 
ballte Art  ist  von  dumpfer  Wirkung.  Von  Milly 
Steg  er  steht  ein  leichtsinniges  lüsternes  Tanz- 
grüppchen  da,  Stärkeres  gab  sie  dem  „Unfreien " . 
Angegliedert  ist  mit  großer  Wirkung  Graphik, 
die  teilweise  von  hervorragender  Qualität  ist 
und  die  sehr  Prinzipielles  und  Positives  aussagt. 
Es  ist  Wichtigstes  vorhanden.  Es  ist  durchweg 
Gutes  an  den  Wänden.  Es  sind  ausgezeichnete 
Stücke  in  großer  Menge  da.  Neben  der  witzig- 
ironischen Nadel  Rudolf  Großmanns,  Formun- 
genaus einem  großen  weltmännisch-sicheren  und 
blitzenden  Gefühl,  neben  der  inbrünstigen  hin- 
gewühlten Art  von  Kokoschka,  die  starken 
konturtragenden  Schnitte  und  Lithos  Pechsteins, 
prachtvolle  gemeisterte  Schnitte  von  Lasar 
Segall,  zarte  behutsame  Radierungen  von  See- 
haus, plastisch  hingeworfene  von  Schärft,  amü- 
sante Aquarelle  voll  Kopfsteherei,  Unsinn  und 
Phantastik  von  Großschem  -  Einfluß  von  R. 
Schlichter-Berlin.     Margarete   Schubert-Darm- 


stadt reißt  eine  bösartig  lauernde,  dämonenhaft 
überlagerte  Welt  voll  Unheil,  Finsternis,  Zu- 
sammenrottung, Hunger,  Gier  und  Armut  auf. 
Subtil  und  tief  gearbeitete  Motive  aus  dem  alten 
Darmstadt.  Hier  ist  eine  rasche,  nervöse  Phan- 
tasie am  Werke,  durchströmt  und  durchschmerz- 
licht  von  Visionen  apokalyptischer  Flügelhaftig- 
keit.  Sehr  flimmernd  gibt  sich  die  Graphik  von 
Rene  Beeh.  E,  M.  Engert  geht  in  seinen  Scheren- 
schnitten überspitzter  raffinierter  Verfeinerung 
zu.  Barlach  wirkt  sehr  vornehm  und  gerundet. 
Maurice  de  Vlaminck  schneidet  Städte  ins 
Holz:  Marseille,  Martignes,  S.  Michel,  mus- 
kulös in  der  Haltung,  von  energischem  Wuchs 
und  eigenwilligem  Selbstbewußtsein.  Max  Beck- 
mann mit  Radierungen  aus  Kasimir  Edschmids 
Novellenzyklus:  Die  Fürstin,  mit  Motiven  aus 
Bordell  und  Krieg,  mit  Köpfen  und  Gesichtern; 
das  Kriterium  kommt  zu  der  alten  Feststellung: 
Welt,  Dinge,  pathologisch  unterhöhlt,  eigen- 
dünkelhaft, jedoch  voll  Form,  liebend  hinge- 
neigt ans  Primitive  manchmal  und  auch  oft  voll 
grauenhafter  Aktualität.  Man  kommt  zu  der 
Erkenntnis :  wie  unabänderlich  dieser  Mensch 


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Deutscher  Expressionismus  Darinstadt  iy20. 


»mi.DNIS  NILS  VON  DARDELS« 

MIT  GBNEHM,  DUR  GALBRIB  FLBCHTUBIH. 


sucht,  wie  hcirtnäckig,  wie  fest  und  treibend. 
Holzschnitte  Dülbergs  aus  älterer  Zeit  —  gei- 
stige Profile  —  sind  voll  bohrendem  Fanatis- 
mus, gearbeitet  in  das  Intellektuelle  hinein,  aus 
denen  überall  spielerische  Überspitztheit  droht. 
Die  Stickereien  seiner  Frau  (Hedwig  Dülberg- 
Arnheim)  durchzieht  stilistische  Stärke,  sie  sind 
voll  Reiz  und  Delikatheit,  Farbe  blüht  blumen- 
stark und  flächig.  Otto  Gleichmann  mit  Zeich- 
nungen und  Lithographien  neben  einigen  Bil- 
dern erscheint  hier  nicht  so  groß  in  seiner  typi- 
schen Selbständigkeit.  Aus  allem  bricht  eine 
neurotische  zerfaserte  Art,  starke  zeichnerische 


Begabung,  ein  Grinsen,  ein  satyrisches  Gelächter. 
Im  Turmzimmer  hängen  Kinderzeichnungen  aus 
dem  Formunterricht  Lang-Schubert,  deren  Lei- 
terin die  begabte,  sehr  überraschende  Marga- 
rete Schubert  ist.  Breite  und  farbenstarke 
Äußerungen  kindlichen  Entzündetseins,  Er- 
weckung und  Hingebung.  —  Eberz  ist  hier  sehr 
epidermishaft.  Das  wären  die  Wichtigsten.  Klee, 
Lehmbruck,  Marc  und  Grosz  habe  ich  schon 
genannt.  Und  ich  will  dieses  zum  Schluß  noch 
sagen ;  Klee  und  Grosz  —  welche  Klasse ! 
Marc  welch'  zarter  Kosmos!  Lehmbruck  welch' 
gigantisches  Ringen! anion  s(  hnack. 


221 


KAI  in,  DII-Y-l'ARIS. 


GEMÄLDE  »DER  TURKENREITER« 

MIT  GENEHM.   DER  GALERIE  FLECHTHEIM. 


ABKLÄRUNG. 


Picasso  fait  du  Ingres,  hört  man  seit  einem 
Jahre  aus  Paris.  Und  man  wird  gemahnt  an 
das  künstlerische  Wunschziel ,  das  Cezanne 
einmal  aufgestellt  hat :  refaire  Poussin  sur  na- 
ture.  In  den  künstlerischen  Hauptstädten  drückt 
man  die  Entwicklung,  die  sich  da  anzubalinen 
scheint,  grob  und  mißtönig  aus  in  dem  Schlag- 
wort; Ende  des  Expressionismus.  Nur  ein 
kindliches  Gemüt  könnte  darüber  erstaunen. 
Die  10 — 15  Jahre  Lebensdauer,  die  jeder  Kunst- 
wahrheit beschieden  sind,  gehen  für  den  Ex- 
pressionismus ihrem  Ende  entgegen.  Das  Schlag- 
wort tut  das  Seinige,  um  dieses  Ende  zu  be- 
schleunigen. Denn  wenn  auch  nicht  inneres 
Keimen  den  Expressionismus  zersprengen  wür- 
de :  das  Schlagwort  seines  Namens  hat  man  zu 
oft  und  zu  laut  gehört.  Das  Ohr  verlangt  einen 
anderen  Klang.  Und  wieder  wird  die  Erfah- 
rung gemacht ,  daß  das  Schlagwort  wirklich 
seinem  Wortsinn   gemäß   funktioniert;    es   be- 


nennt nicht  nur  eine  Sache,  es  erschlägt  sie  auch. 
—  Aber  davon  abgesehen:  Picasso  macht  In- 
gres. Er  hat  die  Malerei  Europas  eine  größere 
Strecke  lang  geführt.  Das  braucht  keineswegs 
die  Konsequenz  zu  haben,  daß  sie  ihm  auch  in 
diese  seine  neueste  Entwicklung  folgen  vfird. 
Aber  zu  denken  gibt  diese  Entwicklung  doch. 
Sie  bezeichnet  immerhin  eine  Richtung,  in  die 
unsere  Malerei  früher  oder  später  wieder  wird 
einlenken  müssen :  Aufgabe  des  Kriegszustan- 
des gegenüber  der  Naturvorlage,  Ausdruck  des 
Geistigen  durch  das  Medium  treu  bewahrter 
Naturform,  Klassizität  in  irgend  einer  Gestalt. 
In  Deutschland  sind  dazu  noch  keinerlei  An- 
sätze vorhanden.  Wenigstens  haben  wir  noch 
nicht  die  geistige  Einstellung,  sie  zu  sehen.  Viel 
eher  scheinen  unsere  Künstler  noch  durch  die 
Reize  und  Möglichkeiten  einer  entschlossen 
abstrakten  Kunst  angezogen  zu  werden;  was 
bedeuten  würde,  daß  sie  es  für  verfrüht  hallen, 


GEORGE  GROSZ    BERLIN.  GEMÄLDE  -DER  ABENTEURER. 

MIT  GENEHMIGXTNG  VON  HANS  GOLTZ— MÜNCHEN. 


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WELL  HABICHT- DARMSTADT.   .BEGEGNUNG« 


Ahkh'iruuz. 


den  Frieden  mit  der  seienden  Welt  zu  machen, 
den  jede  Art  Klassizität,  jedes  Verwenden  der 
Naturform  als  Ausdrucksmittel  in  sich  schließt. 
Auf  jeden  Fall  aber  ist  es  notwendig,  den  Kunst- 
freund nachdrücklich  auf  die  Gespanntheit  der 
Situation  aufmerksam  zu  machen,  sein  Auge  zu 
schärfen  für  das  Neue,  das  sich  entbinden  will, 
seine  Neugier ,  seine  Lust  zum  Miterleben  zu 
stimulieren  in  einem  Zeitpunkt,  der  wieder  irgend 
welchen  Entscheidungen  zudrängt.  Ks  ist  eine 
ähnlich  gespannte  Lage  wie  vor  10 — 12  Jahren, 
als  unsere  Kunst  in  eine  trostlose  Sackgasse 
geraten  war  und  kein  Mensch  wußte,  wie  es 
weiter  gehen  werde:  bis  plötzlich  eine  himmel- 
hoch und  unersteiglich  geglaubte  Felswand,  die 
allen  Weg  verriegelte,  vor  unseren  staunenden 
Augen  als  wesenlose  Attrappe  zusammensank 
und  den  Blick  in  unabsehbare  Gebreite  freigab. 
Ähnlich,  sage  ich,  war  diese  Lage.  Nur  mit 
dem  Unterschied,  daß  heute  viel  mehr  sichtbare 


Möglichkeiten  vor  uns  liegen,  von  denen  jede 
eine  gewisse  Ergiebigkeit  zu  besitzen  scheint. 
Auf  keinen  Fall  liegt,  wie  damals,  Zwang  zu 
einer  schroff  abbrechenden,  katastrophalen 
Wendung  vor.  Es  gibt  so  viele  Wege,  die  ganz 
natürlich  und  logisch  vom  Expressionismus  aus- 
stralilen;  es  gibt  so  Vieles  zu  erfüllen,  was  er 
versprach,  zu  vollenden,  was  er  begann,  daß 
mit  einer  scharfen  Abkehr  von  seiner  bisherigen 
Linie  kaum  gerechnet  werden  kann.  Die  aller- 
nächste Zeit  wird  ja  wohl  den  internationalen 
Austausch  von  Kunstwerken  in  Ausstellungen 
etc.  wieder  in  Fluß  bringen.  Das  wird  einen 
mächtigen  Faktor  der  Entwicklung  bilden.  Der 
Expressionismus  hat,  rein  formal  genommen, 
die  Möglichkeit,  seine  abstrakten  Keime  zu 
entwickeln  oder  seine  kosmisch-dadaisti- 
schen oder  seine  klassizistischen.  Er  ist 
eine  wenig  einfache  Sache.  Er  enthält  als  ein 
echtes  Chaos  Samen  der  verschiedensten  Art. 


225 


KXIII.  Aigllst  I9i0.  3 


A  bkläriing. 


Von  der  allgemeinen  Lebensstimmung  der  Zeit 
wird  es  abhängen,  welche  dieser  Samen  zuerst 
in  Blatt  und  Stengel  schießen  werden.  Eine 
Prophezeiung  darüber?  Die  ist  schwer  zu  wagen. 
Es  scheint  zwar  sonnenklar,  daß  Zeit  und  Men- 
schen zerrissener  sind  als  je  und  stürmisch  be- 
wegt und  daß  daher,  trotz  Picasso,  keine  Aus- 
sicht auf  innere  Beruhigung  und  klassizistischen 
Weltfriedensschluß  vorliegt.  Aber  die  Kunst 
ahnt,  was  in  den  Tiefen  ist.  Sie  liefert  die 
frühesten  Ausschläge  auf  unterirdische  elek- 
trische Ströme,  die  sich  später  sichtbar  an  der 
Oberfläche  auswirken  wollen.  Sie  begann  sich 
vor  zehn  Jahren,  mitten  in  Frieden  und  Ge- 
deihen, urplötzlich  zu  erregen,  wurde  fanatisch 
und  rebellisch ,  ging  mit  revolutionärem  Zorn 
ins  Ethische  und  hatte  rein  in  ihrer  Form  den 
ganzen  Umsturz,  der  in  Krieg  und  Revolution 
grauenhaft  über  die  Welt  k#  i.  Es  ist  ebenso- 
wohl möglich,  daß  sie  jetzt  schon  eine  Beruhigung 
ahnt,  die  kommen  will.  Eine  Beruhigung,  die 
freihch  alles  andere  eher  ist  als  bürgerliches 
Behagen  und  stumpfsinnige  Gottfremdheit.  Aber 
eine  Beruhigung,  die  die  waltenden  Mächte  der 
Welt  klar  und  positiv  erkennt  und  endlich  zu 
ihnen  in  eine  fromme,  direkte  und  offene  Be- 
jahung tritt.  Wir  haben  —  ich  sage  dies  gerade 
aus  inniger  Fühlung  mit  dem  Zeitgeist  heraus  — 
lange  genug  mit  diesen  Mächten  Verstecken  ge- 
spielt, sie  illusionistisch  verspottet,  geleugnet, 
gelästert,  weil  Irdisches  durchgelebt  werden 
mußte,  weil  wir  des  Irrtums  bedurften,    um 


wieder  ganz  in  unserer  Welt  heimisch  zu  wer- 
den. Wir  müssen  manchmal  durch  solche  Pe- 
rioden der  Verjüngung  und  Ver-Erdung  gehen, 
um  dann  das  Gestirnhafte  und  Wahre  um  so 
mächtiger  zu  fühlen.  Es  ist  ganz  sicher  eine 
Ermüdung  an  diesem  Versteckspiel  mit  den 
„Mächten"  eingetreten.  Und  so  scheint  es  nicht 
ausgeschlossen,  daß  in  der  Tiefe  der  Zeit  etwas 
Friedevolles  keimt  trotz  des  Aufruhrs  an  der 
Peripherie.  Jedenfalls  sollen  wir  mit  großer 
Lust  und  frömmster  Neugier  den  Prozeß  ver- 
folgen und  uns  der  Woge  Leben  hingeben,  die 
sich  schon  in  der  Höhe  des  Meeres  erhebt  und 
kraftvoll  dunkel  auf  uns  zurollt,     willy  fr^vnk. 

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Alles  was  gelernt  und  gelehrt  und  an  Kräften 
i\.  erworben  wird,  muß  durch  das  Gefühl  in 
den  Dienst  der  höheren  Entwicklung  unseres 
Volkes  gestellt  werden.  Jeder  einzelne  muß 
sich  mitverpflichtet  fühlen,  an  der  Vertiefung 
und  Veredelung  unseres  Volkscharakters  mit- 
zuarbeiten und  zwar,  indem  er  nicht  bei  den 
andern,  sondern  bei  sich  selber  anfängt.  In 
solchem  Boden  gepflegt,  werden  Vaterlands- 
gefühl, Volksbewußtsein,  Nationalstolz  und  wie 
wir  die  Äußerungen  des  einen  tiefen  Gefühls 
der  Zugehörigkeit  nennen  mögen,  sich  als  auf- 
bauende und  gestaltende  Lebensmächte  wirk- 
sam erweisen,  die  nicht  nur  an  seltenen  Schick- 
salstagen fieberhaft  aufwallen ,  sondern  auch 
an  allen  Werktagen  still  und  stark  an  der  Ar- 
beit sind ALFRED  LICHTWARK. 


'.MLlll.l.M    l.LH.\ll;ia\  K  t.    Ml/.EMJii.-,  ilAUClILN. 


IIKinVIG  DÜLBERG -ARNHEIM.  .BILDSTICKEREI« 


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KERDINANU 
HOÜLKR  t. 


»KRUHLINGS- 
I.AiNDSCHAFT« 


GEMÄLDE  AUS  DARMSTÄDTER  PRIVATBESITZ. 

(ausstelh'iNc  am  kheintok:  juni  bis  September  1920.) 


Zur  Zeit  findet  in  Darmstadt  neben  der  großen 
Ausstellung  „Deutscher  Expressionismus" 
auf  der  Mathildenhöhe  in  der  neuhergerichte- 
ten Kunsthalle  am  Rheintor  eine  Ausstellung 
der  Darmstädter  Sammlertäligkeit  der  letzten 
Jahrzehnte  statt,  worunter  Namen  wie  Böcklin, 
Thoma  und  Hodler  vertreten  sind. 

Die  Gesamtschau,  die  nicht  in  allen  dort  ge- 
zeigten Bildern  glücklich  zu  nennen  ist,  weist 
Werke  auf,  die  dem  Geiste  der  Zeitschrift  be- 
sonders nahestehen,  wobei  das  Werturteil  wohl 
mehr  zu  Gunsten  der  „expressionistischen" 
Werke  verschoben  sein  dürfte,  wobei  dem  Im- 
pressionismus —  sagen  wir  in  diesem  Falle,  um 
es  besser  und  deutlicher  zu  bestimmen  —  einer 
gewissen  breiteren  Verdeutschung  desselben 
mit  allen  Vorzügen  und  Gefahren,  das  Beste 
zu  entlocken  versucht  wurde 

Diesen  Geist  zu  beleuchten,  möchte  der  Un- 
terzeichnete sich  bemühen.  Es  sind  ausgestellt: 
Werke  von  Eugen  Zcik  und  Julius  Adam,  von 
Altheim  und  Willroider,  Bader  und  Weisgerber, 
Beyer  und  Weise,  Böcklin  und  Weber,  Buri 
und  Vlaminck,  Bracht  und  Trübner,  Caspar  und 
Caspar-Filser,  Otto  H.  Engel,  Tooby,  Thoma, 
Strich-Chapell,  Th.  W.  Stein,  Eberz,  Steppes, 
Seewald,  Kopp,  Kars,  Eimer,  Erich  Erler,  Au- 


gust Gebhard,  Grützner,  Willi  Geiger,  Goos- 
sens,  Habermann,  Heß,  Hodler,  Hoelscher,  Hoet- 
ger ,  Hofmann ,  Hüther ,  Jank ,  Kallmorgen, 
Schwalbach,  Schülein,  Schuch,  Schreuer,  Lie- 
bermann, Schönleber,  Schinnerer,  Roth,  Raupp, 
Putz,  Püttner,  Pechstein,  Orlik  und  Oswald, 
Lenbach  und  —  Heinz  Heim 

Zuvörderst  ist  ein  wundervolles  Werk  —  ein 
Aquarell  „Drei  nackte  Frauen"  —  von  Hoet- 
ger  zu  nennen;  außerordentlich  sinnliche  und 
schöne  Spannungen  der  Form  sind  in  Frauen 
der  Natur  abgelauscht  und  gefrieren  zu  einem 
formalen  Gebilde,  das  schöne  und  edle  Gefühle 
auslöst.  Rodinverwandt,  jedoch  eher  mit  bester 
griechischer  Vasenmalerei  vergleichbar. 

Ein  äußerst  zarter,  verhältnismäßig  frülier 
Hodler,  eine  „Frühlingslandschaft",  ganz  ohne 
die  etwas  geschwollene  Pathetik  seiner  späteren 
Bilder,  fast  naiv,  mit  eigenem  Grün,  Veilchen- 
violett und  vergilbtem  Gelb  frühlingshaft  klin- 
gend in  gewisser  Parallele  —  so  peu-adox  es 
klingen  mag  —  mit  Kandinskyschen  „Klängen". 
Wohl  aus  derselben  Zeit  wie  das  schöne  lis- 
pelnde Bild  —  nicht  die  spätere  Seelcindschaft 
—  der  Münchener  Staatsgalerie. 

Orchideenhaft  kostbar  —  an  Picasso  und 
Matisse  erhitzt,   ein  Deutscher  mit  der  „Pein- 


228 


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Gemälde  aus  Daniis/ädler  Privatbesitz. 


iure"  —  die  „Iris"  von  Eberz,  mit  stark  my- 
stischem Klang,  gut  in  der  Statik  der  gotisie- 
renden Fläche,  ich  möchte  sagen,  mit  einer 
böcklinischen  Schwermut,  nicht  räumlich  tief, 
sondern  reliefartig  eingeschoben. 

Hin  sehr  schönes  Bild,  von  räumlicher  Klarheit 
mit  dieser  geheimen  Herrschaft  der  Naturseele, 
die  man  je  nach  Zeit  als  Vorzug  oder  Ein- 
schränkung —  mit  dem  Hinweis  auf  die  Gebiete 
der  lyrischen  Dichtung  —  erkennen  wird,  die 
„Römische  Villa"  Bock  lins.  Meiner  Erfas- 
sung nach  mit  dem  weltverlorenen  Klang  des 
geheimnisvollen  Schwarzgriin ,  der  Silberhelle, 
mit  der  Freiheit  des  Raumes  in  diesem  Ausmaß 
sich  unbedingt  malerisch  behauptend,  das  Flo- 
rentinische  —  mit  gewisser  Verkennung  von 
Giorgione  und  Tizian  —  ins  Bunte  und  schön- 
geistig Ausartende  der  „Lachenden  Au"  glück- 
lich vermeidend.  Hier  wären  die  beiden  Len- 
bachs  einzufügen. 

Von  Thoma  die  „Mutter  mit  den  Kindern", 
farbig  und  formal  primitiv  mit  abendlichem  Blau 
und  Goldbraun,  die  „Nixen",  ein  zur  Arabeske 
neigendes  Bild  (1875  entstanden),  mit  allen  Vor- 
zügen und  Schwächen,  bleigrau  und  grüntintig, 
von  rhythmisch  bcu-ocker  Bewegung  mit  der 
Gefahr  dekorativer  Symbolik. 

Aus  der  frühen  Periode  von  Maurice  de 
V 1  a  m  i  n  c  k  ein  sprühendes,  räumlich  freies  Bild 
„Blumenstrauß"  von  einer  Farbe,  die  an  alte 
Schloßtapeten  erinnert. 

Von  Pechstein,  der  mit  7  Werken  ver- 
treten ist,  vor  allem  ein  gutes  stabiles  „Por- 
trät" seiner  Frau  aus  guter  Zeit,  voll  und 
stark   in   der  Farbe  ,   blau  und  violettrot   mit 


starkem  Grün ;  eine  schöne  „italienische  Land- 
schaft" ;  etwas  lockerer  zwei  „Stilleben",  die 
von  einer  Talentprobe:  einer  „Strand-  und 
Meereskurve"  mit  gelben  und  roten  Segeln 
übertroffen  werden. 

Von  See  wal  d  ein  gutes  Bild  mit  bäuerlich 
stiller  Erfindung,  ein  wenig  an  das  „Ravin"  von 
Van  Gogh  erinnernd,  mit  lockerer  Hand  gemalt. 
—  Von  Eugen  Zak  gute  Lyrik  in  schöner 
ausgeglichener  Farbe  und  Form. 

Geht  man  auf  den  spezifisch  breiteren  und 
„süddeutschen  Impressionismus"  ein,  so  reprä- 
sentieren sich  als  vermittelnde  Glieder  etwa 
Caspar  undWeisgerber,  wobei  der  erstere 
besser  vertreten  erscheint;  ein  relativ  bester 
Putz,  ein  Stilleben  von  Püttner  sind  beach- 
tenswerte Erscheinungen  in  diesem  Milieu.  Da- 
zu gehören  mit  relativ  guten  Bildern  Schinne- 
rer,  Münzer,  Buri,  Hüther,  Caspar- 
Filser,  Schwalbach,  Willi  Geiger, 
Ludwig  von  Hof  mann,  und  ein  kleiner 
früher  Bracht,  der  überrascht. 

Als  Outsider  hier  wirkt  der  witzige  kleine 
Max  Liebermann. 

Man  pflegt  neuerdings  bei  retrospektiven 
Ausstellungen  Entdeckungen  zu  machen;  will 
man  dies,  so  beachte  man  die  komplementäre 
Farbkraft  und  das  Räumlich  -  Kubische  als 
gewisses  malerisches  Fundament  von  Reinlich- 
keit in  den  „Apfelessern"  des  unbekannten 
Heinz  Heim  und  ziehe  von  dem  „Odenwald- 
bild" das  motivisch  Genrehaite  ab,  um  ein 
Talent  von  nicht  geringem  Ausmaß  erstehen  zu 
sehen,  das  zurückgestellt  und  trocken,  sich  an 
schlechtem  Thema  verlor.  .  .  .    keinhold  ewalu. 


Kul'l'- MÜNCHKN.   »SPRINGENDE  PFERDE« 


MAX  KUNGER». 
»BEETHOVEN« 
VOLLENDET  1902. 


MAX  KLINGER  f. 

DKM  CROnsEN  ioTKN. 


Er  war  der  Bruder  Albrecht  Dürer's:  wie 
dieser  mit  allen  Fasern  der  Geisteswelt 
und  den  Gestirnen  verbunden,  wie  dieser  ein 
Könner  von  Gottes  Gnaden,  wie  dieser  ein  fau- 
stischer Sinner  und  Dränger.  Nur  in  ihrer  künst- 
lerischen Handschrift  waren  sie  verschieden. 
Was  Meister  Albrecht  auf  mittelalterlich-dunk- 
lem Grunde  mit  kraus  eichen-deutscher  Frciktur 
hervorzauberte ,  das  flammte  unter  Meister 
Klingers  kundigen  Händen  in  edlen  marmor- 
weißen Antiqualettern  auf  blauer  Himmelswand 
empor.  Barg  jener  sein  Leben  in  Lust  und 
Schmerz,  in  Himmel  und  Hölle  der  christlich- 
römischen Vorstellungswelt,  war  diesem  Hellas, 
Olymp  und  Orkus,  Maske  und  Gewand,  sich 
selbst  zu  agieren,  von  seinem  Erleben,  Erfühlen, 
Erfahren  in  bewegenden  Rhythmen  zu  reden. 
Wie  Meister  Dürer  nicht  eigentlich  kam,  nicht 
allmählich  heraufzog,  erst  klein  und  ringend  in 
Fernen,  dann  wachsend,  wie  er  sein  Können, 
sein  Handwerkszeug  gleich  mitbrachte,  nicht 
werden  brauchte  von  Unreife  zur  Reife,  so  stand 
auch  Meister  Klinger  plötzlidi  vor  unsem  Augen, 
ein  Könnender,  Ausgerüsteter,  dem  die  Formen 
nur  Selbstverständliches  sind  und  der  nur  zu 
leben  braucht  um  reden  zu  können 


Wir,  die  wir  ihn  kannten,  weinen,  daß  wir 
seine  hohe  Flammengestalt,  die  sich  in  der  Er- 
innerung immer  ins  Riesenhafte  weitete,  nicht 
mehr  sehen  werden ,  weinen ,  daß  wir  seine 
Stimme,  die  so  schwerfällig  gewaltsam  nach 
Ausdruck  rang,  weil  Pan  und  der  Wald  und 
das  unendliche  Meer,  in  Allem  mitschwingen 
wollten,  nicht  mehr  hören  werden,  weinen,  daß 
wir  nicht  mehr  diese  Aura  verspüren  dürfen, 
die  so  gewitterschwer  mit  Titanenkraft  und  so 
sonnenhaft  mit  Götterliebe  und  mit  Götter- 
willen geladen  war,  weinen,  daß  unwieder- 
bringlich dahin  sind  die  Gelage  bei  Wein  und 
dämonischer  Musik,  zu  denen  er  so  gerne  die 
Besten  berief  und  bei  denen  er  so  bescheiden 
und  anspruchslos  und  doch  so  unvergeßHch 
überragend  den  Mittelpunkt  abgab  —  wir  wei- 
nen als  Menschen,  als  Erschütlerbare,  als  Er- 
fühler  einer  entstandenen  Lücke,  als  Empfinder 
gesteigerter  Einsamkeit  um  uns.  Wir  weinen 
wie  bei  allen  Todesfällen  um  das  Wehmütige 
im  Tod,  das  keinem  erspart  bleibt,  um  Men- 
schenlos und  Menschenleid!  Aber  auch  nur  so 
dürfen  wir  an  seinem  Grabe  trauern.  — 

Denn :  Sein  Werk  ist  nicht  unterbrochen,  kein 
Bedauern  zittert  an  seiner  Bahre.     Kein,    „ja 


231 


J/iix  A7i//<^fr 


wenn  er"  oder  „hätte  er  noch  länger"  braucht 
den  Kopf  zu  erheben  aus  den  Lorbeeren  und 
Rosen  um  seinen  Sarg,  Sein  Werk  steht  da, 
groß,  gewaltig,  vom  Basenzögern  bis  zur  Bluten- 
schwellung  der  Säulenwelt  —  fertig  und  voll- 
kommen. P^s  fehlt  nichts  —  und  von  diesem 
Gesichtspunkte  aus  darf  sich  unsere  Trauer  in 
weihevolle  Dankesfreude  verwandeln,  in  einen 
stillen  Lobgesang  des  Herzens  auf  die  Wunder 
der  Vorsehung  bei  der  Vollendung  eines  sol- 
chen Menschenlebens. 

Man  wird  nun  ihm,  der  es  wie  kein  Anderer 
verstand,  durch  seine  Kunst  die  Verdienste 
Anderer  zu  ehren,  ein  liebender  Diener  aller 
Größe  zu  sein,  ein  Denkmal  setzen  müssen. 

Doch  ach  —  wo  ist  die  kundige  Hand  zu 
finden,  die  einen  Stein  so  klingen  machen  könnte, 
wie  er  es  konnte. 

Wehmütig  halten  die  Freunde  Umschau  — 
wo  ist  der  Meister,  der  auf  der  Stätte,  da  sein 
Sterbliches  schläft,  ihm  den  Denkstein  errichtet, 
wo  ist  das  glühende  Herz,  das  wie  das  seine, 
in  Liebe  und  Hingabe  sich  in  fremder  Größe  ver- 
zehren kann?  Suchen  wir  unter  den  Alten! 
Ach,  wer  ist  unter  ihnen,  den  Denkstein  zu 
errichten?  —  Und  wenn  er  mit  Menschen-  und 
mit  Engelszungen  zu  reden  vermöchte  —  die 
Kinder  der  neuen  Zeit  werden  ihn  nicht  hören 
wollen!  Und  einer  der  schaffenden  Jungen, 
einer,  der  aus  dem  Geist  der  letzten  Zeit  em- 
porgebürgten?  —  Könnte  ihr  stürmendes  Sin- 
nen, gepeitscht  von  der  jugendlichen  Ehrfurcht 
des  .,a;j.£ivov£c;  s'o;j,ev  ~7.t£[>coV  sich  dazu  ver- 
stehen, der  Größe  von  Gestern  ein  Denkmal  zu 
errichten?  Könnte  überhaupt  die  Sprache  des 
sehnenden  Chaos,  des  Ur-  und  Neumenschen- 
stammelns,  einen  Funken  Hoffnung  auf  würdiges 
Ehrenwort  für  den  ergeben,  der  ein  sonniges 
Hellas,  und  die  Ideen  eines  Piatos  in  nordische 
Fluren  verpflanzte? 

Sie  rufen  —  aber  der  Ruf  verhallt!  Der,  der 
dem  großen  Denkmalsetzer  ein  würdiges  Denk- 
mal setzen  könnte  —  er  ist  nicht  da,  diese  Zeit 
hat  ihn  nicht  gezeugt! 

So  wollen  wir  einen  gewaltigen  Quaderstein 
nehmen,  ungeheuer,  von  unentrückbarer  Zent- 
nerlast, und  wir  wollen  ihn  auf  sein  Grab  legen, 
daß  niemand  an  den  Gebeinen  dessen  rühre, 
der  der  Größten  einer  unseres  Volkes  war,  und 
ein  Steinmetz  soll  mit  schlichten,  ehrwürdigen 
Buchstaben  darauf  schreiben :  MAX  KLINGER. 
Unter  diesem  Quadersteine  soll  er  ruhen. 
Mögen  die  ewig  wechselfrohen  Herzen  der  Men- 
schenkinder den  Weg  zu  seiner  Stätte  verwach- 
sen lassen,  mögen  wilde  Rosen  ihn  umwuchern, 


eines  Tages,  vielleicht  in  vielen  Jahren,  wird  der 
Junge  kommen,  der  Sucher,  der  Träumer,  der 
Sohn  des  Faust!  Der  wird  das  Dickicht  der 
Vergessenheit  zerstampfen  und  sich  mit  dem 
Schwerte  Bahn  brechen  zur  heiligen  Grabstätte! 
Und  der  Stein  wird  bei  seinem  Nahen  erklingen. 
Musik  aus  den  Tiefen  der  Dämonen,  Musik  aus 
den  lichten  Höhen  der  Sphären  wird  ihn  um- 
zittern. Und  auf  dem  Steine  wird  lächelnd  der 
alte  Meister  sitzen,  mit  flammendem  Haar,  über- 
menschlich an  Größe  und  in  seiner  Hand  wird 
ein  goldner  Bogen  sein  und  Pfeile  werden  neben 
ihm  liegen,  blanke  spitze  Pfeile  aus  Gold.  Und 
er  wird  den  jungen  Kömmling  zu  sich  auf  den 
Stein  laden  und  wird  ihn  lehren,  den  Bogen  zu 
spannen  und  die  Pfeile  zu  versenden,  die  wie 
Sonnenblitze  das  Dunkel  der  Welt  erhellen. 

Und  während  sie  so  handeln,  lehrend  und 
lernend,  wird  sich  der  Stein,  von  Riesennacken 
emporgehoben,  vom  Boden  aufrecken  und  er 
wird  sich  weiten  und  breiten  und  es  wird  sich 
aus  ihm  eine  herrUche  Insel  gestalten,  mit  Bergen 
und  Klüften,  mit  Wiesen  und  Pappelbäumen  und 
Tempeln  aus  Marmor  und  rings  umher  das  end- 
lose Meer  mit  weißen  Wellenkämmen.  Und 
glückliche  Menschen  in  Schönheit  werden  den 
Knaben  umgeben,  weißnackige  Frauen  mit  um- 
schatteten fragenden  Blicken,  Knaben,  gebräunt 
in  Spielenslust  und  mit  straffen  Muskeln,  Ehr-  | 
furcht  und  Sehnen  in  Sonnenaugen!  Und  sie 
werden  ihm  huldigen  als  ihrem  rechtmäßigen 
König,  als  den  Erben  des  versunkenen  Hellas,  k 
das  wieder  einmal  erlöst  aus  den  Tiefen  empor- 
gestiegen ist.  Er  aber  wird  wohnen  in  dem 
geheimen  Königszelt,  dcuin  die  Braut  geboren 
wurde  und  dessen  Wände  die  Teppiche  sind 
mit  den  ungezählten  Tieren  und  den  ungezählten 
Bäumen  und  den  ungezählten  Menschen,  die 
Penelope,  die  ewig  umworbene,  webte,  Pene-  | 
lope,  die  große  Mutter  Natur!  Und  in  seinen  ^ 
Nächten  wird  er  darin  Lust  und  süße  Not  der 
Liebe,  Anziehung  und  Abstoßung,  Raserei  und 
Verschmelzung  und  die  große  Einsamkeit  der 
Vielsamen  fühlen!  | 

Und  der  Tag  wird  süßen  Kampf  bedeuten  um      ' 
Welten   und    Erkenntnisse,    Kampf,    Brust   an 
Brust  mit  den  Größten  um  das  Größte,  wie  ihn  der 
alte  König  auch  kämpfte,  ehe  er  verklärt  ward. 

Und  die  ungeborenen  Kinder  einer  noch  un-  i 
geborenen  Zeit  werden  dieses  Wunder  sprach-  ' 
los  anstaunen,  wie  etwas  ganz  Neues  und  beten 
zu  dem  Sohn  und  Erben  des  alten  Schöpfer- 
geistes, der  immer  wieder,  wenn  seine  Zeit 
gekommen  ist,  die  Welt  mit  dem  unsterblichen 
Hellenentraum  erhellt  und  beglückt!  hardenbkrg. 


l'^^ 


PIERO  DELLA  FRAKCESCA.  FRESCO-GEMÄLDE  IN  DER  ST.  FRANZISKUS-KIRCHE  IN  AREZZO. 
»DIE  KÖNIGIN  VON  SABA  DAS  KREUZ  VEREHREND. 


flERLi  UELI_\   FRANCESCA.     »ADAMS  TOD  UMJ  GK  Alil.KGL  .Si_. «    l-'RESCO  IN  DER  >l.  FKANZISKUS- KIRCHE   IN   AREZ/.i 


PIERO  DELLA  FRANCESCA. 

ANLÄSSLU'H   IiEK   50OJÄHKIC.EN   WlEIiEKKFHR  SEINES  GEBURTSJAHRES 


ES  gibt  eine  romanische  Ader,  die  von  der 
Venus  von  Milo  über  Raffael  —  Ingres  bis 
Renoir  hingeht,  für  unsere  Eltern  schlechtweg 
die  klassische  Linie. 

Sie  geht  um  Norditalien  herum.  Hier  ragen 
als  große,  anders  geartete  Pfeiler  die  Byzantiner 
in  Ravenna,  Cimabue,  Giotto  und  dessen  Nach- 
folger, besonders  in  Florenz  und  Pisa  hervor. 
Der  Höhepunkt  ist  zweifellos  der  Giotto'sche 
Wall  der  Bilder  der  Arena-Kapelle  in  Padua : 
Aus  der  anregenden  Natur  werden  hier  etwa  30 
malerische  Gleichnisse  herausgerissen  und  mit 
Mitteln  der  absoluten  Malerei  zu  Gebilden 
geformt,  die  sich  jedem  Naturalismus  gegenüber- 
stellen. Freud  und  Leid,  Schmerz  und  be- 
glückender Himmel  der  Marienlegende  —  der 
Judaskuß  gegenüber  der  Taufe,  die  Gericht- 
szene vor  Pilatus  gegenüberder  Geburt  Christi  — 
zum  erfundenen  Gleichnis  geformt. 

Eingeborene  mögen  der  Nährboden  gewesen 
sein,  die  Byzcmtiner  hängen  mit  Konstantinopel 
zusammen,  Cimabue,  Giotto,  Duccio  erscheinen 
ohne  gotische  Blutsmischung  aber  undenkbar. 


Nach  einer  Verflachung,  die  man  für  Entwick- 
lung nahm,  der  Brancacci-Kapelledes  Masaccio, 
erscheint  etwa  um  1450  ein  großer  Outsider: 
Piero  della  Francesca. 

Ein  ganz  großer  Monumentalstil,  etwas  Asia- 
tisches der  Alexanderschlacht  des  Darius  scheint 
neu  aufzuleben  als  Piero  della  Francesca  seine 
Schlachtenbilder  im  Chor  der  San  Francesco- 
kirche in  Arezzo  malt.  Gegenüber  Raffael  und 
Michelangelo  ist  sein  Ruhm  verdunkelt  wie  der 
des  Baidung  Grien  gegen  Dürer. 

Seine  Hauptwerke  sind  in  der  Provinz  in 
kleineren  Orten  verstreut:  In  seiner  Geburts- 
stadt Borgo  San  Sepolcro  ein  Altarwerk,  ein 
Fresco  in  Rimini,  sein  Hauptwerk  in  Arezzo. 

Es  steht  fest,  daß  er  bei  Domenico  Veneziano 
in  Florenz  als  Gehilfe  tätig  war,  mit  dem  ihn 
ein  —  damals  ganz  neuer  —  farbiger  Pleinai- 
rismus  verbindet.  Durch  glückliche  Umstände 
wird  ihm  die  Aufgabe,  in  den  Chor  der  San 
Franziskuskirche  in  Arezzo  die  „Legende  des 
Heiligen  Kreuzes"  zu  malen. 
—  Das  Thema  hat  eine  riesige  Spannweite,  uni- 


235 


III.  AUE^st  1920.  4 


Piero  della  Francesca. 


236 


rlERO  DELLA  FR.\NrFSi.  A 


fassender  wie  das  des  Giotto:  Von  derUnnythe 
des  Todes  des  Adam  und  der  Pflanzung  des 
Kreuzbaumes  bis  in  die  nachchristliche  Zeil  des 
Kaisers  Konstantin  und  die  Rückführung  des 
Kreuzes  über  prunkhafte  Symbole  der  Kaiserin 
Helena  und  der  Königin  von  Saba  zum  Sieg  des 
Christentums  in  den  Schlachtenbildern. 

Der  hohe  Raum  des  Chors  bedingt  glücklich 
ein  Über-  und  Nebeneinanderordnen  derThemen. 

Zum  ersten  Male  tritt  hier  ein  Maler  auf,  — 
und  das  scheint  im  Hinblick  auf  unsere  Zeit  emi- 
nent wichtig,  —  der  die  absoluten  Mittel  der 
spezifisch  malerischen  Kunst  restlos  beherrscht, 
der  zugleich  deren  Anwendung  in  den  verschie- 
densten Gesichten  schafft. 

Erst  durch  den  wiederholten  Vergleich  der  Bil- 
der untereinander  kommt  einem  die  Erkenntnis. 

In  asiatischer  Wut  brennt  eine  Schlacht,  nicht 
aber,  daß  wütende  Menschen  wütend  auf- 
einander losgingen  und  psychologisch  richtig 
nachgebildet  wären,  nein  —  das  formale  Ge- 
bilde, das  Piero  für  die  Schlacht  erfindet,  wogt 
diagonal  von  einer  Bildecke  in  die  andere,  von 
vorne  in  die  Tiefe,  stößt  sich,  keilt  sich,  ballt 
sich,  verfängt  sich,  ringt  in  der  Form,  bis  es 
rechts  und  links  sich  beruhigt  wie  der  Schluß- 
satz der  Matthäuspassion  des  Bach.  Es  kommt 
zum  ureigensten  Beweis  absoluter  Form:  Zwei 
ineinandergefrorene  Krieger  erdolchen  sich  mit 
lächelnd  grinsenden  und  teilnahmlosen  Gesich- 
tern, das  Psychologische  der  Situation  an  sich 
verschwindet  ganz,  geht  unter  und  entsteht  zu- 


bschl.\cht  bei  W A^-l  .\/.u 


gleich  doch  wieder  in  dem,  was  es  für  Malerei 
wichtig  macht,  in  der  Geste  der  Form. 

Der  Vorsatz,  eine  Schlacht  zu  malen,  erzeugt 
bei  ihm  schwarz-,  caput  mortuum-  und  blauweiß 
angestrichene  Ballen  von  Pferdeleibern ,  rote 
nackte  Krieger  mit  einer  Wirkung,  die  an  modern- 
ste Farbauseinandersetzungen  erinnert,  schwarz 
durchreißende  Kriegsstandarten  und  giftgrün 
aufzuckende  Panzerungen  wie  Kupferdächer. 

Ganz  anderes  Gesicht  bei  dem  Bilde  der 
Königin  von  Saba :  Wohlige  blaue  und  harmo- 
nisch rote  Fluten  der  Gewänder  schreiten  mit 
einer  Formgeste  von  Stolz,  Anmut  und  Größe 
in  königlichen  Jungfrauen  beruhigt  vor  gold- 
grünen Oliven  und  lichtestem,  schönsten  Blau 
des  Himmels  mit  Bergen  rhythmisch  verbunden. 
Groß  und  verklärt  wie  ägyptische  Königinnen. 

Bei  dem  Tod  Adams  :  Windstille,  in  der  Mitte 
der  große,  mit  den  Ästen  greifende  Baum,  rechts 
und  links  feierliche  stille  Größe  in  der  Mitte 
der  Massen,  dicht  daneben  in  der  Stille  und  vor 
dem  Baum  die  Geste  des  formalen  Schrei's. 

Bei  der  Kreuztragung  die  unabänderliche 
Schwere  und  Wucht  des  breiten  Kreuzbalkens, 
der  das  Gegenstemmen  der  Menschen  einzwängt, 
sie  zermalmend  in  die  Ecke  des  Bildes  drängt 
unter  geisterhaft  erregten  Wolken  in  der  Leere 
des  Weltalls. 

Das  Feierlichste :  Die  Wache  beim  schleifen- 
den König  mit  der  lichten  Vision  in  ruhig  feier- 
licher Stille.  In  bewußtem  Gegensatz  zu  den 
anderen  Bildern,  in  denen  die  Erfindung  der 


12 

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Piero  della  Frayicesca. 


238 


Form-  und  Farbgebilde  primär  sind,  tritt  hier 
in  dem  Bilde  des  Konstantin-Traums  das  Hell- 
dunkel als  Schwerpunkt  der  malerischen  Mittel 
hervor,  verbunden  mit  ruhig  formaler  Raumdis- 
position. Das  wohlig  gerundete  Zelt,  die  zwei 
stehenden  und  der  sich  stützende  Wächter  sind 
hier  zugleich  formale  Raumzeugende  wie  Hell- 
Dunkel-Massierungen. 

Piero  della  Francesca  gilt  als  der  erste  Frei- 
lichtmaler, deshalb,  weil  er  unmittelbar  von  der 
Natur  angeregt,  hellste  Farben  holt.  Man  kann 
die  Farbe  des  Gruppenporträts  des  Herzogs- 
paares von  Urbino  in  den  Uffizien  unmittelbar 
mit  der  Farbe  des  Treibhauses  des  Manet  in  Ber- 
lin oder  der  Arlesienne  zusammenbringen.  Doch 
ginge  man  fehl,  diese  seine  farbige  ReaHstik  als 
das  Primäre  seiner  farbigen  Bedeutung  zu  be- 
zeichnen. Sein  Lehrer  Domenico  Veneziano 
hat  ihn,  wie  das  im  Kaiser  Friedrich-Museum 
in  Berlin  befindliche  weibliche  Porträt  zeigt, 
farbig  von  der  Konvention  befreit. 

Das  Ausschlaggebende  ist  jedoch  der  Gegen- 
satz des  Farbgebildes  der  Schlacht  zu  dem  der 
Königin  von  Saba.  Etwa  in  der  Spannweite 
der  Handlungen  zueinander  stehen  die  beiden 
Erfindungen  der  Farbe. 

Es  steht  fest,  daß  Piero  im  späten  Alter  den 
frei  sich  ergehenden  Bildraum  —  den  künstle- 
rischen Raum  an  sich  —  als  Fundamental- 
Lehrsatz  aufgestellt  hat.  Die  Bilder  seiner  Hoch- 
periode in  Arezzo  füllen  kühn  dieses  fundamen- 
tale Gehäuse.  Das  scheinbar  Eingefrorene  der 
Schlacht,  das  formale  Gebilde,  das  sich  ballt 
und  wie  eine  Granate  auseinanderberstet,  ist 
expressionistische  formale  Schlacht  analog  der 
Alexanderschlacht. 

Es  scheint  mir  wichtig,  in  einer  Zeit  wie  der 
unserigen,  in  der  in  Frankreich  Werke  bereits 
entstanden  sind  wie  die  Badenden  des  Seurat, 
dessen  Chahut,  das  Zirkusbild,  in  der  Derain 
Porträts  malt  wie  das  des  Chevalier  X,  in  der 
Matisse  so  unglaubliche  Porträts  und  den  blauen 
Tanz  gemalt  hat,  solch  Bild  wie  die  Kreuz- 
tragung  des  Piero  in  die  Parallele  zu  stellen  und 
den  Turm  der  blauen  Pferde  des  Franz  Marc 
etwa  zu  dem  mittleren  Teil  der  Schlacht  des 
Piero.  Denn  Eines  ist  all  diesen  Dingen  gleich: 
Ein  Herausbringen  von  stärkster,  vollster  Natur, 
nicht  von  tiefgründiger  Psychologie  oder  gar 
Philosophie  aus,  sondern  durch  das  Gefrieren 
aller  Erlebnisse  in  diesen  Urmalern  zu  dem,  was 
eben  Eigenstes  in  Malerei  heißt :  Durch  be- 
hauptend entstehende  Gesamtgebilde  der  Form, 
Gesamtgebilde  der  Farbe,  des  Großvaleurs 
wird  Psychologie  und  Ausdruck  geboren.  " 

In  Deutschland  geht  noch  eine  Linie,  die  mir 
psychologischer  Natur  scheint,  von  den  Porträts 


Liebermanns  zu  denen  Kokoschka's,  sie  scheint 
mit  ihren  Wurzeln  bis  zum  Selbstbildnis  und 
Muffelporträt  des  Dürer  zu  greifen. 

Rein  malerische  Ereignisse,  wie  die  Porträts 
des  Cranach,  das  der  Frau  Luthers,  des  Herzogs 
Heinrich  des  Frommen  von  1537,  der  Herzogin 
Catharina  u.  a.  scheinen  uns  heute  noch  schwer 
einzugehen. 

Ich  glaube,  man  müßte  Dürer  und  Beethoven 
zusammenzuempfinden  suchen ,  um  plötzlich 
zu  sehen,  daß  in  der  Kreuztragung  des  Piero 
della  Francesca  die  Matthäuspassion  des  Bach 
mit  ihrer  unpsychologischen  Reinheit  steckt. 

Vielleicht  kommt  dann  ein  Porträt  des  Picasso 
und  die  berühmte,  aber  unphilosophische  Violine 
auf  eine  Bach'sche  Fuge  oder  einen  Satz  des 
Mozart  heraus reinhold  ew.vlü. 

DER  GENIUS  IM  KINDE.  Die  städtische 
Kunsthalle  Mannheim  und  der  ihr  ange- 
gliederte „Freie  Bund  zur  Einbürgerung  der  bil- 
denden Kunst"  bereitet  eine  umfangreiche  Aus- 
stellung vor,  die  das  Verhältnis  von  Kind 
und  Kunst  behandeln  soll.  Der  Ausstellungs- 
plan faßt  vorläufig  drei  Hauptteile  ins  Auge.  Der 
erste  Teil  ist  dem  Kinde  als  Künstler  gewid- 
met. Er  zeigt  sowohl  künstlerische  Arbeiten 
heute  bereits  Erwachsener,  die  es  zu  bedeuten- 
den Künstlern  gebracht  haben,  als  solcher,  in 
denen  die  künstlerische  Anlage  später  erlosch. 
Er  zeigt  ferner  eine  große  Auswahl  von  Arbei- 
ten heute  im  Kindheitsalter  stehender  Menschen, 
wobei  möglichst  viele  Individualitäten  von  frü- 
hesten Jahren  an  über  längere  Zeiträume  der 
Kindheit  hinaus  verfolgt  werden  sollen. 

Der  zweite  Teil  der  Ausstellung  gilt  der 
Kunst  in  der  unmittelbaren  Lebensum- 
gebung des  Kindes,  also  vor  allem  in  Haus 
und  Schule.  Hier  soll  ein  gewähltes  Material 
an  künstlerisch  einwandfreien,  d.  h.  zum  eigenen 
künstlerischen  Mitgestalten  anregenden  Bilder- 
büchern ,  Anschauungsvorlagen,  Spielzeugen 
usw.  vorgeführt  werden,  die  sich  zum  Gesamt- 
bild einer  vorbildlichen  „Kinderstube"  und 
„ Schulklasse "  zusammenschUeßen. 

Der  letzte  Teil  der  Ausstellung  gilt  dem 
schwierigen  und  verzweigten  Problem  der 
künstlerischen  Erziehung  des  Kindes, 
also  vor  allem  des  Zeichen-  und  Modellier- 
Unterrichts. 

Künstler,  die  Arbeiten  aus  ihrer  Kinderzeit 
bewahrt  haben,  sowie  Ellern  künstlerisch  irgend- 
wie begabter  Kinder,  und  alle  um  die  Kunst- 
erziehung unserer  Jugend  bemühten  Lehrer  und 
Erzieher  werden  um  Überlassung  ihres  Mate- 
rials, auch  um  Erstattung  von  Anregungen  und 
Vorschlägen  freundlichst  ersucht w. 


PIERO  DELLA  FRANXESCA.   »FRAUEN  DER  KÖNIGIN  VON  SABA<= 

IN  DER  ST.  FRANZISKUS-KIRCHE  IN  AREZZO. 


3^ 


PIERO  DELLA  FRANCESCA.  »KREUZ-TRAGUNG^ 

IN  DER  ST.  FRANZISKUS-KIRCHE  IN  AREZZO. 


/,J 


PIERO  DELLA  FRANCESCA.  »KONSTANTINS  TRAUM« 

IN  DER  ST.  FRANZISKUS-KIRCHE  IN  AREZZO. 


oM 


»DAMEN-SCHLAFZIMMER«  AUS  DEM  PALAIS  STOURDZA-BADEN-BADEN. 
ENTWURF  NACH  LENDECKE,  GEMÄLDE  VON  LUDWIG  KAINER— BERLIN. 


PAIAIS  STÜURLIZA  — BAUtN-BAUEN. 


AUSSTELLXmGSHAUS  FRIEDMANN  &  WEBER. 


DAS  PALAIS  STOURDZA  IN  BADEN-BADEN. 


Wir  leben  unter  sozialer  Einstellung  unse- 
rer Gedankenwelt,  da  tauchen  hie  und 
da  aus  seelischen  Hintergründen  vom  Ressen- 
timent beflügelte  Verdächtigungen  auf  gegen 
alles,  was  dem  Überfluß,  dem  Luxus  dient. 
Und  doch  fühlt  man,  wie  Kunst  und  Luxus  eng 
verschwistert  zusammengehören,  daß  sie  Kinder 
eines  Triebes  sind.  Freilich  nicht  an  jedem  Ort 
darf  uns  der  Luxus  begegnen.  Wir  mögen  ihn 
nicht  in  Stätten  nahe  der  Arbeit,  wo  vom  Ruß 
der  Industrie  er  sich  wie  unter  bengalischer 
Beleuchtung  grell  gleich  einer  Maske  am  Ascher- 
mittwoch abhebt.  Aber  es  gibt  Orte  unter  ge- 
segneter Sonne  ;  hier  inmitten  eines  Rahmens 
üppigster  Natur  scheint  er  zu  Hause,  hier  wohnt 
er  in  selbstverständlicher  Gelassenheit  wie  die 
Marmorgruppen  im  Rokokopark.  Wo  die  Ver- 
gleiche fehlen,  schweigt  die  sittliche  Einstellung 
aus  cmderem  Gedankenkreis,  man  genießt  ihn, 
genießt  ihn  glücklich  und  bedenkenfrei  zusam- 
men mit  den  Blumen  reicher  Sommertage. 

Eine  Stätte  solcher  Selbstsicherheit  alles 
Überflusses  liegt  umgrenzt  von  Gürtel  grünen- 
der Wälder  im  Tal  der  Oos,  Baden-Baden. 


Besonders  zur  Zeit  der  Rhododendronblüte, 
wenn  Busch  an  Busch  von  unglaubhaften  Farben 
prangt  und  uns  südlichere,  begnadetere  Gegen- 
den vortäuscht,  freut  man  sich  in  dieser  Umwelt 
schöngeputzten  Frauen  zu  begegnen.  Sie  wett- 
eifern im  Farbenspiel  ihrer  Kleidung  mit  der 
Natur  um  sie  und  fügen  sich  ins  Gesamtbild, 
da  die  Freude  am  Putz  der  eigensten  Frauen- 
natur entspringt. 

Hier  einen  Palast  der  reichen  Fee  des  Luxus 
zu  schaffen,  hier  alles  das  zusammenzutragen, 
was  dem  göttlichen  Überfluß  dient,  war  ein 
glücklicher  Gedanke,  weil  er  an  dieser  Stelle 
berechtigt  ist. 

Der  ehemaUge  Palast  des  Bojarengeschlechtes 
der  Stourdza  wurde  dazu  erwählt,  ein  Palast 
im  vornehmen  Stil  der  Zeit  Napoleons  III.,  vor 
dessen  Geirtenfront  weite  Rasenflächen  unter 
schattigen  Baumgruppen  zum  Verweilen  ein- 
laden. Der  Berliner  Firma  Friedmann  &  Weber 
wurde  die  Gesamtleitung  übertragen,  ihr  Ge- 
schmack schuf  in  den  Räumen  und  Möbeln  die 
rahmende  Kulisse,  von  der  alle  jene  entzücken- 
den  Dinge,   die   man    eigentlich   nicht   braucht. 


245 


ÜCIII.  Aujust  1920.  S" 


Das  Palais  Sfourdza  in  Baden-Baden. 


246 


FRIEDMANN  &  WEBER  -  B-\DEN-BADEN. 


die  aber  der  Freund  des  Überflusses  liebt  und 
nicht  entbehren  kann,  mit  einladender  Geste 
von  der  Notwendigkeit  des  Unnötigen  reden. 
Ein  Teeraum  umpfängt  uns  in  indischem  Gelb 
mit  Kobaltblau,  die  Glasplatten  der  Tische 
leuchten,  und  der  Orangeton  lichttragender 
Stoffkugeln  schmeicheltauf  weiße  Frauenwangen 
rötlichen  Schimmer,  hebt  den  Glanz  dunkler 
Augen.  Luxus  und  Frauen  gehören  zusammen. 
Während  man  beim  gut  gekleideten  Kavalier 
sich  nicht  erinnern  soll,  wie  er  angezogen  war, 
nur  ein  unklares  Bild  eines  zusammenpassen- 
den Ganzen  im  Beschauer  haften  bleibt,  hinter- 
läßt die  elegante  Dame  mit  einem  diskreten  Duft 
ihres  besonderen  Parfüms  die  deutliche  Erinne- 
rung an  Einzelheiten  ihrer  Toilette.  Die  aparte 
Kleinigkeit  gibt  die  eigene  Note.  Diese  eigene 
Note  muß  gut,  doch  nicht  laut  betont  sein,  will 
die  elegante  Frau  in  der  Vielstimmigkeit  ihrer 
Schwestern  die  Aufmerksamkeit  erregen.  Und 
welche  von  ihnen  möchte  nicht  Blicke  fesseln, 
bewundernde,  beneidende.  Hinter  jedem  die- 
ser entzückenden  Gegenstände,  diesen  Klei- 
dern, Kleinigkeiten  kichert  im  Silberlächeln  der 
Besitzerfreude  ein  wenig  Schadenfreude  der 
allein  Genießende,  der  Beneideten.  Wermöchte 


MODENSCHAU  IM  PALAIS  STOURDZA. 


auch  bei  einer  anderen  das  gleiche  Stück  wieder- 
finden, einen  Doppelgänger  ?  Deswegen  sollen 
diese  reizenden  Bijous  so  teuer  sein ,  der 
Preis  schließt  die  Bedingung  ihrer  Einmaligkeit 
mit  ein.  Neben  dem  Teeraum  blättert  man  in 
schönen  Büchern.  Die  elegante  Frau  weiß  zu 
plaudern,  und  zur  Plauderei  anregende  Bücher 
gehören  zu  ihr.  Im  weichen  Sessel  ruhend  läßt 
sie  sich  modische  Zeitschriften  oder  in  Leder 
gebundene  Raritäten  reichen ,  wählt ,  kauft, 
kauft,  lächelt  bestrickend.  Wer  fragt  da  noch 
nach  Preisen?  Sie  kennt  keine  Preise,  weiß 
nur,  was  ihr  gefällt,  was  ihr  steht. 

Einer  der  begabtesten  Minnesänger  dieser 
Frauenart  war  der  verstorbene  Maler  Lendecke. 
Einem  Nachen  gleicht  das  Bett  nach  seinem 
Entwurf,  und  der  Schild  der  Venus,  der  Spiegel, 
(jede  Schöne  bereichert  ihn  mit  der  Farbigkeit 
ihres  Lächelns)  scheint  ihm  voranzuschweben. 

Welche  Feinheiten  hegt  die  Kommode.  Spin- 
nenweben —  zart,  ein  farbiges  Nichts,  hüllend 
enthüllend !  —  Einzelheiten  und  Räume  lassen 
sich  hier  nicht  beschreiben,  denn  wie  die  Mode 
wechselt,  wechselt  hier  täglich  die  Wahl.  Nur 
den  Raum  der  Lotte  Pritzel-Puppen  muß  man 
erwähnen,  wo  diese  feinen  Wachsgebilde,  gehüllt 


Das  Palais  Stoi<rdza  in  Baden-Baden. 


KRIKDMANN  4  WEBER— B.VDEN-BADEN. 


in  Samt  und  Seide,  in  Nischen  stehen  oder 
ruhen,  vornehm,  dekadent,  als  schliche  durch 
ihre  Adern  das  Blut  tausendjähriger  Ahnen- 
reihe. Durch  eine  Alabasterplatte  am  Boden 
dringt  das  Licht,  unwahrscheinliche  Halbhellig- 
keit verbreitend,  seltsame  Schatten  weckend 
und  doch  wahr  und  echt  vor  diesen  Erschei- 
nungen einer  seltsamen  Märchenwelt. 

Rahmen,  Kulisse  sind  diese  Räume.  Jedes 
Möbel,  Nippes,  Kleidungsstück,  glänzendes 
Handwerk,  jede  Einzelheit  von  Kunst  berührt, 
und  alles  doch  nur  wertvoll,  wenn  schöne 
Frauen,  elegante  Kavaliere  sie  beleben.  Wohl 
wirken  die  Farben  der  Kissen  an  sich,  doch  die 
Puppen,  die  sich  in  allen  Ecken  breit  machen 
und  räkeln,  sind  nichts  als  grotesker  Ersatz  für 
Menschen.  Hier  wird  Modeschau  abgehalten. 
Durch  Säle  und  Garten  schreiten  die  Manne- 
quins, sie  die  Seltenen  unter  den  Frauen,  die 
gehen  können.  Leichtfüßig,  gewandt,  biegsam 
in  den  Hüften  tragen  sie  kostbarste  Kleider,  Über- 
würfe. Und  doch  spürt  man,  sie  tragen  nur  zur 
Schau.  Es  fehlt  die  Selbstverständlichkeit,  die 
selbstsichere  Einschätzung  dieser  bunten  Dinge, 


GEDECKTER  TEETISCH  IM  l'.\L.\l.s  STOUKI)Z.\. 


durch  die  Grande  Dame  als  eine  wandelbare 
Hülle,  wertvoll,  wenn  Laune  es  will,  wertlos, 
wenn  die  kurze  Zeit  des  „  dernier  Cri  "  vorüber  ist. 
Eine  eigene  Welt  entriegeln  die  Tore  des 
Palais  Stourdza,  sicher  unzeitgemäß ;  und  doch 
wie  die  schöne  Frau  zeitlos,  alle  Zeiten  über- 
dauernd       KiillRRT   COKWKGII. 

ZWECKFORM  UND  KUNSTFORM.  Die 
reine  Zweckform  ist  unpersönlich.  Für 
sie  gelten  bei  allen  Völkern  dieselben  Gesetze, 
sie  ist  international.  Das  aber,  was  ihr  beige- 
fügt werden  muß ,  um  ihr  das  Merkmal  der 
Kunstform  aufzudrücken,  ist  das  Persön- 
liche. In  ihr  verrät  sich  der  Volkscharakter: 
Das  Zarte,  das  Derbe,  das  Warmblütige,  das 
Kühle,  das  Heitere,  das  Ernste,  das  vornehm 
Elegante,  das  bäuerlich  Vierschrötige.  Die  Kunst- 
form zeigt  die  völkische  Eigenart,  sie  schafft  den 
nationalen  Typus,  in  ihr  auch  zeigt  sich  die  Höhe 
des  Geschmacks  der  Zeitperioden,  sie  führt  zum 
Wechsel  desStils.  DieDauerherrschaftderreinen 
Zweckform  führt  zur  Uniformierung,  zum  Still- 
stand künstlerisciier  Entwicklung.    II,  I  r.i  KU ARhi. 


247 


VON  DER  MODESCHAU  IM  PALAIS  STOURDZA-BADEN-BADEN. 


VON  DER  MODESCHAU  IM  PALAIS  STOURDZA-BADEN-RADEN. 


~^^1 


LAMPENSCHIRME.  Licht  ist  nicht  Helligkeit, 
_j  sondern  Strahlung.  Es  soll  nicht  zerstreuen, 
zerreißen,  sondern  einigen.  Es  sammle  die  Ge- 
sellschaft um  den  Tisch,  dir  selbst  gebe  es 
Sammlung  mit  dem  Buche.  Und  wenn  drei 
Viertel  des  Raumes  in  Dämmerung  sinken,  der 
eine  bestrahlte  Fleck  hebt  sich  dafür  desto  wär- 
merheraus,  wiederEdelstein  in  dunkler  Fassung. 

Dieser  Lichtkegel,  auf  den  kommt  es  an! 
In  ihn  tauchen  wir  ein,  wenn  wir  lesen,  schrei- 
ben, essen.  Die  dunkelnden  Wände  weichen 
zurück,  die  Gedanken  schweben,  während  du 
liest,  hinaus.  Du  bist  allein  im  Weltraum,  allein 
mit  deiner  Seele  und  dem  Dichter! 

Der  Lampenschirm  ist  heute  nötig.  Denn 
er  scheidet  Licht  von  Dunkel,  er  gestaltet.  Er 
gibt  der  Lichtaura  festen  Kontur,  er  entbindet, 


befreit  die  Farbe.  Wir  schauen  in  dieses  farbige 
Leuchten,  in  das  grüne,  rote,  violette  Glühen 
und  finden  Erlösung  von  irdischer  Schwere,  ein 
Aufbrennen  der  Schönheit. 

Darum,  weil  der  Lampenschirm  eine  Über- 
windung aller  zweckhaften  Nüchternheit  ist, 
könnt  ihr  ihm  auch  die  kühnsten,  unwahrschein- 
lichsten Formen  geben.  Ich  sah  leuchtende 
Hörner,  Pagoden,  Würfel,  Spitzkristalle,  und  die 
Frau,  die  alles  „Nüchterne"  haßt,  kaufte.  Die 
Zeiten  der  Mystiker  haben  an  dieses  innere 
Leuchten  geglaubt  und  sie  haben  unbedenklich 
die  Fenster  ihrer  Kathedralen  mit  glühenden 
Märtyrern  gefüllt.  Heute  haben  wir  den  Lampen- 
schirm, in  dem  wir  noch  ein  bißchen  Mystik, 
eine  Durchseelung  der  Dinge  mit  Licht  und  Fcir- 
ben  gestalten  können anton  jaumann. 


FMEDMANN  &  \VEBER— BADEN-BADEN.   >TISCHLAMPE« 


ERICH  M.  SIMON-ßERLiN.  RADIERUNG  .DAS  ALTE  PaLATS. 


E  R   I  r  II    M.    ,S  I  1^1  O  N 

^,      M  A   l   i:   R      U  N  D     R  A    D   I  £   K  E  R      ^ 


m 


Es  gibt  Nachgeborene  vergangener  Zeiten, 
Menschen,  die  in  verklungenen  Tagen  mit 
ihrer  Gedankenwelt  wurzeln.  Und  doch  stehen 
sie  in  der  Vergangenheit  nicht  wie  Eingeborene, 
wir  spüren  die  Distanz,  graue  Schleier  zwischen 
dem  Heut  und  Einst. 

Eine  stille  Melancholie  liegt  über  den  Men- 
schen und  Dingengleich  demverblaßtenSchatlen 
auf  Photographien  Toter. 

Ein  solcher  Nachgeborener  des  Biedermeier 
scheint  mir  Erich  M.  Simon.  Dabei  ist  er  kein 
Unmoderner.  Die  Kindschaft  unserer  Zeit  ver- 
leugnet er  nicht,  er  hat  die  Nerven  des  Moder- 
nen, und  gerade  sie  befähigten  ihn  über  und 
durch  die  Literatur  das  Biedermeier-Land  mit 
der  Seele  niciit  nur  zu  suchen,  sondern  in  ilim 
zu  landen. 

Wenn  man  seine  Arbeiten  durchgeht,  sieht 
man  die  Kleinstädte  von  damals,  hört  auf  dem 
holprigen  Pflaster  das  Rasseln  großer,  schwan- 
kender Reisewagen,  den  Schritt  eines  einsamen 
Wanderers  in  der  Stille  der  Straßen.  Hinter  den 
Vitragen  ahnen  wir  Mädchenköpfe  mit  hohen 
Frisuren,  die  dann  neugierig,  aber  verstohlen 
dem  Einsamen  nachblicken.  Kleinstadtmilieu  ist 
Biedermeiermilieu,  denn  auch  die  großen  Städte 
hatten  damals  Kleinstadtcharakter.  Eng  war 
die  Welt,  überall  Grenzen  und  Schranken,  so 
zwischen  den  Klassen,  steife  Konvention  zwi- 
schen Gleichberechtigten  und  zwischen  den  Ge- 
schlechtern. Und  doch  träumen  wir  beim  Eilzug- 
Tempo  unserer  Tage  so  gern  von  den  Zeiten, 
da  man  Zeit  hatte,  geruhsam  genießen,  ja  selbst 
sein  Leid  bis  zur  Neige  auskosten  konnte. 


Bei  dieser  Generation  war  der  unglücklich 
Liebende  an  der  Mode.  Die  Frau  spielte, 
weil  sie  in  die  Welt  des  Mannes  sich  nicht  sicht- 
bar mischte,  Herrscherin  in  Leben  und  Politik. 
Die  Fadenarbeiten  der  immer  geschäftigen 
Frauenliände  waren  damals  Symbol,  daß  sie 
die  Fäden  zu  allem  hielten.  Wer  solches  schil- 
dern will,  muß  Kleinstadt  in  sich  tragen,  wenig- 
stens als  Erinnerung  der  Kindheit. 

Erich  M.  Simon  wurde  1892  in  einer  Klein- 
stadt Pommerns  geboren  und  hat  bis  zu  seinem 
9.  Lebensjahre,  da  man  nach  Berlin  übersiedelte, 
die  ersten,  entscheidenden  Eindrücke  dort  emp- 
fangen. Früh  schon  hatte  er  von  seiner  Mutter 
Unterweisung  im  Zeichnen  erhalten;  und  die 
Malerei,  als  Beruf  zu  erwählen,  war  bald  sein 
brennendster  Wunsch,  über  dem  Schule  und 
Unterricht  im  Latein,  Mathematik  vergessen 
wurden.  Bruno  Paul  regte  die  Aufnahme  an 
die  Berliner  Kunstgewerbeschule  an,  und  Emil 
Orlik  wurde  der  Lehrer  des  Achtzehnjährigen. 
Neben  Beardsley ,  den  er  damals  auf  Grund 
von  Blättern  einer  Kunsthandlung  der  Pots- 
danierstraße  verehrte,  ohne  seinen  Namen  zu 
kennen,  lockte  ihn  Buch  und  Literatur.  Über 
die  Bücher  der  Museumsbibliolhek  gelangte  er 
zur  Schätzung  von  Menzel,  Daumier,  Guys  und 
Gavarni.  So  landete  er  in  der  Zeit,  wo  er 
Wurzel  fassen  sollte.  Orlik  ließ  ihn  zwar  genau 
und  gut  die  Natur  studieren;  doch  verletzte  er 
in  seiner  Kritik  nie  den  Aufstrebenden,  wenn  er 
selbständige  Entwürfe  vorlegte.  Denn  Aufträge 
erforderten  frühzeitiges  Entwerfen,  da  der  junge 
Künstler  in  schneller  Einfühlung  Zigarrenpack- 


253 


XIII.  Antust  1920.  6~' 


Erich  M.  Simon. 


254 


ERICH  M.  SIMON -BERLIN. 


ungen,  Schokoladekartons,  Etiketten  mit  viel- 
seitiger Anpassungsfähigkeit  entwarf. 

Bald  wurde  die  Radierplatte  sein  Feld.  So 
entsteht  das  melancholische  Blatt  mit  dem  alten 
Palais.  Es  ist  die  Zeit  des  Blätterlalls.  Herbst- 
nachmittag. Zu  ihm  paßt  die  Blinde,  der  ein 
Kavalier  Almosen  spendet ;  deren  Elend  man 
im  Gegensatz  zur  eleganten  Kutsche  doppelt 
empfindet.  Es  sind  Eindrücke  an  flüchtige 
Tageserlebnisse,  die  so  ihren  Niederschlag  fan- 
den. Die  winklige  Kleinstadt,  mit  ihrer  Enge 
und  ihrem  Geschwätz  umrankt  den  einsamen 
Wanderer  des  zweiten  Blattes.  Hier  mögen 
Jugendeindrücke  Form  gewonnen  haben.  Lite- 
rarisches wurde  in  diesen  Blättern  gestaltet, 
was  Wunder,  daß  bald  Verleger  diese  Begabung 
für  Zwecke  der  Illustration  ausnutzten.  Thomas 
Mann's  „Tonio  Kroger"  war  die  erste  Probe. 
Buchausstattungen  für  die  Verleger  Georg 
Müller,  Kiepenheuer,  Axel  Junker,  Reiß,  Flei- 
schel  folgten  in  bunter  Reihe  mit  Exlibris,  die 
Bücherfreunde  von  dem  bekannt  gewordenen 
Illustrator  verlangten.    Während  dieser  arbeits- 


RAUIERUNG  »IJER  EINSAME  WANDERER« 


reichen  Zeit  fallen  zwei  Reisen  nach  Paris  (1911 
und  1913).  Reisen  bildet,  aber  keine  Stadt 
hat  so  einprägsame  Bedeutung  wie  Paris.  Bilden 
bedeutet  Wachwerden  schlummernder  Bilder 
in  uns.  Paris  erweckt  in  jedem  von  uns  Schlum- 
merndes. Simon  fand  im  Louvre,  bei  den  Bou- 
quinisten  am  Quai  d'  Orsay,  was  er  brauchte. 
Hier  erwuchsen  ihm  beim  Anblick  der  Antiqui- 
täten Vorstellungen  und  Bilder.  Hier  wurde 
seine  Phantasie  beflügelt.  Bald  war  es  ein  altes 
Buch  mit  seinen  Abbildungen ,  das  zu  ihm 
sprach,  bald  ein  altes  Möbelstück  im  weichen 
Schwung  seines  feinmaserigenHolzes,  im  Schim- 
mer der  goldenen  Beschläge. 

Wenn  nun  Aufträge  für  die  Praxis  an  ihn 
herantraten,  Plakate,  Werbeblätter,  Briefköpfe, 
dann  wollte  er  sie  mit  gleicher  Liebe  am  Kleinen, 
mit  gleicher  liebevollen  Hcmdwerklichkeit  vol- 
lenden, wie  der  Meister  arbeitete,  der  den  alten 
Möbeln  ihre  gediegene  Form  gab,  der  Tabciks- 
dose  des  Großvaters  ihren  dauernden  Reiz. 
In  solcher  Gesinnung  schuf  er  wertvolle  Ent- 
würfe für  Packpapiere,  Kataloge,  Zigarrenaus- 


Erich  .1/  Si  1)10)1. 


stattungen.  Was  anderen  täglichem  Brot  gleich- 
dünkt, war  ilim  PZrholung  von  freikünstlerischem 
Schaffen.  Ihn  reizte  es ,  wichtige  Dinge ,  die 
vielen  zu  Gesicht  kommen,  mit  guter  künst- 
lerischer Form  zu  versehen. 

1914  — 1918  finden  wir  ü\n  im  Osten,  Westen, 
in  Etappe  und  Lazarett,  bis  er  Ende  1918 
heimkehrt  zur  Werkstatt.  Wohin  nun,  nach 
diesen  Erlebnissen,  der  Weg  gehen  wird,  muß 
die  Zukunft  erweisen.  Wird  er  weiter  in  der 
stillen  Zeit  des  Biedermeiers  sich  wiederfin- 
den, wird  er  aus  härterem  Stoffe  Erzählendes 
bilden? kobert  cokwegh. 


KRITIK  UND  PERSÖNLICHKEIT.  Kritik  ist 
keine  Sache  des  Verstandes,  des  Wissens. 
Sie  ist  nicht  erlernbar  und  darum  in  allem  zu- 
tiefst Wesenhaften  logisch  nicht  zu  greifen.  Sic 
ist  ein  Geschenk  von  oben,  wie  eine  schöne 
Stimme,  wie  ein  besonders  zur  Kunst  treibendes 
Fühlen:  eine  Begabung,  die  der  Mensch  ent- 
weder hat  oder  nicht  hat  —  und  zwar  eine  der 
seltensten.  Gewiß  ist  sie  disziplinierbar  und  es 
gibt  Punkte,  über  die  Meinungsverschieden- 
liciten  nicht  zulässig  sind.  Aber  die  Grenzen 
hierfür  sind  sehr  eng  gezogen,  viel  enger  als 
man  gemeinhin  annimmt fail  ükkkkk. 


ERICH  M.  SIMON     BERLIN.    RADIERUNG   .IJER  ENUGRANT« 


255 


ERICH  M.  SIMON-BERLIN. 


KALENDERZEICHNUNG. 


X&^ 


GLEICHNISHAFTES  WESEN  DER  KUNST. 


Daß  alles  Vergängliche  nur  ein  Gleichnis  sei, 
ist  eine  Erfahrung  religiösen  Erlebens.  — 
Irgend  etwas  in  uns  weiß  sich  eins  mit  dem 
Wesentlichen  in  allen  Daseinsformen.  Irgend 
etwas  in  uns  kennt  nur  ein  Wissen,  lebt  nur  in 
einem  Begriff:  dem  des  Einen.  Von  hier  aus 
wird  die  Vielfältigkeit  der  äußeren  Daseins- 
formen als  unwesentlich  und  gleichnishaft  emp- 
funden; notwendig  zur  Verankerung  des  Einen 
im  Leben,  unwirklich  gegenüber  dem  Ewigen, 
das  meerhaft  in  und  um  alle  Gefäße  von  Daseins- 
formen wogt. 

Der  Künstler  läßt  uns  das  symbolhafte  Wesen 
der  Daseinsformen  klar  in  seinem  Schaffensvor- 
gang erfahren.  Regte  sich  nicht  der  schaffende, 
wortlose  Geist  im  Künstler;  nie  hätte  ein 
Mensch  von  der  Sinnlichkeit  her  das  Bedürfnis 
empfunden,  einen  Baum,  ein  Tier,  einen  Men- 
schen auf  Tafel  oder  Leinwand  nachzuschreiben. 
Nur  weil  im  Künstler  der  hitzige,  bildbedürftige 
Geist  lebt,  die  innere  Zeugung,  nur  deshalb  be- 
deckten sich  Flächen  mit  Welt,  schieden  aus 
dem  Stein  die  granitenen  Herrscher  und  Köni- 


ginnen, als  Gleichnisse  dieses  wortlosen  inneren 
Erkühnens.  Der  Laie  liest  das  Gleichnis  ab 
als  unterhaltende  Geschichte  und  glaubt  an 
buchstäbliche  Mitteilung.  Er  meint,  dies  sei 
entstanden  aus  dem  Wunsch,  ihm  etwas  zu  er- 
zählen, und  läßt  sich  daran  genügen.  Er  ahnt 
nicht,  daß  Gedichte  aus  sinnlosen  Klängen  vorm 
inneren  Gehör,  Bilder  aus  Rhythmen  ohne  jeden 
begrifflichen  Gehalt  entstehen.  Das  gießt  sich 
hitzig  ins  Zeichen,  und  das  Zeichen  ist  nur  dann 
begriffen,  wenn  diese  wortlose  Erregung  in  den 
Genießenden  übergezuckt  ist. 

Der  aber  fehlt  meist  dadurch,  daß  er  sich  an 
das  Tote  und  Gewandhafte  hält,  daß  er  es  gar 
mißt  an  seinem  nüchternen,  wertlosen  Weltbild 
und  so  bei  der  Mauer  verweilt,  unansichtig  des 
Gartens,  den  sie  umhegt. 

Niemand  suche  aus  dem  Kunstwerk  zu  er- 
fahren, wie  die  Welt  beschaffen  ist.  Sondern 
er  spüre,  wie  die  Weltseele  sich  darin  regt  in 
ewiger  Wiederholung  der  Schöpfung,  in  deren 
Formen  sie  sich  nicht  festbannte,  sondern  gleich- 
nisweise  zu  verdeutlichen  suchte m.  f. 


JANUAR 

J%).atL  -C[ehi  irz.  die 
OSPCJl 


ERICH  M.SIMON     BERUN.    FEDERZEICHNUNG  7.D  EINEM  KALENDER  DER  FIRMA  H.  WOI.FF. 


OKTOBER 

Sem  fTinM  -man  ein  gutes 
Sldjchen  Wein 


ERTCH  M.  SIMON-BERLIN.    FEDERZEICHNUNG  ZU  EINEM  KALENDER  DER  FIRMA  H.  WOLFF— BERLIN. 


NO    V  E  M  B  E  R 

Die  JAIJON  h^^Jnni 


ERICH  M.  SIMON— BERLIN.    FEDERZEICHNUNG  ZU  EINEM  KALENDER  DER  FIRMA  H    WOLFK— BERLIN. 


XXIIL  AuguH  1910.  7 


n<     1 


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l>  A.  MEb. 
WILLX      H.     CROHN 


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SCHÜLER) 


RADIERUNG. 


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HEINRICH 


SCHEUER  MA  NN 


LUDWIG  I  CASPERS 


ERICH  M. 
SIMON- 
BERUN. 


lAI.IHRlS 

U.  KATALI  IG- 

/.KICHNUNG. 


DAS*WEIIKHA  US 


ERICH  M.  SIMON      BERLIN. 


ZIGARREN-PACKUNG  •  DECKELBILD. 


IIEBHABEM    BIBIIOTHl 


J^eichi  Jtartoniert'     W/7 

2.00  M.  '/  '  ■ 

&legant  gebaadens   '  ■ 
3,50  M. 

* 

S  T  WA 

60 

aller  d'fzrachen,Zeitenj, 

und^  JfationeTl, 

ausgewählt  allein  nach 

J%ajsgtahe  dej  höchjtezi 

menjchlUhen  und 

Uterariichen  Khttes 

ihrer  Dichter 

der 

£  I  CJi  HA  J3  C  R. 
^ihlioiheX, 

verfügt  üher  eirtezx^ 

unantastbaren.,  inx. 

Caufe  der  Xommeaden 

Jahre 

S  T  &  r  J 

u>achj  endeTXj, 

W  6  R  T 


SejchenZ  aujgaia 

IN 
GCDI€OeNEN 

J€alhle  derhändent 

* 

BIS 

JiihliotheX^ 
enibdif  WerÄe  iJons 

jlTirevlIlsr, Balzac,  ■Zoaavea- 
tura  .Srentaao  .Xatl  Augi 
von  Weimar,  Con^cienci 
Cos  t  er.  DastoJeiPsKy,  TIa  u-ber^ 
UqoToscolo.jriedrich  d.Srosun, 
Sautier,  Sexsner,  Soefh^e, 
9ogol,  S.JTjiJCo/fmczan.JCöZy 
derlitx,3acohjcih,JeanSb.ui, 
Xerner.Xipüng, Kleist,  J(,ocb. 
KTasiasxi,£eni  £ongos£ott 
XouifyetdinandLuZian/^urset 
Jfovalis,  &A.Sbe,Sloienia£b, 
Jlu.ng,  St.  ^'erre^<SeaIsfieB 
JophoXles.  Stendhal.  Stifter. 
Oichechow,  Szirgenieh^ 
WacKearoder 
t  -■    . 

SA   MMtl-BAtiDt' 
T>autjchje  Dcrf-und ZlejQstaB^ 

/)es-chichten., 
ea  moderner  Snahln 
Ungarische  J^ovellezv, 
J^ärche  •  aus  unseren.  Taperig 

Ost/üdische  6riähler, 

Jute  äeatj-c^itJCariea  uJ^Uitiachü' 

l    I    S    D    S   K. 


GUSTAV  KIEPENHEUER 


V  E    R   ly  A   C 


gP 


O     ^   §     ^    J^ 


^^ 


ERICH  M.  SIMON-  BERLIN.    ANKÜNDIGUNG  KUR  EINE  VERLAGS-BUCHHANDLUNG. 


DER  WETTBEWERB  FÜR  DIE  REICHS-BRIEFMARKE. 

VON  R£GI£RUNGSBAUM£ISTER  A.  I>.  HANS  ^tEYER,  BERUN. 


Als  das  Reichspostministerium  trotz  des  Fehl- 
.  Schlages  des  Erinnerungsmarken-Wettbe- 
werbs zu  einem  neuen  rüstete,  wurde  es  von 
allen  Seiten  mit  mehr  oder  weniger  guten  Rat- 
schlägen bestürmt,  wie  die  Fehler  des  ersten 
zu  vermeiden  seien.  Heute  zeigt  es  sich,  daß 
die  maßgebenden  Herren  sich  das  Beste  davon 
herauszusuchen  verstanden  haben,  denn  das 
Ergebnis  des  nunmehr  abgeschlossenen  Aus- 
schreibens kann  durchaus  als  gut  bezeichnet 
werden.  Der  beste  Gedanke  —  dennoch  (oder 
deshalb?)  am  meisten  angegriffen  —  war  der 
der  Zweiteilung  in  einen  öffentlichen  und  einen 
beschränkten  Wettbewerb.  Die  Bedenken  gegen 
diesen  ungewöhnlichen  Schritt  waren  billig : 
Ungerechte  Bevorzugung,  Verzettelung  der  Mit- 
tel und  dergleichen  Schlagworte  waren  schnell 
zur  Hand  —  :  siegreich  haben  sich  demgegen- 
über die  Vorzüge  dieses  Vorgehens  behauptet, 
als  deren  wichtigster  erwartet  wurde  und  ein- 
traf: Beteiligung  der  Allerbesten,  die 
einen  öffentlichen  Wettbewerb  erfahrungsgemäß 
gemieden  hätten.  Was  von  diesen  26  Künst- 
lern (eingeladen  waren  34)  eingegangen  ist, 
etwa  150  Arbeiten,  stand  nicht  nur  im  Gesamt- 
durchschnitt über  dem  der  4000  Entwürfe  der 
andern  11 00  Einsender  (was  des  Rühmens  nicht 
wert  wäre),  sondern  wurde  auch  von  den  besten 
Leistungen  des  allgemeinen  Wettbewerbs  nicht 
übertroffen. 

Man  hat  die  Zusammensetzung  des  Preis- 
gerichts bemängelt.  Nicht  nur  die  Vielköpfig- 
keit —  23  Mcmn  —  erregte  Bedenken,  auch  die 
Wahl  der  vertretenen  Berufsklassen  —  3  Be- 
amte, 3  Abgeordnete,  9  Künstler,  8  Sachver- 
ständige —  wurde  verurteilt.  Einmal  heischten 
allerhand  andere  Körperschaften,  Sammler,  Hei- 
matschützler  und  dergleichen  ihrerseits  Berück- 
sichtigung, die  Künstlerschaft  andererseits  hätte 
am  liebsten  nur  ihresgleichen  unter  den  Preis- 
richtern gesehen,  und  die  Unentwegtesten  unter 
ihnen  ließen  nicht  einmal  die  Auswahl  dieser 
neun  Künstler  gelten,  da  sie  bei  der  Verschie- 
denheit ihres  Standpunktes  Kompromisse  be- 
fürchteten. Gerade  dieser  naheliegende,  in  ähn- 
lichen Fällen  häufig  gehörte  Einwand  hat  sich 
diesmal  als  hinfällig  erwiesen.  Über  gewisse 
Arbeiten,  auch  solche  von  äußerster  neuer  Rich- 
tung, waren  alle  anwesenden  Künstler  einer 
Meinung  —  ein  Entwurf  zum  Beispiel  trug  auf 
dem  Begleitzettel  als  erste  Stimme  die  von 


Jacckel  und  Schlichting !  —  Es  hat  sich  weiter- 
hin gezeigt,  daß  die  ausübenden  Künstler  mit 
ihrer  Fähigkeit,  künstlerische  Werte  zu  erken- 
nen, keineswegs  allein  stehen:  in  keinem  Fall 
kam  es  zu  einer  geschlossenen  Gegnerschaft 
gegen  die  andern  Preisrichter.  So  bleibt  als 
einzige  noch  nicht  bestandene  Probe  das  Urteil 
der  Öffentlichkeit.  Mit  der  Wiedergabe  der 
von  den  Preisrichtern  mit  Preisen  bedachten  und 
empfohlenen  Entwürfe,  16  aus  dem  beschränk- 
ten, 28  aus  dem  allgemeinen  Wettbewerb,  legen 
diese  öffentlich  Rechenschaft  über  ihre  Amts- 
führung ab.  In  erweitertem  Maße  wird  das 
durch  möglichst  vollständige  Ausstellungen 
aller  eingegangenen  Arbeiten  in  zahlreichen 
Städten  und  durch  ein  von  der  Reichsdruckerei 
vorbereitetes  Büchlein  geschehen. 

Welche  Marken  aus  diesem  Wettbewerb  zur 
endgültigen  Ausführung  hervorgehen  werden, 
ist  noch  nicht  entschieden.  Da  aber  der  Minister 
sich  verpflichtet  hat,  seine  Auswahl  nur  aus  den 
preisgekrönten,  angekauften  oder  sonst  vom 
Preisgericht  hervorgehobenen  Arbeiten  zu  tref- 
fen, —  eine  wichtige  Bedingung,  auf  deren 
Aufnahme  die  Preisrichter  bei  der  früheren 
Durchberatung  der  Ausschreibung  rastlos  ge- 
drängt hatten,  —  so  kann  man  jeder  Entschei- 
dung mit  gutem  Mute  entgegensehen.  Ob 
nun  der  Pflüger  Edwin  Scharfs  oder  die, 
neuzeitlichen  Geist  atmende  und  doch  so  fest 
in  guter  Überlieferung  ankernde  Marke  S  c  h  n  a  r- 
renbergers  gewählt  wird  —  beide  werden 
Widerspruch  wecken,  dem  man  aber  diesmal  mit 
besserer  Überzeugung  entgegentreten  kann  — , 
ob  die  zur  letzten  Vollendung  gefeilten  Arbeiten 
Ha  dank  s  zur  Ausführung  gelangen  —  das 
Schiff  wurde  allerdings  von  den  Preisrichtern 
trotz  seiner  meisterlichen  Durchbildung  als  Vor- 
wurf abgelehnt,  während  der  Hinweis  der  zur 
Beratung  anwesenden  Sammler  auf  ähnliche 
Marken  von  Britisch  Guyana  (!)  natürlich  wir- 
kungslos abprallte  — ,  ob  die  packend  gezeich- 
neten Bergarbeiter  Paul  Neus,  Michels 
formsicherer  Holzschnitt,  Cissarz'  feine,  etwas 
gefühlvolle  Knieende,  Dreschers  eigenartige 
Gemme,  —  ob  Markus  Behmers  oder 
Schneidlers  eigenwilliger  Flächenschmuck 
oder  sonst  eine  der  andern  erfolgreichen  Arbei- 
ten aus  der  letzten  Wahl  hervorgeht  —  :  Deutsch- 
land wird  sich  jedenfalls  diesmal  seiner  neuen 
Marken  nicht  zu  schämen  haben! n.  m. 


263 


i 


ENTWÜRFE  FÜR  DIE  NEUEN  DEUTSCHEN  POSTWERTZEICHEN 

BESCHRÄNKTER  WETTBEWERB 
ERSTE  PREISE  (JE  1000  MARK) 


fi«i^rTTiT~''"""r  jtT 


WILLI   GEIGER,  MÜNCHEN 


PKOF.  J.  V,  CISSARZ,  FRANKhURT  EDWIN  SCHARKF,    MÜNCHEN 


ZWEITE  PREISE  (JE  750  MARK) 


ARNO  DRESCHER, 
URESDEN-BLASEWITZ 


U.  H.  W.  UAIIANK,  BERLIN-iUDENIlE 


PAUL  NEU, 
MÜNCHEN 


DRITTE  PREISE  (JE  500  MARK) 


PAUL  NKU,  MÜNCHEN 


W.  bCHNARRENBERGEK,  MÜNCHEN 


PAUL  NEU,  MÜNCHEN 


DRITTE  PREISE  (JE  500  MARK) 


DE  VI S  C  H  K  S 


=klA#.ir*frf. 


O.  H.  W.  HADANK, 
BERLIN-SÜDENDE 


rag 


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ARNO  DRESCHER, 
DRESDEN-BIASEWITZ 


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PROF.  E.  R.  WEISS, 
BERIIN 


if-fi^'^  vn»^'»'^^vh: 


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In: 


MARKUS  BREHiLER,      F.  H.  ERNST  SCHNEIDLER,  j 
CHARI.OTTENBURG  BARMEN 


ALLGEMEINER  WETTBEWERB 
ERSTE  PREISE  (JE  1000  MARK) 


AUOl.h   r/AR-.KV, 

l)Cs^EI.rx)R^ 


KARL  GKÖNIM 
HAMBURG 


KAk[.  Mk  HKL, 
BERLIN 


ZWEITE  PREISE  (JE  750  MARK) 


WALTKR  BIHE, 
BERLIN-KRIEDENAU 


KARL  ROTH,  MUN'CHEN 


WILH.  LAUGER, 
LE1P/.IG 


DRITTE  PREISE  (JE  500  MARK) 


&riggig*2^ 


WALTER  BrHE.  BERLIN -FRIEDEN  AU  VALENTIN  ZIRtaRA,  MÜN  CHI  N        TOBIAS  SCHWAB,    BERLLN-WILMERSUÜRK 


VIERTE  PREISE  (JE  300  MARK) 


E       I      C       H| 


^ 


^mm'^.^m 


DEUTSCHES  REICH 


mm 
jUpfenni 


KARL  GRÖNING,   HAMBURG 


KURT  ARENDT,  BRESLAU 


ERNST  BoHM,  BERLIN 


JOH.  WÜRSTL, 
MÜNCHEN 


DEUTSCHES 
'      REICH      ' 


JfiH.  VVURSTL, 
MÜNCHEN 


WALTER  KÜHE, 
BERUN-FRIEDENAU 


KARL  EEG, 
BREMEN 


VIERTE  PREISE  (JE  300  MARK) 


HERMANN  HAAS.  MÜNCHEN 


WILLI  SZESZTOKAT, 
KÖLN  A.  RHEIN 


F.  H.  ERNST  SCHNEIDLER, 
BARMEN 


HANS  PAPE,  MÜNCHEN 


nm  kl  1  LT  I  ^— ^ 


DOMINI  BÖHM  U.  FRANZ  HOLZ, 
OFFENBACH  A.  M. 


im 


GEORG  BAUS, 
LEIPZIG-CONNEWITZ 


KARL  BÜLTMANN, 
BERLIN-WILMERSDORF 


DfcHTStHES 


75  ff  PF 


FRITZ  WITTLINGER, 
MÜNCHEN 


WILLI  DYCK, 
DÜSSELDORF 


GEORG  BAUS, 
LEIPZIG-CONNEWITZ 


^fe^ 


NJU^ 


MAURICE  DE  VLAMIXCK  »BLUMEX« 


liliSlTZKR  A,  K.,  OARMSTADT 


SAMMLUNG 

A.STKIN- 

OÜSSt^LDORF. 


M.  DE  \  U\MI.Ni  K, 


>SCHNEK   IN    LA    h'M:Hi  Ki. 


MAURICE  DE  VLAMINCK. 


Dieser  in  Paris  geborene  Maler  stammt  aus 
flämischem  Blut,  Seine  Art  zu  sehen  wird 
bestimmt  von  jener  vollblütigen  Sinnlichkeit, 
die  von  jeher  ein  besonderes  Merkmal  der 
Kunst  in  dem  Lande  des  Rubens  und  Jordens 
gewesen  ist.  Darum  steht  er  den  Bestrebungen 
um  eine  neue  Mystik,  die  sich  von  der  Natur- 
erscheinung abwendet,  die  allenfalls  noch  Ele- 
mente der  Realität  in  freiester  Umbildung  ver- 
wendet,  um  ein  Übersinnliches  im  gemalten 
Symbol  zu  geben,  durchaus  fremd  gegenüber. 
Ihn  interessiert  lediglich  die  Umwelt  und  in 
erster  Linie  die  Landschaft.  Diese  seine  in- 
brünstige Liebe  zu  Straßen  und  Plätzen ,  Häu- 
sern und  Gärten,  zum  Wasser,  zur  Luft,  dieses 
starke  kosmische  Gefühl  ist  es ,  was  ihn  mit 
den  Impressionisten  verbindet.  Und  es  ist 
vor  allem  ein  Meister  der  impressionistischen 
Epoche,  dem  er  mit  seiner  Anschauung  nahe 
steht;  Cezanne.  Nicht,  daß  er,  wie  so  viele 
Nachläufer,  diesem  Großen  gewisse  Äußerlich- 
keiten der  Perspektive  oder  der  Pinselschrift, 
nicht  daß  er  ihm  ein  koloristisches  Rezept  ver- 
dankte. Was  ihn  neben  den  Franzosen  rückt, 
ist   die   außerordenthche   Gabe,    auch  die  un- 


scheinbarste Materie  kostbar  zu  machen  durch 
malerische  Beseelung. 

Vlciminck  ist  ein  Künstler,  der  einer  Zeit,  die 
den  „Naturalismus"  überwinden  zu  müssen 
glaubt,  weil  er  sich  erschöpft  habe,  durch  sein 
gesund  naives  Schaffen  den  Beweis  erbringt, 
wie  viele  Möglichkeiten  noch  aus  der  sichtbaren 
Welt  heraus  zu  holen  sind,  wenn  ein  unbe- 
fangenes Auge  und  eine  von  keinerlei  Kunst- 
theorien unsicher  gemachte  Hand  sie  zu  ge- 
stalten unternimmt.  Es  lebt  in  ihm  nicht  die 
dämonische  Phantastik  eines  Munch ,  der  die 
Wirklichkeit  zur  gespenstischen  Vision  steigert. 
Er  wühlt  sich  auch  nicht  in  das  Problem  der 
sichtbaren  Dinge  hinein  mit  der  überreizten  Glut 
eines  van  Gogh.  Und  doch  drängt  sich  neben 
der  romanisch  verfeinerten  Sinnlichkeit  in  dieser 
Kunst  ein  Moment  auf,  der  sie  germanischem 
Empfinden  nahebringt:  eben  jenes  tiefe  Welt- 
gefühl, jenes  Bewußtseinvom  großenZusammen- 
hang  der  Dinge,  das  über  das  Sinnliche  hinaus 
ein  Werk  der  Malerei  bedeutend  zu  machen  weiß. 

Vlaminck  ist  alles  andere  als  ein  Grübler, 
wie  die  genannten  Germanen.  Aber  es  ist  auch 
in  seiner  Landschciftskunst  ein  Metaphysisches 


269 


XMI.  September  1920.  1 


^^anricr  de  Vlaminch. 


270 


VI,AM1.\(  K. 


lebendig.  Mehr  als  aus  den  anspruchsvollen 
Symbohsmen  expressionistischer  Phantasten 
spricht  aus  ihr  das  geheimnisvolle  Wesen,  das 
hinter  der  elementaren  Sichtbarkeit  steht.  Es 
gibt  heute  kaum  einen  Maler,  der  die  düster 
drohende  Stimmung  eines  heraufziehenden  Ge- 
witters so  suggestiv  festzuhalten  verstünde,  der 
die  prachtvolle  Fülle  eines  blühenden  Gartens, 
die  sonnenweiße  Einsamkeit  eines  Platzes,  den 
Schimmer  weich  spiegelnden  Gewässers  so  un- 
mittelbar, so  zwingend  Erlebnis  werden  ließe. 
Immer  fühlen  wir,  wie  die  Seele  der  toten 
Dinge  durch  die  farbige  Erscheinung  hindurch 
sprechend  geworden  ist,  wie  so  eine  Mauer 
nicht  für  sich  dasteht  als  ein  Zufälliges,  wie  sie 
sich  organisch  eingliedert  in  das  Sein  um  sie 
her,  Leben  hat  vom  Leben  der  Erde,  der  Luft, 
der  Bäume,  die  sie  umschließt,  wie  eines  nicht 
sein  kann  ohne  das  andere.  Wie  alles  mit  Not- 
wendigkeit sich  zusammenschließt  zu  einer  kos- 
mischen Einheit,  der  als  sinnHcher  Erscheinung 
ein  ihr  immanentes  Übersinnliches,  Größe, 
höhere  Gesetzlichkeit  verleiht. 

Ich  stehe  lücht  an,  es  hinzuschreiben:  Vla- 
mincks  Werk  hat  heute  schon  klassische  Be- 


» STRASSEN  ECKE«    BKS:  O.  SCHÜLBR-BOCHUM. 


deutung.  Eine  außerordentlich  glückliche  Mi- 
schung von  romanischer  AugenempfindUchkeit 
und  germanischer  Gefühlstiefe  befähigt  ihn  zu 
Leistungen,  die  in  der  Landschaftskunst  unserer 
Tage  in  solcher  Reinlichkeit  selten  sind.  Der 
Künstler  hat  in  diesen  letzten  Jahren  viel  Be- 
achtung gefunden.  Die  Preise  seiner  Bilder  sind 
gestiegen,  aber  im  Verhältnis  zu  ihrer  Qualität 
immer  noch  angemessen,  wenn  man  die  Markt- 
preise im  allgemeinen  vergleicht.  Eine  Gefahr 
für  Vlaminck  wäre,  daß  ihn  diese  günstige  Kon- 
junktur zum  Mißbrauch  seiner  fraglos  leicht, 
aus  der  Überfülle  eines  kraftstrotzenden  Tem- 
peraments heraus  schaffenden  Begabung  ver- 
locken könnte.  Daß  seine  farbig  reiche,  das 
Gegenständliche  groß  zusammenfassende  Kunst 
sich  veräußerlichen,  entarten  könnte  zu  virtuo- 
sem Manierismus.  Immer  wieder  wird  ihm  die 
Natur,  in  der  er  mit  beiden  Beinen  steht,  deren 
farbigen  Abglanz  er  mit  walirhaf  tigen  und  starken 
Sinnen  als  „Leben"  begreift,  die  Quelle  sein, 
aus  der  ihm  neue  Kraft  fließt,  die  ihm  das  Auge 
gesund,  die  Hand  widerstandsfähig  erhält  gegen 
die  Verlockung,  einem  bilUgen  Atelier-Schema 
dienstbar  zu  werden,  .  ,    otto  albert  Schneider. 


M.  DE  VLAMINCK.  »LES  ANDELEYS« 

KUNSTHALLE  BREMEN.    MIT  ÜENEHM.  DER  GALERIE  KI.ECHTHEIM— DÜSSELDORF. 


■^V 


MAURICE  DE  VLA\CNCK. 


»DIE  SEIiNE«   A(,iUARKI.I.. 
SAMML.  DR.  r.  HANIEL-DÜSSBLDORF. 


TENDENZIÖSE  KUNST. 


Erschlagen  sind  die  Wahrheiten  von  gestern. 
Es  lebe  das  Heute!  Was  wir  glauben,  ist 
wahr,  und  nur,  solange  wir  glauben.  Der  Künstler 
hat  sich  in  den  Feuerwirbel  der  Politik,  der 
TagespoUtik  geworfen.  Nicht  anteilnehmen, 
schildern,  nein,  handeln  ist  seine  Losung.  Mitten 
steht  er  in  dem  Gezisch  von  Haß  und  Eifer,  die 
Fackel  der  Kunst  in  erhobenen  Händen,  um  zu 
leuchten,  zu  führen,  aber  auch  zu  zerstören. 
Seine  Leidenschaften,  lange  quälerisch  zurück- 
gedrängt, sind  ausgebrochen  und  rasen  dahin. 
In  Freund  und  Feind  ist  die  Welt  zerfallen.  Der 
Künstler  flucht,  segnet,  höhnt,  kämpft,  er,  dessen 
höchstes  Ziel  einst  weu-,  reinster,  aufrichtigster 
Spiegel  zu  sein,  einer  Welt  die  er  nicht  bessern 
wollte.  Schildern  wollte  er  sie  in  all  ihrer 
Zerrissenheit  und  geflickten  Buntheit,  in  ihrem 
großen  und  doch  wieder  so  kleinen  Getriebe. 
Welche  Aufregung  war  um  die  Arme-Leute- 
Maler  seinerzeit,  um  Israels,  Liebermann,  Uhde, 
Kollwitz !  Eine  umfangreiche  Literatur  hatte 
sich  um  die  Berechtigung  der  Tendenz  in  der 
Kunst   angesammelt.     Eine   eigene  Lehrerver- 


einigung hatte  sich  gegründet  zu  dem  Zweck, 
alle  und  jegliche  Tendenz  aus  der  Jugendlite- 
ratur auszumerzen,  aber  auch  aus  dem  Lese- 
stoff des  Volkes  überhaupt.  Sie  waren  natür- 
lich der  Ansicht,  daß  der  Patriotismus  den  Stil 
verdirbt.  Und  es  galt  nur  der  Stil  der  Wahrheit, 
tendenzloser,  voraussetzungsloser  Wahrheit, 

Diese  Anschauung  ist  heute  ganz  unverständ- 
lich geworden.  So  geht  es  mit  den  Glaubens- 
sätzen von  gestern  !  Die  Kunst  hat  ihre  Reserve 
vollständig  abgelegt,  sie  will  weder  abgeklärt 
sein,  noch  wahr,  noch  tendenzfrei,  noch  über- 
haupt Kunst  an  sich.  Der  Maler  predigt  Welt- 
anschauung, der  Dichter  singt  verzückte  Hym- 
nen und  blutige  Kampfheder  gegen  seine  poH- 
tischen  Feinde.  Ein  Bekenntnis,  ein  Kampfruf 
soll  jedes  Bild  sein  !  Jeder  Strich  zielt  auf  einen 
Gegner,  will  den  „Bürger"  vor  den  Kopf  stoßen. 
Der  eine  hat  es  sich  als  Programm  gesetzt,  den 
Menschen  herabzudrücken  zum  Kretin.  Ein 
anderer  sieht  ihn  als  Feuerbrand.  Die  Ver- 
göttlichung steht  neben  der  Verkindlichung. 
Kunst  ist  Umsturz.   Wo  früher  patriotische  Ge- 


272 


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TfiidcnziüSf  Kunst. 


&LA.UR1CE  DE  VLAMIXCK. 


Schichtsklitterung  verfolgt  wurde,  strahlt  jetzt 
die  Apotheose  der  Weltrevolution.  Die  Tendenz 
ist  in  unsere  heutige  Kunst  unlösbar  verstrickt. 
Sie  ist  ihr  Rückgrat. 

Nun  ist  nur  die  Frage,  ob  sie  dem  Künst- 
lerischen nicht  schadet,  ob  sie  sich  überhaupt 
mit  Kunst  verträgt.  — 

Gehen  wir  die  Kunstgeschichte  rückwärts,  so 
merken  wir  staunend,  daß  es  eine  Kunst  ohne 
Tendenz,  ein  l'art  pour  l'art,  in  den  besten 
Zeiten  überhaupt  nie  gegeben  hat.  Am  Nil  wie 
amEuphratdientenTempel,  Pyramiden,  Statuen, 
Reliefs  ausschließlich  der  Verherrlichung  von 
Göttern  und  Königen.  Die  Heldenhaftigkeit  der 
Könige  wurde  ins  Riesige  gesteigert,  die  Unter- 
tanen, die  fremden  Völker  erscheinen  vor  ihnen 
wie  Zwerge.  Soweit  die  Reliefs  geschichtliche 
Darstellungen  sind,  sind  sie  Entstellung.  Der 
Chauvinismus  feiert  Orgien.  Hat  dies  dem  Kunst- 
wert der  ägyptischen  und  assyrischen  Werke 
geschadet?  Hat  nicht  vielmehr  der  Wille  zur 
Verherrhchung  gerade  den  Stil  groß,  den  Aus- 
druck stark,  den  Vortrag  volltönend  gemacht? 


»PORT  MARL"/«   GrMÄUiK. 

SAMMLUNG  A.  CAHEN-COLN. 


Niemals  hätte  die  griechische  Plastik  diese  wun- 
derbare Vollendung  erklommen,  wenn  nicht  die 
Verherrlichung  ihrer  Götter,  ihrer  Helden, 
ihrer  Rasse  sie  von  Anfang  leidenschaftlich 
beherrscht  hätte.  Sie  kämpften  wie  Israel  für 
den  Ruhm  ihres  Gottes,  sie  kämpften  mit  ihren 
Kunstwerken.  Stets  fühlten  sich  ihre  Künstler 
als  Vorkämpfer  griechischer  Kultur  gegen  die 
Barbaren  ringsum.  Ihre  Kunst  war  in  hohem 
Grade  Staatskunst.  Sie  wurde  nicht  nur  von 
der  Polis  bezahlt!  Tempel,  Statuen,  Theater, 
Gedichte,  sie  dienten  der  Verherrlichung  der 
Stadt  und  ihrer  großen  Männer.  Instinktiv 
wurde  damals  schon  der  Wert  der  Kulturpro- 
paganda erkannt,  die  uns  so  garnicht  gelingen 
will.  Freilich,  die  lobenswerte  Tendenz  allein 
tut  es  nicht,  wenn  nicht  künstlerisches  Können 
dahinter  steckt.  Aber  die  griechische  Geschichte 
zeigt  eine  auffällige  Parallele  zwischen  dem  An- 
schwellen und  Verebben  der  politischen  Energie 
und  den  Höhepunkten  ihrer  Kunst.  Die  tech- 
nische Fertigkeit  allein  hätte  auch  nicht  das 
letzte  Flügelrauschen  des  griechischen  Geistes 


275 


I 


Tendenziöse  Km/s/. 


276 


MAURICE  DE  VLAMINCK. 


im  pergamenischen  Alter  vermocht,  wenn  nicht 
ein  großer  König  Staat  und  Volk  mit  neuauf- 
flackernder Energie  erfüllt  hätte.  Ihn  zu  preisen 
und  das  Griechentum  überhaupt,  war  die  Ten- 
denz der  Architekten  und  Bildhauer,  die  sie 
noch  einmal  zu  großem  Wollen  und  Gelingen 
emporriß.  In  der  ganzen  ungeheuer  reichen 
Produktion  der  griechischen  Kunst  finden  sich 
nur  verschwindend  wenig  Werke  reinen  Atelier- 
charakters, solche,  die  nur  aus  Lust  am  Bilden 
entstanden  sind. 

Und  die  große  Gotik?  War  sie  nicht  Die- 
nerin der  Kirche  und  der  Städte?  Das  darf 
nicht  so  ausgelegt  werden,  als  ob  Kirche  und 
Stadt  den  Baumeistern  nur  die  Mittel,  die  Ge- 
legenheit gegeben  hätten,  ihre  Werke  auszu- 
führen. Nein,  der  inbrünstige  Gemeinsinn  war 
es  erst,  der  die  Inspiration  und  den  Willen  gab 
zu  diesen  unendlich  reichen  und  hochstrebenden 
Bauten.  Die  religiöse  Flamme  riß  die  Kathe- 
dralen in  Himmelshöhen.  Geld  allein  hat  niemals 
eine  Kunstblüte  hervorgebracht ,  sowenig  wie 
andrerseits  eine  Kunst,  die  sich  von  aller  Be- 
einflussung, von  jeder  Tendenz  frei  hält,  jemals 


»PLATZ  IN  PONTOISE«  AQUARELL. 
SAMMLUNG  A.  SABBLSON-AMSTBRDAM. 


über  artistische  Spielerei  hinauskommen  wird. 
—  Selbst  Rembrandt,  der  Anführer  der  indivi- 
dualistischen Malerei,  wollte  mit  seiner  Kunst 
werben,  lehren,  kämpfen.  Er  rückt  vom  Glanz 
der  offiziellen  Heroen  allmählich  ab  und  ver- 
herrlicht trotzig  die  Armut,  das  Elend,  das 
seelisch  reiche ;  er  predigt  einen  neuen  Trost, 
das  Licht,  den  göttlichen  Strahl  der  Liebe,  der 
nirgends  wärmer  leuchtet  als  im  Staub  und  auf 
den  Falten  des  Kummers.  Auch  Rembrandt 
freilich  hatte  vorher  den  staatlichen,  bürger- 
lichen, offiziell  kirchlichen  Tendenzen  gedient. 
Haben  sie  seiner  Kunst  geschadet?  Hat  er 
nicht  aus  dem  Selbstbewußtsein  bürgerlicher 
Tüchtigkeit  kostbare  Bilder  herausgeholt,  eben- 
so aus  den  Staatsaktionen,  den  repräsentativen 
Aufträgen,  den  großen  biblischen  Szenen? 

Die  Impressionisten,  Pleinairisten,  und  die 
Maler  der  „Armen  Leute"  waren  Nachkommen 
der  Revolutions  -  Epoche.  Sie  protestierten, 
scheinbar  nur  schildernd,  gegen  ein  vermoder- 
tes, falsch  gewordenes  Schönheitsideal,  gegen 
die  ganze  bürgerliche  Weltanschauung.  Wer 
glaubt,    daß   sie    nichts   als  frische,   neuartige 


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Tendinziose  Kunst. 


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MAURICK  Di:   VLAMINCK. 


Bilder  anstrebten,  verkennt  ihr  Wesen  stark. 
Sie  haben  ihre  Meisterwerke  der  hohen  Er- 
regung zu  verdanken,  sie  fühlten  sich  als  Pro- 
pheten einer  neuen  Wahrheit,  einer  neuen  Ge- 
sinnung, einer  neuen,  der  Lichtreligion.  Und 
fast  alle  waren  sie  Fanatiker,  wenn  auch  nicht 
jeder  mit  der  gleichen,  verzehrenden  Hingabe 
wie  Van  Gogh. 

Freilich  tritt  die  Tendenz  in  verschiedener 
Gestalt  auf,  aber  frei  davon  ist  große  Kunst  fast 
nie.  Hat  Dostojewsky  sein  Allrussentum,  Tol- 
stoi sein  Pietismus  und  Pazifismus,  Gerhart 
Hauptmann  die  soziale  Ader  geschadet?  Haben 
sie  nicht  gerade  daraus  die  hochgespannte  Ar- 
beitsenergie, die  seeUsche  Erhebung,  die  Glut 
der  Gefühle  geschöpft? 

Voraussetzung  ist  nun  allerdings,  daß  die 
Tendenz  dieser  seeUschen  Erhebung  nicht  direkt 
entgegenwirkt.  Und  das  ist  der  Fall,  wenn  die 
Tendenz  bestellt,  bezahlt  ist,  wenn  sie  nicht 
mit  der  Überzeugung  des  Künstlers  überein- 
stimmt. Patriotismus  für  den  Schulbuchgebrauch 
wird  niemals  ein  starkes  Gedicht  erstehen  lassen. 
Wer  die  Armut  malt,  nur  weil  es  Mode  und 


HÜGKl-KF.TTE  BEI  RUElLc 
SAMMLUNG:    SILIIBR-BARMP.N". 


einträglich,  der  bringt  eben  nur  ein  Modebild 
zuwege.  So  ist  es  auch  heute.  Der  Umsturz 
aller  Werte,  das  Hereinspielen  der  Politik,  das 
wird  unserer  bildenden  Kunst  nicht  schaden, 
wenn  tatsächlich  eine  innere  Anteilnahme  vor- 
liegt. Brennt  wirklich  Feuer,  so  kann  sich  die 
Phantasie  daran  entzünden.  Selbst  Zorn,  Em- 
pörung, Haß  sind  fruchtbar,  soweit  sie  mit  Herz- 
blut arbeiten.  Heuchelei  jedoch  treibt  taube 
Blüten.  Was  schäbig,  heimtückisch,  kleinlich 
gemeint,  wird  sich  auch  keine  große  und  reine 
Form  als  Ausdruck  finden. 

Die  Kunst  steht  nicht  isoliert  zwischen  den 
übrigen  Lebensäußerungen.  Architektur  ist  Ge- 
staltung des  Bauens,  Dichtung  formvolles  Reden. 
Wie  wir  uns  auch  äußern  mögen,  durch  Worte, 
durch  Handlungen,  durch  Werke,  stets  suchen 
wir  auch  irgendwie  den  Mitmenschen  damit  zu 
beeinflussen.  Kunst  will  wirken,  und  beson- 
ders die  Malerei  wirbt  und  predigt,  stachelt  die 
Sinne  auf  und  den  Geist,  will  den  Menschen 
packen.  Soweit  sie  das  tut,  soweit  sie  also 
Tendenz  ist,  ist  sie  auch  —  im  tieferen  Sinne 
_  Kunst \->i"^'  i\'M\^^ 


XXIII.  September  1920. 


MAURlLi-  Di.   \1AM1.N(.-K. 


»STILLEBEN«    GALERIE  FLECHTHEIM. 


HUNGER  NACH  MATERIE. 

Vi.N  WILHELM  MICHEL. 


Ein  Merkmal  des  heutigen  Geistbetriebs  ist 
die  Stofflosigkeif. 

Wir  sehen  im  Bereich  des  Schrifttums  un- 
geheuere Erkühnungen  des  Geistes.  Die  Wert- 
setzungen wirbeln,  die  Standpunkte  verschieben 
sich  unaufhörlich,  die  ganze  Werkstatt  des  Gei- 
stes dröhnt  von  zyklopischem  Bemühen.  Aber 
sieht  man  näher  zu,  so  ist  die  wirkliche  Um- 
arbeitung an  Welt  und  Stoff  gering.  Die  Sub- 
jekte glänzen  auf  in  funkelnder  Bewegtheit  der 
Einstellungen.  Aber  sie  reißen  wenig  an  derbem 
Stoff  mit.  Es  ist  mehr  Wollen  und  Können  in 
dieser  Gymnastik  als  Müssen.  Die  Kühn- 
heiten brausen  leer  hin  durch  einen  Raum  ohne 
Widerstände.  Das  Verpflichtende,  das  Fest- 
legende der  geistigen  Äußerung  wird  nur 
schattenhaft  gefühlt.  Das  endet  schließlich  bei 
einem  wahren  Überdruß  am  bloßen  Intellekt. 

Das  Wort  kann  gewiß  tathaft  sein.  Aber  nicht 
alles  Wort  ist  Tat.  Tathaft  wird  es  nur  da,  wo 
es  heraufkommt  aus  starker  Empfindung  der 
Realitäten,  wo  es  die  Widerstände  nicht  tänze- 


risch umgaukelt ,  sondern  ernsthaft  überrennt, 
wo  es  gebunden  ist  an  das  innere  Müssen  des 
Menschen,  wo  es  festlegt  und  verpflichtet.  Wir 
haben  heute  eine  ungeheuere  Fülle  an  Geist; 
aber  Geist,  der  nicht  eingeschaltet  ist  als  Motor 
in  ein  Getriebe.  Die  äußerste  Folgerung  daraus 
ist  der  Dadaismus,  der  bewußt  auf  jede  Be- 
ziehung zu  einem  Objektiven  verzichtet  und 
affenhaf t  in  die  Luftleere  der  kosmischen  Clow- 
nerie klettert.  Eine  sehr  zuträgliche  Übung  für 
den  Philister,  der  sich  so  den  trägen  Speck  vom 
Leibe  schwitzen  mag;  aber  ein  Irrsinn  für  jeden, 
der  irgendwie  vom  Nichts  herkommt,  und  in 
Form  und  Tat  will:  Fall  aller  echten  geistigen 
Menschen,  die  wissen,  daß  Kraft  die  Welt  zu- 
sammenhält, nicht  etwa  träge  Spießerei. 

Ähnliches  gilt  für  große  Mengen  der  neuen 
Kannst.  Der  Geist  hat  sich  durchgesetzt  gegen- 
über dem  Objekt.  Aber  es  ging  gleich  in  die 
Tyrannei  des  Geistes  hinüber,  in  die  Allein- 
herrschaft der  Gesinnung  und  der  negativen 
Persönlichkeit.    Das  Objektive  der  Welt,   das 


Hunger  nach  Materie 


dem  Künstler  so  nötig  ist  wie  dem  Weltschöpfer 
der  Stoff,  stöhnt  irgendwo  in  einem  fernen  Ver- 
lies oder  ragt  nur  schemenhaft  ins  Werk  hinein. 
Wer  das  graue,  geistverlassene  Elend  der  letz- 
ten Impressionisten- Ausstellungen  um  1908  9 
erlebt  hat,  wird  gewiß  die  Heftigkeit  verstehen, 
mit  der  sich  der  Geist  im  Expressionismus  von 
der  Kette  der  Sinnlichkeit  losriß.  Er  wird  auch 
verstehen,  daß  jede  derartige  Wendung  das  Ziel 
weit  überspringt  und  zunächst  einmal  in  ihr 
Gegenteil  stürzt.  Incidit  in  Scyllani,  qui  vult 
vitare  Charybdin.  Aber  alles  Verständnis  dieser 
Art  kann  niciit  hindern,  zu  sehen,  was  ist.  Zu 
sehen  also,  daß  das  Ziel  überlaufen  wurde, 
daß  nach  der  Naturversklavung   die  Tyrannei 


des  Geistes  eingetreten  ist ,  daß  unter  tausend 
funkelnden  Wie  das  Was  in  der  Tiefe  ver- 
dämmert. Das  ist  beileibe  kein  Einwand  gegen 
die  Notwendigkeit,  mit  der  der  Expressionismus 
seinerzeit  in  die  Welt  sprang;  wohl  aber  ein 
Einwand  gegen  die  Meinung,  in  ihm  sei  das 
absolute  Ziel  der  Kunst  erreicht. 

Ein  wahrer  Hunger  nach  Materie  kann  uns 
befallen,  sehen  wir  die  neue  Kunst  auf  jede 
Auseinandersetzung  mit  dem  Stoff  verzichten, 
sehen  wir  das  Handwerk  aus  ihr  schwinden, 
sehen  wir  sie  mit  dem  objektiven  Weltsloff  zu- 
gleich Tradition,  Faßlichkeil,  Sinnenreiz  und 
Aktivität  preisgeben.  Die  Meister  tun  dies  frei- 
lich nicht:   Ein  Kokoschka,  ein  Beckmann,  ein 


M.  DE  VL/VMINCK.    -BLUMIN   IM  .STEI.IKR'  Sammlung  o.  sctlriER-noc  IHM. 


281 


Htinger  nach  Materie. 


Heckel,  ein  Macke  und  andere  wußten  sich  das 
Nötige  an  Materie  zu  retten  und  ihr  Wert  ruht 
darauf  fest  und  sicher.  Aber  viele  andere 
scheinen  dies  nicht  zu  sehen  und  bestehen  auf 
der  Unvermischtheit  des  Ausdrucks  mit  einer 
toddrohenden  Konsequenz. 

Mußte  früher  gegen  die  Überlastung  des 
Kunstwerks  mit  totem  Stoff  gestritten  werden, 
so  ist  heute  wichtig,  daran  zu  erinnern,  daß 
sich  das  Kunstwerk  nur  durch  die  eingeströmten 
Naturelemente  verfestigt,  genau  wie  sich  in  der 
Welt  der  Geist  nur  durch  die  Materie  in  Ver- 
festigung, Vereinzelung  und  Wirksamkeit  erhält. 

Was  will  unter  anderem  die  neue  Erkenntnis 
vom  Ausdruckswert  der  Linien  und  Farben  an 
sich  (diese  sehr  wichtige  und  ergiebige  Erkennt- 
nis), wenn  sie  vergißt,  daß  Linie  und  Farbe  sich 
an  bedeutungsvolle  Materie  binden  müssen? 
Man  lege  das  erregendste  Linienschema  eines 
Baldungschen  Bildes  statt  in  menschlichen  Kör- 
pern in  einfachen  Farbstrichen  oder  in  Gegen- 
ständen ohne  bedeulungsvolle  Assoziationen 
dar:  so  wird  es  leer  und  nichtig  bleiben.  Und 
so  weiter  durch  alle  Anwendungen. 

Ein  bemerkenswerter  Umstand:  Während 
die  deutsche  Kunst  immer  hitziger  dem  Phantom 
des  absoluten  Ausdrucks  nachjagt  und  in  Armut 
stürzt,    wendet  sich  die   Kunst   Frankreichs 


sehr  gelassen  der  Sinnlichkeit,  dem  Handwerk, 
der  Überlieferung  zu.  Sie  hatte  diese  Dinge 
nie  ganz  verlassen.  Selbst  gewagte  französische 
Erzeugnisse  behielten  immer  noch  einen  letzten 
Rest  an  sinnlicher  Gebundenheit,  an  objektivem 
Reiz.  Dem  französischen  Geist  war  Faßlichkeit 
immer  eine  Hauptforderung.  Er  hat  sich  in  der 
Kunst  zu  ihr  durchgefunden;  nicht  zurück,  son- 
dern vorwärts.  Es  scheint,  als  sei  romanische 
Gebundenheit  an  Form  und  Erde  wieder  einmal 
bestimmt,  der  deutschen  „Liebhaberei  für  das 
Absolute"  das  nötige  Korrektiv  zu  liefern. 

Wie  dem  nun  sei:  jedenfalls  muß  die  Kunst 
wieder  Tore  auftun,  durch  welche  Materie  in 
sie  einströmen  kann.  Materie  in  diesem  Sinne 
ist  nicht  bloß  Natur  (als  Studienobjekt,  als  sinn- 
liche Form),  sondern  auch  Gemütsmaterie:  ein 
inneres  Ernstnehmen  der  Dinge,  ein  Fromm- 
sein, ein  Sich-Hingeben  an  die  Arbeit  und  an 
das  Problem  der  Verfestigung. 

Das  tut  not.  Mögüch,  daß  der  Geist  des 
Geschehens  es  uns  noch  femer  vorenthalten 
muß.  Möglich,  daß  er  unsere  Kunst  über  noch 
weitere  Umwege  treiben  will.  Das  geht  uns 
nichts  an.  Wir  müssen  jedem  Geschehen  mit 
Frommheit  bereit  sein,  aber  wir  sind  auf 
Menschengedanken  verpflichtet  und  dürfen  sie 
aussprechen,  wie  und  wann  sie  uns  kommen. 


M.  DE  VLAMINCK.  ->DIE  KLARINETTE.  1912.  gai.erie  flechtheim. 


MAX  UNOLD -MÜNCHEN.  »DIE  STRASSE.  1919. 

KUNSTHALLE  BREMEN. 


MAX  UNOLD-MU.NCREN". 


»STRASSE  NACH  LIBOURKE«   1911. 


MAX  UNOLD-MÜNCHEN. 


'\   KL'Rl  rilSTEK. 


Von  den  jüngeren  Künstlern  Münchens  be- 
sitzt Max  Unold  am  stärksten  das  Bewußt- 
sein für  die  Werte  der  Tradition.  Dies  be- 
sitzen, heißt  sich  unablässig  mit  den  Ergeb- 
nissen früherer  Generationen  auseinandersetzen 
und ,  auf  festem  gesichertem  Boden  stehend, 
langsam  und  gesammelt  eine  neue  Synthese 
bilden.  Fernab  von  durchstoßenden  und  bis- 
weilen abwegigen  Experimenten  stete  und  ver- 
wurzelte Arbeit  tun. 

In  Traditionen  wachsen  heißt  nicht,  in  Ab- 
hängigkeit und  Schüler  sein.  Und  wenn  man, 
um  die  Richtung  von  Unolds  Weg  anzudeuten, 
zwei  Namen  nennt  —  Marees,  Cezanne  —  so 
bedeutet  das  nichts  weiter  als  einen  ungefähren 
Anhalt.  Flächen  wachsen  aus  der  Tiefe,  wöl- 
ben sich  zu  Kuben,  bauschen  sich  zu  Massen 
und  strömen  in  die  zweidimensionale  Ebene. 
So  wollte  es  Marees,  so  wollte  es  Cezanne, 
der  gelegentlich  zu  Bemard  gesagt  hat:  Die 
Kontraste  und  Übereinstimmungen  der  Töne : 
darin  liegt  das  Geheimnis  der  Zeichnung  und 
Modellierung 


Cezanne  meinte,  wenn  er  von  Modellierung 
sprach,  die  Farbe.  Jüngere,  die  in  seinen  Bahnen 
schritten,  Picasso,  Bracque,  setzten  an  die  Stelle 
der  Farbe,  was  ihm  nur  Gerüst  bedeutet  hatte : 
das  geometrische  Schema;  andere  den  Ton.  In 
der  Tat  modeUiert  Unold  die  Flächen  nicht 
farbig,  wie  Cezanne  es  wollte,  sondern  tonig. 
Und  bisweilen  geht  die  Modellierung  in  Ab- 
stimmung der  Tonwerte  über.  Dies  ist  der 
innere,  eigentliche  Sinn  dessen,  was  mcm  bei 
Unold  Tradition  nennen  könnte. 

Unter  dem  unablässigen  Ringen  um  die  Reali- 
sierung dieser  Formidee  hat  bisweilen  die  Un- 
befangenheit des  Gestaltens  gelitten:  aii  die 
Stelle  der  phantastischen  Schöpfung  trat  Er- 
griffenheit durch  ein  Formerlebnis.  Immer  kreist 
die  Bemühung  um  die  gleichen  Motive:  Still- 
leben und  bewegte  Gruppe.  Und  wenn  sonst 
Vorstellung  Form  wird,  hier  scheint  er  sich 
umzukehren:  die  Form  ist  das  Primäre  und 
erringt  sich  die  ihr  gemäße  Legende. 

Parallel  geht  das  umfangreiche  und  beträcht- 
liche graphische  Werk.    Illustrationen  zu  Rabc- 


286 


:XIII.  September  1920    3^ 


Max  Unold-  München. 


286 


MAX  UNOLD— MÜNCHEN. 


lais,  Sankt  Julian,  Judenbuche,  Einzelblätter. 
Während  frühere  Blätter  einen  reizvollen,  trotz 
Anregung  durch  altdeutsche  Holzschnitte  durch- 
aus persönlichen  Bilderbogenstil  zeigten,  gilt  die 
Bemühung  jetzt  dem  gleichen  Problem  einer 
Bewegung,  die  sich  in  der  Fläche  breitet. 

Damit  ist  die  Richtung  eines  Weges,  der  trotz 
mannigfacher  Verknäuelung  unablässig  weiter- 
läuft, andeutend  bezeichnet.  Das  fast  fanatische 
und  oft  vergebliche  Ringen  um  das  Ziel  gab 
diesen  Bildern  einen  Hauch  von  Melancholie 
und  unsteter  Ruhelosigkeit.  Er  liegt  auf  ihnen 
und  ist  mit  ihnen  verwachsen,  wie  die  Patina 
der  Tafeln  alter  Meister k.  p. 


»BIERGARTENi  1919. 


Das  ist  die  Gefahr  der  expressionistischen 
Kunst,  daß  in  ihr  der  seelische  Gehalt, 
eben  weil  auf  ihn  die  ganze  Betonung  fällt, 
outriert  wird.  In  dieser  Hinsicht  bot  eine  Kunst- 
theorie wie  die  naturalistische,  die  der  expres- 
sionistischen gedanklich  weit  unterlegen  ist,  doch 
auch  wieder  einen  sehr  gesunden  Nährboden  für 
den  inneren  Ausdruck,  weil  er  in  ihr  ganz  unge- 
wollt und  darum  mit  aller  Frische  und  Würze  des 
Unbeabsichtigten  in  Erscheinung  trat;  während 
der  Expressionismus,  der  den  Akzent  richtig  auf 
den  Ausdruck  gelegt  hat,  Gefahr  läuft,  das  rein 
Gefühlsmäßige  zu  stark  ins  Bewußtsein  zu  heben 
und  dadurch  zu  rationalisieren,    f.  Landsberger. 


MAX   U.NOI.D— MÜNCHEN. 


»LIEBESPAAR«    1819. 


KUNSTWERK  UND  KUNSTTHEORIE. 

VilS   HKINR.   KITll  R. 


Die  Beziehungen  zwischen  Kunstwerk  und 
Theorie  bilden  ein  schwieriges  Kapitel. 
Nur  von  einem  Sonderfall  dieser  Beziehungen 
soll  hier  die  Rede  sein:  von  der  Art,  wie  bei 
neuen  Kunstwendungen  die  stützende  Theorie 
auftaucht,  von  der  Bedeutung,  die  sie  innerhalb 
der  neuen  Kunstwendung  beanspruchen  kann. 
Fast  alle  neuen  Kunstrich-tungen  treten  mit  pro- 
grammatischen Erklärungen  über  ihre  Antriebe 
und  Ziele  auf.  Der  Impressionismus  erklärte  das 
Wesen   des  Naturausschnittes   tiefer  zu   fassen 


als  der  Naturalismus.  Er  gab  sich  erkenntnis- 
kritisch,  erklärte:  Natur,  das  sind  nicht  Dinge, 
sondern  die  Art,  wie  Dinge  unter  bestimmendem 
Einfluß  von  Luft  und  Licht ,  von  innerer  und 
äußerer  Bewegung  unsern  Sinnen  erscheinen. 
Der  Expressionismus  schrieb  die  Formel  Geist 
auf  seine  Fahne  und  behauptete,  nur  mit  Hilfe 
dieses  Schibbolelhs  könne  das  Endgültige  der 
Form  erreicht  werden. 

Gemeinsam   ist   allen  Theorien ,  daß  sie  die 
Sache   so   darstellen,   als   sei   erst   das  künst- 


287 


Kunstwerk  und  Kunsttheoric. 


288 


MAX  TJNOLD— MUKCHEN. 


lerische  Strebensziel  aufgetaucht  und  dann  das 
Kunstwerk;  als  sei  das  Kunstwerk  die  Ver- 
wirklichung eines  vorher  bestehenden,  program- 
matischen Erkennens,  einer  zunächst  gedanklich 
erfaßten  theoretischen  Einsicht,  Jede  dieser 
Theorien  beruft  sich  auf  allgemeine  Denknot- 
wendigkeiten, entwickelt  sich  unter  Bezugneh- 
mung  auf  ewige  Werte  und  behauptet,  eine  de- 
finitive, allgemein  gültige  Einsicht  vorzutragen. 
Aber  es  geht  diesen  Denknotwendigkeiten 
im  Bereich  der  Kunst  genau  so ,  wie  es  dem 
Denken  im  allgemeinen  geht :  es  tritt  auf  mit 
dem  Anspruch  vollkommener  Freiheit  und  Selb- 
ständigkeit, aber  es  steht  im  Dienste  einer  hö- 
heren Macht,  des  Wollens,  des  Affekts.  Der 
Intellekt  ist  Diener  des  Willens  —  diese  alte 
voluntaristische  Wahrheit,  von  Schopenhauer 
und  Nietzsche  mit  größtem  Nachdruck  neu  for- 
muUert,  gilt  nirgends  klarer  als  in  der  Kunst- 
erörterung. Das  Wollen  ist  das  Primäre.  Und 
dem  Wollen  liefern  Verstand  und  Theorie  die 
logischen,  ästhetischen,  sittUchen  Begründungen. 
Aus  Erwägungen,  Reflexionen,  theoretischen 
Ein-  und  Absichten  entspringt  niemals  eine  neue 


»KARTOFFELN«   1911. 


Wendung  in  der  Kunst.  Sondern  ein  neues 
Kunstwollen  taucht  aus  der  Tiefe  und  Not  der 
Zeit  auf.  Ein  neues  Müssen  kommt  aus  ver- 
ändertem Weltgefühl  und  aus  dem  Schwung  der 
Entv^icklung.  Dann  erst  tritt  als  Späteres  die 
Theorie  hinzu  und  formuliert  Ziele,  deutet  klar- 
bewußte Absicht  in  das  Geschehen  hinein  und 
gibt  ihm  die  ewige,  verstandesmäßige  Grundlage. 
Aber  gerade  dieses  Streben  der  Theorie, 
eine  neue  Kunstrichtung  als  zeitlose  Notwendig- 
keit hinzustellen,  sie  in  allgemeinen  Denknormen 
und  Kunstgesetzen  zu  verankern ,  verschuldet 
jene  sonderbare  Vieldeutigkeit,  die  aller 
Kunsttheorie  anhaftet.  Keine  Theorie  löst  alles 
Wesentliche  der  zu  ihr  gehörigen  Kunstwirklich- 
keit restlos  in  Begriff  und  Einsicht  auf.  Früher 
oder  später  kommt  es  zu  weithin  sichtbaren 
Überschneidungen  von  beiden.  Und  es  zeigt 
sich  klar,  daß  das  Eigentliche  und  Feste  in  jeder 
Kunstrichtung  das  besondere  Wollen  ist, 
das  sich  fem  der  Verstjmdessphäre  auswirkt 
und  der  bestimmenden  Einwirkung  des  Begriffs 
durchaus  entzogen  ist.  Wir  lesen  bei  Schelling 
theoretische  Kunstanschauungen,  die  schön  und 


MAX    UNOLD- 
MÜNCHEN. 
»BIRNEN«  1919. 


MAX  UXULD-MÜNCHEN.  .KARTOFFELN.  191Ö. 


Kunstwerk  und  Kunsttheorie. 


kräftijS  sind  und  einer  starken  Kunstepoche  auf 
den  Leib  geschrieben  scheinen.  Dann  aber 
sehen  wir,  daß  sie  jenes  Nazarenertum  in  der 
Malerei  zu  decken  bestimmt  waren,  in  dem  wir 
heute  solche  Züge  als  charakteristisch  empfin- 
den, die  Schelling  nicht  gesehen  hat.  Wir  sehen 
Schwächen,  die  ihm  unbegreiflich  entgingen, 
wir  sehen  Entlehnung,  Abhängigkeit,  Archais- 
mus, Ohnmacht,  wo  er  urwüchsiges,  idealisti- 
sches Bilden  zu  finden  meinte.  Die  Theorie  und 
die  Wirklichkeit  des  entsprechenden  Kunst- 
schaffens überschneiden  sich  schließlich  in  gro- 
tesker Weise,  und  klar  tritt  der  ungelöste 
Restbestand  an  Wollen  im  Kunstwerk  her- 
vor, den  keine  theoretische  Erwägung  einzu- 
fangen  imstande  ist.  Die  Theorie  ist  vieldeutig, 
das  Kunstwerk  ist  eindeutig,  weil  es  Wille  ist. 
Kluge  und  gute  Dinge  sagte  uns  sogar  die  Theo- 
rie des  Jugendstils,  und  wir  erschrecken,  wenn 
wir  sehen,  was  die  Kunst  dieser  Zeit  nun  an 
Form  wirklich  aus  diesen  Einsichten  erzeugt 
hat.  Ins  Ungeheuerliche  wächst  die  Diskrepanz 
zwischen  Kunstwerk  und  theoretischer  oder 
ästhetischer  Betrachtung,  wenn  ein  Zeitgenosse 
Grünewalds  dessen  Bilder  als  zierlich  und  lieb- 
lich bezeichnet  oder  wenn  ein  geschulter  Kunst- 


betrachter allen  Ernstes  eine  Parallele  F.  Erler- 
Michelangelo  zieht  (wie  dies  Albert  Dresdner  be- 
gegnet ist).  Ähnliches  wird  sich  später  zweifel- 
los aus  einem  Vergleich  zwischen  expressio- 
nistischer Theorie  und  Praxis  ergeben. 

Nie  spricht  die  Theorie  das  Wesentliche  und 
Entscheidende  des  zu  ihr  gehörigen  Kunst- 
schaffens aus,  sondern  dies  geht  in  der  Tiefe 
und  Dumpfheit  des  WoUens  vor  sich.  Und  nur 
weil  dies  so  ist;  weil  Kunstschaffen  kräftiges, 
gebundenes  Wollen  ist,  nur  deshalb  gibt  es  in 
der  Kunst  Entwicklung,  Bewegung,  Umsturz 
und  ewigen  Reiz  neuer  Eroberungen.  ...    h.  r. 

Ä 

Es  ist  ja  natürlich,  daß  der  Spezialist  irgend- 
eines Faches  leicht  vergißt,  wozu  das  Fach 
eigentlich  da  ist.  Das  trifft  im  allgemeinen  die  Ge- 
lehrten geradeso,  wie  die  Maler  und  Bildhauer, 
die  Musiker  und  Dichter.  Das  Virtuosen-  und 
Speziahstentum  ist  an  der  Tagesordnung,  junge 
Leute  nur  bauen  Weltanschauungen  —  freilich 
auch  unter  dem  Gesichtswinkel  des  eigenen  Fa- 
ches. Im  allgemeinen  sitzt  also  jeder  im  Zentrum 
des  engen  Netzes,  in  das  er  sich  eingesponnen 
hat,  fängt  ein,  was  da  hereinfliegt,  und  läßt  die 
Menschheit  als  Ganzes  laufen,  jus.  strzygowski. 


MAX  UNi.iLD    MÜNCllEX.  .LA.NDlJKÜCKK     iyi2. 


^9/ 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL.  >HAUS  HERZ  IN  DAHLEM  •  DIE  TERRASSE. 


MODELL:  BILDHAUER  BLAZEK. 


»SUPRAPORTE  IM  ESSZIMMER« 


EIN  LANDHAUS  VON  BRUNO  PAUL. 

HAUS  HER/  IN   liAHLtM   BKI   liLKI.lN. 


Ich  glaubte,  in  ein  Bild  von  Van  Gogh  hinein- 
zugehen. Unter  lichtblauem  Sommerhimmel 
ballten  sich  die  Baumkronen  des  Grunewalds 
zusammen,  und  aus  dem  satten  Grün  leuchtete, 
ja  schlug  und  flammte  das  entschlossene  Gelb 
der  Villenfassade  mir  entgegen,  gekrönt  vom 
heiteren  Grau  des  hohen  Ziegeldaches.  Ein 
Haus  von  Charakter,  das  strahlend  und  lebens- 
froh sich  in  die  Landschaft  bettete. 

Dann,  als  ich  näher  kam,  erkannte  ich  an 
der  Familienähnlichkeit  sofort  das  Geschlecht, 
dem  es  angehört.  Wer  im  architektonischen 
Werke  Bruno  Pauls  Bescheid  weiß,  kann  über 
die  Herkunft  dieses  Gebäudes  nicht  zweifelhaft 
sein.  Breit  und  wohlig  hingelagert  die  Front 
mit  ihren  neun  Fensterachsen,  von  gemessener 
Ruhe,  in  die  der  ein  wenig  vorgezogene  Mitlel- 
risalit  freundliche  Bewegung  bringt.  Die  Strenge 
der  Anordnung  gemildert  durch  die  anmutig 
leichten  Bogenlinien ,  mit  denen  sich  das  Man- 
sardengeschoß gegen  die  Luft  abhebt.  Die  Fülle 
der  nicht  zu  großen  Fenster  erzählt  von  Behagen 
und  lädt  den  Ankömmling  gastlich  ein. 

Rechts  und  links  von  der  sorgsam  geschorenen 
Rasenfläche,  die  dem  Eingang  vorgelagert  ist, 
und  um  die  sich  die  hübsch  geführte  Linie  der 
Anfahrt  zieht,  erheben  sich  zwei  kleine  Vor- 
bauten. Niedriger  als  das  Landhaus  selbst,  das 
sie  in  jeder  Hinsicht  vorbereiten.  Zwei  Diener, 
die  vor  ihrem  Herrn  Aufstellung  genommen 
haben  und  seine  Livree  tragen.  Eine  Erinnerung 
taucht  auf  an  die  Anlage  der  französischen 
Hotels  der  Barockzeit.  Hat  man  die  Gitterlür 
hinter  sich,  so  fühlt  man  sich  sogleich  von  Ar- 
chitekturteilen umgeben,  gleichsam  eingehüllt 
und  behütet.  Man  ist  standesgemäß  empfangen. 
Und  zwischen  Chauffeur-  und  Gärtnerwohnung 


schreitet  man  den  jonischen  Säulen  zu,  die  die 
Haupttür  flankieren. 

Diese  Säulen  stehen  dort  nicht  zufällig.  Sic 
deuten  auf  eine  klassizistische  Neigung,  die  sich 
im  Hause  selbst  mit  der  niederdeutschen 
Schlichtheit  seines  Wesens  verbindet.  Hier  lag 
offenbar  eine  besondere  Geschmackstendenz 
der  Besteller  und  Bewohner  vor,  und  mit  be- 
hutsamem Gefühl  arbeitete  der  Künstler  sie  in 
seinen  Plan  hinein.  Das  kunstfreundliche  Paar, 
das  sich  dies  Haus  erbauen  ließ,  in  der  Berliner 
Künstlerschaft  wohlbekannt,  zumal  dem  älteren 
Sezessionskreise  durch  vielfache  persönliche 
Beziehungen  verknüpft,  liebt  Möbelstücke  des 
späteren  Empire,  die  klaren  Linien  ihrer  archi- 
tektonischen Umrisse,  ihren  reizvollen  Wechsel 
von  Holzfarbe  und  Vergoldung,  die  reife  Kultur 
ihrer  ganzen  Art,  die  Festlichkeit  und  Wohn- 
lichkeit zu  verschmelzen  weiß.  Überall  in  den 
Räumen  verstreut  findet  man  solche  Einzel- 
heiten. Runde  Tische  mit  Bronzerand  und 
Bronzeteilen  an  den  Füßen,  die  französisch 
sprechen.  Behäbige  Schränke  mit  ausdrucks- 
vollem Gesims  und  gravitätische  Sofas,  die  uns 
schon  mehr  in  der  deutschen  Mundart  anreden. 
Und  in  der  Halle  zwei  prachtvolle  Wandtische 
mit  Spiegelaufbau ,  die  sich  italienisch  ausdrücken 

Reste  des  mütterlichen  Hausrats  der  aus  dem 

Rheinland  stammenden  Herrin.  Diese  kost- 
baren Zierstücke  ,  die  sich  für  diesen  Vorraum 
empfahlen ,  gaben  den  Takt  für  seine  Ausge- 
staltung an.  Bruno  Paul  setzte  je  zwei  dorische 
Säulen,  auf  die  wir  nun  durch  die  lonier  draußen 
schon  vorbereitet  sind,  rechts  und  links  als 
Gebälkträger  an  das  Ende  des  rechteckigen 
Raumes.  Links,  wo  die  Zimmereingänge  liegen, 
füllen  sie  dieEcken ;  rechts  flankieren  sie  schinkel- 


293 


XIII.  September  192«.  i 


Ein  Landhaus  von  Bnino  Paul. 


294 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL— BERLIN. 


haft  den  offenen  Eingang  zum  Treppenhause. 
Ein  Teppich  von  gedämpftem  Blau  der  Grund- 
farbe mit  gelblich  getönten  Ornamentbändern 
klingt  überaus  vornehm  zu  dem  keuschen 
Weiß  der  Wandungen,  an  denen  farbige  Kupfer- 
stiche in  schmalen  Goldrahmen  die  Melodie  der 
Empirezeit  aufnehmen,  und  grüßt  zu  dem  blauen 
Läufer  der  Treppe  hinauf,  deren  Stufenanstieg 
alte  Aquatinlablätter  mit  italienischen  Architek- 
turen begleiten. 

Durch  die  repräsentative  Würde  der  Halle 
geht  es  geradeaus  in  den  Musiksaal,  der 
durch  das  leichte  Halbrund  einer  Apsis  mit 
drei  bis  zum  Boden  herabgeführten  Fenster- 
türen auf  die  Gartenterrasse  hinausdrängt,  die 
der  Rückfront  vorgelagert  ist.  Dieser  Musik- 
saal, als  Mittelpunkt  der  Wohnräume  im  Erd- 
geschoß, ist  das  Entzücken  des  Hauses.  Rings 
an  den  Wänden  zieht  sich  eine  festlich-heitere 
Malerei,  die  Karl  Walser  auf  dem  Kalkbewurf 
ausführte :  eine  Ordnung  schlank  aufsteigender 
exotischer  Bäume,  auf  denen  sich  seltsames 
und  phantastisches  Getier  tummelt  und  schau- 
kelt, Äffchen  und  Papageien  und  eine  märchen- 
hafte Gesellschaft  anderer  buntgefiederter  Ge- 


CHAUFFKrU-HArs  rXD  G F. MUSEGARTEN 


schöpfe.  Die  braungrauen  Vertikalen  der 
Stämme,  das  kühle  Cezanne-Grün  der  tropi- 
schen Blätter,  der  Kling-Klang  der  Tierfarben, 
delikat  abgestimmt,  heben  sich  von  dem  mit 
Blau  leicht  untermischten  Weiß  der  Flächen  ab. 
Und  der  ganze  traumhafte  Wald ,  der  den  Ein- 
tretenden sofort  in  eine  Stimmung  fern  von 
Alltäglichkeit  entrückt ,  wird  verbunden  durch 
die  zierlichen  Girlanden  schmaler  blaß-violetter 
Bänder,  die  Walser  mitsamt  den  kleinen  Ringen, 
die  sie  zu  halten  vortäuschen,  auf  die  Wände 
gemalt  hat.  So  erhalten  die  Vertikallinien  einen 
festen  Zusammenhang  durch  ein  horizontales 
Motiv,  von  dem  dann  der  Blick  zu  dem  offenen 
Gitterwerk  der  Deckenfläche  hinaufgeht.  Für 
die  Beleuchtung  sorgen  lediglich  die  rings  ver- 
teilten Wandarme  aus  leise  angehauchtem 
böhmischen  Glase.  Das  ergibt  eine  glitzernde 
und  doch  nicht  laute  Beleuchtung.  Damit  aber 
das  Ganze  nicht  gar  zu  tändelnd  dreinschaut, 
malte  Walser  über  die  drei  Türen  des  Raumes 
auf  schwerem  dunklen  Grunde  Musikinstrumen- 
ten-Bündel  in  schmale  Rechteckfelder,  Diese 
Supraporten  stimmen  zu  den  Empiremöbeln 
mit  ihrem  gelben  Tuch,  von  dem  sich  charak- 


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Ein  Landhaus  von  Bruno  Paul. 


PKOFESSOR  BRUNO  PAUL— BERLIN. 


teristische  palmetten-  und  mäanderartige  Mu- 
sterung abhebt,  und  Walsers  Märchenbäume 
stehen  dazu  wie  eine  Rokokoerinnerung. 

Die  schöne  Einheit,  die  hier  waltet,  segnet 
auch  die  Nachbarräume.  Nebenan  das  Eßzim- 
mer mit  den  Möbeln  in  sattem  Nußbraun,  mit 
dem  graziös  gewellten  niedrigen  Büfett,  mit  den 
Stühlen  in  englischem  Geschmack,  mit  der  durch 
Diagonal-Linien  streng  in  Rhomben  geteilten 
Damastseide,  von  der  sich  die  Wjmdbespannung, 
die  Gardinen  und  der  Polsterbezug  der  Stühle 
gleichermaßen  ernährten  —  und  mit  der  wun- 
dervollen Heiterkeit  des  großen  Teppichs,  den 
E.R.Weiß  aus  der  gedämpften  bunten  Glut 
üppigen  Blumengedränges  mit  erlesenem  Ge- 
schmack weben  ließ.  Einfach  und  behaglich 
das  Herrenzimmer  in  Hellbraun  und  Dunkel- 
braun, mit  Nußbaummöbeln,  einer  besonders 
köstlichen  Nußbaumtür,  niedrigem  Regal  und 
breiten  runden  Tischen.  Weiter  der  Salon,  auf 
den  roten  Ton  der  Wandbespannung  gestimmt. 
Bezaubernd  im  ersten  Stock  das  Schlafzimmer 
der  Frau  des  Hauses.  Ein  großer  Aubusson- 
Teppich  aus  der  Louis-Philippe-Zeit,  im  rechten 
selbstvergnügten  Prunk  des  damaligen  Neu- 
Rokoko  schwelgend,  —  wiederum  ein  Stück 
allen  Besitzes  — ,  gab  hier  den  Ton  an.  Treff Uch 


»H.\US  HERZ  IN  DAHLEM«  •  LAGEPLAN. 


paßt  dazu  das  große  Bett  mit  dem  luftigen  Korb- 
geflecht seines  Gestells,  nicht  minder  die  kapri- 
ziöse Form  der  Stühle,  das  Blau  der  Seiden- 
bezüge an  den  Möbeln,  die  zierlichen  Relief  linien 
der  Türen.  Die  Beigefarbe  der  Wände  dämpft 
die  gute  Laune  der  Einzelstücke,  daß  sie  nicht 
zu  übermütig  werde. 

Besondere  Freude  hat  das  Auge  an  der 
Sorgfalt  und  dem  reifen  Geschmack,  die  jedes 
Detail  im  ganzen  Hause  bestimmten.  Jede 
Klinke  und  jeder  Türgriff  — ,  das  alles  wurde 
noch  in  den  glücküchen  Zeiten  vor  dem  Kriege 
hergestellt  — ,  jede  Profilierung  an  den  Wänden, 
jedes  Stuckornament  in  dem  gebändigtenBarock- 
stil,  den  Paul  schon  seit  Jahren  in  sein  Herz 
geschlossen  hat,  ist  bedacht  überlegt  und  vor- 
bildlich ausgeführt.  Eine  Augenwonne  für  sich 
bilden  die  Beleuchtungskörper.  Die  Eleganz 
der  Messingführungen  mit  ihren  KristaJlvolants, 
die  hier  und  dort  den  Empiregedanken  wieder 
andeuten.  Die  Holzkrone  im  Herrenzimmer  mit 
ihren  vergoldeten  Teilen  und  ihren  flachen  Licht- 
schalen. Die  hellgestrichene  Eisenkrone  im 
Schlafzimmer  mit  der  Mittelschale  aus  Milchglas, 
sanfte  Stille  und  Beruhigung  verbreitend.  Nicht 
zuletzt  das  originelle  Stück  des  Treppenhauses 
mit  den  hochgereckten  messingnen  Schlangen, 


HAUS  HERZ  IN  DAHLEM. 


»CHAUIIKUR-UAUS«  •  GARTr.NSElTK. 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL.    .CHAUFKEUR-HAUS     •  .-iTK.VSSENSEITE. 


Ein  Landhaus  von  Bnino  Pmtl. 


PROFESSOR  liKL^NO  i'AUL  -  llLKLl.N. 


die  auf  ihren  Köpfen  wie  Krönchen  die  Licht- 
tulpen tragen. 

Aber  ein  Landhaus  ist  für  sich  nichts  Ganzes, 
nur  Teil.  Es  hat  sich  dem  Garten  einzufügen, 
den  es  beherrscht,  und  auf  den  es  immer  wieder 
hindeutet.  Bruno  Paul  ist  längst  ein  Meister 
in  der  Herstellung  dieser  Harmonien.  Auch 
hier  hat  er  wieder  seine  reifsten  Künste  entfaltet. 
Von  der  breiten  Terrasse  der  Rückfront,  die 
als  Nebenteil  noch  die  intime  Ecke  einer  gedeck- 
tenVeranda  birgt  —  darüber  ein  geräumiger  Frei- 
balkon mit  handwerklich  schön  geschnittenem 
Eisengitter  —  führt  erst  zu  einem  breiten  Quer- 
weg und  dann  zu  einem  königlich  ausladenden 
Blumen-  und  Rasenparterre ,  das  sich  freilich 
im  Kriege  mit  Kohlköpfen  und  ähnhchen  nahr- 
haften Dingen  bepflanzte.  Die  Architektur  des 
Hauses  ist  mit  ihren  großen  Linien  auf  die 
Ebene  des  Gartens  projiziert.  Überall  Durch- 
blicke mit  betonten  Endpunkten,  rechtwinklige 


»TREPPENHAUS  IM  HAUSE  HEKZi 


Bildungen,  systematische  Ordnungen,  die  nur 
die  freie  Kiefemgruppe  einer  Ecke  unterbricht. 
Das  AUerschönste  an  diesem  ganzen  stolzen 
Besitz  aber  ist,  daß  jeder  Besucher  fühlt:  hier 
leben  Menschen  von  eigenem  und  bestimmtem 
Kunstempfinden.  Von  allen  Wänden  grüßen 
Bilder,  Zeichnungen,  Lithographien  der  Künstler 
aus  dem  Bannkreis  der  berlinischen  Sezession, 
nicht  Monstrestücke  der  Matadore,  sondern 
allerlei  ausgesuchte  Gemälde  und  Kleinwerke 
der  tüchtigen  Kräfte,  die  sich  um  die  großen 
Führer  gruppierten  —  gerade  das  ein  Beweis  für 
den  verstehenden  Sinn  der  Käufer.  Aus  Ecken 
und  von  Tischen  bücken  Plastiken  von  Klimsch 
und  Gaul  herüber.  Auch  eigene  Handarbeit  der 
Hausfrau  hegt  anmutig  dazwischen.  Das  ganze 
Haus  ist  erfüllt  von  der  Luft  eines  kultivierten 
persönÜchen  Geschmacks,  und  es  ist  wundervoll, 
wie  der  Künstler  das  Wesen  seiner  Bauherren 
verstand  und  in  sein Werkverwob.  dr.  maxosborn. 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL.  .IIATXE  IM  HAUSE  HERZ. 


CXIII.  Sfpttmber  1920.  5 


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PROFESSOR  BRUNO  PAUL.  >.GARDEROBE  IM  HAUSE  HERZ«: 


I'ROKESSOR  BRUNO  PAUL. 


»OBERES  TREPPENHAUS« 


KUNST  UND  BILDUNG. 

VON  KARL  HECKEL. 


Durch  einen  Ausspruch  von  Edwin  Redslob, 
demVorstandderwürttembergischenKunst- 
sammlungen,  ist  die  Frage  nach  dem  Verhältnis 
von  Kunst  und  Bildung  wieder  einmal  auf  die 
Tagesordnung  gesetzt  worden.  Redslob  stellt 
die  Forderung,  die  Kunst  im  Interesse  einer 
freien  Entfaltung  „aus  den  überkommenen 
Fesseln  des  wesentlich  Bildungsmäßigen  zu 
lösen".  Leider  erklärt  Redslob  nicht,  was  er 
unter  Bildung  versteht.  Ist  wissenschaftliche, 
künstlerische  oder  kulturelle  Bildung  gemeint? 
Tote  oder  lebendige,  konventionelle  oder  per- 
sönliche Bildung?  Je  nach  der  Antwort  ergibt 
sich  für  uns  eine  wesentlich  veränderte  Stellung 
zu  seinem  Ausspruch.  Darüber  sind  wir  uns 
wohl  einig,  daß  der  naiv  schaffende  Künstler 
gegenüber  dem  bewußt  bildenden  den  Vorteil 
eines  freieren  Fluges  der  Fantasie  genießt. 
Aber  wir  müssen  uns  dagegen  verwahren,  daß 
der  von  Redslob  in  erster  Linie  gemeinte  ex- 
pressionistische Künstler  schon  durch  Aus- 
schaltung der  Bildung  zu  jener  Naivität  gelange. 


Bis  zum  achtzehnten  Jahrhundert  bedeutete 
gebildet  so  viel  als  „gestaltet".  Erst  mit  der 
Zunalmie  des  Intellektualismus  und  der  schul- 
mäßigen Erziehung  gewann  das  Wort  jene 
Bedeutung,  die  wir  ihm  heute  allgemein  bei- 
messen, und  die  Nietzsche  seinen  Hohn  über 
den  „Bildungsphilister"  ausgießen  ließ.  Mit 
vollem  Recht,  denn  jener  „Gebildetheit"  wohnt 
keine  Handlung  des  Bildens  inne,  keine  lebendig 
gestaltende  Kraft,  sondern  sie  ergibt  nur  eine 
von  außen  derTraditionentnommene  Bekleidung. 

Wir  kennen  genug  Maler,  die  trotz  dem 
Mangel  an  Bildung,  ja  auch  bei  geringwertiger 
Intelligens  Tüchtiges  leisten,  nur  daß  sie  immer 
Gefahr  laufen,  sich  im  Technischen  zu  verlieren 
und  in  der  Kegel  der  Poesie  entbehren.  Das 
darf  uns  nicht  wundern;  denn,  wo  weder  die 
Überlieferung,  noch  die  aus  eigener  Erkenntnis 
gewonneneEinsichtdemQuelldeskünstleriscIien 
Schaffens  Speisung  zuführt,  da  verbleibt  nur 
die  Möglichkeit  technischer  Vervollkonminung, 
nicht  aber  die  I'.nlfaltung  schöpferischer  Ideen. 


303 


Kiuist  und  Bildung. 


304 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL— BERLIN. 


„Poetischer  Gehalt  ist  Gehalt  des  eigenen 
Lebens",  sagt  Goethe. 

Wir  werden  daher  alsDichter  undKüns  tler  gern 
auf  den  Ballast  unfruchtbarer  „Gebildetheit" 
verzichten,  wir  werden  willig  zugestehen,  daß 
derGebildete  leicht  Gefahr  läuft,  seine  ursprüng- 
liche Eigenart  der  Tradition  und  Gewöhnung 
zu  opfern,  aber  wir  werden  nicht  die  mittelbare 
Bedeutung  der  Bildung  für  die  Kunst  preis- 
geben, sondern  Bildung  gemäß  den  Worten 
Nietzsches  als  Lebensgestaltung  definieren: 

„Bildung  ist  es,  daß  jene  edelsten  Momente 
aller  Geschlechter  ein  Kontinuum  bilden ,  in 
dem  man  weiterleben  kann." 


»DIE  RÄUME  DER  GARTENSEITE« 


„Bildung  ist  das  Leben  im  Sinne  großer 
Geister  mit  dem  Zwecke  großer  Ziele." 

„Gebildet  nennen  wir  den,  der  ein  Gebilde 
geworden  ist." 

—  Auch  wenn  wir  den  kulturellen  Wert 
gelehrter  historischer  Bildung  voll  einschätzen, 
werden  wir  doch  stets  die  Forderung  stellen, 
daß  ihre  Wirksamkeit  im  Leben  des  Einzelnen 
und  der  Völker  durch  eine  lebendige  Kunst  ihre 
Ergänzung  erfahre,  und  dabei  den  Kulturwert 
der  Kunst  voranstellen.  Denn  was  sich  der 
Anschauung  verdankt,  gilt  uns  wertvoller  als 
alles,  was  der  bloßen  Reflexion  entstammt. 
Aber  das  heißt  nicht  auf   die  Forderung  der 


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BRUNO  PAUL.  .BLICK  VOM  MUSIK-  INS  ESSZIMMER  LM  HAUSE  HERZ. 


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PROFESSOR  BRUNO  PAUL.  »MUSIKRAUM  •  TÜR  ZUR  TERRASSE« 


Kuusf  und  Bilditno: 


BRUNO  PAUL.  .KACHELOFEN  IM  HERRENZIMMER. 


Bildunji  für  die  Kunst  verzich- 
ten.   Zu  wahrer  Größe  vermag 
sich  ein  Kunstwerk  immer  nur 
dann   zu  erheben ,   wenn  sein 
Schöpfer    eine     Persönlichkeit 
ist.     Zur    Persönlichkeit    aber 
bildet  sich  ein  Künstler  immer 
nur  dann  aus,  wenn  ein  zentrales 
Selbst  sich  reiche  KrfahrunfSen 
und  tiefe  Erlebnisse  einverleibt. 
—   Die    Gefahr   liejit    für   eine 
Kunst,   die  auf  „Bildung"  ver- 
zichtet, in  chaotischen  Auswir- 
kun}ien.    Nicht  an  sich  ist  der 
Expressionismus,  der  das  Innen- 
leben betont,  unkulturell,  aber 
er  wird  es,  wo   dieses   Innen- 
leben verannt  und  ohne  Diszi- 
plin des  Gestaltungsdranges  sich 
in  nervöser  Hast  subjektiv  ver- 
ausgabt, ehe  Gefühle  und  Ge- 
danken sich   unterbewußt  ver- 
dichtet haben.  Wohl  schöpft  der 
Künstler  aus  dem  Quell  des  ei- 
genen Gefühlslebens,  aber  die- 
ses bedarf  der  Zuflüsse,  wenn 
es  nicht   versiegen   soll.     Zum 
mindesten  wird  es  ohne  die  mit- 
telbare Bereicherung  und  Ver- 
edelung durch  jene  harmonische 
Einheit   schaffende  Gestaltung, 
die     wir     unter     dem     Begriff 
Bildung   zusammenfassen,    des 
Wachstums  entbehren.    Daß 
wir  dabei  an  keine  wahllos  ta- 
stende Belehrung,   sondern  an 
Belebung  denken,   bei  der  das 
eigene  schöpferische  Selbst  mit 
weiser  Beschränkung  unbewußt 
Ziel  und  Grenze  bestimmt,  be- 
darf   kaum    einer    besonderen 
Versicherung.    Goethe  hat  uns 
gelehrt,  daß  der  Mensch  „in  der 
Fülle  der  äußeren  Well  al- 
lein Nahrung  für  sein  Wachstum 
finde".    Der  Verzicht  auf  Bil- 
dung würde  Verzicht  auf  kul- 
turelles   Wachstum    bedeuten. 
„So  ist's  mit  aller  Bildung  auch 

beschaffen : 
Vergebens    werden    ungebundene 

Geister 
Nach  der  Vollendung  reiner  Höhe 

streben. 
Wer  Großes   will,    muß    sich    zu- 
sammenraffen. 
In    der   Beschränkung    zeigt    sich 

erst  der  Meister, 
Und    das    Gesetz    nur    kann    uns 
Freiheit  geben." 


UI.  September  1920.  6 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL— BERLIN. 


äKAMlNPLATZ  IM  ROTEN  ZIMMER« 


DIE  KUNST  DES  KUNSTEMPFINDENS. 


VON  JOSEPH  AUG.  LUX. 


Hört  endlich  auf  mit  dem  Genießerstand- 
punkt des  Kunst„genießens" ;  Kunst  ist 
nicht  da,  zu  digestiven  Zwecken  „genossen"  zu 
werden;  sie  will  geahnt,  erfühlt,  im  Innersten 
erlebt,  erlitten  sein;  der  Weg  ins  Heiligtum 
führt  über  die  Schwelle  der  Andacht ;  geht  Ihr 
in  die  Kirche,  Euren  Gott  „genießen"?! 

Es  ist  nichts  mit  den  Regeln  und  Rezepten, 
die  nur  schulmeisterlich  an  der  Außenwand 
herumfingern  und  nicht  aus  dem  Kern  springen 
wie  das  Licht  aus  seinem  Brennpunkt;  laßt  uns 
gleich  von  der  Sache  zentral  reden  —  Kunst- 
empfinden ist  ein  mystischer  Akt  wie  die  Ero- 
tik; sie  ist  nicht  Liebe  schlechthin,  wie  sie  der 
Lüstling  „genießt",  sie  ist  Religion! 

Empfinde  Kunst  —  dann  wirst  du  ein  Schaf- 
fender der  Seele !  Aktiviere  dich ,  entfalte 
seelische  Kräfte,  indem  du  das  fremde  Werk 
aus  seinem  Kern  in  dir  zum  Erblühen  bringst. 
Und  dich  wachsend  an  dem  erfühlten  Geist  des 
Kunstwerks  deiner  eigenen  tätigen  Kräfte  freust. 


die  anders  nicht  die  Auferstehung  in  ätheri- 
schen Gefilden  feiern! 

Urteile  nicht  zuerst;  empfinde!  Dein  Urteil 
bist  gewöhnlich  nicht  du,  sondern  ein  Anderer, 
der  Abfälliges  sagte;  mißtraue  den  Urteilen! 
Mißtraue  auch  dir,  wenn  dein  Empfinden  vor- 
erst schweigt;  prüfe  lang  und  prüfe  dich  selbst 
am  meisten,  und  suche  den  Fehler  in  dir,  wenn 
du  nicht  zum  Kunstwerk  findest.  Verwirf  nicht, 
sonst  bist  du  leicht  in  den  Augen  Eingeweihter 
selbst  ein  Verworfener ! 

Verlange  nicht,  daß  das  Kunstwerk  zuerst 
dir  etwas  sage;  es  braucht  lang,  bis  du  die 
Eigensprache  des  Kunstwerks  in  dir  vernimmst, 
die  Seelenschwingung  fühlst,  durch  die  es  von 
seiner  ungeahnten  Welt  dir  verkündet.  Sage 
dir  selbst,  daß  man  zur  heiligen  Empfängnis 
bereit  und  aufgeschlossen  sein  muß,  ehe  uns 
eine  Verkündigung  werden  kann. 

Sie  wird  uns  kaum,  wenn  wir  hundert  Bilder 
in  einer  Stunde  flüchtigen  Ausstellungsbesuchs, 


PROFESSOR 
IIRUNO  PAUL- 
BERLIN. 


BRUNO  PAUL.  .KAMIN  IM  ROTEN  ZIMMER. 


vs 


Die  Kunst  des  Kunstnnpji)!dens. 


hundert  Gedichte  im  oberflächlichen  Blättern 
eines  Buches  vor  unseren  Augen  vorüber- 
spazieren lassen,  wobei  man  gewöhnlich  nur 
am  schon  Bekannten  hängen  bleibt  und  sagt: 
es  war  nichts  Neues  ! 

Klammert  Euch  nie  an  das  Gegenständliche, 
sonst  bleibt  Ihr  ewig  draußen !  Bedenkt,  daß 
Form  entsteht,  weil  Form  empfunden  wurde; 
Farbe,  weil  Farbe  empfunden  wurde;  Ton  oder 
Wort,  weil  Ton  oder  Wort  empfunden  wurde. 
Bedenkt  aber  darüber  hinaus,  daß  Form,  Farbe, 
Ton,  Wort  ein  Seelengeborenes  ist,  das  über 
sich  hinausweist  auf  ein  höheres  Sein,  wo  alles 
Gegenständhche  nur  Geist,  alle  Form  ewiger 
Fluß,  Musik,  Raummathematik  ist,  die  sich  nicht 
errechnen  sondern  nur  in  der  Phantasie  an- 
schauen läßt.  Dieses  innere  Erleben  metaphy- 
sischer Bezirke  und  Sphären  ist  das  Wesent- 
liche des  Kunstempfindens ;  mehr  läßt  sich  nicht 
sagen,  man  muß  es  fühlen! 

Es  ist  dasselbe,  was  der  Künstler  fühlt,  ehe 
er  dazu  kommt,  seine  Vision  zu  gestalten  oder 
stammelnd  zu  offenbaren.  Daß  er  es  kann, 
dieses  Organ  Gottes,  macht  ihn  zum  Künstler; 
nicht  die  Schule  macht  ihn  dazu  —  sie  hindert 
ihn  oft;  daß  Ihr  diese  Offenbarung  versteht, 
macht  Euch ,  Kunstempfindende ,  zu  Kindern 
Gottes,  die  seine  Herrlichkeit  neu  schauen  wie 
am  ersten  Tag;  nicht  die  Doktrinen  machen 
Euch  dazu,  diese  Verstandesprodukte  hindern 
Euch  meist,  Eure  Seele  zu  gebrauchen,  worauf 
es  einzig  und  allein  ankommt. 

Nicht  der  Verstand,  nicht  die  Kritik,  nicht 
die  Kunstgeschichte,  nicht  die  Vergangenheit  ist 
Ausgangspunkt  des  Kunstempfindens,  sondern 
Eure  lebendig  und  dürstend  gewordene  Seele, 
die  im  dynamischen  Fluß  die  ätherischen  Land- 
schaften der  Künste,  dieser  ewig  neuen  Welt- 
erschaffung spiegeln. 

Täglich  wird  die  Weltschöpfung  erneut  in 
der  Seele  des  Künstlers  und  seines  geistigen 
Schöpferwillens;  täglich  ist  ein  Uranfang  in  der 
Welterschaffung ,  die  das  verloren  geglaubte 
Paradies  erneuert  in  der  Kunst  —  Kunstempfin- 
dende wandelt  darin  wie  das  erste  Menschen- 
paar, denn  auch  das  Paradies  war  nichts  anders 
als  das  Seelenerleben  eines  Wunders,  das  sich 
ewig  vor  unseren  Augen  vollzieht  und  das  sich 
im  Kunstwerk  als  Seelenereignis  vollendet ;  die 
Kritik,  der  Zweifel,  die  Verneinung  ist  der  erste 
Sündenfall  und  der  grinsende  Höcker  Verstand 
sieht  sich  in  der  Wüste,  wo  er,  Kain,  seinen 
Bruder,  die  Künstlerseele  Abel,  erschlägt. 

Qualität,  dieses  Beckmesserwort,  Ihr  wollt 
Qualität  im  Kunstwerk  erspüren.  Aber  die 
Qualität  im  Kunstwerk  ist  nichts  Stoffliches,  sie 
ist  immer  und  überall  nur  der  Ausdruck  eines 


seelisch  Wertbaren,  das  sich  irgendwie  stofflich 
manifestiert;  wir  können  sie  künstlerisch  nur 
in  unserem  eigenen  Seelenelement  erfühlen; 
sie  ist  da  als  eine  wesentlich  ätherische  Eigen- 
schaft, die  metaphysisch  begründet  ist. 

Alles,  was  aus  wirkHch  innerlich  Erlebten 
kommt,  aus  genialer  Notwendigkeit,  hat  Qua- 
lität, als  gottgewollte  Zeugung.  Es  kann  psy- 
chometrisch gemessen  werden.  Der  entwickelte 
Kunstempfinder  ist  Psychometer. 

Qualität  empfindet,  wer  selber  Qualität  hat. 
Sie  ist  ein  geist-menschliches  Postulat,  nicht  ein 
Werk  der  Spekulation  und  des  Handelsgeistes. 

Aus  dem  Grund  jedes  Kunstwerkes  spricht 
der  reine  Mensch,  das  Fluidum  seiner  geistigen 
Persönlichkeit,  die  mit  ihrer  Eigenart  im  Kos- 
mos verankert  ist.  Diese  innerste  Menschlich- 
keit enthüllt  sich  im  Werke,  ihr  Fluidum  flutet 
lebendig  darin,  der  Kunstempfindende  ist  die 
telepathische  Station ,  die  dieses  ätherische 
Fluidum  des  Kunstwerks  mit  ihren  sensitiven 
Sinnen  registriert.  Kunstempfinden  ist  eine 
eminent  menschliche  Angelegenheit.  Man  ist 
an  den  Grundquellen  des  Daseins. 

Dieses  Fluidum  ist  ein  untrüglicher  Maßstab 
für  jeden  Wert.  Daran  können  wir  echte  Kunst- 
werke von  falschen,  die  nur  Werke  der  Speku- 
lation oder  der  Nachempfindung  sind,  psycho- 
metrisch unterscheiden,  was  nur  auf  der  Höhe 
der  Meisterschaft  des  Kunstempfindens  mögHch 
ist,  die  nicht  ohne  weiteres  gegeben  ist  und  er- 
worben wird.  Aber  vor  dieser  Meisterschaft 
steht  jeder  Betrüger  entlarvt  da,  mag  sein  Pla- 
giat noch  so  geschickt  und  täuschend  gelungen 
sein.  Sein  eigenes  Menschentum,  das  Fremdes 
borgt  und  verändert  als  Eigenes  ausgibt,  verrät 
ihn.  Wer  auf  die  Geheimkräfte  der  Kunst  zu 
reagieren  gelernt  hat,  spürt  augenblicklich  die 
Schwingung,  ob  sie  aus  dem  eigenen  seelischen 
Bezirk  des  Urhebers  geboren  ist,  oder  als  frem- 
des Fluidum  nur  geborgt  ist  und  mit  dem  mensch- 
lichen inneren  Format  des  angeblichen  Schöp- 
fers im  unlösbaren  Mißverhältnis  steht.  Doch 
diese  Meisterschaft  des  Empfindens  gehört  zu 
den  letzten  Weihen  derjenigen,  die  in  der  Kunst 
als  Tempel  demütig  Gläubige  und  Empfangende 
waren  und  Erleuchtungen  empfangen  als  Gnade 
wie  der  Priester;  doch  mutet  Euch  nicht  gleich 
das  Priesteramt,  oder  was  schlimmer  ist,  das 
Richteramt,  oder  was  das  Schlimmste  ist,  das 
Scharfrichteramt  zu,  sondern  seid  Gemeinde 
und  Gläubige  und  genießt  die  reinen  Freuden 
am  Tisch  der  Kunst,  wo  der  Leib  des  Herrn 
und  der  Seelenwein  wie  am  heiligen  Abend- 
mahl der  Geister  verabreicht  werden. 

Es  ist  das  besondere  Merkmal  des  wahren 
Kunstempfinders ,   daß   er  nicht  nach  Schulen 


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Dir  Kjinst  des  Kunsteiupßndfns. 


und  Richtungen  urteilt,  sondern  jedes  Werk  als 
Individualität  erfaßt  und  das  Wesentliche  daran 
erkennt  oder  erfühlt ,  ob  es  nun  vergangenen 
Kpochen  oder  der  jüngsten  Generation  angehört. 
Für  ihn  gibt  es  nur  lebendige  Kunst  und  tote 
Kunst,  die  aber  keine  ist  und  niemals  lebendig 
war.  Nicht  alles  ist  tot,  was  nicht  modern  oder 
Mode  ist,  nicht  alles  ist  lebendig,  weil  es  von 
heute  stammt  und  die  jüngste  Doktrine  schreit. 

Denkt  nicht  an  die  Werke  anderer,  die  Ihr 
gestern  gesehen  habt,  wenn  Ihr  heute  vor  eine 
neue  Kunst  hintretet,  die  Euch  noch  fremd  ist. 
Es  wäre  schlimm,  wenn  die  neue  Kunst  Euch 
von  dem  Gestrigen  her  bekannt  und  darum  schon 
lieb  wäre.  Schlimm  für  Euch  und  für  das  Kunst- 
werk !  Schlimmer  noch  für  Euch ,  aber  nur  für 
Euch ,  wenn  Euch  das  neue  Werk  deshalb  zu- 
wider wäre,  weil  es  allem  Gestrigen  so  unähn- 
lich ist.  Doppelte  Ehre  und  Gnade  dem  Neuen 
in  seiner  Selbstheit  und  Einsamkeit  vor  Eurem 
Blick,  der  nicht  ahnt,  daß  der  gemeinsame 
Ahnenzug  aller  Kunst  tiefer  liegt,  wo  heute  und 
gestern  selbst  nicht  mehr  sind  und  Ihr  nicht 
seid,  ewig  Gestrige! 

Das  sind  nicht  die  wahren  Kunstversteher, 
die  auf  einen  Heiligen  schwören  und  soviele 
Märtyrer  lästern.  Oder  die  nur  gerade  das  er- 
kennen, wovon  „man"  spriciit.  Siebeweisen 
nur,  daß  sie  gar  nichts  erkennen  und  die  Kunst 
ihrer  Liebe  im  wesentlichen  ebensowenig  be- 
griffen haben,  wie  sie  Kunst  begreifen,  die  sie 
abzulehnen  sich  für  berechtigt  halten 


Wer  ein  Kunstwerk  im  tiefsten  Grunde  be- 
griffen hat,  der,  sollte  man  glauben,  müsse  den 
Geheimschlüssel  zu  allen  Kunstwerken  besitzen, 
wie  verschieden  sie  auch  nach  Zeit  und  Art 
seien.  Das  ist  jedenfalls  das  ideale  Ziel  des 
Kunstverstehens. 

Wenn  Kunstempfinden  eine  hohe  Empfängnis 
der  Seele  ist,  dann  muß  das  Haus  rein  sein, 
damit  der  bräutliche  Geist  cinzieiien  kann.  Jede 
Spur  an  frühere  Geliebten  und  Sündenfälle  muß 
ausgetilgt  werden,  die  Seele  muß  ihre  keusche 
Unberührheit  wieder  erlangen,  jede  Erinnerung 
an  früheren  Umgang,  jeder  Name  von  anderer 
Kunst,  jedes  Gedächtnis  und  jeder  Vergleich 
muß  verschwinden,  damit  eine  geistige  Hochzeit 
gefeiert  werden  kann  mit  dem  Werk  der  neuen 
Wahl.  Überhaupt  Vergleiche!  Sie  sind  in  der 
Regel  die  Kurzschlüsse  des  Verstandes,  wie  die 
Schlagwörter,  die  jede  unmittelbare  Regung  er- 
schlagen zu  Gunsten  der  Konvention,  die  der 
Tod  des  unmittelbaren  Empfindens  ist. 

Kunstwerk  und  Kunstempfinden  sind  wie 
Gott  und  Seele,  die  keines  anderen  Mittlers 
bedürfen  und  sich  unmittelbar  finden  müssen 
eines  im  andern!  Wer  das  nicht  kann,  dem  hilft 
auch  der  Katechismus  der  Kunstregeln   nichts. 

Begreift  es,  daß  Kunst  nicht  verharren  und 
ihre  Formen  wiederholen  kann ,  sie  ist  immer 
nur  ein  Einmaliges  und  zweimal  dasselbe  ist 
schon  ein  Fluch!  Warum  verlangt  Ihr  in  der 
Kunst  immer  nur  das,  was  Ihr  gewohnt  seid, 
wenn  liir  vorgebt,  Kunst  zu  empfinden?    Die 


»HEIZUNGS-GITTER  IM  HERRENZIMMER« 


'3/7 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL.  »FRISIERTISCH  AUS  NUSSBAUMHOLZ. 


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XXIII.  Sjptcmber  1920. 


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»WÄSCHESCHRANK  IM  SCHLAFZIMMER. 


.ANKLEIDESPIEGEL  IM  SCHLiVtZIMMER. 


Die  Kunst  des  Kimstempfindens. 


PROFESSOR  BRUNI1  PAUL. 


Menschheitsgeschichte  ist  die  Geschichte  der 
Ausnahmefälle;  Kunst  statuiert  die  Ausnahme 
und  verwirft  das  Herkömmliche ;  sie  behauptet 
ihren  Rang  neben  allem  Großen,  indem  sie 
immer  wieder  neu  in  den  Strom  der  Geistigkeit 
hinabtaucht  und  aus  dem  ewigen  Fluß  immer 
wieder  als  anderes  emportaucht,  das  uns  von 
den  gebrauchten  Formen  erlöst  und  die  Geistig- 
keit des  Unendlichen  in  der  Unerschöpflichkeit 
der  Form  spiegelt.  Dies,  Kunstempfindende, 
würdet  Ihr  wissen,  wenn  Ihr  selbst  in  den  Strom 
hinabtauchtet,  wo  Eurem  Empfinden  das  Licht 
aufgeht  und  Ihr  den  ewigen  Inhalt  an  jeder  neuen 
Form  erkennt,  die  notwendig  neu  und  jung  sein 
muß ,  wenn  sie  aus  der  Dynamik  des  inneren 
Lebens  geboren  ist  und  nicht  im  Abschauen  von 
Vorbildern  peripherisch  erzeugt  wurde ,  von 
Vorbildern  und  Formen,  auf  die  jene  schwören, 
die  bloß  Einäugige  und  nicht  Sehende  sind  unter 
den  Künstlern  wie  unter  den  Kunstverehrern. 
Zur  Kunst  berufen  sind  wenige;  zum  Kunst- 
empfinden alle.  Es  kommt  nur  darauf  an,  daß 
sie  ihre  Seele  entdecken  und  deren  grenzenlose 
Fähigkeiten  und  den  rechten  Gebrauch  wissen. 
Das  rechte  Empfinden  in  diesen  Dingen  führt 


»SCHMIEDEEISERNES  GITTER« 


zum  Göttlichen  hin,  weit  über  das  Elend  der 
Zeiten  hinaus.  Der  rechte  Gebrauch  in  diesem 
Sinn  ist  die  einzige  Sittlichkeit,  die  zur  Men- 
schenwürde führt,  und  in  der  Kunst  ihr  hohes 
Urbild  erkennt,  vor  dem  der  moralisierende 
Splitterrichter  in  seiner  Unduldsamkeit  und  Lüge 

basiliskenhaft  erstarrt j.a.  l. 

P. 

Wo  beginnt  die  Ausführung  eines  Bildes,  und 
wo  endet  sie?  Im  Augenblick,  da  höchste 
Empfindungen  in  der  Tiefe  des  Wesens  in  Fluß 
sind,  im  Augenblick,  da  sie  zum  Ausbruch  kom- 
men und  der  Gedanke  wie  Lava  aus  einemVulkan 
bricht,  ist  das  nicht  die  Blüte  des  plötzlich 
geschaffenen,  vielleicht  brutalen  Werkes,  das 
aber  sicherlich  groß  und  übermenschlich  ist  ?  Das 
kalte  Rechnen  der  Vernunft  hat  nicht  über  dieser 
Blüte  gewaltet,  wer  aber  weiß,  wann  in  der  Tiefe 
des  Wesens  das  Werk  begonnen  wurde?  Unbe- 
wußt vielleicht.  Haben  Sie  schon  gemerkt,  daß, 
wenn  Sie  eine  Skizze  nochmals  abzeichnen  wol- 
len, mit  der  Sie  zufrieden  sind  und  die  in  einer 
Minute,  einer  Sekunde  der  Inspiration  geschaf- 
fen ist,  Sie  immer  nur  eine  minderwertige  Kopie 
zu  Wege  bringen  ? paul  gauguin. 


PKOF1.SS0R  BKUNi>  PAUL. 


•  LEUTl-.-ES^RAfM« 


LICHTTKÄGER  IN  DER  WOHNUNG. 


A  A  ^as  dem  baulichen  Kunstwerk  das  Raum- 
\  V  bedürfnis,dasist  demBeleuchtun|Sskörper 
das  Lichtbedürfnis:  ein  Anlaß  für  „Form",  Roh- 
stoff der  GestaltunjS.  Der  Lichtträger  ist  keines- 
wegs eine  praktische  Vorrichtung,  sondern  eine 
positiv  bestimmte,  irgendwie  stilisierte  Art, 
dem  Wohnraum  das  Licht  darzubieten.  Schon 
das  Tageslicht  flutet  in  einen  baulich  wohl  durch- 
dachten Raum  nicht  wähl-  und  fcssellos  ein; 
das  Fenster  fängt  die  ungeheuren  Massen  des 
Freilichts  schon  in  menschlich  gebundener  Weise 
ab  und  führt  sie  in  bestimmt  stilisierter  Art  über 
Gegenstände  und  Wandflächen.  Man  spricht 
von  Regelung  des  Licht  einfalls,  von  Licht  führung, 
von  Modellierung  des  Raums  und  seines  Inhalts 
durch  das  Licht,  von  weiser  Abwägung  des 
Lichtes  gegen  den  Schatten. 

Viel  stärker  noch  tritt  das  Stilisierte  der  Licht- 
darbietung bei  den  Quellen  künstlichen  Lichtes 
hervor.  Die  seelische  Wirkung  der  Lichtführung 
im  Raum  wurde  sehr  früh  bemerkt.  Von  ihr 
aus  wird  alles  wichtig,  was  mit  der  Präsentierung 
des  Lichtes  im  Wohnraum  zusammenhängt: 
die  Farbe  des  Lichtes,  die  Anordnung  der  Licht- 
quellen im  Raum,  die  Zerstreuung  oder  Zu- 
sammenfassung, die  Abdämpfung  durch  den 
Schirm  und  insbesondere  der  Körper  selbst, 
der  die  Flamme  trägt,  faßt  und  hütet. 


Der  I3eleuchtungskörper  faßt  die  Flamme  im 
selben  Sinne,  wie  man  von  der  Fassung  einer 
Quelle,  von  der  Fassung  eines  edlen  Steines 
spricht.  Er  ist  der  Übergang  vom  toten  Stoff 
zum  Geistigsten,  das  wir  kennen;  vom  Un- 
lebendigen zum  Lebensvollen;  vom  Trägen  zum 
Tätigen.  Daher  ist  der  Lichtträger  häufig  eine 
Auflösung  der  Materie  in  eine  reichere,  zartere 
Verästelung,  ein  Spalten  in  dünne,  zweigartige 
Röhren,  zierliche  Gehänge,  ein  Übergehen  aus 
Dingen  von  loter  Oberfläche  in  glänzendes  Me- 
tall oder  durchblitztes  Glas,  eine  Behausung  der 
Helle  in  einer  funkelnden  Wohnung,  in  der  ein 
so  geistiger,  ungreifbarcr  Gast  sich  wohlfühlen 
kann.  Die  letzte  F'orm,  die  die  eigentliche 
Flamme  hegt,  wird  fast  immer  zu  einer  Nach- 
bildung des  zartesten  und  zwecklosesten  Stoff- 
gebildes der  Erde:  zur  Nachbildung  des  Blu- 
menkelches, zu  der  Vereinigung  eines 
knospenhaft  Zusammenhaltenden,  der  Dülle, 
mit  einem  breit  sich  Öffnenden,  dem  eigent- 
lichen Schirm. 

Der  Lichtträger  bietet  das  Licht  dar.  Er 
hat  eine  Bewegung  in  sich,  ein  Hinausstrecken 
und  Hochhalten,  eine  feierliche,  spendende 
Geste,  die  wir  sogar  im  derbsten  Menschenarm, 
der  etwa  eine  Fackel  hält,  wieder  erkennen. 
Der  Zweig,  der  den  Lichtkelch  trägt,  setzt  an 


327 


Lichtträger  in  der  Wohnung. 


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LICHTTR-\GER  IM  OBERN  TREPPENHAUS« 

aus  einer  Metallkugel  oder  aus  einem  schalen- 
artigen Holzkörper,  legt  erst  eine  abwärts  füh- 
rende Kurve  an,  um  dann  festlich  und  voll 
Energie  hochzusteigen  in  einer  stolzen  Be- 
wegung, die  der  Wichtigkeit  des  Dienstes  an- 
gemessen, des  edlen,  kostbaren  Elementes  be- 
wußt ist. 

Der  Lichtträger  dient  aber  nicht  nur  den 
Stunden  der  Nacht.  Auch  bei  Tag  erfüllt  er 
eine  wichtige,  schmückende  Aufgabe.  Ja,  das 
wertvollste  seiner  Form  wird  bei  Tag  fast  noch 
wirksamer,  als  wenn  er  in  seinem  eigentlichen 
Dienste  steht.  Was  er  an  sinnvoller  Bewegung, 
an  Bug  und  Klang  der  Linien  wie  an  gemüthafter 
Bedeutung  besitzt,  an  Wirkung  der  Farbe  und 
blinkenden  Materials,  mischt  er  bei  Tag  leicht 
und  heiter  in  das  strengere  Gefüge  der  Linien, 
die  den  Raum  gestalten  und  teilen.  Er  spielt 
seine  Kurven  in  ernsthafte,  meist  vom  Winkel 
beherrschte  Gefüge  der  Deckeneinteilung.    Er 


erregt,  wo  er  aus  der  Decke  hervortritt,  orna- 
mentales Leben,  wichtig  zur  Schmückung  der 
sonst  leeren  Fläche.  Er  überschneidet  anmutig 
die  Geraden  des  Gesimses  oder  wird,  wo  Bogen- 
fenster und  Wölbungen  die  Raumeinteilung  be- 
herrschen, als  höchster,  leichtester  Akzent  der 
gebogenen  Linie  wirksam.  Er  schwebt  wie  ein 
Baldachin  über  dem  schön  gedeckten  Tisch.  Er 
steht,  des  Dienstes  ledig,  im  Tagraum  wie  die 
Blume  im  Garten.  Er  wird  raumgestaltend  tä- 
tig, indem  er  die  obere  Zone  des  Raumes  fast 
wie  ein  Baum  organisiert,  indem  er  Verdich- 
tung und  Teilung  schafft  an  einer  Stelle,  an  die 
die  übrigen  architektonischen  Elemente  von 
Wand  und  Decke  nicht  mehr  hinreichen. 

Der  Lichtträger  hatte  ein  Recht  auf  die  große 
Aufmerksamkeit  und  Liebe,  mit  der  er  von  der 
neuen  Innenkunst  behandelt  worden  ist.  Auf 
kaum  einem  Gebiet  hat  neues  Suchen  und  For- 
men so  Endgültiges  und  Erfreuendes  hervor- 
gebracht, wie  auf  diesem n.  ritti  k. 


BRUNO  P.VUL.  »LICHTTRÄGER  IM  UNTERN  TREPPENHAUS« 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL. 


»LICHTTRjVGER  im  HERRENZIMMER 


STAAT,  STADT  UND  MODERNE  KUNST. 


Die  Not  der  Zeit  hat  uns  schon  auf  mehr  als 
einen  neuen  guten  —  alten  Weg  geführt. 
Sollte  es  nicht  an  der  Zeit  sein,  den  Ankauf 
moderner  Werke  der  Kunst  wieder  den  Stellen 
zu  überlassen,  die  vor  der  Massengründung 
großer  öffentlicher  Museen  sich  dazu  berufen 
fühlten  zun  Vorteil  der  Erben?  Sei  nur  ein 
Wort  diesem  alten  Weg  gegönnt.  Wer  oft  genug 
dafür  eingetreten,  daß  es  Pflicht  der  modernen 


Museen,  moderne  Werke  zu  erwerben,  bevor 
noch  der  betreffende  Künstler  ganz  allgemein 
mit  hohen  Summen  belohnt  wird,  ist  wohl  gegen 
den  Vorwurf  gefeit,  moderner  Kunst  das  Wasser 
abgraben  zu  wollen.  —  Aber  die  Tatsachen 
zwingen  zum  andern  Weg.  Staat  und  Gemein- 
den haben  für  ihre  Museen  leider  am  aller- 
wenigsten Geld  übrig.  Dagegen  werden  in  un- 
serer Ära  der  Papiergeldfabrikation  viele  staat- 


329 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL-BERLIN. 
»LICHTTRÄGER  IM  ESSZIMMER« 


PROKESSriR  BRUNO  PAUI.  -RKRLIN. 
LICHTTRÄGER  IM  SCHLAFZIMMER. 


XXllI.  September  19-.'0.  8 


-7,    f 


Staat,  Stadt  und  moderne  Kunst. 


liehe  und  städtische  Stellen  mit  solchen  Sum- 
men allein  für  würdige  Einrichtung  und  Reprä- 
sentation bedacht,  daß  unter  kluger  Führung 
manch  modernes  Kunstwerk ,  irgend  welcher 
Art  für  den  Schmuck  der  Säle  und  Zimmer  oder 
für  irgendwelche  sportliche  oder  andere  Aus- 
zeichnung erworben  werden  könnte.  Und  das 
muß  geschehen.  Auf  diese  Weise  und  nur  auf 
diese  Weise  kann  der  Schaden,  den  jetzt  die 
Kunst  der  Gegenwart  erleiden  muß,  reichlich 
wieder  gut  gemacht  werden.  Hier  kann  auch 
viel  mehr  Persönlichkeiten  der  Kunst  öffentliche 
Anerkennung  verschafft  werden  als  das  der 
doch  immerhin  geringen  Zahl  von  Museen  mög- 
lich war.  —  Nach  einigen  oder  vielen  Jahren 
mögen  dann  aus  diesen  Kunstschätzen    staat- 


licher oder  gemeindlicher  Stellen  die  Werke 
abgestoßen  oder  ausgewählt  werden,  die  doch 
besser  in  einem  Museum  ihren  ständigen  Platz 
finden  sollten.  —  Auf  diese  Weise  könnte  beim 
ersten  Ankauf  eine  viel  größere  Freiheit  zu 
Wort  kommen  als  beim  unmittelbaren  Ankauf 
für  ein  Museum,  bei  dem  die  Sorge  um  die 
Ewigkeitsbewertung  eines  Werkes  oft  genug 
hemmend  wirkte.  —  Der  Weg  ist  wie  gesagt 
nicht  neu  —  ist  weiter  —  aber  viel  weniger 
kostspielig.  Früher  kauften  das  Moderne  die 
absoluten  Fürsten,  Magistrate  und  Kaufherren  — 
heute  sollten  es  die  verschiedensten  Behörden  für 
ihre  Pflicht  und  Schuldigkeit  halten.  Sie  werden 
sich  auf  diese  Weise  einen  bleibenden  Njunen 
machen.  —  Auf  zum  neuen  Weg !      i:.  w.  bredt. 


D.'^GOBERT  PECHE.    »SILBERNE  SCHALE«   WIENER  WERKSTÄTTE. 


DAGOBERT  PKCHE  •  WIENER  WERKSTATTE. 
»FINGERRINGE  IN  GOLD« 


Inhalts-Verzeichnis. 

BAND  XLVI 

April  1920 -September  1920. 


TEXT-BEITRAGE: 

Seite 
Julius   Hüther — München.      Von    Walther 

Unus— Berlin 3—22 

Altdeutsche    und    »Itniederländische   Malerei. 

Ihre  Wiedererweckung    und  Wertung    in 

der    neueren    deutschen    Kunstgeschichte. 

Von  Dr.  Joachim  Kirchner — Berlin    .  15 — 28 

Professor  Anton  Hanak — Wien.    Von  Berta 

Zuckerkandl— Wien 3S— 43 

Umschwung  im  Expressionismus.    Von  Wil- 
helm Michel — Darmstadt 44 — 46 

Neue    Porzellan  •  Figuren.      Von    Prof.    Dr. 

Ernst  Zimmermann — Dresden  .     .     .         49 — 56 
Das  Künstlerfest  der  Berliner  Kunstgewerbe- 
schule.    Von  Dr.  R.  BernouUi— Berlin  59—61 
Der  Quell  der  Kunst.     Von  Karl  Heckel 

— Mannheim 62 — 64 

Handarbeit  und  Maschinenarbeit  im  Schmuck 
des    Glases.      Von    Prof.    Dr.    Gustav 

Pazaurek— Stuttgart 68 — 70 

Gute  Zigarren-Packungen.  Von  Dr.  Herbert 

Tannenbaum — Mannheim      ....         75 — 82 
Ober  die  Kunst.    Von  Dr.  Konrad  Wein- 
mayer        83 

Zu  den  neuen  bayerischen  Postwertzeichen  .  84 

Petition  Berliner  Künstler   an    die   Deutsche 

National -Versammlung 89 — 90 

Hugo  Krayn  f.     Von  Dr.  Max  Osborn — 

Berlin 93-9« 

Hermann  Geibel — München.  Von  Dr.  Georg 

Lange— München loi  — 102 

Gesetz    und    Gefühl.      Von     Anton    Jau- 

mann — Berlin 10° 

Ausstellung   Richard   Teschner   Wien  1920. 

Von  Rudolf  Thetter— Wien    .     .     .     1 11  — 116 
Von   der   Seele   der    Gotik.      Von    Gustav 

Knapp  eis— Offenbach  a.  M 121  — 127 

Aus  der  Gartenstadt  Margarethen-Höhe.  Von 

Direktor  Gosebruch — Eissen  ....     131  — 138 
Vom  deutschen  Künstlertag.  Von  Hermann 

Widmer— Berlin 138  —  140 


Neue  Läuger-Keramik.    Von  Prof.  Dr.  A.  E.         Sei« 

Brinckmann — Rostock 145 — 150 

Alt-Berliner    Porträts.     Von    Dr.   Max    Os- 
born   '55— '65 

Synthese.     Von   Anton   Jaumann — Berlin  165 

Wilhelm    Kohlhoff.      Von     Dr.    Joachim 

Kirchner— Berlin 169—170 

Geschmacks-    und    Werturteile.     Von    Hel- 

muth  DuTC— Preetz 175  —  176 

Gaston  Beguin      Von  Paul  Jacob     ...  179 
Die  Kunst  und  ihr  Publikum.     Von  Hein- 
rich Ritter 180—183 

Architektonische   Lösungen.     Von    A.  Jau- 
mann— Berlin 186 

Theodor  Wende.     Von  Dr.  Karl  Freund 

— Darmstadt 189 — 191 

Schriftkunst  und  Dichtung.    Von  Otto  F.ei- 

chert— Offenbach 192—194 

Handwerkliches  und    Geistiges.      Von   Prof. 

F.  H.  Ehmcke— München      ....  198 

Wettbewerb    für    Zigarren-Packungen.      Von 

H.  E 201  —  204 

Deutscher  Expressionismus  Darmstadt  1920. 

Von  Anton  Schnack— Darmstadt  .  .  207 — 221 
Abklärung.  Von  Willy  Frank  ....  222—226 
Gemälde  aus  Darmstädter  Privatbesitz.     Von 

Reinhold  Ewald— Hanau  ....  228—230 
Max  Klinger  f.    Dem  großen  Toten.     Von 

Kuno  Graf  v.  Hardenberg  .  .  .  231—232 
Piero    della    Francesca.      Von     Reinhold 

Ewald— Hanau 235—^38 

Der  Genius  im  Kinde 238 

Das  Palais  Stourdza   in  Baden-Baden.     Von 

Dr.  Robert  Corwegh 245  —  247 

Lampenschirme.    Von  A.  Jaumann — Berlin  250 
Erich  M.  Simon.     Von    Dr.  Robert  Cor- 
wegh—Darmstadt       253—255 

Gleichnishaftes  Wesen  der  Kunst.  Von  M.  F.  256 

Die  neuen  deutschen  Postwertzeichen.     Von 

Hans  Meyer— Berlin 263 

Maurice  de  Vlaminck.     Von    Otto  Albert 

Schneider— Düsseldorf 269—270 


-.3^ 


Seite 

Tendenziöse  Kunst.  Von  Ant.  Jaumann  272 — 270 
Hunger  nach  Materie.    Von  Wilh.  Michel 

— Darmstadt 280 — 282 

Max  Unold— München.  Von  Kurt  Pf  ister  285—286 
Kunstwerk  und  Kunsttheorie.    Von  Heinr. 

Ritter 287 — 290 

Ein  Landhaus  von  Bruno  Paul.    Haus  Herz 

in    Dahlem    bei    Berlin.     Von    Dr.  Max 

Osborn — Beriin 293 — 300 

Ku»st  und  Bildung.  Von  Karl  Heckel  .  303—313 
Die  Kunst  des  Kunstempfindens.    Von  Jos. 

Aug.  Lux 314 — 326 

Lichtträger  in  der  Wohnung.     Von  Heinr. 

Ritter 327—328 

Staat,  Stadt  und  moderne  Kunst.    Von  Prof. 

Dr.  E.  W.  Bredt — München    ....  329—332 


ABBILDUNGEN 

(SACHLICH  ZUSAMMENGESTELLT): 

Ankleidezimmer  S.  325;  Architektur  S.  130 — 139, 
142,  245,  292,  294,  296 — 297,  298 — 299;  Ausstellungs- 
räume S.  116,  229,  244;  Beleuchtungskörper  S.  328 — 
329,  330 — 331;  Blumenschalen  S.  68 — 70,  144 — 147; 
Briefmarken  S  85 — 87,264 — 266;  Bucheinbandes.  198; 
Bücherschränke  S.  72 — 73;  Büfett  S.  311;  Chauffeur- 
Häuser  S.  294 — 299;  Damenzimmer  S.  304,  314;  De- 
korations-Malereien S.  58 — 59;  Drucksachen  S.  75 — 82, 
201 — 204,  256 — 262;  Edelmetall-Arbeiten  S.  188 — 191, 
33^1  334;  Exlibris  S.  200,  253,  260 — 261;  Festdeko- 
rationen S.  58 — 59;  Fliesen  S.  148 — 149;  Frisiertisch 
S.  320;  Garderoben  S.  302;  Gärten  S.  247;  Gemälde 
S.  2 — 30,  92 — 98,  iio — 115,  154 — 176,  206 — 223, 
228 — 230,  234 — 242,  268 — 290;  Glasfenster  S.  65 
— 67;  Glaswaren  S.  68 — 70,  184 — 185;  Grabzeichen 
S.  56;  Hallen  S.  300 — 301  ;  Heizkörperverkleidung  S. 
319;  Herrenzimmer S.  7 2 — 73,317;  Kamine  S.  73,  315; 
Keramik  S.  144 — 151;  Kissen  S.  83,  Kleinplastik  S. 
48 — 56,  115;  Kleinwohnhäuser  S.  130 — 142;  Kostüme 
S.  60 — 64,  248 — 249;  Krippenspiel  S.  117;  Küche  S. 
140 — 141,  327;  Kunstverglasungen  S.  65 — 67;  Land- 
häuser S.  292 — 327;  Lichtträger  S.  250,  328 — 331; 
Liegesofa  S.  323;  Monogramme  S.  152,  200;  Musik- 
zimmer S.  308 — 312;  Oefen  und  Kamine  S.  313,  315; 
Plastik,  figürliche  S.  32^56,  101^108,  120 — 125,  178 
—  182,  224—226,231;  Pokale  S.  68,  184,  185;  Por- 
zellan-Figuren S.  48 — 56,  118;  Postwertzeichen  S.  85 — 
87,  264—266;  Puppen  S.  88—90,  117;  Reliefs  S.  186, 
293;   Schalen  S.    144 — 151,  332;   Schlafzimmer  S.  244, 


321,  323 — 325;  Schmiedeeisernes  Gitter  S.  326;  Schmuck 
S.  190,  334;  Schriftkunst  S.  192 — 199;  Silberarbeiten 
S.  188 — 191,  332,  334;  Speisezimmer  S.  305,  306 — 
307;  Stickereien  S.  83,  227;  Tafelgeiäte  und  -Schmuck 
S.  188 — 191,  332;  Xeepuppen  S.  88—89;  Teetisch  S. 
247;  Tischlampe  S.  250;  Treppen  S.  300,  301,  303; 
Trinkgefäße  S.  68,  69;  Vasen  S.  144 — 151;  Vorräume 
S.  300,  303;  Wandgemälde  S.  234 — 242;  Wäsche- 
schrank S.  324;  Wohnküche  S.  140 — 14I;  Wohnzimmer 
S.  304;  Zeichnungen,  Radierungen,  Holzschnitte,  Litho- 
graphien S.  43 — 46,  loi,  127 — 128,  15b — 158,  252 — 
262,  272,  276—277;  Ziergläser  S.  68 — 70,  184,  185; 
Zigarren-Packungen  S.  75 — 82,  201 — 204,  262. 


SEPIATON-  UND  FARBDRUCKE: 

Seite 
Gemälde  »Neger«    Von  Julius  Hüther — Mönchen  2 

Gemälde  >Pferdec  Von  Julius  Hüther — München  7 

Gemälde  «Mädchen   mit   Barett«     Von  Albrecht 

Dürer 14 

Plastik  »Mädchen«  Von  Anton  Hanak — Wien  .  32 
Kamin-Nische  in  einem  Herrenzimmer.   Von  Prof. 

Bruno  Paul — Berlin 73 

Gemälde  »Im  Theater«  Von  Hugo  Krayn  f.  .  92 
Gemälde  »Aloe«  Von  Richard  Teschner — Wien  iio 
Holzplastik  »Pietä«     Aus  dem  Stadt.  Museum — 

Frankfurt 120 

»Aus  der  Margarethen-Höhe-     Von  Prof.  Georg 

Metzendorf — Essen-Puhr 130 

Vasen.  Von  Prof.  Max  Läuger — Karlsruhe  .  .  144 
Gemälde  »Die  Mutter  des  Künstlers«  Von  Alfred 

Rethel 154 

Gemälde  »Bildnis  eines  Mädchens«  Von  Wilhelm 

Kohlhoff— Heidelberg 168 

Terrakotta-Plastik  »Stehende  Frauen«  Von  Gaston 

B^guin 178 

Silberne  Schalen.     Von  Theodor  Wende — Darm- 
stadt   188 

Gemälde  »Mütterlichkeit«    Von  Kay  H.  Nebel — 

Darmstadt 206 

Triptychon  »Passion«  Von  Carl  Caspar — München  219 
Fresco-Gemälde.  Von  Piero  della  Francesca  .  .  234 
Gemälde    »Blumen   in   Vase«     Von   Maurice    de 

Vlaminck 268 

Zeichnung  »Haus  am  Kanal«     Von   Maurice  de 

Vlaminck 277 

Haus  Herz    in  Dahlem.     Von  Prof.  Bnmo  Paul 

— Berlin 292 

Musikraum.  Von  Prof.  Bruno  Paul — Berlin  306 — 307 
Schlafzimmer.     Von  Prof.  Bruno  Paul  .     .     .     .       321 


Namen  -Verzeichnis. 


Arendt,  Kurt — Breslau 

Bait2,   L.  &  R.— Berlin 

Bauroth,  Richard — Charlottenburg  .... 

Baus,  Georg — Leipzig 

Beguin,  Gaston — Le  Locle 

Behmer,  Markus — Charlottenburg   .... 

Beringer,  Mai — Pasing 

Bemoulü,  Dr.  R.— Berlin 

Blazek,  Bildhauer — Berlin 

Blechen,  Karl 

Bloch,  Albert — St.  Louis 

Böhm,  Ernst — Berlin 

Böhm,  Domini — Offenbach  a.  M 

Bohn,  Hans — Frankfurt  a.  M 

Bouts,  Dierick 

Bredt,  Prof.   Dr.  E.  W.— München    .     .     . 
Brinckmann,  Prof.  Dr.  A.  E. — P^ostock  . 
Buhe,  Walter — Berlin-Friedenau     .... 
Büllmann,  Karl — Berlin -Wilmersdorf       .     . 

Caspar,  Carl — München 

Cissarz,  Prof.  J.  V. — Frankfurt       .... 
Corwegh,   Dr.  Robert — Datmstadt   245 — 247, 
Davringhausen,  Heinrich  Maria — München    . 
Delavilla-Schrader,  Grete — Frankfurt  a,  M.  . 

Diez,  Prof.  Julius — München 

Drescher,  Arno — Dresden — Blasewitz  .     .     . 

Dufy,  Raoul — Paris 

Dülberg-Amheim,  Hedwig — Oberhambach    . 

Dürer,  Albrecht 

Dumer,  Lorenz — München 

Duve,  Helmuth— Preetz 

Dyck,  WUli- Düsseldorf 

Eberz,  Josef — München 

Ege,  Eduard — München 

Egg,  Karl — Bremen 

Ewald,  Reinhold — Hanau        208,  228 — 230, 
Fachschule  für  Glasindustrie — Haida    68 — 70, 

Flechtner,  Otto — München 

Francesca,  Piero  delJa       .     .  234 — 237,   239, 

Frank,   Willi 

Franke,  Gerhard — München 

Friedmann  &  Weber — Baden-Baden    .       245- 

Freund,  Dr.  Karl — Darmstadt 

Fuß,  Albert— Frankfurt  a.  M 

Qangl,  Josef — München 

Geibel,  Hermann — München 

Geiger,  Willi — München 

Glaß,  Franz  Paul — München 

Gosebruch,  Direktor — Essen             .     .       131- 
Giöning,   Karl — Hamburg 


Seite 

265 

88 

-89 

186 

202, 

266 

178- 

-182 

264 

87 

59 

-61 

293 

156. 

'57 

214 

265 

266 

80, 

202 

19 

329- 

-332 

145- 

-150 

265, 

266 

266 

219 

264 

253- 

-255 

216 

80 

87 

264 

222 

227 

'4 

87 

"75- 

-176 

266 

215 

87 

2b6 

235- 

-238 

184- 

-.85 

87 

241- 

-242 

222- 

-226 

85 

-247. 

250 

189 

81 

85 

100- 

-108 

264 

85 

-'32, 

138 

265 

Seite 

Grosz,  Georg — Berlin 223 

Gunschmann,  Carl — Darmstadt 217 

Gurlitt,  Fritz — Berlin 171  — 176 

Haas,  Hermann — München 266 

Habicht,  Well — Darmstadt 224 

Hadank,   G.  H.  W.— Berlin-Südende   ...  264 

Hanak,  Prof.  Anton — Wien 32 — 46 

Hardenberg,  Graf  Kuno  v 231—232 

Heckel,  Erich— Berlin 218 

Heckel,  Karl — Mannheim      .     .     .     62 — 64,  303 — 313 

Heigenmooser,  Ernst — München     ....  75 

Heinstorff,  Emil 85,  87 

HiUerbrand,  Josef — München 87 

Hodler,  Ferdinand 228 

Hofer,  Karl — Genf 207 

Hofstetter,  Max — Bamberg 87 

Holz,  Franz — Offenbach  a.  M 266 

Hübner,  Julius 164 

Hübner,  Paul  H. —  Freiburg  i.  B 152 

Hüther,  Julius — München -Vezzano            .  2  — 12 

Jacob  Paul 179 

Jageraann,  Anna  v 162 

Jaumann,  Anton — Berlin  ....   108,   165,  186,   250 

Kaiser  Friedrich-Museum 20 — 22,  25 — 30 

Kars,  Georg —  Kralup 210 

Kirchner,  Dr.  Joachim — Berlin.     .     15  —  28,  169 — 170 

Klein,  Cesar — Berlin 209 

Klinger,  Prof.  Max 231 

Kohlhoff,  Wilhelm— Heidelberg       168,   171  — 174,  17b 

Kopp,  Otto — München 230 

Knappeis,  Gustav — Offenbach  a.  M.    .     .     .  121  — 127 

Krayn,  Hugo 92 — 95,  97  —  98 

Lagus-Möschl,  Gabi — Wien 127 — 128 

Lange,  Dr.   G. — München lOl  — 102 

Länger,  Prof.  Max— Karlsruhe  .     .     .      144 — 149,  151 

Lauger,  Wilhelm — Leipzig 265 

Laurencin,  Marie — Paris 221 

Lehmbruck,  Wilhelm 226 

Liszenski,  Georg  Friedrich  Reinhold  ...  163 

Lux,  Joseph  Aug. — Bayr.  Gmein   ....  314 — 326 

Margold,  E.  J. — Darmstadt 81 

Mense,  Carlo — Bonn 213 

Metzendorf,  Prof.  Georg — Essen    ....  130^142 

Michel,  Karl— Berlin 265 

Afichel,  Wilhelm— DarmsUdt 44—46 

Mittenzwey,  Dr.  Kuno— München       ...  84 

Museum — Frankfurt  a.  M 120 — 125 

Nebel,  Kay  H.— Darmstadt 206 

Neu,  Paul — München 264 

Nilsche,  Julius — München 79.  85 


•^ 


Seite 

Oertel  &  Co.— Haida-Böhmen 68—70 

Osborn,  Dr.  Max— Berlin  93—98,  155-165,  293—300 

Page,  Hans — München 82 

Palais  Stourdza— Baden-Baden 244—250 

Pape,  Hans — München 87,  266 

Paul,  Prof.  Bruno— Berlin    .     .     .     72—73.  292—33» 

Pazaurek,  Prof.  G.  E.— Stuttgart   ....  68—70 

Peche,  Dagobert— Wien 322—324 

Pechstein,  Max — Berlin 65 — 67 

Pfeiffer,  Prof.  Ernst— München      ....  87 

Pfister,  Kurt— München 285  —  286 

.     .  225 

.     .  56 

.     .  65-67 

•  •  «55 
-194,  195  —  200 

•  •  154 

.     .  87 


Pilartz,  Th.  Caspar — München  .  .  . 
Porzellan-Manufaktur — Meißen  .  .  . 
Puhl  &  Wagner,  Heinersdorff — Berlin 

Rehberg,  Friedrich 

Reichert,  Otto — Offenbach  a.  M.     192- 

Rethel,  Alfred 

Riepl,  Karl — München 

Ritter,  Heinrich      .       180—183,  287 — 290,  327 — 328 

Rosenthal,  Fritz — Berlin 204 

Roth,  Karl— München 87,   265 

Rousseau,  Henri 211 

Schacky,  Eugenie  v. — München      ....  85,  87 

Schadow,  Johann  Gottfried 156 

Scharff,  Edwin — München 264 

Scheurich,  Prof.  Paul — Berlin 48  —  54 

Schick,  Gottlieb 166 

Schnack,  Anton — Darmstadt 207 — 221 

Schnarrenberger,  Wilh. — München  76,  78,  85,  87,  264 
Schneider,  Otto,  Alb. — Düsseldorf  .  .  .  269 — 270 
Schneidler,  F.  H.  Ernst — Bannen       .     .     .      264,  266 


Seile 

Schreiber,  Hans — Offenbach  a.  M.       .     .     .  201,  203 

Schwab,  Tobias — Berlin -Wilmersdorf  .     .     .  82,  265 

Schwarburger  Werkstätten — Unter weißbach  .  55 

Sichart,  Emma  v. — München 90 

Simon,  Erich  M. — Berlin      .     .     .      77,  79,  252 — 262 

Szesztokat,  Willi- Köln  a.  Rh 266 

Tannenbaum,  Dr.  Herbert — Mannheim    .     .  75 — 82 

Teschner,  Richard — Wien IIO — 118 

Thetter,  Ing.  Rudolf— Wien 1 11  — 116 

Thoma,  Prof.  Hans 83 

LJnold,  Max — München 284 — 288 

Unterrichts -Anstalt    des    Kunstgewerbe -Mu- 
seums— Berlin 58 — 64 

Unus,  Walter — Berlin 3 — 12 

Uzarsky,  Adolf — Düsseldorf 265 

Vlaminck,  Maurice  de 268 — 282 

Vogenauer,  E.  R. — München 85 

Walser,  Karl— BerUn 306—307 

Wätjen,  Otto  v. — Düsseldorf 212 

Weech,  Siegmund  v. — München     ....  85,  87 

Weiß,  Prof.  E.   R.— Berlin 264 

Weißmann,  A.  W.  R.— Berlin      ....  83 

Wende,  Theodor— Darmstadt 188  — 191 

Westermair,  Karl — München 87 

Widmer,  Hermaim — Berlin 138 — 140 

Wittlinger,  Fritz — München  ......  85,  266 

Wittmaim,  Karl — München 87 

Würstl,  Johann — München 85,  266 

Zi^tara,  Valentin 85,  265 

Zimmermann,  Prof.  Dr.  Ernst — Dresden  .     .  49 — 56 

Zuckerkandl,  Berta — Wien 33 — 43 


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PAUL  H.  HUBNER. 


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'!       Deutsche  Kunst  und  Dekoration 

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Bd.  4.6 


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