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Full text of "Deutsches Archiv für klinische Medizin"

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DEUTSCHES  ARCHIV 


FÜR 

KLINISCHE  MEDIZIN. 

HERAUSOBOBBEN 

VON 

Prof.  B.  AUFRECHT  im  Magdeburg,  Prof.  v.BAUER  im  München, Prof.BAEUMLER  inFreiburo, 
Prof.  v.  BOLLINOER  in  München,  Prof.  BOSTRÖM  in  Giessen,  Prof.  BRAUER  in  Marburg, 
Prof.  GURSCHMAKK  in  Leipzig,  Prof.  EBSTEIN  in  G^yrriNOEN,  Prof.  EICHHORST  in  Zürich, 
Prof.  ERB  in  Heidelberg,  Prof.  FIEDLER  in  Dresden,  Prof.  fOrbriNGKR  in  Bbrun,  Prof. 
GERHARDT  in  Jena,  Prof.  HELLER  in  Kiel,  Prof.  HIS  in  GÖttinqen,  Prof.  F.  A.  HOFFMANN 
in  Leipzig,  Prof.  v.  JAKSGH  in  Prag,  Prof.  v.  jOrgeNSEN  in  Tübingen,  Prof.  v.  k£TLY 
in  Budapest,  Prof.  KRAUS  in  Berlin,  Prof.  KREHL  in  Strassburg,  Prof.  LENHARTZ  in 
Hamburg,  Prof.  v.  LEUBE  in  Würzburg,  Prof.  LICHTHEIM  in  Königsberg,  Prof.  LITTEN 
IN  Berlin,  Prof.  MANNKOPFF  in  Marburg,  Prof.  MARTIUS  in  Rostock.  Prof.MATTHES 
IN  Cöln,  Prof.  v.  MERING  in  Halle,  Dr.  G.  MERKEL  in  Nürnberg,  Prof.  MORITZ  in 
OiESSEN,  Prof.  MOSLER  in  Greifswald,  Prof.  F.  MÜLLER  in  München,  Prof.  NAUNYN 
in  Baden-Baden,  Prof.  v.  NOORDEN  in  Wien,  Prof.  PEL  in  Amsterdam,  Prof.  PENZOLDT 
IN  Erlangen,  Prof.  PRIBRAM  in  Prag,  Prof.  PURJESZ  in  Klausenburg,  Prof.  QUINCKE 
IN  Kiel,  Prof.  ROMBERG  in  Tübingen,  Prof.  RUMPF  in  Bonn,  Prof.  SAHLI  in  Bern, 
Prof.  SCHREIBER  in  Königsberg,  Prof.  F.  SCHULTZE  in  Bonn,  Prof.  SENATOR  in 
Berun,  Prof.  STINTZING  in  Jena,  Prof.  ▼.  STRÜMPELL  in  Breslau,  Prof.  THOMA  in 
Magdeburg,  Prof.  THOMAS  in  Freiburg,  Prof.  UNYERRICHT  in  Magdeburg,  Dr.  H.  WEBER 
IN  London,  Prof.  TH.  WEBER  in  Halle  und  Prof.  WEIL  in  Wiesbaden 

REDIGIERT 
von 

Db.  L.  KBEHL,  Db.  f.  MOBITZ, 

Prof.  der  medizinischen  Klinik  Prof.  der  medizinischen  Klinik 

IN  Strassburg  i.  E.  in  Giessen 

UND 

Dr.  f.  MÜLLEB, 

Prof.  der  medizinischen  Klinik  in  München. 


neunundachtzigster  band. 

MIT  81  ABBILDUNGEN  IM  TEXT  UND  4  TAFELN. 


*• 


LEIPZIG, 

VERLAG    VON   F.  C.  W.  VOGEL. 

1907. 


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AUG31  1907 
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CATALOf^UE» 


AUG31  1907 


E.  H.  D. 


Inhalt  des  neuiiundachtzigsten  Bandeä. 

Erstes  bis  Viertes  Heft 

ausgegeben  am  27.  November  1906*  seite 

I.  Beek,  Über  die  Bewertung  der  Frühsjmptome  bei  der  Entzündung 

des  Wurmfortsatzes 1 

II.  Becker.  Operation  einer  Geschwulst  im  Kleinhimbrttckenwiukel. 

(Mit  Tafel  I) 6 

III.  Biekel,  Zur  pathologischen  Physiologie  des  Magenkatarrhs  ...  34 

IV.  Deneke^    Zur    Röntgendiagnostik    seltenerer    Herzleiden.     (Mit 

4  Kurven  und  3  AbbOdungen) 39 

V.  Ebstein.  Zur  klinischen  Geschichte  und  Bedeutung  der  Trommel- 

schlägelünger.    (Mit  10  Abbildungen) 67 

VI.  FraeDekel«    Untersuchungen    zur   Entstehung    der   sogenannten 

spontanen  Magenruptur.    (Mit  5  Kurven) 113 

Vn.  Grfttzner,  Betrachtungen  Über  die  Bedeutung  der  Gefäßrouskeln 

und  ihrer  Nerven 132 

VIII.  Jolly,  Indische  Prioritätsansprüche 148 

IX.  Lupine.  Du  role  des  secretions  dans  la  pathog^nie  du  diab^te  sucre  162 

X.  Mendel)  Gicht  und  Psychose 159 

XI.  Nicolaier,  Über  Verbindungen  der  Harnsäure  mit  Formaldehyd  .  168 
XII.  Raachftifi,  Über  die  paravertebrale  Dämpfung  auf  der  gesunden 

Brustseite  bei  Pleuraergüssen.    (Mit  17  Abbildungen) 186 

XIII.  äamnely.  Stoffwechseluntersuchungen  bei  experimenteller  Anämie  220 

XIV.  Schlttennelm,  Bemerkungen  über  den  Nucleinstoffwechsel  .    .    .  266 
XV.  Schreiber,  Über  Herzblock  beim  Menschen.    (Mit  4  Kurven)    .    .  277 

XVI.  Tintemann^  Zur  Kenntnis  der  Arthrogryposis.    (Mit  1  Kurve)  .    .  284 

XVII.  Tiaden,  Die  Diphtherie  als  Volksseuche  und  ihre  Bekämpfung    .  292 
XVin.  naldvogel,  I.  Zwischenfälle  bei  der  Thorakocentese,  speziell  über 

das  Wesen  der  albuminösen  Expektoration 322 

Waldvogel,  II.  Z^r  Pathocfenese  der  Fettsucht 842 

XIX.  Wyß,  Über  Perkussion  und  Auskultation  der  Säuglinge  und  über 

die  Symptome  der  Lungentuberkulose  im  ersten  Lebensjahre    .    .  351 

XX.  Ebstein,  Wilhelm  Ebstein's  Arbeiten  aus  den  Jahren  1859—1906  367 


Fünftes  und  Sechstes  Heft 

ausgegeben  am  15.  März  1907. 

XXI.  Matthes,  Einige  Beobachtungen  zur  Lehre  vom  Kreislauf  in  der 

Periphene.    (Mit  2  Abbildungen) 381 

XXII.  Kngmnoto.  Zur  Genese  der  Nierenblutungen  bei  Nephritis.    (Mit 

Tafel  n)    .    .    .    .„ 405 

XXm.  Linser  und  Siek,  Über  das  Verhalten  der  Harnsäure  und  Purin« 

hasen  im  Urin  und  Blut  bei  Röntgenbestrahlungen 413 


—     IT     — 

XXIV.  Milllery  Klinische  Beiträge  zur  Physiologie  des  sympathischen 

Nenrensystems 432 

XXV.  Kftlbg,  ßeitrSge  znr  Pathologie  des  Blutdrucks.    (Mit  3  Kurven)    457 
XXVI.  Bittorf  und  Joehnann,  Beitrage  zur  Kenntnis  des  Kochsalzstoff- 
wechsels.   (Mit  2  Kurven) 485 

XXVII.  Rogge  und  Mttller,  Tabes  dorsalis,  Erkrankungen  der  Zirkalations- 

orfi[ane  und  Syphilis 514 

XXVIII.  Sehnlti)  Über  das  Hydrocephalusstadium  der  epidemischen  Ge- 
nickstarre.   (Mit  2  Abbildungen) 547 

XXIX.  Hesae,  Der  Einfluß  des  Rauchens  auf  den  Kreislauf 565 

XXX.  Esaer.   Blut  und   Knochenmark  nach  Ausfall  der  Schilddrüsen-* 

funktion 576 

XXXI.  SehmoU,  Paroxysmale  Tachykardie.    (Mit  14  Kurven)     ....    594 
XXXIT.  Sebieffer.  Über  HerzvergröOenyng  infolge  Radfahrens.   (Mit  4  Ab- 
bildungen)   604 

XXXIII.  Kleinere  und  kasuistische  Mitteilungen. 

1.  Wagener.  Thrombenbildung  am  durchgängigen  Ductus  arte- 
riosus  (Botalli).    (Mit  Tafel  III) 626 

2.  Wiehern,  Über  einen  Fall  von  sog.  „essentieller  Wassersucht*'    631 

3.  Hann  und  Sehmaas,  Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  unter 
dem  Bilde  des  Landry'schen  Symptomenkomplexes  verlaufenden 
Krankheitsfälle.    (Mit  Tafel  IV) 643 

XXXrV.  Besprechungen. 

1.  Naonyii.  Der  Diabetes  mellitus.   (Krehl.) 649 

2.  Lenhartz«  Jahrbücher  der  Hamburgischen  Staatskrankenan- 
stalten.    (Moritz.) 660 

Yerzelehnis  der  bei  der  Bedaktloa  eiagegangenen  Bücher 651 


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DEUTSCHES  ARCHIY 

FÜR 

KLINISCHE  MEDIZIN 

89.  BAND.     1.— 4.  HEFT. 


Festschrift 

HERRN 

GEE-RAT  PROF.  DR.  WILHELM  EBSTEIN 

IN  GÖTTINGEN 
ZUR 

FEIER  SEINES   70.  GEBURTSTAGES 

AM  27.  NOVEMBER  1906 
GEWIDMET. 


HIT  1  BILDNIS,   1  TAFEL  UND  44  ABBILDUNGEN  IM  TEXT. 


LEIPZIG, 
VERLAG   VON    P.  C.  W.  VOGEL 

1906. 


WILHELM  EBSTEIN 


ZUR 


FEIER  SEINES  70.  GEBURTSTAGES 


IN 


FREUNDSCHAFT,  VEREHRUNG  UND  DANKBARKEIT 


ZUGEEIGNET 


VON 


SEINEN  FREUNDEN  UND  SEINEN  SCHÜLERN. 


Inhalt  des  neunundaohtzigsten  Bandes. 

Heft  1—4. 

Seite 
I.  Carl  Ueeky  New- York. 

Über  die  Bewertung  der  Frtthsymptome  bei  der  EntzÜndimg  des  Wurmfort- 
satzes              1 

II.  Ernst  Becker,  Hildesheim. 
Operation  einer  Geschwulst  im  Kleinhimbrückenwiukel.    (Mit  Tafel  D    .    .       6 

in.  Adolf  Bickel,  Berlin. 
Zur  pathologischen  Physiologie  des  Magenkatarrhs 34 

IT.  Th.  Deneke,  Hamburg. 
Zur  Röntgendiagnostik  seltenerer  Herzleiden.    (Mit  4  Kurven  und  3  Abbil- 
dungen)   39 

Y.  Erleh  Ebstein,  München. 
Zur  klinischen  Geschichte  und  Bedeutung  der  Trommelschlägelfinger.    (Mit 

10  Abbildungen) 67 

Tl.  Paal  Fraenekel,  Berlin. 
Untersuchungen  zur  Entstehung  der  sogenannten  spontanen  Magenruptur. 

(Mit  5  Kurven) 113 

TU.  P«  Grfltsner,  Tübingen. 
Betrachtungen  über  die  Bedeutung  der  Gefäßmuskeln  und  ihrer  Nerven     .    132 

TUI.   Julias  JoUy,  Würzbnrg. 
Indische  Prioritätsansprüche •   .    .    .    148 

IX.  R«  Lupine,  Lyon. 

Du  röle  des  secr^tions  dans  la  pathogenie  du  diab^te  sucre 152 

X.  E.  Mendely  Berlin. 

Gicht  und  Psychose 159 

XI.   Arthur  Nieolaier,  Berlin. 
Über  Verbindungen  der  Harnsäure  mit  Formaldehyd 168 

XII.  C.  Rauchftiß,  St.  Petersburg. 

Über  die  paravertebrale  Dämpfung  auf  der  gesunden  Brustseite  bei  Pleura- 
ergüssen.   (Mit  17  Abbildungen) 186 

XIII.  Franz  Samnely^  Göttingen. 
Stoffwecbseluntersuchungen  bei  experimenteller  Anämie 220 

XIT.  Alfred  Scliittenhelm,  Berlin. 
Bemerkungen  über  den  Nucleinstoffwechsel 266 

XT.  E.  Sehreiber,  Magdeburg. 
Über  Herzblock  beim  Menschen.    (Mit  4  Kurven) 277 

XTI.  Tintemann,  Göttingen. 
Zur  Kenntnis  der  Arthrogryposis.    (Mit  1  Kurve) 284 


—       VI      — 

Seite 
Xyn.  TJaden,  Bremen. 
Die  Diphtherie  als  Volksseuche  und  ihre  Bekämpfang 292 

XYIII.  Waldrogel,  Göttiugen. 
I.  Zwischenfillle  bei  der  Thorakocentese,  speziell  über  das  Wesen  der  albn- 

minSsen  Expektoration 322 

n.  Zar  Pathogenese  der  Fettsacht 342 

XIX.  Oskar  Wyfi,  Zttrich. 
Über  Perkussion  und  Ansknltation  der  Sftn^linge;  über  die  Symptome  der 

Lnngentnberknlose  im  ersten  Lebensjahre 351 

XX«  Erieh  EbsieiB,  Mflnefaen. 
Wilhelm  Ebstein's  Arbeiten  aus  den  Jahren  1859—1906 367 

Nachtrag  su  XII.  C.  RAvehfaß 379 


s 


,      AUG31  1907    ^ 


1. 


Über  die  Bewertung  der  FrflhBymptome  bei  der 
fintzOndmig  des  Wurmfortsatzes. 

Prof.  Dr.  Carl  Beok  (New- York). 

(Mit  Zagrtmdziegnng  einiger  in  der  Berliner  med.  Oesellschaft  am  25.  Jali  1806 

gemachten  Bemerkungen.) 

Mit  einer  großen  Anzahl  von  Kollegen  teile  ich  die  Ansicht,  daß 
die  Appendicitis  ein  infektiöser  Vorgang  ist,  welcher  sich  auf  dem 
wohlgepflügten  Felde  eines  chi^onischen  Beizzustandes  entwickelt,  und 
zwar  in  einem  Warmfortsatz,  welcher  dorch  erhebliche  Disposition^ 
denn  es  gibt  ja  Appendicitisfamilien,  wie  es  Gallensteinfamilien  usw. 
gibt,  durch  besondere  Lage  der  Organe,  Lebensweise,  gewisse  Zir- 
kttlationsvorgänge,  Druckmomente  oder  auch  durch  eine  Anzahl  von 
Imponderabilien  derart  beeinflußt  wird,  daß  eben  irgend  ein  weiteres 
Je  ne  sais  quoi  den  akuten  Anfall  bringt,  und  es  scheint  mir  nicht, 
als  ob  das  Bakterium  dabei  die  Hauptrolle  spielt.  Natürlich  ohne 
Bakterium  keine  Infektion,  aber  die  ursprünglichen  Vorbedingungen 
sind  doch  wohl  nicht  vom  Bakterium  abhängig.  In  der  Mehrzahl 
der  Fälle  ist  die  Diagnose  der  Entzündung  des  Wurmfortsatzes 
nicht  schwer  zu  stellen. 

Die  Anamnese  ergibt  gewöhnlich  gestörtes  Allgemeinbefinden, 
mehr  oder  minder  ausgesprochene  Übelkeit  oder  gar  Erbrechen  und 
Schmerzgefühl  in  der  Gegend  des  Blinddarms.  In  einer  Beihe  von 
Fällen  verlegen  die  Patienten  den  Schmerzpunkt  zuerst  in  die  Gegend 
des  Nabels  und  erst  einige  Stunden  später  in  die  des  Blinddarms.  Im 
Einklang  damit  stehen  die  objektiven  Symptome :  Druckschmerzen  in 
der  Gegend  des  sogenannten  Mc  Burney 'sehen  Punktes  (zuweilen 
auch  nach  oben  oder  unten,  je  nach  der  verschiedenen  anatomischen 
Lage  des  Wurmfortsatzes),  eine  mehr  oder  minder  hohe  Steigerung  der 
Temperatur  und  der  Pulsfrequenz,  die  Rigidität  der  rechtsseitigen 

Detttsobes  Archiv  f.  bÜD.  Medizin.    89.  Bd.  1 


2  i*  Beck 

• 

Baucbmuskalatur,  häufig  auch  eine  ausgesprochene  Empfindlichkeit 
des  Psoasmuskels  bei  der  Erhebung  des  Schenkels. 

Der  Lenkocytenzählung  kann  ich  bei  der  Frühdiagnose  keinerlei 
entscheidende  Bedeutung  zumessen. 

Unter  allen  Symptomen  ist  das  wichtigste  der  durch  den  pal- 
patorischen  Druck  ausgelöste  Schmerz.  Das  Spiel  der  Gesichts- 
muskeln beim  Schmerzausdruck  des  Patienten  läßt  oft  auf  den  Grad 
der  Entzündung  schließen.  Wenn  man  vorsichtig  von  der  linken 
Seite  her  gleitend  und  die  Hand  gegen  die  Cöcalgegend  schiebend  beim 
Gefühl  einer  Resistenz  plötzlich  in  die  Tiefe  drflckt  und  dabei  eine 
plötzliche  intensive  Schmerzensäußerung  des  Patienten  an  klassischer 
Stelle  wahrnimmt,  so  kann  man  schon  mit  ziemlicher  Sicherheit  an- 
nehmen, daß  es  sich  um  die  Entzündung  des  Wurmfortsatzes  handelt. 

,  Ich  will  nicht  bestreiten,  daß  beim  Weibe  ab  und  zu  eine  Ver- 

wechslung mit  Salpingitis  vorkommen  kann,  ich  selbst  habe  aber 

;  dort  niemals  dieses  charakteristische  „Insichzusammenfahren^  be- 

obachtet, wie  es  bei  der  Entzündung  des  Wurmfortsatzes,  dem 
Darmpanaritium,  oft  geradezu  verblüfil. 

Die  Palpation  sollte  nie  von  der  rechten  Seite  aus  direkt  vor- 
genommen werden.  Der  Patient  muß  sich  erst  an  das  Palpations- 
manöver  gewöhnen,  so  daß  er  einen  geringen  Muskelwiderstand 
entgegensetzt.  Man  lasse  ihn  die  Beine  leicht  anziehen  und  tief 
atmen,  während  man  in  die  Tiefe  zu  gleiten  versucht.  Man  nähere 
sich,  Sit  venia  verbo,  schleichend  wie  ein  Dieb  von  der  Seite,  bis 

1  man  allmählich  an  das  Corpus  delicti  stößt. 

'  Wo  man  bei   objektivem  Verdacht  auf  die  Entzündung  des 

Wurmfortsatzes  palpatorische  Anhaltspunkte  vermißt,  da  versäume 
man  niemals  die  Untersuchung  per  rectum.  Die  Lage  des  Wurm- 
fortsatzes kann  außerordentlich  verschieden  sein.  Ich  habe  wieder- 
holt, die  Spitze  dieses  allen  erdenklichen  Launen  unterworfenen 
Organs  am  Leberrand  gefunden,  noch  viel  häufiger  aber  direkt 
über  der  Flexur.  Da  erzeugt  man  dann  bei  hoher  Einführung  des 
Fingers  denselben  intensiven  plötzlichen  Schmerzausdruck,  wie  ich 
ihn  bei  der  äußeren  Palpation  beschrieb.  Im  Frühstadium  solcher 
Fälle  sind  von  der  Ileocöcalgegend  her  keinerlei  palpatorische  An- 
haltspunkte zu  gewinnen. 

Wo  diese  Erscheinungen  ausgesprochen  sind,  da  ist  die  Diagnose 
leicht,  in  einer  sehr  erheblichen  Anzahl  von  Fällen  jedoch  ist  das 
frühzeitige  klinische  Bild  undeutlich  oder  gar  völlig  verwischt,  so 
daß  der  Unerfahrene  überhaupt  ein  Bestehen  einer  Entzündung 
des  Wurmfortsatzes   für   ausgeschlossen  hält  oder  die  Symptome 


Bewertung  der  Frühsymptome  bei  der  Entzündung  des  Wurmfortsatzes.      3 

tragen  einen  so  eminent  milden  Charakter,  daß  Bettruhe,  Diät  und 
Opium  genügend  erscheinen,  um  die  leichte  „Eotstauung^  zu  be- 
heben. Die  grausame  Erfahrung  aber  lehrt,  daß  sich  unter  der 
Maske  dieser  „milden  Sjrmptome^  schwere  anatomische  Verände- 
rungen bargen,  welche  allzuspäte  Erkenntnis  leider  auch  heute  noch 
unzählige  Menschenleben  fordert. 

Mit  dieser  Tatsache  faßt .  uns  der  Wurmfortsatzfrage  ganzer 
Jammer  an.  Ja,  in  dieser  Unmöglichkeit,  die  Dignität  der  Ent- 
zündung im  Frühstadium  zu  diagnostizieren,  liegt  die  Erklärung  zu 
der  Verschiedenheit  der  Indikationsstellung  und  zu  dem  Streit 
zwischen  den  verschiedenen  Vertretern  extremer  Ansichten.  Es  war 
diese  schmerzlich  empfundene  Unsicherheit,  welche  auch  mir  gleich 
einigen  anderen  hiesigen  Chirurgen  das  Messer  in  die  Hand  drückte, 
zu  einer  Zeit,  als  man  in  Deutschland  die  Frühoperation  als  eine 
amerikanische  Verirrung  schwer  verurteilte.  Ich  darf  es  mir  er- 
sparen, heute  auf  die  Gründe  einzugehen,  welche  mich  trotz  vieler 
herber  Kritikasterei  unentwegt  auf  meinen  radikalen  Standpunkt 
beharren  ließen.  Ich  erörterte  dieselben  in  der  Berliner  klinischen 
Wochenschrift  1896,  Bd.  37  u.  38  und  in  der  Sammlung  klinischer 
Vorträge,  Nr.  221  im  Jahre  1898.  Meine  seit  dieser  Zeit  gewon- 
nenen Erfahrungen,  welche  sich,  um  mehr  als  1000  Beobachtungen 
vermehrten,  haben  meine  Ansicht,  daß  die  Frühoperation  stets  ge- 
boten sei,  nur  befestigt 

Am  grellsten  scheint  mir  die  Hinterlist  des  Wurmfortsatzes 
durch  denjenigen  Typus  illustriert,  welchen  ich  als  die  zirkumskript 
gangränöse  Form  bezeichnete,  bei  der  man  stets  Konkremente  findet. 
Ich  will  die  Frage  nicht  berühren,  ob  der  Stein  die  Ursache  oder 
die  Folge  eines  milden  chronischen  Entzfindungsvorganges  ist,  aber 
genug,  er  ist  da,  wenn  man  den  Wurmfortsatz  eröffnet.  Und  man 
staunt  dann,  in  welchem  Kontrast  die  anatomischen  Befunde  zu 
den  milden  Symptomen  stehen. 

Es  ist  übrigens  die  Frage  was  man  Frühstadium  nennen  soll,  denn 
bei  diesem  Typus  kann  sich  3  oder  4  Tage  ein  langsamer  Prozeß,  eine 
Art  frühesten  Vorstadiums,  in  der  Tiefe  abspielen,  ohne  daß  wir  über- 
haupt Symptome  sehen,  d.  h.  der  Patient  kann  sich  leidlich  wohl  be- 
finden ;  Puls,  Temperatur  und  Lokalsymptome  können  beinahe  normal 
sein,  wir  schneiden  ein,  nicht  der  Not  gehorchend,  sondern  weil  wir 
eben  mehr  oder  weniger  gelernt  haben,  auch  die  anscheinend  leichten 
Fälle  zu  furchten  und  finden  zu  unserem  großen  Erstaunen  einen 
schwarzverfärbten  Wurmfortsatz  mit  Perforation.  Wer  würde  ge- 
wagt haben,  a  priori  eine  solche  Diagnose  mit  Bestimmtheit  zu 

1* 


4  I.  Bbck 

Stellen  ?    Wir  wissen  also,  däfi  wir  uns  auf  unsere  Diagnostik  nicht 
ganz  verlassen  können.    Deshalb,  infolge  des  Bewußtseins  unserer 
Unsicherheit,  operieren  wir  also  in  solchen  Fällen.    Wir  können 
es  uns  ganz  gut  anatomisch  vorstellen,  warum  die  Erscheinungen 
bei  dieser  Form  klinisch  nicht  so  sehr  zum  Ausdruck  gelangen. 
Um  den  Stein  entsteht  eine  üsur.    Der  Vorgang  der  Durchreibung,, 
welcher  folgt,  ist  ein  so  langsamer,  daß  sich  plastische  Exsudate,, 
vielleicht  eine  schützende  Adhäsionsschicht  bilden,  also  ein  nekro- 
biotischer   Prozeß.     Zuletzt  ist  vielleicht  nur  noch    eine  kleine^ 
spinnwebengleiche,  vielleicht  makroskopisch  nicht   wahrnehmbare 
Membran  da.    Bis  zu  diesem  Momente  braucht  notgedrungen  ein 
symptomatischer  Wellenschlag  nicht  vorhanden  zu  sein,  weshalb 
der  behandelnde  Arzt  seinen  derart  afflzierten  Patienten  in  einem 
ganz  guten  Zustande  verläßt.    Er  nennt  den  Fall  einen  milden  und 
verläßt  beruhigt  am  Abend  das  Krankenbett.  In  der  Nacht  schreitet 
die  gangräneszierende  Perforation  langsam  fort.    Vielleicht  ist  sie 
noch  bei  vollem  Wohlsein  eingetreten,  die  Absorption  wird  aber 
noch  eine  Weile  dadurch  hintangehalten,  daß  der  Stein  selbst  die 
von  ihm  gemachte  Lücke  ausfüllt  utid  erst  am  Morgen  die  Eruption 
vollendet.    Dann  freilich  erkennt  der  Arzt  die  Peritonitis,  er  dringt 
auf  sofortige  Operation,  es  ist  aber  schon  zu  spät' und  der  Patient 
stirbt.    Hier  wird  die  Frage  zur  Tragödie.    Und  wir  sollten  uns 
deshalb  klar  über  unsere  Täuschungsfahigkeit  werden.    Die  drängt 
uns  zur  chirurgischen  Tat,  mit  der  vollen  Überzeugung,  daß  wir 
gewiß  manchen  Appendix  opferten,  der  auch  ohne  unser  Messer 
gesund  geworden  wäre,  ja,  daß  wir  vielleicht  sogar  dem  einen  oder 
anderen  Patienten  eine  Adhäsion  beibrachten,  wegen  der  er  später 
noch  einmal  operiert  werden  muß,  während  er  ohne  unser  Zutun 
geheilt  worden  wäre.     Wollen  Sie  deshalb   einen  Stein   auf  uns^ 
werfen  ?   Wer  aber  wagt  es,  andererseits  von  vornherein  behaupten 
zu  wollen:  Dies  ist  ein  milder  Fall,  der  unoperiert  gut  verlaufen 
wird,  oder  dieser  oder  jener  Fall  muß  gleich  operiert  werden,  sonst 
stirbt  er.    Nach  dem  heutigen  Stand  unserer  Wissenschaft  kann 
niemand  die  Verantwortung  hierfür  tragen.    Und  deshalb  hängt 
an  dieser  Unsicherheit  die  Beantwortung  der  ganzen  Frage.    Ich 
sage  mir  also,  wenn  ich  gleich  hier  und  dort  eine  diagnostische 
SQnde  beging,  so  habe  ich  andererseits  wieder  eine  große  Reihe  von 
Patienten  gerettet,  welche  ich,  wie  der  Befund  nach  dem  Ein- 
schneiden in  die  Bauchhöhle  erwies,  bei  einem  Zuwarten  von  weiteren 
24  Stunden  nicht  mehr  hätte  retten  können.    Denn  in  den  letzten 
Jahren  ist  mir  kein  Fall  gestorben,  den  ich  in  den  ersten  24  Stunden 


Bewerttmg  der  Frtthsymptome  bei  der  EntzUndiuig  des  Wurmfortsatzes.     5 

operierte.  Wir  wählen  also  am  besten  von  zwei  Übeln  das  kleinere» 
und  das  kleinere  ist  die  Frühoperation. 

Durch  sie  befreien  wir  den  Patienten  von  dem  Risiko,  sein 
Leben  an  eine  auf  ungewisser  anatomischer  Diagnose  fufiende  Spät- 
operation zu  binden.  Wir  entheben  ihn  femer  ein  für  allemal 
der  Gefahr  einer  rezidivierenden  Entzündung,  welche  im  besten 
Falle  seine  Arbeitsfähigkeit  ui^  Lebensfrendigkeit  bedeutend 
herunterstimmt. 

Bezüglich  der  Frage,  ob  man  nach  jedem  aberstandenen  An- 
fall von  Warmfortsatzentzündung  operieren  solle ,  müssen  wir  m^s 
von  gleichen  Grundsätzen  leiten  lassen.  Die  Dominante  unseres 
Handelns  ist  auch  hier  die  Unsicherheit  der  Prognose.  Obgleich 
de  facto  nicht  gänzlich  zutreffend,  so  keanzeichnet  doch  das 
amerikanische  Sprichwort:  Once  appendicitis,  always  appendicitis 
(Einmal  Appendicitis,  immer  Appendicitis)  die  Situation  in  Ulu- 
strativer  Weise.  Es  ist  wohl  wahr,  daß  es  eine  nicht  unbeträcht- 
liche Anzahl  von  Wurmfortsatzentzühdungen  gibt,  welche  heilen, 
ohne  daß  das  Messer  eine  Bolle  gespielt  hätte.  Und  zwar  geschieht 
das  nicht  bloß  temporär,  sondern  gar  nicht  zu  selten  dauernd. 
Ja,  gerade  der  Entzündungsprozeß  kann  zu  vollkommener  Oblite- 
ration  und  damit  zu  völliger  Heilung  führen.  Aber  wer  wagt  die 
verantwortungsvolle  Frage  zu  beantworten :  „Welche  Fälle  sind  es 
die  dauernd  gesunden  und  welche  nicht?**  Wer  im  Warten  die 
Antwort  sucht,  dem  kann  es  just  passieren,  daß  ein  rascher  töd- 
licher Anfall  die  Frage  entscheidet,  noch  ehe  er  sich  zur  Ope- 
ration entschließen  konnte. 


IL 
Ans  dem  städtischen  Krankeuhanse  zn  Hildesheim. 

Operation  einer  Geschwulst  im  KieinhimbrflckenwinkeL 

Von 

Dr.  Ernst  Becker,  Oberarzt. 

(Mit  Tafel  I.) 

Im  «Tahre  1870  machte  nnser  Jabilar^)  als  jnnger  Assistent 
am  AUerbeiligenhospital  in  Breslau  das  Gehirn  einer  dem  Brannt- 
weingenusse  sehr  ergebenen  Priesterin  der  Venus  vulgivaga  zum 
Gegenstande  einer  wissenschaftlichen  Abhandlung  und  führte  den 
Nachweis,  daß  eine  fast  vollständige  Zerstörung  einer  Kleinhirn- 
hemisphäre symptomlos  verlaufen  kann. 

18  Jahre  später  habe  ich^)  als  Ebstein 's  Assistent  an  der 
Göttinger  medizinischen  Klinik  den  Sektionsbefund  eines  jungen 
Mädchens  mitgeteilt,  welches  trotz  hochgradiger  Zerstörung  des 
Kleinhimwurmes  durch  eine  apoplektische  Cyste  ebenfalls  keinerlei 
Krankheitszeichen  bei  Lebzeiten  dargeboten  hatte.  Beide  Arbeiten 
sollten  die  vielleicht  etwas  zu  schroff  hingestellte  Theorie  N  o  t  h  - 
nagel's  über  die  Bedeutung  des  Kleinhirns,  insbesondere  des 
Wurmes,  einschränken. 

Wiederum  18  Jahre  später  ist  es  mir  in  eigener  Anstaltstätig- 
keit vergönnt  gewesen,  einen  Einblick  in  die  hintere  Schädelgrube 
des  Menschen  zu  tun  —  dieses  Mal  aber  beim  Lebenden. 

Die  kurze  Spanne  eines  Menschenalters  hat  genügt,  um  Wand- 
lungen in  der  Kenntnis  der  Gehirnpathologie  hervorzurufen,  die 
damals  selbst  der  Kühnste  nicht  zu  erhoffen  wagte.  NothnageTs 
berühmte    Monographie    der   Gehirnkrankheiten    beschränkt   sich 


1)  Ebstein,  Großes  Osteom  der  linken  Eleinhirnhemisphäre.     Yirchow's 
Archiv  Bd.  49  S.  145  ff. 

2)  E.  Becker,  Ein  Fall  von  hochgradiger  Zerstörnng  des  Kleinhimwurmes 
usw.    Virchow's  Archiv  Bd.  114  S.  173 ff. 

3)  Nothnagel,  Topische  Diagnostik  der  Gehimkrankheiten.    Berlin  1879. 


Operation  einer  Geschwulst  im  KleinhimbrttckenwinkeL  7 

lediglich  auf  die  Diagnostik  —  denn  eine  Therapie  gab  es 
nicht!  Insbesondere  waren  die  Geschwülste  des  Gehirns  für  den 
inneren  Kliniker  nur  ein  interessantes  Objekt  zur  Schalung  seines 
diagnostischen  Scharfsinnes  und  ein  Leckerbissen,  dessen  Genuß 
ihm  erst  der  Pathologe  verschaffen  sollte. 

Jetzt  denkt  man  anders.  „Das  Endziel  aller  unserer 
klinischen  Bestrebungen  ist  immer  die  Heilung  des 
Kranken",  sagt  LttdwigBruns^)in  seiner  vortrefflichen  Studie 
über  die  Geschwülste  des  Nervensystems,  „und  wo  das  nicht  er- 
reichbar ist,  die  möglichste  Linderung  seiner  Leiden.  Eine  Hei- 
lung ist  bei  der  großen  Mehrzahl  der  Geschwülste  des  Nerven- 
sjTstems  nur  auf  chirurgischem  Wege  möglich;  die  Pflicht 
des  Neurologen  ist  es,  durch  seine  Arbeit  dazu  beizutragen, 
daß  immer  mehr  Fälle  dieser  Art  möglichst  frühzeitig  und  mit 
sicherer  Diagnose,  mit  anderen  Worten  u n t e r  den  günstigsten 
Bedingungen  für  eine  radikale  Heilung  dem  Chirurgen 
zugewiesen  werden  könnend  „Ich  selber  halte  nach  wie 
vor,  trotz  vieler  Enttäuschungen  und  Mißerfolge  und  trotzdem  ich 
immer  wieder  dazu  raten  möchte,  die  Hoffnungen  nicht  zu  hoch  zu 
spannen,  an  der  Ansicht  fest,  daß  die  chirurgische  Behandlung  der 
Hirn-  und  Bückenmarksgeschwülste  und  die  Erfolge,  die  diese 
Operationen  gezeitigt  haben,  zu  den  größten  Errungenschaften  der 
wissenschaftlichen  Medizin  des  letzten  Viertels  unseres  Jahrhunderts 
gehören;  ich  habe  auch  Vertrauen  in  die  Zukunft  dieser  Bestre- 
bungen und  ich  glaube  nicht,  daß  sie  je  wieder  von  der  Tages- 
ordnung verschwinden  werden." 

Der  in  den  folgenden  Blättern  mitgeteilte  Fall  einer  leider 
tödlich  verlaufenden  Op  eration  einer  Geschwulst  des 
Kleinhirnbrückenwinkels,  bei  welcher  ich  mich  der  dia- 
gnostischen Unterstützung  des  Herrn  Professor  Bruns  zu  er- 
freuen hatte,  mag  als  ein  bescheidener  Beitrag  zu  den  chirurgi- 
schen Bestrebungen  der  neuesten  Zeit  aufgefaßt  werden. 

Karze  Inhaltsangabe. 

36jähriger  kräftiger  Mann  aus  gesunder  Familie 
erkrankt  vor  einem  halben  Jahre  an  Kopfschmerzen 
zumal  im  Hinterhaupt,  Schwerhörigkeit  und  Sausen 
auf  dem  linken  Ohre  und  unsicherem  Gang.  Gelegent- 
lich  Schwindelanfälle    und   Hinstürzen.     Selten    Er- 


1)  Bruns,  Die  Geschwülste  des  Nervensystems.   Berlin  1897. 


8  U..  Bbgkeb 

brechen.  Da2u  gresellen  sieb.  AagenstÖrangen,  welche 
anfangs  nur  in  Sehläuge^Üung  der  Venen  an  der  Fa- 
püle  bestanden.  Trotz  Schwitzkaren  und  antisyphi- 
litiseher  Behandlung  entwickelt  sich  eine  Stauungs- 
papille beiderseits  (Ende  Januar  1906).  April:  linke 
Pupille  weiter  als  die  rechte,  reaktionslos.  Keine 
Augenmuskellähmung.  Ende  März  1906:  Reaktions- 
lose  Pupille.  Cerebellare-r  Gang.  Ohrensausen  links. 
Trigeminusneuralgie  links. 

Diagnose:  Tumor  in  der  linken  hinteren  Schädel- 
grube. 

Operation  nach  Krause  am  11.  April  1906.  Ent- 
fernung eines  Fibroms  des  Kleinhirnbräckenwinkels 
linkerseits.  Tod  nach  3  Stunden  im  Kollaps.  Bei  der 
Sektion  fand  sich  keine  Nachblutung,  im  übrigen  be- 
langloser Befund. 

Krankengeschichte. 

E.,  Heinrich,  36  jähriger  Landwirt  aus  Groß-Giesen  bei  Hildesheiin. 

Patient  wnrde  mir  im  Januar  1906  von  dem  hiesigen  Augenarzte 
Herrn  Dr.  Spengler  zugewiesen  mit  der  Diagnose  Hirntumor.  Ich 
empfahl  ihm,  sich  zur  Beobachtung  im  städtischen  Krankenhause  auf- 
nehmen zu  lassen ;  indessen  kam  er*  dieser  Aufforderung  zunächst  m<chfc 
nachy  sondern  fand  sich  erst  am  7.  April  1906  ein  auf  Empfehlung  seines 
Hausarztes  Herrn  Dr.  Kluge  in  Sarstedt,  nachdem  sein  Leiden  sich  er- 
heblich verschlimmert  hatte. 

Er  gab  an,  früher  niemals  ernstlich  krank  gewesen  zu  sein  und  aus 
gesunder  Familie  zu  stammen.  Soldat  ist  er  aus  ihm  unbekannten  Gründen 
nicht  gewesen.  Nach  üilitteilung  seines  Hausarztes  ist  er  seinem  jüngeren 
Bruder  von  jeher  sowohl  körperlich  wie  geistig  unterlegen  gewesen»  so 
daß  er  sich  ihm  gegenüber  stets  ^zurückgesetzt^  fühlte.  Seit  ungefähr 
einem  halben  Jahre  leidet  er  an  heftigen  Kopfschmerzen  zumal  im  Hinter- 
kopfe, unmittelbar  über  dem  Nacken.  Dazu  gesellte  sich  bald  Schwer- 
hörigkeit auf  dem  linken  Ohre  und  Sausen  in  demselben.  Wann  sein 
Gang  unsicher  geworden  ist,  vermag  er  mit  Bestimmtheit  nicht  anzugeben. 
Ausgesprochene  Schwindelanfalle  mit  Hinstürzen  hat  er  etwa  zwei-  oder 
dreimal  erlitten.  Dabei  stellte  sich  auch  Erbrechen  ein.  Nach  Ablauf 
des  Anfalles  sei  der  Gang  unsicher  und  taumelnd  gewesen.  Dr^hschwindel 
nach  einer  bestimmten  Seite  will  er  nicht  gehabt  haben.  Seit  Monaten 
bestanden  Augenstörungen,  auf  welche  noch  genauer  einzugehen  ist.  Das 
Ohrensausen  nahm  in  letzter  Zeit  derartig  zu,  daß  er  schließlieh  fast 
nichts  mehr  hören  konnte;  auch  auf  dem  rechten  Ohre  nahm  das  Hör- 
vermögen ab ;  Ohrensausen  fehlte  hier  aber. 

Herr  Augenarzt  Dr.  Spengler  stellte  mir  seine  Beobachtungen  an 
dem  Ejranken  freundlichst  zur  Verfügung:  ^Am  8.  November  1905: 
klagt  über  zeitweilige  Verdunkelung  vor  den  Augen  und  vorübergehende 


Operation  einer  Geschwulst  im  Kleinhimbrttckenwinkel.  9 

YerscklecfateniDg   des    Sehens.     Diese  Anfälle  waren  von  einiger  Dauer. 
Ophthalmoekopisch  •rscheinen  die  Venen  hochgradig  geschwellt,  Papillen 
Terwaschen  nit  einem  Ton  ins  Graue,  aber  keine  Sohwellung. 
Kein  Astigmatismus. 


R.  1,0  \ 
L.  1,0  / 


Sehschärfe,  Qläser  bessern  nichts. 

Harn  frei  von  Eiweiß  und  Zucker.  Hört  links  schlecht.  Diagnose: 
Keuritis  intraocnlaris  oculi  utriusque.  Therapie:  Seh witiskuren  mit 
Aspirin.  Senffoißbäder.  JodkalL  25.  November:  R.  und  L.  1,0  D, 
Gesichtsfeld  wenig  peripher  eingeschränkt,  Arterien  sehr  dünn.  8.  De- 
zember: Schwitzen  hört  auf.  Schmierkur.  Injektionen  Ton  Hydrar-. 
gyrum  cyanatnm.  Sehschärfe  beiderseits  unverändert.  19.  Januar  1906: 
Bäder.  Jodkali.  Diagnose:  Chronische  Meningitis?  23.  Januar: 
Vorgestern  plötslicher  Ohnmachtsanfall  und  halbstündige  Bewußtlosigkeit; 
seitdem  Sehwindel  und  Kopfdruck.  Deutliche  Stauungspapille,  etwa  6 — 8 
Dioptrien  beiderseits.  Sehschärfe  beiderseits  1,0,  Gesichtsfeld  kaum  ein- 
geengt.    Diagnose:  Tumor  cerebri. 

26.  Februar:  R.   1,0(?),  L.  0,9 -|- 10  D,  bds.  Papillenschwellung. 

15.  März:  R.  0,35,  L.  0,75. 

Gesichtsfeld  nach  unten  stark  eingeengt,  links  mehr  als  rechts.  Nur 
unbedeutende  Drucksymptome,  Sensorium  frei.  Unsicherer  Gang.  Pa- 
tellarreflex  links  lebhaft.  Leichte  Parese  im  linken  Arm  und  Bein(?); 
ziehende  Schmerzen  im  linken  Arm.  Keine  Ataxie,  keine  Sensibilitäte- 
störungen,  Geruch  und  Geschmack  normal,  Gehör  wie  anfangs.  Es  wurde 
der  Vorschlag  einer  Trepanation  gemacht. 

17.  März:  Sehschärfe  R.  0,15,  L.  0,6  D. 

4.  April:  Linke  Pupille  ist  weiter  als  die  rechte,  reagiert  weder 
bei  Akkomodation  noch  auf  Licht einfall ;.  rechts  träge  Reaktion  auf  Licht- 
einfall. Bulbi  nach  allen  Seiten  gleichmäßig  und  ausgiebig  beweglich. 
Doppelsehen  fehlt.  Sehprüfung:  R.  Fingerzählen  auf  1,5  m,  L.  Hand- 
bewegungen auf  0,5  m.  Die  untere  Gesichtsfeldhälfte  fällt  links  bis  zum 
Fixierpunkt  aus,  rechts  ist  sie  hochgradig  eingeschränkt.  Ophthalmo- 
akopiseher  Befund  seit  23.  Januar  unverändert:  hochgradige  Stauungs- 
papille (8 — 10  D),  keine  Atrophie.''  — 

Inzwischen  hatte  Patient  in  Gemeinschaft  mit  seinem  Hausarzte  den 
Spezialarzt  für  Nervenkrankheiten,  Herrn  Professor  Bruns  in  Hannover 
am  31.  März  1906  konsultiert,  welcher  die  Güte  hatte,  mir  sein  XJnter- 
suohungsergebnis  zum  Zwecke  der  Publikation  zur  Verfügung  zu  stellen. 
Herr  Professor  Bruns  schreibt  folgendes: 

..Seit  langer  Zeit  Kopfschmerzen,  speziell  im  Hinterkopfe,  oft  be- 
sonders stark  morgens  beim  Erwachen,  aber  nicht  übermäßig  oft.  Er- 
brechen nur  sehr  wenig;  jedenfalls  kein  morgendlicher  Drehschwindel. 
Allmählich  Stauungspapille,  jetzt  links  stärker,  und  ziemlich  rasche  Ab- 
nahme der  Sehschärfe.  Pupillen  reagieren  kaum  mehr.  Gang  cerebellar. 
Keine  Schwäche,  keine  Ataxie  einer  Seite.  Reflexe  beiderseits  gleich  und 
ganz  normal.  Nystagmus  beim  Blick  nach  links.  Links  alte  Schwer- 
hörigkeit; hier  aber  jetzt  sehr  vermehrtes  Sausen.  Links  Trigeminuc- 
neuralgie.  Sonst  an  den  Hirnnerven  nichts.  Im  TJrin  nichts.  Diagnose : 
Tumor  cerebelli,  wohl  links. ^ 


10  n.   Beckeb 

^Die  Diagnose  eines  Gehirntumors  stützte  sich  auf  den  Ver- 
lauf des  Leidens,  die  Kopfschmerzen,  das  Erbrechen  und  die  Stauungs-» 
Papille.  Für  die  Diagnose  ,,  Kleinhirn tumor^  kam  vor  allen  Dingen 
in  Betracht  die  cerebellare  Ataxie,  dazu  der  rasche  Übergang  der 
Stauungspapille  in  schwere  Amblyopie,  die  Hinterkopfschmerzen, 
die  besondere  Stärke  der  Kopfschmerzen  morgens  früh  nach  dem 
Liegen  im  Bette.  Auf  der  anderen  Seite  waren  aber  sowohl  die 
Kopüächmerzen  wie  das  Erbrechen  nicht  so  stark  und  andauernd, 
wie  oft  bei  Kleinhimerkrankungen ;  echter  Drehschwindel  fehlte 
ganz.  Bewegungsataxie  speziell  einer  oberen  Extremität,  wie  ich 
sie  in  vier  zuletzt  von  mir  beobachteten  Fällen  von  Kleinhirn- 
erkrankung stets  sah,  fehlte;  ebenso  jede  andere  Parese,  Gefühls- 
oder  Beflexstörung  der  Extremitäten.  Für  die  Seitendiagnose  waren 
vorhanden  der  Nystagmus  nach  links,  das  Ohrensausen  links  und 
die  Trigeminusneuralgie  links.  Die  Richtung  des  Nystagmus,  der 
Ja  bei  Kleinhirngeschwülsten  häufig  ist,  ist  wohl  nicht  von  ent- 
scheidender Bedeutung;  am  häufigsten  aber  scheint  doch  Nystagmus 
nach  der  Seite  der  Erkrankung  zu  sein.  Das  wäre  besonders  er- 
klärlich, wenn  man  den  Nystagmus,  wie  ich  das  für  einen  großen 
Teil  der  Fälle  annehme,  für  einen  Vorläufer  der  Augenmuskel- 
lähmung hält  —  hier  wäre  es  dann  also  eine  Blickparese  nach  links, 
durch  Druck  des  Tumors  auf  die  linke  Ponsseite.  Das  Ohren- 
sausen links  und  die  Trigeminusneuralgie  links  sprechen  ebenfalls 
für  die  linke  Seite.  (Leider  wurde  nicht  auf  Areflexie  der  Cornea 
geachtet.) 

Alles  in  allem  schien  mir  die  Diagnose  Tumor  cerebelli  wahr- 
scheinlich. Diese  Diagnose  umfaßte  sowohl  Tumoren  in  der  linken 
Kleinhimhemisphäre  selbst,  wie  solche  im  linken  Kleinhirnbrücken- 
winkel. Beide  voneinander  zu  unterscheiden,  ist  wolil  nur  selten 
möglich,  etwa  dann,  wenn  Hirnnervensymptome  speziell  vom  Akustikus 
lange  Zeit  den  übrigen  Symptomen  vorangehen.  Vielleicht  kann 
man  auch  das  Fehlen  von  Hemiataxie  und  die  relative  Gering- 
fügigkeit der  Kopfschmerzen  und  die  Seltenheit  des  Erbrechens 
gegen  intracerebellaren  Sitz  verwerten.^) 


1)  In  eiuem  Falle  von  linksseitigem  Tumor  im  Kleinhirne  selbst^  den  ich 
1903  beobachtete  und  den  Dr.  B  o  e  g  e  1  -  Hannover  operativ  entfernte  (Tod  an 
Blutung  in  den  vierten  Ventrikel)  waren  die  Hirnnervenlähmungen  viel  ausge- 
dehnter als  hier;  sie  betrafen  den  linken  5.,  6,  7.,  8.,  10.  und  11.  Hirnnerven ^ 
auch  hier  Nystagmus  besonders  stark  nach  links.  Links  Bewegungsataxie  der 
oberen  Extremität.  (Nenrolog.  Zentralbl.  1904  S.  578.)  In  einem  sehr  gleichen 
Falle,  der  in  meinem  Buche  über  Geschwülste  der  Hirnnerven  abgebildet  (Abb.  2> 


Operation  einer  Geschwulst  im  KleinhirnbrUckenwinkel.  H 

Da  es  sich  immerhin  nar  um  eine  mit  großer  Wahrscheinlich- 
keit zu  stellende  Lokaldiagnose  handelt  und  da  ich  mir  bei  der 
schweren  Amblyopie  auch  eine  Bessernng  der  Sehschärfe  dnrch 
eine  Trepanation  nicht  versprach,  riet  ich  nicht  zur  Operation. 
Da  der  Kranke  aber  eine  solche  wünschte,  um  nicht  ganz  zu  er- 
blinden, riet  ich,  dann  auch  an  der  Stelle  des  linken  Kleinhirns 
zu  trepanieren,  da  man  dort  den  Tumor  selbst  eventuell  werde 
entfernen  können.^ 

Am  7.  April  1906  wurde  der  Kranke,  wie  gesagt,  im  Elrankenbause 
aufgenommen  und  der  vorstehend  mitgeteilte  Befand  noch  nach  folgenden 
Richtungen  hin  ergänzt. 

Er  ist  ein  mäßig  gut  genährter  Mann  mit  gut  entwickelter  Musku- 
latur und  kräftigem  Knochenbau.  Gesichtsansdruck  ist  blöde  und  apathisch. 
Beim  Stehen  tritt  leichtes  Schwanken  auf,  das  bei  geschlossenen  FüBen 
noch  zunimmt,  nicht  aber,  wenn  er  die  Augen  schließt.  Der  Gang  ist 
breitbeinig,  unsicher,  schwankend.  Beklopfen  des  Schädels  wird  nirgends 
als  schmerzhaft  bezeichnet.  Die  Zunge  wird  gerade  herausgestreckt  ohne 
Zittern.  Facialis  reagiert  beiderseits  prompt  und  gleichmäßig,  Mimik 
beiderseits  gleich  gut.  Sensibilitätsttörungen  im  Gesicht  fehlen;  insbe- 
Bondere  besteht  keine  Areflezie  der  Cornea.  Flüstersprache  wird  auf  dem 
linken  Ohre  überhaupt  nicht,  rechts  in  etwa  30  cm  Entfernung  gehört. 
Das  Ticken  einer  Taschenuhr  wird  links  unmittelbar  vor  dem  Obre  kaum  (?) 
gehört,  rechts  in  20  cm  Entfernung.  Die  auf  den  Kopf  gesetzte  tönende 
Stimmgabel  A  (870  Schwingungen)  wird  angeblich  beiderseits,  links  er- 
heblich schwächer  als  rechts  gehört,  gleichviel  ob  beide  Ohröfifnungen 
freigelassen  oder  einzeln  verstopft  werden.  Geruchs-  und  Geschmacks- 
prüfungen ergeben  normale  Verhältnisse.  Brust-  und  Banchorgane  ohne 
nachweisbare  krankhafte  Veränderungen.  Urin  normal.  Temperatur 
schwankt  zwischen  36,5  und  37,5  ^.  Im  übrigen  verweise  ich  auf  den 
von  B  r  u  n  8  und  Spengler  erhobenen  und  vorstehend  ipitgeteilten  Befund. 

Der  Kranke  befand  sich  in  einer  bejammernswerten  Lage. 
Am  meisten  bedrückte  ihn  die  ständige  Abnahme  seines  Sehver- 
mögens ;  er  sah  einer  baldigen  Erblindung  mit  Sicherheit  entgegen. 
Ohrensaasen,  Kopfschmerzen  und  der  taumelnde  Gang  machten  ihm 
das  Leben  zur  Qual.  Er  drängte  daher  auf  die  Operation,  obwohl 
ihm  der  tödliche  Ausgang  als  sehr  wahrscheinlich  vorgestellt  war. 
Doch  rechnete  ich  immer  noch  damit,  daß  ein  gutartiger  Tumor 
vorliegen  würde.  Insbesondere  war  zu  hoffen,  daß  beim  Vorhanden- 
sein eines  Ecchinococcus  die  Punktion  der  Blase  und  Extraktion 
des  leeren  Sackes  keine  großen  technischen  Schwierigkeiten  machen 


ist,  den  ich  aber  erst  in  extremis  sah,  konnte  ich  eine  Seitendia^ose  nicht  stellen, 
da  doppelseitige  St6nin|;en  von  seilen  der  Himnerven  and  des  Hirnstammes  be- 
standen. B  r  u  n  s. 


12  n.  Becker 

würde.  Bei  einer  apoplektisclien  oder  andei^sartigen  Cj^ste  la^en 
die  Verhältnisse  ähnlich.  So  gab  ich  denn  dem  Drängen  des 
Kranken  und  seiner  Angehörigen  nach  und  entschloß  mich  zur 
Operation. 

Am  11.  April  1906  führte  ich  die  Operation  in  Athemarkose 
mit  von  mir  modifizierter  Sud  eck 'scher  Maske  und  0,02  Morphin  sub- 
kutan aus.  Beginn  der  Narkose  9  Uhr  45  Min.  Beginn  der  Operation 
10  Uhr  15  Min.  Patient  liegt  in  rechter  Seitenlage,  der  Kopf  ist  nach 
rechts  vorn  und  seitlich  gebeugt.  Bogenförmiger  Hautschnitt  vom  hin- 
teren Rande  des  linken  Waraenfottsatzes  über  die  Protuberantia  occipi- 
talis  externa  bis  zur  Mitte  zwischen  dieser  und  dem  rechten  Warzen- 
fortsatz.  Die  stark  blutenden  Hautvenen  werden  mit  Klemmen  gefaßt 
und  der  Hautlappen  noch  unten  bis  zum  Ansatz  des  Musculus  trapezius 
abpräpariert.  Die  linke  Arteria  occipitalis  wird  unterbunden.  Bogen- 
förmiger Schnitt  durch  das  Periost  parallel  dem  Hautschnitte.  Parallel 
und  unmittelbar  unterhalb  der  Linea  nuchae  superior  wird  das  Schädel- 
dach in  horizontaler  Richtung  durchmeißelt,  wobei  der  Kiiochen  stark 
splittert,  so  daß  von  seiner  Erhaltung  zwecks  Knochenplastik  von  vom 
herein  abgesehen  werden  muß.  Die  Eröffnung  des  Schädels  gelingt  zuerst 
etwa  in  der  Mitte  der  horizontalen  oberen  Meißellinie  zwischen  Warzenfort- 
satz und  Hinterhaupthöcker.  In  der  vorgemeißelten  Rille  wird  der  Meißel 
dann  vorsichtig  nach  beiden  Seiten  mittels  kurzer  Schläge  weitergeschoben 
und  schließlich  auch  in  vertikaler  Richtung  parallel  der  Crista  occipitalis 
externa  die  Schädelhöhle  eröffnet.  Nachdem  der  obere  Meißelschnitt  so 
weit  verbreitert,  ist,  daß  eine  Lu  er 'sehe  Zange  eingeführt  werden  kann, 
wird  mit  dieser  nach  und  nach  die  Hnke  Hinterhauptsschuppe  abgekniffen. 
Diploeblutungen  werden  durch  Gazekoro pressen  beherrscht.  Zum  Schutze 
gegen  Duraverletzung  wird  wahlweise  ein  breiter  biegsamer  Kupferspatel, 
der  Stacke 'sehe  Tutor  oder  Elevatorien  zwischen  Knochen  und  Dura 
eingeschoben.  '  Jetzt  erscheint  am  oberen  Knochenrande  zunächst  der 
Sinus  transversns  der  linken  Seite  und  dicht  unter  ihm  ein  etwa  3  mm 
langer  horizontal  verlaufender  Durascblitz,  der  offenbar  beim  ersten  Durch- 
fahren der  Meißelspitze  entstanden  war;  er  blutet  kaum.  Schon  jetzt 
ließ  sich  übersehen,  daß  durch  diese  bislang  hergestellte  Lücke  im  Knochen 
(Defekt  fast  des  ganzen  linken  Hinterhauptsbeines)  es  nur  äußerst  schwierig 
gelingen  würde,  den  im  Bereiche  der  linken  Kleinhirnhemisphäre  ver- 
muteten Tumor  zu  entwickeln,  da  nicht  hinreichender  Raum  für  die  Mani- 
pulationen mit  Fingern  und  Instrumenten  vorhanden  war.  Es  wurde  des- 
halb mittels  breitem  Kupferspatel  leicht  die  Dura  in  der  Gegend  des 
Sinns  occipitalis  abgehebelt  und  jetzt  auf  dem  liegen  bleibenden  Spatel 
der  hier  äußerst  dicke  und  harte  Schädel  durchmeißelt  und  die  Knochen- 
lücke mit  der  Luer' sehen  Zange  Schritt  für  Schritt  bis  etwa  2  cm  weit 
in  das  rechte  Planum  nuchae  hinein  erweitert.  Erneute  Diploeblutungen 
werden  durch  Kompression  in  mäßigen  Grenzen  gehalten.  Schließlich 
mußte  der  linke  laterale  Knochenrand  am  Warzen  fortsatz  noch  geglättet 
werden. 

Nach  Herstellung  einer  genügend  weiten  Knochenlücke  präsentieren 
sich  nunmehr   unter   der   bedeckenden  Durahülle    die   hinteren  untersten 


Operation  einer  Geschwulst  im  Eleinhimbrttckenwiukel.  13 

Teile  beider  Occipiftallappen  des  Ghroßhims  sowie  die  linke  Kleinhimhemi- 
Sphäre  und  ein  schmaler  Streifen  der  rechten.  Ferner  waren  das  unterste 
Ende  des  Sinns  longitadinalis,  der  Sinns  transversus  nnd  occipitalis  sowie 
der  Confluens  sinanm  sichtbar.  Die  Dnra  über  der  linken  Kleinhirn- 
halbkugel  war  zwar  gespannt,  pulsierte  aber  deutlich.  Da  der  Kopf  stark 
auf  der  rechten  Seite  lag,  so  sank  Dura  und  Gehirn  zurück  und  es  enU 
stand  eine  etwa  '/^  em  breite  Lücke  zwischen  Tabula  interna  und  Dura. 
Die  Freilegung  des  Operationsgebietes  hatte  etwa  '/^  Stunden  in 
Anspruch  genommen ;  der  Kranke  hatte  ziemlich  viel  Blut  zumal  zu  Be- 
ginn der  Operation  aus  den  Gefäßen  der  Galea,  später  auch  aus  der  Diploe 
verloren.  Der  Puls  war  klein,  kaum  fühlbar,  die  Hände  blau  gefärbt^ 
mit  kaltem  Schweiß  bedeckt.     Die  Atmung  war  ungest5rt. 

Nach    einer  Pause,    in  der   das  Operationsgebiet   mit  neuen  sterilen 
Servietten   abgedeckt   war,    wird   um   11   Uhr  15  Min.    mit  der  Schere 
parallel  der  Knochenlücke  ein  bogenförmiger  Lappen   aus    der  Dura  mit 
unterer  Basis  gebildet.     Der  Schnitt  verläuft  hart   am  Sinus  transversus 
nnd    occipitalis.     Der  Lappen  wird   nach   unten   umgelegt     Keine  Spur 
von  Hirnprolaps.     Das  Kleinhirn   ist   oben   in  etwa  ^/^  cm  Ausdehnung 
mit  dem  Tentorium  verwachsen ;  vorsichtige  Lösung  mit  dem  Finger,  wobei 
ein  Hnsengroßes  Stückeben  am  Tentorium  sitzen  bleibt.    Zwischen  Zeige- 
finger und  Daumen  wird  jetzt  die  Kleinhimhalbkugel  vorsichtig  abgetastet; 
sie  fühlt  sich  überall  gleichmäßig  weich  an.     Nur  weit  nach  vorn,  in  der 
Gegend  der  Schläfenbeinpyramide  erreichen  die  Fingerspitzen  einen  hart 
anzufühlenden  Gegenstand.     £s  wird  deshalb  das  Kleinhirn  mittels  eines 
biegsamen  Spatels  vorsichtig  von  der  lateralen  Seite   aus  umgangen  und 
nach  hinten,  und  medialwärts  verlagert.    Jetzt  kommt  ein  blaß  graugelber^ 
knolliger,    etwa  kastaniengroßer,    mäßig   konsistenter  Tumor   zu   Gesicht, 
von  dem  sich  die  linke  Kleinhirnheraisphäre  leicht  abheben  läßt.    Es  be- 
steben   nur   leichte  Verklebungen,    die   beim   Lösen    mäßig   bluten.     Der 
Tumor  sitzt  breitbasig  der  hinteren  Schläfenbeinpyramide  im  Bereiche  des 
Poms  acusticus  internus  auf.     Beim  Versuche,    die  Geschwulst   mit   dem 
eingeführten  Zeigefinger   zu   stielen,  werden    einige    Gefäße   zerrissen,   so 
daß  eine  nicht  unbedeutende  venöse  Blutung  entsteht,  die  sich  aber  durch 
Gazetamponade  beherrschen  läßt.     Diese  Manipulationen  spielen  sich  vor- 
wiegend  im  Kleinhirnbrückenwinkel   und    an   der  Medulla   oblongata   ab. 
Plötzlich  hört  Atmung  und  Herzschlag  vollkommen  auf,  weshalb  die  Ope- 
ration mit  größter  Beschleunigung  zu  Ende  geführt  werden  muß. 

Der  Stiel  des  Tumors  wird  mit  Zeige-  und  Mittelfinger  der  linken 
Hand  umgriffen  und  abgerissen,  der  Tumor  entfernt.  In  die  so  ent- 
standene große  Höhle,  welche  von  vorn  durch  die  Hinterfläche  dea 
Schläfenbeines  medialwärts  durch  Pons  und  Oblongata  und  hinten  von 
der  Vorderfläche  der  Kleinhimhalbkugel  begrenzt  wird,  stürzen  im  Mo- 
mente der  Entfernung  der  Geschwulst  bleistiftdicke  venöse  Blutströme 
aas  Löchern,  die  in  den  Sinus  petrosus  inferior  (vielleicht  auch  den  Sinua 
petrosus  superior)  gerissen  waren.  Die  Höhle  wird  sofort  mit  einer  großen 
Gazekompresse  tamponiert,  das  Kleinhirn  in  den  Schädel  zurückgelagert, 
der  Duralappen  darüber  aasgebreitet  und  der  Hautlappen  durch  einige 
orientierende  Nähte  fixiert.  Gazeballen  auf  den  Hinterkopf.  Alles  war 
das  Werk  eines  Augenblickes  (11  Uhr  30  Min.). 


14  II.  Becker 

Jetzt  wird  der  Kranke  aaf  den  Kücken  gewälzt  und  etwa  20  Min. 
lang  künstliche  Atmung  und  Herzmassage  (nach  Maaß-König)  ausge- 
führt. Abreihnngen  des  Körpers  und  der  Glieder  mit  Handtüchern,  die 
in  heißes  Wasser  getaucht  waren.  Nach  einigen  Minuten  begann  der 
Patient  wieder  spontan  zu  atmen  und  der  Puls  kehrte  zurück.  Sodann 
wurde  eine  Armvene  freigelegt  und  eine  Infusion  von  2  Liter  warmer 
Kochsalzlösung  gemacht.  Autotransfusion  durch  Einwicklung  der  Unter* 
«xtremitäten .     Kampferölinjektionen. 

Als  Puls  und  Atmung  wieder  gut  waren,  wurde  die  provisorische 
Naht  gelöst  und  der  eingeführte  Tampon  gelockert,  wobei  es  zu  einer 
neuen  Blutung  aus  der  Tiefe  kommt.  Diese  steht  indessen,  als  von  außen 
gegen  den  Hautlappen  eine  Kompresse  gedrückt  wurde.  Neue  exakte 
Naht.     Druckverband. 

Der  Kranke  erwachte  kurz  darauf  aus  der  Narkose  bis  zum  Stöhnen 
und  Ausführung  von  Abwehrbeweg^ngen,  ohne  daß  das  Bewußtsein  völlig 
wiederkehrte.  Die  Papillen  bleiben  eng  (Morphinwirkung),  der  Horn- 
hautreflex kehrt  nicht  wieder.  Unter  allmählich  zunehmender  Schwäche 
erfolgt  2  Uhr  30  Min.  nachmittags  der  Tod. 

Sektion:  5  Uhr  30  Min. 

Große  männliche  Leiche  von  kräftigem  Knochenbau  und  sehr  mäßigem 
Ernährungszustande.  Totenstarre  vorhanden;  Totenflecke  nur  in  ge- 
ringer Zahl. 

Am  Hinterhaupte  befindet  sich  ein  bis  auf  das  Periost  gehender 
Schnitt,  der  etwa  ^/^  bzw.  1^/^  cm  hinter  beiden  Warzenfortsätzen  be- 
ginnend in  einem  nach  dem  Scheitel  zu  konvexen  Bogen  über  den  Knochen 
verläuft.  Der  höchste  Punkt  dieses  Bogens  liegt  ein  wenig  oberhalb  des 
Hinterhaupthöckers.  Abwärts  von  dieser  Schnittlinie  ist  die  Haut  mit 
der  darunter  liegenden  Muskulatur  bis  zur  Linea  nuchae  inferior  von  der 
Unterlage  abgehoben  und  läßt  sich  nach  Lösung  von  8  Hautnähten  weit 
zurückschlagen.  Vom  Hinterhauptsbeine  fehlt  links  das  ganze  Feld  unter- 
halb der  Linea  nuchae  superior ;  es  wird  nach  vorn  begrenzt  durch  eine 
Linie,  die  dem  abwärts  gerichteten  Verlaufe  des  Sinus  transversus  ent- 
spricht, welcher  in  seinem  ganzen  Verlaufe  sichtbar  ist,  und  setzt  sich 
nach  der  rechten  Seite  übergreifend  —  die  Grista  occipitalis  externa  ist 
fortgenommen  —  bis  zu  einer  Linie  fort,  die  nur  etwa  einen  Qnerfinger 
von  der  Grista  entfernt  parallel  läuf^,  während  nach  unten  zu  beiderseits 
eine  1  '/^  Finger  breite  Knochen  leiste  am  Hinterhauptsloch  stehen  geblieben 
ist.  Die  über  dem  Kleinhirn  gelegene  Dura  ist  dicht  unter  dem  Sinus 
transversus  durchtrennt  und  nach  unten  zurückgeschlagen,  so  daß  die 
linke  Kleinhimhalbkugel  freiliegt,  während  man  von  der  rechten  die  me- 
diale hintere  Kante  sieht.  Die  linke  Kleinhirnhemisphäre  ist  von  etwa 
120 — 150  ccm  flüssigem,  dunkelrotem  Blute  nmgeben. 

Nach  Entfernung  des  Schädeldaches  in  üblicher  Weise  wird  am  her- 
ausgenommenen Gehirn  folgender  Befund  festgestellt.  Bei  der  Betrach- 
tung von  der  Hirnbasis  aus  erscheint  das  gesamte  Kleinhirn  derartig  um 
«ine  vertikale,  durch  die  Mitte  der  rechten  Kleinhirn hemisphäre  gelegte 
Achse  gedreht  zu  sein,  daß  die  Längsachse  des  Wurmes  von  links  vorn 
nach  rechts  hinten  verläuft  und  mit  einer  Linie  zusammenfällt,  die  man 
«ich  vom  Folns   temporalis  sinister  zum  Polus  occipitalis  dexter  gezogen 


Operation  einer  Geschwulst  im  Kleinhirnbrückenwinkel.  15 

denkt.  Dadurch  entsteht  links  zwischen  der  Kleinhimhemisphäre  und 
dem  hinteren  Abfall  der  Kuppe  des  Sohläfenlappens  ein  etwa  zwei  Qaer- 
finger  breiter  Spalt,  so  daß  der  Gyrus  hippocampi  und  die  vordere  Hälfte 
des  Gyrus  fusiformis  sichtbar  werden.  Föns,  Brachium  pontis  und  Floc- 
culus  cerebelli  sind  links  dellentörmig  eingedrückt,  so  daß  an  ihrer  Ober- 
flache eine  ovale  Vertiefung  erscheint,  deren  größerer  Durchmesser  von 
vom  nach  hinten  verläuft.  Die  Medulla  oblongata  ist  gleich  am  Rande 
der  Brücke  nach  der  linken  Seite  zu  so  abgeknickt,  daß  sie  auf  der 
linken  Tonsilla  cerebelli  und  dem  Flocculus  liegt  und  die  mittleren  Längs- 
achsen beider  Organe  einen  Winkel  von  135  **  bilden.  Die  Abplattung 
des  Pons  an  der  linken  Seite  ist  so  hochgradig,  daß  es  den  Anschein 
erweckt,  als  ob  die  linke  Fonshälfte  etwa  um  die  Hälfte  kleiner  ist,  als 
die  rechte.  Auch  das  linke  Brachium  pontis  erscheint  infolge  der  Ab- 
plattung auf  die  Hälfte  reduziert  und  fühlt  sich  sehr  weich  an. 

Die  linke  Kleinhimhemisphäre  selbst  hat  ihre  normale  Wölbung  ver- 
loren ;  sie  ist  von  hinten  oben  nach  vom  unten  flachgedrückt ;  die  größere 
Achse  ihres  ovalen  Umrisses  ist  7,5  cm  lang  (gegen  6  cm  an  der  anderen 
Seite)  und  bildet  mit  der  sagittalen  Ebene  einen  Winkel  von  50 — 55  ^. 
Die  Hemisphäre  fühlt  sich  im  ganzen  weicher  an,  als  die  der  anderen 
Seite.  Die  Sulci  cerebelli  sind  ebenso  wie  die  Gefäße  auf  der  unteren 
Fläche  nicht  mehr  zu  erkennen.  Dagegen  sieht  man  4 — 5  größere  Spalten, 
welche  in  der  Bichtung  der  Sulci  verlaufen  und  an  einigen  Stellen  etwas 
klaffen.  Außerdem  sieht  man  im  lateralen  Drittel  der  Unterfläche  zahl- 
reiche rötlichgelbe  Flecke  von  Stecknadelkopf-  bis  Frbsengröße,  welche 
keine  scharfe  Begrenzung  noch  besondere  Anordnung  zeigen  (Blutungen). 
Hebt  man  die  linke  Kleinhimhemisphäre  vom  Hinterhauptslappen  ab,  so 
sieht  man  an  ihrer  Oberfläche  an  dem  lateralsten  Teil  eine  etwa  drei- 
markstückgroße Fläche,  in  deren  Ausdehnung  die  Hirnsubstanz  zerfetzt 
erscheint,  teils  rötlich  verwaschen,  teils  gelblich  gefärbt.  Da  der  äußere 
Hand  dieser  Fläche  mit  dem  Hemisphärenende  zusammenfallt,  so  sieht 
dieser  wie  angenagt  aus.  £r  ist  mit  kleinen  flottierenden  Stückchen  von 
Hirnsubstanz  besetzt. 

Wenn  man  die  nach  links  abgeknickte  Medulla  oblongata  hochhebt 
und  sich  so  einen  Einblick  in  die  Bautengrube  verschafft,  so  sieht  man, 
daß  der  linke  Pedunculus  cerebelli  (Corpus  restiforme)  in  die  Länge  ge- 
zogen und  abgeplattet  ist  und  sich  viel  weicher  anfühlt,  als  der  rechte. 
Ijäßt  man  dann  die  Medulla  oblongata  wieder  in  die  ursprüngliche  Lage 
zurücksinken,  so  bemerkt  man,  daß  der  linke  Pedunculus  sich  wie  eine 
Schlinge,  deren  Konvexität  nach  der  Medianlinie  hin  liegt,  in  sich  zu- 
sammensinkt. 

Die  Gehirnoberfläche  zeigt  sonst  keine  Besonderheiten.  Auch  auf 
Querschnitten  durch  das  Großhirn  und  die  großen  Ghinglien,  sowie  die 
rechte  Kleinhimhalbkugel  werden  krankhafte  Veränderungen  nicht  fest- 
gestellt. Dagegen  sieht  man  auf  vier  Querschnitten  durch  die  Brücke 
in  deren  linker  Hälfte  und  zwar  am  meisten  am  lateralen  Bande  eine 
blutig  verwaschene  Färbung  mit  Erweichung  des  Gewebes.  Auf  Quer- 
schnitten durch  das  verlängerte  Mark  bemerkt  man  dagegen  wieder  die 
normale  Zeichnung. 

An  dem  herausgenommenen  Präparate  von  Brücke  und  verlängertem 


16  II.  Bbcksb 

Marke  ist  der  vierte  Ventrikel  in  seiner  rantenförmigen  Gegtalt  nicht 
mehr  erkennbar.  Er  stellt  vielmehr  infolge  der  erwähnten  Abknickung 
des  linken  Strickkörpers  einen  hakenförmigen,  nach  links  offenen  Schlitz  dar. 

An  der  Schädelgrandfläche  werden  im  allgemeinen  krankhafte  Ver- 
änderungen vermißt,  ^nr  sitzt  im  linken  Porus  acusticus  internus  ein 
etwa  7  mm  langes  und  4  mm  breites  Stückchen  Tumorgewebe  —  der 
Stiel  der  entfernten  Geschwulst.  Die  Blutleiter  der  Dura  enthalten  dunkles 
flüssiges  Blut.  Eine  Nachblutung  ist  weder  im  Gehirne  noch  in  der 
Bautengrube  zu  finden.  — 

Die  Sektion  von  Brust-  und  Bauchhöhle  ergab  im  wesentlichen  nor- 
male Verhältnisse;  an  der  TJnterfläche  des  linken  Leberlappens  fand  sieb 
ein  walnußgroßer  verkalkter  Ecchinoooccus. 

Die  exstirpierte  Geschwulst  ist  nach  den  Untersuchungen  des  patho- 
logischen Instituts  in  Göttingen  fascikulär  gebaut  und  entspricht  im  großen 
und  ganzen  den  gewöhnlichen  Fibromen  der  Dura  mat«r.  Da  sie  in- 
dessen am  Porus  acusticus  internus  ihren  Ursprung  hatte,  so  wurde  an- 
genommen, daß  es  sich  um  einen  typischen  Fall  von  Akustikusfibrom 
handle.  Die  Weigertfarbung  ist  leider  mißlungen.  —  Fig.  1  auf  Taf.  I 
stellt  die  Gehimgrundfläche  dar ;  das  leere  Geschwulstbett  (B)  liegt  im 
linken  Kleinhirnbrüokenwinkel.  In  Fig.  2  auf  Taf.  I  ist  der  Tumor  (T) 
wieder  an  seine  Stelle  gelegt. 

Bis  vor  wenigen  Jahren  war  man  froh,  wenn  man  mit  einiger 
Sicherheit  einen  ,,Tamor  in  der  hinteren  Schädelgrube^  diagnosti- 
zieren konnte  und  verlegte  ihn  dann  meistens  in  das  Kleinhirn. 
Und  doch  hat  Virchow^)  schon  vor  40  Jahren  in  seiner  am 
7.  März  1863  gehaltenen  Vorlesung  auf  den  Typus .  von  Tumoren 
hingewiesen,  welcher  uns  jetzt  beschäftigen  soll,  nämlich  die 
Akustikusfibrome  (Hartmann)  oder  die  Tumoren  des  Klein- 
hirnbrückenwinkels (Henneberg  und  Koch).  Es  lohnt 
sich,  die  Worte  des  Altmeisters  zu  hören:  „Der  unzweifelhaft 
häufigste  Sitz  von  knotigen  Geschwülsten  ist  unter  den  Hirnnerven 
der  Akustikus.  Freilich  ist  es  nicht  immer  genau  zu  entscheiden, 
ob  die  Geschwulst  gerade  vom  Akustikus  und  nicht  vom  Facialis 
ausgeht,  indes  scheint  das  erstere  doch  die  Kegel  zu  sein.  Wenig- 
stens ist  in  jedem  Falle,  wo  eine  bestimmte  Trennung  der  Nerven 
von  der  Geschwulst  möglich  war,  der  Facialis  der  trennbare  Nerv 
gewesen."  „Manchmal  sind  die  Geschwülste  ziemlich  hart  und 
scheinbar  fibrös  oder  gar  knorpelartig;  andere  Male  dagegen  weicher 
und  geradezu  gallertig;  zuweilen  finden  sich  cystische  und  hämor- 
rhagische Stellen.  Auch  meine  eigenen  Untersuchungen  ^)  erhalten 
kein  ganz  sicheres  Resultat,  indes  fand  sich  doch  eine  fascikuläre 


1)  Virchow,   Die  krankhaften  Geschwülste.    III.  Band  I.Hälfte  p.  295 ff. 

2)  Virchow's  Archiv  1858  Bd.  18  p.  264. 


Operation  einer  Geschvrnlst  im  Kleinhirnbrückenwinkel.  17 

feinfaserige  Anordnung,  welche  in  manchen  Beziehungen  an  die 
Neuromstruktur  erinnerte".  „Diese  Geschwülste  sitzen  bald  näher 
am  Gehirn,  bald  näher  am  Knochen  und  bedingen  dadurch  gewisse 
Verschiedenheiten  der  Folgezustände.  Taubheit  ist  in  der  Regel 
vorhanden;  seltener  Facialislähmung.  Da  die  Knoten  gewöhnlich 
eine  beträchtlichere  Größe  haben,  so  üben  sie  stets  einen  erheb- 
licheren Druck  auf  die  Nachbarteile  aus.  Sitzen  sie  näher  am 
Gehirn,  so  bedingen  sie  grubige  Eindrücke  am  Kleinhirn  oder  am 
Pons;  liegen  sie  näher  am  Knochen,  so  dringen  sie  leicht  in  den 
Meatus  auditorius  internus  ein.  Bestehen  sie  lange,  so  erweitert 
sich  der  innere  Gehörgang,  ja  es  können  tiefe  Löcher  im  Os  pe- 
trosum  entstehen." 

Der  Anatom  hat  dem  Kliniker  in  großen  Zügen  hiermit  das 
Bild  bereits  entworfen.  Es  ist  aber  das  große  Verdienst  von 
Oppenheim^)  (1890),  Monakow^)  (1900),  Hartmann»)  (1902), 
Henneberg  und  Koch*)  (1903),  Funkenstein»)  (1904)  und 
einiger  anderer*),  welche  kasuistische  Beiträge  lieferten,  daß  sie 
auch  das  klinische  Bild  so  abgerundet  haben,  daß  man  nunmehr 
die  fraglichen  Tumoren  als  einen  selbständigen  und  diagnostizier- 
baren Typus  auffaßt.  Ich  verweise  auf  diese  Arbeiten,  welche  die 
Symptomatologie  und  die  Schwierigkeit  der  Diagnosenstellung 
eingehend  behandeln,  da  ich  lediglich  die  chirurgische  Be- 
handlung dieser  Tumoren  zum  Gegenstande  einer  Besprechung 
machen  will. 

um  die  Häufigkeit  der  Hirngeschwülste  im  allge- 
meinen zu  berechnen,  hat  man  mehrfach  das  Sektionsmaterial 
großer  pathologischer  Institute  benutzt  (Seidel -München  1,25 *^/o 
und  V.  B  e  c  k  -  Heidelberg  0,8%).  Indessen  muß  man  dabei  be- 
denken, daß  nicht  alle  Kranke  mit  Hirntumoren  in  Krankenhäusern 
sterben,  sondern  auch  im  eigenen  Hause,  und  daß  in  der  Regel 
nur  bestimmte  Bevölkerungsklassen  in  Betracht  kommen ;  es  fehlen 
die  begüterten  Klassen  und  zum  großen  Teile  auch  die  im  ersten 


1)  Oppenheim,  BerUner  kUnische  Wochenschrift  1890. 

2)  Monakow,  Ehenda  1900  p.  721. 

3)  Hartmann,  Prager  Zeitschr.  fttr  Heilkunde  Bd.  23  1902. 

4)  Henneberg  n.  Koch,  Archiv  f.  Psychiatrie  Bd.  36  1903. 

5)  Funkenstein,  Mitteilungen  aus  den  Grenzgebieten  der  Medizin  und 
Chirurgie  Bd.  14  1904. 

6)  Bruns,  Neurolog.  Zentralbl.  Bd.  23  1904  p.  ö78ff.  —  Krön,  Deutsche 
Zeitschr.  für  Nervenheilkunde  Bd.  29  1905  p.  460.  —  Huisman^s  Medizin.  Klinik 
1906  Nr.  12--14.  —  Püschmann,  Deutsche  medizin.  Wocheuschr.  1906  Nr.  21 
p.  836. 

Deutsches  Archiv  f.  klln.  Medizin.    88.  Bd.  2 


18 


n.  Beckkb 


Lebensjahre  sterbenden  Kinder.  L.  Bruns^)  hat  in  11  jähriger 
spezialistischer  Tätigkeit  unter  etwa  4300  Nervenkranken 
80  mal,  d.  h.  in  2%  der  Fälle,  die  Diagnose  auf  Hirntumor  gestellt 
Hier  handelt  es  sich  natürlich  vorwiegend  um  wohlhabendere  Kranke. 
Nehmen  wir  aber  diesen  Prozentsatz  als  zutreffend  an.  so  kann  man 
noch  auf  eine  andere  Art  annähernd  die  Häufigkeit  der  Hirn- 
geschwülste in  bezug  auf  sämtliche  vorkommende  Krankheiten  be- 
rechnen. Nach  dem  statistischen  Jahrbuche  für  den  preußischen 
Staat,  herausgegeben  vom  Königlichen  statistischen  Bureau  in 
Berlin'),  wurden  in  sämtlichen  allgemeinen  Krankenhäusern 
—  die  Psychosen  sind  also  im  wesentlichen  ausgeschlossen  —  an 
Krankheiten  des  Nervensystems  behandelt: 


Überhaupt : 


männlich   weiblich    zusammen 


Von  1000  Kranken: 


männlich  ,  weiblich  '  zusammen 


im  Jahre  1901 
„       „      1902 
.      1903 


w 


24  ISO 
26  717 
24  220 


18140 
20055 
18  512 


42  330 
46  772 
42  732 


52,53 
55,41 
45,58 


66,99 
70,23 
59,64 


57.88 
60;92 
50,77 


Wenn  also  unter  1000  behandelten  Kranken  57  bzw.  60  bzw.  50 
Nervenkranke  vorhanden  waren,  so  würden  unter  Zugrundelegung 
des  Bruns'schen  Prozentsatzes  (2%)  unter  diesen  1000  Kranken 
1,14  bzw.  1,2  bzw.  1,0  Tumorkranke  gewesen  sein.  Wir  erhalten 
also  zehnfach  kleinere  Verhältniszahlen,  als  bei  der  Durchsicht  der 
Sektionsprotokolle  und  ich  glaube,  daß  wir  damit  der  Wirklichkeit 
näher  kommen. 

Ganz  genaue  Ergebnisse  wfirde  man  nur  durch  Revision  der 
von  den  Krankenhäusern  dem  statistischen  Bureau  eingesandten 
Zählkarten  erhalten  können,  auf  denen  statt  des  allgemeinen  Be- 
griflfes  „Nervenkrankheiten"  die  Diagnose  „Hirntumor"  verzeichnet 
sein  muß. 

Viel  wichtiger  ist  die  Frage  nach  der  Operabilität  der 
Gehirngeschwülste,  wenn  auch  hier  die  Prozentzahlen  natür- 
lich immer  nur  einen  relativen  Wert  beanspruchen  können.  Schon 
im  Anfange  des  Jahres  1893  konnte  Allan  Starr  eine  Zu- 
sammenstellung von  87  operativ  behandelten  Hirntumoren  machen. 
Chipault*)  vervollständigte  im  Jahre  1895  eine  von  ihm  früher 


1)  L.  Bruns,  Die  Geschwülste  des  Nervensystems  p.  39. 

2)  Jahrgang  1904  p.  132,  1905  p.  115  nnd  1906  p.  149. 

3)  Chipanlt^  Le  traitement  chinirgical  des  tamenrs  de  TencSphale.  Gazette 
des  hopitaux  1895  Nr.  145—148. 


Operation  einer  Geschwulst  im  Kleinhirnbrücken winkel.  .    19 

(1894)  in  seiner  großen  Chirurgie  operatoire  du  Systeme  nerveux 
g^ebene  Statistik  von  135  Fällen  durch  Hinzufügung  weiterer 
49  Fälle.  Er  glaubt,  daß  unter  100  Hirntumoren  7  radikal  geheilt 
werden  können  und  daß  bei  60  wenigstens  palliative  Hilfe  möglich 
ist  —  ein  glänzender  Erfolg,  wenn  man  bedenkt,  daß  wenige  Jahre 
vorher  diese  Tumoren  noch  ein  Noli  me  tangere  waren. 

Oppenheim^),  der  im  Jahre  1896  in  NothnageTs  Sammel- 
werke eine  erschöpfende  Monographie  darbot,  verzichtete  auf  eine 
zahlenmäßige  Bilanz  der  Gehirnchirurgie,  da  die  Mitteilungen  zu 
angleichwertig  seien.  Indessen  beantwortet  er  doch  die  Frage,  ob 
sich  die  chirurgische  Behandlung  der  Hirngeschwülste  vor  dem 
Forum  der  Wissenschaft  behaupten  könne,  mit  einem  entschiedenen 
„Ja".    Kleinhimgeschwülste  hält  er  jedoch  für  inoperabel. 

Das  folgende  Jahr  1897  bringt  einige  wichtige  Arbeiten.  Zu- 
nächst hat  Allan  Starr ^)  in  einem  kurzen  Aufsatze  aus  der 
Gesamtheit  der  bekannten  Zusammenstellungen  der  Operabilität  von 
Hirntumoren  nach  Sektionsbefunden  berechnet,  daß  von  1161  Tu- 
moren 68,  d.  h.  7%  operabel  gewesen  wären.  Bei  220  bisher  ge- 
machten Operationen  wurde  140  mal  der  Tumor  gefunden  und  entfernt, 
7  mal  gefunden  und  nicht  entfernt  und  73  mal  nicht  gefunden. 
B  r  u  n  s  *)  berechnet,  daß  von  100  Gehirntumoren  nur  32  die  Eigen- 
schaft besitzen,  eine  Operation  zu  gestatten,  d.  h.  nur  bei  32  ist 
eine  Lokaldiagnose  möglich  und  zugleich  der  Sitz  ein  solcher,  daß 
man  sie  chirurgisch  angreifen  kann.  Von  diesen  32  würde  man 
aber  nur  in  8  bei  der  Operation  solche  Verhältnisse  finden,  daß 
man  nun  auch  den  Tumor  radikal  entfernen  kann;  rechnet  man 
von  diesen  8  noch  4  ab,  welche  die  Operation  wegen  Shock,  Ver- 
blutung oder  Sepsis  nicht  überleben,  so  kämen  schließlich  auf  100 
Hirntumoren  nur  4  mit  vollem  Erfolg  exstirpierte. 

In  seinem  1898  erschienenen  Lehrbuche  gibt  v.  Bergmann^) 
die  Operationsmöglichkeit  bei  Gehirntumoren  auf  9  %  an ;  nur  2  % 
sind  überhaupt  so  sicher  diagnostizierbar,  daß  man  an  eine  Operation 
denken  kann.  v.  Bergmann  beschränkt  sich  auf  die  chirurgische 
Entfernung  der  Geschwülste  der  Zentralwindungen. 


1)  Oppenheim,  Die  Geschwülste  des  Gehirns  in  NothnageTs  Handbuch 
Pathologie  nnd  Therapie  IX.  Bd.  I.  Abt.  1896. 

2)  Allan  Starr,  Remarks  ou  brain  tamoors  and  their  removal.    British 
inedical  Journal  1897  Okt.  16. 

3)  Brnns,  1.  c.  p.  212ff. 

4)  T.  Bergmann,    Die  chinurgische  Behandinng  der  Gehirnkrankheiten 
3.  Aufl.    Berlin  1898. 

2* 


20  n.  Bbckbb 

Bränniche^)  beleuchtet  im  Jahre  1903  durch  Zusammen- 
stellung von  209  aus  der  Literatur  gesammelter  Fälle  die  Mög- 
lichkeit ihrer  operativen  Behandlung.  Diese  war  infolge  des  Sitzes, 
der  Natur  usw.  der  Geschwulste  in  7io  ^^r  Fälle  ausgeschlossen; 
in  den  übrigen  Fällen  war  eine  sichere  Diagnose  in  ßß^/g^o  über- 
haupt nicht  zu  stellen.  In  14  Fällen  wurde  die  Operation  für 
möglich  gehalten,  in  10  von  ihnen  eine  radikale  Entfernung  an- 
gestrebt, ist  aber  nur  in  zwei  Fällen  gelungen.  6  Kranke  sind  im 
Anschluß  an  die  Operation  gestorben. 

Die  letzte  große  Statistik  stammt  aus  dem  Jahre  1905  von 
D  u  r  e  t.  *)  Von  400  zusammengestellten  Fällen  von  Hirngeschwülsten 
wurden  19,5  ^'/o  operiert,  eine  Zunahme,  die  außerordentlich  in  die 
Augen  lUllt.  Einen  wirklichen  Vorteil  von  der  Operation  hatten 
73,25  %  insofern,  als  Kopfschmerz,  Schwindel  und  Stupor  schwanden 
und  Krämpfe  und  Lähmungen  gebessert  wurden.  60®/<,  erlangten 
vollständig,  18%  partiell  das  Augenlicht  wieder.  134  von  400 
Kranken  ist  nachweislich  das  Leben  verlängert,  öfter  auf  mehrere 
Monate;  eine  Anzahl  ist  geheilt.  In  fast  der  Hälfte  der  Fälle 
handelte  es  sich  um  Sarkome  und  Gliome  und  „für  diese  Art  Ge- 
schwülste sind  die  Operationsresultate  an  anderen  Körperstellen 
nicht  besser.  Bei  244  Operationen  handelte  es  sich  um  Erkrankungen 
der  motorischen  Region,  bei  54  um  das  Stimhirn,  bei  43  um  die 
Parietal-Occipital-  und  Temporo-Sphenoidallappen,  bei  59  um  das 
Kleinhirn. 

Was  nun  im  besonderen  die  Operabilität  der  Geschwülste 
der  hinteren  Schädelgrube  anlangt,  so  sind  die  Tumoren  des 
Kleinhirns  denjenigen  des  Kleinhirnbrücken  winkeis  gleichwertig  zu 
erachten.  Die  statistisch  nachweisbaren  Erfolge  beider  können 
daher  zusammen  verwertet  werden.  Piollet*)  stellte  im  Jahre 
1901   fünfzig  Fälle  aus  der  Literatur  zusammen,   bei  denen  nur 

21  mal  der  Tumor  im  Kleinhirn  gefunden  wurde;  18 mal  konnte  er 
mehr  oder  weniger  entfernt  werden.  In  60%  der  Fälle  wurde 
also  ein  Tumor  gar  nicht  gefunden.  Die  Trepanation  mit  Ent- 
fernung des  ganzen  oder  stückweisen  Tumors  oder  Entleerung 
cystischer  Flüssigkeit  wurde  18  mal  gemacht  mit  einem  Todesfall 


1)  Brünniche  nach  dem  Beferate  in  Hildebrand's  Jahresbericht  über 
die  Fortschritte  der  Chirurgie  Bd.  IX  p.  279  1903. 

2)  Dur  et,  Les  tumenrs  de  Tenc^phale,  manifestations  et  Chirurgie.  Paris  1905 
nach  dem  Referate  im  Zentralblatte  für  Chirurgie  1906  Nr.  4  p.  103. 

3)  Fiollet,  Sur  le  traitement  chirurgical  des  tnmeurs  du  cervelet.  Archives 
provinciales  1901  Nr.  12. 


Operation  einer  Geschwulst  im  Kleinhirnbrücken winkel.  21 

bei  der  Operation,  7  schnellen  Todesfällen,  9  Besserungen  oder 
Heilangen  und  einem  unbekannten  Resultate.  Bei  den  übrigbleiben- 
den 32  Explorativoperationen  waren  4  Todesfalle  bei  der  Operation, 
15  schnelle  Todesfälle,  12  Besserungen  und  ein  unbekanntes  Re- 
sultat. 

Aus  dem  Jahre  1905  stammt  eine  Arbeit  von  Frazier  ^),  der 
an  einer  Tabelle,  116  Fälle  von  Kleinhirntumoren  aus  der  Literatur 
enthaltend,  zeigt,  daß  die  Zahl  der  erfolgreichen  Operationen 
im  Steigen  begriffen  ist.  Die  Mortalität  ist  von  70  auf  38 7o 
gesunken.  Frazier  glaubt,  daß  die  Resultate  sich  noch  bessern 
werden  wenigstens  in  der  Hand  derer,  die  diesen  Operationen  be- 
sondere Sorgfalt  widmen. 

Was  ich  selbst  an  kasuistischen  Mitteilungen  über  Operationen 
wegen  Tumoren  in  der  hinteren  Schädelgrube  in  der  Literatur  habe 
finden  können,  läßt  sich  kurz  folgendermaßen  zusammenstellen. 

1887. 

1.  Horsley  (British  med.  Journal  1887,  Yol.  I,  citiert  nach 
Y.  Beck  in  Bruns'  Beiträge  zur  klinischen  Ohimrgie  XII.  Bd.  pag.  92 
Fall  Nr.  3).  Tuberkel  in  der  rechten  Kleinhirnhemisphäre,  Tod  19  Stunden 
nach  der  Operation. 

2.  Birdsall  (Medical  News  1887  April,  citiert  nach  v.  Beck 
Fall  Nr.  14).  Spindelzellensarkom  des  linken  Kleinhirns  mit  Kompression 
der  MeduUa  oblongata.  Tumor  bei  der  Operation  nicht  gefunden.  Tod 
nach  2  Monaten. 

3.  Bennet  and  May  (Lancet  1887  Vol.  I,  citiert  nach  y.  Beck 
Fall  Nr.   15).   Tuberkel  des  Kleinhirns.     Tod  an  Meniogitis  tuberculosa. 

1893. 

4.  Parry  (Glasgow  Journal  July  1893  zitiert  nach  Haas  in 
Bruns^  Beiträgen  zur  klinischen  Chirurgie  25.  Bd.  pag.  602  £P.  Fall 
Nr.  12).  Konglomerattuberkel  in  der  linken  Kleinbirnbemisphäre).  Heilung. 

5.  McBurney  and  Allen  Starr  (Americ.  Journ.  1803  April, 
citiert  nach  Haas  Fall  Nr.  15).  JBasistumor  auf  die  untere  innere  Fläche 
des  Cerebellum  und  die  linke  Hälfte  des  Föns  drückend  (Kleinhirn- 
brückenwinkeltumor  ?)  Tod. 

6.  McBurney  and  Allen  Starr  (ebenda,  citiert  nach  Haas 
Fall  Nr.   17).     Kleinhirntumor  bei  der  Operation  nicht  gefunden.     Tod. 

1895. 

7.  Bullard  (Boston  Journal  April  30,  citiert  nach  Haas  Fall 
Nr.  37).  Tuberkel  im  Kleinhirn.  Tod  an  Hämorrhagie  während  der 
Operation. 


1)  Frazier,  Remarka  npon  the  snrgical  aspects  of  tnmours  of  the  cere- 
beUum.  New  York  and  Philadelphia  medical  Journal  1905  No.  6  aud  7  (Febrnary) 
nach  dem  Referate  im  Chirurgischen  Zentralblatte  1905  p.  757. 


22  II-  Bbcub 

8.  Oibson  (Lancet  1895  pag.  1507).  Fibrosarkom  mit  Cyste  in 
der  rechten  Kleinhimbemispbäre  nahe  dem  Foramen  mag^nm.  Exstir- 
pation.     Heilung  nocb  nach  1^/,  Jabren. 

9.  Lampiasi  (X.  Congresso  d.  Soc.  ital.  di  cbimrg.  26. — 29.  Ott. 
1905,  ciiiert  nacb  Hildebrand's  Jabresbericbt  1905  pag.  437).  Tu- 
mor des  Kleinbims.     Entfernung.    Tod  nacb  13  Stunden. 

1896. 

10.  Stewart  (Edinburgh  Medical  jonmal  1896  I  pag.  689). 
Cystisches  Fibrosarkom  von  Taubeneigröße  in  der  rechten  Kleinhim- 
bemispbäre nahe  dem  Foramen  magnum,  operiert  von  Professor  Annan- 
dale.     Heilung. 

11.  Farkin  (British  medical  Journal  1896  Dez.  19).  Bei  einem 
4jährigen  Kinde  wurde  ein  nicht  abgekapseltes  Gliom,  das  beide 
Hemisphären  und  den  Wurm  ergriffen  hatte,  entfernt.  Heilung  hält  nach 
2^/«  Jahren  noch  an. 

1897. 

12.  Murri  (Lancet  1897  Jan.  30).  Fibrosarkom  der  linken  Klein- 
hirnseite, das  nicht  vollständig  entfernt  werden  konnte.     Besserung. 

13.  und  14.  Jany  (Mitteilungen  aus  den  Hamburger  Staats- 
krankenanstalten Bd.  I,  Heft  2,  citiert  nach  Hildebrand 's  Jahresbericht 
1897  pag.  308).  In  einem  Falle  saß  der  Tumor  im  Oberwurm  und  war 
inoperabel.  Tod  am  selben  Tage.  Im  zweiten  Falle  wurde  die  Ge- 
flchwulst  bei  der  Operation  nicht  gefunden.  Der  Kranke  starb  am  selben 
Tage.  Die  Sektion  ergab  eine  hühnereigroße  Geschwulst  in  der  nicht 
freigelegten  Hemisphäre. 

15.  Schede  (ebenda,  citiert  nach  Haas  Fall  Nr.  59).  Zweimal 
operierter  21  jähriger  Mann.  Bei  der  ersten  Operation  Tumor  nicht  ge- 
funden. Zweite  Operation:  Tumor  im  Ober  wurm  des  Kleinhirns.  Tod 
am  Tage  nacb  der  zweiten  Operation. 

16.  Co  11  in  and  Brewer  (New  York  Rec.  15  V.  1897).  Subkorti- 
kales Tuberkulom  rechterseits.  Besserung  auf  3  Monate.  Becidiv- 
operation.     Tod. 

17.  Kümmell  (Mitteilungen  aus  den  Hamburger  Staatskranken- 
anstalten Bd.  I,  Heft  2  1897,  citiert  nach  Haas  Fall  67).  Tumor  der 
linken  Hemisphäre.     Tod  am  Tage  der  Operation. 

18.  Allan  Starr  (British  med.  jpurnal  1897  Okt.  16,  citiert  nach 
Hildebrand's  Jahresbericht  1897  pag.  304).  Gliom  der  rechten 
Hemisphäre,  bei  Operation  nicht  gefunden.    Tod  nacb  8  Tagen. 

19.  Derselbe  (ebenda)  Kleinbirntumor.  Operation  wegen  enormer 
Blutung  aus  dem  Knochen  abgebrochen. 

1899. 

20.  Haas  (Bruns'  Beiträge  zur  klinischen  Chirargie  Bd.  25 
pag.  617  ff.).  Zweimalige  operative  Freilegung  des  Kleinhirns  durch 
Gzerny  im  Jahre  1895;  Tumor  nicht  gefunden.  Tod  an  Meningitis. 
Sektion  verweigert. 

1900. 

21.  Schede  (Deutsche  medizinische  Wochenschrift  1900  pag.  477). 
Gliom  der  linken  Hemisphäre  exstirpiert.     Heilung. 


Operation  einer  Geschwulst  im  Kleinhirnbrückenwinkel.  23 

22.  Derselbe  (ebenda).  Cystosarkom  der  linken  Hemisphäre.  Tod 
nach  einigen  Wochen. 

1901. 

23.  Piollet  (ArcHives  provinciales  1901  Nr.  12).  Gliom  der  linken 
Hemisphäre.     Abtragung  in  zwei  Zeiten.     Heilung. 

1903. 

24.  Bruns  (Neurologisches  Zentralblatt  1904  pag.  578,  Fall  I). 
Sarkom  der  linken  Hemisphäre.  Tod  infolge  von  Nachblutung  in  den 
4.   Ventrikel. 

25.  Fedor  Krause  (Bruns'  Beiträge  37.  Bd.,  pag.  734). 
Fibrom  des  Kleinhirnbrückenwinkels  bereits  am  14.  Juli  1898 
operiert     Tod  nach  fünf  Tagen. 

1904. 

26.  Bruns  (1.  c.  Fall  11).  Cyste  der  rechten  Hemisphäre.  Eröff- 
nung  der  Schädelgmbe  bei  einem  4  jährigen  Sünde  ohne  Eröffnung  der 
Dura.     Tod  in  der  folgenden  Nacht. 

27.  Funkenstein  (Mitteilungen  aus  den  Grenzgebieten  der  Medizin 
und  Chirurgie  14.  Bd.  pag.  160  Fall  L  Bei  multipler  Neurofibromatose 
Entfernung  von  Tumoren  aus  dem  Kleinhimbrückenwinkel  jederseits. 
Tod  nach  P/^  Stunden. 

1905. 

28.  Borchardt  (Berlin,  klin.  Wochenschr.  1905  Nr.  33).  Zwei- 
zeitige Operation  eines  Fibrosarkoms  im  Kleinhirnbrücken winkel.  Tod 
nach  26  Stunden.  (Derselbe  Fall  ist  von  Oppenheim  in  der  Berl.  klin. 
Wochenschr.  1906  Nr.  32  pag.  1086  besprochen.     Diskussion!) 

29.  Mills  (nach  dem  Beferate  im  Zentralblatt  für  Chirurgie  1905 
pag.  756  Fall  6).  Im  wesentlichen  erfolgreiche  Entleerung  einer  Cyste 
im  Kleinhirnbrückenwinkel. 

30.  Derselbe  (ebenda  Fall  1).  Haselnußgroße  Geschwulst  in  der 
linken  Kleinhimhälfte.     Operativ  geheilt. 

31.  Derselbe  (ebenda  Fall  2).  Ähnlicher  Fall  (walnußgroßes  Gliom), 
aber  Kecidiv. 

32.  Derselbe  (ebenda  Fall  3).  Geschwulst  bei  der  Operation  nicht 
gefunden;  zweite  Operation  auf  der  anderen  Seite  vorgeschlagen,  aber 
abgelehnt. 

33.  Derselbe  (ebenda  Fall  4).  Geschwulst  nicht  gefunden.  Ex- 
zision  eines  Teiles  der  Hemisphäre.     Wesentliche  Besserung. 

34.  Derselbe  (ebenda  Fall  5).  Operation  wegen  enormer  Blutung 
aus  Embsarien  vor  Eröffnung  der  Dura  abgebrochen.  Tod  nach  12 
Stunden.     Sektion  verweigert. 

1906. 

35.  Füschmann  (Deutsche  medizinische  Wochenschr.  1906  Nr.  21 
pag.  836).  Cholesteatom  im  rechten  Kleinhimbrückenwinkel.  Nach  Spal- 
tung der  Dura  mußte  wegen  Kollaps  die  Operation  abgebrochen  werden. 
Tod  in  der  folgenden  Nacht. 

36.  Krause  (Chirurgenkongreß  1906  nach   dem  Selbstberichte   im 


24  n.  Becker 

Zentralblatte  für  Chirurgie  Heft  28  pag.  48).  Fibrom  im  rechten   Klein- 
birnbrückenwinkel.     Heilang. 

37.  Borchardt  (ebenda  Fall  I).  Tumor  des  Kleinhimbrücken- 
winkeis.  Tod  nach  24  Stunden  infolge  Blatangstamponade  auf  die 
Oblongata. 

38.  Derselbe  (ebenda  Fall  II).  Tod  nach  6  Tagen  an  Scbluck- 
pneumonie. 

39.  Derselbe  (ebenda  Fall  IIE).  Wahrscheinlich  Tumorreste 
zurückgeblieben  in  der  rechten  Hemisphäre.  Lebt  noch  nach  einem 
halben  Jahre. 

40.  Eigener  Fall.  Fibrom  im  linken  Kleinhimbrückenwinkel. 
Entfernung.     Tod  nach  3  Stunden  im  Kollaps. 

Ein  kurzer  Blick  auf  diese  Kasuistik  genügt,  um  in  uns  nicht 
gerade  eine  erfreuliche  Empfindung  wachzurufen:  die  große 
Mehrzahl  der  Kranken  ist  dem  Eingriflfe  erlegen.  Unwillkürlich 
drängt  sich  uns  dabei  die  Frage  auf,  ob  stets  unter  richtiger 
Indikationsstellung  operiert  ist  und  ob  zweitens  die  Technik  immer 
die  richtige  war.  Es  lohnt  sich  nicht,  aus  einer  Zusammenstellung 
aller  dieser  Fälle  und  den  Berichten  über  Erfolge  und  Mißerfolge 
bindende  Schlüsse  zu  ziehen.  Viele  sind  außerordentlich  kurz  und 
unbestimmt  gehalten,  andere  sind  viel  zu  früh  nach  der  Operation 
veröffentlicht,  ein  Teil  war  mir  nicht  im  Original  zugänglich. 
Auch  wird  natürlich  das  Resultat  erheblich  dadurch  gefälscht,  daß 
zweifellos  die  günstig  verlaufenen  Fälle  alle,  von  den  mißglückten 
nur  ein  Teil  veröffentlicht  ist.  Viel  richtiger  ist  es  mit  Oppen- 
heim und  B  r  u  n  s  die  in  der  Literatur  bisher  mitgeteilten  Operations- 
fälle mit  Auswahl  und  Kritik  zu  verwerten  und  alle  Fälle,  die 
dieser  Kritik  nicht  standhalten,  fortzulassen.  Die  folgenden  Aus- 
führungen lehnen  sich  an  diejenigen  von  Bruns*)  an.  Er  kalku- 
liert folgendermaßen.  Die  erste  Frage,  die  sich  aufdrängt,  ist  die  : 
In  welchen  Fällen  von  Hirntumoren  können  wir  mit  Recht  zu  einer 
Operation  raten  ?  oder  mit  anderen  Worten :  welche  Umstände  sind 
zu  fordern,  um  einen  speziellen  Fall  von  Hirntumor  als  zur  opera- 
tiven Entfernung  geeignet  ansehen  zu  lassen?  Zunächst  ist  zu 
fordern,  daß  in  allen  Fällen  von  Hirntumor,  die  man  zur  Operation 
vorschlägt,  die  Allgemein-  und  Lokaldiagnose  denjenigen  Grad  von 
Sicherheit  besitzt,  der  heute  überhaupt  zu  erreichen  ist.  Gewöhn- 
lich ist  die  Allgemeindiagnose  eine  ziemlich  leichte,  da  die 
Kombination  von  Kopfschmerz,  Schwindel,  Erbrechen,  Stauungs- 
papille und  eventuell  Krämpfe  wohl  jeden  Arzt  auf  die  richtige 
Bahn  leiten  wird  —  leider  aber  meistens  für  den  Chirurgen  zu 


1)  Bruns,  1.  c.  p.  216ff. 


Operation  einer  Geschwulst  im  Kleinbimbrückenwinkel.  25 

spät.  Schwieriger  ist  schon  die  Lokaldiagnose  zu  stellen  und 
meistens  auch  wohl  erst  bei  genügend  langer  Beobachtung.  Kein 
Chirurg  wird  hierbei  der  Hilfe  des  Neurologen  entraten  wollen. 
Bruns  glaubt,  daß  in  den  meisten  Fällen  mit  ausgesprochenen 
Allgemein-  und  deutlichen  Lokalsymptomen  auch  die  Lokaldiagnose 
des  Hirntumors  eine  sichere  ist,  nach  seinen  Erfahrungen  in  80  7o 
der  Fälle.  Aber  mit  der  Sicherheit  der  Diagnose  ist  für  die  Frage 
nach  der  Möglichkeit  und  dem  Erfolg  einer  Operation  zwar  sehr 
viel,  aber  lange  nicht  alles  getan.  Vor  allem  fragt  es  sich  natür- 
lich: Ist  der  richtig  lokalisierte  Tumor  erstens  überhaupt  für  das 
Messer  zu  erreichen  und  wenn  ja,  sitzt  er  an  einer  Hirnstelle,  wo 
seine  Entfernung  ohne  unmittelbare  Lebensgefahr  möglich  ist? 
Leider  müssen  gerade  aus  diesen  beiden  Gründen  —  der  Uner- 
reichbarkeit der  Geschwulst  oder  der  direkten  Lebensgefahr  seiner 
chirurgischen  Inangriffnahme  —  eine  große  Anzahl  von  Geschwülsten 
als  für  die  Operation  ungeeignet  bezeichnet  werden.  Hierher 
rechnen  Oppenheim,  Bruns  und  v.  Bergmann  auch  die  Opera- 
tionen zur  Entfernung  von  Geschwülsten  aus  der  hinteren  Schädel- 
grabe. Krause  hat  inzwischen M  durch  seine  glänzende  Technik 
bewiesen,  daß  diese  Operationen  ebensogut  ausführbar  sind,  wie 
die  von  ihm  auf  dem  Chirurgenkongresse  des  Jahres  1892  zuerst 
vorgeführte  intrakranielle  Trigeminusresektion,  welche  damals  von 
vielen  für  allzu  kühn  und  gefährlich  gehalten  wurde;  und  doch 
hat  sie  sich  längst  Bürgerrecht  erworben.  Die  große  Zahl  der 
gerade  in  den  letzten  3  Jahren  vorgenommenen  Operationen  be- 
weist, daß  das  Bewußtsein  einer  technisch  möglichen  Operation  in 
der  hinteren  Schädelgrube  immer  mehr  unter  den  Chirurgen  Platz 
greift. 

Aber  mit  der  sicheren  Diagnose  eines  Tumors  an  zugänglicher 
Stelle  sind,  wenn  wir  zu  einer  Operation  raten  sollen,  noch  nicht 
alle  Erwägungen  abgeschlossen,  die  wir  vor  derselben  anzustellen 
haben.  Zunächst  ist  auf  das  Allgemeinbefinden  des  Kranken 
Rücksicht  zu  nehmen.  Daß  man  Kranke  in  extremis,  bei  tiefer 
Benommenheit,  schwerer  Störung  von  Herz-  und  Atemtätigkeit,  bei 
Miliartuberkulose  oder  Meningitis  nicht  operiert,  ist  selbstver- 
ständlich. „Es  wird  immer  unser  Bestreben  sein  müssen,  die  Fälle 
von  Hirntumor  möglichst  früh,  ohne  schwere  Allgemein- 


1)  Krause,  Chirurgen- Kongreß  1906.  Von  seinen  nenn  Operierten  ist  keiner 
an  KoHapSf  Blatnng  oder  Meningitis  gestorben;  eine  Frau  starb  am  6.  Tage  an 
Pneumonie,  zwei  andere  Kranke,  die  starben,  hatten  inoperable  Tumoren. 


26  II.   Becker 

Symptome  zur  Operation  zu  bringen,  und  das  höchste  Ziel, 
das  wir  erreichen  könnten,  würde  das  sein,  gar  nicht  auf  die  AU- 
gemeinsyraptome,  die  ja  zum  Teil  direkt  eine  Gefährdung  des 
Lebens  bedingen,  zu  warten,  sondern  allein  auf  die  lokal> 
diagnostischen  Momente  hin  zu  operieren.  Allein  die  Erreichung 
dieses  Zieles  wird  wohl  immer  ein  Ideal  bleiben.  Denn  die  Dia- 
gnose Tumor  ist  eben  erst  dann  sicher,  wenn  wenigstens  einige 
der  Allgemeinsymptome  —  am  besten  auch  die  Stauungspapille  — 
vorhanden  sind"  (Bruns).  Frazier  geht  sogar  so  weit,  zu 
fordern,  daß  man  zur  Operation  schreiten  soll,  sobald  die  Diagnose 
„leidlich  sicher"  ist.  Wartet  man  ab,  bis  die  Lokalisation  zweifel- 
los wird,  dann  kommt  man  fast  immer  zu  spät. 

Eine  zweite  Frage,  die  vor  jeder  Operation  erwogen  werden 
muß,  ist  die:  Handelt  es  sich  etwa  um  eine  syphilitische  Ge- 
schwulst? Eine  mindestens  sechs  wöchentliche  antisyphilitische 
Kur,  insbesondere  auch  Darreichung  von  Jodkali  wird  etwaige 
Zweifel  meistens  beheben. 

Metastatische  Hirntumoren  rät  Bruns  nur  dann  zu  ope- 
rieren, wenn  man  sicher  ist,  daß  man  auch  den  Primärtumor  ent- 
fernen kann;  anderenfalls  ist  auch  die  Hirnoperation  unnütz. 

Haben  wir  nach  allen  diesen  gewissenhaft  angestellten  Er- 
wägungen die  Überzeugung  gewonnen,  daß  dem  Kranken  eine 
Operation  mit  gutem  Grunde  angeraten  werden  darf,  so  soll  man 
stets  bedenken,  daß  zahlreiche  unangenehme  Überraschungen 
bei  der  Operation  selbst  (Art,  Größe,  Sitz,  Multiplizität  des 
Tumors)  den  Erfolg  vereiteln  können,  wozu  außerdem  noch  die 
Gefahren  der  Operation  (Blutung,  Shock)  sich  gesellen. 

Wie  steht  es  denn  nun  mit  der  Technik  der  Operationen 
in  der  hinteren  Schädelgrube? 

Stieglitz,  Gerster  und  LilienthaP)  haben  in  einem 
Falle,  wo  sie  eine  Neubildung  an  der  ventralen  Fläche  des  rechten 
Kleinhimlappens  in  der  Nachbarschaft  des  Meatus  auditorius  in- 
ternus also  im  sog.  Kleinhirnbrückenwinkel  vermuteten,  den  Ver- 
such gemacht,  von  oben  her  an  die  Geschwulst  heranzukommen. 
Sie  trepanierten  am  Hinterkopfe  oberhalb  des  Tentoriums,  hoben 
den  Occipitallappen  hoch  und  spalteten  das  Tentorium.  Aber  die 
Schwierigkeiten  am  Lebenden,  die  sie  nach  ihren  Leichen  versuchen 
nicht  erwartet  hatten,  waren  unüberwindlich.    Die  Operation  blieb 


1)  Stieglitz,  Gerster  und  Lilienthal  nach  dem  Referate  im  Zentral- 
blatte  für  Chirurgie  1897  p.  268. 


Operation  einer  Geschwulst  im  Kleinhirnbrückenwinkel.  27 

unvollendet.  Denselben  Mißerfolg  hatte  Terrier.^)  Er  eröffnete 
die  linke  Hälfte  der  Hinterhauptsschnppe  in  der  Ausdehnung  eines 
Zweifrankstückes,  um  den  hinteren  Pol  des  Occipitalhirnes  dort, 
wo  er  dem  Tentorium  aufliegt,  zu  erreichen.  Er  wollte  ihn  hoch- 
heben, dadurch  die  obere  Fläche  des  Zeltes  freilegen  und  nach 
dessen  Spaltung  auf  die  linke  Kleinhirnhemisphäre  vordringen. 
Als  aber  die  Dura  über  dem  Hinterhirnlappen  eröffnet  wurde, 
wölbte  sich  das  Gehirn  vor  und  vereitelte  jedes  weitere  Operieren. 
Auch  T  e  r  r  i  e  r  hatte  nicht  mit  der  Tatsache  des  vermehrten  Hirn- 
druckes  bei  Tumoren  gerechnet.  Dieser  preßt  die  anliegenden 
Hirnteile  mit  großer  Gewalt  gegen  die  angelegte  Operationsöffnung, 
so  daß  sie  nicht  allein  völlig  verstopft  wird,  sondern  auch  die 
Hirnrinde  an  den  scharfen  Schnittwänden  der  Dura  und  des 
Knochens  nicht  unerheblich  verletzt  wird. 

Diese  Operationen  waren  also  technisch  unrichtig  ersonnen. 
Fedor  Krause's  Verdienst  ist  es,  uns  den  einzig  richtigen  Weg 
zur  Freilegung  der  fraglichen  Teile  gewiesen  zu  haben  —  nämlich 
unterhalb  des  Tentoriams.  Nur  wenn  letzteres  das  ganze  Ge- 
wicht des  Großhirnes  während  der  Operation  trägt,  ist  es  möglich, 
unter  seinem  schützenden  Dache  durch  geeignete  Lagerung  des 
Kopfes  bezw.  vorsichtiges  Beiseiteschieben  der  Kleinhirnhemisphäre 
nacheinander  alle  Stellen  der  hinteren  Schädelgrube  sich  für  Auge 
und  Instrument  zugänglich  zu  machen.  Die  Krause'sche  Methode 
ist  daher  auch  von  allen  Operateuren  akzeptiert,  zum  Teil  durch 
Modifikationen  etwas  abgeändert. 

Man  führt  —  der  Kranke  liegt  mit  etwas  erhobenem  Kopfe 
auf  der  gesunden  Seite  —  einen  großen  bogenförmigen  Schnitt 
durch  die  Kopfschwarte  vom  hinteren  Rande  desjenigen  Warzen- 
fortsatzes, welcher  an  der  mutmaßlichen  Seite  der  Geschwulst  der 
hinteren  Schädelgrube  liegt,  in  die  Höhe  und  überschreitet  in  der 
Hinterkopfsmitte  die  Protuberatia  occipitalis  externa  um  mindestens 
Daumenbreite.  Der  Sinus  transversus  liegt  nämlich  in  der  Regel 
etwas  oberhalb  dieses  Knochenvorsprunges  und  kann  begreiflicher- 
weise am  besten  vor  zufälligen  Verletzungen  geschützt  werden, 
wenn  er  in  ganzer  Ausdehnung  frei  liegt.  In  allen  Fällen,  wo  es 
zweifelhaft  sein  kann,  in  welcher  Hemisphäre  der  Tumor  sitzt,  rät 
Krause  beide  Seiten  freizulegen  und  verlängert  deshalb  den  Bogen- 
schnitt  bis  zum  hinteren  Rande  des  anderen  Warzenfortsatzes.    In 


1)T.  Bergmann,  Die  chirurgische  Behandlung  der  Himkrankheiten  III. Aufl. 
p.  363  ff. 


28  n.  Becker 

meinem  Falle  genügte  es,  in  der  Mitte  zwischen  Hinterhauptshöcker 
und  Warzenfortsatz  abwärts  den  Schnitt  zu  führen.  Jetzt  wird  der 
große  Hautmuskellappen  mit  unterer  Basis  vom  Schädelknochen  ab- 
gelöst und  nach  unten  umgeschlagen.  Die  Arteria  occipitalis  muß 
meistens  unterbunden  werden.  An  die  stark  blutenden  Kopf- 
schwartengefäße werden  Klemmen  gehängt  und  nicht  eher  mit  der 
Knochenoperation  begonnen,  bis  die  Blutstillung  vollständig  ist. 

In  meinem  Falle  habe  ich  noch  mit  Hammer  und  Meißel  ge- 
arbeitet. Inzwischen  bin  ich  in  den  Besitz  der  Borchardt'schen 
elektrischen  Trepanationsinstrumente  gelangt,  welche  einen  ganz 
wesentlichen  technischen  Fortschritt  darstellen.  Sozusagen  im 
zehnten  Teile  der  Zeit  kann  man  müheloser  und  viel  sauberer  den 
Knochenlappen  bilden.  Technische  Einzelheiten  darf  ich  als  be- 
kannt voraussetzen.  Gelingt  es  auf  diese  Weise  einen  guten  osteo- 
plastischen Lappen  analog  dem  Hautmuskellappen  zu  bilden,  den 
man  später  in  den  Defekt  wieder  zurückschlagen  kann,  um  so 
besser.  Die  meisten  Operateure  haben  sich  aber  davon  überzeugen 
müssen,  daß  bei  den  enormen  technischen  Schwierigkeiten  und  der 
f4efährlichkeit  der  Operation  alles  beseitigt  werden  muß,  was  der 
Zugänglichkeit  hinderlich  ist.  Und  das  ist  der  Knochenlappen  ent- 
schieden. Es  verzichtet  deshalb  mancher  von  vornherein  auf  die 
osteoplastische  Methode. 

Man  hat  gefürchtet,  daß  beim  Niederbrechen  des  Knochen- 
lappens das  Hinterhauptsbein  am  Foramen  magnum  splittern  und 
die  MeduUa  oblongata  verletzen  könne.  Die  Gefahr  ist  nicht  so 
groß,  da  letztere  weit  genug  vom  Knochenrande  entfernt*)  und 
dieser  überdies  hier  sehr  stark  ist.  Femer  schützt  die  sehr  dicke 
Membrana  atlanto-occipitalis  das  Gehirn  und  wenn  man  diese  durch- 
schneidet, kommt  man  nicht  auf  die  Oblongata,  sondern  auf  die  Ton- 
sille des  Kleinhirns;  die  MeduUa  oblongata  liegt  tiefer  (Borchardt).-) 
Endlich  bricht  der  Knochen  meistens  so,  daß  die  Umrandung  des 
Hinterhauptloches  stehen  bleibt. 

Unter  allen  Umständen  ist  die  Knochenoperation  sehr  blut- 
reich wegen  der  gerade  hier  sehr  starken  Diploeschicht  und  mehr- 
facher beträchtlicher  Emissarien.  Einigeraale  haben  die  Operateure 
aus  diesem  Grunde  abbrechen  und  zweizeitig  operieren  müssen; 
auch  Todesfälle  auf  dem  Operationstische  sind  beobachtet.     Bei 


1)  Man  betrachte  in  Merkel's  Handbuch  der  topographischen  Anatomie 
Bd.  I  p.  78  die  Abbildung  38. 

2)  Borchardt,  Chinirgenkongreß  1906. 


Operation  einer  Geschwulst  im  KleinhirnbrUckenwiukel.  29 

Blutungen  aus  den  Emissarien  kann  man  Elfenbeinstifte  oder  Holz- 
pflöcke einschlagen  und  sie  im  Enochenniveau  abschneiden.  Zur 
Beherrschung  der  Diploeblutung  genügte  mir  feste  Gazekompression; 
man  muß  nur  wirklich  fest  komprimieren,  indem  man  die  Gaze- 
lage mit  einem  stumpfen  Haken  gegen  die  Sägefläche  preßt. 

Nach  Herstellung  der  großen  Knochenliicke  wölben  sich  nun- 
mehr unter  der  bedeckenden  DurahüUe  die  hinteren  unteren  Teile 
beider  Hinterhirnlappen  des  Großhirnes  und  die  freizulegende  Klein- 
hirnhalbkugel sowie  ein  mehr  oder  weniger  großer  Streifen  der 
anderen  Seite  vor.  Man  erblickt  das  untere  Ende  des  Sinus  longi- 
tudinalis,  den  horizontal  verlaufenden  Sinus  transversus  und  den 
Sinus  occipitalis.  Neigt  man  den  Kopf  stark  auf  die  rechte  Seite, 
so  sinkt  Dura  und  Gehirn  an  der  linken  Seite  in  das  Schädelinnere 
zurück,  so  daß  eine  etwa  '/4  cm  breite  Lücke  zwischen  Tabula 
interna  und  Dura  entsteht. 

Borchardt  macht  darauf  aufmerksam,  daß  der  an  der  Um- 
randuDg  des  Hinterhauptloches  verlaufende  Sinus  marginalis  im 
weiteren  Verlaufe  der  Operation  gefährlich  werden  kann.  Er  ist 
in  etwa  10%  der  Fälle  enorm  groß,  größer  noch  als  der  Sinus 
transversus,  und  ist  rechts  stets  stärker  als  links. 

Jetzt  bildet  man  aus  der  Dura  einen  großen  bogenförmigen 
Lappen  mit  unterer  Basis  unter  Schonung  des  Sinus  transversus. 
Der  Sinus  occipitalis  kann  doppelt  unterbunden  werden,  wenn  es 
sich  als  notwendig  erweist,  beide  Kleinhirnhemisphären  freizu- 
legen, indem  man  eine  mit  Katgut  armierte  Aneurysmennadel  um 
ihn  herumführt.  Klappt  man  nun  den  Duralappen  herunter  und 
hält  mit  einem  biegsamen  Kupferspatel  das  Tentorium  in  die  Höhe, 
so  kann  man  die  bzw.  beide  Kleinhimhemisphären  und  den  Ober- 
wurm bis  weit  in  die  Tiefe  hin  übersehen.  Neigt  man  den  Kopf 
auf  die  Seite  und  setzt  den  Spatel  unter  die  Kleinhirnhalbkugel, 
so  kann  man  auch  diese  medialwärts  verziehen  und  nun  die  Gegend 
des  Kleinhirnbrückenwinkels  und  die  Hinterfläche  des  Schläfen- 
beins bequem  übersehen.  Mir  hat  es  jedenfalls  in  meinem  Falle 
keinerlei  Schwierigkeiten  gemacht.  Findet  sich  eine  Neubildung 
im  Marklager  des  Kleinhirnes,  so  wird  man  sie  wohl  meistens  an 
der  auffälligen  Konsistenz  durch  Betastung  mit  zwei  Fingern  fest- 
stellen können.  Tumoren  an  der  Hinterfläche  des  Felsenbeines 
(Acusticusfibrome ,  Kleinhirnbrücken  winkeltumoren)  sieht  man. 
Auf  die  allgemeinen  Regeln  der  Loslösung  und  Ausschälung  der 
Tumoren,  der  Blutstillung  usw.  brauche  ich  hier  nicht  weiter  ein- 
zugehen, weil  die  Lokalität  zu  abweichenden  Maßnahmen  keinen 


30  II.   Bbckeb 

Anlaß  gibt.  Es  lag  mir  nur  daran,  den  Lesern  einer  nichtchirur- 
gischen Zeitschrift  ein  Bild  von  dem  Gange  einer  Ope- 
ration zu  geben,  die  wahrscheinlich  berufen  ist,  in 
den  nächsten  Jahren  eine  große  Rolle  zu  spielen. 

Überblicken  wir  nun  die  Gefahren,  die  mit  einer  Operation 
einer  Himgeschwulst  in  der  hinteren  Schädelgrube  verbunden  sind, 
und  erwägen  wir  alle  die  Schwierigkeiten,  die  sich  uns  in  den  Weg 
stellen  können,  so  wird  man  mit  einiger  Berechtigung  die  Frage 
aufwerfen  dürfen,  ob  sich  denn  überhaupt  vom  Stand- 
punkte unserer  Wissenschaft  solche  Operationen 
verteidigen  lassen.  „Ich  glaubte  früher  doch  oft,"  schreibt 
Th.  Billroth  (Briefe  1899  Seite  147),  „die  Leute  zum  Leben 
zwingen  zu  können.  Jetzt  bin  ich  resignierter  in  dieser  Beziehung. 
Da  bin  ich  denn  ein  immer  glücklicherer  Operateur  geworden, 
vielleicht  nur  klüger;  ob  besser,  wollen  wir  dahingestellt 
sein  lassen.^  Das  letzte  ist  eben  der  Kernpunkt.  Wir  sind 
bessere  Operateure  im  letzten  Dezennium  geworden,  wir  haben 
uns  an  immer  größere  Probleme  gewagt  und  immer  bessere  Re- 
sultate erzielt.  Was  bei  Gallenstein-,  bei  Blinddarm-  und  zahllosen 
anderen  Operationen  unsere  Erfolge  in  enormer  Weise  verbessert 
hat,  ist  die  bessere  Technik.  Warum  sollen  der  Hirnchirurgie 
ähnliche  Erfolge  versagt  bleiben? 

Aber  schon  unsere  jetzigen  Erfolge  drücken  uns  das  Messer 
in  die  Hand.  Der  Hirntumor  ist  ein  Leiden,  das  ohne  Operation 
(Syphilis  nehme  ich  aus)  stets  und  zwar  unter  den  fürchterlichsten 
Qualen  zum  Tode  führt.  Kopfschmerz  und  Erbrechen  spotten  jeder 
inneren  Therapie  und  haben  schon  manchen  die  WaflFe  gegen  sich 
selbst  richten  lassen.  Dazu  ist  das  Leiden  in  den  wenigsten  Fällen 
ein  kurzes,  oft  zieht  es  sich  über  Jahre  hin.  Wenn  wir  unter 
diesen  Umständen  von  100  Menschen  auch  nur  einen  oder  nach 
anderen  Berechnungen  vier  oder  gar  acht  retten  können,  so  ist 
das  doch  ein  recht  erfreuliches  Resultat.  Wie  schlecht  waren  an- 
fangs die  Resultate  unserer  Gallenstein-  und  Blinddarmoperationen! 
Weshalb?  Weil  die  Kranken  bereits  inoperabel  auf  den 
Tisch  kamen.  Und  jetzt  gehören  die  EingriflFe  unbestritten  zu  den 
glänzendsten  Leistungen  moderner  Chirurgie.  Wird  es  uns  ge- 
lingen, einerseits  die  Technik  zu  verbessern  und  andererseits  die 
Frühdiagnose  zu  verfeinern,  so  werden  wir  noch  mehr  Menschen 
dem  sicheren  Tode  entreißen  können.  Die  bisherigen  noch  be- 
scheidenen Erfolge  sollen   uns   also  nicht  abhalten,   auf  dem  be- 


Operation  einer  Geschwulst  im  Kleinhimbrückenwinkel.  31 

schrittenen  Wege  umzukehren  und  das  Messer  beiseite  zu  legen, 
wie  uns  auch  die  anfanglichen  Mißerfolge  der  Bauchchirurgie  nicht 
abgeschreckt  haben. 

Aber  noch  aus  einem  zweiten  Grunde  erscheinen  Hirntumor- 
operationen  durchaus  berechtigt.  Gelingt  es  nämlich  aus  irgend- 
welchen Ursachen  nicht,  die  Geschwulst  zu  entfernen,  oder  konnte 
sie  nur  zum  Teil  bestätigt  werden,  so  haben  auch  diese  Palliativ- 
operationen stets  einen  segensreichen  Einfluß  gehabt. 
Die  Erfahrungen  haben  nämlich  gelehrt,  daß  in  solchen  Fällen 
zwar  die  Herdsymptome  immer  dieselben  bleiben,  daß  aber  die 
Allgemeinsyraptome  —  und  diese  sind  ja  für  den  Kranken  ganz 
besonders  quälend  --  nach  breiter  Eröffnung  des  Schädels  meist 
rasch  zurückgehen.  Wie  mit  einem  Zauberschlage  hellt  sich  das 
Bewußtsein  auf,  der  Kopfschmerz  schwindet,  ebenso  auch  das  Er- 
brechen und  die  Stauungspapille  geht  ra^ch  zurück.  Es  ist  von 
der  allergrößten  Bedeutung,  daß  man  auf  diese  Weise 
den  Übergang  derStauungspapille  —  erfahrungsgemäß  tritt 
sie  gerade  bei  den  Tumoren  der  hinteren  Schädelgrube  außerordent- 
lich frühzeitig  auf  —  in  Sehnervenatrophie,  alsoinEr- 
blindung  verhindern  kann.  Cushing*)  hat  zweimal  eine 
Stauungspapille  in  wenigen  Stunden  verschwinden 
sehen.  Bei  dem  einen  Kranken  war  eine  Schwellung  von  7  Di- 
optrien nach  3  Stunden  völlig  abgeflacht;  es  handelte  sich  um  eine 
Freilegung  der  hinteren  Schädelgrube  wegen  Kleinhirntumor.  In 
einem  anderen  Falle,  wo  er  wegen  Hydrocephalus  internus  die 
Punktion  des  Seitenventrikels  mehrmals  wiederholen  mußte,  beob- 
achtete gleichzeitig  ein  Ophthalmologe  den  Augenhintergrund.  In 
demselben  Augenblick,  wo  der  Liquor  aus  der  Hohlnadel  hervor- 
spritzte, fielen  die  prallgefüllten  Venen  am  Optikuseintritte  zu- 
sammen und  verloren  ihre  Schlängelung;  wenige  Stunden  später 
war  das  Ödem  der  Papille  verschwunden. 

Femer  haben  sich  in  vielen  Fällen  die  Kopfschmerzen 
gar  nicht  wieder  eingestellt,  so  daß  die  Kranken  die  volle  Schwere 
ihres  Leidens  nicht  weiter  empfanden,  sondern  einfach  im  Koma 
zu^^runde  gingen.  Von  Chipault,  Jaboulay,  Aldrich  und 
Cnshing   und   unter  den  Deutschen  besonders  vom  Hamburger 


1)  Cnshing^j  The  establishment  of  cerebral  hernia  as  a  decompressive 
measnre  for  inaccessible  brain  tumors  usw.  Surgery,  gynecology  and  obstetrica 
Volume  I  Number  4  Oktober  1905  page  298. 


32  n.  Becker 

Nervenarzte  Sänger  ^)  und  von  Sick  -)  wird  die  Palliativoperation 
daher  warm  empfohlen.  Von  11  Patienten  Sang  er 's  hat  die 
palliative  Trepanation  in  10  Fällen  die  schweren  Leiden  ganz 
wesentlich  verringert,  indem  die  durch  den  gesteigerten  Himdruck 
bedingten  Symptome  (Kopfschmerzen,  Erbrechen,  Krämpfe)  nach- 
ließen. In  8  Fällen  ging  die  Stauungspapille  zurück,  in  zweien 
bestand  schon  vor  der  Trepanation  Erblindung,  in  einem  Falle 
verschlechterte  sich  das  Allgemeinbefinden.  Als  Zeitpunkt. des 
operativen  Einschreitens  empfiehlt  Sänger  den  Beginn  der 
Herabsetzung  des  Sehvermögens;  operiert  man  nach  diesem 
Zeitpunkte,  so  bleibt  gewöhnlich  eine  Optikusatrophie  zurück.  Nach 
seiner  (übrigens  auch  anderer)  Erfahrung  könne  sich  die  Qnincke- 
sche  Lumbalpunktion  oder  die  Punktion  des  Seitenventrikels  in 
bezug  auf  die  Wirksamkeit  nicht  mit  der  Entfernung  eines  großen 
Knochenstückes  aus  der  Schädelkapsel  messen.  Er  resümiert:  „Die 
palliative  Trepanation  bei  einem  Hirntumor  ist  in  den  Händen 
eines  geübten  Chirurgen  eine,  wenn  auch  nicht  ganz  ungefährliche, 
so  doch  außerordentlich  segensreiche  Operation,  die  ich  im  Hinblick 
auf  die  Ohnmacht  der  inneren  Medizin  gegenüber  dem  Hirntumor 
und  in  Rücksicht  auf  die  qualvollen  Leiden,  speziell  die  drohende 
Erblindung,  in  jedem  Falle  empfehlen  möchte." 

Sick  verfügt  unter  27  Trepanationen  über  drei  Fälle,  bei 
denen  die  Kranken  durch  die  lediglich  zur  Druckentlastung  vor- 
genommene Trepanation  über  dem  Kleinhirn  dauernd  arbeits- 
fähig geblieben  sind.  In  dem  einen  Falle  handelt  es  sich  um 
einen  31jährigen  Telephonarbeiter,  bei  dem  eine  Cyste  in  der 
linken  Kleinhirnhemisphäre  punktiert  wurde;  nach  14tägiger  Se- 
kretion schloß  sich  die  Fistel  Ein  zweiter  Patient  wurde  vor 
6  Jahren  operiert  wegen  schwerster  Drucksymptome  und  fast 
völlig  aufgehobener  Sehkraft.  Der  Kranke,  ein  Kommis,  ist  wieder 
voll  arbeitsfähig  geworden.  Im  dritten  Falle  bestand  bei  einem 
Lehrer  gleichfalls  heftiger  unerträglicher  Schwindel,  Kopfschmerz 
und  Stauungspapille.  Auch  dieser  Patient  ist  seit  länger  als  einem 
Jahre  wieder  voll  hergestellt  und  kann  seinen  Dienst  als  Lehrer 
wieder  ungehindert  ausüben.  Sick  empfiehlt  daher  dringend, 
bei  allen  Fällen,  wo  es  nicht  gelingt,  den  Tumor  operativ 
anzugreifen,  die  Trepanation  zur  Druckentlastung  (Tre- 

1)  Sänger,  Über  die  Palliativoperation  des  Schädels  bei  inoperablen  Hirn- 
tumoren.   Chirurgenkongreß- Verhandlungen  1902  I  p.  158  ff. 

2)  Sick,  Trepanation  bei  snpponiertem  Hirntumor  mit  Ausgang  in  Heilung. 
Deutsche  med.  Wochenschrift  1906  Nr.  34  p.  1396. 


Deutsches  Archiv  füi  klinische  Medizin.    89.  Bd. 


Verl»g  von  F.  C.  W,  Vogel  In  Leipzig. 


Operation  einer  Geschwulst  im  Kleinhimbrückenwinkel. 


33 


panation  d6compressive)  zu  machen,  da  hierdurch  den  Kranken 
wesentlich  genützt  wird  und  sie  von  den  oft  unerträglichen 
Kopfschmerzen  und  der  Erblindungsgefahr  befreit  werden. 

Wenn  wir  also  —  in  den  immerhin  häufigen  Fällen  —  erst 
bei  der  Operation  einsehen,  daß  eine  radikale  Geschwulstentfernung 
nicht  möglich  ist,  so  haben  wir  doch  das  Bewußtsein,  daß  wir 
durch  unseren  Eingriff  dem  Kranken  nicht  zu  schaden  brauchen, 
sondern  ihm  einen  wesentlichen  lang  andauernden  Nutzen  schaffen 
können.  Dadurch  muß  uns  natürlich  der  Entschluß  zur  Operation 
sehr  erleichtert  werden,  und  wir  haben  damit  auch  das  bestimmte 
Eechty  einem  Kranken  oder  seinen  Angehörigen  die  Operation 
anzuraten.  Mag  sie  nun  eine  völlige  Heilung  oder  nur  eine  Lin- 
derung der  Leiden  oder  aber  den  Tod  herbeiführen,  der  Kranke 
hat  stets  dabei  gewonnen. 


Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.   89.  Bd. 


III. 

Ans  der  experimentell-biologischen  Abteilnng  des  Kgl.  pathoU 

Instituts  der  Universität  Berlin. 

Zar  pathologischen  Physiologie  des  Magenkatarrhs* 

Von 

Adolf  Bickel  in  Beriin. 

Zwei  Dinge  stehen  beim  Magenkatarrh  —  in  welcher  seiner 
besonderen  Ausdrucksform  er  nns  auch  am  Krankenbette  ent- 
gegentreten mag  —  im  Vordergrunde  des  pathologisch-physio- 
logischen Interesses:  das  Verhalten  der  Schleimbildung  und  das- 
jenige der  Salzsäureproduktion.  Wir  wissen,  daß  speziell  bei  den 
subakuten  und  chrouischen  Gastritiden  —  wenn  ich  von  der  Gastritis 
acida  Boas'  absehe  —  der  Mageninhalt  in  der  Regel  abnorm  reich 
an  Schleim  und  arm  an  Salzsäure  ist.  Genaueres  über  die  Art  der 
Gesetze,  denen  die  Schleim-  und  Salzsäurebildung  bei  dieser  Erkran- 
kung der  Magenschleimhaut  folgt,  wissen  wir  nicht 

Ich  wende  mich  zunächst  der  Schleimbildung  im  kranken 
Magen  zu,  über  die  E  r  e  h  1  in  seinem  Lehrbuch  der  pathologischen 
Physiologie  (1904)  schreibt:  „Sehr  zu  bedauern  ist,  daß  wir  über 
den  Schleim  des  Magens  nicht  besser  unterrichtet  sind.  Eine  sorg- 
fältige chemische  und  biologische  Untersuchung  desselben  in  der 
Art,  wie  sie  F.  M  ü  1 1  e  r  für  das  Mucin  der  Atemwege  unternommen,, 
würde  voraussichtlich  zu  den  interessantesten  Ergebnissen  führen,, 
denn  es  ist  recht  wahrscheinlich,  daß  anch  im  Magen  der  Schleim 
wichtige  schützende  Funktionen  hat." 

Daß  die  Schleimbildung  im  Magen  anderen  Gesetzen  folgt,  ala 
die  Saftsekretion,  ist  uns  aus  den  klassischen  Untersuchungen  der 
Pawlow'schen  Schule  bekannt;  das  geht  fei'ner  zur  Evidenz  aus 
den  Beobachtungen  hervor,  die  Freund  in  meinem  Laboratorium 
über  die  Einwirkung  des  elektrischen  Stromes  auf  die  Magen- 
schleimhaut  anstellte.^)    Während    auf  elektrische   Reizung    der 

1)  Virchow's  Archiv  1905. 


Zur  pathologischen  Physiologie  des  Magenkatarrhs.  35 

Magenschleimhaut  auch  nicht  eine  Spur  von  Magensaft  produziert 
wird,  tritt  bei  dieser  Reizung  eine  lebhafte  Schleim bildung  auf.  Um- 
gekehrt ruft,  wiePawlow  zeigen  konnte,  elektrische  Reizung  des 
Vagus,  also  des  Sekretionsnerven  der  Magenschleimhaut  eine  Magen- 
saftbildung hervor.  Nur  bei  direkter  elektrischer  Erregung  der 
Sdileimhaut  tritt  statt  der  Saftbildung  die  Schleimabsonderung  auf. 

Wenn  Uschakow  (Arch.  d.  scienc.  biol.  IV)  bei  elektrischer 
Reizung  4er  peripherischen  Enden  der  durchschnittenen  Nervi  vagi 
neben  der  Saftbildung  eine  Schleimabsonderung  auftreten  sah,  so 
beweist  diese  Beobachtung  noch  nicht,  daß  die  Schleimproduktion 
die  direkte  Folge  der  Nervenreizung  gewesen  sein  muß. 

Ätzt  man  nun  die  Magenschleimhaut  mit  Silbernitrat,  so  tritt 
eine  grandiose  Schleimbildu«^  auf,  wie  Pawl o w  an  Magenblindsack- 
hnnden  zu  zeigen  vermochte;  ich  fugte  dieser  Beobachtung  die 
andere  hinzu,  daß  diese  SchleimbfHung  nach  der  Silbernitratätzung 
sich  lediglich  an  den  Teilen  der  Magenwand  vollzieht,  die  von  dem 
Ätzmittel  betroflFen  werden.  Wenn  man  nämlich  ein  Tier  laparoto- 
miert,  den  Magen  eröffnet  und  mit  dem  Lapisstift  an  zirkumskripten 
Stellen  vorsichtig  reizt  und  danach  von  den  Orenzstellen,  an  denen 
der  Schorf  sich  gegen  die  gesunde  Schleimhaut  absetzt,  mikro- 
skopische Präparate  anfertigt ,  so  lehren  diese ,  daß  ein  stärkerer 
Schleimbelag  sich  nur  an  der  gereizten  Stelle  findet,  während  der- 
jenige der  nicht  unmittelbar  gereizten  Partie  keine  Abweichung 
von  der  Norm  erkennen  läßt. 

An  Hunden,  denen  ich  einen  M^enblindsack  nach  der  P  a  w  1  o  w  - 
sehen  Methode  angelegt  hatte,  stellte  ich  weiterhin  folgende  Be- 
obachtungen an.  Das  jeweilige  Versuchstier  erhielt  eine  bestimmte 
Mahlzeit  (ca.  200  g  Pferdefleisch);  sobald  die  Saftsekretion  lebhaft 
im  Gange  war,  wurde  ein  Stückchen  der  Schleimhaut  des  Magen- 
blindsacks zur  mikroskopischen  Untersuchung  auf  den  Schleimbelag 
exzidiert.  Dann  erhielt  das  Tier  eine  starke  Lösung  (ca.  5 — 10  %) 
von  Argentum  nitricum  in  den  großen  Magen  durch  die  Schlund- 
sonde eingeflößt.  Bei  den  verschiedenen  Versuchen  werden  ver- 
schieden große  Mengen  der  Silbernitratlösung  eingegossen.  Im 
großen  Magen  trat  eine  enorme  Schleimbildung  auf;  bei  den  Tieren 
steHte  sich  in  der  Regel  Erbrechen  ein  und  in  dem  Erbrochenen 
konnte  man  die  gewaltigen  Schleimmengen  nachweisen.  Etwa  V« 
bis  1  Stunde  später  wurden  die  Hunde  getötet.  Ans  dem  großen 
and  kleinen  Magen  wurden  abermals  Schleitnhautstückchen  zur 
mikroskopischen  Untersuchung  herausgeschnitten.    Das  Resultat 

aller    dieser  Versuche    war,   daß    sich   weder   mikro- 

3* 


36  in.    BiCKBL 

skopisch  noch  makroskopisch  eine  Vermehrung  des 
Schleimbelags  anf  der  Schleimhaut  des  kleinen 
Magens  nach  der  Silbernitratätzung  des  großen 
Magens  nachweisen  ließ,  obschon  die  Schleimhaut 
dieses  letzteren  enorme  Mengen  von  Schleim  im  An- 
schluß an  die  Ätzung  abgeschieden  hatte. 

Auf  meine  Veranlassung  hat  dann  weiterhin  Herr  Dr.  Pewsn  er 
aus  Moskau  in  meinem  Laboratorium  noch  folgenden  Versuch  über 
die  Schleimbildung  im  Magen  unter  pathologischen  Verhältnissen 
gemacht. 

Ein  Magenblindsackhund  erhielt  täglich  eine  bestimmte  Mahl- 
zeit. Die  im  Verlaufe  einer  bestimmten  Zeit  nach  der  Ingestion 
von  der  Schleimhaut  des  kleinen  Magens  abgeschiedenen  Sekret- 
mengen wurden  gesammelt  und  deren  Schleimgehalt  quantitativ 
bestimmt.  Nachdem  so  die  Schleimproduktion  im  kleinen  Magen 
in  einer  Normalperiode  ermittelt  war,  wurden  in  einer  zweiten 
Periode  an  einer  Reihe  von  Tagen  Ätzungen  des  großen  Magens 
mit  Silbemitrat  vorgenommen.  Das  Tier  erhielt  weiterbin  die 
nämliche  Mahlzeit  täglich  und  es  wurde  der  vom  kleinen  Magen 
sieh  abscheidende  Saft  in  der  genannten  Zeit  weiterhin  gesammelt 
und  auf  seinen  Schleimgebalt  untersucht.  Daß  der  große  Magen 
in  der  Tat  stark  vermehrte  Schleimmengen  auf  die  Silbernitrat- 
ätzung abschied,  konnte  man  an  den  Massen  sehen,  die  das  Tier 
gelegentlich  nach  der  Atzung  erbrach. 

DasResnltat  war  folgendes:  Trotz  der  vermehrten 
Schleimbildung  im  großen  Magen  blieb  die  Schleim- 
abscheidung  von  der  Wand  des  kleinen  Magens  in 
normalen  Grenzen.  Eine  Steigerung  in  der  Schleim- 
produktion trat  hier  nicht  auf. 

Alle  diese  Versuche  lehren,  daß  unter  den  gegebenen  Ver- 
hältnissen eine  reflektorische  Auslösung  der  Schleimbildung  im 
Magen  nicht  in  dem  Sinne  möglich  ist,  wie  es  für  die  Sekretion 
des  Magensaftes  feststeht;  eine  Schleimbildung  im  Magen  durch 
direkten  Nerveneinfluß  auf  die  schleimbildenden  Zellen  ist  gleich- 
falls bisher  nicht  bewiesen  worden.  Denn  wenn  nach  der  Vagus- 
reizung mit  der  dadurch  ausgelösten  Saftbildung  gleichzeitig  auch 
eine  Schleimbildung  auftritt,  so  kann  diese  letztere  sehr  wohl  die 
Folge  des  über  das  Sdileimhautepithel  abfließenden  Saftes  sein  und 
braucht  nicht  als  die  unmittelbare  Eonsequenz  der  Nervenreizung 
angesprochen  zu  werden.    (Vgl.  die  cit.  Versuche  von  üschakow.) 

So   stellt   sich    uns   an    dem  Beispiel    der  Silber- 


Zur  pathologischen  Physiologie  des  Magenkatarrhs.  37 

nitratätzung  der  Magenschleimhaat  die  danach  auf- 
tretende Schleimbildang  als  die  lokale  Reaktion  der 
Magenwand  anf  einen  lokalen  Heiz  hin  dar. 

Ob  das  für  die  Schleimbildung  bei  allen  Formen  des  Magen^ 
katarrhs  gilt,  kann  allerdings  nicht  ohne  weiteres  bejaht  werden. 
Indessen  müßte  man,  wenn  man  von  dieser  Auffassung  in  bestimmten 
Fällen  abweichen  wollte,  verlangen,  daß  durch  eine  stringente 
Beweisführung  dargetan  wird,  für  den  speziellen  Fall  seien  die 
Gesetze  der  Schleimbildung  im  Magen  andere,  als  sie  durch  die 
oben  genannten  exakten  Untersuchungen  festgelegt  worden  sind. 

Ich  denke  dabei  vor  allem  an  die  Mitteilungen  von  D  a  u  b  e  r  ^), 
der  annimmt,  daß  unter  Umständen  durch  nervöse  Reize  eine 
Steigerung  in  der  Schleimbildung  in  Analogie  zu  dem  Krankheitsbilde 
der  nervösen  Supersekretion  stattfinden  könne. 

Es  bedarf  keines  besonderen  Hinweises,  daß  das,  was  ich  hier 
über  die  Art  und  Weise  der  Schleimsekretion  sagte,  lediglich  für 
den  Magen  gilt  Ich  leugne  nicht,  daß  eine  Schleimbildung  durch 
direkten  Nerveneinfluß  möglich  ist;  bei  den  Speicheldrüsen  ist  sie 
sogar  höchst  wahrscheinlich  vorhanden.  Gleichviel  erscheint  es 
mir  doch  immerhin  der  Beachtung  wert,  daß  man  heute  bereits 
mit  viel  größerer  Reserve  von  einer  rein  nervösen  Schleimbildung 
im  Darmkanal  im  oben  genannten  Sinne  spricht,  als  früher,  und 
daß  so  z.  B.  der  BegriflF  der  Colica  mucosa  nervosa  bereits  eine  so 
starke  Einschränkung  erfahren  hat,  daß  eigentlich  nicht  mehr  viel 
davon  übrig  geblieben  ist  (vgl.  Boas,  Schütz  u.  a.). 

Die  teleologische  Auffassung  Pawlow's,  nach  der  die  Schleim- 
bildung im  Magen  eine  Schutzmaßregel  der  Magenwand  gegen 
Schädlichkeiten  ist,  die  auf  ihr  Deckepithel  eindringen,  hat  vieles 
für  sich;  aus  meinen  Beobachtungen  läßt  sich  ein  Widerspruch 
dagegen  nicht  herleiten. 

Der  zweite  Punkt,  der  in  der  pathologischen  Physiologie  des 
Magenkatarrhs  unser  besonderes  Interesse  erregt,  ist  das  Verhalten 
der  Salzsäurebildung.  Auch  hierüber  kann  uns  die  Analyse  des 
Mageninhaltes  von  Individuen  mit  Magenkatarrhen  keinen  sicheren 
Aufschluß  geben;  wir  müssen  den  Tierversuch  zu  Hilfe  nehmen, 
wenn  wir  einen  tieferen  Einblick  in  den  Sekretionsmechanismus 
unter  diesen  pathologischen  Verhältnissen  gewinnen  wollen. 

Mein  Schüler  Herr  Dr.  Saito  aus  Japan  hat  über  diese  Frage 
folgende  Untersuchungen  angestellt.  Ein  Hund  mit  kleinem  Magen 
wurde  täglich  mit  einer  bestimmten  Mahlzeit  gefüttert.    Die  sich 

1)  Archiv  für  Verdaanngskrankh.  Bd.  2. 


38         ^I^-  BiCK£L,  Zur  pathologischen  Physiologie  des  Magenkatarrhs, 

in  den  ersten  2  Stunden  nach  der  Ingestion  von  der  Schleimhaut 
des  kleinen  Magens  abscheidenden  Saftmengen  wurden  gesammelt 
und  analysiert  Nach  einer  mehrtägigen  Normalperiode  wurde  der 
kleine  Magen  des  Tieres  wiederholt  mit  Alkohol  geätzt ;  es  bildete 
sich  allmählich  ein  subchronischer  Krankheitszustand  aus;  die  sich 
abscheidenden  Magensaftmengen  waren  reichlich  mit  Schleim  ver- 
mischt Auch  während  dieser  Beizungsperiode  erhielt  das  Tier 
täglich  die  genannte  Mahlzeit  und  es  wurden  die  in  den  ersten 
2  Stunden  nach  der  Ingestion  vom  kleinen  Magen  secemierten  Saft- 
mengen aufgefangen  und  analysiert.  Es  stellte  sich  nun  heraus, 
daß  unter  dem  Eindruck  der  Eeizung  der  prozentuale  Salzsäure- 
gehalt des  reinen  Magensaftes  und  auch  der  prozentuale  Chlor- 
gehalt abnahmen,  während  die  ausgeschiedenen  absoluten  Mengen 
dieser  Körper  infolge  der  sich  im  Anschluß  an  die  Ätzung  ein- 
stellenden Hypersekretion  in  den  ersten  beiden  Stunden  nach  der 
Ingestion  eine  geringe  Zunahme  erfuhren. 

Aus  diesem  Versuch,  der  übrigens  zugleich  ein  Beispiel  fdr 
eine  experimentell  erzeugte  Hypersekretion  mit  Hypochlorhydrie 
oder  Subacidität  ist,  geht  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  hervor, 
daß  diese  letztere  nicht  so  sehr  auf  einer  weitgehenden  Neutrali- 
sation des  sauren  Saftes  durch  den  vermehrten  Magenschleim  zurück- 
zuführen ist,  sondern  daß  die  Drüsen  ein  Sekret  bilden,  dessen  pro- 
zentualer Chlor-  und  Salzsäuregehalt  abnorm  niedrig  ist 

Ein  analoges  Verhalten  konnte  ich  bei  dem  von  mir^)  früher 
beschriebenen  Falle  einer  spontan  aufgetretenen  chronischen 
Gastritis  in  beiden  Mägen  eines  nach  der  Pawlow'schen  Methode 
operierten  Blindsackhundes  feststellen.  Der  prozentuale  HCl-Gehalt 
betrug  hier  nur  0,074^0  gegen  0,4— 0,5  7o  in  der  Norm. 

Es  kann  also  kein  Zweifel  darüber  sein,  daß  eine  Erkrankung 
der  secernierenden  Drüsenzellen  selbst  zu  der  Bildung  eines  minder- 
wertigen Sekrets  führt,  während  unter  anderen  pathologischen 
Verhältnissen  im  allgemeinen  nur  die  Sekretmengen,  aber  nicht 
ihre  Komposition  eine  Alteration  erfahren.*) 

1)  Zar  patholog.  Physiologie  der  chronischen  Entzündang  der  Magenschleim- 
haut.   Charit6-Annalen  XXX.  Jahrg.  1906. 

2)  Vergleiche  meinen  Vortrag  auf  dem  Kongreß  für  innere  Medizin  1906. 


IV. 

Aus  dem  allgemeinen  Erankenhause  St.  Georg  in  Hamburg. 

Znr  BSntgendiagnostik  seltenerer  Herzleiden. 

Von 

Direktor  Dr.  Th.  Deneke. 

(Mit  4  Karyen  und  3  Abbildungen.) 

Die  gunstigen  Verhältnisse,  die  sich  für  die  röntgenographische 
und  röntgenoskopische  Durchforschung  aus  der  Lage  des  Herzens 
als  eines  soliden,  schattenwerfenden  Organs  zwischen  den  hellen 
Lungenfeldem  darbieten,  sind  von  zahlreichen  Forschern  besonders 
nach  drei  Richtungen  ausgenutzt  worden.  In  erster  Linie  erweckt 
die  Lage,  in  zweiter  die  Form  des  Organs,  wie  sie  sich  bei  den 
verschiedenen  physiologischen  und  pathologischen  Kreislaufsverhält- 
nissen  präsentiert,  Interesse:  die  Beziehungen  der  Längsachse  des 
Heinzens  zu  den  Hauptachsen  des  Körpers  erwiesen  sich  als  viel 
weniger  konstant,  als  man  vorher  angenommen  hatte.  Die  Be- 
obachtung des  Lagewechsels  des  Herzens  bei  der  Atmung,  bei  ver- 
schiedenen Eörperstellungen,  bei  Affektionen  der  Nachbarorgane 
bietet  manches  Bemerkenswerte.  Die  Formveränderungen  des 
ganzen  Organs,  sowie  der  an  der  Bandbildung  des  Herzschattens 
beteiligten  beiden  Herzhöhlen,  des  linken  Ventrikels  und  des  rechten 
Vorhofes,  gestatteten  ohne  weiteres  Schlüsse  auf  wichtige  Störungen 
ihrer  Funktionen.  Noch  erheblich  größere  praktische  Wichtigkeit 
bat  drittens  die  Röntgentechnik  fDr  die  Feststellung  der 
Größenverhältnisse  des  Herzens  gewonnen.  Hier  ist  seit  der 
genialen  Entdeckung  des  Orthodiagraphen  durch  Moritz  die 
RöDtgennntersuchung  der  Prüfstein  aller  anderen  Untersuchungs- 
methoden  geworden,  und  es  bereitet  jedem  an  einer  größeren 
Krankenanstalt  tätigen  Ai'zte  ein  Vergnügen,  die  sich  immer  weiter 
ausbreitenden  Wellenkreise  zu  verfolgen,  die  von  der  Moritz'schen 
Entdeckung  ausgehen.  Auf  der  einen  Seite  hat  der  orthodia- 
graphische  Apparat  selbst  zahlreiche  Veränderungen  in  seiner  Form 


40  IV.  Denbke 

und  in  seinen  Hilfsgeräten  durchgemacht,  die  meist  branchbare 
Verbesserungen  sind  und  dem  Scharfsinn  der  Erfinder  wie  der 
Exaktheit  der  ausführenden  Techniker  alle  Ehre  machen.  Auf  der 
anderen  Seite  hat  eine  Nachprüfung  unserer  Methoden  der  topo^ 
graphischen  Perkussion,  die  sich  besonders  an  die  Namen  Gold- 
scheider,  de  la  Camp,  Hans  Curschmann  knüpft,  auf  der 
Grundlage  der  Orthodiagraphie  begonnen  und  bereits  zu  Ergeb- 
nissen geführt,  die  das  tägliche  diagnostische  Rüstzeug  des  prak- 
tischen Arztes  in  erfreulicher  Weise  zu  vervollkommnen  ver- 
sprechen. 

Weit  weniger  Beachtung  als  die  Lage,  Form  und  Größe  des 
Herzens  haben  die  auf  dem  Röntgenschirme  sichtbaren  Bewegungs- 
vorgänge  bisher  gefunden,  wenigstens  ist  die  Literatur  ziemlich 
arm  an  Veröffentlichungen,  die  von  einem  genaueren  Studium  dieser 
Bewegungsorgane  sprechen,  v.  Criegern^),  der  bereits  1899  über 
die  Untersuchung  menschlicher  Herzen  mittels  des  fluorescierenden 
Schirmes  berichtete,  hat  sich  hauptsächlich  mit  dem  starken  und 
schwachen  Aktionstypus,  speziell  des  linken  Ventrikels,  beschäftigt 
und  erwähnt  dabei  das  interessante  Faktum,  daß  er  in  einem  Falle 
von  Tricuspidalinsufficienz  eine  Pulsation  der  Vena  cava  superior 
auf  dem  Schirme  sehen  konnte.  Weinberger*)  äußert  nur  ganz 
allgemein  über  die  auf  dem  Röntgenschirme  wahrnehmbaren  Herz- 
bewegungen und  legt  den  Aufnahmen  eine  weit  größere  Wichtigkeit 
bei  als  den  Durchleuchtungen.  In  dem  grundlegenden  W^erke  von 
Holzknecht ^)  wird  ebenfalls  den  abnormen  Eigenbewegungen 
des  Herzschattens  nur  ein  bescheidener  Raum  gewidmet,  doch  sind 
die  veränderten  Pulsationen  bei  den  verschiedenen  Klappenfehlern 
treffend  geschildert.  Aug.  Hoffmann*)  hat  schon  früh  eine  Reihe 
von  interessanten  Einzelbeobachtungen  mitgeteilt,  während  Ried  er*) 
sich  wohl  über  die  randbildenden  Herzteile  ausspricht,  über  ihre 


1)  V.  Criegern,  17.  Kongreß  für  innere  Medizin,  Wiesbaden  1899,  p.  298. 

2)  Weinberger,  Atlas  der  Radioskopie  der  Brustorgane,  Wien  1901. 

3)  Holzknecht,  Die  röntgenologische  Diagnostik  der  Erkrankungen  der 
Bnistorgane,  Hamburg  1901. 

4)  Hoffmann,  Über  Beobachtungen  von  Herzarhythmie  mit  Röntgenstrahlen. 
Deutsche  med.  Wochenschr.  1899  Nr.  15.  —  Pathologie  und  Therapie  der  Herz- 
neurosen, Wiesbaden  1901,  p.  276.  —  Zur  Kenntnis  der  Adams-Stokes'schen  Krank- 
heit.   Zeitschr.  f.  klin.  Medizin  Bd.  41  p.  357.    1900. 

5)  Rieder,  Die  Untersuchung  der  Brustorgane  mit  Röntgensti'ahlen  in  ver- 
schiedenen Durchleuchtungsrichtungen.  Fortschr.  a.  d.  Gebiete  der  Rtmtgenstr. 
Bd.  VI,  1902. 


Zur  Röntgendiagnostik  seltenerer  Herzleiden.  41 

Eigenbewegnngen  aber  nar  spärliche  Angaben  macht.  Auch  Moritz^) 
gibt  von  den  auf  dem  Röntgenschirme  sichtbaren  Bewegungsvor- 
g&ngen  der  verschiedenen  Herzteile  keine  ausführlichere  Beschrei- 
bung und  stützt  seine  Erörterungen  über  die  den  Rand  des  Herz- 
schattens bildenden  Teile  nahezu  ausschließlich  auf  den  an  der 
Leiche  beobachteten  Situs.  Einige  kleinere  kasuistische  Mitteilungen 
anderer  Autoren  werden  unten  erwähnt  werden. 

Woran  liegt  es,  daß  diese  bei  der  ersten  Röntgendurchleuchtung 
jeden  Beobachter  so  sehr  frappierenden  Eigenbewegungen  des  Herz- 
schattens so  selten  Gegenstand  eingehenderen  Studiums  geworden 
sind,  ist  schwer  zu  sagen.  Vielfach  wird  es  an  den  erforderlichen 
technischen  Vorbedingungen  gemangelt  haben.  Nicht  nur  aus- 
gezeichnete Röhren,  die  eine  Viertelstunde  und  länger  ohne  Schaden 
betrieben  werden  können,  sind  zu  derartigen  Untersuchungen  er- 
forderlich, sondern  auch  mannigfaltige  und  bequeme  Blendvorrich- 
tnngen;  vor  allem  aber  muß  die  Handhabung  der  Apparate  in 
kundigen  und  erfahrenen  Händen  liegen.  Dann  ist  für  derartige 
Beobachtungen  mehr  Zeit  nötig  als  vielen  stark  beschäftigten 
Klinikern  zu  Gebote  steht;  die  feineren  Bewegungsvorgänge  erkennt 
man  nur  nach  längerem  Aufenthalt  im  dunklen  Zimmer,  und  man 
darf  sich  nicht  verdrießen  lassen,  oft  mehrere  Röhren  verschiedener 
Härte  zu  versuchen,  die  Stellungen  der  Röhre  und  der  Patienten 
vielfach  zu  variieren  und  die  einzelnen  Teile  des  Schirmbildes 
mit  Hilfe  verschieden  weiter  und  verschieden  geformter  Blenden- 
vorrichtungen isoliert  zu  betrachten.  —  Das  spezielle  Interesse  und 
auch  wohl  das  eindringendere  Verständnis  für  die  auf  dem  Röntgen- 
schirme wahrnehmbaren  Bewegungsvorgänge  wird  übrigens  von 
vornherein  nur  bei  demjenigen  Teile  der  Kliniker  vorhanden  sein,. 
der  durch  das  physiologische  Experiment  genaue  Kenntnisse  und 
Anschauungen  von  den  Bewegungen  des  freigelegten  oder  isolierten 
lebenden  Säugetierherzens  erworben  hat. 

Durch  alle  diese  Umstände  wird  das  Arbeiten  auf  diesem  Ge- 
biete erschwert;  vor  allem  aber  erklärt  sich  die  verhältnismäßige 
Vernachlässigung  des  Studiums  der  Herzbewegungen  wohl  daraus, 
daß  mittels  der  Röntgendurchleuchtung  in  dem  benachbarten  Medi- 
astinum so  überaus  vielfältige  und  wichtige  Beobachtungen  zu 
machen  waren,  die  uns  vor  der  Ära  der  Röntgenstrahlen  unbekannt 
geblieben  waren.     Da  war  es  begreiflich,  daß   die  Mehrzahl  der 


1)  Moritz,  Methodisches  und  Technisches  znr  Orthodiagraphie.    Deutsch. 
Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  81  p.  1. 


4£  IV. 

Forscher  sich  bisher  diesem  dankbareren  Gebiet  zuwandte,  dessen 
Schätze  auch  jetzt  keineswegs  ausgeschöpft  sind.  Nichtsdesto- 
weniger kann  die  Zeit  nicht  fem  sein,  wo  auch  die  feinere  Be- 
obachtung des  lebenden  Herzens  selbst  wieder  ihre  Liebhaber  findet. 
In  den  folgenden  beiden  Fällen  war  mir  die  genauere  Be- 
obachtung der  Bewegungsvorgänge  am  Herzen,  die  ich  in  dem 
Yon  Herrn  Dr.  Albers-Schönberg  geleiteten  HOntgeninstitut 
unseres  Krankenhauses  vornahm,  von  erheblichem  Nutzen.  Die 
beiden  Krankengeschichten  sind  auch  sonst  nicht  ohne  Interesse 
und  bieten  Gelegenheit  zu  einigen  weiteren  Bemerkungen,  die  fiber 
das  Gebiet  der  Röntgenographie  hinausgehen. 

1.  Ein  Fall  von  Adams-Stokes*  scher  Krankheit  (mit  Leichenbefund). 

Krankengeschichte.  J.  Schw.,  Buchhalter,  42  J.,  aufgenommen 
10.  Juli  1905. 

Anamnese:  Patient  erlitt  zuerst  am  24.  Juli  1901  einen  Anfall  Yon 
Bewußtlosigkeit,  der  völlig  ohne  Vorboten  eintrat;  Fat.  fiel  im  Zimmer 
plötzlich  hin.  Nach  der  B.ückkebr  des  Bewußtseins  fühlte  er  sich  sehr 
angegriffen,  konnte  aber  allein  aufstehen  und  nach  wenigen  Tagen  seinem 
Berufe  wieder  nachgehen.  Am  24.  Oktober  1902  zweiter  ähnlicher  An- 
fall auf  der  Straße.  Am  30.  November  1904  dritter  schwerer  Anfall; 
•die  Bewußtlosigkeit  dauerte  diesmal  P/^  Stunden,  die  Gesichtsfarbe  war 
während  des  Anfalls  sehr  blaß.  Seit  November  1904  nach  Angabe  der 
Frau  häufiger  kurze  Anfalle;  Fat.  war  immer  leicht  angegriffen,  fühlte 
«ich  matt  und  unsicher,  wenn  er  außerhalb  des  Bettes  sich  befand  und 
war  unfähig  zu  allen  Berufsarbeiten.  Erhebliche  Verletzungen  hat  Fat. 
-sich  bei  keinem  Anfalle  zugezogen,  sich  auch  nie  in  die  Zunge  gebissen. 

Früher  keine  schwerereu  Elrankbeiten.  Vor  20  Jahren  Gonorrhoe, 
nie  Schanker.  Vor  1894  trank  Fat.  ziemlich  viel  Bier,  nie  Schnaps; 
«eit  1894  mäßig  Bier.  Nie  Tabakmißbrauch.  1894  Verheiratung.  Erstes 
Kind  (Frühgeburt)  starb  an  Lebensschwäche  3  Wochen  alt,  zweites  Kind 
1896  reif  geboren,  starb  an  „Erkältung"  nach  6  Wochen,  die  folgenden 
3  Kinder  leben  und  sind  völlig  gesund.     Frau  gesund. 

Status:  Zierlich  gebauter,  gut  genährter  Mann,  beiderseits  Klump« 
fuß,  mäßige  Kyphoskoliose  der  Brustwirbelhaube  mit  der  Konvexität  nach 
rechts.  Gesichtsfarbe  blaß,  Lippen  etwas  livide.  Lungen  außer  bron- 
chitischen Geräuschen  o.  B. 

Her  z :  Ferkussorisch  ist  eine  Verbreiterung  nach  beiden  Seiten  nach- 
weisbar. Äußerste  Grenze  r.  7^29  1*  13  cm  von  der  Mittellinie.  Hera- 
aktion äußerst  langsam:  25 — 30  ziemlich  regelmäßige  Schläge  in  der 
Minute.  Falpation  der  Radialis  und  der  Herzspitze  sowie  Auskultation 
des  Herzens  ergibt  die  gleiche  Frequenz.  An  der  rechten  Halsseite  ist 
über  dem  Schlüsselbeine  eine  deutlich  pulsierende,  gut  taubeneigroße, 
leicht  eindrückbare  bläuliche  Vorwölbung  sichtbar,  während  die  venöse 
StauuDg  an  der  linken  Halsseite  wesentlich  geringer  ist.  Der  Fuls  an 
der  erweiterten  V.  jugnlaris  d.  zeigt  deutlich  drei  Erhebungen,  während 


Zar  RtintgendUgsostik  Beltecerer  Herzleiden.  43 

mkn  BO  der  BadMü  and  am  Henen  nur  «inen  Puls  fUhlt.  Die  Er- 
h«biuigen  des  VeneDpnlaes  lind  j«  naoh  der  Ätmosgsphaae  und  den  iiit«r- 
ferierenden  CarotispiilBeii  Tenchieden  hoch,  aber  stets  im  Liegen  wie  im 
Sitzen  beqnem  sichtbkr. 

PnUknrven  »n  derRadialis  »nfgenom  men  (Fig.  1)  Beigen 
nach  5 — 10  gleiofagroBen  (je  etwa  ^'/g  Sekunden  dauernden)  Perioden  ein« 

Tflrlängeita  — '- —  messende  Periode,  bei  welcher  der  absteigende  Scheokel 

ixtrosystolisohe   Er- 

heboDg  seigt.  Eine  kompensatoriBohe  Pause  tat  nicht  vorhanden,  viel- 
mefar  ist  die  Diastole  nach  der  EztrosTstole  eher  etwas  karzer  als  noch 
den  normalen  Systolen,  Abgesehen  von  dieser  stets  in  genau  der  gleichen 
Weise  wiederkehrenden  TJnregelmSSigkeit  sind  die  Pulskurven  regelmäßig 
nnd  gleichmäßig.     Später  wnrde  der  Arterienpnla  völlig  regelmäßig. 


RadiatiipoU.     Zeitsuhreibong:   %  Sekunden.     Zahlen:  Sekonden.l 

Die  Übrigen  Organe   boten    niohts  Bemerkenswertes ;    der  Uria 

gänzlich   frei   von  abnormen  Bestandteilen.     Die  Menge    fibersobrttt   nur 

selten   1000  com,  das  spea.  Gewicht  hielt  sich  zwischen  1014  nnd  1030. 

W&brend  der  weiteren  Beobaohtong  hob  sich  das  Allgemeinbefinden 
san&chBt  so  weit,  daß  Patient  standenweise  aufstehen  konnte.  Es  konnten  - 
TenenpiÜBkttrven  aufgenommen  und  eine  Böntgendorchleuchtnng  gemacht 
werden.  Die  mit  dem  Jaqn  et 'sehen  Kardiosphygmographen  gezeich< 
neten  Kurven  des  Herzspitze nstoBes,  der  r.  Jngularvene  und  der  r.  Art. 
radialis,  von  denen  ich  Stücke  beifolgend  (Fig.  3 — 4)  wiedergebe ,  sind 
nicht  in  allen  Teilen  ganz  nach  Wunsch  gelangen,  da  der  Patient  die 
Atmung  nicht  vollständig  anhalten  konnte.  Auch  versagte  die  Zeit- 
schreibnng  meistens.  Immerbin  ISßt  sich  deatitch  erkennen,  daß  die 
Tenenknrve  während  jeder  SenrevoluticQ  drei  etwa  gleich  hohe  Er- 
hebungen (a)  zeigt,  die  in  gleichem  Abstände  voneinander  belegen  siad. 
An  einzelnen  Stellen,  wo  die  VorhofB'(B-) Welle  sich  auf  die  dnrch  die 
Carotispnlsation  bedingte  (c-)Welle  anfaetzt  (Fig.  3  bei  *)  oder  sich  mit 
derv-Welle  (Ventrikel welie  Mackenzie's,  Ys  =  Ventrikelstanungs welle 
H.  E.  H e r i o g ' s ,  diastolische  Welle  D.  0 e r  b  a rd  t '  s)  kombiniert  (Fig.  4), 
erscheint  sie  besonders  hoch.  Auch  in  den  Fällen,  wo  die  Kontraktion 
des  Vorhofs  erfolgte,  während  der  Ventrikel  kontrahiert  nnd  somit  ge- 
schlossen war,  erscheint  die  a- Welle  besonders  hoch  (Fig.  2,  3  am  ScUbB). 
weil  dann  die  in  den  Venen  enthaltene  Blntmenge  volittändig  nach  der 
Peripherie     gesofaleudert    werden     mnfite    (Chanveau,     Uackenzie, 


Znr  KODtgendiftgDoatik  Beltenerer  fleixleiden. 


Lichtheim,  Rooa).*)  Eioige  kleinere 
TTnregelinSBigkeiten  der  Kurven  erkl&ren 
sich  ans  der  nicht  immer  gleichen  Kom- 
bination der  genannten  Wellen  und  ana 
d«m  EinSuBBe  der  Ätmnng,  die  auch  auf 
die  HerBSpitzenknrve  stark  eingewirkt  hat, 
vShrend  der  Badiolispnls  aitf  dteaen 
Knrren  keine  Unregelmäßigkeiten  er- 
kennen ISfit.^  Verfolgt  man  die  Besieh- 
nogen  der  Vorhofs-  snr  Yentrikelfreqnens, 
die  sich  in  Fig.  4  genau  wie  3  :  1  zu 
verhalten  soheint,  durch  eine  lange  Beihe 
TOD  Kontraktionen  (Fig.  2  und  3),  dann 
erkennt  man,  daS  die  Yorhofswelle  aioh 
langeam  an  die  CarotiBzacke  heran-  und 
BohlieBlich  über  dieselbe  binansMbiebt, 
•o  daß  ein  Intervall  zwischen  zwei  Kammer- 
pulsen  eintritt,  ia  dem  nur  zwei  Vor- 
ho&pnlse  markiert  sind  (Fig.  S  und  3 
bei  *).  Sonst  kommen  in  den  Kurven 
immer  drei  Yorhofspnise  auf  einen  Kam- 
merpola,  nur  bei  **  in  Fig.  3  fUlt  die 
Spitze  einer  vierten  Systole  nooh  zur 
Hilft«  in  «ine  besonders  lange  Eammer- 
periode  hinein. 

Am  19.  Juli  wurde  eine  R&ntgen- 
dnrohleuohtung  im  Böntgeninstitut 
vorgenommen ;  hierbei  wurde,  wie  stets 
bei  noB,  die  Walter- Albers-ScbSnberg'sob« 
Bleikistenblende ")  benutzt,  die  gestattet, 
die  Rohre  in  vertikaler  Bichtnog  zu  ver- 
schieben nnd  mit  einem  sehr  zweckmäßigen 

1)  S.  später. 

2)  Die  gleichzeitigen  Phasen  des  verschie- 
denen Willens  stehen  in  den  Kurven  fast  stets 
senkrecht  Sberelnander.  Als  Zeitmarlie  ist 
überall  der  Beginn  des  Badialispnlses  benutzt. 
Der  SpitzenBtoQ  des  Patienten  war  schwach 
nnd  angieich  hoch ;  in  der  Regel  gelangte  nnr 
die  hSchste  Erhebung  desseibeu  cnr  Teizeich- 
Bong.  Bierans  erklärt  sich  anch  die  schein- 
bare  Gleichzeitigkeit  der  Carotissacke  mit  dem 
Berzspitzenstoß. 

3)  Albers-SchCnber?,  BQnlgentech- 
nik,  n.  Aufi.,  Hamhnrg  1906,  p.  3S4.  Der- 
«elbe  in:  Deneke,  Die  Neubauten  des  allg. 
Krankenhaoses  8t  Georg,  Jena  1906,  p.  93 
(nenes  Modell  des  ünteranchnngsstuhlea). 


46  IV.  Dbkbkb 

nnd  bequem  yertiellbaren  OffimngSBchieber  yersehen  ist.  Auf  iem  tOofiir» 
sichtsbilde  zeigte  sich  eine  mä£ige  YerbreiteruDg  des  Herzens  nach  recM» 
und  nach  links ;  die  genaue  Untersuchung  der  Aorta  war  durch  die  Ver* 
krümmung  der  Wirbelsäule  erschwert.  Die  kräftigen,  äußerst  langsamen 
Kontraktionen  des  linken  Ventrikels  unterschieden  sich  in  ganz  oharak- 
teristiscber  Weise  Ton  den  sehr  beschleunigten  Bewegungen  des  rechten 
unteren  Bogens,  der  bekanntlich  von  dem  rechten  Yorhofe  gebildet  wird« 
Wenn  man  nun  die  Blende  so  weit  schloß,  daß  nur  ein  schmaler  senkrechter 
Schlitz  offen  blieb  und  nun  den  Band  des  rechten  Vorhofes  isoliert  be- 
obachtete, konnte  man  mit  großer  Bestimmtheit  drei  Vor* 
hofskontraktionen  auf  einen  Badialpuls  beobachten.  Nach 
gründlicher  Oewöhnung  der  Augen  ließen  sich  die  recht  ausgiebigen  Vor- 
hofskontraktionen  auch  ohne  Blende  genau  zählen  und  mit  den  Kon- 
traktionen des  linken  Ventrikels  direkt  vergleichen,  und  auch  hier  fand 
sich  stets  das  Verhältnis  3:1. 

Am  31.  Januar  war  das  Befinden  schlechter.  Der  Radialpuls  machte 
nur  16  Schläge  in  der  Minute,  die  Frequenz  des  Venenpuises,  nachdem 
Augenschein  gezählt,  beträgt  84.     Abends  Radialpuls  30. 

Am  1.  August  trat  ein  leichter  Anfall  von  Kurzatmigkeit  ein.  Ra- 
dialpuls wieder  16,  Venenpuls  80.  Mit  auf  der  Herzbasis  aufgesetztem 
Stethoskop  hört  man  mehrere  ziemlich  nahe,  leise,  etwas  dumpfe  Töne 
(Vorhofskontraktionen),  dazwischen  dann  plötzlich  einen  lauten,  dumpfen 
Ton  (Ventrikelkontraktion),  der  dem  Radialpuls  synchron  ist. 

,  Am  2.  August  ist  das.  Befinden  wechselnd.  Morgens  Radialpuls  16^ 
dann  32,  Venenpuls  82.  Am  3.  August  vormittags  ein  Anfall,  in  dem 
Patient  kurzatmig  und  cyanotiseh  wird,  ohne  das  Bewußtsein  zu  verlieren. 
Radialpuls  12,  Venenpuls  80.  Besserung  nach  reichlichen  Kampfergaben. 
12^/3  Uhr  mittags  neuer  schwerer  Anfall,  dem  Patient  nach  kurzer  Zeit 
erliegt. 

Sektion  4.  August  1905  Pr.  Hempell). 

Leiche  eines  zart  gebauten,  leidlich  genährten  Mannes.  Ziemlich 
erhebliche  Skoliose  mit  der  Konvexität  nach  rechts  und  leichte  Kyphose 
der  Brustwirbelsäule. 

Hautfarbe  blaßgelb,  an  den  abhängigen  Teilen  und  im  Qesioht  cya- 
notiseh. 

Nach  Eröffnung  des  Brustkorbes  sinken  die  Lungen  nur  wenig  ein. 
Besonders  fallen  die  enorm  gefüllten  Venen  in  der  Brusthöhle  und  am 
Halse  (r.  Seite)  auf.  Beim  Anschneiden  entleert  sich  aus  ihnen  sehr 
viel  flüssiges  Blut. 

Im  Herzbeutel  geringer  (ca.  50  com?)  seröser,  klarer  Erguß. 

Herz  stark  dilatiert  und  im  Bereiche  des  rechten  Ventrikels  und 
der  Vorhöfe  prall  mit  flüssigem  Blute  und  kleinen  frischen  Gerinnseln 
erfüllt.  Der  linke  Ventrikel  ist  schlecht  kontrahiert  und  mit  flüssigem 
Blute  erfüllt.  Epi-  und  Perikard  glatt,  glänzend.  Unter  dem  Perikard 
mäßige  Fettablagerungen.  Endokard  ebenfalls  glatt,  nicht  verdickte 
Klappenapparat  völlig  intakt.  Coronararterien  bis  auf  ganz  kleine,  ver- 
einzelte, gelbliche  Herde  zartwandig.  Herzfleisch  leicht  hypertrophisch, 
im  Bereiche  des  rechten  Ventrikels  verhältnismäßig  stärker  als  im  Be» 
reiche  des  linken.     Auf  dem  Durchschnitt  erblickt  man  zahlreiche  größer» 


Zar  RGutgendiagnoBtik  seltenerer  Herzleiden.  47 

und  kleinere  Schwielen,  welche  diffus  in  die  Muskulatur,  besonders  dea 
linken  Yentrikels,  eingelsgert  sind. 

Aorta  in  ihrem  ganzen  Verlaufe  zartwandig. 

Pulmones  nirgends  mit  der  Brustwand  verwachsen.  Pleura  glatt^ 
glänzend.     Im  Pleuraräume  kein  Erguß. 

liungengewebe  in  allen  Teilen  lufthaltig,  jedoch  ödemreich.  Blut- 
gehalt ebenfalls  etwas  vermehrt.  Bronchien  (größere)  mit  schaumigen^ 
Sekrete  erfüllt 

Trachea   mit   schaumigem    Sekrete  erfüllt.     Schleimhaut  blaßrosa. 

Ösophagus:  Durch  die  Schleimhaut  schimmern  an  Yerschiedenen- 
Stellen  etwas  stärkere  Venen  durch. 

Thyreoidea  beiderseits  vergrößert  (jeder  Lappen  etwa  klein- 
hühnereigroß),  kolloidreich.  Im  Parenchym  einige  sehr  kolloidreiche- 
Adenome. 

Thymus  völlig  degeneriert. 

Bauchsektion:  Es  besteht  ein  leichter  seröser,  klarer  Ascitea- 
(1  Liter?). 

Milz  etwas  vergrößert,  sehr  derb ;  Kapsel  leicht  verdickt,  glatt.. 
Trabekel  stark  entwickelt. 

Leber  leicht  vergrößert ;  Oberfläche  ist  ganz  wenig  höckerig.  Par- 
enchym von  dunkelbraunroter  Farbe  (Muskatnußzeichnung  streckenweise- 
angedeutet),  derber  als  normal,  enorm  blutreich.     Gallenwege  frei. 

Pankreas  und  Nebennieren  o.   B. 

Nieren  beiderseits  gleich  groß.  Kapsel  leicht  abzulösen.  Ober- 
fläche glatt.  Parenchym  derb,  von  dunkelroter  Farbe;  Zeichnung  da- 
durch verwischt.  Bechts  =  links.  Harnblase  kontrahiert.  Schleim- 
haut blaß.  Prostata  nicht  vergrößert.  Samenblasen  gefüllt.  Ho- 
den o.  B.     Magen  und  Darm  ohne  pathologische  Veränderungen. 

Kopfsektion:  Knochen  o.  B.  Dura  intakt.  Sinus  nur 
mäBig  mit  flüssigem  Blute  gefüllt.  Pia  leicht  milchig  getrübt  und  ganz. 
Ödematös.  Ventrikel  von  normaler  Weite.  Oehirnsubstanz  ohne 
jeden  pathologischen  Befund.     Gefäße  überall  zartwandig. 

Anatomische  Diagnose:  Dilatatio  cordis.  Myoearditis  fibrosa.. 
Oederoa  pulmonum.  Stauungsleber.  Stauungsmilz.  Stauungsnieren.  Kypho- 
skoliose der  Bmstwirbelsänle.     Mäßiger  Ascites.  — 

Auf  meinen  Wunsch  hat  der  damalige  Assistenzarzt  am  patho- 
logischen Institut  des  St.  Georger  Krankenhauses,  Herrn  Dr.  Fahr, 
jetzt  Prosektor  des  Hafenkrankenhauses«  die  Gegend  des  His 'sehen 
Atrioventrikularbündels  am  Herzen  meiner  Patienten  mikroskopisch 
untersucht  und  die  Gelegenheit  benutzt,  die  gleiche  Gegend  nach- 
.träglich  an  dem  in  unserer  Sammlung  konservierten  Herzen  des- 
von  Luce^)  publizierten  Falles  von  Adams-Stokes'schen  Symptomen- 
komplex  mikroskopisch  zu  durchmustern.  Herr  Dr.  Fahr,  der  über 
die  Befunde  voraussichtlich  selbst  noch  eingehender  berichten  wird,. 


1)  Luce,  Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin  Bd.  74  p.  370.   1902. 


48  IV.  Dembkb 

hat  die  Freundlichkeit  gehabt,  mir  seine  Präparate  zu  demonsti'ieren 
und  mir  das  nachfolgende  Eeferat  über  seine  Befunde  zu  übergeben: 

„Von  der  YermutuDg  ausgehend,  daß  Tielleicht  in  Yerändemngen 
•des  von  His  zuerst  beschriebenen  Atrioventrikulär  bündeis  die  Ursache 
für  die  Dissoziation  der  Yorhofs-  und  Yentrikelkontraktionen  beim 
Adams  •  Stokes'schen  Symptomenkomplexe  zu  suchen  sei,  sollte  in  dem 
Falle  J.  Schw.  die  Oegend,  in  der  das  His'sche  Bündel  zu  verlaufen 
pflegt,  einer  genauen  histologischen  Untersuchung  unterzogen  werden»  Um 
die  richtige  Stelle  mit  Sicherheit  zu  treffen,  wurden  Yoruntersuchungen 
-an  einer  Anzahl  normaler  Herzen  angestellt.  Sie  bildeten  eine  volle  Be- 
•stätigung  dessen,  was  namentlich  die  Untersuchungen  der  Spateholz- 
«chen  Schule  dargetan  haben,  daß  nämlich  das  His'sche  Bündel  normaler- 
iveise  in  der  Muskulatur  des  Yorhofseptums,  ziemlich  dicht  hinter  der 
Pars  merabraoacea  septi  atriocum  beginnend,  den  Annulus  fibrosus  schräg 
•durchsetzt  und  in  die  Muskulatur  des  Yentrikelseptums  einmündet,  wobei 
-es  sich  in  zwei  Schenkel  teilt,  die  im  spitzen  Winkel  auseinanderstrahlen. 

Im  Gegensätze  hierzu  wird  freilich  neuerdings  Ton  T  a  w  a  r  a  ^)  an- 
gegeben, daß  das  Bündel,  nachdem  es  den  Annulus  flbrosus  durchzogen 
hat,  nicht  in  die  Muskulatur  des  Yentrikelseptums  übergeht,  daß  es  viel- 
mehr, in  zwei  Zweige  geteilt  subendokardial  bis  zu  den  Papillarmuskeln 
weiterzieht  und  sich  unter  dem  Endokard  fächerförmig  ausbreitet,  wobei 
>es  jedoch  stets  von  der  Yentrikelmuskulatur  durch  Bindegewebe  getrennt 
sein  soll.  Während  nun,  wie  bereits  erwähnt,  meine  Untersuchung  nor- 
maler Herzen  zu  einer  Bestätigung  der  Befunde  von  Betzer, Bräunig  etc. 
führt,  wurden  bei  dem  Falle  Schw.  ähnliche  Bilder  gefunden,  wie  sie 
Tawara  beschrieben  hat.  Es  wurde  bei  der  Untersnchung  des  Falles 
in  gleicher  Weise  vorgegangen,  wie  sonst.  Einige  Millimeter  hinter  der 
Pars  membranacea  septi  und  ca.  1  cm  vor  derselben  wurden  Frontal- 
'flchnitte  durch  das  Herz  gelegt  und  das  so  gewonnene  Stück,  das  in  seinen 
•oberen  Abschnitten  aus  einem  ca.  1  cm  langen  Stück  des  Yorhofseptums, 
in  seinen  unteren  Abschnitten  aus  einem  ca.  2  cm  langen  Stück  Yentrikel- 
septum  —  beides  getrennt  durch  den  Annulus  fibrosus  —  bestand,  in 
Serien  zerlegt.  In  Abständen  von  100  f.i  etwa  wurden  Schnitte  —  sie 
waren  durchweg  10  /.i  dick  —  gefärbt  und  zwar  nach  der  van  Gieson- 
:8chen  Methode,  um  den  Kontrast  zwischen  der  Muskulatur  und  dem 
Bindegewebe  des  Annulus  fibrosus  möglichst  stark  vortreten  zu  lassen. 

Hier  verhielt  sich  das  Bündel  nun  ähnlich,  wie  es  von  Tawara 
beschrieben  ist.  Es  tritt  durch  den  Annulus  fibrosus  bis  an  den  unteren 
Band  desselben,  verläßt  ihn  aber  nicht  ganz,  sondern  zieht  subendokardial 
nach  unten  weiter,  ohne  eine  sichtbare  Yerbindung  mit  der  Yentrikel- 
muskulatur einzugehen.  Im  übrigsn  zeigt  das  Bündel  keine  sichtbaren 
Abweichungen  von  den  in  normalen  Herzen  gefundenen  Strukturver- 
hältnissen. 

Außer  dem    soeben   beschriebenen  stand  noch  ein  zweites  Herz  von 
Adams-Stokes'schem  Symptomenkomplex  zur   anatomischen  Untersuchung^ 
•TSXLT  Yerfügung.     Es    stammte  von  dem  Fall,   den  Luce  1902  im  Deut- 


1)  Die  Beizleitung  im  Säugetierberzen.    Jena  1906. 


Zur  Röntgendiagnostik  seltenerer  Herzleiden.  49 

sehen  Arohiv  fOr  klinisohe  Medizin  ansfiihrlich  beschrieben  hat.  Es  wnrde 
bei  di^em  Herzen  in  gleicher  Weise  verfahren,  wie  bei  dem  vorher  be- 
schriebenen Falle.  Der  Verlauf  des  Bündels  war  hier  der  gleiche,  wie 
eingangs  fOr  das  normale  Herz  beschrieben.  Doch  konnten  die  Fasern 
des  Bündels  hier  nur  zum  kleinsten  Teile  in  das  Yentrikelseptum  ein- 
strahlen. Es  saß  nämlich  im  Septum  ein  Tamor  (Onmma?  ')  von  Wal- 
nnBgröße,  der  sich  gerade  an  der  Stelle,  an  welcher  das  Bündel  in  das 
Yentrikelseptum  einmündet,  bis  dicht  an  den  Annulus  fibrosus  heranschob 
und  die  Fasern  des  Atrioventrikularbündels  zum  allergrößten  Teile  ab- 
sorbierte." 

Ich  kann  davon  absehen,  mich  an  dieser  Stelle  eingebender 
über  die  Symptomatologie  nnd  Pathogenese  der  Adams-Stokes'schen 
Krankheit  zu  verbreiten,  da  dieser  Gegenstand  im  Laufe  der  letzten 
Jahre  von  verschiedenen,  sehr  kompetenten  Forschern  eingehend 
erörtert  ist  Von  neueren  Autoren,  die  meistens  sorgfältige  Literatur- 
angaben bringen,  erwähne  ich  His  d.  J., -)  Aug.  Hoff  mann,*) 
Jaquet,*)  Luce,*)  Mackenzie,*)  Finkeinburg,')  Licht- 
heim,»)  Beiski,»)  Eoos.1«) 

Neben  dem  in  diesen  Arbeiten  enthaltenen  klinischen  Material 
hat  vor  allem  der  physiologische  Versuch,  insbesondere  die  Arbeiten 
H.  E.  Hering's^^)  und  seiner  Schule  Klarheit  über  das  Wesen 
des  „Herzblocks"  gebracht  und  damit  den  wichtigsten  Teil  des 
Adams-Stokes'schen  Symptomenkomplexes  unserem  Verständnis  er- 
schlossen. 

Danach  handelt  es  sich  bei  unserer  Krankheit  stets  um  eine 
^Überleitungsstörung"  im  Sinne  Hering's.  Die  Eeizleitung,  die 
in  der  Norm  durch  das  His 'sehe  Bündel  vom  Vorhof  auf  den 
Ventrikel  übergeht,  ist  unterbrochen  oder  erschwert.  Infolgedessen 
fallen  entweder  einzelne  Ventrikelsystolen  aus,  sodaß  z.  B.  nur  jede 
zweite,  dritte  usw.  Vorhofskontraktion  eine  Ventrikelsystole  aus- 


1)  Lnce  bezeichnet  den  Tumor  trotz  fehlender  Metastasen  als  Sarkom.  Die 
besonders  ausgedehnte  zentrale  Nekrose  spricht  jedoch  mehr  für  eine  gummöse 
Natur  der  Geschwulst. 

2)  His  d.  J,  Deutsches  Archiv  f.  klm.  Medizin  Bd.  64  p.  316.    1899. 

3)  Aug.  Hoffmann,  Zeitschr.  f.  klin.  Medizin  Bd.  41.    1900. 

4)  Jaquet,  Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin  Bd.  72  p.  77.    1902. 

5)  Luce,  Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin  Bd.  74  p.  370.    1902. 

6)  Maekenzie,  Die  Lehre  vom  Puls,  übersetzt  von  Deutsch,  1903,  p.  260. 

7)  Finkeinburg,  Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin  Bd.  82  p.  586.    1905. 

8)  Lichtheim,  Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin  Bd.  85  p.  360.    1905. 

9)  Bei  Ski,  Zeitschr.  f.  klin.  Medizin  Bd.  57  p.  529.    1905. 

10)  Roos,  Zeitschr.  f.  klin.  Medizin  Bd.  59  p.  197.    1906. 

11)  Zusammengefaßt  in  dem  Aufsatze:  Die  (jberleitungsstörungen  des  Säuge- 
tierherzens.   Zeitschr.  f.  experimentelle  Pathologie  u.  Therapie  Bd.  II  p.  74.   1905. 

Deatsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    S9.  Bd.  4 


50  I^-  Dbnbks 

löst,  oder  es  besteht  eine  völlige  Dissoziation  zwischen  Vorhof  und 
Ventrikel;  beide  schlagen  mehr  oder  weniger  regelmäßig,  aber  in 
getrenntem  Hhythmas,  wobei  der  Rhythmus  des  Ventrikels  stets  ganz 
wesentlich  langsamer  ist  als  der  der  Vorhöfe  und  kein  festes  Zahlen- 
verhältnis zwischen  der  Frequenz  des  Vorhofs  und  des  Ventrikels 
besteht. 

Die  ersten  Stadien  der  Erkrankung  bestehen  vermutlich  im 
Ausfall  von  Ventrikelsystolen ;  sie  werden  selten  beobachtet  werden, 
da  sie  keine  Erscheinungen  machen.  Es  ist  aber  bei  dem  viel- 
seitigen Interesse,  das  sich  jetzt  dem  Studium  des  Venenpulses  zu- 
wendet, wohl  einer  nahen  Zukunft  vorbehalten,  zahlreichere  Fälle 
von  einfachem  regelmäßigem  Ventrikelausfall  (Polyrhythmie),  die 
im  Experiment  am  überlebenden  Säugetierherzen  so  unendlich 
häufig  beobachtet  werden,  auch  am  lebenden  Menschen  nachzu- 
weisen. Einige  ausgezejchimtcYJKiiryen,  in  denen  die  Vorhofs- 
frequenz ein  VielfadM^wr  vewöjc^ifrequenz  ist,  publizierte 
Mackenzie^)  bere^|wfn  seinem  so  bewan;dernsw&rdig  reichhaltigen 
Werke,  nämlich  dKFig\l2gQ^29&  von  eii^em  66jährigen  Manne 
„mit  ungestörtem  feinden  ^,  bei  dem  aUerdings  die  Polyrhythmie 
bald  in  DissoziationNu^g^i^^ .  /^ni  äbrigen  sind  in  der  Literatur 
eine  nicht  ganz  geringe  AÄZEM-voirFällen  zeitweiligen  Ventrikel- 
ausfalls vorhanden,  bei  denen  sich  aber  ein  regelmäßiges  Zahlen- 
verhältnis zwischen  Vorhofs-  und  Ventrikelpulsen  nicht  nachweisen 
läßt.  Eihl,^)  der  diese  Fälle  selbst  um  drei  bereichert,  stellt  die 
Literatur  kritisch  zusammen. 

Natürlich  steht  nichts  im  Wege,  die  völlige  Dissoziation  auch 
direkt  aus  dem  zeitweiligen  (unregelmäßigen)  Ventrikelausfall  ab- 
zuleiten, wie  dies  Hering  (Zeitschr.  f.  experiment  Pathologie  und 
Therapie,  Bd.  II,  S.  81  1905)  tut  und  man  bedarf  dann  des  Zwischen- 
gliedes der  Polyrhythmie  nicht.  Daß  bei  den  ausgesprochenen 
Fällen  von  Adams-Stokes  bereits  eine  wirkliche  Dissoziation  be- 
steht, ist  nunmehr  in  den  von  Hering-Eihl  anerkannten  Fällen 
von  Mackenzie,  Gerhardt  und  Finkeinburg,  sowie  durch 
den  RihTschen  Fall  I,  femer  durch  die  durchaus  vollständig  be- 
obachteten Fälle  von  Lichtheim,  Beiski  und  Eoos  erwiesen, 
und  auch  in  meinem  Falle  nicht  zweifelhaft.  Scheinbar  ist  aller- 
dings die  Frequenz   der  Venenpnlse  manchmal   längere  Zeit  ein 


1)  Mackenzie,  Die  Lehre  Yom  Puls.    Übersetzt  y.  A.  Deutsch.    Frank- 
fart  a.  M.  1904. 

2)  Zeitschr.  f.  experiment.  Pathologie  n.  Therapie  Bd.  II  p.  83.   1905. 


Zar  Röntgendiagnostik  seltenerer  Herzleiden.  51 

Vielfaches  der  Arterienpulse.  Lichtheim ^)  erwähnte  z.  B.  in 
der  ersten  Vorstellung  seines  Falles,  daß  einem  Herzstoß  regel- 
mäßig drei  Venenpulse  entsprechen.  In  seiner  kürzlich  erschienenen 
eingehenden  Publikation  ^)  weist  er  jedoch  an  genauen  Kurven  nach, 
daß  die  Intervalle  zwischen  Vorhofswelle  und  Garotiswelle  an  der 
Venenkurve  fortdauernd  wechseln  und  daß  nur  vorübergehend  die 
Zahl  der  Ventrikelkontraktionen  zu  der  des  Vorhofs  sich  wie  1 : 3 
verhält.  Ganz  ähnlich  ist  der  Verlauf  desMackenzie 'sehen  Falles 
und  des  von  Hoos  ganz  neuerdings  sorgfaltig  analysierten  Falles. 
Auch  bei  unserem  Patienten  war  an  den  Tagen  besseren  Befindens, 
an  denen  die  Venenkurven  *  aufgenommen  wurden,  ein  anscheinend 
regelmäßiges  Verhältnis  von  1  : 3  vorhanden ;  erst  beim  Auszählen 
längerer  Pulsreihen  ergibt  sich,  daß  die  Vorhofsperiode  durchschnitt- 
lich eine  Kleinigkeit  länger  war  als  Vs  ^^^  Ventrikelperiode.  Im 
weiteren  Verlaufe  ergab  dann  die  tägliche  Zählung  der  Venenpulse 
und  Arterienpulse  das  Fehlen  jeder  festen  Beziehung  zueinander, 
obwohl  bei  diesen  Zählungen  der  gelegentliche  Ausfall  einer  Vor- 
hofszuckung im  Venenpulse,  der  durch  Ventrikelkontraktionen  ver- 
anlaßt sein  kann,  in  Betracht  gezogen  wurde.  Dieser  Ausfall  zeigt 
sich  auch  an  unseren  Venenkurven  vielfach  da,  wo  die  ventrikuläre 
Welle  stärker  ausgeprägt  ist.  Die  Aufnahme  von  Venenkurven 
aus  der  späteren  Periode  grober  Dissoziation  verbot  sich  in  unserem 
Falle  leider  durch  das  ungünstige  Befinden  des  Patienten;  mehr- 
fache Versuche,  die  Venenpulse  aufzunehmen,  mußten  aus  diesem 
Grande  abgebrochen  werden. 

Der  Auffassung  Her  in  g's,  der  ich  sonst  in  allen  wesentlichen 
Punkten  folge,  kann  ich  mich  bezüglich  des  Zustandekommens  der 
Anfälle  von  Bewußtlosigkeit  bei  der  Adams-Stokes'schen  Krankheit 
nicht  anschließen.  Daß  der  Übergang  von  Ventrikelaus- 
fall in  Dissoziation  oder  umgekehrt  diese  Anfalle  veranlaßt, 
scheint  mir  in  den  klinischen  Beoachtungen  keine  Stütze  zu  finden ; 
wenigstens  erwähnt  Mackenzie,  dessen  Patient  diesen  Übergang 
durchgemacht  haben  muß,  nichts  von  derartigen  Beobachtungen. 
Daß  lange  andauernde  Dissoziation  jahrelang  mit  Erhaltung  des 
Lebens  und  der  Leistungsfähigkeit  verbunden  ist,  zeigen  die  Fälle 
von  Hering  (Rihl  1.  c.  S.  102),  von  Lichtheim,  Beiski  u.  a. 
Das  einzige  klinische  Symptom,  das  bisher  bei  den  Patienten,  die 
schwere,  das  Leben  bedrohende  Anfälle  durchmachten,  vor  den  An- 
fallen und  während  derselben  in  oft  frappanter  Weise  auftrat,  ist 

1)  Deutsche  med.  Wochenschr.  Bd.  28.    1902.   Vereinsbeilage  p.  69. 

2)  Deutsches  Archiy  f.  klin.  Med.  Bd.  85  p.  360.    1905. 

4* 


52  rV.    DSNBKB 

die  Zunahme  der  Pulsverlangsamung,  ihr  plötzliches 
Herabgehen  von  z.  B.  30  auf  18  oder  12  Pulse.  Während  der 
schweren  Anfälle  wurden  sogar  lange  Pausen  des  Ventrikelpulses 
(23  Sekunden  H  i  s)  beobachtet.  Daß  dabei  eine  Vagusreizung  mit- 
spielt, ist  nicht  erwiesen.  In  dem  Luce'schen  Falle,  der  trotz 
fehlender  Venenpulskurve  schon  deshalb  als  Dissoziation  anerkannt 
werden  muß,  weil  das  Übergangsbändel  anatomisch  zerstört  war, 
traten  schwere,  zum  Tode  führende  Anfälle  von  Bradycardie  ein, 
obwohl  die  Vagi  nahezu  völlig  degeneriert  waren.  Die  nächst- 
liegende Erklärung  der  Anfälle  wird  immer  die  sein,  daß  die  Zu- 
nahme der  Pulsverlangsamung  das  primäre  ist,  d.  h.,  daß  die  auto- 
matische Reizerzeugung  in  dem  betreffenden  Ventrikel  einer  zu- 
nehmenden Schädigung  unterliegt,  sei  es  durch  anatomische  (degene- 
rative, chronisch  entzündliche)  Prozesse  oder  durch  funktionelle 
Ursachen,  z.  B.  mangelhafte  Durchblutung  der  Ventrikelwand,  Über- 
füUung  der  Höhlen  oder  dergl.  Sekundär  entsteht  dann  durch 
Zirkulationsschwäche  des  Gehirns  der  Ohnmachtsanfall. 

Bemerkenswert  in  diesem  Zusammenhange  ist  auch,  daß  Beiski 
in  einem  seiner  Fälle  eine  Ventrikelbradycardie  mit  völliger  Dis- 
soziation unter  seinen  Händen  in  eine  koordinierte  Herztätigkeit 
übergehen  (1.  c.  S.  555)  und  am  nächsten  Tage  zur  Dissoziation 
zurückkehren  sah.  Störungen  des  Allgemeinbefindens  beobachtete 
B.  dabei  nicht.  • 

Ganz  besonderes  Interesse  beansprucht  in  unserem  Falle  wie 
in  ähnlichen  Fällen  die  Beobachtung  des  Herzens  auf  dem 
Röntgenschirme.  Es  ist  ja  richtig,  daß  man  die  auf  dem 
Schirme  sichtbaren  Bewegungen  noch  nicht  graphisch  fixieren  kann, 
solange  Momentaufnahmen  von  Röntgenbildern  und  kinematographi- 
sche  Zusammenstellungen  solcher  Momentaufnahmen  technisch  un- 
ausführbar sind.  Aber  auf  der  anderen  Seite  ist  die  Feststellung 
der  gestörten  Koordination  zwischen  Vorhof  und  Ventrikel  durch 
das  Röntgenbild  in  außerordentlich  einfacher  Weise  möglich  und 
bei  der  hochgradigen  Bradycardie  bequem  und  überzeugend  auch 
einem  großen  Kreise  von  Zuschauem  zu  demonstrieren,  was  in 
unserem  Falle  geschah.  Auch  die  Vergleichung  der  Art  der 
Ventrikel-  und  der  Vorhofskonktraktionen  hat  etwas  ungemein 
Charakteristisches,  wie  man  es  sich  sonst  nur  im  Tierexperiment  zur 
Anschauung  bringen  kann :  auf  der  einen  Seite  das  kurze,  schnelle 
Zucken  des  Vorhofs,  auf  der  anderen  die  langsamere,  aber  stramme 
pumpende  Bewegung  des  linken  Ventrikels.  Diese  Beobachtung  des 
linken  Ventrikels  beweist  sicher  das  Fehlen  jeglicher  Extrasystolen 


Zar  Böntgendiagnostik  seltenerer  Herzleiden.  53 

während  der  einzelnen  Systolen,  die  Hoffmann^)  in  einem  Falle 
von  anscheinender  Bradykardie  auf  dem  Röntgenschirme  noch 
deutlich  sehen  konnte,  während  sie  palpatorisch  und  auskultatorisch 
nicht  nachweisbar  waren,  und  die  Jaquet  bei  seinem  Falle  von 
Adams-Stokes'scher  Krankheit  irrtämlicherweise  annahm. 

Eine  Bewegung  der  Leber  durch  die  Venenpulse  war  in 
unserem  Falle  nicht  auffällig,  doch  wurde  nicht  besonders  darauf 
geachtet.  Bewegungen  des  linken  Vorhofes  gesondert  auf  dem 
Fluorescenzschirm  wahrzunehmen,  gelang  nicht;  bekanntlich  wird 
der  sogenannte  mittlere  Bogen  des  linken  Herzrandes  nur  aus- 
nahmsweise vom  linken  Herzohr  gebildet,  dessen  kurze  an  das 
Flügelschlagen  eines  aufflatternden  Vogels  erinnernde  Bewegungen 
man  dann  beobachten  kann.  Meist  ist  die  Arteria  pulmonalis 
oder  der  Conus  arteriosus  dexter  hier  randbildend. 

Zur  Beobachtung   der  bei   der  Adams-Stokes'schen  Krankheit 
vorhandenen  Bewegungsanomalien  des  Herzens  ist  der  Röntgen- 
schirm zuerst  1900  von  Aug.  Hof f mann ^)  herangezogen  worden. 
Das   Ergebnis    war    entsprechend    dem  Zustande   der    damaligen 
Röntgentechnik  kein  vollkommenes,  doch  konnte  Hoff  mann  zeit- 
weilig „eine  dritte  Pulsation"  des  rechten  Schattenrandes  bemerken, 
während  die  Auskultation  eine  Intermission  der  Herztätigkeit  nach 
jedem  zweiten  Schlage  ergab.     Weiterhin  hat  Adolf  Schmidt, 
über  einen  analogen  Fall  kurz  berichtet*),  den  er  in  der  Gesell- 
schaft für  Natur-  und  Heilkunde  in  Dresden  am  19.  Dezember  1903 
vorstellte.    Schmidt  beschreibt  die  Röntgendurchleuchtung  wie 
folgt:  „Während  der  untere  Teil  des  Herzschattens,  welcher  den 
Kammern   entspricht,  genau  im  Rhythmus  des  Pulses  sich  kon- 
trahiert, wobei  in  der  Diastole  eine  erhebliche  Verbreiterung  ein- 
tritt (Hyperdiastole),  pulsiert  der  obere  Teil,  zumal  auf  der  rechten 
Seite,  eben  so  oft  wie  die  Venen."    Wahrscheinlich  liegt  hier  ein 
Druckfehler  vor,   da  der  untere  Teil  des  Herzschattens  in   dfen 
Leberschatten  übergeht  und  sich  deshalb  —  abgesehen  von  einem 
bei   tiefer   Inspirationsstellung    und   gefüllter   Magenblase    sicht- 
baren Teil  der  Spitze  —  der  Beobachtung  entzieht,  während  der 
linke  Schattenrand  größtenteils   dem   linken  Ventrikel  und  der 
Aorta  angehört  und  für  die  Beobachtung  der  Ventrikelaktion  bei 
weitem  das  bequemste  Objekt  bildet.    Auf  der  rechten  Seite  ist 
oben  die  Vena  cava,  unten  der  rechte  Vorhof  randbildend,  der  auch 

1)  Dentflche  medizin.  Wochenschrift  1899  Nr.  15. 

2)  Zeitflchr.  f.  klin.  Medizin  Bd.  41.   1900. 

3)  Mttnchener  medizin.  Wochenschr.  1904  p.  280. 


54  IV.  Dekbke 

während  der  Inspiration  ganz  an  das  Zwerchfell   heranzureichen 
pflegt. 

Eine  Mitteilung  von  Zeri  (II  policlinico,  Dez.  1903)  ist  mir 
nur  aus  einem  Referat  der  Münchener  medizinischen  Wochenschrift 
1904,  p.  491,  bekannt  geworden.  Danach  sollen  in  seinem  Falle 
von  „partieller  Bradycardie",  vulgo  Herzblock,  an  der  oberen  und 
linken  Seite  des  Herzschattens,  an  der  dem  linken  Vorhof  ent- 
sprechenden Stelle  zwei  sehr  deutliche  Kontraktionen,  mit  denen 
zugleich  das  Volumen  des  Ventrikels  sich  jedesmal  etwas  ver- 
größerte, zwischen  je  zwei  Kammersystolen  bemerkbar  gewesen 
sein.  Über  den  rechten  Rand  des  Herzschattens  ist  nichts  gesagt, 
obwohl  dessen  PuJsationen  mit  sehr  viel  größerer  Sicherheit  als 
Vorhofskontraktionen  gedeutet  werden  können  als  die  Bewegungen 
des  linken  mittleren  Bogens. 

Endlich  hat  in  dem  ganz  neuerdings  beschriebenen  Falle  von 
Roos  (1.  c.  p.  203)  eine  erfolgreiche  Röntgendurchleuchtung  statt- 
gefunden, bei  der  sich  am  deutlichsten  sichtbar  am  rechten  Vorhof 
nachweisen  ließ,  daß  auf  eine  Kontraktion  des  linken  Ventrikels 
zwei  Zuckungen  der  Vorhöfe  erfolgten. 

Zur  Feststellung  der  Diagnose  aller  Fälle  von  Überleitungs- 
störung verdient  die  Röntgenoskopie  mehr  Berücksichtigung  als 
sie  bisher  selbst  bei  den  gründlichsten  Bearbeitern  dieses  Gebietes 
gefunden  hat.  So  wichtig  und  unentbehrlich  die  Venenpulse  und 
ihre  graphische  Fixierung  zur  näheren  Erforschung  der  vorhandenen 
Störung  sind,  so  geben  sie  doch  dem  an  den  Kranken  herantretenden 
Beobachter  nur  in  seltenen,  besonders  ausgeprägten  Fällen  ein  so 
frappantes  Bild  wie  es  in  der  klassischen,  so  oft  wieder  ab- 
gedruckten Schilderung  von  Stokes  gezeichnet  ist  Auf  dem 
Röntgenschirme  dagegen  hat  der  Beobachter  sofort  das  ganze 
Krankheitsbild  klar  vor  Augen,  die  Diagnose  „Herzblock"  ist 
geradezu  mit  Händen  zu  greifen.  Würde  die  Röntgendurchleuch- 
tung früher  zur  Aufklärung  der  Adams-Stokes'schen  Krankheit 
herangezogen  sein,  dann  würde  die  bereits  von  His^)  1899  ge- 
gebene richtige  Auffassung  derselben  als  einer  Überleitungsstörung 
sich  weit  schneller  allgemeine  Anerkennung  verschafft  haben,  als 
es  geschehen  ist. 

Die  allgemeinere  Anwendung  der  Röntgenoskopie  zur  Auf- 
klärung schwierigerer  Herzfälle  kann  um  so  mehr  empfohlen 
werden  als  der  Röntgenapparat  heutzutage  Gemeingut  aller  großen 


1)  Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin  Bd.  64  p.  520. 


Zar  Röntgendiagnostik  seltenerer  Herzleiden.  55 

und  mittleren  Krankenhäaser  geworden  ist  während  die  Technik 
der  Venenpulsanfnahme  noch  keineswegs  überall  eingebürgert  ist 
und  auch  schwerlich  je  zu  einer  bequemen  klinischen  Unter- 
suchungsmethode werden  wird.  Eine  Venenpulsanfnahme  aber, 
die  ein  ungeübter  Arzt  an  einem  schwerkranken  Patienten  vor- 
nimmt, ist  für  letzteren  eine  viel  größere  Anstrengung  als  eine 
Köntgendurchleuchtung,  die  im  Stehen,  Sitzen  oder  Liegen  (Trocho- 
skop)  vorgenommen  werden  kann,  kein  Anhalten  des  Atems  ver- 
langt und  im  ganzen  auch  weniger  Zeit  beanspincht. 

Daß  die  anatomische  Untersuchung  unseres  Falles  kein  posi- 
tives Ergebnis  gehabt  hat,  ist  recht  bedauerlich;  vielleicht  gibt 
die  oben  (p.  48)  erwähnte  Publikation  von  Tawara^)  eine  Er- 
klärung dieses  Mißerfolges.  Danach  handelt  es  sich,  was  bei 
der  Gleichzeitigkeit  der  Zuckung  des  ganzen  Ventrikels  stets 
hätte  vermutet  werden  müssen,  bei  der  Verbindung  zwischen  Vor- 
hof und  Ventrikel  nicht  um  eine  einfache  Muskelbrücke,  sondern 
um  ein  anatomisch  und  physiologisch  wohl  differenziertes  System 
leitender  Fasern,  die  im  His'schen  Bündel  zusammenliegen,  dann 
aber  sich  in  zwei  Schenkel  teilen  und  schließlich  als  ein  feines 
Netz  über  die  Ventrikelmuskulatur  verteilen.  Eine  Schädigung 
dieses  Systems  kann  an  den  verschiedensten  Stellen  stattfinden, 
sehr  wohl  auch  abwärts  von  der  Atrioventrikularbrücke  im  Ver- 
lauf durch  die  Ventrikelwand  oder  an  den  Endapparaten,  die  die 
Verbindung  der  reizleitenden  Fasern  mit  den  Muskelfasern  her- 
stellen. Ehe  die  anatomische  Eigenart  dieses  Eeizleitungssystems 
bei  Gesunden  und  Kranken  näher  studiert  and  durch  handliche 
Methoden  feststellbar  gemacht  ist,  bleibt  es  verfrüht,  in  jedem 
Falle  von  Adams-Stokes  einen  greifbaren  anatomischen  Befund 
zu  erwarten.  Alles  spricht  dafür,  daß  außer  den  Fällen,  die 
makroskopisch  eine  Schädigung  des  His'schen  Bündels  erkennen 
lassen  (Luce,  Stengel*)),  auch  solche  vorhanden  sind,  in  denen 
Degenerationen  des  Eeizleitungssystems  von  feinerer  und  vielleicht 
diffuserer  Art  vorliegen,  als  wir  z.  Zt.  nachzuweisen  imstande  sind 

2.  Kongenitaler  Herzfehler:  Transposition  der  großen  Gefäße  und 

Defekt  der  Kammerscheidewand.    Diagnose  mit  Hülfe  der  Röntgen- 

dnrchleachtnng  intra  vitanL    Leichenbefund. 

Krankengeschichte:  Wilh.  E. ,  18  Jahre  alt,  aufgenommen 
8.  Dezember  1905,    stammt   aus   gesunder   Familie;   beide  Eltern   leben 

1)  Das  Eeizleitongssystem  des  Sängetierherzens.    Jena  1906. 

2)  American.  Journ.  of  the  med.  Sciences.  Vol.  130  p.  1063.  1905.  Cit. 
nach  Roos. 


56  IV.    DXNBKS 

und  Bind  sehr  kräftig;  von  vier  Geschwistern  leben  drei  und  sind  völlig 
gesund;  eine  Sohwester,  früher  ebenfalls  gesund,  ist  an  akuter  Lnngen- 
erkrankung  als  erwachsenes  Mädchen  gestorben.  Nie  Fehl-  oder  Früh- 
geburten der  Mutter ;  angeborene  Gebrechen  sind  in  der  Familie  nie  vor- 
gekommen. 

Patient,  das  älteste  Elind,  war  stets  sehr  schwächlich.  Im  Anschluß 
an  einen  Brechdurchfall  bemerkten  die  Eltern  in  der  Mitte  des  zweiten 
Lebensjahres  eine  bläuliche  Färbung  der  Kaut,  zunächst  hauptsächlich 
bei  kälterem  Wetter,  später  deutlich  bei  jeder  Außentemperatur.  Gleich- 
zeitig entwickelte  sich  in  den  Kinderjahren  eine  Anschwellung  der  End- 
glieder an  Fingern  und  Zehen.  Ernstliche  Krankheiten  kamen  nicht  vor, 
von  den  sog.  Kinderkrankheiten  wurde  Patient  verschont. 

Patient  blieb  in  der  körperlichen  und  geistigen  Entwicklung  sehr 
hinter  seinen  Altersgenossen  zurück;  in  der  Schule  kam  er  nur  bis  zur 
dritten  Klasse,  nach  der  Schulzeit  hat  er  stets  im  Elternhause  gelebt  und 
sich  mit  kleineren  Arbeiten  beschäftigt.  Die  enorm  kräftige,  mit  der 
aufgelegten  Hand  fühlbare  und  als  wechselnde  YorwÖlbung  stets  sichtbare 
Herztätigkeit  ist  den  Eltern  schon  in  den  ersten  Lebensjahren  aufgefallen. 
Das  Allgemeinbefinden  war  bis  vor  kurzem  leidlich;  seit  etwa  14 
Tagen  klagt  Patient  über  vorübergehendes  SchwächegefÜhl  im  linken 
Arme ;  einmal  soll  er  vom  Stuhl  gefallen  sein.  Ferner  traten  anfallsweise 
Kopfschmerzen  auf  und  Zuckungen  der  Muskeln  besonders  im  Gesicht, 
keine  allgemeinen  Krämpfe.  Der  Schlaf  nachts  wurde  durch  Angstzu- 
stande gestört. 

Status  praesens:  Schmal  gebautes,  mageres,  anämisches  Indi- 
viduum, fast  gar  kein  Fettpolster,  durchaus  knabenhafter  Eindruck.  Be- 
haarung mit  Ausnahme  des  Himschädels  und  der  Augenbrauen  sehr  ge- 
ring, Pubes  eben  angedeutet.  Thorax  schmal,  kindlich,  Mammae  kleine, 
flache  Wülste,  Mamillen  sehr  klein ;  Penis  und  Hoden  leidlich  entwickelt. 
Extremitäten  äußerst  dünn. 

Die  Hautfarbe  ist  besonders  an  den  peripheren  vorspringenden 
Körperteilen  (Nase,  Ohren,  Hände,  Füße)  bläulich;  bei  Aufheben  der 
Hände  verschwindet  diese  Färbung  nicht.  Die  Endphalangen  der  Finger 
und  Zehen  stark  verdickt  und  dunkel  bläulieb,  die  Nägel  sind  auffallend 
konvex,  klauenartig.  Die  Lippen  sind  dick,  gewulstet  und  cyanotisch. 
Ödeme  fehlen.     Die  Haut  fühlt  sich  ungewöhnlich  kühl  an. 

Augen,  abgesehen  von  erweiterten  Venen  und  dunkler  Pigmen- 
tierung des  Augenhintergrundes,  ohne  krankhaften  Befund. 
Die  vorgestreckte  Zunge  weicht  deutlich  nach  links  ab. 
Im  linken  Arme  besteht  deutliche  Parese,  die  im  linken  Beine  nicht 
sicher  nachweisbar  ist.  Sehnenreflexe  an  den  Armen  1 )  r,  an  den  Beinen 
ebenfalls  1 )  r.  Babinsky  fehlt  beiderseits.  Plantar-  und  Cremasterreflex, 
Bauchdeckenreflex  beiderseits  vorhanden.     Sensibilität  ungestört. 

Der  Thorax  zeigt  eine  YorwÖlbung  der  Herzgegend,  die  während 
der  Systole  regelmäßig  stark  zunimmt;  besonders  im  5.  Interkostalraum 
innerhalb  und  außerhalb  der  linken  Mam.  Lin.  ist  ein  stark  verbreiterter  und 
verstärkter  Herzstoß  bis  12  ^/^  cm  von  der  Mittellinie  zu  fühlen.  Während 
der  Diastole  sichtbares  Zurückfallen  der  Brustwand  im  3.  Interkostal- 
raum links  neben  dem  Sternum.     Über  der  Gegend  des  Herzstoßes  fühlt 


Zur  Röntgendiagnostik  seltenerer  Herzleiden.  57 

man  das  Yorbeiwalzen  des  sich  kontrahierenden  Herzens  fast  wie  ein 
weiches  Reihen. 

Die  Herzdämpfdng  ist  deutlich  nach  links,  wenig  nach  rechts  ver- 
breitert. Die  Töne  sind  rein,  beide  besonders  an  der  Basis  sehr 
laut,  der  erste  oft  gespalten.  Die  Kerzaktion  ist  unregelmäßig,  aussetzend, 
die  Pulswelle  steigt  langsam  an  und  fällt  ebenso  ah,  die  Frequenz  be- 
tragt 84. 

Blutdruck  an  der  Brachialis  mit  nach  Sahli  modifiziertem  B,iya- 
Rocci  gemessen,  115  mm  Hg. 

Keine  Geräusche  an  den  Arterien,  kein  Yenenpuls. 

Lungen  o.  B.,  ebenfalls  Abdomen.  Leber  und  Milz  nicht  vergrößert. 
Stuhl  etwas  angehalten. 

Urin  enthält  etwas  Albumen,  ^/^  ^^^  Esbach  und  darunter.  Mikro- 
skopisch vereinzelte  Erythrocyten  und  Blutsohattenzylinder. 

Blut  Hämoglobin  (Sahli)  145%.  In  1  6mm  8450000  Erythro- 
cyten,  die  keine  abnorme  Beschaffenheit  zeigen. 

Die  Leukocyten  sind  nicht  auffallig  vermehrt,  in  ihrer  Zusammen- 
setzung insofern  verändert,  daß  auf  100  farblose  Zellen  91  polymorph- 
kernige Leukocyten,  2  kleine  Lymphocyten  und  7  große  einkernige  Lympho- 
cyten  kommen.     Das  Blut  erscheint  enorm  dickflüssig. 

Verlauf.  Es  entwickelt  sich  innerhalb  weniger  Tage  unter  sehr 
heftigen  Kopfschmerzen  eine  linksseitige  Hemiplegie  mit  Beteiligung  des 
Gesichts.  Zeitweilig  Muskelzuckungen  in  den  gelähmten  Gliedern.  Die 
Augenbewegungen  bleiben  frei. 

Nach  3  ccm  Digalen  sinkt  der  Puls  von  84  auf  52,  bleibt  aber 
unregelmäßig.  Diese  Yerlangsamung  bleibt  bis  zum  Exitus  (8  Tage) 
bestehen. 

Der  systolische  Blutdruck  wird  täglich  rechts  und  links  bestimmt, 
die  Schwankungen  sind  nicht  sehr  groß,  107 — 130,  ein  nennenswerter 
Unterschied  zwischen  r.  und  1.  besteht  nicht.  Die  Albuminurie  hält 
sich  um  ^/^ — V2  P-  ™*  ^1^  Formelelemente  bestehen  aus  hyalinen  und 
Erythrocytenzylindem,  Leukocyten  und  Erythrocyten,  mannigfachen  Epi- 
thelien.     Die   TJrinmenge   überschreitet  1000  ccm   in   24  Stunden    nicht. 

Der  Herzbefund  bleibt  im  wesentlichen  unverändert;  die  Akzen- 
tuierung des  zweiten  Tones  an  der  Basis  wird  eine  aus- 
gesprochene.    Geräusche  treten  nicht  auf. 

Der  beschriebene  Krankheitsfall  fordert  schon  seiner  Seltenheit  wegen 
zu  einer  eingehenderen  Analyse  auf;  wenn  auch  therapeutische  Leistungen 
nicht  mehr  in  Frage  standen,  vielmehr  die  hochgradige  allgemeine  Schwäche 
des  Patienten  und  die  progrediente  Herderkrankung  im  Gehirn  sein 
baldiges  Ableben  erwarten  ließen,  so  eröffnete  doch  dieser  Umstand  auf 
der  anderen  Seite  die  Aussicht,  die  Diagnose  durch  Autopsie  nachzu- 
prüfen. Bei  der  unübersehbaren  Mannigfaltigkeit  der  hei  den  kongenitalen 
Herzleiden  möglichen  Kombinationen  und  der  Unregelmäßigkeit  der  durch 
die  bedingten  Symptomenkomplexe  konnte  die  Stellung  einer  sicheren, 
ins  einzelne  gehenden  Diagnose  natürlich  nicht  in  Frage  kommen:  wir 
mußten  uns  begnügen,  die  wesentlichsten  Abweichungen  des  Zirkulations- 
apparates,   die  unser  Patient   bot,    mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  zu  er- 


58  IV.  Denekb 

scbließen.    Das  ist  ans  unter  Zahilfenahme  des  Röntgen  Verfahrens  einiger- 
maßen gelangen. 

Daß  ein  kongenitales  Herzleiden  bestand,  war  mit  Bestimmtheit 
anzunehmen.  Das  frühe  Auftreten  der  Blausucbt,  das  Fehlen  jedes 
anderen  eine  Herzkrankheit  bedingenden  ätiologischen  Moments,  das  Fehlen 
einer  die  Gyanose  erklärenden  Lungenaffektion  konnten  nur  in  dieser 
Bichtung  gedeutet  werden.  Hierzu  kam  der  Nachweis  der  Eindickung 
des  Blutes,  einer  Hyperglobulie  ungewöhnlichen  Grades,  femer  das  Zu- 
rückbleiben der  gesamten  körperlichen  und  geistigen  Entwicklung  auf 
einer  fast  kindlichen  Stufe,  der  hagere,  schwächliche  Körperbau  und  die 
Trommelschlägelfinger. 

Durchmustert  man  die  einzelnen  Gruppen  der  kongenitalen  Herz- 
anomalien nach  ihren  diagnostischen  Merkmalen  und  vergleicht  damit  das 
Symptomenbild  unseres  Falles,  so  konnte  man  eine  Pulmonalstenose  und 
einen  isolierten  oder  mit  Pulmonalverengerung  kombinierten  Defekt  der 
Kammerscheidewand  (Maladie  de  Roger)  nicht  annehmen,  da  ein  systo- 
lisches Geräusch  völlig  fehlte  und  ein  überaus  kräftiger  reiner  zweiter 
Ton  vorhanden  war.  Auch  ein  weites  Offenbleiben  des  Ductus  Botalli 
konnte  nicht  in  Frage  kommen,  da  die  Gerhard  tische  bandförmige 
Dämpfung  links  neben  dem  Sternum  fehlte,  ausgesprochene  Gyanose  vor- 
handen war  und  ein  systolisches  Schwirren  oder  ein  systolisches  Geräusch 
nicht  vorlag. 

Dagegen  sprach  alles  für  das  Vorhandensein  einer  Transposition  der 
großen  Gefäße,  deren  klinisches  Bild  Hochsihger  scharf  umrissen  hat : 
Starke  Gyanose,  reine  Töne,  Verstärkung  den  zweiten  Tones  über  der  Basis. 

Die  Zahl  der  beschriebenen  Fälle  von  Transposition  der  großen  Ge- 
fäße, die  über  das  10.  Lebensjahr  hinauskommen,  ist  allerdings  sehr  klein. 
Vierordt^)  (S.  128)  führt  nur  acht  derartige  langlebige  Fälle  von 
Transposition  an,  und  wir  mußten  ernstlich  überlegen,  ob  wir  uns  zur 
Annahme  einer  so  seltenen  Erkrankung  entschließen  sollten.  Aber  das 
Röntgenbild  sprach  durchaus  im  Sinne  unserer  Vermutung. 

Die  am  14.  Dezember  vorgenommene  Röntgendurchleuchtung 
ergab  ebenfalls  keinen  abnormen  Mittelschatten,  der  etwa  einer  Erweite- 
rung des  Gonus  arteriosus  dexter  oder  der  Pulmonalis  oder  einem  persi- 
stierenden Ductus  Botalli  hätte  entsprechen  können:  im  Gegenteil  sah 
man  nur  ein  auffallend  schmales  Gefaßband  vom  Herzen  vertikal  aufwärts 
ziehen,  das  keinerlei  Vorsprung  oder  stärkere  Pulsation  nach  der  Seite 
hin,  weder  in  gerader  noch  in  schräger  Durchleuchtungsrichtung  (von 
links  hinten  nach  rechts  vom)  erkennen  ließ.  Das  dünne  Schattenband 
verlief  nach  oben,  nach  dem  Halse  zu  ohne  scharfe  Grenze. 

War  dieser  Befund  unter  Berücksichtigung  der  von  de  la  Gamp^ 
gegebenen  Hinweise  unbedingt  gegen  die  anderen  häufigeren  angeborenen 
Vitien  und  für  die  Transposition  zu  verwerten,  so  zeigte  die  Durch- 
leuchtung noch  einen  anderen  bisher  nicht  beschriebenen  Befund. 


1)  Vierordt,  Die  angeborenen  Herzkrankheiten  (NothnagePs  Spez.  Path. 
u.  Ther.  Bd.  XV  2).    Wien  1898. 

2]  0.  de  la  Camp,  Eongenitale  Herzleiden.  Deutsche  Klinik  Bd.  IV 
Abt.  2  p.  213. 


Zar  Röntgendiagnostik  seltenerer  Herzleiden.  59 

Das  Hers,  dessen  Form  und  Größe,  abgesehen  von  einer  mäßigen 
Vergrößening  nach  links  vom  Gewöhnlichen  wenig  abwich,  pulsierte  in 
eigentümlicher  Weise.  Wenn  man  bei  normalen  Herzen  den  rechten 
Herzrand  genauer  betrachtet,  so  bestehen  dessen  Bewegungen  in  einem 
kurzen,  der  Zusammenziehung  des  linken  Herzens  eben  vorangehenden 
Zucken.  Das  zeitliche  Intervall  zwischen  Yorhofs-  und  Yentrikelsystole  ist 
nicht  immer  sicher  wahrzunehmen,  wohl  aber  ist  der  Charakter  der 
Bewegung  des  rechten  Herzrandes  derartig,  daß  man  sie  auch  ohne 
Kenntnis  der  anatomischen  Verhältnisse  unbedingt  als  eine  Yorhofszuckung 
bezeichnen  muß:  eine  ganz  kurze,  wenig  ausgiebige  Kon- 
traktion, dann  langsames,  passives  Wiederanschwellen.  Im  Gegensatz 
dazu  sind  die  Bewegungen  des  linken  Herzrandes  offenbar  ventrikulär: 
eine  langsamere  aber  viel  nachhaltigere  und  ausgiebigere  Bewegung,  ein 
kräftiges  Pumpen,  dann  ein  kurzes  Yerharren in  zusammengezogenem 
Zustande,  darauf  eine  langsamer  als  die  Zusammenziebung  erfolgende 
Ausdehnung,  die  aber  doch  weit  schneller  vor  sich  geht  als  die  des  Yor- 
hofs.  Der  rechte  Herzrand  macht  stets  weiche  flatternde, 
der  linke  stramme,  taktfeste  Bewegungen,  wie  das  Anf- 
and Abgehen  eines  Pumpenstempels. 

In  unserem  Falle  war  diese  Sachlage  verändert.  Hier  sah  man 
in  voller  Deutlichkeit,  daß  der  rechte  Herzrand  ebenfalls 
ventrikuläre  Bewegungen  genau  gleichzeitig  mit  dem 
linken  ausführte.  Das  ganze  Herz  zog  sich  auf  einmal  von  links 
nach  rechts  zusammen,  und  beide  Bänder  näherten  sich  einander  mit 
kräftigem,  nachhaltigem  Bück;  ein  Flattern,  wie  es  den  Yorhofswänden 
und  Herzohren  eigentümlich  ist,  war  auf  dem  ganzen  Herzbilde  nirgends 
zu  erkennen.  Diese  Beobachtungen  waren  bei  der  langsamen  Aktion  des 
hypertrophischen  Herzens,  dessen  Umriß  sich  von  den  hellen  Lnngenfeldem 
des  extrem  mageren  Patienten  in  ungewöhnlicher  Schärfe  abhob,  in  aller 
Muße  und  Gründlichkeit  zu  machen  und  konnten  von  mehreren  Beob- 
achtern kontrolliert  werden. 

Auf  Grund  dieses  Böntgenbefundes  mußte  man  schließen,  daß  der 
rechte  Herzrand  in  unserem  Falle  von  dem  Yentrikel  gebildet  wurde. 
Es  mußte  sich  um  den  hypertrophischen  rechten  Yentrikel  handeln,  der 
den  Yorhof  nach  hinten  oder  oben  verdrängt  hatte. 

Da  eine  Pulmonalstenose  oder  eine  Persistenz  des  Ductus  Botalli, 
die  beide  sonst  zur  Erklärung  der  Hypertrophie  des  rechten  Yentrikels 
hatten  herangezogen  werden  können,  nach  den  oben  gegebenen  Aus- 
führungen nicht  wahrscheinlich  waren  und  auch  wohl  kaum  eine  solche 
Yerkleinemng  und  Yerschiebung  des  Yorhofes  hätten  bedingen  können, 
mnßte  man  in  unserem  Falle  einen  Defekt  der  Kammerscheide- 
wand annehmen;  wenn  beide  Yentrikel  zu  einer  Höhle  vereinigt  waren 
und  die  überall  gleichstarken  Muskelwände  links  und  rechts  gleich  stark 
pulsierten,  war  das  eigentümliche  Pulsationsbild  befriedigend  erklärt. 

Diese  Erwägungen  trug  ich,  als  ich  am  16.  Dezember  den  Pa- 
tienten an  dem  „wissenschaftlichen  Abende"  des  St.  Georger  Elranken- 
haoses  demonstrierte,  den  anwesenden  Kollegen  vor  und  stellte  danach 
—  unter  den   bei   kongenitalen   Herzleiden   besonders   notwendigen  Yor- 


behalten  —  die  WahrscbemticlilEeiUdiagDOBe  auf  Tranepositko: 
QefSße  und  Defekt  der  Kamm erscbeide wand. 


Bmstorgane  von  Wilh.  E.    Die  Lnnjten  sind  zu rllck geklappt  und  mit  Nadeln 

in  <lieser  J^age  befestigt.     Präpariert  und  photograpljiert  von  Prosektor 

Dr.  Simroonds. 


Die  Erscbeinungen  der  ihrer  Natur  nach  nicht  näher  anfeaklarendeD 
Herderkranknng  in  der  rechten  Hirnhalfte  nahmen  in  den  nSchsten 
Tagen  schnell  zu ;  es  traten  tonische  Krämpfe  mit  BewuBtloaigkeit,  Beak- 
tionslosigkeit  der  Pupillen ,  stertorösem  Atmen  auf,  die  die  Kr&fte  des 
Patienten  schnell  erschöpften.  Bereits  am  18.  trat  nach  einem  solchen 
Anfalle  der  Tod  ein. 

Die  am  19.  Dezeraher  1905  vorgenommene  Sektion  et^ab  folgendes: 
Sektinnsprotokoll:    rObduiicnt  Dr.  Hempnll).     Leiche    eines 


Zar  Eöntgendiagnostik  seltenerer  Herzleiden. 


61 


sohlecht  genährten,  in  seiner  Entwicklang  stark  zarückgehliebenen  jangen 
Mannes.    Enorm  aasgesprochene  Cyanose  aller  vorspringenden  Körperteile. 

Die  Finger  and  Zehen  zeigen  an  ihren  Endphalangen  trommel- 
schlägelartige  Verdickungen. 

Brustsektion:  Der  Situs  von  Herz  and  Lungen  weicht  von  der 
Norm  nicht  ab ;  nur  erscheint  das  in  dem  noch  geschlossenen  Herzbeutel 
liegende  Herz  etwas  größer  als  normal. 

Fig.  6. 


V.  Cava  sup. 


Atr.  dext. 


Duct.  Botalli 


Atr.  sin. 


Schema  zu  Fig.  ö. 

Herzsektion:  Feri-  und  Epikard  feucht  glänzend,  nirgends  ab- 
norm miteinander  verwachsen.  Das  Herz  ist  in  toto  vergrößert  und 
mißt  im  größten  Durchmesser,  ohne  Yorhöfe,  etwa  11  cm.  Seine  Ge- 
stalt weicht  insofern  von  der  Norm  ab,  als  die  Spitze  nur  wenig  ausge- 
prägt erscheint  und  eine  äußerlich  sichtbare  Trennung  der  beiden  Ventrikel 
durch  die  Längsfnrchen  nur  andeutungsweise  besteht.  Das  Herz  bekommt 
dadurch  ein  plumperes  Aussehen  und  läßt  sich  mit  einem  an  den  Kanten 
abgerundeten  muskulösen  Sacke  vergleichen,  welcher  an  den  großen  Gefaß- 
stämmen aufgehängt  ist.  Von  diesen  nehmen  die  großen  Venen  einen 
im  ganzen  normalen  Verlauf,  während  die  beiden  Arterien  sehr  be- 
merkenswerte Anomalien  erkennen  lassen.     (Fig.  5,  6.) 


62  IV-    DSMBKB 

Es  entspringt  nämlich  die  Aorta  aus  dem  rechten  Teile  des 
Herzens,  fast  genau  an  der  Stelle,  wo  sonst  die  Art.  pnlmon.  abgeht, 
während  letztere  das  umgekehrte  Verhalten  zeigt«  Im  weiteren  Verlaufe 
teilt  sich  die  Art  pulmonalis  etwa  3  cm  über  ihrer  TJrsprungsstelle  und 
verästelt  sich  dann  in  den  Lungen.  An  der  Teilungsstelle  entspringt 
aus  dem  Bam.  sin.  ein  etwa  strohhalmdickes,  für  eine  kräftige  Sonde 
gut  durchgängiges  Gefäß,  der  offene  Ductus  Botalli,  welcher,  etwa  1  cm 
lang,  in  den  Arcus  aortae  mündet. 

Beim  Vergleich  der  A.  pulm.  mit  der  Aorta  fällt  besonders  auf,  daß 
der  Durchmesser  des  Stammteils  der  ersteren  etwa  doppelt  so  weit  ist  als  der 
der  Aorta.  Äußere  Masse  (Durchmesser) :  Pulmonalis  3,5  cm,  Aorta  1,8  cmu 
Die  Wandung  der  Pulmonalis  ist  glatt  und  frei  von  Einlagerungen,  ihr  Lumen 
elliptisch  geformt;  die  Klappen  sind  schlußfabig,  zeigen  aber  folgende 
Eigentümlichkeiten :  Die  Stellung  der  Segel  zueinander  ist  eine  annähernd 
normale,  während  sie  in  ihrer  Größe  erheblich  voneinander  abweichen;  die 
hinten  und  links  stehende  Klappe  ist  größer  als  die  vordere  linke,  diese  wieder 
sehr  viel  größer  als  die  rechte  Klappe  (Fig.  7).  Sie  sind  frei  von  Auflage- 
rungen, jedoch  etwas  derber  als  normal,  namentlich  an  den  freien  Bändern. 

Fig.  7. 


E 


Art.  coron.  d. 

Art.  coron.  s. 


Schematischer  Querschnitt  der  großen  Arterien  an  ihrem  Ursprünge. 

Natürl.  Größe. 

Die  Aorta  steigt  zunächst,  etwas  nach  links  gewendet,  vor  der  Art. 
pulm.  auf,  um  in  ziemlich  normaler  Weise  den  Arcus  zu  bilden,  welcher 
auf  dem  Bamus  dext.  art.  pulm.  reitet  und  dann  in  die  Aorta  descend. 
übergeht. 

Die  Wandung  der  Aorta  ist  glatt  und  frei  von  Einlagerungen,  ihre 
Klappe  ist  schlußfähig;  die  Klappensegel  sind  zart,  gleich  groß  und  be- 
finden sich  in  annähernd  normaler  Stellung,  wie  aus  obenstehender 
Figur  7  ersichtlich  ist. 

Sticht  man  vom  Scheitel  des  Winkels,  welchen  das  hintere  und  das 
linke  Segel  der  Aortenklappe  bilden,  senkrecht  zu  Aorten-  und  Pulmonal- 
wand  eine  Nadel  ein,  so  trifft  diese  genau  den  Scheitel  des  zwischen 
vorderem  und  rechtem  Segel  der  Pulmonalklappe  gelegenen  Winkels. 

Die  großen  Arterien  gehen  in  bekannter  Weise  aus  dem  Aorten- 
bogen ab.  Da,  wo  die  Aorta  über  den  rechten  Pulmonalast  hinwegzieht, 
steht    sie   durch   den   oben   beschriebenen   Ductus   Botalli    mit  der   Pul- 


Zar  BöntgendiagnoBtik  seltenerer  Herzleiden.  63 

monalis  in  Kommimikation.  Der  Dact.  Bot.  mündet  distal  von  der  Sub- 
clavia sin.,  dieser  schräg  gegenüber,  in  die  Aorta. 

Von  den  Coronararterien  entspringt  die  linke  in  normaler 
Weise  aas  dem  linken  Sinns  Yalsalvae,  während  die  rechte  aas  dem 
hinteren  Sinus  abgeht.  Über  den  weiteren  Verlauf  der  KranzgeftUBe  ist 
folgendes  zu  sagen: 

Die  linke  Arteria  coron.  ist  entgegen  der  Hegel  sehr  viel  kleiner  als 
die  rechte;  sie  verläuft  in  ihrem  Hauptast  im  Sinus  oircularis  bis  zum 
linken  Herzrande  und  sendet  auf  diesem  Wege  einige  Aste  in  das 
Myokard.  Als  Versorgangsgebiet  £ällt  ihr  etwa  ^/^  der  vorderen  Herz- 
wand zu. 

Die  rechte  Art.  ooronaria  verläuft  zunächst  im  Sinus  circularis  der 
▼orderen  Herzfläche  und  kann  noch  an  der  hinteren  Herzfläche  als  ziem- 
lich groBes  Oefäß  im  Sinus  circul.  bis  zum  linken  Herzrande  hin  ver- 
folgt werden.  Hier  löst  sie  sich  in  kleinere  Aste  auf,  nachdem  sie  auf 
ihrem  Wege  vorher  4 — 5  sichtbare  Äste  zum  Myocard  abgegeben  hat. 
Ihr  liegt  demnach  die  Versorgung  des  rechten  Drittels  der  vorderen  und 
der  ganzen  hinteren  Herzwand  ob. 

Die  Vena  coronaria  verläuft  im  Sinus  circul.  und  mündet  in 
den  rechten  Vorhof. 

Was  nun  das  Herz  selber  anlangt,  so  sind  die  Vorhöfe  mit  den 
Herzohren  normal  angelegt,  doch  ist  der  rechte  Vorhof  auf- 
fallend klein;  von  vorne  gesehen  erscheint  das  rechte  Herzohr  neben 
der  Aorta  kaum  größer  als  das  linke  neben  der  Pulmonalis.  Der 
rechte  Vorhof  sitzt  lediglich  dem  oberen  Teile  des 
Herzens  auf  und  läßt  den  rechten  Herzrand  völlig  frei. 
Dem  linken  Vorhof  entspricht  die  MitraliB,  dem  rechten  die  Tricuspidalis. 
Die  SegelstelluDg  beider  Klappen  ist  eine  im  ganzen  normale,  die  Segel 
selbst  sind  zart  und  legen  sich  beim  Schluß  der  betrefifenden  Klappe  gut 
aneinander. 

Wie  oben  erwähnt,  münden  in  den  rechten  Vorhof  die  Vv.  cavae 
anperior  und  inferior  und  die  Vena  coronar.,  in  den  linken  die  Lungen- 
▼enen. 

Das  Septum  der  Vorhöfe  ist  vollständig,  das  Foramen  ovale 
geschlossen. 

Beim  Aufschneiden  der  Herzkammern  fallt  auf,  daß  die  Mus- 
kulatur der  rechten  Herzhälfte  kaum  dünner  ist  als  die  der  linken,  die 
eine  deutliche  Hypertrophie  erkennen  läßt.  Im  übrigen  ist  das  Myocard 
gat  kontrahiert,  von  braunroter  Farbe  und  frei  von  sichtbaren  Schwielen. 

Weiterhin  bemerkt  man  das  Fehlen  der  Ventrikelscheide- 
wand, an  dessen  Steile  zwischen  den  Abgangsstellen  der  großen  Ge- 
fäße ein  länglicher  Mnskelwulst,  hypertrophierten  Trabekeln  ähnlich,  von 
der  vorderen  zur  hinteren  Herz  wand  zieht. 

Am  linken  Bande  dieses  Wulstes  findet  sich  eine  eigentümliche 
Membran  mit  nach  rechts  konkaver  Fläche,  von  Form,  Gbröße  und  Festig- 
keit eines  Aortenklappensegels  (Richtungsklappe),  deren  freier 
Band  nach  links  und  unten  gerichtet  ist. 

Die  beiden  Ventrikel  bilden  auf  diese  Weise  einen  durch  eine  breite 
Öffnung  verbundenen  Hohlraum,  aus  welchem  Aorta  und  Pulmonalarterie, 


64  IV.  Dbneke 

nur  getrennt  durch  einen  kleinen  MnskelwulBt  und  die  oben  beschriebene 
Richtangsklappe,  dicht  nebeneinander  abgehen. 

Das  Endocard  ist  überall  sehr  zart  und  feucht  glänzend. 

Lungen:  Nirgends  mit  der  Pleura  costalis  verwachsen.  Im  Brust- 
fellraume  keine  abnorme  Flüssigkeitsansammlung.  Lungen  in  allen  Teilen 
lufthaltig,  aber  außerordentlich  blutreich.  Aus  den  kleinsten  G-efaßen 
quillt  dickes  Blut  hervor. 

Kalsorgane  o.  B. 

Bauchsektion:  Situs  o.  B.  Magen-,  Darmschleimhaut  sehr  blut- 
reich, im  übrigen  o.  B. 

Nieren  ziemlich  groß.  Kapsel  leicht  ablösbar.  Oberfläche  glatt 
glänzend.  Stellulae  Yerheyenii  außerordentlich  stark  gefüllt.  Parenchym 
auf  dem  Durchschnitt  dunkelrot;  Mark-  und  Rindensubstanz  gut  von- 
einander abgrenzbar.  Von  der  Schnittfläche  läuft  viel  dickflüssiges  Blut 
ab.     Konsistenz  derb.     Buchte  Niere  gleich  der  linken. 

Nebennieren  o.  B. 

Pankreas:  sehr  blutreich. 

Leber:  von  normaler  Größe,  ziemlich  scharfrandig.  Oberfläche 
glatt.  Parenchym  auf  dem  Durchschnitte  von  dunkelbraunroter  Farbe. 
Von  der  Schnittfläche  laufen  enorme  Massen  eines  eigentümlich  dick- 
^üssigen  Blutes  von  dunkelroter  Farbe  ab.  Die  Lebervenen  sind  stark 
erweitert  und  gefüllt. 

Oallenblase  und  Gallenwege  frei. 

Milz  etwas  vergrößert,  ziemlich  derb,  sehr  blutreich. 

Blase  mit  wenig  klarem  Urin  erfüllt.     Schleimhaut  intakt. 

Genitalien  pueril. 

Kopfsektion:  Knochen  des  Himschädels  intakt. 

Gehirn:  Dura  intakt.  Sinus  prall  mit  dickflüssigem,  z.  T.  frisch 
geronnenem  Blute  erfüllt. 

Pia  zart,  Getäße  prall  mit  flüssigem  Blute  erfüllt. 

Gehirnsubstanz  sehr  blutreich.  In  der  Substanz  der  rechten 
-Großhirnhemisphäre  findet  sich  ein  bis  an  die  Binde  reichender,  gut 
walnußgroßer  Absceß,  welcher  auch  einen  Teil  des  Bodens  des  rechten 
Seitenventrikels  zerstört  hat  (Gebiet  der  Capsula  interna).  In  dem 
dickflüssigen  Eiter  werden  Streptokokken  nachgewiesen.  Die  übrige  Hirn- 
Substanz  bietet  keine  Besonderheiten.  Die  Ventrikel  sind  von  normaler 
Weite;  ihr  Ependym  spiegelt. 

Ohren  beiderseits  intakt. 

Nase  und  Nebenhöhlen  lassen  eiterige  Prozesse  nicht  erkennen. 

Anatomische  Diagnose:  Angeborener  Kerzfehler:  Trans- 
position der  großen  Gefäße.  Defekt  der  Ventrikelscheidewand.  Offener 
-engre  Ductus  Botalli.  Streptokokkenabs ceß  in  der  rechten  Großhirnhemi- 
sphäre.    Enorme  Hyperämie  sämtlicher  Organe.      Oyanose. 

Danach  handelt  es  sich  um  ein  Cor  triloculare  biatriatum  (ge- 
trennte Vorhöfe,  gemeinsamer  Ventrikel)  mit  Transposition  der 
großen  Gefäße.  Die  Aorta,  deren  Verzweigungen  der  Norm  ent- 
sprechen, entspringt  mehr  vorn  und  rechts  an  der  Stelle,  wo  ge- 
wöhnlich die  Pulmonalis  abgeht;  die  viel  weitere  Pulmonalis  ent- 


Zur  Röntgendiagnostik  seltenerer  Herzleiden,  g5 

springt,  an  der  Stelle  der  Aorta.  Als  einziger  Rest  des  Yentrikel- 
septums  ist  ein  rundlicher  Mnskelwulst  vorhanden,  der  zwischen 
der  Abgangsstelle  der  beiden  großen  Gefäße  die  vordere  und  hintere 
Ventrikelwand  verbindet;  als  Ansgleichsvorrichtnug  für  das  ge-* 
ringere  Kaliber  der  Körperschlagader  finden  wir  eine  nach  üqten 
und  links  gerichtete  Membran  am  unteren  Rande  dieses  Wnlstes 
ausgespannt,  die  einem  Teile  des  Blutes  den  Weg  nach  der  Aorta 
weist.  Als  weitere  Ausgleichs  Vorrichtung  ist  der  Ductus.  Bötalli 
.wirksam,  wenn  er  auch  wegen  seines  nur  etwa  strohbalmdicken 
Lumens  von  geringerer  Bedeutung  ist.  Die  Körpervenen  münden 
in  gewöhnlicher  Weise  in  den  rechts  gelegenen,  die  Lungenvenen 
in  den  links  gelegenen  Vorhof;  das  in  den  Lungen  mit  Sauerstoff 
imprägnierte  Blut  mischt  sich  im  gemeinsamen  Ventrikel  mit  dem 
Eörpervenenblute,  und  die  Körperarterien  erhalten  somit  gemischtes 
Blut.  Die  Cyanose  erklärt  sich  teils  daraus,  daß  der  Inhalt  der 
Hautvenen  tatsächlich  dunkler,  weil  konzentrierter  war  (145% 
Hämoglobin,  8V2  Millionen  Erythrocyten),  als  in  der  Norm,  während 
die  Hautdecken  selbst  überaus  dünn  und  durchscheinend  waren, 
teils  aber  auch  wohl,  weil  eine  Erweiterung  und  stärkere  Füllung 
der  nur  träge  durchströmten  Gefäße*)  sich  gerade  an  den  vor- 
springenden Körperteilen  entwickelt  hatte. 

Interessant  ist  die  Verkleinerung  des  rechten  Vorhofs  und  die 
-damit  im  Zusammenhange  stehende  Verschmälerung  der  Herzbasis. 
Das  verhältnismäßig  bescheidene  Kaliber  der  Aorta  scheint  die 
Möglichkeit  zu  eröffnen,  diese  Anomalie  auf  eine  Verminderung  der 
"Gesamtmenge  des  im  Körper  kreisenden  Blutes  zu  beziehen,  und 
tatsächlich  waren  auch  die  großen  Körpervenen  verhältnismäßig 
-eng.  Dieser  Vermutung  widerspricht  aber  der  Befund  reichlicher 
Mengen  dunklen  Blutes  in  allen  untersuchten  Organen.  Wäre  aber 
auch  nur  eine  normale  oder  selbst  verringerte  Blutmenge  vor- 
lianden  gewesen,  so  hätte  diese  bei  der  Verlangsamung  des  venösen 
Blutstromes,  die  wir  oben  annahmen,  abnorm  große  Kaliber  bean- 
:spruchen  müssen.  Danach  hätte  man  eher  eine  Dilatation  des 
rechten  Vorhofes,  den  regelmäßigen  Befund  bei  Stauungen  im  Ge- 
samtgebiete der  Körpervenen,  erwarten  müssen.  Ob  eine  ver- 
änderte Struktur  der  Venen,  z.  B.  eine  Verstärkung  ihrer  Muskel- 
schicht, wie  nach  einigen  französischen  Arbeiten^)  zu  vermuten, 
•den  Zusammenhang  aufklären  wird,  bleibt  abzuwarten. 


1)  Vierordt  p.  28,  30. 

2)  Vierordt  p.  31. 

J)eat8ches  Archiv  fttr  klln.  Medizin.    8».  Bd. 


66  IV.  DxNBKB,  Zar  BOntgendiagnostik  seltenerer  Herzleiden. 

In  unserem  Falle  ermöglichte  das  Hinaafr&cken  des  rechten 
Yorhofes  auf  die  verschmälerte  Herzbasis,  daß  die  rechte  Ventiikel- 
wand  randbildend  wurde  und  daß  aus  ihrer  veränderten  Pulsation 
der  Septumsdefekt  diagnostiziert  werden  konnte.  Es  durfte  sich 
empfehlen,  bei  kongenitalen  Herzfehlern,  die  einen  Sept umdefekt 
vermuten  lassen,  auf  dieses  Symptom  zu  fahnden.  Daß  das  Aorten- 
band auf  dem  Fluorescenzschirme  so  schmal  erschien,  wird 
durch  die  verhältnismäßige  Enge  des  G^efäßes  erklärt  Der  in 
Strohhalmdicke  erhaltene  Ductus  Botalli  entzog  sich  der  Diagnose,, 
da  er  neben  den  hochgradigen  anderweitigen  Anomalien  keinerlei 
Erscheinungen  machte. 


Berichtigung  zu  der  vorstehenden  Arbeit. 

S.  39  Z.  14  Y.  0.  ist  vor  „Randbildang"  „stets^  einzuschalten. 

S.  ^  Z.  16  Y.  0.  lies:  „Vorgänffe*^  statt  „Bewegungsorgane ". 

S.  40  Z.  21  Y.  0.  ist  hinter  „änuert**  „sich"  einzascnalten. 

S.  41  Z.  8  Y.  0.  lies :  „Woran  es  Hegt"  statt  „Woran  liefft  es". 

S.  41  Z.  14  ist  hinter  „können",  zn  ergänzen:  „und  tadeUose  Unterbrecher". 

S.  42  Z.  12  Y.  u.  lies:  „Brastwirbelsäule"  statt  „Brnstwirbelhaube". 

S.  43  letzte  Zeile  lies:  „Chauveaa"  statt  „Ghanveau". 

S.45  Z.  31  Y.  0.  lies:  „Bohre"  statt  „Röhre". 

S.  46  Z.  1  Anm.  2  lies :   „der  Yerschiedenen   Wellen"   statt  „des  Yerschiedenen 

Willens". 
S.  46  letzte  Zeile  der  Unterschrift  Ton  Fig.  4  lies:  „Eardiosphygmographen"  statt 

„Kardiopsychmographen" . 
S.  47  Z.  16  Y.  u.  ist  Yor  „ödematös"  „wenip;"  za  ergänzen. 
S.  48  Z.  14  Y.  0.  lies:  „atriornm  statt  „atnocnm". 
S.  48  Z.  23  Y.  0.  ist  hinter  „soll"  zu  ergänzen:    „bis  es  sich  in  seinen  Endaas- 

breitnngen  mit  dieser  mischt". 
S.  48  letzte  Zeile  lies :  „Das  Beizleitungsystem  des  Sängetierherzens"  statt  „Die 

Beizleitong  im  Säugetierherzen". 


V. 

Zur  klinischen  Geschichte  nnd  Bedeutung  der 

Trommelschlägelfinger. 

Von 

Dr.  med.  Erich  Ebstein, 

VolontäraMistent  am  Krankenhaus  1.  d.  Isar  in  München. 

(Mit  10  Abbildnngen.) 

.Clubbing  is  one  of  those  phenomena  wlth  whioh 
we^  are  all  so  familiär  that  we  appear  to  know  more 
aboat  it  than  we  really  do." ' 

S.  West  (1896)  I.e.  p.  64. 

Geschichte  der  Trommelschlftgelflnger  und  deren 

Begriffsbestimmung. 

Die  sogenannten  Trommelschlägelfinger  nnd  -zehen  sind  be- 
kanntlich ein  Symptom  der  verschiedenartigsten  Erankheitsbilder. 
Ich  habe  mich  im  folgenden  bemfiht^  anf  Gmnd  der  weitschichtigen, 
besonders  ausländischen  Literatur  nnd  an  der  Hand  eigener  Be- 
obachtungen,  die  ich  in  der  Oöttinger  medizinischen  Klinik  sammeln 
konnte,  ihre  Bedeutung  für  die  klinische  Symptomatologie  dar- 
zustellen. 

Ehe  wir  indes  Ober  den  Gegenstand  selbst  in  weitere  Er- 
örterungen eintreten,  müssen  wir  uns  über  den  Begriff  und  die 
Geschichte  des  Wortes  „Trommelschlägelfinger"  klar  werden.  Wer 
diese  Diffonnität  der  Endphalangen  zuerst  mit  einem  Trommel- 
stock oder  Trommelschlägel  (oder  auch  gelegentlich  Paukenschlägel) 
verglichen  hat,  kann  ich  nicht  angeben ;  auch  in  der  japanischen 
medizinischen  Literatur  ist  diese  Bezeichnung  angenommen  worden, 
obgleich,  wie  mir  Herr  Kollege  Dr.  N  a  g  a  i  aus  Tokio  mitteilt,  die 
Japaner  nicht  die  gleiche  Form  der  Trommelstöcke  haben,  wie  wir, 
sondern  einfache  Stöcke  mit  scharfen  Ecken.  In  der  englischen 
Literatur  hat  sich  der  Vergleich  mit  dem  Trommelstock  nicht  ein- 
gebürgert; wir  lesen  wohl  als  Übersetzung  unseres  deutschen  Aus- 
drucks „drum-stick  fingers^,  aber  sonst  ziehen  die  Engländer  und 

5* 


68  V.  Ebstein 

Amerikaner  den  Ausdruck  „clubbed  flngers"  vor,  den  ich  stets  in 
den  Arbeiten  über  diesen  Gegenstand  angetroffen  habe.  Bei  weitem 
reicher  an  Synonymen  ist  die  Literatur  der  Franzosen ;  sie  sprechen 
nicht  nur  von:  „les  doigts  en  baguette  de  tambour^  oder  ,,les 
doigts  en  massue",  sondern  auch  von  „les  doigts  en  bec  de  perro- 
quet,  en  töte  de  serpent"  usw.  Auch  in  ihrer  Literatur  finden 
wir  zuerst  den  Ausdruck  „Doigt  hippocratique"  oder  einfach 
„rHippocratisrae" ;  J.  Pigeaux(l  832)  und  besonders  Trousseau 
(1834)  sehen  in  den  Ausdruck  j^ygvitovvTat  de  Svvxog^  (les  ongles 
se  recourbent,  phthisicis  ungues  adunci),  der  in  den  xwaxal  TtQo- 
ypwaeig  der  Hippokratischen  Schriften  (Nr.  396)  ^)  mit  als  Zeichen 
der  chronischen  Empyeme  aufgeführt  wird,  die  erste  Andeutung 
unserer  sog.  Trommelschlägelfinger,  aber  wohl  mit  Unrecht,  denn 
unerwähnt  bleibt  das  hauptsächlichste  Merkmal,  die  Verdickung 
der  Endphalanx  oder  des  Nagelgliedes;  erwähnt  ist  nur  eine  Teil- 
erscheinung, die  Krümmung  der  Nägel. 

Ebensowenig  lassen  sich  die  Bemerkungen  bei  Aretaios 
von  Kappadocien  (ca.  100  p.  Chr.)  —  in  dem  Kapitel  „^^gl 
tpd^iaiog^  —  owxsg  yQVTtol  danxvkmv  (the  nails  of  the  fingers  crooked) 
mit  Bestimmtheit  auf  unsere  heutigen  sog.  Trommelschlägelfinger 
beziehen.  Nach  diesem  Autor  „hat  die  Krümmung  der  Nägel 
ihren  Grund  in  dem  Mangel  des  Fleischpolsters,  wodurch  Spannung 
und  Rundung  verloren  geht,  denn  das  Fleisch  ist  die  Stütze  und 
4er  Träger  der  Nägel  und  zu  dem  Zwecke  ist  es  auch  am  letzten 
Fingerglied  am  dichtesten". 

Erst  die  Andeutung  bei  Caelius  Aurelianus  (ca.  200 
p.  Chr.)  —  Chronion  liber  II,  Kapitel  XIV  „De  phthisica  passione" 
—  glaube  ich  für  die  erste  Erwähnung  der  Trommelschlägelfinger 
In  Ansprach  nehmen  zu  dürfen;  bei  ihm  heißt  es  nämlich:  „Digi- 
torum  summitates  crassescunt,  obuncatis  unguibus,  quod  Graeci 
gryposin  {y^yqvTtwatg^)  vocant;  nach  dem  Lexikon  vonL.A.  Kraus 
leitet  sich  das  Wort  von  ygvip  ab,  weil  durch  das  Krümmen  der 
Nägel  an  Händen  und  Füßen  diese  den  Bildern  des  Fabeltiers 
Greif  ähnlich  werden! 

Bis  ins  16.  Jahrhundert  findet  sich  kein  Wort  über  die  Ver- 
änderungen der  Endphalangen  der  Finger;  erst  bei  L.  Dur  et, 

1)  „Wenn  die  Entzündung  der  Pleura  oder  der  Lunge  in  Eiterung  über- 
geht, 80  fiebern  die  Kranken,  werfen  unbedeutend  aus,  und  schwitzen  um  Hals 
und  Nacken.  Ihre  Augen  sind  hohl,  ihre  Backen  rot,  die  Fingerspitzen  sind  heifi 
«nd  rauh,  die  Nägel  werden  krumm  und  sind  kalt,  die  Füße  laufen  an  ....  .^ 
(nach  der  Ausgabe  von  Kühn,  Coacae  praeuotipnes  Nr.  402). 


Zar  klinischen  Geschichte  und  Bedentang  der  Trommelschlägelfinger.     69 

(I  1686)  einem  Kommentator  der  Hippokratischen  Schriften,  trifft 
man  anf  eine  Erläuternng  zu  dem  Satze  ,,Ungues  adanci  fiunt"^ 
Wo  es  heißt :  „ Ac  signnm  quidem,  qnia  phthiscis  nngaes  sunt,  more 
eniosdam  ferae,  uncinati,  causa  antem:  qnoniam  pulmonum  ulcera 
tarn  sunt  edacia  ferarum,  nt  sanguinem  totum  ö  corde  exhaurianf 
L.  Bellini  (1643—1703)  spricht  in  seinem  Buche  „De  morbis 
capitis  et  pectoris^  Bonon.  1683  in  dem  ,,Empyema  seu  puris  col- 
lectio  in  cavitate  pectoris^  nberschriebenen  Kapitel,  auch  von  den 
^curvi  ungues^  neben  der  Aufz&hlnng  anderer  Symptome  und 
Boerhave  (1668—1738)  hebt  unter  den  Folgen  des  Empyems  iii 
seinen  1709  erschieneneu  „Aphorismen"  hervor,  daß  die  Nägel 
hakenförmig  gebogen  seien. 

Anno  1696  gedenkt  Frankenau  der  „ungues  incurvi  et  longi'^ 
bei  den  „consummatis  phthisicis  et  hecticis%  und  F.  B.  Sauvages 
de  Lacroix  (1706—1767)  notiert,  als  er  von  den  Charakteren 
der  Phthise  spricht  „supervenit  demum  diarrhoea  coUiquativa  sputa 
supprimens,  ungues  curvantur  ..."  F.  J.  Double  (1808),  dem 
wir  eine  heute  noch  ganz  lesenswerte  Abhandlung  über  die  Nägel 
verdanken,  schreibt  die  starke  Krümmung  dem  dritten  Grade  der 
Phthise  zu,  besonders  wenn  diese  Krankheit  auf  die  verschiedenen 
Perioden  langsam  folgt. 

Wir  sehen  aus  diesen  wenigen  historischen  Notizen  über  die 
Trommelschlägelfinger,  daß  sie  bis  in  den  Anfang  des  19.  Jahr- 
handerts  hinein  nur  als  Symptome  der  chronischen  Empyeme  und 
der  „vollendeten  Lungensuchf*  (Phthisis  consummata)  [Naumann, 
Bayer]  aufgefaßt  wurden.  Aber  in  dieser  ganzen  Zeit  wurde,  wie 
Trousseau  besonders  hervorhebt,  dieses  vom  Altvater  der  Medizin 
angegebeue  Zeichen  entweder  falsch  ausgelegt  oder  ganz  vergessen. 
So  spricht  Pätissier  auch  seine  Yerwundeiniug  darüber  aus, 
daß  ein  modemer  Autor,  der  über  allgemeine  Pathologie  schreibt, 
die  Behauptung  ausspricht,  daß  sich  die  Krümmung  der  Nägel  bei 
der  Lungenphthise  heute  nicht  mehr  bemerkbar  mache.  Indessen 
fangen  sich  gerade  in  dieser  Zeit  Stimmen  an  zu  regen,  die  be- 
tonen, daß  die  Krümmung  der  Nägel  nicht  nur  bei  der  Phthise, 
sondern  auch  bei  chronischen  Krankheiten  vorkommen,  in  denen 
die  Abmagerung  auf  das  Höchste  gestiegen  sei  (Bland in  [1798  bis 
1849],  und  M.  Faye  (1822).  Erst  J.  Pigeaux  ging  anno  1832  in 
einer  sorgfaltigen  Arbeit,  die  betitelt  ist:  „^echerches  nouvelles 
sur  r^tiologie,  la  Symptomatologie  et  le  m^canisme  du  d^veloppe- 
ment  fusiforme  de  Textrömite  des  doigts^  diesen  Beziehungen  ge- 
nau nach  und  fand  die  phthisische  NagelkrümmuDg  unter  200  Phtbi- 


70  V.  Ebstein 

sikern  —  die  tuberkulöse  LuDgenphthise  wurde  physikalisch  nach- 
gewiesen —  bei  167  Fällen;  indes  konstatierte  er  bei  sehr  abge- 
magerten, nicht  phthisischen  Kranken  die  betreffende  KrümmuDg  nur 
in  einem  Drittel  der  Fälle.  Unter  183  aasgewählten,  nicht  tuber- 
kulösen Kranken  hatten  17  (ca.  Vio)  ^^  Symptom,  und  zwar  sehr 
ausgesprochen;  es  handelte  sich  9 mal  um  Krankheiten  des  Zirku- 
lationsapparats, 4  mal  um  Emphysem,  2  mal  um  chronische  Bronchial- 
katarrhe  mit  Asthma,  2 mal  koiuite  ein  bedeutender  organischer 
Fehler  nicht  nachgewiesen  werden.  In  13  dieser  17  Fälle  wurden 
Atmungsbeschwerden  notiert;  umgekehrt  fand  Pigeaux  die  Nagel- 
krümmung nur  bei  denjenigen  Phthisikem  nicht,  die  keine  At- 
mungsbeschwerden  hatten.  Kein  Geringerer  als  Trousseau  nahm 
die  Arbeit  von  Pigeaux,  von  dem  er  sagt,  daß  ihm  die  Wissen- 
schaft schon  eine  große  Menge  sehr  empfehlenswerter  Schriften 
verdanke,  anno  1834  wieder  auf,  und  konnte  in  seiner  klassischen 
Abhandlung,  auf  die  wir  später  genauer  eingehen  werden,  lediglich 
dessen  Resultate  bestätigen.  Wir  werden  später  sehen,  welches 
Gewicht  Trousseau  „der  hippokratischen  Form  der  Finger  der 
Tuberkulösen^  als  diagnostisches  Hilfsmittel  einräumte.^) 

Die  Forscher,  die  seitdem  sich  mit  dieser  Frage  beschäftigt 
haben:  Alqui6  (1838),  Vernois  (1839),  Beau  (1846),  Caron 
(1862),  Labalbary  (1863),  Meillet  (1874),  Ulmo  y  Tuffin 
(1876),  haben  neben  vielen  bemerkenswerten  Einzelheiten  keinen 
wesentlichen  Fortschritt  gebracht. 

Erst,  als  Pierre  Marie  1890  das  von  ihm  „Osteoarthro- 
pathie hypertrophiante  pneumique"  genannte  Krankheitsbild  be- 
schrieb, erhielt  die  Frage  einen  neuen  Anstoß,  und  seit  dieser  Zeit 
ist  fast  unabläßlich  daran  gearbeitet  worden,  die  Frage  nach  der 
Ätiologie  und  Bedeutung  der  Trommelschlägelfinger  zu  sichten 
und  zu  klären. 

Aus  dieser  historischen  Einleitung  geht  wohl  zur  Genüge  her- 
vor, daß  man  heute  mit  Unrecht  —  besonders  in  der  französischen 
Literatur  —  die  hippokratischen  Finger  mit  den  Trommelschlägel- 
fingern identifiziert.  Denn,  wie  wir  feststellten,  hat  Hippokrates 
unter  dieser  Bezeichnung  nicht  die  krankhaften  Veränderungen  der 
Finger  in  toto  verstanden,  sondern  lediglich  gewisse  Verände- 
rungen der  Fingernägel;  von  den  Nägeln  an  den  Zehen  spricht 
Hippokrates  nicht. 


1)  Nach  Arrivot  (1888  p.  34)  erwähnen  die  französischen  Kliniker  LaSnnec, 
Lonis  u.  Andral  den  Hippokratismns  merkwürdigerweise  nicht. 


Zur  klinischen  Geschichte  und  Bedentang  der  Trommelschlägelfinger.     71 

Der  Trommelschlägelfinger  vergesellschaftet  sich  also  oft  mit 
den  Veränderungen  der  Fingernägel ;  der  Vergleich  der  Fingerenden 
mit  dem  an  den  Trommelstöcken  befindlichen  Knöpfen  scheint  mir 
indes  bezeichnender  als  der  von  den  englischen  Beobachtern  ge- 
brauchte Name  „clubbed  fingers'',  der,  wie  mir  Herr  Kollege 
A.  Hunter  ans  Edinburgh  mitteilt,  von  der  Keule  (Indian  Clubs) 
hergenommen  ist,  die  beim  Ballschlagen  gebraucht  wird. 

Ich  will  hier  einige  Worte  ttber  die  Bedeutung  der 
Trommelschlägelzehen  hinzufügen  und  will  gleich  vorweg- 
nehmen, da£  ihnen  als  klinisches  Symptom  nur  eine,  wie  mir 
scheint,  offenbar  recht  untergeordnete  Rolle  zukommt.  Denn  es 
ist  mir  unzweifelhaft,  nachdem  ich  eine  große  Reihe  gesunder 
Personen  darauf  hin  untersucht  habe,  daß  diese  Mißbildung  der 
Zehen  durch  mechanische  Momente  —  als  Folgen  schlecht- 
geschnittener Schuhe  —  auftreten.  Besonders  die  zweite  Zehe 
bietet  am  häufigsten  das  Bild  eines  Trommelschlägels:  es  ist  aber 
lediglich  nur  dadurch  entstanden,  daß  die  beiden  benachbarten 
Zehen  die  zweite  Zehe  zusammendrücken,  und  die  die  beiden 
Nachbarzehen  meist  überragende  Endphalanx  durch  Druck  die  be- 
treffende Gestalt  annimmt.  Wenn  sich  allgemein  die  Meinung  ver- 
breitet hat,  daß  die  leichtgekrümmten,  sog.  eingeschlagenen  Zehen 
eine  fehlerhafte  Form  darstellen,  und  daß  diese  durch  zu  kurze 
Schuhe  erzeugt  werden,  so  ist  dies,  wie  Schanz  (1905)  kürzlich 
gezeigt  hat,  ein  Irrtum.  Denn  die  eingeschlagenen  Zehen  sind  die 
normalgeformten;  die  lang  ausgestreckten  Zehen  sind  anormal,  sie 
sind  eine  Teilerscheinung  des  Plattfußes.  Und  in  der  Tat  findet 
man  die  sog.  Trommelschlägelzehen  bei  an  Plattfuß  leidenden 
Patienten  recht  häufig. 

Frey  tag  (1891)  fand  in  dem  von  ihm  beschriebenen  Fall 
von  putrider  Bronchitis  und  Lungengangrän  das  Ende  der  Nagel- 
phalanx der  zweiten  Zehe  durch  kleine  Knochenwärzchen  ver- 
breitert, an  den  übrigen  Zehen  dagegen  nicht;  und  er  ist  auch 
geneigt,  die  Verdickung  an  der  zweiten  Zehe  auf  den  Druck  des 
Schuhwerks  zurückzuführen,  da  auch  er  bei  sehr  vielen  Menschen 
das  Endglied  der  zweiten  Zehe  verdickt  gefunden  hat.  Auf  die- 
selbe Ursache  möchte  er  auch  die  von  ihm  erwähnte  Knochenzacke 
an  der  großen  Zehe  beziehen. 

Weiter  soll  hier  noch  auf  die  Frage  eingegangen  werden,  die 
bereits  Trousseau  (1834)  angeschnitten  hat,  ob  nämlich  eine 
Abhängigkeit  zwischen  dem  Trommelschlägelfinger 
nnd  dem  Ernährungszustand  im  allgemeinen  besteht.    Er 


72  V.  Ebstbin 

betonte  ausdrücklich,  daß  die  Nagelkrümmung  der  Finger  nie  bei 
anderen  Kranken,  die  ebenfalls  infolge  chronischer  Leiden  abzehren^ 
vorkommt,  sondern  bloß  bei  Taberknlösen,  da  diese  auch  schon  bei 
ziemlicher  Wohlbeleibtheit  doch  schon  diese  mißgestalteten  Finger 
haben.  Daraus  zieht  er  auch  bereits  den  Schluß,  daß  die  hippokra- 
tischen  Finger  nicht  infolge  der  Abmagerung  der  Hand  erst  ent- 
stehen. Dagegen  scheint  L  a  €  n  n  e  c  (1837)  der  erste  gewesen  zu  sein, 
der  behauptet  hat,  daß  die  Krümmung  der  Nägel  in  dem  Schwunde 
des  Fettpolsters  ihren  Grund  habe;  er  schreibt:  „Les  articulations 
des  grands  os  et  Celles  des  doigts  paraissent  grossies,  k  raison  de 
Famaigrissement  des  parties  intermödiaires ;  et  les  ongles  m^mes 
se  recourbent  par  suite  de  Famaigrissement  de  l'extr^mit^  pulpeuse 
des  doigts.^  Darin  haben  ihm  später  —  offenbar  unabhängig  — 
F.  Niemayer  (1858),  C.  A.  Wunderlich  (1860),  H6rard  und 
Cornil(1867)  beigepflichtet;  ebenso  beziehen  v.  Li  eher  meist  er 
(1899)  und  Lenhartz  (1905)  die  klauenförmige  Krümmung  der 
Nägel  noch  „zum  großen  Teil"  auf  den  Fettverlust. 

Da  indes  die  Krümmung  der  Nägel  schon  zu  einer  Zeit  ein- 
tritt, wo  die  Abmagerung  noch  gar  nicht  in  den  Vordergrund  tritt 
und  die  Krümmung  sogar  noch  stärker  wird,  wenn  die  Nagelglieder 
sich  verdicken  (vgl.  Freytag,  p.  20),  so  müßten  bei  allen  mit 
Abmagerung  verbundenen  Krankheiten  derartige  mißbildete  Nägel 
auftreten.  Die  Trommelschlägelfinger  scheinen  also  mit  der  Ab- 
magerung in  keinem  direkt  ursächlichen  Verhältnis  zu  stehen. 

Die  Untersuchungen  von  Bamberger,  Möbius  und  anderen 
haben  gelehrt,  daß  man  die  sog.  Trommelschlägelfinger,  auch  wenn 
sie  nur  die  einzige  wahrnehmbare  Verändeioing  darstellen,  im  all- 
gemeinen bereits  als  milde  Form  oder  als  Anfangsstadium  der 
Osteoarthropathie  von  Marie  aufzufassen  hat.  Folglich  wird 
man  auch  die  ätiologischen  Momente,  die  man  für  die  Entstehung 
der  osteoarthropathischen  Finger  in  Anspruch  genommen  hat,  für 
die  gewöhnlichen  Trommelschlägelfinger  gelten  lassen  müssen. 

L.  Teleky  (1897)  stellte  auf  Grund  des  vorhandenen  Materials 
eine  neue  Gruppierung  der  Fälle  der  M  a  r  i  e 'sehen  Krankheit  nach 
ätiologischen  Momenten  zusammen,  und  nach  ihm  entsteht  das  be- 
treffende Krankheitsbild 

1.  nach  solchen  Erkrankungen,  bei  welchen  es  zu 
eiteriger  und  jauchiger  Zersetzung  im  Organis- 
mus   kommt:    Tuberculosis   pulmonum    (mit   Kavernen- 


Zur  kÜDischen  Geschichte  und  Bedeutung  der  Trommelschlägelfinger.     73 

bildung),  Bronchiektasien ,  Empyeme,  Cystopyelönephritis, 
Dysenterie ; 

2.  nach  Infektionskrankheiten  und  chronischen 
Intoxikationen:  Pneumonie,  Pleuritis,  Lues,  Alkoholis- 
mus (?); 

3.  bei  Herzfehlern,  besonders  angeborenen; 

4.  bei  malignen  Tumoren:  Lungensarkom,  Lungen- 
carcinom,  Parotissarkom ; 

5.  bei  Erkrankungen  des  Nervensystems:  Syringo- 
myelie,  Neuritis  (?). 

Obermayer  (1897)  hat  diesen  ätiologischen  Momenten  noch 
den  chronischen  Ikterus  beigefügt;  er  reiht  ihn  der  zweiten 
Gruppe  Teleky's  an. 

A.  Dennig  (1901)  führt  noch  die  Gastrektasie  ins  Feld, 
und  will  sie  der  ersten  oder  zweiten  Gruppe  Teleky's  einfugen. 

Im  Zusammenhange  mögen  nun,  nach  ätiologischen  Momenten 
geordnet,  die  hauptsächlichsten  Affektionen  besprochen  werden,  bei 
denen  eine  krankhafte  Veränderung  an  den  Endphalangen  der  Finger 
in  Erscheinung  zu  treten  pflegt. 

Erkrankungen  des  Respirationstraktus. 

Ich  beginne  mit  den  Erkrankungen  des  Kespirationstraktus, 
weil  man  dieselben  am  frühesten  mit  dieser  Difformität  der  Finger 
in  Verbindung  gebracht  hat. 

In  der  Einleitung  dieser  Arbeit  habe  ich  bereits  auf  die  Arbeit 
von  Pigeaux  (1832)  und  xJtgenrge  Ton  Truusseau  (1^34)  rer- 
wiesen. 

Trousseau  hat  ungefähr  hundert  Finger  von  Phthisikern 
untersucht  und  kam  auf  Grund  seiner  klinischen  Beobachtungen 
za  folgenden  Besultaten: 

„Ich  habe  keinen  einzigen  Kranken  an  der  Lungensucht  sterben 
sehen,  dessen  Finger  nicht  mehr  oder  weniger  jene  hippokratische 
Form  gezeigt  hätten,  doch  muß  ich  davon  eine  Frau  ausnehmen, 
die  von  der  galloppierenden  Schwindsucht  in  nicht  ganz 
vier  Wochen  dahingerafft  wurde.  Unter  den  Phthisikern,  die  schon 
seit  drei  Monaten  zum  wenigsten  an  allen  sichtbaren  Zeichen  der 
Phthisis  confirmata  litten,  hatte  beinahe  ^lo  ^^^  hippokratischen 
Finger.  Doch  beobachtete  man  diese  Besonderheit  etwa  nur  bei 
der  Hälfte  derer,  die  nur  an  den  rationellen  Zeichen  der  Lungen- 
sncht  litten. 


74  V    Ebbtsin 

Unter  einer  sehr  großen  Zahl  von  Personen,  die  kein  Zeichen 
der  Lnngensucht  mit  sich  herumtrugen,  hatten  nur  zwei  die  hippo- 
kratischen  Hände;  die  eine  war  ein  18 jähriges  Mädchen,  das  an 
einer  Herzkrankheit  starb  und  welches  in  den  Lungen  nur  einige 
isolierte,  nicht  erweichte  Tuberkeln  hatte,  die  andere  war  ein 
junger  Mann,  der  bis  jetzt  sich  noch  einer  vollkommenen  Gesund- 
heit erfreut. 

Die  hippokratische  Entwicklung  der  letzten  Phalanx 
tritt  gewöhnlich  ohne  Schmerzen  auf,  sie  beginnt  in  der  Begel  am 
Daumen  und  Zeigefinger  der  rechten  Hand ;  dann  kommen  dieselben 
Finger  der  linken  Hand,  und  später  die  anderen  Finger  nach  ihrer 
natürlichen  Reihe.  Der  kleine  Finger  hat  oft  noch  seine  normale 
Form,  wenn  schon  alle  anderen  Finger  mißgestaltet  sind. 

Obiges  zusammengefaßt,  gibt  folgende  Resultate: 

A.  Die  hippokratische  Form  der  Finger  ist  beinahe  eine  aus- 
schließliche Eigenheit  der  Tuberkulösen. 

B.  Nicht  alle  Tuberkulösen  haben  eine  hippokratische  Hand, 
aber  alle,  die  sie  haben,  sind  tuberkulös  bis  auf  wenige  Ausnahmen. 

C.  Bei  einem  tuberkulösen  Individuum  ist  die  hippokratische 
Form  der  Finger  um  so  mehr  ausgesprochen,  je  länger  er  schon  an 
dieser  Krankheit  leidet. 

Anwendung  für  die  Klinik. 

Seit  Bekanntmachung  der  Untersuchungen  des  Dr.  Pigeaux 
und  seitdem  ich  mich  selbst  mit  dieser  Sache  genauer  beschäftigte, 
konnte  ich  in  einer  großen  Zahl  von  Fällen  eine  tuberkulöse 
Phthisis  diagnostizieren,  wenn  auch  noch  alle  gewöhnlichen  Zeichen 
dieses  traurigen  Leidens  iehlten,  und  im  Gegenteil,  wenn  chronische 
Katarrhe  mit  Erschlaffung  der  Bronchien  und  Fieber  unter  den 
gewöhnlichen  Zeichen  der  Phthisis  auftraten,  konnte  ich  das  Dasein 
der  Tuberkeln  verneinen,  wenn  die  Hand  die  hippokratische  Form 
nicht  hatte. 

Dieses  Zeichen  ließ  mir  mehreremale  bei  Pleuresien,  Bauch- 
fellentzündungen und  chronischen  Diarrhöen  die  Ursache  in  vor- 
handenen Tuberkeln  erkennen  und  mehrmals  konnte  ich  einen  töd- 
lichen Ausgang  dieser  Krankheit  vorhersagen,  wenn  die  Finger 
mißgebildet,  sonst  aber  noch  beunruhigendes  Zeichen  vorhanden 
war;  während  ich  immer  auf  Besserung  hoffte  und  mich  darin  auch 
selten  betrog,  wenn  bei  viel  bedenklicheren  Symptomen  die  Hand 
keine  hippokratische  war." 

Diese  Trousseau'schen  Thesen  sind  in  den  folgenden  Jahren 


Znr  klinischen  Geschichte  und  fiedentnng  der  Trommelschlägelfinger      75 

bereits  eingeengt  worden.  So  resflmierte  B landin:  „Man  weiß 
hente,  da£  sich  die  Krammangen  der  Nägel  nicht  nar  bei  Phthise, 
sondern  auch  bei  allen  chronischen  Krankheiten,  in  denen  die  Ab- 
magemng  extrem  wird,  bemerklich  machen.^ 

So  war  der  Stand  der  Frage,  als  Max  Vernois  (1839)  eine 
sehr  fleißige  Arbeit  veröffentlichte,  deren  Resultate  sich  aaf  die 
Beobachtang  von  276  Kranken  stützten: 

1.  Bei  einer  unbestimmten  Zahl  von  Kranken,  an  welcher 
Affektion  sie  auch  leiden  mögen,  findet  man  wenigstens  einmal  bei 
drei  Fällen  Krfimmnngen  der  Nägel. 

2.  Bei  der  tuberkulösen  Phthise,  den  Skrofeln  und  chronisclien 
Affektionen  wird  die  Form  der  Nägel  ganz  positiv  beeinflußt  Dieser 
Einfluß  ist  indes  weder  ein  absoluter,  noch  ein  notwendiger,  da 
man  eine  hinreichend  große  Menge  von  Ausnahmen  davon  sieht. 

3.  Frauen  zeigen  diese  Difiormität  häufiger  als  Männer,  ge- 
wöhnlich dreimal  mehr,  da  sie  überhaupt  tuberkulösen  Affektionen 
häufiger  ausgesetzt  sind. 

4.  Im  Alter  von  10—30  Jahi^en  findet  man  die  Affektion  am 
häufigsten;  vom  1.— 10.  Lebensjahr  ist  sie  ebenso  häufig  als  jede 
andere  Veränderung  an  den  Nägeln,  vom  30.— 70.  Jahre  beobachtet 
man  sie  weniger  häufig.  Das  mittlere  Alter  zwischen  10  und  30, 
in  denen  man  sie  beobachtet,  ist  mit  17  und  12  Jahren. 

5.  Der  Beruf  der  Kranken  scheint  ohne  Einfiuß  zu  sein. 

6.  In  Vs  der  Fälle  fällt  die  Krümmung  der  Nägel  mit  einer 
bedeutend  ausgebildeten  lymphatischen  Konstitution  zusammen : 
weiße,  glatte  und  anämische  Haut,  blonde  Haare,  blaue  oder  braune 
Augen,  sehr  lange  Augenwimpern,  bläuliche  Sklera  und  schwache 
Muskeln. 

Julius  Heller  (1900)  hat  die  Angaben  von  Vernois  einer 
modernen  Kritik  unterzogen,  und  man  darf  ihm  wohl  beipflichten, 
wenn  er  sagt,  daß  die  Angaben  über  den  diagnostischen  und  pro- 
gnostischen Wert  der  hippokratischen  Nägel  heute  wohl  fast  nur 
noch  historisches  Interesse  besitzen.  Pigeaux  wagt  sogar,  den 
Ausspruch  zu  tun,  daß  es  für  eine  Frau  prognostisch  ungünstiger  sei, 
1—2  Hämoptoen  gehabt  zu  haben,  als  die  hippokratische  Nagel- 
krümmung. 

Übrigens  gibt  Heller  eine  ausgezeichnete  Abbildung  der 
phthisischen  Nagelkrümmung,  kompliziert  mit  Troramelschlägel- 
fingem;  vgl.  auch  die  Abbildung  bei  M ei  11  et  1.  c.  Tafel  III  Fig.  5, 
die  ich  wieder  reproduziere  (s.  Abbildung  1). 


76  V.  Ebstsih 

C.  Mettenheimer  (1885)  hat  seine  Erfahrangen  fiber  die 
Kolbenfini^er  (Froschfinger)  in  einer  kleinen  Arbeit  niedergelegt, 
die  betitelt  ist  „der  partielle  Riesenwuchs  als  vorübergehende 
Krankheitserscheinung^;  er  hält  die  kolbenartige  Mißstaltung  der 
Finger  keineswegs  für  pathognomonisch  für  die  Lungenschwind- 
sucht,  betont  indes,  daß  die  Difformität  sich  ungemein  häufig  mit 

jener  Krankheit  verbindet.  Wenn  Mettenheimer 
Abb.  1.  ^^^  ^^^^  Beobachtung  von  London  (Mitteilungen 
aus  den  Leprösenhütten  aus  Jerusailem)  verweist, 
in  der  es  übrigens  nur  heißt  „sämtliche  Finger-t 
spitzen  sind  kolbig  verdickt'^  so  läßt  sich  daraus 
jedenfalls  nicht  ersehen,  ob  wir  es  mit  Verände- 
rungen zu  tun  haben,  die  den  Kolbenfingern  gleich 
zu  setzen  sind.  Eine  derartige  Veränderung  scheint 
für  die  Lepra  übrigens  nicht  charakteristisch  zu 
sein(vgl.  J.Heller  1.  c.  S.  171f.). 

Was  Mettenheime r's  eigene  Beobachtungen 
anlangt,  so  sah  er  zweimal  die  Pädarthrokake 
die  letzte  Phalanx  ergreifen,  und  dieser  An- 
blick erinnert  ihn  an  4ie  Kolbenfinger  der  Phthisiker;  das 
eine  Mal  war  die  letzte  Phalanx  des  Daumens,  das  andere  Mal 
die  letzte  Phalanx  des  vierten  Fingers  betroffen.  Im  letzteren 
Fall  war  die  Endphalanx  mindestens  noch  dreimal  so  breit,  als 
gewöhnlich;  dementsprechend  hatte  der  Nagel  eine  ganz  abnorme 
Größe ;  sonst  war  das  Nagel-  und  Hautgewebe  ganz  normal  gebildet. 
Mettenheimer  sah  ebenfalls  die  Kolbenfinger  und  -zehen  ent- 
stehen und  sich  zurückbilden;  es  handelte  sich  um  ein  3 jähriges 
Mädchen,  welches  an  einer  verschleppten  linksseitigen  Pneumonie 
litt  (keine  Tuberkulose!).  Die  Krankheit  währte  etwa  9  Monate; 
das  Kind  kam  herunter,  wurde  hydropisch.  Die  Atemnot  war  lange 
Zeit  sehr  groß,  die  ausgesprochensten  Difformitäten  an  den  End- 
phalangen traten  in  Erscheinung.  „Nach  vielem  Medizinieren  und 
langem  geduldigem  Warten  verlor  sich  eines  der  beunruhigenden 
Symptome  nach  dem  anderen,  auch  die  Finger  und  Zehen  nahmen 
wieder  ihre  natürliche  Gestalt  an,  kurz,  das  Kind  wurde  völlig 
wiederhergestellt." 

Von  den  modernen  Klinikern  hat  besonders  Gerhardt  den 
Trommelschlägelfingern  seine  Aufmerksamkeit  zugewandt;  auch  er 
fand  sie  bei  sehr  vielen  Tuberkulösen,  mitunter  als  sehr  früh- 
zeitiges Zeichen,  hält  sie  indes  für  eine  minder  auffallende  Ver- 
änderung als  die  bronchiektatischen  Finger,   auf  die  wir  später 


Zar  klinischen  GeBchichte  nnd  Bed^ntung  der  Trommelschlägelfinger.     77 

zurückkommen  weräen.  Ob  sie  Gerhardt' für  charakteristisch 
—  was  Cornet  (1899)  übrigens  nicht  tut  — ^  ansieht,  geht  aus 
seinen  Bemerkungen  nicht  hervor. 

Nach  Gerhardt  gehören  zu  den  phthisischen  Fingern  i.  die 
kolbige  Verdickung  der  Nagelglieder  und  2.  die  konvexe  Krümmung 
der  Nägel.  Was  ihre  Entstehung  anlängt,  so  hängen  sie  vielleicht 
«ehr  mit  den  Bronchiektasen  des  Oberlappens,  als  mit  der  Tuber- 
kulose selbst  zusammen.  „So  oft  sie  sich  findet,^  resümiert 
Gerhardt,  „dürfte  eine  sehr  genaue  Untersuchung 
der  Lungenspitzen  nicht  zu  versäumen  sein."  Die  An- 
gabe von  Walshe,  daß  die  Verdickung  der  Nagelglieder  auf 
der  Seite  der  alleinigen  oder  vorgeschrittenen  Lungenerkrankung 
starker  entwickelt  sein  könne,  fand  Gerhardt  sowohl  bei  Tuber- 
kulösen als  bei  Bronchiektatikern  hier  und  da  bestätigt.  Bei  einem 
33jährigen  Mann  (K.  A..  Oktober  *1905.  Med.  Klinik  Göttingen), 
xler  an  Phthisis  pulmonum  litt  und  deutliche  Kavernensymptome 
zeigte,  konnte  ich  den  gleichen  Befund  erheben.  Die  im  ganzen 
ziemlich  großen  Hände  zeigten  eine  auffällige  Verdickung  der 
Endphalangen,  die  der  Patient  selbst  hatte  entstehen  sehen.  Der 
größte  Umfang  der  Endphalangen  des  linken  Mittelfingers  betrug 
5,3  cm;  sie  waren  leicht  cyanotisch  verfärbt,  links  stärker  als 
rechts.  Auf  der  linken  Seite  bestanden  auch  die  bei  weitem  stärker 
•ausgeprägten  Lungenerscheinungen. 

Weiter  glaubt  Gerhardt,  ließe  sich  die  Mißstaltung  der 
JFinger  noch  mit  Eiterungsprozessen  in  den  Luftwegen  in  Ver- 
bindung bringen.  „Ist  doch  das  erste  reichlichere  Blutspeien  Tuber- 
Jiulöser  jederzeit  schon  Kavernensymptom,  seien  die  Hohlräume, 
aus  denen  es  stammt,  auch  noch  so  klein.^ 

Gerhardt  stellte  schließlich  noch  folgenden  Satz  auf,  der 
jdifferentialdiagnostische  Bedeutung  haben  dürfte :  „Recht  aus- 
gesprochene Trommelschlägelfinger,  d.  h.  mehr  kugelig  verdickte 
.kurze  Nagelglieder  lassen  auf  Bronchiektasie,  dagegen  lange,  wenig 
verdickte,  gewölbte  Nagelglieder  auf  Tuberkulose  schließen." 
-Wenigstens  habe  ich  die  Behauptung  Gerhardts  in  einer  Reihe 
von  Fällen  bestätigen  können.  Der  eine  Fall  betraf  eine  54  jährige 
JFrau  M.  G.  (Med.  Klinik  Göttingen)  August  1905;  sie  erkrankte 
•vor  3  Monaten  an  Pleuritis,  eriiolte  sich  seitdem  nicht  mehr, 
taagerte  ab,  kein  Appetit.  Links  hinten  retr^cissement  thoracique. 
.Bronchiektasen  mit  typischem  Sputum,  geringe  Arteriosklerose. 
tAm  Herzen  keine  Veränderungen  nachzuweisen:  Die  Diagnose 
lautete:  Linksseitige  Lungenschrumpfung  nach  Pleu- 


78  V.  Ebbtbin 

ritis.  Bronchiektasienbildang  im  linken  unteren 
Lungenlappen.  Trommelschlägelfinger.  Was  die  letzteren 
anlangt,  so  hatten  die  Endphalangen  ein  kolbig  verdicktes  Aus- 
sehen; die  Nägel  waren  gerieft  und  ein  wenig  volarwärts  ge» 
krfimmt 

Ein  anderer  Fall,  den  ich  im  August  1905  beobachten  konnte, 
betraf  einen  9jährigen  Jungen.  Klinische  Diagnose:  Dystrophia 
musculorum  progi^essiva.  Infiltration  der  rechten  Lunge  hinten 
unten,  und  klingende  Rasselgeräusche.  Am  Herzen  keine  Ver- 
änderungen nachweisbar.  Die  Form  der  Finger  entspricht  ganz 
der  von  Gerhardt  beschriebenen:  die  Endphalangen  sind  wenig 
verdickt,  am  stärksten  die  Pulpa;  die  Nägel  sind  dagegen  stark 
gewölbt  in  beiden  Durchmessern.  Im  ganzen  machen  die  Finger 
des  Jungen  indes  einen  schlanken  und  zierlichen  Eindruck.  An  den 
Füßen  bestehen  Trommelschlägelzehen.  Daß  diese  indes  nicht  etwa 
auf  mechanischem  Druck  des  Schuhwerks  usw.  zu  beziehen  ist,  — 
wie  es  oft  vorkommt,  und  wie  ich  oben  auch  betont  habe  (p.  71) 
—  zeigt  die  Krankengeschichte  des  kleinen  Patienten,  der  seit 
seinem  zweiten  Lebensjahre  allmählich  das  Gehen  verlernte,  und 
seit  1902  völlig  bettlägerig  ist  wegen  der  an  den  beiden  Beinen 
bestehenden  Kontrakturen. 

Besonders  stark  entwickelt  fand  ich  die  Trommelschlägelform 
des  Daumens  bei  einer  27jährigen  Frau,  bei  der  die  klinische 
Diagnose  lautete :  „Pleuritis  adhaesiva  duplex  mit  Bronchiektasien- 
bildungen  und  Infiltration  beider  Lungen.  Amyloid  der  Bauch- 
organe."  (Med.  Klinik  in  Göttingen.  Hermine  Gundelach.  Jan  aar 
1906.)  Wie  die  beigegebene  Abbildung  2  zeigt,  sind  die  End- 
phalangen der  übrigen  Finger  in  toto  auch  deutlich  verdickt,  zeigen 
aber  im  ganzen  einen  mehr  länglichen  Typus.  Die  Nägel  der 
Endphalangen  zeigen  eine  leichte  Krümmung.  Das  Böntgenbild 
ergab  einen  normalen  Befand.  West  (1.  c.)  hat  bei  hochgradigen 
Trommelschlägelfingern  auch  die  Beobachtung  gemacht^  daß  be- 
sonders der  Daumen  und  Zeigefinger  in  Mitleidenschaft  gezogen 
werden;  bei  geringeren  Graden  werden  alle  Endglieder  in  an- 
nähernd gleich  starker  Weise  befallen. 

Noch  im  Jahre  1877  mußte  Kühle  bei  Beschreibung  der  Sym- 
ptome der  Lungenschwindsucht  betrefiis  des  Zustandekommens  der 
Fingerdifformität  einfach  bekennen:  „Erklärungen,  außer  der,  daß 
der  verhinderte  Venenblutrückfiuß  auch  hier  herbeigezogen  wird, 
einigermaßen  bei  den  Haaren,  sind  mir  nicht  bekannt"  Seitdem 
scheint  die  Stauungshypothese  sich  keiner  großen  Beliebtheit  mehr 


Zur  klinitehen  Ge§cbicbte  nnd  Bedentnng  der  Trommelschlftgelflnger.      79 

zn  erfreoen,  wenn  man  aach  wohl  oder  Qbel  in  mancben  Fällen 
zn  ihr  wieder  ihre  Zaflncht  nahm.  So  mußte  sieb  Gerhardt 
bei  einer  Kranken,  bei  der  durch  G^eschwulst  des  Hittelfells 
wassersftcht^e  Anschwellung  des  rechten  Armes,  Stauung  in  der 
rechten  Drosselvene  bestand,  nnd  dabei  viel  stärker  entwickelte 
Trommelscblägelftnger  an  der  rechten  Hand  als  an  der  linken, 
sich  diese  Verdickung  durch  Venenstauang  erklären. 

Abb.  2. 


Auch  Liebermeister  (1887)  schreibt  der  Stauung  die  Haupt- 
rolle zu;  er  erwähnt,  dafi  £ranke,  bei  denen  schon  in  der  Jugend 
interstitielle  Pneamonie  entstanden  ist,  oft  als  Folge  der  andauern- 
den mäßigen  Zirkulationsstörung  neben  einem  gewissen  Qrade  von 
Cjanose  Trommelschlägelfinger  haben;  weiter  betont  er,  daß  diese 
VeräDdemngen  an  den  Endphalangen  —  durch  Beteiligung  der 
Beeinträchtigung  der  Zirkulation  hervorgerufen  —  hauptsächlich 
bei  interstitieller  Pneumonie,  „sowohl  wenn  diese  zu  sackartiger 
Bronchiektasie  geführt  hat,  als  auch  wenn  sie  in  ausgedehnter 
Weise  neben  Tuberkulose  vorhanden  ist",  vorkommen. 

E.  Bamberger  (1889  and  1891)  war  wohl  mit  der  erste,  der 
die   Stanangshypothese   durch   eine    Art   Toxinbypothese    ersetzen 


80  V.  Ebstein 

^wollte.  Er  glaubte  als  Ursache  der  Fingerdiflfonnität  —  speziell 
bei  Bronchiektasien  —  ein  aus  dem  bronchiek tauschen  Sekrete 
stammendes  chemisches  Agens  annehmen  zu  sollen,  welches  äbnlicli 
wie  Phosphor  und  Arsen  auf  die  Knochen  einwirken  sollte.  Indes 
mußte  er  für  die  bei  angeborenen  Herzfehlern  vorkommenden  Trommel- 
schlägelflnger  auch  auf  die  Stauung  rekurrieren. 

Jedenfalls  scheinen  die  von  Bamberger  bei  chronischen 
Lungen-  und  Herzkrankheiten  beschriebenen  Knochenveränderungen 
recht  selten  vorzukommen ;  sie  sind  bestätigt  worden  und  fast  immer 
als  Übergangsstadien  zur  M  a r  i  e 'sehen  Krankheit  aufgefaßt  worden. 

Lenhartz  ist  es  auch  nicht  unwahrscheinlich^  daß  die  Ver- 
anderu^*  der  Endphalangen  bei  Bronchiektatikern,  ebenso  wie  die 
seltene^  vorkommenden,  von  Bamberger  beschriebenen  Ver- 
dickungen an  den  Enden  der  Unterarme  und  Unterschenkel  auf 
die  jahrelange  Resorption  gewisser  Eiterstoffe  (Toxine)  zurück- 
:2uführ4n  sei.*) 

Gerhardt  hat  sich  in  den  Fällen,  in  denen  sich  tüchtige 
Trommelschlägelfinger  finden,  und  wo  nur  einzelne  Bronchiektasien, 
aber  keine  erhebliche.  Lungenschrumpfung  nachweisbar  waren, 
mehr  ^gunsten  der  Annahme  einer  chemischen,  einer  Art  von  Gift- 
wirkunjg  des  Kaverneninhaltes  als  Ursache  dieser  ganzen  Reihe  von 
Ernähi^ngsstörungen  ausgesprochen. 

Eijne  ähnliche  chronische  Toxinwirkung  nahm  Krüger  (1905) 
in  einem  Falle  von  Marie 'scher  Krankheit  an,  der  eine  52  j.  Frau 
betraf,!  die  an  einem  inoperablen  Mammacarcinom  litt  und  Ver- 
änderungen am  Knochensystem  darbot,  die  besonders  in  periostalen 
Auflagierungen  und  Veränderungen  der  inneren  ^Knochenstruktur 
bestanden,  welche  sich  im  Laufe  von  zwei  Jahren  entwickelt  hatten. 
Krüger  nahm  an,  daß  die  Giftwirkung  entweder  von  der  malignen 
Neubildung  selbst  oder  von  der  durch  dieselbe  geschädigten  Lunge 
ausgegangen  war. 

In  dem  Fall,  den  Denn  ig  (1901)  beschrieb,  hatten  sich  die 
Trommelschlägelfinger  bei  einer  gewöhnlichen  Gastrektasie,  welcher 
ein  vernarbtes  Ulcus  ventriculi  am  Pylorus  zugrunde  lag,  ent- 
wickelt; bis  auf  den  heutigen  Tag  ist  meines  Wissens  ein  ähnlicher 


1)  H.  Schmidt  (1891)  beobachtete  die  Entwicklung'  von  Trommelschl^el- 
fingern  bei  einem  Fall  von  öfter  rezidivierendem  Gelenkrheamätismns,  nnd  zwar 
unter  eigentümlich  stechenden  Schmerzen ;  in  der  Erklärung  dieses  Falles  schließt 
•er  sich  der  Annahme  Ton  P.  Marie  an,  daß  diese  Difformität  durch  die  Resorp- 
tion toxischer  Stoffe  entstanden  und  sich  auch  ohne  vorausgegangene  -Lungen- 
«rkrankung  entwickeln  könne. 


Zur  klinischen  Geschichte  und  Bedeutung  der  Trommelschlägelfinger.     gl 

Fall  nicht  publiziert  worden.  Wenn  Denn  ig  aus  dem  Verlauf 
des  Falles,  der  nach  der  Operation  eine  vollständige  Bück- 
bildung der  Trommelschlägelfinger  ergab,  sich  den  ursächlichen 
Zusammenhang  zwischen  der  Magenerweiterung  und  der  Finger- 
dittbrmität  in  der  Art  denkt,  daß  der  zersetzte  Mageninhalt  ins 
Blut  gelangt,  und  dieser  auf  dieselbe  Weise  wirkt  wie  die  putriden 
Stoffe  der  Bronchiektatiker ,  so  möchte  ich  nur  darauf  hinweisen, 
daß  mir  dieses  Moment  nicht  hinreichend  genügend  erscheint,  um 
die  Formveränderung  an  den  Fingern  zu  erklären.  Wir  hatten 
vorher  gesehen,  daß  Trommelschlägelfinger  auch  bei  Kachektischen 
vorkommen,  und  ich  glaube,  daß  in  dem  Dennig'schen  Falle,  in 
welchem  der  kachek tische  Patient  (Carcinom?)  bereits  2Vt  Monate 
nach  der  Pylorusresektion  30  Pfund  zugenommen,  und  sein  Hämo- 
globingehalt in  dieser  Zeit  von  35  7o  ^^^  ^^  %  gestiegen  war,  die 
Rückbildung  der  Fingerdifformität  zum  guten  Teil  auch  diesem 
Moment  zuzuschreiben  ist. 

Gegen  die  Stauungshypothese  spricht  allerdings  das  wenig 
konstante  Auftreten  der  Diffbrmität  bei  der  Mehrzahl  der  er- 
worbenen Herzfehler,  dem  Lungenemphysem  usw.  Die  Toxintheorie 
versagt  aber  auch,  wie  Gerhardt  mit  Recht  betont,  wenn  die 
kolbigen  Nagelglieder  auch  bei  gesunder  Lunge  bei  gewissen  an- 
geborenen Herzkrankheiten  sich  finden,  die  mit  Blausucht,  d.  h. 
mit  starker  Überfüllung  der  Körpervenen  einhergehen. 

Nach  M.  B.  Schmidt's  (1.  c.  p.  940)  Ausführungen  scheinen 
besonders  zwei  Momente  der  Osteoarthropathie  und  den  einfachen 
Trommelschlägelflngern  zugrunde  zu  liegen,  die  toxische  Wirkung 
und  die  chronische  Stauung.  „Man  wird  sich  nur  fragen  können, 
ob  beide  sich  in  der  Weise  verknüpfen  lassen,  daß  man  den  be- 
treffenden toxischen  Einflüssen  eine  stauungserregende  Einwirkung 
auf  die  Zirkulation  zuspricht.^ 

Lides  muß  hier  bemerkt  werden,  daß  Bamberger 's  Versuche, 
seine  Toxinhypothese  experimentell  zu  stützen,  negativ  ausgefallen 
sind :  er  injizierte  von  drei  ganz  jungen  Kaninchen  desselben  Wurfs 
zweien  5—6  Wochen  lang  täglich  eine  größere  Quantität  bronchi- 
«ktatischen  Sputums  ins  Rektum;  aber  die  Knochen  der  Versuchs- 
tiere glichen  denen  der  Kontrolltiere  vöUig. 

Vielleicht  ist  die  Zeit  zu  kurz  gewesen,  um  die  geforderten 
Knochen  Veränderungen  hervorzubringen:  derartige  Versuche  sind 
meines  Wissens  nie  —  auch  nicht  modifiziert  —  wiederholt  worden. 

Trotzdem  glaubt  Bamberger,  daß  gewisse  klinische  Er- 
fahrungen mit  der  Annahme  eines  chemisch  wirkenden  Agens  wohl 

DeaUches  Archiv  fär  klin.  Mediein.    R9.  Bd.  6 


8^  V.    £b8TSIN 

vereinbar  seien.  So  hebt  er  die  Tatsache  hervor,  daB  bei  Em- 
pyemen, florider  Phthise  und  akut  sich  entwickelnden  Bronchiektasien 
sich  auch  die  Troromelschlägelflnger  in  kurzer  Zeit  ausbilden  können, 
ferner,  daß  diese  gerade  bei  denjenigen  Lnngenerkrankungen  am 
häufigsten  sind,  bei  denen  große  Eitermassen  in  intensiver  Zersetzung 
begriffen  sind  wie  bei  Bronchiektasien,  Empyemen  mit  Fisteln. 

Diese  Erfahrungen  sind  klinisch  oft  bestätigt  worden.  Ich 
erinnere  nur  an  den  von  S.  West  (1896)  beschriebenen  Fall:  Bei 
einem  36  j.  Mann,  an  Empyem  leidend,  entwickelten  sich  nach  sechs- 
wöchentlichem  Kranksein  d.  h.  3  Wochen  vor  der  Operation  plötz- 
lich stark  ausgebildete  Eeulenflnger  in  höchstens  14  Tagen,  und 
zwar  an  allen  Fingern,  nicht  an  den  Zehen.  Bereits  nach  3  Monaten 
war  die  Fingerdifformität  verschwunden.  Es  bestanden  dabei  nur 
geringe  Atembeschwerden,  keine  Cyanose  und  keine  Zirkulations- 
störung; einen  ähnlichen  Fall  hat  F.  Lacher  (1901)  publiziert; 
ebenfalls  3  Monate  nach  der  Empyemoperation  waren  die  Trommel- 
schlägelflnger  zurfickgebildet.  Vor  der  Operation  betrug  der  Quer- 
durchmesser des  rechten  Danmennagelgliedes  3,2,  des  linken  3,3; 
nach  der  Operation  maßen  die  betreffenden  Glieder  2,7  und  3  cm. 

Eine  ähnliche,  an  sich  selbst  gemachte  Beobachtung  über  Ent^ 
stehung  hippokratischer  Nägel  nach  Empyem  teilte  Herr  Dr.  Tollet 
aus  Helsin^ors  J.  Heller  (1.  c.)  mit. 

„Der  Patient  litt  März  1897  an  einer  Influenzapneumonie,  an 
die  sich  ein,  6  Wochen  lang  nicht  diagnostiziertes,  linkssei tige» 
Empyem  anschloß.  Während  dieser  Zeit  wurden  die  Fingerkuppen 
dicker,  die  Nägel  begannen  sich  in  der  Längsrichtung  zu  krümmea 
und  die  Form  anzunehmen,  die  man  bei  Kranken  mit  großen  Bronchi- 
ektasien konstatieren  kann.  Im  Mai  wurde  eine  Rippenresektion 
ausgeführt;  die  nach  der  Operation  verbleibende  Fistel  schloß  sich 
erst  nach  11  Monaten.  Erst  in  der  letzten  Zeit  der  Rekonvaleszenz, 
kehrten  die  Nägel  wieder  zur  Norm  zurück.  Bronchiektasien  waren 
bei  dem  Kranken  nicht  zu  konstatieren,  es  bestanden  nur  in 
der  gesunden  Lunge  die  gewöhnlich  vorhandenen  Kompensations- 
erscheinungen. Zur  Zeit  (November  1898)  sind  die  Nägel  des  Pa- 
tienten, wie  ich  (Heller)  mich  selbst  überzeugte,  durchaus  normal.^ 

Einen  interessanten  Fall  von  Lungengangrän  hat  Metten- 
heim er  beobachtet;  bereits  im  Anfang  der  Erkrankung  bildeten 
sich  bei  dem  Patienten  Kolbenflnger  und  -zehen  mit  Kuppennägeln 
aus.  Etw:a  5  Jahre  später  traten  periodische  Anschwellungen 
des  einen  Armes  auf,  deren  Zusammenhang  mit  der  Verdickung^ 
der  Endphalangen  Mettenheimer  für  wahrscheinlich  hält 


Zur  klinischen  Geschichte  und  Bedeutung  der  Trommelschlägelfinger.     gg; 

Ghorch  (vgl.  West  1.  c.  p.  64)  beobachtete  eine  rasche  Ent- 
wicklutig  der  Difformit&t  and  ein  ebenso  schnelles  Verschwinden* 
n  der  Bekonyalescenz  bei  einem  Langenabszeß. 

In  nicht  geringerem  Grade  als  in  der  Lunge  sich  abspielende 
tuberkulöse  Prozesser  scheinen  Bronchiektasien  das  Zustandekommen 
der  Trommelschlägelfinger  zu  begünstigen. 

Nach  Biermer  (1865)  kann  sich  die  „kolbige  Form  der  Finger- 
nägel  bei  der  Bronchiektasie  ziemlich  rasch  entwickeln."  Mehrere 
intelligente  Patienten  gaben  Bamberger  selbst  an,  daß  sie  die  Er^ 
scheinungen  an  den  Extremitäten  (schmerzhafte  Verdickungen)  zu 
derselben  Zeit  bemerkt  hätten,  als  das  früher  geruchlose  Sputum 
fötide  geworden  sei.  Einer  bemerkte  dies  4  Jahre,  ein  anderer 
1  Jahr  nach  dem  Auftreten  des  f5tiden  Sputums. 

Am  ausf&hrlichsten  hat  sich  Gerhardt  über  die  Beziehungen 
der  Trommelschlägelfinger  zur  Bronchiektasie  und  Tuberkulose  ge- 
,  äußert;   er   ist  der  Ansicht,   daß  sich  die  trommelschlägelartige 
Verdickung  der  Nagelglieder  der  Finger  bei  keiner  anderen  Krank- 
heit stärker   und  entstellender   entwickle,  als  bei    der  Bronchi- 
ektasie, und  betont,  daß  sie  an  den  noch  wachsenden  Fingern  der 
Kinder  noch  mehr  hervortrete.    Gerhardt  sieht  übrigens  in  ihnen 
das  Anfangsglied  einer  Reihe  von  Folgen,  die  in  den  von  ihm  selbst 
beschriebenen  Gelenkerkrankungen  der  Bronchiektatiker  (Rheuma- 
toid), in    den  von    E.  v.  Bamberger  beschriebenen    Knochen- 
auftreibungen  ihre  Fortsetzung,  und  in  der  Ma  r  i  e' sehen  Osteoarthro- 
pathie ihren  Schluß  finden.     Auch  an  den  Zehen  sah  Gerhardt 
ähnliche  Veränderungen  angedeutet.  Ebenso  sah  Marfan  (1.  c.  S.  377) 
in  der  Marie' sehen  Krankheit  gewissermaßen  nur  das  erste  Sta- 
dium der  Trommelschlägelfinger,  wie  sie  bei  der  Bronchiektasie 
vorkommen.    Nach  ihm  können  in  den  späteren  Stadien  die  Finger 
wahrhafte  Klauenform  annehmen;  die  Handgelenke  sind  dabei  ver- 
dickt, die  Zehen  haben  Glockenschlägelform  (en  battant  de  cloche) 
(s.  Abbildung  3  nach  E.  G6raud  1.  c).    Zusammenfassend  sagt 
Marfan,  daß  sich  die  hippokratischen  Finger,  ebenso  wie  bei  der 
Marie'schen  Krankheit  bei  allen  Leiden  finden,  die  die  Blutbil- 
dung stören  (Bronchitis,  Tuberkulose,  Cyanose). 

Erkrankungen  der  Leber. 

Erst  verhältnismäßig  spät  hat  man  die  trommelschlägelförmigen 

Fingerendphalangen  mit  Erkrankungen   der  Leber  in  Beziehung 

gesetzt.     Bei  dem  von  M.  Flückiger  (1884)  aus  der  Kußmaul- 

schen  Klinik  berichteten  Fall,   bei  welchem  chronische  Verände- 

6* 


84 


y.  Ebbtsin 


rungen  an  den  Lungen  oder  am  Herzen  nicht  nachzuweisen  waren, 
mag  die  durch  eine  Lebercirrhose  bedingte  Zirkulationsstörung 
als  Ursache  für  die  Erweiterung  der  Unterleibs-  und  Ösophagus- 
venen  angesehen  werden.  Für  die  Dilatation  der  übrigen  Körper- 
yen en  und  der  Lungenyenen  und  die  intra  vitam  verursachten 
Stauungserscheinungen,  die  hochgradige  Cyanose  und  die  kolben- 
förmigen Fingerphalangen  konnte  ein  sicheres  ätiologisches  Moment 
um  so  weniger  angegeben  werden,  als  Veränderungen  in  der  Struktur 
der  Gefäße  nicht  gefunden  wurden. 

Abb.  3. 


Vor  allem  seit  dem  Jahre  1 895  ist  besonders  in  der  französischen 
Literatur  zuerst  von  Gilbert  und  F  o  u  r  n  i  e  r  auf  die  mit  der  biliären 
Cirrhose  öfter  einhergehenden  Veränderungen  der  Fingerendphalangen 
hingewiesen  worden;  die  ersten  3  Fälle  betrafen  Kinder;  in  England 
bestätigten  Taylor  (1897)  und  Smith  (1898)  diese  Befunde. 

Boutron  (1899)  hat  diese  Beziehungen  in  seiner  Pariser 
Dissertation  klargelegt  und  darauf  hingewiesen,  daß  man  durch 
Berücksichtigung  der  Fingerveränderungen  besonders  auf  die  ju- 
venilen Formen  der  Lebercirrhose  aufmerksam  geworden  sei,  die 
wesentliche  Unterschiede  von  der  bei  Erwachsenen  beschriebenen 
aufweise. 

Im  Jahre  1902  stellten  Gilbert  und  Lerchoullet  bereits 
40  solcher  Fälle  zusammen,  in  denen  die  eigentümlichen  Finger- 
veränderungen mit  biliärer  Cirrhose  kompliziert  waren,  für  deren 
Ursprung  sie  weder  Herz-  noch  Lungenkrankheiten  verantwortlich 
machen,  sondern  sie  für  eine  Folge  der  Leberveränderung  erklären. 
Wie  die  Radiogramme  und  die  Sektion  gezeigt  haben,  beschränkt 


Zur  klinischen  Geschichte  und  Bedentnng  der  Trommelschlägelftnger.      85 

sieh  der  Prozeß  an  den  Fingern,  ansschließlich  anf  die  Weichteile 
der  Fingerkuppen  ohne  Beteiligung  der  Knochen,  die  hier  und  da 
nur  in  späten  Stadien  der  Krankheit  aufgetreten  sein  sollen.  Es 
bestanden  kolbige  Anschwellungen  der  Fingerendglieder,  zum  Teil 
waren  auch  die  Nägel  beteiligt,  die  teils  in  der  konvexen  Fläche 
gebogen,  teils  gekrümmt,  in  einigen  Fällen  sogar  nach  Art  der 
VogelkraUe  auf  die  Plantarseite  umgebogen  waren.  Als  Ursache 
der  biliären  Cirrhose  und  der  damit  zusammenhängenden  Finger- 
veränderungen nehmen  Gilbert  und  LerchouUet  teils  Infektion, 
teils  Cholämie  an.  Ähnliche  Beobachtungen  haben  u.  a.  P.  Chatin 
und  A.  Cade  (1901)  publiziert;  in  dem  einen  Fall  handelte  es  sich 
am  chronischen  Ikterus  durch  Retention,  mit  ascendierender  Angio- 
Cholecystitis  und  sekundären  Läsionen  des  Leberparenchyms ;  in  dem 
anderen  Fall  handelte  es  sich  um  chronische  Nephritis,  in  deren 
Verlauf  sich  Veränderungen  an  den  Endphalangen  zeigten,  welche 
an  die  bei  der  Marie'schen  Krankheit  beobachteten  erinnerten. 
Das  Röntgenbild  konstatierte  knöcherne  Läsionen.  Bei  dieser  Ge- 
legenheit erinnern  Chat  in  und  Cade  an  zwei  ähnliche  von 
Es b ach  (1876)  mitgeteilte  Fälle,  und  an  einen  von  Marfan  (1893) 
publizierten  Fall,  der  ein  Kind  betraf,  das  an  ascendierender  Pyelo- 
nephritis litt  und  schließlich  Erscheinungen  der  Marie'schen  Krank- 
heit bot 

Femer  konnte  A.  Obermayer  Trommelschlägelfinger  und 
Wucherungen  an  Schenkel-  und  Oberknochen  bei  fünf  ikterischen 
Männern  nachweisen;  er  führte  sie  hauptsächlich  auf  die  von 
M.  Herz  (14.  Kongreß  für  innere  Medizin  1896  p.  466)  experimentell 
erwiesene  Erweiterung  der  Kapillaren,  auf  Überernährung  und 
chronische  cholämische  Intoxikation  zurück. 

Bei  der  sog.  autotoxischen  enterogenen  Cyanose 
(Stok  vis  und  v.  d.  Bergh)  scheinen  auch  öfters  Trommelschlägel- 
finger aufzutreten.  Man  nimmt  an,  daß  diese  Cyanose  durch 
endogene,  unter  Umständen  beim  StofiTwechsel  sich  bildende  Toxine 
entstehen  könne.  Die  Beobachtung  von  Stokvis  betraf  einen 
38jährigen  Mann,  der  an  einer  heftigen  Enteritis  litt  und  eine 
starke  Cyanose  der  Haut  und  der  sichtbaren  Schleimhäute  darbot 
nebst  geringer  Schwellung  der  letzten  Fingerphalangen.  Bei  dem 
einen  von  v.  d.  Bergh  mitgeteilten  Falle  (9 jähriger  Knabe,  Per- 
kussionsflgur  des  Herzens  normal,  Herztöne  durchaus  rein,  starke 
Cyanose)  boten  die  Finger  und  Zehen  die  typische  Trommelschlägel- 
form. Aus  dem  aufgenommenen  Sadiogramm  ergab  sich,  daß  diese 
Difformität  größtenteils  auf  einer  Verdickung  der  Weichteile  be- 


86  V.  £bstbik 

rahte.    In  dem  zweiten  Falle  von  enterogener  Cyanose  fehlten  die 
Verdickungen  an  den  Endphalangen  der  Finger  und  Zehen. 

Bereits  Labrit  (1899)  schrieb  die  Fingerdifformität  n.  a.  einer 
Autointoxikation  zu,  die  durch  Zirkulationsstörungen  bedingt  sei 

Osteoarthropathie  hypertrophiante  pneumiqne^) 
(Marie),  Sekundäre  hyperplastische  Ostitis  (J.  Arnold), 
tozigene  Ost6o-Periostitis  ossificans  (Sternberg). 

Seit  dem  Jahre  1890,  in  dem  Pierre  Marie  unter  dem  Titel 
der  Osttoarthropathie  hypertrophiante  pnenmique  —  welche  wir 
der  Einfachheit  halber  als  Marie'sche  Krankheit  bezeichnen  wollen  — 
ist  die  Geschichte  der  Trommelschlägelflnger  in  ein  neues  Fahr- 
wasser gekommen:  wir  verstehen  unter  ihr  eine  Erkrankung  des 
Skeletts,  die  durch  Verdickung  der  Röhrenknochen  in  der  Nähe 
der  Gelenke  charakterisiert  ist  und  durch  ein  eigenartiges  Eeulig- 
werden  der  Fingerenden,  den  gewöhnlichen  Keulenfingem  der 
-chronischen  Herz-  und  Lungenkrankheiten  ähnlich  sind,  worüber  ja 
bereits  gehandelt  worden  ist.  Unabhängig  und  fast  gleichzeitig 
(1889  und  1891)  berichtete  dann  E.  v.  Bamberger  über  eine  Reihe 
von  ähnlichen  Fällen,  welche  er  für  abhängig  hielt  von  der  Hyper- 
trophie und  Sklerose  der  Knochen.  Seit  dem  Erscheinen  dieser 
Arbeiten  ist  viel  über  die  Krankheit  diskutiert,  und  manche  neue 
Fälle  sind  mitgeteilt  worden.  Miller  in  Philadelphia  betonte  vor 
kurzem  (1904)  in  einer  recht  lesenswerten  Arbeit  ^  c.)  über  diesen 
Gegenstand,  daß  der  längliche  und  etwas  irreführende  Titel  der 
Osteoarthropathie  usw.,  trotz  aller  Versuche,  ihn  durch  einen  besseren 
zu  ersetzen,  wahrscheinlich  deshalb  geblieben  sei,  weil  es  so  schwer 
sei,  die  verschiedenen  klinischen  Symptome  der  Krankheit  darin 
unterzubringen.  Von  allen  Ersatznamen  scheint  Miller  —  und 
darin  wird  ihm  jeder  beistimmen  —  der  von  J.  Arnold  (1894)  vor- 
geschlagene Name  „sekundäre  hyperplastische  Ostitis"  am  nächsten 
zu  kommen,  weil  die  Knochenveränderungen  auch  bei  anderen,  ab- 
gesehen von  Erkrankungen  der  Lunge,  vorkommen,  und  die  Gelenke 
gewöhnlich  nicht  wesentlich  verändert  sind.  Die  Marie  'sehe  Krank- 
heit ist  —  im  Gegensatz  zur  Akromegalie  —  fast  immer  eine 
sekundäre  Erkrankung,  welche  im  Verlaufe  von  AfiFektionen  der 
Lungen  und  des  Kreislaufs,  von  Cystitis,  Pyelonephritis,  Syphilis, 
Dysenterie,  chronischem  Ikterus  und  anderen  Affektionen  auftritt, 
während  auch  über  einige  Fälle  berichtet  ist,  in  welchen  keine  primäre 


1)  G6raud  setzt  dafür  „hematique''  ein. 


Zar  klinischen  Geschichte  nnd  Bedentnng  der  Trommelschlftgelfinger.     87 

Krankheit  entdeckt  werden  konnte«    (Declonx  nnd  Lippmann 
(1902),  Stevens  (1897)  u.  a.) 

Indes  die  größte  Zahl  der  Fälle  wurde  mit  Lungenaffektionen 
in  Verbindung  gebracht:  75®/o  nach  Whitmann  (1899),  und  70% 
nach  der  Zusammenstellung  von  Janeway  (1903),  der  die  Marie- 
schen und  V.  Bamberger'schen  Typen  sammelte.    Die  Lungen* 
krankheiten,  welche  man  gewöhnlich  mit  der  Osteoarthropathie  zu* 
sammen  antrifft,  sind  Tuberkulose,  Broncbiektasie  und  andere  eiterige 
Affektionen  der  Lunge  und  Pleura,  während  jedoch  Echinokokken 
und  maligne  Geschwülste  nur  in  wenigen  Fällen  beobachtet  sind. 
Die  Marie 'sehe  Krankheit  besteht  also  im  wesentlichen   in 
jeiner  ossifizierenden  Osteoperiostitis  (vgl.  Sternberg 's  Bezeich- 
nung), die  gewöhnlich  auf  die  distalen  Enden  der  langen  Knochen 
(Ulna^  Badius,  Tibia  und  Fibula)  beschränkt  ist;  weniger  häufig 
auf  die  Carpal-,  Tarsal-  und  Phalangeal-Knochen.    In  schwereren 
Fällen  kann  das  ganze  Skelett  affiziert  sein.    Die  Veränderungen 
an  den  distalen  Phalangen  selbst  sind  außerordentlich  gering,  und 
oft  nicht  einmal  durch  die  Radioskopie  zu  erweisen.    In  anderen 
Fällen  begegnet  man   deutlichen  osteophytischen  Auflagerungen, 
gelegentlich  dicken  blumenkohlartigen  Massen,  die  an  den  End* 
Phalangen  beobachtet  wurden  (v.  Bamberg  er).    Indes  die  Ver- 
änderungen an  den  Knochen  sind  nicht  die  einzige  Ursache  der 
Difformitäten,  die  man  während  des  Lebens  beobachtet ;  ein  großer 
Teil  der  Veränderungen  beiiiht  auf  der  Verdickung  und  Schwellung 
der  Weichteile.   Die  eigentümliche  Fingerform,  die  charakteristische 
Anschwellung  hängt  aber  nicht  ganz  von  der  Hypertrophie  der 
Weichteile  ab.    Darüber  hat  uns  das  Köntgenogramm  mit  der  Zeit 
Aufklärung  gebracht.    Daß  die  knöchernen  Phalangen  teilnehmen 
können,  ist  durch  B a m b e r g e r  (I.e.  Fall III)  zweifellos  erwiesen, 
Spillmann  u.  Haushalter  und  Leföbvre  (Obs.  XII)  schreiben 
in  ihren  Fällen  die  kolbige  Auftreibung  nach  der  Beobachtung  am 
Lebenden  ausschließlich  den  Knochen  zu.    Indessen  bedeutet  dies 
sicherlich   Ausnahmen    (M.  B.  Schmidt,  1.  c.  p.  937).     Sichere 
anatomische  und  histologische  Untersuchungen   stehen  gegenüber 
(A.  Frey  tag),  welche  das  Knochengerüst  der  Trommelschlägelfinger 
als  vollständig  intakt  erwiesen.    Lediglich  starke  Kapillarhyperämie 
und  Verdickung  des  kutanen  und  subkutanen  Gewebes,  aber  ohne 
qualitative  Abweichung^  speziell  ohne  entzündliche  Wucherungen 
konnte  Frey  tag  konstatieren.    Zu   demselben  Resultate  haben 
auch  die  Röntgenaufnahmen  durch  Teleky  und  Sternberg  ge- 
führt.   Der  Umstand,  daß  sich  diese  Difformitäten  an  Fingern  und 


gg  Y.  Ebstein 

Zehen  in  kurzer  Zeit  vollständig  ausbilden  können,  sprechen  auch 
nicht  für  die  Annahme  einer  alleinigen  Affektion  der  Knochen. 

Was  die  Zeit  betrifft,  in  der  sich  die  Trommelschlägelfinger 
und  Zehen  entwickeln,  so  beobachtete  Saundby  (1.  c),  daß  der 
Zustand  an  den  Händen  innerhalb  einer,  an  den  Füßen  innerhalb 
dreier  Wochen  seine  definitive  Ausbildung  erreichen  kann.  Ebenso 
rasch  wie  sie  in  Erscheinung  treten  können,  können  sie  auch  ver- 
schwinden,  oder  sich  mehr  oder  weniger  zurückbilden,  über  der- 
artige Fälle  haben  Gillet  (1892),  Moizard  (1893)  und  Moussons 
(1890)  berichtet,  die  sämtlich  Kinder  betrafen. 

Daß  die  Auftreibungen  der  Endphalangen  mit  Besserung  des 
Grundleidens  wieder  rückgängig  werden  können  beobachtete-Oril- 
lard. 

So  darf  man  wohl  mit  M.  B.  S  c  h  m  i  d  t  (1.  c.)  den  Schluß  ziehen, 
daß  die  Knochenaffektion  nicht  etwa  von  der  Peripherie  nach  dem 
Zentrum  des  Skeletts  fortschreitet,  sondern  an  den  distalen  Enden 
der  langen  Röhrenknochen  beginnt,  während  meist  gleichzeitig  die 
Phalangen  nur  durch  Verdickung  der  Weichteile  anschwellen  und 
nur  ausnahmsweise  auch  hier  der  Knochen  beteiligt  wird.  Weiter 
folgert  Schmidt  aus  dem  Umstände,  daß  die  Verdickung  der 
Vorderarme  und  Unterschenkel  fast  nie  ohne  ausgesprochene 
Trommelschlägelform  der  Finger  und  Zehen  auftritt,  daß  die  An- 
nahme einer  zufälligen  Kombination  auszuschließen  ist  und  daß 
offenbar  „die  Weichteilaffektion  der  letzteren  mit  der  Knochen- 
hyperplasie  ätiologisch  auf  gleiche  Stufe  gestellt  werden  muß". 
Die  Untersuchungen  von  Bamberger  und  Frey  tag  haben  indes 
gezeigt,  daß  die  besprochene  Difformität  der  Finger  und  Zehen 
isoliert,  ohne  Erkrankung  der  langen  Röhrenknochen  in  Erscheinung 
treten  kann:  es  fehlten  nämlich  oft  am  Lebenden  die  fühlbaren  Ver- 
dickungen und  das  von  Bamberger  betonte  Symptom  der  Druck- 
empflndlichkeit.  Selbst  hohe  Grade  der  Trommelschlägelfinger  haben 
nach  anatomischen  Untersuchungen  beider  Verfasser  intakte  Roliren- 
knochen  ergeben.  Danach  darf  man  also  nicht,  wie  es  Moizard  und 
Marfan  getan  haben,  einfache  Trommelschlägelfinger  ohne  weiteres 
mit  der  „Osteoarthropathie  hypertrophiante"  identifizieren,  sondern 
man  wird  nur  sagen  dürfen,  daß  die  Fingerdifformität  das  Vor- 
stadium der  „Osteoarthropathie"  darstellt,  die  letztere  aber  nicht 
notwendig  folgen  muß ;  dieser  Ansicht  Stern berg's  hat  sich  auch 
G6raud  (1898)  und  Miller  (1904)  u.  a.  angeschlossen;  anderer 
Ansicht  ist  Labrit  (1.  c). 

Ätiologisch  scheinen  in  der  Tat  die  gewöhnlichen  Trommel- 


Znr  klinischen  Qescbichte  und  Bedentong  der  Trommelschlägelfinger.      89 

schlägelfinger  dem  vollen  Bild  der  Osteoarthropathie  vollständig 
gleich  zu  stehen;  denn  die  Grundleiden,  bei  welchen  erstere  ent- 
stehen, sind  nicht  nur,  wie  gewöhnlich,  Störungen  des  Respirations- 
and Zirkulationsapparates,  sondern  auch  die  selteneren  Momente, 
wie  Syphilis,  Ikterus  usw. 

F.  R  Walters  (1895)  hat  diese  Affektion  in  drei  Gruppen 
geteilt.  1.  Die  typische  Osteoarthropathie,  mit  der  eigentümlichen 
Form  der  Keulenfinger  und  Veränderungen  an  den  langen  Knochen. 
2.  Fälle,  in  welchen  nur  die  eigentümliche  Keulenform  der  Finger 
zutage  tritt.  3.  Eine  Mischform,  welche  alle  Fälle  umfaßt,  in 
welchen  die  Verdickung  der  Enden  primär  zu  sein  scheint,  als  auch 
andere  unsicherer  Natur.  Als  eine  vierte  Gruppe  möchte  er  die 
gewöhnlichen  Kenlenflnger  der  chronischen  Herz-  und  Lungen- 
krankheiten hinzurechnen,  speziell  die  bei  angeborenen  Herzkrank- 
heiten auftretenden,  weil  diese  letzteren  gewiß  in  enger  klinischer 
und  ätiologischer  Beziehung  zur  Osteoarthropathie  stehen. 

Die  Keulenform  der  Finger  in  der  Osteoarthropathie  ist  ganz 
charakteiistisch  und  unterscheidet  sich  meistens  unschwer  von  den 
sog.  hippokratischen  Fingern :  „Die  Finger  besitzen  ausgesprochene 
Trommelschlägelform,  d.  h.  die  unverhältnismäßig  starke  kolbige 
Auftreibung  der  Endphalangen  mit  der  Vergrößerung  und  uhrglas- 
förmigen  Krümmung  der  Nägel,  während  die  erste  und  zweite 
Phalanx  nur  leicht  geschwollen  sind  und  die  Mittelhand  und  Hand- 
wurzel außer  einer  Verdickung  im  Bereiche  der  Metarkarpus- 
köpfchen  normale  Dimensionen  bieten^;  auch  die  Zehen  haben 
Trommelschlägelform  (vgl.  M.  B.  Schmidt).  Miller  (1904)  betont 
u.  a.  die  überraschende  Ähnlichkeit  des  Nagels  mit  einem  Papagei- 
schnabel, und  gebraucht  als  Übersetzung  für  unsere  Trommelschlägel- 
finger zum  ersten  Male,  soweit  ich  die  Sache  übersehe,  „drum 
stick",  während  die  Engländer  und  die  Amerikaner  sonst  nur  von 
„clubbed  fingers"  (vgl.  oben  S.  67)  reden.  Walters  hat  sich  ge- 
nauere Unterschiede  zwischen  den  osteoarthropathischen  und  hippo- 
kratischen Fingern  konstruiert,  er  muß  aber  zugeben,  daß  es  auch 
intermediäre  Formen  gibt.  Miller  weist  noch  darauf  hin,  daß  der 
Nagel  bei  der  Marie'schen  Krankheit  rosenrot,  und  und  oft  gestrichelt 
und  brüchig  ist,  während  die  hippokratischen  Finger  meistens  blau 
und  cyanotisch  sind.  Die  Differenz  zwischen  den  beiden  Formen 
läßt  sich  am  besten  aus  Abbildungen  erkennen,  deren  ich  einige 
(Abbildung  4  [nach  G6raud  1.  c]  und  5  [nach  Marie  I.e.]) 
beigegeben  habe. 

Die  Difformität  an  den  Fingern  findet  sicli  gewöhnlicli  an  allen 


90  V.  Ebitbui 

Fingern  und  Zehen  (Sternberg),  obgleich  an  letzteren  weniger 
ausgeprägt,  wie  überhaupt  auf  die  Veräoderung  an  den  Zehen 
nicht  allzuviel  Gewicht  zn  legen  ist  (s.  oben  p.  71). 

Während  Freytag  u.  Whitman  ^^^ 

die  gewöholichen  Trommelscblägelfinger 
als  eine  bestimmte  Affektion  ansehen  — 
und  die  eigentümliche  Form  des  arthi-o- 
pathischen  Fingers  würde  ihre  Ansicht 
scheinbar  stützen,  schließt  sich  Miller 
der^Ansicht  Janeway's  an,  der  glaubt, 


daß  es  klug  sei,  die  Zustände  als  verschiedene  Stadien  desselben 
Prozesses  anzusehen,  bis  ein  Fall  mit  Knochenveränderungen 
und  keinen  Trommelschlägelfingern  gefunden  wird  — 
bis  jetzt  ist  in  der  Tat  kein  solcher  Fall  beobachtet  worden  — 
oder  bis  eine  sichere  und  verschiedene  Ätiologie  fftr  die  beiden 
Erkrankungen  bewiesen  ist. 

Die  Osteoarthropathie,  d.  h.  der  Marie'sche  und  v.  Bam- 
berger'sche  Typus  scheint  bei  Kindern  selten  vorzukommen. 
Lef^bvre  (1891)  glaubte  deshalb  sogar,  daß  sie  eine  Erkrankung 
der  Erwachsenen  wäre.  Whitman  hat  aber  einen  typischen  Fall 
bei  einem  Kinde  beobachtet,  bei  dem  sich  im  Alter  von  2  Jahren 
die  Pott'sche  Krankheit  entwickelte;  mit  5  Jahren  Keuchhusten, 
danach  dauernd  Husten  und  Auswurf;  mit  ö'/j  Jahren  bemerkte  man 


Zur  klinischen  Geschichte  nnd  Bedentung  der  Trommelschl&gelfinger.     91 

zuerst  Verbreiternng  der  Fingerenden;  mit  8  Jahren  Verdickung 
der  Unterarme  und  Anschwellung  der  Handgelenke,  charakteristische 
Zeulenfinger,  mäßige  Kyphose,  fiigidität  der  Wirbelsäule,  und 
Zeichen  von  Lungentuberkulose.  Der  von  Field  mitgeteilte 
Fall  (17  Monate  altes  Kind)  ist  von  Sternberg  und  Janeway 
als  Osteoarthropathie,  von  Arnold  als  Akromegalie  angesehen 
worden.  Der  Fall  von  Davis:  5 V« jähr.  Junge,  charakteristische 
.Veränderungen  in  Verbindung  mit  Empyem,  ein  Jahr  nach  einer 
Pneumonie  beobachtet,  scheint  echt  zu  sein.  Bamberger  (Fall  8, 
L  c.  p.  201  f.)  berichtet  über  einen  7  jährigen  Knaben  (Pulmonal- 
stenose,  angeborene  Cyanose  und  Lungentuberkulose).  Thorburn 
verweist  auf  einen  Fall  bei  einem  Kind  (das  Alter  ist  nicht  notiert), 
bei  dem  Tibia,  Fibula,  Radius  und  ülna  verdickt  waren,  der  gewöhn- 
liche lYommelschlägelfinger  hatte,  aber  keine  Lungenerkrankung. 
Gillet  sah  einen  typischen  Fall  bei  einem  dreijährigen  Jungen, 
welcher  seit  seinem  vierten  Jahr  wiederholt  Bronchitis  gehabt  hatte. 
So  existieren  also  nur  fünf  oder  sechs  typische  Fälle  des 
Marie'schen  Typus  bei  Kindern. 

Wenn  wir  nun  mit  Geraud,  Schmidt,  Miller  u.  a.  die 
gewöhnlichen  Trommelschlägel finger  der  chronischen  Lungen-  und 
Herzkrankheiten  als  die  leichtesten  Grade  der  Osteoarthropathie 
ansehen,  so  wird  die  Zahl  der  Fälle  im  frühen  Lebensalter  weitaus 
vergrößert,  da  schon  allein  die  kongenitalen  Herzkrankheiten  ein 
großes  Kontingent  stellen. 

6 i  11  et  ist  der  Ansicht,  daß  die  Affektion  in  der  Kindheit  auf 
die  Endphalangen  beschränkt  bleibt,  und  nur  geringe  Tendenz 
zeigt,  auch  die  dicken  Knochen  zu  befallen.  Indes  beweist  offenbar 
der  von  Whitman  beschriebene  Fall,  daß  —  wenn  das  auch  ge- 
wöhnlich die  Regel  sein  mag  —  hippokratische  Finger  gelegent- 
lich in  eine  typische  Osteoarthropathie  übergehen  können ;  in  diesem 
Falle  verging  eine  Zeit  von  fünf  Jahren  zwischen  dem  ersten  Auf- 
treten der  Keulenfinger  und  dem  ersten  Anzeichen,  daß  die  Röhren* 
knochen  befallen  waren. 

Hans  Hirsch feld  hat  vor  kurzem  (1902)  eine  Mitteilung  über 
eine  Affektion  gemacht,  die  er  nach  den  Krankheitserscheinungen 
beschreibt  als  eine  symmetrische  auf  Volnmenszunahme  der  Haut 
beruhende  Vergrößerung  der  Hände  und  Füße  mit  trommelschlägel- 
ähnlicher  Difformierung  der  Endphalangen  und  Nägel,  intermit- 
tierendem Ödem,  exacerbierenden  Schmerzen  und  Druckempflndlich- 
keit  der  Nervenstämme.  Für  die  drei  Fälle,  die  Hirsch  feld 
mitteilt,  glaubt  er   eine   neue  Krankheitsbezeichnung  „Dermato- 


92  V.  Ebstbiw 

hypertrophia  vasomotoria^  aufstellen  zu  müssen,  wenn  er  auch 
freilich  zugeben  muß,  daß  seine  Fälle  eine  sehr  nahe  Verwandt- 
schaft zu  der  Mari  ersehen  Krankheit  haben.  Ob  es  tatsächlich  be- 
rechtigt ist,  diese  als  neue  Krankheitsform  von  der  Marie 'sehen 
abzuzweigen,  oder  ob  sie  nicht  einfach  als  Anfangsstadium  der 
letzteren,  bei  denen  es  infolge  zu  kurzer  Dauer  der  peripheren 
Erscheinungen  noch  nicht  zu  degenerativen  Veränderungen  am 
Skelett  kam,  möchte  ich  mit  S  c  h  i  1 1  e  n  h  e  1  m  (1.  c.)  noch  dahin- 
gestellt sein  lassen. 

Daß  sich  die  Osteoarthropathie  M  a  r  i  e  's  mit  der  Akromegalie 
vergesellschaften  kann,  haben  u.  a.  die  Beobachtungen  von  AV.  S. 
Thayer  (1896  u.  1898)  und  von  Jolly  (1899)  gezeigt. 

Daß  die  sonst  fär  die  Akromegalie  typischen  Verdickungen 
der  Endphalangen  nicht  konstant  zu  sein  brauchen,  lehrt  u.  a.  der 
von  F.  Klau  (1905)  mitgeteilte  Fall,  bei  dem  die  Finger  im  Gegen- 
teil recht  schlank,  drehrund  sind  und  sich  sogar  ziemlich  bedeutend 
zur  Spitze  hin  verjüngen.  Auch  die  Nägel  sind  wohl  ausgebildet, 
was  auch  auf  den  der  Arbeit  beigegebenen  Abbildungen  gut  zu 
sehen  ist;  der  Fall  erinnert,  nach  der  Beschreibung  zu  urteilen,  an 
den  Fall  von  E.  Mendel  (1896),  in  welchem  nur  eine  allgemeine 
Vergrößerung  der  Hand- vorlag,  mit  Verdickung  der  Finger,  wobei 
sich  dieselben  ebenfalls  nach  der  Spitze  hin  verjüngten.  In  dem  Fall 
von  Mendel  nahmen  nur  die  Weichteile  an  den  Veränderungen  teil, 
nicht  aber  das  Skelett  (Edel,  1897).  Der  Fall  von  Klau  konnte 
nicht  durchleuchtet  werden.  Der  von  W.  Ebstein  (1899)  demon- 
strierte Fall  eines  31jährigen  an  Akromegalie  leidenden  Mannes 
zeigte  dagegen  an  den  Endphalangen  eine  sehr  ausgesprochene 
Trommelschlägelbildung.  Die  Kadiogramme  ließen  erkennen,  daß  die 
übrigens  sonst  nicht  veränderten  Knochen  an  jener  Stelle  volumi- 
nöser, besonders  breiter  waren  als  in  der  Norm,  aber  die  Haupt- 
sache bei  der  Volumenzunahme  entfiel  auf  die  Weichteile  der  peri- 
pherischen Partien  der  Extremitäten. 

Myxödem. 

Daß  bei  infantilem  Myxödem  Trommelschlägelfinger  gelegent- 
lich vorkommen  können,  zeigen  die  Beobachtungen  von  M  e  i  g  e  und 
Allard  (1898).  Aus  dem  ihrer  Arbeit  beigegebenen  Radiogramm 
erkennt  man,  daß  nur  die  Weichteile  an  der  Verdickung  teilnehmen. 
In  dem  betreflFenden  Falle,  bei  dem  der  Daumen  die  DifFormität  am 
stärksten  zeigte,  schien  die  Formveränderung  der  Endphalangen 
von  der  bestehenden  schweren  Lungenphthise  abhängig  zu  sein; 


Zur  klinischen  Geschichte  and  Bedentnng  der  Trommelschlägelfinger.      93 

aniier  den  Händen  waren  auch  die  Füße  an  der  Mißbildung  beteiligt. 
Die  Endphalangen  sind  groß  and  dick;  besonders  sind  die  Nägel 
verbreitert  und  nach  dem  hippoki^atischen  Typus  gekrümmt 

Nach  Leffebvre  (1891)  kommen  auch  beim  Myxödem  der  Er- 
wachsenen solche  Difformitäten  vor.  Vielleicht  ist  das  relativ 
häufige  Vorkommen  von  Tuberkulose  in  den  Familien  Myxödema- 
töser  (Pel,  Greenfeld,  Byron,  Bramwell)  mitunter  dafür 
verantwortlich  zu  machen. 

Intrathorakale  Geschwülste  und  Thoraxdifformitäten. 

Lebert  (vgl.  Hertz  1.  c.  1877)  sah  in  einzelnen  Fällen  von 
LungengeschwUlsten  „kolbige  Auftreibungen  und  Verkrümmungen 
der  Nägel",  vne  sie  bei  Phthisikern  vorkommen. 

C.  Gerhardt  (1898)  sah,  wie  bereits  oben  hervorgehoben 
(S.  79),  bei  einer  Kranken  durch  Geschwulst  des  Mittelfalls  wasser- 
süchtige Anschwellung  des  rechten  Armes,  Stauung  in  der  rechten 
Drosselvene  und  dabei  viel  stärker  entwickelte  Trommelschlägel- 
finger an  der  rechten  Hand  als  an  der  linken. 

Swoboda  (1904)  hat  vor  kurzem  die  Aufmerksamkeit  auf  das 
nahezu  konstante  Vorkommen  der  Troramelschlägelfinger  bei  schwer 
rachitischen  Kindern  mit  raumbewegenden  Thoraxdifformitäten  ge- 
lenkt. Er  hatte  Gelegenheit,  einen  rachitischen  Thorax  mit  unge- 
wöhnlich schweren  Difformitäten  zu  beobachten,  an  dem  sämtliche 
Rippenknorpel  im  Verein  mit  dem  ungewöhnlich  schmalen  Sternum 
einen  erkerförmigen  Vorsprung  bildeten,  welcher  im  horizontalen 
Querschnitt  hufeisenförmig  war.  Die  Furchen  zu  beiden  Seiten 
dieses  Vorsprungs  vnirden  bei  der  Inspiration  tief  eingezogen,  wo- 
durch die  Raumverhältnisse  noch  wesentlich  verschlechtert  wurden. 
Eine  genauere  Erklärung  über  das  Zustandekommen  der  Trommel- 
schlägelfinger hat  Swoboda  nicht  gegeben.  Vielleicht  darf  hier 
an  die  Untersuchungen  von  Esbach  (1876)  erinnert  werden,  dessen 
sorgfältige  Untersuchungen  gezeigt  haben,  daß  bei  Rachitis  sich 
jedenfalls  Knochenveränderungen  an  der  Nagelphalanx  abspielen. 

Erkrankungen  des  Herzens,  insbes.  angeborene  Herzfehler. 

Um  das  Zustandekommen  der  bei  angeborenen  Herzfehlem 
sich  entwickelnden  Trommelschlägelfinger  zu  erklären,  hat  man 
bisher  merkwürdigerweise  die  normale  embryonale  Entwicklung 
der  Phalangen  und  speziell  der  Endphalangen  nicht  in  Betracht 
gezogen. 


Bekanntlich  ßLlIt  die  eigentliche  Entwicklang  der  ftnßeren 
Form  der  H&nd  in  den  dritten  bis  ffinften  FQtalmonat  (Betzins). 
Eetzins  hat  in  seinen  biologischen  Untersuchnngen  (1904)  sehr 
instrnktire  Abbildangen  davon  gegeben  (Tgl.  Tafel  XXIfl— XXYI). 
In  Anfang  des  dritten  Fötalmonats  entwickeln  sich  speziell  an  den 
Endphatangen  der  Finger  „stark  hervorragende  halbkugelige  Tast- 
ballen",  wie  sie  Betzius  mit  Unrecht  nennt,  da  sie  in  Wirklichkeit 
gar  keine  Tastorgane  darstellen.  Man  kann  also,  je  jünger  diemensch- 
liche Extremität  ist,  um  so  mehr  von  einer  Engelform  des  peripheri- 
schenEndesderNageIphaIanz8prechen(GrIlfenbergl.c.,  Fig.6).  Da- 
gegen kann  man  diese  peripherische  kolbige  Terdicknng  an  etwas 
älteren  Fingern  nicht  mehr  in  dieser  charakteristischen  Gestalt 
erkennen,  da  sich  die  Ballen  gewissenoaßen  zarhckbilden  nnd  nie- 
drige werden. 

Durch  die  LiebenswQrdigkeit  des  Herrn  Prot 
Abb.  6.  i>r_  E.  Kallius,  wofür  ich  ihm  anch  an  dieser 

Stelle  meinen  besten  Dank  ausspreche,  konnte 
ich  mehrere  durch  die  Hände  von  ca.  4— 5- 
monatlichen  Föten  gemachten  Durchschnitte  ein- 
sehen ;  aus  dem  einen  Präparat,  das  ich  in  etwa 
doppelter  Vergrößerung  wiedergebe  (Abbildung  6) 
erhellt  znr  Genüge,  wie  ich  glaube,  die  Trommel- 
schlägelfonn  der  embryonalen  Fingerendpha- 
langen.  Weiter  erkennt  man  aus  den  mit  Thionin- 
Ißsung  (Kallins)  bebandelten  Präparaten  —  auf  diese  Färbung 
eagieren  besonders  die  embryonalen  Knorpelzellen  mit  aberraschen- 
der  Exaktheit  —  deutlich,  daß  an  der  Verdickung  der  Endphalange 
keineswegs  die  Enorpelsubstanz,  sondern  nur  die  bindegewebige 
Pulpa  teilhat. 

Dieser  Befund  steht  mit  den  bei  kongenitalen  Herzleiden  im 
allgemeinen  gemachten  Erfahmngen  insofern  im  Einklang,  als  man 
bei  ihnen  ebenfalls  keine  Veränderungen  der  knöchernen  Phalanx 
gefunden  hat,  und  macht  die  Vermutung  wahrscheinlich,  daß  die 
normale  fStale  Trommelschlägelform  der  Endphalangen  später,  so- 
bald Dmcksteigemngen  irgendwelcher  Art,  die  gerade  an  den 
distalen  Enden  des  Körpers  am  leichtesten  Zustande  kommen  können, 
unschwer  die  bei  angeborenen  Herzleiden  vorkommenden  Difformi- 
täten  der  Finger  erklären  lassen. 

Zum  Beweise,  daß  trommelstockähnliche,  kolhig  aufgetriebene 
Nagelglieder  auch  verhältnismäßig  früh  zur  Ausbildung  gelangen, 
erinnert  Rauchfuß  an  den  von  ihm  beschriebenen  Fall  ven  kon- 


Zur  kliniflcben  Qescbichte  nnd  Bedentnng  der  Trommel8cblSgel&]i8:er.      95 

gesitaler  Atresie  des  Lan^narterieDostinms  bei  einem  TiennoDat- 
lichen  Kinde.  Wie  anch  Swoboda  {1904}  beobachtet  hat,  sind 
TrommelschlägelfiDger  im  ersten  Lebensjahr  offenbar  selten ;  in  der 
Zeit  Tom  2.-5.  Lebensjahre  dagegfen  scheinen  sie  sehr  häufig  zn  sun ; 
er  beobachtete  sie  bei  Fällen  von  chronischer  Lnngentaberknlose, 
ferner  bei  Empyemen  nnd  bei  einem  Fall  von  Concretio  cordis. 
Das  zweijährige  Kind,  das  Hochainger  (1904)  beobachten  konnte, 
hatte  Trommelscfal&gelfinger,  anßerdem  eine  chronische  Lnngen- 
inflltration,  die  steh  im  Anschluß  an  einen  Keachhnste.n  eingeteilt 
hatte;  es  wurde  angeoommen,  dafi  es  sich  in  diesem  Falle  am  eine 
iv  relativ  frohem  Alter  zustande  gekommene  Osteoarthropathie 
hypertrophiante  pnenmiqne  g^widelt  habe;  einen  ähnlichen  Fall 
beobachtete  R.  Whitman  (1899). 


Nach  E.  Komberg  trifft  man  die  Difformität  der  Finger  ev. 
auch  der  Zehen  bei  erworbenen  Herakrankheiten  „hin  und  wieder", 
dagegen  bei  angeborenen  Herzleiden  mit  lang  anhaltender  venöser 
Staanng  „recht  oft". 

Es  kann  hier  unmöglich  darauf  eingegangen  werden,  wie  bei 
den  einzelnen  erworbenen  und  angeborenen  Herzfehlern  die  Diffor- 
mitäten  der  Finger  sich  verhalten  und  zustande  kommen.  Als 
Beispiel  gebe  ich  (Abbildang  7)  die  Hände  eines  siebenjährigen 
Knaben,  der  an  einer  erst  später  erworbenen  Mitralinsnfficienz  litt. 
(GQtti&ger  med.  Klinik.) 


96  V.  Ebstein 

Bei  den  so  seltenen  Fällen  von  Pulmonalinsufficienz  (vgl. 
H.  Bosse  1906)  scheinen  die  Veränderungen  an  den  Endphalangen 
nicht  aufzutreten. 

Romberg  hält  ihre  Ursache  mit  Bamberger  wohl  sicher 
für  keine  einheitliche;  er  betont,  daß  bei  Herzaffektionen,  eine 
Verdickung  der  Epiphysen  von  Vorderarmen  und  Unterschenkeln, 
wie  sie  Marie  bei  starker  Ausbildung  der  Veränderung  im  Ge- 
folge von  Lungenkrankheiten  gesehen  habe,  nicht  vorzukommen 
scheine. 

Außer  an  die  venöse  Stauung  muß  man  nach  E  o  m  b  e  r  g  auch 
an  die  bei  angeborenen  Herzfehlern  so  häufigen  Lungenerkrankungen 
und  an  Lues  denken,  die  sie  ebenfalls  hervorrufen  können,  wie 
wir  gesehen  haben,  fiomberg  sah  diese  Veränderung  bisweilen 
auffallend  schnell  entstehen ;  so  beobachtete  er  sie  einmal  bei  einem 
46  jährigen  Syphilitiker  mit  arteriosklerotischer  Aorteninsufificienz 
und  Angina  pectoris,  bei  dem  die  Lungen  gesund  waren  und  eine 
stärkere  venöse  Stauung  nicht  bestand,  im  Laufe  weniger  Wochen 
in  recht  starkem  Maße  sich  entwickeln. 

J.  Heller  hat  die  bei  Herzkrankheiten  vorkommenden  Ver- 
änderungen ap  der  Endphalanx  zusammengestellt,  die  er  ausschließlich 
durch  Stauungen  im  venösen  System  entstehen  läßt  Die  zweite  Ver- 
änderung der  Nägel  bei  Herzkrankheiten  ist  die  Entstehung  der 
hippokratischen  Nagelkrümmung,  die  sich  mit  den  Trommelschlägel- 
fingern  vergesellschaftet.  Heller  nimmt  an,  daß  die  Stauung 
eine  Hervorwölbung  der  Matrix  bewirke,  während  Nagelbett  und 
Nagelfalz  weniger  durch  die  Schwellung  alteriert  würden;  die 
Folge  davon  sei  das  veränderte  Nagelwachstum. 

Von  den  angeborenen  Herzkrankheiten  kommen  die  häufigsten 
und  ausgeprägtesten  Fingerdifformi täten  bei  der  Pulmonalstenose 
und  bei  Septumdefekten  vor. 

Heller  gibt  (1.  c.  p.  182)  eine  instruktive  Abbildung  von 
kolbiger  Auftreibung  der  Nagelglieder  und  hippokratischer  Nagel- 
krümmung bei  Pulmonalstenose.  Weit  intensivere  Veränderungen 
muß  der  Fall  gezeigt  haben,  den  Aug.  Hoff  mann  (1904)  be- 
schrieben hat;  es  handelte  sich  ebenfalls  um  Pulmonalstenose  mit 
ganz  enorm  entwickelten  Verdickungen  der  Endphalangen  der 
Finger.  Die  Nägel  waren  krallenförraig  gebogen,  verschmälert; 
sie  saßen  den  zu  Kolben  verdickten  Phalangen  etwa  zu  einem  Viertel 
des  Umfangs  auf  Hoffmann  wundert  sich,  wie  der  Kranke  — 
von  Beruf  Biireauarbeiter  —  mit  diesen  Fingera  hat  schreiben 
können. 


s 


Zur  UinücheD  Geschichte  nud  BedentiUig:  der  TrommelscU&Kelfinger.     9? 

Was  dfts  Entstehen  der  Finger  bei  Pnlmon&lstenose  anlaDg^t, 
Go  glaubt  Liebermeister  (1687  p.  397),  daß  infolge  der  an- 
<liiuernden  mäßigen  Stauung  im  großen  Kreislauf  —  im  weiteren 
Verianfe  der  Palmonalstenose  —  in  der  Begel  diese  aufi'allende 
Verdickung  der  Nagelglieder  der  Finger  nud  der  Zehen  entstehe, 
welche  dorch  üjrpertrophie  der  Gewebe  der  Bindesnbstanz  bedingt 
■sei.  Dagegen  .beobachtete  Norman  Moore  (1885)  bei  einem 
dreijährigen  Knaben,  der  ebenfalls  an  einer  Palmonalstenose  litt, 
keine  Vermehrung  des  Bindegewebes,  so  daß  der  längs  durch- 
schnittene Finger  durch  Druck  auf  normales  Volumen  gebi'acht 
werden  konnte.  Die  Wände  der  Blutgefäße  erwiesen  sich  mikro- 
skopisch als  verdickt 

Lees  (1880)  konnte  in  11  unter  25  Peacock'schen  Fällen 
mit  ausgesprochener  Cyanose  Trommelschlägelfinger,  und  zwar 
7  mal  deutlich,  3  mal  leicht  und  einmal  unsicher  nachweisen. 

Abb.  8. 


Die  hochgradigste  Mißbildung  der  Finger  hat  wohl  Lavergne 
(1886)  in  seiner  Doktordissertation  abgebildet  Es  handelt  sich 
um  die  Hand  eines  secbsjährigen  Knaben,  die  ich  nach  dem 
Original  (in  Abbildung  8)  wiedergebe;  die  Sektion  des  Falles  er- 
gab einen  Septumdefekt  im  hinteren  Abschnitt  (vgl.  die  analogen 
Fälle  Rokitanski's).  In  der  Krankengeschichte  heißt  es,  daß 
die  Hand  so  platt  aussehe,  als  ob  sie  gequetscht  worden  wäre. 
Die  Finger  sind  viel  zu  lang;  die  erste  und  zweite  Phalanx  sind 
dünn  und  wohl  weniger  voluminDs  als  die  dritte;  die  letztere  mißt 

DcnttchM  Archiv  t.  klin.  Hcdizin.    W.  Bd.  7 


im  Umfang  1  cm  mehr  und  bat  speziell  Trommelschlftgelform.  Die 
Nägel  sind  nach  vorn  gebogen,  dick  aiid  glänzend.  An  den  Zehen 
fanden  sich  ähnliche  Veränderungen. 

Wie  B.flh1e  (1877)  betonte,  gehörten  die  stärksten  Grade  der 
Trommelschlägelflnger  (kolbige  Änschwellnng  der  dritten  Phalanx, 
Krümmung  des  Nagels,  besonders  in  der  Längsrichtang) '),  nicht  der 
Phthise,  sondern  den  angeborenen  Herzfehlem,  welche  mit  erheb- 
licher Cyanose  verbunden  seien,  an. 


Abb.  9. 


Abb.  10. 


Zq  den  Mißbildungen  des  Herzens  sei  anch  die  abnorme  Per- 
sistenz des  Ductus  Botalli  gezählt,  welcher  normalerweise  in  den 
ersten  Monaten  des  extrauterinen  Lebens  obliteriert.  Abbildungen 
9  und  10,  die  ich  der  These  tou  H.  Meillet  (1874)  entnommen 
habe,  betreffen  einen  solchen  Fall;  eine  nähere  Beschreibaug  tat 
nicht  not,  um  so  mehr  als  Abbildung  9  die  drei  ersten  Finger 
dieser  Hand  im  Profil  zeigt. 


Nerrose  Einflösse. 

Für  die  Ätiologie  der  Trommelschlägelflnger  sind  von  einer 
Reihe  von  Autoren  zu  verschiedenen  Zeiten  nervöse  Einflüsse  geltend 
gemacht  worden.  So  hielten  sie  Buhl  (1872)  und  Birch-Hirsch- 
feld  (1877)  mit  der  Sklerodermie  für  verwandt,  ohne,  soweit  ich 
sehe,  in  dieser  Ansicht  Anhänger  gefunden  zu  haben.  West,  der 
sich  auf  einen  nihilistischen  Standpunkt  stellt,  indem  er  behauptet, 
da  uns  die  Ui-sache  dieser  Afl'ektion  unbekannt  sei,  so  bringe  es 
uns  auch  nicht  weiter,  sie  eine  „neurotrophisebe  Störung"  zu  nennen. 
Sahli  (1902),  der  sich  betreffs  der  Entstehung  der  Difformität  nicht 


1)  Später  bemerkte  U.  Fischer  hierzu,  daß  sich  dieeea  Moment  an   den 
Fingern  gelten  ^de,  wenn  die  Nägel  gleichmäßig  geechüitt«u  wttrdeii. 


Zar  klinischen  Geschichte  und  Bedeutung  der  Trommelschlägelfinger.     99 

genauer    ausspricht,    reclinet    die   Trommelschlägelfinger   zu    den 
atrophischen  Veränderungen"  der  Haut. 

H.  Fischer  (1879)  bringt  die  Fingerdifformität  mit  dem  er- 
worbenen Biesenwüchs  zusammen  und  weist  auf  nervöse  Einflüsse  hin. 

In  den  von  ihm  beobachteten  Fällen  waren  hauptsächlich  die 
Finger  beteiligt,  weniger  die  Zehen,  welche  nach  Fischer  nie* 
mals  allein  erkranken.  Die  Mifibildnng  trat  immer  erst  ein,  wenn 
hektisches  Fieber  bestand.  Zugleich  beobachtete  er  „ein  Brennen 
und  starkes  Schwitzen  der  Handteller  und  Fußsohlen,  und  die 
Temperatur  in  den  Handtellern  war,  im  Vergleich  zu  der  des 
anderen  Körpers,  um  1  ^  C  und  mehr  gesteigert." 

Des  weiteren  teilt  Fischer  einen  Fall  mit,  in  dem  sich 
Trommelstockfinger  fanden,  ohne  daß  Eiterung  in  der  Brusthöhle 
oder  hektisches  Fieber  bestand;  es  handelte  sich  um  Rachitis, 
Craniotabes,  um  die  betreffende  Fingerdifformität  und  um  ver- 
mehrtes Wachstum  derselben  an  Fingern  und  Zehen,  die  bereits 
im  ersten  Lebensjahre  bemerkt  wurden.  Fischer  hebt  ausdrück- 
lieh  hervor,  daß,  so  oft  er  das  damals  dreijährige  Kind  untersuchte, 
er  jedesmal  eine  Zunahme  in  der  Entwicklung  der  Trommelstock- 
finger konstatieren  konnte.  Gemeinsam  hatte  der  letzte  Fall  mit 
den  Phthisikern  nur  die  beißen  und  schwitzenden  Hände.  Fischer 
nimmt  in  diesen  wie  auch  in  den  anderen  Fällen  eine  lokale 
vasomotorische  Lähmung  an,  und  fand  „in  der  damit  zusammen- 
hängenden Verlangsamung  der  Blutzirkulation,  die  an  der  Peri-^ 
pherie  der  Glieder  ihr  Maximum  erreichen  würde,  und  in  der  da- 
durch ermöglichten  stärkeren  Ernährung  und  plasmatischen  Durch- 
tränkung dieser  Gewebe  eine  Erklärung  für  dieses  abnorme 
Wachstum  des  Endgliedes  der  Finger  und  Zehen". 

Vielleicht  mögen  auch  Beziehungen  der  Trommelschlägelfinger  zu 
der  von  WeirMitchel  und  Lannois  zuerst  als  Erythromelalgie 
beschriebenen  Affektion  bestehen,  die  auch  als  eine  ausschließlich 
an  den  Händen  und  namentlich  an  den  Füßen  sich  zeigende 
Vasomotorenlähmung  aufgefaßt  wird ;  ich  will  hier  nur  an  den  von 
Ä.  Seeligmüller  (1882)  beschriebenen  Fall  erinnern,  bei  dem 
die  Kuppen  sämtlicher  Finger  der  linken  Hand  kolbenförmig  an* 
geschwollen  und  lebhaft  gerötet  waren;  auch  war  die  Volarfläche 
der  Nagelphalangen  bauchförmig  vorgewölbt;  von  einer  Trommel- 
schlägelform ist  indes  in  dem  Falle  direkt  keine  Bede. 

Graves  (1.  c.)  schreibt  1843  in  seinem  „System  der  klinischen 
Medizin",  daß  er  innerhalb  der  letzten  10  Jahre  in  seiner  Privat- 
praxis   dreimal  Gelegenheit  gehabt  habe,   eine  Hypertrophie  so- 

7* 


100  V.  Ebstkin 

sowohl  der  Fi&nferspitisen  als  auch  der  Näg^el  iä  beobachten,  und 
zwar  zweimal  bei  Personen  von  schwächlichem  Körperbau,  einmal 
hei  einem  Phthüsikus.  Bei  allen  war  der  übrige  Teil  des  Fingers 
Abgemagert ,  während  die  Fingerspitze  plötzlich  im  Querdurch^ 
messer  anschwoll;  die  Nägel  waren  beträchtlich  länger,  breiter, 
stärker  und  mehr  gekrümmt  als  gewöhnlich.  In  den  Fingerspitzen 
:war  die  kapillare  Zirkulation  sichtlich  verstärkt,  indem  diese 
/Teile  rot,  oft  schwitzend ,  heiß  und  schmenshaft  waren.  Ein  ge- 
ringer Teil  diesör  Affektion,  der  sich  nur  durch  die  Krümmung 
^er  Nägel,  aber  ohne  Geschwulst  der  Fingerspitzen,  welche  sogar 
abgemagert  erscheinen,  ausspricht,  ist  fast  in  allen  Fällen  von  Phthise 
rtrorhanden. 

Nach  Recklinghausen  (1883)  hat  man  für  das  Zustande- 
k:ommen  der  Fingerdifformität  auch  eine  abnorme  Weite  der  Blut« 
4)ahn  als  ursächliches  Moment  angeschuldigt.  Man  führte  zum 
Beweise  dafür  Fälle  an,  in  denen  Hypertrophie  der  Extremitäten 
mit  Gefaßektasie,  bald  mit  Venen-,  bald  mit  Arterienerweitemng, 
bald  auch  mit  Teleangiektasie  verbunden  war.  Nichtsdestoweniger 
•existieren  nach  Kecklinghausen  auch  solche  Fälle  ohne  jede 
Bypertrophie  der  Gewebe;  auch  die  gewöhnliche  Cyanose  von 
jahrelanger  Dauer  soll  sicherlich  keine  Hypertrophie  schaffen. 

Daß  in  der  Tat  nervöse  Einflüsse  den  Boden  zur  Osteoarthro- 
pathie liefern  könneü,  haben  eine  Beihe  von  Beobachtungen  wahr- 
scheinlich gemacht.  So  beobachtete  0.  Rosenbach  (1890)  Auf- 
treibungen an  den  basalen  Enden  der  Fingerendphalangen,  die  er  als 
Neuritis  der  zum  Periost  gehenden  Nervenfasern  ansah;  so  konnten 
J.  Arnold  (1891)  P.  J.  Möbius  (1892),  und  Hans  Hirschfeld 
(1902)  in  ihren  Fällen,  in  denen  es  sich  um  osteoarthropathische 
Veränderungen  bei  chronischen  Lnngenkrankheiten  usw.  handelte, 
neuritische  Prozesse  als  Grundlage  annehmen.  Schließlich  lehrte 
der  von  Walter  Bereut  (1903)  veröffentlichte  Fall,  daB  Osteo- 
arthropathie lediglich  durch  schwere  Neuritis  entstehen  kann. 
Daraufhin  kam  Bereut  zu  der  Annahme  —  und  ihm  schließt  sich 
auch  M.  Bernhardt  1906  an  — ,  daß  höchstwahrscheinlich  neu- 
ritische Prozesse  überhaupt  die  Grundlage  der  osteoarthropathischen 
Veränderungen  bilden,  nicht  nur  Blutstauungen  oder  Einwirkungen 
von  Toxinen,  die  durch  Stauungskatarrhe  resp.  eiterige  Prozesse  in 
den  Lungen  begleitet  sind.  Und  zwar  nimmt  Bereut  an,  daß  die 
von  Marie  angenommenen  Toxine  derart  wirken,  daß  sie  eine 
Neuritis  erzeugen,  durch  die  dann  wiederum  die  osteoarthropathi- 
schen Veränderungen  entstehen. 


Zar  klinischen  Geschichte  und  Bedeatung  der  Trommelschlägelfinger.    101 

Einseitige  Trommelschlftgelflnger. 

Wir  haben  gesehen,  daß  die  Affektion  fast  immer  bilateral 
und  symmetrisch  auftritt,  indes  kommen  auch  einseitige  Trommel? 
Schlägelfinger  zar  Beobachtung,  welche  aber  offenbar  zu  den 
großen  Seltenheiten  gehören.  Ein  solcher  Fall  ist  zuerst  durch 
Ogle  (1859)  beschrieben  worden :  es  handelte  sich  um  ein  enormes 
Aneurysma  der  rechten  Subclavia«  Die  Mißbildung  der  Finger  — 
eigentümliche  Cyanose  und  Trommelschlägelbildung  der  Endphalangen 
mit  starker  Hypertrophie  der  Nägel  —  saß  auf  derselben  Seite, 
auf  der  das  Aneurysma  sich  befand;  ähnliche  Fälle  von  Canton 
und  Thomas  Smith  (citiert  nach  West  1.  c).  Gay  hat  auch 
an  einen  Fall  erinnert,  in  welchem  zwei  Subclavia- Aneurysmen  be- 
standen, und  bei  denen  die  Difformität  dementsprechend  bilateral 
auftrat. 

In  allen  diesen  mit  Aneurysmen  vergesellschafteten  Fällen 
brachte  die  Heilung  derselben  —  wenn,  wie  in  dem  vorhin  citierten 
Fall  von  Ogle  nicht  vorher  Berstung  des  Aneurysmensacks  ein- 
getreten war  —  auch  ein  Verschwinden  der  Difformität  mit  sich. 

Vor  kurzem  hat  Groedel  (1906)  einen  Fall  von  linksseitigen 
Trommelschlägelflngem  veröffentlicht;  er  kam  schließlich  zu  der 
Annahme,  daß  das  links  bestehende  Aneurysma  am  Übergang  des 
Arcus  zur  Aorta  descendens  sitzen  müsse,  in  der  Nähe  der  Sub- 
clavia sinistra  abgehe  und  nach  vom  und  links  sich  ausdehnend 
einen  Zug  ausftbe  zunächst  an  der  Arterie,  damit  aber  zugleich 
auch  die  Vene  komprimierend,  resp.  abknickend. 

Angeregt  durch  die  GroedeTsche  Publikation  veröffentlichte 
M.  Bernhardt  (1906)  einen  Fall  von  einseitigen  Trommelschlägel- 
fingem,  der  dem  von  Bereut  beschriebenen  in  allen  wesentlichen 
Punkten  recht  nahe  steht.  In  Bernhardts  Fall  handelte  es 
sich  um  ein  Aneurysma  der  Aorta  ascendens,  der  Anonyma  und 
des  Aortenbogens.  Durch  den  Dnick  der  aneurysmatisch  er- 
weiterten Halsgefäße  war  eine  schwerere  Affektion  des  Plexus  brachi- 
alis  herbeigeführt,  die  sich  kundtat  in  sehr  intensiven  Schmerzen, 
in  der  Abmagerung  der  betreffenden  oberen  Extremität,  in  den 
auch  objektiv  nachweisbaren  Sensibilitätsstörungen  und  den  für 
eine  schwere  Läsion  der  Nerven  sprechenden  Veränderungen  der 
elektrischen  Erregbarkeit  der  dem  achten  Cervikal-  und  ersten 
Dorsalnerven  entstammenden  Nerven,  sowie  aus  der  Beteiligung 
des  Sympathikus. 


102  V.  £BSTBn( 

Pathologisch-anatomische  Beftinde« 

Die  anatomisch-pathologischen  Befunde  sind  nicht  so  zahlreich, 
als  man  glauben  sollte;  das  hängt  wohl  mit  der  Schwierigkeit  zu- 
sammen, daß  man  bei  der  Sektion  einen  so  sichtbaren  Teil  am 
Körper,  wie  die  Finger  und  Zehen  schlecht  zur  Untersuchung  fort- 
nehmen kann. 

Die  Untersuchungen  betreffen  naturgemäß  den  Nagel,  die  Pulpa 
und  den  Knochen  der  Endphalanx. 

Pigeaux  beschäftigt  sich  hauptsächlich  damit,  wie  die  Krüm- 
mung des  Nagels  zustande  kommt  Er  stellt  sich  vor,  daß  durch 
Zirkulationsstörungen  in  der  (vom  Herzen  am  meisten  distal  liegen^ 
den)  Phalanx  eine  ödematöse  Schwellung  entstehe,  deren  Folge  eine 
Hebung  der  Matrix  der  Nägel  sei.  Wird  diese  Matrix  mehr  als 
das  Nagelbett  gehoben,  so  müssen  die  Nägel  schräg  abwärts  nach 
der  Volarfläche  zu  wachsen.  Trousseau  hat  diese  Erklärung 
für  das  Zustandekommen  der  hippokratischen  Krümmung  der  Nägel 
auch  angenommen,  und  betont  noch,  daß  durch  das  Hypertrophieren 
des  blätterigen  Gewebes  an  der  Basis  und  unter  der  Wurzel  des 
Nagels,  die  Nagel wurzel  selbst  natürlich  um  so  viel  mehr  vom 
Knochen  entfernt  werde;  das  könne  man  fühlen,  wenn  man  auf 
die  Rückseite  der  Phalanx  drücke,  der  Nagel  schwanke  dann  etwas. 
Gusrtav  Simon  hat  im  Jahre  1851  die  Beobachtungen  von  Pigeaux 
einer  Nachprüfung  unterzogen.  Er  berichtet,  daß  er  oft  Gelegen- 
heit gehabt  habe  gekrümmte  Nägel  von  Schwindsüchtigen  zu  unter- 
suchen; um  eine  recht  genaue  Anschauung  von  der  Beschaffenheit 
der  Teile  zu  erhalten,  hat  er  die  Finger  von  Leichen  der  Länge 
nach  durchsägt  (vgl.  das.  Tafel  VIII,  Fig.  5).  Er  konnte  indes 
weder  ein  Schwinden  der  Weichteile  an  der  Fingerspitze^),  noch 
eine  Infiltration  an  der  Nagelwurzel  wahrnehmen,  und  mußte 
schließlich  gestehen,  daß  ihm  die  Ursache  der  fraglichen  Nagel- 
veiänderung  dunkel  geblieben  sei.  Der  Nagel  selbst  zeigte,  ab- 
gesehen von  der  Krümmung,  keine  Veränderung. 

A.  KöUiker  (1859)  nimmt  mit  Henle  an,  daß,  da  die  Bil- 
dung der  Nagelsubstanz  von  den  Gefäßen  des  Nagelbettes  abhän^ 
häufig  wechselnde  Zustände  derselben  auch  ein  unregelmäßiges 
Wachstum,  stellenweise  Verdickung,  Verdünnung  und  selbst  Ab- 
lösung der  Nägel  bewirken,  und  daß  auch  die  Difformitäten  der- 
selben bei  Cyanosis  und  Phthisis  hiervon  abhängen.  Sehr  häufig 
rührt  aber  auch,  wie  K  o  1 1  i  k  e  r  beobachtet  hat,  die  Verdickung 


1)  Wurde  bereits  1808  von  Double  behauptet. 


Zur  kliniflchen  Geschichte  nnd  Bedentmig  der  Trommelschl&gelfinger.    103 

und  Mißbildung  der  Nägel  von  teilweiser  ünwegsamkeit  der  Kapil- 
laren des  Nagelbetts  her  (vgl.  Mikroskop.  Anatomie  n,  1  p.  93 
Leipzig  1852). 

Am  ausgiebigsten  hat  Esbach  (1876)  die  von  Pigeaux  be- 
gonnenen Untersuchungen  wieder  aufgenommen.  Nach  ihm  be- 
wirkt —  und  darin  scheint  ihm  auch  J.  Heller  (1900)  beizustimmen 
—  die  durch  Stauung  hervorgerufene  seröse  Durchtränkung  der 
Nagelphalanx  und  vor  allem  der  Nagelmatrix  eine  verbesserte  oder 
wenigstens  gesteigerte  Ernährung  und  Neubildung  der  Nagelplatte. 
Esbach  fand  durch  genaue  Messungen  die  Dicke  eines  solchen 
düTormierten  Nagels  in  seiner  Mitte  =  0,59  mm,  während  der  nor- 
male Nagel  nur  0,39  mißt  Bei  dieser  Verdickung  scheint  es  sich 
jedoch  weniger  um  eine  direkte  Vermehrung  der  Hornmasse  der 
Nägel  als  um  eine  durch  Wasseraufnahme  bedingte  Qnellung  zu 
handeln.  Auf  all  die  Schlüsse,  die  Esbach  aus  seinen  Messungen 
der  Nägel  (in  der  Mitte  und  am  freien  Rande)  sieht,  soll  hier  nicht 
näher  eingegangen  werden,  da  ihre  Erklärungen  nicht  recht  ein- 
deutig und  von  zu  geringem  praktischem  Interesse  sind.  Es  mag 
hier  nur  noch  der  Beobachtung  gedacht  werden,  daß  durch  die 
starke  Gefäßfiillung  infolge  der  Stauung  die  Lunula  mehr  und 
mehr  schwindet.  Esbach  hält  daher  das  Schwinden  der  Lunula 
des  Daumennagels  für  ein  prognostisch  und  diagnostisch  wichtiges 
Zeichen. 

Was  die  Untersuchungen  der  Pulpa  der  Endphalanx  anlangt 
so  sind  sie  nicht  sehr  zahlreich. 

Pigeaux  fand  die  Pulpa  hinreichend  fest,  im  allgemeinen 
von  einer  mehr  oder  weniger  mit  Blut  tingierten  wässerigen  Flüssig- 
keit durchsetzt.  Die  mikroskopische  Untersuchung  hat  in  den 
untersuchten  Fällen  nichts  Bemerkenswertes  ergeben.  V  a  r  i  o  t  (1897) 
fand,  daß  das  tiefe  Venennetz  stark  erweitert  sein  könne,  ebenso  die 
in  die  Papillen  aufsteigenden  Eapillarschlingen.  Alle  diese  venösen 
Gefäße  und  Kapillaren  sind  mit  Blutkörperchen  angefüllt. 

West  (1897)  hält  die  Schwellung  der  Pulpa  der  Endphalanx 
für  kein  Ödem,  ebenso  Bamberger.  Ludwig  Buhl  (1872)  wollte  die 
kolbigen  Endphalangen  der  Finger  nicht  einer  Zirkulationsbehindemis 
zuschreiben,  sondern  es  war  ihm  wahrscheinlich,  —  vgl.  oben  S.  98 — 
daß  sie  mit  der  Sklerodermie  verwandt  sind,  welche  ebenfalls  meist 
an  den  Fingerspitzen,  seltener  an  den  Zehen  beginnt  und  von  da 
weiter  fortschreitet.  Sie  endige  fast  immer  mit  Phthise.  Buhl 
hält  weiter  Sklerodermie  und  kolbige  Finger  für  Analoga  der 
Lungencirrhose  und  sie  beruhten  beide  auf  Hypertrophie  des  Binde- 


104  V.  Himnr 

gewebes;  er  hat  schoa  ein  paarmal  bei  beginnender  Sklerodermie 
die  erst  nach  2—3  Jahren  auftretenden  Anfänge  der  Lungen- 
phthise  vorhersagen  können. 

Birch'Hir Sehfeld  (1877)  bat  sich  —  offenbar  unabhängig 
—  der  Ansicht  BnhTs  angeschlossen;  nach  ihm  handelt  es  sich 
um  eine  der  Sklerodermie  verwandte  Hypertrophie  des  kutanen 
und  subkutanen  Bindegewebes,  welche  er  mit  Wahrscheinlichkeit 
anf  die  Zirkulationsstörung  in  den  peripher  gdegenen  Teilen  zn- 
rilckfthrt. 

Die  von  Buhl  angenommene  fibröse  Verdickung  des  Rete 
mucQsnm  läßt  West  (1897)  für  chronische  Fälle  zu,  aber  nicht 
far  akute  oder  frische.  Da  man  nun  in  der  Mehrzahl  der  Fälle 
keine  frischen  Fälle  zur  Obduktion  erhält,  so  dürften  sich  die 
Untersuchungen  von  Buhl  und  Birch-Hirschfeld  doch  als 
richtig  erweisen.  H.  Fischer  (1880)  fand  bei  der  anatomischen 
Untersuchung  der  Finger  „eine  gleichmäßige  Zunahme  sämtlicher 
Gewebe  bei  normalem  Bau''. 

Die  Frage,  inwieweit  der  Knochen  der  Endphalanx  an  der 
Difformität  derselben  beteiligt  ist,  ist  oftmals  untersucht  worden^ 
besonders,  nachdem  die  Böntgendurchleuchtung  in  den  Dienst  der 
klinischen  Medizin  getreten  war. 

Bereits  Pigeaux  und  Trousseau  fanden  durch  genaue 
Untersuchung,  daß  der  Knochen  der  Endphalanx  bei  den  diffor- 
mierten  tuberkulösen  Fingern  keineswegs  vergrößert  oder  stärker 
geworden  sei. 

Litten  demonstrierte  am  24.  Februar  1897  in  der  Berliner 
med.  Gesellschaft  an  zwei  Kranken  trommelschlägelartige  Finger 
und  Zehen,  von  denen  er  Böntgenogramme  gemacht  liatte.  Bei  der 
einen  Kranken  (22 jähr.  Fräulein,  Vitium  cordis  congenitum;  ver- 
mutlich Pulmonalstenose  mit  offenem  Ductus  Botalli)  bestand  neben 
der  Deformation  ausgesprochene  Cyanose,  bei  dem  zweiten  Fall 
(Kind,  ebenfalls  Vitium  cordis  congenitum)  bestanden  noch  viel 
hochgradigere  Veränderungen  an  den  Fingern.  In  beiden  Fällen 
war  von  einer  Verdickung  des  Skeletts,  wenigstens,  soweit  es  die 
Nagelphalangen  betraf,  nicht  die  Rede.  Litten  glaubt,  wenn  er 
sich  auch  dagegen  verwahrt,  einen  verallgemeinernden  Schluß  aas 
diesen  zwei  Fällen  ziehen  zu  wollen,  daß  dies  die  Regel  sein  dürfte, 
da  ja  in  diesen  beiden  Fällen  die  Bedingungen  für  eine  sehr  hoch* 
gradige  Stauung  die  denkbar  günstigsten  waren.  Senator  be- 
merkt dazu,  daß  auch  in  anderen  Fällen  derselbe  Befund  gemacht  sei, 
und  erwähnt  Röntgenbilder  aus  Paris,  in  denen  ebenfalls  sich  nur 


Zur  klinischen  Geschichte  nnd  Bedeutung  der  Trommelschlägelfinger.    105 

die  Weiehteile  nnd  nicht  die  Knochen  als  verdickt  hepansgestellt 
haben.    (Vgl  Farnrohr,  1.  c) 

Wenn  man  die  klinische  Geschichte  der  Trommelschläge!  finger 
überblickt^  so  wird  man  erstannt  sein,  wie  sich  im  Lanfe  der  Zeit 
die  klinische  Geschichte  nnd  Bedentang  dieses  Krankheitssymptoms 
gewandelt^  verwickelt  und  kompliziert  hat.  Wie  Bamberger  nnd 
noch  vor  kurzem  Th.  Groedel  II  (1906)  n.  a.  es  ausgesprochen 
haben,  gehören  zur  Bildung  jener  Difformität  offenbar  mehrere 
Umstände:  eine  einheitliche  Auffassung  ist  zurzeit  nicht  möglich^ 
und  wir  dürfen  getrost  mit  dem  Ausspruch^  von  S.  West 
schUefien,  den  ich  dieser  Arbeit  vorangesetzt  habe:  „Clubbing  is 
one  of  those  phenomena  with  which  we  are  all  so  familiär  that 
we  appear  to  know  more  about  it  than  we  really  do/ 


Literatur. 


Albers-Schönberg,  Fortschritte  auf  dem  Gebiete  der  Röntgenstrahlen  Bd.  1—8. 

J.  F.  H.  Albers,  Lehrbuch  der  Semiotik.    Leipzig  1834.   p.  666 f. 

Alquie,  Recherches  snr  la  forme  de»  doigts  conime  nn  signe  (Bulletin  medical 

du  Midi  1838)  u.  Gazette  m^d.  de  Paris  No.  10.    iaS8.    Referat  in  Schmidt'» 

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L 


106  V.  Ebsteik 

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Geneesk.    6.  April  1901. 
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Walter  Berent,  Znr  Ätiologie  osteoarthropathischer  Verftnderiuigen.   Berl.  klin. 

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H.  Bernhardt,  Über  Vorkommen  and  Ätiologie  einseitiger  Trommelschlägel- 

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etude  pathog^nique.    Thdse  de  Toulouse  1898  (No.  246). 
C.  Gerhardt.   Über  Rhenmatoiderkrankungen  Bronchiektatischer.     Archiv  für 

klin.  Medizin  Bd.  XV.    1875. 
Derselbe,  Ein  Fall  von  Akromegalie.    Berl.  klin.  Wochenschr.  1890  Nr.  52. 
Derselbe,  Die  Hand  des  Kranken;  in  R.  y.  Volkmann,  Sammlung  klinischer 

Vorträge.   Leipzig  1898.   p.  1200  f. 
Gilbert  u.  Fournier,  La  cirrhose  hypertrophique  avec  lettre  chronique  chez 

Tenfant.   Soci^t^  de  biologie.  Juni  1895,  und  Revue  mensuelle  des  maladies 

de  renfance.    Bd.  XIII.    Juli  1895.   p.  309;  Schmidts  Jahrbücher  Bd.  249 
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Gillet,  Osteoarthropathie  . . .  de  Marie  chez  Fenfant.   Annales  de  la  Polyclinique 

de  Paris.    März  1892.    p.  92. 
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Bd.  30  Heft  1.)   p.  56  ff. 
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Übersetzung  dieses  Werkes  erschien  von  H.  Breßler  (Leipzig  1843)  unter  dem 

Titel  „Klinische  Beobachtungen^  p.  515. 


108  V.   Ebstkih 

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0.  Heubner,  Lehrbuch  der  Kinderkrankheiten  Bd.  II.  Ldpzig  1906.   p.  353. 
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Hans  Hirsch  fei  d,  Über  Yergrdfiemng  der  Hände  und  FQOe  auf  neoritischer 

Grundlage  (Dermatobypertrophia  Tasomotoria).     Zeitachr.  fllr  ktin.  Medizin 

Bd.  44.    190^^.   p.  251—261. 
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Medizin  und  Kinderheilkunde  in  Wien)  nach  der  Deutschen  med.  Wochenschr. 

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Derselbe,  Fall  yon  Morbus  caeruleus.   Deutsche  med.  Wochenschr.  1906  Nr.  11 

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Derselbe,   in:   Pfaundler-Schloßmann,  Handbuch  der  Kinderheilkunde. 

Sept.  1906.    Bd.  II,  a,  426  fif.  u.  436. 
A.  Hoffmann,  Ein  Fall  von  Pulmonalstenose  mit  enormen  Hypertrophien  der 

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F.  A.  Hoffmann,  Die  Krankheiten  der  Bronchien.   Wien  1896.  (Bronchiektasie) 

p.  182. 
Huxham.  Opera.  Edit.  Reichel.  Lipsiae  1764. 
Chr.  Jakob,  Atlas  der  klin.  Untersuchungsmethoden.  (L^mann's  Handatlanten.) 

MQnchen  1897.  p.  178.   (Abbildung  (Fig.  59)  Ton  Trommelschlägdfingem  bei 

einer  typischen  Pulmonalstenose.) 
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T.  C.  Janeway,  American  Journal  of  the  medical  science  1903  Vol.  CXXVI  p.  563. 
Jolly,  Über  Akromegalie  und  Osteoarthropathie.    Berl.  klin.  Wochenschr.  1899 

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Wien  und  Leipzig  1893.    Bd.  II  p.  70  f. 
F.  Klau,  Ein  Fall  von  Akromegalie.    St.  Petersburger  med.  Wochenschr.  1906 

Nr.  29  u.  30  (mit  Abbildungen  der  Hand  und  des  Fußes)  p.  305. 
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J.  Kollarits,  Beiträge  zur  Kenntnis  der  vererbten  Nervenkrankheiten.  Deutsche 

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Krüger,  Über  Osteoarthropathie  hypertrophiante  pneumique.     Deutsche  med« 

Wochenschr.  1905  Nr.  39  p.  1583. 
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C.  T.  Lieber  meist  er.  Vorlesungen  Über  spez.  Pathologie  und  Therapie  Bd.  3. 

Leipzig  1887.   p.  252,  397,  488. 
Derselbe  ifi:  Ebstein-Schwalbe,  Handbuch  Bd.  1  p.  144,310  (Stuttgart  1899). 
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Gesellschaft.    (Berl.  klin.  Wochenschr.  1897  p.  235 f.) 
£.  Littre,  Oeuvres  compl^tes  d'Hippocrate  Bd.  5  p.  672f.    Paris  1846. 
London y  Fidl  von  Lepra  anaesthetica  usw.  Wiener  med.  Wochenschr.  1875  p. 250. 
J.  Mangelsdorff,  Vorkommen  von  trommelschlftgel förmigen  Fingerendphalangen 

ohne  chron.  Veränderungen  an  den  Lungen  oder  am  Herzen.   Wiener  med. 

Wochenschr.  1885  XXXV.  Nr.  12  p.  361  f. 
A.  Mann,  Schriften  des  Kappadocier  Archaeus.   Halle  1858.   p.  61. 
Marfan/ Osteoarthropathie   hypertrophiante  pneumique.     Le  Progr^s  m^dicale 

ISaH  I  p.  384  (Soci^t^  m^d.  des  h6pitauz  1893). 
Derselbe,  Bull,  et  M6m.    Soc  med.  des  Hopitaux  de  Paris  1893  3.  SMe  Vol.  X 

p.  365. 
Derselbe  in:  Traite  de  medecine  von  Charcot,  Bonchard,  Brissaud  Bd.  IV.  Paris 

1893  p.  377  (Dilatation  des  broncfaes)  und  p.  645  (Phthisie  chronique)  mit  einer 

Abbildung  der  faippokratischen  Finger  nach  Bicher. 

P.  Marie,  De  Tost^oarthropathie  hypertrophiante  pneumique.  Revue  de  mMecine 
1890  Vol.  X  p.  1—36. 

H.  Meige  u.  F.  Allard,  Deux  infantiles:  infantile  myxoedemateux  et  infantile 
de  Lorain  in:  Nonvelle  iconographie  de  la  Salp6tri^re  Bd.  XI.  Paris  1898 
p.  108  n.  113  (Tafel  XV  C:  Infantiles  Myxödem,  19  Jahre  alt). 

H.  Meillet,  Des  deformations  permanentes  de  la  main  au  print  de  vue  de  la 
semeiologie  m^dicale.  Dessins  de  M.  P.  Rioher.  Th6se  de  Paris  1874  Taf.  KI 
Fig.  5,  7,  10. 

C.  Mettenheimer,  Der  partielle  Riesenwuchs  als  vorübergehende  Erankheits- 
erscneinung.   Memorabilien  XXX.  Jahrg.   Heilbronn  1885.   n.  449—457. 

J.  M.  Miller,  A  case  of  pulmonary  osteoarthropathy  limitea  to  the  terminal 
phalanges  in  a  child;  with  a  brief  consideration  of  the  relation  of  osteo- 
arthropaty  to  the  clubbed  fingers  of  chronic  heart  and  lung  di^ease.  (Trans- 
actions  of  the  American  pediatric  Society  Vol.  XVI  1&04— 1905  p.  267—277.) 

Minor,  Neuroloe.  Zentralblatt  1897  Nr.  16. 

P.  J.  Möbius,  Zur  Lehre  von  der  Osteoarthropathie  hypertrophiante  pneumique. 

-      Münch.  med.  Wochenschr.  1892  Nr.  23  p.  399. 

M.  Moizard,  Bull,  et  M^m.  de  la  Soc.  mM  des  Hopitaux  de  Paris  1893  3.  S6rie 
VoL  X  p.  359-365;  siehe  auch  Progr^s  medicale  1893  Vol.  I  p.  884. 

DerBelbe,  Deux  cas  d^ost^oarthropathie  pneumiques  chez  les  enfants.  Le  Progräs 
medical  1893  I  p.  884. 

N.  Moore,  Congenital  disease  of  heart.  Transactions  of  the  pathological  Society 
of  London  Vol.  XXXVI.   London  1885.   p.  177. 

Monssous,  Du  traitement  de  la  pleurale  purülente  par  les  injections  intra- 
pleurales de  sublim^.    Journal  de  m4d.  de  Bordeaux  1890.   Nr.  10  n.  11. 

M.  £.  A.  Naumann,  Handbuch  der  medizinischen  Klinik  Bd.  1.  Berlin  1829 
(Phthisis  pulmonalis).   p.  668. 

F.  Niemeyer,  Die  Krankheiten  der  Respirations-  und  Zirkulationsorgane.  Berlin 
1858.   Bd.  Ip.l8l. 

Obermayer,  Knocbenveränderungen  bei  chron.  Ikterus.  Wiener  klin.  Rund- 
schau 1897  (Nr.  38  u.  39)  p.  625. 


110  V.  Ebstein 

John  W.  Ogle,  EDoriDöns  Anearysm  of  the  Rifrbt.  SnbclaTian  Artery  —  Pe- 
culiar  Cyanosu  and  Clnb-shaped  condition  of  the  Finf^era,  wiüi  remarkable 
Hyperthropbie  of  their  Naila.  —  Death  after  two  att4fcck8  of  ontward  Haen 
morrhage  from  Bnptnre  of  the  Anenrysroal  Sac.  Transactions  of  the  patho- 
logical  Society  of  London.    Vol.  X  p.  103— lOö,  London  1869. 

Derselbe,  Drawing:  illnstrating  a  remarkable  condition  of  tiie  nail  and  end  of 
one  finger,  in  connection  wiä  nenralgia  of  the  same  finger  and  of  the  npper 
arm.  (Transactions  of  the  Pathological  Society  of  London.  Vol.  16,  Londun 
1865,  p.  268f. 

H.  Oppenheim,  Lehrbnch  der  Nervenkrankheiten.    Bd.  2,  Berlin  1905,  p.  1349 

n.  1402. 
Orillard,  De  Tost^oarthropathie  hypertrophiante  pnenmiqne.    Gazette  des  hö- 

pitanx  1892,  p.  685. 
Derselbe,  Un  cas  d^ost^oarthropathie  hypertroph,  pneamiqne.    Bevne  de  m6d. 

1892    XII  p.  231—247. 
Adolph  Wilhelm  Otto,  Lehrbuch  der  patholog.  Anatomie  des  Menschen  und  der 

Tiere.    Erster  Band.    Berlin  1830,  p.  115. 

Pätissier,  article  on^les,  in:  Dict.  des  sciences  mM.    Vol.  37  p.  334. 

G.  Pichard,  Snr  les  a^formations  des  doigts  survenant  an  conrs  de  certaines 

maladies  de  Tappareil  respiratoire.    Th^e  de  Paris  1898 — 99.    (72  Seiten.) 
Pick,  Trommelschlägelfinger.    Münch.  med.  Wochenschr.  1904  No.  14. 

Pigeanx,  Becherches  snr  le  d^veloppement  fnsiforme  de  rextr4mit6  des  doigts. 

(Arch.  g^n.  de  m^d.  1832.    1  Serie.    Bd.  29.    p.  174  ff.) 
Polaillon,   Article:    Doigt  in:    Dechambre,    Dictionnaire   enoyclopMiqne   des 

sciences  m^dicales.    Paris  1884.    p.  320.    (Mit  Literatnrangaben.) 
Pope  n.  Clarke,  Akromegalie-Badiogramm.    British  medical  Jonmal.    1.  Dec 

19Ö0  p.  1602. 

G.  Ranchfnß.    Petersburger  med.  Zeitschrift    1875.    p.  287. 

Derselbe,  Die  angeborenen  Entwicklungsfehler  nnd  die  FOtalkrankheit^n  des 

Herzens  nnd  der  großen  GefftUe  (S.-A.  ans  dem  IV.  Bande  des  Handbuchs 

der  Kinderkrankheiten  von  C.  Gerhardt),    p.  87. 
G.  Rauzier,  Ost^-arthropathie  hypertrophiante  d'origine  pneumique.    (Beroe 

de  med.,  Januar  1891.)    p.  30—60. 
P.  Bayerns  Darstellifncf  der  Krankheiten  . . .,  herausg.  von  H.  Stannius.   Bd.  IIL 

Beriin  1839.    p.  357. 
F.  y.  Recklinghausen,  Handbuch  der  allgemeinen  Pathologie  des  Kreislaufs. 

Stuttgart  1883.    p.  3 12  f. 
Gustaf  Ketzius,  Biologische  Untersuchungen.    Neue  Folge.    Bd.  XL    Stock' 

holm  u.  Jena  1904.    p.  67  u.  75  u.  Tafel  XXIU— XXVI. 
Romberg,  in:   Ebstein-Schwalbe,  Handbuch   der  praktischen   Medizin.    Bd.  1. 

p.  717  u.  847. 
0.  Rosenbach,  Die  Auftreibung  der  Endphalangen  der  Finger,  eine  bisher  noch 

nicht  beobachtete  trophische  Störung.     (Centralblatt  für  Nervenheilknnde. 

Xm  5.  1890). 
Rotchu.  Dünn,  Archives  of  Pediatrics  1903.    Vol.  XX,  p.  721. 
H.  Ruehle,  Lungenschwindsucht  (in:  Ziemüen's  Handbuch  der  speziellen  Patho- 
logie und  Therapie.    Bd.  V.    2.  Aufl.    Leipzig  1877.    p.  87. 
F.  M.  Rumbold,  Bulbons  or  clubbed  fingers.    Laryngoscope.    The  A.  monthly 

Journal.    St.  Louis  1897.    III,  p.  361—363.  —  In  Göttingen,  Berlin,  London 

u.  München  nicht  vorhanden,  dagegen  in  der  Senkenbergischen  Bibliothek 

in  Frankfurt  a.  M. 
Rummo,  Riforroa  medica,  8.  Juni  1900. 

H.  Sahli,  Lehrbuch  der  klinischen  Untersuchungsmethoden.    3.  Aufl.    Leipzig 

und  Wien  1902.    p.  43. 
F.  B.  Sauvage,   Nosologia  methodica  sistens  morborum  classes  etc.     Amster* 

dam  1763.    Bd.  III  2  p.  268. 
A.  Schanz,  Fuß  und  Schuh,  eine  Abhandlung  für  Arzte  usw.    Stuttgart  1903 

(vgl.  auch  das  Referat  in  der  „Umschau"  vom  29.  April  1905). 
A.  Schittenhelm,  Ein  Beitrag  zur  Lehre  von  der  Osteoarthropathie  hyper-' 

trophiante  Marie's.    (Berliner  klin.  Wochenschrift  1902  Nr.  12.) 


Zur  kÜBischen  Geschichte  und  Bedentimg  der  TrommelschlägelfiDger.   Hl 

Schlagenhanfer,  Über  dif f orm .  ossific.  Periostitis.  Zeitsohr.  f.  Heilkunde  1 904. 
A.  Schmidt,  Lehrbuch  der  allgemeinen  Pathologie  und  Therapie  innerer  Krank- 
heiten.   Berlin  1903.  p.  aOB. 
M.  B.  Schmidt,   Die   allgemeine   hyperplastische  Periostitis  nsd  O^tis,  in: 

Labarsch  n.  Ostertag.  Ergebnisse  der  allgemeinen  Pathologie.    Y.  Jahrgang. 

Wiesbaden  1900.    p.  932  ff. 
Heinrich  Schmidt,   Eigentümlicher  Fall  von   Trommelschlägelfingem.     (Med. 

Gesellschaft  in  Leipng^.)    Schmidt's  Jahrbücher.    Bd.  230  p.  270  f. 
Derselbe,  Über  die  Beziennng  der  Syphilis  znr  Osteoarthropathie  hypertrophiante 

pneumiqne.    Münchener  med.  Wochenschrift  1892  Nr.  36. 
Jens  Schon,  Ein  Fall  Ton  Trommelschlägelfingem   bei   Empyem.    Ugeskr.  f. 

Lftger  ö  R.  II  6  1895.    (Vgl.  Beferat  im  Jahrbuch  für  Kinderheilkunde. 

Bd.  43  p.  348.    Leipzig  1896.) 
A.Seeligmttller,  Lehrbuch  der  Krankheiten  der  peripheren  Nerven  und  des 

Sympathikus.    Brannschweig  1882.    p.  379. 
Serre,  Deform,  des  doigts.    I^  S4m6iologie  des  deformations  digitales.     Th^se 

de  Paris  1895—96. 
GustaT  Simon,  Die  Hautkrankheiten  durch  anatomische  Untersuchungen  erläutert. 

Zweite  Auflage.    Berlin  18öl.    p.  399  f.    Tafel  VIU,  Fip;.  5. 
Smirnoff,  Ein  seltener  Fall  von  ausgebreiteter  symmetrischer  Verunstaltung 

auf  Grund  hereditärer  Syphilis.    Monatsschrift  für  praktische  Dermatologie. 

1888.    p.  1. 
y   Eustace  Smith,   Clinical   studies   of  diseases  in   Children.    Second   Edition. 
^  Philadelphia  1887  p.  113. 

Hugh.  B.  Smith,  Girrhose  hypertrophique  avec  lettre  et  d^formation  du  squelette. 

Transactions  clinical  Society  of  London  1898  (16.  März),    p.  258. 

A.  T.  Sokolowski,  Klinik  der  Brustkrankheiten.    2.  Bde.    Berlin  1906.    I  179 

und  n  291, 
Fr.  Spieler,  Über  eine  eigenartige  Osteopathie  im  Kindesalter.    (Zeitschrift  f. 

Bfeükunde  XXVI.  Bd.  1905  Heft  VI  p.  206-224.) 
Spillmaunn.  Haushalter,    Coutribution    ä  T^tude  de  Tost^o-arthropathie 

hypertrophiante.    Revue  de  m6decine  1890  p.  361—373. 
L.  Stembo,  Über  Ost^o- Arthropathie  hypertrophiante  pneumique.    Petersburger 

med.  Wochenschrift  1893  Nr.  3. 
H.  Sternberg,  VegeUtionsstörungen  und  Systemerkrankuuffen  der  Knochen. 

Nothnagel's  spez.  Pathologie  und  Therapie  Bd.  VII,  II,  Teil  2  1903  p.  72. 
J.  L.  Stevens,    Glauffow  Medical  Journal  1897  Vol.  48  p.  241. 

B.  J.  Stokvis,  Zur  Kasuistik  der  autotoxischen  enterogeuen  Cyanosen.    Leyden's 

Festschrift    Berlin  1902.    n.  597—610. 
N.  Swoboda,    Über   das   Vorkommen  von  Trommelschlägelfingem  im  frühen 
Kindesalter.    Mitteilunfi^en  der  Gesellschaft  für  innere  Medizin  und  Kinder- 
heilkunde in  Wien  1904  Nr.  4.   (Auch  Referat  in  der  Deutschen  med.  Wochen- 
schrift 1904  Nr.  24  p.  1086.) 

Taylor,  Guy's  Hospital  Reports  1895  p.  45. 

Teleky,  Beiträge  zur  Lehre  von  der  Osteoarthropathie  hypertrophiante  pneu- 
mique.   Wiener  klinische  Wochenschrift  Vol.  X  1897  p.  142. 

W.  S.  Thayer,   New  York  medical  Journal  11.  Januar  1896  p.  33. 

Derselbe,  Hypertrophie,  pulmonary  osteo-arthropathy  and  akromegaly.  (The 
Philadelphia  medical  Journal  5.  November  1898.) 

G.  Thibierge,  Sur  quelques  formes  d'osteopathies  systömatlsees.  Gazette  heb- 
domadaire  de  ra6decine  etc.  Bd.  XXVII  (1890}  p.  231-234. 

W.  Tborburn,  Three  cases  of  hypertroph,  pulmonary  osteoarthropathy.  Bri- 
tish medical  Journal  1893  Vol.  I  p.  1155. 

W.  Tborburn  und  F.  H.  West macott,  The  patbology  of  hypertrophic  pul- 
monary osteo-arthropathy.  Transactions  of  Pathol.  Soc.  of  London.  1896 
Vol.  47  p.  177—190. 

Trousseau,  Clinical  Lect.  III.  305.  Lectures  on  Clin.  Med.  5  vol.  1867—72. 
(Publikation  der  Sydenham  Gesellschaft.) 

Derselbe,  Journal  des  connaissances  Medico- Chirurgieales  1834.  Deutsch  von 
G.  F.  Loch n er.  Paris  und  Nürnberg  1834.  Zwölftes  Heft.  p.  275 f.  (Von 
der  hippokratischen  Form  der  Finger  der  Tuberkulösen.) 


112    V.  Ebstein,   Z«r  klin.  Geitchichte  n.  Bedeatnng  d.  Trommelschlägelfinger. 

Ulmo  y  Tmffin,  Consid^ratioiis  snr  les  ongles.  S^meiotiqne  et  m^edne 
legale.    Th^se  de  Paris  187r». 

Yariot,  Independance  des  malformations  congen.  da  ccp.ur  et  de  la  cyanose. 
(Journal  de  din.  int.  20.  Mai  1897.) 

Yariot,  Uu  cas  de  cyanoee  avec  dUat.  de  Tart.  pnlm.  (Jonmal  clin.  infant. 
14.  Okt.  1897.) 

Yariot  u.  Ohicotot    ReTne  de  Pediatrie  1899. 

HaxYernois,  Dela  main  industrielle  etc.  (Gazette  medicale  de  Paris  1861. 
p.  697.) 

Derselbe.    Archire  de  m4A.  ö.  Serie  Bd.  18  p.  745  1861. 

Derselbe^  Des  diverses  circonstauces,  qni  semblent  pendant  le  conrs  des  mala- 
dies  d^terminer  la  forme  coarb^e  des  ongles.  (Arcbives  gen^rales  de  m6de- 
eine  3  S6rie  1839  Bd.  VI  p.  310.) 

H.  Vierordt,  Die  ang^eborenen  Herskrankheiten.  Wien  1898.  (Nothnagers 
jjpez.  Pathologie  und  Therapie  Bd.  XV.  2)  p.  36 f. 

P.  Wagner,  Über  angeborenen  und  erworbenen  Biesen wnchs.  Schmidfs  Jahr- 
bücher Bd.  216  p.  191. 

Derselbe,  Znr  Kasuistik  des  angeborenen  und  erworbenen  Riesenwachses. 
Zeitschrift  für  Chirargie  1887  XXVI  p.  281. 

W.  H.  Walshe,  Die  physikalische  Diagnose  der  Langenkrankheiteu.  Aas  dem 
Englischen  von  A.  Schnitzer,    gr.  8^    Berlin  1843. 

Derselbe,  A  practical  treatise  on  the  diseases  of  the  längs,  and  heart  Lon- 
don 1861. 

E.  R.  Walters,  St.  Thomas'  Hospital  Reports,  London  1895.  N.  S.  Vol.  XXIV  p.  1. 

Derselbe,  ebenda  p.  105. 

Derselbe,  A  case  of  pulmonary  hypertrophic  osteo-arthropathy.  British  medical 
Joamal  1896  Vol.  I.  8.  Februar,  p.  329. 

S,  West,  Two  cases  of  clubbing  of  the  fingers  devcloping  within  a  fortnight  and 
four  weeks.  respectively.  Transactions  of  the  Clin.  Society  of  London.  XXX. 
London  1896—97.   p.  60—64. 

Royal  Whitman.  Pediatrics.    New  York  1899.    Vol.  YII  p.  154. 

€.  A.  Wunderlich,  Handbuch  der  Pathologie  und  Therapie.  III.  Bd.  2.  Ab- 
teilung.  2  verm.  Aufl.   Stuttgart  1856.   p.  417. 

Derselbe,  Die  Heilbarkeit  der  akuten  Miliartuberkulose.  Archiv  der  Heilkunde. 
I.  Jahrg.  Leipzig  1860.  p.  297. 


>  t     > 


VI. 

Ans  der  UnterrichtsanstaU  f&r  Staatsarzneikunde  in  Berlin 
(Direktor :  Geheimer  Medizinalrat  Prof.  Dr J  8 1  r  a  fi  m  a  n  n). 

Unterisnchiingeii  znr  fintstehnng  der  sogenannten 

spontanen  Magenmptnr. 

Von 

Paul  Fraenckel^ 

AiBistaiit  der  Amtalt. 
(Hit  5  Knrren  im  Text.) 

» 

Vor  anderthalb  Dezennien  hat  AlgotKey-Äberg^)  zum  ersten- 
mal einen  jener  seltenen,  f&r  den  Kliniker  wie  den  gerichtlichen  Medi- 
ziner gleich  interessanten  Fälle  von  Zerreißongen  in  den  Magen- 
wänden mitgeteilt,  die  gelegentlich  im  Gefolge  einer  unzweckmäßig 
ausgeführten  Magenspülung  entstehen.  Bei  der  Obduktion  eines  an 
Opinmvergiftung  verstorbenen  Mannes  beobachtete  er  in  dem  sonst 
gesunden  Magen  eine  gi-ößere  Anzahl  Zeireißungen  der  Schleim- 
haut, die  offenbar  vitalen  Ursprungs  waren  und  aus  denen  sich 
reichlich  Blut  dem  Mageninhalt  beigemengt  hatte.  Sie  saßen  längs- 
gerichtet auf  einem  2— 4  cm  breiten  Gebiet,  in  und  nächst  der 
kleinen  Kurvatur,  das  in  einem  Abstände  von  ungefähr  2  cm  von 
der  Kardia  begann  und  sich  von  hier  bis  etwas  mehr  als  halb- 
wegs zum  Pylorus  hin  erstreckte.  Bei  dem  halb  bewußtlos  ein- 
gelieferten Manne  war  eine  etwas  eilige  Ausspülung  des  Magens 
vorgenommen  worden,  bei  der  das  eingegossene  Wasser  nicht  wieder 
vollständig  herauszubefördem  war.  Bald  nach  der  Operation  trat 
der  Tod  ein.  In  zahlreichen  Experimenten  an  Leichen  hat  Key- 
Äberg  dann  nachgewiesen,  daß  sich  die  unvollständigen  und  voll- 
ständigen Bißwunden  im  linken  Teil  der  kleinen  Kurvatur  mit 


1)  AlgotKey-Abergy  Zur  Lehre  von  der  gpontanen  Magenmptnr.  Viertel- 
jahisscbrift  ftlr  gerichtl.  Medizin  u.  öifentl.  Sanitätswesen  1891.  Dritte  Folge 
1.  Bd.  p.  42—70. 

DeutschM  Arehiv  f.  klin.  Medizin.   80.  Bd.  8 


114  VI.   Fbabsckel 

Regelmäßigkeit  bei  zu  starker  Anf&llung  des  Magens  erzeugen 
lassen,  daß  erst  bei  stärkerem  Druck  auch  an^atideren  Stellen  Risse 
auftreten,  die  bei  selir  starker  Anspannung  radienweise  um  die 
Kardia  angeordnet  sein  können.  Er  bat  femer  die  Lage  und  Be- 
ziehung der  Serosarisse  zu  den  Schleimhautüssen  ermittelt  und 
festgestellt,  daß  sie  an  anderen  Stellen  nie  eher  entstehen,  als  wenn 
es  bereits  in  der  Schleimhaut  der  kleinen  Kurvatur  zur  Ruptur  ge- 
kommen ist  und  vieles  andere  mehr,  worauf  hier  einzugehen  nicht 
der  Ort  ist,  was  ich  aber,  wie  ich  vorwegnehmen  möchte,  durchweg 
bis  ins  Kleinste  bei  meinen  Versuchen  bestätigen  konnte. 

Die  Literatur  weist  bisher  keinen  analogen  Fall  auf.  Der 
einzige  ihm  ähnliche  ist  von  Straßmann ^)  mitgeteilt.  Hier 
handelte  es  sich  aber  um  einen  krebskranken  Magen,  bei  dem  im  An- 
schluß an  eine  sehr  energische  Magenspäluug  schnell  der  Tod  durch 
Perforation  in  die  Bauchhöhle  erfolgte.  Der  Riß  saß,  weit  entfernt 
von  der  krebsigen  Infiltration,  in  der  Mitte  der  kleinen  Kurvatur, 
war  ihr  parallel  gerichtet,  bikonvex  und  beiderseits  spitz  zulaufend. 

Ein  vollkommenes  Analogen  zu  dem  Key-Aberg'schen  Fall 
hat  dagegen  Straßmann  kfirzlich,  auf  der  diesjährigen  Natur- 
forscherversammlung in  Stuttgart  aus  seiner  Praxis  veröffentlicht. 
Auch  hier  war  es  eine  Opiumvergifbung,  bei  der  sich  nach  Magen- 
ausspftlungen  in  einem  hiesigen  Krankenhause  eine  ganz  typische 
Zerreißung  der  Schleimhaut  gebildet  hatte,  etwa  ein  Dutzend  Risse^ 
die  auf  der  kleinen  Kurvatur  und  strahlenförmig  um  die  Kardia 
gelagert  waren  und  sich  vollkommen  mit  der  Beschreibung  des  erst- 
genannten Falles  deckten. 

Wenn  auch  unabhängig  von  einer  Magenausspülung,  so  doch 
auf  Grund  derselben  mechanischen  Verhältnisse  entstanden  ist  eine 
interessante  Verletzung,  die  v.  Wunsch  heim*)  beschrieben  hat 
Bei  einem  52jährigen  Manne  mit  Ösophaguscarcinom  war  es  nach 
einer  vergeblichen  Sondierung  zum  Tode  infolge  Durchbruchs  der 
Geschwulst  in  die  Aorta  gekommen.  In  dem  aufgetriebenen  Magen 
fand  man  fiber  einen  Liter  teils  geronnenen,  teils  flüssigen  Blutes. 
An  der  hinteren  Wand,  in  unmittelbarer  Nähe  der  kleinen  Kur- 
vatur ein  5  cm  langer,  parallel  zu  ihr  gelegener  klaffender  Schleim- 
hautriß, der  bis  auf  die  Muscularis  reichte,  diese  aber  intakt  ließ. 

Die  Praxis  hat  demnach   Key-Äberg's   experimentell    ge- 


1)  Fr.  Strftßmann,  Lehrbuch  der  gerichtlichen  Medisin  1895  p.  399. 

2)  V.  Wunschheim,  Zur  Kasoistik  der  spontanen  Magenrnptar.    Prag-er 
med.  Wochenschr.  Nr.  3   1893. 


(Jateranchung^eii  zur  fintstehnng  der  logeiiannteii  spontanen  Mag^enrnptnr.     115 

wonnene  Anscbaaung,  dafi  der  menschliche  Magen  in  der  kleinen 
Eoryatar  fBr  Innendmck  einen  Locus  minoris  resistentiae  hat^ 
mehrfach  bestätigt 

Die  Erklärangj  die  er  Ar  das  Zastandekommen  dieses 
schwächsten  Punktes  gibt,  war  mir  aber,  weil  sie  nicht  ganz  zu 
befriedigen  schien,  Veranlassung,  zn  untersuchen,  ob  sie  sich  bei 
experimenteller  Prflfung  aufrecht  halten  läßt  Nach  erschöpfender 
Berflcksichtigung  aller  in  Betracht  kommenden  Verhältnisse  ent- 
scheidet sich  Key-Äberg  nämlich  fBr  die  Ansicht,  daß  das  Phä- 
nomen, abgesehen  von  der  relativ  geringt^ren  Falten  bildung  der 
Schleimhaut,  nichts  mit  anatomischen  Verhältnissen  zu  tun  habe, 
sondern  wesentlich  von  der  Form  des  Magens  abhängt  Er  vergleicht 
diese  mit  einem  etwas  gekrümmten  und  etwas  abgeplatteten  Konus. 
Ein  gerader  Kegel  von  zirkulärem  Durchschnitt  setzt  bei  innerem 
Druck  queren  Zerreißungen  einen  doppelt  so  großen  Widerstand 
entgegen  als  längsgerichteten  und  die  Beanspruchung  macht  sich 
am  meisten  und  gleichf5rmig  an  allen  Punkten  des  größten  Durch- 
messers geltend.  Durch  die  Abplattung  werden  die  zwei  stärker 
gekrümmten  Stellen  des  größten  Durchmessers  am  meisten  ge- 
fährdet. Diese  Stellen  sind  aber  am  Magen  der  fragliche  Punkt  in 
der  kleinen  Kurvatur  und  ein  korrespondierender  der  großen.  Da 
nun  die  kleine  Kurvatur  stärker  abgeplattet  ist  als  die  große,  so 
wird  sie,  weil  der  Innendmck  danach  strebt,  den  Querschnitt  kreis- 
förmig zu  machen,  einer  verhältnismäßig  großen  Formveränderung 
ausgesetzt  werden  und  an  der  bezeichneten  Stelle  die  größte  Be- 
anspruchung erleiden. 

Diese  Erklärung  erscheint  trotz  ihrer  bestechenden  Einfachheit 
nicht  völlig  befriedigend.  Sie  hat  zur  Voraussetzung,  dafi  sich  die 
Hagenwand  dem  von  innen  wirkenden  Drucke  gegenüber  in  allen 
Teilen  gleichmäßig  verhält,  daß  sie  für  ihn  als  homogen  zu  be- 
trachten ist  Key-Äberg  hat  diese  Vorfrage  nach  seinen  Er- 
fahrungen bejaht  Und  doch  drängt  sich  bei  der  einfachen  Be- 
trachtung eines  menschlichen  Magens  der  Gedanke  auf,  daß  diese 
Bedingung  nicht  erfüllt  ist.  Gerade  die  Gegend  der  kleinen  Kur- 
vatur ist  es,  die  sich  durch  einige  Besonderheiten  vor  den  übrigen 
Hagenwandungen  auszeichnet  und  der  Vermutung  Kaum  läßt,  es 
könnten  doch  auch  rein  anatomische  Verhältnisse  dabei  mitwirken, 
daß  die  Schleimhautrisse  und  die  Sprengung  des  Magens  überhaupt 
diese  Stelle  bevorzugen. 

Die  Übertrittsstellen  des  Peritoneums  auf  die  Magenwände  voll- 
ziehen sich  nämlich,  wie  die  Betrachtung  lehrt,  an  den  beiden  Kur- 

8* 


116  VI.  Fbabhciuu. 

vataren  in  verschiedener  Weise  und  es  ist  nicht  m6glieh,  •  diese 
beiden  Teile  in  di^ser  Beziehung  als  gleich  anzusehen.  Der  Unter- 
schied besteht  erstens  darin,  daß  an  der  kleinen  Eonratar  die 
beiden  Peritonealblätter  erheblich  weiter  auseinanderliegen  als  an 
der  großen,  so  daß  der,  unbekleidete  Tjdil  der. Muskelschicht  dort 
viel  breiter  ist .  als  hier.  Dieser  Unterschied  kann  nun  freilich 
nicht  zu  der  geringeren  Widerstandsfähigkeit  der  kleinen  Kurvatur 
in  Beziehung  stehen  und  er  ist  nur  der  Vollständigkeit  wegen  er- 
wähnt Denn  wenn  überhaupt  die  Serosa  eine  wesentliche  Ver- 
stärkung der  Magenwand  abgibt,  so  mttflte  ihr  Fehlen  auch  schon 
an  einer  schmalen  Strecke,  wie  an  der  großen  Magen  krQmmung. 
Gelegenheit  zum  Reißen  geben.  Überdies  hat  ;Eey-Äberg  ex- 
perimentell erwiesen,  daß  Serosadefekte  keinen  Locus  minoris 
resistentiae  schaffen. 

Wichtiger  scheint  zunächst  der  andere  Unterschied  an  den  beiden 
Übertrittsstellen  des  Peritoneums,  der  in  der  Anordnung  der  Oefäße, 
mit  begleitenden  Nerven  und  Bindegewebe  und  des  Fettgewebes  be- 
steht.   Die  Gefäße,  nämlich  die  größeren  Seitenäste .  der  Arteriae 
coronariae  und  der  Venae  gastricae,  liegen  am  oberen  Magenrande 
erheblich  dichter  beieinander  als  an  dem  unteren, . eine  Folge,  des 
beschränkteren  Raumes.    Das  Fettgewebe  wiederum  ist  nicht  nur 
an  der  kleinen  Krümmung,  auch  bei  mageren  Individuen,  viel  reich- 
licher als  an  der  großen,  sondern  es  steht  auch  in  festerer  Ver- 
bindung mit  den  Magenwänden  und  erstreckt  sich  vom  wie  hinten 
mehrere  Zentimeter  weit  auf.  die  Seitenflächen,  während  es  an  der 
unteren  Krümmung,  wenn  überhaupt,  nur  wenig  auf  sie  übergreift 
Durch  die  genannten  Verhältnisse  entsteht  eine  viel  derbere  Be- 
schaffenheit der  oberen  Magenkrümmung,,  die  sich  mit  einer  Ver- 
stärkung der  Wandung  vergleichen  läßt    Es  ,wäre  daher  denkbar, 
daß  sie  für  die  Entstehung  der  ersten  Schleimhautrisse  an  «dieser 
Stelle  in  der  Art  von  Bedeutung  wäre,  daß  die  Schleimhaut  in 
ihrem  Streben,  sich  allseitig  auszudehnen  und  der  Kug«lform  zu 
nähern,  hier  ein  Hindernis  fände.    Es  müßte  dann,  da  sie  sich  zu 
den  Seiten  der  kleinen  Kurvatur  stärker  vorbuchten  kann  als  in 
der  Mitte,  ein  Zug  in  querer  Richtung  nach  beiden  Seiten  hin  ent- 
stehen, der  zu  einem  Einreißen  in  der  Längsrichtung  führen  müßte.  — 
In  demselben  Sinne  könnte  die  Schleimhaut  aber  auch  durch  den  in 
der  kleinen  Kurvatur  gelegenen  Muskelzug  beeinflußt  werden,  der 
durch  besondere  Dicke  und  Festigkeit  vor  der  übrigen  Muskulatur 
ausgezeichnet  ist. 

Der  Frage,  ob  sich  die  Wände  des  Magens  dem  Innendruck 


Unteraachnngen  zur  Entgtehnng:  der  sogenannten  spontanen  Magenmptnr.     Il7 

gegenftber  homogen  verhalten,  habe  ich  mich  bemQht,  durch  Elasti- 
zit&tsbesümmongen  näherzutreten,  denn  die  in  den  Wänden  ent- 
stehenden Spannungen,  die  dem  Innendruck  das  Oleichgewicht  halten 
m&ssen,  sind  von  der  Elastizität  abhängig.  Das  Haß  der  hier  in 
Betracht  kommenden  Zugelastizität ')  ist  bekanntlich  der  Dehnungs- 
oder Elastizitätsmodul  (c),  der  definiert  ist  durch  die  Gleichung 

P-1 
i  =  — ^,  worin  1  die  ursprüngliche  Länge  des  untersuchten  Streifens 

bedeutet,  P  die  ihm  erteilte  Belastung,  l  die  erlittene  Verlängerung 
und  q  den  Querschnitt  Während  für  viele  anorganischen  Körper 
das  Hook'sche  Gesetz  gilt,  daß  innerhalb  der  Elastizitätsgrenze 
Proportionalität  zwischen  Belastung  und  Verlängerung  besteht^ 
€  also  eine  Eonstante  ist,  ist  dies  bei  organischen  Gebilden  nicht 
der  Fall,  sondern  e  wächst  langsamer  als  die  Spannungen.  Um  den 
Modul  für  jeden  Fall  zu  berechnen,  muß  der  Querschnitt  des 
untersuchten  Stückes  genau  bekannt  sein.  Diese  Messung  stoßt 
aber  bei  der  Art  der  Magengewebe  auf  sehr  große  Schwierigkeiten. 
Da  es  hier  nur  darauf  ankam,  Vergleiche  der  verschiedenen  Stellen 
desselben  Organs  vorzunehmen,  so  konnte  auf  die  Ermittlung  des 
Moduls  verzichtet  werden  und  die  Darstellung  des  elastischen  Ver- 
haltens durch  Dehnungskurven  geschehen,  auf  deren  Abscisse  statt 

p 

dei  Spannungen —  nur  die  belastenden  Gewichte  und  auf  deren 

Ordinate  die  Werte  für  -p  eingetragen  sind. 

Die  Bestimmung  des  wirklichen  Elastizitätswertes  war  ja  schon 
darum  nicht  zu  erreichen,  weil  nur  Leiehenorgane  untersucht  werden 
konnten,  an  denen  die  absoluten  Verhältnisse  geändert  sind,  die 
relativen  aber  fortbestehen. 

Über  die  Technik  bedarf  es  einiger  Worte.  Große  Schwierig- 
keiten bereitete  die  Lösung  der  Aufgabe,  aus  den  verschiedenen 
Stellen  der  Magenwandungen  die  erforderlichen  gleich  großen,  haupt- 
sächlich gleich  breiten  Stücke  auszuschneiden,  weil  die  Bestimmung 
der  wahren  Bnheverhältnisse,  bei  denen  weder  eine  ZeiTung  ausge- 
übt wird,  noch  unzulässige  Faltung  besteht,  gerade  bei  einem  Hohl- 


1)  Anf  die  strittige  Fragte,  ob  nnter-Elaituität  die.  Fähigkeit  zu  TerBtehen 
lei,  eine  dnrch  innere  Kräfte  veranlagte  Formftndemng  nach  Fortfall  dieser  Kräfte 
wieder  anssngleichen,  oder  aber  die  in  einem  Körper  dnrch  einen  Zwang  wach- 
gerufene innere  Kraft  (elastischer  Widerstand),  gehe  ich  als  hier  belanglos  nicht 
näher  ein.nnd  yerweise  anf  die  ErOrternngen  bei  Triepel,  Einftlhning  in  die 
physikalische  Anatomie.   Wiesbaden  1902. 


118  VI.  Frabncksl 

organ  besonders  unsicher  ist.  Außerdem  kommt  dazu,  daß  die  Masse 
der  Schleimhaut  die  der  Muskelschicht  an  Ausdehnung  übertrifft, 
was  sich  in  ihrer  Faltung  ausdrückt,  und  wodurch  am  heraus- 
geschnittenen Stücke,  sobald  der  Zwang  zur  Faltenbildung  auf- 
gehört hat,  die  Schleimhaut  an  den  Bändern  überquillt  Auf  die 
Messung  der  Wandschichten  im  ganzen  kam  es  zunächst  aber  an, 
daher  war  es  nötig,  die  Stücke  aus  dem  unaufgeschnittenen  Organe 
zu  entnehmen.  Die  besten  Besultate  gab  unter  diesen  Bedingungen 
schließlich  folgendes  Verfahren:  der  Magensack  wurde  auf  einem 
gut  angefeuchteten  Holzteller  so  ausgebreitet,  wie  er  sich  ohne 
jeden  äußeren  Zug  oder  Druck  legen  ließ.  Der  Teller  wurde  zu 
dem  Zwecke  angefeuchtet,  um  die  Reibung  der  zunächst  aufliegen- 
den Seite  zu  vermindern.  Dann  wurden  rechteckige  Stücke  mit 
Hilfe  von  Maß  und  Zirkel,  unter  Vermeidung  von  Druck,  ans- 
gemessen  und  jeder  Punkt  sofort  durch  Einschlagen  einer  Nadel 
durch  alle  Schichten  bis  auf  das  Holz  fixiert  Die  Stecknadeln 
wurden  darauf  durch  gerade  Linien,  die  mittels  eines  dünnen  Glas- 
stabes mit  einer  konzentrierten  Farblösung  aufgetragen  wurden,  zu 
dem  Rechteck  verbunden.  Nachdem  die  auszuschneidende  Figur 
so  gesichert  wai*,  wurde  sie  mit  der  Spitze  eines  besonders  scharfen 
Messers,  ebenfalls  unter  möglichster  Vermeidung  von  Druck  oder 
Zerrung  ausgestanzt  und  hierbei  besonders  beachtet,  daß  die  Schleim- 
haut gleich  mit  durchschnitten  wurde.  Während  die  Nadeln  noch 
immer  steckten,  wurden  schließlich  die  gebliebenen  Brücken  zwischen 
den  einzelnen  Stichen  mit  einer  scharfen  Schere  durchtrennt  Auf 
diese  Weise  glaube  ich,  die  Fehlerquellen  hinreichend  ausgeschaltet 
zu  haben. 

Zur  Messung  wurden  die  Stücke  zwischen  zwei  Klemmen  ein- 
gespannt, von  denen  die  obere  an  einem  festen  Galgen  angebracht 
ist  während  die  untere  eine  Öse  zum  Einhängen  der  Gewichts- 
schale trägt,  und  außerdem  mit  zwei  seitlichen  Nadeln  versehen 
ist,  die  die  Ablesung  ihres  Standes  auf  zwei  an  den  Galgenschenkeln 
angebrachten  Millimeterskalen  gestatten.  Die  Metallteile  sind  aas 
Aluminium  gearbeitet,  so  daß  die  untere  Klemme  mit  der  Schale 
nur  7,5  g  wiegt.  Das  Auflegen  der  Gewichte  hat  so  vorsichtig  zu 
geschehen,  daß  nie  ein  plötzlicher  Ruck  entsteht. 

Fraglich  kann  sein,  wann  abzulesen  ist  Es  zeigt  sich  nämlich 
bei  der  Dehnung  der  Magenwand,  wie  es  von  organischen  Geweben 
überhaupt  bekannt  Ist,  eine  außerordentliche  Nachdehnung,  so  daß 
man  verschiedene  Längen  ermitteln  kann,  je  nach  der  Zeit,  die 
man  wartet    Man  kann  nun  so  lange  warten,  bis  voller  Stillstand 


UulersnchoDgren  zur  Entstehung  der  sogenannten  spontanen  Magenraptor.     119 

eingetreten  ist,  dies  ist  aber  praktisch  nicht  dnrchzuführen,  weil 
sich  ein  solcher  Versuch  über  viele  Standen  hinziehen  würde. 
Meine  Beobachtungen  über  dieses  langsame  Ablaufen  der  Nach- 
wirkung beim  glatten  Muskel  stehen  ganz  im  Einklang  mit  dem, 
was  TriepeH)  darüber  sagt,  der  sehr  charakteristisch  bemerkt: 
^man  erhält  den  Eindruck,  als  ob  die  durch  Nachwirkung  bedingte 
Verlängerung  größer  wäre  als  die  momentane.  Ja,  oft  sieht  es  so 
aus,  als  hätte  das  Auflegen  des  Gewichtes  keine  oder  fast  keine 
momentane  Wirkung  und  gäbe  nur  den  Anstoß  zu  einer  allmählich 
in  der  Bichtung  der  Klemme  ablaufenden  Bewegung.^  Daß  dies 
Verhalten  bei  der  Magenwand  tatsächlich  auf  der  Muskularis  be- 
ruht, habe  ich  dadurch  feststellen  können,  daß  ich  die  Schichten 
einzeln  prüfte  und  es  bei  der  Mukosa  nicht  in  angenähert  dem- 
selben Maße  wiederfand  wie  bei  der  Muskularis.  Jedenfalls  ist  es 
leichter  und  einwandfreier  die  momentane  Dehnung  als  Maß  zu 
nehmen;  denn  es  gelingt  doch  in  den^  allermeisten  Fällen  ohne 
Schwierigkeit  einen  Zeitpunkt  zu  finden,  wo  die  Dehnung  zunächst 
scheinbar  aufgehört  hat.  Allerdings  ist  diese  Art  der  Beobachtung 
etwas  willkürlich;  sie  äußert  sich  in  der  Unregelmäßigkeit  der 
Kurven,  da  häufig  durch  das  neue  Gewicht  die  zu  den  vorigen 
gehörige  Nachwirkung  erst  ausgelöst  und  damit  eine  weitere 
Zunahme  vorgetäuscht  wird  als  der  wahren  Dehnung  entspricht. 

Ebenfalls  auf  der  langen  Nachwirkung  beruht,  daß  stärker 
gedehnte  Teile  nur  nach  sehr  langer  Zeit,  oft  nach  vielen  Stunden, 
ihre  ursprüngliche  Länge  wieder  annehmen,  wie  dieses  auch  von 
Triepel  beobachtet  ist.  Indes  habe  ich  sowohl  beim  mensch- 
lichen wie  beim  Hundemagen  in  allen  Fällen,  wo  ich  die  Voll- 
kommenheit der  Elastizität  geprüft  habe,  gefunden,  daß  nahezu, 
wenn  nicht  ganz,  die  Anfangslänge  erreicht  wurde,  und  zwar  auch 
nach  sehr  starker  Dehnung,  wofern  diese  nicht  später  als  etwa 
48  Stunden  nach  dem  Tode  vorgenommen  wurde. 

Bei  dieser  Stärke  der  Nachwirkung  kann  es  bedenklich 
scheinen,  überhaupt  den  Zustand  des  Magens  nach  dem  Tode  als 
einen  Gleichgewichtszustand  anzusehen,  weil  anzunehmen  ist,  daß 
die  Dehnung  von  der  letzten  Füllung  her  noch  fortwirkt.  Das 
Bedenken  dürfte  aber  dort  belanglos  sein,  wo  es  wie  hier  nur  auf 
Vergleichswerte  an  demselben  Organe  ankommt,  und  wo,  wenigstens 
bei  den  menschlichen  Organen  in  einer  doch  stets  nach  Tagen 
zählenden  Zeit  seit  dem  Tode  die  Nachwirkung  aufgehört  haben  dürfte. 


1}  Triepel,  I.e.  p.  126,  128. 


120  VI.  Fbawokbl 

Als  QrsprQiiglicbe  Lftnge,  anf  die  die  Verlängerungen  sich  be- 
ziehen, konnte  nicht  die  eigene  Länge  des  aasgeschnittenen  Streifens 
angenommen  werden,  weU  er  sich  ohne  Belastung  nicht  genügend 
streckte,  um  eine  Bestimmung  .zu .  erlauben,  fis  wurde  daher  in 
allen  Versuchen  als  Ausgangswert  ,der  Stand  der  Nadeln  bei  Be- 
lastung mit  der  Oewichtsschale,  also  mit  7,5  g,  gewählt.  Da  es 
auf  den  absoluten  Wert  nicht  ankam,  durfte  dies  ohne  wesentlichen 
Fehler  geschehen.  Das  Verhältnis  zwischen  den  relativen  Ver- 
längerungen durch  die  Schale  ist,  wie  ich  mich  überzeugte,  dem 
der  späteren  Verlängerungen  gleich;  die  absoluten  Werte  fallen 
natürlich,  wenn  man  von  diesem  Belastungszustand  ausgeht,  kleiner 
aus,  als  wenn  man  die  „ursprüngliche^  Länge  zugrunde  ge- 
legt hat. 

Es  war  nicht  immer  mOglich,  eine  völlig  horizontale  Stellung 
der  Nadeln  beizubehalten.  Offenbar  in  Abhängigkeit  von  den 
Muskelfaserrichtungen  dehnte  sich  häufig  eine  Seite  mehr  als  die 
andere,  ohne  dafi  sich  indessen  eine  Regelmäßigkeit  hat  erkennen 
lassen.  Ähnliches  hat  Bönniger^)  bei  seinen  Messungen  von 
menschlicher  Haut  beobachtet.  In  solchen  Fällen  ist  das  Mittel 
aus  beiden  Längen  genommen  worden,  die  natürlich  aber  nicht  zu 
stark  difi'erieren  durften.  Es  kommt  hierdurch  zwar  eine  weitere 
kleine  Ungenauigkeit  in  die  Resultate;  aber  diese  können  so  wie 
so  nicht  mehr  beanspruchen,  als  einen  ungefthren  Anhalt  zu  geben. 
Wenn  man  sich  aber  hütet,  aus  derartigen  Versuchen  Schlüsse  zu 
ziehen,  die  nur  bei  mathematischer  Präzision  des  Experimentes  ge- 
stattet sind,  so  dürfte  sich  dagegen  nicht  mehr  einwenden  lassen^ 
als  daß  es  eben  nur  grobe  Versuche  sind. 

Es  seien  nun  einige  Versuche  als  Typen  mitgeteilt.  Zuvor 
sei  nur  noch  darauf  hingewiesen,  daß  die  benutzten  menschlichen 
Mägen  durchweg  plötzlich  Verstorbenen  angehörten,  die  ja  bei  dem 
Material  der  Unterrichtsanstalt  für  Staatsarzneikunde  die  Mehrzahl 
ausmachen.  Außerdem  durften  die  Leichen  nicht  älter  sein  als 
2  X  24  Stunden,  eine  Bedingung,  die  dafür  bei  unserem  Material 
nur  selten  erfüllt  war.  Aus  diesem  Grunde  wurden  Tierleichen 
mit  herangezogen.  Durch  das  Entgegenkommen  des  Herrn  Prof. 
Regenbogen  von  der  Tieräntlicben  Hochschule  standen  mir  die 
Leichen  der  eben  getöteten  Hunde  zur  Verfügung.  Diese  werden 
durch    eine   intrapleurale  Injektion   von    Blausäure    umgebracht. 


1)  Bönniger,  Die  elastische  Spannung  der  Haut  nnd  deren  Beziehang  znm 
Ödem.    Zeitschr.  f.  exp.  Pathol.  n.  Therapie  Bd.  1. 


Untennchnngen  zur  EntatehnDg  der  lOfflBMiirtMi  «pontAnen  llit(^rnptar.      121 

Makroskopisch  erkennbare  Ma^nkranktaeiten  habe  ich  an  den 
erhaltenen  U&gen  nie  beobachtet.  Anf  die  Unterschiede  zwischen 
Honde-  und  Meoscheomagen  komme  ich  weiter  nnteQ  znrflck. 

Beitpiel  1.  Hagen  einN  erwaohsenen  HanuM.  3  Tage  nmob  dem 
(gewaltawneD)  Tode  nntemicht.  Ea  werdan-asB  der  Vorderwand  vier  Stücke 
ontersncbt,  die  je  2  cm  breit,  i  cm  lang  sind  and  alle  Wandeobiobten 
betnffeo : 

a)  lenkrecbt  mr  kletnem  Korvatnr,  nahe  dem  Öeophagtu,    mit  der 
sobmalen  Seite  dicht  an  die  kleine  Knrvatar  heranreichend; 

b)  parallel  aar  kleinen  Karvator,  nttber  dem  Pyloma,  ebenfalls  aber 
mit  der  Liogueite  dicht  an  die  kleine  Knrratnr  heranreichend ; 

c)  eenkreobt  aar  groften  Kurrator,  nKher  dem  Pylorvsteile,  mit  der 
sobmalen  Seit«  dicht  am  die  groBe  Korvatnr  beranreiobend ; 

d)  parallel  znr  grofien  Knrvatar,  im  Fandaeteil,  mit  der  Lftngueite 
dicht  an  die  große  Knrvatar  heranreichend. 


b 

c 

__.    _ 

Belastong 

Unge 

l 

Länge         /: 
mm           1 

Länge  !       Ä 

L^ge 

1 

Schale 

ai.8 

23,5 

26.6    1 

33,7 

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32,6 

0.(8 

^.8 

0,01 

26,9    t    0,01 

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0,02 

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33,7 

0.06 

24.0 

0.03 

E8.3     1    0,06 

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0,10 

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29,0        0,09 

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29.7     1    0.12 

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0,05 

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37,7 

0,19 

25.4. 

0,08 

30.6        0,15 

36,2 

0.07 

m 

39,0 

0,23 

25.5 

0.09 

31.2    1    0.17 

:-«i,r, 

0,08 

33 

39.8 

G.ih 

26,4 

0,12 

33.0    1    0,24 

H7.a 

0.10 

36 

40,3 

0,27 

26,4 

0,l:i 

33.5    1    0,26 

;-i7,ö 

0,11 

48 

40.8 

0,28 

26,9 

0.14 

maQte  wegen  8tö- 

38.0 

0,13 

48 

41.1 

0,29 

27,0 

0,15 

mne  im  Apparat 

38,5 

0,14 

ÖS 

41.8 

0..41 

273 

0,16 

abgebrochen 

:i8,7 

0.15 

73 

42,7 

0,34 

27.7 

0,18 

werden 

3a,i) 

0.18 

93 

43,8 

o;88 

■28.3 

0,20 

■10.7 

0.21 

103 

44,2 

0,39 

29,5 

ü.ati 

41.3 

0,23 

123 

45,0 

0,42 

3o:i 

0.28 

43,8 

U.3U 

1Ö3 

46,1 

0.45 

S1.5 

U,34 

45,0 

0,34 

193 

(49,2 

0.56?) 

33.7 

0A3 

46,8 

0,36 

Aas  diesen  Werten  lassen  sich  folgende  Dehnnngsknrven  kon- 
stroieren  (s.  Karre  1). 

Ergebnis:  Der  Elastizitätskoe^zieDt  war  für  die  Dehnung 
in  der  Längsrichtang  des  Uagens  lileiner  als  für  die  in  der  queren, 
anabb&ngig  davon,  ob  das  StUck  der  Gegend  der  kleinen  oder  der 
großen  Kurvatur  entnommen  war.  Die  Koeffizienten  fQr  die  gleich 
gerichteten  Streifen  waren  praktisch  gleich. 


iO  90  U  K  N  TO  so  90  wog 

jr  verscbiedeneD  St 
und  LäDgsrichtiiiig  (b  and  d)  gedehnt. 

Beiapie]  3.     Magen   einm  6j&hrigen  Kiodes.     3  Tage  oach  dem 
(gewaltsamen)  Tode  antenncht.     Jedes  StQok  ist  2  cm  breit,  4  cm  lang: 

a)  parallal  der  kleinen  Knrvatar,   ibr  mit  der  LSngeeeite  dicht  tu- 
liegend ; 

b)  parallel  der  großen  Kurvatur,  aoa  dem  Fundnsteil. 


b 

Belastnng 

LfiDge 

/ 

Lftnge 

mm 

r 

mm 

T 

Schale 

21,0 

30,1 

+  3g 

21.5 

0,02 

3i;6 

0.05 

8 

22.3 

0,06 

33,6 

0.11 

VA 

22,8 

0.09 

34:5 

0.16 

18 

23.0 

0,10 

35.1 

0.17 

23 

23,2 

0,10 

35,6 

0,18 

28 

23;* 

OM 

36;2 

0.20 

33 

23,5 

0.12 

36,5 

0,21 

38 

2h:5 

0.12 

36,7 

0.21 

43 

23,9 

0,14 

37.1 

0,23 

48 

23:» 

0,14 

37.4 

0.24 

53 

24,0 

o:i4 

37.6 

0,25 

68 

24.2 

0.15 

37.8 

0,26 

63 

24,4 

0,16 

38,2 

0.27 

83 

24,8 

0,18 

38,5 

0,28 

103 

25;i 

0,20 

39:5 

0,3t 

123 

26,.T 

0,21 

40,8 

036 

143 

261 

0,24 

41,2 

0.37 

168 

26:6 

027 

41,8 

0,39 

las 

26,8 

0,28 

203 

27:i 

0,29 

43.0     , 

0,43 

Die  graphische  Darstellung  ergibt  die  Korve  II. 


nntersachniigen  sor  Eobitehiiiigr  der  so^iwniiteii  spontmneD  Hageniuptiir 
Kurve  2. 


10  tO  NM 60 MIO 


Ergebnis:  Der  Elasttzitätskoeffizient  iUr  die  Dehnung  in 
der  Längsrichtung  var  in  der  Gegend  der  kleinen  Karvatnr  er- 
heblich kleiner  als  im  Fundosteile. 

Beiepiel  3.  Hnademageo.  Qaer  über  die  kleine  Korvator, 
Ton  der  nur  die  lose  anhaftenden  FettmaMen  abgelöst  werden,  werden 
swei  3  cm  lange  and  2  cm  breite  Streifen  auageatanat.  Der  ente  wird 
im  gaosen  nnterancbt,  der  zweite  wird  in  seine  beiden  Sobiehten  getrennt 
and  dieae  einaeln  gemeuen.  Die  Trennung  wird  mit  einer  spitien  und 
Bcharfen  Schere  nnter  mdgliob«ter  Vermeidung  jeden  Znget  und  jeder 
Verletznng  einer  der  Schichten  vorgenommen.  Aus  den  Tabellen,  deren 
Abdruck  von  nun  ab  unt«rb]eiben  mag,  erhielt  ich  folgende  Kurven,  die 
allerdings  besonders  unregelmäSig  gestaltet  sind  (Karre  III). 

Knrre  3. 


MWTOHaWMO       Ml 


124  VI.    PSIBHCUL 

Ergebnis:  Trotz  der  durch  starke  Nachwirkangea  und  durch 
Versachsfehler  bedingten  sehr  anregelm&fligen  Kurrenforaien  läSt 
sich  erkennen,  dafi  der  Etastizitätskoeffizient  der  M^osa  kleiner 
als  der  der  Muskularis  war,  and  da£  dieser  dem  der  gesamten 
Wanddidte  nahestand.  Die  Elastizität  der  gesamten  i  Wand  hSn^ 
demnach  anscheinend  im  wesentlichen  von  der  der  Muskel- 
schiebt  ab. 

Beispiel  4.  Hundemsgen.  Zwei  Streifen  tod  ^:  2, cm  werdeo 
qaer  znr  Läogsrichtnng  ansgestüut:  1.  quer  Aber  die  kleine  Knmtni, 
von  der  ftlles  anhaftende  Fett-  and  Bindegewebe  mSglichet  Tollstiiidi|[ 
entfernt  worden  ist;  9,  qner  Über  die  Vorderfliehe  des  Hageu.  Beide 
Stfloke  werden  Toreichlig  in  Hoeknlaria  and  Vukoea  getrennt  nnd  *od  1. 
beide  Schichten,  von  2.  die  Hnsknlarüi  gemessen. 

Die  Tabellen  ergeben   in  graphiacber  Damtellnng  folgende  KnrTni: 


Kurve  4. 

^^^^H 

— ^^— l^^^^^l 

^H 

^^^^^^^^^^B 

SSQ^^B 

Bill 

HBBBHmB 

wss 

H^^^^^B 

j^^gÜ 

i^^^^^^^l 

^I^^^^B 

^^^^M 

— 

HHH^^^B 

Hondemageo.    Dehnnng  der  einKelnen  Schichten  in  qnerer  Richtnng.    1)  An  der 
kleinen  Kurvatur.    2]  An  der  Vorderflllche  de«  Magens. 

Ergebnis:  Mukosa  und  Unskolaris  desselben  Stflckes  der 
kleinen  Kurvatur  weisen  fast  denselben  Blastizitätskoefflzienten  in 
querer  Richtung  auf,  sofern  man  von  den  Versnchsfeblem  absieht 
Der  Etastizitätskoeffizient  des  Streifens  Ton  der  Vorderflftche  ist 
ein  wenig  größer  als  der  der  kleinen  Kurvatur. 

Beispiel  5.  Hensobliober  Hagen.  Ans  etwa  der  Mitte  der 
Vorderfläohe,  in  der  K&he  der  groBen  Kurvatur,  wird  ein  4  om  langer. 
3  om  breiter  Streifen  in  der  LbigsrichlaDg  ansgestanet  nnd  Toruchtig  in 
beide  Schichten  getrennt,  die  einzeln  gemessen  werden  (Knrre  5). 

Ergebnis:  Der  Elastizititkoefflzient  der  Mukosa  für  Dehnnng 
der  L&nge  nach  ist  in  der  Seitenwand  kleiner  als  der  der  Mus- 
kularis. 


UDterHDcliaiigeii  tau  Entstehnng  der  mgeiiuiDt«!!  apouUnen  Hagreuniptiir.    .125 
Knrve  6. 


Menschlicher  Hagen.    Dehnung  in  Läiwsricbtnng^  an  der  Vorderfliiche. 
11)  Moakaluis,  (2)  Makosa. 

Wie  die  mitgeteilten  Beispiele  zeigen,  mit  denen  andere  Ver- 
snche  übereinstimmen,  lassen  sich  etwa  folgende  Sätze  aufstellen: 

1.  Die  Dehnnng  der  Magenwand  an  den  Kurvaturen  ist  bei 
gleicher  Belastang  in  querer  Sichtung  größer  als  in  der  Längs- 
richtung (1).  I  , 

2.  Sowohl  in  der  Längsrichtung  (II)  als  auch  in  der  Quer- 
ricbtung  (IV)  bat  die  Magenwand  in  der  Nachbarschait  der  kleinen 
Kurvatur  gewöhnlich  einen  geringeren  Koeffizienten  als  die  des 
abrigea  Magens.  Dieser  Unterschied  kann  aber  fehlen  (I),  ob  in- 
folge einer  LeicheuTerändemng,  kann  ich  zunächst  nicht  entscheiden, 
das  Beispiel  I  scheint  dafhr  zu  sprechen,  weil  die  Ausnahme  hier 
filr  beide  Richtungen  gilt. 

3.  Die  Elastizität  der  Magenwand  scheint  im  wesentlichen  von 
der  der  Muskelschicht  herzurilhren  (III). 

4.  Der  Elastizilätskoeffizient  der  Schleimbaut  ist  ganz  ge- 
wöhnlich, wie  es  in  Kurve  III  und  V  der  Fall  ist,  kleiner  als  der 
der  Mnskelhaat. 

In  Knrve  IV  ist  er  hingegen  dem  Mnskelkoei^zienten  so  gut 
wie  gleich.  Es  liegt  nahe  anzunehmen,  daß  der  Ausgleich  dem 
hier  geringeren  Wert  dieses  KoefBzienten  zuzuschreiben  ist,  nicht 
einer  Zunahme  des  Koeffizienten  der  Schleimbaut.  Da  ich  aber 
leider  zurzeit  nur  Qber  diesen  einen  Versuch  an  Querstreifen  der 
getrennten  Schichten  in  der  kleinen  Kurvatur  verfüge,  muB  ich  mich 
mit  dem  Verzeichnen  der  Tatsache  begnügen,  ohne  weiteren  Wert 
anf  diesen  Befund  legen  zu  können. 


126 


VI.  Fbukcs». 


Die  unter  1  and  2  genannten  Erscheinungen,  die  bei  einzelne 
Streifen  beobachtet  waren,  prOfte  ich  an  zwei  ganzen  menschlichen 
Mttgen  nach  und  fand  sie  bestätigt.  Die  freilich  sehr  primitiven 
Versnobe  worden  so  angestellt,  daB  anf  den  schlaffen  Magen 
Bechtecke  von  4  nnd  2  cm  Seitenl&ngen  anfgezcidinet  werden. 
Nachdem  die  Farbe  getrocknet  war,  wurden  die  Mfigeo  ab- 
gebunden, AQfgeh&ngt  und  langsam  mit  Wasser  gefUllt  Unter 
Assistenz  wnrde,  als  der  Magen  gleichm&Big  gespannt  war,  zu 
möglichst  gleichen  Zeiten,  die  nicht  n&her  definiert  wurden,  die 
Verftndemngen  der  Fignrenseiten  mit  dem  Bandmaße  festgestellt 
An  der  kleinen  Kurvatur  waren  Fett-  and  Bindegewebe  abgetragen 
worden. 

Magen  I.   Drei  Bechtecke  a,  b  und  c 
a  liegt  anf  der  Vorderflftcbe,  l&ngsgericfatet  (4  in  der 

Längs-,.  2  in  der  Querricfatung), 
b  liegt  quer  über  der  kleineuEurvatDr  (4  in  der  Quer-, 

2  in  der  Längsrichtung), 
c  liegt  quer  Über  der  kleinen  Kurvatur,  etwas  mehr 

nach  dem  Pylorns  hin  (2  in  der  Längsrichtung). 


(Jii.rrl 

cbtnng; 

•  (2) 

b(4) 

t(4) 

i 

,1 

i 

cm 

T 

T 

1 

S 

O/i 

«7 

Ol» 

56 

OBS 

ow 

70 

0,75 

8 

»0 

10 

70 

0  76 

3 

«> 

V) 

u,65 

»,» 

1.» 

»» 

3.6 

U,V6 

11,0 

1,76 

~ 

~ 

LB 

Bgiricbtung 

a{4) 

b(2) 

(2) 

l 

i 

cm       -^ 

im        -^- 

T 

6.2      0,65 

2         0 

8 

.    0 

«,6      0,83 

7.0      0,76 

2     '     0 

U 

0 

7,4      0,86 

2        0 

H 

1    0 

7,6      0,88 

7,8      0,95 

2        0 

7,8      0,96 

3        0 

a 

0 

Magen  Ü.  Drei  Bechtecke  a,  b  uod  c 
a  liegt  quer  über  der  Mitte  der  kleinen  Knrvatnr  (4  in 

der  Quer-,  2  in  der  Längsrichtung), 
b  liegt  quer  über  der  großen  Kurvatur  (Pylomsteil) 

(4  in  der  Quer-,  2  in  der  Längsrichtung), 
c  liegt  längs  Aber  der  großen  Kurvatur  (Fundns)  (2  in 

der  Quer-,  4  in  der  Längsrichtung). 


Untersnehimgeii  xnr  Entstehung'  der  sogenannten  spontanen  Magenruptor.     127 


Q  n  e  r  r  i  e  h  t  n  n  g 

a(4) 

b(4) 

c(2) 

1     i 

X 

cm   1    -j. 

cm 

T 

cm 

1 

_ 

6,0 

0,5 

3,0 

0,6 





7,0 

0,75 

3,5 

0,75 

6.0 

0,6 

7,6 

0,88 

yi 

fi 

6,5 

OHH 

8,8 

1,08 

3,5 

» 

7,0 

0,75 

8,6     1,13 

4,2 

1,1 

7.5 

OfiB 

9,5  '  1,4 

4,5 

1,3 

7.6 

— 

10,0  1  1,5 

4,6 

n 

8.0 

1,0 

10,0 

1,5 

5,0 

1,6 

Läi 

igsrichtang 

a(2) 

b(2) 

c(4) 

X 

!     X 

X 

cm 

1 

cm 

1 

em 

1 

^_ 

-_ 

2,6 

0,25 

*•* 

0,6 

— 

— 

^ 

— — 

6,0 

1» 

2,6 

0,25 

3,0 

0,6 

6,5 

0,63 

2,6 

» 

n 

n 

1» 

» 

n 

» 

n           n 

» 

_i» 

n 

n 

p            n 

7.0 

0,75 

n 

n 

3,0     0,5 

» 

» 

2,5 

0,25 

3,0 

0,6 

7,0 

0,75 

Aach  in  diesen  Fällen  war  die  Dehnnng  an  den  Enrvataren 
in  der  Quere  stets  größer  als  in  der  Länge;  bei  la,  das  der  Vorder- 
wand entnommen  war,  bestand  dagegen  ein  geringer  Unterschied 
zQnngnnsten  der  Qnerdehnnng.  Femer  wurde  hier  ebenfalls  der 
IL  Satz  für  den  Vergleich  zwischen  beiden  Kurvaturen  bestätigt, 
daß  nftmlich  die  Dehnnng  an  der  kleinen  Kurvatur  sowohl  in  der 
Längs-  wie  in  der  Querrichtung  kleiner  als  die  der  großen  Kurvatur 
ist  Im  Vergleich  mit  der  Vorderfläche  war  dieses  Verhältnis  aber 
nicht  nachzuweisen. 

Ans  dieser  Übereinstimmung  zwischen  dem  Verhalten  isoliei*ter 
Stocke  und  des  Organes  im  ganzen  darf  man  jedenfalls  schließen, 
daß  nicht  allein  die  Form  f&r  die  Verschiedenheit  der  Dehnungen 
verantwortlich  sein  kann,  sondern  daß  anatomische  Gründe  mit- 
wirken müssen.  Es  wäre  somit  durch  die  Messungen  die  Vermutung^ 
gestützt  worden,  daß  der  kleinen  Kurvatur  rein  anatomisch  besondere 
physikalische  Verhältnisse  innewohnen,  die  sie  zu  einem  bei  starkem 
Innendrucke  besonders  gefährdeten  Teile  der  Magenwand  machen. 
Ein  abschließendes  Urteil,  wie  dies  geschieht,  ist  jedoch  nach  diesen 
Versuchen  noch  nicht  möglich,  weil  eine  gründlichere  Berück- 
sichtigung der  maximalen  Spannungen  dazu  notwendig  ist  Meine 
bisherigen  Erfahrungen  über  sie  und  die  Zerreißuugsgrenze  sind 
noch  zu  spärlich. 

Soviel  kann  ich  aber  bereits  übersehen,  daß  die  Bindegewebs- 
und Fettauflagerungen  an  der  kleinen  Kurvatur  nicht  die  anfangs 
vermutete  Bedeutung  besitzen.  Ich  habe  nach  Key-Abergs 
Vorgang  an  einer  größeren  Anzahl  von  Leichen  den  Magen  so- 
wohl in  situ,  als  bei  geöffneter  Bauchhöhle  und  im  isolierten  Zu- 
stande mit  Wasser  gefüllt  und  die  Verhältnisse  bei  der  Sprengung 
nachgeprüft.    Hierbei  habe  ich  alle  Angaben  des  genannten  Autors 


128  VI.  Fhabkckkl 

bestätigt  gefunden.^)  Aosnahmflos  erfolgte  der  Darchbroch  an  der 
charakteristischen  Stelle,  and  zwar  war  es  gleichgültig,  ob  zuvor 
die  Auflagerungen  von  der  kleinen  Kurvatur  entfernt  ^worden 
waren  oder  nicht.  Der  Einriß  trat  in  der  kleinen  Knrvatui*  selbst 
dann  auf,  wenn  die  Oastromalacie  des  Fundus  schon  weit  yor- 
geschritten  war,  oder  wenn  die  Serosa  des  Fundus  bei  der  Trennung 
von  Verwachsungen  mit  der  Milz  eingerissen  war. 

Die  Beteiligung  dei*  Muskulatur  an  der  Entstehung  dieses 
tjrpischen  Risses  erscheint  mir  aber  mehr  wahrscheinlich  als  un- 
wahrscheinlich. Bei  der  Auftreibung  des  frei  an  den  Ligaturen 
des  Pylorus  und  des  Ösophagus  hängenden  Magens  fällt  die  kleine 
Kurvatur,  sobald  die  gleichmäßige  Anspannung  der  Wände  be- 
gonnen hat,  durch  die  große  Straffheit  des  dortigen  Muskelbündels 
auf,  das  sich  ja,  wie  angelFÜhrt,  fast  oder  gar  nicht  in  die  Länge 
dehnt.  Diese  Spannung,  die  leicht  mit  dem  tastenden  Finger  als 
stärkster  Widerstand  der  ganzen  Magenwand  zu  erkennen  ist 
Yomehmlich  zu  beiden  Seiten  der  Kurvatur,  setzt  sich  aber  nur 
bis  zum  Anfang  des  Pylorusteils  fort.  Dieser  bleibt  lange  d«: 
«chlaffste  Teil  des  Magens  und  erfährt  eine  scharfe  Aufwärts- 
biegung, so  daß  mitunter  in  der  kleinen  Kurvatur  ein  wahrer 
Knick  entsteht.  Für  diese  Erscheinung  ist  vor  allem  der  genannte 
Widerstand  verantwortlich  zu  machen,  der  eine  gleichmäßige 
Ausdehnung  an  der  oberen  Krümmung  hindert  (daß  er  als  Zug 
wirkte,  ist  zwar  nicht  unmöglich,  aber  nach  meinen  Beobachtungen 
spricht  wenig  dafür).  Der  Innendruck  im  beweglichen  Pyloms- 
teil  richtet  diesen  auf  und  verwandelt  so  allmählich  die  ursprüng- 
liche Konkavität  in  einen  Winkel.  Die  geringere  Spannung  in 
dieser  Oegend,  die  man  hiemach  ebenfalls  in  Znsammenhang  mit 
dem  straffen  Strange  der  kleinen  Kurvatur  bringen  kann,  erklärt, 
weshalb  an  dieser  Stelle  keine  Risse  entstehen.  Namentlich  zu 
der  Zeit,  wo  die  Dehnung  schon  groß  genug  ist,  um  seichte  Schleim- 
hautrisse herbeizufahren,  steht  nach  meinen  Erfahrungen  der  Druck 
im  Pylorusteii  noch  erheblich  hinter  dem  des  Fundusteils  zurück. 

Um  über  die  Ursache  der  diskutierten  Erscheinungen  aach 
durch  Vergleich  bessere  Vorstellungen  zu  bekommen,  habe  ich  die 
Wirkung  des  Innendruckes  bei  einer  größeren  Anzahl  (14)  Hunde- 
magen untersucht.  Es  seien  nur  die  wichtigsten  Resultate  be- 
sprochen. 


1)  Die  Fttllnng  geschah  direkt  im  Anschluß  an  die  WaB9erleitang.  deren 
Strahl  aber  so  klein  gedreht  wnrde.  daß  die  Anftreibnng  ganz  langsam  Tor  sich 
ging  nnd  alle  Veränderungen  leicht  zu  beobachten  waren. 


Untersnchangen  znr  Entstehang  der  sogenannten  spontanen  Magenniptur.     129 

Im  allgemeiiien  verläuft  die  Verletzung  des  Hundemagens  unter 
gleichen  Bedingungen  viel  mannigfaltiger  als  die  des  Menschen«^ 
magens.  Vor  aUem  ist  die  kleine  Kurvatur  nicht  der  ausschließ- 
liche Sitz  der  ersten  Schleimhautrisse  und  des  Durchbruchs.  Wohl 
kann  man  häufig  nach  starker  Dehnung,  die  nicht  bis  zum  Bersten 
des  Magens  gesteigert  wurde,  dieselbe  Anordnung  der  Schleim- 
hautrisse im  kardialen  Teil  der  kleinen  Kurvatur  wie  beim  mensch- 
lichen Magen  erhalten,  aber  daneben  sind  regelmäßiger  und  tiefer 
als  bei  letzteren  noch  radiär  zur  Cardia  gestellte  Risse  vorhanden, 
die  schräg  nach  der  großen  Kurvatur  verlaufen.  In  einem  dieser 
Risse,  bald  an  der  Vorder-,  bald  an  der  Rnckfläche,  ab^r  nie  in 
der  großen  Kurvatur  selbst,  erfolgte  besonders  oft  der  Durchbruch, 
etwa  in  derselben  Entfernung  von  der  Cardia,  in  der  die  Risse 
der  kleinen  Kurvatur  zu  liegen  pflegen.  Vollständige  Risse  an 
dieser  selbst  habe  ich,  vielleicht  zufällig,  nie  erhalten;  jedenfalls 
entstehen  sie  hier  viel  schwerer  als  beim  menschlichen  Magen. 
Dagegen  bekam  ich  einige  Male  eine  Ruptur  nahe  oder  in  der 
Mitte  der  großen  Kurvatur.  Aufßlllig  ist  femer,  wie  oft  trotz 
erfolgender  Ruptur  ausgebreitete  Schleimhautverletzungen  fehlen, 
w&hrend,  wenigstens  im  Experiment  am  Menschenmagen  die  totale 
Berstung  erst  bei  so  stark  erhöhtem  Druck  erfolgt,  daß  es  dann 
zu  zahlreichen  Rissen  in  der  Schleimhaut  gekommen  ist.  Bei  einer 
Ruptur  der  großen  Kurvatur,  die  an  dem  in  situ  belassenen  Magen 
bei  offener  Bauchhöhle  unter  dem  gewöhnlichen  Druck  (schwacher 
Strahl  aus  der  Leitung)  erfolgte,  zeigte  die  Schleimhaut  nur  einen 
feinen  Riß  pai'allel  der  6  cm  langen  Durchreißung,  aber  nichts  an 
der  kleinen  Kurvatur  oder  an  anderen  Stellen.  Der  Hund  war  vor 
1  Stunde  getötet  worden  und  der  Magen  war  nicht  ftbermäßig  stark 
mit  Speisebrei  gefüllt  und  makroskopisch  durchaus  gesund.  Das 
Fehlen  jeglichen  Risses  in  der  Schleimhaut,  besonders  in  der  kleinen 
Kurvatur  habe  ich  beim  Hunde  noch  mehrmals  getroffen,  trotzdem 
es  zu  breiten  Einrissen  in  der  Serosa  gekommen  war.  Fftr  den 
Hundemagen  gilt  daher  nicht  wie  für  den  menschlichen,  daß  die 
Serosa  in  der  Regel  erst  nach  der  Schleimhaut  einreißt;  doch 
kommt  es  auch  vor. 

In  zwei  Fällen,  in  denen  die  Schleimhautrisse  Oberhaupt  ganz 
fehlten,  fiel  mii*  die  ungewöhnlich  starke  Faltenbildung  der  Mukosa 
auf.  Dieser  Befund  unterstützt  die  auch  von  Key-Äberg  geteilte 
Ansicht,  daß  die  besondere  Faltenarmut  der  menschlichen  kleinen 
Kurvatur  für  die  Ätiologie  der  Ruptur  von  Bedeutung  ist. 

Ein  weiterer  Unterschied  gegen  den   Magen   des  Menschen 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    89.  Bd.  B 


130  VI.  Fbabkckel 

zeigte  sich  darin,  daß  dieser  sich  nicht  anders  verhält,  wenn  man 
ihn  frei  aufgehängt  oder  in  sitn  untersucht  Beim  Hundemagen  ist 
es  mir  dagegen  in  allen  Fällen  aufgefallen,  daß  sich  bei  der  Sprengung 
im  isolierten  Zustande  nur  einige  Einrisse  in  der  Umgebung  des 
durchgehenden  Risses,  aber  nie  die  weit  ausgebreiteten  und  besonders 
längs  der  kleinen  Kurvatur  ziehenden  Risse  wie  sonst  fanden. 

Aus  all  diesen  Unterschieden  darf,  wenn  auch  nicht  viel,  doch 
dies  geschlossen  werden,  daß  die  Form  des  Magens  allein  nicht 
maßgebend  sein  kann  für  die  Art  seiner  Berstung.  Denn  der 
Hundemagen  zeichnet  sich  zwar  durch  eine  stärkere  Ausbuchtung 
des  Fundus  von  dem  menschlichen  aus,  der  Vergleich  mit  einem 
„gekrümmten  und  etwas  abgeplatteten  Kegel  mit  bauchigem  Boden*" 
trifft  aber  auf  ihn  ebenfalls  zu  und  ebenso  die  Lage  des  größten 
Durchmessers.  Folglich  müßte  auch  die  Gegend  der  gi*6ßten  Be- 
anspruchung dieselbe  sein. 

Nun  sieht  man  aber  bei  der  Auftreibung  außerhalb  des  Körpers, 
daß  sich  die  kleine  Kurvatur  des  Hundemagens,  die  vorher  ebenso 
stark  oder  stärker  konkav  war  als  eine  vom  Menschenmagen,  bei 
zunehmenden  Spannungen  deutlich  konvex  vorwölbt,  ohne  allerdings 
eine  kugelähnliche  Form  wie  die  Teile  im  Fundus  zu  erreichen. 
Beim  Menschenmagen  habe  ich  das  nie  beobachtet,  sondern  stets 
eine  noch  konkave  bis  höchstens  ebene  Fläche  an  der  oberen  Be* 
grenzuug  notiert.  Wäre  es  nicht  möglich,  daß  sich  hier  ein  Schlüssel 
zur  Erklärung  fände?  Wenn  wirklich,  wie  es  nach  diesen  Be- 
obachtungen scheint,  die  Muskulatur  dieser  Stelle  beim  Hund  dehn- 
barer ist  als  beim  Menschen,  so  läge  die  Annahme  nahe,  daß  in 
situ  die  Lokalisierung  der  Schleimhautrisse  an  der  kleinen  Kur- 
vatur davon  herrührt,  daß  die  tief  in  die  kleine  Kurvatur  sich 
einsenkenden  unteren  Leberlappen  beim  Hunde  die  Ausdehnung 
hemmen  und  die  Rolle  des  Hindernisses  übernehmen,  das  beim 
Menschenmagen  die  straffere  Muskulatur  bildet;  daß  dagegen  außer- 
halb der  Bauchhöhle  die  Muskularis  ihre  Dehnbarkeit  ausnutzen 
und  die  Mukosa  ihr  folgen  kann,  statt  seitlich  ausweichen  zu  müssen. 
Es  wird  vielleicht  möglich  sein,  durch  vollkommenere  Messungen, 
die  Vergleiche  zwischen  verschiedenen  Organen  zulassen,  diese 
Hypothese  zu  prüfen. 

Die  gewonnenen  Resultate  möchte  ich  nach  dem  Dargelegten 
folgendermaßen  zusammenfassen.  Die  Wand  des  menschlichen  Magens 
besitzt  in  der  Gegend  der  klein^i  Kurvatur  einen  Widerstand,  der 
von  den  dort  gelegenen  Muskelschichten  gebildet,  die  Ansdehnangs- 
fähigkeit  des  ganzen  Sackes,  namentlich  aber  des  Schleimbautsackes 


UntersnchuDgen  zur  Entstehang  der  sogenannten  spontanen  Magenruptur.     131 

hindert  Hierdurch  kommt  es  bei  übergroßem  Innendrack  an  dieser 
Stelle  zu  besonders  hohen  Spannungen  in  dorsoventraler  ßichtung 
und  damit  zu  Längsrissen.  Dabei  scheint  die  besondere  Armut  der 
Schleimhaut  an  Falten  an  dieser  Stelle  befördernd  mitzuwirken. 
Die  Bevorzugung  des  kardialen  Abschnittes  der  kleinen  Kurvatur 
hängt,  wenigstens  zum  Teil,  wahrscheinlich  ebenfalls  mit  jener  Ver- 
stärkung zusammen,  die  nur  bis  zum  Beginn  des  Pylorusteils  in 
gleicher  Stärke  besteht.  VieDeicht  wirkt  auch,  wie  noch  erwähnt 
sei,  die  Art  der  Verbindung  mit  dem  Ösophagus  mit*  Die  um  die 
Cardia  radiär  gelagerten  Bisse,  die  nicht  bis  zum  größten  Durch- 
messer nach  rechts  reichen,  sprechen  für  eine  solche  Beziehung.^) 

Neben  dem  Muskelwiderstand  hat  selbstverständlich  auch  die 
Form  des  Magens  eine  große  Bedeutung  fdr  die  Bevorzugung  der 
kleinen  Krümmung.  Es  leuchtet  ja  sofort  ein,  daß  die  konkave 
kleine  Kurvatur  einen  viel  größeren  Weg  bis  zur  Kugelfoim  zu 
machen  hat  als  die  anderen  Wandteile  und  daß  ihre  Beanspruchung 
schon  hierduixh  am  größten  ist.  Daß  dazu  aber  noch  rein  anato- 
mische Verhältnisse  treten,  die  in  derselben  Richtung  wirken,  scheint 
mir  nach  dem  Dargelegten  sehr  wahrscheinlich  gemacht. 

Zum  Schluß  möchte  ich  noch  auf  zwei  praktische  Punkte  hin- 
weisen. Es  scheint  mir  wichtig  auf  Grund  der  erworbenen  Erfah- 
rangen  zu  betonen,  daß  auch  darin  Key-Ä her g  vollkommen  recht 
hat,  daß  schon  eine  sehr  große  Gewalt  dazu  gehört,  den  menschlichen 
Magen  bei  einer  Ausspülung  wirklich  zur  Perforation  zu  bringen.  Mir 
ist  es  mit  Schlauch  und  Trichter  selbst  an  der  Leiche  eines  Neu^ 
^borenen  nicht  gelungen,  einen  vollkommenen  Riß  zu  erzeugen. 

Femer  ist  hervorzuheben,  daß  in  beiden  klinischen  Fällen,  in  denen 
die  Berstung  am  gesunden  Magen  erfolgte,  eine  schwere  narkotische 
Vergiftung  bestand.  Ob  es  von  Bedeutung  ist,  daß  es  gerade  beide- 
male  das  die  Magendarmmuskulatur  spezifisch  beeinflussende  Opium 
war,  ist  nach  d€n  zwei  Fällen  nicht  zu  entscheiden.  In  unserem 
Institute  werden  darüber  Versuche  angestellt.  Immerhin  erscheint 
«ine  abnorme  Beschaffenheit  der  Muskulatur  oder  ihrer  Nerven  dazu 
zu  gehören,  Um  die  Verhältnisse  zur  Geltung  zubringen,  die  wir  am 
Leichenmagen  beobachten.  Daß  der  Befund  einer  im  Leben  erzeugten 
Verletzung  mit  dem  einer  kadaverösen  so  weit  übereinstimmt,  macht 
^  doch  sehr  wahrscheinlich,  daß  eine  Beseitigung  des  vitalen 
Tonus  voraofgegangen  sein  mnß. 

1)  Ähnliches  kann  mtai  beobaditeti^  wenn  man  einen  der  feinen  ^wnrst- 
fönniget**  Gummiballons  an  seinen  Mnndsttkck  fesU>indet  und  langsam  und  gleich* 
mäßig  zerplatzt. 


VIL 


Betrachtnngen  über  die  Bedentnng  der  Gef&ßmnskeln 

und  ihrer  Nerven, 

Von 

P.  Orfltzner  (TQbiDgen). 

Als  der  bekannte  Augenarzt  Poarfour  du  Petit  im  Jahre 
1712  an  Hunden  die  beiden  Vagosympathiei  —  wie  wir  lieute 
sagen  würden  —  oder  den  Hauptstrang  des  Interkostalneryen  und 
des  8.  Nerven  wie  er  sagt  —  durchschnitten  hatte,  bemerkte  er 
auiier  den  schon  bekannten  Erscheinungen  der  Atemnot,  der  Stimm* 
losigkeit,  des  Erbrechens  oder  der  Brechneigung  noch  eigenartige 
Erscheinungen  an  den  Augen.  Sie  wurden  kleiner  und  trüber. 
Da  aber  die  Hunde  infolge  der  Operation  nach  ein  paar  Tagen 
zugrunde  gingen,  war  er  nicht  sicher,  ob  nicht  diese  Veränderungen 
an  den  Augen  nur  mittelbare  Folgen  der  doppelseitigen  Nerven- 
durchschneidung sein  könnten,  und  um  diese  zu  vermeiden,  durch- 
schnitt er  den  Nerv  nur  einseitig.  Da  beobachtete  er  dann  auf 
das  Unzweideutigste  —  womit  auch  seine  anatomischen  Unter- 
suchungen übereinstimmten  — ,  daß  der  besagte  Nerv  unmittelbare 
Beziehungen  zu  den  Augen  hatte.  Die  Pupillen  von  den  Augen 
der  operierten  Seite  wurden  nämlich  kleiner,  die  Hornhäute  häufig 
etwas  trüber  und  flacher.  Meistens  aber  war  die  Conjunctiva 
bulbi  stark  gerötet  und  schob  sich  etwas  über  die 
Ränder  der  Hornhaut  hinüber,  welche  dadurch  verkleinert 
wurde.  Die  äußeren  Gefäße  des  Auges  —  eben  die  der  Sklera  — 
waren  weit,  die  inneren  dagegen  sollten  durch  die  Spannung  der 
Sklera  dünn  und  wenig  mit  Blut  gefüllt  sein,  wodurch  seiner 
Meinung  nach  eine  geringere  (lymphatische)  Spannung  des  ganze» 
Augapfels,  eine  geringe  Abflachung  der  Hornhaut  und  eine  geringe 

1)  Petit,  Medecin,  Memoire  dans  le  qnel  est  demontr^  qne  les  Nerfs  Inter- 
costanx  foumissent  des  rameanx  qni  portent  des  esprits  dans  les  yeiuu  Histoire 
de  rAcad^mie  royale  des  sciences.  Paris  1727.  p.  1. 


Betrachtangen  über  die  Bedentang  der  Gefftfimnskeln  und  ihrer  Nerven.    133 

TrubuDg,  beziehungsweise  Bunzelung  derselben  entstehen  maßte. 
Die  Rötung  der  Augen,  die  uns  am  meisten  interessiert,  wurde  als 
eine  entzündliche  betrachtet 

Obwohl  andere  Forscher  wie  Dupuy/)  Cruikshanks, 
Ärnemann  diese  Tatsachen  bestätigten  und  erweiterten,  ja  ob- 
wohl Brächet  geradezu  behauptete,  daß  das  Herz  den  betreffenden 
Teilen  zwar  nach  wie  vor  ihr  Blut  zuführe,  aber  da  die  Kapillaren 
der  operierten  Seite  nicht  mehr  kräftig  reagieren,  sich  somit 
später  ausdehnen  und  erschlaffen,  so  machten  doch  alle  diese  An- 
gaben verhältnismäßig  wenig  Eindruck  auf  die  Zeitgenossen  und 
anf  die  Forscher  im  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts.  Die  starke 
Durchblutung,  die  Erwäimung  der  betreffenden  Teile,  gelegentliche 
sekretorische  Tätigkeiten  der  mitbetroffenen  Drüsen  führten  höchstens 
zn  der  Feststellung  der  Tatsache,  „daß  die  sympathischen  Nerven 
einen  großen  Einfluß  auf  die  nutritiven  Funktionen  ausüben''.  Es 
fehlte  eben  das  innere  Verständnis  für  diese  Vorgänge.  Man 
wußte  zwar,  daß  die  Grefaße  enger  und  weiter  werden  konnten, 
wie  aber  Nerven  auf  sie  einwirken  sollten  oder  könnten,  darüber 
war  man  sich  noch  nicht  klar.  Man  stellte  eben  einfach  die  Tat- 
sache fest,  daß  Durchschneidung  des  Sympathikus  entzündliche  oder 
diesen  ähnliche  Erscheinungen  am  Auge  und  in  seiner  Nachbar- 
schaft hervorrief  Der,  wie  es  uns  heutzutage  scheint,  so  unend- 
lich nabeliegende  Gedanke,  daß  die  Bewegungserscheinungen  in 
den  Getäßen,  ihr  Weiter-  und  Engerwerden,  mit  Muskeln  zu- 
sammenhängen könnte,  wurde  zwar  ausgesprochen,  aber  nicht  be- 
wiesen. Denn  wo  waren  diese  Muskeln?  Kein  Mensch  hatte  sie 
gesehen.  Sie  existierten  für  die  damaligen  Forscher  entweder  gar 
nicht  oder  nur  in  ihrer  Phantasie. 

Da  sprach  das  Genie  von  Jakob  Henle  das  erlösende  Wort: 
Die  Wandungen  der  Gefäße  enthalten  Muskeln.  Die  ahnungsweise 
von  den  früheren  Forschern  sogenannte  Tunica  muscularis  der  Ge- 
fäße, insonderheit  der  Arterien,  welche  durch  ihre  rhythmische 
Tätigkeit  den  Puls  und  durch  eine  schwer  zu  definierende  aktive 
Tätigkeit  eine  stärkere  Durchblutung,  eine  Kongestion  der  Gewebe 
erzeugen  sollte,  enthält  tatsächlich  Muskeln,  ähnlich  denjenigen, 
wie  man  sie  im  Darm,  im  Magen,  in  der  Harnblase  usw.  kannte. 
Und  merkwürdig,  während  die  muskellose  Tunica  muscularis,  in 
der  wenigstens  niemand  vor  Henle  Muskeln  gesehen  hatte,  alle 

1)  über  die  interessante  Geschichte  dieses  Themas  vgl.  H.Milne  Edwards, 
Le<:ons  sor  la  Physiologie  et  ranatomi^-compar^.  Paris  1859.  T.  4  und  A.  Vulpian , 
Le^ns  snr  Tappareil  vasomotear.  Paris  1875. 


134  VII.  OHth?«riiH 

diese  wunderbaren  Bewegungen  d.  h.  Muskelleistungen  ausführen 
sollte,  wurden  jetzt,  nachdem  H  e  n  1  e  *)  in  den  Arterien  Muskeln 
entdeckt  hatte,  dieselben  fast  zur  Untätigkeit  verurteilt;  die  Ge- 
fäße waren  nur  einfache  elastische  Schläuche.  Am  bestimmtesten 
spricht  sich  Magen  die')  darüber  aus,  der  eine  Annahme  von 
Muskeltätigkeit  in  den  Gefäfien  geradezu  für  eine  Ketzerei  ansieht; 
denn  er  sagt:  Du  moment  que  Ton  admet  que  les  parois  des  arteres, 
grosses  ou  petites  se  contractent  ä  la  mani^re  du  tissu  musculaire, 
il  n'ya  plus  de  th6orie  de  la  circulation  possible."  Wenn  auch  diese 
Worte  wesentlich  gegen  S6nac  und  andere,  nicht  gegen  Henle, 
dessen  Entdeckung  später  erfolgte,  gerichtet  waren,  so  ist  es  doch 
interessant,  wie  hier  von  autoritativer  Seite,  der  natürlich  der 
Anhang  nicht  fehlte,  jedwede  Muskeltätigkeit  der  Gefäßwand  als 
unverständlich  und  als  unvereinbar  mit  dem  Vorgänge  der  Zirkula- 
tion erklärt  wurde. 

Mit  wenig  Worten  sei  noch  darauf  hingewiesen,  daß  einige 
Jahre  später  Magendie's  großer  Landsmann  Gl.  B e r n a r d ^)  den 
Petit 'sehen  Versuch  wiederholte  und  einen  unmittelbaren  Einfluß 
des  Sympathikus  auf  die  Muskeln  der  Gefäße,  genauer  gesagt,  auf 
die  Gewebe,  annahm.  Denn  seine  Durchschneidung  ließ  die  Ge- 
fäße erschlaffen,  die  betreffenden  Teile  wurden  blutreich  und  warm. 
Beizte  man  dann  den  Sympathikus,  was  6rownS6quard  zuerst 
ausführte,  so  zogen  sich  die  Gefäße,  vornehmlich  die  Arterien, 
krampfhaft  zusammen;  die  betreffenden  Teile  wurden  blaß  und 
blutleer.  Obwohl  Bernard  die  Erscheinungen  nicht  durchweg 
richtig  deutete,  erregten  seine  Mitteilungen  doch  das  größte  Auf- 
sehen und  die  Brücke  von  dem  zentralen  Nervensystem  durch  die 
„Gefäßnerven"  zu  den  Muskeln  der  Gefäße  war  geschlagen. 

Als  nun  Schiff*),  Bernard  und  Eckhard  auch  noch 
zeigen  konnten,  daß  Reizung  gewisser  Nerven  die  Gefäße  bedeutend, 
jedenfalls   viel   bedeutender  erweitert,    als   Durchschneidung   des 


1)  J.  Henle,  Wochenschrift  für  die  gesamte  Heilkunde  1840  p.  329  und 
Sömmering,  Vom  Bau  des  menschl.  Körpers  Bd.  6.  1841  oder  J.  Henle.  All- 
gemeine Anatomie  usw.  Leipzig  1841.   p.  512. 

2)  Magendie,  Le^ons  sur  les  ph6nora6nes  physiques  de  la  vie  T.  2  p.  78. 
Die  Vorträge  wurden  1837  gehalten,  die  Zeit  des  Druckes  ist  nicht  angegeben. 

3)  Cl.  Bernard,  Inflnence  du  grand  sympadqne  sur  la  sensibilite  et  la 
calorification.  Comptes  rendus  de  la  sociale  de  biologie  1851  p.  163  und  Comptes 
rendus  de  Tacad^mie  de.s  sciences  1852. 

4)  M.  Schiff.  Ein  accessorisches  Arterienherz  bei  Kaninchen.  Archiv  für 
physiol.  Heilkunde  Bd.  13  p.  521.  1854  und  gesammelte  Beiträge  von  ihm  Bd.  1 
p.  131  u.  f.   1894. 


Betrachtungen  über  die  Bedeutang  der  Gef&ßmnskeln  und  ihrer  Nerven.  135 

Veren^erers,  so  mußte  man  auch  noch  eine  aktive  Erweiterung 
der  Gefäße  annehmen.  Denn  um  nur  ein  Beispiel  zu  erwähnen; 
durchschnitt  Schiff  einem  Kaninchen  den  linken  Sympathicus, 
wodurch  das  linke  Ohr  warm  und  rot  wurde,  während  das  rechte 
verhältnismäßig  blaß  blieb,  so  wurde  jetzt  dieses  rechte  viel  röter 
als  das  linke,  wenn  man  das  Tier  irgendwie  erregte.  Links  waren 
nur  die  Gefäßverengerer  gelähmt,  rechts  wurden  die  GeflLßerweiterer 
gereizt 

Nachdem  man  auch  bald  die  vielfachen  Beflexe  kennen  gelernt, 
durch  welche  größere  oder  kleinere  Grefäßgebiete  erweitert  oder 
verengt  wurden,  war  es  vornehmlich  Ludwig^)  und  seine  Schule, 
welche  durch  eine  große  Zahl  berühmter  Arbeiten  einmal  die  Re- 
gulation des  Gesamtblutdruckes  —  denn  Verengerung  großer  ar- 
terieller Gefäßgebiete  mußte  den  Blutdruck  in  die  Höhe  treiben, 
Erweiterung  ihn  herabsetzen  —  durch  die  vasomotorischen  Nerven 
kennen  lehrte,  sowie  andererseits  die  Versorgung  bestimmter  Organe 
mit  viel  oder  wenig  Blut  ins  klare  setzte,  je  nachdem  die  zu  diesen 
Organen  zufuhrenden  Arterien  weit  oder  eng  waren  und  gleich 
dem  mehr  oder  weniger  geöffneten  Hähnen  einer  Wasserleitung  viel 
oder  wenig  Flüssigkeit  aus-  bzw.  einströmen  ließen.  Letztere 
Tätigkeit  der  Gefäßmuskeln  hatte  in  geistvoller  Weise  bereits 
Henle*)  auf  das  Bestimmteste  ausgesprochen,  indem  er  sagt:  „Den 
Anteil,  den  die  Kontraktilität  des  Herzens  und  der  Gefäße  an  der 
Zirkulation  nehmen,  kann  man  mit  zwei  Worten  so  ausdrücken, 
daß  von  dem  Herzen  hauptsächlich  die  Blutbewegung,  von  den 
Gefäßen  die  Blutverteilung  abhängig  ist."" 

Die  allgemeine,  von  Ludwig  und  seiner  Schule  vertretene 
Ansicht  geht  also  dahin,  daß,  wenn  wir  von  der  Tätigkeit  des 
Herzens  absehen,  eine  Steigerung  des  arteriellen  Blutdruckes  durch 
Verkleinerung  des  Binnenraumes  der  arteriellen  Gefäße  zustande 
kommen  sollte.  Dabei  mußte  natürlich  der  Kreislauf  durch  die 
jetzt  gesetzten  Widerstände  in  den  Arterien  jenseits  derselben  ab- 
geschwächt, die  Geschwindigkeit  herabgesetzt  sein,  gleich  dem 
Wasserabfluß  hinter  einem  halb  geschlossenen  Hahn,  auch  wenn 
der  allgemeine  Druck  etwas  höher  geworden  sein  sollte.  Zu  seiner 
größten  Überraschung  fand  nun  Heidenhain  das  gerade  Gegen- 
teil.    tTenseits   der  angeblich   stark   verengten  Arterien  floß  das 


1)  Die  diesbezüglichen  mannigfachen  Arbeiten  L  u  d  w  i  g  's  und  seiner  Schüler 
hier  zu  nennen  ist  überflüssig;  hingewiesen  sei  auf  einen  interessanten  Aufsatz 
Ton  ihm:  Die  Nerven  der  Blutgeftße.    Im  neuen  Reich  1876, 1.   S.  Hirzel,  Leipzig. 

2]  A.  a.  0.    Allg.  Anatomie  p.  512. 


136  VII.  Grütznbr 

Blut  mit  größerem  Druck  und  größerer  Geschwindigkeit  oder 
es  erwärmte  sich  das  betreffende  Glied  in  viel  höherem  Maße, 
wenn  seine  Nerven  erhalten,  als  wenn  sie  durchschnitten  waren, 
ganz  wie  oben  bei  dem  Versuche  von  Schiff  mit  dem  erhaltenen 
und  durchschnittenen  Sympathikus. 

Ganz  besonders  lehrreich  aber  sind  alle  diejenigen  Versuche, 
in  denen  der  Blutdruck  auf  verschiedene  Weise  erhöht  wird  und 
seine  Wirkung  auf  Gefäßgebiete  ausübt,  welche  ihre  vasomotorischen 
Nerven  besitzen  und  auf  solche,  die  sie  nicht  besitzen.  So  fand 
z.  B.  Ostroumoff  bei  Heidenhain  folgendes.  Einem  Hund  ist 
der  linke  Ischiadikus  durchschnitten,  demzufolge  die  linke  Pfote 
sehr  warm.  Jetzt  ward  bei  dem  curarisierten  Tiere  ein  sensibler 
Nerv,  z.  B.  der  Vagus  zentral  gereizt,  dessen  Eeizung  den  Blut- 
druck gar  nicht  bedeutend  zu  erhöhen  braucht,  ja  ihn  sogar  herab- 
setzen kann.  Nichtsdestoweniger  wird  jetzt  die  normale  Pfote 
stärker  durchblutet  und  viel  wärmer,  als  die  gelähmte.  Dies  findet 
aber  nicht  statt,  wenn  der  allgemeine  Blutdruck  auf  eine  andere 
Art  in  die  Höhe  getrieben  wird,  wie  ihn  z.  B.  die  Beizung  des 
Splanchnikus  zur  Folge  hat,  also  durch  Verengung  der  Gefäße  der 
Bauchhöhle.  Ich  betone  diesen  Punkt  deshalb  ganz  besonders,  weil 
neuerdings  vielfach  die  Meinung  ausgesprochen  worden  ist,  daß  Er- 
höhung des  Blutdruckes  durch  Verengerung  größerer  Gefäßgebiete 
andere  Gefäßgebiete  durchaus  erweitem  müsse.  Wenn  es  sich  ein- 
fach um  Eautschukschläuche  handelte,  wäre  dies  der  Fall;  die 
Gefäßwandungen,  namentlich  die  normal  innervierten  Getäße  lassen 
sich  in  ihrer  Weite  aber  für  gewöhnlich  sehr  wenig  durch  ver- 
schieden hohen  Blutdruck  beeinflussen. 

Wie  sollte  man  sich  nun  alle  die  von  Heidenhain  und 
anderen  —  ich  nenne  vor  allen  Dingen  Goltz,  Vulpian,  Luch- 
singer, Dastre  und  Morat  —  gefundenen  Erscheinungen, 
namentlich  die  zuletzt  beschriebenen  erklären  ?  Mit  der  einfachen, 
andauernden  Verengung  von  fast  allen  kleineren  Arterien,  wie 
Ludwig  zuerst  glaubte,  waren  viele  Erscheinungen,  vor  allem  die 
erhöhte  Durchblutung  der  betreffenden  Organe  nicht  vereinbar,  aber 
auch  die  Verengerung  beschränkter  Gefäßgebiete  reichte  ftir  die 
Erklärung  vieler  Vorgänge  nicht  aus;  denn  die  Gefäße  verhielten 


1)  R.  Heidenhaiu.  Über  bisher  unbeachtete  Ein  Wirkungen  nsw.  Pfläg^rs 
Archiv  Bd.  3  p.  504.  1870,  A.  Ostroumoff,  Versuche  über  Hemmungsnerveu. 
Ebenda  Bd.  12  p.  219.  1876  und  P.  Grützner  und  B.  Heidenhain,  Beitrage 
zur  Kenntnis  der  Gefäßinnervation.    Ebenda  Bd.  16  p.  1  u.  31  u.  47.   1878. 


Betrachtangen  Ober  die  Bedeatang  der  Gefäßmnskeln  und  ihrer  Nerven.    137 

sieh  ihr  gegenüber  auBerordenÜicfa  selbständig.  Es  maßten  also  in 
den  Gefäßen  anzweifelhaft  Yorrichtnngen  vorhanden  sein,  welche 
selbst  bei  niedrigem,  allgemeinem  Blntdrock  eine  außerordentlich 
starke  Dorchblatong  von  Organen  zar  Folge  hatten.  Nun  das 
sollten  eben  die  Gefäßerweiterer  (oder  wie  sie  Heidenhain  nannte 
die  Hemmnngsnerven  der  Gefäße)  sein. 

Wie  hat  man  sich  nan  dieses  Spiel  der  beiden  (refaßnerven, 
der  Verengerer  nnd  der  Erweiterer,  zu  denken  ?  Vor  allen  Dingen 
ist  hier  auf  eine  irrige  Auffassung  hinzuweisen.  So  wenig  nämlich 
wie  elektrische  Reizung  des  Nervus  ischiadicus  mit  den  tetani- 
sierenden  Strömen  eines  Induktionsapparates  die  gereizte  Extremität 
in  normale  Bewegungen  versetzt,  sondern  wie  vielmehr  gewaltige 
Streckkrämpfe  entstehen,  unter  denen  die  schwächeren  Beuger  ge- 
zerrt werden  und  stark  leiden,  so  wenig  erzeugt  Reizung  eines  vaso- 
motorischen Nervenstammes  normale  Vorgänge  in  den  Gefäßmuskeln ; 
denn  hier  wie  da  sind  wohl  in  jedem  vasomotorischen  Nervenstamm 
zweierlei  Fasern  vorhanden.  Man  weiß  es  bestimmt  vom  Sym- 
pathikus am  Hals  und  vom  Ischiadikus,  aber  auch  die  'Chorda, 
welche  man  bisher  für  einen  reinen  Gefäßerweiterer  hielt,  enthält, 
wie  kürzlich^)  gezeigt  wurde,  gefößverengernde  Nerven.  Da  man 
nun  aber  immer  nur  die  gewöhnlichen  Induktionsströme  zur  Reizung 
dieser  gemischten  Nerven  anwendete  und  da  außerdem  gezeigt 
worden  ist,  daß  die  Gefäßerweiterer  eine  ganz  andere  Erregbarkeit 
besitzen  als  die  Verengerer  —  sie  bleiben  z.  B.  nach  der  Durch- 
schneidung des  Nervenstammes  viel  länger  erregbar,  können  durch 
konstante  Ströme,  durch  mäßige  Erwärmung  usw.  gereizt  werden  — 
so  sind  alle  die  vielfachen  Angaben,  in  denen  durch  obige  Mittel 
nur  eine  Nervenart,  z.  B.  die  Verengerer  nachgewiesen  werden 
konnten,  nur  im  positiven  Sinne  beweisend.  Sie  sagen  nicht  das 
Geringste  darüber  aus,  ob  nicht  auch  Erweiterer  in  dem  unter- 
suchten Nervenstamm  enthalten  sind. 

So  wie  nun  bei  den  natürlichen  Muskelbewegungen  ein  abge- 
messenes Spiel  bald  der  einen,  bald  der  anderen  Nerven  beziehungs- 
weise Muskeln  stattfindet,  wie  namentlich  (nach  meiner  Auffassung-)) 
verschiedene  Muskelelemente  hintereinander  in  Tätigkeit  ge- 
raten und  nur  dadurch  das  Langsame  und  Gemessene  der  natürlichen 
Bewegungen  verständlich  machen,  so  ist  dies  sicher  auclf  bei  den 
Nerven  beziehungsweise  Muskeln  der  Gefäße  der  Fall. 

1)  A.  Fröhlich  n.  0.  Löwi,  Über  vasokonstriktorische  Fasern  der  Chorda 
tTinpani.   Zentralbl.  f.  Physiol.  Bd.  20  p.  229,  1906. 

2)  Arcbivio  di  Fisiologia  etc.  dal  G.  Fano,  Vol.  2,  p.  114,  1904. 


138  Vn.  Grütznbh 

Wenn  schon  die  Erf^ttndang  der  natfirlichen  MuskelbewegUDgen, 
die  wir  doch  aaf  da45  Genaueste  sehen  und  verfolgen  können,  groSe 
Schwierigkeiten  bereitet,  so  gilt  dies  natürlich  in  noch  höherem 
Maße  bei  den  sicher  nicht  weniger  komplizierten  Bewegungen  der 
G^ßmuskeln. 

Welcher  Art  sind  nun  diese  normalen  Bewegungen,  die  gewiS 
von  den  oben  erwähnten,  durch  künstliche  Reizung  erzeugten 
himmelweit  abweichen?  Nun  zunächst  dürfte  eines  sicher  sein. 
Die  Gefäße,  ich  denke  zunächst  an  die  Arterien,  können  weit  und 
können  eng  sein.  Sind  sie  das  erstere,  so  wird  ganz  wie  bei  einer 
weit  geöffneten  Wasserleitung  viel  Flüssigkeit  durch  sie  hindurch- 
strömen, zugleich  wird  wohl  das  Volumen  des  durchströmten  Organes 
zunehmen.  Sind  sie  eng,  so  muß  das  Entgegengesetzte  eintreten. 
Die  betreffenden  Organe  erhalten  nur  wenig  Blut,  werden  blaß  und 
kleiner.  Es  ist  nur  die  Frage,  ob  dies  die  einzige  Tätigkeit  der 
Gefäßmuskeln  ist.  Sollten  sie  also  nur  die  Pförtner  sein,  die  ein- 
mal die  Pforten,  durch  welche  das  Blut  zu  den  Organen  strömt, 
nahezu  'zu  verechließen  und  das  andere  Mal  weit  zu  öffnen  hätten  ? 
Sollten  also  diese  Millionen  und  aber  Millionen  wunderbarer  Arbeits- 
maschinen keine  eigentliche  Arbeit  leisten  ?  Denn  wenn  die  GelSße 
erschlafft  sind,  ist  ihre  Arbeit  jedenfalls  verschwindend;  die  Ring- 
muskeln, also  die  Hauptmasse  aller  Muskeln  in  den  Arterien,  müssen 
erschlafft  sein,  die  Längsmuskeln  sind  vielleicht  zusammengezogen 
und  er  weitem  dadurch  das  Lumen  der  Gefäße.  Sind  dagegen  die 
Gefäße  verengt,  so  haben  sich  die  Ringmuskeln  zusammengezogen 
und  bleiben  es.  In  beiden  Fällen  wird  also  nur  eine  physiologische, 
keine  physikalische  Arbeit  geleistet.  Es  wird  dauernd  eine  ge- 
wisse Spannung  in  den  Muskeln  erhalten,  etwa  um  diese  Leistung 
mit  einer  ähnlichen  der  quergestreiften  Muskeln  zu  vergleichen, 
ein  mehr  oder  weniger  schweres  Gewicht,  vielleicht  eine  Hantel  mit 
ausgestrecktem  Arm  ruhig  hoch  gehalten. 

Schon  das  ist  von  vornherein  recht  unwahrscheinlich.  Da  ein 
hoher  Blutdruck  oft  lange  Zeit  besteht,  so  ist  selbst  bei  der  Lang- 
samkeit der  Bewegungen  von  glatten  Muskeln  ein  derartig  langer 
Tetanus  etwas  Ungewöhnliches,  wenn  auch  nicht  Unmögliches. 
Unter  allen  Umständen  aber  müßte  das  Herz,  wenn  es  gegen  diesen 
erhöhten*  Widerstand  arbeiten  sollte,  höhere  Spannungen  aufbringen, 
ohne  doch  damit  etwas  Nennenswertes  für  den  Kreislauf  zu  er- 
reichen; denn  es  muß  ja  gegen  einen  stärkeren  Widerstand  arbeiten. 
Die  Gefäßmuskeln  also  strengen  sich  an  und  bürden  durch  diese 
ihre  Anstrengung  auch  noch  dem  Herzen  mehr  Arbeit  auf,  eine 


BetrachtQDgen  über  die  Bedentnng  der  GefUßmuskeln  und  ihrer  Nerven.    139 

hSehst  wnnderliclie  Einrichtnog !  Ich  habe  gesagt  Arbeit.  Streng^ 
genommen  ist  das  nicht  bewiesen;  denn  wenn  in  demselben  Maße 
wie  der  Blatdrock  steigt,  das  Schlagvolamen  und  die  in  der  Zeit- 
einheit gef5rderte  Blatmenge  kleiner  wird,  so  kann  natürlich  die 
physikalische  Arbeit  des  Herzens  gleich  groß  bleiben;  ja  bei  sehr 
kleinem  Schlagvolumen  sogar  kleiner  werden.  Wenn  man  nun  aber 
derartige  Versuche  anstellt,  so  gewinnt  man  sicher  nicht  die  Vor- 
steilnngy  daß  bei  Erzeugung  eines  hohen  Blutdruckes,  z.  B.  durch 
ReiauDg  von  sensiblen  Nerven  das  Herz  entlastet  wird.  Es  hat 
sicher  mehr  zu  tun,  was  übrigens  vielfach  geradezu  nachgewiesen 
worden  ist.  Es  bestände  also  hier  die  unsinnigste  Vergeudung  von 
Kraft  an  dem  lebenswichtigsten  Muskel  des  ganzen  Körpers,  dem 
Herzen.  Denn  wenn  sich  die  Gefäße  nicht  verengten,  würde  ja 
darch  mäßige  Erhöhung  der  Herzarbeit  die  Zirkulation  viel  wirk- 
samer gefördert  werden  können.  Man  schaltet  doch  auch  nicht 
Widerstände  ein,  um  die  Stromstärke  zu  erhöhen,  sondern  man  er- 
höht die  Stärke  des  stromgebenden  Apparates  oder  setzt  die  Wider- 
stände herab. 

Ich  glaube  nun  nie  und  nimmer,  daß  die  Muskeln  der  Gefäße  und 
die  Muskeln  des  Herzens  einander  entgegenarbeiten  sollten,  um 
nichts  zu  erreichen.  Ich  bin  vielmehr  der  Meinung,  daß  die  Muskeln 
der  Gefäße  (ganz  abgesehen  von  der  Verteilung  des  Blutes  an  ver- 
schiedene Organe)  die  Arbeit  des  Herzens  unterstützen  und  er- 
leichtem und  daß  in  den  Gefäßen  selbst  Kräfte  tätig  sind,  welche 
unabhängig  vom  Herzen  das  Blut  vorwärts  bewegen,  so  wie  es  das 
Hers  tut,  nur  nicht  mit  derselben  Kraft. 

Selbstverständlich  ist  diese  Meinung  nicht  von  mir  zuerst  aus- 
gesprochen worden,  sondern  sie  taucht  nach  ihrem  ersten  Er- 
scheinen immer  und  immer  wieder  in  der  Literatur  auf.  Der  erste, 
welcher  sie  äußerte,  war  meines  Wissens  Senac,  der  geistvolle 
Leibarzt  Ludwigs  XV.,  welcher  in  seinem  berühmten  zweibändigen 
Werke  Trait6  de  la  structure  du  coeur,  de  son  action  et  de  ses 
maladies,  Paris  1774,  T.  2  p.  193  die  allerdings  viel  zu  weit  gehende 
Behauptung '  ausspricht,  daß  die  Kräfte  der  Arterien  denen  des 
Herzens  überlegen  sind  ^),  daran  aber  den  weiteren  einschränkenden 
Satz  schließt,  den  man  wohl  unterschreiben  kann:  Les  art^res  sont 
de  vrais  coeurs  sous  une  autre  forme.     Ihnen  wohnen   zweierlei 


1)  Daß  die&es  tatsächlich  hin  und  wieder  zutrifft,  dafür  bringt  Senac  in 
scharfsinniger  Weise  das  Beispiel  eines  Fisches  bei,  der  gegenilber  seinem  großen 
Körpergewicht  von  36  Zentnern  (trente-cinq  qnintaux)  ein  anOerordentlich  kleines 
Herz  hatte,  welches  nur  3  Pfand  (trois  livres)  wog. 


140  VII.  Grützkbb 

Kräfte  inne,  einmal  die  Elastizität,  die  auch  im  Tode  fortbesteht, 
und  eine  zweite,  an  das  lebendige  Gewebe  gebundene  Kraft,  die 
Irritabilität,  welche  auch  dem  Herzen  eigentümlich  ist.  Daß  bei 
vielen  Tieren  die  Arterien,  oder  sagen  wir  lieber  pulsierende  Gefäße, 
tatsächlich  die  Stelle  des  Herzens  vertreten,  war  ihm  wohl  nicht 
bekannt,  wurde  aber  von  späteren  Forschern  zum  Beweise  für  die 
Tätigkeit  der  Arterien  überhaupt  herangezogen. 

Die  Behauptung,  daß  den  Arterien  eine  das  Blut  vorwärts 
treibende  eigene  Kraft  innewohnt,  kehrt  noch  häufig  wieder,  ohne 
daß  ich  hier  auf  Einzelheiten  eingehen  will.  Eine  ganz  bestimmte 
Gestalt  aber  nahm  sie  wohl  erst  an,  als  Schifft)  unmittelbar  an 
einem  Waimblüter.  am  Kaninchen,  eine  vom  Herzen  unabhängige 
Pulsation  in  einer  Arterie  nachwies.  Betrachtet  man  nämlich  bei 
einem  ruhig  dasitzenden  Kaninchen  die  Gefäße  des  Ohres  in  durch- 
fallendem Licht,  so  gewahrt  man  leicht,  daß  die  mittlere,  ziem- 
lich große  Arterie  bald  weit,  bald  eng  ist  Die  Erweiterung  erfolgt' 
rasch,  die  Verengerung  dagegen  langsam  und  allmählich  und  schreitet, 
was  von  besonderer  Wichtigkeit  ist,  stets  von  dem  Grunde  des  Ohi-es 
zur  Spitze  fort.   Es  liegt  also  unzweifelhaft  ein  arterielles  Herz  vor. 

Späterhin  haben  namentlich  Legros  und  Onlmus*)  die  An- 
schauung vertreten,  daß  den  Arterien  gerade  so  wie  den  anderen 
muskulösen  Hohlorganen,  z.  B.  dem  Darm,  eine  andauernde  „wurm- 
förmige"  Bewegung  zukomme,  welche  das  Blut  vorwärts  treibt. 

Es  fragt  sich  nun,  haben  wir  Beweise  für  diese  an  und  für 
sich  äußerst  wahrscheinliche  Behauptung.  Vielfach  wird  als  ein 
solcher  die  Tatsache  angeführt,  daß  die  Arterien  nach  dem  Tode 
leer  sind.  Und  auch  ich  glaube,  man  kann  diese  Erscheinung  nicht 
anders  deuten,  als  durch  eine  das  Blut  vorwärts  treibende  Kraft 
der  Arterien.  Zunächst  ist  soviel  klar,  daß  die  Elastizität  der 
Gefäßwandungen  allein  die  Erscheinung  nicht  erklärt;  denn  infolge 
der  elastischen  Fasern  verkleinern  die  Arteriön  ihre  Lichtungen 
nur  sehr  wenig.  Die  Muskeln  müssen  also  mithelfen;  aber  ihre 
Tätigkeit  muß  in  ganz  bestimmter  Weise  geregelt  sein.  Sie  müssen 
in  ganz  bestimmter  Beihenfolge  und  Stärke  sich  zusammenziehen, 
damit  schließlich  die  Arterien  leer  und  die  Venen  voll  werden. 
Zögen  sich  z.  B.  die  mittelgroßen  und  kleinen  Arterien  zusammen, 
so  müßten  sie  ihr  Blut,  —  denn  Klappen  sind  ja  nicht  vorhanden 


1)  A.  a.  0. 

2)  Legros  et  Onimus.  Sar  la  circiüation  etc.    Journal  de  rauatomie  et 
de  la  Physiologie  T.  5  p.  362  et  p.  479,  1868. 


BetrachtuDgen  über  die  Bedeatnng'  der  Gefftßmnskeln  und  ihrer  Nerven.    141 

—  sowohl  in  die  größeren  Arterien,  wie  in  die  kleinsten  Arterien 
and  Kapillaren  pressen. 

Wohin  der  größere  Teil  des  Blntes  kommen  würde,  das  läßt 
sich  nicht  übersehen,  da  man  nicht  weiß,  welches  von  den  beiden^ 
vor  und  hinter  den  zusammengezogenen  Partien  gelegenen  Gefäß- 
abschnitten dnrch  den  gleichen  Druck  mehr  oder  weniger  gedehnt 
wird.  Nehmen  wir  beispielsweise  an,  drei  apfelgroße  Kantschack- 
ballons  seien  hintereinander  mit  Bohren  verbanden  and  alle  mit 
Wasser  gefüllt.  Der  erste  (sonst  geschlossene)  Ballon,  der  durch 
die  Röhre  in  den  zweiten  übergeht,  sei  dickwandig  und  schwer 
dehnbar,  der  mittlere  —  was  übrigens  hier  gleichgültig  ist  — 
habe  eine  mittlere  Dehnbarkeit  und  der  dritte  (ebenfalls  sonst  ge- 
schlossene) sei  dünnwandig  und  leicht  dehnbar.  Wird  jetzt  der 
mittlere  Ballon  mit  der  Hand  zusammengedrückt,  so  entleert  sich 
dessen  Inhalt  wesentlich  in  den  dünnwandigen  Ballon  Nr.  3;  nur 
wenig  Wasser  tritt  in  den  Ballon  Nr.  1.  Der  Ballon  Nr.  1  wird 
also  sehr  wenig,  der  Ballon  Nr.  3  stark  ausgedehnt.  Es  ist  mir 
nicht  unwahrscheinlich,  daß  sich  die  großen  Arterien  etwa  wie  der 
Ballon  Nr.  1,  die  kleineren  dagegen  wie  der  Ballon  Nr.  3  ver- 
halten. Ein  derartiger  Vorgang  würde  das  postmortale  Übertreten 
von  Blut  aus  den  großen  in  die  kleinen  Arterien  und  dann  weiter 
in  die  Kapillaren  und  in  Venen  neben  einer  etwaigen  fortschreiten- 
den Peristaltik  der  Arterien  nicht  unbedeutend  unterstützen. 

Damit  nun  aber  das  Blut  in  den  Venen  bleibt,  müssen  noch 
ventilartige  Vorrichtungen  hinzukommen.  Diese  Ventile  sind  offen- 
bar die  Kapillaren  und  die  kleinsten  Gefäße;  denn  ist  einmal  das 
Blut  aus  den  Arterien  heraas  in  die  Venen  getrieben,  so  kommt  es, 
weil  der  Druck  in  diesen  schlaffen  nachgiebigen  Gefäßen  binnen 
kurzer  Zeit  gleich  Null  wird,  nicht  mehr  in  die  Arterien  hinein. 

Wir  haben  aber  noch  weitere  Beweise  am  Lebenden.  Es  ist 
bekannt,  daß  wenn  man  bei  Fröschen  die  Zirkulation  in  der  Pfote 
beobachtet,  man  dieselbe  noch  einige  Zeit  —  wenn  auch  außer- 
ordentlich viel  schwächer  —  fortdauern  sieht  nach  Abbindung  des 
Herzens.  Es  wäre  dies  wie  bei  dem  Absterben  des  Herzens  nicht 
möglich,  wenn  die  Zusammenziehung  der  Arterien  nicht  in  einer 
ganz  bestimmten  Ordnung  von  den  größeren  zu  den  kleineren  vor 
sieh  ginge. 

Femer  sprechen  folgende  Tatsachen  für  die  pumpende  Kraft  der 
Arterien.  In  einer  verhältnismäßig  wenig  beachteten  Arbeit  von 
V.  Bezold  und  Gscheidlen,^)  deren  Besultate  man  unschwer 

1)  A.  Y.  Bezold  u.  K.  Gscheidlen,  Von  der  Lokomotion  des  Blutes  durcK 


142  VII.    GBeTZNBE 

bestätigen  kann,  finden  sich  dieselben  vor.  Um  die  Tätigkeit  der  Blut- 
gefäße allein  zn  untersuchen,  schalteten  die  genannten  Forscher  das 
Herz  vollkommen  ans,  teils  durch  starke  Elektrisierung  desselben, 
teils  durch  Umschuürung  seiner  Basis,  so  da£  die  großen  Venen  und 
die  Aorta  vom  Herzen  getrennt  wurden.  Die  Versuche  geschahen  an 
curarisierten  Kaninchen,  deren  arterieller  und  vaiöser  Druck  be- 
stimmt wurde,  der  erste  in  der  Carotis,  der  zweite  gewöhnlich  in 
der  Vena  cava.  War  das  Zentralnervensystem  dieser  Tiere  er- 
halten, so  war  längere  Zeit,  das  heißt  etwa  1 — 2  Minuten  nach 
Ausschaltung  des  Herzens  der  Blutdruck  in  beiden  Gefäßen 
nahezu  gleich,  nämlich  etwa  86  mm  Wasser.  War  dagegen  das 
Halsmark  durchschnitten,  also  der  Einfluß  der  Vasomotoren  auf- 
gehoben, so  betrug  um  dieselbe  Zeit  der  Blutdruck  in  der  Arterie 
im  Durchschnitt  86,6,  der  in  der  Vene  nur  43,4  mm  Wasser. 
Wurden  schließlich  die  Vasomotoren  in  dem  durchschnittenen  Hals* 
mark  gereizt,  so  stieg  der  Venendruck  z.  B.  von  50  auf  7ö  mm 
Wasser,  während  der  arterielle  fleL  Trotz  eines  außerordentlich 
geringen  Druckes  in  den  Arterien  von  vielleicht  80—100  mm 
Wasser,  das  ist  etwa  7  mm  Quecksilber,  vermögen  also  die  Ge- 
fäße, wenn  ihre  Vasomotoren  gereizt  werden,  Blut  in  die  Venen 
hinüberzupumpen.  Sie  vermögen  in  den  Venen  und  in  den  Arterien 
nahezu  gleichen  Blutdruck  zu  erhalten,  wenn  die  Vasomotoren 
überhaupt  noch  vorhanden  und  offenbar  schwach  tätig  sind;  sie  ver- 
mögen aber  so  gut  wie  kein  Blut  in  die  Venen  zu  treiben,  wenn 
sie  ihrer  Vasomotoren  beraubt  sind. 

So  wie  in  den  Versuchen  von  Heidenhain  und  mir  selbst 
bei  geringem  Blutdruck  infolge  Reizung  sensibler  Nerven  die  be- 
treffenden Körperorgane  viel  besser  durchblutet  wurden  und  der 
Venendruck  in  ihnen  bedeutend  anstieg,  so  können  selbst  die  Ar- 
terien bei  einem  Druck  von  ein  paar  Millimeter  Quecksilber  ihren 
Inhalt  in  die  Venen  vorwärts  schieben.  Hier,  wie  bei  all  diesen 
Versuchen  handelt  es  sich  niemals  bloß  um  andauernde  Er- 
weiteiung  oder  wie  gesagt  wird,  um  andauernde  Reizung  der 
Oefäßerweiterer,  der  sogenannten  Hemmungsnerven  der  Gefäße: 
denn  dann  wäre  es  völlig  undenkbar,  wie  bei  den  v.  Bezold- 
Osc  hei  dien 'sehen  Versuchen  der  Venendruck  gelegentlich  über 
den  arteriellen  Druck  sich  erheben  könnte,  was  er  tatsächlich  tut 
Es  kann  sich  auch  nicht  um  eine  dauernde  Zusammenziehung  einiger 


die  glatten  Muskeln  der  Gefäße.    Untersuch,  aus  dem  pfaysiol.  Laboratorium  in 
Würzburg.   Heft  2.   1867.   p.  347. 


Betrachtungen  über  die  Bedeutung  der  Gefiäßmuskeln  und  ihrer  Nerven.    143 

Arterien  handeln ;  denn  dieselbe  könnte  eher  den  Zuflufi  zu  den  Venen 
sperren  nnd  wie  schon  oben  angedeutet  fast  ebensogut  das  Blut  in 
die  größeren  Arterien,  wie  in  die  Kapillaren  pressen.  Es  mnfi  eine 
Art  Pumpwirkong  vorliegen,  welche  das  Blut  vorwärts  treibt.  Dem- 
nach halte  ich  es  auch  nicht  für  unmöglich  —  was  vielleicht  mancltem 
etwas  ketzerisch  vorkommt  — ,  daß  gelegentlich  in  kleineren  Arterien 
während  kurzer  Zeit  ein  höherer  Druck  bestehen  kann,  als  in  der 
Aorta,  wenn  dieselben  gleich  einem  mit  Wasser  gefnUten  Grinnmi'? 
schlauch,  der  fortschreitend  zusammengedruckt  wird,  sich  fort^ 
schreitend  zusammenziehen.^) 

Ich  glaube,  die  mitgeteilten  Tatsachen  beweisen  zur  Genüge, 
da£  die  Arterien  das  Blut  nach  den  Venen  vorwärts  schieben.  Es 
mögen  aber  noch  einige  andere  hier  Platz  finden.  Heidenhain 
und  ich^)  fanden,  daß  Eeizung  sensibler  Nerven,  welche  nach 
Ludwig  den  allgemeinen  Blutdruck  wesentlich  d,urch  Verengung 
der  Gefäße  des  Splanchnikusgebietes  in  die  Höhe  treibt,  diese 
Wirkung  auch  dann  hat,  wenn  das  ganze  Splanchnikusgebiet  durch 
Unterbindung  der  Aorta  über  der  Cöliaca  und  der  Vena  cava  inr 
ferior  über  den  Nierenvenen  vollkommen  ausgeschaltet  ist.  Hierbei 
sollte  nach  Heidenhain  ein  derartiger  Eingriff  die  Gefäße  der 
Haut  durch  reflektorische  Beizung  ihrer  Hemmungsnerven  erweitern, 
dasselbe  sollte  eintreten  mit  den  Muskelgeiaßen.  Welche  Gefäße 
sollten  sich  denn  da  verengern  und  durch  ihre  Verengerung  den 
Blutdruck  in  die  Höhe  treiben?  Die  Gefäße  des  Unterleibs  waren 
ausgeschaltet,  die  anderen  noch  vorhandenen  sollten  sich  erweitern^ 
und  doch  stieg  der  Blutdruck. 

Es  gibt  noch  andere  ähnliche  Tatsachen,  auf  die  ich  aber, 
weil  ihre  Erörterung  ohne  ausführliche  Beschreibung  der  betreffen^ 
den  Versuchsanordnnngen  kaum  verständlich  wäre,  hier  nicht  näher 
eingehe.  Sie  sind  ebenso  völlig  unbegreiflich,  wenn. die  arterielle 
Oefäßmuskulatur  weiter  nichts  machen  soll,  als  die  Gefäße  dauernd 
weit  oder  dauernd  eng  zu  erhalten,  werden  aber  leicht  verständ- 
lich, wenn  man  annimmt,  daß  die  Arterien  vorwärtstreibende 
Kräfte  besitzen. 

Femer  sei  noch  auf  folgende  Tatsachen  hingewiesen.  Fragen 
wir  uns,  wo  die  meisten  Muskels  in  den  GefiLßen  sind,  so  erhallen 


1)  Damk  h&ag^  die  aUe(0.  Volknann,  Hämodynamik  p.  174).  neuerdings 
wieder  genau  untersuchte  Angabe,  daü  der  Dmck  in  der  Cmralis  größer  sein  soll 
als  in  der  Carotis,  nicht  zusammen.  (S.  £.  Weber,  Vergleichnng  des  Druckes  usw. 
^atralbl,  fttr  Physiologie  Bd.  äO  p.  123.  1906.) 

2)  A.  a.  0.  p.  48. 


144  VII.  Grützmbb 

wir  zur  Antwort^  zunächst  in  den  kleinsten  Arterien,  in  denen  dio 
Pampkraft  des  Herzens  schon  nachzulassen  beginnt,  dann  aber  in 
deigenigen  Arterien,  in  denen  der  Fortbewegung  des  Blutes  offen- 
bar gewisse  Schwierigkeiten  entgegenstehen ;  z.  B.  in  den  Arterien 
des  DanneSj  welche  ein  doppeltes  Eapillarsystem  zu  speisen  haben, 
das  des  Darmes  und  das  der  Leber.  Sollten  da  die  reichlichen 
Bingmuskeln  in  ihnen  dazu  da  sein  durch  dauernde  Verengerang 
der  Arterien  der  Durchblutung  Schwierigkeiten  zu  bereiten,  die 
schon  an  und  fttr  sich  schwierig  genug  ist?  Das  kann  niemand 
glauben.  Vielmehr  wird  jeder  Unbefangene  das  Entgegengesetzte 
annehmen,  daß  nämlich  die  hier  besonders  reichlich  vorhandenen 
Ringmuskeln  die  Durchblutung  der  Unterleibsorgane  in  irgend  einer 
Weise  unterstützen  und  fördern. 

Ganz  dasselbe  gilt  von  den  Muskeln  der  Vena  portae  und  ihrer 
Äste,  welche  im  Vergleich  mit  den  übrigen  Venen  des  Körpers 
daran  sehr  reich  sind.  Namentlich  enthalten  sie  viele  Ringmuskeln, 
zu  gleicher  Zeit  finden  sich  in  ihnen  reichlich  Klappen.  Köppe^), 
der  diese  anatomischen  Verhältnisse  in  Ludwig's  Institut  sorg- 
fältig untersucht  hat,  äußert  sich  über  die  Bedeutung  dieser  Muskeln 
folgendermaßen:  „Ihrer  Gegenwart  ist  es  zu  verdanken,  daß  sich 
die  Mesenterialvenen  in  verschiedenem  Grade  mit  Blut  zu  f&Ilen 
vermögen,  ohne  daß  sich  in  ihrem  Binnenraume  der  Druck  ändert, 
und  umgekehrt,  daß  der  letztere  dort  sehr  ungleich  groß  angetroffen 
wird,  trotzdem,  daß  die  im  Rohre  enthaltene  Blntmenge  denselben 
Wert  besitzt  Beides  läßt  sich  durch  Lähmung  oder  Reizung  der 
Vasomotoren  leicht  veranschaulichen,  und  ebenso  beweisen,  daß  die 
Geschwindigkeit  —  nicht  die  Stärke  —  des  Stromes  innerhalb  der 
Portalvenen  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  hin  unabhängig  ist  von 
dem  Zufluß  aus  den  Arterien  und  von  dem  Widerstände  in  den 
Lebergefäßen."  Ob  diese  Darstellung  das  Richtige  trifft,  darüber 
will  ich  mir  ein  Urteil  nicht  erlauben.  Jedenfalls  trifft  sie  meines 
Erachtens  nicht  das  Wesentliche;  denn  Klappen  deuten  auf  Be- 
wegung in  bestimmter  Richtung  und  Muskeln  im  allgemeinen  auch 
auf  Bewegung,  nicht  auf  längeren  Stillstand  in  Tätigkeit  oder  in 
Ruhe.  Die  Muskeln  der  portalen  Gefäße,  davon  bin  ich  fest  über- 
zeugt, dienen  in  allererster  Linie  der  Fortbewegung  des  Blutes 
welches  mit  außerordentlich  geringem  Druck  —  denn  es  hat  ja 
schon   ein  Kapillarsystem  passiert  —  in  die  Darmvenen  eintritt 


1]  H.  Koppe,  Muskeln  and  Klappen  in  den  Wurzeln  der  Pfortader.   ArchiT 
für  Physiol.  1890,  Supplement  p.  168. 


Betrachtungen  über  die  Bedentnng  der  Ge&Kmuskeln  und  ihrer  Nerven.    145 

Wie  kräftig  sie  zu  wirken  imstande  sind,  davon  hat  sich  Mall-^) 
fiberzeagt,  der  nach  Abschnümng  der  Aorta  bei  Reizung  des 
Splanchnikos  die  Gefäße  sich  bis  „zum  Verschwinden  des  Lmnens'^ 
verengern  sak  (Daß  diese  gewaltigen  Zasammenschnürangen 
normalerweise  nicht  vorkommen  dürften,  sondern  Krämpfen  zu  ver- 
gleichen sind,  versteht  sich  nach  dem  oben  Gesagten  von  selbst.) 

Wenn  man  weiter  bedenkt,  daß  nach  Bayliss^  der  glatte 
Muskel  auf  jede  Spannungsänderung  in  typischer  Weise  reagiert, 
die  Füllungen  der  Gefäße  und  damit  die  Spannungen  ihrer  Wände 
sich  aber  fortwährend  ändern,  so  werden  die  glatten  Muskeln  der- 
selben sozusagen  nie  Ruhe  haben  und  gewiß  in  ähnlicher,  wenn 
auch  nicht  so  komplizierter  Weise  arbeiten,  wie  die  Muskeln  des 
Darmes,  die  nach  Ex  n  er 's')  interessanten  Versuchen  selbst  Steck- 
nadeln mit  ihrer  Spitze  voran  durch  den  Darm  leiten,  ohne  ihn  zu 
verletzen,  wie  ein  seekundiger  Lotse  ein  Schiff  auf  schwieriger 
Fahrt 

Schließlich  noch  eine  Frage.  Wozu  dienen  die  gewaltigen 
Mengen  glatter  Muskeln,  die  ringförmig  die  Nabelarterien  des 
Xabelstranges  umgeben  ?  Sollen  sie  sich  vielleicht  ebenfalls  dauernd 
zusunmenziehen  und  den  Widerstand  auf  dem  langen  Weg  vom 
Nabel  des  Kindes  bis  zur  Placenta  noch  vergrößern  ?  Das  ist  ebenso 
anwahrscheinlich,  wie  die  dauernde  Zusammenziehung  der  Darm- 
arterien und  -venen.  Die  Nabelarterien  sind  sicher,  solange  das 
Kind  im  Mutterleibe  sich  befindet,  sekundäre  Herzen,  welche  das 
venöBe  Blut  in  die  Placenta  treiben  helfen.  Verläist  das  Kind 
oder  das  Tier  den  Mutterleib,  dann  allerdings  ziehen  sie  sich,  wohl 
durch  den  Eältereiz,  so  stark  zusammen,  daß  aus  ihnen,  d.  h.  aus 
dem  Neugeborenen,  kein  Blut  mehr  austritt 

So  hat  sich  denn  in  mir  durch  alle  diese  Betrachtungen  die 
von  mir^)  schon  vor  Jahren  ausgesprochene  Behauptung,  daß  die 
Arterien  die  Tätigkeit  des  Herzens  unterstützen,  aber  nicht  hemmen, 
von  neuem  bekräftigt  Und  in  gleichem  Sinne  wie  die  Arterien 
wirken  sicher  auch  die  Kapillaren  und  die  Venen.    Die  ersteren  be- 

1)  F.  P.  Mall,  Die  motorischen  Nerven  der  Portalvene.  Archiv  für  Physio- 
io^e  1890,  Supplement  p.  57. 

2)  BaylisB,  The  reaction  of  blood  vessels  etc.  Journal  of  physiol.  Vol.  26, 
Proceedin^  etc.  p.  29. 1900  und  On  the  local  reactions.  £benda  Vol.  28  p.  220.  1902. 

3)  A.  Einer,  Wie  schützt  sich  der  Verdauungstrakt  vor  Verletzungen  usw. 
PflUger's  Archiv  Bd.  89  p.  2d3,  1902  und  A.  Müller,  Beiträge  zur  Kenntnis  von 
den  Schutzeinrichtungen  des  Darmtmktes  usw.   Ebenda  Bd.  102  p.  208.   1904. 

4)  P.  Grfltzner,  Über  verschiedene  Arten  der  Nervenerregung.  Pflüger's 
Archiv  Bd.  17  p.  215  (231).  1878. 

Dentaches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    89.  Bd.  10 


146  VII.  Ghützmbr 

sitzen  zwar  keine  Muskeln,  sie  können  sich  aber  unzweifelhaft, 
wie  dies  zuerst  Stricker  und  neuerdings  Steinach  undKahn^) 
zeigten,  durch  die  sie  umgebenden  Ronget-Mayer  'sehen  Eorbzellen 
verengern  und  erweitem  und  so  ebenfalls  fördernd  und  gelegentlich 
natürlich  auch  hemmend  auf  den  Blutstrom  wirken. 

Die  Venen  besitzen  Muskeln  und  sie  dürften  dieselben  wesent- 
lich auch  zur  Förderung  des  Blutstroms  benutzen.  Wissen  wir  doch 
auf  der  einen  Seite  aus  den  wichtigen  und  sinnreichen  Versuchen 
von  Goltz'),  daß  schon  die  Lähmung  der  Bauchvenen  den  Blut- 
lauf vollkommen  unmöglich  macht,  da  sich  das  Blut  dann  in  ihnen, 
wie  in  großen,  schlaffen  Säcken  ansammelt  und  das  Herz  kein  Blut 
bekommt,  und  ist  es  doch  andererseits  bekannt,  daß  in  gewissen 
Venen,  wie  z.  B.  in  denen  der  Fledermausflügel  *),  tatsächlich  Stellen 
nachzuweisen  sind,  welche  sich  nach  Art  des  Herzens  rhythmisch 
mit  großer  Kraft  zusammenziehen  und  das  Blut  dem  Herzen  zu- 
treiben. Vei-sagt  diese  vorwärtstreibende  Kraft  in  den  Venen  der 
menschlichen  Haut,  so  gibt  es,  wie  ich  glaube,  cyanotische  Verfai- 
bungen,  wahrscheinlich  auch  leicht  Erfrierungen  bei  irgendwelchen 
Störungen  der  Zirkulation. 

Wenn  ich  so  den  glatten  Muskeln  der  Gefäße  eine  ziemlich 
komplizierte  Arbeit  zugewiesen  habe,  indem  sie  sowohl  für  sich 
allein,  als  auch  im  Verein  mit  der  Tätigkeit  des  Herzens  das  Blut 
dahin  führen,  wo  es  hauptsächlich  gebraucht  wird,  so  entsteht 
schließlich  noch  die  Frage,  durch  welche  Vorgänge  sie  zu  dieser 
Tätigkeit  veranlaßt  werden.  Nun  die  Alten  sagten:  UM  Stimulus, 
ibi  affinxus.  Das  ist  ja  gewiß  richtig,  über  die  Art  aber,  wie  der 
Stimulus  wirkt,  darüber  erfährt  man  nichts.  Zunächst  ist  bekannt, 
daß  mechanische  Reize,  welche  die  Haut  treffen,  die  Gefäße  der 
getroffenen  Stelle  in  eigentümlicher  Weise  erregen.  Warum  frei- 
lich z.  B.  ein  tätiges  Organ  im  allgemeinen  stärker  durchblutet  wird, 
als  ein  untätiges,  das  wissen  wir  nicht.  Wohl  aber  hat  Bier*) 
in  einer  geistvollen  Untersuchung  gezeigt,  daß  die  Gefäße  aller 

1)  £.  St  ein  ach  n.  R.  H.  Kahn,  Echte  Kontraktilität  und  motor.  Inner- 
vation der  BlutkapiUaren.   Pflüger's  Archiv  Bd.  97  p.  105.   1903. 

2)  F.  Goltz,  Über  den  Tonns  der  Gefäße  u.  s.  w.  Virehow's  Archiv  Bd.  29 
p.  394,  1864. 

3)  T.  Wharton  Jones,  Discovery  that  the  veins  of  the  Bats'  Wing  are 
endowed  with  rythmical  contractilitj  etc.  Philosophical  Transactions  1852  p.  131 
und  B.  Lnchsinger,  Von  den  Venenherzen  in  der  Flnghant  der  Fledermfiuse. 
Pflüger's  Archiv  Bd.  26  p.  445.   1881. 

4)  A.  Bier.  Die  Entstehung  des  Kollateralkreislaufes.  Vircbow^s  ArcliiT 
Bd.  147  p.  256.    1897. 


Betrachtungen  über  die  Bedentnng  der  Gefäßmnskeln  und  ihrer  Nerven.    147 

derjenigen  Gewebe  viel  Blnt  in  dieselben  fördern,  die  gleichsam  nacli 
Blat  besonders  hungrig  sind,  weil  man  ihnen  das  Blut  längere 
Zeit  vorenthalten  hat.  Das  anämische  Gewebe  zieht  gewissermaßen, 
wie  sich  Bier  ausdrückt,  unabhängig  vom  Zentralnervensystem 
arterielles  Blut  an  und  sperrt  sich  gegen  venöses,  und  selbst  bei 
verschwindendem  Blutdruck  kann  so  das  betreffende  Gewebe  stark 
mit  Blut  durchströmt  werden.  Wenn  Bier  nun  meint,  daß  dies 
geschieht  „durch  eine  gewaltige  Herabsetzung  der  Widerstände  in 
den  kleinen  Gefäßen  und  vielleicht  auch  in  allen  anderen  Gewebs- 
teilen, deren  elastische  Spannung  vielleicht  durch  die  Anämie  herab- 
gemindert wird^,  so  möchte  ich  glauben,  daß  einfache  Erweiterungen 
kleiner  Gefäße  für  das  Entstehen  einer  Hyperämie  unter  diesen 
Bedingungen  kaum  ausreichend  sind.  Die  Gefäße  müssen  selbst 
aktiv  tätig  sein  und  das  bißchen  Blut,  was  sie  bekommen,  dahin 
treiben,  wo  es  nötig  ist,  auch  ohne  nennenswerten  allgemeinen 
Blutdruck.  Wie  sollte  man  sich  sonst  jenen  interessanten  Versuch 
(25,  p.  287)  von  Bier  erklären,  in  welchem  einem  Schwein  zu- 
nächst ein  Oberschenkel  durch  die  Esmarch'sche  Binde  blutleer 
gemacht,  dann  etwa  2  Finger  breit  unterhalb  des  Schnürschlauches 
amputiert  wird?  Der  Schlauch  wird  jetzt  gelöst,  das  Blut  schießt 
aus  den  Arterien  heraus,  aber  trotzdem  rötet  sich  der  Rand  des 
Beinstumpfes  von  dem  Schnürschlauch  bis  zur  Wundfläche.  Sollte 
der  geringe  Druck  in  den  spritzenden  Arterien  ausreichend  sein, 
um  jene  Hyperämie  durch  bloße  Erweiterung  der  kleinsten  Haut- 
geföße  zustande  zu  bringen?  Unmöglich  wäre  es  ja  nicht,  aber 
da  wir  oben  gesehen  haben,  daß  bloße  Gefaßerweiterungen  allein 
keineswegs  die  starke  Durchblutung  von  Geweben  erklären  konnten, 
so  halte  ich  es  mindestens  für  wahrscheinlich,  daß  auch  hier  die 
Erweiterung  allein  jene  Hyperämie  nicht  zustande  bringt. 

Es  sei  schließlich  noch  dauf  hingewiesen,  daß  namentlich  von 
klinischer  Seite  die  den  Blutlauf  unterstützende  Wirkung  der  Ge- 
fäßmnskulatur  (meines  Erachtens)  richtig  erkannt  worden  ist.  Was 
bei  mangelhafter  Zirkulation  in  schweren  Krankheiten  Schwäche  des 
Herzens  sein  sollte,  das  hat  sich  vielfach  als  eine  primäre  Schwäche 
•der  Geftße  beziehungsweise  ihrer  nervösen  Zentralorgane  heraus- 
gestellt, wie  dies  wohl  zuerst  Naunyn,  später  Romberg, 
Päßler^)  u.  a  gezeigt  haben.   Ja  von  Rosenbach^}  undHase- 

1)  Päßler  n.  Bollj,  Experimentelle  Untersuchungen  usw.  Dieses  Archiv 
Bd.  77  p.  96  1903,  woselbst  auch  die  flbrige  Literatur. 

2)  0.  Rosenbach,  Eine  neue  Kreislaufstheorie.  Berliner  klin.  Wochenschr. 
1903  p.  1066. 

10* 


148    VII.  Grützxbr,  Betracht,  üb.  d.  Bedent.  d.  Gef&ßmiiskeln  xl  ihrer  Nerven. 

broek^)  wurden  die  Qef&ße  geradeza  als  akzessorische  Herzen 
angesehen,  ähnlich  wie  auch  ich  es  oben  getan  habe. 

Alles  spricht  somit  f&r  die  Richtigkeit,  meiner  Behanptuni;: 
Die  Gef&fie,  insonderheit  die  Arterien,  aber  auch  die 
Kapillaren  und  die  Venen  sind  akzessorischeHerzen, 
welche  die  Tätigkeit  des  Herzens  unterstützen  und 
nebenher  die  Blutverteilung  besorgen. 

1)  K.  Hasebroek,  Versach  einer  Theorie  nsw.  Dieses  Archiv  Bd.  77 
p.  350  1903. 


vm. 

Indisclie  Prioritfttsansprttche. 

Von 

Professor  Dr.  phil.  et  med.  Julius  Jolly 

in  WärzbuTR. 

Als  die  Verbreitung  der  Malaria  durch  Moskitos  nachgewiesen 
war,  traten  anläßlich  der  Untersuchungen  über  die  Ursachen  einer 
Fieberepidemie  in  Colorobo  dort  eine  Anzahl  einheimischer  Arzte 
in  einem  Beport  mit  der  Behauptung  hervor,  daß  schon  in  alt- 
indischen Werken  über  Medizin  das  Vorkommen  von  Moskitos  neben 
Unreinlichkeit  der  Luft  und  des  Wassers  als  Hauptursache  des 
Malariafiebers  bezeichnet  sei.  Sir  H.  Blake,  der  Gouverneur  der 
Insel  Ceylon,  ging  der  Sache  nach  und  legte  als  Resultat  seiner 
Erkundigungen  dem  Ceylon  Brauch  der  British  Medical  Association 
in  einem  am  15.  April  1906  gehaltenen  Vortrag  zwei  Stellen  aus 
dem  berühmten  Sanskritlehrbuch  der  Medizin  von  Su^ruta  vor, 
in  welchem  dem  Stich  gewisser  Moskitos  so  schlimme  Folgen  vrie 
den  Bissen  todbringender  Insekten  zugeschrieben  werden,  insbe- 
sondere Fieber,  Gliederschmerzen,  Pusteln  usw.  Sir  H.  Blake 
knüpfte  hieran  die  Bemerkung,  daß  in  diesen  vielleicht  schon 
3000  Jahre  alten  Texten  eine  Vorahnung  der  großen  Entdeckungen 
von  Manson  und  Boß  über  den  Ursprung  der  Malaria  vorliege. 
Hiergegen  glaube  ich  in  dem  Journal  der  R.  Asiatic  Society  in 
London  1905,  558—60  und  1906,  222—24  nachgewiesen  zu  haben, 
daß  die  todbringende  Wirkung,  welche  Su^ruta  den  Stichen  ge- 
wisser, ihrem  Namen  nach  in  Gebirgsgegenden  (also  nicht  in  Sumpf- 
distrikten wie  die  Malaria)  vorkommenden  Moskitos  oder  schäd- 
lichen Insekten  zuschreibt^  nichts  mit  der  Malaria  zu  tun  hat,  viel- 
mehr das  hierbei  erwähnt«  Fieber  ein  Wundfieber  ist,  daß  femer 
unter  den  äußerst  mannigfaltigen  Ursachen  der  Fieber,  welche 
tabilische,  keine  animalischen  Gifte  zu  verstehen.  Seine  allgemeinen 
Vorstellungen  von  dem  Wesen  und  der  Wirkung  giftiger  Substanzen, 
wozu  er  z.  B.  auch  die  Nägel  und  Zähne  von  Katzen,  AiFen,  Alliga- 
toren u.  a.  vrilden  Tieren  rechnet,  sind  sehr  roh  und  lassen  keinen 
Vergleich  mit  modernen  Anschauungen  zu. 


150  vm.  joLLY 

S  u  ^  r  u  t  a  anderwärts  aufzählt,  Moskitostiche  nicht  erwähnt  werden. 
Unter  den  Giften,  die  Sai^ruta  als  Fieberursache  nennt,  sind  vege- 

Als  man  früher  bei  den  Untersuchungen  über  den  Ursprung; 
der  Pest  auf  das  Auftreten  der  Pest  bei  den  Satten  und  die  Über- 
tragung der  Infektion  durch  dieselben  aufmerksam  geworden  war, 
tauchte  in  der  indischen  Presse  eine  Nachricht  über  die  Entdeckung 
eines  alten  Sanskrittextes  in  einem  Purana  (Lehrgedicht)  auf,  der 
eine  göttliche  Offenbarung  über  ein  ausgedehntes  Rattensterben  als 
Vorboten  der  Pest  und  über  den  Grundsätzen  der  modernen  Hygiene 
entsprechende  Yorkehrungsmaßregeln  gegen  die  Pest  enthalten  sollte. 
Auch  in  deutsche  Zeitungen  gingen  diese  Angaben  über.  Der  an- 
gebliche Sanskrittext  ist  jedoch  nie  publiziert  worden.  Er  ist  ohne 
Zweifel  ebenso  apokryph,  wie  z.  ß.  der  in  Bombay  1897  gedruckte, 
gefälschte  Sanskrittext  des  Bhavisyapuränam,  den  Aufrecht  als 
eine  Fälschung  erwies,  in  der  Adam  und  Eva,  Noah  und  Lamech, 
Timur  und  Humayun  u.  a.  biblische  und  historische  Persönlichkeiten 
in  indischem  Gewände  auftreten.^) 

Als  im  Anfang  des  19.  Jahrhunderts  die  Knhpockeninipfnng 
durch  europäische  Ärzte  in  Indien  weite  Verbreitung  gefunden 
hatte  als  ein  wirksames  Schutzmittel  gegen  die  dort  besonders 
verheerend  auftretenden  Pocken,  entdeckte  ein  gelehrter  Inder, 
Kalvi  Virambam,  1819  zwei  Texte,  den  einen  in  Sanskrit- 
versen, den  anderen  nur  in  englischer  Übersetzung,  aus  einem  an- 
geblich von  Dhanvantari,  dem  Arzt  der  Götter,  verfaßten  Werk, 
worin  die  ganze  Prozedur  der  Kuhpockenimpfung  mittels  einer 
Lanzette  genau  beschrieben  war.  Indessen  äußerte  schon  Ainslie 
Bedenken  gegen  die  Echtheit  dieser  Texte,  weil  Kuhpocken  in  dem 
heißen  Klima  Indiens  nicht  vorkämen.  Bohlen  in  seinem  be- 
kannten Werk  über  das  alte  Indien  (1830)  erklärte  das  Alter  des 
zitierten  Werkes  für  fraglich.  Haas,  ein  gründlicher  Kenner  der 
indischen  Medizin,  bemerkte  über  die  beiden  Texte,  daß  der  Sans* 
krittext  mit  seiner  entsetzlich  unbeholfenen  Konstruktion  deutlich 
den  Stempel  der  unklaren  Umbildung  aus  fremder  Quelle  an  sich  trage, 
während  der  englische  Passus  zwar  klar  genug  sei,  aber  auch  ein  ent- 
schieden modernes  Gepräge  an  sich  habe.^)  Auch  in  diesem  Falle 
handelt  es  sich  sicher  um  eine  der  Fälschungen,  wie  sie  leider  auf 
dem  Gebiete  der  Sanskritliteratur  von  dem  „Ezour  Vedam"  ab,  durch 
den  Voltaire  sich  täuschen  ließ,  nur  zu  häufig  vorgekommen  sind. 

1)  Über  das  Bhavisyapuräna.  Ein  literarischer  Betrag.  Von  Th.  Aufrecht 
Zeitschrift  der  deatschen  morgenländischen  Gesellschaft  LVII  276 — 84  (1903«. 

2)  Zeitschrift  der  deutschen  morgenländ.  üesellsch.  XXX  660  f.  (1876). 


Indische  Prioritätsansprüche.  151 

Es  liegt  hier  also  eine  typische  Erscheinang  vor,  indem  wich- 
tige Entdeckungen  der  europäischen  Medizin  in  bezug  auf  die 
endemischen    Krankheiten    Indiens    den    indischen    Nationalstolz 
herausfordern,    so  da£    es  dann   auch  nicht  an   einem  gelehrten 
Pandit  fehlen  kann,  der  einen  alten  Sanskrittext  zu  produzieren 
weiß,  in  dem  die  Entdeckungen  der  europäischen  Gelehrten  schon 
in  nuce  enthalten  sind,  so  daß   der  indischen   Wissenschaft  die 
Priorität  gewahrt  bleibt.    Bedauerlich  ist  es   aber,   wenn   solche 
tendenziösen  Behauptungen   ohne  Kritik    hingenommen   und  von 
Engländern  in  hoher  amtlicher  Stellung,  wiederholt  und  noch  über- 
boten werden.    So    hat  Lord  Ampthill    in    einer  Eede^)   sich 
nicht  nur  die  Anschauung  angeeignet,  daß  die  Pest  in  Indien  von 
der  frühesten  Dämmerung  der  Geschichte  an  bekannt  gewesen  sei 
und  den  vorhin  erwähnten  Sansknttext  über  Kuhpockenimpfung 
für  bare  Münze  genommen,  sondern  Indien  auch  überhaupt  für  die 
Wiege    der    medizinischen    Wissenschaft    erklärt,    die    dort    auf- 
gekommen, dann  nach  Arabien  und  weiterhin  nach  Europa  aus- 
geführt worden  sei.    Bis  zum  Ende  des  17.  Jahrhunderts  herab 
hätten    die    europäischen   Ärzte  ihre  Weisheit  aus  den  Werken 
arabischer  Arzte   geschöpft,  während   die  arabischen  Arzte  viele 
Jahrhunderte     früher    ihre    medizinischen    Kenntnisse    aus    den 
Werken  der  großen  Ärzte  Indiens,  eines  Dhanvantari,  Caraka 
und  Su^ruta,  bezogen  hätten.    Es  ist  ja  richtig,  daß  die  Haupt- 
lehrbücher der  indischen  Medizin  schon  frühe  in  das  Arabische 
und    Persische   übertragen   wurden   und   daß   berühmte   arabische 
Ärzte   wie  Kazi   sich   nicht  selten   darauf  berufen.    Aber   weit 
überwiegend  war  doch  in  der  arabisch -persischen  Medizin,  schon 
von  ziemlich  frühen  Zeiten   ab,   der  griechische  Einfluß  und  der 
„arabisierte  Galenismus^,  in  den  die  europäische  Heilkunde  in  der 
zweiten  Hälfte  des  Mittelalters  überging,  enthält  daher  die  griechi- 
sche Medizin  des  Altertums  in  doppelter  Gestalt,  nämlich  teils  in 
ihrer  ursprünglichen,  teils  in  arabisierter  Form.    Es  kann  niemand 
ferner,  liegen  als  mir,  die  welthistorische  Bedeutung  und  Expansiv- 
kraft der  indischen  Medizin,  die  eine  so  umfangreiche,  bisher  nur 
stückweise  bekannte  Literatur  hervorbrachte,  verkleinern  zu  wollen. 
Die  immer  wieder  von  den  einheimischen  Gelehrten  Indiens  erhobenen 
Prioritätsansprüche  müssen  jedoch  von  Fall  zu  Fall  sorgfältig  ge- 
prüft werden  und  die  Indologie  und  Sanskritphilologie  hathier  dem 
indischen  Chauvinismus  gegenüber  eine  wichtige  Aufgabe  zu  erfüllen. 

1)  Nach  einem  Referat  in  der  "Indian  Review"  Vol.  6,  1905.  p.  203. 


IX. 

■ 

Da  löle  des  s6ci^tions  internes  dans  la  pathog^nie  da 

diaböte  sncrä. 

par 

B.  Lupine  (Lyou). 

Le  professeur  Ebstein,  qui  a  contribu6  d'une  maniere  si  ef- 
ficace  k  raccroissemeDt  de  dos  connaissaBces  sur  le  diab^te  sucre. 
admet  que  cette  maladie  est  due  k  une  disposition  d^fectaense  du 
Protoplasma  „et  du  noyau"  cellulaires.  En  acceptant  cette  con- 
ception,  on  peut  ajouter  que  de  multiples  influences  viennent  modifief 
Tactivit^  du  protoplasma.  Parmi  ces  influences,  il  ne  faut  pas 
nfegliger  les  secr6tions  internes,  dont  Timportance  a  6t^  r6v61ee 
aux  mMecins  par  Brown  Sfequard. 

Certaines  glandes  n'ont  pas  de  conduit  excr^teur:  De  ced6faut 
on  a  deduit  qu'elles  doivent  verser  dans  le  sang  ou  dans  les 
lymphatiques  les  produits  qu'elles  ont  6Iabor6s.  Cette  conclusion 
—  trfes  naturelle  d'ailleurs  —  n'est  pas  forc6e;  car  il  se  pourrait  que 
leurs  cellules  eussent  pour  fonction  unique  de  d^truire  certaines 
substances  circulant  dans  le  sang,  sans  c6der  k  ce  liquide  un  prodnit 
special.  Dans  cet  ordre  d'idees,  Blu^  conteste  que  la  thyroide  ait 
une  s^cr^tion  interne.  Mais  cette  opinion,  un  peu  absolue,  n'est 
pas  g6n6ralement  accept^e,  et  on  admet  qu'outre  son  action  anti- 
toxique,  cette  glande,  dont  Tirrigation  sanguine  est  si  active,  evacue 
dans  les  espaces  lymphatiques  le  contenu  de  ses  vesicules,  quand 
celles-ci  sont  gorgees. 

Les  glandes  depourvues  de  conduits  excreteurs  n'ont  pas  seules 
le  privil^ge  de  ceder  au  sang  une  secretion  interne.  II  n'est  pas 
contestable  que  si  les  cellules  du  foie  versent  dans  les  canaux 
biliaires  une  secretion  exfccrife,  „la  bile",  elles  fönt,  d'autre  pait, 
passer,   dans   les   capillaires   sus-h6patiques,  le  sucre  qu'elles  ont 


Da  Töle  des  s^cr^tions  internes  dans  la  pathogenie  da  diab^te  sacr^.    153 

produit  dans  leur  Interieur ^X  Claude  Bernard  noiis  a  fait  con- 
naltre  Timportance,  pour  rorganisme,  de  cette  s^cr^tion.  H  noos  a 
appris  aassi  qne  son  abondance  trop  grande  rompt  parfois  r^qailibre 
da  miliea  intöriear. 

Röle  de  la  s^cr^tlon  interne  du  pancr^as.  —  Les  observations 
cliniqoes  de  Lan^ereanx,  et  Texp^rieBce  memorable  de  v.  Mering 
et  Minkowski  (1889)  ont  prouvö  que  le  pancr^as  peat  aossi  inter- 
venir  dans  le  m^tabolisme  des  hydrates  de  carbone.  Mais,  v.  Mering 
et  M  i  n  k  0  w  s  k  i  n'ont  pas  sonpconne,  tont  d'abord,  que  Finfluence 
da  pancreas  s'exer^at  par  une  s6cr^tion  interne:  Ils  ont  admis  qne 
le  diabete  cons^cntif  ä  l'ablation  de  cette  glande  6tait  du  ä  la 
sappression  d'une  fonction  inconnne  quelle  poss^dait  et  c'est  seule- 
ment  dlx-huit  mois  plns  tard  que  se  tronve,  pour  la  premiöre  fois, 
exprimee  d'nne  mani^re,  d'ailleurs  fort  explicite;  Tid^e  que  le 
pancreas,  bleu  qne  possedant  un  conduit  excr^tenr,  devait  aussi, 
comme  le  foie,  verser  dans  le  sang  une  s^cr^tion  interne.^)  A  Tappui 
de  cette  hypoth^se  on  peut  citer  le  fait  que  la  ligatnre  du  canal 
de  Wirsung,  qni,  comme  on  le  sait  depuis  longtemps,  n'est  jamais 
9aivie  de  glycosurie,  amene  au  contraire,  de  Thypoglycemie,  et  une 
augmentation  du  pouvoir  glycolytique  du  sang  (L6pine,  Barral 
et  Boulud).  Cela  s'explique  naturellement  en  admettant  que 
Faccroissement  de  la  pression  dans  les  canaux  pancr^atiques,  con- 
secutive  k  la  ligature,  amene  la  resorption  de  substances  favorisant 
la  glycolyse  g6n6rale. 

On  peut  encore  citer  les  experiences  montrant  que  le  sang  de 
la  veine  pancreatique  (Lepine  et  Hartz),  et  la  lymphe  du  canal 
thoracique  (Lepine  et  Boulud)  recueiUie  quelques  beures  aprte 
Texcitation  faradique  des  nerfs  du  pancreas,  ont,  sur  la  fermen- 
tation  alcoolique,  une  action  beaucoup  plus  prononcee  que  s'ils  ont 
ete  recneillis  avant  cette  excitation.  ^)  —  D'abord  envisag6e  avec 
defiance,  Thypoth^se  d'une  secr^tion  interne  du  pancreas  a  6t6  ac- 
ceptee  par  la  plupart  des  physiologistes  comp6tents  (notamment 
par  Minkowski,  apres  sa  belle  exp^rience  de  greffe,  confirmee 


1)  En  sni^ant  la  voiefray^e  par  Brown -S^qaard  on  poarrait  mßme  ne  pas 
limiter  les  secr^tions  internes  anx  produits  des  blandes  senles,  et  consid^rer,  par 
exemple  comme  one  s^cretion  interne,  pathologique.  les  poisons  que  les  roascles 
fati^es  yersent  dans  le  sang. 

2)  Lupine,  La  patbogenie  du  diab^te.   Revne  scientifiqae  1891,  28  f Syrier. 
S)  Voir,  ponr  plos  de  d^tails,  Tarticle  Glycolyse  da  Dictionnaire  de  pbysio- 

logie  <le  Riebet,  tome  VII,  2e  fascicnle,  1806. 


164  IX.  LftpiNE 

par  Hedon).  —  L'insuccös  de  Topoth^rapie  pancr6atique  dans  le 
diabite  ne  prouve  rien  contre  la  realit6  d'une  s6cr6tion  interne  du 
pancreas.  C'est  an  fait  n^^atif ;  or  les  faits  n^gatifs  laissent  intacts 
les  faits  positifs.  II  d^montre  seulement  que  dans  les  conditions 
oü  eile  a  6t6  tent6e  cette  thörapeutique  a  6te  insuffisante. 

Lieu  de  la  ri^sorption  de  la  s^cr^tion  interne  da  pancn5as.  — 

Laguesse,  Opie  etc.  ont  suppos^  qne  les  üots  de  Langerhans 
sont  les  organes  exclusifs  de  la  s^cr^tion  interne  „dout  le  nom 
d'endocrines,  donnö  par  Lagaesse  h  ces  ilots".  Cette  hypo- 
th^se  n'est  pas,  k  priori,  irrationnelle:  le  testicole  poss^de  en  effet^ 
une  glande,  dite  interstitielle,  dont  la  s^cretion  interne,  alors 
meme  que  les  voies  spermatiques  sont  oblit^rees  des  denx  cotes, 
conserve  k  rhomme,  sauf,  naturellement,  le  pouvoir  föcondant,  tons 
les  caractferes  de  la  viiilit6.  Mais  la  glande  interstitielle  n'a  pas 
de  connexions  avec  les  tubes  seminüeres.  Or  il  n'en  est  pas  de 
meme  entre  les  acini  et  les  ilots  du  pancreas;  ils  out  meme  origine, 
et,  d'aprfes  Laguesse,  Schmidt,  Hansmann,  Küster,  Herx- 
heim  er  etc.,  on  observe  entre  eux  des  formes  de  passage.  — 
Meme  chez  Tadulte,  des  ilots  se  d6veloppent  aux  dfepens  d'acinl 
D'aprfes  Laguesse,  Karakascheff  etc.  la  r^ciproque  existe. — 
Voilä,  une  diflfference  importante  entre  le  testicule  et  le  pancreas. 
Quant  k  la  question  speciale  de  savoir  si  les  ilots  sont  les  organes 
exclusifs  de  la  s6cr6tion  interne,  eile  me  parait  tranchee,  dans  le 
sens  oppos6  ä  Thypothese  de  Laguesse,  par  le  fait  que  jai 
Signal^,  il  y  a  plus  de  quatorze  ans,  et  que  'je  rappelais  tout  k 
Theure,  que  la  ligature  du  canal  de  Wirsung,  ou  une  injection 
d'huile  dans  son  interieur,  bref,  tonte  cause  capable  d'y  augmenter 
la  pression,  est  suivie  d'une  hypoglycemie,  et  de  Taugmentation  du 
pouvoir  glycolytique  du  sang.  ^) 

Or  Taugmentation  de  la  pression  dans  les  conduits  excreteurs 
du  pancreas  ne  peut  gu6re  retentir  sur  les  ilots  de  Langerhans 
puisqu'aucune  injection,  si  flne  qu'elle  soit,  n*y  pfenetre.  Elle  ne 
peut  donc  acroitre  le  pouvoir  glycolytique  du  sang  qu'en  com- 
primant  les  cellules  des  acini,  et  en  exprimant,  en  quelque 
Sorte,  leur  contenu  dans  les  capillaires  lymphatiques  ou  sangains. 
Laguesse,  Opie  etc.,  ont  invoque  k  Tappui  de  leur  hypothese 
constatations  anatomo-pathologiques  faites    dans  le  pancreas  cer-    ,, 


5-       .    (;.-;,.*,  ^.--J 

1)  Lupine,  Eevae  de  Medecine  1892  p.  486,  et  189i  ^p:  879,  et  Journal  de 
Physiologie  1905,  janvier. 


Da  role  des  secretions  intenies  dans  la  pathog6iiie  da  diabete  sacr^.     155 

taines  des  diab^tiques.  Mais  les  travaux  les  plus  recents  et  les 
plus  d^cisifs^)  proavent  que  les  ilots  ne  sont  pas  specialement 
atteints  chez  les  diabetiques,  et  que  souvent  avec  des  ilots  sains, 
on  rencontre  nne  pancreatite  interstitieUe  des  acini,  bien  6tudi6e 
antrefois  par  Lannois  et  Lemoine.  D'autre  part,  on  a  eu 
fr^quemment  Toccasion  d'observer  chez  des  snjets  non  diab^tiques, 
des  lesions  insulaires  identiqaes  &  Celles  qa'on  a  rencontr^es  chez 
des  diab^tiqnes. 

Natnre  de  la  s^r^tion  interne.  —  Blumenthal  a  d6montr6 
que  le  snc  da  pancreas  (press6  k  la  presse  hydraaliqne)  peut  au 
beut  d'un  certain  nombre  d'henres,  d6truire  une  petite  quantit6  de 
glucose,  Cohnheim  a  contest^  le  fait.  En  tont  cas  ü  a  prouv^ 
que  cette  action  est  fort  nette  si  on  additionne  le  suc  du  pancreas 
an  suc  musculaire.  Rahel-Hirsch^)  a  trouv^  que  le  snc  du  foie 
a  aussi  un  pouvoir  glycolytique,  et  que  le  pancreas  Taugmente. 
Tontes  ces  exp6riences  (et  je  pourrais  allonger  cette  Enumeration) 
ODt  un  interet  biologique  incontestable,  mais  elles  ne  touchent  pas 
directement  ä,  la  question  qui  nous  occupe.  En  effet  chez  Tanimal 
Tivant,  le  suc  du  pancr6as  et  des  muscles  ne  sont  pas  directement 
en  contact  avec  une  Solution  de  glucose. 

Ponr  se  placer  dans  des  conditions  un  peu  plus  analogue  ä  la 
realit6  il  faut  injecter  dans  le  sang  des  extraits  de  pancreas.  Or, 
un  certain  temps  aprös  de  telles  injections  on  observe  une  aug- 
mentation  considErable  du  pouvoir  glycolytique  du  sang,  et  une 
hypoglycemie,  bref  un  6tat  tout  k  fait  semblable  ä  celui  que  j'ai 
antrefois  indiquE  comme  se  produisant  quelques  heures  apr^s  Tex- 
citation  faradique  des  nerfs  du  pancreas. ^)  Cette  identitE  d'action 
est  bien  propre  k  prouver  que  les  excitations  du  pancreas  fönt 
deverser  dans  le  sang  des  substances  excitant  la  glycolyse  generale. 

Je  dis  ^substances  excitant,  ou  favorisant  la  glycolyse^,  parce- 
que  je  ne  crois  pas  que  ces  substances  aient,  par  elles-memes,  une 
action  glycolytique  notable:  On  a  vu  que  le  suc  pur  du  pancreas, 
exprim6  k  la  presse,  n'a  qu'un  tres  faible  pouvoir  glycolytique.  II 
r6sulte  d'aiUeurs  de  recherches  encore  in^dites,  que  j'ai  faites  avec 
la  coUaboration  de  B  o  u  1  u  d ,  que  des  extraits  de  diiferents  organes 


1)  Voir  Karakascheff,  Dcatsches  Archiv  f.  klin.  Med.  1904,  LXXXII,  et 
1906  LXXXVÜ;  Heriheimer,  Virchow's  Archiy  1906,  LXXXIII. 

2)  Ou  tronvera  toates  les  indications  bibliographiqaes   dans  mou  article 
„Glycolyse"  du  Dictionnaire  de  Physiologie  de  Riebet. 

3)  Lepine,  Volume  da  Cinqaantenaire  de  laSoci^t^  de  Biologie.  Paris  1899. 


156 


IX.    LUPINE 


ont  ane  action  rappelant  celle  des  extraits  de  pancr^as.  Bien  plus, 
de  Teau  sal6e,  physioloj^qne,  injectee  ä  dose  süffisante,  dans  nne 
veine,  chez  un  chien  (par  exemple  k  la  dose  de  50  ccm,  par  kg,  de 
poids  vif),  agit  d'ane  mani6re  analogue  aux  extraits  d'organes,  c'est 
ä  dire  qu'aprös  une  premi^re  Periode,  pendant  laquelle  la  glycolyse 
est  diminaöe,  vient,  aa  bout  de  15  ä  24  beares,  une  seconde  periode, 
avec  hypoglyc^mie  et  angmentation  consid^rable  da  poavoir  glyco- 
lytique  du  sang.  C'est  evidemment  un  effet  de  reaction  de  Tor- 
ganisme.  ^) 

L'influence  que  le  pancr^as  exerce  snr  la  glycolyse  gön^rale 
n'est  donc  pas  une  fonction  speciale,  et  qui  serait  d^volue  ä  des 
organites  sp^ciaux,  les  ilots;  c'est  une  action  qu'il  partage  avec 
les  autres  organes;  et,  s'il  la  poss^de  k  un  plus  haut  degr^,  c'est 
que,  notamment  chez  le  chien  (animal  qui  a  servi  k  presque  toutes 
les  exp^riences  sur  le  sujet  qui  nous  occupe)  le  pancr^as  est  une 
glande  particuli^rement  active^)  qui  cede  au  sang  des  ferments 
^nergiques,  provoquant  une  reaction  autrement  intense  que  Tean 
sal^e.  *)  C'est  aussi  parceqne,  comme  Font  trös  bien  vu  Chanveau 
et  Kaufmann,  le  pancreas  est,  en  quelque  sorte,  coupI6  avec  le 
foie,  puisqu'ind^pendamment  des  connexions  nerveuses  qui  existent 
entre  ces  deux  organes,  le  foie  regoit  par  la  veine  porte  le  sang 
de  la  veine  pancr^atique. 

On  sait  que  l'injection  de  divei*ses  substances  dans  un  des 
rameaux  d'origine  de  la  veine  porte  est  suivie  d'une  exagöration 
de  la  glycog^nie.  D'autre  part,  Chanveau  et  Kaufmann  ont 
pens6  que  la  s6cr6tion  interne  du  pancreas  pouvait  exerce  sur  la 
glycog^nie  une  action  mod^ratrice.    A  Tappul  de  cette  id^e  jai  vu. 

1)  Des  exp^riences  plus  recentes  et  ^galement  in^dites  nous  ont  montre  qae 
riDgestion  de  snc  de  divers  organes,  et  notamment  de  pancreas  sont  suivies  d*ane 
forte  angmentation  du  pouToir  glycolytiqne  du  sang  et  d'on  pen  d^hypogljcemie 
(L  6  p  i  n  e  et  B  0  n  1  n  d).  Vn  la  facUite  avec  laquelle  ce  snc  est  ing^re  ces  f aits  nous 
paraissent  avoir  une  reelle  port^e  th§rapeutique. 

2)  Tandisque  le  poids  du  pancreas,  chez  i'homme,  ne  depasse  pas  1  g, 
5  par  kg,  il  peut  s'elever  chez  le  chien  ä  3.5  (Collin,  No6).  II  faut  aussi  teoir 
compte  de  Tirrigation  sanguine  du  pancr^a»,  je  ne  sache  pas  qn*eUe  ait  6t^  döter- 
miu6e  d'nne  mani^re  exacte;  mais,  notamment  apr^s  Texcitation  des  nerfs  de  cet 
Organe,  le  d^bit  de  la  veine  principale  est  consid4rable.  Enftn,  les  Üotft  con- 
tribnent  a  la  secr6tion  interne  du  pancreas :  11  est  clair  que  le  produit  de  ceUules 
priv6es  de  condnits  excr^tenrs  ne  peut  se  deverser  que  dans  le  sang. 

3)  II  est  probable  que  la  secr^tion  interne  du  pancreas  renferme  antre  diose 
que  des  ferments  et  les  proferments  contenus  dans  cette  glande,  car  les  extraits 
bouillis,  sont  encore  tr^s  actifs.  D*apr^s  de  Meyer  (de  Brutelles),  ils  pooirüent 
meme  ^tre  port^s  ä  120  degr^s  sans  perdu  tonte  lenr  action. 


Dn  role  des  s^r^tions  inlernes  dans  la  pathogönie  da  diaböte  sacr^.     157 

avec  MartZy  qne  Taddition  de  pancreatine  au  sang  qa'on  fait  cir« 
euler  k  travers  an  foie  isol6  diminue  la  proportion  de  sacre  de  ce 
sang.  Mais  on  peut  se  demander  si,  dans  cette  exp^rience  la  pan- 
crtetine  n'a  pas  excitö  la  glycolyse  intrah^patique. ') 

Böle  de  la  s^er^tion  Interne  de  la  thyrolde.  —  Bien  des 
faits  montrent  qae  la  thyrolde  n'est  pas  sans  influence  sur  le 
mötabolisme  des  hydrates  de  carbone,  et  ces  faits  paraissent  mieux 
s'expliquer  par  rbypotbise  d'nne  s6cr6tion  interne  que  par  le 
mtowisme  antitoxiqne.  (Yoir  plos  haut.)  On  sait  qn'ä  T^tat  nor- 
mal, lorsque  le  sang  re^it  par  ingestion,  on  autrement  nne  trop 
gfrande  qaantitä  de  sncre,  une  partie  se  transforme  rapidement  en 
graisse.  *)  D'aprös  v.  Noorden,  le  prodnit  de  la  s6cr6tion  de  la 
thyrolde  met  obstacle  ä  ce  processus  r6gulateur.  D'autre  part  les 
Sujets  dont  la  glande  tbyroide  est  atrophi^e  assimilent  des  qaantit^s 
consid^rables  de  sncre.  On  a  vn  des  myxcedömateax,  du  poids  de 
20  kilog.,  seulement  ing^rer  300  g  de  sucre,  et  meme  davantage^ 
Sans  avoir  de  la  glycosurie  alimentaire.  Tels  sont  les  faits,  pea 
probants  d'ailleurs,  sur  lesquels  on  s'est  fond^  pour  supposer  que^ 
dans  certains  cas,  la  tbyroide  pourrait  contribuer  k  la  production 
d'un  diaböte.*) 

Role  de  la  s^cr^tion  interne  de  Thypophyse.  —  Quelques 
acromegaliques  sont  glycosuriques ;  et,  parmi  eux,  on  rencontre  de 
vrais  diabetiques.  Comme  cette  coincidence  ne  s'observe  guere  que 
dans  le  cas  ou  coexiste  une  tumeur  hypophysaire,  il  parait  au 
Premier  abord,  possible  que  la  secretion  interne  de  Thypophyse  ait 
jou6  un  role  dans  la  production  du  diabete.  Mais  cette  hypothöse 
n'a,  en  realitö,  aucune  base  physiologique ;  les  extraits  d'hypopbyse 
o'ont  pas  ete  Studios,  quant  ä  leur  action  sur  le  mötabolisme  des 
hydrates  de  carbone;  et  d'autres  th6ories,  notamment  celle  de  Loeb 
(qui  a  suppos6  Texistence  d'un   centre  diabetogöne  k  la  base  du 

1)  On  sait  qtie  le  foie  poss^de  un  ponvoir  fi^lycoljtiqne  (Jacob y,  Rahel- 
Hinch).  II  est  interessant  de  noter  que  ce  pouvoir  fait  d^faut  dans  le  foie  dia- 
iietique  (Blnmenthal,  Jacoby). 

2)  Hanrioty  CR.,  de  TAcad^mie  des  Sciences  1892  et  Archives  de  Physio* 
kgie  1893. 

3)  D'antres  faits  t^moignent  dans  le  m^me  sens,  par  exemple  la  glycosurie, 
et  m§me  le  diab^te  y^ri table,  qn'on  a  observ^s  dans  nn  certains  nombre  de  cas 
de  maladie  de  Basedow;  mais  ces  faits  sont  encore  moins  probants;  car,  dans  ces 
cas  la  glycosurie  est  k  la  rigneur  explieable  par  une  influence  nervense.  Quant 
aox  l^ions  histologiques  qui  ont  He  parfois  constat^es  dans  la  tbyroide  de  dia- 
betiques, leur  signification  ne  parait  pas  tr^s  claire. 


158  ^^'  LUPINE,  Da  röle  des  secretions  interoes  dans  la  pathog^nie  da  diab^te  sacr^. 

cerveau)  peavent  expliqaer  la  coexistence  d'an  diabäte  et  d'nne 
tnmear  de  Thypophyse.*) 

Böle  de  la  s^cr^tlon  interne  des  capsules  surr^nales.  — 

Blum  a  prouv6  que  Tinjection  d'une  forte  dose  d'extrait  capsulaire, 
dans  la  veine  d'un  chien  bien  nourri,  peut  etre  promptement  stÜTie 
d'une  glycosurie  assez  abondante.  On  en  connait  le  m6canisme: 
Ainsi  que  Tavait  suppose  Blum,  la  glycog^nie  h^patique  est 
augment^e.  Le  pancr^as,  contrairement  k  une  bypothtoe  d'Herter. 
ne  joue  aucun  röle  important;  car  la  glycosui^ie  cons^cntive  ä  rin- 
jection  d'extrait  capsulaire  (ou  d'adr6naline)  s'observe,  chez  un 
cbien  qui  vient  d'etre  depancreatä,  avec  les  memes  caract^res,  ä  pen 
de  chose  pr6s  que  chez  un  chien  sain  (Lepine). 

Si  ces  foite  prouvent  la  r^litä  d'une  glycosurie  adrenalique  trän- 
sitoire,  s'ils  sont  de  nature  k  rendre,  theoriquement,  acceptable  l'idee 
qu'une  activit6  anomale  de  capsules  puisse  aider  ä  la  production 
d'un  diabäte,  chez  Thomme,  d'autre  part,  aucun  fait  clinique  positif 
ne  dfemontre  jusqu'ä  ce  jour  la  r6alit6  de  cette  contribution;  et 
Yu  la  dose  considärable  d'adränaline  n^cessaire  pour  amener  la 
glycosurie,  vu  la  prompte  accoutumanee  qui  se  produit,  eile  ne 
parait  guäre  vraisemblable.  *) 

En  resumä:  Dans  la  pathogänie  du  diabäte  pancreatique,  le 
däfaut  de  la  säcrätion  interne  normale  du  pancräas,  excitatrice  de 
la  glycolyse  gänärale,  joue  un  role  important. 

II  est  probable  que,  dans  le  cas  oü  Tactivitä  du  pancräas  est 
amoindrie,  la  diminution  de  cette  secretion  interne  contribue  ä  la 
production  d'un  diabete,  ayant  d'ailleurs  une  autre  origine. 

D'autres  s6cr6tions  internes  exercent  sans  doute  une  action 
plus  ou  moins  importante  sur  le  metabolisme  des  hydrates  de  car- 
bone.  Cela  parait  prouvä  experimentalement  pour  plusieurs  d'entre 
elles;  mais  les  faits  cliniques  ne  sont  pas  suffisants  pour  affirmer 
qu'elles  interviennent  d'une  maniere  efflcace,  comme  causes  adju- 
vantes d'un  diabete  sucre. 


1)  Voir,  poar  la  bibliographie,  et  ponr  ceUe  dn  diab^te  coiucidant  avec  la 
maladie  de  Basedow:  Lepine,  Le  diab^te  et  son  traitement,  Paris  1899.  11 
n'a  ^t^  pablie.  depais,  qae  tr^s  pea  d'observations  d'acroni^galiqaes  diab^tiqnes. 

2)  Voir  Lupine,  Bevue  de  MMecine:  Existe-t-il  un  diab^te  surrenal?  Jaulet 
1906. 


X. 

Gicht  und  Psychose. 

Von 

E.  Mendel  in  Berlin. 

Der  Einfluß  der  Gicht  auf  den  geistigen  Zustand  des  Kranken 
ist  seit  langer  Zeit  Gegenstand  ärztlicher  Beobachtung  gewesen. 

Sydenham^j,  gleichzeitig  Opfer  und  Autor  der  Gicht,  be- 
schreibt bereits  in  trefflicher  Weise  den  Einfluß  der  Gicht  auf  Ge- 
müt und  Geist:  „Der  Körper  ist  nicht  der  einzig  leidende  Teil  und 
die  Abhängigkeit  des  Kranken  ist  nicht  sein  ärgstes  Mißgeschick. 

Das  Gemüt  leidet  mit  dem  Körper  und  was  mehr  leidet  ist 
schwer  zu  sagen. 

Gemüt  und  Verstand  verlieren  ebenso  alle  Energie  wie  der 
Körper. 

Der  Gichtpatient  ist  das  fortwährende  Opfer  der  Furcht,  Angst 
und  anderer  Leidenschaften,  während  das  Gemüt  die  Ruhe  wieder- 
findet, sobald  die  Krankheit  vorübergeht. 

Die  sogenannte  Melancholie  ist  die  Vorläuferin  und  unzertrenn- 
liche Begleiterin  der  Gicht. 

Da  diejenigen,  die  ihr  unterworfen  sind,  gewöhnt  sind,  ihren 
Geist  durch  langes  und  tiefes  Denken  zu  quälen  und  zu  zermartern, 
so  machen  sie  durch  die  intensive  und  unaufhörliche  Anstrengung 
die  Erhaltung  des  Körpers  zu  einer  Unmöglichkeit  Aus  diesem 
Grunde  scheint  es  mir,  daß  die  Gicht  niemals  Narren  befällt. 
Mögen  diejenigen,  die  es  wollen,  hierbei  den  Autor  ausschließen/' 

Der  depressive  und  gereizte  Zustand  ist  nicht  nur  ein  unge- 
mein häufiger  Begleiter,  sondern  auch  ein  Vorläufer  des  Gicht- 
anfalles und  Ebstein  citiert  in  seiner  berühmten  Monographie 
der  Gicht')  als  Beispiel  dafür  den  Chemiker  Berzelius,  welcher 

1)  Syd.  Soc.  Trans.  Vol.  II  p.  128, 148. 

2)  Natur  und  Behandlung  der  Gicht.  2.  stark  yermehrte  Auflage.  Wies- 
baden 1906.  p  289. 


160  X.^Mkndbl 

von  seinen  „nervösen  Gichtanfällen"  spricht.  Dieselben  charakteri- 
sierten sich  durch  Niedergeschlagenheit  und  äußersten  Widerwillen 
gegen  die  Arbeit.  In  vielen  Fällen  von  Gicht  besteht  als  Zeichen 
nervöser  Erkrankung  und  depressiver  Stimmung  eine  Schlaflosigkeit, 
welche  besonders  die  ersten  Stunden  der  Nacht  bis  etwa  2 — 3  Uhr 
morgens  trifft.  Mit  Ebstein  nehme  ich  auf  Grund  eigener  Be- 
obachtungen an,  daß  ein  Teil  der  Kranken,  welche  in  den  Jour- 
nalen der  Ärzte  und  den  Veröffentlichungen  in  der  Literatur  als 
Neurastheniker  bezeichnet  werden,  tatsächlich  Gichtiker  sind. 

Ein  recht  fiberzeugender  Fall  für  mich  war  der  eines  Herrn, 
welcher  seit  mehreren  Jahren  Über  Kopfschmerzen,  schlechten 
Schlaf,  allgemeine  Mattigkeit,  trübe  Stimmung,  Unlust  zu  geistiger 
Arbeit  geklagt  hatte,  in  ausgeprägter  hypochondrischer  Weise  den 
Ausbruch  der  progressiven  Paralyse  fürchtete,  und  von  einer 
Anzahl  von  Ärzten  wegen  Neurasthenie  behandelt  worden  war. 
Die  Untersuchung  der  Kopfbaut  ergab  in  dem  subkutanen  Binde- 
gewebe eine  Zahl  kleiner  Tophi  etwa  von  der  Größe  einer  halben 
Erbse.  Die  Diagnose  wurde  von  mir  bei  dem  58  jährigen  Herrn  auf 
Gicht  gestellt  Es  fehlten  im  übrigen  alle  objektiven  Veränderungen 
speziell  am  Nervensystem,  dagegen  bot  der  Urin  bei  wiederholten 
Untersuchungen  einen  erheblichen  Hamsäureüberschuß.  Nach  etwa 
einem  Jahre  stellten  sich  typische  Erscheinungen  der  Gicht  au  den 
Fingergelenken,  an  den  Ohren,  später  auch  an  den  Schultergelenken 
ein.  Der  neurasthenische  Zustand  besserte  sich  unter  der  gegen 
die  Gicht  gerichteten  Behandlung.  Lange ^)  hat  periodische 
Depressionszustände  auf  dem  Boden  der  harnsauren  Diathese  be- 
schrieben. Die  von  ihm  ausführlich  analysierten  Krankheits- 
erscheinungen werden  häufig  genug  von  den  Nervenärzten  beobachtet 
und  sind  auch  von  mir  als  periodische  Melancholia  simplex  oder 
Hypomelancholie  beschrieben  worden.^)  Es  handelt  sich  um  Per- 
sonen, welche  in  gewissen  Zwischenräumen  oft  alljährlich,  zuweilen 
aber  nur  alle  2-3  Jahre,  von  einem  Depressionszustande  befallen 
werden,  welcher  in  der  Regel  mit  Schlaflosigkeit  beginnt,  mit  Herab- 
setzung des  Appetits  und  Verstopfung  einhergeht.  Es  entwickeln 
sich  dann  eine  größere  oder  geringere  Unfähigkeit  der  gewohnten 
Beschäftigung  nachzugehen,  Verzagtsein  über  Gegenwart  and  Zu- 
kunft, Angstzustände  und  Todesgedanken.    Wahnvorstellungen  und 


1)  Deutsche  Aii9g:abe  von  Eurella.    Hamburg  u.  Leipzig  1896. 

2)  Spez.  Psychiatrie  in   Ebstein-Scbwalbe's  Handbnch   der  prakt.  Medizin 
1.  Aufl.  V  p.  64  u.  83. 


Gicht  und  Psychose.  IgX 

Sinnestftiisehimgreii  fehlen.  Nach  einigen  Wochen,  in  der  Regel  erst 
nach  einigen  Monaten  schwindet  meist  allmählich  der  krankhafte 
Znstand. 

Zuweilen  sah  ich  die  Wintermonate  durch  die  Depression  aus- 
gefällt^ während  der  übrige  Teil  des  Jahres  frei  blieb. 

Lange  fand  fast  durchgehends  bei  diesen  Patienten  einen  oft 
aoBerordentlich  reichen  Bodensatz  von  Uraten  und  reiner  Harn- 
8änre. 

Für  einen  Teil  meiner  Kranken,  aber  nicht  für  die  Mehrzahl 
derselben  könnte  ich  diese  Beobachtung  bestätigen,  wobei  aller- 
dings noch  dahingestellt  bleiben  mu£,  da  die  betreffenden  Kranken 
nicht  in  einer  Klinik  oder  in  einem  Sanatorium  behandelt  wurden, 
wieweit  der  Hamsäureüberschuß  mit  der  geistigen  Veränderung  und 
nicht  etwa  mit  der  Diät  in  Zusammenhang  steht  Der  Lange'sche 
Satz,  daß  man  bei  den  an  Depressionen  leidenden  Patienten  durch- 
geh ends,  sowohl  während  ihrer  Anfälle,  als  auch  außerhalb  der- 
selben, die  Neigung  trifft,  einen  starken  sedimentösen  Urin  zu 
lassen,  auch  ohne  die  Einwirkung  von  Gelegenheitsursachen,  welche 
die  Bildung  von  hamsaurem  Sediment  begünstigen,  durfte  demnach 
noch  weiterer  Prttfung  bedfirfen. 

Es  wird  um  so  mehr  Vorsicht  hier  geboten  sein,  als  genaue 
klinische  Urinuntersuchungen,  welche  bei  periodischen  Psychosen 
vorliegen,  und  auf  welche  ich  weiter  unten  noch  zurückkomme, 
eine  besondere  Bedeutung  einer  Hamsäurevermehrung  nicht  er- 
kennen lassen. 

Daß  die  Gicht  mit  Krankheiten  des  Nervensystems  abwechselt, 
daß  sie  dieselben  gewissermaßen  ablöst,  ist  eine  bekannte,  auch 
von  Charcot^)  besonders  hervorgehobene  Tatsache. 

Die  Epilepsie  wird  in  seltenen  Fällen  durch  einen  Gichtanfall 
zum  Verschwinden  gebracht,  asthmatische  Anfalle  können  mit  An- 
fällen von  Gicht  abwechseln  und  sie  ersetzen. 

Es  existieren  femer  einige  sehr  seltene,  doch  wohlbeglaubigte 
Krankheitsgeschichten,  welche  zeigen,  daß  ein  gichtischer  Anfall 
eine  bestehende  Psychose  zum  Schwinden  bringen  kann. 

Sa  vage')  berichtet  yon  einem  53  jährigen  Manne,  welcher 
S  oder  9  Monat  vor  der  Aufnahme  in  die  Irrenanstalt  an  einer 
melancholischen  Geistesstörung  erkrankt  war.  Er  wies  das  Essen 
zurück,  versuchte  beständig  zu  entweichen,  weil  er  viviseziert  zu 

1)  Cliniqae  des  Maladies  du  systöme  neryenx  1892  p.  368. 

2)  D.  y.  Knecht,  Klin.  Lehrbach  der  Geisteskrankheiten.  Leipzig  1887. 
p.  521. 

Dentflches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    89.  Bd.  H 


162  X.  Mkndbl 

werden  fürchtete.  Er  machte  verschiedene  Selbstmordversuche,  aU 
sein  Denken  richtete  sich  darauf,  der  Welt  und  ihren  Verfolgungen 
zu  entgehen. 

In  demselben  Zustande  blieb  er  noch  3  Monate  nach  der  Auf- 
nahme in  die  Irrenanstalt,  so  daß  im  ganzen  die  Geisteskrankheit 
1  Jahr  gedauert  hatte.  Eines  Morgens  empfing  der  Kranke  freund- 
lich Dr.  Sa  vage,  zeigte  auf  seinen  Fuß  und  sagte  lächelnd: 
„Doktor,  ich  habe  die  Gicht  wieder  bekommen  und  bin  ganz  ge- 
sund." 

Er  hatte  tatsächlich  einen  heftigen  Gichtanfall,  bei  dessen 
Schwinden  die  Geistesstörung  nicht  wiederkehrte.  In  den  folgenden 
6  Jahren  besuchte  er  den  Arzt  regelmäßig  und  bemerkte  jedesmal: 
„Ja  Doktor,  ich  habe  die  Gicht  bekommen  und  hoffe,  sie,  solange 
ich  lebe,  zu  behalten,  denn  solange  ich  sie  habe,  bin  ich  geistig 
vollkommen  gesund  und  klar  gewesen." 

Es  bringt  dieser  Fall  die  Bestätigung  eines  alten  Satzes: 
Erumpitur  podagra,  solvitur  melancholia. 

Fer6^)  berichtet  von  einem  46jährigen  Kranken,  der  mit 
35  Jahren  einen  Krampfanfall  mit  Bewußtseinsverlust  hatte.  Ein 
solcher  Anfall  kehrte  nicht  wieder,  dafür  aber  kamen  2  Jahre 
später  und  in  den  folgenden  7  Jahren  zweimal  jährlich  eigentüm- 
liche Anfälle  von  Zwangsideen  und  Zwangshandlungen.  Patient 
sieht  Knaben  vor  sich,  bekommt  Erektionen,  malt  sich  wollüstige 
Szenen  aus,  endlich  muß  er  Oi*te  aufsuchen,  wo  Knaben  verkehren, 
will  er  sich  einem  nähern,  so  stellt  er  ihn  sich  nackt  vor  und  be- 
kommt eine  Pollution,  darauf  kehrt  er  beschämt  nach  Haus  zurück, 
um  am  nächsten  Tage  wieder  dieselben  Symptome  zu  haben. 

F^re  nahm  an,  daß  es  sich  um  epileptische  Anfälle  handle, 
verordnete  Brom  in  größeren  Dosen,  doch  ohne  Erfolg,  bis  sich 
plötzlich  ein  charakteristischer  Gichtanfall  einstellte,  welcher  seit- 
dem regelmäßig  die  früher  geschilderten  Anfälle  von  Zwangs- 
ideen usw.  ersetzt. 

Die  geschilderten  Beobachtungen  ernster  Ärzte  drängen  zu 
der  Annahme,  daß  psychische  Erkrankung  und  Gichtanfälle 
sich  ersetzen,  daß  die  ersteren  gewissermaßen  als  Äquivalente  seine 
Gichtanfalls  auftreten  können. 

Aus  meiner  eigenen  Erfahrung  kenne  ich  einen  solchen  Fall. 
Es  handelt  sich  um  einen  56  Jahre  alten  Gutsbesitzer,  welcher 
vor  12  Jahren  einen  Gichtanfall  hatte.    Seit  dieser  Zeit  kehren  in 


1)  La  Flandre  medicale  1  JoiUet  1894. 


Gicht  und  Psychose.  183 

Zwischenräumen  von  6—8  Monaten  AnfÄlle  wieder,  in  denen  er 
schlaflos,  deprimiert,  unfähig  ist,  seine  Geschäfte  zu  besorgen,  zu- 
weilen sich  auch  mit  Suicidgedanken  beschäftigt.  Ein  solcher 
Anfall  dauert  etwa  3  Wochen.  Zweimal  sind  in  dieser  Zeit  Gicht- 
anfUle  wiedergekehrt  und  nach  der  Angabe  des  Kranken  treten 
sie.  zu  der  Zeit  ein,  zu  welcher  nach  dem  gewöhnlichen  Verlauf 
die  Wiederkehr  seiner  melancholischen  Zustände  erwartet  wurde? 
welche  dann  aber  ausblieben. 

Es  wird  weiter  zu  erörtern  sein,  ob  die  Gicht  eine  Psychose 
erzeugen  kann,  mit  der  sie  vereint  besteht,  so  daß  Gichtanfälle 
neben  den  psychischen  Erscheinungen  vorhanden  sind,  ob  es  eine 
Gichtpsychose  gibt. 

Berthier  nimmt  eine  Folie  goutteuse  an  und  hat  22  Fälle 
fremder  and  eigener  Beobachtung  zusammengestellt.  Er  findet 
Imal  Stupor,  Imal  melancholisches  Delirium,  2  mal  Melancholien 
mit  Suicidium,  3  mal  einfache  Demenz,  5  mal  Dementia  paralytica, 
6  mal  allgemeines  Delirium  und  4  mal  Psychosen  ohne  spezielle 
Diagnosen.  12  mal  folgte  die  Psychose  dem  Aufhören  der  Gicht, 
8  mal  wechselte  sie  mit  den  Anfällen  derselben  ab,  2  mal  begleitete 
sie  die  Gicht.  Er  erwähnt  dabei  eine  Reihe  früherer  Beobachtungen 
aus  der  Literatur,  von  denen  ich  folgende  hier  hervorhebe. 

Whyte^),  Loroy«),  Pinel«),  Mathey*),  EsquiroH), 
Ellis*)  geben  übereinssimmend  an,  daß  durch  das  Ausbleiben  der 
Gichtanfalle  Geisteskrankheit  entstehen  könne. 

Gnislain^)  nimmt  an,  daß  die  Gicht  ebenso  wie  die  Aus- 
schlagskrankheiten das  Gehirn  in  der  Gestalt  von  Metastasen  an- 
greifen kann. 

Aus  den  Schlußsatzungen  Berthier 's  seien  folgende  hervor- 
gehoben : 

Wenn  auch  im  allgemeinen  die  Gichtpsychose  mit  manifester 
Gicht  verbunden  ist,  so  besteht  sie  doch  häufig  bei  anormaler  Gicht. 

Die  Diagnose  der  Gichtpsychose  wird  begründet  durch  die 
hereditäre  Anlage,  die  Anamnese,  die  Beziehungen  der  Delirien 
zur  Gicht  und  die  chemische  Veränderung  des  Urins. 


1)  Obserrations  on  tbe  natnre  usw.   London  1765. 

2)  De  praecipois  morbornm  conversionibns.   Parisii  1789. 

3)  Trait^  m^dico-philosopbiqne  1809. 

4)  Nonvelles  recberches  1816  p.  279. 

5)  Maladies  mentales  I  p.  76.    1838. 

6)  Tratte  de  Tali^nation  1840  p.  139. 

7)  V.  Laehr,  1854  p.  267. 

11' 


j[g4  ^-  Memdkl 

In  ähnlicher  Weise  haben  Mabille  und  Lallemant^)  in  bezog 
auf  die  Erzeugung  der  Folies  diath^siques  der  Gicht  als  Diathese  eine 
hervorragende  KoUe  zuerkannt  Sie  bringen  Fälle,  in  denen  die 
Psychose  mit  der  Gicht  zusammen  vorhanden  ist,  solche,  in  welchen 
Gicht  und  Geistesstörungen  miteinander  abwechseln,  solche,  in 
welchen  der  Gichtanfall  die  geistige  Störung  verschwinden  läSt. 

Man  wird  bei  vorurteilsloser  Prüfung  sowohl  der  von  Berthier. 
wie  der  von  den  eben  genannten  Autoren  angeführten  Fälle  nicht 
zu  der  Überzeugung  kommen  können,  daß  auch  nur  bei  einem 
größeren  Teile  derselben  die  Gicht  als  ätiologisches  Moment  die 
wesentlichste  Rolle  spielt  oder  gar,  daß  die  beschriebenen  Formen 
von  Geistesstörungen  irgend  etwas  Charakteristisches  hätten,  so 
daß  man  von  einer  Folie  goutteuse  in  symptomatischer  Beziehung 
sprechen  könnte.  Es  haben  unter  den  Psychiatern  jene  Arbeiten 
vielfachen  Widerspruch  hervorgerufen,  und  als  bei  Gelegenheit  des 
internationalen  medizinischen  Kongresses  in  London  Dr.  Rayner 
(Hanwell)  ^)  über  die  Beziehungen  der  Gicht  zu  Geistesstörungen 
sprach  und  ausführte,  daß  sich  Psychosen  an  akute  Gichtanftlle 
anschließen,  daß  dieselben  aber  auch  während  der  Intermissionen 
auftreten  können  und  dann  mit  dem  Ausbruch  neuer  Erscheinungen 
von  Gicht  schwinden,  und  daß  er  sich  die  Wirkung  der  Gicht, 
ähnlich  wie  die  der  Blei-  und  Alkoholvergiftung  denkt,  erwiderten 
ihm  Savage  und  Crichton-Browne,  daß  sie  den  inneren  Zu- 
sammenhang beider  Krankheiten  bei  der  Seltenheit  des  Vorkommens 
von  Psychosen  bei  Gichtkranken  bezweifeln,  und  daß  sie  bei  der 
Mehrzahl  der  Fälle  an  ein  zufälliges  Zusammentreffen  derselben 
glauben. 

Ich  will  hier  noch  kurz  auf  eine  Erörterung  des  Verhältnisses 
der  Gicht  zu  den  periodischen  Psychosen  und  zur  progressiven 
Paralyse  eingehen. 

Besonders  die  erstere  Form  der  Geistesstörung  scheint  an  und 
für  sich  geeignet,  bei  dem  Wechsel  der  Form  der  Anfälle,  so  weit  es 
sich  um  zyklische  Geisteskrankheiten  handelt,  durch  die  Vergleicbnng 
des  Urins  bei  den  verschiedenen  und  entgegengesetzten  psychischen 
Zuständen  etwaige  Beziehungen  der  Harnsäure  zur  geistigen 
Störung  aufzudecken. 

Leider  haben  die  zahlreichen  Untersuchungen,  welche  an- 
gestellt worden  sind,  irgend  ein  sicheres  Resultat  nicht  gebracht. 


1)  Memoire  conronne  par  rAcad^mie  de  Medecine  Prix  Falret  1890.  Parif  1891« 

2)  Zeitschr.  f.  Psychiatrie  Bd.  39  p.  111. 


Gicht  und  Psychose.  165 

Schäfer^)  fand  in  dem  manischen  Stadium  der  zirknl&ren 
Psychose  Erhöhung  des  Harnsäoregehalts,  T  a  g  a  e  t  ^)  in  demselben 
Stadium  Verminderung  der  Harnsäure.  Übereinstimmend  hat  sieb 
allerdings  bei  den  meisten  Autoren  eine  Verminderung  der  Harn- 
s&ure  in  dem  melancholischen  Stadium  gezeigt.  (So  auch  bei 
Stefani.«)) 

Mit  Recht  bemerkt  Piltz,  daß  die  Schwierigkeiten  derartiger 
Untersuchungen  gerade  bei  Geisteskranken  so  große  sind  (z.  B. 
die  ganze  24  stündige  Hammenge  zu  erhalten,  die  Diät  absolut 
regeln  und  beaufsichtigen  zu  können),  als  daß  dieselben  ein  sicheres 
Besultat  zu  bringen  imstande  wären. 

In  bezug  auf  die  progressive  Paralyse  und  die  Be- 
deutung der  Gicht  für  dieselbe  liegt  eine  größere  Arbeit  von 
Mairet  und  Vires*)  vor. 

15  mal  fuhren  sie  unter  174  Fällen  von  Paralyse  die  Krank- 
heit auf  Arthritismus  zurück.  Unter  „Arthritismus"  verstehen  sie 
den  Bheumatismus,  die  Gicht,  den  Arthritismus  selbst  im  engeren 
Sinne,  die  Fettsucht,  das  Ekzem,  den  Diabetes,  Nierensteine,  Gallen-* 
stdne  usw. 

Aus  den  von  ihnen  angefahrten  Fällen  kann  ich  nicht  ersehen^ 
daß  der  Gicht  bei  der  Hervorbringung  der  Paralyse  irgend  wie 
eine  besondere  Rolle  zukommt,  und  dies  stimmt  mit  dem  überein^ 
was  aus  den  monographischen  Bearbeitungen  der  Paralyse  (Voisin, 
Michle,  Mendel)  sich  ergibt. 

Mit  diesem  im  großen  und  ganzen  negativen  Ergebnisse  aus 
den  Aufzeichnungen  der  Literatur  scheint  im  Einklang  zu  stehen^ 
daß  in  den  neueren  und  neuesten  Lehrbüchern  der  Psychiatrie  die 
Gicht  als  ätiologisches  Moment  fast  nirgends  erwähnt  ist. 

Ich  finde  nur  bei  Dagonet^)  die  Bemerkung,  daß  nicht 
bezweifelt  werden  kann,  daß  in  einigen  seltenen  Fällen  ein  Delirium 
einer  rheumatischen  oder  gichtischen  Diathese  folgen  kann. 

Es  dürfte  sich  aber  jener  Mangel  der  Erwähnung  der  Gicht 
noch  aus  einer  anderen  Tatsache  erklären  lassen. 

Ich  habe  eine  Anzahl  von  erfahrenen  Irrenärzten,  welche  über 
ein  großes  Material  seit  langer  Zeit  verfügen,  gefragt,  ob  sie  in 
ihrer  Anstalt  je  einen  Gichtanfall  bei  einem  Geisteskranken  beob- 


1)  Nenrol.  Zentralblatt  1886  Nr.  23. 

2)  Annal.  m^A.  psych.  1882  Mars. 

3)  Bivista  sperimentale  di  fren.  t.  XXI. 

4)  De  la  paralysie  generale.   Etiologie  nsw.    Paris  1898. 

5)  Trait^  des  Maladies  ment.  les  1894  p.  135. 


166  X.  Mendel 

achtet  hätten,  und  die  Antwort  fiel  fast  durchweg  so  aus,  wie  sie 
Baillarger  auf  Befragen  Charcots  gab, ^)  dafi  Baillarger  nie 
einen  Fall  von  Gicht  bei  seinen  Geisteskranken  beobachtet  hätte. 
Diese  Tatsache  erscheint  recht  auffallend,  wenn  man  bedenkt,  dafi 
die  Gicht  eine  häufige  Erkrankung  ist,  und  daß  sicher  nicht  etwa 
die  Diät  und  die  Lebensweise  der  Anstaltsinsassen  die  Gicht- 
anfälle zu  unterdrücken  imstande  sind.  Es  gibt  unzweifelhaft  viele 
Gichtiker,  welche  noch  strengere  Diät  und  noch  geregeltere  Lebens- 
weise führen  als  die  Kranken  der  Irrenanstalt  und  doch  von  ihren 
Anfällen  nicht  verschont  bleiben. 

Man  denkt  dann  unwillkürlich  an  Philander  Misaurus, 
welcher  in  the  „Harleian  Miscellany",  voL  II,  p.  45,  betitelt  „The 
Honour  of  the  Gout"  1699,  sagt:  „Die  Gicht  ist  ein  vollständiger 
Zerstörer  der  Geisteskrankheit",  und  weiter  schließt,  daß  es  wert 
sei  zu  untersuchen,  ob  die  Gicht  nicht  als  Mittel  gegen  die  Geistes- 
krankheit angewendet  werden  könnte,  und  daß  man  wirklich  dies 
annehmen  müßte,  wenn  die  Untersuchung  ergäbe,  daß  in  Bedlam 
(der  Londoner  Irrenanstalt)  keine  Gichtiker  wären.  Er  empfiehlt 
in  diesem  Falle,  zur  Behandlung  der  Geisteskranken  eine  etwas 
ausschweifende  Lebensart,  auch  Wein,  Weib  usw.  anzuordnen  (statt 
der  damaligen  recht  barbarischen  Behandlung),  sie  würden  dann  die 
Gicht  bekommen  und  wären  damit  kuriert. 

Ich  selbst  sah  in  zwei  FäUen  von  sekundärer  Demenz 
nach  wiederholten  apoplektischen  Insulten  mit  andauernder  Hemi- 
plegie Gichtanfälle  in  typischer  Weise  auftreten.  In  dem  einen 
Falle,  welcher  einen  68  jährigen  Herrn  betraf,  hatte  das  erste  Er- 
scheinen der  Rötung  und  Schwellung  des  gelähmten  Fußes  den 
Verdacht  einer  trophischen  Störung  hervorgerufen;  die  nachfolgende 
Schwellung  an  der  großen  Zehe  des  anderen  Fußes  und  der 
charakteristische  Ablauf  dieser  Schwellungen  ließ  an  der  Diagnose 
des  Gichtanfalles  keinen  Zweifel.  Der  letzt  vorangegangene  Gicht- 
anfall war  8  Jahre  früher  gewesen. 

In  dem  anderen  Falle  hatten  die  Gichtanfälle  bis  kurz  vor 
dem  Eintritt  der  Apoplexie  bestanden  und  waren  die  ersten  2  Jahre 
während  des  Bestehens  der  Hemiplegie  ausgeblieben,  um  dann  in 
Zwischenräumen  von  etwa  6  Monaten  wiederzukehren. 

In  einem  Falle  sah  ich  nach  dem  Ablauf  eines  schweren  Gicht- 
anfalles, welcher  etwa  14  Tage  gedauert  hatte,  und  mit  Temperatur- 
steigerungen bis  zu  39,5  Grad  C  einhergegangen  war,  ein  Delirium 


1)  Oeuvres  compiaes  T.  VIT  p.  101. 


Gicht  and  Psychose.  167 

ballacinatorium  ausbrechen,  welches  sich  sowohl  in  bezug  auf  seine 
Symptome,  wie  in  bezng  auf  seinen  Verlauf  in  nichts  unterschied 
von  den  gewöhnlichen  Fällen  dieser  Form  psychischer  Erkrankung, 
wie  sie  nach  dem  Ablaufe  von  Infektionskrankheiten  öfter  be- 
obachtet wird. 

Der  Kranke  genaß  nach  2  Monaten.  Fasse  ich  die  Ergebnisse 
fremder  und  eigener  Beobachtung  zusammen,  so  ergibt  sich  in 
bezug  auf  das  Verhältnis  von  Gicht  und  Psychose  folgendes  : 

1.  In  sehr  seltenen  Fällen  tritt  nach  einem 
schweren  mit  Fieber  verbundenen  Gichtanfall  eine 
akute  Psychose  auf,  welche  mit  Trübung  des  Bewußt- 
seins und  ausgedehnten  Halluzinationen  einhergeht 
und  klinisch  als  Delirium  hallucinatorium  zu  be- 
zeichnen ist. 

2.  In  seltenen  Fällen  ersetzt  eine  akute  Psychose 
den  Gichtanfall  und  verläuft  meist  in  kurzer  Zeit. 

3.  In  äußerst  seltenen  Beobachtungen  zeigt  sich 
daß  ein  auftretender  Gichtanfall  eine  Psychose  zur 
Heilang  bringt,   welche  lange,   selbst  Jahr  und  Tag 
anverändert  bestanden  hat. 

4.  Das  Zusammenvorkommen  von  einer  Psychose 
mit  Gichtanfällen  ist  ein  ungemein  seltenes  Vor- 
kommnis und  man  ist  nach  den  bisher  vorliegenden 
Erfahrungen  nicht  berechtigt,  von  einer  Gichtpsy- 
chose zu  sprechen. 

Das  Wort  Griesinger's:  „Über  die  Entstehung  von 
Seelenstörungen  unter  dem  bestimmenden  Einfluß 
der  Gicht  läßt  sich  nichts  Positives  sagen*',  besteht 
auch  heute  noch  zu  Recht. 


XL 

Ober  Yerbindnngen  der  flams&nre  mit  Formaldehyd. 

Von 

Prof.  Dr.  med.  Arthur  Nicolaier 

in  Berlin. 

Ich  habe  znerst  im  Jahre  1893,  wie  ich  in  meiner  ersten 
Arbeit  ^)  über  das  Urotropin  mitgeteilt  habe,  die  Beobachtung  ge- 
macht, daß  der  Formaldehyd  Harns&ure  und  ihre  Salze  besonder» 
in  der  Wärme  gut  zu  lösen  vermag.  Ich  war  auf  diese  Eigen- 
schaft des  Formaldehyds  aufmerksam  geworden  bei  Gelegenheit 
von  Versuchen^  Urin  durch  Formaiin  (40  %  Formaldehydlösung)  za 
konservieren.  Es  zeigte  sich  nämlich  dabei,  daß  in  Hamen,  die 
beim  Stehen  reichlich  Urate  oder  Hamsäurekristalle  ausschieden, 
diese  Sedimente  nicht  ausfielen,  wenn  ihnen  genügend  reichliche 
Mengen  von  Formaiin  zugesetzt  waren.  Selbst  nach  Hinzufugen 
von  Salzsäure  trat  in  solchen  formalinhaltigen  Urinen  eine  Aus^ 
Scheidung  von  Hamsäurekristallen  nicht  auf. 

Die  Beobachtung,  daß  Formaldehyd  Harnsäure  namentlich  in 
der  Wärme  leicht  löst,  wnrde  dann  von  ToUens')  und  seinen 
Schülern  Pott  und  Weber')  bestätigt.  Es  gelang  ihnen  auch 
zwei  leicht  lösliche  Verbindungen  von  Formaldehyd  und  Harnsäure 
darzustellen;  die  eine  besteht  aus  einem  Molekül  Harnsäure  und 
vier  bis  fünf  Molekülen  Formaldehyd  und  ist  in  Wasser  so  leicht 
löslich,  daß  sie  schon  an  der  Luft  zerfließt;  die  andere,  die  sich 
weniger  leicht  in  Wasser  löst,  enthält  auf  ein  Molekül  Harnsäure 
nur  zwei  Moleküle  Formaldehyd  und  wurde  deshalb  als  Diformal- 

1)  Nicolaier,  A..  Über  die  therapeutische  Verwendung  des  Hexamethylen- 
tetramin.    Zentralbl.  für  die  medizin.  Wissenschaften  Nr.  61.   1894. 

2)  T  0 1 1  e  n  s ,  B.,  W  e  b  e  r ,  K.,  und  P  o  1 1 ,  R.,  Über  Verbindungen  von  Formal- 
dehyd und  Harnsäure.  Berichte  der  deutsch,  ehem.  Gesellschaft  Bd.  30  p.  2514/15.  — 
T  0 1 1  e  n  8  und  Weber,  K.,  Über  die  Einwirkung  von  Formaldehyd  auf  Harnsäure. 
Annalen  der  Chemie  Bd.  299  p.  340. 

3)  Weber,  K.,  Über  die  Einwirkung  von  Formaldehyd  auf  einige  mehr- 
wertige Alkohole.    Inauguraldissertation  1897  p.  45  ff. 


über  Verbindung^en  der  Hamsäiire  mit  Formaldehyd.  169 

dehydharnsäure  bezeichnet.  Über  einige  Eigenschaften  dieser 
Diformaldehydhams&nre  hat  His^)  im  Jahre  1901  kurz  berichtet 

1897  ist  dann  noch  von  der  Chemischen  Fabrik  von  G.  F. 
Böbringer  und  Söhne  in  Waldhof  bei  Mannheim  eine  neue,  im 
Verhältnis  zar  Harnsäure  leicht  in  Wasser  lOsIiche  Verbindung 
von  Harnsäure  und  Formaldehyd  dargestellt  worden,  die  aus 
gleichen  Molekülen  Harnsäure  und  Formaldehyd  besteht,  und  des- 
halb Monoformaldehydharnsäure  genannt  wurde.  Ob  die 
Yon  Cot  ton')  kurz  erwähnte  Formaldehydhamsäureverbindung  Mono- 
oder  Diformaldehydhamsäure  gewesen  ist,  läfit  sich  auf  Qrund  der 
Ton  dem  Autor  gemachten  dürftigen  Angaben  nicht  entscheiden. 

Ich  selbst  habe  mich,  seitdem  ich  die  Löslichkeit  der  Harn- 
saure  in  Formaldehyd  gefunden  habe,  namentlich  im  Anschluß  an 
meine  Forschungen  über  das  Drotropin  mit  Untersuchungen  über 
die  FormaldehydharnsäureverbiDdungen  viel  beschäftigt  und  ge- 
legentlich dieser  nicht  nur  einige  Beobachtungen  gemacht,  die  von 
den  bisher  veröffentlichten  abweichen,  sondern  auch  eine  noch  nicht 
bekannte,  später  noch  näher  zu  besprechende  Formaldehydhamsänre- 
Verbindung  gefunden. 

Die  Verbindungen  des  Formaldehyds  mit  der  Harnsäure  haben 
neuerdings  durch  therapeutische  Versuche  bei  der  hamsauren 
Diathese  Interesse  gewonnen.  Bekanntlich  werden  diese  Krank- 
heitszustände  jetzt  vielfach  mit  nicht  giftigen  Formaldebydver- 
bindnngen,  wie  mit  dem  Urotropin  und  dem  Citarin  (methylen- 
zitronensaurem  Natrium)  behandelt  Bei  der  Anwendung  dieser  Mittel 
ging  man  von  der  Annahme  aus,  daß  sie  im  menschlichen  Organis- 
mus freien  Formaldehyd  abspalten,  daß  dieser  sich  mit  der  Harn- 
säure verbindet,  und  so  die  Harnsäure  in  Form  der  leicht  löslichen 
Formaldehyd  Verbindungen  zur  Ausscheidung  kommt.  Insbesondere 
hielt  man  die  therapeutische  Anwendung  des  Citarins  bei  der  Gicht 
für  angezeigt,  nachdem  E  i  c  h  e  n  g  r  ü  n  ^)  die  Behauptung  aufgestellt 
hatte,  die  übrigens  auch  von  anderen  Autoren  wörtlich  wieder- 
gegeben ist,  daß  die  Methylenzitronensäure  die  Fähigkeit  hat,  im 

1)  Eis,  W.  d.  J.,  Die  bamsauren  Ablagenmgen  des  Körpers  and  die  Mittel 
zu  Qirer  Lösung.   Therapie  der  Gegenwart  1901  p.  434. 

2)  C.  F.  Böbringer  n.  Söhne,  Verfahren  zur  Darstellung:  von  Monoformal« 
ddhydTerbiiidUDgen  der  Hamsftnre  and  ihrer  Alkylderivate.  Patentschrift  Nr.  102 158 
vm  16.  NöTMBber  1897. 

3)  M.  OottOB,  Über  den  EinflnO  des  Formaldehjds  anf  Hambestandteile. 
Rep.  de  Pharm.  1897.  54,  ref.  Pharmac.  Zentralhalle  38.   1897.   p.  341. 

4)  Siefaengrün,  Über  Aristochin,  Mesotan,  Helmitol  und  Theocin.  Pharma- 
zeutische Zeitung  1902  Nr.  87/88. 


170  XL  Nicola iKR 

Organismus  die  Methylengruppe  in  Form  von  freiem  Formaldehyd 
abzuspalten.  Ich  habe  bereits  in  meinen  Arbeiten  über  Urotropin 
und  Methylenzitronensäure  etc.  ^)  darauf  hingewiesen^  daß  bis  jetzt 
weder  Eichengrün  noch  die  anderen  Autoren  den  Beweis  er- 
bracht haben,  daß  nach  Darreichung  von  Methylenzitronensäure 
bzw.  ihres  Natriumsalzes  im  Blut  und  den  Geweben  des  mensch- 
lichen Körpers  Formaldehyd  frei  wird.  Daher  gründet  sich  meines 
Erachtens  die  Anwendung  des  Citarins  ^)  als  Gichtmittel,  die  sich 
vorzugsweise  darauf  stützt,  daß  der  im  Körper  ireiwerdende  Formal- 
dehyd die  Ablagerung  der  im  menschlichen  Organismus  zirkulieren- 
den Harnsäure  erschwert  bzw.  verhindert  andererseits  die  bereits 
abgelagerte  Harnsäure  in  Lösung  überführt,  nur  auf  eine  nicht 
bewiesene  Annahme. 

Die  bis  jetzt  über  die  therapeutische  Wirkung  des  Citarins  bei 
der  Gicht  veröffentlichten  Mitteilungen  lauten  fast  durchweg  günstig, 
nur  Brugsch')  hält  das  Citarin  für  ganz  wertlos  bei  der  Behand- 
lung dieser  Erkrankung.  Wenn  Brugsch  mit  diesem  Urteil  bis 
jetzt  auch  allein  steht,  so  wird  man  doch,  wie  ich  glaube,  diesem 
Urteil  eine  besondere  Beachtung  schenken  müssen,  weil  es  sich  anf 
die  klinische  Beobachtung  von  sieben  Gichtikem,  bei  denen  exakte 
Stoffwechseluntersuchungen  angestellt  wurden,  gründet.  Brugsch 
konnte  nachweisen,  daß  das  Citarin  bei  Gichtkranken  ebensowenig 
wie  bei  Gesunden  einen  Einfluß  auf  die  Harnsäure  bzw.  Purin- 
körperausscheidung  hat,  daß  es  selbst  in  großen  Dosen  Gichtkranken 
verabreicht  weder  die  Anfalle  zu  coupieren  noch  sie  günstig  zu 
beeinflußen  imstande  ist,  und  daß  es  auch  keine  schmerzstillende 
Wirkung  hat. 

Auch  im  Harn  tritt  nach  Darreichung  von  Citarin  kein  freiei- 
bzw.  locker  gebundener  Formaldehyd  auf.  Das  ergibt  sich  schon 
daraus,  daß,  wie   die  von  Impens*)  angestellten  Versuche  be- 


1)  Nicolai  er,  A.,  Über  Urotropin,  Methylenzitronensänre  and  inethylen- 
zitronensaures  Urotropin.  Dentsches  Archiv  für  klinische  Medizin  Bd.  81  p.  Id2ff. 
und  Bd.  82  p.  609. 

2)  Citarin,  ein  neues  Mitt«!  gegen  Gicht.  Allgemeine  medizinische  Zentral- 
zeitnng  1903  Nr.  25  p.  511. 

3)  Brngsch,  Th.,  Zur  Bewertung  der  Formaldehydtherapie  der  Gicht  und 
der  harnsanren  Diathese.  Therapie  der  Gegenwart  1905  p.  530£f.  und^:  Zur  Stoff- 
wechselpathologie der  Gicht.  Zeitschr.  für  experimentelle  Pathologie  u.  Therapie 
Bd.  2  p.  619  ff. 

4)  Impens,  £.,  Zur  Hamdesinfektion.  Monatsberichte  für  Urologie  Bd.  YII 
1903  p.  257. 


über  YerbindQDg;eii  der  Hamsäare  mit  Formaldehyd.  171 

weisen,  der  Harn  des  Menschen  selbst  nach  großen  Gaben  des 
Mittels  gewöhnlich  keinen  entwicklungshemmenden  Einfluß  auf 
Mikroorganismen  hat,  der  sich  ja  bekanntlich  schon  bei  Gegen- 
wart minimaler  Mengen  von  Formaldehyd  zeigt  Infolgedessen 
bleibt  auch  im  menschlichen  Harn  selbst  nach  Darreichung  sehr 
großer  Dosen  Citarin,  wie  sich  aus  den  Versuchen  von  Brugsch 
ergibt,  die  Bildung  von  Formaldehydhamsäuren  aus.  Wenn  Harne 
gelegentlich  nach  großen  Gaben  von  Citarin  hamsäurelösende  Eigen- 
schaften haben,  so  ist  dies  also  nicht  auf  die  harnsäurelösende 
Wirkung  des  Formaldehyds  zurückzuführen,  sondern  es  ist  eine 
Folge  der  unter  dem  Einfluß  des  Citarins  auftretenden  Alkalescenz 
oder  Herabsetzung  der  Äcidität  des  Harns. 

Ganz  anders  verhält  sich  in  dieser  Beziehung  das  Urotropin. 
Wie  ich  zuerst^)  nachgewiesen  habe,  geht  das  Urotropin,  das  ja  eine 
Verbindung  von  Formaldehyd  und  Ammoniak  ist,  nach  innerlicher 
Darreichung  beim  Menschen  schnell  in  den  Harn  über  und  spaltet 
in  ihm  bei  Körpertemperatur  freien  Formaldehyd  ab.  Der  Harn  gibt 
nämlich  nach  dem  Einnehmen  der  therapeutisch  wirksamen  Dosen 
meist  die  für  Formaldehyd  charakteristische  Jorissen 'sehe  Phloro- 
glucinprobe,  und  er  zeigt  femer,  was  für  die  Gegenwart  von  freiem 
Formaldehyd  besonders  beweisend  ist,  bei  Körpertemperatur  anti- 
bakterielle Eigenschaften,  so  daß  in  dem  Harn,  selbst  wenn  er  mit 
Mikroorganismen  infiziert  ist,  diese  bei  Bruttemperatur  nicht  zur 
Entwicklung  kommen  und  er  dauernd  klar  und  steril  bleibt.  Die 
Darreichung  von  Urotropin  gibt  außerdem  noch  dem  Harn,  ohne 
seine  saure  Eeaktion  zu  ändern,  die  Eigenschaft,  bei  Körper- 
temperatur hamsäurelösend  zu  wirken.  Ich  habe  schon  in  meiner 
Monographie  über  das  Urotropin  darauf  hingewiesen,  daß  diese 
Wirkung  bedingt  ist  durch  den  im  Urotropinham  sich  abspaltenden 
Formaldehyd,  der  ja  besonders  in  der  Wärme  ein  gutes  Lösungs- 
mittel für  Harnsäure  ist;  der  frei  werdende  Formaldehyd  führt 
nämlich  die  Harnsäure  in  die  leicht  löslichen  Formaldehydham- 
säuren über.  Das  Vorhandensein  von  Formaldehydhamsäuren  im 
Urotropinham  ist  übrigens  später  durch  His*),  G.  Klemperer*) 
und  Brugsch  bestätigt  worden. 


Ij  Nicolaier,  A.,  Experimentelles  und  Klinisches  über  Urotropin.    Zeit- 
schrift fUr  klinische  Medizin  Bd.  38  1899  p.  3ö0ff. 

2)  His,  L  c. 

3)  G.  Klemperer,    Die   Behandlung  der  Nierensteinkrankheit.     Sonder- 
abdmck  ans:  Therapie  der  Gegenwart  1904  p.  64. 


172  ^I*    NtCOLAXBB 

Mit  Rflcksicht  auf  die  Eigenschaft  des  Urotropins,  den  Harn 
des  Menschen  bei  E5rpertemperatar  harnsäurelösend  zu  machen, 
habe  ich  dieses  Mittel  znr  Behandlung  der  hamsauren  Steine 
empfohlen,  und  es  ist  auch  bei  dieser  Erkrankung  mit  Erfolg  an- 
gewandt worden,  um  so  mehr  als  die  bei  seinem  Gebrauch  ge- 
legentlich auftretende  Vermehrung  der  Hamroenge  die  hamsäare- 
lösende  Wirkung  des  Harnes  noch  steigert  und  auch  die  Ans- 
schwemmung  der  Eonkremente  befördert,  und  außerdem  das  Mittel 
oft  noch  durch  die  Desinfektion  der  Hamwege  nützlich  wirkt. 

Jedenfalls  steht  es  jetzt  fest,  daß  nach  Gebrauch  von  Urotropin 
im  Harn  des  Menschen  Formaldehydhamsäuren  auftreten,  und  daher 
haben  diese  Verbindungen  nicht  bloß  ein  theoretisches  Interesse. 

Ich  nehme  deshalb  Veranlassung,  das  was  bisher  über  die 
Hamsäureformaldehyd  Verbindungen  bekannt  geworden  ist.  und  was 
ich  selbst  bei  meinen  Untersuchungen  ermittelt  habe,  hier  kurz 
zusammenzustellen. 

Ich  beginne  mit  der  zuerst  gefundenen  und  bis  jetzt  am  meisten 
untersuchten  Verbindung  der  Harnsäure  und  des  Formaldehyds,  der 

Diformaldehydharnsfture. 

Die  Diformaldehydhamsäure  hat  die  Formel  C,H8N40;.  == 
C5H4N403-2CH20  und  wahrscheinlich  die  Konstitution 

HN  —  CO 

CILOH 


OC      C  —  x/ 
!       II         /CO 

HN  — C  — Nv 

^CHjOH 

Sie  scheidet  sich  als  weißes  kristallinisches  Pulver  ab,  wenn 
Harnsäure  in  40  %  Formaldehyd  im  Verhältnis  von  1 : 2,3  bei 
100— HO**  C  im  Glyzerinbade  gelöst  wird,  und  das  Filtrat  einige 
Zeit  steht.  Durch  einmaliges  Umkristallisieren  aus  heißem  Wasser, 
wobei  längeres  Kochen  zu  vermeiden  ist,  wird  die  Säure  rein  er- 
halten. Sie  ist  in  Wasser  ganz  erheblich  leichter  löslich  als  die 
Harnsäure.  Nach  den  Angaben  von  His  löst  sich  die  Diformaldehyd- 
hamsäure bei  18®  C  in  Wasser  im  Verhältnis  von  1:5—400, 
während  die  Harnsäure  bei  dieser  Temperatur  im  Verhältnis  von 
1:39000  löslich  ist  Die  Diformaldehydharnsäure  wird  nach  His 
auch  von  verdünnten  Säuren  ziemlich  leicht  gelöst,  und  sie  wird 
deshalb  aus  der  wässerigen  Lösung  ihrer  Salze  durch  diese  nicht 
ausgefällt. 


über  Verbindungen  der  Hamsftore  mit  Formaldehyd.  173 

Kocht  man  die  wässerige  Lösung  der  Sänre  längere  Zeit,  so 
zei'setzt  sie  sich  and«  es  entsteht  durch  Freiwerden  des  Formal- 

0 

dehyds,  der  dann  schon  durch  den  Geruch  wahrnäimbar  wird,  ein 
an  Formaldehyd  ärmeres  Produkt  bzw.  Harnsäure  selbst.  Diese 
Zersetzung  findet,  wie  ich  gefunden  habe,  auch  statt,  wenn  die 
wässerige  Lösung  längere  Zeit  bei  Bruttemperatur  gehalten  wii*d. 

Nach  meinen  Beobachtungen  wird  aus  der  wässerigen  Lösung 
der  Formaldehydhamsäure  durch  Alkalilaugen  schon  bei  Zimmer- 
temperatur leicht  Formaldehyd  abgespalten,  denn  setzt  mau  zu  ihr 
etwas  Natronlauge  und  Phloroglucin,  so  tritt  sofort  eine  starke, 
allmählich  abblassende  Eotfärbung  ein.  die  bekanntlich  für  freien 
Formaldehyd  charakteristisch  ist 

Gegen  Säuren  ist  die  Diformaldehydhamsäure  beständiger, 
wenigstens  fand  ich,  daß  in  einer  wässerigen  Lösung  eines  frisch 
omkristallisierten  Präparates  die  Arnold- MentzeTsehe  saure 
Phenylhydrazin  probe  ein  negatives  Resultat  gab,  es  trat  nämlich 
nach  Zusatz  von  Phenylhydrazin,  Eisenchlorid  und  Schwefelsäure 
nicht  die  für  freien  Formaldehyd  charakteristische  Rotfärbnng  auf. 
Sie  wurde  erst  bei  Anwendung  dieser  Probe  erhalten,  als  das  Prä- 
parat einige  Tage  alt  war,  es  hatte  sich  in  dieser  Zeit  offenbar 
freier  Formaldehyd  abgespalten.  Mit  Hilfe  dieser  Probe  konnte  ich 
an  dem  frischen  Präparat  leicht  nachweisen,  daß  aus  der  Diform* 
aldehydhamsäure  nicht  nur  durch  Alkalilaugen,  sondern  auch  durch 
Lösungen  alkalischer  Salze  wie  Natriumkarbonat  und  femer  durch 
Ammoniak,  in  dem  sie  sich  auch  leicht  löst,  Formaldehyd  abgespalten 
wird,  denn  im  Gegensatz  zu  der  wässerigen  Lösung  tritt  nach 
Znsatz  dieser  Agentien  sofort  Rotfärbung  ein.  Mit  dieser  Probe  gelang 
auch  der  Nachweis,  daß  in  einer  wässerigen  Lösung  der  Säure  nicht 
nur,  wie  schon  oben  bemerkt  wurde,  bei  genügend  langem  Kochen, 
sondern  auch  schon  bei  37^  C,  wenn  diese  Temperatur  längere 
Zeit  einwirkt,  eine  Abspaltung  von  Formaldehyd  erfolgt. 

Die  Diformaldehydhamsäure  gibt  ebenso  wie  die  Harnsäure 
stark  die  Mnrexidreaktion. 

Wie  ich  gefunden  habe,  tritt  bei  Zusatz  einer  Lösung  von 
salpetersaorem  Silber  zu  einer  wässerigen  Lösung  der  Säure  ein 
weißer  flockiger  Niederschlag  aut,  der  auch  bei  längerem 
Stehen  am  Licht  seine  Farbe  nicht  ändert;  er  ist  in  verdünnter 
Schwefelsäure  und  auch  in  Ammoniak  löslich.  Wird  die  Diform- 
aldehydhamsäurelösung  aber  mit  Natronlauge  versetzt,  und  fügt 
man  dann  etwas  salpetersaures  Silber  hinzu,  so  scheidet  sich  so- 
gleich  metallisches  Silber  ab.    Dasselbe  tritt  ein,  wenn  die  Lösung 


174  ^>    NiCOLAIKR 

mit  NatiiumkarboDat  alkalisch  gemacht  wird.  Dabei  macht  es 
keinen  Unterschied,  in  welcher  Reihenfolge  die  Reagentien  zugesetzt, 
und  ob  kleine  oder  große  Mengen  Alkali  verwendet  werden. 

In  etwas  anderer  Weise  verhält  sich  eine  frisch  bereitete  wässerige 
Lösung  der  Sänre  gegenüber  Ammoniak  und  salpetersanrem  Silber- 
Es  tritt  nämlich  in  der  Kälte  sofort  eine  Schwarzfärbung  in- 
folge der  Reduktion  des  Silbersalzes  ein,  wenn  man  sehr  wenig 
Ammoniak  (einen  Tropfen)  und  dann  salpetersaures  Silber  hinzu- 
setzt. Fügt  man  jedoch  zu  derselben  erst  salpetersaures  Silber 
und  dann  einen  Tropfen  Ammoniak,  so  löst  sich  der  nach  Zusatz 
des  salpetersauren  Silbers  entstandene  weiße  Niederschlag,  und  erst 
beim  Stehen  am  Licht  tritt  allmählich  eine  braune  Verfärbung  ein. 
Bei  Anwendung  von  einem  großen  Überschuß  von  Ammoniak  tritt, 
wenn  erst  dieses  und  dann  salpetersaures  Silber  zugesetzt  wird, 
eine  sofortige  Ausscheidung  von  Silber  nur  nach  dem  Kochen  ein, 
in  der  Kälte  bleibt  die  Lösung  zunächst  wasserhell  und  erst  beim 
Stehen  am  Licht  färbt  sie  sich  bräunlich.  Bei  Anwendung 
der  Reagentien  in  umgekehrter  Reihenfolge  bleibt  das  Gemisch 
auch  bei  längerem  Stehen  am  Licht  wasserhell,  schwärzt  sich  aber 
sofort  nach  dem  Kochen.  Daher  ist  die  Angabe  von  Eis.  daß 
beim  Versetzen  einer  Lösung  von  Diforraaldehydharnsäure  mit 
salpetersaurem  Silber  und  Ammoniak  das  Silbersalz  unter  Ab- 
scheidung von  Silber  reduziert  wird,  dahin  einzuschränken,  daß 
dies  in  der  Kälte  bei  Anwendung  von  sehr  wenig  Ammoniak  nur 
ganz  allmählich,  bei  einem  großen  Überschuß  aber  nur  nach  dem 
Kochen  stattfindet. 

Nach  den  üntei-suchungen  von  His  bildet  sich,  wenn  die 
Lösung  von  Diformaldehydharnsäure  Magnesiumsalze  enthält,  ebenso 
wie  bei  der  Harnsäure  ein  Silbermagnesiumsalz,  das  beim  Zerlegen 
mittelst  Schwefelwasserstoffes  den  größten  Teil  der  Diformaldehyd- 
harnsäure unverändert  abscheidet.  Ist  diese  nur  in  geringer  Menge 
vorhanden,  dann  wird  sie  beim  Eindampfen  mit  Säure  zersetzt,  und 
es  scheidet  sich  dafür  Harnsäure  ab.  Nach  His  kann  man 
Diformaldehydharnsäure  aus  sehr  verdünnter  Lösung  mittelst  des 
Ludwig-Salkowski 'sehen  Verfahrens  in  Harnsäure  verwandeln 
und  als  solche  bestimmen. 

Dazu  ist  zu  bemerken,  daß  schon  durch  die  heiße  alkalische 

4 

Schwefelkaliunilösung,  die  bei  der  Ludwig-Salkowski'schen 
Methode  zur  Zerlegung  des  Silbermagnesiumsalzes  der  Harnsäure 
benutzt  wird,  die  Diformaldehydharnsäure,  die  doch  schon  in  der 
Kälte  durch  Einwirkung  von  Alkali  leicht  gespalten  wird,  viel- 


über  Verbindungen  der  Harnsäure  mit  Formaldebyd.  175 

leicht  bereits  vollkommen  zersetzt  wird,  jedenfalls  auch  dann,  wenn 
.sie  in  etwas  größeren  Mengen  vorhanden  ist.  Sollte  dabei  noch 
ein  kleiner  Teil  Diformaldehydhamsäare  der  Zersetzung  entgehen, 
dann  erfolgt  diese  sicherlich  beim  Eindampfen  mit  der  Salzsäure. 
In  der  Tat  konnte  ich  aus  einer  Lösung  von  0,4  g  Diformaldehyd- 
hamsäure  in  200  ccm  Wasser  mit  dem  Ludwig-Salkowski'schen 
Verfahren  nur  Harnsäure  gewinnen ;  denn  die  bei  diesem  Verfahren 
zarückbleibenden  weißen  Kristalle,  die  die  Murexidreaktion  gaben, 
zeigten  bei  der  Jorissen'schen  Probe  keine  Kotfärbung,  während 
die  Diformaldehydhamsäure  sie  sofort  sehr  intensiv  mit  dieser  Probe 
gab.  Danach  kann  man  also  die  Diformaldehydhamsäure  auch 
dann,  wenn  sie  sich  in  etwas  größerer  Menge  in  einer  Lösung 
vorfindet,  mit  dem  Ludwig -Salkowski 'sehen  Verfahren  in  Harn- 
säure überfahren. 

Nach  den  Beobachtungen  von  H  i  s  soll  sich  die  Diformaldehyd- 
hamsäure ebenso  wie  die  Harnsäure  in  konzentrierter  Schwefelsäure 
losen,  aber  im  Gegensatz  zur  Harnsäure  beim  Eintragen  der  Lösung 
in  viel  Wasser  nicht  ausfallen.  His  hält  deshalb  die  konzentrierte 
Schwefelsäure  für  ein  Mittel,  um  Harnsäure  und  Diformaldehyd- 
hamsäure aus  Gemischen  zu  trennen  und  getrennt  zu  bestimmen. 
Ich  kann  zwar  bestätigen,  daß  die  Diformaldehydhamsäure  ebenso 
wie  die  Harnsäure  in  konzentrierter  Schwefelsäure  löslich  ist,  doch 
ist  das  Verhalten  dieser  Lösung  gegenüber  von  Wasser  anders, 
als  es  His  angibt.  Ich  habe  nämlich  zusammen  mit  Herrn 
Dr.  H  u  n  s  a  1  z  gefunden,  daß  beim  Eintragen  von  in  konzentrierter 
Schwefelsäure  gelöster  Diformaldehydhamsäure  (im  Verhältnis  von 
1:5)  in  gekühltes  Wasser  sich  eine  weiße  Substanz  ausscheidet. 
Ich  will  noch  hinzufugen,  daß  die  Ausscheidung  von  der  Menge 
Wasser,  die  man  benutzt,  unabhängig  ist,  sie  erfolgt  auch  dann, 
wenn  man  reichliche  Mengen  anwendet,  z.  B.  einen  Tropfen  der 
Lösung  in  10  ccm  Wasser  einträgt  Diese  weiße  Substanz  ist  aber 
nicht,  wie  man  nach  dem  Verhalten  der  Harnsäure  unter  gleichen 
Verhältnissen  vermuten  könnte,  Diformaldehydhamsäure,  sondern, 
wie  weiter  unten  (p.  182)  nachgewiesen  werden  soll,  eine  andere 
Verbindung  von  Harnsäure  und  Formaldehyd. 

Jedenfalls  ist  die  Angabe  von  His  nicht  richtig,  daß  wir  in 
der  konzentrierten  Schwefelsäure  ein  Mittel  haben,  um  Harnsäure 
nnd  Diformaldehydhamsäure  in  Gemischen  zu  trennen  und  getrennt 
zu  bestimmen. 

Nach  Weber  und  Tollens  ist  die  Diformaldehydhamsäure, 
wie  Titrationen  mit  ^8  Normalkali  ergaben,  einbasisch.    Die  Ver- 


176  XI-    NlCOLAISB 

suche  von  Weber  und  Tollens,  Salze  zu  bereiten,  gaben  nur 
teilweisen  Erfolg.  Es  gelang  ihnen,  wenn  auch  schwierig,  ein 
Barium-  und  ein  Caiciumsalz  darzustellen.  Beide  waren  in  Wasser 
schwer  löslich.  Dem  Calcium  gegenüber  verhielt  sich  im  Gegen- 
satz zum  Barium  die  Säure  zweibasisch.  His  erwä.hnt  noch  ein 
leicht  lösliches  Natriumsalz,  er  gibt  aber  nicht  an,  wie  er  es  gie- 
wonnen  hat.  Es  wäre  das  von  Interesse  gewesen,  weil,  wie  ich 
oben  bereits  erwähnt  habe,  ja  die  Diformaldehydharnsänre  von 
Natronlauge  sehr  leicht  zersetzt  wird. 

Die  Diformaldehydhamsäure  lös^  sich,  wie  ich  beobachtet  habe, 
leicht  in  Urotropinlösung,  und  mir  ist  es  gelungen,  eine  Verbindung 
von  Diformaldehydhamsäure  und  Urotropin  darzustellen.  Löst  man 
1  Molekül  Diformaldehydhamsäure  und  2  Moleküle  Urotropin  in 
sehr  wenig  Wasser  und  setzt  dann  absoluten  Alkohol  hinzu,  so 
scheidet  sich  ein  weißer  Niederschlag  aus ;  derselbe  wurde  abfiltriert 
gut  mit  absolutem  Alkohol  gewaschen,  im  evakuierten  Exsikator 
getrocknet  und  dann,  um  etwa  noch  überschüssiges  Urotropin  za 
entfernen,  mit  heißem  Chloroform  behandelt.  Es  blieb  ein  weifles 
Pulver  zurück,  das  sich  in  Wasser  sehr  leicht  löst  1  Teil  ist  in 
etwa  ö  Teilen  Wasser  löslich.  Die  wässerige  Lösung  gibt  wie  die 
Diformaldehydhamsäure  mit  der  Murexid-  und  mit  der  Jorissen- 
schen  Probe  eine  positive  Reaktion  und  ferner  mit  Bromwasser 
den  für  Urotropin  charakteristischen  orangegelben  Niederschlag. 

Es  ist  nicht  ausgeschlossen,  daß  beim  Menschen  das  nach 
Urotropingebrauch  in  den  Ham  übergehende  Urotropin  zur  Lösung 
der  aus  ihm  im  Ham  sich  bildenden  Diformaldehydhamsäure  bei- 
trägt. 

Mit  der  Diformaldehydhamsäure  habe  ich  bei  verschiedenen 
Tierarten  Versuche  angestellt.  Ich  fand,  daß  Mäuse,  wenn  ihnen 
die  Säure  in  schwach  alkalischem  Wasser  gelöst  subkutan  injiziert 
wird,  und  die  einverleibte  Menge  derselben  verhältnismäßig  groß 
ist,  zugmnde  gehen  und  sich  in  den  Harnkanälchen  der  Nieren, 
ebenso  wie  bei  subkutaner  Einspritzung  von  gelöster  Harnsäure. 
Ablagerungen  von  Körnchen  und  Sphärolithen  finden  können.  Es 
muß  die  Frage  offen  bleiben,  woraus  diese  Ablagerungen  bestamtai, 
da  eine  chemische  Untersuchung  wegen  der  geringen  Mengen  von 
Substanz  nicht  möglich  war. 

Bei  Ratten  traten,  auch  wenn  ihnen  0,2  g,  in  Wasser  suspen- 
diert, 5  Tage  hintereinander  subkutan  eingespritzt  wurden,  abge- 
sehen von  einer  nach  der  Injektion  auftretenden  Unruhe,  keine 
Krankheitserscheinungen   au!    Als  sie   ca.  30  Stunden  nadi  dar 


über  Verbindangen  der  Hamsftiire  mit  Formaldebyd.  177 

fctetM  Injektion  getdtet  wurden,  waren  weder  in  den  Nieren  iooch 
in  den  übrigen  Organen  Ablägerangen  nachweisbar.  Auch  an  der 
Injektionsstelle  waren  Reste  der  eingespritzten  Diformaldebydham- 
sänre  nicht  zu  finden. 

Beim  Hunde  hat  schon  His  einen  Versneh  mit  dieser  Säiu^ 
4&ngestellt,  über  dessen  Ergebnis  er  nnr  mitteilt^  d^ß  sich  nach 
Darreichiing  von  lg  im  Harn  ca.  0^05  g  Hamsänre  fanden. 
His  läftt  es  unentschieden,  ob  diese  Menge  als  solche  im  Harn 
Yorhanden  oder  aas  -der  in  den  Harn  übergegangenen  Diformal- 
dehydliamsaare  darch  das  Ludwig-Salkowski' sehe  Verfahren 
entstanden  war.  Ich  habe  die  Diformaldehydharnsäure  bis  za  2  g 
pro  die  aaf  einmal  Händen  per  os  gegeben.  Bis  aaf  Erbrechen, 
das  ich  einmal  nach  Darreichung  von  2  g  beobachtete,  fanden  sich 
keine  Störungen.  Im  Harn  der  Hunde  konnte  ich  weder  direkt 
noch  im  Destillat,  auch  wenn  der  Harn  vor  der  Destillation  mit 
Alkali  oder  Säure  versetzt  war,  Formaldehyd  mit  der  Jorissen- 
«chen  Probe  nachweisen.  Danach  wird  man  annehmen  müssen, 
daß  die  Diformaldehydharnsäure  bei  Darreichung  dieser  Dosen 
nicht  in  den  Harn  der  Hunde  übergeht;  sondern  im  Körper  der- 
selben zerstört  wird. 

His  hat  auch  das  Verhalten  der  Diformaldehydharnsäure  im 
•menschlichen  Körper  und  zwar  an  sich  selbst  untersucht.  Er  berichtet 
über  diesen  Versuch  nur  ganz  kurz,  daß  er  von  1  g  der  eingenommenen 
Säure  in  den  nächsten  18  Stunden  ca.  den  vierten  Teil  als  Förmal- 
•dehydverbindung  mit  dem  Harn  ausschied.  His  gibt  dabei  zwar 
nicht  an,  wie  er  die  Formaldehydhamsäuren  bestimmt  bat,  doch 
wird  man  wohl  als  sicher  annehmen  können,  daß  er  in  der  gleichen 
"Weise  verfahren  ist,  wie  bei  dem  in  derselben  Arbeit  (p.  499)  mit- 
geteilten Urotropinversuch.  His  hat  dabei  zunächst  mit  dem 
L ud w ig- Salkowski' sehen  Verfahren  und  außerdem  nach  der 
von  ihm  angegebenen  Keimsalzmethode  den  Gehalt  des  Harnes  an 
Harnsäure  ermittelt  Da  die  Formaldehydhamsäure  nach  der  Lud- 
wig-Salkowski 'sehen  Methode  als  Harnsäure  bestimmt  wird, 
•dagegen  nicht,  wie  His  annimmt,  nach  seinem  Keimsalzverfahren 
aasgeföUt  wird,  so  sieht  His  die  Differenz  der  nach  diesen  beiden 
Methoden  gefundenen  Werte  als  die  Menge  der  im  Harn  als  Formal- 
•dehydverbindung  vorhandenen  Harnsäure  an.  Diese  Art  und  Weise 
^e  Formaldehydhamsäuren  im  Harn  quantitativ  zu  bestimmen,  ist 
nneines  i^rachtens  nicht  ganz  einwand^ei.  Eine  größere  Zahl  von 
Versachen,  die  ich  in  Gemeinschaft  mit  Herrn  Dr.  Dohrn  ange- 
:stellt  habe  und  über  die  demnächst  noch  ausführlicher  berichtet 

Deutsches  Archiy  f.  klin.  Medisin.    W.  Bd.  12 


X78  ^I>    NXOOLAUR 

werdett  soll,  haben  nämlich  ergeben,  daß  zuweilen  in  Hamen  von 
Menschen,  die  keine  Formaldehydyerbindnng  eingenommen  haben, 
bei  Anwendnqg  der  Hls'schen  Methode  Harnsäure  und  manchmal 
in  nicht  unbeträchtlicher  Menge  der  Fällung  entgehen  kann.  Des- 
halb ist  es  mir  zweifelhaft,  ob  in  den  Fällen,  bei  denen  Formal- 
dehydverbindnngen  verabreicht  sind,  die  Differenz  der  nach  der 
Ludwig-Salkowski'schen  und  nach  der  His'schen  Metiiode 
ermittelten  Hamsäurewerte  immer  der  Menge  der  im  Harn  vor- 
handenen Formaldehydhamsäuren  entspricht. 

Ich  will  noch  hinzufügen,  daß  ich  bei  einem  Vei'such  Hn  mir 
selbst  nach  dem  Einnehmen  von  1  g  Diformaldehydhamsäare  weder 
in  den  einzelnen  Hamportionen  noch  in  der  18  stündigen  Gesamt- 
menge von  710  ccm  (spez.  Gewicht  1029)  Formaldehyd  mit  der 
Jorissen'schen  Probe  nachweisen  konnte.  Ebenso  erfolglos  blieb 
der  Nachweis  mit  dieser  Probe  in  dem  Destillat  der  mit  Natron- 
lauge versetzten  Gesamtmenge.  Da  die  Diformaldehydhamsäure 
schon  in  der  Kälte  durch  Laugen  spaltbar  ist,  so  wird  man  bei 
meinem  Versuche  das  Vorhandensein  dieser  Säure  im  Ham  aas- 
schließen m&ssen,  um  so  mehr  als  nach  meinen  Beobachtungen 
schon  verhältnismäßig  kleine  Mengen  im  Harn  direkt  mit  der 
Jorissen 'sehen  Probe  nachweisbar  sind.  Ich  fand  nämlich,  als 
ich  0,1  g  Diformaldehydhamsäure  in  ca.  50  ccm  Wasser  löste  und 
diese  mit  Ham  auf  600  ccm  auffüllte,  diese  Mischung  mit  dieser 
Probe  eine  mäßige  starke  Rotfärbung  gab;  selbst  bei  einer  Ver- 
dünnung auf  750  ccm  war  die  Eotfärbung,  wenn  auch  nur  schwach, 
wahrzunehmen. 

Das  Ergebnis  dieses  Versuches  an  mir  selbst  spricht  also  gegen 
die  Annahme  von  His,  daß  die  Paarung  mit  Formaldehyd  die 
völlige  Zerstörung  der  Harnsäure  im  menschlichen  Körper  hindert. 

Im  Anschluß  an  die  Diformaldehydhamsäure  will  ich  noch  kurz 
die  von  ToUens  und  Weber^)  zuerst  dargestellte  Verbindung 
von  Harnsäure  und  Formaldehyd  erwähnen,  die  auf  1  Molekül 
Harnsäure  4—5  Moleküle  Formaldehyd  enthält.  Tollens  und 
Weber  erhielten  sie  als  trockenes  gelbes  Pulver  aus  dem  bei  der 
Darstellung  der  Diformaldehydhamsäure  als  Filtrat  zurückbleiben- 
den Sirup  in  der  Weise,  daß  sie  ihn  mit  absolutem  Alkohol  and 
Äther  behandelten  und  den  dann  entstehenden  Gummi  mit  Alkohol 
und  Äther  zerrieben.    Das  Pulver  ist  sehr  hygroskopisch  und  schon. 

1)  1.  c. 


über  Verbindang^  der  Harnsäure  mit  Fonualdebyd.  179 

beim  Anfassen  mit  dem  Finger  wird  es  kleberig.  Ihre  Konstitution 
ist  bis  jetst  nicht  bekannt  Diese  Verbindung  ist  noch  nicht 
weiter  untersucht  worden,  und  auch  ich  habe  von  Untersuchungen 
mit  ihr  Abstand^  genommen,  weil  sie  sehr  leicht  zersetzlich  ist  und 
sich  schon  beim  Lösen  in  Wasser  ans  ihr  Diformaldehydhamsäure 
bildet. 

MonoformaldehydharnsSnre.  ^) 

Sie  hat  die  Formel  C^  H«  N^  O4  +  H^  0  und  wird  in  der 
Weise  dargestellt,  daß  man  einen  Teil  Harnsäure  mit  einem 
Teil  (2V,  Moleküle)  Ätzkali  (80%)' in  15  Teilen  Wasser  unter  ge- 
lindem Erwärmen  in  Lösung  bringt,  die  Lösung  auf  Zimmertempe- 
ratur abkühlen  und  nach  Zusatz  von  1,5  Teilen  40  %  Formaldehyd 
bei  Zimmertemperatur  stehen  läßt.  Nach  einigen  Stunden  wird  die 
noch  klare  Lösung  mit  Salzsäure  angesäuert  und  mit  etwas  Kohle 
behandelt;  es  scheidet  sich  dann  beim  Stehen  die  Monoformaldehyd- 
hamsäure  in  derben  glänzenden  Prismen  aus,  die  durch  Waschen 
mit  Alkohol  und  Äther  rein  erhalten  werden.  Die  Säure  enthält  ein 
Molekül  Kristallwasser,  das  bei  längerem  Erhitzen  auf  120—130  ^  0 
langsam  entweicht.  Nach  meinen  Beobachtungen  geht  beim  Er- 
hitzen der  trockenen  Säure  über  100®  auch  Formaldehyd  fort,  der 
schon  durch  den  Geruch  wahrnehmbar  ist. 

In  der  gleichen  Weise  lassen  sich  auch  ein  Molekül  Formal- 
dehyd enthaltende  Verbindungen  von  einigen  alkylierten  Harn* 
sauren  darstellen. 

In  diesen  Additionsprodukten  ist  das  Kohlenstoffatom  des 
Formaldehyds  mit  einem  Stickstoffatome  der  Hamsäure  bzw.  der 
Alkylhamsäuren  in  direkte  Bindung  getreten,  so  daß  wahrscheinlich 
eine  Oxymethylenverbindung  entstanden  ist.  Daher  wird  die  Mono- 
formaldehydhamsäure  auch  als  Oxymethylenhamsäure  ^)  bezeichnet 

Die  Monoformaldehydhamsäure  läßt  sich  durch  Reduktion  mit 
Zinn  nnd  Salzsäure  in  die  7.  Methylhamsäure  ^)  übeif ühren  und  hat 
deshalb  die  Konstitution 


1)  D.R.P.  Nr.  102158.  C.  F.  Bö  bringe  r  u.  Söhne  in  Waldhof.  Verfahren 
zur  Darstellnng  von  Monoformaldehyd Verbindungen  der  Hamsäure  und  ihrer 
AJkylderivate. 

2)  Anch  die  DiCormaldeliydharnftänre  ist  eine  Oxymethylenhamsäure. 

3)  D.B.P.  Nr.  106340.  C.  F.  BOhringer  n.  SöhnQ  in  Waldhof.  Verfahren 
zur  Darstellung  methylierter  Harnsäuren. 

12* 


(180  ■    ■  ■       .    ;  Xl  NieoLuia: 

...•:;;••.      "    ■     '      ,  'fiN  — GOI    '  '     ;.  ■•;■.• 

• '    .;   I  .    I   ,     I  •■       ^CHjOR 

OC-    C— N^     . 

l'-      ■  ■■''■■■  HN'-fc-NH       ■  •     .'■ 

Sie  ist  also  die  7.  Oxymethylenharnsäure. 

Die  Säure  ist  in  Wasser  weit  löslicher  als  Harasäore,  ich 
fand,  daß  sie  sicji  bei  18<*  C  im  Verhältnis  von  1 :  400  löst  Sie 
läßt  sich  aus  heißem  Wasser  leicht  Umkristallisieren  \\nä  bildet 
cEann 'feine  N&delchen  und  kurze  farblose  Prismen;  dabei  inüß  aber 
läng-erei  Kochen  vermieden  werden,  da  sie  sich  sonst  in  Fömjal- 
dehyd!  und  Harnsäure  spaltet.  Die  Kristalle  haben  keinen  Schmelz- 
J)unkt,  beim  Erhitzen  färben  sie  sich  von  320  <>  C  ab  bräunlich  und 
zersetzen  sich  bei  höherer  Temperatur  unter  Dunkelfärbung  ohne 
Aufschäumen. 

Von  der  Monofonnaldehydharnsäure  ist  angegeben,  daß  sie  beim 
Kochen  mit  Wasser,  verdünnten  Mineralsäuren  oder  Alkalien  sich 
leicht  in  Formaldehyd  und  Harnsäure  spaltet.  Ich  kann  das  be- 
stätigen. Nach  meinen  Beobachtungen  erfolgt  die  Abspaltung  von 
Formaldehyd  auch  schon  bei  37  ®  C,  wenn  diese  Temperatur  eine 
Zeitlang  einwirkt.  .  Wie  meine  Untersuchungen  weiter  ergeben 
haben ,  wird  auch  durch  Alkalilaugen  schon  bei  ^immertenipe- 
ratur  aus  der  Monofonnaldehydharnsäure  Formaldehyd  frei.  Es 
ergibt  sich  das  schon  daraus,  daß  in  einer  wässerigen  Lösung  der 
Säure  Äiit  der  Joris sen 'stehen  Phloroglucinpröbe  eine  intensive 
Rotfärbung  auftritt. 

Mit  der  sauren*  Phenylhydrazinprobe  (Arnold -Mentzel) 
gibt  eine  wässerige  Lösung  eines  frisch  umkristallisierten  Prä- 
parates keine  Reaktion.  Als  es  aber  einige  Tage  alt  war,  zeigte 
sie  die  für  jfreien  Formaldehyd  charakteristische  Rotfilrbung,  « 
hatte  sich  also  in  dieser  Zeit  aus  dem  Präparate  Formaldehyd  ab- 
gespalten. Mit  dieser  Probe  konnte  ferner  an  dem  frischen  Präparat 
nachgewiesen  werden,  daß  auch  alkalische  Salze  und  AimmcmiiÜL 
Formaldehyd  aus  der  Säure  frei  machen.  Ebenso  wie  die  Diformal- 
dehydharnsäure  gibt  auch  die  Monofonnaldehydharnsäure  stark  die 
Mnrexidreaktion  und  bei  Zusatz  von  ^alpetersaurem  Silber  zu  der 
wässerigen  Lösung  entsteht  auch  ein  weißer  in  Schwefelsäure  zum 
Teil  leicht  löslicher  Niederschlag.  War  vorher  diese  Lösung  durch 
Zusatz  von  Alkalüaugen,  Natriumkarbonat  oder  wenig  Ammoniak 
alkalisch  gemacht,  dann  tritt  sofort  Schwarzfärbung  infolge  von 
Ausscheidung  von  metallischem  Silber  auf. 


über  Verbindniig^en  der  Hariisäitr^  mit  Formaldehyd.  181 

EBthUt)  die  wässerige  Lösutisr' der  Säute :l£agpQe8iiim3li.tie,  so 
bildet  sich  nach  Zusatz  von  salpetersaurem  Silber,  ebenso  wie 'bei 
der  Diformaldehydhamsi^ire  ein  SUbermagnesiamsalz.  Nach  meinen 
Unfersnchnngen  ^ird  anch  die  Monoformaldehydiiamsftiire  änrcli 
das  LBdwig-Salkowski'sdie  VerfahrAn  in>  Barnsäure  fiber^ 
gefthrt;  denn  ich  erhielt,,  als  ieÜ  dieses  Verfahren  auf  eine  XiÖsung^ 
Yon  O^g  der  Säure  in  200  ccm  Wasser  anwandte,  weiBe  Kristalle; 
die  die  Murexidreaktion/  al>er  idcht  wie  die  M6n()forBraldefayd-^ 
hamsänre  eine  Botfärbung  mit/der  Jorissen 'sehen  Probe  galNenj 

Wie 'ich  gefunden  habe, 'ist  die  Ikfonoformäldehy^anisäure 
ebenso  wie  die  Harnsäure  und  die  Diformaldehydhamsäure'  ih  ken-^ 
zentrierter  Schwefelsäure  löslich.  Läfit  man  diese  Lösung"  *  auf  Eis^ 
tropfen,  dann  scheidet  sich  auch  eine  weiße  Substanz  aus.  Die 
Säure  löst  sich  fema*  leicht  in  rerdtinnten  Alkalien ;  konzentrierte 
Alkalilaugen  fallen  nach  einiger  Zeit  die  entsprechenden  Salze,  die 
farblose,  zu  kugeligen  Aggregaten  vereinigte  Nädelchen  bilden.  Da^ 
Kalisalz  entsteht  auch  leicht,  wenn  man  auf  saures  harnsaures 
Kall  die  f&nffache  Menge  konzentrierter  Formaldehydlösung  längere 
Zeit  am, besten  unter  Schütteln  einwirken  läSt. 

Auch  in  Ammoniak  und  in  wässeriger  Urotropinlösung  ist  die 
Monoformaldehydharnsäure  leicht  löslich.  ! 

Versuche,  mit  der  Monoformaldehydharnsäure.  bei  Tieren  und 
beim  Menschen  sind  bisher  noch  nicht  angestellt.  Ich  habe  Ratten 
eine  wässerige  Aufschwemmung  subkutan  injiziert  und  beobachtet^ 
daß  sie,  selbst  bei  Dosen  von  0,2  g,  die  ihnen  mehrere  Tage  hinter- 
einander  eingespritzt  wurden,  keine  ErankheitserscheinungenizeigteUf 
Bei  der  Sektion  der  30  Stunden  nach  der  Injektion  getöteten  Tie;re 
fanden  sich  nur  in  den  Nieren  und  zwar  in  den  Harnkanälchen 

«  «  •  ' 

des  Papillarteiles  sehr  spärliche  Ablagerangen  in  Form  von  kleinei^ 
Körnchen.  .  , 

Bei  kleinen  Hunden,  denen  ich  1  g  pro  die  auf  einmal  mit  dem 
Futter  verabreichte  und  die  danach  keine  Störung  des  Befindens 
zei^n,  konnte  iph  weder,  in  dem  am  Versuchstage  und. am  Tag^ 
daraof  gelassenen  Harn  noch  in  seinem  nach  Zusatz  von  Natron* 
lauge  gewonnenen. Destillat  mit  der  Joris sen'dchen  Probe  Formali 
dehyd  nachweieen. 

Aach  in  einan  an  mir  angestellten  Versuch,  bei  dem  ich  I  g 
der  Säure  auf  einmal  einnahm,  gelang  4er  Nachweis  von  Formal-* 
dehyd  in  der  16  Stunden  nach  der  Darreichung  gesammelten 
Hammenge  von  680:ccm  nicht,  und  auch  in  diemBöatiHat  dieses 


182  XI.    NlCOLAIBR 

mit  Natronlauge  alkalisch  gpemachten  Harnes  wurde  Formaldehyd 
nicht  gefunden. 

Nach  diesen  Versuchen  wird  man  annehmen  müssen,  daß  die 
Monoformaldehydharnsäure  in  den  angegebenen  Dosen  verabreicht, 
vom  Menschen  und  von  Hunden  im  Harn  nicht  ausgeschieden  wird. 

Ich  will  noch  erwähnen,  daß  im  Harn  des  Menschen,  dem  eine 
w&sserige  Lösung  der  Säure  zugesetzt  war,  so  daß  er  sie  im  Ver- 
hältnis von  0,1:500  enthielt,  Formaldehyd  mit  der  Jo rissen* 
sehen  Probe  noch  nachweisbar  war. 

Aus  dem  Vorstehenden  ergibt  sich  also,  daß  die  Monoformal- 
dehydharnsäure in  ihren  Eigenschaften  eine  große  Ähnlichkeit  mit 
der  Diformaldehydhamsäure  hat 

AnhydrodiformaldehydhamsSare. 

Wie  bereits  oben  erwähnt,  habe  ich  im  Gegensatz  zu  His  die 
Beobachtung  gemacht,  daß  beim  Eintragen  von  in  konzentrierter 
Schwefelsäure  gelöster  Diformaldehydhamsäure  in  Wasser  sich  eine 
weiße  Substanz  ausscheidet.  Die  Diformaldehydhamsäure  zeigt  also 
in  dieser  Beziehung  dasselbe  Verhalten  wie  die  Harnsäure.  Während 
aber  aus  einer  Lösung  von  Harnsäure  in  konzentrierter  Schwefel- 
säure, wenn  man  sie  in  Wasser  einträgt,  die  Harnsäure  wieder 
ausfällt,  ist,  wie  ich  schon  oben  angedeutet  habe,  die  sich  unter 
gleichen  Verhältnissen  aus  einer  Lösung  von  Diformaldehydham- 
säure ausscheidende  weiße  Substanz  keine  Diformaldehydhamsäure. 

Bei  meinen  Versuchen  habe  ich  1  Teil  Diformaldehydhamsäure 
unter  Efihlung  in  5  Teilen  konzentrierter  Schwefelsäure  eingetragen 
und  nach  einigen  Tagen,  nachdem  die  Lösung  erfolgt  war,  diese  in 
Wasser,  das  mit  Eis  gektlhlt  war,  tropfen  lassen.  Es  schied  sich  dann 
ein  weißer  amorpher  Niederschlag  aus,  der  abgesaugt  und  wiederholt 
mit  reichlichen  Mengen  kalten  Wassers  gewaschen  wurde.  Das 
gleiche  Resultat  erhält  man,  wenn  man  die  Lösung  in  gekühlten 
75%  Alkohol  einträgt.  Da  der  weiße  Niederschlag  sich  nicht  aus 
heißem  Wasser  Umkristallisieren  ließ,  und  es  auch  nicht  möglich 
war,  ihn  durch  Lösen  in  Alkalien  und  nachherigen  Zusatz  von 
Säure  unzersetzt  wieder  zu  gewinnen,  so  wurden  die  Analysen  an 
Präparaten  gemacht,  die  nur  mit  reichlichen  Mengen  kalten  Wassers 
wiederholt  gewaschen  waren.  Zu  diesem  Zwecke  wurden  die 
Präparate,  um  Zersetzung  zu  vermeiden,  im  evakuierten  Exdccator 
getrocknet. 

Die  Analysen  ergaben  folgende  Resultate: 


über  VerbindmigeB  4er  Hundnre  mit  Formaldebyd. 


183 


Berechnet  fflr 
C7H.OÄ 

I          ' 

Präparat 

n 

• 

111 

C  40 
H    2,86 
N  26.6 

39,54 

3,16 

26,14 

39,23 
2,93 

a)  24,83 

b)  24,63 

1 

39,83 
2,78 

1 

1 

Die  Zahlen  stimmten,  also  abgesehen  von  den  f fir  N  gefundenen, 
die  etwas  zn  niedrige  Werte  ergaben,  auf  die  Formel  C7He04N4,  so 
dafi  es  sich  wohl  um  die  bisher  nicht  bekannte  Anhydrodiformal- 
dehydhamsäure  handelt,  die  folgende  Eonstitntion  haben  wOrde: 

HN— CO 

OC      C— N-CH,, 


I 
HN 


11      >co    >0 


Man  kann  diese  Säure  auch  erhalten,  wenn  man  3  Teile  poly- 
merisierten  Formaldehyd  und  5  Teile  Harnsäure  in  25  Teilen  kon- 
zentrierter Schwefelsäure  bei  Zimmertemperatur  löst  und  diese 
Lösung  in  Eiswasser  oder  gekühlten  75%  Alkohol  tropfen  läßt. 

Die  Anhydrodiformaldehydhamsäure  ist  im  Gegensatz  zur  Mono- 
und  Diformaldehydhamsänre  in  kaltem  Wasser  weit  schwerer  lös- 
lich, sie  löst  sich  aber  hierin  viel  leichter  als  Harnsäure.  Die 
wässerige  Lösung  ist  opaleszierend.  In  heißem  Wasser  gelöst, 
scheidet  sie  sich  nach  dem  Erkalten  nicht  wieder  aus»  es  bleibt 
eine  milchig  aussehende  Lösung  zurück,  die  ohne  einen  Rück- 
stand zu  hinterlassen,  das  Filter  passiert  Sie  ist  leicht  in  Alkali- 
langen,  Ammoniak  und  in  Lösungen  von  Natriumkarbonat  und 
Urotropin  löslich. 

Beim  längeren  Kochen  mit  Wasser  wird  die  Säure  zersetzt, 
es  läßt  sich  im  Destillat  der  wässerigen  Lösung  Formaldehyd  mit 
der  Jorissen'schen  Probe  nachweisen.  Ebenso  entweicht  Formal- 
4lehyd  beim  Erhitzen  der  trocknen  Säure  auf  125^  G  (et  unten). 
Auch  durch  Alkalilaugen  wird  aus  ihr  Formaldehyd  abgespalten, 
daher  gibt  eine  Lösung  in  verdünnter  Natronlauge  nach  Zusatz 
von  Phloroglucin  eine  Rotfärbung,  die  jedoch  ceteris  paribus 
schwächer  ist  als  bei  der  Mono-  und  Diformaldehydhamsäure.  Für 
den  Nachweis  der  Abspaltung  des  Formaldehyds  aus  der  Anhydro- 
diformaldehydhamsäure eignet  sich  besonders  die  saure  Phenyl- 
hydrazinprobe  von  Arnold-Mentzel;  die  Säure  gibt  nämlich 
in  wässeriger  Lösung,  auch  dann,  wenn  sie  schon  längere  Zeit  auf- 


bewahrt  ist,  im  (Gegensatz  znr  Mono-  und  DilbnnaldehydharDsäiire 
nicht  die  für  Fonnaldehyd  charakteristische  Botfärbung.  Mit  Hilfe 
dieser  Probe  l&ßt  sich  •  nun  ^zeigen,  da&  ans  ihr  nicht  bot  durch 
Alkalilau^en,  sondern  auch  durch  Ammoniak  and  femer  durch 
Natriumkarbonat,  wenn  es  längere  Zeit  einwirkt ,  Fonnaldehyd 
frei  wird. 

Die  Anhydrodiformaldehydhamsänre  unterscheidet  sich  von  der 
Mond*  und  Difonnaldehydhamsäore  sowie  auch  von  der  Harnsäure 
durck  ihr  Verhalten  bBi  der  Murexidi»t)be.  LOet  man  Harnsäure 
bzw.  Mono-  oder  Düomraldehydhamsänre  in  Salpetersäui^e,  dampft 
danit  auf  dem  Waefiserbade  ein,  bis  ein  gelber  Ruckstand  verbleibt 
und  setzt  zu  diesem  einen  Tropfen  Ammoniak,  so  entsteht  bekannt- 
lich an  dem  Rande  desselben  eine  purpurviolette  Farbe  auf.  Die 
Anhydrodiformaldehydhamsänre -hinterläßt,  in  der  gleichen  Weise 
behandelt,  auch  einen  gelben  Rückstand,  doch  tritt  bei  Zusatz  eines 
Tropfens  Ammoniak  am  Rande  desselben  eine  Orangefärbung  auf. 
Beim  Liegen  an  der  Luft  kann  nach  längerer  Zeit  in  der  Um- 
gebung des  Tropfens  eine  violette  Färbung  auftreten. 

Endlich  zeigt  die  Säure  ein  anderes  Verhalten  als  die  Harn- 
säure und  die  Mono-  und  Diformaldehydharasäure  gegenüber  sal- 
petersaurem Silber.  Sie  gibt  zwar  wie  diese  in  natronalkalischer 
Lösung  mit  dieseüi  Reagens  sofort  eine  Schwarzfärbung.  Löst 
man  jedoch  eine  wässerige  Aufschwemmung  durch  Zusatz  von  sehr 
wenig  Ammoniak  oder  etwas  Natriumkarbonatlösung  auf  und  setzt 
salpetensaiired  Silber  hinzu,  so  tritt  eine  Schwarzfarbung,  die  bei 
'der  Harnsäure  und  den  beiden  Formaldehydharnsäuren  unter  diesen 
Bedingungen  sofort  entsteht,  nicht  sogleich  auf.  Die  Ammoniak 
enthaltende  Lösung  bleibt  auch  beim  Stehen  am  Tisch  wasserhelL 

Erhitzt  man  die  trockene  Anhydrodiformaldehydhamsänre  auf 
125  ^  C,  so  jQlmmt  sie  an  Gewicht  ab,  und  es  entweicht,  wie  be- 
reits erwähnt,  Formaldehyd  der  schon  durch  den  (Grerach  wahr- 
nehmbar ist. 

Die  bei  dieser  Temperatur  bis  zum  konstanten  Gewicht  erhitzte 
Substanz  gab  weder  mit  der  Jorissen '^chen  noch  mit  der  Arnold- 
Ment2e riehen  Probe  Formaldehydreaktion.  Üafi  sie  nicht  aus 
Harnsäure  bestand,  ergab  sich  daraus,  daß  sie  mit  der  Murexid- 
'  probe  Orangefärbung  gab  und  ihre  Lösung,  der  sehr  wenig  Natriun* 
karbonat  oder  Ammoniak  zugesetzt  war,  Silberlösung  in  der  Kälte 
nicht  sofort  reduzierte.  Eine  Analyse  eines  auf  die.  angegebene 
Weise  aus  der  Anhydrodiformaldehydhahisäure  (Substanz  II  p.  182) 
dargestellten  Präparates  ergab  einen  Öe&alt  Von  38)08  %C,  2,7  \U^ 


über  Verbittdangen  der  Hamsänre  mit  Formaldebyd. 


186 


und  28,04  ®/o  N.  Sie  bestätigte  zwar  nicht  meine  Annahme,  daß  es 
sich  am  eine  M ethylenharnsänre  =  C«H4N40,  handelt,  die  einen  Gehalt 
von  40  «/o  C,  2,22  %  H  und  31,11  %  N  haben  würde;  doch  halte  ich 
es  nicht  f&r  aosgeschlossen,  daB  noch  weitere  Versache,  die  ich  zur- 
zeit aus  äußeren  Umständen  nicht  mehr  ausführen  konnte,  ergeben^ 
daß  sich  aus  der  Anhydrodiformaldehydhamsäure  eine  Methylen- 
hamsäure  darstellen  läßt. 

Ich  habe  mit  der  Anhydrodiformaldehydhamsäure  noch  eine 
Reibe  von  Versuchen  bei  Tieren  und  beim  Menschen  aogestellt. 
Mäuse,  denen  ich  sie  in  leicht  alkalischem  Wasser  gelöst  subkutan 
injizierte,  gingen  meist  2—3  Tage  danach  zugrunde.  In  den  Harn- 
kanälcben  ihrer  Nieren  fanden  sich  in  der  Hegel  Ablagerungen 
in  Form  von  Körnchen^  und  zwar  meist  reichlicher  in  den  Eanälchen 
des  Markes. 

Kaninchen,  denen  bis  zu  3  g  täglich  auf  einmal  per  os  ver- 
abreicht wurde,  vertrugen  diese  Dosen  ohne  jede  Beschwerde;  in 
ihrem  Harn  war  nie,  weder  direkt  noch  in  seinem  Destillat,  Formal^- 
dehyd  nachzuweisen. 

Auch  bei  Versuchen  an  Menschen,  die  bis  zu  2  g  pro  die  in 
Einzelgaben  von  0,5  und  1  g  einnehmen  und  diese  sehr  gut  ver- 
tragen, wurde,  weder  im  Harn  selbst  noch  in  seinem  nach  Zusatz 
von  Kalilauge  gewonnenen  Destillat,  Formaldehy4  mit  der  Jo- 
ris sen 'sehen  Probe  gefunden. 

Danach  wird  also  die  Anhydrodiformaldehydhamsäure  vom 
Kaninchen  und  vom  Menschen  nicht  im  Harn  ausgeschieden,  sondern 
im  Körper  zerstört 


XII. 

über  die  parayertebrale  Dämpfang  auf  der  gesnnden 

Brnstseite  bei  PlearaergOsseii. 

Ton 

C.  RftuelifiiB  in  St.  Petersburg. 

(Hit  17  AbbUdnngen.) 

Auf  der  Breslaaer  NaturforscherversamtDlang  (1904)  berichtete 
ich  in  einer  Sitzung  der  Gesellschaft  f&r  Kinderheilkunde  über  das 
Resultat  meiner  seit  einer  langen  Reihe  von  Jahren  gesammelten 
Beobachtungen  über  Dämpfungserscheinungen,  welche  sich  auf  der 
gesunden  Brustseite  neben  der  Wirbelsäule  bei  Pleuraergüssen 
wahrnehmen  lassen.')  Diese  Erscheinungen  erwiesen  sich  als  so 
konstante  und  von  so  bedeutendem  klinischen  Interesse,  daß  es  mir 
unverständlich  war,  daß  ein  so  auffaÜiger  klinischer  Befund  der 
Beobachtung  entgangen  sein  konnte,  denn  es  war  mir  nicht  ge- 
lungen, in  der  Literatur  dasselbe  erwähnt  zu  sehen;  erst  kurz  yor 
meinem  Breslauer  Vortrage  fand  ich  in  den  Archives  genörales  de 
m6decine  (21.  Juni  1904)  in  Übersetzung  aus  dem  Italienischen  eine 


1)  S.  Verhandlnngen  der  21.  Versammlnng  der  Gesellschaft  für  Kinderheil- 
kimde  in  der  Abteilung  für  Kinderheilkunde  der  76.  Versammlnng  der  Gesellflchaft 
deutscher  Naturforscher  nnd  Arzte  In  Breslau  1904.  Da  diese  Yerhandlimgen 
eine  beschränkte  Verbreitung  haben,  so  muß  ich  in  gegenwärtiger  Abhandlung 
Tieles  wiederholen  aus  meinem  Breslauer  Vortrage,  dessen  erweiterte  Ausarbeitung 
sie  bildet.  Nach  einer  langen  Reihe  von  Jahren  zuerst  Tereinzelter,  dann  zu- 
sammenhängender Beobachtungen  teilte  ich  das  Ergebnis  in  meinen  Hospital- 
sitzungen, dann  in  der  Aprilsitzung  1903  der  St  Petersburger  Gesellschaft  der 
Kinderärzte  und  im  Januar  1904  auf  dem  Pirogoff -Kongresse  russischer  .^rste 
mit,  immer  in  der  Voraussetzung,  daß  es  sich  um  eine  in  der  Literatur  bisher 
unbekannte  Erscheinung  handelt.  Die  absolute  Identität  des  Befundes,  ja  seiner 
Benennung  und  die  Übereinstimmung  in  der  Deutung  mit  Grocco  undBaduel 
und  Siciliano  war  mir  eine  ebenso  unerwartete  wie  interessante  Stütze  für 
meine  Beobachtungen  und  Anschauungen ;  *hervorheben  muß  ich  auch/  daß  bei  den 
italienischen  Klinikern  es  sich  um  Erwachsene,  bei  mir  um  Kinder  handelte. 


Paravertebrale  Dftmpfäng  auf  der  goraiiden  Bmstseite  bei  Pleniaergfiasen.    ]g7 

Arbeit  von  Badael  und  Siciliano  (Le  triangle  paravertebral  de 
firocGo),  ans  der  ich  erfahr,  daß  schon  im  Jahre  1902  Orocco  in 
der  Hivlsta  crit  di  clinica  med.  No.  11,  12  u.  13  (März)  kurze 
Mitteilangen  veröffentlicht  hat  Qber  ein  neues  diagnostisches  Zeichen 
pleuritischer  Exsudate,  welches  er  in  seinem  klinischen  Unterrichte 
schon  verwertet  hatte.  Die  Arbeit  von  Baduel  und  Siciliano 
enthält  höchst  interessante  eigene  Versuche  an  Leichen  zur  Deutung 
des  neuen  klinischen  Phänomens. 

Die  Arbeiten  von  Grocco,  sowie  von  Baduel  und  Siciliano 
scheinen  im  allgemeinen  wenig  Beachtung,  selbst  in  der  referieren- 
den Literatur,  über  Italien  hinaus,  gefunden  zu  haben  ^);  um  so 
mehr  war  es  mir  von  Wert,  voneinander  so  unabhängige  Beobach- 
tungen, wie  die  italienischen  und  die  meinigen,  in  bezug  auf  Eon- 
stanz und  Bedeutung  des  neuen  klinischen  Phänomens  in  so  voll- 
standiger  Übereinstimmung  zu  finden. 

Der  klinische  Befund,  um  den  es  sich  handelt,  ist  der  kon- 
stante, durch  Perkussion  und  Abtasten  (Tastperkussion)  nachweis- 
bare dreieckige  Dämpfungsbezirk,  der  sich,  je  nach  der 
Höhe  des  Pleuraergusses,  auf  der  gesunden  Seite  längs  der  Wirbel- 
säule, mehr  oder  weniger  hoch,  oft  bis  zum  Niveau  des  Ergusses, 
hinau£deht  und  an  seiner,  der  unteren  Lungengrenze  entsprechenden 
Basis  eine  Entfernung  der  Hypothenuse  vom  Dornfortsatze  von 
2— 8  cm  aufweist  (Kindesalter).  Jeder  freie  der  Wirbelsäule 
anliegende  Ergufi,  der  bis  zum  8.  Wirbel  hinaufreicht,  also 
noch  vor  Eintritt  positiven  Druckes  in  der  Pleurahöhle,  gibt  einen 
deutlichen,  dem  Tastgeftthle  durch  vermehrte  Resistenz  und  dem 
Gehör  durch  Perkussion  wahrnehmbaren,  paravertebral en, 
dreieckigen    Dämpfungsbezirk    auf    der   gesunden   Seite, 

2)  Die  italienischen  Verfiffentlichunffen  sind  in  der  Arbeit  Ton  Badnel  nnd 
Siciliano  angefahrt  In  der  der  Breslaner  NatorforAcherversamminng  gewid- 
meten Nr.  39  der  „DentBchen  mediEinischen  Wochenschrift"  Tom  22.  Sept.  1904 
fnde  ich  in  der  Literatnrbeilage  ein  knrzes  Referat  über  eine  in  der  Riforma 
med.  No.  35  Ton  Ferranini  piagnose  von  Plenraexsndaten)  veröffentlichte 
Arbeit,  welche  die  diagnostische  Bedeutnng  der  paravertebralen  Dttmpfnng  fttr 
einseitige,  freie  Plenraexsndate  betont  nnd  diese  D&mpfnng  auf  Verschiebung  Ton 
Hera  und  Mediastinnm  bezieht.  Ans  späterer  Zeit  stammt  eine  Mitteilung  von 
Kraus  (in  der  OeseUschaft  der  Charit^arzte  in  Berlin.  Sitzung  vom  2.  Nov.  1905. 
Deutsche  med.  Wochenschr.  190d  p.  1945),  welcher  dem  Befund  einen  kliniscl^n 
Wert  zuerkennt,  in  differential-diagnostischer  Beziehung  (gegenüber  Pneumonie) 
und  als  Mafistab  fttr  die  Größe  des  Exsudats  und  ihn  wesentlich  auf  Verschiebung 
des  Mediastinums  zurttckftthrt  —  und  eine  Arbeit  von  P.  Hamburger  in  der 
Wiener  klin.  Wochenschr.  1906  Nr.  14  über  paravertebrale  Dämpfung  und  Auf- 
hellung bei  Pleuritis,  auf  welche  ich  noch  weiter  einzugehen  habe. 


188 


X'JX.    fi'AVCH7ü88 


^sben-GiMe  nit'ttem  Ergüsse  zur  und- abnimmt  Besonders  au£- 
f&llig  ist'die  Zu«,  and  Abnabme  der  .Höhe  des  Dreieckes;  diese 
Schn^aukimgen:  [seiner  GrOßa  .fölgjBn  *  den  Niveänschwanknngen  des 
lErgoBsks  in  einer  Iveit  mehr  ;  feinffibli^^en,  anffallenden  und  mit 
grikSarer  Siehekrheit  iemierbaren  Weise,  als  die  an  der  vorderen 
•Brostfl&eha.')  .. 

Ich  will  ZOT  Illustration  des  Gesägten  folgende  Beöbabhtungen 
anführen. 

Fall  1    (Fig.  1  und  2).     Beohisseitif «b    seröses  -Pieura- 
6xsiidät.i    Boris  M.,   11  jähriger  JQutbe,  erkrankte  plötzlich  mit  bohem 
Pieber  am  2.  Janaar  1903.     Aofhahme  in  das  Kxnderhospital  des  Prina^ 
▼on  OideDbnrg  am  6.  Januar.     Entwickelang  und  Ernfthrang8z^8taDd 
Leichtes  ^Fieber,  geringe  Dyspnoe, .  M:unterkeit.  .  Am  KQcken  beginnt 
intensive '  Dämpfung  des  Perkossionssohalls  mit  intensivem  Resistei 
T«eht».in  der  Höhe  des«5,-~6.  Wirbels,  dia  Dämpftingilinie  fiolgt  der  5. 
nach  vorn,  erhebt  sich  an  der  .Vorderfläohe  des  Thorax  zam  3.{Sip| 
Jtnorpel  und  geht  *  abwärts  in  die  Leberdämpfung  über.     Links    bi 
am  Bücken  in  gleicher  Höhe,  neben  der  Wirbelsäule   eine   bandförml 
besonders  darch  leise  und  tastende  Perkussion   scharf  abgrenzbare,    ai 
ausgesprochene,  doch  weniger  intensive  Dämpfung  und  Besistenzsteigerang^ 
die  nach  unten  breiter  werdend   bis  zur  Langengrenze  herabgeht  —  ein 
paravertebra.le.8  Dreifjbk  bildend,   dessen  Basis  5  cm  (1,  Fig.  2) 
mißt..     Bechts  hört  man,   im  oberen  Bereich   der  Dämpfung   hinten,    be» 
sonder»  näher  zur  Wirbelsäule,  Bronchialatmen,  im  unteren  keine  Atem:» 
geräusche,  Pektoralfremitus  hintep  etwas  abgeschwächt,     tlber  der  I>äiDp*- 
fungslinie  und  links  normales,  lautes  Atmen,  auch  über  dem  linksseitigwi 
'  paravertebralen  Dufll^cfe,  keiM  Basselgeräusche.    Tiefstand  des  Diaphragwl 
(Leber  und  Hilz).     Lioke.  Grenze  der  relativen  (großen)  Herzdämpl 
etwas  naeh  links  verschoben,  doch  ist  dies  deatlicher  im  oberen  Abschi 
wahrnehmbar,   an  der  Verschiebung   der  Gefäßstämme,,   als 
Spitze  hin  (Unke  Grenze  oben  2  cm  nach  links  von  der  mittleren  Sten 
linie,  unten  nur  1,5  cm  nach  außen  von  der  Mamüla,  was  in  der  Gren^^ 
der  Norm  liegt  —  (vgl.  1,  in  Fig.  1).    Spitzenstoß  undeutlich,  naeh  innen 
von    der  Mamilla.      Trotz  Vorhandensein   von   leichtem   Meteorismos    bei 
alledem  Dyspnoe  sehr  gering.     Temp.  die  folgenden  Tage  zwischen  38,5 
und  39,5—39,8,  am  11.  Januar  sinkt  sie  auf  37,2,  um  gegen  Abend  wieder 
auf  39,0   anzusteigen.     Harn    750 — 850   ohne  Eiweiß.     Am  14.  Jsnaar 


1)  Steht  das  Niveau  des  Ergasses  noch  unter  deai  VIII.  Bmstwirbd,  so  er-- 
hält  man  meist  keinen  paravertebralen,  sondern  nur  einen  vertebralen  Dämpfon^a- 
bezirk  von  der  Höhe  des  Erlasses.  Ich  will  bei  dieser  Gelegenheit  betonen,  dat 
es  von  großem  Interesse  ist,  die  Wirbelsänle  zu  per^ntieren  and  abr 
zu  tasten  bei  jeder  Untersnchnng  der  Bmstorgane.  Bis  zum  IV.  Wirbel  schallt 
sie  dumpf,  dann  wird  der  Schall  laut;  findet  sich  dann  unter  dem  IV.  Wirbel 
dumpfer  Schall,  so  deutet  das  auf  paravertebrale  dämpfende  Medien  (pararerte- 
•brale  Verdichtungen  der  Lungen ,  Bronchialdrttsen  und  andere .  paravertebnüe 
Tumoren,  Pleuraergttsse  u.  dgl.). 


PftraTertebntle  Dampfnng  auf  der  gesnnd^nBröstMite  bei  Pleunerg^Ksen.    'J^ 

«rg^bt  die.  FrobepniiUion.  «io'  Baröaes  (Iticbt  fibrüäm)',  atu^lel  £zBiidkt. 
Ansteigen  des  Exsad«U  -^  md  I8.:Jaiuiftr  (3,  in- Fig.  l'iiJä)  lua  Enm 
^ÜTe»a  d«B  4.  WirbelB,  etw»  1,6.  an  tmterliiib  der  Spiiia'  loaptilae  seib- 
lich  längs  der  4.  iBii^e:vsrIanfeiid,'  sm  in  der  vordAtea  Bcostflüche  wieder 
»oetei^end,  den  Knorpeldvr  2.  Rippe  ax  emicben^  Dm  parxvertebrftle 
Dreieck  iai.bis  zoin  4.  Wirbel  Ünanfgutiefea,  in  »IIbii  'DimenBioDen 
größer  geworden,  seine  Basia  miBt  8'cm.  Die  VerBäbiebung.des'H«rseDs 
n*ch  liniks  h»t  aagonommen,  besondere  au^lend  ist  die*  dm  oberen  Teile 
der  linken  Eerzgrmze  wahmsbrnbar,  wo  tat  jetxt  3,5.  ^Etatt  3  cm)  «od 
der  mittleren  Stemalline  entfernt  iit,  wSbrsnd  nnten  die  .link«  Htragrenze 

^g-  1-  .  '      .■  '  Fig.  2.   ■        , 


nm  3,5  cm  nacb  «uBea  liegt  (gegen  1,3,  was  noch  im  Bereich  normaler 
Verfaältoine  lag).  Am  19.  Januar  werden  600  ocm  Exsudat  aspiratoriscb 
entleert,  in  zwei  aufeinsoderfolgenden  Perioden,  sanilohat  300  com,  dann 
400  ecm.  Anf  die  Entleerang  von  200  ocm  sinkt  das  Nirean  des  Exsudats 
hint«a  bis  zam  7,  Wirbel  (3,  Fig.  2)  nnd  der  Gipfel  des  paravertebra)eD 
Dreiecks  beginnt  zwischen  7. — 8.  Wirbel ;  ea  bat  sich  in  allen  Dlmen- 
aionen  Terkleinert,  auch  im  Vergleich  zum  Auagaogsbefund,  gegen  den 
aoch  das  Exendatnirean  um  einen  Wirbel  niedriger  steht;  nach  Ent- 
leerang  von  weitersn  400  ccm  (im  ganzen  600  com)  sinkt  das  Exsudat- 
niveaa  bis  snun  9.  Wirbel  und  TerlKnft  snr  Seite  etwas  geneigt  Über  die 
8k»pnl»  (etwa  1,5  cm  Aber  dem  Winkel);  vom  paravertebralen  Dreieck 
.sind  nur  Spursn  sachweisbar  (4,  f^g.  3),  die  bald  vollkommm  schwinden. 
'An  der  .TOTderen  Brastfläche  ist  das  Exsudatnivean  undeutlich  nacbweisbar 
{Steigerung    der   relativen  Leberdämpfung).     Gegen    den  Ausgangsbefund 


190  Xn.  Baüchfuss 

(1.  Flg.  1)  hat  sich  das  Hen  in  setnem  oberen  Abschnitt  und  an  der 
Gefäßwttrzel  deutlich  nach  rechts  verschoben  und  ist  hier  in  die  Normal- 
lage aorüokgekehrt,  während  im  nnteren  Teile  die  Differenz  abnimmt  und 
zur  Spitze  aufhört  (die  untere  linke  Grenze  war  auch .  beim  Amwgsagh 
befund  im  Bereich  der  Norm  geblieben).  Erst  spiter  bet  leichter  Be- 
traktion  der  rechten  Thoraxhftlfte  rückt  auch  der  untere  Abschnitt  der 
linken  Ghrenzlinie  der  relativen  Heradimpfnng  um  1  cm  weiter  nach 
rechts,  so  daß  sie  nur  um  0^5  em  nach  außen  von  der  Mamillä  liegt 
(unter  der  Norm).  Während  eine  leichte  Dampfung  auf  der  rechten  Seite 
noch  bis  zum  7.  Wirbel  hinauf  einige  Zeit  nachweisbar  und  das  Yeai- 
kularatmen  abgeschwächt  bleibt  (periphere  Subatelektase)»  schwindet  das 
Bronchialatmen.  Obgleich  der  Brustkorb  vorn  von  der  2. — 5.  Rippe 
abgeflaeht  erscheint,  der  Brustumfang  rechts  31,  Knks  32,5  cm  beträgt, 
ist  an  der  Wirbelsäule  keine  Skoliose  wahrnehmbar  und  beide  Spinae 
stehen  im  gleichen  Niveau,  als  der  Knabe  am  6.  April,  3  Monate  nach 
der  Aufnahme,  das  Hospital  verläßt.  Mittlerweile  war  auch  die  Atmungs- 
tiefe der  rechten  Lunge  fast  zur  Norm  zurückgekehrt.  Die  Körper- 
temperatur hielt  sich  noch  2  Wochen  nach  der  Entleerung  des  Exsudats 
auf  38,5 — 39,2  langsam  abklingend,  die  Hammenge  war  von  750  auf 
1200  gestiegen.  Emährungs»  und  Lagerungstherapie,  zuletzt  leichte 
Atemübungen. 

Dieser  Fall  spricht  fflr  sich  selbst  und  erläutert  den  klinischen 
Wert  der  paravertebralen  Dämpfung  und  die  Exakt- 
heit, mit  der  sie  den  Niveauschwankungen  des  Er- 
gusses folgt,  ohne  weiteres;  man  vergleiche  nur  wie  gering  die 
Verschiebung  der  linken  Herzgrenze  ist  im  Vergleich  zu  den  Größen- 
veränderungen (besonders  in  der  Höhe)  des  paravertebralen  Drei- 
ecks. Eine  Erscheinung,  welche  die  Photographie  nicht  wieder- 
gegeben hat,  ist  eine  leichte  aber  deutliche  Verschiebung  der 
Trachea  nach  links.  ^)  Der  schlanke  Hals  des  Eindes,  die  leichtere 
Abtastbarkeit  der  Trachea,  welche  in  größerer  Länge  über  dem 
Stern  um  freiliegt,  gestatten  Verschiebungen  der  Trachea  bei  Kindern 
mit  nicht  zu  starkem  Fettpolster  weit  leichter  nachzuweisen  als 
beim  Erwachsenen.  Meines  Wissens  hat  zuerst  Gerhardt  auf 
diese  Erscheinung  hingewiesen,  sie  scheint  mir  aber  wenig  beachtet 
worden  zu  sein.  Eine  zweite,  wie  mir  scheint,  gleichfalls  wenig 
beachtete  Erscheinung,  ist  die  Verschiebung  der  Gefäß- 
wurzeln, welche  die  Verschiebung  des  Herzens  oft,  wie  auch  in 
diesem  FaUe,  weit  früher  und  deutlicher  nachweisen  läßt,  als  an 


1)  Der  mediastinale  Drack  ist  in  seltenen  Fällen  so  bedeutend,  daß  nicht 
nur  eine  Verschiebung  der  Trachea  eintritt,  sondern  der  Druck  auf  den  untersten 
Abschnitt  der  Trachea  so  groß  wird,  daß  leichte  Stenosenerscheinungen  auftreten» 
die  sich  besonders  beim  Hasten  geltend  machen  (nasales  Timbre,  yoix  de  poli- 

chinelle). 


Paravertebrale  Dämpfung  auf  der  gesunden  Brustseite  bei  Pleuraergüssen.    191 


deo  nnteren  HerzabschnitteD.  Aus  der  Lage  des  unteren  Ab- 
sehnittes  der  linken  Grenzlinie  der  relativen  Herzdämpfong  konnte 
man  zunächst  nicht  auf  eiue  Verschiebung  des  Herzens  schliefen, 
auch  nicht  aus  der  Lage  des  undeutlichen  Spitzenstoßes.  Es  ist 
interessant,  die  Lage  der  linken  Grenzlinie  oben  (1,  2,  4  Fig.  1) 
mit  ihrem  unteren  Abschnitt  zu  vei^leichen  und  mit  den  Grenz- 
linien des  paravertebralen  Dreiecks  (1,  2,  4  Fig.  2).  Gold- 
scheider  ist  in  seiner  interessanten  Arbeit  über  Herzperknssion 
(D.  med.  W.  1905,  2.  März)  kategorisch  der  Ansicht  entgegen- 
getreten« man  könne  nicht  die  Lage  der  großen  Gefäße  perkussoriscb 
bestimmen;  er  konnte  unter  normalen  Verhältnissen  die  Gefäß- 
wurzelbreite (Moritz)  herausperkutieren,  am  besten  bei  tiefer 
Exspirationsstellung.  Ich  lege  auf  die  Bestimmung  der  linken 
Grenze  der  relativen  Herzdämpfung  bis  zum  ersten  Interkostalraum 
hinauf  großen  Wert  bei  Herz-  und  Lungenkrankheiten  und  muß  in 
dieser  Beziehung  meine  Darstellung  in  Gerhardt 's  Handbuch  der 
Kinderkrankheiten  IV.  Bd.  1878  korrigieren;  allmählich  hat  sich 
mii*  diese  Berücksichtigung  des 
oberen  Abschnittes  der  großen  ^^-  ^*  ^*- 

Herzfigur  aus  der  immer  mehr 
ausgebildeten  leisesten,  tastenden 
Perkussion  ergeben.  Übrigens  hat 
ja  schon  Weil  in  seinem  Hand- 
buch der  topographischen  Perkus- 
sion daraufhingewiesen,  daß  ein 
von  ihm  im  Verlaufe  schwerer 
fieberhafter  Krankheiten  beobach- 
teter Symptomenkomplex  eine  vor- 
übergehende Erweiterung  der  Pul- 
monalarterie  zur  Grundlage  hat, 
-—  w^elche  sich  durch  eine  zirkum- 
skripte relative  oder  absolute  Dämpfung  am  Stemalrande  des 
2.  linken  Interkostalraumes  zu  erkennen  gibt,  in  Verbindung  mit 
einem  ungewöhnlich  lauten  systolischen  Geräusch  an  eben  dieser 
Stelle,  bald  mit  bald  ohne  Verstärkung  des  zweiten  Pulmonaltons. 

Hier  wollte  ich  nur  daraufhinweisen,  wie  bemerkbar  sich  die 
MediastinalverschiebuDg  an  der  Lage  der  Trachea  und  der  Gefäß- 
wurzel  machen  kann.  Die  räumlichen  Beziehungen  der  Lage  des 
Herzens  zum  Dreieck  stellt  Fig.  1,  2  a  dar,  in  welcher  beide  über- 
einander gepaust  (das  Dreieck  getüpfelt)  dargestellt  sind. 

Als  weitere  Illustration  für  die  Bedeutung  der  paravertebralem 


I9i 


xn.  RiLc 


Dämpfaog  mochte  ich  foliii'enden  F'all  eines  zuoächst  dnrch  aspira- 
torische  Entleernngen,  schliefllirli  diircli  Thorakotomie  geheilten 
Pleniaergasses  anführen. 

Fall  3  (Fig.  3  und  4).     Eec 
PlearaexBn<lat.      SUnialaiu    C. 
Kinderbospital    aufgenommen,    nach<li 
Fieber,  mit  Hosten  und  Seitensteche 


auBgesprocheoe    Dyapnoe. 
etwas  unter  dec  Norm.     Die  rechte 


ti^es  serÖHpuralentes 
1  5.  Jhduu-  1903  in  da» 
or  2  Wochen  unter  bobem 
ikt  var;    bei  der  Aufnahmp 


'ucliB     entüprfchend,     Körpergewi 
llrustliälfte   ist   erweitert,    die   Int 


koBtalräume  verstrichen.  Das  Hediiislii 
schoben,  die  linke  OrenzUnie  der  n.'ln 
die  Hittellinie  oben  an  den  OeföSatainni 
nnten  zur  Spitze  hin  um  8  cm  idie  M^u 
Bteht  in  der  Uamillarlioie  um  7  cm,  in 
des  Rippenbogens.  Die  rechte  BruttljM 
AuBdehnnng  bis  zum  3.  "Wirbel  und  < 
gedämpften  Ferkaasionssohali  and  hoi^l 
oberen  Sand  der  2.  Kippe,  Anf  der 
der  "Wirbelsäule  eine  in  der  Höbe  il.-i 
Lungengrenze  h inabre ichende ,  allmiUi 
nachweisen,  welche  ein  paravert.l 
Stsia  in  der  Höbe    des  11.  Wirbels  4 


ni  ist  bedeutend  nach  links  v«r- 
ven  Herzdämprung  überachreitet 
1  um  3  cm  nach  linka  (1,  Fig.  3t. 
Ikrliuic.  Der  untere  Leberrand 
T  Sttmnllioie  um  '.'  cm  unterbau) 
te  ergibt  hinten  in  ihrer  pausen 
?  8|>iiiB  Bcapulae  hinauf  abaolat 
radi^e  He-Sistenz,  vom  bia  sum  [ 
ikvn  Brustbälfie  lältt  üch  neben 
ii.  Wirliela  beginnende,  bia  xw 
'li  brtiter  werdende  Dämpfung 
ules  Dreieck  bildet,  dess«i 
n   breit    ist,    die  Orenzeo    dieers 


Pararertebrale  Dämpfung  auf  der  gesuiideii  Bmstseite  bei  Pleuraergüssen.    193 

Dreiecks    treten    scharf  bei   leiser  und   tuender  Perkussion  und  beim 
direkten  Abtasten  hervor  (1,  Fig.  4). 

Auskultation:  In  den  unteren  ^j^  keine  Atmungsgerliusche,  darüber 
Bronohialatmen,  an  der  Spitze  unbestimmtes  Atmen  mit  leichtem  bron- 
chialen Timbre  des  Expirationsgeräusches.  Volumen  auctum  der  linken 
Lunge,  lautes  vesikul.  Atmen.  2.  Pulmonalton  akzentuiert.  Puls  klein. 
Harnmenge  500.  Die  Probepunktion  (7.  Januar)  ergibt  ein  leicht  ge- 
trübtes, Eiter  und  Diplokokken  enthaltendes,  seröses  Exsudat.  Die  Temp. 
fällt  von  ca.  39  ^^  (5.^7.  Januar)  auf  38^  Am  8.  Januar  werden  250,0 
und  nach  kurzer  Unterbrechung  150,0  ccm  entleert.  Im  ersten  Akt  fallt 
das  ]^iveau  des  Ergusses  vom  3.  Wirbel  bis  zum  6.,  nach  dem  zweiten 
<Totalentleerung  —  400  ccm)  bis  zum  8.  Wirbel  (2,  3,  Fig.  4),  zu  gleicher 
Zeit  nimmt  das  paravertebrale  Dreieck  in  allen  Dimensionen  ab,  der 
Gipfel  sinkt  vom  3.  Wirbel  zum  7.  Wirbel  resp.  9.  Wirbel,  die  Basis 
ig  von  4  cm  auf  3,5  resp.  3  cm  zurück  (2,  3,  Fig.  4).  An  der  vor- 
Brustfläche  steht  das  Niveau  des  Ergusses  am  unteren  Bande  der 
Lippe,  die  Verschiebung  des  Mediastinums  ist  deutlich  rückgängig  ge- 
len  (3,  Fig.  3),  die  linke  Grenzlinie  der  relativen  Herzdäropfung 
lidet  die  Mamillarlinie,  die  Oefäßstämme  sind  hinter  den  linken  Stemal- 
surückgetreten,  der  untere  Leberrand  steht  um  2  cm  hoher  gegen 
prim&ren  Befund.  Die  rechte  Lunge  hatte  sich  gut  entfaltet;  aber 
14.  Januar,  6  Tage  nach  der  Entleerung  der  400  ccm,  nimmt  der 
wieder  zu,  so  daß  2  Tage  später  (16.  Januar)  der  Status  vom 
fijfanuar  wieder  erreicht  und  das  paravertebrale  Dreieck  in  seiner  pri- 
Gestalt  wieder  nachweisbar  war  (1,  Fig.  3  u.  4).  Temp.  vor  der 
ion  39  ^,  danach  38,5,  nach  Entleerung  von  400  ccm  allmählich 
S698  sinkend,  dann  38,8 — 37,5  und  schließlich  am  18.  Januar  wieder 
bis  zum  24.  Januar  —  als  zur  Thorakotomie  mit  Rippenresektion 
iiten  wurde.  Die  Hammenge  war  von  300 — 400  nach  der  aapi- 
shen  Entleerung  allmählich  auf  800,  nach  der  Thorakotomie  auf 
eem  gestiegen,  Eiweißspuren  schwanden  nach  der  Thorakotomie.  Der 
nach  der  Thorakotomie  war  günstig,  subfebrile  Temp.,  die  allmäh- 
auf  die  Norm  zurückgingen.  Das  paravertebrale  Dreieck 
sofort  nach  der  Thorakotomie  auf  den  reduzierten  Stand  nach  der 
^leerung  von  400  ccm  zurückgegangen  und  schwand  dann  allmählich. 
INach   5  Wochen  Genesung. 

Die  folgende  Beobachtung  lehrt  uns  das  paravertebrale  Drei* 
eck  bei  linksseitigem  Plenraerguß  kennen. 

Pall  3  (Fig.  5  und  6).  Linksseitiges  Empyem.  Michael 
N.,  5  Jahre  alt,  wird  am  16.  Juni  1906  mit  allen  Erscheinungen  eines 
^ie  linke  Pleurahöhle  vollkommen  füllenden  Ergusses  aufgenommen.  Probe« 
ponktion:  Eiter.  Herz  so  stark  nach  rechts  verdrängt,  daß  die  rechte 
-Grenslinie  der  relativen  Herzdäropfung  oben  0,5  cm  nach  außen  vom 
rechten  Sternalrand,  unten  über  die  Mamillarlinie  geht,  um  dann  mit 
eiDem  aasgesprochen  spitzen  Yorhofleberwinkel  auf  die  absolute  Leber- 
-disapfung  zu  stoßen.  Diffuser  Herzimpuls  rechts  vom  Sternum  bis  zu 
dieser  Ghrenzlinie  und  im  Skroblkulum  (Fig.  5  XX).  Über  der  Bücken- 
^äche    des  Brustkorbes  links   durchweg   intensive  Dämpfung,   rechts   ein 

Deatsohea  Archiv  f.  klin.  Medizin.    89.  Bd.  13 


194 


XU.  Raüchfüss 


paravertebralea  Dreieck,  walohes  vom  6.  Wirbel  beginnend  mit 
einer  Bttsia  von  7  cm  die  Leberdämpfang  trifft,  Links  eine  bandförmige, 
para  vertebrale  Zone  leichter  Aufhellung,  rechts  eiae  etwas  breitere 
leichte  Dämpfung,  beide  nnr  bei  stärkerer  Perkiiasion  wahrnehmbar,  so 
daß  diese  rechte  einen  die  ganze  BrnstwirbeUänle  begleiteaden  Streifen 
leichter  Dämpfung  erzeugt  and  das  Dreieck  weaig  deutlich  begrenzt,  ver- 
schwommen hervortreten  läßt,  während  sehr  leise  and  TastperkoBsion  nnr 
das  Dreieck  mit  deutlichen  G-renzen  hervortreteo  lUtt,  nicht  aber  die 
paravertebrale  Dämpfnngszone.  Nach  der  am  33.  Juai  unternommenen 
Thorakotomie  mit  Bjppenreeektion  kehrt  das  Herz  auffallend  rasch  znr 
normalen  Stellung  zurilck,  9  Tage  darauf  (vielleicht  auch  früher,  da  vor 
Verbandwechsel  nicht  untersucht  werden  konnte)  ist  der  HerzstoB  anter 
der  linken  Brustwarze  fühlbar,  das  Dreieck,  das  sieb  sofort  aaf  die  Hälfte 
reduziert  hatte,  schwindet  dann  allmählich.* 


Fall  4  (Fig.  7  und  8).  Eechtsseitiges  Empyem.  Zina 
N.,  3'/^  Jahr  alt,  seit  ä  Monaten  krank,  wird  am  31.  Jali  1906  mit 
den  Zeichen  eines  den  rechten  Pleuraraum  auBtüUenden  rechtsseitigen 
^Empyems  aufgenommen.  Verschiebung  der  Trachea  und  des 
.  Herzens  (Fig.  7).  Linke  Qrenzlinie  der  relativen  Herzdämpfang  unten 
5  cm  nach  links  von  der  Mamillarlinie,  Tiefstand  des  DiaphrEignia,  Milz 
bedeutend  nnter  dem  Rippenbogen  hervortretend,  Leber  gleichfalls,  nnterer 
Rand  derselben  in  wenigen  Tagen  bedeutend  tiefer  stehend.  F  a  r  a  - 
vertebrales  Dreieck  vom  7.  Wirbel  beginnend  (1,  Fig.  8)  nach 
Entleerung  von  200  ccm  Eiter  sofort  kleiner  werdend  (2,  Pig.  8).  Thorax- 
perinieter rechts  S5,5  —  lioks  S3,5.  Aaf  der  rechten  (Exsudat-)  Seite 
eine  bei  stärkerer  Perkussion  auftretende,  bandförmige,  paravertebrale 
Auf  bellnngsaoDe  (4),  auf  der  linken  (gesunden)  Seite  eine  breitere, 
paravertebrale  Dämpfnngszone  (3).  Noch  der  Thorakotomie 
mit  Rippenresektion  (6.  Augnst)  rasches  Schwinden  des  Dreiecks. 


PiimTartaftraTe  D&M^ung  auf  der  gesanden  Brnatseite  bei  PleuraergÜBS' 


195 


Beim  Vergleich  dieser  4  Fälle,  weldie  als  Repräsentanten  der 
^wohnlichsten  Typen  von  PIearaerg:uß  mit  begleitendem  und  die 
Menge  des  Ergusses  und  seioe  Schwankungen  abspiegelndem  para- 
vertebralen  Dreieck  gelten  können,  fällt  zunächst  auf,  daß  der 
Gipfel  des  Dreiecks  nicht  immer  annähernd  auf  dem  Niveau 
des  Ergasses  steht  (Fall  1  u.  2),  sondern  auch  erheblich  niedriger 
stehen  kann  (Fall  3  u.  4),  aber  auch  dann  den  Niveanschwankungen 


Fig.  7. 


Fig.  8 


des  Ergusses  folgt  (Fall  4),  und  zwar  ergibt  sich  aus  der  Durchsicht 
von  77  Krankheitsgeschichten  (1896 — 1906),  in  denen  genaue  Notizen 
aber  diese  Verhältnisse  niedergelegt  sind,  daß  nnr  in  der  Hälfte  der 
Fälle  der  Gipfel  annähernd  auf  der  HChe  des  Ergusses  (genau  und 
1—2  Wirbel  niedriger),  in  den  übrigen  nm  3—4  Wirbel  niedriger 
stand  (letzteres  öfter  bei  sehr  massigen  Ergüssen).  Es  schien 
darauf  die  Daner  des  Ergusses  von  Einfluß,  aber  erklären  ließen 
sich  diese  Verschiedenheiten  selten  zur  Evidenz,  was  ja  aus  den 
komplizierten  Bedingungen  des  Znstandekommens  des  paraverte- 
bralen  Dreiecks  verständlich  ist.  Die  von  F.  Hamburger  be- 
schriebenen Dämpfongs-  und  Änfhellungszonen  sind  nur  bei  Fall 
3  D.  4  angegeben,  da  erst  nach  Erscheinen  seiner  Arbeit  darauf 
geachtetwurde  und  neben  demDreieck  auch  die  Zonen  Hamburger's 
notiert  wurden. 

13» 


196  XU.    RAÜCHFU88 

Bei  nndeatlicber  Yerscbiebong  der  Herzgrenzen  und  versagender 
oder  versagter  Probepunktion  kann  das  paravertebrale  Dreieck  eine 
wertvolle  Stütze  der  Diagnose  werden,  wie  folgende  Fälle  zeigen. 

Fall  5.  Fienritis  metapneamoniea  dextra.  Marie  Seh., 
10  Jahre  alt,  wird  am  6.  Mai  1902  aufgenommen.  Fibrinöse  Pneumonie 
des  rechten  Oberlappens,  zu  Jlnde  des  3.  Tages  Pseudokrise,  am  4.  und 
5.  Tage  aufs  neue  hochfiebernd  (39,8)  mit  Erscheinungen  einer  rechts- 
seitigen Pleuritis,  die  am  7.  Tage  einen  nachweisbaren  Erguß  ergeben 
mit  Andeutung  eines  paravertebralen  Dämpfnngsdreiecks  auf  der  linken 
Seite;  am  9.  Tage  erreicht  die  Dämpfung  rechts  den  6.  Wirbel,  das 
paravertebrale  Dreieck  ist  sehr  ausgesprochen,  die  Herzdämpfung 
kaum  verschoben.  Am  11.  Tage  steht  das  Exsudat  schon  in  der  Höhe 
der  Spina  scapulae,  Stimmfremitus  leicht  vermindert,  Atemgeräusch  ab- 
geschwächt, nach  oben  bronchial  klingend,  aber  die  Probepunktion  ist 
resultatlos,  2  Tage  später  füllt  sich  die  Spritze  mit  einigen  Tropfen  Eiter, 
dann  werden  wiederholt  resultatlose  Probepunktionen  vorgenommen,  bei 
denen  in  den  an  der  Nadelspitze  klebenden  trüben  Tropfen  Diplokokken 
nachgewiesen  werden.  Vollkommene  Resorption ;  am  30.  Juni  mit  sehr 
geringer  Dämpfung  und  durchgängiger  Lunge  entlassen. 

Fall  6.  Pleuritis  serosa  dextra  im  Verlaufe  einer  Mas- 
toiditis. Eugenie  R.,  12  Jahre  alt,  wird  am  2.  Februar  1902  bebufs 
Trepanation  aufgenommen,  nachdem  sie  zu  Hanse  Masern  mit  Diphtherie 
durchgemacht  hatte  und  eine  Mastoiditis  hinzutrat.  21.  Februar  Radikal- 
Operation  der  Mastoiditis,  Fortdauer  hoher  remittierender  Fiebertempe- 
raturen, am  24.  Februar  Dämpfung  über  der  unteren  Hälfte  der  rechten 
Brustseite,  vom  Mediastinalverschiebung  nicht  sicher  nachweisbar  (Stand 
des  erweiterten  Herzens  im  Bereiche  der  Norm),  Zeichen  eines  Pleura- 
ergusses unsicher,  da  tiefes  Atmen  und  Vokalfremitus  nicht  zu  erreichen 
und  das  Kind  sehr  unruhig  war,  Probepunktion  von  den  Eltern  wegen 
großer  Schwäche  des  Kindes  (Myodegeneration  des  Herzens)  verweigert, 
paravertebrales  Dreieck  links  hinten  am  8.  Wirbel  beginnend. 
Die  damit  entschiedene  Diagnose  eines  rechtsseitigen  Pleuraergusses  be- 
stätigt sich  weiter  durch  den  Verlauf;  im  Verlauf  des  24.  Februar  war 
das  Niveau  des  Ergusses  vom  von  der  4.  Rippe  bis  zur  3.  Rippe 
(Mamillarlinie)  gestiegen,  am  25.  wieder  bis  zur  4.  Rippe  gefallen.  Diese 
Schwankungen  machten  sich  am  Dreieck  aber  in  viel  aufge- 
sprochener Weise  geltend,  indem  der  Gipfel  sich  zugleich  mit  jenen  Niveaa- 
sch wankungen  zwischen  8  Wirbeln  bewegte  (7. — 9.)  und  auch  die  Breite 
des  Dreiecks  konform  zu-  und  abnahm.  Am  7.  März  war  der  Ergnß 
und  damit  auch  das  Dreieck  geschwunden,  nur  rechts  über  der  Leber- 
grenze blieb  einige  Zeit  ein  kleines  paravertebrale«  Dreieck  bestehen, 
wohl  durch  Atelektase  und  Fibrin anflagerungen  bedingt. 

So  konnte  denn  ohne  Probepunktion  durch  das  Dreieck 
und  die  Schwankungen  der  Exsudatmenge  nachge¥niesen  werdeo. 
daß  es  sich  um  einen  Pleuraerguß  handelte,  und  zwar  um  einen 
rasch  resorbierbaren^  was  um  so  wertvoller  war.  als  eine  regelrechte 
Untersuchung  durch  den  Schwächezustand  des  aufgeregten  Kindes 


Paravertebrale  Dämpfung  auf  der  gesnnden  Brnstseite  bei  Pleuraergüssen.    197 

ausgeschlossen  war.  Die  beiden  folgenden  Beobachtungen  (7—8) 
zeigen,  daß  das  Schwinden  oder  Fehlen  des  paraverte- 
bralen  Dreiecks  eine  mitentscheidende  Bedeutung  haben  kann 
bei  der  Beantwortung  der  Frage:  hängt  die  an  der  kranken  Brust- 
seite  zurückgebliebene  Dämpfiing  von  noch  bestehendem  Erguß 
oder  von  anderen  Bedingungen  ab. 

Fall  7.  Kechtsseitiger  seröser  Pleuraerguß.  Appolon 
0.,  7  Jahre  alt,  wird  am  5.  Krankheitetage  hc»ob£lebernd  den  8.  Juli 
1902  mit  einem  Pleuraerguß  aufgenommen,  welcher  rechts  bis  Eur  Spin« 
scapulae  reicht  und  nach  vom  bis  zur  3.  Kippe;  die  rechte  Brustbälfte 
ist  etwas  ausgedehnt,  der  Pektoralfremitns  ist  nur  wenig  gegen  links  ab- 
geschwächt, das  Herz  etwas  nach  links  verdrängt,  doch  überragt  der 
Spitzenstoß  etwas  die  Mamillarlinie.  Leber  2  Finger  unter  dem  Rippen- 
bogen ;  das  Exsudat  steigt  in  3  Tagen  bis  zum  2.  Wirbel  und  das  Niveau 
halt  sich  an  die  2.  Rippe,  der  G-ipfel  des  paravertebralen  Dreiecks  steigt 
vom  4.  zum  2.  Wirbel,  aber  seine  Basis  bleibt  auf  der  geringen  Breite 
von  2  cm  stehen,  so  daß  ein  schmales  in  den  unteren  '/^  bandförmiges, 
paravertebrales  Dreieck  resultiert,  dabei  steigt  die  Leber  noch  mehr  herab 
und  der  Spitzenstoß  rückt  weiter,  bis  2  cm  außerhalb  der  Mamillarlinie. 
In  der  rechten  Thoraxhälfte  in  den  unteren  ^/^  stark  abgeschwächtes, 
resp.  fehlendes  Atemgeräusch,  darüber  bronchiales.  2  Tage  später,  am 
13.  Juli,  wurden  50,0  com  serösen  Ergasses  durch  Aspiration  entleert,  worauf 
der  Status  des  Ergusses  und  des  Dreiecks  auf  den  Befund  des  8.  Juli 
zurückkehren.  Nach  Entleerung  von  weiteren  50,0  com  und  wohl  auch 
durch  Resorption  geht  das  Niveau  auf  die  Höhe  des  7«  Brustwirbels 
herunter  und  das  paravertebrale  Dreieck  auf  der  gesunden  Seite 
schwindet  vollkommen.  Die  Lunge  wird  allmählich  mehr  und 
mehr  durchgängig  für  die  Lufc,  bei  tiefen  Atemzügen  hört  man  Atelek- 
tasenknistem.  Die  Dämpfung  hält  sich  jedoch  in  gleicher 
Höhe,  nimmt  aber  nach  längerer  Dauer  tiefer  Atemzüge  ab,  ohne  zu 
sdiwinden,  wird  dann  intensiver,  dabei  bildet  sich  eine  ausgesprochene 
ThorazBchrumpfung  aus  und  das  Herz  rückt  immer  mehr  nach  rechts, 
so  dü^  am  7.  August  bei  vollkommener  Resorption  und  noch  geringer 
Dämpfung  die  rechte  Grenzlinie  der  relativen  Herzdämpfung  nur  noch 
einen  Finger  breit  von  der  rechten  Brustwarze  entfernt  und  der  Spitzen- 
stoß um  zwei  Finger  breit  nach  innen  von  der  linken  Brustwarze  fühlbar 
ist.  Die  ThoraxBchrumpfung  ist  aber  eine  labile,  die  rechte  Schulter 
steht  zwar  ein  wenig  niedriger,  aber  die  Skoliose  tritt  erst  bei  längerem 
Stehen  hervor,  ist  gering  im  Beginn  des  Stehens  und  im  Gehen.  (Temp. 
im  Beginn  ziemlich  hoch,  fallt  nach  der  ersten  Entleerang  nach  starken 
Remiflsionen  und  dann  weiter  lytisch,  TJrinmenge  vor  und  nach  der  £nt- 
leenmg  900—1000.) 

Die  auffallende  ErscheinuDg  des  Schwindens  der  links- 
seitigen paravertebralen  Dämpfung  bei  einem  rechts- 
seitigen Dämpfangsniveau  in  der  Höhe  des  7.  Brustwirbels  ist 
wohl  durch  die  allmähliche,  durch  Retraktion  bedingte  Verschiebung 


SIL  Bauch Fcas 


bti 


des  Herzens  nach  rechts  bedingt,  ond  wohl  auch  dadui-ch,  daß  die 
Dänpfang  nun  wesentlich  durch  Atelektase  bedingt  war. 

eeitige  Spi tzenpoenmonie,  part- 
o  ünterlappea  und  abgesacktee 
l>iirchbruch  ia  den  paraverte- 
Atelektatiscber  Lunge  einge- 
Faul  Seh.,  5  Jahre.     Qenaine  Fnennomie 


Falls  (Fig.  9).  Re 
vertebrale  Ätelektai« 
Fmpyem,  mit  apäteren 
bralen  im  Beginn  vo 
nomm«nen  Flenraraum, 
im  rechten  Oberlappen,  am  33.  Jnni  1906  Änfnahme,  lytischer  Abfall 
am  ä7.  Juni,  dann  neue  Fieberwelle  und  Dämpfung  rechts  hinten  unten 
vom  tl.  Wirbel  an  bis  zur  unteren  Pleuragrenze,  nach  vorn  abfalleud  mr 
4.  Rippe  in  der  Mamillarllnie.  Sehr  abgeBchwächteB,  unten  feblendrs 
Atmen  im  Bereiche  der  DSmpfnng.  Kein  paravertebralee  Dreieck 
auf  der  geannden  Seite:  Frobepnnkijon  (6.  Juli)  im  8.  Interkostalranm, 
reobta  innen  Yon  der  Skapularlinie  ohne  Ergebnig  (a,  Fig.  9),  2  Finger 
nach  außen  von  dieser  Stelle  (b)  wird  die  Spritze  leicht  mit  Eiter  gefUllL 
Bei  der  Ferkuseion  fiel  es  aus,  daB  der  obere  Abachnitt  des  paraverte- 
bralen  Teiles  (1,  2,  3,  4)  des 
*^'8-  °-  Dämpfangsbezirka  etwa«  weniger 

gedämpft  war  als  der  untere,  und 
besondere  als  der  ihm  anliegende, 
von  der  Wirbelsäule  entferntere 
(3,  5,  4,  6);  das  Ergebnis  der 
Funktion  bestätigte  nun  die  dnrch 
dasFeblen  des  paraverte- 
bralen  Dreiecks  auf  der  ge- 
sunden Brnatseite  von  vorn  herein 
aasgesprochene  Ansicht,  der  Er- 
guß, falls  ein  solchier  vorhanden, 
könne  nicht  bis  in  den  para- 
vertebralen  Bezirk  des  Plenra- 
raums  reichen.  Es  ergab  sich 
nnn,  als  die  Probepunktion  weiter 
nach  außen  £liter  ergab  und  das 
Wesen  des  der  Wirbelsänle  an- 
liegenden DämpfungsbezirkB  anf- 
znklären  war,  daß  durch  fortge- 
setzte tiefe  Inspirationen  diese 
Dämpfung  allmählich  vollkommen 
schwand  und  an  dieser  Stelle  der 
Schall  laut  wurde  und  ve»ku- 
läres  AtemgerSuBch  auftrat.  Nnn 
,  daß  es  sich  um  ein  abgesacktes  Empyem  handelte;  in 


skia 


den  nächsten  Tagen  stieg  das  Niveau  nm 
Fig.  9)  ohne  jedoch  die  vertikale  Grenzbnie  in 
säule  zn  überschreiten.  Auf  die  Thorakotomie 
nicht  ein  und  aus  Furcht  vor  der  Operation, 
"leilter  Fälle  nicht  beseitigt 


Kind  i 


i  der  Anstalt    (13.  Juli).     Es   gelang  jedoch, 


Wirbelhöhe  (2,  7.  8,  5, 
der  Sichtung  zur  Wnbel- 
ging  die  Hntter  abioint 
die  ihr  anch  dnreh  das 
konnte,    nahm    sie  das 


I   nach   einigen 


Parayertebrale  Dämpfung  auf  der  gesunden  Brnstseite  bei  Pleuraergüssen.    199 

Tagen  zu  bewegen,  das  Kind  behufs  Untersuchung  wieder  vorzustellen. 
£s  ergab  sich  nun,  daß  das  Empyem  die  absackende  Vor- 
klebung  durchbrochen  hatte,  die  Dämpfung  reichte  bis  zur  Wirbel- 
säule und  nach  oben  bis  zum  2.  Wirbel  (9,  Fig.  9)  und  nun  ergab  sich 
anch  ein  ausgesprochenes  Dämpfungsdreieck  auf  der  gesunden 
Seite,  ein  Dreieck,  dessen  Gipfel  in  der  Höhe  des  7.  Wirbels  stand,  in 
dessen  Basis  4,5  cm  breit  war,  zu  gleicher  Zeit  war  das  Herz  deutlich 
nach  links  verdrängt.  Weiterhin  gelang  es  nicht  mehr,  die  Mutter  zu 
bewegen,  das  Kind  ins  Hospital  zu  bringen;  sein  weiteres  Schicksal  ist 
wohl  ein  trauriges  gewesen. 

Schließlich  mag,  um  ein  weiteres  Beispiel  anzuführen  für  den 
klinischen  Wert  des  uns  hier  beschäftigenden  Phänomens,  noch  der 
folgende  Fall  Platz  finden,  den  ich  leider  aus  dem  Gedächtnis  an- 
fuhren muß,  da,  ans  der  Konsiliarpraxis  stammend,  mir  die  Notizen 
nicht  zur  Hand  sind. 

Fall  9.  Empyema  interlobare.  Durchbrach  in  die 
Pleurahöhle  und  sofortiges  Auftreten  des  Dreiecks. 
A.  6.,  12  jähriges  Mädchen  (1901),  Pneumonia  fibrinosa  duplex  mit 
schwerem  Verlauf,  der  schließlich  bei  partieller  fortschreitender  Lösung 
links  und  hartnäckiger  Dämpfung,  besonders  intensiv  in  den  oberen  -/g 
der  rechten  Brusthälfte,  unter  5  Wochen  langem  hohem  remittierendem 
■und  intermittierendem  Fieber  zu  völliger  Erschöpfung  führt.  Fehlen  des 
paravertebralen  Dreiecks  (Mediastinalyerschiebuug  vom  schwer  eruierbar 
durch  die  Lungen affektion)  läßt  freien  PleuraerguB  ausschließen,  für 
Lungenabsceß  fehlten  entscheidende  Symptome  (Sputa).  Da  entsteht 
plötzlich  ein  Pyopneuroothorax  und  die  rechte  Brusthälfte  erweist  nun  eine 
intensive  Dämpfung  im  unteren  Abschnitt  die  rasch  bis  zum  6.  Brust- 
wirbel ansteigt  und  gleichzeitig  ein  ausgesprochenes  paravertebrales 
Dreieck  links«  Es  hatte  sich  zweifellos  um  ein  interlobares  Empyem 
gehandelt,  das  in  den  Pleuraraum  durchbrach.  Sofort  Thorakotomie  und 
sehr  glatter  Verlauf  ohne  die  geringste  Thoraxeinziehung. 

Ich  möchte  hier  zunächst,  aus  dem  Rahmen  der  Abhandlung 
heraustretend,  auf  den  raschen  und  glatten  Verlauf  der 
Heilung  nach  der  Thorakotomie  aufmerksam  machen.  Es  ist 
wohl  kaum  za  bezweifeln,  daß  die  Erscheinungen  der  Lungenver- 
dichtung  rechts,  die  für  eine  nicht  zur  Lösung  gekommene  Pneu- 
monie gehalten  wurden,  durch  das  interlobare  Empyem  bedingt 
waren ;  aus  verschiedenen  Gründen  (Privatpraxis)  war  es  nicht  zur 
Probepunktion  gekommen,  für  mich  war  ja  auch  das  Fehlen  des 
Dreiecks  bei  einer  der  Wirbelsäule  anliegenden  Dämpfung^ der 
kranken  Seite  entscheidend,  ich  glaubte  daher  bis  auf  weiteres  an 
eine  nicht  gelöste,  wohl  in  Eiterung  übergehende  Pneumonie.  Der 
glatte  rasche  Verlauf  nach  der  Thorakotomie  erklärt  sich  durch  das 
Fehlen  von  pleuritischen  fibrinösen  Auflagerungen  bei  der  Plötzlich- 


200  XII.  Rauchvuss 

keit  der  Entstehung  des  freien  Pleuraergusses  durch  Einbruch, 
daher  die  prompte  Heilung  ohne  Schrumpfung  und  Thoraxeinziehung. 
Ich  habe  unter  ähnlichen,  freilich  seltenen  Verhältnissen,  d.  h.  bei 
noch  nicht  erfolgten  pleuritischen  fibrinösen  Auflagerungen  die 
Lungen  sich  nach  der  Thorakotomie  stets  prompt  entfalten  sehen, 
was  ja  auch  leicht  verständlich  trotz  des  von  den  Anhängern  der 
Bülau-Drainage  als  Hindernis  der  Lungenentfaltung  so  sehr 
und  mit  Unrecht  gefürchteten  Luftein tritts  bei  der  Thorakotomie. 
Auch  bei  der  spontanen  Resorption  oder  der  Entleerung  von  serös- 
flbrinösen  Ergüssen,  hängt  alles  davon  ab,  ob  fibrinöse  Ablagerungen 
und  wie  weit  sie  vorhanden  sind.  Gerade  solche  Fälle  lehren  ja, 
wie  unabhängig  die  zögernde  Entfaltung  der  Lunge  vom  freien 
Luftzutritt  in  die  Pleurahöhle  ist. 

Zu  einer  anderen  Digression  veranlaßt  mich  Fall  8  mit  seiner 
einen  Pleuraerguß  im  Verlauf  der  ersten  Untersuchung  vortäuschen- 
den Atelektase,  auch  das  Schwinden  des  paravertebralen  Drei^ 
ecks  in  Fall  7  bei  Fortbestehen  der  Dämpfung  auf  der  kranken 
Seite.  Ich  besitze  eine  Reihe  von  Beobachtungen,  besonders  aus 
den  letzten  Jahren,  auch  Photographien,  mit  denen  ich  den  Druck 
dieser  Abhandlung  nicht  belasten  will,  welche  die  Atelektasen- 
bildungen  bei  oberflächlich  atmenden,  fiebernden,  konvalescenten 
Kindern,  als  eine  klinisch  wichtige  Erscheinung  dokumentieren. 
Treten  sie  an  den  unteren  Lungengrenzen  auf,  auch  zuweilen  para* 
vertebral,  so  können  sie  zu  falschen  Deutungen  fuhren ;  ebenso  wenn 
sie  die  linke  Orenzlinie  der  absoluten  Herzdämpfung  als  einen 
parallel  laufenden  mit  ihr  verschmelzenden  Streifen  begleiten,  und 
sie  dadurch  vergrößert  erscheinen  lassen;  die  Herztätigkeit  liegt 
ja  in  solchen  Fällen  nicht  selten  danieder  und  die  eilig  gezogene 
Konsequenz  auf  ein  erweitertes  Herz  ist  durchaus  möglich.  Auch 
durch  Schmerz  gehemmte  Inspiration,  die  keineswegs  immer  an 
sich  auffällig  erscheint,  kann  zu  Atelektasen  führen.  So  beobachtete 
ich  vor  kurzem  in  einem  leichten  Anfall  von  Appendicitis  mit  ge- 
ringen Schmerzen  eine  die  Herzdämpfung  um  1,5  cm  nach  links 
überschreitende  und  mit  ihr  verschmelzende  Dämpfungszone  und 
damit  verbunden  eine  Dämpfung  am  unteren  Abschnitt  des  Thorax, 
die  von  der  5.  Rippe  begann.  Bei  gewöhnlicher  Auskultation  selbst 
mit  der  Aufforderung  tief  zu  atmen,  auf  welche  Kinder,  ohne 
spezielle  Dressur  für  die  Auskultation  nicht  zweckmäßig  reagieren» 
besteht  die  Atelektase  fort,  erst  bei  methodisch  tiefem  Einatmen 
wird  die  Atelektase  beseitigt,  wobei  nicht  immer,  zuweilen  auch 
nur  fiüchtig,  selbst  momentan,  Atelektasenknistem  auftritt;  diese 


Paravertebrale  Dämpf ang  auf  der  gesunden  Brnstseite  bei  Pleuraergüssen.    201 

Atelektasen  recidivieren  leicht,  wenn  die  InspirationsUbungen  nicht 
fortgesetzt  werden,  nnd  die  leider  meist  viel  zu  wenig  beachteten 
Verhältnisse  der  Krankenlagernng  unberücksichtigt  bleiben. 

Ich  glaube,  daß  in  diesen,  aus  einer  großen  Reihe  von  Kranken^ 
geschichten  ausgewählten  Fällen,  die  Haupttypen  enthalten  sind 
hr  das  Auftreten  des  paravertebralen  dreieckigen  Dämpfungs^ 
bezirks  auf  der  gesunden  Brustseite  bei  Pleuraergüssen.  Ich  habe 
schon  früher  und  auch  in  meinem  Breslauer  Vortrage  auf  die  Ge- 
setzmäßigkeit und  die  Feinfühligkeit  dieses  Phänomens  hingewiesen, 
sowie  auf  den  Umstand,  daß  im  Eindesalter,  auf  welches  sich 
meine  Beobachtungen  beziehen,  die  sich  in  den  ei*sten  Jahren  voll- 
ziehenden Form  Veränderungen  des  Thorax,^)  mehr  als  beim  Er- 
wachsenen —  mit  einem  Thorax  von  durchschnittlichem  Normal- 
typus —  die  Bestimmung  der  linken  Grenze  der  relativen  (großen) 
Herzdämpfung  und  des  Grades  ihrer  Verschiebung  erschweren 
können.')  Es  sind  auch  (vgl.  Fig.  1  u.  3)  nicht  so  selten  die  Ver- 
schiebungen des  Mediastinums  und  seine  Schwankungen  deutlicher 
an  den  großen  Gefäßen  wahrnehmbar,  als  an  dem  unteren  Ab- 
schnitt der  linken  Herzgrenze  und  dem  Spitzenstoß.  Ja  an  den 
Gefäßen  und  zeitlich  voran  am  paravertebralen  Drei^ 
eck  erkennt  man  oft  das  Vorhandensein  des  Ergusses  ganz  zuerst^ 
weit  bevor  die  Retraktion  der  Lungen  erschöpft  ist,  wie  ja  auch 
schon  weit  vor  diesem  Moment  die  Verschiebung  des  Mediastinums 
eintritt  ^)  Es  ist  auch  immer  wieder  zu  betonen,  wie  oft  bei  Kindern 
die  kardinalen  Zeichen  des  Ergusses  versagen,  so  der  PektoraU 
fremitos  bei  jungen  Kindern  mit  hohem  Stimmregister,  bei  schwachen 
oder  furchtsamen,  der  klinischen  Untersuchungsdressur  schwer  zu- 
gänglichen Kindern,  die   auskultatorischen  Erscheinungen   wegen 


1)  cf.  C.  Kauchfttß,  Gerhardt's  Handbuch  der  Kinderkrankheiten  IV,  1 
p.  5  o.  f  . 

2)  In  Breslau  hob  ich  schon  hervor,  was  auch  ans  dem  Vergleich  von  Fig.  5 
mit  Fig.  1  u.  3  hervorgeht  nnd  übrigens  wohl  allgemein  bekannt  ist,  daß  die 
Verlagerung  des  Herzens  nach  rechts  gewöhnlich  leichter  nachweisbar  ist  als  die 
nach  links,  besonders  beim  Kinde;  die  Beziehungen  des  Herzens  zur  Brnstwand 
sind  hier  eben  andere ;  es  wandert  beim  linksseitigen  Erguß  an  der  rechten  para- 
stenaleii,  mehr  ebenen  Vorderfläche  d^  Brnstwand,  beim  rechtsseitigen  Ergüsse 
an  der  linken  mamillaren,  lateral  abgebogenen.  Hier  mnfi  man  die  von  Moritz 
nnd  von  Goldscheider  angegebenen  Kantelen  einhalten,  um  nicht  ein  falsches 
Projektionsbild  durch  divergente  Perknssionsstrahlen  zu  erhalten. 

3)  Vgl.  die  Untersuchungen  Garland 's  und  die  grundlegenden  Forschungen 
Weil 's  (Zur  Lehre  vom  Pneumothorax).  Dieses  Archiv  Bd.  XXV  1879  nnd  Hand- 
buch der  topographischen  Perkussion.    2.  Aufl.  1880. 


202  XII.'  Bauchfüss 

der  Eaumbeschränkung  und  erhöhter  Querleitung  des  kindlichen 
Brustkorbes.  Man  muß  oft  rasch  untersuchen,  ein  schwaches  über- 
reiztes Eind,  und  hat  weder  Zeit,  noch  findet  mau  Verständnis 
und  Entgegenkommen  für  die  klinische  Respirationsdressur  des 
Patienten.  Es  ist  daher  gut,  die  kleinen  durch  die  Untersuchung 
des  Arztes  erregten  Patienten  vor  seiner  Ankunft  durch  verständigte 
Angehörige  und  Pflegerinnen  auf  das  bei  der  Auskultation  in  Frage 
kommende  Verhalten  (tiefes  regelmäßiges  Atmen,  Stimme)  einzn- 
üben.  Auch  die  Probepunktion  kann  versagt  werden  oder  ver- 
sagen. Alles  in  allem  ergibt  sich,  daraus  gerade  bei  Kindern  der 
hohe  Wert  des  paravertebralen  Dreiecks  für  die  Diagnose  und  die 
Beurteilung  des  Verlaufs  von  Pleuraergüssen. 

Zur  klinischen   Bewertung  des  Phänomens  war  vor 
allem  notwendig  festzustellen,  ob  es  nur  bei  pleuritischem  Ei^uß 
oder  auch  bei  Lungenverdichtung,  praktisch  wichtig  zunächst 
bei  Pneumonie,  beobachtet  wird  und  in  der  Tat  in  dem  Maße,  als 
seit  Jahren  das  Phänomen  im  Kreise  der  im  Kinderhospital  assi- 
stierenden und  hospitierenden  Ärzte  immer  bekannter  wurde,  ge- 
schah es  oft,  daß  mir  Fälle  von  unzweifelhafter  fibrinöser  Pneu- 
monie präsentiert  wurden,  in  denen  das  paravertebrale  Dämpfungs- 
dreieck vorliegen  sollte.    Ich  hatte  natürlich  diese  Frage  selbst 
bei  PneumoniefäUen,  besonders  bei  zweifelhafter  Diagnose  verfolgt 
aber  jedesmal  fand  sich  erst  bei  stärkerer  Perkussion  eine  mehr 
bandförmige,  paravertebrale,  diffus  begrenzte  Dämpfung  gegenüber 
der  bei  Pleuraergüssen  nach   oben   zur  Wirbelsäule  ablenkenden 
und  so  das  Dreieck  bildenden  scharf  begrenzten ;  ja  meine  Kollegen 
fanden  sie  häufiger,  was  mir  zunächst  nicht  klar  war,  bis  ich  mich 
überzeugte,  daß  sie  gewohnheitsmäßig  stärker  perkutieiten,  als  ich. 
Dagegen  konnte  ich  schon  seit  langen  Jahren  eine  andere,  den 
klinischen  Wert  der  paravertebralen  Dämpfung  beim  Pleuraergüsse 
besonders  hervorhebende  Beobachtung  machen,  ihr  Auftreten  bei 
einer   vorhandenen    oder   sich   lösenden    Pneumonie    als    zuver- 
lässiges Anzeichen  eines  pleuritischen  Ergusses.    Ich 
habe  Fälle  beobachtet  von  genuiner  Pneumonie,  die  protahiert  ver- 
liefen,   remittierendes  Fieber  zeigten,  in  denen  das  Dreieck  zuerst 
mit  Sicherheit  auf  den  hinzugetretenen  Pleuraerguß  hinwies:  oder 
•die   Lösung  beginnt,   die  Dämpfung   wird  wieder  intensiver,    ein 
remittierendes  Fieber  schließt  sich  an  den  lytischen  Abfall  an,  die 
auskultatorischen  Leichen  sind  nicht  eindeutig,  das  Dreieck  klärt 
zuerst  den  Sachverhalt.     Es  ließe  sich  daher,  wenn  einmal  ein 
paravertebrales  Dämpfungsdreieck  auch  bei  Pneumonie  des  unter- 


Faravertebrale  Dämpfang  auf  der  gesunden  Brustseite  bei  Pleuraergüssen.     203 

lappens  aufträte,  ähnlich  dem  beim  Erguß,  auch  nicht  immer  aus- 
schließen, ob  nicht  dennoch  ein  Erguß  vorläge,  der  sich  durch  die 
vordere  Mediastinalverschiebung  und  die  Punktion  nicht  nachweisen 
ließe  und  mit  der  Lösung  der  Pneumonie  schwände. 

Daß  bei  Pneumonie  Dämpfungserscheinnngen  auf  der  gesunden 
Seite  vorkommen,  ist,  meines  Wissens,  zuerst  von  Jürgensen 
(CroupSse  Pneumonie.  Ziemssen's  Sammelwerk.  1874.  V,  p.  86) 
beobachtet  worden.  Er  führt  sie  auf  hypostatische  und  atelektatische 
Zustände  zurück  auf  Grund  des  physikalischen  und  des  Leichen- 
befundes. Es  handelt  sich  hier  also  um  ganz  andere  Dinge  als 
bei  der  uns  beschäftigenden  paravertebralen  Dämpfung,  an  deren 
Stelle  keine  Rasselgeräusche,  keine  wesentlichen  Veränderungen 
des  Vesikuläratmens  wahrgenommen  werden.  Ob  die  bekannte  Er- 
scheinung eines  Dämpfungsbezirkes  an  der  ßückenfläche  bei  größeren 
Perikardialergüssen  nur,  wie  es,  glaube  ich,  angenommen  wird, 
durch  Kompression  und  Hypostase  des  Lungengewebes  hervor- 
gerufen wird,  lasse  ich  dahingestellt;  es  scheint  mir  jedoch  dieser 
Dämpfungsbezirk  wesentlich  von  der  Annäherung  einer  größeren, 
nicht  schwingenden  Masse,  wie  sie  das  Perikardialexsudat  vorstellt, 
an  die  hintere  Brustwand,  von  einer  Beschränkung  der  hinter  ihr 
liegenden  Schwingungsmasse  abzuhängen. 

In  einer  durch  meinen  Breslauer  Vortrag  angeregten  Arbeit 
,.Über  paravertebrale  Dämpfung  und  Aufhellung  bei  Pleuritis" 
(Wiener  klin.  Wochenschrift  1906  Nr.  14)  hat  F.  Hamburger 
angegeben,  daß  bei  Pleuraergüssen  der  Schall  auf  der  gesunden 
Seite  neben  der  Wirbelsäule  dumpfer  ist  als  in  den  äußeren  Thorax- 
partien, dagegen  der  Schall  auf  der  kranken  Seite  neben  der 
Wirbelsäule  heller  als  in  den  äußeren  Partien.^)  Freilich  ist  der 
Schall,  sagt  Hamburger,  in  der  Zone  paravertebraler  Aufhellung 
dumpfer  als  in  der  2one  paravertebraler  Dämpfung.  Am  Ende 
seiner  Abhandlung  gelangt  Hamburger  zu  dem  Schlüsse,  daß 
die  dilFerentialdiagnostische  Bedeutung  des  Phänomens  der  para- 
vertebralen Dämpfang  und  Aufhellung  eine  verhältnismäßig  ge- 
ringe, auch  die  Form  der  Dämpfung  keine  dreieckige  ist. 

«Es  ist  ja",  sagt  er,  „nach  den  ganzen,  bisher  angeführten 
Überlegungen  und  Versuchen  klar,  daß  eine  Schwarte  oder  eine 
sehr  ausgedehnte  Lungeninflltration  ähnliche  Perkussionsresultate 
bedingen  muß  wie  ein  Exsudat.^ 


Ij  Vgl.  Fig.  6  u.  8  (p.  194),  in  denen  die  Zonen  Hamburger '8  angegeben 
«ind. 


204  XII-  Baüchfctss 

Auf  die  Lösung  dieser  Widersprüche  mit  meinen  Erfahrungen 
komme  ich  später  zurück. 


Bei  meinen  ersten  Beobachtungen  des  Phänomens  schien  es 
mir  so  eindeutig  die  an  der  vorderen  Brustfläche  nachweisbare 
Mediastinalverschiebung  wiederzuspiegeln ,  daß  ich  sie  in  den 
Krankheitsgeschichten  aus  jener  Zeit  auch  oft  als  hintere  M^ 
diastinalverschiebung  bezeichnet  finde.  Als  ich  mich  eingehender 
mit  diesem  Phänomen  zu  beschäftigen  begann,  regelmäßig  danach 
forschte  und  schließlich  eine  freilich  anders  geartete  und  mehr 
diffuse  paravertebrale  Dämpfung  auch  in  einigen  Fällen  von  Pneu- 
monie fand,  da  erschien  es  mir  zweifelhaft,  ob  die  Sache  sich  so 
einfach  verhalte.  Am  hinteren  Mediastinum  war  ja,  wie  es  mir 
schien,  nicht  viel  zu  verschieben,  das  der  Untersuchung  zugäng* 
liehe  Organ,  das  Herz,  lag  im  vorderen  und  mittleren  Mediastinum, 
es  war,  wie  mir  damals  schien,  durch  die  Perkussionserschötternng^ 
besonders  bei  leiser  Perkussion,  kaum  zu  erreichen;  daß  eine 
Lungenverdichtung  ebenfalls,  wenn  auch  in  anderer,  meist  leicht  za 
differenzierender  Weise,  eine  kontralaterale  paravertebrale  Dämpfung 
hervorrufen  könne,  mußte  immerhin  berücksichtigt  werden. 

Da  aus  Zeitmangel  die  systematische  Verfolgung  des  Themas 
mir  nicht  möglich  war,  so  unterblieb  auch  die  Veröffentlichung  bis 
zur  Klärung  der  physikalischen  Bedingungen,  unter  welchen  das 
paravertebrale  Dreieck  zustande  kommt.  Diese  Klärung  war  zu- 
nächst von  Leichenversuchen  zu  erwarten.  ^) 

1)  Die  eingangs  angeführte  Abhandlung  tou  Badnel  und  Siciliano» 
welche  ich  in  den  Archives  g^n^rales  de  Mededne  (21  Juin  1904,  No.  25)  in  Ober- 
Hetzung  kennen  lernte  and  aus  der  ich  erfahr,  daß  Grocco  das  Dreieck  schon 
im  März  1902  beschrieben  hatte,  enthielt  die  Beschreibung  nnd  Kritik  einer  Reihe 
höchst  lehrreicher  und  exakter  Leichenrersache,  welche  ich  hier  in  der  Haupt- 
sache anführen  möchte.  Nachdem  B.  u.  S.  durch  Injektion  einer  10%  Gelatine- 
lösung in  die  Bauchhöhle  das  Diaphragma  gestützt,  die  Aorta  mit  derselben 
Lösung  gefüllt,  wurde  in  hoher  Stellung  des  Kadavers  auch  die  Pleura  gefüllt; 
wonach  sofort  das  Dämpf ungsdreieck  auftrat  und  zwar  ausgesprochener  bei  An- 
füllen des  rechten  Pleuraraumes.  Durch  ein  Fenster  in  der  hinteren  Thorax- 
wand  nahe  der  Wirbelsäule  konnte  man  den  Inhalt  des  hinteren  Mediastinums 
leicht  abtasten  und  die  Verschiebung  konstatieren.  Einzelne  Kadaver  wurdet 
dann  in  eine  10%  Formalinlösung  gelegt  und  transversale  Hchnitte  in  verschie- 
dener Höhe  (in  der  Brustwarzenhöhe,  im  2.  Interkostalraum  usw.)  angefertigt 
Die  Abbildungen,  welche  diese  Schnitte  darstellen,  sind  in  hohem  Grade  lehr- 
reich; man  sieht  deutlich  die  prall  gefüllte  Pleura  in  ihrem  paravertebralen  Ab- 
schnitt, sich  vor  die  Wirbelsäule  drängen,  Ösophagus  und  Geftfie  vor  sich  her- 
schiebend.   Baduel  und  Siciliano  halten  für  das  Zustandekommen  des  Dämp- 


ParaTertebrale  Dämpfung  auf  der  gesunden  Brastseite  bei  Pleuraergüssen.    205 

Die  Frage,  die  ich  mir  bei  meinen  vor  4  Jahren  begonnenen 
QDd  dann  von  Zeit  zn  Zeit  wiederholten  Leichenversnchen  stellte, 
war:  wie  beeinflußt  Flüfisigkeitsansammlnng  in  einer  Pleurahöhle 
die  Perkussionserscheinungen  der  anderen  Bmstseite,  wenn  die  Ver- 
drängung des  Herzens  ausgeschlossen  wird  und  wie  wirkt  letztere 
allein,  ohne  Flüssigkeitsansammlung,  und  endlich  wie  beide  ver- 
eint? Die  sehr  einfache  Versuchsanordnung,  welche  die  beiden 
Hanptfaktoren  zu  isolieren  bestrebt  war,  bestand  darin,  daß  ich  an 
«iner  noch  intakten  Leiche  mit  gesunden  Lungen,  durch  Einführen 
dnes  Ebonitstabes  (oder  einer  dickeren,  am  unteren  Ende  knopf- 
fömiig  abgestumpften  Metalisonde)  durch  die  V.  jug.  int.  dextra, 


fungsdreiecks  die  durch  diese  Verhftltnisse  bedingte  Behinderung  der  Schwingungs- 
fähigkeit der  Wirbel  und  der  Bippen  für  das  Wesentliche.  G.  Pierracini 
(La  Pneumonie  massiye  on  bronchopnenmonie  fibrineuse.  Clinica  modema  No.  1 
1903  —  citiert  nach  Badnel  und  Siciliano)  nimmt  an,  dafi  der  ErguC  indem  er 
das  hintere  Mediastinum  komprimiert  und  verschiebt  die  AtmungsgrCite  (capacit^ 
respiratoire)  der  benachbarten  Abschnitte  der  gesunden  Lunge  beeinträchtigt, 
und  auf  diese  Weise  das  Dämpfungsdreieck  entsteht,  eine  AnHicht  die,  wie  mir 
scheint,  durch  das  Fehlen  des  tympanitischen  Schalles  und  einer  Beeinträchtigung 
des  Yesikuläratmens,  widerlegt  wird.  Grocco,  sowie  Baduel  und  Siciliano 
betonen  die  dreieckige  Form  der  Dämpfung,  geben  seine  HOhe  als  gleiche  mit 
dem  Exsudatniveau,  die  Breite  seiner  Basis  mit  3—6  cm  an.  Die  Angabe,  daß 
«ich  das  Dreieck  in  verschiedenen  Stellungen  ändert  (Liegen)  war  mir  neu,  alles 
übrige  stimmt  genau  mit  den  von  mir  noch  lange  vor  Kenntnisnahme  dieser  Yer- 
(IfTentlichungen  gewonnenen  Erfahrungen.  Grocco  findet,  daß  das  Phänomen 
deutlicher  ist  bei  rechtsseitigen  Ergüssen,  was  ich  nicht  bestätigen  kann,  ich  habe 
«ehr  viel  rechtsseitige  Ergüsse  beobachtet,  obgleich  die  linksseitigen  etwas  über- 
wiegen. Den  Wechsel  in  der  Gestalt  des  Dreiecks  bei  verschiedener  Lagerung 
habe  ich  leider  nicht  geprüft,  obgleich  ich  seit  Kenntnisnahme  der  Arbeit  von 
B.  u.  S.  viele  Ergüsse  beobachtet  habe  aber  leider  übersah  ich  bis  jetzt  diese 
Bemerkung;  ich  bedauere  dies,  und  will  es  nachholen,  denn  es  ist  sehr  wohl  denk- 
bar, daß  bei  längerer  Lagerung  auf  der  kranken  Seite  der  prall  gefüllte  para- 
vertebrale  Pleuraraum  sich  entspannen,  zum  Teil  entleeren  und  umgekehrt  stärker 
füllen  wflrde ;  meine  Versuche  an  Leichen  sprechen  sehr  dafür  und  die  Verfolgung 
dieser  Seite  der  klinischen  Beobachtung  wäre  von  größtem  Interesse.  B.  n.  S. 
fanden  das  Vesikuläratmen  im  Dreieck  abgeschwächt,  was  ich  nicht  bestätigen 
kann.  Außer  Grocco,  der  das  Phänomen  zuerst  beschrieb,  citiere  ich  aus  der 
Arbeit  von  Baduel  u.  Siciliano  als  Autoren,  welche  die  Beobachtung  be- 
stätigten: Flora  (Riv.  crit.  di  clinica  med.  No.  19  1902),  F.  Maragliano 
^BuUet.  deUa  Societä  Eustachiana  Nr.  1  und  2,  1903),  G.  Pierracini,  Bncco 
<1903);  nur  Barbier i  (Parma)  spricht  sich  dagegen  aus,  und  Eoranyi  soll 
nach  dem  Zeugnis  von  B.  und  S.  in  der  Wiener  klin.  Bundschan  Nr.  16  1902 
eine  das  Dreieck  darsteUende  Abbildung  gegeben  haben,  ohne  es  zu  deuten.  Es 
ist  doch  unbegreiflich  wie  alle  diese  Beobachtungen  italienischer  Forscher  der 
referierenden  JonmaUiteratur  und  der  aUgemeinen  Kenntnisnahme  entgehen 
konnten. 


206  XII-  Rauchpuss 

Cava  sup.  und  Vorhof  in  die  rechte  Kammer,  in  der  Lage  war  das 
Herz  nach  rechts  ^)  oder  links  zu  verschieben  und  es  der  vorderen 
oder  hinteren  Brustwand  zu  nähern,  oder,  wenn  ich  die  Sonde  aus 
dem  Vorhof  in  die  untere  Hohlvene  gleiten  ließ,  das  Herz  in  seiner 
natürlichen  Stellung  einigermaßen  zu  fixieren.  In  beiden  Fällen 
wurden  die  Perkussionserscheinungen  auf  beiden  Seiten  der  vorderen 
und  hinteren  Fläche  des  Brustkorbes  bestimmt,  mit  Dermograph  die 
Grenzlinien  bezeichnet  und  nun  sehr  langsam  Wasser  in  die  eine 
Pleurahöhle  eingeführt,  bei  liegender  oder  sitzender  Lage  der  Leiche. 
Auf  diese  Weise  waren  drei  Versuchsanordnungen  geschaffen: 
Deviation  des  Herzens  ohne  Wasseransammlung,  Wasseransamm- 
lung bei  fixiertem  Herzen  und  Deviation  des  Herzens  mit  Wasser- 
ansammlung in  der  der  Deviation  entsprechenden  Seite  (also  bei 
Deviation  nach  links  Wasseransammlung  im  rechten  Pleuraraum). 
Dabei  wurden  in  allen  Versuchen  die  Perkussionserscheinuugen  bei 
verschiedenen  Graden  der  Deviation  und  verschiedenen  Mengen 
eingebrachten  Wassers  bestimmt,  indem  man  diese  allmählich  an- 
wachsen ließ.  Leider  hing  die  Vornahme  dieser  Versuche  so  vom 
Zufall  ab,  daß  ich  nicht  dazu  kam,  die  dermographischen  Linien 
photographisch  festzuhalten ;  eine  Leiche  mit  intakten  Lungen  war 
nicht  so  oft  und  dann  nicht  immer  Zeit  vorhanden  zum  Photo- 
graphieren,  das  ja  hier  in  jedem  Stadium  des  Versuches  statt- 
zufinden hätte.  Es  wurden  daher  die  dermographischen  Linien  auf 
dem  Schema  nachgezeichnet  und  von  den  Anwesenden  geprüft:  sie 
haben  also  nur  schematischen  Wert,  sind  aber  so  überzeugend,  daft 
kleine  Verzeichnungen  gar  nicht  in  Frage  kommen. 

Ich  führe  hier  eine  Reibe  von  Versuchen  vor,  nicht  in  chrono- 
logischer  Folge  seit  ihrem  Beginn  sondern  mehr  systematisch  gruppiert; 
es   wurden  ja  die  Versuche   immer   in  großen  Intervallen  vorgenommen. 


1]  Die  Verschiebung  nach  rechts  erfolgt  meist  weniger  leicht  und  aDiigiebig- 
als  nach  links,  es  sei  denn  daß  zuvor  der  linke  Pleuraraum  mit  Wasser  gefällt 
ist.  Das  Einschieben  der  Sonde  in  die  Cava  inf.  gelingt  meist  leicht,  stets  bei 
einigem  Abtasten,  oft  gelangt  man  auch  ohne  es  zu  wollen  sofort  in  die  Cava 
und  muß  dann  die  Sonde  wieder  zurückziehen  um  in  die  Kammer  zu  kommen. 
Während  der  Versuche  die  in  sitzender  und  in  liegender  Stellung  vorgenommen 
wurden  (erstere  machte  wegen  der  Leichenstarre  oft  Schwierigkeiten)  war  der 
Kopf  in  eine  Glisson'sche  Schwebe  fixiert,  wodurch  vermittels  eines  vertikulen 
Rollenzuges  leicht  die  Stellung  verändert  und  in  dieser  oder  jener  abwechselnd 
untersucht  werden  konnte.  Die  Einlaufe  in  die  Pleurahöhle  konnten  unter  ver- 
schiedenem Druck  vorgenommen  werden,  da  ein  anderer  Rollenzug  den  Irrii^tor 
in  verschiedene  Höhen  stellen  ließ,  vom  Irrigator  ging  ein  Gummischlancb  zur 
Punktionskanüle. 


Pwsvettebrale  Dänipfang  auf  der  geaanden  Bniataeite  bei  PlenraergÜBW 


207 


lie  ich  gerade  Zeit  hatte  und  wenn  sich  Gelegenheit  bot.  Fig.  10  —  13 
g«beD  die  DämpfaDgaerscheiDUDgeD  wieder,  welche  an  derselben  Leiche 
benorgerufen  wurden  durch  Ablenkung  des  Herzens  nach  links 
(Mg.  10,   11)   und   saoh  rechts  (Fig.  13,   13).     An  der  vorderen  Bruat- 


Fig.  10. 


Fig.  U. 


208  XII.  lUucHFcsa 

flächa  ist  d«a  4uroli  die  Ferknaaioti  nftchweisbar«  Beanltst  der  Ablenkong 
durch  punktierte  Liaien  bezeichnet.  In  Fig.  II  trat  du  parBTertabnl« 
Dreieck  erst  dentlioh  hervor  bei  AndrSngen  dea  Henens  gegen  die  hiolere 
Bmstwand.  In  Fig.  13  stellt  ab  die  scharfe,  ao  die  mehr  diffnae  asd 
veniger  deutliche  Grenze  des  Dreiecke  dar,  die  schärfer  und  dentlicher 
hervortritt,  wenn  du  Herz  gegen  die  hintere  Bnutwand  rekliniert  wird. 
Diesem  Versuch  kann  ich  einen  andern,  an  der  Leiche  eines  9  monit- 
liehen  Kindes  Torgeuommenen,  gegenüberstellen,  an  der  es  selbst  bei 
dem  Versnobe  starker  Ablenkung  nach  links  nicht  gelang  an  der  vor- 
deren Brostwand  eine  sehr  deutliche  Verschiebung  des  Herzens  tath 
links  nachzuweisen  (Bmstform),    ein    kleines  Dreieck   mit  dem  Gipfel  an 


Fig.  14. 


Fig.  15. 


9  Wirbel  und  einer  2  cm  breiten  Basis  aber  dennoch  nachgewieiea 
werden  konnte,  freilich  nicht  gerado  scharf.  Aus  der  ersten  Zeit  meinet 
Leichenversucbe  (Oktober  190S)  stammt  folgendes  in  den  Fig.  14  und 
und  15  dargestelltes.  Die  Vorderansicht  (Fig.  14)  zeigt  die  linke  Greni- 
linie  der  relativen  Herzdärapfung  in  normaler  Lage  (o),  bei  mgfiig« 
Deviation  des  Herzens  nach  links  (1)  und  bei  starker  (3).  Demenl- 
sprechend  kann  man  an  der  RKekenfläche  des  Brustkorbes  links  nebsn 
der  Wirbelsäule  ein  bei  der  leichten  (I)  und  ein  bei  der  stark<tn  De- 
viation (3)  auftretende!  DKinpfangsdreieck  auftreten  sehen.  F&IH  bU 
nun  den  rechten  Pleuraraum  bis  zum  8.  Wirbel  (3)  hinauf  mit  Waaaer 
«n,  so  wächst  das  Dreieck  1  auf  2  an,  füllt  man  den  Pleuraraum  1»« 
2um  &.  Wirbel  so  wächst  das  Dreieck  3  bis  an  den  bei  4  angegebenen 
Dimensionen. 


PiraTertebntle  Dämpfung  auf  der  gfesnodeu  Bniatgeite  bei  PlenrnergUssen.    209 

Ee  gelingt  suweiIeD  bei  allmSblichem  EinlftnfeD  von  Wuser  io  die 
Hake  Fleamhöhle  den  Drnck  in  der  Flenrahöhle  so  hoch  zu  Bteigero,  daß 
die  D«ch  der  aogegebeneo  Methode  anigefUbrte  Deviation,  hier  also 
Rechts  lagern  Dg  dee  Uerzena,  ein  anch  am  Lehen  beobachtetes  UaziniDm 
erreicht,  die  rechte  Grenzlinie  der  relatiren  Herzdämpfung  Ubenchreitetr 
die  rechte  Brustwarze ;  dann  liegt  der  Qipfel  des  paravertebraleu  Drei* 
ccks  in  der  äShe  des  ti.  Wirbel«, 

Schließlich  will  ich  noch  einen  der  Veranebe  erwähnen,  die  ioh  im 
Juni  ditiaes  Jahres  nntemahni,  anoh  um  die  Zonen  Haraburger's  zu 
prüfen  (Fig.  16).  Es  wurden  bei  eiaigermaßen  fixierten  Herzen  zunächst  die 
Unke  Flenrahöhle  bis  zur  Höhe  des  6. — 7.  Wirbels,  dann  bis  zur  Höbe 
des  4.  Wirbels  ganz  allraKhIich  in 


Fig.  16. 


sitzender  Stellnng  gefüllt  (a  und  h), 
wobei  an  der  rechten  firustbälft« 
znnäcbat  das  paravertebrale  Drei- 
eck a,  dann  b  (Gipfel  S.  Wirbel, 
Breite  der  Basis  4,5  cm)  her- 
vortrat recht  deutlich  aber  nicht 
sehr  Bcharf  umgrenzt  auch  bei 
leisester  Perkussion  und  Abtasten, 
zu  gleicher  Zuit  traten  bei  stär- 
kerer Perkussion  die  bei  leisester 
nicht  wahrnehmbare  linke  para- 
vertebrale Aofhellungazone  (1)  und 
rechte  Dämpfungszone  (S)  auf, 
letztere  war  breiter. 

Als  nun  das  Herz  dnrcb  den 
in  den  Ventrikel  eingeführten,  bie 
dahin  in  der  Cava  inf.  ruhenden 
Stab  srtark  nach  rechts  versoboben 
wfirde,  was  jedoch  dieses  Mal  nicht 
sehr  «nsgiebig  gelang,  denn  die 
rechte  Grenzlinie  konnte  kaum 
Ober  die  Parasternallinie,  nicht 
bis  zur  Brust  warse  gebracht 
werden,  nnd  etwas  Wasser  naoh- 
gefnilt  werden  mußte,  um  das 
Niveaa  b  zu  erhalten,  erweitert«  sich  daa  paravertebrale  Dreieck  so- 
fort io  allen  Dimensionen,  stieg  mit  dem  Gipfel  bis  zum  7.  Wirbel  und 
vergrößerte  seine  Baeie  von  4,6  auf  7,5 ;  es  war  nuu  auch  äußerst  echarf 
begrenzbar. 

Überblickt  man  diese  Versuche  *),  so  erhält  man  wohl  den  Eiti- 
dnick,  daß  es  sich  beim  Zustandekommen  der  paravertebralen 
DämpfuDg  doch  om  kompliziertere  Verhältnisse  handelt,  als  um 
«ine    Verschiebung   des  Herzens  allein;    es   ergibt   sich,    daß   die 


1)  SSmtlicIie  hier  angeführten  Versuche  sind,  wo  nicht  anderes  t 
an  Leichen  von  Kindern  mittleren  Alters  (5 — 9  Jahren)  auegefShrt. 

<  Arohtv  f.  kill.  Medisin.    S>.  Bd.  14 


igegeben 


210  XU.  Bauchfuss 

Flüssigkeitsansammlung  an  sich  nicht  ohne  Einfluß  ist  und  es  er- 
übrigt noch  die  Frage,  wie  weit  die  Belastung  des  hinteren 
Mediastinums  hier  eine  Rolle  spielt  Aufschluß  darüber  konnte 
die  Röntgenuntersuchung  bei  in  den  Ösophagus  eingeführter,  den 
Durchgang  der  Röntgenstrahlen  hemmender  Sonde  und  der  Leichen- 
versuch  geben.  In  Breslau  demonstrierte  ich  eine  Röntgenauf- 
nahme von  einem  Kinde  mit  rechtseitigem,  hochgradigem  Pleara- 
erguß,  dem  eine  mit  Bismuth  subnitr.  eingeführte  Schlundsonde 
eingeführt  war,  sie  erwies  deutlich  eine  bedeutende  in  sanftem 
Bogen  verlaufende,  im  unteren  Abschnitt  (8.-9.  Wirbel)  sehr  auf- 
fallige Abbiegung  des  Ösophagus  zur  gesunden  Seite. ^)  Darauf 
untersuchte  ich  bei  meinen  Leichenversuchen  mehrere  Male  die 
Verhältnisse  im  hinteren  Mediastinum  durch  Resektion  3—5  cm 
langer  paravertebraler  Rippenstücke  auf  der  gesunden  Seite,  um 
durch  ein  Thoraxfenster  einen  P^inblick  auf  die  Wirbel  und  das 
Spatium  mediastinale  posterius  zu  gewinnen.  Es  ergab  sich,  da& 
der  paravertebrale,  an  das  Spatium  m.  p.  grenzende  Bezirk  des 
Pleurasackes  ^)  durch  die  Flüssigkeitsansammlung  prall  gespannt 
und  vorgebaucht  vor  die  Wirbelsäule  und  über  dieselbe  hinaus  in 
die  Paravertebralregion  der  freien  Seite  gedrängt  wird.  Diese  Ver- 
hältnisse werden  durch  die  angeführten  schönen  Untersuchungen 
von  Baduel  undSiciliano  überzeugend  klargelegt   Beobachtet 


1)  In  bezng:  auf  das  paravertebrale  Dänipfungsdreieck  konnte  die  Böntgea- 
untersQchnng  mir  keinen  weiteren  Anfscblnß  geben,  da  das  Dreieck  durch  den 
diaskopiachen  Herzschatten  gedeckt  ist;  ist  doch  das  paravertebrale  Dreieck  zum 
Teil  gleichsam  ein  Schattenbild  des  verlagerten  Herzens  auch  bei  der  physika- 
lischen Untersuchung  am  Lebenden.  Als  ich  mir  in  meinen  früheren  Beobach- 
tungen öfter  durchgepauste  Bilder  der  Vorder-  und  Rttckenansicht  des  Thorax 
mit  den  eingezeichneten  GrenzUnien  anfertigte  erhielt  ich  zuweilen  Bilder  von 
auffallender  Kongruenz  der  Herzsilhouette  (s.  Fig.  1,  2  a)  mit  dem  Dreieck  gleich- 
sam als  Illustration  für  die  Auffassung,  das  Dreieck  entspreche  wesentlich  der 
Lage  des  Herzens.  Liegt  ja  auch  das  Herz  wenn  es  sich  seitlich  und  gewöhn- 
lich auch  nach  diagonaler  Verdrängung  erfährt,  durchaus  nicht  außerhalb  der 
Wirkungssphäre  der  Perkussionserschütternng  der  hinteren  Brust  wand.  Aber 
meist  ist  das  Dreieck  schmäler  als  die  Herzsilhouette.  Baduel  und  Siciliano 
führen  in  ihrer  Abhandlung  an,  Grocco  habe  im  Jahre  1902  auf  dem  Kongre(l 
für  innere  Medizin  in  Rom  angegeben,  daß  die  Radiographie  die  Existenz  der 
matten  Zone  bestätige;  mir  liegen  die  Verhandlungen  des  Kongresses  nicht  vor 
und  ich  kann  daher  nicht  beurteilen  ob  es  sich  um  etwas  anderes  als  den  kon- 
gruenten Herzschatten  gehandelt  habe. 

2)  Dieser  klinisch  wichtige  Bezirk  des  Pleurasackes  entbehrt  einer  anatomi- 
schen Bezeichnung,  während  die  übrigen  Grenzbezirke  (Kuppe,  Sinus)  anatomisch 
gekennzeichnet  sind;  ich  möchte  vorschlagen,  ihn  Recessus  pleurae  paraverte- 
bralis  d.  et  sin.  zu  nennen. 


ParaTertebrale  Dämpf nng  anf  der  gesunden  Brnstraie  bei  Pleuraergüssen.    211 

man  in  liegender  Lage,  so  ist  dies  weniger  anffiUIig,  denn  die 
Flüssigkeit  fließt  gleichsam  von  der  Wirbelgegend  ab,  dagegen 
wird  die  Erscheinnng  sehr  prägnant  in  sitzender  Stellung.  Hat 
man  den  einen  Pleuraraum  vollkommen  angefüllt,  dann  sieht  man^ 
wie  der  gefüllte  paravertebrale  Pleurarecessus  je  mehr  nach 
unten  desto  auffälliger  zur  anderen  Seite  vor  die  Wirbelsäule  sich 
ansbaucht,  so  daß  er  nicht  mit  der  Wirbelsäule  parallel  vor  der- 
selben zur  anderen  Seite  gedrängt  wird,  sondern  weit  mehr  in 
den  unteren  Abschnitten  als  in  den  oberen,  gleichsam  als  ein  in 
der  Breite  stark  reduziertes  aber  immerhin  deutliches  paraverte- 
brales  Dreieck. 

Fassen  wir  alles  zusammen,  so  kommen  wir  zu  einer  be- 
friedigenden Deutung  des  Phänomens.  Es  handelt  sich  um 
eine  Verschiebung  des  Gesamtmediastinums,  wobei  der 
Anteil  des  Spatium  mediastinale  posterius  durch  die  soeben  be- 
schriebene pralle  Füllung  des  paravertebralen  Pleurarecessus  und 
sein  Vordrängen  vor  die  Wirbelsäule  durchaus  kein  so  geringer 
ist  wie  es  mir  a  priori  schien.  Neben  dieser  Belastung  des  hinteren 
Mediastinums  spielt  zweifellos  die  Flüssigkeitsansammlung  eine  Rolle 
bei  der  Hemmung  der  perkussorischen  Erschütterung  der  Wirbel- 
saale und  der  Rippen  der  gesunden  Seite.  Welchen  Anteil  die 
Flüssigkeitsansammlung  im  Pleuraraum  —  an  sich  — 
mit  Ausschluß  der  Mediastinalverschiebung  haben  könnte,  das  habe 
ich  versucht  an  der  Leiche  dadurch  klar  zu  stellen,  daß  ich  das 
Herz  fixierte;  allein  die  Verschiebungen  im  Spatium  mediastinale 
posterius,  die  sich  hinter  dem  Herzen  abspielen,  konnte  ich  damit 
nicht  ausschalten.  Dennoch  scheinen  meine  Versuche,  die  ich 
übrigens  in  bezug  auf  den  Einfluß  der  Flüssigkeitsansammlung  im 
Pleuraraum,  an  sich,  auf  die  kontralaterale  Dämpfung  noch  für 
unvollständig  halte  und  leider  noch  nicht  abzuschließen  in  der 
Lage  war,  zu  beweisen,  daß  ein  solcher  Einfluß  besteht.  Er  ist 
nor  zu  erklären  durch  die  Einschränkung  der  Schwingungsmasse, 
des  Ausbreitungsbezirkes  der  Perkussionserschütterung,  welche  da- 
durch gegeben  wird,  daß  bei  der  Perkussion  eines  paravertebralen 
Bezirks  die  Erschütterung  durch  die  Wirbelsäule  und  die  Rippen 
sich  nicht  auf  die  andere  Seite  fortpflanzen  kann,  wenn  diese  in 
ihrem  paravertebralen  Bezirk  die  Schwingungsfähigkeit  durch  einen 
die  Lange  von  der  Brustwand  abdrängenden,  paravertebral  ge- 
legenen Erguß  eingebüßt  hat.  Ja  es  müßte,  theoretisch,  immer 
ein  Dämpfungsdreieck  entstehen,  wenn  etwa  ein  die  untere  Hälfte, 
selbst  die  unteren  %  einer  Pleurahöhle  einnehmender  P>guß  vor- 

14* 


212  XII.    RAÜCHPÜ88 

läge,  auch  ohne  den  Einfluß  der  Mediastinalverschiebang;  denn 
perkutierte  man  die  gesunde  Seite  auf  der  Höhe  des  Ergusses, 
dann  wurde  die  transversale  (kontralaterale)  Übertragung  der  Er- 
schütterung noch  über  dem  Spiegel  des  Ergusses  frei  stattfinden 
können,  aber  je  mehr  man  paravertebral  mit  der  Perkussion  herab- 
ginge, desto  weiter  würde  der  Weg,  den  die  Erschütterung  durch 
die  Wirbelsäule  zurücklegen  müßte,  um   noch  freie  Kippen  und 
Schwingungsmassen  zu  treffen,  und  desto  breiter  würde  der  Däm- 
pfungsstreifen auf  der  gesunden  Seite  nach  abwäi*ts  werden,  ein 
Dreieck   bildend.     Aber   diese   an    sich    plausible   Erklärung  des 
Dämpfungsdreiecks  hält  vor  der  Ei*fahrung  nicht  stand,  da  auch 
beim  weiteren  Ansteigen  des  Exsudats  bis  zur  Pleurakuppe  das 
Dreieck  fortbesteht  und  wächst;  es  müßte  ja  zu  einer  paraverte- 
bralen  bandförmigen  Zone  geworden  sein.    Und  in  der  Tat  wäre 
es  so,  wenn  nicht  die  indes  ad  maximum  gediehene  Verschiebung 
des  hinteren  Mediastinums,  in  der  soeben  dargelegten  Weise,  in  den 
unteren   Abschnitten   der  paravertebralen   Teile   des   Brustkorbes 
Verhältnisse  geschaffen  hätte,  welche  die  Dreieckform  der  Dämpfung 
festhalten,  selbst  abgesehen  von  dem   mächtigen  Einfluß  der  Ver- 
schiebung des  ganzen  Mediastinums  mit  dem  Herzen.    Das  Fehlen 
dieser  Verhältnisse   bei  Pneumonie,  die  ja  wie  jede  Lungenver- 
dichtung die  kontralaterale  Schwingungsmasse  einschränken  müßte, 
bedingt  es,  daß  hier  eben  auch  das  Dreieck  fehlt  und  nur  bei 
stärkerer,    die    Erschütterung    ausbreitender    Per- 
kussion eine  diffuse,  mehr  bandförmige,  paravertebrale  Dämpfungs- 
zone  zur  Wahrnehmung   kommt  (Hamburger 's  Dämpfungszone 
vgl.  oben  S.  203).     Nun  erfüllt  ja  auch  in  der  Kegel  eine  pneu- 
monische Verdichtung,  selbst  wenn  es  sich  um  eine  kompakte,  bis 
ins   paravertebrale   Gebiet  reichende   Pneumonie    handelt  —  die 
conditio  sine  qua  non  der  kontralateralen  Dämpfung  —  keineswegs 
die  Bedingungen,  welche  durch  den  sich  noch  vor  die  Wirbelsäule 
prall  vordrängenden  Pleuraerguß  geschaffen  werden.   Unvollkommene 
Kompaktheit  der  Infiltrate  (lobulärer  und  bronchialer  Luftgehalt^ 
weiHlen  die  angeführten  Bedingungen  für  das  Auftreten  der  kontra- 
lateralen Dämpfung  stören,  eine  begleitende  fibrinöse  Pleuritis  sie 
dagegen  steigern.     Bei  der  großen  Bedeutung,  welche  der  Ver- 
schiebung  des  Gesamtmediastinums,   mit  seinem   Inhalt,  für   das 
Zustandekommen  der  paravertebralen  Dämpfung  zukommt,  darf  es 
nicht  Wunder  nehmen,  daß  sie  nach  der  Thorakotomie  und  Ent- 
leerung des  Ergusses  zwar  sofort  sehr  bedeutend  abnimmt,  aber 
doch  nicht  sofort,  sondern  erst  nach  mehreren  Tagen  ganz  schwindet ; 


Paravertebrale  Dämpfang  auf  der  gesaaden  Brnstseite  bei  Pleuraergüasen.    213 

denn  die  Rückkehr  des  Gesamtmediastinums  in  eine  vollkommen 
normale  Lage  findet  auch  nicht  sofort  statt.  Übrigens  darf  man 
hier  nicht  übersehen,  daß  in  den  unteren  Abschnitten  des  Pleura- 
raums, und  besonders  in  seinem  ausgebauchten  vor  die  Wirbelsäule 
geschobenen  paravertebralen  Becessus  auch  nach  der  Thorakotomie 
noch  Erguß  zurückbleibt  und  sich  wieder  ansammelt. 


F.  Hamburger  hat  in  seiner  schon  erwähnten  Arbeit  von 
den  von  mir  in  Breslau  zur  Erklärung  des  Phänomens  angeführten  ^ 
aus  Erankenbeobachtung  und  Leichenversuch  entwickelten  Grund- 
bedingungen desselben  —  Mediastinalverschiebung  und  Einschrän- 
kung der  Schwingungsmaße  durch  den  an  die  Wirbelsäule  reichen- 
den Pleuraerguß  —  der  letzteren  seine  besondere  Aufmerksamkeit 
zugewandt  und  sie  für  allein  bestimmend  erklärt.  Es  ergab  sich 
ihm,  wie  ich  schon  anführte  (S.  203  Fig.  6,  8),  daß  in  jedem  Falle  von 
pleuritischem  Erguß  auf  der  kranken  Seite  neben  der  Wirbelsäule 
eine  Zone  helleren  Schalles  zu  finden  war,  während  auf  der  gesunden 
Seite  eine  paravertebrale  Dämpfungszone  auftrat,  doch  konnte  er 
nicht  mit  Sicherheit  die  D  r  e  i  e  c  k  s  f  o  r  m  herausperkutieren.  Indem 
er  nun  auf  die  Bedeutung  der  Flächenwirkung  des  Perkussions- 
stoßes eingeht,  die  Theorie  des  Lungenschalls  von  Mazonn  und 
dessen  Versuch  der  Dämpfung  des  Perkussionsschalles  am  Thorax 
durch  den  Druck  der  in  einiger  Entfernung  aufgelegten  Hand  an- 
fuhrt, kommt  er  zu  dem  Ergebnis,  daß  die  Bedeutung  der  Flächen- 
Wirkung  des  Perkussionsstoßes  eine  große  ist.^)  Indem  er  Weil's 
Auffassung  anführt,  nach  welcher  der  Perkussionsschall  bei  starker 
Perkussion  deswegen  lauter  ist  als  bei  schwacher,  weil  die  Schwin- 
gungen der  perkutierten  Stelle  weiter  in  die  Tiefe  dringen  und 
dadurch  die  Schwingungsmasse  eine  größere  wird,  knüpft  er 
daran  die  Betrachtung,  „daß  der  starke  Perkussionsstoß  auch  des- 
wegen einen  lauteren  Schall  ergeben  muß,  weil  er  die  Erschütterung 
auch  flilchenhaft  ausdehnt  und  dadurch  einen  größeren  Lungen- 
bezirk zum  Mitschwingen  veranlaßt.  Die  Schwingungsmaße  wird 
also  bei  starker  Perkussion  ebenso  nach  der  Fläche  wie  nach  der 
Tiefe  vergrößert".  Er  fügt  dann  hinzu,  daß  seine  Perkussions- 
befunde (Dämpfungs-  und  Aufhellungszone)  nur  zu  erheben  sind 
bei  starker  und  mittelstarker,  nicht  bei  leiser  Perkussion. 


1)  Dieser  Bebr  einfacbe  Versuch  ist  in  der  Tat  sehr  belehrend  und  beim 
Unterricht  unentbehrlich,  wenn  auch  die  Theorie  Mazonn 's  im  allgemeinen  nicht 
annehmbar  ist;  der  Versuch  soll  nur  zeigen,  wie  durch  Hemmung  der  perknssori- 
sehen  Erscbtttterung  der  Thoraxplatte  Dämpfung  erzeugt  werden  kann. 


214  XII.  Bauchpuss 

Hamburger  erwähnt  aach,  daß  die  erhobenen  Befunde  nur  bei 
der  Untersuchung  von  Kindern  gefunden  wurden  und  daß  zweifellos 
beim  Kinde  die  Flächenwirkung  des  Perkussionsstoßes  sehr  begün- 
stigt ist  durch  die  elastische,  besonders  schwingungsfähige  Thorax- 
platte. Hamburger  erwähnt  auch,  daß  sein  Lehrer,  Professor 
Escherich,  diese  für  die  Beurteilung  der  Perkussionsbefunde 
am  Kinderthorax  wichtige  Tatsache  schon  lange  klinisch  verwerte. 

In  der  Tat  ist  es  sehr  wichtig,  diese  Verhältnisse  zu  kennen 
und  zu  berücksichtigen.  Wenn  ich  das  auf  dem  Arm  der  Mutter 
sitzende  Kind  perkutiere,  so  weiß  ich,  daß  das  Anschmiegen  der 
einen  Brustseite  au  die  Mutter  den  Schall  dämpfen  kann  und 
ändere  die  Stellung  zur  Kontrolle;  das  ist  ja  längst  bekannt, 
wird  aber  nicht  immer  berücksichtigt.  Die  Ausführungen  Ham- 
burger's  bringen  die,  wie  mir  scheint,  in  der  Literatur  wenig- 
stens, etwas  vernachlässigte  Frage  der  Flächenwirkung  der  Per- 
kussion wieder  in  Anregung.  Es  bhnt  sich  auch,  sie  experimentell 
und  durch  Leichenversuche  zu  klären,  und  ich  erwähnte  schon, 
daß  meine  Leichenversuche  in  dieser  Richtung  unvollständig  sind 
(S.  211). 

Weil,  den  Hamburger  citiert,  hat  übrigens  die  Flächen- 
wirkung der  Perkussionserschütterung  auch  gestreift  (1.  c.  p.  48), 
aber  immer  betont,  daß  die  perkussorische  Erschütterung  haupt- 
sächlich in  der  Richtung  des  Stoßes  (I.  c.  p.  6)  in  die  Tiefe  dringt, 
weniger  in  die  Breite.  Man  wird  daher,  um  Flächenwirkungen 
zu  erzielen,  stärker  perkutiereu  müssen  und  aus  der  stärkeren 
Perkussion  Hamburger 's  erklärt  es  sich  auch,  daß  er  die  auf 
prävalierende  Flächen  Wirkung  beruhende  paravertebrale  band- 
förmige Dämpfungszone^)  und  nicht  das  vorzugsweise  bei 
leiser  Perkussion  (geringere  Flächenwirkung)  hervortretende  Drei- 
eck fand.*)    Nur  dieses  aber  ist  charakteristisch  für  die  Summe 


1)  Ich  fand  die  paravertebrale  Dämpf  angszone  Harn  burger 's  stets  breiter 
als  die  Aufhellungszone,  sowohl  bei  klinischer  Untersuchung  von  Pleuraergüssen, 
als  beim  Leichen  versuch  (s.  Fig.  6,  8,  16]. 

2)  Ich  muß  hier  aber  doch  bemerken,  daß  das  Dreiecke  sich  auch  bei  mittel- 
starker Perkussion  meist  sehr  gut  nachweisen  läßt;  ich  weiO  ja  auch  nicht,  wie 
Grocco  und  die  ihm  nachfolgenden  italienischen  Beobachter  perkutiert  haben, 
Angaben  darüber  habe  ich  nicht  gefunden.  Oft  wird  bei  mir  im  Hospital  nnd 
in  Hospitälern  für  Erwachsene  seit  meinem  Vortrage  auf  dem  Pirogof  f-Kongrel^ 
das  Phänomen  von  Kollegen  mit  Interesse  verfolgt  und  ich  glaube,  daß  nur  die 
wenigsten  sehr  leise  perkutieren.  Ich  demonstriere  mir  und  anderen  auch  immer 
verscliiedene  Perkussionsintensitäten,  finde  aber,  daß  die  leiseste  die  schärfsten 
Grenzen  gibt  und  das  ist  für  die  Bestimmung  der  Dreieckform  wichtig. 


Paravertebrale  Dämpfung  anf  der  gesnnden  Brastseite  bei  Pleuraergüssen.    215 

der  physikalischen  Veränderungen,  welche  die  Lungen  Verdichtung, 
selbst  eine  paravertebrale,  von  einem  Plenraerguß  unterscheiden, 
and  ans  diesem  Grunde  ist,  wie  es  die  Erfahrung  lehrt,  das 
Dämpfungsdreieck  ein  kardinales  und  zuverlässiges  klinisches  Zeichen 
bei  der  Differenzierung  beider  Krankheitsgruppen. 


Die  soeben  berührten  Differenzen  beleuchten  zugleich  die 
Wirkungssphären  der  starken  und  leisen  Perkussion. 
Mein  von  Hause  aus  begrenztes  Untersuchungsgebiet,  gesunde  und 
ki'anke  Kinder,  hatte  mich  schon  bald  gelehrt  den  Wert  der  leisen 
Perkussion  zu  schätzen  und  da  bei  ihr  und  am  elastischen  und 
zarten  Kinderthorax  die  palpatorische  Empfindung,  das  Gefühl  der 
Besistenz,  sich  besonders  geltend  macht,  so  war  bis  zur  unmittel- 
baren Palpation  nur  ein  Schritt  Ich  konnte  daher  meine  in  diesem 
Sinne  in  meinem  Beitrage  zur  physikalischen  Untersuchung  des 
Herzens  im  Kindesalter  (Gerhardts  Handbuch  der  Kinderkrankh. 
IV.  1878)  und  in  meinem  Vortrag  auf  der  Badener  Naturforscher- 
versammlung (1879)  über  die  Bestimmung  der  Herzfigur  durch  Pal- 
pation und  die  Diagnose  geringer  Mengen  perikardialer  Exsudate 
niedergelegten  Erfahrungen  schon  wesentlich  auf  die  Ergebnisse 
leiser  Perkussion  und  Palpation  gründen.  Ebstein  gebührt  das 
Verdienst,  die  palpatorische  tastende  Perkussion,  dus  lautlose  Ab- 
tasten der  Organe,  die  mittelbare  und  unmittelbare  Tastperkussion 
als  Methode  eingeführt  und  ausgebildet  zu  haben,  ein  Verdienst, 
das  nicht  geschmälert  wird  durch  die  in  seinem  Buche  über  Tast- 
perkussion von  ihm  gewürdigte  Tatsache,  daß  das  Resistenzgefühl 
bei  der  Perkussion  auch  früher  vielfach  Beachtung  gefunden  hatte 
und  bei  der  Schallperkussion  verwertet  wurde.  Aus  einer  klinisch 
wichtigen  Begleiterscheinung  der  Schallperkussion  ist  nun  die  Ab- 
schätzung des  Besistenzgefühles  zu  einer  selbständigen  Methode 
geworden. 

Die  unmittelbare  lautlose  Tastperkussion,  von  mir 
früher  immer  als  Palpation  bezeichnet,  findet  auch  heute  noch 
Widerspruch.  So  teilt  Goldscheider  in  seiner  Abhandlung 
über  Herzperkossion  (D.  med.  W.  1905,  2.  März)  die  Ansicht 
0.  Kosenbach's,  daß  das  Wesentliche  bei  der  palpatorischen 
Metli(Ode  die  Schallnuancen  sind;  er  kann  sich  nicht  vorstellen,  daß 
man  durch  die  Rippen  das  Herz  palpieren  könne  ^)  und  meint,  es 
möge  hier  Verwechselung  von  Gehörs-  und  Tastgefühlseindrücken 


1)  Man  tastet  und  perkntiert  ja  auch  in  den  Interkostalräumen. 


216  ^n.  Rauchfüss 

Yorkommen.  Das  gebe  ich  gerne  za  und  behaupte  dennoch,  daß 
man  gewöhnlich  genaue  Grenzbestimmungen  tastend  mit  absolutem 
Ausschluß  des  Gehörs  machen  kann.  ^)  Aber  in  praxi  palpiere  ich 
(unmittelbar  oder  mittelbar)  immer  labil  und  wechsle  leise  Gehörs- 
eindrücke mit  Tasteindrücken,  sie  gehören  in  der  Tat  zu^mmen 
und  ergänzen  sich;  aber  es  ist  doch  prinzipiell  wichtig,  nachzu- 
weisen, daß  die  Tasteindrücke  allein  genügen  können  ^),  ja  sie  sind 

1)  Ich  habe  solche  Demonstrationen  so  oft  nnter  Kontrolle  Ton  Kollegen 
nnd  Hörern  gemacht,  daß  ich  mich  von  jeder  Autosuggestion  frei  fühle;  ich  will 
ihre  Möglichkeit  nicht  leugnen,  aber  man  maß  bestrebt  sein  sie  aasznschließes 
nnd  kann  das  erreichen.  Bei  Gelegenheit  meines  Breslaner  Vortrags  wurde  mir 
ans  der  Universitäts-Kinderpoliklinik  freundlichst  ein  Kind  mit  Pleuraergnfi  zur 
Verfügung  gestellt,  das  ich  nur  nach  ganz  flüchtiger  Untersuchung  der  Ver- 
sammlung demonstrieren  konnte.  Ich  zeichnete  mittelstark,  leise  und  tastend 
perkutierend  das  resultierende  paravertebrale  Dämpfungsdreieck  mit  dem  Dermo- 
graphen  auf  den  Brustkorb  des  Kindes  und  traf  dann  die  Linien  genau,  lautlos 
tastend  bei  gesclüossenen  Augen  und  abgewandtem  Gesicht  und  daran  anschließend 
auch  bei  kaum  hörbarer  Tastperknssion.  Ich  gestehe,  daß  ein  solches  Experiment 
sehr  gewagt  ist.  Denn  es  bedarf  auch  bei  großer  Übung,  um  bei  lautloser  Tast- 
perkussion (Palpation)  sich  und  die  Methode  nicht  zu  kompromittieren,  großer 
Ruhe  und  vollkommener  Konzentration  und  das  sind  unsichere  Voraussetzungen 
nach  einem  längeren  Vortrage  in  einer  größeren  Versammlung.  Wäre  es  mir 
aber  nicht  gelungen,  so  hätte  ich  immerhin  nach  der  Sitzung  die  Bedingungen 
gefunden,  bei  denen  Mißlingen  ausgeschlossen  ist.  Ich  erwähnte  oben,  daß  zur 
eigenen  Kontrolle  in  zweifelhaften  Fällen  leiseste  Schallperkussion  mit  lautlosem 
Tasten  abgewechselt  werden  kann.  Ebstein  (Tastperkussion,  S.  16)  übt  neben- 
einander und  abwechselnd  die  Tast-  und  die  Schallperkussion  aus,  wenn  er  Zu- 
hörer vor  sich  hat,  die  ja  vom  lautlosen  Tasten  nichts  wahrnehmen  können;  ich 
tue  dasselbe,  überzeuge  aber  die  Zuhörer  und  anwesenden  Kollegen  von  der  Zu- 
verlässigkeit der  Methode  hauptsächlich  dadurch,  daß  die  bei  lautloser  Tastr 
perkussion  gezogenen  dermographischen  Linien  dann  bei  geschlossenen  Augen 
und  abgewandtem  Gesicht  genau  wiedergefcmden  werden. 

2)  Unter  anderem  finde  ich  diese  Tastkontrolle  äußerst  nützlich  bei  geringen 
Dämpfungserscheinungen,  welche  durch  leicht  tympanitischen  Schall  für  das  Ge- 
hör verdeckt  oder  zweifellhaft  werden  können;  ein  geübter  Untersucher  wird 
vielleicht  auch  hier,  in  verschiedener  Stärke  und  in  verschiedenen  Respirations- 
phasen perktitierend,  des  Tastgeftthls  entraten  können,  schneller  und  sicherer  aber 
kommt  man  zum  Ziele,  wenn  man  es  pflegt  und  anwendet. 

Ich  möchte  bei  dieser  Gelegenheit,  um  dem  Verdacht  der  Einseitigkeit  zn 
begegnen,  anführen,  daß  ich  mich  keineswegs  auch  bei  Kindern  auf  leiseste  Per- 
kussion und  Abtasten  bei  der  Untersuchung  der  Brostorgane  absolut  beschränke, 
auch  übe  ich  sowohl ,  mittelbare  als  unmittelbare  Tastperkussion.  Im  Verlaufe 
der  Untersuchung  muß  mit  Stärke  und  Art  der  Perkussion  gewechselt  werden, 
bald .  planmäßig,  bald  versuchsweise.  Der  beste  Klavierspieler  setzt  sich  nicht 
an  ein  fremdes  Instrument  ohne  zu  prüfen  wie  es  anschlägt,  er  spielt  es  durchs 
ehe  er  sich  produziert,  und  auch  am  eigenen  Instrument  macht  er  erst  einige 
Läufer,  um  sich  zu  prüfen.    So  ist  es  auch  gewagt  an  einzelnen  Stelleu  oft  nn- 


ParaTertebrale  Dämpfung  auf  der  gesonden  Brnstseite  bei  Pleuraergüssen.   217 

inir  zar  Kritik  und  Eontrolle  der  hörbaren  Perkussion  absolut  un- 
entbehrlich. Praktisch  —  und  auch  bei  theoretischen  Betrach- 
taogen  —  decken  sich  hörbare  und  lautlose  (tastende)  Perkussion; 
ich  denke  dabei  zunächst  an  die  Grenzempfindung^en.  In  früherer 
Zeit  erschien  es  mir  mei^wurdig,  wie  man  bei  leisester  Perkussion 
nnd  beim  perkutierenden  Abtasten  die  Erschütterungen  so  weit 
in  die  Tiefe  fortpflanzen  kann,  daß  Unterschiede  in  der  Größe  der 
Schwingungsmaße  noch  zur  Perzeption  kommen,  bis  ich  mich  ge- 
radezu empirisch,  durch  vieles  Untersuchen  gesunder  Kinder,  zur 
Anschauung  durchrang,  daß  es  sich  immer  um  die  Grenzempfin- 
dangen  des  Schalles  und  des  Tastens  handle  und  daß  die  Per- 
zeption durch  Übang  und  Konzentration  sich  steigern  läßt.  Die 
sehr  einfache  aber  treffende  Überlegung  W  e  i  1  's  —  unser  Ohr  faßt 
leichter  die  Differenz  zwischen  Nicht&.und  Etwas  auf,  also  zwischen 
mehr  oder  weniger  laut  —  welche  er  freilich  nur  zur  Stütze  seines 
Satzes  anführt^  daß  die  schwache  Perkussion  zur  Abgrenzung  luft- 
haltiger von  luftleeren  Organen,  wenn  beide  wandständig  sind^ 
den  Vorzug  verdiene.  Aber  diese  Überlegung  ist  viel  weiter 
tilgend,  wenn  man  sich  vorstellt,  daß  die  Einbuße  an  Tiefen- 
wirkung bei  der  leisen  Perkussion  aufgewogen  wird  durch  die  Be- 
schrankung der  Diffusion  in  die  Breite  und  die  Einengung  der 
Grenze  zwischen  Nichts  und  Etwas,  also  für  die  Tast-  und  Schall- 
perzeption  nur  eine  scheinbare  ist. 

Völlig  klar  wurden  mir  aber  alle  diese  Verhältnisse,  als  ich  das 
Werk  von  Karl  von  Vierordt,  welchem  ich  die  größten  An- 
regungen und  Belehrungen  verdanke,  bald  nach  seinem  Erscheinen 
zu  Gesichte  bekam;  ich  meine  sein  posthumes,  von  seinem  Sohne 
Hermann  Vierordt  herausgegebenes  Werk  über:  Die  Schall- 
nnd  Tonstärke  und  das  Schalleitungsvermögen  der  Körper,  physi- 
kalische und  physiologische  Untersuchungen.  1885.  Wie  mir  scheint, 
sind  diese  grundlegenden  Untersuchungen  noch  nicht  genügend  ver- 
wertet worden  für  die  Fragen  der  physikalischen  Untersuchungs- 
methoden, welche  akustische  Erscheinungen  zur  Grundlage  haben, 
und  ich  glaube  vielen  Lesern  meiner  Arbeit  einen  Dienst  zu  er- 
weisen, wenn  ich  einige  für  diese  Fragen  wesentliche  Sätze  hier 


genfigend  entkleideten  Patienten  ohne  weiteres  hernrnzuklopfen  nnd  für  eine 
befriedigende  Unteranchung  gewiß  nicht  zu  nmgehen,  erst  die  allgemeinen  per- 
knssorischen  nnd  palpatorischen  Verhältnisse  einer  wenn  anch  raschen  Prüfung 
zn  nnterwerfen.  Sehr  richtig  sagt  Ebstein  (Tastperknssion  p.  18):  Mit  einem 
gewigsen  Schändern  sehe  ich  es  immer  an,  wenn  jemand  mit  dem  Hammer  nnd 
dem  PJessimeter  bewaffnet,  die  Untersuchung  sofort  mit  dem  Beklopfen  beginnt. 


218  XU.  Racchfcss 

anführe.  Indem  K.  v.  V.  die  physiologische  Empfindungsschwelle 
als  erstes  Hilfsmittel  für  physiologische,  insbesondere  akustische 
Intensitätsmessungen  hinstellt,  von  den  grundlegenden  Arbeiten 
E.  H.  Weber's  und  besonders  Fechner's  bei  seinen  Unter- 
suchungen ausgehend,  stellt  er  für  das  akustische  Untersuchnngs- 
gebiet  die  Verwendung  der  Reizschwelle  als  bequemes  und 
relativ  zuverlässiges  Hilfsmittel  der  Schallstärkemessung  hin.  Der 
schwächsten  Schallempfindung  entspricht  also  ein  bestimmtes,  genau 
definierbares,  wenn  auch  vorerst  bloß  empirisches,  zu  jedweder 
wissenschaftlichen  und  praktischen  Verwendung  aber  brauchbares 
Maß.  Die  Aufmerksamkeit  kann  bei  diesen  akustischen  Experi- 
menten viel  besser  auf  die  zu  erwai-tende  minimale  Empfindmig 
konzentriert  werden,  als  das  bei  anderen  Sinnesgebieten  der  Fall 
ist;  zu  einer  guten  Beobachtung  gehört  also  immer  eine  strenge 
Konzentration  der  Aufmerksamkeit;  man  ertappt  sich  allerdings 
bei  der  Erwartung  der  Empfindung  dann  und  wann  auf  irgend 
einer  an  ihrem  Schwellenpunkt  auftauchenden  Vorstellung,  Ver- 
suche derart  sind  dann  wohl  in  der  Regel  fehlerhaft.  Was  nun 
weiter  über  Voraussetzungslosigkeit  der  Versuchsperson,  Vexier- 
versuche, Fehlerquellen,  Zahl  der  negativen  Fälle  bei  den  Ver- 
suchen folgt,  ist  ungemein  lehrreich  für  den,  der  für  die  leise 
Perkussion  und  lautlose  Tastperkussion  die  Methode  der  eben 
noch  merklichen  Empfindung  verwertet.  In  bezug  auf  die 
Auffindung  des  Schwellenwertes  geht  K.  v.  Vierordt  immer 
vom  gut  Übermerklichen  aus  und  empfiehlt,  nachdem  man 
der  Grenze  des  Ebenmerklichen  sich  genähert  und  diese  ungefShr 
bestimmt  hat,  etwas  weiter,  d.  h.  ins  Untermerkliche  zu  gehen, 
was  zur  Sicherstellung  des  Schwellen punktes  dient;  daß 
letztere  kein  Punkt  ist,  sondern  eine  gewisse  Ausdehnung  besitzt 
versteht  sich  von  selbst;  gute  Beobachtungen  reduzieren  aber  die 
„Ausdehnung"  des  Schwellenpunktes  sehr  wesentlich.  Würde  man 
mit  dem  Unter  merklichen  beginnen,  so  ist  der  Zeitaufwand 
meist  ein  größerer,  bis  die  Schwelle  erreicht  ist.  Was  K.  v.  Vier- 
ordt nun  weiter  über  die  Schwankungen  der  individuellen  akusti- 
schen Dynamie  (individueller  Schwellenwert  der  Empfindung),  dL  h. 
der  Unterschied^e,  in  der  Bestimmung  des  Schwellenwertes  an  ver- 
schiedene Personen  oder  an  denselben  zu  verschiedenen  Zeiten  und 
unter  verschiedenen  Umständen  (Ermüdungserscheinungen  u.  dgl.) 
ist  an  sich  und  auch  für  den  Kliniker  von  großem  Interesse. 

Man  könnte  nun  glauben,  so  subtile,  exakte,  rein  wissenschaft- 
liche Untersuchungen  im  Gebiete  der  Akustik,  wie  sie  K.  v.  V.  uns 


Para?ertebr&le  Dämpfung  auf  der  gesanden  Brnstseite  bei  Pleuraergfissen.    219 

ToHvInty  MUen  wenig  Beziehungen  und  kaum  einen  Wert  für  das 
relativ  grobe  akustische  Experiraent,  irelches  in  der  kliniscben 
Perkussion  enthalten  ist.  Wäre  dem  so,  so  hätte  ich  nicht  gewagt, 
soviel  ans  dem  Buche  zu  zitieren.  Ich  tat  es,  weil  mir  beim 
Stadium  des  Buches  so  manches  durch  ein  exaktes  Experiment 
klar  wurde,  was  sich  mir  empirisch  im  relativ  groben  Experiment 
am  Menschen  ergeben  hatte,  wie  z.  B.  das  Vorgehen  bei  der  Be- 
stimmung des  Schwellenwertes  durch  Ausgehen  von  Übermerklichem 
und  die  weiteren  sich  daran  knüpfenden  eben  angeführten  Eautelen 
und  vor  allem  die  Bewertung  des  Schwellenwertes  der  Empfindung, 
^er  Ebenhorbarkeit,  die  eine  sicherere  Abgrenzung  gestattet,  als  alle 
anderen  Differenzen  des  mehr  oder  weniger  lauten  Schalls. 

In  B  r  e  s  1  a  u ,  bei  Gelegenheit  der  Demonstration  des  an  Pleura- 
ergni  leidenden  Kindes,  an  dem  ich  die  Grenze  des  Dämpfungs- 
dreiecks durch  leiseste  Schallperkussion  und  lautlose  Tastperkussion 
bestimmte,  faßte  ich  meinen  Standpunkt  in  Kürze  so  zusammen: 
„Der  Widerspruch,  in  dem  die  von  mir  bevorzugte,  auf  Bestimmung 
der  Schwellenwerte  des  Ebenhörbaren  und  der  Methode  der  eben 
noch  merklichen  Empfindung  (K.  v.  Vierordt)  beruhende  leiseste 
Perkussion  und  Tastperkussion  mit  einer  solchen  Tiefenwirkung  zu 
stehen  scheint,  ist  eben  nur  ein  scheinbarer.^^ 

Die  größten  Erfolge,  welche  die  leiseste  und  die  Tastperkussion 
gezeitigt,  liegen  zweifellos  in  der  Herzperkussion,  nachdem  sie 
durch  die  von  Moritz  inaugurierte  orthodi agraphische  Methode 
eine  feste  Grundlage  erhalten.  Einen  an  eigener  Erfahrung  und 
Auffassung  reichen,  dieses  Thema  gründlich  behandelnden  Über- 
blick gibt  die  interessante  Arbeit  von  Goldscheider  über  Herz- 
perkussion (D.  m.  W.  1905,  2.  März).  G.  fand  mit  der  all  er- 
leisesten Perkussion  (eine  Bezeichnung,  die  ich  der  leisesten 
Perkussion  als  noch  prägnanter,  voi*ziehe)  die  dem  Orthodiagramm 
entsprechenden  Herzgrenzen  am  besten  und  faßt  die  Erklärung  für 
den  Wert  der  allerleisesten  Perkussion  in  den  Ausdruck  „S  ch  wellen - 
wertperkussion^  zusammen.  „Man  klopfe  so  leise,  daß  man 
über  der  ganzen  Tiefe  der  Lunge  eine  eben  merkliche  Schallwahr- 
nehmung hat  (Schwellenwert);  es  soll  Ruhe  herrschen,  sonst  per- 
kutiert  man  übermerklich.  Stärkere  Perkussion  fördert  die 
transversale  Ausbreitung  umi  trübt  den  Erfolg."  Mit  der  Bezeich- 
nung Schwellenwertperkussion  ist  in  der  Tat  das  Wesen  der  Sache 
kurz  und  bündig  ausgedrückt. 


xni. 

Aus  dem  Laboratorium  der  medizin.  Klinik  in  Göttingen. 

Stoffwechselnntersnchnngen  bei  experimenteller  Anämie. 

Von 

Dr.  Franz  Samuely, 

Assistent  der  Klinik. 

Bei  Gelegenheit  von  Untersuchungen  über  den  Gehalt  von 
Aminosäuren  im  pathologischen  Harn  hatte  ich  in  2  Fällen  von 
pemiciöser  Anämie  GlycocoU  aus  dem  Harn  in  einer  Menge  iso- 
lieren können,  die  die  Glycocollwerte  der  normalen  Harne  am  ein 
erhebliches  Überstieg.  Es  steht  die  Frage  zur  Diskussion,  ob  das 
vermehrte  Auftreten  dieser  Säure  der  Ausdruck  eines  pathologi- 
schen Prozesses  ist,  der  mit  der  fortschreitenden  Blutdestruktion 
in  direktem  Zusammenhang  steht  oder  nur  die  Teilerscheinung 
einer  allgemeinen  Stoffwechselstörung  ist.  Im  letzteren  Falle 
wäre  das  vermehrte  Auftreten,  homolog  der  Verminderung  der 
Blutelemente,  die  Folge  der  die  Anämie  erregenden  nnbekannten 
Noxe. 

Aus  der  menschlichen  Pathologie  liegen  bis  jetzt  keine  bin- 
denden Belege  vor,  die  für  die  verschiedenen  Formen  der  Anaemia 
gravis  eine  Steigerung  des  Eiweißzerfalls  und  eine  konstante  ab- 
norme Verteilung  des  Harnstickstoffs  als  Bild  einer  Stoffwechsel- 
störung feststellen.  Aminosäuren  sind  mit  Sicherheit  nur  sub  finem 
vitae  bei  perniciöser  Anämie  gefunden.  Für  die  Helminthenanämie, 
die  am  eingehendsten  von  Rosenqvist  (1)  studiert  ist,  muß  an- 
genommen werden,  daß  die  Anämie  als  solche  ohne  Richtung  auf 
den  Eiweißzerfall  ist,  und  daß,  für  den  Fall  Eiweißeinschmelzung 
erfolgte,  die  toxischen  Einflüsse  und  nicht  die  „anämischen^ 
die  Sachlage  beherrschen.  Auch  für  die  Verteilung  des  Stickstoffe 
im  Harn  ergeben  sich  aus  zahlreichen  Untersuchungen  (2)  keine 
erheblich  von  der  Norm  abweichenden  Verhältnisse. 

Trotz  dieser  wenig  ermunternden  Ergebnisse  früherer  Unter- 


Stoff wechselnntersuchuiigen  bei  experimenteller  Anämie.  221 

8ucher  schien  es  mir  wichtig,  dieser  oben  aufgeworfenen  Frage  ex- 
perimentell näher  zu  treten.  Der  Versuch  am  Tier,  das  künstlich 
anämisch  gemacht  oder  unterhalten  wird,  gestattet  eine  Beobach- 
tnng  über  lange  Zeit  und  vielleicht  ist  die  Inkonstanz  der  Befunde, 
die  sich  aus  den  Stofifwechseluntersuchungen  am  anämischen  Menschen 
ergaben,  darin  begründet,  daß  die  Objekte  zu  verschiedenen  Zeiten 
seit  dem  Bestehen  der  Krankheit  und  unter  wechselnden  Bedingungen 
beobachtet  worden  sind. 

Zur  experimentellen  Erzeugung  von  Anämien  stehen  die  ver- 
schiedensten Blut-  oder  Blutkörperchengifte  zur  Verfügung,  die 
aber  ihre  Wirkung  anscheinend  nicht  nur  auf  die  Stätten  der 
Blatbildung  und  die  morphologischen  Bestandteile  des  Blutes  be- 
schränken, sondern  allgemein  cellular  toxische  Einflüsse  ausüben. 
Nnn  haben  die  anatomischen  ITutersuchungen  über  die  morpho- 
logischen Veränderungen  des  Blutbildes  bei  pemiciösen  Anämien 
nnd  toxisch  experimentellen  Anämien  keine  restlose  Übereinstim- 
mung beider  Formen  ergeben.  Dennoch  bestehen,  wie  auch  Tall- 
qvist(3)  in  seiner  großen  Monographie  der  „experimentellen  Blut- 
giftanämien zugibt",  trotz  solcher  Verschiedenheiten,  Parallelen. 
Denn  das  Gemeinsame  beider  Anämien  ist  der  unabhängig  von  der 
Ätiologie  fortschreitende  Untergang  von  roten  Blutkörperchen. 
Bedenkt  man  ferner,  daß  die  im  Gefolge  von  schweren  Anämien 
am  Menschen  beobachteten  parenchymatösen  Organveränderungen 
(Leberverfettung,  Nierentrübung  etc.)  auch  nicht  mit  Sicherheit 
die  Folge  einer  verminderten  Blutversorgung  sind,  im  Gegenteil 
auch  für  die  kryptogenetischen  Anämien,  wie  dies  für  die  Helminthen- 
anämien  festgestellt,  eine  Toxinwirkung  höchst  wahrscheinlich  wird, 
so  ist  ein  Anknüpfungspunkt  zwischen  klinisch-  und  experimentell- 
pathologischen Zustand  nicht  zu  leugnen.  Immerhin  aber  bin  ich 
mir  wohl  bewußt,  daß  die  Resultate  dieser  Untersuchung  der  mensch- 
lichen Pathologie  nur  probeweise  zur  Seite  zu  stellen  sind. 

Natürlich  war  ich  bestrebt,  das  Bild  der  durch  Pyrodin- 
iDjektionen  erzeugten  Anämie  dem  etwa  der  pemiciösen  Anämie 
des  Menschen  möglichst  ähnlich  zu  gestalten.  Es  mußten  also  die 
klinischen  Erscheinungen  der  chronischen  Anämie  im  Vordergrund 
stehen.  Hierzu  aber  mußte  die  zur  Erzeugung  und  zur  Aufrecht- 
erhaltnng  dieses  Zustandes  notwendige  Giftdosis  quantitativ  und 
zeitlich  so  bemessen  werden,  daß  das  Gift  keinen  unmittelbaren 
und  dauernden  deletären  Einfluß  auf  die  Funktion  und  den  Bestand 
der  übrigen  Organe  ausübte.  Daß  es  gelingt,  einen  solchen  klini- 
schen Zustand  über  lange  Zeit  mit  mehr  oder  weniger  gutem  Ge- 


222  Xni.  Samubly 

lingen  aufrecht  zu  erhalten,  haben  zahlreiche  Versuche  von  Tail- 
qvist,  zuletzt  wieder  von  Sothmann  und  Mosse  (4)  n.  a. 
dargetan.  Da  ffir  die  vorliegenden  Fragen  der  Bestand  einer 
chronischen  Anämie  im  Vordergrund  des  Interesses  steht,  habe 
ich  die  Veränderungen,  die  mit  dem  Beginn  der  Anämie  und  dem 
akuten  Zerfall  von  Blutkörperchen  einhergehen,  nicht  in  den  Be- 
reich der  Stoffwechseluntersuchung  gezogen. 

Insofern  sind  diese  Versuche  auch  nicht  vergleichbar  mit  den 
von  Kolisch  und  v.  Stejskal  (5)  mitgeteilten  Stoffwechselunter- 
suchungen bei  akuter Blutphthise  oder  den  Befunden,  die  Fraenkel(6) 
nach  Pyrodinvergiftung  und  K  ü  h  n  a  u  (7)  nach  Pyrogallolinjektionen 
und  darauf  folgendem  Blutzerfall  wiedergeben. 

Fraenkel  teilt  in  einer  nur  16  Tage  dauernden  Stickstoff- 
bilanz das  Verhalten  der  Stickstoffausscheidung  nach  akuter,  bei- 
nahe foudroyanter  Pyrodinvergiftung  mit,  ohne  Berücksichtiguüg 
des  Blutbefundes.  Er  konstatierte  dabei  2  Perioden  gesteigerter 
Stickstoffausscheidung,  d.  h.  Eiweißzerfalls,  deren  erste  prompt  auf 
die  Verabreichung  der  ersten  Giftmengen  erfolgt,  um  nach  2  Tagen 
dem  früheren  N-Gleichgewicht  wieder  zu  weichen.  Der  Autor  sieht 
in  ihr  eine  auf  die  lebende  Gewebssubstanz  der  verschiedenen 
Organe  unmittelbar  ausgeübte  Giftwirkung.  Die  zweite  Periode 
des  Eiweißzerfalls  wächst  mit  steigender  Giftdosis  (2,35  g  in  9  Tagen) 
und  ist  als  Folge  der  blutdestruierenden  Einwirkung  der  Vergiftung 
anzusehen.  Obgleich  sich  bei  der  Sektion  der  Versuchstiere  keine 
Verfettung  der  parenchymatösen  großen  Drüsen  zeigte,  bezieht 
Fraenkel  den  gesteigerten  Eiweißzerfall  auf  eine  verminderte 
Sauerstoffversorgung  der  Gewebe,  bedingt  durch  den  Zerfall  der 
roten  Blutelemente. 

Ohne  auf  die  Deutung  dieser  Versuche  einzugehen,  ist  klar^ 
daß  hier  über  den  Stoffwechsel  bei  Anämie  gar  nichts  ausgesagt 
ist,  sondern  nur  ein  toxikologischer  Befund  vorliegt. 

Aus  demselben  obigen  Grund  übergehe  ich  auch  die  Arbeit 
von  S.  K  a  m  i  n  e  r  (8),  bei  der  Stickstoff bilanzen  nicht  mitgeteilt 
werden.  Über  eine  Veränderung  des  Stoffwechsels  im  Gefolge 
chronischer  experimenteller  Pyrodinanämie  berichten  andeutungs- 
weise nur  Rothmann  und  Mosse.  Mosse  (9)  fand  mikrochemisch 
in  den  Leberzellen  von  Hunden,  die  nach  3  Monate  dauernder 
Pyrodinanämie  eingegangen  waren,  gegen  Farbstoffe  eine  partielle 
Basophilie  des  Protoplasmas,  die  er  im  Sinne  einer  Säuerung  des 
Lebergewebes  deutet,  ohne  sich  über  die  Ursachen  dieser  Acidose 
auszusprechen.     Neuerdings   hat   Mosse    dieselben  histologischem 


Stoffwechaelmitersiichungen  bei  experimenteller  Anämie.  223 

Bilder  der  Leberzellen  durch  Hanger  und  Urämie  erzeugt,  so  daß 
es  fraglich  ist,  ob  die  vermeintliche  Acidose  die  Folge  einer  Säue- 
rung durch  intermediäre  Stoffwechselprodukte  oder  einer  die  Pyrodin- 
vö^iftung  begleitenden  Niereninsufficienz  ist  In  meinen  Versuchen 
war  Gelegenheit,  das  Bestehen  oder  Nichtbestehen  einer  solchen, 
etwa  „anämischen"  Acidose  chemisch  sicher  zu  stellen. 

I. 
Methodik  und  klinische  Beobachtnngen. 

Als  Versuchstiere  dienten  2  Hunde,  die  sich  schon  seit  Wochen 
im  Stickstoffgleichgewicht  befanden.    Für  die  Wahl  der  Giftdosis 
war  entscheidend :  in  kürzester  Zeit  eine  Anämie  zu  erzeugen.    Nach 
einem  Mißerfolg  habe  ich  von  der  Verabreichung  kleiner  Anfangs- 
dosen nach  dem  Vorbild  von  Rothmann  und  Mosse  abgesehen. 
Wie  diese  Autoren  und  auch  Tal  Iq  vi  st  feststellen  konnten,  be- 
darf es  bei  diesem  Vorgehen  zur  Unterhaltung  der  Anämie  später 
einer  erheblichen  Steigerung  der  Giftmengen,  die  in  solcher  Masse 
verabreicht,  die  allgemeinen  toxischen  Erscheinungen  in  dem  klini- 
schen Verhalten  der  Tiere,  und  die  geschädigte  Funktion  der  drüsigen 
Organe,  vor  allem  der  Niere,  in  den  Vordergrund  rücken.    Es  ge- 
lang mir  sehr  wohl,  durch  große  Anfangsdosen  in  kurzer  Zeit  die 
gewünschte,   schwere   Anämie    zu    erzielen,    die   sich    später   mit 
wechselnden,  aber  wesentlich  kleineren,  oft  minimalen  Dosen  auf- 
recht erhalten  ließ.    Es  scheint  bei  dem  Verhalten  der  Tiere  gegen 
Pjrrodin  ein  individuelles  Moment  mitzuspielen.  Wenigstens  scheiterte 
ich  bei  einem  dritten  Hund  mit  der  Unterhaltung  des  anämischen 
Zustandes  durch  kleinere  Dosen.    Nicht  unmöglich  ist  es,  daß  bei 
der  Schwerlöslichkeit  des  Pyrodins  in  Wasser,  je  nach  den  Be- 
dingungen eine  verschieden  große  Giftdosis  in  der  Zeiteinheit  den 
Körper  passiert.   Wenigstens  ließe  sich  so  erklären,  daß  das  klinische 
Befinden  der  Tiere  ein  außerordentlich  schwankendes  ist,  und  daß 
man  oft  beim  Übergang  zu  kleineren  Giftmengen  eine  Verschlechte- 
rung des  Allgemeinbefindens  erlebt.    Man  ist  also  in  der  Dosierung 
der  minimal  schädigenden,  aber  noch  wirksamen  Giftdosis  in  ge- 
wissem Sinn  auf  den  Zufall  angewiesen,  um  einen  Versuchshund 
in  einer  für  Stoffwechselversuche  brauchbaren  Form  zu   erhalten 
(kein  Erbrechen  und  keine  Freßunlust,  keine  Durchfälle  etc.).    Bei 
einiger  Erfahrung,  reichlicher  Kontrolle   und   vor   allem   klinisch 
sehr  guter  Beobachtung  der  Tiere,  läßt  sich  das  gewünschte  Ziel 
erreichen.    Ich  gestehe,   daß  ich,  abgesehen  von  einer  schlechten 


224 


XIII.  Samukly 


Erfahrung,  darin  vom  Glück  begünstigt  war,  insofern   die  Gift- 
empfänglichkeit beider  Hände  individuell  wenig  schwankte. 

Das  Pyrodin  (Acetyl- Phenylhydrazin)  wurde  in  wässeriger, 
leicht  erwärmter  1 — 2®/o  Lösung  jeweils  am  Morgen  nach  der 
Futteraufnahme  injiziert.  An  Tagen,  an  denen  Blutzählnngen  ge- 
macht wurden,  erst  nach  der  Zählung. 

Bei  beiden  Tieren  hatte  sich  in  der  12.  Woche  des  Yersachs  ein 
subkutaner  Absceß  gebildet,  der  nach  Inzision  ausheilte. 

Die  Blutzählungen  erfolgten  jeweils  zur  gleichen  Tageszeit 
frühmorgens  mit  den  für  die  übliche  Blutentnahme  notwendigen 
Kautelen.  Die  Untersuchung  des  Serums  auf  gelösten  Blutfarbstoff 
geschah  sporadisch  nach  der  von  Tallqvist  angegebenen  Methode. 
in  Kapillarröhrchen  unter  Befeuchtung  der  Glaswandung  mit  ge- 
rinnungshemmenden Substanzen,  um  nach  Sedimentieren  der  Blut- 
elemente, die  spektroskopische  Prüfung  vorzunehmen. 

Im  Harn  wurde  auf  Eiweiß,  Zucker,  Hämoglobin  und  Gallen- 
farbstoflfe  geprüft.  Die  Prüfung  auf  Blutfarbstoflfe  geschieht  in 
sehr  verdünnter  Lösung  durch  Überführen  des  Hämoglobins  in 
Harnchromogen  und  spektroskopische  Identifikation. 

Im  Folgenden  ist  tabellarisch  eine  Übersicht  über  das  Ter- 
halten  der  Blutelemente  und  den  Gang,  den  die  ganze  Unter- 
suchung genommen  hat,  für  Hund  I  gegeben. 

Tabelle  I. 

Hund  I.    2  V«  jähriger  gesunder  Kattler.  der  sehr  wohl  genährt  ist. 


Datum 


CO    ^ 

«'S 
> 


Anfan&^s- 

ge  wicht 

der  Woche 


rote 


weiße 


Blntkörp.  Blutkörp. 


Tabellen 
im  Text 


19  m.- 
26,111.- 

2.  IV.  - 

8.  IV.  - 
16.  IV.  - 
22.  IV.- 
29.  IV.  - 

7.  V.- 
12.  V.- 
21.  V.- 
29.   V- 

4.VI.- 

ll.VL- 

18.  VI.- 

29, 


-  25.  ni. 

-  l.IV. 

-  7.  IV. 
-16.  IV. 

-  21.  IV. 

-  28.  IV. 

-  6.  V. 
-11.  V. 
-20.  V. 
-28.  V. 

-  3.  VT. 
- 10  VI. 
- 17.  VI. 
-26.  VI. 
VI. 


I. 

II. 

III. 

IV. 

V. 

VI. 
VII. 
VIII. 

IX. 

X. 

XI. 

XII. 
XIII. 
XIV. 


22Pfd 

22 

22 

21 

21 

21 

21 

21 

21 

21 

21 

21 

21 

21 

20 


n 

n 

7) 

n 
n 
n 
n 
n 
r> 
n 
n 
n 
n 
« 


4l0gr 

370  „ 

105  „ 

320, 

270  „ 

440  „ 

470  „ 

3^0  „ 

372 

240 

180 

120 

130 

100 

320 


15 


n 


8422000 

12100 

8282000 

12  246 

6  870000 

15400 

3  962  000 

19310 

2160000 

15100 

2564000 

23000 

1412000 

17  620 

1814  000 

19  600 

3  612  000 

2110000 

2422  000 

18000 

3641000 

117000 

2  514  000 

■— 

1722000 

16200 

Exitns 

0.8 

i;6 

1,8 

0,7 

0,45 

0,85 

0,27 

0.17 

0,5 

0,7 

1,2 

0,8 

0,6 


II.  Normal 


m. 

IV. 
X.  Phenylalanin 
Vn.  Alanin. 
XI.  PheDylalanin 
IX.  GljcocoU. 

Vm.  Alanin 


Das  Gewicht  bezieht  sich  auf  die  Anfangstage  der  Woche,  die 
Zahl  der  roten  Blutkörperchen  auf  die  Endtage. 


StoffwechselnntersnchuQgen  bei  experimenteller  Anämie.  225 

Bei  Hand  II  gestalteten  sich  die  VerbUtnisse  bei  etwas  anders 
verteilten  Giftdosen  ähnlich. 

Wie  ans  der  Tabelle  ersichtlich,  ließ  sich  der  Versuch  über 
13  Wochen  ausdehnen,  d.  h.  vom  26.  März  bis  26.  Juni.  Die  eigent- 
liche chronische  Anämie  rechne  ich  vom  22.  April  ab.  Die  Ab- 
nahme der  roten  Blutkörperchen  ist  schon  in  der  dritten  Woche 
eiDe  ganz  erhebliche.  Die  Zahl  hält  sich  dann  innerhalb  geringer 
Schwankungen,  um  im  Maximum  bis  zu  3641000  wieder  zu  steigen, 
md  das  gerade  am  Ende  jener  Woche,  bei  der  die  Pyrodininjek- 
tionen  herabgesetzt  werden  mußten,  da  das  klinische  Verhalten  zur 
Vorsicht  mahnte.  Die  Zahl  der  weißen  Blutkörperchen  ist  im  Zu- 
nehmen, entsprechend  allen  älteren  Beobachtungen,  daß  sieh  bei  der 
Pyrodinanämie  eine  Leukocytose  einstellt  Der  hohe  Wert  der 
Periode  Xn  kann  vielleicht  mit  der  abscedierenden  Eiterung  in 
Znsammenhang  stehen. 

Auf  die  mikroskopischen  Befunde  des  morphologischen  Blut- 
bildes soll  hier  nicht  eingegangen  werden.  Ich  habe  alle  jene 
Bilder  beobachtet,  die  in  erschöpfender  Weise  von  Tallqvist, 
Messe,  Reckzeh  (10)  u.  a.  früher  beschrieben  sind.  Kernhaltige 
rote  Blutkörper  traten  zuerst  vereinzelt  in  Periode  IV  auf,  zuletzt 
waren  deren  konstant  3—4  im  Gesichtsfeld  zu  finden.  Desgleichen 
wurden  die  mehrkemigen  roten  Blutkörperchen  und  solche  mit 
Xemteilungsflguren  von  Periode  IX  ab  häufiger.  Es  sei  für  diese 
Frage  auf  die  Arbeiten  der  genannten  Autoren  verwiesen. 

Wie  femer  aus  Tabelle  I  ersichtlich,  nahm  der  Hund  besonders 
in  den  ersten  4  Wochen  an  Gewicht  beträchtlich  ab,  eine  Er- 
scheinung, die  mit  dem  klinischen  Bild  und  der  Stofifwechselbilanz 
im  Einklang  steht,  und  durch  die  toxische  Eiweißeinschmelzung 
und  die  akut  veränderte  Blutbeschaffenheit  erklärt  wird,  später 
finden  sich  Perioden,  in  denen  der  Hund  nur  unwesentlich  an  Ge- 
wicht verliert,  neben  solchen  absoluter  Gewichtszunahme  innerhalb 
kleiner  Zeitinterwalle. 

Klinische  Krankengeschichte. 

25.  März.     Der  Hand   ist  bei  Beginn  des  Versuches   ganz   gesund. 

26. — 30.  März.  Das  Tier  zeigt  nach  den  ersten  Injektionen  keine 
Veränderungen,  am  4.  Tag  wird  der  Urin  braun  gefärbt,  und  läßt  beim 
Stehen  ein  braunea  Sediment  fallen,  in  dem  nichts  Morphologisches  nach- 
weisbar ist.     Am  Blut  makroskopisch  keine  Verftnderungen. 

2. — 8.  April.  Es  wird  im  Urin  am  6.  April  eine  Spur  von  Blut- 
farbstoff sacbgewiesen.  Bei  einer  Zahl  der  roten  Blutkörperchen  von 
4  272000  zugleich  Spuren  von  Albumen.  Im  Wesen  des  Hundes  keine 
Veränderung. 

Oentsches  Archiv  f.  klin.  Uedizin.    89.  Bd.  15 


226  Xin.  Samuely 

6.  April.  Beginnende  Blässe  der  Schleimhäute  angedeutet.  Der 
Urin  ist  tief  braun,  etwas  dickflüssig. 

9.  April.  Im  Harn  immer  noch  Blutfarbstoff.  Albumen  hat  an 
Menge  zugenommen.  Der  Hund  beginnt  matt  zu  werden  und  liegt  viel ; 
Nahrungsaufnahme  erfolgt  aber  quantitativ. 

15.  April.  Die  Schleimhäute  sind  seit  12.  April  erheblich  abge- 
bläßt, und  zeigen  eine  grauschmutzige  Färbung,  an  den  Zahnrändern 
leichte  Blutung,  kein  Ikterus  der  Conjunctiva.     Der  Urin  ist  sehr  dick- 

^  flüssig,  tiefbraun,  reichlich  Albumen.  Hämoglobin  -{-.  Im  Blut,  in  dem 
schon  seit  6.  April  die  G-eldroUenbiidung  verlangsamt  ist,  ist  diese  jetzt 
ganz  geschwunden.  Blutkörperchen  kömig  degeneriert,  hochgradige  Pol- 
kylocytose.  Makroskopisch  ist  das  Blut  mißfarben,  braunrot,  gerinnt  nur 
langsam. 

16.  April.  Harn.  Va  %o  -^^^o^^i^*  Der  Hund  ist  sehr  matt,  und 
sehr  angegriffen,  schläft  viel,  und  frißt  die  gereichte  Nahrung  nur  sehr 
langsam. 

17.  April.  Der  Hund  immer  noch  mitgenommen,  aber  lebhafter. 
Die  Nahrung  wird  ganz  verweigert.  Die  Blässe  hat  zugenommen.  Urin 
weniger  Albumen.     Kein  Hämoglobin. 

21.  April.  Hund  ist  wieder  ganz  bei  Kräften.-  Nahrungsaufnahme 
quantitativ.     Im  Urin  ist  seit  19  kein  Albumen  mehr. 

25.  April.  Blutveränderung:  Das  typische  Bild.  Blut  sehr  hell 
und  blaß.  Kräftezustand  gut.  Nahrungsaufnahme  desgl.  Es  fallen  leichte 
Ohnmachtsanfälle  auf,  im  Anschluß  an  Aufregung.  (Nahen  des  Dieners. 
Reichen  des  Futters.)  Femer  nach  Anstreogung.  (Springen  auf  einen 
Stuhl.)  In  der  Zwischenzeit  aber  lebhaft.  Herzaktion  sehr  beschleunigt, 
aber  keine  Herzgeräusche. 

29.  April.  Extreme  Blässe  der  Schleimhäute.  Der  Hund  ist  sehr 
träge.  Nahrungsaufnahme  zögernd.  Daher  die  Nahrung  in  kleinen  Por- 
tionen über  den  Tag  verteilt.  Urin  immer  noch  braun,  aber  frei  von 
Blut.     Auf  Eiweiß  ganz  schwache  Trübung  mit  Ferrocyankali-Essigsäure. 

5.  Mai.  Der  Hund  schläft  viel,  frißt  aber  wieder  spontan.  Es  be- 
steht am  linken  Auge  eine  Conjunctivitis.     Stärkerer  Haarverlust. 

7.  Mai.  Urin  sehr  dunkel,  sirupartig.  Blutbefund  im  Lauf  der 
ganzen  Periode  unverändert. 

11.  Mai.  Der  Hund  wieder  ganz  mobil  und  lebendig.  Im  Urin 
kein  Albumen.     Der  Hund  hält  sich  in  diesem  Zustand  bis  zum  17.  MaL 

18.  Mai.  Der  Hund  verweigert  plötzlich  die  Nahrung,  ohne  objek- 
tive Anzeichen  einer  Komplikation.  Sonst  lebhaft.  Im  Urin  minimale 
Menge  von  Albumen.     Wird  daher  gewaltsam  gefüttert. 

22.  Mai.  Im  Harn  keine  Spur  von  Albumen.  Hund  frißt  wieder 
spontan,  aber  langsam,  daher  mehrere  BAtionen  p.  d. 

24.  Mai.  Wieder  spontane  Nahrungsauftiahme  auf  einmal.  Blässe 
aller  Schleimhäute  exzessiv.  Pigmentverlust  an  der  Mundschleimhaut^ 
und  Pigmentbildung  an  vorher  blassen  Stellen.     Augenhintergmnd  o.  B» 

5.  Juni.  Der  Hund  verweigert  die  Nahrung,  hat  Temperatur  von 
39,9.  Es  zeigt  sich  ein  fluktuierender,  subkutaner  Absceß  an  der  rechten 
Bückenseite,  der  tief  inzidiert  und  drainiert  wird. 


Stoff wechselimtersuchiingen  bei  experimenteller  Anämie.  227 

9.  Juni.  Der  Absceß  ist  ganz  ausgebeilt.  Der  Hund  wieder  leb- 
haft und  freßlustig.     Im  Urin  eine  Spur  Albumen,  kein  Blut. 

14.  Juni.  Der  Hund  ist  weniger  freßlustig,  wird  daber  gewaltsam 
geföttert.     Keine  Temperatursteigerung. 

17.  Juni.  Allgemeinbefinden  wie  seitber,  sebr  apathisob,  aber  frißt 
wieder  spontan.  Beim  Oeben  Nacbscbleifen  der  Hinterbeine.  Wiederholt 
wurden  auch  früber  schon  geringe  ataktiscbe  Bewegungen  beim  Laufen 
(Stolpern,  tlbereinandersetzen  der  Vorderbeine)  beobachtet. 

19.  Juni.  Erbrechen  aus  unbekannter  Ursache.  Nahrungsaufnahme 
sehr  gering.  Der  Hund  säuft  viel.  Im  Harn  Albumen  wieder  flockig 
fallbar. 

22.  Juni.  Der  Hund  verweigert  seit  20.  die  Nahrung,  bei  ge- 
waltsamer Fütterung  jedesmal  Erbrechen.  —  Das  Tier  verfallt  zusehends. 
Es  besteht  eine  Auftreibung  des  Leibes. 

24.  Juni.  Zustand  unverändert.  Das  Tier  liegt  auf  der  Seite.  Es 
besteht  Durchfall. 

26.  Juni.  Da  eine  Begeneration  ausgeschlossen  erscheint,  wird  der 
Hund  aus  der  Carotis  verblutet,  danach  sofort  die  Sektion  vorgenommen» 

Bei  Hund  II  wurde  in  den  10  Wochen  Pyrodininjektionen  aus- 
gesetzt, und  eine  Regeneration  der  Blutverbältnisse  abgewartet,  was  nach 
20  Tagen  der  Fall  war,  danach  das  Tier  in  analoger  Weise  getötet. 

Das  hier  beschriebene  klinische  Bild,  das  mit  geringen  Ab- 
weichnngen  bei  dem  Hnnd  II  sich  ähnlich  verhielt,  gleicht  dem- 
jenigen, das  Tallqvist  in  seiner  Monographie  in  zahlreichen 
Füllen  beschreibt  Entsprechend  den  großen  Giftdosen  der  An- 
fangszeit, hat  es  sich  in  den  ersten  4  Wochen  nm  eine  subakute 
Intoxikation  gehandelt,  während  in  der  Folgezeit  das  Allgemein- 
befinden des  Tieres  von  der  Vergiftung  direkt  nur  wenig  beein- 
flußt erschien.  Auch  das  Verhalten  des  Harns,  die  Hämoglobinurie 
und  die  Albuminurie  zu  Beginn ,  das  Zurücktreten  dieser  Er- 
scheinungen in  der  Folgezeit,  sprechen  durchaus  für  diese  Deutung. 
Der  für  die  Stoflfwechselperiode  gewünschte  Zustand  kann  daher 
als  Folge  der  spezifischen  Giftwirkung  auf  das  Blut,  mithin  auf 
die  chronische  Anämie  des  Organismus  bezogen  werden. 

Einer  gesonderten  Besprechung  bedarf  noch  die  Albuminurie, 
da  sie  geeignet  ist,  die  Deutung  der  Stoffwechselbefunde  als  Folge 
der  Pyrodinanämie  zu  trüben.  Nach  den  Protokollen  von  Tall- 
qvist  ist  die  Albuminurie  durchaus  keine  konstante,  oder  dauernde 
Erscheinung  der  Pyrodinvergiftung.  In  vereinzelten  Fällen  wurde 
sie  ganz  vermißt.  Mit  dem  längeren  Bestehen  der  Anämie  sehen 
wir  sie  oftmals  ganz  verschwinden.  Rothmann  und  Mosse 
machen  keine  Angaben  über  das  zeitliche  Auftreten  der  Albumin- 
urie, betonen  aber  in  ihren  Sektionsbefunden,  im  Gegensatz  zu 
Reckzeh    das   Bestehen    einer    hochgradigen    parenchymatösen 

15* 


228  ^11-    SAJttTXLT 

Nephritis  bei  Erhaltensein  der  Glomemli.  Es  scheint,  daß  für 
jenen  Fall  die  Nephritis  die  Folge  der  gerade  in  den  letzten  Wochen 
verabreichten  sehr  großen  Giftmengen  ist.  In  den  vorliegenden 
Fällen  aber  darf  wohl  den  geringen  Eiweißausscheidungen  der 
letzten  Yersuchsperioden,  die  oft  nur  eben  angedeutet  waren,  kein 
größerer  Einfluß  auf  die  intramediären  StofPwecbselprozesse  und 
Organfunktionen  zugeschrieben  werden.  Bei  dem  gelinderen  Ver- 
lauf der  Blutschädigung,  bei  der  mehr  vielleicht  die  Regeneration 
der  Blutelemente  gehemmt  und  nicht  die  bestehenden  Blutkörperchen 
zerstört  wurden,  trat  eben  die  Albuminurie  zurück.  In  der  An- 
fangsperiode ist  bei  dem  plötzlichen  massenhaften  Auftreten  von 
toxischen  Zerfallsprodukten  aus  roten  Blutkörperchen,  eine  akute 
Schädigung  der  Niere  durch  solche  Substanzen  begreiflich. 

In  dieser  ersten  Periode  beobachtete  ich  wie  Zülzer  (11)  das 
Auftreten  von  Eiweiß,  das  in  seinen  Reaktionen  an  Bence  Jones'scbe 
Albumosen  erinnerte.  Eine  sichere  Identifikation  halte  ich  aber 
nicht  für  erbracht. 

Temperatursteigerungen  wurden  mit  Ausnahme  der  einen  Pe- 
riode nie  beobachtet. 

Der  sichere  Nachweis  von  gelöstem  Blutfarbstoff  im  Serum  ist 
mir  nicht  gelungen.  Danach  scheint  es,  daß  der  Zerfall  der 
roten  Blutkörperchen  nicht  frei  in  der  Blutbahn  erfolgt,  sondern 
an  Stellen,  an  denen  das  Gewebe  den  gelösten  Blutfarbstoff  sofort 
aufnehmen  kann.  Es  ist  aber  auch  möglich,  daß  eine  chemische 
Spaltung  des  Hämoglobins  erfolgt,  etwa  unter  Herauslösung  des 
Eisens,  die  den  Hämoglobinderivaten  die  färbende  Eigenschaft 
entzieht. 

Hämoglobinurie  wurde  nur  in  den  ersten  beiden  Wochen  spo- 
radisch beobachtet. 

Der  Harn  beginnt  sehr  bald  nach  der  Vergiftung  eine  dunkel- 
braune Farbe  anzunehmen.  Diese  besteht  schon  in  dem  frisch  ent- 
nommenen Urin,  ohne  sich  bei  Eontakt  mit  dem  Luftsauerstoff 
zu  verstärken.  Es  mag  sein,  daß  diese  Farbe  von  reichlidi  an- 
gehäuften Zersetzungsprodukten,  etwa  des  Urobilins  herstammt 
Bilirubin  konnte  nicht  nachgewiesen  werden.  Da  diese  Farbe  auch 
noch  nach  dem  Aussetzen  der  Giftinjektionen  geraume  Zeit  be- 
stehen bleibt,  so  ist  eine  Beziehung  zu  der  Phenolgruppe  des  ein- 
verleibten Giftes  nicht  wahrscheinlich. 

Zucker  wurde  niemals  im  Harn  gefunden.  Dagegen  zeigte  es 
sich  im  Lauf  der  Vergiftung,  daß  der  Harn  Fehling'sche  Losung 
sofort  in  der  Kälte  grün  färbte.    Dieses  Verhalten  ist  aach   dem 


Stofifwechselnntersuchiingen  bei  experimenteller  Anämie.  229 

normaleii  HUDdeharn  eigen,  aber  nie  in  einem  Maße,  wie  dies  hier 
der  Fall  war. 

Sektionsprotokoll:  Das  subkutane  Fettpolster  ist  vermindert. 
Das  Fett  aller  viszeralen  Organe  außerordentlich  üppig  vorhanden. 

Erhebliche  Blässe  der  inneren  Organe,  des  Darmes  und  Herzmuskels. 
Die  Muskulatur  nicht  sonderlich  blaß. 

Die  Herzmuskel  blaß,  vereinzelte  subperikardiale  Blutungen  mit 
Pigmentierung  der  Nachbarschaft.  Ausgedehnte  Tigrienmg  durch  Fett- 
einlagenmg  im  Myokard  und  den  Papiliarmuskeln. 

Die  alte  Absceßhöhle  ist  ausgeheilt,  nirgends  perforiert. 

Im  Abdomen  findet  sich  trübes  Exsudat,  mit  flockigen  BeimiBchungen« 
Die  Därme  sind  in  der  Gegend  der  Ooloniasceodenz  verklebt,  mit  stellenweise 
frischen  Fibrinauflagerungen  bedeckt;  in  der  Oegend  der  rechten  Flexur  be- 
steht ein  dickes  Konvolut  von  Darmschlingen,  das  vorsichtig  gelöst  wird. 

Es  zeigt  sich  etwa  5  cm  unterhalb  der  Flexura  asoendens  ein  Schnür- 
liBgf  an  dem  die  Serosa  ringsum  gerötet  ist.  Von  diesem  Schnürring 
aufwärts,  reicht  ein  dicker,  grünlichgelber  Fibrinbelag,  der  die  Nachbardärme 
fixiert^  und  der  2  cm  etwa  nach  der  Flexur  wiederum  scharf  absetzt. 

Beim  Aufschneiden  des  Darmes  zeigt  sich  die  Mukosa  in  dem  Darm 
normal,  mit  Ausnahme  der  Stelle,  die  im  Darmlumen  genau  mit  der 
ümgrenEiing  durch  den  serösen  Fibrinbelag,  korrespondiert. 

In  den  normalen  Darmteilen  nirgends  Follikelsohwellung  oder  In** 
jektion.     Schleimhaut  nicht  atrophisch. 

Im  Bektum  und  Dickdarm  keine  Pigmentierungen  sichtbar. 

In  der  oben  beschriebenen  Begion  ist  die  Mukosa  fast  ganz  ge- 
schwunden, so  daß  die  Darmwand  zumeist  papierdttnn  erscheint.  Eine 
Perforationestelle  ist  nirgends  zu  finden.  Die  Bänder  dieser  atrophischen 
Darmwand  setzen  scharf  gegen  das  gesunde  ab,  sind  etwas  erhoben  und 
gewulstet,  am  Band  infiltriert;  die  von  außen  sichtbare  Demarkation  ist 
auch  innen  durch  einen  roten  Bing  deutlich  zu  erkennen. 

Eine  Invagination  oder  Einschnürung  ist  nicht  mehr  zu  konstatieren» 
Im  Mesenterium  an  dieser  Stelle  mißfarbige  Trübung.  Eine  Thrombose 
nirgends  an  konstatieren. 

Die  Leber  ist  weich,  sehr  vergrößert,  von  dunkel  braunroter  Farbe, 
bei  teigiger  Konsistenz.  Auf  dem  Durchschnitt  das  typische  Bild  der 
Fettleber.  Überall  an  Probeschnitten  starke  Eisenreaktion  mit  Ferro- 
cyankalL  Die  Gallenblase  mit  dicker,  zäher  Qalle  gefüllt.  Keine  In- 
jektion der  Gallenkapillaren. 

Die  Milz  ist  hochgradig  vergrößert  und  stellt  einen  bis  über  die 
Medianlinie  reichenden,  blau-schwarzen  Tumor  dar.  Gewicht  172  g. 
Länge  42  cm.  Die  Milz  ist  prall  elastisch,  auf  dem  Durchschnitt  nicht 
zerfließlich.  Deutliche  Schwellung  der  Follikel,  die  Trabekelzeichnung 
tritt  deutlich  hervor,  ebenfalls  überall  lebhafte  Hämosiderinreaktion. 

I>ie  Nieren  makroskopisch  wenig  verändert.  4 — 5  Bandinfarkte, 
die  blaB  sind,  also  älteren  Datums.  Die  Schnittfläche  ist  blaßgelb,  in 
der  Oorticalis  sind  braun  gef&rbte  Streifen  sichtbar.    Eisenreaktion  positiv. 

Die  Magenschleimhaut  erscheint  sehr  dünn. 

I>aB  Knochenmark   in   beiden  Femur   von    tief  himbeerroter  Farbe. 


230 


XUI.  Samublt 


Das  Bild  des  roten  Knochenmarks  sehr  weich  und  zerfließlich.  Die 
Spongiosa  der  Diaphysenteile  ganz  locker  und  erweicht. 

Starke  Eisenreaktion  vorhanden.  Nirgends  im  Knochenmark  graa- 
gelhe  Stellen  mehr  vorhanden. 

Blase:  keine  Cystitis. 

Bückenmark  blaß.  Makroskopisch  mit  Sicherheit  keine  Degenera- 
tionsherde festzustellen. 

Als  Todesursache  oder  causa  eines  drohenden  Exitus  bestand 
eine  Peritonitis,  vermittelt  dorch  eine  Atrophie  der  Darmwand,  mit 
sekundärer  Durchwanderung  von  Entzfindungserregem  ohne  Per- 
foration. Es  ist  wahrscheinlich,  daß  die  Atrophie  der  Mukosa  be- 
dingt war,  durch  eine  anämische  (?)  Invagination  mit  Abschnünmg 
der  blutversorgenden  Gefäße.  Anzeichen  einer  primären  Mesaraica- 
thrombose  und  sekundärer  ischämischer  Nekrose  der  Darmwand 
bestehen  nicht  mit  Sicherheit. 

Es  bleibt  aber  auch  möglich,  daß  es  sich  um  ein  anämisches, 
fortschreitendes  Ulcus  gehandelt  hat.  Nach  der  Beschaffenheit  des 
Exsudats  und  der  Fibrinauflagerung,  bestand  der  Prozeß  etwa  5  Tage. 

Anders  verhielten  sich  die  Organe  bei  dem  erholten  Hund  n, 
bei  dem  vor  allem  die  Leber  wesentlich  kleiner  war,  und  jeg- 
licher Milztumor  fehlte. 

Ich  füge  hier  als  Vergleich  die  Rohgewichte  der  frischen  fett- 
frei präparierten  Organe  bei 


Hund  I 


Hund  n  nach  RegenenUion 
des  Blutes 


Tiergewicht  am  Tage 
des  Exitus 


Tiergewicht  bei  Beginn 
des  Versuches 

22     „ 

Leber  ohne  Gallenblase 

» 

Milz 

1» 

Nieren 

« 

Herz  ohne  Vorhöfe 

n 

20  Pfd.  320  g 


20  Pfd.  112  g 


410 
-     .     703 


n 


n 


22 


115 


-     -     380 


-     -     128 


86 


70 


79 
60 
68 


IL 

StoffwechselnntersuehungeD. 

An  Hund  I  wurde  eine  systematische  N-Bilanz  durchgeführt. 
Hund  IL  der  sich  in  ähnlichen  anämischen  Verhältnissen  be- 
fand,  diente  periodisch  zu  Ergänzungs-  oder  Kontrollversuchen. 


1)  über  die  mikroskopischen  Befunde  wird  gesonderte  Mitteilung  erfolgcft- 


Stoffwechselontersnchangen  bei  experimenteller  Anämie.  231 

Methodisches :  Die  sehr  gut  genährten  Hunde  befanden  sich  in 
den  üblichen  Stoffwechselkäfigen.  Der  Harn  wurde  morgens  und 
abends  mit  dem  Katheter  entleert^  doch  war  später  der  Hund 
dressiert,  an  bestimmtem  Ort  den  Harn  spontan,  ohne  Verluste,  zu 
lassen.  An  den  Tagen  der  Fütterung  wurde  jedesmal,  bisweilen 
3  mal  katheterisiert,  eventuell  wegen  der  Dickflüssigkeit  des  Urins 
die  Blase  nachgespült  und  mit  der  Aspirationsflasche  ausgehebert. 
Eine  Cystitis  bestand  nie.  Der  Eot  wurde  nicht  abgetrennt,  sondern 
in  den  Perioden  der  spontanen  Entleerung  gesammelt,  nach  An- 
«änem .  getrocknet,  und  in  einem  aliquoten  Teil  der  Stickstoff  be- 
stimmt. 

Die  Nahrung  wurde  morgens  9  Uhr  und  mittags  4 — ^j^b  Uhr 
gereicht  Waren  Anzeichen  von  Freßunlust  vorhanden,  so  wurde 
in  wiederholten  kleinen  Partionen  gefuttert.  Weigerte  der  Hund 
ans  Gemchsabneigung  die  Aufnahme  (Periode  der  Cystin-  und 
Phenylalaningabe),  so  wurde  in  Form  von  Klößen  gewaltsam  ge- 
füttert, was  ohne  Erbrechen  gut  von  statten  ging. 

Für  beide  Hunde  bestand  die  Nahrung  aus: 

130  g  Hackfleisch,  45  g  N-freies  Fett. 
10  g  Weizenstärke,  20  g  Traubenzucker. 

Diese  Nahrung  entsprach  mit  einer  für  den  Versuch  ausreichen- 
Eonstanz  =  4,28 — 4,31  g  N.  Das  Fleisch,  das  anfangs  für  eine 
größere  Versuchsperiode  geliefert  wurde,  wurde  später  aus  der 
gleichen  Quelle  frisch  bezogen  und  war  in  seinem  N-6ehalt  von 
4,03  g  N  —  4,11  g  N  außerordentlich  gleichmäßig  zusammengesetzt. 

Die  Gesamtnahrung  entspricht  einem  Ealorienwert  von  etwa 
659,5  Kalorien,  d.  h.  pro  Kilogramm  Körpergewicht  im  Mittel 
65,9  Kalorien. 

Die  Menge  von  nur  4,28  g  Eiweiß-N  erscheint  für  einen 
solchen  Versuch  etwas  klein,  aber  nur  bei  geringer  N-Zufuhr  waren 
geringe  Tagesschwankungen  zu  erwarten,  und  so  Störungen  inter- 
mediärer Prozesse  von  jenen  wirklich  zu  unterscheiden.  Die  Ver- 
arbeitung des  Harnes  geschah  unter  peinlichst  genauen  Kautelen, 
und  unter  Bedingungen,  die  für  die  ganze  Versuchsreihe  konstant 
waren. 

Der  Harn  erhielt  durch  Znsatz  von  50  ccm  Vio  HCl  immer  die 
gleiche  Azidität  und  wurde  im  Meßgefäß  immer  auf  600  cm  genau 
aufgefüllt. 

Der  6esamt-N-Qehalt  wurde  nach  Kjeldahl  in  5  ccm  Harn 
und  Kot  bestimmt. 


232  xin.  Samüelt 

Die  NH3 -Bestimmungen  in  25  ccm  Harn  wurden  nach  der 
Krüger-Reich-Schittenhelm'sclien  (12)  Methode  in  Doppel- 
bestimmungen ausgeführt  Die  Methode  hat  mir  bei  guter  KAhlang 
der  Destillationsvorlagen  ganz  vorzflgliche  Eonstanz  der  Werte  er- 
geben. Die  Verteilung  des  Stickstoffs  in  5  ccm  Harn  wurde  nach 
der  Methode  von  Pfaundler(18)  bestimmt,  unter  strengem  Ein- 
halten der  von  Jack  seh  (14)  hervorgehobenen  Eautelen,  und  der 
von  Krüger  und  Schmidt  angeführten  Berechnungsmodifikation. 

Die  Phosphorwolframsäure  (Merck,  puriss.  crystal.)  war  stickstoff- 
frei, und  fällte  Harnstoff  nicht  in  2  ®/o  Lösung.  Da  der  Harn,  der 
unverdünnt  etwa  200 — 300  ccm  beträgt,  in  so  großer  Verdünnung 
zur  Untersuchung  kam,  fallen  die  Bedenken  einer  Ausfällung  von 
Harnstoff  durch  die  Phosphorwolframsäure  fort.  Die  zur  quanti- 
tativen Ausfällung  des  Harns  notwendige  Menge  Phosphorwolfram- 
lösung (Mischung  nach  Pfaundler's  Vorschrift)  wurde  durch 
vorheriges  Austitrieren  bestimmt.  Auf  die  Bestimmung  des  Nieder- 
schlagstickstoffes wurde  nach  anfänglicher  Kontrolle  des  Filtrat- 
Stickstoffes  später  verzichtet. 

In  den  nachfolgenden  Tabellen  ist  mit  Harnstoff  Stickstoff 
diejenige  Menge  N  bezeichnet,  die  nach  Zersetzen  des  Phosphor- 
wolframsäurefiltrates  mit  Phosphorsäure  durch  Magnesia  usta  und 
Destillation  austreibbar  ist  mit  Aminosäurestickstoff,  der 
durch  Phosphorsäure  nicht  abspaltbare  N*Rest,  berechnet  aus  der 
Differenz  des  Gesamt-N  im  Phosphorwolframsäurefiltrat  und  dem 
gefundenen  Harnstoff-N. 

Sämtliche  ßeagentien  waren  auf  N-Freiheit  geprüft.  Die  in 
allen  Tabellen  angeführten  Werte  beziehen  sich  auf  den  genau 
24  stündigen  Harn. 

Die  Bezeichnung  der  „Harnstoff"  und  „Aminosäurefraktion" 
mit  diesen  Namen  entspricht  nicht  genau  ihrer  exakten  Zusammen- 
setzung. Der  Harnstoffstickstoff  stellt  etwas  zu  große  Zahlen  dar. 
da  erfahrungsgemäß  von  der  der  Aminosäurefraktion  zugehörigen 
Oxyproteinsäure  durch  die  Behandlung  mit  Phosphorsäure  nach 
Pfaundler  bis  zu  40%  und  mehr  ihres  N-Gehaltes  abgespalten 
wird.  Über  die  Beschränkung,  die  der  Aminosäurefraktion  gebührt, 
siehe  Seite  240.  Da  hier  aber  dauernd  konstante  Bedingungen  pein- 
lichst eingehalten  wurden,  liefern  die  folgenden  Tabellen  brauchbare 
Vergleichswerte. 

Die  N-Mengen  des  Pyrodins  (12  ^/^  N)  wurden  vernachlässigt 
im  Maximum  wurden  bei  einmaliger  Injektion  nur  0,05  N  ein- 
verleibt. 


Stoffwechselnntersnchnngen  bei  experimenteller  Anämie. 


2SB 


Tabelle  11.    Periode  I. 

Der  Hvnd  I  zeigte  in  der  yoraagehenden  Normalperiode  folgende  Verteilnng  des 

N  in  24  Stunden  Harn. 

Gehalt  der  roten  Blutkörperchen  zwischen  8  422  000  nnd  8  282  000. 


«> 

« 

» 

fl 

Ol 

4.» 

Datum 

1 

kl 

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134 

st 

»'S  ' 

Ges.-N  de 
Harns 

i 

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1» 

a 

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B 

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19.  m 

600 

4.28 

3,75 

0,2131 

1 

22  Pfd.  410  gr 

20. 

n 

D 

3,96 

0,176 

— 

— 

}  106 

2,1 

n                n 

21. 

n 

n 

4,02 

0,1921 

3,3828 

0,1880 

1 

22  „    370  „ 

22. 

n 

n 

4,12 

0,1960 

3,4072 

0,1524 

] 

»                 n 

23. 
24. 

n 

:        362 

0,1823 

3,2305 

0,1638 

47  g 

0,9 

22   „    292, 

n               7) 

25. 

n 

:   3:92 

0,1786 

— 

) 

n       ~~     n 

Sa. 

— 

29,i)t> 

27,25 

— 

— 

1 
1 

3,0 

2iiPfd.3bögr 

N.-BUanz.  —  0,24  g  N. 

Die  Tabelle  zeigt,  da£  der  Hund  hinreichend  im  N-Gleich- 
gewicht  steht  und  im  Verlauf  von  7  Tagen  0,24  g  N  verloren  hat. 
In  %  des  Gesamt-N  ausgedrückt  beträgt  die  N- Verteilung  im  Mittel 
(NH8>N  =  4,6  %,  Hamstoff-N  =  86,3  %,  Aminos.-N  =  4,4  %. 
Für  den  Ammoniak  zeigt  sich  die  wiederholt,  zuletzt  von  Schitten- 
lielm  bestätigte  Konstanz  des  Faktors  100  Ges.-N  :(NH,)N,  bei 
einem  Schwanken  der  absoluten  Werte.  Dieser  Faktor  ist  ein  für 
das  Individuum  wechselnder,  der  in  den  Versuchen  von  Schitten- 
heim  bei  einem  Tier  4,27,  bei  einem  zweiten  4,69,  im  vorliegenden 
Fall  in  dieser  Periode  mit  großer  Konstanz  um  4,6  und  4,5  sich 
hält.  Die  Menge  Harnstoff  entspricht  den  für  diese  Fraktion  ge- 
fundenen Normalwerten,  und  entspricht  der  geringen  Menge  zuge- 
fthrten  Fleisches. 

Fftr  die  Werte  der  sogenannten  Aminosäurefraktion  im  nor- 
malen Hundeham  gibt  Pfaundler  Zahlen  von  2,4—4,8^0  ^^s 
Ge8.-N  an.  Im  vorliegenden  Fall  erscheint  die  Menge  etwas  groß 
im  Verhältnis  zu  der  geringen  zugeführten  N-Menge.  Die  Tages- 
BChwankungen  dieser  Fraktion  sind  angesichts  der  seit  Wochen 
schon  konstanten  Nahrung  nur  sehr  geringe. 

Im  Harn  dieser  Normalperiode  wurde  versucht,  die  aromatischen 
Substanzen  der  Oxysäuren  zu  bestimmen.  Es  gelang  nicht  aus 
den  Hamresten  der  ganzen  Woche,  die  etwa  1300  unverdünntem 
Harn  entsprach,  auch  nur  qualitativ  (Eisenchloridreaktion,  Millon- 
sche  Reaktion)  solche  Substanzen  nach  der  Isolationsmethode  von 
Baumann  zu  bestimmen. 


234  XIII.  Samuel Y 

An  AUantoin  schied  der  Hund  am  22.  März  nnr  Sparen  ans^ 
am  24.  und  25.  konnte  mit  der  Methode  von  Poduschka  (16)  eine 
Menge  von  etwa  0,0741  im  Tagesham  gefunden  werden,  jedenfalls 
nur  eine  geringe  Menge. 

In  den  folgenden  4  Wochen  des  durch  Pyrodin  hervorgerufenen 
Blutkörperchenzerfalls  unterblieb  eine  exakte  N-Bilanz,  wegen  der 
anfänglichen  Albuminurie,  der  Freßunlust  und  der  Schwierigkeit 
eines  quantitativen  Hamsammelns.  Einzelbestimmungen,  wie  die 
Gewichtskontrolle  beweisen  eine  der  akuten  Gewebs-  und  Blut- 
schädigung parallelen  Eiweißeinschmelzung. 

Datum         Ges.-N  des  Harns 


27.  März 

4,605 

28.      „ 

3,822 

3.  April 

5,861 

7.      „ 

10,203 

9.      „ 

7,961 

12.      „ 

8,330 

14.      „ 

6,017 

19.      „ 

4,726 

20.      „ 

4,195 

•  Gegen  Ende  dieser  4  Wochen  hat  der  Hund  einen  Gewichts- 
verlust von  640  g  gehabt,  bei  einem  Herabsinken  seiner  Blut- 
körperchenzahl auf  etwa  2  V2  Million.  Zu  Beginn  der  Periode  VI 
22.-28.  April  hat  sich  der  Hund  wieder  mit  seinem  Nahrungs-N 
von  4,2  g  eingestellt,  wie  die  folgende  Tabelle  zeigt. 

Für  die  Deutung  dieses  Verhaltens  liegt  die  Möglichkeit  vor. 
daß  der  Stoflfwechsel  sich  entweder  den  neuen  Verhältnissen  an- 
gepaßt hat,  und  gegen  die  Giftwirkung  resistent,  ist^  oder  aber  er 
ist  von  der  veränderten  Blutzusammensetzung,  d.  h.  von  dem  wirk- 
lichen Zustand  der  Anämie  unbeeinflußt  geblieben,  und  hat  vorher, 
den  Zerfall  der  Blutelemente  als  N-Defizit  abgesehen,  nur  unter 
der  Giftwirkung  gelitten  (s.  Tab.  HI  u.  IV). 

Die  Tabellen  lehren,  daß  sich  der  Hund  in  der  Tat  bei  der 
hochgradigen  Anämie  im  oder  um  das  N-Gleichgewicht  zu  halten 
vermag.  In  der  Periode  VI  erfolgt,  anscheinend  zusammenfallend 
mit  einer  Regeneration  von  Blutelementen  eine  Retention  von  Stick- 
stoff, die  aber  in  der  folgenden  Periode  von  einem  erheblicheren 
Defizit  abgelöst  wird.  Es  ist  aber  unmöglich  zu  entscheiden,  ob 
dieser  Stickstoffverlust  auf  gesteigerten  Zerfall  von  Körpereiweiß 
als  Folge  der  Anämie  zu  beziehen  ist. 


Stoffwechselantennchnngen  bei  experimenteller  Anämie. 


235 


Tabelle  IIL    Periode  VI. 

Hnnd  L    BlntkOrperchen  zwiachen  2160000— 2664000. 


— 

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PUl 

22.1V. 

4,28 

4,1348 

0,1920 

t 

1 

1 

\.^7 

0,61 

21  Pfd.  440  gr 

0,1 

23. 

n 

3,8520 

0,2131 

— 

— 

yooji 

»    -^  ^  » 

— 

24. 

n 

3,5414 

0,1842 

2,7980      0,2145   l 

\ 

21    „    390„ 

0,05 

26. 

yi 

3,9116 

0,2073 

3,0902   1  0,2837 

»                    » 

0,05 

26. 

D 

4,0772 ,  0,2084 

3,2057      0.2107    , 

52,8 

0.72 

21    ,    49ü„ 

0,05 

27. 

ff 

3,8116 ,     — 

m 

r 

»                     n 

0,05 

28. 

n 

3,8662       — 



* 

21    „   470, 

0,15 

Sa.! 

29.96 

27.1948 

( 

1,33 

N-Büanz  +  1,43  N. 

I 

n  %  des  Gesamt-N 

beträgt  im  Mittel  (NH,)N  =  5,21  % 

(Or)N-79,5  % 

Amino-N—   6,06  »/o 

Tabelle  IV.    Periode  Vli. 

Hund  I.    Zahl  der 

Blutkörperchen  im  Minimum  1412000. 

Datum 

1 

1 

6^ 

'     § 

1          M 

5.           § 

i   's 

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30.IV. 

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4.335 

0,2316 

1                   1 

^^     ^^     ^       VM     ^^                                                           ^^p     H^^^^^^ 

21    „    470, 

3. 

» 

4,521 

0.2641 

3,5889 

0,3526 

) 

"""     n        "~   n 

0,05 

.4. 

n 

4,996 

0;2947 

3,9802 

0.3951 

• 
1 
1 

21    „    442„ 



5. 

}) 

4,022 

0,2132 

2,3202 

0,3256 

^  f^    ^V 

£\  #%4 

n               n 

0,05 

6. 

n  . 

4,311 

0,2586 

3,3661 

0,3535 

52,0 

0,91 

21    „   390„ 

— 

Sa.  ■: 

i§;96 

30,508 

1 

1 

■ 

i   2,13 

N-Büanz.    —  2,67. 

In  %  des  Gesamt-N  im  Mittel  ergibt  sich  (NHs)N  =   5,74  ^/o 

(Ür)N  =  79,38  \ 
Amino-N  =   7,38% 

Die  weitere  Bilanz  wurde  leider  nicht  ohne  Unterbrechung, 
sondern  nur  periodenweise  durchgeführt.  FQr  die  Beurteilung  des 
6es.-N-Stoffwechsel  sind  diese  aber  ausreichend.  Da  die  späteren 
Perioden  zu  Futterungsversuchen  dienten,  sind  sie  an  d.  Ort.  an- 
geführt. Zur  Übersicht  aber  seien  jetzt  bereits  die  Mittelzahlen 
jener  Perioden  zusammengestellt,  die  sich  jeweils  aus  den  Normal- 
tagen ohne  N-Superposition  berechnen  lassen. 


236 


Xin.  SASfüBLY 


Vergleiche  hierzu  Tabelle  X,  VII,  XI,  IX,  VIII.    Danach  ergibt 

sich,  die  obigen  Tabellen  beigestellt,  für  den  Verlauf  der  Anämie 

folgende  Bilanz: 

Tabelle  V.    Hund  I. 


Datam 


o 


MitteUahlen 
aus  Harn-N  pro  die 


Bilanz 


Ge8.-Ni(NH,)N 


Nab- 


(Ami-  _-,-_„ 

(Ür)N-   Doe.)    "^     I 


& 


Gesamt  !    tM 


AntResch. 
N 


CA 


19.  IlL— 26.  m. 
22.  IV.— 27.  IV. 
30.  IV.—  6.  V. 
7.  V.— 11.  V 
12.  V.~-16.  V. 
24.  V.-28.  V. 
29.  V.—  2.  VI. 
10.  VI.-U.  VI. 


I.    3,89       0,1891   3,4182 
VI.  '3,8749  ,  0.2012  j  3.0313 


Vn.  '4,3580 
VIII. '4,4127 
IX.  4,1414 
X.    4,2279 


XL 
XIII. 


4,0255 
4,2354 


0.2522 
0.2100 
0,1875 
0.2670 
0,2557 
0,2810 


3,4133 


0,1680 
0,2463 
0,3067 


3,0895  0,2818 
3,3341   0,3182 


29.96 
29,96 
29,96 
23,10 
25.38 


3,2599 
2,9701 
3.0268 


3,0  '  30.25      -  0,24 
1,3  !  28,3248  + 1,48 
32,638    -2.67 
22,2705  +0.83 
28,4078  -2.08 
+  2,96 


2,13 
1,45 
3,1 


0,5071  23,10  3,2  26,0617 
0,5414  24,14  2,81  25,835B  - 1,29 
0,6250  25,32  3,47  28,2377 1-2.917 


Aus  diesen  Zahlen  ist  ersichtlich,  daß  entsprechend  dem  Auf- 
und  Absteigen  des  Gewichts,  entsprechend  dem  beschriebenen 
wechselnden  Verhalten  im  Allgemeinbefinden  eine  erhebliche 
Einschmelzung  von  Körpereiweiß  bei  Pyrodin-Anä- 
mie  nicht  erfolgt.  In  diesem  Punkt  herrscht  Übereinstimmung 
mit  den  Erfahrungen  der  menschlichen  Pathologie,  die  für  die 
schweren  Anämien  einen  ähnlichen  Wechsel  von  Besserung  und 
Verschlimmerung  aufweisen  kann.  Ob  derselbe  mit  Veränderungen 
der  Blutregeneration  zusammenhängt,  ist  nicht  zu  entscheiden.  Es 
geht  ferner  aus  den  Zahlen  hervor,  daß  der  anämische  Organismas 
mit  der  Minimalmenge  von  4  g  N  bei  einem  Kaloriengehalt  von 
69  Kalorien  pro  kg  Körpergewicht  seinen  Stoffbedarf  zu  decken 
vermag.  Für  den  anämischen  Menschen  ist  dieser  Minimalwert 
auf  4,02  g  N  bei  34  Kalor.  pro  kg  experimentell  bestimmt.  In 
einem  Einzelversuch  an  Hund  II  konnte  ich  femer  feststellen,  daß 
der  anämische  Hund  bei  solchen  günstigen  Perioden  der  N-Reten- 
tion  imstande  ist,  ganz  beträchtliche  N-Menge  anzusetzen. 

Bei  der  Betrachtung  der  absoluten  Werte  in  Tabelle  V  lallt 
ein  Ansteigen  der  (NH3)N-Werte  und  der  Amniosäurenfraktion  auf. 
Bei  dieser  Art  der  Berechnung  macht  es  natürlich  den  Anschein, 
als  sei  der  Zuwachs  z.  B.  der  A.-Fraktion  ein  sprungweiser,  z.  B.  von 
Periode  IX— X.  In  der  Tat  fällt,  wie  aus  dem  Krankenprotokoll 
ersichtlich,  gerade  in  die  Zeit  vom  17.  April  und  23.  Mai  eine  Ve^ 
Schummerung  des  Befindens,  in  der  sich  vermutlich  die  Änderung 


Stoffwechäelnntersnchangen  bei  experimenteller  Anämie. 


237 


der  Verhiltnisse  vollzogen  hat.  Auch  maß  diese  Art  der  Berech- 
Dang,  bei  so  knrxen  Perioden  immer  zu  spranghaften  Besaltaten 
fuhren.  Doch  sind  die  Differenzen  von  z.  B.  Periode  VE,  XI  und 
XIII  so  eklatante,  daß  an  einer  Veränderung  der  Situation  kein 
Zweifel  sein  kann. 

Die  Verhältnisse  werden  aus  folgender  Tabelle  der  Verteilung 
in  %  des  6es.-Stick8toffs  deutlicher.  Da  hier  verschieden  lange 
Perioden  vortiegeu,  da  femer  nicht  an  allen  Tagen,  an  denen  6es.-N 
bestimmt,  auch  die  N- Verteilung  bestimmt  wurde,  so  ist  das  Um- 
rechnen obiger  Mittelwerte  in  ^/o  nicht  statthaft.  In  der  folgenden 
Tabelle  ist  die  N- Verteilung  in  ^^  des  6esamt-N  so  berechnet,  daß 
diese  X- Verteilung  erst  för  jeden  Einzeltag  berechnet  wurde,  an 
denen  die  gesamte  Bestimmung  ausgeführt  war,  nnd  daraus  die 
Mittelzahlen  gewählt  wurden. 

Tabelle  VI.    Hund  I. 


Datam 

1 
1 

Periode 

•  (NH,)N 

(6r)N 

(Aminosäuren) 

N 

19. 

1 1 1      25. 

III. 

I. 

4,67  •>;„ 

'    86,3  •/„ 

1 

4,4   % 

22. 

IV.    27. 

IV. 

VI. 

5,2  */o 

79,5   •/„ 

6,06  «/o 

30. 

IV.      6. 

V. 

VII. 

5,74  »A, 

;    79,38  7o 

7,38  «'o 

7. 

V.-ll. 

V. 

VIII. 

•    80,1   o/o 

6,77  7« 

12. 

V.-16. 

V. 

IX. 

4,83% 

,    79,7   •■„ 

8,00  % 

24. 

V.-28. 

V. 

X. 

6,23  o/o 

75,22  7o 

11,87% 

29. 

V.      2. 

VI. 

XI. 

6,2  »/« 

73,8  •/„ 

13,1   % 

10. 

VL    14. 

VI. 

XIII. 

6,68  «0 

72,14  Vo 

14,45  % 

Die  Tabelle  lehrt  zunächst,  wie  aus  der  Beurteilung  der  ab- 
soluten N -Werte  kaum  Schlüsse  zu  ziehen  sind,  sondern  immer  der 
prozentuelle  Koeffizient  herangezogen  werden  muß. 

Die  Tabelle  lehrt  ferner,  daß  bei  peinlichstem  Arbeiten  und 
Einhalten  gleicher  Bedingungen,  die  Verteilungsbestimmung  nach 
Pfaundler  auch  zu  konstanten  Resultaten  ftthrt,  ohne  daß  der 
Niederscblagsstickstoff  bestimmt  wird.  Denn  die  Summe  der  hier 
bestimmten  Fraktionen  jeder  einzelnen  Periode  gibt  ein  Resultat, 
das  nur  um  1  %  i^^b  oben  und  unten  schwankt.  Aus  der  Konstanz 
dieses  Wertes  geht  auch  hervor,  daß  die  Menge  Stickstoff,  die  den 
Extraktivstoffen  und  den  Purinderivaten  angehört,  im  V  e  r  1  a  u  f  der 
chronischen  Anämie  nicht  wesentlich  verändert  ist,  wenn  dasselbe  auch 
absolut  genommen  vielleicht  durch  Eiweißspuren  etwas  groß  erscheint 

Ganz  wesentlich  verändert  hat  sich  nun  im  Verlauf  der  Anämie 


238  XIIL  Samübly 

die  prozentaelle  Verteilung  der  einzelnen  N-Fraktionen^  die  speziell 
für  die  Verminderung  des  Harnstoffes  N  und  die  Ver- 
mehrung der  Aminosäure  N  eine  ganz  eklatante  ist 

Eine  gesonderte  Besprechung  ist  hier  am  Platz. 

Im  Verlauf  des  Versuches  hat  sich  eine  Steigerung  der  ab- 
soluten und  relativen  Ammoniakmengen  eingestellt  von  4,67  %  auf 
6,68  ^/o-  Diese  Steigerung  ist  mit  Ausnahme  der  Periode  IX 
(12.  Mai  bis  16.  Mai),  in  der  ein  Rückfall  auf  im  Mittel  4,83% 
eintritt,  eine  kontinuierliche.  An  sich  ist  die  Vermehrung  der 
NHs-Ausscheidung  bei  konstanter  Nahrung  eine  geringe,  scheint  aber 
hier  für  das  Verhalten  der  intermediären  Stoffumsetzungen  nicht 
unwesentlich,  nachdem  in  jüngster  Zeit  in  einer  langen  Versuchs- 
reihe von  Schittenhelm  und  Eatzenstein  der  Parallelismns 
der  NHg-Ausscheidung  mit  der  N-Zufuhr  des  Eiweiß  oder  der  freien 
Aminosäuren  sicher  gestellt  ist. 

Es  handelt  sich  hier  also  um  eine  geringgradige,  aber  pro- 
grediente Acidosis. 

Eine  solche  Acidosis,  die  sich  in  dem  Auftreten  saurer  Pro- 
dukte und  einer  Zunahme  der  diese  Substanzen  neutralisierenden 
NHg-Ausscheidung  dokumentiert,  kann  hervorgerufen  sein  durch 
2  Prozesse.  Entweder  es  findet  eine  vermehrte  Bildung  von  sauren 
Produkten  statt,  die  dem  Organismus  Alkali  entziehen,  so  daß  nach 
Verarmung  an  fixem  Alkali  das  NH,  zur  Neutralisation  heran- 
gezogen wird.  Eine  solche  Möglichkeit  ist  nun  hier  gegeben,  in- 
sofern durch  den  reichlichen  Zerfall  roter  Blutkörperchen  das  Blut 
mit  sauren  Zerfallsprodukten  überschwemmt  wird,  die,  wie  Kraus 
auch  nachgewiesen  hat,  den  Abbauprodukten  (17)  des  den  Blut- 
körperchen entstammenden  Lecithins  angehören.  Bei  der  Pyrodin- 
intoxikation  dürfte  die  Menge  solcher  Körper  keine  geringe  sein, 
sie  findet  aber  in  dem  hohen  Koeffizienten  von  N  :  P2O5,  d.  h.  einer 
erwarteten  Zunahme  der  Phosphorsäure,  im  Harn  keinen  Ausdruck. 
Vergleiche  hierzu  Tabelle. 

Diese  Voraussetzung  zutreffend,  müßte  der  Alkaliverlust  durch 
Übersäuerung  und  die  Nutzbarmachung  des  Ammoniaks  als  Sättigungs- 
mittel, mit  den  Zeiten  des  größten  Blutzerfalls  zusammentreffen. 
Es  mag  sein,  daß  diese  postulierte  NUg-Zunahme  in  den  ersten 
4  Wochen  der  akuten  Intoxikationsanämie  stattgehabt  hat.  Hier 
liegen  bei  der  chronischen  Anämie  für  obige  Deutung  keine 
Anhaltspunkte  vor,  da  auch  bei  vorübergehender  Zunahme  der 
roten  Blutkörperchen  eine  fortdauernde  Steigerung  der  relativen 
NHg-Werte  erfolgt. 


StoffwechselnntersuchiiDgen  bei  experimenteller  Anämie.  239 

Viel  wahrscheinlicher  ist  es,  daß  es  sich  hier  um  eine  Säuerung 
bandelt,  die  mit  dem  intermediären  Eiweißstoffwechsel  in  Znsammen- 
hang steht,  oder  bedingt  ist  durch  eine  partielle  Schädigung  des 
Leberparenchyms.  Bekanntlich  entstehen  beim  Zerfall  von  Organ- 
gewebe (Autolyse,  Leberatrophie)  organische  und  anorganische 
Säaren,  die  durch  das  Ammoniak  an  Ort  und  Stelle  neutralisiert 
werden  können,  das  gerade  von  den  Leberzellen  aus  den  zuge- 
fahrten  Aminosäuren  oder  Proteinsubstanzen  durch  Desamidierung 
in  Freiheit  gesetzt  wird.  Nachdem  nun  Mosse  in  der  Leber 
mikroskopisch-histologisch  eine  solche  partielle  Säuerung  aus  der 
Basophüie  des  Protoplasmas  bei  Pyrodintieren  konstatiert  hat,  steht 
dieser  Deutung  der  chemisch  festgestellten  Acidosis  keine  große 
Schwierigkeit  gegenüber. 

Trotzdem  ist  noch  eine  dritte  Möglichkeit  zu  bedenken,  auf 
die  Schittenhelm  (18)  hingewiesen  hat.  Der  Autor  ist  der 
Meinung,  daß  auch  die  der  Leber  zugeführten  Abbauprodukte  der 
Proteine,  speziell  die  Aminosäuren,  nach  Verlust  ihrer  NH^-Gerippe, 
intermediär  saure  Eigenschaften  entfalten  können,  und  so  eine 
reaktive  NHg-Steigerung  bewirken.  Intermediär  in  diesem  Sinne 
wäre  die  Zwischenstufe  beim  Übergang  der  Aminosäure  in  Harnstoff. 

Übertragen  wir  diese  letzte  Betrachtung  auf  den  vorliegenden 
Fall,  so  wäre  eine  Verminderung  der  Hamstoffmengen  zu  erwarten 
in  dem  Maße,  als  ein  Teil  des  den  Aminosäuren  entstammenden 
NHj  der  Oxydation  zu  Harnstoff  entgangen  ist. 

Diese  Verminderung  ist  in  der  Tat  der  Fall  aber  in  einem  so 
extremen  Maße,  daß  die  Abnahme  der  Harnstoffwerte  in  keinem 
Verhältnis  steht  zur  NHg-Zunahme.  Bei  späteren  (siehe  S.  242) 
Fütterungsversuchen  mit  Aminosäuren  in  den  verschiedenen  Peri- 
oden der  Anämie  aber  zeigte  sich,  daß  der  Ammoniakkoeffizient 
100  N :  (NH8)N  an  den  Fütterungstagen  mit  dem  Wert  der  jeweiligen 
Vorperiode  konstant  blieb,  und  zwar  so,  daß  z.  B.  in  Perioden  mit 
Ges.-N :  (NH8)N  =  5,54  oder  6,23,  nach  N-Zulage  in  Form  von 
Aminosäuren  diese  Werte  Ges.-N :  (NH3)N  =  5,5  bzw.  6,6  betrugen. 
Es  ist  also  anscheinend  eine  Beziehung  zwischen  dieser  Acidose 
nnd  einem  gestörten  intermediären  Abbau  der  Aminosäuren  im  Sinne 
Schittenhelm 's  nicht  von  der  Hand  zu  weisen. 

Noch  schwieriger  wird  die  Deutung  der  für  (Ür)N  und 
(AminoS.)N  in  Tabelle  VI  gegebenen  Zahlen.  Hier  ist  eine  fort- 
schreitende Verschiebung  zugunsten  der  Aminosäurefraktion  un- 
zweideutig, indem  dieser  Wert  von  4,4  ®/o  auf  14,45  ®/o  ansteigt, 
indes  der  Harnstoffwert  bis  auf  72  %  herabsinkt.    Die  Verschiebung 


240  XIU.  Samitbly 

der  N- Verteilung  erinnert  hier  durchaas  an  die  Eiiahrungen  aus  der 
menschlichen  Pathologie.  Ähnliche  Veränderungen  zugunsten  der 
Aminosäurefraktion  wurden  beobachtet  von  Pfaundler,  Sjöquist, 
V.  Jacksch,  Münzer  (19)  und  vielen  anderen  bei  Phosphorvergif- 
tungen. (Pfaundler  sah  bei  Phosphorvergiftung  z.  B.  die  Amino- 
aäurenfraktion  von  2,26—4,36  auf  5,13 — 7,01  %  ansteigen)  und  solehen 
Veränderungen,  die  eine  Schädigung  der  Leber  nach  sich  ziehen. 

Bei  verschiedenen  Formen  von  Anämien  kann  ich  bei  Darcb- 
sieht  der  Literatur  keine  wesentliche  Steigerung  der  sog.  Amino- 
Säurefraktion  finden.  Die  Werte  liegen  nach  Untersuchungen  von 
V.  Jacksch (20),  Taylor  (21)  undHalpern(22)  um  2,28%— 27,4%, 
während  als  Normal  werte  nach  Pfaundler  und  Krüger  und 
Schmidt  2,5—4,6-6,0%  gelten  müssen.  Beine  Aminosäuren, 
Tyrosin  und  Leucin,  als  solche  identifiziert,  wurden  nur  sub  finem 
vitae  gefunden  (v.  Noorden  (23),  Laache  (24))  (für  den  Harn- 
stoff bei  schweren  Anämien  des  Menschen  wurden  Werte  von 
normalen  Größen  gefunden).  Den  niedersten  Wert  teilt  v.  N  oorden 
mit  67,9—74,0  %  des  6es.-N,  und  dies  bei  zwei  fortgeschrittenen, 
durch  Ödeme  komplizierten  Fällen. 

Daß  bei  meiner  eiperimentellen  toxischen  Anämie  die  erheb- 
liche Steigerung  der  (A.-)  Fraktion  und  das  Sinken  der  (Ür-)  Fraktion, 
etwa,  ähnlich  den  extremen  Fällen  von  v.  N  o  o  r  d  e  n ,  ein  Ausdruck 
«iner  bestehenden  Inanition  oder  prämortaler  Prozesse  ist,  er- 
scheint wir  unwahrscheinlich.  Dagegen  spricht  das  schon  von  der 
6.  Woche  ab  erkennbare  Fortschreiten  des  Prozesses,  und  fenier 
die  rückschrittliche  Veränderung  zur  Norm  nach  dem  Aussetzen 
der  Intoxikation  und  dem  Einsetzen  der  Blutregeneration  (Versach 
an  Hund  III).  Die  Verhältnisse  aber  nach  Analogie  der  Phosphor- 
vergiftung zu  deuten,  dazu  liegt  keine  Veranlassung  vor. 

Zur  Entscheidung  der  Frage  fragt  es  sich  nun,  welche  Sub- 
fttanzen  bedingen  diesen  Zuwachs  der  A.-Fraktion?  Bekanntlich 
gehören  dieser  Fraktion  die  durch  Phosphorwolframsäure  in  großer 
Verdünnung  nicht  fällbaren,  und  durch  P^Os  nicht  zei'setzliehen 
Substanzen  an :  i.  w.  Hippursäure,  Kreatin,  Indoxyl,  Allantoin,  Oxy- 
proteinsäure  und  Monoaminosäuren.  In  diesem  Gemisch  kann  z.  B. 
die  Hippursäure  an  Menge  die  erste  Stelle  einnehmen. 

Welche  dieser  Substanzen  kann  bei  dem  Pyrodintier  für  den 
Zuwachs  der  A.-Fraktion  verantworlich  gemacht  werden? 

Obgleich  ich  auf  eine  Zunahme  der  Hippursäure  nicht 
geprüft  habe,  erscheint  mir  diese  Möglichkeit  unwahrscheinlich. 
Man  müßte  dazu  ein  Entstehen  aromatischer  Substanzen  in  groier 


Stoffwechselnntersnchnngen  bei  experimenteller  Anämie.  241 

MeDge  voraussetzen,  die  zu  Benzoesäure  oxydiert,  sich  mit  Olycocoll 
paaren.  Die  Einschmelzung  größerer  Eiweifimengen  als  Quelle  des 
aromatischen  Paarlings  ist  nicht  durch  einen  im  N-8toffwechsel  er- 
kenntlichen Eiweißzerfall  begründet  und  zu  einer  Vermehrung  des 
Aminosäure  N  von  0,3  auf,  0,5  und  0,6  pro  die  auf  Kosten  von 
Hippursäure,  bedürfte  es  einer  erheblichen  Menge  Hippursäure. 
Immerhin  bedarf  die  Frage  einer  Nachprüfung. 

Eine  Zunahme  des  Allantoins  kommt  nicht  in  Betracht,  da 
dasselbe  nach  Schöndorff  (25),  wie  ich  mich  überzeugt  habe, 
beim  Erhitzen  mit  Pbosphorsäure  seinen  Stickstoff  quantitativ  als 
NHg  abgibt.  Insofern  sind  die  Zahlen  für  (Ür)N  noch  zu  groß. 
Doch  konnte  ich  mit  der  Methode  von  Poduschka  keine  Ver- 
Yermehrung  des  Allantoins  in  späten  Perioden  finden. 

Die  Bestimmung  geschah  im  Hinblick  auf  die  Mitteilung  von 
Pohl  (26),  der  nach  Hydrazinsulfatintoxikationen  eine  ganz  erheb- 
liche Steigerung  von  Allantoin  im  Hundeharn  fand  und  in  dieser 
Vergiftung  eine  ganz  spezifische  Stoffwechselstörung  der  Leber 
annimmt. 

Somit  bleiben  für  die  Betrachtung  die  Monoaminosänren  und 
die  denselben  nahe  verwandte  Oxyproteinsäure,  die  nach  der  Arbeit 
von  Abderhalden  und  Pregl(27)  vermutlich  identisch  ist  mit 
dem  von  ihnen  beschriebenen  kolloidalen  Körper,  der  sich  durch 
Säurehydrolyse  noch  in  zahlreiche  Monoaminsäuren  spalten  ließ. 

Ausgehend  von  der  eingangs  mitgeteilten  reichlichen  Ausbeute 
von  GlycocoU  aus  dem  Harn  einer  perniciösen  Anämie,  wurde  der 
Harn  beider  Pyrodintiere,  in  großen  Mengen  nach  der  Methode 
von  Fischer  und  Bergeil,  auch  mit  der  Modifikation  von 
Embden  (starke  Alkalescenz  der  Schüttelmischung)  mit  Naph- 
Ibalinsulfochlorid  in  ßeaktion  gebracht.  Es  ist  mir  nie  gelungen, 
aus  den  geringen'  Mengen  amorphen  Rohprodukts  die  Gegenwart 
einer  freien  oder  aus  unbekannter  Bindung  gelösten  Aminosäure 
mit  Sicherheit  festzustellen.^) 

Ebenso  blieb  der  Versuch  erfolglos,  als  dem  Hund  II  in  der 
7.  Woche  der  chronischen  Anämie  1  kg  Pferdefleisch  gegeben  war, 


1)  In  einer  während  der  Drncklegnng  dieses  erschienenen  Arbeit  von  E.  Reiß, 
Hofmeister's  Beiträge  VIII  8—10  332,  die  nnter  Leitung  von  Embden  ausgeführt 
ist,  spricht  der  Verfasser  die  ans  normalem  Handeharn,  nach  Fischer,  Bergell, 
Embden,  isolierten  Rohprodukte  der  Naphthalinsulfone  als  Aminosäuren  Verbindung 
^n.  Ich  kann  dieser  Auffassung,  auch  hier  in  der  Deutung  meiner  Befunde  am 
Pyrodinhund,  nicht  beitreten,  solange  die  Identifikation  von  Aminosäuren  in  diesen 
Rohsubstanzen  nicht  erbracht  ist. 

Deatsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    89.  Bd.  16 


242  XIII.  Samüely 

in  der  Erwartung,  etwa  durch  große  Proteinzufuhr  eine  alimentäre 
„Acidaminurie"  zu  erreichen. 

Es  bleibt  also  unbestimmt,  ob  bei  der  Pyrodinanämie  wirklich 
in  Analogie  der  Phosphorvergiftung  oder  der  progressen  mensch- 
lichen Anämien,  Aminosäuren  nnoxydiert  in  den  Harn  übergehen, 
also  auch  nnoxydiert  im  Blute  kreisen. 

Die  gefundenen  niederen  Werte  des  Hamstoff-N  ließen  sich 
allein  aus  der  Acidosis  nicht  erklären.  Sie  von  einer  vermin- 
derten Oxydationskraft  der  Leber  auf  die  tiefsten 
Eiweißabbauprodukte  abzuleiten,  verbietet  der  negative  Be- 
fund einer  Aminosäurenausscheidung  im  Harn.  Dieser  indirekte 
Schluß  ließ  sich  experimentell  durch  Fütterung  mit  Aminosäuren 
in  einen  direkten  Beweis  verwandeln. 

m. 

Fütterung  von  Aminosäaren  in  verschiedenen  Perioden. 

In  den  verschiedenen  Perioden  wurde  zu  dem  Nahrungstick- 
stofF  N  in  Form  von  i-Alanin,  Glycocoll  und  i-Phenyl- 
alanin  superponiert 

Bekanntlich  geben  bei  der  Verfutterung  inaktiver  Aminosäuren 
Teile  derselben  in  den  Harn  über,  u.  zw.  scheidet  der  Organismus 
die  rechtsdrehende  Komponente  des  Racems  im  Harn  aus,  indes  die 
linksdrehende  als  körpereigen  und  der  natürlichen  Form  im  Körper- 
eiweiß adäquat,  assimiliert  oder  oxydiert  wird.  Diese  Selektion 
geschieht  beim  Kaninchenorganismus  annähernd  quantitativ  (Wohl- 
gemut h  (28)),  indes  für  Hund  und  Mensch  durch  zahlreiche  Ver- 
suche festgestellt  ist  (Nencki  (29),  Salkowski  (30),  Abder- 
halden (31),  Stolte(32),  R  Hirsch  (33),  Embden(34),  Reese 
und  Plaut  (35),  Sc  bitten  heim  (36)),  daß  nur  geringe  Anteile 
der  körperfremden  optischen  Form  ausgeschieden  werden. 

Die  Bedingungen  dieser  Erscheinung,  die  Momente,  die  die 
quantitativen  Fragen  des  Übergangs  der  Säuren  in  den  Harn  be- 
herrschen, sind  noch  nicht  eindeutig  festgestellt.  Die  Ansicht  von 
R  Hirsch,  daß  der  Übertritt  der  Aminosäuren  eine  ausschließ- 
liche Eigenschaft  des  Hungertieres  sei,  ist  widerlegt  (Plaut  und 
Reese,  Schittenhelm),  inwieweit  aber  Ernährungszustände  die 
Erscheinung  beeinflussen,  ist  noch  nicht  geklärt.  Da  femer  die 
Methode  der  Aminosäurenisolation  nach  Fischer  und  Bergeil (37) 
keine  quantitative  ist,  sondern  nur  Annäherungswerte  gibt,  so  ist 
auch  ein  Urteil  über  die  Momente,  die  die  Menge  der  \vieder- 
erscheinenden  Säure  bestimmen,  schwierig.    Soviel  steht  aber  fest 


Stoifwechseinntersuchitngen  bei  experimenteller  Anämie. 


243 


neben  individuellen  Bedingungen  die  Menge  der  ausgeschie- 
denen Säure  eine  Funktion  der  zugefiihrten  Menge  ist,  daß  wir  es 
in  gewissem  Sinne  beim  Normalen  nur  mit  einer  alimentären  ,,Acid- 
aminnrie''  zu  tun  haben.  Es  ist  also  wahrscheinlich,  daß  es  auch 
hier  eine  „Assimilationsgrenze"  für  die  Verwandlung  der  einge- 
führten Substanz  in  Harnstoff  gibt,  und  daß  diese  unter  patho- 
logischen Bedingungen  nach  unten  verschoben  sein  kann.  Ver- 
wertbar für  die  Entscheidung  einer  verminderten  Oxydation,  wie 
sie  beim  Diabetes  für  den  Zucker  besteht  und  hier  beim  Pyrodin- 
tier,  entsprechend  der  Zunahme  der  sog.  Aminosäurefraktion,  für 
Ammosäuren  vorderhand  wahrscheinlich  ist,  sind  nur  große  Inkre- 
meDte  der  Aminosäuren  im  Harn,  nach  Eingabe  der  maximalen 
Mengen,  die  der  Normale  noch  eben  bewältigen  kann. 

Das  Kriterium  far  die  aufgeworfene  Frage  ist  das  Verhalten 
des  NHg  und  vor  allem  des  Harnstoffs  nach  Einverleibung  der 
Aminosäure,  nachdem  durch  zahlreiche  Arbeiten  (Nencky,  Sal- 
kowski,  Stolte,  Abderhalden  (38)  und  seine  Schüler)  der 
nahezu  quantitative  Übergang  von  Aminosäuren-N  in  Hamstoff-N 
festgestellt  ist. 

Eine  ausfuhliche  Besprechung  der  früheren  Arbeiten  zur  Frage 
des  Übergangs  von  Aminosäuren  in  den  Harn,  bei  denen  der  Nach- 
weis solcher  Säuren  nicht  direkt  durch  Identifikation,  sondern  durch 
Zunahme  der  Aminosäurenfraktion  gebracht  wurde,  findet  sich  bei 
Ignatowski,  Zeitschr.  f.  physioL  Chemie  4237,  auf  die  der  Kürze 
halber  hier  hingewiesen  sei. 


Tabelle  VH.    Periode  IX. 

Hund  I.    Zulage  von  i- Alanin.   Rote  Blutkörperchen  im  Maximum  3612000. 


s 
2 

5 

t 

a 
a 

5^ 

M 

& 

M 
*& 

? 

a 

Kotmenge 

N 

Gewicht 

r 

s 

Pyrodin 

12.  V. 

13. 

14. 

15. 

16. 

4,28 

8,20 
4,28 

4,1002 
4,2860 
7,6971 
4,3124 
4,0121 

0,1793 
0,2020 
0,3748 
0,1854 
0,1923 

1 

3,2826,  0,3185 
3,4718  0,3021 
6,2616  0,7035 
3,3637'  0,5114 
3,2498  0,3342 

]  45,0  0,64 

109  2,46 
) 

Pfd.  g 
21  375 

21  310 

25,0  i- Alanin 
=  3,92g  N 

0,02 
0,02 

0,1 
0,05 

Sa. 

25,32 

24,3078 

3,10 

1 

Bilanz:  —  2,08. 
16* 


244 


Xni.  Samuklt 


Tabelle  Vni.    Periode  XHI. 

Hnud  I.  Zulage  Ton  i-  Alanin.   Zahl  der  roten  BlntkOrperchen  im  Maxim.  2514O00L 


» 

5z; 

49 

b€ 

s 

0 

«s 

& 

0 
P 

o5^ 

Ä 

§ 
^ 

1 

0 

1      « 

O 

o 

0 

B 

4) 

(3 

••• 

1 

1 

Pfd.   g 

10.  VI. 

4,28 

4,0632  0,2720 

2,9262 

0,6602 

' 

21    30 

0.1 

11. 
J2. 

ak) 

4,2632 
7,8260 

0,2647 
0,4213 

3,0697 
5,8695 

0,6405 
0.9564 

94,0  1,82 

21  110 

25,0i-A]ani]i 

0.1 

13. 

4;28 

4,6231 

0.3121 

3,2368 

0,7122 

14. 

11 

3,9922 

0,2753 

2,8745 

0,5446 

\66    im 

21    75 

0.S 

15. 

»' 

(4,2120) 

1 

— 

-    1/"'     "'  " 

0,3 

Sa. 

25,3^ 

24,7677 

3,47 

BUanz:  —  2,9177. 

Tabelle  IX.    Periode  XL 

iHund  I.    Zulage  von  Olycocoll.    Bote  Blutkörperchen  im  Hinimon  2614000. 


^4 

^. 

d) 

s 

0 

'S 

5?; 

Harn 
Ges  -N 

Ä 

g 
Ä 

'TT       1        0 

-    !    1 

Kotmeng 

N 

•g 

a> 

Bemer- 
kung 

1 

1                           1 

1 

Pfd.    g 

29.  V.    4,28 !  3,9832   0,2549  2,9054 

0,5178 

1  44  0,6 

21   180 

0.1 

30.            „     1  4,0966   0,2745  3,0485 

0,5273 

21   210 

0,05 

31. 

8,02  I  7,5250  0.4668  6,1952 

0,5417 

J  92   2,21 

20,0  Glycocoll 

l.IV. 

4,28    4,1200  0,2595  3.0405 

0,5726 

-  3,74  g  N  0,1 

2.       1     „       3,9005  1  0,2340  2,8860 

0,5382 

20  138 

0,1 

Sa. 

25,14 

23,6253 

2,81 

Bilanz :  —  1,29. 


In  Vo 


des  Ges.-N  für  die  3  Perioden  aus  den  Mittelwerten  der 
Normalperioden  und  dem  Fntterungstag  ergibt  sich: 


Tabelle  VII. 


Tabelle  Vin.       Tabelle  IX. 


Alanin 

Alanin 

Glycocoll 

%  des  Ges.-N 

Normal 

Fütterung 

Normal     Fütterung 

Kormal 

Fattermisr 

(Ür)N 

(NH8)N 

(Amino)N 

79,7 

4,8 
8,0 

79,0 
4,9 
9,6 

72,14 

6,68 
14,45 

76,1 

5,9 

12,0 

73,8 
6,22 
13,1 

81,0 
6,0 
7.2 

4 

Ein  Vergleich  der  Zahlen  lehrt: 

1.  Die  Menge  des  ausgeschiedenen  „Aminosäuren- 
Stickstoffs    ist    nicht   proportional    der   zugeführten 


Stoffwechselantersuchungen  bei  experimenteiler  Anämie.  245« 

solaten  N-Menge   in   den  verschiedenen  Periodeni 
der  Anämie, 

d.  h.  nicht  die  absolute  N-Menge,  sondern  die 
Form,  in  der  das  superponierte  N  gegeben  wird, 
beherrscht  diese  Ä-Fraktionsgröße. 

2.  Der  Quotient  (NH,)N  in  %  des  Gesamt-N  bleibt 
in  der  jeweiligen  Periode  der  N-Menge  der  Nahrung 
annähernd  proportional,  einerlei,  ob  die  N-Zulage 
als  Aminosäure  erfolgt, 

d.h.  die  Acidosis,  anch  in  dem  fortgeschrittenen 
Stadium  der  N-Alteration,  ist  in  der  Tat  ab- 
hängig von  dem  als  freie  Aminosäuren  ein- 
gegebenen  Stickstoff. 

3.  Der  Harnstoff-N  steigt  mit  der  Zufuhr  von 
Aminosäuren-N  in  den  verschiedenen  Perioden  der 
Anämie  und  ihrer  abnormen  N-Verteilung  so  an,  wie 
beim  Normaltier, 

d.  h.  der  anämische  Organismus  hat  eine  unver- 
änderte Fähigkeit,  freie  Aminosäuren  in  Harn- 
stoff zu  verwandeln. 

4.  Der  anämische  Organismus  hat  keine  vermin- 
derte Assimilationsfähigkeit  für  die  rechtsdrehende 
Form  der  verabreichten  inaktiven  Aminosäure. 

Wesentlich  deutlicher  werden  die  Verhältnisse  zur  Detaillierung 
von  Punkt  3,  wenn  man  die  folgende  Berechnung  durchführt,  Diesfr 
hat  natürlich  nur  orientierenden  Wert,  keinen  absoluten,  da  die 
Tagesschwankungen  der  N- Ausscheidung  unberücksichtigt  bleiben. 

Berechnet  man  den  Zuwachs  aller  N-Fraktionen  vom  voran- 
gehenden Normaltag  zum  Fütterungtag,  und  rechnet  den  N-6ehalt 
in  Alanin  um,  so  ergibt  sich  etwa: 

für  Tabelle  VII. 

1.  Zuwachs  der  Nahrungs-N  «=  3,92    N  entspricht  25,0  g  Alanin. 

2.  „  desGes.-N  =  3,3111  „ 

3.  „           „    UrN  =  2,7898  „  „  19,3  »  n 

4.  „          ,   (NH3)N  =  0,1728  „  „  1,1  „  „ 

5.  „          „    (Amino)N  =  0,4014  „  „  2,5  „  „ 


Summa   22,9  g  Alanin. 

Aus   der  Differenz  von  1  und  2  =  0,61  N   ergibt  sich,  die 
folgenden  Tage  und  Tagesschwanknngen  außer  acht  gelassen,  eine 


246  XIII.  Samübly 

Menge  von  4,0  Alanin,  die  erst  später  oder  überhaupt  nicht  in  den 
Stoffwechsel  eingetreten  ist, 

für  Tabelle  Vm. 
1.  Zuwachs  der  Nahrungs-N  =  3,92    N  entspricht  25,0  g  Alanin. 


2. 

n 

des  Ges.-N 

—  3,4628  „ 

3. 

n 

„   (Ür)N 

—  2,7998  „ 

n 

17,7« 

r. 

4. 

n 

„   (NH,)N 

—  0,1566  „ 

n 

1,0  „ 

V 

5. 

V 

„   (Amino)N 

—  0,3878  „ 

11 

2,5  „ 

n 

Summa   21,2  g  Alanin. 

Aus  der  Differenz  von  1.  und  2.  =  0,46  N  =  1,9  Alanin. 

Die  Übereinstimmung  beider,  in  ihrer  N- Verteilung  sonst 
verschiedenen  Perioden,  ist  der  einverleibten  Aminosäure  gegen- 
über eine  vollkommene.  In  Tabelle  YITL  ist  nur  die  Ausnutzung 
vom  Darm  aus  eine  verminderte.  Nimmt  man  nun  dies  isolierte 
Yerbalten  gegen  die  Aminosäure  für  sich  heraus,  nimmt  man  etwa 
an,  daß  der  anämische  Organismus  in  den  verschiedenen  progressiven 
Zuständen  seiner  toxischen  Anämie  nur  mit  Aminosäuren,  z.  B. 
dem  Alanin  als  N-Quelle,  ernährt  sei,  so  ist,  wenn  man  die  obigen 
absoluten  Verteilungswerte  des  Zuwachsstickstoffs  in  ^o  umrechnet, 
bei  beiden  Perioden  ein  Verhalten  der  Stickstoffverteilung  zu  kon- 
statieren, das  in  seinen  (NH8)N-  und  (Ür)N- Werten  dem  des  nor- 
malen Tieres  gleichkommt. 

Ges.-N    (NHg)N     (tJr)N    (Amino-S.)N. 
Periode  IX.    Tabelle  VIII.    100%       4,5%         80,5  11,5% 

„      Xin.  „  IX.        „  4,7%         84,5  10,0% 

So  sehr  diese  Berechnungen  nur  ganz  approximativ  und  fehler- 
haft sind,  so  sind  sie  doch  geeignet,  die  Entscheidung  über  die 
Frage:  liegt  bei  dieser  fortgeschrittenen  Pyrodinanämie  eine  ver- 
minderte Harnstoff bildung  auf  Kosten  von  Aminosäuren  vor, 
im  negativen  Sinn  mit  zu  entscheiden. 

Was  hier  für  2  Amniosäuren  experimentell  erwiesen  ist,  dürfte 
für  die  Mehrzahl  der  Mono-Aminosäuren  gelten.  Es  wäre  wider- 
sinnig, anzunehmen,  daß  die  Desamidierung  und  Verwandlang 
in  Harnstoff  nur  für  eine  ganz  bestimmte  Aminosäure  verloren 
gegangen  sei.  Somit  ist  festgestellt :  die  hohe  Aminosaurenfraktion 
und   geringen  Harnstoffwerte  der   späten  Pyrodin-Anämieperioden 

1)  Diese  Art  der  Berechnung  gestattet  möglicherweise  anch  einen  Schluß 
über  die  Größenordnung  in  der  normalerweise  Aminosäurenstickstoff  im  Harn 
erscheint,  nach  Eingabe  solcher  Säuren  per  os.  Wichtig  wäre  diese  Festst^llimg 
vor  allem  für  die  aktiven  Aminosäuren. 


Stoffwecbselantersnchiingeu  bei  experimenteller  Anämie.  247 

lassen  sich  nicht  durch  eine  verminderte  Fähigkeit  der  Harnstoff- 
bildang  in  der  Leber  erklären.  Auch  die  Assimilationsgrenze  für 
racemische  Aminosäuren  ist  nicht  gegen  die  Norm  herabgesetzt. 
Bei  der  GlycocoUfütterung  ließ  sich  weder  direkt  (NaphthalinsuKo- 
chloridmethode)  noch  indirekt  (Phosphorwolframsäuref&Uung)  Glyco- 
coU  im  Harn  nachweisen.  Dieser  Befund  steht  im  Widerspruch 
mit  den  Mitteilungen  von  Krüger  und  Schmidt,  die  schon  nach 
Eingabe  von  8 — 12  g  Glycocoll  per  os,  solches  in  der  Steigerung 
der  A-Fraktion  wiederfanden.  Auch  Salkowski  konnte  Glycocoll 
nach  relativ  großer  Eingabe  (bis  zu  25  g),  allerdings  beim  Kaninchen 
im  Harn  identifizieren.  Hier  liegt  ein  nahezu  quantitativer  Über- 
gang des  Glycocoll  in  Harnstoff  vor.  Worin  dieser  Widerspruch 
begründet  ist,  ist  vorerst  unersichtlich. 

An  den  Tagen  der  Alaninfütterung  wurde  reines  Naphthalin- 
sttlfalanin  von  Schp.  155®  in  der  typischen  Kristallform  isoliert.  Die 
Ausbeute  auf  den  Harn  des  Fütterungstages  und  des  darauffolgen- 
den eingerechnet,  ergibt  3,23  g  für  Periode  IX  und  2,99  g  für 
Periode  XIII.  Also  in  der  Periode  mit  gesteigerter  (A-)Fraktion  bei 
gleicher  Methodik  eine  geringere  Menge.  Im  ersteren  Fall  entsprechen 
3,23  Sulfon  0,969  g  Alanin.  Bedenkt  man,  daß  diese  Methode  nach 
Fischer  und  Bergeil  im  Harn  etwa  55®/o  der  theoretischen  Aus- 
beute liefert,  so  entspricht  dies  etwa  der  indirekt  bestimmten  Menge 
Alanin.  Auch  mit  den  Werten,  die  Plaut  und  Reese  nach  Fütte- 
rung größerer  Mengen  Alanin  am  normalen  Hund  für  wieder  ausge- 
schiedenes Alanin  angeben,  herrscht  annähernde  Übereinstimmung. 

Der  Baustoffwechsel  des  anämischen  Pyrodintiers  für  Amino- 
säuren scheint  somit  nicht  pathologisch  verändert  Darf  nun  die 
abnorme  Steigerung  der  Aminosäurenfraktion  als  Ausdruck  eines 
gestörten  Betriebsstoffwechsels  angesehen  werden? 

Zu  dieser  Hypothese  ist  Annahme  nötig,  daß  in  der  Tat 
Nahrungseiweiß,  einerlei  in  welcher  Form  es  gereicht  wird,  am 
eigentlichen  Zellstoffwechsel  nicht  teilnimmt  Ein  Beweis  hierfür 
existiert  z.  Z.  noch  nicht  Für  die  Aminosäurenfraktion  ist  aber  durch 
Landau  erwiesen,  daß  die  Größe  derselben  mit  dem  Grad  eines 
Stickstoffverlustes  im  Betriebsstoffwechsel  nicht  proportional  ist. 
Das  vielmehr  die  Menge  desselben  nicht  nur  zu  dem  Gesamt-N 
des  Harns  in  einem  einfachen  Verhältnis  steht,  sondern  auch  zu 
der  Menge  und  der  Natur  des  eingeführten  Protein-Stickstoffes 
in  Relation  steht  Mit  diesem  Beweis  aber  ist  diese  N-Fraktion 
sicher  eine  Funktion  des  Baustoffwechsels. 

Da  Casein  eine  andere  Menge  (Amino)N  im  Harn  auftreten 


248  XIII.  Sahuslt 

läßt,  als  Fleisch,  Milch  eine  andere  als  gemischte  Kost  etc.,  so 
darf  man  annehmen,  daß  gewisse  Substanzen  oder  Grappen,  die  in 
den  verschiedenen  Proteinen  verschieden  zahlreich  sind,  nnoxydiert 
den  Körper  mit  dem  Harn  verlassen.  Zu  diesen  ist  die  Oxyprotein- 
säure  zu  rechnen,  die,  Hhnlich  wie  die  abiureten  Spaltprodukte 
bei  der  Darm  Verdauung,  zu  der  Klasse  der  „Polypeptide"  ge- 
hören. Da  nun  im  vorliegenden  Fall  diese  Fraktion  bei  konstanter 
Fleischmenge  im  excessiven  Zunehmen  ist,  so  ist  meines  Erachtens 
folgende  Erklärung  dieser  Erscheinung  nicht  zu  femliegend: 

Für  den  normalen  Organismus  ist  die  Menge  solcher  ferment- 
und  oxydationsresistenter  Körper  anscheinend  eine  normale  Größe^ 
als  Funktion  der  zugeführten  Nahrung  einerseits,  der  celluki^en 
Fermentwii'kungen  andererseits.  Beim  pyrodinanämischen  Organismus 
aber  ist  nur  die  letztere  Funktion  geschädigt.  Dies  ist  in  2  Rich- 
tungen der  Fall.    Entweder: 

Das  pyrodinanämische  Tier  hat  seine  ungeschmälerte  Fähigkeit 
die  letzten  SpaltungsproduktiC  der  Proteine,  die  Aminosäuren^  zu  KH^ 
und  Harnstoff  zu  verwandeln,  es  hat  aber  die  Fähigkeit,  jene  sicher  in 
den  Kreislauf  gelangenden  höheren  Aminosäurekomplexe  abzubauen 
und  in  der  normalen  Weise  in  Harnstoff  zu  verwandeln,  eingebüßt. 

Oder  aber:  Es  ist  nicht  der  fermentative  Abbau  der  im  Blut 
in  normaler  Menge  zirkulierenden  Peptidsnbs tanzen  herabgesetzt 
sondern  die  fermentative  Aufspaltung  jener  höheren  Komplexe  in 
die  letzten  zur  Harnstoffsynthese  brauchbaren  Bausteine,  die  Amino- 
säuren. Trifft  diese  Anschauung  zu  —  und  ich  hoffe  dafür  experi- 
mentelle Beiträge  zu  liefern  — ,  so  kann  die  Schädigung,  die 
durch  die  chronische  Anämie  gesetzt  wird,  in  den 
Darm,  sei  es  in  das  Lumen,  sei  es  in  die  Darmwand, 
verlegt  werden.  Diese  etwas  hypothetische  Lokalisation  ist  um 
so  mehr  gestattet,  seitdem  wir  wissen,  welche  wichtige  Rolle  der 
Darm  spielt  in  der  Vorbereitung  der  Proteinabkömmlinge  für  die 
geregelte  Verarbeitung  durch  den  Leberchemismus. 

IV. 

In  weiteren  Versuchen  habe  ich  speziell  die  Frage  der  Oxy- 
dationsfähigkeit des  anämischen  Organismus  experimentell 
geprüft;  hierzu  schienen  mir  besonders  das  Verhalten  eines  aro- 
matischen Eiweißabkömmlings,  und  eines  schwefelhaltigen 
Spaltproduktes  geeignet. 

Das  Phenylalanin  nimmt  insofern  bei  den  Stoffwechsel- 
prozessen eine  gesonderte  Stellung  ein,  als  uns  weder  der  Wegy 


Stoffwechselantersachangeii  bei  experimenteller  Anämie. 


24» 


über  den  es  abgebaut  wird,  noch  die  letzten  Endprodukte,  zu 
denen  es  oxydiert  wird,  mit  Sicherheit  bekannt  sind. 

Bei  Zufuhr  von  Tyrosin  (Baas  und  Baumann  (39))  ver- 
mehrten sich  weder  das  Phenol,  noch  die  Hippursäure,  noch  die 
itherschwefelsänre  im  Harn.  Für  das  Phenylalanin  kommt 
Schotten  (40)  zu  dem  gleichen  Ergebnis,  so  daß  er  eine  totale 
Oxydation  zu  CO,  und  HgO  annimmt. 

Eine  sicher  erkennbare  Hamstoffvermehrung  sahStolte  nach 
Einverleibung  von  Phenylalanin  nicht,  so  daß  ein  großer  Teil 
Phenylalanin  unverändert  ausgeschieden  wurde.  Schlüsse 
über  den  Modus  des  Abbaus  liefern  die  Erfahrungen  der  Pathologie^ 
speziell  der  Alkaptonurie,  bei  der  die  Homogentisinsäure  und  Uro- 
leucinsäure  zur  kontinuierlichen  Ausscheidung  gelangt,  und  deren 
Entstehen  so  gedeutet  wird,  daß  der  normalerweise  Ober  die 
Homogentisinsäure  führende  Abbau  des  Tyrosins  und  des  Phenyl- 
alanins an  diesem  Endprodukt  stehen  bleibt.  Der  Mechanismus 
soll  nach  den  jüngsten  noch  nicht  widersprochenen  Angaben  von 
Neubauer  und  Falta(41)  etwa  dieser  sein: 

Phenylalanin — NHj  ==»  Phenyl-  a-Milchsäure  -f-  Og  =  üroleucinsäure 

-|-  Oj  =  Homogentisinsäure. 

Meine  eigenen,  noch  insofern  lückenhaften  Versuche,  als  ich 
noch  nicht  über  hinreichende  Kontrollversuche  am  normalen  Tier 
verfüge,  sind  mit  den  älteren  Angaben  nun  insofern  nicht  ver- 
gleichbar, als  ich  in  Periode  VIII  und  X  synthetisches,  d.  h.  in- 
aktives Phenylalanin  verfüttert  habe,  bei  dem  der  rechtsdrehende 
Anteil  etwa  langsamer  angreifbar  war,  oder  unverändert  den  Or- 
ganismus wieder  verlassen  konnte. 

Tabelle  X.    Periode  Vm. 

Hand  I.    Zulage  Ton  i-Phenylalanin.    Zahl  der  roten  Blutkörperchen, 

Minimum  1814000. 


S 

CS 


SZ5 

1 

09 

a 

E 

5^- 

1 

o 

& 

'S 

1 


a 
o 


7.  V. 

8. 
9. 

10. 
11. 


4,28  '  3,9201 1  0,2156 
3,8230  0,2026 


ö«96 


5,4992  0,3024 


4,28 1  4,0872  '  0,2247 


3,1360;  0,2623 
3,0966!  0,2676 


3,9044 


0,7698 


71,2 


0,92 


21  Pfd.  380  g 


n 


21    „     346, 


0,01 
!0,01 


3,2288  0,2920 


3,5210 '  0,1972  2,8S72|  0,2253 


84    l0,53 


n 


21 


n 


362 


20g 

Phenyl- 
alanin 

=  1,70  N 


n  I 


0,5 
10,2 


Sa.  123,10,20,0500 


1,42 


Bilanz :  0,83. 


250 


XIII.    8A.HUBLY 


Tabelle  XL    Periode  X. 

Desgleichen  Hand  I.    Rote  Blutkörperchen  im  Maximnm  2110000. 


B 

Q 


iz; 

?^. 

« 

13 

5^ 

*Ä 

? 

br 

s 

I3> 

s 

ja 

W5 

min 

s 

0 

*Ä 

«8 

-^ 

M 

&S 

•  a 
tri 

s 


24.  V. 

25. 

26. 


27. 

28. 


4,28  ,  4.5291   0,2841 1  3,7316^  0,5290|l 
„     \  4,4öaS   0,2754   3,3223'  0,5343 


5,98    5,9202  0,3917 


4,28 


4,3391   0,2694 
3,6300  0,2394 


4,0642  0,9472 


402 


2,2 


3,2545]  0,5640 \  .. 
2,7312,0,3982» 


1,0 


20  Pfd.  200  g 


20   „    212  , 


20   „    232  „ 


'0.1 

0,1 
20g 
Phenyl- 
alanin 

-l,7gN!0,l 


Sa.   23,10 122,8617 1  |  |  !  3,2 1  |  i 

Bilanz:  —  2,96. 

Das  Phenylalanin  zeigt  in  der  Tat  ein  von  den  übrigen 
Aminosäuren  verschiedenes  Verhalten,  das  in  der  7o "Verteilung 
des  N  an  Normaltagen  und  Fütterungstagen  deutlich  ist 

Tabelle  X.  Tabelle  XL 


%N 


Normaltage  ;    Fütterungstage 


Normal  tage 


Fütteningstage 


75,22 

6,23 

11,87 


70.1 

6,6 

16,0 


Ur  N  80,1  71,2 

(NHa)  N  i        5,54  5,5 

(Aminos.)N|        6,77      |  15,0 

Während  beim  Alanin  und  Glycocoll  eine  deutliche  Zunahme 
der  (Harnstoff-)  N- Werte  erkenntlich  ist,  besteht  hier  eine  Abnahme 
der  relativen  N -Werte,  zugunsten  einer  ganz  erheblichen  Zu- 
nahme der  Aminosäurefraktion. 

Betrachtet  man  die  absoluten  Zahlen  in  Tabelle  X  und  XL 
so  besteht  in  der  Tat  nur  ein  unbedeutender  Zuwachs  des  Harn- 
stoffs N  am  Fütterungstag,  der  nicht  die  Hälfte  des  als  Aminosäure 
superponierten  Stickstoffs  beträgt.  Es  ist  nicht  möglich  zu  ent- 
scheiden, ob  dieser  geringe  Anteil  nur  der  einen  optischen  Hälfte 
des  verabreichten  Phenylalanins  entstammt,  indes  die  andere  Racem- 
hälfte  die  Steigerung  der  (Amino-)Fraktion  bedingt.  Ja  ich  wage 
nicht  einmal  zu  entscheiden,  ob  der  geringe  (Ür)  N-Zuwachs  über- 
haupt direkt  auf  Kosten  der  verabreichten  Aminosäure  zu  setzen 
ist,  d.  h.  ob  Phenylalanin  in  Harnstoff  übergegangen,  solange  mir 
keine  Kontrollzahlen  vom  normalen  Tier  zur  Verfügung  stehen. 

Die  unverändert  in  den  Harn  übergegangenen  Anteile  des 
Phenylalanins   konnten   mit   Naphthalinsulfochlorid    gekuppelt  als 


Stoff wechseluntersiichangeii  bei  experimenteller  Anämie.  251 

d-Plieny]alanin  identifiziert  werden.  Auf  die  Gegenwart  dieser 
Substanz  ist  auch  die  Hechtsdrehung  des  Harns  vom  9.  und 
26.  Mai  zu  beziehen.  Aus  dem  Harn  dieser  3  Tage  wurde  ins- 
gesamt 5,92  g  reines  Naphthalinsulton  des  Phenylalanins  isoliert. 
Auf  die  Tagesmengen  der  betreffenden  Tage,  und  in  Phenylalanin 
umgerechnet  ergibt  dies  für  Tabelle  X  1,84  g,  für  Tabelle  XI  1,45  g 
reiner  Aminosäure.  Aus  dem  Zuwachs  der  Aminosäurefraktion  in 
beiden  Tabellen  ließe  sich  für  den  ersten  Fall  2,8  g,  für  den  zweiten 
3,0  g  Phenylalanin  berechnen.  Die  Substanz  des  Naphthalinsulfons 
kristallisierte,  aus  sehr  viel  heißem  Wasser  umkristallisiert,  als 
dicht  verfilzte  Masse  kleiner  Nädelchen,  etwa  wie  Filtrierpapier- 
faserstoft*,  und  schmolz  bei  142 ^    Die  Analyse  der  Substanz  ergab: 

0,1723  g  Substanz  gaben  0,0757  H^O  und  0,4042  CO2. 

berechnet  gefunden 

für  C    64,23  %  63,99  \ 
„   H      4,79  «/o  4,88% 

„   N      3,94^0  3,99%  nach  Kjeld ah  1. 

Somit  hat  die  reine  Substanz  vorgelegen.  Dieselbe  ist  bisher 
beim  gesunden  Tier  noch  nicht  aus  dem  Harn  nach  Eingabe  per 
OS  isoliert  worden.  Es  muß  unentschieden  bleiben,  ob  hier  ihr 
alimentäres  Auftreten  in  den  beschriebenen  Mengen  der  Ausdruck 
einer  verminderten  Oxydationsfahigkeit  des  anämischen  Organismus 
ist,  oder  in  den  normalen  Grenzen  liegt.  Es  folgt  aber  daraus, 
daß  bei  einer  Einnahme  von  20  g  in  aktivem  Phenylalanin  keine 
quantitative  Oxydation  der  Substanz  erfolgt. 

Bei  beiden  hier  durchgeführten  Versuchen  zeigte  sich  ferner, 
daß  anscheinend  auch  intermediäre  Substanzen,  die  dem  aromatischen 
Kern  des  Phenylalanins  entstammten,  ausgeschieden  wurden.  Der 
frisch  gelassene  Harn  an  beiden  Fütterungstagen,  und  zwar  nur 
an  diesen,  reduzierte  stark  Fehling'sche  Lösung,  gab  Millon'sche 
Heaktion,  und  mit  verdünntem  Eisenchlorid  eine  tief  grüne,  bis 
grünblaue  Färbung,  die  alsbald  wieder  verschwand.  Nachdunkeln 
des  Harns  beim  Stehen  an  der  Luft  wurde  nicht  beobachtet.  Diesen 
qualitativen  Beaktionen  entsprechend,  mußte  eine  Substanz  der 
Dioxyphenolreihe  oder  aromatischer  Monooxykarbonsäuren  im  Harn 
vorhanden  sein,  deren  Quelle  nur  das  verabreichte  Phenylalanin 
sein  konnte.  Somit  folgt,  daß  unter  den  vorliegenden  Bedingungen 
bei  Eingabe  von  i-Phenylalanin,  in  großer  Menge,  an 
den  anämischen  Organismus,  intermediäre,  aroma- 
tische Substanzen  ausgeschieden  wurden. 


252 


XlII.  Samuelt 


Die  Identifikation  dieses  Körpers  gelang  in  beiden  Fällen 
nicht,  doch  ließ  sich  per  exclusionem  ihre  Zagehörigkeit  feststellen. 

Die  Prüfung  auf  die  äu  Schwefelsäure  gepaarten  aromatischen 
Substanzen  (Phenole  und  Dioxyphenole,  Brenzkatechin,  flydrochinon) 
ergab  keine  wesentliche  Vermehrung  derselben  nach  Verabreichang 
von  Phenylalanin  am  10.  Mai. 

Tabelle  XII 

Hand  I.    Kote  Blutkörperchen  2110000.    Periode  IX  =  9.  Woche  der  Anämie. 


Datum 

Gesamt-            Gesamt-         v-«*,«i  c 
Schwefel       oxydierter  S.     '^««tral-fi>. 

1 

ither- 
schwefel- 
saurer  S. 

imTagesharn 

8.  V. 
9. 
10. 

11. 

0,4369               0,1497 
0,5210               0,1050 
0,5031               0,1854 

0,5892        ;       0.1023 

0,2872 
0,3160 
0,3177 

0,3769 

0,0168 
0,0219 
0,0219 

0,0209 

20,0  ff 
Phenylalanin 

Es  folgt,  daß  kein  durch  Darmfäulnis,  noch  durch  intermediäre 
Bildung  (Brenzkatechin)  an  Schwefelsäure  gepaartes  Phenol  vorlag: 
Die  Substanz  konnte  aber  an  Glycuronsäure  gepaart  sein,  um  so 
mehr,  als  der  ursprüngliche  Hara  rechts  drehte,  ohne  zu  vergären. 
Zur  Entscheidung  wurde  an  Hund  II  in  der  8.  Woche  seiner  schweren 
Anämie  neben  am  16.  Mai  20  g  Phenylalanin  4,5  g  Cystin  verabreicht 
um  einer  hinreichenden  Menge  des  sauren  Paarlings  sicher  za  sein. 
Der  Hund  befand  sich  wie  Hund  I  mit  4,28  g  N  im  Gleichgewicht. 

Tabelle  XIII.    Hund  IL 

8.  Woche  der  Anämie.    Eote  Blutkörperchen  2412000. 


Datnm 


Gesamt- 
Schwefel 


Oxydierter  8. 


Neutral-S. 


Äther- 
schwefel- 
saurer S. 


14.  V. 


.  15. 
16. 


17. 


0,4872 
0,4762 
0,9690 


0,4972 


0,2744 
0,2425 
0.6333 


0,2126 
0,2447 
0,3367 


0,0257 
0,0276 
0,0301 


0,0252 


i-PheDvl- 
alanm  2O.O 
Cystin.  4,6  gr 


Hieraus  folgt  eine  im  Verhältnis  zur  gereichten  Schwefel-  und 
Phenylalaninmenge  unwesentliche  Steigerung  der  an  Säure  gepaarten 
Phenolmenge. 

Auch  direkt  konnte  nachgewiesen  werden,  daß  die  aromatische 
Substanz  mit  den  oben  beschriebenen  Reaktionen  kein  Dioxyphenol 
war :  Die  gesamten  Harnreste  von  Periode  VIII  und  X,  sowie  die 


Stoffwechselnntersnchmigen  bei  experimenteller  Asämie.  253 

Ton  Hund  n  wurden  nach  Banmann  auf  aromatische  Oxysäuren 
verarbeitet.  Die  Säuren  wurden  in  Äther  aufgenommen  und  daraus 
mit  Sodalösung  ausgeschüttelt.  Der  Ätherrnckstand,  der  die  Phenole 
enthalten  mußte,  erwies  sich  als  frei  von  Hydrochinon  und  Brenz- 
katechin.  Die  angesäuerte  Lösung  der  Na-Salze  (Sodalösung)  wurde 
mit  Äther  wieder  aufgenommen  und  abde^tilliert.  Der  Rückstand 
zeigte  die  obigen  qualitativen  Reaktionen  in  extremem  Maß.  Mit 
Millon'schem  Reagens  setzte  sich  beim  Stehen  ein  ziegelroter  Nieder- 
schlag ab.  Bei  der  üblichen  Trennung  nach  Bau  mann  mit 
basischem  Bleiacetat  aus  konzentrierter  Lösung  und  Umsetzen  der 
Fällung  mit  ILS  wurde  ein  Sirup  gewonnen,  der  nur  spärliche 
EristaUnadeln  nach  geraumer  Zeit  aufwies.  Die  Ausbeute  war 
sehr  spärlich.  Mit  Harn  früherer  Perioden  und  normaler  Hunde 
in  gleicher  Menge  verarbeitet,  wurde  niemals  eine  Bleifällung  in 
wägbarer  Menge  gewonnen. 

Aus  dem  Filtrat  der  Bleifällung  hinterblieb  ein  Sirup  mit 
sichtbarer  Neigung  zum  kristallisieren. 

Beide  Substanzen,  die  ohne  Zweifel  das  eingegebene  Phenyl- 
alanin zur  Muttersubstanz  haben,  gaben  die  Millon'sche  Reaktion. 
Nur  die  durch  Bleiacetat  nicht  fällbare  Substanz  reduzierte 
stark,  schon  in  der  Kälte,  und  färbte  sich  mit  verdünntem  FeCi^ 
grünblau.  Reaktionen,  die  mit  Sicherheit  die  Gegenwart  von  Homo- 
gentisinsäure  erwiesen  (Verhalten  gegen  Alkali),  fehlten. 

Die  Befunde,  die  ich  in  größerem  Maßstab  zu  wiederholen  be- 
absichtige, lassen  nur  Vermutungen  zu.  Bei  der  Fäulnis  von 
Phenylalanin  ist  Phenyl essigsaure  und  Phenylpropion säure  isoliert, 
die  im  Harn  bisher  nicht  gefunden  wurden.  Nicht  unwahrschein- 
lich ist  es,  daß  ähnlich,  wie  das  Tyrosin,  das  Phenylalanin  inter- 
mediär über  den  Weg  der  Oxyphenylessigsäure  oder  -Propionsäure 
abgebaut  wird  und  daß  diese  nach  Phenylalaninfütterung  er- 
scheinenden Säuren  der  Reihe  dieser  Oxysäuren  angehört. 

Was  die  nicht  mit  Blei  fällbare  Substanz  betrifft,  so  weisen 
ihre  Reaktionen  auf  die  Dioxyphenylmilchsäure  hin,  die  bei  Alkap- 
tonurie,  mit  der  Uroleucinsäure  identisch,  zur  Ausscheidung  kommt 

Jedenfalls  aber  handelt  es  sich  bei  beiden  Substanzen  um 
inteimediäre  Pi-odukte,  nicht  um  solche  der  Darmfäulnis,  da  diese 
wie  die  geringe  Menge  der  Phenolschwefelsäuren  zeigt,  auf  ein 
Minimum  im  Versuch  reduziert  war. 

Was  die  Verteilung  des  Schwefels  betrifft,  so  wui-de  diese  nicht 
systematisch  verfolgt.  Immerhin  aber  zeigt  sich  aus  den  vereinzelten 
Bestimmungen,  daß  die  Menge  S  in  den  verschiedenen  Perioden 


254 


XIII.  Samüsly 


(siehe  z.  B.  Tabelle  XII  u.  XUI)  bei  konstanter  Nahrung  konstant 
bleibt,  daß  die  Verteilang  des  S  zwischen  oxydiertem  und  neutralem 
Schwefel  aber  sich  mit  der  Dauer  der  Anämie  zugunsten  des  letz- 
teren verschiebt  Leider  fehlen  die  Kontrollwerte  der  Normaltiere. 
Doch  ist  sicherlich  der  Wert  von  oxydiertem  S  in  **/o  des  Gesamt-S 
von  50,92—55,92  bei  Hund  11  =  8.  Anämiewoche,  und  34,27—36,85 
bei  Hund  I.  =  9.  Woche  (Tabelle  XII  u.  XIII)  ein  abnorm  niederer. 
Um  so  mehr  interessiert  ein  Ftitterungs versuch  mit  reinem  Cystin 
an  Hund  11,  da  am  normalen  Hund  nach  Cystineingabe  (Blum  (42), 
Samuely(43),  wohl  eine  Zunahme  der  absoluten  S-Menge,  aber 
keine  wesentliche  Verschiebung  der  S -Verteilung  beobachtet 
war.  Auch  war  in  solchen  Versuchen  am  Hund  kein  alimentäres 
Auftreten  von  unverändertem  Cystin  im  Harn  beobachtet,  selbst 
nach  Eingabe  bis  9,6  g  Cystin.  Hier  war  ein  solches  bei  dem 
hohen  Wert  des  Neutral-S  vielleicht  zu  erwarten,  und  damit  ein 
neuer  Beweis  für  die  verminderte  Oxydationskraft  auf  anorganische 
Substanz  (Schwefel)  zu  erbringen. 

Tabelle  XIV.    Hund  IL 

9.  Anämiewoche.    Rote  BntkÖrperchen  2272000  im  Tagfesharn. 


Datnm 

Gesaint- 
Schwefel 

Gesamt- 
oxidierter  S. 

Neutral-S. 

Ather- 
schwefel- 
saurer  S. 

20.  V. 

21.  n 

23.   „ 
25.   „ 

0,4876 
0,4729 
2,0962 

0,6210 
0,4898 

0,2425 
0,2553 
0,9260 

0,2922 

0,2451 
0,2176 
1,1702 

0,1971 

0,0295 
0,0276 
0,0380 

0,0289 
0,0293 

Oy still  12.0  g 
— 3,1 192  g  S 

Das  Tier  vertrug  die  Fütterung  der  in  4  Portionen  gereichten 
Nahrung  gut.  Nephritische  und  sonstige  toxische  Störungen  traten 
nicht  ein,  wie  Blum  sie  beschrieb.  Am  23.  traten  Durchfälle  aufi 
vermutlich  vermittelt  durch  die  sich  im  Darm  aus  dem  schwer  lös- 
lichen Cystin  bildende  Thioschwefelsäure,  deren  Na-Salze  bekannt- 
lich stark  abführen.  Der  Harn  konnte  durch  2  maliges  Katheteri- 
sieren  frei  von  Kotbeimischungnn  gewonnen  werden. 

Aus  dem  Kot  des  Tieres  konnten  mit  NH»  und  Fällen  mit 
Essigsäure  3,2  g  Cystin  wieder  gewonnen  werden. 

Der  Harn  enthielt  reichlich  Thioschwefelsäure,  die  ich  früher 
nach  Eingabe  kleinerer  Mengen  Cystin  vermißt  hatte. 

Es  wird  von  Interesse  sein,  durch  Versuche  von  Fütterung 
mit  a-  oder  /J-Thiomilchsäure  die  Ausscheidung  von  Thioschwefel- 


Stoffwechselnntersnchnngen  bei  experimenteller  Anämie.  255 

s&ure  zu  prüfen.  Es  werden  sich  so  Schlösse  über  den  inter- 
mediären Abbau  des  Cystins  beim  Hund  ergeben. 

Aus  dem  Zuwachs  an  S  am  Fütterungstag  ergibt  sich,  daß 
ungefähr  4  g  Cystin  den  Organismus  passiert  haben.  Die  Ver- 
teilung des  Schwefels  aber  zeigt,  daS  dieser  anämische  Organismus 
nicht  imstande  ist  wie  der  normale,  die  zugeführte  Schwefelmenge 
in  der  gleichen  Weise  zu  oxydieren,  wie  ein  Normaltier.  Hier  zeigt 
sich,  daß  der  Faktor  oxydierter  S  :  100  6esamt-S  am  Fütterungstag 
44,18  gegen  50,22,  53,98,  und  59,72  der  Vor-  und  Nachtage  beträgt, 
d,  h.  ein  beträchtlicher  Zuwachs  des  Neutralschwefels  erfolgt  ist. 

Daß  ein  Teil. dieses  Neutralschwefels,  wie  dies  bisher  hypo- 
thetisch angenommen  wurde,  aus  unverändertem  Cystin  be- 
steht, konnte  durch  den  Nachweis  von  Cystin  als  Benzoyl- 
verhindung  nach  Baumann  (44)  bewiesen  werden.  Dieser 
Befand  unterstützt  den  schon  von  der  Verteilung  des  S  abgleiteten 
Schluß  einer  herabgesetzten  Oxydationskraft. 

Unter  genauer  Einhaltung  der  Konzentrationsvorschriften  von 
Baumann  wurde  aus  dem  Harn  vom  22.  und  23.  insgesamt  320  ccm 
einer  Substanz  isoliert,  die  N-haltig  war  und  die  Reaktion  auf  ab- 
spaltbaren S  ergab.  Beim  Behandeln  mit  konz.  HNOg  trat  der  Ge- 
ruch nach  Nitrobenzol  auf 

Aus  dem  gereinigten,  schon  kristallisierenden  Natriumsalz  des 
Benzoylcystins  wurde  die  freie  Säure  durch  HCl  aus  Äther  ge- 
wonnen. Da  ein  konstanter  Schmelzpunkt  der  Substanz  nicht  er* 
zielt  wurde  (statt  des  richtigen  Schmelzpunktes  von  180 — 181,  lag 
er  hier  bei  177/178),  wurde  mit  den  trockenen  Substanzen  durch 
Schmelzen  mit  Na^O^  (Spirituslicht  als  Wärmequelle)  eine  Schwefel- 
bestimmung gemacht: 

0,2561  g  Subst.  gaben  0,2583  BaSO,, 
d.  h.  für  CeHioN2S20,2CeH5CO, 
gefunden   %  S  13,89, 
berechnet  %  S  14,28. 

Die  orientierenden  Bestimmungen  der  Phosphorsäure  im 
Harn  der  Anämietiere,  ausgeführt  in  50  ccm  verdünntem  Harn  mit 
der  üblichen  Titration  mit  Urannitrat,  hat  z.  B.  bei  dem  Hund  I 
schwankende  Resultate  ergeben,  die,  soweit  sich  beurteilen  läßt, 
nicht  nachweisbar  mit  der  verabreichten  Giftdosis  zusammenhängen. 
Sieht  man  aber  von  den  großen  vereinzelten  Schwankungen  ab,  so 
bewegt  sich  die  mittlere  Ausscheidung  für  P2O5  im  Harn  zwischen 
0,4  und  0,5  g. 


256 


Xin.  Samuelt 


Tabelle  XV.    Hund  I. 


Datum 

Anämieperiode 
vgl.  Tab.  I 

PfOs  im  Tagesham 

Datum 

Periode 

1 

PfOft  im 
Tagefihftrn 

22.  III. 

0,4160  g 

12.  V. 

IX. 

0,4207  g 

25.  IV. 

VI 

0,3860   „ 

15. 

ji 

0,5132  „ 

28. 

«1 

0,4080   „ 

16. 

n 

0,5195  , 

29. 

'9 

)1 

0,4221    „ 

24. 

X. 

0,8257  . 

30. 

VII 

0,3920   „ 

27. 

TT 

0,5025  , 

1.  V. 

n 

0,6170   „ 

1.  VI. 

XL 

0,4700  , 

3. 

vm 

0,5606   „ 

2. 

n 

0,4008  , 

5. 

n 

0,3847    „ 

7. 

n 

0,3660  , 

7. 

n 

0,4257    „ 

11. 

Xll. 

0,6160  , 

10. 

n 

1,0320   „ 

17. 

n 

0,5940  , 

11. 

w 

0,8196   „ 

Da  die  Menge  des  zagefilhrten  Phosphors  nicht  bestimmt  \?ar. 

so  ist  eine  Bilanz  trotz  der  N-Konstanz  der  Nahrung  nicht  zulässig. 

Jedenfalls  aber  scheidet  das  Tier  nicht  mit  Fortdauer  der  Anämie 

«teigende  Mengen  von  P^O^  aus,  wie  dies  für  perniciöse  Anämie  und 

Leukämie  des  Menschen  festgestellt  ist,  wohl  aber  sind  die  absoluten 

N 
Mengen  P2O5  außerordentlich  geringe,  wie  dies  aus  dem  Faktor  ^-tt 

im  Harn  hervorgeht.  Für  perniciöse  Anämie  des  Menschen  sind  von 

zahlreichen   Autoren  (45)    in  Bilanzen   von   3 — 16   Tagen  Werte 

dieses  Faktors  von  3,2  im  Minimum  und  8,4  im  Maximum  gefanden 

worden,   in   der  Mehrzahl   der  Fälle  aber  liegt  derselbe  um  die 

normale  Mittelzahl   von  5,0  bis  6,0.     Im  vorliegenden  Fall  aber 

N 

bei  annäherndem  N-Gleichgewicht  den 


erreicht  dieser  Faktor 


PoO 


2^6 


Wert  von  9,9—10,2  im  Mittel.  Hieraus  folgt  aber,  daß  eine  ver- 
mehrte PjOR-Ausfiihr  nicht  erfolgt  ist  mit  der  Fortdauer  der 
Anämie,  daß  also  die  durch  den  Zerfall  von  lecithinhaltigen  Blut- 
Elementen  freiwerdenden  Phosphormengen  retiniert  oder  nach  irgend 
«iner  Richtung  nutzbar  gemacht  werden.  Nicht  unmöglich  ist  aber 
auch  danach,  daß  mit  dem  Bestand  der  schweren  Anämie  eine 
Blutkörperchenarmut  durch  fortdauernde  Pyrodinvergiftung,  nicht 
ein  Zerfall  von  Blutelementen  und  ein  Abbau  von  Lecithinsnb- 
stanzen,  sondern  nur  die  Hemmung  einer  erfolgenden  Blutregene- 
ration statthat. 

Die  vereinzelten  Phosphorbestimmungen,  die  ich  in  der  Periode 
der  akuten  Blutdestruktion  gemacht  habe,  beweisen,  daß  hier  die 
Phosphorausscheidung  wohl  steigt,  aber  nicht  allein  proportional 
•der  gleichzeitige  N- Verlust  zunimmt. 


Stoff wechselnntersachnnj^en  bei  experimenteller  Anämie. 


257 


For  den  Eisen  Stoffwechsel  ist  in  mehreren  Bestimmungen 
des  gesamten  Hameisens,  auch  in  Perioden  der  akuten  Blutzerstö- 
rung  festgestellt,  daß  die  Menge  dieses  Eisens  beim  Pyrodintier 
nicht  gegen  die  Norm  verändert  ist,  sondern  sich  mit  den  Werten 
deckt,  die  in  jüngster  Zeit  von  Kobert(46a),  Neumann  und 
Mayer  (46b),  Mein  er  tz  (46  c)  für  den  normalen  Harn  auch  des 
Menschen  gefunden  wurde. 

Die  Bestimmungen  wurden  nach  der  vorzüglichen  Methode  von 
Neu  mann  (47)  durchgeführt,  die  noch  so  kleine  Mengen  wie  die 
vorliegenden  bei  exaktem  und  geübtem  Arbeiten  zu  bestimmen 
erlaubt.  Sämtliche  Reagentien  waren  eisenfrei.  Als  Stative  und 
Gestelle  kamen  nur  Holzsachen  zur  Verwendung.  Der  Harn  des 
Versuchstieres  war  mit  dem  Katheter  entleert. 


1 

'abelle  XVI.    Hund 

L 

Datum 

Anämie- 
periode 

Fe  in  mg 

Datum 

Anämie- 
Periode 

Fe  in  mg 

24.  in. 

1.42 

8.  V. 

VIIL 

1,16 

4.  IV. 

IL 

1,21 

11.     n 

n 

1,84 

17.      n 

V. 

1,71 

13.   „ 

IX. 

1,18 

27.      r> 

VI. 

1,36 

23.    „ 

X. 

1,42 

29.     , 

VII. 

0,99 

3.  VI. 

XL 

1,81 

2.  V. 

» 

1.20 

15.    „ 

xm. 

1,06 

Die  Eisenmengen  beziehen  sich  auf  den  24-Stunden-Harn,  in 
dem  sie  direkt  bestimmt  sind. 

Der  Blutzerfall  und  der  chronische  anämische 
Zustand  führt  also  nicht  zu  einer  gesteigerten  Eisen- 
ausscheidung  im  Harn. 

Anders  verhielten  sich  die  Fe-Mengen  im  Kot ;  da  dieser  nicht 
abgegrenzt  wurde,  unterblieb  die  Verfolgung  dieser  Frage.  Immer- 
hin aber  weisen  Werte  von  der  Größenordnung  von  48—57  mg  Fe 
im  Kot,  in  Anbetracht  der  sonst  vorzüglichen  Ausnutzung  der 
Nahrung  auf  eine  gesteigerte  Ausscheidung  des  Eisens  durch  den 
Darm,  sei  es  durch  die  Wege  der  Galle,  sei  es  direkt  im  Sinne  der 
<}uincke'schen  Lehren. 

Auf  p.  230  ist  angegeben,  wie  sich  die  Organe  des  im  Höhe- 
punkt der  Anämie  erlegenen  Tieres  in  ihrem  Rohgewicht  unter- 
schieden von  den  Organen  des  Tieres  (Hund  II),  das  seinen  Blut- 
befund zur  Norm  regeneriert  hatte. 

Es  mußte  interessieren,  ob  sich  die  Gewichtsdifferenzen  auf 
4ie  gesonderte  Gewichtszu-  oder  -abnähme  etwa  einer  der  drei 
^eneralkomponenten  der  Organe,  Wasser,  Trockensubstanz, 

Deutsches  Archiv  für  klin.  Medizin.    88.  Bd.  17 


258  XIII.   Samcblt 

Fett,  bezog.  Auch  lag  hier  die  Möglichkeit  einer  Vergleichs- 
bestimmung zwischen  Anämie-  und  Normaltier  für  die  Verteilung 
des  Eisens  in  den  verschiedenen  Organen  vor. 

Durch  die  verdienstvollen  Arbeiten  von  Rumpf  und  Denn- 
stedt(48)  besitzen  wir  ein  großes  Zahlenmaterial,  das  über  die 
prozentuelle  Verteilung  von  Trockensubstanz,  Fett,  Wasser  und 
Salzen  bei  verschiedenen  menschlichen  Krankheiten  Aufschluß  gibt 
Hier  waren  also  die  Werte  der  Pyrodinanämie  zu  vergleichen  mit 
jenen  der  perniziösen  Anämie.  Da  konstante  Werte  für  die 
Verteilung  dieser  Substanzen  in  normalen  Hundeorg^nen  nicht  vor- 
liegen —  für  eine  „Konstanz"  müßten  viel  zahlreichere  Bestim- 
mungen durchgeführt  sein,  als  dies  bis  jetzt  geschehen  ist  — ,  so 
ziehe  ich  als  Vergleichswerte  jene  Zahlen  herbei,  die  von  Hund  II 
gewonnen  sind.  Dieser  Hund  zeigte  in  seinem  ganzen  Verhalten 
das  eines  durchaus  gesunden  Tieres.  Zeichen  einer  überstandenen 
Krankheit  ließen  sich  an  ihm  nicht  finden. 

Zar  Methodik  ist  zu  bemerken:  Der  Wassergebalt  der  Rohorgaoe^ 
wurde  durch  Trocknen  kleiner  Anteile  bei  92  ^  und  Stehen  über  Schwefel- 
säure im  Exsikkator  bestimmt. 

Zur  Bestimmung  der  Trockensubstanz  und  Fettmenge  wurde  meist 
die  Hälfte  der  Bohorgane  durch  die  Fieischhackmaschine  geschickt.  Die 
Organe  waren  vorher  fettfrei  präpariert. 

Der  Brei  wurde  im  gewogenen  Glas  gewogen,  mit  Alkohol  bei  B7  ^ 
unter  Rühren  mehrmals  extrahiert,  durch  ein  gewogenes,  gewich tkoustantes 
Soxlethfilter  gegeben  und  mit  Äther  extrahiert,  iither  und  Alkohol- 
rückstand, zur  Gewichtskonstanz  getrocknet,  sind  als  Fette  gerechnet.  \) 
Das  Filter  mit  Trockensubstanz  wurde  in  dem  zur  Alkobolextraktion  be- 
nutzten Glase  gewogen  und  daraus  die  Trockensubstanz  gefunden. 

In  den  so  gewonnenen  Trockensubstanzen  wurde  das  Eisen  mit  der 
Methode  von  Neuro  an  n  und  feuchter  VeraschuDg  bestimmt.  Der  Best 
der  Organe,  zumeist  die  Hälfte,  bei  den  kleineren  Organen,  wurde  gat 
gewässert,  abermals  auf  fettfreie  Trockensubstanz  verarbeitet  und  in. 
diesen  vdederam  Eisenbestimmungen  gemacht.  Diese  gewässerten  Organ- 
teile sind  außer  mit  dem  Sektionsmesser  mit  keinem  eisenhaltigen  In» 
strument  in  Berührung  gekommen  (s.  Tab.  XVII). 

Für  das  B 1  u  t  ergibt  sich  aus  Rubrik  1  auf  Tabelle  XVII  ein 
erheblicher  Wasserzuwachs,  durchaus  im  Einklang  mit  den  Zahlen 
von  Rumpf  und  Dennstedt  für  die  menschliche  Anämie. 

Desgleichen  ergibt  sich  aus  2  für  die  Leber  und  Milz  eine  Zu- 
nahme der  Trockensubstanz  des  anämischen  Organs  gegenüber  dem 
Erholungstier.    Es  zeigt  sich  aber,  daß  diese  Veränderung  der  einen 

1)  Diese  Bezeichnung  ist  eine  willkürliche,  da  im  Extrakt  auch  die  Chole- 
stearine  und  Jecorine  enthalten  sind.  Eine  beabsichtigte  Trennung  dieser  Snb- 
stanzen  scheiterte  an  den  geringen  Mengen. 


Stoffwechselnntenachongen  bei  experimenteller  Anämie. 


259 


Tabe 

Ue  XVII. 

HttBd  n.    Xrl 

lolung. 

■ 

Bund  I. 

Anämie. 

0  S 

^  S 

e     OB 

Trocken- 
substanz ! 

1 

[1.  Blnt 

79,68 

— 

88,31 

— 

— 

2.  Leber 

79,40 

14,31 

6,38 

74,01 

19,70 

6,08 

Roh- 

3.  Milz 

79,85 

18,45 

1,51 

77,17 

22,41 

0,46 ») 

Organe 

4.  Herz 

82,35 

9,9 

7,64 

70,10 

15,84 

13,86 

5.  Muskel    77,83 

14,31 

8,60 

74,41 

19,70 

6,92  (Psoas.) 

l6.  Niere 

87,17 

12,11 

0,72») 

.  80,99 

16,12 

3,71 

1)  Nicht  bestimmt  sondern  durch  Differenz  berechnet. 

GröBe  nicht  aasreicht,  um  etwa  den  Gewichtsunterschied  der  Roh- 
leber bei  Hund  I  gegen  Hund  11  zu  erklären.  Hier  muß  schon 
angenommen  werden,  daß  alle  3  Faktoren  in  gleicher  Weise  an 
dem  Gewichtszuwachs  beteiligt  sind,  und  daß  die  relative  Zu- 
nahme der  Trockensubstanz  nur  der  Ausdruck  des  durch  die 
massenhafte  Zellanhäufung  bedingten  Leber-  und  Milztumors  ist 
Alle  jene  Schlacken  werden  also  bis  auf  einen  geringen  Bruchteil 
bei  der  Erholung  aus  dem  Organ  wieder  entfernt.  Wie  die  spätere 
Tabelle  der  Eisenwerte  zeigt,  bezieht  sich  diese  Entfernung  auch 
zum  Teil  auf  die  anorganischen  Substanzen. 

Auffallend  ist  es,  daß  die  Werte  für  Fett  trotz  der  makro- 
skopisch erkennbaren  „Fettleber"-Diagnose  relativ  niedere  sind, 
and  bei  Anämie  und  Erholnngstier  die  gleichen  bleiben.  Es  mag 
sein,  daß  hier  die  Zeit  der  Erholung  nicht  ausreichend  war,  um 
die  Beseitigung  der  durch  Degeneration  bedingten  Fette  zu  er- 
möglichen. Immerhin  erscheint  der  Befund  bedeutungsvoll,  da  hier 
das  Vorhandensein  von  Fett  in  der  Leber  sicher  nicht  als  Aus- 
druck einer  verminderten  Zellfunktion  oder  Oxydationsfähigkeit 
gelten  kann.  Ähnliche  Verhältnisse  bestehen  für  die  Milz  in  bezug 
der  Mengen  von  Trockensubstanz. 

Aus  den  Zahlen  der  Rubrik  4,  5,  6  folgt:  Ein  Wasserverlust 
zugunsten  einer  Trockensubstanzzunahme  in  Herz  und  Muskel,  eine 
Wasserzunahme  der  Niere  beim  anämischen  Tier. 

Eine  eklatante  Zunahme  des  Fettgehaltes  zeigt  der  anämische 
Herzmuskel,  die  relativ  die  Fettmengen  der  Leber  weit  übersteigt. 

Alle  diese  Werte  lassen  sich  schwer  mit  jenen  bei  perniziöser 
Anämie  des  Menschen  vergleichen,  denn  auch  Dennstedt  und 
Rumpf  fanden  für  ihre  Fälle  von  Anämie  keine  konstanten  Werte, 
sondern  eine  sehr  heterogene  Verteilung  jener  3  Organkomponenten. 

17* 


260  xin.  Samuklt 

Z.  B.  zeigt  einer  ihrer  Fälle  (Fall  Breuel)  für  Trockensubstanz 
der  Leber:  174,55  %o?  der  Niere:  121,40  %o,  des  Herzens:  128,34  \, 
gegen  einen  zweiten  Fall  (Kr  o  gm  an n)  für  die  gleichen  Organe: 

Leber:  137,85  ^/oo,  Niere:  160,96  %o,  Herz:  175,06  %o- 

Noch  größere  Differenzen  zeigen  diese  beiden  Fälle  für  den  Fett- 
gehalt: Leber:  44,43  7oo  B-  (gegen  29,35  7oo  K.),  Niere:  63,62  %  B. 
(29,93  %o  K),  Herz:  176,17  B.  (45,54  K.). 

Die  obigen  Werte  des  pyrodinanämischen  Tieres  gleichen  noch 
am  ehesten  den  Zahlen,  die  jene  Autoren  beim  Fall  Breuel  ge- 
funden haben. 

Die  Verfolgung  solcher  Bestimmungen  an  Organismen,  deren 
Stoffwechsel  künstlich  beeinflußt  ist,  scheint  mir  furderhin  nicht 
ohne  Bedeutung. 

Immerhin  geht  aber  aus  meinen  Zahlen  hervor,  daß  durch  den 
Prozeß  der  künstlichen  Anämie  Verschiebungen  innerhalb  der  Or- 
gane vor  sich  gehen,  die  der  Ausdruck  einer  trophischen  Organ- 
Störung  sind,  welche  ihrerseits  einen  veränderten  Stoffwechsel- 
mechanismus sehr  wohl  bedingen  kann. 

Die  folgenden  Bestimmungen  des  Eisens  in  den  Organen 
des  Anämietieres  und  Erholungstieres  liefern  einen  Beitrag  zu  der 
Frage,  ob  das  in  den  Organen  gebundene  oder  in  irgend  einer 
Pigmentform  im  Laufe  der  Blutdestruktion  aufgespeicherte  Eisen 
bei  der  Blutregeneration  wieder  mobil  gemacht  und  verwertet  wiri 
Ich  kann  die^se  Frage  hier  im  positiven  Sinne  entscheiden,  wie  dies 
für  das  Lebereisen  bereits  T  a  1 1  q  v  i  s  t  getan  hat  Natürlich  bleibt 
der  feinere  Zusammenhang  unerklärt,  da  hier  nur  grobe  Zahlen- 
differenzen der  Eisenwerte  in  den  Organen  herangezogen  sind. 

Tabelle  XVIH. 

Gefunden  für  100  Teile  fettfreie  Trockensubstanz. 


Hund  I. 

Anämie 

Hnnd  IL  Erholnng: 

Leber 

0,3299  g  Fe 

0,3307  g  Fe 

Milz 

0,4819  „    „ 

1      0,3892  „    „ 

Herz 

0,0606  „    „ 

1      0,0808  „     „ 

Niere 

0,2471  „    „ 

0,0691  „    „ 

Muskel 

0,0287  „    „ 

0,0810  „    „ 

in  100  Teilen 

frischem  Blut 

0,0192  „    „ 

1      0,0484  „     „ 

1)  Der  Kürze  halber  habe   ich  hier  die  analytischen   Detailbelege  fort^ 
lassen.    Ich  bemerke  aber,  daß  ich  hier,  soweit  es  das  Material  gestattete  (Leber. 


StoffwechBelantersachangen  bei  experimenteller  Anämie.  261 

Zur  Kontrolle  habe  ich  bei  der  Leber  und  Milz,  bei  denen 
mir  hinreichend  Material  zur  Verfdgung  stand,  auch  Eisen  bestim- 
iDQDgen  im  feuchten  Eohorgan  gemacht  und  die  gefundene  Eisen- 
menge auf  die  in  Tabelle  XVII  gefundenen  Trockensubstanzen 
umgerechnet.  Dabei  ergab  sich  fiir  Hund  I  in  100  Teilen  Trocken- 
substanz der  Leber  =  0,3241,  der  Milz  0,4790.  Hund  11:  Leber 
0,3289,  der  Milz  0,3790. 

Diese  Werte  zeigen  für  Hund  II  einen  Eisengehalt  des  Blutes, 
der  den  Werten,  die  z.B.  von  Abderhalden  und  Bunge  (49) 
far  das  Bluteisen  im  normalen  Hund  angegeben  werden,  entspricht, 
so  daß  auch  die  chemische  Zusammensetzung  des  Erholungsblutes 
in  dieser  Hinsicht  eine  normale  gewesen  sein  dürfte. 

Die  Zahlen  für  das  Anämietier,  verglichen  mit  Werten,  die 
Rumpf  und  Dennstedt  für  die  pemiciöse  Anämie  des  Menschen 
mitteilen,  gibt  keine  restlose  Übereinstimmung,  aber  doch  einige 
Analogien  z.  B.  für  Leber  und  Milz  und  besonders  die  Niere.  \) 

Diese  auf  feuchter  Substanz  gefundenen  Eisenwerte  aber  stellen 
keine  absoluten  Werte  dar.  Einmal  sind  die  Köhorgane  keines- 
wegs blutfrei,  da  die  erforderliche  Ausspülung  der  letzten  Blutreste 
aus  dem  verbluteten  Tier  unterblieb,  zum  anderen  bleibt  selbst 
bei  der  Annahme  eines  konstanten  Bruchteils  Blut  in  jedem  Organ 
ein  Fehler,  der  in  der  größeren  Menge  Bluteisens  beim  Erholungs- 
tier begründet  ist. 

Ich  hatte  daher  nach  dem  Vorbild  von  Tallqvist  gleich- 
zeitig einen  Teil  der  Organe  feiner  verteilt,  und  durch  Ausspülen 
gegen  laufendes  Wasser  von  dem  löslichen  Eisen  befreit.  Die  re- 
sultierenden, grau-weiß  verfärbten  Gewebsstücke,  an  denen  eine 
grobe  mechanische  Läsion  nicht  stattgefunden  hatte,  wurden  ge- 
trocknet, und  in  der  entfetteten  Trockensubstanz  analog  wie  früher 
nach  Neumann  das  Fe  bestimmt.  Im  folgenden  sind  die  Besul- 
tate  in  7o  der  Trockensubstanz  ausgedrückt. 


Milzj,  die  Mittelzahlen  von  Doppelbestimmnngen  angegeben  habe.  Wo  mir  nur 
wenig  Analysenmaterial  zur  Verfügung  stand  (Herz,  Niere)  wurde  bei  den  Titra- 
tionen eine  abgemessene  Menge  Fresenius'scher  Lösung,  auf  welche  die  Thiosulfat- 
Idsung  eingestellt  war,  der  Aschenlösung  zugefügt,  so  daß  die  Zahlen  für  Dezi- 
miUigramme  Eisen  noch  sicher  Anrecht  auf  Genauigkeit  haben. 

1)  Abgesehen  von  den  individueUen  Verschiedenheiten,  die  die  GröOe  des 
Eiaenwertes  dieser  Autoren  in  Anämieorganen  des  Menschen  bedingen,  scheint  es 
mir  nach  eigenen  Bestimmungen  sehr  wahrscheinlich,  daß  auch  die  Menge  des 
aas  therapeutischen  Rücksichten  angegebenen  Eisens  diese  Werte  erheblich  be- 
hemcht. 


262  XIII.  Samuelt 

Tabelle  XDL 

In  IGO  Teilen  Trockensubstanz  (fettfrei)  der  g^ewässerten  Org^ane; 


Hand  I.    Anämie 


Leber  0,2298  gr  Fe. 

Müz  0,3921    „      „ 

Herz  0,0602   „     „ 

Niere  0,1971   „     „ 

Muskel  0,0279   „     „ 


Hnnd  11.    Erholnng 


0,0721  gr  Fe. 
0,1892    „      „ 
da  nicht  hinreichend 
Material 
0,0592  gr  Fe. 
0,0772   „     „ 


Auch  diese  Zahlen  stellen  nicht  mit  Sicherheit  das  ge.saiDt« 
organisch  gebundene  Eisen  dar,  da  sicher  bei  der  Behandlung  durch 
Auswässern  neben  löslichem  Eisen  auch  morphologische  Bestand- 
teile und  eisenhaltige  Pigmentsubstanzen  ausgeschwemmt  sind. 
Auch  hat  sich  die  Salzkonzentration  der  Organe  mithin  die  Trocken- 
substanz an  sich  verändert.  Die  Zahlen  sind  aber  brauchbar  als 
Vergleichswerte. 

Die  Differenzen,  die  durch  Subtraktion  der  entsprechenden  Werte 
von  Tabelle  XVIII— XIX  resultieren  und  die  für  das  „wasserlösliche'* 
Eisen  in  Anrechnung  zu  setzen  sind,  sind  zum  Teil  z.  B.  für  Leber 
und  Milz  ganz  erhebliche.  Beim  Umrechnen  desselben  auf  das  feuchte 
Organ,  und  bei  der  Annahme,  daß  dieses  Fe  alles  auf  Kosten  von  Blnt- 
eisen  zu  setzen  sei,  würde  sich  eine  in  dem  Rohorgan  verbliebene  Blut- 
menge ergeben,  die  den  direkt  bestimmten  Wassergehalt  des  Organes 
übertreffen  würde.  Schon  aus  diesem  Paradoxon  erhellt,  daß  andere 
eisenhaltige  Substanzen  dem  Organ  durch  die  Wässerung  entzogen 
sein  müssen,  die  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  in  der  Tat  wasser- 
löslich sind.  Eine  zweite  Möglichkeit  zur  Erklärung  der  großen 
Differenzen  wäre  die,  daß  die  Eisenmengen  topographisch  durchaas 
ungleich  auf  das  Organ  verteilt  sind,  etwa  dem  Gefäßverlauf  folgend, 
reichlicher  angehäuft  sind,  als  an  peripheren  Teilen  des  Gewebes. 

Das  Anämietier  hat  also  eine  erhebliche  Steigerang  an  orga- 
nischem Eisen  in  Leber,  Milz,  Herz  und  Niere  erfahren.  Der  Wert 
des  Lebereisens  korrespondiert  mit  einem  Wert,  den  Tallqvist 
bei  Pyrogallolanämie  gefunden  hat,  und  übertrifft  die  Zahlen,  die 
er  bei  chronischer  Pyrodinanämie  anführt.  Wichtig  ist  auch  die 
erheblichti  Ablagerung  im  Herzmuskel.  Überraschend  ist  nur  die 
große  Menge  von  Eisen  in  der  Nierensubstanz.  Sie  beweist,  in 
Anbetracht  der  während  der  Anämie  nicht  gesteigerten  Eisenaas- 
scheidung im  Harn  eine  Retention  und  Bindung  von  Eisen,  wenn 


Stoff wechselanteranchimgen  bei  experimeuteller  Anämie.  263 

man  Dicht  eine  Verschleppang  von  freien  oder  etwa  in  Leukocyten 
eingeschlossenen  Hämosiderinkörnem  annehmen  will. 

Vergleicht  man  mit  diesen  Befunden  die  Eisenwerte  des  Er- 
holungstieres,  so  ist  kein  Zweifel,  daß  nicht  nnr  die  Leber,  sondern 
auch  die  übrigen  Organe,  der  quergestreifte  Muskel  ausge- 
nommen, von  dem  in  ihnen  aufgespeigerten  Eisen  („Reserveeisen^) 
zu  Regenerationszwecken  abgegeben  haben. 

Zu  dem  Normaleisengehalt,  der  für  die  Leber  nach  den  Be- 
stimmungen, z.  B.  von  G  0 1 1 1  i  e  b  (60)  im  Mittel  0,037  g  in  100  Teilen 
Trockensubstanz  beträgt,  ist  die  Leber  bei  der  Kürze  der  Erholungs- 
frist noch  nicht  zurückgekehrt;  das  gleiche  gilt  auch  für  die  Niere, 
deren  Eisengehalt  von  0,059%  der  Trockensubstanz  die  normalen 
Verhältnisse  noch  weit  übei-steigt.  Auch  der  Fe-Gehalt  der  Milz, 
die  sich  auch  mikroskopisch  sehr  pigmentfrei  erwies,  übertrifft  das 
noimale  bei  weitem. 

Es  würde  zu  weit  führen,  die  gefundenen  Mengen  von  ange- 
reichertem Eisen  auf  das  Gesamtgewicht  der  Organe,  und  diese 
wieder  in  Hämoglobiir  umzurechnen,  um  etwa  so  jenen  Bruchteil 
Blutkörperchen  zu  bestimmen,  der  im  Verlauf  der  ganzen  Ver- 
suchsreihe dem  Untergang  verfallen  ist.  Für  das  Kaninchen  unter 
besonderen  Bedingungen  hat  Meinertz  eine  solche  exakte  Be- 
stimmung durchgeführt.  Jedenfalls  aber  geht  auch  aus  meinen 
Versuchen  hervor,  daß  in  den  Organen,  vornehmlich  der  Leber,  ein 
Reservoir  vorhanden  ist,  um  das  für  die  Blutregeneration  not- 
wendige Eisen  aufzuspeichern,  und  daß  in  der  Tat  mit  der  Er- 
holung des  Anämietieres  zur  Norm  diese  Depots  in  Angriff  genommen 
werden.  Ich  hoffe  an  solchen  Versuchstieren  zu  entscheiden,  ob 
die  direkte  Einverleibung  von  Eisenpräparaten  in  löslicher  oder 
organischer  Form  geeignet  ist,  das  Eisen  jener  Speicherungsorgane 
bei  der  Blut-  und  Hämoglobinregeneration  zu  ersetzen. 


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licher Organe  in  der  Norm  und  in  Krankheiten.  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  58 
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XIV. 
Aus  der  II.  mediz.  Klinik  der  Königl.  Charite. 

Bemerkungen  über  den  Nncleinstoffwechsel. 

Von 

Alfred  Schittenhelm. 

Der  Nncleinstoffwechsel  bat  in  den  letzten  Jahren  eine  beson- 
ders gründliche  Bearbeitung  gefunden,  welche  nunmehr  soweit  ge- 
diehen ist,  daß  man  sich  von  den  Vorgängen  bei  demselben  ein 
ziemlich  genaues  Bild  machen  kann.  Wenn  ich  hier,  obwohl  gerade 
in  letzter  Zeit  mehrere  Zusammenfassungen  erschienen  sind '),  eine 
Reihe  von  experimentellen  Feststellungen  rekapituliere,  welche 
bereits  in  jenen  ausführlich  vermerkt  sind,  so  geschieht  das  vor 
allem  deshalb,  weil  meinen  Betrachtungen  andere  Gesichtspunkte 
zugrunde  liegen  sollen  wie  jenen,  und  weil  ich  zudem  der  Ansicht 
bin,  daß  die  Erkenntnisse  des  Nucleinstoffwechsels  nicht  häufig 
genug  erörtert  werden  können  im  Hinblick  auf  die  mannigfachen 
sich  widerstreitenden  Ansichten  über  pathologische  Zustände  des- 
selben, vor  aUem  der  Gicht,  welche  mit  mehr  oder  weniger  Recht, 
oft  genug  auf  Grund  gänzlich  einseitiger  und  mit  unzureichenden 
Mitteln  ausgeführter  Untersuchungen  aufgestellt  werden.  Ich  möchte 
hier  nur  an  die  neueste  Kionka'sche  Gichttheorie ^)  erinnern, 
welche  durch  die  Beweisführung  von  Abderhalden  und  Schitten- 


1)  Schittenhelm.  A.,  5.  Kapitel  von  „Die  Natur  und  Behandlung  der  Gichf 
von  W.  Ebstein.  Wiesbaden  1906  p.  132—147.  —  Die  Purinkörper  und  ihre 
Stellung  im  tierischen  Organismus.  Certralbl.  f.  Stoffw.  u.  Verdanungskrank- 
heiten  1904  Jahrgang  5  p.  226—288.  —  Burian.  R.,  Die  Bildung,  Zersetznog 
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2)  Kionka,  H.,  Gljkokoll  und  Harnstoff  in  ihren  Beziehungen  zur  Harn- 
säure.  Eine  Theorie  der  Gicht.    Zeitschr.  f.  exp.  Path.  u.  Ther.  1905  Bd.  2  p.  17. 


Bemerkangen  über  den  NncIeiiiBtoffwechsel.  267 

helm^X  daß  die  ihr  zngfnindeliegeiiden  Untersuchungen  Frey's^) 
vollkommen  unzutreffende  Besultate  ergaben,  ein  schnelles  Ende 
fand  und  andererseits  der  Falkenstein  'sehen  *)  Ansfahrungen  ge- 
denken, welche  sich  z.  T.  stützen  auf  Stoffwechseluntersuchungen, 
die  mit  gänzlich  unzureichender  Versuchsanordnung  und  Methodik 
ausgeführt  sind  und  darum  eine  ernsthafte  Beachtung  nicht  ver- 
dienen. Auf  die  Beziehungen  zwischen  Theorie  und  Experiment 
in  bezug  auf  die  Gicht  werde  ich  demnächst  an  anderer  Stelle 
zurückkommen,  weshalb  ich  hier  auf  ein  näheres  Eingehen  darauf 
verzichte. 

Es  steht  jetzt  absolut  fest,  daß  der  Nucleinstoffwechsel  einen 
ebenso  abgeschlossenen  Verlauf  nimmt,  wie  z.  B.  der  Eiweißstoff- 
wechsel, wenigstens  was  seine  wesentlichste  Komponente,  die  Purin- 
körper,  anbelangt  Wir  wissen,  daß  die  Harnsäure  nur  aus  den 
in  den  Nucleinen  präformierten  Pnrinbasen  entstehen  kann  und 
niemals  aus  andersartigen  Quellen,  wie  den  Aminosäuren  des  Ei- 
weißes, der  Tartronsäure,  Dialursäure  und  ähnl.  Von  Purinbasen 
kommen  in  Betracht  die  sog.  Aminopurine,  Adenin  und  Guanin, 
denen  höchstwahrscheinlich  noch  zwei  weitere  Körper,  das  6  Amino- 
2-8  Dioxypurin  und  das  2  Amino-6-8  Dioxjpurin  zuzuzählen  sind  und 
die  Oxypurine,  das  Xanthin  und  das  Hypoxanthin. 

Der  Übergang  von  Adenin  in  Harnsäure  gestaltet  sich  dem- 
nach folgendermaßen: 

1.  Adenin —Hypoxanthin — Xanthin— Harnsäure. 

2.  Adenin  —  (6  Amino-2  Oxypurin  oder  6  Amino-8  Oxypurin)  — 
6  Amino-2-8  Dioxypurin  —  Harnsäure. 

Analog  verläuft  der  Übergang  von  Guanin  zu  Harnsäure: 

1.  Guanin— Xanthin— Harnsäure. 

2.  Guanin— 2  Amino-6-8  Dioxypurin — Harnsäure. 

Man  sieht  hieraus,  daß  der  Umsetzung  von  Aminopurinen  in 
Harnsäure  zwei  Wege  zu  Gebote  stehen,  je  nachdem  die  Desami- 
diemng  zunächst  und  dann  die  Oxydation  erfolgt  oder  umgekehrt 
zunächst  die  Oxydation  statthat  und  dann  erst  die  Desamidierung. 

1)  Abderhalden,  E.  n.  Schittenhelm^  A.,  BemerkaDgeu  za  den  Ar- 
beiten von  Frey,  Über  die  Rolle  des  OlykokoUs  bei  der  Entstehang  der  Gicht. 
Zeitachr.  f.  ezper.  Path.  u.  Ther.  1905  Bd.  2  p.  431. 

2)  Frey,  E.,  Das  Krankheitobild  Gicht  nach  Kionka's  Theorie.  Zeitschr. 
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3)  Falke  nstein,  Die  Gicht.  Berlin  1905.  —  Über  das  Verhalten  der  Hatn- 
8&ore  und  des  Harnstoffs  bei  der  Gicht.  Berl.  klin.  Wochenschr.  1906  Nr.  8 
p.  228-233. 


268  XIV.    SCHITTBNHSLX 

Der  erstere  Weg  ist  zweifellos  der  gewöhnliche  und  läßt  sich  im 
Experiment  durch  Verfütterung  der  Aminopnrine  oder  besser  durch 
Digerieren  derselben  mit  Extrakten  tierischer  Organe  in  allen 
seinen  Etappen  bequem  verfolgen.^)  Der  zweite  Weg  ist  der 
weitaus  seltenere;  für  das  Adenin  ist  er  sichergestellt  durch  Nico- 
laier ^X  welcher  bei  Ratten  nach  Injektion  von  Adeninlösong  in 
den  Nieren  das  eine  Glied  der  Kette,  das  6  Amino-2-8  Dioxypurin, 
welches  Emil  Fischer  früher  schon  synthetisch  dargestellt  hatte, 
sicher  feststellen  konnte,  während  das  andere  Glied,  das  6  Amine- 
2  Oxypurin  oder  6  Amino-8  Oxypurin,  noch  nicht  aufgefunden  ist  ob- 
wohl es  zweifellos  beim  Übergang  von  Adenin  in  6  Amino-2-8  Dioxy- 
purin entstehen  muß;  für  das  Guanin  ist  er  durch  Schittenhelm^ 
wahrscheinlich  gemacht,  welcher  bei  Digerierung  von  Guanin  mit 
Schweinemilzextrakt  eine  Substanz  in  geringer  Menge  isolieren 
konnte,  deren  Eigenschaften  und  Analyse  auf  2  Amino-6  8  Dioxy- 
purin, ebenfalls  von  EmilFischer  bereits  synthetisch  dargestellt, 
stimmten. 

Im  allgemeinen  ist  aber  bei  Mensch  und  Tier  der  erste  Weg, 
bei  welchem  als  Zwischenstufen  Xanthin  resp.  Hypoxanthin  und 
Xanthin  entsteheu,  der  gebräuchlichste.    Das  geht  daraus  hervor, 

l)Schittenhelm,  A.,  Über  die  Harnsäurebildnng^  in  Gewebsauszttgen. 
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endogenen  Hampurine  bei  Mensch  und  Säugetier.  Zeitschr.  f.  physiol.  Chemie 
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Mitarbeitern.    Zeitschr.  f.  physiol.  Chemie  1904 — 1906. 

2)  Nicolaier,  A.,  Über  die  Umwandlung  des  Adenins  im  tierischen  Orga- 
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3)  Schittenhelm,  A. ,  Der  Nudeinstoffwechsel  und  seine  Fermente  bei 
Mensch  und  Tier.    Zeitschr.  f.  physiol.  Chemie  1905  Bd.  46  p.  354. 


Bemerkungen  über  den  Nnclein^stoffwechsel.  269 

dafi  man,  abgesehen  von  den  zwei  angegebenen  Fällen,  weder  bei  der 
Analyse  der  Porinkörper  des  Urins,  noch  derjenigen  frischer  und 
autolysierter  Organe,  noch  bei  Digestionsversuchen  unter  Dnrch- 
leitnng  von  Luftsauerstoff  auf  6  Amino-2-8  Dioxypurin  und  auf 
2Amino-6-8Dioxypurin  gestoßen  ist.  Immer  nur  fanden  sich  neben 
Adenin  und  Guanin  die  Oxypurine  Xanthin  und  Hypoxanthin. 

Wir  müssen  diese  beiden  Oxypurine  als  die  natürlichen  Zwischen- 
glieder zwischen  der  Harnsäure  und  den  Amiuopurinen  ansehen. 
Ob  dieselben  aber  nur  ein  Produkt  des  intermediären  Stoffwechsels 
sind  oder  aber  zu  den  Bausteinen  des  tierischen  Organismus  ge- 
hören, ist  noch  nicht  sicher  entschieden.  Wenn  wir  die  frischen 
Organe  in  toto  auf  die  Qualität  und  Quantität  der  in  ihnen  ent- 
haltenen Purinbasen  untersuchen,  so  finden  wir  stets  dasselbe  Bild. 
Im  Laufe  der  Jahre  habe  ich  zum  Teil  noch  in  Gemeinschaft  mit 
M.  Krüger  eine  ganze  Reihe  von  Organen  nach  dieser  Hinsicht 
verarbeitet  und  immer  gefunden,  daß  zwar  alle  4  Purinbasen  vor- 
handen sind,  bei  weitem  die  Hauptmenge  aber  stets  Guanin  und 
Adenin  ausmachen.  So  verhielt  es  sich  bei  der  Leber,  der  Milz, 
dem  Pankreas,  der  Darmschleimhaut,  der  Lunge  des  Rindes,  der 
Milz  des  Schweines  und  Hundes,  der  Kalbsthymus  und  dem  Darm 
des  Menschen.  Damit  stimmt  überein,  daß  auch  in  den  Trägem  der 
Purinbasen  im  tierischen  Organismus,  den  Nncleinsäuren,  die  Oxy- 
purine, wenn  überhaupt  immer  nur  in  kleinen  Mengen  neben  großen 
Quantitäten  Amiuopurinen  gefunden  wurden.  Es  ist  dabei  natürlich 
zu  bemerken,  daß  bei  derartigen  Untersuchungen  die  Organe  stets 
in  absolut  frischem  Zustande  sowohl  zur  direkten  Verarbeitung  als 
auch  zur  Darstellung  ihrer  Nncleinsäuren  genommen  werden  müssen, 
da  die  in  ihnen  enthaltenen  hochwirksamen  (desamidierenden)  Fer- 
mente sowohl  als  auch  eventuelle  Fäulnis  durch  Umwandlung  der 
Aminopurine  in  Oxypurine  sehr  bald  eine  prozentuale  Verschiebung 
herbeiführen  können. 

Aus  der  Tatsache,  daß  stets  im  wesentlichen  Adenin  und 
Guanin  gefunden  werden,  geht  m.  E.  hervor,  daß  nur  diese 
beiden  Aminopurine  reguläre  Bausteine  des  tierischen 
Organismus  sind,  während  die  Oxypurine  bereits  ein 
Produkt  des  fortschreitenden  Stoffwechsels  dar- 
stellen. 

Übrigens  finden  wir  dieselben  Verhältnisse  bei  der  Pflanze, 
den  Bakterien  und  Pilzen.  Auch  hier  sind  die  Hauptbestandteile 
Adenin  und  Guanin.  Auch  hier  geht  deren  Umwandlung  im  Stoff- 
wechsel über  Xanthin  und  Hypoxanthin  vor  sich.    Zur  Bildung  von 


270  XIV.    SCHITTBNHBUI 

HarDSäore  dagegen  scheint  es  nicht  zn  kommen.  Ich  will  hier  nicht 
näher  auf  diese  interessanten  Verhältnisse  eingehen,  sondern  nur 
erwähnen,  daß  es  nach  einem  orientierenden  Versuche  zu  gelingen 
scheint,  mit  Preßsaft  von  Keimlingen,  z.  B.  Lupinen^  eine  Umwand- 
lung von  Ouanin  in  Xanthin  herbeizuführen,  also  genau  dasselbe, 
was  auch  mit  Preßsaft  aus  tierischen  Organen  infolge  des  Gehaltes 
an  desamidierendem  Fermente  erreicht  werden  kann. 

Wir  haben  vom  erwähnt,  daß  eine  synthetische  Bildung  der 
Harnsäure  im  Säugetierorganismus  ausgeschlossen  ist,  wir  können 
aber  nicht  dasselbe  von  den  Purinbasen  behaupten.  Diese  können 
im  Tierkörper  synthetisch  entstehen.  Dafür  erbrachten  die  Ver- 
suche von  Mi  es  eher  ^)  und  Kos  sei')  unumstößliche  Beweise.  Sie 
entstehen  aber  offenbar  auf  diese  Weise  nicht  unbeschränkt  weiter, 
sondern  nur  in  dem  Maße,  als  sie  als  Baumaterial  für  die  Nucleine 
benötigt  werden  und  als  Ersatz  für  die  durch  die  Lebenspi-ozesse 
aufgebrauchten  Kern  purine.  Aus  welchen  Körpern  sie  dabei  ent- 
stehen, ist  keineswegs  sichergestellt.  Es  bestehen  dafür  mannig- 
fache Möglichkeiten.  Es  dürfte  aber  keineswegs  einfach  sein,  den 
Beweis  für  eine  bestimmte  Vorstufe  zu  erbringen,  da  es  nicht  ge- 
lingt, durch  Zufuhr  irgendwelcher  Nahrungsbestandteile  den  Purin- 
stoifwechsel  willkürlich  zu  steigern,  wenn  nicht  gleichzeitig  Purin- 
basen zugeführt  werden,  welche  dann  zu  einem  guten  Teil  als 
Harnsäure  zum  Vorschein  kommen. 

Wenn  wir  mit  der  Nahrung  Nucleine  zuführen,  so  werden  die- 
selben vom  Magensafte  in  keiner  Weise  verändert.  Dies  ist  schon 
eine  alte  Erfahrung,  welche  von  Miescher  und  Hoppe-Seyler 
bereits  zur  Gewinnung  von  Nueleinen  benutzt  wurde.  Daß  der 
Magensaft  in  der  Tat  Nucleinsäure  nicht  zu  verändern  vermag,  ist 
neuerdings  unter  Verwendung  von  Pawlow'schem  Hundemagensaft 
einwandfrei  durch  Abderhalden  und  Schittenhelm^)  be- 
wiesen worden.  Dieselben  zeigten  weiter,  daß  Thymonucleinsäure, 
ohne  eine  tiefgreifende  Spaltung  unter  Absprengung  von  Purin- 
basen zu  erleiden,  vom  natürlichen,  durch  Pawlow'sche  Fistel  ge- 
wonnenen Pankreassaft  doch  eine  derartige  Veränderung  erleidet, 
daß  sie  aus  ihrem  koUoidalen  Zustand  in  einen  diffundiblen  übergeht 
In  dieser  Verfassung  wird  die  Nucleinsäure  im  Darme  resorbiert 

1)  Miescher,  F.,  Physiol.  ehem.  UntersuchnDgen  über  die  LachsmilcL 
Arch.  f.  exp.  Pathol.  u.  Pharmak.  1896  Bd.  37  p.  100  ff. 

2)  K  0  8  s  e  1 ,  A.,  Weitere  Beiträge  znr  Chemie  des  Zellkernes  1886  Bd.  10  p.  24a 

3)  Abderhalden,  E.  und  Schittenhelm,  A.,  Der  Ab-  und  Aufban  der 
Nucleinsäureu  im  tierischen  Organismus.  Zeitschr.  f.  physiol.  Chemie  1906  ßd.  47 
p.  452. 


Bemerkungen  über  den  Nncleinstoff Wechsel.  271 

Was  hinter  der  Darmschleimhant  mit  der  resorbierten  Nuclein^ 
säore  passiert,  können  wir  nicht  mit  absoluter  Bestimmtheit  sagen. 
Die  Frage  ist  vor  allem  die:  Wird  sie  zum  Aufbau  des  Körper- 
oncleins  benutzt  oder  wird  sie  sofort  vollkommen  abgebaut  und  als 
Harnstoff,  Harnsäure  etc.  ausgeschieden? 

Wir  wissen  nun,  daß  ein  Extrakt  der  ganzen  Darmwand,  im 
Gegensatz  zu  den  Sekreten  des  Pankreas,  eine  hochwirksame  Nuc- 
lease  enthält,  welche  die  Nucleinsäure  unter  Abspaltung  von  Purin- 
basen  zerlegt^).  Femer  haben  Versuche,  welche  ich  soeben  mit 
demselben  Eesultate  wiederholte,  ergeben,  daß  die  Darmschleimhaut 
das  desamidierende  Ferment  sowohl  wie  die  Xanthinoxydase  ent* 
hält  und  darum  die  Umwandlung  der  Purinbasen  bis  zur  Harnsäure 
bereits  durchzuführen  vermag^).  Es  ist  also  absolut  möglich,  daft 
wenigstens  ein  Teil  der  Nahrungsnucleinsäure  schon  in  der  Darm- 
wand bis  zu  niederen  Stoffwechselprodukten  abgebaut  wird. 

Andererseits  aber  ist  es,  in  Analogie  mit  dem  Eiweißstoffwechsel, 
wie  schon  Abderhalden*)  betonte,  wahrscheinlich,  daß  die 
Nahrungsnucleine  vom  Körper  zum  Aufbau  ihrer  eigenen  Zell- 
nadeine  soweit  wie  möglich  benutzt  werden.  Wir  müssen  darum 
annehmen,  daß  die  Nahrungsnucleine  in  der  Darmwand  soweit  ala 
nötig  aufgespalten  und  nun  aus  den  brauchbaren  Teilstücken  sei 
es  sofort,  sei  es  an  der  endgültigen  Baustelle  die  entsprechende 
arteigene  Nucleinsäure  wieder  aufgebaut  wird,  während  die  un- 
brauchbaren Teilstücke  sofort  ausgeschieden  werden.  Es  ist  ja 
klar,  und  die  sogen,  endogene  Harnsäure  bildet  dafür  Beweis- 
material, daß  ebenso  wie  bei  dem  Eiweißbestande  des  Körpers  ein 
beständiger  Wechsel,  ein  Ersatz  des  minderwertigen,  abgebrauchten 
Eiweißes  durch  frisches,  neu  zusammengesetztes,  vollwertiges  statt- 
hat, auch  die  Zellkerne  und  die  darin  enthaltenen  Nucleine  sich 
dauernd  ergänzen  und  neuaufbauen.  Wie  intensiv  dieser  Wechsel 
sich  g-estaltet,  werden  wir  nicht  so  leicht  erfahren  können.  Denn 
unser  einziges  Kriterium  für  denselben  bildet  augenblicklich  die 
Verfolgung  der  Hamsäureausscheidung  im  Urin,  welche  aber  für 


1)  Abderhalden,  E.  und  Schittenhelm,  A.,  Der  Ab-  und  Aufbau  der 
NucieiiiBäuren  im  tierischen  Organiamus.  Zeitschr.  f.  physiol.  Chemie  1906  Bd.  47 
P-4o2. 

2)  Schittenhelm,  A.,  Über  die HarnRäurebildung  und  HarnsÄurezersetzung- 
in  den  Auszügen  der  Kinderorgane.  Zeitschr.  f.  physiol.  Chemie  1905  Bd.  45- 
p.  121  ff. 

3)  Abderhalden,  E.,  Lehrbuch  der  physiol.  Chemie,  Berlin  1906.  Ver- 
lag  ürban  und  Schwarzenberg,  Berlin -Wien. 


272  XIV.    SCHITTBNHBLM 

diese  Zwecke  absolut  nicht  exakt  zu  verwerten  ist,  da  die  Harn- 
säure bekanntlich  zu  einem  guten  Teil  weiter  zersetzt  und  teilweise 
als  Harnstoff  ausgeschieden  wird  und  darum  ein  Stoffwechsel- 
zwischenprodukt,  aber  keine  Endstufe  darstellt  Ihre 
Ausscheidungsgröße  kann  uns  also  nur  einen  höchst  unvollkommenen 
Einblick  in  das  Getriebe  des  Zellkernlebens  gestatten. 

Wir  nehmen  also  an,  daß  der  Ersatz  des  Zellnucleins 
einerseits  durch  die  jeweils  zugeführten  Nahrungs- 
nucleine  statthat  und  andererseits  durch  synthe- 
tische Vorgänge,  deren  genaue  Kenntnis  uns  noch  fehlt,  der 
volle  Ersatz  der  im  Stoffwechsel  verbrauchten  Zell- 
nucleine  zustande  kommt.  Der  Zell-  resp.  Nucleinstoflfwechsel 
ist  also  nach  unserer  Auffassung  ein  permanenter  und  reger. 

Die  Schlacken  des  verbrauchten  Zellnucleins  werden  nun,  ge- 
nau wie  die  des  überschüssigen  Nahrungsnucleins,  zu  ihren  Zwischen- 
und  Endprodukten,  von  denen  wir  die  Oxypurine,  Xanthin,  Hjtw- 
xanthin  und  die  Harnsäure  sowie  den  Harnstoff  kennen,  abgebaut. 
Der  Ort,  wo  dieser  Abbau  stattfindet,  sind  die  Organe  selbst  Das 
Blut  hat  nach  meinen  Untersuchungen,  von  denen  ich  hier  einige 
-anführen  will,  so  gut  wie  keinen  Anteil. 

Vers.  I.  0,15  g  Hypoxanthin  -(-  400  ccm  frisches  Binderblnt  3  Tage 
lang  unter  Zasatz  von  Chloroform  und  Toluol  und  unter  ständiger  Luft- 
durchleitung bei  ca.  38^. 

Es  wurde  keine  Harnsäure  erhalten,  aber  die  Base  zurückgewonnen. 

Vers.   II.      0,15  g    Guanin   in    möglichst   wenig   Normalnatronlauge 
gelöst  -\-  400  ccm  frisches  Rinderblut  genau  so  wie  I. 
Keine  Harnsäure ;  Base  zurückerhalten. 

Vers.  III.  0,2  g  Harnsäure  in  5  ccm  Norraalnatronlauge  gelöst; 
dazu  werden  100  ccm  frisches  Blut  direkt  aus  der  Armvene  eines  ge- 
sunden Menschen  zufließen  gelassen.  Das  Ganze  bleibt  unter  Zusatz  Ton 
Thymol  und  Toluol  2  Tage  bei  37  '^  im  Brutschrank. 

Wiedergewonnen  0,17  g  Harnsäure. 

Vers.  IV  genau  so  wie  Vers.  III. 
Wiedergewonnen  0,16  g  Harnsäure. 

Kontrollversuche  beweisen,  daß  der  kleine  Verlust  an  Harnsäure 
absolut  auf  Kosten  der  methodischen  Fehlerquellen  zu  setzen  ist. 
welche  sich  manchmal  sogar  noch  höher  gestalten  können. 

Es  ist  also  erwiesen,  daß  für  die  Purinkörper  und 
speziell  die  Harnsäure  das  Blut  nur  als  Transport- 
mittel in  Frage  kommt,  nicht  aber  als  umsetzendes 
Organ.  Dieser  Umstand  ist  von  recht  erheblicher  Wichtigkeit. 
Wir  müssen  also  die  Stätte  der  Umsetzung  von  im  Stoff- 


Bemerkaugen  ttber  des  Nncleinstoffwechsel.  273 

Wechsel  frei  werdeBden  Pnrinen  in  die  festen  Organe 
verlegen  und  dem  Blute  eine  Beteiligung  daran  ab- 
sprechen. Diese  Lokalisation  der  Umsetzung  von  Purinkörpem 
hat  nun  wiederum  eine  wesentliche  Bedeutung  dadurch,  daß  die 
eiDzeluen  Organe  offenbar  eine  verschiedene  Rolle  im  Purinstoff- 
wechsel  spielen.  Im  einen  Organ,  z.  B.  Darm,  Milz,  Lunge  des 
Hindes  geht  die  Umsetzung  bis  zur  Bamsänre,  im  anderen  (z.  B.  Leber, 
Niere,  Muskel  des  Rindes)  wird  auch  diese  sofort  weiterzersetzt. 
Wieder  andere  vermögen  nur  die  Umsetzung  der  Aminopurine  in 
Oxypnrine  und  durch  die  neuesten  Untersuchungen  liegt  sogar  die 
Vermutung  vor,  daß  bei  gewissen  Tierarten  im  einen  Organ  nur  das 
Guanin,  im  anderen  nur  das  Adenin  angegriffen  wird,  wodurch  der 
Stoffwechsel  in  dieser  Hinsicht  noch  weit  komplizierter  werden  würde. 
Immerhin  sind  diese  Fragen  noch  nicht  endgfiltig  gelöst  und  ins- 
besondere fehlen  noch  Versuche  mit  menschlichen  Organen,  welche 
jedoch  zurzeit  im  Gange  sindJ)  Eines  ist  jedenfalls  sicher,  daß 
nämlich  die  einzelnen  Tiere  recht  erhebliche  Verschiedenheiten  be- 
treffs der  Verteilung  ihrer  Nucleinfermente  in  den  Organen  besitzen. 

Die  gebildete  Harnsäure  wird  also  zu  einem  beträchtlichen 
Teil  sofort  wieder  zei'stört  und  es  ist  recht  wesentlich,  daß  das 
Organ,  dem  die  Ausscheidung  der  Blutharnsäure  zukommt,  nämlich 
die  Niere,  scheinbar  auch  das  intensivste  Harnsäurezerstörungs- 
vermögen  besitzt  Es  kann  also  bei  einer  Insufficienz  der 
HarnsÄurezerstörung,  z.  B.  in  der  Leber  oder  in  den 
Muskeln,  wodurcb  ein  vermehrtes  Kreisen  von  Harn- 
säure im  Blut  veranlaßt  sein  köjinte,  trotzdem  eine 
Vermehrung  der  ürinharnsäure  fehlen,  weil  dieNiere 
mit  ihrer  Fähigkeit,  Harnsäure  zu  zerstören,  ein- 
springt. Jedenfalls  darf  niemals  die  Menge  der  Ürinharnsäure 
ohne  weiteres  als  Ausdruck  der  quantitativen  Verhältnisse  des 
Purinstoffwecbsels  innerhalb  des  Organismus  genommen  werden. 
Es  spielen  da  zu  viele  Möglichkeiten  mit,  die  Harnsäure  zu  zer- 
stören oder  auch  zurückzuhalten. 

Ich  möchte  hier  noch  kurz  erwähnen,  daß  häufig  behauptet 
wird,  der  Darm  führe  ebenfalls  Harnsäure  aus.  Diese  Auffassung 
hat  sich' breit  gemacht  vor  allem  durch  eine  Arbeit  Galdi'a') 

1)  Dieselben ,  von  Schittenhelmn.  Schmid  ausgeführt,  liaben  inzwischen 
«tgeben,  daß  eine  weitgehende  Analogie  mit  den  an  tierischen  Organen  ersielten 
Resultaten  ▼orliegt. 

2)  Oaldi,  F.,  Über  die  Alloxnrkörper  im  Stoffwechsel  bei  Lenkämie.  Ärek. 
i.  exp.  Path.  n.  Pharmak.  1908  Bd.  49  p.  213. 

Dentsches  Archiv  für  klin.  Med.   89.  Bd.  18 


274  XIV.    SCHITTEKHBLM 

Es  Wäre  nun  von  großer  Wichtigkeit,  wenn  der  Darm  tatsächlich 
imstande  wäre,  Harnsäure  zu  eliminieren  und  unsere  Untei*suchungen 
über  den  Hamsäurestoffwechsel  würden  ungenau  gewesen  sein, 
wenn  sie,  wie  bisher  stets,  nur  die  Urinhamsäure  und  nicht  auch 
die  Fäcesharnsäure  in  den  Gesichtskreis  gezogen  hätten.  Außer 
der  6 a I d i 'sehen  Arbeit  erschienen  noch  mehrere  andere,^)  welche 
ebenfalls  in  den  Fäces  Harnsäure  nachgewiesen  haben  wollen,  und 
Bartoletti^)  macht  sogar  zahlengemäße  Angaben,  wonach  die 
tägliche  Harnsäurenmenge  der  Fäces  beim  Gesunden  22,04  mg, 
beim  Leukämiker  30,79  mg  betrug,  während  der  Gichtkranke  14,71 
und  23  mg  ausschied.  Ich  möchte  hier  mit  voller  Schärfe  betonen, 
daß  alle  diese  Angaben  falsch  sind  und  nur  erhalten  werden 
konnten  dadurch,  daß  blindlings  eine  Methode  angewandt  wurde, 
welche  allerdings  zur  Hamsäurebestimmung  gute  Dienste  leistet, 
welche  aber  die  Harnsäure  vor  allem  in  den  Fäces  mit  ihren  zahl- 
losen Substanzen  nicht  in  reinem  Zustande  liefert.  Untersucht 
man  die  aus  den  Fäces  auf  diese  Weise  erhaltenen  Produkte,  so 
findet  man,  wenn  nämlich  eine  Verunreinigung  mit  Urin  absolut 
ausgeschlossen  wurde,  zwar  einen  stickstoffhaltigen  Niederschlag 
(eiweißartige  mitgefällte  Körper  oder  Purinbasen),  aber  niemals 
Harnsäure.  Harnsäure  kommt  nur  im  embryonalen  Darm  vor  (im 
Mekonium)  und  auch  da  ist  sie  vielleicht  durch  verschlucktes 
Fruchtwasser,  welches  ja  infolge  der  Beimengung  fötalen  Urins 
Harnsäure  enthält,  zu  erklären.  In  den  Fäces  kommen  nur  Purin- 
basen vor,  welche  aber  auch  nicht  aus  dem  Organismus  in  den 
Darm,  wie  z.  B.  das  Eisen  oder  der  Kalk,  ausgeschieden  werden,, 
sondern  Bestandteile  darstellen  der  Sekrete,  der  abgeschilferten 
Darmepithelien  und  vor  allem  der  Bakterien.*)  Wir  können  also 
nach  wie  vor  auf  die  Untersuchung  der  Fäces  verzichten,  wenn 
nicht  gerade  schwer  resorbierbare  Purinbasen  wie  Guanin  oder 
Xanthin  oder  Harnsäure  selbst  oder  große  Menge  von  Nucleinen 

1)  Galdi,  Fr.,  Über  das  konstante  Vorkommen,  die  Menge  und  die  Her* 
kunft  der  Harnsäure  in  den  Fäces  der  Gesunden.  II  Policlinico  1905  Soc.  Med. 
Fase.  3,  4  Anno  XII.  — -  ßartoletti,  C,  Über  die  Ausscheidung  der  Harnsäure 
und  AUoxurbasen  in  den  Fäces  des  Gesunden,  des  Gichtkranken  und  des  Lieu- 
kämischen.  Riv.  crit.  di  Clin.  Med.  1905  Nr.  50/51  Dez.  —  Carletti,  M.,  Hani* 
Säureausscheidung  im  Kot  Typhuskranker.    II  Morgagni  Dez.  1905. 

2)  1.  c. 

3)  Vgl.  meine  ausführlichen  Untersuchungen  über  die  Purinbasen  der 
Fäces.  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med,  1904  Bd.  81  p.  423—454.  —  Krüger,  M.,. 
und  Schittenhelm,  A.,  Die  Pnrinkörper  der  menschlichen  Fäces.  Zeitschr.  f. 
physiol.  Chemie  1902  Bd.  35  p.  153  und  1905  Bd.  45  p.  14. 


Bemerkmigen  ttber  den  Nacleinstoffwechsel.  275 

gereicht  werden,  welche  eben  zum  Teil  unverändert  den  Darm 
wieder  verlassen  können. 

Daß  in  der  Tat  von  einer  Ausscheidung  von  Purinbasen  in 
die  Fäces  analog  derjenigen  im  Urin  nicht  die  Hede  sein  kann, 
daftr  ist  ein  Beweis  die  total  andere  Zusammensetzung  des  in  den 
Fäces  und  des  im  Urin  gefundenen  Basengemisches.  Dieselbe 
prägt  sich  darin  aus,  daß  in  den  Fäces  genau  wie  in  den  Organen 
die  Eauptmenge  der  Basen  Guanin  und  Adenin  sind,  während  im 
Urin  das  Guanin  gänzlich  fehlt  und  wesentlich  Xanthin  und  Hypo- 
xanthin  neben  Adenin  ausgeschieden  werden.  ^)  Genau  denselben 
Befand  kann  man  beim  Leukämiekranken  erheben,  bei  dem  angeb- 
lich eine  vermehrte  Basenmenge  die  Regel  sein  soll,  was,  wenn  es 
stimmt,  wahrscheinlich  auf  eine  verschlechterte  Resorption,  aber 
niemals  auf  eine  vermehrte  Sekretion  zurückzuführen  ist. 

Ich  führe  hier  die  Analyse  von  Fäces  Leukämiekranker  an: 

1.  Fat.  A.,  Myelocytenleukämie.  Fäces  von  14  Tagen  ge- 
sammelt und  nach  Krüger  und  Schittenhelm  verarbeitet 

Gefunden:  1,7  g  Guanin, 
0,7  g  Adenin, 
0,17  g  Xanthin, 
0,14  g  Hypoxathin. 

Das  Adenin  wurde  als  Picrat  von  S.  F.  282^  identifiziert;  das 
Xanthin  als  salpetei*saures  Salz  durch  seine  charakteristische 
Kristallform  (Häufchen  von  kleinen  schweren  Plättchen) ;  das  Hypo- 
xanthin  durch  Nachweis  seiner  charakteristischen  Kristallform  als 
Picrat  und  Nitrat,  das  Guanin  als  Sulfat. 

2.  Fat.  F.,  Myelocytenleukämie.  Fäces  von  3  Tagen  genau 
wie  bei  1. 

Erhalten  0,65  g  reines  Guaninsulfat,  welches  folgende  Analyse 
gibt: 

0,131  g  gibt  0,074  g  BaaSO^. 

Verl.  für  (C5H5N50)2H2SO^ +  2H2O:  22,48  «/o  H,SO, 
Gef.  21,72%  H^SO,. 

Es  lag  also  zweifellos  Guanin  vor. 

An  Adeninpicrat  konnte  0,8  g  isoliert  werden,  welches  einen 
Schmelzpunkt  von  281®  (unkorr.)  hatte. 

Im  Filtrat  nur  relativ  geringe  Mengen  von  Basen  (Xanthin 
und  Hypoxanthin),  welche  zur  weiteren  Identifikation  nicht  genügten. 

Harnsäure  wurde  weder  in  Fall  1  noch  in  Fall  2  gefunden. 

1)  Vgl.  Krüger,  M.,  und  Schittenhelm,  A.    I.  Mitt.  1.  c. 

18* 


276      XrV.  ScHiTTXNBsuty  Bemerkungen  über  den  Nuetointtoffweehsei. 

Die  Befunde  an  den  Fäces  Leak&misclier  stimmen  also  geoan 
1it)erein  mit  den  Befunden  von  Krfiger  und  Schittenhelm  am 
normalen  Menschen.  Mithin  kann  die  behauptete  Aus- 
scheidung YonHarnsäuremit  den  F&ces  als  endgültig 
abgetan  betrachtet  werden.  Auch  die  Purinbasen  der  Fftces, 
welche  relativ  recht  große  Mengen  darstdlen,  richten  sich  keineB- 
wegs  nach  dem  allgemeinen  Nuddnstoffwechsel,  sondern  entspringen 
rein  lokalen  Verhältnissen,  wie  ich  sie  frflher  bereits  ausführlich 
beschrieb. 


XV. 

über  Herzblock  beim  Menschen. 

Von 

Privatdozent  Dr.  £•  Schreiber, 

Obemzt  ».  d.  Altitädt  Knnkenhaas  so.  MAgdebnrg. 

(Mit  4  Kurven.) 

Seit  einiger  Zeit  habe  ich  einen  Fall  von  Herzblock  in  Be- 
obachtung, dessen  genauere  Untersuchung  mir  beachtenswerte  Er- 
gebnisse geliefert  zu  haben  scheint,  die  ich  daher  kurz  mitteile: 

Am  25.  Juli  d.  J.  wurde  der  44jährige  Maurer  D.  aus  S.  auf 
meine  Abteilung  aufgenommen.  Abgesehen  von  Masern  in  frühester 
Kindheit  und  einer  Knöchelfraktur  im  Jahre  1902  will  Patient 
keine  anderen  Krankheiten  überstanden  haben.  Die  Todesursache 
seines  Vaters  ist  unbekannt,  eine  Schwester  ist  geisteskrank,  die 
Mutter  sowie  die  übrigen  Geschwister  und  Frau  sind  gesund.  Von 
seinen  12  Kindern  sind  5  im  zartesten  Alter  angeblich  an  Krämpfen 
gestorben  und  1  tot  geboren.  Alkoholmißbrauch  sowie  geschlecht- 
liche Infektion  werden  in  Abrede  gestellt,  auch  lassen  sich  syphi- 
litische Zeichen  nicht  nachweisen. 

Am  8.  August  1905  zog  sich  D.  durch  einen  Hammerschlag 
eine  Hautverletzung  am  linken  inneren  Knöchel  zu.  Die  Verletzung 
heilte  unter  entsprechender  Behandlung  in  einigen  Tagen  glatt  ab. 
Am  10.  Tage  nach  dem  Unfall  aber  wurde  er,  während  er  im  Bett 
lag,  kurz  hintereinander  zweimal  bewußtlos,  dann  trat  Erbrechen 
und  Durchfall  auf.  Am  nächsten  Tage  merkte  er,  daß  das  Herz 
langsamer  schlug.  Dem  behandelnden  Arzt,  Herrn  Dr.  Kirch- 
heim aus  Elmen,  gegenüber  klagte  er  über  lebhaftes  Druckgef&hl 
und  Beängstigung.  Damals  wurde  folgender  Befund  festgestellt 
(Dnfallakten) : 

Die  Herzdämpfang  ist  nicht  merklich  vergrößert.  Der  Pols,  welcher 
stark  gespannt,  im  übrigen  aber  regelmäßig  nnd  von  gleicher  Stärke  ist, 
sehlägt  18 — 20 — 24  mal  in  der  Minute.     Bei  der  Auskaltation  hört  man 


278  XV.    SCHRBIBM 

reine,  aber  stark  klappende  Herztöne.  Zwischen  zwei  deutlich  hörbaren 
Herztönen,  denen  ein  Fnlsschlag  entspricht,  schiebt  sich  ein  sehr  leiser, 
unreiner  systolischer  Herzton  ein,  dem  bei  genauester  Prüfung  keine  wahr- 
nehmbare Puls  welle  entspricht.    Der  Ton  fehlte  an  den  großen  Halsgeftßen. 

Zu  den  angegebenen  Herzbeschwerden  des  Patienten  gesellten  sich 
nach  einigen  Tagen  Anfalle,  die  ich  Oelegenheit  hatte  zu  beobachten 
und  welche  folgendermaßen  verliefen: 

Nachdem  der  Patient  ein  Gefühl  von  Beklemmung  angegeben  hatte,  trat 
plötzlich  ein  Stillstand  des  Herzens  ein,  der  nach  Prüfung  mit  der  Uhr  20  bis 
25  Sekunden  dauerte,  Herztöne  waren  nicht  zu  hören.  Dabei  verschwand  der 
bis  dahin  deutlich  fühlbare  Puls  vollständig,  der  Patient  wurde  sehr  blaß  und 
lag  schlaff  und  bewegungslos  da.  Die  Lider  waren  halb  geschlossen,  die  Augen 
nach  oben  gerollt.  Plötzlich  färbte  sich  das  Gesicht  auffallend  rot,  der  Herz- 
schlag kehrte  wieder,  der  Patient,  welcher  angab,  bewußtlos  gewesen  zu 
sein,  kam  zum  Bewußtsein  zurück.  Ich  habe  vier  oder  fünf  solcher  An- 
fälle selber  beobachtet.  Dabei  fehlten  alle  Zeichen  von  Herzschvrache, 
auch  bei  erhöhter  Inanspruchnahme  des  Herzens,  beim  Aufstehen,  Herum- 
gehen, ja  bei  direkten  Anstrengungen  traten  keine  besonderen  Beschwerdco 
und  kein  wesentliches  Ansteigen  der  Pulsfrequenz  ein.  Irgend  Anb 
lokale  Ursache  für  die  Puls  verlangsamung,  etwa  Druck  von  Tumoren  asf 
die  Nerven  des  Herzens,  lassen  sich  nicht  nachweisen.  DementspredMld 
richtete  sich  die  Behandlung,  nachdem  der  Patient  anfangs  Jodkali  w* 
gebens  genommen  hatte,  auf  Hebung  des  Allgemeinzustandes  durch  £SsiMi| 
Arsen,  kräftige  Diät,  kalte  Waschungen  verbunden  mit  kräftigem  IVol* 
tieren  der  Haut,  gymnastische,  aktive  und  passive  Bewegungen.  Hier- 
durch besserte  sich  das  Befinden.  Die  Anfalle  blieben  fort,  die  Puls- 
frequenz stieg  im  Jüittel  bis  auf  40,  zeitweise  60  Schläge  in  der  Minute. 
In  der  letzten  Zeit,  wahrscheinlich  durch  psychische  Erregung,  welche 
ihm  die  Frage  der  Anerkennung  seines  Leidens  als  Unfallsfolge  verur- 
sacht, hat  sich  sein  Zustand  merklich  verschlechtert.  Erwähnt  möge 
noch  werden,  daß  die  Untersuchung  des  Nervensystems  eine  deutliche 
Erhöhung  aller  Beflexe  ergibt;  besonders  die  Muskulatur  reagiert  mit 
sichtbaren  Kontraktionen  auf  direktes  Beklopfen.  Der  Konjunktivalreflex 
allein  ist  stark  herabgesetzt. 

Die  in  dem  Bericht  geschilderten  Anfälle  haben  sich  seit  jener 
Zeit  fast  täglich  wiederholt;  dieselben  sind  von  verschieden  langer 
Dauer,  ihre  Zahl  schwankt  bis  zu  20  am  Tage.  Sie  sind  ver- 
bunden mit  sehr  heftigem  Schwindelgefühl,  Kurzatmigkeit,  Flimmern 
vor  den  Augen  und  dem  Gefühl  von  „fliegender"  Hitze  und  von 
Aussetzen  des  Herzschlages.  Zeitweilig  tritt  auch  Bewußtlosigkeit 
ein,  so  daß  er  wiederholt  hingefallen  ist.  Die  Anfälle  treten  vor- 
zugsweise am  Tage  auf,  jedoch  hat  Patient  sie  auch  nachts  gehabt 

Der  Kranke  ist  von  gutem  Ernährungszustand,  auffallend  ist  an 
ihm  ein  starrer,  ängstlicher  Gesichtsausdruck  sowie  eine  leichte 
Protasio  bulbi  beiderseits.  Das  Herz  ist  in  normalen  Grenzen,  wie 
auch  dieHöntgendurchleuchtung  ergibt;  der  Spitzenstoß  ist  nicht  fühl- 


über  He  »block  beim  Henxcheii. 


279 


bar.  Die  HerztSne  sind  etwas  dumpf,  zeitweise  hört  man  zwischen 
den  beiden  Tönen  einen  leisen,  anreinen  Ton.  ütrasystolen  sind 
mit  Bestimmtheit  aaszoachließep.  Der  Radialpuls  war  regelmäßig, 
seine  Frequenz  schwankte  zwischen  24—36  Schlägen  in  der  Minute, 
der  Puls  ist  von  nonnaler  Füllung  und  Spannung.  Im  Liegen  fiel 
am  Halse  des  Patienten  eine  lebhafte  Veneopulsation  auf,  dieselbe 
verschwindet  aber  sofort,  wenn  er  sich  aufrichtet.  Man  sieht  dann 
Bur  eine  mit  dem  Radialpuls  korrespondierende  Carotispulsation. 
Die  Höbe  der  Venenwellen  ist  eine  sehr  wechselnde  (s.  die  Kurven). 
In  der  Regel  wurden  3  Venenwellen  auf  einen  Radtalpuls  gezählt, 
vorübergehend  jedoch  anch  4  (s.  Kurve  1). 


Auch  an  der  Carotis  sind  keine  Geräusche  hörbar.  Bei  leb- 
hafterer Bewegung  tritt  kaum  eine  Beschleunigung  des  Pulses  ein. 
Die  Radialis  wie  Temporaiis  zeigen  nur  geringe  Spuren  von  Arterio- 
sklerose. Der  BIntdmck  betrug  nach  Gärtner  morgens  in  der 
Ruhelage  100  mm.  Lungen  wie  Bauchorgane  zeigen  keinerlei 
krankhafte  Verändernngen ;  seitens  des  Nervensystems  bestanden^ 
abgesehen  von  einer  leichten  Steigerung  der  Reflexe,  keine  Er- 
scheinungen. Der  Urin  wurde  in  normaler  Menge  entleert  und 
war  frei  von  firemden  Bestandteilen.  Spätere  Nachnntersnchungen 
ergaben  ständig  denselben  Befund. 

Zur  genauen  Analyse  der  Herztätigkeit  habe  ich  zu  verscbie- 


i»  XV. 

denen  Zeiten  PsUknrveQ  anfj^enommen,  di«  ständig  dasselbe  Vtir- 
halten  zagten,  wie  die  wiedei^eg'ebeneD.  Die  ArtArieDkorren  siad 
mit  Enoll-Marey'schen  Tromoieln  and  die  Venenpiil»e  nach 
Vollitrd  gezeichnet. 

Die  von  der  Jagolaris  and  Radi^ia  resp.  Carotis  derselbeo 
Seite  gleichzeitig  aofgeDommenen  Kurven  (1  a.  2)  zeigen  zanüchst 
das  bereits  oben  geschilderte  Verhalten  der  Jognlarispnlsation.  In 
der  Jngnlariskarve  sehen  wir  zauäcbst  eine  Zacke  c,  die  einer 
durch  die  Carotis  bedingten  £rhebnng  entspricht.  Sie  liegt  etwas 
TOT  der  Erhebung  der  Badialia,  entsprechend  dem  weiteren  Abstand 
des  Radialispnlses  vom  Herzen.  In  der  Kurve  2  ent^rechen  beide 
Erbebangen  c— C  sich  vollkommen.  Der  Zacke  c  folgen  nan  3  oder 
4  Zacken  (a„  a,  a).  Nach  der  Karve  1  zu  urteilen,  könnte  es 
scheinen,  als  ob  häufiger  4  Venenwellen  anfeinander  folgten  als  3. 
Das  ist  in  der  Tat  nicht  der  Fall,  ich  habe  nur  diese  Strecke  der 
Kurve  aus  besonderen  Gr&nden  gewählt  (s.  unten),  um  nicht  zuviel 
Kurven  wiedergeben  zu  müssen. 


Da  Extrasystolen  oder  fiustrane  Kontraktionen  (Quincke- 
Hochhans)  mit  Sicherheit  besonders  auch  durch  die  Höntgen- 
dorchlenchtung  anszuschlieSen  sind,  so  kJJnnte  es  sich  in  unserem 
Fall  nur  um  Herzbigemioie  oder  um  sog.  Herzbhwk  handeln.  Da 
Fälle  von  wahrer  Herzbigeminie  noch  nicht  beobachtet  worden  sind. 
80  war  diese  Annahme  von  vornherein  unwahrscheinlich,  mit  Sicher- 
heit aaszuBchliefien  war  sie  aber  durch  die  weiter  unten  zu  er- 
wähnende gleichzeitige  Aufnahme  der  Tätigkeit  des  rechten  und 
linken  Vorhofs  (s.  Kurve  3  n.  4).  Diese  Jugulariswellen.  welche 
in  gleichen  Intervallen  aufeinander  folgen,  können  nur  darch  die 
Kontraktion  des  rechten  Vorbofs  bedingt  sein,  da  sich  eine  Tri- 
cuspidalinsafficienz  and  damit  ein  rückläufiger  Venenpuls  mit  Sich^- 
heit  ansschliefien  lie£.    Daß  von  den  Jugulariszacken  die  kurz  vor 


über  Henblock  beim  Heiucheii.  281 

der  Zftcke  c  He^ieBde  a  jedesmal  der  der  Eammersystole  C  voraof- 
fdtendeD  Vorbofayrtvle  entspricht,  geht  schon  mit  ziemlicher  Sicher- 
heit aas  der  Enrve  hMTor.  da  a^  auf  C  zd  spät  folgt.  Roos,  dem 
ich  mich  Tollkommen  ansdiUeAe,  hat  das  in  seiner  Arbeit  (2^itschr. 
i  Uin.  Ued.  Bd.  59  p.  201)  noch  eing:ehender  aoseinandergesetzt 
Dirau  ergibt  sich  gleichzeitig,  daS  es  sich  anch  in  meinem  Fall 
vm  eine  veriangsamte  tTberleitnng  der  Erregung  vom  Vorbof  zur 
Kammer  handelt 


In  der  Regel  ist  die  auf  eine  Carotiszacke  folgende  Erhebung 
die  größte  und  die  ihr  folgenden  sind  kleiner.  Daß  dies  jedoch 
nicht  immer  der  Fall  ist,  zeigt  Kurve  1,  in  deren  mittlerem  Teil 
sogar  die  zweite  Zacke  die  hOhere  ist  Sind  zwei  höhere  Zacken 
da,  so  sind  es  immer  nur  die  beiden  ersten,  nnd  sie  finden  sich  in 
allen  meinen  Enrven  nor  dann,  wenn  4  Jagulariswellen  auf  einen 
Radialpnls  kommen.  Die  erste  höhere  Welle  kommt  dadurch  sn- 
Stande,  daß  die  sie  bedingende  Vorhofssystole  noch  in  den  Zeit- 
raum des  Verschlusses  der  Atrioventrikularklappe  filllt,  was  sich 
ohne  weiteres  daraus  ergibt,  daß  ihr  Beginn  noch  mit  der  Badialis- 
erhebnng  zusammeniäJlt  Auf  diese  Weise  läßt  sich  aber  doch 
wohl  kaum  die  zweite  hohe  Zacke  erklären.  Vielleicht  wird  man 
ftr  die  ungleiche  Höhe  der  Venenpnlse  anßer  der  angegebenen 
Ursache  noch  eine  Ungleichheit  in  der  Stärke  der  Vorhofskontrak- 
tibnen,  der  Widerstände  in  der  .Tngnlaris  sowie  zeitweise  stärkere 
Fhllung  der  Vorhöfe  heranziehen  müssen. 

Leider  ließ  sich  in  meinem  Fall  der  Spitzenstoß  nicht  anf- 
nehmen,  so  daß   das  zeitliche  Verhalten   der  Kontraktionen   der 


282  XV.     SCHBEIBER 

beiden  Vorhöfe  zueinander  nicht  dadurch  festgestellt  werden  konnte. 
Daß  die  beiden  Vorhöfe  aber  gleichzeitig  arbeiten,  glaubte  ich  zwar 
schon  daraus  schließen  zu  können,  daß  sich  gelegentlich  in  der 
Carotiskurve  neben  der  Haupterhebung  C  noch  eine  kleinere,  zeit^ 
lieh  etwas  vor  der  Zacke  a  der  Venenkurve  liegende  Erhebung  t 
fand.  Diese  kann  nach  Mackenzie  nur  durch  die  Kontraktion 
des  linken  Vorhofes  bedingt  sein  (siehe  Kurve  2).  Auch  die  Röntgen- 
durchleuchtung ergab  ein  vollkommen  synchrones  Verhalten  der 
Vorhöfe  einerseits  und  der  Ventrikel  andererseits. 

Um  jedoch  diese  synchrone  Arbeit  der  Vorhöfe  auch  graphisch 
darzustellen,  wandte  ich  das  von  Minkowski  (Deut.  med.  Wochen- 
schr.  Nr.  31  d.  Js.  p.  1248)  angegebene  Verfahren  an.  Kurve  3 
zeigt  nun  in  der  Tat,  daß  jeder  Erhebung  der  Jugulariswelle  d.  h. 
jeder  Kontraktion  des  rechten  Vorhofes  eine  Erhebung  in  der  vom 
Ösophagus  aufgenommenen  Kurve  d.  Ii.  einer  Kontraktion  des  linken 
Vorhofes  genau  entspricht.  Die  Kurve,  die  gewisse  Ähnlichkeiten 
mit  der  von  Minkowski  abgebildeten  zweiten  hat,  zeigt  bei  s 
einen  sehr  steilen  Abfall,  welcher  der  Zacke  c  C  der  Jugularis  und 
Radialis  ein  wenig  voraufgeht,  und  offenbar  der  vollkommenen  Ent- 
leerung des  linken  Vorhofes  entspricht.  Bei  jeder  neuen  Kon- 
traktion  des  linken  Vorhofes  dagegen  steigt  die  vom  Ösophagus  auf- 
genommene Kurve  etwas  an,  ein  Beweis  dafür,  daß  sich  bis  zur 
nächsten,  der  Kammersystole  gerade  voraufgehenden  Vorhofssystole 
der  linke  Vorhof  nicht  vollkommen  entleert,  sondern  immer  mehr 
mit  Blut  gefüllt  wird.  Hierdurch  ist  auch  wiederum  erwiesen,  daß 
die  der  kleinen  Erhebung  c  vorausgehende  Zacke  a  und  nicht  die 
ihr  folgende  Zacke  aj  der  Kammersystole  C  (Kurve  1)  entspricht. 
Damit  ist  wohl  zum  erstenmal  gezeigt,  daß  die  ziemlich  einfach 
auszuführende  Minkowski 'sehe  Methode  auch  praktisch  für  das 
Studium  des  Herzblocks  von  Nutzen  ist. 

Es  handelt  sich  also  in  meinem  Fall  um  einen  ausgesprochenen 
Herzblock;  dessen  Zustandekommen  heute  wohl  allgemein  nach  der 
Entdeckung  von  H  i  s  auf  eine  Schädigung  des  nach  ihm  benannten 
Bündels  zurückzuführen  ist. 

Bei  der  Gelegenheit  möchte  ich  übrigens  darauf  hinweisen, 
daß  man  sich  durch  die  Ausschläge  des  Eegistrierapparates  nicht 
ohne  weiteres  zu  der  Annahme  verleiten  lassen  dar^  daß  der  Gununi- 
ballon  an  der  richtigen  Stelle  liegt,  man  tut  doch  besser,  sich  in 
jedem  Fall  durch  Einführung  einer  Metallsonde  im  Röntgenlicht 
von  der  Lage  des  linken  Vorhofes  zu  überzeugen.  Bei  den  ersten 
Versuchen  wollte   ich  das  umgehen,   ich  erhielt   dabei  zwar  auch 


über  Herzblock  beim  Menschen.  283 

Änsscbläge,  die  aber,  weil  der  Ballon  oberhalb  des  Herzens  lag 
(Kurve  4)  in  umgekehrtem  Sinne  ausfielen,  d.  h.  es  entspricht,  wie 
das  auch  Kronecker  und  Meltzer  angegeben  haben,  die  Systole 
einer  Dilatation,  die  Diastole  einer  Kompression  des  Ballons  oder 
die  Systole  wird  angezeigt  durch  ein  Sinken  des  Schreibhebels  und 
die  Diastole  durch  eine  Erhebung  desselben.  Aber  auch  in  dieser 
Kurve  entsprechen  die  systolischen  Senkungen  des  linken  Vorhofes 
genau  den  systolischen  Erhebungen  des  rechten  Vorhofes. 

Welche  Ätiologie  und  welche  krankhaften  Veränderungen  in 
meinem  Fall  vorliegen,  ist  schwer  zu  entscheiden.  Von  der  Hand 
weisen  läßt  sich  nicht,  daß  dabei  eine  gleich  nach  dem  Unfall  auf- 
getretene Magendarmstörung  eine  Rolle  spielt.  Daß  es  sich  nicht 
um  eine  nervöse  Erkrankung  handelt,  ist  wohl  dadurch  erwiesen, 
daß  weder  Arbeit  noch  eine  Injektion  von  0,001  Atropin  irgend 
einen  nennenswerten  Einfluß  auf  die  Herztätigkeit  auszuüben  ver- 
mochte. 

Bei  dem  geringen,  mir  zur  Verfügung  stehenden  Raum  ver- 
meide ich  es,  auf  die  experimentelle  Begründung  und  Sympto- 
matologie dieser  Erkrankung  einzugehen  und  verweise  dabei  auf 
die  neueren  Arbeiten,  besonders  diejenige  von  Roos  (1.  c),  Snyers 
(23.  Kongreß  f.  inn.  Med.  p.  251),  Leuchtweis  (Deut.  Archiv  f. 
klin.  Med.  Bd.  86  H.  4,  5),  Finkein  bürg  (ebenda).  Erlanger 
(Journ.  of  exper.  med.  Bd.  VI  p.  676  u.  Bd.  VII  p.  8),  G  o  u  d  i  n  i  e  r 
(Albany  med.  annals  1906  Nr.  6),  sowie  auf  die  Arbeiten  von  T  a  war  a, 
der  unter  Aschoff  gearbeitet  hat  (Fischer,  Jena),  sowie  endlich 
auf  die  Untersuchungen  von  Hering  (Arch.  f.  Physiol.  Bd.  107, 108). 


XVI. 

Aus  der  KönigL  med.  Universitätsklinik  zn  Oöttingen. 

Zar  Kenntnis  der  Arthrogryposis. 

Von 

Dr.  Tintemann, 

AMiflteni&ret. 
(Mit  1  Karve.) 

In  neuerer  Zeit  hat  man  versucht,  unter  die  Formen  der  Kinder- 
tetanie  ein  bei  Kindern  in  den  ersten  Lebensjahren  selten  beobach- 
tetes Krankheitsbild  einzureihen,  welches  früher  als  selbständige 
Erkrankung  aufgefaßt  und  unter  dem  Namen:  Arthrogryposis  zu- 
erst von  Niemeyer*)  beschrieben  wurde.  Die  Identiflzierang 
beider  Prozesse  ist  wohl  kaum  berechtigt.  Vor  allem  hat  die 
Diagnose  der  Tetanie  durch  eine  große  Reihe  ausführlicher  und 
eingehender  Arbeiten  in  den  letzten  Jahrzehnten  eine  derartige 
Exaktheit  erlangt,  die  Tetanie  ist  durch  dieselben  ein  so  in  sich 
abgeschlossenes  Ganze  geworden,  daß  es  möglich  ist,  von  ihr  die 
Arthrogryposis  scharf  zu  trennen. 

Bevor  ich  auf  die  Diiferentialdiagnose  zwischen  beiden  Krank- 
heitsprozessen eingehe,  will  ich  kurz  einen  im  vorigen  Jahre  in 
der  Klinik  beobachteten  einschlägigen  Fall  in  seinem  Verlauf 
schildern. 

Am  19.  November  1905  wurde  der  9  Monate  alte  Knabe  F,  0.  in  die 
Medizinische  Klinik  aufgenommen  mit  der  Diagnose  Brechdurchfall.  Du 
Kind,  außerehelicher  Geburt,  von  angeblich  gesunden  Eltern  Btammend, 
ist  mit  der  Flasche  aufgezogen  und  vor  zwei  Tagen  erkrankt  mit  Ei^ 
brechen  und  häufigen  Durchfallen.  Es  ist  ein  gut  genährter,  sauber  ge- 
haltener Junge  mit  ausgesprochener  Khachitis.  Die  Unterschenkel  sind 
stark  gekrümmt,  die  Epiphysen  der  Extremitäten  aufgetrieben.  Die 
große  Fontanelle  hat  noch  einen  Durchmesser  von  6  : 5  cm,    das  Hinter- 


1)  Spezielle  Pathologie  und  Therapie. 


Zur  EenntBk  Aer  AitkragryposiB.  285 

Iniqit  iat  feat.  Ztim«  nnd  nieht  vorlumdea.  Anhaltepankte  fBr 
SjrfJülia  fisäen  neb  uiehL  Der  Laib  üt  waic^,  nicht  Hifgetrieben.  Die 
liili  iat   nicht  TergrtIBert,    die  BrvBtorgMM   ohne  patbologiMhea  Befiind. 

Am  Tage  der  Anfnakme  tritt  mehrmale  Erbrechen  ein.  Die  Stuhle 
und  dünn,  ttbrinAohend,  tob  grüner  Farbe  und  narer  Reaktion. 

Bereit«  am  folgenden  Tage  lind  nach  DÜtregelnng  nod  einigen 
Kilomalgaben  die  Danafiuiktiotien  geordnet;  der  Stuhl  iet  gelb,  breiig, 
TOD  normaler  Beechaffenbeit.  Erbrechen  tritt  ni<d)t  mehr  ein.  Der  Zu- 
■tand  bleibt  nnverändert  gnt  bis  anm  34.  November.  Machdem  i^  an 
dinem  Tage  daa  EJnd  bei  der  Horgenviaite  noch  gaMhen  and  nittereaebt 
Iwtte,  ohne  irgend  etwas  Ao^aUendea  so  bemerken,  —  die  Temperatur 
betrug  im  Bektam  gemeesen  wie  an  den  TOrbeigeheoden  Tagen  37"  — , 
werde  ich  nm  12  ühr  mittags  plötzboh  aa  ihm  auf  die  Abteilnng  ge- 
rufen, da  ea  Krämpfe  bekommen  habe. 

Die  aofort  vorgenommene  TemperatarmeBsting  ergab  Fieber,  über 
d«a»eD  Höhe  und  weiteren  Verlauf  die  beigefügte  Temperetn^lnuTe  orien- 
tieren mag. 


Dae  Kind  liegt  mit  in  den  EUenbogen  gebengten  und  an  den  Leib 
gedrfickten  Armen  im  Bett,  die  Handgelenke  sind  geatreckt,  die  Finger 
Btebeu  in  tjrpiscber  Oeburtshelferatellung. 

Die  Beine  sind  im  Hüft>  und  Kniegelenk  gebeugt,  an  den  Leib  ge- 
H^en.  Die  TnB>  und  Zehengelenke  werden  aktiv  &ei  bewegt.  Arme 
und  Beine  erichainen  unförmig  verdickt,  wie  Ödematöe,  die  Haut  darüber 
itt  prall  geapaant,  gÜliizend  blünlich  mannoriert,  Dellen  bleiben  bei 
Fingerdmck  nicht  stehen.  Beim  Betasten  und  Druck  auf  die  Extremitäten 
b^iant  daa  Kind  za  echreien.  Die  Kontraktaren  ohne  Anwendung 
stärkerer  Qewalt  anaaugleicben  gelingt  nicht,  bei  einem  Yeranch  lebhafte 
Schm  erzXuSenuigen . 

Di«  Banchdeeken  nnd  hart  und  gespannt.  Der  Kopf  wird  meist 
in  den  Hacken  gehalten ;  die  Kopfbewegnngen  sind  absolut  frei,  —  ebeneo 
sind  di«  Oemohts-  nnd  vor  allem  die  Kanmnskulatnr  an  dem  FroaeS 
nicht  beteiligt. 

Die  P«iostiebneiiTeäexe  der  unteren  Extremitäten  sind  nidit  analöa- 


286  XVI.    TlNTKMANN 

bar.  Jede  Erhöhung  der  mechaniBchen  Erregbarkeit  der  Nerven  nnd 
Muskeln  fehlt.  Beklopfen  des  FaciaÜBstammes,  Bestreichen  der  Gesiehts- 
muskulatar,  das  Facialisphänomen  in  seinen  verschiedenen  Abstofangen, 
ruft  keine  Muskelzuckungen  in  ihr  hervor.  Druck  auf  die  groEen  Nerven 
und  Gefäße  der  Extremitäten  (Trousseau'sches  Phänomen)-  bewirkt 
weder  eine  Steigerung  der  Kontrakturen  (Arme)  noch  ruft  er  solche  her- 
vor (Zehen).  Laryngospastische  Anflälle  fehlen,  ebenso  alle  RemLssionen 
in  der  Stärke  der  Kontrakturen. 

Am  folgenden  Tage  (25.  November)  hat  sich  die  Handstellung  in- 
sofern geändert,  als  beide  Hände  jetzt  krampfhaft  zur  Faust  geschlossen 
sind,  wobei  der  Daumen  nach  innen  geschlagen  ist.  Die  Hände  sind 
gleichzeitig  im  Handgelenk  stark  flektiert,  die  Beine  sind  an  den  Leib 
gesogen,  namentlich  im  Kniegelenk  extrem  gebeugt.  Die  Füße  stehen 
in  Spitzfußstellung ,  die  Zehen  unbeweglich,  stark  plantar-flektiert. 
Die  Kontrakturen,  ohne  die  geringste  Remission,  sind  nicht  ausgleichbar. 
Die  Atmung  ist  beschleunigt,  ungleichmäßig,  oft  von  tiefen  seufzerartigen 
Inspirationen  unterbrochen.  Die  Zunge  wird  jetzt  dauernd  zwischen  den 
Zähnen  gehalten,  erscheint  etwas  geschwollen.  Der  Kopf  wird  frei  be- 
wegt, in  der  Ruhelage  gewöhnlich  etwas  in  den  Nacken  gebeugt  gebalten. 
Das  Kind  schreit  viel,  namentlich  beim  Anfassen  und  Zurechtlegen. 

Die  Nahrungsaufnahme  ist  gut,  der  Stuhl  von  normaler  Farbe  und 
Beschaffenheit. 

Auch  jetzt  weder  Facialis-  noch  Trousseau'sches  Phänomen,  keine 
gesteigerte  Reflexerregbarkeit. 

In  den  folgenden  Tagen  bleibt  der  Zustand  zunächst  unverändert 
Erscheinungen  von  selten  des  Magendarmkanals  fehlen  vollkommen.  Die 
Nahrungsaufnahme  ist  gut,  das  Kind  nimmt  ^/^  Pfd.  an  Gewicht  zu.  Irgend 
ein  pathologischer  Befand  in  den  inneren  Organen  kann  nicht  erhoben 
werden. 

Vom  28.  November  ab  wird  die  Fauststellung  der  Hände  weniger 
krampfhaft.     Der  Bauch  ist  noch  hart  und  gespannt. 

Am  2.  Dezember  schwindet  zunächst  die  Schwellung  und  das  öde- 
matöse  Aussehen  der  oberen  Extremitäten.  Die  Fauststellung  der  Hände 
besteht  noch,  sie  ist  rechts  weniger  ausgesprochen  als  links.  Der  rechte 
Zeigefinger  kann  aktiv  ein  wenig  bewegt  werden.  Die  Beugestellung  der 
Handgelenke  ist  vollkommen  geschwunden.  Die  Kontrakturen  der  unteren 
Extremitäten  sind  unverändert,  ebenso  die  Schwellung  derselben.  Auch 
jetzt  weder  Trousseau'sches  noch  Facialisphänomen.  Keine  Darmer- 
scheinungen. 

Am  4.  Dezember  treten  unter  Ansteigen  der  Temperatur  wenige 
Durchfälle  auf,  deren  Farbe  gelb  ist  nnd  die  auf  Kalomel  schnell 
schwinden.  (5.  Dezember.)  Eine  Steigerung  der  Kontrakturen  tritt 
dabei  nicht  ein,  dieselben  gehen  vielmehr  langsam  weiter  zurück. 

Am  9.  Dezember  werden  die  Hände  und  Arme  langsam  selbständig 
bewegt,  die  Finger  sind  in  der  Ruhestellung  noch  leicht  gekrümmt  im 
Gelenk  zwischen  Mittelhandknochen  und  Grundphalanx,  der  Daumen  ist 
vollkommen  opponiert  (Geburtshelferstellung).  Die  Ellenbogen  werden 
gebeugt,  die  Arme  an  den  Leib  gehalten. 

Bei  passiven  schnelleren  Bewegungen  schreit  das  Kind  lebhaft. 


Zur  Kenutnis  der  Arthrogryposis.  287 

Die  Beine  sind  Doch  unbeweglich^  aber  weniger  stark  flektiert  im 
Hüft-  und  Kniegelenk,  die  Zehen  zur  Planta  gekrümmt.  Die  Schwellung* 
der  unteren  Extremitäten  ist  gleichfalls  geschwunden.  Die  Kontrakturen 
sind  jetzt  ausgleichbar,  kehren  jedoch  sofort  wieder.  Die  Periosts  ebne  n- 
reflexe  sind  auslösbar,  aber  nicht  erhöht.  Weder  Trousseau'sches  noch 
Facialisphänomen,  keine  idiomuskulären  Wülste. 

In  den  nächsten  Tagen  gehen  die  noch  bestehenden  Kontrakturen 
mehr  und  mehr  zurück.  Schm«rzäußerungen  wie  Schreien,  beim  An- 
fassen, fehlen  jetzt  vollkommen.  Am  längsten  hält  sich  die  Plantarflexion 
der  Zehen. 

Am  25.  Dezember  ist  auch  diese  geschwunden.  Zugleich  kehrt 
aach  die  Zunge  in  ihre  normale  Lage  zurück.  Die  mechanische  Erreg- 
barkeit der  Muskeln  und  Nerven  ist  auch  jetzt  nicht  gesteigert.  Nirgends 
besteben  Lähmungen. 

Symptome  von  Seiten  des  Gehirnes  fehlten  während  des  ganzen  Yer« 
laufes  der  Krankheit.  Der  Urin,  während  des  Höhestadiums  mehrfach 
antersucht,  war  stets  frei  von  pathologischen  Bestandteilen. 

Das  Körpergewicht  nahm  auch  während  der  Fieberperiode  zu. 

Der  Intellekt  des  Kindes  ist,  soweit  erkennbar,  gut  entwickelt,  es 
greift  nach  vorgehaltenen  Gegenständen,  beginnt  damit  zu  spielen,  lacht» 
ist  sehr  lebhaft.  — 

Wenn  ich  noch  einmal  kurz  wiederholend  den  Verlauf  des 
Krankheitsbildes  zusammenfasse,  ergibt  sich  folgendes: 

Kurze  Zeit  nach  einer  vollkommen  abgeheilten  Darmerkrankung 
treten  bei  einem  nicht  ein  Jahr  alten,  rhachitischen  Kinde  plötzlich 
unter  ganz  akuter  Temperatursteigerung  ohne  nachweisbare  Organ- 
erkrankung tonische  Kontrakturen  vorwiegend  der  Extremitäten 
ein,  die  anscheinend  sehr  schmerzhaft  und  mit  einer  starken 
Schwellung  der  Haut  der  betroffenen  Glieder  verbunden  sind.  Die- 
selben bestehen  ohne  alle  Intermissionen  mehrere  Tage  lang,  bilden 
sich  dann  langsam  unter  Bückgang  des  Fiebers  zurück,  ohne  Läh- 
mungen zu  hinterlassen.  Dabei  besteben  niemals,  auch  auf  der 
Höhe  der  Krankheit  nicht,  erhöhte  mechanische  Erregbarkeit  der 
Muskeln  und  Nerven,  nie  laryngospastische  Anfälle. 

Wohin  gehört  nun  dieses  Krankheitsbild? 

Von  den  für  die  Differentialdiagnose  in  Betracht  kommenden 
tonischen  Krampfzuständen  bei  Kindern  sind  von  vornherein  fast 
alle  auszuschalten,  die  in  einer  Erkrankung  des  Gehirnes  ihren 
Ursprung  haben.  Meningitis,  Hydrocephalus  und  auch  Tumoren 
(Solitärtnberkel)  können  unter  Umständen  ganz  ähnliche  Erschei- 
nungen machen,  doch  finden  sich  bei  ihnen  allen  dann  mehr  oder 
minder  ausgesprochene  Symptome  von  seiten  des  direkt  oder  in- 
direkt in  Mitleidenschaft  gezogenen  nervösen  Zentralorgan  es,  vor 
allem   die  verschiedenen  Zeichen  des  gesteigerten  intrakraniellen 


288  XVI.    TlKTEMAKK 

Drackes,  die  in  der  mitgeteilten  Beobachtung,  wie  bereits  betont 
dauernd  vollkommen  fehlten.  Bei  der  Little'sehen  Krankheit  ^),  der 
spastischen  Oliederstarre  der  Säuglinge  oder  diplegischen  Cerebr&I- 
lähmung,  die  zudem  in  den  meisten  Fällen  seit  der  Geburt  besteht, 
findet  sich  nie  eine  derartige  Beugekontraktur  der  Oberarme  and 
Bände,  die  Reflexe  sind  hochgradig  gesteigert  und  die  Beine  fast 
stets  hypereztendiert.  Zudem  bleiben,  falls  die  spastische  Starre 
zurückgeht,  ausnahmslos  Lähmungen  leichteren  oder  schwereren 
Grades  zurück. 

Von  den  übrigen  tonischen  Krämpfen  der  Kinder  ist  wohl 
neben  der  Tetanie  nur  noch  der  Tetanus  zu  berücksichtigen.  Es 
ist  ja  bekannt,  daß  bei  ihm  eine  Eingangspforte  für  das  Krank- 
heitsgiffc  nicht  immer  zu  finden  ist.  Jedoch  bietet  auch  hier  die 
DiiFerentialdiagnose  keine  Schwierigkeiten,  da  bei  ihm  die  in  erster 
Beihe  ergriffenen  Muskelgruppen  vollkommen  andere  sind.  Gerade 
die  Hände,  die  hier  vorzugsweise  und  zuerst  in  Mitleidenschaft 
gezogen,  bleiben  beim  Tetanus  relativ  frei,  während  Kau-  und 
Nackenmuskulatur,  die  hier  frei  waren,  gerade  beim  Starrkrampf 
das  Typische  des  Krankheitsbildes  ausmachen.  Auch  die  bei  ihm 
so  enorm  gesteigerte  Beflezerregbarkeit  bietet  ein  Unterscheidongs- 
roerkmal. 

Eine  eingehendere  Berücksichtigung  bedaif  die  Differential- 
diagnose zur  Tetanie  der  Kinder.  Nach  den  Forschungsergebnissen 
der  letzten  Jahrzehnte  handelt  es  sich  bei  dieser  Erkrankung  an 
intermittierende  Krämpfe  vorzugsweise  der  Extremitäten, 
die  mehrere  Minuten,  in  seltenen  Fällen  bis  über  einen  Tag 
dauern  und  auslösbar,  resp.  zu  steigern  in  ihrer  Intensität  sind 
durch  Druck  auf  die  größeren  Gefäßstränge  der  betroffenen  Ex- 
tremitäten (Trousseatt'scfaes  Phänom).  Dabei  besteht  auch  in  der 
Zwischenzeit  zwischen  den  einzelnen  Anfällen  erhöhte  mecha- 
nische (Facialisphänomen)  und  zugleich  damit  erhöhte  elektrische 
Erregbarkeit  der  peripheren  Nerven  und  Muskeln.  Die  Reflexe 
sind  meist,  aber  nicht  immer,  gesteigert,  die  Körpertemperatur  kaon 
fieberhaft  sein ;  jedoch  erreicht  das  Fieber  gewöhnlich  keinen  hoben 
Grad.  In  der  Mehrzahl  der  Fälle  von  ausgebildeter  Tetanie  finden  sich 
neben  den  Krämpfen  laryngospastiscbe  Anfälle,  von  Loos~)  ist  so- 
gar der  Laryngospasmus  als  das  sicherste  und  wichtigste  diagnostische 
Kennzeichen  der  Tetanie  hingestellt  worden. 


1)  Nothnagel,  SpezieUe  Pathologie  und  Therapie. 

2)  Deutsches  Archiv  fttr  klinische  Medizin  Bd.  50. 


Zur  Kenntnis  der  Arthrogryposis.  289 

Vergleichen  wir  damit  das  oben  gegebene  Krankheitsbild,  so 
haben  wir  bei  beiden  gemeinsam  die  Lokalisation  der  Krämpfe  vor- 
zugsweise  in   den  Extremitäten,   namentlich   den  Beginn   in   den 
Händen,  deren  Stellung  bei  den  schweren  Tetanieformen  auch  aus 
der  als  typisch  angesehenen  Geburtshelferstellung  in   die  der  oben 
geschilderten  Faust  übergehen  kann.    Gemeinsam  ist  ihnen  wohl 
weiter  das  ätiologische  Moment,  die  akute  Intoxikation  oder  In- 
fektion und  die  mit  ihr  zusammenhängende  Temperatursteigerung. 
Dagegen  fehlen  im  Krq.nkheitsbilde  gerade  alle  die  charakteristischen 
Symptome,  auf  die  wir  die  Diagnose  der  Tetanie  aufbauen,  voll- 
kommen :  die  anfallsfreien  Intervalle,  die  Äuslösbarkeit  der  Krampf- 
anfalle, die  erhöhte  mechanische  Erregbarkeit,  die  laryngospasti- 
schen  Anfälle.    Es  handelt  sich  im  Gegensatz  zur  Tetanie  um  eine 
wochenlang  andauernde  tonische  Starre  der  Extremitäten  ohne  alle 
Zeichen  einer  irgendwie  erhöhten  (mechanischen)  Erregbarkeit  der 
Muskeln  und  Nerven,  einen  Zustand,  der  sich  in  der  modernen 
Literatur  anscheinend  nur  noch  bei  Strümpell)  als  selbständiges 
Krankheitsbild  unter  dem  Namen  Arthrogryposis  beschrieben  findet 
Die    erste    eingehende   Abhandlung    über    diese   Erkrankung 
findet  sich,  wenn  man  von  Steinheim 's  kurzer  Veröffentlichung 
in  Hecker's  Annalen  (1830),  die  jetzt  allgemein  als  die  erste  Be- 
schreibung der  Tetanie  angesehen  wird,  absieht,  in  Niemeyer 's 
spezieller  Pathologie   und  Therapie  unter   dem  Namen   der  idio- 
pathischen Krämpfe  in  den  Muskeln  der  Extremitäten.    Von  dem- 
selben Autor  wurde   später   auch   als  Synonym   die  Bezeichnung 
Arthrogryposis   eingeführt.     Dieselbe    scheint    eine    weitere   Ver- 
breitung nie  gefunden  zu  haben,  einmal  wohl,   weil  die  wirklichen 
Arthrogryposisfälle  an  und  für  sich  selten  sind,   andererseis  die 
meisten  von  ihnen,  nicht  richtig  gedeutet,  zur  Tetanie  gerechnet 
wurden.    Schon  in  einer  Veröffentlichung  aus  dem  Jahre  1881  von 
Koppe-)  wurden  dann  Arthrogryposis  und  Tetanie  als  Synonyma 
gebraucht,  die  dort  beschriebenen  Fälle  gehören  anscheinend  zur 
Tetanie. 

In  der  Tat  war  eine  exakte  Möglichkeit,  beide  Krankheits- 
bilder zu  trennen,  erst  gegeben,  als  das  abweichende  Verhalten 
der  mechanischen  Erregbarkeit  der  Muskeln  und  Nerven,  die  Be- 
deutung des  Facialis-  und  Trousseau'schen  Phänomens,  für  die  Dia- 
gnose der  Tetanie,  erkannt  war.    Trotzdem  machen  auch  weiterhin 

1)  Strümpell,  Lehrbuch  der  speziellen  Pathologie  und  Therapie.  13.  Aufl. 
in.  Band. 

1)  Archiv  für  Kinderheilkunde  1881  Bd.  II. 
Deatscbes  Archiv  f.  klin.  Medizin.    89.  Bd.  19 


290  XVI.    TiNTEMAKN 

nur  einzelne  Autoren  eine  scharfe  Sonderung  zwischen  beiden 
Krankheitsbildern,  ohne  jedoch  meist  den  Namen  Arthrogryposis 
zu  gebrauchen.  So  beschreibt  Henoch^)  in  seinen  Vorlesungen 
über  Kinderkrankheiten  die  Affektion  unter  der  auch  schon  früher 
angewandten  Bezeichnung  der  idiopathischen  Kontrakturen.  Die  von 
ihm  gegebene  Schilderung  stimmt  mit  der  Darstellung  im  Anfang 
der  Arbeit  vollkommen  überein.  Als  ätiologische  Momente  werden 
Zahndurchbruch ,  Darmerkrankungen  und  Rhachitis  angegeben. 
Henoch  erwähnt  auch,  daß  diese  Kontrakturen  von  der  Tetanie, 
zu  der  sie  vielfach  gerechnet  würden,  zu  trennen  seien,  daß  bei 
ihnen  das  Trousseau'sche  Phänomen  stets  negativ  sei. 

Ebenso  betont  Hoch  singe  r^)  in  einer  im  Jahre  1900  in  der 
Wiener  klinischen  Wochenschrift  erschienenen  Arbeit  die  Grund- 
verschiedenheit  „der  kindlichen  Dauerspasmen"  von  der  Tetanie. 
Allerdings  stimmt  er  im  übrigen  in  der  Auffassung  des  ganzen 
Krankheitsbildes  mit  Henoch  und  Strümpell  nicht  überein. 
Er  hält  die  Arthrogryposis  nicht  für  eine  selbständige  Erkrankung, 
sondern  kommt  auf  Grund  einer  ganzen  Reihe  von  Untersuchungen 
über  die  von  ihm  Myotonie  der  Neugeborenen  und  jungen  Säuglinge 
genannte  Affektion  zu  folgendem  Ergebnis:  Es  besteht  bei  jedem 
neugeborenen  Kinde  eine  gewisse  permanente  Hypertonie  der  Ex- 
tremitätenmuskulatur und  zwar  vor  allem  der  Flexoren,  deren  Über- 
wiegen als  eine  extrauterine  Fortdauer  der  intrauterinen  Frucht- 
lialtung  zu  erklären  ist.  Im  Verlauf  der  mannigfachen  Säuglings- 
erkrankungen kommt  es  zu  einer  pathologischen  Steigerung  dieser 
normal  vorhandenen,  physiologischen  Myotonie,  deren  Resultat  ein 
tonischer  Krampfzustand  der  Extremitäten  ist.  Zwischen  physio- 
logischer und  pathologischer  Myotonie  kommen  alle  Übergangs- 
stufen vor.  Die  für  die  Tetanie  charakteristische  Übererregbarkeit 
der  Muskeln  und  Nerven  fehlt  dabei  stets.  Die  Myotonie  ist  also 
niemals  ein  primäres  Leiden,  doch  kann  sie  als  solches  imponieren, 
wenn  die  Spasmen  im  Vordergrunde  des  Krankheitsbildes  stehen, 
dasselbe  beherrschen. 

Diese  Definition  und  Erklärung  des  Zustandekommens  der 
Kontrakturen  hat  etwas  Bestechendes,  ist  jedoch,  wie  aus  der  ge- 
schilderten Krankheitsgeschichte  hervorgeht,  jedenfalls  nicht  für 
alle  Fälle  richtig.  Und  ich  möchte  gerade  dieser  Beobachtung  des- 
halb  eine   gewisse   Bedeutung   zumessen,    weil   das  Kind   bereits 


1)  Vorlesungen  über  Kinderkrankheiten  1889. 

2)  Wiener  klinische  Wochenschrift  1900  Nr.  7. 


Zur  Kenntnis  der  Arthrogryposis.  291 

«inige  Zeit  vor  Äusbrnch  der  Krämpfe  sich  in  klinischer  Beobachtung 
nnd  Überwachung  befand,  so  daß  derselbe  unter  unseren  Augen 
vor  sich  ging.  Die  vorausgehende  Enteritis  war,  soweit  sie  über- 
haupt der  Diagnose  zugängig,  vollkommen  abgelaufen,  irgend  eine 
Organerkrankung  nicht  nachweisbar.  Das  Kind  war  gesund  und 
sollte  entlassen  werden.  Da  treten  ganz  akut  in  einem  Moment 
hohes  Fieber  und  schmerzhafte  mit  Schwellung  der  Haut  verbundene 
Kontrakturen  auf.  Wir  haben  ein  Bild  vor  uns,  wie  es  fast  nur 
eine  akute  Infektion,  die  ja  immerhin  vom  Darm  ausgegangen  sein 
mag,  schafft.  Daß  aber  eine  irgendwie  schwerere  Erkrankung  des 
Verdauungstraktus  nicht  vorgelegen  haben  kann,  dafür  spricht  auch, 
daß  das  Kind  selbst  während  der  fieberhaften  Periode  der  Er- 
krankung an  Körpergewicht  dauernd  zunahm. 

Eine  sichere  Entscheidung  darüber,  ob  es  sich  wirklich  um 
eine  Infektion  oder  Intoxikation  handelt,  läßt  sich  natürlich  an  der 
Hand  einer  einzelnen  Beobachtung  nicht  treffen,  ebensowenig  wie 
darüber,  wo  diese  Giftwirkung  ihren  Angriffspunkt  hat.  Die  wenigen 
bisher  veröffentlichten  Sektionsbefunde  einwandsfreier  Arthrogry- 
posisfälle  haben  ein  irgendwie  sicheres  Resultat  nicht  ergeben. 
Meist  ist  der  Sitz  der  Erkrankung  in  das  Nervensystem  verlegt 
worden.  Vereinzelt  will  man  pathologische  Veränderungen  an  den 
Vorderhomzellen  des  Rückenmarkes  gefunden  haben  und  versucht 
das  Zustandekommen  der  Kontrakturen  als  Reizwirkung  zu  er- 
klären ;  in  anderen  Fällen  ergab  die  Autopsie  ein  vollkommen  nega- 
tives Resultat  in  bezug  auf  das  Nervensystem. 

Muß  denn  überhaupt  in  diesem  der  Sitz  der  Erkrankung  ge- 
sucht werden?  Der  ganze  Symptomenkomplex  läßt  eine  andere 
Deutung  zu. 

Das  Auftreten  der  starken  Schwellungen  der  Extremitäten  zu- 
gleich mit  dem  Fieber,  bevor  die  Kontrakturen  ihre  stärkste  Aus- 
bildung erlangt  haben,  namentlich  auch  an  den  Beinen,  kann  nur 
schwer  durch  eine  Stauung  infolge  derselben  erklärt  werden.  Be- 
achten wir  daneben  die  starke  Schmerzhaftigkeit  der  befallenen  Ex- 
tremitäten bei  Druck,  den  Beginn  der  Erkrankung  in  den  Armen,  die 
Beteiligung,  vor  allem  durch  Schwellung,  der  fast  nur  aus  muskulösen 
Organen  bestehenden  Zunge,  so  haben  wir  ein  Bild,  wie  es  dem  der 
aknten  Myositis  entspricht,  die  ja  eine  fieberhafte  Erkrankung,  heute 
als  eine  Infektionskrankheit  aufgefaßt  wird.  Ob  es  sich  tatsächlich 
bei  der  Arthrogryposis  um  eine  Erkrankung  des  Muskelapparates 
handelt,  können  nur  pathologisch-anatomische  Untersuchungen  an 
letal  verlaufenden  Fällen  der  seltenen  Erkrankung  lehren. 

19* 


XVII. 

Die  Diphtherie  als  Volkssenche  und  ihre  Bekämpfong. 

Von 

Professor  Dr.  Tjaden, 

Geschäftsführer  des  Oesundheitsrats  in  Bremen. 

In  einer  Arbeit,  die  es  sich  zur  Aufgabe  stellt,  die  Diphtherie 
als  Volksseuche  und  die  Maßnahmen  zu  ihrer  Zurttckdrängung  zu 
besprechen,  ist  zunächst  die  Vorfrage  zu  erörtern:  spielt  die  Diph- 
therie unter  den  weite  Kreise  befallenden  Krankheiten  noch  eine 
genügend  wichtige  KoUe,  daß  sie  zu  ihrer  Bekämpfung  besondere 
Maßregeln  erfordert  oder  ist  das  ärztliche  Kustzeug  so  yollkommen 
geworden,  daß  die  Erkrankung  für  den  einzelnen  und  damit  die 
Summe  der  Erkrankungen  für  die  Allgemeinheit  ihre  Bedeutnnjr 
verloren  hat? 

Daß  die  Diphtherie  seit  der  Einführung  des  Heilserums  ihres 
Schreckens  als  Kinderwürgengel  zum  Teil  entkleidet  ist,  darüber 
ist  die  überwiegende  Mehrheit  der  Praktiker  sich  einig.  Die  aas- 
gedehnte und  steigende  Verwendung  des  Serums  beweist  das.  Bei 
unserer  kritischen  Zeitrichtung  kann  ein  Heilmittel  sich  nicht 
12  Jahre  hindurch  als  eins  der  meistangewendeten  halten,  wenn 
ihm  nicht  ein  innerer  Wert  zukommt.  Nicht  so  einig  wie  die 
ärztlichen  Praktiker  sind  die  Statistiker.  Immer  wieder  begegnet 
man  dem  Hinweis,  daß  auch  die  früheren  Epidemien  nach  der 
Schwere  der  einzelnen  Erkrankungen  und  nach  der  Zahl  der  Ge- 
samterkrankungen weitgehende  Schwankungen  gezeigt  hätten  und 
daß  um  die  Mitte  der  neunziger  Jahre  aus  irgendwelchen,  nicht 
näher  zu  bestimmenden  Ursachen  ein  solcher  Nachlaß  auch  in  dem 
Seuchenzuge  eingetreten  sei,  welcher  seit  etwa  Mitte  des  vorigen. 
Jahrhunderts  die  Kulturnationen  befallen  hat.  Für  diese  Anschauung 
wird  angeführt,  daß  die  früheren  Seuchenzüge  ebenfalls  jedesmal 
eine  etwa  fünfzigjährige  Dauer  gezeigt  hätten  und  dann  erloschen 
seien;  am  Schlüsse  einer  solchen  fünfzigjährigen  Seuchenperiode 


Die  Diphtherie  als  Volksseuche  und  ihre  Bekämpfung.  293 

befinde  man  sich  zurzeit.  Bei  einem  derartigen  Analogieschluß 
wird  aber  außer  acht  gelassen,  daß  einmal  die  Verkehrsverhält- 
nisse  ganz  andere  geworden  sind  als  vor  ein  und  zwei  Jahrhunderten 
und  daß  ferner  die  Zahl  der  in  erster  Linie  empfanglichen  Indi- 
viduen, der  Kinder,  eine  bei  weitem  größere  ist  als  früher.  Wenn 
im  16.,  17,  und  18.  Jahrhundert  die  Diphtherie  in  einer  Landschaft 
auftrat,  so  mußte  sie  im  Laufe  der  Jahre  hier  eine  weitgehende 
Immunität  unter  der  im  großen  und  ganzen  stabilen  Bevölkerung 
schaffen.  Neue  Infektionsstoflfe,  virulentere  Stämme  wurden  kaum 
zugeführt;  frisches,  für  die  Seuche  empfängliches  Menschenmaterial 
aus  seuchefreien  Gegenden  kam  ebenfalls  nicht  hinzu,  weil  ein  Orts- 
wechsel größerer  Menschenmengen  über  weitere  Strecken  nicht 
stattfand.  Ebenso  war  der  natürliche  Zuwachs  durch  Geburten  gering, 
wenn  auch  vielleicht  nicht  relativ  im  Verhältnis  zur  Zahl  der  vor- 
handenen Menschen,  so  doch  jedenfalls  absolut  im  Vergleich  zur 
Jetztzeit.  Der  Hinweis,  daß  wir  uns  am  Ende  eines  fünfzigjährigen 
Seuchenzuges  befänden,  weil  frühere  Epidemien  eine  ähnliche  Zeit- 
dauer gezeigt  hätten,  weil  es  zur  inneren  Natur  der  Diphtherie- 
epidemien gehöre  ungefähr  nur  solange  zu  dauern,  steht  daher 
schon  dadurch  auf  schwachen  Füßen,  daß  die  wesentlichsten  Ver- 
gleichsunterlagen nicht  vergleichbar  sind. 

Es  stehen  uns  aber  auch  einige  Zahlen  dafür  zur  Verfügung, 
daß  von  einem  spontanen  Erlöschen  nicht  die  Rede  sein  kann. 
Freilich  müssen  sie  mit  aller  Vorsicht  gewertet  und  verwertet 
werden.  Aus  den  Erkrankungsziffern  lassen  sich  selbst  dort  kaum 
Schlußfolgerungen  ziehen,  wo  die  Meldepflicht  seit  Jahrzehnten  be- 
steht. Der  Arzt  kann  nur  solche  Fälle  melden,  die  ihm  zur  Be- 
handlung  zugeführt  werden,  das  ist  aber  nur  ein  Bruchteil  der 
tatsächlichen  Erkrankungen.  Dieser  Bruchfeil  ist  allerdings  ein 
steigender  geworden,  seitdem  durch  die  Krankenversicherung  und 
die  Einbeziehung  der  Familienangehörigen  die  Bezahlung  des 
Arztes  für  die  einzelne  Leistung  seitens  der  Familien  seltener 
wrurde.  Bei  einer  Anzahl  Erkrankungen,  die  früher  mit  Haus- 
mitteln oder  gar  nicht  behandelt  wurden,  wird  seit  20  Jahren  in 
zunehmendem  Maße  der  Arzt  herangezogen.  Ein  Vergleich  der  Er- 
krankungsziffem  für  weiter  zurückliegende  Jahrzehnte  wird  damit 
erschwert;  ein  Vergleich  der  letzten  Jahre  untereinander  aber  er- 
leichtert 

Weiter  ist  zu  berücksichtigen,  daß  bei  manchen  Erkrankungen 
selbst  der  Arzt  ohne  Heranziehung  der  bakteriologischen  ünter- 
suchungsmethoden    nicht    entscheiden    kann,    ob    eine    durch    den 


294  XVU.  Tjadbn 

Diphtheriebazillus  hervorgerufene  echte  Diphtherie  vorliegt  oder 
nicht  Einfache,  aber  schwer  einsetzende  Halsentzündungen  weitlea 
als  Diphtherie  zur  Anzeige  gebracht,  eine  weit  größere  Zahl  von 
leicht  verlaufenden,  mit  geringen  und  rasch  verschwindenden  Be- 
lägen einhergehenden  echten  Diphtherieerkrankungen  jedoch  als 
Halsentzündungen  angesehen  und  nicht  gemeldet.  Auch  hierin  ist 
in  den  letzten  Jahren  eine  Besserung  eingetreten  in  solchen  Städten, 
wo  unentgeltlich  arbeitende  bakteriologische  Laboratorien  vorhanden 
sind.  Auf  dem  Lande  freilich,  in  kleinen  und  mittleren  Städten 
geschieht  die  Heranziehung  der  bakteriologischen  Untersuchung  zur 
Sicherung  der  Diagnose  erst  in  geringem  Grade.  Die  Bestrebungen 
auf  diesem  Gebiete  datieren  mit  wenigen  Ausnahmen  erst  aus  den 
letzten  Jahren.  Selbst  in  Bremen,  wo  das  hygienische  Institut  seit 
dem  Jahre  1894  sich  in  dieser  Richtung  bemüht,  ist  ein  nennens- 
werter Erfolg  erst  seit  vier  Jahren  zu  verzeichnen.  In  den  beiden 
Jahren  1904  und  1905  wurden  hier  allerdings  von  852  bzw.  907 
gemeldeten  Diphtheriefallen  bei  644  bzw.  791  auch  die  bakterio- 
logische Bestätigung  herbeigeführt. 

Erkrankungszahlen,  die  aus  den  letzten  Jahren  und  aus  solchen 
Städten  stammen,  in  denen  von  der  bakteriologischen  Untersuchun^f 
in  größerem  Maße  Gebrauch  gemacht  wird,  lassen  sich  daher  eher 
verwerten.  Es  seien  deshalb  die  Zahlen  für  Bremen  aus  den  letzten 
vier  Jahren  hier  angeführt. 

Im  Jahre  1902  kamen  450 

1903  „   470 

1904  „   852 

1905  „   907 


Diphtheriefalle  zur  Kenntnis  der  Be- 
hörden. 


Die  Bevölkerungsziffer  hat  in  den  vier  Jahren  keine  solche 
Vermehrung  gezeigt,  daß  sich  daraus  die  Zunahme  der  Erkrankungen 
erklären  ließe.  Eine  kleine  Erhöhung  der  Erkrankungsmeldungen 
ist  jedoch  dadurch  bedingt,  daß  seit  1904  der  Umgebung  der 
Kranken  eine  größere  Aufmerksamkeit  geschenkt  wurde  und  dad 
solche  Fälle  bei  der  Behörde  als  Diphtherie  zur  Meldung  kamen, 
bei  denen  virulente  Diphtheriebazillen  festgestellt  werden  konnten. 
Die  Zahl  dieser  Fälle  betrug  jährlich  50—60.  Wenn  man  nun 
diese  auch  von  der  Gesamtsumme  abzieht,  so  ergibt  sich  doch  eine 
Erkrankungsziffer  von  etwa  1650  in  den  Jahren  1904  und  1905 
gegen  930  in  den  Jahren  1902  und  1903.  In  Bremen  hat  also  seit 
zwei  Jahren  eine  Steigerung  in  der  Ausbreitung  der  Diphtherie 
eingesetzt,  die,  nebenbei  bemerkt,  auch  1906  weiter  dauert. 


Die  Diphtherie  als  Volksseache  nnd  ihre  Bekämpfang.  29& 

Aas  anderen  Großstädten  steht  mir  ein  so  gut  vergleichbares 
Haterifld  nicht  znr  Verfügung.  Wünschenswert  ist  es,  daß  die  in 
den  Großstädten  immer  mehr  in  Wirksamkeit  tretenden  Stadtärzte 
der  Frage  der  Diphtherieverbreitung  unter  den  obigen  Vorsichts- 
maßregeln ihre  Aufmerksamkeit  zuwenden. 

Eine  bessere  Unterlage  für  die  Beurteilung  des  Epidemie- 
Terlaufes  der  Diphtherie  wird  erhalten,  wenn  man  von  der  Er- 
krankungsziffer absieht  und  die  Zahl  der  an  Diphtherie  Gestorbenen 
zur  Zahl  der  Gesamtbevölkerung  in  Vergleich  bringt.  Bei  den 
Sterbefallen  ist  die  diagnostische  Angabe  auch  in  den  früheren  Jahren 
als  durchweg  zutreffend  anzusehen,  man  darf  die  Zahl  der  ge- 
meldeten Todesfälle  einerseits  als  durch  Diphtherie  bedingt,  anderer- 
seits als  ziemlich  alle  Diphtherietodesfalle  umfassend  verwerten. 

Für  Bremen  zeigt  sich  nun,  daß  in  den  neun  Jahren  1885  bis 
1893  einschließlich  auf  100000  Lebende  berechnet  zusammen  353 
Menschen  an  Diphtherie  starben,  in  jedem  Jahre  also  rund  40.  In 
den  neun  Jahren  1895—1903  einschließlich  starben  dagegen,  wieder 
auf  100000  Lebende  berechnet,  147,  d.h.  jährlich  16  Personen  (die 
Schwankungen  bewegten  sich  nur  wenig  über  und  unter  dem  Durch- 
schnitt). Das  Jahr  1894  ist  bei  der  Berechnung  ausgeschaltet,  weil 
in  ihm  die  Serumbehandlung  in  der  zweiten  Hälfte  einsetzte;  seine 
Verwertung  würde  die  Zahl  der  Vorserumzeit  verschlechtert  haben. 
In  den  beiden  Jahren  1904  und  1905  betrug  die  Zahl  der  Todes- 
ftUe  wieder  59  bzw.  66,  auf  100000  Lebende  berechnet  31.  Wie 
erklärt  sich  diese  Tatsache?  Das  spezifische  Serum  hat  an  Heil- 
wert nichts  eingebüßt,  das  beweisen  tausendfache  Beobach- 
tungen am  Krankenbette.  Einzelne  Ärzte  sträuben  sich  zwar  noch 
gegen  die  Anwendung  dieses  Heilmittels  und  andere,  die  es  be- 
nutzen, zögern  reichlich  lange.  Wenngleich  auf  diese  Tatsachen 
eine  Anzahl  von  Todesfällen  zurückzuführen  sein  dürfte,  so  kann 
hierin  jedoch  eine  Erklärung  für  die  Steigerung  gegen  die  Vor- 
jahre nicht  gefunden  werden,  weil  die  Verhältnisse  in  bezug  auf 
die  Anwendung  des  Serums  in  den  Jahren  1904  und  1905  mindestens 
dieselben,  wenn  nicht  bessere  waren  als  in  den  Vorjahren.  Der 
Grund  liegt  vielmehr  darin,  daß  neben  der  größeren  Ausbreitung 
der  Diphtherie  in  den  letzten  Jahren  der  Charakter  der  einzelnen 
Erkrankungen  vielfach  ein  schwererer  geworden  ist  als  früher  und 
daß  damit  das  Moment  der  Nichtanwendung  oder  verspäteten 
Anwendung  des  Heilserums  eine  größere  und  verderblichere  Be- 
deutung gewonnen  hat.  Für  Bremen  läßt  sich  behaupten,  daß  die 
Dipbtherieepidemie  nicht  im  Abklingen  begriffen  ist,  sondern  daß 


296  XVII.  Tjadkn 

sie  Neigang  zeigt,  an  Schwere  der  einzelnen  Erkrankungen  und 
an  Ausdehnung  zuzunehmen.  Ein  gleiches  scheint  auch  anderer- 
wärts  zu  geschehen;  der  36.  Jahresbericht  des  Landes-Medizinal- 
kollegiums  über  das  Medizinalwesen  im  Königreich  Sachsen  auf  das 
Jahr  1904  sagt  über  Diphtherie:  „Die  Anzahl  der  durch  die  Diph- 
therie erfolgten  Todesfalle  hat  in  den  beiden  letzten  Jahren  (1903 
und  1904)  eine  nicht  unerhebliche  Vermehrung  erfahren."  „Hand 
in  Hand  mit  der  Vermehrung  der  Erkrankungs-  und  Todesfälle  an 
Diphtherie  ging  auch  eine  Steigerung  der  Zahl  und  des  Umfanges 
der  Epidemien,  welche  letztere  überdem  teilweise  ziemlich  bösartig 
auftraten,  sich  oft  recht  lange  hinzogen  und  bei  den  erkrankten 
Kindern  vielfach  ernste  Nachkrankheiten  zur  Folge  hatten."  In 
Hamburg  haben  die  Jahre  1902  und  1903  ebenfalls  eine  wesent- 
liche Zunahme  der  Erkrankungen  und  der  Todesfälle  gezeigt 

Mit  einem  spontanen  Verschwinden  der  Diphtherie,  wie  früher 
die  großen  Seuchenzüge  der  vergangenen  Jahrhunderte  erloschen 
sind,  ist  vorläufig  nicht  zu  rechnen. 

Das  Heilserum  hat,  soweit  die  Zahlen  ein  Urteil  zulassen,  zu 
einer  bemerkenswerten  Herabsetzung  der  ErkrankungsziiFem  nicht 
geführt.  Die  Frage,  ob  eine  solche  überhaupt  erwartet  werden 
darf,  soll  weiter  unten  erörtert  werden. 

Eine  Minderung  der  Todesfälle  ist  erreicht  worden,  daran  be- 
steht kein  Zweifel.  Aber  trotz  der  Wirksamkeit  des  Heilmittels 
erliegen  noch  jahraus  jahrein  eine  große  Anzahl  von  Personen  der 
Diphtherie. 

Die  Ursache  liegt  darin,  daß  eine  Beihe  von  Erkrankungs- 
fallen mit  Heilserum  nicht  behandelt  werden,  sei  es,  daß  ein  Arzt 
überhaupt  nicht  hinzugezogen  wird,  sei  es*,  daß  der  Arzt  ans 
wissenschaftlichen  oder  anderen  Gründen  die  Verwendung  von 
Serum  und  dergleichen  Heilmitteln  verwirft.  Bei  einer  anderen 
Zahl  von  Erkrankungen  wird  zwar  Serum  angewandt,  aber  zu 
spät  oder  in  zu  kleinen  Dosen.  Es  wird  vielfach  übersehen,  daÄ 
das  Wesen  der  Diphtherie  eine  Vergiftung  ist  und  daß  infolge- 
dessen die  Wirkung  des  Gegengiftes  versagen  muß,  wenn  das  Gift 
nicht  mehr  frei  kreist  oder  nur  locker  verankert  ist,  sondern  be- 
reits Zeit  gehabt  hat,  lebenswichtige  Zellkomplexe  zu  zerstören. 
Aus  gleichem  Grunde  führen  zu  kleine  Gaben  des  Gegengiftes  in 
manchen  Fällen  nicht  zur  Lebenserhaltung  des  Erkrankten.  Daß 
Mengenbeziehungen  zwischen  Gift  und  Gegengift  auch  bei  der 
gegfenseitigen  P'inwirkung  im  menschlichen  Körper  bestehen. .  steht 


Die  Diphtherie  als  Yolkssenche  nnd  ihre  Bekämpfung.  297 

fest,  wenngleich  über  die  Art  dieser  Beziehungen  die  Meinungen 
noch  auseinandergehen. 

Es  gibt  aber  auch  eine  Anzahl  von  Erkrankungen,  die  so 
stürmisch  einsetzen,  daß  selbst  bei  relativ  rascher  Anwendung  hoher 
Seruradosen  der  Tod  nicht  verhindert  werden  kann.  Die  Ursache 
liegt  wahrscheinlich  darin,  daß  die  Infektion  durch  große  Mengen 
oder  durch  hochvirulente  Stämme  oder  durch  eine  Verbindung 
beider  stattfand,  oder  daß  es  sich  um  Mischinfektionen  mit  Strepto- 
oder  Staphylokokken  handelt.  Die  Relativität  zwischen  Erkrankung 
und  Serumanwendung  kommt  neben  der  Spezifität  des  Serums  hier 
ebenfalls  zur  Geltung. 

Man  wird  für  die  nähere  Zukunft  nicht  erwarten  dürfen,  daß 
die  Serumanwendung  die  Sterblichkeit  in  einer  Weise  herabsetzt, 
welche  Maßnahmen  zur  Verhütung  der  Erkrankung  überflüssig 
macht.  Daß  eine  Krankheitsverhütung  vom  Standpunkte  der  ge- 
samten Volkswohlfahrt  selbst  eine  sichere  Krankheitsheilung  weit 
überragt,  bedarf  nicht  der  Erörterung.  Man  würde  also  auch  dann 
noch  die  Pflicht  haben,  an  eine  Bekämpfung  der  Krankheitsver- 
breitung heranzugehen,  wenn  die  Zahl  der  Diphtherie- Todesfälle 
eine  geringe  wäre.  Das  letztere  trifft  aber  zurzeit  nicht  zu,  starben 
doch  im  Jahre  1903  im  Deutschen  Reiche  noch  19402  Personen  an 
Diphtherie. 

Die  einleitend  gestellte  Frage,  ob  die  Diphtherie  trotz  des 
Heilserums  unter  den  Volksseuchen  noch  eine  so  große  Rolle  spielt, 
daß  zu  ihrer  Bekämpfung  besondere  Maßnahmen  erforderlich  sind, 
ist  zu  bejahen. 

Gibt  die  Bejahung  das  Recht  und  die  Pflicht  zu  Bekämpfungs- 
maßnahmen, so  können  solche  von  sicherem  Erfolge  nur  gekrönt 
sein,  wenn  wir  wissen,  wo  die  Ursache,  der  Erreger  der  Krankheit 
zu  siiclien  ist. 

Als  wissenschaftlich  feststehende  Grundlagen  darf  dabei  an- 
gesehen werden: 

1.  daß  die  Diphtherie  eine  ansteckende  Krankheit  ist, 

2.  daß  sie  durch  den  Löffler'schen  Bazillus  hervorgerufen 
wird  und 

3.  daß  es  niemals  zu  einer  Diphtherie  kommt,  wenn  nicht  der 
Löffler'sche  Bazillus  Gelegenheit  gefunden  hat.  auf  das 
menschliche  Gewebe  einzuwirken. 

Unter  Anerkennung  dieser  drei  Tatsachen  ergibt  sich  sofort 
die  Fragestellung :  Wo  haben  wir  den  Diphtheriebazillus  zu  suchen, 
ist  er  ubiquitär,   d.  h.  kommt  er  überall  in  der  Natur  vor,  findet 


298  XVII.  Tjaden 

er  sich  als  Schmarotzer  bei  gesunden  und  kranken  Menschen  oder 
findet  er  sich  nur  bei  Erkrankten  bzw.  bei  solchen  Menschen, 
welche  zu  Erkrankten  oder  Angesteckten  in  direkter  Beziehung 
stehen?  Es  ist  einlenchtend,  daß  eine  Verhütung  der  Aufnahme  des 
Diphtheriebazillus  in  den  menschlichen  Organismus  nicht  möglich 
wird,  wenn  das  Bakterium  ein  ständiger  Gast  unserer  Umgebung 
ist.  Ist  aber  die  Quelle  der  Ansteckung  in  letzter  Linie  immer 
wieder  ein  Erkrankter,  dann  muß  es  gelingen,  zunächst  rein  theo- 
retisch gedacht,  der  Seuche  Herr  zu  werden.  Sucht  man  diese 
theoretische  Möglichkeit  in  die  Praxis  umzusetzen,  so  müssen  die 
Infektionsquellen  möglichst  vollständig  und  möglichst  frühzeitig  zur 
Kenntnis  gelangen  und  man  muß  imstande  sein,  sie  so  zu  be- 
handeln, daß  sie  für  weitere  Kreise  eine  Gefahr  nicht  mehr  bilden. 
Lassen  sich  beide  Forderungen  in  genügender  Weise  erfüllen,  dann 
wird  die  absolute  Ansteckungsmöglichkeit  eine  immer  kleinere 
werden;  die  Zahl  der  Erkrankungsfälle  wird  sich  in  absteigender 
Linie  bewegen. 

Zur  Frage  der  übiquität  des  Diphtheriebazillus  hat  in  aus- 
gesprochener Weise  v.  Behring  Stellung  genommen;  in  seiner  in 
der  Coler'schen  Bibliothek  erschienenen  Monographie  über  die 
Diphtherie  bejaht  er  die  Übiquität.  v.  Behring  stellt  sich  daher 
auf  den  Standpunkt,  daß  es  nicht  viel  Erfolg  verspreche,  durch 
allgemein  hygienische  Maßnahmen,  wie  Isolierung,  Desinfektion 
und  ähnliches  die  Verbreitung  der  Krankheit  zu  bekämpfen.  Eigene 
Untersuchungen  über  die  Verbreitung  des  Diphtheriebazillus  stehen 
V.Behring  anscheinend  nicht  zur  Verfüguug,  er  benutzt  die  vor- 
handenen Literaturangaben.  Seine  Schlußfolgerungen  aus  diesen 
sind  meines  Erachtens  nicht  zutreffend,  weil  er  einmal  die  Virulenz 
der  gefundenen  Diphtheriebazillen  für  die  Verbreitung  der  Ki-ank- 
heit  nicht  genügend  beachtet  hat,  und  weil  er  zweitens  die  Ver- 
hältnisse, in  denen  die  untersuchten,  angeblich  gesunden  Menschen 
zueinander  standen,  nicht  hinreichend  berücksichtigte. 

Die  Frage,  wie  sich  der  sog.  Pseudodiphtheriebazillus,  der 
avirulente  Diphtheriebazillus  und  der  virulente  Diphtheriebazillus 
morphologisch,  kulturell  und  genetisch  zueinander  verhalten,  kann 
hier  zunächst  ausscheiden.  Für  die  rein  praktische  Seite  der  Ver- 
breitung der  Krankheit  kommt  nur  der  virulente  Diphtheriebazillus 
in  Betracht.  Das  ist  festzuhalten.  Ich  habe  weder  in  der  Literatur 
irgendwelche  Belege  finden  können,  noch  sprechen  die  über  Tausende 
von  Fällen  sich  erstreckenden  Beobachtungen  des  Bremer  hygienischen 
Instituts  und  der  Bremer  Sanitätspolizei  dafür,  daß   durch  aviru- 


Die  Diphtherie  als  Volksseache  nnd  ihre  Bekämpfung.  299 

Jente  oder  Pseudodiphtheriebazillen  eine  üebertragung  der  Krank- 
heit stattfindet.  Inwieweit  nnter  dem  Einflasse  komplizierender 
Infektionen  von  Masern  und  Scharlach  ein  Wiedererwachen  der 
teilweise  geschwundenen  Virulenz  bei  den  Diphtheriebazillen  möglich 
ist,  mag  unentschieden  bleiben.  Einzelne  Beobachtungen  von  B  o  u  x 
uDd  Yersin  lassen  es  nicht  als  ganz  ausgeschlossen  erscheinen, 
daß  es  vorkommen  kann.  Aber  selbst  wenn  diese  Möglichkeit  zu* 
gegeben  werden  muß,  dann  hat  die  Richtigkeit  des  Satzes,  daß  der 
virulente  Diphtheriebazillus  för  die  Verbreitung  der  Diphtherie 
praktisch  allein  wichtig  ist,  wohl  eine  geringe  Einschränkung  ge- 
fanden,  ist  aber  nicht  hinfällig;  dafür  ist  schon  die  Zahl  der 
Komplikationen  mit  Masern  und  Scharlach  im  Vergleich  zur  Zahl 
der  reinen  Diphtheriefalle  zu  klein. 

Die  in  der  Literatur  gemachten  Angaben  über  das  Vorkommen 
von  Diphtheriebazillen  bei  anscheinend  Gesunden  sind  also  darauf- 
hin nachzuprüfen,  wieweit  es  sich  um  virulente  Diphtheriebazilleu 
gehandelt  hat. 

Als  zweites  Moment  ist  zu  beachten,  daß  man  nicht  geschlossene 
Gruppen  von  Menschen  zur  Untersuchung  heranziehen  darf,  wenn 
man  sich  Klarheit  darüber  verschaflFen  will,  wieweit  die  Diphtherie- 
bazillen unter  der  Gesamtbevölkerung  verbreitet  sind.  Wir  wissen 
einwandsfrei,  daß  jeder  Diphtheriekranke  einen  Mittelpunkt  bildet, 
von  dem  aus  je  nach  der  Intensität  des  Verkehrs  die  Bazillen  mehr 
oder  weniger  weit  auf  die  Umgebung  tibergehen.  Auch  für  an- 
scheinend gesunde  Bazillenträger  trifft  dies  zu,  sofern  die  Zahl 
der  bei  ihnen  vorhandenen  Bakterien  eine  genügend  große  ist. 
Zieht  man  nun  die  Insassen  von  Asylen,  Pensionaten,  Schulen, 
Kasernen  oder  ähnlichen  Instituten  zur  Untersuchung  heran,  in 
denen  gelegentlich  Diphtheriefälle  vorgekommen  sind,  so  wird  man 
immer  eine  Anzahl  von  Menschen  finden,  bei  denen  noch  die  Über- 
reste der  stattgehabten  Kontaktinfektion  vorhanden  sind.  Die  von 
dem  einzelnen  Forscher  festgestellte  Zahl  der  Diphtheriebazillen- 
träger ist  dann  selbstverständlich  richtig,  fehlerhaft  wird  die  Sache 
aber,  sobald  man  die  in  geschlossenen  Anstalten  gefundenen  Zahlen 
auf  die  Gesamtbevölkerung  überträgt.  Wenn  Aas  er,  um  ein  Bei- 
spiel aus  der  Literatur  zu  wählen,  in  der  Kavalleriekaseme  zu 
Christiania,  in  der  sporadisch  immer  wieder  Fälle  von  Diphtherie 
auftraten,  bei  17  von  89  anscheinend  gesunden  Kavalleristen  viru- 
lente Diphtheriebazillen  fand,  so  beweist  das  durchaus  nicht,  daß 
auch  von  der  übrigen  Bevölkerung  Christian ias  19  Prozent  Diph- 
theriebazillen in  ihren  Bachenorganen  mit  sich  führten. 


300  XVII.  Tjaden 

Aber  auch  dann,  wenn  man  Anstalten  zur  Untersuchung  heran- 
zieht, in  denen  akute  Erkrankungen  an  klinischer  Diphtherie  nicht 
zur  Kenntnis  gekommen  sind,  ist  das  gewonnene  Ergebnis  nur  mit 
großer  Vorsicht  zu  verwerten.  Zufällig  latent  verlaufene  Fälle,  die 
klinisch  nur  leichte  Erscheinungen  mj^chten,  können  doch  zur  Ver- 
breitung der  Diphtherie  führen  und  bei  derartigen  Untersuchungen 
eine  verhängnisvolle  Rolle  spielen.  Es  begegnet  uns  bei  Haus- 
epidemien nicht  selten,  daß  bei  genauem  Zufragen  in  Familien, 
die  im  Hause  wohnen,  aber  an  der  Epidemie  nicht  beteiligt  sind. 
Kinder  gefunden  werden,  welche  einige  Wochen  vorher  über  Hals- 
beschwerden klagten,  und  die  bei  der  bakteriologischen  Untersuchung 
sich  als  die  Träger  virulenter  Diphtheriebazillen  ergaben. 

Will  man  sich  ein  zutreffendes  Urteil  in  diesen  Fragen  bilden, 
so  muß  eine  größere  Anzahl  von  Menschen  untersucht  werden,  die 
unter  sich  keine  Beziehungen  haben;  die  Untersuchungen  müssen 
sich  über  einen  längeren  Zeitraum  erstrecken  und  sie  müssen 
mit  allen  Hilfsmitteln  der  Diagnostik,  auch  Tierversuchen,  an- 
gestellt werden. 

Prüft  man  von  diesen  Gesichtspunkten  aus  die  Literaturangaben 
über  die  Verbreitung  virulenter  Diphtheriebazillen  unter  der  Ge- 
samtbevölkerung, so  zeigt  sich,  daß  sie  für  eine  Ubiquität  in  keiner 
Weise  beweisend  sind. 

In  Bremen  ist  die  Frage  der  Ubiquität  ebenfalls  geprüft  worden. 
Ein  halbes  Jahr  lang  wurde  sämtlichen  Kindern,  welche  wegen 
nicht  ansteckender  Krankheiten  in  das  Kinderkrankenhaus  ver- 
bracht werden  sollten,  sofort  bei  der  Aufnahme  der  Hals  ausge- 
wischt. Die  Entnahme  des  Untersuchungsstoffes  geschah  in  allen 
Fällen  durch  dieselbe  gut  geschulte  Schwester.  Bei  keinem  der 
233  auf  diese  Weise  geprüften  Kinder  fanden  sich  virulente  oder 
schwach  virulente  Diphtheriebazillen.  Zur  Kontrolle  wurden  zwei 
Monate  lang  die  in  das  chirurgische  Krankenhaus  Aufgenommenen 
(fast  ausschließlich  Erwachsene)  in  gleicher  Weise  untersucht 
Auch  unter  diesen  72  Kranken  waren  bei  keinem  infektionstüchtige 
Diphtheriebazillen  vorhanden. 

In  der  zum  Kinderkrankenhaus  gehörenden  Gruppe  fanden 
sich  bei  42  Kindern  Bakterien,  die  ihrem  Aussehen,  ihrem  färbe- 
rischen  Verhalten  und  ihrem  Wachstum  nach  alle  Übergänge  zeigten 
von  entfernter  zu  weitgehender  Ähnlichkeit  mit  virulenten  Diph- 
theriebazillen. 

Lange  Formen  mit  positiver  Neißerfärbung,  lange  Formen  ohne 


Die  Diphtherie  als  Volkssenche  und  ihre  Bekämpfung.  301 

diese,  mittelgroße  Formen  mit  vereinzelter  Neißerf&rbung ,  da- 
zwischen  wieder  ganz  kurze  Formen,  kurz  alle  Übergänge  waren 
auf  den  verschiedenen  Platten  vorhanden.  Niemals  aber  ließ  sich 
selbst  mit  großen  Dosen  der  Reinkulturen  bei  den  Normalversuchs- 
tieren (Meerschweinchen  von  200— 250  g  Gewicht)  der  Exitus  oder 
ein  allgemeines  Krankheitsbild  auslösen.  Es  wurde  kein  Bedenken 
getragen,  die  mit  derartigen  avirulenten  Bakterien  behafteten 
Kinder  auf  die  allgemeinen  Säle  zwischen  die  anderen  Kinder  zu 
legen,  und  in  keinem  Falle  haben  sich  bei  den  Bettnachbarn  Hals- 
erkrankungen eingestellt.  In  den  Familien  der  42  Kinder  wurden 
mit  Hilfe  der  behandelnden  Arzte  Nachforschungen  angestellt;  in 
einer  Anzahl  konnten  mit  mehr  oder  weniger  großer  Wahrschein- 
lichkeit vorhergegangene  Halsentzündungen  bei  den  Kindern  oder 
ihren  Familienangehörigen  ermittelt  werden. 

Unter  den  72  in  das  chirurgische  Haus  Eingelieferten  hatten  6 
in  ihren  Halsorganen  Bakterien,  von  denen  das  gleiche  gilt,  wie 
bei  der  anderen  Gruppe  beschrieben. 

Das  Ergebnis  der  Bremer  Untersuchungen  läßt  sich  also  dahin 
zusammenfassen,  daß  von  305  aus  den  verschiedensten  Gegenden 
der  Stadt  und  ihrer  Umgebung  stammenden  Personen,  Erwachsenen 
und  Kindern,  trotz  sorgfaltigster  Untersuchung  keiner  in  seinen 
Halsorganen  Bakterien  zeigte,  die  zur  Verbreitung  der  Diphtherie 
befähigt  sind. 

Hält  man  diesen  Befund  zusammen  mit  dem,  was  oben  über 
die  Literaturangaben  gesagt  ist,  so  kommt  man  zu  dem  Ergebnis^ 
daß  bei  der  Verbreitung  der  Diphtherie  die  sog.  Ubiquität  der 
Diphtheriebazillen  nicht  mitwirkt,  daß  sie  daher  bei  der  Beurtei- 
lung der  Wirksamkeit  allgemein  hygienischer  Maßnahmen  aus- 
zuscheiden hat. 

Wird  die  Frage  der  Ubiquität  venieint,  so  müssen  die  Quellen 
ermittelt  werden,  aus  denen  die  Krankheitserreger  sich  ergänzen, 
von  denen  aus  dem  glimmenden  Feuer  stets  von  neuem  soviel 
Brennstoff  zugeführt  wird,  daß  es  nicht  erlischt. 

Der  klinisch  schwer  diphtheriekranke  Mensch  ist  Träger  des 
Ansteckungsstoffes,  das  wissen  wir;  aber  seine  Rolle  als  direkter 
Verbreiter  der  Seuche  über  weitere  ßevölkerungskreise  wird  über- 
schätzt. Solange  er  mehr  oder  weniger  schwere  Krankheitserschei- 
nungen bietet,  bedeutet  er  nur  eine  Gefahr  für  seine  nächste  Um- 
gebung. Die  Gefahr  für  die  Allgemeinheit  beginnt  erst,  wenn 
die  Krankheitserscheinungen  abzuklingen  beginnen  oder  erloschen 


302  XVII.   Tjadkn 

sind  und   der  gewohnte  Verkehr  nnd  die  gewohnte  BeschäftigUDf 
wieder  aufgenommen  wird. 

Die  Beseitigung  der  lokalen  Krankheitssymptome  im  Halse  und 
das  Verschwinden  des  subjektiyen  Krankheitsgefühls  geht  nur  bis 
zu  einem  gewissen  Grade  parallel  mit  dem  Erlöschen  der  Än- 
steckungsfähigkeit. 

Die  wichtigsten  Nachsymptonie,  die  Lähmungen,  treten  vielfach 
erst  auf,  wenn  die  Diphtheriebazillen  nicht  mehr  vorhanden  sini 
Auf  der  anderen  Seite  finden  sich  noch  infektionstüchtige  Diph- 
theriebazillen bei  einer  Anzahl  von  Menschen,  die  vom  klinischen 
Standpunkt  aus  objektiv  und  subjektiv  gesund  geworden  sind. 

Über  das  Verharren  der  Diphtheriebazülen  in  den  Rachen- 
organen von  Diphtherierekonvalescenten  sind  in  Bremen  während 
der  Jahre  1903,  1904  und  1905  folgende  Beobachtungen  gemacht 
worden: 

Positive  Erstuntersuchungen  wurden  in  den  drei  Jahren  1843 
gemacht;  davon  konnten  1338  so  lange  wieder  untersucht  werden, 
bis  die  Dipththeriebazillen  verschwunden  waren.  Von  dem  ver- 
bleibenden Rest,  505  =  26,5  7o>  starben  85  =  4,5%  der  Gesamt- 
summe, 420  =  22%  entzogen  sich  den  weiteren  Untersuchungen. 
Nebenbei  sei  bemerkt,  daß  der  Prozentsatz  dieser  letzteren  Personen 
von  Jahr  zu  Jahr  geringer  geworden  ist.  Im  Jahre  1903  waren 
es  31,5%  der  Gesamtsumme,  1904  23,5%  und  1905  17,6%. 

Bei  den  1338  Wiederuntersuchten  —  die  Erstuntersuchung 
fand  durchweg  im  Beginn  oder  kurz  nach  dem  Beginn  der  klini- 
schen Erscheinungen  statt  —  waren  die  Diphtheriebazillen  ver- 
schwunden 

bei   897  =  67  %    nach  2  Wochen 

V 


1004  = 

-  75  % 

n 

3 

1109: 

83,6  X 

n 

4 

1192: 

-  89,1  «/„ 

n 

5 

1248: 

93,4  o/o 

n 

6 

1297: 

=  96,9  % 

n 

7 

1303: 

97,4  % 

n 

8 

1329: 

99,3  % 

n 

9 

1331: 

=  99,5  »/o 

n 

10 

1336  = 

-  99,9  7o 

ri 

11 

1336  = 

-  99,9  o/o 

» 

12 

1337  = 

-  99,95  «/o 

n 

14 

1338  = 

=  100  \ 

« 

17 

„  1192  =  89,1  «/o     „      5        „ 

n 

„  1303  =  97,4%     „      8        „ 

„  lo29  =  99,o  /q      „      9         „ 

n 

n 

„  1337  =  99,93  »/o    „    14 

„  1338  =  100%      „    17 


Die  Diphtherie  als  Yolksaeache  nnd  ihre  Bekämpfung.  303 

Die  in  den  einzelnen  Jahren  gewonnenen  Zahlen  stimmen  gnt 
untereinander  überein  nnd  die  Gesamtsumme  ist  groß  genug,  daß 
man  sie  verwerten  kann.  Für  die  praktische  Bekämpfung  der 
Diphtherie  ergibt  sich  also,  daß  bei  etwa  %  der  Erkrankten  die 
Diphtheriebazillen  in  den  ersten  beiden  Wochen  wieder  verschwinden, 
daß  Dach  Ablauf  von  3  Wochen  sie  noch  vorhanden  sind  bei  25  ^/^ 
der  Erkrankten,  nach  Ablauf  von  5  Wochen  bei  10  %.  Die  Ver- 
minderung geht  dann  schrittweise  weiter,  einzelne  Ausläufer  haben 
sich  nach  unseren  Beobachtungen  bis  zu  17  Wochen  gehalten. 

Hierbei  ist  jedoch  zu  berücksichtigen,  daß  bei  den  Personen, 
welche  virulente  Diphtheriebazillen  lange  Zeit  in  ihren  Rachen- 
organen beherbergen,  die  Zahl  der  Bazillen  vielfach  keine  große 
ist.  Für  die  Verbreitungsmöglichkeit  ist  es  aber  ein  Unterschied, 
ob  der  Genesende  in  seinen  Halsorganen  Millionen  von  Krankheits- 
keimen beherbergt  oder  ob  es  nur  einzelne  sind,  die  sich  eben  noch 
mit  unseren  feinen  technischen  Hilfsmitteln  nachweisen  lassen.  Des- 
halb klingen  die  Literaturangaben,  daß  Diphtheriebazillen  bei  so 
und  so  viel  Personen  noch  so  und  so  lange  gefunden  sind,  für  die 
praktische  Bekämpfung  ungünstiger,  als  die  Verhältnisse  tatsäch- 
lich sind. 

Die  vorstehenden  Zahlen  sind  um  ein  Geringes  günstiger  als 
die  von  Schell  er  aus  Königsberg  mitgeteilten;  die  Ursache  der 
Differenz  wird  später  erörtert  w^erden. 

Wenn  man  das  Bremer  Material  in  die  3  Altersgruppen 
1—5  Jahre,  6—14  Jahre  und  über  14  Jahre  zerlegt,  so  ergeben 
sich  auffällige  Unterschiede  nicht.  Nach  Ablauf  von  3  Wochen 
waren  die  Bazillen  in  den  einzelnen  Gruppen  noch  vorhanden 
bei  24,9®/»,  24,8%  und  25,2  **/o,  es  ist  also  eine  weitgehende 
Übereinstimmung  vorhanden.  Von  diesem  Zeitpunkte  an  fand 
allerdings  bei  den  Erwachsenen  eine  raschere  Abnahme  statt  als 
bei  den  Kindern.  Nach  Ablauf  von  5  Wochen  waren  die  Zahlen 
7,1%,  8,3%  und  2,6%;  nach  6  Wochen  3,8%,  3,5%  und  0,7%. 
Bestätigt  sich  die  raschere  Abnahme  bei  Erwachsenen,  so  ist  das 
für  die  Durchfuhrung  der  Bekämpfungsmaßnahmen  eine  Erleich- 
terung. 

Neben  den  Diphtherierekonvaleszenten  kommen  als  zweite  Gruppe 
die  Hausgenossen  der  Erkrankten  für  die  Verbreitung  der  Krankheit  in 
Betracht.  Es  ist  oben  schon  darauf  hingewiesen,  das  der  Diphtherie- 
kranke einen  Mittelpunkt  bildet,  von  dem  aus  die  Keime  je  nach 
der  Intensität  4es    Verkehrs  mehr  oder   weniger  weit  ausgesät 


304  XVII.  Tjaden 

werden.    Die  Flttgge'sche  Tröpfcheninfektion  spielt  hier  eine  bc- 
deutungsvolle  Rolle. 

In  erster  Linie  sind  es  die  nicht  genügend  isolierten  Ge- 
schwister, die  Gelegenheit  haben,  von  ihrem  kranken  Bruder  oder 
Schwester  die  Keime  aufzunehmen  und  die  sie  tatsächlich  auch 
aufnehmen.  In  den  Jahren  1904  und  1905  hatten  wir  Gelegenheit 
469  solche  anscheinend  gesunde  Geschwister  zu  untersuchen.  Es 
fanden  sich  49  =  10,5  %  behaftet  mit  virulenten  Diphtheriebazillen, 
115  =  25%  löit  diphtherieähnlichen,  aber  avirulenten  Bazillen  von 
der  Art,  wie  sie  oben  geschildert  sind.  Der  Ausdruck  „diphtherie- 
ähnlich"^  soll  hier  und  im  folgenden  nur  der  Einfachheit  wegen 
gebraucht  werden,  ohne  etwas  über  die  Herkunft  der  Bakterien 
und  ihren  Zusammenhang  mit  Diphtheriebazillen  zunächst  zu  prä- 
judizieren. 

Von  100  untersuchten  Geschwistern  erwiesen  sich  also 
3550/    /1Ö%  behaftet  mit  ansteckungstüchtigen  Diphtheriebazillen, 
'     ^  l25%        „         „    diphtherieähnlichen  Bazillen, 
64,5%  frei  von  Diphtheriebazillen. 

Mütter  von  diphtheriekranken  Kindern  wurden  97  untersucht, 
davon  waren: 

114  =  14,5  %  behaftet  mit  ansteckungstüchtigen  Diphtherie- 
bazjllen, 
9  =  9,57o  „  „    diphtherieähnlichen  Bazillen. 

74  =  76%  waren  frei. 
Väter  von   diptheriekranken  Kindern  wurden   78  untersucht, 
davon  waren: 

I6  =  7,7  7o  behaftet  mit   ansteckungstüchtigen  Diphtherie- 
bazillen, 
6  =  7,7  %         „  „     diphtherieähnlichen  Bazillen, 

66  =  84,5  7o  waren  frei. 
Sonstige   Familien-   oder   Hausgenossen    (Dienstpersonal,   G«- 
Schäftsgehilfen  usw.)  wurden  251  untersucht,  davon  waren: 

17  =  2,8  %  behaftet  mit  ansteckungstüchtigen  Diphtherie- 
bazillen, 
42  =  16,2  %        „        „    diphtherieähnlichen  Bazillen, 
202  =  81  %  waren  frei. 

War  eins  der  Eltern  erkrankt,  so  fanden  sich  bei  den  Kindern 
die  Krankheitserreger  wieder  häufiger.  33  Kinder  wurden  unter- 
sucht, deren  Vater  oder  Mutter  an  Diphtherie  litt,  davon  waren: 


Die  Diphtherie  als  Volksseache  und  ihre  Bekämpfung.  305 

[5  Kinder  behaftet   mit  ansteckungstüchtigen   Diphtherie- 
39%  I  bazillen, 

[8        „  „  „  diphtherieähnlichen  Bazillen, 

20  Kinder  waren  frei. 

Für  die  Beurteilung  der  Übertragung  der  Ansteckungsstoffe 
zwischen  Ehegatten  ist  unser  Zahlenmaterial  zu  klein,  wir  verfugen 
nur  über  7  Untersuchungen,  sechsmal  wurden  keine  Diphtheriebazillen 
bei  dem  gesunden  Ehegatten  gefunden,   einmal  diphtherieähnliche. 

Die  vorstehenden  Zahlen  sind  nach  mancher  Bichtung  inter- 
essant Sie  zeigen  die  große  Empfänglichkeit  jugendlicher  Indi- 
viduen, die  auch  dann  noch  Diphtheriebazillen  leicht  aufnehmen, 
wenn  in  den  Häusern  eine  mehr  oder  weniger  weitgehende  Isolie- 
rung der  Kranken  stattgefunden  hat.  Die  relativ  hohen  Zahlen 
bei  den  pflegenden  Müttern  erklären  sich  durch  die  nahe  Be- 
rührung, welche  zwischen  Mutter  und  Kind  stattfindet  und  die 
immer  wieder  von  neuem  Gelegenheit  zur  Übertragung  gibt.  Die 
kleineren  Zahlen  bei  den  Vätern  spiegeln  die  Familienbedingungen 
wieder,  die  für  den  Vater  das  Krankenzimmer  zu  einem  relativ 
selteneren  Aufenthaltsort  machen.  Die  übrigen  Haus-  und  Familien- 
genossen müssen  häufiger  Gelegenheit  finden,  die  Krankheitsstoffe 
aufzunehmen;  wir  vermögen  nicht  zu  entscheiden,  ob  hier  die 
direkte  Übertragung  mehr  stattfindet  oder  ob  nicht  der  indirekten 
beim  Kehren  der  Zimmer,  Reinigen  der  Wäsche,  Reinigen  des 
Eßgeschirrs,  Machen  der  Betten  u.  dgl.  eine  größere  Bedeutung 
beizumessen  ist.  Die  weiblichen  Hausgenossen  werden  außerdem 
vielfach  die  Mutter  bei  der  Pflege  der  Kranken  unterstützen.  Die 
Möglichkeit  sich  zu  infizieren  ist  also  unter  den  verschiedensten 
Bedingungen  genügend  vorhanden.  Die  weiblichen  Hausgenossen 
liefern  bei  unseren  Zahlen  einen  größeren  Prozentsatz  an  Infizierten, 
als  die  männlichen. 

Recht  häufig  sind  bei  allen  Gruppen  die  als  diphtherieähnlich 
bezeichneten  Bazillen  gefunden.  Man  geht  nicht  fehl  wenn  man 
bei  einem  großen  Teil  von  ihnen  die  Abstammung  von  virulenten 
Diphtheriebazillen,  die  ihrerseits  wieder  von  den  Kranken  her- 
rührten, annimmt.  Daß  der  Diphtheriebazillus  auf  der  Schleimhaut 
des  Menschen  nur  einen  Schmarotzer  darstellt,  wie  jüngst  Salus 
behauptete,  hat  manches  für  sich.  Es  ist  dann  aber  ein  Schmarotzer, 
der  unter  dem  Einflüsse  des  menschlichen  Gewebes  seine  gefahr- 
lichste Eigenschaft,  die  Giftproduktion,  am  frühesten  verliert  und 
diese  Eigenschaft  nicht  wieder  erliält,  wenn  er  sie  vollständig  ein- 

Deutscbes  Archiv  f.  klin.  Medizin.    «B.  Bd.  20 


306  XVII.    TjilDBN 

gebäfit  hat  Änderaogen  in  der  Körnchenfärbung,  in  der  Form 
des  einzelnen  Bazillus  sowie  in  der  Art  des  Wachstums  auf  den 
verschiedenen  Nährböden  stellen  weitere,  später  eintretende  t)e- 
generationserscheinungen  dar,  freilich  alles  von  dem  Standpunkte 
aus,  daß  der  Toxin  bildende,  neißerpositive,  lange  Bazillus,  der  znm 
üppigen  Gedeihen  als  elektiven  Nährboden  die  Löfflerplatte  ge- 
braucht, das  Torgeschrittenste  Glied  der  ganzen  Ginippe  bildet. 
In  gleicher  Weise,  wie  das  Zurücksinken  in  die  Unfähigkeit  Toxin 
zu  bilden,  eine  konstante  Eigenschaft  des  betreffenden  Stammes 
bleibt,  so  bleiben  auch  die  anderen  unter  dem  Einfluß  des  mensch- 
lichen Gewebes  angenommenen  Eigenschaften  konstant,  wenn  dieser 
Einfluß  aufhört.  Im  anderen  Falle  führt  der  Degenerationsprozeß 
nach  und  nach  zum  völligen  Verschwinden.  Gelegentliche  Um- 
stände, wie  chronische  Katarrhe  der  Schleimhaut,  vielleicht  auch 
Symbiose  mit  anderen  Bakterien  können  den  geschilderten  Zer- 
störungsprozeß auf  irgend  eine  Weise  zum  Stillstand  bringen. 

Die  einzelnen  Glieder  bieten  in  ihren  ausgeprägtesten  Formen 
zwar  deutliche  und  konstante  Unterschiede,  es  sind  aber  überall 
Übergänge  vorhanden.  Die  weitauseinander  gehenden  Meinungen 
über  die  Beziehungen  der  Xerosebazillen,  der  Pseudodiphtherie- 
bazillen,  der  avirulenten  Diphtheriebazillen  zueinander  legen  dafür 
ein  beredtes  Zeugnis  ab.  Die  praktische  Hygiene  hat  an  wissen- 
schaftlichen Erörterungen  über  den  letzten  Punkt  kein  großes  In- 
teresse, so  lange  sie  sich  für  berechtigt  halten  darf,  an  dem  Satze 
festzuhalten,  daß  nur  das  giftbildende  Glied  infektiös  ist  und  eine  Re- 
konstitution  des  einmal  verloren  gegangenen  Giftbildungsvermögens 
ausgeschlossen  ist.  Nach  dem  jetzigen  Stande  unseres  Wissens  hat 
sie  aber  dieses  Recht. 

Wertet  man  von  den  vorstehenden  Gesichtspunkten  aus  die 
Befunde  bei  den  Hausgenossen,  so  ergibt  sich,  daß  Übertragungen 
von  Kranken  auf  die  gesunde  Umgebung  häufig  vorkommen,  daß 
aber  in  den  meisten  Fällen  die  Invasion  mit  einer  raschen  Zer- 
störung der  eingedrungenen  Keime  endet.  Auf  die  häufig  wieder- 
holte Aufnahme  einerseits  und  auf  die  verschiedene  ^Widerstands- 
fähigkeit  einzelner  Keime  andererseits  weist  die  Tatsache  hin.  daß 
nicht  selten  auf  den  LöflFlerplatten  Kolonien  von  virulenten  und 
avirulenten,  von  langen  und  kurzen  Formen,  von  Bazillen  mit  aus- 
gesprochener, kaum  angedeuteter  und  fehlender  Neißerförbung  sich 
nebeneinander  finden. 

Findet  nun  die  Ausstreuung  der  Keime  auf  die  Umgebung 
statt,  ohne  daß  es  bei  dieser  zu  Krankheitserscheinungen  kommt? 


Die  Diphtherie  als  Volkssenche  nnd  ihre  Bekämpfung.  307 

Eine  Antwort  mit  Zahlenangaben  läßt  sich  auf  die  Frage  nicht 
geben.    Die  Menge  der  jedesmal  übertragenen  Bazillen,  die  Häufig- 
keit der  Übertragungen^  die  Widerstandskraft  der  Bazillen  gegen 
die  Einwirkung  des  menschlichen  Gewebes  schwankt  von  Fall  zu 
Fall  ebenso  wie  die  Höhe  der  Abwehrkräfte  des  befallenen  Orga- 
nismus.   Das  Ergebnis  der  gegenseitigen  Einwirkung  von  einge- 
drungenem Ansteckungsstoff  und  abwehrendem  Körper  muß  daher 
in  der  Gesamtsumme  der  Übertragungen  alle  Abstufungen   zeigen 
von  schwerer  Erkrankung   des  Menschen  bis   zum  reaktionslosen 
Verschwinden   der  Bakterien.     Bei   sorgfältigem  Nachfragen   und 
genauer  Untersuchung  der  Halsorgane  findet  man  in  der  Tat  auch 
alle  diese  Übergänge.    Neben  schwerer  oder  leichter  Erkrankung 
mit  diphtherischen  Belägen   sieht  man  einfache  Schwellungen  und 
Auflockerungen  der  Schleimhaut  der  Halsorgane;  daneben  gehen 
vielfach  leichte  und  rasch  vorübergehende  subjektive  Erscheinungen, 
wie  Kopfweh,  Halsschmerzen  und  dergleichen  einher.    In  manchen 
Fällen  ist  es  nur  eine  geringe  Temperatursteigerung,  die  von  der 
stattgehabten  Infektion  Zeugnis  ablegt.    Auf  der  Rekonvalescenten- 
abteilung  der  Scharlachstation  des  hiesigen  Krankenhauses  konnten 
wiederholt  hübsche  Beobachtungen  der  letzten  Art  gemacht  werden. 
Die  Kinder  waren  seither  frei  von  Diphtheriebazillen;  eine  leichte 
Temperatursteigerung    veranlaßte    den    dirigierenden    Arzt    Hals- 
abwische von  sämtlichen  Saalinsassen  erneut  bakteriologisch  unter- 
suchen zu  lassen.    Das  Ergebnis  war,  daß  sich  bei  allen  Kindern 
mit  Temperatursteigerung  virulente  Diphtheriebazillen  fanden,  bei 
den  übrigen  Kindern  aber  nicht.    Die  Infektionsquellen   konnten 
ermittelt  werden  und  die  sofort  vorgenommene  Injektion  von  Di- 
phtherieheilserum  beugte  der  Störung  der  Scharlachrekonvalescenz 
bei  den  befallenen  Kindern  mit  Erfolg  vor. 

In  manchen  Fällen  werden  auch  die  geschilderten  leicht-sub- 
jektiven und  objektiven  Symptome  der  Infektion  nicht  zur  Ent- 
wicklang kommen.  Das  Diphtherietoxin  findet  keine  Gelegenheit 
zur  Einwirkung  auf  die  menschlichen  Zellen,  sei  es  nun,  weil  die 
giftproduzierenden  Bakterien  sofort  zerstört  werden  oder  sei  es, 
weil  der  befallene  Körper  über  Gegengifte  bereits  verfügt,  wenn 
die  Infektion  geschieht.  Die  Untersuchungen  von  Wassermann, 
Neißer  und  Kahnert  haben  dargetan,  daß  es  eine  Anzahl  von 
Menschen  gibt,  deren  Blutserum  bindende  Eigenschaft  für  das 
Diphtherietoxin  besitzt.  Ob  es  sich  hierbei  um  eine  erworbene 
oder  um  eine  ererbte  Immunität  oder  um  beides  handelt,  braucht 

hier  nicht  weiter  erörtert  zu  werden.    Jedenfalls  besteht  die  prak- 

20* 


308  XVII.  Tjadbn 

tisch  wichtige  Tatsache  zu  Recht,  daß  es  eine  Anzahl  von  Menschen 
gibt,  die  über  Infektionen  mit  Diphtheriebazillen  glatt  Herr  werden 
und  zwar  nicht  allein  in  der  Weise,  daß  sie  giftfest  sind,  sondern 
auch  in  der  Richtung,  daß  ihr  Körper  die  Fähigkeit  besitzt,  ein- 
gedrungene Diphtheriebazillen  rasch  zu  zerstören.  Für  die  Ver- 
breitung der  Diphtherie  sind  solche  Menschen  ungefährlich. 

Demgegenüber   wissen   wir   aber   auch,    daß    bei    einer,   an- 
scheinend kleinen  Anzahl  von  Menschen  Giftfestigkeit  vorhanden 
ist,  ohne  daß  die  Diphtheriebazillen  in  ihrem  Wachstum  gehindert 
werden.     Es    handelt   sich   um  die  sogenannten   chronischen  Di- 
phtherien.   Von  den  Rekonvalescenten,  die  noch  Diphtheriebazillen- 
träger sind,  unterscheiden  sie  sich  darin,  daß  das  akute  Infektions- 
stadium entweder  sehr  weit  zurückliegt  oder  kaum  bemerkt  worden 
ist,  vor  allem  aber  dadurch,  daß  chronische  Schleimhautkatanhe 
in  meist  trockener  Form  vorhanden  sind.    In  letzteren  scheint  die 
wesentliche  Ursache  zu  liegen.    Die  herabgesetzte  Lebensenergie 
der  Schleimhaut  hatte  zu  Bedingungen  geführt,  unter  denen  ent- 
weder die  anderwärts  gebildeten  AngriflFsstoffe  auf  die  Bakterien 
nicht  mehr  an  diese  herankommen,   oder   unter   denen    auch  die 
lokale  Bildung  solcher  Stoffe  unterbleibt,  weil  der  durch   die  An- 
wesenheit der   Bakterien   gesetzte   Reiz   nicht  mehr    als    solcher 
empfunden  wird,  oder  weil  auf  den  Reiz  nicht  mit  einem  Gegenreiz 
geantwortet  werden  kann.    Das  Giftbildungsvermögen  der  Diphthe- 
riebazillen ist  in  solchen  Fällen  vielfach  erhalten;  das  produzierte 
Gift  schädigt  aber  den  Körper  nicht,  zum  Teil  weil  dieser  Zeit 
gehabt  hat,  sich  anzupassen   und  genügend  Gegengifte  zu  bilden, 
zum  Teil  auch,  weil  die  Resorption  des  Giftes  durch  die  chronisch 
veränderte  Schleimhaut  herabgesetzt  sein  mag.    Die  Infektiosität 
für  andere  haben  die  Diphtheriebazillen  aber  nicht  verloren.    Das 
zeigen  die  Beobachtungen  von  Neiße r,  Büsing  und  anderen,  in 
denen  Krankenhausschwestern,  die  mit  chronischer  Diphtherie  be- 
haftet waren,  die  Ursache  immer  wieder  sporadisch  auftretender 
Erkrankungen  in  den  Sälen  bildeten. 

Die  vorstehend  beschriebene  Form  der  Diphtherie  ist  für  die 
Verbreitung  recht  geeignet;  ihre  Bedeutung  für  die  Bekämpfung 
der  Diphtherie  als  Seuche  ist  aber  trotzdem  keine  große,  weU 
sie  selten  vorkommt.  Die  Literaturangaben  sind  spärlich  und 
in  Bremen  haben  wir,  trotzdem  diesen  Dingen  große  Aufmerk- 
samkeit geschenkt  wird,  in  drei  Jahren  erst  einen  Fall  beobachten 
können. 

Diphtherierekonvalescenten  und  anscheinend  gesunde,  aber  in- 


Die  Diphtherie  als  Volkssenche  and  ihre  Bekämpfung.  309 

fizierte  Haasgenossen  der  Erkrankten,  in  seltenen  Fällen  auch  mit 
chronischer  Diphtherie  Behaftete  sind  als  die  für  weitere  Kreise 
gefahrlichen  Verbreiter  des  Krankheitsstoffes  anzusehen.  Es  handelt 
sich  also  um  eine  ganz  bestimmte  Gruppe  von  Menschen,  die  ihrer- 
seits wieder  auf  akute  Erkrankungsfälle  hinweisen. 

Wie  weit  kommen  neben  ihnen  tote  Gegenstände  als  Seuchen- 
verbreiter in  Frage? 

Der  Diphtheriekranke  überträgt  die  Bakterien  nicht  bloß  auf 
seine  lebende  Umgebung,  sondern  auch  auf  die  leblose.  Das  Bett,  die 
Wände  und  der  Fußboden  in  der  Nähe  des  Bettes  werden  mit  aus- 
gehustetem diphtheriebazillenhaltigem  Schleim  häufig  verunreinigt, 
auch  das  Eßgeschirr  und  dergleichen  wird  beschmutzt.  Hierfür 
läßt  sich  der  direkte  Nachweis  führen.  Auf  dem  Fußboden  in 
einem  mit  Diphtheriekranken  belegten  Zimmer  des  hiesigen  Kinder- 
krankenhauses gelang  uns  z.  B.  der  Nachweis  virulenter  Diphtherie- 
bazillen in  der  Nähe  des  Bettes.  Einmal  konnten  wir  avirulente, 
aber  im  übrigen  alle  morphologischen  Eigenschaften  der  Diphtherie- 
bazillen zeigende  Bakterien  auch  an  dem  Türgriff  eines  mit  Diphthe- 
riekranken belegten  Krankenzimmers  nachweisen,  hier  handelte  es 
sich  also  schon  um  eine  Übertragung  durch  ein  Verbindungsglied. 
Der  hohe  Prozentsatz  infizierter  Hausgenossen,  auf  den  oben  schon 
hingewiesen  wurde,  ist  wohl  durch  diese  indirekten  Übertragungen 
mit  bedingt  Man  darf  aber  die  Bedeutung  derartiger  Übertragungen 
nicht  überschätzen.  Die  Diphtheriebazillen  sind  zu  hinfallige  Ge- 
bilde, als  daß  sie  sich  auf  toten  Gegenständen  lange  erhalten  können. 
Sind  sie  in  größeren  Schleimfetzen  eingehüllt  und  werden  sie  vor 
Austrocknung  und  vor  Licht  geschützt,  so  kann  der  Absterbetermin 
auf  Wochen  und  vielleicht  auch  auf  einige  Monate  hinausgerückt 
werden,  aber  das  sind  Ausnahmeverhältnisse.  Jedenfalls  haben 
diejenigen  Menschen,  welche  durch  die  toten  Gegenstände  des 
Krankenzimmers  infiziert  werden  können,  durchweg  ebensoviel,  wenn 
nicht  mehr  Gelegenheit,  die  Krankheitsstoffe  von  dem  Kranken 
direkt  aufzunehmen. 

Etwas  anders  liegen  die  Verhältnisse  dort,  wo  die  mit  Di- 
phtheriebazillen beladenen  Gegenstände  weiteren  Kreisen  zugeführt 
werden.  Daß  die  Diphtheriebazillen  durch  Milch  von  einer  Zentral- 
stelle aus  einer  Anzahl  von  sonst  nicht  miteinander  in  Beziehung 
stehenden  Menschen  zugeführt  wurden,  dafür  spricht  mehr  als  eine 
Beobachtung.  Auch  sonstige  Nahrungsmittel  können  eine  ähnliche 
Rolle  spielen.  Gelegentlich  ist  der  Krankheitsstoff  durch  Spielzeug 
verschleppt  worden.     Die  Sitte   oder  vielmehr   Unsitte  Spielzeug 


310  XVIL  Tjaden 

aus  Krankenzimmern  später- an  Kinderbewahranstalten  und  ähnlicbe 
Anstalten  zu  verschenken,  bedingt  jedenfalls  für  die  Empfanger 
allerlei  Gefahren. 

Im  großen  und  ganzen  ist  der  zuletzt  geschilderte  Modus  der 
Verbreitung  der  Diphtherie  nicht  häufig,  wenngleich  nicht  außer 
acht  gelassen  werden  darf,  daß  er  unter  Umständen  explosions- 
artig wirken  kann. 

Zieht  man  das  Fazit  aus  den  vorstehenden  Darlegungen,  so 
ergibt  sich,  daß  der  ansteckungstiichtige  Diphtheriebazillus  nicht 
ubiquitär  ist,  daß  die  Infektionsquelle  dagegen  die  Diphtherie- 
rekonvalescenten  und  die  infizierte,  aber  nur  leicht  oder  kaom 
bemerkbar  erkrankte  Umgebung  des  Kranken  bildet.  Diesen 
beiden  Gruppen  von  Menschen  gegenüber  treten  die  an  sog.  chroni- 
scher Diphtherie  leidenden  Personen  und  die  toten  Gegenstände  in 
der  Bedeutung  für  die  Verbreitung  der  Diphtherie  zurück. 

Die  vorstehenden  Sätze  bieten  eine  genügende  Unterlage,  um 
auf  ihnen  eine  logische  Bekämpfung  der  Diphtherie  aufzubauen. 
Sie  stehen  in  gutem  Einklänge  mit  dem,  was  wir  auch  von  anderen 
Seuchen  wissen. 

Die  wesentlichste  Aufgabe  bei  der  Bekämpfung  wird  denmadi 
zunächst  sein,  von  möglichst  vielen  Erkrankungen  Kenntnis  zu 
gewinnen,  die  Infektionsquellen  aufzusuchen  und  hier  festzustellen, 
welchen  Umfang  die  Verbreitung  der  Ansteckungsstoflfe  angenommen 
hat.  Ohne  eine  ausgiebige  Zuhilfenahme  der  bakteriologischen 
Untersuchung  wird  man  dabei  nicht  auskommen.  Diese  wird  jedoch 
den  praktischen  Ärzten,  ohne  deren  Mithilfe  und  zwar  interessierten 
Mithilfe  ein  Erfolg  schwer  zu  erreichen  ist,  in  steigendem  Maße 
zur  Verfügung  gestellt.  Die  Zahl  der  öffentlichen  Untersuchungs- 
stellen nimmt  zu  und  überall  hat  man  eingesehen,  daß  ein  Nutzen 
für  die  Seuchenbekämpfung  aus  ihrer  Tätigkeit  nur  dann  heraus- 
springt,  wenn  sie  rasch  und  sicher  arbeiten  und  wenn  den  Ärzten 
durch  ihre  Inanspruchnahme  Mühewaltung  und  Kosten  nicht  ent- 
stehen. Es  ist  anzuerkennen,  daß  diesen  Forderungen  durchweg 
genügt  wird.  Auch  bei  den  Ärzten  ringt  sich  die  Erkenntnis 
immer  mehr  durch,  daß  ihr  eigenes  Handeln  desto  sicherer  wird, 
je  klarer  sie  die  Ätiologie  der  von  ihnen  zu  behandelnden  Er- 
krankung übersehen.  Hier  gehen  die  Interessen  der  öffentlichen 
Seuchenbekämpfung  und  die  Interessen  des  für  seine  Kranken  be- 
sorgten Arztes  Hand  in  Hand.  Es  wird  zwar  noch  einige  Zeit 
vergehen,  bis  das  Bedürfnis  nach  ätiologischem  Denken  so  weit 
Allgemeingut  der  Ärzte  geworden  ist,  daß  sie  in  jedem  Fall  wo 


Die  Diphtherie  als  Volksseuche  und  ihre  Bekämpfung.  311 

Verdacht  auf  eine  Infektionskrankheit  vorliegt,  die  bakteriologi- 
schen Untersuchungsstellen  zu  Hilfe  nehmen,  aber  in  dem  letzten 
Jahrzehnt  hat  sich  nach  dieser  Richtung  hin  ein  Umschwung  voll- 
zogen und  der  Umschwung  kommt  neben  der  Tuberkulosediagnostik 
in  erster  Linie  der  Diphtheriediagnose  zugute.  Die  Jahresberichte 
der  hygienischen  Institute  und  der  bakteriologischen  Untersuchungs- 
stellen beweisen  das.  Die  hier  liegenden  Schwierigkeiten  für  die 
Bekämpfung  der  Diphtherie  durch  hygienische  Maßnahmen  werden 
also  geringer  werden. 

Ähnlich  steht  es  mit  der  Anzeigepflicht.  Je  mehr  die  Dia- 
gnosenstellung erleichtert  wird,  desto  zahlreicher  kommen  die 
klinisch  zweifelhaften,  aber  auf  einer  Infektion  durch  Diphtherie- 
bazillen beruhenden  Halserkrankungen  als  Diphtherie  zur  Meldung. 
Man  darf  also  auch  hier  annehmen,  daß  nach  und  nach  die  Zahl 
der  gemeldeten  Diphtheriefälle  den  tatsächlich  vorhandenen  und 
von  Ärzten  behandelten  immer  näher  kommt,  zumal  der  heran- 
wachsenden Generation  von  Ärzten  die  Unterstützung  der  medizinal- 
polizeilichen Tätigkeit  der  Behörden  durch  eine  prompte  Erfüllung 
der  Meldepflicht  immer  mehr  als  selbstverständlich  erscheint. 

Daß  die  soziale  Gesetzgebung  und  der  freiwillige  Zusammen- 
schluß von  Familien  zur  leichteren  Beschaffung  ärztlicher  Hilfe  dazu 
mitwirkt,  eine  größere  Anzahl  von  Leichterkrankten  dem  Arzte 
zuzuführen,  ist  oben  schon  betont.  Trotz  der  zunehmenden  Aus- 
dehnung der  Kurpfuscherei  resultiert  hieraus  ein  Gewinn  «für  die 
Seuchenbekämpfung.  Übrigens  scheint  die  Behandlung  akuter  an- 
steckender Krankheiten  ein  Gebiet  zu  sein,  auf  das  sich  Kurpfuscher 
nur  ungern  wagen,  zumal  wenn  sie  wissen,  daß  die  Medizinalpolizei 
ihre  Tätigkeit  mit  Aufmerksamkeit  verfolgt. 

Die  Forderung,  daß  möglichst  viele  Erkrankungen  zur  Kennt- 
nis der  Behörden  kommen,  ist  nach  dem  Gesagten  keine  utopische; 
die  Groß-  und  Mittelstädte  sind  es  naturgemäß,  die  hier  voran- 
gehen, aber  auch  in  die  Kleinstädte  und  auf  das  platte  Land 
dringt  immer  mehr  die  Einsicht,  daß  an  einer  ansteckenden  Krank- 
heit nicht  bloß  der  Befallene,  sondern  auch  die  Allgemeinheit  ein 
Interesse  hat.  Die  verbesserte  Gesetzgebung,  zumal  Preußens, 
leistet  hierbei  gute  Pionierarbeit.  Sie  gibt  auch  den  beamteten 
Ärzten  die  klare  Stellung,  von  welcher  aus  sie  auf  die  Erreichung 
des  Zieles  hinarbeiten  können.  Die  persönliche  Einwirkung  des 
beamteten  Arztes  auf  seine  Kollegen  ist  zwar  immer  das  wirk- 
samere, aber  auch  hierbei  ist  es  gelegentlich  eine  gute  Unter- 
stützung, wenn  das  allgemein  gültige  Gesetz  und  nicht  bloß  lokale 


312  XVII.  Tjade» 

Verordnungen  die  Anzeigepflicht  festlegt  und  damit  diese  als  die 
Grundlage  für  die  weiteren  Maßnahmen  anerkennt. 

Der  weitere  Schritt  bei  der  Bekämpfung  der  Seuche  ist  die 
Vorsorge,  daß  von  den  mit  ansteckungstüchtigen  Bazillen  Behafteten 
aus  eine  Weiterverbreitung  nicht  stattfindet.  Auf  den  ersten  Blick 
erscheint  die  Durchfuhrung  dieser  Aufgabe  unmöglich ;  sie  ist  es 
auch^  wenn  man  die  Forderung  dahin  präzisiert,  daß  jeder  Mensciu 
bei  dem  die  bakteriologische  Untersuchung  einige  Diphtherie- 
bazillen nachweist,  so  lange  zu  isolieren  ist,  bis  dieser  Nachweis 
nicht  mehr  gelingt.  So  scharf  braucht  der  Bogen  nicht  gespannt 
zu  werden,  und  doch  läßt  sich  in  der  Praxis  sehr  viel  erreichen. 
Wenn  man  die  größere  Hälfte  und  noch  mehr  der  Ansteckungs- 
quellen  und  vor  allem  die  am  reichlichsten  fließenden  unschädlich 
macht,  so  ist  für  die  Allgemeinheit  schon  viel  gewonnen.  Die 
Argumentation  der  Gegner  von  hygienischen  Maßnahmen  zur  Be- 
kämpfung der  Diphtherie,  daß  ein  Vorgehen  nutzlos  sei,  weil  man 
nicht  alles  fassen  könne,  ist  hier  ebenso  falsch,  wie  sie  es  bei  der 
Tuberkulose  ist. 

Daß  die  an  schweren  Erankheitssymptomen  Leidenden  isoliert 
werden,  ist  eine  Maßnahme,  die  man  für  selbstverständlich  hält 
und  die  man  sich  allgemein  bemüht  durchzuführen.  In  bezug  auf 
die  Rekonvalescenten  besteht  bei  Laien  und  auch  bei  Ärzten  viel- 
fach wenig  Verständnis  für  die  Tatsache,  daß  die  Rekonvalescenten 
noch  gefahrlich  für  andere  sein  können,  wenn  sie  sich  subjektiv 
wohl  fühlen.  Aufgabe  der  Ärzte  wird  es  sein,  hierin  mit  der  Zeit 
Wandel  zu  schaffen.  Die  den  Rekonvalescenten  gegenüber  er- 
griffenen medizinalpolizeilichen  Maßnahmen  wirken  in  gleicher 
Richtung. 

Wieweit  sollen  die  letzteren  gehen?  Zu  fordern  ist,  daß  alle 
Kinder  bis  zum  Alter  von  14  Jahren  so  lange  isoliert  bleiben,  bis 
sie  in  ihren  Halsorganen  virulente  Diphtheriebazillen  nicht  mehr 
beherbergen,  und  daß  ferner  alle  Kinder  vom  Schulbesuch  aus- 
geschlossen werden,  deren  Familienangehörige  oder  Hausgenossen 
Träger  von  virulenten  Diphtheriebazillen  sind.  Wieweit  der  Kreis 
der  Hausgenossen  zu  fassen  ist,  mag  im  Einzelfalle  der  Entschei- 
dung des  beamteten  Arztes  üb*erlassen  bleiben.  Ein  wirtschaft- 
licher Schaden  entsteht  durch  eine  solche  Maßnahme  kaum.  Gelegent- 
lich werden  die  Eltern  klagen,  daß  ihr  Kind  Gefahr  läuft,  nicht 
versetzt  zu  werden  und  so  ein  halbes  oder  ein  ganzes  Jahr  zu 
verlieren.  Die  Gesundheit  und  das  Leben  der  übrigen  Schüler  ist 
demgegenüber    aber   soviel   höher   anzuschlagen,    daß    vernünftige 


Die  Diphtherie  als  Volkssenche  und  ihre  Bekämpfang.  313 

Eltern  die  Berechtigung  der  behördlichen  Maßnahme  immer  ein- 
sehen, wenn  ihnen  die  entsprechende  Aufklärung  gegeben  wird« 
In  manchen  Fällen  läßt  sich  auch  för  die  nicht  infektiösen  Kinder 
der  Schulbesuch  dadurch  ermöglichen,  daß  sie  entweder  selbst  oder 
aber  die  Infektionsquelle  aus  dem  Hause  entfernt  wird. 

Die  Isolierung  braucht  nicht  immer  so  scharf  durchgesetzt 
za  werden,  daß  man  den  Bazillenträger  auf  ein  Zimmer  be- 
schränkt; ein  Verkehr  in  der  Wohnung,  im  eigenen  Garten,  auch 
Spaziergänge  außerhalb  desselben  unter  Begleitung  Erwachsener 
können  in  vielen  Fällen  je  nach  Lage  der  Dinge  gestattet  werden, 
ohne  daß  für  die  Allgemeinheit  eine  Gefahr  entsteht,  zumal  wenn 
man  es  mit  einsichtigen  Angehörigen  zu  tun  hat.  Begegnet  man 
Störrigkeit  oder  weitgehender  Gleichgültigkeit,  so  läßt  sich  mit 
einem  Hinweis  auf  den  §  327  des  Strafgesetzbuchs  noch  mancherlei 
erreichen. 

Den  Grundgedanken  der  vorstehend  erörterten  Maßnahmen 
findet  man  schon  in  einzelnen  behördlichen  Verfügungen.  So  hat 
das  Großherzoglich  Oldenburgische  Staatsministerium,  Departement 
des  Innern,  unter  dem  27.  April  1906  gelegentlich  des  Anschlusses 
des  Herzogtums  Oldenburg  an  das  Bremer  hygienische  Institut  an 
die  Ärzte  ein  Rundschreiben  erlassen,  in  dem  es  heißt:  „die  bak- 
teriologischen Untersuchungen  bei  Diphtherie  müssen  wiederholt 
werden,  auch  nachdem  die  Krankheit  anscheinend  gehoben  ist. 
Schulkinder,  welche  an  Diphtherie  erkrankt  gewesen  sind,  sollen 
erst  wieder  zum  Schulbesuch  zugelassen  werden,  wenn  sich  in  dem 
Halsschleim  keine  infektiösen  Bakterien  mehr  vorfinden." 

Schwerer  durchzuführen  als  bei  den  Kindern  sind  die  Isolie- 
rungsmaßregeln bei  Erwachsenen.  Aber  einmal  ist  die  Zahl  der 
Befallenen  unter  den  Kindern  viel  höher  als  unter  den  Erwachsenen. 
Von  den  in  den  Jahren  1903,  1904  und  1905  im  Bremer  hygieni- 
schen Institut  bis  zum  Verschwinden  der  Diphtheriebazillen  unter- 
suchten 1338  Personen  befanden  sich  469  im  Alter  von  1—5  Jahren, 
600  im  Alter  von  6—14  Jahren  und  269,  also  nur  20  %  der  Gesamt- 
summe, im  Alter  von  mehr  als  14  Jahren.  Oben  wurde  mitgeteilt» 
daß  von  1843  mit  positivem  Erfolge  Erstuntersuchten  420  sich  den 
weiteren  Untersuchungen  entzogen  hätten;  man  könnte  nun  den 
Einwand  machen,  daß  sich  darunter  besonders  viel  Erwachsene 
befanden  hätten,  daß  also  die  soeben  angeführten  20  7o  nur  eine 
Scheinsumme  darstellen.  Der  Einwand  trifft  nicht  zu.  Der  Prozent- 
satz  derjenigen,   welche   sich   weiteren   Untersuchungen   entzogen 


314  xvir.  Tjaden 

war  in  allen  drei  Gruppen  fast  gleich.    Er  betrug  24,5^0'  20,3 '*„ 
und  22,5%. 

Zweitens  verschwinden  bei  einem  hohen  Bruchteil  der  Rekon- 
valescenten  die  Diphtheriebazillen  rasch.  Oben  wurde  schon  darauf 
hingewiesen,  daß  bei  75  %>  der  Untersuchten  die  Diphtheriebazillen 
nach  3  Wochen  nicht  mehr  nachweisbar  waren.  Unter  der  relativ 
kleineren  Zahl  der  Erwachsenen,  die  hier  in  Frage  kommen,  ist  es 
also  wieder  nur  eine  kleine  Gruppe,  die  für  längere  Zeit  als  Di- 
phtheriebazillenträger anzusprechen  sind.  Aber  es  ist  nicht  zu  be- 
streiten, daß  unter  dieser,  wenn  auch  kleinen  Gruppe  immerhin 
eine  Anzahl  von  Menschen  sich  findet,  für  die  ein  Isoliergebot 
eine  große  Unannehmlichkeit,  ja  eine  schwere  wirtschaftliche  Schä- 
digung bedeutet.  In  Bremen  haben  wir  uns  hier  von  Fall  zu  Fall 
geholfen.  Handelt  es  sich  um  Personen,  die  berufsmäßig  mit  Kindern 
oder  einer  größeren  Anzahl  jugendlicher  Individuen  zusammen- 
kommen und  vor  allem  auf  sie  einzusprechen  haben,  dann  ist  die 
Ausübung  des  Berufs  untersagt  oder  modifiziert  worden.  Es  kommen 
nach  unseren  Erfahrungen  gelegentlich  in  Frage  Prediger,  Lehrer. 
Friseure,  Pferdebahnschaffner,  einzelne  Gruppen  von  Postbeamten 
und  andere,  dann  solche  Personen,  die  ein  offenes  Geschäft  haben 
oder  bei  der  Herstellung  von  Lebensmitteln  tätig  sind.  Der  andern 
größeren  Gruppe,  bei  welcher  die  vorstehenden  Voraussetzungen 
nicht  zutreffen,  ist  die  weitere  Ausübung  ihres  Berufes  gestattet 
worden.  Solche  Leute  sind  aber  darauf  hingewiesen,  daß  sie  for 
andere  noch  eine  Gefahr  bilden,  sie  werden  angehalten,  von  jugend- 
lichen Individuen  fernzubleiben  und  den  Mund  mit  einer  desinfi- 
zierenden Flüssigkeit  häufig  auszuspülen.  Die  Ratschläge  werden 
in  manchen  Fällen  nicht  beachtet  werden,  aber  es  gibt  nach  unseren 
Erfahrungen  eine  nicht  kleine  Anzahl  von  Menschen,  die  gewissen- 
haft genug  sind,  sie  zu  befolgen. 

Bei  einem  derartigen  Vorgehen  läßt  sich  ohne  größere  Härten 
sehr  viel  erreichen;  es  muß  nur  individualisierend  gehandelt  werden 
und  es  darf  nicht  unteren  Polizeibeamten  überlassen  bleiben,  nach 
einem  starren,  einmal  festgelegten  Schema  Anordnungen  zu  treffen. 
Geschieht  das  letztere,  so  kommen  gelegentlich  Widersinnigkeiten 
vor,  der  Unwille  der  Bevölkerung  wird  erregt  und  man  verliert 
deren  wertvolle  Mithilfe. 

Gegen  die  Durchführung  der  vorstehenden  Maßnahmen  läßt 
sich  geltend  machen,  daß  die  einmalige  negative  bakteriologische 
Untersuchung  noch  keine  Sicherheit  gibt,  daß  die  Diphtheriebazillen 
aus  den  Halsorganen  wirklich  verschwunden  sind  und  daß  man  mit 


Die  Diphtherie  als  Volkssenche  und  ihre  Bekämpf ang.  315 

der  gewöhnlichen  Art  der  Entnahme  des  UntersuchungsstofFes  den 
Aufenthalt  der  Diphtheriebazillen  in  der  Nase  zu  wenig  berück- 
sichtigt. Theoretisch  sind  beide  Einwände  richtig,  praktisch  be- 
deuten sie  nicht  viel.  Wir  haben  in  Bremen  lange  Zeit  hindurch 
auf  den  ersten  negativen  Befund  nach  etwa  14  Tagen  eine  weitere 
Untersuchung  folgen  lassen  und  haben  dann  bei  etwa  15  7o  wieder 
Diphtheriebazillen  nachweisen  können.  Dieser  Prozentsatz  ist  an 
und  fnr  sich  klein  und  dabei  handelt  es  sich  recht  häufig  um  Fälle^ 
bei  denen  es  nur  nach  mühsamem  Suchen  auf  der  Platte  gelang, 
einzelne  Kolonien  von  Diphtheriebazillen  aufzufinden.  Menschen 
bei  denen  die  Diphtheriebazillen  so  spärlich  sind,  bedeuten  für  die 
Allgemeinheit  nur  eine  geringe  Gefahr,  selbst  wenn  man  die  Mög- 
lichkeit gelten  läßt,  daß  es  bei  ihnen  wieder  zu  einer  Vermehrung 
der  Krankheitserreger  kommen  kann,  wenn  aus  irgendwelchen 
anderen  Gründen  die  körperliche  Widerstandsfähigkeit  eine  Herab- 
setzung erföhrt. 

Den  oben  erwähnten  Königsberger  Zahlen  sind  anscheinend 
häufiger  wiederholte  Untersuchungen  der  Kekonvalescenten  zugrunde 
gelegt. 

Daß  Diphtheriebazillen  in  den  Buchten  und  Falten  der  viel 
verschlungenen  Nasenwege  geschützte  Aufenthaltsräume  finden 
kömien,  ohne  mit  dem  Schleim  auf  die  Rachengegend  hinabzusinken, 
ist  unbestreitbar.  Aber  derartiges  Vorkommen  ist  selten  und  vor 
allem  bedeuten  solche  Fälle  für  die  Weiterverbreitung  der  Krank- 
heit kaum  eine  Gefahr,  weil  eben  die  Bazillen  so  schwer  an  die 
Außenwelt  gelangen.  Das  Wesentliche  bei  der  Verbreitung  durch 
die  sog-  gesunden  Bazillenträger  sind  die  Schleimmengen,  welche 
der  Mensch  im  Verkehr  aus  dem  Munde  von  sich  gibt  und  solange 
dieser  Schleim  nicht  mit  Diphtheriebazillen  behaftet  ist,  bietet  sein 
Produzent  für  die  Umgebung  nur  eine  geringe  Gefahr,  selbst  wenn  er 
an  anderen  Körperstellen  die  Krankheitserreger  beherbergt.  Handelt 
es  sich  um  einen  stärkeren,  diphtheriebazillenhaltigen  Ausfluß,  der 
die  vorderen  Nasenöflfnungen  verläßt,  so  veranlaßt  schon  die  all- 
gemeine Eeinlichkeit  die  Mehrzahl  der  Menschen,  einer  Verstreuung 
des  Schleimes  entgegenzuarbeiten.  Das  Symptom  ist  auch  meistens 
so  belästigend,  daß  ärztliche  Hilfe  herangezogen  wird. 

Beiden  Einwänden  darf  man  meines  Erachtens  für  die  praktische 
Bekämpfung  der  Diphtherie  eine  große  Bedeutung  nicht  beimessen. 
Vom  Standpunkte  des  Laboratoriums  aus  sind  sie  berechtigt,  aber 
dieser  Standpunkt  basiert  zu  häufig  vorwiegend  auf  qualitativen 
Erwägungen,  während  das  Quantitative  zurücktritt.    Letzteres  ist 


316  XVII.  Tjaden 

aber  bei  der  praktischen  Arbeit  in  der  Bevölkerung,  wie  schon 
mehrmals  betont  wurde,  ebenso  wesentlich,  vielfach  sogar  aus- 
schlaggebend. 

Neben  den  Rekonvalescenten  stehen  die  anscheinend  oder  sub- 
jektiv ganz  gesunden,  mit  ansteckungstüchtigen  Diphtheriebazillen 
behafteten  Hausgenossen.  In  der  Prophylaxe  der  Diphtherie  sind 
beide  Gruppen  gleich  zu  behandeln.  Man  kann  darüber  streiten, 
ob  solche  Leute  im  gewöhnlichen  Sinne  als  krank  zu  bezeichnen 
sind ;  die  Frage  kann  auch  juristisch  von  Bedeutung  werden,  wenn 
sich  Streitigkeiten  über  die  Leistungspflicht  der  Krankenkassen 
erheben,  vom  Standpunkte  der  Seuchenbekämpfung  aus  sind  der- 
artige Leute  den  klinisch  Kranken  oder  krank  gewesenen  gleich 
zu  stellen.  Der  Begriff  Kranksein  ist  viel  zu  schwer  zu  definieren, 
als  daß  sich  eine  annähernd  glatte  Trennung  durchfuhren  ließe. 
Die  gesetzlichen  Bestimmungen  sollten  deshalb,  soweit  sie  sich  mit 
Verhütungsmaßregeln  befassen,  den  Ausdruck  „krank"  ergänzen 
durch  den  Zusatz  ,.oder  mit  Ansteckungsstoffen  behaftet".  In 
Bremen  sind  die  infizierten  Hausgenossen  den  Krankgewesenen 
gleich  behandelt,  Schwierigkeiten  haben  sich  dabei  nicht  ergeben. 

An  die  Isoliemngsmaßregeln  schließt  sich  als  Schlußstein  die 
Desinfektion.  Eine  Zeitlang  bildete  sie  mit  der  Anzeigepflicht  die 
wesentlichste  Stütze  der  Bekämpfung,  doch  hat  im  Laufe  der  Jahre 
mit  der  zunehmenden  Erkenntnis  der  Bedeutung  der  genesenden 
und  genesenen  Menschen  als  Seuchenverbreiter  ihre  Wertschätzung 
eine  Minderung  erfahren  und  zwar  mit  Recht.  Dem  Endziele,  die 
vollständige  oder  annähernd  vollständige  Vernichtung  der  Krank- 
heitserreger in  einer  Wohnung,  wird  nur  zum  Teil  gedient,  wenn 
man  das  Krankenzimmer  desinfiziert.  Zwar  werden  sich  hier,  so- 
lange offensichtliche  Krankheitssymptome  vorhanden  sind  und  dö* 
Kranke  ans  Bett  gefesselt  ist,  die  Diphtheriebazillen  am  zahl- 
reichsten und  am  meisten  geschützt,  d.  h.  in  Schleimfetzen  einge- 
hüllt, vorfinden.  Eine  wiederholte  sorgfältige  Reinigung  des  Bettes 
und  seiner  nächsten  Umgebung  in  dieser  Periode  ist  daher  geboten. 

Eine  schematische  Desinfektion  aber,  die  stattfindet,  nachdem 
der  Arzt  nach  einfacher  Besichtigung  oder  auch  weitergehender 
körperlicher  Untersuchung  den  Kranken  für  genesen  erklärte,  wird 
häufig  von  geringem  praktischen  Nutzen  sein.  Was  hat  es  für 
Zweck,  mit  dem  ganzen  Aufwand  unserer  modernen  Desinfektions- 
technik einzelne  tote  Gegenstände  zu  bearbeiten,  wenn  der  stets 
neue  Krankheitserreger  produzierende  Mensch  in  der  Wohnung 
verbleibt  und  sie  am  Tage  nach  der  Desinfektion  wieder  infiziert. 


Die  Diphtherie  als  Volksseuche  und  ihre  Bekämpfung.  317 

oder  welcher  Nutzen  ist  von  der  Desinfektion  des  Krankenzimmers 
zu  erwarten,  wenn  der  Kranke  während  der  Rekonvalescenz  schon 
acht  oder  vierzehn  Tage  Gelegenheit  hatte,  in  den  übrigen  Wohn- 
räumen die  Diphtheriebazillen  za  verbreiten.  Neben  diesen  Fällen, 
in  denen  der  Nutzen  der  schnlmäfiigen  Desinfektion  mehr  als  proble- 
matisch ist,  stehen  allerdings  andere,  wo  die  Desinfektion  vorteilhaft 
und  erforderlich  ist.  Es  sind  das  jene,  bei  welchen  der  Kranke  im 
Beginn  oder  auf  der  Höhe  der  Krankheit  stirbt  oder  während  dieser 
Zeit  in  ein  Krankenhaus  verbracht  wird,  wo  also  die  Infektionsstoflfe 
noch  eng  beisammen  sind ;  femer  Fälle  von  sehr  engen  Verhältnissen 
und  dichtem  Zusammenwohnen  in  einzelnen  Räumen.  In  letzteren 
ist  schon  die  reinigende  Nebenwirkung  der  Desinfektion  von  großem 
Wert.  Es  soll  deshalb  die  Desinfektion  nicht  ohne  weiteres  als 
etwas  Überflüssiges  hingestellt  werden,  aber  ihre  schabloneumäßige, 
zwangsweise  Anwendung  bedeutet  in  vielen  Fällen  eine  unnötige 
Belästigung  der  Bevölkerung  und  ein  nutzloses  Verpuffen  von  Kraft. 
Der  Anordnende  —  leider  ist  es  nur  selten  der  hygienisch  ge- 
schulte beamtete  Arzt  —  sollte  sich  vor  jeder  Desinfektion  fragen, 
was  erreichst  du?  und  wird  nicht  durch  eine  gründliche  Säuberung 
der  ganzen  Wohnung  ohne  erhöhte  Kostenaufwendung  mehr  er- 
reicht, als  wenn  die  Desinfektionsanstalt  den  Forraalinapparat  in 
Tätigkeit  setzt?  Bei  einem  solchen  Vorgehen  haben  freilich  poli- 
zeiliche Anordnungen,  welche  Zwangsdesinfektion  bei  jeder  Di- 
phtherieerkrankung vorschreiben,  keinen  Platz  mehr.  Es  ist  Zeit, 
daß  man  sich  diese  Dinge  klar  macht;  je  einfacher  unsere  Mittel 
sind,  mit  welchen  wir  bei  der  Bekämpfung  der  Diphtherie  arbeiten, 
je  logischer  sie  durch  die  jeweils  bestehenden  Verhältnisse  in  sich 
begründet  sind,  desto  mehr  wird  erreicht. 

Im  Anfang  der  Arbeit  ist  erwähnt,  daß  v.  Behring  die 
Bekämpfung  der  Diphtherie  mittels  hygienischer  Maßnahmen  ver- 
wirft, er  erwartet  größeren  Nutzen  von  einer  allgemeinen  prophy- 
laktischen Immunisierung  mit  Serum.  Auch  in  der  neueren  Lite- 
ratur werden  Stimmen  in  gleicher  Richtung  laut,  man  weist  auf 
die  Erfolge  hin,  welche  in  Krankenanstalten,  Pensionaten  usw.  er- 
zielt wurden.  Daß  die  Erfolge  erzielt  sind,  ist  unbestreitbar,  aber 
die  Verallgemeinerung  ist  hier  ebenso  verkehrt  wie  bei  der  Frage 
der  Ubiquität.  Es  wird  übersehen,  daß  das  Serum  keine  bakte- 
rizide, sondern  nur  eine  antitoxische  Wirksamkeit  hat,  daß  also  die 
für  ihre  Person  geschützten  aber  infizierten  Personen  im  freien 
Verkehr  nicht  harmlos  sind,  ja  daß  sie  gelegentlich  eine  recht 
große   Gefahr    bedeuten    können,    weil   sie    ihre   Eigenschaft   als 


318  XVn.  Tjaden 

Bazillenträger  nicht  kennen  oder  im  Gefühl  des  subjektiven  Wohl- 
befindens unbeachtet  lassen.  In  einer  begrenzten  Gruppe  von  Per- 
sonen kann  man  jeden  einzelnen  impfen,  man  kann  sämtliche  Ge- 
impfte beobachten  und  man  kann  dafür  sorgen,  daß  ein  Verkehr 
nur  untereinander,  also  unter  Geschützten  stattfindet.  Das  lädt 
sich  in  der  freien  Praxis  nicht  durchführen.  Dazu  kommt,  da& 
der  Impfschutz  nur  drei  bis  vier  Wochen  dauert;  eine  wieder- 
holte Impfung  schützt  nicht  immer  weiter,  weil  bei  manchen 
Menschen  die  Injektion  des  Serums  inzwischen  die  Bildung  von 
Gegenstofifen  ausgelöst  hat.  So  findet  man  gelegentlich  nach  Ab- 
lauf des  Impfschutzes  ein  promptem  Einsetzen  der  Krankheit, 
wenn  die  Gelegenheit,  infiziert  zu  werden,  weiter  dauert;  die 
Krankheit  verläuft  dann  manchmal  schwerer  und  wird  durch  er- 
neute Anwendung  von  Heilserum  nicht  in  der  gewohnten  Weise 
beeinflufit. 

Eine  allgemeine  Verwendung  wird  die  prophylaktische  Serum- 
anwendung vielleicht  dann  finden,  wenn  man  auf  dem  von  Wasser- 
mann  beschrittenen  Wege  weiter  kommt,  d.  h.  ein  bakterizides 
Serum  anwendet,  oder  wenn  der  Nachweis  gefuhrt  wird,  daß  die 
Diphtheriebazillen  bei  den  mit  antitoxischem  Serum  Behandelten 
rasch  ihre  Virulenz  verlieren  oder  zugrunde  gehen.  Es  ist  a  priori 
der  Gedanke  nicht  von  der  Hand  zu  weisen,  daß  durch  die  Auf- 
hebung der  Giftwirkung  der  Diphtheriebazillen  der  befallene  Orga- 
nismus vor  einer  Herabsetzung  seiner  eigenen  bakteriziden  Fähig- 
keiten geschützt  wild  und  somit  die  eingedrungenen  Feinde  rasche 
beseitigt.  Unsere  Beobachtungen  haben  jedoch  bis  jetzt  keine 
Anhaltspunkte  dafür  gegeben,  daß  man  mit  diesen  Vorgäneren 
rechnen  darf. 

Nicht  eigentlich  zum  Zwecke  der  Krankheitsverhütüng,  sondern 
um  der  hohen  Sterblichkeit  entgegenzutreten,  wendet  man  in  Kairo 
nach  einer  mündlichen  Mitteilung  des  dortigen  Sanitätsinspektors^ 
Dr.  Dreyer,  prophylaktische  Impfungen  mit  hohen  Serumdosen 
an.  Die  Krankheit  tritt  durchweg  schwer  auf  und  die  Wohn-  und 
sonstigen  Verhältnisse  unter  den  unteren  Bevölkerungsklassen  be- 
dingen, daß  mit  ziemlicher  Sicherheit  weitere  Todesfalle  in  der 
Familie  zu  erwarten  sind,  wenn  eines  der  Mitglieder  gestorben 
ist.    Die  Resultate  des  Vorgehens  sollen  befriedigende  sein. 

Die  prophylaktische  Serumimpfung  ist  ein  gutes  Hilfsmittel 
zur  Bekämpfung  der  Diphtherie  in  geschlossenen  Anstalten  und 
unter  ähnlichen  Verhältnissen.  Die  allgemeine  Verbreitung  der 
Diphtherie  als  Volksseuche  zu  verhindern  ist  sie  zurzeit  nicht  an 


Die  Diphtherie  als  Volksseuche  nnd  ihre  Bekämpfnug.  319 

der  Lage,  ihre  Anwendung  macht  daher  hygienische  Maßnahmen 
nicht  überflüssig. 

Die  vorstehend  kurz  geschilderten  Tatsachen  und  Gedanken- 
gänge dienen  in  Bremen  seit  etwa  drei  Jahren  als  Unterlagen  für 
eine  systematische  Bekämpfung  der  Diphtherie.  Bei  der  Einführung 
der  entsprechenden  Maßnahmen  mußte  man  die  Erfahrung  machen^ 
daß  für  ihre  innere  Begründung  und  für  den  inneren  Zusammen- 
hang derselben  bei  der  Bevölkerang  und  bei  einem  nicht  geringen 
Teil  der  Arzte  nur  geringes  Verständnis  vorhanden  war.  Es  liegt 
in  dieser  Erfahrung  kein  Vorwurf  für  Bremen,  überall  anderswo 
wird  es  ebenso  sein,  man  durfte  es  auch  nicht  anders  erwarten. 
Die  grundlegenden  Tatsachen  sind  zum  Teil  Feststellungen  der 
letzten  Jahre,  wenn  auch  auf  dieses  und  jenes  vorher  schon  hier 
und  da  hingewiesen  wurde.  Außerdem  waren  Anzeigepflicht  und 
Sachendesinfektion  lange  genug  als  A  und  0  der  Seuchenbekämpfung 
von  Ärzten  hingestellt  worden,  als  daß  nicht  die  Laienbehörden 
und  Bevölkerung  von  der  Anschauung  durchdrungen  worden  wären, 
daß  mit  der  Ausübung  beider  das  Menschenmögliche  geleistet  sei. 
Ist  einmal  unser  jetziges  erweitertes  Wissen  über  die  Art  der 
Verbreitung  der  Diphtherie  in  gleicher  Weise  Allgemeingut  ge- 
worden, so  wird  man  in  der  Bekämpfung  der  Seuche  weiter 
kommen. 

Um  die  Einführung  der  Maßnahmen  zu  erleichtem,  wurde  in 
Bremen  in  der  Weise  vorgegangen,  daß  man  die  einzelnen  ge- 
meldeten Erkrankungsf&Ue  in  zwei  Gruppen  schied:  Gruppe  I,  bei 
welcher  ein  allgemeineres  öffentliches  Interesse  vorliegt ;  Gruppe  H, 
bei  welcher  das  Interesse  mehr  lokaler  Natur  ist.  Zur  ersten 
Gruppe  werden  die  Fälle  gezählt,  bei  denen  ein  gehäuftes  Auf- 
treten von  Diphtherieerkrankungen  in  einer  Familie  festgestellt 
wurde,  femer  einzelne  Erkrankungen  in  Häusern,  in  denen  offene 
Ladengeschäfte,  Wirtschaften  und  dergleichen  vorhanden  waren^ 
oder  wo  Lebensmittel  hergestellt  oder  vertrieben  wurden;  dann 
nahm  man  ein  öffentliches  Interesse  an,  wenn  Lehrer  oder  Hebamme 
in  dem  betreffenden  Hause  wohnen,  oder  wenn  Hausgenossen  sonst 
berufsmäßig  mit  einer  größeren  Anzahl  von  jugendlichen  Individuen 
zusammenkommen.  In  diesen  und  ähnlichen  Fällen  werden  sämtliche 
Familienangehörige  bakteriologisch  untersucht,  die  Frage  der  Iso- 
lierung der  mit  ansteckungstüchtigen  Diphtheriebazillen  Behafteten 
wird  geprüft,  und  eine  Schlußdesinfektion  des  Krankenzimmers  und 
seines  Inhaltes  angeordnet.  Der  Fall  gilt  in  bezug  auf  Schulverbot, 
Beschäftigungsbeschränkung  usw.  erst  als  erledigt,  wenn  der  bakterio- 


320  XVII.   Tjadkn 

logische  Nachweis  des  Freiseins  von  virulenten  Diphtheriebazillen 
bei  sämtlichen  Hausgenossen  geführt  ist.  Für  diesen  Nachweis 
steht  das  hygienische  Institut  zur  Verfügung,  die  Entnahme  von 
Untersuchungsproben  geschieht  unentgeltlich  durch  den  beamteten 
Arzt,  falls  die  betreffende  Familie  es  nicht  vorzieht,  die  Entnahme 
durch  den  Hausarzt  vornehmen  zu  lassen.  Es  sei  nochmals  betont, 
daß  bei  allen  Maßnahmen  durchaus  individualisierend  vorgegangen 
wird  und  daß  in  jedem  Falle  der  medizinische  Sachverständige 
dieselben  prüft. 

In  der  zweiten  Gruppe  beschränkt  man  sich  darauf,  den  Schul- 
besuch für  den  Erkrankten  und  seine  Geschwister  so  lange  zu  unter- 
sagen, bis  eine  ärztliche  Bescheinigung  des  Gesundseins  sämtlicher 
Kinder  der  betreffenden  Familie  beigebracht  mrd.  Daß  ein  der- 
artiges Vorgehen  eine  wesentliche  Lücke  bedeutet,  darüber  ist 
man  sich  klar.  Aber  man  hat  geglaubt,  und  wie  die  Erfahrung 
gelehrt  hat.  mit  Eecht,  daß  für  all  diese  Maßnahmen  der  Boden 
erst  vorbereitet  werden  müsse,  daß  Schritt  um  Schritt  vorzugehen 
sei  und  daß  ein  zu  plötzliches  scharfes  Anspannen  des  Bogens  die 
Gefahr  des  Zerreißens  der  Sehne  bedinge.  Das  Endziel  wird  bei 
dem  Charakter  der  niedersächsischen  Bevölkerung  besser  erreicht 
wenn  man  ihm  schrittweise  zustrebt.  Die  Vervollständigung  der 
Maßnahmen  wird  nicht  aus  dem  Auge  verloren. 

Die  formale  Erledigung  geschieht  in  der  Weise,  daß  nach  Ein- 
gang der  Meldung  für  jede  Erkrankung  ein  Aktenstück  angelegt 
wird,  daß  mit  der  Akte  der  untere  Gesundheitsbeamte  —  em 
Sanitätsgehilfe  —  sich  an  Ort  und  Stelle  begibt,  dort  die  nötigen 
Personalien  aufnimmt,  die  sonstigen  Feststellungen  macht  und  die 
ersten  Anordnungen  trifft.  Die  Akte  geht  dann  sofort  an  den 
technischen  Oberbeamten,  den  Geschäftsführer  des  Gesundheitsrats, 
dieser  prüft  sie   und   veranlaßt    eventuell   weitere    Ermittlungen 

■ « 

oder  Änderungen  der  Maßnahmen.  Die  ünterbeamten  sind  jedoch 
so  gut  geschult  daß  der  Oberbeamte  in  den  meisten  Fällen  nur  sein 
Visum  zu  unterschreiben  braucht  und  daß  seine  Arbeitskraft  durch 
diese  Tätigkeit  wenig  in  Anspruch  genommen  wird.  Nebenbei  sei 
bemerkt,  daß  in  ähnlicher  Weise  auch  bei  den  anderen  anstecken- 
den Erkrankungen  gearbeitet  wird. 

Nach  außen  hin  sichtbare  Erfolge  können  bei  der  starken 
Verbreitung  der  Diphtherie  in  Bremen  zahlenmäßig  in  der  kurzen 
Zeit  nicht  zutage  treten ;  kein  Kenner  der  einschlägigen  Verhält- 
nisse wird  sie  erwarten.  Das  ist  jedoch  schon  erreicht,  daß  Be- 
völkerung  und  Arzte  von  Jahr  zu  Jahr  mehr  Verständnis  für  die 


Die  Diphtherie  als  Volksseache  und  ihre  Bekämpfung.  321 

Berechtigung  der  Maßnahmen  gewinnen  nnd  zu  Mitarbeitern 
werden  und  daß  in  einer  nicht  kleinen  Anzahl  von  Fällen  lokale 
Anhättfangen  von  Erkrankungen  rasch  eingedämmt  wurden.  Der 
beschrittene  Weg  ist  durch  die  Natur  der  in  Frage  kommenden 
Faktoren  vorgezeichnet,  die  Maßnahmen  sind  logisch  begründet, 
sie  müssen  bei  sachgemäßer  und  konsequenter  Anwendung  nach 
und  nach  zum  Ziele  führen.  Unentbehrlich  ist  dabei  ein  ver- 
ständnisvolles enges  Zusammenarbeiten  der  Verwaltungsbehörde 
und  des  medizinischen  Sachverständigen;  ein  solches  besteht  in 
Bremen  in  ausgezeichnetster  Weise. 


Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.   89.  Bd.  21 


xvni. 

Aus  der  medizinischen  Universitätsklinik  zu  Göttingen 
(Direktor:  Geheimrat  Ebstein). 

I. 

Zwischenfälle  bei  der  Thorakocentese,  speziell  über  das 
Wesen  der  albnminosen  Expektoration. 

Von 

Privatdozent  Dr.  Waldvogel, 

Oberarzt. 

Tausende  von  Thoraxpunktionen  werden  in  Deutschland  jähr- 
lich ausgeführt,  aber  unsere  Literatur  ist,  zumal  im  Vergleich  mit 
der  französischen,  relativ  arm  in  der  Erwähnung  und  kritischen 
Würdigung  unangenehmer  Zwischeniälle  und  es  hat  fast  den  An- 
schein, als  sei  jetzt  alles  geschehen,  um  die  Thorakocentese  zu 
einem  durchaus  harmlosen  EingriiF  zu  machen.  Auch  aus  unserer 
Klinik  berichtet  Heißmeyer ^),  daß  fast  sämtliche  Punktionen 
ohne  störende  Zwischenfillle  verliefen,  „nur  einigemal  mußte  wegen 
andauernden  Hustens  die  Operation  unterbrochen  werden".  Nun 
hat  uns  aber  gerade  das  Sommersemester  1905  überraschend  davon 
überzeugt,  daß  auch  bei  Innehaltung  aller  Vorsichtsmafiregeln  eine 
bedrohliche  Blutung  und  die  albuminöse  Expektoration  das  Leben 
der  Punktierten  schwer  gefährden  können  und  es  drängt  sich  die 
Frage  auf,  ob  nicht  ähnliche  Vorkommnisse  auch  andei-swo  ein- 
treten und  ob  es  dann  nicht  mehr  als  gerechtfertigt  erscheint  sie 
der  breiten  ärztlichen  Öffentlichkeit  zu  übergeben,  zumal  die  Auf- 
klärung der  vorliegenden  Verhältnisse  durchaus  noch  lückenhaft  ist 

Relativ  am  einfachsten  liegen  die  Dinge  im  ersten  Fall,  in  dem 
bei  einem  an  schwerer  Pneumonie  leidenden  Kinde  der  völlig  lege 
artis  eingestochene  Trokar  die  abnorm  verlaufende  Arteria  inter- 
costalis  anstach,  ohne  daß  die  danach  entstandene  Blutung  für  den 
eingetretenen  exitus  verantwortlich  gemacht  werden  kann.    Das 

1)  Gott.  Diss.  1902. 


I.  Zwischenfälle  bei  der  Thorakocentese  etc.  323 

wird  durch  die  etwas  eingehendere  Beschreibung  des  Falles  er- 
härtet werden. 

Bas    3jährige   Kind    E.    A.    soll    vor    14   Tagen    mit    Haisdr üsen^ 
Longen-  und  Bippenfellentsündnng  erkrankt  sein.    Es  wird  mit  156  Pulsen , 
gelb  verfärbter  Sklera   und  Haut  am  27.  Jani  1905   in    die  Klinik   ge- 
bracht.    Kan  findet  eine  Pneumonie  des  rechten  Ober-  und  TJnterlappens, 
eine  geringe  Yerlagerang  des  Herzens  nach  links,  eine  Vergrößerung  der 
lieber,    eine  Enteritis  und  Zeichen    alter  Rachitis.     Das    lange  Bestehen 
der  Lungenersoheinungen,    die   starke   Dyspnoe,    die   verstrichenen  Inter- 
kostalränme     veranlassen   am   Aufnahmetage   eine   Probepunktion    in   der 
Skipolarlinie,    man   erhält   60  ocm    einer   sehr  trüben,    mit    viel   Fibrin- 
flocken  untermischten  Flüssigkeit    durch  Ansaugen   mit   der  Spritze,    bis 
am  Schluß  etwas  Blut   sich  beimischt.     Am    folgenden  Tage   findet   man 
Aach  Infiltration    der  linken  Lunge   in  geringem  Umfang  und  entschließt 
sich  zur  Wiederholung  der  Punktion  rechts.     Die  Probepunktion    ergibt 
wieder  Exsudat  und  man  sticht  3  Finger   breit  rechts   von    der  Wirbel- 
säule, also   bei   dem  kleinen  Kinde    etwa  1  cm   innerhalb    der  Skapular- 
linie  im  7.  Interkostalraum  den  Trokar  ein.     Es  entleeren  sich  bei  milder 
Aspiration  durch   den  Potain'schen  Apparat  100  ccm    derselben  Flüssig- 
keit wie  am  Tage  zuvor  und  man  hört  sofort  auf,   als  am  Schluß  reines 
fiiat  zu  fließen   scheint.     Am  Abend,    die  Punktion   hatte   mittags   statt- 
gefanden,  ist  das  Kind  munterer  und  verlangt  zu  trinken,  antwortet  auf 
Fragen.     Am  Morgen  des  folgenden  Tages,   IV2  U^r»  verschlechtert  sich 
der  Puls  schnell  und  der  Exitus  tritt  ein.     Die  Autopsie  (Prof.  Borst)  be- 
ttätigte die  klinische  Diagnose  und  ich  gebe  hier  den  Befund  nur  so  weit, 
als  er  für  die  Punktion  von  Bedeutung  ist.     In  der  Umgebung  der  zuletzt 
angelegten  Punktionsöffnung,    die  genau  am  oberen  Rande  der  8.  Rippe 
liegt,  ist  das  ganze  umgebende  Gewebe  blutig  infiltriert,    im  Pleuraraum 
rechts  befindet  sich  ein  Blutkoagulum  von  der  Q-röße  des  Schädels  eines  neu- 
geborenen Kindes ;  die  Arterie  wird  frei  präpariert,  ihre  Wandungen  sind 
dorchans  normal  —  was   ich   gegenüber    dem  Befunde  Naunyn's^)   be- 
tone, in  dessen  Fall    die  Arterie  abnorm   weit  und    ihre  Wandung   stark 
atheromatös    entartet   war  —  sie   läßt   sich   mit   einem  Pferdehaar   eben 
sondieren  und  man  erkennt   deutlich  den  dreieckigen    durch    den  Trokar 
gesetzten  Defekt. 

Es  hat  also  ans  der  Arteria  intercostalis  eine  ziemlich  starke 
Blntnng:  stattgefunden,  nachdem  sie  von  dem  eindringenden  Trokar 
angestochen  war.  Diese  Blutungen  müssen  ja  so  ohne  Ende  sein, 
weil  das  Gefäß  sich  infolge  der  Einbettang  in  starres  Gewebe  und 
da  66  nur  an  einer  Stelle  defekt  ist,  ohne  durchtrennt  zu  sein, 
nicht  zurückziehen  kann.  In  diesem  Falle  ist  die  Blutung  wohl 
aber  dadurch  zum  Stehen  gekommen,  daß  die  hart  infiltrierte  Lunge 
nicht  nachgab  und  so  das  schnell  sich  bildende  Gerinnsel  auf  die 


2)  Kurzer  Leitfaden   fftr  die  Punktion  der  Pleura-  und  Peritonealergüsse 
Straßburg  1881. 

21* 


324  XVIII.  Waldvogel 

Gef&ßwunde*  drückte.  Klinische  Zeichen,  welche  ein  chirurgisches 
Eingreifen  erforderlich  gemacht  hätten,  hat  die  Blutung  nicht  er- 
zeugt, es  war,  als  ob  das  Kind  sich  erholte.  Auch  floß  das  Blut 
vielleicht  nicht  sofort  aus  dem  Oef&ßdefekt,  sondern  der  Trokar 
hat  wohl  die  Öffnung  verlegt  und  erst  am  Schluß  der  Punktion 
erschien  Blut,  als  die  Lage  der  Kanüle  geändert  wurde  oder 
der  Thoraxraum  so  hoch  vollgelaufen  war;  auch  nach  der  Ent- 
fernung der  Trokarhülse  sickerte  etwas  Blut  aus  der  Wunde. 
aber  das  sind  ja  häufiger  vorkommende  Ereignisse  und  nichts  iries 
darauf  hin,  daß  die  Arteria  intercostalis  verletzt  war.  Wie  konnte 
man  nun  diese  Arterie  anstecken,  da  man  doch  gemäß  der  Lage 
der  Intercostalis  am  unteren  Bande  der  Bippe  am  oberen  ein- 
gestochen hatte?  Varietäten  der  A.  intercostalis  kommen  nun  vor, 
doch  habe  ich  bei  Merkel^)  nur  die  bemerkenswerte  Angabe  ge- 
funden, daß  eine  A.  intercostalis,  schräg  durch  den  Interkostalranm 
steigend,  zur  nächsten,  selbst  zur  zweitnächsten  Bippe  gelangen 
kann.  Es  wäre  nun  doch  auch,  meine  ich,  denkbar,  daß  von  den  beiden 
Zweigen  derselben  einmal  der  am  oberen  Band  der  Bippe  ver- 
laufende der  stärkere  ist  und  nicht  der  im  Sulcus  costalis  liegende. 
Jedenfalls  handelte  es  sich  in  diesem  Fall  um  einen  recht  beträcht- 
lichen Ast  der  A.  intercostalis,  welcher  am  oberen  Band  der  Rippe 
verlief,  wenn  auch  die  Verhältnisse  in  dieser  Bichtung  anatomisch 
nicht  weiter  verfolgt  sind.  Vielleicht  wird  man  geltend  machen, 
daß  zu  weit  nach  hinten,  zu  nahe  der  Wirbelsäule  punktiert  ist 
daß  hier  der  schwächere  Ast  der  Intercostalis  noch  mächtig  war 
nnd  eine  größere  Blutung  bei  Verletzung  eintreten  konnte,  denn 
die  Einstichstelle  lag  ein  wenig  einwärts  von  der  Skapularlinie. 
Gumprecht^)  kommt  nach  einer  Zusammenstellung  der  von  den 
Autoren  angegebenen  Punktionsstellen,  unter  denen  ja  die  Schnlter- 
blattlinie  häufiger  angegeben  ist,  zu  dem  Besultat,  daß  die  Punktions- 
stelle doch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  in  das  Belieben  des  ein- 
zelnen gestellt  sei.  Es  wäre  gesucht,  an  dieser  Ansicht  angesichts 
dieses  einen  Mißgeschickes  etwas  ändern  zu  woUen,  denn  die  Ab- 
normität eines  solchen  Arterien  Verlaufes,  daß  bei  der  Punktion  am 
oberen  Band  der  Bippe  eine  größere  Blutung  auftritt,  scheint  außer- 
ordentlich selten  zu  sein ;  immerhin  aber  wird  für  die  Wahl  der 
Einstichstelle  nach  außen  von  der  Skapularlinie  in  Betracht  kommen, 
daß  hier  der  am  oberen  Band  der  Bippe  verlaufende  Ast  an  Mächtig- 
keit abgenommen  hat. 

1)  Haudb.  d.  topographisch en  Anatomie  Bd.  2  1899. 

2)  Die  Technik  der  spez.  Ther.    Jena  1906. 


I.  Zwischenfillle  bei  der  Thorakocentese  etc.  325 

Sind  die  Verhältnisse  in  diesem  ersten  Zwischenfall  bei  Thorako- 
centese noch  relativ  durchsichtig  and  war  die  Blutung  an  dem 
traurigen  Ausgang  des  Falles  nicht  schuld,  so  begeben  wir  uns  mit 
der  Besprechung  der  expectoration  albumineuse  auf  ein  sehr  «um- 
strittenes Gebiet,  dessen  mangelhafte  Aufklärung  um  so  bedauer- 
licher erscheinen  mufi,  als  in  unserem  Fall  dieses  Ereignis  den 
letalen  Ausgang  herbeigeführt  hat.    Ich  schildere  ihn  zuflächst  kurz : 

Die  am  24.  Mai  1905  in  die  Klinik  aufgenommene  M.  H.,  17  Jahre 
alt,  ist  im  letzten  Kerbst  schon  einmal    wegen  Dilatatio  cordis  und  Ver- 
dacht auf  Tuberknlose  behandelt,  im  März  1905  wurde  sie  wegen  Tuber- 
kulose der  Skapula  operiert,  seit  3  Wochen  klagt  sie  wieder  über  Herz- 
beschwerden.    Bei    der   Aufnahme   findet   man   ein   linksseitiges   Pleura- 
exsudat   vom    bis   zur   3.   Rippe    reichend.      Herzresistenz    nach    rechts 
verbreitert.  Puls  160,  kaum  fühlbar,  starke  Dyspnoe.     Man   entleert   so- 
fort durch  Punktion  ein  Liter  stark  bluthaltiger  Flüssigkeit  mit  reichlich 
Eiweiß  und  dem  spez.  Gew.  1018.     Das  Herz  rückt  nach  der  Punktion 
wohl  ein  wenig  nach  links,  aber  seine  Tätigkeit  bleibt  sohlecht.     Schnell 
bildet  sich    das   Exsudat   wieder    bis   zur   früheren   Höhe,    am    31.  Mai 
wird   wieder   links   ohne   Aspiration   punktiert,    wieder  entleert   man   1  1 
derselben    stark   blutigen  Flüssigkeit.     Das  Herz  rückt  jetzt  1  cm   nach 
links,   die  Pulsfrequenz  wird  geringer  und  die  Patientin  erholt   sich;    es 
wird   ein  schleimig  eiteriges  Sputum   ohne   Tuberkelbazillen    ausgehustet, 
die  Dämpfung   links   reicht   noch   bis    zum    oberen  Bande    des  Schulter- 
blattes,  ohne   daß    wesentliche   Dyspnoe   besteht.     Die    Herztätigkeit   ist 
aber  andauernd   schlecht   und   in    der   Zeit   vom  8. — 16.  Juli,    nachdem 
schon   eine  Zeitlang   Staunngsharn   bestand,    wird   auch    die  Stauung   in 
Leber,   Milz,    Magen  intensiver,    es  entsteht  Ascites  und   am  22.  Juli  ist 
notiert,    daß    eine    Däropfang    mit    abgeschwächtem    Atemgeräuscb    und 
Stimmfremitus,    mit    vorgetriebenen   Interkostalräumen   auch   rechts    ent- 
standen ist.     Die  Temperatur  ist   meist    eine   normale,    nur   ab   und   an 
steigt  sie  abends  bis  auf  subfebrile  Werte,    Tuberkelbazillen  wurden   nie 
nachgewiesen,  die  Diazoreaktion  war  negativ.     Während  die  Verhältnisse 
in   der  linken  Thoraxhälfte    unverändert   erscheinen,   steigt   das  Exsudat 
rechts    deutlich    an,    die    Pulsfrequenz    ist   meist  120 — 128,    während  in 
den    ersten  Wochen    144 — 156  Pulse    gezählt   wurden.     Am  17.  August 
werden  nach  Probepunktion  ohne  Aspiration  l^/^  1  einer   nicht  blutigen, 
trüben,  gelben  Flüssigkeit  aus  der  rechten  Pleurahöhle  entleert  im  Ver- 
lauf Yon  15  Minuten,    am  Schluß  beginnt  die  Patientin  zu    husten,    ohne 
daß    zunächst   Flüssigkeit   expektoriert   wird.     Nach    der  Punktion   wird 
die  Patientin  aus  der  sitzenden  Stellung  etwas  hintenüber  gelehnt,    doch 
steigern  sich  dabei  Husten  und  Atemnot  stark,  sie  erhält  0,005  g  Heroin, 
aber  es  wird  jetzt,  ohne  daß  Heroin  und  Morphium  einen  Einfluß  haben, 
eine  schaumige,  leicht  rot  gefärbte  Flüssigkeit  unter  fortwährendem  Husten 
expektoriert,    die  Cyanose   steigert   sich,    der  Puls   wird   schlechter,    Pa- 
tientin   wird   benommen   und   stirbt    12  Stunden    nach    der  Punktion,    in 
den  letzten  3  Stunden  hört  der  Husten  auf,  es  gelangt  keine  Flüssigkeit 
mehr  nach  außen,    Trachealrasseln   stellt   sich  ein.     Die  Menge   der    aus- 


326  XVIII.  Waldtogkl 

gehasteten  Flüssigkeit  beträgt  1'/«  1,  sie  ist  leicht  rot  gefärbt,  bildet  im 
Olase  3  Schiebten,  eine  obere  schaumige,  eine  mittlere  klare,  eine  ontere 
mit  langen  Fäden.  Das  spez.  Oew.  der  expektorierten  Flüssigkeit  betragt 
1016,  der  Eiweißgehalt  ist  annähernd  2^0  (Gsbach).  Ebenso  betrigt 
das  spez.  Gew.  des  entleerten  Exsudats  1016  und  der  Eiweißgebalt  2^^, 
mikroskopisch  finden  sich  in  letzterem  Fibrin  und  vereinzelte  Knndzellen. 

Die  Sektionsdiagnose  lautete :  Käsige  Tuberkulose  der  Broncbal- 
drüsen,  Pleuritis  sero-fibrinoea  mit  doppelseitigem  pleuritischen  Exsudat, 
Atelektase  der  TJnterlappen  beider  Lungen,  Pericarditis  obliterans,  Me- 
diastinitis fibrinosa;  Ascites,  Stauungsleber,  Stauungsmilz,  StauungsniercD. 

Beide  Pleurahöhlen  sind  mit  ca.  2  1  einer  leicht  getrübten,  mit 
spärlichen  gröberen  Flocken  untermischten  Flüssigkeit  gefüllt,  die  Luogen 
«ind  nach  hinten  oben  neben  die  Wirbelsäule  zurückgesunken.  Die 
TJnterlappen  beider  Lungen  sind  luftleer,  Ober-  bzw.  Hittellappen  luft- 
haltig, nirgends  Infiltration.  Saft-  und  Blutgehalt  beiderseits  nicht  ver- 
mehrt. Die  Pleura  visceralis  beider  Lungen  ist  getrübt,  stellenweise  tos 
feinen  fibrinösen  Auflagerungen  bedeckt.  Von  einer  Verletzung  der 
Lunge  ist  nichts  nachzuweisen. 

Es  ist  ja  nun  in  der  Tat  das  Nächstliegende  daran  zu  denken, 
daß  die  seröse  Expektoration  ausgelöst  wird  durch  das  Ablassen 
der  Flüssigkeit  und  die  damit  gesetzten  Dmckänderungen  im 
Thorax  und  man  hat  also  nicht  lange  gezögert  Fehler  bei  der 
Punktion  für  die  Entstehung  dieser  immerhin  gefährlichen  Kom- 
plikation verantwortlich  zu  machen,  so  das  zu  schnelle  Abfließen  von 
zu  viel  Flüssigkeit,  zumal  wenn  aspiriert  wird.  Nun,  mein  Fall 
gleicht  dem  von  Scriba^)  aus  der  RiegeFschen  Klinik  beschriebenen 
darin  völlig,  daß  l'/2  1  ohi^^  Aspiration  entleert  wurden.  Für 
meinen  Fall  ist  noch  hinzuzufügen,  daß  nach  der  Punktion  noch 
2  1  im  Pleuraraum  blieben  (s.  Sektionspi'otokoU)  und  daß  das  Ab- 
fließen langsam  geschah.  Dieselben  Verhältnisse,  starke  An- 
füllung  des  Thorax,  schlechte  Herztätigkeit,  langsames  Abfließen 
von  1 1  Flüssigkeit,  die  bei  den  ersten  beiden  Punktionen  sogar 
blutig  war,  lagen  auch  bei  den  ersten  Malen  vor.  Eine  Änderung 
ist  aber  insofern  eingetreten,  als  diesmal  beide  Lungen  von  Exsu- 
daten gedrückt  wurden.  Das  Exsudat  hat  beim  letztenmal  freilich 
nur  kurze  Zeit  auf  der  rechten  Lunge  gelastet,  während  bei  den 
ersten  Punktionen  die  linke  Thoraxhälfte  stark  angefüllt  war. 
Auch  die  Tätigkeit  des  rechten  Ventrikels  ist  bei  der  letzten 
Punktion  schlechter  gewesen  als  bei  den  ersten,  es  hatten  sich 
Stauungsorgane,  Ascites  entwickelt.  Nicht  die  Technik,  nicht  die 
Menge  und  die  lange  Beiastungszeit  des  Exsudats  können  also  nach 
unserem  Fall  für  die  Entstehung  der  albuminösen  Expektoration 

1)  Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  36  1885. 


I.   Zwischenfälle  bei  der  Thorakocentese  etc.  327 

yerantwortlich  gemacht  werden.  Vielleicht  aber  verdient  die  Be- 
lastung beider  Lungen  neben  der  schlechten  Funktion  des  rechten 
Ventrikels  als  eines  mitwirkenden  Faktors  mehr  Beachtung  als  sie 
bislang  gefunden  zu  haben  scheint. 

A  p  p  e  1  *)  hat  das  Verdienst,  die  Krankengeschichten  von  15 
neueren  Fällen  aus  der  Literatur  wiedergegeben  zu  haben,  nach- 
dem Terillon^)  im  Jahre  1872  über  21  Beobachtungen  berichtet 
hatte.  Auch  er  stellt  fest,  daß  die  Aspiration  nicht  allein  schuld 
an  dem  Auftreten  der  serösen  Expektoration  sein  kann,  daß  die 
schnelle  Absaugung  wohl  schon  unzählige  Male  stattgefunden 
baben  dürfte  und  daß  trotzdem  die  albuminöse  Expektoration  eine 
Seltenheit  ist.  Aus  den  mitgeteilten  Fällen  ergibt  sich  nun  auch 
durchaus  nicht,  daß  immer  große  Mengen  von  Flüssigkeit  entleert 
sind  und  ich  glaube,  es  wird  einmal  an  der  Zeit  sein  zu  betonen, 
daß  die  Technik  der  Thorakocentese  für  das  Entstehen  einer 
serösen  Expektoration  nicht  verantwortlich  gemacht  werden  kann, 
und  so  das  Gewissen  manches  Arztes  zu  entlasten. 

Appel  bemerkt  daß  Komplikationen  von  selten  des  Herzens 
in  6  von   den  36  Fällen  hervorgehoben  sind,  in  den   anderen  ist 
über  das  Verhalten  des  Herzens  nichts  verzeichnet,  vielleicht  weil 
keine  Anomalien  von    selten  dieses  Organs  vorlagen.     Letzteren 
Satz  möchte  ich  nicht  unbedingt  unterschreiben,  ich  möchte  glauben, 
daß  der  Zustand  der  Herztätigkeit  häufiger  in  Betracht  kommen  kann 
und  mehr  Beachtung  verdient.    An  der  Hand  meines  Falles  hatte 
ich  a]s  mitwirkendes  Moment  die  Intensität  der  Lungenbelastung 
insofern  ins  Auge  gefaßt,  als  dadurch  die  Wiederausdehnungsfahig- 
keit  der  Lunge  nach  der  Punktion  und  die  Anfüllung  mit  Luft 
verhindert  wird.    Das  kann  natürlich,  außer  wenn  wie  in  meinem 
FaU,  beide  Lungen  durch  Exsudat  belastet  sind,  auch  dadurch  ge- 
schehen, daß  Bindegewebe  in  Lunge  und  Pleura  dem  Eindringen 
der  Luft  Widerstand  entgegensetzt    Da  ist  es  denn  bemerkens- 
wert, daß  auch  nach  Appel,  allerdings  weniger  für  die  Entstehung 
als  für  den  Ausgang,  Residuen  früher  überstandener  Pneumonien 
und  Pleuritiden,  namentlich  dicke  Schwartenbildung,  Schrumpfungen 
der  Lunge,  Verwachsungen  der  Kostal-  und  Pulmonalpleura,  Ver- 
wachsungen letzterer  mit  dem  Perikard  von  Bedeutung  sind. 

Gewiß  werden  also  diese  beiden  klinisch  festgestellten  Momente, 
schlechte  Ausdehnungsfähigkeit  der  Lungen,  Schwäche  des  rechten 
Ventrikels,  trotz  aller  Dürftigkeit  der  Beweisführung  zu  berück- 

l)  Annalen  der  städt.  aUgem.  Krankenhäuser  zu  München.    München  1897. 
2;  De  Texpectoration  albuminense  apres  la  thoracocenthöae.    Paris  1872. 


328  XVIII.  Waldvogel 

« 

sichtigen  sein,  wenn  wir  an  eine  Erklärung  des  Phänomens  der  serösen 
Expektoration  herangehen  wollen.  Die  wichtigste  Frage  aber,  die  auch 
in  den  letzten  Publikationen  an  den  ihr  gebührenden  Platz  gerückt 
ist,  wird  stets  bleiben :  Was  ist  die  expektorierte  Flüssigkeit,  woher 
stammt  sie  ?  Ich  deduziere  zunächst  wieder  von  meinem  Fall.  Wir 
erkennen  aus   den   ja   leider  nicht  genügend  weit  ausgeführten 
Untersuchungen    doch    wohl    mit   ziemlicher   Sicherheit,    daß  die 
Flüssigkeit,  welche  den  Pleuraraum  erfüllte  und  die,  welche  aus- 
gehustet wurde,  identisch  sind,   das  leicht  blutige  Aussehen  der 
letzteren  wird  an  dieser  Anschauung  nichts  ändern,  eine  plausible 
Erklärung  läßt  sich  dafür  ja  leicht  finden.    Spezifisches  Gewicht 
und  Eiweißgehalt  stimmten  durchaus  überein,  der  Schaum  in  der 
obersten  Schicht  zeigt  an,  daß  die  expektorierte  Flüssigkeit  aus- 
giebig mit  Luft  in  Berührung  getreten   ist.     Die   expektorierte 
Flüssigkeit  muß  aus  der  Pleurahöhle  stammen;  das  ist  ein  keines- 
wegs neuer  Befund.    Und  selbst  wenn  die  Flüssigkeiten  nicht  in 
dieser  auffallenden  Weise  übereinstimmen,  so  gibt  es  andererseits 
genug  Gründe,  welche  dagegen  sprechen,  daß  die  seröse  Expektora- 
tion auf  Lungenödem  beruht.    Daß  es  eine  auf  entzündlichem 
Wege  entstandene  Flüssigkeit  sein  muß,  ist  doch  auch  durch  hohes 
spezifisches  Gewicht,  beträchtlichen  Eiweißgehalt  und  das  Vorhanden- 
sein von  reichlichem  Fibrin  zu  beweisen.    Um  gleich  auf  letzteres 
einzugehen,  so  hat  Scriba  in  seinem  Fall  in  dem  Hauptbronchus 
der  Lunge,  welche  von  dem  punktierten  Exsudat  belastet  war,  ein 
das  Lumen    desselben   vollständig   ausfüllendes    und    sich   in   die 
feineren  Verzweigungen  2.  und  3.  Ordnung  fortsetzendes,  mit  zahl- 
reichen Luftblasen  durchsetztes  Fibringerinnsel  gefunden,  welches 
sich  nach  oben  bis  an  die  Teilungsstelle   erstreckte;    dabei   war 
die  Bronchialschleimhaut  glatt  und  blaß.     Nach  meiner  Ansicht 
ist  dieser  Befund  ein  unzweideutiger  Beweis  dafür,  daß  dies  Fibrin 
nicht  in  der  Lunge  entstanden,  sondern  eingeschleppt  ist,  daß  es 
aus  dem  bei  der  Sektion  noch  in  der  Menge  von  1 1  in  der  Pleura- 
höhle vorhandenen  entzündlichen  Erguß  mit  dem  spezifischen  Ge- 
wicht von  1015,  welches  aus  der  Pleura   in  die  Bronchien  dranf 
abgesetzt  ist  und  daß  die  expektorierte  Flüssigkeit  kein  Lungen- 
ödem war,  denn  so  viel  Fibrin  enthält  kein  durch  Stauung  allein 
hervorgerufenes  Transsudat.    Zellige  Elemente  waren   in   dem  Ge- 
rinnsel kaum  zu  finden,  und  Scriba  nimmt  aus  diesem  Grunde 
an,  daß  das  Bronchialgerinnsel  nicht  aus  dem  Pleuraexsudat  stammt 
Dem   kann   ich  aus   den  angeführten  Gründen   nicht   beistimmen, 
sondern  sehe  in  der  Gegenwart  dieses  Bronchialgerinnsels  einen 


I.   Zwischenfälle  bei  der  Thorakocentese  etc.  329 

Beweis  dafür,  daß  das  Pleuraexsudat  durch  die  Lungen  getreten 
ist.  Dabei  könnten  die  zelligen  ungelösten  Elemente  in  der  Pleura- 
höhle zurückgehalten  sein,  auch  ist  denkbar,  daß  das  von  Scriba 
gefundene  Exsudat  wenig  Zellen  enthielt  Wahrscheinlich  sind  bei 
der  Dreischichtigkeit  des  Sputums  die  am  Boden  befindlichen  Ge- 
rinnsel meist  fibrinöser  Natur,  darauf  müßte  noch  mehr  an  der 
Hand  farberischer  Methoden  geachtet  werden.  Im  Fall  VIII  der 
Appel'schen  Zusammenstellung  heißt  es:  ^beim  Stehen  bildete  sich 
leichte  Wolke  koagulierten  Fibrins." 

Aber  selbst  wenn  wir  von  dem  Fibrin  als  Beweismittel  dafür,  daß 
bei  intakter  Bronchialschleimhaut  und  dem  Mangel  eines  fibrinösen  Ex- 
sudats in  den  Alveolen  die  expektorierte  Flüssigkeit  aus  dem  Pleura- 
raum stammen  muß,  absehen,  stimmen  denn  die  übrigen  Eigenschaften 
derselben  mit  dem  Wesen  eines  Lungenödems  zusammen?  In  dem  Fall 
Appel's  zeigten  Exsudat  und  Sputum  in  bezug  auf  Trockensubstanz 
und  N-Gehalt  fast  völlige  Übereinstimmung,  wir  werden  später  er- 
kennen, worauf  die  geringen  Differenzen  zurückgeführt  werden  können. 
Im  dritten  der  von  A  p  p  e  1  angezogenen  Fälle  war  die  ausgehustete 
Flüssigkeit  sehr  ähnlich  der  aus  der  Pleurahöhle  entleerten.  Im  vierten 
der  Appel'schen  Zusammenstellung  heißt  es,  die  expektorierte  Flüssig- 
keit glich  an  Farbe  völlig  der  durch  die  Punktion  gewonnenen, 
ebenso  stimmte  das  spezifische  Gewicht  (1015)  überein.  In  Fall  VI 
wird  angegeben,  daß  das  Sputum  durch  Kochen  und  Salpetersäure 
massenhaften  Niederschlag  gibt.  Im  achten  Fall  ist  notiert,  die 
ausgehustete  Flüssigkeit  sei  wie  die  aspirierte  grünlichgelb,  serös, 
sehr  eiweißhaltig  gewesen;  das  spezifische  Gewicht  war  1015.  Im 
Fall  IX  wird  berichtet:  „Morgens  spuckte  Patientin  ihre  Spuck- 
schale halb  voll  von  einer  ganz  dünnen,  gelbgrünlichen  Flüssigkeit, 
welche  genau  das  gleiche  Aussehen  hatte  als  die  bei  den  Punktionen 
entleerte  Flüssigkeit."  Eiweißgehalt  und  spezifisches  Gewicht  sind 
in  diesem  einen  Fall  auffallend  niedrig.  Im  Fall  X  war  der  Aus- 
wurf in  allem  ähnlich  Exsudat-  oder  Hydrocelenflüssigkeit,  enthielt 
Eiweiß.  In  Fall  XI  und  XII  war  die  ausgehustete  zähe  Flüssig- 
keit ähnlich  und  ganz  ähnlich  der  Punktionsflüssigkeit,  im  XIII.  die 
im  Sputum  enthaltene  Eiweißmenge  enorm,  doppelt  so  viel  als  die 
abgeflossene  Exsudatflüssigkeit  enthält  (?);  im  XIV.  bestand  völlige 
Identität  zwischen  der  ausgeworfenen  schaumigen  Flüssigkeit  und 
der  durch  Punktion  entleerten,  im  XV.  gab  der  Auswurf  einen 
reichlichen  Niederschlag.  Zieht  man  nun  noch  in  Betracht,  daß 
15  von  den  durch  Appel  zusammengestellten  Fällen  aus  dem  zweiten, 
fünften,  siebenten  sich  keine  Angaben  über  spezifisches  Gewicht, 


330  XVIU.   Waldvooei. 

Aassehen,  Eiweißgehalt  entnehmen  lassen,  so  versteht  man  eigentlich 
nicht  recht,  wie  die  Anschauung,  die  bei  der  expectoration  albumi- 
neuse  entleerte  Flüssigkeit  verdanke  dem  Lungenödem  seine  Ent- 
stehung, sich  so  lange  hat  halten  können,  trotzdem  alles  darauf 
hinwies,  daß  die  expektorierte  und  die  Ejxsudatflussigkeit  gleiche 
Eigenschaften  besitzen.  Ich  will  hier  betonen,  daß  damit  die 
Mitwirkung  einer  ödematösen  Durchtränkung  des  Lungengewebes 
beim  Entstehen  der  albuminösen  Expektoration  nicht  ganz  von  der 
Hand  gewiesen  zu  werden  braucht,  aber  nach  den  chemischen  und 
physikalischen  Eigenschaften  der  ausgehusteten  Flüssigkeit  steht 
sie  ganz  im  Hindergrunde,  erklärt  höchstens,  warum  das  Spatnm 
gegenüber  dem  Exsudat  etwas  verdünnt  erscheinen  kann,  wie  das 
bei  genaueren  chemischen  Untersuchungen  festgestellt  ist  Muß 
denn  nicht  auch  schon  die  tausendfältige  Erfahrung,  daß  wir  ein 
akutestes  Lungenödem  auftreten  sehen,  ohne  daß  es  zur  serösen 
Expektoration,  d.  h.  zur  J^ntleerung  solch  großer  Mengen  einer 
mehrschichtigen,  viele  Eigenschaften  einer  entzündlichen  tragenden 
Flüssigkeit  unter  fortdauerndem  quälenden  Husten  kommt,  dazu 
auffordern  den  Gedanken  fallen  zu  lassen,  es  sei  die  expectoration 
albumineuse  allein  durch  Lungenödem  bedingt?  Mußte  nicht  min- 
destens daneben  ein  das  Bild  des  gewöhnlichen  Lungenödems  völlig 
veränderndes  Moment  angenommen  werden? 

Wenn  nun  auch  alles  meiner  Ansicht  nach  darauf  hinzuweisen 
schien,  daß  die  ausgehustete  Flüssigkeit  im  großen  und  ganzen 
nichts  anderes  ist  als  das  Exsudat  der  Pleurahöhle,  so  war  ein- 
mal offenbar  die  Schwierigkeit,  den  Weg,  den  diese  Flüssigkeit 
nahm,  zu  finden,  mit  schuld  daran,  daß  der  so  naheliegenden  Auf- 
fassung von  einer  Entleerung  der  Pleuraflüssigkeit  nach  oben  der 
gebührende  Platz  eingeräumt  wurde.  Man  suchte  nach  einem  Loch 
in  der  Lunge.  Nun  erleben  wir  so  oft  Verletzungen  der  Lunge  bei 
bestehendem  Erguß,  sei  es  bei  der  Punktion  oder  z.  B.  nach  einer 
Schußverletzung.  Wir  wissen,  daß  diese  Offnungen  schnell  verlegt 
werden  und  heilen,  ohne  daß  jemals  durch  eine  solche  kleine  Öff- 
nung, wie  sie  der  Trokar  doch  nur  hervorruft,  so  schnell  so  viel 
Flüssigkeit  durchtritt,  wie  es  bei  der  serösen  Expektoration  der 
Fall  ist.  In  jedem  Augenblick  könnte  ein  kleines  Fibringerinnsel 
die  Öffnung  schließen.  Zudem  würde  zumal  bei  ausgiebigen  Punk- 
tionen, die  ja  für  das  Zustandekommen  des  uns  hier  interessierenden 
Ereignisses  angeschuldigt  sind,  das  Niveau  der  zurückbleibenden 
Flüssigkeit  doch  unterhalb  der  gesetzten  Stichöffnung  liegen,  nur  im 
Liegen  würde  also  Flüssigkeit  hindurchtreten  können.    Man  hat  nun 


I.   Zwischenfälle  bei  der  Thorakocentese  etc.  331 

aber  doch  nach  dem  Loch  in  der  Lunge  gesacht  und  hat  es  nicht  ge- 
iiinden.  Scriba  gibt  an:  „An  der  Oberfläche  der  Lunge  ist  weder  bei 
genauem  Suchen,  noch  beim  Aufblasen  eine  Verletzung  zu  entdecken 
Auch  in  meinem  Fall  konnte  ein  Loch  in  der  Lungenpleura  nicht  ge* 
fanden  werden;  es  könnte  ja  freilich  so  klein  gewesen  sein,  daß 
es  nur  beim  Aufblasen  der  Lunge  unter  Wasser  zu  entdecken 
war.  Ich  meine  jedoch,  daß  diese  beiden  negativen  Befunde  zu- 
sammen mit  den  eben  wiedergegebenen  Erwägungen  genügen,  den 
Gedanken,  daß  die  Pleuraflüssigkeit,  wenn  sie  durch  die  Lunge 
tretend  die  seröse  Expektoration  hervonuft,  ein  Loch  der  Lunge 
dazu  benutzt,  als  etwas  absurd  erscheinen  zu  lassen.  Entsteht 
nach  Durchbruch  einer  Kaverne  ein  Seropneumothorax  und  kommu- 
niziert die  Kaverne  mit  einem  Bronchus,  so  sind  die  günstigsten 
Verhältnisse  für  einen  Flüssigkeitsdurchtritt  geschaffen  und  es  müßte 
in  jedem  solchen  Falle  zur  albuminösen  Expektoration  kommen, 
was  ja  bekanntlich  nicht  der  Wirklichkeit  entspricht.  Überhaupt 
wäre  es  doch  damit  nicht  einfach  abgetan,  daß  ein  Loch  in  der 
Lunge  entsteht,  sondern  da  die  Flüssigkeit  so  schnell  nach  der 
Punktion  entleert  wird,  müßte  die  Öffnung  mit  einem  Bronchus 
in  Verbindung  stehen.  Diese  Forderung  braucht  aber  nicht  er- 
hoben zu  werden,  wenn  wir  annehmen,  daß  das  Exsudat  durch  die 
ganze  freie  Oberfläche  der  belasteten  Lunge  schnell  durchtritt.  Auf 
diesen  Punkt  komme  ich  später  noch  einmal. 

Ist  das  nun  möglich,  ist  es  denkbar,  daß  in  ganz  kurzer  Zeit 
so  viel  Flüssigkeit,  wie  bei  der  serösen  Expektoration  entleert  wird, 
durch  die,  sagen  wir  einmal  zunächst  normale  Pleura  pulmonalis  in 
die  Bronchien  gelangen,  resorbiert  werden  kann  ?  Daß  sogar  feste 
Partikel  den  umgekehrten  Weg  in  ganz  kurzer  Zeit  zurücklegen, 
haben  uns  frühere  Untersucher  und  in  letzter  Zeit  Grawitz^) 
wieder  gezeigt,  der  beobachtete,  daß  Kohlenstaub,  Zinnober  bei 
Kaninchen  in  die  Trachea  gebracht,  schon  nach  24  Stunden  in  der 
Pleura  costalis  wieder  zu  finden  sind,  wenn  in  Pleura  und  Lunge 
normale  Verhältnisse  vorliegen.  Grober^)  hat  eine  ausgezeichnete 
Studie  über  die  Eesorptionskraft  der  gesunden  und  kranken  Pleura 
geliefert  und  viele  Versuche  mit  intrapleuralen  Injektionen  an- 
gestellt. Naturgemäß  verfolgte  er  den  unter  normalen  Verhält- 
nissen bevorzugten  Lymphweg  anatomisch,  auch  kam  es  ihm  weniger 
darauf  an,  die  Schnelligkeit,  mit  der  die  Resorption  in  der  Pleura 


1  r  Berl.  klin.  Woch.  1897  Nr.  29. 

2)  Beitr.  z.  patbolog.  Anat.  n.  allgem.  Pathol.  Bd.  30  1901. 


332  XVIII.  Waldvogel 

vor  sich  gehen  kann,  in  den  Vordergrand  zu  stellen.  Far  unsere 
Zwecke  sind  in  den  von  ihm  beigebrachten  zahlreichen  Yersuchs- 
protokollen  die  im  Pleuraraum  befindlichen  Flflssigkeitsmengen  zu 
klein,  zudem  müssen  wir  den  uns  durch  unsere  klinischen  Be- 
trachtungen gewiesenen  Weg  durch  die  Lunge  ausnehmend  berück- 
sichtigen. Immerhin  zeigt  sein  Versuch  12,  wie  schnell  die  Re- 
sorption vom  Pleuraraum  aus  bewerkstelligt  werden  kann.  Es 
wurden  einem  sehr  großen  Kaninchen  unter  allen  Vorsichtsmat- 
regeln  40  ccm  Aqua  dest.  in  die  rechte  Pleurahöhle  injiziert, 
15  Minuten  später,  nachdem  das  Tier  kein  Zeichen  von  Dyspnoe 
geboten  hatte,  wird  es  getötet.  Die  Präparierung  des  Thorax 
wird  äußerer  Umstände  wegen  erst  40  Minuten  nach  eingetretenem 
Tode  beendet.  In  der  rechten  Pleura  finden  sich  0,9  klare  wasser- 
helle Flüssigkeit,  in  der  linken  1,0  ccm.  Beide  Lungen  nicht  atelek- 
tatisch.  Ich  glaube,  wir  können  aus  diesem  Versuch  schließen, 
daß  annähernd  40  ccm  in  15  Minuten  glatt  resorbiert  sind,  ohne 
daß  die  Atembewegungen  wesentlich  beschleunigt  waren. 

Meine  eigenen  Versuche  bestätigen  das  durchaus,  es  kam  mir 
ja  vor  allem  darauf  an  zu  erfahren,  wie  schnell  im  Pleuraraum 
befindliche  Flüssigkeit  sich  ohne  spezielle  Diflferenzierung  der  Wege 
in  den  Lungen  nachweisen  läßt.  Meine  Versuche,  mehr  auf  patho- 
logische Verhältnisse  gerichtet,  bedurften  daher  auch  nicht  großer 
Kautelen,  sie  erscheinen  bei  der  einfachen  Fragestellung  vielleicht 
zu  einfach,  geben  aber  über  die  Schnelligkeit  der  Resorption  in 
die  Lunge  hinein  genügende  Auskunft,  zumal  es  Vorversuche 
sind.  Ich  injizierte  mittels  10  ccm  fassender  Spritze  wässerigre 
Eosinlösung.  Die  herausgenommenen  Lungen  wurden  säuberlich 
abgespült,  erst  mit  Wasser,  dann  mit  verdünntem  Alkohol  und 
dann  jede  für  sich  in  50  ccm  verdünnten  Alkohol  extrahiert;  es 
wurden  nur  5 — 6  pfundige  Kaninchen  zu  den  Versuchen  verwandt^ 
eingespritzt  wurde  die  Eosinlösung  in  die  rechte  Thoraxhälfte. 

Vers.  1.  100  ccm  injiziert,  Tod  nach  2^/«,  Stunden,  starke  Dyspnoe. 
Zurückgewonnen  50  ccm.  Alkoholau9zug  aus  der  rechten  Lunge  mittel- 
stark geförbt  durch  Eosin;  aus  der  normalen  nicht. 

Vers.  2.  100  ccm  injiziert,  getötet  nach  ^/^  Stunde,  zurück  25  ccm. 
Alkoholische  Eosinlösung  dunkelrot;  Alkoholauszug  aus  der  normalen 
Lunge  farblos. 

Vers.  3.  4  ccm  1  ^JQige  Arg.  nitr. -Lösung  vor  24  Stunden  injiziert 
Eosinlösung  30  ccm  eingespritzt.  Tod  in  5  Minuten.  Nichts  zurück- 
gewonnen, fibrinöse  Verklebungen.  Alkoholisches  Lungenextrakt  stark 
eosin  haltig. 

Vers.  4.     3  ccm   1  %ige  Arg.  nitr.-Lösung  vor  14  Stunden  injiziert. 


L   Zwischenfälle  bei  der  Thorakocentese  etc.  333 

50  ccm  EosinlÖBung  eiDgespiitzt,  Tötoog  nach  30  Minuten,  zurückgewonnen 
25  ccm,  viel  Fibrin.     Alkoholauszug  schwach  durch  Eosin  gefärbt. 

Diese  Vorversuche  zeigen,  daß  bei  gi'oßem  Druck,  auch  wenn 
reichlich  frische  Entzündungsprodukte  vorhanden  sind,  die  Auf- 
nahme von  Flüssigkeit  ohne  korpuskulare  Elemente  sehr  schnell 
vor  sich  gehen  kann,  ho  daß  die  Aufnahme  der  Pleuraflüssigkeit 
bei  der  expectoration  albumineuse  in  den  beobachteten  Zeiträumen 
durchaus  nichts  Wunderbares  hat.  Es  bestanden  in  diesen  Ver- 
suchen keine  Verletzungen  der  Lunge.  Bei  einem  5.  Versuch  injizierte 
ich  eine  Flüssigkeit  mit  korpuskularen  Elementen,  eine  l^^/oige 
Lösung  von  essigsaurem  Blei  hatte  kohlensaures  Blei  bei  zwei- 
tägigem Stehen  an  der  Luft  ausfallen  lassen. 

Vers.  5.  Einem  Kaninchenbock  (6  Pfd.  schwer)  am  6.  März  1906 
2  ccm  einer  0,5  ^/^igen  Arg.  nitr.-Lösung  in  die  rechte  Pleurahöhle  injiziert, 
danach  keine  Elrankheitssymptome.  Am  8.  März  dasselbe  mit  demselben 
Effekt.  Am  selben  Tage  6^/^  Uhr  50  ccm  einer  1  %igen  Plnmbum  aceticum- 
Lösung  injiziert,  Dyspnoe,  um  7  Uhr  wieder  20  ccm,  7'/^  nochmals 
20  ccm.  Kompression  der  gesunden  Thoraxbälfte  8  Uhr  20,  danach. 
Tod  unter  Erstickungszeichen.  In  der  rechten  Thoraxhälfte  noch  20  ccm 
blntig  tingierter  Flüssigkeit,  rechte  Lunge  mit  dicken  weißen  Belägen 
fleckweise  bedeckt.  Ganz  oberflächliche,  kleine  Einstichöffnnng  der 
Pleura.  Lunge  sinkt  im  Wasser  unter,  fühlt  sich  etwas  kousistenter  an. 
Sorgsames  Abspülen.  Einlegen  in  Schwefelwasserstoffwasser,  Alkohol- 
zusatz,  Einbettung  in  Paraffin.  Mikroskopisch :  Schwarze  Schwefelblei- 
massen ungleich  verteilt,  auch  in  der  Wand  einzelner  Bronchien  mittlerer 
Dimension,  viel  in  der  der  Alveolen,  Epithel  meist  verloren,  im  freien 
Lamen  intakter  Bronchien  keine  schwarzen  Massen  mit  Sicherheit  er- 
kennbar. 

So  zeigten  diese  Vorversuche  an  Kaninchen,  daß  nicht  allein 
klare  Lösungen,  sondern  auch  trübe  mit  Bodensatz  trotz  des  Vor- 
handenseins von  Produkten  intensiver  Entzündung  ziemlich  schnell 
bis  an  die  Oberfläche  von  Alveolen  und  Bronchien  vordringen 
können.  Ich  hatte  für  diese  Versuche  ziemlich  viele  Kaninchen 
verwandt,  sie  gingen  meist  nach  ziemlich  kurzer  Zeit  an  der  intra- 
pleuralen Injektion  von  Arg.  nitr.  zugrunde.  Einmal  wegen  dieser 
Empfindlichkeit,  dann  aber  auch,  weil  die  Injektionen  bei  ihnen  nie 
Husten  auslösten,  der  für  das  Zustandekommen  der  serösen  Ex- 
pektoration von  Bedeutung  sein  konnte,  ging  ich  jetzt  zu  Ver- 
suchen au  Hunden  über  und  zwar  nach  den  Vorversuchen  mit 
dem  bestimmten  Vorsatz  durch  Erzeugung  von  Exsudaten  in  beiden 
Pleurahöhlen  und  Auslösung  großer  Druckdifl'erenzen  eine  seröse  Ex- 
pektoration herbeizuführen.  Gleich  der  erste  Versuch  gelang  mir 
in  Erstaunen  erregender  Weise. 


334  XVIII.  Waldvoobl 

Vers.  6.  Einem  kleinen  Hände  am  15.  März  2  ccm  0,5%iger  Argentom* 
nitr.-Lösung  in  der  rechten  Pleurahöhle  injiziert.  Hasten,  leichtes  Un- 
wohlsein, am  19.  dasselbe  links,  kein  Husten,  1  Tag  Kranksein,  dsmn 
ganz  gesund.  Am  23.  wieder  rechts  2  ccm  0,5  ^If^iger  Arg.  nitr. -Lösung in 
die  rechte  Pleurahöhle  injiziert,  kein  Husten,  kein  ausgesprochenes  Erank- 
aein.  Am  26.  60  ccm  einer  l^/^igen  Bleinitratlösung  durch  Sohlaacli 
und  Kanüle  ans  Trichter  einlaufen  lassen.  Höhe  65  cm,  Trichterinhilt 
45  ccm,  Durchmesser  6,5  cm.  Danach  starke  Schmerzen,  Morpbiam- 
injektion.  Kranksein  bei  geringer  Dyspnoe.  Am  28.  mit  Prayazspritse 
14  ccm  ziemlich  stark  bluthaltiger  seröser  Flüssigkeit  an  verschiedenen 
Stellen  aus  dem  rechten  Pleuraraum  gezogen.  Hund  frißt  nicht  mehr. 
Am  29.  mit  demselben  Apparat  1  %ige  Plumb.  acetic- Lösung  in  die  rechte 
Thoraxhälfte  laufen  lassen.  Es  läuft  zunächst  schwer,  man  sticht  an  rer- 
Bchiedenen  Stellen  ein,  plötzlich  schnellerer  Abfluß.  Aus  dem  Mtale 
entleert  sich  unter  Husten,  schon  nachdem  etwa  20 — 30  ccm  eingelaufen 
sind,  klare  sanguinolente  schaumige  Flüssigkeit  in  großer  Menge,  Hund 
gleich  darauf  tot.  Sektion  ergibt  viel  blutige  Flüssigkeit  in  beiden  Pleura- 
höhlen, rechts  springt  sie  beim  Offnen  des  Thorax  hervor,  hier  besteht 
hinten  an  zirkumskripter  Stelle  eine  Verwachsung  und  knotige,  derbe 
Infiltration  des  Lnngengewebes,  die  Verwachsung  läßt  sich  unter  Defekt- 
setzen lösen.  Beide  Lungen  an  ihrer  Oberfläche  gerunzelt,  rechte  Lange 
viel  schwerer,  auf  dem  Durchschnitt  blaß,  Odem  nur  in  den  unteren 
Partien,  ein  oberflächliches  Stichloch  im  ünterlappen.  In  Schwefel wasser- 
Stoffwasser  sofortige  Schwarzfärbung  der  Durchschnittsflächen. 

Ich  war  von  dem  Erfolg  dieses  ersten  Versuchs  außerordent- 
lich überrascht  und  ging  sofort  daran,  den  Nachweis  dafür,  daß 
wirklich  die  im  Pleuraraum  vorhandene  Flüssigkeit  aus  der  Trachea 
gelaufen  sei,  auch  mikroskopisch  zu  sichern.  Die  Schnitte  vom 
rechten  Unterlappen  wurden  zum  Teil  unbehandelt,  ferner  nach 
einstündigem  Aufenthalt  in  Schwefelwasserstolfwasser  und  zum  Teil 
mit  Hämatoxjiin  gefärbt  angesehen.    Es  ergab  sich  folgendes: 

Pleura  mit  starken,  zum  großen  Teil  fibrinösen  Auflagerungen  be- 
deckt, Lymphgefäße  erweitert,  besonders  unter  der  Pleura,  angefüllt  mit 
schwarzen  Klumpen  von  Schwefelhlei  und  die  Wandungen  damit  im- 
prägniert bilden  sie  ein  grobes  Netzwerk.  Die  Alveolen  sind  mit  Blut- 
farbstoff enthaltender,  durch  die  Alkoholhärtung  geronnener  Flüssigkeit 
fast  alle  angefüllt,  die  blutige  Tinktion  ist  ungleichmäßig  verteilt,  sehen 
makroskopisch  unterscheidet  man  stärker  rot  gefärbte  Partien.  Femer 
fällt  schon  makroskopisch  das  Vorhandensein  von  größeren  Hohlraumes 
auf.  Ebenso  ist  die  Verteilung  des  Schwefelbleies  nicht  gleichmäßig. 
In  den  Alveolen  sind  die  Wände  belegt  mit  den  Schwefelbleiklümpchen 
enthaltenden  geronnenen  Massen.  Die  nicht  mit  Exsudat  gefüllten  Al- 
veolen sind  zum  Teil  außerordentlich  weit.  In  den  Bronchien,  auch  in 
den  größten,  ist  das  Epithel  inkrustiert  mit  schwarzen  Massen,  die  ein 
feines  Netzwerk  von  Schwefelblei  aufweisenden  G-erinnsel  liegen  im  freien 
Lumen  eines  großen  Bronchus.     Die  Kernfärbung  ist  überall  gelungen. 


I,   Zwischenfall«  bei  der  Thorakocentese  etc.  335 

Es  spricht  also  mikroskopisch  für  das  Durchtreten  der  Pleura- 
flüssigkeit in  die  Luftwege  das  Gerinnen  der  Flüssigkeit  in  Alveolen 
und  Bronchien  durch  Alkohol,  der  Blutgehalt  dieser  Flüssigkeit  — 
auch  die  Pleuraflüssigkeit  war  blutig  —  last  not  least  das  Schwefel- 
blei in  den  Wandungen  und  im  Lumen  von  Alveolen  und  Bronchien. 
Dieser  Versuch,  so  beweisend  er  für  die  Möglichkeit  des  Durchtrittes 
eines  Pleuraexsudates  in  die  Luftwege  ausfiel,  ahmte  die  Verhält- 
nisse bei  der  menschlichen  expectoration  albumineuse  deswegen  nicht 
ganz  nach,  weil  er  zu  schnell  verlief,  die  Flüssigkeit  in  zu  großen 
Mengen  durchtretend  den  Erstickungstod  zu  akut  herbeiführte.  In- 
struktiver ist  daher  der  zweite. 

Vers.  7.  Einem  Affenpinscher  am  29.  März  in  die  rechte  Pleura- 
höhle 2  ccm  0,5  ^/"^  ige  Arg.  nitr.-Lösung  injiziert,  danach  Husten,  am 
2.  April  dasselbe  links,  danach  kein  Husten.  Am  6.  April  rechts  2.  In- 
jektion, Hund  danach  munter,  hustet  bei  Anstrengungen,  beim  Fressen, 
Dicht  nach  der  Einspritzung.  Am  9.  April  läßt  man  in  die  rechte 
Thoraxhälfte  80  ccm  einer  1  ^/^igen  Bleinitratlösung  einlaufen  (Trichter, 
Schlauch  und  Kanüle  wie  im  Vers.  6),  Kurzatmigkeit,  wenig  Schmerz, 
Hasten  bei  Nahrungsaufnahme.  11.  April:  Hund  stark  dyspnoisch, 
Hastenanfalle.  Bei  7  maliger  Punktion  der  rechten  Pleurahöhle  mit 
Pravazspritze    bekommt    man    nur    wenig    stark    bluthaltige    Flüssigkeit. 

13.  April  abends  7  Uhr  Hund  sehr  widerstandsfähig,  80  ccm  1  %iger  Blei- 
acetatlösung  laufen  langsam  in  die  rechte  Thoraxhälfte,  Kurzatmigkeit 
and  Husten  wie  vorher.  13.  April  nachmittags  5^^  XJhr  Probepunk- 
tionen  rechts  und  links,  links  erhält  man  ganz  wenig  sanguinolente 
Flüssigkeit,  mikrosk.  mäßig  Leukocyten  enthaltend.  14.  April  abends 
7  Uhr  80  ccm  Bleinitratlösung  rechts  einlaufen  lassen,  dabei  starkes  Tracheai- 
rasseln, das  aber  gegen  das  Ende  der  Infusion  abnimmt.  Hund  läuft 
umher,  hustet  in  der  Nacht  in  lang  dauernden  schweren  Anfällen  wie 
nie  vorher,  stirbt  morgens  7*/^  Uhr.  Beide  Thoraxhälften  sind  angefüllt 
mit  stark  blutiger  Flüssigkeit,  rechts  150  ccm,  links  120,  starke  Ver- 
wachsungen hinten  rechts,  Yerklebungen  überall,  auch  links.  Rechts  stärkste 
Auflagerungen,  mehrere  Stich kanäle  mit  oberflächlichen,  blutigen  Infar- 
zierungen. Bei  Eintauchen  in  Schwefelwasserstoffwasser  in  den  großen 
Bronchien  rechts  große  schwarze  Flecke,  ganze  Schnittfläche  des  rechten 
Unterlappens  schwarz.  Mikroskopisch  gleicht  das  Bild  dieser  Lunge  im 
ganzen  dem  der  ersten,  es  fehlen  die  erweiterten  Lymphgefäße,  in  den 
mehr  angefüllten  Alveolen  waren  massenweise  rote  Blutkörperchen  und 
einzelne  Leukocyten  zu  differenzieren. 

Der  dritte  positive  Versuch  verlief  folgendermaßen : 

Einem  Terrier  am  5.  Juni  2  ccm  0,5%  ige  AgNOjj-Lösung  injiziert 
in  die  rechte  Thoraxhöhle,  kurzer  Hustenstoß,  Erbrechen,  keine  Schmerzen. 
Am    11.   Juni    dasselbe    links,    kein    Husten,    Erbrechen,    Wohlbefinden. 

14.  Juni  rechts  2  ccm  der  Höllensteinlösung  intrapleural  injiziert,  da- 
nach   keine    Erscheinungen;    am    18.  Juni    wieder   dasselbe    links,    frißt^ 


336  XVIIL  Waldvogel 

Wohlbefinden.  Am  21.  läßt  man  durch  beschriebenen  Trichter  und 
Schlauch  54  ccm  einer  1  ^/^igen  Bleinitratlösung  einlaufen  in  die  rechte 
Pleurahöhle,  Schmerzen  mäßig,  Erbrechen,  Appetit  nimmt  ab.  Am 
25.  Juni  zog  ich  aus  der  rechten  Pleurahöhle  mit  Pravazspritze  45  ccm 
seröser,  stark  bluthaltiger,  bald  stark  koagulierender  Flüssigkeit,  links 
bekam  ich  nur  wenige  Tropfen.  Am  26.  abends  7  Uhr  läßt  man  rechts 
105  ccm  einer  1  ^|^^igeu  Lösung  von  essigsaurem  Blei  durch  Trichter  und 
Schlauch  einlaufen,  Dyspnoe  wird  etwas  stärker,  kein  Husten,  gegen 
9  Uhr  werden  mit  6  ccm  fassender  Punktionsspritze  etwa  20  ccm  rechts 
wieder  herausgezogen,  stärkere  Blutbeimischung  hindert  an  der  Fort- 
setzung, kein  Husten.  Am  27.  Juni  mittags  12  Uhr  sticht  man  die  Kanüle 
in  den  linken  Pleuraraum,  doch  läuft  aus  dem  mit  45  ccm  1  ^l^iger  Lösung 
von  essigsaurem  Blei  gefällten  Trichter  nur  ganz  wenig  unter  Hosten- 
stoßen  ab,  dann  hört  der  Abfluß  auf.  Der  bei  den  ganzen  vorhergehenden 
Prozeduren  auf  der  rechten  Seite  nie  aufgetretene,  jetzt  aber  ausgelöste 
Husten  erweckte  in  mir  sofort  die  Hoffnung,  daß  dieser  VersDch  ge- 
lingen würde,  ich  stach  die  Kanüle  in  einen  anderen  Zwischenrippen« 
räum,  die  Flüssigkeit  aus  dem  Trichter  floß  langsam  ab,  die  Luftröhre 
füllte  sich  unter  Husten,  dann  starkem  Rasseln;  nach  10  Minuten,  so 
lange  dauerte  das  Einlaufen  der  Bleilösung,  war  der  Hund  erstickt  und 
blutige,  schaumige  Flüssigkeit  lief  aus  dem  Maul.  Wir  konnten  sie  auf- 
fangen, ihre  Menge  betrug  10  ccm,  ihr  Blutgehalt  stimmte  makroskopiscb 
völlig  mit  dem  des  Pleuraexsudats  ans  der  linken  Thoraxhälfte  überein. 
Der  Eiweißgehalt  der  aus  dem  Maul  gelaufenen  Flüssigkeit  betrug  nach 
Esbach  bei  einer  Verdünnung  auf  das  11,5 fache  2,3  p.  m.,  ganz  den 
gleichen  Eiweißgehalt  unter  denselben  Verhältnissen  fand  ich  in  der 
Flüssigkeit  aus  der  linken  Pleurahöhle.  Der  Gefrierpunkt  der  beiden 
Flüssigkeiten  stimmte  nicht  überein,  für  die  aus  der  Luftröhre  gelaufene 
war  J  =  0,38,  für  die  der  Pleurahöhle  bei  der  Sektion  entnommene  0,91. 

Wir  dürfen  aus  diesem  Unterschied  der  molekularen  Konzentration 
wohl  schließen,  daß  bei  dem  Durchfluß  durch  die  Lungen  Bleisalze  zu- 
lückbehalten  sind.  Nach  Veraschung  der  aus  dem  Maule  entleertei) 
Flüssigkeit  und  Ausziehen  der  Asche  mit  Salpetersäure,  entsteht  bei 
Natronlaugezusatz  ein  weißer  Niederschlag,  der  im  Überschuß  löslich 
ist.  Aus  dieser  Lösung  fällt  Kaliumchromat  gelben  Niederschlag.  Bei 
Zusatz  von  Schwefelammon  zur  salpetersauren  Lösung  entsteht 
Schwefelblei.  Es  war  also  in  der  aus  den  Luftwegen  entleerten 
Flüssigkeit  mit  Sicherheit  Blei  nachgewiesen.  Bei  der  Autopsie 
des  Hundes  enthielt  die  linke  Pleurahöhle  170  ccm  der  blutigen 
Flüssigkeit,  es  bestanden  geringe  leicht  lösliche  Verwachsungen, 
die  rechte  Thoraxhälfte  war  sehr  stark  mit  hämorrhagischem 
Exsudat  angefüllt,  Verdickungen  und  Verwachsungen  befanden  sich 
hier  in  großer  Ausdehnung.  Ich  unterband  Trachea  und  rechten 
Bronchus  doppelt  und  löste  die  linke  Lunge  mit  Luftröhre  und 
Bronchus  heraus.    Der  linke  Unterlappen  war  voluminöser  als  der 


I.   Zwischenfall  bei  der  Thorakocentese  etc.  337 

Oberlappen,  stark  schaumige  Flüssigkeit  haltend,  beim  Betasten 
schwappend,  sein  Pleuraüberzug  zeigte  eine  kleine  Stich  Verletzung,, 
an  die  sich  ein  kleiner  pulmonaler  Bluterguß  anschloß.  Nach  etwa 
24  stündigem  Aufenthalt  des  Präparats  in  Schwefelwasserstoff  ent- 
haltendem Alkohol  waren  die  Schnittflächen  des  linken  Unterlappens 
schwarz,  die  abgebundene  Trachea  und  der  linke  Bronchus  ent- 
hielten durchfühlbare  Gerinnsel.  Herr  Prof  Borst,  dem  ich  bestens 
danke,  hatte  die  Freundlichkeit,  das  Präparat  genau  zu  unter- 
suchen, er  schreibt: 

Das  zur  Untersuchung  überwiesene  Präparat  stellt  die  linke  Lunge 
eines  Hundes  dar,  zusammenhängend  mit  den  großen  Bronchien  und  der 
Trachea.  Die  Trachea,  sowie  der  rechte  Hauptbronchus,  sind  unter- 
banden, eine  blauschwärzliche  Masse  schimmert  als  Inhalt  dieser  Teile 
durch.  Der  Oberlappen  der  linken  Lunge  zeig^  eine  weißliche,  mit 
födigen  Auflagerungen  versehene  Pleura,  die  nur  an  einigen  Stellen 
Bchwarzbräunlich  verförbt  ist.  Der  Oberlappen  ist  lufthaltig,  der  Unter- 
läppen  Yergrößert,  die  Pleura  teils  grauweißlich,  teils  diffus  braunschwarz 
verfärbt.  Das  Parenchym  fühlt  sich  fest  an  und  zeigt  einen  geringeren 
Lnftgehalt  als  der  Oberlappen.  Auf  dem  Durchschnitt  durch  den  letz- 
teren zeigen  die  sämtlichen  durchschnittenen  Bronchien  eine  schwärzliche 
Schleimbaut,  außerdem  sieht  man  zerstreute  kleine  schwärzliche  Flecken 
im  Parenchym.  Der  Unterlappen  zeigt  bezüglich  der  Bronchien  die- 
selben Verhältnisse,  aber  die  schwärzliche  Fleckung  des  alveolären  Paren- 
ehyms  ist  hier  viel  stärker,  die  Flecken  größer  und  vielfach  konfluierend. 
Im  Bereich  derselben  erscheint  das  Lungenparenchym  vielfach  weniger 
lufthaltig  als  dazwischen  gelegene  Stellen,  welche  eine  annähernd  nor- 
male  Farbe  des  Lungenparenchyms  zeigen.  Das  ganze  Präparat  lag  in 
Alkohol. 

Mikroskopische  Präparate  zeigen  eine  schwärzliche  Imprägnation 
der  Alveolar-  und  Bronchial  wände,  ferner  der  Wandungen  der  Blutgefäße 
und  des  Bindegewebes  der  Pleura.  In  den  Alveolarwandungen  sind  es 
vor  allem  die  Kapillargefäße,  welche  die  Imprägnierung  mit  schwarzen 
Körnern  zeigen.  Dabei  hat  man  allerdings  den  Eindruck,  als  ob  die 
schwarzen  Kömer  den  Kapillaren  aufgelagert  waren,  daneben  kommen 
aber  auch  Kapillaren  reichlich  vor,  deren  Wand  einen  diffusen  schwarz- 
bräunlichen Farbenton  zeigt,  ohne  daß  Körnchen  vorhanden  waren.  Viel- 
fach bilden  die  schwarzen  Kömer  durch  Konfluenz  rosenkranaartige,  einem 
verzweigten  Korallenstock  ähnliche  Figuren.  Auffallend  sind  schwarz- 
gefärbte  Zellen,  welche  frei  im  Lumen  der  Alveolen  liegen.  In  den 
Wandungen  der  Alveolen  liegen  häufig  ganz  schwarzgefärbte  Kerne.  Im 
Bereich  der  schon  bei  der  makroskopischen  Betrachtung  luftleer  erscheinen- 
den Stellen  sind  die  Alveolen,  Alveolargänge  und  Bronchiolen  mit  roten 
Blutkörperchen  ausgefüllt.  Die  Wandung  kleinerer  Gefäße  und  Bronchien 
ist  ebenfaUs  an  vielen  Stellen  diffus  schwärzlichbraun  gefärbt.  Vielfach 
haben  die  einzelnen  Bindegewebsfibrillen  den  schwarzbraunen  Farbenton 
angenommen.  In  den  großen  Bronchien  liegt  dem  Epithel  innen  ein  oft 
beträchtlich  breiter  schwarzer  Saum  auf.     Soweit    der  Befund   am  unge- 

Deattches  AroUv  für  kUn.  Medizin.    89.  Bd.  22 


338  XVm.  Waldvogel 

färbten  Präparat  des  Unterlappens.  An  Präparaten,  die  mit  essigsaurem 
Alannkarmin  getärbt  waren  und  die  den  pigmentierten  Teilen  des  Ober- 
lappens entstammen,  zeigt  eich  eine  nur  sehr  geringe,  hier  mehr  gelblich* 
braune  Pigmentierung  der  Alveolarwände,  auch  die  Bronchien  sind  aus- 
nahmslos pigmentiert  und  zwar  liegt  die  größte  Masse  des  Pigments  wiederum 
an  der  inneren  Oberfläche  der  Bronchien  wie  ausgegossen.  Das  hier  be- 
findliche katarrhalische  Sekret  ist  ganz  braun  gefärbt,  jedoch  finden  sich 
in  der  Bronchialschleimhaut  selbst  allerdings  nur  in  sehr  geringem  Um- 
fange Ablagerungen  des  Pigments.  In  der  Pleura  liegt  das  Pigment  zum 
größten  Teil  auf  der  Oberfläche,  zum  geringeren  in  den  tieferen  Schichten 
des  pleuralen  Bindegewebes.  Eine  besondere  Beziehung  der  Pigment- 
ablagerung  zu  den  Lymphgefäßen  der  Lunge  und  der  Pleura  laßt  sich 
nicht  feststellen.  Die  Blutgefäßwände  zeigen  in  den  gefärbten  Präparaten 
des  Oberlappens  keine  Imprägnation. 

Sind  nun  auch  die  Wege,  welche  das  Pleuraexsudat  bei  seinem 
Durchtritt  durch  die  Lunge  genommen  hat,  durch  die  anatomischen 
Untersuchungen  noch  nicht  genügend  klargestellt,  so  ist  es  doch 
gelungen,  durch  diese  Versuche  eindeutig  nachzuweisen,  daß  man 
Pleuraflüssigkeit  aus  den  oberen  Luftwegen  entleeren  kann,  und 
wir  sind  daher  berechtigt,  in  diesen  Versuchen  eine  Bestätigung 
der  an  der  Hand  der  vorhergehenden  klinischen  Betrachtungen 
gewonnenen  Anschauung  zu  finden,  daß  bei  der  serösen  Expekto- 
ration der  Patient  sein  Pleuraexsudat  aushustet.  Noch  bemerkens- 
werter aber  erscheint  es,  daß  in  diesen  Versuchen  Verhältnisse  nach- 
geahmt sind,  die  nach  unseren  vorausgesandten  klinischen  Feststel- 
lungen als  die  eine  Expectoration  albumineuse  begünstigende  Momente 
angesehen  werden  müssen,  nämlich  vorwiegend  die  intensive  Be- 
lastung und  schlechte  Ausdehnungsfähigkeit  der  Lungen.  Als  weitere 
mitwirkende  Ursache  haben  wir  früher  die  Schwäche  des  rechten 
Ventrikels  aufgeführt,  es  wird  daher  notwendig  sein,  bei  der  Fort- 
setzung solcher  Versuche  auf  diesen  Faktor  durch  mikroskopische 
Untersuchung  des  Herzens  mehr  Eücksicht  zu  nehmen.  Immerhin 
ist  es  durchaus  wahrscheinlich,  daß  auch  in  meinen  Tierversuchen 
bei  der  starken  AnfüUung  der  Pleurahöhlen  und  dem  toxischen  Einflufi 
des  Bleies  das  rechte  Herz  mangelhaft  funktioniert  hat  Zudem  ist 
hervorzuheben,  daß  alle  an  Expektoration  des  Pleuraexsudats  zugrunde 
gegangenen  Versuchstiere  mehr  oder  weniger  schwer  krank  waren 
infolge  der  voraufgehenden  Prozeduren,  fast  keine  Nahrung  zu  sich 
nahmen.  Wir  sehen  also,  daß  eine  Eeihe  von  Zuständen  das  Zustande- 
kommen der  serösen  Expektoration  begünstigen,  was  aber  löst  sie 
aus?  Ich  habe  schon  in  den  Versuchsprotokollen  hervorgehoben,  daB 
Hustenstöße  die  Szene  eröffneten ;  aber  gegen  den  Husten  als  das 
auslösende  Moment  wird  sich  einwenden  lassen,   daß  er  erst  eine 


I.   Zwischenfall  bei  der  Thorakocentese  etc.  339 

Folge  des  Übertritts  der  Pleuraflüssigkeit  in  die  Alveolen  sei  und 
man  wird,  da  ich  ja  durch  zufließende  Flüssigkeit  den  Druck  im 
Pleuraraum  in  die  Höhe  trieb,  diese  Druckzunahme  als  die  alleinige 
Ursache  des  Übertritts  von  Pleuraexsudat  in  die  Luftwege  ansehen 
wollen.  Gegen  diese  Anschauung,  die  ja  auch  für  die  Pathologie 
der  menschlichen  Expektoration  nicht  in  Betracht  käme,  kann  ich 
nun  Versuchsresultate  anführen. 

9.  Vers.  Junger  Terrier.  21.  April  2ccmO,5  %ige  AgNOj -Lösung  in 
rechte  Pleurahöhle,  Wohlbefinden,  23.  links  daseelbe,  Husten  etwa  1  Tag, 
dann  Wohlbefinden.  26.  April  wie  am  2L,  Wohlbefinden.  29.  200  com 
1  ^'q  Bleinitratlösung  laufen  rechts  glatt  ein ;  kein  Husten ;  Schmerzen. 
30.  Exitus  langsam  ohne  Husten  eintretend.  In  beiden  Pleurahöhlen 
keine  Flüssigkeit,  links  nahe  dem  Herzen  einige  Yerklebungen.  Die  rechte 
Lunge  wird  wie  die  aus  den  positiv  verlaufenden  Yersuchen  in  Alkohol 
mit  HgS  gelegt,  man  sieht  mikroskopisch  nur  große  Bleischollen  im 
Bindegewebe. 

10.  Vers.  Pinscher.  3.  Mai  rechts  75  ccm  Bleinitratlösung  (1  %)  in 
die  rechte  Pleurahöhle  laufen  lassen.  Wohlbefinden,  kein  Husten.  5.  Mai 
rechts  mit  Pravazspritze  ganz  wenig  sanguinolente  Flüssigkeit  gewonnen. 
Hund  frißt  nicht.  Links  90  ccm  Bleinitrat  einlaufen  lassen,  etwas  Husten 
danach.  7.  Mai  links  mit  Pravazspritze  8  mal  angezogen,  keine  Flüssig- 
keit gewonnen.  Becbts  200  ccm  Bleinitratlösung  einlaufen  lassen,  Flüssig- 
keit läuft  zuerst  nicbt^  dann  schnell,  dabei  Husten,  zunehmende  Dyspnoe, 
Tod  nach  ^/^  Stunde  ohne  jeden  Husten.  Kurz  vor  dem  Tode  oft  mit 
Pravazspritze  angesogen  rechts  und  links,  rechts  einige  ccm  hämorrhagi- 
schen Exsudats  erhalten. 

11.  Vers.  Terrier.  25.  Mai  60  ccm  Pb(NOjj)g  in  rechte  Pleura- 
höhle laufen  lassen,  kein  Husten,  Erbrechen,  Schmerz,  Freßlust  geringer. 
29.  Mai  90  ccm  Bleilösung  links  einlaufen  lassen,  in  den  nächsten  Tagen 
starke  Dyspnoe,  Erbrechen  nach  der  Nahrungsaufnahme.  2.  Juni  rechts 
großer  Weichteilbluterguß  durch  Plenrafistel,  50  ccm  einlaufen  lassen, 
Husten,  etwas  schaumige  Flüssigkeit  entleert.  4.  Juni  langsamer  Tod 
an  Erstickung. 

Ans  diesen  ohne  Aushusten  des  Plenraexsudates  verlaufenen 
Experimenten  läßt  sich  also  einmal  schließen,  daß  das  schnelle  An- 
steigen  des  intrapleuralen  Druckes  in  meinen  Versuchen  den  über- 
tritt von  der  Pleura  in  die  Luftwege  nicht  ausgelöst  hat,  200  ccm 
Flüssigkeit  ließ  ich  auf  einmal  einfließen,  während  in  den  erfolg- 
reich verlaufenen  nie  eine  so  starke  Drucksteigerung  herbeigeführt 
wurde.  Aber  auch  die  plötzliche  Senkung  des  Druckes  in  der 
Pleurahöhle,  die  man,  wie  ich  schon  anführte,  wohl  mit  Unrecht 
vom  klinischen  Standpunkt  als  die  Ursache  der  serösen  Expekto- 
ration  angesehen  hat,  löste  in  meinen  Versuchen  keinen  Übertritt  von 
Pleuraflüssigkeit  in  die  Lunge  aus.    Sind  nun  auch  in  diesen  resul- 

22* 


340  XVIir.    Waldvogel 

tatlos  verliaufenden  letzten  Versuchen  und  in  den  zwei  ersten 
positiven  die  aus  dem  Pleuraraum  abgesogenen  Flüssigkeitsmengen 
zu  gering,  um  einen  Zusammenbang  zwischen  schneller  EntleeroDg 
und  expectoration  albumineuse  leugnen  zu  können,  so  verweise  ich 
doch  besonders  auf  den  dritten  positiven  Versuch  (8),  in  dem  ich 
durch  Absaugen  von  45  ccm  mit  der  Pravazspritze  keine  Expektoration 
erzielte,  während  nach  2  Tagen  durch  Einlaufenlassen  von  45  ccm 
in  die  andere  Thoraxhälfte  der  Exitus  an  albuminöser  Expekto- 
ration herbeigeführt  wurde;  die  Flüssigkeit  trat  aber  schon  gleich 
mit  Beginn  des  Einlaufens  in  die  Luftwege  über.  Es  liegt  ja  so 
nahe,  zu  glauben,  daß  dieselben  Kräfte,  welche  bewirken,  daß  man 
nach  einfacher  Probepunktion  ein  mäßiges  Exsudat  schnell  ver- 
schwinden sieht  —  ich  selbst  erinnere  mich  eines  Falles,  in  dem  ich 
nach  Flüssigkeit  fördernder  Probepunktion  24  Stunden  später  bei 
einem  Kinde  mit  dem  Trokar  kein  Exsudat  entleeren  konnte  und 
eine  Dämpfung,  die  bis  zum  unteren  Winkel  der  Skapula  reichte, 
wesentlich  aufgehellt  fand  —  daß  also  diese  Kräfte  auch  bei  der 
serösen  Expektoration  im  Spiele  sind,  vorläufig  aber  ist  es  mir 
nicht  gelungen,  sie  durch  Absaugen  von  Flüssigkeit  aus  der  Pleura- 
höhle zu  erzeugen. 

Sind  wir  also  nicht  ohne  weiteres  berechtigt  den  Wechsel  der 
Druckverhältnisse  in  der  Pleurahöhle  allein  als  auslösendes  Moment 
der  expectoration  albumineuse  anzusehen,  so  kommen  wir  notgedruDgen 
wieder  auf  den  Husten  zurück,  der  ja  in  meinen  Tierversuchen  im  ße- 
ginne  des  Übertrittes  von  Pleuraflüssigkeit  in  die  Lunge  stets  auftrat 
Nun  ist  aber  auch  im  Versuch  10,  der  nicht  mit  Expektoration  endete. 
Husten  notiert,  ohne  daß  die  Luftwege  voll  liefen.  Diesen  Versuch 
hatte  ich  in  der  Absicht  unternommen,  zu  zeigen,  daß,  wenn  die 
Bedingung  der  lange  die  Lungen  belastenden  Exsudate  nicht  eifollt 
ist,  auch  der  Husten  die  seröse  Expektoration  nicht  zustande  bringt 
Das  ist  uns  ja  eine  klinisch  geläufige  Tatsache,  aber  der  Versuch 
bleibt  darum  nicht  minder  instruktiv.  Auch  im  11.  Versuch  war 
Husten  beim  Einlaufenlassen  der  Bleilösung  in  den  Thoraxraum 
bemerkbar,  es  wurde  sogar  etwas  schaumige  Flüssigkeit  entJeeit 
Der  Versuch  wäre  daher  auch  wohl  sicher  positiv  verlaufen,  wenn 
der  Allgemeinzustand  und  der  der  Lungen  entsprechend  verändert 
gewesen  wären,  doch  folgen  auch  hier  wie  im  Versuch  10  die  ein- 
zelnen Maßnahmen  zu  schnell  aufeinander.  Die  Vorbehandlung  mit 
Argentum  nitricum  fiel  aus,  die  Zeit  von  Beginn  des  Versuches  bis 
zum  Exitus  ist  kurz ;  also  auch  hier  fehlt  die  Bedingung  der  langen 
intensiven   Lungenbelastung.     Dieser  Versuch    ist  wohl  als  ein 


I.   Zwischenfall  bei  der  Thorakocentese  etc.  341 

Paradigma  für  die  zur  Genesung  führenden  Fälle  von  menschlicher 
Expektoration  anzusehen.  Sind  also  diese  Versuche  nicht  imstande 
uns  von  der  Annahme  abzubringen,  daß  der  Husten  als  auslösen- 
des Moment  für  die  seröse  Expektoration  in  Betracht  kommt,  so 
entsteht  die  Frage,  „wie  wirkt  er?"  Offenbar  durch  den  starken 
Druckwechsel  in  den  Luftwegen  selbst,  dem  die  vom  Flüssigkeits- 
druck und  durch  toxische  Ursachen  unelastisch  gewordene  Lunge 
nicht  mehr  folgen  kann,  so  daß,  wenn  beim  Sinken  des  Druckes 
während  des  Hustens  die  Lunge  nicht  schnell  folgt,  das  schwache 
rechte  Herz  die  Geföße  nicht  füllt,  Flüssigkeit  durch  Überdruck  im 
Pleuraraum  eingetrieben  wird. 

Ich  glaube  durch  die  klinischen  Erwägungen,  welche  ergaben, 
daß  die  ausgehustete  Flüssigkeit  wohl  Pleuraexsudat  ist,  daß  zum 
Zustandekommen  der  serösen  Expektoration  langer  intensiver  Druck 
auf  die  Lungen  eventuell  Schwäche  des  rechten  Ventrikels  not- 
wendig sind,  daß  ein  großer  Teil  der  Erklärungsversuche  für  dies 
immerhin  seltene  Phänomen  der  Kritik  nicht  standhalten,  und  durch 
die  Ergebnisse  meiner  Versuche,  welche  dartaten,  daß  sich  Pleura- 
flüssigkeit unter  gewissen,  den  aus  klinis(*.hen  Beobachtungen  ab- 
geleiteten sehr  ähnlichen,  Bedingungen  durch  die  Lunge  aus  den 
oberen  Luftwegen  entleeren  läßt,  dem  Verständnis  vom  Wesen  der 
expectoration  albumineuse  wesentlich  näher  gekommen  zu  sein.  Dem 
etwa  zu  erhebenden  Einwand,  daß  man  ja  dann  die  Abnahme  des 
Exsudats  in  der  Pleurahöhle  hätte  klinisch  feststellen  müssen,  kann 
ich  wohl  mit  dem  einfachen  Hinweis  auf  die  Schwierigkeiten  solchen 
Nachweises  entgegentreten ;  schon  die  Schwartenbildung,  die  Atelek- 
tase der  Lunge  würden  es  unmöglich  machen,  das  Verschwinden  von 
IV2— 2  1  Flüssigkeit  in  24  Stunden  z.  B.  aufzudecken.  Für  die 
Verhütung  der  albuminösen  Exspektoration  kämen  also  Früh- 
punktion, Unterdrückung  des  Hustens  durch  Verabreichung  von 
Narcoticis  vor  der  Punktion  und  Excitation  des  Herzens  in  Be- 
tracht, die  letzten  beiden  Verfahren  müßten  auch  bei  der  Behand- 
lung versucht  werden. 


Aus  der  medizinischen  Universitätsklinik  za  Göttingen 
(Direktor  Geheimrat  Ebstein). 

n. 

Zur  Pathogenese  der  Fettsucht 

Von 

Privatdozent  Dr.  Waldvogel^ 

Oberarzt. 

Während  die  früheren  Autoren,  welche  die  Fettsucht  zu  ihrem 
Studium  machten,  verschiedene  Arten  der  Entstehung  gelten  ließen, 
sich  zunächst  mehr  stützend  auf  klinische  Beobachtungen,  hat 
Ebstein^)  uns,  dem  Pfade  der  normalen  Physiologie  zur  allgemelDeu 
Zellphysiologie  folgend,  nur  einen  Weg  zur  Erkenntnis  der  Entstehung 
pathologischer  Fettanhäufung  gewiesen,  den  ins  Protoplasma.  Es 
bedarf  ja  nun  gewiß  keiner  weiteren  Erörterung,  daß  damit  nicht 
alle  bisher  geltenden  Anschauungen  über  die  Ursachen  der  Adipositas 
einfach  beseitigt  sind,  daß  aber,  wenn  wirklich  die  von  Ebstein 
zunächst  mehr  auf  klinische  und  pathologisch-anatomische  Tat- 
sachen basierte  Anschauung,  daß  „es  sich  bei  der  Fettleibigkeit  um 
eine  krankhafte  Beschaffenheit  des  lebendigen  Eiweißmoleküls  im 
Sinne  Pflüger's  bzw.  des  Biogens  Verworn's  handelt,  wodurch 
eine  regelrechte  Verarbeitung  des  eingeführten  Nährmaterials  hini- 
angehalten  wird",  durch  exakte  Stoffwechseluntersuchungen  ge- 
stützt wird,  wir  dann  die  mangelhafte  Bewegung,  die  vermehrte 
Nahrungsaufnahme,  die  Kastration,  die  Anämie  mehr  als  die  Krank- 
heit auslösende  Faktoren  anzusehen  haben,  als  daß  wir  sie  allein 
für  die  Anhäufung  des  Fettes  verantwortlich  machen.  Gerade  der 
Umstand,  daß  bei  einer  Beihe  von  Menschen  diese  Faktoren  un- 
wirksam bleiben,  muß  uns  ja  darauf  hinweisen,  daß  zu  ihnen  noch 
ein  unbestimmtes  Etwas  hinzukommen  muß  und  dieses  Unbekannte 
muß  in  einer  Hemmung  der  oxydierenden  und  reduzierenden  Fähig- 


1)  Vererbbare  celluläre  Stoffwechselkrankheiten.    Festschr.  f.  König.    Stutt- 
gart 1902. 


Zar  Pathogenese  der  Fettsucht.  343^ 

keiten  des  gesamten  Zellkomplexes  gegenüber  den  Fettsubstanzen 
gesucht  werden. 

Wie  kann  nnn  die  pathologische  Chemie  diese  vorläufig  mehr 
geahnte  als  exakt  begründete  Stoffwechselstörang  beweisen,  wie 
hat  sie  es  bislang  versucht  ?  v.  N  o  o  r  d  e  n  ^)  ist  gegenüber  Hirsch- 
feld^)  auf  Grund  sorgfältigster  Gewichtsbestimmungen  der  Nahrung 
und  des  Körpers  zu  dem  Schluß  gekommen,  daß  immerhin  seltene 
Beispiele  gar  keine  andere  Deutung  zulassen,  als  daß  die  Zer- 
setznngsenergie  der  Zellen  geringer  ist,  als  bei  normalen  Menschen. 
Warum  sind  aber  solche  positiven  Befunde  so  selten?  Einmal 
müssen  solche  Bestimmungen  aber  eine  sehr  lange  Zeit  ausgedehnt 
werden  und  zweitens  wirken  während  dieser  laugen  Zeitdauer  so 
mannigfache  andere  Faktoren,  ich  nenne  nur  den  Wasserhaushalt, 
mit^  daß  der  Nachweis  einer  verzögerten  Zersetzung  der  stickstofi- 
freien  Bestandteile  des  Körpers  sehr  erschwert  ist.  Wie  man 
sehen  wird,  bin  ich  im  Grunde  genommen  denselben  Weg  gegangen 
und  nur  meine  Modifikationen  haben  den  Erfolg  gewährleistet. 

Der  andere  Weg,  den  die  Stoffwechselchemie  verfolgt  hat,  um 
eine  mangelhafte  Leistung  der  gesamten  Körperzellen  bei  der  Fett- 
leibigkeit zu  erweisen,  ist  entschieden  der  aussichtslosere,  so  modern 
er  sein  mag.  Ich  habe  schon  früher,  als  es  sich  um  die  Beant- 
wortung der  Frage  handelte,  ob  beim  Diabetes  die  durch  die  Eigen- 
artigkeit der  Acetonkörperausscheidung  nahegelegte  Oxydations- 
störung sich  durch  Bespirationsversuche,  durch  eine  Abnahme  des 
respiratorischen  Quotienten,  erweisen  lasse,  auf  das  Unzulängliche 
dieses  Verfahrens  hingewiesen.  Der  respiratorische  Quotient  gibt 
uns  das  Verhältnis  zweier  sehr  variabler  Faktoren  an,  die  vor 
allem  beim  Fettleibigen  leicht  beeinflußbar  sind.  Wir  wissen,  daß 
bei  stärkerer  Fettablagerung  der  inspiratorischen  Exkursion  des 
Zwerchfells  Hindemisse  gesetzt  werden,  daß  die  schwachen  Muskeln 
den  Thorax  bei  der  Inspiration  nicht  genügend  erweitern,  während 
die  passive  Exspiration  glatt  vonstatten  gehen  kann.  Was  wird 
die  Folge  sein?  Es  wird  wenig  0  aufgenommen,  aber  genügend 
abgegeben,  das  Defizit  wird  kleiner,  die  ausgeatmete  COg-Menge 
gleiche  der  des  Gesunden,  der  respiratorische  Quotient  wächst  also 
und  eine  eventuell  durch  herabgesetzte  COj -Produktion  bewirkte 
Abnahme  desselben  wird  verschleiert.  Ferner  müssen  wir  bei  Fett- 
leibigen mit  dem  Faktor  des  Hämoglobinmangels  rechnen,  es  wird 


1)  Die  Fettsucht  in  Nothnagers  Spez.  Path.  u.  Ther.    Wien  1900. 

2)  Über  d.  Nahmngsbedarf  d.  Fetüeibigen.    Berl.  Klinik.   Heft  130  1899. 


344  XVni.  Waldvogel 

in  einer  Zeiteinheit  weniger  0  vom  Blut  gebunden,  daher  mehr 
ausgeatmet,  das  0-Defizit  wird  kleiner,  der  respiratorische  Quotient 
größer,  eine  reine  Minderproduktion  von  COg  wird  verdeckt 
Diese  Fehler  mögen  an  sich  klein,  kaum  berechenbar  sein,  aber  es 
ist  zu  bedenken,  daß  bei  der  langsamen  Entstehung  der  Fettsucht 
mit  kleinen  Zahlen  für  die  COg-Abnahme  gerechnet  werden  muS. 
Betrachten  wir  ferner  die  Einflüsse,  welche  die  COg-Ausscheidang 
modifizieren  können,  so  wissen  wir,  daß  bei  reichlicher  Kohlehydrat- 
einverleibung der  respiratorische  Quotient  über  1  steigen,  in  den 
Zuständen  dagegen,  in  denen  der  Mensch  vom  Fett  lebt,  auf  0,65 
bis  0,50  sinken  kann.  Nun  hat  man,  um  den  Einfluß  der  ErnähroDg 
bei  Feststellung  des  Quotienten  auszuschalten,  z.  T.  morgens  im 
nüchternen  Zustande  untersucht,  J  a  q  u  e  t  und  S  w  e  n  s  o  n  ^)  z.  B. 
12  Stunden  nach  der  letzten  sehr  leichten  Mahlzeit,  die  entweder 
aus  Suppe  mit  einem  Stück  Brot  oder  aus  2  Eiern  mit  Brot  and 
Milch  bestand.  Dann  lebt  der  betreffende .  Fettleibige  natürlich 
von  seinem  Fett,  er  ist  in  einer  gewissen  Inanition  und  das  Auf- 
treten von  mehr  /^-Oxybuttersäure,  die  zu  CO^  und  H,0  verbrannt 
wird,  kann  eine  Vermehrung  der  Kohlensäureausscheidung  bewirken. 
Eine  Säuerung  des  Blutes  erhöht  die  COg-Tension  desselben,  das 
daher  mehr  Kohlensäure  abgibt  und  wiederum  eine  Herabsetzung 
der  oxydativen  Energie  nicht  erkennen  läßt 

Ich  glaube,  das  sind  Gründe  genug  gegen  die  Annahme,  daß  der 
respiratorische  Quotient  uns  bei  Beantwortung  der  Frage  nach  der 
Entstehung  der  Fettsucht  wesentliche  Dienste  leisten  könne.  Es 
können  doch  wahrscheinlich  zudem  in  den  Geweben  über  lange  Zeit 
sich  hinziehende  ganz  geringfügige  Störungen  des  An-  und  Abbaues 
vor  sich  gehen,  ohne  daß  die  Atemluft  Nachricht  von  ihnen  gibt  So 
sind  denn  auch  die  Respirationsversuche  von  Magnus-Levy*)  eme 
Antwort  schuldig  geblieben,  der  Autor  selbst  aber  würdigt  den  Wert 
dieser  Methode  in  richtiger  Weise,  wenn  er  trotzdem  die  Möglichkeit 
einer  konstitutionellen  Fettleibigkeit  zuläßt.  Wenn  nun  auch 
Jaquet  und  Swenson  (1.  c.)  an  der  Hand  von  0-  und  CO,-Be- 
stimmungen  der  Atemluft  zu  dem  Resultat  gekommen  sind,  dal 
fettleibige  Individuen  eine  evidente  Tendenz  zur  Ersparnis  des 
ihnen  zugeführten  Materials  besitzen,  welche  groß  genug  ist  um 
ceteris  paribus  einen  gewissen  Fettansatz  bei  denselben  zu  er- 
klären, so  schien  mir  doch  die  ganze  Frage  wichtig  genug,  um  sie 
von  einer  ganz  anderen  Seite  in  Angriff  zu  nehmen. 

1)  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  Bd.  41  1900. 
2}  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  Bd.  33  1897. 


II.  Zur  Pathogenese  der  Fettsucht.  345 

Wenn  uns  die  Stoflfwechselstörung  bei  der  Adipositas  auf  ein 
bestimmtes  Organ  gewiesen  hätte,  so  hätte  man  die  aseptische 
Autolyse  und  zwar  die  retardierte,  wie  ich  sie  benutze,  zur  Be- 
antwortung der  Frage,  ob  bei  der  Fettsucht  eine  mangelhafte 
Umsetzung  des  Fettes  stattfindet,  heranziehen  können.  Man  hätte 
fettsaure  Salze  z.  B.  mit  dem  sterilen  Lebersaft  eines  normalen 
ond  eines  fettleibigen  Individuums  im  Eisschrank  für  einige  Mo- 
nate aufbewahrt  und  nach  Unterschieden  in  der  Fettbildung  ge- 
sucht resp.  nach  den  verschiedenen  Mengen  von  /S-Oxybuttersäure, 
Acetessigsäure,  Aceton  die  Abbaufähigkeit  des  gesunden  Organs 
und  des  vom  Fettleibigen  beurteilen  können.  So  aber  hat  uns 
Ebstein  an  das  gesamte  Protoplasma  verwiesen  und  es  galt  die 
za  oxydierende  Substanz  möglichst  schnell  ins  Blut  überzuführen, 
damit  sie  allen  Zellen  dargeboten  wurde.  Von  einer  direkten 
Einspritzung  ins  Blut  sah  ich  aus  verschiedenen  Gründen  ab  und 
wählte  die  subkutane  Injektion. 

Unsere  letzten  Untersuchungen   haben  zu  dem  Ergebnis  ge- 
führt, daß  die  Acetonkörper  den  Fettsäuren  ihren  Ursprung  ver- 
danken,  gleichviel   ob  sie  aus  Fett,  Eiweiß   oder  Kohlehydraten 
hervorgehen.     Die  niedrigste  uns   bekannte  Oxydationsstufe    der 
Acetonkörper  ist  die  /y-Oxybuttersäure,  sie  ist  ein  starker  Aceton- 
bildner,  ihre  Ungiftigkeit  für  den  Menschen  hatte  ich^)  erwiesen. 
Wenn  es  mir  also  gelang  mit  den  ja  zu  großer  Vollkommenheit 
entwickelten  Bestimmungsmethoden  des  Acetons  in  Urin  und  Atem- 
Ittft    nach    der   Einverleibung    eines    nicht   körperfremden    inter- 
mediären normalen  Stoffwechselproduktes,  das  zur  Fettbildung  und 
Fettzerstörung    in    so    nahen    Beziehungen    steht,    Unterschiede 
zwischen    fettleibigen    und   normalen    Menschen    aufzufinden,    so 
schien   mir   die  Frage   nach   der  Entstehung  der  Adipositas   ein 
Stück   gefördert  zu  sein.    Bei  meinen  Untersuchungen   über  die 
ox3^dative  Leistung  des  Diabetikers  *)  hatte  mir  die  Injektion  von 
j^-oxj-buttersanrem  Natron  bereits  verwertbare  Resultate  gegeben, 
die  später  von  Schwarz')  vollkommen  bestätigt  sind.    Ebstein 
sagt  daher  in  seiner  neuesten  Bearbeitung  der  Fettleibigkeit  von 
meinem  Vorschlag,  bei  gesunden  und  fettleibigen  Individuen  die 
/?-Oxybuttersäure,  ein  Produkt  des  menschlichen  Fettstoffwechsels 


1)  Zentralbl.  f.  innere  Med.  1898. 

2}  Die  Acetonkörper.    Stuttgart  1908  p.  236!. 

3)  Dentsch.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  76  1903. 

4)  Ebstein  u.  Schwalbe,  Handb.  d.  prakt.  Medizin  2.  Anfl.  1906. 


346 


XVin.  Waldvogel 


unter  möglichst  gleichen  Bedingungen  einzuverleiben  und  za  be- 
stimmen, wieviel  jodoformbildende  Substanz  danach  ausgeschieden 
wird,  daß  er  vielleicht  Beachtung  verdient. 

Ich  habe  bei  Fettleibigen  ohne  auf  die  Entstehung  der  Krank- 
heit Eücksicht  zu  nehmen  und  bei  Gesunden  5  g  /}-oxybuttei^ares 
Natron,  das  ich  mir  aus  Diabetikerharnen  rein  darstellte,  in  100  ccm 
sterilisierten  Wassers  gelöst  unter  die  Brusthaut  laufen  lassen  und 
zwar  ohne  jegliche  Regulierung  der  Diät,  morgens  8  Uhr  an  dem 
in  den  Tabellen  mit  einem  *  bezeichneten  Tage,  die  Mahlzeiten 
wurden  stets  zur  selben  Zeit  eingenommen,  die  Körperbewepng 
wurde  geregelt.  Die  Bestimmungen  des  Acetons  in  der  Atemlaft 
wurden  morgens  9*/j  und  nachmittags  4V2  Uhr  vorgenommen,  es 
wurde  Vs  Stunde  geatmet  und  die  gefundenen  Werte  rechnete  ich 
auf  12  Stunden  um,  so  daß  die  Bestimmungen  am  Morgen  für 
12  Stunden  relativer  Nüchternheit,  die  am  Nachmittag  für  die 
12  Stunden  der  Nahrungsaufnahme  bestimmend  war.  Ich  gebe  zu- 
nächst die  an  normal  ernährten  gesunden  Menschen  angestellten 
Versuche. 

1.  W.,  Größe  1,77  m,  Gew.  138  Pfd.,  Alter  33  Jahre. 


Datum 


des  Urins 


Aceton 

der 
Atemlaft 


Gesamt- 
Aceton 


Bemerkungen 


3.  I. 

4.  I. 

5.  I. 

6.  I.* 

7.  I. 

8.  I. 


6,8  mg: 

0 

6,8  mg: 

6,6   „ 

0 

6,6   , 

19,7   « 

0 

19,7   „ 

13,3  „ 

0 

13,3   „ 

8,1   „ 

0 

8,1   „ 

8,6  „ 

0 

8,6   „ 

0,005  g  Heroin  per  os 
Temp.  abends  5  Uhr  37,8» 


Datum 


2.  S.,  Größe  1,65  m,  Gew.  1,31  Pfd.,  Alter  28  Jahre. 


Aceton 


des  Urins 


der 
Atemluft 


Gesamt- 
Aceton 


Bemerkungen 


24.  I. 

25.  I.» 

26.  I. 

27.  I. 


4,5  mg 
3,2 
2,0 
1,2 


n 
n 


16,8  mg 

19,8  „ 

15,8  „ 


15,8 


n 


20,3  mg 

23;0 

17,8 


17,0 


1} 

n 


-ri« 


Temp.  morgens  36.9®,  abends  37.4 

37,0  „      38.0 

36,8  „       37.3 

36.7  «      36.8 


n 


3.  K.,  Größe  1,69  m,  Gew.  126  Pfd.,  Alter  41  Jahre. 


,  Aceton 

^^^""^   .des  Urins  l'^^'i^f^"- 


Gesamt- 
Aceton 


Bemerkungen 


18.  IV. 

19.  IV. 


4,8  mg 
9,0   „ 


19,8  mg  I  24,6  mg 
23,8    „       o2.8    „ 


II.    Zur  Pathogenese  der  Fettsncht. 


347 


(Fortsetzting.) 


Datnm 


des  Urins 


Aceton 

der 
Atemlttft 


Gesamt- 
Aceton 


Bemerkungen 


20.  IV. 

9,9  mg 

21.  IV. 

8,1    n 

22.  IV. 

6,8   „ 

S.  IV.* 

7,6    n 

24.  IV. 

80  „ 

25.  IV. 

7.3   „ 

69,4  mg 

36.6  , 

31.7  „ 

31.6  „ 

27.7  „ 
35,6   , 


69,3  mg 
43,7  „ 

38.6  „ 
39,2   „ 

35.7  „ 
42,9  „ 


Temp.  morgens  36,6  <>,  abends  36,6» 

36,6  „       36,7 

36,8  „       37,4 

36,8  „       36,6 

36,8  „       36,7 


n 
n 

n 


n 
n 
n 
n 


Aus  diesen  Versachen  am  normalen  Menschen  ohne  stärkeres 
Fettpolster  geht  wieder  hervor,  daß  bei  gemischter  Kost  5  g  /?-oxy- 
battersaures  Natron  glatt  verbrannt  werden,  Schwarz  (1.  c.)  hat 
ja  auch  Gesunden  10  und  15  g  per  os  gegeben,  ohne  daß  /^-Oxy- 
buttersäure  oder  Acetessigsäure  im  Harn  auftraten  oder  das  Aceton 
im  Urin  vermehrt  war.  Hervorgehoben  muß  werden,  daß  ich  stets 
bei  normalen  Menschen  durch  die  Subkutane  Einverleibung  des 
/^-oxybuttersauren  Natrons  eine  deutliche  Temperatursteigerung  bis 
38^  ohne  jede  Beeinträchtigung  des  Allgemeinbefindens  erzeugte. 
Die  fehlende  Störung  des  Allgemeinbefindens  und  die  Einverleibung 
per  os  sind  vielleicht  der  Grund,  weshalb  Schwarz  diese  sehr 
bemerkenswerte  Erscheinung  entgangen  ist.  Die  Injektionsstelle 
blieb  vollkommen  reaktionslos,  der  anfänglich  geringe  Schmerz 
verlor  sich  bald,  die  Art  der  Lösung  und  die  Technik  der  Infusion 
garantierten  völlige  Asepsis.  Ich  habe  regelmäßig  nach  der  Ein- 
verleibung des  /J-oxybuttersauren  Natrons  im  Urin  auf  ;J-Oxybutter- 
säure  und  Acetessigsäure  gefahndet,  sie  waren  in  den  untersuchten 
Fällen  nicht  vorhanden,  konnten  auch  bei  dem  Fehlen  jeder 
Acetonvermehiung  nicht  vorhanden  sein. 

Betrachten  wir  jetzt,  wie  die  subkutane  Einverleibung  von 
5  g  jJ-oxybuttersauren  Natrons  auf  den  AcetonstoflFwechsel  der  Fett- 
leibigen gewirkt  hat. 

1.  A.  K,   Dienstmädchen  (10.  Januar  bis  19.  Februar  1906),  Grolle  1,57  m, 

Gew.  151  Pfd.,  Alter  22  Jahre. 


I 


Datum 


des  Harns 


Aceton 

der 
Atemluft 


Gesamt- 
Aceton 


Bemerkungen 


30. 
31. 

1. 

2. 

3. 

4. 


I. 

2.8  mg 

4,0  mg 

6,8  mg 

1. 

2,3  , 

4,0  „ 

6,3   „ 

IT. 

3,3  „ 

7,9   „ 

11,2   , 

11* 

2.9  „ 

33,6  , 

36,6   „ 

II. 

2,2  , 

4,0   „ 

6.2    „ 

11. 

4,2   „ 

4,0  „ 

8,2   „ 

Temp.  morgens  36,0  <>,  abends  36,5  <> 


n 
n 
n 

Ti 

n 


» 

7i 

r 
r 


36,2 
36,0 
36,2 
36.3 
36,2 


n 
» 

n 


36,6 
37,0 
37,1 
36,9 
36,7 


348 


XVIII.  Waldvogil 


2.  A.  J.,  pr.  Arzt,  Größe  1,78,  Gew.  188  Pfd.,  Alter  23  Jahre. 


Datum 


Aceton 


des  Harns 


der 
Atemluft 


Gesamt- 
Aceton 


Bemerkungen 


7.  VIII. 

8.  YIIL* 

9.  VIII. 
10.  VIII. 


13,0  mg 
1.3,2   , 
10.6   „ 

9,7   „ 


0 
Spuren 
15,2  mg 

1«,2   . 


13,0  mg 
13,2 
25.8 
28,9 


n 
n 


0,03  M  subkutan 


3.  S.  S.,  Tischlermeistersfrau,  (1.-  22.  Mai  1906),  Größe  1,61  m,  Gew.  155  Pfi, 

Alter  47  Jahre. 


I 


Datum 


Aceton 


des  Harns 


der 
Atemluft 


Gesamt- 
Aceton 


Bemerkungen 


7.  L 

21..H  mg 

9.8  mg 

31.8  mg 

8.  I. 

4,2   n 

12,1   , 

16.3  „ 

9.  I. 

8,6   „ 

13,9   „ 

22,4   „ 

10.  I. 

9,0   „ 

21,8  „ 

30,8  „ 

11.  I. 

9,7    „ 

21,6   „ 

31,3   „ 

12.  I. 

8.4   „ 

26,6   „ 

34,0   „ 

13.  I.» 

16,2   „ 

34,8  „ 

51,0   „ 

14.  1. 

17,4    „ 

21.2   l 

38.6   „ 

15.  I. 

10,0   „ 

19,6   „ 

29.6   „ 

16.  I. 

12,2   „ 

17,8  „ 

30,0   „ 

Vorher  Fettdiät 


Temp.  morgens  36,5®,  abends  37,2* 
„  «         36,4  „      37.3 

36,2  „      37,3 


4.   W.  M.,  Lehrer,  (2.— 14.  April  1806),  Größe  1,78  m.  Gew.  196  Pfd. 

Alter  21  Jahre. 


Datum 


Aceton 


des  Harns 


der 
Atemluft 


Gesamt- 
Aceton 


4.  II. 

5.  II. 

6.  II. 

7.  II. 

8.  IL* 

9.  IL 
10.  IL 


8,0  mg 
9,3 
8.1 
8,2 
10,4 


n 
n 
n 
n 


7,2 
6,1 


n 
n 


23,7  mg 

11,9 

11,9 

11.9 

23,7 


n 


n 


31,7 
37,5 


» 

n 
n 


31,7  mg 
2i;2 
20,0 
20,1 


34,1 


38,9 
43,6 


n 
r 
n 


Temp.  morgens  36,3  <),  abends  37,0« 
17  n        36,1  „      36,6 

Viel  süße  Speise  gegessen 

Temp.  morgens  36,0®,  abends  36,6' 
„  n        36,2         „      ^,9 

„  _         36,8  -      36,/ 


5.   J.  K.,  Schlossersfrau  (8.-23.  Juni  1906),  Größe  1,59  m,  Gew.  152  Pfi, 

Alter  46  Jahre. 


Datum 


Aceton 


des  Harns 


der 
Atemlnft 


Gesamt- 
Aceton 


Bemerkungen 


12.  VI.         2.3  mg        6,3  mg  1    8.6  mg 

13.  VL    ,     4,5   „      I  23,8   „  ?  i  28,3   „  ? 


n.    ZoT  Pathogenese  der  Fettsncht. 


349 


(FortBetzniiK.) 


Datum 


des  Haras 


Aceton 

der 
Atemlnft 


Gesamt- 
Aceton 


Bemerkniigen 


14.  VI. 

15.  VI. 

16.  VI. 

17.  VI. 

18.  VI.» 

3,8  mg 
6.4   „ 
5.6   „ 

^•?   " 
6.4    „ 

4,1mg 
8,2   „ 
0 

8,2   „ 

7,9  mg 
14,6   „ 

6,6   , 
10.2   „ 
14,6  „ 

19.  VI. 

20.  VI. 

6.5  „ 

5.6  „ 

19,8  „ 
19,8  „ 

26,3   „ 
2ö,4   „ 

Temp.  morgens  36,8  o,  abends  36,7^ 

„  „         36,8  „       36,7 

»  n         36>4  „       36,9 

Flüssigkeit  läaft  sehr  langsam  ein 

Temp.  morgens  36,6  <»,  abends  36,8^ 

p  „         36,6  „       36,8 


Die  Acetonvermehrung  nur  in  der  Atemluft  erschien  mir  bei 
diesem  letzten  Versuch  so  gering,  daß  ich  den  ersten  negativen  Ver- 
such bei  einer  Fettleibigen  vor  mir  zu  haben  glaubte,  als  die  /^-Oxy- 
buttersänrebestimmung  nach  Teilens  aus  der  Tagesmenge  vom 
Injektionstage  mich  belehrte,  daß  nur  diese  Fettleibige  von  den  4,1  g 
der  einverleibten  Säure  0,13  g  unverbrannt  ausgeschieden  hat  und 
erst  am  Tage  darauf  mit  einer  Vermehrung  des  Acetons  in  der 
Atemluft  reagierte,  so  daß  sie  also  den  besten  Beweis  für  die  ver- 
langsamte Verbrennung  der  /^-Oxybuttersäure  lieferte.  Es  wii'd  mit 
dem  Modus  der  Einbringung  der  Säure  zusammenhängen,  daß  die 
Fettleibigen  die  größte  Acetonvermehrung  in  der  Atemluft  auf- 
wiesen. Mit  diesen  der  Reihe  nach  positiv  ausgefallenen  Ver- 
suchen schien  mii*  in  genügender  Weise  dargetan  zu  sein,  daß  der 
Fettleibige  nicht  imstande  ist  Fettsäuren,  die  in  seinem  inter- 
mediären Stoffwechsel  auftreten,  mit  der  gleichen  Intensität  zu  ver- 
brennen wie  der  Gesunde. 

Eine  wesentliche  Stütze  für  diese  Annahme  eines  langsameren 
Abbaus  der  dem  Körperfett  so  nahestehenden  Substanz  finde  ich 
nun  weiter  vor  allem  auch  darin,  daß  von  den  Fettleibigen  niemand 
die  Einverleibung  des  /^-oxybuttersauren  Natrons  mit  Fieber  beant- 
wortet hat,  während  die  Temperatur  bei  normalen  Menschen  ohne 
Störung  des  Allgemeinbefindens  bis  auf  38^  stieg.  Bei  Ausschluß 
jeder  bakteriellen  Mitwirkung  kann  in  diesem  Unterschiede  nur 
ein  langsamerer  Ablauf  der  Verbrennungsprozesse  für  Fettsub- 
stanzen erkannt  werden.  Er  ist  also  bei  Fettleibigen  durch  diese 
Versuche  auf  zwei  verschiedenen  Wegen  festgestellt.  Ich  kann 
mich  hier  natürlich  nicht  auf  weitere  Diskussionen  über  die  Be- 
ziehungen der  Fettsubstanzen  zur  Hyperthermie  einlassen,  will 
aber  daran  erinnern,  daß  nach  meinen  Untersuchungen  z.  B.  die 
P-Ein Verleihung  zu  einem  jähen  Untergange  der  Lecithine  führt 


350  XVIII.   Waldvogel,  II.  Zur  Pathogenese  der  Fettsucht. 

und  aus  dem  Lecithin  Fettsäuren  entstehen.  Auch  fiir  kurzdauernde 
Chloroformnarkosen  konnte  ich  inzwischen  den  rapiden  Übergang 
der  Lecithine  in  Fettsäuren  dartun.  Die  nahen  Beziehungen  der 
Toxine  von  Infektionserregern  zu  den  Lecithinen  sind  uns  ja  eine 
geläufige  Anschauung,  was  liegt  da  näher  als  anzunehmen,  daß  die 
Toxine  bei  ihrer  Giftwirkung  auf  das  Protoplasma  den  schnellen 
Abbau  der  Lecithine  und  damit  das  Auftreten  von  Zerfallsprodukten, 
wie  ich  sie  als  Fettsäuren,  Cholesterin  und  Neutralfette  festgestellt 
habe,  im  Blut  herbeiführen  und  daß  bei  der  Oxydation  der  Fett- 
säuren die  Hyperthermie  entsteht?  Ich  bin  mit  dem  Studium 
dieser  Vorgänge  beschäftigt  und  glaubte  in  diesem  Zusammenhang 
ihrer  Erwähnung  tun  zu  müssen,  auch  wenn  mit  diesen  Behauptungen 
der  Rahmen  einer  Hypothese  nicht  überschritten  wird.  Jedenfalls 
muß  es  doch  auffallen,  daß  der  Fettleibige,  bei  dem  ein  langsamer 
Abbau  der  /J-Oxybuttersäure  jetzt  festgestellt  ist,  nach  der  subku- 
tanen Einverleibung  dieser  Säure  nicht  die  Temperaturerhöhung 
aufweist,  die  der  normale  Mensch  in  meinen  Versuchen  stets  bekam. 
Ehe  wir  nun  diese  verlangsamte  Oxydation  des  Fettleibigen 
für  die  /9-Oxy buttersäure  als  Grundlage  benutzen,  auf  der  wir  die 
Pathogenese  der  Fettsucht  aufbauen,  muß  der  Erwägung  Kaum  ge- 
geben werden,  daß  diese  mangelhafte  Umsetzung  der  Fettsäure 
aber  auch  als  die  Folge  der  Fettanhäufung  in  den  Zellen  ange- 
sehen werden  kann.  Es  wäre  ja  doch  denkbar,  daß  durch  die  An- 
wesenheit des  Fettes  in  den  Zellen  deren  Fett  umsetzende  Fermente 
irgendwie  geschädigt  Tverden.  Diesem  Einwände  entgegenzutreten 
bin  ich  zurzeit  nicht  imstande,  und  es  wird  noch  mancher  Arbeit 
bedürfen,  ehe  das  Problem  der  Fettsucht  und  ihrer  Entstehung  ge- 
löst ist;  aber  einen  Schritt  sind  wir  dem  Ziele  wohl  näher  ge- 
kommen. 


XIX. 


über  Perknssion  nnd  Anskoltation  der  Säuglinge  und 
Aber  die  Symptome  der  Lnngentnberknlose  im  ersten 

Lebensjatire. 

Von 

Dr.  Oskar  Wyß,  Prof. 

Zürich. 

Teurer  Freund! 

Als  vor  Monaten  Deine  Göttinger  Schüler  mich  einluden  bei 
der  auf  Deinen  70.  Geburtstag  in  Aussicht  genommenen  Festschrift 
mitzuwirken,  nahm  ich  die  Offerte  freudig  an ;  denn  in  den  Jahren, 
die  wir  zusammen  im  Allerheiligen-Hospital  zu  Breslau  verlebten, 
bist  Du  ja  ebenso  sehr  mein  Lehrer,  wie  Freund  und  Kollege  ge- 
wesen. Diese  Überzeugung  ist  bis  zum  heutigen  Tage  von  mir 
nicht  gewichen,  obwohl  unsere  Lebenswege  sich  ganz  wesentlich 
verschieden  gestaltet  haben  und  ich  leider  selten  die  Freude  hatte 
Dich  wiederzusehen. 

Damals  waren  es  insbesondere  zwei  Gebiete  unserer  Wissen- 
schaft, die  uns  beide  vereinten;  einerseits  der  Sektionstisch  und 
Arbeiten  im  Gebiete  der  pathologischen  Histologie,  andererseits  das 
Krankenbett,  zumal  auf  Deiner  Abteilung,  wo  ich  so  gerne  abends 
nach  6  Uhr  noch  hinkam,  um  bei  Dir  so  vieles  Interessante  zu 
sehen,  zu  auskultieren  und  perkutieren  und  auch  zu  diskutieren. 
Es  war  für  mich  eine  lehrreiche  Zeit  und  wichtig  ganz  besonders 
deshalb,  weil  ich  durch  Dich  hauptsächlich  der  Gefahr  entging,  der 
internen  Medizin  entfremdet  zu  werden  und  gänzlich  in  die  Ana- 
tomie resp.  pathologischen  Anatomie  als  Lebensberuf  hinein  zu  ge- 
langen. Du  bist  für  meine  spätere  Lebenstätigkeit  entscheidend 
geworden;  Dir  habe  ich  vieles  zu  verdanken. 

Und  doch,  wirst  Du  mir  vorwerfen,  habe  ich  das  von  Dir  mir 
anvertraute  Samenkorn  schlecht  gepflegt,  weil  ich  gerade  in  dem 


352  XIX.  Wyss 

Gebiete,  in  welchem  ich  Dir  so  viel  verdanke,  sozusagen,  nichts 
geschrieben,  nichts  publiziert  habe. 

Aber  leider  hatte  ich  von  jeher  wenig  Sitzleder  fürs  Schreiben, 
und  das  ist  bei  mir  mit  den  sich  mehrenden  Altersjahren  in  noch 
höherem  Grade  der  Fall  geworden,  als  früher.  Gleichwohl  ist  das 
Technische  der  physikalischen  Untersuchung  des  Kranken,  dem  Du 
so  manche  hochwichtige  Neuerung  zugefügt  hast,  auch  von  mir 
nicht  unberücksichtigt  geblieben ;  wenn  freilich  in  anderer  Richtung, 
als  es  von  Deiner  Seite  geschah.  Äußere  Umstände,  Inkonstanz 
meiner  Tätigkeit  und  andere  unvermeidliche  Dinge  waren  wohl  die 
Ursache.  Der  Umstand  jedoch,  daß  neuestens  über  die  physikalische 
Untersuchung  kleinerer  Kinder  Angaben,  ja  sogar  Abbildungen  er- 
schienen sind,  die  ich  entschieden  nicht  als  zeitgemäß  gelten  lassen 
kann,  lassen  mich  Dich  einladen,  mit  mir  in  Gedanken  eine  Morgen- 
visite im  hiesigen  Kinderspital  zu  machen  und  mit  mir  zu  plaudern 
in  ähnlicher  Weise,  wie  wir  das  vor  vierzig  Jahren  getan  haben. 

Mit  der  früher  üblichen  Reihenfolge  der  verschiedenen  Unt«r- 
suchungsmethoden :  1.  Inspektion,  2.  Palpation,  3.  Perkussion,  4.  Aus- 
kultation etc.  habe  ich  längst  insoweit  gebrochen,  als  ich  die  Aus- 
kultation in  der  Regel  vor  der  Perkussion  vornehme.  Das  geschieht 
deshalb,  weil  das  Schreien  der  Kinder  regelmäßiger  beim  Per- 
kutieren,  als  beim  Auskultieren  erfolgt;  dann  insbesondere,  wenn 
die  Auskultation  in,  für  Kinder,  richtiger  Weise  geschieht  Seit 
langen  Jahren  benütze  ich  an  Stelle  des  starren  Stethoskops  ein 
binaurikuläres  Schlauchstethoskop  und  ich  könnte  dieses  beute 
nicht  mehr  missen;  weder  für  Erwachsene  noch  für  das  Kindes- 
alter. Den  englischen  oder  den  holländischen  binaurikulären  Stetho- 
skopen, deren  Leitungsröhren  ganz,  oder  nahezu  ganz  aus  >letall 
oder  aus  Leder  hergestellt  sind,  ziehe  ich  ein  mit  zwei  Gurami- 
schläuchen  versehenes  Stethoskop  vor,  und  lege  einen  Wert  darauf^ 
daß  dieses  in  allen  seinen  Teilen  ein  genügend  großes  Lumen,  einen 
genügend  großen  Querschnitt  habe.  Die  „V^erfeinerung"  auch  der 
gewöhnlichen  harten  Stethoskope  in  dem  Sinne,  daß  das  Lumen 
mehr  und  mehr  reduziert  wird,  —  auf  drei  und  weniger  mm  — 
ist  ein  großer  Fehler  im  Bau  eines  so  wichtigen  Instrumentes. 
Unter  allen  meinen  Stethoskopen  von  gewöhnlicher  alter  Form 
finde  ich,  als  das  beste,  ein  ganz  altes  Berliner  Stethoskop  aus  dem 
Anfang  der  dreißiger  Jahre,  mit  einem  Lumen  von  9  mm  und  einer 
ÖiFnung  des  Schallrezipienten  am  peripheren  Ende  von  33  mm. 
Wählt  man  statt  des  Holzzylinders  ein  flexibles  Rohr  resp.  zwei 
solche,  ist  der  Gummischlauch  praktisch  das  einfachste  und  daher 


J 


über  Perkussion  und  Aiukultation  der  Säuglinge  etc.  3Ö3 

das  beste.  Er  darf  aber  nicht  za  geringes  Lumen  haben,  üveil 
Eaatschuk  die  Schalleitung  beeinträchtigt,  ,,den  Schall  dämpft'^ 
Er  maß  femer  ohne  große  Schwierigkeit  ersetzt  werden  können^ 
weil  der  heutige  Kautschuk  des  Handels  nach  relativ  kurzer  Zeit 
brüchig  wird;  er  darf  nicht  allzu  dickwandig  sein,  weil  er  dann 
za  schwer  wird;  aber  auch  nicht  zu  dünnwandig,  weil  bei  solchem 
das  Lumen  sich  leicht  verlegt,  der  Schlauch  „knickt". 

Man  kann  das  ganze  Leitungsrohr,  resp.  beide  Leitungsröhren, 
die  das  binaurikuläre  Stethoskop  besitzt,  je  bloß  aus  einem  Gummi- 
schlauch von  3ö'-'40  cm  Länge  bestehen  lassen.  Aber  ich  ziehe 
vor,  daß  nahe  dem  oberen  (d.  h.  dem  aurikulären)  Ende  ein  bogen^ 
förmiges,  möglichst  dünnwandiges  festes  Rohr  interkaliert  sei  — 
ein  in  großem  V^-Kreis  gebogenes  Winkelstück  — ,  um  unbehindert 
im  Gebrauche  des  Instrumentes  zu  sein,  was  weniger  der  Fall  ist. 
wenn  man  das  obere  Ende  des  Gummischlauches  um  ca.  90  ^  biegen 
Hiaß,  um  das  oberste  Ende  in  horizontaler  Eichtung  in  den  Gehör- 
gang einzuschieben. 

Die  Verbindung  mit  dem  Ohr  des  Auskultierenden  vermittelt 
€ine  der  Weite  des  Gehörganges  entsprechende  Olive,  resp.  ein 
zylindrischer  Ansatz  mit  möglichst  weitem  zentralem  Lumen,  gut 
gerundet,  glatt.  Mit  dem  Gummischlanch  ist  sie  jederzeit  leicht 
vereinbar  und  wieder  trennbar;  auch  sei  sie  ganz  leicht,  rasch  und 
sicher  reinigungsfähig.  Es  ist  angenehm,  wenn  der  Ohransatz  mit 
dem  Winkelstück  durch  einen,  wenn  auch  ganz  kurzen,  aber  etwas 
beweglichen  Gummischlauch  verbunden  ist.  Das  Material  für  die 
Stethoskop-Ohrverbindung  kann  Metall,  Glas,  Hörn,  Kautschuk  oder 
Elfenbein  oder  ein  ähnlicher  Stoff  sein;  ich  ziehe  Elfenbein  allem 
anderen  vor.  Um  das  Lumen  überall  möglichst  weit  zu  erzielen, 
insbesondere  auch  an  den  Verbindungsstellen  mit  dem  Kautschuk- 
schlauch, empfiehlt  sich  ein  kurzes  Metallrohr  über  das  der  Schlauch 
geschoben  wird,  und  das  am  peripheren  Teil  der  Ohrolive  einge-^ 
setzt  ist.  Doch  kann  der  Schlauch  auch  über  die  außen  sich  etwas 
verjüngende  Olive  gestülpt  werden. 

Einen  besonderen  Wert  lege  ich  sodann  auf  die  richtige  Kon- 
struktion des  Schallrezipienten,  der  auf  den  Thorax  aufgesetzt  wird. 
Dieser  Schalltrichter  besitzt  bekanntlich  bei  den  alten  und  neuen 
8tethoskoi>en,  den  einfachen  und  binaurikulären,  die  verschiedensten 
Formen.  An  alten  Instrumenten  hat  er  eine  konische  Gestalt: 
wobei  ich  selbstverständlich  nur  die  Form  und  Gestalt  des  Hohl- 
raumes, nicht  der  Außenfläche  berücksichtige;  häufig,  aber  keines- 
wegs immer,  entspricht  letztere  (die  Oberfläche)  auch  der  Gestalt 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    89.  Bd.  23 


364  XIX.  Wyss 

des  Hohlraumes  des  Schallrezipienten.  Bei  den  meisten  Stethoskopen 
ist  die  innere  Oberfläche  zwar  konisch,  richtiger  glockenförmig. 
Ein  senkrechter  Durchschnitt  durch  die  Mitte  des  Schalltrichters 
zeigt,  dafi  die  Seitenwand  des  Schalltrichters  oben  konvex,  weiter 
unten  konkav  ist,  also  nach  dem  letzteren  hin  vorspringt  Nar 
selten  habe  ich  einen  Trichter  gefunden,  dessen  innere  Begrenzung 
überall  konkav  war. 

Schon  vor  langen  Jahren  besprach  ich  die  Frage,  ob  diese 
eben  erwähnte  Form  sich  physikalisch  begründen  lasse,  mit  unserem 
Physiker  am  Polytechnikum,  Herrn  Prof.  H.  Weber.  Dieser  be- 
stätigte mir  die  Unrichtigkeit  dieser  üblichen  Konstruktion  und 
empfahl  mir  einen  parabolisch  ausgehöhlten  Schalltrichter.  Solche 
ließ  ich  mir  in  der  Folge  in  sehr  verschiedener  Größe  herstellen,  da  ja 
in  Hinsicht  der  verschiedenen  Wölbungen  am  Thorax  abgemagerter 
Individuen  und  zumal  atrophischer  Säuglinge  an  ein  gut  aufzusetzen- 
des, nirgends  kippen  des  Stethoskop  die  allerverschiedensten  und  keines- 
wegs leicht  zu  erfüllenden  Anforderungen  gestellt  werden  müssen. 

Ich  gebe  zu,  daß  es  mir  nicht  gelungen  ist  für  Erwachsene 
und  für  abgemagerte  Säuglinge  ein  für  alle  Fälle  bestes  Stetho- 
skop herzustellen;  aber  das  ist  auch  nicht  zu  verlangen,  ^^lll 
man  das  Säuglingsstethoskop  für  Erwachsene  verwenden,  so  ma& 
man  sich  nur  bewußt  sein,  daß  man  jeweilen  eben  nur  eine  ganz 
kleine  Stelle,  z.  B.  der  Lunge,  auskultieren  kann;  also  erheblich 
mehr  Zeit  und  Geduld  aufwenden  muß,  um  zum  gleichen  Resultat 
zu  kommen,  wie  mit  einem  ums  doppelte  oder  dreifache  so  großen 
Schallrezipienten.  Aber  das  ist  mit  jedem  anderen  Stethoskop 
genau  ebenso  der  Fall.  Für  die  Auskultation  des  Herzens  Er- 
wachsener ist  es  entschieden  unzweckmäßig  einen  allzu  kleinen 
Schallrezipienten  aufzusetzen;  eine  gewisse,  nicht  zu  kleine  Di- 
mension des  Durchmessers  ist  vorzuziehen.  Ich  habe  als  Durch- 
messer des  kleineren  Schalltrichters  der  auf  die  zu  auskultierende 
Stelle  aufgesetzt  wird  19—24  mm,  des  größeren  28—34  mm  ge- 
wählt und  scheint  es  mir,  daß  man  damit  in  der  Praxis  ganz  gut 
auskommt.  Für  Säuglinge  verwende  ich  gerne  einen  großen  Schall- 
trichter von  weniger  als  20  mm. 

Verbindet  man  den  Schallrezipienten  direkt  mit  den  Schläuchen^ 
wird  man  am  oberen  Ende,  das  kuppeiförmig  abschließt^  einen 
möglichst  weiten  gabelförmig  sich  verteilenden  Ansatz  nötig  haben : 
auf  jede  der  kurzen  Röhren  schiebt  man  einen  Gummischlauch  anf. 
Von  unten  her  kann  behufs  Gebrauches  des  kleineren  Eezipienten 
dieser   einfach   in    den   Schalltrichter  eingeschoben   werden.    Der 


über  Perkussion  und  Ansknltation  der  Säuglinge  etc.  35& 

engere  Schalltrichter  beeinträchtigt  etwas  das  Lumen  des  oberen 
Schalltrichterendes;  doch  nicht  in  erheblichem  Grade,  sofern  die 
Dimensionen  richtig  sind. 

Dieser  kleinere  Schalltrichter,  der  in  Form  und  Gestalt  an 
einen  großen  Ohrtrichter  (Spekulum)  erinnert,  kann  verloren  gehen 
oder  zerbrechen,  und  um  dem  Praktiker  diesen  Verdruß  zu  er* 
sparen,  ließ  ich  die  beiden  Schalltrichter  in  ein  Stück  vereinigen; 
so  daß  auf  der  einen  Seite  der  größere,  auf  der  anderen  Seite  der 
kleinere  Schalltrichter  vorhanden  ist;  der  mittlere  Teil  ist  mög- 
lichst weit  und  so  fest,  daß  man  sowohl  von  der  einen,  wie  auch 
von  der  anderen  Seite  her  das  gabelig  geteilte  Verbindungsstück, 
welches  die  Gummischläuche  trägt,  einschieben  und  fixieren  kann, 
je  nachdem  man  den  weiteren  oder  engeren  Schalltrichter  benutzen 
will.  Diese  Anordnung  scheint  mir  die  praktischere  zu  sein.  Dieses 
Stethoskop  ist  solider;  wenn  richtig  gearbeitet,  ebenso  gut  wie 
jenes  vorher  erwähnte.  Für  die  besprochenen  Teile  scheint  mir 
gutes  Hörn  das  beste  Material  zu  sein,  wohl  auch  Hartgummi;  ob 
Metall  besser  wäre,  ist  noch  unentschieden. 

Daß  die  Großzahl  der  Ärzte  nicht  schon  längst  von  dem  alten, 
gewiß  ehrwürdigen  Laennec'schen,  Traube'schen,  Skoda'schen  Stetho- 
skop zurückgekommen  ist  und  das  binaurikuläre  ausschließlich  an- 
wendet, kann  ich  nicht  begreifen.    Der  wenigstens  teilweise  Ab- 
schluß von  femer  herkommenden  Geräuschen  mußte  längst  schon 
die  Stadtärzte,  die  doch  überall  in  hohem  Grade  bei  ihrem  Aus- 
kultieren von  den  elektrischen  Trams,  den  Autos  und  unzähligen 
anderen   lärmerzeugenden  Dingen  zu  leiden   haben,   dazu   fuhren, 
ihre  Aufmerksamkeit  besser,  ja  ausschließlich  auf  die  akustischen 
Erscheinungen,  die  sie  ja  interessieren  müssen,  konzentrieren  zu 
können.    Bei  schreienden  Kindern  hört  man  allerdings  das  Geschrei 
auch  wenn  beide  Ohren  durch  die  Schalloliven  verstopft  sind ;  aber 
man  hört  dafür  alles,  was  man  beurteilen  will,  doch  viel  besser, 
als  mit  dem  gewöhnlichen  Stethoskop,  ohne  Abschluß  nach  außen. 
Die  Veränderungen  des  vesikulären  Atmens  in  all  seinen  Nuancen, 
Rassel-  und  Eeibegeräusche  usw.,  sind  viel  deutlicher.    Was  man 
unter  Umständen  nicht  hört  ist  einzig:  schwaches  Bronchial-,  zu- 
mal Kompressionsatmen ;  und  danach  muß  man  also,  am  öftersten 
„hinten  unten"  oder  in  der  Gegend  der  großen  Bronchien  oder  in 
der  Supraspinata  mit  dem  direkten  Ohr  suchen.    Das  hat  aber  auch 
bei  den  kleinsten  Kindern  gar  keine  Schwierigkeiten.    Bei  Schwer- 
kranken, Erwachsenen,  die  man  nicht  aufsetzen  kann  oder  darf, 
bei   denen   man   nur  in   der  Seitenlage  die  hintere  Thoraxfläche 

23* 


356  XIX.  Wrss 

untersuchen  kann^  ist  das  flexible  Stethoskop  für  Arzt,  Kranken 
und  Wartpersonal  eine  wahre  Wohltat.  Der  Arzt  kann  bei  jeder 
Betthöhe,  bei  fast  jeder  Stellung  des  Bettes  ohne  Schwierigkeit 
die  Auskultation  der  ganzen  Rückseite  der  Brust  vornehmen;  und  auch 
in  der  Rückenlage  ist  die  Auskultation  der  ganzen  Rückseite  der 
Brust  vorzunehmmen,  wenn  der  Kranke  nur  etwas  von  der  einen 
Seite  emporgehoben,  d.  h.  gedreht  wird ;  und  auch  in  der  Rückenlage 
ist  die  Auskultation  der  unteren  Thoraxpartien  in  der  hinteren  AiU- 
larlinie  und  etwas  hinten  davon  leicht  und  ohne  Belästigung  des 
Patienten  durchführbar  und  mag  oft  genügen,  um  eine  Unterlappen- 
Pneumonie,  Pleuritis,  Hypostase  etc.  auszuschließen. 

Den  Hauptvorteil  des  binaurikulären  Schlauchstethoskops  aber 
genießt  man  bei  der  Untersuchung  des  Kinderthorax  und  das 
um  so  mehr,  je  jünger  die  Kinder  sind.  Die  Annehmlichkeit  und 
Sicherheit,  die  Stelle  zu  sehen,  die  man  auskultiert,  die  Möglich- 
keit rasch  und  sicher  die  ganze  Oberfläche  der  Lunge  des  kleinen 
Kindes,  soweit  letztere  den  Thorax  berührt,  methodisch  auskultieren 
zu  können,  ist  nur  bei  diesem  Instrumente  gegeben.  Axilla,  seit- 
liche Teile  des  Thorax  können  viel  rascher  und  sicherer  abgesucht, 
„abgehorcht"  werden,  als  in  irgendwelcher  anderen  Weise.  Im 
ferneren  kann  jeglicher  unangenehme  oder  schmerzhafte  Druck  mit 
dem  flexiblen  Instrument  leicht  und  vollständig  vermieden  werden, 
nicht  aber  mit  dem  starren  Instrument.  Selten  wird  ein  Kind 
während  der  Durchführung  der  Untersuchung  im  ersteren  Falle 
zu  weinen  anfangen;  sehr  häufig  im  letzteren;  denn  der  Druck, 
den  man  mit  dem  harten  Stethoskop  auf  den  weichen  Säuglings- 
thorax beim  doch  notwendigen  Andrucken  des  Ohres  auf  das 
Stethoskop  ausübt,  ruft  unendlich  häufig  Weinen  hervor,  auch  beim 
geduldigen,  vernünftigen  Kinde,  weil  eben  der  Druck  schmerzhaft 
ist,  weil  die  rachitisch  erkrankten  Eippen  beim  Aufsetzen 
schmerzen  usw.  Zugegeben,  daß  es  Kinder  gibt,  die  schon  im 
ersten  Moment,  da  man  mit  dem  binaurikulären  Schlauchstetho- 
skop sich  ihnen  nähert  oder  den  Schalltrichter  auf  die  Brust  auf- 
setzt, zu  weinen  anfangen.  Das  geschieht  aber  aus  Furcht,  nicht 
aus  Schmerz.  Durch  ein  wenig  freundliches  Zureden^  Au&etzen 
des  Schalltrichters  auf  die  Brust  oder  die  Hand  der  Mutter  oder 
der  Pflegerin,  dann  irgend  einen  Körperteil,  Bauch^  Bein  des 
Kindes  und  dann  wieder  seines  Thorax  genügt,  um  die  Angst  des 
Kindes  vor  dem  fremden  Gegenstand  zu  beseitigen.  Bei  etwas 
gi'ößeren  Kindern  reicht  meist  schon  die  bloße  „Erklärung"  hin, 
daß   das   ein  Telephon  sei,  um  ihre  Furcht  zu  zerstreuen,.    Die 


über  Perkussion  nud  Anskoltation  der  Sänglinge  etc.  357 

Unruhe  des  kleinen  Kindes  infolge  der  Untersuchnng  kann  nicht 
entfernt  so  sicher  durch  Auflegen  des  Ohres  direkt  auf  den  zu 
auskultierenden  Teil  vermieden  werden,  wie  durch  das  binauri* 
knläre  Schlauchstethoskop.  Eine  rasche  Annäherung  des  Kopfes 
des  Arztes  an  die  hintere  oder  vordere  Brustseite  ruft  ebenso  leicht 
Erschrecken  und  Weinen  hervor,  wie  ein  rasches  Annähern  eine» 
fremden  Gesichtes  gegen  ein  kleines  Kind  überhaupt. 

Es  wurde  mir  vor  langen  Jahren  schon  der  Einwurf  von  einem 
Freunde  gemacht,  das  Schlauchstethoskop  gebe  leicht  zu  Täuschungen 
Veranlassung,  indem  Reiben  der  Schläuche  an  Kleidungs-  usw. 
Stacken  Veranlassung  gebe  zu  einer  falschen  Pleuritis-,  Perikarditis- 
nsw.  Diagnose.  Dieser  Einwurf  ist  ganz  sicher  unbegründet.  Viel 
sicherer  vermeidet  man  gedachte  Irrtümer  als  bei  anderen  Instru-^ 
menten  und  insbesondere  sicherer  als  bei  der  direkten  Auskultation. 
Nach  kurzer  Übung  lernt  man  auch  Reiben  usw.,  von  außerhalb 
des  Instrumentes  herrührend,  unterscheiden  von  dem  Reiben,  das 
für  uns  von  Bedeutung  ist.  Nötig  ist,  daß  man  die  Schläuche 
nicht  zu  lang  und  nicht  zu  kurz  wählt.  Beides  ist  nachteilig,  so- 
wohl zu  große  Kürze,  als  auch  zu  große  Länge.  Die  Individualität^ 
Größe,  Breite  des  Arztes  spielen  da  eine  Rolle. 

Gerade  für  das  Konstatieren  des  „Reibens^  ist  dies  Instrument 
äußerst  wertvoll  und  wie  kein  anderes  geeignet,  solches  zu  ent- 
decken. Wie  oft  habe  ich  eine  Pleuritis  diaphragmatica  sicher 
diagnostizieren  können,  für  die  nur  die  vorhandenen  Schmerzen 
sprachen  und  wo  ich  nur  an  einer  kleinen  und  versteckten  Stelle 
schließlich  Reiben  hörte.  Ebenso  Perikarditis.  Einmal  kam  es 
mir  allerdings  vor,  daß  ich  bei  einem  kleinen  Kinde,  das  an  Pneu- 
monie litt,  bei  etwas  vergrößerter  Herzdämpfung,  besonders  nach 
rechts  hin,  aus  einem  sehr  schwachen,  kurzen  Frottement  am  Herzen 
eine  fibrinöse  Perikarditis  diagnostizierte  und  dann  nach  erfolgtem 
Tode  bei  der  Sektion  zu  meiner  großen  Enttäuschung  ganz  glattes 
normales,  schön  spiegelndes  Pericardium  parietale  et  viscerale  fand. 
Und  doch  hatte  ich  mich  beim  Auskultieren,  trotz  der  160  Herz- 
kontraktionen in  der  Minute  und  der  damit  verbundenen  großen 
Kürze  des  Momentes,  da  man  das  Reiben  hören  konnte,  nicht  ge- 
täuscht. Das  Reiben  war  innerhalb  des  rechten  Ventrikels  ent- 
standen, bedingt  durch  einen  im  rechten  Ventrikel  entstandenen 
Thrombus  von  Haselnußgröße,  mit  zierlicher  netzförmig  rauher, 
faltiger  Oberfläche,  welche,  sich  am  Endokard  der  rechten  Ventrikel- 
vorderwand reibend,  das  typische  systolische  Reiben,  wie  eine  Faser- 
stoffauflagerung auf  das  Epikard,  hervorgebracht  hatte. 


358  XIX.  Wyss 

Die  Möglichkeit  Reibgeräusche  auch  an  nicht  gewöhnlichen 
Stellen  bequemer  und  sicherer  festzustellen,  als  mit  dem  harten 
Stethoskop  und  mit  dem  direkten  Ohr,  veranlaßte  mich  im  Laufe 
der  Zeit  auch  das  Peritoneum  häufig  zu  auskultieren  and 
zwar  mit  recht  häufig  positivem  Erfolg.  Bei  Schmerzen  in  der 
Gegend  der  Milz,  der  Leber,  der  Gallenblase,  des  großen  Netzes  usw., 
habe  ich  dank  des  Schlauchstethoskop-Gebrauches,  häufig  durch  den 
Nachweis  von  Reibegeräuschen  über  der  Gallenblase,  am  linken 
oder  rechten  Leberlappen,  über  der  Milz  usw.  mit  Sicherheit  die 
Anwesenheit  einer  lokalen  Peritonitis,  also  einer  Pericholecystitis, 
Perihepatitis,  Peripleuritis  feststellen  können.  Aber  auch  bei  aus- 
gedehnterer Peritonitis,  ausgehend  nicht  bloß  von  einem  nahe  unter 
dem  Zwerchfell  liegenden  Organe,  sondern  auch  von  solchen,  die 
vom  Darm  ausgingen  (Appendicitis),  bei  tuberkulöser  Peritonitis,  ja 
sogar  bei  Peritonitis,  die  von  einem  Tumor  ovarii,  z.  B.  bei  einem 
13  jährigen  Kinde  beobachtet,  ausging,  nachweisen  können,  ebenso 
einst  bei  einem  Nierentumor  im  kindlichen  Alter. 

Nun  wirst  Du  mir,  lieber  Freund,  einwenden,  all  das,  was  ich 
Dir  vorbringe,  sei  überwundener  Standpunkt.  Wer  aus  ßequemlich- 
keitsrücksichten  —  weil  sein  Rücken  nicht  mehr  so  beweglich  ist, 
wie  ehedem,  weil  er  neben  einem  Kranken,  der  in  einem  hohen 
Bett  liegt,  stehend,  ob  seiner  Kleinheit,  mit  seinem  Ohr.  nicht  bis 
in  die  richtige  Höhe  über  den  Lungenspitzen  gelangen  kann,  um 
sie  zu  auskultieren,  oder  weil  ihm,  wenn  der  Patient  in  einem 
modernen  ganz  niedrigen  Bette  liegt,  beim  starken  Bücken  Abs 
„Blut  in  den  Kopf  schießt",  ihm  schwindlich  wird  —  kurz,  wer 
sich  nicht  mehr  oder  überhaupt  nicht  allen  äußeren  Umständen  und 
Verhältnissen  anschmiegen  kann,  um  seine  Krankenuntersuchnng 
durchzuführen,  der  soll  sich  des  bequemen  Phonendoskopes  bedienen, 
das  ja  alle  von  mir  geschilderten  Vorzüge  des  binaurikulären 
Schlauchstethoskopes  besitzt,  und  dazu  die  Töne,  Geräusche,  die 
wir  studieren  w^ollen,  in  viel  stärkerer  Weise  wiedergibt,  als  es  bei 
dem  Schlauchstethoskop  der  Fall  ist. 

Es  ist  das  alles  ja  ganz  richtig;  aber  dessen  ungeachtet  kann 
ich  nicht  zugeben,  daß  ich  dem  Phonendoskop  vor  dem  Schlaudi- 
stethoskop  den  Vorzug  geben  möchte.  Dieses  letztere  besitzt  gegöi- 
über  jenem  folgende  Vorzüge: 

1.  Es  ist  leichter,  welcher  Umstand  für  ein  Instrument, 
das  der  Arzt  immer  mit  sich  haben  muß,  sehr  wichtig  ist  Ein 
binaurikuläres  Schlauchstethoskop  wiegt  76  g;  ein  Phonendoskop 
mit  Etui,  ohne  welches  dasselbe  für  den  Arzt  nicht  transportabel 


über  Perkussion  und  Auskultation  der  Säuglinge  etc.  359 

ist,  soll  das  Instrument  nicht  Gefahr  laufen  beim  Tragen  beschädigt 
zu  werden,  wiegt  374  g  (die  kleinere  Sorte  etwas  weniger). 

2.  Das  Schlauchstethoskop  ist  leicht  und  sicher  desinfi- 
zier bar.  Beim  Händewaschen  gelangt  es  in  toto  oder  doch  der 
jnit  dem  Kranken  in  Berührung  gewesene  Teil  in  SublimatlSsung 
oder  ein  anderes  für  die  Hände  verwendetes  Desinfiziens  und  nach- 
her in  Seifenwasser. 

3.  Das  Aufsetzen  des  Schlauchstethoskop-Schalltrichters  berührt 
den  zu  untersuchenden  Kranken  niemals  derart  unangenehm,  wie 
das  stark  wärmeleitende  metallene  Phonendoskop. 

4.  Das  Phonendoskop  verändert  in  viel  höherem  Grade  die 
Auskultationsphänomene  als  das  Schlauchstethoskop,  das  sie,  im 
Vergleiche  mit  dem  direkten  Ohr  oder  dem  alten  Stethoskop  nur 
verstärkt  wiedergibt. 

Auch  in  bezug  auf  die  Technik  der  Perkussion  hat  sich 
bei  mir  im  Laufe  der  Jahre  ein  Wandel  vollzogen.  Einst  benutztest 
Du  Hammer  und  Plessimeter,  ich  dagegen  Finger  auf  Finger. 
Allmählich  habe  ich  mir,  namentlich  in  den  klinischen  Unterrichts- 
stunden, um  nach  Möglichkeit  die  Perkussionsunterschiede  recht 
laut  und  deutlich  meinen  Schülern  vorweisen  zu  können,  und  dann 
auch  sonst  beim  Untersuchen,  viel  mehr  als  früher  die  Hammer- 
Plessimeterperkussion ,  sowie  auch  die  Hammer-Fingerperkussion 
angewöhnt;  immerhin  ohne  die  Perkussion  mit  dem  perkutierenden 
Finger  auf  den  Finger  aufzugeben.  Unsere  Züricher  Arzte  und 
Studierenden  haben  im  wesentlichen  seit  Jahrzehnten  die  Finger- 
Finger-  und  Finger-Plessimeterperkussion  beibehalten. 

Es  ist  selbstverständlich,  daß  der  aus  der  medizin.  Klinik 
kommende  Student,  und  nicht  selten  in  höherem  Grade  noch  die 
Studentin,  in  der  Kinderklinik  mit  derselben  Wucht,  mit  welcher 
der  Brustkorb  des  erwachsenen  Mannes  perkutiert  zu  werden  pflegt, 
nun  auch  den  Thorax  des  Säuglings  bearbeitet.  Regelmäßig  be- 
steht die  Angewöhnung,  den  perkutierenden  Finger  nicht  im  Meta- 
karpophalangealgelenk  zu  bewegen,  sondern  die  Perkussion  mit  dem 
Finger  plus  der  ganzen  Hand  auszuführen,  also  die  ganze  Schwere 
der  Hand  oder  der  Hand  und  des  ganzen  Vorderarmes  mit,  für  die 
Perkussion  anzuwenden;  ja  nicht  gar  selten  den  ganzen  Arm.  Da- 
durch wird  der  Thorax  des  Säuglings  in  der  Regel  so  stark  er- 
schüttert, daß  das  Kindchen,  auch  wenn  es  vorher  ganz  artig  war, 
nun  zu  schreien  anföngt. 

Beim  kleinen  Kinde  ist  aber  wegen  seiner  dünnen  Brust- 
wandangen,  sowohl  der  Bippen,  als  auch  der  Muskulatur  und  des 


360  XIX.  Wtss 

Fettpolsters  wegen,  die  schwäcbste  Perkussion  die  weitans  beste. 
Es  ist  nun,  wie  jeder  an  sich  selbst  erfahren  kann,  keineswegs 
leicht  von  einem  Tage  zum  anderen  die  einmal  angelernte  und  ein- 
geübte Methode  des  Perkutierens  mit  der  ganzen  Hand,  oder  Finger, 
Hand  nnd  Vorderarm  dahin  zu  modifizieren,  daß  bloß  der  Fingen 
nicht  auch  die  Hand  und  teilweise  der  ganze  Vorderarm  in  Aktion 
kommt.  Den  meisten  Studierenden  ist  die  genügende  Einschränkung 
der  einmal  angewöhnten  Methode  geradezu  unmöglich.  Ich  habe 
deshalb  für  die  Perkussion  der  Säuglinge,  sowie  der  Kinder  in  den 
ersten  Lebensjahren  verschiedene  Methoden  anderer  Art,  als  der 
üblichen  Fingerperkussion  versucht. 

So  habe  ich  die  alte  Methode  der  immediaten  Perkussion  des 
Thorax  herbeigezogen,  die,  wenn  sie  ganz  schwach  angewendet 
wird,  auch  von  ganz  kleinen  Kindern  gut  und  reaktionslos  ertragen 
wird,  den  Arzt  und  den  Zuhörer  befriedigen  kann  und  das  um  so 
mehr,  wie  Du  ja  hervorgehoben  hast,  die  taktile  Wahmehmaog 
dabei  eine  sehr  wertvolle  Rolle  spielt.  Allerdings  ist  richtig,  daJ 
für  Demonstrationszwecke,  für  den  Unterricht,  die  hierbei  wahrzu- 
nehmenden Unterschiede  nicht  immer  genügend  laut  sind.  Diese 
werden  deutlicher,  wenn  man  anstatt  mit  dem  Ende  des  Nagel- 
gliedes  zu  perkutieren,  dazu  die  Volarfläche  der  Endphalanx  ver- 
wendet und  wenn  man,  um  jegliche  Beteiligung  des  Vorderarme« 
und  der  Hand  auszuschließen,  den  perkutierenden  Finger,  z.  6.  den 
Zeigefinger  auf  die  benachbarte  V»  ^^^^  Hälfte  der  Dorsalfläche 
des  Mittelfingers  legt,  fest  aufdrückt  und  dann  plötzlich  nach  innen 
herunterschnellt  nnd  damit  die  zu  untersuchende  Stelle  trifft,  d.  h. 
immediat  piBrkutiert.  Will  man  die  mediate  Perkussion  anwenden 
und  diese  ist  auch  mir  die  gewöhnlich  ausgeübte,  trifft  der  herunter- 
schnellende  perkutierende  Finger  das  Plessimeter  oder  den  anf 
den  Thorax  aufgelegten  Finger  Daß  dabei  der  benachbarte 
Mittelfinger  eine  rasche  Bewegung  nach  oben  —  eine  Rückstoß^ 
bewegung  macht,  ist  ohne  Belang.  Bei  dieser  Ausführung  hat  man 
es  nach  einiger  Übung  vollkommen  in  der  Hand,  eine  ganz  leise 
oder  kräftige,  laute  Perkussion  auszuführen.  Meines  Erachtens 
leistet  dieses  Verfahren  entschieden  viel  mehr  Vorteile,  als  die  ge» 
wohnlich  geübte  Perkussionsmetbode.  Es  sind  nicht  nur  die 
Quantitäts-(lntensitäts) Veränderungen  des  Schalles,  sondern  nament- 
lich auch  die  Qualitätsveränderungen  sehr  schön  nachweisbar.  Diea 
gilt  in  sehr  hohem  Grade  für  die  TjTnpanie  des  Lungenschalles  bei 
der  beginnenden  oder  der  zentralen  Pneumonie  des  Kindes ;  ebenso 
bei   Katarrhalpneumonie,    bei   Tuberkulose.     Gewiß    kann   dieses 


über  Perkussion  und  Anskaltation  der  Sftnglinge  etc.  361 

Symptom  aach  sehr  gat  durch  schwache  Hammerperkussion  demon- 
striert werden.  Aber  ich  benutze  sehr  gerne,  z.  B.  in  der  Klinik 
beide  Methoden  neben-  resp.  nacheinander,  um  den  jungen  Arzt 
daran  zu  gewöhnen,  bei  zweifelhaftem  Befund  und  unsicherer 
Diagnose  kein  Hilfsmittel  unversucht  zu  lassen,  das  ihm  über  ein 
anfänglich  vielleicht  zweifelhaft  beurteilbares  Symptom  sicheres 
Urteil  verschafft  und  in  ein  Dunkel  Licht  bringen  kann.  Sich  an- 
gewöhnt zu  haben  zu  kontrollieren,  was  man  glaubt  beobachtet  zu 
haben,  ist  für  den  jungen  Arzt  im  höchsten  Grade  wertvoll.  Bei 
dieser  Weise  zu  perkutieren,  habe  ich  mir  noch  niemals  eine 
Schwiele  oder  gar  zwei  anperkutiert ;  beim  gewöhnlichen  Klopfen 
auf  das  Fingerende  recht  oft. 

In  den  letzten  Jahren  haben  mich  die  Symptome  der  Tuber- 
kulose der  Lungen  bei  Säuglingen  und  der  Kinder  in  den 
ersten   Lebensjahren    intensiv  beschäftigt,    da   wo   die  Lungen- 
erkrankung die  wesentlichste  hauptsächlichste  Affektion  darstellt. 
Der  Ansspruch  Grancher's  am  letzten  Tuberkulose-Kongi*eß  in 
Paris  (Okt.  1905):  „la  tuberculose  de  l'enfant  dans  le  premier  an 
est  presque  inconnue^',  frappierte  mich  und  konnte  meinerseits  nicht, 
insbesondere  nicht  vom  Standpunkt  des  pathologischen  Anatomen, 
eher  für  eine  gewisse  Anzahl  von  Fällen  allenfalls  hinsichtlich  der 
klinischen  Diagnosen  zugegeben  werden.    Daß  auch  ich  in  diesem 
Lebensalter  etwa  ein  Paar  Fehldiagnosen  hinsichtlich  der  Lungen- 
tuberkulose im  Säuglingsalter  auf  dem  Gewissen  habe,  dessen  war 
ich  mir  bewußt  und  suchte  ich  daher  mein  Wissen  in  bezug  auf 
die   Tuberkulose   der  Säuglingslungen   besonders    in   den    letzten 
Jahren  nach  Möglichkeit  zu  vervollständigen.    Ich  erinnerte  mich 
eines  Falles,  in  dem  ich  ein  Infiltrat  im  Unterlappen  angenommen 
hatte,  bei  dem  ich  einen  kindsfaustgroßen,  freilich  vollständig  mit 
Eiter  gefällten  Hohlraum  bei  der  Autopsie  fand.    Ein  anderes  Mal 
hatte  ich  im  Oberlappen  eine  walnußgroße  Kaverne  nicht  diagnosti- 
ziert   In  jenem  Falle  fand  ich  im  Inhalt  des  Hohlraums,  der  aus 
Eiter  bestand,  weshalb  ich  denselben  bei  der  Autopsie  als  einen 
Lnngenabszeß  auffaßte,  enorme  Mengen  Tnberkelbazillen,  die  ich 
aber   erst   „post  mortem^   entdeckte.     Auf  der  Suche  nach   den 
Symptomen  solcher  Vorkommnisse  „intra  vitam*'  begegnete  mir  vor 
kurzem  folgendes:  Bei  einem  hektisch  fiebernden  %  jährigen  Kinde, 
bei    dem  ich  in  Anbetracht  des   Fiebers,  der  Abmagerung,   der 
Hereditätsverhältnisse   —   auf  welch   letztere   ich    bezüglich    der 
Säaglingstuberkulose-Diagnose    einen  sehr  großen   Wert  lege   — 
konnte  ich  immer  nur  eine  leichte  Dämpfung  links  zwischen  Clavi- 


362  XIX.   Wyss 

cula  und  3.  Rippe,  beiderseits  reichliche  Rasselgeräusche,  aber 
trotz  fleißigen  Untersuchens  niemals  Konsonanzerscheinungen,  ge- 
schweige denn  Kavernensymptome  konstatieren.  Plötzlich  fand  ich 
^ines  Morgens  links  oben  eine  ganz  intensive,  absolute  Dämpfung 
mit  fehlendem  Respirationsgeräusch.  Am  folgenden  Morgen  war 
diese  Dämpfung  wieder  vollständig  verschwunden;  nur  die  früher 
dagewesene  relative  Dämpfung  war  noch  vorhanden  und  es  blieben 
alle  früheren  Symptome  auch  fernerhin  fortbestehen.  Als  nach 
wenigen  Wochen  der  Exitus  erfolgt  war,  faiid  ich  an  der  betr. 
Stelle  im  linken  Oberlappen  eine  walnußgroße  Kaverne,  die  offen- 
bar in  der  Regel  zur  Zeit  meiner  Untersuchung  leer  gewesen  war; 
—  sie  kommunizierte  mit  den  großen  Bronchien;  —  an  jenem 
einzigen  Morgen  aber  noch  nicht  sich  entleert  hatte.  Tympanie, 
Geräusch  des  gesprungenen  Topfes  haben  für  die  Diagnose  der 
Kavernen  bei  Säuglingen  geringeren  Wert,  als  später,  weil  man 
sie  alltäglich  bei  ganz  kleinen  und  besonders  bei  sehr  abgemagerten 
kleinen  Kindern  bei  Zuständen| findet,  wo  die  Lungen  ganz  anders 
krank  oder  ganz  normal  sind. 

Ich  muß  also  die  von  vielen  anderen  Änsten  und  im  yori^n 
Jahre  auch  von  Cruchet  sehr  hervorgehobene  Tatsache  kon- 
statieren: daß  im  ersten  und  zweiten  Lebensjahi'e  sich  die  Tuber- 
kulose nicht  hauptsächlich  in  den  Lungenspitzen  lokalisiert;  daß  sie 
häufig  unter  Symptomen  beginnt,  welche  die  Annahme  einer  Pneu- 
monie oder  Pleuritis  mit  Pneumonie  oder  Katarrhalpneumonie  nahe 
legen.  Höhlenbildungen  sind  sehr  viel  seltener  als  beim  Er- 
wachsenen ;  aber  deren  Diagnose  ist  sehr  viel  schwieriger  als  beim 
Erwachsenen  oder  beim  älteren  Kinde,  weil  Symptome,  die  auf 
Hohlräume  bezogen  werden  können  bei  Pneumonie,  Katarrhal- 
pneumonie, Pleuritis,  Tracheobronchialdrüsen-Erkrankungen  vor- 
kommen können  und  umgekehrt  man  bei  nicht  gar  kleinen  Hohl- 
räumen alle  kavernösen  Symptome  vermißt. 

Es  liegt  mir  ob,  hier  auch  der  von  Grancher  in  Paris  im 
vorigen  Jahr  (Oktober  1905),  gelegentlich  des  internationalen  Tube^ 
kulose-Kongresses  hervorgehobenen  Ansichten  über  die  frtthzeitige 
Diagnose  der  Lungentuberkulose  im  allgemeinen  und  bei  Kindeit 
speziell  zu  erwähnen.  Ich  könnte  sie  auch  ignorieren,  weil  aus 
gelegentlichen  Äußerungen  dieses  Gelehrten  hervorgeht,  daß  er  bei 
seinem  Expose  nicht  ganz  kleine  Kinder  —  im  ersten  und  zweiten 
Lebensjahre  —  sondern  ältere  im  Auge  hatte.  Es  ist  ein  großes 
Verdienst  Grancher 's  wiederholt  hervorgehoben  zu  haben,  daJ 
die  Diagnose  der  Tuberkulose  so  frühzeitig  als  möglich  gestellt 


über  Perkussion  und  Ansknltation  der  Sänglinge  etc.  363 

werden  müsse;  und  zwar  wenn  immer  möglich  lange  bevor  die 
^anze  Reihenfolge  der  Symptome  der  Tuberkulose  im  1.  Stadium 
der  Autoren"  sich  nachweisen  lasse,  d.  h.  nicht  erst  dann,  wenn 
schon  vorhanden  sind: 

] .  Schwaches,  rauhes  oder  sakkardiertes  Inspirinm ;  2.  Brou- 
chialatmen;     3.   Dämpfung;     4.  verlängertes    Exspirium; 
5.  trockene  knackende  Geräusche. 
G rancher  diagnostiziert  schon  dann  Tuberkulose,  wenn  bei 
mem  Kinde  mit  etwas  schwankender  Gesundheit,   blassem  Aus- 
sehen, leicht  erhöhten  Temperaturen,  Abmagerung,  an  den  Lungen 
weiter  nichts  gefunden  wird,  als  an  einer  lokalisierten  Stelle,  einer 
Lungenspitze,  aber  permanent:  rauhes  Atmen,  oder  abgeschwächtes 
Atmen;  oder  rauhes  sakkadiertes  Atmen  und  wenn  an  der  genau 
/symmetrischen  Stelle  der  anderen  Lunge  dieses  Symptom  gänzlich 
fehlt. 

So  gerne  ich  zugebe,  daß  bei  Erwachsenen,  bei  Kindern  jen- 
seits des  3.  und  4.  Lebensjahres  und  insbesondere  zwischen  dem 
8.— 20.  Lebensjahre  dieser  geringe  Symptomenkomplex  genügt,  um 
die  Diagnose    zu    stellen  und   dementsprechend   therapeutisch   zu 
handeln,  so  möchte  ich  doch  hervorheben,  daß  ich  beim  Säugling 
aas  diesen   Erscheinungen    allein  die   Diagnose   auf  Tuberkulose 
nicht  stellen  möchte.    Sehr  gewöhnlich  kommen  die  ganz  kleinen 
Kinder,  bei  denen  man  im  Laufe  der  Beobachtung  die  Diagnose 
Tuberkulose  oder  auch  erst  „post  mortem"  diese  stellt,  nur  unter 
der  Erscheinung  von  Abmagerung,  mangelhafter  Ernährung,  ge- 
paart mit  Anämie  zur  Behandlung.    Ausnahmsweise  ist  der  Er- 
nähi-ungszustand  solcher  Kinder  ganz  gut.  ja  sie  können  sehr  fett 
sein«  daneben  aber  anämisch.    Solche  Kinder  husten  zuweilen  lange 
absolut  gar  nichts  ich  habe  solche  Kinder  fleißig  und  genau  auf 
die  Lungen  untersucht  und   keinen  objektiven  Befund  nachweisen 
können,  zuweilen  stellten  sich  ei-st  in  den  letzten  Tagen  einige, 
oder  auch  viele  verbreitete  Geräusche  ein,  und  dann  bald  nachher 
enomfie  Durchsetzung   der  Lungen   mit   Tuberkeln.     In   anderen 
Fällen  findet  man  eine  bald  besser,  bald  schlechter  umschriebene 
Dämpfung  vom  oder  hinten,  oben  oder  unten,  verändertes  Vesi- 
kuläratmen,  verschärftes  verlängertes  Exspirium,  oder  abgeschwächtes 
Atmen,  man  hört  Rasselgeräusche  oder  auch  nicht ;  wenn  diese  trocken 
und  kurz  sind,  hat  man  wohl  eher  Grund  an  Tuberkulose  zu  denken, 
als  bei  reichlichen  und   feuchten.    Sind  lange  Zeit,  Wochen  hin- 
durch, diese  Symptome  vorhanden,  bestehen  fe'brile  oder  subfebrile 
Temperaturen,  dann  ist  ja  der  Verdacht  auf  Tuberkulose  sehr  groß. 


364  XIX.  Wy88 

aber  die  Diagnose  ist  nicht  sicher.  Allerdings  ist  sie  für  mid 
nahezu  sicher,  wenn  der  kleine  Patient  ans  einer  tuberkulOseB 
Familie  stammt  oder  wo  ein  an  „offener"  Tuberkulose  leidendes 
Individuum  sich  findet;  wenn  von  den  Eltern  eines  oder  beide, 
wenn  bei  den  Großeltern  eines  tuberkulös  ist,  war  oder  an  Tuber- 
kulose gestorben  ist.  Fehlen  alle  diese  Anhaltspunkte,  suche  icb, 
wie  die  hygienischen  Verhältnisse  waren  unter  denen  der  Patient 
draußen  lebte.  In  ärophoben  Familien,  die  vor  jedem  Luftzug, 
vor  jeder  Erkältung  ihr  Entsetzen  äußern  und  kein  offenes  Fenster 
dulden,  ist  die  Tuberkulosediagnose  immer  sehr  wahrscheinlich 
zutreffend ;  aber  beweisend  ist  all  das  nicht. 

Daß  der  Nachweis  von  Tuberkelbazillen  im  Sputum  von 
Säuglingen  wenig  Wert  hat,  weil  solches  Sputum  sehr  schwierig 
und  selten  zu  bekommen  ist,  habe  ich  nicht  nötig  Dir  zu  sagen 
Auch  die  Schleimaspiration  aus  Nase  und  Pharynxraum,  verläuft 
häufig,  ja  meistens  negativ.  Nichts  Besseres  ist  zu  sagen  von  der 
Sputumaspiration  aus  dem  Magen  des  Säuglings  und  dem  Nach- 
weis von  Tuberkelbazillen  in  diesem  Schleim. 

R.  Cruchet^  (Bordeaux) .  hat  neuerdings,  wie  schon  früher 
Eossei  (1895)  darauf  aufmerksam  gemacht  daß  man  in  den  Fäces 
tuberkulöser  Kinder  unter  Umständen  Tuberkelbazillen  nachweisen 
könne  und  zwar  am  besten  mit  Hilfe  des  Straßburger' sehen 
Verfahrens;  d.  h.  durch  doppeltes  Zentrifugieren  des  Stuhls.  Es 
fand  Cruchet  bei  3  tuberkulösen  Kindern  im  3.  Stadium  der 
Lungentuberkulose    jedesmal     Tuberkelbazillen     im    Stuhl;    bei 

3  Kindern  im  2.  Stadium  der  Lungentuberkulose  einmal  im  Stuhl 
TuberkelbazUlen;  in  5  Fällen  von  Lungentuberkulose  im  1.  Sta- 
dium fand  er  dagegen  nie  Tuberkelbazillen.  Bei  Fällen  mit  bloßem 
Yerdacht  auf  Tuberkulose,  d.  h.  bei  frischer  oder  alter  Pleuritis, 
im  letzteren  Falle  mit  frischer  Lungenerkrankung,  bei  Bronchial- 
drösentuberkulose ,    bei   Bronchieektasie   fand   er  unter  6  Fällea 

4  mal  Tuberkelbazillen  im  Stuhl.  Bei  chronischer  Peritonitis  bei 
2  Beobachtungen  2  mal  Tuberkelbazillen,  und  zwai*  das  eine  Mal 
in  sehr  großer  Menge. 

Auch  aus  den  weiteren  Mitteilungen  Dr.  Cruchet's  geht  die 
unzweifelhaft  hohe  Bedeutung  des  Vorkommens  von  Tuberkel- 
bazillen in  den  Dejektionen  kleiner  Kinder  für  die  Diagnose  von 
Lungenerkrankungen  hervor.    Er  erzählt  einen  Fall,  in  dem  an- 


1)  Cruchet,    Congrös   iuternational   de  la  tuberculose,   a  Paris  2-7  Oct. 
1905  IL  216. 


über  PerkoBsioii  und  Auskaltation  der  Säuglinge  etc.  36d> 

fißglich  keine  Tuberkelbazillen  sich  im  Stuhl  auffinden  ließen  und 
die  Lungen  keine  wesentlichen  Veränderungen  zeigten.  Später 
faDd  man  Tuberkelbazillen  in  den  „Fäces'^^  ohne  daß  die  Lungen 
erheblichere  Erkrankung  erkennen  ließen;' erst  3  Wochen  später 
gelang  es  hier  Erweichungssymptome  aufzufinden. 

In  einem  anderen  Falle,  bei  einem  3jährigen  Einde  mit 
schwerer  familiärer  Belastung,  wurden  bei  geringfügigen  Lungen- 
Veränderungen  Tuberkelbazillen  in  den  Dejektionen  gefunden,  die 
mit  der  Besserung  resp.  Heilung  des  Patienten  wieder  verschwanden. 
Das  sind  sehr  anerkennenswei*te,  weil  sichere  Resultate  und  vor 
der  Hand  werde  auch  ich  einen  größeren  Wert  auf  die  Unter- 
sachung  der  Stühle  von  der  Lungentuberkulose  verdächtigen  Säug- 
lingen und  kleinen  Kindern  legen,  als  bisher.  Momentan  beobachte 
ich  einen  solchen  Fall.  Ein  7  Monate  altes  Enäbchen,  2.  Kind 
einer  von  beiden  Eltern  her  tuberkulös  belasteten  Familie,  leidlich 
gut  genährt,  aber  sehr  anämisch,  seit  10  Tagen  fiebernd,  im 
hinteren  Teil  des  linken  Oberlappens  ein  Infilt4:at,  im  oberen  Teil 
des  linken  ünterlappens  zerstreute  trockene  ßhonchi.  Stunden- 
lange Untersuchung  des  festen  Milchstuhls  ergibt  keine  Tuberkel- 
bazillen; dagegen  enthielt  die  Punktionsflüssigkeit  des  Subdural- 
raumes,  die  etwas  getrübt  und  unter  geringem  Druck  ausfloß, 
Tuberkelbazillen.  Die  Punktion  wurde  gemacht  24  Stunden  nach- 
dem sich  plötzlich  schwere  Symptome  einer  akuten  Cerebrospinal- 
meningitis  eingestellt  hatten:  Genickstarre,  Rigidität  der  ganzen 
Bückenmuskulatur  und  derjenigen  der  Unterextremitäten,  ge- 
steigerte Patellarreflexe,  beständige  Zuckungen  in  den  Armen,  im 
Gesicht,  Strabismus  divergens,  Teilnahmlosigkeit,  Puls  160,  nega- 
tiver Augenspiegelbefund.    Exitus  nach  wenigen  Tagen. 

Immerhin  ist  die  Untersuchung  der  Dejektionen  auf  spärliche 
Tuberkelbazillen  eine  sehr  mühsame,  zeitraubende  und  auch  an- 
strengende Arbeit.  Und  das  Nichtauffinden  von  Tuberkelbazillen 
berechtigt  nicht  Tuberkulose  mit  Sicherheit  auszuschließen.  Es  ist 
daher  unsere  Aufgabe  auch  die  übrigen  diagnostischen  Methoden 
zu  benutzen,  die  uns  Aufschluß  geben  können. 

Das  Suchen  nach  Miliartuberkeln  im  Augenhintergrund e  ist 
bei  Säuglingen  wohl  oft  etwas  erschwert;  gibt  nicht  häufig  positives 
Eesultat  und  beweist,  wenn  negativ,  nichts ;  ist  aber  immerhin  eine 
rasch  ausführbare  Sache. 

So  sehr  die  Radioskopische  und  Radiographische 
Untersuchung  in  bezug  auf  die  genauere  Lokalisation  der  Tracheal- 
und  Bronchialdrüsen-Tuberkulose  wertvoll  ist,  so  leistet  sie  für  die 


366    ^l^'  Wyss,  Über  Perkussion  und  Auskultation  der  Säuglinge  etc 

Entdeckung  von  Herden  in  den  Lungen  des  Säuglings  kauni  viel 
mehr  als  eine  sorgfältig  vorgenommene  physikalische  Untersuchung; 
doch  fehlen  mir  diesbezügliche  eigene  Erfahrungen. 

Innerhalb  der  ersten  zwei  Lebensjahre  ist  die  diagnostische 
Tuberkelinjektion  in  der  Regel  nicht  so  wertvoll,  wie  in 
späteren  Jahren,  weil  die  Schwierigkeiten  in  Hinsicht  auf  die 
Diagnose  in  dieser  Zeit  gewöhnlich  fiebernde  Kinder  betriflFt,  bei 
denen  die  Beaktion  auch  aus  anderen  Gründen  gewöhnlich  nicht 
gerne  herbeigezogen  wird.  Ich  halte  das  geringe  Alter  für  einen 
berechtigten  Gegengrund  gegen  die  Tuberkulininjektionen,  und  b^ 
nutze  sie  daher  bei  kleinen  Kindern  nur  ganz  selten,  ja  fast  nie. 

Über  den  Wert  der  Serumreaktion  als  diagnostisches  Mittel 
sind  die  Ansichten  zurzeit  noch  nicht  abgeklärt.  Tomescu  und 
GraQOski  in  Bukarest  habpn  bei  tuberkulösen  Kindern,  nach  den 
Mitteilungen  im  Oktober  1905  am  Pariserkongreß  günstige  Er- 
fahrungen gewonnen.  Sie  geben  an:  eine  positive  Reaktion  be- 
weise fast  sicher  eine  tuberkulöse  Affektion.  Eine  negative  Re- 
aktion gestatte  nicht,  die  Möglichkeit  einer  tuberkulösen  Affektion 
in  Abrede  zu  stellen.  Beweisen  die  klinischen  Symptome  die  An- 
wesenheit einer  Tuberkulose,  so  kann  die  Agglutination  doch  fehlen, 
infolge  des  sehr  schlechten  Allgemeinzustandes  oder  wegen  der 
sehr  weit  fortgeschrittenen  Erkrankung.  Es  würde  die  Seram- 
reaktion  somit  besonders  im  ersten  Beginn  und  bei  geringfügigen, 
unklaren,  oder  sparsamen  Symptomen  wertvoll  sein;  namentlich 
dann,  wenn  die  bakteriologische  Untersuchung  ein  negatives  Er- 
gebnis lieferte.    Auch  hierüber  fehlen  mir  eigene  Studien. 

Ich  schließe  diese  Zeilen,  die  Dir  nur  sagen  mögen,  daß  ich 
gerne  mit  Da^k  und  alter  Liebe  Deines  70.  Geburtstages  gedacht 
habe,  und  an  dem  Tage,  wenn  er  da  ist,  denken  werde.  Du  hast 
Deine  Lehrtätigkeit  aufgegeben ;  ich  weiß,  nicht  deshalb,  damit  Da 
Dich  zur  Ruhe  setzest.  Eine  große  schöne  literarische  Tätigkeit 
hast  Du  noch  unternommen,  und  ich  werde  mich  freuen  noch  zu 
vernehmen,  daß  Du,  der  trefflichste  Lehrer  der  Göttinger  Univer- 
sität, dank  Deiner  medizinischen  Werke  der  erfolgreichste  Lehrer, 
nicht  bloß  der  Studierenden,  sondern  auch  der  Ärzte  ganz  Deutsch- 
lands, ja  der  ganzen  Welt  sein  wirst. 

Herzlichen  Gruß  und  Glückwunsch! 

Dein  alter  Freund 

0.  W. 

Zürich/Wollishofen,  August  1906. 


XX. 

Wilhelm  Ebstein's 

Arbeiten  aus  den  Jahren  1859—1906. 

Zasammengestellt 
von 

Dr.  med.  Erich  Ebstein, 

YolontilrassisteBt  »m  KraBkenhaas  1.  d.  Isar  (München). 

I.  Allgemeines. 

Immimität  —  Makrobiotik  —  Volksemähruns  (Aleuronat)  —  19'ekrologe  — 
Beiseerixinerungen  —  Spesialistentum  —  Charlatanerie  und 

Kurpfuscher  uaw. 

1891.  Über  die  Unempfängiichkeit  (Immnnität)  gegen  Krankheiten.    Natnrwiss. 

Enndschan  Nr.  23  p.  286—289. 
1891.  Über  die  Ennst^  das  menschliche  Leben  zn  verlängern.    Verb,  der  Ges. 

deutscher  Natnrforscher  und  Ärzte  I  p  53—74. 

1891.  Über  die  Kunst,  das  menschliche  Leben  zu  yerlängern.    (Wiesbaden.) 

1892.  Über  eiweißreiches  Mehl  nnd  Brot  als  Mittel  zur  Aufbesserung  der  Volks- 
emährung.    (Wiesbaden.) 

1892.  Od  the  use  of  the  vegetable  albumen  in  the  dietetic  treatment  of  diabetes 
mellitus.  Vortrag  gehalten  in  dem  annual  meeting  der  British  med.  asso- 
ciation.    Nottingham.    Med.  Chronicle  1892.    September. 

1893.  De  Faleuronat  ou  albumine  y^götable.  La  medecine  scientifique  I  Nr.  1 
p.  3—7. 

1893.   Vorschriften   zur   Herstellung   eiweißreichen   Brotes    im    eigenen    Hause. 

Deutsche  med.  Wochenschr.  Nr.  18  p.  413 — 415. 
1895.   Einige  Bemerkungen  über  die  Verwertung  des  PflanzeneiweiUes  in  der 

ärztlichen  Praxis.    Zeitschrift  für  ärztliche  Landpraxis  IV.  Nr.  1  p.  1 — 10. 

1897.  Entziehungs-  und  Mastkuren.    Die  Umschau  Nr.  16. 

1898.  Wilhelm  Marm6.  Nekrolog.  Arch.  f.  exp.  Pathologie  und  Pharmakologie 
Bd.  40  p.  147  fif. 

1900.  Reiseerinnerungen  aus  dem  medizinischen  Ungarn  mit  beu.  Berücksichtigung 
des  n.  internationalen  Kongresses  für  Kinderschutz  in  Budapest.  Deutsche 
med.  Wochenschrift  Nr.  3  u.  5. 

1900.  Zun  lOÜ.  Geburtstage  von  Friedrich  Wühler.  D.  med.  Wochenschr. 
Nr.  20. 


368  ^X.  Ebstein 

1903.   Carl  Ewald  Hasse.    Nekrolog.   Chronik  der  Georg- Augnst-UniversitSt  zu 

Göttingen  f.  d.  Rechnungsjahr  1902  p.  6—11. 
1903.   Die  Krankheiten  und  deren  Heilung  bei  den  Deutschen  von  den  ältesten 

Zeiten  bis  zum   16.  Jahrhundert.    Beilage  zur  allgem.  Zeitung  Nr.  191 

yom  25.  August. 
1903.   Rudolf  Yirchow   als   Arzt  mit  bes.  Rücksicht  auf  die  innere  Medizin. 

Münchener  med.  Wochenschr.  Nr.  44  und  Verhandlungen  der  75.  Vers,  i 

Naturforscher  und  Ärzte  II,  2.  p.  33. 

1903.  Rudolf  Yirchow  als  Arzt.    (Stuttgart  bei  Enke.) 

1904.  Die  Wissenschaft  und  Kunst  des  Arztes.    Umschau  Nr.  3. 
1904.   Das  Spezialistentum  in  der  ärztlichen  Praxis.    Nr.  11. 

1904.  Über  Referenten,  Rezensenten,  Kritikaster  und  Kritiker.    Umsehaa  VlII 
Nr.  24  p.  461-465  vom  11.  Juni. 

1905.  Über  Schiller.    (Schiller  im  Urteil  des  20.  Jahrhunderts.    Jena  bei  Coste- 
noble  p.  69.) 

1905.  Charlatanerie  und  Kurpfuscher  im  Deutschen  Reich.    Stuttgart  bei  Enke. 

1906.  Der  medizinische  Versuch  mit  besonderer  Berücksichtigung  der  Viriaektion. 
(Verlag  von  J.  F.  Bergmann.) 

IL  Geschichte  der  Medizin. 

1899.   Die  Pest  des  Thukydides  (Die  Attische  Seuche).    Stuttgart. 

1899.   Nochmals  die  Pest  des  Thukydides.    Deutsche  med.  Wochenschrift  Nr.  36. 

1899.  Zur  Geschichte   des    Englischen    Schweißes.     Virchow's    Archiv  Bd.  158 
p.  188—198. 

1900.  Über  das  Vorkommen   der  Rachitis  im   Altertum.     Janns,  Juli-Aagn^ 
p.  332-337. 

1900.  Historische  Notiz   betreffs   der  Wachstumsverbältnisse   des   menschiickn 
Herzens.    Janus,  August-September,  p.  405 — 406. 

1901.  Die  Medizin  im  Alten  Testament.    (Stuttgart.) 

1901.  Einige  Notizen  über  die  Galle  als  Heilmittel.    Janns,  März,  p.  146. 

1902.  Die  Krankheiten  im  Feldzuge  gegen  Ruliland.    (Stuttgart.) 

1902.   Ob  es  sich  bei  der  Pest  des  Thukydides  um  die  Bubonenpest  gebanddi 

hat?    Janus,  Heft  1. 
1902.   Über  das  Alter  der  Bubonenpest.    Janus,  März. 

1902.  Über  die  Mitteilungen  von  Jacob  Bontius,  betreiE»id  die  Dysenterie  aof 
Java  im  3.  Jahrzehnt  des  17.  Jahrhunderts.    Janus  VII. 

1903.  Carl  von  Linne  als  Arzt.    Janus  VIII. 

1903.   Die  Medizin  im  Neuen  Testament  und  im  Talmud.    (Stuttgart) 

1906.   Zur  Geschichte  der  Windpocken   und  deren  Verhältnis  zu  den  Pockea. 

Janus,  XI,  Mai- Juni. 
1906.  Die  Krankheit  des  Kaisers  Sigmund  (1410—1437).      Mttnch.  med.  Wocbea- 

Schrift  Nr.  25. 


IIL  Medizinischer  Unterricht. 

1889.   Über  die  Entwicklung  des  klinischen  Unterrichts  an  der  Göttinger  Hoch- 
schule und  die  heutigen  Aufgaben  der  med.  Klinik.    Klinisches  Jahrboeh  I 

(für  1888)  p.  67—109. 


Wilhelm  Ebstein*»  Arbeiten  ans  den  Jahren  1859—1906.  ggg 

1$1.  Unsere   Heilmethoden.    Klin.    Vorlesung   zur   Eröffnung  der  neuen  med. 

Klinik  in  Göttigen  am  29.  April.    (Wiesbaden.) 
1891.  Die  med.  Klinik  in  Göttingen.    Klin.  Jahrbuch  III.  Band  p.  5—16. 

1900.  Leben  und  Streben  in  der  Innern  Medizin.  Klinische  Vorlesung  gehalten 
am  9.  November  1899.    Stuttgart. 

IT.  Hygiein<>. 

1901.  Stadt-  und  Dorfhygieine.    D.  med.  Wochenschr.  Nr.  1  u.  2. 

1902.  Dorf-  und  Stadthygieine  unter  bes.  Rücksichtnahme  auf  deren  Wechsel- 
beziehungen für  Ärzte  und  für  die  mit  der  Wahrnehmung  der  Interessen 
der  öffentl.  Gesundheitspflege  betrauten  Verwaltungsbeamten.    (Stuttgart) 

y.  Physikalische  Diagnostik. 

1876.  Zur   Lehre   von   der   Herzperkussion.     Berl.   klin.    Wochenschr.    Nr.    35 

p.  501—503. 
1880.   Notiz,  betreffend  die  Herzperkussion.    D.  Arch.  f.  kl.  Med.  Bd.  27  p.  392. 
1894.   Über  die  Bestimmung  der  Herzresistenz  bei  Menschen.    Nach  einem  in  der 

Sektion  f.  innere  Medizin  des  XI.  Internat,  mediz.  Kongresses  in  Rom  am 

3.  April  gehaltenen  Vortrage,    welcher  in  den  Atti  deir  XI  Congresso 

medico  Vol.  III.  Med.  intern,  p.  179  (Torino  1894)  abgedruckt  ist;  dann 

Berl.  kün.  Wochenschr.  Nr.  26  u.  27. 
1894.   Ein    federnder   Perkussionsfinger.     Berl.    klin.    Wochenschr.    Nr.    47   p. 

ia59— 1060. 
1901.  Einige  Bemerkungen  zur  Geschichte  des  Stethoskopes.    D.  Arch.  f.  kliiv 

Med.  Bd.  69  p.  488—502. 

1901.  Die  Tastperkttssion.    Stuttgart. 

1902.  Nochmals  die  Tastperkussion.    D.  med.  Wochenschr.  Nr.  39. 

YI.  Terdanmigskanal  iind  Bauchfell. 

1859.   [11.  Juli.]    De  mutationibus  microscopicis  cocti  crudique  amyli  fluide  oris 

tractati.    Diss.  inaug.  physiolog.  Berolini. 
1864.   Retiknlierte  Hypertrophie  der  menschlichen  Magenschleimhaut.    Arch.  von 

Beichert  und  du  Bois-Reymond  p.  568—582. 

1864.  Die  polypösen  Geschwülste  des  Magens.  Arch.  f.  Anat.^  Physiol.  u.  Wissen- 
schaft!. Medizin  p.  94—136. 

1865.  Über  polypöse  Geschwülste  des  Magens.  Autoreferat  in  der  Wiener  med.- 
chirurg.  Rundschau  VI.  Jahrg.  p.  374—376. 

186Ö.   Ein  i*all  yon  primitivem  Krebs  des  Colon  transversum  mit  Fistelbildun^ 

zwischen  Colon  und  Magen  einerseits  und  Colon  und  IJeum  andererseits. 

•  Wiener  med.  Presse  VI.  Jahrg.  Nr.  41  p.  993—997  u.  Nr.  42  p.  1022—1024. 

1866.  Ein.  kasuistischer  Beitrag  zur  Lehre  von  den  Hernien.  Wiener  med.  Presse 
VI.  Jahrg.  Nr.  45  p.  1089—1091. 

1866.  Über  die  Komplikation  der  Trichinose  mit  dem  korrosiven  Magen-  und 
Puodenalgeschwür.  Wiener  med.  Presse  VII.  Jahrg.  Nr.  12  p.  305—307 
und  Nr.  13  p.  342-344. 

1867.  Einige  Bemerkungen  über  die  Komplikation  der  Trichinose  mit  Magen- 
DeutochM  Archiv  f.  klin.  MediEin.    89.  Bd.  24 


370  XX.   Ebstein 

affektJonen,  insbesondere  dem  korrosiyen  Magen-D  aodenalgeschwür.  Yirchow'a 

Archiv  Bd.  40  p.  289—294. 
1870.   (mit  Dr.  v.  Brunn.)   Experimentelle  Beiträge  zur  Physiologie  der  Magen- 

drüsen.    Pflüger's  Archiv  Bd.  3  p.  565—574. 
1870.   Beiträge  zur  Lehre  vom  Bau  und  den  physiologischen  Fnnktionen  der  sog. 

Magenschleimdrttsen.    Arch.  f.  mikroskop.  Anatomie  Bd.  6  p.  515—538. 
1872.   Über  Veränderungen,  welche  die  Magenschleimhaut  durch  die  Einverleibong 

von  Alko*hol  und  Phosphor  in  den  Magen  erleidet.    Virchow's  Archiv  Bd.  55 

p.  469-480. 
1872.   (mit  Grützner.)    Über  den  Ort  der  Pepsinbildung  im  Magen.    Pflflger's 

Archiv  Bd.  6.  p.  1—19. 
1874.   Über  Pepsinbildung  im  Magen.    Pflüger's  Archiv  Bd.  8  p.  122—151. 
1874.   (mit  Grützner.)    Kritisches  und  Experimentelles  Über  die  PylomsdraseL 

Pflüger's  Archiv  Bd.  8  p.  617—623. 

1874.  Experimentelle  Untersuchungen  über  das  Zustandekommen  von  Blntextia- 
vasaten  in  der  Magenschleimhaut.  Archiv  f.  experim.  Pathologie  Bd.  2 
p.  183—195. 

1875.  Über  den  Magenkrebs.  K.  Volkmann^s  Sammlung  klin.  Vorträge  Nr.  S7 
p.  685-720.    Leipzig. 

1879.  Über  die  Nichtschlußfähigkeit  des  Pylorus  (Incontinentia  pylori).  Volk- 
mann*s  Sammlung  klin.  Vorträge  Nr.  155.    Leipzig. 

1880.  Einige  Bemerkungen  zur  Lehre  von  der  Nichtschlußfähigkeit  des  Pylons 
(Incontinentia  pylori).    D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  26,  p.  295—324. 

1883.   Ist  bei  der  Perforationsperitonitis  im  Gefolge  des  korrosiven  Magengeschwüres 

Erbrechen  vorhanden?    Wiener  med.  Blätter  Nr.  4,  p.  93—98. 
1885.   Klinisches  und  Kritisches  zur  Lehre  von  der  Perforationsperitonitis.   Z.  1 

klin.  Med.  Bd.  9  p.  209—244. 
1895.  Über  die  Loslösung  eines  Stückes  der  Pylorusschleimhaut  mit  der  Magen- 

sonde.    Berl.  klin.  Wochenschr.  Nr.  4  p.  69—73. 
1895.   Trauma  und  Magenerkrankungen  mit  bes.  Eücksichtnahme  auf  das  üofall- 

versicherungsgesetz.    D.  Arch.  t  klin.  Med.  Bd.  54  p.  442 — 471. 
1897.   Peritonitisartiger  Symptomenkomplex  im  Endstadium  des  Morbus  AddisoniL 

Deutsche  med.  Wochenschr.  Nr.  46. 
1897.   Nephritis  acuta  als  Komplikation  der  Gastroenteritis  chronica.    D.  me^ 

Wochenschr.  Nr.  24. 

1900.  Die  diffusen  Erkrankungen  des  Bauchfells.  In :  Ebstein-Schwalbe,  Handbndi 
der  prakt.  Medizin  Bd.  2  p.  1043—1089,  2.  AufL  1905  p.  469—504. 

1901.  Die  Untersuchung  des  Mastdarms  von  außen  und  deren  therapeutische  Ver- 
wendung.   Nr.  30. 

1901.   Die  chronische  Stuhlverstopfung  in  der  Theorie  und  Praxis.  (Stuttgart) 

1904.  Einige  Bemerkungen  zur  Behandlung  der  Hyperacidität  des  Magensaftes 
D.  med.  Wochenschr.  Nr.  48. 

1905.  Darmpflege  und  Darmschutz.    Umschau.   Nr.  48. 

YII.   Leber  und  Ikterus. 

1867.  Katarrh  der  makroskopisch  sichtbaren  feinen  Gallengänge  als  Ünache  des 
Ikterus  bei  einer  akuten  Phosphorvergiftung,  ein  kasuistischer  Beitrag  cor 


Wilhelm  Ebstein's  Arbeiten  ans  den  Jahren  1859—1906.  371 

Lehre  vom  katarrhalischen  Ikterus.     Arch.   der  Heilkunde  VIII.  Jahrg. 
p.  506-517. 

1868.  Katarrh  der  makroskopisch  sichtbaren,  feinen  Gallengänge  als  Ursache  des 
Ikterus  bei  einer  akuten  (höchst  wahrscheinlich  Phosphor-)  Vergiftung. 
2.  Kasuistischer  Beitrag  zur  Lehre  vom  katarrhalischen  Ikterus.  Arch. 
der  Heilkunde  IX.  Jahrg.  p.  219—231. 

1869.  Ein  Fall  von  akuter  Phosphorvergiftung  nebst  Bemerkungen  über  den 
Ikterus  bei  derselben.    Arch.  der  Heilkunde  X.  Jahrg.  p.  379—^92. 

1875.  (mit  J.  Müller.)  —  Über  den  Einfluß  der  Alkalien  und  Säuren  auf  das 
Leberferment    Berichte  der  deutschen  ehem.  Gesellschaft  zu  Berlin  8.  Jahrg. 

1900.  Erkrankungen  der  Leber,  der  Gallenblase  und  der  Gallengänge,  sowie  der 
Phortader.  In  Ebstein  -  Schwalbe ,  Handbuch  der  prakt.  Medizin  Bd.  2 
p.  924—1032;  2.  Aufl.  1905  p.  371-460. 

1903.  Zur  Etymologie  des  Wortes  Gelbsucht  und  der  dafür  gebräuchlichen 
Synonyme.    D.  med.  Wochenschr.  Nr.  6. 

1904.  Die  Strangulationsmarke  beim  Spulwurm  in  ihrer  diagnostischen  Bedeutung. 
D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  81  p.  543—550. 


Tin.  Pankreas. 

1899.  Primärer,  latent  verlaufender  Pankreaskrebs  mit  sekundären,  hochgradigste 
Dyspnoe  bedingenden  Elrebslokalisationen.  D.  med.  Wochenschr.  Nr.  5 
p.  71. 

1900.  Krankheiten  des  Pankreas.  In  Ebstein-Schwalbe,  Handbuch  der  prakt. 
Medizin  Bd.  2  pag.  1032—1043;  2.  Aufl.  1905  p.  460-^69. 


IX.  Stoffwechsel. 

A.  CyBtiniirie  —  Fentosiirie  —  Phosphaturie  etc. 

1875.   (mit  JuliusMüller.)   Brenzkatechin  in  dem  Urin  eines  Kindes.   Yirchow's 

Archiv  Bd.  62  p.  554-560. 
1875.   (mit  Julius  Müller.)     Einige  Bemerkungen  über  die  Beaktionen  des 

Brenzkatechin  in  bezug  auf  das  Vorkommen  desselben  im  menschlichen 

Harn.    Virchow's  Archiv  Bd.  65.   p.  394-397. 
1878.   Ein  Paar  neue  Fälle  von  Cystinurie.    Deutsches  Archiv  für  klin.  Medizin 

Bd-  23  p.  138—151. 
1882.   Ein  Fall  von  Cystinurie.    D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  30  p.  594—602. 
1882.   Über  das  Vorkommen  von  Magnesiumphosphat  im  Harn  von  Magenkranken. 

D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  31  p.  203—205. 
1892.   Vorläufige  Mitteilung  über  das  Verhalten  der  Pentaglykosen  (Pentosen)  im 

menschlichen  Organismus.    Centralblatt  für  die  med.  Wissenschaften  Nr.  31. 

1892.  Einige  Bemerkungen  über  das  Verhalten  der  Pentaglycosen  (Pentosen)  im 
menschlichen  Organismus.     Virchow's  Archiv  Bd.  129  p.  401—412. 

1893.  Notiz  über  das  Verhalten  der  Pentaglykosen  im  menschlichen  Organismus. 
Virchow's  Archiv  Bd.  132  p.  368—369. 

1893.   Notiz  über  das  Verhalten  der  Pentaglykosen  (Pentosen)  im  menschlichen 
Organismus.    Virchow's  Archiv  Bd.  134  p.  361—363. 

.  24» 


372  XX.  Ebstbin 

B.  Vererbbare  zellalate  Stoffwechselkrankheiten. 

1898.  Einige  Mitteilungen  über  die  Körperkonsdtntion  und  deren  ßeäebtmgea 
zu  den  sog.  Konstitutionskrankheiten.  Yerli.  d.  Ges.  deutscher  Natur- 
forscher usw.  Teil  11  p.  73—76. 

1898.  Über  die  Stellung  der  Fettleibigkeit,  der  Gicht  und  der  Zuckerkrankheit 
im  nosologischen  System.    Deutsche  med.  Wochenschrift  Nr.  44. 

1901.  Fettleibigkeit,  Gicht  und  Zuckerkrankheit  (mit  Einschluß  der  Glukosurie). 
In  Ebstein  -  Schwalbe,  Handbuch  III  2.  Stuttgart  p.  549—740;  2.  M. 
1906  Bd.  4  p.  389-512. 

1902.  Vererbbare  cellulare  Stoffwechselkrankheiten.  Sechs  Briefe  an  einen  Fresnd 
[Franz  König].    (Stuttgart.) 

1.  Fettleibigkeit. 

1882.  Die  Fettleibigkeit  (Korpulenz)  und  ihre  Behandlung  nach  physiologischen 
Grundsätzen  (Wiesbaden);  die  8.  sehr  vermehrte  Auflage  erschien  1901 
Von  Übersetzungen  seien  hier  u.  a.  nur  genannt:  zwei  russische  von  K.P. 
Iwanow  (St.  Petersburg  1884)  und  eine  (Moskau  1887  erschienene),  zwei 
englische  von  Emil  H.  Ho  eher  (New  York -Washington  1884)  und  A.  H. 
Keane  (London  1884),  je  eine  französische  von  L.  Culmann  (Paris  1883), 
dänische  von  J.  Liisberg  (Kopenhagen  1884)  und  schwedische  von  C.Eke- 
roth  (Stockholm  o.  J.)  u.  a. 

1885.  Über  Wasserentziehung  und  anstrengende  Muskelbewegungen  bei  Pettsmcht, 
Fettherz,  Kraftabnahme  des  Herzmuskels  etc.  Eine  historiseh-kritiBche 
Studie.    (Wiesbaden.) 

1885.  Über  die  Behandlung  der  Fettleibigkeit  (Korpulenz).  Verb.  d.  Oongr.  t 
innere  Med.  p.  9 — 32. 

1885.  Fett-  oder  Kohlenhydrate?  Zur  Abwehr  in  der  Frage  „Die  Fettleibigkeit 
und  ihre  Behandlung".    (Wiesbaden.) 

1900.  Zur  Behandlung  der  Fettleibigkeit.  Deutsche  med.  Wochenschrift  Nr.  16  n.  17. 

1901.  Fettleibigkeit,    v.  Leyden's  Deutsche  Klinik  Bd.  3  p.  98—129. 

1902.  Über  die  Behandlung  der  Fettleibigkeit.    Die  Heilkunde  VI,  Februar. 

2.  Gicht-  und  harnsaure  Diathese. 

1880.  Beiträge  zur  Lelire  von  der  Gicht.    D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  SP7  ^  1-^L 
1882.  Über  den  gichtischen  Prozeß.    Verhandhmgen  des  Kongr.  f.  innere  Med. 
(Wiesbaden)  p.  79-83. 

1882.  Die  Natur  und  Behandlung  der  Gicht.  Wiesbaden;  die  zweite  stark  ver- 
mehrte Auflage  erschien  ebenda  1906  (458  Selten),  die  erste  Auflage  ist 
übersetzt  ins  Französische  von  D.  E.  Chambard  (Paris  1887)  mit  ISfi^ 
leitung  von  J.  M.  Charcot;  englische  Übersetzungen  in  „The  Med.  Press 
and  Clrcular"  (Oct.  1884  —  Dec.  1885)  und  J.  E.  Burton  (Lendon  1886). 

1883.  Die  Therapie  der  Gicht  inkl.  einer  Beurteilung  der  Cantani'schen  Therapie. 
Vereinsblatt  des  deutschefi  Arztevereinsbundes  X,  Januar  p.  1 — 7. 

1885.   Das  Regimen  bei  der  Gicht.    (Wiesbaden.) 

1889.  Die  Natur  und  Behandlung  der  Gicht,  1  Referat.    Verh.  des  vm.  Kofügr. 

f.  innere  Medizin.    (Wiesbaden)  VIII  121. 
1889.   Über  die  Gicht.    Beri.  klin.  Wochenschr.  Nr.  17—19. 
1891.   (mit  Ölkers   und   Sprague.)  Beiträge  zur  Lehre  von  der  hsrtsaiiren 

Diathese.    (Wiesbaden.) 


Wilhelm  Ebstein's  Arbeiten  ans  den  Jahren  1859—1906.  373 

IM.  (ttit  A.  Nicolai  er.)     Über  die  künstliche  Darstellnng  Ton  hamsanren 

Salsen  in  der  Form  von  Spbärolithen.  Yirchow's  Archiv  Bd.  123  p.  373—376. 
1191.]  (mit  Ch.  Spragne.)     BeitrSge  snr  Analyse  gichtisohiMr  Tophi.  Tirchow^s 

Archiv  Bd.  125  p.  207—219. 
IM.  Znr  Lehre  von  der  gichtischen  Neuritis.     Deutsche  med.  Wochenschrift 

Nr.  31  p.  489. 
1888.  Über   die  Bezeichnungen  der   sog.  hamsanren  Diathese  Eur  LeukAmie. 

Virchow's  Archiv  Bd.  154  p.  349—362. 
1WD.  Über  die  Hänfigkeit  der  Gicht  in  Schweden  in  der  MHte  des  18.  Jahr- 

hnnderts.    Janns^  Febmar-März  p.  87—90. 
1801.  Einige  Bemerkungen  ttber  die  Bezeichnungen  zwischen  der  Gicht  und  den 

Steinkrankheiten.    Die  ärztliche  Praxis  Nr.  4  (auch  separat  erschienen). 
19011.  Gicht.    V.  Leyden's  Deutsche  Klinik  Bd.  3  p.  130—160. 

1903.  Obergutachten  über  die  Frage,  ob  durch  einen  Unfall  (Yerstauchung  eines 
Pufigeienkes)  eine  die  firwerbsiffthigkeit  beeinträchtigende  yerschlimmervag 
einer  Veranlagung  zur  Gicht  herbeigeführt  worden  ist.  (Amtliche  Nach- 
riehten  des  Beichsversicherungsamte  Nr.  8  p.  556—568,  1  Bd.  Buchausgabe 
p.  167.) 

1904.  Über  die  differentielle  Diagnose  der  gichtischen  Tophi  der  Ohrmuschel. 
D.  Archiv  f.  klin.  Medizin  Bd.  80  p.  91—97. 

1904  (mit  £.  Bendix).  Über  das  Schicksal  der  Purinkörper  im  tierischen  Or- 
ganismus.   Virchow*s  Archiv  Bd.  178. 

1904.  Die  Gicht  des  Chemikers  Jacob  Beraelins  und  anderer  hervorragender 
Mioner.    Stuttgart  (64  S.  mit  1  Abb.). 

1904.  Über  einen  Fall  von  akuter  tuberkulöser  Bauchfellentzttndung  bei  einem 
an  primärer  Gelenkgicht  leidenden  Kranken,  zugleich  ein  Beitrag  zur 
Lehre  von  dem  Nebeneinandervorkommen  von  Gicht  und  Tuberkulose.  (L. 
Bfauer's  Beiträge  zur  Tuberkulose  ü.  Bd.  5.  Heft.) 

1904.  WiUibald  Pirckheimer's  Gicht.    Janus  IX  (November)  p.  646-552. 

8.  Diabetes  mellitus. 

1881.  Über  Drasenepithelnekrosen  beim  Diabetes  mellitus  mit  bes.  Berücksich- 
tigung des  diabetischen  Coma.    D.  Arch.  f.  klin.  Medizin  Bd.  28  p.  143 — 242. 

1882.  Weiteres  über  Diabetes  mellitus,  insbesondere  über  die  Komplikation  des- 
selben mit  Typhus  abdominalis.    D.  Arch.  f.  klin.  Medizin  Bd.  30  p.  1—44. 

1883.  Das  diätetische  Regfimen  beim  Diabetes  mellitus.  Vereinsblatt  des  deutschen 
Ärztevereinsbundes,  Mai. 

1807.   Die  Zuckerhamruhr,  ihre  Theorie  und  Praxis.    (Wiesbaden.) 

1892.    Über  die  Lebensweise  der  Zuckerkranken,  2.  Aufl.  1898,  3.  Aufl.  1905. 

1892.   Zar  Ernährung  des  Zuckerkranken.    Verb.  d.  XI.  Kongr.  f.  innere  Medizin 

p.  183—188. 
1802.   Znr  Ernährung  der  Zuckerkranken.    Deutsche  med.  Wochenschrift  Nr.  19 

p.  417—418. 

1892.  Zur  L^re  vom  traumatischen  Diabetes  mellitus.  Zugleich  ein  Beitrag  zur 
Lehre  von  den  sog.  traumatischen  Neurosen.  Berl.  klin.  Wochenschrift 
Nr.  42  p.  1041—1043  und  Nr.  43  p.  1079—1084. 

1893.  (mit  Carl  Schulze.)  Über  die  Einwirkung  der  Kohlensäure  auf  die 
dlastatifichen  Fermente  des  Tierkörpers.  Yirchow's  Archiv  Bd.  134 
p.  475-500. 


374  XX.  Ebstkin 

1895.  Tranmatische  Neurose  and  Diabetes  mit  bes.  Berücksichtigung  des  Unfall- 
versichemngsgesetzes.    D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  54  p.  305—362. 

1896.  Des  rapports  entre  le  diabdte  sncr^  et  F^pilepsie.    La  Semaine  Mediale 
No.  23  p.  177—178. 

1898.  Beitrag  znm  respiratorischen  Qasweohsel  bei  der  Zuckerkrankheit  Deutsche 
med.  Wochenschr.  Nr.  7. 

1898.  Zur  Lehre  ron  dem  traumatischen  Diabetes  mellitus  im  Eindesalter.  Die 
ärztliche  Praxis  Nr.  18. 

1899.  Beiträge  zur  Lehre  Ton  der  Lipämie,  der  Fettembolie  und  der  Fettthrosh 
böse  bei  der  Zuckerkrankheit.    Virchow^s  Archiv  Bd.  155  p.  571—686. 

1899.  Zur  Lehre  Tom   traumatischen  Diabetes  mellitus.    Die  ärztliche  Piaxis 
Nr.  15. 

1900.  Diabetes   mellitus,    Unterleibskoliken    und   Oedeme    in    ihren  Wechsel- 
beziehungen.   Z.  f.  klin.  Med.  Bd.  40. 

1900.  Die  Toxintheorie  des  Diabetes  mellitus.     Deutsche  med.   Wochenschrift 

Nr.  10  p.  170  f. 
1904.   Cheyne-Stokes'sches  Atmen  beim  Goma  diabeticum  und  Kußmaul's  grofies 

Atmen  bei  der  Urämie.    D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  80  p.  589—601. 

X.  Infektionskrankheiten. 

1.  Typhus  abdominalis. 

1869    [12.  Juni.]    Die  Rezidive  des  Typhus.    (Habilitationsschrift)  Breslau. 
1872.   Sprach-   und    Koordinationsstörnng   in   Armen    und  Beinen   infolge  tod 

Typhus  abdominalis.    D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  9.  p.  528—531. 
1885.  Die  Behandlung  des  Unterleibstyphus.    1885  (Wiesbaden). 
1896.   Initiale  motorische  Lähmung  im  Okulomotoriusgebiet  und  andere  post^- 

phöse  Komplikationen   bei  einem   Fall  Ton  Unterleibstyphus.     Yirchov's 

Archiv  Bd.  145  p.  165—172. 
1904.   Einiges  über  Unterleibstyphus  (Lokalisation  des  Typhusgiftes  —  Nephio- 

tjrphus  usw.   Widal'sche  Eeaktion  —  Antipyrese  —  Calomelbehandlnng  — 

Eehlkopfveränderungen  beim  Typhus).    Die  ärztliche  Praxis  Nr.  15. 

2.   Influenza. 

1891.  Einige  Bemerkungen .  über  die  sog.  Nona.    Berl.  klin.  Wochenschr.  Kr.  41 

p.  1005—1008. 
1903.  Über  die  Influenza.    Münchener  med.  Wochenschr.  Nr.  11  u.  12. 
1903.   Über  das  Wort  „Influenza^  und  seine  med.  Bedeutung.    VirchoVs  Archiv 

Bd.  172  p.  520. 

3.   Chronisches  Eückfallfieber. 

1887.   Das  chronische  Bückfallfieber,  eine  neue  Infektionskrankheit    BerL  klii. 

AVochenschr.  Nr.  31  p.  565—568. 
1887.  Chronisches  Bückfallsfieber.    Eine  neue  Infektionskrankheit    Zweite  Mit- 

teüung.    Nr.  45  p.  837—842. 

4.   Diphtherie. 
1869.   Diphtheritis,  eine  Gefahr   der  rituellen  Beschneidung.     Archiv  der  Heil- 
kunde X  393—399. 


Wilhelm  Ebstein's  Arbeiten  ans  den  Jahren  1869—1906.  375 

5.   Pocken. 

1865.  Über  den  fächerigen  Ban  der  Pockenposteln.     Yirchow's  Archiv  Bd.  34 

p.  598—605. 
1897.  Znr  Geschichte  der  Pockenimpfnng.     Der   ärztliche  Praktiker  X  Nr.   1 

(p.  2—11)  nnd  Nr.  2  (p.  32-43). 
1903.  Einige   Bemerkungen  zn   der  Geschichte  der  Eezidiye  bei  den  Pocken. 

Yirchow's  Archiv  Bd.  173  S.  575. 

6.   Maul-  nnd  Klauenseuche. 

1896.  Einige  Mitteilungen  über  die  durch  das  Maul-  und  Elauensenchengift  beim 
Menschen  verursachten  Krankheitserscheinungen.  D.  med.  Wochenschr.  1896 
Nr.  9  u.  10. 

7.  Zooparasitäre  Tuberkulose. 

1889.  (mit  A.  Nicolai  er.)  Beiträge  zur  Lehre  von  der  zooparasitären  Tuber- 
kulose.   Virchow's  Archiv  Bd.  118  p.  432—445. 

XI.  Bespirationsorgane. 

1876.  Über  den  Husten.    (^Yortrag.)    Leipzig  1876. 

1874—83.  Krankheiten  der  Nase,  des  Kehlkopfs  und  der  Luftröhre.  Li:  Yirchow- 
Hirsch,  Jahresberichte. 

1890.  Zur  Lehre  vom  Krebs  der  Bronchien  und  der  Lungen.  D.  med.  Wochenschr. 
Nr.  42. 

1896.  Lungenbrand  infolge  von  primärem  Lungenkrebs.   Zeitschrift  f.  praktische 

Ärzte  Nr.  9  p.  271—278. 
1900.  Anfälle   von  Apnoe  bei  diphtherischer  Lähmung.     Genesung.     D.  med. 

Wochenschr.  Nr.  49. 
1903.  Über  die  Frührezidive  bei  der  fibrinösen  Lungenentzündung.    Münchener 

med.  Wochenschr.  Nr.  18. 
1906.  Über  das  Vorkommen  von  Blutgerinnseln  im  Auswurf.    Arch.  f.  klin.  Med. 

Bd.  87  p.  509-519. 

XII.  Herz  und  Gefäße. 

1866.  Über  einen  sehr  seltenen  Fall  von  Insufficienz  der  Yalvula  tricuspidalis, 
bedingt  durch  eine  angeborene  hochgradige  Mißbildung  derselben.  Arch. 
von  Beichert  n.  du  Bois-Beymond  (2.  Heft)  p.  238—254. 

1869.  Über  drei  seltene  Fälle  von  Aneurysmen.  Wiener  med.  Presse  X.  Jahrg. 
Nr.  2^4. 

1869.  Znr  Kasuistik  der  durch  Aneurysmen  der  aufsteigenden  Aorta  bedingten 
Stenose  der  Art.  pulmonalis.    D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  6  p.  281 — 283. 

1874.  Aneurysma  einer  unpaaren  Art.  cerebr.  anterior.  (Art.  cerebr.  anter. 
communis.)    D.  Arch.  t  klin.  Med.  Bd.  12  p.  617—622. 

1878.  Über  die  auf  größere  Entfernung  vom  Kranken  hörbaren  Töne  und  Ge- 
ränsche  des  Herzens  und  der  Brustaorta.  D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  22 
p.  113—147. 

1878 — 84.  Krankheiten  des  Zirkulationsapparates.  In:  Yirchow-Hirsch,  Jahres- 
berichte. 


376  ^SX  EBSTBnr 

1883.  Über  die  Beziehnngen  der  SchwieLenbildjang  im  Herzen  zn  den  Stönmgoi 
seiner  rhythmischen  Tätigkeit.     Zeitschr.  f.  klin.  Med.  Bd.  6  p.  98— Ui 

1892.  Über  die  Diagnose  beginnender  Flüssigkeitsansammlnngen  im  HerzbeuteL 
Virchow^s  Archiv  Bd.  130  p.  418-443. 

1895.  Angina  pectoris  neben  Arthritis  uratica  nad  Diabetes  mellitus.  Berl.  kUn. 
Wochenschr.  Nr.  23—25. 

1896.  Znr  Lehre  von  der  hämorrhagischen  Pericardiiis.  D.  Aroh.  f.  klin.  Med. 
Bd.  56  p.  509-527. 

1899.  Beiträge  znr  klinischen  Geschichte  der  Endocarditis  ulcerosa  maligna.  D. 

Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  63  p.  217-265. 
1899.   Klinische  Beiträge  zur  Lehre  von  der  Hersarhythmie  mit  bes.  Rücksicht 

auf  die  Myocarditis  fibrosa.    D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  65  p.  81—128. 

XIIL   Blut 

1889.   Über  die  akute  Leukämie  und  Pseudolenkämie.  D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bi  44 

p.  343—396. 
1894.   Beiträge  zur  Lehre  von  der  traumatischen  Leukämie.    D.  med.  Wochenachr. 

Nr.  29  u.  30. 

XIT.  Nieren.    Harnsteine. 

1875.  Nierenkrankheiten  nebst  den  Affektionen  der  Nierenbecken  und  der  üreteren. 

In  V.  Ziemssen's  spez.  Pathologie  und  Therapie  IX  2;  2.  Aufl.  1878. 
1878.   Pyonephrose  mit  Ausscheidung  von  flüssigem  Fett  und  Hämatoidinkristalien 

durch  den  Harn.    D.  Arch.  f.  kl.  Med.  Bd.  23  p.  116—137. 
1882.  Krebs  der  Niere  und  Schilddrüse.     D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  30  p.  3» 

bis  406. 

1882.  Zur  Lehre  von  den  chronischen  Katarrhen  der  Schleimhaut  der  Hamweg« 
und  der  Cystenbildung  in  derselben,    ü.  Arch.  f.  klin.  Med.. Bd.  31  p.63— 77. 

1883.  Beitrag  zur  Lehre  von  den  Harnsteinen.  Verb,  des  Kongr.  f.  innere  Mediiiii 
p.  175—179. 

1884.  Die  Natur  und  Behandlung  der  Harnsteine.    (Wiesbaden.) 

1889.  (mit  A.  N  i  c  0 1  a  i  e  r.)  Über  die  experimentelle  Erzeugung  von  Harnsteinen. 
Verb.  d.  VIII.  Kongr.  f.  i.  Med.    (Wiesbaden.) 

1 891 .  (mit  A.  N  i  c  0 1  a  i  e  r.)  Über  die  experimentelle  Erzeugung  von  Harnstcinai. 
(Wiesbaden,  bei  Bergmann.) 

1892.  (mit  A.  Nicolai  er.)  Über  die  experimentelle  Erzeugung  von  Schrompf- 
nieren  durch  Oxalsäureoxamidfütterung.  Verh.  d.  XL  Kongr.  f.  innere  Med. 
(Wiesbaden)  p.  518—522. 

1896.   (und  A.  Nicolai  er.)     Über  die  Ausscheidung  der  Harnsäure  durch  Äe 

Nieren.     Eine   experimentelle   Untersuchung.     Virchow's   Archiv  Bd.  143 

p.  337—368. 
1899.   Über  die  Lokalisation  und  einige  Besonderheiten  der  Hautwassersucht  ii 

einem   Falle   von  diffuser  Nierenentzündung.     Virchow's  Archiv  Bd.  VA 

p.  587—591. 

1899.  Über  die  Harnsteine  bei  Amphibien.   Virchow's  Archiv  Bd.  158  p.  514—5^ 

1900.  Zur  Naturgeschichte  der  Harnsteine.    Naturwiss.  Rundschau  Nr.  9. 


WilheliD  Ebgtein's  Arbeiten  aus  den  Jahren  ldö9— 1906^  3?7 

XY.  Nerreosystem. 

1868.  Fall  Ton  Grelumsarkoni  bei  einem  27«  jährige»  HSdehen.  Arch.  der  Heil- 
kunde IX.  Jahrg.  p.  439—443. 

1872.  Sclerofiis  med.  spinalis  et  oblongatae  als  Sektionsbefimd  bei  einem  Falle 
Ton  Sprach-  nnd  Koordinationsstömng  in  Armen  und  Beinen  infolge  von 
Typhns  abdominalis.    D.  Arch.  f.  kl.  Med.  Bd.  10  p.  595 — 600. 

1873.  Über  die  Beziehungen  des  Diabetes  insipidus  (Polyurie)  zu  Eriätmkungen 
des  Nervensystems.    D.  Arch.  f.  kl.  Med.  Bd.  11  p.  344 — 374 . 

1875.  Über  einen  pathologisch-anatomischen  Befund  am  Halssympathikus  bei 
halbseitigem  Schweiß.    Yirchow's  Archiv  Bd.  62  p.  436—437. 

1883.  Zur  Ätiologie  der  akut  sich  entwickelnden  Bauehtympanie  Hysterischer. 
Nenrolog.  Centralbl.  p.  25—31. 

1895.  Zur  Lehre  von  den  nervösen  Störungen  beim  Herpes  zotter  mh  besonderer 
Berücksichtigung  der  dabei  auftretenden  Fadalislähmungen.  Yirchow^s 
Archiv  Bd.  139  p.  50ö-63a 

1897.  Hiiiige  Bemerkungen  zur  Lehre  vom  OhrenscliwindeL  I>.  Arch.  f.  klin. 
Med.  Bd.  56  p.  1—26. 

1906.  Ein  Beitrag  zur  Lokaliaation  an  der  GehirDoberfläehe.  (KUaik  für  psy- 
chische und  nervöse  Krankheiten,  hg.  von  B.  Sommer.) 

1906.   Myelitis  aeuta  (post  influenzam?),  Heilung.    Ebenda. 

1906.  ;^ugd  Bemerkungen  zur  Behandlung  der  syphiliüsefaen  EArankungen  des 
Nervensystems.    Ebenda. 

XY.  Muskels  und  Knochen. 

1869.  Angebomer  Mangel  der  Portio  stemo-coetalis  pect,  maior.  und  dea  M.  pect, 
minor,  dextr.  nebst  Yerkilmmening  der  Mamilla  derselben  Seite.  D.  Arch. 
f:  kl.  Med.  Bd.  6  p.  283-285. 

1870.  Großes  Osteom  der  linken  Kleinhinbemisphäre.  Yirehow'a  ArehiT  Bd.  49 
p.  145-164. 

1870.  Osteom  des  linken  Hüftbeins  und  da  MoBcahw  psoas.  Viiekow't  Archiv 
Bd.  61  p.  414-427. 

XYIL  Haut. 

1863.   Zur  Ätiologie  der  Alopecia  areata  (Area  Celsi).     D.  med.  Wochenschr. 

Nr.  53  p.  724. 
188B.   Denonstration  eines  Kranken  mit  symmetrisch  lokalisierten  oberflSchlichen 

Hautentzftndungen  und  gleichzeitig  auftretenden  LShmungszustfinden  auf 

infektiöser  (diphtherischer?)  Basis.  Berl.  klin.  Wochenschr.  Nr.  27  p.  537—541. 
1906l   Zur  Pathologie  und  Therapie  der  Sklerodermie  im  Kindesalter.    D.  med. 

Wochenschr.  Nr.  1  u.  2. 
1903.   Über  akute  umschriebene  Hautentzfindungen  auf  angioneurotischer  Basis. 

Virchow's  Archiv  Bd.  174  S.  198—206. 
190B.   Über  pockenverdftchtige  Varizellen.    Münch.  med.  Wochenschr.  Nr.  19. 

Xym.  Yergiftiingen. 

1893.   Ein  Fall  von  chronischer  Bleivergiftung.    Bd.  134  p.  541—552. 


378   ^^-  Ebstein,  Wilhelm  Ebstein's  Arbeiten  ans  den  Jahren  1859-1906. 

XIX.  Bildangsfehler. 

1882.  Über  die  Trichterbrust.    D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  30  S.  411—428. 

1883.  Ein  weiterer  Fall  von  Trichterbrust.  D.  Arch.  f.  klin.  Med,  Bd.  33  p.  100-108. 
1896.  Vererbung*  Ton  Mißbildung  der  Finger  und  Zehen.    Yirchow'B  Archiv  Bd.  143 

p.  413-416. 
1896.  Eigentümlicher  Krankheitsverlauf  bei   Uterus  unicomis   und  Einzehdere. 
Virchow's  Archiv  Bd.  145  p.  158—164. 

XX.  Therapie. 

1869.   Fr.  Küchenmeister,  Die  therapeutische  Anwendung  des  kalten  Wassers  bei 

fieberhaften  Krankheiten.   (Referat.)   Wiener  med.  Presse  Nr.  14  p.  326 -S30. 
1873.   Über  die  Behandlung  der  Salivation  mit  Atropin.    Berl.  kl.  Wochemchr. 

X.  Jahrg.  Nr.  25  p.  291-292. 
187B.  (mit  Julius  Müller.)  —  Über  die  Behandlung  der  Zuckerhammhr  mit 

Karbolsäure.    Berl.  klin.  Wochenschr.  Nr.  49  p.  581—583. 
.1875.   (mit  Julius  Müller.)     Weitere  Mitteilungen  über  die  Behandlung  des 

Diabetes  mellitus  mit  Karbolsäure  nebst  Bemerkungen  über  die  Anwendang 

der  Salicylaäure  bei  dieser  Krankheit.    Berl.  klin.  Wochenschr.  Nr.  5  p.  a3 

bis  56. 
1876.   Zur  Therapie  des  Diabetes  mellitus,  insbesondere  über  die  Anwendung  des 

salicylsauren    Natron    bei  demselben.     Berl.   klin.   Wochenschrift  Nr.  2i 

p.  337-340. 

1890.  Mitteilungen  über  die  auf  der  med.  Klinik  seither  angestellten  Versache 
mit  dem  Koch'schen  Heilmittel  gegen  Tuberkulose.  D.  med.  Wochesachr. 
Nr.  51. 

1891.  Bericht  über  die  Wirksamkeit  des  Koch'schen  Heilmittels  gegen  Tabe^ 
kulose.    Klin.  Jahrbuch.    Ergänzungsband. 

1891.  Notiz,  betreffend  die  therapeutische  Anwendung  des  Piperazin.  Berl.  klin. 
Wochenschr.  Nr.  14  p.  341—342. 

1899.  Bemerkungen  über  die  Behandlung  der  Fettleibigkeit  mit  SchüddrSsen- 
Präparaten.    Deutsche  med.  Wochenschr.  Nr.  1. 

1902.  Über  das  Emodin  und  das  Purgatin  als  Abführmittel.  Therapie  der  (Gegen- 
wart.   Januar  1902. 

1904.  Exodin,  ein  neues  Abführmittel.    Deutsche  med.  Wochenschr.  Nr.  1. 

1905.  Über  die  im  Exodin  (Schering)  enthaltenen  wirksamen  ekkoprotischen  Sub- 
stanzen.   D.  med.  Wochenschr.  Nr.  2. 

1905.  Über  die  Behandlung  der  Abmagerung.  Deutsche  med.  Wochenschrift  Nr.  34 
(auch  abgedruckt  in  Schwalbe's  Vorträgen  über  die  praktische  Thenpie 
Heft  5.    Leipzig.) 

1905.  Die  Kneipp*sche  Wasserkur,  zugleich  ein  Beitrag  zur  Geschichte  der  Hydro- 
therapie. In  den  Beiträgen  zur  wissenschaftl.  Medizin.  Festschrift  iv 
.  Feier  des  80.  Geburtstages  von  Geheimrat  Dr.  G.  Mayer.  Berlin  be 
Hirschwald. 

1905.  Noch  einmal  die  Kneipp'sche  Wasserkur.   Deutsche  med.  Wochenschr.  Nr.  26. 

19Ö6.  Eine  Mitteilung  über  Bauchbinden.    Deutsche  med.  Wochenschr.  Nr.  24. 


1  • 


Nachtrag 

zur  Abhandlung  von  C.  Rauchfaß: 

Über  die  paravertebrale  Dämpfung  usw. 

Zu  p.  205.  Den  Wechsel  in  der  Gestalt  des  Dreiecks  bei  veränderter 
Lagerung  beobachtete  ich  unlängst  an  einem  8jährigen  Knaben;  Ezsndat- 
niyeau  rechts  am  8.  Wirbel,  Gipfel  des  linksseitigen  Dreiecks  am  9.  Wirbel, 
Basis  5  cm.  Nach  halbstündigem  Liegen  auf  der  rechten  Seite  hatte 
sich  die  Basis  um  1  cm  verkürzt  und  nach  4  stündigem  Liegen  war  das 
Breieck  vollkommen  geschwunden,  nur  eine  vertebrale  Dämpfung  hinter- 
lassend. Die  übrigens  nicht  sehr  ausgesprochene  Zone  Hamburger 's 
hatte  sich  nicht  verändert.  Es  hatte  sich  also  zweifellos  der  prall  ge- 
füllte, vor  die  Wirbelsäule  nach  links  gerückte  paravertebrale  Pleura- 
recessus  durch  die  Brechtslagerung  bedeutend  entleert  und  das  Zurück- 
gehen des  Dreiecks  zeugt  daher  von  seinem  Konnex  mit  diesen  Vor- 
Yorgängen  im  hinteren  Mediastinum,  die  Lage  des  Herzens  hatte  sich 
nicht  nachweisbar  verändert;  nach  Ansteigen  des  Ergusses,  Vergrößerung 
des  Dreiecks,  Zunahme  der  Verlagerung  des  Herzens,  ergibt  die  Wieder- 
holung des  Versuchs  das  gleiche.  Sollte  sich  dieses  Ergebnis  als  ein 
konstantes  herausstellen,  was  ans  einer  größeren  Beihe  von  Beobachtungen 
zu  prüfen  ist,  dann  hätte  man  eine  wertvolle  Vervollständigung  der 
differentiell-diagnostischen  Bedeutung  des  Dreiecks  gewonnen. 

Die  Abhandlung  von  Fr.  v.  Koranyi  über  den  Perkussiousschall 
der  Wirbelsäule  und  dessen  diagnostische  Verwertung,  nebst  einer  Be- 
richtigung bezüglich  des  plenritischen  (paravertebralen)  Dreiecks  (Zeitschr. 
f.  klin.  Medizin  1906  LX  3.  u.  4.  H.)  konnte  ich  leider  nicht  mehr  in 
meiner  Arbeit  berücksichtigen;  K.  gibt  an,  das  Dreieck  schon  im  Jahre 
1897  im  lY.  Band  des  in  ungarischer  Sprache  erschienenen  Handb.  d. 
spez.  Pathologie  und  Therapie  p.  717  beschrieben  und  auf  die  Ver- 
drängung des  Mediastinum  posticum  zurückgeführt  zu  haben  und  zitiert 
zugleich  die  auf  das  Dreieck  bezüglichen  Angaben  aus  seiner  im  XIII. 
Bande  der  Bealencyklopädie  von  Eulenburg  (3.  Aufl.)  erschienene 
Abhandlung  über  Lungenkrankheiten  (p.  656).  Er  fand  die  Erscheinung 
in  mehr  als  ^/g  der  Fälle  und  hält  sie  für  brauchbar  als  Unterscheidungs- 
merkmal von  Langenhepatisation.  Er  fand  die  Dämpfung  besonders  im 
mittleren  Teile  der  hinteren  Thoraxfläche  ausgesprochen  und  die  äußere 
Dämpf ungsgrenze  wellenförmig ;  ich  habe  dies  nie  beobachtet. 


380  Nachtrag  zur  Abhandlnng  von  G.  Ranchfaß. 

Nachtrag  zu  p.  215  u.  f.  Der  88.  Band  1. — 8.  Heft  dieses  AtcIutb 
enthält  eine  Reihe  sehr  interessanter  Abhandlangen  yon  Dietlen, 
Moritz  und  Simons,  welche  ich  leider  erst  nach  Dmcklegong  meiner 
Arbeit  zu  Gesicht  bekam;  besonders  nahe  Beziehungen  zum  Inhalt  memer 
Arbeit  fand  ich  in  der  Abhandlung  von  A.  Simons  über  die  SchweUen- 
wertsperkussion  an  der  Leiche.  Ich  möchte  aus  dem  reichen  und  wert- 
vollen Inhalt  dieser  Arbeit  nur  einen  Hinweis  hier  noch  aufnehmen,  den 
auf  die  im  II.  Jahrgang  der  Charitö-Annalen  (1875)  erschienene  Arbeit 
von  C.  A.  Ewald  über  einige  praktische  Kunstgriffe  bei  Bestimmong 
der  relativen  Herz-  und  Leberdämpfung.  Auf  p.  195  bespricht  £.  die 
Schwierigkeiten,  welchen  man  zuweilen  (bei  schwacher  Inspiration,  dickem 
Fettpolster,  starker  Muskulatur,  Meteorismus)  bei  der  Ermittlung  der 
Lungenverschiebung  gegen  die  Leber  oder  die  linke  und  rechte  Herz- 
grenze begegnet.  „Dann  fuhrt  oftmals  noch  ein  Verfahren  zum  Ziel, 
welches  auf  dem  Gesetz  der  Schwellenwerte,  dem  psjchophysiachen  Ge- 
setze beruht.  Bekanntlich  ist  der  Reizzuwachs,  welcher  eine  Empfindung 
auslöst^  stets  der  schon  v(Mrhandenen  B.eizgrö6e  proportional,  d.  h.  je 
stärker  ein  Reis  ist,  um  so  mehr  muß  er  verstärkt  werden,  wenn  eine 
Verstärkung  wahrgenommen  werden  soll,  nnd  die  niedrigste  übeihanpt 
wahrnehmbare  Beizstärke,  der  sogenannte  Schwellenwert,  muß,  weil  sie 
■ich  plötzlich  aus  dem  Negativen  ins  t^ositive  wendet,  bei  kleinster  Beii- 
stärke  den  größten  Empfindungszuwachfl,  nämlich  den  aus  dem  Ni^ftt  in 
Etwas,  geben.  ^  £.  empfiehlt  ganz  leise  Finger  auf  Finger  sa  perkntioren 
und  das  Ohr  in  die  Nähe  der  perkatierten  Stelle  zu  bringen.  Zweifellos 
gebührt  C.  A.  Ewald  das  Verdienst,  die  Bedentang  des  Schwellenverts 
in  die  Perkussionslehre  eingeführt  zu  haben. 


XXI. 
Alis  der  med.  Abteilang  des  Augasta-Hospitals  in  KöId. 

Einige  Beobaehtnngen  znr  Lehre  yom  Kreislanf  in  der 

Peripherie. 

Von 

M.  Matthes 

in  Verbindung  mit  den  Herrn 

Dr.  Qnenstedt,  Dr.  Gottsteln  und  Dr.  Dabm. 

(Mit  2  Abbildungen.) 

Die  Eesultate  der  hier  zu  beschreibenden  Beobachtungen  habe 
ich  bereits  1905  auf  der  Naturforscherversammlnng  in  Meran  kurz 
vorgetragen.  Ich  hätte  für  die  ausführliche  Publikation  gern 
noch  neue  Gesichtspunkte  zur  Erklärung  der  Befunde  beigebracht. 
Allein  trotz  weiterer  mühseliger  Experimente  bin  ich  darin  ohne 
Erfolg  geblieben.  So  mögen  wenigstens  die  bisherigen  Beobach- 
tungen publiziert  werden,  weil  sie  einige  neue,  wenn  auch  nur 
schwer  eindeutig  erklärbare  Tatsachen  ergeben  haben  und  weil 
ans  ihnen  der  Stand  unserer  Kenntnisse  auf  diesem  auch  fär  die 
Therapie  wichtigen  Gebiete  ersichtlich  ist. 

Ich  bin  von  der  Fragestellung  ausgegangen:  Gibt  es  in  der 
Peripherie  selbständige  Triebkräfte,  die  die  Blutversorgung  der 
Organe  unabhängig  von  der  Herztätigkeit  regeln  oder  kann  man 
eine  solche  Annahme  ablehnen? 

Bisher  lehrt  bekanntlich  die  Physiologie,  daß  die  Blutdurch- 
Strömung  eines  Organs  abhängig  ist  von  der  Triebkraft  des  Herzens 
und  dem  jeweiligen  Kontraktionszustand  des  zuführenden  Gefäßes, 
wenn  man  die  innere  Reibung  außer  acht  läßt.  Jedenfalls  ist  nach 
der  heutigen  Lehre  die  eigentliche  Causa  movens  allein  die  Herz- 
kontraktion ;  die  Kontraktion  der  Gefäße  oder  die  Erschlaffung  der- 
selben reguliert  nur  den  Widerstand  der  Blutbahn.  Demgegenüber 
haben  von  jeher  namentlich  die  sich  mit  physikalischer  Therapie 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medüsin.    89.  Bd.  25 


382  XXI.  Matthbs 

beschäftigenden  Ärzte  mehr  oder  minder  klar  die  Vorsteilnog  §[e- 
nährt,  da£  die  Erweiterung  der  Blntbahn  kein  einfaches  Nachlassen 
einer  vorhandenen  Eontraktion,  sondern,  wie  es  gewöhnlich  gesagt 
wird^  ein  aktiver  Vorgang  seL  Denkt  man  darüber  nach,  worin 
denn  dieser  aktive  Vorgang  bestehen  könne,  so  ist  es  klar,  dai 
nur  an  eine  Art  Saugwlrkong  gedacht  werden  kann. 

Das  würde  dann  allerdings  eine  selbständige,  vom  Herzen  un- 
abhängige Triebkraft  sein.  Man  könnte  diese  VorsteUung  dahin 
präzisieren,  daß  die  Kraft  des  Herzens  die  allgemeine  Zirkulation 
aufrecht  erhält  nnd  daß  aus  dieser  allgemeinen  Zirkulation  jedes 
Organ  die  ihm  jeweilig  notwendige  Blutmenge  selbständig  schöpft. 

Diese  Annahme  einer  Saugkraft  in  der  Peripherie  wird,  soweit 
ich  sehe,  bisher  von  der  exakten  Physiologie  fast  vollständig  ab- 
gelehnt. Sie  hat  aber  neuerdings,  namentlich  durch  die  klinischei) 
und  experimentellen  Beobachtungen  Bier's  und  seiner  Schäler. 
wieder  Bedeutung  gewonnen.  Bier  hat  bekanntlich  für  das  Zn- 
standekommen  der  Hyperämie  nach  Blutleere  die  Wirkung  jedes 
zentralen  vasomotorischen  Einflusses  in  Abrede  gestellt.  Er  hat 
ferner  feststellen  können,  daß  diese  Hyperämie  nicht  in  allen  Or- 
ganen gleichmäßig  auftritt  und  endlich  gezeigt  daß  den  Gefallen 
oder,  wie  er  meint,  den  Geweben  die  Fähigkeit  zugeschrieben  wericD 
muß,  sich  gegen  venöses  und  arterielles  Blut  verschieden  zu  ver- 
halten. In  dem  bekannten  Versuch  am  Schwein  zeigte  Bier, 
daß,  wenn  er  das  Tier  vor  Lösung  der  Esmarch'schen  Binde 
fast  erstickte,  in  die  blutleer  gewesene  Extremität  nach  Freigabe 
der  Zirkulation  kein  Tropfen  des  kohlensäureüberladenen  Blutes 
einlief.  Dasselbe  Gewebe,  sagt  Bier,  welches  arterielles  Blut  be- 
gierig anlockt,  wehrt  sich  mit  Erfolg  gegen  den  Zutritt  des  venöecn. 
es  vermag  zwischen  venösem  und  arteriellem  Blute  zu  nnterscheideo. 
Erwähnt  mag  femer  hier  die  merkwürdige  Beobachtung  Ritter's. 
eines  Bier  'sehen  Schülers,  werden :  Setzt  man  an  einem  ünteram 
mittels  Chloräthyl  eine  Hauterfrierung  und  wartet  das  AnftaneD 
ab,  so  wird  bekanntlich  die  erfroren  gewesene  Stelle  hellrot  hyper- 
ämisch.  Legt  man  nun  am  Oberarm  eine  Stauungsbinde  ao,  so 
wird  der  ganze  Arm  dunkelblaurot,  nur  diese  Stelle  bleibt  hellrot 
Diese  und  ähnliche  Beobachtungen  lassen  sich  nun  nach  Bier 
durch  unsere  bisherige  Lehre  vom  Kreislauf  nur  schw^er  erkl&rcn 
und  weisen  auf  eine  Selbständigkeit  der  Gewebe  hin.  Bier  spridrt 
dann  auch  wiederholt  von  einem  Anlocken  des  Blutes  in  die  Ge- 
webe und  sucht  die  treibende  Kraft  im  Stoffwechsel  derselben,  er 
spricht  auch  einmal  direkt  von  einer  wie  auch  immer  bediBgta 


Einige  Beobachtungen  zur  Lehre  vom  Kreislauf  in  der  Peripherie.      383 

Saugkraft  der  Gewebe  fär  arterielles  Blut,  aber  er  hat  jedenfalls 
seine  Anschannngen  nicht  näher,  etwa  physikaliach.  zu  begründen 
versucht 

Deshalb  erscheint  es  mir  wichtig,  die  Fragestellung  scharf  zu 
präzisieren.  Gibt  es  überhaupt  eine  derartige  Saugkraft  nnd  wo- 
durch kann  sie  bedingt  sein? 

Ehe  ich  auf  die  Frage  eingehe,  möchte  ich  nur  kurz  aus  der 
älteren  Literatur  einige  Beobachtungen  anfahren,  die  den  Bie lo- 
schen Vorstellungen  widersprechen. 

So  hat  E.  Hering  in  Leipzig,  wie  ich  aus  einer  persönlichen 
Mitteilung  desselben  weiß,  schon  vor  vielen  Jahren  versucht,  das 
Blut  der  Vene  direkt  in  die  zugehörige  Arterie  zu  leiten.  Das 
Resultat  war  eine  Eontraktion  der  Arterie.  Es  wirkt  danach  also 
venöses  Blut  einfach  als  Kontraktionsreiz  auf  die  größeren  Arterien 
iiDd'  man  braucht  noch  nicht  zu  der  Bier 'sehen  Annahme  zu  greifen, 
daß  das  Gewebe  aiterielles  und  venöses  Blut  unterscheiden  könne. 
Femer  hat  sich  Gaskell  bereits  1877  mit  der  Frage  beschäftigt, 
ob  etwa  die  bei  der  Muskelkontraktion  entstehenden  Zersetznngs- 
produkte  die  st&rkere  Durchblutung  des  Muskels  während  des 
Tetanus  und  nach  demselben  verschulden.  Gaskell  glaubte  diese 
Annahme  ablehnen  zu  müssen,  weil  eine  Verstärkung  des  Induk- 
tionsreizes während  des  Tetanus  die  stärkere  Durchblutung  sofoit 
aufhebt  und  ebenso  ein  neuer  fieiz  nach  Ablauf  des  Tetanus. 
Die  GaskelTschen  Feststellungen  bedürfen  heute  allerdings  inso- 
fern einer  Modifikation,  als  die  L  n  d  w  i  g  'sehe  Lehre,  daß  der  Blut- 
strom  während  des  Tetanus  beschleunigt  sei,  sich  nach  den  neueren 
Untersuchungen  wohl  kaum  noch  aufrecht  erhalten  läßt.  Der  Blut- 
strom ist  im  Muskel  nur  während  der  Eontraktionspausen  bei  inter- 
mittierender Beizung  verstärkt  im  kontrahierten  Muskel,  in  dem 
die  Gefäße  zusammengedrückt  werden,  dagegen  geringer  (Literatur 
bei  Tschnewsky). 

Doch  nun  zurück  zu  unserer  Fragestellung  und  zwar  wird  die 
erste  Überlegung  sein,  kann  man  sich  denn  überhaupt  theoretisch 
die  Möglichkeit  einer  Saugwirkung  vorstellen?  Zunächst  ist  da 
zu  sagen,  daß  die  vasomotorischen  Ealiberveränderungen  der  größeren 
und  kleineren  arteriellen  Gefäße  unmöglich  in  dieser  Art  wirken 
können,  sondern  nur  durch  einfache  Veränderungen  des  Wider- 
standes. Das  habe  ich  namentlich  Winternitz  gegenüber  wieder- 
holt betonen  müssen.  Wir  kennen  (vgl.  Exner)  keine  Muskeln 
an  den  Arterien,  die  durch  ihre  Kontraktion  das  Gefäß  erweitern, 

25* 


384  XXI.   Matthrs 

die  Erweiterung  ist  vielmehr  stets  dui^ch  Nachlaß  der  bestehenden 
tonischen  Kontraktion  derselben  bedingt. 

Dagegen  kann  vielleicht  die  Elastizität  der  Arterie  in  be- 
scheidenem Maße  aktiv  erweiternd  wirken.  Wir  wissen  ja.  da& 
eine  durchschnittene  Arterie  klaift  Wenn  also  an  einer  kontra- 
liierten  Arterie  die  Kontraktion  nachläßt,  so  wird  sie  nicht  nur 
durch  den  zentralen  Druck  der  andrängenden  Blutwelle  passiv  er- 
weitert sondern  auch  durch  die  vorher  von  der  kontrahierenden 
Kraft  beanspruchte  Elastizität  aktiv  geöffnet  Es  würde  damit  in 
gleicher  Weise  eine  Saugwirkung  ausgeübt,  wie  sie  etwa  ein  zu- 
sammengedrückter Gummiballon  oder  ein  Schwamm  bedingt 

Diese  Saugwirkung  wäre  also  als  eine  rein  physikaliscb^  aber 
nicht  vital  bedingte  anzusehen.  Ihr  Inkrafttreten  wäre  nur  die 
indirekte  Folge  eines  vitalen  Vorganges,  nämlich  des  Nachla^es 
der  Kontraktion  der  Gefäßmuskeln. 

In  einer  ganz  anderen  Weise  als  in  der  Annahme  einer  Sang- 
kraft wiU  endlich  Hasebroek  in  einer  besonderen  Tätigkeit  der 
Arterien  eine  periphere  Unterstützung  der  Zirkulation  sehen.  Er 
schreibt  ihnen  in  seiner  lesenswerten  Arbeit,  die  allerdings  fast 
nur  theoretische  Erwägungen  enthält,  eine  diastolisch-systolische 
Propulsivkraft  zu  und  stützt  seine  Ansichten  namentlich  dnrch 
den  Hinweis  auf  die  bekannten  rhythmischen  Schwankungen  der 
Gefäße  des  Kaninchenohrs.  Nun,  wie  dem  auch  sein  mag,  eine 
echte  Saugwirkung  können  die  Arterien  jedenfalls  höchstens  durch 
ihre  Elastizität  ausüben,  sonst  sind  sie  ihrer  ganzen  Struktur  nach 
dazu  nicht  befähigt. 

Es  wäre  demnächst  zu  fragen,  ob  bei  den  Kaliberverände- 
rungen der  Kapillaren  etwa  ansaugende  Kräfte  anzunehmen 
wären. 

Wir  sind  bisher  über  die  Bedingungen  des  Kapillarkreislanfs 
nur  sehr  mangelhaft  unterrichtet  Eine  kritische  Besprechung  des 
Bekannten  haben  vor  2  Jahren  Stein  ach  und  Kahn  gegeben. 
Es  scheint  mir  aber  vorläufig  noch  Ansicht  gegen  Ansicht  zu  stehen. 
Die  Strick er'sche  Schule,  als  deren  letzter  Autor  Biedl  zu  nennen 
ist  behauptet  daß  die  Erweiterung  einer  Kapillare  auf  Kosten 
ihrer  Wandstärke  erfolgen  könne,  daß  sich  also  das  Lumen  ohne 
gleichzeitige  Änderung  des  Gesamtquerschnittes  ändern  könne. 

Stein  ach  und  Kahn  dagegen  verlegen  die  kontrahierende 
Kraft  in  die,  die  Kapillaren  umgebenden  verästelten  Kapillarwand- 
zellen, die  das  Gefäß  bei  ihrer  Kontraktion  wie  Faßreifen  zusammen- 


Einige  Beobachtungen  znr  Lehre  vom  Kreislauf  in  der  Peripherie.     385 

pressen  (Siegmund  Mayer)  sollen.  Diese  beiden  Vorstellungen 
sind  natürlich  prinzipiell  verschieden.  Die  von  Steinach  und 
Kahn  würde  die  Kaliberschwanknngen  der  Kapillaren  durchaus 
in  demselben  Sinne  wie  die  der  Arterien  zustande  kommen  lassen, 
die  Stricke r-BiedTsche  dagegen  in  davon  total  verschiedener 
Weise. 

Für  die  letztere  Ansicht  spricht  das  Resultat  einer  Arbeit 
von  Henderson  und  Löwi:  Über  die  Wirkung  der  Vasodilata- 
torenreizung.  Diese  Autoren  gipsten  die  freigelegte  Speicheldrüse 
eines  Hundes  ein  und  reizten  dann  die  Chorda.  Sie  konstatierten, 
daß  trotzdem  das  Organ  sich  wegen  der  Eingipsung  nicht  ver- 
größern konnte,  doch  auf  Chordareizung  die  Blutdurchströmung 
desselben  stärker  wurde.  Sie  kommen  zu  dem  Schluß,  daß  bei 
einer  Vasodilatatorenreizung  die  Kapillaren  nicht  nur  erweitert 
werden  in  dem  Sinne,  daß  ihr  Gesamtdurchmesser  wächst,  sondern 
auch  wahrscheinlich  dadurch,  daß  das  Lumen  sich  bei  gleich- 
bleibendem Gesamtquerschnitt  erweitert.  Wie  soll  man  sich  nun 
eine  solche  Erweiterung  vorstellen?  Unserer  Ansicht  nach  ist 
das  nicht  anders  möglich  und  das  ist  auch  die  ursprünglich 
Strick  er 'sehe  Auffassung,  als  daß  die  einzelnen  Kapillarwand- 
zellen dünner  werden. 

Nun  darf  man  wohl  ohne  Frage  die  Gestaltsveränderungen 
einer  Kapillarwandzelle  nicht  in  Parallele  stellen  mit  der  Kon- 
traktion einer  Muskelfaser  der  Arterie.  Wir  wissen  über  die  Art 
der  Gestaltsveränderung  nichts  Sicheres,  aber  es  steht  der  Vor- 
stellung unseres  Erachtens  nichts  im  Wege,  daß  sie  nach  Art  einer 
amöboiden  Bewegung  vor  sich  geht.  Dann  aber  und  das  ist  scharf 
zu  betonen,  würde  nicht  nur  die  Kontraktion  zu  einem  mehr  minder 
dicken  Körper  sondern  auch  das  Fließen  in  die  Breite  zu  einer 
mehr  flachen  Kuchenform  mit  einer  Kraftentwicklung  verbunden 
sein  können,  ebenso  wie  eine  Amöbe  bei  ihren  Gestaltsverände- 
rangen  Kraft  entwickelt.  Denkt  man  sich  nun  ein  Kapillarrohr 
aus  Zellen  bestehend,  die  unter  Kraftentwicklung  in  die  Breite  zu 
ffieSen  sich  bestreben,  so  ist  ganz  klar,  daß  im  Lumen  ein  nega^ 
tiver  Druck  oder  wenn  das  Blut  frei  nachströmen  kann,  eine  Saug- 
wirkung  entfaltet  werden  muß. 

Wenn  also  die  von  Stricker,  Biedl,  Henderson  und 
Löwi  vertretene  Auffassung  richtig  ist,  so  erscheint  die  Annahme 
einer  peripher  wirkenden  Saugkraft  theoretisch  nicht  unmöglich. 

Direkt     beweisen     würde    dieselbe     ein    Befand     von    Siaweillo. 


386  XXL   Mattubs 

Derselbe  will  gefonden  habeo,  daß  wenn  man  durch  Keizang  des  N. 
gloBBopharyngeus  die  Kapillaren  der  Froeohsunge  erweitert,  die  Blat- 
Strömung  nicht  nur  von  den  Arterien,  sondern  auch  von  den  Venen  «» 
gegen  die  Kapillaren  hin  erfolge.  Die  Arbeit  war  mir  im  Original 
nicht  zugänglich,  ich  citiere  sie  nach  Nagel's  Handbuch  der  Physiologie. 
F.  B.  Hofmann,  der  das  Kapitel  des  Handbuchs  bearbeitet  hat,  ver- 
hält sich  etwas  skeptisch  dem  Befunde  Siaweillo's  gegenüber. 

Es  warde  nns,  als  wir  an  die  Prttfttng  dieser  Frage  heran- 
traten^ nun  sehr  bald  klar,  daß  weder  die  morphologische  Beob- 
achtung noch  ähnliche  Versachsanordnangen,  wie  die  der  erwähnten 
Autoren  zum  Ziele  f&hren  konnten,  sondern  allein  manometriscbe 
Messungen,  wenn  man  eine  Sangwirkung  sicher  konstatieren  oder 
ausschließen  wollte. 

Dabei  ergab  sich  die  Schwierigkeit,  daß  man  den  durch  die 
Kontraktion  des  Herzens  erzeugten  positiven  Blutdruck  eliminieren 
mußte. 

Wir  beschlossen  daher  zunächst  die  Verhältnisse  an  der  Leiche 
zu  studieren  und  legten  uns  die  Frage  vor:  Was  ist  denn  über- 
haupt der  Inhalt  einer  Leichenarterie  und  unter  welchem  Drück 
steht  dieser  Inhalt  ?  Wr  hofften  über  diese  Frage  in  der  Literatur 
ohne  weiteres  Auskunft  zu  finden,  aber  es  scheinen  systematische 
Untersuchungen  in  dieser  Hinsicht  zu  fehlen,  namentlich  steht  aach 
in  Harwey's  berühmter  Abhandlung  nichts  darüber,  als  die 
kurze  Bemerkung,  daß  auch  an  der  Leiche  die  Arterien  nicht 
immer  leer  seien,  sondern  Blut  enthalten  könnten. 

Wir  haben  nun  in  den  letzten  Monaten  systematisch  auf  dieses 
Verhalten  der  Leicheuarterien  geachtet  und  zwar  wurde  immer 
die  Cruralis  unter  möglichster  Vermeidung  von  Verletzungen  ihrer 
Aste  präpariert.  Dann  wurde  eine  mit  einem  Wassermanomekr 
verbundene  Kanüle  eingestoßen  und  der  Druck  geprüft 

In  einigen  Fällen  wurde  dann,  nachdem  die  Cruralis  unter- 
bunden war,  das  Abdomen  eröffnet  und  der  Druck  in  der  Aorta  in 
gleicher  Weise  geprüft  Manchmal  haben  wir  auch,  nachdem  vor- 
her zentral  und  peripherwärts  abgeklemmt  war  eine  mit  dem  Mano- 
meter verbundene  Glaskanüle  eingebunden  und  dann  die  periphere 
Klemme  geöffnet.  Herrn  Kollegen  Jores,  der  mir  die  Leichen 
zur  Verfügung  stellte,  möchte  ich  hier  dafür  bestens  danken. 

'  Ich  lasse  einen  Teil  der  Protokolle  folgen. 


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Einige  Beobachtungen  zur  Lehre  vom  Kreislauf  in  der  Peripherie.      3B7 


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Einigte  Beobachtangen  zar  Lehre  vom  Kreislauf  in  der  Peripherie.     389 


Man  sieht. aus  dieser  Zosammenstellungf,  daß  im  allgemeinen 
der  Druck  negativ  ist,  wenn  die  Arterie  leer  ist,  positiv  wenn  sie 
mit  flfissigem  Blute  gefüllt  ist,  obwohl  diese  Regel  nicht  ganz 
ohne  Ausnahme  ist.  Bemerkt  mag  werden,  daß  die  leeren  Arterien 
zwar  meist  ziemlich  platt  erscheinen,  aber  doch  niemals  ganz 
kollabiert  sind,  wie  etwa  leere  Venen,  sie  haben  immer  noch  an- 
scheinend etwas  Lumen.  Verschieden  wurde  der  Druck  an  den 
Gefäßen  beider  Seiten,  wie  aus  den  Tabellen  hervorgeht,  öfter 
gefanden,  gelegentlich  sogar  mit  umgekehilem  Vorzeichen  wie 
folgendes  Beispiel  beweist 


Myocarditis 


rechte 
Cmralis 

linke 
Cmralis 


+  0,4 


—  0,3 


15Std.    L. Ventrikel    ^^^'^l^^'^ 
p.m  schlaff        Cnu-flüss. 

^  Blut 

1.  Cruralis 
leer. 


In  zwei  Fällen  wurde  unmittelbar  nach  dem  Tode  der  Druck 
in  der  rechten  Cruralis  gemessen,  dieselbe  dann  abgebunden  und 
nach  einigen  Stunden  die  Druckmessung  links  wiederholt,  ohne  daß 
die  Leiche  bewegt  war. 


Tuberc.  polm. 
et  Peritonitis 

Pneumonie 


rechte  Cruralis  -f-  8      nnmittelbar  p.  m. 
linke  „         —  0,4  14  Std.  p.  m. 

rechte        „         +9      unmittelbar  p.  m. 
linke  „         — 0,8  15  Std.  p.  m. 


Dieses  auffallige  Eesultat  veranlaßte  uns  zu  einigen  fort- 
laufenden Beobachtungen.  Es  wurde  die  Kanüle  unmittelbar 
nach  dem  Tode  in  die  Cruralis  eingelegt  und  nicht  wieder  berührt, 
die  Arterie  wurde  vor  Austrocknung  geschützt. 


1.   Pneumonie:    rechte  Cmralis  unmittelbar  p.  m. 

5  Minuten  später 
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1  Stunde       ^ 

6  „  ,, 
6 

10 
20 


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2. 


Sepsis :   rechte  Cruralis  unmittelbar  p.  m. 

5  Minuten  später 
30       „ 
1  Vt  Stande 
20       . 


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0,3 

0,1 
1,4 
1,8 
1,8 
1,9 
2,1 
1,7 
0,5 

0,6 
1,0 
2,H 
3,0 
1,9 


(Olaskanüle  im 

peripheren 
Arterienende) 


390 


XXI.  Matthjm 


S.   Diabetes:  rechte Crur.  leer )  „„    .^^«  ^,  „  m    _L.  i  ft 

linke  Crar»li8     )  unmittelbar  p.  m.  -+- 1,0 

5  Minaten  später  -^  2,0 
lV«8tden.  „  +1,8 
20       „  „       +0,8 

4.  Taberkulose:  rechte  Craralis  unmittelbar  p.  m.  +2,0 

5  Minaten  spftter  +  2,6 


5.  Taberkulose: 


*/,  Stdoi.       „      - 

h2,8 

^          «                r         "" 

hl,2 

24       „           „       -0,9 

unmittelbar  p.  m.  - 

h5,4 

'/,  Stande  spXter  - 

-6,3 

2       .           ,       - 

-7,2 

2Ve     .            r       - 

-7,6 

20       „           ,       - 

-6,3 

6.  Versuch  an  einem  großen 

Hunde  (dem  eine  Niere  exstir- 

piert  war)     Craralis 


unmittelbar  p.m.  +1 ,0 
Qef&ß  ziemlich  platt  10  Minaten  später  —  0,2 

40       „  „       -0,8 

in  10  Stunden  auf      — 0,2  absinkend. 


Überblicken  wir  das  beigebrachte  Material,  so  ist  dadurch  ob- 
streitig  festgestellt,  daß  in  einer  Reihe  von  Fällen  der  Drack  in 
den  Leichenarterien  negativ  und  zwar  bis  zu  2,5  cm  Wasser 
minus  sein  kann.  Unmittelbar  nach  dem  Tode  wurde  dagegea 
in  allen  Fällen  der  Druck  positiv  und  zwar  bis  zu  10  cm  Wasser 
positiv  gefunden. 

Der  positive  Druck  kann,  wie  aus  dem  Versuch  am  Hunde 
hervorgeht,  binnen  10  Minuten  negativ  werden.  Der  früheste 
Termin,  zu  welchen  an  menschlichen  Leichen  der  Druck  negatir 
gefunden  wurde,  war  4  Stunden  nach  dem  Tode.  Als  besondei« 
bemerkenswert  ist  hervorzuheben,  daß  bei  den  fortlaufenden  Beob- 
achtungen an  menschlichen  Leichen  der  Druck  in  den  Arterien 
während  der  ersten  Stunden  nach  dem  Tode  anwuchs  und  zwsr 
bis  um  2  cm  Wasser.  Erwähnenswert  scheint  auch,  daß  die 
Druckwerte  so  sehr  verschieden  ausfielen,  die  höchsten  über  5  cm 
Wasser  wurden  unmittelbar  p.  m.  gefunden. 

Was  lehren  nun  diese  Versuche  ?  Durch  welche  Kräfte  können 
<Ue  beobachteten  Druckschwankungen  hervorgerufen  sein? 

Man  mnß  unseres  Erachtens  an  drei  Faktoren  denken.  Erstens 
an  die  Schwerkraft  des  sich  an  den  abhängigsten  Partien  der 
Leiche  ansammelnden  Blutes,  zweitens  wäre  namentlich  fBr  die 
negativen  Werte  an  eine  von  der  Peripherie  ausgeübte  Saugkraft 


Einige  Beobachtuogeii  zur  Lehre  vom  Kreislauf  in  der  Peripherie.      391 

im  Sinne  Bier 's  zu  denken  und  endlich  könnte  die  bisher  all- 
goiein  angenommene  agonale  Kontraktion  der  Arterien,  sowie  ihr 
%iehlaß  in  Frage  kommen.  Die  negativen  Werte  wtirden  sich 
dum  durch  die  bei  der  Kontraktion  beanspruchte  Elastizität  der 
Arterien  erklären. 

Für  die  erste  Annahme  der  Wirkung  der  Schwerkraft  mag 
zBBäehst  bemerkt  werden,  daß  die  Leichen  alle  flach  auf  dem 
Kucken  lagen  und  während  der  Beobachtung  nicht  bewegt  wurden. 
Dts  ist  unerläßliche  Bedingung,  denn  sonst  können,  wie  uns  zu 
diesem  Zwecke  angestellte  Versuche  lehrten,  erhebliche  Täuschungen 
unterlaufen. 

Versuch:  Nephritiker  1  Va  Stunden  p. m.  rechte  Cruralis Druck 
4-  5  cm.  Keine  Totenstarre.  Durch  Anheben  des  Beines  läßt 
sieh  der  Druck  auf  20  cm  und  darüber  treiben,  beim  Niederlegen 
sinkt  der  Druck  wieder  ab  und  stellt  sich,  nachdem  der  Versuch 
einige  Male  wiederholt  war,  auf  +  0  bei  gewöhnlicher  Lage  des 
Beines.  Durch  Senken  des  Beines  gelang  es  jedoch  nichts  einen 
negaÜTen  Druck  zu  erzeugen.  In  der  Arterie  war  flüssiges  Blut. 
Es  wäre  damit  die  Wirkung  der  Schwerkraft  erwiesen.  Wir 
kennen  dieselbe  ja  auch  am  lebenden  Organismus  z.  B.  in  den 
Dmekschwankungen  der  Cerebrospinalflflssigkeit  bei  Lageverände- 
nmgen,  auf  die  man  bei  den  Spinalpunktionen  seit  langem  aufmerk- 
sam geworden  ist. 

Nicht  immer  allerdings  kommt  diese  Schwerkraft  zur  Geltung, 
sie  kann  es  wohl  im  wesentlichen  nur,  wenn  flüssiges  Blut  in  den 
Qeftßen  ist,  aber  selbst  dann  nicht  immer,  das  mag  folgendes  Bei- 
spiel erweisen. 

Pneumonie.     3  Standen  p.  m. 

rechte  Femor.  -{-7,0      linke  Femor.  -|-0,1      3  Standen  p.  m. 

—  6,8  —  0,8     6        „  « 

—  5,8  —0,4  14 

Als  nach  14  Stunden  die  Beine  gehoben  werden,  steigt  das 
Manometer  auf  beiden  Seiten  kaum.  Die  Leichenstarre  war  zu 
dieser  Zeit  ausgeprägt.  Die  Arterien  waren  auf  beiden  Seiten 
nmd  und  enthielten  flüssiges  Blut. 

Die  zweite  Annahme,  die  einer  Saugwirkung  im  Sinne  Bier 's, 
glaabe  ich  für  die  Leiche  ablehnen  zu  dürfen  und  zwar  bestimmt 
mach  in  erster  Linie  dafür  die  Beobachtung  4.  Hier  trat  der 
negative  Druck  erst  nach  vielen  Stunden  in  die  Erscheinung,  nach- 
dem in  den  ersten  3  Stunden  ein  positiver  Druck  vorhanden  war. 
Amth   sonst  wurde  negativer  Druck  immer  erst  mehrere  Stunden 


392  XXL  Matthes 

Dach  dem  Tode  —  der  früheste  Termin  an  der  menschlichen  Leiche 
war  4  Stunden  p.  m.  —  beobachtet.  Es  ist  aber  doch  zum  n^iii- 
desten  unwahrscheinlich,  daß  die  Gewebe  oder  die  Kapillaren  erst 
solange  nach  dem  Tode  saugen  sollten.  Auch  scheint  mir  der 
Umstand  endlich,  daß  in  der  überwiegenden  Anzahl  von  Leichen 
(es  sind  noch  etwa  20  Leichen  mit  positivem  Druck  nicht  in  die 
Tabellen  aufgenommen)  der  Druck  eben  positiv  war,  gegen  die 
Annahme  zu  sprechen,  daß  in  der  Peripherie  gesangt  wäre. 

Nicht  so  sicher  ablehnen  läßt  sich  dagegen  diese  Annahme 
für  den  Versuch  VI  am  Hund,  da  hier  der  negative  Druck  schoa 
nach  10  Minuten  auftrat,  ohne  daß  die  Lage  des  Beines  verända-t 
wurde.  Man  könnte  vielleicht  sagen,  daß  beim  natürlichen  Tode 
die  Gewebe  nicht  sangen,  daß  aber  beim  gewaltsamen  Tode,  wo 
die  Gewebe  noch  lebenskräftig  sind,  die  Möglichkeit  der  Annahme 
einer  Saugwirkung  zugegeben  werden  muß. 

Die  dritte  Meinung,  daß  die  agonale  Kontraktion  der  Arterie 
die  positiven  Drucke  und  den  postmortalen  Druckzuwachs  erkläre, 
der  Nachlaß  der  Kontraktion  dagegen  und  damit  die  Wirkung  dai* 
vorher  beanspruchten  Elastizität  die  negativen  Werte  bedinge,  hat 
wohl  zunächst  die  größte  Wahrscheinlichkeit  für  sich  und  erklärt  die 
beobachteten  Tatsachen  am  ungezwungensten.  Allein  es  sind  auch 
ihr  gegenüber  gewisse  Bedenken  möglich.  Einmal  ist  es  sehr  auf- 
fällig, daß  wir  nie  eine  wirklich  kontrahierte  Arterie  an  der  Leiche 
gesehen  haben.  Entweder  sind  die  Arterien  blutgefüllt,  dann  sind 
sie  rund,  oder  aber  sie  sind  leer,  dann  sind  sie  platt  oder  halb- 
platt.  Sie  müßten  doch  aber,  wenn  sie  kontrahiert  wären,  rund  sein 

Auch  wird  die  Arterie  des  bis  auf  die  Arterie  und  Vene  ab- 
getrennten Hundebeins  platt  und  nicht  rund,  wenn  man  z^tral 
dieselbe  abklemmt. 

Femer  müßte  immer,  wenn  die  Elastizität  der  Arterie  alleiB 
den  negativen  Druck  verschulden  soll,  die  Eilfsannahme  gemacht 
werden,  daß  sie  erst  in  Wirksamkeit  träte,  wenn  das  Blut  in  den 
Kapillaren  bereits  geronnen  sei.  Denn  sonst  ist  nicht  einzusehen, 
warum  das  Blut  nicht  nach  der  Richtung  des  negativen  Druckes, 
also  aus  den  Kapillaren  in  die  Arterien  zurückströmen  soUie. 
Bleibt  das  Blut  flüssig,  so  muß  es  eben  durch  besondere  Kräfte 
in  dem  Kapillan*aum  zurückgehalten  werden  oder  es  müßten  dem 
Rückströmen  Widerstände  entgegenstehen,  die  der  vorhandene 
negative  Druck  nicht  überwinden  könnte.  Z.  B.  die  kapillare 
Attraktion. 

Das  letztere  ist  aber  unwahrscheinlich,  weil  wir  tatsächlich 


Einige  Beobachtungen  znr  Lehre  Tom  Kreislauf  in  der  Peripherie.      393 

in  dem  einen  Falle  an  einem  vom  Körper  abgetrennten  Hundebein 
g^esehen  haben,  daß  Blut  aus  der  Arterie  beim  Heben  des  Beins 
herauslief.  Femer  ist  auch  noch  zu  bedenken,  daß  der  gefundene 
negative  Druck  wahrscheinlich  nicht  dem  anfanglich  wirklich  vor- 
handen gewesenen  entspricht.  Die  Arterie  ist  ja  doch  wohl  sicher 
nicht  luftleer,  sondern  enthält  voraussichtlich  Gas.  Ich  habe  zwar 
dhs  nicht  untersucht,  aber  es  läßt  sich  wohl  annehmen,  daß  die 
Arterie  durch  den  negativen  Druck  entbundene  Blutgase  enthält. 
Diese  Entbindung  von  Blutgasen  müßte  selbstverständlich  den 
negativen  Druck  geringer  erscheinen  lassen  als  er  wirklich  ge- 
wesen ist. 

So  sieht  man,  daß  eine  völlig  einwandfreie  Erklärung  für  die 
beobachteten  Tatsachen  sich  nicht  geben  läßt.  Für  am  wahrschein- 
lichsten halte  ich,  daß  die  agonale  Eontraktion  sowohl  als  die  je- 
weilige Lage  des  Körpers  sie  bedingen.  Für  unsere  Fragestellung 
aber  mag  genügen,  daß  man  eine  agonale  Saugwirkung  der  Gewebe 
im  Sinne  Bier 's  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  ablehnen  kann. 

Wir  wendeten  uns  nunmehr  an  den  Tierversuch. 

Da  sich  sehr  bald  herausstellte,  daß  die  Erhaltung  eines  auch 
geringen  KoUateralkreislaufes  die  Arterien  stets  wieder  füllte,  so 
wurde  der  Versuch  folgendermaßen  angeordnet.  Ein  Hundebein 
wurde  soweit  amputiert,  daß  es  nur  noch  durch  Vene  und  Arterie 
mit  dem  Körper  zusammenhing,  alsdann  wurde  in  die  Arterie  eine 
mit  einem  Manometer  in  Verbindung  stehende  T-Kanüle  eingebunden, 
nachdem  die  Arterie  zentral  und  peripher  abgeklemmt  war.  Es 
wurde  nach  vollendetem  Einbinden  zunächst  eine  Abscisse  ge- 
schrieben, um  den  Nullpunkt  zu  bestimmen,  dann  wurde  die  Zirku- 
lation freigegeben.  Das  Manometer  schrieb  dann  also  den  Seiten- 
dmck  auf  die  Trommel.  Nun  wurde  die  Zirkulation  zentral  unter- 
brochen. Die  Kurve  senkte  sich  mit  einer  Ausnahme  stets  nur 
bis  zur  NuUpunktsabscisse  oder  blieb  etwas  darüber,  ging  aber 
nicht  tiefer,  wie  sie  es  doch  hätte  tun  müssen,  wenn  in  der  Peri- 
pherie gesaugt  wäre.  In  einem  Fall  senkte  sich  die  Kurve  ca. 
1—2  mm  unter  die  Abscisse,  ich  möchte  das  aber,  da  ich  es  unter 
einigen  20  Versuchen  nur  einmal  sah,  für  einen  Versuchsfehler 
halten.  Das  Kesultat  war  auch  nicht  anders,  wenn  wir  an  den 
amputierten  Hundebeinen  durch  Senfteig  eine  ausgedehnte  Hyper- 
ämie erzeugten  oder  sie  mit  einer  Esmarchbinde  vorher  blutleer 
gelwfckelt  hatten.  Die  Versuche  waren  sehr  mühsam,  sie  wurden 
in  der    verschiedensten  Art    angestellt,   die   Kanüle    wurde    teil- 


394  XXI.  Matthbs 

weise  z.  B.  auch  schon  vor  der  AmputaticMi  eiDgebimdeiu  dain 
trat  aber  häufig,  ehe  die  Amputation  vollendet  war,  Gerinnung  «hl 
Nachdem  wir  &ber  20  Hunde  geopfert  hatten,  haben  wir  diese  T^- 
suche  als  aussichtslos  au^apegeben.  Ich  unterlasse  deswegei  die 
Knrven  abzubilden. 

Da  nun  immerhin  die  Versuche  am  Tier  mit  fast  völliger  An- 
putation  eines  Schenkels  als  recht  gewaltsame,  also  unphysiologiscbe, 
angesehen  werden  müssen,  versuchten  wir,  ob  wir  nicht  am  uftver- 
sehrt.en  Organismus  irgend  eine  Anordnung  des  Experiments  finden 
könnten,  die  eine  ev.  Saugwirkung  sehen  ließen. 

Nach  längerem  Probieren  und  Überlegen  schlug  ich  folgende 
Anordnung  ein,  die  im  wesentlichen  eine  vergleichende  Blntdrock- 
messung  an  beiden  Oberarmen  ist. 

Es  wurden  um  beide  Oberarme  der  Versuchsperson  brdte 
Kiva-Rocci'sche  Manschetten  gelegt  und  dieselben  in  üblicher  Wäse 
bis  zum  Verschwinden  des  Radialispulses  aufgeblasen.  Die  gefan- 
denen  Druckwerte  waren  meist  annähernd  gleich  oder  doch  aur 
um  wenige  Millimeter  verschieden.  Nun  wurde  der  Druck  ab- 
gelassen und  dann  der  eine  Arm  bis  zur  Manschette  mit  einer 
P^march'schen  Binde  blutleer  gewickelt.  Während  die  Esmarch- 
binde  noch  lag,  wurden  nun  beide  Schläuche  wieder  aufgeblasen 
und  zwar  mit  einem  Drucke,  der  den  vorher  bestimmten  um  etwa 
30  mm  übertraf,  der  also  am  Kontrollarm,  so  wollen  wir  den  nieht 
eingewickelten  der  Kürze  wegen  nennen,  sicher  den  Puls  miter- 
drückte. Dann  wurde  die  Gummibinde  abgewickelt  und  nun  langsam 
der  Druck  in  den  Schläuchen  erniediigt,  bis  zum  Durchschlagen 
der  eraten  Pulswelle. 

Die  Überlegung  bei  dieser  Versuchsanordnnng  war  folgeide. 
Dei'  blutleere  Arm  müßte  ja  nach  Bier  saugen.  Es  würde  also 
in  ihn  das  Blut  nicht  nur  durch  die  Herzkraft  hineingetrieben, 
sondern  auch  aogesangt,  müfite  also  schneller  fließen  als  im  KontroH- 
arm  oder,  exakter  gesagt,  mit  größerer  Schnelligkeit,  die  durch 
die  Manschette  verengte  Stelle  der  Arterie  passiei^n.  Das  kdnite 
vielleicht  sich  dadurch  ausdrücken,  daß  man  verschieden  \Af 
Drucke  auf  beiden  Seiten  brauchen  würde,  um  die  Pulswelle  am 
Durchschlagen  zu  hindern. 

Ich  hatte  erwartet,  daß  man  an  dem  ev.  saugenden  Arm  höhere 
Werte  finden  würde,  weil  sich  der  +I^ruck  auf  der  zentralen 
Seite  und  der  — Druck  auf  der  peripheren  Seite  zum  Trag^  Jes 
in  der  Manschette  befindlichen  Druckes  addieren  müßte.  AHein 
die  nähere  Überlegung  und  die  Aufklärung,  die  wir  Physikern,  vor 


Einige  Beobachtuugen  zur  Lehre  vom  Kreislauf  in  der  Peripherie.      395 

allem  Herrn  Geheimrat  Winkelmann  in  Jena,  verdanken,  zeigten, 
daß  die  Sachlage  nicht  so  einfach  ist.  Voraussetzung  ftr  die 
strombeschlennigende  Wirkung  der  ev.  Sau^raft  ist,  daß  das 
Lamen  der  Arterie  nicht  absolut  durch  den  Manschettendradc 
yersehlossen  ist,  denn  sonst  ist  kein  Strom  da,  den  sie  beschleu- 
nigen kann.  Im  Gegenteil,  es  läßt  sich  erwarten,  daß  sie  die 
Arterie  auf  eine  Strecke  peripher  der  Manschette  leer  saugt  oder, 
ftüls  diese  schon  durch  die  vorhergegangene  Einwirkung  mit  der 
Esmarchbinde  entleert  sein  sollte,  jedenfalls  der  Elastizität  der 
Arterie,  die  die  leere  Arterie  zu  6ißien  sich  bestrebte,  entgegen- 
wirken mußte.  Auf  beide  Weisen  mttßte  der  Erfolg  sein,  daß  die 
Arterie  nicht  nur  durch  den  Druck  der  Manschette  verschlossen 
wurde,  sondern  peripherwärts  durch  eine  ev.  Saugkraft  eine  Strecke 
weit  dieser  Verschluß  ausgedehnt  würde,  wie  folgende,  grob  schema- 
tische Zeichnung  erläutert. 

Fig.  1. 


Ganz  anders  ist  die  Wirkung,  wenn  der  Blutstrom  nicht  völlig 
unterdrückt  wird,  wie  dies  bei  der  üblichen  Druckmessung  wohl 
zutrifft. 

Prof.  Hoffm an n- Innsbruck,  mit  dem  ich  die  Frage  besprach, 
hatte  wenigstens  die  Ansicht,  daß  mit  dem  Verschwinden  der  Pnls- 
welle  in  der  Peripherie  die  Strömung  in  der  Arterie  nicht  völlig 
unterdrückt  wäre,  sondern  daß  schon  ein  gewisser  Widerstand  die 
Pulswelle  am  Durchschlagen  hindert  eine  Vorstellung,  die  uns  ja 
von  den  Kapillaren  her  geläufig  ist.  Besteht  also  noch  eine  Strö- 
mung in  der  Arterie,  dann  wird  eine  periphere  Saugkraft  dieselbe 
beschleunigen.  Die  von  mir  befragten  Physiker  ^waren  nun  der 
Ansicht,  daß  für  diese  Strömungsbeschleunigung  sich  der  zentrale 
positive  Druck  und  der  periphere  negative  einfach  im  arithmeti- 


396 


XXI.  Matthes 


sehen  Verhältnisse  addieren  müfiten.  Dagegen  triflR;  das  nicht  ohne 
weiteres  für  den  Seitendruck  der  strömenden  Flüssigkeit  za,  auf 
dem  der  Manschettendmck  lastet.  Es  läßt  sich  vielmehr  w(^  ab- 
nehmen, dafi  die  Flüssigkeit,  wenn  sie  mit  größerer  Geschwindig- 
keit durch  die  Stenose  strömt,  einen  erhöhten  Seitendni(d[  augüü, 
aber  dieser  Seitendmck  ist  nicht  im  arithmetischen  Verhältnis  v(a 
der  Strömungsgeschwindigkeit  abhängig. 

Um  nun  die  Richtigkeit  dieser  Annahme  auch  experimentell 
zu  prüfen,  konstruierte  ich  mir  ein  Modell,  dessen  Einrichtung  in 
beistehender  Zeichnung  ersichtlich  ist.  Ein  weites  Glasrohr,  das 
mit  einem  seitlichen  Ansatz  versehen  ist,  wird  auf  beiden  Ende» 
mit  Gummistopfen  verschlossen,  durch  die  Glasröhren  gesteckt  mL 

Fig.  2 


Beide  Glasröhren  sind  im  Lumen  des  weiten  Rohres  durch  eineii 
dünnwandigen,  leicht  komprimierbaren  Gummischlauch  verbondat 
Das  eine  Glasrohr  wird  dann  mit  einer  Mariotte'schen  Flasche  in 
Verbindung  gesetzt,  das  andere  mit  einem  T-Rohr,  dessen  einer 
Schenkel  frei  mündet,  dessen  anderer  mit  einem  langen  Gummi- 
schlauch  versehen,  als  Heber  wirkt. 

Läßt  man  nun  bei  abgeklemmtem  Heber  durch  den  Apparat 
aus  der  Mariotte'schen  Flasche  Wasser  laufen,  so  kann  man  den 
Strom  dadurch  unterbrechen,  daß  man  mittels  eines  Gebläses  die 


Einige  Beobachtungen  znr  Lehre  vom  Ereislanf  in  der  Peripherie.     397 

weite  Glasröhre  unter  Druck  setzt  und  den  komprimierbaren 
Oommischlauch  zudrückt.  Saugt  man  gleichseitig  mittels  des 
Hebers,  so  wird  ein  erheblicher  höherer  Druck  gebraucht,  um  die 
Strömung  zu  unterbrechen,  als  wenn  das  Wasser  ohne  Heberwirkung 
frei  ausströmt. 

Damit  ist  erwiesen,  daß  eine  Saugwirkung  der  Flüssigkeit 
einen  stärkeren  Seitendruck  verleiht. 

An  sich  ist  zwar  klar,  aber  es  mag.  weil  diese  Überlegungen 
etwas  verwickelt  sind,  doch  noch  einmal  hervorgehoben  werden, 
daß  nur  eine  Saugkraft  in  der  Peripherie  an  der  durch  die  Man- 
schette gesetzten  Stenose  den  Blutstrom  über  das  von  der  Herz- 
kontraktion abhängige  Maß  zu  beschleunigen  vermag,  nicht  aber 
ein  einfaches  Nachlassen  einer  vorher  bestehenden  Arterienkontrak- 
tion. Die  Saugkraft  kann  aber,  wie  wir  auseinandersetzten,  ent- 
weder im  Sinne  B  i  e  r  's  angenommen  werden  oder  in  der  Elastizität 
der  Arterien  bez.  des  Gewebes  gesucht  werden,  da  der  Arm  ja 
vorher  durch  die  Binde  stark  komprimiert  war. 

Die  Versuchsresultate  wai^n  verschiedenartig.  In  einer  Seihe 
von  Fällen  wurden  erhebliche  DruckdiiTerenzen  an  beiden  Armen 
beobachtet  in  anderen  zeigten  sich  keine  Unterschiede  und  zwar 
verhielten  sich  nicht  einmal  dieselben  Versuchspersonen  immer 
gleich. 

Bemerkt  mag  werden,  daß  je  ein  Beobachter  einen  Arm  kon- 
trollierte, je  ein  Beobachter  den  Druckballon  des  Riva-Kocci  be- 
diente. In  einigen  Fällen  wurden,  um  jede  Suggestion  auszuschließen, 
als  Pulsbeobachter  Kollegen  gebeten,  die  den  Zweck  der  Versuche 
und  das  zu  erwartende  Resultat  in  keiner  Weise  kannten. 

Ich  lasse  einige  Protokolle  folgen  und  zwar  zunächst  die  mit 
Druckdüferenz,  die  ich  als  positiv  ausgefallen  bezeichnen  möchte. 

I.  VersQchspenon  Marx,  gesund. 
Rechter  Arm  gewickelt,  linker  Arm  Kontrollarm. 
Beobachter  rechter  Manometer  Matthee,  linker  Gottstein. 
Beobachter  rechter  Pals  Pjof.  Tilmann,  linker  Quenstedt. 

Vor  der  Wicklnng: 

Rechte  94,  96  mm  Hg.         Links  94,  97  mm  Hg. 

Die  Esmarchbinde  liegt  2  Minuten  lang.  Es  wird  auf  beiden  Armen 
Druck  von   120  mm  Hg  geaetst  und  allmählich  erniedrigt. 

Nach  Abnahme  der  Binde : 
ReehtB  86,  99,  150,  100  mm  Hg.  Links  95,  94,  98  mm  Kg. 

Bemerkt  mag  dabei  werden,  daß  der  eingewickelt  gewesene 

Devtacbes  Archiv  f.  klin.  Medisin.    89.  Bd.  26 


398  XXI.   Matthks 

Arm  auch  nach  Abnahme  der  Wicklung  zunächst  leichenblaß  bldH 
ein  sicheres  Zeichen,  daß  der  Manschettendruck  genfigt  hatte,  m 
die  Zirkulation  zu  unterbrechen,  sind  dagegen  nach  EmiedrigoBg 
des  Manschettendrucks  einige  Pulse  durchgeschlagen,  so  fing  der 
Arm  an  sich  zu  röten,  läßt  man  die  Zirkulation  dann  länger  frei 
so  entwickelt  sich  die  bekannte  reaktive  Hyperämie.  Die  Ab- 
sperrung der  Zirkulation  wurde  von  manchen  Personen  bald,  Ton 
den  meisten  nach  etwa  5  Minuten  unangenehm  empfunden,  es 
treten  Gefühle  von  Kriebeln,  die  sich  bis  zum  Schmerz  steigen 
konnten  auf.  In  einigen  Fällen  ist  wohl  die  Steigerung  des  all- 
gemeinen Blutdruckes,  die  dann  der  Kontrollarm  anzeigte,  auf 
diesen  sensiblen  Reiz  zu  beziehen.  Im  allgemeinen  wurde  darauf 
gesehen,  diese  Nebenwirkung  der  Zirkulationsabsperrung  zu  yer- 
meiden  und  dies  gelingt,  wenn  man  die  Esmarchbinde  nicht  über 
5  Minuten  liegen  läßt. 

Die  anfänglichen  Werte  wurden  als  Mittel  von  je  drei  Ab- 
lesungen bestimmt.  Nach  der  Wicklung  konnten  wegen  der 
raschen  Änderung  Mittelwerte  nicht  gewonnen  werden. 

Versuch  U.     Gesunder  Mann  (Laboratoriumsdiener). 
Vor  der  Wicklung: 

Versuchsarm  120  mm.     Kontrollarm  ebenso. 

Nach  Lösung  der  Binde  : 

Versuchsarm  107,  nach  15  Pulsen  130,  dann   165 
Kontrollarm    125  125  125 

Versuch  III.     (iresunder  Medisinalpraktikant. 
Vor  der  Wicklung: 

Versuchsarm   110.      Kontrollarm  112. 

Nach  Lösung  der  Binde: 

Versuchsarm   100,  allmählich  bis  auf  150  nteigend 
Kontrollarm     112,   115. 

Versuch  IV.     Gesunder  Assistent. 
Vor  der  AVicklung: 

Versuchsarm   117.      Kontrollarm  125. 

Nach  Lösung  der  Binde: 
Versuchsarm  108,  112,  155,  nach  5  Min.  freier  Zirkulation  109 
Kontrollarm    125,   130,   135,  121 

Versuch  V.     Gesunder  Mann,  derselbe  wie  bei  Versuch  I. 
Vor  der  Wicklung : 

Versuchsarm  90.     Kontrollarm  1^2. 

Nach  Lösung  der  Binde : 
Versuchsarm  81,   123,   l53,   158,   146,  nach  5  Min.  freier  Zirk.  92 
,  ,,.  KQntroUarm    89,     95,     94,     94,  ,  88 


r 


Einige  Beobachtungen  zur  Lehre  vom  Kreislauf  in  der  Peripherie.     399 

Versach  VI.     Assistent. 
Vor  der  Wicklang: 

Versachsann  120.      Kontrollarm   120. 

Nach  Lösung  der  Binde: 

Versuchsarm   123,  136,   148,  160,  148,   140 
KontioUarm    115,  126,  124,  124,  127. 

Es  mögen  diese  Beispiele  genügen,  die  ans  einer  größeren 
Zahl  beliebig  herausgegriffen  sind. 

Ihnen  stehen  aber  auch  Fälle  gegenüber,  in  denen  entweder 
überhaupt  keine  erhebliche  Schwankung  beobachtet  werden  konnte 
oder  doch  nur  eine  anfangliche  Senkung  des  Druckes  am  Versi(chs- 
arm,  aber  keine  spätere  Steigerung  über  den  Wert  vor  der 
Wicklung. 

Als  Beispiele  mögen  angeführt  werden: 

Versuch  VII.     Gesunder  Mann. 
Vor  der  Wicklung: 

Versuchsarm  135.     Kontrollarm  140. 

Nach  Lösung  der  Binde: 

Versuchsarm  120,   130,  130 
Kontrollarm    141,   141,   140. 

Versuch  VIII.     Dieselben  Personen  wie  bei  Versuch  I  und  V. 
Vor  der  Wicklung: 

Versuchsarm  83.      Kontrollarm  82. 

Nach  Lösung  der  Binde: 

Versuchsarm  77,  80,  90,  90,  85 
Kontrollarm  83. 

Im  ganzen  wurden  einige  100  Versuche  angestellt,  von  denen 
etwa  ein  Drittel  positiv  ausfiel.  Einigermaßen  konstant  erwies 
^ch  bei  fast  allen  Versuchen  die  anfängliche  Drucksenknng  am 
Versuchsarm.  Überblickt  man  die  Versuche,  so  muß  man  sagen, 
daß  sie  zu  den  eingangs  gemachten  theoretischen  Erörterungen 
wohl  zu  stimmen  scheinen.  Die  anfangliche  Drucksenkung  wäre 
dann  dadurch  zu  erklären,  daß  eben  durch  eine  Saugkraft  in  der 
Peripherie  die  Arterie  nicht  nur  an  der  Stelle  der  Manschette 
komprimiert  war,  sondern  noch  ein  Stück  peripherwärts.  Es  muß 
also  dann,  um  die  Passage  zu  öffnen,  deshalb  der  Druck  in  der 
Manschette  stärker  erniedrigt  werden  als  am  Kontrollarm. 

Trotzdem  erscheint  es  mir  fraglich,  ob  diese  scheinbar  so  plausible 
Erklärung  für  die  anfängliche  Drncksenkung  zutri£%.  Versuchte  ich 
nämlich  den  Vorgang  an  dem  oben  beschriebenen  ModeU  nachzuahmen, 
so  gelang  das  nicht.  Zwar  wurde,  wenn  der  Druck  im  weiten  Blasrohr 
so  hoch  gesteigert  wurde,  daß  auch  bei  Heberwirkung  Wasser  nicht  mehr 

26* 


400  XXT.  Matthbs 

aus  der  Mariotte'schen  Flasche  lief,  in  der  Tat  sowohl  der  komprimier- 
bare Schlaach  zusammengedrückt,  als  auch  das  zum  Heber  abf&hrende 
Schlanchstück  leer  gesaugt.  Allein  wenn  ich  den  Druck  im  weiten  Giss- 
rohr nun  soweit  erniedrigte,  daß  das  Wasser  eben  zu  strömen  begann,  so 
ließ  ein  Abschluß  der  Heberwirkung,  dieses  Strömen  wieder  stocken.  Ich 
konnte  also  am  Modellapparat  die  in  den  Versuchen  beobachtete  anfang- 
liche Dmcksenkung  durch  Leersaugen  eines  Stückes  in  der  Peripherie 
nicht  erhalten.  Freilich  kann  daran  der  Umstand  schuld  sein,  daß  das 
durch  den  Stopfen  gehende  Olasrohr,  welches  den  Schlauch  im  Innen 
des  Modells  mit  dem  abführenden  verbindet,  sich  nicht  komprimieren 
läßt,  sondern  als  luftverdünnter  also  saugender  Baum  wirkt. 

.  Ist  dagegen  die  Passage  wieder  hergestellt,  so  würden  die  in 
den  positiven  Fällen  beobachteten  Drucksteigerungen  bis  zu  50  mm 
Hg  eben  ein  Ausdruck  der  durch  die  Saugkraft  gesetzten  starken 
Strombeschleunigung  an  der  durch  die  Manschette  stenosierten 
Stelle  sein,  da  diese  Strombeschleunigung  den  Seitendruck  Ter- 
mehrt.  Warum  diese  Blutdrucksteigerung  in  etwa  zwei  Drittel 
der  Fälle  vermißt  wurde,  wäre  nun  weiter  zu  fragen?  Das  konnte 
verschiedene  Gründe  haben.  Einmal  ist  ja  notorisch  die  sekundäre 
Hyperämie  nach  Wicklung  mit  Esmarch'schen  Binden  durchaus 
nicht  immer  stark  ausgeprägt  und  im  allgemeinen  zeigten  and 
unsere  negativen  Fälle  nach  Freigabe  der  Zirkulation  die  Hyper- 
ämie in  nicht  so  starkem  Maße  wie  die  positiven,  bei  welchen 
letzteren  die  Pulswelle  auffallend  groß  und  voll  war.  Dann  aber 
ist  zu  bedenken,  daß,  um  die  Strombeschleunigung  zu  finden, 
der  Zeitraum  im  Versuch  beobachtet  werden  muß,  indem  der  Ann 
noch  nicht  sich  mit  Blut  gefüllt  hat,  denn  wenn  der  Arm  nicht  blut- 
gefüllt ist.  kann,  so  sollte  man  wenigsens  meinen,  die  Saugkraft 
nicht  mehr  zum  Ausdruck  kommen,  sie  ist  schon  verbraucht  und 
hat  ihre  Arbeit  geleistet.  Tatsächlich  fanden  wir  auch,  wenn  die 
Hyperämie  bereits  stark  ausgeprägt  war,  gewöhnlich  keine  Dife- 
renzen  mehr,  sondern  eben  nur  anfangs,  bevor  der  Arm  sieh  mit 
Blut  gefüllt  hatte. 

Damit  würde  übereinstimmen,  daß  es  uns  nie  gelang,  ii^gendwie 
erhebliche  Druckdifferenzen  zu  finden,  wenn  wir  den  Versachsam 
durch  ein  Heißluftbad  stark  hyperämisch  gemacht  hatten. 

Ich  lasse  zum  Belege  einige  Protokolle  folgen. 

1.    Gesundes  Mädchen. 
Vor  der  Erhitzung: 

Versuchsarm  111.     Kontrollarm  109. 

Nach  der  Erhitzung  von  30  Minuten : 
Versnchsarm  90,  90,  96,  118,  96.       Kontrollarm  98,   108,  111. 


Einige  Beobachtungen  zar  Lehre  vom  Kreislauf  in  der  Peripherie.      401 

2.    Dieselbe  Person. 
Vor  der  Erhitzung: 

Versuchsarm  109,  108.     Kontrollarm  108,   105. 

Nach  der  Erhitzung: 
Versnchsarin   100,  104,  102,   102.     Kontrollarm  98,  98,  104,  96. 

B.  Chronische  Arthritis.     Arm  eine  Stunde  erhitzt. 
Nach  der  Erhitzung: 
Versuchsarm  120,  115,   120.     Kontrollarm  110,  113,  115. 

Es  sind  ca.  20  Versuche  in  dieser  Art  angestellt  worden,  die 
Hyperämie  des  Versuchsarmes  war  stets  eine  beträchtliche.  Die 
beobachteten  Differenzen  gingen  aber  nie  über  10  mm  hinaus, 
fallen  also  in  den  Rahmen  der  Versuchsfehler.  Die  mitgeteilten 
Protokolle  sind  die  mit  den  erheblichsten  Differenzen,  in  den 
meisten  anderen  Fällen  waren  gar  keine  Unterschiede  vorhanden. 
Die  Versuche  waren  teils  vorgenommen,  nachdem  der  Arm  aus 
dem  Heißluftbade  entfernt  war,  teils  aber  wurde  auch  bestimmt, 
während  der  Arm  noch  im  Heißluftbade  war,  es  mußte  dann  dei* 
Beobachter  seine  eigene  Hand  gleichfalls  in  das  Heißluftbad  stecken. 

Ebensowenig  gelang  es  uns  bei  anderen  Hyperämien  z.  B. 
durch  Senf  oder  bei  der  reaktiven  Hyperämie  nach  Kälte  sichere 
Differenzen  zu  finden.  Es  sind  allerdings  mit  diesen  Arten  der 
Hyperämien  nur  wenige  Versuche  angestellt  worden. 

Es  überraschte  mich  daher  sehr,  in  der  Literatur  eine  Angabe 
zu  finden,  die  doch  zu  beweisen  scheint,  daß  Druckdifferenzen  an 
den  Arterien  beider  Aime  auch  unter  anderen  Bedingungen  als 
bei  der  Entwicklung  einer  Hyperämie  sich  finden  können.  Buchner, 
Fuchs  und  Megele  beobachteten  nämlich,  daß  Alkoholumschläge, 
und  zwar  besonders  solche  mit  normalem  Propylalkohol,  den  Blut- 
druck erhöhen.  Sie  haben  gleichfalls  die  Methode  der  vergleichen- 
den Blutdruckmessung  gewählt  und  mit  den  damals  üblichen 
schmalen  Riva-Rocci-Manschetten  bestimmt.  Sie  teilen  vier  Be- 
stimmungen mit,  bei  drei  davon  wurden  Erhöhungen  des  Blut- 
drucks zwischen  19  und  13  mm  gefunden,  bei  einer  dagegen  ein 
Unterschied  von  —  2. 

Äthylalkoholumschläge  geben  weniger  ausgesprochene  Er- 
höhungen. Einfache  feuchtwarme  Prießnitzumschläge  differieren 
bis  zu  höchstens  13  mm,  die  meiner  Ansicht  nach  noch  in  den 
Rahmen  der  Versuchsfehler  fallen. 

Buchner,  Fuchs  und  Megele  betonen  ausdrücklich,  daß 
die  Alkoholumschläge  keine  Hyperämie  der  Haut  zur  Folge  hatten. 
Sie    halten  dafür:   „daß   eine   lokale  Steigerung  des  Blutdruckes 


402  XXI.   Matthbs 

nichts  anderes  als  die  Folge  und  der  Ausdinick  einer  lokal  er- 
zeugten Erweiterung  der  arteriellen  Gefäße  sei,  durch  welche  die 
Widerstände  für  die  Blutbewegung  und  damit  die  Verluste  durch 
Reibung  vermindert  wurden."  Diese  Ansicht  scheint  mir  schon 
deshalb  nicht  haltbar,  weil  ja  die  Riva-Bx)cci- Manschette  über  der 
beeinflußten  Stelle  liegt,  denn  Buchner,  Fuchs  und  Megele 
haben  den  Arm  nur  vom  Handgelenk  bis  zur  Ellenbogenbeuge 
eingewickelt.  Über  die  Art  und  Weise,  wie  sie  sich  das  Zustande- 
kommen der  Gefäßerweiterung  denken,  äußern  sich  Bu ebner. 
Fuchs  und  Megele  nicht.  Ich  habe  aber  schon  oben  darauf 
hingewiesen,  daß  ein  Nachlaß  einer  bestehenden  Gefäßkontraktion 
unmöglich  den  seitlichen  Blutdruck  an  einer  höher  gelegenen 
Stelle  des  Gefäßes  steigern  kann.  Die  Annahme,  daß  eine  durch 
Nachlaß  der  Kontraktion  bedingte  Gefaßerweiterung  einen  höheren 
Seitendruck  im  zuführenden  Gefäß  zur  Folge  habe,  wäre  nur  dann 
möglich,  wenn  man  annehmen  wollte,  daß  ein  Alkoholumschla^  am 
Unterarm  eine  Erweiterung  der  Gefäße  und  Herabsetzung  des 
Widerstandes  oberhalb  der  Manschette,  also  in  der  Brachialis  bzw. 
Subclavia  hervorriefe. 

Wir  haben  die  Versuche  B u c h n e r ' s ,  Fuchs' und  Megele's 
wiederholt  und  zwar  genau  nach  ihrer  Vorschrift  auch  mit  normalem 
Propylalkohol. 

Ich  lasse  zwei  Protokolle  folgen. 

1.  Abgelaufene  Appendicitis. 
Vor  dem  Umschlag: 

Versuchsarm  120,   119.     Kontrollann  122,   120. 

Nach  dem  Umschlag  von  1   Stunde  Dauer: 

Versuchsann  120,  115,   117,  119 
Kontrollarm    120,   117,   115,   115. 

2.  Akute  Gastritis. 
Vor  dem  Umschlag: 

Versuchsarm  128.      Kontrollarm   128. 

Nach  dem  Umschlag: 
Versuchsarm   132,   130,    126.      Kontrollarm   118,   120,  115. 

Die  erste  Beobachtung  ergibt  gar  keine  Wirkung  des  Tm- 
schlages,  die  zweite  läßt  eine  geringe  Druckerhöhung  am  Versuchs- 
arm, gegenüber  dem  Kontrollarm  erkennen. 

Wir  sahen  unter  6  Versuchen  4  mal  keinerlei  Wirkung,  2  mal 
eine  Steigerung,  die  10  bis  höchstens  15  mm  Hg  betrug  auf  der  Seite 
des  Versuchsaimes.  Die  Ablesungen  wurden  in  diesen  Fällen  in 
der   Weise    vorgenommen,    daß    zwei   Beobachter  gleichzeitig  am 


Einige  Beobachtungen  zur  Lehre  vom  Kreislauf  in  der  Peripherie.      403 

KontroUarm  und  Vergachsarm  bestimmten,  die  Zahlen  apfschrieben. 
sich  aber  nicht  mitteilten,  dann  wechselten  die  Beobachter  die 
Plätze  und  bestimmten  den  Druck  aufs  neue.  Die  gefundenen 
Zahlen  wurden  erst  nach  Beendigung  des  Versuches  verglichen,  so 
daß  also  gegenüber  irgendwelcher  Suggestion  alle  Maßnahmen  ge- 
troffen waren. 

Wir  können  also  die  Feststellungen  von  Buch n er,  Fuchs 
und  Idegele  nur  in  beschränktem  Maße  bestätigen.  Wir  fanden 
ebenso  wie  in  den  viel  zahlreicheren  Versuchen  mit  Esmarch'scher 
Einwicklung  in  V^  der  Fälle  eine  Blutdrucksteigerung  am  Ver- 
sachsarm, nur  war  sie  lange  nicht  so  erheblich  wie  bei  den 
ersteren  Versuchen  und  auch  geringer  als  in  den  Versuchen  von 
Buchner,  Fuchs  und  Megele.  Wir  fanden  gleichfalls,  daß 
die  Propylalkoholumschläge  Hyperämie  der  Haut  nicht  oder  nur 
in  geringerem  Maße  hervorrufen. 

Unserer  Ansicht  nach  sind  diese  letzteren  Befunde  ungemein 
schwer  zu  erklären.  Die  Einwände  gegen  die  Buchner'sche  Er- 
klärung sind  oben  schon  ausgeführt,  aber  auch  die  Annahme  einer 
Saugwirkung  hat,  da  die  Blutdrucksteigerung  auf  dei*  Versuchs- 
seite längere  Zeit  anhielt,  Schwierigkeiten.  Man  müßte  dann  schon 
annehmen,  daß  immer  wieder  aufs  neue  angesaugt  und  das  Blut 
in  die  Peripherie  weiter  befördert  würde,  also  etwa  in  dem  Rahmen 
der  Hasebroek 'sehen  Vorstellungen  den  Arterien  eine  Propulsiv- 
kraft  zuschreiben,  denn  da  die  Hyperämie  der  Haut  fehlt,  kann 
man  an  die  Hautkapillaren  wohl  kaum  denken. 

Zum  Schlüsse  rekapituliere  ich  kurz  unsere  Befunde: 

1.  In  den  Leichenarterien  kann  negativer  Druck  vorhanden 
sein,  derselbe  ist  wahrscheinlich  Folge  der  Elastizität  der  Arterien 
and  auch  von  der  jeweiligen  Körperlage  abhängig. 

2.  Nach  Einwicklung  mit  einer  Esmarchbinde  kann  der  Blut- 
druck am  Versuchsarm  erheblich  gesteigert  sein,  gegenüber  dem 
de.s  Kontrollarms. 

3.  Bei  Wärmehyperämie  sehen  wir  ein  solches  V^erhalten  nicht. 

4.  Nach  Propylalkoholumschlägen  beobachteten  wir  in  zwei 
Fällen  geringfügige  Blutdrucksteigerungen  am  Versuchsarm. 

Die  Steigerung  des  Blutdrucks  nach  Blutleere  legt  die  An- 
nahme einer  peripheren  Saugwirkung  nahe.  Ob  dieselbe  als  eine 
Folge  der  Elastizität  der  vorher  komprimierten  Gefäße  bzw.  der 
Gewebe  anzusehen  ist  oder  auf  Tätigkeit  der  Kapillaren  zu  be- 
ziehen ist,  läßt  sich  nicht  entscheiden.    Wahrscheinlicher  ist  uns  die 


404  XXI.  Matthbs,  Einige  Beobacht.  z.  Lehre  vom  Kreislauf  in  der  Peripherie. 

eratere  Mögliclikeit  Bei  der  Wärmehyperämie  dagegen  ergibt  sieh 
aii$  unseren  Versuchen  kein  Anhalt  für  die  Annahme  einer  peri- 
pheren Saugkraft. 


Literatur. 

1.  Bier,  Hyperämie  als  HeilmiUel. 

2.  Gas  kell,  Lndwig's  Arbeiten  187677  Bd.  XI  p.  45. 
H.   Tschuensky,  Pflttger's  Arch.  19U3  p.  289  Bd.  97. 

4.  Hasebroek,  Dentsches  Arch.  fOr  klin.  Med.  1908  p.  3öO  B.  77. 

5.  Steinach  n.  Kahn,  Pflüger's  Arch.  1908  Bd.  97  p.  105,  dort  auch  die üterft 
Literatur. 

6.  Henderson  n.  Löwi,  Archiv  für  experim.  1905  B.  53  p.  49. 

7.  Bnchner,  Fuchs  n.  Megele.  Archiv  für  Hygiene  1901  Bd.  40  p.  347. 


xxn. 

Aus  der  medizinischen  Klinik  zu  Tübingen. 

Znr  Genese  der  NiereHblntnngen  bei  Nephritis. 

Von 

Dr.  Kusumoto 

aus  Osaka  (Japan). 

(Mit  Tafel  II). 

Die  Arbeit  Askanazy's  in  der  Zeitschrift  für  klinische 
Medizin^)  hat  die  Aufmerksamkeit  wieder  mehr  auf  die  bei  Ne- 
phritiden  nicht  so  selten  auftretenden  Hämaturien  gelenkt.  Die 
Vorstellungen,  die  wir  von  ihrer  Entstehungsweise  haben,  sind  in 
vielen  Punkten  noch  sehr  unklarer  und  hypothetischer  Natur. 

Der  Anschauung  J.  IsraeTs,  daß  die  Ursache  der  Blutungen 
in  akuten  paroxysmalen  Kongestionen  der  Nieren,  in  einer  durch 
die  mit  der  Entzündung  verbundenen  Kreislaufstörungen  hervor- 
gerufenen arteriellen  Fluxion  bestehe,  schließt  sich  auch  Askanazy 
an.  Er  bringt  eine  Anzahl  von  Krankengeschichten,  unter  welchen 
sich  Fälle  finden,  deren  Vergleich  mit  einem  hier  beobachteten 
Fall  geeignet  ist,  auf  einige  bisher  zu  wenig  beachtete  Momente 
hinzuweisen  und  auch  für  die  Pathologie  der  renalen  Hämophilie 
von  Interesse  ist. 

Die  Krankengeschichte  unseres  Falles  sei  vorangestellt: 

5 5 jähriger  Mann,  4.  April  1906  erstmals  aufgenommen.  Im  No- 
vember 1905  hatte  er  auf  dem  Abort  eine  linksseitige  Hemiplegie  er- 
litten, deren  Folgen  ziemlich  rasch  zurückgingen.  In  den  ersten  Tagen 
nach  derselben  trat  ohne  alle  schmerzhaften  Begleiterscheinungen  Rot- 
fi&rlNing  des  Urins  und  seitdem  jeden  3. — 4.  Tag  Hämaturie  auf.  Keine 
Gtennnsel  im  Urin,  Miktion  nicht  behindert. 

Befund :  Besiduen  der  Hemiplegie  sind  nur  noch  in  der  Differenz 
der  Beflexe  erkennbar.  Herz:  Dilatation  nach  beiden  Seiten,  Spitzen- 
stoß   nicht   fühlbar,    2.  Aortenton    akzentuiert.     Aktion  regelmäßig,  Puls 

1)  Band  Ö8  S.  432.  Profuse  Hftniaturien  und  kolikartige  Schmerzen  bei 
Nephritis 


406  XXII.  KüsuMOTo 

sehr  hart.  Drahtpiils.  Arterien  eng,  geBchlängelt,  rigide  (Brachiales 
and  Temporales).  Druck  220  mm  Siva-Rocoi.  Urin :  klar,  sauer,  spez. 
Gewicht  1007.  Menge  2—3000  ccm.  Enthält  spärlich  Albumen  (mit 
Esbach  nicht  meßbar).  Im  Sediment  reichlich  Erythrocyten,  vereinselte 
hyaline  Zylinder  und  Leukocyten.     Retinitis  albuminurica.    Keine  Ödeme. 

Innerhalb  der  nächsten  10  Tage  trat  keine  stärkere  Hämaturie  mehr 
eiu,  die  Erythrooyten   verschwanden  jedoch   nie  ganz  aus  dem  Sediment. 

Die  2.  Aufnahme  erfolgte  am  3.  Mai  1906.  Seit  25.  April  waren 
wieder  ohne  jede  Beschwerden  erhebliche  Blutungen  aufgetreten. 

Auch  diesmal  finden  sich  bei  der  Untersuchung  keine  blutige  Färbung 
des  Urins  und  keine  Gerinnsel.  Im  Sediment  sehr  zahlreiche  Erythro- 
cyten,  im  übrigen  Befund  unverändert. 

Am  1 1 .  Mai  trat  ein  leichter  apoplektischer  Anfall  auf,  an  den  sieb 
rasch  urämische  Erscheinungen,  Erbrechen,  Somnolenz,  Cheyne-Stokes'scbe 
Atmung  anschlössen.  Der  Druck  hielt  sich  auf  Höhen  von  200 — 220  mm. 
Ödeme  traten  nicht  auf,  ebensowenig  sonstige  Stauungssymptome.  Im 
Urin  nach  dem  apoplektischen  Insult  wieder  für  einige  Tage  reichlichere 
Blutbeimengung.     Am  21.  Mai  Tod. 

Es  bestand  somit  eine  zweifellose  intei*st.itielle  Nephritis  ood 
mit  ihr  in  Zusammenhang  stehend  Encephalomalacie  und  Retinitis 
albuminurica,  ferner  erhebliche  Arteriosklerose.  Über  den  Ursprung 
der  Hämaturie  konnte  man  im  Zweifel  sein.  Der  Allgemeinzustand 
des  Patienten,  vor  allem  die  enorme  Dnicksteigerung  verbot  ein- 
greifendere Untersuchung,  wie  Cystoskopie,  Ureterenkatheterismus. 
Als  Sitz  der  Blutung  konnte  deshalb  die  Blase  nicht  mit  Sicher- 
heit ausgeschlossen  werden  und  zwar  um  so  weniger,  als  die  ent- 
leerten Erythrocytcn  ein  vollkommen  frisches  Aussehen  hatten. 
Für  Nierensteine  ergab  die  Anamnese,  für  Tumor  die  Untersuchung 
keinen  Anhalt.  Wohl  aber  war  daran  zu  denken,  daß  die  in  anderen 
Gefäßgebieten  nachweisbare,  auf  die  Drucksteigerung  zusammen  mit 
der  Aiteriosklerose  zurückzufühi^nde  Neigung  zu  Hämorrhagien  aucb 
in  der  Niere  vorläge  und  die  Hämaturie  verursache. 

Die  Obduktion  (Prof.  Dietrich)  ergab  nun:  Chronische  inter- 
stitielle Nephritis  (Schrumpfniere),  konzentrische  Hypertrophie  des  linken 
Ventrikels,  leichte  Hypertrophie  des  rechten,  Arteriosklerose  der  Coro- 
nararterien,  der  Aorta  abdominalis  und  der  basalen  Himgefaße.  Alte 
Erweichungsherde  im  linken  Linsenkern  und  ein  größerer  jüngeren  Datoms 
im  rechten. 

Nieren:  Kleiner  als  normal,  rot,  granuliert,  lederartig  hart.  Auf 
Durchschnitten  keine  Hämorrhagien  erkennbar.  Nierenbeckenschleimliaot 
zeigt  beiderseits  mehrere  bis  erbsengroße  Ekchymosen,  erscheint  im  übrigen 
nicht  verändert,  insbesondere  sind  weder  Teleangiektasien,  noch  überhaupt 
erweiterte  G-efäße  sichtbar. 

Die  Quelle  der  Nierenblutung  war  somit  ohne  Zweifel  in  dem 
Nierenbecken  zu  suchen.   Dies  bestätigte  die  genaue  makroskopische 


Zar  Genese  der  Nierenblutuiigen  bei  Nephritis.  407 

und  mikroskopische  Durchmusterung  der  Nieren,  welche  nii'gends 
Hämorrhagien  aufwiesen.  Die  mikroskopische  Untersuchung  be- 
schränkte sich  nicht  auf  kleine  Abschnitte  der  Nieren,  sondern  es 
wurden  von  Herrn  Takayasu  große  Flächenschnitte  angefertigt 
aus  denen  ersichtlich  war,  daß  eine  echte  genuine  Schrumpfniere 
vorlag. 

Sehr  starke  Bindegewebswacherang,  mäßig  viel  verödete  Qlomeruli, 
alle  Stadien  des  G-iomeralusuDtergaDgs,  besonders  bindegewebige  Kapsel- 
verdickung  und  Exsudatbildang  in  dem  Kapselraum.  Die  Kanälchen- 
epitbelien  nur  mäßig  geschädigt.  Nirgends  in  der  Niere  selbst  ist 
Hyperämie  zu  finden.  Die  größeren  und  kleineren  Arterien  zeigen  starke 
Endarteriitis.  bezüglich  des  anatomischen  Befundes  am  Nierenbecken 
sei  auf  später  verwiesen. 

Askanazy  bringt  nun  in  seiner  Arbeit  3  Fälle  von  Nieren- 
beckenblutung (Nr.  4,  9,  10),  die  in  vieler  Hinsicht  Parallelen 
unseres  Falles  darstellen.  Sie  sind  im  übrigen  die  einzigen,  bei 
welchen  auch  der  Obduktionsbefund  vorliegt. 

Allen  dreien  sind  gemeinsam  die  Blutungen  im  Nierenbecken, 
auf  welche  schon  Naunyn^)  als  Ursache  von  Hämaturien  bei 
Nephritis  hingewiesen  hat.    Auch  in  unserem  Falle  finden  wir  diese. 

Askanazy  kommt  nun  auf  Grund  des  Materials  der  Königs- 
berger medizinischen  Klinik  zu  dem  Schluß,  daß  sich  Blutungen 
auf  der  Nierenbeckenschleimhaut  relativ  oft,  sicherlich  in  \'^  aller 
Fälle  finden.  Zu  ihrer  Erklärung  nimmt  er  wiederum  die  paroxys- 
male arterielle  Fluxion  im  Sinne  J.  I s r a e l's  an,  in  einer  gewissen 
Anzahl  von  Fällen  unterstützt  durch  entzündliche  Zustände  des 
Nierenbeckens.  Er  vermutet,  daß  sich  nephritische  Prozesse  zu- 
weilen mit  leichten,  klinisch  symptomlos  verlaufenden  Pyelitiden 
komplizieren.  Wahrscheinlich  sind  nach  ihm  außer  diesen  Haupt- 
faktoren noch  beteiligt  der  erhöhte  Blutdruck  und  die  bei  Nephritis 
nach  Cohnheim  und  Li  cht  heim  vorhandene  Gefäßschädigung, 
welche  zu  abnormer  Durchlässigkeit  der  Gefäße  fühii;. 

Seine  Vorstellung  von  dem  Zustandekommen  der  Nierenbecken- 
blatungen  ist  folgende:  Entzündlich  veränderte  Nieren  zeigen  eine 
grewisse  Neigung  zu  Kongestionen,  wodurch  der  bei  Nephritis  ohnehin 
erhöhte  arterielle  Druck  vorübergehend  noch  weiter  gesteigert  wird. 
Dadurch  kommt  es  infolge  der  veränderten  Beschaffenheit  der  Gefäß- 
wände, die  eine  abnorme  Durchlässigkeit  zur  Folge  hat.  leicht  zur 
Diapedesis   und   zu  Blutaustritten  in  das  Gewebe.     Er  faßt   die 


1)  Grenzgebiete  1900  Bd.  V  S.  «48. 


408  XXII.  KusuiAoTO 

Nierenbeckenecchymosen     als    Residuen    voraofgegangener    Kon- 
gestionen auf. 

Um  nun  ein  einwandfreies  Urteil  über  den  Ausgangspunkt  der 
Nierenbeckenblutung  in  unserem  Falle  zu  erhalten,  wurden  das 
eine  Nierenbecken  von  mir  in  ca.  200  Serienschnitte  zerlegt  und 
nach  van  Gleson  gefärbt. 

Es  finden  sich  im  Bubmakösen  Bindegewebe  des  Nierenbeckens  drei 
starke  Blutextravasate.  Ihre  Verfolgung  in  den  Serienschnitten  führt  bei 
allen  dreien  auf  Stellen  znrück,  wie  sie  Figur  1  n.  3  sehr  deutlich  wieder- 
geben: Wir  sehen  in  Figur  1  (Seibert  Nr.  3  Oc.  0)  ein  keulenförmiges 
kleines  Blutgefäß  mit  dünner  Wandung,  mit  Blut  gefüllt.  An  seinem 
verjüngten  £nde  ist  die  Wandung  plötzlich  unterbrochen  und  der  Inhalt 
des  Gefäßes  steht  in  direkter  Kommunikation  mit  dem  BlutextravasAt, 
das  bis  dicht  unter  die  Schleimhaut  des  Nierenbeckens  reicht. 

Zwei  Gefäße  von  etwa  demselben  Kaliber  und  derselben  Wanddicke 
sind  unterhalb  der  Blutung  quer  getroffen.  Bechts  unten  sieht  mao 
einen  ziemlich  weiten  Hohlraum,  der  mit  Blut  gefüllt  ist  und  an  mehreren 
Stellen  Andeutungen  einer  Gefäßwand  aufweist.  In  seiner  ümgebang 
findet  sich  Ansammlung  von  Bundzellen.  Das  Epithel  des  Nierenbeckens 
ist  schlecht  erhalten^  hier  jedoch  eine  kleinzellige  Infiltration,  die  nicht 
durch  den  Bluterguß  ihre  Erklärung  fände,  nirgends  sichtbar. 

Figur  2  (Zeiß  Oc.  3,  Linse  C)  zeigt  noch  demonstrativere  Ver- 
hältnisse: In  der  Mitte  sieht  man  ein  längsgetroffenes  Gefäß  mit  dünner 
Wand,  diese  ist  auf  der  unteren  Seite  mehrfach  durchbrochen,  hat  ihr 
Endothel  an  den  Durchbruchsstellen  verloren  und  kommuniziert  frei  mit 
dem  umgebenden  Blutextravasat. 

Es  kann  wohl  kein  Zweifel  bestehen,  daß  diese  Bilder  Bap- 
tnren  von  Gefäßen  des  Nierenbeckens  darstellen. 

Die  Ursache  der  Hämaturie  ist  also  in  unserem  Falle  eine 
Ruptur  von  kleinen  Gefäßen  im  Nierenbecken.  Damit 
kommen  wir  in  Widerspruch  mit  den  Anschauungen  Askanazy's, 
der  Diapedese  als  die  Art  des  Blutaustritts  betrachtet. 

Weitere  Differenzen  ergeben  sich,  wenn  man  die  rupturierten 
Gefäße  näher  untersucht.  Ihrem  ganzen  Aussehen  nach  mössea 
sie  als  kleine  Venen  bezeichnet  werden:  es  findet  sich  keine  An- 
deutung einer  Muskularis  und  bei  Weigert'scher  Färbung  auch 
keine  Elastika. 

Heiner  Schilderung  nach  verlegt  Askanazy  offenbar  den  Ort 
der  Blutung  entweder  in  die  kleinen  Arterien  oder  in  die  Kapillaren. 
Freilich  spricht  er  sich  nicht  deutlich  darüber  aus.  Venöse  Stase 
als  Ursache  lehnt  er  ab.  Sicher  ist  ihm  darin  recht  zu  gebäJ, 
auch  unser  Fall  bietet  außer  diesen  Venenrupturen  und  der  ziem- 
lich starken  Füllung  der  nächstliegenden  kleinen  Nierenbecken- 
veneu  —  besonders  in  der  Niere  selbst,  ebenso  wie  in  anderen  Organen 


Zur  Genese  der  Nierenblntnngfen  bei  Nephritis.  409 

nirgends  das  Bild  der  venösen  Stauung,  die  stark  genug  wäre,  um 
Rupturen  zu  erzeugen.  Dagegen  spricht  femer,  daß  die  Blutung 
erstmals  zu  einer  Zeit  auftrat,  wo  keinerlei  Dekompensations- 
erscheinungen bestanden. 

Eine  lokale  entzfindliche  Veränderung  der  Gef&Swand  kann, 
wie  die  Präparate  zeigen,  nicht  in  Frage  kommen.  Auch  klinisch 
bestanden  keinerlei  Erscheinungen  einer  Pyelitis.  Es  ist  völlig 
klar,  daß  man  deshalb  noch  nicht  das  Recht  hat,  eine  Veränderung 
der  Venen  wand  überhaupt  abzulehnen.  Schon  Askanazy  hat 
auf  die  mit  der  Nephritis  verbundene  Alteration  der  Gefäßwand 
hingewiesen  und  daß  eine  solche  auch  in  unserem  Falle  existierte, 
daffir  spricht  ja  aufs  deutlichste  die  ausgedehnte  hämorrhagische 
Retinitis.  Bei  dieser  findet  nun  aber,  wie  mir  von  fachmännischer 
Seite  mitgeteilt  wird,  in  der  Tat  eine  Diapedese  und  keine  Ruptur 
statt.  Dies  war  vielleicht  der  Grund,  ein  analoges  Zustandekommen 
bei  den  Nierenbeckenblutungen  anzunehmen.  Hier  jedoch  liegen 
zweifellose  Rupturen  von  Venen  vor.  Angesichts  des  Fehlens  von 
erheblichen  lokalen  Entzündungsei^cheinungen  müssen  wir  uns  also 
fragen,  welche  besonderen  Momente  für  die  Entstehung  der  Zer- 
reißungen vorgelegen  haben  können.  Eine  durch  die  Entzündung 
bedingte  arterielle  Fluxion  als  Ursache  zu  beschuldigen,  hat  seine 
großen  Bedenken.  Wäre  eine  solche  allein  imstande,  unter  den 
gegebenen  Bedingungen  Rupturen  zu  erzeugen,  so  müßte  die  Hämat- 
urie ein  viel  konstanteres  Symptom  bei  Nephritis  sein,  als  sie  es 
in  Wirklichkeit  ist.  Zudem  hören  wir  in  der  Anamnese  nicht  das 
Geringste  von  Koliken.  Direkt  gegen  eine  durch  die  Entzündung 
verursachte  arterielle  Fluxion  spricht  aber  der  Zeitpunkt  des  Ein- 
setzens der  Blutung. 

Unmittelbar  im  Anschluß  an  den  ersten  apoplektischen  Insult. 
der  bei  der  Defäkation  stattfand,  tritt  die  Hämaturie  erstmals  auf. 
Eine  arterielle  Fluxion  wird  also  abzulehnen  sein. 

Die  Entstehung  der  Venenrupturen  kann  man  sich  auf  zweierlei 
Weise  denken :  einmal  durch  die  in  der  Niere  infolge  des  Pressens 
bei  der  Defakation  eintretende  venöse  Stauung.  Unerklärt  bliebe 
dann  freilich,  warum  nicht  auch  in  anderen  mehr  disponierten  Ge- 
tUfigebieten,  z.  B.  den  Plexus  hämorrhoidales  gleichzeitig  Rupturen 
eintreten.  Zudem  zeigt  die  experimentelle  Erfahrung,  daß  beim 
Pressen  wohl  eine  kurzdauernde  geringe  Vergrößerung  des  Nieren- 
Tolnms  eintritt,  dieser  folgt  jedoch  sofort  eine  starke  Kontraktion. 

Deshalb  ist  vielleicht  noch  an  eine  andere  Möglichkeit  zu 
denken:  Mit  dem  Pressen  bei  der  Defäkation  ist  eine  Steigerung 


410  XXII.  KusüMOTo 

des  arteriellen  Drucks  verbunden.  Dieser  war  bei  unserem  Pa- 
tienten aber  schon  vorher  enorm  gesteigert.  Ebenso  finden  sich 
in  den  3  oben  citierten  Fällen  Askanazy's  unzweideutige  Hin- 
weise darauf,  da£  auch  bei  ihnen  Drucksteigerung  bestanden  hatt«. 

Soweit  der  klinbche  Befand  nicht  zu  diesem  Urteil  berechtigt,  läßt 
sich  sicherer  Anhalt  ans  dem  Obdaktionsresultat  gewinnen.  Wir  wissen 
ja,  daß  jede  längerdauemde  Dracksteigerung  zu  einer  Hypertrophie  des 
linken  tind  oft  auch  des  rechten  Ventrikels  führt. 

Bei  Fall  4  sagt  das  autoptische  Protokoll:  Kerz  besonders  links 
stark  hypertrophisch  und  dilatiert. 

In  Fall  9  machen  schon  die  Akzentuation  des  2.  Aortentons  und 
die  starke  Spannung  des  Pulses  erhöhten  Druck  wahrscheinlich,  sicher- 
gestellt wird  er  durch  die  gefundene  isolierte  Hypertrophie  des  lisken 
Ventrikels. 

Dieselbe  Angabe,  geringe  Dilatation  und  Hypertrophile  der  linken 
Kammer  weist  auch  für  den  Fall  10  nach,  daß  Drucksteigerung  be- 
standen hat. 

Nun  wissen  wir,  daß  jede  Steigerung  des  AUgemeindrueks 
mit  einer  Kontraktion  der  Nierengefäße  verbunden  ist  Die 
Kontraktilität  der  Nierengefäße  wird  jedoch,  wie  die  experi- 
mentellen Untersuchungen  von  Schlayer  und  Hedinger\)  bei 
akuter  toxischer  Nephritis  zeigten,  bei  stärkerer  Grefäßschädigung 
sehr  erheblich  beeinträchtigt,  so  daß  die  Niere  sich  gegen  eine 
Erhöhung  des  Allgemeindruckes  nicht  mehr  zu  schützen  vermag 
und  passiv  vollgepumpt  wird.  Es  erscheint  nicht  ausgeschlossen, 
daß  diese  Bedingungen  auch  bei  der  Schrumpfniere  eintreten 
können.  Wissen  wir  doch,  in  wie  hohem  Grade  bei  ihr  die  Xieren- 
gefäße  beteiligt  sind. 

Das  Versagen  der  Kontraktionsfähigkeit  wird  um  so  plausibler, 
als  ja  bei  diesen  Fällen  schon  vorher  erhöhter  Druck  besteht 
Tritt  zu  diesem  noch  eine  weitere  Steigerung,  wie  in  unserem 
Falle  durch  Pressen,  so  hat  das  geschädigte  Nierengefaßsystem 
einen  enormen  Druck  auszuhalten. 

Daß  unter  diesen  Bedingungen  zusammen  mit  der  gleichzeitigen 
Steigerung  des  Venendrucks  durch  vermehrtes  Überfließen  von 
Blut  aus  den  Arterien  und  andererseits  Rfickstauung  infolge 
Fressens  eine  Venenruptur  zustande  kommt,  würde  begreiflich  er- 
scheinen. Die  Tatsache,  daß  gerade  die  Venen  des  Nierenbeckens 
so  oft  von  der  Ruptur  betroffen  werden,  könnte  wohl  in  Be 
Ziehungen  zu  den  Verhältnissen  des  Gewebsdruckes  gebracht, 
werden,  der  in  der  Niere  überhaupt  und  im  speziellen  in  einer 


1)  Verh.  d.  Kongr.  f.  innere  Med.  1906. 


Deulsphes  Arrhiv  E  Uinisdie  Medizin  89.Bd. 


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Znr  Genese  der  Nierenblutungen  bei  Nephritis.  411 

Niere  von  lederartiger  Harte,  wie  in  unserem  Falle,  beträchtlich 
b6her  sein  dürfte,  als  im  Nierenbecken  und  dadurch  einem  Zer- 
reißen der  Venen  mehr  Widerstand  entgegensetzt. 

Ob  die  bei  unserem  Patienten  vorhandene  Arteriosklerose  eine 
Rolle  bei  diesen  Vorgängen  spielt,  läßt  sich  nicht  entscheiden.  Es 
wäre  wohl  daran  zu  denken,  daß  sie  ein  mitwirkendes  Moment 
ist,  da  ja  pulsatorische  Druckschwankungen  unter  ihrem  Einfluß 
hoher  ausfallen,  als  im  normalen  Gefäßsystem.  Andererseits  ist 
aber  bei  hochgradiger  Arteriosklerose  das  Überfließen  des  Blutes 
in  die  Kapillaren  erschwert,  so  daß  eine  Vermutung  über  ihren 
Anteil  unmöglich  wird. 

Die  oben  entwickelte  Vorstellung  über  die  Genese  der  Niereu- 
beckenblutungen  vermag  uns  nun  nicht  nur  die  Koinzidenz  des 
apoplektischen  Insultes  und  des  Auftretens  der  Hämaturie  zu  er- 
klären, sondern  würde  auch  die  wohlbekannte  Tatsache,  daß  solche 
Hämaturien  bei  Nephritis  sich  häufig  an  Heben  von  schweren 
Lasten  und  ähnliche,  mit  Drucksteigerung  und  venöser  Stauung 
im  Abdomen  verbundene  Tätigkeiten  anschließen,  in  befriedigender 
Weise  deuten. 

Vielleicht  finden  auch  durch  die  Annahme  einer  passiven 
Cberfullung  der  Niere  die  Beobachtungen  Israels,  die  ihn  zur 
Annahme  einer  arteriellen  Fluxion  führten,  eine  einfache  Aus- 
legung: Israel  sah  in  einem  während  der  supponierten  paroxys- 
malen Fluxion  operierten  Falle  die  Niere  im  Zustand  intensivster 
Kongestion  und  Spannung.  Es  ist  klar,  daß  diese  ebensowohl 
durch  passive  Überfüllung,  wie  durch  aktive  arterielle  Fluxion 
entstehen  könnte. 

Keineswegs  ist  es  möglich,  etwa  alle  Nierenblutungen  bei 
Nephritis  auf  die  geschilderte  Art  erklären  zu  wollen,  sondern  es 
sei  nochmals  betont,  daß  ich  nur  diejenigen  Fälle  von  Nephritis 
im  Auge  habe,  bei  denen  die  Prämisse  der  Drucksteigerung  be- 
steht. Nachdrücklich  aber  möchte  ich  darauf  hinweisen,  daß  bei 
allen  Hämaturien  bei  Nephritis  dem  Verhalten  des  Gefäßsystems 
und  des  Druckes  eine  sehr  viel  größere  Aufmerksamkeit  zu 
schenken  sein  dürfte,  als  dies  von  der  Mehrzahl  der  Bearbeiter 
dieses  Themas  geschehen  ist.  Ich  glaube  berechtigt  zu  sein,  diese 
Forderung  auch  auf  das  Gebiet  der  renalen  Hämophilie  aus- 
zudehnen. 

Bei  der  Durchsicht  der  Literatur  über  renale  Hämophilie  ist 
es  sehr  auffällig,  wie  wenig  Zustand  des  Herzens,  der  Gefäße  und 
Verhalten   des  Druckes   von   vielen  berücksichtigt  werden.    Meist 


412       XXII.  KusüMOTo,  Zur  Genese  der  Nierenbliitungen  bei  Nephritis. 

wird  die  anatomische  Diagnose  als  absolut  beweisend  betrachtet.  ^ 
Diese  sttttzt  sich  aber  h&nfig  nur  auf  ein  kleines  probeexzidiertes 
Stückchen.  Unsere  Erfahrungen  an  großen  Schnitten  haben 
haben  uns  gelehrt,  welchen  Täuschungen  man  auf  solche  Weise 
unterliegen  kann.  Nun  sind  von  mehreren  Seiten  (Sabatier. 
Wulff  u.  a.)  bei  angeblich  renaler  Hämophilie  resp.  essentieller 
Nierenblutung  in  der  Niere  deutliche,  wenn  auch  geringfügige 
interstitielle  Veränderungen  gefunden  worden,  trotzdem 
lehnen  die  Autoren  einen  Zusammenhang  ab,  indem  sie  diese  fir 
bedeutungslos  erklären  oder  auf  das  Fehlen  klinischer  Symptone 
seitens  des  Urins  hinweisen.  Daß  aber  letztere  bei  der  intersti- 
tiellen Nephritis  gänzlich  im  Stiche  lassen  können,  ist  eine  heute 
wohlbekannte  Tatsache.  Über  die  Dignität  der  GlomöHlBs- 
verödungen  und  der  interstitiellen  Prozesse  gibt  uns  jedoch  das 
Verhalten  des  Druckes  den  sichersten  Aufschluß  und  ein  beiBsAe 
selbstverständliches  Verlangen  scheint  es,  daß  bei  einer  Blutung 
auch  der  Zustand  der  Gefäße  in  Betracht  gezogen  wird. 

Es  liegt  mir  ferne,  die  Existenz  einer  renalen  Hämophilie  resp. 
angioneurotischen  Hämaturie  leugnen  zu  wollen,  dafär  spricht  der 
bekannte  Kl  em  per  er 'sehe  Fall  zu  deutlich,  andererseits  dürfte 
es  aber  kein  zu  weitgehendes  Postulat  sein,  daß  nicht  nur  der 
anatomische  Befund  und  der  Urin  beröcksichtigt  werdoi, 
sondern  nicht  minder  genau  auch  auf  Herz,  Gefäße,  Druck 
und  Augenhintergrund  geachtet  wird. 

Herrn  Prof  Dr.  Bomberg  spreche  ich  für  die  freundliehe 
Anregung  und  Herrn  Stabsarzt  Dr.  Schlayer  für  die  Unter- 
stützung bei  dieser  Arbeit  meinen  herzlichsten  Dank  ans. 


xxm. 


Aus  der  medizinischen  KliniJc  der  Universität  Tübingen. 
Vorstand:  Prof.  Dr.  E.  Komb  erg. 

Über  das  Verhalten  der  Hamsänre  nnd  Pnrinbasen  im 
Urin  und  Blnt  bei  Eontgenbestrahlungen. 

Von 

Dr.  Paul  Linser  and  Dr.  Konrad  Slek, 

Privatdozenten  in  Tübingen. 

Die  eiektive  Einwirkung  der  Röntgenstrahlen  auf  die  Leuko- 
cyten  des  Blutes  und  der  Organe  ist  eine  solch  merkwürdige  Er- 
scheinung, daß  man  sich  nicht  mit  der  Feststellung  des  rein  zahlen- 
mäßigen und  morphologischen  Verhaltens  derselben  im  Blut  und 
iu  den  Organen  begnügen  konnte.  Es  ergab  sich  unmittelbar  die 
Forderung,  nach  Folgeerscheinungen  ihres  Untergangs  und  nach 
dessen  Einwirkungen  auf  den  Stoffwechsel  des  Organismus  zu 
forschen.  Für  die  Beurteilung  dieser  Vorgänge  scheint  ein  wich- 
tiges Moment  die  Feststellung  der  Hamsäureausfuhr  aus  dem  Körper 
zu  sein,  allerdings  nur  unter  gewissen  Voraussetzungen:  Wir  wissen, 
daß  dieselbe  nicht  bloß  von  der  Menge  der  im  Organismus  unter- 
gegangenen Körperzellen,  den  sog.  endogenen  Purinen,  beeinflußt 
wird,  sondern  in  sehr  wesentlichem  Grade  auch  von  den  von  außen, 
in  der  Nahrung  zugefuhrten  Nucleinen,  dem  exogenen  Purinanteil 
abhängig  ist.  Schwankungen  in  der  Menge  der  Hamsäureausfuhr 
sind  daher  an  und  für  sich  noch  kein  Beweis  für  eine  Änderung 
im  Zerfall  gewisser  Körpersubstanzen.  Erst  wenn  man  den 
Einfluß  der  exogenen  (Nahrungs-)Nucleine  durch  ent- 
sprechende Ernährung  ausschaltet,  bekommt  man  eine 
Konstante  in  der  Harnsäureausscheidung,  von  der  aus 
man  anf  den  jeweiligen  Grad  des  Zellzerfalls  im  Körper  des  Unter- 
suchten schließen  kann. 

Dieser  Hauptforderung  der  möglichsten  Ausschließung  der  exo- 
genen  Nucleine   sind  die  Forscher,   die    bisher  den   Einfluß  der 

DttutsoheB  Archiv  f.  klin.  Medizin.   89.  Bd.  27 


414  XXIII.  Linser  u.  Sick 

Röntgenstrahlen  auf  den  Organismus  an  den  Veränderungen  der 
Hamsäureausfuhr  zu  messen  suchten,  fast  ausnahmslos  nur  sehr 
unvollkommen  nachgekommen.  Nicht  als  ob  dies  völlig  übersehen 
worden  wäre.  Da  die  Untersuchungen  fast  ausschließlich  an  mehr 
oder  weniger  schwerkranken  Leukämikem  angestellt  wurden,  so  war 
es  eben  unmöglich,  eine  konstante,  möglichst  nucleinfreie  Kost 
längere  Zeit  zu  geben. 

Dazu  kommt  noch  ein  zweiter  Mißstand :  Bei  Leukämiekranken 
ist  es  selbst  unter  der  Voraussetzung  einer  solchen  Kost  nach  unseren 
bisherigen  Untersuchungen  nicht  möglich,  eine  solche  Konstante  in 
der  Hamsäureausfuhr  zu  erhalten  wie  beim  Normalen.  Dies  lehrt 
ein  kurzer  Überblick  über  die  z.  Z.  vorliegenden  ein  wandsfreien 
Stoffwechseluntersuchungen  bei  den  verschiedenen  Formen  der 
Leukämien.  Dabei  treten  häufig,  scheinbar  regellos,  Störungen  in 
der  Purinausfuhr  auf,  die  auch  mit  anderen  Erscheinungen  der 
Krankheit  (Schwankungen  der  Leukocytenzahl,  Größe  der  N-Ans- 
Scheidung,  des  Eiweißzerfalles)  oft  in  gar  keinem  Einklang  stehen, 
so  daß  sie  vorerst  noch  völlig  unerklärt  sind.  Die  Untersuchung 
von  Leukämikern  auf  ihre  Purinausscheidung  nach  Röntgenbestrah- 
lungen scheint  uns  daher  vorerst  ganz  ungeeignet  zu  sein  zur 
Klärung  der  Frage  nach  der  Einwirkung  der  Röntgenstrahlen  auf 
den  Organismus. 

Als  notwendige  Voraussetzung  eines  besseren  Verständnisses 
der  physiologischen  \\  irkung  der  Röntgenstrahlen  schien  uns  viel- 
mehr die  Untersuchung  der  Purinauscheidung  bei  In- 
dividuen mit  normalem  Blutbefund  und  ebensolchen, 
günstigen  Stoffwechselverhältnissen  zu  dienen.  Gelegen- 
heit dazu  boten  die  Röntgenbestrahlungen  von  Leuten  mit  aus- 
gedehnter Psoriasis  vulgaris,  mit  Lupus  und  ähnlichen  Hautkrank- 
heiten. Sämtliche  hatten  normalen  oder  wenigstens  von  diesem 
quantitativ  wenig  abweichenden  Blutbefund.  Auch  ist  nach  den 
auf  Stoffwechseluntersuchungen  gegründeten  Erfahrungen  der  Der- 
matologen eine  tiefergreifende  Ernährungsstörung  bei  diesen  Krank- 
heiten auszuschließen.  ^) 


Ij  Die  Literatur  über  die  Einwirkung  der  Röntgenstrahlen  auf  Blut  und 
blutbildende  Organe  ist  in  den  zahlreichen  Arbeiten  der  jüngsten  Zeit,  die  akh 
mit  dieser  Frage  beschäftigten,  mehrfach  zusammengesteUt.  Wir  glauben  daher 
auf  eine  nochmalige  Besprechung  der  bisher  erschienenen  Publikationen  im  etn- 
zelnen  verzichten  zu  sollen.  Wir  verweisen  besonders  auf  die  Stoffwech8elu]lte^ 
suchungen  enthaltenden  Arbeiten  von 


Verhalt  der  Hamsäare  u.  Parinbasen  im  Urin  n.  Blut  bei  Röntgenbestrahl.  415 

Über  die  Versachsanordnnngen  ist  einiges  vorauszuschicken. 
Es  ist  schon  oben  darauf  hingewiesen  worden,  daß  es  äußerst  zweck- 
mäßig ist,  die  exogenen  Purinquellen  während  der  Bestrahlungsperiode 
völlig  auszuschalten.  Dies  ist  ohne  große  Schwierigkeiten  möglich.  Unsere 
Versuchspersonen  erhielten  eine  annähernd  nucleinfreie  Kost,  die  wir  nach 
den  Angaben  von  Mohr  und  Kauf  mann  ^)  folgendermaßen  gestalteten: 

1—2  1  Milch,  80—100  g  Reis,  4  Bier,  50  g  Butter,  250—400  g 
Brot,  15  g  B4>hrzucker. 

Diese  Nahrungsmittel  konnten  in  der  Zusammenstellung  und  Zu- 
bereitung so  variiert  werden,  daß  den  Patienten  diese  konstante  Diät 
kaum  überdrässig  wurde.  Ihrem  Kalorien  wert  nach  war  sie  mehr  als 
ausreichend.  Begonnen  wurde  mit  dieser  Diät  4  Tage  vor  dem  Anfang 
der  Bestrahlungen.  Methylierte  Purinderivate  (CofiPein,  Theobromin) 
wurden  vermieden. 

Die  Kranken  hielten  sich  ruhig,  um  die  durch  Muskelanstrengung 
verursachte  Purinvermehrung  möglichst  auszuschalten. 

Wesentlich  verschieden  von  den  sonst  gebräuchlichen  war  die  Me- 
thode, die  wir  bei  der  Bestrahlung  der  Versuchspersonen  inne  hielten. 
£&  wurden  in  Anlehnung  an  früher  veröffentlichte  Tierexperimente  von 
Jjinser  u.  Helber^)  stundenlang  (4 — 8  Stunden)  dauernde  Bestrah- 
lungen durchgeführt.  Diese  wären  wegen  der  Gefahr  schwerer  Haut- 
läsionen undurchführbar  gewesen,  wenn  wir  nicht  die  Bohre  in  einer  Ent- 
fernung von  100 — 150  cm  über  der  Mitte  des  Leibes  des  zu  bestrahlenden 
Individium,  das  auf  einem  Ruhebett  lag,  angebracht  hätten  an  Stelle  der 
üblichen  Milzbestrahlungen  von  kurzer  Dauer  in  einer  Entfernung  von 
20 — 30  cm.  Da  nach  den  Befunden  in  der  eben  citierten  Arbeit  die 
Beeinflussung  des  Blutbildes  nicht  an  die  Müzbestrahlung  geknüpft  ist, 
so  konnte  man  gleichzeitig  die  therapeutischen  Indikationen  für  die  Haut- 
krankheiten befriedigen  und  die  Veränderungen  des  Blutbildes  und  des 
PunnkÖrperstoffwechsels  beobachten.  Kopf  und  Genitalien  waren  durch 
Bleiblech  geschützt,  die  Augen  außerdem  durch  eine  Bleiglasbrille.  Von 
einem  bestimmten  Härtegrad  der  fi.öhren  konnte  bei  Bestrahlungen  von 
4 — 8  Stunden  natürlich  nicht  die  Bede  sein.  Es  wurden  primär  ganz 
weiche  Bohren  angewandt,  die  während  der  Bestrahlung  erhebliche  Härte- 


Lossen  u.  Morawitz,  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  83  p.  288  1905. 
Königer,  DeuUches  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  87  p.31  1906. 
Eosenberger,  Münch.  med.  Wochenschr.  1906  Nr.  5. 
Hosenstern,  Münch.  med.  Wochenschr.  1906  Nr.  21  u.  22. 

Einen  Überblick  über  den  heatigen  Stand  der  Frage  nach  der  Herkunft  und 
Aiuscheidung  der  PurinkOrper  geben: 

Wiener,  Ergebnisse  der  Physiol.  Bd.  II  1903. 

Burian,  Mediz.  Kün.  1906  Nr.  5  u.  1906  Nr.  19—21. 

Schittenhelm,  Zentralbl.  f.  Stoffwechselkrankh.  1905. 

Bloch,  Biochem.  Zentralblatt  1906  Nr.  12  u.  13. 

A.  Magnus-LeTy  in  von  Noorden's  Handb.  d.  Pathol.  d.  Stoffwechsels  1906, 

1)  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  74  p.  146  1902. 

2)  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  75  p.  479  1906. 

27* 


416 


XXIII.    LiKBBR   n.   SiCK 


grade  annahmen ,  so  daß  sie  häufig  gewechselt  werden  maßten.  Der 
langdauemde  Betrieb  der  Röhren  wurde  ermöglicht  durch  Verwendung 
'2  gesonderter  Wehneltunterbrecher,  die  abwechslungsweise  eingeschaltet 
wurden,  damit  keine  zu  starke  Erwärmung  der  Schwefelsäure  eintrit 
Die  gewöhnlich  vorhandene  Stromstärke  wechselte  zwischen  2  u.  4  Am- 
pere. Bemerkt  sei  noch,  daß  bei  diesen  länger  dauernden  BestrahlungeD 
eine  merklich  geringere  Intensität  der  Strahlenwirkung  beobachtet  wni^e, 
wenn  ein  Induktorium  von  nur  25  cm  Funkenlänge,  statt  eines  solohen 
von  50  cm,  das  wir  zuletzt  ausschließlich  verwendeten  und  mit  dem  die 
mitgeteilten  Experimente  angestellt  worden  sind,  in  Benutzung  war.  Eb 
ist  unseres  Wissens  darauf  bisher  noch  nicht  hingewiesen  worden.  AUein 
der  Unterschied  ist  eklatant  und  es  ist  um  so  notwendiger,  dies  su  be- 
tonen^  als  vielleicht  eine  Anzahl  von  differierenden  Versuchsresultaten  der 
Autoren  auf  dem  Unterschied  in  der  Leistungsfähigkeit  ihrer  Apparate 
beruhte.  Eine  eindeutige  Erklärung  dieses  Faktums  zu  geben  sind  wir 
nicht  imstande,  möglicherweise  tritt  in  den  kleinen  Induktorien  rascher 
Erhitzung  und  mangelhafte  Isolation  der  Windungen  ein. 

Die  Bestimmung  der  Harnsäure-  und  Purinbasenausscheidung  geschah 
nach  der  von  Thierfelder  akzeptierten  Methode  von  Schmid  and 
Krüger^);  daneben  wurde  der  Gesamtstickstoff  in  Urin  und  Fäces  nach 
Kjeldal  ermittelt.  Eine  Bestimmung  der  Purinkörper  in  den  Fäces 
erschien  nicht  notwendig,  da  ja  die  Menge  der  Purinbasen  im  Kot  nach 
Krüger  und  Schittenhelm^)  nur  wenig  mit  dem  eigentlichen  Pnm- 
Stoffwechsel  in  Beziehung  tritt  und  die  Harnsäure  nach  Schittenbelm 
sogar  bei  Leukämie  nie  nachweisbar  war. 


Tab.  I.    Gl.,  Franz,  21  Jahre,  Lupus  vulgaris. 
Kost:  21  Milch,  100  g  Reis,  2  Eier,  50  g  Butter,  250  g  Brot. 

Vorperiode. 


Datum 


Ge- 
wicht 

Jes_ 


Urin- 

N  g 


Fäces- 
Ng 


Gesamt- 
Ng 


Harn- 
säure- 
Ng 


Basen-     Lenko- 
N  g     cytöiahl 


1905 
22.  XII. 
23. 
24. 
25. 
26. 


72     '  t  16,30 

I  (  16,30 

'  t  17,98 

'    1  \  17,98 

72.2  !  18,53 


9,85 

1,92 
pro  die 


18,22 
18,22 
19,90 
19,90 
20,45 


!  /  0,131 
\  0,131 
!  (  0,145 
I  \  0,145 
'     0,145 


0,026 
0,026 
0.026 


Besj;rahlung9periode  (24  Std.  Bestrahlung)  tagl.  6  Std. 


27.  XII. 
28. 
29. 
30. 


1 


i  18,02 
\  18,02 
r  18,91 
\  18,91 


8,12 

2,03 
pro  die 


20,05  ;  i  0,292 

20,05  \  0,292 

20,94  ,  (  0,330 

20,94  V  0-330 


/  0,030 
)  0,030 
I  0,030 
{  0,030 


Nach  Beendigung  der  Bestrahlung  Aderlaß  150  ccm. 


1)  Vgl.  Hoppe-Seyler-Thierfelder  7.  Aufl.  p.  435  19(ö. 

2)  Zeitschrift  für  phys.  Chem.  Bd.  39  S.  199  1903. 


9150 


BiOO 


Verhalt,  der  Harnsäure  u.  Parinbasen  im  Urin  u.  Blnt  bei  Röntgenbestrahl.   417 


Nachperiode. 


Datum 


Ge-   j 
wicht 


Urin-    I   Fäces-    |  Gesamt- 
N  g     '     N  g     _     N  g 


Lenko- 
cytensahl 


31.  XII. 
1906 
1.  I. 
2. 
3. 
4. 


72,5 


i 

\ 

i 


19,78 

19,78 
19,41 
19,41 
17,92 


11.10 


2,22 

pro  die 


22,00      j 


0.376 


22,00 
21.63 
21,63 
20,14 


l  0,376 

(  0,343 

0,343 

l  0,343 


1 


(  0,05 
\0,05 

10,1 


0,054 

0,041 

0.041 

041 


6650 


7700 


Blutbefnnd  (Leukocyten). 


Datnm 


Gesamt- 
zahl 


Gr.  Monon. 

Überffangs- 

zeUen 


Eosinoph.   Mastzellen 


28.  XII. 
31. 
4.  I. 


9150 
6650 
7700 


25  «0 
20% 


^    IQ 

3% 


6»/, 

8-/. 


/O 


I 


Tab.  II.     F.,  Wilhelm,  23  Jahre,  Pityrias.  lichenoid,  chron. 
Kost :  2  1  Milch,  100  g  Reis,  2  Eier,  50  g  Bntter.  250  g  Brot. 

Vorperiode. 


0,286 
0,286 
0,252 
0,252 
0,252 


(  0,022 
'  0,022 
i  0,022     ;    8100 


Bestrahlungsperiode  (24  Std.  Bestrahlung  tägl.  6  Std.\ 


19. 
20. 
21. 
22. 


xn. 


75,0 


19,14 
19.14 
19,45 
19,45 


I 


6,94 

1,74 
pro  die 


20,88 
20,88 
21,19 
21,19 


0,273 
0,273 
0,412 
0,412 


0,035 
0,085 
0,051 
0,051 


6100 


23.  XII. 
24. 
25. 
26. 

27. 


Nachperiode. 

74,7 

(  20,73 
>  20,73 
(  21,41 
\  21,41 
21,02 

1    8,74 

1,75 
pro  die 

22,48 
22,48 
23,16 
23,16 
22,77 

i  0,520 
(  0,520 
(  0,544 
0,544 
1  0,544 

(  0,075 
\  0,075 
1  0,077 
<  0,077 
1  0,077 

5300 


9700 


Blutbefund  (Leukocyten). 


Datum 


Gesamt- 
zahl 


r„«»«i.«     Ör.  Monon. 
Polynncl.  ^l^^-    fbergang.- 


Eosinoph.     Mastzellen 


18.  xn. 

23. 
27. 


8100 
5300 
9700 


66»/„ 
51«/« 


42-'/„ 
22% 
29%, 


6»/„ 
4»/„ 


17»/« 
16  "/o 


l'/o 


418 


XXIII.    LiNSKR   n.   SiCK 


Tab.  III.     R.,  Anton,  22  Jahre,  PsoriaslB.  vulgär. 
Kost:  IVt  I  Milch,  200  g  Reis,  2  Eier,  50  g  Batter,  200  g  Brot 

Vorperiode. 


Datum 


Ge- 
wicht 


ürin- 

N  g 


Fäces- 


1 


Gesamt- 
N  g 


Ham- 
s&ure- 

y  g 


Basen-      Lenko- 
N  g      cytenaüü 


1906 
15.  IL 
16. 
17. 
18. 


19.  IL 
20. 
21. 
22. 


23.  IL 
24. 
25. 
26. 


63,1 


14,36 
14,36 
16,21 
16,21 


8.28 

2,07 
pro  die 


16,43 
16,43 

18,28 
18,28 


0,182 
0,182 
0,147 
0.147 


0,023 
0,023 
0,023 
0.023 


Bestrahlungsperiode  (20  Std.,  täglich  5  Stunden). 


/ 


^ 


16,37 
16,37 
{  17,60 
\  17,00 


6,74 


1,69 
pro  die 


I  0,021 
,021 
Nach  Abschluß  der  Bestrahlung  Aderlafi  250  com. 


18.06  i  /  0,150 

18,06  \  0,150 

19.19  /  0,198 

19,19  i  \  0,198 


0,021 


I  0,021 

lo,r 


63,4 


Nach  Periode. 

17,86      /    5,97           19,35  (  0,235 

17,86      I                     19,35  \  0,235 

17,98     1     1,49           19,47  |  /  0,177 

17,98      l  pro  die        19,47  !  \  0,177 


0,(B2 
0,032 
0,032 
0,032 


8100 


7400 


6500 


8900 


Tab.  IV.     W.,  Karl,  19  Jahr,  Pseudoleukämie  (Morbus  Mikulicz?; 
Kost:  1  1  Milch,  100  g  Reis,  4  Eier,  50g  Butter,  250  g  Brot 

Vorperiode. 


Lenko- 
cytennhl 


1905 
27.  XIL 
28. 
29. 
30. 
31. 

1906 

1.  L 


2.  L 
3. 
4. 
5. 

6. 


51,0 


13,41 
r  13,75 
\  13,75 
/  13,18 
\  13,18 


13,44 


14,62 

/  14,96 

I  \  14,96 

!     14,39 

1,21  14,39 

I 

pro  die        14,65 


{ 


0,127 
0,127 
0,127 
0.141 
0,141 

0,082 


r  0,032 
0,032 
l  0.(^ 


0,015      1140Ü 


Bestrahluugsperiode  (24  Std.  Bestrahlung  tägl.  6  Std.j. 

8,60 


51,5 


/  14,48 
\  14,48 
(  15,34 
^  15,34 
15,52 


1,72 
pro  die 


16,20 
16,20 
17,06 
17,06 
17,24 


(  0,125 
\  0,125 
/  0,237 
\  0,237 
0,244 


i  0,020 
\  0,020 
/  0,034 
\  0,034 

o;o3i 


0800 


Nach  der  Bestrahlungsperiode  Aderlaß  150  ccm. 


Verhalt,  der  Harnsäure  a.  Purmbaseu  im  Urin  n.  Blnt  bei  Röntgenbestrahl.  419 


Nacbperiode. 


Datnm 


Ge- 
wicht 


k£ 


Ürin- 

N  g 


Fäces- 

N  g 


15,77 
15,23 
15,23 
15.50 
15.50 


J^ 


1,46 
pro  die 


Gesamt- 

N  g 


I    Harn- 
,    sänre- 


Basen- 

N  g 


I 


75;^ 

0,034 


r  0,047 
l  0,047 


Lenko- 
cyten 


7.  I. 

8. 

9. 
10. 
11. 
12. 


52,0 


i 
\ 
/ 
l 

\ 


17,23 
17,23 
16,69 
16,69 
16,6^ 
16,69 


{ 


0,279 
0,279 
t  0,214 
l  0,214 
/  0,242 
\  0,242 


8200 


Blutbefnnd. 


Datum 


^T^"-  iPolynucL  ^^^ 


zahl 


Gr.  Monon. 

Übergangs- 

zeTlen 


Eosinoph.    >  Mastzellen 


1.  I. 
7. 

12. 


11400 
8200 


56,0%  16,0% 
76,50/^  10,5% 
60,1%       28,3% 


20,50/0 
6,2% 

4,4% 


7,0% 
5,8% 
6,20/, 


1% 
1% 


Tab.  V.     K.,  Johann,  56  Jahr,  Pruritus  (Mycosis  fnngoid.?) 
Kost:  ^'t  1  Milch,  100g  Reis,  2  Eier,  50  g  Butter  250  g  Brot. 

Vorperiode. 


Datum 


Ge- 
wicht 

Jes_ 


Urin-        Fäces- 


g 


I 


N  g 


Gesamt- 

N  g 


Harn- 
säure- 


Basen-    j  Leuko- 
N  g      cytenzahl 


2.  II. 

3. 

4. 

5. 

6. 


68,5 


V 


13,04 
13,84 
13,84 
13,51 
13,51 


6,14 


1,2:^ 
pro  die 


14,27 
15,07 
15,07 
14,74 
14.74 


0,182  '  —          10000 

(  0,140  I  t  0.021 

\  0,140  ;  ^  0,021     , 

i  0,117  I  (  0,012     I 

\  0,117  I  1  0,012         9000 


Bestrahlungsperiode  (24  Std.  Bestrahlung,  tägl.  5  Std.). 


8. 

9. 

10. 


n. 


11.  n. 
12. 

13. 
14. 


68,2 


14,92 
14,92 
14.67 
14,67 


14,26 
14,26 
13,61 
13,61 


(    5.78  16,37  i  0,194       i  0,036 

)  16,37  \  0,194       (  0,036 

I     1,45  16,12  /  0,198  ,       — 

l  pro  die  16,12  (  0,198  '       - 


Nachperiode. 

6.18  15,81 

15,81 

1,55  15,16 

pro  die       15,16 


0,229 
0,029 
0,218 
0.218 


0,039 
0,039 
0,048 
0,048 


Blntbefund  (Leukocyten). 


5950 


7750 


Datum 


^^^iPolynucl.  I^y-Pi- 


Gr.  monon. 

Übergangs-  <  Eosinoph. 
Zeilen       1 


Mastzellen 


6.  I. 
11. 
14. 


9000 
5950 
7750 


ob  ,0 
70% 
72»/o 


H2% 

21  ";o 

22% 


4% 

-     ;0 


6% 

3'",, 


1% 


420  XXIII.  LiK8£R  n.  SicK 

Aus  den  mitgeteilten  Versuchsreihen  geht  mit  Deatlichkeit 
hervor,  daß  in  allen  Fällen  auch  bei  blutgesunden  Indi- 
viduen durch  Röntgenbestrahlung  eine  erhebliche 
Herabsetzung  der  Lenkocytenzahl,  im  Zusammenbau^ 
damit  eine  Steigerung  der  gesamten  Stickstoffaas- 
scheidung, eine  Vermehrung  der  Harnsäure  und  der 
Basen  im  Urin  stattfindet.  Zwei  analoge  Beobachtungen  am 
gesunden  Menschen,  die  wir  Bloch*)  und  Eosenstern^)  ver- 
danken, hatten  keine  sehr  deutlichen  Resultate  ergeben.  Die  Stick- 
stoffwerte der  Harnsäure  wie  die  der  Basen  waren  im  allgemeinen 
auf  das  2  -3  fache  der  Vorperiode  gesteigert.  Gewöhnlich  schlössen 
sich  die  höchsten  Ausscheidungsgrößen  an  das  Ende  der  Bestrah- 
lungsperiode an  und  die  Steigerung  blieb  bis  an  das  Ende  der 
Nachperiode.  Der  Quotient  Harnsäure-N  :  Ges.-N  hob  sich  meist 
auf  ungefähr  das  Doppelte.  Die  vermehrte  Purinkörperausscheidang 
hielt  noch  nach  Absclxluß  der  Bestrahlungszeit  auffallend  lange  an. 
so  daß  die  Nachperiode  länger  ausgedehnt  werden  mußte.  Das 
Allgemeinbefinden  der  Kranken  litt  keineswegs  während  der  Be- 
strahlungsperiode; spezielle  Aufmerksamkeit  wurde  auf  die  Nieren- 
tätigkeit gerichtet:  es  konnten  niemals  abnorme  Urinbe^tandteile 
nachgewiesen  werden.  Eine  weitere  Fortsetzung  der  Bestrahlongeo 
schien  uns  nicht  ratsam  und  dem  Interesse  der  Patienten  zuwider- 
laufend, obwohl  Hautläsionen  bei  dieser  Art  von  Bestrahlung  nicht 
einmal  spurweise  angedeutet  waren.  Die  Mehrzahl  aller  Beobachter 
führt  ja  das  Absinken  der  Purinwerte  des  Harns  nach  langer  Be- 
strahlung auf  eine  Verödung  des  blutbildenden  Gewebes  zurück 
Da  das  Auftreten  einer  solchen  auch  beim  Blutgesunden  immerhin 
möglich  ist  und  ein  schädigender  Einfluß  auf  die  Gesundheit  der 
Patienten  denkbar  wäre,  wollten  wir  diese  Eventualität  von  vorn- 
herein ausschalten. 

Da  eine  allzu  lauge  Fortsetzung  des  Stoffwechselversnches  beim 
Menschen  auch  in  Anbetracht  der  für  längere  Zeit  einförmigen 
Kost  nicht  tunlich  erschien,  waren  häufig,  wie  schon  angedeutet 
bei  Abschluß  der  Nachperiode  die  Werte  fiir  Harnsäure  und  Purin- 
basen  noch  über  die  normalen  Werte  der  Vorperiode  gesteigert. 
Wir  ergänzten  deshalb  die  mitgeteilten  Versuche  durch  ein  Ex- 
periment am  Hunde.  Nach  50 stündiger  Bestrahlung  fiel  bei 
diesem  die  Lenkocytenzahl  auf  ungefähr  die  Hälfte  (von  7600  auf 


1 )  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  83  S.  o2()  I90ö. 

2)  Münch.  med.  Woch.  1906  Nr.  21  u.  22. 


Verhalt,  der  Harnsänre  n.  Puriiibasen  im  Urin  n.  Blnt  bei  Röntgenbestrahl.  421 

3600).  Der  Harnsäarestickstoff  stieg  (2tägige  Perioden)  von  0,09  g 
auf  0,285  g.  Von  diesem  Höhepunkte  an,  der  anmittelbar  nach  der 
Bestrahlung  erreicht  wurde,  gii^gen  die  Harnsäurewerte  wieder 
langsam  in  einem  Zeitraum  von  ca.  16  Tagen  auf  die  Norm  zurück. 


Tab.  VI.    Männlicher  Rattenfänger. 
Kost:  600 g  Milch.  300g  Brot,  öOOg  Wasser. 

Vorperiode. 


Datum 

Ge- 
wicht 

ürin- 

N  g 

Fäoes- 
N  g 

Ge-     Harn-  g^ 
samt-    säure  '^S^  " 

!  N  g     N  g  ^  « 

Leuko- 
cyten         Bemerkungen 
zahl  1 

1905. 

1 

1 

1 

14.  u.  15.  V. 

6,7 

12,38 

1   3,12 

12,90 

0,087    r  0,020 

6800 

16.  n.  17. 

14,22 

14,74  '  0,101   {0,020 

1 

18.  n.  19. 

13,06 

]   0,52 
l  pro  die 

13,57    0,081    10,020'  7600 

i 

1                ! 

I 

testrahlungs] 

Periode  (50  Std.  Bestrahlung). 

20.  u.  21.V. 

15,04 

4,22 

15,74 

0,138     0,036 

22.  n.  23. 

15,36 

16,06 

0,129     0,036 

24.  n.  25. 

17,91 

0,70 

18,61 

0,197     0,036              Albumen  in  geringer 

pro  die 

Menfi^e,  wenige  Zyßnd. 
Reichl.  Epithelien  und 

1 

Leukocyten. 

'           1 

Nacbperiode. 

26.  n.  27.  V. 

6.1 

17,43 

7,57 

18,06    0,285^   0,031 

28.  u.  29. 

15,67 

16,30    0,242     0,0311  3600 

30.  n.  31. 

14,23 

14,86    0,266.   0,031. 

1.  u.  2.  VI. 

15,81 

16,44 

0,2a3     0,025 

3.  n.  4. 

14,46 

0,63 

15,09 

0,174     0,025 

5.   n.  6. 

15,75 

pro  die 

16,38 

0.194     0,025'  5900     Spur  Albumen,  ganz 

vereinzelte  Zylinder. 

7.   u.  8. VI. 

5,6 

16,07 

16.64 

0,128     0,018 

■ 

9.  n.  10. 

15,28 

6,88 

15,85 

0,107     0,018 

11.  n.  12. 

1 

13,70 

14,27 

0,0911   0,018 

13.  XL.  14. 

14,54 

15,11 

0,109     0,018 

15.  n.  16. 

1 

15,44 

0,57 

16,01 

0,082 

17.  n.  18. 

5,9 

15,92 

pro  die 

16,49 

0,064 

1 

8300 

Kein  Eiweiß,  keine 

. 

1            !            '            Zylinder. 

Blntbefund. 

Datnm 

'  Gel 
z 

lamt- 
ahl 

Lympho- 
cyten 

Gr.  Mouon. 

Überarangs- 

zellen 

Polynud. '  Eosinoph.      Mastzellen 

1 

19.  V. 
■M. 
29. 
16.  VI. 


7600 

3600 
8300 


19»/, 
11% 
12% 
16% 


6% 
2% 

2% 

4% 


66% 

81% 

79% 
74% 


7% 
&% 
6% 

5% 


2% 
1% 
1  % 
1% 


Weitere    klinüche    Bemerkungen    erfordern    die    mitgeteilten    Beob- 
htnngen  wohl  nicht.     Die  Leukooytenzählungen  wurden  natürlich  unter 


422 


XXIII.    LiNSEB  tt.   SiCK 


deD  nötigen  Kautelen  (ähnliche  Tageszeit,  ähnlicher  YerdaaungssuBUnd) 
vorgenommen  unter  Verwendung  der  Breuer'schen  Kammer.  Oanz  vn- 
verkennbar  war  die  Lymphopenie,  welche  bei  Beginn  der  Beetrahlnng 
auftrat.  Zu  Fall  6  sei  noch  erwähnt,  daß  er  diagnostisch  nicht  völlig 
klar  war.  Es  bestanden  bei  dem  17  jährigen  jungen  Menschen  multiple 
Lymphdrüsenschwellungen  (Hals,  Nacken,  vor  dem  Stemum,  Azillae, 
Leistenbeugen,  Kniekehlen),  weiterhin  waren  die  lymphatischen  Apparate 
im  Rachen,  die  Follikel  der  Kehlkopfscbleimhaut,  der  Oonjunctiva,  die 
Drüsen  am  Lungenhilus  (Röntgenbild)  hyperplastisch.  Sehr  auffallend 
war  eine  beträchtliche  Schwellung  beider  Parotiden,  während  die  Oland. 
submaxill.  und  subling.  nicht  sicher  vergrößert  waren,  ebensowenig  die 
Tränendrüsen.  Man  konnte  daher  das  Krankheitsbild  nicht  ohne  weiteres 
als  Mikulicz^sche  Erkrankung  definieren,  da  die  sonst  so  charakteristische 
Tränendrüsenschwellung  fehlte.  Vielleicht  bestand  bei  dem  Kranken 
eine  besonders  starke  Durchsetzung  der  Ohrspeicheldrüsen  mit  lymphati- 
schem Gewebe,  das  ja  stets  in  derselben  inselförmig  gefunden  wird,  and 
dieses  Gewebe  hatte  sich  an  der  allgemeinen  Lymphdrüsenschwellnng  be- 
teiligt. Eine  Probeexcision  aus  der  Oonjunctiva  hatte  histologisch  BUder 
ergeben,  die  an  Tuberkulose  erinnerten,  aber  der  Tierversuch  erwies  sich 
als  negativ.  Man  wird  demnach  mit  der  größten  Wahrscheinlichkeit  eine 
pseudoleukämische  Erkrankung  annehmen  müssen,  die  bei  der  Röntgen- 
behandlung merkliche  Besserung  zeigte.  Die  Parottsschwellung  nahm 
sehr  deutlich  ab,  aber  die  Lymphdrüsenschwellungen  waren  nicht  auf 
die  Dauer  zu  beseitigen,  wenn  auch  die  Drüsen  weicher  blieben.  Nach 
\'^  Jahr  waren  übrigens  die  Lymphdrüsen  nicht  wieder  von  neuem 
angeschwollen.  Auch  das  Allgemeinbefinden  ließ  nichts  zu  wünschen 
übrig. 

Im  Anschluß  an  diese  Versuche  an  ganz  oder  im  wesentlichen 
blutgesunden  Individuen  soll  noch  eines  Kranken  mit  lymphatischer 
Leukämie  Erwähnung  getan  werden,  der  zur  selben  Zeit  Bestrah- 
lungen in  ähnlicher  Weise  unterworfen  wurde.  Die  Mitteilung 
dürfte  dadurch  berechtigt  sein,  daß  im  ganzen  seltener  lymphatische 
Leukämien  bestrahlt  und  auf  die  Reaktion  ihres  Erankheitsverlattit^ 
auf  Eöntgenbehandlung  untersucht  worden  sind  ^),  vgl.  Tab.  VH. 

Tab.  VII.    H.,  Alexander,  Ö6  Jahre,  Chron.  lymphat.  Leukämie. 
Kost :  2  1  Milch,  80  g  Reis,  4  Eier,  50  g  Butter,  400  g  Brot,  15  g  Zucker. 

Vorperiode. 


Datum 


Ge- 
wicht 

Jel. 


Urin-  I   Fäces- 

N  g  ;    N  g 


Ge- 
samt- 

N'  8 


Hf™-  I  Basen- 
saure      v   « 

y  g  I  ^  g 


Lenke-  1  Stunden- 

cyten-      bestiah- 

zahl    I     lung 


8.  I. 

9. 
10. 
11. 


56        / 14,84 
a4.84 

55,5     / 14,1 
.\  14,1 


9,99 


2,47 
pro  die 


i  17,31 


/  0,118 


l  17,31  i\  0,118 

U6.Ö7    (0,09 

\  16,57  .;\  0,09 


i  0,042     150  000 

/  0,041 
l 


1)  Vgl.  Curschmann  u.  Gaupp,  Mllnch.  med.  Wochenschr.  1905  Nr.aO 
n.  Rosenstern.  1.  c.  Fall  III;  Joachim  u.  Kurpjuweit,  Münch.  med.  W. 
1904  Nr.  49. 


Verhalt,  der  Harnsäure  u.  Pnriubasen  im  Urin  u.  Blut  bei  Röntgeubestrahl.    423 


I.  Bestrahlungsperiode. 


Datum 

Ge- 
wicht 

■    k? 

Urin- 
N  g 

Fäces 
N  g 

Ge- 
samtr 

N  g 

Harn- 
säure- 

Basen- 

N  g 

Leuko- 

cyten- 

zahl 

Stunden 
Bestrah- 
lung 

12.  I. 

r  14,22  if 

16,8 

0,081 

r  0,042 

241000 

3 

13. 

\  14,22  , 

16,8 

0,084 

6 

14. 

r20,4 

22,98 

0,14 

^0,07 

225000 

8 

15. 

\20,4 

22,98 

0,14 

\ 

6 

16. 

1 16,46 

31,006 

19,04 

0,133 

1  0,043 

275000 

o 

17. 

56,8 

1 16,46  i 

S 

19,04 

0,133 

\ 

3 

18. 

/ 17,34 
17,34 

2,58 

19,92 

0,158 

(0,051 

118000 

3 

pro  die 

19. 

19,92 

0,158 

1 

4 

20. 

17.34 

j 

19,92 

0,165 

/  0,049     115  000 

21. 

1 17,34 

19,92 

0,165 

\              160000 

22. 

ri7,07 

19,75 

0,182 

/  0,047 

23. 

1 

\  17,07 

^ 

19,75 

0,182 

^            , 

Nachperiode. 


24.  I. 
25. 
26. 
27. 


57,5 


(19,68 
\  19,68 
(19,4 
19.4 


16,426 


21,73 
21,73 
21,45 
21,45 


r  0,175 

( 0,175 

i  0,145 

0,145 


/  0,051 

l 

j  0,077 

\ 


230000 


n.   Bestrahlungsperiode. 


28.  I. 
29. 
30. 
31. 


1(17,17 

!/ 16,23 
\  16,23 


pro  die 
2,053 


1 

19,22    /0,16     10,098 

140000 

19,22   \0,16    ,\ 

18.28    ^0,142  ,r  0,038 

160000 

18,28   >  0.142    i 

1. — 19.  IL    Pneumonie  des  recht.  Unterlappens. 

sistiert,  gemischte  Diät. 

r  0,108  i   - 


20.  n. 

21. 
'22. 
•23. 


56,5 


i  12,96 
\  12,96 
/ 13,44 
1 13,44 


>  0,108 
r  0,125 
\  0,125 


Stoffwechsel  versuch 


160000 


Blutbefund. 


Datum 


Erythro-  \    Lymphoc. 
cyten     .kleine  große 


Monon.       r>«i      i\r„^i/.       Mast 
Zellen       °^^'-    ;  ^^^^      noph. 


Hämo- 


Zer- 
zelien  «^'o»»^ 


8.  I.      1600000,69%  I  4»/o 
21.  1680000   84 ">/o  ,  9% 


0,50/. 
1,2»/, 


1"/.      0,5%!      - 
2%     0,8%,      - 


26»/. 

10 


3«; 


450/0 


Es  handelte  sich  um  eine  chronisch  verlaufende  Erkrankung  bei 
einem  56  jährigen  Manne,  der  zur  Zeit,  "^j^  Jahr  nach  der  Beobachtungs- 
periode,  noch  lebt,  aber  schwach  und  bettlägerig  ist.  Neb^n  dem  charak- 
teristischen Blutbefund  der  Lympbämie  und  einer  großen  Anzahl  von 
Hiebt  mehr  klassitizierbaren  Zerfallszellen  (Zahl  der  weißen  Zellen  150000 
bis  275  000)  waren  als  deutliche  Zeichen  der  Erkrankung  ein  gewaltiger 


424  XXUI.  LiNSBR  n.  Sick 

Milztumor  der  bis  über  die  Medianlinie  reichte,  and  Lymphome  am  Kais 
und  in  den  ObersohiüsBelbeingruben  leicht  nachzuweisen.  Die  bei  unter 
Durchführung  purinarmer  Diät  längere  Zeit  (15  Tage)  durchgeföhrten 
Bestrahlungen  führten  zu  einer  nicht  einwandfreien  Verminderuiig  der 
Leukocytenzahlen,  die  schon  an  abd  für  sich  stark  schwankten,  hatten 
aber  auf  das  Allgemeinbefinden  der  Kranken  keinen  günstigen  Einfluß 
obwohl  das  Gewicht  noch  anstieg.  Es  zeigte  sich  zunehmendes  Schwache- 
gefühl  und  große  Müdigkeit,  Verdauungsstörungen.  Kurz  nach  Abschluß 
der  ersten  Bestrahlungsperiode  trat  eine  glücklicherweise  günstig  ver- 
laufende TJnterlappenpneumozue  rechts  ein,  aber  auch  na<^  deren  Ablauf 
war  der  Patient  noch  so  labil,  daß  eine  Wiederaufnahme  der  Bestrahlung 
nicht  angängig  erschien. 

Zunächst  konnte  bei  diesem  Kranken  festgestellt  werden,  daß 
die  Auscheidung  der  Purinkörper  für  gewöhnlich  keinje  abnorm 
hohen  Werte  —  wie  meist  bei  der  lymphatischen  Leukämie*)  — 
repräsentierte.  A\'ährend  der  Bestrahlung  stieg  die  Purinkörper- 
menge  im  Urin  zusammen  mit  Vermehrung  des  Stickstoffzerfalls 
langsam  an^  ein  dauerndes  Absinken  derselben  trat  nicht  oder 
nicht  mehr  auf.  Eine  Verkleinerung  der  Milz  war  unverkenabar. 
aber  nach  Aussetzen  der  Bestrahlungen  ging  dieser  Effekt  rasch 
verloren.  Man  darf  wohl  die  Erfahrungen  an  diesem  Kranken  in 
dem  Sinne  verwerten,  daß  mit  der  Röntgenbestrahlung  bei  lympha- 
tischer Leukämie  noch  vorsichtiger  als  bei  der  myeloiden  vor- 
gegangen werden  muß. 

Ist  demnach  unter  normalen  wie  pathologischen  Bedingungen 
eine  Einwirkung  der  Röntgenstrahlen  auf  das  Blut,  die  zu  ver- 
mehrtem Zerfall  der  farblosen  Blutzellen  führt,  mit  allen  Konse- 
quenzen für  den  Stoffwechsel  erwiesen,  so  erhebt  sich  die  weitere 
Frage,  in  welcher  Art  im  einzelnen  die  Einwirkung  der  Sü-aUen 
auf  jene  Zellen  gedacht  werden  muß.  Der  eine  von  uns  *)  hat  auf 
Grund  seiner  Tierversuche  einen  toxischen  Körper  snpponiert,  ier 
in  gelöstem  Zustand  zirkulierend  die  Zerstörung  der  Leukocyten 
bewirkt. 

Neuerdings  ist  von  Klieneberger  und  Zöppr  i  t  z  *)  auf  Grund 
eingehender  Untersuchungen  über  die  Einwirkung  des  Serums  be- 
strahlter Leukämiker  auf  menschliche  Leukocyten  in  vitro  und  auf 
solche  im  Kreislauf  von  Tieren  die  Notwendigkeit  und  die  Berechtigung 
der  Annahme  eines  Röntgenleukotoxins  im  Sinn  der  Immunitätslehre 
bestritten  worden.    Demgegenüber  ist  in  erster  Linie  zu  bemerkau 


1)  Vgl.  von  Noorden,  Handb.  der  Pathol.  d.  Stoffwechsels  1906. 

2)  Liuser  u.  Helber.  Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.  as  S.  489  1905. 

3)  Münch.  med.  Wocbenschr.  1906  Nr.  18  ii.  19. 


Verhalt,  der  Hamsänre  u.  Parinbasen  im  Urin  u.  Bint  bei  Röntgenbestrahl.    42Ö 

da6  wir  unsererseits  in  dem  Röntgenleukotoxin  keineswegs  einen 
KSrper  zn  erkennen  glauben,  der  in  seinen  Eigenschaften  mit  den 
dnrch  entsprechende  Vorbehandlung  mit  Lenkocyten  einer  anderen 
Spezies  zu  gewinnenden  Cytolysinen  für  farblose  Blutzellen  iden- 
tifiziert werden  kann.  Wenn  auch  gewisse  ähnliche  Eigenschaften : 
die  Schädigung  durch  Erhitzen,  die  freilich  sehr  variable  aber 
meist  eintretende  Selbstimmunisierung  Veranlassung  dazu  geben, 
eisige  Analogien  aufzustellen,  so  sind  doch  der  Verschiedenheiten 
za  viele,  um  bei  den  verhältnismäßig  wenig  ausgedehnten  Beob- 
achtungsmaterial eine  nähere  Beziehung  zwischen  beiden  Körpern 
zu  behaupten.  Ganz  besonders  scheint  uns  die  andersartige  Ent- 
stehung dies  zu  verbieten.  Zwar  entsprechen  die  Leukotoxine 
Metschnikoff's  wie  andere  Cytolysine  auch  nicht  in  allen  Be- 
ziehungen dem  Verhalten  der  Bakteriolysine  und  Hämolysine  und 
damit  den  nach  Ehrlich  daraus  abgeleiteten  theoretischen  An- 
forderungen (wir  erinnern  nur  an  die  geringe  Spezifität  dieser 
Körper);  so  daß  etwas  abweichende  Eigenschaften  nicht  ohne 
weiteres  jede  Beziehung  beseitigen  werden.  Allein  sehr  schwer- 
wiegend bleibt  die  genetische  Verschiedenheit. 

Sobald  man  aber  sich  vor  die  Frage  stellt,  in  welcher  Weise 
die  Wirkung  der  Röntgenstrahlen  auf  das  Blut  nach  dem  bisherigen 
Tatsachenmaterial  am  besten  erklärt  werden  kann,  so  wird  man 
zur  Annahme  eines  löslichen  im  Blute  kreisenden 
toxischen  Körpers  greifen  müssen.  Diese  Annahme  recht- 
fertigt sich  durch  das  lange  Anhalten  der  Leukopenie  und  des 
Nttcleinzerfalls  nach  Aussetzen  der  Bestrahlung,  durch  die  „Inku- 
bation" der  Strahlenwirkung,  sowie  durch  den  Einfluß  des  Röntgen- 
serums  zum  mindesten  auf  artgleiche  Individuen.  Die  Berechtigung, 
den  Ausdruck  Leukotoxine  mit  der  näheren  Bestimmung  Röntgen- 
leukotoxine  zu  gebrauchen,  leitet  sich  einerseits  aus  der  spezifischen 
Wirkung  des  fraglichen  Körpers  auf  die  farblosen  Blutzellen  und 
Ihre  Bildungsstätten  ab,  andererseits  aus  der  immunisierenden 
Wirkung.  Denn  viel  enger  als  durch  die  Antikörper  bildende 
Eigenschaft  und  die  zellschädigende  Wirkung  kann  der  Ausdruck 
Toxin  zur  Zeit  begrifflich  nicht  umgrenzt  werden.  Erst  wenn  wir 
klarere  Vorstellung  von  der  eigentümlichen  Wirkung  der  Röntgen- 
strahlen auf  bestimmte  Zellgruppen  besitzen  werden,  dürfte  es  Zeit 
sein,  an  die  Revision  der  einstweilen  gebrauchten  Bezeichnungen 
2m  gehen. 

Die  bereits  erwähnte  Tatsache,  daß  die  vermehrte  Purinkörper- 
ausscheidung  noch   längere  Zeit  nach  Abschluß  der  Bestrahlung 


426 


XXIII.     LiNSBK   U.   SiCK 


anhält,  ist  unseres  Erachtens  für  die  in  Frage  stehenden  Anschau- 
ungen von  besonderer  Bedeutung.  Bei  Fütterung  mit  nucleinreicher 
Nahrung  fällt  nämlich  die  Purinausscheidung  sofort  (1—2  Tage) 
nach  dem  Aufhören  der  Zufuhr  ^) ;  hier  findet  aber  ein  sehr  lang- 
sames Abklingen  der  Erscheinung  statt:  Ein  zum  Zellzerfall  fah- 
render Faktor  wirkt  also  offenbar  noch  längere  Zeit  nach.  Daß 
dies  auch  fär  den  Menschen  zutrifft,  ergaben  zwei  Versuche,  die 
Patienten  mit  Lupus  vulgaris  und  Psoriasis  betrafen.  Sie  wurden 
natürlich  unter  allen  Kautelen  und  mit  Einwilligung  der  be- 
treffenden ausgeführt  (s.  Tab.  Vni  u.  IX). 


Tab.  VIII.    W.,  Katharine  31  Jahre.   Lup.  vulgär. 
Kost:  2  1  Milch,  60  g  Reis,  50  g  Butter,  200  g  Brot. 

Vorperiode. 


Datum 

Ge- 
wicht 
kg 

Urin-     Fäces-      ^^I 
Ng       Ng     «7*^- 

Harn- 
säure 
N  g 

Basen- 

N  g 

Leuko- 

cyten- 

zahl 

1905     ' 

1 

• 

28.  XII.     58,0 

16,75 

7,71 

18,68 

0,214 

-   - 

29. 

16,18 

1 

18,11 

0,219 

f  0,020 

30. 

16,45 

]  1,93       18,38 

0,169 

0,020 

12200 

31. 

16,56 

iprodie    18,49 

0,148 

10,020 

Injektion  von  60  ccm  Röntg.-Serum  (von 

Fall  I). 

4  Std.  nach  der  ,                    „                 „                   6ö00 

^      n           n          n      n                            r>                        n                           fvjU 

1906 

1 

1.  I. 

18,94    / 10,26 

20,65 

0,487 

(0,035 

2. 

18,47 

20,18 

0,261 

\  0,035 

11900 

Aderlafi  200 

1 

ccm  s.  Blnt- 

I 

analysai 

3.                     / 17,03 

18,74 

r  0.292 

(0,048 

12800 

4.                      \  17,03 

18,74 

\  0:292 

\  0,048 

5.                      r  16,20 

1,71 

17,91 

/  0,174 

/     — 

6.            58,1    \  16,20 

pro  die 

17,91 

\  0,174    (    - 

( 

Blntbefund  (Leukocyten). 

T^  ♦             Gesamt-  ,  t>  ,        i  ^  Lympho-  ,  ^"  ^<>^®"- 
^**^°^           zahl       Polynucl.|    -^yP^      ^^eSt^^'" 

Eosinoph 

.     Mast»Uen 

30.  Xn.  05..    12  200 

610/n      '     28%              40/« 

ö\ 

!      1% 

2.  I. 

06.1    11 

900 

n\ 

20% 

!      2 

0/ 
/o 

2»/. 

■      2»/, 

Nach  einer  entsprechenden  Bestrahlungsperiode,  in  der  die 
Leukocytenzahl  des  Bestrahlten  eine  deutliche  Verminderung  er- 
fahren hatte,  wurde  durch  Venenpunktion  ca.  150  ccm  Blut  ent- 


1)  Vgl.  Bloch,  I.e.  S.  502  ff. 


Verbalt.  der  Harnsäure  n.  Pnrinbasen  im  Urin  u.  Blnt  bei  Röntgenbestrahl.    427 


Tab.  IX.    F.,  Johann,  42  Jahre,  Psoriasis  vulgaris. 
Kost:  l'/o  l  Milch,  200  g  Reis,  2  Eier,  50  g  Butter  100  g  Brot. 

Vorperiode. 


Datum 


Ge- 
wicht 

kg 


Urin-  i  Fäcea- 

N  g   !   N  g 


Ge- 
samt- 

N  g 


Harn- 
säure 

N  g 


Basen- '   Leuko- 
N  g    cytenzahl 


21.  n. 
22. 

23. 


23.  n. 

24.11.  ; 
2o. 

25.     ; 

26.  ; 

27.  ' 


67,5 


15,91 
16,73 

16,40 


/  5,22   '  (  17,65 
1 118,47 

1,74    1(18.14 
pro  die 


( 0,161 
0,161 

0,161 


r  0,01 8 
0,018 

0,018 


8600 
8900 

5100 


vor  der  In- 
jektion. 

8  Std.  nach 
d.  Inj. 


'  I  ■  I 

Abends  4  Uhr  Injektion  von  80  com  Röntg. -Serum  von  Fall  IV. 


67,4 


ij  17,02 

\  17,02 

r  16,24 

\  16,24 

16,57 


7,42 


18,52 
I    17,74 
1,5     1   17,74 
[pro  die'   18,07 


18,52    r  0,288 

\  0,288 
(0,243 
^0.243 
i  0,243 


r  0,027 

1 0.027 
r  0,033 
I  0,033 
(0,033 


5600 

7500 
9600 
9000 
8400 


12  Std.  nach 
der  Injekt 


Blutbefund  (Leukocjten). 


Datum 


Gesamt-  poi-.n„^i    Lympho- 


Gr.  Monon. 

Übergangs-  ;  Eosinoph. 
Zellen       ' 


Mastzellen 


22.  n. 
24. 


8900 
5600 


64% 

74<>/o 


24« 
16<>/ 


'0 


10 


3% 


67o 
5% 


1% 

2% 


Qommeii.  Daraus  konnte  durch  sofortiges  sorgfaltiges  Ausschleudern 
60—80  ccm  Serum  gewonnen  werden.  Diese  Menge  wurde  nun 
auf  Bluttemperatur  erwärmt  und  dann  einem  zweiten  an  der  gleichen 
Krankheit  leidenden  intravenös  injiziert.  Der  Erfolg  entsprach 
ganz  unseren  früheren  mit  Böntgenserum  gemachten  Erfahrungen: 
Die  Leukocytenzahlen  sanken  innerhalb  von  4  Stunden  nach  den 
Injektionen  von  12  200  auf  6500  resp.  von  8600  auf  5100,  um  nach 
2 — 3  Tagen  wieder  die  frühere  Höhe  zu  erreichen.  Dabei  ver- 
schob sich  auch  das  Blutbild  wieder  in  typischer  Weise  zu  Un- 
gunsten der  Lymphocyten,  die  von  28  auf  21  ®/o  resp.  von  24  auf 
16®/o  fielen.  Hand  in  Hand  mit  diesen  Zahlen  gingen  auch  die 
Hamsäurewerte,  die  sofort  auf  das  Doppelte  und  Dreifache  nach 
den  Injektionen  anstiegen.  Die  Basenausscheidung  vermehrte  sich 
in  geringerem  Grade.  Auch  hier  hielt  der  Einfluß  der  Injektion 
von  fiöntgenserum  mehrere  Tage  an,  die  Harnsäuremenge  ging 
langsam  wieder  zur  Norm  zurück. 

Wir  haben  unsere  Versuche  über  den  Einfluß  von  Röntgen- 
semm  auch  an  Tieren,  Hunden  und  Kaninchen  in  beträchtlicher 
Anzahl   wiederholt,  dasselbe:   Wir  fanden  stets  einen  deutlichen 


428  XXIII.    LiNSBR   Tl.   SiCK 

Abfall  der  Leukocytenwerte  bei  den  injizierten  Tieren  nach  den 
Injektionen. 

Zur  Theorie  der  Röntgenstrahlenwirkung  auf  den  lebenden 
Organismus  sind  unter  dem  Titel  ^Beiträge  zur  Frage  der  Ein- 
wirkung der  Röntgenstrahlen  auf  das  Blut^  von  Benjamin. 
y.  Reuß,  Slaka  und  Schwarz^)  eine  Anzahl  von  Versuchen 
an  Kaninchen  veröffentlicht  worden,  die  uns  hier  z.  T.  interessieren. 
Durch  Leukocytenzählungen,  die  alsbald  nach  den  Bestrahlungen 
begannen  und  2  stündlich  in  den  ersten  24  Stunden  wiederholt 
wurden,  fanden  sie  nach  kurzdauernden  Bestrahlungen  eine  Hjper- 
leukocytose  im  Blut  unter  gleichzeitiger  Lymphopenie.  Sie  fuhren 
dies  zurück  „auf  das  Auftreten  eines  Stoffes,  demgegenüber  sich 
die  polynucleären  Leukocyten  chemotaktisch  positiv  verhalten." 
Unsere  früheren  Untersuchungen  ergaben  ähnliches;  den  Grund 
dafür  möchten  wir  aber  nicht  in  einem  hypothetischen  chemotakti- 
schen Stoff  suchen,  sondern  in  der  durch  den  Leukocytenzerfall 
entstehenden  Harnsäure  im  Blute.  Wenn  man  den  Versuch, 
mit  dem  obige  Autoren  den  „direkten  Beweis"  für  das  Vorhanden- 
sein dieses  fraglichen  Stoffes  erbringen  wollten,  in  der  Weise 
wiederholt,  daß  man  Glasröhrchen  mit  normalem  Kaninchensenun 
und  mit  ebensolchem,  dem  künstlich  Spuren  von  Harnsäure  zu- 
gesetzt sind,  in  die  Kaninchenbauchhöhle  versenkt,  so  findet  man 
nach  12—24  Stunden  die  Röhrchen  mit  normalem  Serum  vöIKg 
klar,  die  mit  Harnsäureserum  aber  stark  getrübt  von  eingewanderten 
Leukocyten  wieder. 

Dieselben  Autoren  suchten  dann  noch  festzustellen,  daß  die  Ein- 
wirkung der  Röntgenstrahlen  auf  das  zirkulierende  Blut  völlig  ver- 
schieden sei  von  der^auf  die  blutbildenden  Organe,  indem  sie  den  Blut- 
befund  von  in  toto  bestrahlten  Kaninchen,  mit  solchen  von  Kaninchen, 
deren  Ohren  isoliert  röntgenisiert  waren,  verglichen.  Allein  dieser  Ver- 
such ist  keineswegs  beweisend.  Denn  jeder,  der  mit  Kaninchenohren 
experimentiert  hat,  weiß,  daß  dieselben  (schon  aus  thermischen 
Gründen)  viel  zu  blutarm  sind,  als  daß  von  deren  Beeinflussung  eine 
wesentliche  Wirkung  auf  das  gesamte  Blut  zu  erwarten  wäre.  Dazu 
ist  die  Reproduktionsfähigkeit  der  blutbildenden  Organe  viel  zu  groß. 
Aber  schon  nach  Bestrahlungen  von  etwas  größeren,  blutreicheren 
Körperteilen  z.  B.  des  Kopfes  beim  Hunde  erhält  man  dieselben 
Erscheinungen  im  Allgemeinblut  wie  bei  Totalbestrahl nngen,  man 
muß  allerdings  die  Bestrahlungen  dann  entsprechend  verlängern. 

1)  Wien.  klin.  Wochensohr.  1906  Nr.  26. 


Verhalt,  der  Harnsäure  n.  Pnrinbasen  im  Urin  u.  Blut  bei  Böntgenbestrahl.  429 

Gerade  beim  Kopf  kann  die  Beeinflussung  des  blutbildenden 
Knochenmarks  im  Verhältnis  zur  Gesamtmenge  desselben  kaum 
wesentlich  ins  Gewicht  fallen. 

Unsere  bisherigen  Untersuchungen  hatten  ergeben,  daß  nach 
Röntgenbestrahlungen  die  Leukocytenzahl  im  Blute  sinkt  unter 
gleichzeitigem  Anstieg  der  Hamsäurezahlen  im  Urin.  Das  gleiche 
war  nach  Injektion  von  ßöntgenserum  der  Fall.  Es  lag  nahe, 
nun  auch  festzustellen,  ob  schon  im  Blute  eine  Vermehrung 
der  Harnsäure  nach  den  Bestrahlungen  nachweisbar  war. 
Die  Harnsäure  kommt  ja  im  normalen  Blute  anerkanntermaßen 
vor,  wenn  auch  häufig  nur  in  Spuren^),  in  größeren  Mengen  wäh- 
rend der  Resolution  pneumonischer  Exsudate,  bei  Arthritis  urica, 
bei  Nephritis  und  besonders  bei  Leukämie.')  War  nun  nach  Ein- 
wirkung der  Röntgenstrahlen  keine  Vermehrung  der  Harnsäure 
im  Blut  zu  finden,  so  mußte  man  bei  Steigerung  der  Harnsäure- 
aasfahr  eine  Verminderung  der  normalen  Harnsäurezersetzung  an- 
nehmen, d.  h.  eine  Ausschaltung  des  uricoljrtischen  Ferments,  das 
sonst  ein  Teil  der  gebildeten  Harnsäure  gleich  wieder  abbaut. 
Wir  haben  zu  dem  Ende  bei  nicht  bestrahlten  blutgesunden  Indi- 
viduen, sowie  bei  bestrahlten  Psoriatikem  und  Leukämiekranken 
die  Harnsäure  des  Blutes  teils  nach  der  Methode  von  Schitten- 
helm'),  teils  nach  der  von  Petren*)  festgestellt.  Entnommen 
wurde  das  Blut  wie  gewöhnlich  durch  Punktion  der  Ven.  mediana 
in  der  Menge  von  200—300  ccm.  Das  Blut  wurde  sofort  in  die 
essigsaure  bzw.  schwefelsaure  Lösung  gebracht,  unter  Ruckfluß- 
kühler  gekocht,  abfiltriert  und  der  Rückstand  2 — 3  mal  ausgelaugt. 
Die  Fällung  im  Filtrat  geschah  wieder  nach  Schmid-Krügerfs. 
Tabelle  X  und  XI). 

Der  Unterschied  zwischen  dem  Hamsäuregehalt  des  Blutes 
von  Bestrahlten  und  Nichtbestrahlten  ist  deutlich.  Am  höchsten 
ist  die  Zahl  bei  dem  Leukämiekranken.  Auch  die  Injektion  von 
„Eöntgenserum"  ergab  bei  Patientin  W.  (Tab.  X,  6)  eine  relativ 
hohe  Harnsäurezahl  im  Blut.  Wenn  man  diese  Zahlen  auf  die 
Gtesamtblutmenge  umrechnet  und  die  Menge  der  im  Harn  aus- 
geschiedenen Harnsäure  damit  vergleicht,  so  kann  man  jedenfalls 


1)  Vgl.  Hammarsten,  Lehrb.  der  physiol.  Chemie  1904  S.  492. 

2)  Vgl.  Magnus-Levy,  Virch.  Arch.  152  S.  107  1898  und  Kongr.  f.  inn. 
Med.  1898,  sowie  Y.Jak  seh,  Über  die  klin.  Bedeutung  des  Vorkommens  von 
Hams&nre  und  Xanthinbasen  im  Blute,  Exsudaten  und  Transsudaten.   Berlin  1891. 

3)  Vgl.  Inaug.-Dis».  v.  E.  Ritter,  Göttingen  1905. 

4)  Arch.  f.  eiper.  Pathol.  Bd.  41  S.  265  1898. 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    89.  Bd.  28 


430 


XXIII.    LiNSKE  n.   SiCK 


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J 


Verhalt,  der  Harnsäure  n.  Pnrinbasen  im  Urin  n.  Blut  bei  Rl^ntgenbestrahl.  431 

von  einer  Abschwächung  der  Uricolyse  in  den  meisten  Fällen  nicht 
reden.  Wir  müssen  somit  eine  primäre  Steigerung  der  Harn- 
sanreprodaktion  annehmen. 

Wenn   wir   nochmals  kurz   unsere  Ansichten  über  die   Wir- 
kung der  Böntgenstrahlen  auf  das  Blut  und  die  blutbildenden  Organe 
wiederholen  dürfen,  so  wollten  wir  die  frühere  einseitige  Anschauung, 
daß  nur  die  blutbildenden  Organe  in  wesentlichem  Maße 
der  Einwirkung  der  Röntgenstrahlen  unterliegen,  dadurch  eniv^eitern, 
daß  wir  diesen  Einfluß  auf  sämtliche  weiße  Blutzellen, 
im  Blut,  wie  in  ihren  Bildungsstätten,  ausdehnten. 
Bei  diesen  Untersuchungen  kamen  wir  auf  rein  empirischem  Wege 
zn  der  Annahme  eines  leukotoxischen  Stoffes,   der  durch 
den  Zerfall  der  farblosen  Blutzellen  entsteht.    Diese  Annahme  be- 
stätigte sich  uns  bisher  in  zahlreichen  Versuchen  an  blutgesunden 
Individuen.    Soviel  wir  sehen,  sind  bisher  keine  experimentell  be- 
gründeten, zwingenden  Gegenbeweise  erbracht  worden.    Mit   der 
Annahme  dieser  Anschauung  scheint  uns  aber  der  ganze  Streit, 
ob  die  Leukopenien  nach  Röntgenbestrahlungen  mehr  Wirkungen 
auf  das  Blut  oder  auf  die  Blutbildungsstätten  bedeuten,  gegen- 
standslos.    Wir  persönlich  sehen  es  als  das  Natürlichste  an,  daß 
die  zerstörende  Wirkung  der  Röntgenstrahlen  eben- 
so die  Leukocyten   im  Blut  wie  das  leukocytäre  Ge- 
webe  in  den  Organen  trifft  und  zwar  aus  physikalischen 
Gründen   elftere    früher   und    in    stärkerem    Maße.     Ob    an    der 
Dauerwirkung   der  Bestrahlung  mehr  die  direkte  Beein- 
flussung  der  blutbildenden  Organe  durch   die  Strahlen 
beteiligt    ist    oder   gelöste    die    Leukocyten    spezifisch 
schädigende  Körper,  wird  experimentell  nicht  ohne  weiteres 
zu  entscheiden  sein.  

Anni.  bei  der  Korrektur:  Nach  Abschluß  vorstehender  Arbeit  erschienen 
in  Band  X  Heft  H  der  Fortschritte  auf  dem  Gebiet  der  Röntgenstrahlen  „£xperi- 
menteUe  Untersnchnngen  über  die  Einwirkung  der  Röntgenstrahlen  auf  tierisches 
Oewebe"  von  Krause  und  Ziegler.  Es  ist  darin  die  Ansicht  ausgesprochen 
wordeil,  dafi  die  Annahme  von  Linser  u.  Halber,  es  entstehe  bei  der  Röntgen- 
bestrahlung ein  toxischer,  Leukocyten  zerstörender  Körper  durch  Klieneberger 
n.  Zöppritz  widerlegt  sei.  Dies  beruht  aber  auf  einer  irrtümlichen  Auffassung 
der  Arbeit  der  letzteren  Autoren,  die  sich  nicht  generell  gegen  eine  derartige 
Erklärung  der  weiteren  Bestrahlnngsfolgen  ausgesprochen  haben.  Wir  sind  im 
Gegenteil  durch  neuere  Beobachtungen  von  uns  und  von  anderer  Seite  z.  6.  durch 
das  Übergreifen  der  Veränderungen  auf  Föten  bei  Bestrahlung  peripherer  Körper- 
teile Ton  Muttertieren,  in  der  prinzipiellen  Richtigkeit  der  Voraussetzung  von 
Rönt^nlenkotoxinen  bestärkt  worden. 

28* 


XXIV. 

Klinische  Beiträge  zur  Physiolc^e  des  sympathischen 

Nerrensystems.*) 

Von 

Dr.  L.  B.  Müller, 

Oberarzt  der  inneren  Abteilnn^  des  städtischen  Krank enhaases  in  Aagsbnrg. 

Im  Gegensatz  zu  den  klaren  und  reichen  Ergebnissen  der  Er- 
forschung des  Gehirns  und  des  Eflckenmarks  sind  unsere  Eennt- 
nisse  vom  sympathischen  Nervensystem  recht  spärlich  und  wenig 
befriedigend.  Schon  die  beschreibende  Anatomie  hat  bei  seiner 
Darstellung  einen  schweren  Stand,  denn  der  Verlauf  der  Fasern 
und  die  Lage  und  die  Form  und  Größe  der  Ganglien  und  der 
Plexus  sind  ungemein  wechselnd.  So  entspringen  die  weißen  Kami 
communicantes  bald  vom  Spinalnerven  selbst,  bald  aber  von  dessen 
vorderer  und  hinterer  Wurzel.  Das  eine  Mal  ziehen  sie  nur  zu 
dem  segmentär  entsprechenden  Ganglion  des  Grenzstranges,  ein 
andermal  bilden  sie  auch  Kommunikationen  mit  dem  hoher  oben 
und  nächst  tiefer  gelegenen  NeiTenknötchen.  Die  Rami  commani- 
cantes  grisei,  welche  aus  den  vertebralen  Ganglien  hervorgehen, 
mischen  sich  bald  den  peripherischen  Nerven  wieder  bei  und  ent- 
ziehen sich  dadurch  dem  weiteren  Studium.  Und  somit  kommt  es. 
daß  wir  über  den  Verlauf  der  vasomotorischen,  der  schweiß- 
erregenden und  der  pilomotorischen  Bahnen  noch  gar  nicht  unter- 
richtet sind.  Die  prävertebralen  Ganglien,  wie  das  Ganglion 
stellatum,  coeliacum  usw.  variieren  in  ihrer  Gestalt  und  Umfang, 
im  Ort  und  in  der  Anzahl  der  Anastomosen  derart,  daß  längst 
verzichtet  wird,  sie  genauer  zu  beschreiben.  Der  Anatom  be- 
schränkt sich  darauf,  die  einzelnen  Geflechte,  wie  den  Plexns 
caroticus,  cardiacus,  mesentericus,  renalis,  hypogastricus,  spermaticus 
zu  nennen.  Eine  eingehendere  Schilderung  der  von  diesen  Ge- 
flechten  ausgehenden  Fasern   ist  aber  unmöglich.     Sie  ist  schon 


1)  Eine  kurze  Zusammenfassung  vorliegender  Erörterungen  wurde  aof  den 
Kongreß  für  innere  Medizin  1906  in  München  vorgetragen. 


J 


Klin.  Beiträge  zur  Physiologie  des  sympathischen  Nervensystems.       433 

deshalb  ausgeschlossen,  da  die  Fasern  vielfach  Verbindungen  mit 
peripherischen  Nerven,  wie  mit  dem  Glossopharyngens,  mit  dem 
Vagus,  dem  Nerv,  erigens  eingehen  und  dort  nicht  weiter  verfolgt 
werden  können,  so  daß  keine  reinliche  Trennung  zwischen  dem 
spinalen  und  dem  sympathischen  Nervensystem  durchgeführt 
werden  kann. 

Für  die  nachstehenden  Erörterungen  ist  es  von  Wichtigkeit, 
darauf  hinzuweisen,  daß  der  sympathische  Grenzstrang  nicht  im 
Grehirn  entspringt,  daß  er  vielmehr  ein  völlig  selbständiges  Ge- 
bilde ist,  welches  lediglich  durch  die  weißen  Verbindungsäste  mit 
dem  Rückenmark  in  Kommunikation  steht.  Mit  den  Gefäßen,  ins- 
besondere mit  der  Carotis  interna  und  deren  Verzweigungen  ziehen 
aber  Greflechte  des  Sympathikus  in  das  Gehirn  ein.  Wichtig  ist 
auch  die  Tatsache,  daß  es  ein  autonomes  bulbäres  System 
gibt,  dessen  präcelluläre  Fasern  aus  den  Gehimnerven  entspringen 
und  daß  eine  Anzahl  von  Ganglien,  wie  das  Ganglion  sphenopala- 
tinum ,  oticum,  submaxillare  ihrem  Bau  nach  ganz  als  sympathische 
Ganglien  aufzufassen  sind. 

Bei  diesen  unentwirrbaren  anatomischen  Verhältnissen  ist  es 
kein  Wunder,  daß  die  Physiologie  des  sympathischen  Nerven- 
systems wenig  leistet.  Ihre  positiven  Ergebnisse  auf  diesem  Ge- 
biete sind  gering.  Wenige  Tatsachen,  wie  die  Erweiterung  der 
Pupille,  die  Beschleunigung  des  Herzschlages,  die  Vasokonstriktion, 
Hyperhidrose  und  die  Anregung  der  Speicheldrüsensekretion  sind 
als  Folgeerscheinung  von  Reizung  der  sympathischen  Nerven  sicher- 
gestellt Die  eigentlichen  Funktionen  der  großen  und  weit- 
verzweigten zahlreichen  Geflechte  in  der  Brusthöhle  und  der  Bauch- 
höhle sind  noch  gänzlich  unerforscht.^)  Von  dem  nervösen  Mecha- 
nismus, der  zur  Ausstoßung  des  Sekretes  der  Geschlechtsdrüsen 
fährt,  können  wir  uns  kaum  eine  Vorstellung  machen. 

So  ist  es  zu  verstehen,  daß  die  Neurologie  es  ängstlich 
vermeidet,  sich  auf  das  Gebiet  des  vegetativen  Nervensystems  zu 
begeben,  und  daß  es  mit  der  pathologischen  Anatomie  und 
mit  der  Pathologie  des  Sympathikus  ganz  kläglich  bestellt  ist. 
Abgesehen  von  der  Schilderung  des  Symptomenkomplexes,  der  sich 


1)  Die  Funktion  und  Bedeutung  der  Splanchnici  und  des  Plexus  coeliacus 
ist  schon  deshalb  schwierig  zu  studieren,  da  ihre  Resektion  keine  nachweisliche 
und  dauernde  Störungen  in  der  Tätigkeit  des  Darmes  oder  der  Nieren  zur  Folge 
hat  (Untersuchungen  von  Vogt  und  Popielski  citiert  nach  Schultz,  das 
aympath.  Nervensystem  im  Handb.  d.  Physiologie  des  Menschen.  Brauuschweig, 
Friedr.  Vieweg  1906). 


434  XXIV.  MüLLBR 

bei  DurchtreimuDg  des  Halssympathikus  einstellt  und  abgesehe» 
von  der  Darstellung  einiger  vasomotorischen  Neurosen,  wie  der 
Ray  n  au  duschen  Krankheit  ist  tatsächlich  nichts  Positives  über 
Erkrankungen  des  Sympathikus  in  den  neurologischen  Lehrbüchera 
zu  finden. 

Die  folgenden  Erörterungen  sollen  nun  einen  bescheidenen 
Versuch  darstellen,  von  klinischer  Seite  einen  Stollen  in  das 
unbebaute  Gebiet  der  Physiologie  und  Pathologie  des  Sympathikus 
einzutreiben.  Und  zwar  war  es  mir  hauptsächlich  darum  zu  tan^ 
die  Abhängigkeit  des  sogenannten  autonomen  Nervensystems  von 
den  cerebrospinalen  Zentralorganeu  zu  studieren.  Wenn  auch 
unsere  inneren  Organe,  wie  das  Herz  *),  der  Magen  *),  der  Darm 
die  Nieren,  die  Blase  und  die  Gebärmutter^)  selbständig  arbeiten  und 
abgetrennt  von  den  Nerven  ohne  erkennbare  Störung  weiter  funk- 
tionieren, so  besteht  doch  eine  gewisse  Beeinflußbarkeit  ihrer  Tätig- 
keit von  den  Vorgängen  in  dem  Gehirn  und  Rückenmark,  und  diese 
soll  Gegenstand  der  Untersuchungen  sein. 

Besonders  häufig  werden  die  Magenfunktionen  und  das 
Fttllungsbedürfnis  des  Magens  von  geistigen  Vorgängen  be- 
einträchtigt. Bei  Verstimmungen  und  beim  Kummer  leidet  in 
erster  Linie   der  Appetit.     In  krassen  Fällen  ist  es  dem  Be- 

■  

troffenen  nicht  mehr  möglich,  „einen  Bissen  hinunter  zu  bringen", 
„die  Kehle  ist  ihm  wie  zugeschnürt".  Daß  der  Magen  auch  in 
seiner  motorischen  Fähigkeit  bei  psychischer  Verstimmung  ge- 
stört werden  kann,  wurde  mir  durch  die  Beobachtung  eines  älteren 
Arztes  bestätigt: 

Ein  junges,  völlig  gesundes,  nicht  hysterisches  Mädchen,  bekooiint 
im  Anschluß  daran,  daß  ein  Kleid  für  den  beabsichtigten  Besuch  einer 
Geselligkeit  nicht  rechtzeitig  fertiggestellt  war,  einen  ^Magenkrampfs. 
Bei  der  Untersuchung  zeigte  sich  die  Magengegend  nicht  nur  dmck- 
empfindUchy  sondern  auch  stark  vorgetrieben.  Dabei  haben  weder 
früher  noch  später  je  Magenbeschwerden  bestanden. 

Auch  die  Angaben  einer  35  jährigen  Hauptmannsfrau  E.  F.,  bei 
welcher  sich  jeder  Verdruß  und  jede, Borge  „auf  den  Magen  legt'', 
sprechen  dafür,    daß  augenscheinlich  unter  seelischen  Verstimmungen  die 

1)  Friedenthal  hat  beim  Hunde  alle  extracardialen  Nerven  entfernt  ohne 
daß  solche  Tiere  eine  wesentliche  Abweichung  von  der  Norm  boten,  nnr  ihre 
Ausdauer  war  herabgesetzt. 

2)  Pawlow  wies  nach,  daß  der  von  allen  Nerven  abgetrennte  Magen  ooeb 
gute  Verdanungskraft  und  gute  Entleeruugsfähigkeit  hatte. 

3)  Goltz  konnte  feststellen,  daß  eine  Hündin,  deren  unterster  Kackenmark^- 
abschnitt  mit  zehn  unteren  Nervenwurzelpaaren  entfernt  worden  war,  noch  spon- 
tan lebende  Junge  gebären  konnte.    Pflügers  Archiv  Bd.  63. 


Klin.  Beiträge  zur  Physiologie  des  sympathischen  Nerveusystems.       435 

EnÜeernngBföhigkeit  des  Magens  leiden  kann.  Die  betreffende  Dame 
bat  dann  die  Empfindung  als  ob  die  Speisen  im  Magen  liegen  bleiben 
würden.  Jede  weitere  Nahrongszufahr  bedingt  Zunahme  der  Beschwerden. 
Ebenso  führen  hier  stärkere  gemütliche  Erregungen  fast  jedesmal  zu 
Magenschmerzen,  deren  Dauer  je  nach  dem  Grade  und  der  Dauer 
der  psychischen  Depression  zwischen  einer  halben  Stunde  und  mehreren 
Tagen  schwanken  kann.  Auch  in  diesem  Falle  liegt  weder  Hysterie 
noch  Neurasthenie  vor,  wohl  aber  handelt  es  sich  um  eine  sehr  lebhaft 
empfindende  Frau,  deren  Vasomotoren  durch  Stimmungen  leicht  erreg- 
bar sind. 

Hin  und  wieder  trifft  man  auf  Leute,  die  bei  psychischen 
£motionen  an  Luftaufstoßen  aus  dem  Magen  leiden.  Diese 
haben  dann,  wenn  sie  in  besonders  peinliche  Situationen  kommen, 
ein  unangenehmes  Gefühl  von  Druck  und  Völle  in  der  Magengrube 
und  in  der  Herzgegend,  das  sich  erst  löst,  wenn  zahlreiche  Luft- 
emptionen  aus  dem  Magen  stattgefunden  haben. 

Nicht  selten  führen  lebhafte  seelische  Vorgänge  zu  anti- 
peristaltischen  Bewegungen  des  Magens.  So  muß  ein 
bekannter  bayrischer  Herrenreiter  bei  großen  Hennen  jedesmal, 
bevor  er  in  den  Sattel  steigt,  sich  erbrechen.  Ein  junges  Mädchen, 
deren  Bräutigam  das  Verlöbnis  gelöst  hatte,  weinte  vor  Gram 
mehrere  Tage  und  mußte  alle  aufgenommene  Speise  wieder  er- 
brechen. In  der  Sprechstunde  konsultierte  mich  ein  Eegierungs- 
beamter,  der  auf  jede  stärkere  Erregung,  mag  sie  trauriger 
Art,  wie  die  Erkrankung  eines  Familienangehörigen  oder  freu- 
diger Art,  wie  die  Kenntnis  einer  Beförderung,  sein,  mit  Würgen 
und  Brechreiz  reagiert.  Befindet  sich  im  Magen  Inhalt,  so  wird 
dieser  wieder  zutage  befördert;  ist  der  Magen  leer,  so  wird 
lediglich  Schleim  produziert.  Bisweilen  ist  der  Würgreiz  so  stark, 
daß  der  Schleim  schließlich  mit  Blut  untermengt  ist. 

Bei  neuropathischen,  insbesondere  bei  hysterischen  Individuen, 
ist  das  Erbrechen  auf  größere  seelische  Eindrücke  hin  gar  nicht 
selten.  Ein  Dienstmädchen,  welches  im  Herbst  1905  auf  der 
inneren  Abteilung  des  städtischen  Krankenhauses  Augsburg  gelegen 
hat,  war  angeblich  von  ihrer  Dienstherrschaft  gezwungen  worden, 
verdorbenen  Käse  zu  essen.  Sie  glaubte,  daß  von  dieser  Nahrung 
noch  Reste  im  Magen  verblieben  seien  und  erbrach  von  da  ab 
jede  zngefuhrte  Speise.  Es  ist  kein  Zweifel,  daß  es  sich  hierbei 
am  hysterisches  Erbrechen  handelte,  aber  schließlich  ist  jedes 
hysterische  Erbrechen  psychogener  Natur  und  somit  hierher  ge- 
hörig. Meines  Erachtens  steht  es  sicher,  daß  das  bei  angeblich 
magenkranken  Mädchen  so  häufig  sich  einstellende  gewohnheits- 


436  XXIV.    MÜLLKR 

mäßige  Erbrechen,  welches  sich  vielfach  an  die  Nahrungsauäiahme 
anschließt  und  ohne  vorhergehende  Nausea  erfolgt,  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  auf  krankhafte  Vorstellungen  zurückzuführen  ist.  leb 
bezweifle  auch  nicht,  daß  ein  guter  Teil  der  unter  der  Diagnose 
„nervöse  Dyspepsie^'  ^)  beschriebenen  Magenerkrankungen  in  letzter 
Linie  durch  Einwirkungen  der  Psyche  und  der  Stimmungen  auf  die 
Magenfunktionen  bedingt  ist. 

Wie  störend  die  auf  psychische  Erregungen  hin  sich  eiu- 
steUenden  Darmentleerungen  sein  können,  mag  folgende 
Schilderung  beweisen. 

X.  Y.,  eine  44jährige  Dame,  bietet  keine  Zeichen  von  Hysterie, 
Neurasthenie  oder  neuropathischer  Veranlagung,  sie  ist  körperlich  yollig 
gesund,  doch  besteht  eine  Neigung  zu  Diarrhöen.  TTnabhängig  von  diesen 
zuweilen  auftretenden  katarrhalischen  Darmerkrankungen  stellt  sich  nun 
bei  lebhafter  seelischer  Erregung  häufig  unwiderstehlicher  Stuhldrang  ein. 
Dies  ist  besonders  dann  der  Fall,  wenn  die  betre£fende  Dame  sich  in 
Gesellschaft  oder  sonst  in  einer  Situation  befindet,  in  welcher  ein  «Ver- 
schwinden^  unangenehme  Störung  und  Aufsehen  erregen  wurde.  Meist 
geht  ein  Gefühl  der  absoluten  Sättigung,  des  Zusammenschnürens  des 
Halses  und  der  Unmöglichkeit,  noch  einen  Bissen  „hinunterzubringoi^, 
vorher.  Beim  Alleinsein  oder  bei  der  Möglichkeit,  ohne  Aufsehen  lu 
erregen,  sich  zu  entfernen,  tritt  niemals  so  plötzlicher  und  sich  so 
schmerzhaft  geltend  machender  Stuhldrang  ein. 

Hierher  einschlägige  Beispiele  wird  jeder  Arzt  aus  seiner 
Klientel,  ja  jeder  Laie  aus  seinem  Bekanntenkreise  zu  erzählen 
wissen.  Bekannt  ist,  daß  besonders  im  jugendlichen  Alter 
seelische  Erregungen  zur  Defäkation  drängen.  Die  Redensart  „vor 
Angst  in  die  Hosen  machen"  ist  sicherlich  der  Erfahrung  bei  den 
Kindern  entnommen.  Eine  drastische  Bestätigung  wurde  mir  jungst 
erzählt : 

Ein  Junge  wurde  vom  Hauseigentümer  betroffen,  als  er  unbefagt 
die  Hausglocke  in  Bewegung  setzte.  Ein  strenges  Verhör  nach  seinem 
und  seines  Vaters  Namen  und  Wohnung  führte  zum  Abblassen  des  Ge- 
sichtes und  zum  Schlottern  der  Glieder;  als  dann  noch  üble  Grerftche 
aus  den  Kleidern  aufstiegen,  ließ  man  den  kleinen  Sünder  mitleidig  und 
ohne  Strafe  laufen. 

Manchmal   scheint   nur   die   freudige  Erregung    zu  Diarrhöen  zo 

1)  Der  von  Rosenbnsch  (Berl.  klinische  Wochenschrift  1897)  eing^fihite 
Ausdruck  „Emotionsdyspepsie"  charakterisiert  die  Ätiologie  solcher  Magenstönmgen 
besser  als  das  Wort  „nerTös''.  Mit  dem  Worte  „nervös''  wird  von  Laien  und 
von  Ärzten  Unfug  getrieben.  Gewöhnlich  soll  mit  ihm  ausgedrückt  wo^en,  daß 
keine  organische  Erkrankung  hinter  den  „nervösen"  Störungen  st-eckt;  meist 
würde  der  Ausdnick  „nervös"  besser  durch  den  Ausdruck  „psychogen"  ersetzt 
werden. 


Klin.  Beiträge  zur  Physiologie  des  sympathischen  Nervensystems.       437 

fiSbren;  so  tritt  bei  einem  älteren  Kollegen,  der  nebenher  leidenschaft- 
lieher  Jäger  ist,  fast  jedesmal  nach  Erlegang  eines  Behbockes  unbezwing- 
barer Stahldrang  auf,  der  ihn  nötigt  „abseits  zu  treten^.  Depressive 
Zustände,  Arger  und  Verdruß  haben  dagegen  in  diesem  Falle  keine  Ein- 
wirkung auf  die  Darmperistaltik. 

Daß  die  Angst  bei  recht  vielen  Individueti,  ja  auch  bei  Er- 
wachsenen zum  DeÄkationszwang  führt,  erfahren  wir  von  den 
Kriegsveteranen,  die  uns  berichten,  daß  vor  Schlachten,  insbeson- 
dere am  Anfang  eines  Krieges,  die  Soldaten  reihenweise  austreten 
mußten.') 

Schließlich  ist  die  Frage  zu  entscheiden,  ob  es  sich  bei  diesen 
Emotionsdiarrhöen  lediglich  um  beschleunigte  Peristaltik  oder 
am  eine  unter  nervösen  Einflüssen  zustande  kommende  seröse 
Sekretion  in  das  Darmlumen  handelt.  Wahrscheinlich  wirken  oft 
beide  Faktoren  zusammen.  Durch  vielfache  klinische  Erfahrung 
ist  es  sichergestellt  daß  die  echte  Colica  mucosa  bei  Leuten, 
die  dazu  Veranlagung  haben,  durch  seelische  Erregungen  ausgelöst 
werden  kann. 

Bisweilen  bedingen  psychische  Emotionen  lediglich  sensible 
Reizei*scheinungen  in  den  Därmen. 

So  berichtet  ein  3  2  jähriger  Kaufmann,  der  mich  wegen  neurastheni- 
scher  Sexualbeschwerden  konsultierte,  daß  er  in  peinlichen  Situationen 
ein  schmerzhaftes  Kribbeln  in  den  Gedärmen  verspüre.  Ein  solches  stelle 
sich  z.  B.  jedesmal  ein,  wenn  er  unvermutet  zu  seinem  Chef  gerufen 
werde. 

Nicht  nur  die  Magen-  und  Darmfunktionen,  auch  die  Niere 
und  die  Blase  können  in  ihrer  Tätigkeit  durch  j)sychische  Vor- 
gänge beeinflußt  werden. 

Aufregung  und  gespannte  Erwartung  bedingen  bei  recht  vielen 
Menschen  Harndrang  und  Zwang  zu  häufigen  Entleerungen  (P o Ila- 
kur ie).^)  Dieser  Zwang  ist  unter  Umständen  recht  quälend,  bei 
Kindern  führt  er  nicht  selten  zur  ungewollten  Urinentleerung,  aber 
auch  bei  Erwachsenen  kann  er  sich  mit  „elementarer  Gewalt" 
geltend  machen.  So  klagte  mir  eine  Dame,  die  Mutter  mehrerer 
Kinder  darüber,  daß  der  bei  Erregungen  sich  einstellende  Drang 

1)  Daß  die  Bauchschttsse  im  letzten  Bnrenkriege  Terhältnismäßig  gutartig 
verliefen*,  wurde  von  kriegschimrgischer  Seite  darauf  zurückgeführt,  daß  der 
Dann  vor  einer  Schlacht  immer  gehörig  entleert  wurde. 

2)  Auch  affektlose  Eindrücke  können  zum  Harndrang  führen.  So  schreibt 
Shakespeare  im  „Kaufmann  von  Venedig"  (4.  Aufzug  1.  Scene)  „Es  gibt  Leute 
welche,  wenn  die  Sackpfeife  durch  die  Nase  singt,  vor  Anreiz  den  Urin  nicht  bei 
»ch  halten  können.'' 


438  XXIV.    MÜLLKR 

zur  Harnentleerung  unüberwindlich  wäre.    Besteht  keine  Mö^ch- 
keit,  ihm  nachzugeben,  so  kommt  es  zum  Benässen  der  Wäsche.^) 

Zweifellos  führen  aber  Gemütsbewegungen  nicht  nur  zur 
Pollakurie,  sondern  auch  zur  Polyurie.  Diese  Überzeugung, 
welche  ich  durch.  Beobachtungen  am  eigenen  Körper  gewonnen 
habe,  wurde  mii*  auch  durch  die  Erzählung  eines  jungen  Kollegen 
bestätigt. 

Dieser  wurde  eines  Tages  nach  TiBoh,  nachdem  er  seine  gewohnte 
Mittagsmahlzeit  nnd  die  gewohnte  Flüssigkeitsmenge  za  sich  genommen 
hatte,  gegen  sein  Erwarten  und  wie  er  glaubte,  ungenügend  vorbereitet» 
auf  nachmittags  5  Uhr  zum  Examen  geladen.  Die  dadurch  bedingte 
Erregung  führte  zu  einer  großen  Harnflut.  Die  ürinmengen  wurden  zwar 
nicht  quantitativ  exakt  gemessen,  doch  waren  sie  in  diesen  NachmittagB- 
stunden  weit  reichlicher  als  sonst  um  diese  Tageszeit. 

Dahingestellt  möchte  ich  es  lassen,  ob  die  seelischen  Erregungen 
durch  das  sympathische  System  direkt  auf  das  Nierenepithel 
anregend  wirken,  oder  ob  vielleicht  eine  lebhaftere  Herztätigkeit 
und  eine  Veränderung  in  der  Innervation  der  Vasomotoren,  die 
mit  einer  Erhöhung  des  Blutdrucks  einhergeht,  zu  stärkerer  Diurese 
führen. 

Fälle  von  psychischer  Anurie  habe  ich  in  einer  früheren 
Arbeit  gelegentlich  der  Besprechung  der  Innervation  der  Blase 
schon  erwähnt.*)  Solche  Leute  sind  nicht  imstande,  in  Gegenwart 
anderer  Personen  Harn  zu  lassen.  Öflfentliche  Bedüifnisanstahen 
können  von  ihnen  nur  benützt  werden,  wenn  niemand  zugegen  ist. 

Ähnliche  Beobachtungen  kann  häufig  der  Arzt  in  der  Sprech- 
stunde machen.  Das  Gefühl  der  Scham  oder  des  Beeinträchtigt- 
seins last  also  hier  die  willkürliche  Innervation  nicht  soweit  vor- 
dringen, um  den  Reflexvorgang,  der  zur  Ausstoßung  des  Harnes 
führt,  auszulösen.  Die  Kontraktion  der  Blase  ist  ja  durch  unseren 
Willen  nicht  direkt  zu  beeinflussen;  es  kann,  wie  ich  I.e.  aus- 
geführt habe,  lediglich  der  ganze  Beflexvorgang,  der  zur  Hara- 
ausstoßung  führt  (Öffnung  des  Sphinkter,  Kontraktion  des  Detmsorsi 
ausgelöst  werden.    Die  Wege,  bzw.  die  Nervenbahnen,  auf  denen 

1)  Der  Harndrang  bei  der  Erwartung  von  etwas  Unangenehmem  ist  kein 
Vorrecht  der  Menschen.  Ein  kleiner  weiblicher  Dackel,  der,  völlig  stubenrein, 
längere  Jahre  mein  Lebensgefährte  war,  kauerte  sich  bei  Furcht  vor  Strafe  auf 
den  Boden  nnd  ließ  auch  im  Zimmer  Harn  von  sich  gehen.  Eine  hierher  fpe- 
hörige  Beobachtung  konnte  ich  auch  jüngst  bei  einer  Antomobilfahrt  machen. 
Die  in  einem  Hohlweg  angetroffenen  und  erschreckt  vor  dem  Wagen  flüchtenden 
Kühe  entleerten  während  des  Laufens  ihre  Blase. 

2)  Klinische  und  experimentelle  Studien  über  die  Innervation  der  Blase,  des 
Mastdarms  und  des  Genitalapparates.    D.  Zeitschr.  f.  Nervenheilkunde  Bd.  21. 


Klin.  Beiträge  znr  Physiologie  des  sympathischen  Nerveusystems.       439 

dies  geschieht  und  der  ganze  Mechanismus  der  Auslösung  sind 
uns  noch  durchaus  unbekannt. 

Beobachtungen  von  echter  Reflexanurie  werden  nach 
operativen  Verletzungen  einer  Niere  oder  nach  Einklemmung  eines 
Steines  im  Harnleiter  gemacht.  Auf  solche  sensible  Störungen 
stellt  zuweilen  auch  die  andere  Niere  ihre  Funktion  vollkommen 
ein.  „Es  gibt  dafür  keine  andere  Erklärung,  als  daß  ein  auf  die 
sensiblen  Nerven  der  einen  Niere  oder  des  Harnleiters  ausgeübter 
Reiz  reflektorisch  die  Vasokonstriktoren  der  anderen  Niere  erregt 
und  somit  hochgradige  Anämie  derselben  mit  Unterdrückung  der 
Funktion  erzeugt') 

Im  Volksmund  finden  die  Beziehungen  zwischen  Ärger,  Neid 
und  Gelbsucht  häufig  Ausdruck  „Sich  die  Gelbsucht  an  den 
Leib  ärgern",  „gelb  vor  Neid",  sind  Redewendungen,  die  gang  und 
gäbe  sind.  Ich  hatte  stets  die  Vermutung,  daß  diesem  Sprach- 
gebrauche eine  Verwechslung  zwischen  anämischer  Gesichtsfarbe 
und  ikterischer  Färbung  zugrunde  liege.  Und  daß  beim  Ärger  die 
Wangen  durch  Vasokonstriktion  abblassen,  wird  ja  von  keiner 
Seite  bestritten.  Ferner  wäre  daran  zu  denken,  ob  nicht  Ursache 
und  Wirkung  verwechselt  werden,  ob  es  nicht  statt  „vor  Ärger 
gelb"  wegen  Gelbsucht  ärgerlich  heißen  sollte.  Denn  auch  das  ist 
zuzugeben,  daß  nicht  leicht  eine  körperliche  Störung  die  Stimmung 
so  ungünstig  beeinflußt  wie  der  Ikterus.  Nun  wurde  ich  aber 
darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  tatsächlich  Beobachtungen  be- 
stehen, welche  den  ursächlichen  Zusammenhang  zwischen  Ärger 
and  Gelbsucht  erweisen.  Ich  wandte  mich  brieflich  an  den  mir 
genannten  Herrn  und  erhielt  von  ihm^,  einem  nun  in  Ruhestand 
lebenden  Offizier,  folgenden  Bescheid: 

^Anf  Vermehrung  der  Gallenstauang,  —  daß  es  sich  um  eine  solche 
handelt,  sagt  mir  jedesmal  der  Druck  an  der  Stelle  der  Gallenblase  und 
die  hellere  Färbung  des  Stuhlganges  —  wirken  hauptsächlich  zwei  Dinge 
ein :  feuchtes  Wetter  un d  Gemütsbewegung.  Noch  mehr  wie  das 
Wetter  wirkt  aber  der  Ärger  auf  die  gelbe  Farbe  ein :  Die  Wirkungen 
des  Argers  sind  deshalb  lästiger,  weil  sie  einen  Circulus  yitiosus  erzeugen. 
Arger  erzeugt  Gelbsucht^  und  diese  vermehrt  den  Anlaß  zum  Ärger,  die 
Reizbarkeit.  Daß  aber  nicht  nur  Ärger,  sondern  jede,  selbst  freudige 
Gemütsbewegung,  wenn  sie  nur  heftig  ist,  einen  Einfluß  auf  die  Gallen- 
absonderung  ausübt,  steht  für  mich  außer  Zweifel."  Wegen  dieses 
I^idens    hat  der  genannte  Herr  schon  vielfach  Ärzte,    n.  a.  Frericbs, 


1)  Küster,  Die  chirnri^ischen  Krankheiten  der  Nieren.    Deutsche  Chirnrgie 
Lieferung  52  b  p.  55. 


440  XXrV.  Müller 

C.  Gerhard  konsultiert,  doch  ohne  wesentlichen  Erfolg,  immer  und 
immer  wieder  wird  durch  heftige  Gemfitshewegnngen,  ganz  besonders 
durch  Arger,  Gelbsucht  bedingt. 

Eine  ähnliche  Beobachtung  bringt  Kheinboldt^): 

Bei  einer  50  jährigen  Frau  stellt  sich  nach  schweren  seelischen  Er- 
regungen Gelbfärbung  der  Haut  und  der  Sklera  ein;  zugleich  wird  der 
Urin  dunkelbraun  und  der  Stuhl  tonartig.  Mit  dem  Ikterus  ist  dann  jedes- 
mal leichte  Glykosurie  verbunden. 

In  der  „Klinik  der  Leberkrankheiten**  von  Frerichs*)  ist 
dem  „Ikterus  nach  Gemütsbewegungen"  ein  •  eigenes  Kapitel  ein- 
geräumt. Frerichs  schreibt  dort:  „Seit  Cl.  Bernard  den  Be- 
weis führte,  daß  durch  Verletzung  des  4.  Himventrikels  ein  Über- 
gang des  in  der  Leber  gebildeten  Zuckers  in  den  Harn  veranlafit 
werden  könne,  hat  die  Ansicht,  nach  welcher  Störung  der  Inner- 
vation unter  Umständen  Gelbsucht  bedinge,  nichts  Auffallendes." 
Die  Erklärung  des  Zustandekommens  der  Gallenstauung  biekt 
m.  E.  doch  rechte  Schwierigkeiten.  Sollen  Schwankungen  in  der 
Blutversorgung  der  Leber  dafür  verantwortlich  gemacht  werden, 
oder  kommt  es  infolge  eines  Schreckens  oder  einer  andersartigen 
schweren  seelischen  Erregung  zur  Verengerung  des  Lumens  der 
Gallengänge?  Leider  werden  diese  Fragen  der  exakten  Forschung 
wohl  für  immer  unzugänglich  bleiben.  Es  erübrigt  nur,  auf  Analogien 
wie  auf  die  mangelnde  Magenresorption  oder  auf  die  transitorische 
Glykosurie  nach  psychischen  Erschütterungen  (v.  N  o  o  r  d  e  n '))  hin- 
zuweisen. 

Daß  seelische  Erregungen  zu  unzeitig  sich  einstellenden  Men* 
struationsblutungen  'führen  können,  gilt  den  Gynäkologen 
für  erwiesen.*) 


1)  Über  Ikterus  und  Diabetes  auf  nervöser  Grundlage.  Manch,  med.  Wochai- 
scbr.  1904  Nr.  36. 

2)  Frerichs  bringt  aus  der  französischen  iateratur  einige  Beispiele  tod 
psychischem  Ikterus.  Von  2  jungen  Leuten,  welche  in  Streit  gerieten  and  den 
Degen  zogen,  wurde  der  eine  plötzlich  gelb,  so  daß  der  andere,  erschrocken  über 
diese  Veränderung  der  Farbe,  die  Waffe  sinken  ließ.  Ein  Abb6  wurde,  als  ein 
toller  Hund  auf  ihn  losstürmte,  plötzlich  ikterisch.  „Wenn  man  auch  Angäbet 
dieser  Art  in  Zweifel  zu  ziehen  geneigt  sein  mag,  so  bleiben  doch  zahlreiche  Er- 
fahrungen übrig,  welche  den  Beweis  liefern,  daß  der  Ikterus  unter  solchen  Ver- 
hältnissen in  viel  kürzerer  Zeit  sich  ausbildet  als  es  nach  Unterbindung  des 
Ductus  choledochus  zu  geschehen  pflegt."  Braunschweig,  Friedr.  Vieweg  und 
Sohn,  2.  Aufl.  1861. 

3)  Die  Zuckerkrankheit  und  ihre  Behandlung.    Berlin  1901  p.  20. 

4)  Vgl.  D  e  1  i  u  s  (Hannover).  Der  Einfluß  cerebraler  Momente  auf  die  Men- 


Klin.  Beiträge  zar  Physiologie  des  sympathischen  Nervensystems.       441 

Anch  mir  klagte  jüngst  die  erschreckte  Matter  eines  plötzlich 
an  Miserere  erkrankten  Schülers,  daß  sich  infolge  der  Aufregung 
die  Periode  außer  der  Zeit  eingestellt  habe.  Nach  WinckeP) 
unterliegt  es  ferner  keinem  Zweifel,  daß  heftiger  Schreck,  starke 
Aufregung,  große  Angst,  besonders  wenn  derartige  Einwirkungen 
länger  dauern,  zu  einem  Fortbleiben  der  Periode  Anlaß  geben 
können.  Tritt  z.  B.  ein  Affekt  während  der  Menses  ein,  so  hören 
diese  oft  augenblicklich  auf.') 

Eine  regelrechte  Revolution  im  sympathischen  Nervensystem 
tritt  manchmal  während  der  Menstruation  auf: 

Bei  einer  jungen  Frau,  die  keine  Zeichen  von  Nervosität  oder  Hysterie 
bietet,  konnte  ich  mich  davon  überzeugen,  daß  in  den  ersten  Stunden 
nach  dem  Auftreten  von  Blut  hochgradige  Blfisse  des  Gesichts  besteht. 
Dabei  wird  über  heftige  ünterleibskrämpfe  geklagt.  Ist  vorher  Nahrung 
anfgenommen  worden,  so  wird  diese  erbrochen;  bei  nüchternem  Magen 
stellt  sich  heftiges  Würgen  ein.  Dazu  gesellt  sich  dann  starker  Stuhl- 
drang,  der  erst  nach  mehreren,  in  rascher  Folge  eintretenden  Entleerungen 
nachläßt. 

Durch  den  physiologischen  Vorgang,  der  zur  Abstoßung  der 
Gebärmutterschleimhaut  und  zu  Eontraktionen  des  Uterus  führt, 
werden  also  hier  Störungen  in  der  Innervation  fast  des  ganzen 
sympathischen  Geflechtes  bedingt,  die  stärkste  Abblassung  des 
Gesichts,  Erbrechen  und  Darmkoliken  zur  Folge  haben. 

Mit  dem  Eintritt  des  Klimakteriums  werden  besonders  lebhafte 
Vorgänge  im  vasomotorischen  Nervensystem  ausgelöst.  Kaum  eine 
Frau  wird  in  dieser  Zeit  von  den  „Wallungen",  die  recht  pein- 
licher Natur  sein  können,  verschont  bleiben.    Einen  weiteren  Be- 


'struation  und  die  Behandlnng  von  Menstmationsstörungen  durch  hypnotische  Sug- 
gestion.   Referat  im  Zentralbl.  für  Gynäkologie  1900  Nr.  43. 

Die  Behauptung  Forei's  (D.  Hypnotism.,  Stuttgart,  Ferd.  Enke  1895)  und 
Bern  hei  m's  (Neue  Stud.  üb.  Hypnotism.,  Suggest.  u.  Psychotherapie.  Leipzig 
and  Wien,  Deuticke  1892),  das  Auftreten  der  Menstruation  sei  durch  Hynotismus 
zn  beeinflussen,  scheint  mir,  obgleich  die  Autoren  mehrere  Fälle  von  erfolgreicher 
Behandlnng  von  Metrorhagien  durch  Hypnose  mitteilen,  sehr  mit  Vorsicht  auf- 
zunehmen zu  sein.  Die  Analogieschlüsse  mit  der  Heilung  der  Obstipation  durch 
Suggestion  sind  nicht  zutreffend,  da  hier  auch  willkürliche  Faktoren  wie  die  An- 
wendung der  Bauchpresse  in  Betracht  kommen.  Sätze  wie  ,,  mittelst  der  Sug- 
g-estion  werfen  wir  eine  kräftige  Innervationswelle  vom  Gehirn  aus  auf  die  an 
automatische  Tätigkeit  gewohnte  Bahn  und  der  Erfolg  ist  da''  (Forel)  klingen 
wohl  recht  schön.    Ihre  Richtigkeit  wird  aber  kaum  zu  beweisen  sein. 

1)  Lehrbuch  der  Frauenkrankheiten. 

2)  Ein  Fall  von  psychischer  Amenorrhoe  nach  heftigem  Schreck  bei  der 
Todesnachricht  des  Vaters  wird  von  C.  Gebhard  in  dem  Kapitel  „Die  Men- 
struation" (Handbuch  der  Gynäkologie  von  I.  Veit)  angeführt. 


442  XXIV.   Müller 

weis  für  die  lebhaften  Beziehungen,  die  zwischen  den  Vorgängen 
innerer  Organe  und  dem  Seelenleben  bestehen,  liefern  die  psychi- 
schen Störungen,  die  sich  nicht  selten  in  den  Wechseljahren  ein- 
stellen ;  nur  ist  hier  das  Verhältnis  von  Ursache  und  Wirkung  m 
anderes  als  in  den  bisher  besprochenen  Fällen ;  nicht  seelische  Er- 
regungen rufen  Störungen  in  den  körperlichen  Funktionen  hervor, 
vielmehr  bedingen  umgekehrt  körperliche  Ausfallserscheinungen 
psychische  Alterationen. 

Daß  starke  seelische  Depression  zur  Sekretion  der  Tränen- 
drüsen führt,  ist  eine  Tatsache,  die  uns  so  geläufig  ist,  daß  wir 
sie  als  selbstverständlich  hinnehmen  und  gar  nicht  mehr  über  sie 
nachzudenken  pflegen.  Die  Innervationsverhältnisse  der  Glandulae 
lacrymales  sind  zwar  noch  nicht  sicher  geklärt  ^),  doch  steht  fest 
daß  der  Sympathikus  sich  auch  an  der  Nervenversorgung  der 
Tränendrüsen  beteiligt.  Der  eigentliche  Zweck  dieser  Drüsen  ist 
zweifellos,  die  Oberfläche  des  Auges  feucht  zu  erhalten  und 
Fremdkörper,  welche  in  den  Konjunktivalsack  gelangten,  heraus- 
zuschwemmen. Bei  stärkeren  psychischen  Emotionen  (beim  Schmen 
und  bekanntlich  auch  bei  der  Freude)  kommt  es  nun  zu  einer 
Sekretausstoßung  der  Tränendrüsen,  die  recht  reichlich  und  an- 
haltend sein  kann.'*)  Meist  ist  das  Weinen  auch  mit  einer  Er- 
weiterung der  Hautgefäße  des  Gesichts  (Rötung)  und  mit  einer 
stärkeren  Sekretion  von  Seiten  der  Nasenschleimhaut  verbunden, 
doch  läßt  sich  nicht  leicht  entscheiden,  inwieweit  das  beim  Weinen 
sich  einstellende  schleimig-seröse  Produkt  der  Nase  durch  den 
Abfluß  der  Tränen  in  den  Nasenraum  bedingt  ist.  Diejenigen  In- 
dividuen, bei  welchen  sich  schon  aus  verhältnismäßig  geringfügige 
Anlasse  Tränen  einstellen,  sind  meist  auch  vasomotorisch  leicht 
erregbar,  d.  h.  bei  ihnen  springen  die  seelischen  Vorgänge  leicht 
auf  das  sympathische  Nervensystem  über.  In  diese  Kategorie  ge- 
hören vor  allem  die  Kinder  und   die  Frauen.    Doch  gibt  es  be- 

1)  So  schreibt  0.  Weiß  im  Handbnch  der  Physiologie  de«  Menschen  3.  Bd. 
2.  Hälfte  (Kapitel:  Schntzapparate  des  Auges):  „Über  die  Ursache  der  Trfinen- 
absonderung  beim  Weinen  ist  nichts  Näheres  bekannt"  und  „über  die  Herkunft 
der  Nervenfasern,  welche  die  Tränendrüse  sekretorisch  versorgen,  kann  man 
gegenwärtig  kein  sicheres  Urteil  fällen." 

2)  In  einer  Studie  „Vom  Weinen"  weist  F.  W.  Hagen  (Psychologische 
Untersuchungen.  Braunschweig,  Vieweg  und  Sohn  1847)  darauf  hin,  daß  weniger 
die  eigentliche  Traurigkeit  als  die  Wehmut  dem  Weinen  zugrunde  liegt  Da- 
neben kann  aber  auch  der  Zorn,  die  Empfindung  der  Kränkung  und  des  Unver* 
mögens,  ferner  das  Mitleid  und  das  Gefühl  des  Erhabenen  ,. empfindsame"  Menschen 
zum  Weinen  bringen. 


Klin.  Beiträge  zur  Physiologie  des  sympathischen  NerTensystems.       443 

kanntlich  auch  Männer,  die  „leicht  zu  Tränen  gerührt*'  sind.  Und 
zwar  brauchen  es  nicht  immer  Stimmungen  zu  sein,  die  zur  Sekre- 
tion der  Tränen  f&hren;  so  wurde  mir  erzählt,  daß  einem  Herrn 
die  hellen  Tränen  über  die  Wangen  rinnen,  wenn  er  ein  ent- 
zündetes Auge  sieht,  oder  wenn  er  sieht,  daß  jemand  durch  einen 
Fremdkörper  im  Auge  belästigt  wird.  Ja  schon  die  Beobachtung, 
daß  jemand  sich  die  Augen  reibt,  genügt,  ihm  Tränen  zu  entlocken, 
ein  Umstand,  der  häufig  su  Scherzen  benutzt  wird.  Wenn  also 
auch  die  Tätigkeit  der  Tränendrüse  unserer  Willkür  völlig  ent- 
zogen ist,  so  kann  sie  doch  von  unseren  Stimmungen  und  Affekten 
beeinflußt  werden.  Das  letztgebrachte  Beispiel  beweist,  daß  auch 
affektlose  Vorstellungen  imstande  sind,  Tränensekretion  auszulösen. 

Auch  die  Nasenschleimhaut  kann  unter  der  Einwirkung 
psychischer  Momente  in  Schwellung  und  in  Sekretion  geraten. 

Ein  Spezialar2t  für  Nasen-  und  Kehlkopfkrankheiten  berichtete  mir 
einen  Fall,  in  welchem  jedesmal  post  coitum  nervöser  Schnupfen  auftrat.^) 
Hierher  gehören  die  Angaben,  welche  mir  eine  36  jährige,  magere,  leidend 
aassehende  Dame  machte,  die  seit  vielen  Jahren  an  bronchialem  Asthma 
leidet.  Die  Anfalle  von  Schweratmigkeit,  welche  jedesmal  mit  Niesen 
anfangen  und  dann  in  Stockschnupfen  und  Dyspnoe  Übergehen,  setzen 
häufig  spontan  ohne  nachweisliche  Ursache  ein;  ganz  regelmäßig  kommt 
es  zu  solchen  einige  Zeit  (3 — 4  Stunden)  nach  schwerer  Sorge,  Angst 
oder  Schrecken.  Ärger  und  Verdruß  und  auch  seelischer  Schmerz  äußern 
sich  dagegen  lediglich  durch  Schnupfen.  Nach  anfanglichem  Kribbelu 
und  einleitendem  Niesen  stellt  sich  wässerige  Sekretion  ein,  die  so  stark 
werden  kann,  daß  in  kurzer  Zeit  3 — 4  Taschentücher  „zum  Auswinden*' 
feucht  sind.  Nach  20 — 30  Minuten  läßt  dieser  Katarrh  dann  wieder 
nach.  Depressive  seelische  Erregungen  manifestieren  sich  bei  dieser 
Dame,  die  angeblich  selten  weint,  also  nicht  durch  Sekretion  der  Tränen- 
drüsen, sondern  durch  die  Tätigkeit  der  Drüsen  in  der  Nasenschleimhaut. 
Die  Dame  „weint  durch  die  Nase^. 

Daß  die  Speicheldrüsen  schon  auf  Vorstellungen  und  auf 
<5erüche  hin   ihr  Sekret  abscheiden,  ist  eine  Beobachtung,  die  in 

1)  Ähnliche  Beobachtungen  scheinen  auch  andererseits  schon  gemacht  worden 
2SU  sein,  so  schreibt  N  a  g  e  l  in  der  Physiolog.  der  mftnul.  Geschlechtsorgane  (Handb. 
d.  Physiol.  d.  Menschen.  Brannschweig  liK)6):  „Das  schwellkörperartige  Gewebe 
mancher  Partien  der  Nasenschleimhaut  beteiligt  sich,  wie  es  scheint,  häufig  an 
den  An-  und  Abschwellungsvorgängen  in  den  Genitalorganen. '^ 

Beziehungen  zwischen  der  Nasenschleimhaut  und  den  Genitalorganen  des 
'Weibes  werden  von  den  Gynäkologen  allgemein  angenommen.  (Nasale  Therapie 
bei  Dysmenorrhoe!)  Amann  konnte  bei  Laparotomien  feststellen,  daß  Reizung 
der  Nasenschleimhaut  Kontraktion  der  gekreuzten  Uterushälfte  und  des  Ligamen- 
mm  rotnndum  zur  Folge  hatte.  Siehe  0.  Roith,  Zur  Innervation  des 
ITterus.    M onatschr,  f .  Geburtsk.  u.  GynÄk.  Bd.  25. 


444  XXIV.  MüLuw 

gebräuchlichen  Redewendongeii  zum  Ausdruck  kommt.  Bei  starken 
seelischen  Erregungen  soll  es  aber  zur  Sistierung  der  Speichel- 
sekretion kommen.  Auf  dieser  Annahme  beruht  die  Erklänmg 
einer  angeblich  besonders  treffenden  Art  von  Gottesgericht,  des 
Kauordale s.^)  Bei  zahlreichen  Naturvölkern,  wie  bei  den  Makas- 
sareU;  den  Waswaheli  und  den  Birmanen  wird  den  VerdächtigeB 
aufgetragen,  eine  Handvoll  Eeis  zu  kauen  und  möglichst  rasch 
hinunterzuschlucken.  Dem  Schuldigen  versagt  die  Speichelsekretion 
und  er  muß  schließlich  den  Reis  wieder  trocken  ausspeien. 

Der  häufig  gebrauchte  Ausdruck  ,,Angstschweiß^  ist  ein 
Beleg  dafür,  daß  zwischen  Angstzuständen  und  Schweißabsonderang 
Beziehungen  angenommen  werden.  Es  ist  aber  nicht  allein  die 
Angst;  jede  Art  von  seelischer  Erregung  kann  bei  Leuten,  die 
dazu  geneigt  sind,  den  Schweiß  hervortreten  lassen.  Meist  sind 
es  allerdings  unangenehme  psychische  Empfindungen  und  gewisse 
Spannungs-  und  Erwartungszustände,  die  dazu  f&hren.  DiejenigeB 
Stimmungen,  die  mit  fertigen  Ereignissen  zusammenhängen,  wie 
der  Schmerz  oder  die  Freude,  scheinen  dagegen  nicht  auf  die 
Schweißzentren  *)  einzuwirken.  Die  Schweißabsonderung  geht 
durchaus  nicht  immer  mit  einer  Hyperämie  der  Haut  parallel. 
Auch  auf  einer  blassen  Stirne  und  auf  anämischen  Hohlhänden 
kann  es  zum  Angstschweiß,  zum  kalten  Schweiß,  kommen. 

Der  Einfluß  von  Vorgängen  in  der  Psyche  auf  der  Hautober- 
fläche äußert  sich  unter  Umständen  auch  im  Auftreten  der  Cutis 


1)  Dr.  A.  Hell w ig.  Das  Kanordal.  Sammler  (Beilage  znr  Angsbnrirär 
Abendzeitung)  Nr.  18/1906. 

2)  Bisher  wurde  fast  allgemein  angenommen,  datt  das  Schweißzentrum  in 
das  verlängerte  Mark  zu  lokalisieren  sei.  Noch  niemand  war  aber  imstande,  den 
Ort  des  Schweißzentrums  in  der  Medulla  oblongata  genauer  zu  bestimmen  oder 
auch  nur  strikte  Beweise  für  diese  Behauptung  zu  erbringen.  Die  Beobachtung, 
daß  bei  Querschnittserkrankungen  des  Kilckenmarkes  die  gelähmten  KGrpertdk 
stärker  erwärmt  noch  sehr  wohl  in  Schweiß  geraten  können,  gibt  Anhaltspunkte 
für  das  Bestehen  von  Schweißzentren  auch  außerhalb  der  Schädelkapsel.  Diese 
müssen  in  engster  Beziehung  zu  den  Fasern  stehen,  welche  die  Wärmeempfindimg 
leiten.  Erhöhte  Außentemperatur  oder  vermehrte  Muskelanstrengung,  welche  die 
Temperatur  im  Körperinnem  steigert,  regen  die  Schweißsekretion  an,  um  dnitfa 
stärkere  Wärmeabgabe  einen  Ausgleich  zu  schaffen.  Dazu  bedarf  es  aber  nicht 
eines  hypothetischen  Wärme-  und  Schweißzentrums  im  verlängerten  Marke.  Das 
kann  durch  solche  Zentren  im  Rückenmark  und  durch  Nebenstationen  im  sym- 
pathischen Nervensystem  auch  geschehen.  Viele  Erscheinungen,  wie  der  lokale 
Schweißausbruch,  dort  wo  die  Hitze  iin  Heißluftapparat  einwirkt,  weis^i  auf 
eine  selbständige  Wärmeregulation  der  einzelnen  Segmente  hin. 


Klin.  Beiträge  zur  Physiologie  des  sympathischen  Nervensystems.       445 

anserlna.  Nicht  nur  Angst-  und  Schreckzttstände  führen  dazu, 
daß  uns  „die  Haare  zu  Berg  stehen^,  auch  bei  ergreifenden,  be- 
geisternden und  besonders  mächtigen  Eindrücken  entfaltet  der 
Sympathikus  seine  pilomotorische  Wirkung,  es  „erschaudert  uns 
die  Haut".  Ja  einfache  akustische  Reize,  wie  schrille  hohe  Töne, 
das  Zähneknirschen,  selbst  nur  die  Vorstellung  von  solchen  Ge- 
räuschen können  zu  peinlichen  Empfindungen  an  der  äußeren  Be- 
deckung f&hren,  die  mit  Frösteln  einhergehen.  Zweifellos  sind 
diese  Sensationen  durch  die  Tätigkeit  des  Erectores  pilorum  be- 
dingt Die  Eontraktion  der  glatten  Haarbalgmuskulatur  ver- 
ursacht ein  stärkeres  Vortreten  der  Follikel  Da  derselbe  Vor- 
gang auch  bei  Frosteinwirkung  auf  die  Haut  zustande  kommt,  so 
ist  es  begreiflich,  daß  auch  bei  der  reflektorisch  auftretenden 
„Gänsehaut''  Empfindungen  von  „Gruseln",  „Kaltüberlaufen"  oder 
von  „Schaudern"  geäußert  werden.  Nicht  selten  beschränkt  sich 
die  Eälteempfindung  auf  einen  Hautstreifen  entlang  der  Wirbel- 
säule. ^)  Die  Körpertemperatur  scheint  ganz  unabhängig  von  Ge- 
matsbewegungen  zu  sein.  Nur  bei  Rekonvalescenten  von  schweren 
Erkrankungen  (Typhus)  sieht  man  bei  sorgfältiger  Messung  nach 
Besuchen  oder  nach  Verdruß  Temperatursteigerungen.  Tuberkulöse 
Kranke,  deren  Körperwärme  durch  körperliche  Bewegungen  so  leicht 
zu  erhöhen  ist,  zeigen  nach  meinen  Erfahrungen  niemals  emotionelle 
Temperaturbeeinflussung. 

Ganz  besonders  fein  reagiert  der  Füllnngsgrad  unserer 
Hautgefäße  auf  die  seelischen  Vorgänge,  und  zwar  ist  diese 
Reaktion  der  Vasomotoren  je  nach  der  Qualität  des  Affektes  eine 
verschiedenartige:  bei  der  Freude  kommt  es  zur  Rötung 
der  Wangen,  bei  der  Scham  zur  fleckigen  Hyperämie  des  ganzen 
Gesichts  und  der  vorderen  Brustpartien;  der  Zorn  kann  zur  An- 
ffillong  des  venösen  Teiles  der  Kapillaren  führen,  so  daß  das  Gesicht 
„puterrot"  wird.  Die  depressiven  Stimmungen,  wie  die  Angst, 
die  Sorge,  der  Ärger,  bedingen  eine  Vasokonstriktion  und 
können  das  Gesicht  leichenblaß  erscheinen  lassen.^) 

1)  Ein  Analogon  g^ben  Reüsversache  des  Sympathikas  bei  Tieren  (Katee, 
Himd,  Affe,  Igel).  Bei  diesen  tritt  ein  pilomotorischer  Effekt  nur  in  dem  band- 
artigen Streifen,  der  dem  sensiblen  Verbreitungsgebiet  des  Ramus  dorsalis  der 
Spinalnerven  entspricht  und  der  entlang  der  Wirbelsäule  verläuft,  zutage.  Die  Haut 
der  Extremitäten  scheint  bei  diesen  Tieren  der  Pilomotoren  ganz  zu  entbehren. 

2)  Auch  das  Zentrum  für  die  Vasomotoren  wird  bekanntlich  in  die  Medulla 
oblongata  lokalisiert  und  muß  sich  dort  mit  vielen  anderen  hypothetischen  Zen- 
tren, um  deren  Lokalisation  man  verlegen  ist,  in  den  recht  beschränkten  Platz 
teilen.    So  vermutet  man  im  verlängerten  Marke  ein  Krampfzentrum  (Kuß maul). 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    89.  Bd.  29 


446  XXIV.    MULLKR 

Durch  eine  gi^oße  Anzahl  von  Untersuchungen  mit  dem  Ple- 
thysmographen konnte  Lehmann^)  darlegen,  daß  die  angenehmen 
Erregungen  wie  die  Freude  jedesmal  und  bei  jedem  Individaam 
eine  Erweiterung  des  Armvolumens  und  eine  Zunahme  der  GroBe 
des  Pulses  im  Gefolge  haben ,  während  schmerzliche  seelische  Emp- 
findungen den  umgekehrten  Effekt  bedingen. 

Die  Projektion  der  Stimmungen  auf  die  Vasomotoren  ist  keine 
Erscheinung,  die  sich  erst  beim  erwachsenen  denkenden  Menschen 
einstellt,  schon  in  den  ersten  Lebenswochen  überzieht  sieb  das 
Gesichtchen  eines  Kindes,  das  vielleicht  im  Trinken  gestört  wird 
oder  sonst  sich  unangenehm  berührt  fühlt,  mit  Zomesröte. 

Zu  den  vasomotorischen  Erscheinungen  möchte  ich  auch  die 
Störungen  in  der  Herztätigkeit  rechnen,  die  sich  im  Gefolge 
von  seelischen  Erregungen  einstellen.  Die  Beziehungen  zwischen 
unseren  psychischen  Empfindungen  und  dem  Herzen  sind  so  all- 
gemein, daß  im  Volksmunde  das  Herz  als  Sitz  der  Seele  ange- 
sprochen wird.  Die  Einwirkung  von  Stimmungen  auf  die  Herz- 
tätigkeit ist  recht  verschiedenartig,  bald  führen  sie  lediglich  znr 
Beschleunigung  und  zum  Fühlbarwerden  des  Herzschlags,  zam 
Herzklopfen,  bald  aber  auch  zur  Arhytmie  und  zur  Empfindung 


ein  Temperaturzentrnm,  ein  solches  für  die  Schweißsekretion,  für  die  Spetchelr 
nnd  Tränensekretion.  Ferner  Zentren  für  die  Atmungsinnerration  nnd  Hen- 
innervation,  für  die  Magen-  nnd  Darmbewegungen,  für  den  Brechakt,  fOr  des 
Ganmenreflex,  den  Würgreflex,  den  Schlingakt,  die  Sangbewegnngen,  für  da^ 
Niesen  nnd  für  das  Husten,  für  den  Lidschluß  und  für  die  Zuckerverbrennimg. 
und  dabei  ist  in  der  Medulla  oblongata,  abgesehen  von  der  Olive  und  von  der 
Substantia  reticularis  jedes  Fasersystem  und  jede  Ganglienzellengmppe  in  ihrer 
Funktion  erkannt.  Man  wird  sich  wohl  entschließen  müssen,  etwas  weniger  n 
zentralisieren  und  dem  Rückenmark,  insbesondere  aber  dem  sympathischen  Nenra- 
System  einschließlich  des  autonomen  bulbären  Systems  (Ganglion  sphenopalatumm, 
oticum,  submaxillare)  mehr  Selbständigkeit  zuzumuten.  In  neuester  Zeit  wende» 
sich  auch  manche  Physiologen  gegen  die  Sucht  zu  lokalisieren,  so  vermutet 
Langendorff  (Physiologie  des  Rücken-  und  Kopfmarkes  in  NagePs  Handbnefa 
d.  Phys.),  daß  das  Atemzentrum  nicht  auf  den  Noeud  vital  beschränkt  ist  md 
kein  anatomisch  einheitliches,  eng  begrenztes  Gebilde  ist,  er  glaubt  vielm^. 
daß  die  vom  Kopfmark  isolierten  spinalen  Ursprungszellen  des  ZwerchfeUs  usd 
der  Rippenheber  automatisch  tätig  sein  können.  Ebensowenig  ist  der  buib&K 
Sitz  eines  hypothetischen  Vasomotorenzentrums  zu  erweisen.  Vielmehr  ist  aDzn- 
nehmen,  daß  sich  dieses  auch  auf  das  Rückenmark  und  die  sympatiiischen 
Ganglien  erstreckt.  Ausgesprochen  segmentär  begrenzte  vasomotorifcbs 
Störungen  (hochgradige  Marmorierung)  konnte  ich  in  2  Fällen  beobachten.  (Über 
eine  angeborene,  seltene  Hautveränderung,  Münch.  med.  Wochenschr.  1903  Nr.  2Sk\ 
1)  Snr  les  Concomitants  Physiologiques  des  Etats  psychiques.  Acadäoi^ 
Royale  des  Sciences  et  des  Lettres  de  Danemark  Extrait  du  Bulletin  de  Tann^  190& 


Klin.  Beiträge  zur  Physiologie  des  sympathischen  Nervensystems.       447 

eines  schmerzhaften  Gefühles  in  der  Herzgegend.  Früher 
schon  habe  ich  daranf  hingewiesen  ^),  daß  die  Geföße  des  Herzens 
vermutlich  ein  ähnliches  Verhalten  zeigen  wie  die  des  Gesichts, 
daß  somit  die  frohen  Stimmungen  zu  einer  Erweiterung  der  Koronar- 
gefäße, zu  einer  lebhafteren  Tätigkeit  des  Herzens  und  zum  Gefühl 
der  behaglichen  Völle  fuhren.  Redewendungen  wie  „das  Herz 
hüpft  vor  Freude",  „aus  vollem  Herzen",  „warm  ums  Herz",  „wes 
das  Herz  voll  ist  usw."  würden  das  bestätigen.  Die  unangenehmen 
Empfindungen  wie  Sorgen,  Ärger,  Kummer  und  Angst  würden  dann 
eine  Vasokonstriktion  der  Kranzgefäße  und  damit  Herzschmerzen 
und  Arhythmie  zur  Folge  haben  (das  Herz  „krampft"  sich*)). 

Bei  dem  Kapitel  über  den  Einfluß  der  seelischen  Vorgänge 
und  Stimmungen  auf  die  Vasomotoren  ist  auch  das  Zustande- 
kommen der  Erektion  zu  besprechen.  Die  Steifung  des  Gliedes 
ist  bekanntlich  unserer  Willkür  nicht  direkt  unterworfen.  Nur  auf 
dem  Umwege  der  erotischen  Vorstellungen  kann  dieses  vaso- 
motorische Phänomen  ausgelöst  werden.  Depressive  Zustände  wirken 
hemmend,  gehobene  Stimmung  hat  dagegen  fördernden  Einfluß.  Von 
wesentlicher  Bedeutung  für  die  psychische  Innervation  der  Erektion 
sind  sinnliche  Eindrücke,  mögen  sie  nun  durch  den  Olefaktorius, 
den  Optikus  oder  durch  die  Berührungsempfindung  perzipiert  werden. 
Ob  im  Großhirne  ein  eigentliches  Zentrum  für  die  Erektion  und 
für  die  Geschlechtsfunktionen  überhaupt  besteht,  ist  sehr  fraglich, 

1)  L.  B.  Müller,  Über  die  Beziehnngen  von  seelischen  Empfindungen  zu 
Herzfftörangen.    Münchner  med.  Wochenschr.  1906  Nr.  1. 

2)  Lehmann  (1.  c.)  glaubt  durch  seine  Versuche  mit  dem  Plethysmographen 
und  durch  PnlBregistrierungen  nachgewiesen  zu  haben,  daß  die  seelischen  Stim- 
mungen, die  eine  Hemmung  bedeuten  (Ärger,' Verdruß,  Sorge,  Angst)  stets  mit 
einer  Herzbeschleunigung  einhergehen,  während  die  Emotionen,  welche  den 
Oedankenablauf  fördern   wie  die   Freude  jedesmal  eine  Verminderung  der 
Pulsfrequenz  zur  Folge  haben.     Lehmann  bringt  auch  eine  Deutung  für 
diese  Beobachtungen.    Ein  Prozeß,  der  im  Gehirn  Hemmung  bedingt,  wird  auch 
-die  Innervation  des   Vagus  hemmen  und  damit  eine  Beschleunigung  der  Herz- 
tätigkeit im  Gefolge  haben.     Umgekehrt  bedingt  jede  Bahnung,  jede  Erleichte- 
rung des  Ablaufes  der  nervösen  Prozesse  eine  stärkere  Erregung  des  Vagus  und 
•diese  läuft  auf  eine  Hemmung  der  Herztätigkeit  hinaus.   Die  Nützlichkeit  dieser 
[Einrichtungen  ist  nach  Lehmann  einleuchtend:  jede  Hemmung  geht  einher  mit 
einem  Verbrauche  der  Energie ;  die  lebhaftere  Herztätigkeit  erleichtert  den  Stoff- 
^«rechsel  im  Gehirn  und  den  Ersatz  der  Spannkraft.    Daß  aber  die  Anregung  der 
Htntsirkalation  hauptsächlich  dem  Gehirn  und  nicht  auch  dem  übrigen  Körper 
.zu  gute  kommt,  wird  durch  Vasokonstriktion  der  peripherischen  Gefäße  gewähr- 
leistet.   Lehmann  schließt  seine  Darlegungen  mit  dem  Satze:  Les  modiflcations 
•de  circulation,  qui  accompagnent  les  divers  etats  psychiques,  sont  des  reaction» 
»tiles  qui  assurent  Tint^grite  des  eentres  nervenx  en  fonction. 

29* 


448  XXIV.  MCllär 

jedenfalls  können  z.  Z.  keine  beweisenden  Anhaltspunkte  dafar  bei- 
gebracht werden.  Die  Bahnen,  auf  welchen  vom  Gehirn  aus  die 
Anregungen  zur  Erektion  kaudalwärts  geleitet  werden,  sind  noch 
durchaus  unbekannt.  Nur  daf^r  sind  Anhaltspunkte  zu  gewinoen. 
daß  sie  verhältnismäßig  hoch  (im  oberen  oder  mittleren  Brusttefle) 
das  Rückenmark  verlassen^)  und  von  dort  aus  im  sympathisdien 
System  zum  Becken  ziehen.  Sicherlich  kann  die  Steifong  des 
Gliedes  auch  durch  örtliche  Reize  und  durch  den  Fullungszustand 
der  Geschlechtsdrüsen  bedingt  werden.  Daß  dieser  FullungsznstaBd 
ferner  fördernd  auf  das  Zustandekommen  von  erotischen  Wünschen, 
d.  h.  auf  das  Bewußtwerden  der  Geschlechtslust  wirkt,  ist  auch 
nicht  zu  bezweifeln. 

Auf  die  Ausstoßung  des  Sekretes  der  Geschlechtsdrüsen 
haben  Vorstellungen  und  Stimmungen  allein  im  wachen  Zustand 
keinen  auslösenden  Einfluß.  Wohl  aber  können  im  Schlafe  Träosie 
und  unter  pathologischen  Verhältnissen  (krankhafte  Erregbarkeit) 
Vorstellungen  und  sinnliche  Eindrücke  den  Reflex  der  Ejaknlati<m 
zur  Folge  haben.  Unter  allen  Umständen,  im.  Wachen  wie  im 
Schlafen^  verursacht  die  Entleerung  des  Samens  im  Zentralorgan 
die  Empfindung  höchster  Wollust.  Doch  fehlt  uns  noch  völlig  dn^ 
neurologische  Verständnis  für  den  Orgasmus.  Wir  wissen  nicht, 
wie  es  kommt,  daß  ein  V^organg  wie  die  Ausstoßung  eines  Drösen- 
Sekretes  so  intensive  wollüstige  Empfindungen  auslöst,  die  iur 
Momente  alle  anderen  psychischen  Vorgänge  zurückdrängen.  Ja 
wir  haben  keine  Vorstellungen  davon,  auf  welchen  Bahnen  diese 
Empfindungen  cerebralwärts  geleitet  werden.  Die  sensiblen  Faser- 
systeme des  Rückenmarks,  welche  die  Berührungsempfindnng.  den 
Schmerz  oder  die  Tiefenempfindungen  in  unseren  Muskeln  leitat, 
kommen  wohl  kaum  in  Betracht.  Andere  zentripetal  leitende 
Nervenbahnen  stehen  aber  nicht  zur  Verfügung.  Sicherlich  springt 
die  Erregung  auf  das  sympathische  Nervensystem  über  und  hat 
dort  eine  Einwirkung  auf  die  Vasomotoren  und  auf  die  Inner- 
vation der  Schweißdrüsen.  Aber  auch  auf  das  psychomotorische 
Gebiet  erstreckt  sich  die  Wirkung,  so  ist  die  Atmung  während  des 
Orgasmus  beschleunigt  und  die  Streckmuskulatur  der  Beine  wird 
stark  angespannt.  Das  Bewußtwerden  des  höchsten  Grades  von 
Wollust  bei  der  Entleerung  des  Produktes  der  Geschlechtsdrüsen 
mag  als  ein  Anzeichen  für  die  lebhaften  Beziehungen,  die  zwischen 

1)  Vgl.  L.  H.  Müller,  Klinische  und  experimentelle  Stadien  über  die^ 
Iniieryation  der  Blase,  des  Mastdarmes  und  des  Genitalapparates.  Deutsche  Zeit- 
sehr.  f.  Neryenheilkunde  Bd.  XXI. 


Klio.  Beiträge  znr  Physiologie  des  sympathischen  Nervensystems.      449 

der  Funktion  innerer  Organe  und  dem  Empfindungsleben  bestehen, 
dienen.  Ein  weiterer  Hinweis  auf  diese  liegt  in  dem  regen  Be- 
dürfnis des  erwachsenen  Individuums  nach  Geschlechtsverkehr,  in 
dem  Geschlechtstrieb. 

Der  Erörterung  der  Triebe,  die  teils  die  Fortpflanzung  (Ge- 
schlechtstrieb, Mutterliebe),  teils  die  Selbsterhaltnng  des  Indivi- 
duums (Hunger,  Durst)  zur  Aufgabe  haben,  geht  die  Physiologie 
und  Neurologie  sorgfältig  aus  dem  Wege.  Tatsächlich  sind  diese 
Empfindungen  auch  schwer  zu  analysieren;  wir  wissen  nicht,  wo 
sie  im  Körper  entstehen,  wie  sie  zum  Gehirn  geleitet  und  an 
welcher  Stelle  sie  dort  perzipiert  werden. 

Bei  dem  Trieb,  der  uns  mit  großer  Mächtigkeit  zur  Erhal- 
tung der  Art  antreibt,  kommen  sicherlich  nicht  nur  nervöse 
Momente  in  Betracht.  Wir  müssen  uns  vielmehr  vorstellen,  daß 
ähnlich  wie  bei  der  Schilddräse  eine  innere  Sekretion,  eine 
Saffcbeimischung  stattfindet,  die  in  den  Pubertätsjahren  die  Ent- 
wicklung der  körperlichen  Charakteristika  des  betrefi'enden  Ge- 
schlechts (Barthaare  bzw.  Mammae  usw.)  zur  Folge  hat  und  später- 
hin die  Geschlechtslnst  als  solche  bedingt.  Die  stärkere  Anfnllung 
der  männlichen  Geschlechtsdrüsen  und  der  Vorgang  der  Ausstoßung 
des  Eies  aus  dem  Ovarium  verursachen  augenscheinlich  durch  eine 
Steigerung  der  inneren  Sekretion  eine  Zunahme  des  Geschlechts- 
triebes. Wo  freilich  im  Gehirne  diese  Beimischung  zum  Blute 
empfanden  wird  und  wo  somit  im  Gehirne  uns  der  Geschlechtstrieb 
zum  Bewußtsein  kommt,  läßt  sich  zurzeit  noch  nicht  entscheiden. 

^^och  schwieriger  ist  die  Deutung  derjenigen  Triebe,  welche 
die  Erhaltung  des  Individuums  sichern,  des  Hungers  und  des 
Durstes.  Eine  Lokalisation  dieser  Empfindungen,  die  bekanntlich 
quälend  wie  ein  Schmerz  sein  können,  in  der  Hinrinde  ist  von 
keiner  Seite  noch  versucht  worden.  *)  Ja  es  ist  fraglich,  ob  die 
Hirnrinde  zum  Entstehen  dieser  Triebe  notwendig  ist.  Kinder, 
deren  Großhirn  durch  hochgradigen  Hydrocephalus  so  gut  wie  aus- 
geschaltet ist,  haben  das  Bedürfnis,  Nahrung  aufzunehmen  %  ebenso 
der  Organismus  des  einzelligen  Tieres,  dem  noch  kein  entwickeltes 

.  1)  Auch  bei  Lokalisation  des  Hnngren  hat  die  MeduUa  oblongata  wieder 
iierhalteii  rnttfleen,  so  schreibt  Siegel:  [rjy'ie  Erkrankungen  des  Magens".  Noth- 
nagePs  spes.  Pathol.  n.  Therap.  Bd.  XVI)  „Bekanntlich  nimmt  man  an,  daß  das 
Hvngergeftthl  seinen  Sitz  in  der  MednUa  oblongata  habe." 

2)  Sternberg  n.  Latzko  berichten  in  der  D.  Zeitschr.  f.  Nervenheilk. 
Jßd.  24  von  einem  Kinde,  dessen  Medulla  nur  bis  zum  Locus  caernlens  entwickelt 
'^'ar.  daß  es  durch  Saugbewegnngen  Nahrung  zu  sich  genommen  habe. 


450  XXIV.  Müller 

Nervensystem  zur  Verfugung  steht.  Wo  wird  nun  der  Hunger 
ausgelöst?  Kommt  er  gleichmäßig  im  ganzen  Körper,  also  auch 
in  unseren  Extremitäten  zustande,  handelt  es  sich  also  um  Zellen- 
hunger  und  bringt  es  uns  das  Gehirn  zum  Bewußtsein,  daß  eine 
solche  Empfindung,  die  ihm  vielleicht  durch  die  Fasern,  welche  die 
Tiefensensibilität  vermitteln,  zugeleitet  wird,  als  Hunger  aufgefaßt 
werden  muß?  Oder  kömmt  es  in  einzelnen  Organen  bei  gewissen 
Zuständen  zum  Auftreten  dieses  Triebes?  Es  liegt  nahe,  den 
Füllungsgrad  des  Magens  für  die  Empfindung  des  Hungers  oder 
der  Sättigung  verantwortlich  zu  machen.  *)  Doch  ist  leicht  zu  er- 
weisen, daß  auch  bei  reichlicher  Zufuhr  von  wenig  nahrhafter  Kost, 
wie  von  Gemüse,  noch  Hunger  empfunden  werden  kann,  und  daS 
umgekehrt  ein  leerer  Magen  noch  durchaus  nicht  die  Empfindung 
des  Hungers  auslöst.-)  So  ist  das  Frühstück  schon  nach  IV2  Stunden 
aus  dem  Magen  entfernt,  das  Bedürfnis  zu  neuerlicher  Nahrungs- 
aufnahme stellt  sich  aber  meist  erst  nach  einigen  Stunden  wieder 
ein.  Anderenteils  steht  sicher,  daß  wir  beim  Hunger  ein  Gefühl 
der  Leere  in  die  Magengegend  lokalisieren.  Aber  der  Kranke, 
dessen  Magen  durch  Operation  entfernt  wurde,  empfindet  Hunger; 
ebenso  frißt  der  Hund,  dessen  Magen  von  sämtlichen  Nerven  los- 
gelöst wurde,  wie  vordem  weiter.  Man  könnte  nun  vielleicht  an- 
nehmen, daß  der  Füllungsgrad  der  Därme  diese  Empfindung  be- 
dingen kann,  doch  auch  diese  Vermutung  ist  leicht  zu  widerlegen. 
Für  das  Wahrscheinlichste  halte  ich  es,  daß  ein  gewisser  Mangel 
des  Blutes  an  frischen  Nahrungsstoffen  das  Gefühl  des  Hungers 
auslöst.  *)  Doch  wäre  dann  noch  zu  entscheiden,  wo  dieser  Mangel 
empfunden  wird.  Vielleicht  besteht  im  Gehirn  eine  Stelle,  die  uns 
das  Fehlen  von  leicht  abzugebendem  Nährmaterial  im  Blute  meldet, 
ähnlich  wie  ein  Zentrum  im  verlängerten  Marke  uns  die  ungenügende 
Oxydation  anzeigt. 

1)  Oppenheim  (Lehrbuch  der  Nervenkrankh.  Berlin  1905)  acheint  sich  dieser 
Auffassung  hinzuneigen,  wenn  er  mitteilt ,  daß  „bei  Erkrankungen  des  Vagvs 
Verlust  des  Hungers  und  des  Durstgefuhls  beschrieben  wurde". 

2)  Ein  Gegenbeweis  für  die  Auffassung,  daß  der  FttUungszustand  des  Magens 
für  das  Zustandekommen  des  Hungers  ausschlaggebend  ist,  kann  auch  durch  die 
Beobachtung  erbracht  werden,  daß  beim  Unwohlsein,  auch  wenn  dieses  nicht  auf 
eine  Magenstörung  zurückzuführen  ist,  das  Bedürfnis  nach  Nahrungsanfnahoe 
meistens  völlig  daniederliegt.  Auch  die  Tatsache,  daß  quälender  Hunger  durch 
Nährklysmen  gestillt  oder  gemindert  werden  kann,  spricht  dagegen,  daß  der 
Füllungszustand  des  Magens  für  das  Entstehen  des  Hungers  ausschlaggebend  ist 

3)  Für  diese  Auffassung  würde  der  Umstand  sprechen,  daß  nach  starker 
körperlicher  Arbeit,  also  nach  größerem  Verbrauche  von  Verbrennangsstoffen  de» 
Blutes  das  Nahrungsbedürfnis  bälder  und  in  lebhafterer  Weise  sich  geltend  macht. 


Klin.  Beiträge  zur  Physiologie  des  sympathischen  Nervensystems.      451 

Vom  Hunger,  der  schlechtweg  einem  Bedürfnis  nach  Nahrnngs- 
aofiiahme  entspricht,  ist  der  Appetit  als  der  Ausdruck  einer  be- 
stimmten Richtung  des  NahrungsbedOrfnisses  zu  unterscheiden.^) 
Der  Appetit  stellt  ein  feines  Empfinden  für  das,  was  dem  Körper 
noch  an  Nahmngsstoffen  fehlt,  dar.  Bei  freier  Wahl  wird  der 
Mensch  sich  immer  eine  Kost  aussuchen,  die  ungefähr  den  von  den 
Physiologen  bestimmten  Zahlen  über  das  tägliche  Bedürfnis  des 
Körpers  an  Eiweiß,  Fett  und  Kohlehydraten  entspricht.  Wird  nun 
unser  Gehirn  vom  Magen  aus  darüber  instruiert,  welche  Nahrung 
und  welche  Mengen  von  dieser  dem  Organismus  zu  seinem  besten 
Gedeihen  noch  nottun,  oder  besteht  irgendwo  eine  Einrichtung  (ein 
Zentrum?)  zur  Beurteilung  dessen,  was  dem  Blute  noch  zur  rich- 
tigen Zusammensetzung  fehlt?  Die  Tierversuche  Pawlow's^) 
lehren,  daß  beim  Ansichtigwerden  oder  beim  Riechen  einer  Nahrung 
die  Speichel-  und  Magendrüsen  nicht  nur  in  Tätigkeit  treten, 
sondern  daß  die  Menge  und  die  Art  des  ausgeschiedenen  Ver- 
dauungssaftes  sich  schon  genau  nach  der  Qualität  der  vorliegenden 
Speise  richtet.  Der  komplizierte  Mechanismus  dieses  nervösen  Vor- 
ganges ist  nur  in  dem  allerersten  Teil  erklärlich.  Man  kann  sich 
vorstellen,  daß  der  Geruch  durch  den  Olefaktorius  dem  Riech- 
zentrum') zugeleitet  wird  und  daß  von  dort  unbewußte  Erinne- 
nmgsassoziationen  ausgelöst  werden.  Der  weitere  Verlauf  der 
Innervation,  welcher  dazu  fuhrt,  daß  der  Magensaft  gerade  in  der 
für  die  vorgehaltene  Speise  zweckmäßigen  Quantität  und  Qualität 
abgeschieden  wird,  ist  noch  ganz  unbekannt  Ja,  es  ist  zurzeit 
noch  nicht  zu  entscheiden,  ob  die  feine  Auswahl  der  zur  Verdauung 
notwendigen  Zusammensetzung  des  Magensaftes  unbewußt  schon 


1)  So  kann  noch  Appetit  nach  einer  bestimmten  Speise  z.  B.  anf  eine  Tasse 
Kaffee  bestehen,  wenn  der  Hunger  durch  eine  reichliche  Mahlzeit  gestillt  ist. 

2)  Wird  dem  Versuchshunde  Milch  gezeigt,  so  scheidet  sich  weniger  Magen- 
saft ans  als  beim  Anblick  oder  beim  Geruch  von  Fleisch  oder  Brot.  Der  Milch- 
saft enthält  dann  auch  prozentualisch  weniger  Pepsin  als  der  Fleisch-  und  Brot- 
saft. Ftlhrt  man  unter  Umgehung  der  psychischen  Erregung  und  des  Eßaktes 
Nahrung  durch  eine  Magenfistel  direkt  in  den  Magen,  so  ist  die  Arbeit  der  Drüsen 
qualitativ  und  quantitativ  wesentlich  geringer.  Diese  letzteren  Beobachtungen 
veranlaßten  Pawiow,  den  Appetit  fttr  die  Kraft  der  Verdauung  sehr  hoch  ein- 
KQBchätzen  („Appetit  ist  Saft"^). 

3)  Der  Gernchsinn  und  der  Geschmacksinn  spielen  gegenüber  den  anderen 
Sinnesqnalitäten  in  der  Auslösung  der  Triebe  eine  besonders  große  Rolle.  Bei 
den  Tieren,  deren  Triebleben  viel  lebhafter  entwickelt  ist  als  das  des  Über- 
leitenden Menschen,  ist  auch  das  Geruchsvermögen  wesentlich  feiner  ausgebildet. 
Der  Oeschmacksnerr  steht  auch  anatomisch  in  engen  Beziehungen  mit  dem  sym- 
pathischen Nervensystem  und  dadurch  mit  den  vegetativen  Funktionen. 


452  XXIV.    MÜLLEH 

im  Geh  im  getroffen  wird.  ^)  Das  eine  scheint  nach  den  Unter- 
such angen  Pawlow's  sicher  zn  stehen,  daß  die  Magenschleimhaot 
durch  den  Nervus  vagus  zur  Ausscheidung  des  ,,  psychischen''  Magen- 
saftes angeregt  wird.  Bei  Durchschneidung  beider  Vagi  hat  das 
Vorzeigen  von  Nahrung  keinen  Erfolg  mehr  auf  die  Magenschleim- 
haut; doch  läßt  sich  bei  den  reichlichen  VerbindungsSsten,  die 
zwischen  den  beiden  nebeneinanderliegenden  Nerven  Vagus  und 
dem  Grenzstrang  des  Sympathikus  einerseits  und  dem  Vagus  und 
dem  Glossopharyngeus  (Ganglion  petrosum  und  Ganglion  jugulare) 
andererseits  bestehen,  nicht  behaupten,  daß  die  Erregungen,  welche 
den  Vagus  zur  Auslösung  der  Magensaftsekretion  durchströmen, 
alle  diesem  Nerven  schon  bei  seinem  Austritt  aus  der  MednUa 
oblongata  zukommen.  Es  ist  kaum  recht  glaubhaft  daß  der  ver- 
hältnismäßig dünne  10.  Gehimnerv  so  viele  verschiedene  Quali- 
täten von  nervösen  Erregungen  in  sich  beherbergen  kann;  ja  es 
ist  wahrscheinlich,  daß  ihm,  der  ja  schon  den  Schlundkopf  und 
den  Kehlkopf  zu  innervieren  hat,  der  ferner  Herz-  und  Lungenäste 
abgibt,  die  Fasern  für  den  Magen  und  für  den  Darm  erst  in  seinem 
weiteren  Verlauf  durch  die  Anastomosen  mit  dem  Sympathikus  und 
mit  dem  Glossopharyngeus  zugemischt  werden. 

Die  neurologische  Deutung  des  Durstes  bietet  dieselben 
Schwierigkeiten  wie  die  des  Hungers.  Der  Füllungsgrad  des 
Magens  oder  des  Darmes  kommt  für  die  Empfindung  des  Durst- 
gefühls sicher  nicht  in  Betracht.  Viel  eher  wäre  noch  der  Feuch- 
tigkeitsgrad der  Mund-  und  Rachenschleimhaut  verantwoiUich  zn 
machen.  Doch  kann  sicherlich  bei  gut  durchgefeuchteter  Mund- 
schleimhaut qualvoller  Durst  bestehen  und  ebenso  kann  unter  Um- 
ständen bei  ausgetrocknetem  Munde  kein  Bedürfnis  zur  Wasser- 
aufnähme  vorliegen.  Es  erscheint  mir  auch  für  die  Erklärung  des 
Durstes  die  Annahme  wohl  möglich,  daß  irgendwo  an  einer  be- 
stimmten  Stelle  im  Körper  oder  im  Gehirn  der  mangelnde  Wasser- 
gehalt des  Blutes  empfunden  wird.  Die  Polydipsie  (Diabetes  in- 
sipidus),  die  manchmal  als  Folge  von  syphilitischen  Gehirnerkran- 
kungen beobachtet  wird,  würde  für  eine  Reizung  des  hypothetischen 
Zentrums  im  Gehirn  sprechen.  Allerdings  hat  die  Pathologie  noch 
niemals  von  Beobachtungen  berichtet,  welche  die  Ausschaltung  eines 
solchen  Zentrums  vermuten  lassen  könnte.    Mit  dem  Schlagwort, 


1)  Eine  Bestätigung  dieser  Annahme  könnte  man  darin  sehen^  dafi  dem 
Verdau ungsakt  ein  Erinnerungsvermögen  zur  Verfügung  steht,  so  reagiert  er 
beim  Versuch  der  Zufuhr  von  Speisen,  die  ihm  einmal  schlecht  bekommen  siad. 
mit  einer  durch  den  Willen  nicht  zu  überwindenden  völligen  Appetitlosigkeit. 


Klin.  Beiträge  zur  Physiologie  des  sympathischen  Nervensystems.      453 

daß  der  Durst  eine  Allgemeinempfindang  sei,  d.h.  daß  alle 
Zellen  des  Körpers  gleichmäßig  anter  dem  Wassermangel  leiden 
(Zellendorst)  und  daß  nns  eben  dieses  Flüssigkeitsbedürfhis  zam 
Bewußtsein  komme,  ist  f&r  die  Erklärung  der  Dnrstempfindong 
nicht  viel  geleistet,  denn  es  ist  dann  immer  wieder  zu  entscheiden, 
durch  welche  Nerven  diese  Empfindung  dem  Gehirn  zugeleitet  und 
durch  welche  Zellgruppen  im  Gehirn  sie  unserem  Bewußtsein  über- 
mittelt werden.  Denn  auch  im  Gehirn  müssen  bestimmte  Zell- 
gruppen das  Bedürfnis  nach  Wasser-  oder  nach  Nahrungsaufnahme 
dem  Bewußtsein  übermitteln,  da  es  nicht  anzunehmen  ist,  daß  die 
Ganglienzellen  des  psychomotorischen  Systems  oder  der  Sinnes- 
empfindungen auch  der  Durstempfindung  dienen. 

Darauf  ist  aber  ganz  besonders  hinzuweisen,  in  welch 
hohem  Grade  die  Triebe  vom  körperlichen  und  gei- 
stigen Wohlbefinden  abhängen.  Ist  das  Gesundheitsgeffihl 
in  irgend  einer  Weise  gestört,  so  liegen  auch  die  triebartigen  Emp- 
findungen wie  der  Hunger  und  die  Geschlechtslust  danieder,  ja 
jede  unangenehme  seelische  Erregung,  wie  der  Ärger  ^),  die  Furcht, 
der  Schrecken,  die  Verstimmung  haben  ebenso  wie  ekelerregende 
Eindrücke  und  körperliche  Krankheit  und  Fieber  einen  lähmenden 
Einfluß  auf  Appetenz  und  Libido  coeundi. 

Mit  den  hier  gepflogenen  Erörterungen  wollte  ich  darauf  hin- 
weisen, daß  die  Beziehungen  zwischen  dem  Gehirn  und  den  inneren 
Organen  viel  lebhafter  sind,  als  dies  bisher  von  den  Physiologen 
and  Neurologen  angenommen  wurde,  ja  daß  die  Affekte  unter  Um- 
ständen recht  peinliche  Störungen  in  den  Funktionen  des  Magens, 
des  Darmes,  der  Blase,  des  Herzens  und  der  Vasomotoren  auslösen 
können.  Durch  welche  Nervenbahnen  wird  nun  dieser  Einfluß  be- 
tätigt? Da  der  sympathische  Grenzstrang  nicht  im  Gehirn  ent- 
^ringt,  sondern  lediglich  durch  die  Bami  communicantes  mit  dem 
Rückenmark  in  Verbindung  steht,  so  muß  gefolgert  werden,  daß 
bei   den  Affekten,  welche  die  Tätigkeit  der  Gefäße  der  Schweiß- 


1)  A.  Bickel  (Experimentelle  Untersuchnngen  über  den  EinflaO  von  Af- 
fekten anf  die  Mageusaftsekretion,  Dentsche  med.  Wochenschr.  1905  Nr.  46)  wies 
-dnrch  Tierrersnche  nach,  daß  Ärger  die  Magensaftsekretion  fast  momentan  nnter- 
lyrechen  kann.  Ein  Magenfistelhand  sonderte,  in  der  Verdauung  begriffen,  sobald 
ihm  eine  Katze  Torgehalten  wurde,  bedeutend  weniger  Magensaft  ab.  Durch 
«tarke  Affekte  werden,  wie  B.  weiterhin  experimentell  erweisen  konnte,  die  ner- 
rOsen  Apparate  des  Magens  so  nachdrücklich  und  anhaltend  verstimmt,  daß  die 
mit  der  späteren  Aufnahme  der  Speisen  Hand  in  Hand  gehenden  nervösen  Er- 
reiran^n  nicht  mehr  genügen,  um  die  normale  Saftbildung  auszulösen. 


454  XXIV.  Müller 

drüsen  oder  der  Bauchorgane  beeinträchtigen,  die  dazu  notwendigen 
nervösen  Impulse  aus  dem  Gehirn  durch  das  Bückenmark  in 
das  sympathische  Nervensystem  und  so  nach  dem  Körper  gelangen. 
Auch  die  vasomotorischen  Erregungen  der  Gesichtshaut  können 
nicht  direkt  vom  Gehirn  aus  auf  die  Gefäße  überspringen,  sie 
müssen  zuerst  den  Weg  durch  das  Halsmark  ^)  in  das  obere  Bras^ 
mark,  die  Kami  communicantes  und  den  Halssympathikns  ein- 
schlagen, um  schließlich  von  dort  erst  in  die  Geflechte,  welche  die 
Gefäße  umspinnen,  zu  gelangen. 

Können  wir  uns  schon  keine  klaren  Vorstellungen  darüber 
machen,  welcher  nervöse  Vorgang  im  Gehirn  den  Affekten  ent- 
spricht, so  ist  es  naturgemäß  ganz  ausgeschlossen,  zu  entscheiden^ 
welche  Bahnen  im  Gehirn  und  Eflckenmark  zur  Übertragung  der 
seelischen  Erregung  auf  das  sympathische  Nervensystem  in  An- 
spruch genommen  werden.  In  erster  Linie  wäre  daran  zu  denken, 
ob  nicht  den  einzelnen  Organen,  wie  dem  Darme,  der  Niere  oder 
dem  System  der  Piloerektoren  im  Rtickenmarke  bestimmte 
Fasergruppen  entsprechen  würden.  Die  Rückenmarkspathologie 
gibt  uns  für  eine  solche  Annahme  keine  Anhaltspunkte.  Wissen 
wir  doch  nicht  einmal  sicher,  ob  in  der  Medulla  spinalis  vaso- 
motorische Fasern  und  solche,  welche  die  Schweißsekretion  an- 
regen, verlaufen,  geschweige  denn,  daß  wir  sie  lokalisieren  könnten. 

Wenn  nun  für  die  Beeinflussung  der  Tätigkeit  innerer  Organe 
durch  Gemütsbewegungen  kein  bestimmtes  Fasersystem  verant- 
wortlich gemacht  werden  kann,  so  ist  die  Möglichkeit  zu  erörtern, 
daß  es  dazu  gar  keiner  besonderen  Bahnen  bedürfe  und  daß  durch 
die  Affekte  die  nervöse  Erregbarkeit  im  allgemeinen  in  typischer 
Weise  „gestimmt"  würde.  Die  Allgemeinempfindungen  wie  die  Lust 
die  Sorge  oder  der  Schreck  würden  dann  eine  quantitative  oder  quali- 
tative Veränderung  der  tierischen  Elektrizität  bedingen,  auf  welche 
die  perzipierenden  Organe  des  Sympathikus,  die  Ursprungszellen  der 
Rami  communicantes  im  Rückenmark,  in  ihrer  Weise  reagieren. 

Für  diese  Erklärung,  welche  als  Folgen  der  Affekte  eine  Ver- 
änderung in  der  gesamten  Leitungsfähigkeit,  eine  Er- 
schwerung oder  Erleichterung  des  Ablaufes  der  nervösen  Erregungen 
annimmt,  können  Vorgänge,  die  sich  in  dem  unserem  Willen  unter- 
worfenen cerebrospinalen  Nervensystem  abspielen,  zur  Stütze  bei- 
gebracht werden.  Dort  verlaufen  bei  Lustgefühlen  alle  Inner- 
vationen rascher  als  sonst:  die  Assoziationen  kommen  schneller  zn- 
Stande,  der  Redefluß  ist  munterer,  die  motorischen  Äußerungen  sind 

1)  Den  Wurzeln  des  Cervikalmarkes  entspringen  keine  Rami  communicantes. 


Klin.  Beiträge  zur  Physiologie  des  sympathischen  Nervensystems.       455 

lebhafter,  im  Ausdruck  des  Gesichtes  äußert  sich  der  stärkere 
Tonus  der  Muskulatur.  Dehnt  sich  eine  solche  erhöhte  Erregbar- 
keit auch  auf  das  vegetative  Nervensystem  aus,  so  sind  die  den  Lust- 
empfindungen entsprechenden  körperlichen  Symptome,  wie  die  lebhafte 
Gesichtsfarbe,  die  kräftigere  Herztätigkeit,  die  Vermehrung  der 
Appetenz,  die  Zunahme  der  Geschlechtslust  usw.  wohl  zu  erklären. 

Finden  unsere  Intentionen  und  Wünsche  Widerstreben,  so 
treten  Unlustempfindungen:  Ärger,  Gram  und  Schmerz  auf. 
Die  dadurch  ausgelöste  depressive  Stimmung  geht  mit  einer  Hem- 
mung der  nervösen  Vorgänge  einher:  die  geistige  Arbeit  ist  er- 
schwert, der  Ablauf  der  motorischen  Äußerungen  verlangsamt;  der 
Tonus  der  Muskeln  ist  herabgesetzt  Diese  Veränderung  des 
Innervationsprozesses  betrifft  auch  das  „autonome^  System  und 
beeinflußt  dort  die  Tätigkeit  des  Herzens,  der  Vasomotoren,  des 
Verdauungs-  und  des  Geschlechtsapparates.  So  wirkt  der  seelische 
Schmerz,  die  Wehmut,  einmal  auf  die  Innervation  der  gesamten 
Muskulatur,  der  Körper  bricht  zusammen,  der  Kopf  wird  vornüber 
geneigt,  der  Gesichtsausdruck  ist  hängend,  die  Lippen  zittern; 
andererseits  stellt  sich  auch  eine  Sekretion  der  wesentlich  vom 
sympathischen  Nervensystem  versorgten  Tränendrüsen  ein. 

Besonders  eklatant  ist  aber  die  Einwirkung  der  Spannungs- 
zustände,  der  Furcht,  der  Angst  und  der  Sorge  auf  die  vege- 
tativen Funktionen.  Unter  ihrem  Einfluß  treten  all  die  oben  be- 
schriebenen Erscheinungen,  wie  die  Polyurie  und  Polakurie,  Durch- 
falle, Erbrechen,  Herzklopfen,  Schweißausbruch,  (^'utis  anserina  am 
lebhaftesten  auf.  Der  Zustand  der  gespannten,  peinlichen  Er- 
wartung muß  also  eine  Veränderung  im  Ablauf  der  nervösen  Vor- 
gänge bewirken,  die  auf  den  Sympathikus  übergreifend  besonders 
leicht  zu  Störungen  in  dem  normalen  Ablauf  der  Organfunktionen 
fahrt.  Die  gemeinschaftliche  Beeinträchtigung  des  sympathi- 
schen und  des  psychomotorischen  Nervensystems  dokumentiert  am 
deutlichsten  der  Schreck.  Dieser  bedingt  nicht  nur  durch  die  kon- 
striktorische  Wirkung  der  Vasomotoren  ein  Zurückweichen  des  Blutes 
aus  der  Hautoberfläche,  Beschleunigung  der  Herztätigkeit,  Erregung 
der  Piloerektoren,  der  Schreck  kann  auch  „in  die  Glieder  fahren" 
und  diese  „lähmen"  oder  „Zittern"  und  ..Beben"  verursachen.^) 

1)  Der  Auffassung,  daß  seelische  Emotionen  nie  die  Freude  oder  der  Schmerz, 
clie  Angst  und  der  Schreck  nur  dann  zustande  und  zum  Bewußtsein  kommen, 
wenn  sie  körperliche  Erscheinungen  im  Gefolge  hahen,  ist  aber  entschieden  ent- 
i^egrenzu treten.  Die  letzteren  sind  doch  immer  als  etwas  Sekundäres  aufzufassen. 
Zntreifend  mag  aber  sein,  daß  Individuen,  bei  denen  die  Affekte  sich  nicht  oder 
nur  wenig  äußern,  auch  weniger  Stimmungsschwankungen  unterworfen  sind. 


456   XXIV.  Müller,  Klin.  Beitr.  zur  Physiol.  des  sympathischen  Nerveosystams. 

Für  die  verschiedenen  Zustände,  in  welche  unser  Nervensystem 
durch  die  Lust-  und  Unlustempfindungen  versetzt  wird,  bedient 
sich  die  Sprache  des  Wortes  „Stimmungen".  Dieser  Ausdruck 
seheint  auch  wirklich  den  dabei  sich  abspielenden  physiologischen 
Vorgang  am  besten  zu  charakterisieren.  Ähnlich  nun,  wie  von 
vielen  Saiten  nur  diejenige  auf  einen  Ton  anklingt,  welche  anf 
diesen  gestimmt  ist  oder  wie  der  Empfangsapparat  bei  der  draht- 
losen Telegraphie  nur  durch  eine  bestimmte  Wellenart  der  Elek- 
trizität angesprochen  wird,  so  stalle  ich  mir  vor,  wird  auch  vom 
sympathischen  Nervensystem  immer  nur  eine  bestimmte  Gmppe 
von  Zellen  durch  diese  oder  jene  das  ganze  Nervensystem  durch- 
zitternde Stimmung  betroffen.  So  führt  der  Schmerz  zur  Sekretion 
der  Tränendrüsen,  die  Scham  zur  fleckigen  Rötung  des  Gesichtes, 
die  Furcht  zur  Cutis  anserina.  Dabei  kommen  aber  individuelle 
Eigenarten  sehr  wesentlich  mit  in  Betracht.  Bei  dem  einen  be- 
dingt jede  Erregung  starke  Schweißsekretion,  bei  dem  anderen 
„schlägt"  sie  sich  auf  den  Magen  oder  auf  den  Dann.  Dieser 
reagiert  auf  Angstzustände  mit  Harndrang,  jener  mit  Tachykardie 
oder  Arhytmia  cordis.  Stets  aber  sind  diejenigen  Persönlich- 
keiten, welche  in  solcher  Weise  auf  Affekte  reagieren,  auch  vaso- 
motorisch leicht  erregbar. 

Durch  die  neueren  physiologischen  Forschungen  erfahren 
wir,  daß  unsere  inneren  Organe,  wie  das  Herz,  der  Magen  und  der 
Darm,  die  Nieren,  die  Ureteren  und  die  Gebärmutter,  die  Kraft 
und  die  Anregung  zur  Arbeit  in  sich  haben  und  daß  sie  auch  dann, 
wenn  sie  von  allen  nervösen  Verbindungen  abgeschnitten  sind,  in 
einer  für  die  Aufrechterhaltung  des  Lebensprozesses  völlig  ge- 
nügenden Weise  weiterarbeiten. 

Von  klinischer  Seite  muß  aber  daraufhingewiesen  werden,  daS 
lebhafte,  wenn  auch  unbewußte  Beziehungen  zwischen  diesen  Oi*ganen 
und  dem  Zentralnervensystem  bestehen,  ja  daß  stärkere  psychische 
Vorgänge,  wie  sie  unsere  Affekte  darstellen,  auf  ihre  Tätigkeit  eine 
größere  Beeinträchtigung  ausüben  als  auf  die  unserem  Willen  direkt 
zugänglichen  Funktionen,  auf  das  psychomotorische  System. 

Sagt  uns  ja  schon  der  Name  „Sympathikus",  daß  dieses  Nerven- 
system dazu  berufen  ist,  den  Körper  an  den  seelischen  Bewegungen 
mitleiden,  ovuna&siv,  zu  lassen. 

7  I  7 


XXV. 
Aus  der  medizin.  Klinik  za  Kiel  (Prof.  Quincke). 

Beitrtge  znr  Patiiologie  des  Blntdrneks. 

Von 

Dr.  Kfllbs, 

Assistenzarzt  der  Klinik. 
(Mit  3  Kurven.) 

Im  folgenden  möchte  ich  einige  Elrankengeschichten  wieder- 
geben, die  klinisch  wichtige  Symptome  verschiedener 
Art  darboten,  speziell  Blutdrucksteigernngen  und 
-Senkungen.  Sie  dürften  einen  Baustein  liefern  zu  der  jungen 
in  den  letzten  Jahren  sich  immer  mehr  entwickelnden  Wissenschaft 
der  Blutdruckmessung,  zu  den  Gefäßkrisen  und  ihren 
klinischen  Symptomen.  Die  Blutdruckmessungen  wurden  mit 
dem  Riva  Rocci'schen  Apparat  und  einer  16  cm  breiten  Binde  aus- 
geführt. 

I.  C.  L.,  23  jähriger  Arbeiter  —  früher  stets  gesund  —  erkrankte 
wenige  Wochen  vor  der  Aufnahme  an  Kreuzschmerzen.  Ein  tastbarer 
Lokalbefand  wurde  bei  der  näheren  Untersuchung  nicht  gefunden,  auch 
keine  sichere  Spitzenaffektion :  doch  sah  man  eine  Erkrankung  tuber- 
kulöser Natur  klinisch  ftir  das  Wahrscheinlichste  an.  6  Wochen  später 
konstant  klingendes  Bassein  über  der  rechten  Spitze;  abendliche  Tempe- 
raturen bis  39  ^.  Wenige  Tage  darauf  heftige  Kopfsohmerzen,  Erbrechen, 
zunehmende  Nackensteifigkeit;  Patient  zeitweise  benommen.  Die  Be- 
nommenheit hält  in  den  nächsten  Tagen  dauernd  an,  der  Puls  ist  weich, 
regelmäßig  60,  der  Blutdruck  subnormal  um  90 — 100.  Mehrere  Ver- 
suche, eine  Lumbalpunktion  zur  weiteren  Festigung  der  Diagnose  Me- 
ningitis vorzunehmen,  scheiterten,  da  Patient  stets  erhebliche  Abwehr- 
bewegungen machte.  Der  Blutdruck  beträgt  bei  der  Abendvisite  des 
3.  Oktober  96  mm  Hg;  der  Puls  ist  weich,  regelmäßig  72;  die  Atmung  regel- 
mäßig, etwas  beschleunigt  28.  Ca.  2  Minuten  später  —  beim  Abnehmen 
des  Schlauches  —  setzt  die  Atmung  aus,  das  Gesicht  des  Patienten 
wird  stark  cyanotisch,  der  Puls  ist  kräftig,  sehr  stark  gespannt.  Der 
sofort    gemessene    Blutdruck    beträgt    222;    Pulsfrequenz    126.      Noch- 


458 


XXV.  Kti 


malige  Messung  des  Blutdrucks.  Ergebnis  dasselbe.  Patient  wird  sofort 
in  den  Ätmungsstuhl  (Boghe&n')}  gebracht.  Dies  ist  bekanntlich  (s.  b. 
Bogheaa)  ein  bequemer  gepolsterter  Lehnstuhl,  unter  den  ein  Elektro- 
motor eingebaut  ist.  Mit  Hilfe  von  3  Pelotten,  die  vom  Motor  an- 
getrieben werden,  kann  eine  rhythmische  Kompression  des  Thorax  — 
nach  Sohneiligkeit  und  Inteni^iUit  modifizierbar  —  ausgeführt  werden. 

Kurve  1.    Fall  I. 


acuema 

■  BlutdrucK  H  P 

Pulszahl  ^H  ' 

el«ktr.''Stnig».-  ^H  Jt 

Stuhl  ^H  I 


'BlDtdrnck    Puls 


[  Starte  Cjauose  des  Gesichts,  Atmung*- 
'     stillstand.    Fiüs  mittelkrifti«.  iUrl 

gespannt.  Popilleneng.nicbtrei^e- 
I      reno.    Reflexe  fehlen. 
'  In  den  elektrischen  AlniuBsistiU. 

KUnstl.  Atmung  auBer  Betrieb. 
I  (Fat.  bleibt  sitzen).  Atmung  eriolft 
I      nicht  spontnn.   Puls:  Anfangs mUi: 

gespannt,     nimmt    allmlnlich   «e 

Spannung  zn.    Starke  Cjannse. 


1]  Boghean.  Demonstration  eines  Respirationsapparates  auf  mascbinellw 
Wege.  Verbandl.  d.  XVII.  Kongr.  t.  innere  Med.  1899  und  Berl.  kün.  Wochfn- 
Bchrift  190t  p.  1216.  —  Einfluß  mascliin.  Thoraskompression  bei  der  Bebandliuif 
der  Dyapnoe  der  Lungen-  und  Herzkrankeu.    Berl,  kün.  Woebenscbr.  1904  S.  1101 


Beitrfige  zur  Pathologie  des  Blntdracks. 


459 


Zeit 


Blutdruck 


At- 
mmig 


7  ühr  30  Min. 


8 
S 


8 
8 
8 
8 


n 


40      r 


42 
44 


46 


60 
65 


71 


8    .     - 


02 
05 


07 
10 
15 
20 


8    .     22    „ 
8    .     26    „ 


8     «     28    „ 


8     «     32    , 


8     n     40    „ 

8     „     45    „ 


8     „     47    „ 
8     „     60    ^ 


—  128 


120 


90 
88 


132 

128 

78 


112 
78 
40 


78 

78 

68 
60 


40 


100 
100 


122 
122 

144 


120 
124 

48 


100 

88 

120 
120 


9 


8 


16 
8 


10 

8 

10 


124       — 


Atmungsstahl   wieder    in   Betrieb. 

Oyanose  Terschwindet  allmählich. 
Gesichtsfarbe  blaß,  Lippen  rot.  Herz- 
töne rein. 

Atmnngsstnhl  ab.  Patient  atmet  spon- 
tan, tief  und  gleichmäßig  8  mal  in 
1  Minute.  Atmung  wi^  allmäh- 
lich schneller  und  weniger  tief.  Fre- 
quenz 16. 

» 

Stark  zunehmende  Cyanose.  Atmung 
unregelmäßig ,  sehr  oberflächlich. 
Puls  sehr  klein. 

Atmunffsstuhl  an.  Cyanose  geringer; 
Terschwindet  allmählich.  Puls :  kräf- 
tiger. 

Atmungsstuhl  ab.  Atmet  spontan 
8 mal  in  der  Minute;  Puls  mittel- 
kräftig, regelmäßig. 

Trotzdem  Patient  spontan  tief  und 
regelmäßig  atmet,  wieder  zuneh- 
mende Cyanose  der  Lippen.  Puls 
kleiner,  beschleunigter. 

Atmungsstuhl  an. 

Cyanose  geringer.  Puls  wird  kräf- 
tiger. 

Atmnngsstuhl  ab. 

Atmet  spontan. 

Cyanose. 

Starke  Cvanose,  Pupillen  sehr  weit. 
Puls  klein,  unregelmäßig;  ca.  48. 
Atmung  sistiert. 

Atmungsstuhl  an. 

Cyanose  geringer,  sofort  Puls  mittel- 
kräftig regelmäßig  100. 

Zur  Druckmessung  Stuhl  für  1  Min. 
außer  Betrieb.  Atmuuj^  sistiert.  So- 
fort Cyanose,  Puls  weicher ;  kleiner. 

Zur  Druckmessung  Stuhl  ab  für  1  Min. 
Atmungsstillstand. 

—  Atmungsstuhl  ab. 

—  Atmnngsstillstand.  Rasch  zunehmende 

Cyanose.  Puls  klein  weich,  wird 
stark  unregelmäßig,  mehrere  Se- 
kunden aussetzend  (8  Uhr  45  Min.j 

—  !  Blutdruck  kaum  meßbar. 

—  .  Atmungsstuhl  an. 


460 


XXV.    KÜLBB 


Zeit 


8  Uhr  oö  Min. 


9      n        10       , 


9   „    ib    „ 

— 

120 

9    „     25     ,      1 

68 

120 

9     n      30     „ 

48 

100 

9 


36 


ö    »     45     „ 


Pak  mittelkräftifi:,  rogelmftßig. 

Cyanose  geringer. 

Da  trotz  mechan.  Atmnng  Cjanoie 
rasch  znnimmt  und  Pnu  imre|«l- 
mftOig,  Sanerstoff.  (Pak  m  £i- 
spiriam,  wenn  Atmnn^tahl  aktir 
komprimiert,  kr&ftig;  im  Inspirnun 
aossetsend). 

Cyauose  fast  verschwunden.  Gesiebt 
rot,  Puls  mittelkräftig  120. 

Blutdruck  sinkt.     Pols  wird  klmer. 

Blutdruck  kaum  meßbar.  Pols  sehr 
klein,  unregelmäßig  flackernd.  Starke 
Cyanose  des  Gesicots. 

Atmungsstuhl  ab.  Puls  eben  fühlbar, 
sehr  unregelmäßig.  Herztöne  kiS^ 
bar. 

Puls  nicht  mehr  ftthlbar.  Keine  Herz- 
töne zu  hören.  Die  Cyanose  des 
Gesichts  hat  sich  in  den  letzten 
10  Minuten  etwas  verloren.  Ge- 
sichtsfarbe blaß;  doch  noch  stark 
cyanotisch  verfärbte  Lippen. 

Die  Sektion  (Prof.  Dohle)  ergab:  Meningitis  tuberculosa,  Tober- 
kulose  der  Dura,  Atrophie  der  Bulbi  olfactori;  Innenfläche  der  Dura; 
glatt,  glänzend.  Arachnoidea:  zart  durchscheinend,  an  einzelnen  SteUen 
leicht  kömig-getrübt  (in  der  Umgebung  der  Gefäße  der  Zentralwindung). 
"Windungen  stark  abgeplattet,  Furchen  verstrichen,  Balken  gewölbt 
Hirnsubstanz  scheckig  gerötet.  Ventrikel  weit,  enthalten  ca.  40  ocm 
Flüssigkeit.  Himsubstanz  weich,  etwas  ödematös.  Durchschnitt  durch 
die  großen  Hirnganglien  ohne  Besonderheiten.  Kleinhirn  weich,  blaE. 
Arachnoidea  leicht  sulzig  infiltriert  nach  hinten  bis  zur  Pons  und  Me- 
dulla. 

Geringe  Miliartuberkulose  der  Lunge,  haselnußgroßer  Käseknoten 
des  linken  Unterlappens,  Residuen  von  Pleuritis  daselbst. 

Durch  eine  Kombination  verschiedener  günstiger  Umstände 
war  es  möglich,  das  nach  dem  ersten  Versagen  der  Atmung  fast 
3  Stunden  andauernde  Wechselspiel  in  der  Funktion  von  Zirkulation 
und  Respiration  zu  beobachten. 

Besonderes  Interesse  verdient,  wie  die  Tabelle  wiedergibt, 
das  Verhalten  des  Blutdrucks.  Während  bis  zum  3.  Oktober 
subnormale  Werte  vorlagen,  Werte,  wie  man  sie  bei  fieberhafter 
Allgemeinerkrankung  in  diesem  Alter  oft  sehen  kann,  steigt  der 
Druck    rapide    nach    dem   Aufhören    der    Atmung  auf 


Beiträge  znr  Pathologie  des  Blutdrucks.  461 

einen  anßerge Wohnlichen  Grad.  Der  Puls* —  vorher  eher 
weich  —  fShlt  sich  stark  gespannt  an  nnd  wird  freqnent  Unter 
künstlicher  Atmung  nimmt  die  Spannung. des  Pulses  etwas  ab,  der 
Blutdruck  fallt  auf  fast  normale  Werte.  Als  der  Atmungsstuhl 
um  7  Uhr  20  Min.  außer  Betrieb  gesetzt  wird,  schnellt  aber  noch- 
mals der  Druck  empor,  um  kurz  darauf  nach  längerer  känstlicher 
Respiration  wieder  zu  fallen  und  zugleich  mit  dem  Einsetzen  einiBr 
spontanen  regelmäßigen  Atmung  sich  um  80—120  zu  bewegen.  Von 
jetzt  ab  sinkt  der  Druck  allmählich  bis  auf  eben  noch  meßbare 
Größen:  mit  kui*zen  Remissionen,  die  jedesmal  mit  dem  Aussetzen 
des  Atmungsstuhles  zusammenfallen.  Die  Qualität  des  Pulses  war 
so  ausgesprochen  fühlbar,  daß  Wechsel  in  der  Druckhöbe  stets 
vorher  erkannt  wurden;  die  Frequenz  war  trotz  der  starken 
Gefäßspannung  anfangs  auffällig  hoch. 

Neben  den  Druckdifferenzen  ist  beachtenswert,  daß  es  gelang, 
durch  künstliche  Atmung  eine  spontane,  regelmäßige  tiefe  Re- 
spiration nach  40  Minuten  wieder  in  Gang  zu  bringen. 

Es  handelt  sich  im  wesentlichen  also  um  eine  Atmungs- 
lähmung. Von  den  verschiedenen  Momenten,  welche  einen 
Atmungsstillstand*  herbeiführen  können,  kämen  hier  in  Betracht 
lokale  Veränderungen  an  Lungen  und  Pleura  oder  Störungen  in 
der  Tätigkeit  des  Atmungszentrums.  Gegen  die  erste  Ursache 
spricht,  daß  vor  dem  Tode  keine  Dyspnoe  vorhanden  war  und  daß 
bei  der  Sektion  eine  nur  mäßige  Miliartuberkulose  der  Lungen 
gefunden  wurde.  Wahrscheinlicher  ist  es,  eine  durch 
zentrale  Einflüsse  bedingte  primäre  Atmungslähmung 
anzunehmen. 

Als  auslösendes  Moment  könnten  nun  neben  Erhöhungen 
4es  Himdrucks  im  allgemeinen  lokale  tuberkulöse  Veränderungen 
in  der  Medulla,  eine  das  Atmungszentrum  schädigende  toxische 
Noxe  anderer  Art  oder  lokale  vasomotorische  Störungen  ange- 
schuldigt werden.  Eine  Intoxikation  allgemeiner  Art  bestand  zwar, 
aber  die  Tatsache,  daß  die  Lähmung  der  Atmung  zugleich  mit 
einer  Reizung  des  Vasomotorenzentrums  einherging,  macht  es  un- 
wahrscheinlich, den  primären  Stillstand  der  Atmung  als  Intoxi- 
kationserscheinung aufzufassen.  Welche  der  anderen  Möglichkeiten 
hier  das  primäre  Symptom  ausgelöst  haben,  ist  schwer  zu  ent- 
scheiden. Nicht  ausgeschlossen  ist  nach  den  klinischen  Erschei- 
nangen  und  nach  dem  Sektionsbefund  eine  Erhöhung  des  Ge- 
hirndrucks. Wenn  hierbei  eine  Lähmung  der  Atmung  zugleich 
mit  einer  Pulsbeschleunigung  eintrat,  so  entspricht  dies  den  experi- 

Deateches  .\rohiv  f.  klln.  Medizin.    M.  Bd.  ^ 


462  XXV.  KüLBs 

mentell  erzeugten  Hirndruckssymptomen.  Nauilyn  und  Schreiber^) 
sahen  initialen  Respirationsstillstand  mit  Blutdruckerhöhnng  bei 
künstlich  erzeugtem  Hirndruck,  Deucher')  erlöschende  Bespira- 
tion  als  primum  moriens  mit  einem  kleinen,  beschleunigten,  an- 
regelmäßigen  Puls  und  einem  sinkenden  Blutdruck.    Er  sagt: 

nAm  meifiten  fällt  der  unterschied  yod  Puls  und  Atmung  in  die 
Augen,  wenn  bei  Eintritt  der  Gehimlähmung  der  Pols  ganz  plözlich  von 
einer  Verlangsamnng  in  eine  Beschlennignng  omschlägt;  da  wird  die 
Respiration  oberflächlich  und  noch  seltener,  bis  sie  früher  als  das  Herz 
stillsteht.  Der  Tod  ist  also  primär  veranlaßt  durch  die 
stockende  Respiration.  Künstliche  Respiration,  die  bei  Fall  12 
angewandt  wurde,  aber  leider  nur  3  Minuten  lang,  brachte  sofortige 
Besserung  von  Puls  und  Blutdruck.  Ebenso  der  Versuch  14,  daß  das 
Tier  immer  noch  zu  retten  ist,  solange  nur  noch  Respiration  vor- 
handen ist."^ 

Wahrscheinlicher  ist  es,  eine  durch  lokale,  viel- 
leicht  tuberkulöse  Prozesse,  vielleicht  vasomotorische  Vorgänge  be- 
dingte Lähmung  des  Atmungszentrums  und  des  herz- 
hemmenden Vaguszentrums  anzunehmen.  Durch  die  mecha- 
nische Ventilation  und  Zirkulation  in  den  Lungen  und  die  Ad- 
regung  der  Herztätigkeit  (Massage  des  Herzens)  wurde  die 
Störung  in  der  Tätigkeit  des  Atmungszentrums  beseitigt.  Die 
jedenfalls  durch  Vermittlung  COg-reichen  Blutes  bedingte  Reizung 
des  Gefäßnervenzentrums  erklärt  das  starke  reflektorische  Empor- 
schnellen des  Blutdrucks  und  die  gleichzeitige  Pulsfrequenz- 
erhöhung (analog  der  Erregung  dieses  Zentrums  und  der  Blut- 
druckerhöhnng bei  der  experimentell  erzeugten  Erstickung).  Eine 
histologische  Untersuchung  hätte  vielleicht  mikroskopisch  nach- 
weisbare Lokalursachen  aufgedeckt.  Da  Veränderungen  in  den 
Atembewegungen  nicht  allein  von  dem  in  der  MeduUa  oblongata 
liegenden  Zentrum,  sondern  auch,  wie  experimentell  gezeigt  wurde, 
durch  Reizung  der  Großhirnrinde  (U  n  v  e  r  r  i  c  h  t  *)),  durch  Reizung 
verschiedener  zentripetal  verlaufender  Nerven  beeinflußt  werden 
können  (z.  B.  Boruttau*)),  hätte  nur  eine  ausgedehnte  Unter- 
suchung ein  bestimmtes  Resultat  geliefert,  andererseits  ist  es  a  priori 


1)  Naunyn  u.  »Schreiber,  Über  Gehimdrnck.    Leipzig,  Vogel  1881. 

2)  D  e  u  c  h  e  r ,  Experimentelles  zur  Lehre  vom  Gehimdrack.  Leipng,  Hirsch- 
feld  1892. 

8)  Unverricht,  Experim.  Untersuchungen  über  die  Innervation  der  At«m- 
bewefifungen.    Verhandl.  d.  VII.  Kongr.  f.  inn.  Med.  1888. 

4)  Boruttau.  Innervation  der  Atmung.  Ergebnisse  der  Physiologie  von 
Asher  u.  Spiro  I,  2  p.  403. 


Beiträge  zur  Pathologie  des  Blntdrucks.  453 

nicht  unwahrscheinlich,  dafi  histologische  Veränderungen  überhaupt 
nicht  vorhanden  waren,  da  im  Tode  auftretende  vorflbergehende 
Erscheinungen  vorlagen. 

Besonders  interessant  scheint  mir,  daß  nach  kurzer  Anwendung 
des  Atmungsstuhls  (7  Uhr  20  Min.)  der  Blutdruck  erheblich  abfiel, 
dieser  Abfall  aber  noch  nicht  mit  einer  Auslösung  spontaner  Re- 
spiration einherging  und  der  Blutdruck  beim  Aussetzen  der  mecha- 
nischen Atmung  wieder  rapide  auf  200  anstieg.  Wenn  bei  dem 
zweiten  Atmungsstillstande  8  Uhr  20  Min.  nicht  wieder  Blutdruck- 
steigemngen  auftraten,  so  spricht  das  nicht  gegen  die  erwähnte 
Annahme.  In  diesem  Moment,  IV^  Stunde  nach  den  ersten  Er- 
scheinungen, lagen  offenbar  (schon  durch  die  Veränderung  der 
Hautzirkulation  kenntlich)  ganz  andere  allgemeine  Zirkulations- 
bedingungen vor. 

Veranlaßt  wurde  die  sofortige  Benutzung  künstlicher  At- 
mung in  diesem  Falle  durch  folgende  kurz  vorher  in  der  Klinik 
gemachte  Beobachtung. 

Ein  24 jähriger  Arbeiter,  der  längere  Zeit  Zeichen  eines  Klein- 
hirntuniorB  geboten  hatte,  starb  unter  folgenden  Symptomen:  Er  wurde 
plötzlich  blaß,  die  Atmung  setzte  aus,  dagegen  war  der  Puls  noch  deut- 
lich fühlbar,  klein,  wenig  beschleunigt.  Der  hinzugerufene  Arzt  machte 
aofort  manuelle  künstliche  Atmung,  da  der  Puls  immer  noch  deut- 
licli  zu  fühlen  war,  obschon  seit  dem  Aussetzen  der  Atmung  über 
5  Minuten  vergangen  waren.  Der  Puls  besserte  sich  anfangs,  war 
mittelkräftig,  begann  aber  nach  5  Minuten  kleiner  zu  werden  und  sistierte 
nach  10  Minuten,  also  fast  ^/^  Stunde  nach  dem  Atmungsstillstande. 
Sine  spontane  Atmung  war  nicht  erfolgt.  Die  Sektion  ergab  neben 
einem  Hydrocephalus  internus  —  der  Lumbaidruck  betrug  2  Tage  vor 
dem  Tode  140  —  einen  großen,  den  erweiterten  IV.  Ventrikel  aus- 
fallenden Tumor  mit  zipfelförmigen  Verlängerungen  durch  das  Foramen 
Magendi;  normale  Lungenbefunde  außer  einer  Spitzenschwiele  rechts. 

Offenbar  war  hier  das  Atmungszentrum  lokal  gelähmt 
worden.  Daß  es  nicht  möglich  gewesen  war,  eine  spontane  Eespiration 
wieder  auszulösen,  dürfte  vielleicht  auf  die  von  vasomotorischen 
JBinflüssen  unabhängige  lokale  solide  Kompression  des  Atmungs- 
zentmms,  vielleicht  auf  die  unzureichende  Mechanik  der  künstlichen 
Atmung  zurückzufuhren  sein.  Immerhin  ist  es  interessant,  daß  auch 
unter  künstlicher  Atmung  noch  15  Minuten  lang  ein  zeitweise 
guter  Puls  zu  fühlen  war.  Beide  Fälle  zeigen,  daß  das 
Aufhören  von  grob  nachweisbaren  Lebenserschei- 
nungen oft  unter  ganz  besonderen  Symptomen  vor 
sich  gehen  kann. 

Wird  das  eine  der  lebenswichtigen  Zentren  gelähmt,  so  wirkt 

30* 


464  XXV.  KuLBs 

dies  nicht  UDmittelbar  tödlich  auch  anf  das  andere,  sondern  es 
werden  in  diesem  sogar  Vorgänge  ausgelöst,  die  znr  Kompensation 
des  Ausfalls  geeignet  sind. 

Eine  andere  Beobachtung,  die  ttber  die  Wirkung  künst- 
licher Atmung  auf  intrathorakal  ausgelöste  Gefäßkrisen 
Aufschluß  gibt,  ist  folgende: 

n.  Am  8.  Mai  1905  wird  ein  4 7  jähriger  Masohinenbaaer ,  der 
starker  Potator  war,  aufgenommen  mit  ziehenden  anfallsweise 
auftretenden  Schmerzen  in  der  Brust.  Die  Untersuchung  er- 
gab ein  diastolisches  (Geräusch  über  der  Herzbasis  bei  einer  mfißig  Ter- 
größerten  Hensdämpfnng  einen  ziemlich  stark  schnellenden  regelm&ßigtti 
Puls. 

In  den  ersten  Tagen  traten  nur  vorübergehende  Anfalle  auf  Ton 
kaum  1  Minute  Dauer.  Ende  Mai  wurde  ziemlich  regelmäßig  Imal 
täglich,  besonders  abends  ein  Anfall  ausgelöst,  der  ganz  plötzlich  ein- 
setzte, anscheinend  sehr  heftige  subjektive  Beschwerden  machte  und  all- 
mählich in  ca.  5  Minuten  abklang.  Während  des  Anfalls  war  die  Pak- 
frequenz  etwas  gesteigert.  Die  Dauer  dieser  Anfalle  wurde  allmählich 
größer  und  Anfang  Juni  beobachtete  ich  Anfälle,  die  mit  anscheinend 
außerordentlich  heftigen  subjektiven  Beschwerden  mehr  ab  30  Minuten 
anhielten.  Das  Verhalten  des  Blutdrucks  war  nun  sehr  charak- 
teristisch. Im  Anfang  schnellte  der  Blutdruck  —  der  regelmäßig  2  und 
mehrere  Male  täglich  gemessen  wurde  und  zumeist  Werte  um  124  biß 
132  zeigte  —  plötzlich  in  die  Höhe.  180—200  mm  Hg  waren  stets 
vorkommende  G-rößen,  allmählich  sank  der  Druck  dann  auf  den  Normal- 
wert  ab,  oft  vorübergehend  subnormale  Zahlen  zeigend  und  immer  wenn 
sich  die  Kurve  der  Norm  näherte,  waren  die  .subjektiven  Beschwerden 
des  Patienten  verschwunden.  Der  Puls  war  im  Anfall  stets  regelmäßig, 
zeigte  geringe  Erhöhungen  seiner  Frequenz,  aber  stets  eine  erhebliche 
schon  mit  dem  Finger  abzuschätzende  Zunahme  seiner  Spannung.  Gra- 
phisch bot  die  Pulskurve  keinerlei  Abweichungen  von  der  in  der  an- 
fallsfreien Zeit  geschriebenen. 

Die  Atmung  war  im  Beginn  des  Anfalls  stets  tief  und  ungleich- 
mäßig, oft  mit  herabgesetzter  Frequenz  8 — 12  in  1  Minute,  im  Ab- 
klingen der  Beschwerden  zumeist  etwas  frequenter  wie  normal  und  regel- 
mäßig. 

Subjektive  Beschwerden  hatte  Patient,  wie  schon  erwähnt 
stets  sehr  heftige ;  er  bezeichnete  sie  bald  als  ziehende  Schmerzen  in  den 
Armen  und  in  der  Brust;  bald  als  Herzklopfen  und  dumpfe  Schmerzen 
in  der  Nacken-  und  Kaumuskulatur. 

Die  Haut  der  Brust,  der  Arme  und  des  Kopfes  föhlte  sich  beim 
Beginn  des  Anfalls  stets  auffällig  kalt  an.  Zugleich  mit  dem  Nachlassen 
der  Schmerzen  stellte  sich  oft  Schweißausbruch  ein. 

Patient  verließ  Ende  Juli  aus  äußeren  Gründen  das  Krankenhuu 
und  starb  mehrere  Monate  später  an  Herzinsufficienz  mit  Hydrops  Anastfka. 
Die  Obduktion  konnte  nicht  gemacht  werden. 

Von    den   verschiedenen  therapeutischen  Maßnahmen  (heiße 


Beiträge  mr  Pathologie  des  Blntdnicka.  4{g5 

foßbäder,  heiße  Kompresse □  auf  Brust  und  Hucken,  Eisblase;  innerlich: 
Ifizt.  nitroaa,  Theobromin,  Morphium)  hatte  deo  gUnatigsten,  zeitweise 
ttberrEtsohenden  Erfolg  die  kttnstlicbe  Atmung  im  Boghean' sehen 
A tmungsstabl.  Die  snbjektiveo  Besohwerden  Terscbwtuideii  Kiemlich 
B«bnell,  ZQgleiob  fiel  der  Blutdrock.  Die  prophylaktische  Anwendniig 
methodlsoher  Atmungsäb nagen  3  mal  täglich  nützte  nichte.  Hierbei  sab 
icb  meliTere  Male,  daS  ein  Anfall  in  dem  Augenblicke  ausgelöst  wurde, 
als  Patient  den  Stahl  verließ.  Durch  Wiederaufnahme  der  künstlicben 
Atmung  konnte  der  Anfall  jedesmal  kupiert  werden.  Später  (Ende 
Juli)  veraagte  oft  auah  die  prompte  Wirkung  der  künstlioben  Atmung 
teilweise  iuBofem  als  die  Anfalle  im  Stuhl  anfangs  heftiger  wurden  und 
erat  nach  30— 60  Minuten  langsam  abklangen.  Versncbe,  den  Boßbacb- 
schen  AtmtmgsBtabl  uodStrümpell'schen  Lungenkompressor  zu  verwenden, 
hatten  anfangs,  als  die  Anfalle  noch  wenige  Uinnten  dauerten,  einen  ge- 
ringen Erfolg,  später  war  diese  Art  der  Unterstützung  der  Atmung  ganz 
wirkungslos.  Ans  den  zahlreichen  in  den  An&llen  vorgeuommenen  Blut- 
druck- und  FalsniesBungen  möchte  ich  außer  den  Kurven  3  von  ver- 
schieden langer  Zeitdauer  mit  verschiedenen  subjektiven  Beschwerden  an- 
gefBJireQ.  Die  Knrve  3  zeigt  die  Wirkung  der  künstlichen  Atmung 
im  Boghean-Atmungsstubl. 

Kurve  2.     Fall  II. 

*.  Juni  abttuda  ViS  tlhr  Anr»!!. 


Kurve  3.     Fall  II. 

Ml;  B— IHin,  iiwb  BegiDii  iu  Bugb.  AtmuiiessCuhl. 


äcbema:  s.  Kurve  l. 


466 


XXV.  El'lb.s 


Druck 

1 

Puls 

1 

Resp. 

18.  Mai  abends  6  Uhr  stenokard.  Aufall 

176   ' 

96 

2  Minuten  später 

156 

94 

4        „ 

133    ' 

88 

7           r 

112   1 

80 

subjektiv  beschwerdefrei. 

1 

29.  Mai  abends  7  Uhr  Anfall.   Bei  Beginn 

des 

• 

« 

Anfalls 

188 

100 

Nach  2  Minuten 

176 

120 

n      5           . 

178 

92 

beginnender  Schweittausbruch. 

1 

Nach  9  Minuten 

162 

84 

r   13        „ 

142 

80 

angenehmes  Gefühl  von  Wärme  in  beiden 

, 

Armen.    Starker  Schweißausbruch. 

' 

Nach  17  Minuten 

122 

84 

n       20           „ 

126 

84 

5.  Juli  Anfall  abends  8  %  Uhr  beginnend 

mit 

I 

Schmerzen  im  Arm  (Druck  V»  Stunde  vorher 

gemessen  128 ;  ca.  2  Min.  nach  Beginn  d.  Anfalls 

188   ' 

102 

20 

1 

tief,  unregehD 

Nach  4  Minuten 

176 

96 

20 

.     7        „ 

.  182 

88 

nnregelm. 

r       "           n 

168   ' 

88 

16 

n     12           „ 

156 

92 

16 

beginnender  Schweiß. 

Nach  16  Minuten 

158 

88 

n      19        r 

148 

88 

16 

«      23        „ 

148   1 

88 

keine  Schmerzen,  noch  ger.  Beklemmung. 

1 

/ 

Nach  30  Minuten 

146 

80 

.     32        „ 

140   1 

80 

vollkommen  beschwerdefrei. 

Nach  40  Minuten 

138   . 

80 

16 

r.      45 

122 

80 

regelmäßige 

Es  handelt  sich  also  um  Anfälle  von  Angina  pectoris 
bei  einer  Aorteninsufficienz,  die  regelmäßig  den  in  der 
anfallsfreien  Zeit  fast  normalen  Blutdruck  um  60—80  mmHg 
erhöhen.  Die  Anfälle  setzen  mit  heftigen  subjektiren 
Beschwerden  ein  und  gehen  mit  spastischen  Veränderungen  in 
bestimmten  peripheren  Gefäßgebieten  einher ;  eine  wesentliche  Ver- 
änderung in  der  Herztätigkeit  läßt  sich  im  Anfall  nicht  nach- 
weisen. Besonders  bemerkenswert  scheint  mir  zu  sein,  daß  es 
durch  künstliche  Atmung  (mechanische  Kompression  des  Thorax) 
gelingt,  die  Schmerzen  relativ  schnell  zu  lindem  und  den  Blat^ 
druck  zugleich  zum  Sinken  zu  bringen.  Gewöhnlich  war  der  Patient 
schon  beschwerdefrei,  wenn  der  Blutdruck  auf  140—130  mm  Hg 


J 


Beiträge  zur  Pathologie  des  Blatdracks.  467 

abgefallen  war.  Im  Gegensatz  zu  Lander-Brnnton,  Mackenzie'), 
die  in  dem  Gefäßphänomen  das  primäre,  in  den  kardialen  Erschei- 
nungen das  sekundäre  Moment  sehen,  und  zu  Albutt,  Morison. 
Orlandi,  Neußer,  welche  die  Blutdrucksteigerung  als  Folge- 
erscheinung des  Schmerzes  auftassen,  glaubt  PaP),  daß  durch 
Koordination  der  Erscheinungen  in  den  peripheren  und  Herzgefaßen 
der  Symptomenkomplex  sich  erklärt  und  daß  der  den  Erscheinungen 
zugrunde  liegende  Reiz  entweder  durch  die  anatomischen  Verhält- 
nisse in  den  Coronargefäßen  bedingt  ist  oder  von  einer  anderen 
extrakardialen  Stelle  ausgeht  und  reflektorisch  die  Ei*scheinungen 
herbeiführt  oder  aber  in  den  Ganglionsapparaten  direkt  ausgelöst 
wird. 

Da  im  vorliegenden  Falle  eine  Obduktion  nicht  gemacht  werden 
konnte,  sind  positive  Unterlagen  f&r  den  Ausgangspunkt  der  Schmerzen 
nicht  vorhanden.  Aber  die  Tatsache,  daß  sich  bei  dem  früher  sehr 
stark  dem  Alkohol  ergebenen  Mann  ganz  allmählich  eine  Aorten- 
insufficienz  entwickelte,  läßt  daran  denken,  daß  diese  auf 
Grund  arteriosklerotischer  Veränderungen  in  der 
Aorta  ascendens  sich  ausbildete.  Ob  dabei  auch  Veränderungen 
im  Herzen  selbst  vorhanden  gewesen  sind  oder  der  Fall  denen 
zuzurechnen  ist,  die  bei  intakten  Coronargefäßen  nur  eine  End- 
arteriitis  im  Anfangsteile  der  Aorta  oder  eine  Erkrankung  der 
Aortenklappen  selbst  zeigen  (Pal,  1.  c.  p.  38),  vermag  ich  natürlich 
nicht  zu  sagen.  Der  öftere  Beginn  des  Anfalls  im  linken  Arm 
mit  ziehenden  Schmerzen,  die  objektiv  deutlich  nachweisbare 
kältere  Haut  der  oberen  Extremitäten  und  der  Brust  sprechen 
eigentlich  sehr  für  die  Annahme  spastischer  schmerz- 
hafter Kontraktion  in  den  Gebieten  der  vom'Aorten- 
bogen  ausgehenden  größeren  Gefäße.  Eine  so  exakte 
Trennung  von  Drucksteigerung  und  Schmerz,  wie  sie  z.  B  G  e  i  s  - 
böck'^)  in  einem  Falle  sah,  war  hier  nicht  ausführbar.  Betonen 
möchte  ich,  daß  zugleich  mit  dem  Nachlassen  der  subjektiven  Be- 
schwerden und  dem  Fallen  des  Blutdrucks  oft  unter  Schweiß- 
ausbruch eine  normale  Hauttemperatur  sich  wieder  einstellte 
und  daß  Veränderungen  im  Cardiogramm  und  Sphygmogramm  nicht 
festgestellt  werden  konnten.  Ich  glaube  daher,  daß  die  Span- 

1]  Mackensie,  Die  Lehre  vom  Pals;  Frankfurt  1904.  (Übersetzt  von  Dr. 
A.  Deatsch.) 

2)  Pal,  GefiLOkrisen;  Leipzig,  Hirzel  190ö  s.  p.  41. 

3)  GeisbÖck,  Die  Bedeutung  der  Bhitdmckmessnng  für  die  Praxis.  Deut. 
Arch.  f.  klin.  Med.  1905  Bd.  83  p.  385. 


468  XXV.  KüLBs 

nung  in  verschiedenen  Gefäßgebieten  hier  die  Schmerz- 
anfälle nnd  Dracksteigerungen  ausgelöst  haben.  Die 
geringen  Erscheinungen  von  Seiten  des  Herzens  kann 
man  sich  durch  die  Einschaltung  von  Widerständen 
allein  erklären.  Die  mechanische  Atmung  wirkte  be- 
sonders durch  Herzmassage  und  Überwindung  der 
peripheren  zirkulatorischen  Störungen. 

Möglich  ist  allerdings  auch  ein  primärer,  mit  Schmerz  ein- 
hergehender  Spasmus  in  den  Coronararterien,  dem  sekundär 
reflektorische  Kontraktionen  peripherer  Oefäßgebiete  folgen,  die 
ihrerseits  eine  vermehrte  Herztätigkeit  bedingen.  In  diesem  Falle 
würde  die  Druckerhöhung  eine  Selbsthilfe  des  Organismus  be- 
deuteuy  eine  Hilfe,  um  durch  die  spastischen  Verengerungen  in 
peripheren  Oefäßgebieten  einen  zentral  erhöhten  Druck  herbeizu- 
führen und  damit  eine  Aufhebung  der  Widerstände  in  den  Coronar- 
gefäßen,  eine  Beseitigung  der  Anämie  und  der  Schmerzen  und  eine 
bessere  Ernährung  des  Herzmuskels.  Man  könnte  daran  denken, 
daß  diese  reflektorischen  Vorgänge  vermittelt  werden  durch  ein  im 
Herzen  liegendes  G^fäßnervenzentrum,  wie  Kronecker  *),-)  es 
beim  Hunde  nachgewiesen  hat. 

Gegen  die  Annahme  einer  primären  Arteriosklerose  spricht 
nicht,  daß  der  Druck  in  der  anfallsfreien  Zeit  fast  normale  Werte 
hatte.  Abgesehen  davon,  daß  ich  fttr  sklerotische  Veränderungeo 
im  peripheren  Gefäßsystem  keine  tastbare  Unterlage  hatte,  ist 
ja  auch  durch  S  a  w  a  d  a*)  und  D  u  n  i  n^)  bewiesen,  daß  Arteriosklerose 
ohne  wesentliche  Drucksteigerung  verlaufen  kann. 

lil.  Daß  die  Gefäßkrisen  bei  Arteriosklerose  and  Angina 
pectoris  nicht  immer  mit  Druckerhöhang  einhergehen,  sondern  erheb- 
liche Erniedrigangen  des  Blutdrucks  vorkommen  können 
(v.  Basch^),  Pal"))  sah  ich  auch  in  einem  Falle  bei  einem  56jährigen 
Arbeiter  der  wegen  ziemlich  akut  auftretender  Herzinsufficienz  mit 
Ödemen,  myokarditischen  Symptomen  und  Zeichen  von  chronischer  Ne- 
phritis   hier   aufgenommeu   wurde.     Der  Patient   hatte   stets  einen  Bist- 

1)  Kronecker,  Über  Störungen  in  der  Koordination  des  Herzkan)me^ 
Schlages.    Zeitschr.  f.  Biologie,  N.  F.  1896  p.  529. 

2)  Barbara,  Ein  Gefft£nervenzentnim  im  Hundehensen.  Zeitschr.  f.  Bioloin^ 
N.  F.  1898  p.  253. 

3]  Sawada,  Blutdruckmessungen  bei  Arteriosklerose.  Deutsche  niediz. 
Wochenschr.  1904  Nr.  12. 

4)  Dunin f  Der  Blntdruck  im  Verlaufe  der  Arteriosklerose.  Zeitschr.  f.  klin. 
Med.  Bd.  54. 

5)  V.  Basch,  Die  Herzkrankheit  bei  Arteriosklerose.    Berlin  1901. 

6)  Pal,  I.e.  p.  51  u.  80. 


Beiträge  zur  Pathologie  des  Blutdrucks. 


469 


dmek  um  180 — 200,  bekam  10  Wochen  nach  der  Aufnahme  stenokardi- 
sche  Anfille.  die  er  subjektiv  als  Schauergefiihl  in  der  Brust  empfand, 
die  objektiv  mit  einer  geringen  Pulsbeschleunigung  und  stets  mit  einem 
fallen  des  Blutdrucks  bis  auf  140,  3  mal  sogar  bis  auf  96  bzw.  100  ein- 
hergingen. Irgendwelche  Erscheinungen  von  seiten  der  Hautgefäße 
konnten  im  Anfall  hier  nicht  beobachtet  werden. 

Ähnliche  prompte  Wirkungen  des  Boghean'schen  Atmungs- 
stahies  me  im  Fall  II  beobachtete  ich  in  einem  Falle  von  typi- 
schem Asthma  bronchiale. 

IV.  Am  10.  Juli  1905  wurde  ein  38 jähriger. Heiaer  wegen  an- 
fallsweise auftretender  Atemnoik  und  Husten  in  die  Klinik  aufgenommen. 
Wellige  Stunden  später  typischer  Anfall  von  Asthma  bronchiale  mit  hoch- 
gradiger Dyspnoe  und  einem  von  118  auf  200  erhöhten  Blutdruck.  Der 
Anfall  verlor  sich  im  Laufe  der  Nacht.  Als  am  Abend  des  11.  Juli 
ein  neuer  Anfall  auftrat,  wurde  Patient  in  den  Boghean'schen  Atmnngs- 
stohl  gesetzt,  die  subjektiven  Beschwerden  verloren  sich  nach  15  Minuten, 
der  Blutdruck  sank  von  180  auf  100  ab.  Am  3.  Tage  begann  abends 
10  Uhr  wiederum  ein  typischer  Anfall,  der  sich,  da  absichtlich  keine 
therapeutische  Beeinflussung  stattfand,  gegen  5  Uhr  morgens  verlor.  Als 
am  13.  April  Abends  ein  Anfall  auftrat,  gelang  es  auch  jetzt  durch 
meohanische  Atmung  im  Stuhl  den  Patienten  in  20  Minuten  vollkommen 
beachwerdefrei  zu  machen.  Er  schlief  kurze  Zeit  darauf  ein,  nachdem 
er  ziemlich  reichlich  schleimiges  zähes  Sekret  entleert  hatte.  Am  Abend 
des  14.  Juli  konnte  durch  prophylaktische  Atmung  die  Auslösung  eines 
Anfalls  verhindert  werden.  Leider  verließ  der  Patient  aus  äußeren 
Gründen  das  Krankenhaus  am  folgenden  Tage. 


Druck 

Puls 

Resp. 

Temp.« 

10.  fruit 

118 

84 

24 

'     37,4 

abends  10  Uhr  Anfall 

200 

84 

32 

11.  Juli 

• 

morgens 

120 

76 

28 

'     36.8 

abends 

116 

72 

32 

'     37;2 

7,11  Uhr  Anfall 

180 

92 

44 

in  den  Atmnngsstuhl  10  Uhr  55  Min. 

11  Uhr  15  Min. 

100 

72 

22 

12.  Jnli 

'                 • 

morgens 

112 

84 

32 

1     36,8 

abends 

120 

80 

32 

1     37,5 

10  Uhr  Anfall 

170 

96 

44 

IS.  Juli 

morgens 

120 

68 

32 

36,8 

abends 

122 

60 

24 

1     37,3 

abends  9  Uhr  Anfall 

200 

92 

52 

in  den  Atmnngsstuhl  9  Uhr  5  Min. 

n        ab  9     „  30     „ 

118 

84 

24 

14.  Juli 

morgens 

100 

64 

20 

35,5 

abends 

116 

72 

20 

37.0 

8    bis  8  Uhr  20  Min.  und  9  bis  9  Uhr 

20  Min.  prophylaktische  Atmung. 

470  XXV.  KüLBs 

Wie  in  dem  vorigen  Falle  gelingt  es  auch  hier,  akute  Blut - 
drucksteigerung  durch  mechanische  Atmung  zu  be- 
seitigen. MuBte  man  oben  spastische  Eontraktionen  peripherer 
Gefäße  annehmen  auf  Grund  organischer  Erkrankungen  der  Aorten- 
wand,  so  drängt  sich  hier  ganz  notwendig  die  Vermutung  auf,  dat 
Spasmen  in  der  Bronchial-  und  Gefäßmuskulatur  (Einthoven) 
diese  Drucksteigerungen  verursachen,  sie  wurden  teils  durch  Herz- 
massage, teils  durch  Lungengymnastik  gehoben.  In  jedem  FaQe 
liegen  Gefäßkrisen  vor,  die  —  wie  PaP)  sagt  —  man  auch  bei 
dem  sog.  Bronchialasthma  als  sehr  naheliegend  annehmen  muß.  Sie 
decken  sich  mit  den  Beobachtungen  von  Langerhans,  der  Blut- 
drucksteigerungen  bei  Asthmatikern  nach  Beseitigung  der  Dyspnoe 
schwinden  sah,  und  mit  den  von  Hensen^)  bei  Asthma  bronchiale 
beschriebenen  Drucksteigerungen  bis  185  mm  (schmale  Binde). 
Langerhans')  überwindet  in  seinen  Fällen  die  Dyspnoe  durch 
Atmungsübungen  mit  einem  besonderen,  der  Inspiration  dienenden 
Apparat.  Eine  Erklärung  für  die  Drucksteigerung  gibt  er  nicht 
an.  Hensen  erklärt  die  Drucksteigerung  durch  die  Einwirkung 
der  Atmung  auf  den  Druck,  durch  die  „ähnlich  wie  bei  der  Larynx- 
stenose  notwendig  forcierten,  aber  erfolglosen  Inspirationen^.  Er 
fiihrt  verschiedene  Beispiele  an,  um  die  drucksteigemde  Wirkung 
der  Dyspnoe  zu  beweisen  und  spricht  diese  Drucksteigerung  als 
eine  zweckmäßige  Selbsthilfe  des  Organismus  an.  Er  sagt:  „Zwar 
wird,  da  die  dyspnoische  Drucksteigerung  durch  Verengerung  der 
Gefäßbahn  und  Erhöhung  der  Widerstände  zust^pde  kommt  im 
allgemeinen  der  Blutzufluß  zur  Peripherie  abnehmen  oder  zum  min- 
desten nicht  zunehmen.  Aber  dank  dem  erhöhten  Druck  können 
die  lebenswichtigen  Organe,  vor  allem  die  MeduUa  oblongata  and 
das  Herz,  besser  versorgt  werden,  solange  sich  ihre  Gefaßbahn 
nicht  auch  verengert.  So  können  sie  längere  Zeit  allerdings  auf 
Kosten  schlechter  Ernährung  anderer  minder  wichtiger  Teile  ihre 
Funktion  versehen,  indem  die  schlechtere  Blutbeschaffenheit  darch 
reichere  Zufuhr  kompensiert  wird.  Die  Art,  wie  sie  zustande 
kommt  ist  klar,  nämlich  durch  Reizung  des  Vasomotorenzentrums 
der  MeduUa  oblongata". 

Ich    bin    der    Ansicht    daß    die    Blutdruckerhöhung  in 

1)  Pal,  I.e.  p.  46. 

2)  Hensen,  Beiträge  zur  Physiologie  u.  Pathologie  d.  Blutdrucks,   Deutsch. 
Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  67  H.  5  u.  6. 

3)E.   Langerhans,  Die   Behandlung  chron.  Lungenkranken  mit  mech. 
Atmungsühungen.    Zeitschr.  f.  physikal.  n.  diät.  Ther.   Bd.  II. 


Beiträge  znr  Pathologie  des  Blntdrncks.  471 

erster  Linie  eine  Folge  lokaler,  auf  das  Gefäßgebiet  der 
Lunge  wirkender  Reize  ist,  daß  Beizungen  des  Vasomotoren- 
zentrums  in  der  Medulla  und  direkte  Einflüsse  der  Atmung  viel- 
leicht hier  und  da,  aber  immer  erst  in  zweiter  Linie  in  Betracht 
kommen. 

Es  ist  nicht  zu  verwundern,  daß  nicht  in  allen  Fällen 
von  Asthma  bronchiale  eine  solche  günstige  Wirkung 
mechanischer  Atmung  erzielt  wird,  da  ja  erfahrungsgemäß 
verschiedene  Momente  beim  Zustandekommen  der  Anfälle  tätig 
dnd  und  verschiedene  Regulationseinrichtungen  eine  Drucksteigerung 
verhindern  können  (A.  FränkeP),  Rosenbach*)).  So  sah  ich 
auch  bei  2  Patienten  mit  typischen  Anfällen  von  Asthma  bronchiale 
(V  u.  VI)  folgendes: 

Die  Anfälle,  die  gewöhnlich  1 — 2  mal  täglich  besonders  nachts  auf- 
traten, dauerten  1  bis  mehrere  Stunden  und  gingen  mit  Expektoration 
reichlicher  Sohleimmengen  (oft  Bronchialausgüssen)  einher.  Der  Druck 
betrug  in  der  anfallsfreien  Zeit  96 — 116,  war  im  Anfall  stets  bis  auf 
132 — 160  erhöht.  In  beiden  Fällen  konnte  der  Druck  durch  mechanische 
Atmung  auf  normale  Werte  herabgesetzt  werden,  aber  diese  Druck- 
yerminderung  dauerte  ebenso  wie  die  Besserung  der  subjektiven  Be- 
schwerden nur  kurze  Zeit.  Nach  wenigen  Minuten  wurde  die  Dyspnoe 
wieder  erheblicher,  der  Druck  stieg  wieder  an;  offenbar  ging  hier  die 
Besserung  der  Zirkulation  nicht  mit  einer  Beseitigung  des  (den  Keiz- 
zustand  auslösenden)  Sekretes  in  den  Bronchien  einher.  Fiir  diese  An- 
nahme spricht,  daß  ich  keine  vermehrte  Expektoration  nach  Anwendung 
des  Atmungsstuhles  sah. 

Zu  den  dyspnoischen  Blutdrucksteigerungen  rechnet 
Hensen  auch  die  hohen  Druckwerte,  welche  vorkommen  bei 
Eyphoskoliotischen,  „die  ja  auch  zu  den  leicht  dyspnoisch 
werdenden  Menschen  gehören". 

YU.  Außerordentlich  wechselnde  akute  Blutdruckschwankungen,  die 
ich  bei  einem  40jährigen  kyphoskoHotischen  Schneider  sah,  möchte  ich 
«n  dieser  Stelle  anfuhren.  Der  kleine,  sehr  kräftig  ge haute  Mann  suchte 
die  Klinik  auf  hauptsächlich  wegen  Kopfschmerzen.  Die  Schmerzen 
stellten  sich  vor  mehreren  Monaten  ein,  anfangs  anfallsweise,  seit  kurzer 
Zeit  immerfort,  bald  heftiger,  bald  geringer.  "Wir  fanden:  Eine  starke 
Kyphoskoliose  der  Brustwirbelsäule ,  Herzvergrößerung ,  Albuminurie, 
stark  hyperämisohe  Stauungspapillen  beiderseits;  keine  Temperatur- 
erhöhung; Bespiration  24 — 40.     Patient   bekam    anfallsweise  auftretende 


1]  Rosenbacb,  Experiment  Untersuch,  über  die  Einwirkung  von  Ranm- 
beschränkung  in  der  Pleurahöhle  auf  den  Kreislauf.    Virchow's  Archiv  Bd.  10&. 

2)  A.  Fränkel,  Znr  Pathologie  des  Bronchialasthmas.  Zeitschr.  f.  klin. 
Med.  Bd.  XXXV  und  Müncb.  med.  Woch.  1900  Nr.  17. 


472 


XXV.    KCLBS 


halbseitige  Kopfschmerzen,  jedesmal  mit  sehr  hohen  Blatdraoluteigerangeii 
und  starb  11  Tage  nach  der  Au&ahme. 

Die  Sektion  ergab:  Starke  Plethora  mit  Hyperämie  aller  Organe, 
vergrößertes  und  hypertrophisches  Herz,  ganz  geringe  fettige  Fleokong 
der  Aorta,  erhebliches  Odem  und  Hyperämie  des  Oehims,  keine  Schrmnpf- 


nieren. 


Resp.        Temp. 


11«  JttU  Aufnahme^) 
abends  (heftige  Kopfschmerzen) 

12.  Jnlt 

morgens  (Kopfschmerzen  geringer) 
abends  ^  sehr  heftig, 

Gesicht  cyanotisch 

13.  Joli 

morgens  (Schmerzen  sehr  gering) 
abends 

14.  Juli 

morgens  (sehr  wenig  Schmerzen) 
abends 

15.  Joll 

morgens 
abends 

1«.  JnU 

morgens  (Kopfschmerzen  i.  d.  Nacht 

heftiger  werdend) 
abends  (Kopfschm.  nehmen  weiter  zu) 

17.  Juli 

morgens  (starke  Cyanose,  sehr  heftige 

Kopfschmerzen) 
abends  (Kopfschmerz,  etw.  vermindert) 

18.  JnU 

morgens  (nachts  gut  geschlafen, 

Kopfschmerzen  gering) 
abends  (ganz  leichte  Schmerzen) 

10.  Juli 

morgens  (beschwerdefrei) 
abends 

20.  Juli 

morgens  (beschwerdefrei) 

abends  6  Uhr  (seit  4  Uhr  zunehm. 

Kopfschmerz.) 
abends  10  Uhr  (Kopfschmerz,  nehmen 

zu,  sind  sehr  intensiv,  leichte  Cy- 

anose) 

21.  Jnll 

Stirbt  heute  morgen  6  Uhr  unter 
starker  Cyanose  und  den  Zeichen 
der  Herzinsufficienz. 


über 
290 

210 
236 


löO 
170 

165 
155 

löO 
172 

192 
208 

220 

180 

182 
142 

146 
144 

160 
198 
über 
290 


186 

88 
96 


80 
100 

104 
100 

100 
88 

100 
88 

72 

92 

124 
116 

92 
100 

104 

84 

88 


36 

32 
24 


24 

28 

28 
28 

28 
24 

40 
32 

16 

28 

28 

28 

28 
32 

36 

28 

24 


37,6 

36,7 
38,4 


36,6 
37.2 


36.8 
36;8 


36,5 
37.0 


36,6 
37,2 

36,4 
36.6 

36,^ 
37.4 

37,0 
863 

36.8 
36,& 


1)  Dieser  Fall  ist  der  einzige  noch 
gemessene. 


mit  einer  schmalen  9  ccm  breiten  Binde 


Beiträge  zur  Pathologie  dea  Blutdrucks.  473 

Die  anfallsweise  auftretenden  Kopfschmerzen 
gingen  also  stets  mit  Blutdrncksteigerungen  und  oft  er- 
heblicher Cyanose,  also  mit  vasomotorischen  Störungen 
einher.  Der  Puls  ffihlte  sich  während  der  Attacke  stets  stark  ge- 
spannt an,  war  aber  regelmäßig,  in  seiner  Frequenz  oft  et^yas 
herabgesetzt.  Außer  einem  stark  paukenden  Ton  an  der  Spitze 
wai«n  keine  besonderen  Erscheinungen  von  Seiten  de^  Herzens 
nachweisbar.  Der  geringe  Eiweißgehalt  des  Urins  nahm  im  An- 
fall nicht  zu. 

Auch  hier  ist  das  primäre  auslösende  Moment  der  Druck- 
Steigerungen  schwer  herauszufinden.  Jedenfalls  wurden  die  Stö- 
rungen vom  Herzen  ausgelöst  und  waren  die  Stauungs- 
erscheinungen in  allen  Organen  Folgen  einer  ver- 
änderten Herzfunktion;  die  Gehirnstauung  vermit- 
telte vielleicht  zum  Zweck  der  Regulation  den  peri- 
pheren Spasmus.  Cerebrale  Erkrankungen  können  ja  Anfälle 
paroxymaler  Hochspannung  machen.    (Pal,  1.  c.  p.  255). 

Die  wenige  Standen  vor  dem  Tode,  zugleich  mit  starker  Oyanose 
auftretende  erhebliche  Dmoksteigemng  erinnert  an  den  Fall  I. 

Es  bestanden  keine  Schrumpfnieren ,  keine  Arteriosklerose,  auch 
keine  im  Anfall  sich  steigernden  katarrhalischen  Erscheinungen  von 
Seiten  der  Bronchien  mit  Dyspnoe. 

Daß  akute  Herzinsufficienzen,  auch  wenn  sie  mit 
Lungenödem  und  Stauungserscheinungen  der  parench}'- 
matösen  Organe  einhergehen,  von  erheblicher  Druckstei- 
gerung begleitet  sein  können,  dafür  folgendes  Beispiel: 

YIU.  Ein  86  jähriger  Arbeiter,  der  schon  hänfiger  wegen  Bron- 
chitis nnd  Emphysems  in  der  Klinik  behandelt  war,  wnrde  am  18.  Ok- 
tober 1904  eingeliefert. 

Er  gab  an,  nachmittags  bei  besonders  anstrengender  körperlicher 
Arbeit  (Kohlenanfladen)  plötalich  sehr  knrzloftig  geworden  su  sein  and 
Blnt  aosgehnstet  zu  haben.  Der  Aufnahmebefand  lautete:  Starke  Oya- 
nose und  Dyspnoe,  reichliche  Expektoration  eines  schleimig  blutigen 
.Sputums,  diffuses  Hasseln  über  beiden  Lungen;  palpable  stark  druck- 
empfindliche Leber.  Besonders  nach  rechts  ziemlich  stark  verbreiterte 
relative  Herzdämpfung,  paukender  erster  Ton  über  der  Spitze.  Stark 
gespannter  Puls,  124.  Blutdruck  182.  Unter  Sauerstoff  und  Kampfer 
Abfallen  des  Druckes  in  der  Nacht  auf  160.  Dyspnoe  geringer.  Ge- 
ringes blutig  schaumiges  Sputum  bestand  am  folgenden  Morgen  noch; 
verlor  sich  aber  im  Laufe  des  Tages. 

Der  Blutdruck  betrug  am  Morgen  des  18.  Oktober  118,  am 
Abend  100  und  bewegte  sich  in  den  folgenden  Tagen  um  100 — 110. 
I>er  Pols  war  am  Morgen  des  18.  mitteikrfiftig,  gleichmäßig  gespannt  98, 
die  Frequenz  am  Abend  82,  in  den  nächsten  Tagen  um  60 — 80.    Die  Herz- 


474 


XXV.    KüLBS 


dämpfimg    wurde    deutlich    nachweisbar    kleiner.      Die   subjektiven  Be- 
schwerden verlören  sich  schon  am  Tage  nach  der  Aufnahme. 


Druck 


Puls 


Besp.     I  Temp 


17.  Oktober 

18.  Oktober 


19.  Oktober 

20.  Oktober 

21.  Oktober: 

g  enden  Tagen 
ruck  um  110, 


aboMls  10  Uhr  182 

vorm.      2    „  160 

abends    8    „  100 

morgens  106 

abends  110 

morgens  100 

abends  HO 

heute  und  in  den  fol-  ; 

normale  Temperatur,  i 

Puls  um  60  bis  80.  | 


124 

50 

100 

98 

50 

82 

40 

72 

36 

68 

34   1 

72 

24 

78 

26 

38,8 

37,8 
38,0 
37,0 
37,8 
37.5 
37;8 


Vorliegendes  Krankheitsbild  wurde  als  eine  akute  Herz- 
insufficienz  aufgefaßt,  die  auf  der  Basis  eines  Emphysems 
und  einer  chronischen  Bronchitis  sich  plötzlich  bei  körptt^ 
lieber  Überanstrengung  entwickelte.  Bemerkenswert  durfte  der 
Fall  hauptsächlich  deswegen  sein,  weil  trotz  einer  erheblichen  In- 
sufficienz, besonders  des  rechten  Ventrikels  ein  erhöhter  Blutdruck 
bestand,  der  zugleich  mit  der  Besserung  der  Herzaktion  unter 
starkem  Schweißausbruch  auf  normale  Werte  abfiel.  Die  Deutung 
dieses  Falles  ist  besonders  schwierig.  Vielleicht  kommt  außer  Ge- 
fäßkrise eine  kompensatorische  Mehrarbeit  des  linken  Ventrikels  in 
Fi'age. 

Von  Mensen^)  und  später  von  Naumann-)  wurde  auf  das 
Zusammentreffen  von  Lungenblutungen  und  hohen 
Blutdruckwerten  aufmerksam  gemacht.  Bei  einer  Reihe  von 
Hämoptoen  auf  tuberkulöser  Basis  (IX)  habe  ich  den 
Druck  bestimmt,  aber  nur  in  2  von  11  Fällen  Druck- 
erhöhungen gefunden;  in  7  Fällen  hatte  der  Druck  subnormale 
Werte.  Welche  Momente  bei  der  Beurteilung  dieser  verschiedenen 
Ergebnisse  berücksichtigt  werden  müssen,  ist  mir  noch  nicht  ganz 
klar;  ich  glaube,  daß  die  Messungen  deswegen  Differenzen  zeigen, 
weil  die  Patienten  gewöhnlich  erst  einige  Stunden  nach  Beginn 
der  Hämoptoe  aufgenommen  werden  und  in  dieser  Zeit  bereits  die 
kritischen  Geßlßveränderungen  abgelaufen  sind.  Vielleicht  spiele 
psychische  Einflüsse  auch  mit  hinein  (vgl.  Hensen,  Lc.  p.  30). 

Über    den    Einfluß    heftiger    Schmerzen    auf    die 


1)  Hensen,  1.  c.  p. 63. 

2)  Naumann,  Zur  Prophylaxe  nnd  Therapie  der  Lungenblatongen.  Bentscbe 
ÄnRte-Zeitung  19ao  Heft  9. 


Beiträge  zur  Pathologie  des  Blutdrucks.  476 

Spannung  des  Gefäßsystems  hat  Traube^)  bereits  1867 
Beobachtungen  gemacht.  PaP)  sieht  die  bei  Nephrolithiasis  and 
Cholelithiasis  auftretenden  Gefößkrisen  als  typische  durch  den 
Schmerz  bedingte  Drucksteigernngen  an. 

Ich  beobachtete  in  2  Fällen  (X  und  XI),  in  denen  heftige  Schmensen 
in  der  Nierengegend  mit  XJrinbeschwerden  und  Abatoßang  von  reich- 
lichen Nierenepithelien,  Leukocyten  und  Erythrocyten  einhergingen,  daß 
der  nm  110 — 120  liegende  Normaldruck  während  der  Anfalle  bis  140, 
152,  160  sich  steigerte.  Die  Anfalle  waren  von  heftigen  Schmerzen  be- 
gleitet, die  Pulsfrequenz  im  Anfall  nicht  erhöht,  die  erhöhte  Spannung 
atets  dentlich  ffthlbar ;  Tasomotorische  sieht-  oder  ffiblbare  Veränderungen 
von  Seiten  der  Haut  fehlten. 

Mit  einer  mittleren  Drucksteigerung  einhergehende  Kopf- 
schmerzen und  Schwindelanfälle,  die  sich  mit  Nachlassen 
des  Drucks  verloren,  sah  ich  bei  einer  62  jährigen  Frau,  die  seit 
4  Jahren  allmählich  zunehmende  Kopfschmerzen  zu  haben  angab. 

XII.  Bei  der  in  sehr  gutem  Emährungszustande  stehenden  Frau 
fanden  sich:  diffus  verdickte  Badialarterien,  stark  gespannter  Puls, 
klappender  zweiter  Aortenton,  eiweiBfreier  Urin.  Unter  Bettruhe  und 
•Todnatrium  fiel  der  Druck  in  5  Tagen  von  160  auf  142,  132,  114. 
Die  Kopfschmerzen  verloren  sich  vollkommen.  Während  der  weiteren 
8  tägigen  Beobachtung  bewegte  sich  der  Druck  um  110 — 127.  Patientin 
war  dauernd  vollkommen  beschwerdefrei  und  erklärte,  sich  seit  Jahren 
nicht  so  wohl  gefühlt  zu  haben. 

Anscheinend  handelt  es  sich  hier  um  Gefäßkrisen  im  Bereiche 
der  Großhirnrinde,  die  zu  Reizungen  und  Kopfschmerzen  führten 
und  reflektorische  Drucksteigerungen  hervorriefen.  Ich  erwähnte 
bereits,  daß  Sawada  nur  bei  einem  sehr  geringen  Prozentsatz 
von  unkomplizierter  Arteriosklerose  wesentliche  Drucksteigerungen 
beobachtete.  Auch  hier  war  der  Druck  in  der  schmerzfreien  Zeit 
nicht  über  127  gesteigert. 

Nach  chronischem  Tabak-  oder  Alkoholmißbrauch  kommen  zu- 
gleich mit  subjektiven  Beschwerden  Blutdrucksteigerungen  vor,  die 
bei  körperlicher  Ruhe  nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  abfallen 
CKülbs^)).    In  einer  neueren  Arbeit  behandelt  Kochmann*), '^j 

1)  Traube,  Gesammelte  Beiträge  Berlin  1878  Bd.  III. 

2)  Pal,  I.e.  p.212. 

3)  Külbs,  Zur  Pathologie  des  Blutdrucks.  Münch.  med.  Wochenschr.  1904 
Nr.  42  und  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  84. 

4)  Kochmann,  Exper.  Beitr.  zur  Wirkung  des  Alkohols  auf  den  Blut 
kreislauf  des  Menschen.  Archiv  internation.  de  Fharmacodynamie  et  de  Therapie 
Vol.  XV  1905. 

d)  Kochmann,  Die  Einwirkung  des  Alkohols  auf  das  WarmblUterherz. 
Archiv  internation.  de  Fharmacodynamie  et  de  Therapie  Vol.  XIII  1904. 


476 


XXV.    KÜLBS 


unter  eingehender  Berflcksichtignng  der  Litei*atur  auf  Omnd  vou 
experimentellen  Untersuchungen  am  Menschen  und  am 
Tier  die  Wirkung  des  Alkohols  auf  den  Blutkreislaaf. 
Er  fand,  daß  es  bei  passender  Dosierung  möglich  ist,  durch  Alkohol 
eine  Blutdrucksteigerung  beim  Menschen  hervorzurufen,  und  dafi 
die  bisher  in  der  Litemtur  vorkommenden  widersprechenden  Mei- 
nungen sich  zwanglos  aus  den  verschiedenen  Alkoholgaben  erklären 
lassen,  welche  bei  den  Versuchen  gegeben  wurden.  Da,  wie  auch 
Eochmann  betont,  die  Untersuchungen  über  diesen  Oegenstaad 
noch  relativ  spärlich  sind,  f&hre  ich  eine  Beobachtung  an,  die  aas 
verschiedenen  Gründen  einiges  Interesse  verdient. 

XIII.  Ein  16jfthriger  Knecht  wird  am  Abend  des  16.  September  be- 
trunken in  die  Klinik  eingeliefert.  Er  taumelt  stark  beim  Gehen,  redet 
immerfort;  ist  nicht  orientiert.  Der  Puls  ist  regelmäßig,  yoU,  weich, 
80;  der  Spitzenstoß  in  der  Mammillarlinie  deutlich  fühlbar;  der  I.  Tod 
über  der  Herzspitze  unrein,  dnmpf,  die  absolute  und  relative  Hen- 
dämpfnng  deutlich  nach  links  verbreitert.  Urin  ohne  Eiweiß;  subnormale 
Temperatur  35,3.     Blutdruck  78.     Respiration  unregelmäßig,   16. 

Patient  schläft  ca.  2  Stunden  nach  der  Aufnahme  ein,  ist  am  Morgen 
des  17.  September  bei  Bewußtsein  und  gibt  an,  daß  er  im  Laufe  des 
vorigen  Nachmittags  fast  ^/^  Liter  Schnaps  getrunken  habe. 
Er  trinke  gewöhnlich  1 — 2  Flaschen  Bier  und  rauche  2  Zigaretten.  Der 
Blutdruck  war  inzwischen  zugleich  mit  der  Temperatur  auf  normale 
Werte  gestiegen,  der  Puls  war  von  mittlerer  Spannung,  die  Atmung 
regelmäßig. 


Druck 

Puls 

Besp. 

1 

Tenp. 

Nachmittag: 
16.  September^  Uhr 

• 

t 

78 

80 

,  16  unreeelm. 

35^ 

12    „ 

98 

80 

16        . 

35^ 

Vormittag : 

17.  September  2  Uhr 

98 

80 

16         n 

So^O 

6    „ 

88 

16 

36,2 

8    „ 

124 

80 

,  16 

37,8 

Nachmittag: 
17.  September  2  Uhr 

6    . 


122 


80 
72 


16 
14 


37,4 
37,4 


Diese  Beobachtung  zeigt,  daß  anter  Umständen  eine  so  erheb- 
liche Druckverminderung  eintreten  kann,  wie  man  sie  sonst 
nur  ausnahmsweise  sieht.  (Z.  B.  sah  ich  ähnliche  Druck- 
emiedrigungen  bei  perniziöser  Anämie.)  Hensen^),  der  allerdisg^^ 
mit  einer  schmalen  Binde  arbeitete,  sagt,  daß  Werte  unter  95  min 


1)  Hensen,  1.  c.  p.  35. 


Beiträge  zur  Pathologie  des  Blutdracks.  477 

(die  ungefähr  75  mm  der  breiten  Binde  entsprechen)  schon  für  eine 
schlechte  Prog^nose  sprechen. 

Da  Eochmann  erwähnt,  daß  bei  seinen  Versuchspersonen 
der  Druck  im  Laufe  des  Versuches  sank,  wenn  die  Person  ein- 
schlief, muS  ich  hervorheben,  daß  im  vorliegenden  Fall  Patient 
nicht  schlief,  sondern  immerfort  redete;  trotzdem  stieg  der  Druck 
nicht  über  78  bei  mehnnaligen  Messungen.  Im  Schlaf  regu- 
lierte sich  dann  allmählich  der  Druck,  d.h.  er  stieg  langsam 
an  und  erreichte  am  folgenden  Morgen  den  —  wie  auch  eine  Nach- 
untersuchung ergab  —  Normalwert  120.  (Schon  vor  dem  Er- 
scheinen der  Kochmann'schen  Arbeit  machte  zufälligerweise  ein 
Assistent  der  hiesigen  Klinik,  Herr  Dr.  Hose  mann,  die  Beobach- 
tung, daß  im  Schlaf  der  Druck  unter  den  normalen 
Durchschnittswert  sinkt.  Ich  habe  auf  diese  vielleicht  ganz 
wichtige  Erscheinung  hin  bei  11  Patienten  den  Druck  des  Nachts 
bestimmt  und  ihn  mit  dem  Normaldruck  der  Betreffenden  ver- 
glichen. Vorläufig  fand  ich  in  allen  Fällen  eine  um  10  mm  Hg 
schwankende  Herabsetzung  des  Drucks.)  Die  ziemlich  erhebliche 
snbnormale  Temperatur  könnte  daran  denken  lassen,  daß 
neben  der  Alkoholwirkung  noch  besondere  wärmeentziehende  Fak- 
toren hier  in  Betracht  kämen  und  die  Erniedrigung  des  Blutdrucks 
mit  herbeigeführt  hätten.  Nach  der  Anamnese  und  eingezogenen 
Erkundigungen  ist  dies  aber  unwahrscheinlich  und  so  muß  ich  vor- 
liegende Beobachtung  den  nur  auf  Alkoholintoxikation  beruhenden 
subnormalen  Körpertemperaturen  anreihen  (Glaser^),  Janssen ^)). 

Wenn  unsere  Kenntnisse  über  den  Ablauf  der  vasomotorischen 
En-egungen  nach  Alkohol  spärlich  sind  und  es  daher  berechtigt 
sein  mag,  Einzelbeobachtungen  wiederzugeben,  so  dürften  auch  die 
nach  akutem  Tabakmißbrauch  auftretenden  Gefilßkrisen  und  Herz- 
symptome  folgenden  Falles  von  Interesse  sein. 

XIV.  C.  B.,  23  jähriger  Schweizer,  wird  am  28.  Mai  1905  abends 
im    Wagen  in  die  Klinik  gebracht,  und  macht  folgende  Angaben. 

Am  28.  Mai  morgens  9  Uhr  hatte  er  plötzlich  bei  der  Arbeit  Frost 
und  darauf  Hitze ;  er  wurde  schwindlig  und  vorübergehend  bewußüos. 
£r  legte  sich  ins  Bett,  bekam  heftigen  Schweißausbrach  und  war  nach 
lO  Uinuten  beschwerdefreL  Um  12  Uhr  versuchte  er  aufzustehen,  doch 
ein  zweiter  „Anfall^  (Hitzegefühl,  Zittern  in  allen  Gliedern)  hinderten 
ihn    daran.     5  Minuten    später    trat    wieder   heftiger    Schweiß  auf,    dann 


1)  0  las  er.  Über  das  Vorkommen  and  Ursachen  abnorm  niedriger  Körper- 
temperaturen.  Diss.  Bern  1878. 

2)  Janssen,  Über  snbnormale  Körpertemperatnren.     Deutsches  Archiv  f. 
klin.  Med.  Bd.  53. 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    89.  Bd.  31 


478  XXV.  KüLBs 

war  er  beschwerdeirei.  Drei  weitere  Anfälle  derselben  Art  folgten  im 
Laufe  des  Nachmittags  um  3,  5  und  7  TJhr;  der  letzte  Anfall  setsete 
mit  starkem  Brechreiz  ein.  Ein  hinzugerufener  Arzt  ordnete  die  Über- 
fuhruDg  in  die  Klinik  an,  da  er  des  Pulses  und  Erbrechens  wegen  an 
die  Möglichkeit  einer  beginnenden  Meningitis  dachte. 

Als  der  Patient  aufgenommen  wurde,  war  er  vollkommen  bei  Be* 
wußtsein.  Die  Kerzdämpfung  war  etwas  nach  links  verbreitert.  Über 
der  Spitze  hörte  man  im  Liegen  ein  leises  systolisches  Geräusch,  im 
Stehen  einen  unreinen  1.  Ton.  Die  Herzaktion  war  ganz  regelmäßig, 
(keine  Extrasystolen  oder  frustrane  Kontraktionen).  Der  Puls  fühlte  sich 
mittelkräftig  an,  war  ziemlich  weich,  regelmäßig,  32.  Der  Blutdrack 
betrug  88,  die  Atmung  war  regelmäßig  (16),  die  Sehnenreflexe  träge. 
Patient  schlief  in  der  Nacht  ziemlich  gut,  die  Pulsfrequenz  stieg  all- 
mählich auf  96,  der  Blutdi^ick  auf  98.  Am  Nachmittag  wurde  eine 
Pulsanalyse  vorgenommen,  dabei  zeigte  sich,  daß  der  Puls  nach  köiper* 
liehen  Anstrengungen  leicht  irregulär  wurde  und  zugleich  der  1.  Tod 
über  der  Kerzspitze  sehr  unrein  sich  anhörte.  Am  nächsten  Tage  war 
der  Blutdruck  normal,  der  Puls  auch  nach  körperlichen  Anstrengungen 
regelmäßig,  von  mittlerer  Fülle  und  Spannung,  die  Herztöne  mittellant 
und  rein. 

Patient  wurde  4  Tage  darauf  geheilt  entlassen. 

Er  gab  am  Tage  nach  der  Aufnahme  auf  Befragen  an,  daß  er  seit 
3 — 4  Wochen  täglich  ca.  25  Zigaretten  geraucht  habe,  be- 
sonders auch  des  Morgens  nüchtern  und  stets  „durch  die  Lunge^. 


Druck 

Pulszahl 

1 

Temp. 

28.  Mai  8  Uhr  abends 

88 

32 

37,5 

12  Uhr 

88 

32 

37,3 

29.  Mai  morgens 

98 

96 

37.4 

abends 

98 

84 

37,5 

30.  Mai  morgens 

122 

i     72 

37.2 

abends 

122 

84 

37.5 

31.  Mai 

116 

72 

37.1 

122 

60 

37,4 

1.  Juni 

112 

64 

37,0 

118 

72 

37:2 

Es  handelt  sich  also  auch  hier  um  akut  subnormale  Blut- 
druckwerte, die  mit  einer  auffälligen  PulsyerlangsamuBg  bei 
vollkommen  regelmäßiger  Herzaktion  einhergingen  und  sich  all- 
mählich ausglichen.  Störungen  der  Herztätigkeit,  insbesondere 
Pulsfrequenzerhöhungen  und  Arhythmien  sieht  man  ja  bei  Eaachern 
nicht  selten.  Hier  hat  ofl'enbar  der  T a b a k  unter  der  besonders 
ungünstigen  Aufnahmeform  (die  Bronchialschleimhaut  re- 
sorbiert bekanntlich  sehr  gut  und  schnell)  keine  Reizung, 
sondern  akute  Herzschwäche,  Störung  der  Inner- 
vation des  Gefäßsystems,  insbesondere  auch  der  Haut^faße 
und  des  Gehirns  hervorgerufen. 


j 


Beiträge  zur  Pathologie  des  Blutdrucks.  479 

Es  dürfte  in  diesem  wie  in  dem  vorigen  Falle  die  Blutdruck- 
senkung so  aufzufassen  sein,  daß  durch  die  akute  heftige  Ein- 
wirkung der  Gifte  eine  Herabsetzung  des  Tonus  der 
Gefäße  erzielt  wurde,  die  in  beiden  Fällen  mit  Herzschwäche 
und  Cerebralerscheinungen  einherging.  Es  sind  also  depressori- 
sche  Krisen  im  Sinne  von  Pal^),  bei  denen  ich  die  Wirkungen 
auf  das  Herz  als  sekundär  ansehen  möchte. 

Für  den  Alkohol  ist  auch  experimentell  beim  Tier  bewiesen, 
daß  größere  Dosen  eine  deutlich  lähmende  Wirkung  auf  die  Vaso- 
motoren und  auf  das  Herz  ausüben  (Koch mann*),  Loeb^)  u.a.). 
Die  Tatsache,  daß  kleinere  Alkoholgaben  beim  Tier  eine  deutliche 
Steigerung  der  Herzarbeit  (Loeb),  eine  nicht  unerhebliche  Blut- 
drucksteigerung (Kochmann)  auslösen,  ist  vielleicht  —  wenn 
weitere  modifizierte  experimentelle  Untersuchungen  dasselbe  Re- 
sultat haben  —  eine  Stütze  für  die  Auffassung  der  erwähnten 
toxischen  Angiospasmen  nach  längerem  Alkoholmißbrauch. 

Wie  des  näheren  diese  Drucksteigerung  beim  Menschen  zu- 
stande kommt,  ob  hier,  wie  Kochmann  annimmt,  durch  Erweite- 
rung der  peripheren  Gefäße  und  Vasokonstriktion  im  Gebiete  des 
Abdominalsympathikus,  kann  ich  vor  der  Hand  nicht  sicher  ent- 
scheiden. 

Den  seinerzeit  von  mir  beschriebenen  Fällen  könnte  ich  noch 
einige  neue  anreihen;  indessen  bieten  sie  im  allgemeinen  dieselben 
Symptome  und  denselben  Befund  dar.  Hinweisen  möchte  ich  nur 
darauf,  daß  in  den  letzten  Beobachtungen  dieser  Art  die  Druck- 
erniedrigung fast  stets  mit  ziemlich  erheblichem  Schweiß- 
aasbruch vor  sich  ging;  ein  Symptom,  das  vielleicht  weitere 
Aufmerksamkeit  verdient  und  einige  Bedeutung  bei  Störungen  in 
der  Gefäßinnervation  hat.  Groß^)  undHensen  sahen  bei  Urämie 
nach  Anregung  der  Schweißsekretion  durch  Fol.  Jab.,  Pilocarpin 
oder  Schwitzbett  den  Blutdruck  oft  erheblich  sinken. 

Dauernde  Blutdruckerhöhungen  bei  jungen  Leuten  sah  ich  vor 
kurzem  zum  erstenmal.  4  Fälle,  die  sich  anscheinend  in  einem 
permanenten  Zustand  erhöhter  Gefäßspannung  be- 
fanden, ohne  daß  man  für  die  Einschaltung  eines  Widerstandes 


1)  Pal,  I.e.  S.  49. 

2)  Koch  mann,  1.  c. 

3)  Loeb,  Die  Wirkung  des  Alkohols  auf  das  Wannblüterherz.    Archiv  für 
exp.  Pathol.  u.  Pharmak.   Bd.  51  S.  459. 

4)  A.  Groß.   Zur  Kenntnis  d.   pathol.  Blntdmckändemngen  nach  Beobach- 
tang'en  von  weil.  Dr.  H  e  n  s  e  n.    D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  LXXIV  S.  315. 

31* 


480  XX\>KüLB8 

in  den  peripheren  Kreislauf  einen  Anhaltspunkt  hatte,  fahre  ich 
daher  der  Seltenheit  wegen  knrz  an. 

XV.  Der  erste  Patient  war  ein  18  jähriger  Maarerlehrling,  der 
4  Monate  vor  der  Aufnahme  wegen  allgemeiner  Mattigkeit  imd 
Stichen  in  der  linken  Brust  seine  Arbeit  vorfibergehend  am- 
setzen  mußfce.  Nach  einigen  Kuhetagen  war  er  beschwerdefrei  und  wieder 
erwerbsfähig,  bekam  aber  wenige  Tage  darauf,  als  er  einen  schweren 
Kasten  mit  Kalk  trug,  plötzlich  heftiges  Herzklopfen  und  Kurzlnftig- 
keit.  Er  lag  einige  Tage  zu  Bett,  bekam  später  nach  geringen  An* 
strengungen  sogleich  Herzklopfen,  war  bei  ruhigem  Verhalten  beschwerdefrei. 
Er  wurde  von  seinem  Arzt  wegen  Herzschwäche  ins  Krankenhaus  geschickt 

Die  Untersuchung  ergab  bei  dem  großen,  sehr  kräftig  gebaaten 
muskulösen  Mann  einen  stark  hebenden  außerhalb  der  Mammillarlinie 
liegenden  Spitzenstoß,  eine  ziemlich  breite  absolnte  und  relative  Heiz- 
dämpfung;  einen  dumpfen  ersten  Ton  über  der  Spitze,  klappende  zweite 
Arterientone.  Der  Puls  war  leicht  irregulär,  etwas  schnellend;  ziemlicb 
stark  grespannt.  Der  Blutdruck  betrag  143.  Die  Irregularitäten  des 
Pulses  steigerten  sich  nach  körperlichen  Anstrengungen,  der  Blutdruck 
stieg  nach  12  maligem  Stuhlsteigen  bis  auf  170,  einmal  sogar  bis  auf 
210,  die  Pulsfrequenz  bis  124,  um  in  2 — 5'  zur  Norm  zurückzukehren. 
Nach  wenigen  Tagen  absoluter  Ruhe  waren  die  subjektiven  Beschwerden 
verschwunden,  der  Puls  regelmäßig,  um  70 — 80.  Die  weitere  Behand- 
lung mit  Kohlensäurebädem,  Stroph.,  Mixt,  nitrosa  hatten  auf  den  Blut- 
druck keinen  Einfluß,  er  hielt  sich  um  140 — 152.  Als  Patient  6  Wochen 
später  entlassen  vnirde,  konnte  er  mäßige  körperliche  Anstrengungen  ohne 
Beschwerden  ausführen.  Der  Puls  war  regelmäßig,  die  Herztöne  waren 
rein,  die  Dämpfung  ergab  perkussorisch  und  orthodiagraphisch  dieselben 
Maße  wie  die  bei  der  Aufnahme. 

XVI.  Der  zweite  Fall  betrifft  einen  24  jahrigen  Tischler,  der  angsb 
schon  seit  einigen  Jahren  bei  körperlichen  Anstrengrangen  das  GefaU 
von  Herzklopfen  zu  haben,  zeitweise  verbunden  mit  Stichen  in  der 
Herzgegend.  Da  sich  die  Beschwerden  vor  einem  Monat  verschlimmerten, 
konsultierte  er  einen  Arzt,  der  ihm  Krankenhausaufnahme  anriet.  Pst. 
hat  seit  5  Jahren  viel  Rad  gefahren,  nicht  regfelmäßig  aber  zumeist 
große  Touren  Sonntags.  Er  wurde  vom  Militärdienst  befreit 
wegen  Herzfehlers. 

Bei  dem  mittelgroßen,  sehr  kräftig  gebauten  Patienten  fand  sich  ein 
bis  2  cm  außerhalb  der  Mammillarlinie  reichender  stark  hebender  Spitzen- 
stoß, die  absolute  und  relative  Herzdämpfung  etwas  verbreitert 
paukender  erster  Ton  über  der  Spitze,  klappende  zweite  ArterientSiie. 
Der  Puls  war  kräftig,  ziemlich  stark  gespannt,  vielleicht  etwas  schneUend: 
die  Arterienwand  auffällig  dickwandig;  der  Blutdruck  bewegte  sich  an 
140 — 154.  Pulsanalysen,  im  Sinne  von  Rümpft)  ausgeführt,  ergaben 
keine  Insufficienzerscheinungen  von  Seiten  des  Herzens.  Die  Beschwerden 
verschwanden  bei  Bettruhe,  der  Blutdruck  hatte,  auch  nachdem  Patient 
aufttand,  Werte  von  140 — 150.  Der  Mann  wurde  gebessert  nadi 
14tägiger  Behandlung  entlassen. 

1)  Th.  Rumpf ,  Die  Behandl.  der  Herzneurosen.  D.  m.  Wochschr.  1904  Nr. 68. 


Beiträge  zur  Pathologie  des  Blutdrucks.  481 

XVn.    Ein  dritter  jedenfalls  auch  hierher  gehöriger  Fall: 

Ein  22jähriger  Schlosser,  sehr  kraftig  entwickelt,  wird  wegen  einer 
kronpösen  ünterlappenpneumonie  in  die  Klinik  aufgenommen.  Der  Herz- 
spitsenstoß  war  in  der  Mammillarlinie  eben  fühlbar,  der  1.  Ton  über 
der  Spitze  etwas  paukend,  die  Dämpfung  yielleicht  etwas  breit.  Der 
Falz  fühlte  sich  mittelkräftig,  etwas  weich  an.  Der  Blutdruck  bewegte 
sicB  um  110 — 116.  B  Tage  nach  der  Aufnahme  trat  ein  kritischer 
Temperaturabfall,  vorübergehend  ein  etwas  niedriger  Blutdruck  (104)  ein, 
2  Tage  später  bewegte  sich  derselbe  um  122 — 1B6,  um  in  der  weiteren 
BekouTaleBcenz  dauernd  Werte  von  IBO — 1B8  zu  zeigen.  Die  Unter- 
suchung des  Herzens  in  dieser  Zeit  ergab  einen  deutlich  fühlbaren 
in  der  Mammillarlinie  liegenden  Spitzenstoß,  einen  stark  paukenden  1.  Ton 
und  einen  stark  klappenden  2.  Pulmonalton.  Patient  gab  auf  Befragen 
an,  daß  er  in  den  letzten  Jahren  viel  Bad  gefahren  habe;  zeitweise  be- 
sonders an  Sonntagen  diesen  Sport  forciert  habe,  mit  anstrengenden 
Touren  von  10  Stunden.  Subjektive  Beschwerden  hatte  er  vor  seiner 
jetzigen  Elrankheit  nicht  gehabt.  Mehrere  Pulsanalysen  ergaben,  trotz- 
dem Patient  Bekonvalescent  nach  Pneumonie  war,  eine  gute  Akkommo- 
dationsfähigkeit des  Herzens.  Eine  Nachuntersuchung  B  Monate  nach 
der  Entlassung  zeigte  noch  immer  erhöhten  Blutdruck  (1B8)  und  dieselben 
Herzerscheinungen  wie  vorher. 

XYin.  Am  10.  Juli  1905  wurde  ein  27  jähriger  Bauarbeiter  auf- 
genommen mit  folgender  Anamnese: 

Er  war  bis  zum  Jahre  1900  Heizer,  fuhr  zur  See  und  hatte  zeit- 
weise sehr  anstrengende  körperliche  Arbeiten  bei  großer  Hitze  zu  ver- 
richten. Irgendwelche  Beschwerden  von  seifen  des  Herzens  waren  nicht 
vorhanden.  Vom  Militär  wurde  er,  nachdem  er  1  Jahr  bei  der  Werft- 
division gedient  hatte,  wegen  Herzbeschwerden  als  untauglich 
entlassen.  Seit  190B  arbeitet  er  als  Bauarbeiter  (aus  Familienrücksichten 
g»b  er  seinen  früheren  Beruf  auf)  und  war  bis  vor  8  Tagen  beschwerdefrei. 
Außergewöhnlich  schwere  Arbeit  machten  ihm  stechende  Schmerzen  in 
der  linken  Brust  und  Herzklopfen.  Er  mußte  stundenweise  ausruhen, 
füUte  sich  schwach  und  müde  und  kam  zur  Beobachtung  ins  Kranken- 
bsoB.     Er  ist  kein  Trinker,  raucht  nicht,  fahrt  nicht  Bad. 

Der  objektive  Befuird  ergab  bei  dem  großen  kräftigen  gut  ge- 
nährten Mann  einen  paukenden  1.  Ton  über  der  Spitze,  eine  etwas  ver- 
breiterte Herzdämpfung,  zeitweise  Irregularitäten  des  Pulses,  leicht  ver- 
dickte Wände  der  peripheren  Gef&ße  ;  Blutdruck  166,  Puls  80,  normale 
Temperatur;  keine  Ödeme,  Urin  ohne  Eiweiß.  Unter  Bettruhe,  Tinct. 
Stropbant.  verloren  sich  die  Beschwerden  fast  ganz,  der  Blutdruck  fiel  etwas 
ab,  bewegt  sich  um  142 — 156,  der  Puls  war  stets  regelmäßig,  über  der 
Herzspitze  hörte  man  zumeist  einen  leicht  unreinen  1.  Ton,  der  Puls  war 
regelmäßig,  60 — 80.  Auf  Wunsch  wurde  er  am  1 7.  Juli  gebessert  entlassen. 

Diese  vier  konstanten  Hochdrückspannungen  bei 
kräftigen  jungen  Leuten  von  18 — 27  Jahren  finde  ich 
beachtenswert.  Bei  allen  können  körperliche  Überanstrengungen 
(bei  zweien  forciertes  Badfahren)  als  sicheres  ätiologisches  Moment 
angesehen  werden.     Tabak-  oder  Alkoholmißbrauch,  Zeichen  von 


482  XXV.  KüLBs 

Nervosität  bestanden  nicht.  Bei  allen  findet  sich  eine  deutliche 
Hypertrophie  des  Herzens,  ein  erhöhter  Druck  im  peri- 
pheren Gefäßsystem,  keine  oder  nur  zeitweilige  Insuffieienz- 
erscheinungen  nach  körperlichen  Anstrengungen.  Die  vorüber- 
gehenden leichten  Irregularitäten  im  ersten  Falle  sind  jedenfalls 
durch  nervöse  Einflüsse  bedingt  fV^eränderung  in  der  Reizleitung?) 
und  nicht  als  Symptome  von  Myokarditis  aufzufassen.  Es  liegen 
also  Hochdruckspannungen  vor,  die  konstant  sind,  durch 
spastische  Veränderungen  nicht  erklärt  werden  können,  sondern 
jedenfalls  durch  eine  dauernde  Mehrarbeit  des  Herzens 
bedingt  sind  und  unterhalten  werden.  Zu  den  oft  —  nicht 
immer  (Hoff mann  ^))  —  bei  Neurosis  cordis  vorkommenden  Druck- 
steigerungen (H  0  c  h  li  a  n  s  *))  rechne  ich  obige  Fälle  nicl^t.  In  zwei 
Fällen  waren  die  Gefäßwände  leicht  verdickt,  so  daß  man  an  die 
von  Eomberg^)  als  Arteriosklerose  jugendlicher  Per- 
sonen bezeichnete  Gefäßanomalie  denken  konnte.  S  a  w  a  d  a  *),  der 
unter  Romberg  8  Patienten  dieser  Art  untersuchte,  fand  aller- 
dings nur  3  mal  eine  geringe  Druckerhöhung  bis  131  mm  Hg. 

Daß  anstrengende  körperliche  Arbeit,  insbesondere  Bergsteigen 
und  Radfahren  ungünstig  auf  die  Tätigkeit  des  Herzens  und  des 
Gefäßsystems  einwirken  kann,  ist  eine  schon  lange  bekannte  Er- 
fahrung. In  neuerer  Zeit  haben  Beyer^)  und  Moritz •)  den 
spezifisch  schädlichen  Einfiuß  des  Radfahrens,  Beck^)  den  des 
Bergsteigens  auf  das  Herz  besonders  betont. 

Für  die  Beurteilung  der  schädlichen  Wirkungen  zieht  Beyer  die 
WachBtums Verhältnisse  des  Herzens  und  Gefäßsystems  heran  und  die  Tst- 
sache,  daß  das  Herz  des  heranreifenden  Menschen  unter  einem  verhältnis- 
mäßig höheren  Druck,  langsamer  und  mit  einem  größeren  Kraftaufwand 
als  das  kindliche  Herz  arbeitet.  Beyer  hält  eine  Übung  wie  das  Bad- 
fahren in  den  Entwicklungsjahren  des  Menschen  für  sehr  schädlich  bei 
unvorsichtiger  Ausfuhrung  dieses  Sportes.  Herzhypertrophien,  nervosa 
Herzstörungen,    zeitweise    auch    akute  Herzerweiterungen    sind  die  natur- 

1)  A.  Ho  ff  mann,  Pathol.  u.  Therap.  d.  Herzneurosen.  Wiesbaden,  Berg- 
mann, 1901  S.  207. 

2)  Hochhaus,  Über  funktionelle  Herzkrankheiten.  72.  NaturforscherTers. 
Aachen. 

3)  Romberg,  Krankheiten  d.  Kreislaufsorgane.  Ebstein-Schwalbe's  Hand- 
buch der  prakt.  Medizin  Bd.  I  S.  755. 

4)  Sawada,  Blutdruckmessungen  bei  Arteriosklerose.  Deutsche  medizin. 
Wochenschr.  Nr.  12,   1904  S.  425. 

5)  Beyer.  Der  EinfluU  d.  Radfahrens  auf  das  Herz.  Münch.  med.  Wochen- 
schrift 1905  Nr.  30  u.  31. 

6)  Moritz,  Verhandl.  d.  XXIII.  Kongr.  f.  innere  Medizin  1906. 

7)  Beck,  Touristik  und  Herz.    Wiener  med.  Wochenschrift  1906  Nr.  6  n,  7. 


Beiträge  zur  Pathologie  des  Blutdrucks.  483 

liehen  Folgen  des  unzweckmäßig  betriebenen  Rad&hrens  und  begründen 
den  großen  Prozentsatz  von  jungen  Leuten,  die  wegen  „Radfahrherzene" 
nicht  militärdienstfahig  sind. 

Es  liegt  sehr  nahe  anzanehmeD,  daß  bei  den  vorliegenden  Fällen 
von  Hochdruckspannung  die  körperlichen  Überanstrengungen  in  erster 
Linie  eine  Mehrarbeit  und  Hypertrophie  des  Herzens  bedingen,  später 
aber,  wenn  der  schädliche  Einfluß  fortdauert,  notwendigerweise  in 
der  Peripherie  eine  Verdickung  der  Gefäßwand  herbeiführen.  Wenn 
man  bedenkt,  daß  nach  einmaliger  größerer  körperlicher  Anstrengung 
oft  nicht  unerhebliche  Blutdrucksteigerungen  sich  geltend  machen 
(Rieder  und  v.  Maximowitsch^),  Masing*),  Geisböck  u.  a.) 
und  daß  dei*  jugendliche  Arbeiter  das  Maß  der  ihm  zuträglichen 
Anstrengung  und  das  Gefühl  der  Ermüdung  sicher  weniger  abzu- 
schätzen vermag,  wie  der  ältere,  so  ist  es  wohl  verständlich,  daß 
durch  dauerndes  Unterhalten  der  erhöhten  Spannung  sich  Zustände 
wie  die  oben  beschriebenen  herausbilden. 

Bei  einem  der  vorigen  Fälle  streifte  ich  die  Blutdruckverände- 
rungen bei  Pneumonie.  Die  bisher  über  Blutdruck  bei  Pneu- 
monie gemachten  Beobachtungen  (Hensen^),  Neu*),  Geis- 
böck*)  u.  a.)  haben  ergeben,  daß  der  Druck  im  allgemeinen  ein 
ungesetzmäßiges  Verhalten  zeigt.  Geisböck  faßt  seine  Unter- 
suchungen über  12  Fälle  dahin  zusammen,  daß  im  allgemeinen  bei 
leichten  Fällen  der  Druck  unbeeinflußt  oder  mäßig  gesteigert  ist,  bei 
schwereren  Fällen  niedrig,  bei  Komplikationen  (z.  B.  Pleuritis)  erhöht. 

Ich  sah  unter  mehr  als  20  hier  beobachteten  Pneumonien  im 
allgemeinen  bei  Leuten  im  mittleren  Lebensalter,  wenn  keine  be- 
sonderen Komplikationen  vorhanden  waren,  den  Blutdruck  vom 
Beginn  ab  und  besonders  während  der  Krisis  erniedrigt.  Auf- 
gefallen ist  mir  aber,  daß  die  Pneumonie  der  Potatoren  stets,  wenn 
sie  einen  günstigen  Ausgang  nahm,  mit  einem  erhöhten  Druck  (im 
IVIittel  ca.  130)  einherging.  War  der  Druck  bei  der  Aufnahme 
und  bei  vorhandenem  Delirium  niedrig  (um  80—100),  so  hat  sich 
die  Stellung  einei-  ungünstigen  Prognose  noch  immer  gerechtfertigt. 


1)  nieder  u.  v.  Maximo witsch,  Untersuch,  über  die  durch  Muskel- 
arbeit und  Flüssigkeitsaufnahme  bedingte  Blutdruckschwankung.  Deutsches  Arch. 
f.  kUn.  Med.  Bd.  46. 

2)  Masing,  Über  das  Verhalten  des  jungen  und  des  bejahrten  Menschen 
bei  Muskelarbeit.   Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  74. 

-3)  Hensen,  1.  c.  p.  492. 

4)  Neu,  Experim.  u.  klin.  Blntdruckuntersucbungen  mit  (iärtner's  Tono- 
meter.   Inaug.-Dlssert.  Heidelberg  1902. 

5)  Geisböck,  1.  c.  p.  367. 


484  XXV.  KÜLB9,  Beiträge  zur  Pathologie  des  Blntdrucks. 

Wenn  die  Deliranten  die  Krise  überstanden  hatten,  so  bewegte 
sich  in  der  Bekonvalescenz  entweder  der  Druck  allmählich  zu  der 
höheren,  für  die  Betreffenden  normalen  Mittellage,  oder  er  war  für 
längere  Zeit  leicht  erniedrigt,  nm  sich  nach  Wochen  anf  die  er- 
höhte Normalspannung  einzustellen.  Die  nicht  immer  erkennbare 
Größe  der  Infektion,  der  Einfluß  von  Medikamenten,  die  individaell 
sehr  verschiedene  Keaktionsfähigkeit  des  Gefäßsystems  und  des 
Herzens,  Komplil^ationen  mancherlei  Art,  wie  Pleuritis,  Schmerzen, 
psychische  Momente,  dürften  aber  eine  Beurteilung  der  Blutdniek- 
verhältnisse  sehr  erschweren. 

Nicht  uninteressant  dürften  folgende  zwei  Beobachtungen  über 
Druckveränderung  bei  Gheyne-Stokes'schem  Atmen  sein  (bei 
V.  Ziemssen,  Naturf.-Vers.  1895  und  Hensen,  1.  c.  p.  44  erwähnt). 

Im  I. 'Falle  (XIX)  (40  jähriger  Mann,  tuberkalöse  Meniogitifi)  stieg 
der  Dmck  in  der  Atempause  von  70  anf  90.  Die  Differenz  wurde 
mehrere  Tage  hindurch  beobachtet.  (Der  Lumbaidruck  erhöhte  sieb  ii 
der  Pause  um  10  mm  H^O.) 

Fall  II  (XX)  betraf  einen  40  jährigen  Mann,  der  mit  Myokarditis 
eingeliefert  wurde,  mehrere  Tage  später  einen  Lnngeninfarkt,  Pleuraergoß 
und  Cheyne-Stokes'sches  Atmen  bekam.  Hier  fiel  der  Druck  in  der  Atem- 
pause von  110 — 124  auf  112 — 90  (der  Druck  in  der  Pleura  stieg  in  der 
Pause  um  6 — 10  cm,    während  der  Lumbaidruck  um  50 — 70  mm  sank). 

Den  Mitteldruck,  den  ich  in  fast  allen  beschriebenen  Fällen  nach 
der  Straß  burger 'sehen  Methode  bestimmte,  habe  ich  vorläufig  hier 
nicht  berücksichtigt,  besonders  deswegen  nicht,  weil  die  von  mir  bei 
normalen  Menschen  gefundenen  Differenzen  awischen  systolischem  und 
diastolischem  Druck  durchschnittlich  viel  geringer  waren  wie  8trs£- 
b  u  r  g  e  r  ^)  sie  angibt  (ca.  20  mm  Hg),  und  weil  ich  bei  manchen  Fälkn 
zeitweise  ein  mir  vorläufig  nicht  erklärliches  inkonstantes  und  oft  in 
kurzer  Zeit,  oft  bei  derselben  Messung  in  wenigen  Minuten  wechselndes 
Verhalten  des  Blutdruckquotienten  sah. 

Vorliegende  Gefäßkrisen  mit  ihren  klinischen  Symptomen  haben 
vielleicht  ein  Interesse  für  den,  der  sich  mit  Blntdruckwerten  und 
-Veränderungen  einige  Zeit  beschäftigt  hat.  Ich  gebe  zu,  daß 
manchen  der  beschriebenen  Tatsachen  neben  den  nachweisbaren 
noch  andere  Momente  zugrunde  liegen  können  und  daß  Einwände 
verschiedener  Art  im  speziellen  Falle  möglich  sind.  Vielleicht 
werden  sie  aber  dazu  beitragen,  die  sicheren  Grundwerte, 
die  wir  mit  der  relativ  bequemen  Technik  bereits  erreicht  haben, 
weiter  zu  stützen  und  unsere  Einblicke  in  die  Wissenschaft  der 
Blutbewegung,  des  Druckes  und  der  Widerstände  zu  vertiefen. 

Ij  Straß  burger,  Ein  Verfahren  zur  Messung  des  diastol.  Blutdrucks  und 
seine  Bedeutung  f.  d.  Klinik.    Zeitschr.  f.  klin.  Medizin.    Bd.  54  jk  ö.  q.  6. 


XXVI. 

Aus  der  medizin.  Ünivers.-Klinik  Breslau. 
(Greheimrat  Prof.  Dr.  v.  Strümpell.) 

Beiträge  znr  Kenntnis  des  Kochsalzstoffwechsels. 

Von 

Dr.  A.  Bittoi*f  und  Priv.-Doz.  Dr.  G.  Joehniann, 

Assistenten  der  KUnik. 
(Mit  2  Kurven.) 

Dem  Kochsalzstoffwechsel  der  Nierenkranken  ist  in  neuerer 
Zeit  eine  erhöhte  Aufmerksamkeit  geschenkt  worden.  Wenn  auch 
sein  hohes  theoretisches  Interesse  und  seine  Wichtigkeit  für  Fragen 
der  Nierenphysiologie  anerkannt  werden  muß,  so  scheint  uns  seine 
kli&ische  Bedeutung  oft  überschätzt  worden  zu  sein.  Auf  die  aus- 
gedehnte Literatur  brauchen  wir  wohl  nicht  einzugehen,  da  der 
eine  von  uns  ^)  erst  kürzlich  sie  zusammenstellte  und  aus  jüngster 
Zeit  in  v.  Noorden's*)  Handbuch  eine  sorgfältige  kritische  Sich- 
tung derselben  vorliegt. 

Auf  Anregung  des  Herrn  Geheimrat  v.  Strümpell  haben 
wir  eine  Nachprüfung  der  bisherigen  Angaben  um  so  lieber  vor- 
genommen, als  die  bisherigen  Untersuchungsergebnisse  trotz  der 
erheblichsten  Differenzen  zu  weitgehenden  theoretischen  und  prak- 
tischen Folgerungen  Veranlassung  gegeben  haben.  Wir  glaubten 
aber  nur  dann  vielleicht  etwas  tiefer  in  das  Verständnis  des  Koch- 
»salzhaushaltes  eindringen  zu  können,  wenn  wir  uns  nicht  auf  die 
Beobachtungen  bei  Nierenkranken  beschränkten,  sondern  vor  allem 
bei  Herzkranken  und  akuten  exsudativen  und  fibrinösen  Entzün- 
dungen Versuche  anstellten. 


Ij  Jochmann,  Mediz.  Klinik  1906,  1,  2. 

2)  T.  Noorden,  Handbuch  der  Pathologfie  des  Stoffwechsels,   2.  Aufl.  1906 
Bd.  I. 


486  XXVI.  Bittorf  u.  Jochmann 

Methode:  Die  Patienten  wurden  bei  Bettruhe  und  meist  bei 
Milch  (ev.  Zulagen  von  Semmel,  Zwieback,  Butter),  seltener  bei 
Suppenkost  gehalten.  Täglich  wurde  Flüssigkeitsein-  und  -ausfahr 
und  Chlorgehalt  von  Kost  und  Harn  bestimmt.  An  einzelnen  Tagen 
wurde  nun  10—15  g  NaCl  zugelegt,  ev.  auch  die  Zulage  2—3  Tage 
gegeben.  Bei  Kranken  mit  Ödemen  oder  Exsudaten  wurde  mög- 
lichst vor  und  nach  der  NaCl-Zulage  deren  Kochsalzgehalt  bestimmt. 
Verschiedene  Medikamente  (Digitalis,  Coffein,  Diuretin,  Theocin  und 
Jodkali)  wurden  in  ihrem  Einfluß  auf  die  Ausscheidung  geprüft. 
Ebenso  wurde  in  einzelnen  Fällen  die  ev.  Beeinflussung  durch 
Schwitzen  und  Aufstehen  untersucht. 

Beobachtungen: 

I.  Akute  fieberhafte  Erkrankungen  (Pneumonie,  Pleuritis). 

Die  Retention  des  Chlors  in  vielen  fieberhaften  Krankheiten 
ist  bekannt,  ihre  Ursache  ist  noch  nicht  völlig  geklärt. 

Der  typischste  Vertreter  dieser  Krankheitsgruppe  ist  die  fibri- 
nöse Pneumonie,  bei  der  nicht  nur  das  Nahrungschlor,  sondern 
nach  einzelnen  Angaben  sogar  erhebliche  NaCl-Zulagen  bis  nach 
der  Krise  zurückgehalten  werden.  Die  folgende  Beobachtung  mag 
dies  bestätigen. 

1.  Fall.  34 jähriger  Gastwirt,  W.  M.  Vor  3  Jahren  ^Leher- 
ieiden^.  Vor  4  Tagen  Schüttelfroet,  Stiche  in  Brust  and  Baach. 
Atemnot,  Hüsteln,  blutiger  Auswurf.  Starker  Trinker.  Aufnahme 
25.  Mai,  Tod  4.  Juni. 

Status  praesens.  25.  Mai.  Cyanose,  Blässe,  starke  Dyspnoe, 
Schwäche.  Herz  etwas  vergrößert.  Mäßige  Arteriosklerose.  Pneu- 
monische Infiltration  des  rechten  Unterlappens,  daneben 
kleines  Exsudat.     Keine  Ödeme.     Spuren  Eiweiß. 

25.  Mai.  Probepunktion :  etwas  sanguinolentes  Exsudat.  Nachmittags 
beginnendes  Delirium  tremens.  26. — 27.  Delirium  tremens.  27.  Probe- 
punktion negativ. 

28.  Meningitiscbe  Erscheinungen.  29.  Lumbalpunktion:  320  bis 
340  mm  Druck,  klar.  2.  —  3.  Juni.  Meningitiscbe  Erscheinungen  ver- 
schwunden. Keine  Darmstörungen.  4.  Tod  durch  Herzschwäche.  Pneu- 
monie verlauf  (vgl.  Tab.  I):  26. — 27.  teilweise  Lösung  des  Unter- 
lappensi  doch  erfolgt  sofort  neue  Anschoppung  am  nächsten  Tag  (unterster 
Teil  des  Oberlappens  rechts).  29.  ünterlappenlösung.  1.  Anschoppung 
des  Mittellappens.     Unter-  und  Oberlappen  noch  nicht  völlig  gelöst. 

Sektion:  Pneumonie  des  Mittel-,  Unter-  und  teilweise  Oberlappens 
rechts.  Herz  dilatiert.  Fibrinöse  umschriebene  Meningitis.  Stauungs- 
nieren. 


Beiträge  rar  Kenntnis  des  Kodualzsto&wechsels. 


487 


Tabelle  I. 

Modler,  Wilhelm,  34  Jahre.   Pnenm.  cronp.    Del.  trem.  Mening.  serosa. 


' 

Harn 

Versuch 

Krankheit«- 

Datum 

Menge 

spez. 
Gewicht 

NaCl 

Gesamt- 
NaCl 

(NaCl-Zuf.) 

verlauf 

24.    25.  V. 

1010 

1022 

0,04 

0,404 

Genießt 
wenig 

Pneumonie. 

25.    26. 

1460 

1022,5 

0,02 

0,29 

J7 

Delirien. 

26.-27. 

1130 

1021 

0,17 

1,929 

n 

Beginnende 
Lösung. 

27.     28. 

1300! 

1022 

0,19 

2,56 

+  15  g  NaCl 

Neue  An- 
schoppung. 

28.-29. 

960! 

1023 

1 

0,23 

2,27 

+  15g  NaCl 

Mening. 

29.-30. 

1260! 
bedeut.  > 

1022 

1 

0,7 

8,82 
viel  > 

Kein  NaCl 

Beginnende 
Lösung. 

:^0.    3L 

850 

1021      , 

0,78 

6,63 

)i 

Lösung. 

31.     1.    VL 

1870 

1020 

0,7 

13,09 

n 

j* 

1.     2. 

1780 

1020 

0,52 

9,26 

n 

\  Neue  An- 

2.     3.          1 

2620! 

1009,5 

0,12 

3,14 

n 

/   schoppung. 

3.-4. 

520 

1016      1 

0,39 

2,03 

. 

4  Uhr  nachts 

Besprechung  des  1.  Falles:  In  den  ersten  Tagen  (auf 
der  Höhe  der  Pneumonie)  ist  die  prozentuale  und  gesamte  Chlor- 
ausscheidung ganz  außerordentlich  niedrig.  Als  sich  die  Pneumonie 
am  27.  umschrieben  löste,  tritt  eine  deutliche  Steigerung  der  Harn- 
chloride ein.  Obgleich  nun  innerhalb  48  Stunden  30  g  NaCl  zu- 
gelegt werden,  steigt  die  Ausfuhr  nicht  wesentlich.  Die  Hani- 
menge  schwankt  etwas,  zuerst  etwas  Vermehrung,  dann  Verminde- 
rung. Als  am  29.  die  Lösung  des  Unterlappens  eintritt,  steigt 
Flnssigkeits-  und  prozentuale  und  gesamte  Eochsalzausfuhr  ganz 
bedeutend  (trotz  der  Entwicklung  einer  Meningitis  serosa).  Durch 
neue  Anschoppung  sinkt  sofort  die  Chlorausscheidung  stark  herab, 
während  die  Harnllut  noch  weiter  steigt.  Erst  am  3. — 4.  sinkt  die 
Hamabscheidung  unter  Steigerung  der  prozentualen  NaCl-Zahl. 

Leider  kann  eine  genaue  Bilanz  des  Wasser-  und  Kochsalz- 
sto£Fwechsels  nicht  gezogen  werden,  da  es  unmöglich  war,  die  meist 
^eringenEinnahmenzu  kontrollieren.  Jedenfalls  bestätigt  sich 
aber  erstens  die  Chlorretention  während  der  Pneumonie 
and  die  vermehrte  Ausfuhr  mit  der  Lösung,  zweitens  die 
Unmöglichkeit  durch  Chlorzulage  die  Chlorausschei- 
dung wesentlich  zu  beeinflussen. 

Diese  Tatsachen  sprechen  wohl  dafür,  daß  das  pneumonische 
Exsudat   eine   gewisse  Affinität   zum  Chlor   hat     Nun   hat   zwar 


488  XXVI.  BiTTOBF  o.  Jochmann 

V.  Terray  das  pDeumonische  Exsudat  sehr  chlorreich  gefunden, 
jedoch  enthielt  es  bedeutend  weniger  NaCl,  als  retinieit  worden 
war.  Er  nimmt  darum  an,  daß  der  grOfite  Teil  des  Chlors  infolge 
Wasserretention  zurückgehalten  wird.  Hiergegen  spricht  in  unserem 
Falle  das  Steigen  der  Harnflut  bis  zum  3.  Juni  bei 
gleichzeitigem  Sinken  der  Ghlorausscheidung  bei  er- 
neuter Anschoppung.  Es  muß  also  bei  der  Pneumonie  die 
Affinität  der  Gewebe  (Exsudat?)  zum  Chlor  größer 
sein,  als  die  zum  Wasser  oder  als  die  zwischen  Wasser 
und  Chlor,  so  daß  nach  Anschoppung  noch  Wasser,  aber  nicht 
mehr  Chlor  abgegeben  wird. 

Wenig  untersucht  sind  bisher  die  entzündlich  exsudativen 
Erkrankungen  des  Brustfells.  Ihr  Verhalten  nament- 
lich gegen  vermehrte  Eochsalzzufuhr  und  ev.  therapeutische  Ein- 
griffe ist  noch  selten  geprüft,  so  daß  folgende  Beobachtung  aus- 
führlich mitgeteilt  sei. 

2.  Fall.  Anna  S.,  25  Jahre.  Seit  ^/^  Jahre  Hasten,  Nacht- 
schweiße, Durchfalle.     Seit  8  Tagen  Fieber,  Kurzatmigkeit,  Hüsteb. 

Status:  13.  Februar  (bei  der  Aufnahme):  Zarte,  blasse  Frau. 
Ziemlich  großes,  linksseitiges  Pleuraexsudat.  Üleeröse 
doppelseitige  Spitzenerkrankung.  Beichlich  Sputum  und  Tuberkelbazälen. 
Fieber  dauernd  zwischen  38,5  und  39,5  ^.     Neigung  zu  dünnen  St&hlen. 

Exsudat  bleibt  bis  25.  Februar  unverändert,  scheint  dann 
bis  1.  März  etwas  zu  sinken.  Von  da  bis  zur  EnUassimg 
(10.  März)  weiterer  Rückgang  unter  Schwartenbildung.  Lnn^enerkran» 
knng  ist  weiter  fortgeschritten  (s.  Tab.  II). 

Besprechung  des  2.  Falles:  Die  Ausscheidung  des  Koch- 
salzes schwankt  in  den  ersten  Tagen.  Ob  die  Betention  des  Koch- 
salzes am  1.  Tage  Folge  der  Erschöpfung  der  Kranken  und  Störung 
der  Zirkulation  durch  anstrengende  Bahnfahrt  ist,  ist  nicht  zu 
entscheiden.  Die  vermehrte  Chlorausfuhr  in  den  nächsten  Tagen 
kann  wieder  ihrerseits  durch  die  Besserung  bei  Bettruhe,  vielleicht 
aber  auch  durch  Anregung  der  Pleuratätigkeit  durch  die  Probe- 
punktion erklärt  werden  (vgl.  unten).  Ähnlich  verhält  sich  die 
Wasserbilanz.  Am  17.— 19.  tritt  Gleichgewicht  ein.  Von  15  g 
NaCl-Znlage,  die  nun  3  Tage  lang  täglich  gegeben  wird,  wird  am 
1.  Tage  (trotz  Durchfalls!)  der  größte  Teil  im  Harn  ausgeschieden. 
Am  2.  Tage  erscheint  fast  alles  und  am  3.  Tage  sogar  mehr  als 
eingenommen  im  Harn.  Am  Ende  der  Yersuchstage  sind  von  75^4  g 
nur  etwa  8  g  noch  nicht  durch  die  Nieren  ausgeschieden.  4  g  er- 
scheinen noch  am  nächsten  Tage,  während  die  letzten  4  g  wtfhl 
mit  dem  Durchfall  ausgeschieden  sind. 


Beitrüge  zur  Kenntnis  des  Kochsalzstoffwechsels. 


489 


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490  XXVI.    BlTTOHF   U.   JOCHMANN 

Während  der  Chlorzulage,  diese  sogar  überdaaernd^  besteht 
geringe  Vermehrung  der  Harnmenge  (ohne  entsprechend  vermehrte 
Aufnahme). 

Nach  vorübergehendem  Gleichgewicht  (23.-24.)  tritt  erneutes 
Schwanken  der  Chlorausscheidung  ein.  3  Tage  lang  dauernde  Be- 
handlung mit  D iure t in  führt  neben  Durchfallen  zu  geringer 
Erhöhung  der  Harnmenge,  läßt  aber  die  XaCl-Ausschei- 
düng  unbeeinflußt. 

Das  Exsudat  hat  am  14.  Februar  0,508%  NaCl,  am  21.  Fe- 
bruar 0,31  %.  Trotz  Zulage  von  30  g  XaCl  in  den  letzten  48 
Stunden  vor  der  2.  Punktion  ist  also  eine  Chlorverminderung  ein- 
getreten, die  nicht  auf  Wasserzunahme  beruhen  kann,  da  das  Ex- 
sudat nicht  gestiegen,  vielmehr  die  Wasserausfuhr  vermehrt  ist. 
Dies  und  die  Vermehrung  des  Hamchlors  nach  der  1.  Probepunk- 
tion (15'. — 18.)  spricht  für  eine  durch  sie  verursachte  (vorwiegende 
NaCl-)Resorption.  ^) 

Am  26.  Februar  ist  der  Chlorgehalt  des  Exsudats  0,465  *o. 
Dies  erklärt  wohl  das  Schwanken  der  Harnchlormenge.  Ursache 
dieser  NaCl-Zunahme  sind  wohl  Wasserresorptionsvorgänge  (Ab- 
nahme des  Exsudats,  Steigen  der  Harnmenge). 

Es  veranlaßt  in  diesem  Falle  also  weder  die  fieberhafte 
tuberkulöse  Erkrankung  an  sich,  noch  das  Bestehen 
eines  erheblichen  (nicht  in  Heilung  begriffenen)  Ex- 
sudats eine  Chlorrretention.  Es  besteht  nicht  einmal 
verzögerte  Ausscheidung  des  zugelegten  Kochsalzes.' 

In  mehreren  anderen  Fällen  tuberkulöser,  exsudativer 
Pleuritis  konnten  wir  die  Befunde  Rumpfs  bestätigen,  der  bei 
peritonealen  Ergüssen  ohne  Nephritis  häufig  viel  höhere 
Chlorwerte  traf  als  bei  nephritischen  Ödemen.  Wir 
fanden  gleichzeitig  den  Chlorgehalt  fast  völlig  unabhängig  vom 
spezifischen  Gewichte  und  Eiweißgehalte  des  Exsudats,  z.  B. : 

0,6  «/o  NaCl,  1009  spez.  Gew.,  6  ^^  Eiweiß, 
0,62%  NaCl,  1008,5   „        „      2,8  7oo  Eiweiß, 
dagegen  0,5  «/o  ^'aCl  1017      „        „      3,5%  Eiweiß. 

II.  Herzkrankheiten. 

Nach  denselben  Gesichtspunkten  wurde  eine  größere  Reihe 
Herakranker  (dekompensierter  und  kompensierter)  untersucht. 

1)  In  einem  2.  Falle  stieg  ebenfaUs  nach  der  Punktion  nicht  nur  prozentuale  und 
gesamte  Harnchlormenge,  sondern  auch  die  Harnmenge  auf  fast  das  Doppelte.  Ito 
darf  dies  wohl  als  Ausdruck  erhöhter  Pleuratätigkeit  durch  den  Eingriff  betrachtoi. 


j 


Beiträge  zur  Kenntnis  des  Kochsalzstoffwechsels. 


491 


3.  Fall.  Hermann  V.,  38  Jahre,  schon  wiederholt  in  der  Klinik 
wegen  dekompensierten  Herzfehlers  behandelt,  leidet  wieder  seit  4  Tagen 
an  geschwollenen  Beinen,    seit  einem  Tage  an  Anschwellung  des  Leibes. 

Status  bei  der  Aufnahme.  22.  Januar.  Cyanose,  Dyspnoe;  Herz 
vergprößert  und  dilatiert,  Mitralstenose  und  -insufficienz.  Puls 
unregelmäßig,  klein.  Ascites,  ziemlich  beträchtliche  Ödeme  der 
Ober-  and  Unterschenkel;  Stauungsleber  und  -niere. 

22.  Januar.  Bettruhe,  Milch.  23.  Januar.  7  g  NaCl-ZuIage.  Ge- 
ringe Mengen  Odem  durch  Punktion  gewonnen.  Vom  24.  Januar  an 
0,3  Digit.  und  3,0  Diuretin.  Vom  25. — 26.  Januar  deutliche  Abnahme 
der  Ödeme,  Ascites  unverändert  (Tab.  III a). 

Nach  Schwund  der  Ödeme  und  des  Ascites  bei  leidlicher  Kompen- 
sation (bei  Digit.  und  Diuret.)  wird  vom  19. — 24.  Februar  nochmals 
eine  Prüfung  der  Ausscheidung  vorgenommen.  (Wegen  Weigerung  trotz 
Wohlbefindens  abgebrochen.)  (Tab.  Illb  S.  493.)-  Eine  genaue  Kontrolle 
der  Nahrung  war  in  diesem  Falle  leider  unmöglich. 

Tabelle  ITIa. 

Voll  and,  Hermann,  38  Jahre.    Vitium  cordis  decomp.   Hydrops.  Ascites. 

I.  Versuchsreihe. 


Datum 


Harn 

I 

spez.     NaCl     ^e-       Ei- 
Menge   _  ^.       samt-    weiß 


Gew.  ,    %    ,  NaCl 


p.  M. 


Ödeme:        

NaCl 

0/         Therapie 

/o 


Bemerkungen 


Verlauf 


22.-23.  I. 

370 

1025 

1,32 

;  4,88 

0,75 

0.65 

23.  24. 

415 

1027 

1,63 

i  6,75 

0,26 

24.  25. 

760 

1025 

1,5 

11,45 

Spur 

MUch, 
Bettruhe 
-f-7  NaCl 

-NaCl 
-U  0,3  Dig. 
3,0  Diur. 


Starke 
Ödeme. 


Ascites. 


25.-26.  1175     1017  '  1,16    113,6 


Ödeme 
viel  gering., 

Ascites 
uverändert. 


Besprechung  des  3.  Falles:  Am  1.  Tage  finden  wir  bei 
einfacher  Bettruhe  eine  für  Milchkost  völlig  ausreichende  NaCl- 
Ansscheidung,  die  bei  den  geringen  Urinmengen  nur  durch  eine 
sehr  hochprozentuale  Ausfuhr  ermöglicht  wird  und  zwar  trotz 
einer  durch  Stauung  stark  geschädigten  Niere  und  starker 
Hydropsie. 

Am  nächsten  Tag  werden  7  g  NaCl  zugelegt.  Trotz  nur 
geringer  Steigerung  der  Hammenge  sinkt  die  Eiweißmenge 
erheblich,  während  gleichzeitig  prozentuale  und  gesamte  Koch- 
salzausscheidung  recht  beträchtlich  zunimmt.    Freilich 


XXVI.     BiTTOBF   n.    JOCBMANN 


bleibt  wohl  der  größere  Teil  des  NaCl  retiniert  ohne  Zu- 
nahme der  Ödeme. 

Anf  Digitalis  nnd  Diaretin  erfolgt  nun  in  den  nächsten 
Tagen  Zunahme  der  Harn-  und  Chloransscheidnng  nster 
Sinken  der  Ödeme. 

Der  Chlorgehalt  der  Ödeme  ist  ein  sehr  erheblicher. 
Trotzdem  läßt  sich  durch  Kochaalzznlage  eine  Steigerang 
der  Ausfuhr  erreichen  und  durch  Besserung  der  Zirkula- 
tion die  Ausschwemmung  in  kurzer  Zeit  erzielen.  Den 
Verlanf  der  Ansscheidnng  zeigt  Knrve  1. 

Als  nun  leidliche    Kompensa- 
KuiTc  1.  tion  eintritt,  entfernt  Patient  reich- 

liche retinierte  EochS8lzmengen(I9.bis 
22.  Febr.).  Auf  Chlorzulage  schei- 
det er  jetzt  am  selben  Tage 
(22.-23.)  wohl  das  ganze  zuge- 
führte NaCl  wieder  ans  unter 
erheblicher  Steigerung  der  pro- 
zentualen Konzentration  und 
deutlicher  Vermehrung  des  Harn- 
wassers. Die  Wasser-  und  Chlorflai 
hält  auch  am  nächsten  Tage  trotz 
gleichzeitiger  Durchfalle  noch  an.  Die 
Steigerung  der  Hammenge  nimmt  so- 
gar am  24.  und  26.  noch  zu. 

Wir  sehen  also  in  der  jetzigen 
Periode  nicht  nur  eine  außerordent- 
lich schnelle  Ausscheidung  der 
Kochsalzznlage,    sondern    sich    an- 
schließend eine  Mehrausschwem- 
mung  von  Kochsalz.    Wir  können 
also    Mobr's    Befund    bei  Nieren- 
kranken, daSNaCl  sogarNaCl- 
treibend  wirken  kann,    auch  bei 
Herzkrankenbestätigen.   Außer- 
dem finden  wir  in  dieser  Periode  eine 
ausgesprochene     Unabhängigkeit 
von  Kochsalz-  nnd  Wasserausscheidung  von  einander.  Die 
Wasserausfuhr    schleppt    der    Kochsalzausfubr  nach,    wie 
Knrve  '2  besonders  deutlich  zeigt. 


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Beiträge  zur  Kenntnis  des  KochsalsstoSwechsels. 


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Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    89.  Bd. 


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2400 


2300 


4.  Fall.  Paal  F.,  62  Jahre,  hatte  schon  einmal  wegen  Adipontai, 
Emphysem  und  Bronchitis  in  der  Klinik  gelegen.  JetEt  sind  seit  etwa 
5  Wochen  die  Beine  leicht  angeschwollen ;  Kunsatmigkeit,  Husten,  Sjreuz- 
schmerzen  haben  zugenommen.     Potator. 

Status  beider  Aufnahme  21.  Juni. 
Fettleibigkeit ,  Emphysem,  Bron- 
chitis. Leichte  Verbreiterung  des 
Herzens  nach  links,  schwache 
Aktion.  Odem  der  Unterschen- 
kel mittleren  Orades.  Vergrößerte 
Leber.     Stauungsalbuminurie. 

Bei  Bettruhe,  Milch,  Jodkali 
schwinden  bei  gleichzeitigem  Durch- 
fall vom  23. — 25.  Juni  die  Ödeme, 
unter  starker  Oe wichtsabnahme.  29.  Juni 
Durchfall.  Urin  vom  2.  Juli  an  dauernd 
frei  von  Eiweiß  (s.  Tab.  IV). 

Besprechung:  Allein  durch 
Bettruhe,  Jodkali  und  Milch- 
diät wird  hier  eine  stark  ver- 
mehrte Chlor  aus  Scheidung 
erzielt  und  zwar  anfangs  ohne 
stärkere  Diurese.  Vom  23. — 25. 
werden  durch  starke  Durchfälle 
die  Ausscheidungsverhältnisse  ge- 
trübt. Am  26.  sind  die  Ödeme 
fast  vei-schwunden  und  ein  Chlor- 
gleichgewicht eingetreten.  Auf- 
stehen führt  vorübergehend 
am  27.-28.  zu  Chlorretention, 
die  am  nächsten  Tage  aber 
durch  Zunahme  des  Hamchloi^s 
trotz  gleichzeitiger  Durchfalle  be- 
seitigt wird. 

Die  folgenden  2  H  erzkranken 
sollen  zusammen  betrachtet  werden, 
weil  bei  beiden  hochgradige 
allgemeine  Hydropsieu  be- 
standen, die  bis  zum  Tode  fast    Wasserausfnhr  in  ccm 

unbeeinflußt  durch  Medika-  ^  NaCl-Zulage 
mente  anhielten.  Die  Sektion  ergab  neben  dem  Herzleiden  in 
einem  Falle  nur  chronische  Stauungsniere,  im  2.  Falle  arterioskle- 
rotische Schi-umpfniere. 

5.  Fall.     Fritz  8ch.,  32  Jalire.     1899  Gelenkrheumatismus,  danach 


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19.-20.  — 21.  — 22.— B 


%,  NaCl 

Qe8.-NaCl- Ausfuhr  in  cg 


Beiträge  zar  Kenntnis  des  Kochsaisstoffwechsels.  495 

Hersfehier.  Februar  1906  angeblich  Nierenentzündung  und  Ödeme,  bald 
verschwunden.  Juni  1906  auf  einer  Beise  erkrankt  (Del.  tremens  ?), 
wird  in  ein  Krankenhans  gebracht,  von  wo  er  ^m  10.  Juli  in  die  Klinik 
kam.  Seit  einigen  Tagen  (?)  starke  Schwellung  erst  der  Beine,  dann 
Hände  und  Gesicht.     Potator! 

Auf nahmebefund  10.  Juli.  Dyspnoe,  Gyanose,  hochgra- 
digste allgemeine  Ödeme,  Ascites.  Ozaena.  Stauungskatarrh 
der  Lunge.  Herzvergrößerung  nach  rechts  und  links,  Arhythmie, 
s^rstolisches  und  diastolisches  Geräusch.  Unregelmäßiger,  leidlich  gespannter 
Puls.  Lebervergrößerung?  Urin:  eiweißhaltig,  hyaline,  granulierte,  epi- 
thelbesetzte Zylinder,  vereinzelte  Blutkörperchen.     Psychisch  abnorm. 

Zunächst  geringe  Besserung,  Abnahme  der  Ödeme  und  des  Gewichts. 
Dann  zeitweises  Schwanken,  schließlich  Zunahme;  darum  30.  Juli  Ödem- 
punktion (2  Liter).  Keine  Besserung.  5.  August  Tod  nach  weiterer 
Zunahme  der  Ödeme  und  Dyspnoe. 

Sektion:  Herz  vergrößert  und  dilatiert:  Mitralstenose;  Myokar- 
ditis; Pericarditis  adhaes.  Endaortitis  ather.  Stauungslungen.  Pleura- 
verwachsungen. Stauung  in:  Darm,  Leber,  Milz,  Nieren.  Ödem  der 
Pia  mater.     (Nierenrinde  teil  weis  verfettet)  (s.  Tab.  Y). 

Besprechung  der  5.  Beobachtung:  Wie  in  den  vorher- 
gehenden Fällen  nimmt  zunächst  mit  Besserung  der  Herz- 
tätigkeit Chlor-  und  Wasserausfuhr  zu,  und  zwar  unter 
erheblicher  Steigerung  der  schon  anfänglich  hohen  pro- 
zentualen NaCl-Konzentration. 

Am  14.  ist  aber  der  Höhepunkt  der  Elimination  schon  über- 
schritten. Trotzdem  wiid  wohl  noch  mehr  ausgeschieden  als  ein- 
genommen, da  sowohl  Durchfälle  eintreten,  als  auch  die  NaCl-Zulage 
vollständig  ausgebrochen  wird,  so  daß  deren  Einfluß  auf  die  Aus- 
fahr leider  nicht  feststellbar  war. 

T  h  e  0  c  i  n ,  dem  man  eine  besonders  starke  chlortreibende  Wir- 
kung zuschreibt,  bewirkt  nur  vorübergehend  eine  vermehrte 
Ausscheidung  und  verhindert  schließlich  nicht,  daß  eine  völlige 
Anorie  eintritt.  Dieselbe  vorübergehende  Wirkung  sehen  wir 
nun  bei  Strophantus  und  anderen  Herzmitteln. 

Schließlich  war  die  weitere  Untersuchung  wegen  starker  Durch- 
falle und  Untersichlassen  unmöglich. 

Die  Ödeme  hatten  bei  1006  spez.  Gewicht,  l,6®/oo  Eiweiß 
und  0,48^/0  NaCl. 

Die  nächste  Beobachtung  kann  vielleicht  anschließend  zur  Er- 
klärung dieses  Falles  mitgeteilt  und  besprochen  werden. 

6.  Fall.  73jährige  Frau  Z.  Vor  einem  halben  Jahre  Magen- 
Darmkatarrh.  Atembeklemmangen.  Später  Schwellang  der  Beine,  stärkere 
Atemnot.  Zeitweis  heftige  Dyspnoeanfälle  mit  Angstgefühl.  Starke 
Trinkerin! 

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496 


XXVI.    BlITORF  n.  JOCHMAKK 


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Aafnahmebefnnd 
24.  Febroar.  Dyspnoe.  Rechts- 
seitige    Longentaberknlose 
(Dämpfung  y   fast    bronchiales 

Atmen).  Staunngskatarrh. 
Links  mäßiger  Hydrothorax. 
Stark  hypertrophi- 
sches und  dilatiertes 
Herz.  Keine  Geräusche. 
1.  Aortenton  unrein.  ICäßige 
periphere  Arteriosklerose. 
Puls:  regolär,  angedeutet  celer. 
Blutdruck  155—145  RR. 
Ascites?  Milzy  Leber  ver- 
größert? Spuren  von  Ei- 
weiß, einzelne  hyaline  und 
granulierte  Zylinder.  Star- 
kes Odem  der  Beine, 
Arme,  Bauchhaut.  Ge- 
dunsenes Gesicht. 

Anfangs  Anfälle  von 
Asthma  cardiale.  Zunahme 
der  Ödeme  am  1.  und  2. 
Tage.  Am  26.  Februar  Ödem- 
punktion (100  ccm).  28.  Febr. 
Ödem  etwas  geringer,  ebenso 
Hydrothorax.  Nahrungsauf- 
nsJime  gering.  1.  März. 
Ödeme  haben  bisher  noch 
etwas  abgenommen,  um  nun- 
mehr wieder  zu  steigen. 
Später  deutliche  Leberver- 
größerung ,  kleiner  Ascites. 
Diurese  gering.  Ödeme 
zeigen  nur  geringe 
Schwankungen.  Zeitweis 
Durchfälle.  Puls  dauernd 
regelmäßig.  Bei  unveränder- 
tem Befunde  Tod  am  6.  Mai. 
Sektion:  Glatter  Zungen- 
grund, Tensillennarben.  In 
der  rechten  Lungenspitze  wal- 
nußgroße Kaverne ,  rechter 
Oberlappen  leicht  induriert. 
Hypertrophisches  dila- 
tiertes Herz.  Klappen 
gesund.  Myocarditis  gra- 
vis. Schwerste  Arterio- 
sklerose der  Kranzarterien 


!_.. 


498  XXVI.  BtTTORF  n.  Jochmann 

und    Aorta.     Arteriosklerotische    Schrumpfniere.      Staooogs- 
railz  und  Leber  (s.  Tab.  VI  S.  497). 

Besprechung:  Die  vorliegende  Kombination  von  Herz- 
»chwäche  mit  arteriosklerotischer  Schrumpfniere  hatte  bei  absolut 
erhöhtem,  aber  relativ  zn  niedrigem  Blutdruck  zu  Herzinsuffi- 
cienzödemen  geführt.  Da  Patientin  sich  weigerte^  konnten  nur 
einige  Tage  Versuche  über  den  Einfluß  von  Herzmitteln  an- 
gestellt werden. 

Es  steigt,  wie  bei  5.,  z u e r s t  Hammenge,  prozentuale  (nicht 
völlig  gleichmäßig)  und  gesamte  NaCl-Ausscheidung,  wenig  dorch 
den  Durchfall  am  27.-28.  beeinflußt.  Vom  28.  Februar  bis 
1.  März  sinken  alle  3  Faktoren  und  es  gelingt  von  da  ab  nicht 
wieder,  die  Diurese  zu  steigern.  Der  Einfluß  vermehrter  Chlor- 
zufiihr  konnte  wegen  Weigerung  des  Patienten  nicht  geprüft  werden. 

Die  Ödemflüssigkeit  enthielt  0,67 ^/o  NaCl. 

Trotz  des  klinisch  vollkommen  gleichmäßigen  Verhaltens  der 
Ödeme  bei  beiden  Kranken  zeigen  die  Ergüsse  doch  recht 
erhebliche  Differenzen  des  Chlorgehaltes.  Diese  Tat- 
sache scheint  uns  sehr  wesentlich  gegen  die  Wichtigkeit  der 
primären  Chlorretention  für  die  wassersüchtige  Ansammlung 
zu  sprechen,  zumal  sich  in  beiden  Fällen  vorübergehend  recht  hohe 
prozentuale  und  gesamte  NaCl- Ausscheidung  erzielen  ließ.  Vielmehr 
ist  in  solchen  Fällen  auf  das  Verhalten  der  Gefäße  (Arterio- 
sklerose, Alkoholismus)  bei  Erklärungsversuchen  der  eigenartigen 
Ödeme  Rücksicht  zu  nehmen^),  abgesehen  von  dem  in  allen 
Fällen  sichtbaren  Abhängigkeitsverhältnis  der  NaCl- 
und  Wasserausscheidung  von  der  Zirkulation. 

UI.  Nierenkrankheiten. 

A.  Akute  Nephritis. 

Leider  stand  uns  kein  Fall  sich  entwickelnder  Nephritis,  nüt 
noch  zunehmenden  Ödemen  zur  Verfügung;  denn  gerade  für  solche 
Fälle  fehlen  noch  größere  Untersuchungsreihen.  Dagegen  konnten 
wir  eine  akute  hämorrhagische  Nephritis  (Fall  7),  die 
8  Tage  vor  der  Aufnahme  in  die  Klinik  akut  mit  Schwellung  der 
Beine  eingesetzt  hatte,  untersuchen. 

Status  (bei  der  Aufnahme)  13.  Mai.  28 jähriger  blasser  Mano. 
leicht  gedunsenes  Gesicht.  Ziemlich  hochgradige  Ödeme 
der  Unterschenkel.  Allgemeine  Drüsenschweliung.  Papel  (?)  am  Präputiom. 

1)  Vielleicht  bilden  sich  auch  bei  länger  bestehenden  Ödemen  Gewebsrer- 
ändemngen  ans,  die  ihrerseits  ungünstig  für  die  Eesorption  der  Flüssigkeit  sind. 


Beiträge  zur  Kenntnis  des  Kochsalzstoffwechsels.  4^ 

Herz:  nicht  vergrößert.  2.  Aortenton  akzentuiert.  Blut- 
druck (R.-K.)  1 67—  1 70.  U  r i n  7,5  0/^^  Eiweiß ;  sehr  reichliche  Zylinder 
aller  Art,  reichliche  Blutkörperchen. 

Bei  Bettruhe  und  Diät  sinken  die  Ödeme  bis  15.  mittags. 
Vom  15. — 17.  30  g  NaCl  zugelegt.  17.  Mai  Ödeme  verschwun- 
den.    Formelemente  sicher  spärlicher  als  früher.     Tabelle  VII  a. 

Patient  bleibt  dauernd  frei  von  Ödemen,  fählt  sich  wohl.  Eiweiß- 
gehalt und  Harnmenge  fast  konstant.     Stark  hämorrhagisch. 

24.  Mai.  Blutdruck  (R.-R.)  150.  Steigt  bis  30.  Mai  wieder 
auf  145  (Gärtner!). 

Vom  26.— 1.  Juni  2.  Versuchsreihe:    Tabelle  Vllb. 

Am  7.  Juni  bei  annähernd  unverändertem  Befund  entlassen. 

In  den  ersten  Tagen  erhebliche  Chlormehrausschei- 
dung  bei  guter  Dinrese  und  bei  ziemlich  hoher  prozentualer 
Konzentration.  Keine  Körpergewichtsabnahme,  ob- 
wohl die  Ödeme  zurückgehen  (stärkere  Hydrämie  und  Ge- 
websdurchtränkung  ?). 

Trotz  Ödemen  werden  in  2  Tagen  je  15  g  NaCl  zuge- 
legt; darauf  1.  enormeHarnflut  ohne  entsprechend  vermehrte 
Flüssigkeitszufuhr  (bes.  15. — 16.);  2.  fast  yöllige  Ausfuhr  in 
.  beiden  Tagen  der  gesamten  Kochsalzeinfuhr;  3.  Sinkendes 
Gewichts  um  1,5  kg;  4,  Schwund  der  Ödeme.  Dabei  wird  nicht 
nur  die  gesamte,  sondern  auch  die  prozentuale  NaCl- Ausfuhr 
gesteigert!  Nach  Absetzen  der  Chlorzulage  weitere  Harn- 
flut (bis  20.)  und  erheblich  vermehrte  Chlorausfuhr,  die 
aber  eher  absinkt  als  die  Harnflut. 

Bis  20.  Mai  ist  dadurch  weitere  Gewichtsabnahme  um  2,3  kg 
erfolgt,  die  nur  auf  Abnahme  der  Hydrämie  (und  Gewebsdurchträn- 
kungj  beruhen  kann,  da  seit  17.  Ödeme  nicht  mehr  bestehen! 

Jedenfalls  kann  bei  akuter,  schwerer  hämorrhagi- 
scher Nephritis  enorme  gesamte  und  prozentuale 
Chlorausscheidung  geleistet  werden  (ohne  daß  Heilung  ein- 
tritt, wie  der  spätere  Verlauf  zeigt !).  Vermehrte  Chlorzufuhr 
kann  vermehrte  und  beschleunigte  NaCl-Ausfuhr  ver- 
anlassen, kann  schnellen  Schwund  der  Ödeme  und  der  hydra- 
ulischen Plethora  herbeiführen.  Harnflut  und  Chlor- 
ausscheidung gehen  nicht  völlig  parallel. 

Wir  können  also  Mohr 's  u.  a.  Angabe  über  die  chlor  trei- 
ben de  Wirkung  des  Kochsalzes  bestätigen  und  im  Gegen- 
satz zu  Strauß  u.  a.  sogar  eine  diuretische  Wirkung  des 
Na  Ol  feststellen.  Die  Strauß' sehen  Befunde,  Annahmen  und  For- 
derungen, scheinen  demnach  keine  so  allgemeine  Berechtigung  zu 
haben,  wie  er  für  sie  fordert. 


500 


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Beiträge  znr  Kenntnis  des  Kochsalzstoff wechseis.  501 

Das  zeigt  auch  der  überraschende  Verlauf  der  2.  Versuchsreihe. 

Patient  ist  inzwischen  gebessert.  Er  befindet  sich  in  einem 
Kompensationsstadium,  dementsprechend  auch  vom  26. — 29.  im  Chlor- 
gleichgewicht (trotz  chlorreicherer  Nahrung.) 

Bei  15  g  NaCI-Zulage  sinkt  die  Harnmenge  unbedeu- 
tend (etwa  360  ccm),  die  prozentuale  und  gesamte  Kochsalz- 
ausscheidung bleibt  fast  unbeeinflußt.  Über  16  g  NaCl 
bleiben  an  diesem  Tage  retiniert.  Arn  nächsten  Tage  wird 
das  zurückgehaltene  Wasser  völlig  ausgeschieden. 
Die  NaCl-Ausfuhr  ist  am  2.  und  3.  Tage  etwas  vermehrt, 
aber  nach  3X24  Stunden  ist  noch  über  %  des  zurückgehaltenen 
Chlors  nicht  ausgeschieden.  Also  außerordentlich  verlang- 
samte Chlorausfuhr! 

Die  vorher  schwerer  geschädigte  Niere  ist  (trotz  bestehender 
Ödeme)  der  Zulage  vollkommen  gewachsen,  die  gebesserte  N  i  e  r  e  m  i  t 
ungestörter  Wasserausscheidung  (ohne  Ödeme)  vermag 
Chlorgleichgewicht  bei  mittleren  Mengen  zu  halten, 
vermehrte  Zufuhr  vermag  sie  nicht  zu  bewältigen.  Die 
Unabhängigkeit  der  Wasseransscheidung  von  der  Chlor- 
retention  zeigt  sich  auch  darin,  daß  16  g  retinierten  Chlors 
nicht  350  ccm,  sondern  2 — 3  1  zurückgehaltenen  Wassers  ent- 
sprechen würde. 

B.  Subakute  und  chronische  parenchymatöse 

Nephritis. 

Die  bisherigen,  z.  T.  widersprechenden  Angaben  konnten  wir 
in  einigen  Fällen  nachprüfen  und  erweitem. 

8.  Fall.  Joseph  F.,  29  Jahre,  vom  9. — 31.  Juli  beobachtet. 
Febraar  1906  plötzlich  mit  Schüttelfrost,  Erbrechen,  Kopfschmerz,  all- 
gemeiner Schwellung  und  am  3.  Tage  Halsschmerzen  erkrankt. 
Ins  Krankenhaus  gebracht  verschwanden  Fieber  und  Schwellung  bald; 
dagegen  blieben  zeitweise  Kopf-  und  Nierenschmerzen.  Urin  soll  anfangs 
7  ^/qq,  später  3  ^/^^  Eiweiß  enthalten  haben.  Vom  Krankenbaus  am 
9.   Juli  in  die  Klinik  verlegt. 

Status:  Oeduusenes  Gesicht,  leichtes  Lidödem.  Herz: 
nicht  vergrößert  nachweisbar.  1.  Ton  dumpf.  2.  Aortenton  leicht  accentuiert. 
Arterienwand:  verdickt.  Urin:  4  ^/^^  Eiweiß;  reichlich  Zylinder 
aller  Art,  rote  und  weiße  Blutkörperchen.  Keine  Ödeme.  Blut- 
druck: erhöht,  anfangs  200,  später  182  R.-R. 

Während  der  Beobachtung  keine  Veränderung;  nur  Harn  zwei- 
mal etwas  hämorrhagisch.  Stuhlgang  täglich.  Harnformelemente  durch 
NaCl-Zulage  nicht  vermehrt  (Tab.  VIII). 


502 


XXVI.    BiTTOBF  n.  JOCHMAMK 


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Körper-  und  Nierenbefimd  im  wesentlicheu  stets  gleich. 


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Beiträge  znr  Kenntnis  des  Kochsalzstoffwechsels.  503 

Besprechung:  Nach  vorübergehender  vermehrter  NaCl-Aus- 
scheidung  in  den  ersten  Tagen  (Folge  chlorreicher  Kost  außerhalb 
der  B[linik)  tritt  11. — 13.  etwa  Gleichgewicht  ein. 

Vom  14.  früh  bis  14.  abends  erhält  Pat  19  g  NaCl  und 
scheidet  vom  13.  abends  bis  14.  abends  18  g  aus.  Wasserausfnhr 
deutlich  gesteigert.  Prozentuale  Kochsalzabscheidung  fast  auf  das 
3 fache  gestiegen!  Am  nächsten  Tage  sowohl  vermehrte  Wasser- 
wie  Kochsalzausscheidnng.  Es  besteht  also  eine  außerordent- 
lich gute  Aussscheidungskraft  derNiere  für  NaCl  und 
Wasser. 

Am  15.— 16.  erhält  er  wiederum  10  g  NaCl  zugelegt. 
Darauf  erfolgt  bei  gesteigerter  Wassereinfuhr  vermehrte  Harnmenge, 
aber  keine  Steigerung  der  prozentualen  Kochsalz- 
ausfnhr.  So  bleiben  jetzt  immerhin  fast  4  g  retiniert,  die  in 
den  nächsten  24  Stunden  bei  tatsächlicher  Harnflut  ausgeschieden 
werden.  Auch  in  den  nächsten  Tagen  besteht  noch  etwas  vermehrte 
Kochsalzaussclieidung.  In  diesem  Versuche  finden  wir  also  gute 
Wasserausscheidung,  etwas  weniger  gute  Kochsalz- 
•ausscheidung!   Körpergewicht  wenig  beeinflußt. 

19.— 20.  etwa  Chlorgleichgewicht.  21.  früh  bis  abends  10  g 
NaCI- Zulage.  Die  Wasserausscheidung  ist  kaum  beeinflußt, 
jedenfalls  keine  wesentliche  Retention  (vgl.  Gewicht).  Dagegen 
erscheint  nicht  die  Hälfte  des  Chlors  im  Urin.  Erst  am  4.  Tage 
^ind  die  letzten  R  e  s  t  e  des  Kochsalzes  bei  täglich  etwa  normalen 
Harnmengen  ausgeschieden.  Erst  am  24. — 25.  stellt  sich 
<Jhlorgleichgewicht  ein. 

Ohne  daß  eine  Ursache  nachweisbar  wäre,  sehen  wir  hier 
nacheinander  erst  sehr  gute,  dann  noch  normale,  schließ- 
lich schlechte  Chloransscheidung  auftreten.  Einen  ver- 
zögernden Einfluß  des  Schwitzens  können  wir  wohl  nicht  annehmen, 
da  vom  22.-24.  ohne  Schwitzen  auch  keine  vermehrte  Ausscheidung 
erfolgt.     Die  Wasserabgabe  ist  dagegen  immer  ungestört. 

Interessant  ist  das  merkwürdig  konstante  Einhalten  der  pro- 
zentualen Chlorausscheidung  vom  16.— 27.  Juli  trotz  veränderter 
>5ufuhr. 

9.  Fall.  Richard  K.,  28  Jahre.  Anfang  1906  Lues;  Schmierkar. 
April  1906  plötzlich  Schwellung  der  Beine.  Im  Krankenhaus 
wurde  Nierenentzündung  feetgestellt.  Ende  Juni  aus  dem  Krankenhaus 
in  die  Hautklinik  (2  Quecksilbersp ritzen !)  und  von  dort  am  5.  Juli  in 
die  medizinische  Klinik  verlegt.  Eiweifigehalt  soll  von  2 — 26  ^,'^q,  Harn- 
in enge  von  1 — 3^2  1  geschwankt  haben. 


504 


XXVI.    BiTTORP  n.  JOCHMAMK 


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Beiträge  zur  Kenntnis  des  Kochsalzstoffwechsels.  505 

Status  5.  Juli.  Blasser  Haan,  frei  von  ÖdemeD  bis  auf 
Prapntiani,  wo  aber  alte  Phimosennarbe  besteht.  Schwellung  fast  sämtlicher 
Lymphdrüsen.  Milz  palpabel.  Herz:  nicht  vergrößert.  Blut- 
druck: 146 — 150  B.-B.  Urin:  4®/Q^EiweiB,  sehr  reichliche  Zylinder 
«11er  Art,  wenig  rote  und  weiße  Blutkörperchen. 

Stuhlgang  regelmäßig.  Bis  zur  Entlassung  am  31.  Juli 
iceinerlei   Änderung  (s.  Tab.  IX  S.  504). 

Besprechung  des  Falles:  Anfangs  besteht  dentlich  vermehrte 
Chloransscheidung,  bedingt  wohl  durch  Übergang  von  chlorreicher 
za  chlorarmer  Kost.  9. — 10.  Zulage  von  15  g  NaCl.  Mäßiges, 
aber  deutliches  Absinken  der  Hammenge!  Chlormenge:  prozentual 
zwar  dentlich,  insgesamt  aber  wenig  vermehrt,  so  daß  über  11  g 
retiniert  werden.  Die  Eochsalzretention  ist  viel  erheblicher  als 
die  des  Wassers,  dementsprechend  steigt  das  Körpergewicht  nur 
um  500  g  (nicht  um  etwa  1500  g). 

Am  nächsten  Tag  steigt  nun  nicht  nur  Hammenge,  sondem  noch 
stärker  die  prozentuale  und  gesamte  NaCl- Ausscheidung,  so  daß  an 
diesem  Tage  ein  recht  erheblicher  Teil  des  Zurückgehaltenen  aus- 
geführt wird.  In  den  nächsten  Tagen  sehen  wir  nun  weiter 
die  chlortreibende  Wirkung  der  vermehrten  Zufuhr. 
Es  besteht  also  nur  etwas  verlangsamte  Eochsalzaus- 
scheidung  bei  leidlich  gutem  Wasserhaushalt,  von  dem 
sich  namentlich  am  10. — 11.  die  Chlorausfuhr  unabhängig  zeigt. 

Am  14. — 15.  wird  0,3  Digitalis  gegeben:  es  steigt  die 
Wasserausfuhr,  die  prozentuale  NaCl-Konzentration  bleibt  unbe- 
einflußt. Die  Hammenge  ist  auch  noch  am  nächsten  Tage  ver- 
mehrt, während  die  Chlorausscheidung  sinkt. 

1,5  Jo'dkali  täglich  bleibt  ohne  Einfluß  auf  das  Chlor- 
gleichgewicht. 

Nochmalige  Kochsalzzulage  führt  zwar  sofort  zu  er- 
heblicher prozentualer  und  gesamter  NaCl-Ausfuhr,  trotzdem 
besteht  recht  erhebliche  Retention.  Obgleich  nun  auch  in 
den  nächsten  Tagen  die  Chlorausscheidung  vermehrt  ist,  bleiben 
doch  nach  3  X  24  Stunden  noch  5,6  g  NaCl  im  Körper  zurück. 

Die  Wasserausfuhr  steigt  jetzt  langsamer  als  die  pro- 
zentuale Salzausfuhr  (beginnt  erst  nach  24  Stunden),  hält  aber 
länger  an. 

Beim  2.  Versuche  also  schlechte  Chlorausscheiduug 
bei  gutem,  nur  etwas  verlangsamtem  Wasserabscheidungs- 
vermögen,  deutlii^he  Unabhängigkeit  von  Salz-  und 
Wasserausfuhr  (starke  NaCl  -  Betention  ohne  entsprechende 
Wasserbindung). 


506  XXVI.     BiTTOBF  U.   JOCHMAKX 

C.  Chronisch  interstitielle  Nephritis. 
Zunächst  sei  ein  in  seiner  Stellang  unsicherer  Fall  besprochen. 

10.  Fall.  Georg  £.,  26  Jahre.  Viel  augenleidend  (hereditir 
syphilitisch?).  Wiederholte  Augenoperationen.  Dabei  vor  2  Jahren 
ids  zufälliger  Nebenbefund  Nephritis  festgestellt.  Kommt  jetzt 
nach  einer  Operation  aus  der  Augenklinik.     Früher  Schmierkaren. 

Status  5.  April  1906.  Gedunsenes  Gesicht.  Keine  Ödeme. 
Kleiner  Kniegelenkserguß  links.  Hutchinson'sche  Zähne.  Angen : 
Iridectomie,  Kataraktextraktion ,  gelbe  Atrophie  der  Sehnerven  (Prof. 
Heine). 

Herz:  Akzentuation  des  2.  Aorten tones,  sonst  ohne  Befand.  Urin: 
klar,  wenig  Sediment,  spärHche  Leukocyten  und  hyaline  Zylinder; 
bei  anfangs  geringen  Mengen  3,2  ^'^^  Eiweiß.  Später  größere 
Harnmengeu:  2000—2500;  1010 — 1015  spez.  Gewicht;  etwa  1% 
£iweiß.  Sediment  unverändert.  Gesicht  noch  gedunsen.  In  diesem 
Zustand  11. — 19.  Mai  Versuche. 

Später  Iridocyclitis  Inetica,  gleichzeitig  etwas  vermehrte  Eiweiß- 
abscheidung.  Auf  Sajodin  Besserung,  allerdings  unter  etwas  EiweiB- 
vermehrung.  Darauf  submaxillare  Drüsen  akut  geschwollen.  Dann  Wohl- 
befinden, weniger  Eiweiß.  Vorübergehende  urämische  Erscheinungen. 
Endlich  Anfang  August  mit  guter  Diurese  und  wenig  Eiweiß  entkssen 
(8.  Tab.  X   S.  507). 

Besprechung:  Als  nach  Chlorgleichgewicht  vom  14.— 16. 
30  g  NaCl  zugelegt  werden,  sinkt  am  14.  die  Harnmenge 
beträchtlich,  trotz  vermehrter  Wassei^afhahme,  und  steigt 
am  15.  und  16.  ziemlich  erheblich  bei  verminderter  Zufuhr. 

Die  prozentuale  NaCl-Ausfuhr  steigt  zwar  sofort 
jedoch  erst  am  2.  und  3.  Tage  zu  erheblicher  Konzentration.  So 
bleibt  in  den  ersten  24  Stunden  ein  erheblicher  Teil  des  Salzes 
im  Körper.  Am  2.  Tage  wird  nicht  nur  die  annähernd  20  g  be- 
tragende Na('l-Zufuhr,  sondern  auch  noch  fast  1  g  mehr  aus* 
geschieden  und  24  Stunden  nach  Beendigung  des  Ver- 
suches ist  alles  Kochsalz  entfernt  Das  Körpergewicht 
steigt  während  des  Versuches  und  sinkt  nach  Eintritt  des  Chlor- 
gleichgewichts (17. — 18.)  wieder. 

Es  besteht  also  anfangs  verlangsamte,  dann  vollkommen 
normale  rhlorauscheidung  bei  gleichsinnigem  Wasser- 
haushalt, trotzdem  zeigen  prozentuale  Kochsalzausschei- 
dung und  Harnmengen  doch  nicht  gleichartiges  Verhalten. 

11.  Fall.  31  jähriger  Robert  Seh.  Diplegia  spastic.  (GebortB- 
trauma?  EncephaJitis).  Vor  10  Jahren  Bleikolik.  Vor  1  Jalm 
Retin.  album.  Vor  3  Wochen  starke  Schwellung  der  Beine,  die  adi 
bald  besserte.     Kopfschmerz. 


Beiträge  znr  Kenntnis  des  KochsalzstoiTwechsels. 


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508  XXVI.  BiTTOBF  n.  Jochmanm 

Status  11.  Jani.  Diplegia  spastic .  Herz:  hypertrophisch  (?) .  Hoch- 
gradige Blutdrucksteigerung  (165  GSrtner).  Periphere  Arterio- 
sklerose. Keine  Ödeme.  Keine  Retinitis.  Harn:  2®/^^  Eiwtaß: 
Blutkörperchen,  spärliche  hyaline  Zylinder. 


Während    17tägiger   Beobachtung    sinkt   £i weißmenge    auf  0,4 


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Sonst  unverändert.     Obstipation  (s.  Tab.  XI  S.  507). 

Besprechung  des  Falles.  Auf  kochsalzarme  Eost  erfolgt 
zunächst  reichliche  Mehrausscheidung  von  NaCl,  die  sich  am  3.  Tage 
dem  Gleichgewicht  nähert. 

Nach  15  g  Zulage  1.  erhebliches  Absinken  der 
Wasserausfuhr  für  48  Stunden,  2.  beträchtliches  Steigen 
prozentualer  und  gesamter  Salzmenge  am  selben  und 
folgenden  Tage.  Die  am  Versuchstage  noch  zurflckbehaltenen  Chlor- 
reste werden  am  folgenden  Tage  ausgeschieden.  An  den  nächsten 
Tagen  besteht  noch  vermehrte  Cfalorausschwemmung.  Erst  nach 
48  Stunden  tritt  geringe  Harnvermehrung  ein. 

Es  zeigt  dieser  Fall  also  vollkommen  gegensätzliches 
Verhalten  von  NaCl-  und  Wasserabgabe. 

12.  Fall.  Beim  19 jährigen  Arthur  B.  wurde  vor  einem  Jahre 
zufallig  Nierenentzündung  festgestellt.  £r  begab  sich  damals  in  ein 
Krankenhaas,  von  wo  er  nach  mehreren  Monaten  gebessert  entlassen 
wurde.  Nie  Ödeme.  Potator.  Wegen  Schmerzen  in  der  Nieren- 
gegend  kommt  er  am  30.  Juni  in  die  Klinik. 

Aufnahmebefund:  Kräftiger  Mann,  frei  von  Ödemen.  Leichte 
doppelseitige  Spitzenaffektion.  Herz:  nach  links  vergrößert. 
Musikalisches  systolisches  Geräusch.  2.  Aortenton  klingend,  akzentuiert. 
Arterienwand  verdickt.  Blutdruck:  vermehrt  (160  R.-B.). 
Harn:  eiweißhaltig,  verhältnismäßig  reichlich  hyaline  und  grann- 
lierte  Zylinder.     Menge,  je  nach  Flüssigkeitszufuhr,  1 — 3  1. 

Verlauf:  ohne  wesentliche  Veränderung,  frei  von  subjektiven  Be- 
schwerden am  23.  Juli  entlassen   (s.  Tab.  XII  S.  509). 

Besprechung:  In  der  Vorperiode  überschüssige  Kochsalz- 
abgabe bei  schwankender  Wassermenge  und  proz.  Konzentration. 

Nach  10  g  NaCl-Zulage:  der  vermehrten  Wasseraufnahme 
entsprechende  Harnvermehrung,  Steigerung  der  ges.  und  proz.  Salz- 
ausscheidung. So  wird  an  diesem  Tage  schon  die  gesamte 
Zufuhr  (bes.  da  Durchfall  eintritt)  ausgeschieden.  Am  nächsten 
Tage  anhaltende  Harnvermehrung  und  überschüssige  Chlorelimi- 
nation. 

Chlorgleichgewicht  wird  in  diesem  Falle  während  der  Versuchs- 
dauer überhaupt  nicht  wieder  en-eicht. 

Der  13.  Fall  betrifft  einen  47jährigen  Arteriosklerotiker,  Franz  B. 
Er  war  schon  einmal  in  diesem  Jahre  wegen  Nierenentzündung  im  Kranken- 


Beiträge  anr  Kenntnk  des  KochaabsitoffwechgeU. 


509 


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Deatsches  Archiv  fUr  klin.  Medizin.    89.  Bd. 


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51Ö  XXVI.  BiTTORP  u.  Jochmann 

haus  behaudelt.  Keine  Ödeme.  Kommt  wegen  Kopfschmerzen  in 
die  Klinik.     Trinker. 

Aufnahmebefund  19.  Mai.  Arteriosklerotiker.  Leichte  Spitzen- 
affektion.  Keine  Ödeme.  Herz:  hypertrophisch  und  dilatiert.  Puls 
mäßig  gespannt.  Urin:  0,4  ^/^^  Eiweiß.  Spärliche  hyaline  und  granu- 
lierte Zylinder,  einzelne  Zellen.     Keine  Ödeme. 

28.  Mai.  Herz  kleiner.  Urin:  Spuren  Eiweiß,  spärliche 
hyaline  Zylinder. 

30.  Mai.     Blutdruck:   135  (Gärtner!). 

ßis  zur  Entlassung,  9.  Juni,  steigt  der  Blutdruck.  Urin:  dauernd 
Spuren  Eiweiß  (s.  Tab.  XIII). 

Besprechung:  Schnell  eintretendes  Chlorgleichgewicht  in 
der  Vorperiode.  Im  Versuche  werden  in  2  X  24  Stunden  30  g  NaCI 
zugelegt.  Darauf  erfolgt  erhebliche  Wasser-  und  Chlorretention  am 
1.  Tage,  am  2.  Tage  normale  Hammengen,  jedoch  ohne  annähernd 
ausreichende  Chlorausscheidung.  Es  bleiben  etwa  18  g  NaCl  in 
2  Tagen  retiniert,  dagegen  nur  einige  100  ccm  Wasser. 

Am  3.  Tage  steigt  die  vom  1.  Tage  an  erhöhte  prozen- 
tuale Salzausgabe  noch  w^eiter,  so  daß  bei  normalen  Urin- 
mengen  etwa  die  Hälfte  des  zurückgehaltenen  Kochsalzes  im  Harn 
erscheint.  Der  ßest  bleibt  im  Körper,  denn  am  29.  tritt  Chlor- 
gleiChgewicht  ein.  Dies  wird  ebensowenig  wie  die  Harnmenge 
durch  Digitalis  beeinflußt.  Es  liegt  hier  also  anscheinend 
eine  stärkere  Schädigung  der  Wasser-  und  etwas  ge- 
ringere der  Chlorausfuhr  vor. 

Schließlich  sei  kurz  ein  Fall  von  arteriosklerotischer 
Nephritis  mit  urämischen  Erscheinungen  und  Herz- 
schwäche erwähnt,  der  nur  wenige  Tage  untersucht  werden 
konnte. 

Fall  14.  Hermann  B.,  55  Jahre.  Wiederholt  krank.  Seit  1  Jabre 
kurzatmig  bei  Anstrengung;  Druck  in  der  Herzgegend.  In  letzter  Zeit 
Zunahme  der  Beschwerden,  abends  Füße  geschwollen,  Kopfschmerz. 

Status  22.  Mai :  Cyanose,  Dyspnoe.  Adipositas.  Unterschenkel- 
ödem.  Stduungdbronchitis.  Hypertrophie  und  Dilatation  des 
Herzens.  Zentrale  und  periphere  starke  Arteriosklerose.  Blut- 
druck: 220  R.-R.  Puls  regelmäßig,  beschleunigt.  Urin  0,5 %<>  Ei- 
weiß, spärliche  hyaline  Zylinder. 

Bis  25.  Mai  etwas  Besserung.  25. — 29.  Versuch.  28.  u.  29.  Ver- 
schlechterung, Blutdruck   190 — 195  (Gärtner!),  Erbrechen. 

Am  31.  Mai  starke  Depression.    Auf  Wunsch  entlassen  (s.  Tab.  XIV). 

Besprechung  des  Falles:  Wir  begegnen  hier  demselben 
Verhalten  wie  früher  bei  Herzkranken,  mit  Besserung  der 
Zirkulation  tritt  Steigen  der  Diurese  und  der  Chlor- 
ausscheidung ein. 


Beiträge  znr  Kenntnis  des  Kochsalzstoffwechsels. 


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Die  geringe  Chlor- 
retention  am  letzten 
T  a  g  e  ist  nicht  im  Sinne 
Bohne's  für  das  Ein- 
treten von  Urämie  ver- 
antwortlich zu  machen, 
sondern  sie  ist  abhängig 
von  der  Verschlechterung 
der  Zirkulation  (Sinken 
der  Hammenge,  der  proz. 
und  ges.  NaCl- Ausschei- 
dung, Steigen  des  spez. 
Gewichts). 

Trotz  der  in  jedem 
Falle  (bes.  bei  Nieren- 
kranken) vorhandenen 
Eigenheiten  dürften  wohl 
eine  ßeihe  allge- 
meiner Schlüsse 
aus  unseren  Beobach- 
tungen   berechtigt   sein. 

1.  Auf  der  Höhe  der 
Pneumonie  kann  durch 
vermehrte  Chlorzufuhr 
keine  Steigerung  der 
Ausfuhr  erzielt  werden. 
Die  Ursache  der  NaCl- 
Retention  liegt  nicht  in 
primärer  Wasserreten- 
tion,  sondern  in  den 
Eigenschaften  der  Ge- 
webe und  des  pneumoni- 
schen Exsudats,  wie  das 
Verhältnis  der  Wasser- 
zur  Chlorausscheidung  in 
unserem  Falle  lehit. 

2.  Bei  exsudativen 
Entzündungen  (Pleu- 
ritis) kann  im  akuten 
Stadium  die  Chloraus- 
scheidung   normal   sein. 

33* 


512  XXVI.    BiTTOäF  B.  JOGHHAim 

.  Selbst  vermehrte  NaCl-Zufuhr  braucht  nicht  zur  Retention  zu  fähren. 
Sie  kann  vielmehr  diuretisch  wirken.  Probepunktion  kann  die 
Resorption  des  Kochsalzes  aus  dem  Exsudat  anregen,  während 
Dinretin  nur  auf  die  Wasserausscheidung  wirkt 

3.  Bei  Herzkranken  ist  die  Wasser-  und  Chlorausfuhr  allem 
abhängig  von  der  Zirkulation.  Die  Ausfuhr  beider  Stoffe  kann 
aber  unabhängig  voneinander  stattfinden.  NaCl> Zulage  brancht 
auch  bei  gleichzeitigen  Ödemen  nicht  zur  Wasserretention  zu  fuhren: 
vielmehr  kann  Eochsalzzufuhr  chlor-  und  wassertreibend  wirken. 

4.  Der  Chlorgehalt  von  nicht  nephritischen  Exsudaten, 
Transsudaten  und  Ödemen  ist  häufig  erheblich  höher  als 
von  Ödemen  Nierenkranker. 

5.  Die  Stauungsniere  vermag  hohe  prozentuale  und  gesamte 
Chlorausscheidung  zu  bewältigen. 

6.  Nierenkranke  mit  Herzinsufficienz  verhalten  sich 
wie  dekompensierte  Herzkranke. 

7.  Bei  den  übrigen  Nierenkranken  sind  die  Verhältnisse 
wechselnd.  Meist  konnten  wir  gute  Chlorausscheidung  feststellen. 
Die  Chlorausfuhr  erwies  sich  in  den  meisten  Fällen,  oft  in  weit- 
gehendster Weise,  unabhängig  von  der  Wasserausscheidung. 

Bei  akuter  Nephritis  mit  Ödemen  konnten  wir  durch 
Chlorzulage  vermehrte  Kochsalz-  und  Wasserausfuhr  herbeifuhren. 
Kurz  darauf  sahen  wir  b e i  demselben  Kranken  ohne  Ödeme 
verlangsamte  NaCl-  bei  guter  Wasserausscheidung. 

Bei  chronischer  parenchymatöser  Nephritis  sahen 
wir  bald  sehr  gute,  bald  gute,  nur  selten  verlangsamte  Kochsalz- 
ausscheidüng  bei  normaler  Wasserelimination.  Auch  hier  konnten 
wir  einmal  chlortreibende  Wirkung  der  Kochsalzzulage  feststellen. 

Bei  chronisch-interstitieller  Nephritis  sahen  wir 
ebenfalls  meist  gute  Kochsalzausscheidung. 

In  einzelnen  Fällen  bestand  allein  verschlechterte  Wa^er- 
ausfnhr  bei  guter  Kochsalzdiurese  oder  Störung  der  Wasser-  und 
Kochsalzausfuhr. 

9.  Aus  dem  Chlorausscheidungsvermögen  der  Xiere 
läßt  sich  kein  Schluß  auf  die  Schwere  und  Art  der 
Nierenkrankheit  ziehen. 

10.  Die  primäre  Kochsalzretention  als  Ursache  der 
Ödeme  scheint  uns  nicht  erwiesen,  vielmehr  sprechen 
viele  unserer  Befunde  gegen  diese  Anschauung.  Wahr- 
scheinlich bilden  Gefäßveränderungen  meist  die  Grundlage  für  die 
Entwicklung  der  Ödeme.    Eine  wichtige  Rolle  spielen  Gefäßverän- 


I 


Beiträge  znr  Kenntnis  des  Kochsalzstoflfwechsels.  513 

derungen  sicher  bei  gewissen  chronischeD,  hochgradigen,  durch 
therapeutische  Maßnahmen  schwer  zu  beeinflussenden  Ödemen  Herz- 
und  Nierenkranker. 

11.  Schädigungen  als  Folge  der  Eochsalzzula^e 
haben  wir  nicht  gesehen. 

12.  Die  moderne  Forderung  der  salzarmen  Nahrung, 
i^oweit  sie  nur  auf  das  angeblich  gesetzmäßig  (oder  häuiig)  ver- 
mindeile  Salzansscheiduogsverroögen  der  Niere  Rücksicht  nimmt, 
ist  nach  unseren  Untersuchuagen  meist  durchaus  unberechtigt,  viel- 
leicht sogar  mitunter  unrichtig.  Versteht  man  aber  unter  salz- 
armer Kost  eine  möglichst  schonende  Nahrung  (reichlich  Fett  und 
Kohlehydrate,  wenig  Eiweiß  und  reizende  Substanzen  mit  dadurch 
verminderter  Wasserzufuhr),  so  können  wir  darin  nur  einen  neuen 
2)amen  für  eine  alte  Sache  sehen. 


XXVII. 

Ans  der  medizinischen  Klinik  zn  Breslau 
(Dir.  Geh.  Med.-Rat  Prof.  Dr.  v.  Strümpell). 

Tabes  dorsalis,  Erkrankangen  der  Zirknlationsoi^ne 

nnd  Syphilis. 

Von 

Marine-Stabsarzt  Dr.  Max  Bogge, 

kommandiert  sar  Klinik 
und 

Privatdozent  Dr.  Eduard  Müller -Breslau. 

Obwohl  das  Zusammentreffen  von  Tabes  dorsalis  mit  Er- 
krankungen der  Zirkulationsorgane,  insbesondere  mit  Aorten- 
aneurysma und  Aorteninsufficienz,  viel  erörtert  und  hinreichend 
bekannt  ist,  scheint  es  doch,  daß  Häufigkeit  und  klini- 
sche Bedeutung  dieser  Kombination  noch  erheblich  unter- 
schätzt werden.  Zunächst  ist  es  eine  bemerkenswerte,  aber 
wenig  beachtete  Tatsache,  daß  meist  eine  der  beiden  Er- 
krankungen das  Symptomenbild  völlig  beherrscht 
So  kommt  es  wohl,  daß  die  Tabes  oder  die  Herz-  bzw.  Gefaß- 
erkrankung, je  nachdem  der  Patient  den  Internen  oder  den  Neoro- 
logen  aufsucht,  leicht  der  Beobachtung  entgeht.  Findet  man  z.  B. 
als  genügende  Grundlage  der  subjektiven  Beschwerden  sinnfällige 
Zeichen  einer  Aorteninsufficienz,  so  bedarf  es  besonderer  Aufimerk- 
samkeit,  um  eine  gleichzeitige  beginnende  bzw.  rudimentäre  Tabes 
nicht  zu  übersehen,  die  sich  vielleicht  nur  objektiv  durch  die 
Lichtstarre  der  entrundeten  und  differenten  Pupillen  und  durch 
Aufhebung  der  Achillessehnenreflexe  verrät.  Wenn  andererseits 
im  Rahmen  eines  ausgesprochenen  Krankheitsbildes  von  Tabes 
dorsalis  die  subjektiven  Symptome  von  selten  des  Herzens  haw. 
der  Gefäße  nur  geringfügig  sind  oder  gar,  wie  das  z.  B.  gar  nicht 
selten  selbst  bei  schwerer  Aorteninsufficienz  vorkommen  kann,  lange 
Zeit  völlig  fehlen,  so  ist  eine  genaue  perkussorische  und  auskulta- 
torische Untersuchung  der  Brustorgane  nötig,  um  das  komplizierende 


Tabes  dorsalis,  Erkrankungen  der  Zirknlationsorgane  und  Syphilis.     515 

Herz-  bzw.  Gefäßleiden  rechtzeitig  zu  erkennen.  In  Fällen  von 
Tabes  mit  Aortenaneurysma  können  sogar  die  üblichen  physikali- 
schen Untersuchungsmethoden  versagen,  so  daß  erst  die  Durch- 
leuchtung des  Brustkorbes  mit  Köntgenstrahlen  darüber  Aufschluß 
gibt.  Aus  denselben  Gründen  müssen  auch  die  Statistiken  der 
pathologisch-anatomischen  Institute  über  diese  Kombination  mit 
großen  Fehlerquellen  rechnen.  Wenn  der  klinische  Beobachter  bei 
Erkrankungen  des  Gefäßapparates  die  Diagnose  der  gleichzeitigen 
rudimentären  Tabes  nicht  gestellt  hat,  so  unterbleibt  eben  ge- 
wöhnlich die  ErötFnung  des  Wirbelkanals;  außerdem  wird  für  den 
Nachweis  einer  beginnenden  HiDterstrangerkrankung  das  bloße 
Auge  oft  kaum  genügen.  Wir  zweifeln  deshalb  kaum,  daß  man 
überall,  wo  man  auf  die  Wechselbeziehungen  zwischen  Tabes 
dorsalis  und  organischen  Erkrankungen  der  Ereislauforgane  in 
jedem  einzelnen  Fall  von  Herz-  bzw.  Gefäßerkrankung  einerseits 
und  Hinterstrangdegeneration  andererseits  genauer  achtet,  eine 
überraschende  Häufigkeit  des  ZusammentreflFens  finden  wird.  Wir 
haben  z.B.  im  Wintersemester  1905/06  allein  in  der 
Mäunerpoliklinik  unter  22  neu  zugehenden  Fällen 
von  Tabes  dorsalis  8mal  —  also  in  über  ^/g  der  Gesamt- 
zahl —  deutliche  Kennzeichen  einesorganischen  Herz - 
oder  Gefäßleidens  feststellen  können.  Wir  wollen  zugeben, 
daß  dieser  Prozentsatz  im  allgemeinen  zu  hoch  ist;  vielleicht  haben 
hier  zufällige  Momente  eine  Rolle  gespielt.  An  der  Hand  unseres 
ge.samten  klinischen  Materials  müssen  wir  aber  die  Häufigkeit 
des  Zusammentreffens  tabischer  Symptome  mit  aus- 
gesprochenen organischen  Herzfehlern  bzw.  Aorten- 
erkrankungen auf  mindestens  10%  veranschlagen. 
Schon  aus  dieser  Häufigkeit  erhellt  die  klinische  Bedeutung  der 
genannten  Kombination.  Sie  spricht  sicherlich  nicht  für  einen 
zufälligen,  sondern  mehr  für  einen  tieferen,  ursäch- 
lichen Zusammenhang,  d.h.  für  die  Entstehung  auf  der  ge- 
meinsamen Grundlage  gleicher  Schädlichkeiten.  Die  klinische  Be- 
deutung dieses  Zusammentrelfens  erschöpft  sich  nun  keineswegs 
in  Wertvollen  Fingerzeigen  für  die  Pathogenese;  sie  liegt  auch 
darin,  daß  solche  Kombinationen  nicht  nur  rein  symptomatologisch, 
sondern  auch  prognostisch  und  therapeutisch  und  damit  „praktisch^ 
wichtig  sind  (s.  u.).  Wir  sind  deshalb  der  Aufforderung  unseres 
Chefs,  das  große  Material  unserer  Klinik  in  dieser  Hinsicht  zu 
sichten,  gerne  gefolgt  und  berichten  hiermit  über  eine  Reihe  aus- 
erwählter  Fälle    sowie    über    einige  Schlußfolgerungen,   die  sich 


Ö16 


XXVII.    ROGOB  n.  MüLLXB 


daraus  ergeben.  Gleich  im  voraus  möchten  wir  bemerken,  da£  ans 
langatmige  Auseinandersetzungen  über  die  beißumstrittene  und  noch 
immer  ungeU)Ste  Frage  nach  den  Beziehungen  der  Syphilis  zu 
beiden  Erkrankungen  durchaus  ferne  liegen.  Wir  beschranken 
uns  darauf,  auf  eine  Eeihe  klinischer  Gesichtspunkte  hinzu- 
weisen, die  sich  beim  Überblick  über  unser  Material  wohl  jeder- 
mann aufdrängen. 

Das  Material,  auf  das  mr  uns  stützen,  besteht  aus  24  aiig- 
erwählten  Fillen,  die  wir  zum  größten  Teil  selbst  gesehen  and 
untersucht   haben.     Die   Zahl  dieser  Beobachtungen   würde  sich 


I  '*^ 

LaQfendei  _i  !  &:  c 
Nr. 


Alter 


Initiftlerscheinnng^en 


Be- 


1 

o 


I 


00  ^ 


von  selten 


g  2 .5 1  des  Zirku- 
Nä-g^;!^      lations- 
„•ä«!2     ^1    Apparates 


von  Seiten  des 
Nervensystems 


ara  Zirknlationsappant 


1.  C.  B. 


m.    39  J. 


37  J. 


Lanzinierende       \      Herz  nach  links  nnd  obei 
Schmerzen,  Blasen-  verbreitert;  hebender  Spitzes-  < 
störang^en.  stoß:  Pnlsns  celer  et  «Utos. 

Lautes   diastoL  AorteB^^ 
jr&usch. 

Diag.:  Aortenio^nffi 
cieuz. 


2.  J.  Seh.  im. 


35  J.    24  J. 


I 


I 


^Maffenkrftmpfe",  Herz  mach  <^n  o.  Ma 
später  lanzinierende' verbreitert:  stark  bebender 
Schmerzen,  zuletzt  Spitzenstoß :  Polsns  celer  d 
ErschweniDg  der  altna. 
Stuhl-  und  Ham-|  Dfimpfnng  über  ob.  ^ta^ 
entleerung.  >nnm:  diMelbst  zwei  laateG^ 

r&usche. 

Diag.:  Aorteninsnffi* 

cienzu.  Stenose;  Aorten- 

auenryama  (auch  röaitgeB»- 

logisch). 


3.  A.  Sk. 


m.U2  J. 


27  J. 


Seit  kurzem 
Herzklopfen. 


Seit    15   Jahren 
„Kopfkrftmpfe'*  und 
„Nervositit** ;      seit 
kurzem    „Magen- 
krämpfe''. 


4.  G.  H. 


m. 


34  J. 


33  J. 


Seit  Vs  ^^^^     Seit IJahr Magen- 
Herzklopfen,  kriisen :  seit  Vi  J^r 
Blasenoeschwerden. 


Cor  magnnm;  benehkULf 
regeim.  Aktion ;  nureiiiK'* 
Aort.-Ton ;  lebhaftes  Pi 
der  recht.  Subdavia 
Dämpfung :  Arterienri] 
Pulsus  cder  et  altns. 

Diag.:    Aortenaneu- 
rysma (auch  riintgeauJogi^« 

Veitreit.    Hendaai 
leises  diaatol.  Aorteni 
B5ntgendnrchleucbtanx^ 
verbreiterten  AortenmAl 

Diag.:  Aorteuskleroi 
u.  Aorteninsufficieit 


i 


Tabes  dorsalis,  Erkrankungen  der  Zirknlationsorgane  und  Syphilis.     517 

wesentlich  erhöhen,  wenn  wir  einmal  bei  älteren  Tabeskranken 
die  gleichzeitige  Arteriosklerose  und  dann  auch  leichtere  Verände- 
rungen am  Gef&ßapparat  (wie  unreine  oder  klappende  Töne)  sowie 
gewisse  vielleicht  funktionelle  Störungen,  wie  reine,  aber  dauernde 
Pulsbeschleunigungen  berücksichtigt  hätten. 

Um  eine  gute  Übersicht  zu  ermöglichen,  geben  wir  zunächst 
unser  Material  in  Form  der  nachstehenden  Tabelle  wieder;  auf 
einzelne  Fälle,  die  eine  besondere  Berücksichtigung  verdienen, 
kommen  wir  späterhin  ausführlicher  zurück. 


nd 


am  Nervensystem 


Lues 


Sonstige 
Schädlich- 
keiten 


Besonder- 
heiten 


Lichtstarre,  differente  Pu- 
len; fehlende  Sehnenreflexe 
den   Beinen :   Hypotonie ; 
mberg  +:    Rumpf anästhe- 


n. 


Verzogene  lichtstarre  Pu- 
len. Fehlende  Patellar- 
i  AchUlessehnenreflexe. 


Rektnmstenose. 


Rechte  Pupille  lichtstarr, 
ke  fast  lichtstarr .  1.  )  r.  £r- 
shene  Patellarrefl.  Leichte 
^senstömnfifen.  Tabischer 
ttfnß  beiders. 


Rechte  Pupille  >  linke: 
ie  lichtstarr,  die  linke  ent^ 
idet.  Gesteigerte  Patellar- 
.  Hypotonie!  Romberg -[-; 
Q  Babinski,  keine  paralyt. 
aptome. 


Mit   24  Jahren 

Geschwür    am 

Penis.     Keine 

Hg-Knr.    Frau 

1  Abort. 


Als  Kind 
Typhus  (?). 
Kein  Ge- 
lenkrheuma- 
tismus. 


Mit  20  Jahr.  Vor- 

hanti^eschwür 

(kein  Ausschlag?) 

3 — 4  Jahre  später 

eine    Hg-Knr. 

Frau  steril. 


Kein  Ge- 
lenkrheuma- 
tismus. 


Mit  22  Jahren 

Lues;  1  Hg-Kur. 

Frau  2  Aborte. 


Kein  Ge- 
lenkrheuma- 
tismus. 


Mit  20  Jahren 
Ulcus  am  Penis; 
keine  spez.  Kur. 


N  i  e  Gelenk- 
rheumatis- 
mus. 


Bis  zuletzt 
guter  Berg- 
steiger. 


518 


XXVII.  RoaoB  n.  Müller 


Geschlecht 

z   Zt.  der 
klinischen 
Beobacht.     ^ 

bei  Krank-     » 
heits-        '^ 
beginn    ; 

Initialer  schein  nn  gen 

Be- 

Laufende 
Nr. 

von  Seiten 

des  Zirku-        ▼<>»  ««i^en  des 

lations-          Nervensystems 
apparates    ' 

am  Zirkulationsappanit 

5.  0.  W. 

m. 

36  J.    35  J. 

1 

Seit   'U  Jatr 
Herzklopfen. 

Seit  Vt  Jahr  Blasen-       Beschleunigte  fierzaküo&> 
störangen.                 unreiner  I.  Ton  an  der  Spitze: 

auffallend   rigide  Radiiltrte- 
rien! 

'      Diag.:  Arteriosklerose 
mit    Beteiligung   de» 
Herzens. 

6.  H.  Seh.  m. 


41  J. 


41  J.  Seit  «Wochen 
Atembe- 
schwerden. 


Großes  Herz!  ZweiAortei- 


Igeräusche  (diastol.  >  sjstoL-. 
Diag.:  Aorteninsnffi- 
cienz  —  Stenose. 


7.  W.  M. 


m. 


27  J. 


ö.  £.  Li. 


w.    43  J. 


27  J.  { Seit  kurzem 
Stechen  in 
.  Brust  und 

Rücken, 

I  Husten  und 

Auswurf. 

33  J.  !  SeitIO  J. 
Herzbe- 
schwerden. 


i  Seit  1  Jahr  „zie- 
ihende*'  Beinschmer- 
|zen.  Gürtelgefühl. 
jBlasenst^rungen. 
{Starke  Vergeßlich- 
keit, leichte  Gemüts- 
erregbarkeit. 


II.  Aortentom  akzeatmen: 
unregelmäßige  Henaktkn; 
PulsQS  celer. 

ROntgendurchlencht :  o.  IL 
Diag.  Myokarditis. 

l 

I  Herz  nach  links  verbreiL;! 
hebender  Spitzenstoß;  akiCBL] 
IL  Aort.-Ton.  Voller  ^\ 
spannter  Puls  (ohne  AlbniLj 
im  Urin). 
Diag.:  Aortenskleros< 


1 


9.  G.  Seh. 


m.   49  J. 


46  J. 


Großes  Herz    (aoch 
genologisch)  und  Aortn^ 
tation.    Leise  Töne,  m 
mäßige  Aktion;  kleiner 
seit   2  Jahren   Im-:systol.  Spitzengeränscb.  ^ 
potenz.  I      Diag.:    Myokarditl 

cyl.    Erweiterung   *< 
iBrustaorta. 


j    Seit    3    Jahren 
I  Brust-  und  Bücken- 
'  schmerzen,    wieder 
holt    Doppeltsehen ; 


10.  Fr.  B. 


m. '  35  J. 


36  J. 


Vor  1  Monat  im       Großes  Herz.  Laatcs 
Anschluß  an  schwere  stol.  und  leises  systol.  A« 
körperl.  Arbeit  all-  geräusch.    I^dlsns  oder, 
mählich  zunehmende       Diag.:  Aorteninsul 
Schwäche  der  links- cienz  und  Stenose, 
seiti^en  Extrem,  mitj 
A  meisenkriebeln    u  i 
Sprachstörung     bei 
freiem  Sensorium. 


Tabes  dorsaiis,  Erkrankungen  der  Zirknlationsorgane  und  Syphilis.     519 


fnnd 

1 

i       iSnilRtiarA 

am  Nervensystem 

an  den  ttbrigen 
Organen 

Lues          1  Schädlich- 
keiten 

Besonder- 
heiten 

1 

Lichtstarre  Papillen.    Er- 
loschene Patellar-  nnd  Achill.- 
Befiexe.   Romberg  +. 

( 
1 

Mit  23  Jahren 

Geschwür   am 

Penis. 

Potus  und 
Rauchen 
negiert. 

Rechte    Papille    >    linke; 
Patellarrefl.  erloschen;  Hypo- 
tonie.                                      1 

Mit  25  Jahr.  Lnes.  Vor  8  Jahren 
Frau  2  Aborte.      Gelenk- 

rhenma- 
tismns. 

Rechte  Pupille  >  liuke; 
rechte  reagiert  träger  auf 
Licht  als  linke.  Stark  ge- 
steigerte Patellar-  und  Achill.- 
Refiexe,  dabei  Hypotonie !  Leb- 
hafte Bauch  deckenreflexe. 


Alte  Unterschenkel'  Mit  22  Jahr.  Lues. , 
geschw  ursnarben 
links. 


Rechte    Pupille   >   linke;     Narbe  im   linken  2 mal  verheirat. 
beide    völlig    lichtstarr    und  Gaumenbogen. 
hst  konverirenzstarr.   Blasen- 


störuDgen.  Trotz  starker  Bein- 
hypotouie  sehr  lebhafte  Patell.- 
tmd  Achill. -Reflexe.  Kälte- 
byperästhesie  an  Unterschen- 
keln und  Füßen. 

Gürtelgeftthl  usw. 

Psychische  Veränderungen. 


In  der  1.  Ehe 
1  Frühgeburt, 
2  Aborte.  In  der 
2.  Ehe  2  Aborte. 
Kein  normaler 
Partus.    Haut- 
ausschlag wäh- 
rend 1.  Ehe. 


Mit  18  Jahr. 

Typhus. 
Vor  6  Jahren 
einige  Zeit 

starker 

PotlLS. 


1.  Mann  tu- 
berkulös, 
starb     an 
Meningitis. 
2.  Mann 
leidet   an 
Rheumatis- 
mus.Nervöse 
Belastung 
(auch 
Geistes- 
krankheit). 


Neurasthen.  Allgemeinzu- 
tand.  L.  auf  Licht  träge  reag. 
i^pille  >  als  rechte.  Schwache 
'atellar-  und  Achill. -Reflexe. 
Ma.senst5rungen.  Fleckweise 
Cnmpfhyp.-  bzw.  -anästhesien. 
mrtelgefühl. 


Leukoplakie    im 
Nacken.     Bohnen- 
große  harte  indolente 
Drüsen   in  Leisten- 
beugen.     Kleinere 
Drüsen  in  d.  Ellen- 
beugen und  Achsel- 
höhlen.   Thrombose 
der  Ven.  crural.  sin. 
Beiderseits  infiltrie- 
rend. Prozeß  in  den 
Lungenspitzen;  stär- 
kerer Hilusschatten 
rechts. 


Mit  37  Jahren 

Lues ;    damals 

1.  Schmierkur; 

2.  mit  48  Jahren, 


Mit  19  Jahr. 

Ulcus  moUe, 

mit  24  Jahr. 

Gonorrhöe. 

Früher 

starker 

Raucher  u. 

Potator. 


Hefl..  Pnpillenstarre ;  L>r. 
amretentioo.  L.  spastische 
arese  inkl.  Facialis  (Throm- 


520 


XXVII.  BoooE  a.  MüUiBR 


Alter 


Laufende 

Nr. 


C    N  Co  ^^  » 


•  IM    a\    •>.« 


Initialerscheinnngeii 


Be 


von  Seiten 

des  Zirkn- 

lations- 

apparates 


von  selten  des 
NerTensystems 


am  Zirkidatioosapparat 


11.  J.  H.  Im.    37  J. 


I 
34  J.  ,  Seit  1  Jahr  '    Seit  3  Jahr.  ^Bein- 
Gefühl,   „daß  schmerzen",  Gürtel- 


das  Herz 
stärker  ar- 
beitet". 


eefühl,     Kopfweh, 
BlasenstÖrnngen, 
Unsicherheit    beim 
Gehen. 


Großes  Hurz:  stark  be- 
bender 8pitzenstoU.  Lames 
systol.  n.  leises  diastol.  Aorten- 
geräusch  (auch  über  ob.  Ster- 
nnm).  Polsns  celer;  rigide 
Arterien. 

Diag.:  Aortensklerost 
[mit  AorteninHufficieDE 
n.  Arteriosklerose. 


12.  G.  M.  '  ra.    48  J.    38  J. 


Seit  2  Jahren!  Seit  10  Jahren  Großes  Herz,  namentl.  Back 
Herzklopfen,  rhenroat.  Glieder-  Hnks;  stark  heb.  Spitzeistoli. 
Kurzatmig-  schmerzen,  seit  Vs  Über  ob.  Stemum  zwei  Ge- 
keit,  zeit-    Jahr  Gürtelgeftthl.    rausche.       RGntj^n:     breiter 

Aortenscbatten. 

Dias^.:  Aortensklerose 
mit  Dilatation  d.  Aorta. 
Aorteninsnfficienz  und 
Stenose. 


weise  An- 
schwellung 
der  Beine. 


13.  H.  B.  I  w.    46  J. 


45  J. 


Seit  1  Jahr 

Herzklopfen, 

Atemnot, 

Beinödeme. 


Seit  1  Jahre  Blitz- 
schmerzen, Unsicher 
heit    beim    Grehen, 
Parästhesien,    Seh- 
schwäche   links , 
Doppeltsehen. 


14,  K  F.    m.    55  J. 


15.  A.  B. 


Sehr  großes  Herz.  Übcrf 
Aorta  u.  ob.  Stemum  kvizai 
syatoi.  u.  langgezogenes  dia* 
stoliscbes  Gerftusch. 

Autopt. Diag:.:  Aortu- 
sklerose,  Aorteuinsaf- 
ficienz  u.  Stenose.  Cir- 
cumskript  Aortenanes- 
rysma.  Degeneratioadi- 
po8.  gravis  mj^ocardii. 


Vor  25  Jahr.  Blitz-  Herz  namentl.  nach  fisb 
schmerzen  in  dengroß;  stark  heb.  SpItzenMii 
Beinen;  seit  d.  ZeitjÜber  Aorta  zwei  Gefftuelie- 
r.  Pup.  >  linke  und iPulsns celer  etaltus:  freqoaCL 
r.  Ptosis.  Seit  4  J.  Rigide  Hadialarterien. 
wesentL  Verschlech-j  Diag.:  Aorteninssf- 
terung,  Schwäche^.ficienz  u.  Stenose.  Ar* 
unsicherer  Gang,  terio Sklerose. 
Parästhesien,  Gürtel- 

Sefühl,  Blasen-  und! 
[astdarmstCrungen, ' 
Doppeltsehen.  j 


m. 


42  J.    25  J. 


Seit  5  Jahren  Seit  ca.  17  Jahren 
Brennen  in  i  rheumatoide  Schmer- 
zen bei  Witterungs- 
wechsel ;  seit  2  Jahr. 
Rückenschmerzen, 
seit  kurzem  Geh- 
störungen  und  Ham- 
beschwerden. 


der  Brust 
und  Kurz- 
atmigkeit. 


Großes  Herz.   Laote 
stol.  Aorteogerausch,  di 
I.  Ton.    Pnlsus  celer. 

Diag.:    Aorteninssfj 
ficienz. 


Tabes  dorsalis,  Erkranktmgen  der  Zirkulationsorgane  und  Syphilis.     521 


fnnd 


am  Nervennystem 


an  den  übrigen 
Organen 


Lnes 


Sonstige 

Sehädlich- 

keiten 


BesMider- 
heiten 


ment.     Geschwürs- 


Enge,   sehr  träge  reagier. 
Pupillen.    Erloschene  Patell.- 
uia    Achill.  -  Reflexe.      Rom- 
berg  +.      Deutliche    Bein-,  narben.  Große,  derbe 
leichte  Armataxie.    Anästhet' Leber. 
Rnmpfflecke. 


Am  linken  Unter- 


Mit  22  Jahren       Starker 


sehenkei  brann  pig-  selbstfaeilendes     Raucher; 


Geschwür  am    nie  Gelenk- 
Penis  j    rheuma- 

tismus. 


Pupillen  entrundet,  r.  <  1., 
lichtstarr.  Optikusatrophie  bei- 
ders.  Fehlende  Sehnenreflexe 
an  den  Beinen.  Leichte  Ex- 
tremitatenataxie. 


Mit  22  Jahren  N  i  e  Gelenk- 
Ulcus  am  Penis;     rheuma- 

keine  Hg-Kur.       tismus. 
Frau  1  Totgeburt, 

8  Kinder,   die 
größtentls.  einen 

Hautaasschlag 

hatten,    keine 
gestorben. 


Sehr  enge,  lichtstarre  Pu- 
pillen. Links  Optikusatrophie. 
Komberg  ->-.  Starke  Bein- 
ataxie ;  taumelnder  Gang.  Nur 
lediter  Patellarreflex  noch 
auslösbar.  Grobe  Sensibilität«- 
Störungen. 


Hydrothorax. 


I  2    Aborte    im  ; 

3.  Monat  (mit  , 

1^27  u.  29  Jahren).' 


Bechte  Pupille  >  linke; 
beide  lichtstarr ;  schlechte  Kon- 
Tergenzreaktion.  Rechts  Pto- 
sis und  Intemusparese.  Feh- 
lende Sehnenrefl.  and.  Beinen. 
Hochgradige  Ataxie ;  grobe 
Xnrpnndnngsstörungen.  Harn- 
nnd  Scnhlinkontinenz. 


Lichtstarre  Pupillen.   Feh-     Große,  etwas  der  bei  ? 

lende  Patellarreflexe.  Gürtel- Leber.  Zuletzt  leicht.   Mit  22  Jahren 


Isthi 


hl;   umschriebene  Byper- 
hesien. 


Ödeme  und  Spuren   Schanker   und 
von  Albumen.  I   1.   operierter 

Bubo. 


Mit  18  Jahr 
Tripper. 


Als  Soldat 
Tripper. 


522 


XXYII.  RoooB  n.  Müllbr 


T 


Laufende  ^ 


Alter 


Initialersch  einungen 


Nr. 


pS  *  :ä  •«     CS '   ^0^  Seiten   ' 
.  'S  I  2  2 .5 .  des  Zirkn-        von  selten  des 
.*£  .2  ^  K^  s  bt      lations-  Nervensystems 

apparates 


Be- 


Nfl 


•r*  •^  .o 

ja 


am  Zirknlationsapparat 


16.  E.Sch.l  w.  I  53  J.    40  J.  Seit  mehreren 

Jahren  Herz- 
klopfen, 
Kurzatmig- 
keit, später 
Stenokardi- 
sche Anfälle. 


Seit  13  Jahren  Par 
ästhesien,  später  Un- 
sicherheit   in    den 
Reinen ,      ,.Blasen- 
krämpfe",    Blitz- 
schmerzen. 


Diagnose:  AortenaDen- 
r  y  s  m  a ;  röntgenologisch  erbelh 
liche  sackartige  Ausbuchtveg 
des  Aortenhogens;  außerdem 
Aortensklerose.  Aortei- 
iusufficienz;  großes  Herz. 


17.  A.  H.  !  m.    58  J.    54  J. 


iVor  4  Jahren 
während   des 
Gelenkrheu- 
matismus 
Herzklopfen 
und  Bflcken- 
schmerzen ; 
'  seit  1  Jahr 
wieder  die- 
selben Be- 
schwerden 
u.  Ödeme. . 


Sehr  großes  Berz  fbes.]M£k 
rechts) ;  stark  hebend.  Spitzen- 
stoß; leises  systol.  Geraasch: 
.Puls  klein,  unregelm.  Rüntgei- 
befund:  K.  seitl.  von  Aorta 
lim  oberen  Teil  großer  scbaif- 
be^euzt.  pulsierend.  Schatte!: 
bei  schräger  Darchleachtin^ 
hier  nach  vom  circumskripte 
pechschwarze  Prominenz. 

Diag.:  Myokarditis: 
Aneurysma  d.  Art.  anv- 
n3rma;"  Aortensklerose: 
Mitralstenose? 


18.  E.  Sp.,  w. ;  37  J.    22  J. 


Vor  15  Jahr,  rheu- 
matoide Schmerzen; 
vor  5  Jahr,  schmerz- 
lose Anschwellung 
des  1.  Kniegelenks 
ohne  Bewegungs- 
behinderuu^ ;  seit] 
2  Jahren  Gedächtnis- ' 
abnähme.  Parästhe- 
sien.  Gürtelgefühl : 
Abnahme  des  Seh- 
vermögens. Doppelt- 
sehen. Magenkrisen  ?; 


Lautes  systol.  Geräa9(Ji%ber 
oberem  Sternum:  laut  kl^ 
pend.  IL  Aortenton:  LSpit«i- 
ton  unrein. 

Diag.:  Aorten  Skle- 
rose. 


19.K.Sch.'w.i48  J.    41  J. 


N  i  e  Herz-  |  Seit  7  Jahren  lan- 
beschwerden.'zinierende  Schmer- 
zen ;  später  Parästhe- 
sien,  Gürtelffefühl, 
Schwäche  und  Un- 
sicherheit in  den 
Beinen ;  seit  einigen 
Monaten  kann  Pat 
weder  gehen  noch 
stehen. 


Großes  Herz  <besoB4efi 
nach  rechts);  diastol.  Aom- 
geräusch;  uhregelmäCI.  Hea* 
aktion;  rigide  Arterien. 

Diag.:  A  r  terioskle-' 
rose  und  Aorteninstf- 
ficienz:    Mitralstenosef 


20.  B.  S. 


m.i  47  J.    30  J." 


Seit    17    Jahren  |      Herzdämpfung  nach 
Magenk risen  (?),  die ,  verbreitert :  leises  diasto' 
vor  ca.  8  Jahren  ver-l  Aortengeräusch.  Regelm 
schwanden;  seitdem  kräftiger  Puls. 
Parästhesien      und        Diag.:    Aorteninsa 
Gefühl  von  Völle  u.  ficienz. 
Schwere  im  Leib,     i 


Tabes  dorsalis,  Erkranknngeii  der  Zirknlationsorgane  nnd  Syphilis.      523 


fnnd 


am  Nervensystem 


an  den  übrigen 
Organen 


Lnes 


Sonstige 
Schädlich- 
keiten 


Besonder- 
heiten 


Linke  Papille  >  rechte ;  bei;     Varicen    an    den 
gnter  Konvergenzreaktion  die  Unterschenkeln, 
erstere  Hchtstarr,  die  letztere | 
träge  reagierend.     An-  bzw. 
liypästhet.  Zonen  am  Rumpfe;' 
lanzinierende  Schmerzen,  Bla- 
sen-Mast darmstörang ;  erhalt.  I  I 
Sehnenreflexe.    Bomberg  +.   ,  t 

Beil.  Pnpillenstarre  links;;     Leichter    allgem.i  ? 

rechts     sehr   träge    Lichtre- Hydrops;      starke   ,  Frau  1  Abort 
aktion:  Patellarreflexe fehlen;  Beinödeme;    Ge-      i 
Romberg  positiv ;  leichte  Bein-|sicht8cyanose. 
ataxie. 


jln  den  90er  Tuberkulose 
I Jahren  „Ge-      in  der 


schwur"  am 
rechten 
Unter- 
schenkel. 


I 


Vor  4  Jahren 
Gelenk- 
rheuma- 
tismus 

(28  Wochen). 


I 


Familie. 


Ungleiche  Pupillen;  Abdu-, 
ieusparese  rechts:  Liehtstarre 
rechts;  fehlende  Patellarrefl. ; 
tcsgesprochene  Bein-,  leichte 
üniataxie:  Hypotonie;  Bom-| 
lerg  positiv;  grobe  Empfin-, 
lungsstfirnngen :  Harnverhal- 
nng ;  Demenz ;  Silbenstolperu; 
Pab.  Artropathie  des  linken 
Kniegelenks. . 

Diag.  Taboparalyse. 


V 


1  Abort 


Mit  22  Jahr. 
Typhus  ab- 
dominalis 


Mutter  und 

1  Schwester 

an  Apoplexie 

verstorben. 


Rechte  Pupille  entrundet.  Anämie;  Lippen- 1 
eide  licht-,  die  rechte  auchcyanose^  harte  Drü-, 
Mivergenzstarr.  Hochgradige, sen  am  Hals  und  in 
einataxie  und  Hypotonie.! den  Achselhöhlen.  | 
oinpf-,  Hyp-  bzw.  Anästhe- 
bn.        Grobe     £rapfindungs-|  ' 

iSnuigen  an  den  Beinen ;  feh-  | 

nde    Sehnenreflexe.  ' 


Pat.    war 

„Siebeu- 

monatä- 

kind." 


Rechte  Pupille  weit    (Iri-     Drüsen  in  Achsel-  Mit  17  Jahren 

Jitomie.    Comealtrübungen :  und   Leistenbeugen.  Ulcus  penis. 

ich    Scharlach!)    Linke  Pu-' Unterschenk elnar-  (Jodkalibehand- 

[Je  eng,  lichtstarr.    Fehlende  ben.     Große,    leicht  lung). 
itellarreflexe.  Gürtelförmige  druckempfindliche 
impfanästhesie.                      Leber. 

I 


Mehrmals 
Pneumonie. 
Nie  Gelenk- 
'  rheuma- 

tismus. 

Schwere 
körperliche 

Arbeit 


524 


XXVII.  RoooE  n.  MOlleb 


•»^ 

ja 

Laufende 

M 

ja 

Nr. 

4? 

o 

Alter 


'«.S'*?' S  4,  s 

"o  «3 .  qa  "2  a 


Initial  er  sc  h  ei  niingen 


Yon  Seiten 

des  Zirka- 

lations- 

apparates 


B^ 


Yon  Seiten  des 
Nervensystems 


am  Zirknlationsapptnt 


21.  J.  L. 


Vor  2  Jahren 

Herz- 

Rchmerzen, 

Lnftmangel, 

Beinödeme. 


Parftsthesien     an       Herz  groB  (besonders  neh 
Händen  und  Füßen.!links\  hebend.  Spitsensniii 

Höhe  der  3.  Rippe  diunL 
Geränsch-  Pnlsns  oder  et  il- 
tns;  deutl.  Kapillarpok 

Diag.:  ÄorteniDiif- 
ficienz. 


I 


22.  ß.  Kr.  w.    47  J.  '  37  J. 


Vor  10  Jahren  be- 
ginnende Unsicher- 
heit beim  Gehen, 
Blitzschmerzen;  vor 
4  Jahren  8  Wochen 
lang  plötzlich  auf- 
tretende rechtsseit. 
Armlähmnng;  vor 
8  Jahren  plötzlich 
ebenfalls  mehrere 
,  Wochen  dauernde 
Lähmung  des  linken 
I Armes.  Vor  1  Jahre 
r.  Ptosis.  (Lähmungs- 
erscheinungen  auf 
Jodkali  schnell 
•zurückgehend!)  Zu- 
letzt Gürtelgeftthl, 
Blasenbeschwerden. 


Etwas  vergröfierte  Heu- 
dämpf ung;  Dämpfuo^  »k 
über  ob.  Stemom;  hekeir 
jlktus;  unreiner  I.  AorteiM. 
ILAortenton.  akzentuiertkih 
gend.  Sehr  rigide  CaroDki 
rechte  beträchtlich  erweioft 
Röntgen:  stark  Tör^prii- 
gender  Arcus  aortae;  desl 
Pulsation  des  1.  Rande». 

Diag.:  Aortenaneu- 
rysma; aneurysmat.  Er- 
weiterung der  rechi«! 
Carotis;  ArtcrioskU- 
rose. 


23.  J.  St.    w.   43  J.  I  39 


J.  iVor  4  Jahren 
Stiche  in  d. 
linken  Brust- 
seite; Kopf- 
schmerzen, 
häufiges  Auf- 
stoßen, ge- 
lej?entl.  Er- 
brechen. 
Darauf  Besse- 
rung.   Vor 
3  Jahren 
häufige  Be- 
klemmungs- 
gefühle  auf 
der  Brust, 
zuletzt  stär- 
kere Kurz- 
atmigkeit. 


Etwas  später  lanzi-  Grottes  Herz.  Uber.\rttt 
nierende  Schmerzen, langgezogenes  diastoL  n 
darauf  Gürtel-  leises  systol.  Geräusci  ^w- 
schmerzen.  nale  Dämpfung.    RöBti;«i: 

Mächtige  VerbreiteniDg  *» 
Mittelschattens,  besond.  saA 
rechts. 

,  Diag.:  AorteniasH' 
Ificienz;  zylind.  Aortfi* 
aneurysma. 


I 


Tabes  dorsalis,  Erkrankungen  der  Zirknlationsorgane  nnd  Syphilis.    525 


ind 


am  Nervensystem 


an  den  übrigen 
Organen 


Sonstige    ! 

Schädlich-  i 

I 

keiten      ' 


Besonder- 
heiten 


Lichtstarre  Papillen. 


Kleine ,      harte 
Achseldrüsen.  Starke 
Beinvaricen. 


Deutliche  Bein- ,  leichte 
xmataxie.  Eomberg  positiv, 
ichtstanre  Pupillen.  Fehlende 
ehnenreflexe  an  den  Beinen, 
ensibilitätsstörungen. 


Myoma  uteri. 


1  Abort;  keine 
Kinder. 


Rechte  Pupille  weiter  als,  Wanderniere  rechts. 
nke,  beide  lichtstarr.    Grobe  Enteroptose. 
Impfindungsstörungen ,   auch' 
eckweise  am  Eumpfe.  Achill.- 
leflexe    fehlen,    ebenso    der 
nke  Patellarreflex.  Parästhe- 
ien.    Singultus.    Neuropathi- 
eher  Allgemeinzustand. 


1  Totgeburt. 


Mit  11  Jahr. 
Typhus. 

N  i  e  Gelenk- 
rheuma- 
tismus. 

Mit  22  Jahr. 
Tripper. 

Reichlicher 

Alkohol- 

genuli. 


Mann  plötz- 
lich an  Herz- 
schlag ge- 
storben. 


Mit  15  Jahr. 
Typhus. 


Deatsches  Archiv  f.  kliii.  Medizin.    89.  Bd. 


34 


524 


XXVII.    ROGGB  n.  MüLLBR 


Lanfende 
Nt. 


4^ 

.£3 
Xi 

O 


Alter 


«  S  -^ 


M 


o8  *>  S 


Initialerscheinung^en 


von  Seiten 

des  Zirku- 

lations- 

apparates 


Be- 


von  selten  des 
Nervensystems 


am  Zirknlationsappant 


21.  J.  L. 


m. 


42  J. 


40  J. 


Vor  2  Jahren 

Herz- 

Rchmerzen, 

Lnftmangel, 

BeinMeme. 


Parftsthesien     an 
Händeji  und  FUßen. 


Herz  groß  (besonders  mcb 
links),  hebend.  Spitzenstofi;  m 
Höhe  der  3.  Rippe  duätoL 
Geräusch.  Pulsua  oeler  et  al- 
tns;  deutl.  Kapiliarpnls. 

Diag.:  Aorteninsof- 
ficienz. 


22.  ß.  Kr.  w. 


47  J. 


37  J. 


23.  J.  St.  !  w.  1  43  J. 


Vor  10  Jahren  be- 
ginnende Unsicher- 
heit beim  Gehen, 
Blitzschmerzen;  vor 
4  Jahren  8  Wochen 
lang  plötzlich  auf- 
tretende rechtBseit. 
Armlähmnng;  vor 
3  Jahren  plötzlich 
ebenfalls  mehrere 
Wochen  dauernde 
Lähmung  des  linken 
Armes.  Vor  1  Jahre 
r.  Ptosis.  (Lähmungs- 
erscheinungen auf 
Jodkali  schnell 
zurückgehend!)  Zu- 
letzt Gürtelgefühl, 
Blasenbeschwerden. 


Etwas  vergrößerte  H«- 
dämpf ung;  Dämpfung  aati 
über  ob.  Stemnm:  hebeste 
Iktus;  unreiner  I.  Aorteow, 
II.  Aorten  ton,  akzentmert.kint- 
gend.  Sehr  rigide  Caroudoi, 
rechte  beträchtlich  erweitert 
Röntgen:  stark  Torspria- 
gender  Arcus  aortae;  dcntl 
Pulsation  des  1.  Randes. 

Diag.:  Aortenaneu- 
rysma: aneurysmat  Er- 
weiterung der  rechte! 
Carotis;  Arterioikl«- 
rose. 


39  J. 


Vor  4  Jahren 
Stiche  in  d. 

linken  Brust- 
seite; Kopf- 
schmerzen. 

häufiges  Auf- 
stoßen, ge- 
lesfeutl.  Er- 
brechen. 

Darauf  Besse- 
rung.   Vor 
3  Jahren 
häufige  Be- 
klemmungs- 
gefühle  auf 
der  Brust, 

zuletzt  stär- 
kere Kurz- 
atmigkeit. 


Etwas  später  lanzi- 
nierende  Schmerzen, 
darauf      Gürtel- 
schmerzen. 


Großes  Herz.  Cb»  A«« 
langgezogenes  diastol  w 
leises  systol.  Geräusch-  S» 
nale  Dämpfung.  Rösue« 
Mächtige  Verbreiterniig  i| 
Mittelschattens,  besond.  M 
rechts.  , 

Diag.:  Aorteninsttf* 
ificienz;  zylind.  Aortei 
'aneurysma. 


Tabes  dorsalis,  Erkrankungen  der  Zirknlationsorgane  und  Syphilis.    525 


fand 


am  Nervensystem 


an  den  übrigen 
Organen 


Sonstige 
Schädlich- 
keiten 


Besonder- 
heiten 


Lichtstarre  Papillen. 


•    Kleine ,      harte 
I  Achseldrüsen.  Starke 
Beinvaricen. 


Deutliche  Bein- ,  leichte 
Armataxie.  Homberg  positiv. 
Licfatstarre  Papillen.  Fehlende 
Sehnenreilexe  an  den  Beinen. 
Sensibilitätsstörnngen. 


Mvoma  uteri. 


1  Abort;  keine 
Kinder. 


Hechte  Pupille  weiter  als,  Wanderniere  rechts. 
iBke,  beide  lichtstarr.  Grobe  Enteroptose. 
Bmpfindnngsstorungen ,  auch 
leck  weise  am  Bumpfe.  Achill.- 
Keflexe  fehlen,  ebenso  der, 
inke  Patellarreflex.  Parästhe- 
ien.  Singultus.  Nenropathi-< 
«her  Allgemeinzustand.  | 


V 


1  Totgeburt. 


Mit  11  Jahr. 
Typhus. 

N  i  e  Gelenk- 
rheuma- 
tismus. 

Mit  22  Jahr. 
Tripper. 

Reichlicher 

Alkohol- 

genuü. 


Mann  plötz- 
lich an  Herz- 
schlag ge- 
storben. 


Mit  15  Jahr. 
Typhus. 


Deatsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    89.  Bd. 


34 


526 


XXVII.  RoooE  u.  Müller 


Laufende  < 


Nr. 


Alter 


p: 


I       I     :a  ^  'Ä     »^ 


Initialerscheinungen 


Be- 


von  Seiten 

des  Zirkn- 

lations- 

apparates 


von  Seiten  des 
Nervensystems 


am  Zirknlationsappanc 


24.  J.  Fr.   m.    61  J.  1  61  J.  Etwa  5  Monate  vor,      Kein  wesentlicher  perkns- 

dem Tode  aus  schein- sorischer     Herzbefund,   aber 
bar   voller  Gesund-  autoptisch, 
heit  heraus  Schlag-       Aortenaneurysma, 
anfall     mit    rechts- 
seitiger    Lähmung, 
Doppelsehen,  rechts. 
Taubheit ,    Schling- 
beschwerd.,  Zwangs- 
weinen.    Nach  vor- 
übergehender Besse- 
rung neuer  Schlag- 
anfal] ;       außerdem 
Kopfweh,  blitzartige 
Crelenkschra  erzen, 
Blasenstörungen. 

Die  Ergebnisse  dieser  tabellarischen  Übersicht  lassen  sich 
nun  hinsichtlich  des  objektiven  Befundes  an  den  Kreislauforganen 
dahin  zusammenfassen,  daß  weitaus  die  häufigste  Er- 
krankung, die  sich  mit  Tabes  dorsalis  verband, 
ein  Aortenfehler,  und  zwar  die  Aorteninsufficienz 
bzw.  Aorteninsufficienz-Stenose,  war.  Die  Kombination 
von  Tabes  und  Aortenklappenfehlern  fand  sich  in  fast  %  der 
Gesamtzahl  aller  Fälle  (15 :  24).  Dies  entspricht  durchaus  früheren 
Literaturangaben,  die  stets  von  neuem  das  besonders  häufige  Zu- 
sammentreffen gerade  dieses  Klappenfehlers  mit  der  Hinterstrang- 
erkrankung betonen.  Becht  groß  ist  auch  die  Zahl  der  Aorten- 
aneurysmen in  unserer  Statistik;  sie  überschreitet  Vs  s^l'^^ 
Fälle  (9).  Bemerkenswert  ist,  daß  sich  die  letzteren  niemals  isoliert 
fanden,  sondern  stets  in  Verbindung  mit  anderweitigen  schweren 
Erkrankungen  des  Gefäßapparates  und  zwar  gewöhnlich  mit  der 
eben  erwähnten  Aorteninsufficienz.  Meist  lagen  keine  sackförmige, 
sondern  mehr  spindelförmige  Erweiterungen  vor  nach  Art  jener 
stärkeren  Dilatationen,  wie  man  sie  so  häufig  gerade  bei  Schluß- 
unfähigkeit der  Aortenklappen  auf  der  Grundlage  einer  sog.  Aorten- 
sklerose  findet.  In  einzelnen  Fällen  handelt  es  sich  um  aneu- 
rysmatische  Erweiterungen  der  Carotis  bzw.  Ano- 
nym a,  sowie  um  die  klinischen  Erscheinungen  einer  reinen  Myo- 
karditis und  um  erhebliche  Arteriosklerose  in  fast 
noch  jugendlichem  Alter  (27  bzw.  35  Jahre). 


Tabes  dorsalis,  Erkrankangen  der  Zirkulationsorgane  und  Syphilis.    527 


fnnd 


am  Narren  System 


an  den  übrigen 
Organen 


Lues 


Sonstige 
Schädlich- 
keiten 


Besonder- 
heiten 


Symptomenkomplex  einer 
anfänglich  rechtsseit.,  dann 
4oppelseit.  Briiekenaffektion. 
Pupillen  diflFerent,  r.  >  l,  eng; 
bei  erhaltener  Konvergenz- 
reakt.  TöUig  licht  starr.  Feh- 
lende Achillessehnen  reflexe, 
ichwache  Patellarreflexe.  Lan- 
linierende  Schmerzen  in  den 
Beinen. 


Anamnestisch 
nicht  nachweis- 
bar, autoptisch 

anscheinend 
syphilitische  Er- 
krankung  der 
Basilararterie. 


Sehr  bedeutsam  ist  der  Befund,  daß  diese  schweren  organi- 
schen Erkrankungen  der  Zirkulationsorgane  nur  in  etwas  über  der 
Hälfte  der  Fälle  (58,3%)  sich  durch  wesentliche  subjektive  Be- 
schwerden (namentlich  Herzklopfen,  Beklemmung  und  Dyspnoe) 
äußerten;  in  dem  großen  Eest  der  Fälle  T^ar  der  Herz- 
fehler geradezu  „latent".  Ein  beweiskräftiges  Beispiel  ist 
u.  a.  der  2.  Fall  unserer  Tabelle.  Hier  klagte  der  35  jährige  Mann 
nur  über  ,, Magenkrämpfe",  lanzinierende  Schmerzen  sowie  Blasen- 
xind  Mastdarmstörungen,  während  er  trotz  einer  ausgeprägten 
Aorteninsufficienzstenose  und  eines  Aortenaneurysmas  keinerlei 
Herzbeschwerden  hatte,  ja  sogar  noch  zur  Zeit  der  Untersuchung 
^in  guter  Bergsteiger  war.  In  diesem  Nachweis  der  überaus 
häufigen  „Latenz"  der  Herzbeschwerden  trotz  erheblicher  organi- 
scher Erkrankung  des  Gefäßapparates  liegt  u.  E.  eine  dringende 
Mahnung,  in  allen  Fällen  von  Tabes  dorsalis,  auch  beim 
Fehlen  entsprechender  subjektiver  Krankheits- 
-erscheinungen,  dem  Zustand  des  Herzens  vollste 
Aufmerksamkeit  zu  schenken  und  im  Zweifelsfall 
-eine  Röntgendurchleuchtung  vorzunehmen.  Das  völlige 
Zurücktreten  von  Herzerscheinungen  in  sehr  zahlreichen  Fällen 
von  Tabes  dorsalis  mit  gleichzeitiger  schwerer  Erkrankung  des 
-Gefäßapparates  erklärt  sich  wohl  großenteils  daraus,  daß  das 
Nervenleiden  mit  besonderer  Vorliebe  gerade  mit  der  Aorten- 
insufficienz  zusammentriJFt,  demjenigen  Klappenfehler  also,  der  er- 

34* 


528  XXVII.  RoQGB  n.  Müller 

fahrungsgemäß  oft  lange  Zeit  völlig  latent  bleiben,  aber  anderer- 
seits auch  plötzlich  zu  bedrohlichen  Krankheitserscheinungen,  ja 
zum  raschen  Exitus  führen  kann. 

Es  liegt  deshalb  der  Gedanke  nahe,  daß  die  gelegentlicheu 
plötzlichen  Todesfälle  im  Verlauf  der  Tabes  dorsalis 
meist  weniger  mit  dem  angeblichen  Versagen  degenerierender  bnl- 
bärer  Zentren,  als  vielmehr  mit  einer  plötzlichen  Herzinsufficienz. 
bei  komplizierender  Muskel-  oder  Klappenerkranknng  und  vielleicht 
sogar  mit  der  Ruptur  eines  Aneurysmas  in  Beziehung  stehen.  Die 
vorherrschende  Bedeutung  rein  nervöser  Ursachen  wird  in  solchen 
Fällen  jedenfalls  schwer  zu  beweisen  sein;  möglich  ist  es  aller- 
dings, daß  ein  Versagen  des  organisch  erkrankten  Herzens  bei 
komplizierender  tabischer  Erkrankung  nervöser  Zentren  um  so 
leichter  eintritt. 

Andererseits  sehen  wir  in  dem  Nachweis  der  überraschenden 
Häufigkeit  organischer  Herz-  und  Gefäßerkrankungen  bei  der  Tabes 
dorsalis  einen  genügenden  Beweis  für  die  Anschauung,  daß  man 
dann,  wenn  sich  im  Verlauf  derselben  subjektive  Krankheits- 
erscheinungen von  Seiten  der  Kreislauforgane  bemerkbar  machen, 
auch  beim  Fehlen  sinnfälliger  objektiver  Veränderungen  in 
erster  Linie  nicht  an  rein  nervöse  Ursachen,  sondern 
an  eine  gleichzeitige  „organische'*  Grundlage,  d.  h.  an 
ein  beginnendes  organisches  Herz-  und  Gefäßleiden  zu  denken  hat. 
Die  allergrößte  Vorsicht  ist  z.  B.  sicherlich  geboten  bei  der  An- 
nahme einer  sogenannten  tabischen  Herzkrise  bzw.  der  nervösen 
Angina  pectoris.  Heftige  Herzschmerzen,  namentlich  in  Form  von 
anfallsweise  und  mit  schwerem  Beklemmungsgefühl  auftretenden 
Beschwerden,  konnten  wir  übrigens  selbst  in  unseren  Fällen  mit 
Aortensklerose  und  Aorteninsufficienz  nur  selten  nachweisen;  zudem 
war  manchmal  bei  unbestimmten  Brustschmerzen  nicht  mit  voller 
Sicherheit  zu  entscheiden,  ob  dieselben  mehr  durch  die  Hen- 
erkrankung  oder  durch  das  Nervenleiden  bedingt  waren.  Es  scheint 
also,  daß  die  echte  Angina  pectoris  bei  jenen  Erkrankungen  der 
Aorta  und  deren  Klappen,  die  sich  mit  Tabes  verbinden,  keineswegs 
häufig  ist. 

Was  nun  weiter  die  möglichen  Entstehungsursachen  der 
organischen  Erkrankungen  des  Zirkulationsapparates  bei  Tabes 
dorsalis  betrifl't,  so  lehrt  ein  Blick  auf  jene  Rubrik,  die  über  den 
anamnestischen  Nachweis  von  Lues  und  der  dafür  sprechenden 
Anhaltspunkte  berichtet,  daß  eine  frühere  Syphilis  in  der  Vor- 
geschichte   unserer    Fälle    auffällig    häufig    nachweisbar  ist;    in 


Tabes  dorsaliS;  Erkrankungen  der  Zirkulationsorgane  und  Syphilis.     529 

fl  Fällen  müssen  wir  sie  mit  Sicherheit  und  in  10 
anderen  mit  großer  Wahrscheinlichkeit  annehmen. 
Wir  fanden  die  Syphilis  also  in  ungefähr  V..,  der  Gesamt- 
zahl, mithin  in  einem  Prozentsatz  (79,15%),  der  den  meisten 
guten  Statistiken  über  die  Häufigkeit  der  Syphilis  bei  Tabes 
-dorsalis  entspricht.  Daß  der  von  uns  gefundene  Prozentsatz  wolil 
noch  zu  niedrig  ist  und  sich  demgemäß  der  Gedanke  an  die  ätio- 
logische  Bedeutung  der  Lues  in  allen  Fällen  aufdrängen  kann, 
hängt  sicherlich  mit  den  bekannten  Schwierigkeiten  des  anam- 
nestischen Syphilisnachweises  zusammen.  Vielleicht  hat  es  auch  in 
unseren  Fällen  hier  und  da  an  der  nötigen  Sorgfalt  bei  der  Er- 
hebung der  Vorgeschichte  gefehlt;  außerdem  fanden  wir  aber,  und 
<las  ist  viel  wichtiger,  den  alten  Satz  bestätigt,  daß  auch  wahr- 
heitsliebende Patienten  über  eine  tatsächlich  vorhandene  Ansteckung, 
sowie  über  deren  nächste  Folgezustände  keinerlei  Aufschluß  geben 
konnten.  So  konnten  wir  auch  bei  sämtlichen  Kranken  weiblichen 
'Geschlechts  in  keinem  einzigen  Fall  den  Zeitpunkt  einer  sjphili- 
tischen  Infektion  genauer  festlegen  (Sitz  des  Primäraifekts  an  ver- 
borgenen Stellen,  wie  in  der  Tiefe  der  Vagina  usw.I).  Ein  be- 
tsonders  klares  Beispiel  für  die  Schwierigkeit  des  Syphilisnachweises 
ist  ferner  der  letzte  Fall  der  Statistik.  Hier  vermochte  der  in 
seinen  Angaben  sonst  durchaus  zuverlässige  Mann  trotz  eindring- 
lichen und  wiederholten  Befragens  gerade  nach  dieser  Richtung  hin 
über  eine  frühere  geschlechtliche  Ansteckung  nichts  auszusagen,  ob- 
wohl späterhin  das  Bindeglied  zwischen  der  Tabes  dorsalis  und  dem 
Aortenaneurysma  in  Form  einer  syphilitischen  Erkrankung  von 
Himgefäßen  autoptisch  gefunden  wurde.  Andererseits  müssen  wir 
auch  zugeben,  daß  in  vielen  Fällen  unserer  Statistik  der  Nachweis 
der  früheren  Syphilis  nicht  mit  einwandsfreier  voller  Bestimmt- 
]ieit  zu  führen  war,  sondert  sich  stützte  auf  das  Vorhandensein 
früherer  verdächtiger  Geschwüre  an  den  Genitalien,  gehäufte  Fehl- 
lind  Totgeburten,  sowie  andere  die  Diagnose  „Lues"  wahrscheinlich 
machende  Befunde  an  den  übrigen  Organen,  wie  suspekte  Unter- 
schenkelgeschwüre, Narben  im  Gaumen,  Rektumstenose,  Leukoderm- 
flecke,  multiple  ürüsenschwellungen  u.  dgl.  \\'enn  man  sich  aber 
daran  erinnert,  wie  oft  selbst  in  Fällen  von  sicherer  tertiärer  Lues 
die  Anamnese  nur  dieselben  eben  genannten  Anhaltspunkte  ergibt 
und  sogar  gelegentlich  ganz  im  Stiche  läßt,  so  wird  man  darin 
nichts  Auffälliges  finden. 

Die  vorwiegende  ursächliche  Bedeutung  der  Syphilis,  die 
nach  unserer  tabellarischen  Übersicht  als  wichtigste  gemein- 


530  XXVII.    ROGGB   U.    MCLLBR 

same,  d.  h.  sowohl  für  die  Entstehung  der  Tabes  als 
auch  des  Herz-  und  Gefäßleidens  vorwiegend  verant- 
wortliche Schädlichkeit  ohne  Zweifel  in  Betracht  kommt 
konnte  dann  in  Frage  gestellt  werden,  wenn  sich  in  der  Mehrzahl 
der  Fälle  noch  andere  und  erfahrungsgemäß  für  die  Entwicklung- 
organischer  Erkrankungen  der  Kreislauforgane  bedeutsame  Momente 
gefunden  hätten.  Das  ist  aber  nicht  der  Fall !  Der  akute  Gelenk- 
rheumatismus z.  B.,  auf  den  wir  namentlich  im  Hinblick  auf 
die  Aorteninsufficienz  besonders  achteten,  fand  sich  in  den  Vor- 
geschichten nur  2  mal  (Fall  6  und  17),  und  dabei  einmal  in  Ver- 
bindung mit  einer  eingestandenen  Syphilis  und  das  andere  Mal  bei 
einem  Manne,  in  dessen  Vorgeschichte  man  bei  dem  Abort  seiner 
Frau  wenigstens  ein  auf  Lues  verdächtiges  Moment  erblicken  könnte. 
Eine  scheinbar  größere  Häufigkeit  des  Gelenkrheumatismus  kann 
bei  der  Kombination  von  Tabes  und  Herzfehler  dadurch  vorgetäuscht 
werden,  daß  viele  Kranke  geneigt  sind,  ihre  tabischen  Schmerzen 
als  Rheumatismus  bzw.  Gelenkrheumatismus  zu  bezeichnen. 

Da  sich  andere  akute  Infektionskrankheiten  wie 
Typhus  abdominalis  in  unseren  Vorgeschichten  keineswegs  mit 
größerer  Häufigkeit  finden,  als  es  dem  Durchschnitt  bei  sonstigen 
Erkrankungen  entspricht,  kommen  als  ursächlich  bedeutsame  Schäd- 
lichkeiten für  die  Entwicklung  des  Herz-  bzw.  Gefäßleidens  nach 
unserer  Tabelle  nur  noch  langdauernde  schwere  körper- 
liche Arbeit  sowie  Alkohol-  und  Nikotinabnsus  in  Be- 
tracht. Dagegen  kann  man  aber  die  Tatsache  verwerten,  daß 
sich  bei  unserem  gesamten  klinischen  Tabesmaterial 
das  weibliche  Geschlecht  an  der  Zahl  aller  Fälle  mit 
gleichzeitigen  organischen  Erkrankungen  des  Gefaß- 
apparates mit  einer  mindestens  gleichgroßen,  wenn 
nicht  sogar  höheren  Prozentzahl  beteiligt  als  das 
männliche.  Wir  fanden  nämlich  unter  den  24  in  obiger  Tabelle 
aufgeführten  Fällen  7  weibliche  Kranke,  also  29,2 ^o,  während 
unter  180  reinen  Tabesfällen  aus  unserer  Klinik  43  d.  h.  23,9% 
Frauen  waren. 

Daß  auch  höheres  zur  Arteriosklerose  führendes  Lebens- 
alter für  die  Entwicklung  der  Aortensklerose  bzw.  Aortenklappen- 
fehler an  sich  allein  bei  der  Mehrzahl  unserer  Kranker  keine  große 
Eolle  spielen  kann,  geht  daraus  hervor,  daß  das  Durchschnittsalter 
der  Fälle  unserer  Statistik  im  Beginn  der  ersten  subjektive» 
Krankheitserscheinungen  36,4  und  bei  der  ersten  UntersachuDg 
43,5  J  a  h  r  e  betrug.    Letztere  Zahlen  stehen  im  Einklang  mit  dem 


Tabes  doi*salis,  Erkrankungen  der  Zirkniationsorgane  und  Syphilis.     531 

Befund  Bittorf's/)  der  unter  54  Fällen  von  Aortensklerose  ein 
Durchschnittsalter  von  55,6  Jahren  berechnete,  während  die  Gruppe 
seiner  Fälle,  die  mit  Sicherheit  oder  Wahrscheinlichkeit  Lues  in 
der  Anamnese  bot,  ein  um  ein  Jahrzehnt  geringeres  Durchschnitts- 
alter besaß. 

Alles  drängt  also  zu  der  Annahme,  daß  wir  in  einer  früheren 
Syphilis  nicht  nur  die  wesentlichste  Ursache  der  Tabes,  sondern 
auch  des  Herz-  und  Gefäßleidens  erblicken  müssen. 

Hier  bleibt  noch  die  Frage  zu  erörtern  nach  dem  zeit- 
lichen Zwischenraum  zwischen  syphilitischer  Infek- 
tion und  dem  ersten  Beginn  der  subjektiven  Krank- 
heitserscheinungen. Derselbe  schwankte  bei  den  zu  dieser 
Berechnung  verwertbaren  Fällen  zwischen  3  und  20  Jahren  und 
betrug  durchschnittlich  11,3  Jahre.  Bei  einem  Vergleich  zwischen 
83  reinen  Tabesfällen  und  unseren  24  mit  organischen  Herz-  bzw. 
Gefäßleiden  zeigte  es  sich  ferner,  daß  zwischen  dem  Durchschnitts- 
alter beider  Gruppen  zur  Zeit  der  ersten  klinischen  Untersuchung 
kein  wesentlicher  Unterschied  bestand.  Letzteres  mag  im  wesent- 
lichen darauf  beruhen,  daß  die  ersten  deutlichen  Krank- 
heitserscheinungen von  Seiten  der  Kreislauforgane 
sich  in  unseren  Fällen  von  zeitlich  genauer  bestimm- 
barer geschlechtlicher  Infektion  durchschnittlich 
4^2  Jahre  später  einstellten  als  die  subjektiven  tabi- 
schen  Frühsymptome.  Die  Ursache  dieses  Unterschiedes  liegt 
vielleicht  weniger  in  dem  späteren  Beginn  des  der  Erkrankung 
der  Kreislauforgane  zugrunde  liegenden  pathologisch-anatomischen 
Prozesses  als  darin,  daß  der  letztere  bei  Aortensklerose  bzw.  Aorten- 
insufficienz  bis  zur  Auslösung  subjektiver  Beschwerden  im  allge- 
meinen einen  höheren  Grad  erreichen  wird  als  bei  Sitz  im  Rücken- 
mark mit  seinen  für  umschriebene  und  genauer  bekannte  nervöse 
Funktionen  so  bedeutsamen  Stranggebieten. 

Was  die  nervösen  Vorläufererscheinungen  in  unseren  Fällen 
von  Tabes  mit  organischen  Herz-  und  Gefäßleiden  anlangt,  so  ent- 
sprechen sie  im  großen  und  ganzen  durchaus  den  bekannten  sub- 
jektiven Frühsymptomen  der  Hinterstrangerkrankung. 
Ein  näheres  Eingehen  darauf  erübrigt  sich  deshalb.  Das  Gleiche 
gilt  für  die  objektiven  tabischen  Krankheitserscheinungen.  Hier 
verdienen  nur  2  Tatsachen  einer  besonderen  Erwähnung,  einerseits 
die  vielfach  ganz  rudimentäre  Entwicklung  der  Tabes 


l)  Archiv  f.  klin.  Medizin  Bd.  81  p.  96. 


532  XXVII.    ROOGE  U.  MÜLLEB 

und  andererseits  das  eigenartigfe  Verhalten  der  Sehnen- 
reflexe in  manchen  f'rühfällen  dieses  Nervenleidens,  In 
derselben  Weise,  wie  sich  häufig  die  gleichzeitige  und  schon  er* 
hebliche  organische  Erkrankung  des  Gefäßapparates  nui*  durch 
objektive  Kennzeichen  verrät,  fehlen  andererseits  auch  nach  unseren 
Erfahrungen  in  vielen  Fällen  von  hervorstechender  postsyphiliti- 
scher Herz-  und  Aortenerkrankung  subjektive  Rückenmarks- 
symptome völlig,  so  daß  der  Nachweis  der  komplizierenden  Tabes 
dorsalis  nur  durch  gewisse  pathognomische  objektive  Kenn- 
zeichen zu  führen  ist  (Lichtstarre  der  entrundeten  und  oft  ver- 
schieden weiten  Pupillen  etc.!).  Viel  weniger  konstant  als  die 
lichtstarren  Pupillen  war  in  solchen  Fällen  die  Aufhebung  oder 
die  deutliche  Abschwächung  der  Patellar-  und  Achillessehnenreflexe. 
\\'ir  haben  sogar  in  unseren  Fällen  einige  Male,  ebenso  wie  gar 
nicht  selten  bei  anderen  Kranken,  die  wegen  irgend  welcher  Be- 
schwerden von  Seiten  der  Lungen,  Nieren  usw.  zur  Untei-suchung 
kamen  und  gewissermaßen  als  Nebenbefund  eine  ganz  beginnende 
Hinterstrangerkrankung  darboten,  nicht  eine  Aufhebung  bzw.  Ab- 
schwächung noch  ein  normales  Verhalten,  sondern  vielmehr  eine 
entschieden  krankhafte  Steigerung  der  Sehnen- 
reflexe an  den  unteren  P^xtremitäten  feststellen  können. 
Manchmal  ist  es  allerdings  schwer  zu  entscheiden,  ob  diese  fieflex- 
steigerung  mit  einer  reinen  Tabes  oder  mit  einer  progressiven 
Paralyse  bzw.  mit  einer  postsyphilitischen  kombinierten  Erkrankung 
der  Hinter-  und  Seitenstränge  in  Zusammenhang  steht.  In  den 
von  uns  als  Tabes  aufgefaßten  Fällen  aber  fehlten  trotz  genauer 
Untersuchung  paralytische  Krankheitserscheinungen  und  Seiten- 
Strangsymptome  gänzlich.  Die  Steigerung  der  Sehnenreflexe  gin? 
u.  a.  nicht  einher  mit  Paresen,  nicht  mit  dem  feinsten  Reagens  auf 
eine  Schädigung  der  Pyramidenbahn  —  dem  Babinski'schen  Zehen- 
phänomen —  und  nicht  mit  einer  Zunahme  des  Spannungszustandes 
der  Muskulatur.  Wir  fanden  im  Gegenteil  in  solchen  beweis- 
kräftigen Fällen  von  beginnender  Tabes  mit  anfänglicher  Steige- 
rung der  Sehnenreflexe  eine  ausgesprochene  Hypotonie.  Diese 
yielleicht  vielen^)  bekannte,  aber  bisher  nur  ungenügend  betonte 
Tatsache  entspricht  durchaus  der  Erfahrung  der  pathologischen 
Physiologie,  daß  beim  Untergang  eines  Organs  dem  allmählichen 
Erlöschen  der  Funktion  oft  eine  vorübergehende  Steigerung  voi-an- 


1)  Vgl.  Petzsche,  Zur  Kenutnis  der  Tabes  dorsalis  und  ihrer  symptoma- 
tologischen  Entwicklung.    luaug.-Dissertat.  Leipzig,  März  1903. 


Tabes  dorsalis.  Erkrankangen  der  Zirknlationsorgaue  und  Syphilis.     533 

geht.  Die  beiderseitige  Steigerung  des  Patellarsehnenreflexes  bei 
der  Tabes  wurde  von  Petzsche  unter  200  Fällen  in  13%  ^^^ 
Gesamtzahl  gefunden.  In  fast  allen  diesen  Beobachtungen  handelte 
es  sich,  im  Einklang  mit  unseren  Erfahrungen  um  eine  Tabes  in 
den  ersten  Anfängen.  Bei  Petzsche  findet  sich  auch  ein  gutes 
Beispiel  dafür,  daß  diese  initiale  Lebhaftigkeit  des  Patellarsehnen- 
reflexes allmählich  in  eine  Abschwächung  und  endlich  in  Verlust 
übergeht.  Vielleicht  noch  häufiger  als  an  den  unteren  Extremi- 
täten läßt  sich  nach  unseren  Beobachtungen  an  den  oberen  die 
dem  Verlust  der  Sehnenreflexe  vorangehende  Steigerung  nach- 
weisen. 

Bemerkenswert  ist  vielleicht  noch  unser  Befund,  daß  sich  in 
2  Fällen  der  Statistik  nicht  eine  reine  Tabes,  sondeni  eine  sog. 
Taboparalyse  mit  der  organischen  Erkrankung  des  Gefäßapparates 
verband.  Darüber,  ob  bei  reiner  Paralyse  diese  Komplikation  eine 
gleiche  oder  wenigstens  ähnliche  EoUe  spielt  wie  bei  der  isolierten 
Tabes,  besitzen  wir  keine  Erfahrung. 

Hinsichtlich  der  prognostischen  und  therapeutischen 
Gesichtspunkte  in  solchen  Fällen  von  Tabes  dorsalis  mit  orga- 
nischen Erkrankungen  der  Zirkulationsorgane  können  wir  uns  kurz 
fassen.  Daß  sich  die  durchschnittliche  Krankheitsdauer  des  Rücken- 
marksleidens  durch  diese  gelegentlich  sehr  ernste  Komplikation 
wesentlich  abkürzt,  ist  ohne  weiteres  klar.  Was  die  Therapie  be- 
trifft, so  ist  vielleicht  bei  organischen  Herz-  und  Gefäßleiden,  die 
sich  mit  der  oft  ganz  rudimentären  Tabes  verbinden,  im  allgemeinen 
eine  antisyphilitische  Kur  angezeigt,  besonders  dann,  wenn  die  In- 
fektion noch  nicht  sehr  lange  zurückliegt  und  wenn  zuvor  gar 
keine  oder  nur  eine  ungenügende  Behandlung  stattgefunden  hat. 
Einen  Nutzen  von  Quecksilber  und  Jodkalium  werden  wir  natür- 
lich am  ehesten  dann  erwarten  können,  wenn  wir  die  gerade  einer 
Diagnose  zugänglichen  Frühstadien  vor  uns  haben  und  zwar  nament- 
lich solche,  die  sich  durch  subjektive  Störungen  noch  gar  nicht 
verraten  und  gewissermaßen  einen  zufälligen  Nebenbefund  eines 
Vitium  cordis  oder  einer  anderen  Erkrankung  darstellen.  Zum 
Jodkali  werden  wir  uns  um  so  leichter  entschließen,  als  es  das- 
jenige Mittel  ist.  welches  vielleicht  nicht  nur  die  Tabes,  sondern 
auch  die  postsyphilitische  Aortensklerose  günstig  beeinflussen  kann. 
Dieser  Standpunkt  läßt  sich  auch  deshalb  vertreten,  weil  in  allen 
yon  uns  mitgeteilten  Fällen,  in  denen  mit  Sicherheit 
oder  hoher  Wahrscheinlichkeit  Syphilis  anzunehmen 
war,  eine  genügende  Behandlung  der  letzteren  nicht 


534  XXVII.  RoGOB  u.  Müller 

stattgefunden  bat.  Endlich  ist  die  relative  Häufigkeit  der 
Kombination  von  Tabes  mit  den  oft  latenten  organischen  Erkran- 
kungen des  Zirkulationsapparates  ein  Fingerzeig  dafür,  daß  man 
bei  der  zweifellos  vielfach  erfolgreichen  Übungstherapie,  auch  beim 
Fehlen  entsprechender  subjektiver  Störungen,  dem  Zustand  des 
Herzens  genügende  Aufmerksamkeit  schenken  muß. 

Wir  müssen  nun  noch  auf  eine  sehr  bemerkenswerte 
und  eigenartige  Verlaufsform,  die  wir  bei  der  Kombina- 
tion von  Tabes  dorsalis  und  organischen  Herz-  und  Gefäßleiden 
beobachteten,  näher  eingehen.  Gelegentlich  kann  es  nämlich  vor- 
kommen, daß  nicht  nur  die  Tabes  dorsalis  oder  die  sieh 
damit  verbindende  Erkrankung  des  Zirkulations- 
apparates, sondern  beide  Affektionen  für  das  sub- 
jektive  Empfinden  zunächst  geradezu  latent  sind  und 
erst  auf  dem  Umweg  über  alarmierende  cerebrale 
Erscheinungen  zur  klinischen  Feststellung  gelangen. 
Diese  Hirnsymptome,  die  sich  selbstverständlich  auch  erst  nach- 
träglich entwickeln  können  (vgL  Fall  22)  entstehen  gewöhnlich 
dadurch,  daß  entweder  die  gleichzeitige  und  meist  wohl  syphi- 
litische Erkrankung  der  Gehirngefäße  zu  Thrombosen  der  letz- 
teren führt,  oder  dadurch,  daß  sich  an  den  erkrankten  Aorten- 
klappen Gerinnsel  bilden  und  durch  Verschleppung  in  das  Gehirn 
embolische  Gefäßverstopfungen  und  Gewebserweichungen  bedingen. 

Wir  verfügen  über  2  einschlägige  und  sehr  instruktive  Be- 
obachtungen, von  denen  namentlich  die  letztere  auch  noch  in  anderer 
Hinsicht  eine  genauere  Besprechung  verdient. 

Im  ersten  Fall  handelt  es  sich  um  einen  35 jährigen  Eisenbahn- 
arbeiter Fr.  B.  (Fall  10),  der  9  Tage  vor  der  Aufnahme  in  die  Kliuik 
mitten  aus  scheinbarer  Gesundheit  heraus  im  Anschluß  an  schwere  kör- 
perliche Arbeit  ein  Gefühl  von  Schwere  und  Ameisenkriebeln  in  den 
linksseitigen  Extremitäten  bekam.  Diese  Beschwerden  nahmen  bei  völlig 
freiem  Sensorium  ganz  allmählich  zu,  so  daß  der  Kranke  nach  einigen 
Tagen  den  rechten  Arm  fast  gar  nicht  mehr  bewegen  konnte;  außerdem 
entwickelte  sich  langsam  auch  noch  eine  leichte  Sprachstörung.  Die 
Untersuchung  in  der  Klinik  fand  eine  Aorteninsufficienz,  eine  rudimen- 
täre Tabes  und  endlich  eine  frische  linksseitige  cerebrale  Parese  (Inkl. 
Facialis). 

Im  zweiten  Falle  erkrankte  ein  bis  dahin  angeblich  stets  gesunder 
und  syphilitisch  nicht  infizierter  61  jähriger  Mann  ganz  plötzlich  mit 
einem  „ Schlag anf all"  (rechtsseitige  Lähmung  einschließlich  des  Gesichts, 
gleichseitige  Taubheit,  geringe  Sprach-,  Schling-  und  Blaseustöruogei], 
Zwangs  weinen).  Nach  vorübergehender  Besserung  stellte  sich  ein  neuer 
Anfall    ein ,    der   zu    stärkerer    Erschwerung    des    Schling-    und    Sprach- 


Tabes  dorsalis,  Erkrankungen  der  Zirkulationsorgane  und  Syphilis.     535 

Vermögens  führte;  außerdem  traten  heftiges  Kopfweh,  starkes  Schwindel- 
gefuhl  und  Blitzschmerzen  in  den  Extremitäten  auf. 

Bei  der  ersten  Untersuchung  in  der  Klinik  fand  sich  neben  nystagraus- 
artigen  Zuckungen  und  völliger  Lichtstarre  der  ungleich  weiten  Pupillen 
eine  rechtsseitige  Facialislähmung  (inkl.  Stirnast),  gleichseitige  nervöse 
Taubheit  und  Sensibilitätsstörungen  im  Trigeminusgebiet  sowie  Zwangs- 
weinen. Ein  Überbleibsel  der  früheren  ebenfalls  rechtsseitigen  Extre- 
mität eqlähmnng  waren  nur  noch  eine  leichte  Handparese  und  die  Ab- 
schwächung  bzw.  Aufhebung  des  Bauchdecken-  und  Kremasterreflexes 
derselben  Seite.  Außerdem  waren  bei  sehr  schwachen  Patellarreflexen  und 
ausgesprochenen  Sensibilitätsstörungen  an  der  Beinen  beide  Achillessehnen- 
reflexe aufgehoben  und  bei  stärkstem  Romberg'schen  Phänomen  Gehen 
und  Stehen  auch  mit  offenen  Augen  außerordentlich  unsicher.  Deutliche 
Zeichen  einer  Herzerkrankung  oder  einer  erheblichen  Sklerose  der  fühl- 
baren Arterien  waren  nicht  nachweisbar. 

Im  weiteren  Krankheitsverlauf  waren  die  Hauptklagen  des  Kranken 
neben  hartnäckigem,  oft  mehr  rechtsseitigen  Reißen  und  Ziehen  im  Kopf 
anfallsweise  auftretende  quälende  Schmerzen  zuerst  im  rechten,  später  im 
linken  Trigeminusgebiet,  sowie  doppelseitige  lanzinierende  Beinschmerzen; 
weiterhin  kam  (neben  nervöser  Gebörsstörung  auch  auf  der  linken  Seite) 
in  der  letzten  Zeit  ein  eigenartiger  kurzdauernder  Anfall  zur  Beobachtung: 
Nach  rechtsseitigen  Parästbesieen  entwickelte  sich  plötzlich  bei  freiem 
Bewußtsein,  aber  bei  Aufhebung  des  motorischen  Sprach  Vermögens  eine 
gleichseitige  zuerst  schlaffe  dann  spastische,  bald  aber  wieder  vorüber- 
gehende Extremitätenlähmung  mit  Deviation  der  Zunge  nach  derselben 
Seite.  Nach  mehrfacher  Wiederholung  des  Anfalls  blieb  zuletzt  die  rechts- 
seitige Lähmung  mit  Beteiligung  der  Zunge  bestehen;  endlich  wurde 
neben  einer  Blickparese  nach  links  die  Sprache  explosiv,  polternd,  etwas 
skandierend. 

Nach  etwa  5  monatlicher  Krankheitsdauer  erfolgte  im  Anschluß  an 
einen  neuen  Anfall  der  Tod  im  Coma. 

Die  genaueren  Einzelheiten  des  Untersuchungsbefundes  und  Krankheits- 
verlaufes  sind  folgende: 

J.  Fr.,  61  Jahre  alter  Handelsmann  aus  Breslau;  Aufnahme  in  die 
medizin.  Klinik  am  28.  Oktober  1905;  *{-  daselbst  am  5.  Dezember  1905. 

Vorgeschichte:  Familienanamnese  belanglos.  Geschlechtliche  An- 
steckung wird  trotz  eindringlichen  und  wiederholten  Befragens  und  trotz 
sonst  durchaus  zuverlässiger  Angaben  in  Abrede  gestellt  (von  seinen 
7  Kindern  aus  erster  Ehe  sind  jedoch  4  in  den  ersten  Lebensjahren  ge- 
storben. Als  Soldat  wurde  er  wegen  Bruchleiden  entlassen.  In  seiner 
früheren  Stellung  als  Gastwirt  hat  er  mehrmals  täglich  Schnaps  getrunken ; 
jahrelanger  starker  Alkoholmißbrauch  wird  jedoch  nicht  zugegeben.  Keine 
erheblichen  Traumen. 

Der  Kranke  war  stets  gesund  bis  zum  12.  Juli  1905.  Damals 
erkrankte  er  ganz  plötzlich  mit  einem  Schlaganfall.  Er  fühlte  während 
der  Arbeit  eine  aufsteigende  Hitze  im  Kopfe  und  verlor  dann  für  mehrere 
Standen  die  Besinnung.  Nach  Aufhellung  des  Bewußtseins  bemerkte  er 
eine  Lähmung   der   rechten   Seite,    einschließlich    des    Ge- 


536  XXVII.  ItoaoB  a.  Müllbr 

fiichts.  WähreDd  die  Sprache  dabei  nur  wenig  gestört  war,  bestanden 
Doppelsehen,  rechtsseitige  Taubheit  und  mäßige  Schliug- 
störuügen,  sowie  eine  leichte  Blasenstörung  derart,  daß  er  häufiger 
Urin  entleeren  und  dabei  stärker  pressen  mußte.  Außerdem  machte  sich 
einen  abnorme  Neigung  zum  Weinen  bei  jeder  Kleinigkeit,  auch  wenn 
ihm  nicht  traurig  zu  Mute  war,  geltend  (kein  Zwang^lachen). 

Nach  6 — 8  wöchentlicher  Bettruhe  waren  die  Lähmungserscheinungen 
im  Bereiche  der  Extremitäten  allmählich  wieder  so  gebessert,  daß  er 
stundeo weise  seinem  Berufe  als  Händler  nachgehen  konnte.  Vor  3—4 
Wochen  jedoch  stellte  sich  ein  neuer  Anfall  ein.  Bei  leichter  Bewußt- 
seinstrübung zeigte  sich,  daß  das  Schlingen  bei  starkem  Speichelfluß  erbeblich 
erschwert  und  die  Sprache  auffällig  verändert  war.  £r  konnte  alle  Gegen- 
stände richtig  bezeichnen  und  benennen,  mußte  aber  länger  drücken,  ehe 
er  die  Worte  aussprechen  konnte.  Jetzt  klagte  er  noch  über  heftige 
Kopf>chnierzen,  besonders  in  der  Stirngegend,  starkes  Schwind elgeföhl 
bei  allen  Körperbewegungen,  über  zeitweise,  blitzartige  Schmerzen  von 
1 — 2  Minuten  Dauer  in  den  Gelenken  und  außerdem  über  Blasen- 
störungen derart,  daß  er  nur  stehen,  aber  sehr  ausgiebige  Entleerungen 
habe,  fester  pressen  müßte  und  mitunter  auch  Harnträufeln  habe. 

Die  Untersuchung  findet  bei  dem  mittelgroßen  Mann  von  kraf- 
tigem Knochenbau  und  gutem  Ernährungszustand  (70  kg)  eine  von  lokalen 
Atrophien  freie  Muskulatur.  Feine  erheblichen  psychischen  Störungen, 
trotzdem  ausgesprochenes  und  auch  subjektiv  als  krankhaft  empfundenes 
Zwangsweinen. 

Kopf:  Blasse  Gesichtsfarbe ;  Stirnrunzeln  rechts  weniger  ausgeprägt, 
Nasolabialfalte  auf  derselben  Seite  verstrichen;  beim  Zähnezeigen  die 
Asymmetrie  besonders  deutlich ;  Pfeifen  sehr  erschwert. 

Augen:  Hechte  Lidspalte  viel  weiter  als  die  linke;  im  lateralen 
Abschnitt  des  rechten  Unterlides  ist  die  entzündlich  gerötete  CoDJunctiva 
palpebrae  teilweise  ektropioniert.  Das  rechte  Auge  kann  nicht  ganz  ge- 
schlossen werden  und  ist  gegen  passiven  Widerstand  sehr  leicht  zu  ÖfiTneo. 
Sensibilität  von  Conjunotiva  und  Cornea  rechts  deutlich  herabgesetzt; 
demgemäß  sehr  abgeschwächter  Cornealreflex.  Beim  Blick  nach  rechts 
und  oben  nystagmusartige  Zuckungen.  Z.  Z.  keine  Doppelbilder:  Pa- 
pillen different  (r  /  1),  eng  und  bei  erhaltener  Konvergenzreaküon  völlig 
lichtstarr.    Augenhintergrund  frei,  Sehvermögen  gut. 

Gehör  auf  dem  rechten  Ohr  völlig  aufgehoben;  hört  das  Ticken 
der  Uhr  auch  bei  Knochenleitung  nicht,  dabei  beständige  Ohrgeräusche 
rechts  (rausendes  Wasser).  Hachen  und  Tonsillen  leicht  gerötet;  Gaumen 
symmetrisch;  Gaumenbewegungen  gut;  lebhafter  Würgereflex.  Kaumusku- 
latur kräftig. 

Trigeminus:  Berührungsempflndung  und  vor  allem  Schmerz- 
empfindung rechterseits  und  besonders  im  Stirnast  stark  herabgesetzt. 

Rumpf:  Thorax  sehr  gut  gebaut,  Langen  gesund.  Die  Herz- 
dämpfung nicht  nachweisbar  vergrößert,  Spitzenstoß  nicht  sichtbar  und 
fühlbar,  Aktion  regelmäßig«  die  Töne  leise,  aber  rein.  Der  E&dialpuls 
beiderseits  gleich,  mäßige  Füllung  und  Spannung;  keine  sklerotisch  ge- 
schlängelten  Arterien. 


Tabes  dorsaUs,  Erkrankungen  der  Zirknlationsorgane  und  Syphilis.     537 

Das  fettreiche  Abdomen  leicht  aufgetrieben.  Leber  und  Milz 
nicht  pa]pabe].  Die  Baachdeckenreflexe  beiderseits  deutlich,  aber  rechts 
etwas  schwächer.     Kremasterreflexe  nur  links   auslösbar,    rechts    fehlend. 

Extremitäten:  Aktive  Beweglichkeit  der  Arme  beiderseits  gut. 
Nur  der  Händedruck  rechts  etwas  schwächer.  Feinere  Fingerbewegungen 
werden  jedoch  prompt  ausgeführt.  Kein  Tremor,  keine  Ataxie,  Sehnen- 
reflexe an  den  Armen  vorhanden,  rechts  etwas  lebhaft. 

Beine:  Keine  Paresen,  keine  deutliche  Ataxie,  Achillessefanenreflexe 
fehlen,  Patellarsehnenreflexe  beiderseits  sehr  schwach,  Foßsohlenreflexe 
wegen  starken  Kitzelgefühls  beiderseits  nicht  recht  zu  beurteilen. 

Gehen  und  Stehen:  Stehen  mit  geschlossenen  Füßen  unsicher, 
der  Kranke  balanziert  dabei  mit  den  Armen,  bei  Augenschluß  stärkstes 
Kombergsches  Phänomen,  dann  ohne  Unterstützung  möglich,  jedoch 
breitspurig,  mit  den  Armen  balanzierend,  sehr  unsicher.  Bei  schnellerem 
Gehen  und  Kehrtwendungen  stärkere  Schwankungen.  Tiefensensihilität 
höchstens  an  den  Zehen  abgestumpft.  Die  Schmerzeropfindung  und  in 
geringerem  Grade  auch  die  Temperaturempfindung  au  beiden  Beinen  von 
etwa  der  Mitte  der  Oberschenkel  abwärts  stark  herabgesetzt  (die  Be- 
rührungsempfindung jedoch  nur  an  der  Außenseite  des  rechten  Ober- 
schenkels ?). 

Weiterer  Verlauf:  I.November.  Klagen  über  bald  mehr  diffuse^ 
bald  mehr  rechtsseitige  Kopfschmerzen  von  reißendem,  ziehendem  Charakter. 
Jodkalium 

6.  November.    Die  wachsenden  Kopfschmerzen  sehr  hartnäckig. 

10.  November.  Trotz  des  Fehlens  von  Syphilis  in  der  Anamnese 
Beginn  einer  Schmierkur. 

13.  November.  Äußerst  heftige,  plötzlich  einsetzende  Blitzschmerzen 
in  der  rechten  Ferse,  die  nach  1   Minute  Dauer  aufhören. 

18.  November.  Lanzinierende  Schmerzen  bald  im  rechten,  bald  im 
bald  im  linken  Bein.  Sehr  heftige,  anfallsweise  auftretende,  rechtsseitige 
Gesichtsschmerzen,  die  z.  Zt.  die  Hauptlage  des  Patienten  bilden. 

23.  November.  Plötzlich  ein  rasch  vorübergehender  Anfall  von 
Atemnot  mit  starkem  Angstgefühl  ohne  erklärenden  Befund  an  inneren 
Organen.     Schluckstörungen. 

24.  November.  Der  Kranke  gibt  heute  an,  auch  auf  dem  linken 
Ohre  schlecht  zu  hören  (hört  hier  das  Ticken  der  Uhr  nur  in  Entfernung 
von  einigen  Centimeter-  von  der  Ohrmuschel.  Knochenleitung  stark  beein- 
trächtigt. Außerdem  seit  heute  äußeret  heftige  Schmerzen,  besonders  in 
der  linken  Gesichtshälfte,  die  er  fortwährend  schmerzhaft  verzieht.  In  den 
Liippen  Gefühl  von  Ameisenlaufen. 

29.  November.  Ziemlich  starke  Gewichtsabnahme,  Gingivitis,  Schmier- 
knr  unterbrochen,  dreimal  Erbrechen. 

30.  November.  Hente  eine  eigentümliche,  durch  den  Abteilungsarzt 
beobachtete  Attaque.  Der  Patient  sitzt  mit  verzerrtem  Gesicht  und 
allen  Zeichen  der  Angst  im  Bette  und  vermag  nicht  zu  sprechen.  Er 
bringt  nur  unter  Schluchzen  unartikulierte  Laute  hervor.  Mit  dem  linken 
Arm  bemüht  er  sich  fortwährend  den  anscheinend  jetzt  völlig  gelähmten 
rechten  von  der  Unterlage  zu  erheben.  Rechter  Arm  und  Bein  sind  bei 
Verschlimmerung  der  schon  zuvor  bestehenden  gleichzeitigen  Facialisparese 


538  XXVII.  RoGGE  u.  Müller 

anfänglich  schlaff  gelähmt,  bald  aber  wieder  deutlich  hypertonisch.  Die 
Sehuenreäexe  sind  am  rechten  Arm  stark  gesteigert.  Handklonus.  Die 
Zunge  weicht  nach  rechts  ab.  Nach  höchstens  10  Minuten  Dauer  ver- 
schwindet die  rechtsseitige  Extremitätenlähmung,  so  daß  Arme  und  Beine 
aktiv  recht  gut  bewegt  werden  können.  Auch  die  Sprachstörung  ist 
wieder  fast  verschwunden,  nur  die  Zunge  weicht  noch  mehr  nach  rechts 
ab.  Der  Kranke  erzählt  jetzt,  daß  der  Znstand  mit  einem  Gefiihl  von 
Kribbeln  und  Ameisenlaufen  in  der  rechten  Lippenhälfte  begonnen  hat 
und  daß  nach  einem  eigentümlichen  Gefühl  in  den  gleichseitigen  Extre- 
mitäten die  oben  beschriebene  Lähmung  einsetzte. 

1.  Dezember.  In  der  heutigen  Nacht  und  am  frühen  Morgen  drei 
weitere  Anfölle  von  rechtsseitiger  Lähmung  ohne  BewuBtseinstrübnng 
und  relativ  kurzer  Dauer. 

4.  Dezember.  Am  Nachmittag  ein  neuer  Insult,  dessen  Folgen  noch 
jetzt  in  Form  einer  rechtsseitigen  Hemiplegie  und  starker  Deviation  der 
Zunge  nach  der  gelähmten  Seite  nachweisbar  sind.  Auch  die  Sprache 
ist  wieder  stärker  erschwert  (jedoch  sensorisch  ungestört) ;  sie  ist  jetzt 
eigentümlich  explosiv,  polternd  und  etwas  skandierend  (oft  überschnap- 
pend). Blick  nach  links  beschränkt,  besonders  auf  dem  linken  Auge. 
Facialisparese  rechts  besonders  im  Stirnast  ausgeprägt. 

Nachmittag  3  Uhr  ein  neuer  Anfall ;  spastische  ExtremitätenlähmuDg 
rechts,  zunehmende  Benommenheit,  Trismus,  Trachealrasseln,  Tod  am 
folgenden  Tage  in  Coma. 

Trotz  des  scheinbar  mehrdeutigen  Untersuchungsbefundes 
konnte  die  klinische  Diagnose  im  vorliegenden  Falle  insofern 
keine  besonderen  Schwierigkeiten  machen,  als  die  Annahme,  daß 
eine  Kombination  von  Tabes  dorsalis  mit  einer  orga- 
nischen Hirnerkrankung  von  bulbärem  Sitz  vorlag,  hin- 
reichend zu  begründen  war.  Für  eine  Tabes  sprachen  vor  allem 
die  reflektorische  Lichtstarre  der  ungleich  weiten  Pupillen  bei  er- 
haltener Konvergenzreaktion,  die  Aufhebung  bzw^  Abschwächung 
der  Achillessehnen-  und  Patellarreflexe,  die  Sensibilitätsstörun^en 
an  den  Beinen,  und  nicht  zuletzt  die  tj^pischen  lanzinierenden 
Extremitätenschmerzen.  Auf  eine  komplizierende  Erkrankung  bul- 
bärer  Hirngebiete  ließ  schon  der  initiale  apoplektiforme  Anfall 
schließen,  der  zu  einer  vorübergehenden  halbseitigen  Lähmung  mit 
Beteiligung  des  Facialis  (inkl.  Stirnastes)  und  des  Acusticus  sowie 
zu  Sprach-  und  Schlingstörung  und  endlich  zu  Zwangsweinen  gefuhrt 
hatte.  Trotzdem  war  die  Deutung  des  komplizierenden  Hirnbefundes 
bei  der  ersten  Untersuchung  schwierig.  Das  Zusammentreffen  einer 
radikulären  Facialislähmung,  einer  Acusticus-  und  Trigeminus- 
läsiou  mit  den  Überbleibseln  einer  cerebralen,  gleichzeitig  und 
apoplektiform  entstandenen  einseitigen  Lähmung  war  zwar  ein  ge- 
nügender Beweis  für  die  Annahme  einer  vorherrschenden  BeteiU- 


Tabes  dorsalis,  Erkrankungen  der  Zirkulationsorgane  und  Syphilis.    539 

gung  der  Brackengegend  an  dem  Krankheitsprozeß;  genauerer  Sitz 
und  Eigenart  des  letzteren  waren  jedoch  mit  voller  Sicherheit  kaum 
zu  bestimmen.  Bei  den  innigen  Beziehungen  der  Tabes  zur  Syphilis 
lag  es  allerdings  nahe,  als  pathologisch  anatomische  Grundlage  des 
cerebralen  Leidens  eine  Hirnlues  anzunehmen.  Es  war  dabei  in 
ei-ster Linie  an  eine  syphilitische  Erkrankung  der  Arteria 
basilaris  oder  an  eine  syphilitische  Basilarmeningitis 
bzw.  an  ein  „bulbäres"  Gumma  zu  denken.  Die  Annahme 
einer  meningealen  bzw.  gummösen  Erkrankung  im  rechten  Klein- 
hirnbrückenwinkel schien  um  so  mehr  berechtigt,  als  sich  eine 
nervöse  rechtsseitige  Taubheit  mit  gleichseitiger  radikulärer  Facialis- 
lähmung  und  Störung  im  Trigeminusgebiet  verband.  Für  eine  Er- 
krankung dieser  benachbarten  Wurzeln  ließen  sich  auch  die  quälen- 
den Gesichtsschmerzen  —  Beizerscheinungen  in  dem  erkrankten 
Ti'igeminus  —  verwerten.  Dieser  Auffassung  widersprach  zunächst 
die  Tatsache,  daß  sich  die  Extremitätenparese  auf  derselben  Seite 
wie  die  radikuläre  Hirnnervenlähmung  befand.  Bei  der  Kreuzung 
der  Pyramidenbahnen  mußte  man  natürlich  erwarten,  daß  der 
Prozeß  im  Bereich  des  genannten  rechtsseitigen  Wurzelgebietes  vor 
allem  vorwiegend  die  gleichseitige  Brückenhälfte  schädigt  und  da- 
durch eine  gekreuzte  PMremitätenlähmung  hervorruft.  Diese 
Schwierigkeit  war  allerdings  dadurch  zu  umgehen,  daß  man  zur 
Erklärung  des  Symptomenbildes  zwei  oder  mehrere  Herde  heranzog. 
Die  Hirnsyphilis  führt  ja  so  häufig  zur  Multiplizität  der  Herde. 
Dieser  Erklärungsversuch  scheiterte  aber  daran,  daß  die  gleich- 
seitige Hirnnerven-  und  Extremitätenparese  auch  gleichzeitig 
und  apoplektiform  eintrat  und  damit  auf  einen  ursächlich  bedeut- 
samen Erkrankungssitz  hinwies.  Dadurch  gewann  die  Diagnose 
einer  Gefäßerkrankung  im  Ausbreitungsgebiet  der  Arteria  basilaris 
an  Wahrscheinlichkeit,  zumal  sich  die  syphilitische  Arteriitis  mit 
Vorliebe  an  dieser  Stelle  lokalisiert.  Die  mehrfache  Wiederholung 
des  apoplektiformen  Anfalls,  bis  sich  die  anfänglich  vorübergehende 
Hemiplegie  während  eines  Insults  festsetzte,  wies  nicht  auf  Blutung 
oder  Embolie,  sondern  vielmehr  auf  eine  Zirkulationsstörung  hin. 
wie  sie  so  häufig  gerade  bei  syphilitischen  Gefäßerkrankungen 
durch  Verengerung  und  allmählichem  Verschluß  des  Lumens  vor- 
kommt. Das  typische  Bild  einer  thrombotischen  Erweichung  nur 
in  der  rechten  Ponshälfte  müßte  aber  wiederum  eine  alternierende 
Hemiplegie  sein.  Das  gleichzeitige  plötzliche  Einsetzen  einer 
gleichseitigen radikulären  Leitungsunterbrechung  im  Acusticus, 
Trigeminus  und  Facialis  und  einer  cerebralen  Extremitätenlähmung 


540  XXVII.  RooGE  n.  Müller 

war  aber  von  dem  Standpunkt  aus  zwaujarlos  zu  erklären,  daß  der 
Sitz  der  Zirkulationsstörung  in  die  Arteria  basilaris  selbst  ver- 
lebt wurde.  Dabei  kann  es  wohl  leicht  vorkommen,  daß  die  Blut- 
versorgung in  mehreren  kleineren  nach  beiden  Seiten  abgehenden 
pontinen  Ästen  gleichzeitig  leidet  und  eine  doppelseitige  Eniäh- 
rungsstörung  in  keineswegs  notwendig  symmetrischen  Brücken- 
abschnitten zur  Folge  hat.  Mit  dieser  Auffassung  war  gut  in  Ein- 
klang zu  bringen  die  Tatsache,  daß  sich  im  weiteren  Krankheits- 
verlauf das  Symptomenbild  einer  doppelseitigen  Bruckenerkrankung 
mehr  und  mehr  ausprägte :  zu  der  rechtsseitigen  Aflfektion  des  Trige- 
minus  und  Acusticus  trat  eine  linksseitige  und  endlich  entwickelte 
sich  eine  assoziierte  Blicklähmung  nach  links,  eine  Erscheinung,  die 
als  charakteristisch  für  eine  Erkrankung  des  gleichseitigen  Brücken- 
markes gilt.  Immerhin  mahnten  die  Seltenheit  stabil  bleibender 
Gehörsstörungen  bei  reinen  Brückenherden  und  die  qualvollen 
neuralgischen  Gesichtsschmerzen  daran,  daß  neben  einer  doppel- 
seitigen auf  Zirkulationsstörung  in  der  Arteria  basilaris  beruhenden 
Brückenerkrankung  vielleicht  doch  noch  meningeale  bzw.  gummöse 
Veränderungen  an  den  Austrittsstelleu  dieser  Hirnnervenwurzehi 
vorhanden  waren.  An  diese  Möglichkeit  war  schon  deshalb  zu 
denken,  weil  die  einzelnen  Erscheinungsformen  der  Hirns}T>hilis 
gar  nicht  selten  gleichzeitig  nebeneinander  bestehen. 

Die  am  5.  Dezember  1905  vorgenommene  Autopsie  ergab  nmi 
makroskopisch  folgendes  ^):  Aneurysma  partis  ascendentis 
aortae;  Arteriosclerosis  gravis  aortae;  Endarteriitis  obliterans 
arteriae  basilaris  cerebri  (Arteriitis  gummosa?);  En- 
cephalomalacia  flava  pontis  et  cerebelli;  Pachymenlngitis 
externa  ossificans;  Hyperostosis  calvariae;  Sntura  frontalis  persistans; 
Degeneratio  grisea  funiculi  poster.  medullae  spinalis: 
Embolia  arteriae  pulmonalis  dextrae;  Oedema  lob!  inferioris  utriasque; 
Bronchitis;  Empbysema;  Atrophia  fusca  bepatis ;   Hydrocele  duplex  levis. 

Im  einzelnen  ist  aus  dem  Sektionsprotokoll  folgendes  hervorzu- 
heben : 

Zirkulationsapparat:  Herzbeutel  etwas  groß;  linker  Ventrikel 
dilatiert,  Wand  hypertrophisch ;  Papillarmuskeln  hier  und  da  fleckig  weii^ 
verfärbt;  die  Segel  der  Mitralklappe  stellenweise  verdickt;  Aafangsteil 
der  Aorta  stark  ausgebuchtet;  die  Intima  zeigt  hier  an  einzelnen  Stellen 
eine  Verdickung,  im  übrigen  zeigt  die  Aorta  eine  plateauartige  Erbebung 
der  Intima. 


1)  Herrn  Geheimrat  Prof.  Dr.  Ponfick,  Direktor  der  pathol.  anatom.  In- 
stituts, sind  wir  für  Überlassung  von  Gebim-  und  Rückenmark  zur  näheren 
Untersuchung,  sowie  für  Durchsicht  einiger  einschlägiger  Gefäßpräparate  zu 
groUem  Dank  verpflichtet. 


Tabes  dorsalis,  Erkranknngen  der  Zirknlationsorgfane  nnd  Syphilis.    541 

Xervensystem:  Schädeldach  mit  Dara  fest  verwachsen;  die  er* 
lialtene  Frontalnaht  setzt  weiter  nach  rechts  an  die  Coronarnaht  an  als 
die  Sagittalnaht.  Schädeldach  sehr  dick  und  schwer.  Wandstärke .  am 
Hinterhaupt  1  cm,  seitlich  und  vorn  7  mm.  Weiche  Hirnhäute  an  der 
Konvexität  leicht  weißlich  verdickt.  Arterien  an  der  Basis  im  ganzen 
2art  und  ziemlich  stark  mit  Blut  gefüllt,  nur  die  Basilaris  ist 
-enorm  verdickt,  etwa  bleistiftdick.  Diese  Verdickung 
ist  bedingt  durch  eine  starke,  gelbweiße,  nirgends  ver- 
kalkte, gummiähnlich  aussehende  Wucherung,  die 
namentlich  die  linke  Seite  der  Wand  einnimmt;  der  noch 
passierbare  Kanal  hat  kaum  die  Dicke  einer  Stricknadel. 
Die  A.  auditiva  interna  und  die  A.  cerebelli  inf.  ant.  sind  in  ihrem 
Anfangsteil  in  gleicher  Weise  verändert.  Der  Pens  erscheint  im  ganzen 
weich,  am  stärksten  links  in  der  Oegend  des  Crns  cerebelli  ad  pontem. 
An  der  unteren  Fläche  des  Kleinhirns,  und  zwar  im  oberen  Drittel,  je 
«ine  flache  gelbe  Delle  in  der  Rindensubstaoz,  etwa  vom  Umfang  einer 
Erbse.  Am  Rückenmark  sind  die  Häute  ohne  wesentliche  Verände- 
«mngen;  auf  dem  Querschnitt  erscheinen  die  Goirschen  Stränge  grau. 

Der  mikroskopische  Befund  war  am  Rückenmark,  Medulla 
•obiongata,  Pons  und  Gefäßen  (Weigert'sche  Markscheidenfärbung,  Eisenhäma- 
ioxylin-van  Oieson)  im  wesentlichen  folgender: 

Unteres  Lendenmark:  Bei  leidlich  gut  erhaltenen  ventralen  Strang- 
feldem  und  intaktem  Dorsomedialbündel  ausgesprochene  Degeneration  der 
^Bandelettes  externes^,  die  hinteren  Wurzeln  deutlich  gelichtet,  dieLissauer- 
sche  Randzone  aufgehellt  und  in  geringem  Maße  an  den  hinteren  äußeren 
Feldern  auch  die  peripheren  Zonen  unterhalb  der  am  ganzen  Rückenmarks- 
nmfang,  namentlich  aber  hinten  und  seitlich,   etwas  verdickten  Meningen. 

Oberes  Lendenmark:  Bei  mäßiger  Verdickung  der  Pia  (haupt- 
:sächlich  im  dorsalen  Abschnitt)  deutliche  Verdünnung  und  beginnende 
graue  Verfärbung  der  hinteren  Wurzeln.  Typische  symmetrische  De- 
generation der  seitlichen  Felder.  GoU'sche  Stränge  in  geringerem  Grade 
<legeneriert.  Gut  erhalten  die  Gegend  des  Dorsomedialbündels  und  des 
ventralen  Hinterstrangfeldes.  Starke  Lichtung  der  in  die  noch  nicht 
■aasgesprochen  atrophischen  Hinterhömer  einstrahlenden  Fasern. 

Mittleres  Brustmark:  Deutliche  symmetrische  Degeneration 
der  Goll'schen  Stränge  und  der  seitlichen  Felder;  auch  die  hinteren 
äußeren  Felder  in  mäßigem  Grade  gelichtet.  Leichte  Randdegeneration 
des  Rückenmarks  unterhalb  der  verdickten  und  namentlich  stellenweise 
{besonders  um  die  Gefäße  herum)  zellig  infiltrierten  Meniux.  Adventitia 
der  kleineren  Rücken marksgef äße  ehenfalls  leicht  verdickt  und  von  Zellen 
mit  gut  tingiertem  großem  Kern  und  äußerst  spärlichem  annähernd  poly- 
gonal* oder  angedeutet  spindelförmig  gestaltetem  Protoplasma  durchsetzt. 

Unteres  Halsmark:  Deutliche  symmetrische  Degeneration  der 
*6oll'schen  Stränge  sowie  der  seitlichen  Felder  in  den  Burdach'schen : 
I>ie  hinteren  äußeren  Felder  nnd  die  eintretenden  hinteren  Wurzeln  nur 
wenig  verändert.  Meningen  —  hinten  mehr  —  verdickt  und  namentlich 
in  den  äußeren  Schichten  zellig  infiltriert.  Leichte  Randdegeneration 
des  Rückenmarks  unterhalb  der  Meningen,  auch  längs  des  Sulcus  anterior 
.am  Randbezirk  der  Pyramidenvorderstränge.     Zentralkanal  obliteriert.  - 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin     89.  Bd.  35 


542  XXVII.  RoGGE  u.  Müller 

Beginu  der  Halsanschwellung:  Schon  makroskopisch  dicht 
hinter  dem  Zentralkanal  eine  dreieckige  mindesten» 
2  mm  im  größten  Durchmesser  betragende  Hohle  sichtbar, 
deren  Basis  nach  vorn  und  deren  Spitze  nach  hinten  gelegen  ist.  Die 
ungleich  langen  Katheten  bilden  an  der  Spitze  einen  rechten  Winkd» 
Zentralkanal  hier  verdoppelt;  der  vordere  ist  obliteriert,  der  hintere  hat 
auf  eine  kurze  Strecke  ein  kleines  Lumen ,  das  mit  schönen 
Ependymzellen  lückenlos  ausgekleidet  ist.  Dicht  hinter  letzterem  die 
genannte  Höhle,  die  eine  breite  bindegewebige  Innenausklei- 
dung und  um  diese  einen  dicken  gliösen  £.ing  zeigt.  Die  hintere 
Hälfte  des  Septura  medianum  posterius  ist  auf  einzelnen  Querschnitten 
nicht  ganz  geschlossen;  das  „Septum*^  entspricht  also  hier  noch  einem 
,,Sulcus**.  Auf  anderen  Querschnitten  zeigt  sich  ein  richtiges  Septum 
auch  in  der  dorsalen  Hälfte  in  Form  eines  schmalen  Bindegewebsbandes, 
das  zu  beiden  Seiten  von  einem  Gliasaum  bekleidet  ist.  Auf  den  ein* 
zelnen  Querschnitten  überwiegt  bald  der  bindegewebige,  bald  der  gliöse 
Teil  des  Septum  posterius.  Der  bindegewebige  Abschnitt  dringt  aber 
bandförmig  überall  nur  etwas  über  die  Hälfte  des  ganzen  Septum  ein, 
in  seiner  Verlängerung  sieht  man  dann,  namentlich  bei  starker  Ver- 
größerung einen  schmalen  Gliastreifen,  der  von  Zeit  zu  Zeit  den  Quer- 
schnitt kleinster  Gefäße  in  seiner  Fasermasse  erkennen  laßt  und  sieb 
endlich  in  dem  dicken  Gliaring  des  oben  beschriebenen  Hohlraums  ver- 
liert. Zahlreiche  Gliazellen  liegen  in  den  peripheren  Abschnitten  dieses 
gliösen  Binges. 

Oberes  Halsmark:  Zentralkanal  obliteriert;  Goirsche  Strange 
deutlich  degeneriert;  seitliche  Felder  mäßig  gelichtet.  Hintere  äußere 
Felder  und  ventrale  Hinterstrangpartien  leidlich  gut.  Die  Meningen 
zeigen,  hauptsächlich  um  die  Gefäße  herum,  eine  starke  zellige  Infiltration. 
Unterhalb  der  überall,  aber  an  manchen  Stellen  stärker  verdickten 
weichen  Bücken  mar kshaut,  namentlich  im  Bereich  der  Hinter-  und 
Seitenstränge,  mäßige  Banddegeneration  des  Bückenmarks.  Die  menin- 
geale  Zellinfiltration  geht  auch  auf  das  Epineurium  der  hinteren  Wurzeln 
über  und  dringt  in  geringerem  Grade  auch  in  das  Perineurium  ein.  Die 
zellige  Infiltration  zeigt  an  einzelnen  Stellen  umschriebene  rundliche  oder 
längsovale  Herde.  Die  Zellinfiltration  um  die  Gefäße  betrifft  auch  die  Venen. 

Medulla  oblongata  (in  Höhe  des  10.  und  12.  Kerns)  Fibrae 
arcuatae  ventrales  und  die  von  ihnen  umzogenen  Pyramiden,  ebenso  wie 
die  mediale  Schleife,  Hypoglossuskem  usw.  ohne  wesentliche  Veränderung; 
auch  die  spinale  Trigeminus-  und  Glossopharyngeuswurzel  an  dieser  Stelle 
gut.  Die  Meningen  sind  hier  kaum  verdickt,  dagegen  wieder  stark 
zellig  infiltriert.  Die  Adventitia  der  kleinen  meningealen  (^efaße  ver- 
dickt und  von  Granulatiouselementen  durchsetzt.  Am  Boden  des  IV.  Ven- 
trikels das  Bild  der  Ependymitis  granularis  (kleine  halbktigelige 
bzw.  warzenförmig  vorspringende  Erhebungen,  deren  Inneres  starke  Zeil- 
anbäufung  zeigt,  während  zwischen  ihnen  das  Ependym  noch  leidlich  gut 
und  stellenweise  völlig  intakt  erscheint).  Oberhalb  des  einen  Vaguskera^ 
liegt  an  der  Basis  eines  solches  gewucherten  Ependymknotens  ein  kleiner 
rundlicher  Hohlraum,  der  rings  von  wohlgebildeten  Ependymzellen  lücken- 
los  ausgekleidet   ist.     Auch    dicht  unterhalb  der  Pyramidenkreuzung  ist. 


Tabes  dorsalis,  Erkrankungeu  der  Zirknlationsorgaue  und  Syphilis.     543 

von    den  Meningen    abgesehen,    die   Substanz    der  Med.  obl.    im   wesent- 
lichen normal. 

Pons:    Ein  Querschnitt   durch  die  Brücke  in  Höhe  des  Abducens- 
kerns  zeigt,  daß  der  Pons  im  ganzen,    namentlich  aber  im  Fußteil  ziem- 
lich groß,  d.  h.  anscheinend  ödematös  geschwollen  ist,  und  daß  der  Fuß- 
teil  selbst  sich  im  Markscheidenbilde  auffallend  schlecht  färbt  im  Gegen- 
satz  zu    der   im  ganzen    gut  tingierten  Haubengegend.     Rechterseits 
erkennt  man  (schon  mit  bloßem  Auge)  einen  etwas  über  linsengroßen, 
auf  dem  Querschnitt  annähernd   ovalen  älteren  Erweichungsherd. 
Derselbe   liegt   lateral,    etwa   in  Höhe    der   medialen  Schleife  und  unter- 
bricht  den   Anfangsteil    des    Austrittsschenkels    des    rechten   N.  facialis; 
z.  T.  nimmt  er  auch    den  hier  gelegenen  Kernabschnitt  und  die  Qegend 
der   spinalen   Quintuswurzel   ein.     Dieser   Erweichungsherd   rückt  gegen 
den  Brückenanfang    zu  etwas  mehr  ventral  und  medial  gegen  die  Raphe 
und  nimmt   hier,    unter  Yerschonung  der  Pyramide,    einen  Teil   der  me- 
dialen Schleife  ein.     Im  Brückenanfang  befindet  sich  noch  ein  weiterer 
älterer    etwa   ebenso  großer  rechtsseitiger  Erweichungs- 
herd,   der   in    der  Nähe    des  Facialiskerns  gelegen  ist  und  die  benach- 
barte spinale  Trigeminuswurzel  sowie  einen  großen  Teil  der  angrenzenden 
Acusticusfasem    einnimmt.      Weiter    findet    sich    eine    mäßige   Lepto- 
meningitis    mit   auffällig   starker    zelliger    Infiltration.      Diese 
Zellen    haben   einen   lebhaft   gefärbten,    großen,    bläschenförmigen   Kern, 
der   nicht    selten   ein   deutliches  Kemkörperchen   erkennen    läßt   und   in 
derselben  Weise   wie   beim  Rückenmark   von    nur    spärlichem  schwer  zu 
erkennendem  Protoplasma    umgeben  ist.     Die  Zellen  sind  auch  hier  von 
teils   spindelförmiger,   teils    mehr   polygonaler   Gestalt.     Um    die    Gefäße 
herum  häufen  sich  diese  Granulationselemente  außerordentlich  an,  so  daß 
sie  an   einzelnen  Stellen   geradezu   mächtige  Nester    bilden.     Diese  Zell- 
infiltration   mit   mäßiger  allgemeiner,   aber  an  einzelnen  Stellen  stärkerer 
Verdickung   der  Pia   setzt   sich   auch   auf  die    austretenden  Himner\'en- 
wurzeln    in    Form    einer  Epineuritis   fort.     Die  Granulationselemente 
dringen    sogar  auch    in    mäßigem  Grade   in   das  Perineurium  ein.  —  Im 
Bereich    des   schlecht    gefärbten  Brückenfußes  finden  sich  beiderseits  die 
J^ichen   einer   beginnenden   mehr   oder  minder  allgemeinen  ischämischen 
Erweichung  (Odem  der  Neuroglia,  Markscheidenquellung,  Yakuolenbildung, 
f^ettkörnchenzellen,    Myelintropfen   u.    dgl.).     Die    in    die    Substanz    des 
Srückenfußes  eintretenden  GeHlße  sind  großenteils  thrombosiert,  während 
die  Venen  prall  gefüllt  sind. 

Arteria  basilaris  cerebri:  Ein  Querschnitt  durch  das  etwa 
bleistiftdicke  Gefäß  zeigt  die  enorme  Wandverdickung  bei  sehr  ver- 
kleinerten Lumen.  Diese  Verdickung  ist  jedoch  keineswegs  gleichmäßig, 
sondern  links  wesentlich  stärker  als  rechts,  am  geringsten  aber  im  dor- 
salen aneurysmatisch  leicht  ausgebuchteten  Abschnitt;  dem  letzteren  ist 
—  gewissermaßen  zwischen  die  stark  verdickten  Partien  eingekeilt  — 
ein  schon  makroskopisch  erkennbarer,  geschichteter  z.  B.  aber  erweichter 
Thrombus  (mit  außerordentlich  zahlreichen  Fettkörnchenzellen  im  Innern) 
aufgelagert.  Die  enorme  Wandverdickung  ist  im  wesentlichen  bedingt 
durch  eine  außerordentlich  starke  Intimawucherung,  doch  sind  auch  Media 
und  Adventitia  deutlich  verändert.    Die  Adventitia  ist  namentlich  rechter- 

35* 


544  XXVII.  KoooE  u.  Müller 

aeits  verdickt  und  yon  masBenhaften  GranulationBelementen  der  oben  be- 
schriebenen Art  durchsetzt.  Die  Zellanhäufungen  sind  auch  hier  um  die 
kleinen  adventitiellen  Ghefäße  herum  sehr  intensiv;  einselne  der  letzteren 
sind  thrombosiert.  Die  Media  färbt  sich  auffallend  rot  (van  Gieson): 
sie  ist  teilweise  sehr  kemarm  und  an  einzelnen  Stellen,  namentlich  dorsal, 
deutlich  atrophisch.  In  dem  an  die  Media  angrenzenden  Teil  der  Inttma- 
Wucherung  sieht  man  in  dem  homogenen  und  fast  kernlosen  Gewebe  hier 
and  da  einzelne  Hohlräume  bzw.  eine  Vacuolenbildung.  Dazwischen 
findet  man  Rest«  kleinerer  Blutungen.  Der  innere,  an  das  Geflßlnmen 
grenzende  Teil  der  Intima  besteht  aus  dichterem,  zellreicherem  und  von 
Höhlen  freiem  Gewebe.  Yon  atheromatösen  Geschwüren  ist  an  der  Ober- 
fläche nichts  zu  erkennen.  Bei  Elasticafarbung  (Weigert)  zeigt  die  ge- 
wucherte Intima  der  Art.  basilaris  in  ihren  einzelnen  Schichten  nur 
spärliche  aufgelockerte  Überreste  von  Elasticaringen. 

Arteria  cerebelli  inferior:  Hier  fallt  neben  einer  mäßigen 
Intimawncherung  vor  allem  eine  sehr  erhebliche  Verdickung  der  Adven- 
titia  mit  Zellanhäufung  in  derselben  auf.  Die  kleinsten  adventitiellen 
Gefäße  zeigen  an  vielen  Stellen  eine  ganz  enorme  Verdickung  ihrer 
Wandung,  die  im  wesentlichen  auf  ilechnung  einer  das  Lumen  mehr  und 
mehr  einengenden  Intimawucherung  kommt.  An  einzelnen  Gefaßchen  ist 
ein  Lumen  kaum  mehr  zu  erkennen.  Bei  der  Elasticafarbung  sieht  man, 
daß  die  elastischen  Fasern  in  der  Art.  cereb.  inf.  stark  vermehrt,  z.  T. 
aber  unregelmäßig  angeordnet  sind ;  es  ist  hier  zur  Bildung  mehrfacher,  z.  T. 
aufgelockerter  Elasticaringe  (sekundäre  Elasticae)  gekommen :  der  äußerste, 
dichteste  Elasticaring  erscheint  an  einzelnen  Stellen  wie  zerrissen. 

Schnitte  von  den  kleinen  Großhirnarterien  lassen  nur  eine 
mäßige  Intimaverdickung  erkennen. 

Abgesehen  von  den  oben  erwähnten  Herden  im  Kleinhirn  fand 
sich  im  Cerebrum  nichts  Besonderes. 

Die  Zusammenfassung  des  pathologisch-anatomischen  Befundes 
ergibt,  daß  es  sich  in  diesem  Fall  im  wesentlichen  um 
das  Zusammentreffen  eines  Aortenaneurysmas,  einer 
Tabes  dorsalis  und  einer  mit  größter  Wahrscheinlich- 
keitais sj'philitisch  aufzufassenden  Gefäßerkrankung 
(insbesondere  der  Arteria  basilaris  cerebri)  handelt. 

Die  Eückenmarksveränderungen  sind  dreierlei  Art, 
insofern  wir  das  typische  anatomische  Bild  einer  mäßig  weit  fort- 
geschrittenen Tabes,  dann  eine  leichte,  relativ  frische  Lepto- 
meningitis  und  endlich  im  Beginn  der  Halsanschwellung  eine 
abnorme  Höhlenbildung  feststellen  konnten. 

Für  eine  echte  Tabes  spricht  die  beiderseits  sj'mmetrische 
Degeneration  der  seitlichen  Felder  („Bandelettes  externes**),  die 
Erkrankung  der  GolFschen  Stränge  bei  noch  gut  erhaltenem  Dorso- 
medialbündel  und  ventralen  Hinterstrangfeldern  sowie  bei  relativer 
Verschonung  der  hinteren  äußeren  Felder,  außerdem  die  Verdünnung 
und  Aufhellung  der  hinteren  Wurzeln.    Damit  steht  auch  im  Ein- 


Tabes  dorsalis,  Erkrankungen  der  Zirknlationsorgane  nnd  Syphilis.    545 

klang  die  besondere  Intensität  des  Prozesses  im  Brust-  und  oberen 
Lendenmark. 

Die  Höhlenbildung  im  Beginn  der  Halsanschwellung  steht  wohl 
weder  mit  der  Tabes  noch  mit  einer  Syphilis  in  direktem  Zusammen- 
hang. Obgleich  sich  der  Zentralkanal  an  dieser  Stelle  abnorm  ver- 
hält, scheint  es  uns  kaum  angängig,  die  oben  genauer  geschilderte 
Hohle  als  eine  einfache  Ausst&lpung  bzw.  als  eine  Abschnürung 
desselben  aufzufassen.  Wir  neigen  vielmehr  angesichts  der  Tat- 
sache, daß  das  Septum  median  um  posterius  in  seiner  Verlängerung 
sich  direkt  in  die  Wandung  der  Höhle  fortsetzt,  zu  der  Annahme, 
daß  hier  vielleicht  als  Ausdruck  einer  Entwicklungs- 
störung eine  abnorme  Bildung  beim  Schluß  der  hin- 
teren Längsspalte  (Sept.  post)  vorliegt.  Für  diese  An- 
schauung läßt  sich  vielleicht  auch  die  breite  bindegewebige  innere 
Auskleidung  dec  Hohlraumes  verwerten. 

Die  Leptomeningitis  spinalis  endlich  könnte  eine  reine  Begleit- 
erscheinung der  Tabes  darstellen.  Man  findet  ja  sehr  häufig  bei 
diesem  Rückenmarksleiden  Verdickungen  der  weichen  Häute,  die 
sich  ebenso  wie  in  unserem  Falle  nicht  nur  auf  den  hinteren  Ab- 
schnitt der  Medulla  spinalis  beschränken.  Immerhin  weist  die 
starke  Zellinfiltration  auf  einen  relativ  frischen  entzündlichen 
Prozeß  hin  und  die  Eigenart  und  Anordnung  dieser  zelligen  Ele- 
mente im  Verein  mit  der  Gefäßerkrankung  vielleicht  sogar  auf  eine 
syphilitische  Erkrankung  der  weichen  Häute.  Die  Zellen  entsprechen 
keineswegs  Leukocyten,  wie  sie  bei  Entzündungen  in  das  umliegende 
Gewebe  aus  den  Gefäßen  einwandern.  Es  sind  vielmehr  teils  an- 
gedeutet spindelförmige  teils  mehr  polygonale  kleine  Gebilde  mit 
großem  sich  intensiv  färbenden  bläschenförmigem  Kern  und  nur 
außerordentlich  spärlichem  schwer  erkennbarem  Protoplasma.  Nach 
V.  Bechterew*)  bilden  zwar  diese  „Granulationselemente"  keines- 
wegs eine  Besonderheit  des  syphilitischen  Prozesses;  trotzdem 
treten  sie  aber  bei  syphilitischen  Affektionen  mit  Vorliebe  in  großen 
Mengen  und  in  Gestalt  von  Anhäufungen  auf,  während  die  Leuko- 
cyten dabei  ganz  zurücktreten.  Tatsächlich  fanden  wir  die  ge- 
schilderten Zellen  in  unserem  Falle  nicht  nur  in  auffälliger  Zahl, 
sondern  auch  in  Form  umschriebener  Nester.  Ein  sicherer  Beweis 
dafür,  daß  die  Veränderungen  in  den  Meningen  als  syphilitische 
anzusprechen  sind,  läßt  sich  jedoch  beim  Fehlen  typischer  Gummen 
nicht  erbringen ;  andererseits  fällt  für  diese  Auffassung  die  Eigen- 

1)  Die  Syphilis  des  Zentralnervensystems  im  Handbuch  der  pathol.  Anato- 
mie des  Nervensystems.    S.  Karger,  Berlin. 


546  XXVII.  RoGGE  u.  Müller,  Tabea^dors.^  Erkrank,  d.  Zirknlationsorg.  u.  SyphilU. 

art  der  Gefäßerkrankung  sehr  in  die  Wagschale,  die  im  großen 
und  ganzen  den  bei  Lues  beschriebenen  Arterienerkrankungen  bzn*. 
der  syphilitischen  Kndarteriitis  obliterans  entspricht.  Jedenfalls 
weicht  das  histologische  Bild,  wie  eine  Durchsicht  unseres  oben 
niedergelegten  Befundes  lehrt,  ganz  erheblich  von  dem  einer  ge- 
wölinlichen  Arteriosklerose  bzw.  Atheromatose  ab. 

Die  Arteriitis  obliterans  der  Art.  basilaris  cerebri 
hatte  man  durch  starke  Intimawucherung  und  Gerinnselbildong 
allmählich  zu  einer  derartigen  Einengung  des  Gefäßlumens  geführt^ 
daß  nach  mehrfachen  apoplektiformen  Attacken,  die  im  wesentlichen 
der  Ausdruck  vorübergehender  stärkerer  Zirkulationsstörungen 
waren,  sich  zuletzt  eine  Thrombose  von  Brückenästen  mit  sekun- 
därer Erweichung,  namentlich  im  Brückenfuß,  entwickelte.  Das 
Zurückbleiben  einer  radikulären  Leitungsunterbrechung  im  rechten 
Nervus  facialis,  acusticus  und  trigeminus  nach  dem  ersten  Anfall 
im  Krankheitsbeginn  wird  erklärt  durch  die  oben  beschriebenen, 
älteren,  kleinen  Erweichungsherde.  Inwieweit  die  Peri-  und  Epi- 
neuritis  der  Hirnnerven  als  Teilerscheinung  der  Leptomeningitis 
die  Wurzelsymptome  mitbeeinflußt  hat,  muß  unentschieden  bleiben. 
Jedenfalls  deuten  die  beiderseitigen  qualvollen  Trigeminusschmerzen 
und  die  schwere  und  dauernde  rechtsseitige  Acusticusaffektion  auf 
eine  gleichzeitige  Wurzelschädigung  hin.  Bei  der  Verlaufsweise 
der  zentralen  akustischen  Fasern  sind  ja  schwere,  residuäre  Gehör- 
störungen bei  reinen  Brückenherden  selten. 

Die  abnorme,  wohl  kongenitale  Höhlenbildung  im  Halsmark 
hat,  wie  so  häufig,  keine  Erscheinungen  gemacht.  Man  könnte 
vielleicht  in  dieser  Entwicklungsstörung  im  Verein  mit  der  oben 
geschilderten  Anomalie  der  Stirnnaht  den  Hinweis  auf  einen  „Locus 
minoris  resistent iae**  für  die  späteren  syphilitischen  resp.  past- 
syphilitischen Veränderungen  am  Zentralnervensystem  erblicken. 

Daß  das  autoptisch  nachgewiesene  Aortenaneur}*sma  der  klini- 
schen Untersuchung  entging,  beruht  darauf,  daß  es  symptomlos  war 
und  bei  dem  auch  objektiv  negativen  Befunde  eine  Röntgendurch- 
leuchtung leider  unterblieb. 

Dieser  Fall  ist  nicht  nur  ein  gutes  Beispiel  für  das  Zusammen- 
treffen von  Tabes  und  Gefäßerkrankung  auf  der  gemeinsamen 
Grundlage  einer  Syphilis;  er  lehrt  auch,  daß  man  selbst  dann  die 
Kombination  des  Nervenleidens  mit  einer  schweren  Aortenerkrankung 
übersehen  kann,  wenn  man  genau  darauf  achtet  —  ein  weiterer 
Beweis  dafür,  daß  wir  die  Häufigkeit  des  Zusammentreffens  eher 
unter-  als  überschätzen. 


XXVIII. 
Aus  der  inneren  Abteilung  des  Stadtkrankenhanses  in  Posen. 

Über  das  Hydrocephalusstadinm  der  epidemischen 

Genickstarre. 

Von 

Werner  Schultz, 

Erstem  Assistenzarzt  (früher  Greifswald  >. 
(Mit  2  Abbildungen.) 

Die  Beobachtungen,  welche  der  vorliegenden  Mitteilung  zu- 
grunde liegen,  sind  an  den  Fällen  einer  im  Frühjahr  dieses  Jahres 
im  Abklingen  begriflfenen  hiesigen  Epidemie  gemacht  worden.  Die 
bakteriologische  Verfolgung  derselben  lag  in  den  Händen  des  Kgl. 
Hygienischen  Institutes  und  ihre  Ergebnisse  sind  bereits  veröfiFent- 
licht.^)  Es  handelt  sich  in  allen  Fällen,  in  denen  wir  ein  posi- 
tives bakteriologisches  Ergebnis  hatten,  um  eine  Infektion  mit  Me- 
ningokokken. 

Wenn  wir  unser  Interesse  gerade  dem  Stadium  hydrocephalicum 
besonders  zuwandten,  so  geschah  es  deshalb,  weil  dieses  hier  in 
«inem  besondere  hohen  Prozentsatz  der  Fälle  zur  Todesursache 
wurde  und  wegen  seiner  langen  Dauer  und  schwierigen  Pflege  die 
Aufmerksamkeit  und  das  Verlangen  nach  einem  wirksamen  thera- 
peutischen EingriflF  immer  wieder  wachrief. 

Auf  Anregung  von  Herrn  Geh.  Rat  Pauly  unternahm  ich 
insbesondere  eine  Reihe  von  Hirnpunktionen,  deren  Ergebnisse  den 
wesentlichen  Punkt  dieser  Arbeit  bilden.  In  einigen  Fällen  ver- 
wandten wir  Kolle-Wassermann'sches  Serum,  das  wir  der  Liebens- 
würdigkeit von  Herrn  Prof.  Wassermann  verdanken.  Ab- 
schließende Ergebnisse  über  dieses  sind  wir  jedoch  jetzt  noch  nicht 
in  der  Lage  mitzuteilen. 

Die  klinische  Symptomatologie  ist  an  anderen  Orten,  insbeson- 
dere neuerdings  bei  Göppert,  eingehend  behandelt,  so  daß  eine 
kurze  Skizzierung  genügen  möge. 

1)  Klin.  Jahrbuch  Bd.  17  S.  96. 


Ö48 


SXVIII.    SCHL-LI 


Die  Zeichen  der  beginnendeD  Hydrocephalatentwicklang  sind  bä 
einigen  EUndem  sehr  deutlich  und  zwar  faesonderB  in  Bolchen  Fällen,  wo 
das  Kind  anscheinend  einer  blübeoden  RekonvsleBcenz  entgegen  geht. 
Stürmiache  Fieber  erschein  ungeu,  Delirien  usw.  sind  vorüber.  Das  Kind 
ist  ganz  oder  ftonähemd  fieberfrei,  es  sitzt  ira'Bett  nnd  spielt,  antwortet 
vernünftig  auf  alle  Fragen,  zeigt  Interesse  für  aeiue  Umgebung  und 
freut  sich  auf  den  Besuch  seiner  Angehörigen.  Dos  erste  Zeichen  dqd 
der  lanf^sam  kaum  merklich  sich  einatetlenden  Störung  ist  eine  altmShlicb 
beginnende  und  sich  ateigernde  TeilnabniBtoaigkeit  des  Kindes;  es  hat 
keine  Lust  zu  spielen,  aititt  nicht  gern,  liegt  lieber.  Das  Kind,  du 
vorher  aauber  war,  laßt  nnter  sich.  Ea  liegt  meist  auf  einer  Seite,  atarrt 
vor  sich  hin,  die  Angen  weit  auf,  so  daB  oberhalb  der  Iris  Sklera  sichtbar 
wird,  wie  bei  Basedowkranken.  Daa  Aussehen  dea  Kindes  r erfüllt 
„.      .  etwas,    die  rarben  sind 

°  nicht    mehr    so    frisch. 

Komplizierte  Fragen  be- 
antwortet es  nicht  mehr. 
Im  weiteren  Verlauf  dann 
sind  die  Äußerungen  des 
Kindes  anf  ein  Mindest- 
maß rednzierL  Es  ant- 
wortet „Guten  Tag- 
weiter  nichts.  Ab  und 
zu  ruft  es  „Trinken", 
„Hilch".  Es  bat  dabei 
Neigung  sich  stunden- 
lang die  Nagel  abm- 
kanen,  in  dar  Nase  her- 
um znboh  reu,  oder  si<^b 
die  trockene  juckend« 
Haut  zu  kratzen.  Für 
ein  vorgehaltenes  Spiel- 
zeug hat  es  offenbar 
kein  Interesse.  Dagegen 
nimmt  es  ein  StBckchen 
Cakea  oder  Apfelsin« 
in  die  Hand  und  ^gt 
gierig  an  zu  kanea.  War 
das  Kind  schon  vorher 
einigermaßen  geaSttigt, 
so  verliert  nach  einigen 
Bissen  auch  das  Stock- 
chen Cakes  ^ein  Inter- 
esse nnd  das  Kind  liegt 
wieder  fast  regungslos 
mit  dem  angebUscnen 
Stück  in  der  Fanat  -da. 
Ab  und  zu  tritt  jetzt  Erbrechen  anf,  das  in  diesem  Stadium  meist 
als  cerebrales    gedeutet  werden  mnU,    denn    die    Yerdanungafunktioo  des 


über  Aus  fifdroceplialnsstadiam  der  epidemiacheu  Genickstarre.       549 

Kindes  pflegt  bei  diesem  Zustande  wochenlang  ganz  oder  annähernd 
intakt  zubleiben.  Im  Laofe  der  Zeit  verändert  sich  das  Bild  nur  inso- 
fern, dall  trotz  nogestörter  Nah rungiaoüi ahme  der  ErnährungszuBtand  des 
Kindes  intensiv  leidet.  Das  Kind  magert  ab,  die  Haut  wird  trooken 
nnd  faltig,  Bampf  und  Extremitäten  werden  zum  SchluB  fast  akelettiert. 
In  diesem  letzten  Stadiam  hören  auch  die  letzten  einfachen  Reaktionen 
des  Kindes  in  Gestalt  von  Antworten  und  Aoarafen,  Znnire  ausstecken 
UBw.  auf  nnd  die  einsige  kämtlicb  hervorgebrachte  Lebensregung  ist  die, 
datS  es  schreit,  wenn  man  es  aufhebt  oder  kneift.  Die  Haltung  des 
nunmehr  skelettartig  abgemagerten  Kindes,  ist  stereotyp  geworden,  der 
Kopf  ist  weit  nach  hinten  herübergezogen.  Arme  und  Beine  sind  in 
Kontrakt» rstellungea  fixiert. 

Fig.  2. 


In  anderen  Fällen  ist  ein  derartiger  trberpang  aus  der  scheinbar 
guten  Rekonvalescenz  in  das  Stadinm  hydrocephaHcum  nicht  in 
der  gleichen  Weise  verfolgbar.  Schon  in  die  Fiebeiperiode  hinein 
drängen  sich  die  beginnenden  Symptome  des  Hydrocephalus,  so  daß 
ein  freies  Intervall  nicht  zustande  kommt.  Durch  die  Ausbildung 
des  Stadium  hydrocephalicnm  wird  die  Krankheit  oft  bis  in  den 
4.  Monat  in  die  Länge  gezogen. 

Der  Symptomen  komplex,  welchen  wir  im  Stadium  hydrocepha- 
Hcum  vor  uns  sehen,  ist  in  er-ster  Linie  durch  den  längere  Zeit 
hindurch  wiederholt  vermehrten  Flttssigkeitsdruck  im  Gehirn 
bedingt.  Die  Schädigung,  welche  das  Rückenmark  etwa  erfährt 
steht  dieser  gegenüber  jedenfalls  im  Hintergrund. 

Man  konnte  den  Verdacht  haben,  dall  die  sehr  auffallende  Ab- 
magerang,  welche  in  den  meisten  Fällen  ziemlich  rasch  von  statten  geht, 
auf  eine  Schädigung  des  peripheren  motorischen  Neurons  zuriiok zuführen 
sei.  Indessen  spricht  die  Beobachtung  dagegen.  Im  Falle  Czcslaus  N. 
konnte  ich  bei  intensiver  Abmagerung  des  Kindes  noch  am  110.  Krank- 
heitsitage  (3  Tage  vor  dem  Exitus)  beide  Fatellarrefiexe  auslösen. 
X.  peroneus  nnd  N.  tibialis  ant,  waren  galvanisch  und  faradisoh  in 
normalen  Grenzen  erregbar  bei  normaler  Zuckungsformcl.  Der  Typus 
der    Zackung  war  vielleicht    nicht    ganz   so  prompt  wie    heim    gesunden. 


550  XXVIII.  Schultz 

Fibrilläre  Zuckungen  kamen  in  keinem  der  Fälle  zur  Beobachtung. 
Es  ist  anzunehmen ;  daß  abgesehen  von  Emährungseinflüssen  in  erster 
Linie  ein  nicht  naher  charakterisierbarer  Einfluß  des  erkrankten  GroB- 
hims  daneben  der  Ausfall  der  motorischen  Impulse  die  wesentliche  Ur- 
sache sowohl  der  Abmagerung  wie  der  späten  Kontrakturzustände  ist 

Bei  der  Bekämpfung  des  Hydrocephalus  inteiiius  des  Gehirns 
sind  wir  nun  mangels  genügender  Orientierung  über  die  Kommuni- 
kationsverhältnisse keineswegs  sicher,  ob  wir  diesen  günstig  be- 
einflussen, falls  es  uns  gelingt,  im  Bereiche  der  spinalen  Lepto- 
meuinx  durch  die  Lumbalpunktion  eine  Druckherabsetzung  zu 
schaffen.  Göppert  untersuchte  in  einer  Reihe  von  Hydrocephalus- 
fällen  die  Funktion  der  Ventrikelöflfnungen  an  der  Leiche  derart, 
daß  er  gefärbte  Gelatine  oder  dünnes  Methylenblau  ohne  EröflEhung 
der  Schädelkapsel  in  den  Seitenventrikel  injizierte  und  gleichzeitig 
den  spinalen  Duralsack  öftnete.  Die  Flüssigkeit  ergoß  sich  meist 
schnell  zur  Öffnung  in  der  Lendengegend  heraus.  Nach  Erstarrung 
der  Gelatine  bekam  man  Aufschlüsse  über  die  Flüssigkeitsverteilung 
und  Göppert  wurde,  wie  er  angibt,  häufig  vor  der  Annahme  ge- 
schützt, daß  ein  völliger  Abschluß  des  vierten  Ventrikels  bestände. 
Er  unterscheidet  3  Gruppen  von  Hydrocephali  nach  dem  Verhalten 
der  Ventrikelauslässe: 

1.  Fälle  mit  völligem  Verschluß  sämtlicher  Ausführwege  (4  mal  i. 

2.  Fälle  mit  verschlossenem  For.  Magendii,  aber  kompensatori- 
scher Entwicklung  der  Foramina  Luschkae  (7  mal). 

3.  Fälle  ohne  organisches  Stromhindemis  (15  mal). 

Für  die  ersten  Fälle  ergibt  sich  ohne  weiteres,  daß  die  Lumbal- 
punktion wohl  vorübergehend  den  Druck  im  Ventrikelbinnenraum 
vermindern  kann,  daß  aber  der  Hydrocephalus  an  sich  nicht  ver- 
mindert, vielleicht  gesteigert  wird,  weil  Gehimmasse  der  Occipital- 
gegend  der  Druckverminderung  folgend  nach  dem  For.  magnum  zu 
ausweicht.  Diese  Fälle  sind  nach  Göppert  in  der  Minderzahl, 
aber  Göppert 's  eigene  Ausführungen  weisen  darauf  hin,  daß  der 
Leichenbefund  sich  nicht  stets  mit  dem  Verhalten  am  Lebenden 
deckt.  Im  Falle  Georg  F.  findet  er  10  Tage  vor  dem  Tode  einen 
Anfangsdruck  von  2  cm  im  Lumbaisack,  der  sich  beim  Aufsetzen 
nicht  vermehrte,  während  die  Ventrikelpunktion  einen  Druck  von 
7  cm  über  der  Stirn  des  Kindes  ergab  —  ein  Befund,  den  Göppert. 
wenn  vielleicht  auch  nicht  ganz  zwingend,  als  Beweis  für  das  Fehlen 
der  Kommunikation  ansieht.  Die  Sektion  erwies  völliges  Freisein 
des  For.  magendii. 


Über  das  Hydrocephalnsstadium  der  epidemischen  Genickstarre.         551 

Es  fuhrt  dieses  Verhalten  zur  Annahme  eines  während  des 
Lebens  bestehenden  Ventrikelverschlusses,  derart,  daß  die  dila- 
tierten  Hinterhömer  des  Gehirns  das  Kleinhirn  von  oben  und  seit- 
lich gegen  die  Medulla  drücken  und  die  Abflüsse  versperren.  Kurz 
gesagt:  wir  haben  eine  Garantie  für  die  wirkliche  Bekämpfung 
des  Hydrocephalus  nur  dann,  wenn  wir  an  den  Ventrikel  selbst 
herangehen. 

Den  später  zu  gebenden  Ausführungen  über  die  Hirnpunktion 
seien  zur  vergleichenden  Orientierung  einige  Bemerkungen  über 
die  Lumbalpunktion  vorangeschickt. 

Lumbalpunktion. 

Was  die  Lumbalpunktion  bei  der  Genickstarre  betrifft,  so  ist 
ihre  Bedeutung  zunächst  in  erster  Linie  eine  diagnostische.  Es 
gelingt  in  allen  akuten  Fällen,  falls  man  nicht  etwa  den  Beginn 
der  Untersuchung  des  Lumbaipunkt at es  hinausschiebt,  was  bei  der 
Labilität  des  Meningokokkus  zu  vermeiden  ist,  einen  positiven 
Bakterienbefnnd  zu  erheben.  In  der  Regel  läßt  sich  schon  aus 
dem  makroskopischen  Aussehen  der  Lumbaiflüssigkeit  die  Diagnose 
stellen.  Die  gewonnene  Flüssigkeit  sieht  schwach  milchig  getrübt 
ans.  Die  mikroskopische  Untersuchung  des  Triacidpräparates  ergab 
in  frischen  Fällen  das  Vorhandensein  von  massenhaft  gut  erhal- 
tenen neutrophilen  und  eosinophilen  polynukleären  Leukocyten, 
daneben  Endothelzellen,  keine  oder  nur  ganz  vereinzelte  Lympho- 
cvten. 

Im  weiteren  Krankheitsverlauf  verändert  sich  das  cytologische 
Bild  sehr  rasch.  In  etwas  fortgeschrittenen  Fällen  zeigen  die 
Leukocyten  Zerfallserscheinungen  des  Protoplasmas  und  der  Granu- 
lierung Abblassen  der  Kerne  oder  man  sieht  nur  noch  massenhafte 
undeutliche  Zelltrümmer.  In  späten  Stadien  kann  die  Lumbal- 
ilässigkeit annähernd  klar  sein.  In  einigen  akuten  Fällen  erhält 
man  neben  der  milchig  getrübten  Lumbaiflüssigkeit  eine  etwa 
bohnengrofie  dicke  Eiterflocke.  Das  Auftreten  dieses  geballten 
Eitei^  wird  darauf  zurückzuführen  sein,  daß  man  bei  der  Punktion 
die  eiterig  infiltrierten  Maschen  der  Leptomeninx  der  Cauda  equina 
verletzt  hat.  Aus  der  Zufälligkeit  der  Entstehung  dieses  Befundes 
ergibt  sich,  daß  derselbe  keine  besonderen  Schlüsse  auf  die  Schwere 
der  Erkrankung  erlaubt.  Wir  sahen  auch  solche  Fälle  in  Ge- 
nesung übergehen  und  es  ist  anzunehmen,  daß  in  allen  nicht  ge- 
rade foudrovant  verlaufenden  Fällen  eine  mehrere  Millimeter  dicke 


552 


XXVIII.  Schultz 


eiterige  Infiltration  der  Leptomeninx  auf  große  Strecken  hin  Ätatt- 
findet. 

Über  den  therapeutischen  Nutzen  der  Lumbalpunktion  kann 
man  sich  kurz  fassen,  soweit  dies  das  akute  Stadium  betrifft.  Sehr 
häufig  beobachtet  man,  daß  die  Kranken  sofort  angeben,  eine  deut- 
liche Erleichterung  der  Kopfschmerzen  unmittelbar  im  AnschluS 
an  die  Punktion  zu  verspüren,  so  daß  es  indiziert  ist,  an  der  Hand 
der  Beobachtung  des  symptomatischen  Erfolges  wiederholt  kleine 
Mengen  (20 — 30  ccm)  zu  entleeren.  Weit  schwieriger  gestaltet 
sich  die  Frage  für  das  Stadium  hydrocephalicum. 

Unter  anderen  ist  es  Lenhartz  gelungen,  in  einigen  Fällen 
Kinder  durch  wiederholte  Lumbalpunktionen  über  das  Hydro- 
cephalusstadium  hinweg  zu  bringen.  Auch  wir  verfugen  über  einen 
Fall,  in  welchem  das  Versinken  in  die  drohende  Apathie  durch 
wiederholte  Lumbalpunktionen  zeitweise  hintangehalten  wurde, 
allerdings  ohne  daß  es  uns  gelungen  ist,  den  schließlichen  un- 
glücklichen Ausgang  zu  verhindern. 

Die  nähereu  Daten  sind  in  der  folgenden  Tabelle  aufgestellt 

Czeslaus  N.    Lumbalpunktionen  im  Stadium  hydrocephalicum. 


Datum 

Krank- 
heitstag 

Menge  und 
Beschaffenheit 

Druck  in 

mm 
Wasser 

Erfolg 

1. 

10.  VI.  06. 

53. 

10  ccm 
klar 

250    280 

Deutliche   Besserung  für  IS 
Ta^e.  Gut  geschlafen.  Sea- 
sonum    freier.      NahrnDg?- 
aufnahme  besser.     Xackea- 
starre  geringer. 

2.    13.    „     „ 

56. 

19  ccm 

190    210 

Geringfügige  Besserung  de? 
A  Ugemein  Verhaltens. 

3.    15.    „     „ 

1 
1 

58. 

24  ccm 
leicht  getrübt 

230    310 

Kein  deutlicher  Erfolg. 

4.   18.   „    „ 

61. 

21  ccm 
leicht  getrübt 

470 
Kind  weint 

do. 
Kopfschmerzen,  unruhige 
Nacht. 

o.    23.    „     „ 

66. 

21  ccm 
leicht  getrübt 

290 

Gut  vertragen  kein  deutlicher 
Erfolg. 

6. 

26.   „     . 

69. 

3  ccm 

?  gering 

Schädliche  Folgen  der  Lumbalpunktion  sieht  man  im  Stadium 
hydrocephalicum  im  allgemeinen  nicht,  abgesehen  davon,  daß  ge- 
legentlich Kopfschmerzen  auftreten,  insbesondere  dann,  wenn  man 
den  Druck  rasch  und  unter  die  Norm  herabsetzt 


über  das  Hydrocephalasstadinm  der  epidemischen  Genickstarre.        553 

Einmal  wurde  eine  ziemlich  abandante  bis  in  die  Gegend  des 
Halsmarkes  reichende  Subdaral}>lutung  verursacht. 

Es  handelt  sich  um  den  zweijährigen  Erich  V.,  hei  welchem  in  einem 
desolaten  Zustand  einen  Tag  ante  exitnm  die  Punktion  vorgenommen 
wurde.  In  diesem  Falle  hatten  sich  am  gleichen  Tage  vor  der  Punktion 
Zeichen  einer  hämorrhagischen  Diathese  eingestellt.  Der  Stumpf  war  mit 
massenhaften  Petechien  bedeckt.  Ein  Strich  mit  dem  Perknssionshammer- 
stiel  färbte  sich  petechial  (hämorrhagischer  Dermographismos!).  Außerhalb 
des  Körpers  gerann  das  Blut  im  Beagenzglas  ziemlich  rasch. 

Für  den  Ausgang  des  ganz  desolaten  Falles  fiel  die  Blutung  nicht 
wesentlich  ins  Gewicht. 

Hirnpunktion. 

Der  Versuch  unter  wiederholten  Punktionen  das  Stadium  h}^dro- 
cephalicum  schließlich  zum  Stillstand  und  eventuell  zur  Heilung 
kommen  zu  sehen,  ist  deshalb  berechtigt,  weil  die  ursächlichen 
Momente,  welche  den  Hydrocephalus  herbeiführen,  eine  spontane 
Heilungstendenz  zeigen.  Man  sieht,  daß  bereits  deutlich  ausge- 
bildete Hydrocephaluserscheinungen  wieder  zurückgehen.  (Siehe 
unseren  Fall  Josefa  B.  im  Anfang.) 

Technik  der  Hirnpunktion. ^) 

Am  einfachsten  macht  sich  die  Technik  bei  kleinen  Kindern 
mit  offenen  Fontanellen.  Man  kann  hier  am  vorderen  Band  der 
großen  Fontanelle  etwa  2  cm  von  der  Mittellinie  mit  einer  gewöhn- 
lichen Lumbalpunktionsnadel  durch  Haut,  Dura  und  Gehirnsubstanz 
direkt  in  den  Ventrikelraum  gelangen.  Es  pflegt  dann  die  Ventrikel- 
flüssigkeit unter  Druck  hervorzusprudeln.  Man  kann  so  viel  Flüssig- 
keit ablassen,  als  sich  spontan  entleert,  und  verschließt  die  Punk- 
tionsöffnung mit  Gazebausch  und  Heftpflaster,  oder  einfach  einem 
Stückchen  englischen  Pflaster.  Bei  älteren  Kindern  bedienten  wir 
uns  nach  dem  Vorgang  von  Ernst  Neißer  eines  elektrischen 
Bohrers,  mit  dem  man  durch  Haut  und  Knochen  bis  auf  die  Dura 
bohil,  wobei  man  deutlich  fühlt,  wenn  die  Vitrea  durchdrungen 
ist.  Die  Dura  selbst  wird  dann  mit  der  Punktionsnadel  durch- 
stochen. Als  Punktionsort  wählten  wir  mit  A.  Kocher  nach  seiner 
Technik  zur  Injektion  von  Tetanusantitoxin  in  die  Seitenventrikel 
f Zentralblatt  f.  Chirurgie  1899,  Nr.  22)  eine  Stelle  2^j.--3  cm  bzw. 
2 — 2,5  cm  in  unseren  Fällen  bei  Kindern  lateral  vom  Bregma,  d.  h. 
der  Vereinigungsstelle  von  Kranz-  und  Pfeilnaht.    Die  Tiefe  bis  zu 


1)  Die  Ergebnisse  der  Hirnpnnktionen  Bind  tabellarisch  zusammen gefaüt. 


554 


XXVIII.  ScHrLTZ 


der  man  eindringt  beträgt  etwa  3—5  cm.  Im  allgemeinen  wurde 
nicht  aspiriert.  Geschah  dies  ausnahmsweise  (mit  Hilfe  der  kleinen 
Spritze  des  E.  Neißer'schen  Bestecks),  so  wurden  üble  Zufälle  dabei 
nicht  beobachtet.    Narkose  war  nie  erforderlich. 

Josefa  K. 


Datum 


3 

od 


-ö   • 


g  d         Hirn- 
i='i£^  druck  bei 
«^  « I  Horizon- 
gg-^     tallage 


;^PQ 


in  mm 


Erfolg 


1.  Hirnpnnktion  im  Sta-       1.  V. 
dium  hydrocephalic. 


52     30  ccm        — 
klar 


Deutliche  Bessenmg  am 
Tage  der  Punktion. 
Sensorinm  klarer,  bes- 
serer Appetit,  ruhiger 
Schlaf. 


2. 

2. 

V. 

53 

20  ccm 

Ohne  Erfolg. 

3. 

19. 

V. 

70     32  ccm  320-340 
klar 

do. 

4.  Hirn-  und  Lumbal- 
])uuktion 

22. 

V. 

73     60  ccm  170—310 

(beim 
Schreien) 

Geringfitgige   Be>*e- 
rung. 

5- 

28. 

V. 

79    .     ?           210       Ohne  Erfolg. 
Wladislaus  M. 

1.  Hirupunktiou 

30. 

IV. 

nicht 
festzu- 
stellen 

34  ccm 
klar 

Besseres  AllgemeinTer- 
halten.      Nachlassen 
der  spastischen  Kon- 
trakturen. 

n 

2. 

V. 

n 

30  ccm 

Kind  trinkt  besser. 
Spät.  Erampfzusund. 
Exitus. 

Sofie  B. 

Datum 


Krank- 

heits- 

tag 


Menge  und 
Beschaffenheit 


Erfolg 


1.  Hirnpunktion         '   11.  V. 

I 

I 

2.  Hirn-  und  Lum-        1.  VI. 
balpunktion  < 


23       -     23  ccm  klar 


44  24  ccm 

spurweise  ge- 
trübt 


Erbrechen  vorBber- 
gehend  beseitigt. 

Eine  Nacht  ruhigerer 
Schlaf  und  Verringt- 
rnng   der   Nacken- 
starre. 


1.  Hirnpuuktion 


24.  VI. 


Alfred  R. 
76       I    40  ccm  klar 


Gut  vertragen..   Keine 
wesentliche  Ände- 
rung des  Zustandes. 


über  das  Hydrocephalusstadium  der  epidemischen  Genickstarre.        555 


1 
Datum 

Krank- 

heits- 

tag 

Menge  und     i              „  ,  , 

^     .  -    .  .                  Erfolg 
Beschaffenheit  ' 

1 

9 

Uimpnnktion  n. 
Lumbalpunktion 

26.  IV. 

!      78.        30—35  ccm  klar 
5  ccm  leicht 
getrübt 

Ohne  Einfluß. 

3. 

Hirupunktion 

1.  V. 

'      83.       ,     25  ccm  klar 

1 

do. 

4. 

1 

12.  V. 

\      94.       i43-44  ccm  klar            do. 
Marianne  C. 

Himpunktion 

25.  V. 

nicht  fest- 
zustellen. 

1 

15  ccm  klar 

Vorübergehende  Besei- 
tigung von  Krampf- 
zuständen. 

Als  sicher  ist  anzunehmen,  daß  es  im  Stadium  bydrocephalicum 
der  Genickstarre  möglich  ist,  den  Himdrack  durch  Lumbalpunktion 
herabzusetzen. 

Bei  Kindern  mit  offenen  Fontanellen  kann  man  sich  hiervon  durch 
die  einfache  Betastung  vor  und  nach  der  Lumbalpunktion  überzeugen. 

Im  Falle  Josefa  K.  haben  wir  dies  Verhalten  bei  gleichzeitiger 
Hirn-  und  Lumbalpunktion  durch  successives  Ablassen  von  Lumbal- 
fl&ssigkeit  und  parallel  gehende  Hirndruckmessung  zahlenmäßig 
verfolgt. 

Josefa  K.    Hirn-  und  Lumbalpunktion.    22.  Mai  1906. 

Das  Kind  liegt  in  horizontaler  Lage.  Die  zuerst  ausgeführte  Him- 
punktion ergibt  170  mm  Druck,  gemessen  von  der  Einstichstelle;  beim 
Schreien  steigt  derselbe  bis  310  mm.    Alsdann  Lumbalpunktion: 

Druck  zunächst  130  mm,  beim  Schreien  ebenfalls  310  mm.  Nachdem 
sich  die  Niveaus  in  beiden  Steigrohren  nach  dem  Gesetz  der  kommuni- 
zierenden  Röhren  gleich  eingestellt  haben,  wird  abwechselnd  das  Kopf- 
ende und  das  Beckenende  des  Kindes  erhoben:  stets  stellt  sich  in  beiden 
Steigrohren  nach  kurzer  Zeit  ein  horizontales  Niveau  her,  soweit  genau 
als  es  mit  einem  daneben  gehaltenen  Maßstab  abgeschätzt  werden    kann. 

Nachdem  sich  bei  Wiederherstellung  der  horizontalen  Lage  ein 
Druck  von  210  mm  auf  beiden  Seiten  hergestellt  hat,  wird  das  Lumbai- 
steigrohr abgenommen.  Alsdann  wird  successive  LumbalÜüssigkeit  in 
abgemessenen  Portionen  abgelassen  und  der  jeweils  entsprechende  Hirn- 
druck festgestellt: 

Man  erhält  nach  Ablassen  von  Null  ccm  Lumbalflüssigkeit  Himdruck  (H) 


r 


»      12        „ 
M   von  weitereren  8  ccm 

10  . 

6  » 

2 

3 


« 


n 


n 


H 
H 
H 
H 
H 
H 
H 
H 


210  mm 

135  „ 

105  ., 

65  ,, 

60  ^ 

55  „ 

40  ., 

30  ^ 


556  ,  XXVIII.  Schultz 

Somit  ist  der  Hirndruck  nach  Ablassen  von  im  ganzen  43  ccm 
Lumbalflüssigkeit  von  210  mm  Anfangsdruck  auf  30  am  Schluß  gesunken. 

Die  Lumbalpunktionswunde  wird  jetzt  geschlossen.  Nachem  sich 
wieder  ein  Hirndruck  von  55  mm  hergestellt  hat,  fließen  aus  der  Hirn- 
punktionsnadel  nach  Entfernung  des  Steigrohrs  noch  17  ccm  spontan  ab, 
«o  daß  im  ganzen  60  ccm  Cerebrospinalfiüssigkeit  entleert  sind. 

28.  Mai   1906.    Hirn-  und  Lumbalpunktion. 

Das  Kind  befindet  sich  in  horizontaler  Lage  Das  Kind  ist  so  ge- 
lagert, daß  die  Hirnpunktionsöffnung  etwas  tiefer  liegt  als  die  Lumbal- 
punktionsstelle.  Der  Hirndruck  beträgt  210  mm,  der  Lumbaidruck 
105  mm.  Durch  successives  Erheben  des  Beckenendes  erhält  man  einen 
Himdruck  von  240  mm,  während  der  gleichzeitig  bestehende  Lumbaidruck 
"90  mm  beträgt.  Nach  Wiederherstellung  der  horizontalen  Lage  findet 
beim  Erheben  des  Kopfendes  das  Umgekehrte  statt :  Der  Hirndruck  föllt 
und  der  Lumbaidruck  steigt. 

Ablassen  von  Lumbalflüssigkeit  bewirkt  progressives  Sinken  des 
Hirndrucks. 

In  diesem  Fall  zeigen  Hirn-  und  Lumbalflüssigkeit  eine  deutliche 
Farbendifferenz.  Während  die  Ventrikelflüssigkeit  minimal  getrübt  fast 
wasserhell  aussieht,  zeigt  die  ebenfalls  klare  Lumbalflüssigkeit  einen  hell 
gelb-braunen  Ton,  der  offenbar  von  verändertem  Blutfarbstoff  als  Resi- 
duum einer  früheren  Punktion  herrührt. 

Nach  diesem  Befund  muß  man  wohl  annehmen,  daß  trotz  be- 
hinderter Kommunikation  zwischen  Ventrikelbinnenraum  und  Spinal- 
ilüssigkeit  ein  Druckausgleich  durch  Inanspruchnahme  der  Elastizität 
der  trennenden  Gehirnsubstanz  möglich  ist,  und  daß  dieser  durch 
Lumbalpunktion  gewonnene  Erfolg  in  vielen  Fällen  ein  Scheinerfolg 
ist.  Der  Hirndruck  wird  zwar  vermindert,  der  Hydrocephalus  aber 
durch  ein  Nachgeben  der  Hirnsubstanz  vermehrt.  Es  ergibt 
sich  hieraus  eine  Überlegenheit  der  Hirnpunktion  über  die  Lumbal- 
punktion, an  der  wir  festhalten  müssen,  solange  wir  nicht  in 
der  Lage  sind,  den  Hydrocephalus  anders  als  mechanisch  zu  be- 
kämpfen. 

Als  ungünstiges  Ereignis  müssen  wir  eine  intraveutiikul&re 
Blutung  aus  der  Ventrikeldecke  bei  einem  bei  der  Aufnahme  elf 
Monate  alten  Kinde  verzeichnen.  Das  nähere  besagt  das  Protokoll 
{siehe  unten). 

Kurz  zusammengefaßt  läßt  sich  nach  meinen  Beobachtungen 
folgendes  sagen: 

Es  wurde  durch  die  Hirnpunktion  in  nicht  allzu 
vorgeschrittenen  Stadien  eine  Aufhellung  des  Sen- 
soriums,  Besserung  des  Appetites,  Aufhören  von 
Krampfzuständen,  Schlaflosigkeit  und  Erbrechen 
erreicht,  jedoch  alles  nur  vorübergehend  —  in  samt- 


über  das  Hydrocephalnsstadinm  der  epidemischen  Genickstarre.       557 

liehen  Fällen  konnte  der  schließliche  Exitus  lethalis 
nicht  verhindert  werden.  Nichtsdestoweniger  kann 
man  nur  raten,  in  allen  nicht  zu  vorgeschrittenen 
Fällen  die  Hirnpunktion  zu  versuchen,  weil  die  Er- 
fahrung zeigt,  daß  ein  Aufschub  jedenfalls  erzielt 
wird,  und  andererseits  zu  hoffen  ist,  daß  ein  solcher 
in  geeigneten  Fällen  genügt,  um  die  vorhandene 
Heilungstendenz  zur  Geltung  kommen  zu  lassen  und 
das  gefährliche  Stadium  zu  überwinden. 

Im  Anhange  lasse  ich  die  Krankengeschichten  meiner  Fälle 
nebst  Obduktionsbefunden  folgen.  Die  letzteren  verdanke  ich 
Herrn  Professor  Busse. 

Anhang. 

Josef a  K.,  5  Jahre  alt. 

Anamnese:  Das  Kind  ist  seit  11.  März  1906  krank.  Beginn  mit  Er- 
brechen, Kopf-  und  Genickschmerzen. 

Status  bei  der  Aufnahme :  Im  Gesicht  Herpes  labialis.  Nackenstarre, 
Opisthotonus,  Leib  eingezogen,  Lungen  und  Herz  ohne  Besonderheiten. 
Sensorium  frei.    Höchste  Tagestemperatur  38,3  rektal. 

Die  Temperaturkurve  ergibt  in  den  nächsten  Tagen  ein  unregelmäßig 
remittierendes  Fieber,  das  bis  39,  auch  40^  steigt.  Am  17.  März  werden 
4  ccm  Wassermann'sches  Serum  injiziert.  Der  Allgemeineindruck  des 
Kindes  ist  kein  schwerer,  die  Nahrungsaufnahme  ist  gut.  Am  31.  wird 
die  Seruminjektion  wiederholt  (5  ccm). 

Li  den  ersten  Apriltagen  ist  das  Kind  trotz  des  fortbestehenden 
Fiebers  munter,  sitzt  oft  auf,  und  spielt  im  Bett.  Die  Nahrungsaufnahme 
ist  fortgesetzt  gut.     Ganz  allmählich  bahnt  sich  eine  Verschlechterung  an. 

3.  April.  Leichte  Nackenstarre,  Kernig  negativ,  Arme  und  Beine 
frei  beweglich.  Händedruck  beiderseits  kräftig.  Beide  Pupillen  sind 
mittelweit.  Die  Fatellarreflexe  sind  beiderseits  vorhanden.  Klagt  etwas 
ftiber  Kopfschmerzen. 

24.  April.  Das  Kind  ist  benommen.  Es  antwortet  nicht,  steckt  auf 
Anrufen  die  Zunge  nieht  heraus.  Wälzt  sich  unruhig  hin  und  her.  In 
•der  Stellung  der  Augen  besteht  Neigung  zur  Inkongruenz.  Nackenstarre 
ist  vorhanden.  Von  diesem  anscheinenden  Übergang  in  ein  chronisches 
■Stadium  hydrocephalicum  erholt  sich  das  Kind.  Die  Benommenheit  ver- 
liert sich.  Es  ist  zunächst  noch  apathisch.  Antwortet  jedoch.  Weiterhin 
(18.  April)  wird  das  Sensorium  völlig  frei,  und  das  Kind  antwortet  in 
Jebhafter  Weise.  Fieber  tritt  in  dieser  und  in  der  Folgezeit  nur  in  ein- 
zelnen geringen  Schüben  auf. 

Die  Besserung  hält  jedoch  nicht  lange  an.  Am  21.  April  ist  das 
Kind  weniger  munter,  es  erbricht  zweimal.  Die  Augen  sind  abnorm  weit 
geöffnet.    Naokenstarre  besteht. 

25.  April.  Leichte  Benommenheit  hält  an.  Das  Kind  spricht  wenig. 
^  Guten  Tag"  beantwortet  es  in  einer  gewissen  Apatliie  zehnmal  hinter- 
.«  inander. 

Deutsches  Archiv  fttr  klin.  Med.   89.  Bd.  36 


558  XXVIII.  Schultz 

30.  April.  Benommen.  Teilnahmslos.  Anfall  von  krampfartigem 
Opisthotonus  mit  £rhrechen. 

1 .  Mai.  Mittags  I  Uhr  Himpnnktion.  (Positiver  Meningokokkenbefand !) 
Es  werden  30  ccm  klare  Flüssigkeit  entleert.  Keine  Narkose.  SchmerzänEe- 
rang  geringfügig.  Nachmittags  ist  das  Kind  etwas  munterer.  ESs  trinkt 
Ißt  Apfelsinenstücke.  Der  Effekt  ist  kein  sehr  starker,  aber  durchaus  deut- 
licher. Das  Kind  antwortet  auf  Fragen  ^  was  vorher  nicht  oder  nur 
zögernd  der  Fall  war.  Abends  erbricht  es,  die  reichlich  genossenen  Apfel- 
sinenstücke.   In  der  Nacht  schläft  es  ruhiger  als  in  den  Nächten  vorher. 

Am  2.  Mai  ist  es  wieder  völlig  teilnahmslos.  Antwortet  nicht.  Gibt 
nicht  die  Hand.  Weint  bei  Prüfung  der  Nackenstarre.  Nachmittags 
5  Uhr  zweite  Hirnpunktion:  Es  werden  20  ccm  aspiriert.  Die  Apathie 
besteht  nach  der  Punktion  fort.     (Fig.  1  vom  3.  Mai  1906.) ') 

In  der  Folgezeit  tritt  nach  geringer  spontaner  Besserung  eine  weitere 
Verschlechterung  ein.  Häufiges  Erbrechen.  Krämpfe.  Meistens  liegt  das 
Kind  regungslos  mit  geöffneten  Augen  in  einer  stereotyp  gewordeneu 
Haltung  apathisch  da. 

19.  Mai.  5  ^/^  Uhr  nachmittags  dritte  Hirnpunktion.  Es  werden 
32  ccm  wasserklare  Cerebrospinalflüssigkeit  entleert.  Der  Druck  betragt 
320 — 340  mm.  Nach  der  Punktion  besteht  die  Nackenstarre  fort,  des- 
gleichen  die  weite  Öffnung  der  Augen.    Keine  Änderung  des  Znstandes. 

22.  Mai.  Hirn-  und  Lumbalpunktion.  Es  werden  60  ccm  entleert. 
Nach  der  Punktion  einmal  „Mama^  gerufen,  vorher  seit  Wochen  kein 
Wort.    Mit  gutem  Appetit  ein  Ei  gegessen  und  Milch  getrunken. 

23.  Mai.    Liegt  regungslos  wie  vorher. 

Vom  25.  Mai  ab  wird  das  Kind  nebenher  täglich  einmal  warm  ge- 
badet.   Krämpfe.    Erbrechen  bestehen  fort. 

28.  Mai.  Fünfte  Hirnpunktion  mit  Lumbalpunktion  (Näheres  siehe 
unten).    Kein  Effekt. 

Das  Kind  wird  immer  elender.     Krämpfe,  Erbrechen  Nystagmus. 

6.  Juni.    Exitus  nachts   12  »/^  Uhr. 

Sektion:  Im  Bereiche  des  Htimhirns  7  Punktionslöcher  im  Schädel. 

Die  Windungen  des  Großhirns  sind  stark  abgeplattet,  die  GrefaBe 
wenig  mit  Blut  gefüllt,  an  der  Konvexität  kein  Eiter.  Das  Gehirn  hat 
eine  schwappende  Konsistenz.  Beim  Dnrchschneiden  des  Hypophysenstieles 
entleert  sich  leicht  getrübte  Flüssigkeit.  Nach  der  Herausnahme  des 
Gehirns  sieht  man  in  der  Umgebung  der  Oblongata  und  des  Pons  sowie 
namentlich  an  der  Basis  des  Kleinhirns  gelben  Eiter,  der  sich  mit  dem 
Messer  in  den  Maschen  der  Pia  hin  und  her  schieben  läßt,  aber  nirgends 
abzustreichen  ist.  Beim  Eröffnen  der  Ventrikel  entleert  sich  viel  Flüssig- 
keit, die  im  ganzen  leicht  getrübt,  noch  zahlreiche  Fibrinflocken  enthält 
und  mit  der  bereits  entleerten  Ventrikelflüssigkeit  zusammen  260  ccm  mißt. 

An  der  Vorderseite  des  Kückenmarks,  im  Brustteil,  an  seiner  Rücken- 
seite besonders  im  Lendenteil  findet  sich  noch  deutlich  wahrnehmbar 
Eiteransammlung  in  der  Pia. 

Die  Sektion  der  übrigen  Höhlen  ergibt  keine  besonderen  patholo- 
gischen Veränderungen. 


1)  Die  Abbildungen  verdanke  ich  Herrn  Assistenzarzt  Dr.  Erwin  Schmidt. 


über  das  Hydrocephalusstadium  der  epidemischen  Genickstarre.        559 

WladiBlaus  M.,  11  Monate.  Aufgenommen  am  23.  März  1906. 
Anamnese  nicht  erhältlich. 

Die  hei  der  Aufnahme  des  leidlich  genährten  Kindes  heohachteten 
Symptome  sind:  Nackenstarre,  Opisthotonus,  Vortreihung  der  großen 
Fontanelle,  gesteigerte  Patellarreflexe.  Untersuchung  des  Lumhalpnnktates 
ergiht  positiven  Meningokokkenbefnnd. 

In  der  Folgezeit  besteht  ein  Fieber,  das  sich  remittierend  um  38 
und  39  ^  bewegt,  und  bis  zum  Exitus  des  Kindes  anhält. 

5.  April.  Nackenstarre  und  Opisthotonus  vorhanden.  Beine  an- 
gezogen. Bauchdecken  angespannt.  Die  große  Fontanelle  ist  offen,  in 
ihrem  Bereiche  prall  elastische  Vorwölbung  der  Haut.  Die  Patellar- 
reflexe sind  lebhaft. 

Auf  den  Lungen  rechts  hinten  unten  mäßige  Dämpfung  und  fein 
blasiges  Hasseln. 

In  der  Folgezeit  verschlechtert  sich  der  Znstand  des  Kindes  lang- 
sam.    Die  Nackenstarre  hält  an.     Zuweilen  tritt  Erbrechen  auf. 

21.  April.  Das  Kind  sieht  sehr  elend  aus,  schwitzt  stark  am  Kopf 
die  Arme  werden  krampfhaft  gebeugt  gehalten,  mit  geballten  Fäusten. 
Beim  Auslösen  der  Patellarreflexe  erfolgt  rechts  ein  klonisches  Zittern 
des  Beines.  Die  Augen  sind  weit  geöffnet.  Oberhalb  der  Iris  ist  beider- 
seits Sklera  sichtbar. 

24.  April.  Ahnlicher  Znstand  wie  am  21.  April.  Arme  und  Beine 
jetzt  deutlich  hypertonisch.  Letztere  werden  gerade  steif  ausgestreckt 
gehalten.     Die  Patellarreflexe  sind  gesteigert. 

Am  25.  April  tritt  eine  weitere  Verschlechterung  des  Zustandes 
ein,  die  durch  eine  Pneumonie  beider  Unterlappen,  rechts  auch  zum  Teil 
des  Oberlappens  bedingt  ist. 

Die  schwere  Komplikation  wird  trotz  des  schweren  Allgemein- 
zustandes überstanden. 

Da  allem  Anschein  nach  jetzt  ein  Hydrocephalus  besteht,  und  ein 
Andauern  des  äußerst  elenden  Zustandes  des  Kindes  seinen  nahen  Exitus 
befürchten  läßt,  wird  am  30.  April  mittags  1^/^  eine  erste  Hirnpunktion 
beider  Seitenventrikel  vorgenommen.  Es  werden  im  ganzen  34  ccm  klare 
Cerebrospinalflüssigkeit  gewonnen.  Es  wird  direkt  durch  die  große  Fon- 
tanelle an  deren  vorderen  Rand  2 — 3  cm  von  der  Mittellinie  ohne  Durch- 
bohrung des  Knochens  punktiert. 

Die  vorher  straff  festgespannte  Fontanelle  wird  weich. 

Nachmittags  sieht  das  Kind  munterer  aus,  stöhnt  nicht  mehr,  trinkt 
reichlich.  Die  spastischen  Kontrakturen  haben  in  ihrer  Intensität  merk- 
lich nachgelassen. 

2.  Mai.  Nachdem  sich  die  Steifigkeit  der  Arme  und  Beine  wieder- 
hergestellt hat,  wird  nachmittags  5  ^'2  ^^^  ®^°®  erneute  Himpunktion 
geuEiacht.  Es  entleeren  sich  30  ccm  spontan.  Nach  der  Punktion  trinkt 
das  Kind  besser  als  vorher. 

3.  Mai.  Mittags  gegen  12  Uhr  tritt  ziemlich  plötzlich  in  einem 
krampfartigen  Zustand  der  Exitus  ein. 

Sektion:  Knabenleiche  in  mäßigem  Ernährungszustand.  Bauch 
sehr  stark  aufgetrieben.     Füße   in  Spitzfußstellung,    die  Zehen  nach  der 

36* 


560  XXVni.   Schultz 

Sohle  hin  umgebogen,  die  Hände  und  Finger  sind  stark  gebengt.  Der 
Kopf  zeigt  einen  verhältnismäßig  großen  Schädelteil.  Die  Augen  liegen 
sehr  tief  in  den  Höhlen,  die  Stirn  springt  stark  vor. 

Auf  der  Scheitelgegend  befindet  sich  beiderseits  eine  durch  Verband 
geschlossene  Punktionswunde.  Der  Verband  ist  auf  der  rechten  Seite 
blutig  durchtränkt,  auf  der  linken  trocken.  Auf  der  rechten  Seite  be* 
findet  sich  eine  etwa  talergroße  Blutung  unier  der  Haut. 

Die  Fontanellen  sind  weit  offen.  In  dem  hinteren  Teil  des  linken 
Scheitelbeines  findet  man  mehrere  häutige  Stellen.  Beim  Ablösen  des 
Schädeldaches  zeigt  sich  auf  der  rechten  Konvexität  zwischen  Dura  und 
Pia  ein  Blutgerinnsel.  Dasselbe  stammt  aus  einer  Vene  des  Stimlappens : 
die  Punktion  ist  gerade  durch  eine  Furche  hindurchgegangen.  £s  tritt 
hier  aus  dem  Stichkanal  ein  kleines  Blutkoagulum  hervor.  Auch  auf  der 
anderen  Seite  ist  die  Punktion  durch  die  entsprechende  Furche  hindurch- 
gegangen. Bei  Herausnahme  des  Oehims  erweist  sich  die  Pia  mater  im 
vorderen  Teile  von  einer  weißlichen  rahmigen  Hasse  durchsetzt.  An  der 
Basis  finden  sich  unterhalb  des  Kleinhirns  und  um  das  verlängerte  Mark 
herum  Ansammlungen  von  dickem  Eiter,  der  sich  als  Delle  an  der  Basis 
des  Kleinhirns  abgedrückt  hat.  In  dem  Ventrikel  befinden  sich  teäls 
klare  Flüssigkeit,  teils  sulzige  bräunliche  Blntmassen.  Im  ganzen  lassen 
sich  aus  den  Ventrikeln  200  ccm  entleeren. 

Im  rechten  Ventrikel  befindet  sich  ein  noch  dunkleres  Blutgerinnsel 
von  Taubeneigröße.  Das  Ependym  ist  im  ganzen  verdickt,  und  mit 
Eiter  und  blutigen  Massen  besonders  im  hinteren  Teil  belegt.  Die 
Stichkanäle  für  die  Punktion  sind  auch  an  der  Decke  der  Seitenventrikel 
bemerkbar.  Der  eine  wird  aufgeschnitten  und  enthält  Blut.  Der  Boden 
des  Ventrikels  ist  unverletzt,  so  daß  die  Blutung  durch  die  Vene  zweifel- 
los von  oben  her  erfolgt  ist. 

Sofie  B.,  4  Jahre   alt.     Aufgenommen  31.  April   1906. 
Anamnese:    Das    Kind    ist   am    19.  April  1906    mit    Erbrechen, 
Fieber,  Kopfschmerzen  und  großer  Unruhe  plötzlich  erkrankt. 

Status:  Das  Elind  ist  dem  Alter  entsprechend  groß;  von  gniem 
Ernährungszustände.  Es  sieht  etwas  blaß  aus.  Es  kann  stehen,  wenn 
es  auf  die  Beine  gestellt  wird.  Deutliche  Nackenstarre.  Kein  Herpes, 
kein  Exanthem.  Zunge  weißlich  belegt.  Hachenteile  gerötet.  Beider- 
seits Über  erbsengroße  Submaxillardrüsen.  Innere  Organe  ohne  beson- 
deren Befund.  Pupillen  und  Patellarreflexis  vorhanden.  Lumbalpunktion 
ergibt  stark  eiterige  Lumbaiflüssigkeit.     Temperatur  38,0  ^\ 

In  der  Folgezeit  besteht  ein  unregelmäßiges  remittierendes  Fieber, 
das  bis  zum  3.  Mai  anhält  und  dann  einer  Periode  von  etwa  normalen 
Temperaturen  mit  einzelnen  schubartigen  Fiebersteigerungen  weidit. 
Schon  in  der  ersten  Fieberperiode  entwickeln  sich  unmerklich  die  ersten 
Hydrocephalusersch  einungen. 

1.  Mai.  Nackenstarre  besteht  fort.  Kernig  negativ.  Das  Kind 
schläft  viel.     Spielt  nicht.     Die  Augenbewegungen  sind  allerseits  frei. 

5.  Mai.  Der  Kopf  ist  stark  hintenübergezogen.  Die  Augen  sind 
weit   geöffnet,   geradeaus  gerichtet.     Es   gelingt   nicht  das  Kind  za  ver- 


über  das  Hydrocephalusstadinm  der  epidemischen  Genickstarre.        561 

anlaasen,  mit  den  Augen  dem  vorgehaltenen  Finger  zu  folgen.     Die  Zunge 
wird  auf  Verlangen  auBgeetreckt. 

7.  Hai.  Tief  benommen.  Schläft  viel.  Läßt  unter  sich.  Trinkt 
wenig.  Liegt  meist  ganz  still,  oder  macht  automatische  Bewegungen 
mit  dem  rechten  Arm  und  dem  linken  Bein.  Nackenstarre  besteht  fort. 
(Hydrooephalus !) 

Seit  dem  2.  Mai  häufig  erbrochen. 

11.  Mai.  Abends  6  XJhr.  Hirnpunktion.  Es  werden  23  com  klare 
Flüssigkeit  entleert.  (Positiver  Meningokokkenbefund.)  In  der  Nacht  schläft 
das  Kind  ruhig.     Kein  Erbrechen. 

12.  Mai.  Starke  Nackenstarre  wie  vorher.  Teilnahmslos.  Rhyth- 
mische seitliche  Augenbewegungen.  Andeutung  von  Gheyne-Stokes'schem 
Phänomen.  ( Einziger  Erfolg  der  Himpunktion  vorübergehend  fehlendes 
Erbrechen). 

16.  Mai.  Teilnahmslos.  Läßt  unter  sich.  Antwortet  nicht.  Knirscht 
mit  den  Zähnen.     Trinkt  wenn  man  ihm  anbietet. 

19.  Mai.  Erfolglose  Himpunktion  5^/«  Uhr  nachmittags.  Es  wird 
kein  Liquor  entleert. 

In  der  Folgezeit  ständig  dasselbe  Bild:  Häufig  Zähneknirschen,  Er- 
brechen. 

31.  Mai.  Nackenstarre  besteht  fort.  Ausgebildete  Kontrakturen. 
Arme  gestreckt  vom  Rumpf  weg  gehalten,  rechte  Hand  in  Beuge-  und 
Abdnktions-,  linke  in  Flexionskontraktur.    Beine  in  den  Knieen  gebeugt. 

1.  Juni.  Hirn-  und  Lumbalpunktion.  24  ccm  spurweise  getrübte 
Flflssigkeit  werden  entleert. 

2.  Juni.  In  der  Nacht  länger  und  ruhiger  geschlafen  als  vorher. 
Morgens  Nackenstarre  etwas  geringer.  Nachmittag  Benommenheit,  Zähne- 
knirschen, Erbrechen  wie  vorher.     Sehr  geringer  Effekt  der  Punktion. 

5.  Juni.     Nachts  12^  1^  Exitus.      Sektion  verweigert. 

Alfred  R.,  3  Jahre  alt. 

Anamnese:  Das  Kind  ist  am  9.  Februar  erkrankt.  Beginn  mit 
hohem  Fieber,  Durchfall  und  Erbrechen.  Einige  Tage  vor  der  Auf- 
nahme stellt  sich  Nackenstarre  ein.  Bei  der  Aufnahme  am  18.  Februar 
besteht  leichte  Nackensteifigkeit.  Das  Sensorium  ist  frei.  Die  Tempe- 
ratur ist  normal.  Im  übrigen  keine  Besonderheiten.  Die  Untersuchung 
des  Nasenrachenschleims  ergibt  Meningokokken. 

In  der  Folgezeit  tritt  ein  unregelmäßiges  remittierendes  oder  inter- 
mittierendes Fieber  auf,  das  am  Ende  der  4.  Krankheitswoche  normalen 
bzw.  subfebrilen  Temperaturen  Platz  macht.  Vom  44.  bis  zum  72.  Krank- 
heitstag verläuft  dann  wieder  eine  Fieberperiode  deren  höchste  Spitzen 
sich  89  Orad  nähern.  Die  Schlußperiode  zeigt  normale  bzw.  subfebrile 
Temperaturen  mit  einzelnen  vorübergebenden  eintägigen  Spitzen. 

In  der  Zeit  vom  13. — 21.  März  machen  sich  die  ersten  Anzeichen 
des  beginnenden  Stadium  hydrocephalicum  bemerkbar.  Bei  relativ 
niedrigen  Temperaturen  bestehen  Nackenstarre,  Opisthotonus,  vorüber- 
gehend besteht  Benommenheit. 

24.  März.  Nachts  wieder  Steigerung  auf  39  ^.  Erbrechen.    Nystagmus» 
Bei   der  Übernahme   in   den    ersten  Apriltageu   fand   ich   ein  völlig 


562  XXVIII.  Schultz 

ausgebildetes  Stadium  hydrocephalicum  vor.  Das  Kind  war  äußerst 
mager.  Liegt  fast  völlig  regungslos  da,  mit  Kaokenstarre  und  Opistho- 
tonus.    Erst  auf  heftiges  Kneifen  reagiert  es  mit  Stöhnen. 

Die  Beine  sind  an  den  Leib  gezogen.  Ihrer  Streckung  setzt  sich 
Widerstand  entgegen.  Von  Seiten  der  inneren  Organe  liegen  keine 
Störungen  vor.  Im  auffallenden  Qegensatz  zu  der  guten  Nahrungsauf- 
nahme  —  das  Kind  trinkt  begierig  aus  der  Milchflasche  zurzeit  21^  1 
pro  Tag  —  steht  schon  jetzt  die  zunehmende  intensive  Abmagerung!' 

Am  14.  April.  Das  Kind  liegt  mit  Nackenstarre  regungslos  b 
derselben  Haltung  wie  vorher.  Die  nähere  Prüfung  der  Kontraktion^- 
stellung  der  Beine  ergibt  keine  eigentliche  Hypertonie,  vielmehr  gelingt 
die  Herstellung  der  Streckstellung  zunächst  ohne  Widerstand,  erst  weiter- 
hin macht  sich  eine  Hemmung  geltend,  die  offenbar  auf  die  Yerkürsung 
der  Antagonisten  infolge  der  langen  gleichmäßig  beibehaltenen  Ruhe- 
stellung zurückzuführen  ist.  Die  Fatellarreflexe  fehlen  beiderseits.  Be- 
züglich der  Arme  läßt  sich  dasselbe  feststellen  wie  an  den  Beinen. 
Auch  hier  keine  Hypertonie,  sondern  Muskel  widerstand  durch  Anta- 
gonisten Verkürzung.     Die  Pupülenreaktion  ist  beiderseits  vorhanden. 

Zu  einem  offenbar  schon  vorgerückten  Zeitpunkt  des  Stadium  hydro- 
cephalicum wird  am  24.  April  mittags  ll^s  ^^^  erste  VentrikelpunktioD 
2^/2  c^  rechts  von  der  Yereinigungsstelle  von  Kranz-  und  Pfeilnaht 
vorgenommen. 

Die  Nadel  dringt  34  mm  tief  ein.  Es  werden  unter  Druck  40  com 
wasserklare  Flüssigkeit  entleert. 

Eine  wesentliche  Änderung  im  Verhalten  des  Kindes  tritt  nicht  auf, 
es  schläft  in    der  folgenden  Nacht  ruhig,    es  trinkt  reichlich  wie  vorher. 

26.  April  mittags  12^/^  Uhr  zweite  Hirnpunktion. 

Auf  der  rechten  Seite  2  cm  von  der  Mittellinie  vom  Punkte  des 
Zusammentreffens  der  Kranz-  und  Pfeilnaht. 

Es  werden  30 — 35  ccm  wasserklarer  Yentrikelinhalt  entleert. 

Im  Anschluß  hieran  wird  lumbal  -  punktiert  und  es  werden  5  ccm 
ganz  leicht  getrübte  Lumbaiflüssigkeit  gewonnen.  Abends  läuft  unter 
dem  Verband  noch  etwas  Gerebrospinalflüssigkeit  aus  der  letzten  Him- 
punktionsstelle  in  das  Kopfkissen.     Äußeres  Verhalten  unverändert. 

28.  April.  Augenuntersuchung  ergibt  beiderseits  Neuritis  optica, 
verwaschene  Papillengrenzen,  rechts  stärker  als  links. 

1.  Mai  mittags  1^/2  Uhr  dritte  Hirnpunktion.  25  ccm  klare  Flüssig- 
keit entleert.     Kein  Effekt.    (Fig.  2  vom  3.  Mai  1906.) 

Vom  5.  Mai  ab  tritt  durch  hinzutretende  Durchfälle  eine  weitere 
Verschlechterung  ein.  Das  Kind  ist  so  völlig  apathisch,  daß  es  auch 
auf  die  offenbar  sehr  schmerzhafte  gewaltsame  passive  Überwindung  der 
Kontrakturstellung  der  Arme  und  Beine,  Hände  und  Füße  nicht  eiamal 
mit  Schreieil  reagiert. 

12.  Mai.     Vierte  Hirnpunktion. 

Entleerung  von  43 — 44  ccm  klare  Flüssigkeit. 

Die  Dekubitusgefahr  ist  bei  dem  äußerst  abgemagerten  Kinde  so 
groß,  daß  das  Kind  täglich  wiederholt  auf  die  andere  Seite  gelegt  werden 
muß,  weil  die  rasch  eintretende  Kötang  und  Verdünnung  der  Haut  Ge- 
schwürsbildung fürchten    läßt.     In    die   Hände,    welche    geballt  gehalten 


über  das  Hydrocephalusstadiam  der  epidemischen  Genickstarre.        563 

werden,  sind  Wattebäusche  gelegt,  um  zu  verhindern,  daß  sich  die  Nägel 
in  das  Fleisch  hineinbohren. 

Am  16.  Mai  ll^/^  vormittags,  also  dem  98.  Krankheitstag  tritt 
unter  Trachealrasseln  der  Exitus  ein. 

Sektion  (Auszug):  Schädelumfang  48  cm.  Das  dünne  Schädel- 
dach zeigt  in  Yerheiiung  begriffene  Punktionsöffnungen.  Die  Dura  ist 
stark  gespannt.  Die  Gyri  sind  abgeplattet.  Die  Piagefäße  wenig  gefüllt. 
Kein  Eiter.  Beim  Durchschneiden  des  Hypophysenstieles  sprudelt  klare 
Flüssigkeit  heraus.  Das  Gehirn  schwappt.  Es  werden  320  ccm  Ven- 
trikelflüssigkeit gemessen.  Das  Ependym  der  Ventrikel  ist  verdickt,  es 
spannt  sich  im  Hinterhom,  wo  der  Schnitt  nicht  gleich  bis  in  die  Ven- 
trikel gefuhrt  wurde,  membranartig  an.  Am  Bückenmark  sind  die  Ge- 
fäße der  Pia  noch  leicht  injiziert. 

Der  Fall  kann  als  Beleg  dafür  dienen,  wie  intensiv  im  Stadium 
liydrocephalicum  die  Neigung  zu  Neuproduktionen  von  Cerebrospinal- 
flüssigkeit  ist.  Gleichzeitig  weist  er  uns  darauf  hin,  daß  in  späteren 
Stadien  die  Aussichten  auch  auf  eine  nur  vorübergehende  Besserung 
des  Zustandes  durch  einzelne  Himpunktionen  äußerst  gering  sind, 
und  daß  wir,  falls  wir  eingreifen  wollen,  den  EingriflF  nicht  allzu- 
lange hinausschieben  dürfen. 

Andererseits  beweist  er  eine  gewisse  Resistenz  des  Gehirns 
gegenüber  der  Infektion  von  außen,  die  bei  dem  elenden  AUgemein- 
zustand  bemerkenswert  ist. 

Marianna  C,  7  Monate  alt. 

Anamnese:  Das  Kind  soll  seit  14  Wochen  krank  sein,  an  Er- 
brechen und  Krämpfen  gelitten  haben. 

Status:  Welk  aussehendes  schlecht  ernährtes  Kind,  im  KoUaps- 
zustand.  Nase  und  Extremitäten  kühl,  Haut  schilfernd,  trocken.  Keine 
Nackenstarre.  Patellarreflexe  auslösbar.  Lungen  ohne  Dämpfung  und 
Rasseln.  Herzdämpfung  nicht  vergrößert.  Töne  rein.  Abdomen  weich, 
nicht  eingezogen.  Lumbalpunktion  ergibt  wenige  ccm  schwach  trübe 
Lumbaiflüssigkeit,  in  der  ein  Meningokokkennachweis  nicht  gelingt.  Sub- 
normale Temperaturen  (um  36  % 

20.  Mai.  Keine  Augenhintergrundsveränderungen.  Cheyne-Stokes- 
sches  Atmen. 

3L  Mai.  Hände,  Nase,  Ohr  kühl  wie  vorher.  Die  gestern  noch 
straff  gespannte  Fontanelle  ist  eingesunken.  Eigentümliche  wechselnde 
KrampfsteUungen  der  Hände  und  Finger,  am  ehesten  noch  athetotischen 
vergleichbar. 

25.  Mai.  Abends  8^/2  IJhr  Himpunktion.  15  ccm  klar  spontan 
enÜeert.  Die  vorher  straff  gespannte  Fontanelle  ist  danach  eingesunken, 
!Es  wird  ein  Kompressionsverband  um  den  Kopf  angelegt. 

26.  Mai.  Das  Kind  schlief  gut.  Es  scheint  mehr  Buhe  zu  haben, 
es  schläft  viel,  während  es  vorher  auch  nachts  die  Augen  meist  offen 
hielt  und  die  Finger  und  Händchen  bewegte. 

Abends    Zustand    wie    vor    der   Punktion.     Augen    meist    geöfinet. 


^ 


564     XX VIII.  Schultz,  Üb.  d.  Hydrocephalofistadinm  d.  epidem.  Genickstarre. 

Eigentümliche   wechselnde  Krampfsteliimgen   der  Hände  und  Finger  wie 
vorher. 

28.  Mai.    Nahrungsaufhahme  seit  geetem  sohlechter,  schluckt  schlecht. 

29.  Mai.      Sehr    elend,    Kopf  verband    entfernt.     Große    Fontanelle 
eher  eingesunken.     Links  Papille  und  Lidspalte  weiter  als  rechts. 

30.  Mai.     Exitus  abends  6  Uhr. 


Literatur. 


F.  Göppert.  Zur  Kenntnis  der  Meningitis  cerebrospinalis  epidemica  mit  be- 
sonderer Berücksichtigung  des  Kindesalters.  Klinisches  Jahrbach  Bd.  XV. 
Heft  Sj  1906  (s.  dort  weitere  Literatnrangaben). 

Lenhartz,  Zur  Behandlang  der  epidemischen  Genickstarre.  Mttnch.  med. 
Wochenschr.  1906.  Nr.  62. 

Kocher,  Albert«  Über  eine  einfache  Trepanationsmethode  fttr  intracerebrale  In- 
jektionen.   Zentralblatt  f.  Ohirargie  Nr.  22  1899. 


XXIX. 

Ans  der  ffledizinischen  Klinik  zu  Leipzig. 
(Geh.  Medizinalrat  Prof.  Dr.  Curschmann.) 

Der  Einfluß  des  Banchens  auf  den  Kreislauf. 

Von 

Medizinalpraktikant  Erich  Hesse. 

Die  Wirkungen,  welche  der  Tabakgenafl  auf  den  menschlichen 
Organismas  ansttbt,  sind  sehr  verschiedenartige.  Während  der  eine 
dem  Rauchen  einen  beruhigenden  Einfluß  zuschreibt,  bema^ken 
andere  eine  Anregung,  noch  andere  werden  unzweifelhaft  direkt 
erregt,  und  schließlich  gibt  es  gegen  Tabak  intoleraute  Individuen,, 
bei  denen  schon  der  geringste  Tabakgenuß  Übelkeit  auslöst  Von 
Vielen  wird  trotzdem  völlige  Unschädlichkeit  des  gewohnheits- 
mäßigen Tabaksgenusses  behauptet.  Als  Beispiel  vermag  wohl 
jeder  Leute  anzuführen,  die  ohne  erkennbare  Schädigung  Jahr- 
zehnte hindurch  bis  ins  hohe  Greisenalter  große  Mengen,  oft  auch 
schweren  Tabaks  konsumiert  haben.  Demgegenüber  sieht  man 
zahlreiche  Patienten,  deren  verschiedenartige  Leiden,  ob  mit  Recht 
oder  Unrecht,  sei  vorläufig  dahingestellt,  auf  den  Tabakgenuß  zu- 
r&ckgeffihrt  werden.  Ganz  besonders  sind  es  Störungen  des  Nerven- 
systems, vor  allem  aber  auch  des  Zirkulationssystems,  welche  durch 
den  Tabak  hervorgerufen  werden  sollen. 

Ich  habe,  um  festzustellen,  ob  überhaupt  eine  unmittelbare 
Wirkung  des  Rauchens  auf  den  Kreislauf  nachzuweisen  ist,  und 
welcher  Art  diese  ist,  auf  Veranlassung  von  Herrn  Prof.  Päßler^ 
damaligen  1.  Assistenten  des  Herrn  Geheimen  Medizinalrat  Cursch- 
mann in  der  Leipziger  medizinischen  Klinik  eine  Reihe  diesbezüg- 
licher Versuche  angestellt. 

Diese  Versuche  erstreckten  sich  auf  die  Beobachtung  des  Blut- 
drackes  und  der  Pulsfrequenz  vor,  während  und  nach  dem  Rauchen. 
Die  Untersuchten  waren  teils  Studenten,  teils  Patienten  der  Klinik^ 


566  XXIX.   Hesse 

ihr  Alter  schwankte  zwischen  20  und  57  Jahren.  Femer  habe 
ich  sowohl  Gewohnheitsraucher  wie  auch  Nichtraucher  zur  Unte^ 
suchung  verwandt,  ein  Umstand,  der  mir  besonders  wertvoll  er- 
schien. Sämtliche  Messungen  wurden  vorgenommen  in  Bückenlage, 
die  die  zu  Untersuchenden  von  Beginn  der  1.  Messung  vor  dem 
Bauchen  bis  zur  letzten  Messung  nach  Schluß  des  Rauchens  bei- 
behalten mußten.  Es  wurde  außerdem  streng  darauf  gehalten, 
daß  während  der  Messungen  seitens  der  betreffenden  Leute  jedes 
Sprechen  vermieden  wurde,  um  etwa  durch  die  Unterhaltung  ein- 
tretende psychische  Einfltisse,  die  das  Resultat  beeinträchtigen 
könnten,  möglichst  auszuschalten.  Endlich  WTirde  in  jedem  ein- 
zelnen Falle  registriert,  wann  die  Leute  die  letzte  Mahlzeit  ein- 
genommen hatten  und  welcher  Art  diese  war,  weil  bekanntermaßen 
nach  Nahrungsaufnahme  eine  Steigerung  des  Blutdruckes  eintritt. 

Zur  Verwendung  kam  eine  leichte  Brasilzigan^e,  doch  wurden 
auch  einige  Untersuchungen  mit  Habannaimporten  und  mit  der 
Dr.  K  i  ß  1  i  n  gesehen  „nikotinfreien"  Zigarre  vorgenommen. 

Gemessen  habe  ich  palpatorisch  mit  dem  Sphygmomanometer 
von  Riva-Rocci  mit  der  später  von  v.  Recklinghausen  an- 
gegebenen breiten  Manschette,  und  zwar  den  rechten  Radialpuls. 
Es  wurde  sowohl  der  systolische  als  auch  der  diastolische  Druck 
bestimmt  und  der  Quotient  nach  Strasburger  berechnet. 

Die  nachfolgende  Tabelle  steUt  die  von  mir  gefundenen  Re- 
sultate dar  (s.  S.  568—571). 

Wie  aus  der  Tabelle  deutlich  ersichtlich,  ist  in  sämtlichen 
Fällen  ein  Einfluß  des  Rauchens  auf  das  Herz,  bzw.  den  Kreislauf 
zu  konstatieren.  Freilich  ist  die  Art  der  Wirkung  eine  sehr  mannig- 
faltige. 

In  der  Mehrzahl  der  Untersuchungen  finden  wir,  daß  die  Folge 
des  Rauchens  eine  Erhöhung  der  Pulsfrequenz  ist,  die  Hand  in 
Hand  geht  mit  einer  teilweise  recht  erheblichen  Steigerung  des 
Blutdrucks.  Es  ist  dies  der  Fall  bei  Versuch  3,  5,  7,  9,  11,  li 
14,  15,  16,  17,  18,  20,  21,  22,  23,  24,  25. 

Eine  reine  Steigerung  des  Blutdrucks  ohne  Erhöhung  der 
Pulsfrequenz  finden  wir  in  5  Fällen  (1,  2,  4,  13,  19). 

Schließlich  zeigen  3  Versuche  (6,  8,  10)  eine  geringe  Abnahme 
des  Blutdrucks.  Allerdings  ist  in  diesen  3  Fällen  die  Pulsfrequenz 
zum  Teil  nicht  unwesentlich  gestiegen. 

Was  nun  die  Blutdrucksteigerung  anbelangt,  so  müssen  wir 
sie  nach  verschiedenen  Gesichtspunkten  näher  betrachten.  Zunächst 
sehen  wir,  daß  ihre  Höhe  sehi'  großen  Schwankungen  unterliegt. 


Der  Einfluß  des  Banchens  anf  den  Kreislauf.  567 

Während  sie  im  Maximum  36  mm  erreicht  (3),  beträgt  sie  bei 
Versuch  7  nur  3  mm.  Dazwischen  finden  wir  alle  möglichen  Ab- 
stufungen. Vorzüglich  betrifft  die  Drucksteigerung  den  systolischen 
Blutdruck,  denn  als  Maximum  der  diastolischen  Drucksteigerung 
steht  Versuch  3  mit  29  mm  da;  sämtliche  anderen  Werte  für  die 
diastolische  Drucksteigerung  bleiben  hinter  diesem  Maximum  wesent- 
lich zurück,  ihre  durchschnittliche  Höhe  beträgt  nur  etwa  7  mm.  — 
Jedenfalls  geht  die  Steigerung  ziemlich  bald  nach  dem  Beginn  des 
Kauchens  vor  sich,  da  meistens  schon  nach  der  ersten  Zigarre  der 
Hauptanstieg  erreicht  ist  und  nach  der  zweiten  nur  noch  ein  ge- 
ringeres Steigen  erfolgt.  Dieser  Umstand  wird  uns  einigermaßen 
verständlich  durch  die  Tatsache,  daß  die  Steigerung  des  Blutdrucks 
überhaupt  nicht  lange  anhält,  sondern  bald  nach  dem  Aufhören  des 
Rauchens  wieder  zurückgeht  Versuche  16,  22,  23,  24,  25  zeigen 
uns,  daß  bereits  20  Minuten  nach  Schluß  des  Rauchens  diastolischer 
wie  systolischer  Druck  gefallen  sind,  und  zwar  auf  eine  Höhe,  die 
unter  dem  vor  dem  Versuch  gefundenen  Werte  steht.  Dieser  Ab- 
fall ist  noch  nach  40  Minuten  zu  konstatieren  und  erst  nach  Ab- 
lauf einer  Stunde  beginnt  der  Druck  allmählich  steigend  sich  wieder 
dem  ursprünglichen  zu  nähern  (16,  24).  Auffallend  ist,  daß  bei  dem 
Abfall  der  Quotient  fast  durchweg  steigende  Tendenz  hat.  Wenn 
bei  Versuchen  1,  9,  12,  13,  24,  25  ein  vorzeitiges  Fallen  oder  ein 
völliges  Fehlen  des  Anstieges  zu  vermerken  ist,  so  dürfte  dies  als 
ein  Übergang  zu  dem  Stadium  des  sinkenden  Druckes  aufzufassen 
sein.  Ich  werde  weiter  unten  versuchen,  aus  diesem  Sinken  Schlüsse 
zu  ziehen. 

Über  die  großen  individuellen  Schwankungen,  denen  der  Ein- 
fluß des  Rauchens  auf  den  Blutdruck  unterliegt,  bestimmte  Schlüsse 
zu  ziehen,  ist  vielleicht  bei  der  relativ  geringen  Zahl  von  25  Ver- 
suchen etwas  gewagt,  doch  neige  ich  zu  der  Ansicht,  daß  das  Alter 
entschieden  mitspricht.  Die  weitaus  größten  Steigerungen  finden 
sich  bei  Versuchen  1,  2,  3,  4,  5,  bei  denen  es  sich  um  Leute 
zwischen  dem  45.  und  dem  57.  Lebensjahre  handelt,  während  die 
Steigerungswerte  bei  den  in  den  zwanziger  Jahren  stehenden  Leuten 
erheblich  niedriger  sind.  Der  jugendliche  Organismus  scheint  sich 
eben  den  schädlichen  Einflüssen  weitaus  besser  anpassen  zu  können. 
Sicherlich  sind  aber  auch  gewisse  Organerkrankungen  imstande, 
den  Einfluß  auf  den  Blutdruck  zu  beeinträchtigen.  So  glaube  ich. 
daß  bei  Patient  Schott  (1,  2,  4),  der  ein  Emphysem  der  Lunge 
hatte,  dieses  zum  Teil  die  sehr  hohen  Steigerungen  mit  bedingt 
hat.    Berücksichtigt  werden  muß  endlich  noch,  ob  das  Individuum 


568 


XXIX.    Hb88E 


^■w 

Name  und 
Alter 

1 

Oh  Kaucher 

Status  Tor  dem  Rauchen: 

Nr. 

Systol. 
iJruck 

Diastol. 
Druck 

Quotient 

Puls- 
frequenz 

Art  des  Rauchens 

1. 

Schott,  57  J. 

Starker 
Bancber. 

148 

127 

0,14 

1 

66 

1 

Nach 
1  leichten  Zigarre. 

Nach 
2  leichten  Ziganen 

1 

(ohne  Pause). 

2. 

Schott,  57  J. 

(am  nächsten 

Tag). 

Starker 
Raucher. 

126 

114 

0,16 

72 

1 

Nach 
1  leichten  Zigarre. 

Nach 
2  leichten  Ziganeii 
(ohne  Panse). 

3. 

Zimmermann 

Mäßig  stark. 

115 

91 

0,21 

76 

Nach 

55  J. 

Baucher. 

1  leichten  Zigarre, 

Nach 

2  leichten  Zigairen 

(ohne  Paa^l. 

4. 

Schott,  57  J. 

SUrker 
Kaucher. 

133 

114 

0,14 

84 

Nach 

1  leichten  Zigmt- 

Nach 

2  leichten  Zigarres. 

5. 

Kreutzfeld, 
45  J. 

Mäßig  stark. 
Raucher. 

88 

68 

0,22 

108 

Nach 

1  leichten  Zigtire. 

Nach 

2  leichten  Zigarrai. 

6. 

1 

Ck)nradi,  23  J. 

Schwacher 
Raucher. 

106 

87 

0,19 

68 

Nach 

1  leichten  Zigaire. 

Nach 

2  leichten  ZigarreiL 

7. 

Fiedler,  24  J. 

Schwacher 
Raucher. 

104 

82 

0,21 

64 

Nach 
2  leichten  Zigarroi. 

Thalacker, 

Nichtraucher. 

104 

80 

0,23 

68 

Nach 

23  J. 

7 

2  leichten  ZigaiTSL 

Jäger,  24  J. 

Nichtraucher. 

102 

85 

0,17 

76 

Nach 
1  leichten  Zigarre. 

10. 

Strobel,  26  J. 

Nichtraucher. 

100 

74 

0,26 

62 

Nach  ^ 
2  leichten  Zigams. 

n. 

Strohel,  25  J. 

Nichtraucher. 

102 

84 

0,18 

60 

Nach 

1  schweren  Zigam. 

Nach 

2  schweren  Zigarrei. 

12. 

Conradi,  23  J. 

Schwacher 
Raucher. 

114 

84 

0,26 

64 

Nach 

1  schweren  Zigarre. 

NacB 

2  schweren  Zigami. 

13. 

Hunger,  31 J. 

Sehr  starker 
Raucher. 

103 

82 

0,20 

80 

Nach 
IV»  leicht.  Zigan» 

Nach 
3  leichten  Zifftrra. 

14. 

Thiele,  26  J. 

Sehr  starker 
Raucher. 

90 

74 

0,18 

1 

96 

Nach 
IV«  leicht  Zigarräu 

Nach 
3  leichten  Ziginra. 

Der  Einfluß  des  Ranehens  auf  den  Kreialanf. 


669 


Status  nach  dem  Rauchen: 

Sysftolischer 
Druck 

Diastolischer 
Druck 

Quotient 

Pulsfrequenz 

Bemerkungen 

167 

124 

0,26 

66 

Emphysematiker. 
IL  Aortenton  nach  dem  Bauchen 

175 

127 

0,28 

* 

64 

etwas  accentuiert. 

152 

120 

0,21 

72 

Emphysematiker. 
II.  Aortenton  nach  dem  Rauchen 

154 

122 

0,21 

74 

leicht  accentuiert. 

135 

96 

0,29 

84 

Trigeminusneuralgie. 

351 

120 

0,21 

82 

152 

117 

1        0,23 

76 

Emphysematiker. 
Vor  45  Minuten  Mittaghrot. 

163 

122 

0,2ö 

80 

117 

87 

1 

0,26 

112 

Neurasthenie. 

— 

1 

Vor  46  Minuten  Mittagbrot. 

108 

85 

0,21 

72 

106 

82 

0,24 

76 

107 

86 

1 

0,20 

78 

98 

77 

0,21 

76 

107 

83 

0,22 

80 

97 

76 

0,22 

78 

Nach  dem  Rauchen  Übelkeit. 

114 

92 

0,19 

66 

Nach  dem  Rauchen  Übelkeit, 
Erbrechen. 

107 

86 

0,19 

60 

125 

101 

0,19 

66 

130 

104 

0,20 

64 

105 

82 

0,22 

80 

110 

80 

0,27 

80 

100 

77 

0,23 

100 

Lungenkatarrh. 

106 

84 

■         0,21 

1 

100 

570 


XXIX.  Hesse 


mT 

Name  und 
Alter 

Ob  Raucher 

Status  vor  dem  Rauchen: 

^^. 

Systol. 
Druck 

Diastol. 
Druck 

Quotient 

Puls- 
frequenz 

Art  des  Bauchens: 

15. 

Kunze,  20  J. 

Mäßig  stark. 
Bancher. 

87 

76 

0,13 

76 

Nach 
IV*  leicht  Zigarren 

16. 

Hunger,  31  J. 

Sehr  starker 
Raucher. 

95 

77 

0,19 

70 

Nach 
1  leichten  ZigHrre. 

Nach 
3  leichten  ZigarreiL 

17. 

Thiele,  26  J. 

Sehr  starker 
Raucher. 

87 

72 

0,17 

88 

Nach 

1  leichten  Zigarre. 

Nach 

2  leichten  Zigarra. 

18. 

Thiele,  26  J. 

Sehr  starker 
Raucher. 

87 

72 

0,17 

92 

Nach 
2  leichten  ZigarreiL 

19. 

Hunger,  31  J. 

Sehr  starker 
Raucher. 

90 

73 

0,19 

76 

Nach 
2  leichten  ZiganeiL 

20. 

Kunze,  20  J. 

Mäüig  stark. 
Raucher. 

112 

87 

0,22 

86 

Nach 

1  leichten  Zigarrt. 

Nach 

2  leichten  Zigarren, 

21. 

Thiele,  26  J. 

Sehr  starker 
Raucher. 

90 

73 

0,19 

92 

Nach 

1  leichten  Zigarre. 

Nach 

2  leichten  Zigams. 

22. 

Kunze,  20  J. 

Mäßig  stark. 
Raucher. 

113 

87 

0,23 

80 

Nach 

1  Habanna-ImporL 

Nach 

2  Habanna-Import 

•23. 

Hunger,  31 J. 

Sehr  starker 
Raucher. 

109 

88 

0,19 

72 

Nach 

1  Habanna-Impoit 

Nach 

2  Habanna-Import 

24. 

Hunger,  31 J. 

Sehr  starker 
Raucher. 

105 

86 

0,18 

72 

Nach 

1  nikotlnfreieD  Z. 

Nach 

2  nikotinfreiea  Z. 

25. 

Kunze,  20  J. 

Mäßig  stark. 
Raucher. 

105 

86 

0,18 

74 

Nach 

1  nikotinfreien  Z. 

Nach 

2  nikotinfreien  Z. 

Der  Einfluß  des  Rauchens  auf  den  Kreislauf. 


571 


Status  nach  dem  Ranchen: 

Systolischer 
Druck 

Diastolischer 
Druck 

Quotient 

Pulsfrequenz 

Bemerkungen 

114 

88 

0,23 

100 

30  Min.  nach 

Aufhören  des 

Rauchens 

Pnls  76 

Lungenkatarrh. 
Nach  dem  Rauchen  Kopf- 
schmerzen. 

105 
107 

^)  103 

*i  108 

87 

88 

')  86 

»)88 

0,17 

0,18 

')  0,16 

«)  0,18 

76 

80 

»)  76 

«)  76 

^)  15  Minuten  nach  dem 

Rauchen. 
•)  60  Minuten  nach  dem 

Rauchen. 

94 
97 

'4 
76 

0,21 
0,22 

98 
100 

Lungenkatarrh. 

II.  Aortenton  nach  dem  Rauchen 

leicht  accentniert. 

97 

1 

77 

1 

0,21 

98 
30  lüin.  nach 
dem  Ranchen 
Puls  86 

Lungenkatarrh. 

104 

87 

0,16 

76 

Lungenkatarrh. 

117 

124 
»)  112 

93        ^ 

94 
>)  94 

0,20 
0.24 

')  o;i6 

88 

88 
»)  76 

Lungenkatarrh. 
')  30  Minuten  uach  dem 
Rauchen. 

97 

81 

017 

92 

Lungenkatarrh. 

97 

81        ' 

1 

0,17 

98 

118 
124 

«)  108 
«}  106 

98 
102 

*)  87 

2)  86 

1 

0,17 

0,18 

')  0,19 

«}  0.19 

84 

88 

»)  82 

«)  72 

Lungenkatarrh. 
^)  20  Minuten  nach  dem 

Rauchen. 
')  40  Minuten  nach  dem 

Rauchen. 

114 

116 

') 

10f> 

•) 

100 

•) 

103 

107 

118 

') 

100 

*) 

97 

') 

96 

*) 

103 

113 

113 

h 

106 

*) 

95 

95 

0,17 

95 

0,18 

»)  85 

')  0,19 

«)  80 

•)  0,20 

*)  83 

»)  0,19 

89 

0,17 

91 

0,23 

>)  86 

')  0,14 

«)  78 

,     «)  0,19 

»)  75 

•)  0,22 

*)  83 

*)  0,19 

92 

0,19 

92 

0,19 

»)  85 

1  0,20 

•)  75 

h  0,21 

') 


82 
84 
76 


«)  80 

»)  74 

74 

74 
>)  78 
«)  70 
«)  70 
*)  70 


76 

82 

J)  76 
*)  68 


^)  20  Minuten  nach  dem 

Rauchen. 
')  40  Minuten  nach  dem 

Rauchen. 
')  60  Minuten  nach  dem 

Rauchen. 

*}  15  Minuten  nach  dem 

Rauchen. 
*)  30  Minuten  nach  dem 

Rauchen. 
*)  40  Minuten  nach  dem 

Rauchen. 
*)  60  Minuten  nach  dem 

Rauchen. 

^)  20  Minuten  nach  dem 

Rauchen. 
•)  40  Minuten  nach  dem 

Rauchen. 


572  XXIX.  Hesse 

Oewohnheitsraucher  oder  Nichtraucher  ist.  Man  sollte  eigentlich 
annehmen,  daß  beim  Nichtraucher  der  Einfluß  auf  den  Ei^islauf 
sich  als  besonders  starke  Blutdruckerhöhung  geltend  macht,  doch 
zeigen  die  Versuche  6,  7,  8,  9,  10,  bei  denen  es  sich  um  Nicht- 
raucher, bzw.  schwache  Eaucher  handelt,  das  Gegenteil,  eine  yiel 
geringere  Steigerung,  teilweise  sogar  eine  Abnahme  des  Blut- 
drucks. Jedenfalls  wären  gerade  in  dieser  Beziehung  weitere 
Forschungen  sehr  wertvoll. 

Ähnlich  wie  auf  den  Blutdruck  finden  wir  die  Einwirkung  des 
Rauchens  auf  die  Pulsfrequenz.  Fast  durchweg  findet  sich  eine 
Steigerung  der  Pulszahl,  die  in  Vei-such  15  ihr  Maximum  mit  24 
erreicht,  im  einzelnen  aber  die  größten  Verschiedenheiten  aufweist 
So  finden  wir  in  Versuch  13  und  19  überhaupt  keine  ErhöhuDg 
der  Pulzahl,  in  Versuch  1,  namentlich  aber  4,  ein  Zurückgehen 
derselben. 

Auch  auf  die  Pulsfrequenz  scheint  das  Rauchen  seinen  Einfloß 
ziemlich  schnell  geltend  zu  machen,  denn  der  Hauptanstieg  erfolgt 
auch  hier  sehr  schnell  nach  Beginn,  meist  schon  nach  einer  Zigarre, 
während  nach  der  zweiten  Zigarre  teilweise  ein  Stillstand,  in 
3  Fällen  (3,  11,  12)  ein  Rückgang  zu  bemerken  ist.  Nach  Be- 
endigung des  Rauchens  fallt  dann  die  vorher  gestiegene  Pulszahl 
rasch  ab  und  erreicht  nach  20—40  Minuten  meist  wieder  den  ur- 
sprünglichen Wert,  in  anderen  Fällen  sinkt  sie  unter  die  Norm, 
um  sich  bald  darauf  steigend  ihr  wieder  zu  nähern. 

Um  auf  die  individuellen  Verschiedenheiten  des  Einflusses  anf 
die  Pulsfrequenz  näher  einzugehen,  speziell  um  Schlüsse  zu  ziehen. 
wie  weit  Alter  und  etwa  vorhandene  Krankheiten  mit  in  Betracht 
kommen,  halte  ich  das  vorliegende  Material  für  zu  wenig  aus- 
giebig, in  bezug  auf  die  Verschiedenheiten,  welche  durch  Gewöh- 
nung an  den  Tabak  bedingt  sind,  glaube  ich  sicher,  daß  beim 
Nichtraucher  eine  stärkere  Pulsbeschleunigung  eintritt.  Das  Maxi- 
mum von  24  ist  zwar  bei  einem  Raucher  (Versuch  15)  gefunden 
worden,  doch  glaube  ich,  daß  dies  Resultat  nicht  unbedingt  maß- 
gebend ist,  da  der  Betreffende,  infolge  unnatürlich  schnellen  Rauchens 
wahrscheinlich,  Kopfschmerzen  bekam.  Selbst  diesen  Fall  mit  ein- 
gerechnet findet  sich  aber  durchschnittlich  beim  Gewohnheitsraudier 
eine  Pulsbeschleunigung  von  etwa  6,7,  der  beim  Nichtraucher  eine 
solche  von  9,6  gegenübersteht.  Es  ist  dies  ein  Umstand,  der  ja 
auch  durch  die  tägliche  Erfahrung  bekräftigt  wird. 

Endlich  möchte  ich  noch  erwähnen,  daß  ich  in  3  Fällen  nach 
dem  Rauchen  eine  leichte  Accentuation  des  2.  Aortentones  Änd, 


Der  Einfloß  des  Kaucheiis  auf  den  Kreislanf.  573 

die  vorher  nicht  bestand.  Eine  gleiche  Beobachtung  bestätigte 
mir  Paeßler,  der  bei  einem  vorher  völlig  gesunden  Herzen  nach 
Grenuß  einer  Anzahl  Importen  starke  Accentuation  des  2.  Aorten- 
tones fand,  die  nach  2  Tagen  völlig  geschwunden  war. 

Was  hat  nun  die  Blutdrucksteigerung  und  die  Pulsbeschleu- 
nigung für  eine  Bedeutung  für  den  Organismus? 

Um  eine  vollständige  Analyse  der  Funktionsänderungen  geben 
zu  können,  reichen  die  gewonnenen  Unterlagen  natürlich  nicht  aus^ 
da  eine  vollständig  genaue  Untersuchung  des  Kreislaufs  ja  nur 
im  Tierexperiment  möglich  ist.  Einiges  läßt  sich  aber  doch  ent-' 
nehmen. 

Als  Wichtigstes  erscheint,  daß  weitaus  in  den  meisten  Fällen 
jedenfalls  keine  Schwächung,  sondern  eine  Art  Stimulation  des 
Kreislaufs  zu  konstatieren  ist,  da  in  allen  den  Fällen,  wo  entweder 
reine  Drucksteigerung  oder  Drucksteigerung  mit  Erhöhung  der 
Pulsfrequenz  vorhanden  war,  ein  Erregungszustand  im  Kreislauf 
ohne  weiteres  angenommen  werden  darf.  Demgegenüber  müssen 
die  geringfügigen  Blutdrucksenkungen  zunächst  als  Ausnahme  gelten. 
Es  ist  übrigens  nicht  unbedingt  aus  einer  Blutdrucksenkung  auf 
eine  Schwächung  des  Kreislaufs  zu  schließen,  zumal  in  den  3  Ver- 
suchen, bei  denen  Blutdrucksenkung  gefunden  wurde,  eine  erheb- 
liche Erhöhung  der  Pulsfrequenz  zu  verzeichnen  war. 

Wenn  man  die  Frage  zu  lösen  versucht,  an  welchem  Teile  des 
Kreislaufs  die  Tabaksgifte  angreifen,  so  läßt  die  klinische  Be- 
obachtung darüber  nur  Vermutungen  zu.  Die  außerordentlich 
häufig  gefundene  Pulsbeschleunigung  dürfte  wohl  kaum  auf  einer 
Vaguslähmung  beruhen,  da  sie  außerordentlich  rasch  auftritt.  Sie 
scheint  also  eine  Reizerscheinung  zu  sein,  über  deren  Ursprung  im 
Nervensystem  oder  am  Herzmuskel  selbst  ein  Urteil  nicht  gegeben 
werden  kann. 

Da  wir  die  Pulsbeschleunigung  als  Reizsymptom  auffassen, 
liegt  die  Vermutung  nahe,  daß  die  Blutdrucksteigerung  in  vielen 
Fällen  nur  eine  Folge  dieser  Pulsbeschleunigung  ist.  Gewiß  wird 
die  Pttlsbeschleunigung,  wo  sie  vorhanden  ist,  auch  einen  Teil  der 
Blutdrucksteigerung  bedingen.  Wir  dürfen  aber  nicht  vergessen, 
daß  auch  Fälle  von  Drucksteigerung  ohne  Pulsbeschleunigung  be- 
obachtet wurden.  Vielleicht  wird  die  Drucksteigerung  bedingt 
durch  eine  Kombination  von  Gefäßkontraktion  und  von  stärkerer 
Berzarbeit.  Der  Umstand,  daß  die  systolische  Steigerung  eine 
größere  ist  wie  die  diastolische,  spricht  für  einen  erhöhten  Arbeits- 
a.ufwand  des  Herzens,  da  eine  reine  Gefäßkoutraktion  ja  eigentlich 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    89.  Bd.  37 


574  XXIX.  Hesse 

gleichmäßig  steigernd  sowohl  auf  systolischen  wie  diastolischen 
Druck  wirken  sollte;  die  Beobachtung  wiederum,  daß  nach  Auf- 
hören der  Tabakraucheinwirkung  der  Blutdruck  rasch  sinkt  teil- 
weise sogar  unter  die  Norm,  wobei  der  Quotient  ansteigt,  läßt  die 
Vermutung  aufkommen,  daß  es  sich  um  eine  sekundäre  Erweite- 
rung, eine  Erschlaffung  der  vorher  infolge  der  Tabakrauchgifte 
kontrahieiiien  Gefäße  handelt.  Die  allgemeine  physiologische  Er- 
fahrung steht  auf  Seiten  letzterer  Ansicht,  da  die  Wirkung  ein- 
fach gesteigerter  Herzkontraktion  auf  den  Blutdruck  in  der  Regel 
durch  Gef&ßerweiterung  kompensiert  wird.  Eine  genaue  Analyse 
würde  vielleicht  möglich  sein,  wenn  man  die  Systolendauer  bei 
Rauchversuchen  messen  würde. 

Da  wir  eine  Reizwirkung  wohl  unzweifelhaft  annehmen  müssen, 
so  müssen  wir  ohne  weiteres  zugeben,  daß  der  Kreislauf,  wenigstens 
bei  intoleranten  Personen,  eine  Schädigung  sehr  wohl  erfahren 
kann,  und  zwar  ergibt  sich  aus  dem  Vorhandensein  der  Blutdruck- 
steigerung die  Folge,  daß  erstens  das  Herz  angestrengt  werden 
muß,  und  daß  zweitens  die  Arterien  eine  stärkere  Abnutzung  er- 
fahren können. 

Praktische  Schlußfolgerungen:  Aus  den  Beobachtungen  ergibt 
sich  im  wesentlichen  eine  Steigerung  der  allgemeinen  klinischen 
Erfahrungen:  wir  werden  den  Tabak  verbieten,  1.  wo  wir  das  Herz 
schonen  wollen,  also  bei  allen  Zuständen  von  Herzschwäche  und 
bei  allen  Zuständen  besonderer  Inanspruchnahme  des  Herzens 
(Herzfehler,  Schrumpfniere,  Emphysem,  Kyphoskoliose),  2.  wo  wir 
der  Abnutzung  der  Arterien  vorbeugen  wollen,  3.  w^o  Blutdruck- 
steigerungen unmittelbare  Gefahr  bedingen,  z.  B.  bei  drohenden 
Apoplexien.  Wir  können  aber  auch  einen  Schritt  weiter  gehen. 
Überall  dort,  wo  sich  bei  der  Beobachtung  des  Kreislaufs  während 
des  Rauchens  eine  besonders  leichte  Erregbarkeit,  also  eine  stärkere 
Intoleranz  gegen  den  Tabakgenuß  zeigt,  müssen  wir  prophylaktisch 
ebenfalls  warnen. 

Immerhin  beweist  aber  die  Erfahrung  des  täglichen  Lebens, 
daß  oft  die  ältesten  Leute  von  Jugend  an  leidenschaftliche  Raucher 
sind,  ohne  je  dadurch  ernstere  Schädigungen  ihrer  Gesundheit  er- 
litten zu  haben,  daß  die  Wirkungen  des  Tabakrauches  individoell 
sehr  verschieden  sind,  und  daß  das  Rauchen,  in  mäßigem  Grade 
und  unter  Anwendung  nicht  gar  zu  schwerer  Tabaksorten  betrieben, 
in  seiner  Schädlichkeit  in  keinem  allzu  großen  Mißverhältnis  steht 
zu  dem  Genuß,  den  es  dem  Raucher  darbietet. 


Der  Einfluß  des  Rauchens  auf  den  Kreislauf.  575 


Literatur« 

Loebisch,  Eiilenburj^^'s  Bealencyclopädie  Bd.  24. 

Tranbe.   a)  Medizinische  Zentralzeitnng  XXXI  1861;   b)  Gesammelte  Beitrftg^e 

zur  Pathologie  und  Therapie  I  Bd.    Berlin  1871. 
Winterberg,  Archiv  für  exper.  Pathol.  und  Pharmakol.  Bd.  43. 
Lohde,  Ober  chronische  TabakTerjnftung.   Leipzig  1902. 
Habermann,  Hoppe-Seyler'sche  Zeitschrift  für  phjs.  Chemie.  Bd.  33  1901. 
Triqnet,  Lecons  clini(^ues  sur  les  maladies  de  Foreille  p.  103  Paris  1863. 
Ladreit  de  Larrachi^re,    Einfluß  des  Banchens  auf   die   Entstehung   von 

Ohrenkrankheiten  und  Taubheit.    Annales  des  malades  de  Toreille  1878  Nr.  4. 
GeisbGck.   Die  praktische  Bedeutung  der  Blutdruckmessung.     Verhandl.  des 

Kongr.  für  innere  Medizin  in  Leipzig  April  1904  p.  97. 
Strasburger,  Ein  Verfahren   zur   Messung  des   diastolischen  Blutdrucks  und 

seine  Bedeutung  für  die  Klinik.    Verhandlungen  des  Kongresses  für  innere 

Medizin  in  Leipzig.    April  1904,  p.  113. 


27' 


XXX. 

Aus  der  medizinischen  Universitätsklinik  Bonn. 
Direktor:  Geheimrat  Prof.  Dr.  Schnitze. 

Blnt  nnd  Knochenmark  nach  Ausfall  der 

SchilddrOsenfnnktion. 

Eine  klinisch-experimentelle  Studie. 

Von 

Privatdozent  Dr.  Esser, 

Assistenzarzt  an  der  Klinik. 

Vor  etwa  2  Jahren  kamen  in  hiesiger  medizinischer  Klinik 
2  Fälle  von  Myxödem  zur  Beobachtung  und  Behandlung,  von 
denen  der  eine  einen  37  jährigen  Mann,  der  andere  ein  10  monat- 
liches Kind  betraf.  Bei  beiden  besserte  sich  der  Zustand  unter 
der  eingeleiteten  Schilddrüsentherapie  schnell;^)  die  verschiedenen 
Krankheitserscheinungen  gingen  zurück  und  sind  bis  heute  bei  fort-^ 
gesetzter  spezifischer  Behandlung  fast  völlig  geschwunden. 

Besonderes  Interesse  hatten  für  mich  unter  den  einzelnen 
Symptomen,  auf  deren  Schilderung  ich  hier  unter  Hinweis  auf  die 
über  die  Fälle  handelnde  Dissertation  von  Herrn  0.  Hartoch  ver- 
zichte, die  Blutveränderungen. 

In  quantitativer  Beziehung  bestanden  sie  in  einer  Vermin- 
derung des  Hämoglobingehaltes  und  der  roten  Blutkörperchen  bei 
einer  Vermehrung  der  weißen  Blutkörperchen.  In  qualitativer 
Beziehung  äußerten  sie  sich  neben  geringen  Veränderungen 
der  roten  Blutkörperchen  (Makro-,  Mikro-,  Poikilocy ten  •  Pessar- 
formen) in  einer  Verschiebung  der  als  normal  geltenden  Verhältnis- 
zahlen zwischen  der  multinucleären  resp.  polymorphkernigen  und 
der  mononucleären  Form  der  weißen  Blutkörperchen  und  in  dem 
Auftreten  von  Zellen  letzterer  Art,  die  im  normalen  Blutbild  fehlen. 

1)  Das  Kiud  wurde  von  mir  zu  Beginn  der  Behandlung  und  einen  Monat 
später  bedeutend  gebessert  in  der  Niederrheinischen  Gesellschaft  für  Natur-  nod 
Heilkunde  vorgestellt. 


Blut  und  Knochenmark  nach  Ausfall  der  Schilddrüsenfunktion.         577 

Bei  dem  Kinde  zeigten  sich  diese  Veränderungen,  auf  die  ich 
gleich  ausfuhrlicher  zu  sprechen  komme,  in  viel  stärkerem  Grade 
als  bei  dem  Erwachsenen. 

In  der  hämatologischen  Literatur  fand  ich  über  diese  Befunde 
keine  Angaben. 

In  den  das  Myxödem  resp.  die  Erkrankungen  der  Schilddrüse 
behandelnden  Monographien  von  Ewald ^)  und  v.  Eiseisberg ^) 
wird  kurz  auf  die  oben  angeführten,  namentlich  nach  Thyreoid- 
ektomien  von  verschiedenen  Seiten  beobachteten,  quantitativen  Blut- 
veränderungen (Verminderung  des  Hämoglobins  und  der  roten 
Blutkörperchen  bei  einer  Vermehrung  der  weißen  Blutkörperchen) 
hingewiesen.  Noch  kürzer  wird  dieser  Veränderungen  in  der  zu- 
sammenfassenden Darstellung  über  die  Pathologie  der  Schilddrüse 
von  T  h  0  r  e  1  *)  gedacht  und  schließlich  wird  in  der  monographischen 
Arbeit  von  Buschan*)  über  das  Myxödem  und  in  der  auch  diese 
Krankheit  berücksichtigenden  Monographie  von  Weygandt,*) 
betitelt  „Der  heutige  Stand  der  Lehre  vom  Kretinismus"  nur  der 
Verminderung  des  Hämoglobins  und  der  Anzahl  der  roten  Blut- 
körperchen nach  Ausfall  der  Schilddrüsenfunktion  mit  wenigen  Worten 
Erwähnung  getan. 

Es  stützen  sich  diese  mehr  oder  weniger  kurzen  Angaben  auf 
Untersuchungsresultate  verschiedener  Forscher,  die  der  Blutunter- 
suchung bei  thyi-eoidektomierten  Menschen  resp.  Tieren  ihre  be- 
sondere Aufmerksamkeit  schenkten.  Die  ersten  Blutuntersuchungen 
wurden  von  Kocher*)  an  17  thyreoidektomierten  Menschen  ge- 
macht. Es  folgen  Arbeiten,  die  durch  Tierexperimente  gewonnene 
Besultate  enthalten,  und  von  denen  ich  besonders  die  von  For- 
manek  und  Haskovec')  hervorhebe,  da  in  dieser  auch  die  bis 


1;  Ewald,  Die  Erkrankungen  der  Schilddrüse.  Myxödem  und  Kretinismus. 
Nothnagel's  spez.  Pathol.  u.  Therapie  Bd.  XXII  p.  19  u.  167. 

2)  V.  Eiseisberg,  Die  Krankheiten  der  Schilddrüse.  Deutsche  Chirurgie 
Bd.  XXXVIII  p.  21  u.  24. 

3)  T  h  0  r  e  1 ,  Ergebnisse  der  allgem.  Pathol.  und  pathol.  Anatomie  VII.  Jahrg. 
1900/1901  p.  187. 

4)  Buschau,  Enlenburg's  Eealencjklopädie  Bd.  XVI  p.  301. 

5)  Weygandt,  Sammlung  zwangloser  Abhandlungen  aus  dem  Gebiete  der 
Nerven-  und  Geisteskrankheiten.  Herausgegeben  von  Hoche.  Verlag  von  Marhold, 
1904  Bd.  IV  Heft  ßp  p.  12  u.  14. 

6)  Kocher,  Über  Kropf exstirpation  und  ihre  Folgen.  Archiv  für  klin. 
C^hirurgie  1S8S  Bd.  XXn  p.  281. 

7)  Formanek  und  Haskovec,  Beitrag  zur  Lehre  über  die  Funktion  der 
Schilddrüse.    Wien  1896.    Verlag  von  Holder. 


578  XXX.  Esser 

zum  Jahre  1896  erschienene,  die  Frage  der  Blutverändemng  nach 
Ausfall  der  Schilddrüsenfunktion  behandelnde  Literatur  eing'ehend 
berücksichtigt  ist.  Formanek  und  Haskovec  studierten  selbst 
bei  15  thyreoidektomierten  Hunden  speziell  die  Blutverhältnisse 
und  kamen  zu  Ergebnissen,  von  denen  ich  folgende  hier  wieder- 
geben will: 

1.  „In  der  thyreopriven  Kachexie  findet  eine  systematische 
Abnahme  der  Zahl  der  roten  Blutkörperchen  statt  Zugleich 
erscheinen  im  Blute  Mikrocyten  und  die  Zahl  der  Leukocyten 
nimmt  zu. 

2.  Der  Trockenrttckstand  des  Blutes,  sowie  die  Menge  des 
Eisens,  resp.  Hämoglobins  ist  kleiner  als  de  norma. 

3.  Geht  der  Hund  in  einem  tetanischen  Anfalle  zugrunde  oder 
befindet  sich  derselbe  in  dem  tetanischen  Zustande,  so  nimmt  die 
Zahl  der  roten  Blutkörperchen,  sowie  auch  der  Trockenruckstand 
und  Eisengehalt  des  Blutes  nicht  ab ;  ja  man  beobachtet  sogar  eine 
Steigerung,  was  durch  das  Dichterwerden  des  Blutes  infolge  von 
Krämpfen  bedingt  ist,  wie  parallele  Kontrollversuche  mit  Strychnin 
beweisen. 

4.  Die  Schilddrüse  ist  ein  an  der  Hämatopoese  beteiligtes 
Organ." 

Ohne  auf  Hypothesen  dieser  und  anderer  Autoren  über  die 
eventuelle  Bedeutung  der  Blutstörungen  zum  Zustandekommen 
weiterer  Erscheinungen  nach  Schilddrüsenverlust  näher  einzugehen^ 
muß  ich  noch  einige  Arbeiten  erwähnen,  in  denen  bei  an  Myxödem 
erkrankten  Menschen  oder  bei  thyreoidektomierten  Tieren  auch  auf 
qualitative  Blutveränderungen,  insbesondere  auf  die  Zahlenverhält- 
nisse  der  einzelnen  Arten  weißer  Blutkörperchen  Rücksicht  ge- 
nommen ist. 

Zuerst  verdient  hier  der  von  Mendel^)  beschriebene  Fall  von 
Myxödem  Erwähnung,  bei  dem  Ehrlich  die  Untersuchung  des 
Blutes  vorgenommen  und  folgendes  festgestellt  hatte: 

Das  Blut  leicht  anämisch,  die  roten  Blutkörperchen  sind  etwa» 
kleiner  als  sonst,  im  übrigen  von  gutem  Farbgehalt,  entsprechend  einem 
leichten  Grade  von  Anämie.     Es  besteht  keine  Leukocytose. 

Die  Zählung  der  weißen  Blutkörperchen  ergibt  einen  gegen  die 
Norm  etwas  niedrigeren  Prozentgehalt  der  polynucleären  Zellen,  wahrend 
dementsprechend  der  Prozentgehalt  der  Lymphocyten  eine  Erhöhung  er* 
fahren  hat. 

1)  Mendel.  Ein  Fall  von  Myxödem.    Deutsche  med.  Wochenschr.  1883  p.  25. 


Blut  und  Knochenmark  nach  Ausfall  der  Schilddrüseufunktiou.        579 

Die  eoBiDophilen  Zellen  entsprechen  wohl  noch  den  obersten  Zahlen 
der   Norm.     Die  Mastsellen  sind  nicht  vermehrt. 

Ubergangsform  2,6  ^/^ 

eosinophile  Zellen        3.4  ^/^ 
Mastzellen  0,2  ^/^ 

polynucleäre  Zellen   58,8  7^ 
Lymphzellen  35,0  ®/^ 

Im  Anschluß  hieran  führe  ich  weiterhin  den  Blutbefund  an, 
den  Leichtenstern*)  bei  einem  Myxoedema  operativum  (Exstir- 
pation  einer  Struma)  erhob.  Bei  mäßig  herabgesetztem  Hämoglobin- 
gehalt bestand  eine  Leukocytose  mit  Vermehrung  der  Lymphocyten. 

Es  fanden  sich: 

1.  mononucleäre,  kleine  Lymphocyten  28% 

2.  mononucleäre  große  Zellen  mit  runden,  ovalen  einfach  ein- 
gekerbten Kernen,  „Übergangsformen"  12®'o 

3.  polynucleäre  Zellen    und   solche  mit   vielfach   gewundener 
Kemfigur  58% 

4.  eosinophile  Zellen  1  ®/,, 

Schießlich  muß  ich  noch  kurz  auf  zwei  Arbeiten  jüngeren 
Datums  eingehen,  die  sich  mit  den  uns  interessierenden  Blutver- 
änderungen beschäftigen;  eine  klinische  von  v.  Korczynski'-) 
und  eine  experimentelle  von  K  i  s  h  i.  ^}  Ersterer  hebt  auf  Grund 
mehrfacher  in  einem  Falle  von  Myxödem  bei  einer  41jährigen 
Frau  vorgenommenen  Blutuntersuchungen  vor  allem  hervor,  daß  die 
roten  Blutkörperchen,  wie  schon  früher  von  Kraepelin^j  be- 
schrieben worden  war,  abnorm  vergrößert  waren,  also  eine  sog. 
Megalocythämie  bestand,  die  erst  abnahm  als  durch  Schilddrüsen- 
darreichung eine  entschiedene  Besserung  sämtlicher  Myxödemerschei- 
nungen  eintrat. 

Kinmal  fanden  sich  neben  Mikro-  und  Poikilocyten  und  meta- 
chromatisch gefärbten  roten  Blutkörperchen,  deren  Menge  v.  Ko- 
czynski  von  dem  Grade  der  jeweilig  bestehenden  Anämie  abhängig 
sein   läßt,  34%,   ein   anderes   Mal   sogar   bis   62%   Megalocyten. 

1)  Leichte ustern.  Ein  mittels  Schilddraseninjektion  und  Fütterung-  er- 
folgreich behandelter  Fall  von  Myxödema  operationem.  Deutsche  med.  Wochenschr. 
1893  p.  1300. 

2)  V.  Korczynski,  Einige  Bemerkungen  über  das  Myxödem.  Wiener 
med.  Presse  1898  Nr.  36  n.  37  p.  1424/25,  referiert  im  ( 'entralblatt  für  innere 
Medizin  1899  p.  1168. 

8)  Kishi,  Beiträge  zur  Physiologie  der  Schilddi-Üse.  Virchow's  Archiv 
Bd.  176  p.  260. 

4)  Kraepelin.  Über  Myxödem.  Deutsches  Archiv  für  klin.  Medizin  Bd.  49 
p.  595. 


Ö80  XXX.     ESSBB 

Ferner  fand  er  die  Lymphocyten  in  der  Mehrzahl  und  die  eosino- 
philen Zellen  so  stark  vermehrt,  daß  sie  fast  ^4  der  gesamten 
weißen  Blutkörperchen  ausmachten,  und  schließlich  eine  große 
Menge  von  Myelocyten. 

So  oft  die  eingeleitete  Schilddrüsentherapie  auf  längere  Zeit 
unterbrochen  wurde,  nahmen  die  Lymphocyten,  die  eosinophilen 
Zellen  und  die  Myelocyten  an  Zahl  wieder  erheblich  zu. 

Kishi  machte  seine  Blutuntersuchungen  an  2  thyreoidekto- 
mierten  Katzen,  einem  Hunde  und  einem  Affen.  Die  erste  Katze 
bekam  tetanische  Anfälle  und  starb  am  13.  Tage.  Blutuntersuch- 
ungen wurden  während  eines  Anfalles  und  2  Stunden  vor  dem  Tode 
gemacht.  Die  zweite  Katze  starb  plötzlich  2  Tage  nach  der  Ope- 
ration; eine  Blutuntersuchung  war  während  der  Operation  und 
eine  andere  während  des  Sterbens  des  Tieres  gemacht  worden. 
Das  Blut  des  Hundes  wurde  zum  ersten  Male  6  Monate  nach  der 
Operation  untersucht  und  das  des  Affen  schließlich  nachdem  teta- 
nische Anfälle  bei  ihm  aufgetreten  waren. 

Ich  möchte  den  Untersuchungsresultaten  Kishi 's,  die  darin 
bestehen,  daß  der  Hämoglobingehalt  und  die  Anzahl  der  roten 
Blutkörperchen  nach  der  Schilddrüsenexstirpation  herabgesetzt,  die 
der  w^eißen  (ausgenommen  bei  dem  Affen)  spez.  der  multinuclearen 
vermehrt  war,  keine  besondere  Bedeutung  zumessen,  da  abgesehen 
davon,  daß  die  Blutuntersuchungen  meist  nur  kurze  Zeit  nach  der 
Operation  vorgenommen  worden,  bei  dieser  gewisse  Kautelen  unbe- 
achtet blieben  zur  Verhütung  einer  unabhängig  von  gestörter 
Schilddrüsenfunktion  auftretenden  Tetanie.  Gleich  werde  ich  hier- 
auf näher  zu  sprechen  kommen,  wenn  ich  zu  den  Ergebnissen  eigener 
tierexperimenteller  Untersuchungen  übergehe. 

Zunächst  möchte  ich  kurz  die  genaueren  Blutbefunde  bei  den 
von  mir  beobachteten  Myxödemfällen  mitteilen. 

Bei  dem  37  jährigen  Manne  wurde  mit  der  Hämoglobinskala  von 
Tallquist  und  dem  nenen  Hämometer  von  Sahli  zu  Beginn  der 
fipez.  Behandlung  ein  Hämoglobingehalt  von  90  festgestellt.  Eine 
Zählung  der  roten  und  weißen  Blutkörperchen  wurde  leider  nicht  vor- 
genommen. 

In  dem  nach  May-Grünwald  gefärbten  Blutpräparat  fanden  sich 
unter  den  roten  Blutkörperchen  viele  Makro-,  Mikro-  und  PoiküocyteD, 
femer  zahlreiche  Pessarformen,  und  die  weißen  Blutkörperchen  waren  in 
folgendem  Verhältnis  vorhanden: 

58  ^/f,  multinucleäre,  resp.  polymorphkernige,  nentrophile  Leukocyteo, 
1,5  "/o  eosinophile  polymorphkernige  Leukocyten. 
0,5  ^/o  basophile  polymorphkernige  Leukocyten. 
40  ®/q  mononucleäre  Zellen. 


Blut  und  Knochenmark  nach  Ausfall  der  Schilddrttsenfnnktiou.         581 

unter  den  weifien  Blutkörperchen  waren  18  \,  also  etwa  die  Hälfte 
•der  mononucleären  Form,  Lymphocyten,  Zellen  ungefähr  von  der  Größe 
normaler  roter  Blutkörperchen  mit  einem  chromatinreichen  Kern  und 
sehr  schmalem,  hasophilem  Protoplasmasaum. 

Etwa  10 'Yq  waren  doppelt  bis  dreifach  so  groß,  enthielten  einen 
großen,  blaß  gefärbten  Kern  mit  breitem,  schwach  basophilem  Proto- 
plasma. Der  meist  mehr  oval  gestaltete  Kern  zeigte  bei  manchen  Ein- 
kerbungen und  ihr  Protoplasma  hier  und  da  eine  Andeutung  von  neu- 
trophiler  Granulation.  Wir  gehen  wohl  nicht  fehl,  wenn  wir  diese  Zellen 
als  die  von  Ehrlich^)  beschriebenen  großen  mononucleären  Leukocyten 
und  sog.  tJbergangsformen  deuten. 

Die  übrig  bleibenden  mononucleären  weißen  Blutkörperchen  schwankten 
in  ihrer  Größe  zwischen  der  eines  Lymphocyten  und  der  eines  großen 
mononucleären  Leukocyten.  Ihr  großer, ,  ziemlich  blaß  gefärbter,  mehr 
oder  weniger  rundlich  gestalteter  Kern  werde  in  den  meisten  von  einem 
schmalen,  sich  stellenweise  unregelmäßig  vorbuchtenden,  ziemlich  stark 
basophilen  Protoplasma  umgeben,  das  in  einzelnen  Zellen  einen  mehr 
oder  weniger  rötlichen  Schimmer  hatte  und  hier  und  da  auch  äußerst 
spärliche,  feinste,  neutrophile  Granulationen  erkennen  ließ.  Bei  einzelnen 
war  der  Protoplasmasaum  breiter  und  dunkler  gefärbt,  von  dem  sich  der 
kleinere  Kern  nur  schwer  abgrenzen  ließ. 

Bei  der  großen  Verwirrung,  die  in  bezug  auf  die  Bezeichnung 
verschiedener  Arten  von  weißen  Blutkörperchen  herrscht,  ist  es 
schwierig,  die  letztbeschriebenen  Zellarten  unter  bestimmte  Kate- 
gorien unterzubringen. 

Jedenfalls  halte  ich  sie  für  Ejiocheumarkszellen,  und  zwar  nur 
zum  kleineren  Teil  für  ausgebildete  Myelocyten,  zum  größeren  Teil 
für  identisch  mit  den  von  Nägeli^)  beschriebenen  Myeloblasten 
und  den  von  Türk^)  als  lymphoide  Markzellen  bezeichneten  Zellen. 
Die  mit  dem  breiteren,  stärkeren  basophilen  Protoplasma  und 
kleineren  Kern  würde  den  von  Ttirk  (1.  c.  S.  368)  beschriebenen 
Reizungsformen  entsprechen. 

Bei  einer  etwa  ^/^  Jahr  nach  Beginn  der  Behandlung  vorgenommenen 
Blntuntersnchung  fehlten  die  letzgenannten  Zellen  (lymphoide  Markzelleu 
und  Keizungsformen)  völlig.  Das  mikroskopische  Blutbild  war  bei  einem 
Häraoglobingehalt  von  100  und  einer  Anzahl  von  4  800  000  roten  und 
-6500  weißen  Blutkörperchen  als  ein  normales  zu  bezeichnen. 

Es  fanden  sich : 

72^^'^  mnltinucleäre,  resp.  polymorphkernige,  neutrophile  Leukocyten, 
3  ^Iq  eosinophile  polymorphkernige  Leukocyten, 

20  *^/^,  Lymphocyten, 


1)  Ehrlich,  Nothnagers  spez.  Pathol.  u.  Therapie  Bd.  VIII  Abt.  I  p.  49. 

2)  Nägel i.   Über  rotes  Knochenmark   und  Myeloblasten.     Deutsche  med. 
Wochenschr.  1900  p.  287. 

8)  Türk,  Vorlesungen  über  klinische  Hämatologie  1904  I.Teil  p.  364. 


582  XXX.  Esser 

4,5  ®/q  große  monouncleäre  Leukocyten  und  Übergangsformen, 
0,5  ^/^  basophil  gekörnte  Mastzellen. 

Weit  erheblicher  als  bei  dem  Erwachsenen  waren  die  Blut- 
veränderungen bei  dem  an  Myxödem  erkrankten  Kinde,  was  von 
vornherein  nicht  verwunderlich  erscheint,  da  wir  wissen,  daß  über- 
haupt im  frühesten  Kindesalter  namentlich  das  Leukocytenbild  bei 
selbst  geringen  Anlässen  weit  stärkere  Veränderungen  erleidet,  ak 
beim  Erwachsenen. 

Meinen  Untersuchungsresultaten  bei  dem  kranken  Kinde  schicke 
ich  voran,  daß  von  mir  bei  mehreren  gleichaltrigen,  normalen 
Kindern  mit  dem  Hämometer  von  Sahli  und  der  Hämoglobin- 
skala von  Tallquist  ein  Hämoglobingehalt  von  70 — 80  gefunden 
wurde  bei  durchschnittlich  5000000  roten  und  10000  weißen  Blut- 
körperchen (im  wesentlichen  übereinstimmend  mit  den  neuesten  An- 
gaben von  Perl  inj)  gestützt  auf  Untersuchungen  mit  dem  Hämo- 
meter von  Fleischl-Miescher).  Bezüglich  der  Zahlenverhältnisse  der 
einzelnen  Arten  der  weißen  Blutkörperchen  liegen  Angaben  in  der 
Arbeit  von  Carstanjen^)  vor.  Für  das  Alter  von  6 — 12  Monaten 
fand  letzterer  Autor  als  Durchschnittszahlen: 

40,84%  polynucleäre  Leukocyten, 
49,21  **;,  Lymphocyten, 
8,25  %  Ubergangsformen, 
0,94  ^/o  große  mononucleäre  Leukocyten, 
0,76%  eosinophile  Zellen. 

Bei  dem  an  Myxödem  erkrankten  Kinde  fand  ich  nun  vor  der  Ein- 
leitung der  spezifischen  Behandlung  55%  Hämoglobin,  3160000  rote 
und  1 6  500  weiße  Blutkörperchen.  Unter  den  roten  BlutkörpercfaeD 
fanden  sich  Mikro-  und  Makrocyten,  ferner  Poikilocyten  und  Pessarformeo. 
Doch  waren  diese  Veränderungen  nur  geringgradig,  insbesondere  die 
Makrocyten  nicht  auffallend  zahlreich. 

Erheblich  verändert  war  das  Leukocytenbild. 

Eine  Zählung  der  einzelnen  Arten  in  dem  nach  May-Orünwald 
gefärbten  Trockenpräparat  ergab  zunächst 

I^^Iq  multinucleäre,  resp.  polymorphkernige,  neutropbile  Leukocyten, 
2  ^Iq  eosinophile  polymorphkernige  Leukocyten, 
und    79  ^If^  mononucleäre  Zellen. 

Unter  letzteren    hatte    ca.  die  Hälfte,    von  allen  weißen   Blutkörper- 

1)  Perl  in,  Beitrag  zur  Kenntnis  der  physiolog.  Grenzen  des  HfimoglolnB- 
gehaltes  und  der  Zahl  der  roten  Blutkörperchen  im  Kindesalter.  .Jahrbncfa  ftr 
Kinderlieilk.  Bd.  58  p.  568. 

2)  Carstanjen,  Wie  verhalten  sich  die  prozentiscben  Verhältnisse  der 
verschiedenen  Formen  der  weißen  Blutkörperchen  beim  Menschen  unter  normaleii 
Umständen?    Jahrbuch  für  Kinder^eilk.  Bd.  52  p.  335. 


Blnt  nnd  Knochenmark  nach  Ansfall  der  Schilddrüsenfnnktion.         583 

eben  etwa  38®/^,  die  Cfaarakteristica  der  Lymphocyten.  Etwa  23  ^/^  sind 
als  große  mononacleäre  Leakocyten  oder  Übergangsformen  aufzufasaen  und 
die  übrig  bleibenden  1 9  ^/^  möchte  icb  wieder  die  meisten  als  lymphoide 
Markzellen  einscbließlicb  einiger  Heizungsformen  deuten,  nur  ein  kleiner 
Teil  ist  als  ausgesprochene  Myelocyten  anzusprechen.  Nach  ungefähr 
5  wöchentlicher  spez.  Behandlung  (es  wurden  wie  im  ersten  Falle  die 
Tbyreodintabletten  von  Merck  gereicht)  hatte  sich  das  Blutbild  erheblich 
verändert.  Der  Hämoglobingehalt  betrug  80  %,  die  Anzahl  der  roten 
Blutkörperchen  3  760000  und  die  der  weißen  21000. 

Die  abnormen  Formen  der  roten  Blutkörperchen  waren  seltener 
geworden  und  eine  Zählung  der  verschiedenen  weißen  Blutkörperchen 
ergab: 

41  ®'q  multinucleäre,  resp.  polymorphkernige  neutrophile  Leukocyten, 
4  ^/^  eosinophile  polymorphkernige  Leukocyten, 
und    55  ^/^  mononucleäre  Zellen. 

Die  mononucleären  Zellen  zerfielen  in  34  ^/j,  Lymphocyten,  12^'/^ 
große  mononucleäre  Leukocyten  und  Übergangsformen  und  9  ^/^  lymphoide 
Markzellen  mit  einigen  Reizungsformen  und  Myelocyten. 

Drei  Wochen  später  traten  bei  dem  Kinde  Krankheitserscheinungen 
auf  (Thyreodinintoxikation  ?),  die  in  Durchfall  und  Erbrechen  mit  starker 
Gewichtsabnahme  und  leichten  Temperatnrsteigerungen  bestanden. 

Eine  Blntuntersuchung  ergab  zunächst  eine  auffallende  Leukopenie. 
Die  Anzahl  der  weißen  Blutkörperchen  betrug  nur  1100,  die  Anzahl  der 
roten  3  750  000  bei  einem  Hämoglobingehalt  von  85%.  Dabei  waren 
die  multinncleären  neutrophilen  Leukocyten  bis  auf  19%  gesunken,  die 
Lymphocyten  betrugen  nur  14%,  die  eosinophilen  1^5%  und  die  großen 
mononucleären  Leukocyten  und  Übergangsformen  hatten  bis  49,5  %,  die 
lyniphoiden  Markzellen  bis  16  %  zugenommen. 

Nach  Aussetzen  des  •  Thyreodins  schwanden  die  letzgenannten 
Krankbeitserscheinungen  schnell,  dann  wurde  die  spez.  Medikation  in 
vorsichtiger  Weise  wieder  aufgenommen  und  ohne  weitere  Störung  fort- 
gesetzt. Bei  einer  in  jüngster  Zeit  vorgenommenen  Blutuntersuchung 
betrug  die  Anzahl  der  roten  Blutkörperchen  3  930  000  und  die  der  weißen 
9600  bei  einem  Hämoglobin gehalt  von  80. 

Das  Verhältnis  der  einzelnen  Arten  der  weißen  Blutkörperchen  war 
folgendes : 

39  %  multinucleäre,  resp.  polymorphkernige  neutrophile  Leukocyten, 
2  %  eosinophile  polymorphkernige  Leakocyten, 

47  %,  Lymphocyten. 

10,5%  mononucleäre  Leukocyten  und  Übergangsformen, 
1,5%  lymphoide  Markzellen. 

Es  hatte  sich  also  das  mikroskopische  Blutbild  unter  der  Schild- 
drüsenbehandlung dem  für  Kinder  desselben  Alters  als  normal  geltenden 
sehr  genähert. 

Fasse  ich  nun  nochmals  kurz  meine  am  Blute  von  zwei  an 
3fyxödem  erkrankten  Menschen  erhobenen  Befunde  zusammen,  so 
Konnte  ich  teils  Bekanntes,  aber  zu  wenig  Beachtetes  (Terminderung 
des  Hämoglobins  und  der  in  ihrer  Gestalt  wenig  veränderten  roten 


o84  XXX.  EssBR 

Blutkörperchen  bei  einer  Vermehrung  des  weißen  Blutkörperchen, 
und  zwar  namentlich  der  mononucleären  Formen)  bestätigen,  noch 
^ine  bisher  nicht  beachtete  Veränderung  konstatieren.  Sie  besteht 
in  dem  Auftreten  besonderer  Formen  mononucleärer  Zellen,  die  im 
normalen  Blutbild  fehlen  und  nach  neueren  Anschauungen  als  an- 
<lifferenzierte  oder  mangelhaft  differenzierte  Enochenmarkszellen  an- 
zusprechen sind.  Von  theoretischem  wie  auch  praktischem  Inter- 
esse ist  dann  ferner  die  Tatsache,  daß  diese  Zellen  bei  erfolgreicher 
spezifischer  Behandlung  schwinden  und  den  im  Blute  in  der  Norm 
vorkommenden,  polymorphkeringen,  granulierten  Leukocj'ten  Platz 
machen. 

Zu  einer  eventuellen  Erklärung  dieser  Befunde,  der  auch  vom 
allgemeinen  hämatologischen  Standpunkte  aus  eine  Bedeutung  zu- 
kommen mußte,  erschien  es  angebracht,  das  Tierexperiment  heran- 
zuziehen und  hierbei  ganz  besonderes  Augenmerk  dem  Knoehenniaik 
zuzuwenden. 

Erst  neuerdings,  nachdem  meine  Versuche  schon  abgeschlossen 
waren  und  ich  in  der  Niederrhein.  Gesellschaft  für  Natur-  und 
Heilkunde  (siehe  auch  die  schon  erwähnte  Dissertation  von  Hartoch 
über  deren  Hauptresultate  Mitteilung  gemacht  hatte,  erschien  eine 
Arbeit  von  Dieterle,^)  in  der  im  Anschluß  an  die  ausführliche 
Schilderung  des  klinischen  und  pathologisch-anatomischen  BeAindes 
eines  Kindes  mit  kongenitalem  Myxödem  (über  den  Blutbefund  findet 
sich  keine  Angabe),  über  den  Enochenmarksbefund  bei  einer  Katze 
berichtet  wird,  die  am  3.  Lebenstage  thyreoidektomiert  wui-de  und 
sm  7.  Tag  unter  tetanischen  Erscheinungen  zugrunde  ging.  Er 
fand  bei  vollkommen  normalem  Epiphysenknorpel  an  der  Ossifikations- 
linie  einen  deutlichen  queren  Streifen  von  osteoidem,  teils  schon 
in  echten  Knochen  übergehendem  Gewebe  und  eine  starke  An- 
häufung von  großen  knochenähnlichen  Zellen  in  den  primitiven 
Markräumen.  „Man  gewinnt  den  Eindruck,  als  ob  sich  die  Osteo- 
blasten an  der  Ossifikationslinie  anstauten,  weil  keine  neneo 
Knorpelgebiete  eröffnet  werden." 

Dieterle  nimmt  eine  schwere  Schädigung  der  Markzellen  an 
und  weiter  heißt  es  bei  ihm:  „interessant  und  für  weitere  Unter- 
suchungen überaus  wichtig  erscheint  jedenfalls  die  Tatsache,  daf 
sich  beim  Myxödem  eine  sehr  nahe  Beziehung  zwischen  Blutbildnnf 
und  Knochenwachstum  offenbart,  die  vielleicht  auch  unter  physio 
logischen  Verhältnissen  eine  größere  Rolle  spielt  als  wir  vwlittfig 


wissen." 


1)  Dieterle,  Die  Athyreosis  etc.    Virch.  Arch.  Bd.  184  p.  ö6. 


Blnt  und  Knochenmark  nach  Aosfall  der  Schilddrüsenfunktion.         58& 

Außer  diesen,  wie  gesagt  nach  Abschluß  meiner  Versuche  ver- 
öffentlichten Angaben  Dieterle's,  habe  ich  nirgendwo  etwa» 
über  Knochenmarksbefunde  nach  den  doch  in  Unzahl  ausgeführten 
Thyreoidektomien  finden  können.^) 

Aus  der  Beschreibung,  die  Dieterle  über  das  Knochenmark 
des  Myxödemkindes  gibt,  hebe  ich  hervor,  daß  es  in  den  Röhren- 
knochen namentlich  gegen  die  Ossifikationsgrenze  hin  durch  seinen 
reichen  Fettgehalt  auffiel,  während  sich  gegen  die  Diaphysenmitte 
hin  ein  mehr  lymphoides  Mark  fand.  Die  Markräume  sahen  wie 
verödet  aus,  das  splenoide  Mark  war  zellarm,  seltener  waren  freie 
i-ote  Blutkörperchen  und  Hämatoblasten  und  Riesenzellen  äußerst 
spärlich.  Neben  Myelocyten  waren  am  meisten  einkernige  Leuko- 
cyten  und  granulierte  eosinophile  Zellen  mit  kleinen  gut  tingierten 
Kernen  vertreten,  und  die  Osteoblasten  bildeten  nirgends  epithel- 
ähnliche Beläge,  sondern  zeigten  Spindelform. 

In  den  Rippen  war  dagegen  das  Mark  sehr  zellreich  und  ohne 
Fetttropfen. 

Von  älteren  Angaben  muß  ich  noch  die  Aschoff 's*)  erwähnen/ 
der  bei  einem  halbjährigen  Kinde  mit  angeborenem  Schilddriisen- 
mangel  das  Knochenmark  des  Oberschenkels  lymphoid  fand,  und 
schließlich    die    von    Langhans ^)    über   das    Knochenmark    bei 
Kretinen.     Bei    einem   kindlichen   Kretinen   fand  er   nur   in   der 
Clavicula  Knochenmark,   das  teilweise  den   kindlichen  Charakter 
hatte,  in  den  verschiedenen  Extremitätenknochen  überall  Fettmark. 
Auch   bei  erwachsenen  Kretinen  war  in  den  Epiphysen  Fettmark, 
doch  fand  sich  in  2  Fällen  in  der  Diaphyse  zellreiches  Mark  und 
in    einem    derselben,   eine  45jährige  weibliche  Person   betreflend,. 
waren  ,,zwischen  den  Fettzellen  noch  so  viel  Markzellen,  Riesen- 
zellen   und   weite   Blutkapillaren,    daß   schon    makroskopisch  das 
Mark  dadurch  eine  rötliche  Farbe  gewann".    Ohne  weitere  Berück- 
idebtigung  dieses  letzterwähnten  Befundes  macht  Langhans  be- 
sonders auf  den  bei  dem  Kinde  erhobenen  aufmerksam  und  spricht 
die  Meinung  aus,  daß  dieser  „zum  ersten  Male  etwas  Licht  auf  die 
anämischen  Zustände  werfe,  welche  den  Kretinen  wie  den  Thyreo- 

1)  Anm.  b.  d.  Korrekt.:  Kraus  (Verhandl.  des  23.  Kongr.  für  innere  Medizin 
p.  48)  spricht  von  Knochenmarkspräparaten  von  entschilddrüsteu  Hunden  in  denen 
fast  ansschließlich  kleine  und  große  Lymphocyten  das  Gesamtbild   beherrschten. 

2)  Aschoff,  Über  einen  Fall  von  angeborenem  Schilddrtisenmangel.  Vor- 
trag, gehalten  in  der  Mediz.  Gesellschaft  in  Göttingen.  Refer.  Deutsche  med. 
Wochenschr.  1899.    Vereinsbeil.  p.  203. 

3)  Langhans,  Anatomische  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Kretinen.  Vircb» 
Archiv  Bd.  149  p.  173. 


586  XXX.  EssEB 

priven  charakterisieren''.  Doch  sagt  er  weiter:  „In  einem  Kropf- 
lande ist  es  besonders  schwierig  und  bedarf  es  eines  besonders 
großen  Materials,  am  die  Beziehung  der  Schilddrüse  zur  Blatbildong 
klar  zu  legen." 

Von  anderer  Seite  sind  über  diese  fragliche  Beziehung  der 
Schilddrüse  zur  Blntbildung  nur  Hypothesen  aufgestellt  worden,  die 
ich  hier  nicht  alle  wiedergeben  will.  Zum  Teil  sind  sie  in  der 
schon  zitierten  Arbeit  von  Formanek  und  Haskovec  aufge- 
führt, und  ich  will  mich  hier  darauf  beschränken^  zu  erwähnen. 
daß  zunächst  Kocher,  der  ja  zuerst  auf  die  Anämie  bei  Strum- 
ektomierten  hinwies,  diese  als  Folge  einer  ungenügenden  Sauerstoff- 
zufahr  auffaßte,  die  durch  eine  nach  Kropfexstirpation  sich  aus- 
bildende Verengerung  der  Trachea  bedingt  sein  solL  Femer  haben 
andere  (z.  B.  B  r  u  n  s  ^))  die  Schilddrüse  als  ein  direkt  bei  der  Blut- 
bildung beteiligtes  Organ  angesehen  und  Zesas-)  der  Schilddrüse 
eine  gleiche  Rolle  zugesprochen  wie  der  Milz,  weil  er  dieses  Oi^an 
im  Gegensatz  zu  den  Angaben  anderer  Experimentatoren  (z.  B. 
Hofmeister^)  und  Lanz*))  und  auch,  wie  ich  gleich  hier  be- 
merken will,  im  Gegensatz  zu  meinen  eigenen  Uutersuchungs- 
resultaten,  nach  Schilddrüsenexstirpation  stets  vergrößert  fand. 
Schließlich  ist  in  der  von  mir  schon  zitierten  neueren  Arbeit  von 
Kishi  (S.  307)  die  Ansicht  ausgesprochen,  daß  „bei  den  thyreoidekto- 
mierten  Tieren  im  Blut  durch  den  Stoffwechsel  eine  Substanz  ent- 
stehe, die  die  roten  Blutkörperchen  zersetzt  und  gleichzeitig  an  den 
Blutgefäßwänden  Schaden  anrichte,  femer  durch  Chemotaxis  eine 
Vermehrung  der  Leukocyten  im  Blute  hervorrufe". 

Ich  wende  mich  nun  meinen  eigenen  Untersuchungsresultaten 
zu,  die  bei  thyreoidektomierten  Hunden  und  Kaninchen  gewonnen 
wurden. 

Als  Versuchstiere  wählte  ich  ausschließlich  junge  Tiere,  da  ich  er- 
warten durfte,  daß  sich  bei  solchen  die  ewentuellen  Blut-  und  Knochen- 
marks Veränderungen  am  dentlichBten  ausbilden  würden,  abgesehen  daToo* 
daß  die  schon  früher  bei  jungen  Tieren  noch  Wegfall  der  Schilddrosen- 
funktion  beobachteten  Wachstumsstörungen  als   äußeres  Zeichen  für  den 


1)  Bruns,  Über  den  gegen  war  tijiren  Stand  der  Kropf  behandlang.   Sammlnng 
klin.  Vorträge.    Chirurgie  Nr.  244.   1884.   p.  2067. 

2)  Zesas,  Über  den  physiolog.  Zusammenhang  zwischen  Milz  und  Schild- 
drüse.   Arch.  f.  klin.  Chirurgie  1884  p.  267. 

3)  Hofmeister,    Experimentelle  Untersuchongen    über    die   Folgen   des 
Schilddrttsenverlustes.    Beiträge  zur  klin.  Chirurgie  Bd.  11.    1894.   p.  441. 

4)  Lanz,  Zu  der  Schilddrüsenfrage.    Sammlung  klin.  Vorträge.    Chinugif 
Nr.  98.    1894.    p.  44. 


Blut  und  Knochenmark  nach  Ausfall  der  Schilddrüsenfunktion.         587 

Erfolg  der  Operation  gelten  konnten.  Zu  Kontrolltieren,  bei  denen  ich 
zu  gleicher  Zeit  wie  bei  den  Veraucbstieren  Blutuntersucbungen  vomabni, 
und  die  zur  (Jntersucbuug  des  Knochenmarks  mit  den  Versuchstieren 
oder  kurz  nach  deren  spontan  erfolgten  Tode  getötet  wurden,  nahm  ich 
Tiere  desselben  Wurfes,  die  natürlich  in  gleicher  Weise  wie  die  Yersuchs- 
tiere  gepflegt  und  ernährt  wurden.  ^) 

Anfangs  erging  es  mir  nun  ebenso,  wie  den  meisten  meiner 
Voruntersucher:  Die  Hunde  gingen  meist  in  einigen  Tagen  nach 
der  Thyreoidektomie  unter  den  Erscheinungen  der  Tetanie  zugrunde, 
während  die  operierten  Kaninchen  am  Leben  blieben.  Erst  als 
ich  den  Glandulae  parathjTeoideae  Beachtung  schenkte,  konnte  ich 
auch  beim  Hunde  das  Auftreten  von  Tetanie  mit  folgendem  Exitus 
nach  der  Operation  vermeiden.  Bekanntlich  sind  diese  erst  im 
Jahre  1880  von  Sandström^  entdeckten  Glandulae  parathyreoideae, 
von  Kohn^j  wegen  ihres  Aufbaues  aus  epitheloiden  Zellbalken 
Epithelkörperchen  genannt,  bei  den  Säugetieren  in  einer  Anzahl 
von  4,  je  2  an  jeder  Seite,  vorhanden,  haben  aber  bei  verschiedenen 
Tieren  eine  verschiedene  Lage. 

Es  kann  nicht  in  meiner  Absicht  liegen,  hier  näher  auf  diese 
interessanten,  in  den  letzten  Jahren  erst  genauer  studierten  Organe 
einzugehen.  Einzelheiten  finden  sich  in  der  sehr  lesenswerten  Ab- 
handlung von  Biedl^)  über  „Innere  Sekretion"  und  in  der  Arbeit 
von  Benjamins,*)  in  denen  auch  die  einschlägige  Literatur  an- 
gegeben ist*) 

Beim  Menschen  liegen  der  Außen-  und  Hinterfläche  der  Schild- 
drüse auf  jeder  Seite  2  dieser  Gebilde  an  (siehe  die  Abbildung  bei 
Eiseisberg  1.  c.  S.  18  und  bei  Biedl  1.  c.  S.  15);  bei  einer  Reihe 
anderer  Säuger  findet  sich   auf  jeder  Seite   eine  Parathyreoidea 

1)  AHe  Operationen  wurden  von  meinem  chirurgischen  KoUegen,  Privatdoz. 
Herrn  Dr.  Schmieden  ausgeführt,  wofür  ich  ihm  noch  an  dieser  Stelle  meinen 
besten  Dank  ausspreche.  Die  Heilung  der  Wunden  erfolgte  in  allen  Fällen  in 
knrzer  Zeit  ohne  Störung. 

2)  Sandström,  Über  eine  neue  Drüse  beim  Menschen  und  bei  verschie- 
denen Säugetieren.    Refer.  im  Jahresber.  von  Virchow  u.  Hirsch. 

3)  Kohn,  Studien  über  die  Schilddrüse.  Arch.  f.  mikroskop.  Anatomie  Bd.  44 
p.  366  und  Bd.  48  p.  398. 

4)  Biedl.  Innere  Sekretion.  Vorlesungen.  Verlag  von  Urban  u.  Schwarzen- 
beig  1S04. 

5)  Benjamins,  Über  die  Glandulae  parathyreoideae.  Zieglers  Beiträge 
Bd.  31  p.  143. 

6)  Bei  der  Korrektur  kann  ich  femer  nur  kurz  auf  die  Vorträge  von  Kraus 
n.  Kocher,  „Über  die  Pathologie  der  Schilddrüse",  auf  dem  23.  Kongreli  für 
innere  Medizin  und  auf  eine  Arbeit  von  Krdheim.  „Tetania  parathyreopriva"  in 
den  Mitteil,  aus  d.  Grenzgebieten  etc.  Bd.  XVI  S.  632,  hinweisen. 


588  ^^^-  ^s^^K 

innerhalb  und  eine  außerhalb  der  Thyreoidea  (von  K  o  h  n  als  inneres 
und  äußeres  Epithelkörperchen  bezeichnet). 

Was  speziell  die  von  mir  gewählten  Versuchstiere  angeht,  so 
verlieren  beim  Kaninfthen  die  äußeren  Epithelkörperchen  jede  Be- 
ziehung zur  Schilddrüse  und  wandern  bis  zur  Carotis  hinunter, 
während  beim  Hunde  die  äußeren  Epithelkörperchen  dem  obei-en 
Pole  der  Schilddrüse  dicht  anliegen  und  oft  förmlich  in  sie  ein- 
geteilt sind. 

Von  diesen  entwicklungsgeschichtlich  und  anatomisch  selb- 
ständigen Organen  müssen  wir  dank  neuerer  experimenteller  Unter- 
suchungen eine  Funktion  annehmen,  die  von  der  der  Schilddrüse 
verschieden  und  deren  Ausfall  gerade  für  das  Auftreten  einer 
Tetanie  verantwortlich  zu  machen  ist  (Gley,^)  Moussu,V 
Vassale  und  Generali).*) 

In  jüngerer  Zeit  hat  auch  P  i  n  e  1  e  s  ^)  den  Zusammenhang  der 
Epithelkörperchen  mit  der  Tetanie  beim  Menschen  betont  und  sich 
wegen  der  Beziehung  zwischen  menschlicher  und  tierischer  Tetanie 
daflir  ausgesprochen,  daß  auch  allen  Formen  der  idiopathischen 
Tetanie  (bei  Arbeitern,  Kindern,  Schwangeren,  Magenkranken) 
analog  der  Tetania  strumipriva  dieselbe  pathologisch-physiologische 
Basis  zugrunde  liegt:  die  Insufficienz  der  Epithelkörperchen. 

Schließlich  weise  ich  noch  auf  eine  Mitteilung  von  Callum*) 
hin,  der  bei  einem  alten,  an  Magenektasie  und  Tetanie  leidenden 
Manne  (Tod  während  eines  Tetanieanfalles)  in  großen  Epithel- 
körperchen eine  reichliche  Entwicklung  von  Mitosen  fand,  wohin- 
gegen er  solche  bei  ungefähr  50  Fällen  aus  jedem  Alter,  die  aus  ver- 
schiedenen Ursachen  tödlich  verlaufen  waren,  außer  bei  einem  Falle 
von  chronischer  Nephritis  mit  Urämie  nicht  zu  finden  vermochte. 

1)  Gley,  Contribution  ä  l'etude  des  eifets  de  la  tbyreoidectomie  chez  le 
chien.  Nonvelies  recherches  snr  les  effets  de  la  thyreoidectomie  chez  le  lapin. 
Arch.  de  physiol.  1892  p.  81  u.  p.  664. 

2)  Moussu,  Recherches  snr  les  fonctions  thyroidienne  et  parathyroidienne. 
These  de  Paris  1897. 

3)  Vassale  und  Generali,  Mitteilung:  über  die  Wirkung  der  Exstir- 
pation  der  Gland.  parathyreoideae.    Refer.  Münch.  med.  Wochenschr.  1897  p.  872, 

4)  Pineles,  Zur  Physiologie  und  Pathologie  der  Schilddrüse  und  der 
Epithelkörper  beim  Menschen.  Vortrag.  Refer.  MUnch.  med.  Wochenschr.  1901 
p.  1180.  —  Klinische  und  experimentelle  Beiträge  zur  Physiologie  der  Schild- 
drüse und  der  Epithelkörperchen.  Mitteil,  aus  d.  Grenzgeb.  d.  Medizin  u.  Chirurgie 
Bd.  14.  1905.  p.  120.  —  Zur  Pathogenese  der  Tetanie.  Deutsches  Archiv  f.  klin. 
Med.  Bd.  85.    1905.   p.  491. 

5)  Callulm,  Die  Beziehung  der  ParathyreoiddrUsen  zu  Tetanie.  Centralbl. 
f.  allgem.  Pathol.  und  pathol.  Anatomie  1905  p.  386. 


Blut  und  Knochenmark  nach  Ausfall  der  Schilddrüsenfunktion.         5g9 

Demnach  wird  man  beim  Hunde  ohne  Berücksichtigung  der 
Epithelkörper  bei  einer  Thyreoidektomie  fast  stets  auf  das  dem 
oberen  Schilddrtisenpol  dicht  anliegende  oder  häufig  sogar  in  ihm 
eingekeilte  größere  Epithelkörperchen  mitentfernen  und  Tetanie  bei 
dem  Tiere  erwarten  können,  während  man  beim  Kaninchen  die  voll- 
ständige Thyreoidectomie  vornehmen  kann,  ohne  das  entfernter 
liegende  äußere  Epithelkörperchen  zu  berühren. 

Bei  jungen  Hunden  hält  es  nur  äußerst  schwer,  die  Schilddrüse 
vollkommen  zu  entfernen,  ohne  wenigstens  eine  stärkere  Alteration 
der  äußeren  Epithelkörperchen  befürchten  zu  müssen. 

Herr  Kollege  Schmieden  ging  daher  auf  meine  Veranlassung 
bei  den  jungen  Hunden  so  vor,  daß  er  auf  einer  Seite  ungeachtet 
des  äußeren  Epithelkörperchens  die  Schilddrüse  vollständig  entfernte 
und  auf  der  anderen  Seite  von  dem  oberen  Pol,  im  ganzen  etwa  V* 
eines  Schilddrüsenlappens,  stehen  ließ.    Auch  bei  diesem  Verfahren 
bekamen  zwei  Tiere  eine  allerdings  nur  kurz  dauernde  Tetanie, 
wohl  wegen  einer  durch  die  Operation  erfolgten  vorübergehenden 
Schädigung   der    im    und    am    oberen    Schilddrüsenpol    liegenden 
inneren  und  äußeren  Epithelkörperchen.    Andererseits  riskierte  ich 
bei  diesem  Vorgehen,  daß  durch  Zurücklassung  des  auch  nur  spär- 
lichen Schilddrüsenrestes,  von  dem  aus  bekanntlich  bald  eine  Eege- 
neration  ausgehen   kann,    ev.   die  Folgen,  einer  völligen   Schild- 
drüsenexstirpation  ausbleiben  würden.    Meine  Ergebnisse  sprechen 
aber  dafür,  daß  diese  Sorge  unnütz  war.    So  blieben  z.  B.  alle 
Versuchstiere,   zwei   allerdings   erst  etwa  einen  Monat  nach  der 
Operation,  gegenüber  den  Kontrolltieren  erheblich  im   Wachstum 
zurück  mit  Ausnahme  eines  einzigen  Hundes,  wofür  die  Obduktion 
desselben  eine  befriedigende  Erklärung  gab.    Es  fand  sich  bei  ihm 
eise  sog.  accessorische  Schilddrüse  oberhalb  des  Heinzens,  über  hasel- 
nnßgroß,  die  offenbar  die  Funktion  des  existirpierten  Schilddrüsen- 
g-ewebes  vollauf  übernommen  hatte. 

Eb  stützen  sich  meine  Ergebnisse  auf  üntersachungen,  die  an 
7  Hunde-  und  an  4  Kaninchenserien  gewonnen  wurden  mit  28  Versuchs- 
tieren. Die  während  des  Lebens  der  Tiere  vorgenommenen  Blutunter- 
sixchmigen  bestanden  in  Hämoglobinbestimmangen  nach  Sahli  und  nach 
rFfillquist,  teils  kontrolliert  mit  dem  Hämometer  von  Fleischl- 
mr  i  6  s  c  h  e  r.  Ferner  wurden  Zählungen  der  roten  und  weißen  Blut- 
körperchen in  der  Thoma-Zeiß'schen  resp.  der  Türkischen  Zählkammer 
vorgenommen  und  schließlich  Trockenpräparate  studiert,  die  nach  May- 
O-rünwald  resp.  mit  Ehrliches  Triacid  gefärbt  waren. 

Bei    der    mikroskopischen    Untersuchung    der   Bluttrockenpräparate 
fskxiden    sowohl   die    quantitativen   als    auch   die  qualitativen  Verhältnisse 

Deatschea  Archiv  f.  klio.  Medizin.    89.  Bd.  38 


590  XXX.  Esser 

der    einzelnen    Blutkörperchenarten,    insbesondere    der    weißen,    Berück- 
sichtigung. 

Da  sich  bei  den  verschiedenen  Serien  die  im  wesentlichen  stets 
gleichen  Veränderungen  zeigten,  beschränke  ich  mich  auf  die 
Wiedergabe  der  Tabellen  der  ersten  Hunde-  und  der  ersten  Ka- 
ninchenserie (s.  Tab.  S.  591). 

Die  Tabellen  zeigen  zunächst  in  Übereinstimmung  mit  den 
Resultaten  früherer  Experimentatoren,  daß  nach  der  Thjreoid- 
ektomie  sowohl  beim  Hunde  me  auch  beim  Kaninchen  unter  Vermin- 
derung des  Hämoglobingehaltes  und  der  Anzahl  der  roten  Blut- 
körperchen die  weißen  zunehmen,  und  bekunden  ferner  die  von  mir 
neu  festgestellte  Tatsache,  daß  unter  den  weißen  Blutkörperchen 
wie  in  dem  geschilderten  Blutbild  der  Myxödemkranken  neben 
einer  Vermehrung  der  großen  mononucleären  Leukocyten  noch 
andere  mononucleäre  Formen  in  größerer  Menge  auftreten,  die  im 
Blute  der  Kontrolltiere  fehlen  oder  nur  vereinzelt  vorkommen.  Be- 
sonders in  den  mit  E  h  r  1  i  c  h  's  Triacid  gefärbten  Präparaten  zeigten 
diese  Zellen  alle  Charakteristika,  die  Türk  (1.  c.)  bei  dieser  Fär- 
bung von  den  lymphoiden  Markzellen  angibt:  Ein  schmaler  Proto- 
plasmasaum umgibt  in  einem  schmutzig  graubräunlichen  oder  rot- 
bräunlichen Tone  gefärbt  den  großen,  graubläulich  gefärbten. 
länglich  ovalen  oder  auch  vollkommen  runden  Kern,  der  meist  ein 
oder  mehrere  hellere  Kernkörperchen  enthält,  und  hier  und  da 
findet  man  im  Protoplasma  einzelner  dieser  Zellen  einige  Granula, 
die  ihre  Verwandtschaft  mit  Myelocyten  dokumentieren.  Letztere 
finden  sich  ganz  vereinzelt  auch  in  ausgebildeter  Form. 

Die  roten  Blutkörperchen  zeigten  bei  den  thyreoidectomierten 
Tieren  gegenüber  denen  der  Kontrolltiere  nur  geringe  Abweichungen 
von  der  Norm :  es  fanden  sich  vereinzelte  Mikro-,  Makro-  und  Poikilo- 
cyten.  Im  allgemeinen  waren  die  roten  Blutkörperchen  der  Ver- 
suchstiere etwas  schwächer  tingiert;  hier  und  da  fand  sich  eine 
deutlich  polychromatophile  Zelle. 

Nach  diesen  klinischen  Befunden  schien  die  anatomische  Unter- 
suchung des  Knochenmarks  von  besonderem  Interesse. 

Zu  diesem  Zwecke  ging  ich  folgendermaßen  vor: 
Alle  Versuchstiere   wurden    entweder   knrz   nach  ihrem  spontan  er- 
folgten   Tode    (2  Hunde)    oder   sofort   nachdem   Bie    durch   Nackenschlag 
oder  doppelseitigen   Pneumothorax  getötet  worden  waren,  wie  die  gleidi- 
zeitig  getöteten,  zugehörigen  Vergleich  stiere  obduziert. 

Ein  Femur  wurde  mitten  quer  durchgesägt,  eine  Hälfte  io  eiiieii 
Schraubstock  geklemmt  und  von  dem  aus  der  Diaphyse  hervorqueUenden 
Marke    Deckglasabstrichpräparate   gemacht,   die   teils   meist  mit  EhrlicKh'fi 


Blut  und  Knochenmark  nach  Ausfall  der  Schilddrttsenfnnktion. 


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592  XXX.  EssBR 

Triacid,  teils  nach  May-Orünwald  gefärbt  wurden.  Aas  der  anderen 
Hälfte  worden  nach  vorsichtiger  Längsspaltong  Elnochenmarkswürfe) 
herausgeschnitten  und  teils  in  4proz.  Formalin,  teils  in  Zenker'scher 
Lösung  fixiert. 

Der  andere  Femur  wurde  nach  3  wöchentlicher  Fixation  in  4proz. 
Formalin  in  Haug^scher  Flüssigkeit  (Aoid.  nitr.  pur.  30,0,  Alcoh.  absol. 
700,0,  Aqu.  dest.  300,0,  Natr.  chlor.  2,5)  entkalkt.  Die  Einbettung 
erfolgte  in  Celloidin  resp.  Paraffin,  und  gefärbt  wurden  die  Schnitte, 
und  zwar  die  von  Versuchs-  und  Vergleichstier  gleichzeitig  ev.  auf  dem- 
selben Objektträger,  mit  Hämatoxylin-Eosin ,  mit  Methylgrun-Pyronin 
(Pappenheim)  und  nach  der  neuerdings  von  Schridde')  angegebenen 
Methode  zur  Darstellung  der  verschiedenen  Granula.  Schließlich  verfuhr 
ich  zur  Isolierung  einzelner  aus  den  Celloidinschnitten  nach  dem  von 
Arnold^)  angegebenen  Verfahren,  indem  ich  dünne,  gefärbte  Schnitte 
in  Nelkenöl  aufhellte  und  dabei  eine  Auflösung  des  Gelloidins  bewirkte. 
Die  in  Kanadabalsam  eingebetteten  Schnitte  zerfallen  dann  bei  leichtem 
Druck    auf   das    Deckglas. 

Die  übrigen  Extremitätenknochen  wurden  meist  nur  einer  makrosko- 
pischen Untersuchung  unterzogen. 

Bei  der  makroskopischen  Betrachtung  ergaben  sich  nun  schon 
auffallende  Unterschiede  zwischen  dem  Knochenmark  der  Versuchs* 
tiere  und  dem  der  Kontrolltiere,  und  zwar  sowohl  bei  den  Hunden 
wie  auch  bei  den  Kaninchen. 

Das  Knochenmark  der  thyreoidektomierten  Tiere 
ist  infolge  größeren  Blutreichtums  dunkler  rot  ge* 
färbt  und  weicher  (oft  fast  zerfließend)  als  das  der 
Vergleichstiere. 

Auch  bei  der  mikroskopischen  Untersuchung  fanden  sich  erheb- 
liche Unterschiede  zwischen  dem  Knochenmark  der  Versuchstiere 
und  der  vom  selben  Wurf  stammenden  Vergleichstiere. 

Die  Betrachtung  der  von  der  Diaphyse  des  Femurs  angelegten 
Schnitte  ergibt  vorab  zur  Bestätigung  des  makroskopischen  Befundes 
sowohl  im  Mark  der  thyreoidektomierten  Kaninchen  wie  auch  der  Hunde 
einen  erheblichen  Blutreichtum.  Inbetreff  der  Beschaffenheit  der  einzelnen 
roten  Blutkörperchen  findet  sich  zwischen  thyreoidektomierten  und  nicht 
thyreoidektomierten  Tieren  kein  wesentlicher  Unterschied,  insbesondere 
kein  merkbarer  Zahlen  unterschied  —  genauere  zahlenmäßige  Bestimmungen 
konnten  in  dem  äußerst  zellreichen  Gewebe  nicht  gemacht  werden  —  in 
den  kernhaltigen  roten  Blutkörperchen. 

Die  Riesenzellen  sind  in  dem  Knochenmark  der  thyreoidektomierten 
Tiere  spärlicher  und  kernärmer. 


1)  Schridde,   Die  Darstellung   der   Leukocytenkürnelungeu  im  Gewebe. 
Zentralbl.  f.  allgemein.  Pathol.  u.  pathol.  Anatomie  1905  p.  769. 

2)  Arnold,  Zur  Morphologie  und  Biologie  des  Knochenmarks.   Tirch.  Are). 
Bd.  140  p.  146. 


Blut  and  Knochenmark  nach  Ausfall  der  Schilddrüsenfunktion.  593 

Viel  auffallender  ist  aber  die  Differenz  in  der  Anzahl  der  normalen 
Myelocyten,  die  in  dem  Knochenmark  der  Versuchstiere  sehr  zurück- 
treten vor  Zellen  mit  kleinerem^  mehr  oder  weniger  rundlich  gestaltetem, 
meist  dunkler  tingiertem  Kern  und  vielfach  breiterem  Protoplasmasaum. 
In  dem  Kerne  vieler  dieser  Zellen  kann  man  deutlich  wenigstens  1,  oft 
2  Kemkörperohen  erkennen.  Der  Protoplasmasaum  ist  bei  einer  großen 
Anzahl  dieser  Zellen  basophil  und  frei  von  Qranulation,  bei  anderen  ist 
«ine  deutliche  Kdrnelung  nachweisbar,  und  zwar  meist  neutrophile  bei 
•einzelnen  auch  eosinophile,  die  um  den  Kern  weniger  ausgeprägt  ist 
•als  in  der  Peripherie  der  Zellen,  bei  wieder  anderen  ist  die  neutrophile 
Körnelung  eben  angedeutet.  Auch  an  Schnitten  von  Tieren,  die  bald 
<etwa  8  Tage)  nach  der  Tfayreoidektomie  getötet  worden  waren,  erschienen 
diese  angegebenen  Unterschiede  gegenüber  den  Befunden  bei  den  Kon- 
trolltieren schon  unverkennbar. 

Meiner  Ansicht  nach  handelt  es  sich  bei  den  eben  beschriebenen 
Zellen  um  Vorstadien  der  reifen  Myelocyten,  spez.  um  die  als 
lymphoide  Markzellen  beschriebene  Formen.  Doch  bin  ich  mir  be- 
wußt, daß  meine  bisherigen  Untersuchungen  noch  nicht  genügen, 
bei  dem  komplizierten  Bau  eines  Organs,  wie  es  das  Knochenmark 
ist,  etwas  Entscheidendes  auszusagen ;  jedenfalls  verspricht  aber  das 
Studium  der  geschilderten  Veränderungen  spez.  für  die  Genese  der 
aus  dem  Knochenmark  stammenden  weißen  Blutelemente  weitere 
Aufklärung  zu  bringen. 

Auch  eine  Reihe  anderer  interessanter  Fragen  knüpfen  sich 
an  meine  Befunde,  von  denen  ich  einige,  die  mich  weiter  beschäftigen 
T\^erden,  zum  Schlüsse  andeuten  will: 

Wie  verhält  sich  das,  sagen  wir  mit  Nägeli  myeloblastisch, 
jedenfalls  aber  hauptsächlich  leukoblastisch  erkrankte  resp.  ver- 
änderte Knochenmark  der  thyreoidektomierten  Tiere,  wenn  sie  von 
«iner  Infektionskrankheit  befallen  sind,  bei  der  die  polymorphkernigen 
Zellen  vermehrt  aufzutreten  pflegen?  Wie  nach  Röntgenlichtbe- 
strahlung,  bei  der  ja  neueren  Untersuchungsergebnissen  gemäß 
namentlich  das  leukoblastische  Gewebe  des  Knochenmarks  Schaden 
leidet? 


XXXI. 

Paroxysmale  Tachykardie. 

Von 

E.  Schmoll, 

San  FruicLBco. 
(Mit  14  Kurven.) 

Die  Pathogenese  der  paroxysmalen  Tachykardie  ist  trotz  den 
eingehenden  Untersuchungen  von  Hoff  mann  (1)  und  Macken- 
zie  (2)  in  tiefes  Dunkel  gehüllt.  Ho  ff  mann  (1)  beobachtete  in 
seinen  Fällen  eine  Verdoppelung  oder  Vervierfachung  der  Puls- 
frequenz und  suchte  dieses  eigentümliche  Verhalten  durch  folgende 
Annahme  zu  erklären :  Während  der  normalen  Pulsfrequenz  werden 
mehr  Eeize  gebildet  als  es  der  Anzahl  der  Pulsationen  nach  er- 
scheinen möchte;  allein  das  Herz  ist  nicht  imstande  jeden  Beiz 
mit  einer  Kontraktion  zu  beantworten  und  erst  jeder  zweite  oder 
vierte  Reiz  kommt  zur  Wirkung.  Der  tachykardische  Anfall  wurde 
dann  einfach  in  einer  Erhöhung  der  Anspmchsfähigkeit  des  Herzens 
bestehen,  das  jeden  Reiz  mit  einer  Kontraktion  beantworten  wörde. 
Mackenzie  (2)  betrachtete  die  Tachykardie  als  bedingt  durch 
eine  Anhäufung  von  Extrasystolen. 

Die  Entscheidung  zwischen  diesen  zwei  Ansichten  kann  nur 
durch  die  gleichzeitige  Aufnahme  des  Venenpulses  geliefert  werden, 
wie  auch  schon  Wenckebach  (3)  in  seiner  Monographie  über 
Herzarrythmie  hervorhob.  Die  Beobachtung  zweier  Fälle  von  \>si- 
oxysmaler  Tachykardie,  in  welchen  die  Analyse  des  Venenpulses 
Aufschluß  erteilte  über  den  Ursprung  des  tachykardischen  Anfalles, 
erlaubt  mir  in  dieser  Frage  Stellung  zu  nehmen. 

Fall  I.  C.  M.)  50  Jahre  alt,  hat  schon  während  der  letzteo 
10  Jahre  an  Anfallen  von  paroxysmaler  Tachykardie  gelitten.  Tor 
12  Jahren  warde  er,  während  er  seinem  Geschäft  nachging,  plötzlicfa 
schwindlig,  fiel  um  und  wurde  nach  dem  Spital  verbracht,  wo  er  un- 
gefähr  6  Monate   lang   behandelt   wurde;    schon    zu   dieser  Zeit  glidien 


Parosyfluiale  Tachykardie.  59Ö 

seine  tachykftrdiacben  AnflÜle  TollkommeQ  den  Jetzigea.  Yor  6  Jahren 
wiederholten  sich  seine  paroxystiachen  Anfälle  r  seither  treten  sie  aaf, 
sobald  Patient  verrocbt  schwerere  Arbeit  zu  verrichten  oder  wenn  er 
sich  in  ftlkoholischen  Exzessen  verleiten  laßt.  Seit  dem  Erdbeben  var 
Patient  genötigt  ichwere  körperliche  Arbeit  zu  verrichten ;  damit  setzten 
anch  seine  Attacken  wieder  ein  und  nötigten  den  Patienten  das  8pi''al 
aofsnsncben.  Während  der  Attacken  erreicht  die  Pulsfrequenz  eine  Höbe 
von  150 — 300  in  der  Hinute,  während  der  normalen  Pnlsperioden  be- 
wegt aicb  die  Schlagzahl  zwischen  60 — 70.  Patient  ist  imstande  seine 
Attacken  dnrcb  forcierte  Inspiration  oder  Vorneiib  erb  engen  zu  konpieren ; 
jedoch  beginnt  eine  neue  nach  wenigen  Augenblicken. 

Während  der  Attacken  ist  der  Puls  regelmäßig;  in  den  Tagen 
zwisohea  den  Anfällen  beobachtet  man  wahrend  der  langsamen  Palsfolge 
in  dem  sonst  regelmSBigen  Rhythmus  vereinzelte  Intermissionen. 

Ein  genaueres  Studium  der  Pulsverliältnisse  und  de»  ßh.vtli- 
muswechsels  ei^bt  die  folgenden  Befunde. 

Kurve  1,  aufgenommen  während  des  langsamen  Herzrhythmus, 
zeigt  die  charakteristischen  Wellen  eines  schwachen  anriknlären 
Venenpulses-  Die  Welle  a  entspricht  der  Vorhofswelle,  c  der  Ca- 
rotiswelle,  während  die  ventrikuläre  Welle  v  an  dieser  Kurve  nicht 
ausgeprägt  ist  Der  Pulä  ist  regelmäßig  72  in  der  Minute.  Im 
scharfen  Gegensatz  dazu  steht  die  während  des  Anfalles  aufge- 
nommene Kurve  2.    Der  vorher  sehr  schwache  Puls  ist  nun  sehr 

Knrve  1.  Kurve  2, 


Stark  geworden  und  hat  die  Form  des  Kammervenenpnlses  ange- 
nommen. Die  gleichzeitig  aufgenommene  Oarutiskurve  zeigt,  dall 
der  Beginn  der  Venenwellen  mit  der  arteriellen  Pulswelle  zu- 
sammenfällt; die  Venenwelle  selbst  bestellt  aus  zwei  kleineren 
Wellen,  wie  wir  sie  in  dem  normalen  Kammervenenpulse  immer 
finden.  Am  Ende  des  pai'oxystischen  Anfalles  wechselt  auch  der 
Charakter  des  Venenpulses;  der  Kammer venen puls  verwandelt  sich 
in  einen  normalen  Vorhofspuls  mit  ausgeprägter  Vorhofswelle. 

Die  Erklärung  dieses  auffallenden,  schon  von  Mackenzie 
geschilderten  Verhaltens  wird  geliefert  in  der  während  des  normalen 
Herzrhythmus  erhaltenen  Kurve  3.    Man  bemerkt  liier  vereinzelte 


596  XXXI.  ScHMOtL 

Unregelmäßigkeiten  in  dem  sonst  regelmäßig  schlagenden  Herzen, 
die  anzweifelhaft  auf  Extrasystolen  zaräckzufObren  sind.  Das 
Fehlen  der  Vorhofswelle  während  dieser  Extrasehläge  (Kurve  3i 
beweist  klar,  daß  keine  Vorhofaextrasystole  der  Kammerextrasystole 
vorangeht:  mit  anderen  Worten:  die  Extrasystole  entsteht  nnter- 
halb  des  V'orhofs  entweder  in  der  Kammer  selbst  oder  in  dem 
His'schen  Bündel.  Kammerextrasystolen  können  zwei  Fonnen  an- 
nehmen: entweder  folgt  auf  die  Extrasystole  eine  Pause,  welche 


dauert  bis  die  nächste  normale  Systole  wieder  eintritt,  also  voll- 
ständig kompensierend  ist,  oder  die  Extrasystole  ist  interpoliert 
zwischen  zwei  normalen  Pulsschlägen  ohne  irgend  weiche  Störung 
des  ursprünglichen  Rhythmus.  Eine  Ausmessung  unserer  Kurren 
ergibt,  daß  keine  dieser  Bedingungen  auf  unseren  Fall  zntrlttt:  die 
Ursprungsstätte  dieser  Rxtiiisystoleu  liegt  also  im  His'schen 
Bündel.  Diese  Annahme  wird  gestützt  durch  Kurven,  welche 
mehrere  Tage  später  erhalten  wurden.  Die  darin  anfgezeichneten 
Extrasystolen  besitzen  zum  großen  Teile  Vovhofewellen  (Kurve  i}. 


Diese  Extrasystolen  sind  als  atrioventikuläre  dadurch  charak- 
terisiert, daß  in  ihnen  die  Zeit  a — c  gegenäber  den  normalen  Pals- 
schlägen  stark  verkürzt  ist  (Kurve  4i.  Während  diese  Zeit  in  den 
normalen  Systolen  0,2  beträgt,  ist  sie  während  der  Extrasdiläge 
auf  0,1  Sek.  verkürzt,  ein  Verhalten,  das  nach  den  Ausfühnrngen 
von  Hering  (4)  als  charakteristisch  für  atrioventrikuläre  Eb:tra- 
systolen  betrachtet  werden  muß.  Je  nach  der  exakten  Lokalisation 
der  Ursprungsstätte  des  Extrareizes  wird  sich  entweder  Vorhof 


ParoifBinale  Tachykardie.  597 

und  Kammer  gleichzeitig  (Kurve  31  znsammfinziehen ;  oder  die  Vor- 
hofssystole  wird  vor  der  Kamtoersystole  stattfindeu,  wobei  die  Zeit 
a — c  notwendigerweise  abgekürzt  ist  iKurve  4);  oder  die  Vorhof- 
fcontraktion  folgt  der  Kammerkontraktion  nach. 

Der  Übergang  vom  Vorhofvenenpuls  zum  Kammervenenpuls 
wird  unserem  Verständnisse  näher  gerückt  durch  die  Betrachtung 
des  Venenpulses  während  der  Extrasystolen.  Wie  schon  oben  be- 
merkt, fehlt  in  der  Venenkurve  jegliches  Anzeichen  einer  Vorhofs- 
welle,  da  sich  Kammer  und  Vorhof  gleichzeitig  zusammenziehen. 
Die  Venenkurve  besteht  also  nur  aus  den  beiden  Wellen,  die  wir 
auch  während  des  paroxystischen  Anfalles  ausgeprägt  finden.  Wh 
können  den  paroxystischen  Anfall  somit  auffassen  als  bedingt  durch 
eine  Häufung  von  atrioventriknlareu  Extrasystolen:  eine  Ansicht, 
die  schon  seit  längerer  Zeit  von  Mackenzie  vertreten  wird.  Die 
Kegetmäfiigkeit  der  Piilsperioden  spricht  nicht  gehen  ihren  extra- 
systolischen Ursprung:  rhythmische  Extrasystolen  sind  schon  öfteis 
beschrieben  worden,  besonders  typisch  von  Gerhardt  (5)  und 
Pan  (6). 

DieVergl  eichung  der  Puls-      Kmve  h. 

zahlen  während  and  unmittel- 
bar nach  dem  Anfall  beweist 
•ebenfalls,  daß  kein  Zusammen- 
hang besteht  zwischen  dem 
paroxystischen  und  dem  nor- 
malen Rhythmus.  Während 
des  Anfalles  beträgt  die  Daner 
von  2  Systolen  0,75  Sek.  ent- 
sprechend einer  Pulsfrequenz 
von  160,  während  des  normalen 
Rhythmus  0,H2 Sek.  einer  Puls- 
li-eqnenz  von  73  entsprechend  iKurve  5i.  In  dem  gleichen  Falle 
beobachtete  ich  übrigens  Anfälle  von  Herzjagen,  in  welchen  eine 
annähernde  Verdoppelung  der  Frequenz  stattfand. 

Entsprechend  dem  atrioventrikalären  Ursprung  der  Extrasystolen 
wird  der  Extraschlag  in  den  meisten  Fällen  von  einer  nicht  voll- 
ständig kompensierenden  Pause  gefolgt.  In  den  meisten  Fällen 
jedoch  ist  die  Verlängerung  der  postextrasystolischen  Diastole  sehr 
gering  und  bei  einzelnen  Schlägen  fehlt  sogar  jegliche  kompen- 
satorische Verlängerung,  so  daß  der  nächste  Pnlsschlag  nach  der 
Extrasystole  im  noraialen  Intervall  erfolgt  Diese  Erhaltung  der 
physiologischen   Reizperiode    soll    nach    den  Untersuchungen    von 


Ksgelmaun  [7]  auf  deu  venösen  Sinus  als  Ui-sprangsstätte  der 
Kxtrasystoleit  hinweisen,  was  jedoch  in  nnsei-em  Falle  durch  die 
gleichzeitige  Aufnahme  des   Venenpulses  ausgeschlossen  ei-scheint 

Fall  II.  Die  P&tieiitia,  66  Jahre  ftlt,  bot  die  Encheinungen  eiaer 
ÄdipoBitBs  dolorosa  dar,  welche  auch  die  IntelUgenz  erheblich  geachiricht 
hatte,  so  daß  anamneatisch  keioe  Angaben  Aber  ihr  Herzleiden  erhalten 
werden  konnten.  Während  eines  Ifingoren  SpitalanfentbalteB  war  ea  mir 
möglich  eine  größere  Ansabl  von  Anfüllen  za  beobachten  und  graphiach 
zn  regiBtrieren.  Die  Dan  er  der  AnfUIe  wechselte  zwischen  wenigen 
Minnten  nud  mehreren  Tagen ;  sie  begannen  plötzlich  und  endeten  ebenso 
plötslich  wie  sie  begonnen  hatten.  Während  der  Anfölle  selbst  traten 
Perioden  auf  mit  langsamem  und  unregelmäßigem  FdIb,  der  jedoch  nach 
kurzer  Dauer  in  den  regelmäßigen  tachykardischen  Rhythmus  untachlng. 


Die  während  des  tachykardischen  Aufalles  erhaltene  Venen- 
kurve 6  zeigt  die.  H  normalen  ^\'ellen  des  Venenpnises  a,  c  und  v. 
Alle  3  Wellen  erfolgen  in  absolut  gleichmäßigem  Rhythmus.  Aaßer- 
oi-dentlich  häufig  trat  nun  wählend  des  tachycardischen  Rhythmus 
ein  typischer  Pulsus  alternans  auf  (Knrve  7  und  S).  Wir  wissen 
seit  den  bekannten  Untersuchungen  von  Wenckebach.  daß  wir 
diese  Pulsform  als  charakteristisch  für  eine  SchädiffUBg  der  Köu- 

Kurve  7. 


traktilität  des  Herzens  ansehen  dürfen.  iJiese  findet  bekannüich 
ihren  Ausdruck  in  dei-  Höhe  der  Pulswelle,  da  das  Herz  jeden 
Heiz  mit  einer  Maximalkontraktion  beantwortet.  Eine  .Schädigung 
der  Kontraktilität  zeigt  -sich  nun  zuerst  in  einer  Verkleinerung  der 
Pulshölie:   daneben   verläuft  die  schwächere  Systole   in   kürzerer 


Paroxysmale  Tachykardie.  599 

Zeit,  was  bei  rhythmisch  schlagendem  Herzen  natürlich  zu  einer 
Verlängerung  der  Diastole  fuhren  mnß.  Wenn  nun  in  einem  solchen 
Herzen  mit  geschädigter  Eontraktilität  ein  Reiz  etwas  verfrüht 
auftritt  (die  Herzaktion  ist  ja  nie  genau  rhythmisch),  so  erfolgt 
dadurch  eine  Verkürzung  der  Diastole,  welche  diesem  verfrühten 
Keiz  vorangeht ;  in  der  kurzen  Ruhepause  hat  das  Herz  sich  nicht 
genügend  erholt;  eine  schwache  verkürzte  Systole  wird  erfolgen. 
Die  nachfolgende  Diastole  ist  nun  infolge  der  verkürzten  Systole 
verlängert  und  infolge  der  verlängerten  Ruhepause  erfolgt  eine 
starke  Eontraktion,  die  nun  naturgemäß  zu  einer  Verkürzung  der 
Diastole  führen  muß  und  dadurch  zu  einer  schwachen  Eontraktion ; 
so  wiederholt  sich  die  Alternation  der  starken  und  schwachen 
Systolen  während  längerer  Perioden.  Diese  experimentell  von 
Engelmann  (8)  und  Hoff  mann  (9)  gefundenen  Verhältnisse 
werden  sehr  hübsch  illustriert  durch  die  in  unserem  Falle  erhaltenen 
Eurven.  Die  Ausmessung  derselben  ergibt  die  folgenden  Verhält* 
nisse  (die  Zahlen  sind  mm,  eine  Umrechnung  derselben  in  Zeit- 
werte wird  dadurch  ermöglicht,  daß  in  jeder  Eurve  angegeben  ist, 
wie  viele  mm  0,2  Sek.  entsprechen).  In  Eurve  7  beträgt  die  Dauer 
einer  Doppelkontraktion  11,5 — 12  mm.  Starke  und  schwache  Eon- 
traktion dauern  beide  gleich  lang  5,75  —  6  mm.  Die  Systole  des 
schwächeren  Pulsschlages  dauert  2,5,  des  stärkeren  3  mm.  Die 
Diastole  vor  dem  schwächeren  Pulsschlage  dauert  3,0  diejenige  vor 
dem  stärkeren  3,5  mm.  In  Eurve  8  ergeben  sich  die  folgenden 
Maße :  Systole  des  stärkeren  Pulses  3  mm,  Systole  des  schwächeren 
2  mm.  Die  Diastole  vor  dem  schwächeren  Pulse  dauert  3,  vor  dem 
stärkeren  4  mm. 

Neben  der  Alteniierung  der  Ventrikel  bemerken  wir  in  den 
Eurven  eine  deutliche  Alternierung  der  Vorhöfe,  es  entspricht  je- 
doch der  schwächeren  Ventrikelkontraktion  eine  starke  Vorhofswelle 
während  die  schwache  Vorhofswelle  der  stärkeren  Ventrikelwelle, 
entspricht.  In  anderen  nicht  reproduzierten  Eurven  erfolgten  Vor- 
hofs- und  Ventrikelalternation  gleichphasig. 

Vorhofsalternation  ist.  soweit  mir  bekannt,  bisher  nur  von 
Volhard  (10)  beschrieben  worden  in  einer  Arbeit,  in  welcher  er 
die  Verkürzung  der  schwächeren  Pulsperiode  als  notwendig  für  die 
Diagnose  eines  richtigen  Pulsus  alternans  betrachtet  und  in  welcher 
er  die  Fälle  mit  unverkürztem,  schwächeren  zweiten  Puls  als  durch 
Extrasystolen  verursacht  erklärt.  Die  Verspätung  der  zweiten 
Pnlswelle  bei  rhythmischer  Herzaktion  ist  seiner  Ansicht  nach  be- 
dingt durch  eine  Verlängerung  der  Anspannnngszeit  und  die  Extra- 


«00 


XXXI.    SCHMO. 


Terepfttung  der  zweiten  schw&cheren  Palswelle.  In  Knrve  7  und  8 
sind  sowohl  a  als  c  leicht  verspätet,  stärker  in  der  ans  anderen 
Gründen  reproduzierten  Kurve  9.  In  anderen  nicht  reproduzierten 
Kurven  fehlt  jedoch  eine  Verspätung  der  zweiten  Pulswelle  voll- 
ständig, so  daS  diese  Yerspätnng  nicht  als  unbedingt  notwendig 
fttr  eine  nchtige  Altemation  aufgefaßt  werden  kann :  eine  Anschau- 
ung die  auch  Uering{4)  in  seinem  Referat  auf  dem  letzten  EongreG 
fQr  innere  Jtfedizin  vertritt. 

In  Knrve  H  erfolgt  an  der  mit  einem  Sterne  bezeichneten 
Stelle  die  zweite  Kontraktion  verfrüht,  wie  sich  aus  einer  Ausmessni^ 
der  Knrve  ergibt.  Dadnrch  erfolgt  eine  äußerst  schwache  Kontraktion 
und  die  nächste  Diastole  ist  entsprechend  verlängert.  Die  nächst- 
folgende Systole  wird  dadnrch  sehr  verstärkt  und  verlängert;  die 
nächstfolgende  Diastole  ist  somit  stark  verkürzt,  so  daß  der  Ven- 
trikel nicht  genügende  Kraft  entwickelt,  um  bei  der  nächsten  Kon- 
traktion die  Aortenklappen  zu  öffnen;  die  Ventrikelwellß  fSJlt  ans 
und  nur  die  Vorhofswelle  zeigt  die  Anwesenheit  des  rhythmischen 
Eeizes  an. 

Kurve  9  zeigt  den  Übergang  von  einer  Alteniierung  mit  fehlen- 
der Ventrikelwelle  zu  einer  Altemierung  mit  allmäbUch  stärker 
werdender  Kammerkontraktion,  bis  schließlich  ein  r^i^lmftßiger 
tachykardischer  Rhythmus  sich  entwickelt. 


Eine  zweite  neben  dieser  Allorhythmie  bestehende  Unregel- 
mäßigkeit ist  dargestellt  in  Knrve  10.  Es  schlägt  hier  das  Herz 
in  einem  regelmäßigen  langsamen  Ehythmns,  welcher  jedoch  an 
mehi'eren  Stellen  unteib rochen  wird  von  einer  vorzeitigen  Systole. 
Diese  wird  von  einer  Pause  gefolgt,  deren  Dauer  gleich  ist  den 
Intervall  zwischen  zwei  Vorhofssystolen  während  des  i-egelmäßigen 


Paroxysmale  Tachykardie.  601 

Rhythmus.    Mit  anderen  Worten :  wir  haben  es  zu  tun  mit  Extra- 
Systolen,  die  zu  keiner  kompensatorischen  Pause  führen. 

Das  Auftreten  dieser  Extrasystolen  wird  offenbar  noch  dadurch 
kompliziert,  daß  sich  der  Ventrikel  während  der  Diastole  nur  un- 
vollständig: erholt.  Sehr  oft  zeigt  die  Venenkurve  nur  eine  isolierte 
Vorhofswelle,  während  die  c-  und  v-Welle  vollständig  fehlen.  Daß 
in  diesen  Intermissionen  dennoch  eine  Ventrikelkontraktion  stattfand,, 
ließ  sich  leicht  durch  die  Auskultation  nachweisen  (eine  Spitzen- 
stoßkurve konnte  leider  nicht  erhalten  werden).  Während  der 
Pause  am  Pulse  ließen  sich  oft  zwei  paukende  Töne  über  dem 
Herzen  nachweisen,  die  deutlich  verfrüht  auftraten.  In  anderen 
Fällen,  wenn  die  c-Welle  vollständig  fehlte,  erfolgte  nur  ein  pauken- 
der Ton,  wie  man  dies  in  abortiven  Systolen  oft  hört  Diese  Schall- 
erscheinung war  vollständig  verschieden  von  den  dumpfen  Vorhofs- 
tönen, wie  wan  sie  während  eines  richtigen  Herzblocks  wahrnimmt. 

Das  Auftreten  einer  Reihe  solcher  abortiver  Extrasystolen  ist 
dargestellt  in  den  Kurven  11  und  12.  Beide  zeigen  die  Konstanz 
des  physiologischen  Rhythmus,  das  Fehlen  jeglicher  kompensatorischen 
Pause  und  eine  auffallende  Regelmäßigkeit  im  Auftreten  der  Extra- 
reize. Die  Venenkurve  gewinnt  dadurch  eine  große  Aehnlichkeit 
mit  deijenigen,  welche  man  bei  Ventrikelausfall  verursacht  durch 
Leitungsstörung  erhält 

Diese  Ähnlichkeit  wird  noch  dadurch  erhöht,  daß  auch  die 
Überleitungszeit  durch  die  Extrasystolen  beeinflußt  wird.  Es  ist 
aus  Kurve  13  leicht  ersichtlich,  daß  die  Zeit  zwischen  a  und  c, 
welche  wir  bekanntlich  als  Maß  der  Überleitungsgeschwindigkeit 
benutzen,  in  der  Extrasystole  stark  verkürzt  ist.  Während  in  den 
normalen  Systolen  die  Überleitungszeit  0,2  Sek.  beträgt,  ist  sie 
während  der  Extrasystole  auf  0,05  Sek.  abgekürzt  Auch  in  der 
nächsten  Systole  ist  a— c  noch  auf  0,1  Sek.  verkürzt  und  erreicht 
erst  in  der  zweitnächsten  Systole  den  normalen  Wert 

Die  Verkürzung  der  Überleitungszeit  weist  wie  im  vorher- 
gehenden Falle  auf  das  atrioventrikuläre  Bündel  als  Ursprungsort 
für  die  Extrasystole,  das  konstante  Fehlen  der  kompensatorischen 
Pause  auf  den  venösen  Sinus.  Da  wir  im  Falle  1  gesehen  haben 
daß  bei  atrioventrikulären  Extrasystolen  eine  kompensatorische 
Pause  fehlen  kann,  so  möchte  ich  auch  in  diesem  Falle  die  Ur- 
sprungsstätte der  Extrasystolen  nach  dem  Atrioventrikularbündel 
verlegen,  bin  aber  nicht  imstande  den  venösen  Sinus  als  Entstehungs- 
ort auszuschließen.  Die  Verkürzung  von  a--^c  in  der  nächstfolgen- 
den Welle  ist  wohl  dadurch  zu  erklären,  daß  die  besonders  starke 


XXXI.  Sthholl 


P«ro\yäniBle  TachjkHrdie.  603 

Herzkontraktion  die  Pulsnelle  rascher  dnrcli  das  arterielle  Rolir 
forttreibt. 

Der  Übergang  eines  laugsameß  Rhythmus  in  einen  tachykar- 
dischen  Rhrthmiis  wird  sehr  hübsch  illustriert  durch  die  Kurve  14; 
das  gehäufte  Auftreten  der  beschriebenen  Extrasystolen  führt  liier 
zum  Auftreten  des  tachykardischen  Anfalles. 

Kurve  14. 


Die  Analyse  der  Venenkurven  unserer  Fälle  von  paroxysmaler 
Tachykardie  zeigt  also,  daß  der  Aufall  bedingt  sein  kann  dnrcli 
das  Auftreten  von  Extrasystolen,  die  von  dem  Atrioventrikular- 
böndel  auszugehen  scheinen. 


Literatur. 

Hoffmaiiu.  Zeitscbr.  f.  kliii.  Med.  Vol.  5^1, 

Mackenzie.  Study  of  the  pulse.  1903.  —  Brit.  med.  Jowru.  19U1. 

WenckebRch,  Arrhythmie  de«  Pnises.    1903. 

Hering,  Verhandl.  d.  Konarr.  f.  innere  Med.  1906. 

Gerhardt,  Arch.  f.  klin.  Med.  Vol.  81. 

Zeitscbr.  f.  esperini.  Pathol.  n.  Ther.  Vol.  1. 

Engelmauu.  ct.  Wenckebach  I.e. 
.    Der».,  Archiv  f.  d.  gea.  Pbysiol.  Vol.  (i2. 
.    Hoftmann.  Archiv  t.  d.  ges.  Pbvsiol.  Vol.  81. 

Vollhard,  Mllnch.  med.  Wocbenschr.  1905. 


XXXIl. 

Aus  der  medizinischen  Klinik  in  Gießen 
(Geh.-Rat  Prof.  Dr.  Moritz). 

Über  Herzvergrößerung  infolge  Eadfahrens. 

Von 

Dr.  Schleifer,  Oberarzt  im  I.-R.  Nr.  30, 

kommand.  zar  medisinisehen  Klinik. 
(Mit  4  Abbildungen.) 

Gelegentliche  Beobachtungen  über  Herzvergrößerungen  bei 
Radfahrern  haben  mich  veranlaßt,  der  Frage  systematisch  nach- 
zugehen, ob  hier  ein  kausaler  Zusammenhang  anzunehmen  sei  und 
nicht  etwa  nur  Zufälligkeiten  vorlägen. 

Untersuchungen  über  abnorme  Größenverhältnisse  des  Herzens, 
auch  solche  geringen  Grades,  können  auf  orthodiagraphischem  Wege 
nunmehr  mit  Aussicht  auf  Erfolg  vorgenommen  werden,  seitdem 
durch  die  Beobachtungen  von  Dietlen^)  aus  der  Moritz'schen 
Klinik  eine  genügend  sichere  Unterlage  hinsichtlich  der  Normalwerte 
geschaffen  worden  ist.  Die  vnchtigsten  hier  in  Betracht  kommen- 
den Tatsachen  sind  folgende: 

Die  Herzgröße  ist  abhängig  von  der  Körpergröße,  sie  wächst 
mit  dieser.  Das  wesentlich  bestimmende  Moment  hierbei  ist  aber 
nicht  allein  und  nicht  einmal  hauptsächlich  die  Längenentwicklung 
des  Körpers,  sondern  seine  Massenentwicklung,  wie  sie  im  Körper- 
gewicht zum  Ausdruck  kommt.  Diese  geht  ja  im  allgemeinen  mit 
der  Längenentwicklung  Hand  in  Hand.  Wo  dies  aber  im  Einzel- 
fall nicht  zutrifft,  wo  bei  einer  bestimmten  Körperlänge  ein  abnorm 
großes  oder  abnorm  kleines  Körpergewicht  sich  findet,  da  weicht 
auch  die  Herzgröße  entsprechend  nach  oben  oder  unten  ab. 

Fernere  nicht  unwichtige  Einflüsse  auf  die  Herzgröße  sind  im 
Alter  und  im  Geschlecht  gelegen.    Noch  nicht  ausgewachsene  „halb- 


1)  Deutsches  Arch.  f.  klin.  Med.  88.  Bd. 


über  HerzyergT^ßerang  infolge  Radfahrens.  605 

wiichsige"  Individuen  ^)  haben,  im  Vergleich  mit  gleich  großen  und 
schweren  erwachsenen  Personen,  etwas  kleinere  Herzen,  während 
bejahrte  Individuen  physiologisch  eine  mäßige  Zunahme  der  Herz- 
größe, besonders  im  linken  Abschnitt,  aufweisen.  Kleiner  ist  ferner 
•das  Herz  der  weiblichen  Individuen  im  Vergleich  mit  gleich  großen 
und  schweren  männlichen  Personen. 

Das  Untersuchungsmaterial,  das  ich  benutzt  habe,  umfaßt  unter 
Ausschluß  weiblicher  Personen,  fast  ausschließlich  erwachsene 
Jugendliche  Individuen,  so  daß  für  dasselbe  von  den  angeführten 
Beziehungen  nur  die  der  Herzgröße  zur  Körpergröße  und  zum 
Körpergewicht  in  Betracht  kommen. 

Es  handelt  sich  bei  meiner  Untersuchung  um  gesunde  Männer,  zu- 
meist ¥on  20 — 30  Jahren,  deren  Kehrzahl  (61)  Soldaten  im  Beginne  des 
•ersten  Dienstjahres  waren.  Die  übrigen  (24)  waren  zum  größten  Teil 
Patienten  der  Medizinischen  Klinik.  Bei  der  Auswahl  der  Leute  war 
maßgebend,  daß  primär  weder  ein  Klappenfehler  oder  sonstige  Herz- 
^törungen  bestanden,  auf  welche  sekundär  eine  Herzvergrößerung  hätte 
4>ezogen  werden  können,  noch  daß  herzschädigende  Krankheiten  zur  Zeit 
oder  früher  vorhanden  waren.  Leute,  die  eine  schwere  Infektionskrank- 
heit überstanden  hatten,  Nepbritiker,  Potatoren,  Arteriosklerotiker,  anä- 
mische und  fettleibige  Personen  wurden  ausgeschlossen. 

Nach  der  Dauer  der  Badfabrzeit  wurde  das  ganze  Material  in  drei 
'Gruppen  geteilt,  von  denen  die  erste  die  Personen  umfaßt,  welche  über 
-3  (bis  15)  Jahre  ^)  eifrig  Rad  gefahren  haben.  Die  zweite  enthält  solche, 
•die  erst  1 — 3  Jahre  radeln,  den  Sport  aber  ebenfalls  intensiv  betrieben 
haben.  Bei  beiden  Kategorien  handelt  es  sich  nur  um  geübte  Badfahrer, 
-die  neben  dienstlichen  und  berufliehen  Fahrten  auch  noch  privatim  oft 
große,  anstrengende  Touren,  häufig  unter  ungünstigen  Wege-  und  Witte- 
nuigsverhältnissen  und,  wie  fast  alle  angaben,  ohne  auf  Ermüdung  und 
Radfafarerhygiene  viel  zu  achten,  gemacht  hatten.  Eine  3.  Oruppe  endlich 
enthält  noch  einige  Leute,  die  hier  und  da  einmal,  während  weniger 
Monate,  auf  dem  Bad  gesessen  hatten  und  keine  besonderen  Leistungen 
hinter  sich  haben.  Es  wurden  nur  solche  Leute  berücksichtigt,  die 
,präcise  Angaben  in  dieser  Hinsicht  machten  und  an  deren  Objektivität 
nicht  gezweifelt  zu  werden  brauchte.  Zum  großen  Teile  bandelte  es  sich 
4im  intelligente  Personen,  die  der  Frage  Interesse  entgegenbrachten. 

Sämtliche  Herzaufnahmen  wurden  mit  dem  Moritz 'sehen  Horizontal- 
orthodiagraphen  angefertigt  und  zwar  während  ruhiger  Bespiration  bei  ex- 
spiratoriscbem  Zwerchfellstande  in  der  diastolischen  Herzphase.  Von 
Jedem  einzelnen  Falle  wurden  mehrere  Aufnahmen  gemacht;  bei  einem 
Teile  übernahm  Herr  Dr.  Dietlen  Kontrollbestimmungen.  An  der 
Herzsilhouette,  d.  h.  der  orthodiagrapfaisch  festgestellten  größten  Herz- 
ansdehnung in  frontaler  Ebene,  wurde  nach  dem  von  Moritz  angegebenen 

1)  Das  eigentliche  Kindesalter  ist  hier  nicht  mit  berttcksichtigt,  über  dessen 
Verbältnisse  ausgedehntere  Ermittinngen  noch  nicht  vorliegen. 

2)  S.  Tabelle  I. 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    89.  Bd.  39 


606  XXXII.    SCHIKFFEB 

Maßverfahren  ^)  die  TransversaldimenBion  (Tr)  =  Summe  des  Medianabstandes 
rechts  und  links  (Mr  -|-  Ml),  der  Längsdurchmesser  L  und  mit  Hilfe  des 
Planimeters  die  Herzoberfläche  (0)  bestimmt  (s.  Fig.   1). 

Nach  diesen  Ausmessungen  sind  nun  die  Herzen  der  Radfahrer 
mit  den  entsprechenden  Normalwerten  zu  vergleichen.  Man  kann 
hier  verschiedene  Wege  gehen.  Man  kann  zunächst  das  Herz  jedes 
einzelnen  Individuums  an  dem  Mittelwerte,  der  für  das  Normalherz 
eines  ebenso  großen,  resp.  ebenso  schweren  Menschen  gilt,  messen. 
Eine  solche  Gegenüberstellung  ist  unter  Zugrundelegung  sowohl 
der  Körpergröße  als  des  Körpergewichtes  als  Index  der  Vergleich- 
barkeit in  beistehender  Tabelle  I  und  II  gegeben  (s.  S.  607 — 612). 

Eine  derartige  Vergleichung  der  einzelnen  Individuen,  wie  sie 
hier  vorgenommen  wurde,  brauchte  natürlich  noch  nicht  in  jedem 
Falle  ein  gesetzmäßiges  Verhalten  hervortreten  zu  lassen,  da  hier 
individuelle  Zufälligkeiten  nicht  auszuschließen  sind.  Um  so  be- 
achtenswerter ist  es,  daß  sich  schon  bei  dieser  Art  des  Vergleiches 
bei  den  Eadfahrern  so  gut  wie  ausnahmslos  ein  überschreiten  der 
normalen  Herzwerte  herausstellt.  Und  zwar  ist  dies  sowohl  der 
Fall,  wenn  man  die  zum  Vergleich  herangezogene  normale  Herz- 
größe aus  der  Größenklasse  (Rubrik  A),  wie  wenn  man  sie  aus  der 
Gewichtsklasse  (Rubrik  B)  hernimmt,  der  der  Untersuchte  angehört. 

Wenn  also  in  dieser  Weise  schon  für  jeden  einzelnen  Fall  eine 
bemerkenswerte  Abweichung  von  der  Norm  immer  nach  der  gleichen 
Richtung  zu  verzeichnen  ist,  so  ist  doch  die  absolute  Differenz 
manchmal  nur  eine  kleine  und  vielleicht  zufällige.  Dagegen  ist  die 
Abweichung,  welche  die  mittlere  Herzgröße  der  Radfahrer  insge- 
samt von  der  mittleren  normalen  Herzgröße  zeigt,  recht  erheblich. 
Eine  solche  Gegenüberstellung  schließt  Zufälligkeiten  schon  weit 
mehr  aus. 

Ich  gebe  in  Tabelle  III — VI  die  entsprechenden  Zahlen  und  zwar 
wieder  sowohl  nach  Größenklassen,  wie  nach  Gewichtsklassen  ge- 
ordnet (s.  S.  613).  Auch  sind  die  Radfahrer  in  2  Gruppen  getrennt, 
nämlich  eine  solche  die  über  3  Jahre  (Gruppe  I)  und  eine  solche^  die 
nur  bis  3  Jahre  geradelt  hat  (Gruppe  11).  Außer  den  Mittelwerten  haben 
in  die  Tabellen  IH  und  IV  auch  die  Minimal-  und  die  Maximal- 
werte der  Herzen  sowohl  der  Radfahrer  als  der  Dietlen'schen 
Normalpersonen  Aufnahme  gefunden.  Die  Tabellen  geben  uns  ein- 
deutige Aufschlüsse.  Die  Mittelwerte  der  Radfahrerherzen  stehen 
ausnahmslos   erheblich   über   den   Mittelwerten    sonstiger   Herzen^ 


1)  Deutsches  Arch.  für  klin.  Med.  Bd.  82  ö.  1, 


über  Herzvergrößerung  infolge  Radfahrens. 


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über  Herzvergröfiemng  infolge  Radfahrens. 


613 


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§ 


Tabelle  IIL 

1.  Grnppe  (Badfahrzeit  über  3  Jahre). 


Größenklasse 


155-164 
cm 


5;     165—175 


cm 


175-185 
cm 


mm. 
mitt. 
max. 

min. 
mitt. 
max. 

min. 
mitt. 
max. 


Radf.- 
Herz 


! 


Nor. 
mal« 
Herz 


Tr. 
cm 


12.7 

(+ 1,7) 
L%9 

(+ 1,0) 
14,6 

(+0,1) 

13,1 

(+ 1,8) 
14,0 

(+Ö,9) 

14,9 

(-0,4) 

13,7 

(+0,6) 

14.7 
(+0,9) 

15,2 

(+0,2) 


11,0 
12,9 
14,5 

11,3 
13,1 
15,3 

13,1 
13,8 
15,0 


Radf.- 
Herz 


Nor- 
mal- 
Herz 


L. 
cm 


14,2 

(+ 1,9) 
153 

(+ 1,3) 
16,2 

(+0,9) 

14,3 

(+ 1,8) 
15,7 

(+ 1,5) 
16,4 

(+Ö,5) 

15,8 

(+2,4) 

16.3 

(+M) 

17,2 
(+ 1,0) 


12,3 
14,0 
15,3 

12,5 
14,2 
15,9 

13,4 
14,9 
16,2 


Radf.- 
Herz 


Nor. 
mal- 
Herz 


0. 
qcm 


Prozent. 
Vergröße- 
rung d.  0., 
des 

Radf.-H. 


121 

(+24) 

131 

(+20) 

145 

(+1Ö) 

124 

(+28) 

140 

(+23) 

155,6 

(+17,5) 

136 

(+26) 

148 

(+17) 

162 
(+13) 


97 
111 
130 

96 
117 
138 

111 
131 
149 


+  24,7 
+  18 

+  11,5 

+  29 
+  20 
+  12,7 

+  22,5 
+  13 
+  8,7 


Tabelle  IV. 

2.  Gruppe  (Radfahrzeit  1—3  Jahre). 


Größenklasse 


155—164 
cm 


1 


165—174 
cm 


175-183 
cm 


min. 
mitt. 
max. 

min. 
mitt. 
max. 

min. 
mitt. 
max. 


Radi- 
Herz 


Nor- 
mal- 
Herz 


Tr. 
cm 


12,2 

(+1,2) 

13,8 
(+  0,9) 

14,9 

(+0,4) 

13,1 

(+1,8) 
14,0 

(+  0,9 ) 
14.6 

(+0,7^ 

13,7 

(+  0,6) 
14,2 

(+0,4) 

14,9 

(-0,1) 


11,0 
12,9 
14,5 

11,3 
13,1 
15,3 

13,1 

13,8 
15,0 


Radf.- 


Nor- 
mal- 
Herz    I  Herz 

L. 

cm 


14,0 

(+ 1,7) 

14,9 
(+Ö,9) 

16,0 

(+0,7) 

14,8 

(+2,3) 

15,4 

(+ 1,2) 
15,7 

(-0,2) 

15,4 

(+2,0) 

16,0 

(+1,1) 
16,8 

(+0,6) 


12,3 
14,0 
15,3 

12,5 
14,2 
15,9 

13,4 
14,9 
16,2 


Radf.- 
Herz 


Nor- 
mal- 
Herz 


0. 
qcm 


Prozent. 
Vergröße- 
rung d.  0. 

des 
Radf.-H. 


115 

(+18) 

125 
(+14) 

136 

(+6) 

125 

(+29) 

136 

(+19) 

145 

(+7) 

135 

(+24) 

139 

(+8) 
142 

(-7) 


97 
111 
130 

96 
117 
138 

111 
131 
149 


+  18,6 
+  12,6 
+  4.6 

+  30 
+  16,2 

+  5 

+  21,« 

+  6 
-4.7 


614 


XXXII.    SCHIBFFER 


Tabelle  V. 

1.  Gmppe  (Radfahrzeit  ttber  ä  Jahre). 


Gewichts- 

Radf..' 
Herz 

Normal- 
Herz 

Radf  -     Normal- 
Herz         H«rz 

Radf.-    j  Normal- 
Herz         Herz 

Prozent. 

klasse 
'         kg 

Vergröße- 
rung d.  0. 

Tr. 

L. 

0. 

ccm 

ccm 

qcm 

55-59 

13,9     1     12,9 

15,3 

14,0 

131           112 

+ 17,0 

(+1,0)   ' 

(+1,3)   , 

(+19) 

60    64 

14,0          13.1 

15,4 

14,1 

136      ,     114 

+  19,3 

(+0,9) 

(+1,3) 

(+22)    , 

65-  69 

14,2     1     13.2 

15,7 

14,5 

139 

118 

+  17,8 

(+ 1,0) 

(+ 1,2) 

(+21) 

70    74 

14,6 
(+1,2) 

13,4 

16,6 
(+  1,8) 

14,8 

151 

(+29) 

122 

+  23.7 

Die  eingeklammerten  Zahlen  sind  die  Differenz  der  absol.  Messangswerte  der 
einzelnen  Radfahrer  gegenüber  den  Normal  werten  gleich  schwerer  Menschen. 

Tabelle  VI. 

2.'  Gruppe  (Radfahrzeit  1 — ^3  Jahre). 


Gewichts- 

Radf.- 
Herz 

Normal- 
Herz 

Radf-    !  Normal- 
Herz     1    Herz 

Radf-    !  Normal- 
Herz     1   Herz 

Prozent. 

klasse 

1 

I 

Vergrölte- 
nmgd.0. 

Tr. 

L. 

0. 

kg 

ccm 

ccm 

qcm 

50—54 

13.7          12,4 

14.6 

13,5 

115 

104 

+  10.5 

(+1,3) 

(+1,1) 

(+11) 

55-59 

13,8         12,9 

15,0         14,0 

126 

112 

4-12,5 

(+0,9) 

(+1,0) 

(+14) 

60-64 

13,9 

(+0,8) 

13,1 

15,2          14,1 

(+1,1) 

129 

(+15) 

114 

+  13,0 

65    69 

14,1 

13,2 

15,6     ,     14.5 

130 

118 

+  14.5 

(+0,9) 

(+ 1,1) 

' 

(+17) 

Sehr  belehrend  ist  ferner  der  Vergleich  der  kleinsten  Herzen  der 
Eadfahrer  mit  den  kleinsten  Herzen  sonstiger  Personen.  Hier  ist 
das  überwiegen  der  Herzgröße  der  Radfahrer  bei  weitem  am  deut- 
lichsten. Mit  anderen  Worten,  das  Radfahren  läßt  besonders  niedrige 
Herzmaße  nicht  zu. 

Anders  ist  es  mit  den  Maximalwerten,  die  für  die  Herzen  von 
Radfahrern  und  von  sonstigen  Personen  gefunden  worden  sind. 
Wenn  auch  hier  die  Radfahrerherzen  fast  konstant  die  Herzen 
nicht  radfahrender  Personen  an  Größe  übertreflfen,  so  ist  doch  der 
Unterschied  lange  nicht  so  groß  wie  bei  den  kleinsten  Herzen.  Es 
gibt  eben  bei  den  nicht  radfahren  den  Personen  eine  ziemlich  er- 
hebliche Spielbreite  der  Herzgröße  vom  Durchschnitt  nicht  nur  nach 
unten,  sondern  auch  nach  oben  hin. 


Über  Herzvergrößerung  infolge  Radfahrens.  gl5 

Die  letzte  Rubrik  in  den  Tabellen  III  bis  VI  weist  die  pro- 
zentische Zunahme  der  Herzoberfläche  gegenüber  dem  entsprechen- 
den Normalherz  auf.') 

Man  sieht  aus  dieser  Rubrik  wie  der  Größentibersclmß  der 
Radfahrerherzen  von  dem  kleinsten  zum  Durchschnitts-  und  größten 
Herz  hin  regelmäßig  stufenweise  abnimmt. 

Man  muß  sich,  um  ganz  vorsichtig  zu  Werke  zu  gehen,  nun 
noch  die  Frage  vorlegen,  ob  nicht  die  Di  etlen' sehen  Normal  werte 
in  sofern  doch  keine  ganz  zutreffenden  Vergleichs  werte  für  Rad- 
fahrer darstellen,  als  sie  eventuell  zu  viele  Menschen  umfassen,  die 
köi-perlich  nur  wenig  tätig  waren.  Denn  wenn  das  Radfahren  zur 
Herzvergrößerung  führen  soll,  so  kann  doch  nur  die  große  Muskel- 
leistung daran  schuld  sein.  Man  müßte  also  die  Radfahrer  mindestens 
mit  körperlich  ganz  rüstigen  und  der  Mehrzahl  nach  einen  körper- 
lich anstrengenden  Beruf  ausübenden  Menschen  vergleichen,  um  ein- 
wandsfrei  eine  spezielle  Radfahrerwirkung  darzutun. 

Es  sind  nun  unter  den  von  Dietlen  für  die  f>mittlung  der 
normalen  Herzwerte  benutzten  Männern  auch  55  Soldaten,  also  in 
bezug  auf  Gesamtkonstitution  und  Ausbildung  der  Körpermuskulatui- 
den  nicht  geringen  Anforderungen  des  Militärdienstes  entsprechende 
Leute,  enthalten.  Eine  Ausrechnung  der  Herzmittelwerte  bloß  für 
diese  Soldaten  ergibt  indessen  nur  ganz  unbedeutend  höhere  Werte. 
Als  sie  aus  der  Gesamtzahl  der  von  Dietlen  untersuchten  Männer 
resultieren,  so  daß  auch  dieser  ausgesuchten  Menschengruppe  gegen- 
über das  Radfahrerherz  einen  Größenüberschuß  deutlichst  bewahrt. 
Tabelle  VII  und  VIII  geben  eine  Gegenüberstellung  der  Mittelwerte 
der  Radfahrer-  und  der  Soldaten-Herzen,  aus  der  dies  hervorgeht. 


1)  Wenn  auch  die  Herzoberfläcbe  nur  dadurch  za  gewinnen  ist,  daß  die 
direkt  orthodiagraphisch  bestimmten  rechten  und  linken  Herzgrenzen  oben  und 
unten  durch  eine  konstruierte  Linie  miteinander  verbunden  werden,  so  ist  doch 
wie  Moritz  dargelegt  hat  und  wie  übrigens  auch  ein  Blick  auf  ein  gutes  Ortho- 
<liagramm  lehrt,  diese  Konstruktion  sicher  genug  um  zuverlässige  Yergleichs- 
werte  zu  bekommen.  Diese  Flächenweite  haben  die  große  Bequem lichkeit,  daß 
sie  die  Summe  der  in  Betracht  kommenden  linearen  Abmessungen  des  Herzens 
in  einem  einzigen  Werte  zusammenfassen.  Es  ist  ans  diesem  Grunde  der  Über- 
sichtlichkeit und  bequemen  Handhabung  wegen  in  vorliegender  Arbeit  von  dem 
Herzoberflächen  wert  viel  Gebrauch  gemacht.  Die  Überlegungen,  die  sich  an  die 
Betrachtung  der  Oberflächenwerte  knüpfen,  gelten  aber  ebenso  auch  für  die  direkt 
bestimmten  linearen  Abmessungen  der  Orthodiagramme,  deren  Abweichung  von 
der  Norm  immer  gleichsinnig  und  proportional  der  Abweichung  ist,  die  die  Ober- 
fläche aufweist. 


616 


XXXII.    SCHIBFPER 


Tabelle  VII. 


155—164 
165-174 
175—183 


-^19 
+ 17.5 
-f- 12.0 


15,3  14,3 

15,7     I     14,4 
16,2     !     15,3 

1)  Diese  Rabrik  enthält  die  Mittelwerte  der  Radfahrerherzen  (1.  Gmppei. 

2)  Diese  Rabrik  enthält  die  Mittelwerte  gleich  großer  Soldaten  (Dietlen's). 

Tabelle  VIIL 


Größen- 
klasse 

cm 

Radf..       Sold.- 
Herz»)     Herz«) 

Tr. 
cm 

Radf.-       Sold.- 
Hcrz         Herz 

Radf.-       Sold.- 
Herz        Herz 

0. 

qcm 

Prozent. 
Vergröße- 
rung d.  0. 

L. 

cm 

155    164 
165—174 
175—183 

13,8         13,1 
14,0         13,3 
14,2          13,9 

14,9 
15,4 
16,0 

14,1 
14,4 
15,3 

125           110 
136           119 
139      1     132 

+ 13,6 

-^14.3 

5.3 

1)  Diese  Rabrik  enthält  die  Mittelwerte  der  Radfahrerherzen  (2.  Gmppei. 

2)  Diese  Rabrik  enthält  die  Mittelwerte  gleich  großer  Soldaten  (Dietlen's). 

Aber  noch  eine  weitere  Frage  drängt  sich  bei  genauerer  Über- 
legung auf.  Wenn  das  Radfahren  als  Muskelanstrengung  fdr  eine 
Herzvergrößerung  so  sehr  in  Frage  kommen  soll,  so  ist  auch  anzu- 
nehmen, daß  Unterschiede  in  der  Herzgröße  zwischen  mehr  und 
weniger  anstrengenden  Berufsarten  bestehen  werden  und  es  könnte 
der  Zufall  es  gewollt  haben,  daß  gerade  unter  den  Radfahrern 
viele  Vertreter  schwerer  Berufe  sich  befunden  hätten.  Das  große 
Herz  der  Radfahrer  wäre  dann  vielleicht  nicht  auf  das  Radfahren, 
sondern  auf  die  anstrengende  Berufstätigkeit  zu  beziehen.  Auch 
könnten  bei  den  Radfahrern  ja,  trotz  der  Vorsicht,  die  bei  ihrer 
Auswahl  beobachtet  wurde  (siehe  oben),  sonstige  schädigende  Ein- 
flüsse auf  das  Herz  wirksam  gewesen  sein,  so  daß  sie  vielleicht, 
schon  bevor  sie  den  Radfahrersport  begannen,  große  Herzen  hatten. 
Um  diesem  Einwurf  gerecht  zu  werden,  ist  folgendes  festzustellen. 
Finden  sich  so  erhebliche  Vergrößerungen  über  das  Mittel,  wie  sie 
bei  den  Radfahrerherzen  beobachtet  wurden,  auch  bei  sonstigen 
Personen,  die  noch  als  „gesund"  gelten  können?  Läßt  sich,  falls 
dies  der  Fall  ist,  bei  diesen  Personen  ein  Einfluß  des  Berufes  auf 
die  Herzgröße  wahrscheinlich  machen  ?    Und  wiederum,  wenn  auch 


f'ber  Herz?ergrößerung  infolge  Radfahreus.  617 

ilies  zutriltl,  ist  bei  den  schweren  Berafsarten  ein  starker  Größen- 
überschu£  des  Herzens  in  gleicher  Häufigkeit  wie  bei  den  Kad- 
fahrem  zu  finden  oder  bestehen  hier  Unterschiede? 

Als  „erhebliche"  Vergrößerung  des  Herzens  sollen  Zunahmen 
der  Herzoberfläche  um  25  qcm  und  mehr  über  den  Mittelwert  hinaus 
bezeichnet  werden. 

Schwankungen  in  dieser  Größe  kommen  nun  unter  den  Normal- 
personen D  i  e  1 1  e  n '  s  nicht  vor.  Es  findet  sich  bei  dem  D  i  e  1 1  e  n  - 
sehen  Material  unter  179  Personen  nur  einmal  eine  Überschreitung 
des  Mittels  um  21  qcm,  einmal  eine  solche  um  18  qcm,  im  übrigen 
nur  solche  um  13  qcm  und  weniger.  Von  den  179  männlichen 
Personen  D  i  e  1 1  e  n '  s  haben  im  ganzen  63  =  35  %  ^ine  größere 
Herzobei*fläche  als  der  Durchschnitt  sie  darstellt,  und  zwar  ist  die 
Überschreitung  im  Mittel  nur  5,0  qcm. 

Anders  ist  es  schon,  wenn  ich  die  gleichen  Beziehungen  für 
73  frisch  eingestellte  Soldaten,  die  von  mir  ohne  Auswahl  und  zu 
anderen  Zwecken  untersucht  wurden,  feststelle.  Hier  hatten  3 
Leute  =  4  ^j^  der  Gesamtzahl  eine  Vergrößerung  der  Herzfläche  um 
25  qcm  und  mehr  (bis  36  qcm)  über  das  Mittel  des  Normalherzens 
hinaus,  also  das,  was  wir  eine  „erhebliche"  Vergrößerung  nennen 
wollten.  50  Leute  von  den  73  =  68  ®/o  überschritten  überhaupt  das 
Mittel  und  zwar  im  Durchschnitt  um  10,8  qcm. 

Wie  sind  demgegenüber  nun  die  Verhältnisse  bei  den  Rad- 
fahrern? Hier  hatten  von  35  Leuten  der  ersten  Gruppe,  die 
3  Jahre  und  mehr  geradelt  hatten,  13  Mann  =  37%  eine  er- 
hebliche  Überschreitung  der  Herzoberfläche  überdas 
Mittel  hinaus  um  25  qcm  und  mehr  (bis  35  qcm).  Das 
Mittel  überhaupt  wurde  von  allen,  also  von  100 ®/o  der  Eadfahrer. 
überschritten  und  zwar  im  Durchschnitt  um  22  qcm. 

Die  analogen  Zahlen  für  die  Radfahrer  der  Gruppe  II  (Rad- 
fahrer von  1  bis  3  Jahren)  sind  folgende: 

Gesamtzahl  der  Leute  36.  Davon  überschritten  3  =  9%  den 
normalen  Oberflächendurchschnitt  des  Herzens  erheblich,  d.  h.  um 
25  qcm  und  mehr.  Überhaupt  überschreiten  sie  den  Durchschnitt 
aber  wieder  alle,  also  in  100%  der  Fälle  und  zwar  im  Mittel  um 
14  qcm. 

Hieraus  geht  also  klar  hervor,  daß  die  Radfahrer  in  viel 
größerer  Zahl  und  in  viel  höherem  Maße  Herzvergrößerungen  haben 
als  andere  Personen,  die  im  übrigen,  nach  Alter,  Geschlecht  und 
funktioneller  Leistungsfähigkeit  ihnen  vergleichbar  sind. 

Wie  steht  es  nun  mit  dem  etwaigen  Einfluß  des  Berufes  auf 


618  XXXII.    SCHIEFPER 

diese  Verhältnisse,  auf  dessen  Möglichkeit  wir  oben   schon  hinge- 
wiesen haben? 

Als  «jSchwere**  Berufsarten,  die  bei  meinem  Material  vertreten 
sind,  bezeichne  ich  folgende:  Metzger,  Schlosser,  Bahn-Strecken- 
arbeiter, Zimmerleute,  Landwirte,  Maurer,  Pflasterer,  Steinmetzen. 
Küfer,  Holzhauer,  Bäcker,  Müller  und  Tagelöhner,  während  die 
„leichteren"  Berufe  durch  Fabrikarbeiter,  Kürschner,  Kaufleute. 
Weißbinder,  Schreiner,  Buchdrucker,  Knechte,  Techniker,  Friseure, 
Dachdecker,  Stuckateure,  Hausburschen,  Gerber,  Former,  Leder- 
arbeiter, L^hrmacher  und  ähnliche  vertreten  sind. 

Von  den  oben  erwähnten  73  ohne  Auswahl  zur  Untersuchung 
herangezogenen  Soldaten,  die  nicht  Radfahrer  waren,  hatten  41  einen 
derartig  schweren  Benif.  Unter  diesen  im  Beruf  also  körperlich 
angestrengten  Personen  fanden  wir  nun  2  Leute,  welche  eine  „er- 
hebliche" Vergrößerung  des  Herzens  im  oben  angegebenen  Sinne, 
d.  h.  ein  Plus  der  Herzoberfläche  von  25  qcm  und  mehr  über  das 
Mittel  hinaus  hatten.  Unter  den  leichteren  Berufen  (32  Leute)  war 
eine  solche  Abweichung  nur  einmal  vertreten.  Noch  deutlicher  wird 
der  Einfluß  der  Berufsarbeit  auf  die  Herzgröße  aus  dem  Umstand, 
daß  das  durchschnittliche  Plus  der  Herzoberfläche  über  den  Dietlen- 
schen  Xormalwert  bei  den  Arbeitern  mit  schwerem  Beruf  12,7  qcni, 
bei  denen  mit  leichterem  Beruf  dagegen  nur  8,3  qcm  beträgt. 

Es  darf  also  als  erwiesen  gelten,  daß  anstrengende  Beinifs- 
arbeit  in  der  Tat  zu  einer  gewissen  Herzvergrößerung  führt.  Wenn 
nun  diese  Einflüsse,  was  ja  freilich  ein  höchst  merkwürdiger  Zufall 
wäre,  bei  den  Radfahrern  in  ganz  ungewöhnlicher  Weise  dominierten, 
so  daß  überhaupt  nicht  das  Badein,  sondern  eben  die  Berufsarbeit 
für  die  Herzvergrößerung  verantwortlich  zu  machen  wäre,  so  müßte 
sich  hier  auch  herausstellen,  daß  die  „erheblichen"  Herzvergröße- 
rungen ganz  vorwiegend  auf  Seite  der  schweren  Berufe  lägen  und 
daß  vor  allem  die  durchschnittliche  Herzvergrößerung  bei  den 
schweren  Berufsarten  eine  deutlich  größere  als  bei  den  leichten  wäre. 
Das  ist  nun  nicht  der  Fall. 

Es  sind  unter  den  35  Radfahrern  der  Gruppe  I  (die  über  3 
bis  15  Jahre  radeln)  7  Fälle  „erheblicher"  Herzvergrößerung  (siehe 
oben)  bei  den  schweren  Berufsarten  (14  Leute)  und  6  Fälle  bei 
den  leichten  Berufsarten  (21  Leute).  Das  Durchschnittsplus  der 
Herzoberfläche  über  das  normale  Mittel  ist  bei  beiden  Kategorien 
nahezu  gleich,  nämlich  bei  den  schweren  Berufsarten  23  qcm  und 
bei  den  leichten  21  qcm. 

Bei  Gruppe  II  (1 — 3jährige  Radfahrzeit)  findet  sich   „erheb- 


über  Herzvergrößerung  infolge  Kadfahrens.  619 

liehe"  Herzvergrößerung  (im  obigen  Sinne)  bei  den  schweren  Be- 
rufen (19  Leute)  2  mal,  bei  den  leichten  Berufen  (17  Leute)  1  mal. 
Die  durchschnittliche  Herzvergrößerung  beträgt  bei  den  schweren 
Berufen  14  qcm,  bei  den  leichten  13,6  qcm,  also  bei  beiden  Kate- 
gorien gleich.  Es  ist  mithin  bei  den  Radfahrern  der  Unterschied, 
welcher  sonst  in  der  Herzgröße  bei  Angehörigen  schwerer  und 
leichter  Berufe  besteht,  verwischt. 

Es  beschränkt  sich  aber  der  Einfluß  des  Radfahrens  nicht 
etwa  in  allen  Fällen  nur  darauf,  hier  ausgleichend  zu  wirken,  so 
daß  ein  körperlich  leichter  Beruf  plus  Radfahrsport  für  das  Herz 
immer  nur  die  gewöhnliche  Dignität  eines  körperlich  schweren  Be- 
rufes gewänne,  sondern  es  treibt  das  Radfahren  die  Herzvergröße- 
rung unter  Umständen  weiter,  als  es  ein  schwerer  Beruf  zu  tun 
pflegt.  Fanden  wir  doch,  daß  die  schweren  Berufe  durchschnittlich 
ein  Oberflächenplus  des  Herzens  über  das  normale  Mittel  hinaus 
von  12,5  qcm  hatten,  während  das  Plus  bei  den  langjährigen  Rad- 
fahrern (Gruppe  I)  durchschnittlich  22  qcm  betrug.  Ja  es  ergibt 
sich  aus  meinem  Untersuchungsmaterial  ein  fast  regelmäßiges  stufen- 
weises Anwachsen  des  Größen  Überschusses  des  Herzens  über  die 
Norm  mit  der  Zahl  der  Radfahrjahre. 

Ein  letzter  Beweis  für  den  Einfluß  des  Radfahrens  auf  die 
Herzgröße  scheint  mir  schließlich  noch  e  contrario,  nämlich  aus 
der  Tatsache  gewonnen  werden  zu  können,  daß  bei  14  von  mir 
untersuchten  Leuten,  die  erst  kurze  Zeit,  einige  Monate,  geradelt 
hatten  (Gruppe  HI,  Tabelle  IX)  irgendwie  erhebliche  und  vor  allem 
regelmäßige  Herzvergrößerungen  fehlten  (s.  Tab.  S.  620). 

Klinisch  bemerkenswert  erscheint  mir,  daß  bei  einer  größeren  Zahl 
der  Radfahrer  sich  am  Herzen,  an  der  Spitze  und  nach  der  Basis  hin, 
systolische  Geräusche  fanden  und  zwar  am  meisten  bei  der  Gruppe  I, 
(Fahrzeit  3  und  mehr  Jahre),  weniger  bei  Gruppe  II  (Fahrzeit  1 — 3  Jahre), 
am  wenigsten  bei  Gruppe  III  (Fahrzeit  nur  kurz,  einige  Monate).  Es 
scheint  mir  wahrscheinlich,  daß  das  Auftreten  dieser  Geräusche  mit  der 
durch  das  Radfahren  bedingten  Herzvergrößerung  zusammenhängt  (funk- 
tionelle Mitralinsufficienz),  wenngleich  ein  strenger  Beweis  hierfür  nicht 
2U  erbringen  ist.  Ich  betone  übrigens,  daß  die  oben  gemachten  Aus- 
führungen über  das  Maß  der  Herzvergrößerung  auch  zutreffend  bleiben,, 
wenn  man  die  Leute  mit  Herzgeräuschen  ausschaltet,  so  daß  der  Ein- 
wurf, meine  Resultate  beruhten  auf  der  Mitverwendung  von  Leuten,  die 
von  vornherein  eine  Mitralinsufficienz  gehabt  hätten,  nicht  stichhaltig  ist 
(s.  Tab.  X  p.  621).  Bei  56  von  unseren  71  Radfahrern,  also  in  der  über- 
wiegenden Zahl,  fand  sich  Accentuierung  oder  Spaltung  des  2.  Pulraonal- 
tones,  bei  16  eine  Accentuierung  auch  des  2.  Aortentones.  Bei  10  der 
Hadfahrer  bestand  mäßige  Arhythmie  des  Pulses.     Nur  bei  einem  Drittel 


620 


XXXII.    ScHIKrFKB 


2i2SS2SaS 

^         » 1         ^        ^         ^         «o     1 

^         O»         O«         if*         CP         feO 

Fortlaufende  Nr. 

1 

^g  KS.  t^S^  KE  KC  Og  g>^  Kg 
':^      Lt      g      ^      ES      ^      S      S 

Rusag  t,          20    ] 
Kaufmann 

Stttckerath  t,   21     1 
Küfer 

Stork  t,           21    1 
Kaufmann 

Lenz  t.  Stein-  22    1 
metz 

Geiüt,WeiU-  22    1 
binder 

Heuser  f,         20    1 
Fabrikarb. 

1 

S?  g  ?• 

•t     ts     5 
Alter 

Lö9,0 
161,0 

165,0 
164,0 
164,0 
174,0 
158,5 

S     3     S     8     S    ä 

o      o      o      o      c      o 

1       Große 

1 

o«      ö      o     "o      o      o     -o      o 

79,0 
62,0 
54,0 
67,0 
62,0 
54,0 

^     Gewicht 

1       '                    i       1       1       ! 

1        1        ♦       *       1 

Spitze 

1 
1 

>  ■ 

d 

9B 

i         ,     1    1    i        1 

• 

P    s     1     1     i 

■ 

1     1                : 

Polmonalis 

p 
o 

0 

1             III 

Aorta 

O             "^^^             <t>             <r             et             (^             CD 

m;      T3  •-•'^      w      "^      ^      "no      '^ 

*           ^^D  *                     •                    •                    •                     «                    • 

p,           -H    5^p           |-,           p,           p           p           p 

e.P.L.  urgln 

e.P.L.   rglm 

e.P.L.  1  rglm 
diff. 

e.P.L.   rglm 
e.P.L.   rglm 
e.P.L. ,  rglm 

SpitsenstoC 

323§'3Bi'B 

Puls 

• 

p.           1      , 

"T  »-*  ~r  »— "1    I-*  "T  I-*    1    H^    1    ^  "T"  I-*        M* 

o.^  o*^  o.«  oS^  ci>*  oJ>£'  o-w  oi« 
^cn  *-  «>  ^  w  •>=»  -lo  »*  "^  '^  V  ö»  V  *»  V  *" 

"1  •-*  "t*  »^  1  I-*      »-»      J-*  1  1— 
oJÄ  oJ»  ^^  ci«  ei»  o » 

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§  •  • 

1 

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ci«  oi»  ^S^  a>S»  oJ^  oö' 

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I     O     '     H*      '     CC      »     O     •     ^     '     IC 

oci«  Od  Od  5S^  *J**  o»—  ^o 

^                  W     Q,     ^                 N_.                 V_.                ,_. 

5*  1  ffi 

fcJI         . 

1 

'   i  ■  M*      1      •-'             1-*      j      1--.      1      H-      }      H-k-f-^-i             K^ 

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"t"    I-*                    ►-                    ►-*                    1..«         1          h-L          1         HA 

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9 


9 


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9 


9 


L 


über  Herzvergrößerung  infolge  Radfahren». 


621 


der  Leute  war  der  Spitsenstoß  innerhalb  der  Mammillarlinie,  bei  den 
übrigen  in  oder  außerhalb  derselben.  Dabei  war  er  oft  verbreitert  und 
hebend..  In  einem  Falle,  langjähriges  Mitglied  eines  Radfahrervereins,  be- 
stand ein  deutlicher  Herzbuckel  (Fall  Nr.  34  Tab.  I).  Nur  5  von  den 
Radfahrern  gaben  subjektive  Beschwerden  (Neigung  zu  Herzklopfen, 
Stiche  in  der  Herzgegend,  Kurzatmigkeit)  an. 

Tabelle  X 

enthält  einen  Auszug  aus  Tabelle  I  ohne  die  Leute,  welche  Herzgeräusche  haben. 

1.  Gruppe  (über  3  Jahre).    2.  Gruppe  (1—3  Jahre). 


Die  Rubrik  A  enthält  die  Differenzen 
der  absoluten  Messnngswerte  d.  Herz- 
oberfläche des  einzelnen  Radfahrers 
gegenüber  der  Mittelwerte  d.  Normal- 
oberfläche eines  gleichgroßen  Menschen. 

Die  Rubrik  B  eines  gleichschweren 
Menschen. 


Durchschnittl.  Über- 
schreitung d.  Normal- 
oberfläche =  22  qcm 


Durchschnittl.  Über- 
schreitung d.  Normal- 
oberfläche =  13  qcm 


Umstehende  Abbildungen  (Fig.  1—3)  sind  Beispiele  geringer, 
noiittlerer  und  erheblicher  Vergrößerung  von  Radfahrerherzen.  Die 
für  den  betreflfenden  Fall  gültige  Norm  ist  jeweils  in  das  Ortho- 
diagramm  eingezeichnet,  die  schraffierte  Zone  stellt  die  Vergröße- 
rung dar. 

Die  durch  meine  Untersuchung,  wie  ich  glaube,  einwandsfrei 
nachgewiesene  Herzvergrößerung  durch  das  Radfahren  reiht  sich 
den  Erfahrungen  an,  die  man  über  die  bedeutende  Herzgröße  bei 

Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin.    H9.  Bd.  40 


622 


XXXII.    SCHIBFFBR 


Tieren    mit    großer   Muskelleistung    (Gemse,    Reh.    Rennpferde, 
Vögel)  hat.') 

Fi^.  1.    (Vgl.  Tab.  VI,  Nr.  47.) 


M  =  Mittellinie.  L  =  Längsdurchmesser.   ml  =  Median  abstand  links,  mr  =  Me- 

dianabstand  rechts.     Die  Summe  der  Medianabatände  (mr  +  ml)  ist  der  im  Text 

als  Transyersaldimension  (Tr.)  bezeichnete  Wert.    Zr  =  Zwerchfellstand  rechts. 

ZI  '-^=  Zwerchfellstand  links,  II,  III  nsw.  =  II.  III.  Ripiie. 

(Verkleinerung  V«) 


Fig.  2.    (Vgl.  Tabelle  IV,  Nr.  60.) 


(Verkleinerung  \'8.j 


1)  Bollinger,  Festschr.  für  Pettenkofer,  München  1893.  —  Bergmann. 
i.'ber  die  GröCe  der  Herzen  bei  Menschen  und  Tieren.  Diss.  München  ISßL  — 
Friedberger  u.  Fröhner,  Spez.  Pathol.  u.  Therapie  der  Haustiere,  4.  Aufl. 
i^tuttgart  1896.  I.  —  Parrot,  Sprengel's  Zoolog.  Jahrb.  7  1883  p.  496. 


Tiber  Herzvergrößenmg  infolge  Radfahrens. 


623 


Fig.  3.    (Vgl.  Tab.  I  Nr.  26.) 


(Verkleinerung  VsO 

Eine  besonders  weitgehende  Analogie  erblicken  wir  in  unserer 
Beobachtung  mit  den  experimentellen  Erfahrungen  von  Külbs, 
der  bei  Hunden,  die  er  lange  im  Tretrad  laufen  ließ,  erhebliche 
Herzvergrößerungen  erzielte.^) 

Die  Frage,  ob  es  sich  bei  der  V^ergrößerung  der  Radfahrer- 
lierzen  um  bloße  Hypertrophie  oder  auch  um  Dilatation,  also  um 
Vergrößerung  der  Herzhöhlen  handle,  glaube  ich  im  letzteren  Sinne 
beantworten  zu  müssen,  wobei  ich  mich  in  Übereinstimmung  mit 
der  Ansicht  von  HeiTU  Professor  Moritz  befinde.  Es  eracheint  an 
sich  schon  nicht  vorstellbar,  daß  überhaupt  eine  Zunahme  der  ge- 
samten Muskelmasse  des  Herzens  möglich  sei,  ohne  daß  auch  die 
Herzhöhlen  wachsen!  Denn  da  bei  der  Hypertrophie  die  Dicke 
der  einzelnen  Muskelfasern  zunimmt,  so  müssen  alle,  auch  die 
innersten,  an  die  Herzhöhlen  angrenzenden  Muskelschichten  größere 
Flächenräume  beanspruchen,  d.  h.  es  muß  die  Zirkumferenz  der 
Höhlen  zunehmen.  Ein  anderes  wäre  es,  wenn  ausschließlich  eine 
Apposition  neuer  Muskelfasern  stattfände,  die  ja  dann  nur  nach 
bestimmten  Richtungen,  z.  B.  nach  außen  geschehen  könnte,  ohne 
-daß  an  der  Grenzschicht  der  Herzhöhlen  etwas  geändert  zu  werden 
brauchte.  Wir  glauben  aber,  daß,  wenigstens  in  den  Fällen  erheb- 
licherer Herzvergrößerung  bei  unseren  Radfahrern,  über  diese  mit 


1)  Kttlbs,  Arch.  f.  experim.  Path.  u.  Ther.  Bd.  55  p.  288. 


40* 


624 


XXXTI.    SCHIKFFEB 


dem  Muskelwachstum  an  sich  notwendig  verknüpfte  Lumenver- 
größernng  des  Herzens  hinaus  noch  eine  Dilatation  des  Organs  ein- 
getreten sei.  Denn  wenn  dies  nicht  der  Fall  wäre,  würde  man  zo 
der  Annahme  ganz  ungeheuerlicher  Wanddicken  der  Ventrikel 
kommen  müssen  (siehe  z.  B.  Fig.  3),  wie  man  sie  selbst  nicht  bei 
den  Fällen  stärkster  Hypertrophie  des  Herzens  z.  B.  bei  chronischer 
Nephritis  findet. 

Die  Herzvergrößerung  bei  den  Badfahrern  kommt  offenbar  ganz 
allmählich  zustande.  Es  ergibt  sich  dies  aus  unserer  Beobachtung^ 
daß  Leute ;  die  erst  kurze  Zeit  radeln,  sie  noch  nicht  haben  und 
daß  Leute  mit  einer  Radfahrzeit  von  3  und  mehr  Jahren  sie  wieder 
in  höherem  Maße  als  solche  haben,  die  erst  1  bis  3  Jahre  radeln. 
Daß  einmalige  Badfahranstrengungen,  auch  wenn  sie  erheblich  sind^ 
nicht  zu  nachweisbaren  Veränderungen  der  Herzgröße  fuhren,  bat 
Moritz^)  hervorgehoben.  Ich  habe  auch  noch  einmal  solche  Ver- 
suche mit  gleichem  negativem  Resultate  angestellt. 

Fig.  4. 


Fahrt  von   40  km  in  fast  2  Stunden.    Gleich  nach  dem  Absteigen  angefertigt. 

(Schlechte  Witterungs-  und  Wegeverhältnisse.) 


o    o 


Vor  der  Fahrt. 
Nach  der  Fahrt. 


OL  =^  unterer  Rand  der 

rechts 


r  Clavicula.   Pap.  =  Papille.    Zw.  F.  r.  = 
.    II  R.  =  II.  Rippe.    (Verkleinerung  ^|o.) 


Zwerchfellstand 


Wie  Fig.  4  zeigt,  findet  im  Anschluß  an  die  ßadfahranstrengung 
nur  ein  Tiefertreten  des  Herzens  mit  dem  Zwerchfell  statt  (Volumen 

1)  Münch.  med.  Woch.  1902  Nr.  1  und  1903  Nr.  31  und  1905  Nr.  15.  Siebe 
auch  die  Arbeiten  von  de  la  Camp  (Zeitschr.  f.  klin.  Med.  Bd.  51  p.  1).  Lenn- 
hoff  u.  Levy-Dorn  (D.  med.  W.  1905  Nr.  22)  und  Hoffmann  (20.  Kongr. 
f.  innere  Medizin),  die  ebenfalls  bei  einmaliger  Körperanstrengung  keine  Herz- 
vergrölierung  auftreten  sahen. 


über  Herzvergrößernng  infolge  Hadfahrens.  625 

pulmonum  auctum)>  worauf  Moritz  schon  hingewiesen  hat.  Die 
Herzgröße  ändert  sich  nachweisbar  nicht.  Ein  2.  Versuch  an 
einem  anderen  Individuum  ergab  das  gleiche  Resultat. 

Es  dürfte  sich  bei  der  Herzvergrößerung  durch  Anstrengung 
demnach  nur  um  Summation  kleinster  Wirkungen  handeln. 

Wie  hoch  eine  etwaige  pathologische  Bedeutung  der  Herzver- 
größerungen durch  Radfahren  einzuschätzen  ist,  läßt  sich  nicht 
kurzweg  angeben.  Die  Anstrengungen  des  Militärdienstes  haben 
die  von  mir  untersuchten  Rekruten,  die  Radfahrer  waren,  bisher 
(Beobachtungszeit  1  ^4  Jahr)  ohne  jede  Störung  vertragen.  Bei 
einigen  derselben ,  die  bei  der  Einstellung  leichtere  Herzarry thmie 
(Pulsintermissionen  usw.)  hatten,  ist  diese  sogar  zumeist  im  Verlaufe 
des  Militärdienstes  verschwunden. 

Wenn  zurzeit  also  selbst  wesentlich  vergrößerte  Radfahrer- 
herzen zweifellos  funktionell  völlig  leistungsfähig,  wahrscheinlich 
zum  Teil  sogar  leistungsfähiger  als  andere  sein  können,  so  kann 
man  sich  doch  bei  ihnen  für  die  Zukunft  gewisser  Bedenken  nicht 
entschlagen.  Im  allgemeinen  geht  die  klinische  Auffassung  doch 
wohl  dahin,  daß  vergrößerte  Herzen  später  mehr  gefährdet  sind 
als  normal  große,  daß  sie  vielleicht  an  sich  schon  den  Keim  zu 
späterer  Schwäche  in  sich  tragen.  Man  sieht  ja  gelegentlich  auch 
Leute  mit  Herzstörungen  und  sogar  mit  Herzinsufficienz,  in  deren 
Anamnese  außer  früherem  intensivem  Radfahren  Schädlichkeiten 
für  das  Herz  sich  nicht  auffinden  lassen.  Einem  intensiven  Rad- 
fahrsport kann  also  auch  bei  von  vornherein  gesunden  Herzen 
nicht  das  Wort  geredet  werden.  Daß  noch  größere  Vorsicht  bei 
nicht  ganz  intaktem  Herzen  am  Platze  ist,  ist  hiernach  selbst- 
verständlich. 


xxxin. 

Kleinere  und  kasniBtigche  Mitteilnagen. 

1. 

Aus  der  inneren  Abteilang  des  Krankenbaases  Bethanien  sa  Berlin 

(Ding.  Arzt  Prof.  Dr.  Zinn). 

Thrombenbildung  am  durchgängigen 
Ductus  arteriosus  (Botalli). 

Von 

Dr.  0.  Wftgener. 

(Mit  Tafel  m.) 

Bndartenitische  Prozesse  mit  späterer  Thrombenbildung  am  offen 
gebliebenen  Ductus  arteriosus  sind  meist  sekundärer  Natur  und  ent- 
standen im  Anschluß  an  frische  entzündliche  Erkrankungen  der  Herz- 
klappen. Eine  kurze  Zusammenstellung  dieser  Fälle  findet  sich  in  den 
Arbeiten  von  Wagener^)  und  Hart^),  der  selbst  zwei  neue,  höchst 
interessante  Fälle  mitteilt,  bei  denen  eine  ulceröse  Endokarditis  der 
Aortenklappen  durch  den  offenen  Ductus  Botalli  hinduroh  auf  die  Lungen- 
arterie  übergegriffen  hatte.  Aber  auch  primäre  Thrombenbildung  am 
offenen  Ductus  arteriosus,  ohne  gleichzeitige  Erkrankung  der  Herzklappen^ 
ist  in  wenigen  Fällen,  die  weiter  unten  kurz  besprochen  werden  sollen, 
beobachtet  worden.  Zwei  derartige  Fälle  wurden  von  mir  kurz  hinter- 
einander im  Krankenhause  Bethanien  seziert;  bei  dem  einen  saß  ein 
großer  Thrombus  an  der  Aortenraündung,  bei  dem  anderen  an  der  Pul- 
monalmündung  des  Ductus  arteriosus;  dieser  hatte  sich  losgerissen  und 
durch  Verschleppung  in  einen  Pulmonalarterienast  plötzlichen  Tod  des 
Kindes  hervorgerufen. 

Klinischer  Verlauf  und  Sektion sbef und  waren  in  kurzen  Zügen 
folgende : 

Fall  I.  Der  7  Monate  alte  Knabe  0.  B.  war  vom  13.  August  1904  an 
wegen  Lungenentzündung  and  Darmkatarrh  im  Krankenhause  in  Behandlung  mid 

1)  Wagen  er,  Beitrag  zur  Pathologie  des  Ductus  arteriosus  Botalli.  Deutsch, 
Archiv  für  klin.  Medizin  1903  Bd.  79. 

2)  Hart,  Beiträge  zur  Pathologie  des  Gefäßsystems  11.  Ulceröse  Endokar- 
ditis mit  Beteiligung  des  offenen  Ductus  Botalli.  Virchow's  Archiv  177.  Bd.  1904 
p,  218. 


Wagener,  Thrombenbildnng  am  Dnctns  Botalli.  627 

starb  hier  am  23,    Die  Temperatnren  waren  an  einzelnen  Tagen  abends  bis  38^ 
gekommen. 

Die  Sektion,  die  am  Tage  des  Todes  vorgenommen  wurde,  ergab  als  Todes- 
ursache eine  Lungenentzündung.  Derbe  pneumonische  Infiltrate  saißen  in  beiden 
Unterlappen,  besonders  im  rechten.  An  einzelnen  Stellen  zeigten  sich  schmierige 
Zerfallsherde,  die  offenbar  durch  Aspiration  von  Mageninhalt  entstanden  waren. 
Das  Herz  zeigte  keine  besonderen  pathologischen  Veränderungen,  die  Klappen 
waren  zart,  das  Foramen  ovale  war  geschlossen,  die  Einmüudunfifsstelle  des  Ductus 
arteriosus  im  linken  Pulmonalast  war  durch  eine  kleine  Grube  gekennzeichnet, 
der  Ductus  selbst  hier  obliteriert.  Aus  der  Aortenmündung  (Figur  1)  des  Ductus 
arteriosus  hing  ein  granrötlicfaer,  derber,  ziemlich  glatter  Thrombus  von  1  cm 
Breite  2  cm  weit  die  Aorta  hinab,  von  deren  Wand  er  sich  leicht  etwas  abheben 
lieO,  wobei  festgestellt  werden  konnte,  daß  die  Aortenwand  unter  dem  Thrombu» 
völlig  normale  Beschaffenheit  zeigte.  Wie  weit  der  Thrombus  in  den  Ductus^ 
Botalli,  dessen  Aortenmündung  oben  durch  den  bekannten  ilachen  Wall  gekenn- 
zeichnet wurde,  hineinreichte,  wurde  nicht  festgestellt,  da  durch  ein  Aufschneiden 
des  Ductus  Botalli  die  Schönheit  des  seltenen  Präparates  sehr  gelitten  hätte. 
Jedenfalls  war  der  Gang  in  seinem  pulmonalen  Teile  völlig  obliteriert,  und  in 
seinem  nach  der  Aorta  zu  gelegenen  Teile  war,  nach  der  Dicke  des  Ganges  zu 
urteilen,  höchstens  ein  für  feine  Sonde  durchgängiges  Kanälchen  zu  erwarten.  Die 
Aorta  zeigte  oberhalb  und  unterhalb  dieser  Stelle  keine  Besonderheiten,  besonders 
waren  im  peripheren  Arteriengebiet  keine  Embolien  nachzuweisen.  Auch  die 
Sektion  der  übrigen  Organe  brachte  nichts  Besonderes,  der  Kopf  wurde  nicht  seziert. 

Fall  II.  Das  2  Monate  alte  Mädchen  F.  B.  wurde  am  22.  August  ins- 
Krankenhaus  aufgenommen  mit  der  Angabe  der  Eltern,  daß  seit  5  Tagen  Er* 
brechen  und  Durchfall  bestände.  Es  handelte  sich  um  ein  kleines,  blasses  Kind 
mit  noch  leidlich  gutem  Fettpolster.  Herz  und  Lungen  boten  keinen  besonderen 
Befund,  ein  mäßiger  Durchfall  war  schon  nach  wenigen  Tagen  verschwunden, 
Appetit  und  Allgemeineindruck  waren  jetzt  recht  gut.  Am  25.  abends  stieg  die 
Temperatur,  ohne  daß  dafür  ein  Grund  aufzufinden  war,  auf  38,6*.  Am  nächsten 
Morgen  wurde  das  Kindchen,  nachdem  es  noch  um  5  Uhr  seine  Flasche  getrunken 
hatte,  um  ^,'2  6  Uhr  tot  in  seinem  Bettchen  aufgefunden.  Interessant  ist  die  An- 
^he  der  Mutter,  daß  ihr  vor  einem  Jahre  ein  kleines  Kindchen  in  gleicher 
Weise  plötzlich  gestorben  war,  ohne  daß  es  vorher  erkrankt  gewesen  wäre. 

Die  Sektion,  die  am  27.  von  mir  vorgenommen  wurde,  deckte  die  Todes- 
ursache auf.  die  klinisch  nur  vermutungsweise  auf  plötzlichen  Verschluß  eines- 
wichtigen Gefäßes  an  Herz,  Lungen  oder  Gehirn  gestellt  werden  konnte.  Es 
handelte  sich  um  fulminante  Embolie  der  linken  Pulmonalarteri& 
durch  einen  Thrombus,  der  sich  an  der  Pulmonalmündung  de» 
Ductus  arteriosus  gebildet  hatte.  (Figur  2.)  Im  einzelnen  war  der 
Sektionsbefund  kurz  folgender:  Lufthaltige,  rosarote  Lungen.  Gut  kontrahiertes- 
Herz  von  blaßbrauner  Farbe.  Im  linken  Vorhof  etwas  dunkles,  flüssiges  und  ge- 
ronnenes Blut.  Zarte  Klappen.  Linsengroße,  flache,  rötliche  Wucherung  an  der 
Pulmonalmündung  des  Ductus  Botalli.  Dieser  selbst  für  feine  Sonde  durchgängig 
und  bis  in  die  Wucherung  hinein  zu  sondieren.  Großer  Embolus  in  der  linken 
Lun^enarterie,  besonders  den  Ast  für  den  Unterlappen  verstopfend.  Uebrige 
Sektion,  vor  allem  große  Arterien,  Venen  und  Ductus  thoracicus  ohne  besonderen 
Befund. 

Zum  Unterschied  von  der  sekundären  Tbrombenbildung  am  Ductua 
arteriosus,  die  nur  im  höheren  Alter  vorzukommen  scheint,  sind  isolierte 
Thromben  ohne  gleichzeitige  Erkrankung  der  Herzklappen  nur  bei  Kindern 
im  ersten  Lebensjahr  beobachtet  worden.  Es  erklärt  sich  dies  daraus^ 
daß  bei  den  wenigen  der  in  diese  Kategorie  gehörenden  Fälle  der  Throm- 
bus in  Aorta  und  Pnlmonalis  eine  direkte  Fortsetzung  eines  im  noch 
nicht  geschlossenen  Ductus  arteriosus  steckenden  Thrombus  war.  Eine 
verzögerte  Involution  aber  findet  sich  im  ersten  Lebensjahre  noch  ver- 
hältnismäßig häufig,  meist  in  der  Art^  daß  der  Gang  in  ganzer  Länge 
oder  nur  teilweise  vom  Aorten-  oder  Pulmonalostium  für  eine  feine  Sonde 


628  XXXIir.    1.  Wagener. 

durchgängig  ist.  Für  gewöhnlicb  bleibt  diese  „retardierte  Involntion'' 
ohne  weitere  Folgen  ffXr  die  Gesundheit  des  Kindes;  in  anderen  Fällen 
aber  kann  sieh  in  diesem  engen  Gange  ein  Thrombus  bilden,  der  durch 
Apposition  bis  weit  in  die  Aorta  und  Pulmonalis  hinein  wachsen  kann. 
Die  Entstehung  eines  Thrombus  soll  bei  elenden  Kindern,  die  an  starken 
Durchfällen  leiden  und  eine  ungenügende  Blutzirkulation  haben,  häufiger 
vorkommen;  es  würde  sich  also  in  diesen  Fällen  um  eine  sogenannte 
marantische  Thrombose  handeln.  Immerhin  gehört  aber  eine  Thrombose 
des  Ductus  zu  den  selteneren  Sektionsbefunden,  und  Fälle,  wie  die  beiden 
oben  beschriebenen,  sind  in  der  Literatur  nur  sehr  spärlich  zu  finden. 
Ihre  Veröffentlichung  reicht  fast  bei  allen  viele  Jahrzehnte  zurück,  in 
eine  Zeit,  wo  durch  die  grundlegenden  Arbeiten  Virchow's  über 
Thrombose  und  Embolie  die  Aufmerksamkeit  besonders  auf  diese  Fragen 
gerichtet  war.  In  chronologischer  Reihenfolge  will  ich  aus  der  Literatur 
diese  Fälle  kurz  anführen,  zuerst  die,  bei  denen  die  Thrombenbildung 
auf  die  Aorta  übergegriffen  hatte. 

Den  ersten  Fidl  beschrieb  Bochdalek.^) 

Bei  einem  22  Tage  alten  Knaben,  der  an  Lnngeueutzündnng  starb  und  in 
den  ersten  Lebenstagen  mäßige  cyanotische  Färbung  des  Gesichtes,  der  Hände 
und  der  Füße  darge^ten  hatte,  fand  sich  der  Ductus  Botalli  gegen  die  Lungen- 
arterie hin  schon  geschrumpft  und  zusammengezogen,  der  Aortenteil  aber  war 
ebenso  wie  die  Aorta  in  dieser  Oegend  durch  emen  derben  Thrombus  Tölli^  aus- 
gefüllt und  obturiert.  Der  Aortenthrombus  hing  mit  dem  im  Ductus  innig  zu- 
sammen, so,  „als  ob  der  eine  nur  die  Fortsetzung  des  anderen  wäre''.  Die  ober- 
und  unterhalb  dieser  Stelle  abgehenden  Arterien  zeigten  keine  Veränderungen  des 
Lumens,  woran  wohl  nur  die  kurze  Daner  der  Ooliteration  der  Aorta  Schuld 
war.    Embolien  wurden  nicht  nachgewiesen. 

Bei  einem  ganz  jungen  Kinde  fand  Yirchow^)  1846  ein  Aneu- 
rysma des  Ductus  arteriosus  Botalli  und  dies  mit  einem  Thrombus  ge- 
füllt, dessen  spitzes  Ende  in  die  Aorta  hervorragte  —  wie  weit  aber, 
ist  nicht  angegeben. 

Aus  Bokitansky's  Institut,  der  selbst  die  hervorragendsten 
Arbeiten  auf  diesem  Gebiete  gebracht  hatte,  veröffentlichte  Klob')  einen 
auch  in  klinischer  Beziehung  sehr  interessanten  Fall. 

Bei  einem  8  Tage  alten  Kind  war  der  gleichmäßig  weite  Ductus  Botalli  von 
einem  Thrombus  angefüllt,  der  am  Aorten-Ostinm  plötzlich  mit  einer  „förmlichen 
Bruchfläche"  aufhörte.  Im  Gebiete  der  Mesaraica  superior  ließen  sich  zahlreiche 
Embolien  nachweisen. 

Kl  ob  nimmt  an,  daß  ein  größeres  Thrombusstück  abgebrochen, 
fortgeschwemmt  und  in  die  Mesaraica  hineingetrieben,  „dort  aber  noch 
in  so  viele  kleinere  Stücke,  namentlich  an  den  vorspringenden  Winkeln 
der  Teilungsstellen  zerschellt  sei,  daß  eine  Menge  kleiner  Embolien  zu- 
stande kam". 


1)  Bochdalek,  Beitrag  zur  patfa.  Anatomie  der  Obliteration  der  Aorta 
infolge  fötaler  Involution  des  Ductus  arteriosus  Botalli,  Vierteljahrschrift  für 
die  praktische  Heilkunde  Prag,  2.  Jahrgang  1845,  4.  Bd.  p.  160. 

2)  Virchow,  Gesammelte  Abhandlungen  zur  wissenschaftlichen  Medizin. 
1856,  p.  595. 

3)  KI  ob,  Thrombosis  duetns  Botalli.  Zeitschrift  der  Kais.  Königl.  GeseUschaft 
der  Ärzte  zu  Wien  1859,  15.  Jahrgang,  Neue  Folge.  2.  Jahrgang,  p.  4. 


Thrombenbilduug  am  Ductus  Botalli.  629 

Fraglich  ist  es  bei  einem  Falle  von  Rauchfoß^),  ob  hier  der 
Thrombus  in  der  Aorta,  der  allerdings  an  der  Insertionsstelle  des  normal 
involvierten  Ductus  arteriosus  begann,  wirklich  früher  mit  einem  Throm- 
bus in  ihm  in  Verbindung  gestanden  hat.  Auch  weiter  unten  fand  sich 
an  der  Wand  der  Aorta  eine  zweite  Gerinnselbildung,  eine  marantische 
Thrombose. 

Wrany^)  fand  bei  einem  6  Tage  alten  Säugling  einen  Embolus 
in  der  Art.  coronaria  ventriculi,  „welcher  durch  Ausschluß '  einer  jeden 
anderen  Quelle  auf  den  weit  offenen,  geschlftngelten  und  an  der  Innen- 
:fiäche  aufgelockerten  Ductus  bezogen  werden  mußte^. 

Große  Ähnlichkeit  mit  dem  Fall  von  Bochdalek  hat  der  zweite 
der  von  Lüttich ^)  beschriebenen  Fälle. 

Auch  hier  war  bei  einem  14tägigen  Knaben,  der  an  Marasmus  gestorben 
war,  die  Aorta  bis  3cm  unterhalb  der  Insertion  des  Dnetus  durch  einen  festen 
Thrombus,  der  sich  in  den  aneurysmatisch  erweiterten  Ductus  Botalli  fortsetzte, 
völlig  verschlossen.  Auch  hier  begann  etwas  weiter  nach  unten  in  der  Aorta, 
wie  ih  dem  Falle  von  Bauchfnß,  ein  zweiter  Thrombus,  der  sich  bis  in  die 
Arteriae  iliacae  fortsetzte. 

Die  Unterbrechnng  des  Thrombus  in  beiden  Fällen  in  Höhe  der 
€.  und  7.  Interkostalarterie  hält  Lüttich  als  durch  Zwerchfellkontrak- 
tionen bedingt. 

Den  letzten  der  hierher  gehörigen  Fälle  bat  vor  kurzem  Grüner^) 
aus  dem  Ben  da 'sehen  Institut  veröffentlicht. 

Bei  einem  1  ^4  Monate  alten  Kinde,  das  zahlreiche  Zeichen  der  Lues  congenita 
bot,  fand  sich  an  der  Aorten-Einmündungsstelle  des  in  der  Mitte  aneurysmatisch 
erweiterten  Ductus  ein  fester  Thrombus,  der  nach  dem  Ductus  hin  in  direkter 
Verbindung  mit  einem  frischen  reichen  Gerinnsel  stand,  während  er  sich  als 
Parietalthrombns  weit  in  die  Aorta  hinaberstreckte,  um  hier  schließlich  frei  in 
das  Lumen  hineinragend  zu  enden. 

In  der  Arteria  coeliaca  fand  sich  ein  Embolus,  der  sich  vom  Aortenthrombus 
losgerissen  hatte.  Eine  eingehende  mikroskopische  Untersuchung  ergab,  daß  der 
älteste  Teil  des  großen  Thrombus  an  der  Grenze  von  Ductus  arteriosus  und  Aorta 
war,  dann  folgte  dem  Alter  nach  der  Parietalthrombns  der  Aorta  und  als  jüngster 
«ndlich  der  Teil  im  Ductus  selbst. 

Besonders  interessant  ist  es,  daß  in  diesem  Falle  der  Beginn  der 
Thrombenbildung  an  der  Grenze  von  Aorta  und  Ductus  stattgefunden 
hat,  und  daß  nicht,  wie  in  allen  anderen  Fällen,  der  Ausgang  von  einem 
irerinnsel  im  Lumen  des  Ductus  genommen  ist.  In  diesem  Punkte 
gleicht  dieser  Fall  sehr  dem  zweiten  der  von  mir  oben  beschriebenen, 
wo    sich   nur  am  Pulmonalende  des  Ductus  die  Thrombenmassen  fanden, 


1)  Bauchfnß.  Zur  Kasuistik  der  Gefäß verschließungeu.  Virchow's  Archiv 
1860  18.  Bd.  p.  537. 

2)  Wrany ,  Der  Ductus  arteriosus  Botalli  in  seinen  physiologischen  und  patho- 
logischen Verhältnissen.  Österreich.  Jahrbuch  für  Pädiatrik,  Jahrgang  1871  1.  Bd. 
p.  1. 

3)  Lüttich,  Zwei  praktisch  wichtige  Gefäßanomalieu.  Archiv  der  Heilkunde, 
71.  Jahrgang  1876,  p.  70. 

4)  Grüner,  Über  einen  Fall  von  Aneurysma  des  Ductus  arteriosus  Botalli 
mit  Parietalthrombns  der  Aorta.    Inaug.-Dissertation,  Freiburg  1904. 


6ä0  XXXIII.    1.  Wagener,  Thrombenbiidoiig  am  Dnctus  Boulli. 

wfihrend    der  I>actus    selbst   für   eine   feine  Sonde    bis  in  den  Thrombus 
hinein  frei  durchgängig  war. 

Eine  derartige  amschriebene  Thron^benbildang  am  Aorten*  oder 
Palmonalende  des  Ductus  kann  meiner  Ansicht  nach,  wenn  sie  klein 
bleibt,  durch  spätere  Organisation  zu  Scheidewänden  an  diesen  Stellen 
führen,  die  völlig  die  Aorta  von  der  Pulmonalis  trennen,  bis  vielleicht 
später  einmal  diese  Wand  wieder  einreißt  und  eine  Wiedereröffnnng  des 
Dnctus  stattfindet.  Für  diese  letzte  Möglichkeit  habe  ich  in  meiner 
früheren  Arbeit  (1.  c.)  den  Beweis  bringen  können. 

Isolierte  Thromben  au  einem  Ende  des  Ductus  oder  an  beiden  hat 
Kanchfuß^  in  3  Fällen  (Fall  6,  6  und  7)  beschrieben. 

Noch  seltener  als  Thrombenbildung  in  der  Aorta  ist  eine  solche  in 
der  Arteria  pulmonalis,  in  die  der  Thrombus  vom  Ductus  art^riosus  aus 
hineingewachsen  ist.  Außer  meinem  Fall  scheint  nur  noch  ein  einziger 
gleicher  in  der  Literatur  vorzuliegen.  Er  ist  in  der  eben  ziterten  Arbeit 
von  Rauohfnß  als  Fall  2  beschrieben.  Das  lOtägige  Kind  scheint 
einem  von  der  Kabelwunde  ausgehenden  Erysipel  erlegen  zu  sein,  oder 
Embolien  in  die  linke  Lungenarterie,  in  der  ein  reitender  Thrombus  auf 
dem  Sporn  zweier  Oeföße  zweiter  Ordnung,  die  zum  linken  Oberlappen 
führten,  nachgewiesen  wurde.  Als  Ausgangsstelle  dieses  Embolus  w&r 
mit  Sicherheit  ein  Thrombus  im  Ductus  Botalli  anzusprechen,  der  mit 
einer  deutlichen  Bruchfläche  in  das  Lumen  der  Arteria  pulmonalis 
hineinragte. 

Zum  Schluß  sei  noch  auf  Fall  1  in  der  gleichen  Arbeit  von  Kauch- 
fuß  hingewiesen,  wo  bei  einem  2  Wochen  alten  Mädchen  Ektasie  und 
Thrombose  des  Ductus  arteriosus  Botalli  mit  fortgesetzter  Thrombose 
der  Arteria  pulmonalis  dextra(!)  und  verengernder  Thrombose  im  Arcus 
aortae  gefunden  wurde.  Hiervon  ausgehend  fanden  sich  Embolien  in 
beiden  öefäßbezirken,  im  Lungenkreislauf  im  Gebiete  des  oberen  Astes 
der  Arteria  pulmonalis  dextra,  im  Körperkreislauf  in  der  Arteria  renalis 
deztra. 

Wenn   sich   auch  aus  der  Darlegung  der  oben  mitgeteilten  Befunde 
keine  neuen  Gesichtspunkte  für  die  Frage  der  Thrombenbildung  im  oder 
am  Ductus  arteriosus    ergeben  haben,    so  dürfen  meine  Fälle  doch  schon 
vom    rein    pathologisch-anatomischen    Standpunkte   aus    deswegen    einiges 
Interesse   beanspruchen,    weil    sie   in    reinster   Form    Beweisstücke   dafür 
bieten,  daß  schon  in  so  jugendlichem  Alter  Embolien  statthaben  können 
und  zwar  von  Orten  aus,  die  überhaupt  -am  seltensten  zu  Thrombose  und 
Erabolie  Veranlassung  geben.     Es  sind  dies  die  Gefaßgebiete,  die  sowohl 
beim  Körper-    als    heim  Lungenkreislauf    periplier    vom    Herzen    liefen. 
Besonders   für   die  Pulmonalis   ist  dies  ein  sehr  seltenes  Ereignis.     Vom 
klinischen  Standpunkte  aus  hätten  sich,  wenn  sich  in  Fall  1  der  Aorten- 
thrombus  losgerissen    und  die  peripheren  Arterieugebiete  verstopft  hätte, 
dieselben    diagnostischen  Schwierigkeiten   ergeben,    wie    dies  im    2.   Fall 
wirklich  eingetreten  war,  der  einen  seltenen  Beitrag  zu  dem  Kapitel  der 
plötzlichen  Todesfälle  im  jugendlichen  Alter  liefert. 


1)  Rauchfnß,  Über  Thrombose  des  Dnctus  arteriosus  Bot^illi.    VirchowV 
Archiv  1859  17.  Bd.  p,  376. 


Deutsches  Ardiiv  t.  klinische  Mcdiiin  89.  B 


Wntotvth'uiMffcnS;-« 


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XXXIII.    2.  Wiehern,  Fall  von  sog.  esBentieller  Wassersucht.         631 


Erklärung  der  Abbildungen  auf  Tafel  III. 

Figur  1.  Brnstorgane  des  7  Monate  alten  Kindes  von  hinten  gesehen.  Großer 
Thrombus  aus  der  Aortenmündung  des  Ductus  arteriosus  (Botalli)  in  die  Aorta 
hinabhäugend.    Lungen  und  Herz  halbschematisch  angedeutet. 

Figur  2.  Brnstorgane  des  2  Monate  alten  Kindes.  Rechter  Ventrikel  und 
Arteria  pulmonalis  bis  in  den  Ast  für  die  linke,  nach  oben  geschlagene,  Lunge 
aufgeschnitten  und  stark  ausgebreitet.  Im  Ast  für  den  Unterlappen  der  linken 
Lunge  ein  zylindrischer  Thrombus.  Thromben bildung  an  der  Einroündungsstelle 
des  Ductus  arteriosus  im  Anfange  des  Unken  Pulmonalarterienastes  durch  höckrige 
Wucherung  gekennzeichnet.  Etwas  rechts  und  unterhalb  der.<%elben  Abgang  des 
rechtes  Astes  der  Pulmonalarterie.  Quer  abgeschnittene  Herzspitze  mit  sichtbarem 
linken  und  rechten  Ventrikel. 


2. 

Ans  der  medizin.  Klinik  zu  Leipzig 
(Direktor:  Geh.-Eat  Prof.  Dr.  Curschmann). 

Über  einen  Fall  von  sog.  „essentieller  Wassersucht''. 

Von 

Dr.  med.  Heinrieh  Wiehern, 

Assistenten  der  Klinik. 

Die  „essentielle  Wassersucht^  oder  das  „allgemeine  idiopathische 
Ödem**  ist  wohl  die  seltenste  von  allen  Formen  allgemeiner  Wassersucht^ 
die  wir  am  Krankenbett  beobachten.  Seitdem  Wagner (27)  die  Auf- 
merksamkeit auf  dieses  eigenartige  Krankheitsbild  gelenkt  hat,  finden 
wir  zwar  in  der  Literatur  wiederholt  Veröffentlichungen  darüber;  doch 
die  Zahl  der  heschriebenen  Fälle  ist  immerhin  noch  so  gering,  daß  ein 
weiterer  Beitrag,  wie  ihn  die  folgenden  Zeilen  liefern  sollen,  nicht  un- 
willkommen erscheinen  mag.  Eine  ziemlich  vollständige  Übersicht  über 
die  bisherigen  Beobachtungen  haben  schon  Par8chau(17)  und  S t a e - 
h  e  1  i  n  (22)  gegeben ;  wir  können  uns  deshalb  hier  unter  Hinweis  auf  ihre 
Arbeiten  mit  einer  kurzen  zusammenfassenden  Schilderung  des  Krankheits- 
bildes  begnügen. 

Im  Gegensatz  zu  Wagner'8(27)  Annahme,  daß  bei  Kindern  essen- 
tielle Wasaersucbt  ungleich  bäufiger  sei,  als  bei  Erwachsenen,  ist  diese 
Krankheit  bei  letzteren  entschieden  Öfter  beschrieben  worden.  Sie  begann 
faet  in  allen  Fällen  —  einerlei,  welche  Altersstufe  betroffen  war  —  mit 
einer  Schwellung  des  Gesichts  oder  der  Füße,  und  das  Odem  breitete 
sich  von  dort  allmählich  über  den  ganzen  Körper  aus.  Die  Kranken  er- 
hielten dadurch  ein  blasses,  gedunsenes  Aussehen,  wie  wir  es  sonst  nicht 
selten  bei  schweren  Nephritikern  wahrnehmen  können.  Die  Haut  zeigte 
eine  weiche,  teigige  Konsistenz,  so  daß  die  Fiogereindrücke  eine  Zeit- 
lang stehen  blieben.  Mehrere  Male  dehnte  sich  das  Ödem  auch  auf  die 
Schleimhäute  aus  und  führte  dann  zuweilen  zu  schweren  Stenosen  des 
Kehlkopfs.  Ebenso  wurden  nicht  selten  Ergüsse  in  die  großen,  serösen 
ICörperhöblen  nachgewiesen.  Die  Herztätigkeit  blieb  ungestört,  die 
ICörperwärme  verhielt  sich  normal  oder  sogar  etwas  subnormal,  und  das 


632  XXXIII.    2.  Wiehern. 

Allgemeinbefinden  pflegte  —  wenigstens  bei  den  Erwachsenen  —  kaum 
beeinträchtigt  zu  sein,  wenn  auch  einzelne  Kranke  über  reißende  Schmerzen 
in  den  Gliedern,  meist  in  den  Gelenken,  klagten.  Der  Urin  wurde  in 
spärJ icher  Menge  ausgeschieden  und  war  stets  frei  von  Eiweiß  und  anderen 
pathologischen  Bestandteilen.  Als  Komplikationen  traten  zu  der  Krankheit 
am  häufigsten  Darmkatarrh  oder  Bronchitis  hinzu.  Nach  dem  weiteren 
Verlauf  und  Ausgang  trennt  Staehelin  (22)  die  bisher  besschriebenen 
Beobachtungen  in  zwei  Gruppen,  nämlich: 

1.  „akute  Fälle,  die  nach  einigen  Tagen  bis  Wochen  in  Genesung 
übergehen*"  und  2.  „chronische  Fälle,  die  Wochen  bis  Monate,  selbst 
Jahre  lang  krank  sind  und  nicht  immer  gesund  werden,  bisweilen  tödlich 
endigen  " . 

Während  er  selbst  einen  dieser  chronischen  Fälle  mit  letalem  Aoa- 
Rfti^g  geschildert  hat,  gehört  die  folgende,  aus  unserer  Klinik  stammende 
Beobachtung  zur  ersten  Gruppe,  und  die  Krankengeschichte  mag^  daher 
kurz  vried ergegeben  werden: 

Krankengeschichte. 

27  jähr.  stud.  jur.  gibt  an,  von  gesunden  Eltern  za  stammen  und  früher  nie 
ki'ank  gewesen  zu  sein.  Während  der  Schuljahre  war  er  eifriger  Turner.  Seit 
etwa  8—14  Tagen  fühlt  er  in  beiden  Beinen  reiOende  und  ziehende  Schmerzen, 
die  sich  aber  am  Tage  vor  der  Aufnahme  schon  gebessert  haben.  Außerdem 
glaubt  er  zeitweilig  eine  gering:e  Anschwellung  der  Füße  bemerkt  zu  haben.  Vor 
Beginn  der  Krankheit  hat  Patient  etwa  2  \\^chen  hindurch  starke  alkoholiiiche 
Exzesse  (Bier)  begangen  und  in  dieser  Zeit  wegen  Appetitmangei  nur  sehr  weni^ 
Nahrung  zu  sich  genommen. 

Bei  der  Aufnahme  in  die  Klinik  am  11.  Februar  1906  ergibt  sich  folgender 
Befund : 

Mittelgroßer,  kräftiger,  gut  genährter,  junger  Maim  mit  etwas  bleicher  Ge- 
sichtsfarbe. Körpertemperatur,  Atmung  und  Puls  sind  normal,  das  Körpergewicht 
beträgt  70,0  kg.  An  den  inneren  Organen  ist  nichts  Pathologisches  nachweisbar: 
es  besteht  nur  ein  mäUiges  Volumen  pulmonum  auctum.  Das  Crefäitsjstem  zeigt 
völlig  normale  Verhältnisse.  An  den  Beinen  ist  weder  eine  Schwellung  der  Ge- 
lenke, noch  ein  Ödem  nachweisbar;  ebenso  bestehen  keine  Erscheinungen  von 
Ischias.  Die  Muskulatur  der  Oberschenkel  und  Waden  ist  etwas  druckempfindlich. 
Am  Nervensystem  ist  nichts  Bemerkenswertes  aufzufinden.  —  Es  wird  leichte 
Massage  und  Einreibung  der  Beine  mit  Spirit.  camphoratns  verordnet. 

Nachdem  der  Kranke  dann  einige  Tage  aufgestanden  und  völlig  beschwerde- 
frei war,  klagt  er  etwa  vom  16.  Februar  an  wieder  über  zeitweilig  anftretendf 
ziehende  Schmerzen  in  den  Beinen,  besonders  in  den  Waden  nnd  Fußen ;  doch  ist 
bei  wiederholter  Untersuchung  nichts  Abnormes  zu  linden. 

Vom  11.  Tage  nach  der  Aufnahme  (21.  Februar)  an  meint  Patient  zuweilen 
tagsüber  eine  leichte  Anschwellung  der  Füße  zu  bemerken,  während  iene  Schmerzen 
unverändert  fortbestehen.  Er  wird  wiederholt  genau  auf  Knöchelödem  und  Ge- 
lenkschwellungen untersucht,  jedoch  stets  mit  negativem  Ergebnis.  So  wird  auch 
noch  am  Abend  des  23.  Februar  das  Fehlen  irgendAvelcher  Ödeme  festgesteUt. 
Das  Körpergewicht  beträgt  2  Tage  vorher  72,5  kg,  war  also  in  10  Tagen  am 
2.5  kg  gestiegen. 

Am  Morgen  des  24.  Februar  läßt  sich,  obgleich  der  Kranke  das  Bett  noch 
nicht  verlassen  hat,  eine  deutliche  ödematöse  Anschwellung  der  Knöchelgegeoil 
beider  Füße  und  ebenso  ein  be^nendes  Odem  der  Faßrücken  nachweisen.  I>i<f 
früher  angegebenen  Schmerzen  smd  geringer  geworden,  nnd  das  AllgemeinbefindeB 
ist  gut. 

Es  wird  strenge  Bettruhe  angeordnet  und  von  allen  therapeutischen  MtiJ- 
regeln  abgesehen. 

Der  Harn,  der  bis  dahin  jeden  2.  Tag  untersucht  worden  war,  zeigte  nie- 
mals pathologische  Bestandteile  und  hatte  ein  spezifisches  Gewicht  von  1090  bid 


Fall  von  sog.  essentieller  Wassersucht. 


638 


3024.  Es  fiel  schon  in  den  letzten  Tagen  vor  der  Feststellung  des  Knöchelöd^s 
auf,  daß  die  Urinmenge  ziemlieh  gering  war;  doch  wird  sie  erst  von  jetzt  ab 
genau  bestimmt.  Die  beigegebene  Tabelle  gibt  die  Mengen  der  Flüssigkeits- 
aufnahme und  die  Gesamtmenge  des  innerhalb  24  Stunden  ausgeschiedenen  Harns, 
sowie  sein  spezifisches  Gewicht  bis  wenige  Tage  vor  der  Entlassung  an.  Der 
Urin  wird  natürlich  täglich  chemisch  und  mikroskopisch  genau  untersucht. 


Tab 

eile. 

'           Gesamtmenge  (ccm) 

Spezif.  Gewicht 

m 

Tag 

der  Flüssigkeits- 
Aufnahme 

des  Urins 

des  Urins 

24.  IL 

1600 

300 

1030 

25.  II. 

1700 

300 

1028 

26.  II. 

1700 

400 

1022 

27.  IL 

1600 

500 

1020 

28.  IL 

1700           1 

1000 

1018 

1.  IIL 

1900           1 

1500 

1014 

2.  III. 

1900 

2300 

1010 

3.  IIL 

1900 

3000 

1010 

4.  III. 

1900           ' 

4000 

1011 

ö.  IIL 

191  iO           1 

3600 

1010 

6.  IIL 

1900 

3200 

1011 

7.  III. 

18Ü0           1 

3000 

1010 

8.  III. 

1900 

2500 

1010 

9.  m. 

1800 

2200 

1014 

10.  IIL 

1800 

2200 

1013 

11.  III. 

1700 

1 

2000 

1014 

Das  Ödem  nimmt  am  folgenden  Tage  (25.  Februar)  weiter  zu  und  erstreckt 
sich  morgens  auf  beide  Oberschenkel ;  am  Abend  sieht  schon  die  Haut  des  ganzen 
Körpers  leicht  gedunsen  und  blaß  aus,  was  besonders  am  Gesicht  auffällt  und 
dem  Kranken  das  Aussehen  eines  schweren  Nephritikers  verleiht.  Der  Blut- 
befund ergibt  an  diesem  Tage  3H40000  rote,  5000  weiße  Blutkörperchen  und 
82  %  Hämoglobin ;  in  den  Ausstrichpräparaten  zeigt  das  Blut  normale  Beschaffen- 
heit. Seine  Trockensubstanz,  die  nach  der  von  Stintzing  (23)  und  Gum- 
precht  angegebenen  Methode  bestimmt  wurde,  beträgt  19,59 \,  sein  spezifisches 
Gewicht  \041  und  sein  Gefrierpunkt  — 0,59  o.  Die  Messung  des  Blutdruckes 
(Riva-Rocci)  ergibt  130  mm  Hg. 

Bis  ..zum  28.  Februar  —  also  während  der  nächsten  3  Tage  —  vermehrt 
sich  das  Ödem,  wodurch  trotz  verminderter  Nahrungsaufnahme  das  Körpergewicht 
auf  73.5  kg  erhöht  wird,  und  führt  besonders  zu  einer  erheblichen  Schwellung 
der  tiefer  gelegenen  Rückenteile.  Die  Haut  läßt  sich  nirgends  in  Falten  ab- 
heben und  hat  eine  teigige  Beschaffenheit,  so  daß  der  Fingereindruck  überall 
deutliche  Dellen  hinterläßt.  Das  Ödem  ist  an  den  Händen  am  schwächsten  aus- 
srebildet  und  an  den  Schleimhäuten  überhaupt  nicht  nachweisbar;  ebenso  fehlen 
Ergüsse  in  die  Pleura-  und  Peritonealhöhle.  Der  Leib  ist  etwas  meteoristisch 
aufgetrieben;  sonst  ergeben  die  inneren  Organe  abgesehen  von  einer  ganz  ge- 
ringen Anschwellung  der  Leber  durchaus  normalen  Befund. 

Während  bisher  die  Urinmengen  sehr  gering  waren,  setzt  von  nun  an  eine 
schnell  zunehmende  Diurese  (vgl.  Tabelle!)  ein,  die  am  4.  März  ihren  Höhepunkt 
mit  einer  Ausscheidung  von  4  Liter  Urin  erreicht,  um  dann  allmählich  auf  nor- 
male Mengen  herabzufallen.  Das  Allgemeinbefinden  ist  während  dieser  Zeit  gut, 
ja  besser,  als  zu  Beginn  der  Krankheit. 

Infolge  der  starken  Flüssigkeitsausscheidung  sinkt  das  Körpergewicht  be- 
deutend herab  und  zwar  in  den  nächsten  4  Tagen  (bis  zum  4.  März)  um  4,5  kg 
und  in  den  folgenden  3  sogar  um  weitere  6,4  kg;  es  beträgt  daher  am  7.  März 


634  XXXIII.    2.  Wiehern. 

nur  noch  62,6  kg.  Gleichzeitig  nehmen  die  Ödeme  jeden  Tag*  beträchtlich  ab. 
Zuerst  gebt  die  Schwellung  an  den  Extremitäten  und  den  vorderen  Teilen  de;« 
Rumpfes  znrilck^  dann  verliert  auch  das  Gesieht  sein  gedunsenes  Aussehen,  und 
zuletzt  versehwindet  das  dem  an  den  abhängigen  Teilen  das  Rückens,  so  dafi 
am  7.  März  auch  hier  der  Fingereindruck  nicht  mehr  sichtbar  bleibt  Am  5.  März 
beträgt  die  Trockensubstanz  des  Blutes  19,76%,  während  das  speziflsehe  Gericht 
wieder  1047  ist. 

In  den  folgenden  Tagen  geht  das  Körpergewicht  noch  bis  auf  59  kg  zurück. 
Neue  deme  oder  andere  pathologische  Erscheinungen  treten  nicht  auf;  der 
Kranke,  der  sich  dauernd  sehr  wonl  fühlt,  erhält  e^as  frischere  Gesichtsfarbe, 
ermüdet  aber  beim  Aufstehen  und  Spazierengehen  noch  leicht.  Am  15.  März 
wird  er  deshalb  noch  schonung;8bedürftig,  aber  sonst  geheilt  entlassen. 

Während  des  ganzen  Verlaufes  der  Krankheit  konnten  im  Urin  trotz  An- 
wendung mehrerer  Proben  niemals  Spuren  von  Eiweiß,  femer  mikroskopiseh  keine 
Zylinder  und  überhaupt  niemals  irgendwelche  pathologische  Best-andt^ile  nach- 
gewiesen werden.  Der  Gefrierpunkt  des  Blutes  wurde  am  Tage  vor  der  Ent- 
lassung bei  —0,57**  gefunden. 

Die  Körperwärme  hielt  sich  dauernd  zwischen  36  und  37®,  die  Pulsfrequenz 
stieg  kaum  jemals  über  90  Schläge  in  der  Minute,  und  nur  die  Atmung  war  auf 
dem  Höhepunkt  der  Krankheit  (27.  Februar  bis  3.  März)  etwas  beschleunigt,  .««o 
daü  sie  etwa  25—30  Atemzüge  in  der  Minute  betrug. 

In  der  Beobachtnngszeit  traten,  wie  von  angenärztlicher  Seite  festgestellt 
wurde,  am  Rande  der  Papille  beider  Augen  rechts  eine,  links  zwei  kleine,  zarte. 
flammenartige  Blutungen  auf,  die  ihrer  Lage  nach  als  durch  Ödem  entstanden 
aufgefaiit  werden  können,  zumal  am  übrigen  Körper  keine  Geföß Veränderungen 
vorhanden  waren. 

Wenn  auch  nach  diesem  Krankheitsberichte  die  Diagnose  einer  sog.  essen- 
tiellen Wassersucht  kaum  mehr  zweifelhaft  sein  kann,  so  mögen  doch  die 
differentialdiagnostisch  in  Betracht  kommenden  Krankheiten  wenigstens  kurz 
erwähnt  und  ihre  Annahme  mit  einigen  Worten  widerlegt  werden.  Gegen  die 
häufigste  Ursache  allgemeiner  Ödeme,  nämlich  gegen  eine  Herz-  oder  Nieren - 
erkrankung,  sprach  der  völlig  normale  Befund  am  Herzen  und  das  dauemdf 
Fehlen  von  Eiweiß  und  anderen  pathologischen  Bestandteilen  im  Urin.  Wenn 
es  auch  im  Verlaufe  einer  chronischen,  interstitiellen  Nephritis  vorkommen  kann. 
daß  zeitweise  kein  Eiweiß  im  Urin  auftritt,  so  wurde  in  unserem  Falle  doch  der 
Gedanke  an  dieses  Leiden  durch  den  akuten  Verlauf  der  Krankheit,  das  gntf 
Allgemeinbefinden  und  das  Fehlen  irgendwelcher  Folgeerscheinungen  am  Herzen 
und  Gefäßsystem  hinfällig.  Es  mangelte  auch  jede  Begründung  dafür,  die  Wasser- 
sucht unseres  Patienten  nur  als  Begleiterscheinung  einer  anderen  Krankheit,  z.  B. 
einer  Anämie,  Trichinosis  oder  Polymyositis  acuta^  aufzufassen. 
Ferner  fehlten  die  typischen  Symptome  eines  Morbus  Basedowii,  bei  dem  ja 
zuweilen  ausgebreitete  Ödeme  beobachtet  worden  sind.  An  der  Schilddrüse  konnte, 
wie  nachträglich  hervorgehoben  werden  mag,  nichts  Abnormes  gefunden  werden, 
so  daß  abgesehen  von  anderen  Gegenständen  schon  dadurch  auch  ein  Myxödem 
auszuschließen  war.  Ebenso  wurde  die  Vermutung,  daß  es  sich  um  das  aUerdins» 
nur  sehr  selten  beschriebene,  ödematöse  Stadium  einer  Sklerodermie  huidcin 
könnte,  durch  den  schnellen  Rückgang  der  Erscheinungen  und  die  weiche  Kon- 
sistenz der  ödematöeen  Haut  widerlegt.  Viel  näher  lag  im  Beginn  der  Krankheit 
jedoch  die  Annahme  einer  Urticaria,  eines  angioneurotischen  Odem?: 
oder  eines  sog.  Oedema  fugax;  doch  vertrug  sie  sich  nicht  mit  dem  mehr- 
tägigen, fast  unveränderten  Bestehen  und  mit  der  gleichmäßigen  Ausbreitung 
des  Ödems  über  den  ganzen  Körper.  Es  blieben  also  schließlich  bei  der  Diffe- 
rentialdiagnose nur  noch  entzündliche  Hauterkrankungen  übrig.  So  war  eine 
Verwechslung  mit. .einer  Dermatitis  möglich;  auch  treten  ja  manchmal  nach 
einem  Erysipel  Ödeme  der  Haut  auf,  die  aber  wohl  schwerlich  eine  solche  Aus- 
dehnung, wie  das  Ödem  in  unserem  Falle,  erreichen.  Vor  allem  waren  jedoch 
weder  vor  Beginn,  noch  im  Verlauf  der  Krankheit  jemals  entzündliche  Erschei- 
nungen an  der  Körperoberfiäche  Avahrzunehmen ;  die  Haut  zeigte  viebndir  stets 
eine  glatte,  blasse  Beschaffenheit  und  nirgends  eine  Rötung  oder  Schmerzhaflig^ 
keit,  die  den  Gedanken  an  eine  Entzündung  aufkommen  ließ. 


Fall  von  sog.  essentieller  Wassersacht.  63Ö 

Die  „allgemeine  esBontielle  Wassersucht" ,  deren  Annahme  bei  un- 
serem Kranken  somit  wohl  berechtig^  erscheint,  ist  wegen  ihrer  großen 
Seltenheit  praktisch  von  ziemlich  geringer  Bedeutung,  zumal  sie  häufig 
ohne  therapeutische  Maßnahmen  glücklich  zu  verlaufen  scheint,  in  den 
übrigen  Fällen  aber  meist  durch  eine  Behandlung  in  ihrem  ungrünstigeren 
Ausgange  überhaupt  nicht  zu  beeinflussen  war.  Dagegen  bietet  sie  theo- 
retisch um  so  größeres  Interesse,  und  die  Frage  nach  ihrer  Ursache  und 
ihrem  Wesen,  die  eng  mit  der  Frage  nach  der  Entstehung  des  Odems 
überhaupt  zusammenhängt,  verdient  im  Anschluß  an  unsere  Beobachtung 
eine  kurze  Besprechung.  Dabei  wird  zuerst  über  die  auf  diese  Frage 
gerichteten,  klinischen  Untersuchungen  an  den  bisher  verö£Fentlichten 
Fällen,  ferner  über  die  wenigen,  vorliegenden  Sektionsergebnisse,  darauf 
über  einige  der  essentiellen  Wassersucht  anscheinend  verwandte  Krankheits- 
zustände  und  endlich  über  verschiedene  experimentelle  Studien  zu  be- 
richten sein. 

£ine  große  Schwierigkeit  für  die  genaue  klinische  Beobachtung  der 
essentiellen  Wassersucht  liegt  darin,  daß  der  Patient  sehr  häufig  die 
Krankheit  im  Beginn  gar  nicht  bemerkt  oder  sie  wenigstens  nicht  be* 
achtet,  weil  das  subjektive  Befinden  nur  selten  und  sehr  wenig  gestört 
zu  sein  pflegt.  Die  Anamnese  läßt  daher  oft  im  Zweifel  darüber,  wann 
die  ersten  Frscheinnngen  aufgetreten  sind  und  was  mit  dem  Zustande  in 
ursächlichen  Zusammenhang  gebracht  werden  kann.  Welche  Rolle  die 
Heredität  in  der  Ätiologie  spielt,  läßt  sich  nach  den  bisherigen  Beob- 
achtungen noch  nicht  beurteilen.  Es  mag  nur  erwähnt  werden,  daß 
08ler(15)  11  Fälle  in  5  Generationen  derselben  Familie  auftreten  sah. 
Als  Entstehungsursache  der  Krankheit  wird  ziemlich  regelmäßig  in  der 
Anamnese  eine  Erkältung  oder  Durchnässung  angegeben;  doch  scheint 
sie  meist  nicht  über  das  Latenmaß  der  Erkältung,  wie  Wagner (37) 
sagt,  hinauszugehen.  Immerhin  weist  aber  der  endemische  Hydrops,  der 
bei  dem  Heere  Karls  V.  in  Tunis  durch  Trinken  kalten  Wassers  nach 
langem  Dursten  auftrat  (Eulenburg  (5),)  wohl  auf  eine  solche  Ätiologie 
hin,  und  sie  scheint  auch  durch  neuere  Beobachtungen  französischer 
Militärärzte,  die  in  Algier  nach  kalten  Biwaknächten  Hydrops  entstehen 
und  durch  Anwendung  von  Wärme  bald  wieder  verschwinden  sahen 
(Talma  (25)),  bestätigt  zu  werden.  Tschirkoff  (26)  hält  diese  Ur- 
sache jedoch  für  zweifelhaft  und  glaubt  die  meisten  Fälle  essentieller 
Wassersucht  auf  Syphilis  zurückführen  zu  können;  dafür  sprechen 
allerdings  neben  der  Anamnese  und  dem  Befunde  bei  einigen  seiner 
Kranken  die  von  ihm  berichteten,  mehrfachen  Heilerfolge  durch  eine 
i^necksilberkur  und  Joddarreichung.  —  Die  beiden  angeführten  Ursachen, 
Erkältung  und  Lues,  kommen  bei  unserem  Patienten  wohl  nicht  in  Be- 
tracht; doch  ist  seine  Angabe,  daß  er  kurz  vor  dem  Eintritt  der  ersten 
Beschwerden  sich  etwa  14  Tage  hindurch  einem  sehr  reichlichen  Bier* 
genuß  bei  gleichzeitiger,  geringer  Nahrungsaufnahme  ergeben  hat,  in 
ätiologischer  Beziehung  sicher  beachtenswert.  Wenn  auch  zwischen  jenen 
^Exzessen  und  dem  ersten  Nachweis  von  Ödemen  in  der  Klinik  ein  fast 
3  wöchentlicher  Zwischenraum  Hegt,  so  ist  es  doch  möglich,  daß  schon 
früher  eine  vorübergehende,  hydropische  Schwellung  der  Füsse  aufge- 
treten war,  wie  sie  der  Kranke  ja  auch  bemerkt  zu  haben  glaubt. 


636  XXXni.    2.  Wiehern. 

Selbst  wenn  nun  ein  Patient,  wie  es  in  unserem  Falle  vielleicht  ge- 
schehen ist,  seinen  Krankheitsssustand  von  An&ng  an  beachtet  und  früh- 
zeitig den  Arzt  aufsnchti  so  ist  es  doch  für  diesen  schwierig,  den  Befund 
sofort  richtig  zu  deuten  und  sich  dadurch  der  Seltenheit  des  Falles  be- 
wußt zu  werden.  Deshalb  ist  es  auch  erklärlich,  daß  es  bisher  kaum 
eingehende  klinische  Üntemichungen  an  Fällen  von  essentieller  Wasser- 
sucht gibt,  zumal  da  nicht  einmal  immer  die  Möglichkeit  dazu  vorhanden 
gewesen  sein  wird. 

Es  erscheint  vor  allem  wünschenswert,  genauen  Aufschluß  über  die 
Flüssigkeitszufuhr  und  die  Harnausscheidung  neben  gleichzeitiger  Kontrolle 
des  Körpergewichts  zu  erhalten.  Während  darüber  bei  den  bisherigen 
Beobachtungen  gewöhnlich  nähere  Angaben  fehlen,  konnten  wir  bei  un- 
serem Kranken,  solange  die  Ödeme  noch  zunahmen,  trotz  reichlicher 
Flüssigkeitsaufnahme  nur  sehr  geringe  Hammengen  feststellen.  Dagegen 
setzte  mit  der  Abnahme  der  Ödeme  gleichzeitig  eine  ansteigende,  reich- 
liche Diurese  ein.  Bei  den  Fällen  von  längerer  Dauer  scheint  die  Urin- 
ausBcheidung  ebenfalls  während  des  ganzen  Verlaufes  gering  gewesen  zu 
sein,  was  für  die  alleinige  Abhängigkeit  des  Hydrops  von  der  Nieren- 
funktion sprechen  könnte.  Denn  bei  einem  Fortbestehen  der  Ödeme  trotz 
reichlicher  Dinrese  würde  die  Annahme  einer  Niereninsufficienz  bei  der 
essentiellen  Wassersucht  natürlich  sehr  zweifelhaft  werden. 

Bemerkenswert  ist  es  daher  auch,  daß  bei  unserem  ICranken  der 
Gefrierpunkt  des  Blutes  während  der  Zunahme  der  Ödeme  — 0,59^, 
später  aber  nach  Ablauf  der  Erscheinungen  — 0,57^  betrug.  Nach  den 
Angaben  C  a  s  p  e  r's  (2)  und  K  i  c  h  t  e  r's  ist  es  dadurch  sehr  wahrscheinlich 
geworden,  daß  anfangs  die  Leistungsfähigkeit  der  Nieren  stark  herab- 
gesetzt war,  später  aber  wieder  normal  wurde ;  doch  ist  ja  der  Wert  der 
Blutkryoskopie  in  neuester  Zeit  von  Rovsing (20)  sehr  in  Zweifel  ge- 
zogen und  diese  Methode  zur  Prüfung  der  Nierentätigkeit  sogar  als 
eine  der  unsichersten  bezeichnet  worden.  Wir  müssen  uns  daher  mit 
der  Feststellung  begnügen,  daß  die  molekulare  Konzentration  des  Blutes 
bei  unserem  Kranken  während  des  Bestehens  der  Ödeme  höher  war.  als 
nach  ihrem  Verschwinden,  und  glauben  einstweilen  aus  dieser  Tatsache 
noch  keinen  sicheren  Schluß  auf  die  Funktion  der  Nieren  ziehen  zu 
können. 

Während  nun  über  den  Gefrierpunkt  des  Blutes  bei  der  essentiellen 
Wassersucht  bisher  keine  Mitteilungen  zum  Vergleiche  mit  unserem 
Befunde  vorliegen,  wurde  das  Blut  der  Kranken  auch  von  anderen  schon 
auf  die  Zahl  und  Beschaffenheit  der  Blutkörperchen  und  auf  den  Hämo- 
globingehalt  untersucht.  Die  von  Tschirkoff  (26)  in  zwei  Fällen  er- 
hobenen Blutbefunde  sind  allerdings  kaum  verwertbar,  weil  er  über  die 
auffallige  Vermehrung  der  Leukocyten  und  den  beträchtlichen  Unterschied 
zwischen  der  Zahl  der  roten  Blutkörperchen  und  dem  Hämoglobingehalt 
bei  ihnen  mit  Stillschweigen  hinweggeht.  Wagner (27)  sah  aber  b^ 
einem  14  monatlichen  Knaben  mit  essentieller  Wassersucht  im  Blute  ein- 
zelne MikrO'  und  Poikilocyten  und  gibt  bei  einem  anderen  Falle,  der 
ein  chlorotisches  Mädchen  betraf,  den  gleichen  Befund,  sowie  einen  stark 
verminderten  Hämoglobingehalt  (bis  10^/^)  neben  einer  Vermehrung  der 
weißen  Blutkörperchen  an.     Eine  Hyperleukocytose  fand  auch  Stäche- 


Fall  von  sog.  essentieller  Wassersucht.  637 

liii(22)  bei  seinem  Falle,  indem  er  einmal  10000,  das  zweite  Mal  12000 
Leukocyten  zählte;  im  Gegensatz  dazu  war  die  Menge  der  roten  Blut- 
körperchen und  der  Hämoglobingehalt  etwa  auf  die  Hälfte  der  Norm 
herabgesetzt.  Diese  Erscheinung  war  bei  unserem  Falle  viel  geringer 
ausgesprochen,  doch  zeigte  sich  auch  hier  die  Zahl  der  Erythrocyten  und 
•der  Gehalt  an  Hämoglobin  vermindert,  die  Menge  der  Leukocyten  aber 
nicht,  wie  in  den  anderen  Fällen,  vermehrt.  Stae hei  in  (22)  bestimmte 
.auch  noch  die  Trockensubstanz  des  Blutes  und  fand  18,47  ^/^  bei  einem 
spezifischen  Gewicht  von  1045 ;  unsere  Werte  waren  etwas  höher  und  be- 
trugen für  die  Trockensubstanz  anfangs  19,59^/0,  später  19,76%  für 
•das  spezif.  Gewicht  bei  beiden  Untersuchungen  1047.  Immerhin  bedeuten 
auch  diese  Zahlen  eine  Herabsetzung  gegenüber  dem  normalen  Blute, 
bei  dem  die  Trockensubstanz  auf  21,0 — 22,5%  (Biernacki(l)],  das 
spe^f.  Gewicht  auf  1055 — 1060  (Grawitz  (7))  angegeben  wird.  Es  darf 
daraus  wohl  für  beide  Fälle  der  nicht  unwichtige  SchluB  gezogen  werden, 
•daß  eine  Hydrämie  vorhanden  war. 

Über  die  Beschaffenheit  der  hydropischen  Flüssigkeit  selbst 
ist  bei  der  essentiellen  Wassersucht  noch  wenig  bekannt.  Mazzotti 
hatte  nach  Parschau's  (16)  Angabe  Gelegenheit,  bei  einem  Falle  die 
Flüssigkeit  der  Bauchhöhle,  des  Pleuraraums  und  des  Unterhautzell- 
gewebes  zu  untersuchen.  Die  Ascitesflüssigkeit  war  bald  durchsichtig, 
bald  undurchsichtig,  aber  immer  zitronengelb  und  überzog  sich  beim 
-Stehenlassen  mit  einer  weißen,  später  gelblichen  Membran.  Das  spezif. 
Gewicht  betrug  1010,  der  Eiweißgehalt  1,28  ^/f^,  und  die  mikroskopische 
Untersuchung  fiel  negativ  aus.  Die  aus  der  Pleurahöhle  und  dem  TJnter- 
hautzellgewebe  stammende  Flüssigkeit  zeigte  etwas  hellere,  aber  auch 
zitronengelbe  Farbe  und  meist  durchsichtige,  klare  Beschaffenheit;  in  ihr 
fanden  sich  große,  vieleckige  Zellen  mit  wenig  granuliertem  Protoplasma, 
die  für  endotheliale  Zellen  gehalten  werden  konnten.  Nach  diesen  An- 
gaben handelte  es  sich  also  wohl  um  Transsudate  und  nicht  um  Exsu- 
date. Im  Gegensatz  dazu  läßt  die  von  Talma  (25)  erwähnte  üoter- 
sachung  der  Bauchflüssigkeit  eines  an  „Hydrops  inflammatorius  generalis 
chronicus^'  leidenden  9  jährigen  Knaben  eher  an  einen  entzündlichen  Ur- 
sprung des  Ascites  denken.  Die  Flüssigkeit  wurde  nämlich  von  Ham- 
burger (8)  stark  lymphtreibend  gefunden  und  enthielt  das  von  ihm 
sogenannte  „Bacterium  lymphagogon**.  Auf  die  Bedeutung  dieses  eigen- 
artigen Befundes  werden  wir  noch  kurz  zurückkommen. 

Von  therapeutischen  Maßregeln  muß  uns  vor  allem  die  Art  der 
Wirksamkeit  diuretischer  Mittel  interessieren,  die  ja  gerade  in 
neuerer  Zeit  bei  der  Ni'phritis  eingehender  studiert  worden  ist.  In  den 
schnell  verlaufenden  Fällen  essentieller  Wassersucht,  wozu  auch  der  un- 
sere gehört,  war  meist  keine  Gelegenheit  dazu  vorhanden,  Diuretica  anzu- 
wenden, weil  auch  ohne  sie  die  Ödeme  sehr  bald  abnahmen.  In  den 
chronischen  Fällen  aber  ist  der  Versuch,  die  hydropischen  Erscheinungen 
medikamentös  zu  beeinflussen,  wiederholt  gemacht  worden.  AVagner  (27) 
.glaubt  bei  einem  Erwachsenen  den  Rückgang  der  Ödeme  durch  Verab- 
reichung von  Digitalis  und  Kali  aceticum  gesehen  zu  haben,  wobei  aber 
vielleicht  auch  ein  zutälliges  Zunammentreffen  vorgelegen  haben  mag.  Denn 
im  Staehelin 'sehen  (22)  Falle   waren   verschiedene    Diuretika  und   an- 

Deutsches  Archiv  f.  kliii.  Medizin.    89.  Bd.  41 


638  XXXIII.    2.  Wiehern. 

dere  Kittel  ganz  erfolglos,  und  nur  durch  Schwitsprozednren  und  gleich- 
zeitige Injektion  von  Pilokarpin  wurde  eine  mäßige  Abnahme  des  Hydrop» 
erzielt.  Ahnliche  Mißerfolge  einer  medikamentösen  Behandlung  sind  auch 
von  anderen  berichtet  worden,  während  die  günstige  Wirkung  der 
Quecksilberkur  und  Verabfolgung  von  Jod  in  den  Tschirkoff 'schen(26> 
Fällen  schon  hervorgehoben  wurde. 

Leider  sind  also  die  Ergebnisse  der  klinischen  Untersuchung  und 
Therapie  noch  recht  mangelhaft;  dennoch  muß  auf  sie  um  so  größerer 
Wert  gelegt  werden,  weil  die  pathologisch  anatomische  Unter- 
suchung der  tödlich  verlaufenen  Fälle  unsere  Kenntnis  über  das  Wesen 
der  Krankheit  kaum  gefordert  bat.  In  zwei  von  Wagner  (27)  beschrie- 
benen Fällen,  die  beide  Kinder  betrafen,  wurde  nämlich  bei  der  Sektion 
gar  keine  Ursache  für  die  Entstehung  der  Ödeme  gefanden.  Die  Nieren 
waren  völlig  normal;  nur  bei  mikroskopischer  Betrachtung  wiesen  sie  in, 
einem  Falle  einzelne  hyaline  Zylinder  in  den  Sammelröhren  auf.  Bei 
demselben  Kinde  wurde  noch  eine  offenbar  durch  die  zuletzt  aufgetretene 
Herzschwäche  entstandene  Thrombose  der  kleineren  Hautvenen  und  eine 
eigenartige,  aber  nicht  sehr  ausgebreitete,  entzündliche  Veränderung  des 
Unterbantfettgewebes  nachgewiesen.  In  einem  dritten  Falle  ergab  die 
Obduktion  eine  Degeneration  des  Herzmuskels,  und  es  erscheint  daher 
fraglich,  ob  dieser  Fall  auch  als  essentielle  Wassersucht  gedeutet  werden 
darf.  Außer  diesen  Beobachtungen  liegt  nur  noch  eine  Mitteilung  Stae- 
helin's(22)  über  einen  Sektionsbefand  vor;  bei  einer  51jährigen  Frau 
fand  er  neben  einem  starken  Odem  der  Haut,  des  subkutanen  Binde- 
gewebes, der  Hirnhäute  und  des  Kehlkopfs  nur  eine  leichte  bräunliche 
Verfärbung  des  Herzmuskels,  die  aber  die  Entstehung  des  Hydrops  nicht 
erklären  konnte.  Als  Nebenbefund  wurden  noch  einzelne  broncbopneu- 
monische  Herde  in  den  Lungen,  einige  hämorrhagische  Erosionen  des 
Magens  und  follikuläre  Dünndarmgeschwüre,  sowie  eine  geringe  cystische 
und  hyperplastische  Struma  nachgewiesen.  Die  Nieren  zeigten,  abgesehen 
von  einer  leichten  Schwellung  des  Epithels  in  den  Tubuli  conto rti,  keine 
Veränderung.  Somit  deckte  auch  bei  diesem  Falle  der  Sektionsbefand 
die  Ursache  der  Ödeme  nicht  auf. 

Es  liegt  daher  wegen  der  unbefriedigenden  Ergebnisse  der  patho- 
logisch-anatomischen Untersuchung  nahe,  durch  Vergleich  mit  anderen,, 
der  essentiellen  Wassersucht  klinisch  ähnlichen  Zuständen,  nach  einer 
Erklärung  der  Ödeme  zu  suchen.  Dazu  können  hier  einige  der  bei  der 
Differeiitialdiagnose  schon  genannten  Krankheiten  aufgeführt  werden :  unter 
ihnen  kommt  aber  die  Grappe  der  sog.  akuten  angioneurotischen  Ödeme 
am  meisten  in  Betracht.  Bei  diesen  handelt  es  sich  ja  um  plötzlich  ent- 
stehende,  umschriebene  Ödeme  der  Haut  oder  auch  gewisser  Schleimhäute, 
die  zuweilen  unter  heftigen  Allgemeinerscheinungen,  meist  aber  ohne 
erhebliche  Beschwerden  einsetzen  und  nach  wenigen  Stunden  wieder  zu 
verschwinden  pflegen ;  sie  scheinen  außerdem  mit  Vorliebe  dasselbe  Indi- 
viduum Öfter  zu  befallen  und  treten  dabei  gewöhnlich  an  der  gleichen 
Körperstelle  auf.  Wenn  nun  offenbar  auch  für  die  essentielle  Wasser^ 
sucht  ein  zweimaliges  Rezidiv  bei  einem  Kinde  von  Wagner  (27)  be~ 
obachtet  worden  ist,  so  muß  man  doch  gegenüber  jenen  Zuständen  hervor- 
heben,   daß   die    sog.  essentielle  Wassersucht  sich  auf  die  ganze  Korpei^ 


Fall  von  sog.  essentieller  Wassersucht.  639 

Oberfläche  erstreckt  nnd  im  Gegensatz  zu  jenen  außer  einem  allmählichen 
Beginn   einen   viel   längeren   und   zwar   mindestens   mehrtägigen   Verlauf 
nimmt.     Es   fehlt  ihr   also  gerade  das  für  jene  Ödeme  charakteristische, 
plötzliche  Auftreten  und  Verschwinden,  die  Beschränkung  auf  umschriebene 
Hautbezirke  und  der  springende  Charakter;  daher  erscheint  es  doch  sehr 
fraglich,  ob  für  beide  Erkrankungen  die  gleiche  oder  auch  nur  eine  ähn- 
liche Ursache   anzunehmen   ist.     Ebenso    gewagt   wäre    es  ja,   die  durch 
GeflLßverschluß    oder    im  Bereich    eines  gelähmten    Nerven  entstandenen 
Ödeme   ohne   weiteres   zum   Vergleich   mit  der   essentiellen   Wassersucht 
heranzuziehen.   Dagegen  mag  es  wohl  gerechtfertigt  erscheinen,  an  dieser 
Stelle  kurz  auf  ein  anderes  eigenartiges  Leiden  hinzuweisen,    das  im  all- 
gemeinen als    „essentieller  Höhlenhydrops^'  bezeichnet   zu   werden  pflegt. 
Bekanntlich    sind   mehrere  Falle   beschrieben,    bei  denen  sich  meist  ohne 
nennenswerte    Beschwerden   allmählich    ein  seröser  Erguß   in   der  Bauch- 
höhle ansammelte,  für  den  weder  eine  Stauung  im  Pfortadergebiete,  noch 
eine  Erkrankung  des  Peritoneum  als  Ursache  angeschuldigt  werden  konnte. 
Einige  dieser  Fälle  (Quincke (18),  Küßner(lO)),  standen,    soweit  sie 
weibliche  Personen  betrafen,  zweifellos  in  Beziehung  zu  gewissen  sexuellen 
Vorgängen    (Menstruation,   Klimakterium),    andere    aber   scheinen   durch 
plötzliche  Abkühlung  des  überhitzten  Körpers  verursacht  zu  sein,  so  daß 
auf  sie  sogar  die  Bezeichnung  „rheumatische  Peritonitis^  angewandt  wird 
(!Rehn(19).     Diese  Entstehung  erinnert  an  einzelne  Beobachtungen  von 
essentieller    Wassersucht,    bei    denen,    wie    erwähnt,    ebenfalls   eine    Er- 
kältung  als  Ursache    angeschuldigt   wurde,    und   zwar   ist   der  Vergleich 
um   so   berechtigter,    als  diese  Krankheit  zuweilen  auch  mit  Ergüssen  in 
die  serösen  Körperhöhlen  verbunden  ist.    Wenn  wir  daher  auch  vielleicht 
in  dem  essentiellen  Höblenhydrops  einen  dem  allgemeinen,  idiopathischen 
Ödem  verwandten  Zustand  erblicken  dürfen,  so  steht  dem  letztgenannten 
Leiden  doch  wohl  noch  eine  andere  Erkrankung,  nämlich    die    „einfache 
Scharlach  Wassersucht"  (Quincke  17)  näher;  die  Ähnlichkeit  dieser  beiden 
Krankheiten    ist   ja    unverkennbar,    und   sie    dürfen    vielleicht   als    ganz 
gleichartige  Zustände    betrachtet  werden,    obgleich  in  der  Anamnese  der 
bisher  beobachteten  Fälle  von  essentieller  Wassersucht  eine  kurz  vorher- 
gegangene, akute  Infektionskrankheit  gerade  fehlt.    Es  soll  übrigens  nicht 
unterlassen  werden,  an  eine  Beobachtung  Litte ns  (11)  zu  erinnern,  bei 
der   im  Anschluß    an  Scharlach    ein   allgemeiner  Hydrops    ohne    klinisch 
nachweisbare  Erscheinungen  von  Nephritis  auftrat,  die  Sektion  aber  eine 
schwere,  hämorrhagische  Entzündung    der  Niere  aufdeckte.     Denn  damit 
ist   sicherlich   nicht   nur   für   die  nach  Scharlach  entstehenden  Fälle  von 
Hydrops,  sondern  auch  gerade  für  die  essentielle  Wassersucht  beim  Aus- 
schluß einer  Nierenerkrankung  wegen  Fehlens  des  dabei  sonst  beobachteten, 
pathologischen  Harnbefundes  große  Vorsicht  geboten. 

Wie  die  vergleichende  Betrachtung  mit  den  genannten  Krankheits- 
bildern hauptsächlich  neue  Gesichtspunkte  über  die  Genese  und  das  Wesen 
der  essentiellen  Wassersucht  bringen  soll,  so  dient  ein  kurzer  Hinweis 
auf  einige  grundlegende  experimentelle  Ergebnisse  über  die  Ent- 
stehung des  Ödems  dem  gleichen  Zweck.  Cohnheim  (3)  und  Licht- 
heim haben  nämlich  im  Gegensatz  zu  früheren  Anschauungen  bewiesen, 
daß  eine  Hydi'ämie  an  und  für  sich  noch  nicht  zu  (jdemen  führen  muß, 

41* 


€40  XXXm.     2.   Wiehern. 

und  Cohnheim  (4)  nahm  daher  noch  eine  gesteigerte  DurchläsBigk^t 
<der  Kapillaren  als  erforderlich  an.  Magnus  (12)  konnte  nnn  bei  Tieren, 
bei  denen  er  durch  Infusion  von  Kochsalzlösung  eine  hydrämische  Plethora 
erzengte,  nachweisen,  daß  eine  Beihe  von  Giften  (Arsen,  Chloroform, 
-Chloralbydrat,  Äther)  offenbar  die  zur  Entstehung  des  Ödems  notwendige 
Schädigung  der  Kapillareudothelien  bewirkten.  Damit  stehen  übrigens 
49pätere  Versuche  Gärtner 's  (6),  der  durch  sehr  langsame  Infusion  von 
Kochsalzlösung  Ödeme  hervorrief,  nicht  in  Widerspruch,  denn  Cohnheim 
hatte  schon  betont,  daß  eine  lange  Dauer  der  Hydrämie  an  sich  (xefaß- 
wandschädigung  hervorrufen  kann.  In  Übereinstimmung  mit  jenen  Yer- 
Suchsergebnissen  nimmt  bekanntlich  Senator  bei  der  Nephritis  toxische 
Substanzen  im  Blute  an,  die  zuerst  die  Glomeruli  der  Nieren,  dann  aber 
unabhängig  davon  die  Kapillarwandungen  schädigen.  Magnus  glaubt 
Jedoch  nicht,  daß  mit  Hydrämie  und  (^fäßwandschädignng  alle  Ursachen 
der  nephritischen  Ödeme  erschöpft  sein  müssen,  sondern  daß  vielleicht 
auch  die  Abnahme  der  Gewebsspannung  das  Auftreten  von  Anaaarca 
begünstigen  kann.  So  wäre  es  ja  denkbar,  daß  sich  in  den  Geweben 
Stoffe  ansammeln,  die  eine  Abnahme  der  Elastizität  durch  Erzeugung 
«ines  hohen  osmotischen  Drucks  und  Wasserretention  bedingen.  Gerade 
die  neuere  experimentelle  Forschung  am  Krankenbett  hat  die  Aufmerk- 
samkeit auf  diese  Möglichkeit  gelenkt.  So  sieht  Strauß  (24)  auf  Grund 
seiner  Stoffwechsel  versuche  die  Kochsalzretention  als  Ursache  der  nephri- 
tischen Ödeme  an ;  jedenfalls  zeigen  aber  auch  die  Untersuchungen  anderer 
{v.  Koziczkowsky(9),  Mohr  (14)  usw.),  daß  bei  Nierenerkranknngen 
die  verschiedenen  Urinbestandteile  einzeln  im  Körper  zurückgehalten 
werden  können  und  ihre  Ausscheidung  also  voneinander  viel  unabhängiger 
ist,  als  man  bisher  angenommen  hat. 

Forschen  wir  nun  auf  Grund  dieser  experimentellen  Arbeiten,  sowie 
unserer  klinischen  und  pathologisch-anatomischen  Erfahrungen  nach  der 
Ursache  und  dem'Wesen  der  essentiellen  Wassersucht, 
so  werden  wir  den  primären  Sitz  der  Ursache  in  drei  verschiedenen 
Organen  suchen  können,  nämlich  im  Blut,  im  Zentralnervensystem  oder  in 
der  Niere. 

Da  in  zwei  Fällen  dieser  Erkrankung  eine  Hydrämie  nachgewi^en 
wurde,  liegt  es  nahe,  den  Ursprung  des  Leidens  in  einer  Veränderung 
des  Blutes  zu  vermuten.  Wenn  nun  Gärtner  (6)  auch,  wie  schon 
erwähnt  wurde,  bei  Tieren  durch  längeres  Bestehen  einer  Hydrämie  tat- 
sächlich subkutane  Ödeme  hervorgerufen  hat,  so  ist  doch  zu  beachten, 
daß  es  sich  bei  diesen  Versuchen  stets  um  eine  hydrämische  Plethora 
handelte.  Ein  solcher  Zustand  ist  aber  bei  jenen  an  essentieller  Wasser- 
sucht Erkrankten  nicht  festgestellt  worden,  sondern  nur  eine  einlache 
Hydrämie.  Gegen  die  Auffassung,  daß  diese  aliein  die  Krankheitsor- 
sache  war,  sprach  sogar  in  unserem  Falle  sicher  das  Fortbesteben  der 
Hydrämie  (mit  einer  Trockensubstanz  des  Blutes  von  19,76®/^)  tiotz  des 
Verschwindens  der  Ödeme.  Auf  Grund  der  von  Magnus  (12)  ange- 
stellten Experimente  hätten  wir  daher  noch  das  Vorhandensein  gewisser, 
im  Blute  kreisender  GiftstofiFe  anzunehmen,  und  Hamburger's  (8)  Xaeb- 
weis  einer  lymphtrei^endeo  Substanz  in  der  Bauchflüssigkeit  jenes  Koabeu 
wird    diese     Vermutung    bestärken.       Sein    interessanter    Befund    einea 


Fall  von  sog.  essentieller  Wasseraucht.  641 

„Bacterinm  lymphagogon**  legt  gleichzeitig  den  Gedanken  nahe,  daß  e» 
sich  bei  der  uns  hier  beschäftigenden  Krankheit  vielleicht  nm  eine  durch» 
solche  Mikroorganismen  bedingte  Infektion  handeln  könne,  wofür  ja  das 
früher  beobachtete,  endemische  Auftreten  der  Erkrankung  ein  weiterer 
Beleg  wäre.  Darüber  wird  uns  voraussichtlich  eine  sorgfältige,  bakte- 
riologische Untersuchung  des  Blutes  und  der  hydropischen  Flüssigkeit  in 
künftigen  Fällen  Gewißheit  verschaffen  können. 

Von  Tschirkoff  (26)  ist  die  Vermutung  ausgesprochen  worden,, 
daß  der  essentiellen  Wassersucht  eine  luetische  Erkrankung  des  Ge- 
fäßzentrums im  Kopfmark  zugrunde  läge.  Die  Annahme  einer  AfTektion 
dieses  Gefäßzentrums,  die  wohl  nicht  immer  syphilitisch  sein  muß,  ent- 
spricht ja  bei  der  allgemeinen  Ausbreitung  des  Hydrops  über  den  ganzem 
Körper  jener  anderen  Auffassung,  daß  es  sich  bei  den  angioneurotischen 
Ödemen  um  eine  örtliche  Alteration  von  Gefaßnerven  handelt.  Gerade 
mit  Rücksicht  auf  die  im  Gebiete  eines  gelähmten  Nerven  vorkommenden 
Ödeme  gewinnt  -eine  solche  Hypothese  an  Wahrscheinlichkeit.  Wissen 
wir  doch  auch,  daß  Verletzungen  des  Kleinhirns,  der  Brücke  und  dea 
verlängerten  Markes  oder  Krankheitsvorgänge  in  ihren  klinisch  gleichsam 
das  Gegenteil  der  essentiellen  Wassersucht,  nämlich  einen  Diabetes  insi- 
pidus,  der  nach  E.  Meyer's(13)  Untersuchungen  als  primäre  Polyurie 
zu  betrachten  ist,  erzeugen  können.  Ob  allerdings  eine  solche  Gegen- 
überstellung der  beiden  Krankheiten  überhaupt  gerechtfertigt  ist,  entzieht 
sich  vorläufig  unserer  Beurteilung. 

Dazu  wird  vorerst  noch  die  Frage  zu  beantworten  sein,  ob  bei  der 
essentiellen  Wassersucht  nicht  etwa  eine  primär  durch  die  Nieren  be- 
dingte Wasserretention  vorliegt.  Im  Hinblick  auf  die  Litten 'sehe  (ll) 
Beobachtung  einer  einfachen  Scharlach  Wassersucht  trotz  schwerer  Nieren- 
erkrankung ist  es  zunächst  sehr  wertvoU,  daß  in  3  Fällen  von  essentieller 
Wassersucht  das  Fehlen  anatomischer  Nierenveränderungpn  durch  die 
Sektion  sichergestellt  ist.  Damit  ist  aber  natürlich  noch  nicht  ausge- 
schlossen, daß  die  Funktion  der  Niere  gestört  war,  und,  nm  darüber 
Klarheit  zu  erlangen,  sind  vor  allem  genaue  Tabellen  über  die  Flüssig- 
keitszufuhr und  die  täglichen  Urinmengen  notwendig,  damit  die  Ab- 
hängigkeit der  Ödeme  von  der  Harnausscheidung  festgestellt  wird.  Femer 
werden  in  dieser  Richtung  die  zar  Prüfung  der  Nierentätigkeit  geeigneten 
Methoden,  wie  sie  Bovsing  (20)  in  der  Urinkryoskopie  und  in  der 
leichter  auszuführenden  Hamstoffbestimmung  erblickt,  wichtige  Aufschlüsse 
liefern  können.  Gleichzeitig  öffnet  sich  hier  aber  noch  ein  weites  Feld 
für  andere  klinische  Untersuchungen,  da  die  osmotischen  Verhältnisse 
des  Blutes  und  der  an  den  verschiedenen  Körperstellen  angesammelten,, 
hydropischen  Flüssigkeit  noch  gänzlich  unbekannt  sind.  So  erscheint  es 
auch  sehr  wünschenswert,  durch  genaue  Versuche  über  den  Salzstoff- 
wechsel bei  den  essentiellen  Wassersucht  näheres  zu  erfahren,  wie  unsere 
ÜLenntnisse  darüber  bei  der  Nephritis  durch  Strauß  (24),  v.  Kozicz- 
kowsky  (9),  Mohr  (14)  u.  a.  trotz  mancher  widersprechender  Resultate 
-wesentlich  erweitert  sind.  Endlich  wäre  dabei  noch  der  Einfluß  diure- 
tischer  Mittel  auf  das  Ausscheidungsvermögen  der  Niere  zu  studieren, 
^wozu  freilich  nur  die  chronischen  Fälle  Gelegenheit  bieten  werden.  Wegen 
der  großen  Seltenheit  der  Krankheit  würden  aber  auch  schon  gleichartige 


642  XXXIII.    2.  Wichern,  Essentielle  WasBersucht. 

Untersuchungen  bei  der  einfachen  Scharlachwassersuchti  beim  essentiellen 
Höhlenhydrops  und  allen  verwandten  Zuständen  manche  Unklarheiten 
beseitigen  und  zugleich  Aufschluß  darüber  bringen,  ob  überhaupt  ein 
prinzipieller  Unterschied  zwischen  diesen  Krankheiten  und  der  essentiellen 
Wassersucht  besteht,  was  einstweilen  wohl  noch  als  zweifelhaft  angesehen 
werden  muß. 


Literatur. 

1.  Bieruacki.  Volkmann's  Samml.  klin.  Vorträge.    Neue  Folge  Nr. 306  1901. 

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3.  Cohnheim  und  Licht  heim,   Fber  Hvdrämie  und   hydr.   Ödem.    Virch. 
Arch.  Bd.  LXIX  1877. 

4.  Cohnheim,  Vorles   über  allgem.  Path.  U.  Aufl.  1882. 

6.   Eulenburg,  Real-Encvklopädie  der  ges.  Heilk.    Bd.  XI  p.  130  1896. 

6.  (rärtner,   Über  die  Beziehungen   von  Nierenerkrankun^n  und   Ödemen. 
Wiener  med.  Presse  1883  p.  671  n.  702. 

7.  Grawitz,  Klinische  Pathologie  des  Blutes.    Berlin  1896. 

8.  Hamburger,  Osmotischer  Druck  und  lonenlehre.    Wiesbaden  1904  p.  69. 

9.  T.  Koziczkowsky,  Zeitschr.  f.  kün.  Med.  Bd.  51  p.  287. 

10.  Küßner,  Berliner  klin.  Wochenschr.  1889  p.  341. 

11.  Litten,  Beiträge  zur  Lehre  von  der  Scarlatina.    Charite-Annalen  Bd.  VII 
p.  109. 

12.  Magnus,  Die  Entstehung  der  Hautödeme  bei  experiment.  hydräm.  Plethora. 
Arch.  f.  exp.  Path.  u.  Pharmak.  Bd.  42  p.  250. 

13.  E.  Meyer,  Über  Diabetes  insipidus  und  andere  Polyurien.    D.  Arch.  f.  kl. 
Med.  Bd.  83  p.  1. 

14.  Mohr,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  Bd.  51  p.  338. 

15.  Osler,  cit.  bei  Parschau.   • 

16.  Par  sc  hau,. Über  Hydrops  essentialis,  Inaug.-Diss.  Erlangen  1895. 

17.  Quincke,  Über  einfache  Scharlachwassersucht.    Berl.  klin.  Wochenschr.  1882 
p.  409. 

18.  Derselbe,  ('her  Ascites.    D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  30  p.  569. 

19.  Rehn,  Gerhardts  Handbuch  der  Kinderkrankheiten  Bd.  IV  Abt.  2  p.  255. 

20.  Rovsing,  Arch.  f.  klin.  Chirurgie  Bd.  75  p.  867. 

21.  Senator,  Erkrankung  der  Niere.    Nothnagel's  Spez.  Pathol.  u.  Therapie. 
Wien  1896. 

22.  Staehelin,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  Bd.  49  p.  461. 

23.  Stintzing  und  Gumprecht,  D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  53  p.  267. 

24.  StrauÜ,  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  Bd.  47  p.  337. 

25.  Talma,  Über  Hydrops  inflamm atorius.    Zeitschr.  f.  kl.  Med.  Bd.  27  p.  4. 

26.  Tschirkoff,  Oedemes  vasomoteurs  sans  albuminurie.    Revue  de  Medecine 
XV  p.  625. 

27.  Wagner.  Die  sog.  essentielle  Wassersucht.    D.  Arch.  f.  klin.  Med.  Bd.  41 
p.  509. 


XXXIII.    3.  Mann  u.  Schmaus,  Landry'sche  Paralyse.  643 

3. 
Aus  dem  KÖnigl.  Garnisonlazarett  München. 

Ein  Beitrag  zur  Kenntnis  der  unter  dem  Bilde  des 
Landry'schen  Symptomenkomplexes  verlaufenden 

Krankheitsfälle. 

Von 

Oberarzt  Dr.  Mann. 
Histologischer  Teil. 

Von 

weiland  Prof.  Dr.  Hans  Sehmaus. 

(Mit  Tafel  IV). 

In  den  ^Lubarsch-Ostertag'schen  Ergebnissen  der  Allgemeinen  Patho- 
logie und  pathologischen  Anatomie  des  Menschen  und  der  Tiere"  IX.  Jahr- 
gang I.  Abtig.  1904  hat  weiland  Prof.  Hans  Schmaus  die  bis  zu  diesem 
Zeitpunkte  yeröffentlichten  pathologisch -anatomischen  Untersuchungs- 
befunde bei  Krankheitsfällen,  welche  unter  dem  klinischen  Bilde  der 
^Landry'schen  Paralyse^  verliefen,  zusammengestellt  und  einer  eingehenden 
Würdigung  unterzogen. 

Aus  dem  umfassenden,  erschöpfenden  E«ferate  läßt  sich  ersehen, 
daß  entgegen  der  zuerst  von  y.  L  e  y  d  e  n  vertretenen  Anschauung,  wonach 
dem  klinischen  Krankheitsbilde  der  Landry'scben  Paralyse  anatomisch 
im  wesentlichen  eine  Polyneuritis  zugrunde  liege,  doch  auch  die  alte 
Duchenne'sche  Auffassung  der  Landry'schen  Paralyse  als  Poliomyelitis 
acuta  wieder  Anhänger  gefunden  hat,  welche  auf  Grund  ihrer  Beob- 
achtungs-  und  TJntersuchungsergebnisse  dieser  letzteren  beipflichten  (Klebs, 
T.  Reusz,  Mönckeberg,  Schmaus).^) 

Wenn  ich  den  von  mir  beobachteten  Krankheitsfall  der  Öffentlichkeit 
übergebe,  so  möchte  ich  betonen,  daß  ich  denselben,  obwohl  er  sich  ohne 
großen  Zwang  unter  die  Diagnose  Landry'sche  Paralyse  einreihen  ließe, 
von  vornherein  als  akute  ausgebreitete  Myelitis  unter  dem  klinischen 
Bilde  der  Landry'schen  Paralyse  angesehen  wissen  wollte. 

Ich  bin  mir  wohl  bewußt,  daß  die  bei  dem  Krankheitsfalle  beob- 
achtete Lähmung  des  Muse,  detrusor  der  Harnblase  in  das  von  Landry 
beschriebene  und  allgemein  als  feststehend  acceptierte  klinische  Krankheits- 
bild strenggenommen  nicht  hineinpaßt:  trotzdem  glaube  ich,  wie  aus 
nachstehendem  hervorgehen  dürfte,  berechtigt  zu  sein,  von  einem  Landry- 
«chen  Symptomen  komplexe  sprechen  zu  dürfen. 

Die  Erkrankung  betraf  einen  Einjährig-Freiwilligen  H.  W.,  welcher  während 
der  Herbstübungen  1905  zur  Dienstleistung  bei  einem  Proviantamte  in  W.  be- 
ordert war  und  dort  am  1.  September  190o  unter  allgemeinem  schweren  Krank- 


1)  Citiert  nach  Schmaus  in  Lubarsch-Ostertag^s  Ergebnissen  IX.  Jahrg. 
I.  Abteil.  1904. 


644  XXXin.    3.  Mann  o«  Schmans. 

heitsgefUhl  mit  äußerst  heftigen  Kopf-  und  Leibschmerzen  erkrankte,  was  ihn 
veraniaßte,  ärztliche  Hilfe  in  Anspruch  zu  nehmen.  Eine  Ursache  seiner  Er- 
krankung Termochte  W.  nicht  anzugeben:  dem  Genüsse  einiger  Birnen,  welche 
er  am  Abend  des  vorhergehenden  Tages  gegessen  hatte,  glaubte  er  selbst  nicht 
die  Schuld  an  seiner  Erkrankung  beimessen  zu  müssen. 

Am  2.  Tage  seiner  Erkrankung  (3.  September  1905)  wurde  W.  auf  Ver- 
anlassung seines  behandelnden  Arztes  in  das  städtische  Krankenhaus  zu  W. 
überführt. 

Dort  bot  sich  nach  Bericht  des  städtischen  Krankenhausarztes  bei  der  Auf- 
nahme folgendes  Krankheitsbild:  W.  kla^e  noch  über  leicht«  Kopfschmerzen, 
außerdem  über  Schwerbeweglirhkeit  des  linken  Beines  und  Gefühl  der  Schwere 
im  rechten  Beine.  Das  Bewußtsein  des  Kranken  war  in  keiner  Weise  getrubt. 
Der  Kopf  war  nach  allen  möglichen  Eichtnngen  frei  beweglich:  die  Wirbelsäule 
war  nirgends  druckempfindlich.  Die  Pupillen  waren  mittel  weit  und  reagierten 
prompt  >auf  Lichteiufall.  Das  linke  Bein  konnte  im  Kniegelenke  gebeugt  und 
gestreckt,  aber  als  ganzes  von  der  Unterlage  nicht  abgehoben  werden.  Der 
Patellarrefiex  war  beiderseits  aufgehoben. 

Die  Untersuchung  der  Lungen  ergab  keinen  krankhaften  Befund,  die  Herz- 
tätigkeit war  beschleunigt.     Die  Körpertemperatur  betrug  37,6  **. 

Gegen  Abend  desselben  Tages  hatte  sich  der  Zustand  des  Kranken  ent- 
schieden verschlimmei-t.  Das  linke  Bein  war  völlig  gelähmt,  das  rechte  schwer 
beweglich:  auch  beide  Arme  waren  „kraftlos""  geworden  und  konnten  in  den 
Schnltergelenken  nur  mit  Mühe  bewegt  werden.  Da  der  Harn  nicht  spontan 
gelassen  werden  konnte,  mußte  derselbe  mittels  Katheter  entleert  werden.  Der 
Harn  war  eiweißfrei.     Abendtemperatur  37,8 •. 

Am  4.  September  1905  konnte  sich  der  Kranke  ohne  fremde  Hilfe  im  Bette 
weder  aufsetzen  noch  umdrehen.  Die  Harnblase  muüte  wieder  mittels  Katheter 
entleert  werden.  Beide  Beine  waren  nunmehr  völlig  gelähmt,  beide  Arme  nament' 
lieh  der  rechte  im  Schultergelenk  noch  schwerer  beweglich  als  am  Abend  vorher. 

Mit  "der  Wahrscheinlichkeitsdiagnose  Myelitis  cervic»lis  wurde  der  Kranke 
sodann  ins  hiesige  Gamisonlazarett  überführt,  wo  er  am  Abend  des  4.  September 
1905  eintraf.  Die  Abendtemperatur  betrug  40,2^,  die  Pulszahl  116,  die  Zahl  der 
Atemzüge  38  in  der  Minute. 

Hier  schilderte  der  Kranke,  welcher  bei  vollem  Bewußtsein  war,  den  bis- 
herigen Verlauf  seiner  Krankheit  entsprechend  dem  soeben  angegebenen  Inhalte 
des  später  erholten  Krankheitsberichtes  vom  Krankenhause  zu  W.  Er  gab  Poch 
an,  daß  er  aus  gesunder  Familie  stamme.  Den  übermäßigen  Genuß  von  Alkt^oi 
und  geschlechtliche  Ansteckung  verneinte  er. 

W.  äußerte  keinerlei  Schmerzen  und  klagte  nur  über  das  unangenehme 
Gefühl,  als  stecke  ihm  ein  Fremdkörper  im  Halse;  er  meinte,  seine  Sprache  sei 
anders  als  sonst  und  er  atme  schwerer. 

Der  erhobene  Untersuchungsbefund  war  folgender: 

(Besicht  gerötet;  die  oberen  Augenlider  scheinen  etwas  schlaff  zu  sein:  die 
Pupillen  sind  eng,  aber  von  gleicher  Weite.  Die  Beaktion  derselben  auf  Licht- 
einfall (Kerzenlicht)  ist  linkerseits  träge,  rechterseits  aufgehoben.  Die  Znnge  ist 
belegt  und  wird  gerade  herausgestreckt,  die  Zungenspitze  rollt  sich  dabei  nach 
unten  ein.  Das  Gaumensegel  ist  frei  beweglich.  Das  Kinn  kann  nicht  ganz  der 
Brust  genähert  werden  und  es  besteht  anscheinend  geringe  Nackensteifigkeit. 
Die  Wirbelsäule  ist  in  ihrem  ganzen  Verlaufe  nirgends  druckempfindlich. 

Ein  Aufsetzen  oder  auch  nur  Umdrehen  im  Bette  ist  dem  Kranken  ohne 
fremde  Hilfe  nicht  möglich.  Der  Bauch  ist  etwas  vorgewölbt  aber  nicht  empfiad- 
lich  bei  der  Abtastung.  Die  Harnblase  ist  gefüllt.  Harnentleerung  ist  spontan 
nicht  möglich. 

Beide  Beine  sind  vollständig  gelähmt.  Die  rechtsseitige  Schultermuskulatur,. 
die  Beuge-  und  Streckmuskeln  am  rechten  Oberarm,  sowie  die  Beuger  der  Hand 
am  Vorderann  sind  ebenfalls  gelähmt:  die  Strecker  der  rechten  Hand  und  die 
Handmuskelu  selbst  sind  gebrauchsfähig.  An  der  linken  oberen  Gliedmaße  snid 
die  Schultermuskeln  völlig  gelähmt,  die  Arm-  und  Handmuskeln  sind  frei. 

Eine  Prüfung  des  Empfindungsvermögens  der  Haut  für  alle  Qualitäten 
(leise  Berührung,  spitz  und  stumpf,  kalt  und  warm)  ergibt,  daß  dasselbe  allent- 
halben erhalten  ist;  auch  eine  Verlangsamung  der  Empfindung,  Hyperästhesien 


Laudry'sche  Paralyse.  645 

oder  ParSsthesien  sind  nicht  feststellbar.    Die  tiefe  Sensibilität  und  das  Gefühl 
ffir  die  Lage  im  Baume  sind  nicht  gestört. 

Die  Fußsohlen-;  Kremaster-,  Bauchdecken-  und  Pat«llarsehuenreflexe  sind 
nicht  auslösbar. 

Eine  elektrische  Untersuchung  der  gelähmten  Muskeln  hat  nicht  mehr  statt- 
gefunden. 

Die  Untersuchung  des  Herzens  und  der  Lungen  ergibt  keine  Besonderheiten. 
Herztätigkeit  und  Atmung  sind,  wie  schon  erwähnt,  beschleunigt. 

Die  Leber  und  die  Milz  sind  nachweisbar  nicht  vergrößert.  In  dem  mittel» 
Katheter  entleerten  Harn  ist  weder  Eiweiß  noch  Zucker  nachweisbar. 

Am  Vormittag  des  5.  September  1905  war  das  Krankheitsbild  das  gleich» 
wie  am  vorhergehenden  Tage.  Körpertemperatur  39,2®,  Pulszahl  116,  Atemzüge 
36  in  der  Minute.  Keine  Klage  über  irgendwelche  Schmerzen.  Harnentleerung 
durch  Katheter. 

Gegen  1  Uhr  mittags  stellte  sich  Atemnot  ein;  da  der  Kranke  nicht  im- 
stande war  durch  leichte  HnstenstÖße  im  Bachen  angesammelten  Schleim  heraus- 
zabefördem,  mußte  derselbe  manuell  entfernt  werden.  Es  stellten  sich  Arti- 
knlationsstörungen  ein;  der  Kranke  klagte  über  Sausen  im  linken  Ohre  und  gab 
an,  auf  diesem  Ohre  nichts  mehr  zu  hören.  Die  Ausführung  künstlicher  Atmung 
durch  Zusammendrücken  der  unteren  Brustkorbteile  bewirkte  bei  der  sichtlich 
zunehmenden  Atemnot  vorübergehende  Erleichterung. 

Eine  später  vorgenommene  Einspritzung  von  Kampferöl  war,  wie  zu  er- 
warten, ohne  Erfolg.  Beabsichtigte  Anwendung  von  Sauerstoffinhalationen  kamen 
nicht  mehr  zur  Ausführung. 

Gegen  5  Uhr  nachmittags  wurde  bei  zunehmender  Cyanose  des  Gesichts  die 
Atmung  immer  oberflächlicher  und  mühsamer;  die  Muse,  scaleni  schienen  allein 
die  Atmung  zu  besorgen.  Das  Bewußtsein,  das  bis  dahin  erhalten  war,  begann 
zu  sehwinden ;  der  Kranke  redete  verwirrt  und  unverständlich  und  reagierte  nicht 
mehr  auf  Anrufen. 

Unter  immer  kleiner  werdenden  Atemexkursionen  des  Brustkorbes  trat  um 
5  Uhr  40  bei  hochgradiger  Cyanose  der  Tod  ein.  Wenige  Minuten  vor  Eintritt 
des  Todes  war  die  Herztätigkeit  auffallend  kräftig,  regelmäßig  und  von  einer 
Schlagzahl  von  74  in  der  Minute. 

Wenn  ich  den  geschilderten  Krankbeite verlauf  noch  einmal  kurz 
znsammenfaBse,  so  begann  die  Krankheit  unter  anfangs  leichtem  Fieber 
mit  Allgemeinbeschwerden,  bestehend  in  heftigen  Kopf-  und  Leibschmerzen 
und  allgemeinem  schweren  Krankheitsgefühl.  Nach  Schwinden  dieser 
stellte  sich  unter  sunehmendem  Fieber  eine  rasch  fortschreitende  Lähmung 
der  willkürlichen  Muskulatur  ein,  welche  mit  Lähmung  der  Beine  begann 
und  weiterhin  die  Bauch-  und  Kumpfmusknlatur,  die  Muskeln  der  Schul- 
tem  und  teilweise  auch  der  Arme  und  das  Zwerchfell  befiel;  daneben 
bestand  von  Anfang  an  Lähmung  des  Muse,  detrusor  der  Harnblase  und 
in  den  letzten  Stunden  des  Lebens  auch  Bulbärsymptome.  Die  Sehnen- 
nnd  Hautreflexe  im  Bereich  der  gelähmten  Muskeln  waren  aufgehoben , 
eine  Störung  der  Sensibilität  war  nicht  nachweisbar ;  insbesondere  wurde 
von  dem  Kranken  über  keinerlei  Schmerzen  geklagt. 

Das  Fehlen  dieser  zuletzt  genannten  Symptome  und  das  Vorhanden- 
sein der  erwähnten  Störung  der  Harnblasen funktion  ließen  den  Oedanken 
an  eine  Polyneuritis  acuta,  die  ja  bei  der  Diagnosen  Stellung  in  Frage 
kommen  konnte,  fallen  und  deuteten  unzweifelhaft  auf  eine  akute  ausge- 
breitete Erkriuikung  des  Rückenmarks  hin. 

IHese  Auffassung  wurde  auch  durch  die  von  weiland  Prof.  Hans 
Schmaus  noch  ausgetührte  histologische  Untersuchung  des  Rückenmarks 
bestätigt. 

Aus  dem  Obduktionsbefund  sei  hervorgehoben,  daß  eine  mäßige  Vergrößerung 


646  XXXIII.    3.  Mann  u.  Schmaos. 

der  Milz  festgefltellt  wurde.  (Gewicht  der  Milz  200  g.)  Sofort  nach  Heransnahme 
des  Rückenmarks  nnd  nach  Eröffnung  des  Duralsackes  sah  dasselbe  fi^uollea 
ans;  an  verschiedenen  Stellen  waren  <)uerverlaufende  Wülste  wahrzunehmen,  so 
daß  es  den  Eindruck  machte,  als  sei  die  Pia  mater  zu  enge  füf  das  von  ihr  nm- 
schlossene  Mark.  Bei  Querschnitten  quoll  das  stark  durchfeuchtete  Mark  vor  nnd 
ließ  zahlreiche  rasch  zerfließende  Blutpnnkte  erkennen.  Graue  und  weiße  Substanz 
waren  gut  zu  unterscheiden. 

Den  nun  folgenden  speziellen  makroskopischen  und  histologischen 
Befand  am  ßückenmarke  gebe  ich  wörtlich  so  wieder,  wie  er  mir  von 
weiland  Prof.  S  oh  maus,  der  noch  eine  gemeinsame  Veröffentlich ang  des 
Falles  mit  mir  beabsichtigt  hatte,  übermittelt  wurde: 

„An  dem  in  Formol  fixierten  Rückenmarke  zeigen  Querschnitte  durch 
den  Halsteil,  besonders  im  Bereiche  der  grauen  Substanz  und  den  anliegenden 
Partien  der  weißen  Markmasse  in  ziemlich  reichlicher  Anzahl  kleine,  punktförmige, 
offenbar  auf  sogenannte  Kapillarapoplexien  zurückzuführende  Blutungen ;  am 
reichlichsten  sind  dieselben  im  Bereich  der  grauen  VorderhJSmer.  Die  normale 
Querschnittszeichnung  des  Rückenmarks  ist  im  übrigen  gut  erkennbar;  auch  die 
Meuinffen  lassen  für  das  bloße  Auffe  keine  wesentliche  Veränderung:  erkennen. 

Mikroskopischer  Befund:  Derselbe  ergibt  eine  starke  zellige  Infiltration 
des  Rückenmarks  besonders  in  den  VorderhÖmem,  am  stärksten  wiederum  im 
Oervikalmark.  aber  auch  in  den  tieferen  Abschnitten  der  Medulla  bis  zum  Lenden- 
mark herab.  Die  Infiltratzellen  zeigen  weitaus  zum  größten  Teil  ausgesprochen 
fragmentierte  Kerne  von  der  Beschaffenheit  der  Lenkocvtenkeme  und  meistens 
eine  rundliche  Gestalt.  Obwohl  die  Infiltration  sehr  dicht  ist,  lassen  sich  dodi 
an  vielen  Stellen  besonders  starke  Zellanhäufungen  in  der  Umgebung  der  Blnt- 

fefäße  erkennen;  da  auch  die  adventitiellen  und  perivaskulären  älume  an  soldien 
teilen  stark  mit  Zellen  angefüllt  sind,  so  erscheinen  jene  Zellanhäufnngen  als 
weitere  Ausbreitung  sogenannter  perivaskulärer  Infiltrate.  Innerhalb  der  genannten 
Räume  finden  sich  teils  mehrkemige,  resp.  polymorphkernige  Leukocyten,  teüs 
kleine  lymphocytenartige,  einkernige  Rundzellen,  teils  ^öUere,  teils  rundlidie, 
teils  längliche  Formen  mit  verschiedenem  Kern,  der  aber  im  allgemeinen  von  dem 
der  Gliazellen  sich  durch  einen  größeren  Gehalt  an  Chromatinkömchen  unter- 
scheidet. Manche  der  Zellen  sind  mit  Ausläufern  versehen.  Typische  Plasma- 
zellen im  Sinne  von  Marschalko  sind  (Formolhärtnng !)  nicht  nachweis- 
bar. Unter  den  im  Nervengewebe  liegenden  Zellen  finden  sich  ebenfalls  ver- 
schiedene Formen:  Neben  solchen,  welche  vollkommen  dem  Typus  fragmentiert- 
kemiger  Leukocyten  entsprechen,  liegen  andere,  die  ebenfalls  fragmentierte  oder 
in  Fragmentierung  begriffene  Kerne  aufweisen,  welche  aber  nach  der  Gestalt  des 
Zellkörpers  viel  eher  als  Gliazellen  anzusprechen  sind;  die  Zellkörper  sind  nicht 
rund  und  scharf  nach  allen  Seiten  abgegrenzt,  sondern  weisen  faserige  Ausläufer 
in  mehrfacher  Zahl  auf,  die  auch  selbst  wieder  verzweigt  sein  können  und  mit 
ihren  feinen  Verästelungen  sich  zwischen  die  benachbarten  Nervenfasern  hinein- 
erstrecken ;  bei  entsprechender  Tinktion  sind  am  Rand  solcher  protoplasmfttisch^ 
Ausläufer  scharf  gefärbte  Fasern  erkennbar,  die  offenbar  Weigert 'sehen  Glia- 
fasern  entsprechen.  Die  Kerne  dieser  —  meist  sehr  feinkörnig  strukturierten  — 
Zellen  sind  im  ganzen  meist  etwas  größer  als  die  der  Leukocyten ;  häufig  zeigen 
sie  sehr  deutliche,  an  mit  Toluidinblau  und  Eosin  tingierten  Präparaten  ineta- 
chromatisch  gefärbte  Nucleoli;  das  Chromatin  bildet  eine  sehr  feinkörnige  ziemlich 
dichte  Masse,  welche  das  Kerninnere  gleichmäßig  durchsetzt  und  an  der  Kem- 
membran  feine  Kömchenreihen  bildet.  Von  einfachen,  rundlichen  oder  leiclit  ge- 
strekten  Kernen  mit  glatter  Wand  bis  zu  leicht  eingekerbten,  tiefer  eingeschnürten 
und  fast  geteilten  Kernen  finden  sich  alle  Übergänge. 

Aber  auch  von  Leukocyten  sind  solche  Formen  keineswegs  immer  mit 
Sicherheit  zu  unterscheiden,  weil  sich  auch  Zellen  finden,  die  nach  Größe  und 
Struktur  des  Zellkörpers  Gliazellen  gleichen,  aber  abgerundet  erscheinen,  keine 
Auslänfer  mehr  erkennen  lassen  und  anscheinend  wie  auch  die  Zelleiber  vieler 
Leukocyten  mehr  oder  weniger  vakuolisiert  sind.  Auch  in  der  weißen  Substanz 
zeigen  viele  Gliaelemente  ähnliche  Veränderungen  (Anschwellung)  wie  jene  der 
grauen  Substanz. 


Landry'sche  Paralyse.  647 

Die  Ganglienzellen  sind  großenteils  erhalten,  jedoch  im  Zustande  feinkörniger 
Tigrolyse. 

Die  2iellen  des  Zentralkanals  sind  in  Wucherung,  sein  Lumen  ist  an  den 
meisten  Stellen  ohliteriert;  die  umgehenden  periependymären  Zellen  vermehrt,  in 
ihren  Kernen  von  ähnlicher  Beschaffenheit  wie  die  Gliazellen. 

Die  weichen  Häute  zeigen  im  Sulcns  anterior  starke  Infiltration  um  die 
Blutgefäße  herum,  von  ähnlichem  Charakter  wie  die  perivaskulären  Infiltrate  der 
grauen  Suhstanz. 

Im  ührigen  findet  sich  an  ihnen  auch  mikroskopisch  keine  besondere  Ver- 
änderung. 

Die  Osmierung  von  Formol-Gefrierschnitten  ergibt  ebenso  wie  die  W  e  i  g  e  r  f  sehe 
Markscheidenförbung  ein  negatives  Resultat,  es  läßt  sich  weder  eine  mit  Osmium- 
säure färbbare  Substanz,  noch  eine  Läsion  der  Markscheiden  nachweisen;  auch 
mit  Scharlach  behandelte  Gefrierschnitte  lassen  kein  Fett  nachweisen. 

Der  mikroskopische  Befund  ergibt  also  als  wesentlichstes  Resultat  eine 
starke  kleinzellige  Infiltration  besonders  der  grauen  Substanz  der  Vorderhömer; 
die  Infiltration  ist  auf  Ansammlung  von  fra^entiertkemigen  Wanderzellen  zum 
Teil  aber  auch  auf  Gliaelemente  zurttckzuftlhren,  wobei  anscheinend  ebenfalls 
Fragmentierung  von  Kernen  vorkommt.  Die  Infiltration  ist  nicht  auf  vorher- 
gehendes Zugrundegehen  von  Nervenparenchym  zurückzuführen,  wenigstens  lassen 
sich  Degenerationsprozesse  nicht  in  demselben  nachweisen." 

Greifen  wir  aus  vorstehender  Krankengeschichte  und  dem  patho- 
logisch-anatomischen Befunde  nochmals  das  Wichtigste  heraus,  so  lag  hier 
ein  Elrankheitsfall  vor^  bei  dem  nach  einleitenden  Allgemeinbeschwerden 
unter  zunehmendem  Fieber  eine  aufsteigende,  schlaffe,  schmerzlose 
Lähmung  der  willkürlichen  Muskulatur  und  des  Muse,  detrusor  der  Harn- 
blase eintrat.     Bewußtsein  und  Sensibilität  waren  nicht  gestört. 

Histologisch  ist  eine  starke  kleinzellige  (perivaskuläre)  Infiltration 
besonders  der  Yorderhömer  des  Bückenmarks  festgestellt  worden.  Auf- 
fallende Degenerationszeichen  an  den  großenteils  gut  erhaltenen  Gbtnglien- 
zellen  und  der  weißen  Markmasse  fehlen. 

Angesichts  dieser  Tatsachen  und  mit  Bücksicht  auf  die  bei  der 
Obduktion  gefundene  Milzschwellung  unterliegt  es  wohl  keinem  Zweifel, 
daß  man  es  im  vorliegenden  Falle  mit  einer  akuten  infektiösen  Polio- 
myelitis zu  tun  hat,  welche  unter  dem  klinischen  Bilde  des  Landry'schen 
Symptomenkomplexes  verlaufen  ist. 

Die  beobachtete  Lähmung  der  Harnblase  ist  wohl  aus  dem  anatomi- 
schen Befunde  erklärbar,  wenn  man  sich  der  Annahme  nicht  verschließt, 
daß  motorische  Centren  des  glatten  Muse,  detrusor  im  Sakralmarke  denselben 
Schädigungen  ausgesetzt  waren,  wie  diejenigen  der  quergestreiften  Musku- 
latur in  höher  gelegenen  Bückenmarksabschnitten.  Vielleicht  ist  der 
Krankheitsfall  mit  der  anatomischen  Grundlage  einer  Poliomyelitis  ge- 
eignet, die  Annahme  motorischer,  ¥dllkürlicher  Centren  des  Muse,  de- 
trusor vesicae  in  der  grauen  Substanz  des  Bückenmarkes  wesentlich  zu 
stützen. 

Die  Ätiologie  der  Erkrankung  ist  unbekannt  geblieben.  Das  Bücken- 
mark selbst  wurde  bakteriologisch  nicht  untersucht.  Eine  vor  Eröffnung 
des  Wirbelkanals  ausgeführte  sterile  Punktion  desselben  ergab  10  com 
klare,  gelbliche  Flüssigkeit,  deren  bakteriologische  Untersuchung  negativ 
ausfiel. 

Vermutlich  ist  die  Ursache  dieser  schweren  Erkrankung  der  grauen 
Substanz  des  Bückenmarks  in  der  Einwirkung  toxischer  Stoffe  anbekannter 


648 


XXXIII.    3.  Mann  u.  Schmaus,  Landry'sche  Paralyse. 


Herkunft  zu  suchen,  welche  ihren  schädlichen  EinfluB  in  ausgewählter 
Weise  im  Yerhreitungsgebiet  der  Art.  apinal-anterior  ausübten  und  zu 
einer  echten  primären  exsudatir-infiltrativen  Entzündung  vornehmlich  der 
grauen  Yorderhörner  führten. 

Die  dem  Krankheitsprozeß  im  Kückenmark  vorausgehenden  Allgemein- 
beschwerden —  heftige  Kopf-  und  Leibschmerzen  —  deuten  vielleicht 
darauf  hin,  die  Quelle  der  Infektion  im  Magen-Darmkanal  zu  vermuten ^ 
wenngleich  bei  der  Obduktion  im  Darme  keinerlei  auffallende  patholo- 
gische Veränderungen  nachzuweisen  waren. 


\ 


Erklirnng  der  Figuren  auf  Tafel  IT. 

Figiir  1.  Schnitt  durch  das  Halsmark.  Vorderhompartie  mit  Gefäßclurch- 
schnitten  und  Inliltrationaherden.    Vergrößerung:  Zeiß  Okular  II.   Objektiv  AA. 

Flgar  2.  Schnitt  durch  das  HalHmark.  Gegend  der  grauen  Kommissur: 
Zellenwucherung  um  den  Zentralkanal  herum  und  schief  durchschnittener  Ast  der 
Arteria  sulcocommissuralis  mit  starker  perivaskulärer  Infiltration.  Vergrölierung:: 
Zeiß  Okular  U.    Objektiv  AA. 

Figur  3.  Schief  durchnittener  Ast  der  Arteria  sulco-commissurali!»  bei 
stärkerer  Vergrößerung.    Vergrößerung:  Zeiß  Okular  n.    Objektiv  DD. 

Figur  4.    Färbung  nach  Weieert.    Lupenvergrößerung. 

Figur  5.  Partie  aus  dem  rechten  Vorderhorn  des  Halsmarkes.  Gefäßdurch- 
schnitt mit  perivaskulärer  Infiltration  und  große  Vorderhorn ganglienzellen. 


Deutsches  Archiv  f.  klin.  Medizin. 


VerUg  von  F.  C 


Fig.  3. 


/.  Vogel  In  Ldpilg. 


Druck  von  Rkhird  Hihn  (H.  O(lo)  In  Leipzig. 


XXXIV. 

Besprechungen. 

1. 

Naunyn,  Der  Diabetes  melitus.  2.  Aufl.  Wien.  Holder  1906. 
Das  klassische  Werk  der  zweiten  Hälfte  des  vergangenen  Jahr- 
hunderts über  den  Diabetes  ist  in  zweiter  Auflage  erschienen.  Es  faßt 
in  der  Tat,  wie  kein  anderes,  den  Stand  unserer  Kenntnisse  zusammen, 
die  Vereinigung  von  Schärfe  wie  Umfang  der  Beobachtung  mit  Oröße  der  Auf- 
fassung hebt  es  über  alle  anderen  Darstellungen  des  Diabetes  weit  hinaus. 

Die  Jünger  der  Frerichs'schen  Schule  haben  in  Deutschland  die  natur- 
wissenschaftliche Auffassung  der  inneren  Medizin  vertreten  und  gelehrt 
und  darin  —  man  darf  das  wohl  sagen  -^-  ihre  vornehmste  Aufgabe  ge- 
sehen. Es  ist  ein  sonderbares  Geschick,  daß  der  Meister  der  Schule  in 
seinem  Alter  den  Diabetes  darstellte  und  daß  der  Meister  der  Jünger 
dieser  großen  Familie  von  Gelehrten  auch  Forschungen  über  den  Diabetes 
zu  seiner  Lebensarbeit  machte  und  diese  schließlich  mit  der  vorliegenden 
wundervollen  Monographie  krönte.  Durch  beide  Bearbeitungen  zieht  sich  als 
roter  Faden  die  Zugrundelegung  der  Physiologie  und  Chemie.  Aber  nicht  nur 
im  einzelnen  sondern  selbst  im  großen :  Welcher  Unterschied  der  Auffassung 
zwischen  beiden  Werken !  So  wie  die  Auffassung  der  Biologie  im  Sinne  einer 
exakten  Wissenschaft  den  Weg  vom  Einfachen  zum  Komplizierten  durch- 
machte, so  auch  die  Darstellung  der  Krankheitslehre  als  eines  Teils  der 
Biologie.  Die  klinische  Pathologie  mußte  die  gleichen  schweren  Erfah- 
rungen machen.  Das,  was  man  früher  für  relativ  klar  und  einfach  hielt, 
hat  sich  als  enprm  kompliziert  herausgestellt.  Am  Krankenbett  tritt  die 
außerordentliche  Variabilität  und  Variation  der  Krankheitsursachen  sowie 
die  große  Verschiedenheit  der  individuellen  Organisation  maßgebend  her- 
vor. Somit  ist  die  Gewinnung  allgemeiner  theoretischer  Vorstellungen 
für  die  Pathologie  zur  Zeit  schwieriger  als  je. 

Die  neue  Auflage  des  N au nyn' sehen  Buches  bringt  die  alten  be- 
kannten Erfahrungen  über  den  Diabetes  genau  so  wie  die  Ergebnisse 
der  neuesten  Forschungen,  es  berücksichtigt  ebenso  die  Beobachtungen 
des  Krankenbettes  wie  die  Resultate  des  Tierversuches.  Nicht  neben- 
einander steht  das  Verschiedene,  sondern  es  ist  ineinander  verbunden  zu 
einem  großen  Bau.  In  ihm  wird  der  Physiologe  ebenso  wohnen  wie 
der  Arzt  seinen  Platz  hat.  Die  allgemeinen  Störungen  des  Stoffwechsels 
der  Kohlehydrate  werden  mit  der  gleichen  Liebe  und  der  gleichen  Meister- 
schaft behandelt  wie  die  speziellsten  Fragen  der  Krankenbeurteilung  und 
Krankenbehandlung.  Gerade  dieses  Werk  möchte  ich  jedem  Arzt  zum 
eindringlichem  Studium  empfehlen.  Er  wird  den  Diabetes,  seine  Er- 
kennung, Beurteilung  und  Behandlung  daraus  wirklich  lernen  können, 
soweit  das  überhaupt  aus  einem  Buche  möglich  ist.  Aber  mehr  noch 
als  das:  er  wird  gleichzeitig  die  moderne  theoretische  Auffassung  der 
Krankheiten  kennen  lernen. 


650  XXXIV.  Besprechungen. 

Die    physiologiBch-cbemisohe  Einleitung    sowie    der   Znckemacliweis 
iflt  von  Herrn  Dr.  Baer,    Naunyn's  langjährigen  Assistenten  verfaßt. 

Krehl. 

2. 

Lenhartz,  Jahrbücher  der  Hamburgischen  Staatskranken- 
anstalten. Bd.  X.  Jahrgang  1905.  Hamburg  und  Leipzig. 
Leopold  Voß,  1906. 
Der  zwingende  Eindruck,  den  man  bei  der  Durchsicht  der  statisti- 
schen Berichte  so  großer  und  erstklassischer  Krankenhäaser  erhält,  wie 
es  die  Hamburger  sind,  ist  der  des  Staunens  über  die  Fülle  des  Kranken- 
materials, das  sich  dort  den  Ärzten  bietet.  Es  muß  schwer  halten,  über 
ein  solches  Riesenmaterial  die  Übersicht  nicht  zu  verlieren.  Wem  es 
aber  gelingt,  der  hat  eine  beneidenswerte  Gelegenheit,  nicht  nur  «seine 
individuelle  Erfahrung  zu  bereichern,  sondern  auch  an  klinischen  Fragen 
in  großem  Stile  mitzuarbeiten.  Daß  esLenhartz  versteht,  seine  große 
Aufgabe  zu  meistern,  dafür  ist  dieser  neue  Band  der  Hamburgischen 
Jahrbücher  ein  besonders  beredter  Zeuge.  Abgesehen  von  den  inter- 
essanten krankenstatistischen  Zusammenstellungen  bringt  er  eine  Beihe 
äußerst  lesenswerter,  klinisch  wichtiger  Abhandlungen,  zumeist  aus  Ge- 
bieten, auf  denen  Lenhartz  in  origineller  Weise  neue  Wege  ein- 
geschlagen hat.  So  tritt  er  auf  Grund  einer  großen  Beobachtungsreihe 
nochmals  warm  für  seine  neue  Diätkur  bei  Ulcus  ventriculi  ein,  die  be- 
kanntlich auch  bei  frisch  blutenden  Fällen  von  vornherein  oder  sehr  bald 
auf  eine  kalorisch  hochwertigere  eiweißreiche  (geschlagene  rohe  Eier, 
rohes  Hackfleisch)  und  dabei  wenig  voluminöse  Kost  (Beschränkung  der 
Milch)  hinausläuft.  Die  Frage  der  Vorzüge  dieser  Diät  vor  der  Ziemßen- 
Leube'schen  Milchdiät  untersteht  noch  der  Diskussion.  Aber  sicherlich 
müssen  die  Gründe,  die  der  Autor  zugunsten  seiner  Diät  anfuhrt  und 
die  er  mit  der  Erfahrung  an  nicht  weniger  als  150  Fällen  manifest 
blutender  Magengeschwüre  stützt,  zu  einer  allgemeinen  Nachprüfung 
seiner  Methode  Veranlassung  geben.  Bekannt  sind  auch  die  Ver- 
dienste von  Lenhartz  um  die  Ausbildung  der  Lungenchirurgie,  ins- 
besondere um  die  operative  Behandlung  der  Lungengangrän.  Er  läßt 
durch  seinen  Sekundärarzt  Kießling  über  die  imponierende  Zahl  von 
75  selbstoperierten  Fällen  berichten.  Die  Operationserfolge  sind  besser 
als  sie  die  meisten  sonstigen  Operateure  aufzuweisen  haben.  Otten 
teilt  die  Erfahrungen  über  700  Fälle  von  Chlorose  der  Lenhartz- 
schen  Abteilung  mit,  aus  denen  ich  besonders  die  Beobachtungen  über 
die  relativ  seltene  Komplikation  mit  peripherer  oder  cerebraler  (Sinus) 
Venenthrombose,  sowie  die  therapeutischen  Erfolge  der  von  Lenhartz 
hier  zuerst  gemachten  Lumbalpunktionen  hervorheben  will.  Auch  die 
Aufsätze  von  Berger  über  diagnostische  Sonderung  echter  Cholerafälle 
von  choteraäbnlichen,  von  Reye  über  Fälle  septischer  Endokarditis  und 
von  Zipperling  über  infektiöse  Wirbelentzündung  (aus  dem  pathol. 
Institut  von  Eug.  Fraenkel)  sind  sehr  bemerkenswert.  In  Summa  ein 
trefifliches  Zeugnis  des  energischen  Zuges  und  wissenschaftlichen  Geistes 
der  an  den  Hamburgischen  Anstalten  herrscht.  Moritz. 


Verzeichnis  der  bei  der  Redaktion  eingegangenen  Böcher. 

(Besprechung  vorbehalten.) 

Arrhenins,  Immunochemie,  Anwendungen  der  physikal.  Chemie  auf 
die  Lehre  von  den  physiologifichen  AntiJcÖrpem.  Aus  dem  Eng- 
lischen übersetzt  von  A.  Finkelstein.  203  S.  1907,  Leipzigs 
Akadem.  YerlagsgesellBchaft. 

Bardeleben,  Sanitätsrat,  Chefarzt  des  Augusta-Hospitals  in  Bochum^ 
Erfahrungen  über  Cholecystektomie  und  Cholecystenterostomie 
nach  286  Oallensteinlaparotomien.  Mit  1  Tafel,  131  S.  4  Mk. 
1906,  G.  Fischer,  Jena. 

Birnbaum,  Privatdoz.,  Assistent  an  der  TJnivers.-Frauenklinik,  Göttingen ^ 
Das  Koch'sche  Tuberkulin  in  der  Gynäkologie  und  Geburtshilfe. 
131   S.     3  Mk.     1907,  Berlin,  J.  Springer. 

Grober,  a.  o.  Prof.  in  Jena,  Einführung  in  die  Versicherungsmedizio. 
178  S.     3,60  Mk.     Jena  1907,  G.  Fischer. 

Hasebroek,  Dirig.  Arzt  des  mediko-mechan.  Zanderinstituts  in  Ham- 
burg, Die  Zander'sche  mechanische  Heilgymnastik  und  ihre  An- 
wendung bei  inneren  Krankheiten.  Wiesbaden  1907,  J.  F.  Berg- 
mann. 

Hayek,  Assist,  am  pharmakol.  Institut  Innsbruck,  Die  Unverträglich- 
keit der  Arzneimittel,  eine  systematische  Zusammenstellung  un- 
verträglicher Kombinationen  der  Arzneimittel.  265  S.  5,80  Mk. 
Wien,  Manz'sche  Uni versitäts* Buchhandlung. 

Hönck,  Hamburg,  Über  die  Holle  des  Sympathikus  bei  der  Erkrankung 
des  Wurmfortsatzes.     180  S.     4  Mk.      1907,  Jena,  G.  Fischer. 

Höttger,  Genußmitttel  —  Genußgifte?  Umfrage  bei  Ärzten  über 
Kaffee  u.  Tee.     98  S.     1  Mk.     Berlin,  E.  Staude. 

Hoth's  Jahresbericht  über  die  Leistungen  und  Fortschritte  auf  dem 
Gebiet  des  Militärsanitätswesens  im  Jahre  1905.  210  S.  5  Mk. 
Berlin   1906,  S.  Mittler  u.  Sohn. 

J.  Schwalbe,  Prof.,  Berlin,  Therapeutische  Technik  für  die  ärztliche 
Praxis,  ein  Handbuch  für  Arzte  u.  Studierende.  1.  Halbband. 
(Schluß  Anfang  1907  erscheinend.)  352  S.  Leipzig  1906, 
G.  Thieme. 

Stern,  a.  o.  Prof.,  Dir.  d.  med.  Univ.-Poliklinik  Breslau,  Über  trauma- 
tische Entstehung  innerer  Krankheiten,  Klinische  Studien  mit 
Berücksichtigung  der  Unfall-Begutachtung.  2.  AuH.  1.  Heft^ 
Infektionskrankheiten,  Krankheiten  der  K reislauf organe.  156  S. 
3,50  Mk.     1907,  Jena,  G.  Fischer. 


652  VerzeicbniB  der  bei  der  Redaktion  eingegangenen  Bücher. 

Wesen  er,  Prof.,  Oberarzt  des  städt.  Krankenh.  in  Aachen.  Lehrbach 
der  medizinisch-klinischen  Diagnostik.  2.  Aufl.  680  8.  18  Mk. 
geb.     1907,  Berlin,  Jol.  Springer. 

Wolff,  Sanitätsrat,  Arzt  in  Berlin,  Die  Lehre  von  der  Krebskrankheit 
von  den  ältesten  Zeiten  bis  zar  .Gegenwart.  747  S.  mit  52  Fi^. 
im  Text.     20  Mk.     1907,  G.  Fischer,  Jena. 

Zanietowski,  Die  Kondensatormethode.  Heft  6  der  zwanglosen  Ab- 
handlungen aus  dem  Gebiet  der  Elektrotherapie  u.  Itadiologie. 
96  S.     2.80  Mk.     Leipzig  1906,  Ambrosius  Barth. 

Ziegler,  Privatdozent,  Assist,  der  mediz.  Klinik  in  Breslau,  Experi- 
mentelle u.  klin.  Untersuchungen  über  die  Histogenese  d.  myeloi- 
den   Leukämie.      125  8.     4,50  Mk.     1906.     Jena,   G.   Fischer. 

Zuelzer,  Chemische  u.  mikroskopische  Diagnostik,  eine  prakt.  Ein- 
fuhrung für  Studierende  und  Arzte.  Mit  109  Abbild.  256  8. 
9  Mk.     1906, 'Leipzig,  Ambrosius  Barth. 

Zweig,  Spezialarzt  in  Wien,  Die  Therapie  der  Magen-  u.  Darmkrank- 
heiten.    402  8.     10  Mk.     1907.     Urban  u.  Schwarzenberg. 


Druck  von  Lippert  A  Co.  (G.  Pätz'sche  Bachdr.).  Naambocg  tS, 


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