Skip to main content

Full text of "Deutsche kunst und dekoration"

See other formats


\ 


DEUTSCHE  KUNST 
UND  DEKORATION 


ILLUSTRIERTE  MONATSHEFTE 

FÜR  MODERNE  MALEREI 
PLASTIK  •  ARCHITEKTUR 
WOHNUNGS-KUNST  UND 
KÜNSTLERISCHE  FRAUEN- 
ARBEITEN 


DARMSTADT 

VERLAGSANSTALT  ALEXANDER  KOCH 


"y"^  R  -  k    "^ 


r  ^^, 


107681^ 
1 

U 


DEUTSCHE  KUNST 
UND  DEKORATION 


HERAUSGEGEBEN  UND  REDIGIERT 

VON 

ALEXANDER    KOCH 


BAND  50 

APRIL  1922-SEPTEMBER  1922. 


ALLE    RECHTE   VORBEHALTEN. 


JOH.  CONR     HERBHRTSCHE  HOFBUCHDRUCKERHl    NACHP.  DR.  ADOLF  KOCH,  DARMSTADT. 


EUGEN  ZAK-CZENSTOCHAU.  .DER  JUNGE  AKROBAT« 


EUGEN  ZAK— CZENSTOCHAU. 


GEMÄLDE     UNTERHALTUNG 


EUGEN  ZAK. 


Man  soll  die  freundlichen,  schmückenden 
Kräfte,  die  in  diesem  Polen  am  Werke 
sind,  nicht  unterschätzen.  Die  unzerstörbare 
Liebenswürdigkeit  dieses  Charakters  fUeßt  leicht 
und  anmutig  in  seine  Kunst.  In  dieser  herrscht 
eine  gefällige,  idealische  Stimmung.  Sie  hat 
gute  weltmännische  Haltung  und  feine  sinnliche 
Reize.  Sie  streift  nahe  an  den  Bereich  des 
Gobelins  heran.  Sie  hat  das  Kindliche  und  das 
Idyllische,  sie  hat  auch  einen  leisen  Anflug  von 
Überfeinerung.  Etwas  Schwermut  mischt  sich 
ein,  aber  es  ist  eine  Schwermut  romantischer 
Prägung,  die  mit  einem  Lächeln  grundiert  ist. 
„Freude  singt,  was  Leid  gehtten  —  Schweres 
Herz  hat  leichten  Sinn",  sang  Clemens  Brentano. 
Man  kann  sich  mit  diesen  Bildern  gut  und  an- 
genehm unterhalten.  Es  ist  eine  Kunst  von  höf- 
lichen Manieren.  Sie  macht  eine  gebildete, 
durchaus  nicht  oberflächliche  Konversation.  Sie 
versteht  gut  zu  erzählen:  Häuser  eun  Abhang, 
weUige  Lieblichkeit  der  Hügelformen,  darin 
Liebe,  Blumen  und  weiße,  frQhitalienische  Läm- 
mer.   Das  ist  gewiß  kein  anspruchsvoller  oder 


aufwühlender  Akkord,  immerhin  aber  ein  Blu- 
menstrauß von  Annehmlichkeiten  dieser  Erde, 
in  die  man  sich  in  einer  lässigen  Stunde  mit 
Vergnügen  einfühlt.  Unsere  neue  deutsche 
Kunst  liebt  die  Kraft ;  selbst  wo  Kraft  nicht  vor- 
handen ist,  beeilt  man  sich,  wenigstens  ihre  Ge- 
bärde anzunehmen.  Die  romanischen  Länder 
(Zak  ist  durchaus  französisch  geschult  und  fran- 
zösisch gestimmt)  haben  sich  die  reizvolle  Mög- 
lichkeit bewahrt,  ein  geringeres  Geistesformat 
in  liebenswürdigen,  gefälligen  Zügen  herauszu- 
stellen. In  Zak  ist  kein  Menschentum  von  Mus- 
kel und  Gewalt.  Aber  indem  er  seine  Äußerung 
auf  so  positive  Dinge  wie  Linienklang,  Farben- 
reiz und  einfachen  Gefühlsvortrag  einstellt,  wird 
er  zu  einer  höchst  schätzbaren  F.rscheinung. 

Für  unser  Auge  steht  er  etwa  in  der  Nähe 
eines  Carl  Schwalbach.  Es  ist  nicht  die  große, 
glühende  Welt,  was  sich  auf  seiner  Malfläche 
spiegelt.  Es  ist  nicht  das  Epos  oder  das  Drama 
des  Daseins,  was  er  uns  vorträgt.  Es  sind  ge- 
dämpfte Scheine  und  Schimmer,  es  sind  lyrische 
Widerglänze,  um  die  es  sich  hier  handelt.    Der 


XXV.  April  1922.  1 


Enzcn  Zok. 


EUGEN  ZAK— CZENSTOCHAU. 


elegische  Ton  herrscht  vor.  Alles  ruht,  alles 
träumt:  die  schirmartigen  Bäume,  die  von  ost- 
asiatischen Lackmalereien  zu  stammen  scheinen, 
die  Blumen  in  ihrem  Schatten,  die  schönen, 
lächelnden  Frauen,  die  spiegelnden  Gewässer. 
Alles  ist  gedämpft,  überschaltet.  Dieser  ele- 
gische Ton  wirkt  bei  Zak  am  echtesten.  Wo  er 
an  die  menschliche  Gestalt  herangeht,  liest  man 
aus  seinenBilderneinLebensgefühl  von  passiver, 
unerlöster  Stimmung.  Der  Mensch  ist  bei  Zak 
eingefügt  als  Naturding  unter  Naturdinge.  In 
jenen  elegischen  Landschaften  erscheint  der 
Mensch  als  Blume,  verschwistert  mit  Tier, 
Pflanze  und  Element.  Aber  diese  Eingebettet- 
heit in  den  Naturzusammenhang  hat  auch  ihre 
dunkle  Kehrseite,  die  sich  aus  dem  Friedlosen, 
Unerlösten  und  Leidensvollen  der  Natur  ergibt. 
Es  ist  keine  volle  Erwachtheit  des  Geistes  in 
dieser  slawisch-französischen  Kunst,  und  daraus 
entstehen  die  Gefühle  der  Vereinsamung,  der 
Bedrücktheit,  von  denen  Bilder  wie  der  bÜnde 


GEMÄLDE  »DER  FISCHERc 

Bettler  und  die  Frau  in  Grauen  sprechen. 
Sehr  schön  symboUsiert  sich  jene  Unerwacht- 
heit  des  Geistigen  in  der  Augenlosigkeit  dieser 
Figuren.  Sie  haben  alle  keinen  Blick,  nur 
schmale  Augenschlitze ;  auch  in  dem  männlichen 
Porträt  ist  der  Blick  schwer  verhängt  und  scheint 
diese  Augen  als  ungeübte,  beinahe  nutzlose 
Organe  zu  kennzeichnen.  Die  hoffnungslose 
Vereinsamung,  die  „Traurigkeit  der  Kreatur", 
von  der  die  Frommheit  unsres  Mittelalters 
sprach,  drückt  sich  am  stärksten,  wenn  auch 
immer  noch  ziervoll  und  ornamental,  in  dem 
Bettlerbilde  aus.  Der  Mensch  hält  blind  die 
Hand  in  leere  Luft;  Straßen,  die  nie  eines  Men- 
schen Fuß  mehr  betritt;  Häuser,  die  von  der 
Pest  geleert  scheinen;  dunkle,  nackte  Berge; 
alles  Stein  und  fühllose  Härte  in  starren,  kristid- 
lischen  Formen.  Das  wird  zum  Symbol  für  Zak's 
Lebensstimmung.  Es  kommt  nicht  zur  Gebärde 
lauter  Verzweiflung,  aber  von  schwerem  Pessi- 
mismus ist  alles  verhängt  und  die  ganze  Emp- 


EOGEN  ZAK— CZENSTOCHAU. 


>AUS  JUNGEN  TAGEN« 


EUGEN  ZAK.  .MANN  IM  BOOT. 


F/igrii  Zak. 


EUGEN  ZAK— CZENSTOCHAU. 


»FRAU  IN  GRAUEN c 


findung  klingt  in  eins  mit  jenem  Lenau'schen 
Sonett,  das  mit  den  Worten  schließt:  die  ganze 
Welt  ist  zum  Verzweifeln  traurig. 

Doch  wie  gesagt,  diese  Dinge  ergeben  sich 
nur  dem,  der  sich  ganz  auf  Zak's  Kunst  einläßt, 
und  dies  zu  beanspruchen,  hat  wohl  jeder  ernst- 
hafte Künstler  das  Recht.  Entscheidend  für 
Zak's  Gesamtbewertung  bleiben  aber  doch  jene 
leichteren,  gefälligen  Züge,  mit  deren  Erörterung 
wir  einsetzten.  Es  ist  viel  Zufriedenheit  noch 
in  der  Trauer.  Es  kommt  nicht  zu  bedrohlichen, 
zerstörenden  Spannungen.  Die  freundliche, 
wenn  auch  dunkel  gefärbte  Harmonie  dieses 
Charakters  wird  nicht  entscheidend  zerbrochen. 
Noch  die  kummervolle  Frau  —  die  wohl  als 
das  stärkste  Bild  dieser  kleinen  Kollektion  an- 


zusehen ist  —  wohnt  tief  ergeben  in  ihrem  Gram. 
Über  die  Leidfalten  ihrer  Stirn  fließen  geglättet 
die  autoritären  Gewänder;  kein  Widerstreben, 
kein  Aufbäumen,  nicht  einmal  eine  laute  Klage  ; 
nur  ein  Niederbeugen  in  das  letzte  Genügen  £m 
einem  höheren  Willen. 

Eugen  Zak  wurde  in  diesen  Blättern  vor 
10  Jahren  zum  ersten  Mal  vorgestellt.  Er  ist 
sich  in  dieser  Zeit  gleich  und  treu  geblieben. 
Vielleicht  etwas  dichter  geworden,  vielleicht 
menschlich  gereifter;  aber  seine  Malerei  hat 
heute  wie  damals  den  flüssigen,  gebildeten  Aus- 
druck, den  feinen  Schmuckwert,  die  liebens- 
würdige, literarische  Gebärde  —  Eigenschaften, 
die  in  einer  Zeit  der  Verwirrung  schätzbcu:  und 
selbst  wertvoll  sind Heinrich  ritter. 


EUGEN  ZAK    CZENSTOCHAU.  »DER  BUNDE  BETTLER. 


Di 


Q 

w 

Q 
■■< 

s 
w 
o 


13 
< 

u 
o 

H 

W 
N 
(J 

I 

< 

N 

^; 
w 

c 
13 
w 


Q 


< 

•A 
u 
o 

/) 

<; 

N 

w 

W 


EUGEN  ZAK.  .SELBSTBlLDNISc 


GIOTTO  .  CHRISTUS  •  AUSSCHNITT  EINER  WANDMALEREI. 

ARENA  IN  PADUA,  KAPELLE  DER  SCROVKGNI.    PHOT.  ALINARI, 


GIOTTO.  ARENA  IN  PAllUA. 


»CMKIblUb  tKbCUtlNT  MAGIJALENA« 


DIE  FRESKEN  GIOTTOS  IN  PADUA. 

IN  l>ER  KAPELLE  DER  SCROVEGNI. 


Die  kleine  Kapelle  in  der  altrömischen  Arena 
zu  Padua,  flachgedeckte  Halle  mit  goti- 
schem Chor,  fromme  Stiftung  des  Paduaner 
Bürgers  Scrovegni  zu  Ehren  der  heiligen  Jung- 
frau Maria,  ist  von  Giotto  kurz  nach  1300  mit 
Fresken  geschmückt  worden.  In  drei  Reihen 
übereinander  angeordnete  Bilder  aus  der  Ge- 
schichte Christi  und  der  Jugendlegende  Maria, 
Allegorien  der  Tugenden  und  Laster,  eine  Dar- 
stellung des  jüngsten  Gerichtes  und  des  thronen- 
den Gottvaters  schauen  von  den  langgestreckten 
Wänden  auf  die  Gläubigen. 

Giotto  war  damals,  wenn  man  Vasaris  An- 
gaben zugrunde  legt,  etwa  vierzig  Jahre  alt, 
und  die  Folge  dieser  Bilder  ist,  wenn  man  von 
dem  umstrittenen  Zyklus  der  Franziskuslegende 


in  Assissi  absteht,  das  erste  vollgültige  Werk 
seiner  Hand,  das  uns  erhalten  blieb. 

Über  Italien  war  im  Jahrhundert  zuvor  die 
byzantinische  Welle  mit  der  goldstrahlenden, 
unirdisch  hierarchischen,  irgendwie  schon  in 
formelhafterManiererstcirrten  Feierlichkeit  ihrer 
Ikone  hingeflutet.  Cimabues  und  Duccios  Bil- 
der sind  Äußerungen  solchen  Geistes. 

Giottos  Fresken  wachsen  in  einer  anderen 
Atmosphäre.  Einfalt  und  Ehrfurcht  vor  dem 
Geheimnis  der  heiligen  Legende  lebt  als  Grund- 
gefühl auch  in  seinen  Bildern.  Aber  sie  wirken 
sich  in  einer  anderen  irgendwie  daseinsnäheren 
Form  aus.  Jedes  einzelne  Bild  umgreift  in  klarer 
und  eindeutiger  Fassung  einen  bestimmten  und 
fest  umgrenzten  Vorgang.    Das  Gesicht  der  an 


13 


XXV.  April  1«2.  2 


Die  Fresken  Giotfos  in  Padiia. 


14 


GIOTTO.  ARENA  IN  PADUA. 


den  Geschehnissen  teilnehmenden  Menschen 
spiegelt  Schmerz,  Freude,  Haß,  Trauer  in  in- 
dividueller Prägung.  Durch  großgeformte,  von 
allem  differenzierenden  Beiwerk  befreite  Um- 
risse, durch  Icingsame  und  feierliche  Gesten,  die 
sich,  wie  auf  dem  Bild  der  Beweinung,  rhyth- 
misch wiederholen,  wird  der  Vorgang  ins  Monu- 
mentale gesteigert.  Der  mystische  Goldgrund 
der  mittelalterlichen  Tafeln  ist  versunken;  die 
Wirklichkeit  des  Raumes,  das  körperliche  Dasein 
lebendiger  Menschen  trat  sein  Erbe  an. 

Giotto  hat  nicht  etwa  die  heilige  Geschichte 
vermenschlicht;  dem  Gesicht  Christi  gab  er 
feierlich  verklärte  Züge.  Aber  er  ließ  den  Men- 
schen mit  seinen  irdischen  Trieben  am  göttlichen 


»DAS  LETZTE  ABENDMAHL« 


Geheimnis  teilnehmen ;  Schmerz  überströmt  das 
AntUtz  der  Mutter,  die  sich  zu  dem  toten  Sohn 
neigt;  in  des  Judas  Mienen  spiegelt  sich  die 
Verworfenheit  niedrigen  Verrates;  in  den  Ge- 
sichtern der  beim  Abendmahl  versammelten 
Apostel  die  staunende  Erregung  über  das  Wort 
des  Herrn:  Einer  unter  Euch  wird  mich  verraten. 
Die  psychologische  Deutung  aber  hat  nichts 
Verästeltes,  sondern  die  gültige  Sicherheit  des 
Gefühles,  das  alle  erfüllt;  wie  auch  Raum  und 
Architektur  im  rhythmischen  Gefüge  organischen 
Wachstums  leben.  Die  Falten  der  Gewänder 
besitzen  natürliche  Schwere,  die  Landschaft 
baut  sich  lebendig  auf.  Und  dabei  bleibt  alles 
Einzelne  nur  dienendes  Glied  und  fügt  sich  ge- 


Dir  Frrsk')!  Gioffos  in  Padiia. 


GIOTTO.  ARENA  IN  PADDA. 


lassen  in  den  Kreis  der  frommen  Geschichte  ein. 
—  Die  klare  und  starke  Gesetzlichkeit  solcher 
Bildform  berührt  sich  mehr  mit  Dantes  fest  ge- 
gründetem im  scholastischen  Denken  wurzeln- 
den Weltbau  als  mit  der  hingebenden  Innigkeit 
und  mystischen  Gottnähe  des  heiligen  Franzis- 
kus, den  man  gewöhnlich  zugleich  mit  Giotto 
nennt.  Schon  in  einem  Land  und  in  der 
gleichen  Zeit  sind  solche  Gegensätze  wirksam. 
Aber  in  die  Dome  des  Nordens  wurden  zur  glei- 
chen Stunde  Glasfenster  eingelassen,  die  dunkel 
und  geheimnisvoll  glühend  die  mystischen  und 
grenzenlos  schweifenden  Ängste  und  Beglück- 
ungen dieser  anderen  Menschen,  einer  anderen 
Menschheit  gleichsam,  ausstrahlten. 

Als  Giotto  aber,  so  erzählt  Vasari  in  seinen 


»FUSSWASCHUNG«   PUOT.  ALINARI. 


Künstlerbiographien,  von  einem  Abgesandten 
des  Papstes  um  ein  Dokument  seiner  Kunst  ge- 
beten wurde,  nahm  er  ein  Blatt  und  einen  Pinsel 
mit  roter  Farbe,  legte  den  Arm  fest  in  die  Seite, 
damit  er  ihm  als  Zirkel  diene,  und  zog,  indem  er 
nur  die  Hand  bewegte,  einen  Kreis  so  scharf  und 
genau,  daß  es  in  Erstaunen  setzen  mußte,  ver- 
beugte sich  gegen  den  Hofmann  und  sagte:  da 
habt  ihr  die  Zeichnung.  Sehr  erschreckt  fragte 
ihn  dieser:  Soll  ich  keine  andere  als  diese  be- 
kommen? Es  ist  genug  und  nur  zuviel,  ant- 
wortete Giotto,  schickt  sie  mit  den  übrigen  hin 
und  ihr  sollt  sehen,  ob  sie  erkannt  wird. 

Die  Anekdote  mag  wie  ein  Gleichnis  für  die 
klare  und  in  sich  ruhende  Gesetzlichkeit  von 
Giottos  Geist  und  Form  zeugen,     kurt  pfister. 


15 


GIOTTO.  AKENA  IN  PADUA. 


»DER  ERZENGEL  ERSCHEINT  DER  HL.  ANNAc 


WEGLASSEN  UND  VEREINFACHEN. 


Stil  ist  Weglassen  des  Unwesentlichen  " ,  sagt 
Feuerbach.  Und  das  paßt  auf  Giotto.  Sein 
Geheimnis  liegt  in  dem  großen  Zug  der  Linien, 
in  der  klaren  Anordnung  der  Gruppen,  in  der 
strengen  Unterordnung  aller  Einzelheiten.  Nie 
wirren  und  drängen  sich  die  Figuren.  Deutlich 
sondern  sich  die  Gruppen  ab.  Sofort  wird  das 
Auge  auf  die  Hauptfigur,  auf  das  Entscheidende 
des  Vorganges  gelenkt.  Da  sich  die  hohe  Ge- 
tragenheit des  Monumentalstils  auch  nicht  mit 
jähen  Wendungen  und  unsichern  Gesten  ver- 
trägt, bildet  er  sich  eine  feststehende  Gebärden- 
sprache, die  wie  die  Schriftsprache  für  die  glei- 
chen Dinge  immer  die  gleichen  Worte  benützt 
und  so  dem  Betrachter  sofort  beibringt,  was 
die  Figuren  sagen.   Ein  signifikanter  BUck,  eine 


ausdrucksvolle  Bewegung  mit  der  Hand  und 
des  Körpers  kommentieren  die  Handlungen  und 
Stimmungen  der  Personen,  sodaß  die  Bilder 
wie  die  Gesänge  eines  Epos  am  Betrachter  vor- 
überziehen. Nur  indem  er  auf  alles  Kleinliche, 
auf  alle  naturalistische  Einzelheiten  verzichtete 
und  die  Natur  vereinfachte,  um  sie  noch  ele- 
mentarer sprechen  zu  lassen,  konnte  er  seinen 
Werken  jene  sakramentale  Würde  geben,  die 
dem  Thema  sowohl  wie  dem  Stil  dekorativer 
Kunst  entspricht.  Das  haben  auch  einige 
Künstler  des  nächsten  Jahrhunderts  noch  sehr 
wohl  gefühlt.  Denn  noch  Ghiberti,  als  er  die 
Bronzetüren  des  Florentiner  Baptisteriums 
schuf,  und  Mantegna  folgten  im  Grunde  nur 
den  Prinzipien  Giottos ktchakd  müthek. 


16 


GIOTTO.  WANDMALEREI  .HIMMELFAHRT  CHRISTI. 

ARENA  IN  PADUA,  KAPELLE  DER  SCRO^'EGNI.    PHOT.  ALINARI 


GIOTTO.  WANDMALEREI  .DIE  BEWEINUNG  CHRISTI. 

ARENA  IN  PADUA,  KAPELLE  DER  SCROVEGNl.    PHOT.  ALINARI. 


GIOTTO.  ARENA  IN  PADUA. 


»AUS  NEBENSTEBE.VDEM  BaDE« 


DIE  NEUE  RELIGIÖSE  MALEREI. 


\oN  Joachim  kirchnek. 


Das  metaphysische  Bedürfnis,  sich  von  der 
Sinnenwelt  und  ihren  vergänglichen  Er- 
scheinungsformen zu  lösen,  und  sein  Schaffen 
ganz  in  die  Sphäre  gefühlsstarker  Innerlichkeit 
zu  erheben,  hat  die  Künstler  der  abendländi- 
schen Malerei  zu  allen  Zeiten  zur  Darstellung 
religiöser  Stoffe  veranlaßt.  Mit  gläubigem  Sinne 
nahten  die  mittelalterlichen  Maler  den  Legenden 
des  christlichen  Zyklus;  Fra  Angelico,  Stefan 
Lochner  und  so  viele  andere,  durch  die  mysti- 
sche Gottseligkeit  ihrer  Zeit  inspiriert,  trugen 
jene  hingebungsfreudige,  schhchte  Frömmigkeit 
in  sich,  die  uns  als  bedeutsam  für  die  Wellseele 
jener  Tage  entgegentritt.  Vielleicht  dürfen  jene 
Künstler  auch  heutzutage  noch  als  die  berufen- 
sten Führer  und  Deuter  im  Reiche  göttlicher 
Geheimnisse  und  Wunder  gelten.  Gleichwohl 
ist  bei  ihnen  das  Göttliche  nichts  Erdenfemes, 
nichts  Jenseitiges ;  das  Unfaßbare  ist  durch  ihren 
künstlerischen  Gestaltungswillen  des  scholasti- 
schen Schwergewichts  entkleidet ,  es  ist  ver- 
menschlicht und  läßt  in  seiner  irdischen  Form 
seinen  göttlichen  Ursprung  durchschimmern. 
Das  Bild  der  Maria  mit  dem  Kinde  und  die  Dar- 


stellung des  gekreuzigten  Gottessohnes  sind 
zum  Sinnbild  einer  sich  ewig  gleichbleibenden 
höchsten  Liebe  geworden,  deren  reine  Flamme 
auch  auf  die  menschlichen  Verhältnisse  ihre 
milden  Strahlen  ergießt.  Das  formale  Be- 
dürfnis einer  zu  höherer  Technik  entwickelten 
Kunst  ließ  bisweilen  den  Reiz  jener  gefühls- 
mächtigen Innigkeit  der  primitiven  Malerei  zu- 
rücktreten. Und  doch  vermochten  sich  auch 
die  Künstler  späterer  Zeiten  nicht  der  sugges- 
tiven Kraft  jener  ursprünglichen  Religiosität  zu 
entziehen,  die  ihnen  in  den  Werken  jener  alten 
Maler  am  Anfange  der  abendländischen  Kunst 
entgegentrat.  Die  Neubelebung  jener  primitiven 
Malerei  konnte  allerdings  nur  zu  einer  wenig 
glücklichen  Episode  in  der  Geschichte  der  bilden- 
den Künste  werden.  Die  Klosterbrüder  von  St. 
Isidoro,  jener  Künstlerkreis  um  Overbeck,  haben 
der  Kunstgeschichte  den  Beweis  geliefert,  wie 
gefähriich  es  ist,  selbst  bei  verwandten  gefühls- 
mäßigen Voraussetzungen  sich  in  die  Gefolg- 
schaft längst  verklungener  Traditionen  zu  be- 
geben. Was  im  14.  und  15.  Jahrhundert  als 
ursprünglich  und  echt  empfunden  gelten  durfte, 


19 


Die  neue  religiöse  Malerei. 


konnte  im  19.  Jahrhundert  leicht  als  maniriert 
und  (gewollt  beurteilt  werden  —  eine  Mahnung 
für  die  folgenden  Generationen,  nicht  in  der  Wie- 
derbelebung überwundener  Kunstformen  das 
Heilmittel  gegen  die  Schäden  der  Zeit  zu  suchen. 
«  •  • 

Auch  die  Kunst  unserer  Tage  wird  von  reli- 
giösen Ideen  bewegt.  Wieder  drängen  sich 
biblische  Themen  in  die  Gefühlswelt  unserer 
Künstler  ein,  wieder  werden  religiöse  Bilder 
gemalt,  zwar  nicht  im  Sinne  der  zarten  An- 
dachtsstimmung oder  der  naiven  Fabulierlust 
jener  Primitiven,  die  sich  so  gern  in  das  Anek- 
dotenhafte der  Evangelien  und  Legenden  ver- 
lor, wohl  aber  im  Geiste  mitfühlender  Leiden- 
schaftlichkeit, verinnerlichter  Erregtheit,  die  je 
nach  dem  Temperament  des  Künstlers  sich  bald 
in  einer  ekstatisch  verzerrten  Gebärde,  bald  in 
verhaltener  Formensprache  kundgibt.  Das  In- 
teresse am  Stofflichen  tritt  zurück,  das  religiöse 
Motiv  dient  zuweilen  nur  zum  Vorwand,  um  in 
den  Qualen  und  inneren  Kämpfen  der  göttlichen 
und  heiligen  Personen  das  Spiegelbild  der  lei- 
denden Menschheit,  des  ringenden  Menschen- 
tums unserer  Zeit  wiederzufinden.  Historisch 
gewertet  mag  vielleicht  die  übersetzte  Formen- 
sprache unserer  religiösen  Maler  an  stilisierte 
Figuren  mittelalterlicher  Miniaturmalerei  ge- 
mahnen, auch  die  Erinnerung  an  den  monumen- 
talen und  einprägsamen  Ausdruck  jener  fast 
körperlos  empfundenen  Heiligen  in  frühchrist- 
lichen Mosaiken  dürfte  hier  und  da  lebendig 
werden.  Am  nächsten  aber  liegen  wohl  die 
Beziehungen  zu  den  Künstlern  des  Barock. 
Noch  nie  bemühte  sich  eine  Künstlergeneration 
sich  in  die  Kunst  eines  Greco,  Tintoretto  wie 
Grünewalds  mit  so  hingebungsvollem  Eifer  ein- 
zufühlen und  sie  zu  studieren,  wie  die  unsrige. 
Wenn  es  ihr  bei  dieser  Gleichgestimmtheit  der 
modernen  Weltseele  mit  dem  Kunstgefühl  ver- 
klungener  Zeiten  bisher  möglich  gewesen  ist, 
sich  nicht  in  die  Abhängigkeit  der  umworbenen 
Vorbilder  zu  begeben,  sondern  äußere  Anreg- 
ungen, die  jene  boten,  umzuwerten  und  schöp- 
ferisch neu  zu  beleben,  so  dürften  wir  hierin 
ein  hoffnungsvolles  Vorzeichen  für  die  Weiter- 
entwicklung der  neuerwachten  reHgiösen  Ma- 
lerei erblicken.  Die  Gefahren  epigonenhafter 
Nachahmung,  an  denen  das  Nazarenertum 
krankte,  sind  bei  den  starken  Talenten  unserer 
jungen  Künstlerschaft  kaum  zu  befürchten. 
Denn  bei  ihnen  ist  das  religiöse  Erlebnis  ja  nicht 


auf  eine  kirchliche  Frömmigkeit  gegründet,  auch 
nicht  an  schulmäßige  Tradition  gebunden  oder 
gar  als  Konzession  an  die  Zeitströmung  zu  be- 
trachten, sondern  einem  inneren  Antriebe  fol- 
gend wählen  sie  die  alten  durch  die  Überlieferung 
geheiligten  Stoffe,  um  das,  was  sie  in  dem  mo- 
dernen Weltbilde  religiös  bewegt,  in  dem  Rah- 
men der  alten  Mysterien  zum  Klingen  zu  brin- 
gen. Das  Motiv  und  die  Form  wird  zur  Neben- 
sache, die  Pointierung  des  Psychischen ,  das 
gefühlsmäßige  Erlebnis  ist  das  Wesentliche.  Mit 
dieser  neuen  charakteristischen  Note  knüpft  die 
moderne  reÜgiöse  Malerei  an  allgemeine  künst- 
lerische Anschauungen  der  jungen  Generation 
an,  die  den  ausgleichenden  Tendenzen  des  Re- 
lativismus abhold,  wieder  an  die  zwingende 
Macht  der  Ideen  zu  glauben  vermag.  Unter 
diesem  verheißungsvollen  Vorzeichen  erwarten 
wir  den  Anbruch  einer  neuen  künstlerischen 
Schaffensperiode;  ihrem  Führer  lebt  die  Ju- 
gend mit  siegesfreudiger  Hoffnung  entgegen.  .  . 
«  «  « 

Wilhelm  Lehmbruck's  Plastiken!  Wer  jemals 
in  die  Werke  dieses  so  früh  verstorbenen  Mei- 
sters sich  einzufühlen  bemühte,  dem  dürfte  es 
vielleicht  am  ehesten  klar  werden,  aus  welcher 
geistigen  Provinz  jene  Ideen  stammen,  die  unsre 
Jugend  zu  neuem  Leben  erwecken  will.  Lehm- 
bruck's fromme  Sehnsucht,  alles  Erdenhafte 
und  Vergängliche  abzustreifen,  um  geläuterter, 
edler  und  reifer  sich  in  das  lichtvolle  Reich 
einer  künstlerisch  geklärten  prästabilierten  Har- 
monie emporzuschwingen  —  das  ist  der  meta- 
physische Drang,  der  sich  allen  idealistisch  Ge- 
sinnten heute  mitgeteilt  hat.  Lehmbruck's 
Werke  sind  vergeistigte  Manifestationen  eines 
auf  innerem  Schauen  basierenden  Lebensgefühls 
eines  reinen  Menschentums;  sie  sind  Gestalt 
gewordene  Ausdrucksnormen  einer  subjektiven 
undogmatischen  Religiosität.  In  ihnen  ist  das 
Kunstwerk  zum  religiösen  Erlebnis  geworden. 
Lehmbruck  hat  nie  eine  Kreuzigungsgruppe,  nie 
eine  Pietä  geschaffen.  Allein,  wir  verlangen 
bei  diesem  Künstler  nicht  nach  den  bibüschen 
Motiven.  Darstellungen  wie  die  „Knieende", 
„Der  emporsteigende  Jüngling"  oder  „Der  ster- 
bende Krieger"  können  in  ihrer  vergeistigten 
Ausdruckskraft,  in  ihrer  schUchten  Herbheit  und 
einfachen  Größe  ein  stärkeres  reügiöses  Gefühl 
wachrufen,  als  \'iele  noch  so  gutgemeinte  An- 
dachtsbilder. Es  kommt  darauf  an,  welche  Deu- 
tung man  dem  Begriffe  Religion  geben  will.  j.  k. 


H 


u 

o 

s 


<! 
Q 

w 

Q 


M 
w 

H 
tfi 

OL 

o 
> 

u 

o 

u 

H 


O 
3 


GIOllO.   AKK.NA   IN   I'AULA. 


»S.GIUVACCHINO  BEI  DEN  HIRTENc 


NATUR  UND  KUNST. 


Der  geniale  Künstler  hat  die  Mission,  die 
Reichtümer  der  Natur,  die  er  entdeckt  hat, 
denen  zu  offenbaren,  die  die  Sprache  der  Natui 
nicht  verstehen.  Wenn  Ihr  euch  ihr  hingebt, 
wie  wir  es  getan,  so  wird  sie  euch  nach  eurer 
Empfänglichkeit  aus  Ihrer  Fülle  geben.  —  — 
Es  ist  ein  unendUcher  Hochmut  oder  eine 
unendliche  Torheit,  wenn  der  Mensch  glaubt, 
er  könne  die  sogenannten  Fehler  und  den 
schlechten  Geschmack  der  Natur  verbessern. 
Was  rechtfertigt  diese  Axunaßung?  Vor  denen, 
welche  ihre  Schönheiten  nicht  lieben  und  ver- 
stehen, verschleiert  die  Natur  ihr  Antlitz,  sie 
vermag  ihnen  nur  bedingungsweise  zu  begeg- 
nen. Und  deshalb  sagen  sie,  die  Trauben  sind 
zu  sauer ;    da  wir    die  Natur  nicht  verstehen. 


wollen  wir  sie  aus  Rache  verleumden.  —  Die 
Natur  gibt  sich  rückhaltlos  denen,  die  nach  ihr 
verlangen,  aber  sie  ist  eine  eifersüchtige  Herrin 
und  will  allein  geliebt  sein.  Wir  lieben  ein 
Kunstwerk,  weil  es  von  ihr  stammt,  alles  andere 
ist  nichtssagend  und  trocken.  —  Der  Verfall  trat 
ein,  als  die  Kunst,  die  tatsächlich  ein  Naturkind 
war,  höchstes  Ziel  wurde,  als  die  Menschen 
die  großen  Künstler  als  Vorbild  nahmen  und 
vergaßen,  daß  diese  den  BUck  ins  Unendüche 
gerichtet  hatten.  Sie  glaubten  nach  der  Natur  zu 
arbeiten,  und  sahen  nicht,  daß  das  AtelierUcht 
nicht  das  freie  L'cht  der  Natur  ist.  Technische 
Verdienste  wurden  die  Hauptsache  und  man 
vergaß,  daß  diese  Vorzüge  dazu  dienen  sollen, 
Gedanken  auszudrücken,    jean  kran<,ois  millet. 


23 


XXV.  April  192J.  3 


GIOTTO.  »AUSSCHNITT  DES  NEBENSTEHENDEN  BILDES. 

ARENA  IN  PADUA.    PHOT.  ALINARI. 


GIOTTO.  WANDMALEREI  .DER  JUDASKUSS< 

ARENA  IN  PADUA,  KAPELLE  DER  SCROVEGNI.    PHOT.  ALINARI. 


GIOTTO.  WANDMALEREI  »DIE  GEBURT  CHRISTIc 

AKENA  IN  PADÜA,  KAPELLE  DER  SCROVEGNI.    PHOT.  ALINARI. 


HERMANN  GEIBEL-MÜNCHEN.  HOLZPLASTIK  »MUTTER  UND  KIND. 


UERMANN  GElIiEL— MUNXUEN. 


•  MAUCHEN  AUE  EINEM  LAiiEK< 


HERMANN  GEIßEL. 


Worringer  hat  kürzlich  das  Ende  des  Ex- 
pressionismus, ja  der  bildenden  Kunst 
überhaupt  verkündet,  die  nach  seiner  Meinung 
durch  die  Kunstwissenschaft  abgelöst  wird. 
Solche  Kunstforscher  und  Philosophen  (wie  auch 
Spengler)  sollten  doch  vorsichtiger  sein  mit 
ihren  Grabreden  und  Prophezeiungen.  Ihnen 
freilich  ist  die  Wissenschaft  natürlich  ange- 
boren; aber  weil  sie  keine  zwingenden  Schaf- 
fenskräfte mehr  in  sich  fühlen,  dürfen  sie  nicht 
sagen,  es  sei  mit  der  Kunst  überhaupt  vorbei. 
Denn  schließlich  sind  solche  Aussprüche  immer 
nur  der  Spiegel  des  urteilenden  Subjektes. 

Vielleicht  ist  das,  was  sich  heute  laut  als 
Expressionismus  bezeichnet  und  anpreist,  nur 
bunte  Blase,  die  bald  zerspringt,  Schaum  oben 
auf  dem  erregten  Meere,  der  schnell  zerläuft; 
der  Urgrund  einer  solchen  Bewegung  aber  kann 
viel  tiefer  sein,  und  aus  diesem  Urgrund  er- 
heben sich  vielleicht  Persönlichkeiten,  denen 
man  wieder  den  Impressionismus  oder  Expres- 
sionismus kaum  noch  anmerkt.  So  dem  Ex- 
pressionismus entstiegen  ist  Hermann  Geibel. 

Irgend  ein  Zug  ist  lebendig  an  seinen  Ge- 
schöpfen, ist  gefühlt,  besonderer  Art,  belebt 
das  Ganze,  erhebt  die  kleinsten  Gebilde  sofort 
über  das  bloße  Kunstgewerbe.  Unsäglich  leicht 
wird  der  Ton  Form  unter  seiner  Hand.  Zu  leicht 
ihm,  deshalb  müht  er  sich  am  hcirten  Holze. 
(Zu  welcher  leidenschaftlichen  Weichheit  hat  er 
es  in  seiner  Gruppe:    „Mutter  und  Kind",  ge- 


schmeidigtl)  Vom  Tier  geht  sein  Weg  durch 
einige  entzückend  weiche  Kinderköpfe  zum 
Weibe,  das  sich  ihm  in  seiner  Gattin  Elfriede 
Leonore  Geibel,  der  vornehmen,  warmblütigen 
Dichterin,  erschließt.  Wie  ein  Adagio,  ein  An- 
dante sind  die  Weib-Schöpfungen  aus  des  Künst- 
lers Hand  gequollen.  Für  einmal  scheint  das 
Rätsel  der  Welt  gelöst  in  dieser  ewig  weib- 
lichen Harmonie,  kraft  derer  alle  in  den  Glie- 
dern entbundenen  Ströme  („Linien"  wäre  un- 
plastisch) ineinander  fließen,  zurücksinken  in 
sich  selbst  oder  aufgefangen  werden  wie  in 
einer  Schale,  aus  der  sie  dann  neu  hervor- 
quellen zu  ruhiger  Bestimmung.  Selten  ist  eine 
unruhige,  fast  qualvolle  Bewegung,  wie  in  der 
liegenden  Frau  oder  eine  dumpfe  Schwere,  wie 
in  der  kauernden. 

Die  Einkörperung  in  das  Weib  ist  dieser 
Stufe  der  inneren  Entwicklung  Geibels  —  (wie 
einer  langen  Kulturepoche)  noch  natürlich.  Sein 
Triumph  beruht  hier  in  der  namenlosen  Weich- 
heit und  Zartheit  der  Form,  und  in  diesem  Na- 
menlosen vielleicht  seine  Größe.  Auch  in  den 
Zeichnungen  dieser  Periode  ist  ein  mitreißender 
Schwung,  ein  atemberaubender  Zug  und  Drang. 
Aber  auch  in  den  Zeichnungen  bedeutet  die 
große  Bewegung  einen  Rausch  der  Hingebung, 
ein  Leiden  mehr  denn  ein  Schaffen,  Einziehen 
mehr  als  Spenden.  Und  doch  tritt  der  Künstler 
einem  Rodin  etwa  gegenüber  von  der  entgegen- 
gesetzten Seite  an  die  Natur.    Während  näm- 


29 


XXV.  April  1923.  ■C 


Hermann  Geibcl 


30 


H.  GEIBEL- 
MÜNCHEN. 
»MÄDCHEN- 
TORSO' 


lieh  Rodin  sich  (impressionistisch)  festzusaugen 
strebt  an  der  gegebenen  Natur,  sucht  Geibel 
(expressionistisch)  seine  Seele  restlos  plastisch 
zu  verwirklichen  in  einer  neuen  Natur.  Eine 
expressionistische  Epoche  aber  führt,  wenn  sie 
sich  erfüllen  soll,  zu  männlicher  Tat.  —  So 
erlebt  Geibel  auf  dritter  Stufe  den  Mann.  Dies 
Erlebnis  ist  nicht  einmalig,  plötzlich,  sondern 
lang  ausreifend,  immer  tiefer  umgestaltend.  In 
Zeichnungen  zunächst  und  in  einer  Porträtbüste 
formt  er  einen  Dramatiker  nach,  aus  dessen 
Werk  er  gleichzeitig  starke  Eindrücke  eines 
männlichen  Geistes  empfängt.  Rein  aus  männ- 
lichem Weltgefühl  ist  zuerst  die  Radierung  eines 
Edward  —  nach  der  bekannten  schottischen 


Ballade  —  der  visionär  wie  eine  echte  Ballade 
aus  dem  Raum  heraustritt  in  voller  Körperlich- 
keit mit  seinem  rücksichtslosen;  „Hier  bin  ich"  ! 
—  damit  ist  im  Plastischen  noch  nicht  der 
männliche  Gipfel  erreicht.  Sondern  hier  ringt 
der  Künstler  noch  um  die  Geheimnisse  des 
männlichen  Körpers.  Geibel  strebt  über  den 
aphoristisch-geschlossenen  Torso  hinaus.  Ge- 
bärden werden  ihm  rege.  Die  Jünglings-Halb- 
figur  legt  schon  träumerisch  die  rechte  Hand 
(mit  fast  nervösen  Fingern)  über  den  linken 
Unterarm ,  und  diese  Bewegung  wiederum  zwingt 
den  Künstler  zur  vollen  Ausgestaltung  des  Kör- 
pers. So  steht  der  nackte  Jüngling  vor  uns 
in  seltener  Biegsamkeit  und  Schlankheit,  ein 


i 


HERMANN  GEIBEL-MÜNCHEN.  .NARZISS. 


Hermann  Geibrl. 


Ephebe,  wie  wir  ihn  aus  griechischer  Plastik 
kennen.  Die  Biegung  des  Kopfes  erinnert  leise 
an  Praxiteles,  ohne  daß  doch  irgend  ein  Klassi- 
zismus hier  obwaltete,  der  toten  Schönheits- 
geselzen  folgt,  nachahmt,  nicht  neu  empfindet. 
An  den  David  des  Michelangelo  denken  wir 
auch  wohl,  noch  mehr  an  seinen  Johannes.  — 
Der  Junghng  stand  neulich  in  einer  Ausstellung 
Münchener  Bildhauer  im  „Kunstverein",  zwi- 
schen all  den  toten  Masken,  die  an  solcher 
Stelle  zusammengetragen  werden.  Dort  rührte 
sich  sein  warmes  Sein,  das  Werk  offenbarte  me- 
taphysischen Gehalt  in  der  Art,  wie  es  aus  dem 


unendlichen  Raum  das  Leben  herausschöpfte. 
Während  sonst  seine  Figuren  höchstens  ein 
Meter  hoch  waren,  drängt  es  den  Künstler  nun 
nach  Überlebensgröße.  Er  erprobt  den  Kalk- 
stein, den  Granit  und  den  deutschen  Marmor, 
wie  er  ihnen  einen  mächtigen  Kopf  abringen 
möchte  oder  eine  ganze  Gestalt.  — 

Was  wird  sich  noch  entfalten  aus  dieser 
Seele?  Wenn  sich  nur  einmal  ein  mächtiger 
äußerer  Impuls  zu  dem  inneren  künstlerischen 
Trieb  gesellte  und  ein  großer  Auftrag  —  unge- 
nügsam —  die  monumentale  Form  von  dem 
Bildhauer  forderte.  .   dr.  georg  lange-mCnchen. 


HERMANN  GEIßEL- MÜNCHEN.  .KAUERNDES  U^IB< 


s 

Ul 


I  aji««  ■■■  IBM  ■■■  aaamu  ■■■■■■  ■■■ 


HERMANN  GEIßEL    MÜNCHEN.  HALBFIGUR  .JÜNGLING< 


HUGO  GORGE-WIEN.  .KAMINPLATZ  IM  WOHNZIMMER< 


AKiailEKI    HUGO  ÜOKGE— WIEN. 


•  AUS  EINEM  \V0HNZ1MMEK< 


VON  BÜRGERLICHEN  WOHNRÄUMEN. 


Die  Behaglichkeit  eines  Raumes  wird  durch 
seine  Maße,  die  harmonischen  Beziehungen 
zwischen  Wand  und  Decke,  das  Verhältnis  zwi- 
schen Türen,  Fenster  und  Ofen  bestimmt.  Ist 
diese  Grundlage  nicht  vorhanden  oder  nicht  zu 
schaffen,  so  ist  jede  Mühe,  den  Raum  durch  seine 
„Einrichtung"  behaglich  zu  machen,  erfolglos. 
Im  strengen,  architektonischen  Raum  früherer 
Zeiten  bewegten  sich  auch  die  Menschen  in 
feierlich  repräsentativer  Weise.  Die  Zeiten 
haben  sich  geändert.  Der  Mensch  unserer  Tage 
ist  weniger  konventionell,  freier  in  seinem  We- 
sen, seiner  Gebärde,  seinen  Bewegungen  ge- 
worden. In  der  neuzeitlichen  Wohnung  muß 
infolge  dieser  Ungezwungenheit  und  Absichts- 
losigkeit  der  Bewegungen  des  jetzigen  Men- 
schen das  Wohn- Gerät  in  ein  ganz  anderes 
Verhältnis  zu  uns  treten.  Wir  wollen  die  Möbel 
nicht  mehr  in  starrer,  architektonischer  Gebun- 
denheit, sondern  als  „Möbel"  im  engeren  Sinn, 
als  „Mobilia".  Der  moderne  Mensch  ist  ddnn 
das  Mobilste  inmitten  mobiler  Dinge,  die  wir 
nach  verschiedenen  Möglichkeiten  umstellen 
können,  um  die  wir  herumgehen  können,  — 
wobei  sich  von  jeder  Stelle  des  Zimmers  neue 
Raum-Wirkungen,  neue  Überschneidungen,  neue 
Eindrücke  ergeben,  die  durch  Stoffe  und  Tep- 
piche  noch   bereichert    werden.     Feststehend 


bleibt  eigentlich  nurnoch  das  Verhältnis  zwischen 
Tür,  Fenster  und  Ofen ;  für  Schreibtisch  und  Bett 
ist  ebenfalls  —  infolge  der  Beziehung  zu  Licht- 
quelle und  Tür  —  die  Lage  eine  bestimmte.  .  . 

In  dieser  neuzeitlichen  Bürger-Wohnung  er- 
gibt sich  von  selbst  eine  Einschränkung  der 
Möbel  auf  das  unumgänglich  Notwendige. 
Auf  gute  Tische,  Sessel  und  Liege-Möbel  wird 
in  erster  Linie  Wert  zu  legen  sein.  Der  kul- 
turelle Gewinn  solcher  Einschränkung  wird  sich 
vor  allem  darin  zeigen,  daß,  —  wenn  wir  wie- 
der wenige ,  aber  gute  Möbel  in  unseren  Woh- 
nungen haben,  —  wir  wieder  eine  innigere 
Beziehung  zu  diesen  Einrichtungs-Stücken  un- 
seres Heims  herstellen  können.  Als  weitere 
Folge  ergäbe  sich  die  Möglichkeit,  unsere  bür- 
gerlichen Wohnräume  kleiner  zu  gestallen, 
und  trotzdem  keine  Beengung,  sondern  größere 
Bewegungs-Freiheit  zu  schaffen.  .  . 

Unsere  Arbeit  hat  nichts  mit  artistischem 
Künstlertum  zu  tun,  dessen  Kennzeichen  Ge- 
fallsucht und  geistige  Inhaltlosigkeit  bleiben. 
Unsere  Arbeit  soll,  als  Ausdruck  höchster 
Menschlichkeit  und  sozialer  Gesetzmäßigkeit, 
Harmonie  in  unsere  Lebensgemeinschaft  brin- 
gen. Damit  ist  dann  wenigstens  dem  Ordent- 
lichen, als  natürlicher  Bedingung  des  Da- 
seins, Genüge  getan hugo  gorge— wizn. 


37 


XXV.  April  1922,  5 


s 
I 

o 

o 
z 

N 
H 


Q 
Z 

O 


••® 


I 

M 
O 

o 

o 

o 

D 

K 
H 

Ui 
H 

a 

u 

< 


z 

« 


n 
< 

W 

a 

s 


W 
O 

o 
o 

H 

W 

H 

X 


ARCHITEKT  HUGO  GORGE-WIEN.  .WOHNKÜCHE« 


HUGO  GORGE-WIEN.  .WOHNKÜCIIK-  BLICK  (iEGEN  DIE  SCHRANKWAND. 


ARCHITEKT  HUGO  GORGE-WIEN.  .WOHNKÜCHE. 


HUGO  GORGE.  »NISCHE  DER  WOHNKÜCHEt 


KARL  LANG-HANAU  A.  MAIN.  »EMAIL-MALEREI« 


K.  LANG- 
HANAU. 
>EMAIL- 
MALEREIf 


DER  KÜNSTLER  UND  SEINE  PERSON. 


I)erson  und  Persönlichkeit  sind  zweierlei.  Das 
erste  bezeichnet  das  gesellschaftliche  Sein 
des  Menschen,  im  Gegensatz  zu  seinesgleichen. 
Das  zweite  bezeichnet  den  schöpferischen,  ein- 
maligen Inhalt  des  Ich;  es  bezeichnet  die  be- 
stimmte Welt,  die  mit  und  in  einem  einzelnen 
Menschen  geboren  ist.  So  wertvoll  und  ergiebig 
für  das  Kunstschaffen  das  zweite  ist,  so  be- 
denklich sind  die  Störungen,  die  sich  aus  dem 
ersten  ergeben.  Die  Persönlichkeit  darf  und 
muß  der  Künstler  pflegen,  die  Person  aber  muß 
er  überwinden. 

Das  ist  keine  neue  Weisheit.  Sie  findet  sich 
ausgesprochen  und  tätig  bewährt  in  allen  Zeiten 
starker  und  lebendiger  Kunst.  Insbesondere 
alle  mystische  Weisheit  ist  durchdrungen  da- 
von. „Le  Moi  est  toujours  haissable",  sagt 
Pascal.  Von  Laotse,  dem  gewaltigen  und  wun- 
derbaren Lehrer  des  Tao,  sagt  der  Biograph, 
daß  er  sich  in  die  Einsamkeit  zurückzog  und 
unbekannt  zu  bleiben  wünschte.  Bernhard  von 
Ciciirvaux,  der  Prediger  mystischer  Demut, 
betete  zu  Gott:  „Da  mihi  nesciril"  (Gib  mir, 
daß  ich  unbekannt  bleibe). 

Und  es  ist  wirklich  so,  daß  die  „Person"  das 
schwerste  Hemmnis  aller  echten  Menschentat 


ist.  Vor  allem  aller  echten  künstlerischen  Lei- 
stung. Der  Künstler,  der  seine  „Person"  nicht 
überwindet,  wird  nie  in  den  Vollbesitz  der 
Schaffenskräfte  kommen.  Dieses  Überwinden 
bedeutet  ja  nicht  eine  Besitzminderung,  eine 
Verarmung.  Die  „Person"  ist  geradezu  der 
Pfropfen,  der  den  Quell  der  Schaffenskräfte  ver- 
schließt. Erst  wenn  er  herausgezogen  wird,  be- 
ginnen jene  zu  sprudeln.  Überwindung  der 
„Person"  bedeutet  Durchbruch  zur  Persönlich- 
keit. Person  ist  das  Ich  als  Negativum,  als  Ver- 
neinung und  Ausschließung  des  Göttlichen. 
Persönlichkeit  ist  das  Ich  als  Ort  der  Einmün- 
dung götthcher  Kraftslröme  in  das  Wesen  des 
Menschen.  Allen  l'.rnstes  ist  künstlerisches 
Schaffen  Dienst  am  Göttlichen. 

Nie  werden  wir  die  Höhe  vergangener  Kunst- 
leistung erreichen  dadurch,  daß  wir  ihre  Kom- 
positionsschemata nachrechnen,  ihre  Farben 
psychologisch  enträtseln  und  etwas  abstrahieren, 
was  so  aussiebt,  als  ob  wir  es  rezeptartig  für 
unsre  eignen  Werke  verwenden  könnten.  Son- 
dern nur  dann  können  wir  hoffen,  zu  jenen 
Großen  aufzusteigen,  wenn  wir  ihre  Seelen- 
lage  begriffen  und  uns  womöglich  zugeeignet 
haben hm. 


45 


XXV.  April  1922    6 


KARL  LANG     HANAU. 


»EMAIL-MALEREI« 


KARL  LANG— HANAU  A.  M.    >EMAIL-MALERE1« 


ARCHITEKT  DAGOBERT  PECHE.  »KLÖPPEL-MOTIV,  durchu.  2b  cm. 

AUSFÜHRUNG:  WIENER  WERKSTÄTTE. 


DAGOBERT  PECHE— WIEN. 


>KLU1'PEL-MÜT1V-    2ü  CM. 


KLÖPPELSPITZEN  UND  SEIDENKISSEN. 

zu  DEN  ARBEITEN  DEK   »WIENER  WEKKSTÄTTE« 


Die  Zierlichkeit  der  Spitze,  das  Duftige,  Le- 
bendige und  bei  aller  Zartheit  doch  cha- 
raktervoll Strukturelle,  Organisch-Gewachsene 
dieses  Kunstgebildes  hatte  in  früherer  Zeit 
diesem  populärsten  Erzeugnis  der  künstlerisch 
hochstehenden  Handarbeit  so  allgemeine  Wert- 
schätzung gewonnen,  daß  keine  Frau  dieser 
Zierde  bar  sein  wollte.  Später,  —  als  die  künst- 
lerisch-schöpferischen Kräfte  ermüdeten,  er- 
starrte auch  die  Hand-Spitzen-Erzeugung  mehr 
und  mehr  in  Tradition  und  kam  dann  dem  Er- 
löschen nahe. 

Mit  dem  Einsetzen  einer  umfassenden  Neu- 
belebung  aller  kunsthandwerklichen  Arbeit 
nahm  man  sich  auch  der  H  an  d s  p i  t  z  e  wieder  an. 
Mit  dem  Kopieren  historischer  Formen  wurde 
begonnen  und  das  Zeitstil -Suchen  der  jungen 
Kunst  bezog  auch  die  Spitze  ein.    Die  Bestre- 


bungen waren  aber  meist  mehr  auf  die  Musterung 
gerichtet,  als  auE  deren  Voraussetzung:  der 
neuerlichen  Sinn-Erfüllung  der  Technik. 

Dieses  Problemes  ist  vor  allen  anderen  neu- 
zeitlichen Versuchen  Dagobert  Peche  Herr 
geworden  in  seinen  Entwürfen  und  Anleitungen 
im  Rahmen  der  Spitzen-Herstellung  der  „Wie- 
ner Werkstätte".  .  In  den  feinen  Tüllsticke- 
reien der  Wiener  Werkstätte  steigerte  er  zu- 
nächst diese  Technik  zu  ihrer  höchsten  künst- 
lerischen Form,  gab  gleichsam  die  Essenz  in 
reinster  Darbietung.  Jetzt  hat  Dagobert  Peche 
seine  künstlerische  Intensität  der  Klöppel- 
Technik  zugewendet  und  auch  hier  Höchst- 
leistungen erzielt.  Die  Spitzen -Umrahmungen 
dieser  Leinen-  oder  Batistdeckchen  weisen  eine 
Mannigfaltigkeit  auf,  die  bei  allem  Witz  der  Er- 
findung und  Anordnung  so  bündig  ornamental 


49 


Die  Vt-rcdliiiig  ihr  Klo pprl spitze. 


50 


PARADEISER.  »KISSEN  AUS  SCHWARZEM  LIBERTY,  MIT  CBENILLE  BUNT  BESTICKT« 
AUSFÜHRUNG;  WIENER  WERKSTÄTTE. 


gelöst  sind,  in  ihrer  symmetrischen  Reihung  und 
vornehmen  Flächenfüllung  so  harmonisch  wir- 
ken, daß  sie  den  Höchstleistungen  früherer 
Zeiten  vöüig  ebenbürtig  zur  Seite  stehen. 

Die  frische  Lebendigkeit  dieser  Formungen 
konnte  nur  aus  einer  mit  neuem  Sinn  beseel- 
ten Technik  entspringen.  Sie  offenbart  sich 
voll  in  den  figuralen  Einzelmustern,  die  nicht  in 
Abhängigkeit  von  einem  Gebrauchszweck,  son- 
dern nur  aus  der  Freude  am  Erzeugnis  selber 
geschaffen  wurden.  Die  Unmittelbarkeit  der  ge- 
wonnenen bildlichen  Wirkung,  die  beson- 
ders in  den  Köpfen,  Figuren  und  Tieren  durch 
die  feinsten  zeichnerischen  Qualitäten  ausge- 
zeichnet ist,  erhebt  nunmehr  auch  die  Klöp- 
peltechnik in  die  Reihe  der  freien,  künst- 
lerischen Ausdrucksmittel.  Gleiche  künst- 
lerische Reife  ist  den  buntbestickten  Seiden- 
kissen eigen,  die  in  ihrer  technisch  vollendeten 
Ausführung  und  wohligen  Farbenstimmung  sich 
willig  als  letzte  Reize  der  vornehmen  Wohnung 
einschmiegen.    Der  künstlerischen  Phantasie  ist 


dabei  das  freieste  Spiel  gewährt.  Nahezu  hem- 
mungslos darf  sie  sich  darauf  ergehen ;  denn  allen 
schulmeisterlichen  Bindungen  haben  sich  die 
Künstler  der  Werkstätte  schon  längst  entwun- 
den. So  werden  denn  sonderbare  Blumen  und 
Vögel,  Menschen  und  Tiere,  gar  ein  Schiff  zur 
schmückenden  Hieroglyphe.  Solche  Gebiets-Er- 
weiterungen künstlerischen  Schaffens  sind  als 
willkommeneBestärkungimStreben  zubegrüßen, 
unsere  Zeit  endlich  wieder  von  der  Vorstellung 
zu  befreien,  daß  die  eigentliche  Kunstübung  nur 
in  graphischer  Darstellung  und  in  der  Malerei  zu 
sehen  sei. . .  Und  da  liegt  auch  das  für  die  künf- 
tige Kultur-Entwicklung  unschätzbare  Verdienst 
der  Wiener  Werkstätte,  daß  sie  die  höchst- 
qualifizierten  Künstler  wirbt,  um  durch  die 
restlose  Überführung  aller  ihrer  Zweige  in  die 
Sphäre  künstlerischer  Freiheit  und  Vol- 
lendung, durch  den  hohen  Gehalt  ihrer  Werke, 
die  Beschränktheil  des  vielfach  noch  herr- 
schenden Begriffes  von  Kunst  und  Kunst- 
Schaffen  zu  beseitigen,    Ludwig  steinmetz    wien. 


K.  RIX— WtEN.  «KISSEN  AUS  SCHWAR/.EM  LIBERTY,  Mir  SEIDE  BUNT  BESTICKT« 
AUSFÜHRUNG:  WIENER  WERKSTÄTIE. 


ZEITSTIL  UND  VOLKSSTIL. 


Indem  man  den  Begriff  eines  „Zeitsfils"  als  ge- 
geben hinnimmt,  bekennt  man  sich  zu  der 
geschichtlich  eindrucksvoll  genug  erhärteten 
Tatsache,  daß  bestimmte  Zeitepochen  ihren 
im  Wechsel  begrenzten  sinnlichen  Ausdrucks- 
charakter geschaffen  haben.  Der  läßt  sich  be- 
schreiben an  einer  gewissen  Wiederkehr  von 
Foimsymbolen,  für  deren  P"ntstehen  man  aller- 
hand Erklärungen  finden  kann  äußerer  Natur, 
deren  Aufnahme  durch  eine  Zeit,  deren  Ver- 
schwinden in  die  Vergangenheit  aber  etwas  ewig 
Geheimnisvolles  bleibt.  Der  „Stil"  ist  der  Aus- 
druck der  geistigen  Haltung  einer  Epoche,  und 
es  ist  unumgänglich,  daß  rückschauende  Zeit 
sein  Wesen  literarisierend  und  romantisch  um- 
rankt —  aber  eben  nur  rückschauende  Zeit,  die 
sich  selber  gegenüber  unsicher  geworden  ist  und 
geneigt,  ihre  eigene  Gegenwart  als  „stillos"  zu 
empfinden.  „Stillos"  aber  ist  keine  Zeit,  denn 
jede  bedarf,  wenn  sie  in  den  Strom  der  Wand- 
lung gerissen  ist  und  nicht  auf  einer  tropischen 


Südseeinsel  im  Schöße  uralt  gleicher  Vegetation 
träumt,  ihres  Ausdrucks;  auch  schlechter  Stil 
ist  immerhin  Stil,  auch  schlechte  Form  ist  Form, 
und  es  ist  eineHilfskonstruklion  desGeschniacks, 
wenn  man  von  „Entformuag"  redtt.  Solche 
Erkenntnis  ist  gefährlich,  wenn  sie  zu  der  Resig- 
nation führt,  die  Form  feiner  Zeit  nun  eben  bloß 
als  Gegebenes,  schier  Zwangsläufiges  zu  nehmen, 
aber  wohltätig,  wenn  sie  davor  warnt,  eine 
rational  erklügelte  oder  schwärmend  empfun- 
dene Formidee  künstlich  einem  Zweck,  einer 
Zeit,  einer  geistigen  Atmosphäre  aufzuzwingen, 
deren  Wesen  von  völlig  fremden  ICräftcn  ge- 
speist ist.  Hieran  lag  ja  der  guigläubige,  wenn 
auch  verhängnisvolle  Irrtum  des  historischen 
Eklektizismus,  hier  lauern  auch  die  Gefahren 
jenes  Subjektivismus,  der  mit  herrischer  Ge- 
bärde Zeitsymbole  diktieren  will.  Wenn  Stile 
sich  durch  geistige  Umlagerungengeändert  haben, 
so  heißt  das  nicht,  daß  dies  Vorgänge  außerhalb 
der  Willenssphäre  gewesen  sind,  sie  sind  durch- 


51 


Zeitstn  lind  Volksstil 


52 


V.  WIESELTHIER.   »KLÖPPEL-MOTIV«    Is  :  l-,  CM.    AUSFÜHRUNG:  WIENER  WERKSTÄTTE. 


setzt  von  Beispiel,  Suggestion  und  Erziehung, 
der  „Wille  zur  Form",  wenn  es  nicht  der  Wille 
zum  Formchaos  ist  (den  es  auch  als  stilistische 
Attitüde  gibt),  ist  als  aktive  Kraft  berufen,  den 
Weg  zu  irgend  einem  Vollkommenerem  zu 
suchen,  aber  er  soll,  will  er  fruchtbar  sein,  seine 
Bindung  in  der  Zeit,  und  sei  es  die  heute  noch 
verhaßte  Zeit,  nicht  vergessen. 

Wahrer  Stil  ist  überpersönlich.  Wem  nun 
gehört  er,  einer  Zeit,  unter  deren  einheitliche 
geistige  Sprache  sich  die  Volkspersönhchkeiten 
neigen,  einem  Land  und  seiner  Bevölkerung,  die 
unter  dem  Gesetz  ihrer  Art  die  eben  ihnen 
eigentümliche  Ausdrucksform  schsiffen?  Indem 
man  diese  beiden  Fragen  stellt,  sieht  man  die 
Antworten  aus  der  Geschichte  kommen:  daß  es 
wohl  einige  große,  völlig  gesonderte  Kulturkreise 
gibt,  daß  aber  innerhalb  ihrer  Sphäre  der  Stil- 
willen keine  nationalen  Grenzen  kennt,  sondern 
nur  nationale  oder  gar  landschaftUche  Modifi- 
zierungen. Aber  je  weiter  der  Prozeß  der 
NationaUsierung  der  Kulturen  im  eigenen  Be- 
wußtsein schreitet  (die  Gotik  kannte  ihn  nicht, 
die  Renaissance  und  das  Beurock  bereiten  ihn 
vor),  desto  stärker  beginnt  die  Differenzierung. 


Sie  ist  die  Erscheinung  eines  geistigen  Vorgangs, 
der  nicht  nur  die  nationalen,  sondern  auch  die 
religiösen  Komplexe  in  sich  schUeßt  (Barock  in 
katholischen ,  in  evangelischen  Landesteilen). 
An  seinem  Abschluß  steht  für  unser  heutiges 
Begreifen  das  Ende  der  großen  undiskutierten 
Zeitstile,  sei  es,  daß  sie  ihre  wesentlichen  Sym- 
bole von  der  umfassenden  Geistesmacht  der 
Kirche,  sei  es  von  den  parallelen  Entwicklungen 
des  fürstlichen  Hoheitscharakters  erfuhren,  und 
steht  der  Beginn  des  Nachdenkens  über  einen 
„nationalen  Stil",  in  einer  Periode  freilich,  da 
an  die  Lösung  der  großen  Zeitgebundenheiten 
keine  unmittelbar  deutliche  Volksgebunden- 
heiten der  Form  sich  anschließen. 

Doch  ist  das  unverkennbar:  wenn  wir  uns 
heute  die  Möglichkeit  überdenken,  wie  ein  „  Zeit- 
stil" aussehen  könne,  so  klingt  unausgesprochen 
mit:  „bei  uns  in  Deutschland".  Und  zwar  in  an- 
derem Sinn  als  man  vor  100  und  80  Jahren  die 
Gotik  als  „deutschen  Stil"  reklamierte  oder  als 
man  vor  fünfzig  Jahren  mit  der  „deutschen 
Renaissance"  teils  nationalen  Stolz  und  teils 
Geschäfte  machen  wollte.  Sondern  mit  dem 
Gefühl:  wir  wollen  die  unserem  Wesen  und  un- 


A.  SCHRÖDER-WIEN.  .KLÖPPEL-MOTIVE«  20  :  20  CM. 

AUSFÜHRUNG:  WIENER  \VERKSTÄTTE. 


XXV.  April  1922.  7 


Zeit  Stil  und  Volksüil. 


54 


L.   KRIEIJMANN. 


.KibSEN  AUS  SCHWARZEM  LIBERTV,  MIT  S-EIDE  BUNT  BESTICKTc 
AUSFÜHRUNG:  WIENER  WERKSTÄTTE. 


serer  Lebensweise  gemäße  Form  finden.  Das  ' 
Suchen  nach  ihr  ist  nicht  auf  irgend  einen  ideal- 
deutschen Typus  aus  der  Retorte  abgestellt  — 
Werdandibünde  waren  halblebige  Kinder  von 
Dilettantismus  und  Eitelkeit  — ,  sondern  auf 
diese  Deutschen  im  Beginn  des  20.  Jahrhun- 
derts. Ihr  seelischer,  ihr  „soziologischer"  Habi- 
tus erscheint  uns  anders  als  der  der  Engländer 
und  Franzosen,  der  Russen  und  Amerikaner  — 
in  welche  Form  bannt  sich  ihre  Art?  Wir  mögen 
dieEntwicklung  diesesVolksgebildes  nach  seiner 
sozialen  Schichtung,  seinen  geistigenTendenzen, 
seinem  schöpferischen  Vermögen  skeptisch  oder 
enthusiastisch,  argwöhnisch  oder  gläubig  be- 
trachten —  wenn  wir  vom  „Stile"  reden,  der 
unserer  Zeit  entspräche,  denken  wir  eben  an 
dieses  problematische  neue  Deutschland  und 
weder  an  französischeKleinstädte  noch  amerika- 
nische Industiiesiedlungen.  Auch  an  diese  nicht ! 
Gewiß  kann  gegen  das  Wort,  den  Begriff 
„deutsche  Form"  Sturm  gelaufen  werden.  Die 
Internationalität  sei  nicht  nur  ein  Ruf  in  die  Zu- 
kunft, dem  alle  aufgeschlossenen  Geister  folgen 
müßten,  sondern  eine  handgreifliche  Tatsache 
der  Gegenwart:  Weltwirtschaft,  Weltverkehr, 
Warenaustausch,  Weltproletarial,  Weltrevolu- 
tion, auch  im  Geistigen.  Und  seien  nicht  die 
Strömungen  der  bildenden  Kunst,  Impressionis- 


mus, Expressionismus,  grenzensprengende  Vor- 
gänge, die  uns  vor  die  Tatsache  einer  europä- 
ischen Kunst  hinführen.  Ich  halte  diese  Aussage 
für  falsch.  Wenn  man  heute  etwa  „europäische 
Graphik"  als  Einheit  sammelt,  so  ist  das  ein 
Mißverständnis,  denn  gerade  in  dieser  Kunst, 
bei  Goya  wie  Hogarth,  bei  Richter  und  Rethel 
wie  Guys  und  Daumier,  sind  die  nationalen 
Akzente  am  stärksten.  Technische  Problem- 
stellungen sind  einer  Zeit  gemeinsam,  und  Groß- 
städte sind  zum  Teil  in  gleicher  Weise  Schlag- 
worten ausgeliefert,  aber  die  großen  Franzosen 
bleiben  Franzosen,  Kodier  ein  Schweizer,  Munch 
ein  Norweger,  sie  sind  keine  Europäer,  sie  ragen 
ins  Europäische,  weil  sie  in  ihrer  Gebundenheit 
groß  sind.  Und  wenn  gewiß  die  Maschine  ihr 
Formgesetz  von  der  Zahl,  vom  MeßbcU-en  emp- 
fängt und  die  mathematischen  Ziffernreihen 
keine  Grenzpfähle  kennen,  so  ist  auch  das  Be- 
rechenbare nicht  der  schöpferische  Meister  der 
Form.  Und  wir  wissen,  wie  selber  in  dies  Ge- 
biet hinein  das  Irrationale  sich  auswirkt.  Inter- 
national ist  eines:  der  Kitsch,  und  es  bleibt  die 
schlimmste  Zeit  für  Deutschland,  da  es  inmitten 
eines  jugendlichen  Kraftmeiertums  seine  Auf- 
gabe darin  sah,  den  Bedarf  der  ganzen  Welt 
an  dieser  Lebensunentbehrlichkeit  zu  decken. 
—  Für  die  Entwicklung  unseres  nationalen  und 


G.  TEJCKA.  >K1SSEN  AUS  LILA  TAfX,  MIT  SEIDE  BUNT  BESTICKT«  AUSF:  WIENER  WERKST. 


G.  TEJCKA.   »KISSEN  AUS  GELBEM  TAFT,  MIT  SEIDE  BUNT  BESTICKT«  AUSF:  WIENER  WERKST. 


Znfsfil  7niJ  ]'olkssf!!. 


zeitlichen  Ausdrucks  ist  entscheidend  der  sitt- 
liche und  sachliche  Ernst,  in  dem  die  Träger 
eines  schöpferisch  formalen  Vermögens  sich  mit 
den  eigentümlichen  Aufgaben  dieser  Zeit  ver- 
binden. Laune  allein  gebiert  das  Wesentliche 
nicht;  wo  freilich  ist  es  zu  finden,  wenn  fast  als 
einzige  Aufgabe,  die  dem  formenden  Willen  der 
jungen  Künstler  gestellt  ist,  der  Umbau  von 
Likörstuben  und  „Dielen"  vorhanden  erscheint? 


Es  ist  zu  fürchten,  daß  manche  wertvollen  An- 
sätze zerstört  werden,  wenn  nicht  aus  derNation 
heraus  begriffen  wird,  daß  ihre  Zukunft  einer 
Reinigung  von  Wust  und  Mode  bedürftig  ist. 
Uns  ist  es  außer  Zweifel,  daß  die  Antwort  auf 
die  Frage  nach  einer  deutschen  Form  und  dem 
„Stil  unserer  Zeit",  der  ein  guter  Stil  sein  soll, 
abhängig  ist  von  Entscheidungen  innerer,  mora- 
lischer wie  politischer  Natur.  .  .  theodor  heuss 


DAGOBERT  PECHE.  .KLÖPPEL-MOTIV.  15  :  30  CM. 

AUSFÜHRUNG:  WIENER  WERKSTÄTTE. 


CARL  MENSE— MÜNCHEN.  ^FRAUENBILDNIS* 

MIT  GENEHMIGUNG  VON  HANS  GOLTZ  -  MÜNCHEN 


■  ' 

rsa 

^B^ 

1  ^^^ 

^^H 

CARLO 

MENSK. 

BILDNIS 

»DAVRING- 

HAÜSENc 


CARLO  MENSE-MÜNCHEN. 


Innerhalb  des  stets  lebendigen  Gestaltwandels 
der  Formen,  deren  Aufgabe  es  ist,  ein  inneres 
Erleben  mit  sinnlicher  Kraft  und  Fülle  auszu- 
sprechen, entbehrt  es  eines  tieferen  Sinnes, 
festzustellen,  daß  diese  oder  jene  „Richtung" 
der  Kunst  tot  sei.  Denn  immer  wieder  offen- 
bart es  sich  dem  erkennenden  Blick,  daß  die 
aufeinanderfolgenden  Generationen  der  Künst- 
ler, wie  schroff  auch  jung  und  alt  sich  befehden 
mögen,  von  dem  Kunstgute  der  Vergangenheit 
zehren.  Jede  Form  hat  wie  jede  Art  des  Er- 
lebens eine  Geschichte,  die  die  Keime,  aus 
denen  sie  langsam  wuchs,  erkennen  läßt. 

Wenn  heute  die  verschiedengearteten  Quellen 
derjenigen  Strömungen,  die  man  unter  dem 
Sammelnamen  des  Expressionismus  zusammen- 
faßte, mehr  und  mehr  sich  zu  einem  „regulier- 
ten" Strome  zu  einen  trachten,  in  stolzer  Größe 
cils  ein  „Allgemeines"  deihinfluten  wollen,  so 
haben  alle  diese  seltsamen  und  bisweilen  längst 


überholten  Versuche  das  Gute  gehabt,  den 
künstlerischen  Willen,  das  Kunstwollen  so  un- 
mittelbar in  den  Brennpunkt  des  seelischen  Er- 
lebens zu  stellen,  daß  der  Wille  durch  Form 
und  Farbe  ein  sonstwie  Unsagbares  und  Uner- 
klärbares auszudrücken,  als  zwingendstes  Form- 
und Seelenerlebnis  der  Zeit  gellen  kann. 

Solche  Betonung  des  rein  künstlerischen  Seins 
hatte  zur  Folge,  daß  zwar  ein  jeder  eigenwillig 
sein  wollte,  daß  aber  nur  die  wenigstens  einen 
Weg  fanden,  für  ihr  persönliches  Erleben  die 
persönliche  Form  zu  finden.  Wenn  auf  dem 
Wege  zu  diesem  Ziele  mitunter  eine  über- 
große Fülle  von  Erinnerungsbildern  vergange- 
ner Kunstformen  zu  Bausteinen  der  neuen 
Form  werden  mußten,  so  ist  die  Tatsache  aus 
der  Einstellung,  nur  Seelisches  ausdrücken  zu 
wollen,  heute  verständlich.  Daß  auf  diesem 
Wege  der  Zersplitterung  des  großen  strömen- 
den Gefühles  für  eine  allgemeingültige  Formen- 


59 


XXV.  M»l  1922    1 


Carlo  Mcuse- München. 


spräche  das  große,  in  sich  geschlossene,  klar 
gebaute  Kunstwerk  nicht  selten  wie  in  uner- 
reichbarer Ferne  schwebend  erscheinen  mochte, 
wer  wollte  das  bezweifeln?  Aber  auf  dem  ein- 
mal beschrittenen  Wege  gab  es  kaum  ein  „Zu- 
rück", da  die  Ernsthaftigkeit  des  Willens,  als 
Eigner  eine  eigene  Formseele  zu  schaffen  als 
gegebene  Tatsache  anerkannt  werden  muß. 

Da  dergestalt  im  wahren  Sinne  des  Wortes 
von  Innen  nach  Außen  geschaffen  wird,  bleibt 
bei  starken  Naturen  die  fast  zufällige  Anleh- 
nung an  diese  oder  jene  bekannte  Kunstform 
belanglos.  Schon  die  Bedingtheit  jeder  Form 
durch  die  gestaltende  Macht  des  Zeitstiles  läßt 
bewußt  oder  unbewußt  Abhängigkeit  aufkom- 
men. Unter  diesem  Blickwinkel  hat  der  Weg, 
den  Carlo  Mense  durchlaufen  hat,  nichts  Be- 
fremdendes. Rückschauend  würde  man  heute 
sagen,  wenn  man  die  hier  veröffentlichten  Werke 
als  einen  Abschluß  auf  einem  lange  vorbereite- 
ten Wege  betrachten  will,  daß  sich  mit  einer 
unverrückbaren  inneren  Notwendigkeit  alles 
Wollen  und  Erleben,  jede  künstlerische  Form- 
äußerung zu  dieser  machtvollen  Ausdrucksform 
linearer  Gestallung,  zu  dieser  wuchtenden  und 
beruhigenden  Sprache  der  kubischen  Massen, 
zu  dieser  kristallklaren  Ablesbarkeit  des  Räum- 
lichen, zu  der  gestuften  Schönheit  der  Farb- 
flächen,  und,  so  sagen  wir  zusammenfassend,  zu 
dem  abgewogenen  und  ausgeglichenen  Gewächs 
der  reichen  und  klaren  Bildeinheit  verdichtete. 

Schon  in  frühesten  Jugendbildern  impressio- 
nistischer Einstellung  war  es  der  gewaltsame 
Ausdruck  von  Farbe  und  Linie,  der  notwen- 
digerweise zur  expressionistischen  Formen- 
sprache führen  mußte.  In  dieser  wiederum 
war  es  weniger  chaotische  Wildheit  als  die 
Neigung,  klare  und  ablesbar-faßbare  Formbe- 
ziehungen von  geprägter  Struktur  des  Aufbaus 
zu  gewinnen,  bis  sich  vor  etwa  zehn  Jahren, 
mehr  und  mehr  die  Neigung  durchringen  sollte, 
mit  den  denkbar  einfachsten  Mitteln  den  denk- 
bar klarsten  Bildeindruck  zu  geben. 

Das  ist  nunmehr  erreicht.  Form  und  Farbe, 
Linie  und  plastische  Körperhafligkeit,  die  Be- 
ziehungen der  großen  und  kleinen,  der  kurvigen 
und  der  scharfkantigen  Körpereinheiten  zuein- 
ander, die  reichen  und  stimmungsvollen  Stuf- 
ungen der  Tonwerte,  die  den  beherrschenden 
großen  Farbflächen  in  dem  lebendigen  Reich- 
tum kleiner  und  kleinster  Farbwerte  Geltung 
verschaffen ,  sie  alle  haben  ihren  geheimnis- 
vollen Ursprung  in  einer  Quelle:  in  einem  ein- 
zigen bestimmenden  Gefühlsklang,  der  jedem 
der  Form  dienstbarem  seelischen  Erlebnis  dieses 
einzigartige  und  einmalige  Gepräge  verleiht. 
Daher  vermag  diesen  Maler  der  sprühende  und 


strahlende  Reichtum  der  sinnlichen  Erschei- 
nungsfülle nicht  zu  verwirren,  daher  wuchtet 
die  Wirklichkeitsform  nicht  drückend  auf  der 
vorgeahnten  Kunstform,  sondern  wie  ein  natür- 
liches Gewächs  entfaltet  sich  das  Formgef üge  aus 
der  beherrschenden  Gefühlsfeinheit,  die  einem 
inneren  Erleben  Gestalt  verleihen  möchte. 

Dieser  Gestaltungskraft  ist  es  zuzuschreiben, 
daß  ein  Großes  und  Zwingendes  aus  diesen 
Bildern  rätselvoll  hervorschaut.  Unerklärbar. 
Denn  daß  diese  Form  sich  mit  dieser  Farbe 
verbinden  mußte,  um  zum  Bilde  zu  werden,  ist 
Werk  der  geslaltschaffenden  Phantasie.  Aller- 
dings —  und  dies  auch  nicht  zum  geringsten  — 
Ergebnis  einer  sorgsamen  und  jedem  Wollen 
dienstbaren  Technik.  Aus  der  wundersamen 
Feinheit,  mit  der  die  Farbe,  man  möchte  bis- 
weilen sagen,  allmeisterlich  aufgetragen  wurde, 
aus  der  Sicherheit,  mit  der  die  Farbtöne  nicht 
selten  unter  Auswertung  der  Wirkungen  der 
neoimpressionistischen  Theorien  der  Farbzer- 
legung gewählt  wurden,  aus  der  Klarheit,  mit 
der  die  Größe  und  die  Umrandung  der  einzel- 
nen Farbflächen  dem  wirkungssicheren  Cha- 
rakter der  Farbtöne  entsprechend  gestaltet  sind, 
spricht  nichts  mehr  von  der  Mühe  und  Arbeit, 
von  den  ergebnislosen  Versuchen,  die  zu  dieser 
Beherrschung  desTechnischen,  derDarstellungs- 
mittel  der  Form  wie  der  Farbe,  führen  sollten. 

Diesen  aufbauenden  Werten  gegenüber  wird 
man  ein  Anderes  nicht  in  Abrede  zu  stellen 
brauchen.  Ich  meine  die  Tatsache,  daß  An- 
klänge an  alte  Meister  mitschwingen.  Man 
könnte  an  Meister  denken  wie  Michael  Fächer, 
was  die  Klarheit  des  Raumgefüges  anbetrifft, 
an  Altichiero  oder  Avanzi,  was  das  Gestuftsein 
der  räumlich-körperhaften  Dingwelt  angeht,  an 
venezianische  Meister  oder  an  Lukas  Cranach. 
Aber  was  besagen  solche  Namen  I  Sie  geben 
nur  hier  und  da  einen  Hmweis,  wie  bestimmte 
und  sehr  persönUche  Ziele  erreicht  werden  der- 
gestalt, daß  bei  Verfolgung  des  Weges  ein 
Stück  oder  die  Richtung  eines  Weges  bewußt 
oder  unbewußt  mit  einer  schon  einmal  fest- 
stehenden Lösung  zusammengeht.  Eine  Tat- 
sache, die  in  allen  Zeiten  der  Kunst  selbstver- 
ständhches  Vorrecht  des  gefühl-  und  phantasie- 
begabten Künstlers  war. 

Wenn  nur  dies  Eine  unangetastet  bUeb :  daß 
die  innere  und  eigenste  Wucht  des  seelischen 
Ausdrucks  dadurch  nicht  getrübt  wurde,  daß 
die  fremde  Form  nicht  Fessel  wurde,  nicht 
Maske,  die  falsches  Sein  vortäuschen  sollte. 
Daß  dem  nicht  so  ist,  daß  Form  und  Farbe 
schlichte  Einheit  eines  lebensvollen  Gefüges 
sind,  wird  fühlen,  wer  die  Innerhchkeit  dieser 
geschlossenen  Form  liebt lOthgen 


CARLO  MENSE    MÜNCHEN.  »WINTER. 

VERLAG  HANS  GOLTZ— MÜNCHEN. 


CARLO  MENSE-MÜNCHEN.  »MÖNCH. 


^^^f^"^                                      v^^^^^ 

-^^     ^^ 

p^ 

HK  ^ 

^^L  ^Hff|r^^|U^^ »      fl 

'  >             |b 

hk    1 

i^^pprjyi    >■ 

i'*-     f 

'*mI 

PU^'O'^l      ISI^^ 

^vf"  '^R^mI 

^J 

B^ 

^^Zm^  i^S^ 

^^ 

hHHT 

i    .^r.j 

i 

CARLO  MENSE.  »NINIVE  WIRD  GEWARNT. 

VERLAG  HANS  GOLTZ— MÜNCHEN. 


CARLO  MENSE.  >AKT  IN  ITALIENISCHER  LANDSCHAFT. 

VERIAG  HANS  GOLTZ— MÜNCHEN. 


DAS  GEHEIMNIS  DES  PRIMITIVEN. 

VON  ERNST  V.  MEBELSCHÜrz. 


Ein  den  Meisten  zunächst  nicht  eben  belang- 
reich erscheiaendes  Ereignis  hat  mir  jüngst 
tiefe  und  erschöpfende  Aufschlüsse  über  die 
Kunst  und  ihr  Verhältnis  zum  Leben  geschenkt. 
Es  war  ein  Besuch  im  Hamburger  Museum  für 
Völkerkunde,  also  einer  Anstalt,  die,  wie  der 
Name  ja  schon  sagt,  nicht  eigentlich  der  Kunst 
gewidmet  ist,  sondern  ethnographischen  Zwek- 
ken  dient  uod  damit  vorzugsweise  wissenschaft- 
liche Belehrung  spenden  will.  Aber  merkwür- 
dig —  diese  ganze,  systematisch  geordnete 
Masse  von  Gebrauchsgegenständen  der  soge- 
nannten „Naturvölker"  vom  Kanoe  bis  zum 
Fingerring  erschien  mir  in  dieser  kurzen  Stunde 
unter  einem  ganz  bestimmten  Gesichtswinkel. 
Der  Nutzwert  all  dieser  Dinge  trat  entschieden 
in  den  Hintergrund,  umso  zwingender  drängte 
sich  mir  ifir  rein  künstlerisch  er  Gehalt  auf. 
Nur  daß  das  Wort  „Kunst"  plötzlich  einen  ganz 
neuen,  von  der  landläufigen  Bedeutung  völlig 
abweichenden  Sinn  erhielt.  Kunst  und  Leben 
rückten  auf  einmal  unwahrscheinlich  nah  anein- 
ander —  nein,  sie  flössen  in  einem  breiten  ge- 
meinsamen Strome,  sodaß  man  sie  garnicht  mehr 
unterscheiden  konnte,  dem  gleichen,  unbe- 
kannten Ziele  zu.  Aus  dem  simplen  Lenden- 
schurz jedes  beliebigen  Südseeinsulaners  sah 
mich  die  Kunst  an  —  gleichsam  mit  großen, 
erstaunten  Augen,  als  wunderte  sie  sich  über 
diese  typisch  europäermäßige  „Entdeckung". 
Und  umgekehrt  —  vor  jedem  dieser  fratzenhaft 
ausdruckstcirken  Idole,  vom  Künstler  sinnreich 
geschnitzt  und  mit  grellen  Farben  bemalt,  emp- 
fing ich  den  Eindruck:  dies  ist  Leben!  wenn 
freilich  auch  Leben  mit  einem  höheren,  poten- 
zierteren  Wirkungsgrad.  Hier  ist  Kunst  nicht, 
wie  bei  uns,  eine  dem  Luxus  dienende  Begleit- 
erscheinung des  Lebens,  auch  nicht  ein  gegen 
die  Lebensnot  aufgerichteter  Damm,  sondern 
das  Ergebnis  eines  Wachstumszwanges,  eine 
organische  Kraftäußerung  von  so  selbstver- 
ständlicher Vitalität,  daß  ich  wirklich  zweifle, 
ob  die  Menschen,  die  sie  ausüben,  sich  eines 
besonderen  Namens  für  sie  bedienen.  Kunst 
und  Leben  setzt  eine  —  in  den  meisten  Fällen 
wohl  unbewußte  —  Trennung  beider,  eine  Ab- 
grenzung von  Interessensphären  voraus.  Es  ist 
unser  Fall.  Wo  aber  Kunst  und  Leben  aus 
derselben  Quelle  fließen  und  die  gleiche  Bewe- 
gungsrichtung haben,  wären,  sollte  icli  meinen, 
gesonderte  Bezeichnungen  für  beide  sinnlos. 
Irre  ich  nicht,  so  liegt  gerade  hier,  in  dieser 


grandiosen  Totalität,  der  Hauptanreiz,  den 
die  primitive  Kultur  der  Negervölker  auf  den 
heuligen  Europäer  ausübt.  Die  Ganzheit  ihrer 
Existenz  ist  es,  die  uns  blasierte  Kulturmenschen 
plötzhch  zu  Schülern  der  „Wilden"  macht.  Oh, 
über  diese  Kulturl  Was  hat  sie  uns  nicht  alles 
gegeben!  Was  hat  sie  uns  nicht  alles  genom- 
men! Vielleicht  —  so  paradox  es  khngt  —  die 
Kultur  selber!  Denn  worin  besteht  Kultur  an- 
ders als  dcirin,  daß  sie  alle  Lebensäußerungen 
unter  einen  Generalnenner  faßt,  daß  auch  die 
Kunst,  dieser  Inbegriff  zeugenden  Daseins,  in 
dem  allgemeinen  Blutumlauf  kreist?  Es  unter- 
liegt gar  keinem  Zweifel,  daß  die  Kunst  in  West- 
europa eine  isolierte,  mit  den  übrigen  großen 
Lebensmächten  nur  noch  locker  zusammen- 
hängende Größe  ist,  die  sich  nur  gewaltsam, 
unter  Zuhilfenahme  klug  ersonnener  Theoreme, 
jenem  imaginären  Ganzen,  das  wir  reichlich  an- 
spruchsvoll unsere  „Kultur"  nennen,  einordnen 
läßt.  Diese  sogenannte  Kultur  —  die  es  mit 
Dingen,  aber  nicht  mit  Menschen  und  deren 
Veredelung  zu  tun  hat  —  gleicht  einem  präch- 
tigen aber  schlecht  komponierten  Teppich,  der 
wohl  materiell  eine  Einheit  bildet,  nicht  aber  in 
einem  höheren,  ästhetischen  Sinne,  weil  alle 
Ornamente  unharmonisch  nebeneinanderstehen, 
d.  h.  in  Form  und  Farbe  den  Eindruck  des 
Ganzen  wieder  zerstören  helfen.  Der  Teppich 
der  primitiven  Kulturen  ist  viel  einfacher,  ding- 
lich weniger  kostbar,  aber  er  ist  ein  einheit- 
hches  Gebilde.  Was  gibt  uns  also  das  Recht  — 
dies  war  die  Frage,  die  ich  mir  beim  Verlassen 
des  Museums  vorlegte  —  hochmütig  auf  eine 
Kultur  hinabzusehen,  die  im  allein  entscheiden- 
den Punkte  der  unsern  nicht  nur  überlegen  ist, 
sondern  die  vermöge  des  Wertinhalts,  mit  dem 
sie  sich  zu  füllen  weiß,  dem  Begriff  „Kultur" 
überhaupt  erst  einen  lebendigen  Sinn  gibt? 
So  wurde  mir  dieser  Museumsbesuch  zum  Er- 
lebnis. Er  lehrte  mich  das  Geheimnis  des  Primi- 
tiven entdecken. 

Unter  „primitiv"  pflegen  wir  das  Anfängliche, 
Knospenhafte  einer  Entwicklung  zu  verstehen, 
alles  Unfertige,  jugendlich  Befangene,  was  noch 
eine  Zukunft  hat.  Diese  Betrachtungsweise 
schaltet  also  die  Idee  des  Fortschritts  als 
Maßstab  keineswegs  aus.  Im  Gegenteil  —  sie 
wertet  das  Primitive  als  Etappe,  als  Unterstufe 
einer  noch  zu  erreichenden  größeren  Vollkom- 
menheit, die  damit  immer  als  das  Ziel  am  Hori- 
zont der  Betrachtung  steht.   (Fortsetzung  s.  iib.) 


65 


CARLO  MENSE.  .t)AMEN-BILDNIS<> 


EUGEN  SPIRO-BERLIN.  .DAMENBILDNIS.  1919. 


EfGEN  Sl'IRO      BEKLl.N. 


»COMER-bEE«    l'J:; 


EUGEX  SPIRO. 


Der  Maler  Eugen  Spiro  ist  ein  geborener  Bres- 
lauer und  neben  Levis  Corinth  der  Organi- 
sator der  jetzigen  Berliner  Sezession.  In  Breslau 
war  er  Schüler  jenes  Peter  Breuer,  über  den  die 
Fama  so  mancherlei  zu  melden  weiß.  Der  ein 
so  vorzüglicher  Lehrer,  nach  jeder  Richtung 
reich  angelegter  Mensch  gewesen  sein  soll, 
dessen  eigenes  Werk  aber,  trotz  bemerkens- 
werter Keime,  Fragment  blieb.  Man  nennt  ihn 
als  Vorbild  von  Hauptmanns  Michael- Kramer. 
—  Spiro  behauptet  von  diesem  Manne  ent- 
scheidende Einblicke  in  das  Wesen  des  künst- 
lerischen Schaffensprozesses  erhalten  und  un- 
vergeßUche  Stunden  anregenden  Beisammen- 
seins mit  ihm  genossen  zu  haben.  Aus  dieser 
ersten  Zeit  des  Malers  existieren  einige  Bild- 
nisse, die  sich  durch  Schlichtheit  und  Sachlich- 
keit auszeichnen  und  bis  heute  ihren  Wert  be- 
wahrt haben.  Es  existiert  ein  Kinderbildnis 
jener  Tage,  das  in  seiner  Einfachheit  und  Innig- 
keit  an   jene  erinnert,   die  um  die  Mitte   des 


vorigen  Jahrhunderts  in  Deutschland  gemalt 
wurden.  Diese  Sachlichkeit  und  Geradheit  aber 
ist  ein  Wesenszug  dieses  Künstlers,  der  in  dem 
gelungenen  Teil  seiner  Produktion  nach  vorüber- 
gehenden Schwankungen  immer  wieder  durch- 
bricht und  den  er,  wie  wir  sehen  werden,  sich 
zu  seinem  Wohle  bis  heute  bewahrt  hat.  — 

Von  Breslau  ging  der  junge  Kunstschüler  nach 
München,  da  Stucks  Ruhm  um  jene  Zeit  so 
manchen  anzog.  Es  ist  für  die  Entvificklung  der 
deutschen  Kunstjugend  nicht  von  Vorteil  ge- 
wesen, daß  in  Atünchen  der  Geist  Leibls  nie 
vorherrschte,  sondern  der  Stucks  oderLenbachs. 
So  Anerkennenswertes  diese  beiden  Tagesbe- 
rühmtheiten gelegentlich  schufen,  erzieherisch 
wirkten  sie  nicht  in  die  Tiefe  und  so  wurde 
auch  das  Talent  Spiro's,  der  in  dem  damaligen 
Jugendkreis  bald  avancierte,  weniger  in  der 
Wurzel  gefeitigt,  als  in  seiner  Fähigkeit  zu  ge- 
schickter und  leichter  Entfaltung  begünstigt. 
In   kurzem   war   er   auf  den  Titelblättern  der 


69 


XX\'.  ^Ui  1922.  2 


Eiigen  Spiro. 


70 


EUGEN  SPIRO— BERLIN. 


Jugend  ein  ständiger  Gast  als  gewstndter  Plau- 
derer der  Dinge,  die  ihm  der  Tag  zutrug,  bei 
denen  die  elegante  Frauentoilette  eine  Rolle 
spielt  und  Haltung  und  äußere  Art  des  Weibes. 
—  In  solcher  Atmosphäre  fühlte  er  sich  wohl 
selbst  gefährdet  und  so  führte  ihn  ein  Trieb  zur 
Vertiefung  nach  Italien,  wo  er  zunächst  im  Ko- 
pieren —  in  dem  er  später  Ungewöhnliches 
leistete  —  das  Wesen  der  Alten  studierte.  — 
Von  Italien  ging  er  dann,  nach  einem  erneuten 
Aufenthalt  in  seiner  Heimat,  da  er  ein  gesuchter 
Porträtist  wurde,  nach  Peiris,  das  für  ihn  ent- 


»DüRCHBLICK  ZUM  SEE« 


scheidend  werden  sollte.  Und  man  kann  wohl 
sagen,  entgegen  dem  Schicksal  der  nach  dort 
verschlagenen  meisten,  daß  es  zu  bedauern  ist, 
daß  er  nicht  gleich  an  diese  Quelle  geriet ;  denn 
statt  sich  zu  verheren,  fand  er  sich  dort,  ver- 
stand es  frei  von  Nachahmung  seine  Anlage 
ihrem  eigenen  Wesen  entsprechend  künstlerisch 
zu  befruchten  und  zu  entwickeln.  —  Im  Gegen- 
satz zu  den  etwas  dünnen,  illustrativen  Münch- 
ner Gebilden,  macht  sich  bei  ihm  nun  ein  male- 
risches Wachstum,  und  man  möchte  sagen  aus 
heimatlichen  Bedingungen  geltend,   d.  h.  aus 


Eugen  Spiro. 


tUGEN  SPIRO— BEBLIN. 


eigener  Wurzel.  Er  wird  nicht  zum  Pseudo- 
Pariser, er  bleibt  Deutscher.  —  Wir  erinnern 
uns  eines  gelungenen  Selbstbildnisses  aus  jener 
Zeit,  das  den  Umschlag,  die  Fähigkeiten  und 
die  neue  Qualität  sichtbar  dokumentiert:  der 
Künstler  sitzt  sinnend  im  Hut  an  einem  Cafehaus- 
Tisch,  in  einen  gegenüberhängenden  Spiegel 
blickend.  So  fand  er  sich  einst,  nach  einem 
seelischen  Erlebnis  dort  und  wie  er  sich  im 
Bilde  festhielt,  das  den  Zustand  deutlich  aus- 
spricht, zugleich  den  ferneren  Weg  seiner  Kunst. 
Es  ist  auf  einen  stumpfen  grauen  Schieferton 


»AM  COMER-SEEc   11)20. 


gehalten,  der  im  ganzen  ausdrucksvoll  durch- 
gewertet  ist.  — 

Nun  begann  für  den  Künstler  eine  Zeit  er- 
giebigen Schaffens  auch  in  landschaftlicher  Be- 
ziehung, zumal  in  den  Sommern  in  Bretagne; 
wir  erinnern  uns  einiger  Bilder  dieser  Zeit,  die 
zum  Geglücktesten  gehören ,  das  aus  seiner 
Hand  hervorging;  in  die  Ferne  sich  verlierende 
Äcker,  bei  farbiger  Konzeption  in  einem  stump- 
fen Gelb  und  Braun  gleich  prägnant  in  der  zeich- 
nerischen Durchbildung,  wie  unter  einem  leich- 
ten Schimmer  van  Gogh'schen  Einflusses.  Diese 


71 


Eugen  Spiro. 


72 


tUGEN  SPIRO     EliKLlN. 


Landschaften  kennzeichnet  ein  Zug ,  der  im 
Künstler  fast  durchweg  richtunggebend  blieb, 
d.  h.  eine  Objektivität  der  Farbe,  die  der  Gegen- 
stand bedingt,  und  die  ihn  vor  Einseitigkeit  und 
Manier  schützt.  So  war  er  in  der  Lage,  jede  Land- 
schaft ihrem  eigenen  khmatischen  Charakter 
nach  zu  erfassen  und  auf  diese  Weise  ihre  geo- 
graphische Besonderheit  zu  wahren,  handle  es 
sich  um  Bretagne,  Picardie  oder  den  Harz,  ent- 
gegen so  manchen,  die  in  Potsdam  die  Atmo- 
sphäre der  Seine  oder  Neapels  entdecken.  — 
Nach  einer  vorübergehenden  Abwesenheit 
kehrte  der  Künstler  um  1912  wieder  nach  Paris 
zurück  und  war  von  dieser  Zeit  ab  dort  bis  zum 
Ausbruch  des  Krieges  auch  als  Lehrer  an  einer 
Malschule  tätig.  In  jenen  Tagen  entstand  unter 
anderem  das  Bildnis  seines  Freundes  Julius 
Meier-Gräfe.  Der  Schriftsteller  sitzt  in  leuch- 
tend roter  Sammetjacke  am  Schreibtisch  und 
die  Haltung  des  Körpers  wie  der  Ausdruck  der 
Züge  sind  von  bemerkenswerter  Lebendigkeit 
und  Gründlichkeit ;  wie  es  überhaupt  in  der  Initia- 
tive des  Porträtisten  Spiro  liegt,  sich  bei  aller 


»IN  DER  HANGEMATTE« 


Leichtigkeit  der  Anlage  nicht  mit  einer  nur  un- 
gefähren Ähnlichkeit  und  Erfassung  der  Form 
zu  begnügen.  —  Wir  erinnern  uns  aus  der 
gleichen  Zeit  eines  Kinderbildnisses  mit  Kanin- 
chen, das  sowohl  hinsichtlich  des  Arrangements 
wie  der  Zusammentönung  der  Farbe  smge- 
nehm  berührt.  — 

Nach  Ausbruch  des  Krieges  ging  der  Künst- 
ler eine  zweite  Ehe  ein  und  damit  beginnt  für 
ihn  eine  neue  ergiebige  Schaffenszeit,  die,  zu- 
mal unter  den  Bildnissen  seiner  jungen  Frau, 
die  er  immer  aufs  neue  zu  erfassen  und  zu 
ergründen  suchte,  einige  seiner  besten  Arbeiten 
aufweist.  Doch  nicht  nur  als  Bildnis,  auch  in 
den  verschiedensten  genrehaften  Motiven,  sei 
es  am  Strand  des  Lido,  im  Korbsessel  des  Ate- 
liers, am  Frühstückstisch,  auf  dem  Balkon,  im 
Gespräch  mit  einer  Freundin,  immer  wieder 
wußte  er  dieser  Gestalt  neue  Reize  und  male- 
rische Momente  abzugewinnen. 

Zugleich  bedeutet  diese  Periode  einen  Ein- 
schnitt in  der  technischen  Entwicklung  des 
Künstlers  und  zwar  vom  Objektiven  zum  mehr 


Eti<^rii  Spiro. 


Subjektiven,  wobei,  merkwürdigerweise,  nun, 
fern  von  Paris  ein  sichtbarerer  Einfluß  der  dor- 
tigen Malkultur,  speziell  der  eines  Fülvrers  einer 
ganzen  Schule,  der  Einfluß  Cezannes  fühlbar 
wird:  die  Farbe  ist  gewissermaßen  weniger 
atmosphärisch  gestuft,  summarischer  dekorativ 
behandelt,  in  gobelinarligen  Flächen  von  breitem 
Kontur  umrissen  aneinandergesetzt.als  Materie 
aufgelockert.  Als  gutes  Beispiel  dieser  Art  kann 
die  pikante  Skizze  „Unterhaltunji"  gelten,  in 
der  für  den,  der  sie  kennt,  die  Personen  oben- 
drein treffend  charakterisiert  erscheinen.  Aber 
auch  eine  große  Reihe  in  den  letzten  Jahren 
an  den  oberitalienischen  Seen  entstandener 
Landschaften  tragen  diese  Handschrift.  — 

Zugleich  befaßte  der  Künstler  sich  nun  mit 
dem  Stilleben  und  man  kann  wohl  sagen,  daß 
das,  was  er  in  den  letzten  Bildnissen  und  Land- 
schatten koloristisch  anstrebte,  d.  h.  einen  ver- 
tieften Klang  der  Farbe,  hier  reiner  und  stärker 
zum  Ausdruck  kommt,  weil  ohne  jenes  deko- 
rativ-summarische, unmittelbarer  aus  seiner 
Objektivität  heraus  und  zugleich  frei  von  fran- 
zösischer Ingredienz.  Der  Künstler  war  hier 
bestrebt,  die  Farbe  an  sich  zu  bestimmen,  in 
der  Stärke  ihres  Lokaltons.  Das  fiel  zumal  auf, 
wie  bei  einer  wenig  umfangreichen  Kamelie  die 
leuchtend,  rote  Blüte  von  dem  feuchten  dunklen 
Grün  abstach.  In  einem  großen  Stilleben  „Der 
Geburtstagstisch"  kehrt  das  gleiche  Bestreben 
in  mannigfaltigeren  Gegensätzen  wieder.  — 

Erinnern  wir  uns  nunmehr  des  Ausgangs  des 
Künstlers,  wir  meinen  jene  Zeit,  da  in  München 
seine  leichte  Hand  sich  nicht  ohne  Gefahr  für 
die  Festigung  so  erfolgreich  im  Jugend-Kreise 
betätigte,  so  ist  es  klar,  daß  ein  solcher  Maler 
eine  ergiebige  Anlage  zum  improvisierend- 
illustrativen  Vortrag  haben  muß,  d.  h.  zum  er- 
zählenden Graphiker  und  als  solcher  tritt  er 
dann  mit  dem  Werke  „Das  Konzert"  vor  uns, 
das  er  gemeinsam  mit  Oskar  Bie  herausgab  und 
in  dem  er  die  bekanntesten  Musiker,  Sänger 
und  Dirigenten  unseres  Konzertsaals  nach  Hal- 
tung und  Ausdruck  individuahsiert  festhielt.  — 

Ziehen  wir  die  verschiedenen  Wesenszüge 
zusammen,  die  wir  als  bezeichnend  für  die 
Kunst  Spiros  fanden,  d.  h.  rasches  Erfassen, 
Objektivität,  leicht enVortrag,  persönlicheFarbe, 
so  ergibt  sich  daraus  von  selbst,  daß  wir  es  in 
ihm  mit  einem  gewandten  Porträtisten  zu  tun 
haben,  der  sich  heute,  im  Verlauf  einer  natür- 


lichen Entwicklung  seiner  Anlage,  im  Vollbesitz 
seiner  Fähigkeiten  befindet.  — 

Im  Sommer  1921  machte  der  Künstler  noch 
einmal  eine  Italienreise  und  zwar  im  Auftrag 
der  Marees-Gesellschaft,  um  in  Rom  und  Neapel 
antike  Fresken  zu  kopieren,  eine  Aufgabe,  die 
ihm  in  einer  überraschenden  Weise  glückte. 
Schon  aus  früheren  Jahren  existierten  vorzüg- 
liche Kopien  von  seiner  Hand,  so  die  Olympia 
Manets  und  der  Irreniiaus-Garten  van  Goghs, 
Arbeiten,  in  denen  er  die  zartesten  Tonwerte 
und  den  Strich  des  Originals  erweckte  ;  darüber 
hinaus  aber  noch  gelang  es  ihm  mittels  des 
schwierigen  Tempera-Materials  die  blasse,  ver- 
witterte, wie  in  erloschener  Glut  verhaltene 
Patina  antiker  Fresken  und  den  Geist  ihrer  Form 
nachzufühlen  und  zu  übertragen,  klkin  uiepolu. 
« 

Ein  echter  Künstler  muß  in  seinem  Innern 
Milde,  Güte  und  Großmut  pflegen,  auch 
sollte  er  angenehme  Gedanken  und  Vorstel- 
lungen besitzen  und  fähig  sein,  in  seinem  Geiste 
die  Gemütsbewegungen  und  Lebenslagen  an- 
derer menschlicher  Wesen  zu  verstehen  und 
wiederzugeben,  sowohl  in  der  Schärfe  und 
Schiefheit,  als  in  dem  Nebeneinanderstehen  der 
Gegenstände.  Wenn  er  so  die  andern  verstan- 
den hat,  sollte  er  sie  ohne  Bedenken  aus  der 
Spitze  seines  Pinsels  herausfließen  lassen.  Ku 
K'ai-chih  von  Chin  (Kogaishi  von  Shin)  baute 
sich  einen  mehrstöckigen  Pavillon  als  Atelier, 
damit  seine  Gedanken  freier  sein  könnten. 
Wenn  nun  die  Gedanken  niedergedrückt  und 
melancholisch  sind,  und  nur  an  einem  einzigen 
Punkte  haften,  wie  können  die  Künstler  fähig 
sein,  mit  solchen  Gedanken  zu  schaffen  oder 
die  geistigen  Eigentümlichkeiten  anderer  nach- 
zufühlen? .  .  .  wenn  ich  nicht  in  einem  ruhigen 
Hause  wohne,  mich  in  ein  abgelegenes  Zimmer 
mit  offenen  Fenstern  setze,  den  Tisch  abstaube, 
Weihrauch  verbrenne,  und  die  zehntausend 
alltäglichen  Gedanken  vertreibe  und  versinken 
lasse,  kann  ich  keine  richtige  Empfindung  für 
die  Malerei  oder  guten  Geschmack  haben  und 
kann  das  „yu"  (das  Geheimnisvolle  und  Wun- 
derbare) nicht  schaffen.  Erst  dann,  nachdem 
ich  alle  Dinge  um  mich  herum  in  ihrer  eigenen 
Ordnung  aufgestellt  habe,  kommen  meine  Hand 
und  mein  Geist  einander  entgegen  und  be- 
wegen sich  mit  vollständiger  Freiheit,     kuo  hsi 

(CHINESISCaER   MAI.ER    UE.-   .\I.  JAHRUUNUERTS   N.  CHR.) 


-^ 


73 


MAX  BURCHARTZ.  .BILDNIS  MARIA  BENEMANNc 


MAX  BURCHARTZ. 


GEMÄLDE  »STILLEBEN« 


MAX  BURCHARTZ-WEIMAR. 

VON  PAUL  BOMMERSHEIM. 


Durch  drei  Strecken  seines  Weges  hat  Bur- 
chartz  bisher  gehen  müssen,  die  an  ihren 
Enden  nicht  schroff  von  einander  geschieden 
sind,  wo  auch  jede  schon  Ausblicke  zeigt  auf 
die  Gesichte  der  späteren. 

Zuerst  hat  er  die  Strecke  zurückgelegt,  die 
jeder  wohl  anfangs  einmal  gehen  muß,  die 
Periode  des  Umlagertseins  von  alten 
Gestalten.  Der  Mensch  ruht  noch  in  seiner 
inneren  Abgeschlossenheit,  und  über  ihn  legt 
sich  die  Arbeit  der  vorhergegangenenMenschen. 
Hierderlmpressionistenund  vorallemCezannes. 
Noch  kann  der  Anfangende  nicht  die  Decke 
auflösen  in  sein  eigenes  Wesen.  Aber  doch 
bricht  es  schon  hier  und  da  durch.  Schon  faßt 
er  manchmal  die  Dinge  in  ihrer  klaren  Umrissen- 
heit,  was  er  später  auf  höherer  Ebene  wieder 
tun  wird.  Schon  irgendwie  wollen  sich  die 
Dinge  zu  Aufbau-Ordnung  zusammenschließen. 
Irgendwo  wuchert  schon  das  Dunkel  herein. 

Und  in  das  muß  er  zuerst  hinab.  So  beginnt 
die  zweite  Periode:  die  Periode  des  Hinab- 
stiegs zum  schöpf  erischen  Urmeer.  Beim 
Hinabstieg  kommt  man  zu  den  Gestalten,  die 


sich  gerade  loslösen  aus  der  Einheit  des  Ur- 
sprungs. Die  Farben  des  Hinabstiegs  sind  auch 
die  Farben  des  ersten  Aufhellens  der  Dinge. 
Das  Wesen  dieser  gebärenden  Vorwelt  ist  Ge- 
schiebe. Geschiebe  schwerer,  klotziger  Massen. 
Das  reißt  sie  hin  und  her.  Raum  steht  erst  am 
AnfcmgseinerAusweitung.  Schrecklich  lasten  die 
Urdinge  noch  auf  einander.  Sie  haben  sich  un- 
bedingt einzuordnen  in  das  frühe  Gebälk.  .  .  . 

Aber  der  Abgrund  treibt  weiter  zur  dritten 
Periode,  der  Periode  der  Entfaltung  aus 
dem  schöpferischen  Urmeer 

Die  Dinge  kommen  zu  sich  selber.  Sie  s  t  e h n 
für  sich.  Der  Pflanzenkübel  steht  allein  auf 
dem  weiten  Berghang.  Oft  steht  ein  Haus  allein. 
Und  wo  die  Wesen  Berührung  haben,  da  ist 
ihnen  auch  klare,  scharfe  Begrenzung  gesetzt. 

Hier  erfüllt  sich  die  Sendung  der  dritten 
Dimension.  Treten  die  Gestalten  heraus  aus 
dem  Geschiebe  des  Ursprungs,  so  brauchen  sie 
den  Raum,  um  sich  darin  zu  verteilen.  Und  sie 
durchsetzen  in  vielen  Schichten  die  dritte  Aus- 
dehnung, die  Dimension  der  Abgründigkeit. 
—  Aber  die  Dinge  treten  heraus  aus  den  Ge- 


75 


Max  Biirchartz-  Weimar. 


heimnissen  der  Hintergründe  und  nehmen  Ge- 
setz und  Ordnung  in  sich  und  werden  Archi- 
tektur. Die  Glut  des  Vorgeburtlichen,  die 
Leidenschaft  der  unnennbaren  Gefühle  klären 
sich  ab.  Hälse  haben  lebendige  Neigungen  ver- 
loren und  starren  auf  ins  Überlebendige.  Das 
Rechteck  waltet  durchs  Dasein.  Das  hohe  Auf- 
steigen gliedert  die  Welt. 

Das  Leben  kommt  zur  Verhaltenheit. 
Der  Urschreck  reißt  die  Augen  nicht  mehr  groß. 
Sie  sind  gemessen  geworden  am  herben  Tag  und 
wurzeln  doch  im  Wissen  der  letzten  Dinge. 
Die  Menschen  sind  zu  schwerer  Ruhe  gelangt 
über  der  Schwärze  der  Tiefe.  (Bildnis  der  Maria 


Benemann).  Hier  steht  auch  die  Bestimmung 
der  neuen  Gegenständlichkeit.  Gegen- 
ständlichkeit: das  heißt:  Verhaltenheit.  Der 
Schöpfergrund  hat  seine  heiße  Bloßheit  über- 
wunden, überdeckt  mit  der  kühlen  schweig- 
samen Umwelt  der  Gegenstände. 

Aus  der  Leidenschaft  der  furchtbaren  Vor- 
zeit ist  irdische  Wärme  geworden.  Doch  in 
allem  ist  der  dunkle  Abgrund.  So  ward  bei 
Burchartz  Mythos  zum  Bild.  Nicht  daß  diese 
Bilder  mythische  Geschichten  darstellen.  Sie 
sind  Mythos.  Sie  sind  Stücke  vom  großen  My- 
thos der  Schöpfung,  vom  Mythos  des  schaffen- 
den Urgrundes  und  der  entfalteten  Welt.     p.  b. 


MAX 

BURCHARTZ. 

»KLEINE 

TÄNZERIN' 


KARL  SCHENKER-BERLIN.  .BILDNIS-AUFNAHME. 


K.  SCHENKER 
BERLIN. 
»PHOTOGR. 
AKT-STODIEc 


AUFNAHMEN  VON  KARL  SCHENKER. 


Die  photographischen  Blätter  des  Berliner 
Malers  Karl  Schenker  sind  dadurch  aus- 
gezeichnet, daß  sie  —  — 

Nein,  wenn  ich  jetzt  diesen  Satz  fortsetzte, 
würde  ich  nicht  so  verstanden  werden,  wie  ich 
es  meine.  Ich  muß  erst  meine  Grundanschauung 
über  die  Photographie  aussprechen,  die  einiger- 
maßen von  der  heute  allgemeinen  abweicht. 

Eigentlich  ist  sie  schon  in  dem  Ausdruck 
„photographisches  Blatt"  enthalten.  Die  Photo- 
graphie ist  für  mich  ein  graphisches  Blatt,  von 
anderen  nur  dadurch  unterschieden,  daß  es  mit 
Hilfe  eines  Apparates  hergestellt  wird,  im  übri- 
gen mit  denselben  Mitteln  wirkend  und  also  den- 
selben ästhetischen  Forderungen  unterworfen. 

Leider  kann  ich  auch  jetzt  noch  nicht  un- 
mittelbar zur  Sache  kommen,  denn  auf  keinem 
Gebiet  hat  die  neue  Zuchtlosigkeit  die  Begiilfe 
so  vollkommen  verwirrt,  wie  auf  dem  der  Gra- 
phik. Die  Herrschaft  der  Quantität  hat  zu  einer 
Übertreibung  des  Formates,  die  reproduktive 


Täligkeit  zu  einer  Verkennung  der  besonderen 
Wirkungen  geführt,  zu  der  ganz  falschen  Gleich- 
setzung von  graphisch  und  malerisch.  Dem 
gegenüber  muß  betont  werden;  die  Schönheit 
des  graphischen  Blattes  besteht  ganz  allem  in 
dem  Verhältnis  und  dem  reichen  Spiel  von 
Schwarz  und  Weiß.  Es  kommt  also  an  auf  ein- 
heitlichen Ton,  Mannigfaltigkeit  der  Nuance  und 
gute  Verteilung  von  Licht  und  Schatten. 

Es  bedarf  keines  Beweises,  daß  die  Art  von 
Photographie,  die  ganz  besonders  laut  den  An- 
spruch erhoben  hat,  als  Kunst  betrachtet  zu 
werden,  von  diesen  Eigenschaften  im  allgemei- 
nen so  gut  wie  nichts  besitzt.  Es  gibt  ein  paar 
Ausnahmen,  aber  der  Troß  ist  fürchterlich. 

Trot?  dem  hat  diese  Bewegung  ihre  V'erdienste. 
Sie  hat  der  Sache  einen  neuen  Antrieb  gegeben. 

Aber  darüber  hat  man  zu  sehr  die  erste  Art 
von  Photographie  vergessen,  die  der  Mitte  des 
19.  Jahrhunderts.  Max  Lehrs  hat  jetzt  Bilder 
dieser  Art  in  das  Dresdener  Kupfersticfikabinett 


XXV.  Mai  1922.  3 


A-ii/7iali?)!f7i  von  Karl  Schoikcr. 


80 


^* 


KARL  SCHENKER— BERLIN. 

aufgenommen;  ich  habe  sie  Jahre  lang  benutzt, 
um  den  Übermut  der  sogenannten  Kunstphoto- 
graphen zu  dämpfen.  Sie  sind  höchst  lobens- 
wertes Kunsthandwerk.  Das  wundervoll  echte 
Material  hat  jede  Tonstärke  präzis  erhalten  und 
damit  die  reiche  Skala  von  Tonwerten  wirksam 
unterstützt.  Die  Figuren  sind  mit  voller  Sicher- 
heit in  die  Fläche  gestellt,  nach  erprobten  Re- 
geln, die  der  Photograph,  zumeist  ein  „akademi- 
scher Maler",  auf  der  Hochschule  gelernt  hatte. 
Natürlich  können  und  wollen  wir  nicht  zu 
dieser  Art  zurück.  Es  käme  darauf  an,  diese 
sichere  Form  auch  bei  einer  persönlichen  Art 
der  Aufnahme   zu  erreichen.     Es  müßte  also 


»Bn,DNIS-AUFNAHME€ 


der  Photograph  nicht  immer  dasselbe  Re- 
sultat wollen,  sondern  jedesmal  entsprechend 
dem  Menschen,  den  er  vor  sich  hat,  eine  be- 
sondere Form  in  Umriß  und  Ton  erstreben, 
zugleich  charakterisierend  und  reizvoll. 

Und  nun  kann  ich  den  Satz  vom  Anfang  zu 
Ende  führen;  die  photographischen  Blätter  Karl 
Schenkers  sind  dadurch  ausgezeichnet,  daß  sie 
das  Bild  des  Menschen,  wie  er  ihn  empfindet, 
in  eine  jedesmal  individuelle  und  geschlossene 
Form  bringen,  eine  Form,  die  natürlich  weder 
der  handwerklich  benutzte  noch  der  wild  losge- 
lassene, sondern  nur  der  sinnvoll  und  zielsicher 
verwendete  Appsu-at  geben  kann. 


FRITZ  STAHL. 


KARL  SCHENKER.  »BILDNIS-AUFNAHME. 


KARL  SCHENKER.  »BILDNIS-AUFNAHME. 


KARL  SCHENKER.  .BILDNIS- AUFNAHME« 


KARL  SCHENKER.  .AKT-STUDIE. 


FRITZ  AUGUST  BREUHAUS-KÖLN.  >EINGANG  ZUR  BIBLIOTHEKc 

SCHNITZEREI  AUF  DEK  TUE  VON  BILDHAÜEE  KNAPPE— MÜNCHEN. 


FBITZ  ADG.  BREDHAUS— K'iLN. 


»BIBLIOTHEK  •  SCHRA^KWAND< 


RÄUME  AUS  DEM  BONNER  WOHNHAUSE  DES  ARCHITEKTEN 
FRITZ  AUGUST  BREUHAUS. 


Fritz  August  Breuhaus  hat  in  rastloser  Arbeit 
seinen  Weg  gefunden.  Von  bunten  Irr- 
gängen blieb  er  nicht  verschont,  sonst  hätte 
er  die  Freude  verloren,  den  Weg  zu  suchen, 
den  zu  gehen  er  berufen  scheint;  und  wo  früher 
einmal  ein  junger  Impuls  allzu  schnell  unter  den 
Fesseln  der  Form  erstarrte,  überzeugen  heute 
glückliches  Besinnen  und  bewußtes  Wollen. 

Man  schreitet  durch  diese  Räume,  die  seine 
Gedanken  und  sein  Können  aus  schwanken 
Träumen  in  erfüllte  TatsächÜchkeit  gerettet, 
gleichsam  durch  sonnige  Wünsche ;  wenn  die 
Wände  unter  der  ordnenden  Hand  des  Bildners 
zu  sprechen  nicht  verlernten,  ist  es,  als  ob  so 
manches  sich  ereignen  wollte,  was  die  verderb- 
liche Unruhe  des  entsetzhchen  Daseins  über- 
winden möchte.  Das  sind  stille  Zimmer  mit 
wirklichen  Tischen,  mit  wirklichen  Sesseln,  mit 
Betten,  in  denen  man  schlafen  kann,  mit  Schrän- 
ken, vor  denen  man  sich  nicht  ängstigen  braucht, 
mit  Decken,  die  einen  nicht  einsargen,  Fenstern, 
die  Sonne  lieben.  Lichtem,  die  wissen,  daß  sie 


erfreuen  sollen.  So  still  ist  es  in  diesen  Räu- 
men, daß  alle  Sorgen  sich  ordnen,  alle  Freuden 
sich  finden  und  schließlich  die  Geste  nicht  aus- 
bleibt, die  den  Menschen  kennzeichnet,  wie  er 
im  Königreich  seiner  Träume,  seiner  Nächte 
und  seiner  Paläste  sich  zu  formen  den  göttlichen 
Willen  hatte.  Wenn  Ruhe  in  diesen  Zimmern 
den  Suchenden  erlöst,  der  natürliche  Halt  der 
Architektur  sich  auf  den  Ängstlichen  überträgt, 
Aufregung  und  Furcht  sich  allmählich  verflüch- 
ten, steigt  aus  dem  Däinmer  des  gepflegten 
Lichtes  das  bunte  Gerät  wie  ein  Heer  gutmütiger 
Geister:  Bücher  und  Bilder  wollen  sprechen, 
wollen  gehört  sein;  Blumen  und  Tiere  mischen 
sich  ein;  alles  ist  stolz,  daß  es  da  ist,  schön  ist 
und  gesehen  wird.  —  Ziegelsteine,  Travertin, 
Bronze  und  Terrakotten  finden  sich  mit  der 
gleißenden  Anmut  von  Eichen-  und  Palisander- 
hölzern, die  sich  gerade  so  zu  Kommoden  und 
Truhen  fügen,  als  dürfe  es  gar  nicht  anders  sein, 
als  hätte  der  Meister  sie  gestaltend  nicht  zer- 
brochen,  sondern   schmeichelnd  geliebt.     Wo 


87 


XXV.  Mai  19i2.   1 


Archilckt  Fr  Uz 


August  BrcuJiaus. 


FRITZ  AUG.  BREUHAUS— KÖLN. 

Seiden  und  Stoffe  sich  um  Formen  schmiegen, 
wollen  sie  nicht  verhüllen,  sondern  es  hängt  an 
ihnen  ein  klingender  Giuß  aus  fernen  Ländern. 
Wir  treten  ein  in  die  geräumige  Bibhothek, 
öffnen  die  schwere,  eichene  Tür,  in  die  das 
schnitzende  Handwerk  ein  Märchen  barmte. 
Das  Zimmer  ist  hcht,  in  hellen  Tönen  gehalten, 
nicht  arm  und  nicht  üppig;  gediegen  in  seiner 
einleuchtenden  Behaglichkeit,  wie  in  seiner 
zweckerfüllenden  Lösung.  Über  dem  Kamin  ein 
farbfrohes  Bild,  es  will  nicht  bestechen,  aber  es 
läßt  sich  anschauen  und  man  darf  nachsinnen, 
was  diese  schimmernden  Farben  wollen.  — 
Holzscheite  warten  in  dem  Kamin,  sie  wollen 
brennen  und  Wärme  geben,  wenn  in  den  Sesseln 
ein  paar  Minuten  sich  vergessen  wollen.  —  Der 
Bücherschrank  ist  nicht  anspruchsvoll,  er  weiß, 
daß  er  den  Büchern  dient,  daß  die  Bücher  nicht 
seinetwillen  da  sind,  wie  manches  Möbel  sich 
einbilden  möchte.  —  Endlich  die  köstliche  Bank 
aus  gelbem  Stein,  wie  sie  die  Heizung  verkleidet 
und  vornehm  in  die  Wand  überleitet.  —  In  sol- 


»BIBLIOTHEK  •  FENSTERSEITEc 

chem  Raum  mögen  sich  Stunden  und  Nächte 
verbringen  lassen,  zusammen  mit  den  vielen  ein- 
geschlossenen Gedanken  und  Träumen,  die  von 
keinem  der  Bilder  rings  an  den  Wänden  zer- 
rissen würden.  —  Und  nebenan  ein  kleines 
Zimmer  mit  Goldwänden,  über  die  —  wie  ein 
verhaltenes  Lächeln  —  Ornamente,  Blumen  und 
Tiere  sich  weben.  Das  weite  Fenster  grüßt  nach 
dem  lustigen  Garten.  —  Sessel,  Kommode,  ein 
verständiger  Spiegel,  Kcikteen  endlich ;  hier  wird 

Tee  getrunken,  und  so  muß  es  sein. Dann 

das  Frühstückszimmer,  einfach,  nicht  aufregend. 
Die  Beleuchtung  indirekt.  DieWände  klar  geglie- 
dert und  im  ornamentalen  Schmuck  Vorhängen 
gleichend,  die  von  allem  AlllägUchen  trennen 
wollen.  —  Das  Schlafzimmer  des  Architekten, 
gehalten  in  vornehmem  Dunkelgrün,  einfach  in 
der  Zweckmäßigkeit  und  doch  mehr  als  zweck- 
gemäß. Das  Bett  überzeugt  in  seiner  Haltung; 
kein  borniertes  Fußende  mischt  sich  störend  in 
die  Sicherheit  der  Architektur.  —  Das  Damen- 
Schlafzimmer  gibt  das  Gegenstück:  lustige  Ge- 


Arcliitrkt  Fritz  A^igtiaf  Brnihaits. 


FRITZ  AUGUST  BREUHAÜS     KULN. 


danken  schnitzte  des  Bildners  Hand  in  das  an- 
mulvolle  Möbel,  und  reiches  Licht  grüßt  lachend 
von  den  freudig  rosafarbigen  Wänden. 

Es  ist  viel  zu  sagen  über  all  diese  Dinge, 
viel  zu  sagen  über  das,  was  der  Architekt  in 
die  mannigfaltigsten  Erscheinungen  zauberte. 
Doch  es  wräre  ein  nutzloser  Versuch,  wollte 
man  die  Gedanken  und  Launen  in  Worten  auf- 
leben lassen,  für  die  der  Künstler  die  güllige 
Form  längst  erfand.  —  Die  Geste  ist  heute  ein 
gesuchtes  Phantom,  wer  sie  beherrscht,  wird 
die  Welt  gewinnen,  und  ausgehend  von  ihrer 
befehlenden  Erscheinung  werden  sich  die  ent- 
fesselten Elemente  zu  neuer  Ordnung  zusam- 
menfinden. Gedanken  und  Gefühle  sind  wohl 
die  Impulse,  die  Weltgeschichte  bedingen,  sie 
mögen  sich  dogmatisieren,  vermitttelnd  fesseln 
an  den  Ausdruck  der  Bildkunst,  den  Klang  der 
Musik,  den  Rhythmus  des  Wortes.  Wenn  es 
Gesetze  angeht,  die  —  überzeugend  in  ihrer 
Formulierung  —  sich  befehlend  mitteilen,  sind 
sie  der  Architektur  recht  nahe  verwandt.  — 

■■uiaaamaBBBaaBHaBBMBaaaaaaaAJiaaiiai 


»BIBLIOTHEK  IM  BONNER  HAUSE' 

Gedanken  leben  in  Breuhaus'  Schaffen,  leben 
in  den  Räumen,  die  er  erstehen  ließ.  Wie  sie 
in  den  Proportionen  der  Wände,  der  Abstufung 
der  Farben,  der  Zusammenstellung  des  Geräts 
ein  einheitliches  Gefüge  ausmachen,  so  regen 
sie  an  zu  mancherlei  Beginnen,  zu  mancher 
Besinnung  und  mancher  Tat.  —  In  der  von 
ihm  gestalteten  Umgebung  entäußert  sich  der 
Mensch,  Wände  sind  Spiegel,  die  in  ihrer  blin- 
den Ehrlichkeit  nichts  verheimlichen  können, 
wenn  sie,  durch  keine  Spekulation  beirrt,  sich 
zu  dem  heiligen  Gefäß  eines  wissenden  Daseins 
schmieden,  erlösen  sie  den  ruhelosen  Geist  von 
den  Qualen  seines  Gesichts.  Sic  bestätigen, 
wechseln  ein  sicheres  Bild,  sind  schließlich 
nicht  fühlloser  als  die  Menschen  selbst.  —  Und 
für  Menschen  will  Breuhaus  Werke  schaffen: 
Wie  er  die  Kostbarkeiten  des  Lebens  liebt, 
Seiden,  edle  Hölzer  und  edles  Gefäß,  so  um- 
gibt er  das  Leben  mit  einer  prächtigen  Hülle, 
unter  der  es  doch  immer  atmet  und  niemals 
erstickt wernher  witthaus. 


89 


X 
D 
W 

m 


w 

H 
O 

t-H 

aä 

Q 
Q 
Z 
<! 
& 

S 


g 

o 

I 
IT) 

P 

( 

<: 

J< 

w 

es 
pq 
H 

t/) 

13 

O 

Ö 

<! 

N 

H 

' 

2 

. 

(n 

H 

^ 

W 

H 

£ 

^ 

U 

< 

2; 

o 

m 

iz; 


S 

l-H 

w 

H 
O 

I— < 


iz; 

-1 
o 

I 

t/3 


H 
Ü 

H 

2 


2 

O 

m 


P 

< 

w 

m 

» 
m 

<: 

X 


w 

s 
s 

w 
w 

H 


in 

W 
P5 

PQ 

H 
O 

N 
H 

2 

H 

W 

H 

5 

CJ 

< 


2 

H 


H 


!/2 

X 

n 

H 

1/1 

o 

H 


W 
H 

S 


ARCHITEKT  FRITZ  AUGUST  BREUHAUS-KÖLN. 

.TRUHE  UND  SPIEGEL  IM  TEEZIMMER«   WANDBEMALÜNG  PAUL  JESSEN -KÖLN. 


ARCHITEKT  FRITZ  AUGUST  BREUHAUS.  .FRÜHSTÜCKS-ZIMMER. 

IM  BONNER  HAUSE  DES  KÜNSTLERS.    BEMALUNG  SILBER  UND  ORANGE  VON  PROFESSOR  SCHNKIDLER. 


XXV    Mai    192J.  i 


SCHLAFZIMMER  DES  ARCHITEKTEN  F.  A.  BREUHAUS-BONX. 


ENTWURF:  ARCHITEKT  FRITZ  AUGUST  BREUHAUS-KÖLN. 

»DAMEN-SCHLAFZIMMER«   IM  HAUSE  BREUHAÜS  IN  BONN. 


■■■■■■■■■■■■■rnai 


KUNST  UND  NATIONALITÄT. 


Alles  was  geschieht  ist  Symbol,  und,  indem 
"  i\.  es  vollkommen  sich  selbst  darstellt,  deu- 
tet es  auf  das  Übrige",  hat  Goethe  an  Karl 
Ernst  Schubarth  geschrieben.  In  den  Lehren 
der  Physionomik,  Charakterologie,  Graphologie 
usw.  bat  sich  die  Erkenntnis,  daß  wir  vom  Ein- 
zelnen auf  das  Ganze  zu  schließen  vermögen, 
zur  Wissenschaft  ausgebildet.  Zeigt  uns  ein 
beliebiger  Brief  durch  die  Handschrift :  Rasse, 
Temperament,  Charakter,  Wesen  eines  Men- 
schen, wie  viel  mehr  die  Handschrift  der  Kunst. 
Wer  in  seinen  Beobachtungen  die  Richtung  vom 
Individuellen  zum  Typischen  festhält,  wie  sollte 
der  in  der  Kunst  eines  Volkes  nicht  die  natio- 
nale Bedingtheit  erkennen ! 

Wo  über  die  Frage  nach  nationaler  oder 
internationaler  Kunst  gestritten  wird,  da  liegt 
meistens  ein  Mißverständnis  vor.  Mag  man 
noch  so  eifrig  allem  Chauvinismus  gegenüber 
betonen,  daß  die  Kunst  ihren  eigenen  Gesetzen 
folge,  die  nicht  durch  poUtische  Grenzen  be- 
stimmt werden,  so  bleibt  doch  die  Tatsache 
bestehen,  daß  die  Kulturgemeinschaft  in  der 
Kunst  ihren  vornehmsten  Ausdruck  findet.  Nicht 
nur  die  individuelle,  sondern  auch  die  typische 
Veranlagung  kommt  in  ihr  zum  Vorschein. 

Ich  besitze  von  Emil  Lugo  ein  Bild  der  römi- 
schen Campagna,  dessen  Wolken  uns  beispiel- 
weise das  Deutschtum  des  Künstlers  sofort  ver- 
raten. Als  ich  im  Atelier  von  Hans  Thoma  — 
er  hatte  ein  Bild  aus  den  Schweizer  Alpen  auf 
der  Staffelei  —  eine  ähnhche  Bemerkung  be- 
treff der  in  den  Vordergrund  gestellten  Bauern 
machte,  da  antwortete  der  Meister  mit  Humor: 
„Ja,  das  sind  gute  Schwarzwälder;  sie  sind  in 
die  Schweiz  ausgewandert,  aber  doch  ihrer 
Heimat  treu  geblieben". 

Soll  der  deutsche  Künstler  sich  Einflüssen 
fremder  Nationen  verschließen?  Die  Antwort 
auf  diese  Frage  kann  verschieden  lauten.  Wenn 
er  nicht  eigen-persönlich  genug  ist,  um  sich 
trotzdem  zu  bewahren,  dann:  Ja.  Aber  heißt 
deutsch  sein,  nicht  zuletzt  überdeutsch  sein? 
Auch  für  die  Kunst  steht  das  Ideal  des  „guten 
Europäers"  am  Horizont.  Wie  der  junge  Künst- 
ler, der  zunächst  nur  aus  dem  Unbewußtsein 
schafft,  sich  ganz  anders  einstellen  muß,  sobald 
das  Bewußtsein  eine  Revolution  in  seinem 
Wesen  entfacht,  so  vermag  ihm  auch  die  Ver- 
tiefung in  das  Fremdländische  eine  entschie- 
dene Bereicherung  zu  bringen. 

Nicht  nur  im  Reiche  der  Gedanken  sollen 
alle  Schlagbäume  in  die  Höhe  gehen,  sondern 


auch  im  Reiche  des  künstlerischen  Schaffens. 
Es  gilt  letzten  Endes  das  Höchste  als  solches 
zu  werten,  aber  es  gilt  wiederum  in  erster  Linie, 
dem  was  uns  gemäß  und  vertraut  ist,  unsere 
Pflege  angedeihen  zu  lassen.  Jeder  Anfänger 
läuft  Gefahr,  das  Allgemeine  für  ein  Besonderes 
und  Charakteristisches  zuhalten;  erst  der  Ver- 
gleich erschließt  ihm  mit  der  Zeit,  wo  die  Son- 
derheit liegt.  Nicht  anders  verhält  es  sich  in 
der  Frage  nationaler  Kunst.  Das  Organische 
enthüllt  sich  uns,  wenn  vfir  den  spezifischen 
Volksgeist  in  seiner  allmählichen  Entwicklung 
verfolgen.  Auf  das  Nationale  verzichten,  führt  zu 
unorganischer  Verschwommenheit,  das  Interna- 
tionale ausschließen,  sehr  leicht  zur  Erstarrung. 

Gerade  weil  die  Kultur,  wie  Jakob  Burckardt 
so  richtig  erkannt  hat,  nicht  notwendig  uni- 
versal ist  und  anderseits  keine  Zwangsgeltung 
für  sich  in  Anspruch  nimmt,  besteht  bei  ihr  ein 
Wechselverbältnis  von  Bedingtem  und  Bedin- 
gendem, dem  sie  ihre  Selbstheit  und  doch  zu- 
gleich auch  ihre  Hingebung  an  ein  Allgemeines 
verdankt.  In  der  künstlerischen  Kultur  legen 
die  Völker  die  Substanz  ihres  eigenen  Wesens 
nieder  und  spinnen  doch  zugleich  die  Fäden  zu 
allen  beseelten  Wesen.  Sie  verdankt  sich  einem 
geistigen  Überschuß,  der  sich  von  der  Heimat 
aus  ein  Weltbild  schafft.  Sie  stellt  ein  höheres 
Leben  dar,  das  sich  frei  weiß  von  nationaler 
Bedingtheit  und  das  dennoch  aus  dem  Boden  der 
Rasseneigentümlichkeit  seine  Naihrung  gewinnt. 

Wer  nur  nach  der  Vervollkommnung  der 
Technik  strebt,  hat  keine  Ursache  sich  als 
Künstler  seine  Nationalität  zu  wahren  und  zu 
vertiefen,  aber  wer  in  der  Kunst  etwas  Außer- 
ordentliches sieht,  das  lebendig  aus  dem  Unter- 
grund des  individuellen  und  typischen  Wesens 
erwächst,  der  fühlt  recht  wohl,  was  er  seiner 
nationalen  Kulturgemeinschaft  verdankt.  So 
kommen  wir  zu  dem  Schluß,  daß  die  Kunst  in 
der  heimatlichen  Kultur  wurzelt,  daß  sich  ihre 
Äste  und  Zweige  aber  mit  gutem  Recht  über 
die  Mauern  ausbreiten,  die  politische  und  wirt- 
schaftliche Verhältnisse  aufbauten.  Je  nationaler 
ein  Werk  in  seiner  Wurzel  ist  und  je  weiter  es 
zugleich  seine  Zweige  ausstreckt  in  Luft  und 
Licht,  die  Allen  gemeinsam  sind,  je  mehr  wird 
es  auch  den  Angehörigen  fremder  Nationen 
Achtung  abgewinnen,  soweit  ihr  Verständnis 
nicht  versagt.  Hüten  wir  uns  also  in  der  Kunst 
vor  jedem  Chauvinismus,  bewahren  wir  uns 
aber  auch  die  Bodenständigkeit;  denn  dort 
fließen  die  Quellen  unserer  Kraft,   karl  heckel. 


100 


■■■■■■■■■■■■■■■■■■MMBBMWII 


ARCHITEKT  FRITZ  AUGUST  BREUHAUS    K'  -I.X. 
>VORRAt7M  IM  HAUSE  DES  ARCHITEKTEN. 


ENTWURF:  ARCHITEKT  FRITZ  AUGUST  BREUHAUS-  KÖLN. 
»HERREN-SCHLAFZIMMER  IM  HAUSE  SCH.  IN  KÖLN« 


ENTWURF:  ARCHITEKT  KRITZ  AUGUST  BREUHAUS    Ki  iLN. 

»FRISIERTISCH  IM  NEBENSTEHENDEM  HERREN-SCBLAKZLUMER« 


ENTWURF:  ARCHITEKT  FRITZ  AUGUST  BREUHAUS    KÖLN. 

•  WÄSCHESCHRANK  MIT  INTARSIA  IM  HERREN-SCHLAFZIMMER  t 


MARIE  ELISABETH  KRÄNKEL    BERLIN. 
AQUARELL  >DIE  EINSIEDLEK« 


ARBEITEN  VON  MARIE  ELISABETH  FRÄNKEL. 


Auf  einer  großen  Ausstellung  bei  Cassirer  in 
i  Berlin  geschah  es.  Es  war  eine  umfassende 
und  bunte  Schau  über  die  Aquarell-Bemühungen 
unserer  Zeit,  und  damit  das  Bild  sich  nicht  gar  zu 
einförmig  aus  Hunderten  kleiner  Blätter  zusam- 
mensetze, fand  sich,  durch  die  Säle  verstreut, 
auch  ein  wenig  Plastik.  Dabei  ein  paar  Stücke 
mit  dem  Namen  Marie  Elisabeth  Fränkel.  Wer 
ist  das?  fragt  man  sich.  Mit  der  aufmerkenden 
Neugier  des  Dauerkunstwanderers,  zu  dessen 
größten  Freuden  es  gehört,  einem  unbekannten 
Talent  zu  begegnen,  forscht  man  weiter.  Und 
findet  eine  junge  Künstlerin  von  so  eigenem 
Wesen  und  Gefühlsausdruck  in  den  nicht  allzu- 
weit ausladenden  Grenzen  ihres  Arbeitsbezirks, 
daß  man  sie,  wiederum  höchst  angenehm  berührt, 
in  die  üblichen  Rubriken  nicht  einordnen  kann 
Die  Zeiten  sind  längst  vorüber,  da  die  Plastik 
nur  sehr  lockere  Beziehungen  zur  weiblichen 
Künstlerschaft  unterhielt.  Und  auch  das  ist 
nichts  Neues  mehr,  daß  junge  Mädchen  von 
Begabung  sich  in  eine  rechte  Handwerkslehre 
geben,  um  das  Problem  künstlerischer  Arbeit 
nicht  nur  als  ein  Objekt  gefälligen,  feinen  Spiels 
zu  betrachten,  sondern  zu  seinen  Gründen  vor- 
zudringen. Aber  selten  habe  ich  doch  diese 
Forlschritte  mit  einer  so  persönlichen  und  ge- 
schlossenen Empfindungswelt  vereinigt  gesehen 
und  mit  einem  so  zielsicheren  Willen,  ihr  Form 
zu  geben.  M.  E.  Fränkel  hat  redlich  ihre  Schule 
durchgemacht.  Sie  war  am  Berliner  Kunstge- 
werbemuseum und  erfuhr  dort  die  anregende 
Kraft  von  Josef  Wackeries  Unterricht.  Dann 
ging  sie  auf  den  Rat  dieses  Lehrers,  der  ihre 


besondere  Neigung  zum  Holz  erkannte,  nach 
Oberammergau.  In  dem  gesegneten  und  be- 
rühmten bayerischen  Orte  kann  man  viel  lernen. 
Viel  —  das  will  sagen:  vielerlei.  Man  kann 
dort  sehr  leicht  in  eine  konventionelle  Routine 
geraten,  die  den  Begriff  der  ÜberUeferung  recht 
eng  faßt.  Man  kann  aber  auch,  namentlich  heute 
in  der  Unterweisung  von  Cluistian  Wittmann, 
dahin  geführt  werden,  den  Sinn  der  Tradition 
freier  zu  begreifen  und  die  glänzende  handwerk- 
liche Schulung,  die  Oberammergau  unter  allen 
Umständen  gewährt,  zu  selbständigem  Schaffen 
zu  nutzen.  Durch  ihres  Meisters  Wittmann  ver- 
ständnisvolle Leitung  und  durch  das  Gebot  ihres 
künstlerischen  Triebes  fand  Marie  Elisabeth 
Fränkel  diesen  weiten  Weg.  Sie  machte  wohl 
den  Lehrgang  durchs  bayerische  Barock  mit, 
der  sich  dort  oben  im  Gebirge  als  etwas  Natür- 
liches ergibt.  Aber  sie  drang  darüber  hinaus 
zu  Gestaltungen  vor,  die  weitab  von  diesem 
Schema  liegen.  Was  Oberammergau  ihr  gab, 
war  außer  der  technischen  Sicherheit,  die  sie 
befähigte,  jedem  Holzklotz  unerschrocken  ge- 
genüberzutreten, vor  allem  und  wesentlich  die 
Gefühlsinnigkeit  und  seelische  Hingabe  der 
katholischen  Welt,  in  die  sie  sich  versetzt  sah. 
Unmerklich  strömte  in  der  Heimat  der  Passions- 
spiele das  eigentümliche  Geistesleben  der  Be- 
wohner in  die  junge  Berlinerin,  die  hier  aus 
der  wirren  materiellen  ZiviUsationswelt  der 
Großstadt  in  die  Nähe  einfacher,  mit  ihrem  Gott 
vertrauten  Umgang  pflegender  Menschen  ge- 
kommen war.  Aus  solchen  Stimmungen  wurden 
die  eigenartigen  Arbeiten  geboren,  die  dann. 


107 


XXV.  Mil  1933.  6* 


Arbeiten  von  Marie  Elisabeth  Fränkcl. 


lOS 


MARIE  E.  FBÄNKEL-BERLIN. 


ans  Licht  gebracht.  Sie 
scheinen  noch  nicht  ganz  aus 
dem  Schlummer  ihrer  Ver- 
kapselung  erwacht.  Noch  ist 
um  sie  gleichsam  ein  Traum- 
schleier gebreitet,  unter  des- 
sen kaum  merklicher  Ver- 
hüllung wir  ihre  Verbun- 
denheit mit  der  Materie,  aus 
der  sie  bestehen,  doppelt 
eindringlich  spüren.  —  Alle 
diese  Figuren  sind  Gefäße 
einer  versonnenen  Sehn- 
sucht. Sie  äußert  sich  ver- 
schieden. In  frommem  Ge- 
bet, in  tiefem  Nachdenken, 
in  musikalischer  Versunken- 
heit,  in  religiöser  Schwär- 
merei. Das  „Sinnende  Mäd- 
chen" ist,  fast  wie  eine 
Kwannon  aufgebaut ,  eine 
ganz  ferne ,  bescheidene 
Verwandte  des  Rodin'schen 
Denkers.  Ausgezeichnet, 
wie  die  Lim'en  des  Gewan- 
des aus  natürlicher ,  stil- 
mäßig benutzter  Breite  em- 


nach  der  Heimkehr,  ent- 
standen. Was  Marie 
Elisabeth  innerlich  er- 
lebt hatte,  berührte  sich 
ganz  natürlich  mit  den 
Wünschen  der  jüngsten 
Kunst,  deren  ganze 
Sehnsucht  darauf  ge- 
stellt ist,  das  uferlos  wo- 
gende Meer  des  erreg- 
ten Gefühls  in  sichtbare 
Form  zu  zwangen.  So 
entstanden  diese  Re- 
liefs und  Holzschnitze- 
reien, die  von  einer  zar- 
ten Mystik  bestimmt 
sind.  M.  E.  Fränkel 
nimmt  ihre  Schnitzmes- 
ser zur  Hand  und  aus 
einem  rohen  Stück  Birn- 
baumholz lösen  sich  Fi- 
guren, die  so  aussehen, 
als  seien  sie  seit  tausend 
Jahren  in  den  Fasern 
des  Holzes  verzaubert 
gewesen,  mit  ihnen  lang- 
sam gewachsen  und  nun 


MARIE  ELISABETH  FRANKEL.  »CELLOSPIELER« 


HOLZPLASTIK   »KNIENDE« 


porstreben,  um  dort  in  die 
Umrisse  des  Körpers  und 
der  Arme  überzugehen  und 
in  die  kugelhcifte  Rundung 
des  Schädels  zu  münden. 
Wie  hier,  ist  bei  ihren  Schwe- 
stern die  Fiächenbehand- 
lung  aufs  Einfachste  zurück- 
geführt, wahrhaft  aus  dem 
Holz  gedacht.  Nur  die  ent- 
scheidenden Formteile  sind 
herausgehoben  und  mit  ei- 
ner überraschendenKlarheit 
zusammengefügt.  Der  Kopf 
ist  gern  ein  wenig  größer 
gehalten,  als  es  ein  natura- 
listischer Maßstab  zuließe. 
Die  Arbeiten  erhalten  da- 
durch einen  Zug  des  Primi- 
tiven, der  aber  nicht  modisch 
erzwungen,  sondern  wirk- 
lich aus  der  Anlage  des 
Ganzen  geboren  scheint. 
Ein  Gran  Urtümlichkeit  und 
ein  Gran  Gotik  mischen  sich 
mit  technischer  Erfahrung, 
die  rührend  vergeistigt  ward. 


Arliitcn  von  Marie  Elisahcth  F.ränkcl. 


Jene  Köpfe  sind  gern  nach  vorn  geneigt.  Es 
ist  eine  charakteristische  Haltung  aller  dieser 
träumerischen  Schöpfungen.  Auch  der  Cello- 
spieler hat  sie,  der,  volksmäßig-nadv,  mit  seinem 
Instrument  so  innig  verschmilzt.  Auch  die 
Klavierspielerin  eines  Reliefs,  die  eine  kleine 
heilige  Cäcilie  wurde.  Auch  der  Schäfer,  der 
am  Brunnen  seine  Herde  überwacht,  die  deko- 
rativ so  hübsch  geordnet  und  mit  der  Relief- 
schrift in  Beziehung  gebracht  ist  -  dieser  Schäfer, 
der  etwas  vom  christlichen  Symbolamt  über- 
nimmt. Und  auch  die  Einsiedler  des  Aquarells, 
das  hier  als  Probe  einerbesonderenKunstübung 


erscheint.  Die  Künstlerin  hat  sich  in  diesen  Blät- 
tern wiederum  eine  ganz  eigne  Art  des  Vortrags 
gebildet.  Etwas,  das  an  Miniaturen  erinnert,  fast 
möchte  ich  sagen,  an  die  geduldige  Kunst  alter 
Mönche,  wenn  nicht  eine  verhaltene  sinnliche 
Glut  der  larben,  die  den  flächigen  Aufbau  bele- 
ben, doch  auch  wieder  abseits  führte  in  ein  Sehn- 
suchtsland der  modernen  Seele.  i>r.  max  osborn. 

Man  lernt  nichts  kennen,  als  was  man  liebt, 
und  je  tiefer  und  \  ollständiger  die  Kennt- 
nis werden  soll,  desto  kräftiger  und  lebendiger 
muß  Liebe,  ja  Leidenschaft  werden.  .  .  goethe. 


mwrnnmw 


1 


MARIE  ELISABETH  FRÄNKEL.  >LAMPENFUSS  IX  HOLZ. 


109 


■■■■■■«■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■■ 


UARIE 

ELISABETH 

FRÄNKEL. 

»PLAKETTE' 


DAS  SUBSTANZIELLE  IN  DER  KUNST. 


Der  Naturalismus  ließ  außer  Acht,  daß  die 
Welt  eine  Schöpfung  des  Ich  ist.  Der 
Expressionismus  ließ  außer  Acht,  daß  alles  Ich 
ein  Du,  alles  Subjekt  ein  Objekt  voraussetzt. 
Dem  Naturalismus  entseelte  sich  die  Welt,  da 
er  ihr  den  Bestandteil  Ich  entzog.  Dem  Ex- 
pressionismus entstoffUchte  sich  das  Ich,  da  er 
ihm  den  Bestandteil  Welt  entzog.  Zwei  so  grund- 
legende und  schmerzliche  Erfahrungen,  gegen- 
sätzlich aufeinander  folgend  imd  auf  schmalen 
Zeitraumzusammengedrängt, sollten  derMensch- 
heit  als  Warnung,  als  Fingerzeig  dienen. 

Die  Welt  ist  Tat  des  Ich,  kein  Zweifel.  Aber 
diese  Einsicht  gehört  in  den  Bereich  der  Be- 
trachtung, nicht  in  den  Bereich  des  Handelns 
und  des  Schaffens,  Vor  der  reinen  denke- 
rischen Erwägung  wird  sich  das  Gewebe  der 
Welt  immer  aufdröseln;  sie  wird  auf  die  Welt- 
substanz immer  zerstörend  einwirken ,  denn 
Denken  ist  nicht  das  Organ,  mit  dem  wir  an 
den  Weltstoff,  an  das  Objekt  herankommen 
können.  Es  ist,  als  wollten  wir  zarte  Woll- 
flocken mit  weißglühenden  Zangen  ergreifen: 
sobald  wir  sie  damit  berühren,  verkohlen  sie 
im  Nu.  Verhalten  wir  uns  aber  dann  handelnd 
und  schaffend  zur  Welt:  sogleich  ist  deren  Sub- 
stanz wiederhergestellt,  wölbt  sich  auf  mit  gra- 
nitenen Bergen  und  rauschenden  Wäldern  und 


gibt  sogar  Stoff  ab,  die  hohen  Gestalten  zu  ver- 
leiben, die  die  überirdischen  Sphären  bevölkern. 
Der  Expressionismus  hat  sich  bemüht,  zu 
vergessen,  daß  das  so  mächtige,  weltschöpfe- 
rische Ich  nur  durch  das  entsprechende  Du  ge- 
füllt und  bestimmt  wird.  So  ist  seine  Welt 
verarmt ,  sie  ist  dünn  und  fadenscheinig  ge- 
worden. Und  auf  allen  Seiten  sehen  wir  die- 
jenigen, die  diese  Erfahrung  nicht  umsonst  ge- 
macht haben,  mit  herzlicher  Begierde  das  große 
und  kleine  Du  aufsuchen.  Das  Ich  verschweigt 
sich.  Das  Ich  ist  eine  Schattenblume;  sie  kann 
nicht  immer  im  hellen  Licht  des  Bewußtseins 
stehen.  Sie  braucht  Dunkel  und  Kühle.  Sie 
blüht,  wenn  der  Geist  sich  herzlich  auf  das 
Nicht- Ich  einstellt.  Und  so  stehen  unsere  Künst- 
ler wieder  vor  der  Natur,  nicht  um  sie  unter 
Vergewaltigung  des  Ichs  abzumalen,  sondern 
um  dem  Hunger  des  Subjekts  die  ewige,  näh- 
rende Materie  zuzuführen,  durch  die  das  Ich 
erst  in  den  Stand  gesetzt  wird,  Welten  zu  er- 
schaffen. Es  ist  ein  Vorgang  der  Gesundung, 
eine  kunstmoralische  und  sogar  eine  moralische 
Verdichtung,  Wiederaufrichtung  des  mensch- 
lichen Geistes,  die  sich  bei  allen  Völkern  und 
auf  allen  Gebieten  bemerkbeu-  macht  und  die 
ohne  Zweifel  auch  unsrer  Kunst  einen  neuen 
Lebensantrieb  geben  wird w.  f. 


110 


MARIE  ELISABETH  FRANKEL- BERLIN. 
HOLZPLASTIK   »SINNENDES  MÄDCHEN. 


LOTTE  PRITZEL.  »VITRINEN-PUPPE« 


LOTTE  PRITZEL. 


»VITRINEN-PUPPE« 


VITRINEN-PUPPEN  VON  LOTTE  PRITZEL. 


Lotte  Pritzels  Puppenkunst  hat  einen  schönen 
-<  Weg  gemacht.  Sie  begann  mit  Puppen,  die 
Spielzeug  waren.  Sie  endet  mit  plastischen 
Kunstwerken,  in  denen  das  Puppenhafte  nur 
noch  Material,  nur  noch  Ausdrucksmittel  ist. 
Sie  ist  durchaus  in  den  Bereich  der  Kunst  auf- 
gestiegen; sie  stellt  eine  Welt  aus  sich  heraus 
in  objektiven  Formen.  Diese  Formen  sind  Emp- 
findungsomamente,  dargestellt  aus  einem  leich- 
ten, durchleuchteten  Etwas  von  menschlichen 
Körpern.  Abwehr,  zärtliche  Sehnsucht,  Jubel 
festlichen  Schreitens  wird  hier  gedolmetscht ; 
daneben  auch  krampfig  Überreiztes,  wie  es  sich 


im  Empfindungsleben  moderner  Menschheit  so 
häufig  vorfindet.  Dem  Wesen  nach  sind  diese 
Kunstwerke  nicht  statuarischer,  sondern  lyri- 
scher Art.  Jedes  ist  ein  Lied  von  wenigen  Zeilen, 
in  duftigen,  gehauchten  Worten  hingesagt,  die 
alle  vom  gleichen  Rhythmus  zärtlich  ergriffen 
sind.  Es  gibt  an  diesen  Gestalten  keine  leeren, 
unergriffenen  Partien.  Das  Zärtliche,  Liedhafte, 
Schmachtende  dieser  Kunst  wird  vollends  be- 
tont durch  die  hauchfeinen,  schmiegsamen  und 
spielerischen  Materialien,  die  die  Bewegung  der 
Körper  hilfreich  unterstützen;  Kunst  und  Spiel 
auf  einem  hohen  Punkte  vereinigt w.  f. 


113 


XXV.  Mal  1922    7 


LOTTE  PR1T2EL.  .VITRINEN-PUPPE« 


LOTTE  PRITZEL.  .VITRINEN-PUPPE. 


■■■HBBHBMBBKBI 


DAS  GEHEIMNIS  DES  PRIMITIVEN. 

(FORTSETZUNG  VON  SEITE  65.) 


SO  glauben  wir  z.  B.  bereits  in  den  frühen 
Niederländern  des  15.  Jahrhunderts  Rubens 
und  Rembrandt  wirken  zu  sehen,  freiHch  erst 
keimhaft,  gleichsam  im  Puppenstand  und  von 
dem  geheimnisvollen  Reiz  des  Unvermögens 
umdunkelt.  Diese  Aulfassung  wird  der  wahren 
Bedeutung  des  Primitiven  nie  gerecht  werden. 
In  ihr  spricht  sich  meines  Erachtens  der  ganze 
raffinierte  Geschmack  des  vielzuviel  Wissen- 
den aus,  der  nur  eine  andere  Art  von  Per- 
versität ist  und  der  Uoschuld  des  Noch-nicht- 
voU-Entwickelten  als  eines  Stimulanzmittels  für 
erschlaffte  Nerven  bedarf.  Auch  verkennt  diese 
Art  zu  sehen  vollkommen  das  Wesen  der 
Kunst,  die  sich  auf  jeder  Stufe  als  ein  Abso- 
lutes gibt  und  durch  den  Entwicklungs-Ge- 
danken, der  das  jeweils  erreichte  Stadium  relativ 
wertet,  um  ihren  metaphysischen  Sinn  be- 
trogen wird.  Das  Primitive  ist  in  sich  genau 
so  vollkommen  wie  der  Zustand  der  Reife.  Wir 
müssen  nur  versuchen,  es  aus  seinen  eigenen 
Bedingungen  heraus  zu  verstehen. 

Alles  Primitive  wurzelt  im  Mythos.  Dies 
ist  der  Grund  der  unausmeßbaren  Weite  seiner 
inneren  Dimensionen.  Dies  ist  auch  der  Grund 
für  die  tiefe  Verkettung  von  Leben  und  Kunst, 
die  sein  Wesen  ausmacht.  Denn  ob  der  Neger 
sich  einen  Ring  durch  die  Nase  zieht  oder  seinen 
Gott  in  eine  phantastisch  gescfinitzte  Holzfigur 
bannt  —  der  Antrieb  zu  beiden  Tätigkeiten 
ist  übersinnlicher,  mythischer  Art.  Wo  aber 
das  Leben  —  alles  Leben  —  im  Dienste  des 
Mythos  steht,  ja  nur  eine  Erscheinungsform  des 
Mythos  ist,  da  bedarf  es  nicht  der  Kunst  als 
eines  besonderen  Seelenvermögens,  dem  die 
Aufgabe  zufällt,  dem  Leben  eine  Bedeutung  zu 
verleihen,  die  es  aus  sich  selbst  heraus  nicht 
hat.  Denn  hier  ist  das  Leben  in  jeder  seiner 
Äußerungen  bedeutsam.  Auch  da,  wo  der 
Anruf  zum  Bilden  ein  sinnlicher  ist,  hört  dieses 
darum  nicht  auf,  metaphysischen  Charakter  zu 
tragen,  denn  diese  ganze,  vom  Mythos  ununter- 
scheidbar  durchflochtene  Körperlichkeit  steht  ja 
in  innigster  Beziehung  zu  magischen  Mächten. 
So  ist  auch  die  Nachahmung  der  Natur  im  primi- 
tiven Kunstschaffen  etwas  ganz  anderes  als  bei 
uns.  Sie  ist  übergegenständlich,  nicht  illusio- 
nistisch, sie  bezieht  sich  immer  auf  ein  Über- 
weltliches, das  sich  in  der  vergänglichen  Er- 
scheinung eingekörpert  hat  und  Gewalt  über  sie 
ausübt.  Der  darstellende  Künstler  bemächtigt 
sich  nicht  etwa  bloß  symbolisch,  sondern  effek- 


tiv der  Seele  des  Gegenstands,  weshalb  heute 
noch  australische  Neger  sich  nur  mit  äußerstem 
Widerstreben  von  Fremden  zeichnen  lassen. 
Wir  mögen  das  belächeln  und  werden  uns  doch 
nicht  der  Einsicht  verschließen  können,  es  hier 
mit  Dingen  zu  tun  zu  haben,  die,  so  barbarisch 
sie  uns  vom  individualistischen  Standpunkt  auch 
anmuten,  ein  bei  weitem  stärkeres  und  tiefer 
fundamentiertesWeltgefühl  offenbaren  als  dieser 
ganze  faule  Realitätenzauber  europäischer  Auf- 
geklärtheit mit  seinem  erschreckenden  Mangel 
an  Hintergründen.  Vor  allem  aber  sollten  wir 
uns  doch  hüten,  die  Kunst  der  primitiven  Völker 
mit  der  hochmütigen  Gebärde  des  sich  höher 
Dünkenden  abzutun  als  eine  Verlegenheits- 
äußerung  technischeu  oder  imitativen  Unver- 
mögens. Was  sie  ist,  das  ist  sie  ganz,  Sie 
bedarf  wirklich  keiner  Entschuldigung.  So  wenig 
wir  von  ihr  unmittelbar  lernen  können  — 
nichts  schreckUcher  als  die  Primitivitätsgeste 
gewisser  Modernen  —  umso  nachdrücklicher 
sollte  uns  das  mitfühlende  Erleben  ihrer  wun- 
dervollen Totalität  die  trostlose  Zusammenhang- 
losigkeit  unserer  sogenannten  „höheren  Kultur" 
vor  Augen  führen.  Vielleicht,  daß  auch  hier  das 
„Erkenne  dich  selbst!"  den  Anstoß  zu  einer 
Wiedergeburt  des  Geistes  gibt  I  Denn  —  zwei- 
feln wir  nicht  —  die  Renaissance,  vor  der  oder 
in  der  wir  stehen,  kann  nur  eine  Wiederent- 
deckung der  metaphysischen  Kraft- 
quellen sein,  deren  Spur  uns  im  Zeitalter  des 
Realismus  verloren  ging,     ernst  v.  niebeischütz. 

Ä 

Wollte  sich  der  Künstler  mit  Bewußtsein 
der  Natur  unterordnen  und  das  Vorhcin- 
dene  mit  knechtischer  Treue  wiedergeben;  so 
würde  er  wohl  Larven  hervorbringen,  aber  keine 
Kunstwerke.  Die  Kunst  muß,  um  Kunst  zu  sein, 
sich  erst  von  der  Natur  entfernen.  Der  Künstler 
muß  sich  vom  Produkt  oder  vom  Geschöpf  ent- 
fernen, aber  nur,  um  sich  zu  der  schaffenden 
Kraft  zu  erheben  und  diese  geistig  zu  ergreifen. 
Hierdurch  schwingt  er  sich  in  das  Reich  reiner 
Begriffe :  Jenem  im  Innern  der  Dinge  wirksamen, 
durch  Form  und  Gestalt  nur  wie  durch  Sinn- 
bilder redenden  Naturgeist  soll  der  Künstler 

nacheifern f.  w.j.  v.  schelling. 

Sl 

Seien  wir  auch  dem  Snob  dankbar,  der  sich 
mit  guten  Dbgen,  statt  mit  gemeinen,  brü- 
stet und  schließlich,  ohne  es  zu  eihnen,  doch 
zum  Heile  beiträgt julius  meier-graefe. 


116 


Richard  skewalD-münchen.  >Wallfahrts-kirche  auf  elba« 

PRiVATBKSrrz:  a.  k.— dahmstadt. 


RICHARD  SEEWAXD— MÜNCHEN. 


BAUERNHAUS  IN  TOSKANA 


AUSSTELLUNG  „DEUTSCHE  KUNST  1923"  DARMSTADT. 


Die  Maschine  des  Ausstellungsbetriebs  läuft 
noch  fort.  Aber  langsam  hat  sich  ihre  Be- 
deutung, ihr  Sinn  verschoben,  und  die  Zufuhr 
von  Material  ist  da  und  dort  ins  Stocken  ge- 
raten. Das  Interesse  der  Künstler  am  Be- 
schicken der  großen  Sommerausstellungen  hat 
stark  nachgelassen.  Diese  Ausstellungen  sind 
nicht  mehr  wie  früher  die  Plätze  der  großen 
Premieren,  die  Bühnen  der  „Uraufführungen" 
neuer  Begabungen.  Der  Kunsthandel  ist  scharf 
hinter  allen  neuen  Sternen  her,  seien  sie  auch 
siebenter  Größe,  und  legt  in  hitzigem  Wettbe- 
werb Beschlag  auf  ihre  Produktion.  Wer  etwas 
kann,  hat  auch  sogleich  den  Markt.  Die  Be- 
schickung der  großen  Ausstellungen  hat  heute 
für  die  Könner  nur  den  Wert  einer  zweit- 
rangigen Propaganda.  Insonderheit  die  Kunst- 
Zeitschrift,  die  ihre  Abbildungen  weit  ins  Land 
und  auf  den  Tisch  kaufkräftiger  Kunstfreunde 
trägt,  ist  dem  „arrivierten"  Künstler  viel  wich- 
tiger als  die  Massen-Ausstellungen,  die  ihm 
Mühe,  Kosten  und  Gefahren  einbringen. 

Auch  der  Darmstädter  Ausstellung  kann  man 
diese  Gleichgültigkeit  der  Künstler  anmerken. 


Sie  verfuhr  so,  daß  sie  eine  große  Zahl  deut- 
scher Künstler  zur  juryfreien  Beschickung  ein- 
lud. Die  Liste  der  Eingeladenen  war  gut  uod 
vollständig;  fehlerhaft  war  nur  die  Aufnahme 
einiger  Weniger,  wie  Richard  Pietzsch,  Th.  Th. 
Heine  usw.,  die  denn  auch  durch  schlimmes 
Versagen  einen  Winkel  der  Ausstellung  gröb- 
lich verunstalten.  Viele  andre  aber  sind  der 
Einladung  nicht  gefolgt,  teils  wegen  des  Wett- 
bewerbs der  gleichzeitig  in  Süddeutschland 
stattfindenden  Karlsruher  Ausstellung,  teils  aus 
Besorgnis  vor  einer  drohenden  Besetzung  Darm- 
stadts,  teils  aus  den  Gründen,  die  einleitend 
angegeben  wurden.  Im  Anfang  schien  es,  als 
müsse  das  Unternehmen  an  dieser  schwachen 
Beteiligung  scheitern.  Scliließlich  kam  aber 
dann  doch  etwas  zustande,  das  beim  ersten 
Durchwandern  anruft  und  gewisse  Versprech- 
ungen macht.  Aber  bei  näherer  Prüfung  er- 
weisen sich  viele  dieser  Versprechungen  als 
nicht  erfüllt  oder  nur  halb  erfüllt,  und  das 
Ganze  bleibt  schließlich  eine  halbe  Sache  ohne 
rechte  Freude  und  Durchschlagskraft.  Wobei 
wir  nicht  übersehen  wollen,  daß  andere  Unter- 


175 


XXVI.  Juli  1923    1 


Ausstellung  ii Deutsche  Ku7ist  ig2j').  Darmstadt. 


176 


AXEXAMDES  KANOLDT. 


nehmungen  ähnlichen  Programms  ebenfalls  nur 
zu  halben  Ergebnissen  gekommen  sind.  Der 
einzige  Punkt,  von  dem  aus  dieses  Ergebnis 
leicht  zu  bessern  und  zu  heben  gewesen  wäre, 
ist  das  Hängen.  Man  hat  in  Darmstadt  nicht 
günstig  gehängt.  Der  sogenannte  Ehrensaal  ist 
schwach  in  der  Gesamtwirkung.  Das  einge- 
laufene Material  war  zu  knapp,  um  gefüllte 
Räume  zu  ergeben,  und  so  wurde  alles  ausein- 
andergezogen. Es  wirkt  verstimmend,  daß  sich 
an  den  ersten  Saal  gleich  mehrere  Säle  mit 
Graphik  ctnschheßen.  Mehrfach  findet  man  Kol- 
lektionen nebeneinander,  die  sich  in  der  Wir- 
kung gegenseitig  beeinträchtigen.  Gelungen  ist 
nur  der  zweite  Oberlichtsaal,  der  die  Kollek- 
tionen Kanoldt,  Davringhausen,  Dix, 
Mense,  Schrimpf,  Kirchner  u.  a.  zu  einer 
guten  Gesamtwirkung  vereinigt. 

Bei  der  Beurteilung  des  Ergebnisses  muß  in 
Anschlag  gebracht  werden,  daß  unsre  künst- 
lerische Produktion  immer  noch  unter  der  Un- 
gunst der  Zeit,  ihres  Geistes  sowohl  wie  ihrer 
materiellen  Schwierigkeiten  leidet.  Die  allge- 
meine geistige  ICrise  der  Gegenwart,  bei  uns 
sehr  verschärft  durch  die  Kriegsfolgen,  legt  be- 
sonders auf  die  Kunst  einen  schweren,  nach- 
haltigen Druck.  Die  weltanschaulichen  Ent- 
scheidungen, die  eines  Tages  aus  der  expres- 
sionistischen Sackgasse  herausführen  müssen, 
sind  in  den  meisten  Gemütern  noch  nicht  ge- 
fallen, und  was  uns  an  Zeitwirklichkeit  umgibt, 
ist  in  der  Tat  wenig  geeignet,  diese  befreienden 
Entscheidungen  zu  fördern.  Die  Krise,  in  der 
sich  der  Expressionismus  seit  Jahren  nun  ab- 
quält, ist  die  Krise  des  Ichs  und  seiner  Be- 
ziehungen zur  Umwelt.  Der  Expressionismus 
ist  an  seiner  Fehlbewertung  des  leeren,  um- 
mauerten Ich  hoffnungslos  erkrankt.    Aus  ihr 


»SAN  6IMIONAN0<   1922 


kommt  seine  Weltlosigkeit,  die  weder  ein  wahres 
Objekt  noch  ein  wahres  Subjekt  kennt.  Er  hat 
keine  Welt.  Er  ist  die  endgültige  Vereinsamung 
des  Ichs  im  Universum,  die  völlige  Erblindung, 
die  radikale  Verschluckung  des  Du  in  den  un- 
ausfüllbaren  Abgründen  des  falsch  eingestellten 
Ego.  Der  Entwicklungswert  des  Expressionis- 
mus bestand  darin,  daß  er  der  Übermächtigung 
des  Ichs  durch  die  Umwelt  die  Tyrannei  des 
Ichs  über  alles  Objektive  entgegensetzte.  Aber 
das  eine  bedeutet  so  gut  wie  das  andre  die 
Zerstörung  jedes  wahren  Weltbildes,  die  Unter- 
wühlung aller  Wirklichkeit.  Aufbruch  zur  Wirk- 
lichkeit ist  das  Gebot  der  Stunde ;  Wirklichkeit, 
die  nicht  etwa  die  des  Naturalismus  ist,  son- 
dern ein  Ernstnehmen  der  objektiven  Dinge 
aufgrund  einer  sinnvollen,  gläubigen,  hingeben- 
den Beziehung  des  Ichs  zum  Du.  Diesen  Auf- 
bruch zur  Wirklichkeit  hat  unsre  Welt,  und  mit 
ihr  die  Kunst,  noch  nicht  vollzogen.  Daher  das 
andauernd  Zweifelhafte,  Knappe  und  Dürftige 
unsrer  Produktion;  eine  Lage,  die  wir  wohl 
oder  übel  durchleiden  müssen,  um  wenigstens 
im  Leiden  (und  durch  das  Leiden)  der  großen 
Anforderung  inne  zu  werden,  die  an  uns  ge- 
stellt ist:  in  einer  Welt  zu  leben,  nicht  unter 
Gespenstern  und  Larven. 

Von  hier  aus  wird  die  Kollektion  Alexander 
Kanoldt  zu  einer  der  bemerkenswertesten 
Darbietungen  der  Ausstellung.  Seine  Stilleben 
haben  eine  strenge,  düstere  Sachlichkeit,  eine 
scharfe  Bestimmtheit,  in  der  gewissermaßen  der 
Schrecken  vor  dem  durchwanderten  Chaos  noch 
nachzittert.  Es  ist  noch  kein  freies,  gesichertes 
Verhältnis  zum  Ding.  Es  ist  noch  kein  klares, 
glückliches  S e h e n ,  sondern  einüberscharfes 
Sichten  der  Gegenstände,  ein  Spähen  wie 
mit  bewaffnetem  Auge,  ein  bewußtes  Organi- 


PAUL  THESING-DARMSTADT. 

GEMÄLDE:  SCHAUSPIELER  GÖBEL  ALS      DATTEFICH« 


CARL  MENSE-MÜNCHEN.     FRAUEN  IN  ITALIENISCHER  LANDSCHAFT. 

AUSSTELLUNG    -DEUTSCHE  KUNST  19-'3      DARMSTADT. 


Ausstellung  •> Deutsche  Kufist  rp2j€  Darmstadt. 


HEINKICH 

DAVRING- 

HAUSEN 

-MÜNCHEN. 

>B1LDNIS< 


sieren,  das  seine  Herkunft  aus  der  kubistischen 
Richtung  nicht  verleugnet.  Das  ist  es,  was  ein 
gutgläubiges  Hinnehmen  dieses  nachexpressio- 
nistischen Realismus  verhindert.  Die  Bilder 
scheinen  noch  mit  angehaltenem  Atem  gemalt. 
Sie  sind  noch  nicht  frei  von  Angst,  oder  von 
Absicht,  oder  von  Künstlichkeit  oder  Manier. 
Sie  haben  mehr  Festigkeit  als  Freundlichkeit; 
das  Hauptmerkmal  einer  geordneten  Menschen- 
welt, die  Heiterkeit,  geht  ihnen  noch  ab.  Aber 
soviel  kann  man  ihnen  doch  nachsagen,  daß  sie 
einen  Schritt  aus  der  eigentlichen  expressio- 
nistischen Geisleslage  heraus  tun.  Sie  haben 
jenseits  der  gespenstischen  Ichwelt  wenigstens 
die  kristallische,  wenn  auch  noch  nicht  die  or- 
ganische Stufe  erreicht.  Ein  erster  Versuch, 
dem  Chaos  zu  entrinnen,  wird  selten  ohne  Ge- 
preßtheit und  Gewaltsamkeit  einhergehen.  Der 
Durchbruch  zum  Ding  ist  bei  Kanoldt  immerhin 
an  der  richtigen  Stelle  angesetzt.  Das  Kubi- 
stische —  jenes  Gesetz,  mit  dem  das  weltleere 
Ich  trotz  allem  Ordnung  und  Bestimmtheit  zu 


erzwingen  versucht  hatte  —  will  hier  dem,,  Ding" 
hilfreich  und  dienend  begegnen.  Das  künst- 
lerische Ich  Kanoldts  hat  die  eigentliche  Hin- 
gabe und  Harmlosigkeit,  das  selbstvergessene 
Frommsein  noch  nicht  gelernt.  Aber  es  sieht 
diese  Hingabe  doch  als  ein  erwünschtes  Ziel. 
Kanoldts  Welt  hat  das  Drohende  noch  nicht 
ganz  verloren.  Aber  es  ist  doch  gesänftigt  und 
abgedämpft.  Die  Luft  in  seinen  Raumschilde- 
rungen ist  noch  dünn  und  kalt.  Aber  man 
kann  sich  denken,  daß  sie  sich  bei  fortschreiten- 
der Bereicherung  seiner  dinglichen  Beziehungen 
erwärmen  und  verdichten  wird. 

In  der  äußeren  Gebärde  scheinen  sich  die 
Kollektionen  Mense  und  Schrimpf,  auch 
Davringhausen,  verhältnismäßig  nahe  zu 
Kanoldt  zu  stellen.  Aber  Davringhausen  tritt 
hier  noch  sehr  als  Gespensterseher  auf  und  er- 
zählt das  Beste  in  seiner  Graphik,  die  eine 
angstvolle,  unerlöste,  von  Maskenschrecken 
durchkältete  Welt  sehr  überzeugend  schildert. 
Ob  es  sich  bei  Mense  und  Schrimpf  um 


179 


Aiisstellu7ig  T> Deutsche  Kunst  ig2j'!~  Darmstadt. 


180 


JOSEF  KBERZ— MÜNCHEN. 


mehr  handelt  als  um  eine  flüchtende  Pseudo- 
Idealität, scheint  mir  im  Augenblick  schwer  zu 
entscheiden,  aber  mindestens  fraglich.  Da  ist 
doch  wohl  eine  Ruhe  neben  den  Kämpfen, 
eine  Art  Anachoretentum  in  einem  geträumten 
Umbrien,  nicht  ohne  Wohllaut,  nicht  ohne  Kräfte 
der  Ergriffenheit  und  Rührung,  aber  doch  kein 
wahres  Vorwärtskommen  in  der  entscheidenden 
Richtung.  Diese  Harmonie  ist  zu  herabgesetzten 
Preisen  erkauft.  Sie  ist  die  schäferliche  Idylle 
von  Einsamen  und  fast  von  Deserteuren,  sie  hat 
etwas  sehr  Privates  und  darum  Ungültiges. 

Daneben  Otto  Dix.  Man  kann  nicht  etwa 
Dix  gegen  Mense  und  Schrimpf  feindlich  aus- 
spielen und  sagen;  diese  gelösten  Linien  und 
klingenden  Farben  hier  widerstreiten  den  gellen, 
grellen  Dingen  dort  so,  daß  beides  sich  gegen- 
seitig ausschließt.  Denn  in  jeder  Zeit  treffen 
harte  Gegensätze  aufeinander,  jede  Zeit  hat  ihre 
harte  Realität  und  ihre  holden  Wunschträume, 
und  das  eine  wie  das  andre  kann  dem  Künstler 
zum  Mittel  seines  Ausdrucks  werden.  Aber 
für  Dix  spricht  doch  die  Materialität  seiner  In- 
halte, die  er  sich  mit  einer  Art  Ingrimm  aus  dem 
Leben  des  Augenblicks,  manchmal  aus  der 
Gosse  herausholt.  Dix  ist  der  verbissene  Wille, 
um  keinen  Preis  zu  lügen.  Lieber  Schlamm  als 
Gespensterei,  lieber  das  Wilde  und  Grauen- 


»UMBRISCBE  EBENE  c 


volle,  das  Wahnsinnige  und  Ekelhafte  als  irgend 
eine  Art  von  Schönfärberei.  Seine  Bilder  schil- 
dern eioe  wüste  Realität.  Sie  knüpfen  mit  Ab- 
sicht an  die  Meßbudenmalerei  an,  sie  tragen 
sich  im  Moritatenstil  vor,  sie  sind  viel  eher 
Illustrationen  als  Gemälde,  aber  sie  schleppen 
Leben,  Dasein  herbei  und  stellen  es  auf  eine 
schonungslose  Weise  zur  Diskussion. 

Die  Kollektion  Reinhold  Ewald  (Hanau) 
zeigt  endlich  eine  stärkere  Regung  und  Aus- 
breitung dieses  Künstlers,  einen  Ansatz  zur 
Überwindung  seiner  Rationalität  und  zum  Über- 
gang vom  Reden  ins  Bilden.  Seewald  hält 
sich  durchaus  auf  dem  längst  erreichten  Stand, 
nur  daß  seine  Bilder  an  Trockenheit,  seine  Linie 
an  überheblicher  Phrasenhaftigkeit  vielleicht 
zugenommen  haben.  Die  hier  als  Beilage  ge- 
gebene Landschaft  ist  ohne  Zweifel  die  beste 
seiner  in  Darmstadt  gezeigten  Arbeiten.  Auch 
Pechstein  ist  eigentlich  nicht  weiter  gekom- 
men. Doch  spricht  immer  wieder  der  Klang 
seiner  starken  Farbe  rein  und  kräftig  an  jedes 
empfängliche  Auge.  Achmann  erregt  mit 
graphisch  gesehenen  Bildnissen  und  Interieurs 
Interesse.  Otto  M  ü  1 1  e  r  spielt  die  Harfe  seiner 
feinen,  übergrauten  Farbenskala  mit  gewohntem 
Reiz,  und  unverdrossen  bläst  sein  Namensvetter 
Felix  seinen  bald  schnurrigen,  bald  recht  lang- 


REINHOLD  EWALD-HANAU.    AM  WOLFGANG-SEE* 


GEORG  SCHRIMPF-MÜNCHEN.  .MÄDCHEN  MIT  SCHAFEN. 


Ausstellung  ^Deitfsche  Kunst  igsj^  Darmstadt. 


weiligen  Dudelsack.  Moll  ist  schwächer  als 
gewöhnlich,  Eberz  desgleichen.  In  diesen  und 
anderen  Erscheinungen  verzettelt  sich  das  Bild 
der  Ausstellung  mehr  und  mehr ;  der  stärkste  Ak- 
zent bleibt  auf  dem  stummen  Dialog  Kanoldt- 
Dix  liegen,  begleitet  von  den  Nebenstimmen 
Schrimpf  und  anderer,  die  ihm  nahestehen. 

Im  Bereich  der  Graphik  gibt  es  von  fast  allen 
bekannten  Namen  gute  Proben  zu  sehen,  z.  B. 
von  Barlach,  Großmann,  Meidner,  Beckmann, 
Davringhausen,  Eberz,  Achmann  usw.  Zwei 
Aquarelle  von  Paul  Klee  sind  einzelgängerisch 
und  sehr  erlesen.  Die  Plastik  bringt  meist 
kleine,  feine  Ware  bekannter  Art;  darunter  die 
sehr  amüsanten  Terrakotten  von  Lörcher  und 
ein  entzückendes,  halbmelerhohes  Mahagoni- 
Figürchen  von  Archipenko,  teils  positiv, 
teils  negativ  gearbeitet,  dem  ich  vor  den  groß- 
formigen  Marmorbildnissen  des  gleichen  Künst- 
lers bei  weitem  den  Vorzug  gebe 


Gleichzeitig  mit  dieser  Ausstellung  zeigen  die 
hessischen  Künstler  ihre  Arbeiten  in  der 
„Kunslhalle"  am  Rheintor.  Ihr  ist  das  Schau- 
spieler-Bildnis von  Paul  Thesing-Darmstadt 
entnommen,  eine  klare,  gekonnte  Arbeit  von 
feiner,  geistreicher  Art.  Im  übrigen  kommen 
nur  wenige  Leistungen  dieser  hessischen  Ab- 
teilung über  das  Provinzniveau  hinaus. 

Erwägung  verdient  —  anläßlich  dieser  wie 
mancher  andern  Ausstellung  —  der  Gedanke, 
ob  nicht  auch  bei  juryfreier  Beschickung  der 
Hängekommission  das  Recht  zustehen  soll,  in 
gewissen  äußersten  Fällen  Ausscheidungen  von 
Kunstwerken  vorzunehmen.  Dieser  Gedanke  ist 
auch  in  Berlin  (Voss.  Ztg.)  mehrfach  vertreten 
worden.  Er  ergibt  sich  einfach  aus  dem  Um- 
stand, daß  in  jeder  juryfreien  Ausstellung  fünf, 
sechs  Werke  hängen,  die  man  aus  QuaUtäts- 
gründen  gern  verstecken  möchte  und  die  das 
Gesamtbild  empfindlich  stören,  wii.helm  michel. 


RICHARD  SEE  WALD.    STILLEBEN« 


183 


XXVI.  Juli  l<»3  2 


CARL  MENSE-MÜNCHEN.  BILDNIS    GINE« 


OSORG 
SCHKIMPF. 
> MUTTER 
UNDKIND€ 


EIN  DEUTSCHER  KUNSTKRITIKER  DES  19.  JAHRHUNDERTS. 

zu  iJEKCKS,  DES  GüETHEFREUNDES,  AUFSÄTZEN  ÜBER  DIE  KUNST. 


Das  18.  Jahrhundert  europäischer  Kullur 
wird  immer  als  eine  Blütezeit  des  mensch- 
lichen Geistes  zu  gelten  haben.  Mit  dem  üb- 
lichen Gerede  von  Rationalismus,  Oberflächlich- 
keit und  dergleichen  dringt  man  nicht  entfernt 
an  das  Wesen  dieser  Epoche  heran.  In  jedem 
Zeitalter  gibt  es  die  große  Masse  der  bloß  aus- 
wertenden Geister,  die  die  Kraft  und  Tugend 
der  Epoche  in  breiter,  faßlicher  Verfratzung 
zum  Vorschein  bringen.  Gewiß  geht  durch  das 
18.  Jahrhundert  ein  breiter  Strom  behaglicher 
oder  frecher  Vernünftelei.  Aber  nicht  an  derlei 
modischen  Verdünnungen  ist  das  spezilische 
Gewicht  eines  Zeitgeistes  zu  messen.  Jene 
humanitäre  Vernünftelei.  die  schließlich  zur 
Plattheit  der  Aufklärung  geführt  hat,  ist  eben 
nur  ein  Nebenprodukt  oder  vielmehr  die  flache 
und  flaue  Auswalzung  jener  echten,  großen 
Geistestreiheit,  Menschlichkeit  und  souveränen 


Klarheit,  womit  dieses  Jahrhundert  vor  allen 
andern  geschmückt  ist.  Jedes  echte  Geistes- 
denkmal dieser  Zeit  zeichnet  sich  durch  die- 
selben Züge  aus:  leichte,  spielende  Kühnheit 
des  Gedankens,  gelassene  Zornlosigkeit  der 
sittlichen  Begriffe,  weitherzige  Duldung,  an- 
mutigste, humanste  Form,  lächelnde,  silberne 
Freiheit  aller  geistigen  Horizonte.  Sehr  oft 
mischt  sich  darunter  jener  liebenswürdige,  ge- 
füblige  Zug,  jene  betonte  Wärme  der  Empfin- 
dung, jene  Zugänglichkeit  für  die  weicheren, 
liebenderen  Regungen  des  Gemüts,  womit  sich 
die  Menschen  dieser  Zeit  ein  Gegengewicht  zu 
der  Schärfe  ihrer  Verständigkeit  geschaffen  zu 
haben  scheinen. 

Darmstadt,  damals  eine  kleine  und  herzUch 
unbedeutende  Residenz,  hat  den  Ruhm,  dem 
freien,  schönen  Geiste  dieser  Zeit  in  einigen 
seiner  besten  Söhne  eine  hervorragende  Ver- 


185 


Ein  deutscher  Kzinstkritiker  des  ig.  Jahrhunderts. 


186 


AUO.  UABBEROER— KA&LSRUHE. 


lautbaruDg  gegeben  zu  haben.  Der  Geist  der 
Stadt  und  ihrer  Bevölkerung  hat  von  Natur 
einige  Züge,  die  man  Züge  des  18.  Jahrhun- 
derts nennen  könnte.  Sie  hat  in  Peter  Helfrich 
Sturz  einen  der  glänzendsten  modernen  StiU- 
sten  hervorgebracht,  in  Georg  Christoph  Lich- 
tenberg den  bedeutendsten  deutschen  Apho- 
risten  nächst  Nietzsche,  von  dem  man  nur  sa- 
gen kann,  daß  ihm  die  Nation  heute  noch  nicht 
den  gebührenden  Rang  zuerkannt  habe.  Sie  hat 
ferner  der  deutschen  Literatur  die  eindrucks- 
volle, farbige  Gestalt  des  Kriegsrats  Johann 
Heinrich  Merck  geschenkt,  der  bedeutendste 
deutsche  Kritiker  des   18.  Jahrhunderts  nach 


GEMÄLDE      FREIFRAUEN« 

Lessing.  Und  schließlich  gab  sie  unsrer  Lite- 
ratur den  ohne  Frage  genialsten  Dramatiker, 
Georg  Büchner,  auch  er  eine  schöne,  wenn 
gleich  sehr  verspätete  Blüte  des  18.  Jahrhun- 
derts. So  kann  man  sagen,  daß  diese  Stadt  zu 
jenem  Abschnitt  europäischer  Geistesentwick- 
lung ihren  Beitrag  redlich  geUefert  hat. 

Wir  haben  es  hier  mit  der  Erscheinung  Johann 
Heinrich  Mercks  zu  tun,  jenes  merkwürdigen 
Mannes,  der  unter  den  Paladinen  Goethes  im 
Ehrensaal  unsrer  Literaturgeschichte  steht,  der 
zum  „Mephisto"  das  Modell  abgab,  dessen 
vielfältige,  glänzende  Talente  die  Bewunderung 
der  Mitwelt  waren  und  dessen  verschlungenes 


ALEXANDER  KANOLDT.  GEMÄLDE  .STILLEBENc 

»AUSSTELLUNO  DEUTSCHE  KUNST  1923  DARMSTADTc 


Ein  dcutsclter  Kiinstkritlkir  des  k).  JalirhiDidfrls. 


Geschick  im  Verein  mit  einem  schwierigen, 
wetterwendischen  Charakter  in  tiefstes  Elend 
und  in  den  Selbstmord  führte.  Unter  seinen  zahl- 
reichen Gaben  stehen  seine  Kennerschaft  der 
bildenden  Kunst  und  eine  unwidersteh- 
liche Passion  für  sie  an  erster  Stelle.  Beson- 
ders für  die  graphischen  Künste  genoß  sein  Ur- 
teil in  ganz  Deutschland  unwidersprochene 
Autorität.  Es  ist  z.  B.  bekannt,  daß  Herzog 
Karl  August  von  Weimar  kaum  eine  Erwerbung 
für  sein  graphisches  Kabinett  vorgenommen  hat, 
ohne  sich  der  Zustimmung  des  Darmstädter 
Kenners  zu  versichern.     Wichtiger  noch  wird 


uns  das  Zeugnis  unsrer  eigenen  Eindrücke  aus 
Mercks  Briefen  und  Aufsätzen  sein.  Wenige 
Zeilen  dieser  Schriften  geben  demjenigen,  der 
selbst  Kenner  ist,  das  unzweideutige  Gefühl : 
hier  spricht  ein  Mann,  der  die  Kunst  nicht  nur 
von  außen  kennt,  sondern  der  sie  bei  ihrem  Tun 
belauscht  hat,  der  über  die  besondere  Seelen- 
lage des  Künstlers,  über  die  bestimmten  Be- 
dingungen technischer,  soziologischer,  kultur- 
geschichtlicher Art,  über  das  Wesen  des  Kunst- 
genusses bis  auf  den  Grund  Bescheid  weiß. 
Wir  sehen  Merck  den  Kunstschriftsteller  gewiß 
in   manchen  Dingen   an  seine  Zeit  gebunden. 


ALEXANDER  KANOLDI-MÜNCHEN.    STTLLEBEX 


189 


XXVI.  Juli  1923  3 


Ei)i  deiifsclifr  Kunstkritiker  des  ig.  Jalirliuiiderts. 


190 


WILLI  JAECKEL— BERLIN. 


Aber  während  das  so  natürlich  ist,  daß  es  gar 
nicht  anders  erwartet  werden  darf,  stimmt  es 
uns  fügUch  zur  Bewunderung,  zu  sehen,  wie 
fiügelleicht  er  im  wesentHchen  den  Zeitbefangen- 
heiten zu  entrinnen  weiß,  wie  kräftig  und  unmit- 
telbar das  geheime  Wissen  vom  untergründigen 
Leben  der  Kunst  in  seine  schlanken,  wüchsigen, 
ziervollen  Sätze  einströmt.  Mercks  Schriften 
und  Äußerungen  zur  Kunst  sind  heute  noch 
nicht  veraltet,  sie  rufen  in  den  ewigen  Kampf, 
den  der  Künstler  gegen  das  Banausentum  und 
den  starren  Buchstaben  zu  führen  hat,  noch 
heute  manches  gute,  witzige  Wort,  wie  sie  schon 
zu  ihrer  Zeit  gegenüber  einem  kalten,  trockenen 
Pedantentum  das  Leben,  die  Freiheit,  das  Wer- 
den und  das  tiefere  Wissen  mit  Glück  vertei- 


GEMALDE   »WALDLICHTUNG« 


digt  haben.  Merck  war  „schöpferischer"  Kri- 
tiker im  besten  Sinne  des  Wortes.  Und  um  es 
noch  genauer  zu  erfassen:  er  hat  sich  diesen 
Ehrentitel  erworben  nicht  durch  tiefe  synthe- 
tische Spekulation  über  das  Wesen  der  Kunst 
und  des  Künstlergeistes,  sondern  durch  viele 
verstreute,  oft  polemische,  im  Tagesstreit  der 
Meinungen  anwendbare  Bemerkungen,  Finger- 
zeige, Richtigstellungen,  die  alle  von  Sachkunde 
blitzen  und  meist  glänzend  geprägt  sind. 

Kennzeichnend  für  die  Lebendigkeit  setner 
Betrachtung  ist  eine  Bemerkung  in  dem  Aufsatz 
„Lieber  die  Landschaft  Mahlerey"  (1777):  „Die 
meisten  unsrer  Kunstbücher  sind  nichts  weiter 
als  Aesthetik,  Redekünste,  Institutiones  styli, 
Poetiken  u.s.w.  Es  ist  nur  immer  die  Rede  da- 


Ein  deutscher  Kunstkritiker  des  ig.  Jahrhunderts. 


WILU  JAECKEL— BERLIN. 


von,  wie  man  die  Verse  machen  müsse;  aber 
wie  der  Poet,  der  sie  machen  soll,  gebildet 
werde,  kein  Wörtchen,  das  instruktiv  wäre!" 
Man  sieht  hier  schon  die  lebendige,  psycholo- 
gische Einstellung  des  19.  Jahrhunderts  sich 
gegen  eine  lederne,  normative  Schulfuchserei 
erheben.  Aus  dem  selben  Geiste  kommt  die 
Bemerkung,  daß  zur  Landschaftsmalerei  fürs 
erste  das  große  poetische  Gefühl  gehöre,  „alles, 
was  unter  der  Sonne  liegt,  merkwürdig  zu  fin- 
den und  das  geringste,  was  uns  umgibt,  zu  einem 
Epos  zu  gestalten".  Daran  schließt  sich  die 
Mahnung  zu  unaufhörlichem  Studium  der  Natur, 
zur  Schulung  des  Wahrnehmens  oder,  wie  er 
sehr  hübsch  sagt,  zur  „botanischen  Jagd"  auf 
das  lebendige,  charaktervolle  Detail.    Geht  er 


GEMÄLDE     SELBSTBILDNIS« 


dann  zum  Künstler  selbst  hinüber,  so  wünscht 
er  ihm,  besonders  dem  Landschafter,  „daß  er 
oft,  satt  von  der  Natur,  ganze  Zeiten  lang  ruhen 
könnte,  ohne  nachzubilden.  .  .  .  Nur  das  Non- 
Genie hat  immer  das  Jucken  zum  Zeugen  oder 
sich  Spaß  zu  machen.  Der  aber  produktive 
Kraft  besitzt,  dessen  Seele  ruht  und  sammelt, 
ohne  zu  wissen  wie,  wie  die  Natur  im  Winter", 
Gegenüber  dem  Dringen  auf  „deutliche  Kom- 
position" lobt  er  den  Landschafter,  dessen  Ta- 
ten anfangs  „dasjenige  haben,  was  man  unbe- 
stimmt nennt".  Und  er  meint:  „Dies  heilige 
Gefühl  für  die  sanften  Übergänge  der  Natur, 
das  ihn  überall  bestimmt,  da  keine  Grenzen 
und  Linien  zu  ziehen,  wo  die  Natur  sie  nicht 
abgeschnitten  hat,  bestärkt  ihn  immer  weiter  in 


191 


MAX  PECHSTEIN.  .STILLEBEN  MIT  SELBSTBILDNIS^ 


Ein  deutscher  Kunstkritiker  des  ig.  Jaltrhunderts. 


MAX  PECHSTEIN— BERLIN. 


dieser  Ehrfurcht,  hindert  ihn  aber,  so  bald,  be- 
sonders dem  profanen  Auge,  etwas  Sehens- 
würdiges zu  liefern.  .  .  ,  Wer  Wahrheit  liebt 
und  verehrt,  ist  nicht  immer  der  fertigste  Skri- 
bent. .  .  .  Manier  soll  und  muß  werden,  aber 
spät,  wie  bei  J.  J.  Rousseau,  der  im  40.  Jahre 
zu  schreiben  anfing.  Wo  sie  zu  früh  entsteht, 
ist's  Selbstbetrug,  verkleidete  Armut  unter 
reichem  Ameublement  und  Fertigkeit  ohne 
Wissenschaft." 

Man  sieht:  hier  wird  der  Leser  vom  Führer 
wirklich  in  „Künstlers  Lande"  geführt;  er  lernt 
die  Kunst  und  ihre  Probleme  sehen  vom  Stand- 
ort des  Künstlers  aus,  und  ist  dies  heute  noch 
das  Wesentliche,  was  vom  Kunstschriftsteller 
zu  verlangen  ist:  für  Mercks  Zeiten  war  dieser 


GEMÄLDE     FRAUENBILDNIS< 


Wechsel  des  Standortes  eine  kühne  Neuerung 
gegenüber  einer  üblichen  Kunsterörterung,  die 
in  einem  falschen  Sinne  normativ  und  rein 
gegenständlich  war.  Das  tiefere  Wissen  von 
der  Kunst  befähigte  Merck  dann  u.  a.  zu  einer 
Würdigung  Albrecht  Dürers,  die  gegenüber  der 
abschätzigen  Meinung  seiner  Gegenwart  kühn 
und  revolutionär  zu  nennen  ist.  Es  ist  ein  Un- 
recht, daß  man  seinen  Aufsatz  „  Einige  Rettungen 
für  das  Andenken  Albrecht  Dürers  gegen  die 
Sage  der  Kunstlitteratur"  vergessen  hat,  denn 
hier  bereitet  sich  —  er  ist  1780  im  „Merkur" 
erschienen  —  jene  neue  Einschätzung  Dürers 
vor,  die  späterhin  von  der  Romantik  zum  Glau- 
benssatz erhoben  worden  ist.  Merck  weiß 
Dürer,   der  jener  Zeit   als  steif,   gotisch,  roh. 


193 


Ein  deutscher  Kunstkritiker  des  ig.  JaJirhunderts. 


194 


AUSSTELLG. 

»DEUTSCHE 

KUNST  1923 

DARUSTADT« 


ALFRED  LÖRCHER— STUTTGART. 


häßlich,  gemein,  naluraUstisch,  trocken  und 
kleinHch,  hart  und  unbeholfen  galt,  aus  seiner 
Zeit,  Bildung  und  Umwelt  zu  erfassen.  Er  lehnt 
seine  Vergleichung  mit  den  damals  geschmack- 
beherrschenden Italienern  rundweg  ab,  be- 
hauptet seine  eigenwüchsige  und  eigengesetz- 
liche Größe  und  rühmt  insbesondere  sein  gra- 
phisches Werk  als  unübertreffÜch:  kein  Meister 
habe  je  so  tief  wie  Dürer  empfunden,  was  man 
eigentlich  in  Holz  ausdrücken  könne.  Man  muß 
diese  prachtvollen  Ausführungen  über  Dürers 
Holzschnitte  lesen,  um  ihre  Sachkunde,  ihren 
wissenschaftlichen  Wert,  ihre  feinen  Unter- 
scheidungen würdigen  zu  können. 

Das  gleiche  Wissen  ist  es,  das  ihn  ein  an- 
dermal auftreten  läßt  gegen  flaue,  pseudo- 
ideahstische  Auffassungen  über  die  Motive, 
die  den  Künstler  zum  Schaffen  treiben.  Daraus 
entsteht  der  vortreffliche,  von  Witz  und  hu- 
manen Ironieen  funkelnde  Aufsatz   „Über  die 


»STATUETTE      TERRAKOTTA. 


bei  Kunstwerken  objektiv  gleichgiltige  Absicht 
ihrer  Urheber"  (Merkur  1781).  Eine  falsche, 
phrasenhafte  Geistigkeit  wollte  damals  (und  ist 
es  heute  viel  anders?)  als  Antriebe  für  künst- 
lerisches Schaffen  nur  hohe  und  erhabene  Dinge, 
Drang  nach  UnsterbUchkeit,  edelste  Bildungs- 
absicht U.S.W,  gelten  lassen.  Mit  entzückendem 
Spott  tut  Merck  diese  windelweiche,  unwis- 
sende und  respektlose  Gesinnung  ab:  „Wenn 
große  Kräfte  in  Bewegung  gesetzt  werden,  so 
mag  der  Endzweck  profan  oder  heilig  sein,  so 
werden  allzeit  große  Resultate  daraus  entsprin- 
gen. Sogar  um  Geld  zu  machen,  das  doch  so 
vielen  Leuten  das  Ekelhafteste  ist,  das  man 
denken  kann,  glaube  ich,  kann  einer,  der  epi- 
sche Kräfte  hat,  ein  episches  Gedicht  hervor- 
bringen. .  .  .  Ob  Voltaire  sich  hätte  träumen 
lassen,  daß  er  von  einer  Rotte  unbärtiger  Knaben 
in  Teutschland  .  .  Kahlkopf  gescholten  würde, 
weiß  ich  nicht;  aber  das  weiß  ich,  daß  manches 


Ein  deutscher  Kunstkritiker  des  lo.  Jahrhunderts 


ALFRED  LORCHER— STUTTGART. 


fürtreffliches  Produkt  seines  Kopfes,  das  noch 
lange  bei  der  Nachwelt  bleiben  wird,  wenn 
diese  Knaben  vergessen  sind,  in  der  unlautern 
Absicht  zur  Welt  kam,  Geld  hervorzubringen 
und,  was  noch  unlauterer  ist,  dies  Geld  sogleich 
sicher  anzulegen.  .  .  .  Wird  darum  Rembrandt 
zum  Handwerksmann,  weil  man  weiß,  daß  ihn 
die  Liebe  zum  Geld  besaß  und  daß  wir  dieser 
Schwachheit  sowohl  seine  meisten  radierten 
Blätter  als  seine  vielen  Staffelei-Gemälde  zu 
danken  haben?  .  .  .  Wie  viele  Kompositionen 
von  Rubens  würden  wir  entbehren  müssen, 
werm  nicht  dieser  Mann  so  vieles  Geld  zu  sei- 
nem Marstall  und  zu  seiner  Tafel  nötig  gehabt 
hätte?  Er  lebte  als  ein  Fürst,  und  also  war  es 
ihm  erlaubt,  hierzu  die  Welt  ein  wenig  kontri- 
buabel  zu  machen  und  die  Fabriken  von  Ge- 
mälden anzulegen,  die  man  heutzutage  in  allen 
Galerieen  von  Europa  die  Rubensische  Schule 
nennt?"  Umgekehrt  aber  kann  man  „die  edelste 


STATUETTE«;  TERRAKOTTA. 


Absicht  haben,  ein  ganzes  Volk  zu  beglücken, 
seinem  Zeitalter  selbst  eine  andre  Stimmung  zu 
geben,  und  —  doch  nur  einen  Marmontel'schen 
Belisaire  oder  eine  Ramsay'sche  Cyropädie 
zur  Welt  bringen." 

Liest  sich  dieses  prachtvolle  Stückchen  Prosa 
auch  stellenweise  als  ein  überaus  eleganter  und 
höchst  souveräner  Scherz,  so  liegt  eben  doch 
in  der  Auffassung,  die  es  vertritt,  viel  mehr 
wahre  und  nüchterne,  geistige  und  ehrfürchtige 
Einsicht  in  das  Wesen  des  Künstlers  als  in  der 
Auffassung,  die  es  so  hübsch  verspottet. 

Am  reichsten  an  Bedeutung  und  geistiger 
Resonanz  ist  aber  wohl  ein  Aufsatz  „Über  die 
letzte  Gemälde- Ausstellung  zu  **  ",  Er  ist  im 
Jahr  1781  in  Wielands  „Teutschem  Merkur" 
erschienen.  Noch  mehr  als  die  bereits  erwähn- 
ten Aufsätze  verdient  es  dieser,  der  Vergessen- 
heit entrissen  zu  werden.  Deshalb  sei  in  Fol- 
gendem auf  ihn  eingegangen.  —  (schluss  folgt.) 


195 


KARL  ALBICKER.      BRONZE-STATUETTE 


KEN£k  NlNTENlS.      KLEINE  BRONZE 


AUSSTELLUNG  .DEUTSCHE  KUNST  1923.  DAKMSTADT-MATHILDENHÖHE. 


RICHARD  GESSNER.  GEMÄLDE  .INDUSTRIE. 

BES:  W.  MEYER— dOSSELDORF-OBKRKASSEL« 


RICH.  GKSSNER— DÜSSELDORF. 


GK    .NL.Mi\CH  IM  GEWITTER« 


DER  MALER  RICHARD  GESSNER. 


Der  Düsseldorfer  Maler  Richard  Geßner 
sucht  seine  Motive  fast  ausschließhch  im 
rheinisch -weslfäUschen  Industriegebiet,  und 
seine  Bilder  zeigen  durchweg  Zechenanlagen, 
Kokereien,  große  Hüttenbetriebe  und  Fabriken. 
Sein  Schaffen  ist  mit  seiner  Heimat  aufs  engste 
verwachsen,  ist  streng  lokal  und  läßt  sich  von 
dem  rheinischen  Boden  nicht  trennen. 

Was  Richard  Geßner  auf  seinen  eigenen  Weg 
führte,  war  neben  einer  großen  zeichnerischen 
Veranlagung  ein  intensives  Farbenempfinden, 
unterstützt  von  der  Innigkeit  des  Gefühls.  Er 
sucht  die  feinen  Tonwerte,  seltene  Lokalfarben, 
ungewöhnliche  atmosphärische  Zustände, Rauch, 
Sonnendunst,  Nebel  oder  den  Übergang  von 
der  Dämmerung  zum  künstlichen  Licht,  mit  dem 
aufgeregten  Spiel  der  Bogenlampen.  So  wer- 
den die  Hochburgen  der  Industrie,  die  Förder- 
gerüste, Schutthalden,  Ruß  und  Dampf  fast  zu 
mystischen  und  unheimlichen  Visionen. 

Nur  in  einem  seiner  Bilder  bricht  auch  Lieb- 
Uches  durch,  im  „Frühlingstag".  Es  ist  fast 
lyrisch.  Wir  sehen  den  Rand  der  Großstadt, 
noch  nicht  freies  Land  und  doch  auch  nicht 
mehr  nur  Mauern  von  Mietskasernen  und  Fabrik- 
anlagen. Die  matte  Frühlingssonne  hat  am 
Spätnachmittag  Arbeiter  mit  Frauen  und  Kin- 


dern ins  Freie  gelockt;  müde  lagern  sie  auf  der 
spärlichen  Grasnarbe  zwischen  Sandhaufen, 
Korkservenbüchsen  und  anderen  Abfällen.  Eine 
schwermütige  Darstellung  großstädtischen  Fei- 
ertages. —  Das  stärkste  unter  den  hier  gezeigten 
Bildern  ist  der  „Feierabend".  Schwacher  Rauch 
steigt  aus  den  Schornsteinen,  wenige  Arbeiter 
stehen  vor  dem  Fabriktor,  müde  und  breit  liegen 
Häuser  und  Halden  in  der  späten  Dämmerung. 
Im  Gegensatz  hierzu  lebt  und  rast  in  dem  Bild 
„Industrie  am  Abend"  die  moderne  Maschinen- 
technik mit  all  ihrer  Wucht.  Man  hört  geradezu 
das  Kreischen  und  Pfeifen  der  Maschinen,  die 
den  weißen  geballten  Rauch  in  die  Luft  stoßen. 

Eine  Erinnerung  an  Geßners  FCriegszeit  bietet 
sein  Bild  „Landschaft  aus  Mazedonien";  mit 
charakteristischen  Strichen  ist  der  exotisch- 
herbe Zauber  des  südlichen  Landes  wieder- 
gegeben. Beinahe  romantisch  ist  die  südbaye- 
rische Landschaft  „Grönenbach  im  Gewitter". 

Richard  Geßner  ist  nie  allegorisch  oder  histo- 
risch; er  steht  bewußt  in  seiner  Zeit  und  emp- 
findet ihren  Pulsschlag,  ihren  Geist,  Nie  lehnt  er 
sich  an  andere  an,  er  malt,  was  ihn  packt.  Seine 
Bilder  spiegeln  im  stärksten  Maße  seine  An- 
schauungswelt wieder  und  zeigen  zum  Greifen 
deutlich,  was  er  als  Künstler  durchlebt,  r.  bonos. 


199 


XXVI.  Juli  1923  t 


RICHAJID  GESSNER-DUSSELDOKF 


iUUBAYKRISCHE  LAND.sCHAFl 


DEUTSCHE  KUNST  UND  FRANZÖSISCHE  KUNST. 

VON  ERNST  V.  NIEBELSCHÜTZ     MAGDEBURG. 


Versucht  man  das  innerste  Wesen  der 
deutschen  Kunst  auf  eine  möglichst  kurze, 
zugleich  präzise  und  doch  nicht  zu  enge  For- 
mel zu  bringen,  so  wird  man  sagen  können: 
sie  ist  Ausdruck  einer  romantischen 
Seelenverfassung.  Die  These  hat  nur  den 
einen  Nachteil,  selbst  wieder  eine  neue  Frage 
zu  enthalten,  die  Frage  nämlich,  was  man  unter 
„Romantik"  zu  verstehen  habe.  Ich  denke 
hierbei  nicht  an  die  so  getaufte  geschichtUche 
Stilerscheinung,  die  sich  mit  dem  Nazarener- 
tum  der  Cornelius  und  Overbeck  deckt, 
sondern  an  etwas  viel  Allgemeineres  und  Um- 
fassenderes; an  den  geistigen  Hinter-  und 
Untergrund  dessen,  was  wir  als  eigentümlich 
deutsch  bezeichnen  zu  müssen  glauben. 

Dieses  Romantische  äußert  sich  negativ 
als  Abneigung,  ja  geradezu  Unvermögen,  die 
äußere  Erscheinung  der  Dinge,  ihren  schö- 
nen Schein,  ihre  reizende  Oberfläche,  als  end- 
gültige Tatsachen  anzuerkennen.  Der  roman- 
tische Geist  will  nicht  den  Schein,  er  will  die 
Sache  selber,  nicht  flüchtiges  Sinnenglück, 
sondern  Erkenntnis,  Seine  reaUstische Gründ- 


lichkeit, die  oft  genug  bis  an  die  äußersten 
Grenzen  des  Erträglichen  geht,  steht  keineswegs 
damit  in  Widerspruch.  Sie  ist  nicht  Selbst- 
zweck, sondern  Ausdruck  eines  leidenschaft- 
lichen Verlangens,  den  Urformen  auf  die  Spur 
zu  kommen  und  ihrer  Wesenheit  teilhaft  zu 
werden.  Dieses  unruhige  Ringen  um  den  ver- 
borgenen Sinn  der  Erscheinung,  dieses  boh- 
rende Bemühen,  sie  aus  ihrer  begrenzten  Ding- 
haftigkeit  zu  erlösen  und  mit  dem  Weltganzen 
zu  verknüpfen,  führt  notwendig  den  romanti- 
schen Künstler  zur  Selbstdarstellung  des 
Gefühls  und  läßt  ihn  die  objektiven  Ziel- 
setzungen als  für  ihn  unverbindlich  ablehnen. 
Daher  die  oft  erschütternde  Ausdrucksstärke 
und  Einzigartigkeit  des  romantischen 
Kunstwerks,  daher  aber  auch  seine  Maßlosig- 
keit, sein  auffallender  Mangel  an  Traditions- 
werten, die  uns  seine  methodische  Eingliede- 
rung in  eine  fortlaufende  Entwicklungskette, 
seine  Angleichung  an  ein  allgemein  gültiges 
Gesellschaftsideal  häufig  so  schwer,  ja  unmög- 
lich macht.  Das  oft  bezeugte  Mißtrauen  des 
normalen  Empfindens  gegen  sein  Anderssein 


200 


p 
X 
o 
o 

m 


2 

M 
Q 

<< 

X 
Ol 

M 

u 

w 

N 

M 
Q 

■■<: 

u 

o 

Z 

1/3 
U) 

o 
Q 

< 
o 

2 


RICHARD  GESSNER.  GEMÄLDE  .ZECHENANLAGE« 

GROSSE  KUNSTAUSSTELLUNG  DÜSSELDORF  l;i:-'3. 


DcufscJif  Kuttst  und  frnu-Jhischc  Ku 


s(. 


RICHARD  GESSNER. 

ist  nur  allzu  erklärlich.  Denn  alles  Ungesetz- 
liche, dämonisch  Unbestimmte  und  Überspannte 
erweckt  den  Widerspruch  dessen,  der  sich  im 
Besitz  der  Regeln  weiß  und  seinen  Schatz  an 
überlieferten  Konventionen  mit  der  Umsicht  ei- 
nes klugen  und  vorsichtigen  Rechners  verwaltet. 
Liegt  der  romantische  Zug  zum  Unbegrenz- 
ten auf  der  allgemeinen  Linie  des  germani- 
schen Kunstwillens,  so  ist  freilich  nicht  zu 
übersehen,  daß  es  hunderte  von  Beispielen  gibt, 
die  den  deutschen  Geist  in  deutlicher  Kampf- 
stellung gegen  dieses  sein  Erbteil  zeigen, 
Fälle  eines  heroischen  Bemühens,  des  Roman- 
tischen als  einer  Schwäche  Herr  zu  werden 
und  es  durch  ein  dauerhafteres  Ideal  zu  er- 
setzen oder  doch  unschädlich  zu  machen.  Ich 
meine  hier  nicht  den  steifleinenen  Dogmatis- 
mus der  verschiedenen  „Richtungen",  der 
oft  allerdings  nichts  anderes  ist  als  ein  Selbst- 
schutz der  unruhig  schweifenden  Seele,  son- 
dern ich  denke  an  die  an  den  äußersten  Gren- 
zen der  deutschen  Möglichkeiten  stehenden 
höchsten  Repräsentanten  unseres  Wesens,  an 
Dürer  etwa  oder  Goethe,  deren  Leben  und 
Wirken  uns  deshalb  so  ehrwürdig  und  vorbild- 
lich  erscheint,   weil  es  ein   ununterbrochener 


GEMÄLDE  »FEIERABEND« 

Reinigungsakt  des  durch  Blutanteil  romanti- 
schen, durch  Wahl  und  Wille  klassischen 
Menschen  ist.  Beiden  ist  die  angestrebte  Ver- 
schmelzung ihres  Wesens  mit  dem  Form- 
ideal des  Südens  von  übereifrigen  Patrioten 
zum  Vorwurf  gemacht  worden:  als  Minde- 
rung ursprünglicher  und  angeblich  hö- 
herer Anlagen.  Ich  denke,  mit  Unrecht. 
Was  sie  wollten:  die  Ncutralisierung  der  ange- 
borenen Prometheusnatur  durch  festere  Bin- 
dungen, war  doch  wohl  nur  in  engster  persön- 
hcher  Berührung  und  Reibung  mit  dem  Geiste 
der  Klassik  zu  erreichen.  Man  wandelt  eben 
auch  in  nordischen  Nebeln  nicht  ungestraft. 
Griechensehnsucht  und  Südheimweh  (um 
zwei  Wortprägungen  aus  Bertrams  Nietzsche- 
Buch  hier  zu  gebrauchen)  —  was  sind  sie  an- 
ders als  Wirkungen  der  meist  nur  im  deutschen 
Unterbewußtsein  heimischen  Ahnung  von  der 
Unmöglichkeit,  unter  bloß  nordischen  Voraus- 
setzungen ein  Ganzes  zu  werden?  Und  so 
erklärt  sich  auch  positiv  die  Anziehungskraft, 
die  von  je  die  französische  Kunst  auf  uns 
ausübte.  Es  ist  platter  Unsinn,  wenn  heute 
sogar  französische  Gelehrte  behaupten,  immer 
wäre  der  deutsche  Künstler  nach  Frankreich  mit 


203 


Dfutsclir  Kuiisf  und  französische  Kunst. 


204 


RICHARD  GEiSNER. 


BtSlT*;hK.  H.  LIüMFENAU-UUthN. 


AUS  MAZEDONIEN« 


der  demütigen  Miene  des  Almosenempfängers 
gekommen,  der  sich  mit  den  Brosamen  be- 
gnügte, die  von  des  reichen  Herrn  Tische 
fielen.  Statt  vieler  Worte  bedarf  es  nur  eines 
Hinweises  auf  den  Skulpturenschmuck  unserer 
frühgotischen  Dome.  Das  ist  wahrlich 
nicht  erbettelt,  es  ist  erarbeitet  und  er- 
kämpft! Deutsche  Gefühlstiefe  uod  klas- 
sisch-französische Form  haben  sich  hier 
aufs  innigste  durchdrungen,  nicht  nach  dem 
Verhältnis  von  Nehmen  und  Geben,  sondern 
nach  dem  der  vollen  Gleichberechtigung 
beider  Kontrahenten.  Und  Ähnliches  gilt  auch 
für  die  zahlreichen  späteren  Stolfverbinduogen. 
Das  Rokoko  der  deutschen  Klöster  und 
Residenzen  ist  etwas  ganz  anderes  als  der- 
selbe Stil  in  seinem  französischen  Ursprungs- 
land. Es  ist  bewegter,  glühender,  inner- 
lich reicher,  mit  einem  Wort:  romantischer 
als  bei  unsern  selbst  in  der  Ausschweifung  noch 
maßhaltenden  westlichen  Nachbarn.  Und  eben- 
so wird  kein  Einsichtiger  sich  die  Blöße  geben 


wollen,  die  deutschen  Maler  des  19.  Jahrhun- 
derts, einen  Leibl  oder  Thoma  etwa,  ihrer 
Pariser  Schulung  wegen  mit  ihren  französi- 
schen Zeitgenossen  zu  verwechseln. 

Worin  aber  besteht  nun  dieses  Klassische, 
das  in  der  Tat  für  die  französische  Kunst  cha- 
rakteristisch zu  sein  scheint?  Mit  Recht  gilt 
Frankreich  noch  heute  als  der  eigentliche  Hüter, 
als  Verwalter  und  Mehrer  des  von  der  Spätan- 
tike den  Mittelmeer-Nationen  vererbten  Kunst- 
geistes, der  die  Beziehungen  zwischen  dem  Ich 
und  der  Welt  nach  verstandesmäßig  ge- 
wonnenen, feststehenden  Gesetzen  regelt  und 
auch  mit  Strenge  ihre  Befolgung  überwacht. 

Die  mittelalterliche  Philosophie  der  Schola- 
stik, die  schcirfsinnig  ein  Glied  aus  dem  andern 
entwickelte  Systematik  der  gotischen  Baukunst, 
der  Akademismus  eines  Poussin  und  Ingres 
und  neuerdings  der  Kubismus  der  Leger  und 
Braque:  sie  konnten  in  ihrer  stark  intellek- 
tuellen Bedingtheit  in  keinem  andern  Lande  ent- 
stehen als  in  Frankreich,  (schluss  auf  seite  231.) 


RICHARD  GESSNER-DÜSSELDORF.  GEMÄLDE  -VORSTADT. 


RICHARD  GESSNER.  GEMÄLDE  .BOCHUMER  VEREINc 

BESITZER:  FABRIKANT  SIUPELKAMP— CREFELD. 


MICHAEL  FÄCHER.  ALTARBILD  >BESCHNEIDUNG  CHRISTI« 

VOH  A^TAR  W  ST.WOI.POANQ  IN  ÖSTBRRBICH.   PHOTO:  DR.  F.  STOBDTNSR-BBRUN. 


MICHAEL 
FÄCHER. 
»KIRCHEN- 
VÄTER- 
ALTAR  t 


DER  ALTAR  DES  MICHAEL  FÄCHER. 

VON  REINHOLl)  EWALD. 


Man  fährt  von  Salzburg,  der  mozartisch 
Reinen,  der  Stadt  des  musikalischen  Ba- 
rock, mit  der  niedhchen  Lokalbahn  durch  ein 
liebliches  Gefilde  gegen  die  drohende,  scharfe 
hohe  Wand  der  Tiroler  Alpen,  durch  deren 
erste  schmale  Schluchten  unter  überhängenden 
Bergwänden  an  türkisblauen  und  meergrünen 
Seeausschnitten  sich  schlängelnd,  zum  Wolf- 
gangsee. An  des  Sees  schönster  Stelle  entsteigt 
die  Kirche  des  Heiligen  Wolfgang  den  Wassern. 
Jäh,  wie  der  Aufstieg  der  steilen  Bergnasen, 
ragt  heute  noch,  fast  unberührt,  wie  vor  450 
Jahren,  von  Kindern  dieser  Natur  geschnitzt 
und  gemalt,  der  1 1  Meter  hohe  Altar  des  Michael 
Pacher-Kreises  in  den  Chor  des  Kirchleins. 

Wenn  ich  es  für  notwendig  halte,  über  das 
große  Werk  des  Wolfganger  Altars  einiges  zu 
schreiben,  so  geschieht  dies  aus  mehr  als  einem 
Gesichtspunkt.  Am  wichtigsten  scheint  mir 
etwa  folgendes;  Fächer  ist  nicht  so  sehr  als 
individuelle  Persönlichkeit,  etwa  wie  Dürer  oder 


der  jüngere  Holbein,  begrifilich  klarzulegen,  zu 
fassen,  sondern  er  wirkt  über  das  Persönlich- 
Individuelle  hinaus  als  letzte  Sammlung  nordi- 
scher Feudalgotik,  als  letzter  Sammelstrom 
gotischer  Energien.  Kr  war  der  Vorstand,  der 
geistige  Kopf  einer  Werkstatt,  einer  Bauhütte 
für  Plastik  und  Malerei,  und  seine  suggestive 
Kraft  hat  alle  Gehilfen  in  diesen  Feudalstrom 
übergeleitet  und  in  ihm  geeint. 

Und  dies  vollzieht  sich  unter  unmittelbau-em 
Einfluß  der  italienischen  Epoche  des  Mantegna ; 
jedoch,  was  das  Wichtige  wird,  ohne  jede  geistige 
Übernahme.  Übernommene  Formmittel,  etwa 
des  Raums,  der  Statik,  der  Bewegung,  der  Per- 
spektive, werden  von  seiner  Gotik  überwältigt, 
in  nordischer  Form  vergeistigt  und  von  diesen 
Tirolern  als  flammendes  Symbol  derEwigkeit  ge- 
schenkt. Dürer  dagegen  hat  sich  etwa  50  Jahre 
später  dem  Einfluß  der  Italiener  unterworfen. 

Mit  dem  Falle  Pacher  wird  eine  große  Frage 
aufgerollt,   die    mir  noch   ungelöst   erscheint; 


209 


XXVL  Juli  1923.  5 


Der  Altar  des  Michael  Packer. 


210 


die  Frage;  gibt  es  eine  Ästhetik  des  Nordens, 
und  gesetzt  ja:  wo  tritt  sie  klar  zu  Tage?  — 

Es  gibt  auch  heute  noch,  wie  damals  einen 
Kampf  der  Auswirkung  des  Objekts  in  der 
Natur  gegen  die  Tatsächlichkeit  des  Objekts. 
Diese  Auswirkung,  die  das  nordische  Blut  ver- 
langt, fordert  den  Begriff  der  zeitlichen  Wir- 
kung. Dem  gegenüber  steht  die  TatsächÜchkeit 
des  Objekts  der  Romanen,  mit  der  Berufung 
auf  pathetischen  Zustand.  Ein  sachliches  Bei- 
spiel wäre  folgendes:  der  Italiener  (Romane, 
von  Raffael  bis  Picasso)  malt  die  Mutter,  die 
Madonna ;  Donatello  baut  den  Fürsten  zu  Pferd, 
das  Reiterstandbild;  der  gallisch-germani- 
sche Geist  dagegen  gibt  das  Mütterliche 
der  Mütter,  das  Reiten  statt  des  Reiters,  das 
Fürstliche  wie  im  Bamberger  König  statt  des 
Fürsten,  die  Wirkung,  den  Streit,  die  Gescheh- 
nisse zwischen  den  Aposteln  des  Chors  daselbst 
anstatt  der  Apostel  selber.  Des  Weiteren:  ein 
Mantegna,  ein  Tintoretto  malt  den  Vorgang  der 
Himmelfahrt  Christi,  die  Tatsächlichkeit  der 
Illusion;  ein  Meister  von  Wittingau,  ein  älterer 
Holbein  (im  Stadel  zu  Frankfurt  a.  M.)  malt 
die  dauernde  Auswirkung  dieses  Geschehnisses, 
—  nicht  seine  TatsächÜchkeit,  seine  Illusion. 

Die  theoretischen  MögUchkeilen  der  Ro- 
manen bei  Zustand,  Tatsache,  sind  etwa:  bei 
der  „Schule  von  Athen"  von  Raffael  das  Pa- 
thos des  wohlig  gemessenen  Raums,  bei  Leo- 
nardo's„Madonnain  der  Felsgrotte"  (im  Louvre) 
die  formal  gefüllte,  pathetische  Pyramide,  bei 
dessen  „Himmelfahrt"  (in  Berlin)  der  Diagonal- 
raum, bei  Signorelü's  „Panbild"  (in  BerÜn)  der 
meßbare  pathetische  Raum  mit  Vollform  und 
Hohlform,  bei  Tizian's  „Himmelfahrt"  (in  der 
Akademie  in  Venedig)  die  pathetische  Tatsäch- 
lichkeit einer  Illusion.  All  dies  scheint  irdisch 
gebunden,  materiell  bedingt,  auf  den  Mensch- 
gott der  Antike  hinweisend. 

Die  nordische  Theorie:  —  „Gott  in  der  Ma- 
terie ist  Geist,  und  die  Künstler,  die  diese  Ma- 
terie anbeten,  müssen  sie  im  Geist  anbeten"  — 
zielt  auf  den  Gottmenschen.  Die  Theorie 
der  Romanen  ist  hier  nicht  anwendbar,  ein 
Hildebrand,  ein  Feuerbach  und  Marees  haben 
diesem  Geist  um  keinen  Deut  genutzt.  Statt 
eines  pathetischen  Raums  der  Italiener:  die 
Verflechtung  zweier  verschiedener  Raum- 
systeme, die  relativ  zueinander  entstehen  oder 
vergehen,  wie  bei  der  „Himmelfahrt"  des  Hol- 
bein im  Stadel.  Dies  Entstehen  und  Vergehen 
löst  zeitliche  Wirkung  aus,  —  dauert.  Statt 
des  farbigen  Kosmos  der  Madonna  Raffaels, 
bei  der  Lazaruserweckung  des  Michael  Fächer 
drei  in  sich  geschlossene  Farbsysteme 
von  gegensätzlichem  Ausdruck,  die  wechsel- 


seitig den  Bildraum  zu  erfüllen  scheinen,  relativ 
zueinander  entstehen  und  vergehen.  Maß- 
gebende Regeln,  sachliche  Festlegungen,  die 
wie  beim  ItaHener  immer  wiederkehren,  gibt  es 
beim  nordischen  Künstler  nicht.  Ausgangspunkt 
dieser  jedoch  immer  vorhandenen  Färb-  und 
Raumsysteme  (selbst  bei  Einzelfiguren  wie  Cra- 
nachs  Venusbildem  oder  dem  Christophorus 
des  Fächer)  ist  jedesmal  neu  die  Zwiesprache 
des  Künstlers  mit  der  anregenden  Natur.  Fleisch 
und  Geist,  —  stärkster  Naturalismus  und  zu- 
gleich kühnste  Abstraktion. 

Dies  erfüllt  in  hohem  Maße  der  Wolfganger 
Altar.  Er  besteht  aus  dem  geschnitzten  Mittel- 
schrein mit  der  Krönung  Maria  und  den  Heiligen 
Wolfgang  und  Benedikt,  dem  Aufsatz  des  Mittel- 
schreins mit  der  Kreuzigung  Christi  und  den 
Außenfiguren  der  Heiligen  Georg  und  Florian, 
je  zwei  Innen-  und  Außenflügeln,  die  beider- 
seitig bemalt  sind. 

Die  Hauptfiguren  des  Mittelschreins  sind  tief 
bewegt  und  raumplastisch  empfunden.  In  einem 
reinen  Wirbelsturm  von  kreiselnden,  rauschen- 
den, brechenden  Gewändern,  kleinen  tosenden 
Engeln,  die  sich  taumelnd  drehen,  fliegen  und 
mit  dem  FiUgran  der  Sockel,  Gestänge,  der 
Kronen,  Haarflechten  und  Symbolen  den  Tie- 
fenraum in  ganz  verschiedenen  Tempi  in  Be- 
wegung setzen,  vom  Sturm  bis  zum  leisesten 
Erzittern,  stehen  übermächtig  mit  kolossalem 
Pathos  die  Großfiguren.  Der  Schrein  ist  ganz 
vergoldet,  Hände,  Köpfe  und  Teile  der  Gewan- 
dung sind  farbig  naturalistisch  bemalt:  Gold 
gegen  blasse  Gesichtstöne  und  Violett.  Details, 
insbesondere  der  Köpfe,  sind  bis  ins  Äußerste 
abgestreichelt  und  formal  und  farbig  durchge- 
fühlt. Ob  Fächer  diese  Hauptfiguren  selber  ge- 
schnitzt hat,  ist  noch  nicht  festzustellen;  zu- 
mindest sind  sie  von  ihia  fertiggestellt  und  wohl 
ganz  von  ihm  angegeben  worden.  Der  Orna- 
mentschnitzer scheint  ein  anderer  gewesen  zu 
sein.  Auch  die  vorderen  isoUerten  Engel  und 
manche  der  Kleinfiguren  scheinen  von  einem 
anderen  Meister  oder  Gehilfen  gefertigt. 

Sind  beide  Flügelpaare  geöffnet,  so  erblickt 
man  vier  Tafeln  von  unstreitig  Pacher's  eigener 
Hand.  Die  „Beschneidimg  Christi"  ist  von  un- 
sagbarer Kostbarkeit.  Der  sichtbare  Bildraum 
ist  nicht  wie  bei  Mantegna  nach  einem  Ge- 
sichtspunkt orientiert,  sondern  von  zwei  g£inz 
entgegengesetztenRaumkosmen,Raumsystemcn 
beherrscht.  Dies  zeigt  sich  etwa  folgender- 
maßen: der  feierliche  Priester  in  Brokat  und 
hohem  Ornat  nimmt  tiefernst  die  Handlung  vor. 
Er  bestimmt  von  der  Mitte  des  Bildraumes  aus 
den  Kosmos  des  Ernstes,  der  Statik  und  der 
Festigkeit.    Hierzu  gesellen  sich  der  vordere 


MICHAEL  FÄCHER.  -KNIENDE  MARIA« 

VOM  ALTAR  IN  ST.  WOLFGANG  IN  ÖSTERREICH  •  PHOTO;  UR.  F.  STOEDTNER— BERLIN. 


MICHAEL  FÄCHER.    AUFERWECKUNG  DES  LAZARUS 

VOM  ALTAR  IN  ST.  WOLFGANG  IN  ÖSTERREICH. 


MICHAEL  FÄCHER.  .HEILUNG  DER  BESESSENEN. 

VOM  ALTAR  IN  ST.  WOLFOANG  IN  ÖSTERKEICH. 


MICHAEL  FÄCHER.  .DER  HL.  WOLFGANGc 

AM  MITTELSCHREIN  DES  ALTARS  IN  ST.  WOLFQAKG  IN  ÖSTERREICH. 


MICHAEL  FÄCHER.  >DER  HL.  BENEDIKT« 

AM  UITTKLSCHREIN  DES  ALTARS  IN  ST.  WOLFGANG  IN  ÖSTERREICH. 


MICHAEL  FÄCHER.  »KRÖNUNG  MARIAS< 

SCHNITZWERK:  MITTELSCHREIN  DES  ALTARS  IN  ST.  WOLFGANS  IN  ÖSTERREICH. 


MICHAEL  FÄCHER.  »DER  HL.  GEORG.  TEILAUFNAHME. 

VOM  ALTAR  iN  ST.  WOLFQANO  IN  ÖSTERREICH. 


Der  Altar  drs  Michael  Packer. 


218 


MICHAEL 

PACHER. 

»ENGEL« 

ALTAR  ST 

WOLFGANG 


untere  Körperblock  der  Helferin  links  und  der 
kubisch  bestimmende  Block  des  rechts  stehen- 
den Josefs.  Der  Raum  dehnt  sich  statisch  gleich- 
mäßig wie  bei  den  Italienern,  von  der  Bank  aus 
in  den  dahinterliegenden  wie  in  den  nach  vorne 
sich  ergehenden  Bildraume  aus.  —  Anders  der 
zweite  Raumkosmos,  der  seine  Anregung  von 
dem  Erlebnis  der  Zartheit  des  Kindes,  der  un- 
erhört feierlichen  Stille  des  Moments,  der  Zart- 
heit und  leichten  Nervosität  der  Maria  und  der 
feinen  Nervenanspannung  der  Zuschauer  er- 
hält. Es  entsteht  folgendes:  Von  der  Schere 
und  dem  ungemein  edlen  Spiel  der  Hände 
des  Priesters  aus  entwickelt  sich  der  vordere 


kreiselnde  Raumkeim.  Er  greift  um  sich,  zuckt 
über  das  aufgeblätterte  Buch,  in  die  beiden 
Daumen  der  nicht  sichtbaren  Hände  der  Maria, 
leitet  nach  rechts  in  die  Hände  und  Arme  des 
Josef  und  dreht  schließlich  bewegt  die  Ober- 
körper der  Zuschauer,  die  Köpfe  zirt  ruckartig 
kreiselnd  in  die  Richtung  der  Handlung.  Hmter 
der  Bank  macht  der  obere  Gesamtraum,  von  der 
Gewölbespinne  ausgehend,  dieselbe  drehende 
Bewegung  mit,  öffnet  hinter  den  Pfeilern  neue 
kreiselnde  Räume.  Dies  der  zweite  Kosmos 
des  Raums.  Beide  Kosmen  liegen  in  demselben 
Bildraum  und  verschwistern  sich.  Der  eine  ent- 
steht, der  andere  vergeht  und  umgekehrt.    Die 


Der  Altar  des  Micliael  Packer. 


MICHAEL 
FÄCHER. 
«ENGEL« 
ALTAR  ST. 
WOLFGANÜ. 


zeitliche  Auswirkung  ist  in  wunderbarer 
Weise  entstanden.  Feierlich,  mit  Gold,  grau- 
schwarz, grauviolett,  weiß  und  grün  ist  dieFarbe. 
Sind  die  inneren  Tafeln  des  Altars  geschlos- 
sen, so  erblickt  man  acht  Tafeln  mit  Darstel- 
lungen aus  dem  Leben  Jesu;  die  „Taufe",  die 
„Versuchung  durch  den  Teufel",  das  „Wein- 
wunder", die  „Speisung  der  Fünftausend",  die 
„Auferstehung  des  Lazarus",  die  „Ehebreche- 
rin", die  „Austreibung  aus  dem  Tempel"  und 
den  „Versuch  der  Steinigung".  Als  das  Aus- 
drucksvollste erscheint  mir  hiervon  die  „Auf- 
erstehung des  Lazarus".  Das  Bild  ist  wie  bei 
den  Italienern  auf  starke  Perspektive  und  Tie- 


fenwirkung gestellt.  Aber  wie  bei  der  Beschnei- 
dung unterliegt  auch  hier  der  sichtbare  Bild- 
raum nicht  einem  ordnenden  Gesetz,  sondern 
er  zerfällt  dank  der  unerhörten  Wirkung  des 
Geschehnisses  einer  Auferstehung  in  zwei  total 
gelrennte  Raumkosmen.  Es  entsteht  etwas  wie 
bei  einem  Spießrutenlaufen.  Das  tiefliegende 
Grab  mit  den  vier  Säulen,  dem  Baldachin, 
dem  nach  vorne  freien  und  nach  hinten  durch 
den  Torbogen  hinausstoßenden  Raumstück  ist 
Träger  des  einen  Raumkosmo.'^,  der  sich  blitz- 
artig, analog  der  formalen  Gebärde  des  La- 
zarus, von  der  vorderen  Bildwand  in  die  Tiefe 
erstreckt.    Der  zweite  Raumkosmos  erstreckt 


219 


«XVI.  Juli  1923,  b" 


Der  Altar  des  Michael  Packer. 


220 


1'  **        '-V 


mCHAEL  PACBER. 


sich  rechts  uad  links  vom  Grab.  Hier  sind 
etwa  20  Personen,  statt  wie  in  italienischen 
Bildern  drei  oder  vier,  wie  Pfähle  aneinander- 
gerammt.  Alle  setzen  den  Raum  von  den  äußeren 
Bildwänden  nach  der  Mitte  gegen  das  Grab  in 
Bewegung.  Dieses  seitliche  Drücken  des  rechts 
und  links  befindlichen  Raumsystems  in  konstan- 
ter Ruhe  bewirkt  relativ  ein  fluchtartiges  Tempo 
des  ersten  Lazarusgeschehnisses  in  die  Tiefe 
des  Raums.  —  Als  psychologischer  Ausgangs- 
punkt des  ersten  Kosmos  erscheint  mir  das  un- 
erwartete zuckende  Leben  des  Lazarus.    Als 


>- ENGEL  <   ST.  WOLFGANG. 


Anregung  des  zweiten  Kosmos  die  erhabene 
Ruhe  Christi  mit  seinen  ihn  stützenden  Jüngern, 
die  Neugier,  mißwillige  Pflichtgebundenheit,  der 
üble  Geruch  der  Leiche.  In  diesem  Bilde  unter- 
liegt der  Raum  um  Lazarus  einer  entsetzlichen 
grünen  Leichenfarbe,  dagegen  erscheint  Christus 
in  wunderbarem  Braunviolett  mit  Rot  umhüllt 
und  vergoldeten  Scheinen.  Dieser  Farbekomplex 
greift  schon  in  das  Dach  des  Grabes  über.  Die 
Gruppe  der  Zuschauer  rechts  ist  dumpf,  stickig 
violett.  Vorne  im  Bild  eine  in  der  Farbe  erbar- 
mungslos kcdte  Frau,  die  Schwester  des  Lazeu-us. 


Der  Altar  des  Michael  Packer. 


MIC£L/^EL  PACHEK. 


Bei  geschlossenem  Altar  erblickt  man  vier 
Darstellungen  aus  der  Legende  des  Heiligen 
Wolfgang,  die  „Predigt  mit  dem  Teufel",  die 
„Grundsteinlegung  der  Wolfganger  Kirche", 
die  „Almosenverteilung"  und  die  „Heilung  der 
Besessenen".  Sie  sind  alle  von  hoher  Schön- 
heit. Raummangel  verbietet  mir,  auf  alle  ein- 
zugehen, auch  ist  der  Zweck  dieser  Zeilen,  nicht 
zu  umfassen,  sondern  nur  zu  beleuchten.  — 
Daß  eine  derartige  Betrachtungsweise  Berech- 
tigung erhält,  möge  sich  beim  Lesen  eines  banal- 
historischen breiten  Werkes  über  diesen  Meister 


»ENGELS.  ST.  WOLFGANG. 


erweisen ,  das  unter  einem  Wust  von  begrifflicher 
Wissenschaft  und  trockener  Stofflichkeit  künst- 
lerisch belanglos  bleibt.  Fächer  hat  außer  diesem 
Hauptwerk  in  St.  Wolfgang  den  Kirchenväter- 
altar (jetzt  in  der  Münchner  Pinakothek)  ge- 
malt, wovon  hier  einige  Details  der  Heiligen 
beigefügt  sind. 

Tief  erregt  und  beglückt  verläßt  man  die 
wunderschöne  Stätte  am  Wolfgangsee,  wo  die 
Häuslein  weiß  oder  farbig  gekalkt,  das  Wasser 
tief  grün,  die  Berge  schwarz  oder  im  Abendrot 
golden  und  wie  Purpur  scheinen r.  e. 


221 


MICHAEL  FÄCHER.  »VOM  KIRCHENVÄTER-ALTAR«  pinakotbek- München. 


DAS  KUNSTWERK  ALS  ORGANISMUS. 


VON  WILHELM  MICHEL. 


Ohne  daß  wir  es  wissen,  beruhen  unsre  heu- 
tigen Kunstanschauungen  noch  wesentlich 
auf  der  romantischen  Ästhetik.  Was  die  Brü- 
der Schlegel  und  Wackenroder,  was  Fichte  und 
vor  allem  Schelling  über  die  Kunst  gedacht  und 
gesagt  haben,  ruht  uns  heute  noch  im  Blut. 
Ja,  man  kann  sagen,  daß  die  romantische  Kunst- 
anschauung heute  lebendiger  ist  als  in  den  Jahr- 
zehnten vorher.  Der  romantische  Gedaoke,  daß 
das  echte  Kunstwerk  ein  weihrer  Organismus 
sei,  ist  allen  heutigen  Menschen  angeboren.  Und 
Schellings  Darstellung  vom  Verhältnis  der  bil- 
denden Künste  zur  Natur  ist  mehr  als  je  gegen- 
wärtige Wahrheit.  Nach  Schelling  zeigt  das 
Kunstwerk  die  volle  Harmonie,  das  Gleichge- 
wicht der  bewußtlosen  und  bewußten  Tätigkeif, 
das  sonst  in  der  Erfahrung  unmöglich,  nur  in  der 
Unendlichkeit  denkbar  ist.  Im  Kunstwerk  allein 
decken  sich  sinnliche  und  geistige  Welt;  denn 
das  Genie  ist  die  Intelligenz,  die  als  Natur 
wirkt.  Schon  sehr  frühe  wurde  der  alte  Begriff 
der  „Naturnachahmung"  in  der  Kunst  von  der 
romantischen  Ästhetik  dabin  verstanden,  daß 
der  Künstlerdie  Natur  nicht  in  ihrem  sinnfälligen 
Buchstaben,  sondern  in  ihrem  schöpferischen 
Verfahren  nachahmen  solle;  daß  er  die  „Natur" 
nicht  erreicht,  indem  er  ihre  Erscheinung  nach- 
bildet, sondern  indem  er  wie  sie  Organismen, 
lebendige  Gestalten  erschafft.  In  Friedrich 
Schlegels  Bemerkungen  zur  Kunst  kehrt  immer 
der  Gedanke  wieder,  der  echte  Künstler  müsse 
ein  „organischer  Geist"  sein  und  festen,  schöp- 
ferischen „Mittelpunkt"  in  sich  haben.  Eng  ver- 
schwistert  sich  damit  der  Gipfelgedanke,  daß 
auch  die  Welt  im  Ganzen  als  ein  großes,  als  das 
höchste  Kunstwerk  aufzufassen  sei:  In  seinem 
Gespräch  über  die  Poesie  stellt  er  die  Welt  als 
ein  Gedicht  der  Gottheit  dar,  dessen  Teil  und 
Blüte  auch  wir  sind;  und  alle  heiligen  Spiele 
der  Kunst  sind  nur  „ferne  Nachbildungen  von 
dem  unendlichen  Spiele  der  Welt,  dem  ewig  sich 
selbst  bildenden  Kunstwerk."  Diese  Beziehung 
des  irdischen  Künstlers  zum  Gottkünstler  — 
die  sich  schon  in  dem  Worte  des  antiken  Philo- 
sophen ankündigt,  daß  ein  „pyr  technikon"  in 
der  Schöpfung  brenne  —  prägt  er  ein  andermal 
in  den  Sätzen :  „Unermeßlich  und  unerschöpflich 
ist  die  Welt  der  Poesie,  wie  der  Reichtum  der 
belebenden  Natur  an  Gewächsen,  Tieren  und 
Bildungen  jeglicher  Art,  Gestalt  und  Farbe. 
Selbst  die  künstlichen  Werke  oder  natürlichen 
Erzeugnisse,  welche  die  Form  und  den  Namen 


von  Gedichten  tragen,  wird  nicht  leicht  auch  der 
Umfassendste  alle  begreifen.  Und  was  sind  sie 
gegen  die  innere,  bewußtlose  Poesie,  die  sich 
in  der  Pflanze  regt,  im  Lichte  strahlt,  im  Kinde 
lächelt,  in  der  Blüte  der  Jugend  schimmert,  in 
der  liebenden  Brust  der  Frauen  glüht?  .  .  .  Ja, 
wir  alle,  die  wir  Menschen  sind,  haben  immer 
und  ewig  keinen  anderen  Gegenstand  aller  Tätig- 
keit und  aller  Freude  als  das  eine  Gedicht  der 
Gottheit,  die  irdische  Schöpfung  dieser  schönen 
Sternenwelt.  Die  Musik  dieses  Spielwerkes  zu 
vernehmen,  die  Schönheit  dieses  göttlichen  Ge- 
dichtes zu  verstehen,  sind  wir  fähig,  weil  auch  ein 
Funken  des  ewigen  Dichters  und  seines  schaf- 
fenden Geistes  in  uns  lebt  und  tief  unter  der 
Asche  der  selbstgemachten  Unvernunft  mit 
heimlicher  Gewalt  zu  glühen  niemals  aulhört  I" 

Am  klarsten  aber  hat  wohl  August  Wilhelm 
Schlegel  den  größten  Ehrgeiz  der  Kunst,  die 
„Natur  nachzuahmen",  erläutert  und  ihn  gegen 
das  barbarische  Mißverständnis,  das  die  Kunst- 
fremden stets  diesem  Begriff  angetan  haben,  ab- 
gegrenzt. Ersagtin  seinen  Berliner  Vorlesungen : 
„Die  gesamte  Natur  ist  organisiert,  aber  das 
sehen  wir  nicht ;  sie  ist  eine  Intelligenz  wie  wir, 
das  ahnen  wir  nur  und  gelangen  erst  durch  Spe- 
kulation zur  klaren  Einsicht.  Wird  nun  Natur 
indieserwürdigsten  Bedeutung  genommen,  nicht 
als  eine  Masse  von  Produkten,  sondern  als  das 
Produzierende  selbst,  und  der  Ausdruck  Nach- 
Eihmung  ebenfalls  in  dem  edleren  Sinne,  wo  es 
nicht  heißt,  die  Äußerlichkeiten  eines  Menschen 
nachäffen,  sondern  sich  die  Maximen  seinesHan- 
delns  zu  eigen  machen,  so  ist  nichts  mehr  gegen 
den  Grundsatz  einzuwenden  noch  ihm  hinzuzu- 
fügen :  Die  Kunst  soll  die  Natur  nachahmen. 
Das  heißt  nämlich,  sie  soll,  wie  die  Natur  selb- 
ständig schaffend,  organisiert  und  organisierend, 
lebendige  Werke  bilden,  die  nicht  erst  durch 
fremden  Mechanismus,  sondern  durch  inne- 
wohnende Kraft,  wie  das  Sonnensystem,  be- 
weglich sind  und  vollendet  in  sich  selbst  zu- 
rückkehren. Auf  diese  Weise  hat  Prometheus 
die  Natur  nachgeahmt,  als  er  den  Menschen  aus 
irdischem  Ton  formte  und  ihn  mit  einem  von 
der  Sonne  entwandten  Funken  belebte." 

So  hat  die  Romantik  mit  dem  äußersten  Nach- 
druck auf  das  organische,  naturhafte  Wesen  des 
Kunstwerks  verwiesen  und  damit  den  Grund 
zur  Ästhetik  eines  ganzen  Jahrhunderts  gelegt. 
Wahr  ist  allerdings,  daß  mehrere  Geschlechter 
dieses  Jahrhunderts  mit  der  Romantik  selbst 


223 


Das  Ktitislwerk  als  Orgaiiismus. 


auch  die  romantische  Kunstanschauung  beiseite 
jjeschoben  und  durch  ein  teilweise  viel  minderes 
Kunstdenken  ersetzt  haben.  Aber  in  neuerer  Zeit 
ist  die  romantische  Kunsttheorie  wieder  bloßge- 
legt worden  und  hat,  wenn  nicht  unserm  Kunst- 
schaffen, so  doch  unserm  Kunstdenkeneinenhalt- 
baren  Boden  gegeben.  Darnachsteht  das  Kunst- 
werk als  ein  echtes,,  Geschöpf  "neben  den  andern 
Geschöpfen,  wie  diese  begabt  mit  dem  einen 
Funken  göttlichen  Lebens,  der  nur  dann  auf- 
springt, wenn  das  Bewußtsein  in  die  „fruchtbare 
Dunkelheit"  untergesunken  und  zum  hilfreichen 
Diener  statt  zum  Herrscher  geworden  ist. 


Der  Fehler,  den  die  romantische  Praxis  von 
dieser  Anschauung  aus  begangen  hat,  liegt  darin, 
daß  sie  anstelle  des  Bewußtseins  schließlich  ein 
zügelloses  Walten  der  Gefühle,  Wallungen  und 
ReizempfinduDgen  gesetzt  hat,  ohne  zu  bemer- 
ken, daß  dadurch  das  Kunstwerk  doch  endlich 
wieder  desorganisiert  wird.  Schaffen  ist  aber 
weder  Rausch  noch  Rechnen,  sondern  es  kommt 
aus  einer  neugeorduelen,  aber  eben  doch 
höchst  geordneten  Seelenlage,  die  dem  Be- 
wußtsein nichts  Schlimmeres  antut,  als  daß  sie 
seine  störenden  Einwirkungen  auf  die  göttliche 
Zeuguogskraft  des  Geistes  ausschaltet.  —  w.  m. 


MICHAEL  FÄCHER.  lENiiEL«  VOM  ALTAR  IN  ST.  WOLFGANG. 


ARCHltEKT  PROFESSOR  BRUNO  PAUL-ßERLlN. 

»TERRASSENSEITE  DES  HADSES  IN  BLANKKNESK« 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL. 


»LANDHAUS  IN  BLANKENESE« 


EIN  LANDHAUS  IN  BLANKENESE. 

ERBAUT  VON  PROF.  BRUNO  PAUL— BERLIN. 


Das  Landhaus  liegt  auf  dem  hart  an  die  Elbe 
sich  vorschiebenden,  hohen,  kieferbestan- 
denen Geest-Rücken,  westlich  des  Süllbergs. 
Tief  unten  am  Ufer  des  Stromes  drängen  sich 
winzige  Häuschen,  Hütten  und  Gärten,  und  zahl- 
lose Schiffe  gleiten  in  endloser  Kette  auf  seiner 
silbernen  Flut.  Durch  die  Kiefernwipfel  schim- 
mert in  der  Ferne  jenseits  des  Stromes  im 
blauen  Nebel  das  Alte  Land.  Der  Erbauer  des 
Hauses,  Professor  Bruno  Paul,  hat  mit  kundiger 
Hand  die  eigenartigen  Vorzüge  der  Lage  zur 
Geltung  gebracht  und  durch  die  Stellung  des 
Hauses  auf  dem  verhältnismäßig  engen  Dreieck 
der  Hochfläche  an  der  Eibseite  einen  in  Stufen 
sich  abtreppenden  Gcirten  ermöglicht,  einen 
weiten  Blick  geschaffen  und  Haus  und  Garten 
durch  eine  Terrassenanlage  aufs  engste  ver- 
bunden. Dem,  der  das  Glück  hat,  an  einem 
schönen  Tage  die  hier  auf  schwierigstem  Ge- 


lände geschaffene  Anlage  zu  betreten,  wird  so 
ganz  und  gar  der  Zauber  der  weiten  Fernsicht 
aufgeschlossen.  Das  Haus  selbst  ist  bewußt  in 
schlichten  Formen  in  Sandstein  errichtet.  Wenn 
der  Wunsch  der  Beteiligten  sich  hätte  verwirk- 
lichen lassen,  wäre  unter  günstigeren  Verhält- 
nissen wohl  an  dieser  Stelle  ein  Ziegelrohbau 
in  ähnlicher  Schlichtheit  entstanden,  der  dem 
heimatlichen  Charakter  vielleicht  mehr  ent- 
sprochen hätte.  Der  gewaltigen  Sprache  der 
umgebenden  Natur  gegenüber  wirkt  die  Schlicht- 
heit der  Architektur  in  hohem  Grade  wohltuend. 
Gleiche  Schlichtheit  und  Zurückhaltung  in  der 
Formensprache  zeigen  bei  aller  Großartigkeit 
der  Gesamtanlage  die  gewiß  vorbildlichen,  herr- 
lichen, nahe  gelegenen  Landsitze  em  der  Elbe, 
welche  frühere  Zeiten  geschaffen  haben.  Das 
Landhaus  Fraenckel  zeigt  eindrucksvoll,  was  die 
Schöpfer  jener  Bauten  mit  vieler  Selbstbeschei- 


227 


XXVI.  Juli  1923    7 


Ein  Landhaus  in  Blankenese. 


228 


PROFESSOR  BRUNO  PADL- BERLIN. 

duDg  sorgfältig  beachtet  haben,  daß  in  freier 
Landschaft  mit  großen  Formen  die  Steigerung 
des  Eindrucks  der  großen  Baumkronen,  Rasen- 
flächen, Hänge  und  Schluchten  durch  die  Ar- 
chitektur ein  vornehmes  Ziel  baukünstlerischen 
Gestaltens  ist.  Wenn,  was  für  Hamburg  be- 
dauerlich wäre,  die  fortschreitende  Bebauung 
des  unvergleichlich  schönen  Eibparks  zur  Tat 
wird,  müßte  die  Schönheit  dieser  alten  Land- 
sitze zu  neuen  Ehren  gelangen,  und  könnte  in 
diesem  Sinne  auch  das  Landhaus  Fraenckel 
reiche  Anregungen  bieten. 

Im  Gegensatz  zur  Zurückhaltung,  die  sich  der 
Architekt  bei  Gestaltung  des  Äußern  aus  guten 
Gründen  auferlegt  hat,  hat  er  im  Innern  frei 
geschaltet.  Den  in  das  Haus  Eintretenden  emp- 
fängt eine  andere  Welt,  im  Gegensatz  zur  Groß- 
artigkeit der  umgebenden  Natur  die  stille  Welt 
einer  kunstsinnigen  Häuslichkeit,  die  Welt  er- 
lesendsten  Geschmacks.  Je  drei  Räume,  im 
Erdgeschoß  Herrenzimmer,  Musikzimmer  und 
Eßzimmer,  im  Obergeschoß  Schlaf-  und  Wohn- 
zimmer, entwickeln  sich  an  der  Eibseite  des 
Hauses.  Die  Verbindung  nach  den  der  Straßen- 


» LANDHAUS  IN  BLANKENESE« 

Seite  zu  gelegenen  Wirtschafts-  und  Eingangs- 
räumen stellt  die  Diele  mit  der  wuchtigen 
Treppe  dar.  In  allen  Räumen  äußert  sich  bis 
in  die  kleinste  Einzelheit  mit  feinem  Takt  die 
bewußte  Kraft  eines  Meisters.  Für  die  Raum- 
verteilung, wie  für  die  Einzelgestaltung  ist  eine 
stille  Würde  in  diesem  Hause  bezeichnend.  Nur 
selten,  wie  bei  der  massigen  Treppenbrüstung 
der  Diele,  klingen  lautere  Töne  an.  Die  Farben 
geben  allen  Räumen  in  glücklichem  Wechsel 
den  Ausdruck  einer  heiteren  Festlichkeit.  Es 
soll  nicht  versucht  werden  auszudrücken,  was 
aus  dem  Werke  des  Künstlers  spricht.  Die 
liebevolle  Sorgfalt,  strenge  Selbstzucht  und  Un- 
bestechlichkeit in  allem  scheint  mir  auch  bei 
dieser  Arbeit  ein  besonders  schönes  Merkmal 
des  Künstlers  zu  sein.  Abbildungen  können  nur 
eine  dürftige  Vorstellung  geben.  Die  Beschrei- 
bung würde  kaum  zu  einer  besseren  Anschauung 
verhelfen.  Zum  Wesen  echter  Kunst  gehört  es, 
daß  sie  sich  nicht  durch  Abbildungen  und  Be- 
schreibungen ersetzen  läßt,  ihre  Würdigung 
vielmehr  eines  eingehenden  und  liebevollen 
Studiums  des  Werkes  selbst  bedarf.  Was  Bruno 


Em  LandJiaus  in  Blankenese. 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL. 


Paul  hier  schuf,  ist  eine  Welt  künstlerischer 
Liebe,  in  die  eindringen  zu  dürfen  dem  Fühlen- 
den Glück  bedeutet.  Dieses  Glück  möchten  wir 
recht  Vielen  wünschen.  Was  zum  vollen  Ge- 
lingen eines  solchen  Werkes  unerläßlich  ist,  hat 
Professor  Bruno  Paul  während  der  Entstehungs- 
zeit des  Hauses  offensichtlich  in  besonderem 
Maße  zur  Seite  gestanden.  Das  dauernde  ver- 
trauensvolle innere  Einverständnis  des  Bau- 
herrn und  die  liebevolle,  sichere  Leitung  der 
Bauausführung  durch  einen  ortsansässigen  Archi- 
tekten, Herrn  Architekten  B.  D.  A.  Carl  Feindt. 
Dr.  Richard  Linde  rühmt  in  seinem  Werk 
über  die  Niederelbe  mit  Recht,  daß  die  steile 
Hügelschwelle  rechts  der  Elbe  —  von  Natur 
sicher  ein  unveräußerlicher  Besitz  landschaft- 
licher Schönheit  —  längst  sich  in  eine  einzige 
graue  Häusersteinwüste  würde  verwandelt  ha- 
ben, wenn  nicht  die  reichen  Kaufherrn  ihre 
wundervollen  Parkbesitzungen  mit  den  Schlös- 
sern darinnen  in  fester  Hand  hielten,  die  sie  in 
nie  genug  anzuerkennender  Freundhchkeit  einer 
oft  fragwürdigen  Menge  öffnen.  Der  Weitblick 
dieser  hanseatischen  Kaufherren,  welche  auch 


»LANDHAUS  IN  BLANKENESE« 


heute  wieder  wie  hier  die  fähigsten  Künstler 
heranzuziehen  wissen,  läßt  erhoffen,  daß  sie 
auch  der  schwierigeren  und  bedeutungsvolleren, 
der  Zukunft  vorbehaltenen  Aufgabe  unserer  Zeit 
starken  Besitzwechsels  und  der  Entwicklung 
Groß-Hamburgs  —  der  dringend  notwendigen 
Gestaltung  eines  Generalbebauungsplanes  für 
die  Hamburg  vorgelagerten  Landgemeinden  am 
rechten  Eibufer  — -  in  einer  allen  privaten  und 
öffentlichen  Erfordernissen  Rechnung  tragen- 
den Großzügigkeit  zur  Lösung  verhelfen  wer- 
den, zu  ihrem  und  dem  Ruhme  ihrer  Vaterstadt. 
Möchte  das  von  Natur  so  schöne,  aber  durch 
unkünstlerische  und  planlose  Bauten  entstellte 
Blankenese  in  Zukunft  recht  viele,  innen  und 
außen  so  charaktervolle  Bauten  wie  das  Haus 
Fraenckel  entstehen  sehen.  —     hans  rolffsen. 

Ä 

In  dieser  Zeit,  in  der  alles  von  der  seelischen 
Kraft,  vom  Zukunftsglauben,  von  der  Stärke 
der  Sehnsucht  und  des  Glücksverlangens  in 
unserem  Volke  abhängt,  ist  es  notwendig, 
allein  das  menschliche  Herz  an  die  Spitze  der 
Idee  zu  stellen h.  de  fries. 


229 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL. 


^GARDEROBE  IM  LANDHAUSEc 


•N 


EUE  FORMEN«?  Warum  nicht  Beharren 
bei  den  erprobten,  von  Generationen 
durchgearbeiteten  Formungen  der  Väter?  Tö- 
richtes Gerede  ...  als  entständen  die  neuen 
Formen  aus  dem  Streben  nach  „Schönheit", 
oder  nach  „Zweckmäßigkeit",  oder  nach  „Har- 
monie" !  Als  wäre  nicht  Triebfeder  all  unseres 
Mühens  und  Bildens  der  reale,  dunkle  Form- 
wille der  Zeit,  der  sich  ausleben  und  dar- 
stellen muß  um  jeden  Preis  ...  Gewiß 
werden    die   Richtungspunkte    der   objektiven 


Schönheit  und  all  der  anderen  guten  Dinge  beim 
Werden  neuer  Formen  bewußterweise  immer 
in  den  Vordergrund  gestellt.  Aber  worum  es 
sich  wirklich  und  endgültig  handelt,  ist  allein 
das  Ausdrucksstreben  der  Zeiten,  ihre  Sehn- 
sucht nach  Selbstausprägung  in  allen  Stoffen, 
die  sie  erraffen  und  sich  zu  diesem  Zweck  dienst- 
bar machen  können.  Wer  dies  nicht  tief  gefaßt 
hat,  dem  ist  unser  ganzes  neues  Mtihen  im  Rin- 
gen des  kunstgewerblichen  Formens  verschlos- 
sen und  unzugänglich dr.  e.  zschimmer 


230 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL. 


»BLICK  IN  DIE  HALLEc 


DEUTSCHE  KUNST  UND  FRANZÖSISCHE  KUNST. 

(SCHLÜSS  VON  SEITE  204.) 


Das  konservative  Festhalten  an  der  Regel, 
die  erlernbar  und  schulmäßig  übertragbar 
ist,  hat  die  französische  Kunst  nur  selten  zu 
Extravaganzen,  an  denen  die  deutsche  so  über- 
reich ist,  verleitet,  sie  freilich  auch  ebenso  sel- 
ten zu  individuellen  Höchstleistungen  befähigt, 
die  das  erstaunlich  gute  Niveau  ihrer  künstleri- 
schen Allgemeinkultur  gipfelhaft  überragen.  Das 
Beglückende  ihres  Daseins  beruht  auf  der  ganz 
eigenen  und  natürlichen  Art,  wie  sich  der  aus 
Geist  und  Blut  harmonisch  gemischte  Rassen- 
charakter der  klassischen  Norm,  die  an  und  für 
sich  eine  abstrakte  Größe  ist,  anzugleichen  weiß : 
als  das  reizbar-bewegliche  Element,  dem  es 
bisher  noch  immer  gelungen  ist,  die  mit  jeder 
akademischen  Doktrin  gegebene  Erstarruogs- 
gefahr  abzuwenden  und  dem  erkaltenden  Or- 
ganismus frische  und  überraschend  produktive 
Säfte  zuzuführen.  Nur  wird  der  klassizistische 
Grundzug  des  französischen  Wissens,  der  in 
Linienbestimmtheit  und  Formenklarheit 


seinen  Ausdruck  findet,  dadurch  nur  wenig, 
höchstens  vorübergehend,  verschoben.  Er  bricht 
immer  wieder  durch,  zuletzt  mit  der  aus  dem 
Gegenspiel  des  Impressionismus  entstande- 
nen, von  Cezanne  getragenen  neuakademi- 
schen Bewegung,  die  heute  mit  den  Land- 
schaften eines  Andre  Derain  ganz  unver- 
kennbar den  Anschluß  an  die  große  architek- 
tonische Linie  des  Claude  Lorrain  sucht. 

Wir  sehen:  es  ist  nicht  die  magisch  an- 
ziehende Kraft  des  Gleichartigen,  die  hier 
die  geistige  Brücke  geschlagen  hat.  (Man  muß 
sich  heute  schon  der  Vergangenheitsform  be- 
dienen!) Das  Verbindende  ergab  sich  vielmehr 
aus  der  scharf  umrissenen  Eigentümlichkeit 
jeder  der  beiden  Rassen,  einer  Eigentümlichkeit, 
die  Ergänzung  und  Ausgleich  gerade  durch  den 
Gegensatz  gebieterisch  zu  fordern  scheint. 
Das  Schicksal  will  es,  daß  heute  die  Türen  auf 
beiden  Seiten  verschlossen  sind.  —  Ob  sie  sich 
je  wieder  öffnen  werden?  —  e.  v.  niebelschOtz. 


231 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL.  .TREPPE  IN  DER  HALLE« 


rr —  . " 

Pill 

■ 

P"^"^ 

^r's 

im 

■ 

/    -  ■■■■  •(•     ,                      '■     ■ 

_ 

■ 

,  T^Tt  V---  ^  :kM 

—    "  "^w 

0 

^^r 

■1^- 

■■■■m/KtK^m'                .^i^2!>--.NR. 

PROFESSOR  BRUNO  PAUL. 


»TEIL  DES  TREPPENGELÄNDERS« 


DIE  NATÜRLICHE  EINHEIT. 


Eingekapselt  durch  die  sechs  Wände,  zu  ge- 
meinsamem Leben  verurteilt  —  oder  be- 
gnadigt, sind  die  Dinge  im  Raum  in  unab- 
lässiger Auseinandersetzung  mit  sich,  den  Nach- 
barn und  den  Raum-Komponenten  begriffen. 
Es  ist  nicht  möglich,  eine  Vase,  oder  überhaupt 
irgend  einen  Gegenstand  in  ein  Zimmer  zu  brin- 
gen, ohne  daß  sofort  die  gesamte  Belegschaft 
des  Raums  dazu  Stellung  nimmt.  Ein  „neuer 
Ton"  ist  zum  Akkord  hinzugekommen.  Das 
verändert  unweigerlich  seinen  Klang,  seinen 
Chcirakter.  Dem  hellen  Eindringling  tritt  das 
Vorhandene  mit  getragener  Würde  entgegen, 
oder  auch  mit  gewitterdunkler  Feindschaft.  Es 
dauert  seine  Zeit,  bis  die  „Eingliederung"  ge- 
lingt, bis  etwa  der  helle  Gast  als  Oberton  eines 
neuen  Akkordes  assimiliert  wird.  Aber  der 
Wille  zur  Einordnung  ist  immer  vorhanden,  die 
Auseinandersetzung ,  die  niemals  vollständig 
zur  Ruhe  kommt,  ist  kein  sinnlos-zänkischer 
Streit.  Oberstes  Ziel  bleibt  stets,  aus  dem 
bunten  Vielerlei  irgendwie  eine  Einheit  herzu- 
stellen. Mögen  es  auch  Kontraste  sein,  die 
gebunden  werden  sollen,  Zufälligkeiten,  zwi- 
schen denen  nachträglich  eine  entfernte  Ver- 
wandtschaft hergestellt  werden  soll.  Der  Ein- 
richter macht  sich  die  Aufgabe  zu  leicht,  der 
auf  geradestem  Wege  der  Einheit  zusteuernd, 
Fremdartiges,  Kontraste  bewußt  ausscheidet, 


auf  einer  Linie,  einem  Akkord  die  gesamte 
Raum-Musik  aufbaut.  Eintönigkeit  ist  die  not- 
wendige Folge.  Solch  ein  Raum  erscheint  tot, 
gleichgültig,  ob  er  viel  oder  wenig  Einrichtung 
enthält.  Die  Einheit,  die  durch  künstliche  Fern- 
haltung von  Dissonanzen,  oder,  was  jetzt  be- 
liebt ist,  durch  absichtUche  „Leere"  des  Raumes 
erzielt  wird,  hat  keine  Kraft,  —  weil  sie  nichts 
zusammenzuhalten  hat!  Es  gehört  ein  feines 
Gefühl  dazu,  den  Zug  zur  Einheit,  der  heute 
im  Wohnwesen  so  stark  hervortritt,  in  rechter 
Weise  zu  nützen  I . .  Die  aufgeteilte  Beleuchtung 
ist  von  der  schweren  Krone  wieder  aufgesogen. 
Der  große  Schrank,  das  breite  Büfett  herrschen. 
Der  Architekt  sieht  oft  seine  wesentlichste  Auf- 
gabe darin,  alles  „Überflüssige"  aus  dem  Raum 
zu  entfernen,  deimit  der  „Raum  an  sich"  zur 
Geltung  kommt.  Möglich,  daß  dann  in  dem 
„Weniger"  ein  viel  größerer  Reichtum  an  for- 
malen und  räumlichen  Beziehungen  zutage  tritt, 
als  sich  in  der  Überfüllung  auswirken  konnte. 
Aber  oft  ist  das  Resultat  eben  nichts  als  „  Leere  " . 
Der  Könner  wird  mit  leichter  Hand  alles, 
was  in  den  Wohnraum  gehört,  —  was  durch  den 
Nutz-Zweck,  durch  Material  oder  durch  die 
Liebe  der  Bewohner  Beziehungen  und  eine  Spur 
Blutsverwandtschaft  erhalten  hat,  zur  natür- 
lichen Einheit  zu  verschmelzen  suchen,  sei's 
auch  die  „Einheit  der  Kontrolle"  I  jaumann. 


233 


w 
s 

s 

tri 

O 


z 

M 

Ix, 

O 

o 

1—1 

< 
S 


a 
a 
s 

1/3 

2 

W 

2 
o 


g 

5 


XIVl.  Jnli  1923.  8 


PROFESSOR  BEUNO  PAUL. 


»ERKER  IM  ESSZIMMER« 


VOM  BILDUNGSWERT  DER  KUNST. 


Bekannt  ist  der  anscheinend  widersinnige 
Ausspruch  von  Oskar  Wilde,  daß  die  Kunst 
die  Natur  forme,  nicht  die  Natur  die  Kunst. 
Was  ist  Wirklichkeit?  Das  Bild,  das  wir  von 
ihr  haben.  Gibt  es  ein  Bild  der  Wirklichkeit, 
das  alle  Zeiten  und  Völker  gleichermaßen  ver- 
pflichtet? Die  Kunstgeschichte  antwortet  mit 
Nein.  Es  ist  also  etwas  Wahres  in  jenem  para- 
doxen Wort  des  englischen  Ästheten.  Es  ist 
das  Wahre  daran,  daß  jedes  Naturbild  der 
wechselnden  Menschengeschlechter  von  einer 
andern  Wesenhaftigkeit  bestimmt  ist.  Wenn 
ein  Künstler  sein  Naturbild  herausstellt  und 
mir  aufzwingt,  so  schafft  er  eine  bestimmte 
neue  Wirklichkeit,  die  es  außer  ihm  und  ohne 
ihn  „nicht  gab".  Es  ist  allen  Ernstes  wahr,  daß 
die  Ruisdael'sche  Landschaft  vor  Ruisdael  nicht 
existierte,  daß  die  Welt  vor  dem  Aufkommen 
des  Impressionismus  nicht  impressionistisch  aus- 
sah. Das  Weltbild  einer  Zeit,  einer  Generation, 
einer  Gruppe,  eines  Künstlers  ist  zwangbaft 
so,  wie  es  ist;   es  ist  Schöpfung  oder  besser 


Entdeckung.   Kunst  ist  unablässig  daran,  Wirk- 
lichkeit zu  entdecken,  Natur  zu  formen. 

Wie  sehr  jedes  Weltbild  eines  starken  Künst- 
lers Weltentdeckung,  Weltschöpfung  ist,  kön- 
nen wir  durch  ein  einfaches  Experiment  fest- 
stellen. Sieht  m£in  sich  nämlich  in  die  Welt- 
auffassung eines  solchen  Künstlers  nachdrück- 
lich ein,  sättigt  man  seine  ganze  innere  Sinn- 
lichkeit mit  seiner  Form,  seiner  Fcirbe,  seiner 
Linie,  seinen  Valeurs,  seiner  Gemütsart  und 
Lebensstimmung,  so  macht  man  unfehlbar  die 
Erfahrung,  daß  man  darnach  eine  Zeit  lang  die 
Welt  „mit  seinen  Augen"  sieht.  Es  gibt  kein 
wunderbareres  und  genaueres  Instrument  als 
die  menschliche  Seele.  Sie  nimmt  die  Stim- 
mungen, die  Akkorde  der  sie  umgebenden  Welt 
so  unerhört  genau  auf,  daß  sie  mit  wunderbarer 
Präzision  aus  ihr  zurücktönen.  Ohne  daß  wir 
es  wissen,  ist  unsre  ganze  Weise,  zur  Umwelt 
in  Beziehung  zu  treten,  von  der  Gemeinschaft, 
der  wir  angehören,  wesentlich  beeinflußt,  mit- 
bestimmt; insbesondere  von  ihrer  Sprache  und 


236 


Vom  Büdimgswert  der  Kunst. 


ihrer  Kunst.  Wieviele  Deutsche  sehen  heute 
noch  die  Wälder  und  Berge  im  Geschmack 
eines  Ludwig  Richter,  eines  Moritz  v.  Schwind  I 
Wieviele  erleben  die  Lust  am  Wandern  und 
Schauen  auf  die  Weise  Eichendorffs  oder  Mö- 
rikes !  So  reicht  unsre  Kunst  von  allen  Seiten 
sehr  tief  in  unsre  Natur  hinein.  Und  es  wird 
auch  von  dieser  Seite  her  wichtig  —  das  sollte 
der  gebildete  Mensch  stets  beherzigen  —  wel- 
che Art  von  Kunst  uns  umgibt,  wie  unser  Ver- 
hältnis zur  Kunst  beschaffen  ist.  Wer  etwas 
für  die  Pflege  und  Verfeinerung  seines  Kunst- 
geschmackes tut,  der  erweist  damit  zugleich 
seiner  gesamten  geistigen  Welt  und  seinem 
Naturbild  einen  wertvollen  Dienst.  Wer  künst- 
lerische Roheit  um  sich  duldet,  sei  es  in  der 


Ausstattung  seines  Heims,  sei  es  auf  seinem 
Bücher-  und  Zeitschriftentisch,  oder  im  Wand- 
schmuck, der  schädigt  sich  viel  mehr  als  er  ahnt. 
Wir  leben  wohl  in  der  Wirklichkeit,  aber 
ihren  Hauptakzenten  nach  ist  diese  eine  selbst- 
geschaffene Welt.  Was  die  Inder  das  „Karma" 
nennen,  wirkt  sich  nicht  erst  in  einem  vermute- 
ten späteren  Leben,  sondern  bestimmt  schon  in 
diesem  Leben  aus.  Ein  verborgener  Weisheits- 
lehrer sagte  zu  einer  jungen  Dame,  die  ihn  über 
Wesen  und  Begriff  körperlicher  Schönheit  fragte: 
„Gute  Gedanken  denken,  hohe  Gebilde  schauen 
und  durchsinnen,  gehört  nicht  nur  zur  Vervoll- 
kommnung des  inneren,  sondern  auch  des 
äußeren  Menschen.  Es  ist  ein  Mittel  zum  Schön- 
werden,  ein    höchstes    Kosmetikum.      Lassen 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL.  .GLÄSERSCHRANK  IM  ESSZIMMER. 


237 


Vom  Bildungs'iVert  der  Kunst. 


wir  dcihingestellt,  ob  sich  der  Geist  den  Körper 
wählt,  in  den  er  eingeht,  wie  alte  Lehren  des 
Ostens  behaupten.  Sicher  ist,  daß  er  den  Kör- 
per gestaltet,  Familiengefühle,  Hausstim- 
mungen formen  erfahrungsgemäß  die  Gesichter. 
Leidenschaften,  Geistes-  und  Seelenregungen 
prägen  unsre  Züge.  So  wirkt  das  Innere  nach 
außen.  Schön  sein  wollen,  ist  nun  freilich  ein 
niederer  und  unzulässiger  Zweck.  Aber  daß  die 
Züge  des  Gesichtes  aufglänzen,  wenn  innen 
Gutes  und  Hohes  sich  ereignet,  das  ist  unauflös- 
Uch  zusammengeordnet."  Die  Wahrheit,  die  in 
diesen  Worten  liegt,  sollte  beachtet  werden. 


Das  Schöne,  das  uns  umgibt,  formt  auch 
unsre  ganze  Welt  zum  Schönen  hin,  nicht  nur 
die  innere,  sondern  auch  den  Baum,  der  vor 
unserm  Fenster  steht,  die  Straße,  die  wir  durch- 
wandern, den  blauen  Himmel,  der  sich  über 
uns  wölbt.  Alles  Schöne,  das  die  Kunst  uns 
spendet,  ruft  tausendfache  Schönheit  aus  der 
Natur  für  uns  hervor.  Die  Kunst  ist  die  uner- 
müdliche Entdeckerin  neuer  Reize  an  der  vor- 
handenen Welt;  ja,  sie  selbst  ist  Entdeckerin 
neuer  Welten,  und  alles,  was  sie  entdeckt, 
kommt  auch  dem  Weltbild  ihrer  weJiren,  aufrich- 
tigen Freunde  zugute harald  scholdeber. 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL-BERLIN.  .OFEN  IM  EMPIRE-ZIMMER. 


PROFESSOR  BRUNO  PAUL.  .WOHNZIMMER« 

IM  LANDHAUS  HAMBUKO-BLANEENESK. 


MEIN  ARBEITSZIMMER. 


Man  muß  vor  allem  klar  sein,  daß  man  nur 
sein  eigenes  und  nicht  „jedermanns" 
Arbeitszimmer  einrichten  kann. .  Der  Raum, 
den  ich  mir  denke,  ist  geräumig,  hoch  und  hell. 
Er  enthält  an  Möbeln  nur,  was  ich  notwendig 
brauche,  um  heimisch  zu  sein,  ich  will  nichts 
entbehren,  ich  will  kein  überflüssiges  Stück. 
Meine  Bücherei  unterzubringen,  brauche  ich 
Gestelle :  einfache  gradlinige  Schränke  aus  dunk- 
lem Holz.  Außerdem  brauche  ich  zu  jedem 
Schrank  ein  kleines  Tischchen,  es  muß  durch- 
aus beweglich  sein,  es  dient  mir  zur  Ablage  von 
Büchern,  manchmal  pflege  ich  es  an  den  Schreib- 
tisch zu  rücken,  dann  Uegen  Nachschlagwerke 
darauf,  auch  benütze  ich  es  als  stummmen  Die- 
ner, der  mir  den  leichten  Imbiß  freundlich  ge- 
deckt anbietet,  gelegentlich  auch  als  Rauchtisch, 
Der  Schreibtisch  ist  breit  und  massiv,  er  steht 
mitten  im  Zimmer,  frontal  gegen  das  Fenster, 
Ich  hebe  es,  ins  Freie,  in  den  Garten  zu  sehn, 
wenn  ich  von  der  Arbeit  aufbUcke.  .  In  Bezug 
auf  Beleuchtung  gestehe  ich,  anspruchsvoll  zu 
sein.  Von  der  Mitte  der  Decke  hängt  die  große 
Lampe,  ihr  Licht  blüht,  sie  badet  das  Zimmer 
in  Licht.  Am  Schreibtisch  steht  die  elektrische 
Stehlampe,  Aber  ich  habe  meine  Speziahtäten, 
Es  gibt  Abende,  da  brauche  ich  eine  gewisse 
Feierlichkeit  zum  Lesen  oder  Arbeiten,  dann 
liebe  ich  die  schöne  Milde  von  Kerzenschein 
und  den  Duft  von  Wachs,  Und  dann  gibt  es 
Gelegenheiten,  daß  es  mir  auf  einmal  zu  still 
wird.  Dafür  habe  ich  eine  alte  Petroleumlampe 
aus  Alabaster,  sie  hat  eine  klare,  edle  Form,  ihr 
Licht  quillt  rötlich  und  beim  Brennen  summt 
sie  leis  und  traulich;  dies  Summen  versetzt  mich 
in  eine  geheime  innere  Musikahtät,  manchmal 
fällt  mir  ein,  daß  die  summenden  Bienen  so 
fleißig  sind.  Am  Schreibtisch  habe  ich  einen 
lederbezogenen  Sessel  stehn,  er  stammt  noch 
aus  Großvaters  Zeiten,  Er  ist  das  sachUchste 
und  dabei  bequemste  Sitzmöbel,  das  ich  kenne, 
Erhatbreite,  genau  ellenbogenhohe  Armlehnen, 
und  eine  prächtige  tiefe  Rückenlehne  mit  großen , 
behaglichen  Ohren,  Sonst  habe  ich  keine  Sitz- 
möbel im  Raum,  sie  stören  mich  beim  Hin-  und 
Hergehen,  ich  Hebe  es  sehr,  meinen  Rundgang 
im  Zimmer  zu  machen,  schon  Georg  Christoph 
Lichtenberg  hat  es  bemerkt,  daß  man  manche 


Gedanken  nur  im  Gehen  denken  kann,  und  auch 
die  modernen  Psychologen  sind  nicht  ganz  einig 
über  die  Parallelität  geistiger  und  körperlicher 
Bewegungsvorgänge  und  ihrer  gegenseitigen 
Beeinflussungskraft.  Nur  zwei  kleine  einfache 
Holzhocker  sind  noch  da,  sie  dienen  den  kleinen 
Tischchen  als  Handlanger  und  Gehilfen  und 
rauben  keinen  Platz.  Wenn  ich  ausnahmsweise 
im  Arbeitszimmer  Besuch  empfange,  muß  er  auf 
dem  Divan  Platz  nehmen.  Der  Divan  nimmt  mir 
eine  ganze  Ecke  weg,  aber  ich  muß  ihn  haben, 
um  liegend  lesen  und  cirbeiten  zu  können.  Über 
dem  Divan  hängt  ein  Wandteppich,  ein  schlich- 
tes, kaum  arabeskes  Gerank.  Gewebe  stimmen 
fleißig.  Der  Boden  ist  mit  weichem  Wollteppich 
belegt,  er  bringt  einen  warmen  goldbraunen 
Ton  ins  Zimmer.  Die  Decke  ist  weiß  und  hält 
das  Licht.  Die  Tapete  ist  von  einem  saftigen, 
ganz  beruhigenden  Mittelgrün,  Neben  dem 
Divan  habe  ich  eine  alte  einfache  Truhe  stehen, 
die  mir  zur  Aufbewahrung  dient  für  Papier.  Der 
Deckel  der  Truhe  dient  mir  als  Hilfs-Tisch.  In 
der  andern  Zimmerecke  habe  ich  meinen  Steh- 
pult, er  ist  zugleich  Hilfsschrank  und  bewahrt 
vieles  leicht  Greifbare  auf.  Über  dem  Pult  hängt 
der  einzige  Bildschmuck  des  Zimmers,  ein 
schöner  alter  Kupferstich,  eine  Landschaft  dar- 
stellend. Die  vielen  bunten,  musizierenden 
Bücherrficken  mit  den  tanzenden  Goldbuch- 
staben bringen  eine  schöne  Farben-Fröhlichkeit 
in  das  Zimmer.  An  Schmuck  ist  noch  eine 
kleine  Holzplastik,  eine  gotische  Pieta,  da,  sie 
hat  auf  der  Truhe  ihren  Platz.  Auf  dem  Schreib- 
pult steht  ein  Blumenglas.  Lebende  Wesen  im 
Arbeitszimmer  dulde  ich  außer  mir  ungern.  Ich 
habe  trotzdem  ein  kleines  Aquarium  mit  zwei 
winzigen  Stichlingen  und  überalgtem  Löffelkraut 
am  Fenstersims  stehen.  Mindestens  einePflanze, 
finde  ich,  gehört  ins  Arbeitszimmer,  ihr  stilles, 
geheimes  Wachstum  ist  ein  gutes  Symbol.  Ich 
habe  mir  eine  Mamillciria,  meine  Lieblings- 
kaktee, dazu  erwählt.  ,  .  . 

Kurz:  persönliches  Gepräge  ist  das  We- 
sentliche für  solch  einen  Raum,  Stimmung  und 
Atmosphäre  muß  er  als  erste  Eigenschaft  haben : 
denn  er  ist  in  meiner  Wohnung  mein  eigenstes, 
persönlichstes  Reich,  der  Raum  meiner  Ar- 
beitssehgkeiten  und  der  Inspiration,     h.  geron. 


Pi 

s 

1^ 

t-i 

N 

25 

X 

o 

^ 

S 

t— < 

2 

W    ,; 

O    w 

-J    ^ 

w   g 

Ä    z 

u    < 

<  ä 

«   6 

M     * 
«     D 

^      03 

§    z 

-1    « 

M  S 

^J^^l 

«   <• 

^-j^^H 

.   w 

J    0 

5  5 

<!  ;S 

Ph 

o 

:z; 

t> 

o; 

m 

Pi 

o 

73 

y 

M 

(K 

O 

oi 

(1. 

PROFESSOR  BRUNO  PAUL.  .BETTNISCHE  IM  TÖCHTER-ZlMMERc 

LANDHAUS  IN  HAMBÜRG-BLANKENESE. 


VROFKSSOR  KARL  HOFER— BERLIN.  „TROMMELSCHLÄGER- 

HhSir/FK:    l.  A.  HBFI'HM'S — HONN 
.Mll    »-,1  NI-HMlI.l'Nt.   IHK   <;AJ-(-:KII'    llKSi  HTJHiM 


KARL 
HOKKR. 
•MÄDCHEN 
MIT  KEKZE« 


DIE  VERJÜNGTE  BERLINER  AKADEMIE. 


VON  DR.  MAX  OSBORN. 


Das  Berliner  Ausstellungswesen,  seit  einigen 
Jahren  schon  in  einem  Gährungsprozeß 
begriffen,  zeigt  nunmehr  ein  völlig  verändertes 
Angesicht.  Die  Sezessionen  befinden  sich  in 
einer  schweren  Krisis.  Die  „Freie  Sezession", 
d.  h.  die  einst  von  Max  Liebermann  regierte, 
ist  zur  Zeit  überhaupt  nicht  viel  mehr  als  ein 
Begriff;  vor  dem  Radikalentschluß  einer  gänz- 
lichen Auflösung  ist  man  noch  zurückgeschreckt, 
man  will  das  £ilte  Banner  wenigstens  im  Schrank 
aufbewahren,  um  es  bei  besserer  künftiger  Ge- 
legenheit wieder  hervorzuholen,  aber  man  tritt 
sozusagen  nicht  mehr  „in  die  Erscheinung". 
Die  „Berliner  Sezession",  also  die  um  Corinth, 


existiert  wohl  noch,  hat  aber  ihr  Ausstellungs- 
hdus  für  den  größten  Teil  des  Jahres  an  ein  — 
Kabarett  verpachtet  (natürlich,  da  das  Quartier 
auf  Ctiarlotienburger  Boden  liegt,  an  eine 
„Russische  Kleinkunst-Bühne").  Die  „Große 
Berliner  Kunstausstellurg"  trägt  ein  immer  ko- 
mischer werdendes  Doppelantlitz,  da  die  Se- 
zessionen sich  von  ihr  zurückgezogen  haben 
und  auf  der  einen  Seite  die  radikal-tumultariscbe 
Nuvembergruppe,  auf  der  andern  Seite  —  ohne 
versöhnende  Vermittlung  mit  der  ungleichen 
Schwester  drüben  —  der  „Verein  Berliner 
Künstler"  steht,  aber  nicht  mehr,  wie  früher, 
durch  die  Mitwirkung  der  Akademie  gestützt. 


247 


XXVI.  Auguit  1M3.  1 


Die  verjüngte  Berliner  Akademie. 


248 


ROMAN  KRAÜSTYK— BERLIN. 


Das  bedeutet:  die  Berliner  AusstelluniJsver- 
hältnisse  haben  sich  von  Grund  aus  verschoben. 
Dafür  sind  nun  zwei  neue  Faktoren  aufge- 
stiegen, die  jetzt  der  Lage  ihr  Gepräge  geben. 
Dort  die  „Juryfreie  Kunstschau",  von  der  ak- 
tiven Energie  des  Malers  Hermann  Sandkuhl 
glänzend  geleitet,  der  aus  dieser  ganz  freien 
Organisation  einen  Sammelpunkt  der  Talente 
gemacht  hat  —  wobei  sich  nach  dem  zwang- 
losen Prinzip  der  zugrunde  liegenden  Idee  frei- 
lich auch  die  große  Masse  und  der  holde  Kitsch 
ungehemmt  ansiedeln  können.  Und  hier  nun  — : 
die  an  Haupt  und  Gliedern  verjüngte  Akademie 
der  Künste.  Der  neue  Zustand  wurde  noch  nie 
so  hell  beleuchtet  wie  eben  jetzt  durch  die  Früh- 
jahrsausstellung  dieser  allehrwürdigen ,  aber 
durch  eine  moderne  Bluttransfusion  wieder  ela- 
stisch gewordenen  Körperschaft.  Was  bisher 
nur  in  Anläufen  gesucht  wurde,  ist  jetzt  wirk- 
lich durchgesetzt:  die  akademische  Ausstellung 
hat  endgültig  aufgehört,  die  Angelegenheit  eines 
geschlossenen,  würdigen  und  —  was  mit  der 
Würde   meist  zusammentrifft   —   gemächlich- 


GEMALOE  >LANDSCHAFrt 


langweiligen  Kreises  zu  sein,  sondern  stellt  sich 
als  ein  Zeitdokument  großen  Stils,  als  ein  Quer- 
schnitt durch  die  reifste  Produktion  der  Gegen- 
wart dar.  Man  hat  diesmal  auch  einen  Kom- 
plex rückwärtiger  Säle  hinzugenommen,  also 
planmäßig  eine  räumliche  Erweiterung  durch- 
geführt, sodaß  das  Ganze  fast  schon  als  eine 
„Große  Kunstausstellung  an  anderer  Stelle" 
auftritt,  versteht  sich  und  gottlob  in  mildernder 
Verkleinerung.  So  ist,  auch  im  Hinblick  auf 
den  Umfang,  eine  wahrhaft  repräsentative  Ver- 
anstaltung zustande  gekommen,  die  wieder  das 
bietet,  was  man  von  der  Akademie  zu  erwarten 
berechtigt  ist.  Das  war  eigentlich  der  ursprüng- 
liche Sinn  der  „Akademischen  Ausstellungen", 
deren  Anfänge  bis  auf  die  Zeit  Friedrichs  des 
Großen  zurückgehen.  Man  hatte  ihn  nur  in  den 
letzten  Jahrzehnten  des  Kaiserreichs  durch  die 
wunderliche  Parteinahme  des  Hofes  und  damit 
auch  der  Regierung  gegen  alles  Fortschrittliche 
in  der  Kunst,  die  sich  leider  die  Akademie  mit 
gehorsamster  Devotion  zu  eigen  machte,  aus 
dem  Auge  verloren.    Nun  knüpft  man  wieder 


< 

X 

Q 

< 

z 

u 
Q 

Q 


u 

c/5 

o 
o 

<; 

bi 
t/) 
o 


Die  verjüngte  Berliner  Akademie. 


250 


PROF.  E.  F.  WEISS— BERUN. 


an  die  besten  Traditionen  an.  Oder  vielmehr, 
man  schafft  sich  sogar  eine  neue  Überlieferung; 
denn  mit  solchem  Freimut  hat  die  Akademie 
sich  der  werdenden  Kunstfiedanken  denn  doch 
früher  niemals  angenommen. 

Der  Umschwung  trat  ein,  seitdem  Liebermann 
Akademie  -  Präsident  geworden.  Der  unver- 
wüstliche alle  Kämpe  setzte  seinen  Ehrgeiz 
darein,  mit  dem  unmöglichen  und  verstaubten 
Formelwesen,  durch  das  die  akademischen  Aus- 
stellungen heruntergekommen  waren  und  bis 
zu  seinem  Amtsantritt  alle  Bedeutung  einge- 
büßt halten,  energisch  aufzuräumen.  Erbrachte 
den  Geist  der  Sezession  nach  dem  Pariser  Platz. 
Aber  man  darf  nicht  übersehen,  daß  damit  noch 
nicht  alles  getan  war.  Die  alte  Sezes-sionskunst 
und  Liebermanns  persönliche  Herzensanschau- 
ungen, die  im  Grunde  stets  in  diesem  Kreise 
wurzelten,  bildeten  nun  schon  ein  Programm 
von  gestern  Wollte  man  das  Heute  hinzufügen, 
so  mußte  man  sich  noch  einen  kräftigen  weiteren 
Ruck  nach  vorwärts  geben.  Glücklicherweise 
geschah  das.  Liebermann  war  einsichtig  genug, 
um  zu  erkennen,  daß  es  mit  der  inzwischen  auf- 


BILDNIS  >REN£e  SINTENIS« 


gestiegenen  neuen  Generation  paktieren  hieß. 
De  Jüngeren  aus  seiner  Gefolgschaft,  die  er 
nach  und  nach  gleichfalls  in  die  Akademie  zog, 
bestärkten  ihn  darin.  Und  man  darf  schließlich 
nicht  vergessen,  was  der  Reformgedanke  dem 
„Sekretär"  der  Akademie,  dem  Kunsthistoriker 
Prof  Alexander  Amersdorfer,  zu  danken  hat. 
Trotzdem  ging  es  nur  Schritt  für  Schritt  wei- 
ter. Bis  man  in  diestm  Jahre  endlich  dem 
Kunstbegehren  der  Zeit  die  Tore  weit  geöffnet 
und  zugleich  bei  den  „Akademikern"  (im  früher 
gültigen  reaktionären  Sinne)  kräftig  gesiebt  hat. 
Mit  inniger  Freude  bemerkt  man  „viele,  die 
nicht  da  sind".  Man  könnte  wohl  auch  noch 
auf  manches,  das  doch  da  ist,  mit  der  gleichen 
Heilerkeit  des  Herzens  verzichten.  Aber  da 
stoßen  wir  auf  Resi bestände  eines  alten  Zopfes: 
auf  die  berühmte  Jurylreiheit  der  Akademie- 
Mitglieder,  die  von  unbekümmerten  Seelen 
noch  immer  in  Anspruch  genommen  wird  —  es 
wäre  wohl  an  der  Zf-it,  dies  Petrefakt  aus  vor- 
revolutionären Zeitläuften  gelegentlich  einmal 
in  die  Spree  zu  weifen.  Auf  der  andern  Seite 
vermißt  man  mit  Bedauern  einige  führende  Na- 


FRANZ  HECKENDORF-BERLIN.  »PADENDE  MADCHEN« 

AKADEMIE-ADSSTKLLUNG  •  BERLIN  1923. 


Die  Terüngte  Berliner  Akademie. 


PAUL 
PLONTKE- 
BERUN. 
iBADENDEc 


men  des  Fortschritts.  Nolde,  Heckel,  Schmidt- 
Rottluff  dürften  eigentlich  bei  einer  solchen 
Übersicht  nicht  fehlen.  Aber  Vollständigkeit 
ist  schließlich  nicht  immer  das  höchste  Gut.  Es 
werden  immer  Zufälligkeiten  mitsprechen.  Bei 
Heckel  und  Schmidt-Rottluff  z.  B.  liegt  der 
Grund  des  Fernseins  diesmal  in  einem  sonder- 
baren Konflikt,  den  die  Leute  von  der  „Freien 
Sezession"  kürzlich  unter  sich  auskämpften:  es 
war  dort  die  Frage  aufgetaucht,  ob  die  Sezes- 
sionisten  sich  als  geschlossene  Gruppe  über- 
haupt noch  halten  könnten,  wenn  sie  ihre  besten 
Sachen  auf  die  Ausstellung  der  Akademie 
schickten  —  eine  Erörterung,  in  deren  Verfolg 
übrigens  auch  Liebermann  sein  Amt  als  Ehren- 
vorsitzender der  Freien  Sezession  niederlegte. 
Nun,  so  etwas  wird  sich  ja  wieder  ausgleichen. 
—  Nach  links  hin  zieht  sich  die  Akademie  auch 


jetzt  noch  gewisse  Grenzen.  Man  mag  das  be- 
dauern, weil  dadurch  in  dem  Überblick  wesent- 
liche Lücken  entstanden  sind,  aber  man  kann 
es  auch  verzeihen.  Der  revolutionäre  Vortrupp 
hat  schließlich  noch  andere  Gelegenheiten,  sich 
zu  tummeln;  Novembergruppe  und  Juryfreie 
bieten  sie.  Und  ich  würde  als  brauseköpfiger 
Stürmer  überhaupt  getr  nicht  in  die  Akademie 
hineinwollen.  Immerhin  kann  man  sich  mit  dem 
Prinzip  der  Beschränkung  auf  das  Abgesiebte 
und  Ausgegorene  abfinden ,  wenn  es  so  frei 
befolgt  wird,  wie  es  diesmal  geschah. 

Vorbildlich  ist  die  Ausstellung  vor  allem 
durch  die  ungemein  geschickte  und  geschmack- 
volle Anordnung.  Es  ist  eine  Kunst  des  Hän- 
gens geübt  worden,  die  an  die  besten  Zeiten 
der  alten  Sezession  erinnert.  Kein  Gewimmel, 
Vielmehr  sorgscunste  Abwägung  der  Dinge,  die 


2S3 


Die  verjüngte  Berliner  Akademie. 


254 


FR.  TISCHLER  -CHARLOTTENBURO. 


zueinander  passen  und  sich  zu  symmetrischen 
Wirkungen  eignen.  Betonung  der  Hauptpunkte. 
Zusammenrücken  der  Werke  derjenigen  Per- 
sönlichkeiten, die  man  hervorheben  wollte.  Im 
großen  Hauptsaal,  der  als  eine  Art  „Tribuna" 
eingerichtet  ist,  zeigt  sich  das  am  deutlichsten. 
Sein  Inhalt  ruht  auf  drei  massiven  Pfeilern: 
rechts  ein  Wandzentrum  Liebermann,  links  ein 
Wandzentrum  Corinth  —  das  Gegenüber  dient 
zugleich  als  Symbol  des  persönlichen  Friedens- 
schlusses zwischen  den  lange  verfehdetenKampf- 
genossen  —  geradeaus  ein  Wandzentrum  Ko- 
koschka. Liebermann  bringt  mit  einigen  der 
Gartenstücke  aus  Wannsee,  hinter  denen  die 
Sammler  heute  wie  wild  her  sind,  ein  Alters- 
Selbstporträt  von  ergreifendem  Bekennertum. 
Corinth  zwischen  hingefegten  Anblicken  vom 
geliebten  Walchensee  eine  große  „Flora",  die 
sich  die  Nationalgalerie  gesichert  hat  —  ein 
prachtvolles  Beispiel  für  die  malerische  Visions- 


OEUALDE  >WERBELLIN-SEE€ 


kraft  und  die  geniale  Technik  dieses  weder 
durch  Alter  noch  durch  körperliche  Leiden  zu 
erschütternden  Riesen.  Kokoschka  präsentiert 
sich  auch  hier  als  das  brillanteste  Talent  der 
ganzen  jungen  Schicht.  Vor  einiger  Z*it  gab  es 
einmal  zu  irgendeiner  Gelegenheit  eine  festliche 
Tafelrunde,  für  die  eine  Reihe  von  Künstlern 
als  Menubeigabe  ein  kleinesLithograpbie- Album 
beisteuerten.  Nach  Tisch  machten  die  Damen 
die  Runde,  die  Künstler  um  ihre  Unterschrift 
zu  quälen.  Eine  Dame  trat  zu  Liebermann;  er 
unterzeichnete.  Sie  ging  darauf  zu  Kokoschka, 
dessen  Lithographie  in  dem  Heftchen  zufällig 
die  nächste  Seite  bildete.  Und  was  schrieb  der 
Schlingel  darunter?  „Kokoschka,  Kronprinz". 
Frech,  nicht  wahr?  Aber  man  darf  sagen,  er 
bewähr!,  sich  auch  als  Kronprinz. 

Als  besonderes  Verdienst  bucheich  die  Auf- 
nahme nfuer  Leute.  So  zog  Wilhelm  Schmid 
in  die  Akademie  ein,  der  junge  Schweizer,  der 


EUGEN  ZAK    BERLIN.  .FRAUENKOPF. 

SAMMLUNG  A.  K.— DARMSTADT. 


r>ic  rrrjihigte  Brrliufr  Akadeviic. 


seit  Jahren  in  Berlin  lebt  und  sich  hier  durch 
seine  Bilder  in  einer  breiten  dekorativen  Manier 
und  mit  einer  seltsam  magischen  Farbengebung 
durchgesetzt  hat.  So  auch  ein  Künstler  wie 
Eugen  Zak,  der  mit  seinen  zarten,  fast  schon 
klassizistisch  zu  nehmenden  Malereien  auf  eine 
ganz  bestimmte  Spielart  jüngster  Bestrebungen 
hinweist.  So  auch  Otto  Dix,  der  unerbittliche, 
fanatische  Ironiker  der  modernen  Gesellschaft, 
der,  darin  stärker  als  der  ihm  verwandte  George 
Groß,  auch  mit  der  Farbe  Originelles  zu  sagen 
hat.  Soll  man  es  glauben,  daß  dieser  Otto  Dix 
—  Liebermann,  der  wahrhaftig  aus  ganz  anderen 
Anschauungen  kommt,  hat  ihm  unverhohlen 
seinen  Respekt  bezeugt  —  sich  mit  Staatsanwalt 
und  Gerichten  wegen  der  „Unzüchtigkeit"  seiner 
Bilder  herumzuschlagen  hat,  weil  seine  ver- 
bissene Schärfe   die   lieben   Alitmenschen  und 


EUGEN 
ZAK. 
GEMÄLDE 
•MÄDCHEN« 


Mitmenschinnen  auch  da  anpackt,  wo  sie  grin- 
send und  häßhch  sind?  Aber  es  sind  auch  ganz 
neue  Männer  da,  von  deren  Namen  man  bisher 
nichts  wußte.  Ich  hebe  nur  einen  heraus  :  Georg 
Netzband,  der,  vielleicht  durch  Klaus  Richter 
angeregt,  seioe  Phantasie  mit  modernisierten 
Breughelschen  Typen  bevölkert. 

Von  Bedeutung  ist  ein  Kranz  von  Sonder- 
kabinetten, der  sich  um  die  Mittelräume  zieht. 
Als  eine  Sache  großen  Ranges  stellt  sich  da- 
runter das  von  Max  Slevogt  dar.  Fast  durch- 
weg Werke  der  allerjüngsten  Zeit;  man  hat  also 
den  lebendigen  Slevogt  von  heute.  Souveräne 
Beherrschung  der  persönlichen  Ausdrucksmit- 
tel; nie  ein  Schema,  immer  vielmehr  ist  Bild- 
gedanke und  Formgebung  frisch  geboren.  Frap- 
pante Bildnisse  von  ein  paar  bekannten  Berliner 
Persönhchkeiten  —  dem  Bankbeherrscher  Für- 


257 


XXVI.  August  1923.  2 


Die  verjüngte  Berliner  Akademie. 


268 


RUDOLF  LEVY— BERLIN. 


MIT   GF.Nf-:iI.MlGfNG  DER  GALERIE  FLECHTHEIM. 


»BLUMEN-STILLEBENc 


stenberg  und  dem  früheren  Staatssekretär  Dern- 
burg  —  legen  neues  Zeugnis  ab  für  Slevogts 
wohl  realistische,  auch  Ähnlichkeit  suchende, 
aber  von  innen  her  beseelende  Porträtkunst. 
Frauenbilder  in  Blau,  in  Schwarz  gegen  Orange, 
oder  ganz  Hell  in  Hell,  funkelnde  kleine  Stücke, 
wie  ein  Stilleben  mit  einem  Baumkuchen,  sind 
erfüllt  von  Farbenglanz  und  Geistreichtum  der 
Pinselführung.  Nur  eine  große  allegorische 
Komposition  zeigt,  wo  Slevogts  Grenze  ist. 
Das  kann  er  nicht. 

Dann  gibt  es  einen  Saal,  der  EdvcU-d  Munch 
heißt.  Gewiß  hat  es  unsägliche  Mühe  gemacht, 
diese  umfassende  Kollektion  zusammenzubrin- 
gen. Der  Raum  wird  beherrscht  durch  das 
große  Porträt  Walther  Rathenaus  aus  längst 
vergangenen  Jahren  —  dieser  kluge  Kunstken- 
ner, der  dann  Minister  und  dafür  ermordet 
wurde,  wußte  schon  damals,  welche  Potenz  in 
Munch  steckte.  Bis  in  die  achtziger  Jahre 
reicht  die  Serie  zurück.  Und  mit  den  grübleri- 
schen, deutenden,  gespen<itischen  Zügen,  die  in 
dem  fabelhaften  Porträt  Henrik  Ibsens,  in  dem 
einsamen  Mann  cun  Fenster,  in  dem  Bilde  „Das 
Geschrei"  heute  wie  ehedem  fesseln,  kontra- 


stiert eine  Auswahl  jüngerer  Bilder  Munchs  mit 
ihrem  freien  und  großzügigen  Naturalismus. 
Vorzüglich  stimmen  in  diesem  Saal  —  auch  das 
ein  Beispiel  für  die  verständnisvolle  Anordnung 

—  einige  Holzskulpturen  von  Barlach  in  der 
mächtigen,  geheimnisvollen  ICraft  der  Formbe- 
handlung zu  der  Malerei  des  Magus  vom  Norden. 

Aber  auch  der  jüngeren  Berliner  Kunst  ge- 
hört ein  Sondersaal;  Karl  Hofer.  Niemals  hat 
die  gewichtige  Art  dieses  Mannes,  in  der  sich 
monumentales  Kompositionsgefühl,  solidestes 
Farbhandwerk  und  eine  ernste  Sprache  sym- 
bolhafter Umdichtung  des  Weltbildes  zu  einem 
herben  und  zugleich  blühenden  Werk  verbin- 
den, so  eindrucksvoll  gesprochen.  Hofer  hat 
unter  anderem  ein  Bild  ausgestellt,  das  er 
„Selbstporträt  mit  Dämonen"  nennt.  Derglei- 
chen wäre  bei  vielen  anderen  eine  Koketterie 

—  hier  würde  niemand  auf  solchen  Gedanken 
kommen.  Es  ist  schon  so:  es  bleibt  sich  gleich, 
ob  Hofer  einen  Pierrot  oder  einen  seiner  keu- 
schen Akte  oder  ein  Stilleben  oder  eine  Le- 
gende zum  Thema  nimmt,  es  glüht  immer  ein 
geisterhafter  Schimmer  durch  seine  Gemälde. 

—  Daneben  stehen  kleinere  Kabinette.  Das  An- 


Q 
Ui 

tu 
< 

X 

o 

o 

05 

H 
(/) 

o 

o 
I 

s 

u 
< 


H 
2 

w 


ERNST  BARLACH-GÜSTROW.  »DER  RÄCHER« 

MIT  GENEHMIGUNG  VON  PAUL  CASSIRER- BERLIN. 


ERNST  BARLACH.  »MANN  IM  MANTEL« 

MIl   GliNEHMlGUNG  VON  PAUL  CASSIRER-BERLIN. 


Die  vcrjüugtc  Berliner  Akademie. 


WILH.  KOHLHOFF— HEIDELBERG. 


denken  des  jüngst  verstorbenen  Hans  Looschen, 
der  um  Berliner  Kunstdinge  sich  vielfach  ver- 
dient gemacht,  wird  durch  eine  eigne  Sammlung 
geehrt.  Weich  und  lebensvoll  gemalte  Impres- 
sionen von  Festen,  Theaterszenen,  schillernden 
Interieurs  geben  eine  Probe  vom  kultivierten 
Geschmack  seiner  angenehmen  Art.  Auch  ein 
Bildhauer  kam  ausführlicher  zu  Wort:  Wilhelm 
Gerstel,  der  sehr  reizendes  Kleinwerk  zu  schnit- 
zen und  zu  modellieren  weiß,  am  feinsten  frei 
umrissene,  breit  behandelte  weibliche  Brouze- 
ügürchen.  Aber  auch  sonst  gibt  es  besondere 
Stationen  für  das  Auge.  Unter  den  Männern 
der  einstigen  „Brücke"  dominiert  Pechstein, 
mit  einem  Stilleben  von  geradezu  prangender 
FarbenschSnheit,  einer  großartig  aufgebauten 
Gruppe  seiner  Ostseefischer  und  dem  besonders 
gelungenen  Bilde  eines  Mädchens  in  männUcher 
Matrosentracht.  Franz  Heckendorfs  flächig 
leuchtende  Landschaftsmanier,  Bruno  Kraus- 
kopfs nervösere  und  reichere  Naturausschnitte 
und  Stilleben ,  Willy  Jaeckels  mit  breitem 
Schwung  gemalte  bcirocke  Aktgruppen,  Hans 
Purrmanns  und  Alfred  Parikels  deUkate  Farben- 
buketts —  das  alles  präsentiert  sich  in  charak- 


GEUALDE  »TAUWETTERc 


teristischen  Proben.  Es  verschlägt  nichts,  wenn 
auch  einmal  einer,  wie  diesmal  E.  L.  Kirchner, 
daneben  gehauen  hat.  Wichtiger  ist,  daß  rings- 
um reichstes  Leben  sich  entfaltet,  daß  eine 
Fülle  interessanter  plastischer  Versuche  den 
Malern  sekundiert,  und  daß  damit  ein  schla- 
gender Beweis  gegen  die  Lamentationen  der 
männlichen  Klageweiber  geführt  wird,  die  immer 
greinen,  unsere  Kunst  sieche  in  hoffnungslosem 
Verfall  dahin.  Daß  es  die  Akademie  ist,  die 
diesen  Beweis  so  beherzt  führt,  verleiht  ihr 
einen  neuen  Platz  als  Führerin m.  o. 

Am  Neuen  sehen  wir  nur  das  Seltsame,  aber 
.  im  Seltsamen  alsobald  das  Bedeutende  zu 
erblicken,  dazu  gehört  schon  mehr.  .  .    qoethe. 

Unbekannt  mit  den  Regeln,  den  Krücken  der 
Schwachheit  und  den  Zuchtmeistern  der 
Verkehrtheit,  bloß  von  der  Natur  oder  dem 
Instinkt,  seinem  schützenden  Engel,  geleitet, 
geht  das  wahre  Genie  ruhig  und  sicher  durch 
alle  Schlingen  des  falschen  Geschmackes,  in 
welchen  das  Nichtgenie  unausbleibUch  ver- 
strickt wird SCHILLER. 


263 


REN^E  SINTENIS-BERLIN.  »SELBSTBILDNIS« 


GUSTAV  SCHAFFER-CHEMNITZ.  .BILDNIS« 

BES:  KÖNIG  ALBKRT-MUSKUM     CHKltNITZ. 


GUSTAV  SCHAFFES. 


DIE  LIEBEN   FRAUEN 


GUSTAV  SCHAFFER. 


W'enige  Maler  erschließen  dem  Kunstbe- 
trachter das  Zentrum  ihres  Wesens  so 
schwer  wie  dieser  eigenwillige,  außerhalb  aller 
Schul-Zusämmenhänge  und  Zeit-Slrömungen 
stehende  Künstler.  Ursprünghch  war  Schauer 
Kunstgewerbler.  Die  gediegene  Beherrschung 
des  Handwerklichen  zeichnet  alle  seine  Arbeiten 
aus  und  macht  ihn  immer  wieder  willig,  deko- 
rative Aufträge,  wie  die  Ausschmückung  von 
Landhäusern  und  Schlössern  mit  Fresken  und 
dekorativer  Malerei  zu  übernehmen,  die  er 
merkwürdig  licht  und  heiter  gestaltet,  mit  starker 
Bevorzugung  von  Gelb,  Rot,  Grün  und  Blau  in 
ungebrochenen  antikisch -lebenssatten  Tönen. 
Von  dieser  Welt  sonniger  Innenräume  zu  den 
Graphiken  und  Gemälden  Schaffers  ist  ein 
weiter  Weg.  Zwar  gibt  es  ein  paar  heitere  Land- 
schaften aus  der  Vorkriegszeit,  zwar  ist  die 
zarte  Holzschnittkunst  seiner  an  Ostasiatisches 
gemahnenden  Passionsmappe,  im  Widerspruch 
zu  dem  Thema,  von  ähnlicher  im  schönen  Spiel 
der  Kräfte  befangener  Gewichtlosigkeit,  aber 
alle  späteren  Werke  stehen  zu  diesen  rasch  auf- 
gegebenen Versuchen  wie  Ernst  zum  Spiel.  Die 
Entwicklung  zum  heutigen  Schalfer  drängt 
sich  in  die  wenigen  Nachkriegsjahre  zusammen, 
und  man  muß  schon  sehr  mühsam  suchen,  um 
zu  den  kleinen,  teilweise  lustig  kolorierten  Ge- 
stalten der  schwarzflächigen  Passionsholz- 
schnitte, die  vorwiegend  geschmackhches  Inter- 
esse haben,  Beziehungen  im  späteren  Werk  zu 


finden.  Zwei  Aufgaben  geben  diesem  Werk 
Ziel  und  Inhalt:  Die  Gestaltung  des  mensch- 
lichen Gesichts  und  die  Verlebendigung  der 
Landschaft.  Der  Bildnismaler  knüpft  an  die 
Eindrücke  cm,  dieihmDürer  und  Holbein  schenk- 
ten. Beim  weiblichen  Porträt  —  frühes  Bildnis 
seiner  Frau  —  spielt  die  lineare  Melodik,  der 
Bildaufbau,  das  Kolorit,  die  Augen-  und  Haar- 
behandlung Bolticellis  herein.  Was  aber  von 
diesen  Altmeistern  übernommen  wird,  das  ist 
mehr  als  bloßes  Gerüst,  als  Ruozeltechnik  und 
Anordnung  der  Gebärde,  Einfügung  in  Fenster- 
ausschnitte und  begrenzendes  Gebälk,  feste 
Körperhchkeit  und  Ruhe  des  Blicks  und  der 
Mienen,  das  ist  vielmehr  der  Wille,  alles  Tran- 
sitorische,  das  durch  Generationen  gesuchter 
Inhalt  der  Malerei  war,  zu  vermeiden,  und  das 
Bleibende,  Feste,  Strukturelle  mit  der  Gründ- 
lichkeit eines  Holzbildhauers  herauszuschälen. 
Die  Elternbildnisse  zeigen  eine  Behandlung  der 
Gesichter,  die,  mehr  zeichnerisch  als  malerisch, 
aus  harten  unerbittlichen  Strichen  und  Kurven 
die  Landschaft  der  Züge  wie  ein  Stück  Erd- 
kruste aufbaut.  Man  meint  Granit  zu  spüren 
unter  der  Oberfläche,  die  eine  straifgespannte, 
glattgemalte,  gelblich -fahle  Epidermis  deckt. 
Das  hier  wiedergegebene  Bildnis  der  Mutter 
vom  Jahre  1922  stellt  eine  spätere  Stufe  der 
Entwicklung  dar,  in  der  jedoch  das  Erträgnis 
der  eben  gebildeten  aufgehoben  ist.  Luft,  Licht 
und  Farbe  fehlten  dieser  Kunst  der  eindring- 


267 


tXn.  Aueasi  1923.    3 


Gustav  Schaifcr. 


268 


GUSTAV  SCHAJF£R. 

liebsten  Körpergestaltuog  in  einem  solchen 
Maße,  das  der  Widerschein  des  Lebens  er- 
loschen schien  in  den  zeitlosen,  unerbittlichen, 
wie  holzgeschnitzten  und  steingemeißelten  Zü- 
gen. Immer  wieder  holte  sich  der  Maler,  dessen 
Farbensinn  sekundär  ist,  aber  zu  psychologisch 
ebenso  interessanten  wie  ästhetisch  umstreit- 
baren Ergebnissen  führt,  vom  Holzschnitt  und 
von  der  Zeichnung  —  hierin  typischer  Deutscher 
—  Anregung,  und  manches  Porträt  ist  im  aus- 
geführten Gemälde  minder  vollkommen  geraten 
als  in  der  runenreichen  Rötel-  oder  Kohlen- 
studie, die  eindeutig  linear  behandelt,  am 
meisten  Kraft  und  Charakter  zeigt.  Die  starre 
Malweise  konnte  Schaffer  auf  die  Dauer  lücht 
befriedigen.  Die  Erkenntnis  mußte  kommen, 
daß  das  Erlebnis  des  menschlichen  AntUtzes 
dem  heutigen  Menschen  keine  geologische,  son- 


-WERO£N  UND  VERGEHEN« 


dern  eine  seelische  Angelegenheit  sei.  Nicht  als 
ob  die  Menschen  der  Schafferschen  Bildnisse 
der  ersten  Nachkriegszeit  keine  Seele  hätten: 
nur,  sie  ist  gefroren,  erstarrt  unter  der  altmeister- 
lichen Kruste,  ohne  Regung,  unerbittlich  wan- 
dellos. Da  kommt  die  Reaktion.  Zunächst  blei- 
ben eine  Reihe  von  Voraussetzungen  bestehen: 
das  unmalerische  Kolorit  —  viel  Schwarz,  fahles 
Gelb  und  totes  Grün  —  bleibt,  die  Farbklänge 
des  Eros  schweigen  weiter.  Auch  bleibt  das 
menschliche  Anthtz  der  kindheitlichen  Erinne- 
rungswelt: das  verwittert-fahle  Gesicht  über 
schwarz -verhülltem  Körper  —  der  Vater  war 
Bergwerksbeamter  — ,  aber  der  Raum  weitet 
sich  nun  zur  Landschaft  frühester  Träume  und 
neben  festgefügten  dürer-  und  altdorferlichen 
Hügel-  und  Waldgebilden  tauchen  lichte  Visi- 
onen auf  von  einer  Durchsichtigkeit,  die  der 


Gustav  Schaff'er. 


GUSTAV  SCHAFFER. 


Welt  el  Grecos  eignet  und  die  auf  vielen,  mit 
leichtem  Pinsel  rasch  hingesetzten,  bisweilen 
heiligen  Szenen  und  Gestalten  als  Folie  dienen- 
den Bildern  uod  Studien  wiederkehrt.  Es  ist, 
als  flöhe  der  Künstler  immer  wieder  aus  einer 
harter  Gegenstände  vollen  Welt  quälender 
Zwangsvorstellungen  in  die  Gewicht-  und  Kon- 
turenlosigkeit  dieser  unkörperlichen  Traumwelt, 
in  der  die  lichtfrohe  Farbenskala  der  dekora- 
tiven Periode  wiederkehrt.  Wohl  bleibt  auch 
hier  eine  letzte  Kühle,  aber  die  luftige  Weit- 
räumigkeit wirkt  abgeklärt  und  die  Ahnung 
dämmert,  daß  hier  ein  Platoniker  am  Werk  ist, 
der  nicht  den  Pulsschlag  der  Dinge,  sondern 
das  unwandelbare  Gesetz  ihres  Lebens,  ihre 
kristallinische  Grundform  zu  ergründen  und 
sichtbar  zu  machen  trachtet.  Aber  immer  wieder 


OEMALOE    .WANDERER« 


kommen  die  Angstträume  der  Jugend  und  wer- 
fen den  Schaffenden  in  die  Zerrissenheit  und 
Qual  zurück,  gegen  die  er  zuerst  das  Bollwerk 
seiner  starren,  unerbittlich -körperlichen  Bild- 
nisse antürmte,  imd  was  in  diesen  Stunden  der 
Komplex -Beherrschtheit,  wenn  man  kühn  so 
sagen  darf,  entsteht,  das  ist  nicht  aus  klarem 
platonischen  Geiste  gestaltete  Kunst,  sondern 
in  rasender  Scheinproduktivität  hingeschleu- 
derte Menge  dämonischer  Gesichte,  wie  sie  der 
Lyriker  Georg  Heym  kennt,  wie  Alfred  Kubin 
sie,  aus  einer  anderen  Hand  freilich,  auf  Papier 
und  Kupferplatte  bringt.  Schwarze,  wie  ver- 
krüppelte Gestalten  gehen  auf  quälerisch  ge- 
krümmten Wegen  durch  totgrüne  Landschaften, 
kahles  Felsgestein  oder  fahlgelbe  Nacht.  Bett- 
ler erfrieren  an  der  Straße,  ein  Leichnam  liegt 


269 


&!isfav  Schaffer. 


270 


^W^T""'" 


^ 


-?IM-^ 


GUSTAV  SCHAFFER. 


nackt  und  bleich  am  Bergwasser,  unheimliche 
Gesellen  fahren  im  schwarzen  Boot  unter'm 
Brückenbogen  weg  und  um  den  kahlen  Kirch- 
hof stehen  und  hocken  alte  und  junge  Menschen, 
aber  das  Greisenalter  uod  das  Elend  geben  dem 
Bild  das  Gepräge.  Zum  unmalerischen  Schwarz 
und  Schwefelgelb  des  Bergmannssohnes  kommt 
bisweilen  die  heirte  rotzüngelnde  Flsimme  eines 
brennenden  Hauses  wie  eine  schmale  rote  Fahne 
vor  dem  kalten,  als  glatte  Fläche  hinlackierten 
dunklen  Himmelsblau.  Biblische  Szenen  kehren 
wieder.  Schon  einmal,  zur  Zeit  der  Eltern- 
bilder, entstanden  solche,  in  unerbittlich  harte 
Formen  erst  gebaut.     Man  denkt   an  Konrad 


»DAMENbILDNIS  D.  L. 


Witz,  wenn  Schaffer  im  Gemälde  Antlitz  und 
Gewandung  wie  aus  Stein  und  Stahl  gemeißelt 
und  geschmiedet  erscheinen  läßt.  Dann  lockert 
auch  hier  el  Grecos  mystische  Erschließung  den 
Bau  und  schließlich  mündet  der  religiöse  Strom 
in  die  Traumflut  der  schwarzen  Dämonenwelt, 
in  der  Rembrandts  Helldunkel  aus  dem  Meta- 
physischen in's  Infernalische  transponiert  er- 
scheint. So  wichtig  diese  Phase  in  Schaffers 
Werk  ist,  sie  blieb  nur  wenige  Monate  des  Jahres 
Zweiundzwanzig  währendes  Zwischenstadium 
und  was  dann  kam,  nach  einer  schöpferischen 
Pause,  die  von  dekorativen  Entlastungsarbeiten 
erfüllt  war,  das  lag  auf  dem  Weg  zur  Synthese 


G^tstav  Schaffer. 


GUSTAV  SCHAFFER. 


»DAMENBLLDNIS  S.  G.« 


zwischen  der  ersten  großen  Porirätperiode  und 
dem  lichten  Piatonismus  der  abgeklärten  Land- 
schaften. Wieder  soll  das  Bildnis  die  ganze 
Welt  des  Künstlers  umfassen,  aber  das  mensch- 
liche Gesicht  ist  nicht  mehr  steiniges  Geklüft, 
sondern  klare,  kaum  gegliederte,  transparent 
getönte  Fläche,  mehr,  es  ist  beruhigtes  Oval, 
in  dem  die  Augen  wie  kühle,  bunte  Steine, 
unter  den  Torbögen  der  Brauen,  Mund  und 
Nase  wie  Glieder  eines  edlen  Baues  stehen, 
wiederum  Ruhe,  alles  wie  bei  den  früheren  Bild- 
nissen, aber  Ruhe  aus  Klarheit  des  Geistigen, 
nicht  aus  gesteinhafter  Starre  des  Körperlichen. 
Die  drei  mitgeteilten  Bildnisse  von  SentaGoeritz, 


Dora  Lipschitz  und  der  Frau  des  Künstlers 
offenbaren  den  Kanon  dieser  an  Hodler  gemah- 
nenden Biidniskunst,  die  im  zweitgenannten 
Bilde  mit  den  symmetrisch  stehenden  Wölkchen 
und  der  weichen  Eingliederung  der  aufgelegten 
Arme  mit  den  wundervollen  Händen  ihren  vor- 
läufigen kompositionellen  Höhepunkt  erreichte. 
Auch  die  neue  Landschaft  des  letzten  Arbeits- 
jahres nimmt  an  diesem  Klärungsprozeß  teil, 
nur  scheint  hier  mehr  Anregung  von  Cezanne 
als  von  Hodler  gekommen. 

Es  ist  müßig  und  gefährlich,  den  Wert  einer 
Kunst  an  der  Fülle  der  nachweisbaren  Einflüsse 
zu  messen.    Schauer  kam  spät  erst  zum  freien 


271 


GUSTAV  SCHAFFER.  »DIE  MUTTER. 


Gustav  Scliaffer. 


GUSTAV  SCHAPFER— CttEHNlTZ. 


künstlerischen  Schaffen  und  ist  noch  lange  nicht 
am  Ende  seines  Weges.  Aber  das  Ziel,  von 
dem  ihn  dunkle  Dämonen  in  infernalischen  Zwi- 
schenspielen, die  dem  Kunstfreunde  immer  noch 
interessant  genug  sind,  von  Zeit  zu  Zeit  abzu- 
lenken drohen,  ist  klar  erkennbar:  es  ist  die 
Spiegelung  des  Ewigen  im  Zeitlichen,  in  der 
klarsten  und  zwingendsten,  in  der  reinen  Form. 
Was  uns  heute  noch  fehlt  in  seinen  Bildern,  die 
Sonne,  die  wärmende  Kraft  des  Eros,  das 
schenkt  sich  ihm  vielleicht  noch,  nachdem  das 
Gefäß  gefunden  ist,  in  das  sie  sich  ergieße. 
Dann  wird  vielleicht  auch  das  Erlebnis  der  Farbe, 
in  den  Traumlandschaften  leise  vorgeahnt,  spon- 
tan hervorbrechen  und  die  klare  Form  durch- 
leuchten und  durchwärmen  .  .  .  e.  kurt  fischer. 


OEMALDE  »der  PHlLOSOPHc 


Wie  die  Dinge  keine  Frage  in  sich  tragen, 
außer  dergroßen  Einen  Frage  ihres  Seins, 
die  aus  Farben  und  Linien  zu  dem  bereiten 
Auge  bricht,  so  wird  sich  in  der  kommenden 
Kunst  das  ruhige  Geheimnis  von  dem  Dulden 
und  Handeln,  von  dem  Ruhen  und  der  Schön- 
heit der  Dinge  öffnen.  —  Damit  wird  allgemein 
die  neue,  die  bewußte  Harmonie  von  Sinnlichem 
und  Übersinnlichem  erreicht  sein. 

Stoff  und  Gehalt,  die  sich  bisher,  aus  ent- 
gegengesetzten Welten  herbeigeholt,  als  mehr 
oder  weniger  ungleiche  Hälften  gegenüberstan- 
den, werden  wieder,  aus  Einem  geboren,  zum 
Einklang  werden.  Die  Götthchkeit  der  Erde 
wird  wieder  gefunden  werden,    frikdr.  märrer. 

>LEBENSGEFÜHL   UN(J   WELTGEFCHL  ;   DELPHIN    VERLAG. 


273 


ERNESTO  DE  FTORI.  »KAUERNDE  FRAU.  MUSEUM    CÖLN. 

MIT  GENEHMIGUNG  DER  GALERIE  FLECHTHEIM. 


PAUL  SCHEURJCH.  >DAME  MIT  PUTTO. 

AUSFÜHKÜNG:  STAATLICHE  PORZELLAN-MANUFAKTUR— MEISSKN, 


PAl'l.  IIURNHK. 
NKCJAHKS- 
IM-AKhlTK  1>I-:K 
MANIFAKTI'R- 
M  i:  l  S  S  K  N . 


PORZELLAN. 


Im  Porzellan  sind  die  plastischen  Eigenschaften 
des  Tons  zur  höchsten  Steigerung  getrieben. 
Zwar  schätzt  die  Allgemeinheit  zunächst  den 
dQnnen  weißen  Scherben,  die  Feuerfestigkeit, 
die  lebhafte  Farbe,  die  reine  Glasur.  Alles 
wertvolle  QuaUtäten  des  vielbegabten  Stoffes. 
Aber  dem  Künstler  erleichtern  sie  die  Arbeit 
nicht.  Es  häufen  sich  nur  die  Probleme.  Die 
spiegelnde  Glasur  spinnt  ein  Netz  von  Lichtern 
und  Reflexen  um  die  Form,  sie  hebt  einzelne 
Buckel,  Spitzen  und  Rippen  heraus,  aber  sie 
löst  auch  die  Tiefen  auf.  Skizzenhafte  Andeu- 
tung gibt  es  im  Porzellan  nicht,  hier  muß  alles 
präzis  und  erschöpfend  gesagt  sein  —  um  dann 
doch  hinter  einem  Schleier  von  Lichtern  und 
Spiegelungen  wieder  unterzutauchen.  So  reiz- 
voll dieser  Kampf  zwischen  bestimmter  Form 
und  zuckendem  Licht  sein  mag,  dem  Bildner 
liegt  stets  die  Form  am  nächsten. 

Was  unsere  Künstler  offenbar  am  meisten 
zum  Porzellsin  hinzog,  ist  die  hohe  Bildsamkeit 
des  Kaolintons,  die  zu  jeder  Form,  aber  auch 
zu  jeder  fähig  ist.  Nichts  ist  glatter  als  der 
Teller  aus  Porzellan.    Dasselbe  Material  kräu- 


selt sich  in  Locken  und  Rankenweik  bis  zur 
Fadendünne.  Er  gibt  die  mächtige  Wölbung 
der  Glocke  wie  das  feinste  Fingerspitzenspiel. 
Jede  Drehung,  Überschneidung,  Auflockerung 
ist  möglich.  So  wie  die  Form  aus  dem  model- 
lierenden Spiel  der  Hand  hervorgeht,  bleibt  sie 
stehen.  Die  Formbeständigkeit  des  Porzellans 
ist  außerordenthch.  Das  Blatt  wird  beim  Bos- 
sieren  durch  Schlicker  an  irgend  einer  Stelle 
befestigt  und  es  hält,  hält  auch  während  des 
Brandes.  In  keinem  andern  Material  ist  es 
darum  möglich,  in  ähnlichem  Grade  die  mo- 
mentansten Zuckungen  des  Lebens  festzuhal- 
ten und  zugleich  zu  versteinern.  Das  gab  leider 
auch  den  Weg  zu  einer  Naturnachahmung  frei, 
die  bis  zur  Auflösung  jeder  Form  ging. 

Wie  steht  heute  das  Porzellan  in  der  Zeit? 
Hat  es  eine  Funktion  in  der  Kultur,  spiegelt  es 
den  Rhythmus  unseres  Lebens?  Oder  dient  es 
nur  buntem  Schein  und  gefäUiger  Süßlichkeit? 
Vieles,  was  heute  den  Porzellanofen  verläßt, 
hält  ernster  Kritik,  die  nach  künstlerischen 
Werten  fragt,  kaum  Stand.  Zu  den  glücklichen 
Ausnahmen   gehören   die    neuen    Werke    der 


277 


XXVI.  ASEnst  1923.  4 


Porzellan. 


Meißner  Manufaktur,  die  hier  vorgeführt 
werden,  zusammen  mit  einigen  Meisterwerken 
Kändlers,  die  aus  den  bald  200  Jahre  alten 
Negativen  neu  ausgeformt  werden.  Da  sind 
die  kosmischen  Urkräfte  sichtbar  am  Werke: 
Fluß  und  starre  Größe  vereinigen  sich  in 
dem  ekstatisch  glotzenden  Ziegenbock.  Das 
Schreckhaft  -  AnimaHsche  wächst  unmittelbar 
aus  der  vulkanischen  Landschaft  des  Felles 
empor.  Was  ist  aus  dem  als  „zierlich"  ver- 
schrieenen Porzellan  geworden  in  dem  Auer- 
ochsen, wo  Bewegung,  Lichter,  Oberflächen- 
ströme eine  Wildheit  verraten,  die  aus  Urtiefen 
bricht  und  durch  das  elegante  Material  keines- 
wegs gebändigt,  gerade  das  Unheimliche  am 
Porzellan  und  am  Tier  zu  bestürzendem  Aus- 
druck bringt!  Das  ist  in  jedem  Sinne  großes 
Porzellan  (die  Figuren  sind  oft  bis  1  Meter 
hoch)  —  und  von  diesen  erratischen  Blöcken 
in  der  Kunstgeschichte  aus  gewinnen  wir  erst 
die  rechte  Einstellung  etwa  zu  den  Scheurich- 
schen  Figuren,  in  denen  Feuer  und  felsige  Er- 
starrung zur  süßesten  Anmut  verzaubert  sind. 
Das  ist  nicht  graziöse  Niedlichkeit  um  jeden 
Preis!  Eisig  keusch  schimmert  die  Haut,  wie 
Schneebrücken  spannen  sich  die  schlanken 
Gheder,  über  die  fremdartige  Lichter  huschen ; 
nur  in  den  Fingerspitzen,  den  letzten  Ausläu- 
fern löst  sich  die  Knappheit  der  Gestalt.  Und 
doch  haben  diese  ausgesprochenen  Porzellan- 
körper mit  ihren  Porzellanarmen  und  Porzellan- 
beinen einen  sinnlichen  Atem,  der  berauschen 
kann.  —  Ein  System  kantiger  Porzellanflächen 
bieten  Barlachs  Bauern  dar,  gleich  Eisbergen 
ruhen  und  lasten  diese  beiden  Menschen,  groß 
auch  im  kleinen  Format. 

Schon  diese  Beispiele  zeigen,  daß  die  Meiß- 
ner Manufaktur  keine  leichten  PubUkumserfolge 
sucht.  Im  Bewußtsein  ihrer  ehrwürdigen  Tra- 
dition sieht  sie  ihre  Aufgabe  darin,  die  Probleme 
der  großen  Porzellankunst  zu  pflegen  und 
Werke  auch  für  weitere  Jcihrhunderte  zu  schaf- 
fen. Die  Kändlersche  Erbschaft  verpflichtete 
auch  die  Manufaktur,  den  größten  unserer  Tier- 
bildner, August  Gaul,  fürs  Porzellan  zu  ge- 
winnen. Die  ersten  Früchte  dieser  Verbindung 
bilden  wir  ab,  es  sind  herrliche  Stücke  darunter, 
wie  die  monumentale  Löwin  und  der  junge 
Löwe,  der  allerdings  wie  auch  einige  andere 
Gauische  Modelle,  am  besten  in  rotem  Böttger- 
steinzeug,  dem  Vorgänger  unseres  Porzellans, 
wirkt.  Diesem  Material  fehlen  einige  der  wich- 
tigsten Eigenschaften  des  Porzellans,  die  schnee- 
ige Fube,  der  Glanz  der  Glasur,  die  Möglich- 


keit der  Bemalung.  Darum  hat  es  auch  seinen 
eigenen  Stil.  Aber  gegenüber  gewöhnlichem 
Steinzeug  gestattet  es  eine  viel  weitergehende 
Oberflächen-Modellierung.  Es  ist  das  gegebene 
Material  für  einen  Bildhauer  wie  Gaul,  der 
Größe  der  Gesamtform  mit  diskretem  Reich- 
tum der  Epidermis  verbindet.  Gauls  Tod  hat 
leider  seine  Tätigkeit  für  die  Manufaktur  und 
die  Reihe  seiner  Werke  allzu  früh  unterbrochen. 

Ganz  wie  Gaul,  dieser  redliche  Arbeiter, 
gewohnt,  sich  in  eine  neue  Aufgabe,  in  ein 
neues  Material  mit  heiligem  Ernst  zu  verbeißen, 
hält  es  auch  sein  Jünger,  Max  Esser,  der  in 
die  Manufaktur  selbst  eingezogen  ist,  um  aus 
der  intimsten  Kenntnis  der  Werkstatt  sich  seinen 
eigenen  Weg  zum  Porzellan  zu  suchen.  Und 
merkwürdig,  dieser  Weg  zum  Porzellan  bedeutet 
ihm,  der  doch  allein  und  mit  Gaul  zusammen 
schon  Tiere  genug  gebildet,  auch  einen  neuen 
Weg  zum  Tier.  Das  Porzellan  lockt,  das  Vo- 
lumen des  Körpers  zu  sehen,  die  aalglatte  — 
oder  struppige  —  Haut,  die  fremde  Linie  der 
Bewegung,  die  merkwürdige  Pracht  der  Federn, 
Pelze,  Geweihe.  Die  Seele  des  Tieres,  wie  sie 
aus  dem  Porzellan  spricht,  hat  Esser  am  präg- 
nantesten in  seiner  Affenmaske  gedeutet,  einer 
Leistung,  die  nur  mit  Gauls  letztem  Werk, 
dem  Menschenaffen,  zusammengehalten  werden 
kann.  Mit  dem  großen  „Jagdfalken"  (ca.  135  cm 
hoch)  hat  Esser  nicht  nur  ein  technisches  Mei- 
sterwerk geliefert,  es  ist  ihm  auch  gelungen, 
den  Anschluß  an  Kandier  zu  finden. 

Das  Bötfgersteinzeug  hat  sich  durch  die 
Schärfe  der  Formwiedergabe  wie  durch  den 
warmen  rotbräunlichen  Ton,  der  weder  für 
Lichter  zu  hell  noch  für  Schatten  zu  dunkel  ist, 
als  ein  wundervolles  Material  zu  Medaillen, 
Plaketten  und  Münzen  erwiesen.  Diese  Slein- 
zeugmünze  und  Medaille  ist  in  Meißen  geboren 
und  in  zäher  Arbeit  zur  Vollendung  geführt 
worden.  Der  Medailleur  der  Manufaktur  ist 
Paul  Börne r.  Die  Modelle,  die  er  in  den 
letzten  Jahren  geschnitten  hat,  sind  kaum  noch 
zu  zählen.  Er  hat  sich  seinen  eigenen  Medaillen- 
stil entwickelt  und,  unterstützt  durch  eine  un- 
erschöpfliche Erfindung,  den  figürlichen  Schnitt 
zur  Meisterschaft  gebracht.  Den  religiösen,  den 
ernsten  wie  den  heiteren  Vorwurf  beherrscht 
Börner  mit  gleicher  Leichtigkeit,  sodaß  er  jetzt 
auch  an  Arbeiten  größten  Umfangs  herantreten 
konnte.  —  Künstlerischer  Ehrgeiz  beseelt  heute 
die  gesamte  Meißener  Manufaktur.  Unter  ihrem 
Leiter  Max  Pfeiffer  wird  sie  dem  Porzellan- 
freund noch  manche  Überraschung  bescheren. 

A.  JAUMANN. 


PAUL  SCHEURICH-BERLIN.    MOHR  MIT  KAKADU-  PORZELLAN. 

STAATLICHE  PORZELLAN-MANUFAKTUR     MEISSEN. 


PAUL  SCHEURICH.  PORZELLAN-PLASTIK  »DIANA. 


PAUL  SCHEURICH  .  PORZELLAN-PLASTIK  >DIANA€ 

STAATLICHE  PORZELLAN-MANUFAKTUR  -MEISSKN. 


ERNST  BARLACH.    SCHLAFENDE  BAUERN.  PORZELLAN. 

STAATLICHE  PORZELLAN-MANUFAKTUR— WEISSEN. 


JOH.  JOACHIM  KÄNDLER  lT3i. 


iiAUEROCHS  MIT  WILDSCffWEINt 


POR7.ELLAN- 

MANDFAKTOR 

MEISSEN 


JOHANN  JOACHIM  KÄNDLER  •  OKT.  1732.  »PELIKAN«  PORZELLAN. 


JOH.  JOACHIM  KÄNDLER  1732       ZIEGE  MIT  JUNGEN     UND     ZIEGENBOCK« 


PAUL  BÖRNER.    MÜNZEN  IN  BÖTTGER-STEINZEUG. 


PAUL  BÖRNER.     PLAKETTEN'i 

ADSFOhRONG  in  BÖTTGER-STEINZEOG  POEZELLAN-MANÜFAKTUR— MKISSEN. 


XTV7.  AojiHl  1923.  5 


AUGUST  GAUL  t 


RUHENDER  WISENT 


PROFESSOR  AUGUST  GAUL.   »STEHENDE  LÖWIN»    PORZELLAN. 


ADGÜST  OAUL  t 


»LIEGENDER  LÖWE« 


AUGUST  GAUL.  .JUNGER  LÖWE<  BÖTTGER-STEINZEUG. 


AUGUST  GAUL  t.  >SPRINGENDES  PFERDc 


MAX  ESSER. 


»AFFENMASKE« 


DAS  WESEN  DES  PORZELLANS. 


In  jedem  Werkstoff  liegt  eine,  aus  der  Tiefe 
des  Seins  sprechende,  mystische  Gewalt.  Wie 
der  Stoff  selbst  Verkörperung  des  Willens  ist 
der  diese  Welt  schuf,  so  liegt  in  jedem  Stoff  ein 
besonderer  Formwille,  gegen  den  man  nicht 
ungestraft  sündigen  darf.  Nur  wenn  der  Gestal- 
tungswille des  Schaffenden  sich  mit  diesem 
Formverlangen  des  Stoffes  auf  einer  Linie  trifft, 
entsteht  das   Kunstwerk,  das  gleichberechtigt 

neben  den  Werken  der  Natur  steht 

* 

Das  Porzellan  hat ,  wie  jeder  Werkstoff, 
seine  bestimmten  Größengesetze.  Denke  daran : 
Ein  Mineral,  das  erbsengroß,  geschliffen  zum 
schönsten  Edelstein  wird,  wäre  als  haushoher 

Felsblock  nur  ein  schwerlastender  Stein 

* 

Das  Wesen  des  Porzellans  wurzelt  im  Licht. 
Das  Porzellan  trinkt  das  Licht  in  sich  hinein 
und  strahlt  es  tausendfach  gebrochen  als  weißes 
Licht  zurCck.  So  ist  der  weiße  Schein  sein 
eigenstes  Wesen,  das  es  sich  selber  gibt.  Dieses 
innere  Licht  gilt  es  zu  höchster  Entfaltung  zu 
bringen.  Wer  Porzellan  vollständig,  oder  mit 
lichtundurchlässigen  Farben  bedeckt ,  tötet 
dieses  Licht.  Wer  Porzellan  in  geschlossene, 
schwere  Formen  zwingt,  tötet  dieses  Licht. 
Dünne  Kanten,  die  der  Schein  leicht  durchdringt, 
heben  das  Licht,  und  Farben,  die  wie  Edelsteine 
auf  der  weißen  Fläche  sitzen,  lassen  das  Weiß 
selbst  zu  leuchtender  Farbe  werden 


Porzellan  ist  ein  Werkstoff,  den  der  Mensch 
sich  selbst  als  Stoff  geschaffen  hat.  So  ist  es 
eine  Welt  für  sich,  in  der  der  Mensch  unbe- 
stritten als  Schöpfer  herrscht.  Darum  liebt  er 
das  Porzellan  und  ist  nicht  wenig  stolz  auf  diese, 
seine  Welt,  Und  wie  gleicht  diese  Welt  ihrem 
Schöpfer.  Auf  10  000  Stück  Dutzendware 
kaum  ein  Charakter,  jeder  Stoß  bringt  sie  zum 
Brechen.  Arme  Welt,  armer  Schöpfer  I  Und 
doch,  wenn  der  Wurf  gelang,  wenn  Form  und 
pEirbe  im  Feuer  geeint  leuchtendes  Leben  ge- 
wannen, dann  wird  menschliches  Können  aus 

eigener  Kraft  den  seligen  Göttern  gleich 

♦ 

Eigenstes  Gebiet  des  Porzellans  ist  das  Eß- 
geschirr. Kleinplastiken  kann  man  auch  aus 
Holz,  Elfenbein  oder  Bronze  herstellen,  als  Ge- 
schirr ist  Porzellan  unersetzUch.  Wer  möchte 
wohl  von  irdener  oder  hölzerner  Schüssel  essen, 
selbst  Zinn  und  das  edle  Silber  wirken  als  Träger 
von  Speisen  schwer  und  unfreundlich.  Erst  das 
Tafelgeschirr  aus  edlem  Porzellan  hat  die  Mahl- 
zeit des  Europäers  aus  der  Sphäre  grobsinn- 
licber  Befriedigung  eines  Bedürfnisses  auf  die 
Kulturstufe  gehoben,  die  dem  geistig  hoch- 
stehenden Menschen  angemessen  ist.  So  hat 
das  Porzellan  dem  Menschen  gedankt,  indem 
es  einen  seiner  sinnlichsten  Triebe  adelte; 
deshalb  sind  Tassen  und  Teller  aus  edelstem 
Porzellan  so  unendlich  viel  wichtiger  als  Fi- 
guren         MAX  ADOLF  PFEIFFER. 


291 


MAX  ESSER.   »DACHSt   UND  »DOGGEf   AUS  EINEM  TAFELSCHULXK  «REINECKE  FUCBst  PORZELLAN-PLASTIK. 


STAATLICHE 
PORZELLAN- 
MANUFAKTUR 
MEISSEN. 


^^^^H^^]H|h 

^^^V'' '"^^^MH 

^^ßtf       ^^^1 

HiTj^^i^l 

^■i^tfä^^B 

^^^H^  K/,4V^^^^| 

^K^^  -'^sl^l 

^E^fl 

MAX  ESSER. 
»MANDARIN- 
E    N   T    E« 
PORZELLAN. 


'  MAX  ESSER.   »AFFE«   UN»  »BÄR«  AD>  EINEM  TAFELSCHMUCK  »REINECKE  FUCHS«   PORZELLAN-PLASTIK. 


STAATLICHE 
PORZELLAN- 
MANUFAKTUR 
MEISSEN. 


MAX  ESSER 
»EBER«  AUS 
»REINECKE 

FUCHS« 


MAX  ESSER.  .JAGDFALKE  MIT  GESCHLAGENEM  REIHERc 


ARCHITEKT  FRITZ  AUGUST  BREUHAUS-CÖLN.  .HERRENZIMMERt 

IM  HAUSE  KONSUL  DR.  D.  — DÜSSELDORF. 


FRITZ  AUGUST  BREUHAUS.  .SCHREIBTISCH  IM  HERRENZIMMER. 

AUS  NEBENSTEHENDEM  HERRENZIMMER. 


August  1923    6* 


ZWEI  RÄUME  VON  F.  A.  BREUHAUS-CÖLN. 


Das  Geheimnis  im  Schaffen  Breuhaus'  ist  eine 
Erregung  nach  den  reinen  Quellströmen 
der  Möglichkeiten,  beglückende  Gesten  des 
Lebens  einzufangen.  Mit  unendlich  nervösen 
Händen  nimmt  diese  schöpferstarke  und  doch 
suchende  Kraft  den  neuen  Impuls  auf.  Und  das 
ist  das  Fröhliche,  Frohstimmende  im  Schaffen 
Breuhaus',  eine  Art  der  Transformierung,  die 
in  Ergebnissen  endet,  wo  wir  uns  in  sublimster 
Form  beschenkt  wissen.  Sollte  das  nicht  ein 
Kriterium  für  den  Schöpfer  der  Räume  sein,  in 
denen  wir  wohnen,  daß  wir  uns  „beschenkt" 
fühlen  —  beschenkt  mit  der  fein-nachlässigen, 
sicheren  Art,  in  der  sich  Künstler  und  Welt- 
mensch harmonisch  vereint?  Wo  ein  unbewuß- 
tes Lächeln  Dankbarkeit  strahlt  an  die  geschaf- 
fene Schönheit,  —  hinter  der  sich  der  Schaffende 
leicht  und  mit  liebender  Zärtlichkeit  birgt. 

Das  Format  der  geschaffenen  Dinge  gibt  den 
nun  Wohnenden  die  Reize,  um  welche  ihre 
Ahnungen  spürten.  Subtiles  Erleben,  wie  in 
dem  hier  wiedergegebenen  Boudoir,  läßt  es 
nicht  zu,  von  Chinoiserien  im  üblichen  Sinn  zu 
sprechen.  Die  grazile  Linienführung  dieses 
Raumes,  eine  hauchzarte  Behandlung  seiner 
Wände  in  der  Art  japanischer  Tuschbilder  zeu- 
gen eine  Stimmung,  die  schwebt  und  unendlich 
fein  und  bestimmt  ist  in  ihrer  Wirkung,  wie  das 
rätselhaftgütig-liebende  Lächeln  einerKwannon. 
Die  unerhörte  Sachlichkeit  und  Schönheit  japa- 
nischer Dinge  (wer  würde  von  Möbeln  sprechen?) 
findet  hier  eine  Komponente  in  der  Truhe  und 
dem  Spiegel.  Das  Ornament  für  diese  ist  ein 
Moment,  dem  die  Rotlack -Fläche  der  Truhe, 
der  Grausilber-Grund  des  Spiegels  in  abgewäg- 
ter Rechnung  kühne  Gleichung  geben. 

In  all  den  übrigen  Räumen  waltet  das  gleiche 
Gesetz  überlegener  Flächen- Verteilung  und 
Schmuck  -  Anordnung.  Die  große  Form  des 
Bücher-  und  Sammlungs  -  Schrankes  teilt  sich 
weiter  in  eine  Art  glückhafter  Wechselbezieh- 
ungen, sodaß  schon  gleichsam  mit  der  einzel- 
nen Schmuckfläche  oder  den  offenen  Fächern 
eine  Vorstellung  gegeben  wird :  hier  das  geist- 
volle Brevier  eines  alten  Lebenskünstlers,  der 
feine  Almanach  romantischer  Welten,  der  kühl- 
ernste Band  eines  Laotse  —  und  hinter  der 
feinen  Schnitzerei  eine  kostbare  farbige  Minia- 
tur, ein  ostasiatischer  Schwertknauf,  —  wo 
schwere  Linien  mit  eingestreutem  Schmuck 
leben  —  ernste  Dinge  ernsten  Sctmmelns.  .  .  . 
—  Ein  Notwendiges  ist  noch  zu  sagen.   Wer  je 


in  dem  Vorzimmer  eines  Rechtsanwalts  uner- 
freuliche Minuten  verlebte,  in  trockener  Akten- 
staubluft,  vorbereitend  auf  Jahre  eines  akten- 
sammelnden Prozesses ,  mit  dem  gähnenden 
Umleben  möglichen  Verlustes ,  hat  ein  Gefühl 
dafür,  wie  man  in  dem  „Weu-tezimmer",  das 
Breuhaus  schuf,  besonnen  wartet.  Die  Sofa- 
bank gewährt  den  weichen  Sitz,  erfordert  die 
gestraffte  Rückenhaltung  zur  Begegnung  klar- 
und  scharfgestellten  Frage-  und  Antwortspiels. 
Der  Raum  hat  die  sichere  und  etwas  unpersön- 
liche Wärme,  die  Unternehmungen  jeden  For- 
mates im  voraus  als  gelungen  erscheinen  läßt. 
Genug!  —  weiß  ich  doch,  wie  dem  Schöpfer 
der  hier  wiedergegebenen  Innenräume  alle  Be- 
zugnahmen auf  seine  Arbeiten  fatal  sind.  — 
Das  Schöne  versteht  sich  für  Breuhaus  ganz  von 
selbst.  Und  so  darf  man  seinen  neuen  Werken 
mit  der  Ruhe  entgegensehen,  die  zur  Voraus- 
setzung hat,  daß  in  F.A.B.  ein  Hüter  und 
Spender  der  Schönheit  ist,  deren  formale  Um- 
risse immer  neu  und  deren  geistiges  Durch- 
drungensein lächelnd  und  ernst  uns  entgegen- 
kommt —  wie  der  Künstler  selbst.  Für  die 
deutsche  Möbel-  und  Raumkunst  bedeutet 
Breuhaus  eine  lebensvolle  und  kultivierte  An- 
regung und  Aufforderung,  bans  heinz  lüttgen. 
A 
VON  CHINESISCHEM  KUNSTGEWERBE. 

Tir  müssen  daran  festhalten,  daß  im  Gegen- 
satz zu  dem  ewigen  Wechsel  der  euro- 
päischen Moden  in  China  in  symbolischer  Be- 
deutung Material,  Form  und  Verzierung  für  be- 
stimmte Gegenstände  der  alten  Tradition  stets 
beibehalten  blieben.  Dieses  Gesetz  hat  in  der 
Praxis  in  verschiedenster  Weise  gewirkt.  —  Der 
Motivenschatz  blieb  begrenzt.  Daher  ist  imLaufe 
der  Jahrhunderte  eine  Durcharbeitung  und  Viel- 
heit der  Variationen  in  Formen  und  Verzierungen 
innerhalb  der  begrenzten  Zahl  von  Vorbildern 
durch  viele  tausend  geschulteAugenu.  geschickte 
Hände  durchgeführt,  wie  wir  sie  in  Europa  nicht 
kennen.  Und  nicht  nur  das  Auge  des  Handwer- 
kers, sondern  ebenso  das  des  Käufers  ist  durch 
diese  Tradition  geübt.  Allerdings  ist  zu  gewissen 
Zeiten  eine  Verschlechterung  der  Vorlagen  zu 
erkennen.  Nicht  mit  groben  Effekten  der  Mode- 
schnörkel, sondern  durch  raffiniert  geschulte 
Empfindungen  für  die  Feinheit  der  Linien  und 
Farben  wird  eine  Vollendung  auch  in  der  ein- 
fachen glatten  Form  erreicht. . .  o.  münsterbero. 


w 


298 


ARCHITEKT  FRITZ  AUGUST  BREUHAUS-  CÖLN.   »BOUDOIR. 

IM  HAUSE  KONSUL  DR.  D.-DÜSSELDORF. 


FRITZ  AUG.  BREUHAUS.   .TRUHE  IM  NEBENSTEHENDEN  BOUDOIR< 

SCHNITZEREI-MODELLE  VON  ALI  UCHTENSTEIN-DARMSTAX)T. 


ARCHITEKT  FRITZ  AUGUST  BREUHAUS-CÖLN. 

»WARTEZIMMER  EINES  RECHTSANWALTS 


CLAIRE  SELMAIR-MÜNCHEN    .WACHSPUPPE« 


CLAIRE  SEXMAIR— MÜNCHEN. 


WACHSPÜPPE  »MADONNA  MIT  KINDc 


WACHSFIGUREN  VON  CLAIRE  SELMAIR. 


Im  klassischen  Viertel  Münchens,  da  wo  die 
alten  Kastanien  das  Rund  des  Obelisk  um- 
säumen: eine  Art  Puppenheim.  In  einigen  klei- 
nen Räumen  von  unverkennbarem  Empire,  an- 
gefüllt mit  dem  warmen  Hausrat  aller  Epochen, 
die  eine  liebevolle  Hand  zu  einem  harmonischen 
Durcheinander  gezwungen,  schallt  Ciaire  Selmair 
ihr  Werk.  In  Kisten  und  1  ruhen,  ordentlich  ver- 
wahrt und  fast  registriert,  liegt  der  Fundus  ver- 
stauf, der  zu  diesem  Miniaturschaffen  in  einem 
Ausmaße  nötig  ist,  von  dem  sich  der  Nicht- 
kenner  kein  Bild  macht;  Wachs  in  fünfzigfach 
abgestuften  Farben,  selbst  mit  unsägUcher  Mühe 
hergestellt,  Drähte  und  Eisen  für  die  Gerippe, 
Sockel  für  den  Aufbau,  Perlen,  Kettchen,  Federn 
und  Samte  und  Seide,  Brokate  und  Tülle, 
Spitzen,  Pelze  und  Leinen,  Knöpfe  und  Borten. 
Doch  dies  ist  nur  der  äußerliche  Apparat, 
der  den  Unberufenen  unweigerlich  dem  krassen 
Dilettantismus  in  die  Arme  treiben  würde.  Hier 


ist  er  nur  Mittel  zum  Zweck,  dem  Zweck,  einer 
Idee  zu  dienen,  die  in  letzter  Linie  mehr  fast 
der  Plastik  im  reinsten  Sinne  verwandt  ist,  als 
dem  Kunstgewerbe.  —  Die  wenigen  Ausschnitte 
aus  dem  Schaffen  Claire  Selmair's,  die  hier  ge- 
bracht werden  konnten,  geben,  auch  ohne  den 
Reiz  der  Farben,  die  von  der  hauchähnlichen 
Tönung  des  Wachses  übergehen  in  die  stärkeren 
Akzente  des  Materials,  der  Bekleidung  und 
Drapierung,  einen  Begriff  von  dem  eminenten 
Reiz,  den  diese  Figuren  ausgeben,  die  trotz 
ihrer  Kleinheit  bis  ins  einzelnste  in  Stil  und 
Bewegtheit  mit  dem  jeweils  angeschlagenen 
Thema  wundervoll  übereinstimmen. 

Vom  Porzellan,  mit  dem  genrehaften  Anklang, 
wie  es  die  in  nicht  gutem  Sinne  kunstgewerb- 
liche Ausbeutung  verlangte,  hat  Claire  Selmair 
sich  auf  diesen  Weg  gefunden  —  es  ist  Anfang, 
und  scheinbar  noch  lange  nicht  das  Ende  ihrer 
Möglichkeiten Ferdinand  gdtz. 


XXVI.  Anglist  1923.  7« 


KÜNSTLER-ELEND.  Ein  Künstler  schreibt : 
Auf  der  Kunstversteigerung  bei  Paul  Grau- 
pe in  Berlin  sind  kürzlich  Preise  erzielt  worden, 
die  stattlich  erschienen.  So  gingen  Handzeich- 
nungen von  Wilhelm  Busch  mit  500  bis  675  000 
Mark  weg,  solche  von  Lovis  Corinth  brachten 
650  000  bis  1  000  000  M.  und  Liebermann  wurde 
noch  höher  bewertet.  116  prachtvolle  Blätter 
von  Piranesi  kamen  auf  3 1  000  000  M.  Und  den 
Vogel  schoß  Slevogt  mit  seiner  Lederstrumpf- 
Mappe  für  14  Millionen,  seiner  Cellini-Mappe 
für  1 1,5  Millionen  Mark  ab.  Diese  Summen  ga- 
ben anscheinend  das  erfreuliche  Bild,  daß  heute 
für  die  Kunst  gute  Preise  gezahlt  werden.  Und 
doch  beweist  nichts  schlagender,  in  was  für  ein 
Elend  die  Künstler  durch  die  Geldentwertung 
gestürzt  werden.  Setzen  wir  die  Million  Papier- 
mark gleich  50  Goldmark  (in  Wahrheit  stand  sie 
noch  tiefer),  so  heißt  das,  daß  für  Handzeich- 
nungen von  Corinth  50  und  sogar  30  M.  bezahlt 


worden  sind.  Vor  dem  Kriege  konnte  man 
schwerlich  ein  Blatt  unter  200  M.  haben.  Die 
Stiche  von  Piranesi  brachten  im  Durchschnitt 
einen  Erlös  von  etwa  13  Goldmark.  Für  die 
Mappen  von  Slevogt,  die  nicht  unter  2000  bis 
3000  M.  zu  haben  waren,  wurden  700  und 
575  M.  gezahlt.  Als  Wichtigstes  kommt  aber 
dabei  in  Betracht,  daß  diese  Preise  auf  einer 
stark  besuchten,  heiß  umstrittenen  Auktion  ge- 
zahlt worden  sind  und  für  Werke  erster  Künst- 
ler. Danach  kann  sich  ein  jeder  selbst  sagen, 
wie  weit  die  Bezahlung  bei  Atelierverkäufen 
und  weniger  bekannten  Künstlern  hinter  den 
genannten  Zahlen  zurückbleibt.  Wohl  keinen 
Stand  hat  die  heutige  Zeit  so  sehr  zurückge- 
drückt, wie  den  bildenden  Künstler.  Eine  Ver- 
armung der  Künstler  ist  die  Folge  und  damit 
ein  Versiegen  der  Kunsttätigkeit.  Was  hier 
von  den  bildenden  Künstlern  gesagt  ist,  trifft 
übrigens  für  alle  geistigen  Arbeiter  zu  I  .  .  . 


CLAIRE  SELMAIR- MÜNCHEN.  »TÄNZERIN«    WACHSPÜPPE. 


306 


WILLI  NOWAK— MÜNCHEN  „HALBAKT" 


SAMMLUNG  A.  K.  DARMSTADT 


WILHELM  THÖNT— MÜNCHEN. 


VON  DER  MODERNEN  STAATSGALEKIE  ANGEKAL >"r. 


>  STREICH- QUAKTETT  t 


AUSSTELLUNG  DER  „MÜNCHENER  NEUEN  SECESSION"  SOMMER  1923. 


Der  Expressionismus  ist  schon  seil  geraumer 
Zeit  keine  Kunstrichtung  mehr,  die  einer 
besonderen  Verteidigung  bedürfte.  Journali- 
stische Signale  sind  überflüssig  mit  dem  Augen- 
blick, wo  die  Liebhaber  uod  der  einsichtige  Teil 
des  Pubhkums  den  Weg  zu  der  Bereicherung 
malerischer  Möglichkeiten  nachgefunden  haben. 
Zu  Möglichkeiten,  die  anfangs  —  es  ist  gut,  sich 
ständig  dcu-an  zu  erinnern  —  überraschten  und 
entrüsteten.  Mitläufer,  Anempfinder,  schwäch- 
liche Sonderlinge,  Halbbegabte,  kurz  alle,  deren 
Extravaganzen,  deren  Mangel  an  Ernst  oder 
Können  jede  neue  Richtung  in  Mißkredit  brin- 
gen, sind  heute  erfreulicherweise  vergessen  und 
der  junge  Nachwuchs,  an  dem  es  nicht  fehlt, 
schreitet  folgerichtig  weiter  euf  dem  einmal  ein- 
geschlagenen Wege.  Es  gibt  heute  eine  Kunst 
mit  geklärten  Zielen,  die  vom  Impressionisn;  us 
genau   so   weit   entfernt   ist,   wie   die   heutige 


Geistigkeit  von  der  materialistischen  Denkart 
der  Vorkriegsepoche.  — 

Das  heißt  nun  nicht,  daß  man,  um  ein  Wort 
Goethes  zu  gebrauchen,  gleichmäßig  aus  „vollen 
Backen  loben"  müsse.  Die  Qualitäten  sind  und 
bleiben  sehr  verschieden.  Äußere  Anerkennung, 
die  der  Gesamtrichtung  geworden  ist,  mag  eine 
Verlock uüg  für  die  hoffnungslos  Zahmen  sein, 
die  mit  einer  erschreckenden  Nüchternheit 
Farbe,  Zeichnung,  selbst  den  literarischen  In- 
halt behandeln  und  deren  Bilder  anscheinend 
mit  Naturgeselzlichkeit  immer  gleich  reihen- 
weise auftreten.  Sie  fehlen  in  keiner  Autstel- 
lung und  es  ist  schließlich  ein  Zeichen  von  Kraft, 
wenn  in  der  „Münchener  Neuen  Secession" 
solcher  Beispiele  verhältnismäßig  wenige  vor- 
handen sind.  Die  Gruppe  verfügt  nach  wie  vor 
im  ganzen  über  eine  beträchtliche  Spannweite 
der  künstlerischen  Temperamente. 


XXVI.  September  1«3.  I 


AiisstrlliDig  der  T^Miinchener  Neuen  Secession^  Soi/niio'  192J. 


ADüLf  SCHINNERER— MÜNCHEN. 


Karl  Caspar  wird  immer  der  Bewunderung 
der  Verständigen  sicher  sein.  Seine  Art,  im 
Stillen  bedeutend  zu  wirken,  kräftige,  mit  her- 
vorragendem rhythmischem  Empfinden  verteilte 
Farben  in  den  Dienst  einer  schUchten  und  we- 
sentlich tiefen  Bildidee  zu  steilen,  hat  das  erste 
Kennzeichen  der  wirklich  schöpferischen  Lei- 
stung; die  selbstverständÜche  Einfachheit  des 
Lebendigen.  Seine  Szenen  aus  der  Bibel  wer- 
den nicht  nur  mit  sicherstem  artistischen  Ge- 
schmack und  absolutem  technischen  Können 
vorgetragen,  sondern  auch  mit  jener  Wärme 
menschlicher  Empfindung,  die  gleichbedeutend 
mit  edelster  Reife  ist.  Die  Phantasie  der  Völker 
hat  Jahrhunderle  lang  die  biblischen  Geschich- 
ten mit  Liebe  umfaßt.  So  sind  sie  niemals  alt 
geworden.  Die  moderne  Zeit  mit  dem  Reichtum 
ihrer  seelischen  Möglichkeiten  vermag  sie,  wenn 
schon  auf  ihre  Art,  so  doch  nicht  minder  wahr 
und  ehrlich  zu  erleben,  als  längstenlschwundene 
Epochen.  Voraussetzung  ist  nur  der  Wille  und 
die  Hingabe,  bedingt  durch  die  innere  Über- 
legenheit über  die  dreiste  Kritik  jener,  die  alle 
Erlebnisse  ablehnen,  deren  Erfüllung  sie  nicht 


»ANSTEIGENDE  STRASSE« 


in  ihrem  dürftigen  Inneren  finden.  Ihnen  gegen- 
über ist  eine  gesunde  geistige  Aristokratie  not- 
wendig und  auch  möglich.  —  Christus  unter  dem 
Hosiannahruf  des  Volkes  in  die  Stadt  seines 
Leidens  einziehend.  Die  Gestalt,  in  dunkel- 
blauem, von  rotbraunen  Lichtern  umflossenen 
Gewand  steht  ernst  und  überragend  vor  dem 
Gleichmaß  einer  roten  Wand.  Die  Stadt  erhebt 
sich  als  einer  jener  Gründe,  die  bei  Caspar 
immer  auf  eine  so  bewundernswerte  Art  nur  in 
engster  Beziehung  zur  Stimmung  des  Ganzen 
existenzfähig  sind.  Die  Bewegung  des  Zuges 
gedämpft  durch  den  Gegenslrom  des  bunten 
Volkes  —  so  entsteht  die  Würde  und  Gefaßt- 
heit, von  der  die  Idee  des  Bildes  lebt:  der 
Christus,  der  jenseits  des  Jubels  lauter  Be- 
grüßung das  „Kreuzige  ihn"  hört,  der  Christus, 
dem  auf  dem  glänzenden  Gipfel  seines  irdischen 
Daseins  nichts  geblieben  ist  als  die  wissende 
Gebärde  des  stillen  Segnens. 

Höchste  Wirksamkeit  der  Farbe  und  Form 
konzentriert  sich  in  dieser  Gestalt,  die,  je  öfter 
gesehen,  immer  sprechender  wird  —  für  den 
nämlich,  der  Ohren  hat,  zu  hören. 


w 

M 
t/1 
2 

M 
Q 
O 

m 
< 

2 

S 


2 

O 

s 

Di 

w 


MARTIN  LAUTERBURG— MÜNCHEN.   >LANDSCHAFT« 


RICHARD  SEEWALD-MÜNCHEN.  .STRASSE  NACH  ARSOLI. 


KARL  CASPAR-MÜNCHEN.   >EINZUG  IN  JERUSALEMc 


Ausstellung  der  ^Münchener  Neuen  Secess'om  Sommer  192J. 


MAX  UNOLD— MÜNCHEN. 


Es  gibt  nachgerade  zu  denken,  wenn  man 
immer  wieder  lesen  kann,  „Karl  Caspar  be- 
müht sich  um  die  religiöse  Malerei."  Man  sollte 
vielleicht  wissen,  was  religiöse  Malerei  ist,  um 
sagen  zu  können,  daß  sie  hier  Wirklichkeit 
wurde,  innerlich  so  stark,  wie  die  der  Alten, 
getragen  dennoch  von  einer  wahrhaftigen,  im 
besten  Sinne  modernen  Menschlichkeit. 

Bleibend  von  der  temperamentvollen  Art, 
die  wir  seit  Jahren  an  ihr  schätzen,  sind  die 
Landschaften  Maria  Caspar-Filser's.  Die 
Impression  wird  durch  die  urwüchsige  Kraft 
einer  starken  Seele  erhöht  zu  einem  Bekennt- 
nis voll  großen,  malerischen  Reichtums.  Man 
wird  solchen  Gemälden,  mit  der  Analyse  ihrer 
Technik  nicht  gerecht.  Die  Natur  als  Ganzes 
ist  in  ihnen  von  einer  schwungvollen  Plastizität, 
wie  sie  die  süddeutschen  Volksstämme  stets 
geliebt  haben.  Unter  den  heutigen  Landschaf- 
tern ist  Maria  Caspar-Filser  vielleicht  die  ein- 
zige, die  der  Volksrasse  noch  nahe  genug  steht, 
um  als  ihre  Interpretin  gelten  zu  können.  — 
Julius  Hess,  der  neuerdings  mit  einer  helleren 
und  leichteren  Farbigkeit  wesentlich  an  maleri- 
scher Ausdruckskraft  gewonnen  hat,  vertritt 


GEMÄLDE  »AM  STRAND« 


einen  Typ  absolut  verfeinerter  Gepflegtheit,  der 
wohltuend  wirkt.  Bilder,  die  man  gerne  um  sich 
hat.  —  In  der  Hinsicht  ist  ihm  Hans  Gölt 
verwandt.  Letzterer  hat  übrigens  die  Anlehnung 
an  C.  D.  Friedrich  überwunden  und  beginnt 
seinen  eigenen  Weg  nicht  minder  verheißungs- 
voll zu  wandeln,  als  er  früher  durch  die  einge- 
schlagene Richtung  bemerkenswert  war.  — 
Adolf  Schinnerer  hält  in  der  Malerei  noch 
immer  nicht,  was  seine  exquisite  Graphik  ver- 
spricht. Kennen  wir  solche  Landschaften  nicht 
schon  recht  lange?  Seine  Kraft  liegt  auf  dem 
Gebiet  pathetischer  Lyrik.  Jedenfalls  ist  er 
nirgendwo  größer  und  hier  wirklich  groß.  — 
Pastos,  mit  sehr  dunklen  Farben  malend,  schei- 
det sich  Paula  Deppef  von  Julius  Hess 
auch  durch  eine  bestimmte  Sprödigkeit  des 
Temperamentes,  die  in  der  anschaulichen  Wirk- 
lichkeit die  struktiven  Elemente  aufsucht.  In- 
des finden  sich  diese  Elemente  nicht  zu  einer 
stilistischen  Einheit  zusammen.  Das  Bindende 
ist  die  Farbe,  deren  ausgesuchte  Schwere  einer 
dekorativen  Wirkung  entgegen  stehen  dürfte. 
—  Eigentlich  expressionistisch  sind  die  Land- 
schaften Richard    Seewald's.     Man  muß 


GEORG  SCHRIMPF.  .FRAU  MIT  KINDc 

AUSSTELLUNG  DER  MÜNCHENER  NEUEN  SECESSION  192;i. 


Ausstrlhing  der  ■!> Münchener  Neuen  Secrssioji'.  Sommer  ig2j. 


GEORO 
SCHRIMPF- 
MÜNCHEN. 
»STILLEBEN« 


allerdings  zugeben,  daß  er  an  persönlicher 
Sicherheit,  an  Lust,  sonnige  Dinge  heiter  zu 
erzählen,  eingebüßt  hat,  daß  bestimmte  Wellen- 
lioien  allzu  zerfließend  wiederkehren,  um  noch 
ausdrucksvoll  zu  sein.  Aber  die  Kraft,  die 
man  aus  früherer  Zeit  an  ihm  kennt,  scheint 
sich  neue  Wege  zu  suchen,  auf  denen  man  ihm 
aufmerksam  zu  folgen  haben  wird.  —  Bei  Max 
Unold  ist  eine  entschiedene  Erkräfligung  zu 
spüren.  Es  tut  sehr  wohl,  ihn  aus  dem  Vor- 
stadtmilieu an  die  See  entrückt  zu  sehen.  Hier 
erobert  er  sich  mit  großer  Konsequenz  einen 
Reiz  um  den  andern.  Sein  Erleben,  trocken  und 
kehl  wie  seine  Farbe,  hat,  bildmäßig  gestaltet, 
etwas  Zwingendes.  Das  Experiment  eines  ver- 
hältnismäßig großen  Formates  ist  geglückt.  Die 
Werte  des  figürlichen  Hintereinander  sind  ge- 
rade in  den  Fischern  sehr  stark.  Man  kann  sich 
den  Augenblick  nahe  denken,  wo  auch  die 
großen  Formen  ganz  mit  dem  sachten,  inneren 
Leben  gefOllt  sein  werden,  das  aus  seinen  Bil- 


dern kleineren  Formates,  wie  dem  hier  wieder- 
gegebenen „Am  Strand"  und  besonders  aus 
seiner  Graphik  bekannt  ist. 

Die  „Badende"  von  Hans  Lasser  und  der 
Halbakt  von  Willi  Nowak  ergeben  einen 
aufschlußreichen  Vergleich.  Bei  Lasser  die 
kräftige,  plastische  Form,  der  die  klärende,  per- 
spektivische Aufsicht  zugute  kommt  —  Nowak 
ganz  lässig,  fast  hinfällig  in  Farbe,  Modellierung, 
selbst  im  Thema.  Mehr  ein  Blatt,  als  ein  Ge- 
mälde. Es  scheint,  als  ob  man  derartige  Phä- 
nomene des  Zarten  nicht  ausdrücken  dürfe  ohne 
das  Erlebnis  der  Eleganz,  der  es  nie  an  Straff- 
heit fehlt.  Vergleiche  Renoir.  —  Bedeutend  ist 
das  Streichquartett  von  Wilhelm  Thöny. 
Vom  Inneren  des  Vorganges  wird  Vieles  wach; 
Takt  und  Rhythmus,  das  Zusammenklingen  und 
der  Wille  zum  musikalischen  Ganzen. 

„Versuchung"  nennt  Josef  Eberz  ein  Bild, 
das  vielleicht  das  Problematischste  der  ganzen 
Ausstellung  ist.    Es  gehört  etwas  dazu,  Hände 


317 


Ausstellung  der  t> Adünchener  Neuen  Secession*.  Sommer  ip2j. 


318 


JULIUS  HESS— MÜNCHEN. 

SO  expressiv  zu  malen,  ein  weibliches  Antlitz 
voll  zugleich  hingebenden  und  grausamen  Wil- 
lens. Aber  man  hat  bei  öfterem  Sehen  den 
Wunsch  nach  situationsmäßiger  Verdichtung; 
man  würde  lieber  lesen  als  sehen;  man  wäre 
dann  weniger  an  bestimmte,  verpönte,  roman- 
tisch-symbolische Vorwürfe  älterer  Malerei  er- 
innert. Indes  ist  Eberz  ja  reif  genug,  um  zu 
wissen,  ob  die  allegorische  Idee  des  süß- 
erschütternden  Giftduftes  sich  mit  dem  Wesen 
der  bildenden  Kunst  vereinen  läßt. 

Die  jüngere  Generation  beginnt  mit  S  c h r  i  m  p  f 
und  Mense.  Beiden  geht  die  Klarheit  der 
Form  über  alles.  Man  sagt  etwas,  wenn  man 
an  Cranach  und  Botticelli  erinnert.  Das  Wesen 
dieser  Malerei  liegt  jedoch  unvergleichlich  tiefer, 
als  daß  es  sich  durch  solche  Reminiszenzen  aus 
der  Kunstgeschichte  erfassen  ließe.  Die  unbe- 
fangene Hingabe  an  die  Dmge,  an  ihr  Körper- 
haftes und  ihre  Eigenwilligkeit,  das  plötzliche 
Wertvollwerden  des  Details,  die  unbedenkliche 
Charakteristik ,  die  dar  an  glaubt,  daß  Zusammen- 
stehendes als  organischer  Zusammenhang  an- 
schaulich werden  kann  und  muß  —  kurz  die 
sittliche  Qualität,  die  Naivität  der  Temperamente 


»BLICK  AUF  DEN  SEE« 


erhebt  derartige  Gemälde  turmhoch  über  einen 
billigen,  nachahmenden  Quattrocentismus.  Hier 
ist  ein  straffer  Wille,  der  Respekt  fordert,  ein 
Wille  zur  Dinglichkeit,  wie  ihn  die  italienische 
Malerei  als  maßgebende  Grundlage  der  An- 
schauung nie  besessen  hat.  Daß  Mense  große 
Formate  leichter  bewältigt  als  Schrimpf ,  ist  wohl 
nur  vorläufig  anzumerken.  Für  Schrimpf  ist  der 
Raum  ein  ganz  Wesentliches  und  gerade  er 
könnte  in  Zukunft  vielleicht  einmal  zu  höch- 
ster Monumentalität  eines  gefüllten  Großfor- 
mates gelangen.  Beide  Künstler  breiten  die  Form 
so  aus,  daß  sie  lebt,  sowohl  in  ihrer  Tatsächlich- 
keit, als  in  der  ausdrucksvollen  Unendlichkeit 
ihrer  Bezüge.  Auf  der  anderen  Seite  kann  der 
Unterschied  der  persönlichen  Stile  nicht  deut- 
licher klar  gestellt  werden ,  als  durch  einen 
Vergleich  der  Farbe:  Mense  emailartig  fein  ma- 
lend, mit  tiefen,  schweren  und  leuchtenden  Tö- 
nen —  Schrimpf  konturfüllend,  mit  lichtbraun 
durchsetzter,  mattglänzender  Farbenskala. 

Das  Ergreifendste,  was  die  Ausstellung  bie- 
tet, ist  vielleicht  der  Raum  mit  den  zwölf  Bil- 
dern Martin  Lauterburg s.  Seit  Jahren 
konnte  man  beobachten,   wie   die  sinnlichen 


BPPP^^SMtt- ^^^^HHUJ^^^^BB^aft/k« 

^■.;-' . -J.-Xjl      ^Km     ■"'              H 

JJHHh 

HRW 

•\  J 

HBI^B^ 

B 

n 

CARL  MENSE— MÜNCHEN.   »LANDSCHAIT  MIT  HIRTIN« 


JOSEF  EBERZ-MÜNCHEN.  »VERbUCHUNG. 


XXVl.  September  l«a.  2 


CARL  MENSE-MÜNCHEN.  .FRAU  AM  SEEt 

AUSSTELLUNG  DER  MÜNCHENER  NEUEN  SECESSION  1923, 


AiisstfUiDig  der  ^Mümlioicr  Neuen  Seccssioii« 


Soiiniirr  iqj'i. 


PAULA  DEPPE  t 


Wesenheiten  unserer  Welt  den  Künstler  ver- 
bäogaisvoll  lockten  und  zugleich  peinigten.  Das 
Rätselhafte  ihrer  zufälligen  und  scheinbar  doch 
logischen  Bezugsetzuog  hat  sich  ihm  immer 
mehr  verdichtet  und  findet  jetzt  Gestalt  in  einem 
erlösenden  Bekennen.  Eine  Überzeugung  von 
der  Phantastik  des  Daseins  wird  laut,  die  be- 
klemmen könnte,  wenn  nicht  ein  geborener 
Maler  jedes  Ding  gemeistert  hätte,  wenn  nicht 
das  heimliche  Leben  überall  Sprache  gewänne, 
wenn  nicht  der  sichere  Raum  über  allem  wäre. 
Da  die  Logik  der  natürlichen  Zusammenhänge 
in  Zweifel  gezogen  ist,  offenbart  sich  der  Kern 
der  Einzelheit,  seine  Wandelbarkeit  und  sein 
berückender  Glanz.  Kaum  je  sind  Pflanzen  so 
gemalt  worden,  kaum  je  hat  man  so  die  Lebens- 
säfte gespürt,  die  in  ihnen  quellen,  die  Zartheit 
der  fortzeugenden  Kraft,  die  sie  entsenden. 
Mit  dem  Mißtrauen  in  die  Beständigkeit,  mit 
dem  Gefühl  für  die  drohende  Weite  der  Welt 
hängt  es  zusammen,  wenn  die  Landschaften 
Lauterburg's  von  einer  Melancholie  ohneglei- 
chen sind  — ■  wenn  der  einsame  Wagen  hilflos 
dem  zwingenden  Lichtglanz  einer  ersten  Laterne 
zustrebt,  die  vielleicht  Aufatmen  und  wohn- 
liche Nähe  bedeuten  könnte 


GEMALUE  >SEESTETTEN< 


Als  Ganzes  betrachtet  ist  seine  Kunst  noch 
weit  dinglicher,  als  die  der  Mense  und  Schrimpf, 
und  eben  dadurch  ist  sie  produktiv  und  ein 
Kind  des  heuligen  Tages. 

Für  laute,  plakatmäßige  Gesten  ist  im  Ex- 
pressionismus der  Münchener  Schule  kein  Platz. 
Man  zieht  eine  stille  Konsequenz  des  allge- 
meinen Programms,  indem  man  sich  an  den  Aus- 
druckswert der  einzelnen,  sinnlichen  Erschei- 
nung erinnert.  Das  ist  dinglicher  Expressionis- 
mus. Die  junge  Generation  hat  das  offenbare 
Bewußtsein  vom  Recht  ihres  eigenen  Erlebens 
und  das  deutliche  Gefühl  für  den  Wert  der 
Tradition.  Unter  dieser  darf  freilich  nicht 
Technik  und  Form  verstanden  werden,  sondern 
ein  Geistiges:  die  Wohltat  einer  befreienden, 
anschaulichen  Idee  und  das  lebendige  Vorbild 

reifer  Leistung rudolf  kömstedt. 

Ä 

Das  menschliche  Herz  in  der  Not  seiner  Sehn- 
sucht und  in  dem  dennoch  unzerbrech- 
lichen Glauben  an  Vollendung  gewinnt  sinnlich 
greifbaren  Ausdruck  nur  in  der  Form  des  Kunst- 
werkes. Auf  der  Fläche  eines  Gemäldes,  im 
Abriß  eines  Verses,  in  einer  Folge  von  Akkorden 
ist  innerlichstes  Empfinden  mitgeteilt,    h.  d.  fr. 


Was  ist  der  Künstler?  —  Der  Entdecker 
einer  neuen  Art  von  Wirklichkeit. 
Was  ist  der  Zweck  der  Kunst?  —  Ihr  Zweck 
ist  ihr  Dasein;  Sinn  dieses  Daseins:  Freude. 

Was  ist  schön?  —  Das  Anmutiße  und  das 
Wilde,  das  Große  und  Kleine,  das  Rechte  und 
Linke,  der  Himmel  und  die  Erde,  das  Leben 
und  der  Tod. 

Was  heißt  Kunstgenuß?  —  Ein  Kunstwerk 
ernst  nehmen,  es  anschauen,  durchschauen,  an- 
hören, belauschen,  in  sich  ziehen  und  schließ- 
lich in  ihm  die  Welt,  die  Natur  und  alle  Ge- 
schöpfe lieben,  sogar  sich  selbst. 

Was  ist  ein  gebildeter  Geschmack?  —  Der- 
jenige, der  rasch  und  sicher  das  Wesentliche 
des  Kunstwerks  erkennt  und  klare,  sinnvolle 
Neigungen  und  Abneigungen  bekundet. 

Woher  das  Sprichwort  „Die  Kunst  geht  nach 
Brot"?  —  Daß  der  Schuster  nach  Brot  geht, 
ist  selbstverständlich;  daß  die  Kunst  es  tut, 
muß  eigens  ausgesprochen  werden,  denn  es 
ist  ihrem  innern  Sinn  widersprechend. 

Ist  Kunst  eine  Lebensnotwendigkeit?  — 
Denke  Dir  aus  dem  Leben  des  modernen  Men- 


schen alles  fort,  was  zur  Kunst  gehört.  Was 
bleibt?    Ein  trauriges  lichtloses  Gefängnis. 

Was  heißt  „Freiheit  der  Kunst"?  —  Frei  ist 
die  Kunst,  wenn  sie  die  Möglichkeit  hat,  nur 
ihrem  eignen  Gesetz  Untertan  zu  sein. 

Soll  die  Kunst  den  Menschen  „erheben"?  — 
Ja,  aber  nicht  von  der  Wirklichkeit  zum  Schein, 
sondern  vom  Schein  zur  Wirklichkeit. 

Welche  Kunst  ist  die  „wahre"?  —  Jede,  die 
Dir  das  Glück  des  reinen  Schauens  schenkt. 
Aber  vergiß  nicht,  daß  am  höchsten  die  Meister 
stehen,  die  das  Innerliche  und  Äußerliche  zur 
objektiven  Welt  und  Gestalt  emporschaffen. 

Was  ist  der  „künstlerische  Mensch"?  —  Der 
spezifisch  lebendige  Mensch  im  Gegensatz 
zum  stumpfen  und  toten. 

Was  bedeutet  „volkstümliche"  Kunst?  — 
Dreierlei,  das  sehr  verschieden  ist;  Kunst,  die 
vom  Volk  hervorgebracht  wird;  Kunst,  die  von 
den  tiefsten ,  breitesten  Volkskräften  lebt ; 
Kunst,  die  vom  Volk  verstanden  und  geliebt 
wird.  Jeder,  der  von  volkstümlicher  Kunst 
redet,  gebe  sich  genaue  Rechenschaft,  welche 
von  den  drei  Bedeutungen  er  im  Auge  hat. 


-•t^,. 


1 


V«iJ» 


HANS  LASSER    MÜNCHEN.  . BADENDE» 
AUSSTELLUNG  DER  MÜNCHENER  NEUEN  SECESSION  1923. 


PAUL  RÖSSLER-DRESDEN.  .FATME. 


OTTO  SCHUBERT— LOSCHWITZ. 


GEMÄLDE  »SINTFLUT« 


SOMMERAUSSTELLUNG  1923  DER  KÜNSTLER-VEREINIGUNG  DRESDEN. 


Lebendige  Vielfalt  nach  innen,  geschlossene 
_/  Stoßkraft  nach  außen  war  immer  schöne 
Tradition  dieser  Gruppe ,  wie  sie  sich  in  ihren 
großen  Sommerausstellungen  an  der  Lenne- 
straße  darstellt.  Und  die  löbliche  Übung,  das 
Gesamtbild  der  Gruppe  durch  auswärtige  Mit- 
glieder und  Gäste  zu  erweitern,  andererseits 
es  zu  vertiefen  durch  reichliche  Raumgabe  an 
die,  deren  Entwicklung  den  Wunsch  nach  Über- 
schau und  Kritik  aufkommen  ließ,  sicherte  ihren 
Veranstaltungen  die  fruchtbare  Wirkung.  Daß 
solches  Streben  heuer  durch  die  Zeitumslände 
stark  beeinträchtigt  wurde,  ist  allgemeines 
Schicksal  diesjähriger  Veranstaltungen.  Aber 
auch,  daß  unterhalb  der  Hemmung  durch  äußere 
Verhältnisse  ein  Stillstand,  manchmal  gar  ein 
Nachlassen  der  schaffenden  Kräfte  eingetreten 
zu  sein  scheint,  wird  man  bei  größerem  Über- 
blick über  diediesjährigen  Sommerausstellungen 
nicht  als  Sonderfall  buchen  dürfen.  Nach  heftig 
vorstoßenden  Jahren  ist  innerhalb  der  bilden- 


den Künste  eine  Entspannung  eingetreten,  ein 
Ausruhen  nach  Kämpfen  und  manchen  Siegen, 
ein  Sichsammeln  und  Besinnen,  das  bei  vielen 
ein  Rückholen  verlassener  Wirklichkeiten  — 
auch  im  ethischen,  nicht  nur  im  formalen  Sinn 
—  im  Gefolge  hat. 

Solcher  Situation  ist  stärkere  Beachtung  hei- 
mischer, bodenständiger  Kräfte  genehm  und 
notwendig.  So  kommt  die  Zeitlage  der  inneren 
Forderung  entgegen  und  Dresden  besonders, 
die  Stätte  gepflegter  Tradition,  kann  hier  eine 
manchmal  beengende  Eigenart  zur  Tugend  wen- 
den. Daß  es  nicht  in  der  vollen  Möglichkeit  ge- 
schieht. Hegt  an  der  Zersplitterung  der  Dresdner 
Künstlerschaft  in  oft  kleinlich  motivierte  Son- 
derbündeleien,  die  auch  in  dieser  für  Dresden 
repräsentativen  Ausstellung  kein  Gesamtbild 
dortigen  Kunstlebens  aufkommen  lassen. 

Umso  schätzenswerter,  was  trotzdem  ge- 
leistet wurde.  Zurückhaltung  der  älteren,  in 
sicherem  Können   weiterarbeitenden  Genera- 


325 


Sommerausstellung  ig2j  der  Künstler-  Verein igju/g  Dresden. 


326 


E.RICH. 
DIKTZE. 
»DAMEN- 
BILDNIS« 


tion,  —  unter  der  man  Sterl  heuer  ungern 
vermißt  —  schafft  Raum  für  die  Jüngeren. 
Paul  Rößlers  farbenkündendes  Temperament 
prickelt  in  Bildnis  und  Stilleben.  In  „Fatme" 
läßt  er  Bildraum  und  Farbraum  ineinander- 
spielen.  Der  einzige  ausgestellte  Kokoschka 
gibt  ein  Bild  seiner  jüngsten  Entwicklung:  In 
Tiefen  und  Breiten  leuchtet  die  Farbe  über  die 
Formbegrenzung  hinweg,  erotische  Spannung, 
packend  gestaltet,  durchzittert  das  glühende 
Gemälde.  Ludwig  von  Hof  mann  zeigt  rhyth- 
misch kultivierte  Kompositionen.  Hettner 
bannt  die  Gefahren  seiner  tiefen  Musikalität  in 


festem  Auibau  des  Porträts.  Richard  Dreher 
überrascht  durch  abermaligen  (wievielten)  Stil- 
wechsel und  zeigt  diesmal  sehr  ruhige,  fast 
etwas  langweilige  Landschaften. 

Was  die  Jüngeren  ausstellen,  spiegelt  in  per- 
sönlichen Abwandlungen  die  Konstellation  heu- 
tiger Malerei  überhaupt.  Warm  durchdrungene 
Naturdarstellungbringt  Dietze  in  seinen  Wald- 
stücken, die  noch  einiger  Festigung  bedürfen. 
Diese  bringt,  ein  gemäßigter  Erbe  des  Kubismus, 
Nadler,  in  dem  eine  feine  klassizistische  Note 
schlummert.  Auch  Bern  dt  und  Bernhard 
Müller  sind  mit  guten  Landschaften  hierher 


HANS  NADLER    GRÖDEN.  .SOMMERTAG. 

SOMUERAUSSTKLLUNG  DER  KÜNSTLER- VEREINIGUNG  — DRESDEN  1923. 


SIEGFRIED  BERNDT.   »BERGLANDSCHAFT« 


i 


HANS  NADLER.   »LANDSCHAFT  MIT  KUHHERDEc 


PETER  AUG.  BÖCKSTIEGEL.   »BAUERN  AM  ABEND. 

AUSSTELLUNG  kOnSTLKR-VKRKINIGÜNQ  DRESDEN. 


Sominerausstelliing  igjj  der  Küusller-  Vereinigung  Dresden. 


BERNHARD  KRETZSCHMAR. 


GEMÄLDE  » WINTER-SZENEc 


ZU  rechnen.  Reichliches  Gefühl  belastet  die 
Malereien  der  Cassel,  Hennig,  Mutter  und 
des  zarten  Schönberg.  Durch  Betonung  eigen- 
artiger Begabung  suchen  Josef  Hegenbarth, 
Jörg  Klemm,  Westphal  und  der  ernst  stre- 
bende Wilhelm  Rudolf  ihren  Stil.  Zum  Schluß 
die  auf  Präzision  drängende,  das  Naturbild  auf 
nackte  Kahlheit  reduzierende  Art  der  Lachnit 
und  Trepte  (letzterer  cdlzu  gesucht),  deren 
Bilder  hier  als  Prototype  einer  sich  langsam 
festigenden  jüngsten  Sehweise  gelten  dürfen. 
Daß  deren  Verkünder  ihr  künstlerisches  Aus- 
maß erst  zu  erweisen  haben  durch  Leistungen, 
die  solche  Beschränkung  untergründet  zeigen 
von  breiter  künstlerischer  xind  menschlicher 
Persönlichkeit,  wird  auch  vor  diesen  Bildern 
deutlich.  In  diese  der  Klärung  dienliche  Klassi- 
fizierung fügen  sich  Otto  Schubert,  stärker 
in  zuckender  Lebendigkeit  seiner  Szenen  als 
in  gobelinhaft  verwobener  Monotonie  seiner 
übrigen  Bilder,  der  dekorativ  begabte  Jvo 
Hauptmann  und  Arno  Drescher  mit  kleinen 
fein  empfundenen  Blumenstücken. 

In  der  Plastik  dieser  Gruppe  ähnliche  Spiege- 
lung allgemeiner  Kunstsituation.  Sicher- erfaßte 
Naturanschauung  in  den  Porträtbüsten  Georg 
Wrbas,  von  dessen  reichem  Schaffen  auf  zeich- 
nerischem Gebiet  aquarellierte  Studien  zeugen. 


in  Arthur  Langes  ruhig  ausgewogenen  Sta- 
tuen, in  der  vornehm  zurückhaltenden  Art  Carl 
Albikers,  der  eine  schöne  Kollektion  großer 
Skulpturen  zeigt,  überzeugend  in  der  plasti- 
schen Ausponderierung,  reizvoll  im  Gegensatz 
zusammengehaltener  Massen  und  auflockernder 
plastischer  Kleinbewegung.  Dann  gefühlsbe- 
tonte Kompositionen  der  Werner,  Moeller, 
Türke,  Peters  und  Löhner.  Begabung  für 
Groteske  zeigt  Otto  Krischer.  In  Fritz 
Maskos  tritt  wieder  jene  direkte,  oft  naiv  kari- 
kierende Wirklichkeitsdarstellung  auf,  die  im 
Spiel  kleiner  plastischer  Teile  —  wie  der  Hände, 
der  Schleifen  etc.  —  voll  lebendiger,  manchmal 
kindlich-spontaner  Reize  ist. 

Problem  der  Ausstellung,  nicht  ihr  Erlebnis, 
sind  Sonderkollektionen  dreier  junger  Dresd- 
ner, die  in  ihrem  Radikalismus  aus  dem  Rahmen 
des  Ganzen  stark  herausfallen.  Böckstiegel 
behängt  einen  großen  Saal  voll  schreiender 
Farbstücke,  deren  jedes  einzelne  Begabung  und 
Können  zeigt,  die  als  Gesamtes  einen  traurigen 
Schluß  auf  die  Urteilsfähigkeit  dieses  Künstlers 
erzwingen.  Jugendliches  Pathos  kann  schön 
sein  —  die  Anfänge  des  Expressionismus  haben 
es  erwiesen  — ,  dann  aber  muß  Ruhe  eintreten, 
Sammlung  und  Tiefe.  Radikedes  Getue,  nur  der 
Opposition  wegen,  wirkt  plump.    Böckstiegel 


XXVI    September  1^23. 


WILHELM  LACMNIT.  .BILDNIS  EINER  JUNGEN  FRAU. 

AUSSTELLUNG  KÜNSTLER-VEREINIGUNG— DRESDEN. 


Sommcrausstcllimg  ig2j  der  Künstler  -  Vereinigung  Dresden. 


kreiert  einen  „Gelbismus"  der  Farben,  einen 
„Kurvismus"  der  Formen,  die  in  die  Flucht 
schlagen,  die  einiiJe  schöne  Charakteristiken 
seiner  Gemälde,  Aquarelle  und  Zeichnungen 
nicht  genießen  lassen.  Auch  Felix  müller 
steht  noch  zu  starr  in  seinen  begabten  Anfängen, 
als  daß  ihm  wirkliche  Malerei  gelingen  könnte. 
Seine  jüngsten  Bilder  erstreben  Weite,  auch 
hier  mit  Hilfe  zurückgeholten  Naturbilds,  doch 
kann  man  aus  dem  wenigen  Entwicklung  noch 
nicht  verbürgen.  Das  kann  man  bei  Bern- 
hard Kretzschmar,  der  sich  aus  allzugroßer 
Geschicklichkeit  und  einigem  Revolutions- 
ressentiment allmählich  den  Weg  bahnt  zu  recht 
eigener,  in  tiefer  Farbigkeit  leuchtender  Ma- 
lerei. Seine  „Straße  am  Sonntag"  und  „End- 
station" stoßen  künstlerische  Weiten  auf,  die 


zu  den  Bchönsten  dieser  Ausstellung  gehören. 
—  Erlebnis  der  Ausstellung  ist  die  reiche  Kol- 
lektion Corinth,  mit  der  die  Vereinigung  ihren 
Mittelsaal  wuchtig  füllt.  Fast  zwei  Jahrzehnte 
dieses  sprudelnden  Schaffens  ziehen  hier  am 
Betrachter  vorüber.  Große,  im  Gegenstand 
noch  tief  gebundene  Kompositionen  von  1907 
(Martyrium),  temperamentvolle  Porträts  (Fritz 
Prölss,  1913),  Raumerlebnisse  in  schlündende 
Farbtiefen  hinunter  aus  1912,  fegender  Farben- 
sturz um  1916  und  die  glühenden  Landschaf- 
ten der  letzten  Jahre  treten  wie  Siege  hervor 
aus  diesem  prachtvollen  Kampf  um  Schauen  und 
Zeigen.  Daß  es  der  Künstlervereinigung  gelun- 
gen ist,  trotz  aller  Zeitnot  solche  Überschau 
über  das  Werk  des  Meisters  zu  schenken,  sei 
ihr  besonders  gedankt dr.  qskar  schürer. 


EIN  DEUTSCHER  KUNSTKRITIKER  DES  18.  JAHRHUNDERTS. 

zu  MERCKS,  DES  GOETHEFREÜNDES,  AUFSÄTZEN  ÜBER  DIE  KUNST. 
(SCHLUSS  AUS  DEM  JULIBEFT  ) 


Der  Aufsalz  hat  die  Belehrung  eines  gebil- 
deten, kunstbegierigen  Laien  durch  einen 
Künstler  zum  Gegenstand.  Der  Aulbau  ist 
dialogisch;  daher  stehen  Meinung  und  Gegen- 
meinung scharf  und  bestimmt  gegeneinander 
und  die  Prägungen  lassen  an  Deutlichkeit  nichts 
zu  wünschen  übrig. 

Zuvörderst  reklamiert  der  Laie  in  diesem 
Gespräch,  wie  er  es  immer  und  heute  noch  tut, 
das  Recht  auf  seinen  persönlichen  Geschmack, 
auf  sein  subjektives  Gefallen.  Dagegen  macht 
der  Künstler  in  längeren  Ausführungen  das  Vor- 
recht und  die  objektivere  Gültigkeit  des  erzo- 
genen, des  geschulten  Geschmacks  geltend. 
Dann  geht  das  Gespräch  hinüber  zur  unvermeid- 
lichen Frage  der  Naturwahrheit  im  Kunstwerk. 

„Wahrheit,  Wahrheit,  meine  Herren,"  sagt 
der  Laie,  „auch  in  der  Kunst,  auch  bei  der 
Nachahmung  des  Schönen,  und  wenn  Sie  mir 
diese  zeigen,  so  bin  ich  der  erste,  der  sein  Knie 
davor  beugt."  Der  Künstler  fängt  diese  For- 
derung geschickt  auf,  stellt  aber  sogleich  die 
notgedrungene  subjektive  Beimischung  in  der 
künstlerischen  Wahrheit  fest:  „Auch  ich  bin 
Ihrer  Meinung.  Ich  lechze  so  sehr  nach  Wahr- 
heit als  der  strengste  Philosoph.  Aber  woher 
wird  sie  kommen?  Aus  den  Händen  ihres 
großen  Urhebers  selbst,  oder  wird  sie  uns  durch 
Menschen  zugebracht?  Und  so  lange  dies  ist, 
wird  sie  von  der  Farbe  des  Mediums  annehmen, 
wodurch  sie  gegangen  ist."  Er  versucht  das 
deutlicher  zu  machen,  indem  er  auf  das  Men- 
schengestaltige selbst  der  intellektuellen  Ein- 
sichten verweist :  „Was  haben  Sie  in  Ihrer  Phi- 


losophie selbst  mehr  als  Systeme?  Wo  haben 
Sie  Eine  Wahrheit,  die  nicht  hieße  Leibnizens 
oder  Newtons  Wahrheit?" 

Dies  glaubt  der  Gegner  bestreiten  zu  können 
mit  einem  Argument,  das  trotz  seiner  Roheit 
heute  noch  nicht  abgebraucht  ist:  „Dieser  Fall 
paßt  nicht.  In  der  Philosophie  beschäftigt  man 
sich  mit  intellektuellen,  unsichtbaren  Gegen- 
ständen ....  aber  bei  der  Kunst  hat  man  mit 
lauter  Dingen  zu  tun,  die  in  die  Sinne  fallen. 
Man  macht  nichts  als  was  man  sieht."  Es  ist 
dasselbe  Argument,  das  heute  noch  in  allen 
laienhaften  Kunstmeinungen  wiederkehrt,  der 
naive  Glaube,  das  sinnliche  Weltbild  sei 
nicht  subjektiv  bestimmt,  es  sei  für  alle  das 
gleiche.  Der  Künstler  erledigt  den  Einwand 
kurz  durch  die  Bemerkung,  daß  das  „Sehen" 
des  Künstlers  denn  doch  eine  andre  Sache  sei 
als  das  ungeübteAuffassen  derLaien.  „Glauben 
Sie,"  sagt  er,  „daß  das  Sehen  so  bald  getan  ist? 
Das  Sehen  ist  bei  uns  Künstlern,  was  die  Kunst 
zu  leben  bei  den  Menschen  überhaupt  ist." 

Der  Laie  aber  kommt  einstweilen  von  dem 
Aberglauben  an  eine  für  jedes  Auge  gleiche 
Wirklichkeit  nicht  los  und  vermengt  ihn  noch 
mit  dem  daraus  abgeleiteten  Aberglauben  an 
eine  endgültige,  beste,  „richtige",  für  alle  ver- 
bindUche  Darstellungsweise :  „Wenn  ich  in  eine 
Galerie  trete ,  so  ist's  mir  wie  eine  Sprache- 
wirrung  beim  Turmbau.  Immer  die  Abbildung 
desselben  menschUchen  Geschöpfs,  und  das  in 
so  mancherlei  Begriffen  von  Schönheit,  so  vielen 
Manieren,  daß  man  tappt  und  tappt,  um  am 
Ende  zu  wissen,  welches  die  beste  ist."    Dem 


333 


Ein  den  f sc  her  Kunstkritiker  des  1 8.  Jahrhunderts. 


334 


Einwand  des  Künstlers,  bei  großen  Meislern 
sei  keine  die  beste,  sondern  alle  seien  gut,  hält 
er  triumphierend  entgegen:  „Und  so  wäre  denn 
das  Kolorit  von  Rubens,  von  Tizian,  von  Rem- 
brandt,  von  Spagnolett,  von  Guercino  alle  Eins, 
und  gleich  gut,  gleich  natürlich?  Ich  wäre  sehr 
neugierig  zu  sehen,  wie  Sic  mir  dieses  erklären 
wollen."  Und  er  besteht  abermals  darauf:  Wie 
können  alle  die  verschiedenen  Manieren  gut 
sein?  Manier  ist  keine  Na tur.  In  der  Ant- 
wort, die  der  Künstler  darauf  gibt,  liegt  nun 
eine  knappe,  sehr  hübsche  Zurückweisung  der 
naturalistischen  Grundanschauung:  „Ja  wohl, 
so  wenig  Leinwand  und  Farbe  Fleisch  ist  und 
Züge  von  Linien  Körper  sind.  Sie  ist  das  Sup- 
positum,  sie  ist  das  Phantom  der  Natur.    Und 


mehr  versprach  wohl  der  Künstler  nicht  zu  geben 
als  Phantom."  Das  Wort  Phantom  stört  den 
Laien;  er  findet,  was  der  Künstler  ihm  gesagt 
habe,  sei  eine  „traurige  Wahrheit",  denn  er 
entnimmt  daraus  nur,  daß  sein  barbarisches  Ver- 
langen, in  der  Kunst  Natur  und  Wirklichkeit 
zu  finden,  irre  gehe.  Der  Künstler  stellt  nun 
in  wenigen  ausgezeichneten  Sätzen  das  ewig 
Relative  und  doch  Endgültige  jeder  subjektiven 
Künstlerwelt  und  Künstlerauffassung  heraus: 
„Jede  Schule  hat  bei  uns  ihren  eigenen  End- 
zweck, so  wie  jedes  Jahrhundert  den  seinigen 
hat,  und  jeder  Meister  hat  nach  seinen  Kräften, 
Fähigkeiten,  Organen  seinen  besonderen.  Und 
haben  Sie  diesen  ausfindig  gemacht  und  beur- 
teilen ihn  darnach,  so  ist  Ihre  Kritik  gerecht." 


KARL  ALBIKER.  .Li  i  ALS  PIERROT. 


KARL  ALBIKER.  .STEHENDER  TORSOc 

AUSSTELLUNG    KUNST  LER  -  VEREI  N  IGU  N  G    DRESDEN  1923. 


Ein  deutscher  K^mstkritikcr  des  18.  Jalirlnindcrts. 


Diese  Sätze  —  die  viel 
auffallender  und  neuar- 
tiger in  ihrer  Zeit  stehen, 
als  wir  es  heute  denken 
können  —  heben  mit 
der  Sicherheit  des  walir- 
haftKundigen  eineWahr- 
heit  ins  Licht,  die  erst 
in  unsern  Tagen,  z.  B. 
durch  Hermann  Nohls 
Lehre  von  den  verschie- 
denen, weltanschaulich 
gesonderten  Künstler- 
typen, eine  endgültige 
Prägung  gefunden  hat. 
Es  ist  bei  früherer  Ge- 
legenheit in  diesen  Blät- 
tern ausgeführt  worden, 
welche  Erweiterung  des 
Blickfelds,  welche  Ent- 
lastung der  Kunsterör- 
terung von  unnötigen 
Konfliktsstoffen  diese 
Typenlehre  bedeutet. 
Wir  sind  zwar  des  Aber- 
glaubens, als  sei  in  der 
Kunst  die  eine,  be- 
stimmte, stets  gleiche 
Wirklichkeit  zu  finden, 
seit  langem  entledigt. 
Aber  der  andre  Aber- 
glaube, daß  hinter  den 
verschiedenen  künstle- 
rischen Weltdeutungen 
eine  endgültige  und 
„ideale"  stehen  müsse, 
ist  noch  in  voller  Blüte. 
Auf  ihm  beruht  die 
Übung,  kÜDstlerischeEr- 
scheinungen  mit  Vorbil- 
dern zu  vergleichen,  die 
wohl  für  eine  künstle- 
rische Weltanschauung, 
nicht  aber  für  alle  vor- 
bildlich sind.  Auf  ihm 
beruht  insbesondere  das 

Messen  neuer  Erscheinungen  an  Maßstäben, 
die  gerechter  Weise  gar  nicht  in  Betracht  kom- 
men können.  Auf  ihm  beruht  das  ganze  uferlose 
Gerede  von  der  wahren,  der  echten,  der  hohen 
Kunst.  Auf  ihm  beruht  ein  gutes  Teil  des  un- 
vernünftigen und  unfruchtbaren  Widerstandes, 
dem  künstlerische  Dinge  so  oft  begegnen. 

Merck  hat  denn  auch  die  weitertragende  Be- 
deutung seiner  Sätze  wohl  gefühlt.  Er  läßt 
seinen  Laien  einwerfen:  „Es  wäre  doch  aber 
besser,    wenn   alle  Teile    gleich  gut   erreicht 


OTTO  KRISCHER.    PLASTIK   »MADCHEN« 


wären."  Der  Künstler 
meint  darauf:  „Freilich 
wäre  es  besser,  wenn 
der  Mensch  ein  Gott 
wäre.  Aber  da  dieses 
eine  Lästerung  ist,  so 
wollen  wir  uns  mit  dem 
begnügen,  was  er  sein 
kann.  Wer  nach  allen 
Endzwecken  jagt,  er- 
reicht keinen.  Nun  muß 
man  fragen,  ob  der 
Künstler  de  nEndz  weck 
erreicht  hat,  den  ersieh 
vorsetzte:  und  alsdann 
ist  er,  wenn  dieser  einzi- 
ge Endzweck  der  Kunst 
entspricht  und  würdig 
ist,  ein  großer  Meister. 
Wenn  Rubens  eine  Göt- 
ternacktheit darstellt ,  so 
fordern  Sie  doch  von 
ihm  nicht  die  Wahrheit 
des  Fleisches  von  Van 
Dyck?  Aber  Sie  wer- 
den diese  Wahrheit  mit 
Vergnügen  wieder  in 
einem  Gemälde  finden, 
wo  Niemand  als  er,  sei- 
ne Frau  und  Kinder  und 
sein  Hund  stehen  soll- 
ten." —  Der  Laie  be- 
ginnt darauf  einzusehen, 
daß  er  dazu  geführt  wer- 
den soll,  alle  verschie- 
denen „Sekten"  in  der 
Kunst  genau  so  zu  re- 
spektieren wie  die  Sek- 
ten in  der  Philosophie ; 
und  er  meint:  „Ich  weiß 
gar  wohl ,  was  Vergleich- 
ung  für  ein  schädliches 
Ding  ist  und  wie  man 
auch  dem  größten  Ver- 
dienste dadurch  eine 
tödhche  Wunde  schla- 
gen kann.  Aber  davon  wimmelts  in  allen  Kunst- 
büchern, in  allen  Beschreibungen  von  Italien, 
in  Kritiken  von  Gemäldeausstellungen,  räson- 
nierenden  Katalogen  von  Galerien  usw."  Der 
Künstler  weist  diese  Manie  des  fälschlichen 
Vergleichens  als  stümperhaft  ab:  „Man  würde 
von  diesem  Übel  nichts  wissen ,  wenn  diese 
Bücher  von  Künstlern  geschrieben  wären.  .  .  . 
Alle  Künstler  sind  tolerant  in  ihren  Urteilen, 
gerade  weil  sie  wissen,  was  man  leisten  kann.' 
—  Dies  im  wesentlichen  der  Gedankengang  des 


337 


Ein  deutscher  Kunstkritiker  des  iS.  [ahrhunderts. 


338 


Aufsatzes.  Man  kann  nicht  sagen,  daß  Merck 
in  ihm  schon  bis  zur  klaren  Erkenntnis  der 
weit  anschaulichen  Verschiedenheit  der  zahl- 
reichen künstlerischen  Weltdeulungen  gelangt 
wäre.  Aber  er  hat  immerhin  in  einer  Zeit,  die 
in  normativen  Kunstanschauungen  stark  be- 
fangen war,  das  Einzigartige  und  Unvergleich- 
bare jeder  selbständigen  Künstlerwelt  empfun- 
den und  unterstrichen.  Damit  eilt  er  seiner 
Zeit  entschieden  voraus.  —  Ein  bedeutender 
Kenner,  ein  scharfsehender  und  äußerst  sen- 
sibler Kritiker,  ein  be- 
geisterter Amateur  mit 
beträchtlicher  kunst- 
wissenschafthcher  An- 
lage, dazu  Meister  ei- 
ner entzückend  leich- 
ten und  geschliffenen 
Sprachhandhabung  — 
so  zeichnet  sichMercks 
Bild  als  Kunstschrift- 
steller. Er  gehört  nicht 
zu  denen ,  die  den 
Geist  eines  Zeitalters 
schöpferisch  deuten 
und  Zukunft  bestim- 
men. Aber  neben  dem 
Lob,  das  diesen  Schöp- 
fern ewig  tönt,  soll- 
ten die  Verdienste  de- 
rer nicht  vergessen 
werden,  die  je  und  je 
so  vieles  zur  Erleuch- 
tung der  Zeitgenossen, 
zum  regen  Austausch 
geistiger  Güter,  zur 
Befeuerung  der  Ent- 
wicklung und  somit  zur 
Mehrung  des  Le- 
bens beigetragen  ha- 
ben. Merck  selbst  hat 
gelegenthch  darüber 
gewitzelt,  daß  er  unter 
den  Literatoren  nicht 
zur  produktiven,  son- 
dern leider  nur  zur 
„sterilen"  Klasse  ge- 
höre. Aber  ein  Mann, 
der  mit  einer  einzigen 
kritischen  Bemerkung 
seinem  Freund  Goethe 
Stoff  zu  jahrelang  wie- 
derholtemNachdenken 
und  fruchtbeu-sten  An- 
stoß gab,  kannimErnst 
nicht  steril  genannt 
werden,    wllh.  michel. 


Wenn  die  gesunde  Natur  des  Menschen  als 
ein  Ganzes  wirkt,  wenn  er  sich  in  der 
Welt  als  in  einem  großen,  schönen,  würdigen 
und  werten  Ganzen  fühlt,  wenn  das  harmonische 
Behagen  ihm  ein  reines,  freies  Entzücken  ge- 
währt: dann  würde  das  Weltall,  wenn  es  sich 
selbst  empfinden  könnte,  als  an  sein  Ziel  ge- 
langt, aufjauchzen  und  den  Gipfel  des  eigenen 
Werdens  und  Wesens  bewundern.  Denn  wozu 
dient  alle  der  Aufwand  der  Sonnen  und  Pla- 
neten und  Monden,  von  Sternen  und  Milch- 
straßen, von  Kometen 
und  Nebelflecken,  von 
gewordenen  und  wer- 
denden Welten,  wenn 
sich  nicht  zuletzt  ein 
glücklicher  Mensch  un- 
bewußt seines  Daseins 
erfreut?  ....  goethe. 
« 

Die  Erscheinungen 
dieser  Welt  sind 
zu  kompliziert,  als  daß 
sie  unbedingt  gut  oder 
schlecht  wären,  und 
wir  tun  besser,  statt  zu 
verurteilen,  verstehen 
zu  suchen,  c.  schuch. 
* 

Es  kann  keine  objek- 
tive Geschmacks- 
regel,die  durchBegriffe 
bestimmte,  was  schön 
sei,  geben.  Ein  Prinzip 
des  Geschmacks,  wel- 
ches das  allgemeine 
Kriterium  des  Schönen 
durch  bestimmte  Be- 
griffe angäbe,  zu  su- 
chen, ist  eine  frucht- 
lose Bemühung,  weil, 
was  gesucht  wird,  un- 
möglich und  an  sich 
selbst  widersprechend 

ist.    .   .    .     IMANUEL  KANT. 


D' 


ARTHUR  LANGE     DRESDEN-    -WEIBLICHE  FIGUR« 


kie  alten  Weisen 
sagten,  daß  ein 
Gedicht,  ein  Gemälde 
ohne  sichtbare  Gestalt 
sei,  und  ein  Gemälde 
formgewordene  Poe- 
sie. Diese  Worte  sind 
mir  stets  vor  Augen. 

KUO     HSI      (CHINESISCHER 
MALER   DES   XI.  JAHRHUN- 
DERTS NACH  CHRISTI.) 


ARCHITEKT  LEO  NACHTLICHT.  AUS  DEM  »FEIERLICHEN.  RAUM. 

OKOSSK  BEBXINEK  KÜNSTAUSSTELLDNO  192S. 


ARCHITEST  LEO  NACHTLICHT. 


AUS  DEM   »FESTLICHEN«   RAUM. 


DREI  RAUM-IDEEN  VON  LEO  NACHTLICHT. 


Die  Große  Berliner  Kunstausstellung 
im  Glaspalast  zeigte  in  diesem  Sommer 
zum  ersten  Mal  eine  Abteilung  für  angewandte 
Kunst.  Architekt  Leo  Nachtlicht  hat  darin 
drei  Raum-Ideen  verwirklicht,  und  damit  der 
breiten  Öffentlichkeit  ein  Lehrbeispiel  und  ein 
Experiment  geboten. 

Diese  Räume  sind  nicht  das  Resultat  einiger 
Wochen  Arbeit.  Um  zu  diesen  Raumgestal- 
tungen zu  gelcmgen,  war  eine  Entwicklung  von 
ca.  20  Jahren  notwendig,  angefemgen  von  den 
modernen  Linien  Van  de  Veldes  bis  zu  den 
Eisenbeton-Bauten,  vom  Impressionismus  bis 
zum  Expressionismus,  von  der  klassischen 
Plastik  Hildebrandts  über  Rodin  bis  zur  mo- 
dernen abstrakten  Plastik.  Alle  diese  Phasen 
in  den  bildenden  Künsten  haben  an  diesen  Ar- 
beiten ihren  Einfluß  mit  ausgeübt.  Der  ver- 
schriene Futurismus  als  ausgezeichneter  Pionier 
einer  Flächenteilung,  die  Abstraktion  des  mo- 
dernen Bildhauers  als  gegebener  Architekturstil 
und  der  Eisenbeton  als  Mittel  zur  Raum-Neu- 
bildung —  alles  wundervolle  Elemente  einer 


neuen  Baukunst,  aber  nur  dann,  wenn  die  Zu- 
sammencirbeit  konsequent  zwischen  Maler,  Bild- 
bauer und  Architekt,  möglichst  mit  denselben 
Menschen,  Jahre  hindurch  fortgeführt  wird, 
oder  wenn  die  einzelnen  Künstler  in  ihrem 
Empfinden  und  ihrer  Anlage  übereinstimmen. 
Um  irgend  ein  Beispiel  herauszugreifen:  ein 
herber  Maler,  ein  süßlicher  Architekt  werden 
nie  zusammen  arbeiten  können.  Dasselbe  be- 
zieht sich  auch  auf  den  Bildhauer.  Das  A  und 
0  geht  jedoch  vom  Architekten  aus.  Wenn  der 
Architekt  den  Raum  nicht  empfindet,  sondern 
„komponiert,  zusammensetzt",  wird  niemals 
eine  harmonische,  geschweige  denn  entwick- 
lungsfähige Schöpfung  entstehen  können.  Wenn 
der  Architekt  aber  selbst  Maler  und  Bild- 
hauer wäre,  so  wäre  das  der  idealste  Fall. 
In  der  Renaissance  waren  Maler,  Bildhauer 
und  Architekt  in  einer  Person  vereint.  Diese 
Zeiten  sind  vorüber.  Unsere  mehr  auf  wissen- 
schaftlichem Denken  beruhende  Erziehung 
nimmt  soviel  Zeit  in  Anspruch,  daß  bei  der 
späteren  künstlerischen  Durchbildung  nur  noch 


341 


XlCVl.  September  1923.  4 


ARCHITEKT  LEO  NACHTLICHT.  .FESTLICHER«  RAUM. 

WANDMALEREI  VON  PROF.  c£SAR  KLEIN— BERLIN. 


ARCHITEKT  LEO  NACHTLICHT.  >FESTLICHER.  RAUM. 

GROSSE  BERLINER  KUNSTAUSSTELLUNG  1923. 


ARCHITEKT  LEO  NACHTLICHT.  »WOHNLICHER.  RAUM. 

WANDMALEREI  VON  EUGEN  SCHÜFFTAN. 


LEO  NACHTLICHT.  KAMINSEITE  IM  .WOHNLICHEN.  RAUM. 

GROSSE  BERLINER  KUNSTAUSSTELLUNG  l'J23. 


Drei  Ran»i-Idccn  vo7i  Leo  Nachtlicht. 


Zeit  für  ein  einziges  Fach  übrig  bleibt.  Es  ist 
daher  nicht  möglich,  daß  der  Architekt  ohne 
die  Mitarbeit  von  Maler,  Bildhauer,  die  Raum- 
stimmung  restlos  löst.  —  Sehen  wir  nun  zu,  wie 
in  unserem  Falle  die  Aufgaben  gelöst  worden 
sind.  Im  wohnlichen  Raum  ist  die  ganze  Kom- 
position, auch  die  des  Malers,  auf  das  breit  Ge- 
lagerte, Horizontale  abgestimmt;  das  heißt,  für 
das  Auge  ist  der  Raum  in  der  Höhe  noch  mehr 
zusammengedrückt.  Sehr  wichtig  für  die  Flächen- 
Malerei  ist,  daß  der  Maßstab  für  jeden  Raum 
richtig  getroffen  ist.  Den  Maßstab  für  jeden 
Raum  gibt  der  Mensch,  und  zwar  unbewußt  für 
den  Laien,  bewußt  für  den  Fachmann.  Wenn  die 
Decke  sich  knapp  über  dem  Kopfe  des  Men- 
schen befinden  würde,  so  hätte  er  das  Gefühl 
des  Druckes,  daher  nennt  man  diese  Raum- 
wirkung „gedrückt".  Nehmen  wir  nun  an,  die 
Decke  wäre  beweglich  und  könnte  nach  oben 
verschoben  werden,  so  würde  der  Mensch 
sich  immer  freier  fühlen,  je  höher  die  Decke 
empor  gehoben  wird.  Er  würde  aber  sofort 
das  Gefühl  einer  gewissen  Kleinheit  bekommen, 
das  heißt,  der  Raum  würde  ihm  erhaben  dün- 


ken, wenn  die  Decke  weit  über  ihn  sich  ver- 
lieren würde.  Die  Wirkungen  des  Raumes  sind 
also  körperlicher  Art.  Haben  wir  nun  eine  be- 
stimmte Raumhöhe,  so  kann  man  die  beabsich- 
tigte Wirkung,  also  in  diesem  Fall  die  „wohn- 
liche", noch  dadurch  verstärken,  daß  man 
den  Maßstab  der  einzelnen  Bildelemente  kleiner 
nimmt,  als  der  durchschnittlichen  Größe  des 
Menschen  entspricht.  Die  Schwierigkeit  für 
den  Maler  beruht  dann  darin,  den  für  diese 
Raumgröße  besten  Maßstab  für  die  Wandlösung 
zu  finden.  Man  sehe  sich  auf  diesen  Maß- 
stab hin  und  auf  den  Rhythmus  der  Wand- 
teilung die  einzelnen  Abbildungen  an.  So  wie 
Schüfftan  im  „wohnlichen",  hat  Cäsar  Klein 
im  „festlichen"  Raum,  vor  dessen  Wänden  man 
sich  bewegte  Menschenmassen  vorstellen  muß, 
die  Flächen  gelöst,  daher  die  vertikale  und  hori- 
zontale Linienführung.  Der  feierliche  Raum  zeigt 
eine  vollkommen  eu-chitektonische  Wandlösung 
von  Jacke  1,  nur  durch  Farbenabstufung  vom 
Braun  über  Rot  ucd  Blau.  Die  Stimmung  im 
festlichen  und  im  feierlichen  Raum  ist  durch  die 
Deckenlösungen  noch  besonders  gesteigert,  r.  r. 


ARTÜR  HELBIG— BERLIN.   ^STEHLAMPE«   MESSING. 


ARTUR  HELBIG-BERLIN.  >LEUCHTERKRONE. 


ARTUH  HELBIG— BERLIN. 


»STANDLAMPEN«  MESSING. 


ARTUR  HELBIG'S  LAMPEN. 


Heibig  kommt  aus  Bruno  Pauls  Anstalt.  Er 
ist  nicht  allein.  Mit  einem  Schlag  — 
möchte  man  sagen  —  hat  das  „Museum"  eine 
Schar  von  Kunstgewerbe-Bildhauern  heraus- 
gebracht, die  was  können,  die  sicher  und  mutig 
an  der  Stelle  stehen,  wo  um  die  Weiterbewegung 
handwerklicher  Form  gekämpft  wird.  Zuerst 
gab  es  bei  Paul  fast  nur  Fiächenkunst.  Schrift, 
Gebrauchsgraphik,  Plakat  waren  schon  zu  An- 
fang gut,  bald  sah  man  auch  hervorragende 
Druckmuster,  Tapeten,  dekorative  Malereien, 
Stickereientwürfe.  Langsamer  ging  es  mit  den 
Abteilungen  Plastik  und  Handwerk.  Sie  waren 
abhängig  von  Werkstätten.  Und  die  konnten 
nur  Schritt  für  Schritt  eingerichtet  und  mit 
Meistern  besetzt  werden.  Aber  die  Arbeit  am 
Material,  in  der  Werkstatt  hat  auch  sofort 
Früchte  getragen.  Wenn  der  bildhauerische 
Nachwuchs  des  Museums  jetzt  in  Metall,  Holz, 
Keramik  glänzt,  so  hat  das  pädagogische  Prin- 
zip, der  Begabung  freien  Lauf  zu  lassen,  viel 
dazu  mitgewirkt.  Aber  ohne  die  ehrliche 
Werkstattarbeit  wären  doch  nur  wieder  Mu- 
stermacher entstanden. 

Diese  jungen  Bildhauer  sind  mit  Ungestüm 
in   die   Berliner  Kunstindustrie  eingebrochen. 


Überall  stehen  ihre  Modelle.  Artur  Heibig  — 
der  auch  im  FigürUchen  und  in  der  Keramik 
was  bedeutet  —  wird  hier  mit  seinen  Lampen 
nur  als  ein  Beispiel  aus  der  Gruppe  herausge- 
griffen. Was  von  ihm  gezeigt  und  gesagt  wird, 
gilt  mehr  oder  weniger  auch  für  die  Kollegen. 
Diese  junge  Schar  —  die  Schade,  Düttmann, 
Lemke,  Kruse,  Elster,  Schnitzer,  Rämisch,  Hei- 
big, Kulemann  usw.  —  sie  haben  ihre  Marke. 
Der  Kenner  spürt  die  Blume  des  Jahrgangs. 

Die  kunststudierende  Jugend  ist  naturgemäß 
Anregungen  und  Einflüssen  in  besonderem 
Maße  zugänglich.  Früher  schwor  der  Schüler 
auf  die  Weise  des  Lehrers.  Heute,  wo  die 
Meister  selbst  ihre  Weise  zu  wechseln  lieben, 
kennt  auch  der  Lehrling  keine  Einseitigkeit, 
keine  Dogmen  mehr.  Die  Jugend  ist  über  alles 
informiert,  über  die  neuesten  Richtungen  in 
Paris  und  Mo5kau,  über  die  entlegensten  Ka- 
pitel der  Kunstgeschichte,  nur  über  diese,  über 
die  jüngsten  Ausgrabungen  in  Peru  und  Mexiko. 
Über  die  Zumutung,  die  eigene  Ausbildung  der 
natürlichen  Entwicklung,  wie  sie  in  der  Kunst- 
geschichte vorliegt,  anzupassen,  lächeln  sie.  Sie 
operieren  ausschließlich  mit  den  letzten  Pro- 
blemen, mit  den  Lieblingsmotiven  des  Tages. 


XXVI.  September  1923    5 


Artitr  Hclbig's  Lampen. 


350 


ARTUR  HELBIG— BERLIN. 


Die  geistige  Akrobatik,  die  diese  letzten  Ismen 
voraussetzen,  wird  mit  Leichtigkeit  geleistet. 
Denn  sie  sind  begabt,  diese  Jungen,  unheimlich 
begabt.  Ein  Glück,  daß  hinter  ihnen  der  große 
Zuchtmeister  steht,  der  sie  auf  die  Erde  zwingt. 
Das  Handwerk  ist  ihre  Rettung. 

Auch  der  Expressionismus  hatte  in  den  jun- 
gen Gehirnen  seine  Wellen  geschlagen.  Man 
hat  mit  Blitzen  und  Zacken  gearbeitet  und  mit 
den  spitzovalen  Blättern,  die  nun  mal  dazu  ge- 
hören. Aber  der  klugen  Führung  gelang  es 
doch,  den  expressionistischen  Jugendstil  fern- 
zuhalten. Und  man  ist  auch  selbst  sehr  kritisch  I 
Das  hat  aber  nicht  den  Kotau  vor  Afrika  und 
Mexiko  verhindern  können.  Was  hat  ein  Ber- 
liner Bildhauerlehrling  mit  Negermasken  zu  tun? 
0,  sehr  viel.  Sie  sind  seine  Bibel.  Es  wurde 
chick,  auf  Negerstil  zu  studieren,  wie  Nigger- 
tänze zu  tanzen.  Noch  stärker  beinahe  war  das 
Echo,  das  die  Ausgrabungen  mexikanischer 
Vorzeit  in  der  Prinz  Albrechtsstraße  fanden. 
Immerhin  gab  es  einige  Nachdenkliche,  wie  Gies, 
die  auf  das  Persönliche  nicht  ganz  verzichten, 
die  die  primitive  Form  ins  Geistige  steigern 
wollten.    Andere  aber  kamen  über  die  etnolo- 


»LEUCHTERKRONK«  MESSING. 


gische  Weltreise  zu  einer  eigenen  Auffassung 
des  Handwerks,  das  ihnen  in  der  primitiven 
Urform  am  reinsten  und  am  kräftigsten  erschien. 
In  der  Keramik  der  Kulemann  und  Konsorten 
sehen  wir  dieses  Urtümliche,  das  so  starke  Reize 
hat.  Die  Kulemann  geht  z.  B.  soweit,  ihre 
Töpfe  nicht  zu  drehen,  sie  knetet  sie.  Die  Er- 
findung der  Töpferscheibe  —  in  der  späteren 
Eiszeit  —  gilt  ihr  als  moderne  Errungenschaft, 
die  den  Adel  des  Tons  verwischt.  Die  Quali- 
tätsschmecker  unserer  Salons  berühren  sich 
hier  mit  der  paradiesischen  Roheit  ältester 
Menschheitsstufen. 

Andere  von  unserm  Bildhauernachwuchs 
knüpften  am  ungefügen  Volkshandwerk  an  oder 
sie  schlugen  kühne  Brücken  von  der  Latenezeit 
zur  erstarrten  Grazie  spanischer  Prunksäle. 

Man  darf  sich  nicht  vorstellen,  daß  diese 
Jugend  schwer  stöhnt  unter  der  Last  der  Tra- 
ditionen. Sie  spielen  Ball  mit  den  Jahrhunder- 
ten, mit  den  Stilen,  mit  den  Überzeugungen, 
Sie  lernen  —  ohne  Pietät.  Sie  kämpfen  —  ohne 
zu  glauben.  Sie  sind  kühn  —  aus  Wurschtig- 
keit. In  der  Großen  Berliner  Ausstellung  haben 
sie  sich  jetzt  neben  der  Novembergruppe  ange- 


ARTUR  HELBIG    BERLIN.    LEUCHTER-KRONE. 


ARTUR 
HELBIG- 
BERLIN. 


»WAND- 

LEUCHTER« 

MESSING. 


ARTUR 
HELBIG- 
BERUN. 


»NACHT- 
TISCH- 
LAMPEN« 


ARTUR  HELBIG-BERLIN.  .STANDLAMPE.  NUSSBAUM. 


Artnr  Heibig' s  Lai/ipm. 


siedelt.  Die  einen  verbrennen  sich  in  Proble- 
men, die  andern  drechseln  aus  dem  „Sturm" 
der  Malerjugend  reifes,  raffiniertes  Kunstge- 
werbe. Mit  Sicherheit  ist  vorauszusagen,  daß 
in  ein,  zwei  Jahren  diese  fabelhaften  Begabungen 
auch  den  Kubismus,  den  Konstruktionismus 
usw.  salonfähig  umgebogen  haben  werden. 

Artur  Heibig  ringt  um  die  Synthese.  Ringt 
ist  zuviel  gesagt.  Er  setzt  sie  glatt  hin.  Das 
Indianische,  Biedermeierliche,  Expressionisti- 
sche, wer  will  die  Rassenmischung  definieren? 
Doch  das  alles  teilt  er  mit  den  andern.  Eigen 
scheint  mir  sein  Verhältnis  zum  Handwerk.  Er 
geht  nicht  den  Weg,  daß  er  Formen  aufstellt 
und  sie  in  der  passendsten  Technik  wieder- 
geben läßt.  Die  Technik  des  Handwerks  liefert 
ihm  umgekehrt  die  Urformen  und  diese  ver- 
arbeitet er,  richtiger,  er  setzt  sie  zusammen. 
Typisch  ist  schon  die  erste  Siänderlampe.  Man 
kann  die  Teile  numerieren:  Der  gewundene 
Stamm,  der  Teller,  die  gebogenen  Füße.  Jede 
Partie  war  vorher  vorhanden,  mit  ihrem  alten 
handwerklichen  Namen.  Bei  den  Modellen,  die 
zum  Abdrehen  bestimmt  sind,  hast  du  deutlich 
die  Kugeln,  Zylinder,  Kegel.  Die  menschliche 
Figur  wird  erklärt  als  Zylinderrumpf,  der  auf 
Röhren  steht.  Obenauf  eine  Kugel.  „Das  Pferd 
hat  einen  walzenförmigen  Rumpf  usw."  wie 
wirs  aus  der  Schule  kennen 


Bei  den  großen  Leuchter-Kronen  wird  die 
wünschenswerte  Fülle,  das  Volumen  erreicht 
durch  handwerklichen  Reichtum ,  der  sich  in 
vielfältiger  Art  äußert,  durch  die  Einführung 
von  Bändern,  Tellern,  Vasen,  Buckeln.  Alles 
ist  säuberlich  getrennt.  Wie  in  der  Werkstatt. 
Jeder  Geselle  macht  sein  Teil.  Was  so  ent- 
steht, sind  nicht  Embeiten  aus  einem  Linienfluß, 
nicht  Architekturstücke.  Eher  genossenschaft- 
liche Erzeugnisse,  wo  der  Gießer,  der  Dreher, 
der  Schmied,  jeder  mit  einem  charakteristischen 
Stück  vertreten  sind.  Der  einheitUche  Hand- 
werkergeist hält  alles  zusammen. 

Aber  letzten  Endes  wird  dochauch  das  Hand- 
werk artistisch  genommen.  Die  gestückte  Ein- 
heit ist  ein  Reiz,  wie  die  plumpe  Zierlichkeit, 
und  die  entliehene,  mit  Kabareltgeist  versetzte 

Naivität A.NTÜN  JAUMANN. 

Der  echte,  der  große  Künstler,  dem  es  im 
Innersten  glüht,  der  einfach  nicht  anders 
kann,  der  ringt  sich  zu  der  Gewißheit  durch,  daß 
die  eigene  Kunst  das  eigene  Leben  ist.  Er  lebt 
sie,  lebt  ihr,  nicht  Lohn  von  außen  erwartend, 
sondern  den  Lohn  in  ihr  selbst  schon  empfan- 
gend. Im  Übrigen:  Arbeit  ist  alles,  und  wem 
die  Arbeit  Lebensgenuß  geworden,  der  leistet's, 
ein  Lebensverdiener  und  Lebensverschönerer 
zu  sein ernst  zahn. 


355 


ARTÜE  HELBIG- BERLIN. 


»TISCHLAMPEN«   NÜSSBADM. 


ARTUR  HELBIG.  .TISCHLAMPE.  NUSSBAUM. 


VOM  MESSING-GERÄT. 


Die  launischste  aller  Gebieterinnen,  die 
Mode,  hat  mit  einem  Schlage  wieder  Ge- 
schirre aus  Messing  ins  deutscheHeim  eingeführt. 
Vielleicht  geschah  das  wegen  der  kindlichen 
Augenfreudigkeit,  die  die  spiegelnden  Gegen- 
stände uns  bieten,  indem  sie  auf  ihren  konkaven 
und  konvexen  Wölbungen  die  Bilder  der  Um- 
welt verzerren  und  verzeichnen.  Dadurch  ist 
uns  das  Messing  zum  Metall  der  Munterkeit 
und  des  Frohsinns  geworden.  Gewiß  hat  aber 
auch  die  Not  der  Zeil  zu  diesem  Siegeszug  ein 
bestimmendes  Wort  mitgeredet,  denn  heutzu- 
tage ,  wo  die  Edelmetalle  unerschwinglich  für 
die  meisten  geworden  sind,  bekommt  das 
Messing  schon  eine  gewisse  ansehnliche  Kost- 
barkeit. Es  wird  Sache  des  Kunsthandwer- 
kers, durch  geschickte  Bearbeitung  dieses  un- 
edlen, aber  herrlichen  Metalls  den  Stücken 
einen  Kunstwert  zu  geben,  der  den  Material- 
wert in  Schatten  stellt.   Dies  geschieht  vor  allem 


durch  die  Wahl  von  edlen,  vornehmen  Formen, 
die  in  erster  Linie  den  Metallcharakter  zur 
Geltung  bringen.  In  Werkstätten  und  Fabri- 
ken wird  mit  Fleiß  getrieben,  und  geschmolzen 
und  gehämmert,  bis  erlesene  Stücke  fertig  ge- 
stellt sind.  Der  gute  Geschmack  wird  der  Be- 
rater der  geschickten  Hand,  und  Frau  Mode 
zeigt  ihre  Allmacht,  wenn  sie  die  Stücke  bald 
glatt  poUert,  bald  matt  schillernd,  bald  rauh 
gencirbt,  bald  mit  zierlichen,  eingepunzten  Or- 
namenten oder  mit  plastischem  Reliefschmuck 
will.  Und  nach  und  nach  wandern  alle  diese 
Stücke  ins  Haus  und  bürgern  sich  ein,  neben 
den  Leuchterkronen,  Lampen  und  gewichtigen 
Kerzenhaltern ,  die  Kannen  und  Kännchen, 
Schalen  imd  Dosen,  Platten  und  Teller  und 
Kästchen,  gebauchte  und  geschweifte,  glatte 
und  einfache,  verzierte  und  unverzierte  Stücke 
aus  dem  Metall  der  Munterkeit  und  des  Froh- 
sinns, und  erfreuen  Besitzer  und  Gäste,  h.  sch. 


ARIUR  HELBIG-BERLIN.  ^KERZENHALTER. 


357 


XXVI.  September  1923.    6 


ULLI  VETTER    HOHEN  ASCH  AU.  STICKEREI  >>  KYRIE  ELEISON  < 


LILU  VETTER— HOHENASCHAU. 


-WüLLSTICKKREI  AUF  LEINEN* 


STICKEREIEN  VON  ULLI  VETTER. 


Vielleicht  muß  man  gleich  obenan  schreiben: 
„ Lilli  Vetter  ist  keine  Stickerin,  sie  ist  bloß 
ein  Künstler",  und  doch  ist  sie  gerade  ein 
Handwerker,  ein  so  eminenter,  der  nie  fehlt. 
Ebensogut  könnte  man  wohl  auch  sagen:  sie  ist 
ja  gar  keine  Malerin,  und  doch  ist  in  ihren  Ar- 
beiten die  Farbe  so  rein  der  Träger  ihrer  Emp- 
findung, wie  fast  bei  niemand  heute. 

Wer  es  einst  unternehmen  wird,  die  Wertung 
der  Kunst  und  des  Kunstgewerbes  dieser  Tage 
vorzunehmen,  der  wird  vor  der  Erscheinung 
Lilli  Vetters  in  arge  Bedrängnis  geraten.  Nir- 
gendwo will  sie  hereinpassen,  nirgends  ver- 
wandt sein,  nirgends  mag  sie  zur  Unnatur  ge- 
hören und  wird  doch  diejenige  sein,  die  an 
erster  Stelle  steht  und  mit  ihrer  Nadel  jeden 
Zwang  gebrochen  bat,  den  selbst  edelstes 
Handwerk  dem  hohen  Wollen  auferlegt. 

Absichtlich  vermeide  ich  hier  von  einzelnen 
Arbeiten  zu  reden,  kommt  man  doch  allzuleicht 
in  ein  unzulängliches  Beschreibenwollen  und 
verliert  den  Zweck,  für  eine  Kunst  wie  diese 
hier  Sinn  und  Verständnis  zu  wecken,  die  es 
unternimmt,  nur  mit  der  kleinen,  blanken  Nadel 
und  mit  den  abertausenden  kleinen  Stichen 
ein  tiefes  Innere  zu  enthüllen,  ja  eine  Welt  vor 
uns  auszubreiten.  Das  tut  sie  und  das  ist  das 
Staunenswerteste  an  Lilli  Vetter. 

Erst  müssen  wir  alle  Voreingenommenheit 
wegräumen,  jenes  Gewöhntsein  an  das  gewisse 
Gewerbliche,  das  die  Stickerei  so  vielfach  hat, 
oder  jenes  Auffallenwollen  durch  das  Motiv, 
das  ja  sowieso  der  Tod  vieler  guten  Dinge  ist; 
vieler  guten  Dinge,  die  aus  der  Ausstellungsluft 
herausgenommen,  in  ruhigem  Zuhause  jene 
fremde  Atmosphäre  verbreiten    und    sie    uns 


auch  für  alle  Nachbardinge  aufzwingen  wollen. 
—  Erst  wer  stark  genug  fühlt,  wie  UDZünftig  die 
Arbeiten  Lilli  Vetters  sind,  wird  das  trotzdem 
Edle  und  Selbstverständliche  ihres  Handwerks 
voll  ermessen  und  von  dieser  edlen  Zunft- 
losigkeit  aus  allmählich  den  Faden  finden  in  ihr 
Wunderland,  ihre  Freiheit  als  Befreiung,  ihre 
Persönlichkeit  als  Naturkraft,  ihre  Fessellosig- 
keit  als  streuenden  Reichtum  erfahren  und  so 
die  Beschäftigung  mit  ihrer  Arbeit  als  beglük- 
kendstes  Geschehen  tief  empfinden. 

Auf  der  Münchner  Gewerbeschau  war  an 
wenig  bevorzugtem  Platze  ein  Wandbehang 
von  ihr  zu  sehen,  eine  Aufnäharbeit  teil- 
weise reichgeslickt,  die  mich  als  reichste  Arbeit 
dieser  Ausstellung  immer  wieder  an  sich  zog. 
Ich  entdeckte,  daß  es  Anderen  auch  so  erging 
und  weiß  seitdem,  daß  es  gilt,  die  Aufmerk- 
samkeit auf  solche  Werke  zu  lenken,  um  die 
Zahl  der  Anbeter  vermehren  zu  helfen.  Das 
sollen  und  werden  auch  diese  Zeilen  tun,  weil 
sie  den  Lesern  sagen,  daß  ein  Berühren  mit 
solcher  Zaubermacht,  mit  der  Harmonie  einer 
befreiten  Persönlichkeit,  durch  edelstes  Hand- 
werk selbstverständlich  ausgesprochen,  allen 
Lebenssinn  gelegt  in  eine  kleine  Nadel,  ihr 
eigenes  Menschenglück  tiefer  macht. 

Welchen  Reichtum  trägt  uns  ein  Umschlag- 
tuch Lilli  Vetters  entgegen,  welche  ernteschwere 
Überfülle  ohne  Chaos,  ohne  Phrase  —  es  ist 
ein  Schenken  ohne  Ende  — .  Welche  Fülle 
bekommen  bei  ihr  Gold-  und  Silberfäden,  welche 
fast  sinnbetörenden  Reize  hat  ein  Pantöffelchen 
von  ihrer  Hand  —  schon  ist  man  außer  Raum 
und  Zeit  und  spinnt  in  sein  Glänzen  versunken 
ein  Märchen  von  einem  jungen  Herrscher,  der 


ULLI  VETTER-HOHENASCHAU.    WIEDERKEHR  DER  SONNE« 

BESITZER:  LANDESGEWERBEMUSEOU— STUTTGAST. 


H 

W 


Q 

S 


X 
o 

CO 

< 

(il 

X 

o 
c; 

M 
H 
H 
M 
> 


Stickereien  von  LiUi  Vetter. 


großen  Kriegszug  rüstet,  um  dem  geliebten 
Wesen  die  sagenhaften  Schmuckstücke  zu  er- 
obern, wenn  auch  mit  viel  Jünglingsblut  und 
Entbehrungen.  Klänge  wie  nach  Symphonien 
werden  in  uns  durch  ihre  gestickten  Bildkom- 
positionen wach  und  lösen  ein  Weltverlorensein 
in  uns  aus,  wie  sonst  nur  Musik  es  vermag. 

Bei  keiner  Arbeit  fühlt  man  das  Vorgenom- 
mene, alles  ist  wie  Blumen  gewachsen,  eine 
Einheit  im  Machen  und  Empfinden  wirkt  sich 
aus,  die  alle  Knoten  löst  und  uns  endlich  jen- 
seits des  Kritisierens  läßt,  ja  uns  „jenseits  von 
Gut  und  Böse"  führt horst-schul7e. 


Ich  bin  oft  Menschen  begegnet,  die  behauptet 
haben,  „Sie  müssen  doch  wenigstens  zu- 
geben, daß  es  gewisse  Gesetze  der  Komposi- 
tion gibt".  Und  mit  einer  wichtigen  Miene 
glaubten  sie  an  die  Wahrheit  ihrer  Behauptung. 
Ich  aber  meine,  daß  Komposition  nur  ein  Mittel 
ist,  um  andern  mögUchst  klar  und  zwingend 
unsere  Gedanken  mitzuteilen,  und  ich  bin  über- 
zeugt, daß  die  Gedanken  von  selbst  die  besten 
Ausdrucksmittel  finden.,   jean  fra>'' ois  millet. 


E 


s  sind  die  heiteren  Regionen,  wo  die  rei- 
nen Formen  wohnen schiller. 


LILLI  VETTER.  .BEUTEL«  PERL-  UND  CHENILLE-STICKEREI. 


I 


AKTUR  HELBIG- 
BERLIN. 


Inhalts-Verzeichnis. 

BAND  LH 

April  1923 -September  1923. 


TEXT-BEITRAGE: 

Seite 
Ruisiiche  Kunst.    Von  Pawel  Barcban — 

Berlin 3 — 8 

Die  »Lüge«   der  Kunst.    Von  Curt  Bauer 

— Schlachtenjee 9 

Die  Gewalt  der  Form.     Von  W.  F.       .     .  11 

Die  Kunst  im  Zusammenhang  der  nationalen 

Kultur.     Von  H.  Ritter 19 

Gemälde    der    italienischen    Renaissance    im 

Kaiser  Friedrich-Museum  zu  Berlin.  Von 

Dr.  W.  Kurth— Berlin 23— 3° 

Landhaus  de  Vriess  in  Marsberg  i.  W.    Von 

C.  B 43—44 

Ausdruckskunst.       Von     Karl     Heckel — 

Schöngeising 47 — 50 

Kunst  vmd  —  Können.     Von  Curt  Bauer 

— Schlachtensee 50 

Frühstückszimmer    F.    A.    Breuhaus.      Von 

Albert  Haberton 53 — 54 

Ludwig  Kozma  als  Buchkünstler.    Von  E  m  - 

merich  Kner — Gyoma 57 

• 
Bruno  Krauskopf .  Von  Dr.  Joachim  Kirch- 
ner— Berlin 63 — 66 

Theodor  Volbehr — Magdeburg.    Von  Ernst 

von  Niebelschütz — Magdeburg      .     .         66 — 68 
Eisenguß.     Von  Dr.  G.   ▼.  Pechmann  .     .  69 

Max  Fleischer,    der  Forscher   und  Künstler. 

Von  Hans  Schüler 71 — 72 

Eduard    Dollerschell— Elberfeld.      Von    Dr. 

Jobst  A.  Kissenkoetter-Mülheima.R.         77 — 81 
Rolf  Winter  und  Harold  Winter.  Von  Prof. 

Hans  Cornelius — Oberursel.     .     .     .         81 — 83 
20   Jahre    »Wiener  Werkstätte«.     Von   Dr. 

Adolf  Vetter — Wien 87—93 

Dagobert  Peche  f 100 — loi 

Was    ist    »Naturalistische     Kunst«  ?      Von 

Erich  Kramstal 107 — 108 

Die  Sorge  um  die  Zukunft  der  Kunst.    Von 

Prof.  Theodor  Volbehr — München    .     iiz — 114 
• 
Aujusta    von    Zitzewitz— Berlin.     Von    Dr. 

Alfred  Kuhn — Berlin 117 — 118 


Die  Kunst  des  Bildnisses.     Vo»  M.  .     .     . 

Der  Aufbruch  zur  Wirklichkeit.  Von  H.Ritter 

Russische  Tänzerinnen.  Von  Pawel  Bar- 
chan— Berlin 

Eine  Grabkirche  von  Ivan  Mestrovic.  Von 
Prof.  Josef  Strzygowski — Wien  .      . 

Geistige  Zuversicht.     Von  H.   W.       .      .     . 

Die  Lotus-Tafel.  Von  Kuno  Graf  v.  Har- 
denberg— Darmstadt 

• 

Die  Ausstellung  »Deutsche  Kunst  1923« 
Dannstadt.  Von  Wilhelm  Michel — 
Darmstadt 

Ein  deutscher  Kunstkritiker  des  iS.  Jahr- 
hunderts    

Der  Maler  Richard  Geßner.   Von  R.  Bongs. 

Deutsche  Kunst  und  französische  Kunst. 
Von  Ernst  von  Niebelschütz  — 
Magdeburg 200- 

Der  Altar  des  Michael  Pacher.  Von  Rein- 
hold Ewald 

Das  Kunstwerk  als  Organismus.  Von  Wil- 
helm Michel 

Ein  Landhaus  in  Blankenese.  Erbaut  von 
Prof.  Bruno  Paul — Berlin.  Von  Baurat 
Hans  Rolffsen 

Neue   Formen?     Von    Dr.  E.  Zschimmer 

Die  natürliche  Einheit.  Von  Anton  Jau- 
mann — Berlin 

Vom  BUdungswert  der  Kunst.  Von  Ha- 
rald Scholderer 

Mein  Arbeitszimmer.  Von  H.  Geron  .  . 
• 

Die  verjüngte  Berliner  Akademie.  Von  Dr. 
Max  Osborn — Berlin 

Gustav  Schaffer.     Von  E.  Kurt  Fischer  . 

Porzellan.     Von  Anton  Jaumann — Berlin 

Das  Wesen  des  Porzellans.  Von  Max 
Adolf  Pfeiffer— Meißen 

Zwei  Räume  von  F.  A.  Breuhaus — ^Botm. 
Von  Hans  Heinz  Lüttgen — Cöln 

Von   chinesischem    Kunstgewerbe.     Von   O. 


Münsterberg . 


Seite 

121 
123—124 

127 

127  —  136 
138 

161 


•75— '«3 

185—195 
199 


-204,  231 
209 — 221 
223 — 224 

227 — 229 
230 

233 

236 — 238 
241 

247—263 
267—173 
277—278 

291 

298 

298 


Wachsfiguren  Ton  Ciaire  Selmair. 

Von  Ferdinand  Götz — München   .     . 

Künstlerelend 

• 
Ausstellung  der  »Münchener  Neuen  Secession« 

Sommer  1923.  Von  Dr.  Rudolf  Köm- 
stedt 

Sommerausstellung  1923  der  Künstler- Ver- 
einigung Dresden.  Von  Dr.  Oskar 
Schürer — Dresden 

Ein  deutscher  Kunstkritiker  des  1 8 .  Jahrhund. 
Von  Wilhelm  Michel — Darmstadt     . 

Drei  Raum-Ideen      Von  R.  R 

Artur  Helbigs  Lampen.  Von  Anton  Jau- 
mann — Berlin 

Vom  Messing-Gerät.     Von  H.  Seh.    .     .     . 

Stickereien  von  Lilli  Vetter.  Von  Professor 
Horst-Schulze — Leipzig 


Seite 


305 
306 


309—321 


325—333 

333—338 
34«.  346 

349-355 
357 

359—362 


Gemälde    » Trommelschläger  t.      Von    Prof.    Karl    Seite 

Hofer — Berlin-Grunewald 246 

Gemälde  »Frauenkopf«.  Von  Eugeij  Zak — Berlin  256 
Gemälde     »Bildnis«.       Von     Gustav    Schaffer — 

Chemnitz 266 

Porzellanplastü   »Dame    mit    Putto«.     Von   Paul 

Scheurich 276 

Porzellanplastik  »Diana«.  Von  Paul  Scheurich  .  282 
Gemälde  >Halbakt<.  Von  Willi  Nowak-München  308 
Gemälde   »Einzug  in  Jerusalem«.  Von  Karl  Caspar 

— München 314 

Gemälde    »Fatme«.     Von   Prof.    Paul   Rößler — 

Dresden 324 

Gemälde   »Bauern  am  Abend«.    Von  Peter  Aug. 

BSckstiegel 330 

»Feierlicher  Raum«.    Von  Arch.  Leo  Nachtlicht 

— Berlin 340 


SEPIATON-  UND  FARBDRUCKE: 

Gemälde  »Bildnis:  Frl.  Tischtschenko«.     Von  S. 

Ssorin 

Gemälde    »Bildnis:    Frau    Andrejeff«.     Von   W. 

Schuchajew 

Gemälde  »Selbstbildnis«.     Von   Vecellio   Tiziano 
Gemälde  »Auferstehung  Christi«.     Von  Giovaimi 

Bellini 

»Eingangspforte«.     Von  Prof.  Heinrich  Straumer 

—Berlin 

»Blick  in  den  Garten  des  Künstlers«.    Von  Fritz 

Aug.  Breuhaus — Köln 

Gemälde  »Bildnis«.  Von  Bruno  Krauskopf — Berlin 
Gemälde    »Selbstbildnis«.      Von    Eduard    Doller- 

scheU— Elberfeld 

»Kandelaber«.    ! Wiener  Werkstätte ■ — Wien. 
Gemälde  »Selbstbildnis«.     Von  Augusta  v.  Zitze- 
witz— Berlin 

Plastik    »Madonna    auf    dem    Hauptaltar«.     Von 

Prof.  Ivan  Mestrovic 

Plastik   »Hauptaltar«.     Von  Ivan  Mestrovic    .     . 
Plastik   »St.  Rochus«.     Von  Ivan  Mestrovic   . 
Plastik    »Xeilansicht    eines   Engels«.      Von    Ivan 

Mestrovic 

Gemälde   »Wallfahrtskirche  auf  Elba«.     Von  Ri- 
chard Seewald — München 

Gemälde  »Stilleben«.    Von  Alexander  Kanoldt — 

München 

Gemälde    »Industrie«.      Von    Richard    GeBner — 

Düsseldorf 

Altarbild  »Beschneidung  Christi«.     Von   Michael 

Pacher 

»Terrassenseite    eines    Hauses     in     BUnkenese«. 

Von  Prof.   Bruno  Paul — Berlin 

»Wohnzimmer«.    Landhaus  Hamburg-Blankenese. 

Von  Prof.  Bruno  Paul — Berlin 


ABBILDUNGEN 

(SACHLICH  ZUSAMMENGESTELLT): 

Seite  Altar  S.  208 — 224;  Anhänger  S.  112;  Architektur  und 

Grundrisse  S   42 — 47,  59,   226 — 229;  Ausstellungsräume 
2       S.  340—345;  Bettdecken  S.   iio — iii;  Beutel  S.  362; 
Bildnisbüsten  S.  334 — 335;    Boudoir  S.  300 — 301;   Bü- 
15       cherschrank  S.   242,   299;  Buchschmuck  und  Initialen  S. 
22       56 — 60;  Deckchen  S.  106— 107;  Dielen  S.  48 — 49,  231; 
Edelmetall-Arbeiten  S.  94 — 99,   112;  Emailbilder  S.  100 
31        —103;  Eßzimmers.  236;  Frühstückszimmer  S.  53 — 55; 
Garderobe  S.  230;    Gartenanlagen   S.  44 — 47,  52;    Ge- 
42       mälde   S.  2 — 9,    11  — 15,   18,    22 — 40,    62—80,    116 — 
124,   174 — 193,   198 — 209,  212 — 213,  222,  227,  246 — 
52       258,    263,    266 — 273,    308 — 322,    324 — 332;    Gläser- 
62       schrank  S.   237;  Grabkirche  in  Dalmätien  S.  126 — 172; 
Herrenzimmer    S.   296;    Holzschnitte  S.  58 — 59;    Holz- 
76       Schnitzerei  S.  86,  232 — 233,  259 — 262,  356;  Innenräume 
86       S.  340 — 345;    Kaffee-  imd  Teeservice   S.  94,  97,  98 — 
99;  Kaminanlagen  S.   48 — 49,  55,   240,   243;    Keramik 
116       S.    104 — 105,    IIJ — 113;    Kerzenhalter    S.    357,    364; 
Kinderweste  S.  361;    Kleinplastik  S.   104 — 105,  112  — 
126       113,   194 — 196,  276 — 285,  288 — 294;    Klöppelarbeiten 
139      S.   106 — 109;  Krüge  S.  99;  Leuchtetkronen  S.  88 — 89, 
'49       93>  348.  350 — 35';  Metallarbeiten  S.  87 — 93,   114,  348 
— 353- 355.  357.  364;  Musikzimmer  S.  23 4 — 235;  Oefen 
159       S.  235,   238;   Photographien  russischer  Tänzeriimen  zwi- 
schen S.  124  und  125;  Plaketten  S.  277,  287;  Plastik, 
•74       figürliches.  10,  20,  82 — 84,   194 — 196,  264,   274,   276 
— 285,  288 — 294,  334 — 338;  Porzellanplastik  S.  276 — 
188       294;  Simovar  S.  95;  Schreibtisch  S.  297;  Silberarbeiten 
S.  94 — 99;  Stickereien  S.  358 — 362;  Studiertisch  S.  92; 
198       Tisch-   imd  Standiampen   S.  86 — 87,  90 — 91,  97,  346, 
349.  353 — 35^1  Tochterzimmer  S.  244;  Treppenanlagen 
208       S.    231 — 233;    Tüllarbeiten    S.    110 — iii;    Vasen    tmd 
Schalen  S.  98;   Vitrine  S.  235;    Wachs-Puppen  S.  304 
226       — 306;  Wandleuchter  S.  352;   Wandmalereien  S.  53,  55; 
Wartezimmer  S.   302;    Wohnräume    S.  240,  344 — 34S; 
240       Zeichnungen  S.   17,  56 — 60. 


Namen  -Verzeichnis. 


Seite 

Albiker,  Carl— Dresden 196,  335— 3j6 

Babberger,  August — Karlsruhe 186 

Barchan,  Pawel — Berlin 3 — 6,   127 

Barlach,  Ernst  — Güstrow J59— 262,  283 

Bauer,  Curt — Berlin-Schlachtensee  ....  9.  5° 

Bellini,  Giovanni 31 

Bemdt,  Siegfried — Dresden 328 

Böckstiegel,  Peter  Aug. — Dresden  ....  330 

Bömer,  Paul— Meißen 277,  286,  287 

Bongs,  R 199 

Botticelli,  Sandro 35i  37 

Breuhaus,    Architekt    Fritz    August — Köln- 
Bonn  52  —  55.   296 — 297,  299 — 302 

Caravaggio 30 

Caspar,  Professor  Karl— München  .     ...  314 

Caspar-FUser,  Maria — München 311 

Cornelius,  Prof.  Hans— Oberursel  ....  81—83 

Cosimo,  di  Piero 39 

Cossa,  Francesco 27 

Davringhausen,  Heinrich — München    ...  179 

Deppe,  Paula  f 321 

Dietze,  E.  Richard — Dresden 326 

DoUerschell,  Eduard— Elberfeld      ....  76—80 

Eben,  Josef — München 180,  319 

Esser,  Max— Meißen 291  —  294 

Ewald,  Reinhold — Hanau     ....      181,  209—221 

Fabriano,  Gentile  da 34 

Fiori,  Emesto  de 274 

Fischer,  Dr.  Kurt  E.— Chemnitz   ....  267—273 

Fleischer,  Professor  Max — Berlin   ....  70 — 73 

Franciabigio 25 

Qaul,  Professor  August  f 288 — 290 

Geron,  Heinrich 241 

Geßner,  Richard— Düsseldorf 198  —  206 

Götz,  Ferdinand — München 305 

Grigorjew,  Boris 12 — 13 

Grünewald,  Matthias 74 

Haberton,  Albert 53—54 

Hardenberg,  Kuno  Graf  von — Dannitadt     .  161 

Heckel,  Karl — Schöngeising 47 — 50 

Heckendorf,  Franz — Berlin 252 

Heibig,  Artur— Berlin 346—357.  3^4 

Heß,  Julius — München 318 

Hofer,  Professor  Karl — Berlin 246 — 247 

Hoffmann,  Professor  Josef — Wien      .    94 — 95,  98—99 

Horst- Schulze,  Professor  P. — Leipzig  .     .     .  359 — 362 

Jaeckel,  Willi— Berlin 190  —  191 

Jaumann,  Anton— Berlin  .       233,  277 — 278,  349  —  255 

Kandier,  Joh.  Joachim 284—285 


Seite 

Kaiser  Friedrich-Museum.— Berlin  ....  22 — 40 

Kanoldt,  Ale.\ander — München-Pasing        176,  188 — 189 

Kirchner,  Dr.  Joachim — Berlin-Wilmersdorf  63 — 66 

Kissenkoetter,  Dr.  Jobst  A. — Mülheim  a.  R.  77 — 81 

Klein,  Cfear — Berlin 341 — 343 

Kner,  Emerich — Gyoma 57 

Kömstedt,  Dr.  Rudolf — Berlin 309 — 321 

Kogan,  Alexander — Berlin 2 — 18 

Kohlhoff,  Wilhelm— Heidelberg     ....  163 

Kokoschka,  Oskar — Dresden 249 

Kozma,  Architekt  Ludwig — Budapest       .     .  56 — 60 

Kramstal,  Erich 107  — 108 

Kramstyk,  Roman — Berlin 248 

Krauskopf,  Bruno — Berlin 62 — 69 

Kretzschmar,  Bernhard — Gostritz    ....  331 

Krischer,  Otto — Dresden 337 

Krymow,  W 14 

Kuhn,  Dr.  Alfred — Berlin-Friedenau  .     .     .  117 — 118 

Kurth,  Dr.   W. — Berlin 23 — 30 

Lachnit,  Wilhelm — Dresden 332 

Lange,  Arthur — Dresden 338 

Lasser,  Hans — München 322 

Lauterburg,  Martin — München 312 

Levy,  Rudolf— Berlin 258 

Likarz,  M. — Wien 100 — 103 

Lörcher,  Alfred— Stuttgart 194  —  195 

Lüttgen,  Hans  Heinz — Köln 298 

Lukomsky,  G 17 

Mantegna,  Andrea 40 

Maskos,  Fritz — Dresden 334 

Mense,  Carl — München     ....   178,   184,  319,  320 

Mestrovic,  Professor  Ivan — Agram       .     .   20,  126 — 172 
Michel,  Wilhelm —Darmstadt   175  —  183,   185  —  195,   223 

—  2»4.  333—338 

Münchener  Neue  Secession — München      .     .  308 — 322 

Mfinsterberg,  0 298 

Munch,  E. — Christiania 251 

Nachtlicht,  Leo— Berlin 340—345 

Nadler,  Hans— Gröden 327,  328 

Niebelschütz,  Ernst  von — Magdeburg  66-68,  200-204,  231 

Nowak,  Willi — München 308 

Oäboin,  Dr.  Max— Berlin 247—263 

Fächer,  Michael 208 — 224 

Paul,  Professor  Bruno^Berlin 226 — 244 

Peche,  Dag.  f  86 — 93,  97—99,  106-107,109 — 112,  114 

Pechmann,  Dr.  G.  von — Ilsenburg      ...  69 

Pechstein,  Professor  Max— BerUn  ....  192 — 193 

Pfeiffer,  Max  Adolf — Meißen 291 

Plontke,  Paul — Berlin 253 


Seite 

Porz«llanMAnufaktur,  Staatliche— Meißen     .  276—294 

Raffael 28—29 

Remisow,  N, 7 

Ritter,  H ig,   123—124.  170—172 

Roberti,  Ercole  de 26 

Roerich,  Nikolai 3 

Rößler,  Professor  Paul — Dresden  ....  324 

Rolffsen,  Hans — Hamburg 227 — 229 

Rosa,  Salvator 33 

Russische  Kunst — Berlin 125 

Schaffer,  Gustav — Chemnitz 266 — 273 

Schaschl,  Reni — Wien 104,  112 — 113 

Scheurich,  Paul — Berlin 276,  27g — 281 

Schinnerer,  Adolf — München 310 

Scholderer,  Harald 236 — 238 

Schrimpf,  Georg — München  .     .        182,    185,  316 — 317 

Schröder — Wien io8 — 109 

Schubert,  Otto — Loschwitz 325 

Schuchajew,  Wassili Si  9i   '5 

Schuf f tan,  Eugen — Berlin 341 — 345 

Schüler,  Hans 71 — 72 

Schürer,  Dr.  Oskar — Dresden 325 — 333 


Seewald,  Richard — München 
Selmair,  Ciaire — München      .     ,     .     . 

Singer,  Susi — Wien 

Sintenis,  Ren^e — Berlin 

Ssorin,  Sawely 

Straumer,  Professor  Heinrich — Berlin 
StrzygowsUi,  Professor  Josef — Wien    . 
Thesing,  Paul — Darmstadt     .... 
Thöny,  Wilhelm — München  .... 

Tintoretto,  Jacopo 

Tischler,  Fr. — Charlottenburg     .     .     . 

Tiziano,  Vecellio 

Unold,  Max — München 

Vetter,  Dr.  Adolf— Wien  .... 
Vetter,  Lilli — Hohenaschau  .... 
Volbehr,  Prof.  Dr.  Theodor — München 
Weiß,  Professor  E.  R.— Berlin  .  . 
Wiener  Werkstätte — Wien  .... 
Winter,  Harold — Oberursel   .... 

Wrubel,  Michail  A 

Zak,  Eugen — Berlin 

Zitzewitz,  Augusta  von — Berlin 


74-175 


Seite 

183,    312 

304—306 

104 — 105 

196,    264 

2,  8,    18 

42—50 
127—136 

177 
309 

23 

»54 
22,  38 

315 

87-93 

358-362 

112 — 114 

250 

86—114 

82—84 

10 — II 

»56—257 
116 — 124 


MAX  KÖRNER— NOkNBERO. 


N  Deutsche  Kirnst  und  Dekoration 

3 

D^ 

Bd.  50 


PLEASE  DO  NOT  REMOVE 
CARDS  OR  SLIPS  FROM  THIS  POCKET 

UNIVERSITY  OF  TORONTO  LIBRARY