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Full text of "Deutsches Archiv für klinische Medizin. v.101.1911"

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7 - 6 


DEUTSCHES ARCHIV 

FÜB 

KLINISCHE MEDIZIN. 


HERAUSGEGEBEN 

VON 

Prof. AUFRECHT in Magdeburg, Prof. v. BAUER in München,Prof.BAEUMLER inFrkiburg, 
Prof. BOSTRÖM in Giessen, Prof. BRAUER in Hamburg, Prof. EBSTEIN in Güttingen, 
Prof. EICHHORST in Zürich, Prof. ERB in Heidelberg, Prof. FIEDLER in Dresden, 
Prof. FÜRBRINGER in Berlin, Prof. GERHARDT in Basel, Prof. HELLER in Kiel, 
Prof. HIRSCH in Güttingen, Prof. HIS in Berlin, Prof. F. A. HOFFMANN in Leipzig, 
Prof. v. JAKSCH in Prag, Prof. v. KÄTLY in Budapest, Prof. KRAUS in Berlin, Prof. 
KREHL in Heidelberg, Prof. v. LEUBE in Würzburg, Prof. LICHTHEIM in Künigsberg, 
Prof. LÜTHJE in Kiel, Prof. MANNKOPFF in Marburg, Prof. MARTIUS in Rostock, Prof. 
MATTHES in Cüln, Dr. G. MERKEL in Nürnberg, Prof. MORITZ in Strassburg, Prof. 
MOSLER in Greifswald, Prof. F. MÜLLEB in München, Prof. NAUNYN in Baden-Baden, 
Prof. v. NOORDEN in Wien, Prof. PEL in Amsterdam, Prof. PENZOLDT in Erlangen, Pro* 
PREBRAM in Prag, Prof. PURJESZ in Klausenburg, Prof. QUINCKE in Frankfurt;a. M., Prof. 
v. ROMBERG in Tübingen, Prof. RUMPF in Bonn, Prof. SAHLI in Bern, Prof. SCHREIBER 
in Künigsberg, Prof. F. SCHULTZE in Bonn, Prof. SENATOR in Berlin, Prof. STINTZING 
in Jena, Prof. v. STRÜMPELL in Leipzig, Prof. THOMA in Heidelberg, Prof. UNTER¬ 
RICHT in Magdeburg, Dr. H. WEBER in London, Prof. TH. WEBER in Halle und Prof. 

WEIL in Wiesbaden 


REDIGIERT 


Dr. L. KREHL, 

Prof, der medizinischen Klinik 
in Heidelberg 

von 

Dr. F. MORITZ, 

Prof, der medizinischen Klinik 

IN STRA88BURG i. E. 

dr. f. Müller, 

UND 

Db. E. ROMBERG, 

Prof, der medizinischen Klinik 
in München. 

• 

Prof, der medizinischen Klinik 

IN TÜBINGEN. 


einhunderterster band. 

MIT 61 ABBILDUNGEN IM TEXT UND 14 TAFELN. 


LEIPZIG, 

VERLAG VON F. C. W. VOGEL. 
1911. . .. 


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Inhalt des einhundertersten Bandes. 


Erstes und Zweites Heft 

ausgegeben am 23. November 1910. 


Nekrolog: Ernst von Leyden. 

t. Wyss, Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saiten¬ 
galvanometer und Untersuchungen fiber Galopprhythmus (Mit 18 Kurven) 1 
Trembur , Lymphosarkomatose und positive Wassermann'sche Eeaktion 

(Mit 3 Abbildungen).20 

Ebstein, Zur Lehre von den Katarrhen.34 

Siebeck, Zur spirometrischen Methodik (Mit 2 Abbildungen).60 

Magsini, Über Nitrobenzolvergiftung, Blutbefund und Veraalten des Herzens 

bei derselben (Mit 1 Abbildung).72 

Meyer-Betz, Beobachtungen an einem eigenartigen mit Muskellähmungen 

verbundenen Fall von Hämoglobinurie.85 

Strnnch, Die Grundlage der Ad. Schmidt’schen Kernprobe (Mit 5 Abbild.) 128 
Kniek u. Prlngshelm, Beiträge zur Frage der inneren Desinfektion. 

I. Über antiseptische Beeinflussung der Galle durch innere Anwendung 

von_Desinficientien ..137 

Gran, Über die Einwirkung von eiweißartigen und Eiweißkörpern auf die 

Gerinnbarkeit des Blutes (Mit 3 Kurven).150 

Fanlhaber, Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für /lie Diagnose des 

Magencarcinoms (Mit 10 Abbildungen).177 

Weizsäcker, Beitrag zur Frage der Blutgeschwindigkeit bei Anämie . . 198 
Besprechung: 

Kraus u. Nikolai, Das Elektrokardiogramm des gesunden und 
kranken Menschen (Hering). 207 


Drittes und Viertes Heft 

ausgegeben am 28. Dezember 1910. 


Grafe, Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber . . . 209 
Skongakoff, Zur Frage der extramedullären Blutbildung bei posthämor¬ 
rhagischen Anämien.251 

v. Körösy, Studien Uber Puls- und Atmungsfrequenz (Mit 2 Kurven) . . 267 
Jerusalem, Über die Veränderungen der Magenschleimhaut bei akuten 

Infektionskrankheiten (Mit Tafel I).283 

Oppenheimer, Zur Frühdiagnose des Magencarcinoms (Tryptophanprobe und 

eine neue Probe mit Essigsäure).293 

Grandauer, Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des 
menschlichen Magens und seine Bedeutung für die diagnostische Ver¬ 
wertbarkeit des Probefrühstücks.302 

Sehlayer u. Takayasu, Untersuchungen Uber die Funktion kranker Nieren 

beim Menschen (Mit 1 Abbildung und Tafel II—IV).333 


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IV 


Seit« 

Wenckebaeh, Über eine kritische Frequenz des Herzens bei paroxysmaler 


Tachykardie (Mit 3 Abbild.).402 

Aschoff, Bemerkungen zur Arbeit Schlaepfer.417 

Besprechungen: 

1. Lenhartz, Mikroskopie und Chemie am Krankenbett (Krehl). . . 418 

2. Erben, Vergiftungen (Krehl).418 

3. Lusk, Ernährung und Stoffwechsel (Grafe).419 

4. v. Noorden, Die Zuckerkrankheit und ihre Behandlung (Grafe). . 419 

5. Schall u. Heißler. Nahrungsmitteltabelle zur Aufstellung und 

Berechnung von Diätvorschriften (Grafe).420 

6. Strauß, Praktische Winke für die chlorarme Ernährung (Grafe). . 420 


Fünftes nnd Sechstes Heft 

ausgegeben am 6. Februar 1911. 


Müller) Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus 
vagus, zugleich ein Beitrag zur Neurologie des Herzens, der Bronchien 
und des Magens (Mit 9 Abbildungen im Text und Tafel V—XIV) . . 421 
Seheidemandel, Erfahrungen Uber die Spezifität der Wasserraann’schen Re¬ 
aktion, die Bewertung und Entstehung inkompletter Hemmungen . . 482 
Ebner, Radikale Appendizitisbehandlnng und ihre Ergebnisse bei 611 Fällen 

der Königsberger chirurgischen Klinik.498 

Schippers, Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne . . . 543 
Gelpel, Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die Lungen¬ 
arterie (Mit 2 Abbildungen).557 

Hochhaus, Über den Pektoralfremitus.571 

Prym, Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen ProbefrühstUcks. . 589 
Stursberg, Untersuchungen über Art und Ursache von Gefäßreflexstörungen 

bei Syringomyelie.609 

Besprechungen: 

1. Shimodaiva, Experimentelle Beiträge zur Wirkungsweise der 

Bier’schen Stanungstherapie (Siebeck, Heidelberg).623 

2. B e n e r t, Kardiale Dyspnoe (Siebeck, Heidelberg) ....... 623 

3. Stern, Über traumatische Entstehung innerer Krankheiten (Dietlen, 

Straßburg).624 

Berichtigung zu dem Aufsatze Skornjakoff’s : Zur Frage der extramedullären 
Blutbildnng bei posthämorrhagischen Anämien (dieses Archiv Bd. 101 

p. 251) (Sternberg). 626 

Cnrschtnann, Bemerkungen zu der Arbeit von K. Grandauer „Der hemmende 
Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschlichen Magens und seine 
Bedeutung für die diagnostische Verwertbarkeit des Probefrühstücks 4- 
Bd. 101 p. 302 f. dieses Archivs.628 


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Am 5. Oktober starb 

Ernst von Leyden. 

Mit ihm ist deijenige der deutschen inneren Kliniker 
dahingegangen, der in den letzten dreißig Jahren wie 
kein anderer genannt wurde, in Deutschland und im 
Auslande. 

Es ist für den Jüngeren nicht leicht dem vollkommen 
gerecht zu werden, was Leyden der deutschen Klinik 
war. Denn manche Seiten seines ausgebreiteten Wirkens 
der letzten Zeit, z. B. sein lebhaftes Bestreben in der 
Gründung neuer Gesellschaften und neuer literaririscher 
Unternehmungen, schien vielen, in Deutschland gegen¬ 
wärtig verbreiteten Neigungen zu sehr entgegen zu 
kommen. Es mag schwer sein sich von den umformenden 
Einflüsse einer werdenden Weltstadt völlig frei zu halten. 
Noch viel mehr würde es Unrecht sein einen Mann nach 
den Konzessionen zu beurteilen, die er manchmal wohl 
machen mußte in dem Drange der mannigfaltigen und 
aufreibenden Wirksamkeit, der sich ein großer Kliniker in 
einer großen Stadt nicht entziehen kann. Denn Ernst 
von Leyden war ein großer Kliniker im eigentlichen 
Sinne des Wortes und seine Bedeutung für die deutsche 
Klinik liegt, wie mir scheint, in der erstaunlichen Viel¬ 
seitigkeit und Beweglichkeit seines Geistes, sowie in dem 
Bestreben miteinander zu vereinigen die Symptomato¬ 
logie und systematische Krankheitslehre einerseits, mit 


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11 


dem Verständnis der Erscheinungen andererseits. Er gab der 
klinischen Medizin eine Fülle von Anregungen. Es ist ganz er¬ 
staunlich und ein Beweis für die wirkliche Universalität seines 
Geistes, welche ausgezeichneten und tiefsinnigen Ideen über krank¬ 
hafte Vorgänge er gelegentlich äußerte, Gedanken, die später 
die reichsten Früchte trugen; ich erinnere z. B. an seine Vorstel¬ 
lungen über die Entstehung, Ausgleichung und Behandlung der 
tabischen Ataxie. 

Soviel ich sehe hat er sich nie einer Richtung verschrieben, 
weder der alten Trousseau’schen Klinik, noch der sogenannten 
physiologischen, noch der pathologisch-anatomischen. Unzweifelhaft 
hatte er den größten ärztlichen Instinkt, die Fähigkeit der vollen 
Beherrschung klinischer Auffassung der Krankheitserscheinungen, 
Man lese z. B. die verschiedenen Aufsätze über Herzkrankheiten, 
man denke an die Arbeiten über Tabes und Polyneuritis: nicht 
vieles in der klinischen Literatur ist dem zu vergleichen an 
feinem ärztlichen Verständnis. Wo hat er sich nicht bemüht neues 
zu schaffen! Wie viele Beobachtungen, Anregungen, ja Entdeck¬ 
ungen verdanken wir ihm! Die experimentelle Pathologie, wie 
sie sich anlehnt an die physiologischen Strömungen der Zeit und 
wie sie als ein gangbarer Weg zum Verständnis der krankhaften 
Vorgänge erscheint, wurde von Leyden und seinen Schülern stets 
nach allen Richtungen hin im Sinne und nach dem Vorbilde seines 
Lehrers Traube gepflegt. 

Die Königsberger Zeit zeigt den großen Kliniker auf seiner 
ganzen Höhe. Die Klinik wurde dort gewissermaßen neu geschaffen. 
Welches angeregte wissenschaftliche Leben an der Klinik, man 
braucht nur an die Männer zu denken, die aus ihr hervorgingen, 
an Namen wie Jaffe und Nothnagel. Welche Fülle ausge¬ 
zeichneter Arbeiten! Mich hat die Allseitigkeit der Betätigung 
immer mit größter Bewunderung erfüllt. Sie war nur bei einem 
Manne möglich, der mit unermüdlichem Fleiße, mit Talent, Liebe 
und wirklichem Interesse an wissenschaftlicher Arbeit hing. Die 
ersten theoretischen Forscher standen mit Leyden in stetem 
Gedankenaustausch und liebten ihn — von vielen weiß ich es; 
vielleicht das schönste Zeichen für den Wert eines Klinikers als 
Gelehrten. Wenn man das zusammennimmt mit einer vollendeten 
ärztlichen Persönlichkeit, so sehen und verehren wir in Leyden 
einen Kliniker ersten Ranges, einen Mann, der uns das erhebende 
Beispiel gibt, daß es doch möglich ist zugleich wirklicher Arzt 
und wirklicher Gelehrter zu sein. 


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Es würde aber im Bilde Leyden’s als Kliniker etwas Wesent¬ 
liches fehlen, würde nicht noch mit Nachdruck hervorgehoben werden, 
mit welcher beharrlichen Energie er immer und immer wieder auf die 
Bedeutung der therapeutischen Bestrebungen in der medizinischen 
Klinik hinwies. Wie mir scheint beruht der beste Teil unserer 
Behandlung auch jetzt noch auf dem instinktiven Helfen, wie es 
<lem im Blute liegt, den die Natur zum Arzte machte. Leyden 
gehörte zu diesen Ärzten. Was ihn aber auch hier über so viele 
andere heraushob, war sein Bestreben auch diesen — ich möchte 
sagen fast unveräußerlichen — Besitz anderen mitzuteilen. Er 
wollte nicht nur Helfer sein, sondern er hat Therapie gelehrt 
und zwar schon zu einer Zeit, in der die meisten anderen noch 
kaum an die Möglichkeit einer Therapie als Wissenschaft glaubten. 
Auch hier war er durchaus ein Führer und hat uns allen seine 
-Spur eingeprägt. Er ist unseres dankbaren Andenkens gewiß. 

KrehL 


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Aus der medizinischen Klinik in Basel. 

Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen 
Saitengalvanometer und Untersuchungen über 
Galopprhythmns. 

Von 

Walter von Wyss, 

Assistenzarzt. 

(Mit 18 Kurven.) 

Die Methoden zur Aufzeichnung von Herztönen sind zahlreich 
und werden immer feiner. Wir möchten hier nur die Mikrophon¬ 
methode von Hürthie, dann die optische Methode von deHolo- 
winski und die Methode von Marbe mit den Flammenbildchen 
erwähnen. Einthoven hat zunächst Stromschwankungen ver¬ 
mittels des Kapillarelektrometers registriert. Wir versuchten die 
spätere Methode von Einthoven, mit dem Saitengalvanometer Herz¬ 
töne aufzuzeichnen, klinisch zu verwerten. 

Dem ruhig liegenden Patienten wurde die Gummiplatte des 
Phonendoskops auf die Brustwand gelegt. Das Mikrophon befand 
sich in Julius’scher Aufhängung, um accidentelle Erschütterungen 
möglichst auszuschalten. Aufnahmen mit Fernleitung erwiesen sich 
als unzweckmäßig, weil in dem Krankenhause störende mechanische 
Erschütterungen sich nicht völlig ausschalten ließen. 

Einwandsfreie Aufnahmen zu gewinnen ist mit Schwierigkeiten 
verbunden. Einmal ist erforderlich, daß der Patient absolut still 
liegt, ferner, daß der Herzschlag nicht allzu lebhaft und stürmisch 
ist, außerdem müssen die aufzuzeichnenden Schallerscheinungen eine 
genügende Intensität haben. 

Die Bilder, die die nachstehenden Kurven wiedergeben, sind 
keine akustischen Erscheinungen, es sind Darstellungen mechanischer 
Erschütterungen der Brustwand. Weder die Form noch die Zahl 
der Schwingungen, die wir auf unseren Kurven erhielten, ent¬ 
sprechen den Anforderungen, die wir an Bilder von akustischen 
Phänomenen stellen. Es sind ziemlich unregelmäßig verlaufende 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. Bd. 101. 1 


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2 


Wyss 


Sinusschwingungen von beschränkter Zahl. Auch Einthoven 
selbst und andere, die seine Methode befolgten, haben, wie wir wohl 
mit Sicherheit annehmen dürfen, nur mechanische Erschütterungen 
der Brustwand dargestellt. Auch in den Fällen, wo die Schwingungs¬ 
zahlen an der untersten Tongrenze liegen handelt es sich wohl nur 
um Eigenschwingungen der rezeptierenden Membran, ausgelöst 
durch mechanische Erschütterungen der Brustwand (20—30 Schwin¬ 
gungen). Ein stärker empfindliches Galvanometer reagiert selbst¬ 
verständlich mit einer größeren Zahl von Vibrationen. Aber ein 
prinzipieller Unterschied besteht wohl nicht zwischen den Bildern 
von Einthoven und unseren. 

Joachim und Weiß haben inzwischen eine Methode er¬ 
sonnen, die es ermöglicht, rein akustische Phänomene zu gewinnen 
und wieder als solche zu reproduzieren. 

Wir anerkennen, daß diese Methode der Einthovenaschen 
und auch allen übrigen neuen Methoden überlegen ist, insofern als 
sie wirklich die verschiedenen Tonqualitäten und auch die Ge¬ 
räusche in charakteristischer Weise wiedergibt, Eigenschaften, die 
wir der Einthoven’schen Methode nicht zusprechen können. 
Immerhin ist es uns auch gelungen auf diesem Wege Aufschluß 
gewinnen zu können über die zeitlichen Verhältnisse der Herztöne, 
spez. auch bei den unter gewissen Umständen auftretenden acci- 
dentellen Tönen. 

Wie gleichzeitige Auskultation und Palpation ergeben, können 
die mechanischen Erschütterungen der Brustwand, die wir auf 
unseren Kurven reproduzierten, wohl auf dieselbe Ursache wie die 
akustischen Erscheinungen selbst zurückgeführt werden. 

Vorerst möchten wir noch einmal die Kurve eines Patienten 
mit zwei reinen Herztönen reproduzieren. 



Es zeigen sich hier zwei in annähernd absolut gleich bleibendem 
Intervall wiederkehrende Schwingungsbilder. Das eine mit größerer 
Amplitude, das andere mit kleinerer. Der erste Ton erscheint immer 


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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer etc. 3 


größer sowohl in bezug auf die Amplitude als auch in der Regel 
auf die Frequenz der Schwingungen; auch wenn der akustische 
Eindruck ein anderer ist: wiederum ein Beweis dafür, daß wir es 
mit mechanischen Erschütterungen zu tun haben. Vor dem ersten 
Ton erscheint öfters noch ein kleiner Vorschlag, er entspricht der 
kleinen Zacke am Fußpunkt der großen Erhebung des Kardiogramms 
und ist somit nach den heute allgemein geltenden Anschauungen 
als Vorhofston charakterisiert. 

Aus den Distanzen der beiden Herztöne lassen sich Systolen- 
und Diastolendauer bestimmen. Die Messung beginnt jeweilen am 
Anstieg der Schwingung. Die Geschwindigkeit, mit der die Auf¬ 
nahmetrommel rotierte, war stets konstant. Auf den Kurven ent¬ 
sprachen 4 mm = 0,2 Sekunden. Daraus ergibt sich für den vor¬ 
liegenden Fall, einen Normalen mit 78 Pulsen pro Minute, eine 
Systolendauer von 0,3 Sekunden, eine Diastolendauer von 0,44 Se¬ 
kunden. Die Werte entsprechen ziemlich genau den vonEdgren 
beim Normalen innerhalb derselben Pulsfrequenz auf andere Weise 
gewonnenen Zahlen. Die Distanz zwischen Vorschlag und erstem 
Ton beträgt 0,1 Sekunden. 

Wir geben im folgenden eine Tabelle wieder von 50 Fällen, 
bei denen wir genaue Messungen über das Verhältnis von Systole 
und Diastole vornehmen konnten. 

Es ist bekannt, daß unter den Variationen der Pulsfrequenz 
beim Normalen, das zeitliche Verhalten der Systole bedeutend 
weniger beeinflußt wird, wie das der Diastole. Ein Blick auf die 
nachfolgende Tabelle I ergibt aber doch auch ganz erhebliche 
Schwankungen der Systolendauer unter krankhaften Verhältnissen. 
So kann die Systole ganz bedeutend verkürzt werden, z. B. bei 
dem schnellschlagenden Herzen von Tuberkulösen, bei beschleunigtem 
Pulsschlag infolge von Krankheiten des Herzens, bei Basedow- * 
kranken, ferner können Systole und Diastole derart verkürzt 
werden, daß die Systole relativ länger wird wie die Diastole, wie 
hier z. B. beim Patienten mit extremster Lungenphthise und 
deutlichem präsystolischem Galopprhythmus. 

Ferner finden wir auch erhebliche Verlängerungen der Systole 
bei langsamem Puls, so z. B. in einem Fall von ikterischer Brady¬ 
kardie. Wenn auch die Systole einen relativ geringen Anteil an 
der Verlangsamung der gesamten Herzaktion bietet, so beträgt ihre 
Dauer doch immerhin volle 4 / 10 Sekunden. 

Ebenso sehen wir eine Verlängerung der Systole bei Brady- 

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4 


Wyss 


I 


Tabelle I. 


Name 

Krankheit 

Systole 

Diastole 

Pols 

T. B. 

Typhusrekonvalenscenz 

0,24 

0,32 

108 

B. 

Taberc. pnlm. 

0,24 

0,2 

130 

G. 

Hypertroph, cord. 

0,24 

0,3 

108 

W. 

Nephritis 

0,27 

0,3 

114 

M. 

Herzbypertrophie 

0,2 

0,36 

100 

Sch. 

Adams Stokes 

0,2 

0,34 

106 

G. 

Nephritis 

0,3 

0,34 

90 

W. 

Mitralstenose 

0,24 

0,44 

90 

E. 

Mitralstenose 

0,34 

0,62 

60-70 

0. 

Mitralstenose 

0,3 

0,36 

90 

Sch. 

Lungentnberk. 

0,24 

0,32 

100-110 

B. 

Nephritis 

0,36 

0,46 

84 

P. 

Nephritis 

0,3 

0,44 

78 

K. 

Tuberc. pnlm. 

0,25 

0.35 

90 

W. 

Nephritis 

0,34 

0,56 

66 

P. 

Anämie 

0,36 

0,5 

70 

W. 

Nephritis 

0,34 

0,54 

66 

s. 

Nephritis 

0,4 

0,94 

44—48 


Anilin Intox. 

0,4 

0,74 

48 

St. 

Morb. basedow. 

0,2 

0,22 

140 

B. 

Bronchitis 

0,3 

0,44 

78 

s. 

Nephritis 

0,36 

0,52 

66 

D. 

Mitralstenose 

0,3 

0,4 

70 

T. 

Myokarditis 

0.34 

0,66 

i 66 

N. 

Nephritis 

0,37 

0,5 

60-70 

K. 

Myodeg. Arythmia per. 

0,25 


I 

K. 

Aortenstenose 

0,42 

0,64 

! 54 

B. 

Aortenstenose 

0,34 

0,36 

84 

H. 

Perikarditis 

0,24 

0,3 

! 108 

N. 

Nephritis 

0,3 

0,4 

! 84 

Sch. 

Mitralstenose 

0,24 

0,34 

102 

Z. 

Herzhypertrophie, Lungentuberk. 

0.24 

0,34 

102 

Sch. 

Lungentuberk. 

0,3 

0,34 

90 

B. 

Ulcus ventr. 

0,3 

0,46 

78 

M. 

Mitralstenose 

0.24 

OB 

108 

Sch. 

Mitr. sten. Arythmia per. 

! 0,34 



M. 

Mitr. sten. + Tuberc. pulm. 

0,26 

0,3 

108 

H. 

Mitralstenose 

0,32 

0.42 

72 

B. 

Mitralstenose 

0,3 

0,44 

72 

S. 

Mitralstenose , 

0.4 

0,54 

60 

z. 

Mitralstenose 

0,36 

0,72 

54 

w. 

Mitr. sten. Arythmia per. 

0,3 




Icterus 

0,4 

0,74 

48 

H. 

Gelenkrheumatismus 

0,34 

0.6 

66 

Sch. 

Herzhypertrophie 

0,24 

0,3 

108 

G. 

Arteriosklerose 

0,24 

0,36 

90—100 

V. 

Lebercirrhose 

0.25 

0,34 

74 

s. 

{ Rheumatismus. Bradykardie 

0,36 

0,76 1 

48 

G. 

i Nephritis ! 

0,35 I 

0,8 

48 


! Aorteninsufficienz 

0,3 ! 

0,45 

78 


kardie infolge von Nephritis und Klappenfehlern (s. Kurve 2), Fälle, 
bei denen das Herz ankämpft gegen einen erhöhten Widerstand 
im arteriellen System. Der stärker gedehnte Muskel kontrahiert 


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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer etc. 5 

sich hier eben langsamer. Endlich linden wir ebenfalls beträcht¬ 
liche Verlangsamung der Systole bei einer schweren Anämie in¬ 
folge von Anilinvergiftung. Die Tatsache, daß die Pulsfrequenz 
zunahm mit der Besserung des Befindens des Patienten, läßt wohl 
die Deutung zu, daß diese Verlangsamung als eine toxische zu 
deuten sei, klinisch ein Zeichen von darniederliegender Herzkraft. 


Kurve 2. 



Aortenstenose, langsamer Puls. 

Lange Systole. Unten Spitzenstoß. 


Neuerdings hat Kraus die Systolendauer ermittelt, indem er 
die Ventrikelschwankung des Elektrokardiogramms bei einer Reihe 
von Individuen maß und verglich. Seine Werte liegen etwas höher, 
weil die zeitlichen Verhältnisse der Ventrikelschwankung sich nicht 
völlig decken mit der Distanz der beiden Herztöne. 

Wie verhält sich nun die Distanz zwischen Vorschlag und 
erstem Ton bei den Variationen der Pulsfrequenz? 

Bei beschleunigtem Puls läßt sich meist kein deutlicher Vor¬ 
schlag trennen von dem ersten Ton. Bei langsamem Puls schon 
viel häufiger. Die Variationen, die auf der beiliegenden kleinen 
Tabelle eingetragen sind, scheinen in dem Sinne zu sprechen, daß 
auch hier dieselbe Erscheinung wie oben gilt, d. h. daß die Distanz 
bei langsamem Puls größer wird wie bei raschem (Tabelle II). 
Ob es sich dabei um eine Verzögerung der gesamten Vorhofs¬ 
kontraktion oder um eine Verlangsamung der Leitung handelt, 
das läßt sich aus diesen Bildern nicht ersehen, darüber kann viel¬ 
leicht das Elektrokardiogramm besser Aufschluß geben. 

In bezug auf die Form der Schwingungen lassen sich zwar 
bestimmte Unterschiede beobachten, die Deutung aber ist erheb¬ 
lich schwieriger. Das Bild des ersten Tones zeigt gewöhnlich 
mehrere Schwingungen mit raschem Anstieg der Amplitude im 
Beginn und allmählichem Abklingen. Dasselbe wiederholt sich 


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6 


Wyss 


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Tabelle II. Distanz zw. Vorschlag und 1. Ton. 


Name 

Krankheit 

Systole 

Distanz 
As—Vs 

Pols 

i 

Rheumatismus 

0,3 

0,04 

72 

P. 

Tnberc. pnlm. 

0,3 

0.06 

76 

B. 

Bronchitis 

0,32 

0,1 

78 

K. 

Aortenstenose 

, 0,42 

0,1 

54 

S. 

Nephritis 

1 0,4 

0,14 

44 

T. 

Myokarditis 

! 0,34 

0.1 | 

66 

P. 

Anämie 

' 0,36 

0,08 1 

70 

w. i 

Nephritis 

; 0,34 

0,06 

66 

H. 

Mitralstenose 

| 0,3 

0,12 i 

\ 

70 


meist minder deutlich in der Darstellung des zweiten. Tones. Nun 
kommt es aber auch vor, daß der Anstieg der Amplitude mehr in 
den zweiten Teil des Bildes fallt, oder aber, es liegt ein mittleres 
Tal zwischen zwei annähernd gleich hohen Ausschlägen. Als be¬ 
sonders charakteristisch für irgendeine bestimmte Qualität eines 
Herztones haben wir weder die eine noch die andere Form finden 
können. Selbst die physiologische Spaltung des zweiten Herztones 
bei der Inspiration gibt keine einwandsfreien charakteristischen 
Bilder wie sie z. B. von Joachim und Weiß gewonnen wurden. 
Immerhin lassen sich vielleicht auf diesem Gebiet noch weitere 
Beobachtungen anstellen, die zu einem positiven Resultat führen. 

In der Hauptsache suchten wir mit unseren Kurven ein Urteil 
zu gewinnen über die Lage der accidentellen Töne, die unter ge¬ 
wissen pathologischen Bedingungen auftreten, wie sie vor allem von 
französischen Autoren analysiert worden sind. 

Zunächst suchten wir nach dem dritten Ton bei der Mitral¬ 
stenose, jenem kurzen dem normalen zweiten Ton folgenden Nach¬ 
klapp, der an der Spitze am deutlichsten hörbar ist, dem öfters in 
dem Kardiogramm eine eigene kleine Zacke entspricht am Fußpunkt 
des absteigenden Schenkels, der zuweilen neben einem systolischen 
Geräusch 1 ), einem lauten ersten Ton und dem verstärkten zweiten 
Pulmonalton das charakteristische Zeichen der Stenose der Mitral¬ 
klappe darstellt. Diese Schallerscheinung ist oft am deutlichsten 
zur Zeit des schlechten Befindens der Kranken, zuweilen ist sie 
gefolgt von einem diastolischen Geräusch. Sie kann im Ver¬ 
lauf einer akuten Endokarditis auftreten und wieder verschwinden. 
Derart ist dieser accidentelle Ton von Potain und seiner Schule 
charakterisiert worden, unter deutschen Autoren hat ihn D. Ger¬ 
hardt in dieser Weise definiert. 

1) Bei fehlendem präsvstol. Geräusch. 


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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer etc. 7 


Potain unterscheidet zwischen einem Dedoublement du se- 
cond bruit und dem Claquement de l’ouverture mitrale. Das erstere 
beruht nach seiner Auffassung auf dem ungleichzeitigen Schluß 
der Aorten- und Pulmonalklappen, infolge der Druckdifferenz in 
den beiden S}'stemen analog der Erscheinung des physiologisch¬ 
inspiratorisch gespaltenen zweiten Pulmonaltons, für den diese Er¬ 
klärung wohl von den meisten Autoren acceptiert worden ist. Das 
Claquement de l’ouverture mitrale sollte dadurch zustande kommen, 
daß die bei der Mitralstenose miteinander verwachsenen Klappen¬ 
segel, die ihre Elastizität verloren haben, gewaltsam gezerrt werden 
beim Wiedereinströmen des Blutes in den Ventrikel im Beginn der 
Diastole. Die Erscheinung müßte demnach zeitlich sich trennen 
lassen von der einfachen Verdoppelung des zweiten Tones. Andere 
Autoren, z. B. Geigel, haben überhaupt diesen dritten Ton immer 
nur als ungleichzeitigen Schluß der Semilunarklappen aufgefaßt. 

Bard, der sich viel beschäftigt hat mit der Analyse der 
accidentellen Töne, anerkennt einerseits das Claquement de l’ouver- 
ture mitrale, andererseits nimmt er als häufigsten Mechanismus 
des Phänomens eine Übertragung der Erschütterung der Aorten¬ 
klappen bei ihrem Schluß auf die Mitralklappe und deren Rück¬ 
wirkung ihrerseits wieder auf die Aortenklappe an. Andere Au¬ 
toren endlich deuteten den dritten Ton in der Hauptsache als 
Vorhofston. 


Unsere Kurven haben ergeben, daß der accidentelle Ton immer 
protodiastolisch ist, was ja schon die Auskultation lehrt. Wir 
konnten dies Verhalten auch beim unregelmäßigen Puls feststellen. 
Die Aufnahme erfolgte immer über der Spitze. 

Wir geben hier einige Kurven wieder, die den dritten Ton 
bei der Mitralstenose auf¬ 


weisen , und zugleich eine 
Tabelle von 9 Fällen, in denen 
wir die Distanz zwischen dem 
zweiten und dem acciden¬ 
tellen Ton messen konnten. 
Auf der einen der Kurven (3.) 
liegt der dritte Ton so sehr 
in der Mitte der Diastole, 
daß seine Zugehörigkeit zum 
ersten oder zweiten Ton 
nur aus dem Vergleich mit 



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8 


Wyss 


Kurve 4. 


Pulskurve 
gehört zu 
Fall 3. 



Mitralstenose. Oben: V. jugularis, unten: Spitzenstoß. 

Am Spitzenstoß 2 diastolische Zacken, die protodiastolische entspricht dem 3. Ton. 


Kurve 5. 


Kurve 6. 



Mitralstenose. Mitralstenose. Arrhythmia perp. 


der Pulskurve erschlossen werden kann. Zur Erläuterung seien 
hier Spitzenstoß und Venenpuls derselben Patientin reproduziert 
Der Spitzenstoß weist zwei kleine diastolische Zacken auf, von 
denen die eine protodiastolische dem accidentellen Ton entspricht, 
während die andere durch ihre Koinzidenz mit der A -Welle des 
Venenpulses als Vorhofsaktion charakterisiert ist. 

Tabelle III. Dritter Ton bei Mitralstenose. 


Name 

1 

Systole Distanz zw. 2. und 3. Ton 

Puls 

V. 

0,24 

0,1 

90 

w. 


0,14 


z. 

0.36 

0,16 

54 

H. 

0,32 i 

0,12 

70—80 

s. 

0,4 

0,14 

60 

E. 

0,34 

0,16 

66 

0. 

0.3 

0,11 

90 

Sch. 

0,24 

0,16 

102 

M 

0,24 

0,12 

108 


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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoyen’scben Saitengalvanometer etc. 9 

Die Distanzen zwischen zweitem und accidentellem Ton schwan¬ 
ken zwischen 0,1 und 0,2 Sekunden. Wir finden auch hier eine 
gewisse Abhängigkeit von der Pulsfrequenz, d. h. es zeigt sich, 
daß im allgemeinen beim schnell schlagenden Herzen die Entfer¬ 
nung geringer ist. wie bei langsamem Puls. Dies Verhalten läßt 
sich zwar nicht als Regel aufstellen. Es ist aber einleuchtend, 
daß sich der Unterschied zwischen einem wohlkompensierten 
Klappenfehler oder einer in Heilung begriffenen akuten Endo¬ 
karditis und einem alten dekompensierten Vitium auch sowohl in 
dem zeitlichen Verhalten des accidentellen Tones als auch in einem 
verschiedenen Timbre äußert, ohne daß wir deshalb gezwungen 
wären, die komplizierende Annahme von zwei differenten Ent- 
stehungsursachen zu übernehmen. 

Wir werden weiter unten sehen, daß wir auch beim Normalen 
in annähernd derselben Distanz zuweilen eine schon von Eint¬ 
hoven beschriebene accidentelle Schwingung finden. Die ein¬ 
fachste Annahme für die Erklärung des accidentellen Tones bei 
der Mitralstenose ist die, darin eine Erscheinung zu sehen, die 
einem physiologischen Vorgang entspricht, und die einfach durch 
die bei der Mitralstenose charakteristischen Veränderungen des 
Klappenapparates ihre Verstärkung erhält, ganz ähnlich wie wir 
diesen accidentellen Ton unter anderen Bedingungen als proto¬ 
diastolischen Galopprhythmus kennen. Mit dieser Ansicht scheint 
uns auch die Auffassung am besten vereinbar, die den dritten Ton 
in die Zeit des Wiedereinströmens des Blutes in den Ventrikel 
verlegt, in den Augenblick, da sich die Klappen wieder öffnen. 
Dafür spricht auch die Tatsache, daß oft dem accidentellen Ton 
ein diastolisches Geräusch nachfolgt. Diese Zeit ist meßbar durch 
den Vergleich von Vorhofsdruckkurven und Kardiogrammen und 
entspricht genau den von uns gefundenen Werten von 0,1 und 0,2 
Sekunden. Diese Anschauung deckt sich mit der alten Potain- 
schen Lehre von dem Claquement de l’ouverture mitrale. Ob es 
nun tatsächlich die Zerrung der Klappen ist oder die Spannung 
der Ventrikelwandung, die den Ton erzeugt, das läßt sich nicht 
entscheiden. Mit Bestimmtheit aber dürften wir folgern, daß die 
Bedingung zum Zustandekommen des accidentellen Tones an dem 
Hindernis an der Mitralklappe gesucht werden muß und an keiner 
anderen Stelle. 

Das interessanteste akustische Phänomen, das für unsere Unter¬ 
suchungen in Betracht kommt, ist der Galopprhythmus. Dieser 
eigentümlich dreiteilige Rhythmus ist von einer Reihe von Autoren, 


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10 


Wyss 


wiederum in erster Linie von Potain und seiner Schule, so genau 
definiert worden, daß wir ohne weiteres auf jene Darstellungen 
verweisen. 

Brauer und andere Autoren betonen in erster Linie den 
protodiastolischen Galopprhythmus als den wesentlichen Typus. Im 
Gegensatz dazu haben wir gefunden, daß der präsystolische Galopp¬ 
rhythmus an Häufigkeit des Vorkommens überwiegt. 

Die Ansicht der meisten Autoren geht wohl heutzutage dahin, 
in dem accidentellen präsystolischen Ton eine verstärkte Vorhofs¬ 
aktion zu erkennen, wie dies durch den Vergleich von Kardio¬ 
gramm und Venenpuls bewiesen worden ist. Friedrich Müller 
hat betont, daß bei einer Reihe von Fällen von Galopprhythmus 
eine Verlängerung des Intervalls zwischen Vorhof- und Ventrikel¬ 
kontraktion gefunden wird, daß hierbei eine Störung der Leitung 
stattfindet. Wir geben hier einige Kurven wieder, in denen es uns 
gelungen ist, den accidentellen Ton graphisch zu fixieren, zu¬ 
gleich eine Tabelle von 7 Fällen, bei denen wir das Intervall 
zwischen accidentellen und erstem Ton messen konnten. 


Tabelle IV. Galopprhythmus. 


Name 

Krankheit 

Systole 

Puls 

| Distanz zw. 1. 
i u. accident. Ton 

Diastole 

1. G. 

Herzhypertrophie 

0.24 

i 

108 

0.14 

0,3 

2. V. 

Lebercirrhose 

0.25 

74 

0,15 

0,34 

3. W. 

Nephritis 

0,27 

114 

0,16 

0,3 

4. Schn. 

Aorteninsufficienz 

1 0.24 

108 

0.14 

0,34 

5. Sehe. 

Aorteninsufficienz 

1 0.3 

78 

0,15 

0,4 

6. H. 

Herzhypertrophie 

0,24 

108 

0,12 

0.44 

7. W. 

w 

0,28 

108 

0,15 

0,30 


Auf Kurve 7 ist der accidentelle Ton durch seine Koinzidenz 
mit der präsystolischen Zacke am Fußpunkt des aufsteigenden 
Schenkels des Kardiogramms als Vorschlag charakterisiert, er ent¬ 
spricht also nach den allgemein geltenden Anschauungen tatsäch¬ 
lich der Vorhofsaktion. 

Kurve 7. 



Präsyst. Galopprhythmus. nuten SpitzenstoG. 


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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer etc. H 

Auf Kurve 8 ist der erste Ton als solcher charakterisiert 
durch den (umgekehrt geschriebenen) Carotispuls. Der accidentelle 

Kurve 8. 


a 1 2 a l 2 Galopprhythmus. Oben Carotis. 

Ton fallt ebenfalls wieder in die Präsystole. Die beigefügte Puls¬ 
kurve läßt das Intervall a—c resp. nach Abzug der Verspätung 
das Intervall zwischen Vorschlag und Ventrikelsystole, das wir der 
Kürze halber als As—Vs, bezeichnen, bestimmen; letztere Distanz 
erweist sich als dieselbe, die wir eben auf dem Kardiophonogramm 
gefunden haben: 0,14 Sekunden. Die Kurve 9 stammt von dem- 

Kurve 9. 


Carotis 


selben Patienten bei etwas rascherer Pulsfrequenz. Systole und 
Diastole sind entsprechend verkürzt, der zweite und dritte Ton 
liegen noch näher beisammen, die Distanz As—Vs, aber ist die¬ 
selbe. Ein ähnliches Verhalten ergibt die Kurve 10. 


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Vena 

inf. 


Kurve 10. 


Galopprhythmus. 

* Pnlskurve gehört zu Kurve 8 u. 9. 


Präsystolischer Galopp- 
rhythmus. 


a 1 2 

Galopprhythmus. 

Kurve der Herztöue 8 u. 9. 








....... 









12 


Wyss 


Bei einer stärkeren Pulsbeschleunigung wird selbstverständlich 
die Diastole noch kürzer und der dritte Ton liegt gerade in der 
Mitte, so daß von einem Unterschied zwischen präsystolischem und 
protodiastolischem Galopprhythmus keine Rede mehr sein kann. 

Hier sei auch die schon erwähnte Kurve vom präsystolischen 
Galopprhythmus wiedergegeben, hei der die Systole länger erscheint 
wie die Diastole (s. Kurve 11). Der accidentelle Ton scheint hier 
nur eben angedeutet, nicht wesentlich verschieden von dem gewöhn¬ 
lichen Vorschläge. 


Karre 11. 



Präsyst. Galopprhythmus. Systole länger wie Diastole. 


Die auf der Tabelle IV eingetragenen Zahlen lassen erkennen, 
daß die Distanz As—Vs in Anbetracht der hohen Pulsfrequenz 
gegenüber der Norm ziemlich groß ist. Tatsächlich sind aber die 
Unterschiede doch zu gering, als daß wir hieraus mit Sicherheit 
schließen dürfen, es handle sich um eine verzögerte Überleitung 
zwischen Vorhof und Ventrikel. 

Worin liegt denn nun wohl die Ursache der deutlichen Hör¬ 
barkeit des accidentellen Tones? 

Erstens handelt es sich wohl immer um eine verstärkte Vor¬ 
hofsaktion. Das eigentlich Charakteristische aber des Rhythmus ist, 
wie wir glauben, in der Hauptsache bedingt durch das zeitliche 
Verhalten von Systole und Diastole. Tatsächlich linden wir in 
der Regel, daß die Systole in Anbetracht der starken Verkürzung 
der Diastole, relativ lang erscheint, (Vergleiche dazu Tabelle IV.) 

Nun gibt es aber einen accidentellen Ton protodiastolischer 
Natur, der sicher mit der Vorhofsaktion nichts zu schaffen hat. Wir 
hatten Gelegenheit auch einen derartigen Fall zu untersucheu. Es 
handelte sich um einen Patienten mit einer schweren Anämie und 
Magenbeschwerden, bei dem während einer ungünstigen Phase 
seines Leidens ein deutlicher accidenteller Ton hör- und registrier¬ 
bar war, der mit der Besserung des Befindens wieder verschwand. 
Auf der Kurve erscheint dieser accidentelle Ton 0,18 Sekunden 
nach dem zweiten Ton bei einer Pulsfrequenz von 70 pro Minute. 


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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer etc. 13 


Der Vorschlag erscheint ebenfalls deutlich und selbständig. Wir 
glauben, es handle sich hier um die gleiche Erscheinung wie bei 
der Mitralstenose, nur mit dem Unterschied, daß hier nicht ein 
Hindernis an der Klappe vorliegt, daß die Ursache für die Ent¬ 
stehung des Tones liefert, sondern vielleicht ist es hier die Dilatation 
des Herzens, die Bedingungen liefert analog der Klappenanomalie, 


so daß vielleicht beim Wiederein¬ 
strömen des Blutes in den Ventrikel 
die Wand gedehnt wird entsprechend 
der Potain’schen Anschauung, oder 
es mag ein aktiver diastolischer Vor¬ 
gang sein wie ihn Brauer geschil¬ 
dert hat. 

Die beiden Formen des Galopp- 
rhythmus scheinen demnach einer 
gleichartigen Erscheinung zu ent¬ 
sprechen : In beiden Fällen handelt es 
sich um einen verstärkten Blutein¬ 
strom in der Diastole bei rascher 
Pulsfrequenz. Bei der präsystolischen 
Form ist offenbar der Vorhof mit be¬ 
teiligt, dies sind wohl auch die Fälle, 
bei denen die Autopsie eine Hyper¬ 
trophie des Vorhofes ergibt. Bei der 
anderen, selteneren Form ist es der 
Beginn der diastolischen Füllung des 
Ventrikels, der Zeitpunkt der Öff¬ 
nung der Klappen. Diese Anschau¬ 
ung deckt sich ziemlich genau mit der 
Potain’schen Lehre und der Auf¬ 
fassung, wie sie z. B. auch von Sahli 
vertreten wird. 

Einen wirklichen Übergang der 
präsystolischen in die protodiastolische 
Form können wir bei der hier ge¬ 
gebenen Definition nicht anerkennen. 
Es gibt Fälle, bei denen der dritte 
Ton in die Mitte der Diastole fällt, 
dann, wenn jene sehr stark verkürzt 
ist, die genaue Analyse ergibt aber, 
daß es sich um die Form handelt, 



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Original frnm 

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14 


Wyss 


bei der die Vorhofsaktion mit beteiligt ist. Systole und Diastole 
sind in der Regel stark verkürzt. Nach unseren Beobachtungen 
scheint aber die Distanz As—Vs nicht abhängig zu sein von der 
Länge der Systole. 

Potain hat bekanntlich noch zwei weitere Formen des 
Galopprhythmus unterschieden, einen systolischen und einen meso¬ 
systolischen. Der erstere deckt sich mit dem Begriff des ersten 
gespaltenen Tones, wie er z. B. von Geigel eingehend studiert 
worden ist, den zweiten Typus haben wir ebenfalls beobachtet, 
doch ist es uns weder in dem einen, noch in dem anderen Fall ge¬ 
lungen, charakteristische Bilder davon zu erhalten 

Wie schon erwähnt hat Ein¬ 
thoven auf seinen Kurven einen 
accidentellen Ton gefunden, der 
zuerst von Gibson gehört und 
beschrieben wurde bei normalen 
Individuen in einer Distanz von 
0.11—0,15 Sekunden nach dem 
zweiten Ton. Neuerdings ist auch 
von Thayer aufmerksam gemacht 
worden auf die Existenz eines 
dritten Herztones bei normalen 
jugendlichen Individuen. Auch 
wir haben zuweilen bei jungen 
Leuten mit ruhigem Herzschlag 
dem zweiten Ton folgend eine kleine dritte Zacke erhalten, die wohl 
der von Einthoven beschriebenen entspricht. Die Kurve 13 
gibt ein derartiges Bild wieder. Die Distanz ist hier in dem vor¬ 
liegenden Falle etwas größer, gleich 0,2 Sekunden entsprechend der 
sehr niederen Pulsfrequenz. Einthoven sucht diesen dritten 
Herzton zu deuten als eine erneute Schwingung der Aortenklappen 
infolge von Druckschwankungen nach dem Klappenschluß. Thayer 
gibt keine Deutung, glaubt aber in dieser accidentellen Erscheinung 
das physiologische Äquivalent des pathologischen protodiastolischen 
Galopprhythmus zu finden. 

Es ist an sich nicht wahrscheinlich, daß durch Druckschwan¬ 
kungen die Aortenklappen wiederum derart in Vibration gelangen, 
daß diese Vibrationen einen Ton erzeugen. Noch weniger wahr¬ 
scheinlich aber wird diese Deutung durch die oben erwähnten 
pathologischen Befunde, denn daß es sich bei diesem Einthoven- 
sclien Ton wiederum um eine besondere Erscheinung handeln soll, 


Kurve 13. 

1 2 3 12 3 



3. Ton bei Normalen. 
(Eintboven's 3. Ton.) 


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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer etc. 15 


das erscheint uns völlig ausgeschlossen, allein schon durch die 
zeitliche Koinzidenz mit dem dritten Ton der Mitralstenose und dem 
protodiastolischen Galopprhythmus. Es liegt kein Grund vor, daß 
gerade bei der Mitralstenose oder bei einem kachektischen Indi¬ 
viduum erneute Vibrationen der Aortenklappen besonders deutlich 
sein sollten. 

Im Anschluß an diese Untersuchungen habe ich das Phänomen 
des Galopprhythmus noch weiter studiert an der Hand von Puls¬ 
kurven, die während mehreren Jahren an der hiesigen Klinik auf¬ 
genommen w'orden sind. Es zeigte sich auch hier, daß der prä¬ 
systolische Typus des Galopprhythmus an Häufigkeit bedeutend 
überwiegt. 

Zunächst seien hier einige Kurven wiedergegeben vom prä¬ 
systolischem Galopprhythmus. 

Die beiden ersten Kurven stammen von demselben Patienten. 
Nr. 14 zeigt eine deutliche Verlängerung des a—c-Intervalls, bei 


Kurve 14. 

a c a c 



Galopprbythmus. Intervall a—c. 0,21. 


Kurve 15. 


Kurve 16. 


a c 


i 



iLJU UL 1 [ l ■- _J_>—>—>—l 


Kein Galopprhythmus. 
Intervall a—c 0,18. 


a c v 



Galopprhythmus. 


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16 


\VyS8 


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bestehendem Galopprhythmus. Nr. 15 ergibt das normale a—c-Inter- 
vall, hierbei war auch kein Ton mehr hörbar. 

Die nächste Kurve Nr. 16, die 


Kurve 17. 



Spitzen- 

fttoß 

Carotis 


Galopprbythmus. A s.—V s. 0,10. 


Tabelle V. 


von einem anderen Patienten 
stammt, ergibt trotz deut¬ 
lichem Galopprhythmus ein 
normales a—c-Intervall. 

Kurve 17 endlich gibt 
einen Vergleich zwischen 
Spitzenstoß und Carotis. Die 
präsystolische Zacke am 
Spitzenstoß ist hier sehr deut¬ 
lich. 

Die Messungen einer 
größeren Zahl anderer Fälle 
sind auf der Tabelle V ein¬ 
getragen. 

G a 1 o p p r h y t h m u s. 


Name 


Krankheit 


datier l ^ 016 A ~° ! As ~ V8 


I 


n. 

in. 

IV. 

v. 

VI. 

VII. 
VIII. 

IX. 

X. 
XI. 

XII. 

XIII. 

XIV. 


a) G. 

b) „ 

C) n 
<1) * 

e) „ 

f) n 

a) E. 

c) „ 

a) H. 

b) „ 
P. 

R. 

W. 

M. 

H. 

G. 

P. 

M. 

K. 

S. 


XV. B. 
XVI. W. 
XVII. F 
XVIII. Scb. 
XIX. d. G. 


Herzhypertrophie 


Kein Galopprhythmus 
Nephritis 

n 

Nephritis 

I Nephritis 
Nephritis 
Nephritis 
Bradykardie 
Nephritis 
Nephritis 
Nephritis 
Herzhypertrophie 
Perniziöse Anämie 
Bronchiolitis 
Nephritis 

Kein Galopprhythmus 
Nephritis 

Nephritis akut 
Aorteninsuflicienz 
Cheyne-Stokes 


0,62 
0 . 6 « 
0.8 
0,7 
0,62 
0,82 
0,62 
0,86 
0,52 
0,76 
0,54 
0,6(5 
0,70 

0,52 

0,66 

0,52 

0,52 

0.50 

0.4 

0,46 

0,9 

0.62 

0,52 

0,66 

0,76 

0,52-1,0 


0.26 

0,30 

0.26 

0,26 

0.21 

0.2 


0,24 

0,26 


0,2 

0.21 

0.22 

0,2 


0,2 

0,22 


0.22 
0,24 
0,24 
0.2 J 
0,21 
0,18 
0,2 

, 0,2 

. °’ 2 

0,2 

0,18—0,2 

I 0 ’ 2 
0.22 
0,18 

0,18—0,2 
0.16 
0,2 
0,18 
: o,i8 
0.18 
0.1 

; 0,2 
0,18 
0,18 

L °’ 2 

0,14-0,26 


0,14 

0,16 

0,14 

042 

0,12 


0 , 10 «) 

0,11 


0,12 

0,16 

0,14 


0,14 

0,16 


1) Gemessen vom Gipfel der präsystolischen Zacke und nicht vom Fußpunkt 
wie bei den übrigen. 


Gck igle 


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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer etc. 17 

Fassen wir das Resultat dieser Untersuchungen zusammen, so 
finden wir, daß in der Mehrzahl der in der Tabelle eingetragenen 
Fälle das Intervall a—c sich an der oberen Grenze der Norm 
hält, daß es unter Umständen verlängert ist, daß diese Fälle aber 
mehr Ausnahmen darstellen. Daß wir Werte finden, die meist an 
der oberen Grenze der Norm liegen, dies kann gerade unter den 
speziellen Umständen (beschleunigte Herzaktion und kurze Systole) 
eine relative Verlängerung des a—c-Intervalls bedeuten. Von be¬ 
sonderem Interesse erscheint uns nun, daß bei zwei von den 
untersuchten Patienten zeitweise eine wirkliche Verzögerung der 
Überleitung von Vorhof zu Ventrikel vorkam. 


Kurve 18. 

a a c 



Galopprhythmus mit Überleitungsstörung. Während der Intermittenzen 

kein Ton hörbar. 

Bei einem Patienten mit Cheyne-Stokes (Fall 19) erschien jedes¬ 
mal kurz vor Einsetzen der Atmungen eine solche Verlängerung bis 
aufs doppelte. 1 ) Bei einem anderen Patienten (Fall 1, Kurve 18) trat 
zweimal anfallsweise je einen halben Tag lang starke Dyspnoe mit 
wahren Ventrikel-Intermittenzen auf. Auch in diesem Fall war das 
a—c-Intervall während dieser Stadien bis aufs doppelte verlängert. 
Beide Male hörte man auch einen der Vorhofskontraktion entsprechen¬ 
den kurzen Ton, aber es fehlte hierbei durchaus der Schalleindruck 
des Galopprhythmus. Die beiden Fälle stellen etwas Eigenes dar, 
immerhin zeigen sie, daß unter gewissen Umständen richtige Uber¬ 
leitungsstörungen gewissermaßen störend mit hinein spielen können 
in den eigentlichen Mechanismus des Galopprhythmus, ohne daß sie 
mit demselben indentisch wären. Auch diese Frage kann durch das 
Studium des Elektrokardiogramms noch weiter gefördert werden. 

1) Zu diesem Fall vergleiche: Magnus-Aisleben, Beitrag zur Kenntnis 
der vorübergehenden Überleitungsstörungen. 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 2 


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Zum Schluß möchten wir die Ergebnisse unserer Unter¬ 
suchungen noch einmal zusammenfassen. 

Die von Einthoven angegebene Methode, Herztöne ver¬ 
mittels des Saitengalvanometers zu registrieren, erweist sich 
für klinische Zwecke insofern als fruchtbar, als sie gestattet: 
1. genaue Bestimmungen der Systolendauer vorzunehmen. 2. indem 
sie Aufschluß gibt über die zeitlichen Verhältnisse der accidenteilen 
Töne, die unter pathologischen Bedingungen über dem Herzen ge¬ 
hört werden. 

Wir können zweierlei Hauptarten von accidentellem Ton unter¬ 
scheiden, einen präsystolischen und einen protodiastolischen. Der 
präsystolische Typus findet sein physiologisches Äquivalent in 
einem Vorschlag, der durch seine Koincidenz mit der präsysto¬ 
lischen Zacke am Fußpunkt des Kardiogramms als Vorhofsaktion 
charakterisiert ist Als abnormer dritter Ton erscheint er in dem 
Phänomen des präsystolischen Galopprhythmus, ohne daß wir eine 
richtige Überleitnngsstörung für seine Hörbarkeit verantwortlich 
machen könnten, wenn wir auch das Intervall a—c in Anbetracht 
der meist hohen Pulsfrequenz in der Regel relativ lang finden. 
Er erscheint somit einfach als Ausdruck einer erhöhten Vorhofs¬ 
aktion. Der protodiastolische Typus findet sich zuweilen als eine 
normale Erscheinung vorgebildet in einer accidentellen Zacke in 
dem normalen Kardiophonogramm und ist von Einthoven schon 
als dritter Herzton beschrieben worden. Pathologisch verstärkt 
findet er sich bei der Mitralstenose, seltener als protodiastolischer 
Galopprhythmus bei Anämien und anderen kachektischen Zu¬ 
ständen. Der Zeitpunkt seines Auftretens fallt zusammen mit 
dem Moment der Öffnung der Atrioventrikularklappen. 


Citate. 

Einthoven u. Ge Ink, Die Registrierung der menschlichen Herztöne mit dem 
Kapillarelektrometer. Bd. 57. Pflüger's Archiv f. d. ges. Phys. 

Einthoven, Die Registrierung der menschlichen Herztöne, vermittels desSaiten- 
galvanometers Pflügers Archiv f. d. ges. Phys. 117. — Ein dritter Herz¬ 
ton. Ebenda 12U. 

Hürthle. Die Registrierung der menschlichen Herztöne. Pflügers Archiv f. d. 
ges. Phys. 10. 

de Holowinski, Photographie des bruits de coenr. Archive de Physiologie 
norm, et patholog. 

Joachim u. Weiß, Die Registrierung und Reproduktion menschl. Herztöne und 
Herzgeräusche. Pflüger s Archiv f. d. ges. Phys. 123. — Die Registrierung 
menschl. Herztöne und Herzgeräusche. Archiv für klin. Med. 1010. 

Edgren. Cardiographische und sphygmographische Studien. Skandinavisches 
Archiv f. Phys. 1. 


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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer etc. 19 

Kraus u. Nikolai, Das Elektrokardiogramm. 

Potain, Clinique mödicale de la chariti. 

Bard, De la multiplicitä anormal des bruits du cceur. 

D. Gerhardt, Die Entstehung und die diagnost. Bedeutung der Herztöne. 

Sammlung klinischer Vorträge. Serie 8. 

Geigel, Der erste Herzton. Münchener med. Wochenschr. 1906. 

Fr. Müller, Über Galopprythmus des Herzens. Münchener med. Wochenschr. 
1906. 

Brauer, Untersuchungen am Herz. Kongreß Verhandlungen f. innere Medizin 
1904. 

Thayer, Sur le troisifeme bruit du cceur. Archive des maladies de coeur 1910. 
Magnus-Alsleben, Beitrag zur Kenntnis der vorübergehenden Überleitungs¬ 
störungen des Herzens. Zeitschr. f. klin. Medizin Bd. 69. 

Sahli, Klinische Untersuchungsmethoden. 


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Aus der medizinischen Universitätsklinik in Jena. 

(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Stintzing.) 

Lymphosarkomatose und positive Wassermann’sche 

Reaktion. 

Von 

Oberarzt Dr. F. Trembnr, 

kommandiert zur Klinik. 

(Mit 3 Abbildungen.) 

Schon relativ früh nach dem Bekanntwerden der Wassermann- 
Neißer-Bruck’schen Komplementbindungsreaktion bei Syphilis er¬ 
schienen in der Literatur Angaben, die geeignet sein konnten, an 
der Spezifizität dieser neuen Untersuchungsmethode Zweifel ent¬ 
stehen zu lassen. So wurde über positiven Ausfall der Reaktion 
bei Typhus, Tuberkulose, Pneumonie, Diabetes, Arteriosklerose, 
Neubildungen, Herzfehler, Lebercirrhose, myeloider Leukämie be¬ 
richtet. Zum Teil konnten diese Ergebnisse einer genaueren Prü¬ 
fung und besseren Technik jedoch nicht standhalten, zum Teil 
betrafen sie eben Krankheiten, für deren Entstehung schon seit 
langem eine in früheren Jahren stattgehabte, wenn auch später 
nicht mehr klinisch nachweisbare luetische Infektion des Organis¬ 
mus angeschuldigt wird. Zum Teil endlich betrafen sie Personen, 
bei denen auch bei strikte in Abrede gestellter Infektion ihr Be¬ 
ruf einen gewissen Skeptizismns ihren Angaben gegenüber wohl 
berechtigt erscheinen ließ. In anderen Fällen wiederum wurde 
ein positives Resultat festgestellt bei Untersuchungen, die kurz 
ante mortem, also im agonalen Stadium der Erkrankungen, vor¬ 
genommen waren. Für ihre Beurteilung kommt wohl mit Recht 
die Tatsache in Berücksichtigung, daß z. B. Leichensera von Per¬ 
sonen, die an den verschiedensten Krankheiten gelitten, und die 
sicher zu Lebzeiten keine Syphilis überstanden, in sehr vielen 
Fällen positive Reaktionen ergaben. Schwerwiegender waren 
schon die Befunde, die bei Scharlach erhoben wurden, aber auch 


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Lymphosarkomatose und positive Wassermann’sche Reaktion. 


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hier stellte es sich doch schon bald heraus, daß der positive Aus¬ 
fall nur eine vorübergehende Erscheinung war, daß spätestens 80 
bis 90 Tage nach der Scharlachinfektion die Sera wieder negativ 
reagierten und auch ständig negativ blieben. Auch die Tatsache, 
daß Sera von gegen Tollwut immunisierten Menschen positiv rea¬ 
gieren, kann nicht ernstlich in Frage kommen, denn es ist ja be¬ 
kannt, daß nach Vorbehandlung mit Eiweißarten komplement¬ 
bindende Sera hervorgerufen werden können. Zudem fand M u 1 z e r, 
daß bei Ausschaltung des Kaninchenamboceptors (also nach der 
Bauer’schen Methode) solche Sera negativen Ausschlag geben. 
Schließlich läßt die Anamnese in solch einem ev. Falle ja auch 
rasch die Klärung zu. Weiterhin ohne Wert für die Bedeutung 
der Reaktion — wenigstens in unseren Breiten — ist die Tatsache, 
daß sie bei Lepra tuberosa, Framboesia tropica, Trypanosomerkran¬ 
kungen, Beri-Beri, Filariasis nocturna positiv sein kann. Bei Ma¬ 
laria findet der eine Untersucher positive Resultate, der andere 
nicht, jedenfalls geben alte Fälle stets ein negatives Resultat. 
Auch bei Lupus erythematosus acutus stellte Hauck einwandfrei 
in einem Falle eine positive Wassermann’sche Reaktion fest, und 
ebenso hatte die Untersuchung dasselbe positive Resultat bei einem 
21jährigen Mädchen mit akutem disseminiertem Lupus erythema¬ 
todes, von dem Reinhart berichtet. In letzterem Fall ergab auch 
die Sektion keinerlei Anhalt für Lues. Hierhin ist auch der 
v. Zumbusch’sche Fall derselben Krankheit zu rechnen. End¬ 
lich sind hier noch zu erwähnen die vier von Caan veröffent¬ 
lichten Fälle von Hodgkin’scher Krankheit, die positiven Ausfall 
der Syphilisreaktion ergaben, und bei denen in der Anamnese und 
im klinischen Befund nichts für Lues sprach. 

Sicherlich können alle diese Mitteilungen wenigstens bisher 
noch nicht die weittragende praktische Bedeutung der Wasser- 
mann’schen Reaktion erschüttern, da es sich in den einwandfrei 
nachgewiesenen Fällen ja immer nur um ein vereinzeltes Vorkomm¬ 
nis gehandelt hat und auch um Krankheiten, die in ihren klini¬ 
schen Erscheinungen von der Syphilis wohl zu differenzieren waren. 
Immerhin sind aber diese Mitteilungen von nicht zu unterschätzender 
Wichtigkeit, da sie uns die Möglichkeit bieten, ev. durch sie das 
bisher noch dunkle Wesen der Syphilisreaktion zu klären, anderer¬ 
seits in die Ätiologie der Krankheiten, bei denen ihr positiver 
Ausfall beobachtet wurde, mehr Licht zu bringen. 

Unter diesen Gesichtspunkten möchte ich den schon veröffent¬ 
lichten Ausnahmefällen einen weiteren anreihen, zumal er auch in 


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Thembcr 


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anderer Hinsicht ein sowohl klinisches wie pathologisch-anatomi¬ 
sches Interesse bietet. 

Es handelt sich am eine 63jährige Landwirtsfrau E. ans gesunder 
Familie. Ihr Mann, zwei Söhne and deren Nachkommen sind gesund. 
Bis zar Menopause im 50. Jahre stets gesund, litt Patientin nach Bericht 
des Hausarztes April 1905 an Influenza, Juni an Influenza-Neuralgien, 
Ischias, Magenatonie, verzögerter Rekonvalescenz; September 1907 an 
Pleuritis sicca sin; Juli—August 1908 an ischiadischen Schmerzen, 
Magenverstimmung, Senkniere rechts, Anämie. Die Milz wurde fühlbar. 
Juni 1909 bildete letztere einen mehr als kindskopfgroßen nach oben 
unter die Rippen verschwindenden, dort nicht abgrenzbaren Tumor. 
Urin enthielt Alb. Schon seit Jahren blaß, neigte Frau E. stets zur 
Fülle. Am 2. Januar 1910 wurde sie der chirurgischen Klinik zur 
Operation des Milztumors zugeführt und am 7. Januar in unsere Klinik 
verlegt. 

Bei der 160 cm großen, 61,4 kg schweren Frau mit anämischen 
Schleimhäuten, blassen trockenen Hautdecken waren Nuchal-, Sub- 
maxillar-, Inguinaldrüsen beiderseits schwach fühlbar. 
In beiden Lungenunterlappen ziemlich reichlich feuchte Rasselgeräusche, 
su der Herzspitze leises systolisches Geräusch. Milzdämpfung 40 24 cm. 
Der etwas elastische Tumor läßt am freien Rande Einkerbungen fühlen 
bei glatter Oberfläche. Leberrand 1 cm unter dem Rippenbogen, glatt. 
Urin eiweißhaltig, enthält im Sediment Leukocyten, Epithelien, keine 
Zylinder. Temperatur 39 °C. Blutuntersuchung am 8. Januar: 
56 °/ # Hämoglobin, 4 128000 rote, 3437 weiße Blutköperchen. 
Im nach Jenner gefärbten Blutausstrichpräparat keine 
pathologischen Zellformen, mäßige Poikilocytose, Poly¬ 
chromasie, viele Blutplättchen. Differenzierung der 
Leukocyten ergab: 48,63% neutrophile polynucleäre, 
1,38% eosinophile L eukocyten, 49,31% Lymphocyten 
(kleine und große zusammengerechnet), 0,68% Mastzellen. 
Mageninhalt nach Probefrühstück freie HCl, keine Milchsäure, 82 Gesamt¬ 
säure. Bei einer bakteriologischen Blutuntersuchung am 12. Januar 
blieben die angelegten Bouillonkulturen und Blutagarplatten steril. 

Gleichzeitig angestellte Wassermann’sche Reaktion er¬ 
gab mit 4 alkoholischen Extrakten ans hereditär luetischen Lebern 
komplette Hemmung! Kontrollen einwandfrei! Dasselbe Resultat 
im hygienischen Institut Halle mit 3 Extrakten. 

Daraufhin nochmals vorgenommene peinlichste Untersuchung des 
ganzen Körpers auf etwaige Zeichen einer überstandenen luetischen In¬ 
fektion blieb völlig resultatlos, ebenfalls nochmalige Durchforschung der 
Anamnese nach dieser Richtung hin. Die Bronchitis schwand bald, 
Temperatur blieb aber erhöht. Die tägliche Eiweißmenge im Urin be¬ 
trug S U — 11 Vom 18. Januar an Sol. arsen. Fowlaer in steigenden 

Dosen. Bei einer zweiten Blutentnahme am 19. Januar war das Blot 
bakteriologisch wieder steril. 


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Lymphosarkoroatose und positive Wassermann’sche Reaktion. 


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Wieder Wassermann’sche Reaktion unter den größten Kau- 
teien. Ich selbst prüfte das Serum in einem besonderen Versuch 
mit 4 verschiedenen alkoholischen Extrakten. Gleichzeitig prüften 
Oberarzt Schröter und Privatdozent Busse von hier dasselbe 
Serum in Versuchen mit einer größeren Sera-Reihe zusammen mit 
je 2 Extrakten, von denen je einer mit einem meiner 4 identisch 
war. Also Prüfung mit 6 Extrakten! Alle Versuche waren ein¬ 
wandfrei positiv. Ich selbst richtete ein besonderes Augenmerk 
darauf, bis zu welchen Serumverdünnungen herab wohl ein posi¬ 
tiver Ausschlag stattfäude und es ergab sich die auffallende Tat¬ 
sache, daß das Serum von 0,2 ccm an noch herab bis zu 
0,005 ccm eine komplette Hemmung der Hämolyse 
zeigte. Entsprechende Kontrollen waren völlig gelöst. Dasselbe 
Blut war in Halle für Wassermann- und die Höhne’sche Modi¬ 
fikation positiv. Ebenfalls positives Resultat ergab die Unter¬ 
suchung desselben Blutes im pathologischen Institut der Charite 
durch Dr. Halberstädter. 

Auf dieses Ergebnis hin wurde eine energische Inunktionsknr (5 g 
pro die) eingeleitet und täglich 5 g Kal. jod. gegeben. Am 21. Januar 
wurde festgestellt: Zahlreiche kleine Nackendrüsen links, 
rechts weniger aber größere bis Bohnengrößä; zwei 
erbsengroße submaxillar'e, in der linken Fossa supra- 
clavicul. eine doppeltbohnengroße, eine erbsengroße 
Cubitaldrüse links. Axillardrüsen nicht fühlbar. In 
beiden Leistenbeugen kleinere Drüsen, rechts mehr 
kettenförmig zusammenhängend, links mehr vereinzelt. 
In der linken Fossa ovalis zwei bohnengroße, in der 
rechten einige kleinere Drüsen. AlleDrüsen nicht druck¬ 
empfindlich, eher weich als hart. Milz gegen die Auf¬ 
nahme unverändert. Im TJrinsediment reichlich granulierte, einzelne 
hyaline Zylinder, wenig Epithelien, Leukocyten. Blutbild wie folgt: 
55 °/ 0 Häm o gl obin, 3388000rote, 3145 weiße Blutkörperchen. 
Im gefärbten Präparat derselbe Befund wie am 8. Januar. 
Blutuntersuchung am 30. Januar: 52°/ 0 Hämoglobin, 
3812000 rote, 3750 weiße Blutkörperchen. Spezifizierung 
der letzteren zeigte: 47,96 °/ # neutrophile polynucleäre, 
0,51% eosin ophile Leukocyten, 47,95% Lymphocyten, 
1,53% Mastzellen, 2,04% Übe rgangszellen. Jenner- 
Präpaxat: Poikilocytose, Polychromasie, viele Plättchen, keine patho- 
logischen Formen. Bakteriologische Butuntersuchung am 2. Februar steril. 
Am 3. Februar auch in beiden Achseln, links stärker als 
rechts, fühlbare Drüsen. Milz 48/31 cm, druckempfindlich. 
Am 5. Februar wurde die antesyphilitische Behandlung abgebrochen, da 
sich keinerlei therapeutischer Effekt zeigte, und wieder Arsen gegeben. 
Blutunteroucbung am 6. Februar ergab: 52°/ 0 Hämoglobin, 


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Trembcb 


3112000 rote, 3125 weiße Blutkörperchen and unter 
letzteren 26,86 ° (# neutrophile polynaeleäre, 0,47 °/ # eosino¬ 
phile Leakocyten, 71,46 ®/ 0 Lymphocyten, 0,71 °/ 0 Über- 
gangszellen. Gefärbtes Präparat wie am 30. Januar. 

Am 11. Februar erwies sich das sterile Blut, serologisch, mit 
5 Extrakten geprüft, wieder als Wassermann positiv. Dasselbe 
Ergebnis in Halle und Berlin. 

An demselben Tage wurde eine beginnende linke Unterlappen¬ 
pneumonie festgestellt. Temperatur, bisher stets zwischen 38 und 39 0 C, 
stieg auf 40° C. Am 12. Februar wurde in Hinsicht auf die Pneumonie 
nochmals Blut bakteriologisch untersucht. Es enthielt Streptokokken. 
Dieselben hämolysierten nicht, vergoren nicht Traubenzucker, waren nicht 
tierpathogen. Das Blut zeigte 50 ° J0 Hämoglobin, 3 061 000 rote, 
3145 weiße Blutkörperchen. Eine Auszählung ergab: 
31,7 ° (# neutrophile polynaeleäre, 0,58°/ 0 eosinophile 
Lenkocyten, 67,71 °/ # Lymphocyten. Das Jenner-Präparat 
wie bisher. Urinbefund derselbe, Indikan positiv. Die geschwollenen 
Drüsen waren kaum mehr fühlbar. Der Milztumor war kleiner aber 
stark druckempfindlich. Starker Meteorismus. Am 13. Februar abends 
11 20 Uhr Exitus letalis. In dem nach Jenner gefärbten Ausstrich eines 
noch vorher stattgehabten Milzpunktates fanden sich reichlich Lympbo- 
cyten und Zellen nach Art der großen Lymphocyten aber mit nur schwach 
färbbarem Kern. Die roten Blutkörperchen waren blaß, zeigten mäßige 
Poikilocytose. Es erfolgte weiterhin Verimpfung des Milzpunktats auf 
mit Menschenblut beträufelte Schrägagarröhrchen einerseits und anderer¬ 
seits wurde dem Milzpunktat eine geringe Menge einer 5 °/ n Lösung von 
Natr. citric. zugesetzt. Die Nährböden wurden bei 22 0 C gehalten. Ich 
ging dabei von dem Gedanken aus, daß ähnlich wie bei Kala-azar 
vielleicht auch in solchen Fällen, wie dem vorliegenden, irgendwelche 
Parasiten eine Rolle spielen könnten. Die Nährböden blieben steril. 

Sowohl in diesem Milzpunktat, als auch in dem einige Minuten 
post mortem entnommenen Herzblut, in der 7 Stunden später ent¬ 
nommenen Herzbeutelflüssigkeit und dem ca. 10 Stunden post mortem 
aus der unteren Hohlvene gewonnenen Blute war die Wassermann- 
sche Reaktion stark positiv. 

Die serologische Blutuntersuchung bei dem Ehemann und den 
beiden Söhnen hatte bezüglich der Syphilisreaktion ein völlig nega¬ 
tives Ergebnis. Ich wende mich nun den differentialdiagnosti¬ 
schen Erwägungen zu. Im Vordergrund der klinischen Erschei¬ 
nungen standen bei der Aufnahme der große Milztumor, die Anämie, 
verbunden mit der nicht unbeträchtlichen Leukopenie und die erhöhte 
Temperatur, die zunächst ja durch die vorhandene Bronchitis er¬ 
klärt werden konnte, aber doch nach deren ziemlich raschem Ab¬ 
klingen bis zum Tode bestehen blieb. 


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Lymphosarkomatose und positive Wassermaun’sche Reaktion. 


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Der beim ersten Anblick der Kranken am nächsten liegende 
Gedanke, es könne sich nm eine lymphatische oder myeloi¬ 
sche Leukämie handeln, mußte nach der näheren Untersuchung 
des Blutes natürlich sofort fallen gelassen werden. Ebenso konnte 
die perniziöse Anämie mit Sicherheit ausgeschieden werden, 
sowie die Leukanämie im Sinne Leube’s. Auch Malaria und 
Sepsis konnten nicht in Frage kommen. Nach dem positiven Ausfall 
der Wassermann’schen Reaktion mußte natürlich an Syphilis 
gedacht werden, zumal ja der chronische syphilitische Milztumor 
sich auch bei erworbener Syphilis manchmal ausbildet. Das Ver¬ 
sagen der Quecksilber- und Jodtherapie stand dieser Annahme 
nicht im Wege, denn es ist ja bekannt, daß antesyphilitische Mittel 
gerade dem chronischen syphilitischen Milztumor gegenüber meist 
versagen, aber bei dem Fehlen aller sonstigen luetischen Sym¬ 
ptome und der in dieser Hinsicht gänzlich versagenden Anamnese 
mußte die Annahme fallen gelassen werden. Auch das ev. Vor¬ 
liegen einer Banti’schen Krankheit wurde in Frage gezogen. 
Der Milztumor, die Oligozythämie, die Oligochromämie, die Leuko¬ 
penie, die noch dazu durch eine Verschiebung der einzelnen For¬ 
men zu ungunsten der neutrophilen polynucleären Leukocyten aus¬ 
gezeichnet war, verführten dazu. Auch sind ja Fieberbewegungen 
von einzelnen Autoren beobachtet worden. Doch stand der nor¬ 
male Leberbefund und das Fehlen jeglichen Ascites hindernd im 
Wege. Weiterhin wurde an Anaemiasplenica gedacht; die 
Anämie und der Milztumor berechtigten dazu. Im Gegensatz zu 
dem Strümpell’sehen Fall waren im vorliegenden jedoch Lymph- 
drüsenschwellungen vorhanden, zudem war die Anämie nicht im 
Sinne einer perniziösen aufzufassen. Endlich ist ja auch nach den 
Untersuchungen neuerer Autoren die Berechtigung dieser Form 
der Anämie als einer selbständigen Krankheit mehr als zweifelhaft. 
Mit Rücksicht auf die von der Kranken schon bei der Aufnahme 
gemachten Angabe, sie hätte häufiger Nachtschweiße, uud in Hin¬ 
sicht auf das hektische Fieber hätte es sich natürlich auch um 
eine Komplikation mit Tuberkulose handeln können. In 
Frage wäre die von Sternberg zuerst als eigenartige unter 
dem Bilde der Pseudoleukämie verlaufende Tuberkulose des 
lymphatischen Apparates gekommen. Aus dem Befund der all¬ 
gemeinen Drtisenschwellung ließ sich ein sicherer Rückschluß je¬ 
doch nicht ziehen. Erweichung konnte an irgendeiner der Drüsen¬ 
gruppen nicht festgestellt werden, auch Konfluierung zu größeren 
Paketen war nicht vorhanden, der Milztumor war auch wohl ein 


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zu exorbitanter. Hinzu kam, daß auch an den sonstigen Organen, 
besonders den Lungen, sich keine Zeichen für Tuberkulose fanden. 
Die mehrmals vorgenommene Untersuchung des Sputums auf Tuber¬ 
kelbazillen verlief resultatlos, auch die Konjunktivalreaktion hatte 
zweimal ein negatives Resultat. Auch aus dem Blutbefunde ließen 
sich in dieser Hinsicht keine bindenden Schlüsse ziehen, wenn man 
die Fälle von Schur, Hitschmann-Stroß im Auge hielt, 
bei denen eine polymorphkernige Leukocytose bestand, wenn es ja 
allerdings auch nach Sternberg Fälle dieser Krankheit ohne 
Leukocytose gibt. 

Nach allem entschieden wir uns — an die ev. Möglichkeit des 
Vorliegens einer Leukosarkomatose oder Lymphosarkomatose ist 
nicht gedacht worden — zu der Diagnose Pseudoleukämie, 
d. h. zu der Pseudoleukämie im alten Cohnheim’schen Sinne, 
also einer Erkrankung, die der Leukämie gleicht, aber prinzipiell 
durch die fehlende Ausschwemmung der zelligen Elemente in das 
Blut von ihr unterschieden ist. Mit dieser Diagnose waren von 
den vorhandenen Symptomen ja ziemlich gut in Einklang zu bringen 
der große Milztumor, die Temperatursteigerung, die allerdings erst 
im weiteren Verlauf des Klinikaufenthaltes langsam einsetzende 
Kachexie und der Blutbefund. Die roten Blutkörperchen waren 
der Zahl nach ja allerdings etwas vermindert, aber doch nicht 
hochgradig, zwischen 4 und 3 Millionen, Zahlen, wie sie mit den 
von Laache angegebenen gut übereinstiramen. Poikilocytose war 
vorhanden, zeigte aber keinen besonders hohen Grad. Normoblasten 
waren nicht vorhanden. Der Hämoglobingehalt war herabgesetzt. 
Nicht ganz so gut stimmte der Befund an den weißen Blutkörper¬ 
chen insofern, als während der ganzen Beobachtungszeit in der 
Klinik eine deutliche Verminderung der relativen und absoluten 
Zahl der polynucleären neutrophilen Leukocyten und eine zum 
Ende der Krankheit hin deutlicher werdende Erhöhung der ab¬ 
soluten Zahl der Lymphocyten bestand. Doch es bietet ja auch 
nach Gnawitz der Leukocytenbefund keine charakteristischen 
und für die Diagnose verwertbaren Merkmale dar. Drüsenschwel¬ 
lungen waren zwar vorhanden, aber von den sonst charakteristi¬ 
schen massenhaften und großen Drüsentumoren konnte allerdings 
keine Rede sein. 

Endgültige Aufklärung dieses bis dahin klinisch und serologisch 
so interessanten Falles konnte daher nur die Sektion und histo¬ 
logische Untersuchung der Organe bringen. 


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Lymphosarkomatose und positive Wassermann’sche Reaktion. 27 

Die von Herrn Prof. Dürck vorgenommene Obduktion ergab 
folgende vorläufige Diagnose: 

Hochgradige Splenomegalie. Schwellung der intra¬ 
abdominalen, der peritrachealen und der Bifurkations- 
lymphdrüse, sowie der äußeren und inneren inguinalen 
und der axillaren Lymphdrüsen. E r y t h r o b 1 a s t i s c h e s 
Knochenmark in den Diaphysen. Multiple Blutaustritte 



Abbild. 1. Einbruch der Zellmassen in das umgebende Fettgewebe einer 
axillaren Lymphdrüse (Vergrößerung 60 fach). 



Abbild 2. Dasselbe wie Abbild. 1 (Vergrößerung 220fach). 


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in den geschwellten Lymphdrüsen. Hypostatische 
Pneumonie des linken Unterlappens. Braune Atrophie 
des Herzens. Lungenödem. Großer Infarkt im oberen 
Teil der geschwellten Milz. Cholelithiasis. 

Im übrigen lasse ich aus dem Sektionsprotokoll nur die für die end¬ 
gültige Diagnose wichtigen Punkte folgen. 

Die Milz überragt den Bippenbogen mehr als handbreit und ragt 
bis fast auf den Beckeneingang herab. In allen Durchmessern vergrößert 
— 34,5 cm lang, lö 1 ^ breit, 6,4 dick — ist sie nach oben schwer lösbar, 
gegen das Zwerchfell durch reichliche Spangen adhärent. An der Spitze, 
den Verwachsungen entsprechend, fibröse Auflagerungen und Einlagerungen 
in die Kapsel. Organ außerordentlich weich, auf dem Durchschnitt die 
Pulpa dunkelbraunrot, reichlich abstreif bar; beim Darüberstreifen aber im 
wesentlichen nur hellrote breiige Massen zu erhalten. Gerüst deutlich, 
Follikel groß, deutlich gezeichnet. Im oberen Teil, 6 cm unter der 
Spitze ein walnußgroßer, derber, Bcharf umschriebener, hellgelber, 
käsig aussehender Herd mit nach innen gerichteter Spitze. 

Linke peribronchiale Lymphdrüsen klein, derb, ganz, 
schwarz, rechts etwas kleiner und weicher. 

Im Anfangsteil der Aorta ist die Intima nahezu fleckenlos, ebenso 
die Brust- und Bauchaorta, glatt fleckenlos. Die linken axillaren 
Lymphdrüsen sind sehr deutlich geschwellt, weich, fast dattelgroß, 
auf dem Durchschnitt stark vorquellend, graurot und dunkelbraunrot ver¬ 
färbt; ebenso auch die rechten diffus geschwellt, weich und fleckig. Die 
beiden Schilddrüsenlappen ziemlich klein, sehr derb, sehr feinkörnig. Die 
unteren peritrachealen Lymphdrüsen und die Bifurkations- 
lymphdrüse sind hier beträchtlich geschwellt, sehr weich, z. T. dunkelrot, 
z. T. von konfluierten, dunklen Herden durchsetzt; auch in ihrer Um¬ 
gebung in den Bindegewebskapseln kleine Blutaustritte. Die mesen¬ 
terialen Lymphdrüsen sind ganz klein und etwas fleckig gezeichnet. 

Nach Herausnahme der Gedärme zeigen sich die retroperi- 
tonealen Lymphdüsen in zusammenhängender Kette stark ge¬ 
schwellt, sehr weich, z. T. an der Oberfläche dunkel blutig, fleckig 
durchscheinend. Die Schwellung erstreckt sich beiderseits bis auf die 
iliacalen Lymphdrüsen herab. Auf dem Durchschnitt zeigen sich diese 
Drüsen ebenfalls bunt gesprenkelt durch Einlagerung von zahlreichen 
dunkelbräunlichen und rötlichen Bezirken und ein hellgraues Grund¬ 
gewebe, welches auf dem Durchschnitt stark vorquillt. Die Aorta ab¬ 
dominalis ist fast völlig von den bedeutend vergrößerten Lymphdrüsen 
umwuchert. Linkerseits auch die inneren inguinalen Lymph¬ 
drüsen bis fast Dattelgröße geschwellt und gleichfalls fleckig gesprenkelt. 
Rechterseits die Schwellung etwas geringer, die Drüsen hier entsprechend 
härter. Die äußere n Inguinal drüsen rechterseits etwas vergrößert, 
ziemlich derb, etwas gefleckt; links die äußeren sehr wenig geschwellt, 
blaßgrau, fast ohne fleckige Einlagerungen. 

Das Diaphysenmark des Femur ist dunkelbraunrot, schmierig 
weich. Fettmark fast völlig geschwunden. 

Zur histologischen Untersuchung kamen Herz (Papillar- und 


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Lymphosarkomatose und positive Wassermann’sche Reaktion. 29 

Wandmuskel), Leber, Nieren, untere peritracheale, axillare, retro- 
peritoneale Lymphdrüsen, Milz- und Knochenmark. 

1. Herz: Braune Atrophie der Herzmuskulatur. Stellenweise starke 
zellige Infiltration and Bindegewebsneubildung. 

2. Leber: Unbedeutende streifige und knötchenförmige Lympho- 
cytenanhäufung im Glisson’schen Gewebe. An einigen Stellen daneben 
größere ein- und blaßkernige protoplasmareiche Zellen wie in den 
Lymphdrüsen (s. u.). 

3. Nieren: Lymphocytenanhäufung an der Grenze von Binde und 
Marksubstanz leichten Grades. Interstitielles Odem der Markkegel. 

4. Untere peritracheale Drüsen: Struktur der Lymphdrüse 
völlig verwischt. Das Maschenwerk des Betikulum zeigt neben den 
kleinen Lymphocyten große blaßkernige protoplasmareiche Zellen von 
rundlicher bis ovaler und an den Zusammenlagerungsstellen auch poly¬ 
gonaler Gestalt. Daneben Blutungen mit Bildung reichlicher großer rote 
Blutkörperchen haltender Zellen. Die Kapsel der Lymphdrüsen zeigt 
sich im großen und ganzen wohl erhalten, wird aber an mehreren Stellen 
von den Drüsen durchbrochen. Im Bereich der größeren Gefäße finden 
sich keine sklerosierenden Prozesse. 

5. Axillardrüsen: An den vergrößerten axillaren Drüsen sieht 
man, daß die Kapsel von dem veränderten Drüseninhalt in diffuser Weise 
durchbrochen ist und die Zellmassen das umgebende Fettgewebe weithin 
gleichmäßig und in weiterer Entfernung inselförmig infiltrieren. Das 
zellige Infiltrat zeigt hier im allgemeinen genau denselben zelligen 
Charakter wie in den Lymphdrüsen selbst; auch hier überwiegen wiederum 
die großen blaßkernigen Zellen zwischen den Lymphocyten und erfüllen 
in diffuser Weise die Fettgewebslücken und das lockere retikuläre Gewebe. 
In weiterer Entfernung finden sich einige inselförmige Einsprengungen. 

6. Hetroperitonealdrüsen: Derselbe Befund wie bei 4., nur 
findet sich noch vorwiegend subkapsulär gelegenes anthrakotisches Pigment. 

7. Milz: In ihr sind auch mikroskopisch die Follikel sehr unscharf 
abgegrenzt, klein, mit undeutlichen Keimzentren. Die Pulparäume in 
diffuser Weise durchsetzt von den gleichen protoplasmareichen zelligen 
Elementen wie in den Lymphdrüsen. Um die Grenzen der Follikel 
schieben sich diese Zellen zwischen die Lymphocyten hinein und sind 
stellenweise zu kleinen Gruppen vereinigt, so daß sie sich dann gegen¬ 
seitig abplatten und epitheloide Verbände ergeben. In der Pulpa und 
den großen venösen Bluträumen auffallend reichlich rote Blutkörperchen- 
haltige Zellen. 

8. Knochenmark: In ihm haben wir die ausgedehnteste Aus¬ 
breitang des diffusen Tumors. Es finden sich hier nur mehr sparsame 
Fettlücken, größtenteils ist das Mark in Zellmark umgewandelt. Aber 
fast alle zu beobachtenden Zellen sind heterotop und pathologische 
Bildungen. Neben reichlichen kleinen Lymphocyten finden sich massen¬ 
haft wiederum die großen blaßkernigen rundlichen Elemente, ebenfalls 
wieder in Gruppen oder selbst aüf weitere Strecken in epitheloiden Ver¬ 
bänden. Ganz vereinzelt sind Myeloblaxen zu sehen. 


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Trembuh 



Abbild. 3. Knochenmark (Vergrößerung 220 fach). 

Auf Grund dieses histologischen Befundes wurde nunmehr die 
Diagnose gestellt auf: 

Lymphosarkomatose mit Befallensein der unteren peri- 
trachealen, axillaren und retroperitonealen Lymphdrüsengruppen, 
der Milz, des Knochenmarkes und in geringerem Maße der Leber. 
Wir hatten es also mit einer Lvmphosarkomatose im Sinne des 
von Kundrat und Pal tauf aufgestellten und näher studierten 
Krankheitsbildes zu tun. 

Von klinischer Seite liegen noch relativ wenige Beobachtungen 
über diese Krankheit vor, und da es sich um eine Erkrankung des 
lymphatischen und hämatopoetischen Apparates handelt, dürfte das 
in unserem vorliegenden Falle erhobene klinische Blutbild 
immerhin ein gewisses Interesse beanspruchen. Von den bisherigen 
Beobachtern stellte Grawitz in drei Fällen, die zum Teil monate¬ 
lang beobachtet werden konnten, eine hochgradige Vermehrung der 
Leukocyten und zwar der polynukleären, neutrophilen Formen fest. 
Ebenso fand S a d 1 e r mehr oder minder starke Leukocytosen. 
Sabrazes, Pinkus und Türk fanden im Gegensatz hierzu starke 
Leukocytenverminderung oder normale Lymphocyten. Letzterer 
aber auch in einem Falle eine starke Vermehrung der Lymphocyten. 
Ebensolche Fälle beobachtete St. Klein. Reckzeh erhob einmal 
bei bösartiger Lymphdrüsengeschwulst den Befund einer poly- 
nucleären Leukoeytose, das andere Mal den einer lymphatischen 
Leukämie. Limbeck konstatierte eine Vermehrung der lympho- 
cytären Zellen. 


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Lymphosarkomatose und positive Wassermann’sche Reaktion. 


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In nnserem Falle nahmen während der ganzen Zeit der 
klinischen Beobachtung die roten Blutkörperchen langsam aber 
ständig an Zahl ab. Es bestand geringe Poikilocytose, Poly¬ 
chromasie; pathologische Zellformen waren mit Sicherheit nicht 
nachweisbar. Der Hämoglobingehalt war herabgesetzt und von 
Anfang bis zum Schluß war eine deutlich ausgesprochene Leuko¬ 
penie vorhanden. Dabei bestand während der ganzen Zeit eine 
sowohl relative wie absolute Verminderung der polynucleären 
neutrophilen Leukocyten. Die Lymphocyen zeigten im ganzen Ver¬ 
lauf eine relative Vermehrung bei anfangs normalen absoluten 
Zahlen, doch zeigten sie, je mehr es zum Schlüsse der Krankheit 
hinging, eine deutliche Erhöhung auch der absoluten Zahlen. 

Zum Schlüsse noch einige Worte zu dem positiven Ausfall 
der Wassermann’schen Reaktion. Anamnestisch und 
klinisch lag keinerlei Anhalt für das Bestehen einer luetischen 
Infektion vor, der Sektionsbefund und die histologische Unter¬ 
suchung ließen jegliches Anzeichen für Syphilis vermissen und 
doch war der Ausfall der Seroreaktion ein absolut eindeutig positiver. 
Von dem positiven Ausfall der Reaktion in den verschiedenen post 
mortem dem Körper entnommenen Flüssigkeiten sehe ich ab. Auch 
dem positiven Ausfall in dem kurz ante mortem entnommenen 
Milzsaft lege ich keine Bedeutung bei, da es sich hier schon um 
eine agonale Erscheinung gehandelt haben mag. Auch den sero¬ 
logischen Befund vom 11. Februar rechne ich noch hierhin. Anders 
aber ist doch der Befund vom 19. Januar und vor allem der vom 
12. Januar zu bewerten. Er liefert sicher den Beweis, 
daß doch wohl hin und wieder eine positive Reaktion 
bei einem Nichtsyphilitiker vorkommt. Diese Möglich¬ 
keit solle man sich also in solchen Fällen, in denen außer der 
positiven Reaktion jeglicher anamnestischer wie klinischer Anhalt 
für Lues fehlt, immer vor Augen halten und nicht eine Erklärung 
für den positiven Ausfall bequemerweise so suchen, daß man ein¬ 
fach eine latente Syphilis als vorliegend annimmt. 

In einer weiteren Hinsicht scheint mir dieser auffallende sero¬ 
logische Befund aber vielleicht doch noch einen Fingerzeig geben 
zu können. Über den Körper, der die positive Wassermann’sche 
Reaktion bedingt, weiß man ja nichts, als daß er zur Gruppe der 
Eiweißkörper gehört. Es ist nun eine bei der Anstellung der 
Wassermann’schen Reaktion keineswegs selten zu beobachtende Er¬ 
scheinung, daß, wie man gewöhnlich sagt, stark Wassermann positive 
Seren in größerer Menge, z. B. 0,2 ccm, bereits ohne Extrakt 


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Termbcr 


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hemmen. Hier aber haben wir ein nebenbei sicher nicht 
Inetisches Serum, das in sehr seltenem Grade stark 
Wassermann positiv reagiert, dabei aber ohne Ex¬ 
trakt absolut keine komplementbindende Leistung 
vollbringt. Das scheint doch darauf hinzudeuten, daß der die 
positive Wassermann’sche Reaktion bedingende Körper nicht immer 
derselbe ist (Citron hat ihm ja ganz zweckmäßig die Funktions¬ 
bezeichnung „Reagin“ gegeben.) Dieser Körper ist ein Beweis fin¬ 
den in einer bestimmten Richtung pathologisch veränderten Stoff¬ 
wechsel, wobei die Lues zwar in den allermeisten Fällen, andere 
Krankeiten aber sehr selten die Störung verursachen. Das End¬ 
resultat ist dann eine Gruppe chemischer Körper des Serums, denen 
gewisse Bindungsleistungen eigen sind, aber in quantitativ ver¬ 
schiedenem Grade. Derart etwa, daß ein Hauptkörper entsteht, 
der nur oder fast nur die Eigenschaft hat, mit Extraktsubstanz zu¬ 
sammen Komplement zu absorbieren, neben ihm aber noch Körper, 
denen diese Fähigkeit auch in geringerem Grade zukommt, die 
daneben aber bereits für sich, ohne Extrakt, Komplement binden. 
In Analogie mit diesen in der Serologie ja vielfach benutzten 
Hypothesen könnte man annehmen, daß je nachdem, ob nur die 
erste Substanz vorhanden ist, (die „dominante“) Hemmung nur bei 
Extraktgegenwart erfolgt, oder je nach der Menge der zweiten 
Substanz auch bereits ohne Extraktstoff. Sowohl in der Richtung 
der Erforschung des die positive Wassermann’sche Reaktion be¬ 
dingenden Körpers als auch in der Richtung, die Serumreaktion 
durch alle erdenklichen Maßnahmen zu sichern und dadurch den 
Bestrebungen entgegenzutreten, die ihren sicher hohen diagnostischen 
Wert herabsetzen zu sollen meinen, erscheint es nicht aussichtslos, 
nicht nur mehr als bisher auf die quantitativen Verhältnisse bei 
der Wassermann’schen Reaktion zu achten, wie Zeißler rät, 
sondern auch die quantitativen Verhältnisse der 
Eigenhemmung mehr als bisher zu berücksichtigen. 
Freilich ist das nur dem über reichliche Zeit verfügenden Experi¬ 
mentator möglich. Indessen geht ja die Hauptströmung heute da¬ 
hin, die Ausführung der Wassermann’schen Reaktion zu zentrali¬ 
sieren. Und jeder, der längere Reihen der Seroreaktion beobachtet 
hat, kann diese Bestrebungen nur dringend befürworten, da wohl 
niemandem dabei Fälle entgehen, die sehr lebhafte diagnostische 
Schwierigkeiten bieten, bei denen er sich sagen muß, daß die Sero¬ 
reaktion in der Hand des Unerfahrenen entweder wertlos oder sehr 
bedenklich ist. So ließen sich gerade an diesen Zentralstellen für 


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Lymphosarkomatose und positive WassermamTsche Reaktion. 


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WassermamTsche Reaktion solche Maßnahmen sicher durchführen. 
Man könnte dann bei Seren, wie dem vorliegenden, das Reagin so¬ 
zusagen ohne alle störenden Beimengungen in überaus großer Menge 
enthielt, vielleicht auch nicht ohne Erfolg versuchen, sie direkt 
der chemischen Analyse zuzuführen. 


Benutzte Literatur. 

1. Blumenthal, Die Serodiagnostik der Syphilis. Dermatologische Zeitschr. 
Bd. XVII (1910) Heft 1 und 2. 

2. Bruck, .Die Serodiagnose der Syphilis. Berlin, Springer, 1909. 

3. Caan, Über Komplementablenkung bei Hodgkin’scher Krankheit. Mönch, 
med. Wochenschr. 1910 Nr. 19. 

4. Grawitz, Klinische Pathologie des Blutes. Leipzig, Thieme, 1906. 

5. Hauck, Positiver Ausfall der Wassermann-Neißer-Bruck’schen Syphilis¬ 
reaktion bei Lupus erythematosus acutus. Münch, med. Wochenschr. 1910 
Nr. 1. 

6. Hecht, Eigenhemmung menschlicher Sera. Berl. klin. Wochenschr. 1910 
Nr. 18. 

7. Hitschmann und St roß, Zur Kenntnis der Tuberkulose des lymphati¬ 
schen Apparates. Deutsche med. Wochenschr. 1903 Nr. 21. 

8. Klein, St., Lymphocythfimie und Lymphomatöse. Zentralbl. f. inn. Med. 
1903 Nr. 34/35. 

9. Kundrat, Über Lymphosarkomatosis. Wien. klin. Wochenschr. 1893. 

10. Leube, Über Leukämie. Deutsche Klinik am Eingang des XX. Jahrhun¬ 
derts Bd. 3, 1902, 42. Lieferung. 

11. Mulzer, Praktische Anleitung zur Syphilisdiagnose auf biologischem Wege. 
Berlin, Springer, 1910. 

12. Pal tauf, Lymphosarkom (Lymphosarkomatose, Pseudoleukämie, Myelom, 
Chlorom). Lubarsch-Ostertag Ergebnisse III. Jahrg. 1896. 

13. Reckzeh, Über Lymphome und Lymphomatöse. Charite Annalen XXIX. 
Jahrg. 1905. 

14. Rein hart, Erfahrungen mit der Wassermann-Neißer-Bruck’schen Syphilis¬ 
reaktion. Münch, med. Wochenschr. 1909 Nr. 41. 

15. Schur, Zur Symptomatologie der unter dem Bilde der Pseudoleukämie ver¬ 
laufenden Lymphdrüsentuberkulöse. Wien. klin. Wochenschr. 1903 Nr. 6. 

16. Senator, Über Anaemia splenica mit Ascites (Banti’sche Krankheit). Berl. 
klin. Wochenschr. 1901 Nr. 46. 

17. Sternberg, Über eine eigenartige unter dem Bilde der Pseudoleukämie 
verlaufende Tuberkulose des lymphatischen Apparates. Zeitschr. für Heil¬ 
kunde 1898 Bd. 19. 

18. Ders., Pathologie der Primärerkrankungen des lymphatischen u. hämatopoeti- 

schen Apparates einschließlich der normalen u. pathologischen Morphologie 
des Blutes sowie einer Technik der Blutuntersuchung. Wiesbaden, Berg¬ 
mann, 1905. . 

19 Strümpell, Ein Fall von Anaemia splenica. Arch. d. Heilkunde 1876 
Bd. 17. 

20. Zeißler, Quantitative Hemmungskörperbestimmung bei der Wassermann- 
schen Reaktion. Berl. klin. Wochenschr. 1910 Nr. 21. 

21. Zumbusch, Ein Fall von Lupus erythematodes disseminatus mit positiver 
Wassermann’scher Reaktion. Wien. klin. Wochenschr. 1910 Nr. 15. 


Deutsches Archiv für klin. Medizin. 101. Bd. 


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Zur Lehre von den Katarrhen. 

Vom 

Dr. Wilhelm Ehstein 

(Göttiiigen . 

Die Lehre von den Katarrhen ist eine noch vielfach lücken¬ 
hafte. In dieser Beziehung einige ergänzende Beiträge zn liefern, 
ist der Zweck der folgenden Blätter. 

Daß die Bezeichnung „Katarrh“ nicht zutreffend ist, ist be¬ 
kannt Es steht damit wie mit einer Reihe anderer Krankheits¬ 
namen, welche die Aufgabe, die sie erfüllen sollten, nämlich: eine 
bündige Vorstellung von der Art und dem Wesen der betreffenden 
Krankheit zu geben, entweder nur unvollkommen oder gar nicht 
erfüllen. Ich erinnere in dieser Beziehung zunächst an das mit 
der Bezeichnung „Gelbsucht“ synonym gebrauchte Wort „Ikterus“, 
über dessen Bedeutung soviel hin und her diskutiert worden ist 
ohne daß man darüber bis jetzt zn einem abschließenden Urteile 
kommen konnte. 1 2 ) Ich gedenke ferner der Bezeichnung „Gicht“ für 
die Arthritis uratica. Während R. Virchow das Wort „Gicht“ 
durch eine Art Verstümmelung aus dem lateinischen gutta ent¬ 
stehen ließ, habe ich vor längerer Zeit bereits darauf hingewiesen, 
daß wir auf Grund von Moriz Heyne’s etymologischen For¬ 
schungen annehmen müssen, daß „Gicht“ einem nrdeutschen Worte 
entstammt, mit dem aber keineswegs die wirkliche Natur der Gicht 
bezeichnet wird, sondern das lediglich ein Kollektivname für 
allerlei Leiden, wie Lähme, Körperschmerz usw. ist, welche aller¬ 
dings bei der Arthritis uratica nicht vermißt zu werden pflegen.*) 

Ebensowenig vermag das Wort „Katarrh“ eine richtige Vor¬ 
stellung davon zu erwecken, daß es eine einfache Schleimhaut- 

1) W. Ebstein, Znr Etymologie des Wortes Gelbsucht nsw. Deutsche 
med. Woclieiisc.hr. 1903 Nr. 6, und ders. in Ebstein-Schwalbe, Handbuch 
d. ]>rakt. Medizin, 2. Auf]., Stuttgart 1905, Bd. 2 p. 374. 

2 ) W. Ebstein, Natur und Behandlung der Gicht. 2. Aufl., Wiesbaden 
1906, p. 1 ff. 


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Zur Lehre von den Katarrhen. 


35 


entzündung mit vermehrter Absonderung bedeutet, einen Krank¬ 
heitszustand, den wir nicht nur als einen der häufigsten, sondern 
auch als einen seit uralten Zeiten schon gekannten bezeichnen 
können. Dem Ausdruck „ Karaggeiv “ nämlich begegnen wir bereits 
bei Hippokrates.*) Dies Wort belehrt uns, daß der Vater der 
wissenschaftlichen Medizin über die Entstehung des Katarrhs eine 
recht wenig zutreffende Vorstellung hatte. Es handelt sich für 
ihn dabei um eine Störung der vier von ihm als Körperkonstituen- 
tien angenommenen Humores, nämlich der schwarzen Galle, der 
gelben Galle, des Blutes und des Schleimes. Das Gleichgesicht der 
vier Humores untereinander, deren richtige Mischung, die Krasis, 
ist für ihn die unerläßliche Bedingung für das Bestehen der Ge¬ 
sundheit. Fließt aber z. B. der Schleim in vermehrter Menge aus 
dem Kopfe in den übrigen Körper herab, so tritt durch dieses 
Herabfließen, durch das „KataQQMv “, durch den Katarrh eine 
Störung ein. Werden dadurch die Mischungsverhältnisse dieser 
vier Humores gestört und entsteht also eine schlechte Mischung, 
eine Dyskrasie, so ist der Mensch krank. 

Ganz analoge Vorstellungen finden wir auch bei Aul. Cornelius 
Celsus 1 2 ) (ca. 30 vor bis ca. 50 nach Chr. Geb.). Hier wird in 
dem 5. Kapitel des 4. Buches in dem Abschnitt, der von dem 
Katarrh (destillatis), Stockschnupfen (gravedo) handelt, über diese 
Krankheitszustände, insbesondere über deren Lokalisation, folgendes 
von Celsus mitgeteilt. Es habe nicht viel zu bedeuten, wenn 
bisweilen Flüssigkeit aus dem Kopfe in die Nase tropfe. Es sei 
schon ernster, wenn sie bisweilen in den Schlund tropfe; mitunter 
fließe sie auch in die Lungen, und dies ist sehr schlimm. Ergießt 
sie sich in die Nase, so fließt aus dieser ein dünner Schleim, der 
Kopf schmerzt leicht, man hat in demselben ein Gefühl der Schwere 
und man muß häufig niesen. Ergießt sich die Flüssigkeit in den 
Schlund, so wird dieser rauh, und es entsteht leichter Husten. 
Fließt sie in die Lungen, so ist außer Niesen und Husten auch 
Gefühl von Schwere im Kopfe, Mattigkeit, Durst, Hitze und galliger 
Urin vorhanden. Ein anderes von dem vorigen nicht sehr ver¬ 
schiedenes Übel ist der Stockschnupfen. Hierbei ist die Nase ver¬ 
stopft, die Stimme heiser und es besteht trockener Husten, der 


1) Vgl. Th. Beck, Hippokrates’ Erkenntnisse usw. Jena 1907, p. 46. 

2) Aul. Cornel. Celsus, Über die Arzneiwissenschaft in 8 Büchern, 2. Aufl., 
durchgesehen von W. Frieboes, Braunschweig 1906, p. 146 — IV. Buch, 6. Kapitel 
[II, 4]: Von dem Katarrh (destillatio) und Stockschnupfen (gravedo) —. 

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Ebstkin 


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Speichel ist salzig, die Ohren klingen, die Adern am Kopfe pul¬ 
sieren stark und der Urin ist trübe. 

Bei CI. Galen 1 ) (131—201 oder 210 n. Chr.) vertritt betreffs 
der Ursache der Katarrhe die hippokratische Lehre. Die hier er¬ 
örterten Anschauungen über die Ursache der „coryza“ finden wir 
bei der Hl. Hildegard 2 ), der berühmten Äbtissin im Kloster 
Ruppertsberg (1099—1177) in einer etwas modifizierten Form vor¬ 
getragen. Bemerkt sei, daß das Wort „catarrh“ von ihr nirgends 
genannt wird. Dagegen ist betreffs der Entwicklung einer Art 
desselben, der mehrfach erwähnten „coryza“ mitgeteilt, daß während 
das Gehirn des Menschen zuzeiten gesund und rein ist, bisweilen 
Wirbel von Luft und von anderen Elementen in dasselbe auf¬ 
steigen, die verschiedenen Humores in dasselbe herein- und ans 
demselben herausziehen und einen trüben Rauch im Nasen- und 
Gaumenkanal vorbereiten, so daß sich, analog dem nebligen Hauche 
des Wassers, ein schädlicher Flecken (livor) zusammenzieht. Die 
Heilige Hildegard läßt also um die Entstehung der Coryza zu 
erklären, von außen in das Gehirn eindringende Noxen eine Rolle 
spielen, die von hier aus hernach die Nase und die Kehle, also peri¬ 
pherische Teile, nachteilig beeinflussen. 

Caelius Aurelianus 8 ) dagegen, der am Ende des 4. oder am 
Anfang des 5. Jahrhunderts n. Chr. gelebt hat, vertrat, abweichend 
von den vorher genannten, bereits einen den heutigen Anschauungen 
entsprechenderen Standpunkt, indem er auf die betreffenden Körper¬ 
teile, ohne Beteiligung des Kopfes wirkende Schädlichkeiten für 
die Entstehung des Katarrhs verantwortlich machte. Dasselbe tat 
auch Paulos von Aegina 4 ) (ca. 625—690). Beide nämlich, der 
erstere ausschließlich, haben die Kälte und die Anstrengung bei 
der Stimmbildung für die Entstehung des Katarrhs verantwortlich 
gemacht. 

1) Cl. Galeni, Opera omnia, edidit C. G. Kühn, Tom, XIV. Lipsiae 1827. 
p. 742: Gravedo. raucitas et catarrlms sunt affectus, qui fiunt ab humore, qui ab 
oppleto eerebro deeumbit. 

2i Hildegar dis, Oausae et curae edidit Paulus Kaiser 1903 p. 134. 

3j Caelius Aurelianus, De morbis acutis et chronicis, Amstelodami 1709. 
p. 379 (de morbis chronicis Lib. 2, cap. 7 de influxione, quam Graeci Karapom 
vocant. Hier werden als „Oausae“: perfrictio profunda vel extenaio — als Fu߬ 
note ist hier beigefiigt: an vocis (?) ejus enim nimia intensione facile raucedo 
contrahi potest — angegeben). 

4) Paulus Aegineta, The seven books of. — translated of the Greekby 
Francis Adam. Yol. I, London 1844, Book III, Sektion 28 p. 469: — „Not onlv 
to the iiiHammatiou front the liead but also to the arising from vociferation and 
inhaling eold air.“ 


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Zar Lehre von den Katarrhen. 


37 


In den Bezeichnungen für die einzelnen Schleimhäute be¬ 
stehen bei den Alten mancherlei Widersprüche. Es scheint nur 
allgemeine Übereinstimmung betreffs der Benennung des Schnupfens 
als Coryza, die bereits von Hippokrates gebraucht wurde, zu 
herrschen. Dagegen bezeichnet Caelius Aurelianus den Rachen- 
katarrh als „branchos“, während Paulus Aegineta Katarrhe 
des Rachens und des Gaumens einfach „Katarrhe“ nennt, dagegen 
die in dem Kehlkopf und in der Luftröhre sich lokalisierenden 
mit dem Namen „branchus“ oder „morbus arteriacus“ belegt. 
Caelius Aurelianus bezeichnet den zum Brustkasten oder zu 
den Lungen herabsteigenden Katarrh als „mvois“. Bei CI. Galen 
(1. c. T. XVIII, pars 2 p. 180) lesen wir dagegen „humorem illum 
tenuem et crudum qui per nares excernitur veteres omnes medici 
gravedinem vocare consueverunt, uti et similem ubi per palatum 
descendit, catarrum, destillationem appellant. Sed miror quomodo 
Hippokrates non destillationem, sed sternutamenta cum gravedine 
conjunxerit“, a. a. Stelle (Tom. XIV, p. 742) gibt Galen als Be¬ 
zeichnung für den Katarrh der Luftröhre „raucitas“ an und sagt, 
daß derselbe, wenn er in den Brustkasten herabsteige, Katarrh 
genannt werde. Celsus bemerkt a. a. 0., daß Hippokrates 
„alle diese Krankheitsformen Kogv£cu nennt“ und fügt hinzu: „die 
Griechen haben jetzt, wie ich sehe, diesen Namen für den Stock¬ 
schnupfen beibehalten, den Katarrh aber nennen sie „ Kataarayfios “. 

Johann Peter Frank (1745—1821) bemerkt in seiner spe¬ 
ziellen Pathologie und Therapie, übersetzt von Sobernheim, 
3. Ausgabe 1848 — Bd. 1, S. 380 — wo er coryza und gravedo 
als synonym bezeichnet, daß mit Unrecht die Alten beide dadurch 
unterscheiden wollten, daß bei letzterem ein zäher Schleim unter 
einem drückenden Schmerz (dolor gravativus) abgesondert werde, 
während es sich bei ersterem um die Sekretion einer serösen, 
dünnflüssigen und scharfen Materie handle. Mit Recht hebt 
Frank hervor, daß beide Arten nur dem Grade und der Zeit 
nach voneinander ab weichen. 

Diese Beispiele dürften genügen, um zu beweisen, daß betreffs 

der Nomenklatur der verschiedenen Katarrhformen keineswegs 
•• 

Übereinstimmung bei den verschiedenen alten griechischen und 
römischen Autoren besteht. 

Obgleich, wie wir gesehen haben, bereits Caelius Aurelianus 
und Paulos von Aegina mit den Anschauungen des Hippo¬ 
krates über die Pathogenese der Katarrhe mehr oder weniger 
gebrochen hatten, brachte es doch vornehmlich der Einfluß G a 1 e n s 


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Ebstein 


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zuwege, daß die hippokratischen Vorstellungen auch in diesen Be¬ 
ziehungen während sehr langer Zeit ein gewisses Ansehen be¬ 
wahrten. Auch Stephan Blancard 1 ), obgleich er angibt, daß 
auf diese Weise keine Katarrhe entstehen, indem vom Kopfe nichts 
in die Nase, den Mund, die Lungen usw. fließe, sondern daß viel¬ 
mehr die oft infolge der eintretenden Verstopfung der Drüsen der 
Nase und der in der Umgebung des Mundes gelegenen Drüsen 
sich entwickelnde Entzündung als Ursache zu beschuldigen sei. 
hält es doch für angemessen, seine Ansicht folgendermaßen zu for¬ 
mulieren: „Si fluat ad pectus, dicatur rheuma catarrhus ad fauces 
branchus, ad nares esto coryza.“ Es deckt sich dies also im 
wesentlichen mit folgendem Satze des Hippokrates 2 3 ): „Fluß 
vom Kopfe nach der Nase bewirkt eine Coryza, auf der Brust ein 
Rheuma.“ 

Wenngleich das Wort „Katarrh“ so alten Datums ist, ist es 
bei uns verhältnismäßig spät populär geworden; denn M. Höfler *). 
der diese Frage verfolgt hat, gibt an, daß erst seit der ersten 
Hälfte des 17. Jahrhunderts dasselbe aus der ärztlichen Schule, 
nachdem 1660 C. V. Schneider 4 5 ) (1614—1680) die sog. Schnei¬ 
der’sehe Membran als Geruchsschleimhaut entdeckt hatte, in nicht¬ 
ärztliche Kreise gedrungen und jetzt erst durch den Umgang der 
Kranken mit den Ärzten ganz volkstümlich geworden sei. Früher 
und zum Teil auch später noch sind mannigfache andere Bezeich¬ 
nungen: Strauchen, Schnupfen, Fluß. Rheuma, Rotz, Influenza. 
Hirnfluß, Hauptfluß, Pfnüsel usw. in Anwendung gezogen worden. 

Wir gebrauchen das Wort „Katarrh“ heutzutage, ohne weiteren 
Zusatz fast ausschließlich für Bezeichnung einer katarrhalischen, 
d. h. mit vermehrter Schleimbildung einhergehenden Entzündung 
der tieferen Luftwege, handelt es sich um andere Schleimhäute, so 
setzen wir vor das Wort „Katarrh“ den Namen des davon be¬ 
troffenen Organs. Nur das Wort „Schnupfen“ wird gleichfalls ohne 
weiteren Zusatz, ebenso wird das griechische „Koryzaa“ zur Be- 

1) Steph. Blancardi, Lexicon medicum renovatum etc. Editio novissiraa. 
Lngdnni Batavor 1717 p. 138. 

2) Oeuvres completes d’Hippacrate. Traduction nouvelle par E. Littre. 
T. VI, Paris 1849 p. 107. 

3) M. Höf ler. Deutsches Kranklieitsnaineubuch. München 1899 p. 260,61 
(Katarrh). 

4) K. F. H. Marx, Konrad Victor Schneider und die Katarrhe. Güttingen 
1873. (Daselbst die einschlägigen Literaturangaben.) 

5) F. Th. Viseher, Auch einer, Bd. 1 p. 101 (7. Aufl., Stuttgart und 
Leipzig 1897) schreibt: „Pfnüssel“. 


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Zur Lehre von den Katarrhen. 


39 


Zeichnung des Nasenkatarrhs angewendet. Auch in Frankreich *) 
brauchte man bis in die neuere Zeit das Wort „catarrhe“ nicht 
allgemein, sondern lediglich zur Bezeichnung einer „bronchite“. 
Die klinische Terminologie kennzeichnet gewöhnlich, indem zu der 
Bezeichnung des betreffenden Organs als Endsilben „itis“ hinzu¬ 
gefügt wird, dessen Befallensein von einem entzündlichen Prozesse. 
Ohne weiteren Zusatz pflegt man darunter einen einfachen Katarrh 
der betreffenden Schleimhaut zu verstehen, auch wenn man zu 
Rhinitis, Laryngitis usw. als Epitheton „catarrhalis“ nicht hin¬ 
zufügt. 

Was die Ursachen der Katarrhe anlangt, so haben die Alten 
bei ihren diesen Gegenstand betreffenden Angaben augenscheinlich 
nur die in den Schleimhäuten der oberen Körperhälfte lokalisierten 
Katarrhe im Auge gehabt. Die ursprüngliche hippokratische Lehre 
hat, wie mir scheint, nicht mit der Möglichkeit gerechnet, daß in¬ 
folge des Herabfließens vom Kopf Katarrhe in den Organen des 
Bauches (Magen, Darm, Scheide usw.) sich entwickeln. Dagegen 
sind die bereits von Caelius Aurelianus und Paulos Aegineta 
beschuldigten Schädlichkeiten (vgl. oben), insbesondere die Erkäl¬ 
tung als Katarrhe veranlassende Ursachen heute noch in Geltung, 
lassen doch die Engländer die Katarrhe der Luftwege, welche sie 
populär direkt als „the cold M bezeichnen, geradezu bei kaltem und 
feuchtem Wetter entstehen. Damit sind aber die Katarrhe veran¬ 
lassenden Ursachen keineswegs erschöpft, deren große Mannig¬ 
faltigkeit sich, um hier nur ein Beispiel hervorzuheben, an dem 
Schnupfen sehr leicht exemplifizieren läßt. Die altindischen Ärzte 
haben fünf Arten von Schnupfen oder Katarrh beschrieben.*) Wir 
wissen, daß die verschiedensten mechanischen, chemischen und ther¬ 
mischen Reize Nasenkatarrhe hervorzurufen vermögen. Gewisse 
chemische Reize sind imstande, dies auch — wie der Jodschnupfen 
lehrt, der nach innerlicher Darreichung von Jodpräparaten auf- 
tritt — auf dem Säftewege von innen heraus zu bewirken. Da 
dies ceteris paribus keineswegs bei allen Menschen geschieht, müssen 
besondere Idiosynkrasien angenommen werden, die in dieser Be¬ 
ziehung prädisponierend wirken. Es genügen bei solchen Menschen 
manchmal gewisse, im allgemeinen angenehm wirkende Reize, wie 


1) C-f. L. Thomas, Artikel: „catarrhe“ in der Grande Encyelopedie. Toni. 
IX p. 819, Paris. 

2) Julius Jolly, Medizin ans dem Grundriß der indo-arischen Philologie 
und Altertumskunde, 3. Bd. 10. Heft, Straßburg 1901, p. 117. 


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Rosenduft, um katarrhalische Zustände in der Nasenschleimhaut 
zu erzeugen. Als typisches Beispiel sei hier der Heuschnupfen 
angeführt, bei dessen Entstehung jedenfalls auch eine individuelle 
Disposition wesentlich mitspielt. Es ist bekannt, daß der Schnupfen 
sehr viele Infektionskrankheiten begleitet, so z. B. die Influenza, 
die Masern usw., und daß ferner durch die Übertragung des Tripper¬ 
giftes, z. B. während des Gebäraktes, von den Geburtswegen der 
Mutter in der Nase und Bindehaut des Auges Entzündungen 
und zwar schlimmster Art bewirkt werden können. Auf diese 
Weise läßt sich auch die Frage betreffs der Ansteckungsfahigkeit 
des Schnupfens beantworten. Durch infektiöse Stoffe, wie z. B. 
durch Bakteriengifte bedingte Katarrhe werden als übertragbar, 
als kontagiös, also als ansteckend bezeichnet werden müssen, wäh¬ 
rend vorauszusetzen ist, daß bei den durch rein mechanische, ther¬ 
mische und nicht bakterielle chemische Ursachen bedingten akuten 
Katarrhen, wie ersteres beim Heuschnupfen uud letzteres bei dem 
Jodschnupfen der Fall ist, eine Ansteckungsfahigkeit nicht besteht, 
ebensowenig wie bei gewissen nicht infektiösen chronischen Nasen¬ 
katarrhen, wozu Individuen mit skrofulöser Anlage erfahrungs¬ 
gemäß sehr disponiert sind. 

Übrigens besitzt kein Stand, kein Beruf, kein Lebensalter 
Immunität gegen Katarrhe. Die extremsten, das kindliche und 
das Greisenalter sind dadurch am meisten gefährdet, obgleich sich 
bei letzterem die Disposition zu gewissen infektiösen Katarrhen, 
freilich nicht zu Infektionen im allgemeinen, wesentlich abzu¬ 
schwächen scheint. Katarrhe der tiefen Luftwege werden im hohen 
Alter besonders verhängnisvoll. Bei erwachsenen Personen haben 
unter den Katarrhen am meisten diejenigen zu leiden, die in ihrem 
Berufe sich mechanischen, thermischen und chemischen Schädlich¬ 
keiten in hohem Maße auszusetzen genötigt sind, also die arbeiten¬ 
den Klassen und vornehmlich die Individuen, die unter dem Ein¬ 
fluß von verschiedenen Arten von Staub, wie dem Mehl- oder Straßen¬ 
staub usw., ganz besonders zu leiden haben. Abgesehen von den Ka¬ 
tarrhen, welche die im übrigen gesunden Schleimhäute primär be¬ 
fallen gibt es auch sekundäre, die im Gefolge anderer Krankheits¬ 
prozesse auftreten. Unter ihnen stehen die zu tuberkulösen Er¬ 
krankungen, z. B. der Lungen, sich hinzugesellenden in erster Reihe. 

Was die anatomischen Veränderungen anlangt, welche durch 
die Katarrhe bedingt werden, so sind sie zum Teil schon bei Leb¬ 
zeiten zu übersehen, sei es bei direkter Besichtigung, sei es mit 
Hilfe der Spiegeluntersuchung, die uns eine Einsicht in die krank- 


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Zar Lehre von den Katarrhen. 


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haften Veränderungen, z. B. in dem Kehlkopf, in der Harnblase er¬ 
möglicht Ehe man aber eine befriedigende Kenntnis über die 
einschlägigen Verhältnisse bekommen konnte, mußte eine genaue 
Erforschung der normalen Strukturverhältnisse der Schleimhäute, 
in deren Geweben die Katarrhe sich lokalisieren, unternommen 
werden. Wie lange diese Erforschung auf sich hat warten lassen, 
ist allerdings recht befremdlich, denn erst Henle 1 ) hat sich der 
Lösung dieser Aufgabe in befriedigender Weise unterzogen. 

Wir erfahren aus Henle’s Darstellung, daß das geschich¬ 
tete Pflasterepithel der äußeren Häute, das die erste Schicht, 
von deren freien Oberfläche angefangen, darstellt, von den äußeren 
Öffnungen des Schleimhauttraktus an bis zu einer größeren oder 
geringeren Tiefe derselben die Schleimhautoberfläche bedeckt. Die 
Körperöffnungen, an denen ein solcher Übergang der Cutis in die 
Schleimhaut erfolgt, sind die Nasenlöcher, der Mund und der After, 
die Öffnungen der Harn- und Geschlechtsorgane, sowie endlich die 
Mündungen der Milchgänge auf der Brustwarze. Das Epithel der 
Schleimhaut ist hier ebenso wie die Epidermis der äußeren Haut, 
als deren Fortsetzung es anzusehen ist, indem es sich von ihr 
lediglich durch eine geringere Dicke unterscheidet, in einer be¬ 
ständigen Abschilferung seiner obersten Schicht begriffen. Was 
diese abgestorbenen Schüppchen betrifft, so bedecken als soge¬ 
nannter schleimiger Beleg die tieferen Epithelschichten der Schleim¬ 
haut. Sie werden durch flüssige Sekrete oder durch von außen 
eingeführte Flüssigkeiten weggespült. Die Mächtigkeit des ge¬ 
schichteten Epitheliums nimmt an einer bestimmten Stelle rasch 
ab und endet für das unbewaffnete Auge mit einer scharfen Grenze, 
an der es entweder durch eine einfache Lage von Pflaster- oder 
Zylinderepithel ersetzt wird. Henle erinnert an eine verbreitete 
Abart des letzteren, die Becherzellen, und scheint sich der An¬ 
sicht der Beobachter anzuschließen, die diese Zellen für abson¬ 
dernde Organe halten, die bei der Bildung des Schleimes beteiligt 
sind. Ferner ist bei dieser Gelegenheit noch der kleinen acinösen 
Drüsen zu gedenken, die man schlechthin unter dem Namen 
Schleimdrüsen und speziell im Zwölffingerdarm als Brunn- 
sehe Drüsen zu bezeichnen pflegt. Man sieht sie eingebettet in 
dem der Tunica-Nerven eigentümlichen Gewebe. Diese kleinen 
Drüsen liegen zum Teil von festeren Faserzügen umschlossen in 


1) J. Henle, Lehrbuch der Eingeweidelehre des Menschen. 2. Anfl., Braun¬ 
schweig 1873, p. 45 ff. 


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der Dicke der Schleimhaut und zwar bald in kootiuuierlicher Aus¬ 
breitung, bald vereinzelt. Es ist aus dieser Schilderung ohne 
weiteres klar, daß die Schleimhäute stets Sekret absondern, welches 
bei normalem Zustande derselben aus Schleim einer farblosen, zähen 
und fadenziehenden Flüssigkeit besteht, die dann bei katarrhali¬ 
schen Zuständen in mannigfacher Weise modifiziert wird. Am be¬ 
quemsten läßt sich dies, ebenso wie die beim Katarrh auftretenden 
Schleimhautveränderungen beim akuten Nasenkatarrh, also bei der 
einfachen exsudativen Entzündung der Nasenschleimhaut, dem 
Schnupfen, dem Typus eines akuten Schleimhautkatarrhes studieren. 

Wir sehen dabei die Schleimhaut blutreich und mehr oder 
weniger geschwollen, was an der unteren Muschel mit ihrem aus¬ 
gebildeten Schwellgewebe vornehmlich in die Augen fällt Erst 
nachdem die Hyperämie einige Zeit bestanden hat, stellt sich eine 
Exsudation an der Oberfläche der Schleimhaut ein, welche, nach¬ 
dem sie zuerst spärlich und glasig war, durch ihre dünnflüssige, 
wasserhelle, schwach fadenziehende Beschaffenheit, sowie durch 
ihre alkalische Reaktion und ihre ätzende Eigenschaft genügend 
gekennzeichnet ist. Letzteres gibt sich dadurch kund, daß 
diese oft in ansehnlicher Menge aus den Nasenlöchern herab¬ 
fließende und deren Umgebung benetzende Flüssigkeit die Haut¬ 
oberfläche reizt und wund macht, während die tieferen Partien 
der Haut mit dem Stärkerwerden der Entzündung der Schleim¬ 
haut, wie wir besonders an den Nasenflügeln und an der Oberlippe 
bemerken, an der Entzündung sich derart zu beteiligen pflegen, 
daß diese Teile gleichfalls mehr oder weniger verdickt und infil¬ 
triert erscheinen. Dabei ändert sich gleichzeitig der Charakter 
des Sekrets. Dasselbe verliert mehr und mehr seine wässerige 
Beschaffenheit, es wird konsistenter. Die Absonderung wird stetig 
zähflüssiger, und das mehr oder weniger schleimig eitrige Sekret 
wird der Schleimhaut fester anhaftend und schwerer entfernbar. 
Wenn dann, da in der Regel der gewöhnliche akute Schnupfen rasch 
rückgängig zu werden pflegt, sich die gesteigerte Absonderung 
der Nasenschleimhaut auch ebenmäßig vermindert, verliert das 
Sekret wieder seine zähe, schleimige, eitrige Beschaffenheit. Es 
wird glasig, also heller und dünner und die im Anfang vorhandene 
ätzende Wirkung erlischt. Gleichzeitig verschwindet auch die 
Rötung und die Schwellung der Nasenschleimhaut. Es verheilen 
dabei auch die Erosionen, welche infolge des entzündlichen Pro¬ 
zesses auf der Schleimhaut entstanden und die man heut immer 
noch gelegentlich Unrichtigerweiser als katarrhalische Geschwüre 


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Zur Lehre von den Katarrhen. 


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zu bezeichnen pflegt. Der Schnupfen pflegt aber bei dazu dispo¬ 
nierten Individuen oder bei häufiger Wiederkehr der die Ent¬ 
zündung vermittelnden Ursachen mehr oder weniger häufig zu rezi- 
divieren. Anf diese Weise oder bei der Kombination der ange¬ 
gebenen Verhältnisse oder unter gewissen Umständen auch infolge 
einer einmaligen derartigen katarrhalischen Entzündung der Nase 
kann sich ein chronischer Zustand entwickeln, bei welchem oft 
eine vollständige Ausscheidung nicht stattfindet. Es bleiben häufig 
dauernde Gewebsveränderungen in der Nase zurück und zwar 
treten in der Regel zunächst Schwellungen und nachher Schrump¬ 
fungsprozesse auf. Es sei bemerkt, daß sich die chronischen, was 
übrigens auch bei den akuten Katarrhen der Nase häufig der 
Fall ist, auf deren Nebenhöhlen fortsetzen können. Bei dem chro¬ 
nischen Nasenkatarrh hat daa Sekret die Neigung zu Zersetzungs¬ 
prozessen, und zur Schorfbildung. Es wird oft stinkend. Die In¬ 
dividuen mit einer sog. Stinknase, Ozaena, sind unliebsame 
Persönlichkeiten, die von jedermann gemieden werden. 

Wertvolle, nicht nur die makroskopische Untersuchung er¬ 
gänzende, sondern ganz neue, die Ätiologie betreffende Aufschlüsse 
liefert hier die mikroskopische Untersuchung, welche sich beim 
lebenden Menschen im wesentlichen auf die des Sekretes zu be¬ 
schränken haben wird. R. Virchow 1 2 ) hat auch betreffs der Ka¬ 
tarrhe in dieser Beziehung dankenswerte Anregungen gegeben und 
das ärztliche Handeln gefordert. 

Die mikroskopische Untersuchung des katarrhalischen Nasen¬ 
schleims ergibt zahlreiche Rundzellen, deren Menge sich, ent¬ 
sprechend der fortschreitenden Entzündung, vermehrt. Sie sind an 
einer Seite mit Flimmern besetzt. Außerdem sieht man auch 
Zylinderepithelien. Orth*) bemerkt, daß die mit Flimmern be¬ 
setzten Rundzellen wohl durch eine Art Kontraktur des Leibes 
der letzteren entstanden sein und jedenfalls mit einer Eiterzellen¬ 
bildung aus den Epithelien nichts zu tun haben dürften. Die Zahl 
der Rundzellen erreicht schließlich auf dem Höhepunkt des ent¬ 
zündlichen Prozesses eine beträchtliche Höhe. Das zur Unter¬ 
suchung des Nasensekrets auf Mikroorganismen erforderliche Ma¬ 
terial gewinnt man mittels eines sterilen Wattetupfers. 0. Aro- 

1) R. Virchow, Tiber die Reform der pathologischen und therapeutischen 
Anschauungen durch die mikroskopischen Untersuchungen, dessen Archiv Bd. 1. 
1847, p. 251. 

2) J. Orth, Lehrbuch der pathologischen Anatomie. I. Band, Berlin 1887 T 
P- 185. 


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nade'i berichtet betreffs des Schnapfens der Säuglinge, welche 
anf Grund ihrer mangelhaften Wärmeregulation leicht zu -Er¬ 
kältungen - der Nasenschleimhaut unabhängig von der Jahreszeit 
geneigt seien, daß diese Erkältungen von echter Entzündung und 
bakterieller Infektion gefolgt sind. Die letztere kann teils durch 
Autoinfektion, teils durch die oft unvorsichtige Umgebung des 
Kindes bewirkt werden; in Betracht kämen hier vorzugsweise 
Pneumokokken, Mikrokokkus catarrhalis, Coli- und Diphtherie¬ 
bazillen. Bei den katarrhalischen Entzündungen geht das Epithel 
niemals, wie es bei den diphtherischen geschieht, zugrunde. 

Zur Kenntnis der durch Katarrhe bedingten anatomischen Ver¬ 
änderungen der Schleimhäute liefert auch die mikroskopische Unter¬ 
suchung des durch das Tierexperiment gelieferten Materials ein 
nicht zu unterschätzendes Material, da einfache Katarrhe beim 
Erwachsenen kaum zum Tode führen. Ich habe 1 2 ) dazu die Ver¬ 
änderungen verwertet, welche die Magenschleimhaut der Hunde, 
einschließlich der in ihr enthaltenen der Verdauung dienenden 
Drüsen, durch Einverleibung von Alkohol in den Magen erleidet. 
Die anatomische Untersuchung des akuten Magenkatarrhs beim 
Menschen bat gewisse Schwierigkeiten, weil diese Krankheit, da 
sie nicht tödlich verläuft, nur zufällig zur direkten Untersuchung 
gelangt, deren Ergebnis überdies deshalb ein unvollkommenes wird, 
weil die nach dem Tode infolge der Selbstverdauung eintretenden 
Magen Veränderungen die Verwertung der Beobachtung ganz wesent¬ 
lich beeinträchtigen. Indes weiß man in dieser Beziehung immer¬ 
hin so viel, daß der akute Magenkatarrh beim Menschen durch 
eine gesteigerte Füllung der Blutgefäße, die selten über die ge¬ 
samte Magenschleimhaut sich erstreckt, sondern in der Regel auf 
einzelne Partien derselben und zwar vornehmlich auf die Gegend 
des Pförtners sich zu beschränken pflegt. Daneben finden sich 
häufig oberflächlich gelegene kleine Schleimhautblutungen sowie 
gar nicht selten auch sog. hämorrhagische Erosionen, wo das Epi¬ 
thel der Magenschleimhaut im Bereich dieser Blutungen abge¬ 
stoßen worden ist. Die gesamte Schleimhaut ist überdies ebenso 
wie meist auch die submuköse Schicht etwas geschwollen. Die 
Oberfläche der Schleimhaut ist mit einem zähen, glasigen, durch 
leichte blutige Beimischung rötlich gefärbten Schleim bedeckt. 


1) Vgl. 0. Aron ade. Der Schnupfen der Säuglinge und seine Kompli¬ 
kationen. Therapeut. Monatshefte 1910 Nr. 9. 

2) W. Ebstein. Virchow's Archiv, Bd. 55 1872 p. 409ff. 


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Zur Lehre von den Katarrhen. 


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Die Veränderungen der Magendrüsen lassen sich aus den oben an¬ 
geführten Gründen beim menschlichen Magenkatarrh sehr schwer, 
häufig gar nicht beurteilen. Die übrigen Häute des Magens zeigen 
bei dem akuten Katarrh keine in die Augen fallenden Verände¬ 
rungen. Die Lücken, die bei der Untersuchung des menschlichen, 
an akuter katarrhalischer Entzündung erkrankten Magens ver¬ 
bleiben, werden durch die angegebenen experimentellen Unter¬ 
suchungen bei Hunden ergänzt, bei denen mehrfach in den Magen 
Kornbranntwein in verschieden großer Menge mittels der Schlund¬ 
sonde eingeführt worden war. Die Versuchstiere wurden durch 
Verbluten getötet. Die Untersuchung des Magens wurde in völlig 
frischem Zustande vorgenommen, wodurch einwurfsfreie Befunde 
bei derselben erzielt werden konnten. Ich beschränke mich hier 
auf die Mitteilung der Ergebnisse der mikroskopischen Unter¬ 
suchung und bemerke, daß die Versuche lediglich an Hungerhunden 
angestellt worden sind. Das Verhalten des Magens eines unter 
gleichen Verhältnissen gehaltenen anderen, lediglich im Hunger¬ 
zustande befindlichen Hundes ließ einwurfsfrei erkennen, welche 
Veränderungen der Alkohol bewirkt hatte. Das Epithel der 
Magenoberfläche sowie das der Magengrübchen des Alkoholhundes 
zeigte in verschiedener Intensität und Ausdehnung sich immer in 
dem Zustande hochgradigster Verschleimung, wodurch sie sich 
wesentlich von den gleichen Zellen des Hungerhundes unter¬ 
schied. Bei den Alkoholhunden war die freie Fläche der Epithel- 
auskleidnng des Magens mit einer von Formbestandteilen freien, 
mehr oder weniger dicken, hyalinen, farblosen Schicht von Schleim 
bedeckt, die sich mehr oder weniger tief in die Magengrübchen 
fortsetzte. An ihren freien Enden gehen die Epithelzellen und 
zwar insbesondere in der Pfortnergegend, becherförmig auseinander. 
Zu zwei Dritteilen, aber bisweilen nur bis zur Hälfte sind sie ver¬ 
schleimt und ihr Protoplasma zeigt gleichfalls keine Reaktion 
gegen Tinktionsflüssigkeiten, dagegen aber färben sich ihre Kerne. 
Was das Verhalten der eigentlichen Drüsenzellen betrifft, so sind 
es nur die Hauptzellen der zusammengesetzten (Lab ) und der 
ihnen analogen Zellen der einfachen Pepsindrüsen (Pylorusdrüsen), 
an denen ausgesprochene Veränderungen nachweisbar sind. Die¬ 
selben sind an den Pylorusdrüsen hochgradiger als an den Lab¬ 
drüsen. Die betreffenden Drüsenzellen werden trüber, granulierter 
und auch kleiner und reagieren stark auf Tinktionsflüssigkeiten, 
wie Karmin und Anilin. In dem Lumen der Pylorusdrüse findet 
sich eine mehr oder weniger feinkörnige, gelb oder gelbbräunlich 


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gefärbte Substanz, die ebenfalls eine starke Färbbarkeit zeigt. In 
einzelnen besonders stark veränderten Zellen werden deutliche 
Fetttropfen beobachtet Abgesehen davon findet man bei diesen 
Reizungen des Magens durch Alkohol auch in dem Bindegewebe 
zwischen den einzelnen Magendrfisen eine mehr oder weniger 
reichliche, jedenfalls aber weit reichlichere Anhäufung von Schleim¬ 
körperchen, als wir sie an dieser Stelle bei den im Hungerzustande 
befindlichen Hunden beobachten. Sie springt besonders im unteren 
Teil des Zwischenbindegewebes in der Nähe der Muscularis mucosae 
ins Auge. Die geschilderten Veränderungen der Magenschleimhaut, 
die infolge deren Reizung mit Alkohol eintreten, haben Analogien 
mit den Veränderungen, die die Magendrüsen während der Ver¬ 
dauung erleiden, wie sie zuerst von R. Heidenhain an den zu¬ 
sammengesetzten und von mir an den einfachen Pepsindrüsen be¬ 
schrieben worden sind. Unterschieden werden die durch die ge¬ 
nannten Reizungen — Alkohol und Verdauung — veranlaßten 
Drüsenveränderungen durch zwei Momente, nämlich durch die 
lange Persistenz der durch die stattgehabte Reizung mit Alkohol 
bedingten Veränderungen sowie durch das dabei frühzeitige sich 
bemerkbar machende Auftreten von degenerativen Prozessen, <L h. 
durch das Erscheinen von Fetttröpfchen in den affizierten Drüsen¬ 
zellen. Es schließen demnach die durch die Reizung mit Alkohol 
bedingten Veränderungen große Gefahren ein, die darin liegen, 
daß der Ausgleich der Schleimhautalterationen ungleich schwieriger 
eintritt, wenn sie durch Reizzustände katarrhalischer Natur, wie 
sie der Alkohol herbeiführt, bedingt sind. Selbst bei einer nicht 
allzu langen Dauer einer solchen Reizung pflegt es zum Unter¬ 
gänge der vornehmlich betroffenen Partien infolge von Degeneration 
des Zellprotoplasmas in Form fettiger Metamorphose zu kommen. 

Wie bei den Katarrhen der Magenschleimhaut beteiligen sich 
auch, abgesehen von den schleimbildenden Zellen und Drüsen, die 
in anderen Schleimhäuten enthaltenen, deren spezieller Funktion 
dienenden Drüsen, so z. B. die Lieberkühn’schen Drüsen des Darms, 
überdies aber auch dessen solitäre und aggregierte Follikel an 
den ihre Mucosa befallenden katarrhalischen Prozessen. Es treten 
im Verlaufe der akuten wie der chronischen Katarrhe im wesent¬ 
lichen die gleichen Veränderungen in den betreffenden Schleim¬ 
häuten auf, die freilich auch hier in den verschiedenen Stadien 
der Entzündung verschieden sind. Außerdem aber zeigen die Ka¬ 
tarrhe der einzelnen Schleimhäute gewisse Verschiedenheiten. Was 
aber allen gemeinsam ist, ist die Bildung eines katarrhalischen 


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Zur Lehre von den Katarrhen. 


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Sekrets, welches in Quantität und Qualität freilich manchen 
Schwankungen unterliegt, aber besonders bei akuten Katarrhen in 
ungleich größerer Menge als bei den chronischen produziert wird. 
Durch dieses Sekret, sei es, daß es bei den der Inspektion direkt 
zugänglichen Schleimhäuten ohne anderweitige Beimischung zutage 
tritt, oder sei es, daß es anderen normalen oder pathologischen 
Ausscheidungen, wie dem Harn, dem Sputum, dem Erbrochenen, 
den Stuhlgängen usw. beigemischt ist, bleiben wir keinen Augen¬ 
blick darüber im Zweifel, daß es sich in jedem derartigen Falle 
um eine katarrhalische Affektion der betreffenden Schleimhaut 
handelt, die auch bei akuten Katarrhen, wie sich bekanntlich aus 
anatomischen Erfahrungen ergibt, sich nicht auf diese zu be¬ 
schränken braucht, sondern sich auch auf das submuköse Gewebe 
fortpflanzen kann. 

Die anatomische Untersuchung belehrt uns weiter auch über 
das Vorhandensein von Folgezuständen der Katarrhe sowie oft 
auch, nämlich wenn die betreffenden Krankheitsprodukte, wie 
Tuberkeln usw., darüber Auskunft geben, ob es sich im konkreten 
Falle um sekundäre Katarrhe handelt, bzw. auf welchem Boden 
sie entstanden sind. 

Das Krankheitsbild, welches die katarrhalischen Prozesse 
erzeugen, ist wohl jedem Menschen aus Selbsterfahrung bekannt, 
denn es dürfte sehr wenige geben, die dieselben nicht in der einen 
oder anderen Form am eigenen Leibe erfahren hätten. Es gibt 
Menschen, die man eigentlich als „katarrhalische“ bezeichnen 
könnte, weil sie entweder stetig von dem Katarrh einer oder auch 
verschiedener Schleimhäute mehr oder weniger geplagt sind. Die 
Lokalisation der Katarrhe kann nämlich erfahrungsgemäß eine 
sehr mannigfache sein. Jede Schleimhaut kann bekanntlich, die 
eine natürlich häufiger als die andere, katarrhalisch erkranken. 
Am öftersten erkrankt wohl die Schleimhaut der Nase. Es gibt 
einen habituellen Schnupfen, der die daran leidenden Personen so 
gut wie niemals ganz verläßt. Prädisponiert dürften dazu solche 
Individuen mit weiten, mehr nach oben gerichteten Nasenlöchern 
sein, die zur Aufnahme von Entzündungserregern besonders ge¬ 
eignet zu sein scheinen. Es gibt ferner einen Nasenkatarrh, der 
die davon heimgesuchten Personen zwar nicht stets, aber mit 
großer Regelmäßigkeit alljährlich in der Zeit befällt, in welcher 
sie der Einwirkung des Pollenstaubes oder des Riechstoffes ge¬ 
wisser Pflanzen, der Gramineen, ausgesetzt sind, der aber auch 
durch Staub, Hitze und andere Schädlichkeiten hervorgerufen 


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werden kann. Derselbe führt nach einem hervorragenden eng¬ 
lischen Arzte John Bostock, der Jüngere (1773—1846), der ihn 
an sich selbst beobachtete und ihn auf Grund von achtzehn sicheren 
nnd zehn weniger zuverlässigen Beobachtungen genauer beschrieb 
und als Catarrhus aestivus bezeichnete, sowie auch die Behandlung 
desselben schilderte, den Namen Bostock’scher Katarrh, ist aber 
unter der Bezeichnung: Heuasthma oder besser noch Heufieber 
viel bekannter. Diese Krankheit ist übrigens ein gutes Paradigma 
dafür, daß ein und dieselbe Schädlichkeit gleichzeitig den Katarrh 
mehrerer Schleimhäute, nämlich die Bindehaut der Augen, die 
Nasenschleimhaut und die Schleimhaut der Atmungsorgane im all¬ 
gemeinen befallen kann. 

Was nun die spezielle Symptomatologie der Katarrhe betrifft, 
so finden wir, abgesehen von den sekundären, im Gefolge von 
fieberhaften Krankheiten entstehenden Katarrhen, diejenigen pri¬ 
mären Katarrhe, welche aus infektiösen Krankheitsursachen ent¬ 
stehen, von meist mäßigem Fieber und damit vergesellschafteten 
anderen allgemeinen Krankheitssymptomen, wie z. B. von allge¬ 
meinem Elendigkeitsgefühl und Abgeschlagenheit begleitet Die¬ 
selben können außer einer sehr verschiedenen Intensität auch eine 
kürzere oder längere Dauer haben. Sie sind aber in der Mehrzahl 
der Fälle bei der letzteren Kategorie von Katarrhen im allge¬ 
meinen von keiner die Prognose trübenden Bedeutung. Dies gilt 
insbesondere auch von dem einfachen Schnupfen, von dem übrigens 
bereits in den Hippokratischen Schriften ein im wesentlichen 
recht treffendes Krankheitsbild entworfen worden ist.*) Der 
Schnupfen bietet auch, da das dabei abgesonderte und nach außen 
entleerte Sekret der direkten Untersuchung, wie bereits ausge¬ 
führt wurde, zugänglich ist, ein typisches Bild der bei den Ka¬ 
tarrhen stattfindenden Hypersekretion und der dabei sich voll¬ 
ziehenden nasalen Schleimhautveränderungen, sowie der Alterationen, 
die die Nase selbst und deren nächste Umgebung erfährt Durch 
diese Lokalaffektionen werden gewisse lokale Symptome hervor¬ 
gerufen. Unter ihnen seien erwähnt die in der Regel den Schnupfen 
einleitenden Stirnkopfschmerzen, die von einem Gefühl von Schwere 

1) John Bostock, Case of a periodical affeetion of the eyes and ehest. 
Transactious of the inedico-chirnrgical society London. Vol. 10, 1819, p. 161—165. 

2) John Bostock, Of the catarrhus aestivus. or summer catarrh. Ebenda 
Vol. 14, Part 2, London 1S28, p. 437—446. 

3) Oeuvres d’Hippokrate etc. 1. c., Tome I p. 613, 1839, (de Tancienne 
medecine § IS). 


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Zur Lehre von den Katarrhen. 


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im Kopf begleitet und die im wesentlichen auf eine Beteiligung 
der Nebenhöhlen der Nase, insbesondere der Stirnhöhlen zu be¬ 
ziehen sind. Ferner sei erinnert an die Schwierigkeit, besonders 
in der Rückenlage durch die Nase zu atmen. Dadurch werden 
beim akuten Nasenkatarrh das Schlafen mit offenem Munde und 
das Schnarchen erklärt, sowie das Unvermögen der Säuglinge zu 
saugen, sowie die Mißgefühle — Kitzel und Brennen — in der Nase, 
wodurch die häufigen Anfälle von Niesen bewirkt werden. Dieselben 
sind von einer vermehrten Bildung und Entleerung des Sekretes 
der Nasenhöhle sowie auch häufig von einem Katarrh der Binde¬ 
haut des Auges begleitet, die sich durch Rötung und Schwellung 
sowie durch ein mehr oder weniger starkes Tränen der Augen 
kundgeben. Dabei wird regelmäßig der Geruchssinn, und zwar in 
sehr bemerkenswerter Weise beeinträchtigt und mehr oder weniger 
leidet gar nicht selten das Gehör und der Geschmack. Letzteres 
ist dann der Fall, wenn außer der Nasenhöhle auch die Mundhöhle 
bei dem Katarrh in Mitleidenschaft gezogen wird. Ersteres ge¬ 
schieht, wenn bei Mitbeteiligung des Rachens die katarrhalische 
Entzündung auf die Eustachische Trompete, einen sog. Tuben¬ 
katarrh bewirkend, übergeht und besonders auch die Schleimhaut 
des Mittelohres ergreift. Der sich daselbst entwickelnde akute 
katarrhalische Prozeß macht häufig erhebliche Beschwerden. Es 
kommt oft zu reichlicher Exsudatbildung, wodurch auch gar nicht 
selten behufs der Entleerung des in der Paukenhöhle angehäuften 
Sekrets eine Punktion des Trommelfelles notwendig werden kann. 
Wenn die Rachenschleimhaut 1 ) an der akuten katarrhalischen 
Entzündung sich beteiligt, treten weitere Symptome auf, durch 
deren Anwesenheit die Situation genügend gekennzeichnet wird. 
Unter ihnen verdienen das Würgen mit Brechneigung, die beson¬ 
ders am Morgen (vomitus matutinus) auftreten, sowie der Husten 
besonders genannt zu werden. Es gibt nämlich einen Rachen¬ 
husten, der gelegentlich, besonders beim chronischen Rachenkatarrh, 
fälschlich für das Symptom einer infolge einer Brustaffektion 
schwindsüchtiger Natur entstandenen Krankheit gehalten wird. 
Rückt der Katarrh weiter nach abwärts, so macht sich eine 
Schädigung des Stimmapparats bemerkbar. Dies ist bereits dann 
der Fall, wenn lediglich der Kehlkopfeingang mit Einschluß der 
falschen Stimmbänder in Mitleidenschaft gezogen wird. Durch 
deren Schwellung wird die freie Bewegung der wahren Stimm- 

1) Vgl. Rühle, Über Pharynxkrankheiten. Volkmann’s Sammlung 
klinischer Vorträge, Nr. 7. 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 4 


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bänder gehindert. Dies kann auch durch katarrhalisches Sekret 
bewirkt werden, welches auf die falschen Stimmbänder aufgelagert 
ist. Wird letzteres durch leichtes Anhusten entfernt, kann die 
Stimme sehr bald wiederkehren. Anders gestaltet sich die Sache, 
wenn die wahren Stimmbänder selbst von dem Katarrh befallen 
werden. In diesem Falle kommt es nicht nur zu ausgesprochener 
Heiserkeit, sondern bisweilen sogar zu vollkommenem Stimmverlust 
Diese Stimmstörungen können sogar, wenn sich infolge des Katarrhs 
Lähmungszustände in den die Stimmbänder versorgenden Muskeln 
entwickelt haben, diesen noch überdauern, was sich mit Hilfe des 
Kehlkopfspiegels leicht feststellen läßt. Es ist dies von prak¬ 
tischer Wichtigkeit, denn während man bei den entzündlichen 
Prozessen Ruhigstellung der Stimmbänder verlangen muß, also 
Schweigen verordnet, pflegt bei Lähmungszuständen unter Um¬ 
ständen fleißige Übung der Stimme die Heilung wesentlich be¬ 
schleunigen. Abgesehen von den Stimmstörungen treten bei diesen 
Aflektionen des Kehlkopfes auch Atmungsstörungen auf, die um 
so größer sind, je enger die Kehlkopfhöhle ist. Es schließt dies 
demgemäß nicht nur im kindlichen Lebensalter eine ernstliche 
Lebensgefahr ein, sondern kann unter Umständen aber auch dem 
Erwachsenen verhängnisvoll werden. Ich erinnere mich eines 
jungen Arztes, der, an einem einfachen Kehlkopfkatarrh leidend, 
sich dadurch, trotz der Warnung seiner Kollegen, nicht hatte ab¬ 
halten lassen, sich an einem Kommers seines alten Korps zu be¬ 
teiligen. Am nächsten Morgen wurde er tot in seinem Bett ge¬ 
funden. Die Sektion ergab lediglich eine Laryngitis submucosa 
(Glottisödem) mit Verschluß der Stimmritze. Diese Affektion hat 
sich zweifellos akut, infolge der durch den Kommers bedingten 
Schädlichkeiten, im Anschluß an den einfachen Kehlkopfkatarrh 
entwickelt. Der schwere Rausch hat zweifellos wesentlich dazu 
beigetragen, daß die Entwicklung des verhängnisvollen Zustandes 
sich der Beobachtnng des Patienten entzog. Katarrhe der Luft¬ 
röhre markieren sich in der Regel nur im agonalen Zustande 
durch das dabei auftretende tracheale, das sog. Sterberasseln 
deutlich, welches dadurch zustande kommt, daß den Kranken die 
Kraft fehlt, das sich ansammelnde Sekret durch die entsprechende 
Reflexbewegung mittels des Hustens *) zu entleeren. Derselbe ist 
nicht das Zeichen einer bestimmten, sondern das eigentliche Kar¬ 
dinalsymptom bei den mannigfachsten Erkrankungen der Atmungs- 
organe, insbesondere entzündlicher Natur. Sie umfassen die häu- 

1) W. Ebstein, Über den Husten. Leipzig 1876. 


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figsten und wichtigsten einschlägigen Krankheiten, von der ein¬ 
fachen katarrhalischen Entzündung bis zur mörderischesten aller 
chronischen Krankheiten: der Lungenschwindsucht, die mit Ver¬ 
ödung oder Zerstörung eines größeren oder geringeren Teils des 
Lungengewebes einhergeht Welcher von den hierbei in Betracht 
kommenden Prozessen im konkreten Falle vorliegt, darüber gibt 
die weitere Untersuchung des Patienten Aufschluß, vor allem aber 
kommt die Untersuchung des durch den Husten nach außen ge¬ 
langenden Auswurfs hierbei in Frage. Wir erfahren dadurch, ob 
sich Teile zerstörten Lungengewebes in Form elastischer Faser¬ 
netze darin finden oder ob gar pathogene Mikroorganismen, wie 
insbesondere der Tuberkelbazillus, in demselben vorhanden sind. 

Wie bei dem Katarrh der Nase, der Mundhöhle und des 
Rachens ist auch das Krankheitsbild der Katarrhe der Harn- und 
Geschlechtsorgane sowie des Mastdarms mehr oder weniger der 
direkten Besichtigung zugänglich, bzw. läßt sich das Bestehen 
solcher Katarrhs, wofern eine Okularinspektion nicht möglich ist, 
durch die dem Harn- bzw. den Stuhlentleerungen beigemischten 
katarrhalischen Sekrete erschließen. Man hatte sogar gemeint, 
daß man sehr wohl imstande wäre, aus der Form der dem Harn 
beigemischten Epithelien sicher zu erkennen, ob es sich um einen 
Harnblasen- oder um einen Katarrh des Nierenbeckens handle. 
Indes habe ich schon früher *) darauf hingewiesen, daß dies des¬ 
halb nicht möglich sei, weil das Epithelium des Nierenbeckens 
ebenso wie das der übrigen Harnwege zu dem von He nie als 
Übergangsepithel bezeichneten gehört. Dagegen sind andere 
Qualitäten des Urins geeignet, so der stärkere Schleimgehalt des 
Urins, sowie eine größere Eitermenge, seine leichtere, durch das 
Auftreten der ammoniakalischen Harngärung erkennbare Zer¬ 
setzbarkeit weit mehr an einen Katarrh der Harnblase als an 
einen des Nierenbeckens denken zu lassen. Beide können freilich 
auch miteinander vergesellschaftet Vorkommen. Will man solche 
Katarrhe der Harnorgane richtig lokalisieren, dann wird man auch 
hier mit der Gesamtheit ihrer Symptome, z. B. mit dem Sitz der 
dabei auftretenden Schmerzen, sowie ob und welche Beschwerden bei 
der Entleerung der Harnblase usw. vorhanden sind, rechnen müssen. 

Was die Darmentleerungen anlangt, so finden sich bei 
katarrhalisch entzündlichen Prozessen oft genug dem Kot beige¬ 
mischte schleimige Massen, welche von Laien häufig als „Darm- 

1) W. Ebstein, In dem Handbuch der speziellen Pathologie usw. von 
v. Ziems8en. Bd. IX, 2, p. 47, 2. Aufl., Leipzig 1878. 

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häute- 1 *) bezeichnet werden, welche aber natürlich lediglich vom 
Darm abgesonderte Sekrete sind, die jedoch infolge ihres hantigen 
Aussehens für den Unerfahrenen den Eindruck machen, als wären 
es Teile des Darmes selbst. Sie stellen gar nicht selten Hohl¬ 
gebilde dar und umhüllen die Fäkalmassen oder sind denselben in 
Form von fädigen oder fetzigen Massen nur locker aufgelagert. 
Neben dem ihren Hauptbestandteil bildenden Schleim ist in ihnen 
auch ein geringer Eiweißgehalt nachzuweisen. Dieser ist meist 
auf im Untergange begriffene Zellen zurückzuführen, die in einer 
unregelmäßig gestreiften Grundsubstanz eingebettet sind und die 
durch ihre gelbliche Färbung dem ursprünglich grauen noch einen 
entsprechend modifizierten Farbenton geben. Bisweilen werden 
diese schleimigen Massen auch allein, ohne jede fäkale Beimengung 
entleert. Ihrer Entleerung gehen gar nicht selten heftige kolik- 
artige Schmerzen vorher. Will man eine besondere Bezeichnung 
für diesen Prozeß wählen, so ist die von .T. Orth 2 ; vorgeschlagene 
„Enteritis chronica mucosa“ eine durchaus sachgemäße, indem sie 
mit der Möglichkeit rechnet, daß solche Abgänge, die ihre Ent¬ 
stehung nicht einem katarrhalischen Prozeß des Darms sondern 
einer sog. Sekretionsanomalie verdanken, unter dem Bilde einer 
einfachen Kolik, Colica mucosa, entleert werden. Mit diesen Ab¬ 
gängen schleimiger Massen aus dem Darm, die vorzugsweise in¬ 
folge chronisch entzündlicher Prozesse sich entwickeln, ist es bei 
dem Darmkatarrh nicht abgetan, im Gegenteil, den Durchfällen 
kommt, weil sie oft genug beim Darmkatarrh auftreten, wohl eine 
noch größere praktische Bedeutung zu. Sie entstehen, wie im all¬ 
gemeinen noch angenommen zu werden pflegt, unter dem Einflüsse 
der durch den entzündlichen Prozeß auf der Darmschleimhaut be¬ 
dingten pathologisch gesteigerten Peristaltik. In je tiefere Par¬ 
tien des Darms dieselbe unter diesen Umständen einsetzt, um so 
wässeriger sind auch ceteris paribus die Stuhlgänge. Bei Ka¬ 
tarrhen des Colon descendens sind also die Stuhlgänge von un¬ 
gleich dünnerer Konsistenz als bei den in den oberen Teilen des 
Ueum lokalisierten katarrhalischen Prozessen. Nach den Unter¬ 
suchungen von H. Ury 3 ) kommt der Steigerung der Peristaltik 
besonders des Dickdarms zur Erklärung des Durchfalls nur als 

1) Vgl. W. Ebstein. Die chronische Stuhlverstopfung in der Theorie und 
Praxis. Stuttgart 1901, p. 23. 

2) Johannes Orth. Lehrbuch der spezifisch-pathologischen Anatomie. 
Berlin 18*7. p. 801. 

3j H. Ery, Eber neuere Fäkaluntersuchungen. Intern. Beiträge zur Patho¬ 
logie und Therapie der Ernährungsstörungen. Bd. I, 1910, p. 368. 


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sekundärer Faktor in Frage. Die Diarrhöen sollen in erster Reihe 
durch abnorm vermehrte Ausscheidung von Verdauungssekreten be¬ 
dingt sein. Reichlichere eitrige Massen kommen bei den einfachen 
Katarrhen des Darms nicht vor, desgleichen keine erheblicheren 
Blutmengen, die, wofern sie nicht hämorrhoidaler Natur sind, zunächst 
für die Anwesenheit von Darmgeschwüren sprechen. Verdautes 
Blut in Form teerartiger Massen entstammt nur den allerobersten 
Partien des Darms, wofern es nicht von Magenblutungen herrührt. 

Betreffs der beim Magenkatarrh auftretenden Erschei¬ 
nungen habe ich bereits die auf experimentellem Wege beim 
Hunde durch Einverleibung von Alkohol hervorgebrachten Ver¬ 
änderungen der Magenschleimhaut geschildert. Tatsächlich ist der 
Alkoholmißbrauch auch beim Menschen eine der häufigsten Ur¬ 
sachen besonders des chronischen Magenkatarrhs, weil ja die 
Trunksucht ein langdauerndes Leiden ist. Außerdem aber treten 
solche chronische Magenkatarrhe bei allen aus irgendwelchem 
Grunde auftretenden Pfortaderstauungen, bei allen mit Insuffizienz 
des Myocardiums einhergehenden Affektionen auf. Der chronische 
Magenkatarrh imponiert durch die schiefergraue Verfärbung der 
Schleimhaut, die infolge der kleinen Blutungen im Gewebe sich 
entwickelt. Der chronische Reizzustand führt je länger je mehr 
zu einem Schwunde der Magendrüsen, deren Zellen dabei zugrunde 
gehen. Abgesehen vom Alkoholmißbrauch und den angeführten 
Kreislaufsstörungen können zahlreiche diätetische Schädlichkeiten, 
wie z. B. der Genuß schwer verdaulicher Dinge, übermäßige Nah¬ 
rungsaufnahme, zu hastiges Essen heißer Speisen zu länger oder 
kürzer dauernden katarrhalischen Zuständen des Magens führen. 
Ferner gibt es Individuen, wie es scheint, besonders solche mit 
gichtischer Anlage oder mit Gicht behaftete, die eine erhöhte Reiz¬ 
barkeit des Magens haben und die zu Katarrhen desselben dispo¬ 
niert sind. Ob und inwieweit atmosphärische Einflüsse, wie z. B. 
große Kälte oder Hitze, plötzliche Witterungsumschläge zur Ent¬ 
wicklung gastrischer Störungen dieser Art beitragen, ist nicht ganz 
leicht zu beantworten. Daß sie Appetitverlust bedingen, ist ohne 
weiteres zuzugeben, damit ist. aber keineswegs gesagt, daß sich 
daraufhin allein ein akuter katarrhalischer Zustand des Magens 
diagnostizieren läßt. Zu den häufigsten Symptomen desselben ge¬ 
hört das Erbrechen schleimiger Massen, die bisweilen gallige Bei¬ 
mengungen enthalten. Das Erbrechen ereignet sich gewöhnlich nach 
dem Essen und ist keineswegs, was bei dem sogen. Vomitus matu- 
tinus die Regel bildet, auf die Zeit vor und nach dem Frühstück 


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beschränkt. Bei dem Magenkatarrh leidet auch infolge der Mit¬ 
leidenschaft der Magendrüsen die Absonderung eines wirksamen 
Magensaftes. Dadurch wird die Verdauung verlangsamt. Zer- 
setzungs- und Gärungsprozesse stellen sich ein, wodurch nicht 
nur die bestehenden dyspeptischen Symptome gesteigert werden, 
sondern auch weitere sich hinzugesellen. Wird der Zwölffinger¬ 
darm bei Magen- oder Darmkatarrhen beteiligt, ist auch das Auf¬ 
treten von Gelbsucht die gewöhnliche Folge. Übrigens treten bei 
Darm Störungen, insbesondere bei chronischer Koprostase magen- 
dyspeptische Symptome auf, unter denen neben den Symptomen 
der Hyperacidität der Appetitverlust oben ansteht. Werden die 
Darmstörungen beseitigt, so sieht man häufig ohne jede weitere 
Medikation oder diätetische Behandlung eine normale Magenfunk- 
tion wiederkehren. Unter den sog. Magenkranken entfällt nach 
meinen Erfahrungen ein großer Bruchteil auf derartige Fälle, bei 
denen die erfolgreiche Behandlung der Darmstörungen die con¬ 
ditio sine qua non für die Beseitigung der Magenerkrankung ist. 

Was die Dauer und den Verlauf der Katarrhe betrifft, so 
sind dieselben im wesentlichen bedingt durch die Intensität und 
den Fortbestand ihrer Ursachen. Es gibt bekanntlich akute und 
chronische Katarrhe. Der akute Schnupfen ist zwar lästig, aber 
mit Ausnahme des Schnupfens der Säuglinge ein harmloses Leiden, 
das in der Mehrzahl der Fälle in einer Woche in Heilung über¬ 
geht. Bei Säuglingen kann wegen der Enge der Nasengänge die 
Schwellung der Schleimhaut eine durchaus nicht unbedenkliche 
Erschwerung der Atmung und der Nahrungsaufnahme bewirken. 
Der chronische Schnupfen dauert oft genug monate-, ja jahrelang. 
Bei ihm, wie bei allen chronischen Katarrhen, wird die Krank- 
heitMlauer dadurch wesentlich oft so sehr verlängert, weil die in 
ihrem Gefolge sich entwickelnden Veränderungen der Gewebe des 
befallenen Organs bewirken, daß immer wieder neue Momente hin- 
ziitieteii, die nicht nur die früheren Krankheitssymptome ver¬ 
schärfen, sondern ihnen auch weitere andere hinzufügen. 

Die Dia gnose der Katarrhe ist im wesentlichen eine leichte 
und besonders lassen die der Okularinspektion zugänglichen Schleim¬ 
häute bequem erkennen, bis zu welchem Grade die durch die ka- 
lan balisf'he Entzündung bedingten Veränderungen gediehen sind. 
Die verfeinerten diagnostischen Untersuchungsmethoden mittels 
Spiegel besieht igung haben unsere Einsicht nicht minder gefördert, 
wie die mikroskopische Untersuchung der Sekrete und die Fort- 
schiilte der Bakteriologie. Durch letztere ist es möglich geworden. 


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Zur Lehre von den Katarrhen. 


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der Ätiologie der Katarrhe näher zu treten, als dies je zuvor der 
Fall war und hiervon hat auch die Behandlung in allen den 
Fällen Nutzen gezogen, wo die Möglichkeit vorliegt, die krank¬ 
heitserregenden Momente ohne dem betreffenden Individuum Schaden 
zuzufügen, zu beseitigen. Jedoch muß hervorgehoben werden, daß 
es durchaus nicht immer möglich ist, im Beginn einer akuten 
Nasenschleimhautentzündung weder aus dem klinischen Bilde noch 
durch die bakteriologische Untersuchung des Nasensekrets festzu¬ 
stellen, ob es sich dabei um eine spezifische Infektion handelt. 
Bei den Katarrhen der Schleimhäute, die im Innern des Körpers 
gelegen sind, stößt die Diagnose naturgemäß oft auf noch weit 
größere Schwierigkeiten. Auch wenn dieselben der Spiegelunter¬ 
suchung zugänglich sind, ist dadurch oft genug nicht zu ent¬ 
scheiden, ob im konkreten Falle primäre oder sekundäre Katarrhe, 
und welcher Art die letzteren sind, vorliegen. 

Aus den vorstehenden Mitteilungen ergibt sich ohne wesent¬ 
liche Schwierigkeiten die Prognose. 

Wir haben gesehen, daß es sich bei den Schleimhautkatarrhen 
um Oberfiächenerkrankungen handelt, welche, wenn die sie veran¬ 
lassenden Ursachen entweder keine Gefahren für Gesundheit und 
Leben einschließen oder, wenn prognostische Bedenken nicht durch 
unliebsame Zwischenfälle und Komplikationen bedingt werden, im 
allgemeinen unschwer zur Heilung gelangen. Bei manchen Ka¬ 
tarrhen liegen Gefahren vor, z. B. infolge der, besonders bei 
dem akuten Kehlkopfkatarrh sich einstellenden Verenge¬ 
rungen. Dies gilt nicht nur für das zarte Kindesalter, sondern 
gelegentlich können, wie das oben erzählte Beispiel lehrt, auch bei 
Erwachsenen bei komplizieronder Laryngitis submucosa Kehlkopf¬ 
stenosen akut auftreten. Bei hochbetagten Menschen ferner fürchtet 
man Katarrhe der Bronchien, besonders wenn sie sich auf die 
feinen und feinsten Luftwege verbreiten. Im höchsten Grade gilt 
dies von der Bronchitis acutissima von bedeutender In- und 
Extensität, die in der Regel sekundär infolge verschiedener Lungen¬ 
leiden auftritt und Erstickungserscheinungen bewirkt (Catarrhus suffo- 
cativus). Ferner schließen auch akute Katarrhe des Magens 
und des Darmkanals besonders im zarten Kindes- und im 
Greisenalter ernste Gefahren ein. Von den chronischen Katarrhen 
erscheinen besonders diejenigen verderblich, deren Ursachen in 
schweren Veränderungen, sei es tuberkulöser, sei es carcinoma- 
töser usw. Natur liegen. Dasselbe gilt u. a. auch von den Stauungs¬ 
katarrhen des Magendarmkanals infolge unheilbarer Herzkrank- 


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heiten, die ein absolut unheilbares Leiden dieses Organs zur Vor¬ 
aussetzung haben, sowie gleichfalls von den Katarrhen, die Teil¬ 
erscheinungen schwerer Allgemeininfektionen sind, wie wir dies 
bei der jüngsten schweren, noch immer nicht erloschenen Influenza- 
invasion gesehen haben. Hippokrates 1 ) schrieb atmosphärischen 
Einflüssen — vielleicht spielten hierbei auch infektiöse Ursachen 
mit — bei der Prognose eine große Bedeutung zu. 1 ) 

Die Behandlung der Katarrhe ist so alt wie die Geschichte 
der Katarrhe überhaupt. Die Alten hatten Heilmittel für dieselben. 
Bei Hippokrates 2 ) finden wir unter anderen die Myrrhe und 
den Honig als Mittel gegen den Schnupfen erwähnt. Soranus 
von Ephesus 3 ), der in dem 2. Jahrh. nach Chr. lebte, schildert im 
46. Kapitel des ersten Buches seines Werkes, das vom Katarrh 
und Husten handelt, die Behandlung dieser Krankheit beim Kinde, 
welche er als die Folge starker Schleiraanhäufung bezeichnet. Er 
verwirft die von einzelnen Ärzten dagegen verordneten Leck¬ 
arzneien aus Kresse, Kümmel, Nesselsamen und Pfeifer wegen ihrer 
Schärfe und weil sie Blutandrang erregen, sowie auch Anlaß zu 
einer stärkeren Entzündung geben. Soranus träufelt beharrlich 
Honigwasser ein. Vermag das Kind, wenn es dieses schluckt, den 
Schleim noch nicht auszuspeien, so bewirkt dies Soranus. indem 
er durch Niederdrücken der Zunge Erbrechen erregt. Bei Husten¬ 
anfällen der Kinder verordnet er Leckarzneien aus Pinienkeruen, 
gerösteten Mandeln, Leinsamen, Lakritzensaft, Zirbelnüssen. Bocks¬ 
dorn und Honig. Die scharfen Mittel erhöhen nur den Hustenreiz, 
besonders in der ersten Zeit der Krankheit. Auch den Gebrauch 
von Bädern kann Soranus beim Katarrh der Kinder nicht emp¬ 
fohlen. Noch manchen anderen, die Behandlung anderer Katarrhe be¬ 
treuenden Angaben begegnen wir bei Soranus. Es darf ferner 
hier auf die Mitteilungen verwiesen werden, die Aretaeus von 
Kappadocien (a. a. 0. S. 147 ff.) über die Kur der Angina, der 
Krankheiten des Zäpfchens und der bösartigen Krankheiten im 
Sehlunde gemacht hat. Eigenartig mutet einen die Schnupfen¬ 
therapie der Heil. Hildegard (a. a. 0. p. 140 u. 143) an, wenn sie 
u. a. sagt : „Si reunia a naribus superflue effluit, fumus de ligno 

1) Litt re, Oeuvres d ' H i p pok rate 1. c. Aplior. 3. sect. § 12, p. 491 u. 
S 31, p. •)()l isi l'hiver est. austral, pluvieux et calme, et le printemps sec et boreal 
. . . surviennent . . . eliez les vieillanls des catarrhes. qui tuent proiuptenient). 

3j Litt re, Oeuvres d’Hippokrate 1. c. T. YJII, 1853, p. 231. Des 
imiladirs dr* fennnes, Livre 1 S 

3i Die (i a viiaUoln<rjt> des Soranus von Ephesus, übersetzt von Lüneburg. 
Münrlieii ls‘J4 ( j), 90. 


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Zur Lehre tou den Katarrhen. 


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abietis naribus excipiatur, et fluor die suavius solvetur et cessabit.“ 
In der altindischen Medizin (vgl. J. J o 11 y a. a. 0.) wurden gegen 
die Nasenkatarrhe usw. Einträufelungen angewendet. Viele ärzt¬ 
liche Rezepte beziehen sich auf „pinasa“ d. i. die „verstopfte Nase“, 
eine Bezeichnung, welche u. a. besonders den chronischen Schnupfen 
bedeutet, sowie auf „pratisyäya“ (Schnupfen oder Katarrh). Ins¬ 
besondere aber wird den daran Leidenden Aufenthalt in einem 
gegen Winde geschützten Hause vorgeschrieben. Sie sollen sich 
mit einem schweren Tuch den Kopf umhüllen; kaltes Wasser, den 
Umgang mit Frauen, sehr trockene Speisen, Kummer und Sorgen, 
frische geistige Getränke meiden; bei frischem Schnupfen wende 
man Räucherungen an. Daß auch die Volksmedizin sich die Be¬ 
handlung der Katarrhe, insbesondere derer der Nase angelegen 
sein ließ, ersehen wir aus 0. v. Hovorka’s und A. Kronfeld’s 
vergleichender Volksmedizin (Bd. 2, Stuttgart 1909, S. 4 ff.). 

Die Behandlung hat sich in neuester Zeit entsprechend unseren 
Kenntnissen von der Pathologie der Katarrhe ausgestaltet. 

Wir unterscheiden heutzutage bei der Therapie der Katarrhe 
eine vorbeugende und eine Behandlung der entwickelten Krank¬ 
heit. Die erstere stellt sich die Aufgabe, die die Katarrhe veran¬ 
lassenden Ursachen fern zu halten. Dieselbe ist eine ebenso um¬ 
fassende wie im allgemeinen dankbare Aufgabe. Nur einige wenige 
Punkte sollen hier in dieser Beziehung hervorgehoben werden. Es 
ist allbekannt, wie häufig man auf Reisen einen Katarrh, zum 
mindesten einen einfachen Schnupfen einheimst, der die guten Er¬ 
folge sofort wieder vernichtet, die von dem Aufenthalte in den 
Alpen oder am Meere bewirkt worden waren. Ich glaube, daß 
daran die Polsterkissen der Eisenbahnwagen einen gar nicht ge¬ 
ringen Anteil haben. Seitdem ich auf längeren derartigen Fahrten 
meine Nasenlöcher mit Wattepfropfen, die mit Bormelin oder ähn¬ 
lichen Materialien bestrichen sind, verstopfe, bin ich von solchen 
sehr unliebsamen, unmittelbar an die Reise sich anschließenden 
sog. „Erkältungen“ verschont geblieben. 1 ) 

Auf die gleiche Weise kann ‘ auch der Heuschnupfen verhütet 
werden. Einer meiner Kollegen, M. Verwor n, der tatsächlich ein Mär¬ 
tyrer dieser ihn alljährlich behelligenden Plage war, dem ich vor Jahren 
zur Anwendung der eben erwähnten Prozeduren geraten hatte, hat mir 
erst neuerdings wieder versichert, daß er sich nun allen den Einflüssen 
ungestraft aussetzen könne, die früher unzweifelhaft den Heu- 

1) Anmerk, bei der Korrekt.: Vgl. meinen demnächst in der „Um¬ 
schau“ erscheinenden Artikel über den „Reiseschnupfen“. 


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schnupfen zufolge gehabt hätten. Freilich gehört, um solche Erfolge 
zu erzielen, die korrekte Ausführung der hier in Frage kommenden 
kleinen Manipulationen, insbesondere die sorgsame Applikation der 
Wattebäusche, die weder zu fest noch zu locker sein dürfen, und 
ohne die Nasenatmung zu stören, das Eindringen von korpus¬ 
kularen. Elementen in die Nase ausschließen. 1 ) — 

Was nun die Behandlung der bereis entwickelten Katarrhe 
anlangt, so kann sie entweder eine kausale oder eine sympto¬ 
matische sein, und zwar bei den Katarrhen, die der Okularinspektion 
zugänglichen Schleimhäute, eine rein äußerliche. Die letztere kann 
in Flüssigkeitseinträufelungen, Inhalationen von Dämpfen oder von 
zerstäubten, antibakteriellen Flüssigkeiten oder im Bestreichen usw. 
mit konsistenten Arzneimitteln usw. bestehen. Die Behandlung soll 
die bakteriellen Krankheitserreger unschädlich machen, dies gilt 
insbesondere von der akuten katarrhalischen Rhinitis, die meist 
infektiöser Natur ist. Natürlich müssen die hier anzuwendenden 
Mittel absolut unschädlich und leicht anwendbar sein. Die sorg¬ 
same Ausführung der betreffenden Maßnahmen ist auch hier von 
geradezu ausschlaggebender Bedeutung. Bei allen Rachenkatarrhen 
wird man natürlich, was gar nicht so selten geschieht, keine 
Gurgelungen empfehlen dürfen, weil dabei die sich wie eine Gardine 
schließenden Teile des weichen Gaumens verhinderu, daß das Medi¬ 
kament in zweckdienlicher Weise die hintere Rachenwand benetzt. 
Dazu sind die sogenannten Rachenbäder weitaus das geeignetste 
Mittel, wozu man am besten 2—3 °/ 0 essigsaure Tonerde verwende« 
kann, welche übrigens auch zu Gurgelungen bei Anginen usw. sehr 
geeignet erscheint. Bei ihrer Anwendung wird vornehmlich mit 
ihrer antibakteriellen, also die Ursache des katarrhalischen Prozesses 
beseitigenden Wirkung gerechnet. Ein anderes Tonerdepräparat, 
das kieselsaure Aluminium, ist neuerdings besonders bei Behand¬ 
lung der akuten Nasenschleimhautentzündung empfohlen worden. 
Dasselbe, die Bolus alba, vermag wegen ihrer austrocknenden 
Eigenschaften die vermehrte Sekretion wesentlich einzuschränken 
und kann wenigstens in gewissen Fällen in kürzester Zeit den 
heftigsten Katarrh zum Stillstand bringen. 2 ) Mannigfacher Art 
sind übrigens die Mittel, die gegen Katarrhe empfohlen werden. Nur 
einiges möge hier erwähnt werden. 

1) An merk, bei der Korrekt.: Vgl. W. Ebstein, Zur Behandlung des 
IleufibeiH (erscheint demnächst in der Deutschen mediz. Wochenschr.). 

2) Vgl. Trum pp, Notiz zur Behandlung der Rhinitis acuta. Münch, med. 
WorheuHc.lir. 1ÜOI) p. 2422 Nr. 47, daselbst auch die einschlägigen Literaturangabeii. 


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Zur Lehre von den Katarrhen. 


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Bei Darmkatarrhen tritt anch die kausale Behandlung 
manchmal in ihr Recht, z. B. werden die durch Koprostase er¬ 
zeugten und unterhaltenen chronischen Darmkatarrhe, die sich 
durch mehr oder weniger häufige Durchfälle und besonders durch 
schleimige Abgänge mit den Stuhlgängen äußern, bekanntlich 
lediglich durch die Evakuation des Darms durch milde Mittel, wie 
vornehmlich durch den Gebrauch großer Ölklysmen geheilt Da¬ 
gegen gehören die vielfach bei Katarrhen der Verdauungsorgane 
sowie auch der Atmuugsorgane mit Erfolg benutzten kohlensauren 
Alkalien in den Bereich der symptomatischen Behandlung. Sie 
werden angewendet, um zähe, den Schleimhäuten aufgelagerte 
Schleimmassen, also die katarrhalischen Produkte, zu verflüssigen, 
um auf diese Weise leichter die Beseitigung der durch die katar¬ 
rhalische Entzündung bedingten Sekrete zu ermöglichen. 

Es handelt sich für uns aber nicht allein um die kausale und 
symptomatische Therapie der primären, sondern auch um die 
der sekundären Katarrhe. Zahllos fast ist die Zahl der hierzu 
empfohlenen Mittel. Die chemische Industrie ist gerade in unserer 
Zeit andauernd bestrebt, deren Zahl zu steigern. Als Allheilmittel 
werden die nach Angabe des Prof. Rotter bereiteten und als 
Rotterin bezeichneten antiseptischen Pastillen empfohlen. 1 ) Man 
kann, ohne sich einer Übertreibung schuldig zu machen, sagen, daß jede 
Schleimhaut ihre besondere Katarrhtherapie hat. Alle diese Heil¬ 
mittel sowie ihre besonderen Heilanzeigen zu erörtern gehört nicht in 
den Rahmen dieser Arbeit, in welcher in dieser Richtung lediglich 
einige allgemeine Gesichtspunkte aufgestellt werden sollten. Unter 
ihnen ist einer der vordersten, bei der Erziehung des Kindes bereits da¬ 
mit zu beginnen durch körperliche zweckdienliche Abhärtung auch 
die erforderliche Widerstandsfähigkeit der Schleimhäute zu schaffen 
und durch geeignete hygienische Maßnahmen die Momente zu besei¬ 
tigen, die der Entwicklung der Katarrhe Vorschubleisten. Die Straßen- 
und die Eisenbahnhygiene stehen dabei sicher nicht in der letzten 
Reihe. Die Anforderungen, welche in diesen Beziehungen den Be¬ 
dürfnissen seiner Zeit entsprechend an die individuelle und soziale Ge¬ 
sundheitspflege zu stellen waren, sind dem Scharfblick von Hippo- 
k r a t e s durchaus nicht entgangen. Es darf wohl angenommen werden, 
daß dieselben in demselben Maße sich steigern müssen, wie die 
Schädlichkeiten, die das moderne Leben mit sich bringt, zunehmen. 

1) Vgl. Stob aus, Zur Behandlung der Schleimhautkatarrhe. Thera]>. 
Monatsh. 1904, Oktober. 


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Aus der medizinischen Klinik in Heidelberg. 

Znr spirometrischen Methodik. 

4 Von 

Richard Siebeck, 

Assistent der Klinik. 

(Mit 2 Abbildungen.) 

Der Luftgehalt der Lunge in einer bestimmten Phase der At¬ 
mung (Mittelkapazität resp. Residualluft) kann nach Davy 1 ) und 
Grehant 2 ) dadurch bestimmt werden, daß aus einem Gasometer 
ein bestimmtes Volumen Wasserstoff eingeatmet, dann die Luft in 
der Lunge und im Gasometer durch mehrere tiefe Atemzüge voll¬ 
ständig gemischt wird. Ans der bekannten Menge vorhandenen 
Wasserstoffes und aus dem Wasserstoffgehalte der Mischung kann 
das Volumen berechnet werden, auf das der Wasserstoff verteilt 
wurde, d. h. das Volumen von Gasometer, Leitung und Lunge; 
daraus findet man durch Abzug den Luftgehalt der Lunge in dem 
Augenblick, in dem sie mit dem Gasometer verbunden wurde. 

Die Berechnung setzt voraus, daß die Gasmischung durch die 
Atemzüge tatsächlich zu vollkommen gleichmäßiger Zusammen- 
-etzung im Gasometer und in der Lunge führt. Schon Grehant 
bat dies«? Voraussetzung durch Versuche gestützt, in denen er 
zeigen konnte, daß nach der 4. tiefen Respiration keine Änderung 
der Zusammensetzung mehr eintritt; doch wurde später noch mehr¬ 
fach über die Berechtigung der Methodik gestritten. 3 ) 

ln neuerer Zeit wurde im Anschlüsse an die Arbeiten von Bohr 4 ) 
die Methode wieder vielfach verwendet, und die Autoren, die mit 

J \\ n rn ph ry-Da vy, Untersuchungen Uber das oxydierte Stickgas und 
•St*. -selben. II p. 70. Lemgo 1814. 

' br i* haut, Journal de l’anatomie et de la Physiologie 1864 p. 525. 

Vgl. Schenk, Pflügers Archiv 55 p. 191. 1894; dagegen Hermann, 

. i w \i ih:m. 

L',hr, deutsches Archiv f. klin. Med. 88 p. 885, 1907 u. a. 


Gck 'gle 


Original frorri 

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Zur spirometrischen Methodik. 


61 


gesunden, mehr oder weniger geübten Versuchspersonen arbeiteten, 
sind nach ihren Versuchen übereinstimmend davon überzeugt, daß 
die Resultate bei gewisser Vorsicht zuverlässig sind. Anders liegt 
die Sache bei der Untersuchung von Patienten mit krankhaft ver¬ 
änderter Atemmechanik. ßubow 1 ), Bittorf u. Forschbach 2 3 ), 
Bie u. Maar*) und ich 4 ) konnten zwar eine große Reihe ge¬ 
nügend gesicherter Ergebnisse mitteilen, aber es hatte sich mir 
bei der Untersuchung dyspnoischer Kranker bald gezeigt, daß viele 
Versuche ausgeschaltet werden mußten, weil eben die Gasmischung 
im Spirometer und in den Lungen keine vollständige war. Ich 
habe, wie früher, zur Kontrolle stets 2 Gasproben aus verschie¬ 
dener Höhe des Spirometers zur Analyse entnommen. War der 
Wasserstoffgehalt verschieden, so war ungenügende Mischung be¬ 
wiesen, der Versuch also unbrauchbar. Freilich kann man anderer¬ 
seits aus der Übereinstimmung beider Proben noch nicht schließen, 
daß die Zusammensetzung im Gasometer und in den Lungen 
eine gleichmäßige ist. Hier müssen zur Sicherung des Ergeb¬ 
nisses Doppelversuche unter verschiedenen Bedingungen ausgeführt 
werden. 5 ) 

Für die Gasmischung kommt natürlich in erster Linie die 
Vitalkapazität des Patienten in Betracht. Je kleiner die Ex¬ 
kursionen sind, die die Mischung bewirken, desto mehr wird sie 
durch die schädlichen Räume (schädlicher Raum des Spirometers, 
der Leitung und der Luftwege im Körper) erschwert. Mit dieser 
Erwägung war der Weg gegeben, auf dem eine Verbesserung der 
Methode zu suchen war. Eine Besserung der Exkursionen war 
natürlich nicht zu erreichen, wenn man nicht auf die Untersuchung 
eben schwer dyspnoischer Patienten verzichten wollte; denn diese 
haben fast durchweg eine sehr stark herabgesetzte Vitalkapazität. Der 
schädliche Raum der Luftwege im Körper ist nicht zu beeinflussen. 
Es mußte also die Leitung möglichst kurz und vor allem der 
schädliche Raum des Spirometers möglichst klein 
gestaltet werden. 

Der schädliche Raum meines Spirometers, das genau nach dem 
Bohr’schen von der gleichen Fabrik angefertigt ist, beträgt un- 


1) Rubow, Deutsches Archiv f. klin. Med. 92 p. 255, 1908. 

2) Bittorf u. Forschbach, Zeitschr. f. klin. Med. 70 p. 474, 1910. 

3) Bie u. Maar, Deutsches Archiv f. klin. Med. 99 p. 382, 1910. 

4) Siebeck, Ibid. 100 p. 204, 1910. 

5) Vgl. darüber: Sieb eck, Deutsches Archiv f. klin. Med. 97 p. 219, 1909 
und ibid. 100 p. 204, 1910. 


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62 


SlBBBCK 


gefähr 670 ccm. Es ist klar, daß dieser Raum für die Mischung 
die größte Rolle spielt. Die Vitalkapazität mancher Patienten 
beträgt 900—800, ja zuweilen nur 500 ccm. Atemzöge dieser Größe 
können natürlich bei so großem schädlichen Raume nicht zu voll¬ 
ständiger Mischung führen, zumal bei zu langer Dauer des Ver¬ 
suches andere Fehler störend auftreten (Gasabsorption, Kohlen¬ 
säureanhäufung und dadurch Unruhe der Versuchsperson, Husten 
bes. bei Patienten). 

Ich habe mir nun die Aufgabe gestellt, ein Spirometer mit 
möglichst kleinem schädlichen Raume zu konstruieren. 
Das gewöhnliche System mit der aufsteigenden Glocke konnte da¬ 
bei nicht benutzt werden, da die Leitung bis in den Hoblraum durch 
die ganze Höhe des Wassermantels zu viel Raum beanspruchte. 
Versuche mit Gassäcken führten zu keinem Ergebnisse; einmal war 
die Volumenbestimmung dabei zu ungenau, und dann konnte ich 
bis jetzt keinen Gummistoff oder dgl. finden, der für Wasserstoff 
und Kohlensäure dicht genug gewesen wäre. Ich kam nun auf 
ein anderes System eines Gasometers: bei einem um eine Achse 
drehbaren Deckel 1 ) sollte die Zuleitung an der Achse an¬ 
gebracht und dadurch möglichst kurz gemacht werden. Ich kon¬ 
struierte einen derartigen Apparat, dessen Ausführung die Firma 
C. Zeiß inJenain entgegenkommendster Weise übernahmen. Der 
Abteilungsvorstand der Zeißwerke, Herr Dr. Henker, hat dabei 
die Konstruktion auf das wirksamste unterstützt und z. B. die 
Übertragung zur graphischen Darstellung angegeben. Der Fabrik¬ 
leitung, die uns den Apparat gütigst übergeben hat, sowie Herrn 
Dr. Henker möchte ich hier meinen verbindlichsten Dank aus- 
drücken. 

An der Hand der Abbildungen beschreibe ich den Apparat, 
soweit das zur Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit notwendig ist 

Die Glocke des Gasometers (A), die den rechtwinkligen Sektor 
einer Walze bildet, ist in der Achse (a) äußerst leicht drehbar 
und durch die Gewichte (B, C) derart ausbalanciert, daß sie in 
jeder Stellung vollkommen im Gleichgewicht ist und daß der Auf¬ 
trieb, den die Glocke beim Eintauchen in Wasser erleidet, genau 
kompensiert ist (durch das frei hängende Gewicht C). Das Ge¬ 
wicht B kann zur Einstellung an seinem Hebelarm verschoben, 


1) Ohne diese Absicht wurde, wie ich später erfuhr, das Prinzip von Gad 
bei seinem Aeroplethysmographen verwendet (vgl. Archiv f. (A. u.) Physio¬ 
logie 1879 p. 181). 


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63 













64 


SlEJIECK 


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der Hebelarm selbst in der Achse a gegen die Glocke beliebig 
gedreht werden. — Der Boden des Gasraumes wird durch den 
Kasten D gebildet, der an der der Achse entsprechenden Wand 
des Wassergefäßes angeschraubt ist. Ganz entsprechend ist an 
der gleichen Wand die Zuleitung in den Gasraum angebracht, der 
Achse möglichst nahe, damit die Leitung möglichst kurz sein kann. 
Sie hat eine lichte Weite von 1 cm Durchmesser. Bei der Kürze 
wird dadurch ruhige Atmung nicht merkbar behindert. Für an¬ 
dere Versuche w'äre es vielleicht zweckmäßiger, die Leitung etwas 
weiter zu machen. Zur Einfüllung der Gasmischung und Entnahme 
der Proben sind 2 Hähne bei G angebracht. Die Zuleitung selbst 
ist durch den Vierwegehahn H abgeschlossen, der Verbindung des 
Atemrohres (b) mit der Außenluft und mit dem Spirometer, sowie 
des Spirometers mit der Außenluft ermöglicht. Die Öffnungen nach 
der Außenluft können besonders geschlossen werden. 

An der Peripherie der Glocke ist ein Zeiger für die Skala S 
angebracht. 

Zur graphischen Darstellung dient die Scheibe J, durch die 
mittels Schnurlaufes die Schiene K bewegt wird. An der Schiene 
ist die Feder L angebracht, die auf der durch das Uhrwerk M 
bewegten Trommel N schreibt. 

Zur Aufstellung ist der Apparat mit Stellschrauben und einer 
Libelle (0) versehen. 

Die Größe des Spirometers ist folgendermaßen gewählt. 
Der Grundriß des Gasraumes (= der rechteckigen Wand der 
Glocke) ist 10:20 cm groß. Danach ist der Inhalt des Gasraumes 


er 


= 10 ' 205 ' « • 


w r enn die Glocke um den Winkel a von der 


Horizontalen erhoben ist, oder = } • 10 • 20 • b = 100 b, wenn b der 

(im entsprechenden Maße) an der Skala S abgelesene Bogen ist 
Der maximale Inhalt ist danach etwa 3 Liter. 1 ) 1 cm der Skala 
entspricht also etwa 100 ccm Inhalt. Die Skala ist in Millimeter 
geteilt, es kann danach auf 10 ccm genau abgelesen, auf etwa 
2 ccm geschätzt w r erden. 

Da der Radius der Scheibe .1 10 cm ist, also halb so groß wie 
der des Zeigers an der Skala, entspricht 1 cm der geschriebenen 
Kurve etwa 200 ccm. 


1) Infolge eines kleinen (leicht korrigierbaren) Versehens kann mein Spiro¬ 
meter nur bis 1,5 Liter gefüllt werden, da sonst die Wände nicht tief genug 
in das Wasser hiueiuragen. 


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Zur spirometrischen Methodik. 


65 


Die Ablesung ist also eine sehr genaue. Zum Vergleiche führe 
ich an, daß bei dem Bohr’sehen Spirometer 1 cm der Skala oder 
einer direkt von der Glocke geschriebenen Kurve ungefähr einem 
Volumen von 250 ccm entspricht. 

Das Spirometer ist von C. Zeiß mit solcher Sorgfalt aus- 
geführt worden, daß es ohne merklichen Widerstand läuft und in 
jeder Stellung ausbalanziert ist. Die Resultate bei der Prüfung 
waren, wie unten gezeigt wird, sehr gute. 

Das Spirometer wird empirisch geeicht und eine auf die Skala 
bezogene Tabelle angefertigt. — Der schädliche Raum wird durch 
Gasmischung bestimmt; er beträgt etwa 50 ccm (gegenüber 670 ccm 
bei dem großen Spirometer). 

Die Eichungsversuche, die zugleich zur Prüfung des Apparates 
dienten, seien hier angeführt. 


Tabelle I. 
18° 747 mm. 


ccm Wasser 
aas der 
Bürette 

An der Skala des Spirometers abgelesen: 

1. 

! 2. 

1 

3. 

1 4 

5. 

1 Dnrch- 
l schnitt 

0 

0 






100 | 

90 

90 

90 

90 

90 

90 

200 

190 

190 

190 

189 

190 

190 

300 

290 

290 

290 

289 

1 290 

290 

400 

390 

390 

390 

385 

389 

389 

500 1 

487 

488 

488 

485 

488 

487 

600 

585 

583 

586 

583 

585 

584 

700 

680 

680 

683 

680 

682 

681 

800 

780 

778 

780 

780 

780 

780 

900 

878 

875 

8h0 

879 

880 

878 

1000 i 

978 

975 

978 

978 

978 

977 

1100 

— 


— 

1075 

1075 

1075 

1200 ! 

— 


— 

1170 

1170 

1170 

1300 

— 


— | 

1265 i 

1270 

1268 

1400 

— 

— 

— l 

1360 ! 

1368 

1364 

1500 

— 

1 

— 

1455 1 

1 

1460 

1458 


I. Eichung der Skala. 

Ein großer Kolben wird mit einem doppelt durchbohrten Gummi¬ 
stopfen verschlossen. Durch das eine Loch wird die Verbindung 
mit dem Spirometer hergestellt, durch das andere der Ausfluß einer 
Bürette gesteckt. Man läßt dann aus der Bürette eine bestimmte 
Menge Wasser in den Kolben fließen und notiert die entsprechende 
Volumenzunahme des Spirometers. Die Versuche sind in der Ta¬ 
belle I zusammengestellt; sie sind nicht korrigiert, gelten also für 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 5 


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66 


Siebeck 


Temperatur und Druck im Zimmer: 18°, Barometerstand (747 mm) 
Wasserdampftension bei 18°. 

Das Resultat ist außerordentlich günstig. Bis 1000 ccm finden 
wir keinen größeren Fehler als 5 ccm (2 X)> his 1500 ccm als 8 ccm. 
Es sei nochmals hervorgehoben, daß die Ablesung auf 10 ccm 
genau ist. — Aus dieser Tabelle wird eine andere berechnet, in 
der umgekehrt der Wert (in ccm) jedes Skalenteiles angegeben ist. 


II. Bestimmung des „schädlichen Raumes“. 

Es ist dreierlei zu unterscheiden: 1. die Atemleitung vom 
Mundstück bis zum Hahn; 2. die Hahnbohrung; 3. der Luftgehalt 
des Spirometers bei der Einstellung auf den Nullpunkt der Skala. 
1. u. 2. werden mit Wasser geeicht, 3. durch Gasmischung. Die 
Atemleitung bis zur Hahnbohrung beträgt (ohne Schlauchansatz 
und Mundstück) 3 ccm, die Hahnbohrung etwa 1 ccm. — Zur Be¬ 
stimmung des schädlichen Raumes durch Gasmischung wird der 
Apparat mit analysiertem Wasserstoff ausgespült, dann bis zu einem 
bestimmten Punkte, ev. auch bis zum Nullpunkte geleert. An die 
Atemleitung wird dann eine luftdichte Spritze von bekanntem Luft¬ 
gehalte (107 ccm) mit Luft gefüllt angeschlossen; wenn die Ver¬ 
bindung hergestellt ist, wird durch 10—20 Exkursionen des 
Stempels die Luft der Spritze mit dem Wasserstoffe des Spirometers 
vollständig gemischt. — Die Berechnung ist dann sehr einfach: 
x sei der schädliche Raum, a der Wasserstoffgehalt vor, b nach der 
Mischung mit Luft, A der an der Skala abgelesene Inhalt des 
Spirometers (also Inhalt — schädlicher Raum), dann ergibt sich 
folgende Gleichung: 

(x + A) a = (x + A + 107 + 3) b 
, b (A -J- 107 -f- 3) — a A 

da die Spritze 107 ccm, die Leitung 3 ccm Luft enthält. — Ich be¬ 
nutzte käuflichen, komprimierten Wasserstoff, der nach mehreren 
Analysen 99,7 °/ 0 Wasserstoff enthielt, durch Verbrennung mit Sauer¬ 
stoff bestimmt. Der Wasserstoff war danach nahezu rein. Es wäre 
übrigens für die Berechnung gleichgültig, wenn er Spuren anderer, 
mit Sauerstoff brennbarer Stoffe enthielte, da die Analysen immer 
genau gleich, bis zur vollständigen Verbrennung ausgeführt wurden 
und die Berechnung nur auf dem Vergleich zweier verschiedener 
Analysen beruht. 

Jr.li möchte noch einige Bemerkungen über die Gasanalyse 
einschalten. Ich benutzte, wie gewöhnlich, den Petterson’schen 


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Zur spirometrischen Methodik. 


67 


Apparat mit Verbrennungsbürette. Nach einer großen Erfahrung 
scheint mir folgendes Verfahren das beste zu sein. Eine der Ab¬ 
sorptionsbüretten des Apparates wird über Wasser oder Kalilauge 
mit atmosphärischer Luft gefüllt. Wie gewöhnlich wird die Gas¬ 
probe (je nach dem H a -Gehalte 10—20 ccm) eingesogen und ab¬ 
gelesen, dann aus der mit Luft gefüllten Bürette so viel Luft ein¬ 
gesogen, daß der geschätzte Wasserstoffgehalt der Mischung etwa 
20—30°/ o beträgt. 1 ) Nun wird in die Explosionsbürette soviel von 
dem Gas gegeben, daß der Platindraht eben frei wird, durch 
Schließung des elektrischen Stromes*) wird der Platindraht zu 
schwacher Rotglut erhitzt. Da der oberste Teil des Gases im Me߬ 
rohre noch fast unvermischte atmosphärische Luft enthält, tritt 
anfangs gar keine Verbrennung ein. Man füllt nun das Gas lang¬ 
sam in das Verbrennungsrohr über, wobei man mit der Geschwindig¬ 
keit des Füllens die Intensität der Verbrennung regulieren kann. 
Dieses Prinzip wurde von Coquillon angegeben und wird auch 
für andere Gase, z. B. Stickoxydul 8 ), mit Vorteil verwendet. Nach¬ 
dem man dann die Gasmischung mehrmals hin- und herbewegt 
hat, bestimmt man das Volumen, verbrennt nochmals und liest 
wieder ab. Bleibt das Volumen konstant, so ist die Verbrennung 
vollständig, die Analyse beendet. 

Ich führe nun die Versuche an. 

Der Wasserstoffgehalt des mit Wasserstoff ausgespülten Spiro¬ 
meters — zu Beginn des Versuches — war übereinstimmend 99,7 °/o 
(= a der Gleichung). Die übrigen Werte der Versuche sind in 
Tab. II angeführt. 

Die Werte der Tabelle stimmen sehr gut überein; der höchste 
ist 56, der niederste 46, der Mittelwert 51 ccm. 4 ) 

Die Eichungsversuche haben also ergeben, daß der Apparat 
erheblichen Anforderungen an Genauigkeit entspricht. Wo durch 
die besonderen Versuchsbedingungen keine neuen Fehler bedingt 
sind, dürfen wir die Volumenbestimmungen auf etwa 
10—20 ccm genau erwarten. 

1) Zumischung von Sauerstoff ist weniger zu empfehlen, da bei geringem 
Stickstoffgehalte zu leicht eine Explosion eintritt und dabei Salpetersäure entsteht. 

2) Ich habe den Platindraht mit Lampenwiderstand an die Lichtleitung 
angeschlossen. 

3) Vgl. Sieb eck, Skand. Archiv f. Physiologie 21 p. 368, 1909. 

4) Die Werte sind in bezug auf Temperatur und Druck nicht korrigiert, 
gelten also für Zimmertemperatur und den entsprechenden Druck. Die geringen 
Unterschiede von Temperatur- und Barometerstand bewirken keinen Fehler, der 
bei dem absolut so kleinen Werte von 51 ccm in Betracht käme. 

5* 


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68 


SlKBECK 


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Tabelle II. 


Nr. 

j Temp. 

Baro¬ 

meter 

A 

b 

! x 

1 

1 18° 

752 i 

200 

69,4 

52 

2 

! 



69,2 

50 

3 

1 

744 

0 

32,3 

53 

4 

r» 

r 

n 

33,8 

56 

5 

r 

r 

r 

31,4 

51 

6 

! l?o 

747 

100 

)ö7,oy 

156,7/ 

46 

7 

r? 

79 

i 79 

54,4 

53 

8 

i 

ff 

: 57 

48.6 

48 

9 

n 

n 

80 

53.7 

49 

10 

n 

r> 

102 

57,8 

50 


Durchschnitt: 50,8 


Zum Schlüsse führe ich noch einige Bestimmungen der Mittel¬ 
kapazität bei Patienten mit kleiner Vitalkapazität an. 

Ein Versuch wird folgendermaßen ausgeführt: Das Spirometer 
wird mit Wasserstoff ausgespült und dann mit Wasserstoff gefüllt. 
Wenn der Ablesung an der Skala das Volumen A (Tab. III) ent¬ 
spricht, so enthält das Spirometer A -J— 51 ccm H,, da der schäd¬ 
liche Raum 51 ccm beträgt. — Die Versuchsperson atmet dann — 
meist mit Mundstück — durch den Vierwegehahn ruhig ins Freie: 
nach einer entsprechenden Vorperiode wird die Verbindung mit 
dern Spirometer hergestellt*) und gleichzeitig die Trommel in Gang 
gesetzt. Man läßt dann 2—3 mal ruhig weiter atmen, und da¬ 
nach die Atmung willkürlich vertiefen. Kann man nach mehreren 
tiefen Atemzügen annehmen, daß die Mischung vollkommen ist 
schließt man ab und entnimmt zwei Proben aus verschiedener Höhe 
des Spirometers zur Analyse (b, Tab. III). 

Ich lasse gewöhnlich reinen Wasserstoff einatmen, nicht ein 
Gemisch von Wasserstoff und Luft wie Bohr 2 ), da die Mischung 
natürlich um so leichtersein wird, je kleiner die anfängliche 
Gasmenge im Spirometer ist; andererseits ist aber die Genauig¬ 
keit größer, wenn die anfängliche Wasserstoffmenge 
größer ist. Ich habe dabei auch nie unangenehme Erscheinungen 
beobachtet. Ich bevorzuge Wasserstoff vor Sauerstoff (resp. Stick¬ 
stoff. einmal weil nach meiner Erfahrung die Analyse genauer und 


1 Ocw.hiilirh am Emle einer Exspiration. 
^ I. 


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Zur spirometrischen Methodik. 


69 


bequemer ist, dann weil ich glaube, daß der leichter diffusible 
Wasserstoff für die Gasmischung doch günstiger ist. 

Die Berechnung ist sehr einfach. Wird zu Beginn des Ver¬ 
suches an der Skala das Volumen A abgelesen und ist der Wasser¬ 
stoffgehalt der Gasmischung am Ende des Versuches b°/ 0 , so ist 
das Lungenvolumen (x) in dem Augenblicke, in dem die Lunge 
mit dem Spirometer verbunden wurde, aus der Gleichung zu be¬ 
rechnen : 

(A -f- 51 + c + x) • b = (A -f- 51) a oder 
x = - A + b ° 1)a — (A + 51 + c) 

wobei c das Volumen der Atemleitung, a der Wasserstoffgehalt des 
benutzten Gases ist (=99,7 °/ 0 ). Aus x und der geschriebenen 
Kurve kann dann die Mittelkapazität berechnet werden (durch 
Addition oder Subtraktion des Volumens, das dem Abstand des An¬ 
fangspunktes der Kurve von der „Mittellage“ entspricht). — Als 
Mittelkapazität ist in der folgenden Tabelle der Luftgehalt der 
Longe am Ende einer ruhigen Exspiration angegeben. 1 ) — Ich 
habe die Mittelkapazität stets direkt bestimmt, da gerade sie 
mir das größte Interesse zu bieten schien. Es hat ja auch 
zweifellos große Vorteile, wenn der Versuch während ruhiger, nicht 
willkürlich beeinflußter Atmung beginnt. Andererseits muß frei¬ 
lich zugegeben werden, daß die Gasmischung voraussichtlich um so 
besser ist, je geringer der Luftgehalt der Lunge zu Beginn des 
Versuches ist. 2 ) Da ich das Spirometer aber immer am Ende 
einer ruhigen Exspiration eingeschaltet habe, ist das bei der mini¬ 
malen Reserveluft der meisten in Betracht kommenden Patienten 
ziemlich gleichbedeutend mit der Bestimmung der Residualluft. 

In Tabelle III sind einige Versuche angeführt; da es nur auf 
Vergleiche ankommt, sind die Werte im Bezug auf Temperatur 
und Druck nicht korrigiert. Zwei entsprechende Versuche wurden 
jeweils unmittelbar nacheinander, also bei gleicher Temperatur und 
gleichem Druck ausgeführt. Natürlich ist mit geringen Schwan¬ 
kungen der Mittellage zu rechnen; dennoch stimmen die Werte 
recht gut überein. Besonders betont sei * die überaus gute Über¬ 
einstimmung der Doppelanalysen aus verschiedener Höhe des Spiro¬ 
meters. Hier zeigt sich deutlich, wie der Apparat für diese Zwecke 


1) Vgl. Siebeck, Deutsches Archiv f. klin. Med. 100. Anm. auf p. 210. 

2) Vgl. darüber eine demnächst erscheinende Untersuchung über den „Uas- 
austausch zwischen Außenlnft und Alveolenluft“ Zeitschr. f. Biol. 1910. 


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70 


Sisbeck 


Tabelle III. 


Name 

Vital¬ 

kapazität 

Liter 

A 

Liter 

Zahl der 
Atemzüge 
zur 

Mischung 

i 

j 

b 

Mitral- 

kapazität 

Liter 

M. 

2,0 

1,342 

| 

— 

42,43 

42,48 

1,77 

n 

n 

1,302 

— 

42,46 

42,45 

1.79 

w. 

1.0 

1,003 

io 

33,33 

33,33 

2.02 

n 

r 

0,823 

i 13 

j 

30,99 

30,93 

1,91 

0. 

0,80 

0,828 

I 

i 

34,00 

34,00 

1,67 

r 

n 

0,861 

— 

35,20 

1,60 

Sch. 

1,90 

1,012 

5 

33,30 

2.01 

r 

n 

1,033 

i 5 

34,07 

34,02 

1,99 

R. 

2,00 

1,013 

! 6 

21,8 

4,09 

n \ 

n | 

i 

1,018 ! 

| j 

! li 

22,00 

21,90 

4.05 


größeren Spirometern überlegen ist. Ich habe bei so kleiner Vital¬ 
kapazität (z. B. von W. u. 0.) mit dem großen Spirometer niemals 
eine so gleichmäßige Zusammensetzung des Gases im Spirometer 
gefunden. Natürlich ist dies noch kein Beweis dafür, daß die 
Mischung auch in den Lungen vollkommen ist. 1 ) Besonders bei 
dem relativ kleinen Gasraume und dem kleinen schädlichen Raume 
ist eine ungleichmäßige Zusammensetzung des Gases im Spirometer 
gar nicht zu erwarten. Das sollte ja eben durch die Konstruktion 
erreicht werden: es sollte die Gasmischung innerhalb des Spiro¬ 
meters möglichst erleichtert werden. — Um die Gasmischung in 
den Lungen zu prüfen, habe ich Doppelbestimmungen gemacht. 
Daß in zwei Versuchen die Mischung in gleicher Weise unvoll¬ 
kommen ist, ist ja nicht anzunehmen. Aus der Übereinstimmung 
von Doppelanalysen kann daher wohl auf eine — wenigstens an¬ 
nähernd — vollkommene Mischung geschlossen werden. Ganz be¬ 
sonders ist dies dann der Fall, wenn die Versuchsbedingungen so 
verschieden sind, wie z. B. bei R., wo in einem Versuche 6, im 
anderen 11 tiefe Atemzüge in das Spirometer gemacht wurden und 
der Wert für die Mittelkapazität eine recht gute Übereinstimmung 
zeigt. 


1) Umgekehrt, ist jeder Versuch unbrauchbar, bei dem die Gasmischung im 
Spirometer keine vollkommene ist. 


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Zur spiroroetrischen Methodik. 


71 


Ich glaube, daß aus dem Vorstehenden zur Genüge erhellt, 
was mich zu der Konstruktion des Spirometers bestimmte, und in¬ 
wiefern meine Erwartungen erfüllt wurden. Nach meiner bis jetzt 
allerdings noch nicht sehr großen Erfahrung kann ich in der Tat 
sagen, daß mir das kleine Spirometer bei der Untersuchung manches 
dyspnoischen Patienten zu brauchbaren Bestimmungen der Mittel¬ 
kapazität verholfen hat, wo das große versagte. Auch für andere 
Versuche habe ich den Apparat sehr zweckmäßig gefunden. Diese 
oder jene kleine Verbesserung dürfte auch unschwer noch zu er¬ 
reichen sein. 


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Aus der medizinischen Klinik in Basel. 

Über Nitrobenzolvergiftnng, Blutbefnnd nnd Verhalten 
des Herzens bei derselben. 

Von 

Dr. Rudolf Massini, 

Assistenten der Klinik. 

(Mit 1 Abbildung.) 

Krankengeschichten: Fall 1. Ein 18 Jahre alter Arbeiter 
in einer chemischen Fabrik trank ans Versehen ungefähr 30 ccm Nitro¬ 
benzol. Eine sofort mit einem Gasschlauch versuchte Magenspülung 
mißlang. Nach Darreichung von l 1 /* g Kupfersulfat in 50 ccm Wasser 
trat Erbrechen ein. Am 30. November 6 Uhr abends, 2 Stunden nach 
dem Unfall wird der Patient in die Klinik gebracht. 

Status beim Eintritt: Guter Allgemeinzustand. Bewußtsein klar. 
Pupillen mittelgroß, gleich weit, reagieren prompt auf Lichteinfall. Haut 
feucht, Farbe blaß-bläulich. Lungen o. B. Herz: Spitzenstoß ein Finger 
außerhalb der Mammillarlinie. Absolute Dämpfung: 3 Finger links vom 
linken Sternalrand. Relative Dämpfung: 1 Finger außerhalb der 

Mammillarlinie, 1 Finger rechts vom rechten Sternalrand. An der Spitze 
systolisches Geräusch. Puls regelmäßig, von mittlerer Füllung und 
Spannung, 92, Blutdruck 170/100 (Recklinghausen). 

Patient verbreitet einen sehr starken Geruch nach Bittermandelöl. 

Wenige Minuten nach Eintritt bricht Patient Fetzen koagulierter 
Milch in einer hellblauen fast ganz klaren Flüssigkeit. Eine Magen¬ 
spülung entleert noch mehr der gleichen Flüssigkeit. Alles riecht stark 
nach Bittermandelöl. Im Erbrochenen läßt sich Nitrobenzol chemisch 
nachweisen. Um 7 Uhr wird Patient benommen. Puls noch ziemlich 
kräftig. Koffeininjektion. Die Gesichtsfarbe wird blässer. Auf Sauer- 
stoffinhalation bessert sich das Befinden etwas. Auf Schwarztee mehr¬ 
mals Erbrechen. 

Gegen 8 Uhr wird der Patient noch blässer, der Puls wird schlecht 
und ist bald nicht mehr zu fühlen. Das Bewußtsein schwindet zeitweise 
vollständig. Trotz Koffein- und Kampferinjektionen nimmt die Herz¬ 
tätigkeit ständig ab. Auch eine Infusion von 1100 ccm physiologischer 
Kochsalzlösung unter die Haut bringt keine Besserung. Ein rektaler 
Einlauf (l 1 ., 1 XaCl-Lösung mit Inf. Digitalis) wird nur zur Hälfte ge¬ 
halten. 


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Über Nitrobenzolvergiftung etc. 


73 


Um 9 Uhr vollständige Reaktionslosigkeit. Incontinentia nrinae, 
Pupillen weit, reagieren nur spurweise auf sehr starken Lichteinfall. Die 
Haut hat eine blaß-blaue FärbuDg. 

Im Verlaufe der Nacht hat Patient epileptiforme Anfälle. 

Gegen Morgen etwas Besserung. Der Patient gewinnt im Verlaufe 
desselben seine Besinnung wieder. Der Puls wird kräftiger. Herz* 
dämpfung wie beim Eintritt. Galopprhythmus. Mehrmals Erbrechen. 
Patient löst 1300 ccm dunkeln, stark nach Bittermandelöl riechenden 
Urins. Temperatur 38°. 

Am 2. Dezember weitere Besserung. Kein Galopprhythmus mehr. 
In der Hautfarbe tritt eine grau-blaue Komponente deutlich hervor. 
Kein Erbrechen mehr. Temperatur 37,6 °. Patient klagt über Kopfweh. 

4. Dezember. Patient fühlt sich wohl, schläft viel. Milz hart, 
leicht palpabel, reicht einen Finger unter dem Rippenbogen hervor. 

7. Dezember. Leichte Gelbfärbung von Haut und Skleren. 

9. Dezember. Nur noch geringe Gelbfärbung. 

12. Dezember. Haut nicht mehr gelb, Skleren noch etwas gelblich. 
Milz noch etwas vergrößert aber weicher. 

17. Dezember. Leichte Angina. 

22. Dezember. Angina geheilt. 

28. Dezember. Milz nicht mehr zu fühlen, Dämpfung normal. 

11. Januar. Austritt. Herz: Spitzenstoß in der Mammillarlinie. 
Relative Dämpfung: Mammillarlinie, rechter Sternalrand. 

Der Blutdruck ergab bei seiner ersten Untersuchung am Tage des 
Eintritts einen Wert von 170/100 cm Wasser (Recklinghausen). Am 
3. Tage war er auf 110/62 gesunken. Am 6. Tage betrug er 150/90 
und blieb von da an auf dieser Höhe ohne wesentliche Schwankungen. 

Im Urin fand sich im Beginn eine Spur Albumen, keine redu¬ 
zierenden Substanzen. Anilin konnte nicht nacbgewiesen werden. Die 
Farbe war dunkel bis zum 17. Dezember. 

Das durch Aderlaß entnommene Blut war schokoladebraun und hatte 
starken Geruch nach Nitrobenzol. Spektroskopisch ließ sich darin Methärao- 
globin nachweisen. Die Braunfärbung blieb bestehen bis zum 3. Dezember. 

Eine Methämoglobinbildung ist außer in diesem Falle noch be¬ 
schrieben von E h 1 i c h und Lindenthal 1 ), sie fehlte in dem von 
E. Meyer 2 ) mitgeteilten Fall. Nach E. Meyer soll Nitrobenzol selbst 
das Hämoglobin nicht verändern, wo Methämoglobin auftritt, soll es 
durch das aus dem Nitrobenzol im Körper gebildete p-Aminophenol er¬ 
zeugt sein. Nach Brat 3 ) entsteht bei Fleischfressern aus Nitrobenzol 
sowohl p- als auch o-Aminophenol. 

Im Zusammenhang mit der Blutveränderung möchte ich noch die 
am 4. Tage auftretende Milzvergrößerung und den 3 Tage später be¬ 
ginnenden Icterus betonen. 

Die folgende Tabelle gibt Aufschluß über die Zahlenwerte der 
einzelnen Bestandteile des Blutes. 


1) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 30 p. 427. 

2) Verhandl. d. deutsch, pathol. Gesellsch. Meran 1905 p. 224. 

3) 77. Versamml. d. Ärzte u. Naturforscher Meran 1905 p. 63. 


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74 


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1909 

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2. XII. 

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Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




Über Nitrobenzolvergiftung etc. 


75 


Fall 2. Der zweite Fall betrifft einen 30jährigen Arbeiter. Im 
Gegensatz zum ersten handelt es sich hier nicht um eine einmalige 
stärkere Intoxikation mit Nitrobenzol, sondern um eine chronische Ver¬ 
giftung, die im Verlaufe von einem Vierteljahr, währenddem der Patient 
in einem Raume, in dem mit Nitrobenzol gearbeitet wurde, beschäftigt 
war, allmählich manifest wurde. 

Anfang Mai 1910 fühlte sich der Patient nicht wohl und blieb für 
10 Tage dem Betriebe fern. Zu Hause in den nächsten Tagen Er¬ 
brechen, Appetitlosigkeit. 8päter fühlt sich der Patient wieder wohler 
und begann wieder zu arbeiten. Nach 10 Tagen aber stellten sich die 
früheren Beschwerden in verstärktem Maße ein. Allgemeine Kraftlosig¬ 
keit, Schwitzen schon nach geringer Arbeit, vollständige Appetitlosigkeit, 
unangenehmer Geschmack im Mund, leichter Durchfall. Patient blieb 
zu Hause und wurde dem Spital zugewiesen. 

Aus dem Status beim Eintritt (4. Juni 1910). Mäßig ernährter 
Patient. Hautfarbe grau-gelblich, Bubicterisch, Schleimhäute blaß, Nonnen¬ 
sausen, Lunge o. B. Herz: nach rechts und links ein Finger breiter als 
normal, Töne rein. Puls weich, regelmäßig. Abdomen mit Ausnahme 
der Milz normal. Milz undeutlich palpabel, die Dämpfung reicht bis zum 
Rippenbogen. In den nächsten Tagen des Spitalaufenthaltes trat sub¬ 
jektive und objektive Besserung ein. Die Hautfarbe wurde normal. Die 
Milz war am Tage nach der Aufnahme deutlich fühlbar, später aber 
nicht mehr. Die Milzdämpfung beim Eintritt bis zum Rippenbogen 
reichend, ging im Verlaufe von 4 Wochen um einen Finger zurück. Am 
4. Tage nach dem Eintritt war auch das Nonnensausen verschwunden. 

Das Körpergewicht stieg von 62,9 kg auf 66,3 an. Blutdruck 130/50 
(Recklinghausen). 

Urin in den ersten Tagen sehr dunkel, später normal gefärbt, ent¬ 
hält beim Eintritt Spuren von Eiweiß, später aber nicht mehr. Anilin 
konnte nicht nachgewiesen werden. Spektroskopisch die Urobilinstreifen. 
Im übrigen o. B. Zusammensetzung des Blutes siehe Tabelle II p. 76. 

Herzmaße an Telephotographien gemessen am 10. Juni und am 
2. Juli siehe Tabelle HI. 

Tabelle HI. 

Transversaldurchmesser 15 1 / s cm 
Länge 15 „ 

Die vorliegenden Fälle reihen sich hinsichtlich ihres klinischen 
Verhaltens, blau-graue Verfärbung des Gesichtes, Bewußtseins¬ 
störungen, Verhalten des Urins usw., den schon in der Literatur 
niedergelegten an (E. Meyer, Brongers, Ehlich und 
Lindenthal). Bemerkenswert sind zwei Punkte, auf welche 
ich näher eingehen möchte, nämlich das Verhalten des Blutes und 
dasjenige des Herzens. 


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Original frum 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



76 


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Index 

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Lympho- 

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1910 







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2,5 

M. 

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73 

1,3 

60,2 

1 31.1 

5. VI. 

2,8 

M. 

6600 



66,7 

j 23,1 

i 

6. VI. 

2,94 

M. 

7600 

80 

1,2 

53,5 

40.5 

7. VI. i 

3,01 

M. 

8000 

81 

1.2 

55,5 

36.2 

8. VI. | 

3,09 

M. 

8400 

81 

1.2 

58,3 

34,7 

10. VI. 

3,1 

M. 

8300 

81 

1,2 

61,5 

| 31,6 

18. VI. 

3,2 

M. 

7200 

82 

i 1,2 

i 49,2 

43,8 

16. VI. 

3,87 

M. 

5200 

86 

1,0 

54,0 

35.6 

20 VI. 

3,86 

M. . 

4200 

92 

1,1 

i 41,8 

I 45;: 

24. VI. 

4,2 

M. 

3800 

98 

1 1.0 

60,3 

32.3 

29. VI. 

4.31 

M. ' 

6500 

100 

1,0 

! 60,9 

i 34.4 



I. 

Verhalten des Blutes. 


Wenn 

auch die durch 

die Einwirkung von Blutgiften ent- 


stehende Anämie experimentell sehr gut studiert ist, so liegt doch 
von klinisch gut bearbeitetem Material nur sehr wenig vor. Außer 
den Angaben von Brongers 1 ), er habe nach Inhalation von 
Nitrobenzol bei einem 12jährigen Knaben die Hämoglobinmenge 
vermindert gefunden (nach Tallqvist), finde ich nur noch die 
obenerwähnte Arbeit von Eh lieh und Lindenthal. 

Das Verhalten des Blutbildes bei Blutgiftanämien hat beson¬ 
ders darum großes Interesse erweckt, weil sich daraus Schlüsse 
auf die Blutbildung bei schweren Anämien mit noch unklarer 
Ätiologie ziehen lassen. 

Es scheint darum auch nicht unangebracht, Vergleiche zu 
ziehen mit Veränderungen im Blutbilde der perniziösen Anämie 
und demjenigen einiger schweren Anämien, deren Blutbild nicht 
ganz übereinstimmt mit demjenigen der perniziösen Anämie. 

Beobachten wir zunächst das Verhalten der roten Blut¬ 
körperchen. Poikilocytose, Polychromatophilie, erhöhter Färbe¬ 
index, Normo- und Megaloblasten im Blutbilde sind Anomalien, 
die als typisch für die perniziöse Anämie angesehen, und als 
Rückschlag in den embryonalen Typus der Blutbildung gedeutet 
werden. Dieser Befund, konstant bei der perniziösen Anämie ist 

1) Nieder!. Tijdschr. v. Geneesk l l d06 II p. 57K. 


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Über Nitrobenzol Vergiftung etc. 


77 


belle II. 


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Zellen 

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Bemerkungen 

2,9 

0,4 

0,5 

' 1 2 3 4 -8 , 


3,7 

0,5 

i 

1,0 

4,9 | 

Punktierte Normoblasten mit einem 
bis 3 Kerne, wenige Megaloblasten. 
Polychromatophile, Amsocytose. 

1,9 

1,0 

1 

1 

0,4 

2,5 

1 

Punktierte Normoblasten mit einem 
bis mehreren Kernen, freie Kerne roter 
Blutk. Vereinzelte punktierte Erythro- 
cyten. Polyehromatophilie, Anisocytose. 

3,3 

0,1 

1,7 

3,0 

Nur noch vereinzelte Normoblasten. 

2,5 

0,3 

1,1 

3,6 

Ganz vereinzelte Normoblasten. 

1.8 

0,6 

0,4 

5,3 


3,0 

0,4 

2.0 

3,1 


4,4 

1,5 

0,4 

3,9 


4,6 

1.2 

0,2 

6,3 


3.3 

0,4 

0,1 

3,6 


1.2 

0,1 

o,i 

3,1 



aber auch nicht ganz selten bei anderen Krankheiten erhoben 
worden. Nachdem er früher als Zeichen einer Schädigung der 
blutbildenden Organe aufgefaßt worden war, wird er jetzt für die 
Folge eines Eegenerationsvorganges gehalten. 

Daß auch bei sekundären Anämien (bei chronisch infek¬ 
tiösen Krankheiten, aber auch bei akuten z. B. Typhus abdominalis) 
als „kompensatorische“ Vorrichtung Rückschlag zur embryonalen 
Blutbildung auftritt, folgert Neumann 1 ) schon 1877 aus dem 
Auftreten von rotem Mark in den langen Röhrenknochen bei den 
genannten Krankheiten. 

Seitdem Ehl ich die Bedeutung der Megaloblasten und Me- 
galocyten für die Diagnose dieses Zustandes gezeigt hat, ist dieser 
Schluß noch bindender geworden. 

Aus dem Blutbilde konnte auf diese Art der Erythropoese auch 
noch bei einigen schweren Anämien, deren systematische Stellung 
noch unklar ist, geschlossen werden. 

Es sind das die Lenkanämie von Leube-Arneth 3 ), zwei von 
Morawitz 8 ) beschriebene atypische Anämien, einige der von Meyer 
and Heineke 4 ) beschriebenen Fälle und die Pseudoleucaemia infantum 
(J a k 8 c h 6 )), in seltenen Fällen kann auch die Malaria eine Anämie er- 

1) Berl. klin. Wochenschr. 1877 p. 685. 

2) Deutsches Archiv f. klin. Med. 1901 Bd. 69 p. 331. 

3) Deutsches Archiv f. klin. Med. 1907 Bd. 88 p. 493. 

4) Deutsches Archiv f. kliu. Med. 1907 Bd. 88 p. 435. 

5i Wien. klin. Wochenschr. 1898 p. 433. 


Digitizeit by 


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78 


Massini 


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zeugen mit erhöhtem Index und Megaloblasten nsw. (Zeri *)). Yod 
Blntgiften bewirkt das Blei unter Umständen einen Rückschlag in die 
embryonale Blutbildung. Auch die Bothriocephalueanämie, die ja bis in 
alle Einzelheiten der perniziösen Anämie gleichen kann, muß als Anämie 
durch Schädigung des Blutes angesehen werden, da ein aus den Leibern 
des Bandwurmes gewonnener Extrakt dieselbe Wirkung entfaltet wie der 
Wurm selbst. 

Experimentell gelang es Kaminer und Rohnstein-) durch Ver¬ 
giften von Kaninchen mit Phenylhydrazin eine Anämie zu erhalten mit 
Auftreten von Normoblasten und Megaloblasten. In gleicher Weise er¬ 
zeugt Reckzeh 1 2 3 ) bei Hunden durch Pyrogallol ein typisches Blutbild. 
Bei jungen Hunden, welche normalerweise schon Normoblasten im Blute 
haben, waren diese nach Pyrogallolgaben vermehrt, dazu traten Megalo¬ 
blasten auf. Der Index war stets größer als 1. 

Ebenso wichtig für die Diagnose der in Frage stehenden 
Anämien wie das Verhalten der roten Blutkörperchen ist das¬ 
jenige der weißen. Nägeli 4 ) und Strauß 5 ) weisen mit Nach¬ 
druck darauf hin, daß bei perniziöser Anämie eine Leukopenie, 
und zwar eine sich auf die polynukleären Elemente des Blutes 
erstreckende Leukopenie entsteht, während die Zahl der Lympho- 
cyten annähernd normal bleibt. Diese Leukopenie findet sich nun 
beinahe nur bei der perniziösen Anämie. Fast alle vorhin be¬ 
sprochenen Fälle von Anämien mit Rückschlag der Erythropoese 
in den embryonalen Typus gehen mit einer Leukocytose einher. 
Auch unser erster Fall von Nitrobenzol Vergiftung zeigte, wie der¬ 
jenige von Eh lieh und Lindenthal eine Vermehrung der 
weißen Blutkörperchen, die sich hauptsächlich auf die polynucleären 
Elemente, aber auch auf die Lymphocyten erstreckte. Die Ver¬ 
mehrung der polynucleären Leukocyten klang schneller ab als die 
der Lymphocyten, so daß zum Schlüsse die Lymphocyten gegen die 
Norm prozentisch vermehrt waren (41,7). 

Bei unserem zweiten Fall aber fehlte eine ausgesprochene 
Leukocytose ganz. 

Eine vollständige Übereinstimmung in dem Blutbilde mit dem¬ 
jenigen der perniziösen Anämie zeigt eigentlich nur die Bothrio- 
cephalusanämie. Zwischen diesem einen Extrem, Leukopenie, be¬ 
schränkt auf die polynucleären Leukocyten und demjenigen einer 
hochgradigen Leukocytose gibt es nun Zwischenstufen. 


1) Oit. nach Stempelin’s Dissertation Zürich 1908. 

2) Berl. klin. Woehenschr. 1900 Heft 31. 

3) Zeitschr. f. klin. Med. 1904 p. 165. 

4) Bhitkrankheiteu nnd Blutdiagnostik. Leipzig, Veit, 1908. 

5) Berlin, Aug. Hirschwald, 1901. 


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Über Nitrobenzolvergiftung etc. 


79 


Im Fall 8, Meyer und Heineke 1 ), postluetische Anämie, sank 
die Zahl der weißen Blutkörperchen von 3200 auf 2800 herunter, aller¬ 
dings ohne daß eine relative Lymphocytose dabei bestanden hätte. In 
den beiden Fällen von Morawitz 2 ) ist im Beginn eine Leukocytose 
verzeichnet, im Verlaufe der Krankheit aber machte diese einer leichten 
Leukopenie Platz (4000 weiße Blutkörperchen resp. 4500). Auch hier 
sind die polynukleären Leukocyten prozentual stets an erster Stelle. Im 
Fall 15, Meyer und Heineke 1 ), waren 5200 Leukocyten vorhanden, 
78 % davon neutrophile Polynucleäre. Bei zwei anderen atypischen 
Anämien der gleichen Autoren (Fall 14, 16) bestand zwar eine ziemlich 
bedeutende Leukocytose (10 000 resp. 139 000, später 7200 weiße Blut¬ 
körperchen), aber bei beiden waren nur ca. 33 % der weißen Blut¬ 
körperchen polynucleäre Leukocyten. Die Lymphocyten betrugen daher 
im Fall 14 57 °/ 0 , im Fall 16 36 °/ 0 . In letzterwähntem Falle waren 
außer den Lymphocyten und polynucleären Leukocyten noch 24 % große 
lymphoide Markzellen und 19% große raononucleäre Formen vorhanden. 
Koloss» 1 gesteigert waren die weißen Blutzellen bei dem von Leube- 
Arneth 8 ) initgeteilten Falle von perniziöser Anämie, so daß von 
Leukanämie gesprochen wird. Die Krankheit trat ganz akut auf 
und führte in wenigen Tagen zum Tode. Die Zahl der Leukocyten war 
256 000, darunter waren die polynucleären Elemente mit 44, die Lympho¬ 
cyten mit 40 % vertreten. Bemerkenswert ist, daß es sich um eine 
Anämie bei einem Kinde, einem 10jährigen Knaben handelt, und daß 
die Blutentnahme am Tage ante mortem gemacht wurde. Ähnlich hohe 
Leukocytenzahlen finden sich auch bei dem unter dem Namen Anaemia 
pseudoleucaemica infantum zusammengefaßten Symptomenkomplex. 

Bei experimentell durch Blutgifte erzeugten Anämien ist eine Leuko¬ 
cytose die Norm. Diese ist um so stärker, je länger die Tiere leben, je 
stärker die Anämie ist und je jünger die Tiere sind (Strauß und 
Rohnstein 4 ), Rekzeh 5 )). In gleicher Weise erzielten Kam in er 
und Rohnstein 6 ) bei ihren mit salzsaurem Phenylhydrazin anämisch 
gemachten Kaninchen meist eine Leukocytenvermehrung (bis 25 000), 
aber bei sehr großen Dosen (0,15 bis 0,125 subkutan injiziert), 
denen die Tiere schon meist innerhalb 48 Stunden erlagen, gelang es 
doch eine Leukopenie zu erhalten. 

Trotzdem nun aber die Möglichkeit einer Leukopenie bei der 
sekundären Anämie theoretisch zugegeben werden muß, scheint 
doch bis jetzt für die Praxis die Regel zu Recht zu bestehen, 
daß die Zahl der weißen Blutkörperchen ein gutes Unterscheidungs¬ 
merkmal abgibt zwischen sekundären und perniziösen Anämien 
(Nägeli, Strauß und Rohnstein). 

1) Archiv f. klin. Med. Bd. 88 p. 435. 

2) Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. 88 p. 493. 

3) Deutsches Archiv f. klin. Med. 1901 p. 331. 

4) Berlin, Aug. Hirschwald, 1901. 

5) Zeitscar. f. klin. Med. 1904 Bd. 54 p. 165. 

6) Berl. klin. Wochenschr. 1900 Heft 31. 


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Massim 


Von unseren zwei Fällen bietet der erste akute ein gutes 
Beispiel für eine sekundäre Anämie, wie sie anch experimentell 
bei Tieren hervorgerufen wurde. Es bestand embryonaler Typus 
der Erythropoese verbunden mit Lenkocytose (22400 weiße Blut¬ 
körperchen). Der zweite chronische Fall von Vergiftung zeigte 
ebenfalls embryonale Blutbildung, aber es fehlte die Lenkocytose. 
die große Zahl der weißen Blutkörperchen betrug 4800. Im Be¬ 
ginn der dritten Woche zeigte sich sogar eine leichte Leukopenie 
(3800 weiße Blutkörperchen). 

Ein Überwiegen der Zahl der Lymphocyten über diejenige 
der polynucleären Leukocyten, wie das bei der perniziösen Anämie 
beschrieben ist, fehlte zwar im ersten wie im zweiten Fall, aber 
in beiden Fällen konnte doch eine relative Vermehrung der LjTnpho- 
cyten (41,7 im ersten und 45,7 °/ 0 im zweiten Falle) gegenüber 
der Norm konstatiert werden und zwar in beiden Fällen im Be¬ 
ginn der dritten Woche. 

Im besonderen sei hier noch auf einige zeitliche Verhältnisse 
aufmerksam gemacht. Beide Patienten restituierten ihr Blut außer¬ 
ordentlich rasch, trotzdem sie stark anämisch waren (Fall 1: 1.8 
Millionen rote Blutkörperchen, Fall 2: 2,5 Millionen rote Blut¬ 
körperchen im cmm) und trotzdem beide Patienten auch sonst stark 
heruntergekommen waren. In 3—4 Wochen war die Norm bereits 
erreicht. In der gleichen Zeit trat auch subjektive und objektive 
Besserung des Allgemeinzustandes ein. Daß auf Anämie durch 
Vergiftung eine schnellere Regeneration des Blutes erfolgt, als auf 
solche infolge Blutung, suchte H. Ritz 1 ) experimentell darzulegen. 
Der Unterschied zwischen den beiden Arten bezieht sich dort aller¬ 
dings nur auf wenige Tage. 

Im speziellen bemerke ich noch, daß die abnormen Befunde 
bei den roten Blutkörperchen (Megaloblasten usw.) in beiden Fällen 
dann verschwanden, als die Zahl der roten Blutkörperchen zu 
steigen begann, während diese embryonale Blutbildung im ersten 
Falle dann besonders ausgesprochen war, solange die Zahl der 
roten Blutkörperchen schwand. Dies erlaubt schon den Schluß zu 
ziehen, daß der embryonale Typus der Blutbildung als ein Zeichen 
dafür angesehen werden kann, daß zur Zeit seines Auftretens Blut 
zerstört wird. Die Leukocytose beim ersten Fall, am stärksten 
vorhanden am 7. Tage, ist als durch den starken, raschen Zerfall 
der roten Blutkörperchen bedingt anzusehen, und darf wohl der 


1) Fulia haematolog. 1 ( .X)9 p. 186. 


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Über Nitrobenzolvergiftung etc. 


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Milzschwellung analog gerechnet werden. Letztere war ja in dem 
ersten Falle anch viel deutlicher und länger andauernd als in dem 
zweiten. Für den hei chronischen Anämien häufig gefundenen 
Milztumor läßt sich eine ähnliche Entstehung denken. 

II. Herzbefund. 

Außer dem Blutbefund ist bei unserem ersten Falle noch be¬ 
merkenswert das Verhalten des Herzens während und nach der 
Vergiftung. Da ich in den Lehrbüchern von Jürgensen,Krehl 
und Romberg keine genaueren Angaben gefunden habe, sei etwas 
näher darauf eingegangen. Bei seinem Eintritt wies der Patient 
eine Verbreiterung seiner Herzdämpfung auf, welche sich im Laufe 
seines Spitalaufenthaltes wieder zurückbildete. Die orthodiagraphi- 
schen Aufnahmen bestätigten das durch die Perkussion gewonnene 
(s. Fig. 1). 

V* Original. 




am 17. XII.- 

* 8. I. . 

„30.1.- 

Die Maße sind in folgender Tabelle zusammengestellt: 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 6 


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Original frorn 

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82 


Massini 


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Tabelle IV. 

Datum 17. XII. 8. I. 30. I. 

Transversaldurchmesser 12 3 / 4 12 12 cm 

Länge 13>4 12»/ 4 12 1 /* „ 

Die Verbreiterung des Herzens darf wohl als durch die Ver¬ 
giftung mit Nitrobenzol bedingt angesehen werden, trotzdem wir 
dieselbe nicht entstehen, sondern nur vergehen sahen. Der Pa¬ 
tient war vor seinem Unfall stets gesund. Eine Schädigung des 
Herzens wird auch durch den während den ersten zwei Tagen vor¬ 
handenen Galopprhythmus und die am dritten Tage festgestellte 
Erniedrigung des systolischen und diastolischen Blutdruckes er¬ 
härtet. 

Über das Verhalten des Herzens bei Nitrobenzol Vergiftung 
finden sich nur wenig Angaben. Überall wird ein hochfrequenter 
Puls vermerkt, Bahrdt 1 ) hörte in einem Falle an Stelle des ersten 
Tones ein Geräusch. Bei der Sektion der Patientin von E hl ich 
und Lindenthal fand sich eine Verbreiterung des Herzens, 
kleine Schwielen im Herzmuskel, geringe Arteriosklerose. 

DaB Herzdilatationen sehr rasch entstehen können, ist bekannt. 
Buttermann 2 ) berichtet über ein Auftreten derselben schon innerhalb 
48 Stunden. Über das Entstehen von akuten Dilatationen nach ein¬ 
maligen Überanstrengungen des Herzens sind die Ansichten geteilt. 
Moritz und Dietlen 8 ) sahen bei ihren Untersuchungen an Radfahrern 
stets eine Verkleinerung, Schott 4 5 ) bei Ringern eine Verbreiterung der 
Silhouette. Raab 6 ) beobachtete beides, glaubt aber, daß Dilatationen 
nur bei schon vorher nicht ganz intakten Herzen eintreten können. Anf 
Giftwirkungen, allerdings von etwas längerer Einwirkungsdauer, können 
die von Dietlen 6 ) bei Diphtherie, in geringem Maße auch bei Scharlach 
beobachteten Dilatationen zurückgeführt werden. 

Im Experimente konnte de la Camp 7 ) durch Laufenlassen von 
Hunden im Tretrade keine Erweiterung erreichen, leicht aber gelang die 
Erzeugung einer solchen, wenn das Tier durch Fieber, Hunger und 
Philoridzin- oder Phosphorvergiftung vorher geschädigt war. Als direkte 
Giftwirkung auf das Herz siebt M iscowitz 8 ) eine Dilatation des Herzens 
bei mit Adrenalin behandelten Kaninchen an, da jene schon nach wenigen 


1) Archiv f. Heilkunde 1874 Bd. 12 p. 320. 

2) Archiv f. klin. Med. Bd. 74 p. 1. 

3) Münch, med. Wochenschr. 1908 p. 489. 

4) Münch, med. Wochenschr. 1908 p. 952. 

5) Mimik. med. Wochenschr. 1909 p. 555. 

6) Münch, med. Wochenschr. 1908 p. 2077. 

7) Zeiischr. f. klin. Med. 1904 Bd. 51 p. 1. 

8) Wien. klin. Wochenschr. 1909 Heft 3. 


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Über Nitrobenzolvergiftung etc. 83 

Injektionen auftrat, lange bevor sich eine Steigerung des Blutdruckes 
nachweisen ließ. 

Bei länger dauernder Einwirkung von Giften sind Hypertrophie und 
Dilatation bekannt (Bierherz, Weinherz). Die Verbreiterung der Dämpfung 
bei Anämien wird von von Criegern 1 ) bloß auf größere Wand* 
ständigkeit des schlaffen Herzens und nicht auf eine wirklich vorhandene 
Vergrößerung zurückgeführt. Ebenso kann eine Dilatation z. B. bei 
Chlorose vorgetäuscht werden, entweder indem die Vorderfläche des 
Herzens freier zutage tritt, wenn, infolge schlechter Atmung, die Lungen* 
ränder zurückweichen (von Noorden 2 3 * )) oder weil, infolge Hochstand 
des Zwerchfells, eine Querstellung des Herzens resultiert (Grumnach 8 )). 

In unserem ersten Falle nun handelt es sich um einen Zu¬ 
stand akuter echter Dilatation des Herzens infolge Giftwirkung, 
verbunden mit Blutdrucksenkung und Galopprhythmus. Das Auf¬ 
treten der Blntdrucksenkung spricht dafür, daß nicht nur das Herz, 
sondern der ganze Zirkulationsapparat eine Schädigung erfahren 
hat, da sonst doch wohl ein Ausgleich des Blutdruckes statt¬ 
gefunden hätte. Die Erscheinungen der Dilatation bildeten sich 
nur sehr langsam zurUck, während Blutdrucksenkung und Galopp¬ 
rhythmus in wenigen Tagen verschwunden waren. 

Daß eine akute Vergiftung zu Schädigung des Herzens 
führen kann, sahen wir noch in einem Falle von Anilin Ver¬ 
giftung, bei welcher ebenfalls das Auftreten eines Galopprhyth¬ 
mus während einigen Tagen beobachtet werden konnte. Die Ver¬ 
giftung war eine leichte. Im Blute konnte keine Veränderung 
festgestellt werden, die Orthodiagraphien zeigten nichts Abnormes 
in Größe oder Form. 

In unserem zweiten Falle konnte mit Ausnahme von Nonnen¬ 
sausen in den ersten Tagen des Spitalaufenthaltes nichts Abnormes 
an den Zirkulationsorganen festgestellt werden. 

Zusammenfassung. 

I. Die Fälle bestätigen die Angaben der Autoren, welche bei 
Blutgiftanämien in Tierversuchen Auftreten des embryonalen Typus 
sahen. 

II. Der embryonale Typus, der als Kompensationserscheinung 
aufzufassen ist, war deutlich, solange die Zahl der roten Blut¬ 
körperchen abnahm, und verschwand auffallend rasch mit der Zu¬ 
nahme derselben. Das Auftreten eines embryonalen Typus fällt, 


1) Kongreß f. innere Med. 1899 p. 298. 

2) Nothnagel, Spez. Path. Bleichsucht 1897. 

3) Ther. Monatshefte 1897 p. 1. 

6 * 


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84 Massini, Über Nitrobenzolvergiftung etc. 

wie bei der perniziösen Anämie, zeitlich mit der Blutzerstörung 
zusammen. 

III. Bei Nitrobenzolvergiftung kann Leukocytose auftreten 
(a'knte Vergiftung) oder nicht (chronische Vergiftung). Als Ur¬ 
sache für das Auftreten einer Leukocytose ist ein rapider Zerfall 
der roten Blutkörperchen anzusehen. Auf die gleiche Ursache ist 
die Milzschwellung zurückzuführen. 

IV. Der Blutersatz bei Anämien durch Blutgifte ist ein sehr 
rascher. 

V. Bei Nitrobenzolvergiftung können Störungen am Herzen 
und an den Gefäßen auftreten, bestehend in akuter Herzdilatation. 
Galopprhythmus und Blutdrucksenkung. 


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Aas der II. medizinischen Klinik München. 
Direktor: Prof. Friedrich Müller. 

Beobachtungen an einem eigenartigen mit Muskel¬ 
lähmungen verbundenen Fall von Hämoglobinurie. 1 ) 

Von 

Dr. Friedrich Meyer-Betz, 

Assistent. 


Am 29. November 1909 abends 10 Uhr wurde mit der Sanitäts¬ 
kolonne auf unsere Abteilung ein dreizehnjähriger Junge in außer¬ 
ordentlich schwerem Zustand eingeliefert. Er sah todblaß aus, das 
Gesicht war spitz und verfallen, die Augen waren eingesunken und 
haloniert. Er klagte über große Mattigkeit, war eigentümlich un¬ 
ruhig und ängstlich und dabei so schwach, daß er nicht imstande 
war, den Kopf zu erheben, aufgerichtet über Schwindel klagte und 
sofort wieder schlaff in sich zusammensank. Er glich einem sich 
Verblutenden. Der Puls war kaum fühlbar, Blutdruck: systolisch 
60—70 mm Hg nach Riva-Rocci, diastolisch nicht zu bestimmen. 
Temperatur 37,6 0 C. Die sonstige erste orientierende Untersuchung 
ergab keinerlei wesentliche Veränderungen der inneren Organe. 

Die Mutter gab an, der Junge sei am 27. November noch voll¬ 
kommen wohl gewesen, habe abends vor dem Zubettgehen mit 
Appetit gegessen. In der Nacht 3 Uhr sei er plötzlich aufgewacht, 
habe erbrochen, über Leibschmerzen geklagt. Kurz darauf sei 
Nasenbluten eingetreten, das ziemlich heftig gewesen sei. Am 
28. November 1909 sei er deshalb zu Bett geblieben. Über Tag 
gering, sei das Bluten in der Nacht auf den 29. November wieder 
sehr heftig geworden, und heute habe der Junge plötzlich ganz 
schwarzen Urin gelassen, das Nasenbluten sei noch stärker ge- 


1) Herr Dr. 0. Neubauer hatte die Liebenswürdigkeit, den Fall in meiner 
Abwesenheit auf dem Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden in der Diskussion 
zum Vortrag von Herrn Ros in zu erwähnen. 


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86 Mbyer-Betz 

worden, schwere allgemeine Schwäche sei eingetreten, er habe nicht 
essen können. Ob Fieber bestand, konnte die Mutter nicht angeben. 

Der von der Mutter mitgebrachte Urin war schokoladebraun, 
ganz trübe und enthielt dicken bräunlichen Bodensatz, der mikro¬ 
skopisch ganz überwiegend aus Detritus von roten Blutkörperchen 
und Hämoglobinzylindern bestand. Hyaline und granulierte Zylinder 
fanden sich nur vereinzelt, ebenso Leukocyten, keine Erythrocyten. 
Chemisch enthielt er reichlich Eiweiß, Zucker 0, Urobilin 0. Spektro¬ 
skopisch: Deutlicher Met-Hb-Absorptionsstreifen im Rot, Oxy-Hb- 
Streifen in Gelb und Grün. 

Wir glaubten einem schweren Fall von paroxysmaler Hämo¬ 
globinurie gegenüber zu stehen, aber eine genauere Anamnese, 
weitere Untersuchungen und der fernere Verlauf ließen uns er¬ 
kennen, daß ein höchst eigenartiges Krankheitsbild vorlag. 

Anamnese, Befund und klinischer Verlauf. 

P. M., 13 Jabre alt, Molkereibesitzerssohn. Vater mit 38 Jahren 
an Lungenbluten und Tuberkulose gestorben. Mutter gesund, weder 
Früh- noch Fehlgeburten durchgemacht, 3 andere Kinder lebend, gesund, 

1 mit 8 Monaten an Pertussis gestorben. 

P. ist vorletztes Kind. Geburt verlief ohne Besonderheiten. Das 
Kind war nur 1 Jahr 2 Monate bei der Mutter, kam dann zu einer 
Ziehmutter aufs Land, soll nicht recht gediehen, immer schwächlich und 
elend gewesen sein. In den ersten Jahren Masern. Mit 9 Jahren „ge¬ 
schwollene Gelenke“, 2—3 Wochen krank. Nach Angaben der Mutter 
soll er vom 6.—7. Jahre an zeitweise heftiges Nasenbluten gehabt 
haben, jedenfalls erinnert er selbst sieb, daß er mit etwa 10 Jahren so 
starkes Nasenbluten gehabt habe, daß der Arzt die Blutung mit Tam¬ 
ponade kaum habe beherrschen können, gleichzeitig sei damals der Harn 

2 Tage blutig gewesen, er habe sich aber noch nicht so schlecht dabei 
gefühlt wie später. Seitdem habe er jedes Jahr 1—2mal Anfälle 
von Blutharnen gehabt. Diese hätten immer nur 2 Tage gedauert 
und seien meist im Frühjahr und Winter aufgetreten. Während der 
Anfalle habe er sich immer sehr matt und schlecht gefühlt, so daß er 
ganz schwach gewesen sei, so daß die anderen Jungen ihm beim 
Ersteigen der Schultreppe behilflich sein mußten. In solchem Zustande 
kam er Juni 1907 zum ersten Male für 3 Tage im Hauner’schen 
Kinderspital zur Aufnahme. Im Mai 1908 kam der Junge zur Mutter 
zurück. Er sei damals sehr elend gewesen, habe keine Treppe steigen 
können, sei sehr blaß gewesen, habe sich dann aber unter guter Pflege 
rasch erholt. Anfang 1909 verschlimmerte Bich sein Zustand, er konnte 
sich nicht mehr anziehen, nicht mehr vom Boden aufstehen, seine Mütze nicht 
mehr aufsetzen und sei eine Zeitlang auf den Zehen gegangen. 
Gegen Februar habe er dann plötzlich von einem Tag zum anderen zu 
bluten angefangen. der Urin war bei drei Miktionen vollkommen schwarz, 
außerdem bestand 2 tägiges starkes Nasenbluten. Februar 1909 war er des- 


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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 87 

wegen 4 Wochen im Kinderspital. Im Juli 1909 wiederholte sich der 
Zufall: eine Nacht und einen Tag blutiger Urin, diesmal aber kein Nasen* 
bluten. Beginn des Anfalls in der Nacht vom 13. auf 14. Juli mit Er* 
brechen, Leibschmerzen, Hitze. In der Zwischenzeit hätte er nur mit 
Mühe gehen können, jetzt trat wieder ein hochgradiger Schwäche¬ 
zustand ein. 14 Tage lang (vom 16. Juli bis 31. Juli 1909) im 
Kinderspital. Als er danach nach Hause zurückverlegt wurde, seien die 
Beine und Füße angeschwollen, er habe gar nicht gehen können. Nach 
8 Tagen Besserung. Kein Arzt konsultiert. Seitdem sei er ganz munter 
gewesen, nur immer schwächlich, bis wiederum ganz plötzlich am 
28. November die Krankheit neu sich einstellte. 

Als Ursache der Erkrankung nahm die Mutter Erkältung (Spielen 
im zugigen Hausflur) an, der Junge erzählte, die Erkrankung sei immer 
ganz plötzlich gekommen, er habe sich vorher vollkommen wohl gefühlt 
und könne nicht angeben, wieso sie aufträte. An Durchnässungen oder 
dergleichen könne er sich nicht erinnern. 

In der Nacht des Aufnahmetages schläft P. nur wenig, klagt über 
Schmerzen im Leib, die auf Wärmeapplikation aber bald verschwinden. 
Der am 30. November aufgenommene genauere Befund ergibt kurz 
folgendes: 

Sehr schwächlich gebauter, im Wachstum zurückgebliebener Junge 
mit gering entwickelter Muskulatur. Augen ohne besonderen Befund, 
Reflexe prompt. Zunge weißlich belegt, Rachenorgane nicht geschwollen, 
nicht gerötet, Zähne defekt, Zahnfleisch zeigt keine Neigung zu Blutungen. 
Zu beiden Seiten des Halses zahlreiche erbsengroße Lymphdrüsen fühl¬ 
bar. Thyreoidea etwas vergrößert, besonders in ihrem rechten Lappen. 
Thorax infantil, lang, schmal, mit sehr spitzem Rippenwinkel. Atmung 
frei 32. Die Lungen zeigten nichts Besonderes. Uber der Herzgegend 
diffuse Pulsation. Herz nicht vergrößert. Ictus im 4. Interkostalraum, 
in der Mammillarlinie, etwas verstärkt. Herzaktion beschleunigt (120), 
Töne paukend. Puls noch immer sehr klein und weich. Das Abdomen 
ist flach, etwas druckempfindlich, besonders in der Lebergegend; die Leber 
überragt etwas den Rippenbogen, ist vergrößert. Milz nicht deutlich 
palpabel, perkutorisch nicht abzngrenzen. Inguinaldrüsen nicht vergrößert. 
Qenitale kindlich. Phimose. Von den Reflexen waren die Bauchdecken¬ 
reflexe nur schwach, die Patellarreflexe weder links noch 
rechts auszulösen, die übrigen zeigten sich normal. 

Blutbefund: Hb = 76 °/ 0 

Erythrocyten 3 864 000 

Leukocyten morgens 20000, abends 15000, differentiell: 
Polynucleäre 88 °/ 0 

Lymphocyten 6,8 °/ 0 

Mononucleäre 4,0 °/ 0 

Übergangsformen 0,4 °/ 0 
Eosinophile 0,7 °/ 0 

Mastzellen 0,2 °/ 0 

Am Morgen waren nur wenige Kubikzentimeter Urin von dunkler, 
trüber Beschaffenheit entleert worden, nachmittags wird er schon wesent- 


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88 


Meykb-Betz 


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lieh heller gelassen, enthält aber noch reichlich Met-Hb, dagegen nur 
geringen Bodensatz von Detritus. Im Stuhl kein Blut. 

Während der Untersuchung trat infolge der leichten Anstrengung 
(P. mußte gehalten werden, er war nicht imstande zu sitzen), ein 
schwerer Kollaps ein. P. wurde plötzlich wieder extrem blaß, sah 
verfallen aus, bekam einen Schüttelfrost, klagte über Übelkeit und er¬ 
brach. Die Temperatur stieg auf 37,9 °. 

So konnte erst anderen Tags eine genauere Untersuchung der 
Muskeln und Gelenke vorgenommen werden, deren eigentümliche 
Beschaffenheit aufgefallen war. 

1. Dezember. P. ist noch immer sehr matt, er ist noch nicht im¬ 
stande sich im Bett selbst aufzurichten, er muß gefüttert werden, da er 
noch zu schwach ist, selbst die Speisen zum Munde zu fuhren. 

ln beiden Schultergelenken besteht freie Beweglichkeit der passiven 
Bewegungen, ebenso sind sie im Liegen aktiv, wenn auch mühsam, aus¬ 
führbar. Die Streckung im Ellbogengelenk ist beiderseits nur 
bis zu einem stumpfen Winkel von ca. 120° möglich und 
kann auch passiv nicht weiter geführt werden, da dem Versuch der 
wie eine Sehne gespannte Biceps einen festen schmerzhaften 
Widerstand entgegensetzt. Linkerseits ist auch die Supination im EU- 
bogengelenk behindert. Die aktive Beugung der Hand im Handgelenk 
ist ebenfalls nicht in vollem Umfange möglich. Passiv gelingt es durch 
langsamen Druck die Hand in extreme Beugestellung zu massieren, los¬ 
gelassen schnellt sie aber sofort in die frühere Lage zurück, dabei werden 
Schmerzen geäußert. Die Fingerbewegungen sind frei. 

Die von der Unterlage emporgehobenenExtremitäten können 
in dieser Lage nicht gehalten werden, sie sinken langsam auf sie zurück. 
Eine aktive Erhebung gelingt nicht. Bei der passiven Abduktion der 
Beine werden Schmerzen in der Adduktorengruppe angegeben, ebenso 
ist Beugung des 0 berschenkels zum Kumpf nicht voll weder 
aktiv noch passiv möglich, der Versuch schmerzhaft. Im Knie¬ 
gelenk Btossen sämtliche Bewegungen ebenfalls auf Muskel¬ 
widerstand, besonders die Beugung. Beide Füße befinden sich 
in Equinusstellang und zeigen verminderte Beweglichkeit, bei 
passiver Dorsalflexion spannt sich die Achillessehne und der Gastro- 
cnemius schmerzhaft an. Sämtliche aktiven Bewegungen sind vor 
allem in den Unterextremitäten kraftlos. 

Die an den Kontrakturen beteiligten Muskeln fühlen sich hart 
und gespannt an und sind etwas druckempfindlich. 

Stehen vollkommen unmöglich. P. sinkt, mit Unterstützung 
auf die Füße gestellt, schlaff in sich zusammen. 

320 ccm Urin entleert; von Portion zu Portion deutliche Auf¬ 
hellung, so daß die letzte Portion nur mehr ganz schwach bräunlich ge¬ 
färbt ist und keinen Bodensatz sondern nur diffuse Trübung aufweist. 
Sie enthielt sehr viel Eiweiß und im Zentrifugat reichlich Hämoglobin- 
zylinder, Schattenzylinder und nun auch Erythrocytenzylinder und viele 
Nierenepithelien. Die letzte Portion zeigt auch keinen deutlichen Met- 
und Oxy-Hb-Streifen mehr. 

Ara 4. Dezember ist der Urin wieder vollkommen klar, enthält aber 


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Ein mit Mnskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 89 


noch Eiweiß, Hämoglobin« und Schattenzylinder, keine Erythrocyten. 
Chemisch kein Blut. 

In der Frühe tritt plötzlich Nasenbluten ein, in 10 Minuten 
werden ca. 200 ccm flüssiges und zu Klumpen geronnenes Blut entleert. 
Die Blutung kommt auf Tamponade mit Suprarenin zum Stehen. P. 
sieht aber sehr blaß aus. Nachmittags Erbrechen. 

Vom 6. Dezember ist notiert: 

Die Muskeln im Gebiet des Kopfes und Halses sind vollkommen 
intakt. 

Schultermuskeln im ganzen sehr dünn, keine individuelle Atrophie 
an den Schulter- oder Armmuskeln. Bei mehreren, gleichen, hinterein¬ 
ander ausgeführten Bewegungen ist eine starke Ermüdbarkeit der 
Muskeln zu bemerken. Hechts wird der Arm unter größter An¬ 
strengung 15 mal zur Vertikalen erhoben, fallt aber mitten in der 16. Be¬ 
wegung schlaff herab, links ist die Bewegung nur 12 mal möglich. Während 
der Übung Ansteigen der Atemfrequenz. Zwischen beiden Armen in 
der Beschaffenheit der Muskulatur keine wesentlichen Differenzen. Beider¬ 
seits springt der M. biceps unnatürlich vor. Es besteht noch immer 
Kontraktur im Ellbogen- und Handgelenk. 

P. ist nicht imstande, aus liegender Stellung in sitzende 
zu gelangen, auch nicht mit Hilfe der Arme, obwohl Bauch- und 
Beckenmuskeln beim Versuch sich anspannen, er fällt immer wieder 
zurück. In Bauchlage kann der Unterschenkel zum Oberschenkel nur 
einmal gebeugt werden, bei weiteren Versuchen versagt die Muskulatur. 
Abheben des Beines von der Unterlage aktiv in Kiickenlage unmöglich, 
passiv fühlt man dabei Muskelwiderstand im Oberschenkel. Ab- und 
Adduktion der Beine jetzt frei. 

Die Füße stehen noch in Spitzfußstellung. Bewegungen im 
Fußgelenk und Zehenbewegungen möglich. 

Passiv aufges etzt sinkt P. im Bett zusammen, auf harte 
Unterlage (z. B. auf einem Stuhl) mit herabhängenden Beinen kann er 
frei sitzen, dabei Zurückwerfen des Oberkörpers nach hinten und 
Lordose. Er steht auch heute, im Zehenstand, 10 Sekunden, 
dabei wird die starke Anspannung der Gastrocnemii besonders augenfällig. 

Muekelflimmern nicht beobachtet. 

Vom 6. Dezember an wird die Temperatur normal, nachdem sie zu¬ 
vor noch subfebril gewesen war und am 3. Dezember mit 38,1 den 
höchsten Wert erreicht hatte. 

Der Urin enthält noch Eiweiß (Trübung) und ziemlich reichlich 
granulierte, hyaline und Hämoglobinzylinder neben Harnsäurekristallen bei 
verhältnismäßig niederer Acidität (10—13 nach Moritz). Dabei ist der 
Harn makroskopisch schon vollkommen klar, Menge normal oder etwas 
erhöht (bis 2000, am 20. Dezember 3500), spezifisches Gewicht anfangs 
niedrig, 1005—1010, später dauernd meist 1010. Erst vom 23. Dezember 
an ist die letzte Spur Eiweißtrübung aus dem Harn verschwunden. 

Vom 10. Dezember an kann P. zum Essen (er aß seit 7. Dezember 
selbst) an den Tisch gesetzt werden. Aus liegender Stellung kann er 
sich immer noch nicht aufrichten. Dazu aufgefordert verfährt er w i e 
ein Muskeldystrophiker, indem er sich zunächt auf die Seite wälzt 


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90 


Meybr-Bktz 


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und mit den Händen aufzurichten sucht. Er fällt aber nach kurzer An¬ 
strengung bald wieder schlaff zusammen. Das Gehen, noch immer in 
Spitzfußstellung, ist jetzt möglich geworden, aber nur nachdem man ihn 
auf die Füße gestellt und so lange gestützt hat, bis er unter Zurück¬ 
werfen des Oberkörpers in die für die Erhaltung seines Gleichgewichts 
nötige stark lordotische Haltung in der Lendenwirbelsäule gekommen ist. 
Der Gang ist dabei ausgesprochen watschelnd in der Hüfte mit über¬ 
mäßiger Hebung und Senkung des Beckens und geschieht unter starker 
Erhebung der Knie. 

In den nächsten Tagen mit der fortschreitenden Er¬ 
starkung wird die Ähnlichkeit seiner Bewegungsart mit 
dem Bild der Muskeldystrophie von der infantilen Form 
immer schlagender, indem die Schwäche der Becken- und Wirbel¬ 
säulenmuskulatur gegenüber der zunehmenden Leistungsfähigkeit der 
übrigen Muskeln mehr hervortritt. Gleichzeitig verschwinden langsam gegen 
Ende des Monats die eigenartigen Kontrakturen zuerst in den 
Händen, im rechten, dann im linken Ellbogengelenk. Die Kontrakturen 
in den Wadenmuskeln hielten sich am hartnäckigsten, sie sind erst am 
den 8. Januar 1910 vollkommen verschwunden. Außerdem blieb die 
Peronacusgruppe beider Unterschenkel länger als die übrigen 
Muskeln funktionsuntücbtig, was ein häufiges Überkippen der Füße 
auf den äußeren Fußrand beim Gehen verursachte. Anfang Januar wird 
auch endlich das aktive Aufrichten aus liegender Stellung möglich, 
natürlich unter Zuhilfenahme der Arme und unter Nachahmung all der 
Kunstgriffe, die aus den vielfachen Abbildungen der MuskeldyBtrophie 
bekannt sind. Nur ist jetzt schon die erste Phase der Bewegungen (das 
Aufrichten zum Sitzen) ohne Hilfe der Arme möglich. Der Gang ist 
aber noch watschelnd, während der Junge sich sonst rasch und geschickt 
bewegt und über den vollen Gebrauch seiner Oberextremitäten verfügt, 
z. B. imstande ist, größere Zeichnungen hübsch auszuführen. 

Von da an macht die Besserung rasche Fortschritte, obwohl nach 
der hämoglobinurischen Attacke noch beträchtliche Anämie besteht 
(Hb 62°/ 0 ). Am 18. Januar ist der Gang in der Ebene fast normal, 
dagegen tritt beim Treppensteigen die Störung der Beckenmuskelu noch 
stark hervor, der Rumpf wird dabei nach der Seite des steigenden Beines 
rotiert, die rechte Hand zur Unterstützung auf das Knie bei jedem 
Schritt aufgestemmt. Nach 10 Stufen ist schon vollkommene Erschöpfung 
vorhanden. Vom Boden kann er sich ohne Zuhilfenahme der Arme, ins¬ 
besondere ohne mehr an den Beinen in die Höhe zu klettern, aus dem 
Liegen zum Stand erheben, wenn auch unter großer Anstrengung. Die 
grobe Kraft in sämtlichen Gelenken hat sich viel gebessert. 

Der Februar 1910 brachte die letzten Reste der überstandenen Er¬ 
krankung zur Norm, so daß P. als geheilt betrachtet werden konnte. 
Der Blutbefund wurde annähernd normal, der Hämoglobingehalt betrug 
80°/ o , die Zahl der Erythrocyten 5 240 000. P. M. fühlte sich sehr 
wohl, wenn auch die allgemeine Schwächlichkeit bestehen blieb, und der 
Junge natürlich dauernd als im Wachstum hinter seinen Altersgenossen 
zurückgeblieben bezeichnet werden mußte, und keine Körpergewichts¬ 
zunahme eintrat. Seit dem 22. Dezember 1909, wo zum letzten Male 


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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 91 

eine Spar Eiweiß im Harn konstatiert worden war, blieb der Harn voll¬ 
kommen frei von pathologischen Bestandteilen. 

P. M. verblieb noch weiter in unserer Beobachtung, ohne daß zu¬ 
nächst irgendein bemerkenswertes Ereignis auftrat. Später traten dann 
aber Zufälle auf, die sich nach ihrer ganzen Erscheinung als abortive 
Anfälle kennzeichneten. Am 1. März kommt P. M. heiser vom Garten 
und blieb deshalb die nächsten Tage zu Bett. Der Urin vom 3. März 
war vollkommen frei von abnormen Bestandteilen. Am 5. März steht 
er wieder auf, erkältet sich wieder und läßt in der Nacht trüben dunkel¬ 
braunroten Urin. Am anderen Tage fühlt er sich wieder sehr matt, 
klagt über Schwäche. Der Urin enthält makroskopisch gelöstes 
Hämoglobin (die spektroskopische Untersuchung konnte leider nicht 
vorgenommen werden, da der Urin infolge Versehens zuvor weggegossen 
worden war), das Sediment mikroskopisch massenhaft Erythrocyten- 
schatten, aber auch erhaltene Erythrocyten, Leukocyten, keine Zylinder, 
keinen Detritus. Abends wird bemerkt, daß P. wieder Zehengang 
des rechten Fußes zeigt, es war wieder Kontraktur in der Waden¬ 
muskulatur eingetreten. Dieselbe ist aber nirgends deutlich geschwollen, 
nirgends druckempfindlich. Eine sonstige Störung ist nicht zu erkennen, 
die Beckenmuskeln blieben frei. Am 6. März ist der Urin noch fleisch- 
Wasserfarben, enthält fast nur Erythrocyten, am 7. März sind sie nur 
noch vereinzelt vorhanden, vom 10. März ist der Urin wieder vollkommen 
normal. Am 17. März wieder für einen Tag Blut im Urin, 18. März 
vereinzelte Blutschatten, dann normal. Ebenso am 4. April und 11. April 
je für einen Tag Erythrocyten im Urin nachzuweisen. Muskel¬ 
störungen kamen nicht mehr zur Beobachtung, nur klagte 
P. am 4. April wieder über Mattigkeit, Treppensteigen machte rasche 
Ermüdung. Nur die Kontraktur im rechten Fuß blieb bestehen, 
es war eine irreparable Verkürzung in der Wadenmuskulatur eingetreten. 
Sie war wohl schon früher angelegt, da P. M. angab, der rechte Fuß 
sei schon länger etwas „kürzer“ gewesen, sie mußte aber unter allen 
Umständen stärker geworden sein, da der Gang zuvor anscheinend voll¬ 
kommen normal erschienen war. 

Weitere Störungen sind in der letzten bis 19. Mai 1910 währenden 
Beobachtangszeit nicht mehr aufgetreten, der Harn ist dauernd normal 
geblieben. 

Die Hämoglobinurie. 

Das gezeichnete Bild und die Anamnese machten uns mit einer 
wiederholt auftretenden Erkrankung bekannt, deren plötzlicher 
Beginn durch den Eintritt eines schweren Anfalles von Hämo¬ 
globinurie vollkommen beherrscht wird. Erst wenn die lebens¬ 
bedrohlichen Erscheinungen dieses ersten Stadiums schon im Ab¬ 
klingen begriffen sind, tritt die, während dieser gleichen Zeit ge¬ 
setzte, Muskelschädigung in den Vordergrund und zögert die völlige 
Wiedergenesung noch Wochen und Monate hin. Diese Muskel Ver¬ 
änderung fehlt unter den Symptomen der klassischen paroxysmalen 


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Meyer-Betz 


Hämoglobinurie e frigore und eine genauere Analyse deckte noch 
weitere Unterscheidungsmerkmale zwischen ihr und dem beschriebenen 
Fall auf, so groß auch die Ähnlichkeit in anderen Punkten gefunden 
wurde. Als solche sind der Verlauf in Anfällen, der perakute 
Beginn wie bei einer schweren Infektionskrankheit, der typische 
Harnbefund und die Leukocytose mit Lymphopenie zu nennen. 

Die Anfälle der paroxysmalen Hämoglobinurie zeigen aber im 
allgemeinen einen in Stunden beendigten Ablauf. Der Harn wird 
fast immer am 3. Tag, meist früher, frei von abnormen Bestand¬ 
teilen gefunden, sofern keine neue, Hämoglobinurie verursachende. 
Schädlichkeit den Organismus trifft; höchstens daß sich eine geringe 
Eiweißausscheidung über mehrere Tage noch hinziehen kann. In 
unserem Fall schließt sich an eine zweitägige starke Hämoglobin¬ 
urie eine mehrtägige Nierenreizung an, mit Ausscheidung von reich¬ 
lichen Zylindern, Leukocyten und Erythrocyten, die, während das 
freie Hämoglobin allmählich aus dem Harn verschwindet, geringer 
werdend bis zum 13. Tag sich hinzieht, und erst nach Verlauf der 
3. Woche fehlt die letzte Eiweißspur im Harn. 

Die Anfälle der paroxysmalen Hämoglobinurie pflegen auch 
häufiger einzutreten, in der schlechten Jahreszeit oft mehrere Tage 
hintereinander; hier erfolgen im Jahr nur 2—3 Anfälle. Auffällig 
war auch, daß während des schweren Anfalls der Blutdruck so 
niedrig sich fand, der im Paroxysmus der echten Hämoglobinurie 
e frigore bedeutend erhöht 1 ) gefunden wird. Die Verbindung der 
Hämoglobinurie mit der Neigung zu Blutungen aus anderen Organen, 
wie sie hier in der Epistaxis und den Nierenblutungen der abortiven 
Anfälle der späteren Beobachtungszeit zum Ausdruck kommt, ist 
ebenfalls für die paroxysmale Hämoglobinurie unbekannt. 

Bei der paroxysmalen Hämoglobinurie ist die Niere nicht An¬ 
griffsobjekt der Krankheit, sie fungiert nur als Ausscheidungsorgan 
pathologisch veränderten Körpermaterials. Daß sie selbst bei dieser 
Arbeit Schädigungen erfährt, ist prinzipiell gleichgültig. Der An¬ 
griff der Krankheit geschieht auf das Blut, bzw. die Erythrocyten. 
deren Zerstörung zum Hämoglobinaustritt und damit zur Hämo¬ 
globinurie führt, die ihrerseits wieder als Hämoglobinurie klinisch 
zutage kommt. Eine Abspaltung von Hämoglobin aus geschädigten 
Erythrocyten in der Niere, die Choroschilow 2 ) annimmt, ist 
unbewiesen. 

1) Meyer u. Emmerich, Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. 96 p. 296ff. 

2) Deutsche Zeitsehr. f. klin. Med.. 64 p. 431. 


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Ein mit Mnskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 93 


Daß in unserem Falle überhaupt eine echte Hämoglobinurie, 
d. h. nur eine Ausschwemmung von gelöstem Hämoglobin aus der 
Blutbahn vorlag, hätte demnach streng durch den Nachweis der 
Hämoglobinämie dargetan werden müssen. Leider wurde während 
des ersten Anfalles die hierzu nötige Blutentnahme nicht ausgeführt 
— wir dachten dazu bei weiteren Anfällen noch hinreichend Ge¬ 
legenheit zu haben. Bei späteren Blutentnahmen habe ich einmal 
am 17. März 1910 eine deutliche Kosafärbung des Serums erhalten 
und anderen Morgens fand sich der Harn bluthaltig (vgl. oben), 
doch wurde an diesem Tage gegen sonstige Gelegenheit nicht durch 
Venenpunktion, sondern durch Einschnitt in Ohrläppchen und Zehe 
Blut entnommen. Ich hoffe diese Lücke meiner Untersuchungen 
später einmal ausfüllen zu können. Daß eine Hämoglobinurie im 
Anfall vorlag, ist nach den klinischen Symptomen und der Be¬ 
schaffenheit des Harns dennoch wohl anzunehmen. Allerdings ein 
Anfall von paroxysmaler Hämoglobinurie, wie erst angenommen 
worden war, war nach den angegebenen Unterschieden recht un¬ 
wahrscheinlich geworden. In letzter Linie entschieden wurde diese 
Frage durch den Ausfall der Abkühlungsversuche und die sero¬ 
logischen Befunde. 

Untersuchung des Blutes auf seinen Gehalt an Auto¬ 
hämolysin. 

(Abkühlungs- und Donath-Landsteiner’scher Versuch.) 

Das Studium der während des Paroxysmus zustande kommenden 
Hämolyse ist seit dem ersten Nachweis der Hämoglobinämie durch 
Küstner 1 ) die vornehmste Aufgabe geblieben, die sich die innere 
Medizin in der Erforschung der paroxysmalen Hämoglobinurie ge¬ 
stellt hat. Jedoch blieben die Arbeiten, die eine Lösung der Frage 
durch die Klarlegung der causa morbi selbst anstrebten, hypo¬ 
thetisch, nachdem erkannt worden war, daß die Kälte mit dieser 
letzten Ursache nicht identisch sein könne. Weitere Fortschritte 
dagegen wurden erzielt, als man die experimentelle Untersuchung 
des Mechanismus der Hämolyse in Angriff nahm. Die Entdeckung 
Rosenbach’s*), daß es genügt, die Beine oder Hände eines 
Hämoglobinurikers in eiskaltes Wasser zu stecken, um einen 
typischen Anfall zu erzielen, bildet den ersten Markstein auf diesem 
Wege; Ehrlich 1 ) zeigte dann die lokale Blutauflösung im ab- 

1) Literatur 8. Donath u. Landsteiner, Münch, med. Wochenschr. 1904 
Nr. 36. 

2) Berl. klin. Wochenschr. 1880 Nr. 10 u. 11. 


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geschnürten Finger, die aufblühende Serologie legte die Anschauung 
nahe, daß auch diese Krankheit durch eine hämolytische Noxe be¬ 
dingt sei. Aber wiederum schlug der Versuch, das toxische Agens 
selbst zu finden, fehl. Ehrlich, Kretz, Viola und Chiaruttini 
und ihre Nachfolger wiesen dann die eigene und fremde Erythro- 
cyten lösende Kraft des Hämoglobinurikerserums nach, doch waren 
die Angaben der verschiedenen Autoren einander widersprechend, 
die Versuchsresultate unsicher, bis Donath und Landsteiner 1 1 
durch den Nachweis eines nur in der Kälte an die Erythrocyten 
sich bindenden Ambozeptors im Hämoglobinurikerserum eine sichere 
Basis für weitere Untersuchungen schufen. Die Erforschung der 
Bedingungen, unter denen dieser Ambozeptor zur Wirkung ge¬ 
langt, bildet den hauptsächlichen Vorwurf der letzten Arbeiten, 
und dieses Thema steht noch immer im Mittelpunkt des Interesses 
und es darf trotz mancher Angriffe als Tatsache gelten, daß ein 
echter Fall von paroxysmaler Hämoglobinurie durch Abkühlung 
seiner Extremitäten einen Anfall bekommt und im Blut den 
Donath-Landstein er’schen Ambozeptor führt. 

Zu Beginn der Beobachtung verboten die schweren, während 
des Anfalles lebensbedrohlichen Allgemeinerscheinungen unseres 
Kranken die Vornahme jeden Experiments. Zum ersten Male wurde 
der Abkühlungsversuch am 17. Dezember 1909 ausgefuhrt. 

P. wurde an diesem Tage 3 h 25 p. m. mit beiden Beinen bis 
zur Mitte des Unterschenkels in eisgekühltes Wasser (8—10° C) 
gebracht, er klagte dabei über sehr starkes Gefühl von Kälte, 
zitterte. 3 h 55 wurde der Versuch beendigt. Er fiel vollkommen 
negativ aus. Temperatur, Puls, Blutdruck blieben fast unverändert, 
das Blutbild zeigte sich unbeeinflußt, weder fand sich ein Ansteigen 
der Gesamtzahl, noch trat ein Lymphocytensturz ein, auch die 
eosinophilen Zellen verschwanden nicht aus dem kreisenden Blut, 
alles Veränderungen, die die Untersuchungen von Erich Meyer 
und Emmerich*) sowie von Benjamin 2 ) kennen gelehrt haben. 

Als 6 h 25 abends noch immer keine Reaktion eintrat, wurde 
der Versuch wiederholt und dabei die Vorsicht gebraucht, das Bad 
während des Versuchs von 11 auf 6 7 2 ° C abzukühlen. Damit blieb 
auch das während des ersten Versuches quälende Kältegefühl aus. 
Patient fühlte sich danach vollkommen wohl. 

Ich habe den Kälteversuch später in der Zeit, wo im Harn 


1) 1 c. 

2 ) Moro, Noda u. Benjamin. Münch, nied. Wochenschr. 1909 Nr. 11. 


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Ein mit Muskellähnmngen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 95 


auftretende Erythrocyten eine Prädisposition zur Hämoglobinurie 
annehmen ließen, noch zweimal, am 14. März 1910 und am 18. März 
1910, wiederholt. Ich habe am 14. März das Bad über eine ganze 
Stunde ausgedehnt, die Abkühlung auf 0 C getrieben und habe 
nach dem Bad den Jungen bis zu hochgradiger Ermüdung */ 2 Stunde 
am Ergostaten und den verschiedenen mechano-therapeutischen 
Apparaten (um möglichst viele Muskeln anzustrengen) arbeiten 
lassen, bekam damit natürlich ein Ansteigen des Pulses, der Re¬ 
spiration und auch eine geringe der Temperatur — aber dies war 
auch alles, der Urin blieb vollkommen klar. Ebenso war auch ein 
Ehrlich’scher Versuch, am 18. Dezember ausgetührt, negativ. 

Die Arbeiten von Erich Meyer und Emmerich 1 ), Gräfe und 
Leo 8 ), sowie von Moro 8 ) und Noda hatten gezeigt, daß bei der 
Anstellungdes Donath-Landsteiner’schen Versuchs ein 
einwandfreies Resultat nur unter genauer Einhaltung verschiedener 
Kantelen erhalten werden kann. Vor allem ist der Zusatz von 
Normalserum oder Meerschweinchenkomplement in vielen Fällen 
zur Hämolyse erforderlich, da der eigene Komplementgehalt des 
Serums sehr starken Schwankungen unterliegt, besonders nach An¬ 
fällen sehr gering zu sein pflegt und sogar binnen einer Woche 
vom Voll wert auf Null herabsinken kann. Es war weiter gezeigt 
worden, daß einwandfreie Kontrollen nur erwartet werden dürfen, 
wenn eine Sensibilisierung der zum Versuch verwandten Hämo- 
globinurikererythrocyten, durch Abkühlung in Anwesenheit ambo¬ 
zeptorenhaltigen Serums, verhindert wird. Bei hochwertigem Serum 
reicht hierzu schon die durch einmaliges Waschen mit kalter 
physiologischer NaCl-Lösung gegebene Abkühlung aus und bewirkt 
Hämolyse auch ohne weitere Erkältung. Andererseits kann die in 
der Kälte erfolgte Bindung des Ambozeptors an die Erythrocyten 
bei 37 0 wieder vollständig aufgehoben werden, wenn kein Komple¬ 
ment zuvor zugesetzt wurde, bei dessen Gegenwart zur Dissoziation 
in der Wärme, der rasch eintretenden Hämolyse wegen, keine Zeit 
bleibt. 

Unsere Hämolyseversuche nahmen auf alle diese Punkte Rück¬ 
sicht. IhrResultatwar, um dies gleich vorweg zu nehmen, e i n 
vollkommen eindeutiges, negatives; insbesondere wurde 
auch (auf die Wichtigkeit dieser Maßregel hat Moro hingewiesen) 


lj 1. c. 

2) Archiv f. experim. Pathol. und Pharmakol. Bd. 59. 

3) 1. c. 


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eine Abkühlung des Blutes nach der Entnahme durch Einpacken der 
Blutprobe in Watte und sofortiges Verbringen in den Brutschrank 
vermieden. 

Nachdem ein erster orientierender Versuch vom 8. Dezember 
negativ ausgefallen war, wurde in größeren Versuchsreihen vom 
9., 14., 15., 17. Dezember 1909 und 9. Januar 1910 durch Anwen¬ 
dung verschiedener komplettierender Sera von Menschen und von 
Meerschweinchen, durch Variation der Blutkörperchen-, der Kom¬ 
plement- und Hämoglobinuriker-Serummengen Hämolyse umsonst 
zu erzielen versucht. 

Ich habe später am 14., 16., 17. März, 8. und 22. April 1910 
diese Versuche nochmals aufgenommen, in der Erwartung kurz vor 
einem neuen Anfall zu stehen. Erich Meyer u. Emmerich 
haben darauf hingewiesen, daß der negative Ausfall des Kälte¬ 
versuches in vitro auf einem völligen Fehlen des Ambozeptors oder auf 
der Anwesenheit hämolysehemmender, antikomplementärer Stoffe be¬ 
ruhen könne. Durch weitgehende Variation der quanti¬ 
tativen Verhältnisse wurde auch diesmal keine Hämolyse erhalten, 
es war also noch daran zu denken, ob nicht andere Resultate er¬ 
zielt würden durch Änderung des Mediums, in dem die Hämolyse 
zum Ablauf gebracht wurde bzw. durch Änderung der Salzkonzen¬ 
tration, aber auch dies schlug fehl. Ich erwähne nur beiläufig, daß 
ich bei diesen Versuchen, die von Girard-Mangin u. Henri 1 ) 
zuerst beobachtete Tatsache, daß normale Sera in Rohrzucker¬ 
lösung stärker hämolytisch wirken, als in Kochsalzlösung, für Meer¬ 
schweinchenserum gegen Menschenerythrocyten bis zu einer Ver¬ 
dünnung auf V 20 bestätigen konnte. 

Es muß nach alledem angenommen werden, daß 
das Blut meines Kranken den von Donath u. Land¬ 
steiner entdeckten Ambozeptor nicht enthielt. Ich 
glaube nicht, daß der Einwurf, es hätten die serologischen Unter¬ 
suchungen früher vorgenommen werden müssen, stichhaltig ist, da 
der Nachweis des Zwischenkörpers auch gelingt, nachdem längere 
Zeit kein Anfall mehr stattgefunden hat.*) Ich selbst habe den 
Ambozeptor, bei dem von Erich Meyer beschriebenen Hämoglobin- 
uriker A. P., 4 Wochen nach der letzten Attacke in einer am 
15. März 1910 ausgeführten Untersuchung sowohl mit als ohne 
Zusatz von Komplement wirksam gefunden und er ist es auch 

1) Comptes rend. d. I. Societe d. Biol. 1904 Bd. 56 p. 935 f. 

2) Dagegen wäre es nicht ausgeschlossen, daß im Anfall der Nachweis eines 
anderen Autohämolysins hätte geliefert werden können. 


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Ein mit Muskellahmnngeu verbundener Fall von Hämoglobinurie. 97 

später noch. Ob er überhaupt dem Anfall oder vielmehr dessen 
Vorläufern seine Entstehung verdankt, ob er nach langdauerndem 
Intervall noch im Blut sich findet, ist ja eine offene Frage. 

Daß er manchmal im Blut nicht nachzuweisen ist, haben Erich 
Meyer u. Emmerich öfter erfahren müssen. Dagegen ist noch 
kefn klinisch einwandfreier Fall bekannt geworden, in dem die 
Versuchsanordnung all die neueren Untersuchungsergebnisse aus¬ 
nutzte, insbesondere auf die notwendige Komplettierung des Serums 
Rücksicht nahm und trotzdem niemals ein positiver Ausschlag er¬ 
zielt werden konnte. Hätten Choroschilow 1 ) und Czernecki 2 ), 
die sich gegen den Donath-Landsteiner’schen Erklärungs¬ 
versuch gewandt haben, diese Ergebnisse schon verwenden können, 
wären ihre Versuche wohl sicher positiv ausgefallen. So hat Czer- 
necki ohne Komplementzusatz gearbeit, Choroschilow eine 
andere Versuchsanordnung benutzt, die ihn zu der irrigen Annahme 
einer herabgesetzten Resistenz der Hämoglobin urikererythrocyten 
gegen Kälte führte. 

Jedenfalls wäre es aber nötig, Fälle, in denen sich der Kälte¬ 
ambozeptor trotz Beachtung aller Vorschriften niemals nachweisen 
ließ, durch genaueste Untersuchung als wirklich der paroxysmalen 
Hämoglobinurie in allen sonstigen Punkten zugehörig zu erweisen, 
ehe man sie als Gegenbeweis gegen den Donath-Landsteiner- 
schen Versuch ins Feld führt. Es wird sich dann vielleicht zeigen, 
daß sie nur durch das Symptom der Hämoglobinurie Beziehung zur 
klassischen paroxysmalen Hämoglobinurie e frigore besitzen. 

Die Versuche vom 14., 17. Dezember 1909 und 9. Januar 1910 
habe ich gemeinsam mit Herrn Kollegen J. T. M e i e r von der I. 
medizinischen Klinik durchgeführt und zwar haben wir in Parallel¬ 
versuchen Blut des Patienten P. M. mit dem Blut einer an Hämo¬ 
globinurie leidenden Frau der I. medizinischen Abteilung verglichen. 
Da dieser Fall noch näher bearbeitet werden soll, erwähne ich 
nur, daß diese Patientin nach einem Gang bei kühlem Wetter 
regelmäßig einen Anfall bekam. Trotzdem diese Versuche unter 
den gleichen Kautelen angestellt wurden, insbesondere eine Ab¬ 
kühlung des entnommenen Blutes durch Verpacken in Watte und 
sofortiges Verbringen in den Brutschrank peinlichst vermieden 
wurde, gelang der Nachweis des Ambozeptors damals und auch 
bislang nicht. Dieser Fall zeigte aber auch noch das Fehlen eines 


1) Zeitschr. f. klin. Med. 64 p. 431 ff. 

2) Wien. klin. Wochenschr. 11)08 p. 1435. 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. bd. 7 


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weiteren sonst für die paroxysmale Hämoglobinurie charakteristi¬ 
schen Symptoms: der Abkühlungsversuch — und ebenso der Ar¬ 
beitsversuch — blieben erfolglos. 

Ich erwähne noch, daß eine Resistenzprüfung der Erythro- 
cyten beider Fälle gegen Wärme und Saponinlösungen keine Unter¬ 
schiede im Sinne einer Resistenzverminderung gegenüber Normal- 
erythrocyten ergaben, auch habe ich das charakteristische Phä¬ 
nomen der Agglutination, das bei den Erythrocyten des Patienten 
A. P. 1 ) sehr auffallend war, bei denen des Patienten P. M. vermißt. 

Klinische Beobachtung, Experiment und serologische Unter¬ 
suchungen vereinigten sich damit zu einem gleichlautenden Urteil: 

Der vorliegende Fall gehörte der paroxysmalen 
Hämoglobinurie e frigore nicht zu. 

Die Muskel Veränderungen und ihr Verhältnis zur 
Dystrophia musculorum progressiva. 

Muskel Veränderungen gehören nicht zum Bild der paroxys¬ 
malen Hämoglobinurie. Der echte Hämoglobinuriker e frigore kann 
in der schlechten Jahreszeit fast Tag um Tag wochenlang tief 
dunkel gefärbten Blutharn entleeren, er wird dabei blaß, matt, 
wohl auch arbeitsunfähig, aber nirgends findet sich die Beschrei¬ 
bung einer dadurch verursachten chronischen Muskelschädigung. 
Im Gegenteil, ein Kranker kommt vielleicht nach solcher Periode 
auf die Abteilung, man legt ihn zu Bett, sorgt für reichliche Er¬ 
nährung, bewahrt ihn vor der schädlichen Abkühlung und hat. 
nach Verlauf einer Woche Mühe, den vollkommen arbeitsfähig sich 
fühlenden Mann länger zu halten, wie ich dies selbst bei dem 
oben genannten Patienten A. P. beobachtet habe 

Um so merkwürdiger ist der vorliegende Fall. Der Junge 
zeigte während des hämoglobinurischen Anfalls und noch mehrere 
Tage nach demselben eine so hochgradige allgemeine Muskelschwäche, 
daß er seine Arme nicht einmal zur Nahrungszufuhr verwenden 
konnte, die Schwäche der Rumpf- und Beckenmuskeln ihn zur 
dauernden Rückenlage im Bett zwang, und seine Beine so gut wie 
unfähig zu jeder Bewegung geworden waren. Nur die Muskeln 
des Gesichtes und die übrigen von Hirnnerven versorgten Muskeln 
blieben intakt. Die elektrische Untersuchung der geschwächten 
Muskeln die zuerst am 9. Dezember 1909 vorgenommen wurde und 

1) Von Erich Mever n. Emmerich als Fall I beschrieben, von mir eben¬ 
falls untersucht. 


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Ein mit Aluskelläbmmigen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 99 


die sich auf 23 symmetrisch gelegene Muskeln aus allen Be¬ 
wegungsgebieten beider Körperseiten erstreckte, bewies, daß dieser 
Muskelschwäche eine organische Muskelschädigung zugrunde liegen 
mußte. Es fand sich nämlich in allen untersuchten Muskelgebieten 
eine starke Herabsetzung der Erregbarkeit sowohl gegen faradi- 
schen als galvanischen Strom derart, daß meist erst sehr schmerz¬ 
hafte Stromstärken eine Zuckung auszulösen vermochten (bis,48 mm 
R. A. und 10,0 M. A!). Eine Herabsetzung, die vor allem im 
Vergleich mit der prompten Reaktion der Muskeln eines nur wenig 
älteren, aber normalen Knaben, den ich gleichzeitig untersuchen 
konnte, sehr auffallend war. Nirgends fand sich aber volle Ent¬ 
artungsreaktion, wurmförmige Zuckung oder Umkehrung des 
Zuckungsgesetzes. 

Weiterhin vollzog sich aber die Rückbildung dieser Muskel¬ 
veränderungen nicht gleichmäßig in allen Muskelgebieten. Jeden¬ 
falls ergaben sich für die klinische Funktion bald Differenzen in 
der Muskeltüchtigkeit. Während nämlich die Erstarkung der 
Arm- und Handmuskeln rasche Fortschritte zeigte, blieben die 
Muskeln des Schultergürtels und ganz besonders des Beckens, der 
Beine und der Wirbelsäule noch wochenlang geschwächt, und 
führten zu einem Funktionsausfall (watschelnder Gang in lordoti- 
scher Rückenhaltung, Unfähigkeit sich aufzusetzen, sich vom Boden 
zu erheben, später „Emporklettern an den Beinen“ usw.), der ein 
der Dystrophia musculorum vollkommen gleichendes Bild zustande 
brachte, das durch die bestehenden Kontrakturen (im Biceps, in 
der Wadenmuskulatur) noch vervollständigt wurde. Zum mindesten 
war in dieser Zeit der Krankheit die Ähnlichkeit mit dem ge¬ 
nannten Leiden so groß, daß ohne Kenntnis der vorausgehenden 
akuten hämoglobinurischen Attacke, und wenn nicht die Möglich¬ 
keit gegeben war, den Kranken bis in die Rekonvalescenz zu ver¬ 
folgen, der Untersucher die Diagnose auf Dystrophia musculorum 
stellen mußte und sie demgemäß auch gestellt hat. 

Es ist in der Vorgeschichte erwähnt, daß P. M. vor seiner 
Aufnahme auf unserer Abteilung dreimal im Hauner’schen Kinder¬ 
spital Aufnahme gefunden hatte. Zum erstenmal vom 3.-6. Juni 
1907. *) Der Urinbefund war damals normal, ob ein Anfall der 
Aufnahme einige Zeit voranging, ist aus dem Krankenblatt nicht 


1) Die Erlaubnis, die Krankenblätter der Kinderklinik für diese Arbeit ver¬ 
wenden zu dürfen, verdanke ich dem liebenswürdigen Entgegenkommen von Herrn 
Professor Pfaundler und Herrn.Dr..Mo*o...„ . . . 

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ersichtlich, nach Angabe der Mutter (conf. Anamnese) aber anzu¬ 
nehmen. Ich entnehme dem Journal: „Die Muskulatur des Schulter¬ 
gürtels ist stark atrophisch, Latissimus dorsi, die Serrati, Supra- 
spinatus, Deltoideus fehlen funktionell vollständig.“ Übrige Schulter¬ 
muskeln, Pectorales und Biceps in ihrer Funktion stark geschädigt. 
„Am Beine fällt zuerst auf das große Volumen des Gastrocnemius- 
bauches, er fühlt sich außerdem bretthart an.“ Freies Erheben 
vom Liegen zum Sitzen gelingt nicht, zum Aufstehen benötigt er 
die Arme, „indem er mit den Händen entlang dem Oberschenkel 
emporklettert“. Keine fibrillären Zuckungen. 

Die Diagnose lautete: Dystrophia musculorum progressiva, 
hypertrophischer Typus. 

Die zweite Aufnahme datiert vom 3. Februar bis 1. März 1909. 
Auch diesmal war während der ganzen Beobachtungszeit der Urin¬ 
befund vollkommen normal. 4 Wochen zuvor war der Urin einen 
Tag lang schwarz gewesen, gleichzeitig bestanden Hitzen, Schweiße 
und besonders große Mattigkeit, so daß Laufen, Stufensteigen ganz 
unmöglich war. Eine Zeitlang soll Patient nur auf den Zehen 
gegangen sein. Der Zustand war bei der Aufnahme schon wieder 
wesentlich besser als nach dem Anfall. 

Aus dem Status: Die Muskeln des Patienten sind nicht kräftig 
entwickelt, aber auch nicht wesentlich atrophisch. „Hypertrophien 
sind nicht zu sehen. Höchstens Biceps und Gastrocnemius treten 
etwas stärker hervor und fühlen sich hart an.“ „Die Bewegungen 
der oberen Extremitäten erfolgen sämtlich ohne gröbere Funktions¬ 
störungen, nur ist die Streckung in den Ellbogengelenken nicht 
vollkommen möglich.“ Vollkommene Streckung der Finger auch 
passiv nicht möglich. Aufstehen vom Boden zuweilen auch mit 
Hilfe der Arme unmöglich. Gang watschelnd, dabei deutliche Lor¬ 
dose. Spitzfußstellung des rechten Fußes. Das Resultat einer am 
9. und 10. Februar 1909 vorgenommenen elektrischen Prüfung des 
N. medianus und peronaeus, sowie des Muse, biceps und qua- 
driceps war: „Während die Nerven gut faradisch und galvanisch 
erregbar sind, sind die Muskeln bei direkter Reizung schwer er¬ 
regbar.“ 

Die Diagnose lautete: Dystrophia musculorum. 

Aber Zweifel waren damals vorhanden. Es fiel auf, daß die 
Muskelatrophie „nicht deutlich individualisierend“ war, daß der 
Befund seit der 1. Aufnahme ..eher besser als schlechter" ge¬ 
worden war. Das „progressiva" wurde gestrichen. 

Erst*-Ijei cfcer-3. Aufnahme ilfi.—31 . Juli 1909) kam der Junge 
• • » . 


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Ein mit Mnakellähmnngen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 101 


im abklingenden Anfall in die Kinderklinik. Er war in der 
Nacht vom 13. auf 14. Juli mit Leibschmerzen, Erbrechen und 
Fieber erkrankt, am 14. abends sehr dunkler Urin. „Heute soll 
der Knabe bei dem Versuch sich mit Unterstützung der Mutter 
aufzurichten, einen Schwächeanfall gehabt haben, so daß er mori¬ 
bund erschien.“ Der Urinbefund lautet: „Im mitgebrachten Urin, 
der deutlich bluthaltig und getrübt ist, ein dicker Eiweißnieder¬ 
schlag und positive Heller’sche Blutreaktion. Der heutige Urin, 
gelblicher noch trüb.“ 

Albumen nach Br an dberg 0,1 % — Sanguis Im Sedi¬ 
ment: „Sehr viel [Träte, *) daher nur vereinzelte pathologische Be¬ 
standteile zu finden.“ Am 19. Juli war der Urin noch fleischwasser- 
farben. Im Sediment: nur vereinzelt Cylinder (hyaline und grob¬ 
gekörnte), Eythrocyten, Leukocyten, Epithelien. 

Vom 21. Juli an kein Blut mehr und nur noch Spuren Ei¬ 
weiß, dies war auch bei der letzten Urinuntersuchung am 30. Juli 
gleichermaßen der Fall. 

Der Allgemeinzustand bei der Aufnahme war der eines schwer 
Kranken, der Puls inäqual, klein und weich. Am 25. Juli war 
Patient aber schon außer Bett. Es ist unter anderem Zehengang, 
Watscheln in der Hüfte und außerdem notiert, daß in beiden 
Ellbogengelenken keine volle Streckung möglich ist. Die elek¬ 
trische Untersuchung ergab gleiches Resultat wie früher. Die 
Diagnose lautet: Nephritis haemorrhagica. Dystrophia musculorum. 
Die Diagnose Hämoglobinurie, die erst ins Auge gefaßt worden 
war, war fallen gelassen worden, wegen des von der klassischen 
Hämoglobinurie abweichenden Verlaufs und da der Kälteversuch, 
wie ich später von Herrn D. Moro freundlichst erfuhr, auch vor¬ 
genommene Landsteiner’sche Versuche, negativ geblieben waren. 

Daß trotzdem keine progressive infantile Muskeldystrophie, 
überhaupt keine Muskeldystrophie im gebräuchlichen Sinne des 
Wortes vorlag, das beweist einwandfrei der weitere Verlauf, der 
zu einem vollkommenen Verschwinden der Ausfallssymptome führte 
und die Kontrakturen fast vollkommen ausglich. Langdauernde Still¬ 
stände, auch ein gewisser Wechsel der Intensität der Ausfalls¬ 
erscheinungen sind bei ihr alltäglich; ein derartiger Rückgang 
ausgeprägter Symptome, ein solch akutes Auftreten nicht beobachtet. 
Dies alles abgesehen von der Verbindung mit der Hämoglobinurie, 
zu der man in der Literatur für den Menschen vergeblich weitere 


1) Könnte es nicht auch Blutkörperchendetritus gewesen sein? 


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Belege sucht. Die sichere Entscheidung war uns durch die lang- 
dauernde Beobachtung erleichtert. Wenn wir die Diagnose Dy¬ 
strophia musculorum schon ziemlich früh fallen ließen, so waren 
neben den mit ihr unvereinbaren Angaben der Anamnese zwei 
Dinge maßgebend: die im Beginn fast allgemeine Muskelparalyse 
ohne die Zeichen individueller Atrophie und das Ergebnis der 
elektrischen Untersuchung. Daß eine Muskeldystrophie so schweren 
Funktionsausfall zu erzeugen vermöchte, ohne daß auch schon der 
eine oder andere Muskel wenigstens stärker atrophisch geworden 
ist, ist kaum denkbar. Ausgeprägte Differenzen hätten sich wohl 
auch bei der elektrischen Untersuchung finden müssen. Gewiß es 
gibt Fälle, in denen, obwohl die Bewegungen schon wesentlich ge¬ 
stört sind, die elektrische Untersuchung fast normale oder gar nor¬ 
male Reaktion ergibt, wohl keinen, in dem eine Untersuchung von 
23 Muskeln beider Körperseiten aus allen Bewegungsgebieten eine 
gleichmäßige und so starke Herabsetzung der Reizbarkeit ohne 
jede Atrophie zeigte. Und der Umstand, daß nach Verlauf von 
vier Wochen die Erregbarkeit in den gleichen Muskeln sich hoch¬ 
gradig gebessert hat (die galvanische um das 2—3fache!), ja fast 
normal ist, zeigte daß die echte Erb’sche Dystrophie nicht vor¬ 
liegen konnte. 

Die verkürzten Muskeln boten zunächst das gleiche Verhalten 
wie die übrigen dar, nur war in ihnen die Herabsetzung der Er¬ 
regbarkeit auch nach vier Wochen noch deutlich. 

Diese Kontrakturen bilden einen weiteren interessanten Zug 
in dem vielgestaltigen Krankheitsbild. Ich habe solche beiderseits 
im Biceps, in der Streckmuskulatur der Hand, in der Waden¬ 
muskulatur erwähnt. Angedeutet waren sie in den Adduktoren 
der Oberschenkel, im Cruralisgebiet. Außerdem war in der Kinder¬ 
klinik bei der 3. Aufnahme eine krallenförmige Extensionskontrak- 
tur der Großzehen beobachtet worden. Überblickt man die be¬ 
troffenen Muskeln, so fällt auf, daß es dieselben sind, die bei der 
Dystrophia musculorum zur Kontraktur neigen. Es gilt dies be¬ 
sonders für die Beugekontraktur im Ellbogengelenk und den Zehen¬ 
gang. die Gastrocnemiuskontraktur. 

Man unterscheidet bei der Dystrophia musculorum eine Früh- 
und eine Spätkontraktur. 0 Die letzteren finden ihre Erklärung 
in der Schrumpfung des die zerfallenden Muskelfasern ersetzenden 


1 Vi'l. hierzu: Hahn. Über das Auftreten von Kontraktionen bei Dystro¬ 
phia nm.-'ularis progressiva. Deutsche Zeitsebr. f. Nervenheilkunde 20. 


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Ein mit Muskelläh inungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 103 


Narbengewebes. Sie bilden eine oft beobachtete Folgeerscheinung. 
Seltener ist die Frühkontraktur. Die häufigste durch sie bedingte 
Difformität ist der Pes equinus oder equinovarus bei gleichzeitiger 
Schwäche der Peronealmuskeln. Die Neigung der Großzehe zur 
Dorsaltlexion ist von Hofmann 1 2 * ) und Jam in 8 ) beschrieben. Im 
Bereich der oberen Extremitäten sind außer Bicepskontrakturen 
solche im Handgelenk von Schlippe 8 ) erwähnt worden. Die 
neueren Arbeiten haben gezeigt, daß diese Frühkontrakturen das 
erste, den übrigen um Jahre vorausgehende Symptom der Dy¬ 
strophia musculorum bilden können, und dann ist es meist der Pes 
equinus, der die Krankheit einleitet. Ihre Erklärung (Dreyer) 4 5 ) 
ist schwieriger, da sie mit Vorliebe bei hypertrophischer Waden¬ 
muskulatur sich findet, zu einer Zeit, wo diese als noch sehr 
leistungsfähig betrachtet werden muß. Man hat deshalb ein funk¬ 
tionelles Über wiegen dieser Muskeln über ihre Antagonisten als 
Ursache der Kontrakturen bezeichnet und als Hilfsmoment die 
Schwerbeweglichkeit der Dystrophiker, die zur vorwiegenden 
Rückenlage führt, herangezogen, so wäre dann die Frühkontraktur 
zunächst als eine aktive aufzufassen, erst im weiteren Verlauf 
stellen sich dann in den kontrakten Muskeln die sekundären 
Bindegewebsveränderungen ein. Eine weitere Erklärung gibt 
Roth 6 ), der die fibröse Umwandlung der Muskelbündel an ihrem 
Ansatz an die Sehne für die Verkürzung des ganzen Muskels ver¬ 
antwortlich macht. 

Faßte man in unserem Fall die vorhandenen Kontrakturen als 
solche Frühkontrakturen auf (Spätkontrakturen waren nach der 
Beschaffenheit der Muskeln und dem weiteren Verlauf nicht anzu¬ 
nehmen), so fügte sich auch dieses Detail ins Bild der Dystrophia 
musculorum ein. Aber ein prinzipieller Unterschied durchschnitt 
auch hier die anscheinend vorhandene enge Verbindung. Ich habe 
nirgends in den Beschreibungen dieser Frühkontrakturen etwas 
über ihre Rückbildung gefunden oder, daß sie plötzlich entstanden 
wären, vielmehr entwickeln sie sich schleichend und gehen früher 
oder später in die passive Form über. Hier waren sie akut ent¬ 
standen und bildeten sich langsam im Verlauf von Wochen zurück. 
Ich glaube sie als eine Reizwirkung des degenerativen Prozesses 

1) Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde 12, 1898. 

2) Inauguraldissertation, Erlangen 189(5. 

3j Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde 30. 190(5. 

4) Ibidem 31, 1906. 

5) Cit. nach Marinesco, Maladies des muscles, Paris 1910. 


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is. u.) auf die Muskelfasern auffassen zu müssen, es handelte sich 
um aktive Reizkontrakturen. Mit der einzigen Ausnahme 
der gebliebenen Gastrocnemiuskontraktur, die vielleicht eine pas¬ 
sive. durch Narbengewebe bedingte ist. 

Ein Urteil über den pathologisch-anatomischen Prozeß, 
der der Muskelveränderung zugrunde lag, kann nur vermutungsweise 
abgegeben werden, da eine Gelegenheit zu direkter Untersuchung 
fehlte. Daß eine primäre Muskelschädigung, keine sekundäre 
durch Nerven- oder Vorderhornzellschädigung bedingte Degenera¬ 
tion vorlag, ist nach dem Verlauf zweifellos. Die Kontrakturen 
sind als der Ausdruck einer Reizwirkung dieser Schädigung auf 
die Muskelfasern aufzufassen. Lag eine ausgeprägte Entzündung, 
eine Myositis vor? Eine deutliche Schwellung der betroffenen 
Muskeln fehlte, die Schmerzhaftigkeit war besonders bei dein Ver¬ 
such passiver Bewegungen im Bereich der Kontrakturen ausge¬ 
prägt. die Druckempfindlichkeit im Vergleich mit einer ausge¬ 
prägten Myositis aber sehr gering. Das Ganze machte den Ein¬ 
druck eines akut beginnenden aber langandauernden Degenerations- 
zustandes (Muskelzerfall), was auch die langdauernde Regeneration 
verständlich erscheinen läßt. 

Die Anamnese und frühere Beobachtungen zeigten, daß der Ein¬ 
tritt dieser Muskelveränderungen mit einem schweren Hämoglo¬ 
binurieanfall zusammentrifft und wir erkennen diese Abhängigkeit 
der beiden Symptome auch in der späteren Beobachtungszeit bei 
den abortiven Anfällen wieder. Wenn in der Vorgeschichte von 
Zeiten der Verschlechterung ohne Anfall die Rede ist, so lagen 
ihnen sicherlich ebenfalls solche Äquivalente zugrunde, nur daß 
die weniger markante Veränderung des Harns außerhalb des 
Krankenhauses der Beobachtung entgehen mußte. 

Der VerlaufundderZusammenhangmit dem Hämo- 
gl obi nurieanfall scheiden somit die Erkrankung 
trotz der schlagenden Ähnlichkeit des klinischen 
Bildes in der Art der Bewegungsstörung und in der 
Verbindung mit Kontrakturen scharf von der Dys¬ 
trophia musculorum. Wie der Fall zur paroxysmalen 
Hämoglobinurie e frigore nicht gezählt werden kann, 
-o verträgt er auch nicht die Einreihung in das Bild 
der D y <t roph i a musculorum. 

]•.' findet sich nun in der Literatur menschlicher Erkrankungen 
kein Fall. der. dem unseren ähnlich, die eigentümliche Komplikation 
•,<.n Hämoglobinurie und Muskeldegeneration dargeboten hätte. Es 


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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 105 


ist aber ebensowenig eine akut entstandene Dystrophia musculorum 
bekannt geworden. Die Ätiologie dieser Krankheit ist vollkommen 
dnnkel und es erhebt sich die Frage, ob nicht doch der vor¬ 
liegende Fall Licht auf ihre Entstehung zu werfen 
imstande sei. Vielleicht, daß bei ihr ein gleicher Krankheits¬ 
prozeß über lange Zeiträume und mehr schleichend wirkend eine 
Muskelfaser nachder anderen zur Degeneration bringt, ohne daß eine 
Regeneration möglich ist, während hier die nur immer während 
kürzerer Zeiträume, aber dafür mächtiger, rezidivierend auftretende 
Schädlichkeit der Muskulatur Zeit zur Wiederherstellung ließe. Es 
ist weiter zu bedenken, daß diese recidivierende Schädlichkeit eine 
allgemeine Störung der Muskelentwicklung und eine Muskelschwäche 
verursacht hat, und daß nicht ausgeschlossen ist, daß sie späterhin 
eine progrediente Dystrophie zur Entwicklung bringen könnte. 
Weitere Anhaltspunkte für eine solche Auffassung konnten aber 
bislang aus der Untersuchung anderer Muskeldystrophien an unserer 
Klinik nicht gewonnen werden. 

Dagegen wurde durch ein Referat Schindler’s 1 ) über eine 
Arbeit von Camus 2 ) die Aufmerksamkeit auf eine sehr inter¬ 
essante vergleichend - pathologische Parallele unseres Falls mit 
der paroxysmalen Hämoglobinurie der Pferde und der experimen¬ 
tellen Hämoglobinurie des Hundes gelenkt. Auf beide muß zum 
besseren Verständnis hier eingegangen werden. 

Das klinische Bild der Pferdehämoglobinurie unddie 
vergleichend-pathologische Parallele. 8 ) 4 ) 

Diese als schwarze Harnwinde, paroxysmale Hämo¬ 
globinurie, paralytische Hämoglobinämie bekannte Er¬ 
krankung pflegt im allgemeinen so zu verlaufen, daß das vorher 
vollkommen gesunde Tier, nachdem es einen oder mehrere Tage 
ruhig im Stall gestanden, nach kurzem Gehen in der Morgen¬ 
frühe oder bei rauher Witterung, manchmal auch einfach nach 
Überanstrengung in den Hinterextremitäten steif zu werden 
beginnt, im Hinterteil schwankt und endlich zusammenbricht 
oder auch in schweren Fällen ganz plötzlich wie vom Schlag getroffen 
zusammenstürzt. Gleichzeitig besteht Muskelzittern und 

1) Schindler, Therapeut. Monatshefte 1905 p. 525. 

2) Camus, Les Hemoglobinuries. Paris 1903. 

3) Vgl. Friedberger u. Fröhner, Spez. Pathologie und Therapie der 
Haustiere 1906, I, p. 338ff. mit ausführlichen Literaturangaben. Hutira u. 
Marek, Pathologie und Therapie der Haustiere. II. Aufl. p. 837ff. 

4) Die Piroplasmose des Pferdes bleibt außerhalb des Kreises der Betrachtung. 


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Schweißausbruch. Die Atmung ist beschleunigt, die Tempe¬ 
ratur manchmal etwas erhöht. Mit dem Anfall erscheint 
ein dunkelroter, trüber Harn, der massenhaft freies 
Hämoglobin und Hämoglobinzylinder, aber nur vereinzelte F.ry- 
throcyten und eine große Menge von Nierenepithelien enthält. Die 
meist zuerst und am stärksten befallenen Kruppmuskeln 
(Mm. glutaci, quadratus) erscheinen derb geschwollen, gespannt und 
schmerzhaft. Die Sehnenreflexe im Bereich der gelähmten Muskeln 
sind herabgesetzt. Die faradische Erregbarkeit wurde normal ge¬ 
funden. In mehreren Fällen wurde während des Anfalls Hämo- 
globinämie festgestellt, in anderen wurde sie vermißt 

Verläuft der Fall günstig, so kann unter Rückgang der Muskel¬ 
erscheinungen und Aufhellung des Urins in 3—4 Tagen bis zu 
einer Woche Genesung ein treten, oder aber die Muskelerkrankung 
ergreift fortschreitend weitere Gebiete, geht auf die Brustmuskeln, 
die Vorderextremität über und kann schließlich zu vollkom¬ 
mener Paralyse führen. Der Tod tritt in diesen schweren 
Fällen durch Dyspnoe, Herzlähmung oder Decubitus mit nach¬ 
folgender Sepsis meist in wenigen Tagen oder gar schon am ersten 
Tage ein. Kommt es zur Genesung, so bleiben oft lähmungs¬ 
artige Zustände zurück. „Entweder hält eine beiderseitige 
Parese der hinteren Extremität Wochen, Monate und selbst Jahre 
hindurch an, so daß das Bild der Kreuzschwäche zutage tritt oder 
es bilden sich bleibende einseitige Lähmungen von 
Extremitäten und Muskelgruppen.“ Besonders häufig ist 
eine Quadricepslähmung. Aber auch diese Zustände können 
nachträglich noch ausheilen. 

Es ist nun sehr wichtig, daß, sofern die erste Erkrankung nicht 
tödlich verläuft, beim gleichen Tiere wiederholte Erkran¬ 
kungen mehrfach beobachtet worden sind. Doch pflegen dann 
die einzelnen Erkrankungen durch Wochen und Monate voneinander 
getrennt zu sein. Kurz aufeinander folgende Erkrankungen, wie sie 
z. B. von Luc et ’) beschrieben wurden, sind dagegen die Ausnahme. 

Bei der Sektion werden die befallenen Muskeln (Lende. 
Kruppe, Psoas) hochgradig blaß, graugelblich verfärbt, wie Fisch¬ 
fleisch und stark durchfeuchtet gefunden. Die weniger befallenen 
zeigen gelbliche Streifen in der braunroten normalen Muskulatur. 
Mikroskopisch erscheint die Querstreifung der Muskelfasern ge¬ 
schwunden, die kontraktile Substanz von Eiweißkörnchen und Fett- 

1) Cit. uaek Tainus, Les Henuiglobinuries. 


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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 107 


tropfen erfüllt. Manchmal finden Blutungen in die Musku¬ 
latur statt. Die Nieren können trübe Schwellung oder auch 
schwerere parenchymatöse Degeneration mit Epithel¬ 
nekrose (Johne 1 )) zeigen. Trübe Leber. Spodogener oder sep¬ 
tischer Milztumor. Hyperämisches Knochenmark, manchmal mit 
kleinen Blutungen. 

Neben den vollentwickelten Bildern existieren andere, bei 
denen keine Hämoglobinurie eintritt, vielmehr der Anfall — viel¬ 
leicht durch rasches Zurückbringen des steifgewordenen Pferdes 
in den Stall — wieder zurückgeht oder aber dennoch lang- 
dauernde Lähmung sich entwickelt. Fröhner 2 ) gelang es, 
diese früher als „Cruralislähmung“ bezeichnete Erkrankung 
als der paralytischen Hämoglobinämie zugehörig zu erweisen, indem 
er in 8 von 12 solcher Fälle Hämoglobinämie fand. 

Die Arbeiten über die paroxysmale Hämoglobinurie des Menschen 
(so z. B. die von Lichtheim 8 ), Senator 4 ), Erich Meyer und 
Emmerich 6 )) enthalten mehrfach Hinweise auf diese Erkrankung 
des Pferdes. Doch haben sich die Autoren immer damit begnügt, 
die beiden Erkrankungen gemeinsamen Merkmale hervorzuheben. 
Als solche finden sich der perakute Beginn unter der Einwirkung 
von Kälteeinflüssen, die massenhafte Ausscheidung von gelöstem 
Hämoglobin durch den Harn, der Verlauf in Anfällen angegeben; 
die Hämoglobinämie könnte noch weiter hinzugefügt werden. Viel 
weniger beachtet wurden dagegen die bedeutsamen 
Unterschiede. Dazu gehört vor allem die schwere Muskelaffektion 
bei der Hämoglobinämie des Pferdes, zu der man, wie das Camus 
getan hat, höchstens das Muskelzittern und die Kreuzschmerzen im 
Krankheitsbild des Menschen in Parallele setzen kann, während 
dieses zum Glück für die schweren chronischen Muskelveränderungen 
kein Gegenstück kennt. Ebenso fehlt in den wenigen bekannt ge¬ 
wordenen Sektionsfällen fl ) der paroxysmalen Hämoglobinurie des 
Menschen die Erwähnung von Muskelbefunden. Dazu gehört die 
hohe Mortalität der Erkrankung des Pferdes, die Fried berge r 
und Fröhner zu 20—40% im allgemeinen, zu 70% in den Fällen 
mit allgemeiner Paralyse angeben und weiterhin die viel kürzere 

1) Cit. nach Hutira u. Marek. 

2) Fröhner, Monatsscbr. f. Tierheilkunde 8, 1897. 

3) Yolkmann’s Vorträge 134 p. 1166 t. 

4) Nothnagel’s Handbuch. 

5) Deutsches Archiv f. klin. Med. 96. 

6) Siehe bei Senator u. Eichbaum, ßerl. Dissertation 1881 (die Originale 
waren mir leider nicht zugänglich). 


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Dauer der einzelnen An falle beim Menschen, die dafür sehr gehäuft 
in Szene treten können. Die Abkühlungsversuche, die in der 
menschlichen Diagnostik vielfach angewandt wurden, haben in der 
Veterinärmedizin keinen Eingang gefunden und ebenso sind die 
wichtigen serologischen Entdeckungen von ihr, nach der Literatur 
zu urteilen, vollkommen unbeachtet geblieben (ich selbst habe leider 
keinen Fall von Pferdehämoglobinurie bislang zur Untersuchung 
bekommen können), so daß ein Urteil über die Ähnlichkeit beider 
Erkrankungen nach dieser Richtung hin nicht abgegeben werden 
kann. Die paroxysmale Hämoglobinurie des Menschen 
kann darum mit der paralytischen Hämoglobinämie 
des Pferdes nur unter weitgehendem Vorbehalt ver¬ 
glichen werden, ein Schluß von der einen Erkrankung auf die 
andere wird dagegen immer recht skeptisch beurteilt werden müssen. 

Dagegen deckt sich die Erkrankung des Pferdes in 
ganz auffallender Weise mit den Symptomen des von 
mir beschriebenen Falles. Beiden Krankheitsbildern eignet 
die eigentümliche Verbindung einer Hämoglobinurie mit Muskel¬ 
prozessen, bei beiden erschreckt der schwere lebensbedrohliche Beginn, 
die furchtbare Muskelschwäche, die den Knaben vollkommen hilflos 
macht, den starken Gaul ohnmächtig auf die Seite wirft und zu seiner 
Verbringung in den Hängegurt zwingt. Bei beiden zieht sich die 
schwere Hämoglobinurie über mehrere Tage hin (ob sich eine durch 
Nierenschädigung bedingte längerdauernde Albuminurie daran an¬ 
schließt, ist auch aus neueren Krankheitsberichten 1 ) der Pferde¬ 
hämoglobinurie nicht ersichtlich) und mit der einsetzenden Besserung 
tritt hier und dort die Muskellähmung in den Vordergrund, die 
Wochen und Monate zur vollkommenen Wiederherstellung braucht 
Dabei geht die Ähnlichkeit so weit, daß auch die am schwersten 
geschädigten Muskelgebiete in beiden Fällen dieselben sind. Der 
Wiedereintritt der Krankheit folgte nicht wie bei der paroxysmalen 
Hämoglobinurie des Menschen in gehäuften Anfällen (besonders 
während der rauhen Jahreszeit), einige wenige Anfälle im Jahr 
nur pflegen beobachtet zu werden. 

Zur Ätiologie. 

Die Ätiologie der paroxysmalen Hämoglobinurie e frigore des 
Menschen ist in allen wesentlichen Punkten klargestellt. Wir 
wissen, daß als letzte Ursache, als grundlegendes Moment, eine 

1) Vgl. z. B. Paul Mayer, Die klin. Diagnostik der Hämoglobinurie. Disser¬ 
tation GieCen lü()!>. 


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Ein mit Mnskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 109 


vorausgegangene syphilitische Infektion zu betrachten ist, wir 
kennen die Rolle der Kälte als auslösende Gelegenheitsursache und 
wir sind durch die Abköhlungsversuche und die serologischen Ent¬ 
deckungen über den Mechanismus der Hämolyse selbst weitgehend 
orientiert. 

Viel weniger klar liegen die Verhältnisse bei der 
Pferdehämoglobinurie. 

Wenn ich die früheren Arbeiten, die sich im wesentlichen mit 
der Abtrennung und Beschreibung der Krankheit befaßten, über¬ 
gehe, so fanden vor allem die Arbeiten Bollinger’s 1 ) weit¬ 
gehende Beachtung. Sie lehrten, daß die Krankheit durch Auf¬ 
nahme von Giftstoffen mit der Nahrung verursacht werde, 
durch sie entstehe der Blutzerfall, der die Muskel- und Nieren¬ 
veränderungen nach sich ziehe. Später 2 * ) hat er dann mit Rücksicht 
auf Erfahrungen beim Menschen 8 ) 4 5 ) und gestützt auf eine eigene 
Beobachtung seine Ansicht dahin modifiziert, daß es sich um eine 
Autointoxikation handeln dürfte, wobei durch die Einwirkung 
des Gehens oder der Kälte ein toxisches Agens sich bilde, welches 
auf die roten Blutkörperchen zerstörend einwirkt und zur patho- 
gnomonischen Hämoglobinurie führt. Im Gegensatz zu ihm hat 
Siedamgrotzky 8 ) als erster die Myositis als die primäre Ver¬ 
änderung angesprochen, er nahm an, es träten im Anfall Produkte 
der regressiven Metamorphose des Muskels (Harnstoff 
und Extraktivstoffe) plötzlich in solcher Menge auf, daß dadurch 
Hämolyse zustande käme und er glaubte diese Ansicht durch die 
starke Steigerung der Harnstoffausscheidung im Harn und gesteigerten 
Harnstoffgehalt des Blutes bewiesen zu haben, doch ist die Beweis¬ 
kraft seiner Zahlen später erschüttert worden. Noch deutlicher be- 
zeichnete Fröhner 6 ) die Muskel Veränderung als das Wesentliche 
des Prozesses, indem er zeigte, daß diese vorhanden sein kann ohne 
gleichzeitige Hämoglobinurie, daß aber eine Hämoglobinurie ohne 
Myositis nicht vorkomrae. Diese selbst ließ er durch einen abnormen 
Stoffzerfall in den Muskeln unter dem Einfluß der Kälte entstehen, 
und sie bewirkte Faserzerfall mit Übergangvon M u skelhämo- 
globin ins Blut und durch die Nieren in den Harn. 


1) Deutsche Zeitschr. f. Tierheilkunde 1877 p. 155. 

2 ) Münch, ärztliches Intelligenzblatt 1885 p. 623. 

H) Fleischer, Berl. klin. Wochenschr. 1881 Nr. 47. 

4) Käst, Deutsche med. Wochensehr. 1884 Nr. 52. 

5) Berichte Uber das Veterinärwesen im Königr. Sachsen 1878. 

6) Archiv f. wissenschaftl. und prakt. Tierheilkunde 1884 p. 296. 


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Abnorme Stoffwechsel Vorgänge, die sich, nachdem das Tier längere 
Zeit untätig im Stall gestanden, in den Muskeln des Pferdes beim 
Übergang zur Arbeit abspielen sollen, nehmen auch Di eck er¬ 
hoff 1 2 3 ), Hink*) und Eber 8 ) an. Einen mehr vermittelnden 
Standpunkt nimmt Lucet 4 5 ) ein, der ganz besonders die Beziehungen 
der Schwere der Allgemeinsymptome und der Hämoglobinurie zur 
Ausdehnung der Muskelveränderungen hervorhebt, indem er die 
von ihm angenommene Nephritis und die Muskeldegeneration auf 
eine gemeinsame toxämische (aus dem Darmkanal stammende'* 
Noxe zurückfuhrt; diese wird von den führenden französischen 
Tierärzten (Cadiot, Cadeac, Benjamin, Lucet, Lavalard) 
zurzeit fast allgemein angenommen, wie dies aus der interessanten 
Diskussion zu einem Vortrage Le Brun’s 6 ) deutlich hervorgeht. 
Die Kälte, die früher als Hauptursache angegeben wurde, spielt 
jetzt, nachdem erkannt worden ist, daß die Krankheit auch ohne ihr 
Zutun und mit gleicher Häufigkeit zu jeder Jahreszeit 6 ) auftreten 
kann, nur mehr die Rolle einer Gelegenheitsur.sache, während 
die Wichtigkeit des ruhigens Stehens im Stall mehr betont 
wird. Ganz besonders scheint dieses aber in Verbindung mit all¬ 
zureichlicher Ernährung den für das Auftreten der paralytischen 
Hämoglobinurie geeigneten Boden zu schaffen. Es geht die dadurch 
bedingte Prädisposition so weit, daß man in großen (z. B. durch 
einen Kutscherstreik) zu längerer Untätigkeit gezwungenen Pferde¬ 
beständen mit dem Auftreten der Erkrankung sicher rechnet und 
durch Bewegen der Tiere und Reduktion des Kraftfutters der Er¬ 
krankung erfolgreich vorbeugt. 6 ) Der früher von Cadiot, Cadeac 
und Lign^re vertretene infektiöse Ursprung des Leidens 
wird zurzeit besonders noch von Schlegel 7 ) verteidigt, der eine * 
Meningomyelitis (durch eine besondere Streptokokkenart hervor¬ 
gerufen) annimmt. Doch steht er mit seiner Anschauung ziemlich 
allein. Als Anhang zu den Nervenkrankheiten hat Dexler die 
Hämoglobinurie abgehandelt und in frischen Fällen „perinucleäre 

1) Spezielle Pathologie 1904, II., p. 524. I 

2) Deutsche tieriirztl. Wochenschr. 1901 p. 106. i 

3) Archiv f. wissensehaftl. und prakt. Tierheilkunde 1898. 24, p. 262. 

4) Recueil de med vet. 1899 p. 209 u. 283. 

5) Faits de greve, Sur rhemoglobinurie da Cheval. Balletin de la Soc. de 
Med. veter. 1907 p. 237. 

6) Preußische Militärveterinärberichte der letzten Jahre. 

7) Berl. tierärztliche Wochenschr. 1906 Nr. 29 und „Die infekt. Rücken- 

marksentzündung nsw. u 1907. 


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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. Hl 


Chromatolyse“ der motorischen Ganglienzellen des Rückenmarks 
beschrieben, die durch ein unbekanntes Toxin bewirkt, die Grund¬ 
lage des klinischen Bildes ausmachen. Bestätigungen seiner Arbeiten 
sind aber nicht erfolgt. 

Was das Verhältnis zwischen Hämoglobinämie, Hämo¬ 
globinurie und Muskeldegeneration anlangt, so sind verschie¬ 
dene Möglichkeiten denkbar, die gleicherweise sowohl für die Beur¬ 
teilung meines Falles als auch für die Pferdehämoglobinurie in Be¬ 
tracht kommen und deshalb gemeinsam besprochen werden können. 

1. Blut und Muskel trifft eine gemeinsame Schäd¬ 
lichkeit, die im Blut zur Hämolyse, im Muskel zur Degeneration 
lührt. Das gelöste Erythrocytenhämoglobin wird durch den Harn 
ausgeschwemmt. Dieses Verhältnis erscheint als das einfachste und 
naheliegendste; Blut und Muskeln enthalten beide Hämoglobin und 
so vielleicht Angriffspunkte für eine gleiche Schädlichkeit. Etwas 
modifiziert erscheint es in der Theorie von Hutira und Marek, 
bei der das toxische Agens, das den Muskel zur Degeneration 
bringt, in dem diesen durchströmenden Blut Hämolyse erzeugt. 

2. Viel weniger wahrscheinlich erscheint die Möglichkeit, daß 
die krankhafte Noxe zur Hämolyse und Hämoglobin¬ 
urie führt und die Muskeldegeneration als Folge der 
Blutverschlechterung auftritt, da eine solch schwere Blut¬ 
entmischung wohl sichey zuvor in empfindlicheren Organen lebens¬ 
bedrohliche Schädigungen zur Folge haben müßte. Auch könnte 
als Gegenbeweis die paroxysmale Hämoglobinurie des Menschen 
mit einem gewissen Recht angeführt werden, da bei ihr wochen¬ 
lang sich wiederholende hämolytische Vorgänge keine Muskelver¬ 
änderungen nach sich ziehen. 

3. Anders liegt der umgekehrte Fall, bei dem der Muskel- 
zerfall den Blutzerfall verursacht. Diese Anschauung 
liegt, wie wir gesehen haben, einem großen Teil der Theorien über 
die Pferdehämoglobinurie zugrunde, indem im Muskel entstandene 
Substanzen (Stoffwechselprodukte) als Isohämolysine wirksam werden. 

4. Es existiert noch eine weitere Möglichkeit: das im Blut 
anzutreffende freie Hämoglobin verdankt nicht dem 
Erythrocytenzerfall seine Entstehung, es ist viel¬ 
mehr Muskelhämoglobin, eine wesentliche Blutalte¬ 
ration findet nicht statt. Dementsprechend ist auch 
das im Harn ausgeschiedene Hämoglobin nicht Erythro¬ 
zyten- sondern Muskelhämoglobin. Diese Auffassung, die 


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auf den ersten Blick befremdlich erscheinen könnte, hat in der 
Tierheilkunde weitgehende Beachtung erfahren, sie beherrscht die 
französische Literatur und wird auch in dem führenden deutschen 
Lehrbuch von Friedberger und Fröhner zur wahrscheinlichsten 
Theorie erhoben. Sie geht im wesentlichen aufFröhner zurück, 
der aus der eigentümlichen fischfleischartigen Beschaffenheit der 
Muskulatur bei der Sektion, eine Auslaugung des Muskelhämoglobins 
und Übergang desselben in den Harn schloß. Gestützt wurde diese 
Auffassung später durch eine Arbeit von Schindelka 1 ), der im 
Anfall nicht die erwartete Abnahme, sondern eine deutliche 
Zunahme des Hämoglobingehalts im Blut fand, den er auf den 
Übertritt von Muskelhämoglobin ins Blut bezog. Hutira und 
Marek 2 3 ) bestreiten aber die Richtigkeit dieses Befundes und weisen 
außerdem darauf hin, daß er auch durch Bluteindickung (starkes 
Schwitzen bei mangelnder Tränkung— Schindelka gibt übrigens 
an, seine Pferde hätten reichlich Wasser aufgenommen —) erklärt 
werden könne. Es ist weiter zu bedenken, daß keinerlei einwandfreies 
Kriterium dafür beizubringen ist, daß das im Blut gelöst sich 
findende oder im Harn zur Ausscheidung gelangte Hämoglobin aus 
gelösten Erythrocyten oder ausgelaugten Muskelfasern stammt, 
zum mindesten ist nicht auszuschließen, daß, wenn überhaupt eine 
Auslaugung von Muskelgewebe statthat, das im Harn erscheinende 
Hämoglobin zum Teil Muskelhämoglobin sein kann. Experimentell 
ist diese Frage der „Haemoglobinuria muscularis“ später von 
Camus und Pagniez 8 ), sowie in einer großen vergleichenden 
Arbeit von Camus 4 ) in Angriff genommen worden, der diese 
Theorie gleichermaßen auf die paroxysmale Hämoglobinurie e frigore 
des Menschen, die Pferdehämoglobinurie und die experimentelle 
Hämoglobinurie des Hundes angewendet wissen will. Mit Rück¬ 
sicht auf das Interesse, das diese Theorie besonders für den vor¬ 
liegenden eigentümlichen Krankheitsfall beim Menschen hatte, mußte 
ich mich mit ihr des weiteren auseinandersetzen. Daß 

5. eine Kombination von „Haemoglobinuria muscu¬ 
laris“ und „globularis“ gedacht werden kann, ist oben schon 
beiläufig erwähnt. 


1) Hämoinetrische Untersuchungen an gesunden und kranken Pferden. 
Osterr. Zeitschr. f. wissenschaftl. Veterinärkunde 1888. 

2 ) 1. c. 

3) Pumpt, rend. de l'Academie des 8c. 11 aoüt 1902 und 24 novembre 1902. 

4) Les Hemoglobinuries. Paris, C. Xaud, 1903. 


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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 113 


Die experimentellen Untersuchungen von Jean Camus 

und ihre Kritik. 

Der erste Teil der Arbeit von Camus bestätigt im wesent¬ 
lichen die von Ponfick gefundene Tatsache, daß Hämoglobin im 
Harn nur dann auftritt, wenn die Menge des in die Blutbahn ein¬ 
geführten oder in ihr gelösten Hämoglobins eine gewisse Größe 
( , / 6 , der Gesamtblutmenge, 1,3 ccm pro kg Tier) überschreitet. 
Außerdem wird gezeigt, daß dieses Verhalten unbeeinflußt bleibt 
von anderen gleichzeitig vorgenommenen experimentellen Ein¬ 
griffen: Milzexstirpation, Leberausschaltung, Nierengiften, Ände¬ 
rungen des Blutdruckes usw. 

Der für die vorliegende Arbeit wichtigste II. Teil handelt von 
der „Haemoglobinurie musculaire“. Camus untersuchte zunächst 
an Hunden die Ausscheidungsbedingungen von intravenös injiziertem 
Muskelhämoglobin. 

Seine Versuchsanordnung ist folgende: Ein Hnnd wird getötet, die 
Leiche von der Aorta aus mit mehreren Litern NaCl-Lösung, zur Ent¬ 
fernung des Blutes in den Gefäßen, ausgewaschen. Eine gewisse Menge 
der Muskulatur des Tieres wird dann gefroren, zerstoßen, der erhaltene 
Muskelsaft mit destilliertem Wasser verdünnt und mit NaCl Isotonie zum 
Blutserum hergestellt. 

Die Versuche ergaben übereinstimmend, daß in die Blutbahn 
auch in kleinen Mengen eingebrachtes Muskelhämoglobin die Niere 
passiert, Hämoglobinurie erzeugt. Ich setze einen seiner Versuche 
hierher: 

Pintscher von 17 kg. 

Urin 

3 h 15 Narkosenbeginn (Cblo- 
ralose). 

4 h Resektion von 53 g Musku- 6 h normal, 
latur, die 190 ccm Muskel¬ 
lösung ergeben. 

€ h 10 intravenöse Injektion 6 h 20 dunkelrot hämo- 
von 80 ccm dieser */ 4 Stunde globinurisch. 
lang auf 58 0 erhitzten und 
filtrierten Lösung. 

Wie aus diesem Versuche erhellt, änderte die Erwärmung 
nichts an dem Resultat, dagegen wurde durch Aufkochen der 
Muskellösung das Hämoglobin gefällt und Hämoglobinurie trat 
nicht ein. Herzmuskel und Skelettmuskel zeigten im Versuche 
gleiches Verhalten, während Leber oder Milzextrakte keine Hämo¬ 
globinurie zu erzeugen vermochten. 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 8 


Ozalatblut 


6 h 30 Plasma 
klar, ganz 
leicht gelblich. 


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Meykr-Bbtz 


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Experimentell konnte Camus Hämoglobinarie auch durch 
direkte Einwirkung auf die Muskulatur erzeugen, indem er destil¬ 
liertes Wasser oder Glyzerinlösung intramuskulär injizierte, die in 
gleichen Mengen intravenös injiziert Hämoglobinurie nicht ver¬ 
ursachen konnten. 

Ich führe auch aus dieser Reihe einen Versuch an: 


Gebirgshund von 22 kg. 


Chloroformnarkose 
5 h 30—5 h 37 in verschie¬ 
denen Maskelgruppen des 
linken Oberschenkels 22 g 
Glyzerin -(- 44 ccm destil¬ 
liertes Wasser injiziert. 

Kontraktur and starkes 
fibrilläres Zittern der inji¬ 
zierten Muskeln. 


Urin 

5 h 15 Spur Eiweiß. 

5 h 55 starke Albumin¬ 

urie , kein Hämo¬ 
globin. 

6 h 05 starke Albumin¬ 

urie. 

6 h 30 Hämoglobinurie. 
6“ 50 — 


Oxalatblut 

5 h 50 Plasma 
normal. 


6 h 45 Plasma 
leicht rötlich. 


Im Gegensatz zu diesen Versuchen hatte subkutane Zermal¬ 
mung oder elektrische Reizung der Muskeln oder des bloßgelegten 
Rückenmarks keine Hämoglobinurie zur Folge. Um zu beweisen, 
daß wirklich das Muskelhämoglobin und nicht andere Snbstanzen 
des Muskels für die Hämoglobinurie verantwortlich gemacht werden 
müssen, injizierte Camus Hunden intravenös durch Tierkohle farb¬ 
los filtrierten Muskelsaft, ohne Hämoglobinurie zu erhalten, sie trat 
auch nicht auf, wenn er Extrakt weißer Muskeln von Kaninchen 
Kaninchen intravenös injizierte, während Zusatz von Muskel hämo- 
globin zu einer für sich unwirksamen Blutlösung oder dekolorierten 
Muskellösung Hämoglobinurie verursachte. 

Die Versuche von Camus haben keine Nachprüfung oder Be¬ 
stätigung erfahren. Die Tatsache, daß Muskelhämoglobin so viel 
leichter als Erythrocytenhämoglobin die Nieren passieren sollte, 
war eigentümlich; für die Deutung der Hämoglobinurie des Pferdes 
und auch meines Falles als „Haemoglobinuria muscularis“ aber von 
großer Wichtigkeit. Die intramuskulären Injektionen von Glyzerin 
und Aqua destillata, wie Camus sie vorgenommen, erweckten 
in mir außerdem den Verdacht, daß hier eine Hämolyse im Muskel 
das Wesentliche des Vorganges ausmachen möchte, um so mehr, 
als Glyzerin subkutan Hämoglobinurie zu erzeugen imstande Ist. 
Ich entschloß mich deshalb, in eigenen Versuchen das Verhalten 
intravenös und andersartig injizierter Muskellösungen selbst zu 
studieren und die Bedingungen, die in den Injektionsversuchen mit 


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Ein mit Muskellähmungen verbnndener Fall von Hämoglobinurie. 115 

Glyzerin und Aqua destillata zur Hämoglobinurie führten, näher 
zu ergründen. 

Ich schicke zu meinen Versuchen voraus: Verwandt wurden 
meist weibliche Hunde, die durch eine dem Versuch vorangehende 
Kolpotomie nach Falck 1 ), der eine Kolpoplastik angeschlossen 
wurde, vorbereitet waren. Es wurde dadurch der Katheterismus 
erleichtert und unerwünschte artifizielle Blutung aus den Harn¬ 
wegen ausgeschlossen. Sämtliche Versuche wurden am vollkommen 
narkotisierten Tier ausgeführt. 

I. Versuch. 6. April 1910. 

Junge Hündin. 11230 g. Morphiumäthernarkose. 

11 b 40 50 g Muskelsubstanz aus dem linken Oberschenkel reseziert. 
Blutstillung. Nabt. Muskel im C0 2 -Strom gefroren, zer¬ 
quetscht, mit Fleischpresse unter Zusatz physiologischer NaCl- 
Lösung ausgepreßt- Fs werden 32 ccm dunkelkirschroten 

„Muskelhämoglobins“ erhalten. 

2 b 15 Muskelsaft in Vena femoralis injiziert. Urin o. B., gelb 
2 h 17 Hämoglobinurie tritt auf. 

bis 2 h 25 2 ccm dunkelroten Urins erhalten. Dieser ist stärker gefärbt 
als der injizierte Muskelsaft. Spektroskopisch Oxyhämoglobin¬ 
streifen im Urin. 

„ 2 h 40 4 ccm Urin heller als erste Probe. 

„ 3 h 5 ccm Urin hellrotbraun, noch starkes Oxy- Hb - Spektrum. 

„ 3 h 20 3 ccm Urin wieder gelb. Oxyhämoglobinstreifen noch an¬ 
gedeutet. 

„ 3 h 30 Hb-Spektrum verschwunden. 

Der zentrifugierte Urin enthielt wenige £rythrocyten und -Schatten, 
Hämoglobinkörnchen und -Schollen, nur vereinzelt hyaline Zylinder. 

Nach dem Versuch wird der Hund durch Verbluten getötet, 
die untere Körperhälfte von der Aorta aus mit einigen Litern 
0,85 \ NaCl-Lösung ausgespült. 200 g der Oberschenkelmuskulatur 
werden exzidiert, im Mörser zerquetscht mit Kochsalzlösung erst 
einige Stunden in der Kälte ausgezogen, dann ausgepreßt und fil¬ 
triert Die fertige Lösung (110 ccm dunkelroter Saft) im Eis¬ 
schrank „Frigo“ aufbewahrt (ca. —7°C). 

H. Versuch. 7. April 1910. 

Hündin „Lux“. 15 000 g. Morphiumäthernarkose. 

10 h 15—10 h 20 Injektion von 35 ccm des Muskelsaftses aus Versuch I. 
10 h 05—10 h 20 4 ccm klarer Urin entleert. 

10 h 23 Hämoglobinurie beginnt. 


1) Virchow’s Archiv 9. 

8 * 


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bis 10 h 25 5 ccm dunkelbrauner Urin entleert. Starkes Oxy- und schwache- 
Met-Hb-8pektrum. 

10 h 30 Plasma deutlich rosa. 

_ 10 h 35 8 ccm Urin wie oben. 

„ 10 h 45 8 ccm bräunlichrötlicher Urin (wesentlich heller als die zu- 

geführte Lösung). 

„ 10 h 55 10 ccm blaß rötlichhrauner Urin. Spektra noch stark. 

„ 11 h 10 9 ccm hellgelber Urin. Spektra eben noch deutlich. 

„ ll h 17 8pektrum verschwunden. 

Bei grober Betrachtung erscheinen die Versuche schlagend 
undunzweideutig. Fast sofort nach der Injektion, Hämo¬ 
globinausscheidung, der intravenös zugefiihrten Menge zwar 
quantitativ nicht entsprechend, sondern weniger als diese, aber 
doch in einem bestimmten Verhältnis zu ihr stehend (Camus 
nimmt ca. */* des zugeführten Farbstoffes an). Daß die erste Por¬ 
tion meist dunkler gefärbt ist als die eingespritzte Lösung, ist 
auch von Camus beobachtet. Der strikte Beweis, daß dasselbe 
Hämoglobin, das eingeführt wurde, auch ausgeschieden wird, ist 
schwerer zu erbringen. Es könnte eben doch eine Auflösung von 
Erythrocyten durch die Injektion verursacht worden sein, der 
Hämolyseversuch in vitro ist dafür nicht beweisend, da destilliertes 
Wasser in gleicher Menge intravenös injiziert, doch nicht zur 
Hämoglobinurie führt. Ich habe deshalb versucht, das eingespritzte 
Muskelhämoglobin durch Herstellung der CO-Verbindung zu si¬ 
gnieren (III. Versuch vom 11. April 1910). 

Im ausgeschiedenen hämoglobinurischen Harn ließ sich aber 
kein CO-Hämoglobin mehr nachweisen, was nichts beweist, da eine 
Dissoziation der Verbindung und Oxydation (es trat das OHb- 
Spektrum auf, das durch Schwefelammonium reduziert wurde) unter¬ 
wegs eingetreten sein konnte. 

Aber nur für intravenöse Injektion gilt dies leichte Übertreten 
von Muskelhämoglobin in den Harn und Camus hat nur diese 
studiert. Ganz anders gestalten sich die Ergebnisse bei subkutaner 
oder intramuskulärer Injektion des Muskelsaftes. 

IV. Versuch. 7. April 1910. 

Lux. 15000 g. Morphiumäthernarkose. 

ll h 13—11 11 14 Injektion von 35 ccm der am 6. April gewonnenen 
Lösung unter die Oberschenkelhaut. 

11 h 17 Urin frei von Hämoglobin, 
bis 11 h 32 7 1 /, ccm Urin. Kein Hämoglobin. 

11 h 40 Injektionsgeschwulst vollkommen resorbiert. 

- 11 ,l 45 7 ccm 1 , . tj.. , i • . 

. „ h ... ; kein Hämoglobin! 

12 h b,o ccm 1 ® 


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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 117 

12 h 7—12 h 8 Injektion mit 30 ccm wiederholt, 
bis 12 h 15 5,5 ccm. Kein Hämoglobin. Geringe Trübung durch Eiweiß. 

12 h 30 14 ccm. Kein Hämoglobin. 

12 h 45 9 ccm. Kein Hämoglobin. 

Der Versuch wurde bis 2 h noch weiter verfolgt, ohne daß Hämo¬ 
globin nachweisbar wurde! 

V. Versuch. 12. April 1910. 

Lux. 15 000 g. Morphiumäthernarkose. 

Die Hündin war zuvor in einem von 6 h 14—7 h 25 dauernden Ver¬ 
such (III. vgl. oben) mit CO gesättigtem Muskelsaft intravenös injiziert 
worden, der wie in den anderen Versuchen sofort Hämoglobinurie machte. 
6 b 25 zeigte der Harn deswegen spektroskopisch noch einen leichten 
OHb-Streifen. 

7 h 21—7 h 25 Injektion von 50 ccm am 11. April 1910 von einem 
getöteten Hund gewonnener Blutlösung in die Oberschenkel- 
muskulatur. 

7 h 40 OHb-Streifen noch vorhanden, 
bis 7 h 55 5 ccm. OHb-Streifen eben noch angedeutet. 

8 h 10 4 ccm. OHb-Streifen unsicher. 

8 h 17 2 ccm. OHb-Streifen verschwunden. 

Das heißt, trotz der sehr günstigen Bedingungen hatte die 
intramuskuläre Injektion keine Verstärkung der im Abnehmen 
begriffenen Hämoglobinurie zustande gebracht, obwohl hinreichende 
Zeit für ihr Auftreten gegeben war und sämtliche Versuche an 
der gleichen Hündin ausgeführt wurden, die intravenös applizierten 
Muskelsaft prompt mit Hämoglobinausscheidung beantwortete. Ich 
glaube, daß besonders dieser letzte Versuch zur Vorsicht gegen zu 
weitgehende Folgerungen für die Theorie der Hämoglobinuria mus- 
cularis, die Camus aus dem Erfolg der intravenösen Injektion 
von Muskelhämoglobin zog, mahnt, wenn ich auch das Ergebnis 
seines Grundversuches bestätigt finde. 

Es ist noch etwas anderes zu berücksichtigen, der injizierte 
Muskelsaft ist nicht ohne weiteres einer Muskel¬ 
hämoglobinlösung gleichzusetzen. Daß mit reinen Hämo¬ 
globinlösungen aber gearbeitet werden muß, wenn bindende Schlüsse 
über Verbleib und Wirkung dieses Stoffes gezogen werden sollen, 
ist früher mehrfach betont worden ’) und ergibt sich mit zwingen¬ 
der Notwendigkeit aus den neuesten Untersuchungen über die 
Wirkungen von Organextrakten auf den Organismus. 1 2 ) Die viel- 


1) Quincke, Deutsches Archiv f. klin. Med., XXXIII, p. 22ff. — Schurig, 
Archiv f. experim. Pathologie u. Pharmakologie, XLI, p. 29 ff. 

2) Popielski, Pflüger’s Archiv f. Physiologie 128 p. 191 ff. 


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faltigen Einflüsse auf Blutgerinnbarkeit, Blutdruck, Darm, Nerven¬ 
system usw., kurzgesagt die Vasodilatin Wirkungen, schaffen durch¬ 
aus unkontrollierbare Versuchsbedingungen. Die Darstellung der 
Muskelhämoglobinlösung, wie sie oben angegeben wurde, führt ab« 
notwendig zu einer Zellzertrümmerung und zum Austritt von Vase- 
dilatinen. Mit reinen Muskelhämoglobinlösungen hat noch nie¬ 
mand gearbeitet, abgesehen davon, daß die Frage strittig ist. ob 
Muskel- und Erythrocytenhämoglobin verschieden sind. 

Die folgenden Versuche zeigen die Wirkung von Glyzerin- und 
Aqua destillata-Injektionen. 

VI. Versuch. 2. April 1910. 

Hündin „Pia“. 16 000 g. Morphiumäthernarkose. 

10 h 47—10 h 50 Injektion von 30 ccm Glyzerin mit Aqua destill. ää 

in die Muskulatur des rechten Oberschenkels. 

11 h Urin noch vollkommen klar, frei von Hb. 

ll h — 11 h 10 6 a / 2 ccm schwachrötlich gefärbter Urin. Oxyhämo¬ 
globinabsorptionsstreifen deutlich. 

11 h 30 Der Urin ist vollkommen klar, klarer als bei der zu Beginn 
des Versuchs vorgenommenen Blasenentleerung, jetzt bräun- 
lichrot, 6 ccm. Oxy- und Met-Hb-Streifen. 
bis 11 h 40 6 ccm dunkelrotbraun. 

11 h 50 5 l j 2 ccm dunkelrot. Nur Oxy-Hb-Absorptionsstreifen. 

12 h 00 9 ccm. 

Die Hämoglobinurie hielt von da an in ziemlich gleicher Stärke bis 
1 •> 10 an (während dieser Zeit im ganzen 35 ccm Urin). 

1 h 25 8 ccm. Urin hellt sich etwas auf. 

2 h 15 wurde der Hund, der seitdem auf dem Brett aufgespaunt ge¬ 

wesen war, herabgenommen, der Verweilkatheter entfernt. Oie 
Hämoglobinurie dauerte noch an. 

3 h 30 Katheterismus: 30 ccm noch dunkelroter Urin abgenommen. 

5 h 20 Katheterismus: 30 ccm tiefdunkler Urin erhalten. 

Ob der Hund weiterhin bis zum anderen Morgen spontan uriniert 
hat, ist nicht sichergestellt. 

3. April. 10 h . Die Blase enthält noch reichliche Mengen braun- 
rötlichen Urins mit starken Oxy-Hb-Streifen. 

Während des Versuchs waren um 12 h 20 und 1 h 45 Blutproben 
aus der Vena cruralis entnommen worden, beidemal wurde das abzentri¬ 
fugierte Serum deutlich hämoglobinhaltig gefunden. 

Das Urinzentrifugat enthielt in keiner Probe Erythrocyten, dagegen 
hyaline, granulierte und Epithelzylinder, sowie Leukocyten. 

Im ganzen wurden 130 ccm tiefdunkelroten Urins gesammelt und 
gemischt, nach Sahli bestimmt entsprach seine Färbekraft einer ca. 3"„ 
Blutlösung des Menschen. 

4. April. Eine stärkere Schädigung des Muskels durch die Glyzerin¬ 
injektion ist nicht eingetreten, die Injektionsstelle ist zwar noch druck- 


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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinnrie. 119 


empfindlich, doch springt die Hündin hente schon vom Boden frei auf 
den Tisch. 

Ich gebe zum Vergleich einen Versuch mit intravenöser Gly¬ 
zerininjektion. 

VII. Versuch. 4. April 1910. 

Hündin „Ruß“. 9700 g. Morphiumäthernarkose. 

11 h 25 Injektion von 10 ccm Glyzerin -}- 15 Aqua destill. in die Vena 
femoralis. 

11 h 30 Urin o. B. 

12 h 40 13 ccm sehr klarer, heller Urin. Kein Hb nachzuweisen. 

11 h 60 9 ccm sehr klarer, heller Urin. Kein Hb nacbzuweisen. 

12 h 2 12 ccm sehr klarer, heller Urin. Kein Hb nachzuweisen. 

12 h 15 4 ccm. Der Urin blieb dauernd Hb-frei und enthielt nur Spuren 

Albumen. Es werden deshalb 

12 h 57—l h nochmals 20 ccm Glyzerin -|- 30 ccm Aqu. dest. injiziert. 
12 h 45—lh 7 ccm Urin. 

1 h 5 19 ccm. Kein Hb. 

1 h 10 18 ccm. Urin ganz schwach rötlich (in dicker Schicht). Deut¬ 

liche Oxyhämoglobinstreifen. 

1 h 20 35,5 ccm in dicker Schicht rosa. 

1 h 40 48 ccm. Hämoglobinurie hat noch etwas zugenommen. 

1 h 50 17 ccm wie oben. 

2 h 12 ccm. Färbung nimmt wieder ab. 

2 h 15 19 ccm. Hb-Spektrum nur noch schwach. 

2 h 30 19 ccm. Hb-8pektrum unsicher. 

2 h 45 Kein Hämoglobin mehr nachzuweisen. 

Wenn auch die Hämoglobinurie nicht vollkommen ausblieb, so 
ist der Unterschied gegenüber Versuch VI doch ein sehr 
auffallender. Viel weniger ist dies der Fall gegenüber dem 

VIII. Versuch. 1. April 1910. 

Lux. 15000 g. Morphiumäthernarkose. 

Der Hund erhielt zunächst 3 h 23—3 h 28 je 75 ccm destilliertes 
Wasser in die Oberschenkelmuskulatur injiziert. Als 5 h 10 noch kein 
Hb im Urin nachgewiesen werden konnte, wurde der Versuch wiederholt. 
5 h 25 6 ccm. Kein Hb. 

5 h 45 eben erkennbaren Oxy-Hb-Absorptionsstreifen. 

6 h 15 Absorptionsstreifen deutlicher. 

6 h 25 Hämoglobinurie auch makroskopisch sichtbar. Leicht rötlicher 
Urin in dicker Schicht. 

7 h 10 Urin hellbraunrötlich. 

7 h 40 Urin noch etwas dunkler. 

8 h 20 Die Hämoglobinurie geht wieder zurück. Urin rötlich-gelb. 

Eine diuretiscbe Wirkung wie in Versuch VII trat nicht ein. Im 
ganzen wurden 28 ccm deutlich farbstoffhaltigen Urins entleert. 

Ich habe diese Versuche ziemlich ausführlich mitgeteilt, weil 


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aus den Versuchstabellen von Camus die Differenz zwischen 
intramuskulärer Injektion von destilliertem Wasser und Glyzerin 
nicht deutlich hervorgeht. Er erhält zwar auch in den zwei ersten 
Versuchen mit destilliertem Wasser nur eine kurzdauernde Hämo¬ 
globinurie, er bricht aber den III. Versuch schon nach 20 Minuten 
vor Rückgang der Hämoglobinurie ab und teilt die folgenden 
Glyzerinversuche (vgl. den oben mitgeteilten) ebenfalls nur bis 
höchstens 40 Minuten nach Eintritt der Hämoglobinurie mit. Tat¬ 
sächlich resultiert im intramuskulären Glyzerinversuch eine lang¬ 
dauernde schwere Hämoglobinurie (zwei weitere Versuche (IX u. XI> 
verliefen gleicherweise. Die Sektionsergebnisse der nach dem Ver¬ 
such getöteten Hunde sind unten mitgeteilt). Dagegen zeigt der 
Versuch mit Aqu. dest. eine kaum merkbare Ausscheidung von 
BlutfarbstotF, dies wird noch deutlicher durch die mitgeteilten 
Urinmengen, eine Angabe, die bei Camus durchweg vermißt wird. 
Für die Deutung des Effekts ist der Unterschied aber sehr 
wesentlich. 

Camus deutet in beiden Fällen die Hämoglobinurie einfach 
als Ausscheidung von Muskelfarbstoff und lehnt einen Blutzerfall 
vollkommen ab. Er hat über die Beschaffenheit der mit Glyzerin 
injizierten Muskeln nur die Angabe gemacht, daß sofort nach der 
Injektion Kontraktur und fibrilläres Muskelzittern stattfände, es 
ist aber außerdem noch eine kolossale Schwellung 
auf das Doppelte und mehr des Volums nachträglich 
nach der Injektion zu beobachten. Daß auch Muskel¬ 
farbstoff durch diese seröse Durchtränkung des Muskels ausge¬ 
schwemmt wird, ist zweifellos. Ich habe in dem oben angegebenen 
zweiten Glyzerin versuch (IX) die Injektion nur in einen Schenkel 
gemacht, um bei der Sektion (der Hund wurde nach dem Versuch 
getötet) mit der nicht injizierten Seite vergleichen zu können. Die 
injizierten Muskeln fand ich hochgradig blutig serös durchtränkt, 
beim Einschneiden in dieselben lief eine sehr reichliche, hämoglobin¬ 
haltige Flüssigkeit ab, die nach einigem Stehen gerann, die in¬ 
jizierten Muskeln zeigen sich im Vergleich mit der anderen Seite 
sehr blaß, noch lange ist in den überlebenden Muskeln lebhafte 
Kontraktion der verschiedensten Bündel, ja es sind Bewegungen 
der ganzen Extremität zu sehen. Daß die Menge ausgeschiedenen 
Hämoglobins allein aus dem Muskel stammen sollte, ist dagegen 
unwahrscheinlich. Die intramuskuläre Glyzerininjektion muß näm¬ 
lich notwendig zu einem Blutzerfall führen, daß dem so ist, dafür 
ist der intravenöse Versuch nicht Gegenbeweis, sondern Beweis. 


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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 121 


Glyzerin macht nämlich auch subkutan injiziert Hämo¬ 
globinurie. Diese von Luchsinger 1 ) gefundene Erscheinung, 
die zur Zeit der Ära der Jodoforminjektionen der Chirurgen 4 ) 
wieder aktuell wurde, scheint Camus übersehen zu haben. Es 
macht Hämoglobinurie auch dann, wenn man es an einer Stelle 
injiziert, an der ein Muskeleinfluß ausgeschlossen ist, nämlich, wie 
ich dies auf Rat von Herrn Dr. 0. Neubauer getan habe, bei 
Injektion in die Zwischenzehenhaut am Hinterlauf des Kaninchens 
(Versuch am 5. April 1910). Warum sich die intravenöse Injektion 
scheinbar so ganz gegensätzlich verhält, ist einfach zu erklären. 
Bei der intravenösen Injektion kommen in der Zeiteinheit durch 
die Nadel nur relativ geringe Mengen ins Blut, die von diesem 
sofort fortgeführt, mit anderem Blut vermischt, dadurch ver¬ 
dünnt und unschädlich gemacht werden, ehe sie stärkere 
Hämolyse verursacht haben. Bei der subkutanen und intramusku¬ 
lären Injektion dagegen wird ein Glyzerindepot geschallen, 
das nur durch Zufuhr von Serum aus viel viel kleineren Gefäßen 
verdünnt werden kann, so daß lange Zeit eine große hämolytisch 
wirkende Konzentration erhalten wird, und damit genügend Ge¬ 
legenheit für einen weitgehenden Blutzerfall gegeben ist. Diese 
Überlegung erklärt auch die zwischen Glyzerin und destilliertem 
Wasser bestehende Differenz. Im Falle des Glyzerins muß eine 
große Flüssigkeitsmenge aus kleinen Gefäßen herzugebracht werden, 
um es unschädlich zu machen und wir sehen dementsprechend 
unter unseren Augen die langsame, starke Anschwellung des Muskels, 
der Kaninchenpfote, während die Umwandlung des destillierten 
Wassers in eine isotonische Salzlösung viel leichter gelingt. De¬ 
stilliertes Wasser macht deshalb auch, subkutan injiziert, keine 
Hömoglobinurie vgl. Versuch X. 

Ich habe in meinen Versuchen (intramuskuläre Injektion) dem¬ 
entsprechend auch das Blutserum deutlich hämolytisch gefunden 
und Camus gibt in zweien seiner Glyzerinversuche ebenso das 
Plasma als leicht rosa gefärbt an. Konnte der Blutzerfall nicht ein¬ 
fach durch Blutuntersuchungen während des Experiments bewiesen 
werden? Ein am 11. April 1910 ausgeführter Versuch (IX) verlief 
nicht eindeutig, da er mit zu geringen Glyzerin mengen ausgeführt 
und nicht lang genug ausgedehnt worden war. 

Anders Versuch XI, der zeigt, warum der Nachweis des Blut¬ 
zerfalls im großen direkt nicht gelingt. 

1) Inauguraldissertation Zürich 1875 und Pflüger’s Archiv 11 p. 502. 

2) Mikulicz, citiert nach Kunkel, Handbuch der Toxikologie p. 427. 


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Versuch X u. XI. 17. Mai 1910. 

Junger Rüde. 13 500 g. Morphiumäthernarkose. 

9 h 20 —9 h 25 werden 200 ccm Aqu. destill. unter die Bauch- und 
Rückenhaut injiziert. 

10 h Die Injektionsflüssigkeit ist resorbiert; keine Hb-urie. 

11 11 30 Hb nach Sahli 95 °/ 0 , Erythrocyten 4 700 000. 

11 h 40 Urin noch immer normal. 

11 h 50—ll h 55 100 ccm Qlyzerin mit Aqu. dest. ää in beide Ober¬ 
schenkel und linke Schulter injiziert. Es tritt nachträglich eise 
enorme Schwellung der injizierten Partien ein. Fibrilles Zittern 
der Muskelbündel, krampfhafte Bewegungen der Extremitäten. 
12 h 25 Eintritt der Hämoglobinurie. 

12 h 35 Urin dunkelrot, gleichzeitig außerordentlich starke Diurese, es 
werden bis 1 h für je 5' 17 ccm Urin entleert, bis 1 h 30 je 
20 ccm in 10 ', von da an ziemlich gleichmäßig 10 ccm pro 10 '. 
1 h 20 Hb 105 °/ 0 , Erythrocyten 6 420 000. 

3 h —3 h 15 werden nochmals 70 ccm Glyzerin und Aqu. dest. äi in 
Brust und rechte Schulter injiziert. Mäßige Schwellung der in¬ 
jizierten Teile. Nach der Injektion stockt plötzlich die Irin- 
ausscheidung. 

3 h 20 Plasma stark rot gefärbt. 

3 h 30 Hb 125 °/o* Erythrocyten 7 500000. 

3 h 35—4 h Es wurden nur 3 ccm sehr dunkler Urin entleert. Von da 
. an bis zum Schluß des Versuchs noch nicht 3 ccm! 

5 h 30 Hb 120 °/ 0 Erythrocyten 7 530 000. 

5 h 50 Serum stark rotgefärbt. 

6 h Hund durch Chloroforminjektion ins Herz getötet. 

Die Sektion zeigte wieder die enorme Durchtränkung und 
Auslaugung der injizierten Muskeln. Das perimuskuläre Gewebe 
ist in eine bis I / 2 cm dicke sulzige Masse verwandelt. Inner? 
Organe hyperämiscb, Darm kontrahiert. Magen stark diktiert, 
enthält große Mengen Flüssigkeit. Lange den Tod überdauernde 
fibrilläre und allgemeine Zuckungen der injizierten Muskulatur. 

Also: statt des erwarteten Blutzerfalls, eine diesen 
weit paralysierende Bluteindickung! Der Versuch zeigt 
außerdem noch deutlich die starke Glyzerindiurese, die aber 
dann plötzlich eingestellt wird, wohl infolge einer durch das Gly¬ 
zerin gesetzten Nierenschädigung oder infolge der starken Blut- 
eindiekung? Er zeigt aber auch, daß die Hämoglobinausscheidung 
noch von anderen Faktoren als der Konzentration des gelösten 
Hämoglobins im Blut abhängig ist. Würde dieses einfach, nachdem 
die Organe, die es sonst zurückhalten, von ihm überfüllt sind, 
aus den Nieren sozusagen in den Harn überlaufen, dann müßte 
man auch Hämoglobinübertritt in die Galle erwarten. Ich hab? 


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Original frum 

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Ein mit Mnskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 123 

Hb in zwei Versuchen (IX u. XI) in der Galle vermißt Camus 
legt großen Wert auf die Beschaffenheit des Serums. Bei 
der Haemoglobinuria muscularis wird die geringste Menge frei¬ 
gewordenen Hämoglobins sofort ausgeschieden, so daß es zu keiner 
oder nur leichter Färbung des Serums kommt, während bei der 
Haemoglobinuria globularis erst bei deutlich hämolytischem Serum 
Hämoglobinurie eintreten kann, in meinen intramuskulären Glyzerin¬ 
versuchen war diese Färbung sehr deutlich. 

Der Nachweis des Blutzerfalls bei intramusku¬ 
lärer Gl yzerininj ektion gelang einwandfrei auf einem 
anderen Wege. 

XII. Versuch. 4. Juni 1910. 

Lux. 15000 g. llorphiumätheraarkose. 

10 h —10 h 10 Intramuskuläre Injektion von 200 ccm Glyzerin -J- Aqu. 
dest. ää in beide Unterextremitäten. Kurz danach setzte mächtige 
Diurese ein. 

10 h 25 Hämoglobinurie beginnt. 

10 h 35 Tiefroter Harn. 

11 h 15 Die vorher ziemlich reichliche Diurese stockt. Von nun an bis 
zur Beendigung des Versuchs durch Tod des Tieres nur wenige 
Kubikzentimeter Harn entleert. Vor Beginn der Injektion waren 
aus dem Ohrvenenblut Ausstriche und frische Präparate zur Kon¬ 
trolle angefertigt worden. 

11 h werden in die stark geschwollenen Extremitäten sterile Kanülen 
eingestochen, aus denen eine rötlich gefärbte Flüssigkeit hervor¬ 
quillt. Dieselbe zeigte mikroskopisch hochgradig veränderte 
Erythrocyten, sehr kleine stark geschrumpfte wie zerknitterte 
Formen, Stechapfelformen, Erythrocytenschatten und -Detritus, 
Daneben aber auch stark gequollene Blutkörperchen mit poikilo- 
cytotischen Fortsätzen, kurz das Bild eines schweren Erythro- 
cytenzerfalles. 

Schwieriger war es, die Erythrocytenschädigung in den peri¬ 
pheren Gefäßen nachzuweisen. Der Grund liegt auf der Hand, in 
dem rasch den Muskel durcheilenden Blutstrom bleibt schon die 
große Mehrzahl der Erythrocyten vollkommen — wenigstens fürs 
Auge — intakt und die schwerer veränderten Zellen werden auf 
ihrem Weg immer wieder mit völlig Ungeschädigten vermischt oder 
zerfallen gänzlich. Aus der Vena cruralis entnommene Proben 
lieferten im Nativpräparat deshalb zunächst kein sicheres Resultat, 
dagegen erschienen unzweifelhafte Degenerationsformen, nachdem 
die Arteria femoralis für kurze Zeit abgeklemmt und dann ein 
aus der Vene mit Glaskapillare entnommener Blutstropfen unter¬ 
sucht wurde. In den nach May gefärbten Ausstrichen zeigten sie 


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Meykb-Bbtz 


sich aber auch ohne diesen Kunstgriff als kaum gefärbte, verzerrte 
und oft zu Häufchen zusammengeballte Schatten. In den im 
späteren Verlauf des Versuchs gewonnenen Präparaten traten außer¬ 
dem kernhaltige Erythrocyten auf, die bei Durchmusterung der 
vorher entnommenen Kontrollen nicht angetroffen worden, waren als 
Beweis einer durch den Versuch gesetzten Knochenmarksreizung. 

Meine Versuche beweisen somit, daß bei der Glyzerin¬ 
injektion (und das gleiche gilt, wenn auch in geringerem Maße, 
von den Injektionen mit Aq. dest.) in den Muskel ein Zerfall 
der ihn durcheilenden Erythrocyten stattfindet, es 
muß demnach das freie während des Versuchs im Blut sich findende 
Hämoglobin zum Teil Erythroeytenhämoglobin sein. Wie groß dieser 
Anteil ist, ist mit Sicherheit nicht zu bestimmen, da eine voll¬ 
kommene quantitative Verfolgung des Versuchs unmöglich ist 
Immerhin ergibt schon ein Überschlag, daß das Muskelhämo- 
globin allein nicht zur Deckung der Hämoglobinans- 
fuhr ausreichen kann. Setzt man nach Lehmann 1 ) den 
Muskel = einer 2,2 °/ 0 Blutlösung (Wert des Rindsbiceps; für den 
Hund existieren keine Bestimmungen), den Harn nach Versuch XI 
= einer 3 °/ 0 Blutlösung und nimmt nach den Bestimmungen von 
Camus an, daß die Hälfte des Muskelhämoglobins im Harn wieder 
erscheint, so mußten, alles auf Muskelhämoglobin berechnet, in Ver¬ 
such VI bei ca. 150 ccm ausgeschiedenen Urins (131 ccm gesammelt) 

1 ^ — 400 g Muskel vollkommen ausgelaugt sein, eine Zahl. 

die für diesen Versuch (nur 30 ccm Glyzerin injiziert) sicher viel 
zu hoch ist, da immer nur die direkt von der Injektion betroffenen 
Muskeln Auslaugung zeigten und außerdem der Hund am 2. Tag 
nach der Injektion wieder vollkommen über die injizierte Extremität 
verfügte. Außerdem entzieht sich unserer Kenntnis, wieviel Ery- 
throcytenhämoglobin in inneren Organen zur Ablagerung ge¬ 
kommen ist. 

Die experimentelle Hämoglobinurie des Hundes 
erweist sich demnach als eine Mischform von musku¬ 
lärer und globulärer Hämoglobinurie, sie ist nicht, wie 
Camus meint, eine rein muskuläre. Es kann dann auch nicht die 
Pferdehämoglobinurie ohne weiteren Beweis, als den der Analogie 
mit dem 'Tierversuch, als Hämoglobinuria muscularis aufgefaßt 
werden, wenn auch die Annahme, daß bei ihr Muskelhämoglobin 


1 Zeitsebr. f. Biologie 45 p. 324 ff. 


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Ein mit Mnskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 125 


in großer Menge zur Ausschwemmung gelangt, durch Camus und 
meine eigenen Versuche und die Sektionsbefunde (blasse Muskeln) 
gut gestützt erscheint. Wahrscheinlich dürfte es sich bei ihr um 
eine Kombination von Blutzerfall 1 ) und Muskelhäroo- 
globinau stritt handeln und die gleichen Verhältnisse nehme 
ich auch für den beschriebenen Fall an, ohne die Größe der Kom¬ 
ponenten gegeneinander abmessen zu können. Unmöglich er¬ 
scheint mir aber die Übertragung der Theorie der muskulären 
Hämoglobinurie auf die paroxysmale Hämoglobinurie des Menschen. 
Abkühlungs- und Landstein er’scher Versuch beweisen hier den 
Blutzerfall, während Anhaltspunkte für einen Hämoglobinaustritt 
aus den Muskeln nicht existieren, denn daß das Zittern im Par- 
oxysmus, nach der Ansicht von Camus, bei dazu disponierten In¬ 
dividuen Muskelhämoglobin frei werden lasse, ist doch kaum wahr¬ 
scheinlich. Die Differenzen zwischen paroxysmaler und Pferde 
hämoglobinurie sind außerdem, wie ich gezeigt habe, so große, daß 
Analogieschlüsse von einer Krankheit auf die andere nicht erlaubt 
erscheinen. Für den Fall P. M. bleibt dagegen der weitgehende 
Vergleich mit der Pferdehämoglobinurie zutreffend. 

Wie sich bei ihm in Wirklichkeit der Mechanismus darstellt, 
kann nicht sicher gesagt werden. Am wahrscheinlichsten scheint 
mir, daß Blut und Muskel die gleiche Noxe trifft, oder daß im 
Muskel unter ihrem Einfluß autohämolytische Substanzen sich 
bilden. Für erstere Annahme spricht besonders das gleichzeitige, 
plötzliche Eintreten der Hämoglobinurie und der allgemeinen 
Muskelschwäche. Über die Art der primären Noxe kann ich eine 
bestimmte Ansicht nicht äußern. Anhaltspunkte für eine Lues 
congenita fanden sich nicht. Einflüsse der Ernährung, ähnlich den 
bei der Pferdehämoglobinurie in Betracht kommenden, scheinen 
keine Rolle zu spielen. 

Um sie zu studieren, wurde der Junge in der oben erwähnten 
kritischen Zeit, in der er vor einem Anfall zu stehen schien, unter 
ganz einseitige Ernährungsbedingungen gesetzt, aber weder 
langdauernde Mehl-, Milchkost noch eine ausschließliche Eiwei߬ 
fettkost, die bis zu deutlicher Acidose fortgesetzt wurde (nach Bestim¬ 
mungen, die Herr Dr. 0. Neubauer auszuführen die Güte hatte, 
wurden bis zu 0,227 g Aceton und 0,549 g Oxybuttersäure ausge¬ 
schieden !) brachten den erwarteten Anfall zum Ausbruch, noch zeigten 
sie irgendwelchen anderen Einfluß auf den weiteren Verlauf. 

1) Der auch aus dem oft starken Hämoglobingehalt des Serums der Tiere 
erschlossen werden kann. 


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126 


Meyer-Betz 


Unterlagen für die Wahrscheinlichkeit einer infektiösen Ätio¬ 
logie konnten ebensowenig gewonnen werden. 

Vielleicht ermöglicht eine spätere Beobachtung, diese Lücke 
meiner Untersuchung auszufüllen. 

Ergebnisse. 

Der vorliegende Fall ergibt: 

1. Es gibt beim Menschen eine bisher noch nicht beschriebene 
und anscheinend sehr seltene Erkrankung, die perakut mit einem 
Hämoglobinurieanfall beginnend, zu einer schweren Muskelschädi¬ 
gung führt, deren Regeneration Wochen in Anspruch nimmt. Die 
Erkrankung zeigt Neigung zu öfterer Wiederkehr. 

2. Die Hämoglobinurie dieses Krankheitsfalles unterscheidet 
sich von der paroxysmalen Hämoglobinurie e frigore in wesent¬ 
lichen Punkten: Abkühlungsversuche erzeugten keine Hämoglo¬ 
binurie, das für die paroxysmale Hämoglobinurie charakteristische 
Hämolysin war nicht nachweisbar. 

3. Die Muskelveränderungen zeigen während ihrer Rück¬ 
bildung große Ähnlichkeit mit dem klinischen Bild der Dystrophia 
muscularis progressiva und zeichnen sich durch eigentümliche Reiz¬ 
kontrakturen aus. 

4. Hämoglobinurie und Mnskeldegeneration stehen in innigem 
Zusammenhang, wodurch die Erkrankung eine weitgehende Ver¬ 
gleichung mit der Pferdehämoglobinurie zuläßt. 

5. Die Pferdehämoglobinurie und die menschliche paroxysmale 
Hämoglobinurie e frigore zeigen dagegen unter sich Differenzen, 
die eine gemeinsame Ätiologie unwahrscheinlich machen. 

6. Die Ätiologie des beschriebenen Falles ist noch dunkel 
Toxischer Muskelzerfall wie bei der Pferdehämoglobinurie ist mög¬ 
licherweise im Spiel, eine infektiöse Noxe ist nicht ausgeschlossen. 

7. Experimentelle Untersuchungen bestätigten den von Camus 
entdeckten leichten Übergang von Muskelsafthämoglobin in den 
Harn nach intravenöser Injektion. Dagegen erscheint bei der ge¬ 
troffenen Versuchsanordnung der Schluß, daß dies eine besondere 
Eigenschaft des Muskelhämoglobins sei, nicht bindend. 

8. Der Erfolg der Versuche von Camus durch intramuskuläre 
Injektion von Glyzerin und destilliertem Wasser Hämoglobinurie zu 
erzeugen, beruht nicht allein auf der unter 7. angegebenen Eigen¬ 
schaft des Muskelhämoglobins, sondern auch auf einem durch die 
Injektionsflüssigkeit verursachten Blutzerfall. 


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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 127 


9. Die auf diesen Versuchen beruhende Theorie der Hämo- 
globinuria muscularis erfährt damit eine Einschränkung. Die Über¬ 
tragung dieser Lehre auf die paroxysmale Hämoglobinurie des 
Mensehen erscheint nicht möglich. Für die Pferdehämoglobinurie 
ist eine Kombination von Müskelhämoglobinaustritt und Blutzerfall 
wahrscheinlich. 

10. Für den vorliegenden Fall hat die Annahme einer Muskel 
und Blut gleichermaßen treffenden Schädlichkeit die meiste Wahr¬ 
scheinlichkeit für sich. Die primäre Noxe ist unbekannt. 


Nachtrag bei der Korrektur. 

Ich habe am 15. September 1910 Gelegenheit gehabt, meinen 
Patienten wieder zu untersuchen. Er ist zurzeit als kunstgewerb¬ 
licher Zeichner beschäftigt und gab an, er habe sich seit seiner 
Entlassung vollkommen wohl gefühlt, fühle sich auch wesentlich 
kräftiger als früher. Blutharnen oder Schwächeanfälle seien nicht 
mehr eingetreten. Die Untersuchung ergab, daß P. M. zwar noch 
immer schwächliche, aber gegen früher deutlich erstarkte Musku¬ 
latur zeigt. Muskelatrophien sind nirgends nachzuweisen. Sämt¬ 
liche Bewegungen werden in gehöriger Weise und mit leidlicher 
Kraft ausgeführt. Beim sich Aufrichten, Aufstehen, Gehen, Treppen¬ 
steigen ist keinerlei Funktionsstörung zu bemerken, nur ist die 
Kontraktur der rechten Achillessehne in gleichem Maße wie früher 
vorhanden 


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Aus dem Physiologischen Institut der Königl. Tierärztlichen 
Hochschule zu Berlin. 

(Direktor: Prof. Dr. Emil Abderhalden.) 

Die Grundlage der Ad. Schmidt’schen Kernprobe. 

Von 

Dr. Friedrich Wilhelm Strauch. 

(Mit ö Abbildungen.) 

In letzter Zeit sind von verschiedenen Seiten zum Teil schwer¬ 
wiegende Bedenken gegen die Schmidt'sehe Kernprobe erhoben 
worden. Die einen Autoren bezweifelten die physiologische Grund¬ 
lage, welche diese Probe zur Voraussetzung hat, andere erkannten 
ihre diagnostische Brauchbarkeit nur bedingt oder für ein begrenz- 
teres Gebiet von Darm(Pankreas)-Erkrankungen an, als dies von 
Schmidt behauptet war. 1 ) 

Um eine Klärung dieser Frage herbeizuführen, erschien es an¬ 
gezeigt, nochmals das Fundament, auf dem die Schmidt’sehe 
Pankreasfunktionsprüfung basiert, einer genauen Nachprüfung- zu 
unterziehen. 

Die Kernprobe wird klinisch folgendermaßen ausgeführt *): Die 
Versuchsperson erhält an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen 
in Oblate ein in absolutem Alkohol gehärtetes Ochsenfleischstückchen 
von */ 8 cm Seitenlänge, das in ein Gazebeutelchen eingehüllt und 

1) Vgl. Th. Brugscb, Experimentelle Beiträge zur funktionellen Dann¬ 
diagnostik. Zeitschr. für experimentelle Pathologie und Therapie 6. Bd. 1909 
p. 361. — Saar u. Th. Britgsch, Zur funktionellen Pankreasdiagnostik. Ge¬ 
sellschaft der Chariteärzte 28 Okt. 1909, Berliner klin. Wochensehr. 1910 Nr. 8 
p. 368. — Th. Brugsch, Zur funktionellen Darmdiagnostik. Deutsche med. 
Wochenschr. 1909 Nr. 52 p. 2307. — A. Hesse, Zur Bewertung der Schmidt- 
seken Kernprobe. Zeitschr. für exper. Pathologie u. Therapie 7. Bd. 1909, p. 91. 

— Ad. Schmidt, Erwiderung, ebenda 7. Bd. 1909 p. 263 (Literaturverzeichnis). 

— C. Klieneberger, Diagnostik der Pankreaserkrankungen. Deutsche med. 
Wochenschr. 1910 Nr. 14 p. 385. — K. Gläßner, Die Diagnose der Pankreas- 
erkrankungen. Medizinische Klinik 1910 Nr. 29 p. 1123. 

2) Ad. Schmidt u. J. Strasburger, Die Fäces des Menschen im nor¬ 
malen und kranken Zustande. 3. Aufl. 1910 p. 61. 


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Die Grandlage der Ad. Schmidt’schen Kernprobe. 


129 


zuvor gut gewässert ist, zu schlucken. Dieses Säckchen wird in 
den Fäces wieder aufgesucht, mit Wasser abgespült, mit Essigsäure 
behandelt und darauf mit Methylenblau oder eingebettet, geschnitten 
und mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt untersucht. Normalerweise 
sind dann mikroskopisch keine Gewebskerne mehr nachweis¬ 
bar; Erhaltensein der Muskelkerne bei einer Darmpassage¬ 
zeit von 6—30 Stunden ist nach Schmidt im Sinne einer 
funktionellen (Aufhebung der Pankreasdrüsensekre¬ 
tion) oder organischen Läsion des gesamten Bauch¬ 
speicheldrüsengewebes zu verwerten. Bei kürzerem oder 
längerem Verweilen der Säckchen im Darmkanal als 6—30 Stunden 
(bei Durchfällen, hochgradiger Obstipation, überhaupt Prozessen, 
die mit Darmfäulnis einhergehen) sind die Resultate der Eernprobe 
belanglos. Das Prinzip der Eernprobe besteht also darin, daß 
Pankreassaft die Eerne der Muskelfasern auf lösen, während 
Magensaft dieselben mikroskopisch nicht verändern soll 

Mit gewisser Berechtigung war gegen alle bisherigen Unter¬ 
suchungen, die sich mit der Eernprobe beschäftigen, der Einwand 
zu machen, daß nie mit reinen Verdauungssäften experimentiert 
wurde, jedenfalls die Wirkung reinen Pankreassaftes (Trypsin) und 
Darmsaftes (Erepsin) auf die Muskelzellkerne nie studiert worden 
war. Die grundlegenden Beobachtungen Schmidt’s wurden mit 
einer Pankreatinlösung (Dr. Grübler, Dresden), also einem 
Handelspräparate, das neben Trypsinogen noch andere proteoly¬ 
tische Zellfermente enthielt, ausgefübrt; andererseits konnten be¬ 
reits im Jahre 1903 Schmidt und Wallenfang 1 ) dartun, daß 
Fleischwürfel, die an drei Hunde, denen das Pankreas exstirpiert 
worden war, verfüttert wurden, nach dem Passieren des Darmkanals 
intakte Muskelkerne aufwiesen. 

Dank der Liebenswürdigkeit des Herrn Prof. Abderhalden 
war es mir möglich, mit reinen, vom Fistelhunde gewonnenen Ver¬ 
dauungssekreten, die von Herrn Privatdozenten Dr. Babkin 
(Physiologisches Institut, St. Petersburg) freundlichst zur Verfügung 
gestellt wurden, die Nachprüfung der Eernprobe vorzunehmen. 

Nach gründlicher Wässerung wurden die in Alkohol auf be¬ 
wahrten Schmidt’schen Fleischwürfel der Einwirkung reinen 
Magen-, Pankreas- und Darmsaftes im Brutschrank bei 


1) K. Wallenfang, Über die Symptome der gestörten Funktion des Pan¬ 
kreas, mit besonderer Berücksichtigung neurer Versuche zur Prüfung derselben. 
Inaug.-Diss. Bonn 1903. 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. ßd. 9 


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130 


Strauch 


37° ansgesetzt; eine nach 1, 2, 4, 6, 8, 12 nnd 24 Standen ent¬ 
nommene Probe des Fleischstfickchens wurde nach Färbung mit 
Methylenblau resp. Häm atoxylin-Eosin mikroskopisch untersucht 

Zunächst wollen wir auf die mit Magensaft angestellten 
Versuche eingehen. Die bereits früher an nach Probefrübstöck 
ausgehebertem Mageninhalt bei analoger Versuchsanordnung wie 
der eben beschriebenen erhobenen Befunde, nach denen Pepsin¬ 
salzsäure die Gewebskerne mikroskopisch nicht wesentlich angreift 1 ), 
fanden sich auch bei Benutzung reinen Magensaftes voll bestätigt 
Nach etwa 12 Stunden war der Fleisch Würfel bis auf kleinste 
Reste verdaut; dann gelang im Sediment (Zentrifugat) des Magen¬ 
saftes der Nachweis gut erhaltener und färbbarer, etwas verkleinerter 
Muskelkerne, die größtenteils noch in Verbindung mit Muskelbrucb- 
stücken — ein unbedingtes Postulat der Kernidentifizierung — ange- 
troffen wurden. 

Um dem Einwurf zu begegnen, das Ergebnis eines in dieser 
Weise ausgeführten Reagenzglas versuches sei nicht ohne weiteres auf 
die Verhältnisse in vivo zu übertragen, stellte ich analoge Versuche 
am Magenfistelhunde an. Einem Hunde, dem nach halbtägigem 
Hungern reichlich Fleischnahrung gereicht und des öfteren während 
der Versuchszeit zur Anregung möglichst ausgiebiger Magensaft¬ 
sekretion Fleisch gezeigt wurde, führte ich gleichzeitig eine Anzahl 
an Fäden befestigter Fleischsäckchen in seinen Magen ein und ent¬ 
nahm durchschnittlich alle 2 Stunden der Magenfistel ein Beutelchen, 
das dann mikroskopiert wurde. Nach 9, selbst nach 12 Stunden 
waren die Kerne der Muskelfasern deutlich, wenn auch etwas ver¬ 
mindert, in dem gallertig gequollenen Fleischwürfel nachweisbar, 
ohne eine Strukturveränderung aufzuweisen; nach ca. 14 Stunden 
war das Säckchen leer, oder die noch übrig gebliebenen spärlichen 
Fleischpartikelchen wurden kernlos gefunden. 

Die mit reinem Magensafte angesetzten Verdauungsversuche 
lehren, daß Gewebskerne histologisch durch Pepsinsalzsäure 
keine wesentliche Veränderung erleiden, wenn auch immerhin eine 
chemische, mikroskopisch nicht zu zeigende Einwirkung aul 
die Nucleoprote'ide im Magen stattfinden mag. Der Befund, daß 
nach etwa 10 Stunden (unter normalen Verhältnissen ist der Magen 

1) Ad. Schmidt, Die klinische Bedeutung der Ansscheidnng yon Fleisch¬ 
resten mit dem Stuhlgang. Deutsche med. Wochenschr. 1899 Nr. 49 p. 813. — 
F. W. Strauch, Zur Bewertung der Ad. Schmidt’schen Kernprobe. Sind die Ge¬ 
webskerne im Magensaft löslich? Ebenda 1909 Nr.52 p. 2810. — A. Hesse, Noch¬ 
mals zur Bewertung der Schmidt’schen Kernprobe. Ebenda 1910 Nr. 3 p. 121. 


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Die Grundlage der Ad. Schmidt’schen Kernprobe. 


131 


6—7 Stunden nach der Mahlzeit leer) in den peripheren Partien 
des Fleischwürfels die Kerne aus den Sarkolemmschläuchen teil¬ 
weise herausgefallen sind (Nachweis derselben im Sediment), 
vermag die Bewertung der Pankreasfunktionsprüfung nicht zu be¬ 
einträchtigen. Der springende Punkt ist eben der, daß dann im 
Inneren des Fleischstückchens noch Kerne im Zusammenhänge mit 
Muskelfasern gefunden werden. Aus unseren Beobachtungen geht 
hervor, daß der normale wie der hyperacide 1 ) Magensaft zuerst 
das Sarkolemm und dann die Kerne angreift *), ohne jedoch mikro¬ 
skopisch nachzuweisende Veränderungen an den letzteren zu setzen. 
Bei exzessiver Hyperacidität sowie bei hochgradiger motorischer 
Mageninsufficienz wird wohl zu erwarten sein, daß die Muskelfasern 
relativ früher kernarm werden. 

Im Reagenzglas erfolgte die Verdauung des Fleischwürfels 
schneller als im Magen des Fistelhundes. Dies dürfte darauf zurück¬ 
zuführen sein, daß der klarfiltrierte Magensaft kaum Speichel ent¬ 
hielt, während der vom Fistelhunde reichlich verschluckte Speichel 
zuerst ein gewisses Hindernis für die chemische Einwirkung des 
Magendrüsensekretes auf die Nahrung abzugeben imstande war. 

Ein auffallender Unterschied war zwischen den mit reinem 
Pankreassaft ausgeführten und den bisher erörterten mit Magen¬ 
saft angestellten Verdauungsversuchen zu beobachten (vgL Ab¬ 
bildung 1—4, Methylenblaufarbungen p. 132). 

Bereits nach 3—4 Stunden waren in den Randpartien der 
Fleischwürfel, auf die Pankreassaft eingewirkt hatte, die Kerne 
vermindert und morphologisch verändert, teils blasig gequollen, 
teils unregelmäßig zackig konturiert und weniger gut färbbar; das 
die einzelnen Muskelfasern umhüllende Sarkolemm war stellenweise 
abgehoben, die Kontinuität der Muskelzellen hier und da durch 
Einbuchtungen und Einrisse unterbrochen. Nach 6 Stunden war 
die Zahl der Kerne noch mehr vermindert, sie waren beträchtlich 
geschrumpft und kaum färbbar. Die Muskelfaserzeichnung war 
verwaschen, an Stelle der Quer- und Längsstreifung eine körnige 
detritusähnliehe Masse getreten. Nach etwa 8 Stunden waren alle 
Kerne auch in der Mitte des makroskopisch etwas breiig-gequollenen 
Fleischwülfels verschwunden, d. h. aufgelöst, denn es gelang nie 
im Sediment der Nachweis von Kernen oder Kerntrümmern. 

1) F. W. Strauch, a. a. 0. p. 2310. 

2) A. Schittenhelm, Über die Umwandlung der Nahrungsnucleine im 
Kagendarmkanal. Zentralbl. für die gesamte Physiologie u. Pathologie des Stoff¬ 
wechsels 1910 Bd. V p. 60. 

9* 

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132 


Strauch 


Abbild. 1. Abbild. 2 



Normale Muskelfaser. Fleischstückehen, auf das 6 Stunden 

reiner Magensaft eingewirkt hat. 


Abbild. 3. Abbild. 4. 



Fleischstückchen, das 4 Std reinem Fleischstückchen. das6Std. reinem 
Pankreas saft ausgesetzt war. Pankreassaft ausgesetzt war. 

Wurden Fleischwürfel beispielsweise 3 Stunden dem Magen¬ 
saft ausgesetzt, so waren die dann deutlich vorhandenen Kerne 
nach 1 1 / 9 —2stündiger Einwirkung von Pankreassaft vollständig 
verdaut. 

Ehe der einwandfreie Beweis von der Richtigkeit der Grund¬ 
lage der Kernprobe erbracht werden konnte, war es nötig, das 
dritte im Verdauungstraktus vorkommende eiweißverdauende Fer¬ 
ment, das im Darm saft enthaltene Erepsin in seiner Wirkung 
auf Zellkerne zu studieren. 


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Die Grundlage der Ad. Schmidt’schen Kernprobe. 


133 


Zu diesem Zweck brachte ich analog wie in den früheren 
Versuchen Fleisch Würfel in aus einer Ileumfistel stammenden Darm¬ 
saft und konstatierte, daß nach 24—36 Stunden die Struktur der 
Muskelfasern (Zahl und Größe der Kerne etwas vermindert) fast dem 
Bilde normaler Muskelzellen glich. Ferner zeigten nach 3 ständigem 
Verweilen im Magensaft scharf konturierte Kerne, selbst nachdem 
dieselben 12 Stunden lang Darmsaft ausgesetzt waren, keine Struk¬ 
turveränderung. 

Endlich stellte ich die gleichen Versuche mit frisch berei¬ 
tetem Hundedarmpreßsaft an. Nach 24 Stunden zeigte die 
mikroskopische Untersuchung des makroskopisch etwas gequollenen 
Fleischwürfels verwaschene Quer- und Längsstreifung und eine 
ziemlich ausgesprochene Körnelung der Muskelfasern; die Anzahl 
der Kerne war beträchtlich vermindert, die Kerngröße ebenfalls 
reduziert; es lagen also Bilder vor, die große Ähnlichkeit zeigten mit 
den bei etwa nach 6 ständiger Pankreassafteinwirkung erhaltenen. 

Einige unsere Beobachtungen ergänzende Versuche wurden 
von Herrn Prof. E. London (Pathologisches Institut für experi¬ 
mentelle Medizin, St.-Petersburg), dem ich auch an dieser Stelle für sein 
freundliches Entgegenkommen bestens danke, am Ueumfistelhunde, 
dessen Pankreasausführungsgänge durchschnitten, und dessen Bauch¬ 
speichel nach außen abgeleitet worden war, angestellt. Die Ileum¬ 
fistel befand sich ca. 120 cm vom Cöcum entfernt. f)ie mit dem 
Chymus nach 7 ständigem Verweilen im Darme zurückgewonnenen 
Fleischstückchen enthielten noch deutlich Kerne; dagegen konnten 
in dem nach 3 Tagen mit dem Kote entleerten Fleischwürfel 
(minimale Reste) keine Kerne mehr nachgewiesen werden, eine 
Beobachtung, wie wir sie beim Hunde mit normaler Pankreas- 
funktion stets zu machen Gelegenheit hatten. 

Was diesen Befund, der mit Wallenfang’s Untersuchungs¬ 
resultaten im Widerspruch steht, angeht, so ist zu betonen, daß 
der Hund für diese Zwecke kein geeignetes Versuchstier ist, w£il 
bei der Seltenheit des Absetzens der Fäces (wie hier nach 3 
Tagen) auf die Gewebskerne einwirkende Darmfäulnisprozesse 
nicht auszuschließen sind. 

Über unsere Befunde im einzelnen gebe die folgende Zusammen¬ 
stellung Auskunft. 

Die durchschnittliche Zahl der im Gesichtsfeld liegen¬ 
den Zellkerne [Einstellung von etwa 3—4 Muskelfasern: Ob¬ 
jektiv F, Okular I, Zeiß, Jena] wurde durch Zählung der Kerne 
in ca. 10 Gesichtsfeldern ermittelt. 


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134 


Strauch 



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/erhalten der Schniidt'sclien Fleischwürfel. 



Die Grundlage der Ad. Schmidt’schen Kernprobe. 


135 


Die Kern größe (Längsdurchmesser) wurde mittels Objektiv F, 
Messokular III, Zeiß, Jena, bestimmt. Es sind die meist ans 25 ge¬ 
messenen Kerngrößen erhaltenen Mittelwerte, die nur ungefähre 
Vergleichswerte darstellen, angegeben (s. Tab. p. 134). 

Um die prinzipielle Verschiedenheit der Einwirkung von Magen 
(Pankreassaft) auf Gewebskerne zu demonstrieren, bedienten wir 
uns kernhaltiger roter Blutkörperchen, und zwar verwendeten wir 
frisches Hühnerblut. Die nach Abzentrifugieren des Serums 
zweimal mit physiologischer CINa-Lösung (0,9 %) gewaschenen 
roten Blutkörper wurden zu gleichen Teilen zu den betreffenden 
Verdauungsfl&ssigkeiten zugesetzt und nach bestimmten Zeiträumen 
ein Tropfen des bei 37° aufbewahrten Gemisches mikroskopiert. 

Die folgende Tabelle (vgl. auch Abbildung 5a, b, c) orientiere 
über die Versuchsresultate. 


Versuchsflttssigkeit 

Zeit 

Makro- i 
skopisch: 

Mikroskopisch: 

Morphologie 

Zell- 

gröfle 

jZell- 
; kern- 
igröße 

I. Bote Blutkörper- 

bis | 

normal 1 

normal 

ca. 

ca. 

chen 

1 nach | 
12 Std. 



12/“ 

8 ft 

II a. Rote Blntk. + 

sofort 

schmutzig- 

Protoplasma aufgelöst: 
Kerne geschrumpft; scharf 
konturiert 

1 _ 

ca. 

Magensaft 

bis 

nach 

braun 


btt 


12 Std. 





II b. Rote Blutk. 4- 

sofort 

' 

schmutzig- 

analog wie bei Ila 

_ 

ca. 

verdttnnte HCl 

bis 
nach 
12 Std. 

braun 


5 fi 

| 


III. Rote Blutk. +| 

| nach 

teilweise 

Protoplasma etw. gebläht; 

ca. 

| ca. 

Pankreassaft 

j 1 Std. 

hämolytisch 

Kernkonturen unscharf; 
beginnende Auflösung 

12 f i 

9 ff 

n 

nach 

teilweise 

Aufgelöst 

— 

— 


! 2 Std. 

i 

hämolytisch 




Abbild, öa. Abbild. 5 b. Abbild. 5 c. 



Rote Blutkörperchen 6 Stunden in reinem 1 Stunde in reinem 
(normal). Magensaft. Pankreassaft. 


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136 


Stkaüch, Die Grundlage der Ad. Schmidt’schen Kernprobe. 


Das Ergebnis vorliegender Untersuchung fasse ich folgender¬ 
maßen zusammen: 

1. Reiner Magensaft (Pepsinsalzsäure) läßt Gewebs- 
kerne unverändert. 

2. Reiner Pankreassaft (Trypsin) löst innerhalb 6—8 
Stunden Zellkerne vollständig auf. 

3. Reiner Darmsaft (Erepsin) wirkt nicht auf Zell¬ 
kerne ein. 

4. Darmpreßsaft vermag Zellkerne (wenn auch lang¬ 
sam) zu lösen. 

5. Die Richtigkeit derGrundlage der Schmidt’schen 
Kernprobe ist somit bewiesen. 

Berlin, den 1. August 1910. 


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Aus der mediz. Universitätspoliklinik und der I. mediz. Abteilung 
des Allerheiligen-Hospitals in Breslau (Prof. Dr. R. Stern). 

Beiträge zur Frage der inneren Desinfektion. 

i. 

Über antiseptische Beeinflussung der Galle durch innere 
Anwendung von Desinflcientien. 

Von 

Dr. A. Knick and Dr. J. Pringsheim. 

Die Frage, ob es durch innere Darreichung geeigneter Medi¬ 
kamente gelingt, der Galle antiseptiscbe Wirkung zu verleihen, 
ist praktisch und theoretisch von großem Interesse. Trotzdem ist 
die Zahl der Arbeiten, welche eine experimentelle Grundlage für 
die Lösung dieser Aufgabe zu schaffen suchen, nur klein. 

Die ersten Experimente stammen von Vieillard 1 ) aus dem 
Jahre 1895. Die Galle von Kaninchen, die mit verschiedenen 
Medikamenten vorbehandelt waren, wurde mit Staphylokokken- resp. 
Colikulturen versetzt. Mit dieser Mischung wurden Gelatineplatten 
gegossen. In den Versuchen mit Sublimat, Salol und salicylsaurem 
Natrium wuchsen nach Angabe des Verfassers die Staphylokokken- 
kolonien auf den Gelatineplatten viel später und dürftiger als bei 
den Kontrollversuchen, während Kalomel, Naphthol und einige 
andere Medikamente keine Wirkung erkennen ließen. Auf Coli¬ 
kulturen wurde durch keines der Medikamente ein entwicklungs¬ 
hemmender Einfluß ausgeübt. 

Analoge Untersuchungen an Menschen mit Gallenfisteln 
stellte zuerst R. Stern 2 ) an. Die Versuchsanordnung war fol- 

1) Vieillard, Etade comparative da pouvoir aatiseptiqae de la bile 4 
l etat physiologique et sous l’inflaence des sabstances medicamentenses. Thfese 
de Lyou 1895. 

2) B. Stern, Über innere Desinfektion. Festschrift für Leyden, Bd.l, Berlin 
1902. Über antiaeptische Beeinflussung von Galle nnd Ham durch innere An¬ 
wendung von Desinflcientien. Zeitschr. f. Hyg. n. Infektionskrankh. Bd. 59, 1908. 


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138 


Knick u. Pbinoshkim 


gende: Die Galle wurde zunächst unbeeinflußt, dann nach mehr¬ 
tägigem Gebrauch der betreffenden Medikamente auf ihre bakte- 
ricide Kraft gegenüber den in ihr enthaltenen Bakterien (Coli. 
Proteus u. a.) untersucht. Zu diesem Zweck wurde ihr Keimgehalt 
durch Aussaat auf Agarplatten bestimmt. Nachdem die Galle, vor 
Verdunstung geschützt, verschieden lange Zeit — bis 24 Stan¬ 
den — im Brutschrank bei 37° gestanden hatte, wurde wiedenus 
die Keimzahl in der gleichen Weise ermittelt Die ersten 
1902 mitgeteilten Versuche mit Salol, salicylsaurem Natrium and 
Aspirin ergaben ein negatives Resultat. Dagegen wurden in den 
späteren Versuchen mit Menthol beachtenswerte positive Ergeb¬ 
nisse erzielt. I 

Usener *) hat nach einem von Kuhn*) angegebenen Verfahren 
(Versetzen der Galle mit Traubenzucker, Impfen mit Fäces, Ab¬ 
messen der sich beim Brutschrankaufenthalt entwickelnden Gas¬ 
menge) in zwei Fällen von operativ angelegten Gallenfisteln mit 
Menthol, Aspirin und salicylsaurem Natrium positive Ergebnisse 
im Sinne einer Entwicklungsverzögerung erhalten. Doch lassen 
sich gegen die Methode Kuhn’s, wie Stern (1. c.) näher dar¬ 
gelegt hat, verschiedene Ein wände machen. 

Über die antiseptische Kraft der Galle nach Einnahme von 
Methylenblau hat Hamburger nach einer Mitteilung von Brauer*' 
einen Desinfektionsversuch am Gallenfistelhunde angestellt, der 
negativ ausfieL 

Crowe 1 2 3 4 * ) gibt an, daß er in mehreren Fällen von infizierten 
menschlichen Gallenfisteln durch mittelgroße Urotropindosen (täglich 
4,5 g) teils ein starkes Zurückgehen der Keimzahl, teils völlige 
Keimfreiheit der Galle erreicht habe. 

Nach Abschluß unser Versuche erschien noch eine Mitteilang 
von Eichler 6 ), nach der er in Versuchen am Gallenfistelhunde 
nach der Kuhn’ sehen Methode mit Saliformin — einem Additions* 


1) Usener, Experimentelle Beiträge zur inneren Desinfektion. Inaug- 
Diss. Bonn 1904. 

2) K n h n, Die Desinfektion der Gallenwege. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. LIH. 
1904. — Ders., Desinfektion der Gallenwege und innere Antisepsis. Manch, med. 
Wochenschr. 1904 Nr. 33. 

3) Brauer, Über die Funktionen der Leber. Zeitschr. f. physiol. Chemie 
Bd. 40, 1903. 

4) Crowe, On the exeretion of Hexamethylentetramin (Urotropin) in the hilf 
and pancreatic juice. Johns Hopkins Bull. Vol. XIX Nr. 206 April 1906. 

ö) Eichler, Zur medikamentösen Therapie der Cholelithiasis. Therapie 

der Gegenwart 1910 Heft 4. 


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Antiseptische Beeinflussung der Galle etc. 139 

prodakt von Salicylsäure und Urotropin — positive Resultate er¬ 
zielt hat 

Die im folgenden mitzuteilenden Versuche sind an Hunden 
angestellt, zum größeren Teile an Gallenfistelhunden, zum kleineren 
ohne Anlegung einer Fistel (Entnahme der Galle aus der Blase 
des getöteten Tieres). Es wurden mit Menthol und Mentholver¬ 
bindungen, Hexamethylentetramin (Urotropin), anhydro- 
methylepzitronensaurem Hexamethylentetramin (Hel- 
mitol), Methylenhippur&äure (Hippol), Salicylsäure und 
salicylsaurem Natrium, Kalomel, Terpentinöl und 
Methylenblau Versuche angestellt. Der Übergang dieser Me¬ 
dikamente in die Galle war bekannt außer beim Hippol, nach 
dessen Darreichung wir Formaldehyd in der Galle nachweisen 
konnten. 

I. Versuche an Gallenfistelhunden. 

Die Gallenfisteln wurden nach der Methode von Dastre ange¬ 
legt. 1 ) Von dem Endstück der Gallenfistelkanüle wurde eine aus 
Gummischläuchen und Metallröhren zusammengesetzte Leitung bis unter 
den Hals des Tieres geführt; hier wurde auf das Ende des Metallrohres 
ein durch Kochen sterilisierter Gummiballon aufgebunden. Während der 
Dauer eines Versuches wurde die ganze sezernierte Galle aufgefangen, 
und zwar in der Weise, daß jeden Morgen gegen 10 Uhr und jeden 
Abend gegen 6 Uhr der mit Galle gefüllte Ballon unter aseptischen 
Kautelen abgenommen und durch einen anderen ersetzt wurde. 

Mit jedem Medikament wurden Parallelversuche meist an zwei 
Hunden angestellt. 

Die Hunde waren 18—25 kg schwer. Sie ließen sich verschieden 
lange Zeit zu den Versuchen verwenden, in einem Falle mehrere Monate, 
meist nur wenige Wochen; dann fiel die Kanüle aus dem erweiterten 
Fistelgange heraus. 

Bei den Sektionen fand sich in allen Fällen eine Rötung und Schwel¬ 
lung der Gallenblasenschleimhaut, ferner eine mäßige Erweiterung der 
Gallenwege sowie Hyperämie der Leber. 

Die Galle war bei der Anlegung der Gallenflstel stets steril. 
Aber meist schon nach dem ersten, spätestens nach dem zweiten 
Ballonwechsel fanden sich zahlreiche Keime, meist Colibazillen. 

Die antiseptische Kraft der Galle konnte auf zweierlei Weise 
geprüft werden: einmal, indem ihre Wirkung auf die zufällig in 
ihr enthaltenen Bakterien untersucht wurde, und dann, indem 


1) Die Operationen wurden von Herrn Prof. Tietze und Herrn Oberarzt 
Br ade ausgeführt, denen wir auch an dieser Stelle besten Dank aussprechen. 


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140 


Knick u. Pbingsheim 


die Galle dnrch Filtrieren keimfrei gemacht und nachher mit einem 
bestimmten Mikroorganismus — wir wählten hierzu den Typhus- 
bazillus — geimpft wurde. Der letztere Weg hat den Vorteil 
daß man vergleichbare Resultate erhält und daß der Typhusbazilins 
wegen seiner geringeren Resistenz gegen Antiseptika einen emp¬ 
findlicheren Indikator abgibt als z. B. Colibazillen. 

Die einzelnen Gallenportionen wurden durch ein Berkefeldfilter 
filtriert und die sterile Galle mit einer 12 ständigen Typhusbouillon 
kultur geimpft (die Menge der zugesetzten Kultur wurde meist so ge¬ 
wählt, daß 0,001 ccm der Galle auf Agarplatten eine zählbare Aus¬ 
saat ergab). Dann wurde nach verschieden langem Stehen im Brut¬ 
schrank bei 37 0 (meist 6—8 und 22—24 Stunden) der Keimgehalt 
nochmals bestimmt. 

Nur in den Fällen, in denen sich bei diesen Versuchen eine 
Abnahme der Zahl der Typhusbazillen ergab, wurde auch ein 
Desinfektionsversuch gegenüber den in der Galle selbst enthaltenen 
Bakterien angestellt. Hierzu wurde die beim Wechseln des 
Gummiballons aus der Kanüle abtropfende Galle benutzt. 

Außerdem wurde die Galle, soweit einfache chemische Reaktionen 
zur Verfügung standen, daraufhin untersucht, ob sie die ein¬ 
gegebenen Medikamente bzw. deren Spaltungsprodukte enthielt 

ln unbeeinflußter Galle vermehrten sich beim Stehen im Brut¬ 
schrank sowohl die in der Galle enthaltenen Bakterien als auch 
die zu der sterilen Galle zugesetzten Typhusbazillen, letztere so, daß 
die Keimzahl in 0,001 ccm nach 24 ständigem Brutschrankaufent¬ 
halt unzählbar (°°) wurde. 

1. Versuche mit Menthol und Menthol¬ 
verbindungen. 

Am aussichtsreichsten schien im Hinblick auf die früheren 
Versuche Stern’s die Verwendung von Menthol zu sein. 

Es wurden mehreren Hunden 2 Tage lang je 4 g Menthol in 
Kapseln oder in Öl gelöst mit der Magensonde gegeben. Die Dosis 
entspricht etwa 0,2 g pro kg Körpergewicht. 

In allen Fällen ließ sich Menthol und Glykuronsäure in der 
Galle nachweisen. 

Zum Nachweise des Menthols wurde eine geringe Menge Galle mit 
einigen Tropfen konzentrierter Schwefelsäure erwärmt; es trat der 
charakteristische Mentholgeruch auf. Zum Nachweise der Glykuronsäure 
wurde die Galle nach Zusatz von etwas Schwefelsäure eine Stande 


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142 


Knick u. Pbingsheim 


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am Rückflußkühler gekocht 
und nach dem Erkalten fil¬ 
triert. Das Filtrat reduzierte 
Fehling’sche Lösung und gab 
die Orcinreaktion. 

In dem ersten Versuche 
(vgl. Tabelle I) trat eine 
deutliche Entwicklungsver¬ 
zögerung der Typhusbazil¬ 
len ein. Die Beeinflussung 
der in der Galle selbst ent¬ 
haltenen Bakterien war 
nicht erheblich. 

In dem zweiten Ver¬ 
suche (vgl. Tabelle II) wur¬ 
den die Typhusbazillen in 
zwei Gallenportionen völlig 
abgetötet, in zwei wei¬ 
teren stark in ihrer Ent¬ 
wicklung gehemmt. Die 
Keimzahl der frisch sezer- 
nierten Galle ging stark — 
bis etwa auf ein Fünftel 
ihres ursprünglichen Wertes 
— herab, um nach dem Aus¬ 
setzen des Menthols wieder 
anzusteigen. 

Das beste Resultat 
wurde in einem dritten Ver¬ 
suche (vgl. Tabelle III) er¬ 
zielt, bei dem nicht nur 
eine Abtötung der Typhus¬ 
bazillen in mehreren Gallen¬ 
portionen, sondern auch eine 
starke Entwicklungshem¬ 
mung und teilweise Abtö¬ 
tung der in der Galle ent¬ 
haltenen Bakterien, ein¬ 
trat. 

Da Menthol vom Men¬ 
schen nur in Verhältnis¬ 


Versuch 

mit 

Typhus¬ 

bazillen 

Versuch mit 
den in der 
Galle ent- 
halteueu 
Keimen 

Keimzahli 

in 

0,001 ccm 
nach j 

Keimzahl] 
in | 

0,001 ccmj 
nach J 

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■ 6—8 Std. 
22—24 Std. 

1 0 Std. 

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22—24 Std. 

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Tabelle III. Hund von 18,0 kg Gewicht. 



Antiseptische Beeinflussung der Galle etc. 


143 


mäßig geringen Mengen vertragen wird, andererseits die Verab¬ 
reichung möglichst großer Mentholdosen erwünscht war, wurden 
einige Versuche mit Mentholestern angestellt; letztere werden, 
wie Versuche am Menschen ergaben, in viel größeren Dosen als 
reines Menthol (auf den Mentholprozentgehalt berechnet) gut ver¬ 
tragen. Indes haben die bisherigen Versuche zu keinem positiven 
Resultate geführt, offenbar, weil zu wenig oder gar kein Menthol 
in die Galle übergeht, wie der schwache oder negative Ausfall 
der chemischen Untersuchung zeigte. 

2. Versuche mit Formaldehyd Verbindungen. 

Nächst dem Menthol schien das Hexamethylentetramin 
(Urotropin) nach den Angaben in der Literatur die meisten Aus¬ 
sichten zu bieten. Die Resultate unserer Versuche waren jedoch 
nicht günstig. Zwei Versuche — in dem einen erhielt ein 
Hund von 18,4 kg 3 Tage lang je 8 g, in dem anderen ein Hund 
von 24 kg 2 Tage lang je 12 g Urotropin — fielen negativ oder 
im Sinne einer geringen Entwicklungsverzögerung aus. Auf eine 
ausführliche Mitteilung der negativ ausgefallenen Versuche glauben 
wir hier wie im folgenden verzichten zu dürfen. 

Zum Nachweise des Urotropins wurde die BromwaBserprobe, die 
Hehner’sche Probe und die Jorissen’sehe Probe teils in der Galle 
selbst, teils im Dialysat derselben verwendet. Die ersten beiden Proben 
fielen stets positiv, die letztere stets negativ oder zweifelhaft aus. 

Ebenso wenig wirksam wie das Urotropin erwies sich das an- 
hydromethylenzitronensaure Hexamethylentetramin 
(Helmitol) in zwei Versuchen, in denen einem Hunde von 25 kg 
Körpergewicht 3 Tage lang je 10 g täglich gegeben wurden. 

Die Jorissen’ sehe Probe fiel auch hier negativ oder zweifel¬ 
haft aus. 

Außerdem wurden Versuche mit Methylenhippursäure 
(Hippol) gemacht, welches sich nach den Versuchen Stern’s (1. c.) 
als Harndesinficienz bewährt hat und auch in großen Dosen gut 
vertragen wird. Wie bereits erwähnt, wurde durch die Jo- 
rissen’sche Probe die Anwesenheit von Formaldehyd in in der 
Galle festgestellt. Im Desinfektionsversuche zeigte das Hippol eine 
nicht unbeträchtliche Wirkung: 

In einem Versuche (vgl. Tabelle IV) wurde durch Dar¬ 
reichung von 24 g Hippol im Laufe von 2 Tagen in 4 Gallen¬ 
portionen eine deutliche Entwicklungshemmung, in einer Portion 


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144 


Knick u. Pringsheim 



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Tabelle IV. Hund von 21,0 k« Gewicht. 


Antiaeptische Beeinflussung der Galle etc. 


145 


eine Abtötung der Typhusbazillen erreicht. In einem zweiten Ver¬ 
suche (vgl. Tabelle V), bei dem 25 g Hippol im Laufe von 2 '/* Tage 
gegeben wurden, war die Wirkung auf die Typhusbazillen eine 
ähnliche; die in der Galle enthaltenen Bakterien zeigten in zwei 
Portionen ebenfalls eine teilweise Abtötung. 

3. Versuche mit gleichzeitiger Darreichung von 
Menthol und Hippol. 

In zwei Versuchen wurden Menthol und Hippol gleichzeitig 
gegeben. Im ersten wurde nur die baktericide Kraft der Galle 
gegenüber Typhusbazillen untersucht. Nach 6 g Menthol und 15 g 
Hippol, die im Laufe von l'/ a Tagen verfüttert wurden, trat in 
drei Gallenportionen eine völlige Abtötung bei einer ziemlich 
großen Aussaat ein, während sich vor- und nachher eine wesent¬ 
lich geringere Aussaat in 24 Stunden bis ins Unendliche ver¬ 
mehrte (vgl. Tabelle VI). 

Im zweiten Versuche, bei dem aus äußeren Gründen nur die 
Tagesportionen der Galle aufgefangen werden konnten, fand sich eben¬ 
falls eine völlige Abtötung der Typhusbazillen in mehreren Portionen 
und eine starke Entwicklunghemmung und teilweise Abtötung 
der in der Galle enthaltenen Bakterien (vgl. Tabelle VII). 

4. Versuche mit anderen Medikamenten. 

Die Versuche mit Kalomel, SalicylVerbindungen, 
Terpentinöl und Methylenblau fielen meist negativ aus. 
Nur in einigen Versuchen trat eine geringe Entwicklungsver¬ 
zögerung ein; aber stärkere Entwicklungshemmung oder gar Ab¬ 
tötung der Bakterien wurde niemals beobachtet. 

Von Kalomel wurden einem Hunde von 23 kg 0,75 g in 1 x / 2 
Tagen, einem zweiten von 19 kg 1,0 g in 2 Tagen gegeben. 

Von salicylsaurem Natrium erhielt ein Hund (22 kg) 
15 g in l 1 /. Tagen, von Salicylsäure ein Hund (24 kg) 10 g 
in 1, ein anderer Hund (19 kg) 14 g in 2 Tagen. In diesen Ver¬ 
suchen ließ sich die Salicylsäure im Ätherextrakt der Galle mit 
der Eisenchloridprobe nachweisen. 

Von Terpentinöl wurden zwei Hunden von 24 resp. 23 kg 
Körpergewicht 3 Tage hindurch je 2,4 g gegeben. 

In zwei Versuchen mit Methylenblau erhielten die 20 kg 
schweren Hunde 3 g in 2, resp. 6 g in 3 Tagen. Die Galle war 
in diesen Versuchen blaugrün gefärbt und enthielt größere Mengen 
der Leukobase des Methylenblau. 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 10 


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Tabelle VI. Hund von 28,5 kg Gewicht. 



Antiseptische Beeinflussung der Galle etc. 


147 


II. Versuche ohne Anlegung einer Gallenflstel. 

Die Versuche an Gallenfistelhunden, die den großen Vorteil 
kontinuierlicher Beobachtung bieten, haben andererseits gewisse 
Nachteile: 

Das Anlegen der Fistel und das ständige Tragen der Kanüle, 
deren innere Platte auf der Gallenblasenschleimhaut reibt, führt 
zu einer Schädigung der letzteren (vgl. oben die Sektionsbefunde). 
So kann auch die möglicherweise bedeutungsvolle Ausscheidung von 
Medikamenten durch die Gallenblasenschleimhaut Schaden leiden. 
Vorläufig weiß man allerdings nur aus den Versuchen Crowe’s 
(1. c.) — die wir, soweit sie die antiseptische Wirksamkeit des Uro¬ 
tropins in der Galle betreffen, nicht bestätigen konnten— daß 
intravenös gegebenes Urotropin in weit größerer Menge durch die 
Gallenblasenschleimhaut als durch die Leber ausgeschieden wird. 

Ferner ist es möglich, daß mit der qualitativen und quanti¬ 
tativen Verschlechterung der Gallenabsonderung, wie sie beim 
Gallenfistelhunde infolge der fehlenden Rückresorption der Galle 
eintritt, auch die Ausscheidung von Medikamenten in ungünstigem 
Sinne beeinflußt wird. Die Medikamente machen wahrscheinlich 
einen ähnlichen Kreislauf durch wie die Gallenbestandteile und 
würden dann beim normalen Tiere durch die vom Darm her er¬ 
folgende Rückresorption und die nochmalige Ausscheidung in die 
Galle längere Zeit zur Wirkung kommen als beim Gallenfistel¬ 
hunde. Für Methylenblau hat Brauer (1. c.) einen derartigen 
Kreislauf wahrscheinlich gemacht, indem er zeigte, daß bei Gallen¬ 
fistelhunden verfüttertes Methylenblau schneller aus dem Harn ver¬ 
schwindet als bei Tieren ohne Gallenfistel. 

Wir machten daher auch Versuche in der Weise, daß Hunde 
das zu prüfende Medikament erhielten und nach einer Zeit, zu der 
man auf Grund der Versuche am Gallenfistelhunde das Maximum 
der Wirkung erwarten konnte, getötet wurden. Wie bei den 
Gallenfistelversuchen gaben wir sehr große Dosen. Diejenigen Me¬ 
dikamente, bei denen der Gallenfistelversuch negativ ausgefallen 
war, wurden einige Tage lang verfüttert. 

Mit der Galle, die aseptisch aus der Gallenblase entnommen 
wurde und sich in allen Fällen bei der bakteriologischen Unter¬ 
suchung als steril erwies, wurde je ein Abtötungsversuch mit Typhus- 
uud Colibazillen gemacht. 

Die Resultate stimmten im wesentlichen mit den an den Gallen¬ 
fistelhunden gewonnenen überein: 

10 * 


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148 


Knick u. Prinoshkim 


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Menthol (s. Tabelle VIII u. IX) und Hip pol (s. Tabelle 
XI u. XII) wirkten in je 2 Versuchen stark baktericid. Uro¬ 
tropin wirkte anch in großen Dosen nur entwicklungshemmend 
(vgl. Tabelle XIII, Typhusbazillen); in einem Falle, in dem eine 
ganz exorbitant große Dosis — 14 g innerhalb 19 Stunden einem 
Hunde von 4,4 kg — gegeben wurde, zeigte das Urotropin bakte- 
ricide Wirkung (vgl. Tabelle XIV). 

Kalomel,Salicylsäure und Terpentinöl waren unwirk¬ 
sam. Beim Methylenblau war im Gegensatz zu den Gallen¬ 
fistelversuchen eine mäßige Entwicklungshemmung zu konstatieren 
(s. Tabelle X). 


Tabelle VIII. Hund. Gewicht 4,8 kg. 


25. V. 09 10» a. m. 1,0 Menthol 
3* p. m. 1,5 „ 

6* p. m. getötet 


Versuch mit Typhnsbazillen 

Colibazillen 

Keimzahl in j 
0,001 ccm nach ) 

f 0 Std. 

6-8 Std. 

{ 22-24 Std. 

200 ! 130 

23 steril 

steril steril 


Tabelle IX. Hund. Gewicht 3,8 kg. 


25. V. 09 10** a. m. lg Menthol 

6 h p m. 1 „ „ 

26. V. 09 10* a. m. 1 „ 

6 h p. m. 1 „ _ 

27. V. 09 10“ a. m. 1 „ 

4 h p. m. getötet 


Versuch mit 

Typhusbazillen 

Colibazillen 

Keimzahl in / 

0,001 ccm nach | 22—24 Std. steril 

1200 

49 

steril 


Tabelle X. Hund. Gewicht 4,0 kg. 


16. IV. 6 h p. m. 0,5 g Methylenblau 

17. IV. 10 h a. m. 0.5 n 
getötet 


5 h p. m. 


Versuch mit Typhusbazillen Colibazillen 


0 Std. 

0,001 ccm nach | 2 2-24 S Std. 


Keimzahl in / 


460 

725 

1050 


700 

1400 

3000 


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Antiseptische Beeinflussung der Galle etc. 


149 


Tabelle XI. Hund. Gewicht 4,6 kg. 


17. IV. 09 9 h a. m. 10 g Hippol 
4 h p. m. getötet 


Versuch mit 

Typhusbazillen 

Colibazillen 

Keimzahl in ( 

0,001 ccm nach ( 22—24 Std. 

Tabelle XII. Hund. 

1430 

650 

steril 

Gewicht 3, 

875 

430 

steril 

7 kg. 

17. IV. 09 9" a. m. 3 g Hippol 

4 h p. m. getötet 

Versnch mit Typhusbazillen 

Colibazillen 

Keimzahl in \ R 

0,001 ccm nach j 22—24 Std 

Tabelle XIII. Hund. 

745 1200 

480 | 725 

90 | 300 

Gewicht 3,9 kg. 

17. IV. 09 9 h a. m. 3 g- Urotropin 

4 h p. m. getötet 

Versuch mit 

Typhusbazillen 

Colibazillen 

Keimzahl in. ( cP 1 

0,001 ccm nach j 22~24Std. 

Tabelle XIV. Hund. 

1000 I 625 

750 ! 1200 

10000 oo 

Gewicht 4,4 kg. 

26. V. 09 6 h p. m. 4 g Urotropin 

27. V. 09 10 h a. m. 4 g 

„ „ „ l h p. m. 6 g „ 

» » „ 7 b p. m. getötet 

Versuch mit Typhusbazillen 

Colibazillen 

Keimzahl in ( I 

0,001 ccm nach | 2^—24 Stil 

1300 I 

4 1 

steril 

3200 

340 

580 


Das Ergebnis der hier mitgeteilten Versuche ist, daß beim 
Hunde Menthol und Methylen hippursäure (Hippol) in 
großen Dosen der Galle antiseptische Wirkung verleihen; in 
noch größeren Dosen tut dies auch Urotropin. Die übrigen 
von uns versuchten Mittel bewirkten — wenigstens in den ange¬ 
wandten Dosen — höchstens eine geringe Entwicklungsverzögerung; 
meist zeigten sie gar keine erkennbare Wirkung. 


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Aus der med. Klinik der Akademie für prakt. Medizin zu Düsseldorf 
(Direktor: Prof. Dr. A. Hoffmann). 

Uber die Einwirkung von eiweißartigen und Eiweißkörpern 
auf die Gerinnbarkeit des Blntes. 

Von 

Dr. H. Grau, 

Dirig. Arzt der Heilst&tte Honsdorf, früherem Assistenten der Klinik. 

(Mit 3 Kurven.) 

In einer früheren Mitteilung (1) habe ich kurz über einige Re¬ 
sultate berichtet, die ich bei der Prüfung der Wirkung der Gela¬ 
tine auf die Blutgerinnung erhielt. £s sollen im folgenden einige 
weitere Versuche mitgeteilt werden, die sich an die erwähnten 
Untersuchungen anschließen. 

Auf eine ausführliche Wiedergabe der Literatur soll auch hier 
verzichtet und nur das unumgänglich Notwendige erwähnt werden. 
Versuche, die Gelatine lokal als blutstillendes Mittel zu verwenden, 
sind von Carnot(2), Heymann(3), Bauermeister(4) u. a. ge¬ 
macht worden. Ein recht interessantes Experiment, dem Ver¬ 
ständnis der gerinnungsbefordernden Wirkung der Gelatiue näher¬ 
zukommen, verdanken wir S a c k u r (5). Er hat direkt unter dem 
Mikroskop die Vorgänge beobachtet, die sich bei Zusatz einer 
5°/ 0 igen Gelatinelösung zum Blute abspielen. Sackur verwandte 
Blut, das mit physiologischer Kochsalzlösung verdünnt war. Er 
beobachtete dann eine Konglutinierung der roten Blutkörperchen, 
seine Bildung von Geldrollen, Schollen und Balken. Dabei verloren 
die einzelnen roten Blutkörperchen ihre scharfe Begrenzung. 
Sackur schloß aus seinen Versuchen, daß bei Zutritt von Gela¬ 
tine zum Blut eine Konglutinierung der Erythrocyten stattfindet 
der größtenteils anscheinend ein Ineinanderfließen ihrer Leiber folgt 
Später hat Kaposi (7) die Versuche wiederholt. Er verwandte 
teilweise direkte Betrachtung eines Bluttropfens unter dem 
Deckglase, teilweise benutzte er die Hollundermarkmethode von 


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Einwirk, von eiweißartigen n. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blutes. 151 


J. Arnold. Er sah bei Gelatinezusatz dieselben Bilder wieder, 
die Sacknr beschrieben hat. Er sah die roten Blutkörperchen zu 
mehr als ihrem doppelten Volumen aufquellen und ihre Zelleiber 
bei der Aneinanderlagerung anscheinend größtenteils ineinander- 
fließen. Diese Versuche mußten zunächst nachgeprüft werden. 

Wie einige Vorversuche zeigten, war es nicht notwendig, die 
Hollundermarkmethode zu verwenden, da die Betrachtung eines 
hängenden Blutstropfens hinreichend gute Resultate lieferte. Vor¬ 
aussetzung ist nur, daß der Blutstropfen möglichst klein genommen 
wird, damit er auch in seinem Zentrum noch gut durchsichtig 
bleibt. Läßt man einen Blutstropfen und einen Gelatinetropfen 
in dieser Weise zusammenfließen, so erhält man folgendes Bild: 
Die Gelatine scheint sehr rasch den Blutstropfen zu durchdringen, 
die Grenzen der einzelnen roten Blutkörperchen treten bald nicht 
oder kaum mehr hervor. Statt der isolierten Zellen sieht man 
nun große Mengen von ihnen zu bandartigen und zungenförmigen 
Lappen zusammengelagert, die auffallend scharf konturierte Ränder 
haben und eine auffallend dunkelrote Farbe aufweisen. Ihr Aus¬ 
sehen ist sehr homogen und kompakt. Rührt man die beiden 
Tropfen gleich anfangs rasch mit der Platinöse durcheinander, so 
erhält man nicht diese grobe balkige Struktur, sondern man sieht 
das ganze Gesichtsfeld übersät mit einzelnen Gebilden, die teils 
die Größe eines einzelnen roten Blutkörperchens nur wenig über¬ 
schreiten, teils länglich, teils von der Dicke mehrerer roter Blut¬ 
körperchen sind. Sieht man aber genauer zu, so erkennt man in 
diesem Falle bei Veränderung der Einstellung genau, daß ein 
solcher Klu&pen aus mehreren Blutkörperchen besteht, deren Kon¬ 
turen fast verwischt sind. Die Versuche wurden bei Zimmer¬ 
temperatur und mit dem heizbaren Objekttisch ausgeführt und 
hatten innerhalb der in Betracht kommenden Temperaturgrenzen 
die gleichen Resultate. Dabei war der Effekt bei Verwendung 
10 °/ 0 iger Gelatine im ganzen derselbe wie wenn man 1 °/ 0 ige nahm, 
nur stärker ausgesprochen. 

Nach 4—6 Minuten wird ein solcher hängender Mischtropfen 
immer dickflüssiger, offenbar weil die Gelatine erkaltet. Erwärmt 
man dann das Präparat über 40 °, so wird die Gelatine sehr dünn¬ 
flüssig. Erwärmt man stärker, so treten plötzlich die Konturen 
sämtlicher roten Blutkörperchen wieder hervor. Zeigte sich so 
schon, daß es sich hier nicht um ein Ineinanderfließen der Zelleiber 
handelte, so bewies das der folgende Versuch noch eklatanter: 

Setzt man zu einem solchen Gelatinebluttropfen nach einigen 


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152 


Grau 


Minuten einen Tropfen physiologischer Kochsalzlösung hinzu, so 
tritt teilweise ohne weiteres, teilweise erst nach leisem Umröhren 
mit der Platinöse eine vollständige Auflösung der Zellverbände 
ein. Die roten Blutkörperchen zeigen wieder ihr völlig normales 
Aussehen, sind genau so groß wie früher, scharf begrenzt und 
bilden häufig jetzt erst die bekannten Stechapfelformen. 

Es geht also aus diesen Versuchen hervor, daß durch die Ge¬ 
latine bei lokaler Anwendung kein Ineinanderfließen der roten 
Blutkörperchen hervorgerufen wird, sondern in der Tat nur ein 
grob mechanischer Vorgang, ein äußerliches Zusammenleimen ent¬ 
steht. Auf die Wertung dieses Vorganges soll später zurück¬ 
gekommen werden. 

Gleichwohl mußten noch in weiteren Versuchen geprüft werden, 
ob die Gelatine in vitro gerinnungsbefördernd wirkt. Es seien 
hier zunächst einige Vorbemerkungen über die Methodik, der Ge¬ 
rinnungsbestimmung des Blutes gestattet. 

Wenn man an Gerinnungsbestimmungen im Blute herangehen 
will, so muß man zunächst den Begriff der Gerinnungszeit fixieren, 
der in der Literatur verschieden gefaßt wird. Soll die Zeit bis 
zum Beginn der Gerinnung, bis zur ersten Fibrinbildung in einem 
bestimmten untersuchten Blutquantum oder aber die Zeit bis zur 
Beendigung der Gerinnung als Gerinnungszeit (G.-Z.) registriert 
werden? Dastre und Floresco(7) haben beide Zeitabschnitte 
in ihren Versuchen bestimmt, nach ihnen Sackur und Gebele (8t 
in derselben Weise. Bürcker (9) hat die Zeit bis zum Erscheinen 
der ersten Fibrinfädchen als G.-Z. registriert. Der Gerinnungsakt 
vollzieht sich erfahrungsgemäß nicht mit einem Schlage, sondern wird 
zu einem bestimmten Zeitpunkte beginnend, nach und nach stärker. 
Es ist daher von vornherein unbestreitbar, daß eine erhöhte Ge¬ 
rinnungsfähigkeit zunächst einmal in einem früheren Auftreten der 
ersten Fibrinfäden zum Ausdruck kommen kann, zweitens in einer 
Verkürzung des Ablaufes der Gerinnung. Wir konnten bei dem 
Bürcker’schen Verfahren die Beobachtung machen, daß die Zeit 
des Ablaufes der eigentlichen Gerinnung im ganzen gleich blieb 
oder vielfach auch etwas verkürzt erschien. Die eigentlich in die 
Augen springende Differenz aber zeigte sich in der Zeit, die von 
der Blutentnahme bis zum Auftreten der ersten Fibrinfäden, also 
bis zum merklichen Beginn der Gerinnung verlief. Wir haben 
daher für praktisch wichtig nur die Frage gehalten, ob sich die 
Zeit bis zum Auftreten der ersten Fibrinfäden gegen die Norm 
ändert, und haben diese Zeit als Gerinnungszeit notiert. 


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Ein wirk, von eiweißartigen n. Eiweißkörpern anf die Gerinnbarkeit des Blotes. 153 


Fast sämtliche in der Literatur vorhandenen Methoden der Ge¬ 
rinnungsbestimmung haben ihre mehr oder weniger großen tech¬ 
nischen Schwierigkeiten und Bedenken. Dementsprchend sind 
auch die Fehlergrenzen recht große. 

Von den früheren Methoden erwähne ich die von Vi erordt (11), 
von Wright (12) und die beiden Methoden von Brodie und 
Kussel(13), endlich die von Sabrazös (14). 

Eine weitere Methodik ist die, die Dastre und Floresco, 
später auch Sackur, Gebele, Kaposi und Morawitz ver¬ 
wandt haben. Das aus dem Gefäße entnommene Blut wird dabei 
in einer Menge von 2—3 ccm oder mehr in Reagensröhrchen auf¬ 
gefangen. Kaposi hat dabei wie seine Vorgänger, als Beginn 
der Gerinnung den Moment bezeichnet, wo zunächst Fibrinbildung 
im Gefäß sichtbar wird und als vollendete Gerinnung den Augenblick 
notiert, wo man das Gefäß umkehren kann, ohne daß noch ein 
Tropfen abfließt. Eine Verbesserung der Methodik war die Verwen¬ 
dung der feuchten Kammer mit konstanter Temperatur. Bei den 
älteren Untersuchungen ist das enorm wichtige Moment der Tem¬ 
peraturkonstanz, die den Eintritt der Gerinnung beeinflussen konnte, 
nicht genügend gewürdigt worden. Die Temperatur spielt eine ganz 
hervorragende Rolle. Wir wissen aus den Versuchen von B ü r c k e r, 
daß die Gerinnungsbestimmungen, die ohne Rücksicht auf die Außen¬ 
temperatur ausgeführt sind, nur sehr bedingten Wert haben. Bürcker 
fand bei seiner Methodik, wenn er von einer mittleren Temperatur 
von 18° um 5° nach oben und unten ging, Änderungen der Ge¬ 
rinnungszeit um 35 und 90 °/ 0 ! 

Man wird also bei der oben geschilderten Methodik nur dann 
einwandsfreie Resultate bekommen, wenn man, wie es Morawitz(lö) 
getan hat, die Blutröhrchen bei konstanter Temperatur in der feuchten 
Kammer beobachtet. Der Brauchbarkeit dieser Methodik steht für 
bestimmte Zwecke nur die verhältnismäßig große Blutmenge ent¬ 
gegen, die man zu ihrer Ausführung benötigt. Zu einer oft wieder¬ 
holten Kontrolle am Menschen, wie sie zu einem längeren Ge- 
rinnungsversuche notwendig ist, ist die Methodik nicht zu ge¬ 
brauchen. 

Wir haben daher in unseren Versuchen die Bürcker’sche 
Methodik verwandt. Dabei wird bekanntlich ein Blutstropfen in 
einem Tropfen destillierten Wassers aufgefangen, der bei konstanter 
Temperatur gehalten wird. In diesem Gemisch wird alle halbe 
Minuten auf beginnende Fibrinbildung gefahndet Bezüglich der 
Originalmethodik darf ich auf die Arbeiten Bürcker’s verweisen. 


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154 


Gbau 


Ich maß indes karz auf die möglichen Fehler der Methodik 
und ihrer Vermeidung eingehen. 

Wichtig ist in erster Linie peinliche Sauberkeit Wichtig ist 
ferner, wie schon oben erwähnt wurde, vor allem die genaueste 
Beachtung der Temperatur. Wir haben bei unseren Versuchen nur 
solche Resultate verwertet, die bei einer Temperatur von 25° ge¬ 
wonnen sind. Unsere Versuche haben uns weiter überzeugt daß 
die Größe des Wasser- und Bluttropfens nicht nur von erheb¬ 
licher, sondern geradezu von ausschlaggebender Bedeutung ist 
Überwiegt der Blutstropfen um eine sichtbare Menge, sagen wir 
um ein Drittel, so erhalten wir schon Verkürzungen der G.-Z. um 
eine halbe Minute und mehr, und umgekehrt. Die Abschätzung der 
Größe der Tropfen ist das schwierigste Moment bei der Erlernung 
der Technik. Wirhabenauf die Mariotte’sche Einrichtung ver¬ 
zichtet und uns mit Erfolg einer kleinen Abänderung bedient die 
zu empfehlen ist. Sie besteht darin, daß man den Blutstropfen 
zuerst neben den Wassertropfen auf das Glas legt, so daß eine 
rasche Abschätzung der Größe und eventuell noch eine Vergröße¬ 
rung des einen oder anderen Tropfens möglich ist Dann erst 
werden die beiden Tropfen miteinander gemischt. 

Die Methode ist nun in Wirklichkeit einfacher als es scheinen 
möchte (vgl. Bürcker). Immerhin ist in der Tat eine große Zahl 
von Bestimmungen erforderlich bis man die nötige Sicherheit er¬ 
worben hat. Als Versuchsfehlergrenze ist wie früher erwähnt 
wurde, 1 j i Minute anzunehmen. 

Die Gerinnungszeit des normalen Menschen, etwa 4% Minute, 
ist meist über W'ochen hinaus konstant, in längeren Zeiträumen 
können sich auch hier bei ein- und demselben Menschen beträcht¬ 
liche Unterschiede finden. Ich habe früher erwähnt, daß Tages¬ 
schwankungen beim normalen Menschen Vorkommen und daß die¬ 
selben vor allem in der Zeit nach den Hauptmahlzeiten auftreten. 
Zwar werden diese Schwankungen von einigen Autoren geleugnet 
(Hartmann) (16), ich kann mich aber auf Bürcker selbst als 
Zeugen berufen. Man vergleiche seine Versuche vom 7. u. 8. Aug. 
1908. Bürcker schloß daraus, daß ein Tagesminimum der G.-Z. 
in den frühen Nachmittagsstunden vorhanden sei. Man sieht aber, 
daß der zeitliche Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme ge¬ 
wahrt ist. Es handelt sich hier also um Schwankungen der Ge¬ 
rinnungsfähigkeit. die zweifellos von den Schwankungen der Zu¬ 
sammensetzung des Blutes abhängen, die bald nach der Nahrungs¬ 
aufnahme auftreten können. 


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Einwirk, von eiweißartigen n. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blutes. 155 


Es lag nahe, mit dieser Methode zunächst noch einmal die 
Wirkung der Gelatine in vitro zu prüfen. Zu dem Zweck wurde 
statt des Wassers Gelatinelösung in verschiedener Stärke zur Blut- 
Verdünnung im Bürcker’schen Versuch verwendet. 


Prot. Nr. 48. M., 11. April 1910, 9 h vorm. 

G.-Z. bei Verdünnung mit Wasser (gewöhnliche Methodik) 5 
Bei Verdünnung mit 1 °/ 0 Gelatine 4 1 / 9 

. » » 5 % „ 4 »/* 

b b n 10 °/o r> Ö 

Prot. Nr. 52. H., 9. April 1910, 9 h 20 vorm. 

G.-Z. bei Verdünnung mit Wasser 4 1 /, Min. 

n n x 1 °/ 0 Gelatine 4 8 / 4 „ 

5°/ 4 1 / 

V B B “ '0 B * 12 B 

« B B 10 °/o „ 4 »/, „ 


Min. 

n 

r> 

n 


Das Resultat von 5 derartigen Versuchen war das gleiche 
überall zeigte sich eine nur in den Fehlergrenzen der Methodik 
liegende Änderung der Gerinnungszeit. Einige Versuche zeigten 
übereinstimmend eine leichte Verkürzung bei Anwendung der 1 °/ 0 
Gelatine, während bei Anwendung der 10 % die G.-Z. der gewöhn¬ 
lichen wieder gleichkam. Das wäre also ein paradoxes Verhalten, 
das sicher nicht für eine Wirkung der Gelatine in vitro spräche. 
Es kann vielmehr aus den vorstehenden Versuchen mit Sicherheit 
der Schluß gezogen werden, daß in vitro der Gelatine sicher keine 
gerinnungsbefördernde Wirkung zukommt. Bürcker fand eher 
eine gerinnungsverzögernde Wirkung bei analogen Versuchen. 

Die gewöhnliche Anwendungsform, die sich in der Medizin ein¬ 
gebürgert hat, ist die subkutane Injektion. Bei unseren Versuchen 
wurde stets die 10°/ o Merck’sche Gelatine verwendet und zwar in 
einer Menge von 25—40 ccm. Ich kann mich hier auf ein kurzes 
Resume der anderwärts berichteten Versuche beschränken. In 
allen, außer einem Fall, zeigte sich nach der subkutanen Injektion 
eine charakteristische Veränderung der G.-Z. Nach einigen Stunden, 
etwa 2—4, beginn die G.-Z. zu sinken und zwar allmählich fort¬ 
schreitend bis zu einem Maximum, das im Durchschnitt etwa 
10 Stunden nach der Injektion lag. Die Verfolgung des ganzen 
Verlaufes stößt auf Schwierigkeiten, weil, wenn man früh morgens 
injiziert, die Höhe des Effekts abends gegen 4 oder 5 Uhr vor¬ 
handen ist. Man muß schon abends spät injizieren, um den ganzen 
folgenden Tag über den Verlauf verfolgen zu können. Man kann 
dann feststellen, daß die ganze Wirkungszeit etwa 14—18 Stunden 
beträgt. Dem langsamen Abnehmen der G.-Z. folgt nämlich weiterhin, 


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156 


Ghau 


nachdem das Maximum überschritten ist, ein ebenso langsames Zu¬ 
nehmen. Injiziert man morgens um 8 Uhr, so ist gewöhnlich am 
folgenden Morgen die G.-Z. wieder völlig normal. Der Grad der 
Verkürzung beträgt bis zu 85°/ 0 . Abhängig ist er auf der einen 
Seite von der Menge der verwendeten Gelatine. 

Auf der anderen Seite, und das ist der wichtigste Punkt, ist 
die Höhe der Veränderung von dem Individuum abhängig. Es zeigt 
sich durchaus nicht in allen Fällen bei Verwendung der gleichen 
Menge auch der gleiche Effekt. Einige Protokolle mögen das be¬ 
weisen. Es ist im folgenden in der 2. Kolonne die zur Zeit der 
Bestimmung gemessene Temperatur angegeben. 

Prot. Nr. 39. Sch., Blasenpolypen, schwere Blutung, Anämie. 

G.-Z. Temp. 

9. März 1910, 5 h nachm. 3 1 / 3 Min. 36,9 

10. März 8 h vorm. „ 36,4 

8,15 h 25 ccm Gel. steril Merck am rechten Oberschenkel subkutan. 


12 h 

3 Min. 

36,9 

3,45 h 

3 „ 

37,3 

6 h 

3 „ 

37,5 


Man sieht hier nur einen innerhalb der Fehlergrenzen liegenden 
Effekt, der sich allerdings über den ganzen Tag erstreckt. Man 
vergleiche damit das folgende Bild. (Es sei noch erwähnt, daß die 
Vorversuche nicht immer in derselben regelmäßigen Weise gemacht 
werden konnten, da es sich um Fälle von Hämoptoe handelte.) 

Prot. Nr. 53. N., Lungentuberkulose, Hämoptoe. 15. April 1910 


8,45 h vorm. Gel. 25 ccm 

subkutan. 




G.-Z. 


Temp. 

9 h 4 

% 474, 47* 

Min. 

36,2 

ll h 

47 4 

r 

36,6 

l h 

37* 

n 

37,4 

4 h 

2,2 

n 

38,0 

4,45 h 

1 

» 

38,7 

5,45 h 

17*, iV 4 

* 

38,7 

6,30 h 

27*- 2*/; 

n 

38,0 

16. April 1910 ll,40 h 

4 

w 

37,6 

5,40 h 

4 

V 

38,0 


Versucht man, sich über die Verschiedenheit der Wirkung 
Rechenschaft zu geben, so findet man, daß der Effekt im allge¬ 
meinen um so intensiver ist je stärker die Reaktions¬ 
erscheinungen sind, die nach der Gelatineinjektion auftreten. Es 
ist ja genügend bekannt, daß die Gelatineeinspritzung eine Reihe 


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Ein wirk, von eiweißartigen n. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blutes. 157 

von mehr oder weniger unangenehmen Begleiterscheinungen mit 
sich bringt: Fieber, ev. bis über 40°, allgemeine Mattigkeit, 
Schmerzen in den Gliedern, Schmerzen und Ödem an der Einstich¬ 
stelle, Kopfschmerz, Pulsbeschleunigung, motorische Unruhe und 
periphere Böte. Diese Erscheinungen sind in dem einen Fall mehr, 
im anderen weniger ausgesprochen. Sie fehlten in unseren Fällen 
niemals ganz. Es zeigte sich nun, daß der Gerinnungseffekt bis zu 
einem gewissen Grade mit diesen Reaktionserscheinungen parallel 
ging. Ein Beispiel dafür mögen die oben gegebenen Protokolle 
sein. Am besten läßt sich dieser Parallelismus in der Kurve ver¬ 
folgen. 

Prot. Nr. 35. Lungentuberkulose, Hämoptoe. 23. März 1910. 

Kurve 1. 

29TC1 301V 

Soja 10. 12*4 * ja 5 ja 6» 7 jo 8jo 12» 

39o 
5 5 

38 4 

5 3 

37 2 

5 1 

36 0 

Gerade diese Kurve zeigt deutlich das Parallelgehen der 
erwähnten Erscheinungen. Die Gerinnungsfähigkeit war hier un¬ 
verändert bis mittags l h . Der Temperaturanstieg erfolgte dann 
plötzlich und ebenso plötzlich der Gerinnungssturz. Damit ist 
aber nicht gesagt, daß nur dort ein Gerinnungseffekt eintritt, wo 
die Temperatur stark ansteigt. 


Prot. Nr. 54. £., Ischias. 6. Mai 1910. 

G.-Z. Temp. 

7,15 h vorm. 47 2 Min. 36,6 

8,00 h 25 ccm Gel. subkutan. 

10 h 4 1 ' 2 „ 36,5 

12 h 4, 4 „ 36,8 

2“ 2 8 / 4 , 2 % 3 „ 37,3 

4 h 2% 2 1 /, „ 37,3 

6 h 27„ 2 : 7 4 * 37,3 


Beweist schon dieses Protokoll, daß nicht absolut hohes Fieber 
zum Zustandekommen eines deutlichen Effektes nötig ist, so mußte 
doch noch der Einwand entkräftet werden, daß das Fieber an und 
für sich Erhöhung der Gerinnungsfähigkeit macht. 



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158 


Gbad 


Prot. Nr. 62. E., Progresse Lungentuberkulose. 27. April 1910. 



G.-Z. 

Temp. 

9 h 

5 Min. 

38,5 

ll,20 h 

n » 

38,4 

l h 

47 « ■ 

38,7 

3 h 

4'/« „ 

38,9 

5* 

5 

38,7 

7* 

4,4 „ 

38,7 


Ans diesem Protokoll geht schon hervor, daß mit der Fieber- 
steigerung an für sich eine Erhöhung der Gerinnungsfähigkeit nicht 
verbunden zu sein braucht. Hartmann, der der Frage seine Auf¬ 
merksamkeit zuwandte, kommt auch zu dem Schlüsse, daß Fieber 
ohne Einfluß auf die Gerinnungsfähigkeit ist. 

Indes ist noch eins zu beachten. In dem Bürcker’schen Apparat 
wird die Gerinnungsbestimmung stets bei 25* ansgeführt. Selbst 
wenn das Blut also 40° hat, ist doch der entnommene Tropfen 
zweifellos nach ganz kurzer Zeit auf die Temperatur des Thermo¬ 
staten, 25 0 gebracht. Nun wäre ein Einfluß des Fiebers in doppeltem 
Sinne möglich: Einmal so, daß gleichzeitig biologische Veränderungen 
im Blute durch die Fieberursache hervorgerufen wären, die zu 
einer Verkürzung der G.-Z. führen. Eine solche kann also nach 
unseren Versuchen wenigstens kein allgemein gültiges Gesetz sein 
Zweitens aher wäre ein Einfluß insofern möglich, als die höhere 
Temperatur rein physikalisch die Gerinnungsfähigkeit erhöhen 
könnte. Um zu sehen, ob derartige Veränderungen unter dem 
Temperatureinfluß etwa typisch vorhanden sind, wurden einige 
orientierende Versuche mit dem Bürcker’schen Apparat ausgeführt 


Prot. 

Nr. 63. Sch., 1. Mai 

1910. 

G.-Z. 


Temp. des Apparates 

25° 

4V 4 Min. 


W f* 77 

27° 

37*, 3 7 , „ 

Prot. 

Nr. 64. R., 1. Juli 1910. 

G.-Z. 

Temp. des Apparates 

25° 

37«. 3%, 37, Min. 


r» ft n 

27° 

3, t* 


Also schon eine Erhöhung der Thermostatentemperatnr um 
2 Grad bewirkt eine erhebliche Verkürzung der Gerinnungszeit 
Es wurden dann die Differenzen untersucht, die sich bei Anwendung 
der Temperaturen von 37° und 40° finden. 

Prot. Nr. 72. 8t., 20. Mai 1910. G-Z 

Temp. des Apparates 25° 4 Min. 

* * * 37 » 2 \ „ 


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Einwirk, von eiweißartigen u. Eiweißkörpern anf die Gerinnbarkeit des Blutes. 159 


Prot. Nr. 73. R., 21. Uai 1910. G-Z 

Temp. des Apparates 25 0 4, 4*/ 4 Min. 

„ „ „ 37° 2 1 / t , 2 „ 

40 ° 18 / 

» n n 1 /4 » 

Daraus geht hervor, daß sich innerhalb der in Betracht 
kommenden Breiten ein zwar geringer, aber doch sicherer Einfluß 
der Temperatur auf die G.Z. in vitro nach weisen läßt. Es fragt 
sich freilich, ob man die Resultate auf das zirkulierende Blut über¬ 
tragen darf, aber es steht dem eigentlich nichts im Wege und wir 
dürfen deshalb wohl annehmen, daß das Blut im Fieber tat¬ 
sächlich eine physikalisch bedingte, etwas erhöhte 
Neigung zur Gerinnung hat. 

Zur Erklärung der oben geschilderten Gelatinewirkungen 
kommt diese Erhöhung der Gerinnungsfähigkeit nicht in Betracht. 
Es bleibt demnach nur übrig anzunehmen, daß wir es hier mit 
biologischen Veränderungen desBlutes zu tun haben, 
die mit der Gelatinereaktion verknüpft sind. Da wir 
diese Reaktionserscheinungen als ein Abwehrphä¬ 
nomen des Organismus gegen die Einführung art¬ 
fremder eiweißähnlicher Substanzen auffassen 
müssen, so ist damit die Annahme gegeben, die Ge¬ 
rinnungsänderung mit dieser Antieiweißreaktion zu 
verknüpfen. 

Es ist hier der Ort, einen kurzen Rückblick auf die bisher in 
der Literatur niedergelegten experimentellen Ergebnisse der Ge¬ 
latineuntersuchung zu werfen. Morawitz sagt über dieses Ka¬ 
pitel in seinem großen Referat über die Chemie der Blutgerinnung: 
„In der Tat gibt es nun aber auf dem ganzen Gebiete der Ge¬ 
rinnungslehre keine Frage, über die die Ansichten auch heute 
noch weiter auseinander gehen als gerade die Frage der Gelatine¬ 
wirkung“. Wirklich sind die Ergebnisse der Forschung in dieser 
Hinsicht nicht einheitlich gewesen. 

Die ersten Versuchsergebnisse, in denen eine Gerinnungsbeför- 
derung durch Gelatine hervortritt, sind die von Gebele. Aber 
ihr Fehler ist die Unsicherheit der Methodik, die Vermischung 
zweier verschiedener Faktoren, der Gelatinewirkung und der Ein¬ 
wirkung der Blutentnahme, die an und für sich die Gerinnbarkeit 
desBlutes erhöht. Boggd(17) sah in einer Reihe von Kaninchen- 
versnchen (6/ eine ausgesprochene Abnahme der G.-Z. auf Gela¬ 
tineinjektion, die nach 1 Stunde begann und nach 12—24 Stunden 
die niedrigsten Werte erreichte. Leider ließen sich diese Resultate 


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160 


Grau 


bei weiteren Versuchen nicht wieder erzielen. Die Versuche von 
Sackur haben ein einwandsfreies Ergebnis nicht gehabt und die 
von Kaposi sind in einem wesentlichen Teil von Landmann (18 
widerlegt worden. 

Die wichtigsten Arbeiten sind die von Brat (19) und Moll (201 
Beide konnten einwandsfrei eine Globulinverraehrung nach der Ge¬ 
latineinjektion im Blutserum des Versuchstieres feststellen, hatten 
also ein typisches Ergebnis im Sinne eines positiven Gelatine¬ 
effektes. Ich komme darauf später in anderem Zusammenhänge 
ausführlich zurück. 

Kehren wir nach dieser Abschweifung auf die Geschichte der 
Gelatineforschung zu unseren Versuchen zurück, so war in unseren 
Fällen auffallend, daß die Gerinnungsveränderungen ihrem Grade 
nach in einer gewissen Abhängigkeit von dem Krankheitszustande 
des Individuums zu stehen schienen, soweit bei der bisher beschränkten 
Zahl unserer Gelatineversuche ein Urteil darüber möglich ist 

Unsere Fälle sind mit Ausnahme von zweien Tuberkulöse in 
verschiedenen Stadien. Von den beiden klinisch Nicht-tuberkulösen 
hat der eine eine Maximaltemperatur von 37,5 und eine maximale 
Gerinnungsverkürzung von V» Minute erreicht, während der andere 
eine Maximaltemperatur von 37,3 und eine Gerinnungsverkürzung 
von 2 Minuten aufwies. Die anderen Fälle, die Tuberkulosen, 
zeigten durchweg erhebliche Temperatursteigerungen (vgl. obige 
Protokolle). Auch die Gerinnungseffekte waren meist erheblich 
höher. Das Material ist ja leider klein und konnte aus äußeren 
Gründen nicht genügend vergrößert werden. Soweit sich nach 
dieser geringen Zahl ein Urteil fällen läßt, war die Reaktion auf 
die Gelatineinjektion dem Stadium der Tuberkulose proportional 
zwar nicht dem Stadium im Sinne der anatomischen Einteilung, 
sondern dem Stadium im Sinne des Grades der Tuberkulinempfind¬ 
lichkeit. Zweifellos gaben die auffallendsten Ausschläge, sowohl 
in bezug auf die Temperatur und Allgemeinreaktion, als in bezug 
auf die Gerinnungsfähigkeit die Tuberkulosen, die an und für sich 
schon fieberhaft oder subfebril waren. 

Eine Erklärung dieser Tatsache ist auf doppelte Weise mög¬ 
lich. Einmal wissen wir ja, daß der fiebernde Organismus auf 
Zuführung eines anderen fiebererregenden Agens erheblich stärker 
reagiert, als unter gleichen Verhältnissen ein völlig gesunder Or¬ 
ganismus zu tun pflegt. Krehl(21) hat schon vor langer Zeit 
den Nachweis geführt, daß die mannigfachste Beeinflussung des 
tierischen Organismus denselben empfindlicher macht gegen Ein- 


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Einwirk, von eiweißartigen u. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blutes. 161 


Wirkungen auf seine Temperaturregulierung. Als Beispiel aus der 
menschlichen Pathologie seien die interessanten Befunde angeführt, 
die man bei Frauen mit ausgesprochener menstrueller Temperatur¬ 
welle erheben kann. Solche weibliche Wesen, die eine latente In¬ 
fektion irgendwelcher Art, sei es eine rheumatische Infektion 
oder eine Tuberkulose, im Körper beherbergen, zeigen vielfach 
einen eigentümlich wellenförmigen Temperaturverlauf. Kurz nach 
den Menses ist die Temperatur völlig normal, erhebt sich dann 
allmählich, bis sie kurz vor den nächsten Menses den höchsten 
Wert, eine ausgesprochene Subfebrilität erreicht (Turban, Rie- 
bold). Man kann nun oft die Beobachtung machen, daß solche 
Frauen, wenn sie gerade kurz vor den Menses einen Schnupfen, 
eine Angina, eine Aufregung durchmachen, unter Umständen hohes 
Fieber bekommen, während dasselbe Ereignis fast spurlos vorüber¬ 
geht, wenn es gerade in die Periode des Tiefstandes des Wärme¬ 
niveaus hineinfällt. Mit der Schärfe eines Experimentes kann man 
diese Beobachtung gelegentlich bei Tuberkulininjektionen machen. 
Es wäre also möglich auf diese Weise die höhere Reaktion der 
subfebrilen oder fiebernden Tuberkulosen auf Gelatineinjektion zu 
erklären. Es ist aber noch eine zweite Erklärung denkbar. 

Wir wissen aus den Untersuchungen von Matth es (22), daß 
die Albumosen eine Wirkung auf den tuberkulösen Organismus 
ausüben, die mit der spezifischen Tuberkulinwirkung ganz parallel 
zu stellen und eigentlich nur durch die ungeheuren quantitativen 
Differenzen von ihr wesentlich verschieden ist. Matthes machte 
die außerordentlich interessante Entdeckung, daß man mit Deutero- 
albumose bei tuberkulösen Meerschweinchen und in gleicher Weise 
hei tuberkulösen Menschen Reaktionen auslösen kann, die in ihrem 
ganzen Wesen und Verlauf — Allgemein- und Herdreaktion — ganz 
der Tuberkulinwirkung entsprechen. Matthes schloß daraus, daß 
die Tuberkulin Wirkung wenigstens zum Teil eine Wirkung von 
Albumosen sei. Bewiesen war jedenfalls durch die Matthes’schen 
Untersuchungen, daß zwischen den Produkten von Tuberkelbazillen, 
die auf den Körper toxisch wirken, und den injizierten Albumosen 
eine gewisse Wirkungsgleichheit oder Verwandtschaft besteht. 

Nun ist ja die Gelatine keine Albumose, aber sie steht den Al¬ 
bumosen doch sehr nahe. Sie gehört zu den sog. Albuminoiden, Stoffen, 
die im Tierkörper wohl aus Eiweiß entstehen, auch bei der Spal¬ 
tung mit Säure teilweise dieselben Spaltungsprodukte liefern, wie 
die Eiweißkörper. Es lag also immerhin der Gedanke nahe, die 
Gelatinewirkung bei ausgesprochen tuberkulösen Individuen mit 

Deutsches Archiv f. kiin. Medizin. 101 . fid. 11 

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162 


Grau 


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der Tuberkulinwirkung in Parallele zu stellen. War dieser Ge¬ 
danke richtig, so mußte eventuell auch unter der Tuberkulin- 
Wirkung eine Veränderung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes zn- 
stande kommen. 

Tuberkulinversuche. 

Die Methodik der Untersuchung war dieselbe, die bei den 
Gelatineversuchen befolgt wurde. Es wurde zunächst die Ge¬ 
rinnungszeit bei den Patienten an einem oder mehreren Tagen 
festgestellt, dann Tuberkulin injiziert. Es zeigte sich zunächst, 
um das vorwegzunehmen, daß irgendeine akute Beeinflussung der 
Gerinnungsfähigkeit in keinem Falle auftrat. Es mußten also 
auch hier die Untersuchungen auf einen längeren Zeitraum er¬ 
streckt und speziell der Zeit des Eintritts der Reaktion die Auf¬ 
merksamkeit zugewandt werden. 


Protokoll Nr. 81. 

Th., Tuberculosis pulm. ine. 




G.-Z. 

Temp. Rektal. 

10 . 

Juni 

9,40 h 

4 Min. 

36,9 



5,55» 

4 „ 

36,9 

12 . 

Juni 

11,50 h 

4 * 

36,5 

12 . 

Juni abends 6 h Tuberkulin Kocb alt 0,001 subkutan. 1 ) 

13. 

Juni 

9,30 h 

3 Min. 

36,7 



11,50 h 

3? 3 n 

36,8 



2 h 

3 * 

36,7 



5,30 h 

n - 

37,5 



8,10 h 

2 1 /*, 3 „ 

38,6 

14. 

Juni 

9 h 

2 Vs * 

38,8 

15. 

Juni 

12 h 

4 n 

37,8 

Wie man sieht, 

ist eine Veränderung der 

Gerinnungszeit nach- 


weisbar, die auch hier in deutlicher Weise mit der Temperatur¬ 
änderung parallel geht. 

Prot. Nr. 46. W., Lungentuberkulose. 

Kurve 2. 

3 : tl \y tfv cvtv 



1) Der Patient war mit 0,0002 g reaktionslos injiziert. 


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Ein wirk, von eiweißartigen u. Eiweißkörpern anf die Gerinnbarkeit des Blntes. 163 


Die Veränderung der Gerinnungszeit, ihre Verkürzung, ist aber 
durchaus nicht an das Zustandekommen einer fieberhaften Tempe¬ 
raturreaktion gebunden. Wir fanden sie in vielen Fällen auch 
dann, wenn die Temperatur normal war, wenn keine sichere subjek¬ 
tive, oder lokale Reaktion über der Lunge zustande kam. 


Prot. Nr. 82. P., Tb. pulm. inc., fieberlos. 

G.-Z. • Temp. Rektal. 


12. Juni. 

7,40 h 

5 Min. 

36,9 

12. Juni abends 

Tuberkulin 0,0002 subkutan. 


13. Juni 

10 h 

3l /2> 3V. Min - 

37,1 


5,40 h 

3 Vt » 

36,9 

16. Juni 

9 11 

4 1 /, „ 

37,2 

16. Juni abends 

6 h Tuberkulin 0,0002 subkutan. 

17. Juni 

9 h 

3 % 3 7* Min. 

37,4 


11,50 h 

3% * 

37,2 


4 h 

3'/, . 

37,3 


6 h 

3 7« . 

37,3 

18. Juni 

9,40 h 

47. . 

37,2 

20 . Juni 

9,15 h 

4 7, . 

37,2 


In mehreren Fällen war der einzige Ausdruck der positiven 
Reaktion eine leichte Stichreaktion an der Injektionsstelle. Trotz¬ 
dem war gleichzeitig eine deutliche Beeinflussung der Gerinnungs¬ 
fähigkeit vorhanden. 

Im ganzen stehen mir 18 Tuberkulinversuche zur Verfügung. 
Die Ergebnisse sind im einzelnen folgende: 

Tuberknlinreaktion im 
weitesten Sinne 


(Jerinnungsreaktion 

+ 

+ 


Ziahl der ralie 

13 

4 

1 

0 


Die überwiegende Mehrzahl gab also einen deutlichen Ge¬ 
rinnungseffekt. Die gleichzeitig vorhandene Tuberkulinreaktion 
war dabei, wie erwähnt, meist gering. Nur 2 Fälle überschritten 
die Temperatur von 38". Im übrigen beschränkten sich die Er¬ 
scheinungen meist auf eine subjektive Reaktion oder geringe Stich¬ 
reaktion, ohne daß überhaupt eine Temperatursteigerung vorhanden 
war. Die Höhe des Gerinnungsetfektes ist verschieden. Die höchsten 
Werte wurden in den beiden Fällen mit den größten Temperatur¬ 
ausschlägen erreicht. 1. Protokoll Nr. 46 W. G.-Z. 5V a und 3 1 /* Min. 
Temperaturanstieg von 36,0 auf 38,8°. 2. Protokoll Nr. 81 Th. 

G.-Z. 4 auf 2 1 /, Min. Temperaturanstieg von 36,5 auf 38,7°. Es ist 
danach mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, claß bei hohen Aus- 

li* 


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Gbau 


KM 

w:hlägen der Temperatur, wie sie bei excessiven Tuberkulinreak- 
lIonen zustande kommen, auch eine Gerinnungsänderung entsteht, 
die dem Gelatineeffekt nahe kommt. 

Bei den übrigen Versuchen mit geringen oder ohne Temperatur¬ 
ausschläge betrug die Steigerung im Mittel etwa 1 bis höchstens 
l 1 /, Min., mehrfach lag sie auch im Bereiche der Fehlergrenzen 
(*/, Min.) und gewann nur durch ihre Dauer und zeitliche Anord¬ 
nung einen gewissen Wert. Die Dauer der Gerinnungsreaktion 
schwankte im einzelnen. In allen Fällen, in denen abends injiziert 
wurde, war der Beginn der Veränderung stets am anderen Morgen 
nachweisbar, die Höhe gewöhnlich am anderen Nachmittag. Am 
übernächsten Tage war dann die G.-Z. wieder normal. In den 
Fällen, wo eine starke Reaktion auftrat, erstreckte sich die Ge¬ 
rinnungsveränderung auch über längere Zeit, so bei dem ge¬ 
nannten Fall Th. Prot. Nr. 81. Hier wurde kurz vor dem Ab¬ 
klingen der Temperatur die G.-Z. wieder normal, die Änderung 
verlief also über mindestens 24—30 Stunden. 

Ein Wort noch über die Dosen Tuberkulin, die zur Auslösung 
eines Gerinnungseffektes notwendig waren. Es ist da interessant 
die 4 Fälle zu betrachten, in denen eine Gerinnungsreaktion nach 
Tuberkulin nicht zustande kam. Der Fall J., Prot Nr. 26, reagierte 
auf die 1. Injektion von 0,0002 T. nicht mit einer Gerinnungs¬ 
änderung. Auf die 2. Dosis von 0,0005 T. war die Reaktion auch 
in der Gerinnung positiv. Der Fall Th. zeigte auf die 1. Injektion 
von 0,0002 T. keinen Effekt, während auf die 2. Injektion von 
0,001 T. eine sehr deutliche Gerinnungsveränderung zutage trat 
Die beiden anderen negativen Fälle wurden nur einmal injiziert 
und zwar der eine Fall mit 0,0002 T., der andere mit 0,0004 T. 
Man wird wohl nicht fehl gehen anzunehmen, daß die Frage des 
positiven Gerinnungseffektes nur durch die Höhe der eingespritzten 
Dosis resp. das Verhältnis zwischen Dosis und Reaktionsfähigkeit 
des Organismus, mit anderen Worten durch die Reaktionsgrenze 
gegeben ist. Ich gebe im folgenden eine Tabelle der 6 Fälle, die 
mehrfach injiziert wurden. 


W., 30 J. alt. 
Tb. pulm. inc. 

6 . Juni. 

T. 0,0002. 

Ger.-Reaktion 

7. Juni. 

Stiebreaktion. 

+• 

Prot. Nr. 79. 

Keine 

T.-Steigerung. 

4 8 / 4 auf 3'/, Min. 


9. Juni. 

T. 0.0005. 

Ger.-Reaktion 


10 . Juni. 

Stichreaktion. 

+• 

4 1 / 4 auf 3 1 /, Min. 

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Original from 

UNIVERSFFY OF CALIFORNIA 



Ginwirk, von eiweißartigen n. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blntes. 165 


P., 33 J. alt. 12. Jnni. T. 0,0002. Ger.-Reaktion 

Tb. pulm. inc. 13. Jnni. Bnbj. Reakt. 

Prot. Nr. 82. 5 auf 3V 2 Min. 

16. Jnni. T. 0,0002. Ger.-Reaktion -f-. 

17. Juni. Temp. um 0,3 erhöbt. 4 '/ 2 auf 3% Min. 

Lokalreakt. a. d. Lunge. 


P., 25 J. alt. 22. Juni. T. 0,0002 morgens. 

Tb. pulm. inc. 22. Juni. Abends Temp. um 

Prot. Nr. 82 u. 87. 0,4 0 erhöht. Stichreakt. 

26. Juni. T. 0,0002. Sub¬ 
jektive und Stichreaktion. 


Ger.-Reaktion -|-. 
4»/, auf 3 »/, Min. 

Ger.-Reaktion -{- 
5 auf 3*/ 4 Min. 


Th., 30 J. alt. 
Tb. pulm. inc. 
Prot. Nr. 81. 


9. Juni. T. 0,0002. 

10. Juni. Stichreakt. 

12. Juni. 0,001. 

13. Juni. Temp. bis 38,6 

14. Juni. Temp. bis 38,7 


Ger.-Reaktion 0. 


Ger.-Reaktion -f- 
4 auf 2 x / 2 Min. 


E. J., 26 Jahre, 6. April. T. 0,0002. Ger.-Reaktion 0. 

Bronchopneumonie, 7. April. Temp. um 0,4 erhöht. 

Tb.-Verdacht. 

Prot. Nr. 45 u. 56. 

11. April. T. 0,0005. Ger.-Reaktion 

12. April. Temp. um0,4erhöht. 4 auf 3 ] / a Min. 


B. B., Tb. pulm. inc. 6. Juni. T. 0,0002. 

7. Juni. Stickreaktion. 
9. Juni. T. 0,0005. 

10. Juni. Stichreaktion. 


Ger.-Reaktion -}- 
4 */, auf 3 l / 4 Min. 
Ger.-Reaktion -j- 
4»/, auf 3 Vs Min. 


Es erhebt sich die wichtige Frage, ob auch der auf die Tuber¬ 
kulininjektion nicht reagierende Organismus einen Gerinnungseffekt 
gibt. Wir verfügen bis jetzt über keinen Fall, der bis zu den höch¬ 
sten Dosen Tuberkulin (0,01) negativ gewesen wäre. Die Ent¬ 
scheidung dieser Frage muß weiteren Untersuchungen Vorbehalten 
bleiben. 

Zusammenfassend konnten wir demnach feststellen, daß die 
Einspritzung von Bakterieneiweiß im Körper in ähn¬ 
licher Weise eine Gerinnungsänderung hervorrief, 
wie es die Einführung der eiweißartigen Gelatine 
tut. Das gemeinsame Merkmal, die gemeinsame Be¬ 
dingung der Wirkung ist bei beiden Stoffen eine ge¬ 
wisse Reaktion, die im Organismus durch die Injek¬ 
tion hervorgerufen wird. 

Eine Durchprüfung weiterer Eiweißkörper steht noch aus. 


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Gck igle 


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166 


Gbaü 


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Dagegen wurde weiter die Frage geprüft, ob diese Eiwei߬ 
wirkung an die parenterale Zufuhr geknüpft, oder auch durch 
die Resorption vom Verdauungstraktus aus zu erzielen sek 
An uud für sich erschien es ja möglich, daß die Wirkung vom 
Digestionstraktus aus bei entsprechender Quantität dieselbe war. 
wie bei subkutaner Zufuhr. Wir wissen ja auch vom Tuberkulin, 
daß wir damit bei Tuberkulösen per os typische Reaktionen aus- 
lösen können (Löwenstein, Huß), allerdings bei viel höherer 
Dosis. 


Prot. Nr. 86. T., 

Tb. 

pulm. inc. 

G.-Z. 

24. Juni 1910. 


10“ vorm. 

4 Min. 



4 h nachm. 

4‘/ 2 „ 

25. Juni 1910. 


7 h vorm. 

80 g Plasmon. 



8,40“ vorm. 4 1 /, „ 



11,40“ 

4 



4 h nachm. 

b 8 / 4 ■ 



7,40“ 

4 

Eine gewisse Senkung der Kurve 

ist deutlich. Da aber 

immerhin der Effekt 

nicht wesentlich 

über die Fehlergrenzen 

hinausging, wurde weiterhin eine größere Eiweißmenge verabfolgt. 

Prot. Nr. 92. R., 

Tb. 

pulm. inc. 

G.-Z. 

5. Juli 1910. 


5 h nachm. 

4 1 /* Min. 

6. Juli 1910. 


7 h vorm. 50 

g Plasmon. 



8V 

4 1 / 

* / 4 ” 



12“ 

47*, 5 „ 



4“ 

37* „ 



6“ 

3 % 37, „ 



8 “ 

3 74 „ 

8. Juli 1910. 


6,10“ vorm. 

4747. , 

9. Juli 1910. 


6,25 “ 

47* * 



12“ 

47*. 5 „ 



4“ 

5 



6“ 

47* „ 


Hier sieht man also das Bild einer normalen Tageskurve der 
G.-Z. (9. Juli) neben der Kurve des Plasmontages (6. Juli). Der 
Effekt ist ein zweifelloser. 

Die gleichen Versuche waren mit Gelatine auszufuhren. Es 
war auch hier von vornherein selbstverständlich, daß man mit 
großen Dosen Vorgehen mußte, ungleich größeren als sie subkutan 
verwendet wurden. Die Gelatine w r urde zu diesem Zweck in einer 
Menge von 10—15 g gegeben. Die Aufnahme einer derartig großen 


Gck igle 


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Eiuwirk. von eiweißartigen u. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blutes. 167 


Menge macht durchaus keine Schwierigkeiten, wenn man die Ge¬ 
latine in Form von Wein- oder Fruchtgelee verabreicht. Man 
kann dann die ganze Menge in einer großen Tasse flüssig (warm) 
verabfolgen, oder aber sie in Puddingform nach dem Erkalten 
essen lassen. Die Versuche wurden ebenso wie die Plasmon ver¬ 
suche so vorgenommen, daß das Individuum früh nüchtern um 
7 Uhr die Versuchsmenge erhielt, dann erst von 11 Uhr an die 
gewohnte Nahrung weiter bekam. 


Prot. Nr. 85. Z., 

Tb. pulm. inc. 

G.-Z. 

20. Juni 1910. 

6 h nachm. 

4 1 /, Min. 

21. Juni 1910. 

6 h nachm. 

41,' 

^ ! 2 » 

22. Juni 1910. 

7 h vorm. 10 g 

Gelatine innerlich. 


9 h 

4 % Min. 


11.35 h 

4 J/ 

^ / 0 r> 


4 h naclun. 

4 4 

•x. ^ v 


5.50 h 

ri ui; 

•■> 2 * ü 0 r> 


7,25 h 

3% * 

23. Juni 1910. 

8,25 h vorm. 

Do, 4 : > i4 „ 


1 l,35 h 

4« 

^ n » 


4 h 

4 1 / 

i 2 r» 


5,50 h 

4 1 

2 »? 

Man sieht auch hier wieder einen deutlichen Effekt im Sinne 

einer GerinnungsWirkung, wie der Vergleich des freien Tages 
(23. Juni) mit der Kurve des Versuchstages (22. Juni) beweist. 

Prot. Nr. 98. H., 

Tb. pulm. inc. 

G.-Z. 

18. Juli 1910. 

6,10 h vorm. 

4 Min. 


1 h mittags 

41 

^ , 2 * 


4 h nachm. 

4 


9 h 

4 


10 h nachm. 15 g 

Gelatine als Weiugelce. 

19. Juni 1910. 

6,10 h 

3 1 '. 2 , 3 1 , Min. 


12,15 h 

3 1 .; „ 


4 h nachm. 

Ol 1 

“ 0 r 


5 h 

2 :{ 


0 h 

3 


8 h 

3 „ 

20. Juli 1910. 

6 h vorm. 

41 0 * 


4 h 

4 ‘ * 


8 h 

4 


Hier war also die Gelatine abends 10 Uhr verabreicht. Per 


Effekt war am anderen Morgen 6 Uhr deutlich und erstreckt sich 
über den ganzen Tag. 


Es zeigte sich also, daß auch die Zufuhr von Gelatine 


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ebenso wie von einem anderen Eiweißkörper (Plas¬ 
mon) auf dem Wege der Verdauung zu einem typischen 
Gerinnungseffekt führte, wenn die Stoffe in genügender 
Menge verwandt wurden. Auf die praktische Würdigung dieser Tat¬ 
sache soll später zurückgekommen werden. Im übrigen liefern die 
Versuche der stomachalen Zufuhr einen weiteren Beweis für die 
Richtigkeit der Vermutung, daß die Einführung körperfremder ei¬ 
weißartiger Stoffe in weiterem Sinne zur Veränderung der Ge¬ 
rinnungsfähigkeit des Blutes führt. 

Die Literatur enthält eine ganze Reihe von Beobachtungen 
die sich diesen Befunden anreihen lassen. Daß die Einspritzung 
gewisser Eiweißkörper die Gerinnbarkeit des Blutes beeinflußt 
hat wohl als erster Schmidt-Mülheim (23) beobachtet. Er 
fand unter Ludwig, daß eine intravenöse Injektion von Witte- 
Pepton in einer Menge von 0,3—0,6 pro kg beim Hunde eine Auf¬ 
hebung der Gerinnbarkeit des Blutes verursacht, die bis zu 
7a Stunde, ja öfters 1 Stunde nach der Einspritzung anhält. Eis 
bleibt also Blut, das innerhalb der ersten 30 oder 60 Min. nach 
der Peptoninjektion entnommen ist, außerhalb des Körpers längere 
Zeit, oft tagelang ungerinnbar. Eine große Reihe von Nachunter¬ 
suchern haben dann die Resultate Schmidt’s geprüft (Fano(24), 
Politzer (25) u. a.). Es stellte sich weiter heraus, daß die Beob¬ 
achtungen in vollem Umfange ihre Bestätigung fanden. Die ver¬ 
schiedenen Tierarten zeigten gegenüber der Peptoninjektion ein 
verschiedenes Verhalten. Die Versuche, eine bestimmte Gruppe 
aus den Bestandteilen des Peptons herauszuschälen, die für die 
Gerinnungswirkung verantwortlich zu machen wäre, waren zu¬ 
nächst nicht von vollem Erfolge gekrönt. 

Wichtig war der Befund der Peptonimmuni tät (Schmidt- 
Mülheim-Fano). Nach dem Abklingen der Wirkung der 1. 
Peptoninjektion vergeht eine ganze Zeit, ca. 24 Stunden, während 
deren das Tier gegen eine erneute Peptoninjektion immun ist 
Spiro (26) und Ellinger wiesen nach, daß für die Erklärung 
der Peptonimmunität die Erschöpfungstheorie von Fano nicht 
ausreicht und setzten an ihre Stelle den Gedanken der Bildung 
eines Körpers, der gegenüber dem ursprünglichen Hemmungskörper 
des Peptons antagonistisch wirkt und allmählich diesem gegenüber 
die Oberhand gewinnt. Für außerordentlich wichtig halte ich an 
ihren Untersuchungen die Bemerkung, daß eine vollkommene Ana¬ 
logie der Peptonwirkung mit der Wirkung von Bakteriengiften be¬ 
steht. Hier wie dort finden sich natürlich immune Tiere, ferner 


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Einwirk, von eiweißartigen n. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blotes. 169 


künstlich giftfest gemachte Tiere, hier wie dort ein im Blutserum 
vorhandener, auf andere Tiere übertragbarer Antikörper gegen den 
Hemmungsstoff. Vollkommen verständlich ist die typische ge¬ 
rinnungshemmende Wirkung auf das Blut noch nicht. Morawitz 
nimmt ein Fehlen des Fibrinferments und außerdem die Anwesen¬ 
heit eines gerinnungshemmenden Körpers, eines Antithrombins an. 

Von späteren Autoren interessiert uns vor allem Brat. Er 
verwandte bei seinen Versuchen Pepton, Gelatine, Gluton, Anti¬ 
pepton, Trypton und Somatose. Er führte die Substanzen durch 
intravenöse Injektion dem Tiere zu und glaubt bewiesen zu haben, 
daß ein Antagonismus zwischen Gelatine und Pepton durchaus 
nicht existiert. Nach ihm ist die Wirkung der Gelatine qualitativ 
durchaus identisch mit der Pepton Wirkung. Es gelang ihm bei 
intravenöser Anwendung hoher Dosen Gelatine, einwandfrei eine 
Verlängerung der G.-Z. bei seinen Versuchstieren zu erzielen. 
Andererseits aber gelang es mit Hilfe der geprüften Eiwei߬ 
körper, an der Stelle vorheriger Intimaläsion eines Gefäßes viel 
umfangreichere Thromben zu erzeugen als bei nicht behandelten 
Tieren. Außer acht gelassen ist dabei ein wichtiger Punkt, die 
Frage der Anwendungsweise. Dagegen hat die Frage der quan¬ 
titativen Verhältnisse hier zum ersten Male ihre verdiente Be¬ 
achtung gefunden. Brat zog aus seinen Versuchen den allerdings 
auf indirekte Weise (nach der Beobachtung der Sedimentierungs- 
geschwindigkeit der roten Blutkörperchen, Biernacky (27)) ge¬ 
wonnenen Schluß, daß nach Eiweißinjektion die Globuline im Serum 
vermehrt sind, besonders die, die bei der Blutgerinnung in Be¬ 
tracht kommen. 

Die wichtigste Arbeit für unsere vorliegende Frage ist die 
von Moll. Er hat systematisch mit Eiweißkörpern verschiedener 
Art subkutan Tiere injiziert. Es zeigte sich, daß solche Tiere in 
ihrem spontan geronnenen Blut einen • viel festeren Blutkuchen 
hatten, als nicht vorbehandelte. Weiter stellte er fest, daß Tiere, 
die mit subkutanen Injektionen von Eiweißkörpern vorbehandelt 
waren, das gemeinsame und ganz gesetzmäßige Phänomen der 
Globulinvermehrung bei gleichbleibendem Gesamteiweißgehalt des 
Serums zeigten. Als Eiweißkörper wurden verwendet: Pferde¬ 
serum, einzelne, rein dargestellte Eiweißkörper dieses Serums, 
Kaninchenserum, Ziegenserum, Eieralbumin, Milch, Wittepepton. 
Nun ergaben quantitative Messungen, die nach der von R e y e (25) 
in Hofmeister’s Laboratorium ausgearbeiteten Methode vor¬ 
genommen wurden, daß nach Einspritzung von Eiweißkörpern und 


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im Verlauf der Immunisierung das Fibrinogen gegen die Norm 
an Menge zunimmt. Am stärksten ausgesprochen war diese Zunahme 
nach subkutanen Gelatine injektionen. Die Fibrinogen Vermehrung 
stand dabei anscheinend im direkten Verhältnis zu der resorbierten 
Gelatinemenge. Erst frühstens 12 Stunden nach der Einverlei¬ 
bung der Gelatine trat diese Fibrinogenvermehrung auf, bzw. war 
sie nachweisbar. Sie entsprach in ihrem Maximum etwa dem 
2 fachen der ursprünglichen Fibrinogenmenge. Gelatinezufuhr per 
os bewirkte niemals Fibrinogenvermehrung. 

Aus der neuesten Zeit sind vor allem die Untersuchungen von 
Biedl und Kraus (29) erwähnenswert. Diese Autoren erzielten 
bei ihren experimentellen Studien über Anaphylaxie durch 
Reinjektion von Eiweiß den charakteristischen anaphylaktischen 
Kollaps. Als dessen typische Zeichen beschrieben sie neben der 
tiefen Senkung des arteriellen Blutdrucks und der passiven Über¬ 
tragbarkeit ein drittes, bis dahin nicht beobachtetes Symptom, 
nämlich die nach der Reinjektion auftretende starke Herab¬ 
setzung oder völlige Aufhebung der Gerinnbarkeit 
des Blutes. Das Blut, daß solchen Tieren im anaphylaktischen 
Kollaps entnommen ist, bleibt stunden- und tagelang ungeronnen 
Die beiden Autoren machen dann auch wieder auf die weitgehende 
Analogie des anaphylaktischen Kollapses mit der Peptonvergiftung 
aufmerksam. Auch hier sind die charakteristischen Symptome: 
Vasodilatation mit Blutdrucksenkung und Herabsetzung der Ge¬ 
rinnungsfähigkeit des Blutes. Der Tatsache, daß der anaphylak¬ 
tische Kollaps innerhalb einer gewissen Zeit nur einmal hervorzu¬ 
rufen ist, entspricht andererseits die oben erwähnte Peptoniramunität. 
Es findet sich also eine in allen Details ausgesprochene Überein¬ 
stimmung der Wirkungen. 

Ob der Begriff der Anaphylaxie hier zu recht verwandt ist, 
erscheint fraglich. 

Friedemann (30), dessen Untersuchungen über Eiweißstoff¬ 
wechsel und Eiweißimmunität bekannt sind, hat darauf aufmerk¬ 
sam gemacht, daß bei den Versuchen von Biedl und Kraus viel¬ 
leicht eiue echte Anaphylaxie gar nicht Vorgelegen hat, weil nach 
seinen eigenen und anderen Versuchen eine aktive Anaphylaxie gegen 
Ehveiß bei Hunden nicht zu erzielen sei. Er hält es daher für 
sehr möglich, daß es sich in den Versuchen von Biedl und Kraus 
nicht um Anaphylaxie, sondern um primäre Giftigkeit 
des artfremden Eiweißes gehandelt hat. Diese Frage ist für 
unsere Gesichtspunkte hier zunächst von untergeordneter Bedeutung. 


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Ein wirk, von eiweißartigen u. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blutes. 171 


Die zahlreichen Arbeiten über die Gerinnungsbeschleunigung 
nach Injektion von Organextrakten, Gewebssaft, gehören nicht 
hierher, da wir hier nicht abschätzen können, inwieweit wir es 
mit der direkten Wirkung einer Thrombokinase (Morawitz) zu 
tun haben. 

Fassen wir hier noch einmal kurz unsere eigenen Versuchs¬ 
resultate zusammen: 

1. Die subkutane Injektion von Gelatine verursacht eine Ge¬ 
rinnungsbeschleunigung. 

2. Stomachale Zufuhr großer Mengen von Gelatine ruft die 
gleichen Erscheinungen, wenn auch in geringerem Grade, hervor. 

3. Ein weiterer Eiweißkörper, das Plasmon, verursacht bei 
stomachaler Zufuhr Gerinnungsänderung. 

4. Die Einführung spezifischer Eiweißkörper bei Individuen, 
die gegen diese Eiweißkörper überempfindlich sind (Tuberkulin), 
macht eine typische Erhöhung der Gerinnungsfähigkeit. 

5. Die Gerinnungsänderung nach der Gelatineinjektion geht 
zweifellos mit den Erscheinungen parallel, die als die Reak¬ 
tion des Körpers auf die Zufuhr des artfremden, eiweißartigen 
Körpers aufzufassen sind. In gleicher Weise geht auch die Ge¬ 
rinnungsänderung nach der Tuberkulininjektion mit den Über¬ 
empfindlichkeitserscheinungen Hand in Hand. Wir dürfen daher 
wohl diesen Satz verallgemeinern und sagen, daß die Gerinnungs¬ 
änderungen, die nach Eiweißinjektionen auftreten, ein Ausdruck 
der Reaktion des Organismus auf die Zufuhr artfremden Ei¬ 
weißes im weitesten Sinne des Wortes sind. 

Es ist ersichtlich, daß sich unsere Resultate den in der Lite¬ 
ratur niedergelegten in passender Weise einreihen. 

Die wichtige Frage, wie die Einwirkung der Eiwei߬ 
injektion auf den GerinnungsVorgang zu denken sei, 
ist damit noch nicht gelöst. Sie muß auch selbstverständlich 
schwierig bleiben, solange wir uns in unserer Kenntnis des Ge¬ 
rinnungsvorganges noch so unsicher fühlen. Moll will die Gela¬ 
tinewirkung, ebenso die Wirkung der übrigen Eiweißkörper nur 
durch die Vermehrung des Fibrinogens erklären, die er ja exakt 
quantitativ nachweisen konnte. Diese Fibrinogenvermehrung war 
aber erst nach frühstens 12 Stunden zu finden. Nun konnten wir 
in unseren Versuchen eine nach einigen Stunden beginnende und 
von da an ständig zunehmende Verkürzung der G.-Z. nachweisen. 
Diese Verkürzung erreichte ihren Höhepunkt etwa nach 10 Stunden, 
also kurz vor der Zeit, wo die nachweisbare Fibrinogenvermehrung 


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Grau 


erst einsetzt. Man kann schon daraus — die Richtigkeit unserer 
Ergebnisse ebenso wie der Moll’s vorausgesetzt — den Schluß 
ziehen, daß der Vorgang der Gerinnbarkeitsänderung nach Eiwei߬ 
injektion kein so einfacher ist. Nehmen wir selbst den Beginn 
der Vermehrung des Fibrinogens zu einer früheren Zeit an, als er 
mit der chemischen Methode nachweisbar ist, so wäre damit die 
Verkürzung der G.-Z. noch keineswegs erklärt. Wir müssen, um 
diese zu erklären, auf andere Momente zurückgreifen. Schon 
Alexander Schmidt nimmt an, daß die Schnelligkeit des Ein¬ 
trittes der Blutgerinnung u. a. vor allem durch die Anwesenheit 
gerinnungshemmender oder gerinnungsbeschleunigender Substanzen 
bedingt wird. Wir werden wohl nicht fehlgehen, wenn wir an¬ 
nehmen, daß hier zum mindesten eine 2 fache Beeinflussung des 
Gerinnungsvorganges statthat, einmal ein Auftreten von ge- 
rinnungsbefordernden Substanzen im Blut, oder wenigstens eine 
Beeinflussung des etwaigen Gleichgewichts gerinnungshemmender 
und gerinnungsbefördernder Substanzen im Blute im positiven 
Sinne, zweitens eine Vermehrung des spezifisch wichtigen Eiweiß- 
stoffes, des Fibrinogens. Es wird naheliegen anzunehmen, daß 
beide Momente bei Gelegenheit ein und desselben Vorganges, der 
Rückwirkung des resorbierten Eiweißkörpers auf ein bestimmtes 
Organ- oder Zellsystem entstehen. Vorerst wäre es müßig, weitere 
Schlüsse daran zu knüpfen. 

Es soll über weitere Versuche, die Beziehungen zwischen der 
beschriebenen Gerinnungsänderung durch ein spezifisches Bak¬ 
teriengift und den Gerinnungsänderungen beim „anaphylaktischen 
Kollaps“ Aufschluß zu geben, in Kürze berichtet werden. Als 
entscheidend scheinen hier dieselben quantitativen Differenzen in 
Betracht zu kommen, die z. B. auch die Gelatine- und Pepton¬ 
wirkung voneinander trennen. 

Endlich möchte ich noch kurz auf die Schlüsse eingehen, die 
wir aus unseren Untersuchungen für die Praxis der Blutstillung 
ziehen können. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Tatsache, 
daß die gerinnungsverkürzende Wirkung der Eiweißkörper an die 
Eiweißreaktionserscheinungen bis zu einem gewissen Grade ge¬ 
bunden erscheint. Wir werden daher um eine möglichst intensive 
Wirkung zu erzielen, wohl intensive Reaktionserscheinungen in den 
Kauf nehmen müssen. Daraus folgt die wichtige Aufgabe, uns 
über die Gefährlichkeit der Reaktionserscheinungen klar zu werden. 
Wir werden diejenigen Eiweißkörper, die Überempfindlichkeit ver¬ 
ursachen, bei denen wir also bei einer etwaigen Reinjektion — 


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Ein wirk, von eiweißartigen n. Eiweißkörpern anf die Gerinnbarkeit des Blutes. 173 


vielleicht noch nach langer Zeit — alle die ausgesprochenen, un¬ 
angenehmen Erscheinungen der Überempfindlichkeit bis zum ana¬ 
phylaktischen Kollaps zu befürchten haben, nur mit größter Vor¬ 
sicht anwenden dürfen. Wir werden also auf die Seruminjektionen 
zur Blutstillung erst in zweiter Linie zurückgreifen. Die Gela¬ 
tine ist in ihren unangenehmen Reaktionserscheinungen in der Lite¬ 
ratur häufig genug gewürdigt worden. Ausführliches darüber findet 
sich z. B. bei Geb eie. Auch Brat spricht sich dahin aus, daß 
wir in der Gelatine ein durchaus differentes therapeutisches Mittel 
an wenden. Nun scheint es nach den bisherigen Ergebnissen, daß 
die Gelatineinjektion keineswegs Überempfindlichkeit des Organismus 
verursacht, daß mit anderen Worten eine zweite Gelatineinjektion 
keine derartigen Erscheinungen hervorzurufen vermag, wie eine 
wiederholte Seruminjektion. Es sind ja Berichte über wiederholte 
Gelatineinjektionen in der Literatur reichlich vorhanden. Immerhin 
sind auch die primären Eiweißerscheinungen, die die Gelatine her¬ 
vorruft, unangenehm genug. Sie wurden oben schon kurz erwähnt 
Wir werden also nach den in der Literatur vorliegenden und 
unseren eigenen Erfahrungen die Gelatine in den Fällen anwenden, 
wo wir ohne Besorgnis derartige Reaktionserscheinungen in Kauf 
nehmen können, d. h. wo diese Erscheinungen, auch wenn sie 
noch so unangenehm sind, gegenüber der vorhandenen Verblutungs¬ 
gefahr nicht in Betracht kommen. 

Als wirksame Dosis ist auch nach unseren Untersuchungen 
die von 30—40 g 10 7 0 Gelatine beim Erwachsenen zu empfehlen. 

Eine besondere Würdigung verdient noch die Anwendung beim 
Tuberkulösen. Wir haben schon darauf aufmerksam gemacht, daß 
wir die Reaktionserscheinungen nach Gelatine beim Tuberkulösen 
wahrscheinlich deshalb so stark sehen, weil die Gelatine im tuber¬ 
kulösen Organismus eine ähnliche Wirkung entfaltet, wie sie 
Matthes für die Albumosen nachgewiesen hat, d. h. eine quan¬ 
titativ ungeheuer abgeschwächte Tuberkulin Wirkung. Während 
wir nun bei fieberfreien Tuberkulösen diese Reaktionserscheinungen 
rasch vorübergehen sahen, haben wir bei schon früher fiebernden 
oder snbfebrilen Individuen einen derartigen Kurvenverlauf gesehen, 
daß wir nicht umhin konnten, der Gelatine eine ungünstige Wir¬ 
kung auf die Temperaturverhältnisse zuzuschreiben (s. Kurve 3 u. 4). 

Es scheint aus diesen und ähnlichen Kurven hervorzugehen, 
daß durch die Gelatineinjektion nicht nur ein einmaliger rasch vor¬ 
übergehender Temperaturanstieg ausgelöst wird, wie bei den fieber¬ 
freien eine Tuberkulosen, sondern daß im Anschluß an die Gelatine- 


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Kurve 3 und 4. 



injektion verschleppte Reaktion oder eine größere Labilität der 
Temperatur auftreten kann, die immerhin einige Zeit anhalten kann 
in derselben Weise etwa wie eine verschleppte Tuberkulinreaktion. 
Wenn auch diese Beobachtungen der weiteren Bestätigung durch 
ein größeres Material bedürfen, so scheinen sie doch dafür zu 
sprechen, daß man jedenfalls bei der Anwendung der Gelatine bei 
Fiebernden oder progressen Tuberkulosen die Gefahr gegen den 
zu erreichenden Nutzen vorsichtig abwägen muß. 

Im übrigen w’iirde die Anwendungsweise der Gelatine in erster 
Linie eine prophylaktische sein. Wir sahen bei unseren Versuchen, 
daß der Eftekt erst nach Stunden beginnt und erst nach 6—8 Stunden 
eine Höhe erreicht, die erheblich in die Wagschale fallen kann. 
Wir können also nicht erwarten, mitten in einer Blutung von der 
subkutan angewandten Gelatine einen momentanen Erfolg zu sehen. 
Wohl aber dürfen wir, wenn wir die akute Blutung anderweitig 
bekämpft haben, wo wir eine Wiederholung der Blutung als eine 
große Gefahr befürchten, bei fortdauernder Blutung, oder endlich 
in solchen Fällen, wo wir das erste Auftreten einer Blutung als 
etwas Deletäres befürchten müssen, von einer Gelatineinjektion Er¬ 
folg erwarten. 

Die Anwendung von Gelatine per os gibt einen zweifellosen 


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Ein wirk, von eiweißartigen u. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blutes. 175 


Gerinnungseffekt, aber nur wenn Gelatine in genügend großen 
Dosen, also mindestens 15 g auf einmal gegeben wird, und auch 
dann nur in beschränktem Maße, in einem Maße, das praktisch 
offenbar nicht allzusehr in die Wagschale fallen kann. Wir dürfen 
ja nicht vergessen, daß bei dem Zustandekommen einer Blutung 
eine Reihe von Faktoren neben der Gerinnbarkeit des Blutes eine 
Rolle spielen: Der Zustand des Kreislaufs, etwaige Blutdruck¬ 
schwankungen, ferner lokale Gefaßverhältnisse, alles Momente, die 
von einer solchen Bedeutung sein können, daß neben ihnen die 
Erhöhung der Gerinnungszeit um 25 °/ 0 keine erhebliche Bedeutung 
hat. Immerhin mag man die Verabreichung der Gelatine per os 
als unterstützendes Moment empfehlen, weil man hier zugleich ein 
dem Kranken angenehmes und empfehlenswertes Nahrungsmittel 
gibt. 

Wie es mit der lokalen Verwendbarkeit der Gelatine steht, 
darüber sind exakte Untersuchungen noch nötig. Es ist jedenfalls 
anzunehmen, daß eine gewisse Konglutinierung der roten Blut¬ 
körperchen stattfindet. Gleichzeitig aber ist es nicht wahrschein¬ 
lich, daß dieser ein erheblicher blutstillender Effekt zukommt. 
Jedenfalls wäre zu diesem Zwecke die Anwendung einer möglichst 
konzentrierten und kurz vor dem Gerinnen stehenden Gelatine zu 
empfehlen, um das mechanische Zuleimen zu befördern. Ob bei 
der Berührung der Gelatine mit der Gefäßwand oder dem Gewebe 
noch eine Kontaktwirkung anderer Art vorhanden ist, wäre noch 
erst festzustellen. 


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23. A. Schmidt-Mülheim, Beiträge zur Kenntnis des Peptons und seiner 
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28. Heye, Über Nachweis und Bestimmung des Fibrinogens. Ing.-Diss. Stra߬ 
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29. A. Bi edel u. R. Kraus, Experimentelle Studien über Anaphylaxie. Wien, 
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30. Friede mann, Über Anaphylaxie. Med. Klin. 1910 Nr. 17. 


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Aus der medizinischen Poliklinik und ambulanten Kinderklinik 
der königl. Universität Würzburg. 

• Vorstand: Prof. Dr. Matterstock. 

Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose 

des Magencarcinoms. 

Von 

Priv.-Doz. Dr. Fanlhaber 

in Würz bürg. 

(Mit 10 Abbildungen.) 

Zu den mannigfachen Bestrebungen, die Diagnose des Magen¬ 
carcinoms zu fördern, ist in den letzten Jahren noch die Röntgen- 
Untersuchung hinzugekommen. Bald zeigte sich, daß dieser völlig 
neue Weg zur Erkennung der Krankheit äußerst Vielversprechen¬ 
des leistete und in der Tat ist heute die Röntgendiagnostik des 
Magencarcinoms vielerorts eine regelmäßig geübte Methode, völlig 
gleichberechtigt den natürlich nebenher in vollem Umfang an¬ 
gewendeten klinischen Untersuchungsmethoden. Aber die Bewer¬ 
tung des neuen Verfahrens ist doch bis heute noch eine schwan¬ 
kende geblieben und Enthusiasten und Skeptiker stehen sich hier 
wie bei allen neuen Dingen gegenüber. Und vielfach will es 
mir scheinen, als ob gerade die internen Kliniker nicht zu den 
ersteren gehörten. Man betrachtet die Röntgendiagnostik des 
Magencarcinoms als ein meist unnötiges Anhängsel der bisherigen 
diagnostischen Methoden, welchem nnr eine sekundäre Bedeutung 
— etwa die einer an sich überflüssigen Bestätigung der schon 
feststehenden Diagnose oder gar nur die einer Dekoration der 
Krankengeschichte — zukommt. Aus solchem Geiste heraus ist 
das Urteil geboren, welches ich erst vor kurzem aus dem Munde 
eines Klinikers von Ruf gelesen habe: „Die Röntgenuntersuchung 
kann die Diagnose des Magencarcinoms unterstützen, doch zeigt 
sie deutliche Tumoren gewöhnlich erst dann, wenn solche auch auf 
andere Weise diagnostizierbar sind.“ Ein solches Urteil unter¬ 
schätzt die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose 

Deatsohes Archiv t. klin. Medizin. 101. Bd. 12 


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Faulhabkb 


des Magencarcinoms ganz erheblich. Wahr ist ja, daß in einer 
sehr großen Zahl von Fällen die Diagnose auch ohne Röntgen 
gemacht werden kann, aber es bleibt doch immer eine Anzahl von 
Fällen übrig, wo das Röntgenverfahren das entscheidende Wort 
spricht und damit seine Überlegenheit über die bisherigen Methoden 
bekundet. Unter welchen Umständen dies stattfindet, das zu unter¬ 
suchen ist der Zweck der nachfolgenden Arbeit, welche damit zu¬ 
gleich die Bedeutung des Röntgenverfahrens für die Diagnose des 
Magencarcinoms dartun soll. Der Arbeit sind 56 in den letzten 
2 l l t Jahren von mir beobachtete Carcinomfälle zugrunde gelegt- 
Ein Teil davon entstammt dem Materiale der medizinischen Poli¬ 
klinik und ambulanten Rinderklinik in Würzburg, an deren Röntgen¬ 
laboratorium der Verfasser seit einer Reibe von Jahren tätig ist. 
der andere Teil entstammt der eigenen Praxis. Dem Vorstand ge¬ 
nannter Klinik, Herrn Prof. Dr. Matterstock, welcher in der 
Regel die Güte hatte, den Durchleuchtungsbefund der klinischen 
Fälle zu kontrollieren, sei für die freundliche Überlassung dieser 
Fälle, sowie sein stetes Interesse an der Arbeit der gebührende 
Dank ausgesprochen. 

Das Wesen der röntgenologischen Carcinomdiagnostik wird 
hier als bekannt vorausgesetzt. Ich will nur daran erinnern, daß 
ein Magencarcinom für gewöhnlich erst dadurch röntgenologisch 
sichtbar wird, daß es einen Defekt im Füllungsbilde erzeugt. Es 
ist wohl überflüssig zu bemerken, daß das Röntgenbild dabei nur 
über die Tatsache eines bestehenden Tumors und niemals etwas 
über die Spezifität des Prozesses Aufschluß geben kann; aber mit 
derselben Wahrscheinlichkeit, mit der wir eine längere Zeit be¬ 
stehende Dämpfung der Lungenspitze für tuberkulös halten, dürfen 
wir Tumorbildung von charakteristischer Form und an typischem 
Sitze des Magens für Carcinom erklären. Bezüglich der Unter¬ 
suchungstechnik, wie wir sie üben, sei auf meine Monographie 
„Die Röntgenuntersuchung des Magens“’) hingewiesen, in welcher 
dieselbe eine eingehende Darstellung gefunden hat. Nur so viel 
sei hier angedeutet, daß wir als Hauptmethode die Röntgen- 
oskopie im Stehen nach Genuß von Bismutbrei oder Bismut¬ 
bolusaufschwemmung 2 ) verwenden und von der Methode der Schirm¬ 
pal pation ausgiebig Gebrauch machen. 


1) Archiv f. phvsikal. Medizin 1908 Heft 3 u. 4, 1909 Heft 1. 

2) In neuester Zeit verwende ich mit gutem Erfolge das von Kästle in 
die Röntgentechnik eingeführte Zirkonoxyd (Kontrastin). 


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Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose des Magencarcinoms. 179 

Dabei ist auf die Prädilektionsstellen des Magencarcinoms das 
Hauptaugenmerk zu richten. Speziell ist die genaue Durchforschung 
der Pars pylorica von ganz besonderer Wichtigkeit. Hier ist nun 
oft die Beurteilung eine schwierige, wegen der in der Norm schon 
individuell sehr verschiedenen Form, Lage und Größe dieses Magen¬ 
abschnittes. Deshalb ist die Beobachtung der in diesem Magen¬ 
abschnitt ganz besonders regen Peristaltik von größter Bedeutung, 
insofern, als ihr normaler Ablauf auf anatomische Intaktheit der 
Magenwand dortselbst schließen läßt. 

Die schönen kinematographischen Röntgenuntersuchungen von Rosen - 
thal, Rieder und Kästle haben gezeigt, daß die Magenperistaltik 
an der Pars pylorica in etwas anderer Weise vor sich geht, als man 
bisher beobachtet hatte. *) Diese Untersuchungen haben nicht nur einen 
hohen wissenschaftlichen Wert, sondern auch praktisch klinische Be¬ 
deutung, wie an einem beigegebenen Falle dargelegt wird. Man wird 
aber daraus nicht etwa schließen dürfen, daß jetzt die Röntgenkinemato¬ 
graphie ihren Einzug in die Röntgen praxis halten soll. Dazu ist diese 
Methode viel zu schwerfällig und nicht im entferntesten zu vergleichen 
mit ihrer Schwester, der Kamerakioematographie. Die einfache Schirm¬ 
untersuchung muß und wird vielmehr in der Praxis zur Beobachtung der 
Bewegnngsvorgänge am Magen genügen. Sie ist ja vielleicht weniger 
genau und vor allen Dingen subjektiv gefärbt: aber bis heute erfreuen 
sich doch in der praktischen Medizin zahlreiche subjektive Methoden der 
allgemeinen Anerkennung. Das Verhältnis der einfachen Schirmbeobach¬ 
tung zur Röntgenkinematographie scheint uns dasselbe zu sein wie zwischen 
Herzauskultation und elektrischer Registrierung der Herztöne bzw. Herz- 
bewegungen; zweifellos kommt man mit der letzten Methode wissen¬ 
schaftlich weiter, ohne daß darum die praktische Bedeutung der 
enteren eingeschränkt wird. 

Wenn wir nun im einzelnen auf die Bedeutung der Röntgen¬ 
untersuchung für die Diagnose des Magencarcinoms eingehen wollen, 
so drängt sich eine Frage hier vor allen anderen auf: Was leistet 
das Röntgenverfahren für die Frühdiagnose dieser Krankheit. 
Man kann unter dem Begriff einer klinischen Frühdiagnose des 
Magencarcinoms — wie Boas 9 ) treffend auseinander setzt — alles 
mögliche verstehen, und wir wollen hier deshalb den Begriff rein 
pathologisch-anatomisch fassen und darunter die Erkennung des 
Carcinoms in seiner ersten Entwicklung verstehen, wo dasselbe 

1) . Ich habe inzwischen in zahlreichen Fällen durch bloßeLeuchtschirm- 
eobachtnng mich überzengen können, daß die Peristaltik in der Pars pylorica 

in der Tat in der angegebenen Weise ablänft; ein Teil normaler Fälle aber 
zeigte Abweichungen von diesem typischen BewegungsvorgaDg, — worauf ich 
an dieser Stelle nicht näher eingehen kann. 

2) Boas, Diagnostik u. Therapie der Magenkrankheiten II. Teil 5. Aufl. 
p. 271 ff. 

12 * 


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Faulhaber 


etwa die Große einer Haselnuß oder eine noch geringere besitzt 
Hier mnß nun klipp und klar gesagt werden, daß ein Carcinom 
von solcher Größe auch der genauesten Röntgenexploration ent¬ 
gehen muß, weil der von ihm gesetzte Füllungsdefekt zu klein ist, 
um bemerkt zu werden. Dagegen ist es wohl denkbar, daß ein 
Tumor von Walnußgroße unter günstigen Umständen z.B. Sitz in der 
Pars pylorica und bei magerem Individuum, durch charakteristische 
Erscheinungen (Füllungsdefekt, Anomalie der Peristaltik) sich be¬ 
merkbar machen könnte. Ob je ein Carcinom von dieser Größe 
röntgenologisch entdeckt wurde, ist mir nicht bekannt; jedenfalls 
war unter meinen eigenen Fällen das kleinste schon erheblich 
größer, nämlich 4—5 cm im Durchmesser (laut Operationsbericht 
von Fall 40); in vielen meiner Fälle handelte es sich aber am 
Tumoren noch ansehnlicherer Größe, sogar bis Apfelgröße and 
darüber. 

Man wird daraus nicht folgern dürfen, daß ein Magencarcinom 
diese Größe besitzen muß, um sich röntgenologisch bemerkbar za 
machen und daß also die Röntgenmethode bei kleineren Tumoren 
versagen müsse. Die frühzeitige Erkennung des Magencarcinoms, 
die röntgenologische so gut, wie die klinische, begegnet eben 
ganz besonderen äußeren und inneren Schwierigkeiten. Äußeren — 
indem der Patient gewöhnlich erst geraume Zeit nach dem wirk¬ 
lichen Beginn der Erkrankung den Arzt aufsucht. Denn es steht 
fest, daß das Magencarcinom eine Latenzperiode besitzt, daß es 
eine verschieden lange Zeit von oft beträchtlicher Dauer bestehen 
kann, ehe es seinem Träger überhaupt Magenbeschwerden macht 
Und von diesem Zeitpunkt bis zu dem Moment, wo der Kranke 
seine anfänglich stets gehegte Meinung einer harmlosen Dyspepsie 
aufgibt, und den Arzt aufsucht, vergeht häufig wiederum geraume 
Zeit, welche je nach der Indolenz des Patienten verschieden groß 
ist. So passiert es fast stets, daß der Arzt diesen erst auf der 
Höhe des vollentwickelten Leidens zu sehen bekommt und es ist 
wohl immer ein Zufall, wenn ihm einmal ein Patient mit einem 
sich eben entwickelnden Magencarcinom unter die Finger kommt 
Aber gesetzt, dieser Zufall ereigne sich im konkreten Fall, so sind 
die großen inneren Schwierigkeiten einer klinischen Frühdiagnose 
bekannt. Es gibt keine einzige Methode, abgesehen von der noch 
in ihren ersten Anfängen stehenden Gastroskopie, welche hier 
wirklich Positives leistet und man wird in einem solchen Falle 
Verdacht auf Magencarcinom nicht einmal schöpfen, geschweige 
denn über den bloßen Verdacht eines solchen hinauskommen können. 


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Die Bedeutung der ßöntgenuutersuchung für die Diagnose des Magencarcinoms. 181 


Auch das Röntgenverfahren besitzt hier keine besseren Chancen 
und darin, daß die wirkliche Frühdiagnose des Magencarcinoms 
durch sie gefördert werde, beruht die Bedeutung der Röntgen¬ 
untersuchung sicherlich nicht. 

Um die letztere vielmehr voll würdigen zu können, müssen wir 
vor allen Dingen betrachten, was das Verfahren in der Diagnose 
des Magencarcinoms überhaupt, verglichen mit den bisherigen 
klinischen Methoden, leistet. Wir haben ein Urteil über diese 
Frage zu gewinnen gesucht, indem wir seit mehreren Jahren nicht 
nur alle Fälle von klinisch diagnostiziertem Magencarcinom, in 
denen dies tunlich war, einer Röntgenuntersuchung unterwarfen, 
sondern auch alle klinisch zweifelhaften Fälle, sowie diejenigen, in 
denen nur Verdacht darauf bestand, röntgenuntersuchten. So 
haben wir allmählich ein Material von insgesamt 86 Fällen er¬ 
halten, in denen die Röntgenexploration auf Magencarcinom positiv 
gewesen ist, von denen aber nur die in den letzten 2'/, Jahren 
beobachteten 56 Fälle dieser Arbeit zugrunde gelegt sind. 

In allen Fällen nun, in denen die klinische Dia¬ 
gnose Magencarcinom außer Zweifel stand, hat die 
Röntgenuntersuchung ein positives Ergebnis ge¬ 
liefert. 39 Fälle der Arbeit gehören in diese Kategorie, näm¬ 
lich die Fälle 1, 3, 7, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 17, 20, 21, 22, 23, 

24, 25, 26, 27, 28, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 40, 41, 42, 46, 

47, 48, 49, 50, 51, 53, 55. Ein Fall, in dem die klinische Dia¬ 

gnose sicherstand und die Röntgenuntersuchung versagte, hat sich 
also in den letzten 27 a Jahren bei uns nicht mehr ereignet. Es 
ist mir wichtig, dies festzulegen, da ich in meiner oben citierten 
Arbeit: „Die Röntgenuntersuchung des Magens“ unter einem 
Material von 24 klinisch sicheren Carcinomen immer noch in 4 
Fällen keinen typischen Röntgenbefund erheben konnte. 

Heute ist es mir kaum mehr zweifelhaft, daß technische Unter¬ 
suchungsfehler bzw. mangelnde Übung in der Deutung der Bilder 
dieses Resultat verschuldet hat. Jedenfalls müssen wir nach unseren 
neueren Erfahrungen sagen, daß wir in allen klinisch sicher¬ 
stehenden Fällen ein positives Röntgenergebnis erwarten dürfen. 

Hier zeigt sich also die Röntgenuntersuchung als durchaus 
ebenbürtig den alten klinischen Methoden und die Bedeutung dieser 
Konstatierung liegt darin, daß das Röntgenverfahren in manchen 
Fällen als das schonendere — ich erinnere nur an die Fälle mit 
kürzlich überstandenen Blutungen, wo Sondenuntersuchung nicht 
opportun erscheint — auch einmal für sich allein in Betracht 


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kommen darf. Damit soll natürlich nicht etwa der Röntgenunter¬ 
suchung souveräne Bedeutung zuerkannt sein, vielmehr behalten 
die bisherigen klinischen Methoden ihre volle Wichtigkeit, wenn 
auch zu sagen ist, daß der Wert eines typischen Röntgenbefundes 
für die Diagnose höher anzuschlagen ist, als der irgend eines 
anderen objektiven Symptoms, von welchen bekanntlich keines für 
sich eindeutig ist. Klinische Untersuchung und Röntgen verfahren 
stehen ja heute erfreulicherweise nicht mehr im Gegensatz, sondern 
beide sind notwendig und die eine soll und muß die andere er¬ 
gänzen. 

So wird man auch nicht sagen können, daß die Anwendung 
des Röntgen Verfahrens in dieser Kategorie, welche 69,6 °; 0 unserer 
Fälle überhaupt umfaßt, überflüssig 1 ) gewesen sei, wenn ihm auch 
prima vista nur die sekundäre Bedeutung einer allerdings will¬ 
kommenen Bestätigung der schon an sich feststehenden Diagnose 
zuzukommen scheint. Aber bei genauerem Zusehen leistet hier 
die Röntgenuntersuchung weit mehr und sie bedeutet eine erheb¬ 
liche Verfeinerung unserer Diagnostik. Und diese besteht darin, daß 
nicht nur die Zugehörigkeit eines klinisch palpablen Tumors zum 
Magen erwiesen, sondern daß auch eine Lokaldiagnose desselben 
ermöglicht wird, in dem Sitz und Ausdehnung des Carcinoms zu 
bestimmen ist. 

Wegen der ungemein variablen Form, Lage und Größe des 
Magens können Magentumoren fast in jeder Bauchregion liegend 
gefunden werden. Ein Tumor z. B. sei im Epigastrium und zwar 
dicht unterhalb des Rippenbogens in der verlängerten linken Para- 

1) Daß sie nicht überflüssig ist, indem bei scheinbar klinisch ganz glatt 
liegenden Fällen doch ein Irrtum in der Diagnose möglich ist, dafür ist der 
nachstehende Fall ein Beispiel: 

Amalie M., 23 Jahre alt, wird mir am 1. Februar 1908 von chirurgischer 
Seite mit der Diagnose Carcinom der kleinen Kurvatur behufs diagnostischer Aus¬ 
heberung zngesandt. Das Mädchen klagt seit 2 Monaten Uber Magenbeschwerden, 
starkem Druck nach dem Essen, Appetitlosigkeit, Obstipation, 12 Pfd. Gewichts¬ 
abnahme. In der Medianlinie ist etwa in der Mitte zwischen Processus xiphoi- 
deus und Nabel ein faustgroßer, länglicher, quergestellter und höckeriger Tumor 
zu fühlen. Die Ausheberung nach Probefrühstück ergab Fehlen von freier HCl 
und Pepsin. HCl-Defizit = 30. Milchsäure negativ. Mikroskopischer Befund 
ohne Besonderheiten. 

Die Röntgenuntersuchung zeigte einen völlig normalen Magen; 
keinerlei Füllungsdefekt der kleinen Kurvatur; Pars pylorica normal; sehr leb¬ 
hafte Antrumperistaltik sichtbar; der fühlbare Tumor lag ganz außerhalb des 
Magens. Die chirurgischerseits vorgenommene Probelaparotomie ergab völlig in¬ 
takten Magen; der Tumor war ein Paket tuberkulöser Mesenterialdrüsen. 


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Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose des Magencarcinoms. 183 


Sternallinie palpabel, er sitzt das eine Mal in der Pars media 
(Fall 17) oder an der kleinen Kurvatur mehr nach dem Fundus 
(Fall 25), das andere Mal nimmt er die Pars pylorica ein (Fall 15 
und 34). A priori läßt sich aus der Lage eines Tumors im Ab¬ 
domen niemals seine Zugehörigkeit zum Magen oder gar seine 
Topik innerhalb der Magenwand erschließen. Das Röntgenverfahren 
vermag uns nun im allgemeinen durch die Lage und die Größe des 
sichtbaren Füllungsdefektes über Ort und Ausdehnung des Carci- 
noms zu orientieren. 1 2 ) Die Bedeutung dieser Tatsache wird da¬ 
durch nicht eingeschränkt, daß auch rein klinisch bisher oftmals 
eine Lokalisation des Tumors durch die Methode der Magenauf¬ 
blähung u. a. ermöglicht war. In einer solchen Regelmäßigkeit, 
wie bei der Röntgenuntersuchung, ist dies aber nicht der Fall. 

Die große Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Dia¬ 
gnose des Magencarcinoms wird aber erst ins rechte Licht gerückt, 
durch die Betrachtung derjenigen Fälle, in welchen rein klinisch 
die Anwesenheit eines Magencarcinoms zwar mehr oder weniger 
wahrscheinlich, seine Existenz aber nicht sicher zu erweisen war. 
Von unseren Fällen gehörten 17 = 31 °/ 0 in diese Kategorie. Es 
sind das die Fälle, wo durch einzelne oder ein Ensemble von 
Symptomen diese Diagnose nahegelegt wurde, wo aber ein Tu¬ 
mor nicht gefühlt werden konnte. Mit dem Fehlen des 
Tumors entfällt aber, wie Boas *) mit Recht sagt, eines der wichtig¬ 
sten Kennzeichen für die Diagnose. Kein anderes Zeichen kann 
sich an Bedeutung mit diesem messen. Speziell ist die vielfach 
überschätzte diagnostische Ausheberung, selbst wenn sie Fehlen 
der freien HCl ergibt, bei der Häufigkeit dieses Befundes auch bei 
gutartigen Magenkrankheiten völlig wertlos. Umgekehrt beweist 
das Vorhandensein von normaler freier HCl, ja das Bestehen von 
Hyperacidität nichts gegen Magencarcinom. Und so kommt auch 
keinem anderen objektiven Zeichen eine pathognomonische Bedeu¬ 
tung zu und höchstens kann das Zusammentreffen möglichst vieler 
solcher Zeichen in positivem Sinne verwertet werden. Aber, wie 
gesagt, ohne fühlbaren Tumor haftet der Diagnose immer eine 
gewisse Unsicherheit an. 

Hier springt nun die Röntgenuntersuchung helfend ein, indem 


1) Nicht immer geschieht dies in völlig exakter Weise. Z. B. dann nicht, 
wenn eine flache carcinomatöse Infiltration der Magenwand sich noch weiter 
««treckt, als der sichtbare Füllnngsdefekt dies annehmen läßt. 

2) L dt. p. 248. 


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sie die Anwesenheit eines Tumors erweisen kann, auch wenn der¬ 
selbe klinisch nicht zn fühlen ist. Unbedingte Voraussetzung ist 
dafür, daß derselbe eine solche Größe besitzt, um sich als Füllungs¬ 
defekt oder sonstwie im Röntgenbilde bemerkbar za machen. 
Zweierlei kann hier nun ein treten: 

a) Es kann der vorher klinisch nicht gefühlte Tumor unter 
Röntgenlicht an der Stelle des Füllungsdefektes palpabel werden. 

b) Der Tumor bleibt auch unter Röntgenlicht nichtpalpabel 
seine Anwesenheit und seine Lage ist aber aus charakteristischem 
Füllungsdefekt o. a. zu erschließen. 

Ad a) Der Röntgenuntersuchung kommt hier die Bedeutung 
zu, daß das gleichzeitige Sehen gewissermaßen den Tastsinn schürft 
(Holzknecht). Auch wenn man dies nicht zugeben will, so ist 
es doch psychologisch durchaus verständlich, daß die Palpation 
hier, wo der sichtbare Füllungsdefekt auf einen ganz bestimmten 
Punkt im Abdomen hinweist, viel genauer und darum auch mit 
besserem Resultate durchgeführt wird, als wenn gar nichts über 
den Ort des zu suchenden Tumors bekannt ist 

Weiter mag aber auch hier die Tatsache eine Rolle spielen, 
daß Tumoren, welche im Liegen nicht gefühlt werden können, im 
Stehen öfters gut palpabel sind; wenigstens habe ich mich, seit 
ich darauf achte, nicht selten von diesem Verhalten überzeugen 
können. 1 ) Schuld daran ist der tiefere Stand des Magens bei auf¬ 
rechter Körperhaltung, so daß Tumoren, welche in horizontaler 
Körperlage unter der Leber oder dem Rippenbogen gelegen sind, 
jetzt darunter hervortreten. 

In 8 von 56 Fällen, also in 14,3 °/ 0 bat sich dies ereignet, daß 
der Tumor erst unter Röntgenlicht palpabel wurde: nämlich in 
den Fällen 2, 5, 8, 39, 43, 52, 54, 56. In zweien dieser Fälle (5 
und 8) lag der Füllungsdefekt wirklich hoch oben im Magen an 
der kleinen Kurvatur in der Pars media und der Tumor konnte 
nur bei forcierter Inspiration oder bei Hustenstößen während der 
Durchleuchtung im Stehen eben noch getastet werden. In sämt¬ 
lichen anderen Fällen aber nahm der Füllungsdefekt die Pars 
pylorica ein und es fand hier gewiß das oben erwähnte Verhalten 
statt, daß der Tumor im Liegen von der Leber bedeckt war, 
während er im Stehen unter derselben hervortrat. Speziell in dem 
erst kürzlich beobachteten Fall 56 konnte dies durch die Ope- 


1) Schon lange vor der Röntgenära ist für die Palpation von Magen¬ 
tamoren die sitzende Körperhaltung des Patienten empfohlen worden. 


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Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose des Magencarcinoms. 185 

ration kontrolliert werden. Der Tumor war im Stehen unter 
Röntgenlicht deutlich zu fühlen, während er im Liegen absolut 
nicht palpabel war; selbst nicht einmal in Narkose unmittelbar 
vor der Operation. Dieselbe zeigte denn auch, daß er ganz unter 
der Leber verborgen lag. 

Ad b) Wenn sich bei der letztgenannten Reihe von Fällen 
noch darüber streiten läßt, ob hier nicht auch ohne Röntgenlicht 
die Feststellung des Tumors gelungen wäre, so ist diese Möglichkeit 
bei der nun folgenden Kategorie aus inneren Gründen ausgeschlossen. 
Hier zeigt sich die Bedeutung des Röntgenverfahrens im hellsten 
Lichte, indem dasselbe eine für die Diagnose ausschlaggebende 
Rolle spielt. Neun meiner Fälle gehören hierher = 16,1 °/ 0 , näm¬ 
lich die Fälle 4, 6, 16, 18, 19, 29, 38, 44, 45. 

Auch in diesen Fällen handelt es sich nicht um eine Früh¬ 
diagnose in pathologisch-anatomischem Sinne, sondern es war stets 
ein größerer bereits röntgenologisch erkennbarer Tumor vorhanden, 
welcher aber aus besonderen Gründen der Palpation entgehen 
mußte. Der Gründe, warum ein größerer Magentumor der Palpation 
unzugänglich sein kann, gibt es mancherlei: 

1. Der Tumor nimmt den größten Teil des Magens ein und 
bringt den Magen zur Schrumpfung (Schrumpfcarcinom). 

2. Der Tumor sitzt sehr hoch oben, am Magenfundus. 

3. Der Tumor sitzt zwar tiefer, an der Pars media (Corpus) 
bzw. sogar an der Pars pylorica eines normalen Magens, aber er 
liegt ganz unter der normalen Leber verborgen. 

4. Der Tumor sitzt zwar sehr tief, an der Pars pylorica eines 
tiefstehenden Magens, wird aber von einer stark vergrößerten 
Leber völlig bedeckt. 

Ad 1. Das Schrumpfcarcinom, welches öfters größere Magen¬ 
teile bzw. den ganzen Magen einnimmt und sein Lumen so zur 
Verödung bringen kann, daß der Fassungsraum auf nur 100 bis 
200 ccm reduziert wird, ist der klinischen Diagnose häufig nicht 
zugänglich. Befallt es nämlich einen Magen, der vorher nor¬ 
mal groß und richtig gelagert war, so kommt nun der carcino- 
matöse Schrumpfmagen ganz hoch ins Hypochondrium und unter 
die Leber zu liegen und tritt auch in aufrechter Körperhaltung 
nicht darunter hervor. Ein Tumor ist bei solcher Sachlage natür¬ 
lich nicht zu fühlen und man ist im wesentlichen auf das Ergebnis 
der diagnostischen Ausheberung angewiesen. Wenn dieselbe aber 
nichts weiter wie den berühmten HCl-Mangel ergibt, so sind wir 
so weit in der Diagnose wie zuvor. Dazu kommt, daß man hier 


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öfters bei der Expression überhaupt keine Speisereste mehr erhält, 
da der Magen wegen des in diesen Fällen häufig nicht funktio¬ 
nierenden Pylorusverschlusses bereits entleert ist Manchmal stößt 
die Sonde auf ein unüberwindliches Hindernis in der Tiefe, sei es. 
daß die Cardia in den carcinomatösen Prozeß mit einbezogen und 
verengt ist, sei es, daß die Sonde innerhalb des Magens selbst auf 
den Tumor aufstößt Dies ist freilich ein wichtiger Befund, aber 
über die Frage, ob das Hindernis oberhalb der Cardia, in der 
Cardia selbst oder im Magen liegt, werden wir häufig nicht ins 
klare kommen. 1 ) 

Die Röntgenuntersuchung schafft hier nun mit einem Schlage 
Licht. Man sieht in diesen Fällen einen abnorm kleinen, hoch 
oben im linken Hypochondrium gelegenen Magen. 

Daß der Pylorusverschluß nicht funktioniert und der Pförtner 
konstant offen steht, sieht man daran, daß die Bismütingestien 
sofort und dauernd aus dem Magen auslaufen und die Dünndann- 
schlingen anfüllen; der verödete Magen wird hier nur als Durch¬ 
gangsstraße benutzt (Fall 18). Der Magenschatten kann dabei einer 
verkleinerten normalen Magenform ähnlich sein oder er kann eine 
abenteuerlich konturierte Form besitzen (Fall 16); jedenfalls ist 
eine regelrechte Peristaltik nicht daran wahrzunehmen. 

Ad 2. Wenn ein Tumor sich an der kleinen Kurvatur ent¬ 
wickelt, aber nicht pyloruswärts sondern nach der-Cardia zu fort¬ 
schreitet bzw. wenn er primär dortselbst oder am Magenfundns 
auftritt, so liegt er so hoch im Hypochondrium und unter der 
Leber, daß die palpierende Hand ihn nicht mehr erreichen kann. 
Solche Fälle bereiten der klinischen Diagnose die größten Schwierig¬ 
keiten. Nur in dem Falle, wo die Sonde tief unten auf ein Hin¬ 
dernis aufstößt, kommen wir etwas weiter in der Diagnose; aber 
dieser kleine Vorteil ist erkauft durch den Nachteil, daß ja dann 
meist kein Mageninhalt zur Untersuchung erhalten wird. 

Und nun kommt die schwierige Überlegung, ob die gemessene 
Entfernung von der Zahnreihe einem Punkte oberhalb der Cardia, 
der Cardia selbst oder einem Punkte im Magen entspricht. Darüber 
wird man nur bei extrem hohen oder niedrigen Werten etwas 
Sicheres aussagen können. Innerhalb der aber in solchen Fällen 
sich gewöhnlich ergebenden Breite von 40—45 cm ist zu rubri¬ 
zieren unmöglich. Denn die in den Lehrbüchern mit etwas über 
40 cm angegebene Entfernung der Cardia von der Zahnreihe stellt 

1) Siehe weiter unten p. 186 u. 187 (Fußnote). 


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Die Bedeutung der Röntgenuntersuehsmg flrfiaMjgmiefciligaaMn ilwi 187 


ja, wie bekannt, nur einen beiläufigen Mittelwert dar, da diese 
Entfernung nicht nur individuell, sondern auch nach Geschlecht 
und Körpergröße ziemlich erhebliche Schwankungen aufweist. 1 2 ) 
Auch die Röntgenuntersuchung hat diese Tatsache mir wiederholt 
aufs evidenteste vor Augen geführt.*) 

So gelangt also die klinische Diagnose hier auf einen toten 
Punkt, über den sie nicht hinaus kann. Die Röntgenuntersuchung 
aber ist berufen, die Sachlage völlig aufzuklären. Sie zeigt uns 
den Tumor innerhalb des Magens, sie liefert bei Sitz an der Cardia 
charakteristische Zeichen. Drei meiner Fälle gehören hierher: 
Fall 4, 38, 44. In den beiden ersten Fällen war der Tumor ohne 
weiteres bei der Durchleuchtung als rundlicher Schatten sichtbar, 
welcher von der medialen Begrenzung der Fundusblase ausging 
und in diese hineinragte; im letzten Fall konnte der Tumor durch 
COj-Aufblähung sichtbar gemacht werden. In allen drei Fällen 
waren auch — ein Zeichen, daß bereits die Cardia in den Prozeß 
mit einbezogen war — die Erscheinungen der Cardiastenose (Stau¬ 
ung der Ingesten und Regurgitation im untersten Ösophagus¬ 
abschnitt) wahrzunehmen; im Falle 4 sogar bereits zu einer Zeit» 
wo Sonde Nr. 19 noch anstandslos passierte. 

Ad 3 und 4. Während Tumoren der Pars cardiaca stets der* 
Palpation zu entgehen pflegen, ist dies bei Tumoren der Pars 
media schon weit weniger häufig der Fall. Von acht hierher 
gehörigen Fällen war nur dreimal der Tumor klinisch nicht pal- 
pabel (also in 63% palpabel), bei zweien davon wurde er schlie߬ 
lich unter Röntgenlicht fühlbar und nur in einem Falle blieb er 
unfühlbar. 

Sitzt aber gar der Tumor, wie weitaus in der Mehrzahl der 
Fälle, an der Pars pylorica, sei es an dieser allein (36 Fälle) oder 
auch die Pars media zum großen Teil einnehmend (5 Fälle), so ist 
der Tumor klinisch nur ausnahmsweise nicht palpabel. Unter 
sämtlichen 41 Fällen war das Carcinom nur siebenmal unfühlbar 

1) £9 wäre eine dankenswerte Aufgabe, die vorliegenden teils an Leichen, 
teils ösophagoskopisch am Lebenden gemachten Untersnchnngen durch röntgeno¬ 
logische Methoden an einem größeren Materiale nachzuprüfen und zu ergänzen. 

2) Drei von mir beobachtete Fälle seien hier angeführt: 

1. Fall. Die Sonde stieß bei 39 cm auf; es fand sich röntgenologisch ein 
Osophaguscarcinom in der Höhe der Bifurkation! 

2. Fall. Sondenhindernis bei 42 cm; es fand sich röntgenologisch ein Tumor 
ui der kleinen Kurvatur im Bereiche des Fundus, auf den die Sonde aufstieß. 

3. Fall. Die Sonde stieß bei 52 cm auf; vorhanden war ein Ösophagus- 
carcinom an der Cardia (autoptisch sichergestellt)! 


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Faulhabkr 


(also in 83°/ 0 palpabel), bei vier davon wurde es unter Röntgen- 
licht palpabel and nar bei drei war es auch während der Durch- 
leutung nicht fühlbar. Offenbar macht es dabei etwas aus. ob der 
Magen normal oder schon vorher ptotisch war, in dem im erstem 
Fall die Wahrscheinlichkeit, daß der Tumor getastet werde, etwas 
geringer ist (12 mal von 16 Fällen = 75%) als im letzteren (22 mal 
von 25 Fällen — 88 %). Indessen selbst bei erweitertem und tiet- 
stehendem Magen ist es möglich, daß ein Pylorustumor der palpie¬ 
renden Hand entgeht, wie zwei unserer Fälle lehren (Fall 6 u. 19 
In beiden war das Carcinom unter einer stark vergrößerter! 
Leber gelegen, wie im ersten Fall bei der Autopsie in mortuu. 
beim zweiten bei der in vivo festgestellt wurde. 

Halten wir das bisherige Ergebnis fest, so müssen wir sagen, 
daß in 30,4% unserer Fälle die klinisch nur wahr¬ 
scheinliche Diagnose Magencarcinom durch die Rönt¬ 
genuntersuchung bis zur Sicherheit erhoben wnrde. 
Dieses Resultat berechtigt uns, das Röntgenverfahren auch bei der 
Diagnose des Magencarcinoms für mehr als ein bloßes Adjuvans 
der bisherigen klinischen Methoden zu halten. Besonders da es 
uns in allen Fällen nicht nur über die Tatsache eines bestehenden 
Tumors, sondern auch über dessen Sitz und Ausdehnung mit wün¬ 
schenswerter Exaktheit unterrichtet 

So wird auch im Einzelfall durch die Röntgenuntersuchung 
häufig ein Urteil über die Operabilität eines Magencarcinoms 
zu gewinnen sein und häufiger vielleicht noch dessen Nicht¬ 
operabilität erwiesen und damit ein unnötiger Eingriff ver¬ 
mieden werden können. Einerseits werden die Fälle, wo der Tumor 
sehr große Magenbezirke ergriffen hat, oder wo er sehr hoch oben 
in der Pars media bzw. der Pars cardiaca sitzt, als ungeeignet 1 ) 
für die Operation ausgeschieden werden können. Andererseits wird 
man bei kleinerem Tumor und Sitz an der Pars pylorica, besonders 
wenn der Tumor nicht nur bei der Palpation, sondern auch bei 
der röntgenologischen Beweglichkeitsprüfung sich nirgends adhärent 
zeigt mit gutem Gewissen zur Operation raten dürfen. Freilich 
das letzte Wort, ob die Operation aussichtsvoll ist oder nicht 
spricht immer erst die Probelaparotomie. Denn sie kann wider 
Erwarten schon Metastasen ergeben in Fällen, wo man nach der 
Dauer der Erkrankung und der Größe des Tumors noch keine 
solchen vermutet hätte und umgekehrt 

1) Die Resultate der Totalresektion des Magens, welche in solchen F&llen 
schon mehrfach ausgeführt wurde, sind bis jetzt sehr wenig ermutigend. 


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Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose des Magencarcinoms. 189 


In der klinischen Medizin gilt allenthalben der Grundsatz, 
daß ein positiver Befund höher zu werten sei, als ein negativer 
und dementsprechend schließt auch ein normaler röntgenologischer 
Magenbefund die Diagnose Magencarcinom nicht ohne weiteres aus. 
Unter Umständen kommt jedoch auch dem negativen Röntgen¬ 
befund eine das Carcinom ausschließende Bedeutung zu. 
Eis sind das die Fälle, wo seit längerer Zeit Magensymptome 
vorhanden sind, welche den Verdacht einer Neubildung nahelegen. 
Nach dem oben anläßlich der Besprechung der Frühdiagnose über 
das Latenzstadium des Magencarcinoms Gesagten, ist hier im all¬ 
gemeinen zu erwarten, daß das Neoplasma bereits eine solche 
Größe besitzt, daß es röntgenologisch nachweisbar ist. Und so 
gewinnt ein normaler Röntgenbefund hier die Bedeutung, daß er 
das Bestehen eines Magencarcinoms, wo nicht ausschließt, so doch 
sehr unwahrscheinlich macht. 

Zahlreiche hierher gehörige Fälle sind uns vorgekommen 1 ) 
und es ist mir davon kein Fall erinnerlich, wo der weitere Ver¬ 
lauf entgegen der röntgenologischen Annahme später doch ein 
Magencarcinom erwiesen hätte. Einige besonders markante kasuisti¬ 
sche Beiträge, welche ich im letzten Jahre in eigener Praxis beob¬ 
achten konnte, will ich in Form einer Tabelle hier anführen. Es 
waren dies sämtlich ältere Leute, bei welchen seit längerer Zeit 
schwere Magensymptome mit starker Körpergewichtsabnahme ein¬ 
hergehend bestanden. Die Röntgenuntersuchung zerstreute aber 
den Verdacht des Magencarcinoms und in allen Fällen hat der 
spätere Verlauf gezeigt, daß ein solches auch nicht vorlag (s. Tab. 
p. 190). 

Ein negativer Röntgenbefund ist endlich noch sehr 
wertvoll in den Fällen, wo ein Tumor im Abdomen gefühlt wird, 
welcher seinem Orte nach sehr wohl dem Magen angehören könnte. 
Indem die Röntgendurchleuchtung hier zeigt, daß dies nicht der 
Fall ist, fördert sie die so schwierige Kunst der Lokalisation 
der Abdominaltumoren um ein gutes Stück. In der Tat hat 
sich uns diese Methode, den Magen als Sitz des Tumors auszu- 
schljeßen, in zahlreichen Fällen bewährt. Der Wert der Röntgen¬ 
untersuchung war dabei besonders in die Augen springend, wenn 
stärkere Magenbeschwerden und eventuell auch eine vorhandene 
Achylie direkt auf den Magen hinzuweisen schien. Ich erinnere 


1) Wir haben nns angewöhnt, bei jedem Magenkranken mit Achylie eine 
röntgenologische Untersuchung anzuschließen. 


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190 


Faulhabbb 



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Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose des Magencarcinonxs. 191 


nur an den oben p. 182 in der Fußnote angeführten Fall, dem ich 
mehrere Parallelfälle an die Seite setzen könnte. 

Wenn wir das Ergebnis noch einmal kurz zusammenfassen, so 
müssen wir sagen: 

1. Eine eigentliche Frühdiagnose des Magencarcinoms ist auch 
mit dem Röntgenverfahren nicht zu erzielen. 

2. In allen Fällen, in denen die Diagnose Magencarcinom 
klinisch sicher zu stellen ist, liefert auch das Röntgenverfahren 
positiven Befund und bestätigt so das Ergebnis der klinischen 
Untersuchung. 

3 . In einer nicht ganz kleinen Zahl von Fällen (30 %), wo 
die klinische Diagnose mangels eines palpablen Tumors nicht sicher 
zu stellen ist, kann dieselbe durch das Röntgenverfahren gesichert 
werden. 

4. Das Röntgenverfahren gibt uns Aufschluß über Sitz und 
Ausdehnung des carcinomatösen Prozesses am Magen. 

5. Bis zu einem gewissen Grade kann hierdurch auch über die 
Operabilität oder Nichtoperabilität ein Urteil gewonnen werden. 

6. Durch das Röntgenverfahren kann unter Umständen das 
Vorhandensein eines Magencarcinoms ausgeschlossen werden. 


Kasuistik. *) 

Die Abbildungen Nr. 11, 16, 19, 33. 39, 45, 56 sind verkleinerte 
Pansen nach dem Röntgenogramme; Nr. 25, 38 nnd 49 sind verkleinerte 
Schirmpausen. X bedeutet den Ort des klinisch palpablen Tumors, 
X bedeutet den Ort eines nur unter Röntgenlicht palpablen Tumors. 

Fall 11. Ludolf F. 55 Jahre alt. 

Anamnese: Seit ] / 2 Jahr krampfartige Schmerzen im Epigastrium, 
Appetitlosigkeit, Obstipation. 

Klinischer Befund: Tumor links unterhalb des Rippenbogens. 
Probefrühstück: 100 ccm exprimiert; freie HCl negativ; HCl-Defizit = 
18; Ges.-Acid. = 16; Uffelmann positiv; mikrosk: Fett, Stärke, mäßig 
Milchsäurebazillen. 


1) Es ist natürlich nicht möglich, hier alle Krankengeschichten und die 
dazu gehörigen Röntgenbilder wiederzugeben. Ich habe vielmehr nur eine kleine 
Auswahl derselben gebracht, wobei es mir darauf ankam, einerseits die Typen 
der Röntgenbefunde, welche häufig wiederkehren, zu berücksichtigen, anderer¬ 
seits au ein paar Fällen zu zeigen, daß das Röntgenverfahren von ausschlag¬ 
gebender Bedeutung. für die Diagnose sein kann. Eine tabellarische Übersicht 
über sämtliche der Arbeit zugrunde gelegten Fälle folgt am Schlüsse derselben. 


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Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose des Magencarcinoms. 193 

Röntgenbefund: 26. Augnst 1908. Eine mehr dem Holzknecht¬ 
achen Typus zuzurechnende Magenform, Starke Einengung des Magen- 
lumens im Korpusteil, welche ihrer ganzen Konfiguration nach durch 
zirkulären Tumor bedingt ist. In der Tat ist dortselbst die Geschwulst 
palpabel. Pylorus selbst ist frei; Andeutung von Antrumkontraktion ist 
vorhanden. Siehe Fig. 1 p. 192. 

Diagnose: Carcinom des Magenkorpus. 

Fall 16. Innocenz V. 54 Jahre alt. 

Anamnese: Seit 1 Jahr Magenbeschwerden, Aufstoßen, Übelkeit, 
kein Erbrechen, Mattigkeit, Appetitlosigkeit, Obstipation, Körpergewichts¬ 
abnahme 20 Pfund. 

Klinischer Befund: Kein Tumor fühlbar. Probefrühstück: 
Sonde stößt bei 46 cm auf. Nichts exprimierbar. Sanguis am Sonden¬ 
fenster. 

Röntgenbefund: 18. September 1908. Bizarr geformtes 

Füllungsbild des Magens, welches zeigt, daß der Tumor fast den ganzen 
Magen außer Fundus einnimmt. An der großen Kurvatur ragen polypöse 
Exkrescenzen des Tumors in das Magenlumen hinein. Der Pylorus steht 
offen, wie das sofort und kontinuierlich stattfindende Ausfließen des 
Bismutinhalts in das Duodenum beweist. Passage durch den Ösophagus 
hindurch frei. Siehe Fig. 2 p. 192. 

Diagnose: Schrumpfcarcinom. 

Epikrise: Die Röntgenuntersuchung lieferte in diesem Falle für 
sich allein die Diagnose, da kein Mageninhalt exprimiert werden konnte; 
die Sonde stieß dabei offenbar im Magen auf den Tumor auf. Letzterer 
war infolge seiner Lage unter dem Rippenbogen klinisch nicht fühlbar. 

Fall 19. Isaak N. 61 Jahre alt. 

Anamnese: Seit 7—8 Wochen Magendrücken, nur 2mal Er¬ 
brechen, Appetitlosigkeit, Stuhl normal, Körpergewicht hat um 5 Pfund 
abgenommen. 

Klinischer Befund: Kein Tumor palpabel; Probefrühstück: 
freie HCl negativ; Uffelmann Spuren; Ges.«Azid. = 24; HCl-Defizit 
= 36. Mikroskopisch: Fett, Stärke, spärlich Milchsäurebazillen. 

„ Rönt « enbefund: 21. Oktober 1908. Längs- und quergedehnter 
Magen. Totaler Defekt der Pars pylorica. An der großen Kurvatur ver¬ 
tiefte Peristaltik. Auch bei kontrollierender Durchleuchtung ist kein 
Tamor entsprechend dem Defekte zu palpieren. Siehe Fig. 3 p. 192. 

Diagnose: Carcinom der Pars pylorica; Pylorusstenose; Magen- 
erweiterung. 

Operation (Hofrat Pretzfelder): Magenresektion. 

Befund: Hühnereigroßes zirkuläres Carcinom der Pars pylorica, 
welches den Pylorus stenosiert. Das Carcioom liegt völlig unter einer 
®tark vergrößerten Leber verborgen. 

Epikrise: Der Tumor war so groß und hatte eine solche Lage 

Magen inne, daß er unter normalen Verhältnissen unbedingt hätte ge¬ 
fohlt werden müssen. Hier war dies nicht der Fall, weil er von einer 
stark vergrößerten Leber völlig überlagert war. Die Röntgenuntersuchung 
zeigte aber typischen Befund für Carcinom. 

Deauchea Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 13 


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Faulhabkr 


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m 


Fall 25. Marie K. 58 Jahre alt. 

Anamnese: Seit 1 j 2 Jahr geringe Magenbeschwerden: Aufstoßen, 
wechselnder Appetit, kein Erbrechen, Körpergewichtsabnahme. 

Klinischer Befund: Am linken Rippenbogen Tumor za fhhlen. 
Probefrühstück: Sonde stößt bei 42 cm aaf; nichts zu exprimieren. 

Röntgenbefund: 23. Januar 1909. Stark ptotischer Magen: 
KUllongsdefekt der kleinen Kurvatur dicht unterhalb des Fundus. Defekt 
und Tumor fallen zusammen. Siehe Fig. 4 p. 192. 

.Diagnose: Karzinom der kleinen Kurvatur im Bereiche des 
Magenkorpus. 

Epikrise: Trotz seines hohen Sitzes war das Carcinom in diesem 
Falle palpabel, weil ein außerordentlicher Tiefstand des Zwerchfells vor¬ 
lag, so daß die betreffende Partie noch der Palpation zugänglich war. 

Fall 38. Michael B. 60 Jahre alt. 

Anamnese: Seit 3*/, Monaten kein Appetit ohne sonstige Magen¬ 
beschwerden. 

Klinischer Befund: Im Epigastrium etwas oberhalb des X&bels 
Tumor palpabel. Probefrübstück: freie HCl negativ; HCl-Defizit = 18: 
Oesamtacidität = 10. Mikroskopisch: Fett, Stärke, Fettsäurenadeln, rote 
Blutkörperchen, Milchsäurebazillen. 

Röntgenbefund: 26. Juli 1909. Kaudaler Teil und Pars 
pylorica des Magenschattens sehr stark verengt, mit rundlichen Ans¬ 
zackungen versehen, wie sie für Tumor charakteristisch sind. In der Tat 
ist dortselbst ein Tumor zu fühlen. Siehe Fig. 5 p. 192. 

Diagnose: Zirkuläres Carcinom der Pars pylorica auf das Korpus 
übergegangen. 

Fall 38. Lorenz St. 45 Jahre alt. 

Anamnese: Seit 1 j 2 Jahr „Magenleiden“, feste Speisen bringt er 
nicht hinunter, „sie stemmen Bich an“, Flüssiges kann er schlucken: 
Erbrechen nicht vorhanden, Appetit gering. 

Klinischer Befund: Kein Tumor palpabel. Probefrühstück: 
Sonde stößt bei 42 cm auf unüberwindlichen Widerstand. Kein Inhalt 
zu exprimieren. 

Röntgenbefund: 20. September 1909. An der medialen Seite 
der sehr großen spontanen Fandusblase ist ein durch eine tiefe Forche 
in zwei Teile geteilter Tumor sichtbar. Übriger Teil des bismutgefüllten 
Magens zeigt keine Besonderheit (Holzknechtsform). Im unteren Oso- 
phagusabschnitt Stauung der Ingesta und geringe Regurgitation. Siehe 
Fig. 6 p. 192. 

Diagnose: Carcinom der kleinen Kurvatur im Bereiche des 
Fundus, welches die Cardia miteinbezieht. 

Epikrise: Hier entscheidet die Röntgenuntersuchung die Diagnose. 
Klinisch konnte höchstens Ösophaguscarcinom angenommen werden. Die 
Röntgenuntersuchung aber zeigt, daß ein Magencarcinom vorliegt, 
welches auf die Cardia übergegriffen ist. 

Fall 39. Marie M. 51 Jahre alt. 

Anamnese: Seit 1 / 2 Jahr krank, Appetitlosigkeit, Kreuzschmerzen. 
Aufstoßen, kein Erbrechen, Körpergewichtsabnabme 30 Pfund, Mattigkeit. 


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Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose des Magenearcinoms. 195 

Klinischer Befund: Kein Tumor, sondern nur undeutliche 
Resistenz im Epigastrium. Probefrühstück: freie HCl negativ, zur 
quantitativen Untersuchung Menge zu gering. Milchsäure negativ. Mikr.: 
Nur Stärke und Fett, keine Milchsäurebazillen. 

Röntgenbefund: 6. Oktober 1910. Totaler Defekt der Pars 
pylorica eines sonst normalen Riedermagens. Bei Scbirmpalpation tumor- 
artige Resistenz entsprechend dem Defekt. Siehe Fig. 7 p. 192. 

Diagnose: Carcinom der Pars pylorica und der kleinen Kurvatur. 

Operation (Prof. Burkhardt): Resektion, Enteroanastomose. 
Befund: Carcinom der Pars pylorica von der kleinen Kurvatur ausgehend. 

hall 45. Johann D. 46 Jahre. 

Anamnese: 8eit 10 Wochen Magendrücken, öfters Erbrechen, 
bes. nach FleischgenuB, geringer Appetit, Obstipation. 

Klinischer Befund: Kein Tumor palpabel. Probefrtihstück: 
400 ccm exprimiert; freie HCl negativ; HCl-Defizit = 12; Gesamt¬ 
acidität = 14. Mikroskopisch: Fett, Stärke, Detritus, Muskelfasern, spär¬ 
lich Milchsäurebazillen. 

Röntgenbefund: 13. Januar 1910. An Stelle des Magens ist 
ein plumper Sack sichtbar, welcher nach rechts in eine stumpfe 
8 pitze ausmündet. Der Sack ist offenbar quergedehnt und stark er¬ 
weitert, da die Bismutmahlzeit ihn nur zum Teil anfüllt. Es liegt hier 
ein von Hause aus offenbar dem Holzknecht’echen Typ zuzurecbnender 
Magen vor, dessen horizontal gelegener Endteil durch einen mächtigen 
Tumor eingenommen wird, welcher das Msgenlumen dort auf ein 
Minimum reduziert, so daß seine Bismutfüllung unsichtbar wird. Der 
supponierte Tumor ist aber auch bei Schirmpalpation unter Röntgenlicht 
nicht fühlbar. 8iehe Fig. 8 p. 192. 

Diagnose: Carcinom der Pars pylorica bzw. eines angrenzenden 
Teiles des Korpus. Turoorstenose. 

Epikrise: Die Röntgenuntersuchung war hier ausschlaggebend für 
die Diagnose, da ein Tumor nicht zu fühlen war; letzteres trotz einer 
wahrscheinlich bedeutenden Größe deswegen nicht, weil er bei dem hoch¬ 
stehenden Magen ganz unter der Leber verborgen lag. 

Fall 49. Philipp H. 64 Jahre alt. 

Anamnese: Seit */ 4 Jahr Magendrücken nach dem Essen, kein 
Erbrechen, Appetitlosigkeit, Obstipation, Körpergewichtsabnahme 10 Pfund. 

Klinischer Befund: Tumor in der Mitte des Epigastriums zu 
fühlen. Probefrühstück: freie HCl negativ, Uffelmann schwach positiv. 
HCl-Defizit = 64. Gesamtacidität = 42. Mikroskopisch: Fett und 
Fettsäurenadeln, Stärke, Detritus, Muskelfasern, mäßig Milchtäurebazillen. 

Röntgenbefund: 15. Februar 1910. Nicht erweiterter Rieder- 
magen. Defekt der Pars pylorica. Dortselbst Tumor palpabel. Siehe 
Fig. 9 p. 192. 

Diagnose: Carcinom der Pars pylorica. 

Operation: 1. März 1910 (Prof. Enderlen). Gastroentero- 
atomia anterior, Enteroanastomose. Befund: Apfelgroßes Carcinom des 
Pylorus stark mit Pankreas verwachsen. Ausgedehnte Metastasen in 
Netz und Mesenterium. 

13* 


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196 


Faulhaber 


Fall 56. Kaspar S. 37 Jahre alt. 

Anamnese: Seit 1 j 2 Jahr Druck im Magen, welcher seit 14 Tagen 
stärker wurde. Pat. erbrach 2 mal auf Diätfehler. 

Klinischer Befund: Ein Tumor ist nicht zu fühlen. Probe- 
frühstück: freie HCl negativ. HCl-Defizit = 14. Ges.-Acid. = 12. 
Mikroskopisch: Fett, 8tärke, vereinzelte lange Bazillen. 

Röntgenbefund: 13. Juni 1910. Normaler Riedermagen; 
Defekt der Pars pylorica. Zwei kleine Wismutschatten rechts oberhalb 
des Nabels (im Anfangsteil des Duodenums?). An der Stelle des Defektes 
ist unter Röntgenlicht deutlich ein Tumor zu fühlen. Siehe Fig. 10 p. 192. 

Diagnose: Carcinom der Pars pylorica. 

Operation: 14. Juli 1910 (Prof. End er len). Resektion. Bill- 
roth II. Befund: hühnereigroßes Carcinom der Pars pylorica. Tumor 
lag vollständig unter der Leber. 

Tabelle 2. 

Übersicht über die der Arbeit zugrunde gelegten 56 Fälle von 

Magencarcinom. 

Zeichenerklärung: X Tumor palpabe), XI Tumor unter Röntgenlicht palpabel, 

— Tumor nicht palpabel. 


Fall 

Nr. 

Name 

! Ater 

Jahre 

1 

Tumor 

palpabel? 

! Röntgenbefund 

•i Sitz des 1 Masrengröße 
| Carcinoms 1 und Form 

Operation 

1 

Johann B. 

1 ! 

’ 54 

X 

I 

Pars pylor. 

ptotisch 


2 

Franz Josef R. 

65 ; 

X 

V 

normal (Rieder) 


3 

Theodor K. 

53 

X 

71 

erweitert u. 

1 ptotisch 

Resektion. 

4 

Johann F. 

61 

— 

Pars cardiaca 

i 

normal (Holz- 
! knecht) 


5 

Josefine A. 

63 

X( 

Pars media 

ptotisch 


6 

Michael YV. 

63 

— 

Pars pylor. 

stark erweitert 
u. ptotisch 

i 

7 

Pauline A. 

46 | 

X 

Pars media 

ptotisch 


8 

Georg H. j 

72 

IX ' 

71 

leicht ptotisch 


9 

Martin S. 

45 

X I 

Pars pylor. 

71 


10 

Anna R. 

37 

X 1 

71 

ptotisch 


11 

Ludolf F. 

1 

55 i 

X , 

Pars ined. et 
pylor. 

normal (Holz¬ 
knecht) 


12 

Klara O. 

38 | 

x: 

Pars pylor. 

ptotisch 


13 

Nikolaus R. 

63 1 

x 

n 

* 1 


14 

Konstantina G. j 

49 

x I 

71 

erweitert u. 1 

ptotisch | 


15 

Valentin B. 

40 

i 

X 

„ normal (Rieder) 

Proheiaparat. 

inoperab. 

10 

fnnorenz V. 

54 

— 

Sch ruinj 

Jcarcinom | 


17 'Josef. K. 

55 

X 

Pars media 

normal (Rieder)' 


18 Louis L. 

65 

— 

Scbrumpfcarcinoni 


19 Isaak X. 

| 

— 

Pars pylor. 

ptotisch 

Resektion. 

20 |< 

'lotilde L. 

26 

X : 

71 

erweitert u. j 


21 1" 

\ndreas II. , 

1 

58 

1 

X 

J? 

stark ptotisch ' 
normal (Rieder)! 



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Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose des Uagencarcinoms. 197 


Fall 

Nr. 

Name 

! 

Alter 

Jahre 

Tumor 
palpabel ? 

Röntgenbefund 

Sitz des I Magengröße u. 
Carcinoma ! Form 

Operation 

22 

Katharina F. 

56 

1 

1 x 

i 

Pars pylor. 

normal (Rieder) 

Probelaparot. 

23 

Wilhelm P. 

46 

X 

Pars media 

1 

inoperabel. 

24 

Anton W. 

43 

X 

Pars pylor. 

W 

Gastro- 

25 

Marie K. 

58 

X 

Pars media 

ptotisch 

enterostomie. 

1 

26 

Eduard T. 

51 

X 

fl 

normal (Rieder) 


27 

Therese Sch. 

62 , 

X 

Pars pylor. 

stark ptotisch 


28 

Stefan K. 

47 1 

X 

n 

ptotisch 


29 

Ambrosius G. 

70 


Pars media 

normal (Rieder) 


30 

Ludwig H. 

i 61 

X 

Pars pylor. 

stark ptotisch 


31 

Georg Sch. 

1 54 i 

X 

n 

normal (Rieder) | 

| 

32 

Dorothea K. 

49 

X 

n 

ptotisch 


33 

Michael B. 

60 ; 

X 

n 

i 


34 

Valentin S. 

68 

X 

n 

normal (Rieder) 


35 

Johann M. 

56 

X 

n 

ptotisch 

Resektion. 

36 

37 

Jakob Sch. 

Georg K. 

62 
51 ' 

X 

X 

n 

Pars pylor. et 
media 

Pars cardiaca 

l ” 

| B 

n 

38 

Lorenz St. 

45 

— 

1 normal (Holz- 
1 knecht) 

leicht ptotisch 


39 

Marie M. 

51 

‘X 

Pars pylor. 

n 

40 

Franz D. 

55 

X 

r 

ptotisch u. er- 

n 

41 

Valentin J. 

60 

X 

r* ! 

weitert 

normal (Rieder) 

Gastro¬ 

42 

Michael L. 

59 : 

X 

X: 

n 

ptotisch 

enterostomie. 

Resektion. 

43 

Konrad V. 

49 1 

n 

normal (Rieder) 


44 

Jakob B. 

67 ' 

— 

Pars cardiaca 

normal 


45 

Johann D. 

46 

— 

Pars media 

normal (Holz¬ 


46 

Michael U. 

52 

X 

et pylor. 
Pars pylor. 

knecht) 

stark erweitert 

Gastro¬ 

47 

Jakob W. 

81 

X 

w 

u. ptotisch 
» 

enterostomie. 

Resektion. 

48 

Franz H. 

57 

X 

Pars media 

normal 


49 

Philipp H. 

64 

X 

et pylor. 
Pars pylor. 

ptotisch 

Gastro¬ 

50 

Pauline E. 

38 

X 

T) 

stark ptotisch 

enterostomie. 

n 

51 

! 

Frau M. 

60 

X 

1 n 

u. erweitert 
normal (Rieder) 

Resektion. 

52 

Kilian H. 

! 52 

X 

n 



53 

Amalie H. 

42 

X 

große Kur¬ 

stark deformiert 


54 

Barbara K. 

47 

IX 

vatur 

r 

n. geschrumpft 

yj 


55 

Michael F. , 

49 

X 

Pars media 

normal 


56 

; I 

Kaspar S. ! 

37 

X 

et pylor. 
Pars pylor. 

normal (Rieder) 

n 


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Ans der medizinischen Klinik in Heidelberg. 

Beitrag zur Frage der Blutgeschwindigkeit bei Anämie. 

Von 

Dr. Viktor Weizsäcker. 

Man nennt unter den Vorrichtungen, welche den Hämoglobin- 
mangel der Anämischen für die Aufrechterhaltung der Organfunktion 
ausgleichen sollen, gewöhnlich die Erhöhung der spezifischen 
0,-Kapazität, die vermehrte Ausnützung des arteriellen Blutes und 
die Vergrößerung der vom Herzen in der Zeiteinheit in Umlauf 
gesetzten Blutmenge. Daß solche Kompensationen stattfinden 
müssen, gilt als sicher, da der respiratorische Gaswechsel nicht 
verringert, im Gegenteil zuweilen erhöbt gefunden wurde. Was 
nun die Änderung der spezifischen 0 2 -Kapazität anlangt, so darf 
nach den neuen Untersuchungen von Butterfield (1), Masing (2i 
und Siebeck (3) angenommen werden, daß dieser Faktor nicht 
in Betracht kommt. Ferner ist die erhöhte Ausnutzung des arte¬ 
riellen Blutes, wenn überhaupt vorhanden, zu gering, als daß sie 
die Sauerstoffversorgung der Anämischen verständlich machte 
(Morawitz u. Rohm er (4)). Somit drängt der gegenwärtige 
Stand der Frage immer mehr auf die Annahme eines erhöhten 
Blutumlaufes hin. Gerade hier aber stehen die neuesten Beob¬ 
achtungen in schroffem Gegensatz. Plesch (5) findet das Minuten¬ 
volum vier- und fünffach erhöht, A. M ü 11 e r (6) dagegen an der 
oberen Grenze der Norm. 

Eine endgültige Erledigung der Frage ist nur von einer 
sicheren Bestimmungsmethode der Gesamtmenge des in der Zeit¬ 
einheit vom Herzen umgetriebenen Blutes zu erwarten. Bekannt¬ 
lich sind gerade die neuesten der in dieser Richtung gehenden Ver¬ 
suche, die von Plesch und A. Müller, nichts weniger als zur 
allgemeinen Anerkennung gelangt. Nach wie vor können die Me¬ 
thoden ihren Platz behaupten, welche das Problem in der Weise 
angreifen, daß sie nicht das Schlagvolum, sondern die in einem 


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Beitrag zur Frage der Blutgeschwindigkeit bei Auämie. 


199 


peripheren Körperteil zirkulierende Blutmenge bestimmen. Am 
Tier ist die in dieser Beziehung exakteste Methode auch heute 
die direkte Eichung mit der Stromuhr. 

Ich bediente mich in sämtlichen Versuchen der Stromuhr von 
Tigersted t. 

Herrn Professor Gottlieb, der mir das Instrument in liberal¬ 
ster Weise zur Verfügung gestellt hat, erlaube ich mir, an dieser 
Stelle meinen verbindlichsten Dank auszusprechen. 

Als Versuchstiere wurden Hunde benutzt und die Bestimmungen 
wurden an der Carotis communis ausgeführt. 

Die Versuchsanorduung folgte im wesentlichen den Vorschriften 
Tigerstedt’a (7), nur mit dem Unterschiede, daß die zur Kontrolle 
etwaiger Gerinnungen angebrachten Manometer in der zu- resp. ab¬ 
führenden Kanüle der Stromuhr angebracht waren. Zur Narkose wurde 
den Hunden 5—7 mg Morphin pro kg subkutan injiziert und während 
der Operation und des Versuches nach Bedarf Äther gegeben. Während 
der Versuche war letzteres meist unnötig. In den Versuchen mit akut 
durch Aderlaß anämisch gemachten Tieren wurde pro 5 ccm Blut 1 mg 
Hirudin intravenös gegeben. 

Zunächst wurde in einigen Versuchen das normale Stromvolum 
gesunder Tiere bestimmt. Es wurden dabei Werte gewonnen, die 
mit denen von Tschuewsky(8) mit der Hürthle’schen Stromuhr 
gemessenen vollkommen übereinstimmen. 


Tabelle I. 


Nummer 

Gewicht 

1 ? 

Hämoglobin 

10 

ccm 

Sek. 

in 

6400 

95 

0,65 

IV 

7350 

90 

2,00 

I 

9750 

1 

1,67 

VI 

20000 

90 

2,53 

Tschuewsky 3 

11200 

— 

1,31 

„ 7 

15000 ! 

1 

2,24 

„ 16 

15000 

I 

— 

1,62 


Da es bei Benutzung der gewöhnlichen Vivisektionstechnik 
kaum möglich ist, die gleiche Carotis für zwei Versuche — erst 
am normalen, dann am anämisierten Tier — zu benutzen, so ergab 
sich die Notwendigkeit, Werte verschiedener Gefäße zu vergleichen. 
Hierzu die andere Carotis desselben Tieres zu benutzen, ging nicht 
an, denn nach Unterbindung der einen Carotis tritt möglicherweise 
eine kompensatorische Erweiterung der anderen ein, welche Ver¬ 
mehrung des Blutstromes zur Folge hat (9); wenigstens konnte 


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WeIZ8ÄCKBR 


SOG 

diese nicht ausgeschlossen werden, um so mehr als ein darauf ge¬ 
richteter Versuch sie nicht unwahrscheinlich machte: 

Tabelle II. 


Datum Versuchs-Nr. ! 

Sek. 


6 . Oktober 1908 

II 

1,16 linke Carotis 

8 . Oktober 1906 

II 

1,75 rechte Carotis 


Ebensowenig geht es an, etwa zwischen Carotis und Femoralis 
ein konstantes Verhältnis anzunehmen und so an einem Tier vor 
und während der Anämie vergleichbare Werte dieser beiden Ge¬ 
fäße zu suchen, wie schon Dogiel (9) gezeigt hat. So blieb nichts 
übrig, als die oben genannten Normal werte mit solchen anderer 
zuvor anämisch gemachter Hunde zu vergleichen. In diesem Vor¬ 
gehen, und zugleich in der großen Variabilität, der die Blutströ- 
mung schon normalerweise unterliegt, können schwerwiegende Be¬ 
denken gegen die ganze Methode gefunden werden. Ein Blick 
auf die Tabellen I und II lehrt aber, daß erstens die Gesamt¬ 
heit aller gefundenen Werte sich innerhalb so enger Grenzen be¬ 
wegt, daß Ausschläge wie sie Pie sch gefunden hat und wie sie 
die Theorie auch bis zu einem gewissen Grade fordert, sich fraglos 
geltend machen mußten. Ferner zeigte der einzelne Versuch jedes¬ 
mal eine so große Konstanz der Stromperioden, daß auch jene 
Variabilität der Blutverteilung nicht allzustörend gewirkt haben 
kann. Versuche, die methodisch nicht ganz einwandfrei waren 
und diese Konstanz nicht zeigten, wurden ansgeschlossen. Tabelle IIa 
zeigt die Gleichmäßigkeit des Blutstromes auf das deutlichste. 
Tabelle Ilb gibt eine Übersicht über die an subakuten Blutgift¬ 
anämien erzielten Resultate. Die Anämisierung erfolgte teils durch 
Pyrodin per os, teils durch salzsaures Phenylhydrazin subkutan 
nach den Vorschriften von Tallqvist (10) in 1—3 Wochen. Ein¬ 
mal wurden auch Aderlässe angewandt (Nr. XH). Diese Reihe 
zeigt bei den hohen Graden der Hämoglobin Verarmung, insbesondere 
wenn die Anämie etwas länger im Gange war, eine recht deut¬ 
liche Erhöhung der Stromvolumina. Zu dem besonders hohen Wert 
von Versuch Nr. VIII ist jedoch zu bemerken, daß sich bei der 
Operation eine geringe Struma herausstellte, die immerhin einigen 
Einfluß auf die Zirkulationsverhältnisse des Halses gehabt haben mag. 

Um die Unterschiede, welche durch die Verschiedenheit der 
Größe unserer Versuchstiere bedingt sind, mehr zurück treten zu 


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Beitrag zur Frage der Blutgeschwindigkeit bei Anämie. 


201 


lassen, sind die Stromvolnmina auf die Einheit der Körperober¬ 
fläche nach der Formel von Meeh (Rnbner(ll)) bezogen und 


Tabelle Ila. 


Versuchs- 

Nr. 

IV 

II X 

VII VIII 

V 

1 

1 IX 

Periode 


Dauer der Perioden in Sekunden 




1 I 4,6 5,5 4,6 5,5 2,0 3,5 4,0 

2 5,0 7,5 4,5 4,5 2,0 4,0 3,0 

3 5.0 7,5 5,0 6,0 1,5 3,5 3.0 

4 5,0 8,5 5,0 6,0 2,0 5,0 3.0 

5 5,0 8,5 5,0 6,0 1,5 3,5 2,0 

6 1 5,5 8,0 5,0 6,0 2,0 5,0 2,5 

7 5,0 8,0 5,5 7,0 2,0 6,5 2,0 

8 5,0 9,0 5,5 6,0 2,0 7 5 2,5 

9 5,0 9,0 6,0 6,5 1,5 6,0 2,0 

10 5,0 9,0 5,5 5,6 2,0 6,0 2,0 

11 4,5 9,5 5,5 5,6 1,5 5,0 2,0 

12 5.5 9.5 5,5 5,0 2,0 5,0 2,5 

13 5,0 12,5 5.5 4,6 1,5 4,0 2,0 

14 I 5,0 7,5 5,5 4.5 2,0 4,5 2,5 

15 5.0 10,0 6,0 4,5 1,5 3,5 2,0 

16 5,0 10,0 4,5 5,5 2,0 3,5 2,5 

17 5.0 7,6 5,5 4,5 1,5 3,0 2,5 

18 5,0 8,5 4,5 4,5 1,5 4,0 2,5 

19 4,5 7,5 5,0 5,0 1,5 3,5 2,5 

20 5,5 8,0 4,5 4,0 2,0 4,0 2,5 

21 I 5,5 8,0 5,0 5,0 1,5 3,0 2,5 

22 4.5 7,5 5.0 4,5 2,0 4,0 3,0 

23 4,5 8,0 5,0 5.5 2,0 3,5 2,5 

24 4,5 8,5 4,0 5,0 2,0 3,5 3,0 

26 4.5 — i 5.0 5,5 1,5 4,0 2,5 

26 | 5iO — 4:0 6,5 2,0 4,5 3,5 

27 5,0 — 4,5 | 6,5 1,5 4,0 3,0 

28 5,5 — 4,5 — 2,0 4,5 3,0 

29 4,5 i — 4.5 1 — 1,5 3,5 3,0 

30 — — 4,5 - 2,0 4,0 3,5 

31 — — 5,0 — 1,5 3,5 3,0 

32 — — 4,5 - 2,0 4,5 3,5 

33 — — 5,0 — 2,0 3,5 3,5 

34 1 — — ! 4,5 — 2,0 4,5 3,5 

35 1 - — 5,5 — 2.0 5,0 3,5 

36 — — 4,5 - 2,0 4,5 - 

37 — — 5,0 — 2,0 4,0 — 

38 . — — 5,0 — 2,0 4,5 

39 — — 4,5 — 2,0 4,5 — 

40 — — ! 4,5 : - 2,0 5,0 — 

41 — — 5,5 ! — — 4,0 — 

42 — — 5,0 — — 5,0 — 

43 — I — 5,5 — — 4,5 — 

44 — I — 5,5 — — 5,5 — 

45 — — I 6,0 — — 2,5 — 

46 — — 5,0 — — 5,5 — 

47 — , — 6,0 — ] — 4,0 - 

48 — 1 5,5 — — 5,0 — 

49 — — 6,0 I — — 5,0 — 

50 — — 5,5 | — ! — 6,0 


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202 


Weizsäcker 


im letzten Stab der Tabelle II b zusammengestellt worden. Ba£ 
die Beschleunigung bei Versuch Nr. V eine relativ geringe ist. 
liegt vielleicht an der Kürze der Zeit, seit welcher die Anämie 
bestand (nur 6 Tage gegen 22 und 19 in Nr. VIII und IX). 


Tabelle Ilb. 


Vers.-Nr. 

Gewicht g 
vor | nach 
der Anämisierung 

Dauer der 
Anämisierung 

Hämogl. 

% 

ccm 

Sek. 

ccm 
~SeT 
pro 1 qm 
Körperober- 
fläche 

IV 

7460 



90 

2,00 

4,77 

II 

8400 

— 

— 

65 

1,16 | 

2,53 

X 

10800 

— 

— 

60 

1 1,88 ! 

1 3,47 

VII 

5400 

— 

20.-28. XI. 

55 

1 -1,86 ' 

5.45 

VIII 

10800 

10000 

6.-28. V. 

25 

5,48 1 

10,58 

V 

15400 

14200 

21.—27. X. 

20 

| 2,27 

3,49 

IX 

7900 

7200 

6.-25. V. 

20 

, 3,65 ' 

1 1 

8,82 


Um aber den früher erwähnten Mängeln der Methode noch 
mehr auszuweichen, sind auch Versuche bei akuter Anämie an¬ 
gestellt worden, welche in einem Versuche normale und patho¬ 
logische Verhältnisse enthielten. 

Zu diesem Zwecke wurde die Stromuhr wie gewöhnlich in die 
Carotis eingesetzt, in die Art. und Ven. femoralis je eine Kanüle 
eingebunden, so daß aus ersterer Blut entnommen, durch letztere 
Ringer’sche Lösung infundiert werden konnte. 

Da die ersten Versuche nämlich zeigten, daß (wie auch C. Tiger- 
stedt(12) für vermehrte Blutmenge gezeigt hat), die vom Herzen 
ausgeworfene Blutmenge offenbar von der Größe der Gesamtblnt- 
menge erheblich beeinflußt wird, indem die Stromvolumina nach den 
Aderlässen stark sanken und dauernd niedrig blieben, ebenso wie 
sie bei reichlicher Kochsalzlösungzufuhr bedeutend stiegen, so wurde 
später die entnommene Blutmenge möglichst gleichzeitig und genaa 
quantitativ durch Ringer’sche Lösung ersetzt. Es läßt sich an¬ 
nehmen, daß die Ringer’sche Lösung als solche (etwa auf toxischem 
Wege) keinen erheblichen Einfluß im Sinne der Beschleunigung 
oder Verlangsamung ausüben wird. 

Der Einfachheit wegen ist in den folgenden Tabellen immer 
eine größere Gruppe von Stromuhrperioden zusammengefaßt worden, 
und für diese Gruppe der Durchschnittswert der Geschwindigkeit 
angegeben worden. Der bei jeder Gruppe vermerkte Eingriff, Ader¬ 
laß oder Transfusion erfolgte am Ende dieser Gruppe. Seine 


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Beitrag zur Frage der Blutgeechwindigkeit bei Anämie. 


203 


Wirkung drückt sich also in den Zahlen der jeweils nächstfolgen¬ 
den Gruppe aus. Die Gesamtblutznfuhr in einem bestimmten 
Zeitabschnitt erhält mau, m ccm, indem man die Zahl der Perioden 
des Zeitabschnittes mit 10 multipliziert, da einer Periode eine 
Förderung von 10,0 ccm Blut entsprach. 


Tabelle III. 


Nr. 4. Gewicht 12000 g, Morphin 0,084, Hirudin 0,1. 
Versuchsdauer: 63 Minuten. 


Periode 

Zeit 

in Minuten 

in Se¬ 
kunden 

Geschw. ^ c * 11 
Sek. 

Hämogl. 

0/ 

Io 

Bemerkungen 

1—25 

0—3,38 

203 

1,23 

0,38 

97 

Aderlaß 200 ccm. 

26—30 

3,38—5.57 

131 

— 

Transfusion von physio¬ 
logischer NaCl-Lösung. 

31—90 

5,57—9,73 

1 

284 

2,11 

1 

geringe Blutung (ca. 30 
ccm) an der Stromuhr- 
kanttle -f- Aderlaß 200 ccm. 

124—128 

! 14,98-16 

62 

0,81 

— 

Transfusion. 

129—180 

16-18 

142 

: 3.52 

I - 

Aderlaß 200 ccm. 

181—192 

18-20 

106 

1,12 

1 - 

Transfusion. 

193—228 

20-22 

138 

2,61 

! 26 

Aderlaß 200 ccm. 

229—239 

22-24 

102 

1,08 

— 

Transfusion. 

240-268 

1 24—26 

148 

1,96 

• — 

Aderlaß 200 ccm. 

269—278 

26-28 

112 

0,89 

— 

Transfusion. 

279—328 

1 28-33 

286 

1,75 

I — 

Aderlaß 160 ccm. 

329—336 

33-35 

101 

0,79 

— 

Transfusion. s 

337-357 

35—38 

180 

1,17 

1 

1 


Störung der Schreibvor¬ 
richtung. 

362—385 

39—43 

257 

0,93 

— 

Folgen eines Aderlasses 

386-544 

43—62 

1161 

1,36 

ca. 7 

zu 160 und drei Aderlässen 
zu je 200 ccm mit ent¬ 
sprechenden Transfusionen. 


Tabelle IV. 

Nr. 5. Gewicht 6050 g, Morphin 0,03, Hirudin 0,05. 
Versuchsdauer: 52 Minuten. 


Periode 

Zeit 

in Minuten 

in Se¬ 
kunden 

'Geschw. £5 Hä “ ogl - 
Sek. io 

Bemerkungen 

1-32 

0 —8,1 

486 

0,66 

i 

90 

Aderlaß 180 ccm -f- 
Ringertransfnsion ISO ccm 
(gleichzeitig). 

33—64 

8,1—19 

704 

0,47 

— 

65-72 

19—46 

2499 

0,03 


Blutung mit nachfolg. 
Ringertransfnsion. 

73-88 

46—51 

i 

1 

326 

0,49 

J 

46 

j Gerinnung in der Uhr 
! macht dem Versuch ein 
Ende. 


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204 


Wkizsackeh 


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Tabelle V. 

Nr. 6. Gewicht 4100 g, Morphin 0,012, Hirndin 0,07. 
Versuchsdauer: 78 Minuten. 


Periode 

Zeit 

in Minuten 

in Se¬ 
kunden 

Geachw. S^ Hämogl. 
Sek.! % 

Bemerkungen 

1—7 

0—4 

1 

265 

' 0,26 

1 

78 


8—37 

4-15 | 

660 

0,45 


Aderlaß 54 ccm. 

38-49 

15—22 

409 I 

0,29 j 

- 1 

Ringertransf. 54 ccm 

50-66 

22—31 1 

552 | 

0,29 ; 

65 | 

Aderlaß 51 ccm. 

66—68 

31—35 1 

257 1 

0.12 


Ringer 50 ccm 

69-88 

35 —oo | 

t 

613 ; 

0,33 ! 

1 

50 

Aderlai» 55 ccm — Rinr 
55 ccm. 

89—92 

55—63 

442 ! 

0,09 | 

35 ! 

Ringer 250 ccm. 

93 

63—67 

248 

0,04 

_ 

94—96 

67—72 

320 

0.09 

— 



Exitus. 


Tabelle VI. 

Nr. 8. Gewicht 8000 g, Morphin 0,032, Hirudin 0,1. 
Versuchsdauer: 34 Minuten. 


Periode 

Zeit 

J in Minuten 

J in Se- 

1 künden 

i 

Geschw. 

Sek 

H&mogl. 

% 

Bemerkungen 

1—32 

0-5 

304 

! 1,07 

95 

Aderlaß 50 ccm. 

33—47 

5—7 ! 

168 

0,88 

I 

Ringer 50 ccm. 

48-60 

7—10 | 

1 

i 

176 

0,72 

1 


; 

Gerinnung in der Qr 
n. geringe Blutung. Reini¬ 

62-86 

0-2 | 

175 

1,46 

85 

gung d. Uhr. Ringer 20 ce;r. 

87 -103 

2-5 

146 


1 

Abermals Gerinnung. 
Versuch wird abgebrochen 


Zur Kritik dieser Versuche ist zu sagen, daß ohne Bestim¬ 
mung des respiratorischen Gas Wechsels natürlich nicht mit Sicher¬ 
heit behauptet werden kann, ob und wie lange die Sauerstoffver- 
sorgung eine normale geblieben ist, ob also jener Widersprach 
zwischen dem 0 2 -Verbrauch und der zirkulierenden Hämoglobin¬ 
menge wirklich besteht. Daß zu irgendeiner Zeit die Kompen¬ 
sationsvorgänge angefangen haben zu versagen, ist sogar höchst 
wahrscheinlich, denn die Tiere wurden gewöhnlich bis zur 
Erschöpfung entblutet und starben kurz nach Beendigung der 
Versuche. 

Kerner ist gerade der erste Versuch (Tabelle III), welcher am 
deutlichsten eine, wenngleich geringe Beschleunigung anzeigt, am 
wenigsten beweisend, weil hier gerade die Zufuhr der Salzlösung 
filier von physiologischer Kochsalzlösung) erst nach jedem Aderlaß 


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Beitrag zur Frage der Blutgeachwindigkeit bei Anämie. 


205 


and ziemlich plötzlich erfolgte und zadem mehr Kochsalzlösung 
zugeführt wurde, als Blut entnommen war, was eben eine vorüber¬ 
gehende Vermehrung der Gesamtbltttmenge bedeutet und diese 
kann nach C. Tigerstedt (12) offenbar aus ganz anderen Gründen 
(mechanisch-reflektorischer Art?) eine Vergrößerung der Schlag¬ 
volumina zur Folge haben. Man kann wohl sagen, es sei einerlei, 
ob die Gründe dieser Vergrößerung mechanische seien oder ob sie 
in den Folgen des Hämoglobinmangels liegen, im Effekt sei diese 
Vergrößerung in Absicht auf den durch Blutverdünnung bedingten 
CL-Mangel eben zweckmäßig. Dagegen ist einzuwenden, daß, ab¬ 
gesehen vielleicht von der Chlorose, die Mehrzahl Anämien nicht 
mit Vermehrung, sondern wahrscheinlich mit Verminderung der 
Blutmenge einhergehen (13), daß hier jenes mechanische Moment 
also fehlt. Es geht also nicht an, für diese Anämien die Beschleuni¬ 
gung, die C. Tigerstedt gefunden hat, und mit der mein erster 
Versuch in Einklang steht, als Beispiel einer Kompensationsvor¬ 
richtung anzuführen. Trotzdem ist festzustellen, daß Versuch Nr. 4 
und 8 (Tabelle III und VI) eine geringe Erhöhung der Strom¬ 
volumina während der Anämisierung erkennen lassen und am deut¬ 
lichsten der 4. Versuch. Wenn man in diesem nicht die unmittel¬ 
bar nach den Transfusionen eintretenden Stromvolumina berück¬ 
sichtigt, sondern die Durchschnittsvolumina am Anfang, Mitte und 
Ende des Versuches, so erhält man auch in dieser Berechnung eine 
Erhöhung um bis zu ca. 60% gegenüber dem Anfangswert des 
Versuches: 


Periode 

Hämogl. 

% 

ccm 

Sek. 

Zunahme 
! °/o 

1-25 

! 97 

1,23 

! - 

181—228 

26 

1,97 

ca. 60 

386-544 

7 

1,36 

ca. 9 


Diese Versuche also lassen, besonders wenn man nur den 
ersten Zeitabschnitt, während dessen man die Leistungsfähigkeit 
der Kompensationsmechanismen wohl als unbeeinträchtigt ansehen 
darf, teils keine, teils nur eine geringe Erhöhung der Strom¬ 
volumina in der Carotis erkennen. Mag man den Einfluß mecha¬ 
nischer Umstände, wie Gesamtblutraenge, Konfiguration der Gefä߬ 
höhle, Viskosität in den vorliegenden Versuchen hoch oder gering 
veranschlagen — die Tatsache, daß einwandfreie erhebliche Kom¬ 
pensationsbestrebungen nicht zur Beobachtung kamen, läßt einen 
deutlichen Gegensatz dieser akuten Aderlaßanämien gegenüber den 


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Go^ 'gle 


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206 Wkizsäckkb, Beitrag zur Frage der Blntgeschwindigkeit bei Anämie. 


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innerhalb einiger Wochen entstandenen erkennen. Allerdings, dies 
alles gilt nur für die Carotis. Aber gerade in der Carotis hätte 
man solche Kompensationen teleologisch am frühesten zu erwarten, 
und wenn Schlüsse von ihr auf den Gesamtkreislauf auch nur in 
beschränktem Maße zulässig sind — eine sehr erhebliche Erhöhung 
der Schlagvolumina machen die Versuche doch unwahrscheinlich 

Für die chronische Anämie dagegen bildet die erste Versuchs¬ 
reihe eine weitere Stütze der Annahme, daß eine Kompensation 
durch Beschleunigung des Blutumlaufs eintritt Nimmt man die 
anderen eingangs erwähnten Kompensationsvorrichtungen hinzu, so 
hat die Frage der Aufrechterhaltung des Gasaustausches bei Härao- 
globinverarmung wohl keine Schwierigkeit. Zu untersuchen wäre 
immerhin noch, ob die von Bohr angenommene Sauerstoffzehrung 
innerhalb der Lunge bei den Anämien besteht resp. erhöht ist 
Die Tatsache, daß bei Sauerstoffmangel intermediäre Produkte 
(Milchsäure) ins Blut treten, würde der Annahme, daß in der Lunge 
ein Teil der sonst in anderen Geweben stattfindenden Verbrennungen 
zustande käme, jedenfalls nicht ungünstig sein. Hierbei, wie bei 
anderen Fragen, wäre jedenfalls zu beachten, daß sich die akuten 
und die chronischen Anämien insbesondere in bezug auf den Kom¬ 
pensationsmechanismus prinzipiell verschieden verhalten. 

Dies geht jedenfalls deutlich aus den vorstehenden Versuchen 
hervor und erklärt vielleicht auch die Beobachtung, daß unsere 
Tiere die akute Anämisierung sehr viel schlechter ertrugen als die 
allmähliche. Es ist demnach nicht unwahrscheinlich, daß die 
Hämoglobinwerte, die zur Erhaltung des Lebens eben noch aus¬ 
reichend sind, bei der akuten Anämie höher liegen als bei der 
chronischen. 


Literatur. 

1. Butterfield, Zeitschr. f. pbysiol. Chemie 62 p. 173. 

2. Masing, Arch f. klin. Med. 98 p. 122. 

3. Masing u. Siebeck, Arch. f. klin. Med. 99 p. 138. 

4. Mora witz u. Röhmer, Arch. f. klin. Med. 94 p. 529. 

5. Kraus, Deutsche med. Wochenscbr. 1909 p. 239, Plesch, Zeitschr f. exp. 
Therap. 6. 

6. A. Müller, Arch. f. klin. Med. 97 p. 127. 

7. R. Tigersted t, Skandin. Arch. f. Phys. 1892 p. 145. 

8. Tschuewsky, Archiv f. d. ges. Phys. 97, 1903 p. 270. 

9. Dogiel, Ber. über d. Verhaudl. d. Stichs. Ak. d. Wiss. 1867 p. 264. 

10. Tallqvist, Experimentelle Blut gif tauämien 1900, Hirschwald. 

11. Rubuer, Zeitschr. f. Biol. 19, 549, 1883. 

12. C. Tigerstedt, Skand. Arch. f. Phys. 1908 p. 197. 


Go^ gle 


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Besprechung. 

F. Kraus und G. Nikolai, Das Elektrokardiogramm des 
gesunden und kranken Menschen. Mit zahlreichen zum 
Teil mehrfarbigen Figuren. Leipzig, Verlag von Veit u. Comp. 
1910, 322 Seiten. 

Mit gewohnter Initiative hat Kraus, nachdem er vor 3 Jahren 
als erster Kliniker sich der neuen von Einthoven angegebenen elektro- 
graphischen Methodik bediente, seine Studien auf diesem Gebiete fort¬ 
gesetzt und es jetzt im Verein mit G. Nikolai unternommen, in voll¬ 
ständigerer Weise als bisher die eigenen Versuchsergebnisete und klini¬ 
schen Beobachtungen unter Berücksichtigung der vorliegenden Literatur 
dazulegen. Indem die Verf. außerdem sich bemühten, die wissenschaft¬ 
lichen Grundlagen und die Technik des elektrographischen Verfahrens 
ausführlich zu beschreiben, suchten sie es auch anderen zu ermöglichen, 
sich in der relativ verwickelten Materie zurechtzufinden und selbständig 
mit der neuen Methode zu arbeiten, welche sie besonders zu klinisch- 
diagnostischen Zwecken empfehlen. Mit Hecht sehen sie in 
dieser Methode eine Ergänzung der schon vorhandenen Untersuchungs- 
methoden des Herzens, welche, wenn sie letzterer auch in mancher 
Richtung nachstellt, in vieler Beziehung dieselben doch überflügelt hat. 

Die Arbeitsteilung haben die Verf. in der Weise vorgenommen, daß 
Nikolai im wesentlichen den theoretischen ersten Teil, Kraus den 
klinischen zweiten Teil niederschrieb. 

Der Inhalt des ersten Teiles bezieht sich auf die Entstehung und 
Bedeutung des Elektrokardiogramms, auf die Abhängigkeit der elektro¬ 
graphischen Kurve von der Art der Ableitung, auf die Technik der 
S&itengalvaoometerarbeiten, auf die Form und Bezeichnung des normalen 
menschlichen Elektrokardiogramms, auf die morphologischen und physio¬ 
logischen Grundlagen für die Analyse, Deutung und Erklärung der Form 
der elektrokardiographisch gewonnenen Kurve. 

Im zweiten Teil bespricht Kraus zunächst die Elektrokardiogra¬ 
phie als klinische Methode, um in den folgenden Kapiteln die Atrium- 
nnd Ventrikelschwankung und ihre Abweichungen von der Norm unter 
verschiedenen Bedingungen eingehend zu erörtern, wobei die genaue 
Kenntnis der Literatur und die Vielseitigkeit ihrer Verarbeitung hervor¬ 
zuheben ist, besonders, wenn man bedenkt, daß Kraus in der Haupt¬ 
stadt des Reiches gewiß nur mit Mühe sich die Zeit erübrigte, um seine 
immer anregenden Gedanken zu Papier zu bringen. 

Kann der Ref. dem Buche als Ganzem nur uneingeschränktes Lob 


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208 


Besprechung. 


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zollen, so will er andererseits nicht verschweigen, daß er mit einer An¬ 
zahl Einzelheiten nicht einverstanden ist. Es wäre aber gegenüber der 
Gesamtleistung kleinlich und hier auch nicht Raum genug auf dies? 
Einzelheiten einzugehen, wozu sich bei anderen Gelegenheiten genügend 
Anlaß finden wird. 

Es erscheint mir überflüssig, dieses Buch allen Medizinern zo 
empfehlen, denn es empfiehlt sich schon genügend durch den Namen de* 
Initiators und durch das wirklich vorhandene Bedürfnis nach einer zu¬ 
sammenhängenden Darstellung der elektrographischen Untersuchung** 
methode und der mit ihr gewonnenen Ergebnisse. H. E. Hering. 


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Aus der medizinischen Klinik in Heidelberg. 

Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel 

im Fieber. 

Von 

E. Grafe. 

Unsere bisherigen Kenntnisse über den Stoffwechsel im Fieber 
beim Menschen basieren fast ausschließlich auf den Ergebnissen 
von Harnuntersuchungen und kurzdauernden Respirationsversuchen, 
wie sie vor allem mit der Zuntz-Geppert’schen Methode angestellt 
worden waren. Bis ganz vor kurzem lagen nur beim experimentell 
erzeugten Fieber der Tiere einige länger dauernde, auch den 
Lungengaswechsel umfassende Untersuchungen vor. 

Erst in letzter Zeit sind auch beim Fieber des Menschen mit 
dem Atwater-Rosa’schen Apparate von Carpenter und Bene¬ 
dict 1 2 ) einige Versuche angestellt worden. Allerdings handelte 
es sich um ein vorübergehendes, offenbar sehr leichtes Fieber (bei 
Quecksilbervergiftung), so daß die dort gewonnenen, interessanten 
Resultate nicht ohne weiteres für das Fieber überhaupt verallge¬ 
meinert werden können. Leider fehlen Angaben über den Stick¬ 
stoffgehalt des Harns, so daß sich der Anteil der Eiweißkörper 
an dem Fieberstoffwechsel nicht ersehen läßt. 

Zwei Fragen sind es vor allem, die durch die vorliegenden 
Stoffwechselversuche bisher noch nicht entschieden werden konnten, 
einmal der Anteil der einzelnen Stoffe an der Oxydationssteigerung 
im Fieber und ferner das Verhalten des respiratorischen Quotienten. 
Seit Alfred Vogel*) ist es bekannt, daß im Fieber der Eiwei߬ 
zerfall erhöht ist. Später hat dann vor allem Senator 3 ) beim 

1) American Journal of Physiologie Bd. 24 p. 203 f. 1909. 

2) Zeitschr. f. ration. Med. N. F. II, 1854. Klin. Untersuchungen über den 
Typhus. Erlangen 1860. 

3) Untersuchungen über den fieberhaften Prozeß und seine Behandlung. 
Berlin 1873. 

Deqlschea Archiv für klin. Med. 101. Bd. 14 


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210 


Grape 


Tiere den toxischen Eiweißzerfall im Fieber eingehend studiert 
Er folgerte aus seinen Versuchen, daß im Fieber gegenüber der 
Norm mehr Eiweiß, aber weniger Fett verbrannt würde. Damit 
erklärte er auch die fettigen Degenerationen innerer Organe 
beim Fieber. Die Kohlensäureausscheidung war etwas vermehrt in 
seinen Versuchen, doch erblickte er darin keine Steigerung der 
Gesamtoxydationen, sondern nur eine vermehrte Ausscheidung von 
Kohlensäure im Fieber infolge vermehrter Säurebildung im Blut. 

In der Folgezeit wurde dann die Steigerung der Gesamtoxy- 
dationen im Fieber von den verschiedensten Autoren mit den ver¬ 
schiedensten Apparaten bei Mensch und Tier sichergestellt 1 2 3 ) Im 
Anschluß vor allem an die eingehenden Versuche von May s ) nahm 
man an, daß die Steigerung der Oxydationen ausschließlich oder 
fast ausschließlich durch Mehrzersetzung von Eiweiß bedingt ist. 
Noch 1906 konnte Kraus 8 ) als herrschende Meinung feststellen. 
daß „alle Mehrzersetzung im Infekte zweifellos ganz vorwiegend 
das Eiweiß treffen“. 

Stähelin 4 * ) hat im Rubner’schen Institut als erster nach¬ 
gewiesen, daß beim experimentellen Fieber des Tieres (Infektion 
mit Surra) auch die Verbrennung des Fettes gegenüber der Norm 
gesteigert sein kann, während die Verbrennung von Eiweiß relativ 
nur wenig erhöht war. Es ist dieser Fall bisher ganz isoliert ge¬ 
blieben und es scheint die Ansicht zu bestehen, daß man ihn nicht 
für das Fieber überhaupt, speziell das des Menschen, verall¬ 
gemeinern dürfe. 8 ) 

Wie vor allem auch Kraus 8 ) betont, kann die Frage der 
Beteiligung der einzelnen Stoffe des Körpers bei den Oxydations- 
steigerungen im Fieber, nur durch länger dauernde Untersuchungen 
des Gesamtstoffwechsels beantwortet werden. Auch ein anderes 
Problem kann wohl auch nur auf diese Weise gefördert werden, 
nämlich die Entscheidung der Frage, ob im Fieber oder infolge 
der Infektion eine qualitative Störung des Stoffwechsels eintritt 


1) Literatur über diese Frage vgl. Kraus, Fieber u. Infektion in v. Xoor- 
dtui’s Handbuch der Patholog. des Stoffwechsels Bd. I p. 590, 1906. — Krehl, 
Pathologische Physiol. 5. Aufl. 1907 p. 481f. — F. Müller, Handb. der Er- 
nllhrungstherapie und Diätetik. II. Aufl. p. 213f. 

2) M ay, Zeitschr. f. Biologie Bd. XXX p. 1, 1894. 

3) v. Noorden’s Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels Bd. I p. 604, 

1900. 

4) 1. c. 

[>) z. B. Kraus, 1. c. p. 604—605. 


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Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber. 


211 


Es sind nämlich von den verschiedensten Antoren mit den 
verschiedensten Apparaten im Fieber abnorm tiefe, unter 0,7 herab¬ 
gehenden respiratorische Quotienten beobachtet worden (Re- 
gnard, A. Loewy, Riethus, Finkler, May, Gröhant et 
Quinquaud, Loening, Rolly und Hörnig, Grafe, Rolly 
und Meitzer u. a. 1 ) Für eine qualitative Änderung der Zer¬ 
setzungen des Organismus sprachen ferner abnorme Werte des 
G 

Quotienten ^ im Ham (vgl. darüber neuerdings Magnus-Als- 
leben *)). 

ln enger Anlehnung an frühere Betrachtungsweisen von Zuntz 
und Rubner ist vor kurzem von Rolly und Meitzer”) die 
Hypothese aufgestellt worden, daß das Zurückbleiben von Sauer¬ 
stoff im Organismus bedingt sei durch abnorme Zersetzung des 
Körpereiweißes. 

Während angeblich in der Norm beim Zerfall des Eiweißes 
der eine Teil, ein noch hypothetischer, kohlehydratähnlicher Körper, 
zugleich mit der stickstoffhaltigen Gruppe verbrenne, soll nach 
Rolly und seinen Mitarbeitern- dieser Stoff im Fieber, etwa in 
Form von Glykogen, im Körper retiniert werden. und erst in der 
Rekonvalescenz zur Verbrennung kommen. 

Das starke Ansteigen des respiratorischen Quotienten im Be¬ 
ginne der Rekonvalescenz wird auf eine Mehrverbrennung von 
derartig gespeicherten Kohlehydraten bezogen. 

Setzt man die Richtigkeit der Hypothese voraus und nimmt 
man mit Rubner 4 ) an, daß beim Zerfall von 100 g Eiweiß im 
Tierkörper ca. 80 g Traubenzucker entstehen können, so würde die 
Rolly’sehe Erklärung im günstigsten Fall (bei ganz besonders 
hohem Anteil der Eiweißzersetzung an den Gesamtoxydationen) 
ein Herabgehen des respiratorischen Quotienten bis 0,65”) ver¬ 
ständlich machen.. Tatsächlich gehen aber die Zahlen in der Lite¬ 
ratur noch tiefer herab, bei Rolly sogar einmal bis 0,366. Es 
reicht die Hypothese für Zahlen, die unter 0,65 6 ) liegen, nicht aus. 

Als Ursache der niedrigen Werte des Quotienten im Fieber 

1) Vgl. Literatur über diese Frage, Grafe, Deutsch. Arch. f. klin. Med. 
Bd. 95 p. 544 f. 1909. 

2) M agnus-Alsleben, Zeitschr. für klin. Med. Bd. 68 Heft 6—6, 1909, 
dort findet sich auch die ältere Literatur zusammengestellt. 

3) Rolly u. Meitzer, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 97 p.274f. 1909. 

4) Energieverbrauch bei der Ernährung 1902 p. 380 ff. 

6) Magnus-Levy gibt als untere Grenze sogar nur 0,68 an. v. Norden’s 
Handbuch der Patholog. des Stoffwechs. Bd. I p. 219, 1906. 

14* 


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212 


Gbafe 


wurde teils der Inanitionszustand, teils die Infektion als solche 
verantwortlich gemacht 

Für den ersteren Punkt berief man sich auf die niedrige® 
Werte, die Zuntz 1 ) sowie Luciani 2 3 ) bei kurz dauernden Hunger¬ 
versuchen beobachtet hatten. 

Die Beweiskraft dieser Untersuchungen ist jedoch wesentlich 
dadurch geschwächt, daß in langdauernden, über viele Stunden er. 
Tage sich erstreckenden Versuchen bisher niemals ein subnormaler 
respiratorischer Quotient gefunden wurde (Benedict*), Grafe 4 )i 
In der 2. und 3. Woche kann der Wert etwas tiefer wie 0,7 liegen. 
Dies Absinken scheint aber lediglich durch die starke Acidose des 
Organismus bedingt zu sein. 

Dieser auffallende Gegensatz zwischen kurzdauernden und lang¬ 
fristigen Versuchen beim Hunger machte es notwendig, auch beim 
Fieber in lange dauernden Versuchen den Quotienten zu untersuchen. 

Die beste Lösung der bisher skizzierten, noch schwebenden 
Fragen würden zweifellos exakte Bilanzversuche, die sich auf C. 
H., 0., N. beziehen, ergeben. Praktisch scheinen solche Versuche 
jedoch gerade in den Fällen, bei denen sie wegen besonders hohen 
Fiebers und besonders schwerer Infektion (Typhus, Erysipel, Miliar¬ 
tuberkulose usw.) am wichtigsten sind, leider kaum durchführbar 
zu sein. 

Bei der meist starken Schwäche und Benommenheit solcher 
Patienten ist ein quantitatives Sammeln von Kot und Urin z. B. 
während eines Tages im Respirationsapparat, in dem man ohne 
vollkommene Unterbrechung des Versuchs nicht an die Kranken 
heran kann, nahezu unmöglich. 

Ich entschloß mich daher, nur Nüchtern versuche vorzunehmen 
und die Kranken nur 6—10 Stunden im Respirationsapparate zu 
behalten. Auf die Untersuchung des Kotes konnte ich dabei, ohne 
einen erheblichen Fehler zu begehen, verzichten. 

Leider gelang es mir auch bei dieser Versuchsanordnung nicht 
immer, den während der Versuchszeit produzierten Urin quantitativ 
zu erhalten. 

Von der Untersuchung des Wasserdampfes nahm ich Abstand. 

1) Bei den Hungerkiinatlera Breithaupt und Cetti. Virchow’s Arch. Bd. 131. 
Suppl. 1893. 

2) Das Hungern. Hamburg u. Leipzig 1890. 

3) The Influence of inanition on metabolism. Publish. by the Camey. In¬ 
stitut of Washingt on 1907. 

4) Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 65 H. 1 p. 21 ff. 1910. 


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Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber. 213 

einmal, weil sie bei durchschnittlich nur 6 Stunden dauernden Ver¬ 
suchen leicht ungenau wird, ferner, weil sich im Sommer, in dem 
ein großer Teil der Versuche angestellt ist, meist eine Wasser¬ 
dampfkondensation an den Wänden des Kastens und in den Rohr¬ 
leitungen nur schwer verhindern läßt. Nach den Untersuchungen 
von Schwenkenbecher und In agaki l 2 ) ist die Schwei߬ 
sekretion im Fieber nicht wesentlich gegenüber der Norm verändert. 

Die eingeschlagene Methode war in den Hauptzügen die 
folgende: 

Die Kranken erhielten 12—14 Stnnden vor Beginn des Versuches 
nur etwas Mich (250 ccm) beziehungsweise Suppe und blieben dann voll¬ 
kommen nüchtern bis zu Beginn des Respirationsversuches. Nur 1 j i 1 
Wasser oder schwarzen Tees wurde gegeben (meist 1 j 3 7 Uhr morgens). 

Vor Beginn des Versuchs wurden die Kranken gewogen, gemessen 
und mußten urinieren. Die Versuche wurden in dem großen Respirations¬ 
apparate der Klinik vorgenommen. Die Kammer hat einen Inhalt von 
2634,8 1, die Seitenwände stehen in einer Ölrinne, die Öffnung und 
Schließung des vollkommen luftdichten KastenB geschieht durch Anheben 
und Senken des Fußendes. Bezüglich der näheren Beschreibung und 
VerBUchatechnik sei auf meine diesbezüglichen früheren Mitteilungen ver¬ 
wiesen. *) 

In dem bequemen Bett lagen die Kranken sehr ruhig und entspannt, 
viele schliefen sogar. Nur in ganz seltenen Fällen trat eine vorübergehende 
Anspannung der Muskulatur durch Entleerung von Kot oder Urin ein. 
Fast immer wurde beides erst nach Beendigung des Versuches entleert. 

Während des Versuches wurden die Kranken stets von geschultem 
Personal beobachtet, vor allem znr Kontrolle der Muskelbewegungen 
sowie der Atmung. 

Die Ventilation mit der großen Gasuhr wurde meist so eingerichtet, 
daß der Kohlensäuregehalt der Kammerluft sich zwischen 0,6 und 1,0 °/ 0 
hielt. Die VersuchBdauer betrug meist 6 Stunden, oft auch 10. Die 
VentilationBgröße war, je nach Gewicht und Temperatur der Patienten, 
25—35 1 pro Minute. Gewöhnlich hielt ich, um gleich zu Beginn der 
Teilstromabsaugung einen hohen Kohlensäuregehalt der Luft zu bekommen, 
der Kasten zu Anfang des Versuches für 1 Stunde luftdicht verschlossen. 

l j % —*/ 4 Stunde vor Beendigung der Untersuchung wurde die Kasten¬ 
luft mittels des Deckenventilator gut gemischt und am Schlüsse eine Probe 
aus dem Kasten entnommen. 

Um zu verhindern, daß ein kleiner Teil der durch den Aufenthalt 
der Versuchsperson veränderten Kammerluft in Decken und Kissen 
zurückgehalten wird, wurden diese mit Ölleinewand überzogen. Die 
größte Gefahr bietet in der Beziehung eine gepolsterte Matratze. Diese 
Schwierigkeit wurde durch Verwendung einer Lambotte’schen Matratze, 
die nur aus Aluminiumspangen besteht, umgangen. 


1) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmak. Bd. 53 S. 365, 1905. 

2) Grafe, Zeitscbr. f. physiol. Chemie Bd. 65 p. lff. 1910. 


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214 


Gbafe 


Nach Abstellung des Versuches wurden die Kranken sofort gemessen 
und zur Entleerung von Urin, dessen Menge meist zwischen 300 und 500 
schwankte, aufgefordert. Im Urin wurde gleich eine Bestimmung de* 
Stickstoffs vorgenommen. Patienten mit einem erheblichen Eiweißgehalt 
im Urin wurden von der Untersuchung ausgeschlossen. Die kleinen 
Mengen von Albumen, die die meisten hochfiebernden Patienten aas¬ 
scheiden , können vernachlässigt werden. In einzelnen Urinen fanden 
sich ganz geringe Mengen von Acetonkörpern, wohl hauptsächlich ah 
Ausdruck des Inanitionszustandes des Körpers. Bei der Berechnung des 
respiratorischen Gaswechsels konnten sie ohne Bedenken vernachlässigt 
werden. 

Der Puls wurde vor und nach dem Versuche gezählt, die Atmung 
während des Aufenthaltes im Kasten selbst. 

Die jedesmal mitgemessene Temperatur der Respirationskammer be¬ 
trog im Durchschnitt 20°, nach unten schwankte sie bis 17,5°, nach 
oben in sehr heißen Sommertagen bei hochfiebernden Patienten in 
ganz seltenen Fällen bis 25°. Gewöhnlich lag sie um 2—2 1 /, Grad über 
der Temperatur der Gasuhr. 

Für die Berechnung des Stoffwechsels wurde von dem Gesichts¬ 
punkt ausgegangen, daß der fiebernde Organismus 12—14 Stunden 
nach einer minimalen, eiweißarmen Mahlzeit im wesentlichen als 
hungernd angesehen werden kann. Zumal bei einer so starken 
chronischen Unterernährung, wie sie im Fieber bei der üblichen 
flüssigen Eost meist unvermeidlich ist, muß man annehmen, daß 
die geringen aufgenommenen Nahrungsmengen sofort verbrannt 
werden. Löning 1 * ) hat durch zahlreiche Versuche nachgewiesen, 
daß der Fiebernde nach Nahrungsaufnahme rascher den Nüchtern¬ 
wert erreicht als der Gesunde. Auch von der im Versuch ge¬ 
fundenen Stickstoffmenge im Urin dürfte bei der im Fieber ge¬ 
reichten eiweißarmen Nahrung höchstens nur ein ganz geringer, 
nicht in Betracht kommender Teil auf verspätete Ausscheidung von 
Nahrungseiweißstickstoff zurückzuführen sein. Aus Erfahrungen 
an Hunden und Menschen geht eindeutig hervor, 8 ) daß selbst nach 
Aufnahme ungeheurer Mengen von Eiweiß (1000 g) schon nach 
24 Stunden der Nüchternwert nahezu erreicht ist. Der Stickstoff¬ 
gehalt der in unserer Klinik gereichten flüssigen Diät beträgt je¬ 
doch nur 5—6 pro die, der Kaloriengehalt ca. 1200 Kal. Es bedarf 
demgemäß, ohne daß man dabei einen irgendwie nennenswerten 
Fehler begeht, die Annahme gemacht werden, daß während der 
Versuchszeit die Kranken nur körpereigenes Material zersetzen. 


1) Klinisches Jahrbuch XIX. Bd. p. 105ff. 1908. 

2) Vgl. z. B. Tigerstedt in Nagel’s Physiol. d. Menschen Bd. I, 1. Hälfte, 

p. 398 f. 1905. 


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Untersuchungen über den Stoff- nnd Kraftwechsel im Fieber. 215 


Somit war es erlaubt, zur Berechnung die auf Grund zahlloser 
Versuche der verschiedensten Autoren aufgestellten Standartzahlen 
für den Hungerstoffwechsel zugrunde zu legen. Auf 1 g N im 
Ham kommen beim hungernden Menschen 5,923 1 0 und 4,754 1 
CO a in der Respiration (vgl. Zuntz*)). 

Bei der Berechnung des Gesamtstoffwechsels aus dem Stickstoff 
des Harns, den aufgenommenen Sauerstoff und der ausgeschiedenen 
Kohlensäure verfuhr ich gemäß den Angaben und Standartzahlen 
von Zuntz und seinen Schülern. -) Nach Abzug der auf die 
Oxydation von Eiweiß entfallenden Mengen von Kohlensäure und 
Sauerstoff von der Gesamtmenge wurde der respiratorische Quotient 
des Restes festgestellt und aus den Tabellen von Zuntz und 
seinen Schülern der kalorische Wert des Sauerstoffes und der An¬ 
teil von Fett und Kohlehydrate an den Umsetzungen in jedem 
einzelnen Falle berechnet. Addiert man dann zu den Kalorien aus 
Fett und Kohlehydraten die Kalorien aus Eiweiß (durch Multipli¬ 
kation des Stickstoffs mit 6,25 X 4,4423), so erhält man den Gesamt¬ 
kalorienverbrauch während der Versuchszeit. Um gut vergleichbare 
Zahlen zu erhalten, wurde die Stickstoffausscheidung sowie die 
Kalorienproduktion auf 24 Stunden umgerechnet. 

Von großer Wichtigkeit war die Frage, welche Normalzahlen 
man zum Vergleiche heranziehen soll. Am genauesten wäre es, 
wenn man die Oxydationen der Versuchspersonen im gesunden Zu¬ 
stande kennte. Bei einer Reihe von Kranken (z. B. schweren Tuber¬ 
kulosen) ist dies unmöglich. Leider war es mir aber auch nur bei 
einem großen Teile der akut Erkrankten möglich, später in 
vollkommen gesundem Zustande Untersuchungen anzustellen. Ge¬ 
wöhnlich lassen sich die Kranken nicht so lange in der Klinik 
halten, bis die Rekonvalescenz ganz vorüber ist Für alle diese 
Fälle war ich gezwungen zum Vergleich das große Zahlenmaterial 
zugrunde zu legen, das durch zahlreiche Untersuchungen bei'Ge¬ 
sunden für alle Alters- und Gewichtsverhältnisse vorliegt. Da die 
Kranken während des ganzen Versuchs ruhig und entspannt im 
Bett lagen, alle stärkeren Muskelbewegungen nach Möglichkeit 
vermieden, z. T. schliefen, durfte ich für einen Vergleich die 
„Grundumsatzzahlen“ (Magnus-Levy) heranziehen. Die im 


1) z. B. Lehrbuch der Physiol. des Menschen p. 660f. 1909. 

2) Vgl. Zuntz, Lehrbuch der Physiol. des Menschen p. 662 1910, Magnus- 
Levy in v. Noorden’s Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels Bd. 1 p. 203ff. 
2. Aull. 1906. 


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216 


Ghafk 


Durchschnitt etwa 15—20 °/ 0 höheren Zahlen, die in großen Apparaten 
bei weitgehender Bewegungsfreiheit gewonnen waren, schienen für 
den Zweck ungeeignet, wie ein Blick auf die später zu besprechenden 
Tabellen II und IV ergibt. Demgemäß sind überall dort, wo mir 
keine Normalzahlen beim Individuum selbst zur Verfügung standen, 
bei der Berechnung der Oxydationssteigerung die Normalzahlen, 
wie sie Zuntz und seine Mitarbeiter, vor allem Magnus-Levy 
an einem großen Materiale gefunden haben, benutzt worden. Die 
auf solche Weise berechneten Zahlen geben natürlich nur einen 
approximativen Wert an. Ein Beispiel für die ganze Art der Be¬ 
rechnung findet sich im Anhang mitgeteilt. Auch bezüglich der 
notwendigsten Daten aus den Krankengeschichten der Versuchs¬ 
personen sei auf diesen verwiesen. 

Bei der Auswahl des Materials kam es mir mehr darauf an. 
möglichst viele Fälle der verschiedensten akuten und chronischen 
fieberhaften Erkrankungen in den verschiedensten Stadien zu unter¬ 
suchen, als wenige Fälle häufiger zu studieren. 

Zur Beantwortung der oben skizzierten Fragen schien es vor 
allen Dingen wichtig, ein möglichst weites Übersichtsbild zu er¬ 
halten. 

Als Repräsentanten der schweren akuten Infektionskrankheiten 
wählte ich in erster Linie den Typhus abdominalis in seinen ver¬ 
schiedensten Stadien, als Paradigma für die chronischen fieber¬ 
haften Erkrankungen die letzten Stadien der Lungentuberkulose. 

Im ganzen wurden 64 Respirationsversuche an 35 Kranken 
vorgenommen, 45 bei 18 akut Erkrankten, 19 bei 17 Fällen 
chronischer Infektion. 

Es handelte sich um 12 Fälle von Typhus abdominalis, 3 Fälle 
von Pneumonia crouposa, je einen von Erysipelas faciei, Angina 
follicularis und Pleuritis exsudativa, ferner 16 mal um Tuberkulose 
der verschiedensten Organe, in erster Linie der Lungen, lmal um 
eine chronische fötide Bronchitis mit Ektasien und bronchopneumo- 
nischen Herden. 

Die wichtigsten Untersuchungsdaten und Ergebnisse sind in 
4 Tabellen zusammengestellt. Tabelle I und III beziehen sich auf 
die Versuche bei den akuten Infektionskrankheiten, II und IV auf 
die entsprechenden bei chronisch fieberhaften Krankheiten. In der 
Anordnung der Daten entsprechen sich Tabelle I und II, ferner 
III und IV. Die beiden ersten Tabellen enthalten die wichtigsten, 
zum Verständnis der beiden weiteren Tabellen notwendigen Unter- 


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Untersuchungen über den Stoff- und Eraftwechsel im Fieber. 


217 


suchtmgs- und Versuchsdaten. Stab 1—14 sind ohne weiteres ver¬ 
ständlich. Stab 15 enthält die Zahl der Liter Luft, die während 
des Versuches die Gasuhr passieren; die Werte sind reduziert auf 
0 °, 760 mm Hg und Trockenheit Nr. 16 gibt die Mengen Kohlen¬ 
säure, die während des Versuchs ausgeatmet wurden, an, Nr. 17 
die entsprechenden Werte für den aufgenommenen Sauerstoff. Die 
Stickstoflfwerte in Tabelle 19 entsprechen nicht in allen Fällen 
genau der Versuchszeit, da manchmal schon Y* Stunde vor Beginn 
und nicht sofort nach Ende des Versuchs Urin entleert wurde. 

In den Tabellen III und IV sind die wichtigsten Ergebnisse 
der Stoffwechselversuche registriert, ln Stab 6 und 7 sind zum 
Vergleich mit dem großen Zahlenmaterial, das mit der Zuntz’schen 
Methode gewonnen wurde, die Werte für CO a und 0 2 in ccm pro 
kg und 1 Minute verzeichnet. Die Berechnung der Gesamtkalorien¬ 
produktion (Stab 10) wurde meist in der oben geschilderten Weise 
vorgenommen. In den mit c versehenen Fällen konnte dieser Weg 
jedoch leider nicht eingeschlagen werden. Der Grund war in den 
meisten Fällen der, daß Urin durch die Benommenheit der Patienten 
oder sonstige Umstände verloren ging. In diesen Fällen konnten 
die Eiweißkalorien nicht berechnet werden. Um trotzdem ein un¬ 
gefähr zutreffendes Bild der Gesamtkalorienproduktion zu bekommen, 
berechnete ich nach einer von Magnus-Levy 1 ) aufgestellten 
Tabelle im einzelnen Falle für den respiratorischen Quotienten den 
zugehörigen kalorischen Wert von 1 1 0 2 und daraus durch Mul¬ 
tiplikation mit dem Gesamtsauerstoflfverbrauch pro 24 Stunden die 
Wärmebildung. 

In Nr. 9 c, 11b, 14 b ist wohl die Kalorienproduktion durch 
Verbrennung von N-haltigem Material bekannt, aber der respira¬ 
torische Quotient ist so hoch, z. T. über 1,0 hinausgehend, daß hier 
die sonst gegenüber den dissimilatorischen Prozessen ganz in den 
Hintergrund tretenden synthetischen Vorgänge einen breiteren 
Baum einnehmen müssen. Leider ist es nicht möglich ohne Ver¬ 
gleich der direkten und der indirekten Kalorimetrie eine sichere 
Vorstellung von der Ausdehnung der Synthesen, von denen noch 
später die Rede sein soll, zu erhalten. 

Da die respiratorischen Quotienten jedoch nur selten über 1.0 
hinausgehen, läßt sich wohl so viel mit Sicherheit sagen, daß die 
Synthese keine sehr umfassende sein kann. 


1) Literatur vgl. Magnus-Levy in v. Noorden’s Handb. der Patholog. d. 
Stoffwechs. Bd. I p. 216, 225, 285 etc. 


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218 


Gbafb 


Ti 


1 

Zahl 

2 

Ver- 

suchs- 

Nr. 

3 

Datum 

4 

Name 

& 

Ge¬ 

schlecht 

6 

Alter 

in 

Jahren 

7 

Ge¬ 
wicht 
in kg 

8 

Diagnose 

9 

Stadium 

Erankkr' 








Aknte Infektua- 

la) 

32 

19. XI. 09 1 

G. Kr. 1 

m. 

45 

67 

Typhus 

6. Wock 








abdominalis 


b) 

40 

2. XII. 09 

97 

99 

99 

62 

77 

1. fieberfrei 









Taf 

2 a) 

34 

24. XI. 09 

E. Gr. 

w. 

55 

41,5 


4. Work 

b) 

42 

6. XII. 09 


99 


44,5? 


6. Wuctr 







(Ödeme) 



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82 

18.1.10 

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99 

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37,0 


RekonTik- 

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c) 

119 

9. IX. 10 

»9 

99 

99 

61,9 

f • 

R*konva:~ 

10 

56 

1 7.1.10 1 

F. St. 

99 

30 

53,8 

J4 

Krise 

11a) 

96 

1 5. vn. 10 ; 

K. Och. 

99 

; 15 

43,4 

Typhus 1 

1 2. Worb, 








abdom. 


b) 

1 112 

26. VII. 10 

9t 

99 

99 

42,8 

fl 

RekonTil* 

c) 

121 

12. IX. 10, 

91 

99 

„ 

52,0 

fj 

Ende der 









Rekonva>> 

12 

93 

1. VII. 10 

H. Sch. 

99 

29 

63,9 

Angina follic. 

! 4. Tag 

13 

107 

20. VII. 10 

C. Fr. 

99 

i 19 

I 59,6 

Pleuritis 

2. Woche 






i 


exsudat. 


14 a) 

95 

4. VH/ 10 

G. Bö. 

99 

24 

48,0 

Typhus 

3. Wochr 








abdom. 


b) 

108 

21. VII. 10 

r 

99 

1 « 

45,8 

91 

Beginn dR^v 

15 a) 

109 

22. VII. 10 

P. Kl. 


! 36 

65,3 

99 

1 2. Wochr 

b) 

114 

28 VII. 10 


91 

ff 

63,6 

91 

3. Wocb 

c) 

120 

10.IX. 10 


V 

71 1 

61,3 


Rekonvtl^’ 

d) 

140 

’ 29. X. 10 

99 

99 

i n 

69,8 

99 

gesund 


Digitized by Gougle 


Original frnm 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber. 219 


e I. 


er¬ 

rat. 

rach 

i 

C 

11 

Puls 

12 

Respi¬ 

ration 

13 

Ver¬ 

suchs- 

dauer 

i. Std. 

14 

Temperat. 

der 

Kammer 

in # C 

15 

Ventila¬ 

tionsgröße 

reduziert 

in 1 

16 

CO,- 
Bil- 
dung 
in 1 

17 

O.- 

Ver- 

brauch 

in 1 

18 

CO, 

o. 

19 

N- Ausschei¬ 
dung wäh¬ 
rend des 
Versuches 

in * 

Bemer¬ 

kungen 

kheiteu: 

,2 | 95 

1 

25 

574 

18,5 

5471 

51,41 

69,9 

0,735 

1,892 


,8 

85 

18 

6*/* 

18,8 

6085 

60,40 

80,0 

0,755 

1,917 


,6 

75 

20 

i'U 

17,7 

5226 

42,18 

59,5 

0,709 

_ 


o 

80 

20 

774 

18,7 

5504 

64,24 

86,7 

0,743 

1,609 



70 

20 

5 

19,4 

6067 

37,56 

40,4 

0,930 

_ 



60 

17 

107* 

15 

13652 

77,43 

98,0 

0,800 

1,78 

setzt sich 

>,6 

88 

20 

97. 

20,0 

10815 

123,56 

160,2 

0,727 

_ 

öfter auf 

.6 

80 

18 

574 

16,3 

5455 

53,51 

73,1 

0,732 

2,761 



64 

16 

67, 

20,0 

7013 

69*06 

85,2 

0,818 

3,512 

wirft sich viel 

>,7 

100 

40 

57. 

20,2 

5932 

100,89 

132,6 

0,761 

Urin ins Bett 

im Bett herum 

12 

90 

22 

37. 

19,6 

3765 

39,8 

47,6 

0,834 

entleert 


>,3 

80 

18 

57. 

20 

7127 

103,56 

125,5 

0,827 

2,668 

etwas mehr 

3.3 

110 

25 

5'/. 

24 

6610 

62,27 

80,3 

0,776 

3,487 

Bewegungen 

3,2 

85 

18 

67« 

22,8 

1 6797 

) 

71,61 

77,9 

0,919 

2,454 


(3.3 

72 

18 

67« 

18 

6705 

63,94 

76,71 

0,834 

2,144 

• 

0.6 

110 

20 

i 574 

19 

i 6304 

69,85 

86,9 

0,813 

4,346 


9.5 

90 

24 

1 7 

i 

19,1 

5690 

i 

94,38 

125,2 

0,754 

6,763 ! 


8.1 

90 

38 

5 

19,9 

6130 

! 66,80 

76,6 

0.872 Urin z. T. ins 

1 

9.8 

112 

1 

36 

i 57« 

24,5 

7893 

76,28 

93,6 

0,815 

Bett entleert 
3,432 


7.9 

102 

! 24 

5 1 /, 

21 

6790 

68,18 

87,1 

0,783 

4,933 


6,6 

90 

17 

6 

18 

7026 

88,0 

89,3 

0,985 

3,38 


16.2 

76 

24 

57. 

16,0 

6029 

67,17 

85,3 

0,787 

3,841 


8,0 

! 98 | 

i | 

26 

6 

18,2 

| 

7266 

69,93 

88,0 

0,795 

4,421 

| 

16.4 

ioo i 

i 

24 

6 : 

20,8 

7328 

63,16 

60,0 

1,052 

2,168 

1 

16,4 

100 , 

20 

6 

18,0 

6108 

72,41 

84,1 

0,863 

3,24 


17.9 

70 1 

20 j 

5 1 /, 

20,2 ! 

7176 

75,42 

93.6 

0.806 

3,072 


18,7 

' 92 | 

33 ! 

6 

22 

7111 

82,99 

105,11 0,790 

4,114 


59,8 

120 ! 

28 

5 

18,5 1 

7046 

j 64,44 

80,1 

0,805 

2,693 


36.7 

90 

20 

6 

22,0 

7233 

90,20 

85,6 

1,05 

1,781 


38,5 

80 

28 

9 

22,0 

13589 

125,54 

166,9 

0,762 

z. T. verloren 


38.8 

92 

28 

97* 

22,0 

13677 

i 142,47 

188,3 

0,757 

geangen 


36,3 

80 

18 

6 

18,2 

7046 

' 80,28 

89,2 

0,900 

2,448 


36,4 

64 

18 

6 

18,4 

7202 

83,23 

98,8 

0,842 

2,655 



Digitized by 


Gck 'gle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





220 


Grafb 


1 

2 

3 

i 4 

5 

6 

7 

8 

9 

Zahl 

Ver¬ 

suchs- 

Datum 

Name 

i 

Ge¬ 

schlecht 

Alter 

in 

Ge¬ 

wicht 

Diagnose 

Stadium da 
Kranket 


Nr. 


i 

i 


Jahren 

in kg 


16 a) 

105 

18. VH. 10 

V. Ko. 

1 

m. 

50 

I 72,5 

Paratyphus B 

2. Woche 

b) 

111 

25. VII. 10 

» 

Ti 

n 

69,3 

n 

3. Woehe 

c) 

118 

7. IX. 10 

fj 

n 

rt 

67,5 

n 

jRekon ratest. 

d) 

125 

17. IX. 10 

I P 

rt 

* 

1 68,5 

rt 

gesund 

17 a) 

124 

16. IX. 10 

M. Wa. 

1 w. 

1 

25 

59,5 

Typhus 

abdom. 

2. Woche 

b) 

128 

23. IX. 10 

1 n 

1 n 

n 

, 57,3 

rt 

3. Woche 

c) 

131 

30. IX. 10 

n 

1 * 

rt 

i 54,5 

99 

4. Wochv 

d) 

136 

11. X. 10 

rt 

rt 

rt 

i 52,5 

n 

6. Woche 

ej 

142 

7. XI. 10 

n 

i 

\ „ 

i 

1 

rt 

1 52,5 

! 

rt 

Beginn d*? 
Rekonralesc 

18 a) 

126 

20. IX. 10 

! A. St. 

1 n 

35 

i 00,5 


2. Woche 

b) 

130 

28. IX. 10 

n 

n 


, 53,8 

rt 

3. Woche 

ci 

139 

18. X. 10 

rt 

1 

1 : 
1 

! ” 

| 

7f 

' 48,2 

n 

i 

Ta- 








C h r o n i s c h * 

19 

| 36 

26. XI. 09 

E. Dr. 

1 w. 

30 

35,5 

1 Phthisis 

III. Sud 


i 

3. XH. 09 


1 

1 


pulm. 


20 

; 41 

M. Ga. 

1 » 

20 

54,2 

Phthis. pulm. 



i 



1 


et enter. 


21a) 

1 45 

9. XII. 09 

M. Sch. 

rt 

15 

24,2 

Phthisis 







pulm. 


b) 

1 57 

10. I. 10 


rt 

yj 

22,8 



c) 

1 70 

31. I. 10 

! 

r> 

rt 

n 

21,8 

rt 


22 

| 59 

12.1. 10 

E. Mül. : 

y) 

yj 

26,2 

1 


23 

i 52 

20. XII. 09 

F. Schw. 

m. 

19 

52,5 



24 

55 

6. I. 10 

K. Höf. 

r> 

23 

54,3 | 



25 

63 

19. I. 10 

B. Wa. 

w. 

40 

61,6 | 



26 

80 

10. HI. 10 

A. Kü. 

ra. 

28 

56 i 



27 

81 

14. III. 10 

H. Ad. 


25 

48,5 



28 

86 

24. V. 10 

M. Mö. 

w. 

23 

45,2 ! 



29 

92 

30. VI. 10 

L. Sal. 


27 

37,2 | 



30 

97 

7. VII. 10 

S. Schm. 

Y) 

30 

48,2 ; 



31 

87 

1. VI. 10 

A. Sch. 

i 

Ul. 

43 

i 

58,3 j 

Phthisis 
laryngis < 

— 

32 

122 

14. IX. 10 

B. Hei. 

i 

w. 

23 j 

40 

Phthisis | 
pulm. prog. 

- 

33 ' 

104 

16. VII. 10 

A. Kel. 

m. 

17 

1 

64,8 

Knochen¬ 

tuberkulose 

— 

34 

88 

6. VI. 10 

W. Ju. 

rt 

42 

i 

62,8 

Chron. 
Bronchitis 
mit Ektasien • 



35 ; 

i 

! 

i 

48 

1 

15. XII. 10 

R. Kein. 

n 

20 j 

1 

1 

1 

47,5 1 

1 

! 

Phthisis | 
enterinm j 



Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber. 221 


ir- 

at. 

ach 

C 

ii 

Puls 

12 

Respi- 

r&iton 

13 

Ver¬ 

suchs¬ 

dauer 

i. Std.‘ 

14 

Temperat. 

der 

Kammer 

in 0 C 

16 

Ventila¬ 

tionsgröße 

reduziert 

in 1 

16 

CO,- 
Bil- 
dnng 
in 1 

17 

0,- 

Ver- 

branch 

in 1 

18 

CO, 

0* 

19 

N-Ausschei- 
düng wäh¬ 
rend des 
Versuches 

in g 

Bemer¬ 

kungen 


92 

22 

5 V, 

22,5 

7288 

81,58 

105,1 

0,776 

4,01 



100 

20 

97* 

21,6 

13347 

116,85 

156,8 

0,745 

5,351 



90 

20 

6 

18,6 

7126 

76,92 

88,4 

0,870 

2,384 



98 

20 

57* 

17,7 

7068 

69,46 

81,6 

0,851 

2,163 


i 

104 

30 

9 

21,0 

12995 

112,45 

147,9 

0,760 

9,307 


i 

92 

24 

87, 

17,0 

10976 

90,92 

112,7 

0,828 

2,324 


1 

100 

24 

6 

19,6 

6901 

65,01 

80.0 

0,813 

2,768 


i 

100 

24 

6 

18,4 

6730 

64,00 

8i;91 

0,792 

2,381 



84 

16 

6 

17,6 

6545 

54,48 

63,01 

0,865 

1,872 


I 

100 

30 

57t 

18,2 

7025 

69,18 

87,2 

0,793 

2,430 


1 

112 

30 

57, 

20,5 

6979 

58,70 

74,9 

0,784 

4,10 


) 

92 

20 

6 

18,2 

6776 

60,58 

i 

77,02 

0,787 

2,257 



e H. 


(tionskrankheiten: 


3 

D 

6 

2 

4 
1 
8 
2 
8 

8 

4 

9 

,6 

2 

,3 


,o 


,4 


90 

25 

9'/« 

17,7 

11384 

103,26 

126,5 

0,816 

— 

100 

20 

9*/t 

19 

9916 

115,51 

148,3 

0,776 

2,601 

120 

30 

4V, 

17 

6586 

41,39 

59,1 

0,716 

1,334 

120 

28 

47, 

18,4 

543t 

33,94 

42,9 

0,791 

0,692 

126 

30 

47, 

18,0 

4501 

36,24 

44,3 

0,818 

0,5257 

130 

20 

57t 

15,6 

3879 

28,96 

36,4 

0.788 

2,152 

110 

28 

57t 

16,6 

6220 

78,38 

99,7 

0,786 

4,017 

90 

24 

57, 

18.5 

6263 

70,30 

86,9 

0,821 

2,669 

92 

26 

6 

19,4 

5633 

81,72 

96.6 

0,846 

2,368 

112 

24 

57* 

17,2 

6934 

69,59 

87,9 

0,792 

0,964 

94 

25 

47, 

15,4 

5187 

53,88 

66,8 

0,807 

1,852 

90 

22 

57, 

22,5 

6710 

57,03 

73,8 

0,773 

1,646 

100 

24 

77* 

17,5 

8873 

71,89 

86,8 

0,828 

1,727 

; 120 

28 

6 

17,7 

6381 

59,31 

78,6 

0,755 

1,838 

90 

22 

57, 

19,4 

5489 

69,53 

84,8 

0,820 

j 

1 100 

1 

24 

6 

16,2 

6963 

60,87 

72,1 

0,844 

1,848 

75 

20 

57* 

24 

7372 

76,08 

94,3 

0,807 

3,989 

110 

30 

57* 

25,5 

6939 

93,40 

117,2 

0,797 

3,234 

90 

t 

28 

5 

17,5 

5700 

47,61 

1 

65,6 

! 

0,726 

1,369 


i 


I 


Digitized by 


Gck 'gle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




Digitized by 


222 


Gbafe 


Ti- 


1 

Zahl 

2 

Ver- 

snchs- 

Nr. 

3 

Datum 

4 “ 

Name 

5 

Krankheit 

6 

ccm 

CO t pro 
kg u. 

1 Min. 

. 7 ' 

ccm Og 
Ver¬ 
brauch 
pro kg 
u. 1 Min. 

8 " 

CO, 

0 , 

M 

X-Ajr 

scki- 

dun 

berechn 

pn 

24 Md 

* 







Akute Infektk-c- 

la) 

32 

19. XI. 09 

G. Kr. 

Typhus abdom. 

3,1 

4,22 

0,737 

&Ä 

b) 

40 

2. XII. 09 

71 


2,9 

3,84 

0,755 


2 a) 

34 

24. XI. 09 

E. Gr. 

ff 

3,62 

5,10 

0,700 

_ 

b) 

42 

6 . XII. 09 

ff 

n 

3,14 

4,23 

0,743 

m 

c) 

62 

18. I. 10 

n 

ft 

3,66 

3,94 

0,930 

5.91i- 





Rekonv. 





d) 

127 

21. IX. 10 

71 

Typhus abdom. 

3,44 

4,36 

0,807 

3.*' 

3 a) 

37 

25. IX. 09 

J. Schw. 


3,91 

6,38 

0,727 

— 

b) 

46 

13. XII. 09 

11 

ff 

3,26 

4,48 

0,732 

ll.CU 

c) 

132 

2. X. 10 

11 

n 

3,34 

4,08 

0,818 

14,0t' 

4 a) 

53 

21. XII. 09 

W. Ko. 

fi 

3,99 

5,24 

0,761 


b) 

64 

20 . I. 10 


n 

3,16 

3,77 

0.834 






Rekonv. 





c) 

129 

29. IX. 10 

71 

Typhus abdm. 

3,54 

4,28 

0,827 

1334 

5 a) 

89 

1 9. VI. 10 

E. D. 

ff 

4,00 

5,15 

0,776 

1187 

bj 

110 

I 23. VII. 10 

fff 

ff 

3.69 

4,01 

0,919 

8.6N 

c) 

135 

' 10. X. 10 

I 

n 

11 

3;i2 

3,74 

0,834 

7,fö 

6 

94 

1 2. VII. 10 

0. Bö. 

Typhus abdom. 

3,37 

4,15 

0.813 

17.384 

7 

43 

1 7. XII. 09 

G. Hab. 

Erysipel as fac. 

3,81 

5,06 

0,754 

20.ä* 

8 

84 

i 1. IV. 10 

S. We. 

Pneum. croup. 

4,39 

6,04 

0,872 

- 

9 a) 

103 

| 15. VII. 10 

G. St. 

ff 

4,68 

5,74 

0.815 

13.7?“ 

b ) 

115 

29. VII. 10 

ff 

ff 

4,29 

5,48 

0,783 

16.44 

c) 

119 

1 9. IX. 10 

71 

71 

4,79 

4,86 

0,985 

11.3 

10 

56 

1 7.1. 10 

F. St. 

ff 

3,72 

4,72 

0,787 

14.1* 

Ha) 

96 

1 5. VII 10 

K. Och. 

Typhus abdom. 

4,58 

5,76 

0,795 

17& 

b) 

112 

1 26. VII. 10 

fl 

ff 

4,03 

3,83 

1,05 

8.632 

c) 

121 

1 12. IX. 10 

ff 

ff 

3,82 

4,72 

0.863 

11.11 

12 

93 

1. VIL 10 

H. Sch. 

Angina follic. 

3,68 

4,56 

10,806 

12,2$ 

13 

107 

1 20. VII. 10 

C. Fr. 

Pleuritis exud. 

3,96 

5,01 

0,790 

| 13,19 

14 a) 

95 

i 4. VII. 10 

G. Bö. 

Typhus abdom. 

4,68 

5,76 

1 0,805 

1 12,30 

bj 

108 

21. VII. 10 

r> 

ff 

5,60 

5,16 

1,05 

i 7.124 

15 a) 

109 

22. VII. 10 

P. Kl. 

ff 

3,53 

4,69 

1 0,752 

— 

b) 

114 

28. VII. 10 

n 

ff 

3,84 

5,08 

0,757 

16,44 

c) 

120 

10. IX. 10 

fi 


3,64 

4,04 

i 0,900 . 

9.401 

d) 

140 

1 29. X. 10 

n 

Tt 

3,37 

4,00 

, 0,842 | 

10,629 

16 a) 

105 

18. VII. 10 

V. K. 

Paratyph. B. 

3,51 

4.62 

! 0,776 | 

19.S 

b) 

111 

1 25. VII. 10 

n 

ff 

2,98 

4,00 

I 0,745 

11,16 

c) 

118 

7. IX. 10 

n 

fff 

3,19 

3,67 

0,870 1 

9.$ 

d) 

125 

17. IX. 10 

71 


3,12 

3.66 

0,851 1 

8.432 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber. 223 


eile HL 


10 

iesamt- 
alorien- 
>roduk- 
ion be¬ 
rechnet 
pro 

24 Std. 

Kal. 

11 

Kalo¬ 

rien 

pro 

Kal. 

12 

7 « der 
Kalorien 

aus Ei¬ 
weiß 

7« 

13 

7 , der 
Kalorien 

aus 

Kohle¬ 

hydraten 

7« 

14 

7 o der 
Kalorien 

aus Fett 

7o 

15 

Steige¬ 
rung der 
Wärme- i 
bildung i 

0 / 

10 

16 

Steige¬ 
rung be¬ 
dingt 
durch 
Mehrver- 
brennung 
von 
Eiweiß 

7o _ 

17 

Steige¬ 
rung be¬ 
dingt 
durch 
Mehrver¬ 
brennung 
von Fett 
u. Kohle- 
hydr. 

7 0 

18 

Kalor. 

j P ro 

1 m* 

Ober¬ 

fläche 

Kal. 

rankhe 

1945,2 

iten. 

29 

11,7 

3,3 

85 

22 


c. 100 

966,8 

1648,1 

26,6 

12,9 

10,3 

76,8 

0 

— 

— 

855,5 

1424 

34,3 

— 

_ 

_ 

40 

_ 

_ 

966,0 

1201,1 

27,3 

11,1 

6,6 

82,3 

10 

_ 

c. 100 

777,6? 

1048,1 

28,0 

15,6 

69,8 

14,6 

0 

— 

— 

761,2 

1096,1 

30,4 

8,5 

23,6 

67,9 

— 

— 

— 

817,5 

2020 

36,0 

— 

_ 

_ 

25 

_ 

_ 

1125,0 

1579,2 

30,8 

19,3 

0 

80,7 

0 

_ 

_ 

930,1 

1784,3 

28,5 

21,8 

29,3 

49,9 

— 

— 

— 

993,0 

.2798 

35,6 

— 

— 

_ 

c. 35 

_ 

_ 

1238,0 

.1722 

25,9 

— 

- ! 

1 

— 

— 

— 

854,7 

2693,8 

29,6 

13,7 

34,6 

51,7 

— 

— 

— 

1092,0 

1747,9 

35,7 

20,4 

14,8 

64,8 

33 

30 

70 

1061,0 

1514,1 

1 28,7 

15,9 

65,6 

18,5 

10 

0 

100 

874,6 

1462,8 

26,2 

14,4 

36,6 

49,0 

— 

— 

— 

816,0 

1743,5 

28.8 

27,5 

26,4 

46,1 

c. 16 

c. 74 

c. 26 

918,9 

2088,0 

34,8 

26,9 

4,2 

68,9 

c. 40 

c. 44 

c. 56 

1108,0 

. 1846 

34,8 

— 


— 

c. 30 

— 

_ 

1079,0 

2087,5 

40,1 

37,9 

18,2 

29,3 

52,5 

c. 40 

c. 15 

c. 85 

1217,0 

1781,5 

25,5 

15,5 

59,0 

c. 15 

c. 50 

c. 50 

1140,0 

: 1810,3) 

34,9 

17,7 

82,3 

1 ' 

— 

— 

— 

1056,0 

1758 

32,7 

22,3 

19,1 

58,6 

c. 23 

c. 32 

68 

1005,0 

1740,9 

40,1 

28,1 

17 

54,9 

35 

c. 50 

c. 50 

1147,0 

(1174,4) 

27,5 

20,3 

79,7 

— 

— 

_ 

— 

780,2 

1587,2 

30,5 

19,4 

1 52,2 

28,4 

— 

— 

— 

926,4 

2013,6 

31,6 

16,9 

29,7 

53,4 

c. 30 

6 

94 

1024,0 

2073,0 

34,8 

20,3 

19,9 

59,8 

c. 38 

21 

79 

1106,0 

1910,7 

39,8 

18,1 

25,7 

56,2 

c. 38 

12 

88 

1176,0 

(1704,9) 

37,2 

11,6 

88,4 

— 

— 

— 

_ 

1081,0 

c 2076 

31,8 

— 

— 

— 

10 

— 

_ 

1041,0 

2231,5 

35,1 

20,4 

8,0 

71,6 

25 

25 

75 

1139,0 

1760,9 

28,7 

14,8 

59,0 

26,2 

— 

— 

— 

920,4 

1961,6 

28,1 

16,0 

39,5 

45,5 

— 

— 

— 

940,0 

2262,9 

31,2 

24,4 

1 13,9 

61,7 

c. 30 

c. 40 

c. 60 

1058,0 

1908,7 

27,5 

16,2 

6,1 

77,7 

c. 10 

0 

c. 100 

919,8 

1743,6 

25,8 

15,1 

42,1 

42,8 

0 

— 

— 

854,8 

1763,6 

25,8 

13,3 

43,1 

43,6 

o 

i 


i 

858,2 


Digitized by 


Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





224 


Qrapb 


Digitized by 


1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 j 

9 







ccm 0 2 - 

. 

S-A* 






ccm 

i 

sekä- 

Zahl 

Ver¬ 

suchs- 

Datum 

Name 

Krankheit 

CO* pro 
kg u. 

Ver¬ 

brauch 

CO, 
0, ! 

fa»f 

bered« 


Nr. 




1 Hin. 

pro kg 
n. 1 Min. 

! 

pro 

24 Std 

? 

17 a) 

; 124 

16. IX. 10 

M. Wa. 

Typhus abdom. 

3,67 

4,69 

0,7601 

223 

b) 

1 128 

23. IX. 10 

n 

99 

3,22 

3,99 

0,828 

6.197 

c) 

| 131 

30. IX. 10 

t) 

9J 1 

3,27 

4,02 

0,813 

9,491 

d) 

136 

11 . X. 10 

n 

pi 

3,56 

4,50 

0,792 

7.147 

e) 

' 142 

7. XI. 10 

99 

n 

3,03 

3,50 

0,865 

7>" 

18 a) 

126 

20. IX. 10 

A. St. 

n 

3,90 

4,91 

0,793 

9.72 

b) 

130 

28. IX. 10 

n 

n 

3.29 

4,12 

0,784 

14.27 

c) 

139 

18. X. 10 

i 

1 

n 

rt 

3148 

i 

4,43 

0,787 

9,02" 


Ti- 

Chronisch« 


19 

36 

26. XI. 09 

E. Dr. 

Phthisis pulm. 

5,04 

6,18 

0,816 

20 

41 

3. XII. 09 

M. Ga. 

n 

3,70 

4,75 

0,776 

21 a) 

45 

9. XII. 09 

M. Sch. 

n 

6,60 

9,22 

0,716 

b) 

67 

10 . I. 10 

99 

n 

5,58 

7,05 

0,791 

c ) 

70 

31. I. 10 

91 

n 

7,36 

8,99 

0.818 

22 

59 

12 . I. 10 

E. Mül. 

n 

3,23 

4,> 

0.788 

23 

52 

20. XII. 09 

F. Schw. 

91 

4,36 

5,55 

0,786 

24 

56 

6 . I. 10 

K. Höf. 

99 

4,07 

6,0 

0,821 

25 

63 

19. I. 10 

Ba. Wa. 

99 

3,86 

4,56 

0,846 

26 

80 

10. III. 10 

A. Kü. 


3,63 

4,58 

0,792 

27 

81 

14. III. 10 

H. Ad. 

99 

4,07 

5,05 

0,807 

28 

86 

24. V. 10 

M. Mo. 

91 

3,93 

6,09 

0,773 

29 

92 

30. VI. 10 

L. Sal. 

91 

4,36 

5,27 

0.828 

30 

97 

7. VII. 10 

S. Schm 

99 

4,16 

5,51 

0,755 

31 

87 

1. VI. 10 

A. Sch. 

Phthisis 

laryng. 

3,57 

4,36 

0,820 

32 

122 

14. IX. 10 

Ph. Hei. 

Phthisis pulm. 

4,29 

5,08 

0,844 

33 

104 

16. VII. 10 

A. Kel. 

progr. 

Knochen¬ 

tuberkulose 

3,56 

4,41 

0,807 1 

34 

88 

6 . VI. 10 

W. Ju. 

1 

Chron. Bron¬ 
chitis mit Ek¬ 
tasien 

4,53 

1 

5,69 | 

0,797 j 

i 

35 

118 

15. XII. 09 

R. Rein. 

1 

i 

Phthisis en- 
terum 

3.50 1 

1 

1 

1 

4,83 

0,726 

1 

! 

i 


b® 

Z.&'- 

m 

7iTV 

i3.:t 

10.67« 

87« 

3a'4 

8,*! 

67m 

5.171 

6.7< 


7.3Ä 

16,01 

12,91" 


5,l7 h 


Gck 'gle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber. 225 


10 

jesamt- 
calorien- 
produk- 
tion be¬ 
rechnet 
pro 

24Std. 

Kal. 

11 

Kalo¬ 

rien 

pro 

kg 

Kal. 

12 

% der 
Kalorien 

aus Ei¬ 
weiß 

% 

13 

°/o der 
Kalorien 

aus 

Kohle¬ 

hydraten 

°/o 

14 

% der 
Kalorien 

aus Fett 

0 / 

Io 

15 

Steige¬ 
rung der 
Wärme- 
bildung 

7. 

16 

Steige¬ 
rung be¬ 
dingt 
durch 
Mehrver¬ 
brennung 
von 
Eiweifl 

% 

17 ~ 

Steige¬ 
rung be¬ 
dingt 
durch 
Mehrver¬ 
brennung 
von Fett 
u. Kohle- 
hydr. 

°/o 

18 

Kalor. 

pro 

1 m* 

Ober¬ 

fläche 

Kal. 

1925,5 | 

82,6 

30,6 

7,1 

62,1 

c. 35 

c. 70 

c. 30 

1027,0 

1599,3 

27,9 

10,7 

28,7 

60,6 

c. 13 

0 

c. 100 

875,0 

1530,0 ! 

28,1 

17,2 

28,5 

64,3 

c. 13 

0 

c. 100 

865,0 

1645,4 

31,3 

12,0 

23,3 

64,7 

c. 33 

0 

c. 100 

964,3 

1294,0 

24,6 

16,0 

47,1 

36,9 

— 

— 

■ — 

809,1 

1897,7 

34,2 

14,2 

23,0 

62,8 

c. 35 

0 

c. 100 

1060,0 

1533.3 

28,5 

25,7 

16 

68,3 

c. 10 

c. 100 

0 

874,6 

1482,6 

30,8 

1 

16,8 

20 

63,2 

c. 12 

0 

c. 100 

910 


belle IV. 

[nfektionskrankheite n: 


:. 1509 I 

42,5 

— 

— 

— 

c. 28 

— 

— 

1784,2 

32,9 

19,3 

15,1 

65,6 

c. 24 

c. 17 

c. 83 

1537.5 

63,5 

9,6 

— 

90,4 

c. 50 

0 

c. 100 

1122 

49,2 

9,1 

23,9 

67 

c. 10 

0 

c. 100 

1377,5 

63,2 

5,6 

34,1 

60,3 

c. 40 

0 

c. 100 

1020,0 

39,2 

20,0 

18,7 

61,3 

0 

— 

— 

2023,8 

38,6 

18,8 

18,9 

62,3 

c. 40 

c. 16 

c. 84 

1891,2 

34,8 

15,6 

23,2 

62,2 

c. 23 

0 

c. 100 

1977,7 

32,2 

12,2 

42 

45,8 

c. 30 

0 

c. 100 

1791,5 

32,0 

6,0 

19,7 

74,3 

c. 24 

0 

c. 100 

1708,8 

35,2 

15,0 

27,2 

57,8 

c 26 

0 

c. 100 

1598,8 

35,4 

11,4 

16,6 

72,0 

c. 22 

0 

c. 100 

1379,4 

37,1 

10,6 

35,9 

63,5 

c. 15 

0 

c. 100 

1541,6 

37,5 

12,1 

16,4 

71,5 

c. 14 

0 

c. 100 

c. 1825 

31,0 

1 ’ 


— 

— 

c. 20 

— 

— 

1429 

i 35,7 

14,2 

40,3 

45,5 

c. 15 

0 

c. 100 

1988 

30,7 

i 

22,2 

25 

52,8 

c. 25 

c. 30 

c. 70 

2538,0 

j 40,4 

14,1 

24,5 

61,4 

c. 60 

c. 5,5 

c. 95 

1581,4 

1 33,3 

< 

9,6 

1,0 

89,4 

c. 17 

0 

c. 100 

i 


Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 


15 


1136,0 

1028,0 

1494,0 

1134,0 

1436,0 

868,8 

1173,0 

1068,0 

1031,0 

994.9 

1044,0 

1024,0 

1006,0 

1054,0 

987,4 

993,3 

1002,0 

1306,0 


980,2 


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226 


Ghafb 


Um gleichwohl einen ungefähren Anhaltspunkt zu gewinnen, 
wurde, wenn nach Abzug der auf die Eiweißverbrennung entfallenden 
Mengen von Sauerstoff und Kohlensäure ein respiratorischer Quotient 
über 1,0 sich herausstellte, angenommen, daß nur Zucker neben 
Eiweiß zersetzt wurde. Dabei bin ich mir wohl bewußt, daß bis¬ 
her der Beweis, daß der Organismus in der Rekonvalescenz voll¬ 
kommen den schwergeschädigten Fettvorrat schonen kann, nicht 
erbracht ist. Wurde aber Fett verbrannt, so ist der kalorische 
Wert des Sauerstoffes zu hoch angesetzt worden. Demgemäß wird 
die berechnete Wärmeentwicklung zu groß sein. In demselben Sinne 
wirken höchstwahrscheinlich außerdem noch die synthetischen Pro¬ 
zesse, die wohl z. T. mit einer negativen Wärmetönung einhergehen. 

Aus diesen Gründen habe ich die in Frage stehenden Zahlen 
eingeklammert. 

Durch einen Vergleich der indirekten mit der direkten Kalori¬ 
metrie, wie sie z. B. die Atwater-Benedict’sche Respirations¬ 
kalorimetrie ermöglicht, wäre die Frage leicht zu entscheiden. Es 
ließen sich auf diese Weise sehr interessante Einblicke in den 
Umfang der Synthesen in der Rekonvalescenz gewinnen. 

Die Stäbe 12—14 enthalten die Werte für den prozentualen 
Anteil, in dem sich die einzelnen Organstoffe gemäß ihrem Kalorien¬ 
gehalt an der Gesamtwärmeproduktion beteiligen. Die Berechnung 
ergibt sich von selbst, wenn die absoluten Werte von N, CO a und 
O a bekannt sind. Der kalorische Wert der einzelnen Nahrungs- 
Stoffe ist nach den Standartzahlen von R u b n e r in Rechnung ge¬ 
bracht. 

In Stab 15 ist die Steigerung der Wärmebildung in °/ 0 gegen¬ 
über der Norm verzeichnet. Da, wo die Normalzahlen bei der 
Versuchsperson selbst zur Verfügung stehen, sind diese als Grund¬ 
lage für die Berechnung genommen, dort, wo solche fehlen, z. B. 
bei allen chronisch Erkrankten, sind die Magnus-Levy’sehen 
Vergleichszahlen herangezogen. Zahlreiche Versuche, die ich in 
dem Respirationsapparate an Gesunden und Kranken bei strengster 
Bettruhe und minimaler Bewegung, z. T. im schlafenden Zustande 
ausgeführt habe, überzeugten mich davon, daß meine Werte zu 
niedrig wurden, wenn ich sie mit den Zahlen, wie sie in großen 
Apparaten bei recht weitgehender Bewegungsfreiheit erhalten 
wurden, verglich, sie entsprachen fast immer vollkommen den 
Grundumsatzwerten. Beispiele dafür bietet auch Tabelle III. Es 
kommt das offenbar daher, daß bei vollkommen ungehinderter At¬ 
mung die ab und zu vorkommenden Muskelbewegungen in sonst 


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Untersuchungen über den Stoff* und Kraftwechsel im Fieber. 227 

vollkommener Ruhelage in ihrem Mehrverbrauch etwa der Diffe¬ 
renz zwischen unbehinderter, freier oberflächlicher Atmung und 
der durch Anwendung des Mundstücks etwas vertieften Atmung 
entsprechen. 

Stab 16 und 17 enthalten die Berechnungen für den Anteil 
der einzelnen Nahrungstoffe an der Steigerung der Wärmeproduktion. 

Da es sich in allen Fällen um Kranke in einem mehr oder 
weniger starken Inanitionszustande handelte, wurde angenommen, 
daß, wie aus Hungerversuchen hervorgeht, in den ersten 1—2 
Wochen der Beteiligung der Eiweißkalorien an der Gesamtwärme¬ 
produktion 18—20 °/ 0 betragen kann. Diese obere Grenze der 
Norm wurde für die Berechnung zugrunde gelegt. 

Leider sind wir zum Vergleich auf die Heranziehung der 
Hungerzahlen angewiesen, da bisher ein verwertbares Zahlen¬ 
material für den nicht durch Fieber komplizierten Inanitions- 
zustand fehlt. 

Für die chronischen Infektionskrankheiten, bei denen im Laufe 
der langen Krankheit ja oft ganz enorme Gewichtseinbußen statt¬ 
finden, ist 20 °/ 0 vielleicht ein etwas hoher Wert. Um die Gleich¬ 
artigkeit der Berechnung willen behielt ich ihn bei. Prinzipiell 
anders würden die Resultate auch bei Anwendung niedrigerer Zahlen 
nicht ausfallen. 

Stab 18 enthält die Angaben über die Anzahl Kalorien, die 
auf 1 qm Körperoberfläche kommen. Die Körperoberfläche wurde 
nach der Meeh’schen Formel (12,3 X ^Gew*) berechnet. Sie ist, 
wie vielfach diskutiert, etwas ungenau, bei mittlerem Körper¬ 
gewicht allerdings noch am brauchbarsten. Im Grundumsatzversuch 
kommen ca. 800 Kalorien auf 1 qm Körperoberfläche. 1 ) Um diesen 
Durchschnittswert bewegen sich auch meine Normalzahlen. 

Besprechung der Ergebnisse. 

Was zunächst die akuten Infektionskrankheiten be¬ 
trifft, so wurde eine Steigerung der Wärmeproduktion nur ganz 
selten (17 b und 17 a) vermißt. Die Zahlen, die nicht durch Ver¬ 
gleich mit dem Normalwerte beim selben Individuum gewonnen 
wurden, stellen natürlich nur einen ganz approximativen Wert dar. 
Der Zuwachs an Wärmebildung beträgt im Durchschnitt 20—30 °/ 0 . 
Es entsprechen diese Zahlen etwa den Werten, wie sie ziemlich 
übereinstimmend fast alle Untersucher (z. B. Kraus, 4 ) in letzter 

1) Zants n. Loewy, Lehrbncb der Physiol. des Menschen p. 671, 1909. 

2 ) Kr an s, Zeitschr. f. klm. Mediz. Bd. 18 n. 16. 

15* 


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228 


Grafe 


Zeit Löning x ) u. a.) für die Steigerung der Oxydationen in Zuntz- 
Geppert-Versuchen im Durchschnitt gefunden haben. Niedrigere 
Werte gehören in meinen Versuchsreihen ebenso zu den Ausnahmen 
wie höhere. Dreimal waren es 40 °/ 0 , höher gingen die Zahlen, 
verglichen mit dem Normalzustände, nicht. Zu etwa dem gleichen 
Ergebnisse gelangt man, wenn man für die Berechnung von der 
Kalorienproduktion pro Quadratmeter Körperoberfläche ausgeht. Die 
höchsten Steigerungen finden sich fast immer bei den höchsten 
Temperaturen, auch sonst besteht im allgemeinen in den ersten 
Krankheitswochen ein Parallelismus zwischen Temperatur- und 
Oxydationssteigerung. 

Die Zahlen, die ich für die Steigerung der Wärmebildung be¬ 
rechnet habe, geben natürlich auch da, wo Normalwerte zur Ver¬ 
fügung standen, nur ein ungefähres Bild der Verhältnisse, denn wie 
besonders Krehl 8 ) betont hat, dürften strenggenommen zum Ver¬ 
gleich nicht die normalen Werte herangezogen werden, sonders 
Zahlen, wie sie die Untersuchung bei dem gleichen Inanitions- 
zustande ohne Fieber liefern würde. Durch die Untersuchnuges 
zuerst von F. Müller und A. Nebelthau 8 ), später vor allem 
durch die große Arbeit von Magnus-Levy 1 2 3 4 5 ) ist nachgewiesen 
worden, daß der chronisch unterernährte Organismus seine Oxy¬ 
dationen erheblich einzuschränken vermag. 

Wie groß aber im einzelnen Falle die Herabsetzung der Wärme- 
bildung durch den Inanitionszustand allein ist, entzieht sich natür¬ 
lich der genauen Beurteilung. Und doch glaube ich, daß die 
Herabsetzung der Oxydationen, wie sie nach dem Abklingen des 
Fiebers zu einer Zeit, in der noch die Kalorienarme, flüssige Diät 
weiter eingehalten wird, eintritt, uns einen ziemlich guten Anhalts¬ 
punkt für diese Verhältnisse gibt. Svenson 6 ) hat zuerst nach 
schweren Typhen die Einschränkung der Oxydationen festgestellt 
und ein Teil meiner Zahlen (vgl. z. B. 2 b, 2 c, 4 b) bestätigt dies 
Verhalten auch in langdauernden Versuchen. 

Zieht man solche Werte zum Vergleiche heran, wozu man 
durchaus berechtigt ist, so ist die Steigerung der Wärmebildong 
natürlich eine noch größere. 

Trotzdem kann aber wohl nicht geleugnet werden, daß bei 

1) Löning, Klinisches Jahrbuch XIX. Bd. p. 87, 1908. 

2) Krehl, Pathol. Physiol. p. 484. Aull, von 1907. 

3) Zentralbl. f. innere Med. Nr. 38, 1897. 

4) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 60 p. 177, 1906. 

5) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 43 p. 86. 


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Untersuchungen über den Stoff- and Kraftwechsel im Fieber. 229 

kurzdauerndem, niedrigem Fieber des Menschen eine deutliche Steige¬ 
rung der Wärmebildung ausbleiben kann. Dafür spricht wenigstens 
ein Versuch von Steyrer 1 ) beim Tuberkulinfieber im Pettenkofer- 
schen Respirationsapparat. Eine geringe vorübergehende Steigerung 
kann natürlich bei langem Versuche verdeckt werden. Die Schwan¬ 
kungen in den Angaben der einzelnen Autoren bezüglich der Höhe 
der Oxydationen bei kurzdauernden Versuchen sind z. T. beim 
gleichen Kranken außerordentlich groß. 2 ) Es handelt sich da offen¬ 
bar z. T. nur um Augenblicksbilder. 

Die Untersuchung während vieler Stunden gibt natürlich ein 
viel besseres Durchschnittsbild. 

Daß die Steigerung des Stoffwechsels in dem größten Teil 
meiner Fälle unmöglich allein durch Vermehrung der Atem- oder 
Pulsfrequenz zu erklären ist, zeigt ein Blick auf die Stäbe 11 u. 12 
in Tabelle I. Gerade der Typhus ist ja bei Männern durch eine relativ 
sehr geringe Pulsfrequenz ausgezeichnet. Erwähnt sei noch besonders, 
daß keiner der untersuchten Kranken im Versuch einen Schüttel¬ 
frost hatte. Die Bewegungen der z. T. außerordentlich erschöpften 
Kranken waren minimal, sie lagen meist in tiefer Somnolenz, großen¬ 
teils schlafend im Apparat. Daß selbstverständlich alle nur irgend¬ 
wie unruhigen, delirierenden Kranken von .der Untersuchung aus¬ 
geschlossen waren, braucht wohl nicht noch besonders erwähnt zu 
werden. Wie schon oben bemerkt, fällt die Wärmebildung nach 
Abklingen des Fiebers sofort auf normale oder leicht subnormale 
Werte ab. Mit dem Augenblicke, in dem die strenge Fieberkost 
einer reichlicheren Ernährung (im Anfang mit Brei) Platz gemacht, 
beginnt die 2. Phase der Rekonvalescenz. Sie ist charakterisiert 
durch hohe respiratorische Quotienten. Svenson hat in der er¬ 
wähnten Arbeit diese 2. Periode nochmal in ein Stadium abnorm 
hoher Oxydationen und eine 2. Phase mit normalen Werten ein¬ 
geteilt. Auch ich habe in einem Falle (Nr. 14 b), in dem der 
Rekonvalescentenhunger und dementsprechend die Nahrungsaufnahme 
in der Zeit, besonders an Kohlenhydraten, weit über das gewöhnliche 
Maß hinausging, derartig hohe Werte für Sauerstoff- und Kohlen¬ 
säure gefunden. Ich glaube aber nicht, daß man darum von einer 
Luxuskonsumption reden muß. Jedenfalls wird diese Annahme 
durch die hohen Werte nicht bewiesen, weil wir die Gesamtkalorien- 


1) Steyrer, Zeitschr. f. experim. Pathol. n. Therapie Bd. 4 p. 720, 1907. 

2 ) In einem Falle R o 11 y ’ s schwankte z. B. der Sauerstoffverbrauch zwischen 
2,4 u. 7,4 ccm pro kg und Minute (Deutsches Arch. f. klin. Med. 97 p. 251) 1909. 


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230 


Ura;fr 


Produktion des Körpers in diesen Fällen nicht genau berechnen 
können. Sie könnte normal sein, wenn die mit negativer Wänne- 
störung einhergehenden Synthesen einen großen Umfang einnehmen 
Aber leider weiß man darüber zurzeit noch viel zu wenig Sicheres. 

Während in allen von mir untersuchten Fällen akuter In¬ 
fektionskrankheiten während des Fiebers eine Änderung des Stoff¬ 
wechsels in quantitativer Beziehung nachweisbar war, fehlten jede 
Anhaltspunkte für eine qualitative Änderung der Zersetzungen. 
Der respiratorische Quotient liegt stets über 0,710. 

Im Gegensatz zu den zahlreichen Autoren, die gerade in letzter 
Zeit wieder *) auf Grund kurzdauernder Versuche für abnorme Um¬ 
setzungen im Fieber eingetreten sind, ist die Feststellung dieser 
Tatsache von Wichtigkeit. Mich überraschte sie um so mehr, als 
auch ich*) mit dem Kopfrespirationsapparate, bei dem abgesehen 
vom Kasten selbst Apparat und Methodik genau, die gleichen waren 
wie bei den jetzigen Untersuchungen, in Versuchen von ca. 
1 ständiger Dauer im Fieber bei chronischen Krankheiten häufig ab¬ 
norme Werte bis zu 0,600 herunter gefunden hatte. Allerdings 
erblickte ich darin noch keinen sicheren Beweis für abnorme Stoff¬ 
wechselvorgänge im fiebernden Organismus. 

Die über viele Stunden ausgedehnten Untersuchungen haben 
nun ergeben, daß die Umsetzungen im Fieber nach dem respiratori¬ 
schen Gaswechsel beurteilt, qualitativ die gleichen sind wie in der Norm 
und daß die kurz dauernden Versuche zu falschen Vorstellungen über 
die tatsächlichen Verhältnisse Anlaß gegeben haben. Das große Mi߬ 
trauen von Rubner gegen kurze Versuche bekommt hiermit eine 
neue Stütze. Diese großen Differenzen prinzipieller Natur zwischen 
kurz- und langfristigen Versuchen im Fieber bieten einer Erklärung 
bisher noch die größten Schwierigkeiten. Wären die abnorm nie¬ 
drigen Quotienten nur mit einem bestimmten Apparate festgestellt 
worden, so könnte dieser dafür verantwortlich gemacht werden. 

Tatsächlich aber haben mit wenigen Ausnahmen fast alle 
Autoren, die kurz dauernde Untersuchungen Vornahmen, die gleichen 
Resultate bekommen, unabhängig davon, welcher Methodik sie sich 
bedienten. Die Erklärung Magnus-Levy’s 8 ), daß „fehlerhafte 
Versuchsanordnung und mangelhafte analytische Bestimmung, vor 

1) Vgl. p. 211. Auch in älteren Arbeiten, z. B. von Kr ans, Zeitachr. f. klin. 
Med. Bd. 18, ferner von Svenson, 1. c. p. 94 findet man ab und zu subnonnale 
Werte, obwohl hier keine abnorme Umsetzung angenommen wird. 

2) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 95 p. 543 ff. 

8) v. Noorden’s Handb. d. Pathol. d. Stoffwechsels. Bd. I p.220, 1907. 


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Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber. 


231 


allem des Sauerstoffs, die Schuld daran tragen“, ist doch wohl etwas 
zu einfach und bedeutet einen schweren Vorwurf gegen die Zuver¬ 
lässigkeit der fast aller Arbeiter auf diesem Gebiete. Bei Werten 
unter 0,5, die nur ganz vereinzelt beobachtet wurden, mag er viel¬ 
leicht berechtigt sein. Eine Erklärung verlangt aber jeder Wert, 
der unter 0,7 herabgeht, vorausgesetzt, daß nicht Alkohol dar¬ 
gereicht wurde und kein Diabetes bestand. Daß die Entstehung 
von Zucker aus Eiweiß den respiratorischen Quotienten nie tiefer 
von 0,65 herunterdrücken kann, wurde bereits oben (vgl. p. 211) 
dargetan. 

Die Zuckerbildung aus Fett ist noch zu umstritten, um zur 
Erklärung herangezogen zu werden. Für tiefere Werte wie 0,6 
würde aber auch sie nicht ausreichen. 

Das auffallendste Moment bei der ganzen Angelegenheit ist, 
daß dieselben Autoren, welche auf der Höhe des Fiebers die ab¬ 
normen niedrigen Quotienten fanden, in der Rekonvalescenz die¬ 
selben hohen Werte bekamen wie ich in den langdauernden Ver¬ 
suchen. Am Ende der Rekonvalescenz sind sie dann wieder, ob¬ 
wohl nichts an der Methodik geändert wurde, auch bei kurz¬ 
dauernden Versuchen ganz normal. 

Dieser Stand der Dinge muß schließlich zu der Vermutung 
führen, daß der fiebernde Organismus in kurzen Versuchen sich 
anders verhält, wie der normale. Um Stoffwechselanomalien kann 
es sich dabei nicht handeln. Möglicherweise ist unter den ge¬ 
zwungenen Verhältnissen, wie sie der Grundumsatzversuch leider 
mit sich bringt, der Gasaustausch vorübergehend gestört Da die 
Kohlensäureausscheidung in den sicher zuverlässigen Versuchen 
meist in auffallender Weise hinter dem Sauerstoffverbrauch zurück¬ 
bleibt, könnte man an eine Kohlensäureretention denken. Möglicher¬ 
weise kommt es auch vorübergehend zur Bildung von Carbamin- 
säure oder Bindung der Kohlensäure durch andere Substanzen, 
Verhältnisse, wie sie in letzter Zeit besonders M. Siegfried 1 ) 
studiert hat. Die in irgendeiner Form zurückgehaltene Kohlen¬ 
säure müßte dann im anschließenden Versuche wieder erscheinen. 
In Untersuchungen, die bisher in dieser Richtung gemeinsam mit 
Herrn Dr. Siebeck angestellt wurden, ist es uns nicht gelungen, 
eine befriedigende Erklärung zu finden. 

So wichtig und interessant auch die Frage nach der Ursache 
der abnorm niedrigen respiratorischen Quotienten in kurz dauernden 


1) Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd, 44, 46 und 59, 1908—1910. 


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232 


Ghafb 


Versuchen ist, eins ist sicher, für die Beurteilung des Stoffwechsels 
ist nur der Ausfall langdauernder Versuche von Bedeutung und 
der zeigt ganz eindeutig, daß Anomalien des respiratorischen Stoff¬ 
wechsels im Fieber nicht nachweisbar sind. Der Stoffwechsel im 
Fieber ist danach qualitativ der gleiche wie beim Normalen. 
Kraus 1 ) hat diesen Standpunkt immer eingenommen. 

In welcher Weise sich entsprechend ihrem Energiegehalt die 
einzelnen Kraftspender am Kraftwechsel beteiligen, illustrieren die 
Stäbe 12—14 in Tabelle III. Besonders wichtig war hier die 
Frage der Anteilnahme des Eiweißes. 

Bei dem großen Gewicht, daß seit langem auf die starke Ver¬ 
mehrung des Eiweißzerfalls im Fieber gelegt wird, war zu er¬ 
warten, daß die Wärmebildung aus Eiweiß gegenüber der Norm 
auch relativ außerordentlich vermehrt sei. 

Dies ist nun in der Regel nicht der Fall. Im Durchschnitt 
bestreitet das Eiweiß bei den von mir untersuchten Fiebernden 
nur zu 19,6 % den Gesamtkalorienbedarf des Körpers. Dabei han¬ 
delte es sich nicht etwa um besonders lange dauernde Erkran¬ 
kungen, von denen man weiß, daß schließlich die Mehrausscheidnng 
von Stickstoff zurückgeht oder sogar einem Stickstoffansatz Platz 
machen kann (von Noorden). 2 ) 

Die Untersuchungen beziehen sich nur auf die ersten 6 Wochen 
der Erkrankungen. 

Zu Anfang der akuten Infektionen sind die Prozentzahlen am 
höchsten und können bei Temperaturen von über 39° sich in 
manchen Fällen deutlich über das Mittel erheben, wenn auch nie 
über 30°/ o hinaus, der Durchschnitt ist 20,6 °/ 0 . Diese Erhöhung 
wurde nur bei Temperaturen gegen 40° beobachtet und ist hin¬ 
reichend erklärt durch die Steigerung des Eiweißzerfalls infolge der 
hohen Temperatur an sich (vgl. Linser und Schmidt 3 )). Zar 
Annahme eines toxogenen Eiweißzerfalles noch außerdem liegt 
keine zwingende Notwendigkeit vor, wenn er auch nicht ausge¬ 
schlossen werden kann. Auffallend ist nur, daß bei Temperaturen 
unter 39° die Beteiligung des Eiweißes am Gesamtkraftwechsel 
weniger als 20 °/ 0 im Durchschnitt 18,5 °/ 0 beträgt. Die Fälle 9b 
und 11 a bilden nur scheinbar eine Ausnahme, da die Temperaturen 
kurz vor und nach dem Versuche gegen 40° betrugen, so daß 


1) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 18 p. 160 ti. v. Noorden’s Haudb. Bd. I p- 

2) Pathologie des Stoffwechsels, I. Auf!. 1893. 

3) Arch. f. klin. Mediz. Bd. 79 p. 514, 1904. 


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Untersuchungen Uber den Stoff* und Kraftwechsel im Fieber. 233 


die Annahme naheliegt, daß im Versuche noch ein Teil des kurz 
vorher zerfallenen Eiweißes als Harnstoff zur Ausscheidung kam. 
Es liegt ja in dieser Richtung ein großes Tatsachenmaterial vor. 

In der 6. Krankheitswoche bei z. T. noch immer hohen Tem¬ 
peratur (vgl. z. B. Nr. 1 u. 17 d) geht die Beteiligung der Stickstoff¬ 
kalorien enorm herunter, auf Werte bis 11—12°/ 0 , obwohl die Ge¬ 
samtwärmebildung auch in diesen Fällen noch deutlich gesteigert 
sein kann. Dieses starke Absinken der absoluten und relativen 
Eiweißzersetzung im Laufe der akuten Krankheiten ist in keiner 
Weise charakteristisch für das Fieber und die Infektion, sondern 
findet sein Analogon im Hungerstoffwechsel. Auch in den ersten 
Hungertagen findet ein starker Eiweißzerfall statt, der sogar zu¬ 
nimmt und erst, worauf Landergren *) zuerst aufmerksam machte, 
am 3. Hungertage sein Maximum erreicht. Er beträgt an diesem 
Tage etwa 13—15 g N. Über die Beteiligung des Eiweißes am 
Kraftwechsel im Hunger liegen nur wenige gut vergleichbare Be¬ 
obachtung vor. Es sind im wesentlichen die Zahlen von Zuntz 8 ) 
für den Grundumsatz bei Breithaupt und Cetti sowie die Werte, 
die ich selbst 8 ) bei meiner Versuchsperson während eines 3 Wochen 
dauernden Hungerzustandes erhielt. 

Danach beteiligen sich in der ersten Hungerwoche die Eiwei߬ 
kalorien mit 18—20°/ 0 an der Wärmebildung. Etwa die gleichen 
Zahlen erhält man für die Versuchspersonen von Tigerstedt*) 
und Benedikt 6 ), wenn man in Betracht zieht, daß die Unter¬ 
suchungen in den großen Apparaten bei mittlerer Bewegungsfreiheit 
etwa um 20 °/ 0 höhere Werte liefern, wie die Grundumsatzversuche. 

Um diese Hungerwerte schwanken auch die Zahlen im Fieber. 
Sie liegen in den ersten 2 Wochen etwas höher, in den folgenden 
Wochen etwas tiefer wie im Hunger. 

Weil ein geeignetes Vergleichsmaterial für den Zustand der 
chronischen Unterernährung fehlt, ist man gezwungen auf die Werte 
im vollkommenen Inanitionszustande zurückzugreifen. Man darf 
dies um so mehr tun, als im großen und ganzen die Gewichtsab- 


1) Landergreen, Skandin. Arch. f. Phys. Bd. 14 p. 167, 1903. 

2) Lehmann, Müller, Mnnk, Senator, Znntz, Virch. Arch. Bd.6 
XXXI. Snppl. 1893. 

3) Grafe, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 65 p. 35. 

4) Nord. med. Arch. 1897, refer. in Maly’s Jahrb. 1897, p. 652. 

5) The inflnence of in anition on Metabolism. Pnbl. by the Carneg. Institut, 
of Washingt. 1907 p. 496. 


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Grafe 


534 

nähme während eines Typhus von etwa 4—6 Wochen Dauer bei der 
bei uns üblichen, flüssigen Diät etwa dieselbe ist wie bei 10 tägigem 
vollkommenem Hunger; auch die Wasserretention, ohne welche die 
Gewichtsverluste wahrscheinlich noch größer wären, ist beiden 
Prozessen gemeinsam. 

Für die Beteiligung der stickstofffreien Nahrungsmittel gibt 
der respiratorische Quotient die nötigen Anhaltspunkte. Er schwankt 
zu Beginn der Krankheit um etwa 0,8 und sinkt dann langsam, 
so daß er in der 4.-6. Woche zwischen 0,72 und 0,74 liegt. Dem¬ 
entsprechend ist der Anteil der Kohlehydrate am Stoffwechsel zn 
Anfang am größten, wie es ja schon aus zahlreichen älteren Ver¬ 
suchen hervorgeht. Der Hauptteil der Oxydationen wird von 
Anfang an vom Fett bestritten. In dem Maße wie der Kohle¬ 
hydratvorrat des Körpers erschöpft wird, überwiegt dann die Be¬ 
teiligung des Fettes immer mehr, so daß schließlich 85°/ 0 des Ge¬ 
samtenergiebedarfes vom Fett bestritten werden kann. In Nr. 3 
wurde sogar außer Eiweiß nur Fett zersetzt. Auch hier also das 
gleiche Verhalten wie beim Hunger. 

Von ganz besonderem Interesse war nun die Entscheidung der 
Frage, in welcher Weise das Eiweiß und die stickstofffreien Stoffe 
an der Steigerung der Wärmebildung sich beteiligen und ob die 
alte, schon durch Stähelin’s Surraversuch beim Hunde etwas 
erschütterte Auffassung von der fast ausschließlichen Bedeutung des 
Eiweißes für die vermehrte Kalorienproduktion zu Recht besteht 

Ein Blick auf die Stäbe 16 und 17 in Tabelle III zeigt, aufs 
deutlichste, daß die Steigerung der Wärmebildung nur einmal viel¬ 
leicht durch Mehrverbrennung von Eiweiß allein hervorgerufen 
wird (18 b). Mit Ausnahme von 2 Fällen bestreitet sogar das stickstoff¬ 
freie Material ganz überwiegend den Mehrbedarf. Die Beteiligung 
kann bis 100 °/ 0 betragen. Wenn auch bei der großen Schwierig¬ 
keit, in jedem Falle exaktes Vergleichsmaterial für die Norm zu 
bekommen, die berechneten Zahlen nur ein ungefähres Bild der 
tatsächlichen Verhältnisse liefern, so beweisen sie doch so viel, daß 
das Fett bei der Oxydationssteigerung im Fieber fast immer die 
Hauptrolle spielt. 

In den ersten Tagen der Rekonvalescenz, solange noch eine 
Diät von geringem Brennmaterial gegeben wird, bleiben die Zahlen 
für den respiratorischen Quotient noch niedrig, um dann mit der 
größeren Nahrungsaufnahme auf z. T. hypernormale Werte zu 
steigen. Diese letztere Tatsache ist übereinstimmend von allen 
Autoren festgestellt worden. Nur über die Deutung der hohen 


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Untersuchungen über den Stoff- and Kraftwechsel im Fieber. 


235 


Werte scheint noch keine Einigkeit zu bestehen. Svenson 1 ), 
der zuerst die hohen Zahlen beschrieb, erklärte sie mit einer 
Bildung von Fett aus Zucker. Rolly und Hörnig 2 3 ) halten 
diese Erklärung für „wenig glücklich“, da im Fieber vor allem der 
Eiweißbestand reduziert sei und der Ersatz des Fettes erst in 
3. Linie in Betracht komme. Nach ihrer Ansicht wird vielmehr 
der im Fieber retinierte, sauerstoffreiche Eiweißrest von Kohle¬ 
hydratnatur oxydiert. Es konnte oben ®) gezeigt werden, daß diese 
Hypothese aus mehr wie einem Grunde unhaltbar geworden ist. 
Ganz abgesehen davon steigt in der Rekonvalescenz nach Abzug 
der auf die Oxydation von Eiweiß entfallenden Mengen von Kohlen¬ 
säure und Sauerstoff der respiratorische Quotient häufig so erheb¬ 
lich über 1,0 hinaus, wie es bei einer ausschließlichen oder fast 
ausschließlichen Verbrennung von Kohlehydraten neben dem Eiweiß 
unmöglich ist. Meiner Ansicht nach trifft die Svenson’sche Er¬ 
klärung vollkommen das Richtige. Bei den gewaltigen Einbußen, 
die in erster Linie das Fett im Fieber erleidet, ist das Bestreben 
des Organismus, nach Füllung des Glykogendepots die Fettlager 
wieder zu ergänzen, sehr gut verständlich. Genau die gleiche Er¬ 
scheinung beobachtete ich — besonders ausgesprochen beim Hunde 
— nach längerem Hungern. 

Wenn dann am Ende der Rekonvalescenz der Organismus 
seinen ursprünglichen Materialbestand wieder erreicht bat, sinken 
die hohen respiratorischen Quotienten wieder zur Norm ab. 

Prinzipielle Unterschiede im Kraftwechsel und den dabei mit¬ 
wirkenden Hauptfaktoren im Fieber und in der Rekonvalescenz 
zwischen den einzelnen akuten Infektionskrankheiten habe ich nicht 
feststellen können. Wenn auch meine Untersuchungen hauptsächlich 
den Typhus abdominalis betrafen, so passen die wenigen Beobachtungen, 
die ich bei Pneumonia crouposa, Erysipel, Angina usw. machen 
konnte, doch vollkommen in den Rahmen der für den Typhus ge¬ 
schilderten Verhältnisse hinein. Die Art der Infektion spielt also 
offenbar da, wo sie zu Fieber führt, keine Rolle für den Kraft¬ 
wechsel. 4 ) Bezüglich der Stickstoffausscheidung im Urin scheinen 
nach den Untersuchungen von Löning 4 ) hingegen gewisse Unter¬ 
schiede quantitativer Art zwischen den einzelnen Infektionskrank¬ 
heiten zu bestehen. 

1) l. c. 

2) Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 95 p. 122, 1908. 

3) p. 211 u. 231. 

4) Klin. Jahrb. 18. Bd. p. 1, 1907. 


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Grafe 


Die chronischen Infektionskrankheiten. 

Die Untersuchung des Stoff- und Kraftwechsels bei den fieber¬ 
haften chronischen Infektionskrankheiten (vgl. Tabelle II und IVi 
ergibt in allen wesentlichen Zügen, abgesehen von quantitativen 
Unterschieden, das gleiche Bild, wie die akuten Infektionsstadien 
es zeigen. 

Die Temperaturen während der Versuche waren meist erheb¬ 
lich niedriger wie im akuten Fieberzustand. Es erklärt sich das 
hauptsächlich damit, daß selbst bei den fortgeschrittensten Stadien 
der Tuberkulose und hohem abendlichen Fieber morgens die Tem¬ 
peratur nur unwesentlich erhöht sein kann. Ganz fieberfrei war 
keine der Kranken im Respirationsapparat, jedoch wurden Tempe¬ 
raturen von 38,6° nie überschritten. Trotzdem war eine Steige¬ 
rung der Oxydationen in fast allen Fällen unverkennbar. 

Daß die berechneten Werte wegen des Fehlens von Normal¬ 
zahlen beim gleichen Individuum nur approximative Gültigkeit 
haben, wurde schon oben hervorgehoben. Auch hier ist ferner 
sehr wohl möglich, daß die reinen Inanitionswerte, abgesehen von 
Fieber und Infektion, erheblich unter den Normalzahlen liegen. 

Gegenüber den akuten Infektionskrankheiten ist, wie es zu 
erwarten war, die Steigerung der Wärmebildung etwas geringer. 
Sie beträgt im Durchschnitt nach den in Stab 15 Tabelle IV be¬ 
rechneten Zahlen etwa 20 %. In einem Falle (Nr. 22) bei einer 
Temperatur von 37,8° wurde sie ganz vermißt, viermal war sie 
nur angedeutet. Der höchste Wert von 60% fand sich bei einem 
Kranken mit recht erheblicher Dyspnoe (Nr. 34). Vor allem war 
hier nicht nur die Zahl, sondern die Tiefe der einzelnen Atemzüge 
gegenüber der Norm erheblich vermehrt. 

In diesem Falle ist zweifellos ein großer Teil des hohen Wertes 
auf stark erhöhte Tätigkeit von Herz und Lungen zu beziehen. 
Ferner weiß man vor allem aus zahlreichen Versuchen im Hoch¬ 
gebirge % daß Sauerstoffmangel den Stoffwechsel in die Höhe treiben 
kann. 

Werte von 40 und 50% wurden bei einem 15jährigen Mäd¬ 
chen beobachtet. Hier konnte von einer irgendwie stärkeren Dys¬ 
pnoe nicht die Rede sein, ebensowenig von motorischer Unruhe, 
da das Kind während der Respirationsversuche sehr ermattet, 

1) Vgl. vor allem die zahlreichen Erfahrungen, die Zuntz nnd seine 
Schiller in ihrem großen Werke: Höhenklima und Bergwanderungen in ihrer 
Wirkung auf den Menschen 11)06, niedergelegt haben. 


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Untersuchungen Uber den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber. 287 


fast stets schlafend da lag. Daß der wachsende Organismus auf 
Fieber und Infektion mit besonders starken Oxydationen zu 
reagieren scheint, war mir schon in früheren 1 ) Untersuchungen 
aufgefallen. Auch Nr. 11a liefert ein weiteres Beispiel dafür. 

Eine qualitative Änderung des Stoffwechsels ließ sich bei den 
chronischen ebensowenig wie bei den akuten Infektionskrankheiten 
feststellen, und es gelten auch hier die obigen Ausführungen. 

Was die Beteiligung der einzelnen Nahrungsstoffe am Kraft¬ 
wechsel betrifft, so fällt zunächst auf, daß die Eiweißkalorien 
gegenüber dem akuten Infektionszustand erheblich geringer sind. 
Die Verbrennung von Eiweiß liefert im Durchschnitt nur etwa 
13°/ 0 der Gesamtkalorien. Nur einmal wurde ein Wert über 20 °/ 0 
gefunden, fünfmal lag er sogar tiefer wie 10 %. Die tiefste beob¬ 
achtete Zahl ist 5,6%. Wenn man bedenkt, daß der hungernde 
Organismus sich im Laufe der 3. Woche auf ein Minimum von 10 % 
der Beteiligung des Eiweißes den Gesamtumsetzungen einstellt 2 ), 
so tritt in den noch niedrigeren Zahlen eine außerordentliche Fähig¬ 
keit des Organismus, mit seinem wertvollsten Material zu geizen, 
hervor. 

Allerdings handelte es sich in dem einen Falle um einen 
wachsenden Organismus, für den das Eiweiß eine noch größere 
Bedeutung hat wie für den ausgewachsenen Körper. 

Ein toxogener Eiweißzerfall ist wohl hier trotz hoher Tempe¬ 
ratur, starker Oxydationssteigerung und schwerster, sehr bald nach¬ 
her zum Tode führender Infektion sicher nicht da. 

Die Tatsache, daß im Laufe langwieriger Infektionskrank¬ 
heiten die N-Ausscheidung erheblich zurückgehen kann, ist, wie 
oben erwähnt, schon länger bekannt und kommt auch hier wieder 
deutlich zum Ausdruck. 

Der respiratorische Quotient verhält sich im großen und ganzen 
wie bei den akuten Krankheiten. Je länger die Krankheit dauert 
und je unzureichender die Nahrungsaufnahme wird, desto mehr 
sinkt er ab, aber niemals auf subnormale Werte unter 0,71. Er 
ist hier wie bei den akuten Infektionen der Ausdruck für den Er¬ 
nährungszustand des Körpers. 

Die Zahlen liegen zwischen 0,84 und 0,72. 

Die Kohlehydrate beteiligen sich meist nur mit kleinen Mengen 
am Kraftwechsel, zweimal überhaupt nur mit Spuren. 


1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 95 p. 547, 1909. 

2) Vgl. Grafe, Zeitschr. f. Physiol. Chem. Bd. 65 p. 35, 1910. 


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238 


Graf* 


V 2 - 8 / 4 der Gesamtkalorienproduktion bestreitet das Fett, in 
2 Fällen sogar 9 / 10 . 

Dementsprechend wird in den meisten Fällen die Steigerung 
der Kalorienproduktion fast ausschließlich dnrch Verbrennung von 
stickstofffreiem Material, vor allem von Fett hervorgerufen. 

Noch stärker wie bei den akuten Infektionskrankheiten tritt 
also im chronischen Fieber die Erscheinung zutage, daß im Kraft¬ 
wechsel das Eiweiß nur eine untergeordnete Rolle spielt. 

Es läßt sich somit nach dem Ausfall meiner Untersuchungen 
die weitverbreitete Anschauung, daß die Mehrzersetzung bei fieber¬ 
haften Infektionen des Menschen ausschließlich oder fast ausschließlich 
durch Mehrverbrennung von Eiweiß hervorgerufen wird, nicht mehr 
halten. Entgegen Senator’s ursprünglicher Vorstellung wird im 
Fieber nicht nur kein Fett gespart, sondern im Gegenteil in erheblich 
vermehrter Menge verbrannt, manchmal sogar in so weitem Maße für 
den Kraftwechsel herangezogen, wie es nicht einmal im extremsten 
Hunger der Fall ist. Alle untersuchten Infektionen verhalten sich, 
abgesehen von ganz geringen quantitativen Unterschieden, gleich. 
Vom energetischen Standpunkte aus betrachtet ist der Fieberstoff¬ 
wechsel bei unzureichender Nahrungsaufnahme ein auf ein höheres 
Niveau eingestellter Hungerstoffwechsel. Daß die Inanition beim 
Fieber überhaupt eine Rolle spielt, ist natürlich nicht neu und vor 
allen Dingen von v. Noorden 1 ) und Krehl 2 3 ) betont worden. 
Doch fand ich nirgends bemerkt, daß sie, abgesehen von der Oxy¬ 
dationssteigerung, von entscheidender Bedeutung für den Kraft¬ 
wechsel im Fieber ist. 

Man hat der Oxydationssteigerung im Fieber mit gleichzeitiger 
Erhöhung des Eiweißumsatzes oft die viel größeren Kalorienent¬ 
wicklung bei körperlicher Arbeit ohne nennenswerte Alteration des 
Eiweißumsatzes gegenübergestellt, für die gewöhnliche körperliche 
Arbeit mit vollem Recht. Es fragt sich aber, ob man die Oxy¬ 
dationssteigerung unter so ungewöhnlichen Verhältnissen, wie das 
Fieber sie bietet, mit der Steigerung der Wärmebildung bei leichter 
Muskelarbeit vergleichen darf. In den letzten Jahren ist vor allen 
Dingen von der Zuntz’schen Schule, von Atwater und seinem 
Mitarbeitern u. a. 8 ) der Stoff- und Kraftwechsel bei Muskelarbeit 
genau studiert worden. Dabei haben sich gewisse Bedingungen 

1) Pathol. d. Stoffwechsels, I. Aufl. p. 197, 1893. 

2) Pathol. Physiol. 5. Aufl. p. 495, 1907. 

3) Lit. s. bei Magnus-Levy in v. Noorden’s Handbuch d. Phys. Bd. I 
p. 394 f. 1906 und in Höhenklima und Bergwanderungen 1. c. 


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Untersuchungen über den Stoff- und Kr&ftwechsel im Fieber. 


239 


gefunden, unter denen eine sehr erhebliche Steigerung des Eiwei߬ 
umsatzes eintritt. Diese Bedingungen sind ungenügende Ernährung, 
Erhöhung der Körpertemperatur oder der Außentemperatur, mangel¬ 
haftes Training, Sauerstoffmangel. Da, wo diese Bedingungen 
z. T. oder alle Zusammentreffen, finden enorme Eiweißverluste statt 
und es gelingt nicht, die Versuchspersonen ins Stickstoffgleichgewicht 
zu bringen. 

Am charakteristischsten sind diese Erscheinungen bei der Berg¬ 
krankheit ausgesprochen. *) 

Hier kann entgegen den Erfahrungen beim reinen Hunger die 
Stickstoffausscheidung noch am 6. Tage die anfängliche, enorme 
Höhe behalten. 

Leider ist in allen solchen Fällen die Gesamtkalorienproduktion 
des Tages nicht bekannt, so daß sich nicht entscheiden läßt, ob 
sich daß Eiweiß in Prozenten in ähnlicher Weise beteiligt wie im 
Inanitionszustand. Ganz wird es wohl kaum der Fall sein. 

Die Ursache dafür, daß im Fieber die Eiweißverbrennung im 
Durchschnitt in gleichem Maße wie der Gesamtumsatz steigt, er¬ 
blickt man wohl am richtigsten in der Änderung der chemischen 
Wärmeregulation, wie sie die Temperaturerhöhung mit sich bringt. 
Gerade für das Gebiet der chemischen Wärmeregulation ist von 
Rubner nacbgewiesen, daß sich an der vermehrten oder ver¬ 
minderten Wärmebildung stickstoffhaltiges und stickstofffreies 
Material in ungefähr gleicher Weise beteiligt. In einem von ihm 
mitgeteilten Versuche beim Hunde *) stieg z. B. bei starker Variation 
der Außentemperatur die Wärmebildung um 24,8 % die Eiwei߬ 
zersetzung um 28,8 °/ 0 , die Fettzersetzung um 23,3 °/ 0 . Bei allen 
derartigen Versuchen bleibt natürlich die Temperatur der Versuchs¬ 
tiere konstant, aber es ist gut vorstellbar, daß, wenn statt der 
Außentemperatur die Körpertemperatur selbst steigt, die energetischen 
Vorgänge sich prinzipiell in der gleichen Weise abspielen. Be¬ 
wiesen ist das allerdings nicht. 

Die Frage, ob es einen besonderen Eiweißzerfall bei der fieber¬ 
haften Infektion gibt, kann durch meine Versucbsanordnung natür¬ 
lich nicht entschieden werden. Ich konnte nur zeigen, daß er 
nicht so groß ist, daß er sich bei der Beteiligung des Eiweißes im 


1) So verlor z. B. Caspari (Höhenklima and Bergwanderungen in ihrer 
Wirkung anf den Menschen p. 283) in 6 Tagen 1 kg an Fleisch. Der tägliche 
Stickstoffrerlnst konnte 9 g betragen. 

2) Die Gesetze des Energieverbrauchs bei der Ernährung p. 172, 1902. 


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Grafb 


Kraftwechsel dokumentieren kann. Daß einzelne Werte sich etwas 
über das Durchschnittsniveau von 20 °/ 0 erheben, kann wohl kaum 
als ein zwingender Beweis von allgemeiner Tragweite betrachtet 
werden. Es geht dies vor allem darum nicht, weil in allen Fällen l ; 
die 20% überschreitenden Werte nur bei Temperaturen zwischen 
39,5—40° beobachtet wurden, also in einer Höhe, in der auch der 
künstlich überhitzte Organismus nach den Untersuchungen von 
Linser und Schmidt 2 3 ) eine die Norm erheblich übersteigende 
Stickstoffeinbuße (maximal 40°/ o ) erleidet. 

Unter toxischem Eiweißzerfall sind sehr verschiedene Dinge 
verstanden worden. 8 ) Einmal ist damit der Teil des Eiwei߬ 
zerfalles bezeichnet worden, der selbst bei reichlichster Ernährung 
nicht verhindert werden kann. 

Es scheint, daß der Begriff des toxischen Eiweißzerfalles in 
diesem Sinne gedeutet nicht mehr haltbar ist, nachdem es jüngst 
amerikanischen Autoren (Schaffer und Colemann 4 5 )) gelungen 
ist, mit abundanter Nahrungszufuhr im Typhus vollkommen oder 
nahezu Stickstoffgleichgewicht und Gewichtskonstanz während des 
ganzen Verlaufs der Erkrankung zu erzielen. 

Freilich könnte gegen die Beweiskraft derartiger Versuche 
noch eingewandt werden, daß ein eventueller Eiweißzerfall durch 
gleich starke Eiweißsynthese maskiert wird. Eine zweite Auf¬ 
fassung, die vor allen Dingen Müller 6 ) und Krehl 6 ) vertreten, 
sieht den toxischen Eiweißzerfall darin dokumentiert, daß bei 
gleicher Ernährung im Fieber mehr Eiweiß wie in der Norm zer¬ 
fällt und daß es bisher nicht gelungen ist, durch gleiche Kohle¬ 
hydratzufuhr die Stickstoffausscheidung in gleicher Weise herab¬ 
zudrücken wie beim Gesunden. 

Als Beweismaterial dient die Untersuchung Weber’s 7 ) am 
fiebernden Hammel, während die entgegenstehenden Beobachtungen 
Hirschfeld’s 8 ) im Tuberkulinfieber nicht als einwandfrei be- 

1) Bezüglich der Ausnahmen vgl. die Ausführungen auf 8. 232. 

2) Arch. f. klin. Med. Bd. 79 p. 514, 1904. 

3) rät. vgl. hei Kraus, Fieber und Infekt, in v. Noorden’s Handbuch der 
Stoffwechselpatholog. Bd. I p. 598 ff. 1907. 

4) W. Colemann, Journal of Americ. Medic. Associat. 1909 p. 1145. — 
Schaffer u. Colemann, Arch. of intern. Medic. Dezember 1909, ref. Joum 
1910 p. 321. 

5) Handbuch der Ernährungstherapie n. Diätetik p. 218. 

6) Patholog. Physiol. V. Auf!, p. 491, 1907. 

7) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. Bd. XLVII p. 19, 1902. 

8) Hirschfeld, Berliner klin. Wochenschr. 1891 p. 29. 


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Untersuchungen über den 3toff- und Kraftwechsel im Fieber. 


241 


trachtet werden. Ein Punkt ist, wie mir scheint, bei diesen Ver¬ 
suchen nicht beachtet worden, nämlich die Steigerung des Nahrungs¬ 
bedarfes, die im Fieber als notwendige Folge der größeren Ka¬ 
lorienproduktion eintritt. Berücksichtigt man diese Tatsache nicht, 
so vergleicht man bei Darreichung der gleichen Nahrung einen 
normalernährten mit einem unterernährten Organismus, was gerade 
bei Beurteilung der Verhältnisse der Stickstoffausscheidung zu Fehl¬ 
schlüssen fuhren kann. 

Untersuchungen, die diesen Faktor mit berücksichtigen und 
bei Temperaturen unterhalb der Grenze, in welcher der Über¬ 
hitzungseiweißzerfall beginnt, angestellt wurden, liegen meines 
Wissens bisher nicht vor und sind von mir in Angriff genommen. 

Nur auf diese Weise kann, wie mir scheint, die Frage nach 
der Existenz eines toxischen Eiweißzerfalles einwandfrei ent¬ 
schieden werden, 

Zusammenfassung. 

Unter Berücksichtigung des bisher vorliegenden Tatsachen¬ 
materials könnte man sich vom Stoffwechsel und Kraftwechsel im 
infektiösen Fieber folgende Vorstellung machen: Bakterien oder 
ihre Stoffwechselprodukte gelangen in den Kreislauf und werden 
in der Nähe der für das Leben und die Eegulation des Stoff¬ 
wechsels wichtigsten, wohl hauptsächlich nervösen Zentren paren¬ 
teral verdaut. Die Verdauungsprodukte, die natürlich nur in minimal¬ 
sten Mengen vorhanden sind, reizen auf bisher noch unbekannte 
Weise jene Zentren. Wahrscheinlich spielen dabei Überempfind¬ 
lichkeitsprozesse eine bisher noch nicht durchsichtige Bolle. Die 
Reizerscbeinungen äußern sich in den zahlreichen, für Fieber und 
Infektion so ungemein charakteristischen nervösen Symptomen, 
ferner in einer Steigerung der Gesamtoxydationen und einem 
partiellen Versagen der Temperaturregulierung. Die Erscheinungen 
gehen z. T. parallel nebeneinander her, ohne jedoch ganz von ein¬ 
ander abhängig zu sein. Vor allem ist die mangelhafte Tempe¬ 
raturregulierung nicht die Folge der Oxydationssteigerung. 

Die Vermehrung der Wärmebildung beträgt im Durchschnitt 
20—30°/ o und wird nur ausnahmsweise ganz vermißt. Bei ihrem 
Zustandekommen spielt wahrscheinlich eine Art chemischer Wärme¬ 
regulation eine große Bolle. Die Mehrzersetzung betrifft daher 
alle Nahrungsstoffe gleichmäßig und geht bei ausreichender Er¬ 
nährung in prinzipiell gleicher Weise ver sich wie in der Norm. 

Da, wo infolge unzureichender Nahrungsaufnahme eine erheb- 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 16 


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Grafe 


liehe Gewichtsabnahme eintritt, verhält sich vom energetisches 
Standpunkt ans betrachtet, der fiebernde Organismus genau so wie 
ein durch chemische Wärmeregulation auf ein höheres Oxydations- 
niveau eingestellter hungernder Körper. 

Eine qualitative Änderung des respiratorischen Stoffwechsel; 
gegenüber der Norm findet nicht statt. Die kurz dauernden Versuche 
geben ein falsches Bild der tatsächlichen Verhältnisse, wahrscheinlich 
handelt es sich hier um Gaswechselanomalien im Fieberzustande. 

Wie in der ersten Hungerwoche, so wird auch im akuten, in¬ 
fektiösen Fieber im Durchschnitt 20% der Kalorienproduktion von 
Eiweiß bestritten. Eine etwas höhere Beteiligung (bis maximal 
30%) findet sich nur bei sehr hohen Temperaturen und ist hier 
wie bei künstlichen Überhitzungsversuchen erklärbar durch die 
Temperatur an sich. 

80% der Wärmeproduktion liefern die stickstofffreien Stoffe. 
Der Hauptanteil entfällt auf das Fett (50—90%) und richtet sich 
ganz nach dem Ernährungszustand; gegen Ende der Krankheit 
pflegt er am größten zu sein. Analog aber im umgekehrten Sinne 
ist die Beteiligung der Kohlehydrate (30—70%). Die Steigerung 
der Kalorienproduktion wird fast immer ganz überwiegend von dem 
stickstofffreien Nährmaterial bestritten. 

Je länger Fieber und Infektion dauern, desto mehr tritt das 
Bestreben des Organismus hervor, seinen Eiweißbestand zu schonen. 
Bei chronischen Infektionskrankheiten beträgt trotz deutlich aus¬ 
gesprochener Steigerung der Wärmebildung die Beteiligung des 
Eiweißes im Durchschnitt nur 13%, die tiefsten Werte liegen 
sogar bei 5 %, also erheblich unter dem Eiweißminimum des Hunger¬ 
stoffwechsels in der 3. Hungerwoche (10%). Trotzdem kann in 
solchen Fällen noch eine Steigerung des Stoffwechsels bis 40 •„ 
vorhanden sein. Am Mehrverbrauch ist hier das Eiweiß überhaupt 
nicht beteiligt. 

Es ist möglich, daß außer der Oxydationssteigerung und der 
Inanition noch ein sogenannter toxogener Eiweißzerfall d. h. ein 
vermehrter Zerfall von Protoplasma infolge direkter Giftwirkung 
stattfindet. Einwandfrei bewiesen ist seine Existenz bisher noch 
nicht. Sicher ist nur, daß der toxogene Eiweißzerfall für die 
energetischen Leistungen des Organismus nicht merkbar in Be¬ 
tracht kommt. 

Wenn der Stoffwechsel beim infektiösen Fieber und unzu¬ 
reichender Nahrungsaufnahme ausschließlich oder fast ausschlie߬ 
lich ein quantitativ gesteigerter Hungerstoffwechsel ist, wie aus 


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Untersuchungen über den Stoffe und Kraftwechsel im Fieber. 243 


meinen Untersuchungen hervorgeht, muß es gelingen durch ans¬ 
reichende Ernährung den Körper vollkommen im Normalzustand 
zu erhalten. 

Dies ist nun tatsächlich der Fall, wie die zahlreichen Beob¬ 
achtungen amerikanischer Autoren (Colemann und Shaffer 1 )) 
ganz kürzlich einwandfrei dargetan haben. Sie erzielten mit einer 
durch Zusatz von Milchzucker, Eier und Sahne kalorienreich ge¬ 
machten Milchdarreichung Stickstoffgleichgewicht und verhinderten 
jede Gewichtsabnahme. 

Die Bedeutung derartiger Versuche in therapeutischer Richtung 
liegt auf der Hand. Vor allem zeigen sie wieder von neuem, daß 
in der Bekämpfung der Fieberkonsumption die Kohlehydrate weit¬ 
aus die wichtigste und entscheidende Rolle spielen. 


Anhang. 

Die wichtigsten Daten der Krankengeschichten: 

Akute Infektionskrankheiten. 

Nr. 1. G. Kr. (Typhus abdominalis). In der Ascendenz Phthise. 

Etwa 4—5 Wochen vor der Aufnahme akut erkrankt. Klinisches 
Bild charakteristisch für Typhus. Widal für Typbus 1 : 100 pos. 
Leukocyten 4500 (35 °/ 0 mononucleäre). Komplikation mit Bronchitis (zur 
Zeit des Respirationsversuches Nr. 32 sehr gering), leichter Nephritis, 
geringen Darmblutungen, außerdem geringe rechtsseitige Spitzenaffektion, 
daher auch in der Rekonvalescenz leichte Temperatursteigerung. Ge¬ 
wichtsabnahme im Fieber 7,2 kg, Gewichtszunahme 8,0 kg in der Re- 
konvalescenz. 

Nr. 2. E. Gr. (Typhus abdominalis). 

Früher Ulcus ventriculi, 6 Aborte. Am 8. Krankheitstage auf¬ 
genommen. Widal für Typhus 1 : 100 pos., Blutkulturen negativ, 6500 
Leukocyten (35 °/ 0 mononucleäre). Komplikation mit leichter Bronchitis 
und Nephritis, Mitralinsufficienz (vorübergehende Dekompensation) und 
Cholecystitis. Dauer der Erkrankung 8 Wochen. Gewichtsabnahme 1 
9 kg, Gewichtszunahme nachher 10,5 kg. 

Untersuchungen im Stadium decrementi bei hohen abendlichen 
Temperaturen. 

Am 106. Krankheitstage (12. Februar 1910) entlassen. Wieder¬ 
untersuchung am 21. September. Die Kranke befand sich damals zwar 
vollkommen fieberfrei, aber in einem schweren Inanitionszustande. Am 
21. Juli in einem Anfalle schwerster Depression SuicidverBuch mit Salz¬ 
säure. Starke Verätzungen des DigestionBtraktus, keine erheblichen 
Strikturen. Seit 23. Juli wegen des Depressionszustandes in der 


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psychiatrischen Klinik. Vom 23. Juli bis 21. September 12 kg Gewichts¬ 
abnahme, in der Woche vor dem letzten Versuch wieder geringe Zunahme. 

Nr. 3. J. Schw. (Typhus abdominalis). 

Am 22. Krankheitstage eingeliefert. Widal 1 : 100 für Typhös 
pos. Leukocyten 5600 (45 °/ 0 mononucleäre). Alte Affect. apic. sin. 
sanata, geringe Bronchitis und Nephritis. Benommenheit z. T. sehr stark. 

Däner der Krankheit 7 Wochen. Gewichtsabnahme während des 
Aufenthaltes in der Klinik 7,4 kg, in der Rekonvalescenz Zunahme 
von 8,5 kg. Untersuchung bei voller Gesundheit ®/ 4 J. später. Zum 
Vergleich sind die Kalorien auf die früheren Gewichte umgerechnet. 

Nr. 4. W. Kopp. (Typhus abdominalis, sehr schwerer Fall). 

Am 18. Krankheitstage aufgenommen. Widal für Typhus 1 : 100 
pos. Leukocyten 4000 (28 °/ 0 mononucleäre). Komplikationen mit 
Nephritis und Bronchitis, großem septischen Decubitus, mehrfachen pro¬ 
fusen Darmblutungen und starker Herzinsufficienz. Dauer der Erkrankung 
6 Wochen, dann noch 4 Wochen wohl infolge Decubitus leichte Temperatur¬ 
steigerungen. Gewichtsabnahme in der Klinik 13,5 kg, Zunahme 6 kg. 
Nachuntersuchung (4 c) bei vollkommener Gesundheit */ 2 Jahr später. 
Da hierbei R. sich nicht ruhig verhielt, ist die Kalorienproduktion etwas 
zu hoch ausgefallen. Ich habe daher für die Berechnung der Oxydations¬ 
steigerung bei 4 a den Mittelwert zwischen 4 b und 4 c genommen. 

Nr. 5. E. Dau. (Typhus abdominalis, leichterer Fall). 

Am 8. Krankheitstage aufgenommen. Im Blut wachsen Typhus- 
kulturen, Leukocyten 3000 (40 °/ 0 mononucleäre). Komplikation mit 
geringer Bronchitis und Nephritis. 

Dauer der Erkrankung 5 Wochen. Gewichtsabnahme während des 
klinischen Aufenthaltes nur 2 kg, nachher Zunahme von 6 kg. 

Nachuntersuchung 2 Monate nach beendeter Bekonvalescenz. 

Nr. 6. O. Böh. (Typhus abdominalis). 

Am 6. Krankheitstage aufgenommen. In Blutgallenröhrchen wachsen 
Typhusbazillen. Leukocyten 3000 (40°/ 0 mononucleäre). Am 17. und 
19. Krankheitstage schwere recidivierende Darmblutungen, am 20. Exitus 
letalis. Pathologisch-anatomisch: Ileotyphus im Stadium der Abstoßung 
der Schorfe. 

Nr. 7. G. Hab. (Erysipelas faciei). 

Am 3. Tage aufgenommen. Klinisches Bild und Verlauf typisch. 
Temperaturen bis 40,7°. Ara 15. Tage vollkommen fieberfrei. Kom¬ 
plikation mit leichter Bronchitis und Nephritis. Gewichtsabnahme 4,7 kg. 

Nr. 8. S. Web. (Pneumonia crouposa lob. infer. sin.). 

Früher Lungenspitzenkatarrh, 2 X Lungen-, Rippenfell- und Herz¬ 
beutelentzündung. 

Am 1. Krankheitstage in die Klinik aufgenommen. Charakteristischer 
Befund und Verlauf. Die Krise am 10. Tage, einige Stunden nach 
Beendigung des Respirationsversuches. Gewichtsabnahme 6,5 kg. 

Nr. 9. G. Sta. (Pneumonia crouposa lobi inf. dextr. et sin. Affect 
apic. sin.?, sehr schwerer Fall). 

Arn 6. Krankheitstage eingewiesen. Klinischer Befund charakteristisch, 


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Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber. 


245 


im Spntnm wurde kulturell Pneumococcus lanceolat. nachgewieseu, 
niemals Tuberkelbazillen. Verlauf sehr atypisch und protrahiert, Krise 
erst am 48. Krankbeitstage (23. August). Bei der Entlassung aus der 
Klinik (am 17. September) keine Überreste yon Pneumonie mehr zu 
finden, dagegen noch Dämpfung über der linken Spitze und abendliche 
leichte Temperatursteigerungen. Daher war ein Normalversuch unmög¬ 
lich. Gewichtszunahme in der Rekonvalescenz 10 kg. 

Nr. 10. F. Stof. (Pneumonia lobul. dextr.). 

Anamnese unsicher, da der Kranke fast stets benommen war. Im 
Sputum deutliche Pneumokokken, keine Tuberkelbazillen. Krise am 
6. Januar, am folgenden Tage Respirationsversuch. 5 Tage später Tod 
durch Lungenembolie. Bei der Sektion (Prof. Ernst): Lobuläre 
Pneumonie des rechten Oberlappens, keine Zeichen von Tuberkulose. 
Bronchitis purulenta mit zylindrischen Ektasien, in den Asten der 
Pulmonalis grobe Thrombenmassen. 

Nr. 11. K. Och. (Typhus abdominalis, mittelschwerer Fall). 

Am 11. Krankheitstage im Stadium der remittierenden Temperaturen 
aufgenommen. Aus dem Blute wurden Typhusbazillen gezüchtet, Widal 
für Paratyphus 1 :200, für Typhus 1 : 100 pos. 

Ganz geringe Bronchitis und Albuminurie. 

Gewichtsabnahme in der Klinik 3 kg, Gewichtszunahme 2 Monate 
nach Aufhören des Fiebers 10,5 kg. Letzte Untersuchung nach Ende 
der Rekonvalescenz. 

Nr. 12. H. Schaud. (Angina follicularis). 

Am 10. Krankheitstage mit 40,2° eingeliefert, geringe Albuminurie, 
vom 14. Krankheitstage an fieberfrei. 

Nr. 13. K. Fr. (Pleuritis exsudativa dextra, Affect. apic. utriusque 
lateria). 

Erbliche Belastung. 6 Wochen vor der Aufnahme mit Husten und 
Schmerzen erkrankt.' Bei der Aufnahme am 18. Juli 1910 Zeichen 
starker Pleuritis mit doppelseitiger Spitzenaffektion. Temperaturen 
zwischen 39 u. 40°. 

Punktion ergibt ein seröses, vorwiegend lymphocytäres Exsudat. Da 
infolge der Spitzenaffektion noch leichte Temperaturen nach Ausheilung 
der Pleuritis fortbestehen, konnte ein Normalversuch nicht vorgenommen 
werden. 

Nr. 14. G. Böh. (Typhus abdominalis, sehr schwerer Fall). 

Am 18. Krankheitstage aufgenommen. Typhusbazillen im Blut, 
Widal flir Typhus 1: 200, für Paratyphus B 1: 100 pos. Leukocyten 
5000 (50°/ 0 mononucleäre). Hochgradige Benommenheit, leichte Er¬ 
scheinungen von Herzinsufficienz, geringe Nephritis. Stadium decrementi 
stark in die Länge gezogen, einmal kurzes Recidiv. In der Rekonvalescenz 
auffallend starker Appetit. Gewichtsabnahme in der Klinik nur 2,5 kg, 
dann Zunahme von 11 kg. 

Nr. 15. P. Kl. (Typhus abdominalis, mittelschwerer Fall). 

Am 10. Krankheitstage in die Klinik aufgenommen. Aus dem Blute 
Typhusbazillen gezüchtet, Widal für Typhus 1 : 200, für Paratyphus B 
1: 500 pos. 5500 Leukocyten (30 °/ 0 mononucleäre). Starke Benommen- 


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heit, geringe Bronchitis nnd Nephritis. Vom 34. Tage an fieberfrei 
vom 44.—54. kurzes Reoidiv, dann ungestörte Rekonv&lesceuz. 

Gewichtsabnahme in der Klinik 7,5 kg, später Zunahme von 6,5 kg. 

Nr. 16. V. Ko. (Paratyphus B, mittelschwerer Fall). 

Am 9. Krankheitstage aufgenommen. Agglutination für Paratyphus B 
1 : 100 pos., für Typhus negat. Leukocyten 3500 (45°/ 0 mononucleäre). 
Komplikation mit Bronchitis und geringer Nephritis, zeitweise leichte 
Herzinsufficienz. Verlauf sehr protrahiert, erst vom 47. Kranichei tätige 
an fieberfrei, Temperaturen nur im Anfang sehr hoch. 

Gewichtsabnahme 6,8 kg. 

Nr. 17. M. Wach. (Typhus abdominalis, schwerer Fall). 

Am 6. Krankheitstage in die Klinik aufgenommen. Typhnsbazillen 
im Blut, Leukocyten 11 000 (54 °/ 0 mononucleäre). 8tarke Benommen¬ 
heit, leichte Nephritis, Bronchitis nur angedeutet, sehr starker Gewichts¬ 
verlust, im ganzen 8 kg. Bei Abschluß der Arbeit noch in klinischer 
Behandlung. 

Nr. 18. A. St. (Typhus abdominalis, schwerer Fall). 

Am 6. Krankheitstage eingeliefert. Typhusbazillen im Blut, Agglu¬ 
tination für Typhus 1 : 200, Leukocyten 8500. 

Ziemlich starke Benommenheit, leichte Bronchitis und Nephritis. 

Bei Abschluß der Arbeit Kekonvalescentin. 

Chronische Krankheiten. 

Nr. 19. E. Dr. (Phthisis pulmon. progressa beider Oberlappen 
mit Kavernen). 

Erbliche Belastung unsicher. Vom 3. Mai bis 29. September 1909 
mit Unterbrechung in klinischer Beobachtung. Langsamer, aber unauf¬ 
haltsamer Fortschritt des Leidens. Sehr viel Tuberkelbazillen im Sputum. 
Gewichtsabnahme 6,8 kg. 

Nr. 20. M. Ga. (Phthisis pulmonum et enterum progressa). 

Vom 19. Oktober 1909 bis 6. Juni 1910 in klinischer Behandlung. 
Erblich belastet. Seit 1906 krank. Bei der Aufnahme: Kavernöse 
Phthise beider Oberlappen mit positivem Bazillenbefund, Durchfalle. Mit 
geringen Remissionen fortschreitender Prozeß. Gewichtsabnahme ca. 13 kg. 

Am 6. Juni 1910 infolge schwerer Hämoptoe Exitus letalis. 

Bei der Sektion (Dr. Groß): Chronische Lungentuberkulose mit 
Kavernen und Schwielenbildung in beiden Ober« und im rechten Unter- 
lappen, ziemlich frische Aussaat im linken Unterlappen, tuberkulöse 
Ulcera im Darm. 

Nr. 21. M. Sehe. (Phthisis pulmonum progressa). 

Vom 12. August 1909 bis 5. September 1910 in klinischer Be¬ 
handlung. Keine erbliche Belastung. Beginn der Erkrankung Mitte 
April 1909. Floride, kavernöse Phthise beider Lungen. Sehr viel 
Tuberkelbazillen im Auswurf. Meist hohe Temperaturen, extremste Ab¬ 
magerung, schon bei der Aufnahme, dann bis zur Entlassung (kurz ante 
exitum) noch weitere Gewichtsabnahme von 5 kg. Zu Hause bald nach 
dem letzten Versuch gestorben. 


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Untersuchungen über den Stoff- und Eraftwechsel im Fieber. 247 

Nr. 22. E. Mül. (PbtbiBis pulmonum et enterum progressa). 

Vom 10.—27. Januar 1910 in der Klinik. Keine erbliche Be¬ 
lastung, seit Anfang 1908 lungenkrank. Kavernöse Pbtbise beider Ober¬ 
lappen und Infiltration der Unterlappen. Sehr zahlreiche Tuberkel- 
bazillön. Starke Durchfälle. Temperaturen im allgemeinen gering, 38,5° 
nie überschreitend. 

Nr. 23. Fr. Schw. (Phthisis pulmonum laryngis et enterum pro¬ 
gressa). 

Vom 8. Dezember 1909 bis 25. Januar 1910 in klinischer Be¬ 
handlung. Keine erbliche Belastung. Seit Winter 1906/07 lungenkrank. 
Schwere kavernöse Phthise beider Oberlappen, starker Katarrh der Unter¬ 
lappen, Heiserkeit, Durchfalle, viel Tuberkelbazillen. Gewichtsabnahme bei 
leidlichem Appetit gering (nur 1 kg). Temperaturen zwischen 38 und 39 °. 
Am 25. Januar 1910 im Anfall schwerster Dyspnoe plötzlich Exitus letalis. 

Bei der Sektion: Bechtsseitiger Pneumothorax, ausgedehnte tuber¬ 
kulöse Peribronchitis mit Kavernen, eine taubeneigroße des rechten Ober¬ 
lappens kommuniziert mit der Pleurahöhle. Tuberkulöse Geschwüre des 
Larynx, der Trachea und des Bectums. Septischer Milztumor. 

Nr. 24. K. Höf. (Phthisis pulmonum et laryngis). 

Vom 16. Dezember 1909 bis 14. Februar 1910 in klinischer Be¬ 
handlung. Erbliche Belastung nicht nachweisbar. Seit Frühjahr 1909 
lungenkrank. Kavernöse Phthise des linken Oberlappens, Katarrh des 
rechten Oberlappens. Tuberkelbazillen sehr zahlreich. Temperaturen 
gering. Im Laufe der Behandlung (Tuberkulinkur) 2 kg Gewichtszunahme. 

Nr. 25. B. Wag. (Phthisis pulmonum, laryngis et enterum progressa). 

Vom 13. Oktober 1909 bis 29. März 1910 in klinischer Behand¬ 
lung. Starke Infiltration beider Lungen mit Kavernenbildung, Durch¬ 
fälle und Heiserkeit. 8ehr viel Tuberkelbazillen in Sputum und Fäces. 
Temperaturen meist sehr niedrig, selten über 39 0 hinausgehend, 7,5 kg 
Gewichtsabnahme. Unter zunehmendem Kräftezerfall Exitus letalis am 
29. März 1910. 

Bei der Sektion: Diffuse käsige Pneumonie der Oberlappen mit 
großen Kavernen, käsige Pneumonien des Mittel- und der Unterlappen. 
Käsige Bronchitis und Peribronchitis, Miliartuberkulose des Peritoneunis, 
der Milz und der Leber (Fettinfiltration), zahlreiche Ulcera in Darm und 
oberen Luftwegen. 

Nr. 26. A. Küh. (Phthisis pulmonum enterum et peritonei pro¬ 
gressa). 

Vom 7. —20. März 1910 in klinischer Behandlung. Erblich be¬ 
lastet. Seit August 1909 lungenkrank. Starke kavernöse Infiltration 
beider Oberlappen, Katarrh der Unterlappen, Durchfälle, Ascites, viel 
Tuberkelbazillen in Auswurf und Stuhl. Temperaturen morgens meist 
normal, abends bis 40 0 steigend. Exitus am 20. März unter den Er¬ 
scheinungen der akuten Herzinsufficienz. 

Bei der Sektion: Tuberkulöse Pneumonie links, im> rechten Ober¬ 
lappen zahlreiche Kavernen, Hypertrophie und Dilatation des linken Ven¬ 
trikels. Peritonitis mit ausgedehnter Verwachsung der Darmschlingen, 
zahlreiche Geschwüre im Darm, z. T. perforiert, Ascites, Stauungsfettleber. 


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Nr. 27. H. Adel. (Phthisis pulmonum et enterom progresso). 

Vom 11. März bis 27. Mai 1910 in der Klinik. Keine sichere 
erbliche Belastung. Seit Januar 1909 lungenkrank. Starke Infiltration 
beider Oberlappen mit Kavernen, Katarrh der Unterlappen und de« 
Mittellappens, Durchfälle. Tuberkelbazillen positiv. Temperaturen'meist 
nur 38 °. 

Nr. 29. L. Sal. (Phthisis pulmonum progressa). Vom 8. Mai 
biß 8. August in der Klinik. Erblich schwer belastet, seit Weihnachten 
1909 lungenkrank, doppelseitiger Oberl appenprozeß mit Kavernensymp¬ 
tomen rechts. Im Sputum Tuberkelbazillen. Temperaturen nur selten 
über 38 0 hinausgehend. Mäßige Abmagerung. 

Nr. 30. S. Schm. (Phthisis pulmonum et enterum progressa). 

Vom 4. Juli bis 11. August 1910 in klinischer Behandlung. Keine 
erbliche Belastung. Seit 5—6 Jahren im "Winter viel Husten, seit 
Weihnachten 1909 stärkere Lungenerscheinungen. Infiltration beider 
Oberlappen und des Mittellappens mit Kavernenbildung, katarrhalische 
Geräusche über den Unterlappen. Viel Tuberkelbazillen im Auswurf. 
Hohe Temperaturen, starke Abmagerung. Am 11. August Exitus letalis. 

Bei der Sektion: Tuberkulöse Infiltration beider Oberlappen und 
des Mittellappens mit Kavernen. Frische tuberkulöse Peribronchitis in 
beiden Unterlappen, Tuberkulose der Bronchialdrüsen, Empyem der 
rechten Pleura, Darmtuberkulose, Fettinfiltration der Leber. 

Nr. 31. A. Sch. (Phthisis pulmonum et laryngis). 

Seit 30. Mai 1910 in klinischer Behandlung. Erblich stark belastet 
Beginn der Krankheit März 1910 mit Husten und Hämoptoe. Infiltration 
des rechten Oberlappens wahrscheinlich mit Kavernen, Katarrh der linken 
Spitze und der Unterlappen, im Sputum Tuberkelbazillen. Während des 
Klinikaufentbaltes geringe rechtsseitige Pleuritis und langsame Ent¬ 
stehung einer spezifischen Larynxaffektion mit Heiserkeit und Schluck- 
beschwerden. Sehr starke Abmagerung. Temperaturen meist sehr niedrig. 
Gewichtsabnahme von März bis Ende September 20 kg. 

Nr. 32. P. Heit. (Phthisis pulmonum progressa). 

Vom 29. Juli bis 15. September 1910 in klinischer Behandlung. 
Mütterlicherseits erblich belastet. Februar 1910 im Anschluß an eine 
Influenza lungenkrank geworden. Infiltration der ganzen linken Lunge 
mit Bronchialatmen und sehr reichlichen klingenden Rhonchi. Rechts 
Erkrankung des Oberlappens leichteren Grades. Temperaturen sehr 
wechselnd, hin und wieder 39 0 übersteigend. Gewichtsabnahme in der 
Klinik nur gering (1,5 kg). 

Nr. 33. A. Kel. (Knochen- und Gelenktuberkulose, chron. Miliar¬ 
tuberkulose ?). 

Vom 17. Mai bis 25. Juli 1910 in klinischer Behandlung. Keine 
erbliche Belastung. 

Seit März 1910 mit uncharakteristischen Erkältungserscheinungen, 
Schmerzen im Leib und in den Beinen erkrankt, später Knochenschmerzen 
in der rechten Clavicula und dem linken Humerus und der Wirbelsäule. 
Lungen frei. Temperaturen um 38 °. Es entwickelt sich ein Absceß 
des rechten Ellenbogengelenkes, der Tuberkelbazillen enthält. 


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Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber. 249 


Nr. 34. W. Ja. (Bronchitis chron. mit Ektasien, Gangränhöhle im 
linken Oberlappen). 

Vom 20. Mai bis 25. Juni 1910 in klinischer Behandlung. 

Seit Jahren Husten, vor 4 Jahren Rippenfellentzündung, vor 
2 Jahren Heilstättenbehandlung. Seit 1 Jahre massenhafter, fötider Aus¬ 
wurf, Mattigkeit, Abmagerung. Über beiden Oberlappen Dämpfung, im 
linken eine Aufhellung, diffuse grobe und feine Rasselgeräusche über 
beiden Lungen. Auswurf sehr reichlich, fötid mit vielen elastischen 
Fasern, keinen Tuberkelbazillen. Temperaturen um 38 °. In der Klinik 
keine Gewichtsabnahme. 

Nr. 35. R. Rein. (Phthisis enterum progressa). 

Vom 5. November bis 23. Dezember 1909 in klinischer Behandlung. 
Keine erbliche Belastung. Juni 1909 mit Hämoptoe, Lungenerscheinungen 
und Durchfällen erkrankt. Infiltration des rechten Oberlappens und der 
linken Spitze. Starke Durchfalle. Abendliche Temperaturen ohne Pyra¬ 
miden zwischen 39 und 40°. Gewichtsabnahme 5,2 kg. 

Beispiel für die Berechnung der Versuche. 

Nr. 2 b (Versuchsprotokoll Nr. 42). Der Versuch dauerte von 
10 19 bis 6 h , Körpergewicht 44,5, der Barometerstand war konstant 
739,5°, die Temperatur der Gasuhr ebenfalls konstant 16,7°. Die 
Ventilation der Gasuhr während des Versuches betrug 5504 1 (redu¬ 
ziert auf 0 # , 760 mm Hg und absolute Trockenheit). Da der Kohlen¬ 
säuregehalt 0,839 °/ 0 , der Sauerstoffgehalt 19,939 % betrug, enthält 
die Ventilationsluft 44,24 1 Kohlensäure und 60,0 1 Sauerstoff. Zu 
diesen Werten kommen noch dazu die Mengen C0 9 und 0 9 , die im 
Kasten zurückblieben: 20,20 bzw. 26,7 1. 

Somit ist die Kohlensäureproduktion pro kg und 1 Minute 
3,14 ccm, der entsprechende Wert für den Sauerstoffverbrauch 4,23, 
die Gesamtkohlensäureausscheidung 

pro 24 Std. = 3,14 X 44,5 X 1440 = 201,2 1 C0 9 , 
der Gesamtsauerstoffverbrauch 

pro 24 Std. = 4,23 X 44,5 X 1440 = 271,05 1 0 9 . 

Die Stickstoffausscheidung pro 24 Std. betrug 4,8255 g, dem¬ 
entsprechend die Kalorienproduktion durch Verbrennung von Eiweiß: 

6,25 X 4,4423 X 4,8255 = 133,4 Kalorien 
dabei entstehen: 

4,754 X 4,8255 = 22,92 1 C0 9 
und werden verbraucht: 

5,923 X 4,8255 = 28,55 1 0 2 . 

Nach Abzug der auf die Verbrennung von Eiweiß entfallenden 
Mengen C0 9 und 0 9 verbleiben noch 178,18 1 C0 9 und 242,5 1 0 9 
für die Verbrennung von stickstofffreiem Material; dem zugehörigen 


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250 Ctbape, Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel ira Fieber. 


RQ von 0,7353 entspricht nach Zuntz und Loewy 1 ) ein kalori¬ 
scher Wert des Sauerstoffes von 4,815, so daß die Kalorienprodnktion 
durch Verbrennung von Fett und Zucker 4,815 X 242,5 = 1167,7 
Kalorien beträgt, die Gesamtkalorienproduktion ist also 1201,1 Ka- 


auf 


13R4 

lorien, davon entfallen auf Eiweiß ^ g ölT ^ ^ — H %> 

Kohlehydrate (berechnet nach der erwähnten Tabelle von Zuntz 
und Loewy) 6,6%, auf Fett 82,3%. 

Die Körperoberfläche für diesen Versuch nach der Meeh sehen 
Formel ist 

= 12,3 f/44,iT a = 1,545 qm, 


auf 1 qm kommen also = 777,3 Kalorien. 


1) Zuntz u. Loewy, Lehrbuch der Physiol. des Menschen, Tab. p. 663 . 


1909. 


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Aus der II medizinischen Klinik München 
(Direktor: Prof. Friedrich Müller). 

Znr Frage der extramedullären Blutbildung bei 
posthämorrhagischen Anämien. 

Von 

A. Skornjahoff. 

Die Frage der myeloiden Metaplasie der Milz, der Leber und 
der Lymphdrüsen bei schweren Anämien war in der letzten Zeit 
Gegenstand eingehender Untersuchungen. In erster Linie ist hier 
die Arbeit von Meyer und Heineke(l) zu erwähnen. Die ge¬ 
nannten Autoren sprechen auf Grund ihrer Studien diese Verän¬ 
derungen wegen der großen Ähnlichkeit des histologischen Bildes 
mit demjenigen der embryonalen Organe als Kompensationsvor¬ 
richtungen des Körpers gegenüber primärer Blutschädigung an. 

Im Anschluß daran suchten eine Beihe Autoren diese An¬ 
nahme experimentell zu prüfen. Die Resultate sind nicht über¬ 
einstimmend; es sei daher hier gestattet einen kurzen Überblick 
über die vorliegenden experimentellen Untersuchungen zu geben. 

Man kann alle bisher vorliegenden Untersuchungen in zwei 
prinzipiell verschiedene Gruppen teilen, je nach dem Wege, auf 
dem am Tier eine Anämie erzeugt wurde: 
erstens Blutgiftanämien, 
zweitens Aderlaßanämien. 

Den Weg der toxischen Anämie betraten Morris (3), v. Do- 
marus (2), Itami (5), Masing(4) und Sternberg (6). Die 
Versuche v. Domarus bestätigen vollkommen die Ansichten von 
Meyer und Heineke. v. Domarus fand, daß bei chronischen 
toxischen Anämien bei Kaninchen die Organveränderungen, ähn¬ 
lich wie bei der perniziösen Anämie beim Menschen, nämlich lym- 
phoide Umwandlung des Knochenmarkes, myeloide Umwandlung 
der Milz und der Leber, auftreten können. Ähnliche Resultate 


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252 


Skobnjakoff 


bekamen Morris nnd Masing. Beide Autoren fanden myeloide 
Umwandlung der Milz, gelegentlich auch der Leber. 

Itami suchte im Gegensatz zu v. Domarus eine Anämie 
ohne Erholungsperioden zu erzeugen und fand myeloide Umwand¬ 
lung der Milz schon nach 8—10 Tagen. Die myeloiden Herde in 
der Leber traten erst später auf. 

Zu dem entgegengesetzten Resultate kam Sternberg. 

Sternberg argumentiert folgendermaßen: Wenn die im Ver¬ 
laufe einer Anämie sich einstellende extramedulläre Metaplasie 
tatsächlich eine kompensatorische Funktion besitzt, so müßte nach 
Ausschaltung der hierfür in Betracht kommenden Organe (Splen- 
ektomie) unter sonst gleichen Verhältnissen die resultierende Anämie 
bei Parallel versuchen höhere Grade erlangen. Gegen die Starn¬ 
berg’sehen Ausführungen lassen sich eine Reihe von Einwänden 
erheben. Zunächst erscheint es bedenklich, derartig komplizierte 
biologische Probleme in ein Schema zu zwängen, das notwendiger¬ 
weise wegen der darin enthaltenen Verallgemeinerung, zu falschen 
Schlußfolgerungen führen muß. 

Was die tatsächlichen Ergebnisse der Sternberg’sehen 
Arbeit anbelangt, so dürften sämtlichen Versuchen gewisse prin¬ 
zipielle Fehler anhaften. Zunächst ist, wie aus den Protokollen 
Sternberg’s hervorgeht, in keinem Falle eine ausgesprochene 
Anämie erzielt worden (der niedrigste angeführte Wert der roten 
Blutkörperchen = 3000000; Hämoglobinzahlen werden nicht an¬ 
gegeben). 

Weiter ließ Sternberg, trotzdem er in Anlehnung an 
v. Domarus auf die Bedeutung der Erholungsperioden für das 
Zustandekommen der in Frage stehenden Veränderungen aufmerk¬ 
sam macht, bei seinen eigenen Versuchen die Einschaltung der¬ 
artiger Remission außer acht 

In diese Gruppe der experimentellen Untersuchungen gehören 
auch die Versuche von Itami. Er erzeugte posthämorrhagische 
Anämien unter gleichzeitiger Injektion von lackfarben gemachtem 
Blut, Serum und gewaschenen Blutkörperchen und fand in den 
Versuchen nach Injektion von lackfarben gemachtem Blut und ge¬ 
waschenen roten Blutkörperchen eine myeloide Umwandlung der 
Milz. 

Viel weiter auseinander gehen die Meinungen über extra¬ 
medulläre Blutbildungen bei einfachen posthämorrhagischen An¬ 
ämien. In dieser Frage haben Blumenthal und Morawitz (7). 


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Zur Frage der extramedullären Blutbildung bei potshämorrhagischen Anämien. 253 

Morawitz und Rehn (9), und Itami (5) experimentell ge¬ 
arbeitet . 

Blumenthal und Morawitz, Morawitz und Rehn fanden 
keine myeloide Umwandlung weder in der Leber, noch in der 
Milz. Itami machte Parallelversuche zu seinen Versuchen mit 
toxischen Anämien und fand keine Veränderung in der Leber 
und Milz. Hier ist zu bemerken, daß zwar Itami selbst gegen 
die Morawitz’schen Untersuchungen den Einwand erhebt, daß 
die Dauer der Anämie (2—4 Wochen) eine kurze war, in seinen 
eigenen Protokollen aber Fälle anführt, in denen die Anämie der 
Zeitdauer nach diejenige von Morawitz nur um eine unwesent¬ 
liche Differenz übertriflft. 

Technische Vorbemerkungen. 

Zu den Versuchen wurden aus zwei Gründen Kaninchen verwendet: 

Erstens haben die Kaninchen schon kurz nach der Geburt keine 
Blutbildungsherde in der Milz (Bizzozero und Salvioli, v. Do¬ 
rn arus), zweitens ist die morphologische Untersuchung des Blutes beim 
Kaninchen sehr einfach. Die Aderlässe wurden in der Weise gemacht, 
daß man eine Bandvene mit einer desinfizierten Nadel anstach; in die 
Öffnung wurde die Spitze einer desinfizierten Scherenbranche eingeführt 
und hierauf die Vene der Länge nach ein Stück weit geschlitzt. 

Als Hyperämisierungsmittel bewährte sich Xylol. Naoh dem Ader¬ 
lässe wurde das Ohr, ohne vorher mit Wasser abgespült zu sein, mit 
Borsalbe oder besser mit 5 °/ 0 Wismutlanolinsalbe eingerieben. Bei 
dieser Technik wurden kein einziges Mal, im Gegensatz zu Itami, 
Beizungserscheinungen beobachtet, trotzdem die Zahl der Aderlässe bei 
ein und demselben Tier sich u. a. bis auf 45 (Nr. I) belief und die 
Aderlässe manchmal 4 Tage hintereinander ausgeführt wurden. Vor dem 
Aderlaß wurde das Ohr mit Äther (er wirkt auch als Hyperämisierungs¬ 
mittel, aber die Wirkung ist kürzer als beim Xylol) oder besser mit 
Alkohol abgerieben. Ferner empfiehlt sich, die Vene erst 40—50 Sek. 
nach der Einreibung mit Xylol zu spalten. In der Weise gelang es 
sehr oft, auf einmal bis 60 ccm Blut im Strom binnen 1—P/ a Min. ab¬ 
fließen zu lassen. 

Hämoglobinbestimmungen wurden mit dem Sahli’schen Apparat ge¬ 
macht, der mehrere Male kontrolliert wurde. Bei der Auszählung der 
roten Blutkörperchen wurden alle Erythrocytentrümmer mitgezählt. Die 
Auszählung der gefärbten Blutpräparate geschah an Deckglasabstrichen, 
die mit May-Grünwald’Bcher Mischung gefärbt wurden. Vielfach 
wurde außerdem nach Giemsa gefärbt. Wo in den Protokollen eine 
Auszählung der Leukocyten nicht besonders bemerkt ist und z. B. die 
Angabe vorliegt, daß zwei kernhaltige gefunden wurden, so bezieht sich 
diese Zahl auf die Auszählung von zwei Paar Deckglaspräparaten. Wenn 
unter einem Datum neben den üblichen Blutuntersuchungsangaben ein 
Aderlaß notiert ist, so heißt es, daß der Aderlaß unmittelbar nach der 


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Skobnjakoff 


Blatnntersuchnng vorgenommen wurde. Bei der Auszählung der ein¬ 
zelnen Formen der weißen Blutkörperchen wurden stets mindestens 300 
Leukocyten gezählt. Auch die Organabstriche wurden mit May-Grün- 
wald gefärbt, wobei der Unterscheidung der einzelnen Formen be¬ 
sondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die Organe wurden in 10 °; # 
Formollösung fixiert, in üblicher "Weise in Paraffin eingebettet und mit 
Hämatoxylfrieosin gefärbt. 

Unter normalen Verhältnissen haben Gruber(8) und Itami im 
Kaninchenblute spärliche Myelocyten und kernhaltige rote Blutkörperchen 
gefunden. Bei den vorliegenden Versuchen wurden in Übereinstimmung 
mit v. Domaras in keinem einzigen Falle Myelocyten oder Erythro- 
blasten gefunden. 

Bei allen Versuchen wurde Wert auf die Einschaltung von 
Erholungsperioden gelegt, auf deren Bedeutung v. Domarushin- 
gewiesen hat. Bei Kaninchen Nr. 1, 3 und 4 suchte man die 
möglichst starke Anämie durch häufige Erholungsperioden zu unter¬ 
brechen. Beim Kaninchen Nr. 2 wurde der Hämoglobingehalt ab¬ 
sichtlich nicht unter 35% herabgedrückt. 

Im folgenden seien einige Versuchsprotokolle mit Sektions¬ 
befunden angeführt. 


Kaninchen Nr. 2. 

24. III. 6 h p. m. Gew. 4033 g, Hb. 65 %, r. B. 4120000, w. B. 
10040, Pseudoeosinophile 37,7%, Lymphocyten 49,0%, Mastzellen 
9,7%, große basophile Mononucleäre 1,3%, Übergangsf. 0.8 ° 0 , 
Eosinophile 3,3%. 

25. III. 11% h a. m. Hb. 65%, r. B. 4 760000, w. B. 9920. 

26. IH. 12 % b p. m. r. B. 4350000, w. B. 6280000, Ps. 50%. 
Lymph. 36,7%, Mastz. 6,7%, Mon. 1,7%, Überg. 1,7%, Eo. 3,3%. 

27. III. 11 b a. m. Hb. 75%, Ex. 0,75, r. B. 5080000, w. B. 
9360, Ps. 29,3 %, Lymph. 54,6 %, Mastz. 7,3 %, Mon. 3,0 %, Überg. 
0,9 %, Eo. 5,0 %. 

28. III. 11 h a. m. Aderlaß 20 ccm. 

29. III. 10 h a. ru. Hb. 60%, r. B. 4380000, w. B. 11280, Ps. 
57,3%, Lymph. 33,4%, Mastz. 4,0%, Mon. 1,0%, Überg. 2,3% 
Eo. 2,7%. 

30. III- 12 h m. Aderlaß 30 ccm. 

31. III- 10% h a. m. Hb. 45%, Fx. 0,62, r. B. 3 620000, w.B. 
9880 usw. 

17. VI. 4 % h p. m. Hb. 35%, Fx. 0,6, r. B. 2800000. Ader¬ 
laß 30 ccm. 

19. VI. 5 h p. m. 25 ccm Aderlaß. 


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Zar Frage der extramedullären Blutbildung bei posthämorrhagischen Anämien. 255 


21. VI. 5% h P- m. Gew. 3040 g. Aderlaß 50 ccm. 

22. VI. Das Tier wurde im Stall tot gefunden. Sektion. 

Sektionsbefund: 

Das Knochenmark läßt sich aus dem Femur als Ganzes heraus- 
nehmen, zeigt vermehrte Konsistenz, ist graurot, bei genauer Betrachtung 
etwas scheckig, im unteren Drittel der Tibia hellgrau, glasig, im oberen 
Teil zeigt es dieselben Eigenschaften wie im Femur. Übergang an ziem¬ 
lich scharfer Grenze erkennbar. 

Milz: Länge 7 cm, maximale Breite 1 cm, auf der Schnittfläche 
quillt bei leisem Druck rotbraune Pulpa hervor. 

Leber: Sehr blaß, fast lehmfarbig. Acinöse Zeichnung kaum zu 
erkennen. Schnittfläche sehr blutarm, auffallend trocken, brüchig. 

Mikroskopisch: Knochenmarkabstrich: Vereinzelte kern¬ 
haltige rote Blutkörperchen; Granulocyten stark vermindert. Das Ge¬ 
sichtsfeld . beherrschen Zellen lymphoiden Charakters. Im Schnitt: 
Starke Hyperplasie; wabige Struktur fast völlig verschwunden, überall 
ist Zellmark vorhanden. Zahlreich sind die hämoglobinarmen Normo- 
blasten. Riesenzellen sind nicht vermindert. Mitosen; sehr zahlreich 
sind die großen lymphoiden Zellen. 

Milzabstrich: Keine Erythroblasten, keine Myelocyten. Im 
Schnitt: Schwache Entwicklung einiger Follikel, sonst nichts Abnormes. 

Leber in Abstrich: o. B. Im Schnitt: Zentrale Nekrosen. 

Epikrise: Die Anämie dauert fast 3 Monate; 2 Erholungsperioden. 
Normoblasten und Myelocyten in strömendem Blute nicht beobachtet. 
Niedrigster Hämoglobinwert 35 °/ 0 . Hyperplastisches lymphoides Knochen¬ 
mark. Keine Veränderungen in der Leber und Milz. 

Kaninchen Nr. 4. 

2. IV. 11 “ a. m. Gew. 2143 g, Hb. 65%, r. B. 3200000, w. B. 
5380, Ps.50 °/ 0 , Lymph. 41,0%, Mastz. 2,3 %, Mon. 1,7 %, Überg. 3,4 %, 
Eo. 4,3%. 

3. IV. 5 h p. m. Hb. 65%, Fx. 0,54, r. B. 6080000, w. B. 4860, 
Ps. 49,7%, Lymph. 38,7 %, Mastz. 3,0%, Mon. 0,3%, Überg. 1.4%, 
Eo.3,7%. 

5. IV. 6% h p. m. Hb. 60 %, Fx. 0,48, r. B. 6 240 000, w. B. 8760, 
Ps. 34,3 %, Lymph. 50,3 %, Mastz. 8.0 %, Mon. 2,0 %, Überg. 2,0 %, 
Eo. 1,3%. 

6. IV. 10% h a. m. Aderlaß 30 ccm. 

7. IV. 11“ a. m. Hb. 45 %, Fx. 0,55, r. B. 4150000, w.B. 9920, 
Ps. 60,0 %, Lymph. 29,7%, Mastz. 5,7%, Mon. 1.3%, Überg. 1,0%, 
Eo. 2,3%. 

8. IV. 11% h a. m. Aderlaß 15 ccm. 

10. IV. 10 h a. m. Hb.55 %, r. B. 4200000, w.B. 5160, Ps. 46 %, 
Eymph. 43,3 %, Mastz. 5,7%, Mon. 0,7%, Überg. 3,0%, Eo. 2,0 %. 


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256 


Skohnjakofp 


16. IV. 5 h p. m. Aderlaß 45 ccm. 

17. IV. 4 h p. m. Hb. 40%, Fx. 0,6, r. B. 3360000, w.B. 10630. 
29. IV. 4t p. m. Hb. 55 %, Fx. 0,62, r. B. 4400000, w.B.7480. 

Aderlaß 4 x / 8 h p. m. 25 ccm, Poikilocytose, Anisocytose, keine Normo- 
blasten. 

3. V. 6 h p. m. Gew. 1723 g, Hb. 45%. 

5. V. 3 h p. m. Aderlaß 35 ccm. 

18. V. 6 h p. m. Hb. 45"/ 0 , r.B. 5760000, w.B. 12480, Ps. 76.7%. 
Lymph. 25,3 %, Mastz. 2,0 %, Mon. 0,7 %, Überg. 0,7 %, Eo. 0,7 ° ;0 . 
Aderlaß 30 ccm. 

22. V. 6% h P- m. Hb. 45%, Fx. 0,49, r. B. 4640000, Aderlaß 
7% h p. m. 30 ccm. 

24. V. 6V 2 h P- m. Gew. 1913 g. 

27. V. 6 k p. m. Hb. 45 %, Fx. 0,41, r. B. 5440000, w. B. 8600. 
Keine Normoblasten. 

2. VI. 2% k p. m. Aderlaß 30 ccm. 

7. VI. 4% h p. m. Aderlaß 25 ccm. 

10. VI. 7 k p. m. Aderlaß 30 ccm. 

2. VI. 6 V 2 h p. m. Aderlaß 30 ccm. 

6. VI. 5 Vs h P- Aderlaß 20 ccm. 

7. VI. 6 h p. m. Aderlaß 40 ccm. 

9. VI. 6 h p. m. Aderlaß 25 ccm. 

11. VI. 7 V 4 h P- m. Gew. 1740 g, Aderlaß 30 ccm. 

23. VI. 6k p. m. Hb. 20%, Fx. 0,4, r.B. 2600000, w.B. 13160 
Ps. 6,7%, Lymph. 35,3 %> Mastz. 2,0%, Mon. 0, Überg. 0, Eo.0,3% 

25. VI. 6 h p. m. Vereinzelte Normoblasten. 

26. VI. 5 h p. m. Hb. 30%, Fx. 0,5, r. B. 2880000. 

29. VI. 4Vs h P- m. Hb. 40%, Fx. 0,5, r.B. 4808000, keine 

Normoblasten. 

3. VII. 7 h p. m. Hb. 50%, Fx. 0,5, r.B. 5520000, keine Normo¬ 
blasten. 

5. VII. 5 h p. m. Hb. 50%, Fx. 0,6, r.B. 4480000, Aderlaß 
40 ccm. 

15. VII. 6 h p. m. Hb. 55%. Fx. 0,7, r. B. 4200000. 

25. VII. 3 h p. m. Hb. 60%. Fx. 0,6, r.B. 5000000. 

3 . VIII. 11 h a. m. Hb. 65%, Fx. 0,5, r. B. 6720000, 

7. MII. 6 b p. m. Aderlaß 60 ccm. 

10. VIII. 11 h a. ni. Aderlaß 50 ccm. 

11. VIII. 10'/ 2 k a. m. Aderlaß 35 ccm. 

12. VIII. 4 Vs b p. m. Aderlaß 25 ccm. 

16. VIII. 12 k- Hb. 35%, Fx. 0,5, r.B. 340000. 


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Zar Frage der extramedullären Blutbildung bei posthämorrhagischen Anämien. 257 


17. VIII. 11 h a. m. Aderlaß 25 ccm. 

18. VIII. 10 % a. m. Aderlaß 50 ccm. 

20. VIII. 10 h a. m. Aderlaß 50 ccm. 

22. VIÜ. 11 * a. m. Hb. 20%, r. B. 2000000. 

23. VIII. 6'/ 8 h p. m. Aderlaß 10 ccm. 

24. Vin. 11“ a. m. Gew. 2230 g, Hb. 50%, r. B. 2240000, 
w. B. 13880, Ps. 74,3 %, Lymph. 24,7 %, Mastz. 1,3 %, Mon. 0,7 %, 
Überg. 1,0%, Eo. 0, 4 Normoblasten, 1 Megaloblast. 

Sektionsbefun d: 

Makroskopisch: Das Knochenmark zeigt dieselben Eigen¬ 
schaften wie im Falle Nr. 2. 

Milz desgl.; Länge 6 cm, maximale Breite 1 cm. 

Die Leber ist etwas blutarm; aber nicht so weich and brüchig 
wie im Falle Nr. 2. 

Mikroskopisch: Knochenmark: Im Schnitt zeigt es dasselbe 
Bild wie in Nr. 2. Nur Biesenzellen stark vermindert. Im Abstrich: 
Normoblasten (viele mit pyknotischem Kern), Megaloblasten, eosinophile 
nnd pseudoeosinopbile Myelocyten, in sehr großer Zahl lymphoide Zellen. 

Milz: Im Schnitt sieht man haufenweise liegende Erythrohlasten, 
sonst nichts Abnormes. Im Abstrich: Normoblasten, zahlreiche Phago- 
cyten, keine Meylocyten. 

Leber: o. B. 

Die Anämie dauerte ca. 4% Monate. Eine Erholungspause. Niedrig¬ 
ster Hämoglobinwert 15 %. Zweimal wurden im strömenden Blute 
Normoblasten, dagegen keine Myelocyten beobachtet. 

Kaninchen Nr. 3. 

25. III. 12 h Gew. 1763 g, Hb. 60%, r. B. 5400000, w. B. 9400. 

26. III. 12 h r. B. 6680000, w. B. 5500, Ps. 14,3%, Lymph. 
76,6%, Mastz. 3,6%, Mon 2,6%, Überg. 1,6%, Eo. 4,3%. 

27. ni. 10 h a. m. Hb. 75 %, Fx. 0,63, r. B. 5 920 000, w. B. 40700, 
Ps. 28,0 %, Lymph. 62,7%, Mastz. 3,7%, Mon. 3,0%, Überg. 0,7, 
Eo. 2,3%. 

28. III. 10 h a. m. Hb. 70%, r. B. 5960000, w. B. 9760, Ps. 
34,7%, Lymph. 43,4 %, Mastz. 5,3 %, Mon. 1,0 %, Überg. 6,3 %, Eo.O 

29. in. 12 h Aderlaß 20 ccm. 

30. IH. 9 b a. m. Hb. 55 %, r. B. 6340000, w. B. 10620. Ader¬ 
laß 10 h a. m. 15 ccm. 

31. III. 12 h Hb. 50%, r. B. 3830000, w. B. 14220. Aderlaß 
p. m. 20 ccm. 

5. IV. 6 h p. m. Hb. 50%, Fx. 0,71, r. B. 3500000, w. B. 7160, 
Aderlaß 7% h p. m. 22 ccm. 

6. IV. 11h a . m> Hb. 35%, r. B. 4640000, w. B. 9820. 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101 . Bd. 17 


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; 

UMIVERSITY OF CAILIFÖRNIA 



258 


Skornjakoff 


7. IV. HV 2 h a.m. Hb. 40°/ 0 , Fx.0,57, r.B. 3520000, w.B. 6520. 

8. IV. 11 h Aderlaß 30 ccm. 

9. IV. 3 h p. m. Hb. 35%, Fx. 0.56, r. B. 3120000, w.B.6160, 
Ps. 30,7%, Lymph. 50,3%, Mastz. 8,0%, Mon. 1,7%, Überg. 2,0%, 
Eo. 2,3%, Anisocytose, Polychromatophilie, Poikylocytose. 

5. IV. 1 h p. m. Aderlaß 40 ccm. 

6. IV. 4 V, h P- m. Hb. 30 %. Fx. 0,68, r. B. 2 280000, w. B. 5480. 
8. IV. 12 h Aderlaß 25 ccm. 

3. IV. 6 h p. m. Hb. 20%, Fx. 0,42, r. B. 2440000, w.B. 5840. 

10. IV. 3% h p. m. Hb. 25%, Aderlaß 25 ccm. 

1. V. 4 V a h P- m. Hb. 20 %, ein Normoblast, ein freier Kern. 

4. V. 4 h p. m. Hb. 30%, Fx. 0,39, r.B. 3880000, Ps.43,3%, 
Lymph. 47,2%, Mast. 4,3%, Mon. 2,0%, Überg. 1,3%, Eo.1,4%. 
Ein freier Kern. 

16. V. 12 h - Hb. 35%, Fx. 0,54, r. B. 3280000, Ps. 28,3%, 
Lymph. 66,3%, Mastz. 37,4%, Mon. 0, Überg. 1,7%, Eo. 1,0%. 

19, V. 6 h p.m. Hb. 35%, Fx. 0,5, r. B. 3560000, keine Normo- 
blasten. 

22. V. 5% h p. m. Hb. 35%, Fx. 0,51, r. B. 3400000, w.B. 
6760, Ps. 31,7%, Lymph. 53,7%, Mastz. 6,0%, Mon. 1,3%, Überg. 
2,0, Eo. 2,0%, 2 Normoblasten. 

24. V. 6 V a h P- m - Gew. 1913 g. 

25. V. 7 h p. m. Hb. 40%, Fx. 0,62, r. B. 3280000. 

26. V. 4 V 9 h P* m - 32,0 %, Lymph. 52,3 %, Mastz. 6,3 %, 
Mon. 3,0%, Überg. 1,7%, Eo. 2,7%. 

27. V. 5 h p. m. Hb. 40 %, Fx. 0,45, r. B. 4 400 000, w. B. 6560. 
Keine Normoblasten. 

3. VI. 5 h p. m. Hb. 40%, Fx. 0,4, r. B. 5400000. 

5. VI. 11 h a. in. Keine Normoblasten. 

7. VI. 4% b p. m. Hb. 45%, Fx. 0,5, r. B. 4 800000, keine 

Normoblasten. 

10. VI. 6 b p. m. Hb. 45%, Fx. 0,5, r.B. 4880000, keine Normo¬ 


blasten. 

12. VT. 6 h p.m. Aderlaß 30 ccm. 

16. VI. 6 h p. ra. Aderlaß 35 ccm. 

17. VI. 5 V* h p. m. Aderlaß 30 ccm. 

19. VI. 5% h p. m. Aderlaß 30 ccm. 

21. VI. 7 h p. m. Gew. 2020 g. Aderlaß 45 ccm. 

23. VI. 5Va h p. m. Hb. 20 %, Fx. 0,5, r. B. 2000000, w.B. 7240, 
Ps. 30,0%, Lymph. 60%, Mastz. 7.3%, Mon. 1,7%, Überg. 1,3%, 
Eo. 2,0%, 7 Normoblasten, darunter einige Megaloblasten, 8 freie Kerne. 


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Zur Frage der extramedullären Blutbildung bei posthämorrhagischen Anämien. 259 


25. VI. 6 h p. m. Ein basophil punktierter Normoblast. 

26. VI. 4 1 // p. m. Hb. 30%, Fx. 0,6, r. B. 2720000. 

29. VI 4 h p. m. Hb. 40%, Fx. 0,5, r. B. 3800000. Keine 
Normoblasten. Aderlaß 30 ccm. 

1. VH. 6 8 // p. m. Hb. 35%, Fx. 0,6, r. B. 3160000. Keine 
Normoblasten. 

4. VH. 6% h p. m. Aderlaß 30 ccm. 

5. VII. 47a h p. m. Aderlaß 40 ccm. 

7. VH 7 h p. m. Aderlaß 15 ccm. 

8. VII. 47 2 h p. m. Hb. 30%, Fx. 0,5, r. B. 3000000. Keine 

Normoblasten. Aderlaß 25 ccm. 

14. VH 6 h p. m. Hb. 40%, Fx. 0,4, r. B. 4800000. 

20. VII. 5 h p. m. Hb. 45%, Fx. 0,5, r. B. 4840000. 

28. VH 4 b p. m. Hb. 55%, Fx. 0,5, r. B. 6000000. 

3. VIII. 11 “ a. m. Hb. 60%, Fx. 0,5, r. B. 6000000. Ader¬ 
laß 1 h p. m. 30 ccm. 

5. VHI. 107s h a. m. 40 ccm. 

7. VIH 77/ p. m. 40 ccm. 

10. VHI. 67/ a. m. Aderlaß 40 ccm. 

11. VIH 2 b p. m. Aderlaß 25 ccm. 

12. VIH. 4 h p. m. Aderlaß 30 ccm. 

16. VIH. 117/ a. m. Hb. 40%, Fx. 0,4, r. B. 3 800000. 

17. VIII. 11 h a. m. Aderlaß 40 ccm. 

18. VIH 10“ Aderlaß 30 ccm. 

20. VIII. 97 a h a. m. Aderlaß 25 ccm. 

23. VIII. 6“ p. m. Aderlaß 25 ccm. 

25. VIH 37/ p. m. Hb. 25%, r. B. 2440000. 

26. VHI. 3 h p. m. Aderlaß 15 ccm. 

27. VHI. 47a h p. m. Aderlaß 20 ccm. 

28. VIII. 37s h p. m. Hb. 20 %, r. B. 2400000. Aderlaß 25 ccm. 
31. VHI. 10“ a. m. Hb. 30%, r. B. 2320000. Aderlaß 15 ccm. 

3. IX. 4 h p. m. Hb. 35%, r. B. 3040000. 

4. IX. 37g 11 p. m. Aderlaß 20 ccm. 

6. IX. 4%“ p. m. Aderlaß 30 ccm. 

9. IX. 127, h- Hb. 35%, r. B. 3840000. 

10. IX. 11“• Aderlaß 20 ccm. 

11. IX. 127a h - Hb. 25 %, r. B. 3160000. Aderlaß 20 ccm. 

12. IX. 117, b a. in. Hb. 25%, r. B. 3020000, Ps. 62,0%, 
Lymph. 34,7%, Mastz. 2,0%, Mou. 0, Überg. 0,7%, Eo. 0,3%, 
5 Normoblasten, Aderlaß 12 ccm. 

13. IX. 67,“ p. m. Hb. 20%, r. B. 2 700000. Aderlaß 10 ccm. 

17 * 


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260 


Skoenjakoff 


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14. IX. 9 h a. m. Hb. 15%, r. B. 2100000. 

15. IX. 9 h a. m. Hb. 25%, r. B. 2200000. 

16. IX. im Stall in der Früh tot gefunden. 

Sektion ab e fand: 

Makroskopisch: Milz: Länge 4 cm, maximale Breite 0,7 cm. 
Leber vergrößert, grauweiß, mit rotbraunen Flecken. Schnitt¬ 
fläche saftreich, brüchig. 

Das Knochenmark in der unteren Hälfte der Tibia hellgrau, 
fast weiß, glasig. 

Im übrigen der Befund wie bei Nr. 2 und 4. 

Mikroskopisch: Knochenmark: Im Schnitt geringere Hyper¬ 
plasie als in den früheren Fällen. Biesenzellen fast ganz verschwunden. 
tjbergangBgrenze zum Fettmark sehr scharf. Sehr zahlreich sind die 
eosinophilenGranulocyten. Im Abstrich: Zahlreiche Normoblasten, Megalo¬ 
blasten, pseudoeosinophile Leukocyten; die Eosinophile und Myelocyten 
mit gemischter Granulation: besonders zahlreich sind die lymphoiden 
Zellen. 

Milz im Schnitt: Struktur völlig verwischt, Follikel fast ganz ver¬ 
schwunden. Man erkennt die Milz fast nur an den Trabekeln. Kern¬ 
haltige rote Blutkörperchen liegen vereinzelt in der Pulpa. Im Abstrich: 
Sehr zahlreiche lymphoide Zellen, Normoblasten nicht zahlreich. 

Leber im Schnitt: Geringe zentrale Nekrosen, Kapillaren er¬ 
weitert. Im Abstrich: o. B. 

Die Anämie dauerte ca. 5% Monate. Niedrigster Hämoglobinwert 
15%. 4 Erholungspausen. Im strömenden Blute ab und zu Normo¬ 

blasten, keine Myelocyten. 

Kaninchen Nr. 1. 

19. III. 11 h a. m. Gew. 2223 g, Hb. 55%, r. B. 4 400000, 
w. B. 5740, Ps. 40,9 %, Lymph. 57,8 %, Mastz. 1.2 %, Mon. 0, Überg. 
1,2%, Eo. 0,6%. 

20. III. 11 h a. m. Hb. 55%, r. B. 4720000, w. B. 9040, Ps. 
54%, Lymph. 41,0 %, Mastz. 2,8%, Mon. 0, Überg. 0,3 %, Eo. 0,3 % 

21. III. 11 h a. m. Hb. 55%, Fx. 0,59, r. B. 4 600000, w. B. 
7740, Ps. 60,4%, Lymph. 37,1, Mastz. 2,1%, Mon. 0, Überg. 0,3 
Eo. 0,3%. 

22. III. 5 h p. m. r. B. 4600000, w. B. 10520, Ps. 49,2%, 
Lymph. 47,4%, Mastz. 0, Mon. 0, Überg. 0,5, Eo. 0,7 °/ 0 . Aderlaß 
6 ccm. 

23. KI. 12 h - Hb. 50%, r. B. 3400000, w. B. 12480, Lymph. 
62,7 %, Mastz. 0, Mon. 0, Überg. 0, Eo. 0. Aderlaß 22 ccm. 

24. III. 10% h a. m. Gew. 2123 g. Hb. 40%, r. ß. 3 760000, 
w. B. 12680, Ps. 35,0%, Lymph. 64,6%, Mastz. 0,7%, Mon. 0, 
Überg. 0,3%, Eo. 1,0%. Aderlaß 4 h p. m. 22 ccm. 


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Zur Frage der extramedullären Blutbildung bei posthämorrhagischen Anämien. 261 


25. HI. 10 h a. m. Hb. 40°/ o , Fx. 0,77, r. B. 2680000, w. B. 
5860, Ps. 31,0%, Lymph. 70,0%, Mastz. 19,8%, Mon. 0,8%, Überg. 
1,6 °/ 0 , Eo. 1,8%. Aderlaß 4 h p. m. 20 ccm. 

26. HI. 10 h a. m. r. B. 3040000, w. B. 9200, Ps. 57,3 %, 
Lymph. 42,0 %, Mastz. 0, Mon. 0,7 %, Überg. 0, Eo. 0. 

27. III. 4% h p. m. Hb. 35%, r. B. 3800000, w. B. 8760. 
Aderlaß 5 h p. m. 10 ccm. 

28. III. 9 h a. m. Hb. 35%, r. B. 3280000, w. B. 63000, Ps. 
61,7%, Lymph. 35%, Mastz. 0, Mon. 1,3 %, Überg. 0, Eo. 0,3%. 

29. IH. 4 h p. m. Aderlaß 20 ccm. 

30. HI. 4 h p. m. Hb. 30%, w. B. 12080, Ps. 70%, Lymph. 
26,0%, Mastz. 1,7%, Mon. 1,7%, Überg. 1,3%, Eo. 0. Aderlaß 
12 ccm. 

31. HI. 4 % h p. m. Hb. 35%, r. B. 3440000, w. B. 4460. 
Aderlaß 6 h p. m. 15 ccm. 

2. IV. 10 h a. m. Gew. 1963 g. Hb. 35%, Fx. 0,5, r. B. 

3540000, w. B. 6980, Ps. 46,7%, Lymph. 45,0%, Mastz. 3,3 % ? 
Mon. 2,3%, Überg. 4,8%, Eo. 0,7%. 2 Normoblasten, 4 freie 

Kerne, starke Polychromatophilie, Poikilocytose, Anisocytose. 

3. IV. 7 h p. m. Ps. 53,3 %, Lymph. 42,7 %, Mastz. 4,7 %, Mon. 
0,7 %, Überg. 0, Eo. 0. Aderlaß 20 ccm. 

5. IV. 4% h p. m. Hb. 35%, r. B. 2880000, w. B. 5200, Ps. 
48,0%, Lymph. 50,0%, Mastz. 0,6%, Überg. 0,6%, Mon. 1,2%, 
Eo. 0. 

7. IV. 4 h p. m. Aderlaß 30 ccm. 

8. IV. 9V 2 h a. m. Hb. 30%, Fx. 0,78, r. B. 2440000, w. B. 
3840, Ps. 58,0%, Lymph. 33,6%, Mastz. 2,3%, Mon. 2,7%, Überg. 
7%, Eo. 1,7%. 1 Normoblast, 4 freie Kerne. 

9. IV. 4 h p. m. Aderlaß 25 ccm. Keine Normoblasten. 

15. IV. 11^ a. m. Hb. 30%, r. B. 2960000, w. B. 5120, Ps. 
44,7%, Lymph. 52,7 «/ 0 , Mastz. 1,3%, Mon. 0,7%, Überg. 0,7%, 
Eo. 0. 

17. IV. 5 h p. m. Aderlaß 35 ccm. 

23. IV. 5 h p. m. Hb. 25%, Fx. 0,65, r. B. 2960000, w. B. 
5360, Ps. 55,7%, Lymph. 40,4%, Mastz. 1,0%, Mon. 0,7%, Überg. 
2,3%, Eo. 0,3%. 

30. IV. 4% h p. m. Aderlaß 40 ccm. 

4. V. 4 h p. m. Hb. 20%, 2 Normoblasten, 3 freie Kerne. 

8. V. 6 h p. m. Hb. 25%, Fx. 0,3, r. B. 3 740000, w. B. 8360. 
Keine Normoblasten. 

9. V. 11h a. m. Aderlaß 15 ccm. 


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262 


Skoknjakoff 


11. V. 6% h P- m- Hb. 25 °/ 0 . 

14. V. 3V p. m. Hb. 25%, Fx. 0,34, r. B. 3200000, w. B. 
5400, Ps. 41,0%, Lymph. 53,3%, Mastz. 2,0%, Mon. 0,3%, Überg. 
2,3%, Eo. 1,0%. 1 Normoblast, 2 freie Kerne. 

15. V. 5 h p. m. Hb. 25%, Fx. 0,35, r. B. 3500000. Keine 
Normoblasten. 

18. V. 4V 2 h P- m * Hb. 30%, Fx. 0,5, r. B. 3040000, w. B. 
2680, Ps. 40,0%, Lymph. 56,0%, Mastz, 5,0%, Mon. 1,0, Überg. 
0,7 %, Eo. 0,7 %. 14 Normoblasten, 2 freie Kerne. 

21. V. 7 h p. m. Hb. 30%, Fx. 0,52, r. B. 2960000. 5 Normo¬ 
blasten. 

24. V. 6 h p. m. Gew. 2063, Ps. 48,3%, Lymph. 43,0%, Mastz. 
6,7%, Mon. 0,3%, Überg. 1,3%, Eo. 0,3%. 

26. V. 5 h p. m. Hb. 40%, Fx. 0,43, r. B. 4600000, w.B.3960, 
Ps. 50,7%, Lymph. 34,0%, Mastz. 14,0%, Mon. 0, Überg. 0,7%. 
Eo. 0,7 %. 1 Normoblast, 1 freier Kern. 

2. VI. ll% h a. m. Hb. 50%, Fx. 0,45, r. B. 5320000, w. B. 
5840. Keine Normoblasten. 

4. VI. 6V 2 h P- m. Hb. 45%, Fx. 0,45, r. B. 4 880000. 

6. VI. 11 h a. m. Keine Normoblasten. 

8. VI. 4 h a. m. Hb. 50%, Fx. 0,41, r. B. 6 200000. 

11. VI. 6% h p. m. Aderlaß 40 ccm. 

14. VI. 6 U p. m. Hb. 45%, Fx. 0,45, r. B. 4800000. Ader¬ 
laß 25 ccm. 

16. VI. 5 h - Aderlaß 20 ccm. 

17. VI. 5 h p. m. Aderlaß 25 ccm. 

19. VL 4% h p. m. Hb. 25%. Aderlaß 45 ccm. 

21. VI. 6% 11 p. m. Gew. 2340 g. Aderlaß 30 ccm. 

22. VI. 6% h p. m. Hb. 25%, Fx. 0,7, r. B. 1760000, w. B. 
4400, Ps. 28,3%, Lymph. 66,0%, Mastz. 5,0%, Mon. 1,0%, Überg. 
1,0%, Eo. 1,3%. 12 Normoblasten, 9 freie Kerne. 

25. VI. 6 h p. m. Vereinzelte Normoblasten. 

26. VI. 6 h \\ m. Hb. 35%. Fx. 0,5, r. B. 3640000. 

29. VI. 3% h p. m. Hb. 40'%, Fx. 0,4, r. B. 4960000. Ader¬ 
laß 40 ccm. 

1. VII. 6V p. m. Hb. 30%. Fx. 0,4, r. B. 3960000. Ver¬ 
einzelte N ormoblasten. 

4. VII. 6 11 p. m. Aderlaß 50 ccm. 

5. VII. 5 h p. m. Aderlaß 30 ccm. 

7. VII. 6%" P- in. Aderlaß 40 ccm. 

8. VII. 4\> p. in. Hb. 25%, Fx. 0.6, r. B. 2040000. Ver* 


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Zur Frage der extramedullären Blutbildung bei posthämorrhagischen Anämien. 263 


einzelte Normoblasten und freie Kerne, zahlreiche zerstörte poly¬ 
chromatophile Normoblasten. Aderlaß 15 ccm. 

10. VIL 7 1 / 2 h p. m. Hb. 35 °/ 0 . Aderlaß 30 ccm. 

14. VIL 6“ p. m. Hb. 35°/ 0 , Fx. 0,5, r. B. 3640000. Ver¬ 
einzelte Normoblasten. 

20. VII. 5 h p. m. Hb. 45°/ 0 , Fx. 0,5, r. B. 4060000. 

28. VII. 4 h p. m. Hb. 55%, Fx. 0,5, r. B. 4900000. 

3. VIH. 12 h Hb. 60%, Fx. 0,4, r. B. 7520000. Aderlaß 
60 ccm. 

5. VIH. 10 h a. m. Aderlaß 60 ccm. 

7. VIII. 5 h a. m. Aderlaß 55 ccm. 

10. VIII. 10 h a. m. Aderlaß 30 ccm. 

11. VIII. 9% h a. m. Hb. 30%, Fx. 0,4, r. B. 3440000. Ader¬ 
laß 25 ccm. 

12. VIH. 3% h P- m. Aderlaß 40 ccm. 

16. VHI. 11“ a. m. Hb. 25%, Fx. 0,4, r. B. 3220000. 

17. VIII. 10 b a. m. Aderlaß 20 ccm. 

20. VIII. 9 1 /* 11 Hb. 25%. 

22. VIII. 10 h a. m. Hb. 30%, r. B. 4240000. 

23. VIH. 5 1 / 9 h p. m. Aderlaß 30 ccm. 

26. VIII. 3 h p. m. Hb. 25%, r. B. 4480000. 

27. VIII. 4 h p. m. Aderlaß 15 ccm. 

28. VIII. 3 11 p. m. Hb. 25%, r. B. 4240000. Aderlaß 20 ccm. 
31. VIII. 8% h a. m. Hb. 25%, r. B. 4400000. Aderlaß 

12 ccm. 

3. IX. 3% h p. m. Hb. 25%, r. B. 3640000. 

4. IX. 3 h p. m. Aderlaß 20 ccm. 

6. IX. 4 h p. m. Aderlaß 15 ccm. 

9. IX. 12 b - Hb. 25%, r. B. 4440000. 

10. IX. 10 h a. m. Aderlaß 20 ccm. 

11. IX. 12 b a. m. Hb. 20%, r. B. 3320000. Aderlaß 12 ccm. 

12. IX. 10'• a. m. Hb. 25%, r. B. 4 000000, Ps. 53,3%, Lymph. 
50,4%, Mastz. 6,3%, Mon. 6,3%, Überg. 3,3%, Eo. 0. 16. Normo¬ 
blasten, darunter ein basophil punktierter. 

13. IX. 6 11 p. m. Hb. 20%, r. B. 3200000. 

16. IX. 4 h p. m. Hb. 25%, r. B. 3200000. 

18. IX. 10 h a. m. Hb. 30%, r. B. 4100000. 

19. IX. 11 h a. m. Aderlaß 5 ccm. 

20. IX. 4 h p. m. Aderlaß 25 ccm. 

21. IX. 11 b a. m. Hb. 30%, r. B. 4 200 000. Aderlaß 20 ccm. 

22. IX. 6' 1 p. m. Hb. 30'%, r. B: 4100000. Aderlaß 20 ccm. 


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264 


Skobnjakoff 


23. IX. 3 h p. m. Hb. 20%. r. B. 3300000. 

24. IX. 11 h a. m. Hb. 25%, r. B. 3320000. Keine Normo- 
blasten. 

25. IX. 10 h a. m. Hb. 30%, r. B. 4250000. Keine Normo- 
blasten. 

26. IX. 11 h a. m. Hb. 35%, r. B. 4520000. 5 Normoblasten, 
darunter ein basophil punktierter, ein freier Kern. 

27. IX. 11 h a. m. Hb. 35%, r. B. 4720000. 2 Normoblasten 
und 2 basophil punktierte Normoblasten. 

28. IX. 12 h a. m. Hb. 30%, r. B. 4200000. 2 Normoblasten. 

29. IX. 10% h a. m. Hb. 30%, r. B. 4220000. 2 Normoblasten. 

30. IX. 10 h a. m. Hb. 30%, r. B. 4240000. 5 Normoblasten 
und 6 basophil punktierte Normoblasten. 

1. X. 5% h p. m. Gew. 2120 g, Hb. 35%, r. B. 4 760000. w.B. 

5300, Ps. 36,0 %, Lymph. 52,0 %, Mastz. 6,7 %, Mon. 0,3 %, Überg. 
3,3%, Eo. 1,3%. 56 Normoblasten, darunter ein basophil punk¬ 

tierter. 

2. X. 8 h a. m. Ps. 47,7 %, Lymph. 44,0 %, Mastz. 9,0 %, Mon. 
1,7%, Überg. 1,3%, Eo. 1,7 %. 48 Normoblasten, 1 Megaloblast, 
1 basophil punktierter Normoblast, 11 freie Kerne. Sektion. 

Sektionsbefund: 

Makroskopisch: Knochenmark wie bei Kaninchen Nr. 3. 
Milz: Länge 7,5 cm, maximale Breite 1,7 cm, Baftreich. 

Leber vergrößert, Ränder scharf, gelappt, saftreich; acinöse Zeich¬ 
nung nicht überall ganz deutlich. Im übrigen wie bei Kaninchen Nr. 2 
und 4. 

Mikroskopisch: Knochenmark im Schnitt: Zeitige Hyper¬ 
plasie, Normoblasten haufenweise vorhanden. Eosinophile Granulocyten 
sehr zahlreich. Die Granulocyten im Verhältnis zu den lymphoiden 
Zellen scheinen nicht so stark vermindert zu sein, wie in anderen Fällen. 

Milz im Schnitt: Follikel klein; an einigen Stellen sind sie gut 
erhalten, an anderen dagegen ganz verschwunden. An solchen Stellen 
besonders stark das myeloide Gewebe gewuchert. Normoblasten und 
Granulocyten liegen haufenweise. Mitosen. Im Abstrich: Normoblasten, 
Megaloblasten, kleine Lymphocyten, große lymphoide Zellen. Zahlreiche 
basophile Granulocyten (im Gegensatz zum Knochenmark). 

Leber im Schnitt: Gesichtsfeld zellarm. Hier und da findet rasn 
einen Zellenhaufen : lymphoide Zellen, Granulocyten, Erythrocyten und 
Normoblasten. Denselben Zellen begegnet man im periportalen Gewebe. 
Im Abstrich: Pseudoeosinophile 24,0%, Lymphocyten 61,0%, Hast¬ 
zellen 12,7%; Mononucleäre 1,0%, Reizungsformen 4,7 %, Übergangs- 
zellen 2,3 %, eosinophile Zellen 2,3%. 71 Normoblasten. 2 Mikro- 

cyten, 2 Megaloblasten, 29 freie Kerne. 

Anämie über 6 Monate. Niedrigster Hämoglobinwert 15%. 2 Br- 


d bv Gon gle 


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Zur Frage der extr&medallttren Blutbildung bei posthämorrhagischen Anämien. 265 

holungspausen. In den letzten Tagen traten regelmäßig Normoblasten 
auf, darunter einige basophil punktierte. In großer Zahl traten die 
Normoblasten im Laufe der ganzen Anämie zweimal auf. 

Aus den vorstehenden Protokollen ergibt sich, daß das Knochen¬ 
mark in allen Fällen ausnahmslos hyperplastisch ist. Myeloide Meta¬ 
plasie der Milzpulpa in ausgedehntem Maße fand sich in zwei 
Fällen, in geringerem Grade in einem weiteren dritten Fall. In der 
Leber ließ sich das Vorhandensein von Markzellherden in ausgedehn¬ 
terem Maße in einem Fall beobachten. In einem anderen Falle war 
die myeloide Metaplasie des periportalen Gewebes nur schwach ent¬ 
wickelt. 

Hier sei bemerkt, daß das Bild des Knochenmarkes in unseren 
Fällen sich insofern mit den Beobachtungen v. Domarus’ deckt, 
als auch in unseren Fällen niemals eine Aplasie des Knochen¬ 
markes gefunden wurde. 

Die vorstehenden Resultate durften eine ziemlich klare Ant¬ 
wort darauf gehen, weshalb die bisherigen Untersucher nach post¬ 
hämorrhagischen Anämien keine myeloide Metaplasie beobachtet 
haben. Es ist zu betonen, daß in unseren positiv ausgefallenen 
Versuchen die niedrigste Dauer, während der das Tier anämisch 
gehalten wurde, über 12 Wochen betrug und daß die stärksten 
Veränderungen bei einer sich über 6 Monate ausdehnenden 
Anämie fanden. Allerdings ist zuzugeben, daß die Zahl der Tiere, 
die mit extramedullären Veränderungen reagierten, besonders in 
Anbetracht der in allen Versuchen vorhandenen langen Dauer der 
Anämie relativ klein ist und auch unsere Versuche sprechen ent¬ 
schieden dafür, daß die toxische Anämie in höherem Grade zu den 
fraglichen Veränderungen disponiert, als die posthämorrhagische. 

Für die prinzipielle Frage aber, ob nach einer Aderlaßanämie 
eine extramedulläre Blutbildung zustande kommen kann oder nicht, 
ist der Unterschied in dem Grade der Veränderungen belanglos. 1 ) 

Nebenbei sei hier erwähnt, daß im Gegensatz zu den Befunden von 
Bitz (10) niemals ein Färbeindex über 1 gefunden wurde. 

Die einem Tiere eigentümliche prozentuelle Zusammensetzung der 
Leukocyten blieb im Verlauf der Anämie, von geringfügigen Abweichungen 


1) Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß weder Meyer und 
Heineke noch v. Domarus das Auftreten von extramedullären Blutbildungs¬ 
herden bei Anämien als Regel ohne Ausnahme hingestellt haben. Dies sei 
gegenüber den Ausführungen von Oberndorfer ausgesprochen, der in einer 
Sitzung des ärztlichen Vereins München (9. Februar 1910) einen Fall von allge¬ 
meiner osteoplastischer Rnochencarcinose ohne extramedulläre Blutbildnngsherde 
demonstrierte und den Fall u. a. als einen Beweis gegen die Richtigkeit der 
Auffassung der genannten Veränderungen als Reparationsvorgänge hinstellte. 


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266 Skormjakofp, Zur Frage d. extramednll. Blutbild, bei posthämorrhag. Anima 

abgesehen, annähernd konstant. Oft bedarf es nach unseren Erfahrungen 
entgegen denen von Ritz, um eine vorhandene Anfimj « auf gleich 
Höhe zu halten, stets wachsender Aderlaßmengen, da im anderen Falle 
das Tier trotz Aderlaß durch verstärkte Regeneration den gesetzten Ver¬ 
lust zu decken vermag. 

-Die basophil punktierten Normoblasten traten nie im Stadium der 
stärksten Anämie auf, sondern erst, wenn die Anämie sich einigermzfe 
gebessert hatte und das Tier sich in der Erholungspause befand. 

Der Umstand, daß zuweilen (so bei Kaninchen Nr. 1) in den llilr 
abstrichen basophile Granulocyten sehr zahlreich waren, im Gegenau 
zum Knochenmark, und daß Erythroblasten im Leberabstrich viel zahl¬ 
reicher waren als im kreisenden Blute, unmittelbar vor der Sektion 
dürfte für die autochthone Entstehung (Meyer u. Heineke v. Dom*- 
rus, Schridde, Butterfield, Pappenheim, Morris, Schati- 
loff) der extramedullären Blutbildungsherde sprechen. 

Zusammenfassung. 

Es gelingt im Tierexperiment (Kaninchen) ebenso, 
wie bei toxischen (v. Domarus, Itami) auch bei post¬ 
hämorrhagischen Anämien extramedulläre Blutbil¬ 
dungsherde in der Milz und in geringerem Grade in 
der Leber zu erzeugen. 

Die Bedingung für das Zustandekommen dieser 
Verände rügen ist, ab ge sehen von individuellen Diffe¬ 
renzen, eine mehrere Monate betragende Zeitdauer, 
während welcher die Tiere unter Einschaltung von 
Erholungspausen anämisch bleiben müssen. 

Es besteht demnach bezüglich der Entwicklung 
der myeloiden Metaplasie kein prinzipieller Unter¬ 
schied zwischen toxischen und posthämorrhagischen 
Anämien. 


Literatur. 

1. Meyer u. Heineke, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 88. 

2. v. Domarus, Archiv f. experim. Path. u. Pharm. Bd. 58. 

3. Morris, John Hopkins Hospital Bullet. Bd. 18. 

4. M a sing, Dissertat. Dorpat 1908. 

5. Itami, Arch. f. experim. Path. u. Pharm. Bd. 60. 

6. Stern berg, Beiträge zur pathol. Anat. und zur allgem. Path. Bd. 46 H. 3. 

7. Blumenthal u. Morawitz, Deutsches Arch. f. klm. Med. 92. 

8. d. (J ruber, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 58. 

9. Morawitz u. Rehn, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 92. 

10. Kitz, Folia Haematologica Bd. 8. 


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Mitteilung ans dem physiolog. Institute der Universität Budapest. 

Studien über Puls- und Atmungsfrequenz. 

Eine medizinisch-statistische Untersuchung. 

Yon 

Kornäl v. Körösy, 

Assistent des Institutes. 

(Mit 2 Kurven.) 

I. Einleitung. 

Die Bestimmung von Normalzahlen ist immer eine wichtige 
Aufgabe, im Bereiche der medizinischen Wissenschaften wäre es 
aber besonders wünschenswert, die allgemein gebräuchlichen Normal¬ 
zahlen möglichst genau zu revidieren. Das Urmaterial ist weniger 
verläßlich als allgemein angenommen, und die Methoden der Auf¬ 
arbeitung sind heute viel besser entwickelt, als sie es früher waren, 
wie späterhin gezeigt werden wird. Die Bestimmung der normalen 
Puls- und Atmungsfrequenz ist von Wichtigkeit für den prak¬ 
tischen Arzt, aber nicht weniger wichtig für die theoretische 
Medizin, worauf neuerdings hingewiesen wurde. 1 ) 

Da ich meine Untersuchungen an möglichst vielen erwachsenen, ge¬ 
sunden Individuen ausführen wollte, bot sich dazu das Militär als am 
besten geeignetes Material dar. Als ich mich diesbezüglich an H. Ge¬ 
neralstabsarzt Mirdacz, Sanitätschef des IV. Regimentskorps wendete, 
gewährte er meine Bitte mit der größten Zuvorkommenheit, wofür ich 
ihm auch an diesem Orte besten Dank sage, so wie auch H. Oberst 
List, Kommandanten des in Budapest stationierten VI. Infanterieregi¬ 
mentes; für meine Untersuchungen wurde nämlich sein Regiment bezeichnet, 
welches sich aus der Umgegend von Ujvidök rekrutierte. Das Alter der 
Soldaten betrug 20—24 Jahre, nur ausnahmsweise mehr oder weniger. 
Meine Untersuchungen fanden Ende September und anfangs Oktober 1906 
Btatt. Dieser Umstand ist nicht ohne Bedeutung, da die Pulsfrequenz 
nach Coste 2 ) nach den Monaten variiert; der Mittelwert der Monate 

1) Zuntz, Loewy, Caspari, Müller, Höhenklima und Bergwander. 
Berlin (1906) p. 341. 

2) Nach Tigerstedt, Physiol. d. Kreislaufes, Leipzig (1893) p. 28. 


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268 


Kobösy 


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September und Oktober fällt aber zufällig mit dem jährlichen Durch- 
schnitt zusammen. Ich führte meine Zählungen immer zwischen 6 and 
8 Uhr morgens aus; die Mannschaft des zur Untersuchung bestimmten 
Schlafraumes schlief bis zu meiner Ankunft und blieb während der Unter¬ 
suchung liegend. Dies entspricht am ehesten dem Zustande der absoluten 
Ruhe und ist deshalb der geeignetste Zeitpunkt zur Gewinnung von 
Normalwerten: *) als Zustand absoluter Ruhe ist es der am bestes 
definierte physiologische Zustand. Die Soldaten waren während da 
* Pulszählung mit einer gebräuchlichen Decke zugedeckt; die Art des Zu- 
deckens ist bekanntlich auch von Einfluß auf die Pulsfrequenz. Zur 
Bestimmung einer jeden Puls- und Atmungsfrequenz zählte ich eine roll« 
Minute aus. Den zu untersuchenden Soldaten weckte ich einige Minuten 
vorher auf; vor Beginn der Zählung wartete ich ab, bis sich die anfangs 
regelmäßig auftretende kleine Erregung legte, bis der Puls vollkommen 
gleichmäßig ward. Nach der Zählung des Pulses zählte ich die Atmung»- 
frequenz, meine Hand auf die Brust des Betreffenden legend. Die hoch¬ 
gradige Indolenz der Soldaten gereichte meinen Untersuchungen zum Vor¬ 
teil : ich konnte darüber beruhigt sein, daß jede psychische Erregung aus¬ 
geschlossen war. Wenn ein Soldat verdächtig war, daß sein Herz oder 
Respirationssystem nicht gesund ist, wurde er gestrichen. Es blieben so 
im ganzen 255 Individuen. Zehn Individuen wurden versehentlich zwei¬ 
mal untersucht und für dieselben der arithmetische Mittelwert in Br 


rechnung gezogen. Die erhaltenen Resultate gebe ich in den beiden bei¬ 
stehenden Tabellen wieder. 


Pulsfrequenz 

a 

Intervallgrenzen 

j Anzahl der In- 
j dividuen 

1 z 

Dasselbe in % der 
Gesamtenzahl 

42 

40,5- 43,5 

i 

0,4 

45 

43,5—46,5 

i 

0,4 

48 

46,5—49,5 

4 

1.6 

51 

49,5—52,5 

7 

2,7 

54 1 

52,5—55,5 

20 

7,8 

57 

55,5—58,5 

33 

12.9 

60 

58,5—61,5 

35 

13,7 

63 

61,5—64,5 

41 

16,1 

66 

64,5—67,5 

37 

14,5 

69 i 

67,5-70,5 

29 

11,4 

72 

70,5-73,5 

14 

5,5 

75 | 

73,6—76,5 

11 

4,3 

78 | 

76,5—79,5 ! 

8 

3,1 

81 

79,5—82,5 

8 

3,1 

84 

82,5—85,5 

4 

1,6 

87 1 

85,5-88,5 ! 

0 

0 

90 

88,5—91,5 

0 

0 

93 

91,5—94,5 

0 

0 

96 i 

94,5-97,5 , 

0 

0 

99 

97,5—100,5 ! 

1 

0,4 

102 

100,5—103,5 j 

0 

0 

106 

103,5—106,5 

0 

0 

108 

106,5—109,5 | 

1 

0,4 __ 

■Summe ! 

i 

255 ; 

99,9 


1) Zuntz, etc. a. a. 0. p. 339. 

2 ) Bleuler u. Lehmann, Arch. f. Hyg. 3, 215 (1885). 


Gck igle 


Original frum 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



Stadien über Pols- and Atmangsfreqaenz. 


269 


At- 

mnngs- 

frequenz 

a 

Intervall¬ 

Anzahl 
der In¬ 
dividuen 

z 

Dasselbe 
in °/ 0 der 
Gesamt¬ 
anzahl 

Anzahl der Individuen, deren Höhe 
in cm 

grenzen 

160— 

159 

160- 

.164 

165— 

169 

170— 

174 

176— 
179 

180— 

184 

9 

8,5-9,5 

1 

0,4 

0 

1 

0 

0 

0 

0 

10 

9,5-10,5 

4 

1,6 

0 

0 

2 

1 

1 

0 

11 

10,6—11,5 

2 

0,8 

0 

1 

1 

0 

0 

0 

12 

11,6—12,5 

15 

5,9 

0 

2 

5 

5 

3 

0 

13 

12,5—13,5 

18 

7,1 

0 

4 

8 

5 

1 

0 

14 

13,5—14,5 

30 

11,8 

0 

4 

12 

8 

5 

0 

15 

14,6-15,5 

33 

12,9 

2 

4 

16 

6 

4 

0 

16 

15,5—16,5 

54 

21,2 

1 

14 

18 

11 

7 

3 

17 

16,6—17,5 

45 

17,6 

0 

12 

13 

13 

7 

0 

18 

17,5—18,5 

26 

10,2 

2 

7 

5 

11 

1 

0 

19 

18,5—19,5 

9 

3,5 

0 

1 

5 

2 

1 

Ö 

20 

19,5—20,5 

11 

4,3 

0 

4 

3 

3 

1 

0 

21 

20,5—21,5 

6 

2,4 

0 

2 

0 

2 

1 

1 

25 | 

24,5-25,5 

1 

0,4 

0 

1 

0 

0 

0 

0 

Summe 

255 

100,1 

5 

57 

88 

67 

32 

4 


II. Methodisches. Berechnung. 

Das hier anfgearbeitete Material fällt unter den Begriff der 
Kollektivgegenstände, welche Fechner 1 ), der Begründer dieses 
Begriffes so definiert, daß sie „ans unbestimmt vielen, nach Zufall 
variierenden Exemplaren bestehen, die durch einen Art- oder Gattungs¬ 
begriff zusammengehalten werden“. Die an einem solchen Materiale 
ausgeführten Beobachtungen können nicht durch einen einzigen 
Durchschnittswert zusammengefaßt werden, wie z. B. eine Reihe 
an einem physikalischen Apparate wiederholt ausgefuhrter Ab¬ 
lesungen desselben Zustandes der untersuchten Eigenschaft in 
einem Werte zusammengefaßt werden kann: im arithmetischen 
Mittel. Den wesentlichen Unterschied zeigt uns die graphische 
Darstellung am besten: wenn wir in horizontaler Richtung die am 
Instrumente abgelesenen Werte, in vertikaler die Zahl der dazu 
gehörenden Ablesungen auftragen, so finden wir einen mittleren 
größten Wert, von welchem nach rechts und links, im Falle einer 
genügenden Zahl von Ablesungen, zu den einzelnen Werten gleiche 
Anzahlen von Ablesungen gehören; d. h. unsere Kurve wird be¬ 
züglich des mittleren Wertes symmetrisch sein. Stellen wir Kollektiv¬ 
gegenstände in ähnlicher Weise dar, wie z. B. in dem beistehenden 
Graphicon, dann werden wir im allgemeinen eine assymetrische 
Verteilung finden: der höchste Wert wird nicht in die Mitte fallen 
und die Kurve wird rechts und links nicht gleichförmig abfallen. 

1) Fechner, Kollektivmaßlehre. Leipzig (1897) p. 3. 


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270 


Kobösy 


Kurve 1. 

Anzahl 
d. Indiv. 


Anzahl 
d. Indiv. 



Kurve 2 . 



Atm- 

frequ. 


Die Kurve der Pulsfrequenz wurde, wie ersichtlich, nicht nach der 
ursprünglichen Tabelle, der sogenannten primären Verteilnngs- 
tafel (s. Tab. auf S. 271) konstruiert, weil dieselbe keine genügend 
regelmäßige Verteilung zeigte. In solchen Fällen müssen wir nach 
Fechner auf Grund der primären Verteilungstafel eine redu¬ 
zierte Tafel (s. Tab. auf S. 268) verfertigen, in welcher eine ge¬ 
wisse Anzahl, in unserem Falle je drei Pulsfrequenzen, allgemein 
gesagt eine gewisse Anzahl der betreffenden Argumentwerte 
in eine Gruppe zusamraengefaßt werden. Die Unregelmäßigkeiten 


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Stadien über Puls- and Atmangsfrequenz. 


271 


werden nach Fechner (S. 108) oft dadurch verursacht, daß der 
Beobachter bei den einzelnen Beobachtungen unwillkürlich den 
runderen Argumentwert wählt, wenn er zwischen zwei benach¬ 
barten Argumentwerten zu wählen hat, wie sich dies auch in der 
primären Verteilungstafel der Pulsfrequenz zeigt. 


Puls¬ 

frequenz 

Gesamt¬ 
anzahl der 
Individuen 

Anzahl der Individuen, deren Höhe in < 

cm 

160— 

159 

160— 

164 

165— 

169 

170— 

174 

175— 

179 

180— 

184 

42 

1 

0 

0 

0 

1 

0 

0 

44 

1 

0 

0 

0 

1 

0 

0 

47 

3 

0 

0 

1 

1 

1 

0 

48 

1 

0 

1 

0 

0 

0 

0 

50 

3 

0 

1 

1 

0 

1 

0 

öl 

1 

0 

0 

1 

0 

0 

0 

52 

3 

0 

0 

2 

0 

1 

0 

53 

4 

0 

1 

2 

0 

1 

0 

54 

4 

0 

1 

0 

1 

1 

1 

56 

12 

0 

3 

6 

2 

1 

0 

56 

8 

0 

1 

3 

3 

1 

0 

57 

12 

1 

1 

5 

4 

1 

0 

58 

13 

0 

4 

2 

3 

4 

0 

59 

9 

1 

1 

2 

3 

2 

0 

60 

20 

0 

3 

7 

6 

3 

0 

61 

6 

0 

1 

1 

3 

1 

0 

62 

17 

0 

4 

8 

3 

2 

0 

63 

11 

0 

3 

6 

2 

0 

0 

64 

13 

0 

3 

5 

3 

1 

1 

65 

12 

1 

3 

5 

2 

1 

0 

66 

17 

0 

5 

5 

6 

1 

0 

67 

8 

0 

3 

2 

1 

1 

1 

68 

10 

0 

1 

3 

5 

1 

0 

69 

11 

0 

3 

4 

1 

2 

0 

70 

8 

0 

3 

0 

4 

1 

0 

71 

1 

0 

1 

0 

0 

0 

0 

72 

12 

1 

3 

5 

2 

1 

0 

73 

1 

0 

0 

1 

0 

0 

0 

74 

6 

0 

2 

2 

2 

0 

0 

75 

3 

0 

0 

0 

1 

2 

0 

76 

2 

0 

0 

2 

0 

0 

0 

77 

4 

0 

1 

2 

0 

0 

1 

78 

8 

1 

0 

0 

1 

1 

0 

79 

1 

0 

0 

0 

1 

0 

0 

80 

6 

0 

2 

1 

3 

0 

0 

81 

1 

0 

1 ! 

0 

0 

0 

0 

82 

1 

0 

0 

0 

1 

0 

0 

83 

1 

0 

0 

1 

0 

0 

0 

84 

3 

0 

1 

2 

0 

0 

0 

98 

1 

0 

0 

0 

1 

0 

0 

108 

1 

0 

0 

1 

0 

0 

0 

Summe: 

255 

i 5 

57 

j 88 

; 67 

t 

| 32 

! 4 

i 


Ein einzelner Zahlenwert kann offenbar nicht sämtliche 
Eigenheiten dieser Beobachtungsreihen oder der sie darstellenden 


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Original frn-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



272 


KoHÖ8Y 


Kurven zum Aussprach bringen. Dies könnte nur durch eine Funk¬ 
tion geschehen, welche der analytische Ausdruck der Kurve wäre. 
Es gibt aber einzelne Hauptwerte, welche den untersuchten Kollektiv- 
gegenständ bis zu einem gewissen Grade charakterisieren können: 
wir wollen dieselben, in Anlehnung an Fechner, die Körperlänge 
der Rekruten als Beispiel wählend, kurz besprechen. Der wichtigste 
unter ihnen ist der dichteste Wert (englisch modo), d. h. die¬ 
jenige Körperlänge, welche unter den Rekruten am häufigsten vor¬ 
kommt, oder allgemein jener Argumentwert, auf welchen die größte 
Anzahl von Beobachtungen fallt: der höchste Punkt der entsprechend 
ausgeglichenen Verteilungskurve. „Greift man aus der Gesamtheit 
der (Argumente) eines Kollektivgegenstandes ein Exemplar nach 
Zufall heraus, so wird der dichteste Wert wahrscheinlicher als 
jeder andere getroffen werden, und die ihm nahen (Argumente 
mit einer, der seinigen nahe gleichkommenden, doch verschiedenen 
Wahrscheinlichkeit, je nachdem sie auf die eine oder andere Seite 
vom dichtesten Werte fallen“ (p. 171). Ein anderer charakteristi¬ 
scher Hauptwert ist der Zentralwert (englisch median): wenn 
wir sämtliche Beobachtungen — Rekruten — nach wachsenden 
Argumenten — Körperlängen — aufgestellt denken, dann wird der 
Zentralwelt dem gerade in der Mitte stehenden entsprechen: wir 
können also durch einfache Abzählung zu demselben gelangen. 
„Dächte man sich alle Exemplare eines Kollektivgegenstandes in 
eine große Urne getan . . . und nach Zufall ein Exemplar heraus¬ 
gezogen, so würde die Wahrscheinlichkeit gleichstehen ein größeres 
und ein kleineres Exemplar als der Zentralwert herauszuziehen... 
wogegen bezüglich größerer Werte als der Zentralwert die Wahr¬ 
scheinlichkeit des Herausziehens eines kleineren Gegenstandes, be¬ 
züglich kleinerer Werte als der Zentralwert die Wahrscheinlichkeit 
des Herausziehens eines größeren Exemplares überwiegt“ (p. 166'. 
Schließlich ist ein dritter charakteristischer Hauptwert das arith¬ 
metische Mittel, dessen Bedeutung bekannt ist; zu seiner 
Charakterisierung kann unter. anderem die Eigenschaft dienen, daß 
„die Summe der positiven Abweichungen von ihm gleich der Summe 
der negativen nach absolutem Werte ist“ (p. 161). 

Wie schon aus dem Bisherigen ersichtlich, ist von diesen drei 
der dichteste Wert der wichtigste zur Charakterisierung eines 
Kollektivgegenstandes, so daß er in vielen Beziehungen den Platz 
einnimmt, der im Falle von physikalischen Ablesungen dem arith¬ 
metischen Mittel zukommt. Trotzdem empfiehlt Fechner (p. 86), 
daß wir. wenn wir nur einen Wert angeben wollen, auch weiterhin 


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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



Studien über Puls- und Atmungsfrequenz. 


273 


bei dem arithmetischen Mittel bleiben sollen, besonders wenn die 
Verteilung der Werte unregelmäßig ist. Darum werde auch ich 
die arithmetischen Mittel berechnen, wenn von der Pulsfrequenz 
bei verschiedener Körperlänge, oder derjenigen von Rekruten die 
Rede sein wird, in welchen Fällen mir nur relativ wenig Beob¬ 
achtungen zur Verfügung stehen. Im Falle symmetrischer Ver¬ 
teilung, die wie erwähnt der Verteilung physikalischer Ablesungen 
entspricht, fallen dichtester Wert, Zentralwert und arithmetisches 
Mittel in der Mitte zusammen. Außer diesen drei wichtigsten, 
zählt F e c h n e r noch eine Reihe weniger wichtiger Hauptwerte auf. 


Der dichteste Wert kann nach Fechner (p. 182) auf zwei 
Weisen bestimmt werden: empirisch aus der Verteilungstafel oder 
theoretisch auf Grund eines Verteilungsgesetzes. Diese beidfen Werte 
fallen in der Mehrzahl der Fälle zusammen. Da in unserem Falle die 
Asymmetrie, wie wir sehen werden, geringen Grades ist und wir anderer¬ 
seits keine weiteren Schlüsse ziehen wollen, sind wir nicht genötigt auf 
Grund eines Verteilungsgesetzes eine theoretische Wertreihe zu berechnen, 
wozu heute am häufigsten ein von Pearson angegebenes Verfahren 
(method of raoments) befolgt wird, und können uns mit der Bestimmung 
des empirisch dichtesten Wertes begnügen. Die Berechnung desselben 
geschieht nach folgender Formel (p. 184): 


a = a 0 + 


Z—, 


2 2 z 0 — Zj — z_j ’ 


wo a der gesuchte dichteste Wert ist, a 0 die Mitte desjenigen Intervalles, 
auf welches laut unserer Tabelle die meisten Individuen fallen (also 63 
als Mitte von 61,5—64,5), z 0 die Anzahl der darauf fallenden Be¬ 
obachtungen (also 41), z 1 und z_ t dasselbe für das folgende bzw. voran¬ 
gehende Intervall, und I endlich die Breite des Intervalles (also 3 Puls¬ 
schläge). Zur Ableitung dieser Formel wird auf Grund der Werte des 
Intervalles mit maximaler Beobachtungszahl und der beiden Nachbar¬ 
intervalle eine annähernde Funktion zweiten Grades bestimmt und dann 
das Maximum dieser Funktion gesucht. Der so berechnete dichteste 
Wert der Pulsfrequenz ist 63,80. 

Die Berechnung des Zentralwertes ist einfacher (S. 167); sie 
wird nur dadurch etwas kompliziert, daß zu demselben Argumentwerte viele 
Beobachtungen gehören, was eine entsprechende Interpolation notwendig 
macht. Wir bestimmen durch einfache Abzählung, in welches Intervall 

m 1 1 m 

das zu mittelst stehende Argument fällt (das —~— und nicht das — te 

Glied, wenn m die Gesamtanzahl der Beobachtungen bedeutet, also das 
128te Glied); in unserem Falle ist dies das Intervall 61,5—64,5. Im 
Bereiche dieses Intervalles wird der nähere Wert durch Interpolation 
bestimmt. Bis zur unteren Grenze des Intervalles haben wir 101 Werte, 

bis zum ^-= 127,5 ten Werte fehlen 127,5 - 101 = 26,5. Die 41 
2 


Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 


J8 


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274 


Eöröst 


Werte des Intervalles 61,5—64,5 (= 3 Palsschläge) müssen wir also nad> 
der Proportion teilen: 

26,5 : x = 41: 3 
x= 1,94. 

Der gesuchte Zentral wert ist also 61,5 -j- 1,94 = 63,44. Hätten vir 
bei dem oberen Ende der Reihe begonnen, so wären wir zum selben Er 
gebnis gekommen. 

Die Berechnung des arithmetischen Mittels ist bekannt: n 
ergab, größerer Genauigkeit halber aus der primären Verteil ungBt&fel be¬ 
rechnet: 64,13. 

Diese drei Hauptwerte sind natürlich noch nicht genügend rar 
Charakterisierung der Verteilungsart; von den übrigen dazu dienen¬ 
den Werten wollen wir die zwei wichtigsten hier besprechen. Da# 
Haß der Art, wie die einzelnen Werte um das arithmetische Mittel 
sich gruppieren, wie sie um dasselbe zerstreut sind, also wie steil 
oder seicht abfallend die Kurve gestaltet ist, bildet der Streuungs- 
wert (englisch Standard deviätion), was bei Berechnungen von 
physikalischen Beobachtungen dem mittleren Fehler entspricht. 
Seine Berechnung geschieht nach der Formel:*) 

wo S den gesuchten Streuungswert, A das arithmetische Mittel 
bedeutet, Zi die Anzahl der zu den einzelnen Pulsfrequenzen tim 
allgemeinen Argumenten) gehörenden Beobachtungen und a; die 
einzelnen Pulsfrequenzen (Argumente). In unserem Falle beträgt der 
Streuungswert aus der primären Tafel berechnet 8,54 Pulsschläge. 

Zuletzt wollen wir noch einen Wert erwähnen, welcher als 
Maß der Asymmetrie der Verteilung (der Kurve) dient und englisch 
skewness (Schiefe) genannt wird. Seine Berechnung geschieht 
nach der Formel: 9 ) 

arithro. Mittel — dicht. Wert 
Streuung 

in unserem Falle = 0,097. Nachdem, wie erwähnt, im Falle 
vollkommener Symmetrie arithmetisches Mittel und dichtester 
Wert zusammenfallen, ist es leicht ersichtlich, daß der Grad der 
Asymmetrie desto größer ist, je weiter diese zwei Werte vonein¬ 
ander fallen; andererseits ist es auch klar, daß die Asymmetrie 
ceteris paribus desto kleiner ist, je flacher die Kurve, je größer 
also der im Nenner stehende Streuungswert. 

Die Verteilung der Atmungsfrequenz ist genügend regelmäßig. 

1) Czuber, Die Kollektivmaßlehre. Wien (1908) p. 16. 

2) Eider ton, Frequency-curves and correlation. London, 1906 p. 11- 


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Stadien über Pale- and Atmangsfreqnenz. 


275 


so daß keine Reduktion notwendig ist. Es ergeben sich aus ihr 
den obigen entsprechend folgende Werte: dichtester Wert = 16,20, 
Zentral wert = 15,95,, arithmetisches Mittel = 15,84, Streuungs¬ 
wert = .2,37, Schiefe = —0,15. 

Die drei Haupt werte liegen in den meisten Fällen derart, daß 
der Zentral wert zwischen dichtesten Wert und arithmetisches 
Mittel zn liegen kommt ! ); dies ist auch bei der Puls- und Atmungs¬ 
frequenz der Fall. Am häufigsten ist der dichteste Wert zweimal 
so weit entfernt vom Zentralwert, als vom arithmetischen Mittel, 
welche Eigenschaft von Pearson 1 2 3 * ) zur angenäherten Bestimmung 
des dichtesten Wertes aus den leichter berechenbaren anderen 
beiden empfohlen wird. Die Atmungsfrequenz entspricht dem voll¬ 
kommen, indem der derart berechnete dichteste Wert 16,17 beträgt 
bei der Pulsfrequenz zeigt sich eine größere Abweichnng, indem 
wir zu 62,06 gelangen würden. Die Streuung beträgt bei der Puls¬ 
frequenz 13,3, bei der Atmungsfrequenz 15,0 °/ 0 des arithmetischen 
Mittels, die relative Streuung ist also ungefähr die gleiche. 8 ) Die 
Schiefe der Atmungsfreqnenzen ist größer als die der Pulsfrequenzen, 
wie dies auch aus der Kurve ersichtlich; das negative Vorzeichen 
bedeutet, daß das arithmetische Mittel auf der Kurve nach links 
vom dichtesten Wert zu liegen kommt. 

III. Lüftung, Körperlänge, Rekruten. 

Die Schlafräume waren oft ungenügend gelüftet und obgleich 
ich dann bei meiner Ankunft selbstverständlich gründlich lüften 
ließ (je eine Ventilation über Türe und Fenster war im allgemeinen 
die ganze Nacht offen), hatte ich doch den Verdacht, daß dies auf 
die Atmungsfrequenz von Einfluß sein könnte. Aber der Vergleich 
der in den gut und schlecht gelüfteten Schlafräumen gefundenen At- 
raungszahlen zeigte, daß mein Verdacht unbegründet war. Zu diesem 
Zwecke notierte ich den Rauminhalt der Schlafräume und in den mei¬ 
sten Fällen die Art der Lüftung. Im Schlafraume mit dem kleinsten 
Luftkubus (13,7 und 15,1) war die Atmungsfrequenz (arithmetisches 
Mittel) 15,3 und 16,0; in den Zimmern, die vor meiner Ankunft nicht 
besonders gelüftet waren, fand ich 16,0, 15,3, 15,7 und 15,8. In den 
Räumen mit größtem Kubus (46,5 und 34,3) fand ich 15,2 und 15,8; 
in den am besten gelüfteten Räumen 16,2, 15,3, 15,2. 

1) Fecbner, a. a. 0. p. 200. 

2) Pearson, Biometrika,1,260(1901); Pearl u. Dunba ebenda2,327(1903). 

3) Davenport: Statistical methods II. Aufl. New York 1904 p. 16; e. auch 

Fecbner a. a. 0. p. 95. 

18 * 

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276 


Körösy 


Rameaux und Volkmann 1 2 3 ) fanden einen Zusammenbau? 
zwischen Körperlänge und Pulsfrequenz. Da die Körperlänge der 
untersuchten Individuen mir bekannt war (mit Ausnahme zweier, 
deren Pulsfrequenz und Atmungsfrequenz 69 und 60 bzw. 15 und 
14 war), konnte ich meine Beobachtungen nach diesem Gesichts¬ 
punkte zusammenstellen (s. die Tabellen auf S. 269 und 271). Die 
arithmetischen Mittel ergeben: 


Körperlänge 

cm 

Pulsfrequenz 

Atmungs- | 
frequenz 1 

Anzahl 

160-164 

64,8 

16,4 

57 

165—169 

' 64,2 

15,4 

88 

170-174 

64,4 

16,0 

67 

175—179 

l 61,8 

15,6 

32 


Es ergibt sich also im Gegensätze zu den genannten Autor« 
so wie zu K. Vierordt*), die sogar quantitative Beziehungen zwi¬ 
schen Körperlänge und Pulsfrequenz aufstellten, keine direkte 
Parallele zwischen diesen beiden Größen, wenn auch eine Tendenz 
zur Abnahme der Pulsfrequenz mit steigender Körperlänge nicht 
zu verkennen ist. Ähnliches läßt sich bezüglich der Atmung?’- 
frequenz sagen, wie in derselben Tabelle zusammengestellt. 

Ein gewisses Interesse kann es ferner beanspruchen, daß unter , 
den untersuchten Soldaten 28 Rekruten waren, die vor einig« 
Wochen einrückten. Das arithmetische Mittel ihrer Puls- und At¬ 
mungsfrequenz ist 65,9 und 16,2, also beide etwas höher als da* 
Gesamtmittel, was vielleicht durch ihr jüngeres Alter bedingt ist 

i 

TV. Historisches. 

Die Pulsfrequenz der 255 untersuchten Soldaten war also durch¬ 
schnittlich rund 63, die Atmungsfrequenz 16; auf eine Atmung fall« 
vier Pulsschläge. Als allgemein angenommene Durchschnittszahl der 
Pulzfrequenzkann wohl 71 gelten, welche Ziffer, soweit ich diesao? 

H. Vierordt’s Zusammenstellungen 8 ) und auch anderen Quellen 
entnehmen kann, auf Volkmann 4 ) zurückzuführen ist, der diese 
Zahl auf Grund teils eigener, teils noch älterer Beobachtungen 
anderer für das 20.—24. Lebensjahr bestimmte. Seine Werte sind 

1) Volk mann, Die Hämodynamik, p. 429. Leipzig 1850. 

2 ) Vierordt, K., D. Lehre v. Arterienpuls p. 60. Braunschweig 1&» 

3) Vierordt, H., Anat., physiol. u. physik. Daten und Tabellen. III. Ani 
Jena 1906, p. 230. 

4) Volk mann, a. a. 0. p. 427. 


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Stadien über Puls- and Atmungsfrequenz. 


277 


seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht revidiert worden; 
die seitdem angestellten Zählungen bezogen sich immer auf die 
Änderung der Pulsfrequenz unter verschiedenen Umständen. Volk- 
mann erwähnt bezüglich der Umstände, unter welchen er die 
Zählungen vornahm (p. 425), daß die Zählungen „bei gesunden, 
körperlich nicht angestrengten und sitzenden Personen vor dem 
Mittagsmahle“ vorgenommen wurden. Demgegenüber beziehen sich 
meine Zählungen, wie erwähnt, auf den Zustand größter Ruhe. 
Dies erklärt, warum ich kleinere Zahlen erhielt als Volkmann. 
In geringerem Grade kann dies auch dadurch verursacht sein, daß 
ich nur Männer, Volkmann aber Männer und Frauen untersuchte: 
die Pulsfrequenz der letzteren ist bekanntlich etwas höher als die 
der Männer. 1 ) 

Als durchschnittliche Atmungsfrequenz gilt allgemein 16—20, 
welche Ziffer offenbar auf Hutchinson’s an 1897 Männern aus¬ 
geführten Zählungen zurückzuführen ist 2 3 ) K. Vi er or d t 8 ) bestimmte 
seine eigene Atmungsfrequenz im Ruhezustand beim Sitzen, und 
fand als arithmetisches Mittel zahlreicher Zählungen 11,9. Auf¬ 
fallend niedrige Zahlen erhielten Zuntz, Loewy, Caspari und 
Müller 4 5 ), wobei die Höhenlage des Ortes ohne bestimmten Einfluß 
zu sein scheint: sie fanden oft Werte unter 10, einmal sogar 5,3. 

V. Allgemeines. 

Die hier benutzten statistischen Methoden wurden hauptsäch¬ 
lich von Fechner, Gal ton und Pearson ausgearbeitet. Zu¬ 
sammengefaßt finden wir sie bei Czuber 6 ), Davenport*) und 
Eiderton. 7 ) Fechner befaßt sich in seiner Kollektivma߬ 
lehre eher vom allgemeinen, methodischen Gesichtspunkte aus mit 
der Frage; Pearson hielt in erster Linie ihre biologischen An¬ 
wendungen vor Augen, die Ergebnisse der derartigen Untersuchungen 
erschienen größtenteils in seiner Zeitschrift: Biometrika. Pear¬ 
son geht sogar noch weiter: er nimmt die Lösung praktisch 
sozialer Fragen auf gleicher Grundlage in Angriff, indem er den 

1) V ierordt, H., Dat. u. Tab. p. 230. 

2) Hutchinson: Todd’s Cyclopaedia IV. Bd. II. Teil p. 1016. London 
1849—62. 

3) Vierordt, K., Physiol. d. Atmens p. 19. Karlsruhe 1845. 

4) Zuntz, Loewy, Caspari, Müller, Höhenklima und Bergwande¬ 
rungen. Berlin (1906) Tabellen X—XV und p. 311. 

5) Cznber a.a.O.u.WahrscheinlichkeitsrechnungII.Aufl. Leipzig 1908—10. 

6) Davenport, a. a. 0. 

7) Eiderton, a. a. 0. 


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278 


Kokos v 


beliebten soziologischen Wortgefechten eine exakte Wissenschaft 
entgegenzostellen trachtet: die „Eugenics“. 1 2 * ) Ich will nur einige Bei¬ 
spiele dafür anführen, was wir von der Anwendung dieser Methoden 
auf medizinische Fragen zu erwarten haben. Es wurden auch 
schon physiologisch wichtige Fragen mit ähnlichen Methoden be¬ 
arbeitet. 8 ) Das interesssanteste Resultat auf medizinischem Ge¬ 
biete dürfte aber das folgende sein 8 ): seit den Untersuchungen 
H. Cohn’s wird allgemein angenommen, daß die in der Schule 
verbrachten Jahre die Kurzsichtigkeit steigern; dagegen konnte 
mit den neuen Methoden aus Cohn’s eigenen Wahlen gezeigt 
werden, daß dem nicht so ist, sondern daß die Kurzsichtigkeit ein¬ 
fach mit dem Alter zunimmt. 

Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf einige Gesichtspunkte 
hin weisen, die sich mir aus dieser statistischen Untersuchung er¬ 
gaben, die aber, wie ich glaube, allgemeinere Bedeutung besitzen. 
Handelt es sich um irgend eine meßbare Größe, so müssen wir 
unterscheiden 4 ) zwischen 1. der Schärfe der angewandten Me߬ 
methode, 2. der Genauigkeit der Definition des Objektes, bzw. 
richtiger der betreffenden Eigenschaft; hierzu kommt bei biologi¬ 
schen Kollektivgegenständen noch 3. der Grad der Variation bei 1 
verschiedenen Individuen desselben Alters, derselben Lebensweise 
usw. der betreffenden Gattung. Eine gewisse Eigenschaft eines 
Gegenstandes ist gut definiert, wenn wir die Messung unter mög¬ 
lichst gleichen Umständen ein anderes Mal wiederholend immer 
denselben Wert erhalten. In dieser Beziehung ist also die Puls¬ 
frequenz eines Soldaten als solche eine schlecht definierte Eigen¬ 
schaft; die Pulsfrequenz früh morgens kurz nach dem Erwachen 
ist besser definiert. Da kein besser definierter Zustand bekannt 
ist, wählten wir eben denselben zu unseren Beobachtungen. Wie 
wenig gut aber darum die Definiertheit dieses Zustandes ist. das 
konnte ich an den, wie erwähnt, zweimal untersuchten Individuen 
beobachten, bei denen die Abweichungen der Pulsfrequenz zwischen 
0 und 9, die der Atmungsfrequenzen zwischen 0 und 7 variierten, wäh¬ 
rend das arithm. Mittel der Abweichungen 4,1 resp. 2,5 betrug. Ähn- 


1) Kurze Zusammenfassung: Gal ton: Probability, the foundat. of Eugenics. 
Oxford (1907). Pearsou, The groundwork of Eugenics. London (1909). 

2) Pearson, A biometr. study of the red bloodcorp. of the common tadpole. 
Biometrika 6, 402 (1909). — Harvey und Mc Kendrick, The opeonic indei. » 
medicostatistical inquiry, ebenda 7. 64 (1909). 

9) Pearson: Grouudw. of Eugen, p. 11. 

4) s. 0 s t w a 1 d -L u t h e r, Physikal.- chem. Messungen III. Aull. p.2. Leipzig 1910. 


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Stadien über Pols- and Atmangsfreqnenz. 


279 


liches beobachtete auch Staehelin 1 2 ), die Pulsfrequenz betreffend. 
Es wäre also sehr wichtig, die Puls- und Atmungsfrequenz eines und 
desselben Individuums möglichst oft unter denselben erwähnten 
Bedingungen zu bestimmen und die Ergebnisse mit Hilfe der oben 
besprochenen Methoden aufzuarbeiten. Hiermit erhielten wir einen 
zahlenmäßigen Ausdruck für die Güte der Definiertheit der unter¬ 
suchten, oder entsprechend auch irgendeiner anderen Eigenschaft. 
Auf den dritten erwähnten Punkt, auf den Grad der Variation der 
Pulsfrequenz, bezieht sich eben diese Untersuchung. Die durch die 
Ungenauigkeit der Definiertheit verursachte Abweichung der eben 
einmal bestimmten Pulsfrequenz eines Soldaten von seiner mitt¬ 
leren Pulsfrequenz stört die Ergebnisse der Untersuchung nicht, 
da die Abweichungen entgegengesetzten Vorzeichens sich bei der 
großen Anzahl der untersuchten Individuen gegenseitig aufheben. 

Nach denselben Prinzipien sollten die übrigen diagnostisch 
wichtigen Eigenschaften aufgearbeitet werden, so in erster Reihe 
die Körpertemperatur, wobei die Schärfe der einzelnen Messung 
(der Meßmethode) vorerst zu bestimmen wäre. Die Definiertheit 
der Körpertemperatur wird sicher besser sein, als die der Puls¬ 
frequenz, weil eben die Temperatur eine der konstantesten Eigen¬ 
schaften unseres Organismus ist. (Hierbei wird sich wahrscheinlich 
herausstellen, daß mit einer höheren Temperatur eine größere 
Pulsfrequenz Hand in Hand geht, was wir Pearson’s Nomen¬ 
klatur folgend so ausdrücken können, daß zwischen Temperatur 
und Pulsfrequenz eine hochgradige Koordination besteht. Zwei 
meßbare Eigenschaften a und b stehen dann im Verhältnis der 
Koordination zueinander, wenn mit gewissen Werten von a zu¬ 
sammen nicht ein jeder Wert von b gleich häufig vorkommt, sondern 
gewisse Werte häufiger als andere. 8 ) Der Grad der Koordination, 
der sich ebenfalls zahlenmäßig ausdrücken läßt, wechselt von voll¬ 
kommener Unabhängigkeit bis zum vollkommenen Parallelismus 
zwischen 0 und 1. Der hohe Grad von Koordination zwischen Puls¬ 
frequenz und Temperatur, und die bessere Definiertheit der letzteren 
würde es erklären, warum wir uns bei Krankheiten auf Teraperatur- 
messungen eher verlassen können, als auf Pulszählungen. Ähnlich 
müßten von zwei koordinierten Eigenschaften verschieden guter 
Definiertheit immer die besser definierte für diagnostische Zwecke 
bestimmt werden. Wie wichtig es wäre, die Breite, in welcher die 


1) Staehelin, Dieses Archiv 59, 86 (1897). 

2) Eid er ton, a. a. 0. p. 106. 


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280 


Kobösy 


Morgentemperatur derselben Person, sowie die Morgentemperainr 
verschiedener gesunder Individuen variiert, genau festzustellen, 
wird wohl niemand bezweifeln, da die großen Abweichungen ron 
der gemeingültigen Norm besonders nach unten zu jedem bekannt sind. 

Die Asymemtrie der Verteilung der Puls- und Atmungsfrequenzen 
war, wie wir sahen, geringen Grades. Bei biologischen Kollektiv- 
gegenständen finden sich aber oft Asymmetrien hohen Grades, wofür 
Fechner interessante Beispiele anführt Wenn wir bei irgend¬ 
einer uns interessierenden meßbaren Eigenschaft eine stärkere 
Asymmetrie vermuten, müssen wir vorerst die Beobachtungen von 
genügend großer Anzahl graphisch darstellen, wie oben geschehen: 
wenn die Asymmetrie dann genügend groß scheint, können wir 
an die Bearbeitung mit den oben beschriebenen Methoden gehen 
wenn diese Aufarbeitung nicht schon aus den oben besprochenen 
Gesichtspunkten (Grad der Definiertheit usw.) wünschenswert er¬ 
schien. Die graphische Darstellung wird bei richtiger Wahl der 
Maßstäbe auch über den Grad der Streuung eine Schätzung erlauben. 

Die Puls- und Atmungsfrequenzen zeigen beide auffallende Ab¬ 
weichungen von den Mittelwerten. Es fragt sich selbstverständ¬ 
lich, ob die extremen Werte nicht abnorm bzw. pathologisch sind. 
Dasselbe Problem wiederholt sich bei allen Kollektivgegenständen 
und kann nur mit einer gewissen Willkür entschieden werden: die 
Monstrositäten müssen ausgeschieden werden. Die Frage hat also 
eine medizinische und eine statistische Seite. Den ersten Gesichts¬ 
punkt betreffend fand ich den Puls des Soldaten mit 108 Puls- 
Schlägen wiederholt ganz regelmäßig und auch am Herzen, so weit 
meine geringe diesbezügliche Übung es gestattete, keine patho¬ 
logische Abweichung; er hatte auch keine Klagen und kam seinen 
militärischen Pflichten nach. Wir können über eine pathologische 
Eigenschaft ganz allgemein sagen, daß sie für das betreffende 
Individuum biologisch unzweckmäßig ist, *) d. h. seine Lebens¬ 
erhaltung ungünstig beeinflußt, wobei ein Organ pathologisch sein 
kann, ohne daß es der Organismus als ganzes spürt. Nun kann 
dies von der höheren oder geringeren Pulsfrequenz nicht behauptet 
werden: durch entsprechende Änderung des Schlagvolumens wird 
sie kompensiert, Blutdruck und Blutversorgung der Organe konstant 
erhalten. Hohe Pulsfrequenz könnte höchstens ein Symptom einer 
pathologischen, d. h. die Lebenserhaltung gefährdenden Veränderung 

1) Mach, Anal. d. Empfind. IV. Aufl. Jena 1903, p. 160, bezüglich des Auf- 
treten.* von Phantasmen. 


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Studien über Puls- und Atmungsfrequenz. 


281 


sein, oder vielleicht — um die häufigen medizinischen gekünstelten 
Erklärungen durch Scheinursachen aüszuschalten — Pearson’s 
erwähnter Nomenklatur folgend richtiger gesagt, mit einer 
solchen im Verhältnisse hoher Korrelation stehen: eine derartige 
Eigenschaft scheint aber nicht vorhanden zu sein. Nach unseren 
Beobachtungen müssen wir erwarten, daß von 100 gesunden männlichen 
Individuen früh morgens 6 einen Puls unter 50 und 8 einen über 80 
haben werden, desgleichen 7 eine Atmungsfrequenz unter 12 und 
7 über 20, ohne pathologisch verdächtig zu sein. 

Die statistische Betrachtung wird aber bezüglich der Frage, 
ob ein extremer Fall monströs resp. pathologisch ist, keine minder 
wichtige Aufklärung geben können, wie hierauf schon Fechner *) 
hinwies. Ursprünglich wollte ich die zwei höchsten Pulsfrequenzen 
(98 und 108) und die höchste Atmungsfrequenz (25) bei Berechnung 
der Hauptwerte ausscheiden, da sich von den vorangehenden Argu¬ 
menten größere Abstände zeigten; arithmetisches Mittel und Zentral¬ 
wert wären dadurch nur unbedeutend, dichtester Wert gar nicht 
verändert. Bei der graphischen Darstellung schien mir aber der 
Verlauf der Kurve bei Einbeziehung der fraglichen Werte typischer, 
darum zog ich sie mit ein. Erst nachträglich bemerkte ich, daß 
bei Volkmann 8 ) ähnlich hohe Werte der Pulsfrequenz Vor¬ 
kommen (s. auch die graphische Darstellung bei Nicolai 8 )), wobei 
nur aufiällt, daß trotz gleicher Extreme mein Durchschnittswert, 
wie oben erörtert, viel niedriger ist. Was ich aber sozusagen dem 
Gefühle nach entschied, könnte statistisch bestimmter entschieden 
werden, etwa folgendermaßen: daß Pulse zwischen 50 und 85 
pathologisch wären, wird wohl niemand behaupten. Nun könnte 
die Verteilungsfunktion aus diesem Teile der Tabelle bestimmt 
werden und dann die Frage beantwortet, ob einer Extrapolation 
über 85 die Einbeziehung oder Weglassung der extremen Werte 
eher entspricht. Namentlich wäre ein derartiger statistischer Hin¬ 
weis von Wichtigkeit, wenn er in negativer Richtung, auf Weg¬ 
lassung hinwiese. 

Obige Betrachtungen gelten natürlich für alle Fälle, bei 
welchen vom Durchschnittswerte wesentlich abweichende Fälle 
einer meßbaren Eigenschaft pathologisch sind; derartige Eigen¬ 
schaften gehören als meßbare biologische Größen immer unter den 


1) Fechner, a. a. 0. p. 324. 

2) Volkmann, a. a. 0. p. 427. 

3) Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd. I p. 754. Braunschweig 1909. 


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282 Eobösy, Stadien über Pols- and Atmangsfreqneuz. 

Begriff der Kollektivgegenstände. Die medizinische Wissenschaft, 
ob es sich um physiologische Daten, um die physikalische oder 
chemische Methodik der Diagnose, nm Therapie, am hygienische 
Maßregeln, um Prognose handle, entwickelt sich den Naturwissen¬ 
schaften folgend in der Richtung, daß immer mehr früher qualitativ 
untersuchte Eigenschaften quantitativ bestimmt werden, obgleich 
die intuitive Fähigkeit des Arztes vielleicht immer das wesentliche 
bleiben wird. Möge sich nun auch in vielen Fällen eine quantitative 
Bestimmung nachträglich als überflüssig erweisen, so haben sich 
andere doch so festgesetzt, daß wir uns dabei des Umstandes, daß 
es eben eine quantitative Bestimmung ist, gar nicht recht mehr 
bewußt sind, wie zum Beispiel bei Messung der Temperatur. 
Andererseits stützt sich der Arzt bei der qualitativen Beurteilung 
einer Eigenschaft eigentlich auf sein unbewußt auf statistischer 
Grundlage geformtes Urteil, indem er seine mehr oder weniger häufigen 
Beobachtungen der betreffenden Eigenschaft, sowie die oft ähnlich 
entstandenen Traditionen seiner Vorgänger zusammenfaßt. Der 
Übergang von dieser unbewußten auf eine bewußte Statistik mög¬ 
lichst exakt gemessener Größen bedeutet einen Fortschritt vom 
Subjektiven zum Objektiven; auf die Mängel einer objektiven 
Statistik läßt sich hinweisen, dieselben können entsprechend richtig- 
gestellt werden, die unbewußt zusammengefaßte ärztliche Erfahrung 
ist einer Kritik weniger zugänglich. Mit dem Fortschritte der 
medizinischen Wissenschaft in dieser Richtung wird sich zu den | 
obigen, am Beispiele der Puls- und Atemfrequenz gemachten Über¬ 
legungen immer mehr Gelegenheit und Notwendigkeit bieten. 

Schließlich sei mir erlaubt, meinem Freunde, Prof. K. Gold¬ 
zieher, für die mir freundlich geleistete Hilfe aufrichtigsten Dank 
zu sagen, sowie auch dem stellvertretenden Leiter des Institutes. 
Herrn Adjunkt Dr. M. Pekär, für das dieser Untersuchung ent¬ 
gegengebrachte Interesse. 

Zusammenfassung. 

Die Durchschnittszahl der Pulsfrequenz von 255 20—24 Jahre 
alten Soldaten ergab sich zu 63,3, die der Atmungsfrequenz zu 16.2 
(dichtester Werte). 

Die gemachten Beobachtungen wurden nach den Methoden der 
Kollektivmaßlehre bearbeitet, diese Methoden kurz besprochen. E» 
wurde die allgemeine medizinische Bedeutung derartiger Unter¬ 
suchungen dargelegt. 


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Aus dem pathologischen Institut des Augusta-Hospitals in Berlin. 
Vorstand: Prof. Dr. R 0 e s t r e i c h. 

Über die Veränderungen der Magenschleimhaut bei 
akuten Infektionskrankheiten. 

Von 

Dr. Ernst Jerusalem, Wien. 

(Mit Tafel I.) 

Zn den gewöhnlichsten Symptomen aller akuten Infektions¬ 
krankheiten gehören gastrische Erscheinungen wie Appetitlosigkeit, 
Erbrechen, Anacidität usw. Dieselben werden vielfach als „funk¬ 
tionelle“, also nicht mit pathologisch-anatomischen Veränderungen 
einhergehende Störungen betrachtet. Wenn gelegentlich organische 
Anomalien des Magens bei den erwähnten Krankheitszuständen 
erwähnt werden, so handelt es sich meist um ganz allgemein ge¬ 
haltene Bemerkungen oder um gelegentliche Beschreibungen un¬ 
gewöhnlicher, mit besonders schweren Störungen einhergehender 
Fälle, wie z. B. bei Diphtherie um das seltene Auftreten einer 
croupösen Entzündung der Magenschleimhaut. Sonst sind in der 
Literatur nur die Veränderungen des Magens bei Milzbrand und 
analogen relativ seltenen Infektionen sowie bei chronischen In¬ 
fektionszuständen wie Tuberkulose einer genaueren Beachtung 
gewürdigt. Ein Einblick in die diesbezüglichen Kapitel ein¬ 
schlägiger Werke belehrt darüber, daß eine genaue Studie, ob 
pathologisch-histologische Veränderungen des Magens bei akuten 
Infektionskrankheiten einen regelmäßigen Befund darstellen; ob sie 
irgendeinem bestimmten Bilde entsprechen und sich diesbezüglich 
zwischen den verschiedenen Erkrankungen irgendwelche Unter¬ 
schiede auffinden lassen, noch aussteht. 

Ich habe auf Anregung des Herrn Professor Oestreich, dem 
ich dafür an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank ausspreche, 
im Folgenden versucht, diese Lücke nach Möglichkeit auszufüllen. 


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284 


Jerusalem 


Es ist mir, da ich nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Fällen 
zur Verfügung hatte, zwar nicht gelungen, dieses Thema irgendwie 
vollständig zu erschöpfen, doch dürften die erzielten Resultate 
immerhin eine kurze Mitteilung rechtfertigen. 

Die Hauptschwierigkeit, die sich der Ausführung dieser Arbeit 
entgegenstellte, war die Beschaffung eines einwandfreien Untersn- 
chungsmaterials. Ich war gezwungen mit Organen von Leichen zn 
arbeiten, deren Eröffnung im allgemeinen erst 24 Stunden post 
mortem vorgenommen wurde. Den Ausführungen mancher Autoren 
zufolge ist ein derartiges Material für die histologische Magen- 
untersuchung nicht verwendbar. Namentlich Tugendreich 
hat die zahlreichen Fehlschlüsse, die sich aus der Benützung älterer 
Leichenmagen ergeben können, in präziser Weise zusammengetaßt 
Für Magen mit schweren kadaverösen Veränderungen bestehen diese 
Ausführungen sicherlich im vollsten Maß zu Recht und solche wurden 
in der vorliegenden Arbeit auch prinzipiell ausgeschaltet. Immer¬ 
hin aber muß bemerkt werden, daß geringe malacische Verände¬ 
rungen durchaus keinen Grund abgeben, das betreffende Material 
vollkommen zu verwerfen, da sich sehr zahlreiche Punkte, wie Ver¬ 
mehrung des interglandulären Gewebes, Hyperämie, Blutungen. 
Veränderungen des lymphadenoiden Gewebes und der tieferen 
Magenschichten, auch an solchen Organen noch tadellos beurteilen 
lassen. Große Vorsicht ist selbstverständlich bei der Konstatierung 
von Epithelveränderungen wie Desquamation, Kernzerfall usw. 
erforderlich, doch kann man auch in dieser Beziehung noch mancherlei 
einwandfreie Beobachtungen machen. So wird man z. B. Vakuo¬ 
lisierung der Epithelien am Drüsenfundus ruhig als Degenerations¬ 
erscheinung betrachten dürfen, wenn der Oberfläche näherliegende 
Drüsenschichten noch gut erhalten sind. 

Eine zweite Schwierigkeit besteht darin, zu entscheiden, ob 
die erhobenen Befunde nicht als Folge interkurrenter Magen¬ 
erkrankungen zu beobachten sind. Dagegen spricht zunächst das 
Faktum, daß die gefundenen Veränderungen keinem der bei selb¬ 
ständigen Magenerkrankungen gewöhnlichen Bilder vollkommen zn 
entsprechen pflegten, und ferner, daß bei bestimmten Infektions¬ 
krankheiten immer nieder dieselben Veränderungen gefunden 
wurden, die bei anderen Erkrankungen fehlten. 

Wesentlich schwerer ist die Frage zu entscheiden, ob die 
beobachteten Anomalien als direkte oder als indirekte Folgen der 

J 

\) Archiv f. Kinderheilkunde 1904 p. 133. 


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Veränderungen der Magenschleimhaut bei akuten Infektionskrankheiten. 285 


betreffenden Infektionskrankheit zu betrachten sind. So könnte 
man sich z. B. bei Scharlach vorstellen, daß nicht das Scharlach¬ 
virus an sich, sondern die tödliche Scharlachfälle fast regelmäßig 
begleitende Nephritis die betreffenden Magenveränderungen bedingt. 
Zu einer sicheren diesbezüglichen Entscheidung bin ich nicht ge¬ 
langt, da dazu eine viel genauere Kenntnis des klinischen Ver¬ 
laufs jedes einzelnen Falles erforderlich wäre und überdies eine 
viel größere Zahl von Fällen untersucht werden müßte, als ich zur 
Verfügung hatte. Immerhin neige ich mit Rücksicht darauf, daß 
mir eine und dieselbe Krankheit mit oder ohne Nebenkrankheiten 
stets den gleichen Befund geliefert hat, dazu, letzteren als eine 
direkte Folge der Infektion zu betrachten, wie man solche ja schon 
längst an verschiedenen anderen Organen kennt. 

Auf welchem Wege das schädigende Agens zur Magenschleim¬ 
haut gelangt, ist durch pathologisch-histologische Untersuchungen 
natürlich nicht sicher zu eruieren. Doch haben sich, wie im 
folgenden gezeigt werden wird, häufig perivaskuläre Verändertmgen 
der tiefen Magenschichten gefunden, die den Gedanken an einen 
hämatogenen Ursprung zu rechtfertigen scheinen. 

Die meisten Fälle verdanke ich der Liebenswürdigkeit des 
Vorstandes der Infektionsabteilung am Rudolf Virchow-Krankenhaus, 
Herrn Professor Jochmann. Alle Mägen wurden unmittelbar 
nach der Sektion in Formol eingelegt, Stücke aus Pylorus, Fundus 
und der kleinen Kurvatur in Celloidin eingebettet, in möglichst 
feine Schnitte zerlegt und mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt. 

In der Beurteilung mancher histologischer Befunde am Magen 
bestehen noch Kontroversen insofern, als dieselben von einem Teil 
der Autoren als normal, von einem anderen als pathologisch be¬ 
trachtet werden. So wird Anhäufung von Lymphocyten im inter¬ 
glandulären Gewebe gelegentlich als pathologisch bezeichnet, 
während Bleichröder 1 ) diese für physiologisch hält. In bezug 
auf mäßige Grade von Lymphocytenanhäufung, speziell an den 
basalen Partien der Drüsen ist das sicher richtig. Stärkere An¬ 
häufungen dieser Zellart konnte ich jedoch bei normalen Mägen, 
sowie an solchen bei bestimmten Infektionskrankheiten nicht finden, 
so daß ich letzteren doch wohl eine gewisse pathologische Bedeutung 
zusprechen möchte. Kupffer behauptet, daß die Belegzellen bei 
akuten Infektionen vollkommen schwinden können. Bleichröder 
widerspricht dem mit aller Entschiedenheit. Auch ich habe, soweit 


1) Bleichröder (Ziegler Bd. 34 p. 280ff.). 


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286 


Jbbusalbm 


meine Präparate eine genaue Unterscheidung dieser beiden Zell¬ 
arten zuließen, niemals das Schwinden von Belegzellen konstatieren 
können. Es dürfte aber angebracht sein, bei dieser Gelegenheit 
darauf hinzuweisen, daß einem Befund von Sachs 1 ) zufolge bei 
pyämischen Tieren bedeutende Veränderungen in der Struktur der 
Magendrüsenepithelien auftreten, so daß die Frage aufgeworfen 
werden kann, ob es denn möglich ist, an Leichenmaterial tos 
akuten Infektionskrankheiten Haupt- und Belegzellen immer sicher 
zu unterscheiden. Fenwick 2 ) behauptet, daß. sich bei älteren 
Leuten immer eine Zunahme des interglandulären Gewebes findet 
Ich besitze diesbezüglich keine eigenen Erfahrungen; bei Kindern 
— und mit solchen hatte ich es bei meiner Arbeit vorzugsweise 
zu tun — ist ein solcher Befund sicher als schwer pathologisch zn 
betrachten. 

Es kann vorweg genommen werden, daß ich bei meinen Unter¬ 
suchungen zwei Gruppen von Fällen finden konnte, eine, bei der 
regelmäßige schwere Veränderungen vorhanden waren (Masern, 
Diphtherie, Sepsis) und eine zweite, bei der sie minimal waren 
(bes. Keuchhusten). Viele meiner Fälle waren mit Bronchopneumonie 
kombiniert. Fälle von Bronchopneumonie ohne gleichzeitige ander¬ 
weitige Infektionskrankheit hatte ich leider nur von Erwachsenen 
und da können die konstatierten Veränderungen natürlich auf alle 
möglichen Ursachen (z. B. Trunksucht) zurückgeführt werden. Bei 
Kindern ist in Fällen, bei denen eine Kombination von Broncho¬ 
pneumonie mit einer akuten Infektionskrankheit vorliegt, die 
Bronchopneumonie sicher nicht als Hauptursache der eventuelles 
Magenveränderungen zu betrachten, da ich u. a., wie unten gezeigt 
werden wird, bei Diphtherie immer schwere Veränderungen fand, 
ob nun Bronchopneumonie vorhanden war oder fehlte. 

Es folgt nunmehr eine kurze Beschreibung der einwandfreies 
Fälle. Um unnötige Längen zu vermeiden, werden im folgendes 
nur die konstatierten pathologischen Veränderungen angeführt. 
Selbstverständlich wurde jedoch jeder Fall nach allen Bichtungen 
sorgfältig durch untersucht. Wenn also irgendein Gewebe der 
Magenwand (Epithel, interglanduläres Gewebe usw.) nicht genannt 
wird, so heißt das, daß die Untersuchung desselben keine Ab¬ 
weichung von der Norm ergeben hat. Bei dieser Gelegenheit mag 
bemerkt werden, daß ich stärkere Anhäufungen von Plasma* nnd 


1) Sachs (Arch. f. exp. Pathol. 22). 

2) Fenwick (Virchow’s Archiv 118). 


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Veränderungen der Magenschleimhaut bei akuten Infektionskrankheiten. 287 

Mastzellen (Färbung mit polychromem Methylenblau) niemals kon¬ 
statieren konnte. 

A. Fälle von Masern. 

1. Fall I. R. S., 1 Jahr alt, Masern, Nephritis. 

Mikroskopische Untersuchung des Magens: A. Pylorus: Starke Ver¬ 
breiterung des interglandulären Oewebes, aus mehreren Reihen spindeliger 
Zellen mit Faserbildung bestehend. Geringes Ödem der Schleimhaut. 

B. Kleine Kurvatur: Protoplasma der Drüsenzellen z. T. wabig. Inter- 
glandulare Substanz sehr vermehrt, hauptsächlich aus Spindelzellen be¬ 
stehend ; daneben auch ovale (Grauulations-) und rundliche Zellen. 

C. Fundus: Wie kleine Kurvatur. 

Diagnose: Parenchymatös-interstitielle Gastritis. 

2. Fall VII. D. E., 1 Jahr 4 Monate alt, Masern, Bronchopneu¬ 
monie, Nephritis. 

Makroskopische Untersuchung des Magens: Schleimhaut mäßig ge¬ 
schwollen, blaß, mit blutigem Schleim bedeckt; zahlreiche Hämorrhagien. 

Mikroskopische Untersuchung: A. Pylorus: Zahlreiche Becherzellen, 
sonst keine Veränderungen. B. Kleine Kurvatur: ebenso. C. Fundus: 
ebenso. 

Diagnose: Schleimige Entartung der Drüsenzellen. 

3. Fall XI. 8. T., 1 Jahr alt, Masern, Bronchopneumonie, Pleuritis, 
geringe Verfettung der inneren Organe. 

Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut blaß, trübe. 

Mikroskopischer Magenbefund: A. Pylorus: Protoplasma der Drüsen¬ 
zellen vakuolär, geringe Infiltration des interglandnlären Gewebes aus 
Lymphocyten und Leukocyten, keine Granulationszellen. B. Kleine 
Kurvatur: Starke Infiltration des interglandulären Gewebes aus Lympho¬ 
cyten, wenig Lenkocyten und jungen Bindegewebszellen zusammengesetzt. 
C. Fundus zeigt starke Vermehrung des interglandulären Gewebes mit 
stellenweiser Neubildung von Bindegewebsfibrillen. 

Diagnose: Parenchymatös-interstitielle Gastritis. 

4. Fall XIII. H. B., 9 Monate alt, Masern, Bronchopneumonie 
nnd links Pleuritis. 

Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut blaß, sonst ohne Ver¬ 
änderungen. 

Mikroskopischer Befund: A Pylorus: Protoplasma der Drüsenzellen 
vakuolär, vereinzelte. Becherzellen, starke Infiltration des interglandulären 
Gewebes, hauptsächlich aus Lymphocyten und jungen Bindegewebszellen, 
wenig Leukocyten bestehend. Geringe perivaskuläre Infiltration der 
Muscnlaris mucosae (Lymphocyten und Leukocyten). B. Kleine Kur¬ 
vatur zeigt gleichen Befund, doch ist die Muscnlaris mucosae frei. 
C. Fundus: Sehr geringe Veränderungen des interstitiellen Gewebes. 

Diagnose: Starke parenchymatös-interstitielle Gastritis. 

5. Fall XVIII. U. M., 1 1 j i Jahre alt, Masern, Bronchopneumonie, 
Pleuritis fibrinosa, Nephritis. 

Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut blaß, mäßig geschwollen, 
stark mit Schleim bedeckt. 


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288 


Jerusalem 


Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Unregelmäßige, stellenweise 
aber sehr starke Infiltration des interglandulären Gewebes, aus Lympbo- 
cyten, wenig Leukocyten und Bindegewebszellen bestehend. B. Kleine 
Kurvatur: Protoplasma der Drüsenzellen z. T. vakuolär, geringe Infil¬ 
tration des interglandulären Gewebes (Lymphocyten, Granulationsgewebe ). 
C. Fundus wie B. 

Diagnose: Mäßige parenchymatös*interstitielle Gastritis. 

6. Fall XXVI. F. K„ 2 Jahre alt, Masern, Bronchopneumonie. 

Makroskopischer Magenbefund: Starke Schwellung, starker Schleimbelag. 

Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Interglanduläre und in der 

Submuco8a perivaskuläre Infiltration mit Lymphocyten und jungen Binde¬ 
gewebszellen. Drüsenzellen vermehrt. B. Kleine Kurvatur: Interglandn- 
lar herdweise Anhäufung von Lymphocyten, wenig Granulationszellen und 
Leukocyten. Das Protoplasma der Drüsenzellen ist z. T. vakuolär; sehr 
zahlreiche Belegzellen. C. Fundus: wie B. und außerdem starke peri¬ 
vaskuläre Infiltration der Submucosa mit Lymphocyten und jungen Binde- 
gewebszellen. 

Diagüose: Starke parenchymatös interstitielle Gastritis. 

7. Fall XXVIII. A. P., 1 Jahr alt, Masern, Bronchopneumonie, 
Pleuritis fibrinosa. 

Makroskopischer Magenbefund: Starke Schwellung der Schleimhaut, 
viel Schleim. 

Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Protoplasma der Drüsenzellen 
teils verschleimt, teils vakuolär, im interglandulären Gewebe geringfügige 
Infiltration mit Lymphocyten und Leukocyten, keine Bindegewebszellen. 
B. Kleine Kurvatur: Zwischen den Drüsen starke Infiltration mit Lympho¬ 
cyten, Leukocyten und jnngen Bindegewebszellen, starke Erweiterung der 
Blutgefäße, stellenweise Blutungen. C. Fundus: Interglanduläre Infil¬ 
tration mit Lymphocyten, jungen Bindegewebszellen und Leukocyten. 
darunter auch viel eosinophile. 

Diagnose: Starke interstitiell-parenchymatöse Gastritis. 

Es ergibt sich also, daß bei allen Masernfallen wesentliche Ab¬ 
weichungen von der Norm vorliegen. In einem Falle handelt es sich 
um Degeneration des Epithels, in einem um akut entzündliche Vor¬ 
gänge, in den übrigen fünf um parenchymatös-interstitielle Gastritis. 

B. Fälle von Diphtherie. 

1. Fall IV. M. U., 8 Monate alt, Diphtherie, Nephritis. 

Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut stark gefaltet, blaß, viel 

Schleim, keine Pseudomembranbildung. 

Mikroskopischer Befund: In allen Teilen des Magens zwischen den 
Drüsen und in der Muscularis mucosae starke Infiltration mit Lympho¬ 
cyten und Fibroblasteu, keinen Leukocyten. 

Diagnose: Schwere interstitielle Gastritis. 

2. Fall VI. W. F., 1 Jahr 3 Monate alt, Masern, Diphtherie. 

Bronchopneumonie. 

Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut blaß, geschwollen, viel 
Schleim. 


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Veränderungen der Magenschleimhaut bei akuten Infektionskrankheiten. 289 

Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Mäßige Lymphocyteninfiltration 
zwischen den Drüsen, sonst keinerlei Veränderungen. B. Kleine Kur- 
vatur und C. Fundus: Die Drüsenzwischenschicht und die Musoularis 
mucosae ist mit Leukocyten und Lymphocyten stark durchsetzt. Be¬ 
deutende Hyperämie. 

Diagnose: Entzündliche Hyperämie und Emigration von Leukocyten. 

3. Fall VIII. E. L., 1 Jahr alt, Diphtherie, Nephritis. 

Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut graurot gefärbt, mit 

Schleim bedeckt, geschwollen. 

Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Drüsenzellen z. T. vakuolär. 
Stellenweise starke Infiltration des interglandulären Gewebes mit Fibro¬ 
blasten und Lymphocyten, weniger Leukocyten; ebenso zusammengesetzte 
perivaskuläre Infiltration der Submukosa. B. und C.: Am Fundus und 
der kleinen Kurvatur gleichartige, aber weniger schwere Veränderungen. 

Diagnose: 8chwere parenchymatös-interstitielle Gastritis. 

4. Fall X. M. W., 3 1, 2 Jahre alt, Scharlach, Diphtherie, Sepsis; 
Milz vergrößert, weich; Nephritis. 

Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut blaß, sehr stark ge¬ 
schwollen, mit zähem Schleim bedeckt. 

Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Sehr zahlreiche Becherzellen, 
8chleimbelag, zwischen den Drüsen und in der Muscularis mucosae starke 
Infiltration mit Lymphocyten und Leukocyten, keine Bindegewebszellen. 
B. und C.: Kleine Kurvatur und Fundus zeigen zwischen den Drüsen 
und in der Submukosa strichformige Infiltration mit Leukocyten und 
Lymphocyten. 

Diagnose: Schwere parenchymatöse und leichte interstitielle Ver¬ 
änderungen. 

5. Fall XX. J. L., 2 Jahre alt, Diphtherie, Sepsis, beginnende 
Nephritis. 

Makroskopischer Magenhefund: Schleimbelag, Schwellung. 

Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Schleimbelag, viel Becher¬ 
zellen, starke Füllung der Blutgefäße, interglanduläre Infiltration mit 
Lymphocyten und Leukocyten. B. Kleine Kurvatur: Gleicher Befund, 
außerdem starke Degeneration der Drüsenzellen und viel hämorrhagisches 
Pigment in den Drüsen. Blutgefäße stark erweitert. C. Fundus: Starke 
interglanduläre und in der Submukosa perivaskuläre Infiltration mit Fibro¬ 
blasten und Lymphocyten sowie einzelnen Leukocyten. 

Diagnose: Schwere parenchymatös-interstitielle Gastritis. 

6. Fall XXV. E. R., 20 Jahre alt, Diphtherie, Nephritis; Milz 
vergrößert, Hyperämie der inneren Organe. 

Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut stark geschwollen, wenig 
Schleim; etwas kadaverös verändert. 

Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Epithel nicht genau zu be¬ 
turteilen, starke Infiltration des interglandulären Gewebes mit Lympho¬ 
cyten, zahlreiche Follikel. B. Kleine Kurvatur: Bedeutende Infiltration 
der Submukosa mit Lymphocyten und Bindegewebszellen, starke Er- 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 19 


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290 


Jerusalem 


Weiterung der Blutgefäße, einzelne Blutungen. C. Fundus: Zeigt kadaveröse 
V eränderungen. 

Diagnose: Starke Hyperplasie des lymphatischen Gewebes, inter¬ 
stitielle Gastritis, Vermehrung des Bindegewebes in den tiefen Magen¬ 
schichten, Blutungen. 

Es weisen also sämtliche Fälle von Diphtherie sehr 
schwere Veränderungen auf. In 5 Fällen handelt es sich um 
starke parenchymatös-interstitielle Gastritis, in einem Fall um eine starke 
Degeneration. Auffallend ist die bedeutende Vermehrung des lymphatischen 
Gewebes in Fall XXV, die vielleicht als Teilerscheinung der allgemeinen 
adenoiden Hyperplasie bei Diphtherie zu betrachten ist. 

C. Fälle von Keuchhusten. 

1. Fall XII. W. C., 1 Jahr alt, Keuchhusten, Bronchopneumonie. 

Makroskopischer Magenbefund: Sehr geringe Schwellung der 

Schleimhaut. 

Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Zahlreiche Becherzellen. B. Kleine 
Kurvatur: Geringe Infiltration des interglandulären Gewebes mit Lympho- 
cyten. Blutgefäße stark erweitert. C. Fundus: Blutgefäße stark erweitert 

Diagnose: Geringe parenchymatöse Degeneration. 

2. Fall XVI. N., 1 Jahr alt, Keuchhusten, Bronchopneumonie. 

Makroskopischer Magenbefund: Geringer Schleimbelag, Blutungen, 

geringe Schwellung. 

Mikroskopischer Befund: In allen Teilen zahlreiche Becherzellen, 
außerdem im interglandulären Gewebe und in der Submukosa minimale 
Infiltration mit Lymphocyten und Bindegewebszellen. 

Diagnose: Parenchymatöse Degeneration und minimale interstitielle 
Gastritis. 

3. Fall XIV. H. K., 11 Monate alt, Keuchhusten, Bronchopneumonie. 

Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut geschwollen, mit Schleim 

bedeckt. 

Mikroskopischer Befund: Allenthalben Erweiterung der Blutgefäße. 

4. Fall XIX. E. D., 6 Monate alt, Furunkulose, Bronchopneumonie, 
eiterige Bronchitis, Blutungen im Herzfleisch. 

Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut blaß, mit wenig Schleim 
bedeckt. 

Mikroskopischer Befund: A Pylorus: Kerne der Drüsenzellen 
schlecht gefärbt, minimale Infiltration des interstitiellen Gewebes mit 
Lymphocyten und vereinzelten Fibroblasten. B. Kleine Kurvatur und 
()' Fundus: Gleicher Befund. 

Diagnose: Parenchymatöse Degeneration und minimale interstitielle 
Gastritis. 

Die Keuchhustenfälle weisen also, trotzdem Fall XIX 
kompliziert ist, nur degenerative und ganz geringe inter¬ 
stitielle Veränderungen auf. 

D. Fall von Meningitis epidemica. 

Fall XV. B., 21 Jahre alt. 

Makroskopischer Magenbefund: Geringe Schwellung, etwas Hyperämie. 


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Veränderungen der Magenschleimhaut bei akuten Infektionskrankheiten. 291 

Mikroskopisch: Geringe Degeneration der Drüsenzellen, stark er¬ 
weiterte Blutgefäße, Blutungen. 

E. Fälle von Hirnabsceß und Sepsis mit allgemeiner 

Pyämie. 

1. Fall XXI. Gl., 24 Jahre alt. 

Makroskopischer Magenbefund: Sehr starke Schwellung, starker 
Schleimbelag. 

Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Zahlreiche Becherzellen, starke 
Infiltration des interglandulären Gewebes mit Lymphocyten und Binde¬ 
gewebszellen. B. Kleine Kurvatur: Derselbe Befund, außerdem gleich¬ 
artig zusammengesetzte Infiltration der Muscularis mucosae. C. Fundus: 
Geringe interstitielle Veränderungen. 

Diagnose: Schwere parenchymatös-interstitielle Gastritis. 

2. Fall XXX. A. B., 35 Jahre alt, StreptokokkensepBis, Milz ver¬ 
größert, weich, Nephritis. 

Makroskopischer Magenbefund: Trübung, Schwellung, Schleimbelag. 

Mikroskopischer Befund: In allen Partien des Magens zahlreiche 
Becherzellen, ferner interglandulär und perivaskulär in der Muscularis 
mucosae und stellenweise auch in der eigentlichen Muskularis Infiltration 
mit Lymphocyten und Leukocyten. 

Diagnose: Entzündliche Hyperämie, Auswanderung von Leukocyten. 

Auf die Einzeldarstellung einer Anzahl anderer Fälle kann 
hier wohl verzichtet werden. Es sei nur erwähnt, daß dieselben 
immer wieder zu Ergebnissen geführt haben, die mit den oben 
dargestellten übereinstimmen, so daß eine Beschreibung derselben 
nur eine Wiederholung des bereits angeführten bringen könnte. 

Zusammenfassend kann gesagt werden, daß mit Ausnahme 
von Keuchhusten alle akuten Infektionskrankheiten 
mit schweren Veränderungen des Magens einher¬ 
gehen, die meist in einer interstitiellen Gastritis mit Bindegewebs- 
proliferation besteht. Irgendwelche charakteristische Unterschiede 
in den Befunden bei den einzelnen Erkrankungen aufzufinden, ist 
nicht gelungen. 

Die Hauptfrage bleibt natürlich, ob die erwähnten Befunde 
genügen, um die klinisch beobachteten Magensymptome bei akuten 
Infektionskrankheiten zu erklären. Diese Frage kann leider nicht 
mit genügender Präzision beantwortet werden. Dazu wäre bei 
einer sehr großen Zahl von Erkrankungen genauer Vergleich der 
durch exakteste klinische Untersuchung des Magens während der 
Krankheit erzielten Ergebnisse mit den Befunden post mortem er¬ 
forderlich. Immerhin aber machen die pathologisch-anatomischen 
Veränderungen im Verhältnis zur großen Mannigfaltigkeit der 

19* 


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292 J brdsalbm, Veränd. d. Magenschleimhaut bei akuten InfektioaskrankhateiL 


klinischen Symptome einen sehr einförmigen Eindruck, so daß nach 
Empfindung des Verfassers die Annahme „funktioneller“ Störung« 
einstweilen nicht umgangen werden kann. Indessen soll damit 
nicht gesagt sein, daß keine Chance besteht, diesen Notbehelf mit 
der Zeit zu eliminieren. Mußte doch in der vorliegenden Arbeit 
mangels brauchbaren Materials auf die Berücksichtigung vieler 
Details, wie feiner Veränderungen der Epithelien und namentlich 
der nervösen Apparate verzichtet werden. Hoffentlich gelingt es 
anderen unter günstigeren Umständen arbeitenden Autoren, diese 
Lücke allmählich auszufüllen und klinische und pathologisch-ana¬ 
tomische Befunde zur vollen Übereinstimmung zu bringen. 


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Deutsches Archiv f.klin. Medizin 101.Bd. 


Tafel I 




Jerusalem . 


Verlag von F.C.W. Vogel in Leipzig. 


Lith. Anst v Johannes Ar ndt, Jena 


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Aus der königl. med. Universitäts-Poliklinik in München. 

(Vorstand: Prof. May.) 

Zur Frühdiagnose des Magencarcinoms 
(Tryptophanprohe nnd eine neue Probe mit Essigsäure). 

Von 

Hermann Oppenheimer, 

Medizinalpraktikant. 

„Die Chirurgie hat den Beweis geleistet, daß sowohl bei 
Magenkrebs als bei Ulcus simplex die Gefahren rechtzeitig aus- 
geführter Operationen auf ein Minimum herabgesunken sind, und 
sich mit operativer Behandlung sichere Dauerheilungen erzielen 
lassen.“ 

Mit diesen Worten präzisierte Kocher 1909 auf dem 
schweizerischen Ärztetage in Bern seinen Standpunkt in der 
operativen Behandlung schwerer Magenleiden und er begründet 
seine Ansicht bezüglich des Magencarcinoms mit den Besultaten 
seiner Klinik. Mit seiner Resektionsmethode hat er eine Dauer¬ 
heilung von über 4 Jahren bei 20 °/ 0 erzielt, bei einer Mortalität 
von durchschnittlich 15 °/ 0 . Über eine fast ebenso große Zahl von 
Dauerheilungen — 18,4% nach Mikulicz berichtet Makkas. 
Da uns eine andere Therapie des Magenkrebses als die chirurgische 
fehlt und andererseits eine Dauerheilung durch rechtzeitige Resektion 
möglich ist, liegt die Hauptaufgabe in einer exakten Früh¬ 
diagnose. Hier begegnet nun die Unterscheidung des beginnenden 
Magenkrebses von anderen Magenleiden, vor allem von dem Ulcus 
ventriculi, großen Schwierigkeiten, zumal das Ulcuscarcinom eine 
Kombination von Symptomen beider Leiden aufweist. Daß die 
subjektiven Beschwerden und auch manche objektive Befunde, wie 
Blutbrechen, Blutstühle, Druckpunkte im Epigastrium nichts un¬ 
bedingt charakteristisches bedeuten, ist heute wohl allgemein an¬ 
erkannt, ebensowenig gilt ein in der Magengegend palpabler Tumor 
als sicheres Carcinomsymptom, da auch ein Ulcus hypertrophicum 


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294 


Oppenheimer 


gleichen Befund darbieten kann; schließlich ist die Zugehörigkeit 
des Tumors zum Magen häufig durch Palpation nicht sicher nach¬ 
zuweisen. Eine sekundäre Anämie ferner kann sich an ein blutendes 
Ulcus ebensogut anschließen, wie Folge eines Carcinoms sein, am 
meisten spricht noch eine rasch sich entwickelnde Kachexie für 
einen Krebs, allein dann sind auch schon die Chancen für eine 
Resektion nicht mehr günstig. Was schließlich den Chemismus 
des Magensaftes betrifft, so können wir Riegel vollkommen zu¬ 
stimmen, wenn er sagt, daß Achylia gastrica Simplex und Carcinom 
gleichen chemischen Befund bieten können. Die Verminderung der 
Gesamtsalzsäure und das Fehlen freier HCl findet sich auch bei 
anderen Magenleiden und schon bei Nervösen mit gesundem Magen 
häufig, so daß wir auch in diesem Symptome nur eine schwache 
Stütze für die Diagnose eines Carcinoms sehen dürfen. Auch der 
Nachweis von Milchsäure beweist nur, daß Stauung bei Salzsäure¬ 
mangel vorliegt, die aber auch durch Gastroptose, Atonie, Narben- 
strikturen am Pylorus usw. bedingt sein kann. Einen wesentlichen 
Fortschritt in der Frühdiagnose des Magenkrebses brachte der 
Nachweis eines peptidspaltenden Fermentes im Krebs¬ 
safte durch Abderhalden und die auf diesen Untersuchungen 
fußende Herstellung eines praktisch leicht zu handhabenden 
Fermentdiagnostikums von 0. Neubauer und H. Fischer. 
Als Polypeptid benutzten Neubauer und Fischer Glycyltrypto- 
phan, welches durch das im Krebssafte vorhandene Ferment in 
Glycyl und Tryptophan gespalten wird. Der Nachweis der ein¬ 
getretenen Spaltung des Glycyltryptophans durch den nach Probe¬ 
frühstück ausgeheberten Inhalt eines krebsverdächtigen Magens 
wird als Zeichen dafür angesehen, daß eine carcinomatöse Neu¬ 
bildung vorliegt. Die allgemeine Anwendbarkeit der Methode wird 
nur durch einige Fehlerquellen eingeschränkt: Beimischung von 
Blut und Pankreassaft sowie Bakterien, welche ebenso wie das 
Krebssaftferment peptidspaltend wirken, fernerhin das Vorhanden¬ 
sein von Tryptophan im Magensaft von vornherein, was gelegent¬ 
lich in pathologischen Fällen bei weitergehender Eiweißverdauung 
sich finden soll, schließen die Probe aus, da in diesen Fällen ein 
positives Resultat noch keinen Schluß auf die Anwesenheit eines 
peptidspaltenden Carcinomfermentes zuläßt. Bezüglich der theore¬ 
tischen Grundlagen der Methode verweisen wir auf die Original¬ 
arbeit von Neubauer und Fischer (Deutsch. Arch. f. klin. Med. 
Bd. 97 Heft 5 u. 6). 

Der Wert eines solchen Fermentdiagnostikum liegt auf der 


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Zur Frühdiagnose des Magencarcinoms. 


295 


Hand. Eine minimale Menge von fermenthaltigem Krebssafte kann 
ja schon eine peptidspaltende Wirkung ausüben, und so bietet sich 
schon früh Gelegenheit, die Diagnose zu stellen und die chirurgische 
Therapie in die Wege zu leiten. Um dem Fermentdiagnostikum 
nun eine so bedeutungsvolle, entscheidende Rolle in der Früh¬ 
diagnose des Magencarcinoms zusprechen zu können — schließlich 
handelt es sich doch immer um eine Laparotomie — muß es folgende 
Forderungen erfüllen: 

1. Die Probe muß bei Magencarcinom auch schon im Früh¬ 
stadium positiv sein. 

2. Sie darf nur bei Magenkrebs positives Resultat ergeben, 
selbstverständlich unter Ausschluß der Fehlerquellen. 

Unter diesen Gesichtspunkten habe ich im Aufträge von Herrn 
Prof. May, welchem ich für sein freundliches Interesse und für 
Überlassung des Materiales und der Mittel zu ergebenstem Danke 
mich verpflichtet fühle, an der Münchner medizinischen Universitäts¬ 
poliklinik das Fermentdiagnostikum von Neubauer und Fischer 
an einer Reihe von Fällen verschiedenartiger Magenleiden einer 
Nachprüfung unterzogen. In der Methodik hielten wir uns im 
wesentlichen an das Original, nur setzten wir zum Tryptophan¬ 
nachweis anstatt Bromdämpfen vorsichtig Bromwasser zu, nachdem 
zahlreiche Kontrollversuche ergeben hatten, daß beim vorsichtigen 
Zusetzen von Bromwasser aus feiner Tropfpipette ein den typischen 
Farbumschlag verdeckender Überschuß sich leichter vermeiden läßt, 
auch glauben wir, daß die Reaktion präziser abläuft und ihr Ein¬ 
treten sich besser kontrollieren läßt als beim Einfallenlassen der 
Bromdämpfe. In Kürze sei hier die Methodik skizziert. 

Etwa 45 Minuten nach vollendetem Verzehren des Boas’schen 
Probefrühstücks (400 ccm Tee, eine Semmel) wurde ausgehebert, dann 
der unfiltrierte Magensaft auf Blut nach van Deen, das Filtrat auf 
Galle nach Gmelin untersucht. Nachweis von Galle ließe auf zurück¬ 
geflossenen Pankreassaft schließen (siehe oben und Original); gelbgefärbten 
Magensaft haben wir auch bei negativem Gmelin von der Untersuchung 
ausgeschlossen. Schließlich wurde noch auf etwa vorhandenes Tryptophan 
gefahndet: bei Vorhandensein soll auf Bromwasserzusatz Rosafärbung 
eintreten, während beim Fehlen Umschlag in gelb erfolgt. (In unseren 
Fällen war übrigens niemals von vornherein Tryptophan nachzuweisen.) 
Bei negativem Ausfall aller drei Fehlerquellen versetzt man 10 ccm 
filtrierten Magensaftes mit etwa der Hälfte Fermentdiagnostikum '), 
schichtet etwas Toluol darüber zur Abtötung der Bakterien und setzt 


1) Das Glycyltryptophan wurde von der Firma Kalle u. Co. A.-G. Biebrich 
a. Rh. zu ermäßigtem Preise bereitwilligst zur Verfügung gestellt. 


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OPPEHHEIMEB 


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das ganze für 24 Stunden in den Brutschrank bei 37°. Nach Ablauf 
dieser Zeit pipettiert man mehrere Kubikzentimeter unter der Toluol* 
Schicht heraus, fügt hierzu im Reagensrohre einige Tropfen 3 0 0 Eisig¬ 
säure — zum besseren Ablauf der Reaktion — dann setzt man vor¬ 
sichtig aus der Tropfpipette kleinste Tropfen Bromwasser zu unter stetem 
8chütteln. Der Schaum wird von Bromwassertropfen zunächst gelblieh 
gefärbt, beim 8chütteln wird er wieder weiß, bis er bei positivem Aal¬ 
falle eine Rosafärbung annimmt, die bei weiterem Zusetzen tiefrot wird 
und erst spät in gelb umschlägt. Bei negativem Ausfälle tritt an Stellt 
von Rosa* gleich Gelbfärbung auf, die beim Schütteln nicht wieder ver- ' 

Schwindet. Die Proben wurden zur Kontrolle häufig mehrmals angestellt. 1 
Nachstehende Tabelle 1 berichtet über die Resultate. 


Tabelle 1. (Tryptophanprobe.) 


Magendiagnose 

Reaktion 

+ 

1. Normale ' 

- ö 

2. Ulcus ventriculi und Hyperacidität 

— 12 

3. Andere Magenleiden ohne Ca ' 

1 — ! 7 

4. Sichere Ca (Sektion oder Operation) 

6*) . - 

5. Klinisch sichere Ca 

3 — 

6. Ca-Verdacht 

1**) 6***) 


Wir sehen also bei der großen Mehrzahl der Fälle eine Über¬ 
einstimmung zwischen Diagnose und Resultat der Probe, auf die 
wenigen Differenzen wollen wir in folgendem näher eingehen. 

Zunächst zum Falle U**). Hier wurde die klinische Diagnose 
auf Ca-Ventriculi gestellt, es war ein deutlicher Tumor palpabel 
die Operation ergab jedoch Gummata hepatis, während der Magen 
frei von Tumoren war. Hier seine Krankengeschichte: 

Seit 2 Jahren Druck und gelegentlich dumpfer Schmerz in dar 
Magengegend, Völlegefühl, viel Anfstoßen, Übelkeit, kein Erbrechen, 
mäßiger Appetit, Stuhl angehalten, kein Blut. In letzter Zeit stsrke 
Gewichtsabnahme. Vor drei Jahren rechts Spitzenaffektion, deshalb 
Aufenthalt in Lungenheilstätte, worauf die früheren Beschwerden voll¬ 
ständig verschwanden. Familienanamnese o. B. Frau und Kinder gesund. 
Potus mäßig. Infectio negatur. Status: Reduzierter Ernährungszustand, 
blasse, gelbliche Gesichtsfarbe. Pulmones: rechts vorn oben geringe 
Schall Verkürzung, etwas verschärftes Exspirium, sonst reines Vesikulär- 
atmen. Cor: o. B. Abdomen: Links vom Processus xiphoideus Dach 
unten zu ist eine welschnußgroße Geschwulst fühlbar, respiratorisch ver¬ 
schieblich und nicht völlig fixierbar, scheinbar dem Magen oder linken 
Leberlappen angehörig, starker Druckschmerz. Urin: o. B. Hb: 65°,. 

*) Fall Sehr. s. n. 

**i Fall U. s. u. 

'***) Fall N. s. n. 


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Zur Frühdiagnose des Magencarcinoms. 


297 


Magensaft: Freie HCl negativ, Gesamtacidität 5, Milchsäure positiv, 
Tryptophanprobe zweimal positiv. 

Operation (Prof. Klaussner): Linker Leberlappen füllt das ganze 
Epigastrium aus und reicht bis handbreit nach links und abwärts vom Hippen- 
bogen. Auf der Leberoberfläche zahlreiche kleinere und größere, weiß* 
liehe Knoten, nicht über die Oberfläche erhaben, teilweise haselnuß- bis 
apfelgroße Tumoren, außerdem derbe Narben, ähnliche Knoten und Narben 
auf der Leberunterfläche. An der Wirbelsäule sind Drüsenpakete 
palpabel, besonders in der Pylorusgegend, wo sie den Pylorus ringförmig 
umgreifen. Dagegen ist der Magen vollkommen frei von jeder Verhärtung, 
keine Tumoren fühlbar. Der Lebervorderflächentumor zeigt auf dem 
Durchschnitte eine weiße Fläche, Ezcision zur mikroskopischen Unter* 
Buchung. Leber-, Peritoneal- und Bauchdeckennaht. MikroskopiBoho 
Untersuchung (Prosektor Dr. Oberndorfer): Gummata. Auf energische 
Jodbehandlung hin fühlt sich Patient bald wohler und ist jetzt nach 
4 Monaten beschwerdenfrei, er hat erheblich zugenommen. 

Wir sehen also alle üblichen Ca-Symptome, fühlen einen deut¬ 
lichen Tumor, konstatieren Kachexie und finden Salzsäuremangel 
und Milchsäure und die Operation zeigt, daß Gummata der 
Leber vorliegen. Leider bat uns hier auch die zweimalige, unter 
allen Kautelen angestellte Tryptophanprobe irregeführt. 

Abwechselnd positiven und negativen Ausfall der Reaktion 
finden wir beim Falle Sehr.*), der ein durch Operation sicher¬ 
gestelltes Carcinom hatte. Die Probe war das erste und dritte 
Mal negativ, das zweite Mal positiv. Wir haben ihn zu den 
positiven Fällen gezählt. 

Fall N.***) schließlich, welcher unter den Ca-verdächtigen 
Fällen angeführt ist, obwohl nach dem ganzen Verlaufe an der 
Ca-Diagnose schließlich kaum zu zweifeln war, hatte negative 
Tryptophanprobe ergeben. Er ist zwei Monate später gestorben, 
die Sektion wurde leider verweigert. 

Wenn wir uns nun fragen, ob das Fermentdiagnostikum die 
oben anfgestellten zwei Forderungen erfüllt, so können wir es auf 
Grund unserer Nachprüfung nicht unbedingt bejahen, denn die 
Probe hat in einem, man kann wohl sagen sicheren Falle von 
Magenkrebs versagt, und bei einem Falle, in dem kein Carcinom 
vorlag, war sie positiv. In einem Falle von Ca-Ventriculi ergab 
sie wechselnde Resultate. 

Ein unfehlbares Diagnostikum ist also die Tryptophanprobe nicht, 
jedoch glauben wir, das häufige Zutreffen der Probe berechtigt eine 
Wahrscheinlichkeitsdiagnose zu stellen. Und hierin liegt ihr großer 
praktischer Wert, dehn das Fermentdiagnostikum gibt schon Resul¬ 
tate, wenn die übrigen Carcinomsymptome noch nicht ausgeprägt sind. 


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Original frum 

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298 


Oppenhbimek 


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Solange uns noch ein sicheres Diagnostikum fehlt, liefert auch 
ein solches, welches nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose erlaubt, j 
eine wertvolle Bereicherung unseres diagnostischen Hilfsmittel¬ 
schatzes. Auf Anregung von Herrn Prof. May, welchem ich auch 
hierfür ergebensten Dank schulde, konnte ich das Vorhandensein 
eines auf Zusatz von Essigsäure auch in starker Verdünnung in j 
der Kälte ausfallenden Körpers im carcinomatösen Magensafte nach- 
weisen. Die Methodik ist folgende: 

40 Minuten nach Einnahme des Boas’schen Probefrühstücks wird 
ansgehebert. Dann setzt man zu einigen Kubikzentimetern klar filtrierten 
Magensaftes vorsichtig tropfenweise 3 °/ 0 Essigsäure. Bei positivem Au- i 
falle tritt nun eine Trübung auf, die erst auf Zusatz von reichlicher 
Menge Essigsäure oder von wenig Salzsäure verschwindet, jedoch lwi 
selbst bis zu etwa fünffacher Verdünnung mit Aqua dest. bestehen bleibt 
Als einzige Fehlerquelle stellt sich das Vorhandensein von Schleim dar. 
der ebenfalls mit Essigsäure Trübung gibt; diese verschwindet jedoch bei 
Zusatz von einigen Tropfen Salzsäure nicht und hält auch stärkerer Ver¬ 
dünnung nicht stand. Nur wenn der Magensaft schon von vornherein 
so trübe ist, daß er auf Verdünnung mit etwa gleicher Menge destillierten 
Wassers nicht klar wird, ist die Probe nicht anwendbar. Langsame- 
Filtrieren des Magensaftes durch ein angefeuchtetes Faltenfilter ver¬ 
hütet häufig trübes Filtrieren. 

Auffallenderweise traf es stets zusammen, daß Tryptophan- 
und Essigsäureprobe zusammen positiv oder negativ waren, auch 
in den Fällen Sch. und U. bestand diese Koinzidenz. Somit treffen die 
oben erhobenen Vorwürfe auch die neue Probe. Als Vorteil bietet 
die Essigsäureprobe, daß ihr Gebiet weniger beschränkt ist, da sie 
nicht durch Vorhandensein von Blut, Trypsin, Bakterien und Trypto¬ 
phan gestört wird, und ferner auch mit Erbrochenem angestellt 
werden kann. Hierin liegt wohl ein großer Vorteil. Oft wird es, be¬ 
sonders in der Privatpraxis, nicht möglich sein, ausznhebern, während 
Erbrochenes leicht zu erlangen ist, und noch häufiger findet sich 
im ausgeheberten Magensaft Blut gerade in Fällen, bei denen die 
Differentialdiagnose zwischen Ulcus und Ca gestellt werden soll. 
Hier versagt die Tryptophanprobe, während unsere Essigsäureprobe 
Resultate ergibt. Schließlich ist letztere auch rascher anzustellen 
und bedarf als Reagens lediglich 3°/ 0 Essigsäure. Der Irrtum, in 
den mau durch Vorhandensein größeren Schleimgehaltes verfallen 
kann, läßt sich, wie oben erwähnt, leicht vermeiden, lediglich 
stärkere Trübung des Magensaftes schließt die Probe aus. 

Den mit Essigsäure ausfällbaren Körper zu analysieren, ist 
bisher noch nicht gelungen, da es nicht möglich war, genügende 
Menge rein zu erhalten. Daß dieser Körper nicht aus dem Probe- 


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Zur Frühdiagnose des Magencarcinoms. 


299 


frühstück stammt, geht wohl daraus hervor, daß er sich in nicht 
carcinomatösen Fällen nicht vorfand, bis auf den einen Fall von 
Lues hepatis, der uns schon bei der Besprechung der Tryptophan¬ 
probe ein Rätsel war (vgl. Tabellen 1 und 2). Der Gedanke liegt 
nahe, daß es sich um Nucleoalbumine aus den Zellkernen der vom 
Carcinom zerstörten Zellen handeln könnte. Das auffallende, stetige 
Zusammentreffen mit der Tryptophanprobe ließ uns, wenn es auch 
yon vornherein nicht recht wahrscheinlich schien, an eine etwaige 
Abhängigkeit der letzteren von dem Vorhandensein des Nuclein- 
körpers denken. Wir setzten daher die Tryptrophanprobe mit ver¬ 
schiedenen Nucleoalbuminen an. Zunächst mit einem organischen, 
vegetabilischen Präparat: Phytin, liquidum, dann auch mit reinem 
Natrium nucleinicum aus Hefe (Merck) und schließlich mit Nucle- 
inen aus dem Harne eines Leukämikers; allein die Spaltung des 
Glycyltryptophanes trat nicht ein. Sollte vielleicht das peptid¬ 
spaltende Ferment an die Nucleoalbumine gebunden sein? Wir 
fällten einen Carcinommagensaft mit Essigsäure aus filtrierten und 
fuhren mit abwechselndem Ausfällen und Filtrieren solange fort, 
bis keine Trübung mehr auf Essigsäurezusatz eintrat, dann setzten 
wir die Tryptophanprobe an, und sie fiel positiv aus. Ein Ab¬ 
hängigkeitsverhältnis zwischen beiden Proben besteht also nicht, 
wohl scheint aber ein ursächlicher Zusammenhang vorzuliegen. Es 
ist wohl denkbar, daß der peptidspaltende Krebssaft auch cyto¬ 
lytisch und karyolytisch wirken kann, jedoch bedarf dieser Ge¬ 
danke noch des experimentellen Nachweises. Auffallend bleibt 
immer, daß die Essigsäureprobe niemals bei Ulcus Simplex positiv 
ausfällt, hier tritt doch auch ein Gewebszerfall auf und doch fehlt 
der mit Essigsäure ausfällbare Körper. 

Nach Abschluß unserer Untersuchungen fanden wir in der 
Literatur einen Hinweis von Reicher, daß der von H. Salomon 
im Spülwasser des von Nahrungsstoffen abends sorgfältig gereinigten, 
morgens nüchtern gespülten carcinomatösen Magens mit Esbach 
äusgefällte Eiweißkörper ebenfalls aus Nucleoalbuminen bestehen 
soll; ein Ulcus soll nur ganz geringen Eiweißgehalt im Spülwasser 
ergeben. Hierbei dürfte es sich wohl hauptsächlich um vernarbende 
oder schon ausgeheilte Ulcera handeln, welche keine weitere Zell¬ 
einschmelzung mehr zeigen. Salomon selbst erklärt den Eiwei߬ 
gehalt mit einer serösen Ausschwitzung der entzündlich gereizten 
Schleimhaut in der Umgebung der carcinomatösen Neubildung, 
ähnlich dem Wundsekret bei Schnittverletzungen der äußeren Haut. 
Lei Ulcus ventriculi soll sich nie annähernd so eiweißhaltiges Spül- 


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300 


Ofpbnheihbb 


wasser finden. Und trotzdem besteht doch beim Ulcns aueh ein« 
reaktive Entzündung, die sich sogar bis zur Tumorbildong steigere 
kann. Sollte sich hier wirklich kein größeres seröses Exsudat 
bilden? Wir sehen wiederum den eigenartigen Unterschied zwischen 
Ca und Ulcns. Bei beiden Entzündung und nur bei Ca nachweis¬ 
bares Exsudat, bei beiden Gewebszerfall und wieder nnr beim Cs 
Körper, welche dem Zellkern zu entstammen scheinen. Weiteren 
Untersuchungen experimenteller Art muß es Vorbehalten bleiben, 
eine befriedigende Erklärung zu geben. Einstweilen genügt die 
Tatsache, daß sich im carcinomatösen Magensafte ein mit Essig¬ 
säure ausfallbarer Körper findet, und wenn zahlreichere Untersu¬ 
chungen erst unsere Befunde bestätigen können, so wird wohl auch 
dieser Probe eine wichtige Rolle in der Frühdiagnose des Magen- 
carcinoms zufallen. 

In Tabelle 2 sind die Resultate unserer Untersuchungen mittels 
der Essigsäureprobe zusammengestellt 

Tabelle 2. 


Magendiagnose 


1. Normale 

2. Ulcns ventricnli urd Hyperacidität 

3. Andere Magenleiden ohne Ca 

4. Sichere Ca (Sektion oder Operation) 

5. Klinisch sichere Ca 

6. Ca-Verdacht 


Reaktion 

+ 1 - 


— < 

— I 24 

— 9 

6 *) ! - 

3 — 

3») 4 


Bezüglich der mit *) versehenen Fälle verweisen wir auf das 
im Anschluß an Tabelle 1 gesagte. Eine Erklärung, warum bei 
Fall U die Proben (sowohl Tryptophan- wie EssigsäureprobeJ positiv 
ausfielen, vermögen wir nicht zu geben. Die geringfügigen Diffe¬ 
renzen zwischen Tabelle 1 und 2 betreffen Fälle, die wegen vor¬ 
handener Fehlerquellen nicht mit dem Fermentdiagnostiknm unter¬ 
sucht werden konnten, oder — in seltenen Fällen — zn trübe für 
die Essigsäureprobe waren. Im übrigen gaben Tryptophan- und 
Essigsäureprobe stets gleichlautende Resultate. 

Beide Proben gehen also Hand in Hand, sie vermögen ein¬ 
ander zu unterstützen und bei Unanwendbarkeit der einen kann 
die andere sie ersetzen; ohne unfehlbar zu sein, stellen sie wichtig« 
Hillsmittel dar zur Frühdiagnose des Magencarcinoms. 


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Zur Frühdiagnose des Magencarcinoms. 


301 


Literatur. 

Kocher, Th., Die chirurgische Therapie bei Magenleiden. Mitteil. a. d. Grenz¬ 
gebieten d. Med. u. Chjr. Bd. 20, Heft 1. 

Neubauer u. Fischer. Über das Vorkommen eines peptidspaltenden Fermentes 
im carcinomatösen Mageninhalte und seine diagnostische Bedeutung. Deutsch. 
Arch. f. klin. Med. Bd. 97 Heft 5/6. 

Beicher, Boas’ Arch. f. Verdauungskrankheiten Bd. 12. 

Sahli, Lehrb. d. klin. Untersuchungsmeth. 5. Aull. p. 530. 

Salomon,H., Zur Diagnostik des Magencarcinoms. Deutsche med. Wochenschr. 
1903. 

Witte, J., Über den Wert der Methode H. Salomon’s für die Differential¬ 
diagnose des Magencarcinoms. Zeitschr. t klin. Med. Bd. 55, Heft 1 n. 2. 


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Aus der Universitätspoliklinik (Med. Abteilung) München. 

Vorstand: Prof. Dr. Richard May. 

Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des 
menschlichen Magens und seine Bedeutung für die 
diagnostische Verwertbarkeit des Probefrühstücks. 

Von 

Dr. Karl Grandauer, 

Assistent. 

Vor nunmehr 25 Jahren haben Ewald und Boas das Probe¬ 
frühstück zwecks Feststellung der Sekretionsverhältnisse im Magen 
eingeführt. Die Methode hat damals rasch Eingang in Wissen¬ 
schaft und Praxis gefunden und sich bis zum heutigen Tage all¬ 
gemein als am zweckmäßigsten und allen übrigen Methoden (denen 
von Leube, Jaworski, Riegel, Klemperer usw.) an Ge¬ 
nauigkeit der Resultate überlegen erwiesen. Trotz alledem ist sie 
an Fehlerquellen nicht frei, worauf Boas 1 ) selbst aufmerksam 
gemacht hat; doch ist der Grund hierfür, wie letztgenannter Antor 
betont, weit weniger in der Methode selbst als in einer ungenauen 
resp. oberflächlichen Ausführung derselben zu suchen: Abweichungen 
von der Art der Zusammensetzung des Frühstücks, Ausheberung 
im zwar nüchternen Zustande des Individuums, jedoch bei nach* 
weislich nichtleerem Magen, falsche zeitliche Entnahme dürften das 
Hauptkontingent der verschiedensten Fehlerquellen darstellen. Ver¬ 
meidet man alle diese Ungenauigkeiten auf das peinlichste, so läuft 
man trotz alledem in gewissen Fällen Gefahr, eine Fehlerquelle 
zu übersehen, welche mit der Person des Patienten selbst aufs 
innigste verknüpft erscheint. Sie besteht darin, daß bei einzelnes 
Individuen die Sekretionswerte in außerordentlich hohem Grade 
schwanken können. 

Für diese schon lange bekannte Tatsache können verschiedene 

1) Boas. Über einige Fehlerquellen der Mageninhaltsunters. Berl. kl' 1 
Woclif-nschr. UH)') Nr. 44 a. 


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Original frn-m 

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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 303 


Momente verantwortlich gemacht werden, die in dem jeweiligen 
Falle in Betracht gezogen werden müssen. 

Znm ersten kann der Magen unter dem Einflüsse reflektorischer 
Reizwirkungen von anderen Organen aus stehen. 

So kann zweifellos die physiologische Funktion der weiblichen 
Geschlechtsorgane, die Menstruation, einen Wechsel in der Acidität 
(ev. auch der Motilität) des Magens hervorrufen. Nach Kretschy 1 ) 
findet ein Schwanken der Magensäure in der prämenstruellen 
Periode statt. Die Untersuchungen von Quincke 2 ) und Dett- 
wyler 2 ) ergaben, daß der menstruelle Blutverlust eine Änderung 
der Magendrüsenfunktion im Sinne einer Herabsetzung der Se¬ 
kretion zur Folge hat. Singer 3 ) teilte mit, daß während der 
Menses Sekretionsneurosen des Magens und nervöse Achylie ver¬ 
kommen können; auch Jaworski 4 ) meint, daß zurZeit der Men¬ 
struation wenig Magensaft abgesondert wird, oder die Sekretion 
manchmal gar sistiert, während Kehrer 6 ) und Elsner 6 ) nur bei 
sehr lebhaften Blutungen subacide Werte finden konnten. Hyper¬ 
acidität dagegen konnte letztgenannter Autor bei der normalen 
Menstruation (ohne pathologischen Blutverlust) des öfteren fest¬ 
stellen. Zu den gleichen Ergebnissen gelangten Ziembicki 7 ), der 
in 76,5 °/o Hyperacidität während der Menstruation konstatieren 
konnte, und Wolpe 8 ), der auf Grund seiner eingehenden Unter¬ 
suchungen vor einer Ausheberung zur Zeit der Menses (und auch 
in der prämenstruellen Zeitperiode) warnte, da die Saftsekretion 
meist vorübergehend gesteigert sei. 

Was die motorische Leistungsfähigkeit des Magens betrifft, 
so fanden (im Gegensatz zu Elsner) Pariser 9 ), Ziembicki 
und Wolpe dieselbe während des menstruellen Prozesses bedeu¬ 
tend herabgesetzt. 

Eine Herabsetzung der Salzsäurefunktion konnte Kehrer auch 

1) Arch. f. klin. Med. 1876 Bd. 18 p. 527. 

2) Quincke u. Dettwyler, Korr .-Bl. f. Schweizer Ärzte 1875. 

3) Singer, Verhandl. d. 25. Kongr. f. i. Med. Wien 6. April 1908 II. Sess. 

4) Jaworski, Wien. med. Wochenschr. 1886 Nr. 52. 

5) Kehrer, Die Beziehungen d. weibl. Sexualorgane z. Tract. intest. Berlin 

1905. 

6) Elsner, Arch. f. Verdanungskrankh. Bd. 5 p. 467. 

7) Ziembicki, Przeglad lekarski 1902 Nr. 43, cit. nach Wolpe. 

8) Wolpe, Über Steigerung d. Sekr. u. d. Acidit. d. Magensaftes während 
<1. Menstruation. Deutsche med. Wochenschr. 1908 Nr. 51. 

9) Pariser, Verhandl. des 25. Kongr. f. inn. Med. \Vien, 6. April 1908, 
II. Sess. 


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304 


Gbakdaueb 


bei Schwangeren speziell in den ersten sechs Monaten der Gravidität 
feststellen. 

Bei pathologischen Veränderungen der weiblichen Ge¬ 
schlechtsorgane können ebenfalls vorübergehende und längerdao- 
ernde Säureanomalien auf rein nervös-reflektorischem Wege zustande 
kommen. So fand Winklermeist subacide Werte bei schweren 
gynäkologischen Affektionen, während die leichteren Erkrankungen 
(ganz besonders Lageanomalien des Uterus) mit dem Krankheits¬ 
bilde der nervösen Dyspepsie in ätiologische Beziehung gebracht 
werden können (cfr. Kisch*), Sommer 8 ), Panecki 4 ), Frank 4 '. 
Freund 8 ), Eisenhart 7 ), Teilhaber u. Crämer 8 ), Braun*. 
Riegel 10 ) 

Von Erkrankungen anderer Organe kommen solche der Leber, 
des Darmes (Obstipation, Helminthiasis) und der Nieren in Betracht 
die reflektorisch den Magen meist in nervös-dyspeptiscbem Sinne 
beeinflussen können; sub- und hyperacide Werte kommen hierbei 
zur Beobachtung. Vorübergehende Subacidität fand B i e r n a c k i n i 
während der Nierenentzündung, Manassein 1 11 *) bei Fieber. 
Edinger 18 ) bei akuter Anämie. 

Es würde zu weit führen, alle jene Krankheitsbilder anznführen. 
welche vorübergehend hemmend oder steigernd auf die sekretorische 
Funktion des Magens einwirken können. Es sind das in erster 
Linie solche nervöser Natur; man denke nur an die Migräne, bei 
welcher bei sonst stets magengesunden Individuen ganz enorme 
Säuregrade auftreten können. 

1) Winkler, Über d. Ergehn, von Magenunters. bei Frauenleiden. Berl. 
klin. Wocbenscbr. Nr. 33, 1905. 

2) Kisch. Berl. klin. Wochenschr. 1883 Nr. 18. 

3) Sommer, Zentralbl. f. inn. Med. 1902 Nr. 9. 

4) Panecki, Retroftexio Uteri und Magenneurose. Therap. Mon -Hefte 1891 

5) Frank, Über den Znsammenhang zw. Genitalaffekt, d. Frauen u. Magen- 
beschwerden. Arch. f. Gyuäk. 1894. 

6) Freund, Beziehungen der weibl. Geschlechtsorgane z. den Verdaunngv 
organen. Ergebnisse d. allgein. Pathologie, Wiesbaden 1898. 

7) Eisenhart, Wechselbez. zwischen intern, u. gynäkol. Erkrankungen 18P.V 

8) Teilhaber u. Crämer, Münch, med. Wochenschr. 1893 Nr. 47 u. 48 

9) B raun, Über den Znsammenhang von Neurosen des Magens und Uteris- 
leiden. Wien. med. Wochenschr. 1886 Nr. 41. 

10) Riegel, Magenkrankheiten. 

11) Biernacki, Zentralbl. für klin. Med. 1890. 

12) Manassein, Chem. Beiträge zur Fieberlehre, Virchow’s Arch. 55. 

13) Edinger, Znr Physiologie und Pathologie des Magens. Deutsches Arch 
für klin. Med. 29 p. 566. Berl. klin. Wochenschr. 1880. 


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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menscbl. Magens etc. 305 


Zum zweiten kann ein abnormer Sekretionswechsel auch in 
Fällen konstatiert werden, bei denen ein Einfluß von anderen Or¬ 
ganen ans nicht nachweisbar ist. 

Leyden 1 ) als erster und Ewald 2 ) machten darauf auf¬ 
merksam, daß besonders bei nervös veranlagten Individuen ver¬ 
schiedene Aciditätswerte unter gleichen Bedingungen gewonnen 
werden können; beide Autoren halten sowohl einen hemmenden als 
erregenden Einfluß durch die Zentralorgane des Nervensystems für 
möglich. 

Einhorn 3 ) berichtet über 6 Fälle, wo die Anamnese eine 
Hyperacidität vermuten ließ, während die wiederholte Untersuchung 
totale Achylie ergab. Funktionelle Achylien im weiteren Sinne 
sind auch beschrieben worden von Martius und Lubarsch 4 ), 
welche auf Grund ihrer Beobachtungen die durch Drüsenatrophie 
bedingte Achylieform streng von der nervösen (Achylia gastrica 
simplex) getrennt haben wollten. In neuerer Zeit ist von Knud 
Fab er und Lange 5 ) spez. das Gebiet der rein funktionellen 
Achylie sehr eingeschränkt worden. Diese Autoren konnten in 
den meisten Fällen von Achylie krankhaft entzündliche Prozesse 
(bis zur ausgedehnten Atrophie) der Magenschleimhaut geltend 
machen, so daß vor übereilter Annahme einer rein nervösen Achylie 
gewarnt werden muß. In solchen Fällen aber, bei denen in wahl¬ 
losem Wechselsprunge an- resp. subacide Werte mit normalen oder 
gar hyperaciden wechseln, dürfte bei Zusammenfassung aller 
sonstigen nervösen Symptome an der nervösen Natur solcher Se- 
kretionsanomalien nicht zu zweifeln sein. 

Hemmeter 6 ) beschrieb als erster das Vorkommen solcher 
Schwankungen unter dem Namen „Heterochylie“. Im Anschluß 
an Hemmeter's Mitteilung beschäftigte sich Korn 7 ) mit dem 
Studium dieser Zustände; von den 13 Heterochyliefällen, die er 
veröffentlichte, konnte er in 11 ‘Fällen kein anderes Moment mit 
dem Sekretionswechsel ursächlich in Zusammenhang bringen, als 


1) Leyden, Über nervöse Dyspepsie. Berl. klin. Wochenschr. 1885 Nr. 30. 

2) Ewald, Klinik der Verdauungskrankh. II. 3. Aufl. p. 521. 

3) Einhorn, Achyl. gastr. Hyperchlorhydrie vortäuschend. Arch. f. Ver- 
dauungskrankh. Bd. 7 p. 523. 

4) Martins u. Lubarsch, Achyl. gast. Leipzig u. Wien 1897. 

5) Knud Faber u. Lange, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 66 p. 53. 

6) Hemmeter, Diseases of the stomach 2. edit. p. 870. Philadelphia 1900. 

7) Korn, Über Heterochylie. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. 8 Heft 1—2. 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 20 


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306 


Grandauer 


das rein nervöse. Ähnliche Fälle von nervöser Heterochylie haben 
Ewald 1 ), Rosenheim 2 3 ), Murdoch 8 ) u. a. mitgeteilt 

Znm dritten komme ich nun auf die oftgemachte Beobachum? 
zu sprechen, daß hei ein und demselben in jeder Beziehung nor¬ 
malen Individuum bei mehrmaliger Ausheberung zum Teil oft 
weitgehende Differenzen der verschiedenen Säuregrade gefunden 
werden, ohne daß hierfür eine Erklärung irgendwelcher Art mög¬ 
lich war. 

Rotschild 4 5 ) nahm 1886 auf Veranlassung Cahn’s an einem 
magengesunden Menschen und an sich selbst Experimente vor and 
fand, daß die Salzsäurewerte erheblich differierten, obgleich sie 
stets unter gleichen Versuchsbedingungen gewonnen wurden. Ähn¬ 
liches ist aus den Protokollen von Martius und aus den bei 
Rosenheim 6 * ) mitgeteilten Tabellen ersichtlich. Endlich nahm 
Schüle 6 ) an vier gesunden Individuen in systematischer Weise 
Sondierungen vor und kam auf Grund seiner Resultate zu dem 
Schlüsse, „daß sowohl die Werte für die gebundene als auch für 
die freie HCl, wie für die Gesamtacidität bei dem gleichen Indi¬ 
viduum und auch bei verschiedenen ganz erheblich differierten, 
ohne nachweisbare Ursachen“. 

Ich glaube nun, daß in einem großen Teil der Fälle eine Er¬ 
klärung für den genannten Aciditätswechsel wohl möglich ist. 

Herrn Professor R. May, dem ich die Anregung zu diesen 
Untersuchungen verdanke, ist es schon seit langem aufgefallen, 
daß sich relativ häufig bei der ersten Ausheberung an- resp. sub- 
acide Werte vorfinden, die jedoch auf wiederholte Ausheberungen 
hin normalen oder gar hyperaciden Werten platzmachen. Dieser 
Typus des allmählichen Ansteigens der Säuregrade bei wieder¬ 
holter Ausheberung machte ihm die Annahme glaubwürdig, daß 
bei einzelnen Individuen der Magen erst nach Gewöhnung der mit 
unangenehmen Sensationen verbundenen Exploration imstande ist. 

1) Ewald, Krankheiten des Magens III. Aufl. 1893. 

2) Kos eil heim, Pathol. und Therap. der Krankh. der Speiseröhre und des 
Magens. Berlin u. Wien 1896. 

3) Murdoch, An unusual case of Achylia gastrica. Philadelphia, Med. 
Journ. 1900. 

4) Rotschild, Unters, über das Verhalten der HCl des Magensaftes. Inaug- 
Diss. Straßburg 1886. 

5) Rose n he im, Über die Säuren des gesunden und kranken Magens ^ 
Einführung von Kohlehydraten. Virchow’s Arch. 111, 1888. 

6) Schüle, Untersuch, über d. Sekret, u. Modil. d. norm. Magens. Zeitschr. 

f. klin. Med. 1895 Bd. 28 p. 467. 


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Der hemmende Einfluli der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 307 


die gewohnten Sekretionswerte zu produzieren, nnd daß die bis zu 
diesem Zeitpunkt gewonnenen Aciditätsgrade als Effekt einer auf 
psychischem Wege entstandenen Hemmung der Drüsenfunktion 
anzusehen sind. 

Ich begann vorerst meine Untersuchungen in der Weise, daß 
ich ähnlich wie Schule einige Patienten (magengesunde und 
-kranke) einer Ausheberung zu wiederholtem Male unterzog und 
diese erhaltenen Werte miteinander verglich. 


Tabelle. 


Nr. 

Zahl der 
Ausheberung 

freie HCl 

Total¬ 

acidität 

Diagnose 

1 

1. Ausheberung 

30 

40 

Magengesuncl. 


2 . 

77 

36 

44 

■ 


3. 


38 

54 



4. 

n 

36 

56 


2_ 

1 . 

n 

38 

58 

Magengesund. 


2. 


32 

54 



3. 

n 

32 

44 


3 

1 . 

rt 

40 

60 

Magengesund. 


2. 

v 

38 

64 



3. 

rt 

44 

62 



4. 

n 

28 

42 


4 

1 . 

rt 

10 

22 

Magengesund. 


2. 

77 

20 

28 



3. 

77 

28 

48 



4. 

n 

26 

52 


5 

1 . 

rt 

22 

34 

Magengesund. 


2. 

n 

28 

36 



3. 


40 

58 



4. 

rt 

38 

62 


8 

1. 

rt 

30 

1 40 

Gastroptose, Ren. mob. T 


2. 

n 

32 

60 

Neurasthenia univ. 


3. 

77 

40 

60 



4. 

n 

40 

! 60 


7 

1 . 

77 

44 

64 

Ulcus ventriculi. 


2. 

77 

36 

60 

i 


3. 

77 

32 

52 

i 


4. 

rt 

48 

56 

1 

8 

1 . 

„ ! 

10 

28 

1 Subaciditas ventr., 


2 

1 

77 I 

18 

38 

Neurasthenia univ. 


S. 

1 

n 1 

12 

24 


9 

1 . 

l 

77 

34 

54 

Gastritis acida. 


2. 

n i 

18 

34 



3. 

rt 

30 

64 



20 ' 


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308 


Grandauer 


Nr. 

Zahl der 
Aasheberang 

freie HCl 

Total¬ 

acidität 

Diagnose 

10 

1- 

36 ! 

56 

Hyperacidität 


2. 

48 

58 



3. 

64 

70 


11 

1. 

28 

52 

Digest. Hypersekr. 


2. 

48 

84 



3. 

1 38 

68 



4. 

34 

68 

i 



Aus dieser Tabelle ist in manchen Fällen ein Ansteigen der 
Säurewerte, in anderen ein Sinken derselben zu konstatieren, 
wieder andere lassen in ihrem Aciditätswechsel kein eigentliche? 
System erkennen. 

Woher kommen diese scheinbar wahllosen Wechselsprünge in 
der Acidität? 

Ausgehend von der durch Pawlow 1 ) erbrachten Tatsache, 
daß der Magendrüsenapparat einer psychischen Einwirkung in dem 
Sinne untersteht, daß er auf psychischem Wege in Gang gesetzt 
resp. seine bereits angeregte Tätigkeit gesteigert werden kann, 
hielten verschiedene Autoren auch eine Unterdrückung resp. 
Hemmung der Magensaftsekretion infolge psychischer Affekte für 
möglich. Dies konnte, wie wir später sehen werden, am Hunde 
und am Menschen experimentell erhärtet werden. Die Beobachtun?, 
daß wir bei gewissen Individuen erst nach wiederholter Aus¬ 
heberung jene Sekretionswerte zu Gesicht bekommen, wie sie der 
Funktionstüchtigkeit des Magens im jeweiligen Falle normalerweise 
zukommen, findet somit ihre beste Erklärung in der Annahme, dafi 
die Angst und Furcht vor der Ausheberung wohl imstande ist, die 
Sekretionswerte herabzudrücken. Die Möglichkeit einer derartigen 
psychischen Hemmung liegt sehr nahe und ist um so mehr begreif¬ 
lich, wenn man in Erwägung zieht, daß die unangenehmen Emp¬ 
findungen, die tatsächlich eine Ausheberung begleiten, vielen 
Menschen als Schreckgespenst vor Augen stehen. Gerade die¬ 
jenigen, welche sich ihre Vorstellung über diese Prozedur aus zn- 
fällig Gehörtem bilden, sind besonders eingeschüchtert und mau 
bedenke nur, daß bei vielen das unglücklich gewählte Wort .aus- 
pumpen“ allein schon genügt, die abschreckendsten Vorstellungen 


1) Pawlow, Arbeit der Verdauungsdriisen. 


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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 309 


wachzurufen. So kommt es, daß sich die meisten Patienten in der Zeit 
vor der Ausheberung in einer ängstlichen Stimmung befinden, deren 
Grad natürlich individuell verschieden ist. Es kann somit in der 
Zeit zwischen Ein* und Entnahme des Probefrühstücks die psychische 
Energie 1 ) mehr oder weniger auf die Vorstellung der zu erwartenden 
unangenehmen Prozedur konzentriert werden, woraus eine mehr oder 
weniger starke Hemmung der Saftsekretion resultiert. Diese 
psychische Hemmung auszuschalten war Grundbedingung für meine 
Versuchsanordnungen. Nun hat unsPawlow durch seine idealen 
Versuchsanordnungen gezeigt, mit welchem Raffinement vorgegangen 
werden muß, um einen von der Reizwirkung der Psyche nicht be¬ 
einflußten Saft zu erhalten. In unseren Fällen galt es, jene 
psychischen Momente auszuschalten, die ev. lähmend resp. ab¬ 
schwächend auf die Drüsenfunktion wirken können und der 
psychischen Reizwirkung, die normalerweise bei der Nahrungs¬ 
aufnahme im Sekretionsmechanismus eine wichtige Rolle spielt, 
keine Hindernisse in den Weg zu stellen. Um dieser Bedingung 
gerecht zu werden, mußten die einzelnen Versuchspersonen der Ex¬ 
ploration unterzogen werden, ohne daß sie sich in der Zeit zwischen 
Ein- und Entnahme des Probefrühstücks meines Vorhabens bewußt 
wurden. Da aber die Magenausheberung eine in Krankenhäusern 
und Sprechstunden sehr häufig geübte Prozedur ist, sind auch die 
Vorbereitungen hierzu in allen Volksschichten hinlänglich bekannt, 
was eine Täuschung der Versuchsperson sehr erschwert So 
machten die meisten meiner Versuchspersonen nach erfolgter Ex¬ 
ploration die Angabe, daß sie sehr wohl gewußt haben, zu welchem 
Zwecke sie nüchtern kommen resp. ein Probefrühstück zu sich 
nehmen mußten. Die einen waren früher schon ausgehebert worden, 
die anderen wußten vom Hörensagen den wahren Sachverhalt, 
wieder andere wurden erst in der Poliklinik durch mitanwesende 
Kranke unterrichtet. Um doch zum Ziele zu gelangen, verfuhr ich 
folgendermaßen: 

Die Versuchsperson wurde nüchtern bestellt ohne jede weitere 
Aufklärung. Nach Möglichkeit wurde eine Isolierung versucht, 
um eine Orientierung durch Mitanwesende zu verhindern. Nach 
erfolgter Expression wurde jeder einzelne eingehend befragt, ob 


1) Für die angewendete psychologische Terminologie nnd die später fol¬ 
genden psychologischen Ausführungen vergleiche Theodor Lipps, Leitfaden der 
Psychologie (Leipzig) und Wilhelm Wundt, Grundzüge der physiologischen 
Psychologie (Leipzig). 


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310 


Grandaukr 


er von der Ausheberung gewußt habe. Die wenigen Fälle, die 
absolut ahnungslos waren, wurden anderen Tags abermals nüchtere 
bestellt mit dem Bemerken, daß eine zweite Ausheberung nötig sei. 
Die durch die erste Ausheberung gewonnenen Aciditätswerte 
konnten als die eines psychisch normal beeinflußten Magens an¬ 
gesehen werden. Die durch die zweite Ausheberung erhaltenen Werte 
jedoch mußten je nach der Aussage der Versuchsperson betreffs 
eines ev. bestandenen Angstgefühls als Produkte eines psychisch 
gehemmten Drüsenapparates angesehen werden (Gruppe A). Alle 
übrigen nicht in diese Gruppe einschlägigen Fälle — also alle jene, 
welche schon von der ersten Ausheberung unterrichtet waren - 
wurden ebenfalls auf den nächsten Tag nochmals nüchtern unter 
irgend einem Vorwände bestellt mit der ausdrücklichen Versiche¬ 
rung, daß eine zweite Ausheberung nicht mehr stattfinde. Um 
dies glaubhaft erscheinen zu lassen, wurde anderen Tags eine äußere 
Untersuchung der Magengegend vorgenommen und dann das Probe¬ 
frühstück gereicht, angeblich nur, um den Patienten nicht all¬ 
zulange nüchtern warten zu lassen, oder aber weil eine äußere 
Untersuchung des gefüllten Magens vorgenommen werden müßte 
usw. Es würde zu weit führen, alle Varianten der Versuchs- 
anordnung (spez. bei den in Gruppe B einschlägigen Fällen 
aufzuzählen, welche sich mir im Laufe der Zeit als praktisch er¬ 
wiesen haben. 

Selbstverständlich waren meine Bemühungen, die Psyche voll¬ 
ständig auszuschalten, nicht immer erfolgreich. Viele Patienten, 
speziell magengesunde, weigerten sich kurz vor der Sondenein- 
führung, eine Ausheberung an sich vornehmen zu lassen; wieder 
andere blieben auf die erste Ausheberung aus. In den folgenden 
Tabellen sind nur jene Fälle verzeichnet, bei denen das eine oder 
andere Mal mit absoluter Sicherheit psychische Hemmungen aus- 
zuschalten waren. Diese Fälle zu erkennen war nicht schwer, 
da nach jeder Ausheberung durch eingehendes Befragen des Pa¬ 
tienten eruiert werden konnte, ob er von der Ausheberung gewußt 
habe oder nicht, resp. ob in der Zeit zwischen Ein- und Entnahme 
des Probefrühstückes mehr oder weniger starkes Angstgefühl be¬ 
standen habe; hierbei fanden nervöse Veranlagung und alle Mo¬ 
mente, die ev. die psychische Hemmwirkung steigern konnten, 
genaueste Berücksichtigung. 


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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 31X 


Tabelle. 1 ) 

Gruppe A. 


Lfd. 

Nr. 

Versuchs¬ 

bedingungen 

freie 

HCl 

Gesamt¬ 

acidität 

Diagnose 

Bemerkungen 

1 

a) Ohne Wissen! Noch 

30 

40 

Magengesund, 

Pat. weigert sich ein 

weibl. 

nie ausgehebert. 



allg. Nervosi- 

4. Mal ausgehebert zu 

28 J. 

b) Mit Wissen! Angst! 

16 

36 j 

tat. 

werden. 


c) M. W.! Angst! 


12 



2 

a) 0. W.! Noch nie 

40 

60 

Magengesund, 

Pat. kam wegen all- 

weibl. 

ansgehebert. 



Hy. 

gemeiner nervöser Be- 

24 J. |b) M. W. Angst! 

30 

60 


schwerd. Globusgefühl. 

3 

a) 0. W. 

16 

40 

Magengesund. 


männl. 

b) M. W. 

10 

32 

1 


27 J. 






4 

a) 0. W. 

24 

48 

Magengesund, 

Pat. gibt an bei psych. 

weibl. 

b) M. W. Starke 

40 

66 

Bronchitis. 

Aufregungen saures 

41 J. 

Angst! 




Aufstoßen zu haben. 

5 

a) 0. W. 

14 

40 

Magengesnnd, 


männl. 

b) M. W. Keine 

16 

42 

Neurasthenia 


18 J. 

Angst. 



vasomotor. 


6 

a) 0. W.! 

25 

44 

Magengesund. 


männl. 

b) M. W.! Etwas 

25 

50 



36 J. 

Angst. 






c) M.W. Keine Angst. 

22 

48 




dl M. W.! Keine 

24 

46 




Angst. 

1 




7 

a) 0. W. 

! 24 

44 

Magengesnnd, 


weibl. 

b) M. W. Angst! 

24 

42 

Oystitis. 


48 J. 






8 

a) 0. W. Noch nie 

r 38 

i 58 

Magengesund. 


männl. 

ausgehebert. 





28 J. 

b) M. W. Angst. 

18 

i 26 




c) M. W. 

24 

' 38 


i 


d) M. W. (Keine 

, 36 

; 60 


, 


Angst mehr.) 


i 



9 

a) 0. W. Noch nie 

: 24 

44 

Magengesund. 


weibl. 

ansgehebert. 




' 

3t J. 

b) M. W. 

20 

38 



10 

a) 0. W. Noch nie 14 

18 

Subacidität. 


männl. 

ausgehebert. 

| 



i 

50 J. 

b)M. W. Angst. 

12 

12 



11 

a) 0. W. Noch nie 

' 64 

90 

Gastropt. 

Später Besserung auf 

weibl. 

ansgehebert. 

! 

1 

Ben. mob. 

Mastkur und Iiejbbmde. 

28 J. 

b) M. W. Starke 

j 50 

76 

Atonie. Per¬ 



Angst. 

t 

1 

acidität. Neur¬ 



c) M. W. Weniger 

i 56 

82 

asthenia univ. 

j 


Angst. 

1 




12 

a) 0. W. Früher 

44 

68 

Glenard’sche 


weibl. 

9chon einmal aus- 

1 


Krankheit. 


32 J. 

gehebert. 




j 


b) M. W. Angst. 

40 

52 




1) M. W. = Mit Wissen. 0. W. = Ohne Wissen. 


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312 


Grahdaueb 


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Lfd. 

Nr. 

Versuchs¬ 

bedingungen 

freie 

HCl 

Gesamt¬ 

acidität 

Diagnose 

i 

Bemerkungen 

13 

a) 0. W. Früher 


16 

Snbacidität. 


weibl. 

schon ausgehebert. 





29 J. 

b) M. W. Angst! 

— 

10 



14 

a) 0. W. Noch nie 

54 

74 

Hyperacidität, 

Pat. kam wegen tv- 

männl. 

ausgehebert. 



Adipositas 

pischer Hyperaciditlö- 

34 J. 

b) M. W. Starke 

40 

55 

corp. 

besch werden. 


Angst! 





15 

a) 0. W. Noch nie 

66 

72 

Hyperacidität. 

Die Hyperaciditätsbe- 

weibl. 

aasgehebert. 




sehwerden ließen aof 

35 J. 

b) M. W. Angst! 

28 

32 


entspr. Diät u. niedi«: 






Therapie erheblich nacL 

16 

a) 0. W. Noch nie 

90 

100 

Hyperacidität, 

StarkeHyperacidität- 

männl. 

ansgehebert. 



Emphysem, 

beschwerden. 

51 J. 

b) M. W. Stuke 

60 

76 

Arterioskle- 



Angst. 



rose, Prostata- 






hypertrophie. 


17 

a) 0. W. Noch nie 

32 

58 

Periodisches 

Auf Ort wechsel ■ inner- 

weibl. 

aasgehebert. 



Erbrechen, 

lieh Brom) bedeutende 

33 J. 

b) M. W. Starke 

22 

42 

Gastralgia 

Besserung. 


Angst. 



nervosa. 


18 

a) 0. W. Schon früher 

— 

24 

Snbacidität. 


männl. 

öfters ansgehebert. 





40 J. 

b) M. W. Angst. 

24 

48 




c) M. W. Keine Angst. 

22 

42 

| 


19 

a) 0. W. Noch nie 

l _ 

— 

Ca. ventr. 

Tumor! Milchsäure— 

männl. 

ausgehebert. 

| 


! (große Kur¬ 


56 J. 

b) M. W. Angst! 

_ 

— 

vatur). 

i 

20 

a) 0: W. Früher schon 

— 


Achylia gastr. 


männl. | 

i öfters ausgehebert. 





57 J. 

b) M. W. Angst. 

— 

— 



21 

a) O.W. Noch nie 

44 

76 

Ulcus ventr. 


weibl. 

ausgehebert. 



(Pylorus- 


24 J. 

b) M. W. Angst. 

46 

74 

gegend). 


22 

a) 0. W. Noch nie 

50 

78 

Ulcus ventr. 

Vor 3 Jahren Ulen* 

männl. 

ausgehebert. 




mit Hämatemesis. 

28 J. 

b) M. W. Starke 

22 

58 




Angst. 





23 

a) O.W. Früher schon 

40 

62 

Periodisches 


weibl. 

ausgehebert. 



Erbrechen, 


26 J. 

b) M. W. Starke 

38 

48 

Neurasth. 



Angst. 



gravis. 


24 

a) 0. W. Noch nie 

55 

85 

Gastritis acida. 

Starker ilkohol- und 

männl. 

ausgehebert. 

( 



Nikotinabusus. 

37 J. 

b) M. W. Wenig 

i 60 

90 




Angst. 





25 

al 0. W. Noch nie 

22 

44 

1 Gastro¬ 


männl. 

ausgehebert. 

i 


enteritis acuta. 


26 J. 

b) M. w. Starke 

1 12 

34 




Angst. 





26 

a) O.W. Schon früher, 

— 

18 

Subacidität. 


weibl. 

ausgehebert. 





50 J. 

b) M.W. Keine Angst. 

— 

18 

| 



c) M. W. 

' — 

20 




Gck 'gle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



Der hemmende Einilaß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 313 


Lfd. 

Nr. 

| Versuchs¬ 

bedingungen 

freie 

HCl 

Gesamt -1 
acidität 1 

Diagnose 

Bemerkungen 

27 

a) 0. W. Noch nie 

24 

48 

Gastritis 


männl. 

aasgehebert, 
b) M. W. Angst. 



chron. 


40 J. 

18 

40 1 



28 

a) O. W. Noch nie 

48 > 

76 1 

Hyperacidität. 

Typische Hyperacidi¬ 
tätsbeschwerden. 

weibl. 
33 J. 

ansgehebert, 
b) M. W. Etwas 

50 

74 




Angst. 



| 


29 

weibl. 

a) 0. W. Noch nie 
ansgehebert. 

b) M. W. Angst. 

66 

| 

84 

Hyperacidität, 
aig. Hyper- i 


34 J. 

40 | 

66 

Sekretion. | 


i 

c) M. W. Angst. 

42 1 

64 



30 I 

a) 0. W. Noch nicht 

55 

74 

Gastritis acida. 

Starker Alkohol- und 

männl. 

ansgehebert, 
b) M. W. Starke 


! 


Nikotinabnsus. Pat. 

37 J. 

24 

44 

Ihatte sehr starken 


Angst. 


38 

i 

i Würgreflex während des 


c) M. W. 

34 


Ausheberns und ent- 

I 

d) M. W. 

22 

42 


schloß sich jedesmal 
äußerst ungern dazu. 



Gruppe B. 


1 

a) M. W. Angst! 

70 

75 

Arthritis urica, 

Von seiten des Magens 

weibl. 

b) 0. W. 

74 

84 

Digestive 

keinerlei Beschwerden. 

44 J. 




Hypersekret. 


2 

weibl. 

a) M. W. Angst. 

b) M. W. Angst. 

8 

4 

18 

14 

Magen gesund 
(Bronchitis 


22 J. 

c) 0. W. | 

35 

45 

acuta). 



d) M. W. Angst. 

12 

! 

20 

! 

3 

a) M. W. Angst. Noch 

40 • 

52 

Magengesnnd. 


weibl. 

nie ansgehebert. 




29 J. 

b) 0. W. 

40 

60 



4 

a) M. W. Angst. (Noch 

33 

50 

Magen gesund, 


männl. 

nie ansgehebert.) 



akute 


30 J. 

b) 0. W. 

36 

56 

Bronchitis. 



c) M. W. Keine Angst 

40 

| 52 




mehr. 




i 

i 

5 

a) M. W. Angst! (Noch 16 

38 

Neurasthenie, 


weibl. 

nie ausgehebert.) 



Magengesund. 


40 J. 

b) 0. W. 

| 20 

44 


i 

6 

a) M. W. Keine 

I 26 

40 

Aorteninsuffic.| 

männl. 

Angst! Früh, schon I 


Magengesund.; 

40 J. 

einmal exprimiert. 
b) 0. W. 

1 28 

42 


1 

7 

a) M. W. Angst. Noch 

16 

36 

Magengesund. 


weibl. 

nie ansgehebert. 


1 

Aorta angU8ta, 
Tropfenherz, 
Erethismus 


34 J. 

b) 0. W. 

22 

44 



c) M. W. Keine Angst 

28 

44 



mehr. 

t 

i 


cord. 


8 

ja) M.W. Starke Angst. 

22 

40 

Magengesund, 

Nervöse Beschwerden, 

weibl. 

(Noch nie ansgeheb.) i 


Neurasth. 

Mattigkeit usw. 

31 J. 

b) 0. W. 

44 

62 




c) M. W. 

30 

38 




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Gck 'gle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



314 


Gbandaukr 


Digitized by 


Lfd. 

Nr. 

Versuchs- 

bedingungen 

freie 

HCl 

Gesamt¬ 

acidität 

Diagnose 

Bemerkungen 

9 

a) M. W. Wenig 

30 

58 

Magengesnnd. 


männl. 

Angst! (Noch nie 




56 J. 

ausgehebert.) 
b) 0. W. 

38 

58 



10 

a) M. W. Angst. 

b) 0. W. Angst! 

34 

50 

Cholelithiasis, 

Magengesund. 

Pat. gibt an, das - 

weibl. 

1 18 

36 

Mal bedeutend mehr 

40 J. 

c) M. W. Angst. 

1 34 

1 

58 

Angst gehabt zu haben 
als das 1. und 3 Mal 







wegen der Ungewißieit 


1 




„ob Sie nicht doch ao>- 
gehebert wird.“ 

11 

a) M. W. Angst. (Noch 

16 

22 

Magengesund 


männl. 
19 J. 

nie ausgenebert.) 
b) 0. W. 

38 

48 

(Angina 

follicul.) 



c) M. W. 

18 

22 


12 

a) M. W. (Angst!) 

12 

26 

Magengesund, 

Eine 3. Ausheberung 

weibl. 

(Noch nie ausgeh.) 



Nihil. 

wird verweigert. 

19 J. 

b) 0. W. 

40 

62 


13 

a) M. W. Etwas 

26 

48 

Nihil. 


männl. 

Angst. (Noch nie 

| 


Magen gesund. 


28 J. 

ausgehebert.) 
bl 0. W. Keine Angst. 

25 

48 




c) M.W. Keine Angst. 

30 

46 



14 

a) M. W. (Starke 

24 

38 

Magen gesund, 

Ca. V vor der L Aus¬ 

weibl. 

Angst!) (Noch nie 



Nihil. 

heberung war Pat. 

24 J. 

ansgehebert.) 


58 


Ohrenzeuge e. Expres¬ 


b) 0. W. 

44 


sion, worauf sich stark« 


c) M. W. Starke 

22 

48 


Angstgefühl einstellte. 


Angst. 

1 



15 

a) M. W. Angst. 

1 32 1 

44 

Ulcus ventri- 

Vor 8 Wochen Häms- 

weibl. 

(Früher schon aus¬ 

l 


culi. 

teinesis. 

44 J. 

gehebert.) 
b) 0. W. 

1 

40 

52 


1 

16 

a) M. W. Angst!!! 

1 

— 

Hyperemesis 


weibl. 

(Schon früher aus¬ 

. 


gravid, Hy. 


24 J. 

gehebert.) 
b) 0. W. 

12 

16 



17 

a) M. W. Angst! 

34 

52 

Chronische 1 


männl. 

Früher öfters aus¬ 


1 

1 

Diarrh. 


57 J. 

gehebert. 


1 

■ 1 

! 


b) 0. W. 

44 

64 ; 

1 

1 

18 i 

a) M.W. Wenig Angst. 

12 | 

36 

Digestive 


weibl. 

(Noch nie ausgeh.V 


1 

Hypers., 


28 J. 

b) 0. W. 

16 

46 

Ulcus ventr. ? 



c) M. W. (Gewöh¬ 

30 

50 1 

j 

1 


nung?!) 

1 


! 

1 

19 

a) M. W. Angst. 

— 

12 1 

Subacidität, 

Diät u. HCl-Therapie 

weibl. b) 0. W. 

— 

16 i 

Catarrh. ap. 

von gutem Erfolg. 

35 J. 

c) M.W. Keine Angst 

— 

44. 

sin. 


mehr. Bouillon- 



1 



frühstück. 


i 

i 


Gck 'gle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 315 


Lfd. 

Nr. 

Versuchs¬ 

bedingungen 

freie 

HCl 

Gesamt¬ 

acidität 

Diagnose 

Bemerkungen 

20 

a) M.W. Wenig Angst. 

34 

52 

Chron. Diarrh. 

Pat. gibt an, sehr 

männl. 

Schon öfters aus- 



nervös zu sein. 

44 J. 

gehebert. 



■ 



b) 0. W. 

44 

64 



21 

a) M. W. Starke 

— 

10 

Hyperacidität, 

Pat. läßt sich beim 

männl. 

Angst. 



Digest. 

1. Mal nur auf Zureden 

42 J. 

b) 0. W. 

32 

52 

Hypersekr. 

hin aushebern. Pat. 


e) M. W. Angst. 

12 

26 

leidet a. typisch. Hyper¬ 
aciditätsbeschwerden. 


22 

a) M.W. Keine Angst. 

— 

7 

Care, ventr. 

Milchsäure -{-. Mikro- 

weibl. b) 0. W. 

— 

5 

(Pylorus- 

skop. Stagnation im 

53 J. 




gegend). 

nüchternen Magen. 

23 

a) M. W. Starke 

24 

38 

Enteritis mem- 


weibl. 

Angst. 



branacea. 


34 J. 

b) 0. W. 

26 

46 



24 

a) M. W. Starke 

10 

30 

Hyperacidität. 


männl. 

Angst. 




29 J. 

b) 0. W. 

50 

64 



c) M. W. Starke 

22 

28 




Angst. 





25 

a) M. W. Starke 

— 

22 

Nervöse Dys- 

Pat. fühlt sich auf die 

weibl. 
34 J. 

Angst, 
b) 0. W. 

40 

58 

pepsie, 

Vomitus 

mehrmalige Aushebe¬ 
rung bedeutend besser, 


c) M. W. Wenig 

28 

44 

nervosus. 

sie erbricht auch nicht 


Angst. 




mehr. 

26 

a) M. W. Angst. Schon 

— 

— 

Achylia gastr. 


männl. 

öfters aasgehebert. 




54 J. 

b) 0. W. 

— 

— 



27 

a) M. W. Keine 

36 

54 

Gastroptose 


weibl. 

Angst (?). 



Ren. mob. 


44 J. 

b) 0. W. Keine Angst. 

40 

44 




c) M. W. Keine Angst. 

38 

48 



28 

a) M W. Starke 

! 22 

44 

Subaciditas 


weibl. 

Angst. 

i 


ventr., Gastro- 


25 J. 

b) 0. W. 

10 

16 

gene Diarrh. 



c) M. W. Angst! 

36 

56 


29 

a) M.W. Et was Angst. 

24 

48 

Gastritis 

i 

männl. 

b) 0. W. 

24 

44 

acuta. 


34 J. 






30 

a) M. W. Angst. 

26 

42 

Hyperemesis 

i 

weibl. !b) 0. W. 

' 36 

54 

gravidar. 

i 

25 J. 

c) M. W. Noch etwas 

| 36 

54 



Angst. 

1 


| Digest. Hyper¬ 


31 

a) M. W. Wenig 

26 

40 

| Schon früher öfters 

weibl. 

Angst, 
b) 0. W. 



sekretion, 

Hämatemesis. Erst nach 

27 J. 

36 

44 

, Ulcus ventri- 

der 2. Ausheberung ab¬ 




I culi. 

1 

normer Schichtungs¬ 
quotient. 


32 

a) M. W. Starke 

16 

20 

Digestive 

Das 3. Mal nicht mehr 

weibl. 

Angst. Noch nie 



Hypersekre¬ 

so sehr ängstlich als das 

34 J. 

ausgehebert, 
b) 0. W. 

. 46 

66 

tion (Ulcus?). 

1. Mal. 

1 


c) M. W. Angst. 

: 56 

62 




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316 


Grandauer 


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Lfd. 

Nr. 

Versuchs- 

bedingnngen 

freie 

HCl 

Gesamt¬ 

acidität 

Diagnose 

Bemerkungen 

33 

la) M. W. Wenig 

_ 

4 

Snbacidität, 

Vom Magen ans nur 

weibl. 

Angst (?). 

b) M. W. Keine Augst. 



Enteritis mem- 

sehr wenig Beschwer' 

35 J. 

— 

5 

branacea, Ben. 

den. 


c) 0. W. 

4 

24 

mob., Gastr. 


34 

a) M. W. Angeblich 

70 

84 

1 Hyperacidität. 


männl. 

keine Angst. 




37 J. 

'b) 0. W. 

90 

114 

1 


35 

la) M. W. Keine 

5 

25 

Glenard’sche 


weibl. 
37 J. 

Angst (?). 
b) 0. W. 

1 i 

16 

1 

32 

Krankheit 

1 

36 

a) M. W. Angst! 

30 

54 

Leichte Gas- 


weibl. 

b) 0. W. 

18 

38 

jtropt, Atonie, 


44 .J. 

c) M. W. Angst. 

28 

56 

Neurasth.univ. 


37 

a) M.W. StarkeAngst. 

32 

56 

! Glenard’sche 


weibl. 
28 J. 

b) 0. W. 

38 

64 

Krankheit 


38 

männl. 

a) M. W. Keine 
Angst (?). 

b) 0. W. 

— 

20 

Snbacidität. 

i 

40 J. 

4 

40 


1 

39 

a) M.W. Keine Angst. 

66 

84 

Hyperacidität. 


männl. 
30 J. 

b) 0. W. 

68 

88 



40 

a) M.W.Angst!(Noch 

36 

48 

Hyperacidität. 

! 

weibl. 

nie ansgehebert.) 




21 J. 

b) 0. W. 

44 

68 j 



41 

männl. 
l 29 J. 

a) M. W. Keine 
Angst! (Noch nie 
ansgehebert.) 

b) 0. W. 

36 

1 

54 

1 

Ulcns ventr. 
(Verdacht!). 


38 

[ 

«54 



42 

a) M. W. Angst. 

_ 

. - 

Tbc. pulmon. 
num (Il.Stad.), 


weibl. 

(Früher schon ans¬ 




38 J. 

gehebert.) 
b) 0. W. 

— 

— 1 

Achylia gastr. 

i 

43 

a) M.W. StarkeAngst. 

20 

46 

Ulcus ventr. 


weibl. 

(Noch nie ausgeh.) 



1 


23 J. 

b) Ö. W. 

30 

52 

1 

i 


44 

1 

a) M. W. Angst! 

26 

34 

j 

Digestive | 

Schichtnngsqnotient 

weibl. 

b) 0. W. 

28 

44 

Hyper¬ 

erst nach der 2. Aus¬ 

38 J. 

1 


i 

sekretion. 

1 

heberung sehr niedrig. 
Das 2. Mal nach Angabe 
d. Pat. starkes Brennen 
im Magen und die 
Speiseröhre entlang 








während der Verdauung 
und nach der Aus¬ 

1 


i 


1 

heberung; das 1. W 
hatte Pat darüber sv 
nicht zu klagen. 


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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 317 


Lfd. Versuchs- 

Nr. bedingungen 

freie 

HCl 

Gesamt-1 
acidität' 

Diagnose Bemerkungen 

45 a) M. W. Angst. 



Achylia gastr 

männl. b) 0. W. 

— 

— 


64 J. 




46 a) M. W. Sehr starke 

14 

20 

Ulcus veutr. Pat. ging vor der 

männl. Angst. (Noch nie 



1. Ausheberung auf- 

34 J. ansgehebert.) 



geregt im Zimmer auf 

b) 0. W. 

20 

60 

und ab. 

47 aj M. W. Sehr starke 

16 

22 

Hv., nervöse Pat. bekam nach der 

weibl. Angst. 



Dyspepsie. 1. Ausheberung einen 

18 J. b) 0. W. 

30 

64 

typ. hy. Anfall. 

48 a) M. W. Keine Angst. 

— 

14 

Subaciditas Nüchtern Speisereste. 

männl b) 0. W. 

— 

15 

ventr., Ca.- Abmagerung. Hb50°/ o . 

50 J. c) M. W. Keine Angst. 

— 

16 

Verdacht. 

49 a) M. W. Wenig 

26 

44 

Hernia Starke Säureschmer- 

männl. Angst. 



epigastr., Dig. zen. 

34 ,T. b) 0. W. 

28 

40 

Hypersekret. 

c) M.W. Keine Angst. 

28 

44 


50 a) M. W. Starke 

22 

42 

Nervöse Dysp. 

weibl. Angst. (Noch nie 




32 J. ansgehebert.) 




b) 0. W. 

34 

62 


c) M. W. 

28 

48 


d) M. W. 

30 

52 


51 a) M. W. Starke 

12 

26 

Eructatio 

weibl. Angst. 



nervosa. 

38 J. b) 0. W. , 

38 

64 



Schon bei grober Durchsicht der Tabellen fällt auf. daß sich 
in Gruppe A die durch die 2. (ev. auch 3. und 4.) Ausheberung 
gewonnenen Säurezahlen in der überwiegenden Mehrzahl erheblich 
niedriger belaufen als die durch die 1. Ausheberung gewonnenen. 
In Gruppe B ist bei einer großen Anzahl von Fällen gerade das 
Gegenteil ersichtlich. Diese auf den ersten Blick zu erkennende 
Tatsache allein macht schon die Annahme äußerst glaubwürdig, 
daß die jeweilige Aciditätsverminderung den physiologischen Effekt 
der oben besprochenen psychischen Hemmung darstellt. Bei ge¬ 
nauerer Betrachtung der einzelnen Fälle ist ohne weiteres die Coin- 
cidenz des dem Angstgefühl zugrunde liegenden psychischen Vor¬ 
ganges mit der physiologischen Erscheinung der Verminderung der 
Säurewerte ersichtlich, abgesehen von einigen Ausnahmefällen 
(Gruppe A Nr. 4, Gruppe B Nr. 10, 28, 36), bei welchen der psychische 
Affekt eine Überproduktion von Säure auslöste. Bei wiederholter 
Ausheberung kann die Abnahme des Angstgefühls wieder ein An¬ 
steigen der Acidität (so in Gruppe A Nr. 8, 11,18, Gruppe B Nr. 4, 


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318 


Grandauer 


7, 13, 18, 19, 21, 25, 30, 32, 50, 51) bedingen; umgekehrt kann eine 
mehrmals vorgenommene Expression den Patienten immermehr ein¬ 
schüchtern (besonders solche, welche die Prozedur als sehr un¬ 
angenehm empfinden), was wieder ein Ansteigen der Acidität ver¬ 
hindert (Gruppe A Nr. 30, Gruppe B Nr. 2, 11,14, 24, 33). Zweifellos 
spielt nervöse Veranlagung eine wichtige Rolle, weshalb Frauen 
einer psychischen Hemmung häufiger unterworfen sein werden als 
Männer und bei ihnen die Hemmungswirkung eine intensivere sein 
dürfte (cfr. Tabellen). Weiterhin ist leicht einzusehen, daß ein 
Magen, dessen Drüsenfunktion gestört ist, ganz besonders wenn 
diese Störung einer Herabsetzung seiner Funktionstüchtigkeit 
gleichkommt, auf den psychischen Affekt leichter und intensiver 
mit der Abscheidung eines minderwertigen Sekretes antwortet als 
ein völlig gesunder Magen. Wie wir später sehen werden, beruht 
die psychische Hemmung zum großen Teil auf einer Unterdrückung 
resp. Ablenkung der psychisch bedingten Saftsekretion — eine 
hemmende Wirkung wird sich somit um so mehr geltend machen 
bei Fällen, in denen an und für sich die Eßlust mehr oder weniger 
herabgesetzt ist 

Es soll hier nicht erörtert werden, ob die Verminderung der 
Säuregrade auf einer Quantitäts- oder Qualitätsstörung der ab¬ 
gesonderten Sekretsmengen basiert. Im großen und ganzen ist 
heute fast allgemein die Anschauung vertreten, daß der prozen¬ 
tische Säuregehalt des Magensaftes nur geringen Schwankungen 
unterworfen sei, vielmehr sämtliche Säureanomalien den Effekt einer 
quantitativen Saftveränderung (event. kombiniert mit Motilitäts¬ 
störungen) darstellen (cf. Bickel 1 ), Rubow 2 3 ). Für die von 
Fleischern. Möller 8 ) vertretene Ansicht, daß in gewrissen Fällen 
noch ein zweiter Faktor für die Entstehung der verschiedenen 
Aciditätswerte verantwortlich gemacht werden müsse, nämlich ein 
sekundär in den Magen ergoßener Flüssigkeitszuwachs, können 
event. zwei meiner Fälle Verwertung finden (Nr. 31, 44 (Gruppe Bi). 
In diesen Fällen handelte es sich um eine „Hyperaciditas larvata"*, 
jene von H. Strauß 4 * ) differenzierte Gruppe von digestiver Hyper¬ 
sekretion, bei welcher eine Transsudation von neutraler Flüssig- 

1) Bickel, Verhandl. des Kongr. f. innere Med. Wiesbaden 1906. 

Berliner Klinik 19. Jahrgang II. 230. 

2j Rubow, Arch. f. Verdauungskranhh. 1906 Bd. 12, ebenda 1907 Bd. 11 

3 ) Fleischer u. Möller, Zur Beurteilung der Entstehung der Soper- 

aeidität des Magens. Med. Klinik 1908 Nr. 37. 

4i Strauß, cfr. Tnchendler, Deutsche med. Wochenschr. 1899 Nr. 24. 


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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 319 


keit, die den ursprünglich hyperaciden Magensaft verdünnt, als 
Folge einer gesteigerten Drüsenfunktion auftritt. In den genannten 
Fällen trat ein abnormer Schichtungsquotient erst nach der 2. Aus¬ 
heberung auf, während sich die Aciditätswerte jedesmal in den 
Grenzen des Normalen bewegten; hieraus resultiert eine Verdünnung 
des Sekretes durch den oben besprochenen Flüssigkeitszuwachs, da 
die Acidität des Magensaftes um so höher bewertet werden muß 
je mehr reinen Saft der Mageninhalt enthält. 

Wie kann nun die Annahme, daß tatsächlich psychische Hem¬ 
mungsvorgänge auf die physiologische Arbeit der Magendrüsen 
störend einwirken können, gestützt und bewiesen werden? Die 
Beweisführung wäre möglich, wenn der Nachweis gelingen würde, 
daB in der Tat eine Wechselbeziehung zwischen psychologischen 
Vorgängen und dem Sekretionsmechanismus des menschlichen 
Magens bestehen, speziell daß die Arbeit der Magendrüsen in ihrem 
physiologischen Gange auf psychischem Wege angeregt und unter¬ 
stützt werden kann. Gelingt eine strikte Beweisführung in diesem 
Sinne, so ist ohne weiteres eine Hemmung, Ablenkung oder Unter¬ 
drückung der psychischen Tätigkeit schon aus rein psychologischen 
Gründen zu erklären. Auch kann dies durch das Experiment ge¬ 
schehen. 

Für den Hund hat Pawlow 1 ) nachgewiesen, daß eine Reiz¬ 
wirkung der Psyche auf die Magendrüsenfunktion besteht, ja sogar 
die erste Rolle im Sekretionsmechanismus spielt Er stellte dies 
durch seine ideal angelegten Scheinfütterungsversuche fest und 
bezeichnete die Saftmenge, die angeregt durch jene Vorgänge, 
welche im Bereich der „Scheinfütterung“ liegen (das Verlangen 
nach Nahrung, Sehen, Riechen, Schmecken, Kauen und Verschlucken 
der Speisen auftritt, als Appetitsaft. „Appetit ist Saft.“ An den 
Ergebnissen der Pawlow’sehen Versuche ist nicht zu zweifeln; 
sie sind wiederholt nachgeprüft und bestätigt worden. 

Inwieweit aber stimmen die Resultate des Tierexperimentes 
mit den bei Menschen erhaltenen Versuchsergebnissen überein? 

Von mehreren Seiten wurde behauptet, daß sich die Resultate 
Pawlow’s nicht auf den Menschen übertragen lassen, speziell was 
die psychisch bedingte Saftsekretion anlangt. Versuche in dieser 
Richtung wurden angestellt von Sticker 2 3 ), Troller 8 ), Riegel 


1) Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. Wiesbaden 1898. 

2) Sticker, Volkmann’s Sam ml. klin. Vorträge Nr. 297. 

3) Troller, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 38. 


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320 


Grandauer 


und Scheuer 1 ). S c h ü 1 e 2 3 4 ) u. a. und die Resultate dieser Autoren 
lauteten sämtlich dahin, daß zwar auch beim Menschen jene Vor¬ 
gänge, welche sich von dem Momente der Nahrungsaufnahme bb 
zum Momente des Speiseeintrittes in den Magen abspielen, eine 
Saftsekretion hervorrufen, jedoch einesteils durch die mechanischen 
und chemischen Reize, andererseits durch das Kaugeschäft. Ein 
psychisches Moment wollten sie hierbei nicht geltend machen; 
vielmehr bezeichneten sie alle jene im Verlauf der Scheinfutterungs- 
vorgänge produzierten Saftmengen als reflektorisch entstandene. 
Bereits Riegel 8 ) hat diese Anschauung mit folgenden Worten 
zum Ausdruck gebracht: „der Kauakt gibt den ersten Impuls zur 
'Magensaftsekretion; er leitet die Verdauung ein“. Auch Krehl* 
glaubt, daß „für den Menschen sensible Reflexe im gewöhnlichen 
Sinne, die Kaubewegungen und die chemische Erregung der Magen¬ 
schleimhaut wichtiger sind als der Appetit“. 

Bei Betrachtung aller jener Faktoren, welche im Sekretions- 
mechanismus ursächlich eine Rolle spielen, möchte ich für den Ab¬ 
lauf der Nahrungsaufnahme drei Phasen unterscheiden: 

1. Phase — bis zum Momente der Speiseneinführung in den 
Mund. 

2. Phase — bis zum Moment des Speiseeintritts in den Magen. 

3. Phase — Verweilzeit der Speisen im Magen (diese kommt 
hier weniger in Betracht, da die von den Nahrungsstoffen selbst 
angeregte Sekretion weiteren psychischen Einwirkungen nur in¬ 
direkt unterworfen sein dürfte). 

Die erste Phase umfaßt Vorgänge, die sich hauptsächlich im 
Bereich der Psyche abspielen (die Vorstellung, das Verlangen nach 
Speise) und noch eine wesentliche Unterstützung durch den physio¬ 
logischen Akt des Sehens und Riechens erfahren können. Der auf 
diesem Wege abgesonderte Saft ist somit fast ausschließlich al« 
psychisch bedingter anzusehen und kann dem psychisch bedingten 
Speicheldrüsensekret analog erachtet werden. 

Die Sekretion dieses Magensaftes erklärt sich daraus, daß ein 
bestimmter Komplex von Geschmacksvorstellungen au gewisse 
physiologische Vorgänge in der Weise geknüpft ist, daß mit der 
Auslösung dieser Gruppe von Geschmacksvorstellungen auf psycho- 

1) Riegel u. Scheuer, Zeitschr. f. diätet. u. phys. Therap. 1900. 4, 6. 

2) Schule, Zeitsch. f. klin. Med. Bd. 33. Inwieweit stimmen die Pawlow- 
schen Tierexperiniente etc. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 71. 

3) Riegel, Die Erkrankungen des Magens 1. Teil 2. Anfl. 

4) Krehl, Path. Physiol. 6. Anfl. 1910 p. 332. 


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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 321 

physischem Wege die Sekretion automatisch eintritt. Selbstver¬ 
ständlich braucht diese allererste rein psychisch bedingt« Saft¬ 
sekretion nicht immer die Saftsekretion im allgemeinen einzuleiten, 
weil zum ersten nicht jeder Nahrungsaufnahme diese erste Phase 
vorausgehen muß, resp. weil sie zu kurz sein kann, nm eine Wir¬ 
kung zu entfalten und sofort in die zweite Phase übergeht, zum 
zweiten aber weil die Nahrungsstoffe nicht geeignet sein können, 
auf psychophyschem Wege eine Sekretion anzuregen. Alle diese Mo¬ 
mente sind ungemein wichtig bei Anstellung von Versuchen, psy¬ 
chisch bedingten Saft zu gewinnen. Es muß hierbei den Gewohn¬ 
heiten des einzelnen Menschen, der Zeit, in der er diese oder jene 
Speise einzunehmen gewohnt ist, Rechnung getragen werden. Vor 
allem aber muß darauf gesehen werden, daß dem Ablauf der psy¬ 
chischen Tätigkeit kein Hindernis in den Weg gesetzt wird. Wenn 
manche Autoren einen psychisch bedingten Magensaft nicht erhalten 
konnten, so liegt dies in erster Linie an der Nichtberücksichtigung 
dieser Momente. Schon Käst und Umber machen darauf auf¬ 
merksam, daß die Forschungen nach dieser Richtung weit hinter 
der operativen Versuchsanordnung, wie sie Pawlow ersonnen 
hatte, zurückstehen müssen, da sie sämtlich mittels Ausheberung 
des Mageninhaltes angestellt wurden. Durch diese Methode ist es 
eben unmöglich, den Saftstrom, wie ihn die Magendrüsen auf die 
verschiedenen Reize hin produzieren, zu beobachten und isoliert 
zu sammeln, wie das in idealer Weise an der experimentellen 
Fistel möglich ist, ganz abgesehen von den Fehlerquellen, welche 
das Einfuhren der Sonde mit sich bringt (Peristal tische Bewegung 
des Magens, Verschlucken von Mund- und Ösophagusschleim, Ver¬ 
mengung schleimiger Massen mit dem Mageninhalt beim Heraus¬ 
ziehen der Sonde etc.). 

Derartige Versuche hätten nur dann Beweiskraft, wenn sie auf 
einer großen Anzahl von Untersuchungen basiert wären. Nun 
machte z. B. Schüle 1 ) seine Experimente an 2 Personen, die er 
nach 10 Minuten langer Ausspülung im nüchternen Zustande und 
einer abermaligen Ausheberung einige Zeit den Duft einer Tasse 
Kaffee einatmen ließ, worauf er ein drittes Mal den Magenschlauch 
einführte. Unter 4 Versuchen konnte er einmal freie HCl nach- 
weisen. Ich glaube, daß das zweimalige Einführen des Magen¬ 
schlauches vor dem Versuche wohl geeignet ist, das Appetitgefühl 

1) Schüle, Inwieweit stimmen die Experimente von Pawlow am Hunde 
mit den Befunden am normalen menschlichen Magen überein. Deutsch. Arch. f. 
klin. Med. 71. Bd. 1901. 

DenUches Archiv f. klin. Medizin. Bd. 101. 21 


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322 


Grandaüer 


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der Versuchsperson, der obendrein eine 3. Ausheberung be Vorstand, 
zu unterdrücken. Schüle hebt hervor, daß zu solchen Versuchen 
sehr willige Patienten nötig seien; aber gerade dieser Umstand 
läßt jene absolute Unbefangenheit der Versuchsperson vermissen, 
welche Grundbedingung für solche Versuche ist. 

Ernste Bedeutung beanspruchen eben bis zum hentigen Tage 
nur jene Erfahrungen, die an Patienten mit Magenfisteln gesammelt 
werden konnten. 

Umber 1 ) konnte an einem Manne mit Speiseröhrenstriktar 
und Magenfistel beobachten, wie unerwartet Sekretion auftrat, al* 
das Frühstück des Patienten in seinem Gesichtskreis gebracht 
worden war. 

Die von Bickel 2 ) an einem Scheinfütterungsmädchen vor- 
genommenen Versuche ergaben, daß z. B. das Riechen von Suppen- 
duft Sekretion hervorrief und zwar um so stärker, je hungriger 
die Patientin war und je mehr sie nach der Suppe Verlangen hatte. 

Ca de und Latarjet 3 4 5 ) teilen den in der Literatur einzig 
dastehenden Fall mit, daß bei einem Mädchen eine Magenhernie 
zur Abtrennung eines Magenteils von dem übrigen Teile des Or¬ 
ganes führte; hiermit war die Pawlow’sche Versuchsanordnntg 
am Menschen gegeben. Die genannten Autoren konnten denn auch 
die Befunde des russischen Forschers bestätigen und konstatieren, 
daß sich im Anschluß an das Nahrungsverlangen Magensaft aus 
dem Blindsack ergoß. 

In neuerer Zeit wurden von Herz und Sterling*» Unter¬ 
suchungen über psychisch bedingten Magensaft bei einem gastro 
stornierten Kranken angestellt. Nach Leerspülung des Magen.« 
ließen sie den Patienten ein Kotelett zubereiten und unterhielten 
sich gleichzeitig mit ihm über verschiedene schmackhafte Gerichte. 
Während dieser Zeit floß aus der Fistel ca. 14 ccm HCl haltige 
Flüssigkeit aus. 

Im übrigen konnte auch mittels Ausheberung des Magen¬ 
inhaltes durch die Sonde eine psychische Saftsekretion am mensch¬ 
lichen Magen festgestellt werden, so von Bulawinzew 6 ) und 


1) Umber, Berl. kliu. Wochenschr. 1905. 

2) Bickel, 1. c. 

3) Cade u. Latarjet cit. nach Arch. f. Yerdauungskrankh. Bd. 9 H. 4. 

4) Herz u. Sterling, Untersuch, über psych. bed. Magensaft bei einem 
gastrostom. Kranken. (Polnisch.) Ausf. Ref. Arch. f. Verdanung8Krankk.Bd.lt) H.l 

5) Bulawinzew, Russki W ratsch 1903 Nr. 17. Ref. biochem. ZentralbL 

1903 Nr. 15 


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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 323 


Käst. 1 ) Letzterer überzeugte sich durch wiederholte Selbstver¬ 
suche, daß morgens 12 Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme 
sein Magen nur wenige ccm schwach sauer reagierende Flüssig¬ 
keit ohne freie Salzsäure enthielt. Im Anschluß an diesen Versuch 
beschäftigte er sich möglichst intensiv mit dem Gedanken an eine 
Fleischspeise, die er sehr gern zu sich nahm, indem er sich vor¬ 
stellte, er würde sie sehen, schmecken und verzehren; der danach 
aspirierte Magensaft, wies eine Totalacidität von 65 auf. 

Ich selbst konnte eine rein psychisch bedingte Saftsekretion 
beim Menschen zu wiederholten Malen nach weisen, indem ich 
meinen nüchternen Versuchspersonen, die über mein Vorhaben und 
den Zweck desselben nicht orientiert waren, eine Speise vorsetzte, 
nach welcher sie gerade Lust hatten. Um der Situation, wie sie 
sich im täglichen Leben gewöhnlich abspielt, möglichst gleichzu¬ 
kommen, forderte ich sie auf, zu essen, hielt sie jedoch im letzten 
Moment zurück mit der Bitte, noch etwas zu warten und einige 
Zeit die Speise zu betrachten, an ihr zu riechen usw. Hierbei 
wurde ein Hinabschlucken des abgesonderten Speichels peinlichst 
vermieden. Schließlich ließ ich sie die Speisen zum Munde führen, 
ohne es jedoch zur Einbringung des Bissens in den Mund kommen 
zu lassen und schloß die Ausheberung an. Absolute Beweiskraft 
haben meine Ergebnisse deswegen nicht, weil ich mich nicht vor¬ 
her von den Sekretionsverhältnissen des nüchternen Magens über¬ 
zeugte. Doch tat ich dies deshalb nicht, um eine ev. irritierende 
Wirkung der Sondeneinführung auf die Psyche zu vermeiden und 
mir die Unbefangenheit der Versuchsperson zu erhalten. Vielmehr 
schloß ich die nüchterne Ausheberung in darauffolgenden Tagen 
an und verglich die so erhaltenen Werte miteinander (s. Tab. p.324). 

Nach den bisherigen Ausführungen ist somit an einer rein 
psychisch bedingten Saftsekretion (in der 1. Phase) beim Menschen 
nicht zu zweifeln. Wenn Schüle 2 ) dieser Sekretionsmöglichkeit 
gegenüber den Einfluß der Gesittung geltend machen will, indem 
er sagt, daß das ungezügelte Verlangen nach Speise uns schon in 
der Kindheit systematisch abgewöhnt wird, so übersieht er hierbei, 
daß es sich hier nur um ein äußeres Gebaren handelt. Der 
physiologische Ablauf jedoch wird nicht gestört, ebensowenig wie 
der psychologische; im Gegenteil: durch die psychische Stauung wird 
die Energie des betreffenden psychophysischen Vorganges noch erhöht. 

1) Easf, Berl. klin. Wochenschr. 1906 Nr. 22 u. 23. Exper. Beitr. z. Me¬ 
chanismus der Magensekr. nach Probefrühst. 

2) Schüle, Arch. f. klin. Med. Bd. 71 p. 115. 

21 * 


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Grandatter 


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324 


Nr. 

Versuchsanordnung 

Freie 

HCl 

Gesamt¬ 

acidität 

Diagnose 

| Bemerkungen 

1 

Ausheberung nach 
Vorsetzen einer Tasse 
Tee mit Kuchen (auf 
Wunsch) 

18 

22 

Magengesund 

1 

23 ccm trübe Flüssig¬ 
keit. Angeblich guter 
Appetit! 

1 

Nttchterne Aushe¬ 
berung 

— 

— 


ca. 8 ccm Schleim. 

2 

Ausheberung nach 
Vorsetzen von Schinken 
mit Brot u. Brei (auf 
Wunsch) 

26 

28 

Angina 

(Magen¬ 

gesund) 

34 ccm trübe Flusig¬ 
keit. Guter Appetit 


Nüchterne Aushe¬ 
berung 

4 

1 

6 


5 ccm schleim ige Flüs¬ 
sigkeit. 

3 

Ausheberung nach 
! Vorsetzen einer Tasse 
Kaffe (auf Wunsch) 

12 

— 

M&gengesund 

(Bronchitis) 

10 ccm trübe Flüssig¬ 
keit. Guter Appetit 


Nüchterne Aushe¬ 
berung 

— 

— 


Etwas gallig gefärbte 
schleimhalt. Flüssigkeit. 

4 

Ausheberung nach 
Vorsetzen von Bouillon 
und Brot (auf Wunsch) 

70 

90 

Gastritis 
acida (Aorten¬ 
insuff.) 

40 ccm trüber dünni 
Inhalt. 3. Schichtung 
Schleim! (guter A ppetit 


Nüchterne Aushe¬ 
berung 

10 

34 


12 ccm schleimhaltige 
Flüssigkeit. 

5 

Ausheberung nach 
Vorsetzen von Teller¬ 
fleisch und 1 Glas Brei 
(auf Wunsch) 

60 

80 

Kont. Hyper¬ 
sekretion, 
Ulcus ventr. 

90 ccm helle Flüssig¬ 
keit. Mäßiges Appetit¬ 
gefühl. 


| Nüchterne Aushe¬ 
berung 

56 

72 


50 ccm helle Flüssig¬ 
keit. 

6 

Ausheberung nach 
Vorsetzen einer Tasse 
Bouillon und 1 Weißbrot 
(Pat. hätte lieber eine 
Tasse Kaffee) 

i 



Nervöse Dys¬ 
pepsie 

i 

i 

ca. 5 ccm Schleim. 
Pat. hat keinen Appe¬ 
tit. Pat. wußte ron einer 
anderen Pat. daß sie 
ausgeheb. werden solle 
und zeigte vor der Ans¬ 
heberang starke Angst. 
Trinkt danach den ge¬ 
wünschten Kaffee mit 
großem Appetit 


t Nüchterne Aushe¬ 
berung 

— 



10 ccm Schleim. 

7 

Ausheberung nach 
Vorsetzen von 1 Glas 
Milch u. 1 Stück Kuchen 
(auf Wunsch) 

18 

26 

j 

Gastritis 

acida 

18 ccm trübe schleim- 
haltige Flüssigk. Sehr 
guter Appetit 

1 

i 


Nüchterne Aushe¬ 
berung 

6 

( 


4 ccm schleimhaltige 
Flüssigkeit. 


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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 325 


Es fragt sich nun, ob die Psyche ihre Aufgabe im Sekretions¬ 
mechanismus des Magens am Schlüsse der 1. Phase abgeschlossen 
hat Schon bei grober Überlegung erscheint es nicht wahrschein¬ 
lich, daß die Tätigkeit der Psyche, nachdem sie die Sekretion auf 
bloßes Verlangen, Sehen oder Riechen einer Speise in Gang gesetzt 
hat, von dem Momente einen Abbruch erfährt, in welchem dieses 
Verlangen durch den physiologischen Akt des Schmeckens, Eauens 
und Schluckens der Speisen gradatim seine Befriedigung erfährt. 

Wie schon weiter oben bemerkt, wurde von verschiedenen 
Seiten die Behauptung aufgestellt, daß jene Sekretion, welche auf 
die Verarbeitung der Speisen im Munde hin erfolge, als rein reflek¬ 
torisch entstanden anzusehen sei, was ganz im Widerspruch zu den 
Ausführungen Pawlow’s steht, welcher dem chemischen Reiz der 
Speise und dem mechanischen Moment des Kauens jede reflektori¬ 
sche Saftsekretion abspricht. Daß überhaupt eine Sekretion im 
Verlaufe der 2. Phase stattfindet, ist sowohl für den Hund wie 
auch für den Menschen des öfteren nachgewiesen — nur die Aus¬ 
legung ist eine verschiedene. 

Der französische Physiologe Richet 1 ) konnte als erster bei 
einer gastrostomierten Kranken die Absonderung reinen Magen¬ 
saftes wahrnehmen, sobald ihr sauere, süße oder stark riechende 
Substanzen in den Mund gebracht wurden. 

Auf diesem Versuch fußend machten S c h ü 1 e 2 3 ) und T r o 11 e r ®) 
Experimente an einem magengesnnden Individuum, indem sie ihm 
das eine Mal Pfefferminzöl und Zitronenscheiben (rein chemisch 
wirksame Substanzen), Nahrungsmittel wie Beefsteak, Brot, Kaffee 
(schmeckende Substanzen), in den Mund brachten, das andere 
Mal genießbare und ungenießbare Stoffe (Gnmmi, Schwamm) zum 
Kauen gaben. Bei allen Versuchsanordnungen ergab die Expression 
ein verdauungskräftiges Sekret, das nach Ansicht der Autoren 
einesteils durch das Kaugeschäft, anderenteils angeregt durch den 
chemischen und Geschmacksreiz der Speisen auf rein reflektori¬ 
schem Wege (ohne Beihilfe der Psyche) entstanden sei. 

Wie schon oben betont, stehen die mittels des Magenschlauches 
gewonnenen Resultate an Bewertung denen des „Scheinfütterungs¬ 
versuches“ nach, bei welchen dem Beobachter alle Phasen des 


1) Richet, Jonrn. de 1’Anatomie et de la Pbysiol. 1878. 

2) Schttle, 1. c. 

3) Troller, Über Meth. z. Gewinnung reinen Magensekr. Deutsche Zeitschr. 
f. klin. Med. 28. 


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326 


Gkandauek 


Versuches klar vor Augen stehen, und ihm keine Nuance hinsicht¬ 
lich des psychischen Affektes der Versuchsperson entgehen kann. 

Im folgenden möchte ich kurz über die Beobachtungen an 
Fistelträgern berichten, die sich mir bei Durchsicht der Literatur 
ergaben. 

Cade und Latarjet *) konnten durch ihren schon erwähnten 
Scheinfütterungsversuche eine Saftsekretion während der 2. Phase 
bestätigen, desgleichen Herz und Sterling 1 2 3 ) bei ihrem gastro- 
stomierten Kranken. Hornborg®) sah an einem 5jährigen Knaben 
mit Ösophagusstriktur und Magenfistel beim Kauen wohlschmeckender 
Nahrung Sekretion auftreten, dagegen keine beim Kauen indifferenter 
oder übelschmeckender Stoffe (auch nicht von Zitronenschalen ». 

Umber 4 ) machte an einem 59jährigen Manne mit Speiseröhren¬ 
verengerung und Magenfistel folgende Beobachtungen: Ausspülen 
des Mundes mit 20 ccm Kognak (Geschmacksreiz ohne Kauakt» riet 
Sekretion von HCl-haltigem Magensaft hervor, während energische? 
Kauen von Gummi (Kauakt ohne Geschmacksreiz) und Kautabak (Kau¬ 
akt mit Geschmacksreiz) keinen Tropfen Magensaft zutage förderte. 

Soweit die wichtigsten Literaturangaben. 

Durch die Versuche von Schüle und Troll er einerseits und 
durch die von Umber andererseits ist somit nachgewiesen. daß 
durch das Kauen rein indifferenter Stoffe, selbst von Stoffen, welche 
wie Kautabak oder übelschmeckende Stoffe den Geschmacksinn 
reizen, bald eine Sekretion hervorgerufen wurde, bald jedoch nicht. 
Damit ist die Anschauung widerlegt, daß die Sekretion ausschlie߬ 
lich auf reflektorischem Wege erzeugt wird. 

Zur Erklärung der verschiedenen Wirkungen durch ein und 
denselben Versuch muß der Weg der psychologischen Erklärung: 
eingeschlagen und seine Erklärungsfähigkeit an Beispielen erhärtet 
werden. 

Nach dem Versuche von Hornborg hatte das Kauen von 
indifferenten Stoffen bei einem 5jährigen Knaben keine Sekretion, 
nach den Versuchen von Schüle und Trolle bei Erwachsenen 
eine Sekretion zur Folge. Das Eintreten der Sekretion in den 

1) Cade u. Latarjet., 1. c. 

2 ) Herz u. Sterling, Unters, über psych. Magensaft b. einem Gastrostomie- 
kranken (polnisch) 

3) Hornborg, Finska Läkaresällskapets handlinger 1903 ref. Münch, med. 
Wochensehr. 1903 Nr. 30. 

4) Umber. Die Magensaftsekr. d. gastostrom. Menschen bei Scheinfüttenwg 
und Rektalernähr. Berl. klin. Wocheuschr. Nr. 3, 1905. 


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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 327 


betreffenden Fällen kann psychologisch aus 2 Ursachen hergeleitet 
werden. 

Das Kauen indifferenter (weil bisher unbekannter) Stoffe hat 
wiederholt Geschmacksvorstellungen und Sekretion ausgelöst. Natür¬ 
lich müssen die Versuchspersonen, wie Schüle selbst hervorhebt, 
intelligent genug sein, indifferenten Stoffen wie Gummi usw. einen 
Geschmacksreiz abgewinnen zu können. Wird nun dem durch diese 
Erfahrungen nicht mehr unbefangenen Individuum ein indifferenter 
Stoff zum Kauen gegeben, so treten nicht bloß jene Erfahrungs¬ 
associationen in Aktion, sondern es tritt auch ein Interesse für 
den Geschmack der betreffenden Substanz auf, also psychische 
Faktoren, welche die Brücke zur physiologischen Wirkung schlagen 
können (cfr. Versuche von Schüle und Troll er). 

Beim unbefangenen Kinde und auch bei nicht geeigneten Er¬ 
wachsenen treten jene Assoziationen und jenes Interesse eben nicht 
in Aktion und stellen die psychophysische Brücke zur physiologi¬ 
schen Wirkung der Sekretion nicht her (cfr. Versuche von Horn¬ 
borg und Umber). 

Auf psychologischem W r ege allein erklären sich die Ergebnisse 
des Versuches von Umber an dem 59jährigen Manne, dem Tabak 
zum Kauen gegeben wurde, worauf keinerlei Sekretion eintrat, ob¬ 
wohl intensive Geschmacksreize dabei eintreten mußten. 1 ) (NB. Die 
Versuchsperson Umber’s war ein gewohnheitsmäßiger Tabak¬ 
kauer.) Die Geschmacksvorstellungen dieses Mannes waren eben 
nicht an die psychophysischen Vorgänge gebunden, welche beim 
Genuß von Nahrungsmitteln eine Sekretion erzeugen. Mit der Ge¬ 
schmacksvorstellung beim Tabakkauen wird eben mangels der ent¬ 
sprechenden Erfahrungsassoziationen jener psychophysische Ablauf 
nicht ausgelöst. Das Kauen des Tabaks ist ein geschlossener, von 
bestimmten Vorstellungen begleiteter Vorgang, der in seinen Wir¬ 
kungen nicht über den Bereich der Geschmacksempfindungen im 
Munde, nicht über den betreffenden Vorstellungskomplex und die 
ihn begleitenden Lustgefühle hinausreicht, sondern in ihnen seine 
erfahrungs- und bestimmungsgemäße Begrenzung findet. 

Daß psychische Wirkungen für die Auslösung einer Sekretion 
von Einfluß sind, beweist auch der weitere Versuch, daß bei einem 
Kinde durch das Kauen von übelschmeckenden Stoffen (NB. auch 

1) Leider ist über eine eventuell eingetretene Speichelsekretion keine An¬ 
gabe gemacht. Da jedoch bei den übrigen Versuchen das Hinabschlucken des 
Speichels immer peinlich vermieden wurde, so hat Umber dieses Moment auch 
bei diesem Versuche augenscheinlich in Betracht gezogen. 


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328 


Grandauer 


von Zitronenschalen) keine Sekretion erfolgte. An sich beweist 
dieser Versuch wiederum für den Menschen, was Pawlow für 
das Tier bewiesen hat, daß Geschmacks* oder chemische Keize 
allein keine bemerkenswerte Sekretion hervorrufen müssen. Wichtig 
wäre die Ausdehnung dieses Versuches auch auf Erwachsene ge¬ 
wesen, bei welchen, wie oben ausgeführt, Erfahrungsassoziationen 
und Interesse an der Geschmackswirkung bisher noch nicht ge¬ 
kauter Stoffe eine Sekretion auf psycho-physischem Wege herbei- 
führen können. Dann hätte sich wohl gezeigt, daß die eintretende 
üble Geschmacksempfindung mit ihrem Unlustgefühl eine intensive 
psychische Gegenwirkung, damit eine Hemmung des erwähnten 
psycho-physischen Verlaufes und infolgedessen weiter einen Mangel 
an Sekretion bedingt hätte. 

Die Versuche ergeben also, daß nur durch die Annahme 
psychischer Wirkungen auf die Sekretion die angeführten Ver- 
snchstatbestände lückenlos und zwanglos erklärt werden. 

Die Wirkung psychischer Hemmungen, die, was den letzt¬ 
genannten Versuch anlangt, leider aber am Erwachsenen nicht 
mehr erprobt wurde, konnte übrigens auf andere Weise nach¬ 
gewiesen werden. 

Der bekannte Versuch Bickel’s, einen „Scheinfütterungs¬ 
hund“ während des Fressens mit einer Katze zu reizen, hat den 
Nachweis erbracht, daß psychische Vorgänge beim Hunde auf eine 
bereits im Gange befindliche resp. auf die dem psychischen Er¬ 
regungszustand zeitlich nachfolgenden Sekretionsbefunde im Sinne 
der fast völligen Hemmung einzuwirken vermögen. 

Hornborg 1 ) machte an dem genannten Knaben die Beobach¬ 
tung, daß die Sekretion versiegte, wenn der Knabe die ihm Vorge¬ 
setzte Speise nicht sogleich zu essen bekam, und zu weinen begann. 

Herz und Sterling 2 ) konnten an ihrem gastrostomierten 
Kranken zeigen, daß durch Unlustgefühle die Saftsekretion fast 
vollständig gehemmt wurde. 

Zu ganz ähnlichen Ergebnissen führten, wie wiederholt er¬ 
wähnt, die von mir mittels des Probefrühstücks gemachten Unter¬ 
suchungen. In einem großen Prozentsatz der Fälle wurden dnrch 
die Vorstellung des unangenehmen Eingriffs die von Angst- und 
Unlustgefühl begleitete hemmende Gegenvorstellung entwickelt, in 
der Weise, daß durch die neue intensive Vorstellung die psychische 
Energie den normalen Geschmacksvorstellungen entgegen konzen- 

1) Hornborg, 1. c. 

2) Herz u. Sterling 1. c. 


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Der hemmende Einfluß der Psyche anf die Sekretion des menschl. Magens etc. 329 


triert wurde, wodurch die wiederholt beschriebene psychologische 
Beziehung zu den physiologischen Wirkungen der Sekretion nicht 
oder nur abgeschwächt in Aktion treten konnte. 

Um wieviel mehr werden sich bei labilem Nervensystem der¬ 
artige hemmende Einflüsse geltend machen, wo die psycho-physischen 
Zusammenhänge differenzierter und wirksamer sind! 

Die Psyche beherrscht somit die Magensaft Sekre¬ 
tion in positivem und negativem Sinne. Der Einfluß 
der Psyche erstreckt sich in erster Linie auf die 
beiden ersten Sekretionsphasen. Wenn man aber be¬ 
denkt, daß während der 3. Phase, in der sich die aus 
den Reizen der Nahrungsstoffe (Extraktivstoffe us w.) 
resultierende Saftbildung (endogene Saftbildung 
nach East) abspielt, meistens die 2. Sekretionsphase 
noch nicht abgeschlossen ist und weiterhin, daß nach 
Pawlow’s Versuchen der psychisch bedingte Saft zu¬ 
gleich einen „Zündsaft“ für spätere Sekretionsphasen 
abgibt, so kann man zu der Schlußfolgerung kommen, 
daß sich der Einfluß der Psyche fast auf die ganze 
Breite der sekretorischen Tätigkeit des Drüsen¬ 
apparats erstreckt. Praktisch ist dies jedem bekannt, dem 
erst im Verlaufe des Essens die Eßlust gekommen ist (l’appetit 
vient en mangeant) oder dem während des Essens aus Ärger „der 
Appetit vergangen ist“. 

Daß sich deprimierende Einflüsse der Psyche auf die Magen¬ 
funktion subjektiv bemerkbar machen können, ist längst aus der 
Pathologie der Magenneurosen und nervösen Dyspepsie bekannt, 
wenn auch die Frage, ob speziell bei letztgenanntem Krankheits¬ 
bild das Magen- oder das Nervenleiden als das primäre anzusehen 
ist, noch nicht entschieden ist. Die meisten Autoren sprechen 
jedoch einzig und allein einem labilen Nervensystem die ursächliche 
Rolle zu. „Nicht das Magenleiden macht den Menschen zum Hypo¬ 
chonder, sondern umgekehrt“, sagt Strümpell 1 ) in einer Be¬ 
sprechung über nervöse Dyspepsie. Dreyfus 2 ) führte in seiner 
Abhandlung über nervöse Dyspepsie die zahlreich vertretenen 
psychischen Symptome fast ausschließlich als die primären und 
auslösenden Momente an. Ähnlich spricht sich in neuerer Zeit 


1) Strümpell, Deutsches Arch. f. klin. Med. 1902 Bd. 73. 

2) Dreyfus, Nerv. Dyspepsie. 


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330 


Grandauer 


Bofinger 1 ) aus: „Gerade die mit der Verdauung zusammen¬ 
hängenden Vorgänge zeigen eine so weit gehende Wechselwirkung 
mit der Psyche und vor allem mit dem als Stimmung bezeichneten 
Teil des psychischen Lebens, wie wir dies sonst nur noch beim 
Herzen sehen. Wenn ich Wechselwirkung sage, so meine ich da¬ 
mit ebensosehr die Beeinflussung der Stimmung und der Vorstel¬ 
lungen durch den jeweiligen Zustand der Verdauungsorgane al> 
umgekehrt die Hemmung oder Förderung der Verdauungstätigkeil 
durch psychische Einflüsse.“ 

Interessant sind die Ergebnisse von Untersuchungen über 
Magensaftsekretion bei psychopathischen Zuständen, doch liegt eine 
Besprechung außerhalb des Rahmens dieser Arbeit. Kurz anführen 
möchte ich nur einen von Pilcz 2 ) mitgeteilten Fall, der die Ab¬ 
hängigkeit der Magensaftsekretion von psychischen Vorgängen s 
recht demonstriert. Es handelt sich um einen Mann mit katato¬ 
nischem Stupor, der wochenlange absolute Sitiophobie darbot ; jedes¬ 
mal bei Versuchen der Sondenfütterung trat hartnäckiges Erbrechen 
auf; im Erbrochenen fand sich keine Salzsäure. Es wurde die 
Diagnose auf Atrophie der Magenschleimhaut gestellt. Eines Abend? 
erhebt sich Patient aus dem Stupor, ißt mit großem Appetit 
wochenlang beliebige Quantitäten der schwerverdaulichsten Speisen, 
bis er ebenso plötzlich wieder zu abstinieren beginnt und neuer¬ 
dings alles erbricht. — 

Auf jeden Fall ist mit der Tatsache, daß bei der Art und 
Weise wie die funktionelle Magenuntersuchung mittels des Probe¬ 
frühstückes gehandhabt wird, eine psychische Hemmung der Saft¬ 
sekretion stattfinden kann, mit einer Fehlerquelle zu rechnen, 
deren Außerachtlassung praktisch von weitgehender Bedeutung 
sein kann. Hierzu kommt noch, daß diese Fehlerquelle durch 
Hinzutritt anderer Momente gestützt und gesteigert werden kann. 
Man bedenke nur, daß eine Tasse ungezuckerten Thees ohne Milch 
und ein Weißbrot bei manchen Leuten (speziell der besseren Stände, 
auch wenn sie in nüchternem Zustande und hungrig sind, nicht 
sehr geeignet ist, sowohl in der ersten als noch vielmehr in der 
2. Phase eine psychisch bedingte Saftsekretion hervorzurufen. 
In auszuwählenden Fällen wäre es deshalb sehr zweckdienlich, ein 
Probefrühstück (resp. eine Probemahlzeit) zu geben, das in jeder 
Beziehung dem Appetit des Pat. genüge leistet, und auch sonst 

1) Hofinger, Pb. nerv.Dyspepsie. Arch.f. Verdauungskr. Bd. 16 H.3 HW 

2) P i 1 cz, Osterr. Irrenärztetat?. Wien, Okt. iy07. Ref. Wien. kl. Wochenschr- 
1907 Nr. 47. 


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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 331 

seinen Gewohnheiten entspricht. 1 ) So gibt P'r. v. Müller ein 
Probefrühstück an, das aus Fleischextrakt, Zwieback und einer 
bestimmten Kochsalzmenge zusammengesetzt ist. Weiterhin kann 
die ungewohnte Zeit, in der das Probefrühstück oft genommen wird, 
das ungewohnte Milieu, in dem es genossen wird (Klinik, Wohnung 
des Arztes usw.), bei Leuten mit labilem Nervensystem Anlaß zur 
Auslösung psychischer Hemmungen abgeben. 

Auf diese Weise können die verschiedensten Aciditätsbilder 
vorgetäuscht werden, welche mit den jeweiligen Beschwerden des 
Patienten in direktem Widerspruch stehen. Sub- und anacide 
Werte können in Fällen zur Beobachtung gelangen, wo sonst 
normale Säuresekretion herrscht, andererseits kann eine Hyper¬ 
acidität, digestive Hypersekretion usw. der Beobachtung entgehen 
durch Vortäuschung normaler oder herabgesetzter Aciditätswerte. So 
werden die in Wirklichkeit bestehenden Aciditätsgrade durch vor¬ 
übergehend künstlich erzeugte maskiert und diese letzteren finden 
für das jeweilige Krankheitsbild eine falsche Bewertung; die Dia¬ 
gnose wird unsicher oder falsch. Schließlich werden die entsprechen¬ 
den Konsequenzen auch für die Therapie gezogen. 

Es kann somit die diagnostische Verwertbarkeit des Probe¬ 
frühstückes in Fällen, bei denen mit einer psychischen Hemmung 
gerechnet werden muß, — und das ist in der Mehrzahl der Fall 
— praktisch sehr empfindlich beeinträchtigt werden, besonders 
wenn die diagnostischen Schlüsse auf einer einmaligen Ausheberung 
basieren. Aber auch bei öfterer Exploration — und eine solche 
wird obendrein nicht immer gestattet — bedarf es genauester Be- 
rüchsichtigung aller jener Momente, welche die Saftsekretion auf 
psychischem Wege hemmen können. Absolute Beweiskraft bean¬ 
spruchen in erster Linie jene Werte, die an einem vollkommen unbe¬ 
fangenen Individuum gewonnen werden. Darin aber gipfelt eben 
die Schwierigkeit, daß wir aus den oben genannten Gründen nur 
ausnahmsweise in der Lage sind, den Patienten unbefangen einer 
Ausheberung zu unterziehen, besonders wenn es sich um Leute der 
besseren Stände handelt. Wird hier oft erst nach langen Bemühungen 
eine einmalige Ausheberung gestattet, deren Resultat nur relativ 
diagnostisch verwertbar ist, so ist eine Täuschung der Patienten, wie 

1) Nachtrag während der Korrektur: In neuerer Zeit wurden von 
Fischer (Leipzig) Untersuchungen über die Aciditätsverhältnisse des Magen¬ 
inhaltes nach dem Ewald'scheu Probefrühstück und einem frei gewählten Appetit¬ 
frühstück angestellt. Im letzteren Falle zeigten sich meistens höhere S&urewerte 
(Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Königsberg 20. Sept. 1010). 


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332 Grandaübb, Der Einfluß der Psyche anf die Sekretion des menschL Magen; ett 


sie in Kliniken geübt werden kann, oft absolut unzuläßig. Trot: 
alledem möchte ich Vorschlägen, folgendes Verfahren einzuleiten: 

In Fällen, welche ein rücksichtsloseres Vorgehen gestatten, 
wähle man die Versuchsanordnung, wie ich sie p. 309 angegeben 
habe; eine 2malige Sondeneinführung ist nötig. Ist es gelangen, 
die erste Ausheberung ohne Vorwissen des Patienten vorzunehmen, 
so kann man sich für die Praxis mit dieser einmaligen Ans* 
heberung begnügen. War es in keinem Falle möglich, den 
Patienten unbefangen einer Ausheberung zu unterziehen, so 
können auf Grund der nach jeder Exploration genau aufzn- 
nehmenden Anamnese hinsichtlich der psychischen Affektlage und 
nervösen Veranlagung überhaupt und aller jener obengenannter 
Momente, die eventuell auf psychischem Wege hemmend auf di« 
Saftsekretion haben ein wirken können, die erhaltenen Resultat« 
ihre richtige Bewertung finden. In manchen Fällen wird uns 
durch die allmähliche Gewöhnung an die Sondeneinführung ein 
wahres Bild von der sekretorischen Funktion des Magens verschafft 
werden können. 

In Fällen, für welche das ebengenannte Vorgehen zu brüsk 
erscheint, kann wenigstens der Versuch gemacht werden, den Pa¬ 
tienten nüchtern zu bestellen, ohne ihn von der bevorstehenden 
Exploration in Kenntnis zu setzen. Ist sich der Patient wirklich 
über den Zweck seines nüchternen Erscheinens, der Einnahme des 
Probefrühstückes usw. nicht klar, so kann ihm in möglichst schonen¬ 
der Weise kurz vor der Sondeneinführnng die Mitteilung gemacht 
werden, daß eine Ausheberung nötig sei. Wußte er von einer 
solchen oder war es von vornherein nicht zu umgehen, 
von der Ausheberung zu sprechen, so müssen zur 
richtigen Beurteilung der zu erhebenden Resultate 
alle eventuell psychisch hemmenden Faktoren ent¬ 
sprechend den Aussagen des Patienten und seiner 
nervösen Veranlagung überhaupt eingehende Be¬ 
rücksichtigung finden. Unter solchen Verhältnissen tritt 
eben wieder die ganze Persönlichkeit des Arztes als wichtigster 
Faktor neben die trotz der möglichen Fehlerquellen unentbehrliche 
Methode des Probefrühstücks; Sache der ärztlichen Kunst ist es. 
zu individualisieren und die hemmenden Faktoren durch geeignete 
Belehrung und beruhigenden Zuspruch herabzumindern. Wissen¬ 
schaftliche Methoden sind eben oft nur Hilfsmittel, welche erst durch 
die Kunst des einzelnen Arztes zur Erzielung einwandfreier Re 
sultate gebracht werden können. 


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Aus der medizinischen Klihik zu Tübingen 
(Vorstand: Prof. Dr. v. Bömberg). 

Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim 

Menschen. 

Von 

Priv.-Doz. Dr. Schlayer, und Dr. Takayasu, 

Oberarzt der Klinik. aus Osaka, Japan. 

(Mit 1 Abbildung und Tafel II, III u. IV.) 

Wir haben vor einiger Zeit an dieser Stelle eine Arbeit ver¬ 
öffentlicht, die sich mit Untersuchungen über die Funktion experi¬ 
mentell krankgemachter Nieren befaßte. Das Ziel unserer Be¬ 
strebungen war die Möglichkeit, aus den Ausscheidungsverhältnissen 
kranker Nieren auf die Art ihrer Schädigung zu schließen. Und 
zwar war uns das Wesentlichste, aus dem Verhalten der Aus¬ 
scheidung Kriterien dafür zu finden, ob im Einzelfalle vorwiegend 
eine Ändernng der Arbeit der Tubuli oder eine solche der Nieren¬ 
gefäße vorhanden ist. Unsere Untersuchungen zu diesem Zwecke 
erstreckten sich nach mehreren Richtungen. Einmal untersuchten 
wir die Veränderung der Ausscheidung einer Anzahl von Körpern 
unter den genan feststellbaren Bedingungen von verschiedenen 
experimentellen Nephritiden. Als solche Körper wählten wir körper¬ 
eigene und körperfremde, unter den ersten das Kochsalz und das 
Wasser, unter den zweiten den Milchzucker und das Jodkali. Es 
ergaben sich direkte Beziehungen zwischen der Art der Nieren¬ 
schädigung nnd der Art der Ausscheidung; sie gingen dahin: die 
Schädigung der Tubuli hat eine Veränderung der Ausscheidung 
von Jodkali und Kochsalz zur Folge, läßt aber die des Milchzuckers 
unberührt; dagegen führt die Läsion der Nierengefäße zu einer 
Verlängerung der Milchzuckerausscheidung. 

Auch das Auftreten eines dünnen, annähernd gleichmäßig kon¬ 
zentrierten Urins kann eine Schädigung der Nieren anzeigen. Ein 
solcher Urin kann auf zwei verschiedene Arten in der Niere zu¬ 
stande kommen. Einmal durch eine Minderleistung der 
Kanälchen da, wo sie schwer geschädigt sind. Sie sind nicht 


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334 


Schlayf.r u. Takayasu 


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mehr imstande, größere Mengen von Salzen, speziell von Kochsalz, 
zu sezernieren, und so resultiert ein dünner Urin von annähernd 
gleicher Konzentration. Wir haben dies als tubuläre Hypo- 
sthenurie bezeichnet. Dann aber kann ein dünner, etwa gleich¬ 
mäßig konzentrierter Urin auch durch eine Mehrleistung de: 
Nierengefäße zustande l^ommen; sind sie übererregbar, so ant¬ 
wortet die Niere auf jeden sekretorischen Reiz mit Produktiv 
großer Wassermengen. Die festen Körper können hier nur in mehr 
minder starker Verdünnung ausgeschieden werden. Wir haben 
diesen Zustand vaskuläre Hyposthenurie benannt. 

Entsprechend ihrer Entstehungsart verhalten sich die beider: 
Arten von Hyposthenurie verschieden, einmal hinsichtlich der K !- 
zentrationshöhe des ausgeschiedenen Urins, und dann hinsiclitlks 
der Fähigkeit zur Elimination einer Kochsalzzulage. 

Da, wo die Tubuli schwer geschädigt sind, wird die Konzen¬ 
tration infolge der ungenügenden Sekretion fester Substanzen niedriir 
sein. Aus demselben Grunde kann auch mehr zugeführtes Kochsalz 
nicht mehr ausgeschieden werden. 

Dagegen da, wo die Nierengefaße überempfindlich sind, braucht 
die Konzentration nicht unbedingt niedrig zu sein, denn die Kanäl¬ 
chen sind intakt und somit können feste Substanzen, speziell Salz-: 
gut ausgeschieden werden. Hier kann die Konzentration sogar 
relativ hoch sein, um so höher, je geringfügiger die Überempfind¬ 
lichkeit und damit auch die Polyurie. Da die Tubuli ungestört 
arbeiten, so wird eine Zulage von Kochsalz glatt eliminiert, jedoch 
unter Ansteigen der Wasserausscheidung, denn die Nierengefaße 
sind überempfindlich. 

Durch diese Unterscheidungsmerkmale gelang es uns, zu diffe¬ 
renzieren, ob ein dünner Urin seine Ursache in einer schweren 
Schädigung der Nierenkanälchen oder in einer Übererregbarkeit 
der Nierengefäße hatte. 

Nebenstehende Fig. I veranschaulicht diese Verhältnisse noch 
einmal in schematischer Weise. 

Die Resultate beider Methoden zusammengefaßt, der Prüfung 
der körperfremden Substanzen und der Differenzierung der Ausschei¬ 
dung nach den ebengenannten Gesichtspunkten, haben uns die Mög¬ 
lichkeit gegeben, bei den experimentellen Nephritiden den funk¬ 
tionellen Zustand der Nieren hinsichtlich der Beteiligung der Nieren¬ 
gefäße einerseits und der Kanälchen andererseits mit Zuverlässig¬ 
keit zu erkennen. Das zeigen zahlreiche Beispiele aus der zitierten 
Arbeit. 


Goc igle 


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Untersuchungen Uber die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 335 


Fig. I. 



Wir haben deshalb bereits seit nun 3 Jahren den Versuch unter¬ 
nommen, gestützt auf diese Erfahrungen, auch beim Menschen 
eine funktionelle Differenzierung gleicher Art zu erreichen. Auch 
hier waren es dieselben zwei Wege, auf denen wir Klarheit über 
den funktionellen Zustand der menschlichen Niere in unserem Sinne 
zu erlangen suchten. 

Einmal soll uns die Art, wie Milchzucker und Jodkali aus¬ 
geschieden werden, einen Hinweis geben, wie die funktionelle 
Leistungsfähigkeit der Nierengefäße bzw. der Tubuli beschaffen ist, 
resp. ob eine Änderung ihrer Funktion eingetreten ist. 

Dann aber versuchen wir aus der Art, wie Wasser und Koch¬ 
salz ausgeschieden werden, aus dem Vorhandensein einer Hypo- 
sthenurie und ihrer Art, Schlüsse in gleicher Richtung zu gewinnen. 

Beide Untersuchungen gehen also in gleicher Richtung, aber 
auf verschiedenen Wegen. Daraus ergibt sich, daß die beiden 
Methoden eine gewisse gegenseitige Kontrolle ausüben. Der Aus¬ 
lall der einen bildet in vielen Fällen das Experimentum crucis für 
die Richtigkeit der Schlüsse aus dem Verhalten der anderen. Ein- 


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SCHLAYBR U. TAKAYA8Ü 


gehendere Beispiele für diese gegenseitige Ergänznng finden sich 
schon in unserer ersten oben zitierten Arbeit und werden sich 
auch im nachstehenden an vielen Orten ergeben. Sie scheint m 
von wesentlichem Interesse für die Bewertung der Methoden. 

Bei der Anwendung unserer experimentell gefundenen Methoden 
auf die menschliche Nierenpathologie blieb uns stets gegenwärtig, 
daß bei menschlichen Nephritiden die Verhältnisse in mehrfacher Hin¬ 
sicht wesentlich anders liegen, als bei den experimentellen Nephri¬ 
tiden, die wir zur Unterlage benutzten. Am ehesten können noch die 
Verhältnisse bei akuten menschlichen Nephritiden mit denjenigen der 
experimentellen verglichen werden, wenngleich auch hier schon die 
Variabilität der Erscheinungsformen eine sehr viel größere ist, ah 
bei den toxischen Nephritiden. Besonders für die chronischen 
Nephritiden, aber auch bei den akuten, haben wir mit mehreren 
Faktoren zu rechnen, die bei den experimentellen Nephritiden kaum 
oder überhaupt nicht in Frage kommen; sie sind durchaus im¬ 
stande, den Rückschluß auf die Art der Nierenfunktion aus der 
Ausscheidung wesentlich zu beeinflussen und verdienen deshalb 
unsere vollste Beachtung. Diese Faktoren liegen einmal in der 
Niere selbst. 

Hier bestehen sowohl anatomische Unterschiede beträchtlicher 
Art gegenüber den experimentellen Nephritiden, wie auch, noch 
viel ausgesprochener, funktionelle. 

Bei den experimentellen Nephritiden handelt es sich, zum min¬ 
desten in den höheren Graden, um eine über die ganze Niere ver¬ 
breitete Schädigung: Wenn überhaupt Unterschiede in der Niere 
vorhanden sind, so sind sie lediglich quantitativer Art. Sämt¬ 
liche Tubuli resp. sämtliche Glomeruli stehen unter patho¬ 
logischen Bedingungen. Solche Verhältnisse müssen naturgemäß zu 
einem viel eindeutigeren und klareren Resultat unserer Methoden 
führen. Beim Menschen können die Dinge auch so liegen and 
Über eine Anzahl solcher Fälle werden wir im nachstehenden be¬ 
richten. Sie betreffen vor allem akute Nephritiden. Bei vielen 
anderen menschlichen Nierenerkrankungen, und gerade besonder? 
den chronischen, dagegen zeigt uns das anatomische Bild in aus¬ 
gesprochener Weise keine diffuse, sondern eine nur fleck- oder 
herdweise Erkrankung. Hier finden sich nebeneinander Partien, 
die schwer erkrankt und völlig funktionsunfähig erscheinen, und 
solche, an denen histologisch keinerlei Veränderung wahrzunehmen 
ist, Beispiele dieser Art sehen wir vor allem bei der beginnenden 
Schrumpf niere, auch bei Nephropyelitiden, bei Nierentuberknlose 


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Uutersuchuugen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 337 


usw. In diesen Fällen kann eine Ausscheidungsveränderung, 
die für uns verwertbare Anhaltspunkte gibt, nur dann eintreten, 
wenn die fleckweise Schädigung die Funktion der Harnapparate 
in irgendeiner Weise alteriert. Es ist bekannt, daß das keines¬ 
wegs notwendig der Fall sein muß. Ist den unversehrten Teilen 
der Niere die Fähigkeit geblieben, in kompensatorischer Weise für 
die zugrunde gegangenen und funktionsunfähigen Teile einzutreten, 
so braucht keine Änderung der Ausscheidung einzutreten. Diese 
kompensatorische Tätigkeit der übrigbleibenden Teile ist uns schon 
aus den physiologischen Versuchen, in denen eine Niere exstirpiert 
wurde, eine wohlbekannte Erscheinung. Sie drückt sich auch 
anatomisch bis zu einem gewissen Grade in Form der Hypertrophie 
der Glomeruli aus. Daß sie auch unter pathologischen Verhält¬ 
nissen in der Niere vorkommt, ist gerade von pathologisch-anato¬ 
mischer Seite auf Grund dieser Erscheinung (Hypertrophie der 
Glomeruli) bei der Schrumpfniere sehr frühzeitig wahrscheinlich 
gemacht worden. Noch viel deutlicher haben ihre Rolle die funk¬ 
tioneilen Nierenuntersuchungen gelehrt. Wenn beispielsweise bei 
doppelseitiger ausgedehnter Erkrankung der Nieren die Urinaus¬ 
scheidung durchaus normales Verhalten aufweist, so kann die Er¬ 
klärung dafür nur in kompensatorischer Mehrleistung der nicht- 
geschädigten Teile liegen. 

Und zwar ist diese kompensatorische Hypertrophie nicht etwa 
ein seltenes Vorkommnis, das nur gelegentlich auftritt. Die funk¬ 
tionelle Untersuchung der sog. chirurgischen Nierenerkrankungen, 
vor allem die vortrefflichen Untersuchungen Albarran’s haben 
vielmehr gezeigt, daß sie eine sehr weitverbreitete und häufige 
Erscheinung ist, so weitverbreitet, daß Albarran die Fälle, in 
denen sie nicht oder nicht immer eintritt, besonders aufzählt 1 ) 
(frische Nierenverletzung, septische AfFektion der Nieren und ein¬ 
seitiger Krebs). 

Bei den internen Nephritiden wissen wir bislang recht wenig 
von ihr, aber daß sie auch hier vorkommt und nicht selten vor¬ 
kommt, daran ist wohl nach dem Gesagten kein Zweifel. Unter 
allen Umständen werden wir mit ihr zu rechnen haben. 

In dieser Eigenschaft liegt eine der Hauptursachen, warum 
alle Versuche, die aus Beschaffenheit und Art der Ausscheidung 
auf den anatomischen Zustand der kranken Niere urteilen 
wollen, notwendig scheitern müssen. 


1) Albarran, Exploration des fonct. renales l'JOö p. 226. 
Deutschen Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 22 


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Inwieweit ist sie nun imstande, die Ergebnisse unserer Methodea 
zu beeinflussen ? Eine einfache Überlegung zeigt, daß da. wo die 
kompensatorische Hypertrophie vorhanden ist und vollkommen genas: 
ist, um den Defekt auszugleichen, die Ausscheidung überhaupt keine 
Änderung zu zeigen braucht Dann werden auch unsere Methoden 
trotz zweifellos bestehender anatomischer Nierenveränderung nichts 
von ihr erkennen lassen; denn sie vermögen lediglich den Funk¬ 
tion s zustand der Harnapparate anzuzeigen, nicht aber ihr ana¬ 
tomisches Verhalten. Ist jedoch die Kompensation durch die Hyper¬ 
trophie unvollkommen oder überhaupt nicht eingetreten, so wird 
die Funktion der Harnapparate sich ändern. Dann dürfen wir er¬ 
warten, daß diese Änderung sich unseren Methoden verrät. 

Schon für die Verhältnisse in der Niere selbst liegen nach 
dem Gesagten die Dinge in sehr vielen Fällen wesentlich kompli¬ 
zierter als bei den toxischen Nephritiden. Nicht minder bietet 
aber auch das Verhalten des Gesamtorganismus resp. de> 
Gesamtstoffwechsels bei den menschlichen Nephritiden un¬ 
endlich viel wechselvollere Bedingungen. 

Bei den experimentellen Nephritiden können wir den Gesamt- 
Stoffwechsel, wenigstens hinsichtlich der Beeinflussung, welche er 
auf die zu prüfenden Körper ausübt, hinreichend übersehen. Nur 
die vaskulären Formen machen hiervon eine gewisse Ausnahme 
Bei den tubulären wird man sagen dürfen, daß für die Ausscheidung 
des Jodkali und des Milchzuckers extrarenale Behinderungen nicht 
oder nicht maßgebend in Betracht kommen. 

Für das Kochsalz könnte das zweifelhafter erscheinen. Hier könnt? 
daran gedacht werden, daß die schlechte Kochsalzelimination, wie sie bei 
den tubulären Nephritiden vorhanden ist, nicht durch die Schädigung 
der Nieren verursacht werde, Bondern schon vor ihrem Niveau eine Ab¬ 
lenkung des Kochsalzes eintrete. Dieses Abströmen könnte nur in die 
Gewebe stattfinden. Dann müßte notwendig das Kochsalz — sei es non 
infolge von einer Änderung des physikalisch-chemischen oder infolge einer 
solchen des biologischen Zustandes der Gewebe so schnell in die Gewebe 
wandern resp. gezogen werden, daß schon auf der Höhe der Xieren 
nicht mehr genug Kochsalz im Blute kreist, um eine entsprechende Ani- 
Scheidung zu veranlassen. Es müßte also unter allen Umständen — 
sollen diese Anschauungen irgendwie fundamentiert erscheinen — erwartet 
werden, daß bei den tubulären Nephritiden ins Blut eingeführtes Kochsili 
sehr rasch aus demselben in die Gewebe verschwindet. Demnächst zu ver¬ 
öffentlichende Versuche, die gemeinsam mit Herrn Stabsarzt Paul Schmiß 
ausgeführt wurden, lehren, daß das selbst in den extremsten Stadien der 
Chromnephritis keineswegs so ist. Vielmehr steigt hier der prozentuale 
Kochsalzgehak des Blutes bei Infusion von konzentrierter Kochsalzlösung 
genau so stark an wie beim Normaltier, und ist meist selbst nach 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 339 


30 Minuten noch nicht wieder auf die Norm gesunken. Eine Ablenkung 
des Kochsalzes von den Nieren findet demnach sicherlich nicht statt. 
Es kreist vielmehr in pathologisch hoher Konzentration durch die Nieren. 
Wird es trotzdem nicht ausgeschieden, so kann das seinen Grund nur 
in einer entsprechenden Schädigung der Nieren haben. Also auch ftir 
das Kochsalz haben wir kein Recht, bei den experimentellen Nephri¬ 
tiden — abgesehen von den letzten Stadien der Urannephritis und den 
vaskulären Nephritiden — eine besondere extrarenale Beeinflussung an¬ 
zunehmen. 

Für die menschlichen Nephritiden läßt sich dies dagegen keines¬ 
wegs so sicher und übersichtlich behaupten. Hier liegen die Dinge 
erheblich verwickelter. Die Störungen resp. Einflüsse, welche wir 
von seiten des Stoffwechsels auf die Ausscheidung der geprüften 
Körper zu gewärtigen haben, können teils accidentell, teils durch 
die mit der Nephritis verbundene Allgeraeinerkrankung selbst be¬ 
dingt sein. 

Unter accidentellen Momenten werden in erster Linie kompli¬ 
zierende Krankheitszustände, welche Resorptionsstörungen mit sich 
bringen resp. bringen können, z. B. Fieber, Herzschwäche, Pleu¬ 
ritiden, Ascites, abnorme Schweißbildung usw. zu verstehen sein. 

Für die Ausscheidung der körpereigenen Substanzen, des 
Wassersund des Kochsalzes, können diese Momente weitgehenden Ein¬ 
fluß ausüben und müssen deshalb durchaus berücksichtigt werden. 

Ihr Einfluß auf die Wasserausscheidung ist zur Genüge be¬ 
kannt und braucht hier nicht näher besprochen zu werden. Aber 
auch das Kochsalz erleidet durch solche accidentellen Momente in 
seiner Ausscheidung weitgehende Modifikationen. So kann es ge¬ 
legentlich unmöglich sein, zu entscheiden, ob bei einer von Fieber 
begleiteten Nierenerkrankung eine etwa vorhandene schlechte Koch¬ 
salzausscheidung auf die Niere oder auf das Fieber zu beziehen 
ist. Denn wie bekannt tritt ja auch ohne jede Beteiligung der 
Niere bei einer ganzen Reihe von fieberhaften Zuständen Kochsalz¬ 
retention während des Fiebers auf (s. von neueren Untersuchern 
Schwenkenbecher, von Hößlin usw.). Ebenso kann auch 
bei einem komplizierenden Pleura- oder Peritonealexsudat resp. 
bestimmten Magenretentionen (Pylorusstenosen) oder Thrombosen 
großer Venen mit komplizierendem Ödem ein Zurückbleiben des 
Kochsalzes nicht ohne weiteres auf die Niere bezogen werden. 
Schließlich wird auch bei Herzschwäche nicht selten, besonders bei 
vermehrter Zufuhr das Kochsalz schlecht ausgeschieden, so daß 
seine Ausscheidungskurve sich der der Nephritiker nähert (H. 
Strauß). Damit sind wohl die wesentlichsten Ursachen einer 

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accidenteilen Behinderung der Kochsalzausscheidung aufgezähli 
Ihre Kenntnis und Berücksichtigung ist für die Anwendung unserer 
Methoden unbedingt erforderlich, weil sie uns vor falschen Schlüssen 
aus der Kochsalzausscheidung zu schützen vermag. Denn weder 
die vaskuläre noch die tubuläre Hyposthenurie sind Ausscheidungs¬ 
formen, die lediglich der Nephritis zukommen. Sie können eben¬ 
sogut ohne jede Beteiligung der Nieren auftreten, sind also niemal> 
eindeutig für eine Nephritis verwertbar, sondern bilden ein mehr¬ 
deutiges Symptom, das seine Quellen bald in der Niere, bald in den 
extrarenalen Stoffwechsel haben kann. 

Von um so größerem Interesse ist es unter diesen Umständen, 
zu wissen, wie demgegenüber die körperfremden Prüfungsstoffe. 
das Jodkali und der Milchzucker durch jene Faktoren beeinfluß? 
werden. Diese Frage ist aus der bisherigen Literatur nicht n 
beantworten. Auch unsere Kenntnisse über die Resorptionswerf 
•und Bedingungen der beiden Stoffe gestatten kein sicheres Urteil 
darüber. Wir haben deshalb besondere Versuche darüber ange¬ 
stellt, über die weiter unten zu berichten sein wird. Die Trar¬ 
weite der genannten accidentellen Einflüsse auf den Stoffwechsel 
ist für unsere Versuche schon deshalb von keinem allzugroßen 
Belang, weil wir nur selten gezwungen sind, unsere Nierenunter- 
•suchungsmethoden während des Bestehens solcher komplizieren¬ 
den Momente anzuwenden. Die beiden wichtigsten Einflüsse. Fieber 
und Herzschwäche sind ja meist vorübergehender Art. Aber man 
muß sich bewußt bleiben, daß dadurch Fehler entstehen können, ond 
deshalb die genannten Faktoren immer in Rechnung ziehen. 

Viel unberechenbarer sind die Quellen der Stoffwechselbeein¬ 
flussung, welche aus der mit der Nephritis verbundenen Er¬ 
krankung des Gesamtorganismus entstehen können. Geht 
damit eine Änderung der gesamten Resorptionsbedingungen einher, 
so kann — das leuchtet ein — es aufs äußerste erschwert, ja ganz 
unmöglich gemacht werden, zu sagen, wieweit die Änderung der Aus¬ 
scheidung auf die Niere und wieweit sie auf extrarenale Ursache« 
zurückzuführen ist. Solche Bedingungen werden sich in erster 
Linie bei denjenigen Nephritiden vermuten lassen, die mit (idem 
verbunden sind, oder zu Ödem neigen. Bei ihnen besteht seit langem 
der Streit, ob Veränderungen der Ausscheidung auf die Niere oder 
auf extrarenale Einwirkungen, vor allem seitens der veränderten 
Gewebe, bezogen werden müssen. Ganz besonders wird davon das 
Kochsalz betroffen. Auch bei unserer Methodik werden wir nicht 
erwarten können, aus seiner Ausscheidung allein etwas über diese- 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 341 


Frage zu erfahren. Eine bei einer derartigen Nephritis vorhandene 
Hyposthenurie des tubulären Typus kann keineswegs ohne weiteres 
als Zeichen einer Tubulusschädigung betrachtet werden. Die 
Retention des Kochsalzes könnte ebensogut direkt durch sofortiges 
Aufstapeln in den Geweben geschehen. Daß das — zumal bei ge¬ 
wissen Formen von Nephritis — möglich ist, werden jene oben 
genannten, mit P. Schmid zusammen angestellten Versuche an 
der Urannephritis, der Kantharidin- und Arsennephritis erweisen. 
Aus der Ausscheidung des Kochsalzes werden wir darüber, wie ge¬ 
sagt, auch durch unsere Methoden nichts erfahren können. Es fragt 
sich jedoch, ob hier vielleicht die Ausscheidung der körperfremden 
Substanzen uns einen Wegweiser geben kann. 

Es wäre möglich, daß sie von den Resorptionsveränderungen 
nicht berührt werden, welche auf das Kochsalz einwirken; sie 
könnten ihren Gang durch den Organismus trotz der Resorptions¬ 
störungen in normaler Weise nehmen, eben deshalb weil sie als 
körperfremde, für den Körper unverwendbare Substanzen so viel 
einfachere Resorptionswege besitzen. Auch hier kann nur die 
Untersuchung am nierenkranken Menschen selbst Klarheit und 
Förderung bringen. 

Aus dem Gesagten geht aufs deutlichste hervor, daß die Ver¬ 
hältnisse bei den menschlichen Nephritiden von denen der experi¬ 
mentellen Nephritiden in mancher und nicht unwesentlicher Hin¬ 
sicht abweichen. Einem Teil dieser andersartigen Bedingungen, 
wie den accidentellen Einflüssen von seiten des Stoffwechsels, ver¬ 
mögen wir aus dem Wege zu gehen, so daß aus ihm keine Fehler¬ 
quellen entstehen können. Inwieweit andere als solche in Frage 
kommen, kann nur die Untersuchung am Menschen lehren. Gerade 
das Studium der menschlichen Nierenkrankheiteu mit ihrem so 
wechselvollen Verhalten ist die schärfste Probe für unsere Methoden. 

Noch eines sei hier betont: Es handelt sich für uns weder um 
eine Untersuchung zur Feststellung des anatomischen Zustandes 
der Niere, noch auch um eine solche zur Feststellung der Suffi- 
cienz oder Insufficienz der Niere. Vielmehr wollen wir in 
erster Linie erforschen, wie die menschliche Niere unter patho¬ 
logischen Verhältnissen arbeitet, wie die verschiedenen Symptome 
der Ausscheidungsveränderungen zustande kommen. Wir suchen 
den Zusammenhang zwischen der Art der funktionellen Schädi¬ 
gung und der Art der Auscheidung klarzulegen. Inwieweit sich 
damit eine funktionelle Insufficienz verbindet, ist eine Frage, 
die noch im weiten Felde steht. Wenigstens ist das der Fall, 


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wenn man unter funktioneller lnsufficienz ganz generell die Un¬ 
fähigkeit der Niere versteht, den Bedürfnissen des Körpers gerecht 
zu werden. Das braucht uns nicht zu hindern, der Kürze halber 
im nachfolgenden von einer vaskulären resp. tubulären Insufücietu 
zu sprechen. Darunter soll in diesem Falle nur die Leistungsun- 
fähigkeit der betreffenden Apparatsysteme gegenüber unseren Me¬ 
thoden ausgesprochen werden. Keineswegs soll — wie nochmal? 
betont sei — darunter etwa eine generelle lnsufficienz verstanden 
sein. Bei der Zahl von Stoffen, welche durch die Nieren passieren, 
wäre es vermessen, aus der Tatsache, daß Milchzucker verlangten 
ausgeschieden wird, nun auch schließen zu wollen, daß alle anderen 
Stoffe, welche die Nierengefäße passieren, ebenso verschlechtert 
ausgeschieden werden müssen. Das könnte vielleicht so sein; ob e> 
aber so sein muß, ist eine Frage, die erst noch zu untersuchen bleibt. 

Zweifellos wäre es von hohem Werte, wenn wir die Möglich¬ 
keit hätten, die durch unsere Methoden erhaltenen Resultate beim 
Menschen scharf zu kontrollieren. Wir haben oben betont, daß 
eine gewisse Kontrolle schon durch die gegenseitige Ergänzung der 
Methoden ausgeübt wird. 

Es liegt nahe, daran zu denken, ob nicht die anatomische 
Untersuchung eine weitere Kontrolle abgeben könnte. Leider wird 
man sich sagen müssen, daß das nur in sehr beschränktem Maße der 
Fall sein kann. Wir haben schon oben betont, daß bei negativem 
Ausfall unserer Methoden gleichwohl eine positive anatomische 
Veränderung vorhanden sein kann. Das ist nicht anders zu er¬ 
warten. Denn unsere Methoden zeigen lediglich dib Funktions- 
Veränderung an, nicht aber den anatomischen Zustand. Eine kom¬ 
pensatorische Hypertrophie kann die Funktion trotz eines Aus¬ 
falls auf der Norm erhalten. 

Anders liegen die Dinge bei positivem Ausfall unserer Methoden 
Man wird zunächst begleitende Umstände ausschließen müssen, 
welche auf die Ergebnisse entstellend einwirken können, wie z. B 
die oben genannten accidentellen Resorptionsstörungen. Sind sie 
nicht vorhanden, so ist zu erwarten, daß einer festgestellten funk¬ 
tionellen Schädigung auch eine anatomische entspricht. Für die Nieren- 
gefälle könnte das bei den chronischen Nephritiden nach unseren 
bisherigen Kenntnissen wohl Geltung haben. Bei den akuten dagegen 
kann der anatomische Nachweis der Intaktheit der Nierengefäße 
eine funktionelle Störung nicht mit voller Sicherheit ausschließen. 1 

1) S. Takayasu, l'her die Beziehungen zwischen anat. Glomernlusverinde- 
rnngen und Xierenfunktion usw. Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1907 p. 127. 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 343 


Für die Tubuli hängt die Möglichkeit der Kontrolle durch 
die anatomische Untersuchung hauptsächlich von dem Verhalten 
der Nierengefäße ab. Sind diese unversehrt, oder nur wenig ge¬ 
schädigt, so wird auch hier der funktionellen Schädigung eine 
anatomische entsprechen müssen. Sind aber auch die Nierengefäße 
schwer geschädigt, so werden wir für eine verschlechterte Funktion 
der Tubuli nicht ohne weiteres eine anatomische Unterlage ver¬ 
langen können, zumal bei akuten Nephritiden. Die Schädigung 
kann auch eine rein sekundäre, funktionelle sein, infolge der Schä¬ 
digung der Gefäße. Dafür fehlen uns bislang noch die genügenden 
experimentellen Unterlagen; aber es ist wohl unzweifelhaft, daß ein 
solcher Zusammenhang möglich ist, wissen wir doch, wie schnell 
die Tubuli durch jede Zirkulationsstörung beträchtlicherer Art ge¬ 
schädigt werden. 

Daraus ergibt sich, daß die anatomische Kontrolle der er¬ 
haltenen Resultate mit großen Einschränkungen zu rechnen hat, 
und nur unter ganz bestimmten Verhältnissen uns zu Hilfe 
kommen kann. 

Es darf wohl als selbstverständlich vorausgesetzt werden, daß 
unsere Methoden nichts über die pathologisch-anatomische Art der 
Schädigung angeben. Eine nachgewiesene Funktionsschädigung 
der Nierengefäße kann ebensogut die Folge einer Schrumpfniere 
bei Arteriosklerose, wie diejenige einer akuten Glomerulonephritis 
sein. Sicher können ganz verschiedene anatomische Zustände 
gleiche funktionelle Wirkungen hervorbringen; das hat schon bis¬ 
her der Vergleich zwischen Funktion im Leben und anatomischem 
Befund gelehrt. 

Was nun unsere Prüfungsstoffe im einzelnen betrifft, so ist 
die Verfolgung der Wasser- und Kochsalzausscheidung bei Nephri¬ 
tiden ja schon lange üblich. Von den körperfremden Stoffen ist 
Milchzucker bisher überhaupt noch nicht verwendet worden. 
Die Versuche, das Jodkali diagnostisch beim nierenkranken 
Menschen zu verwerten, sind schon recht alt und dauern auch 
heute noch fort. Seit Dice Duckworth 1 ) 1867 bis Ingel- 
finger 2 ) 1905 und Oerum 3 ) ist immer wieder der Versuch ge¬ 
macht worden, Jodkali für die Nierenprüfung zu verwenden. Auf 
die verschiedenen Methoden dazu, sowie die Literatur im einzelnen 

1) Citiert nach Bard et Bonnet, Arch. general, de med. 1898, 1,1, p. 129. 

2) Ingelfinger, Inaug.-Diss. München 1905. Beiträge zur Pathologie der 
^iereninsufficieuz. 

3) Oerum, Zentralbl. für innere Medizin 1908. 


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einiusrehen, würde hier zu weit führen. Die Urteile über seinen 
Wert und seine Eignung dazu fielen recht verschieden ans. Es 
genüge, aus der allerjüngsten Zeit einige Urteile von allgemeinerem 
Interesse anzuführen. Al bar ran 1 ) läßt die Methode gelten und 
empfiehlt sie für zweifelhafte Fälle als Ergänzung der übrigen. 

Kr. Müller 2 ) legt ihr nicht unbeträchtlichen Wert bei, v. Noorden 5 
dagegen urteilt wenig günstig darüber. 

Bei ihnen allen ist die Grundfragestellung für die Verwendrat 
des Jodkalis, wie schon in unserer ersten Arbeit betont, eine (ranz 
andere als hier: sie wollen ermitteln, ob sich eine generell« 1 
lnsufficienz der Niere durch das Jodkali verrät. Das kann 
nach dem oben Gesagten für uns nicht in Frage kommen; unsere 
Ziele sind ganz andere. Insofern haben auch die bisherigen Er¬ 
gebnisse für unsere Zwecke einen sehr beschränkten Wert, znmai 
da vielfach die betreffende Form der Nephritis zu unbestimmt an¬ 
gegeben ist und viel zu wenig zwischen den einzelnen Stadien 
differenziert ist. 

Führen wir kurz die Resultate an, die sich bisher bei der Prüfung 
mit Jodkali ergaben, so gestalten sie sich folgendermaßen: Nach Bard 
und Bonnet ist die Jodausscheidung bei Schrumpfniere verlängert, bei 
den „epithelialen“ Nephritiden etwa normal. Ingelfinger findet 
starke Verlängerung bei interstitieller Nephritis vorgeschrittener Art 
und bei schwerer parenchymatöser Nephritis, geringe bei leichter inter¬ 
stitieller Nephritis. Oer um findet bei interstitieller Nephritis starke 1 
Verlängerung, bei parenchymatöser Nephritis dagegen normale Ans- 
sclieidung. 

Im ganzen also bei parenchymatöser Nephritis kurze oder aber 
sehr stark verlängerte (Ingelfinger) Ausscheidung, bei gerine- 
fügiger interstitieller Nephritis geringe oder keine Verlängerung 
bei schwerer dagegen sehr starke Verlängerung. 

Über die Ausscheidung des Kochsalzes, sowie über die Art 
der Wasserausscheidung wird am besten bei jeder einzelnen Grupp* 
von Nephritiden zu sprechen sein. 

Methodik. 

Unsere Methodik mußte sich beim Menschen in einigen Punkten 
anders gestalten, als den Tierversuchen. Dort hatten wir sämtliche 
zu prüfenden Stoffe intravenös einverleibt. Das gebt aus ver- 

1) Al bar ran, Exploration des fonctions renales 1905 p. 128. 

2, Friedrich Müller, Referat über Morbus Brightii 1905. Verhandi. de: 
deutschen patbol. Gesellsch. Meran. 

•}) v. Noorden, Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels 1906 Bit 

p. 1021. 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 345 

schiedenen Gründen für den Menschen nicht an, würde auch die Dinge 
zu sehr erschweren. 

Nur für den Milchzucker konnten wir von der intravenösen Injektion 
nicht Abstand nehmen. Eine Eingabe per os war aus naheliegenden 
Ursachen ausgeschlossen. Es kam also nur die subkutane oder die 
intravenöse Injektion in Betracht. 

Unter diesen Verhältnissen zogen wir die intravenöse Injektion vor, 
da sie zweifellos einwandfreiere .Resultate gibt, als die subkutane, bei 
der auf dem Wege zwischen Haut und Blut doch noch unberechenbare 
Einflüsse mitspielen können, zumal bei hydropischen Kranken. Außer¬ 
dem aber ist die intravenöse Injektion, selbst in hohen Konzentrationen 
vollkommen schmerzlos, während die subkutane nicht unbeträchtlichen 
Schmerz bereiten kann. 

Der Milchzucker bedarf dazu besonderer Vorbereitung. Erhitzen 
auf 100° zwecks Sterilisation bräunt den Milchzucker, und macht ihn 
damit schwer polarisierbar; außerdem könnte sie unter Umständen 
auch teilweisen Übergang des Milchzuckers in Traubenzucker bedingen. 
Deshalb wurde der Milchzucker in 10°/ 0 Lösung (ca. 70 ccm in einem 
Erlenmeyerschen Kolben) an drei aufeinanderfolgenden Tagen je 4 Stunden 
bei 7 5—80 0 pasteurisiert. Zu jeder Injektion muß eine frisch pasteu¬ 
risierte Lösung verwendet werden. Zwei aufeinanderfolgende Injek¬ 
tionen dürfen nicht aus ein und demselben Erlenmeyer-Kolben gemacht 
werden. Trotz größter Asepsis und Sauberkeit sahen wir mehrfach zu 
Anfang da, wo wir zwei Injektionen aus einem Kolben ausführten resp. 
da, wo die gegebenen Pasteurisierungsregeln nicht aufs peinlichste ein¬ 
gehalten waren, Schüttelfrost und Temperatursteigerung bis 39 0 auf- 
treten. Nachteile der Injektion sind im übrigen nie zutage getreten, 
auch in den wenigen Fällen nicht, wo die erwähnte Temperatursteigerung 
auftrat. 

Die Injektion geschah nach der allgemein für intravenöse Injektionen 
üblichen Technik in eine Kubitalvene. Nach Voits 1 ) Vorgang ver¬ 
wendeten wir durchweg etwa eine 10 °/ 0 Lösung. Höhere Konzentrationen 
sollen nach Klapp 2 ) schmerzhaft sein, wenn sie unter die Haut kommen. 
Wir haben intravenös bis zu 14°/ 0 Lösungen, auch an uns selbst ohne 
jedes Schmerzgefühl verwendet. Zu Anfang injizierten wir größere 
Mengen des Milchzuckers, bis zu 100 ccm der 10 °/ 0 Lösung = 10 g. 
Da diese Methodik jedoch einer ausgedehnteren Anwendung Schwierig¬ 
keiten bot, so wurde bei der Mehrzahl späterhin nur noch 10 ccm, = 1,0 g 
Milchzucker, injiziert. Dies konnte um so eher geschehen, als die Er¬ 
fahrung lehrte, daß auch so geringfügige Quantitäten sich sehr gut im 
Urin nachweisen lassen. Freilich wird bei ihnen ganz analog den Er¬ 
fahrungen beim Tierexperiment die prozentische wiedergewonnene Menge 
erheblich kleiner, als bei größeren Mengen. Denn bei jeder einzelnen 
Portion bedingt die Linksdrehung des normalen Harns einen gewissen 
Verlust, der für größere Mengen Milchzucker unerheblich, für kleine 
dagegen nicht unbeträchtlich ist. Das bietet im allgemeinen keine 

1) Arch. f. klin. Med. Band 58 p. 545. 

2) Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 47, 1902 p. 95. 


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Schwierigkeiten. Bei Patienten jedoch, die große Albnmeumengen haben, 
tritt dazu noch der durch die Enteiweißung bedingte Verlust (conf. die 
Vorversuche der früheren Arbeit Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 98, 
p. 31). Unter solchen Verhältnissen wird manchmal die wiedergewonDene 
Menge so klein, daß sich derartige Fälle nicht sicher verwerten lassen. 
Wir gingen deshalb seit einem Jahr dazu über, 20 ccm der 10% Lösung 
= ca. 2 g MZ zu injizieren (mittels einer 20 ccm Luerspritze). Dadurch 
vermindert sich auch der prozentuale Verlust durch die linksdrehenden 
Substanzen des normalen Harns, und die Ausscheidung wird noeh 
schärfer verfolgbar. Nach der Injektion wurde der Urin in stündlichen 
oder halbstündlichen Intervallen aufgefangen, und sorgfältig darauf ge¬ 
achtet, daß stets die gesamte Menge zur Untersuchung kam. Diese 
geschah in derselben Weise wie in der ersten Arbeit angegeben, durch 
Polarisation nach eventueller Klärung und Enteiweißung. Die Klärung 
wurde mit sehr geringen Mengen Blutkohle vorgenommen, die Ent¬ 
eiweißung meist durch Kochen und Essigsäurezusatz, gelegentlich auch 
Esbach oder Alkohol, entsprechend den in der früheren Arbeit gegebenen 
Erfahrungen hierüber. 

Im allgemeinen ist das Ende der Milchzuckerausscheidung leicht zu 
erkennen, sie ist in dem Augenblick abgeschlossen, wo der Ham wieder 
seine normale schwache Linksdrehung zeigt. Nach den Studien des 
einen von uns beträgt diese Linksdrehung im Durchschnitt von 100 Harnen 
0,047b. 1 ) Mitunter ist der Umschlag jedoch nicht so scharf, besonders da, 
wo sich die Milchzuckerausscheidung sehr lange hinzieht. Hier empfiehlt 
sich, wie überhaupt, dringend, die qualitative Probe zum Vergleich und 
Kontrolle heranzuziehen. Dazu benützten wir die Nylandersche Probe. 
Die minimale Menge Milchzucker, welche sie anzeigt, beträgt ca. 0,03 
bis 0,04%. 

Bei geringen Milchzuckermengen kann sie als Kontrolle der Polari¬ 
sation sehr wertvoll werden. Wir haben sie seit längerer Zeit stets 
neben der letzteren angewendet. 

Will man sich rasch orientieren und verzichtet man auf den quanti¬ 
tativen Nachweis des Milchzuckers, so genügt es, die Nylanderprobe 
allein mit den verschiedenen Urinportionen anzustellen. Dadurch wird 
die Methode sehr vereinfacht und kann auch da angewendet werden, wo 
kein feines Polarimeter zur Verfügung steht. Ebenso kann auf diese 
Weise auch bei Patienten, bei denen ein Sammeln der gesamten Urin¬ 
menge wegen Inkontinenz ausgeschlossen ist, die Untersuchung durch¬ 
geführt werden. Vielleicht ist es bei größerer Erfahrung späterhin mög¬ 
lich, auf quantitative Untersuchung überhaupt zu verzichten und sich 
mit der einfachen qualitativen zu begnügen. Wir haben vorläufig noch 
vorgezogen, beide Methoden nebeneinander auszuüben, um eine möglichst 
scharfe gegenseitige Kontrolle zu haben. 

Auch beim normalen Menschen ergibt sich, wie beim normalen Tier, 
ein gewisser Verlust an Milchzucker, der aus den oben angegebenen 
Gründen um so größer sein wird, je kleiner die Menge des injizierten 


1) Takayasu, Über die Linksdrehung des normalen Harns. Zentralbl. f. 
innere Med. 1908. 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 347 

Milchzuckers ist und unter pathologischen Bedingungen um so größer 
aein wird, je höher die Albumenmenge in dem untersuchten Urin ist. 
Schon bei unseren Studien an experimentellen Nephritiden haben wir 
(auf p. 32) hervorgehoben, daß dadurch keine Unsicherheit entstehen 
kann. Denn in erster Linie steht nicht die Größe der wiedergewonnenen 
Menge, sondern die Dauer der Ausscheidung. Das gilt in noch viel 
höherem Grade für die menschlichen Verhältnisse. Denn hier sind die 
Ausschläge, gerade bei den vaskulären Nephritiden, sehr viel ausgeprägter 
und deutlicher als bei den experimentellen. Auch die wiedergewonnenen 
jlengen sind meist größer als dort, da die Klärung leichter ist und kein 
'Traubenzucker entfernt zu werden braucht. Trotzdem möchten wir vor¬ 
läufig noch nicht von der Bestimmung der quantitativen Verhältnisse 
abgehen; sie ist einmal, wie schon betont, eine wirksame Kontrolle; 
haben wir 2,0 g injiziert und nach 4 Stunden 90°/ 0 wiedergefanden, 
so werden wir sicher sein, daß in der Tat die Ausscheidung nach 
4 Stunden beendet ist. Dann aber kann die quantitative Verfolgung 
der Milchzuckerausscheidung uns unter Umständen auch einiges über 
den Grad der Schädigung der Milchzuckerelimination sagen. Es ist im 
allgemeinen aus äußeren Gründen (wegen der Forderung des stündlichen 
Urinsammelns), nicht möglich, die Milchzuckerelimination länger als 12 
Stunden zu verfolgen. In solchen Fällen, wo die Ausscheidung des 
Milchzuckers nach 12 Stunden noch nicht beendigt ist, wird uns die 
Menge des wiedergewonnenen Milchzuckers einen weiteren wertvollen 
Anhalt für den Grad der Ausscheidungsstörung geben können. So können 
unter zwei Fällen, die beide länger als 12 Stunden ausscheiden, im 
einen Falle nach 12 Stunden 70 °/ 0 eliminiert sein, im anderen dagegen 
nur 20°/ 0 . Außerdem ist noch zu untersuchen, ob nicht in der Art der 
quantitativen Milchzuckerausscheidung, der Fähigkeit zur Milchzucker¬ 
konzentration weitere verwertbare Anhaltspunkte über die Arbeit der 
Niere zu finden sind. 

Jodkali wurde in einer Menge von 0,5 g gelöst per os gegeben. 
Seine Bestimmung im Urin führten wir zu Anfang nach der üblichen 
Methode mit rauchender Salpetersäure und Chloroform aus. Seit längerer 
Zeit dagegen wählten wir die von Sandow angegebene sehr einfache 
Methode. l ) Zu ca. 25 — 30 ccm Harn werden ca. 2 ccm verdünnte 
Schwefelsäure und ca. 1 ccm 0,2 °/ 0 Natriumnitritlösung zugesetzt, dann 
mit Chloroform ausgeschüttelt. Die Methode gestattet ein weit feineres 
Verfolgen der Ausscheidung, zumal bei stark eiweißhaltigen Urinen, da 
bei ihnen das Eiweiß dadurch nicht ausgefällt wird. Nach Sandow's 
Angaben gibt die Methode noch 0,001 °/ 0 an. Auf quantitative Be¬ 
stimmung der Jodkaliausscheidung verzichteten wir vorläufig und bestimmten 
nur das Ende der Jodkaliausscheidung. Zu diesem Zwecke wurden zwei¬ 
stündlich Urinproben aufgefangen und auf Jodkali untersucht. 

Die Verfolgung des Wassers und Kochsalzes geschah nach den an 
der Tübinger Klinik üblichen gleichmäßigen Regeln. Bei der über¬ 
wiegenden Mehrzahl aller Patienten wurde nicht nur die Wasserbilanz, 
sondern auch der Kochsalzstoffwechsel (Einnahme und Ausgabe) über 


1) Arch. f. Pharmacie Bd. 234, 1899 p. 177. 


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Wochen und Monate hindurch dauernd verfolgt. Die Berechnung der 
Kochsalzzufuhr hat eigens dafür von Herrn Stabsarzt Dr. P. Schmid 
angefertigte Tabellen des Kochsalzgehalts der an der Klinik verabreichten 
fertigen Speisen zur Grundlage. 

Vorversuche. 

Es war zunächst erforderlich, zu ermitteln, ob die körper¬ 
fremden Substanzen auch beim Menschen eine konstante Aus¬ 
scheidungszeit haben. Beim Tier hatte sie sich für Milckzucker 
wie für Jodkali außerordentlich konstant gezeigt. Nächstdem war 
zu untersuchen, wie lange die angewandten Mengen körperfremder 
Substanzen zu ihrer Ausscheidung benötigen. 

Die Elimination des Milchzuckers beim normalen Menschen 
prüften wir in 16 Versuchen. Davon erhielten 12 Personen ca. 1 g 
Milchzucker (s. nebenstehende Tabelle A). Von ihnen schieden acht den 
Milchzucker binnen 4 Stunden aus, zwei brauchten 5 Stunden und 
je einer 3 und 2 (Nr. 11 der Tab. A, darüber s. u.). Die Durch¬ 
schnittsdauer für die Ausscheidung war demnach 4 Stunden, das 
Maximum 5 Stunden. Bei vier weiteren Normalmenschen injizierten 
wir 2 g Milchzucker. Bei dreien von ihnen war auch jetzt die 
Ausscheidung in 4 Stunden beendigt, nur einer brauchte 5 Stunden. 
Danach ist für die Menge von 2 g Milchzucker die Ausscheidungs¬ 
zeit die gleiche wie für lg. Wir dürfen sie nach diesen Normal¬ 
versuchen für beide Mengen auf durchschnittlich 4, maximal 
5 Stunden ansetzen. 

Es wurde dann ferner untersucht, wie sich die Milchzucker¬ 
ausscheidung beim Menschen gegenüber sehr reichlicher Flüssig¬ 
keitszufuhr gestaltet. Beim Versuchstier hatte die gleiche l’uter- 
suchung große Konstanz gegenüber starker Flüssigkeitszufuhr und 
dadurch bedingter Polyurie resp. geringer Flüssigkeitszufuhr und 
Oligurie ergeben. Drei der normalen Versuchspersonen (Nr. 8. 10 
und 11) nahmen deshalb größere Quantitäten Flüssigkeit zu sich. 
Bei zweien von ihnen blieb die Ausscheidungsdauer 4 Stunden. 
Bei dem dritten (Nr. 11) dagegen erzeugte die Kombination einer 
reichlichen Mahlzeit mit ausgiebiger Flüssigkeitsaufnahme (1100 ccm 1 
eine Diurese von 1100 ccm in 4 Stunden; hier sank die Aus- 
scheidungsdauer, die unter gewöhnlichen Verhältnissen bei ihm 
ebenfalls 4 Stunden gewesen war (Nr. 7 der Tab. A), auf 2 Stunden. 
Die prozentuelle Menge des wieder ausgeschiedenen Milchzucker» 
war dabei etwa dieselbe in beiden Versuchen. Auch beim Menschen 
vermag demnach starke Diurese die Milchzuckerelimination zu be- 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 349 



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SCHLAYER U. TaKAYASU 


schleunigen. Jedoch ist dies offenbar nicht immer der Fall, wie 
unsere beiden ersten Versuche zeigen, sondern nur unter sehr weit¬ 
gehenden Bedingungen, bei starker Diurese. Auch in dieser Hin¬ 
sicht verhält sich demnach der Mensch genau wie das Tier: wir 
haben beim Kaninchen bei Erzeugung sehr starker Diurese dieselbe 
Abkürzung der Milchzuckerausscheidung gefunden. — Den Einfluß 
von Oligurie prüften wir bei Patienten, welche infolge Ascites be¬ 
trächtliche Oligurie aufwiesen. Im ganzen wurden drei derartige 
Patienten injiziert, alle drei mit 1 g Milchzucker. Alle drei hatten 
starken Ascites, zwei infolge von tuberkulöser Peritonitis, der dritte 
infolge Polyserositis mit Perikardobiiteration und Pleuraexsudat 
(s. nebenstehende Tab. B, Nr. 1,2, 3). Bei zweien von ihnen dauerte die 
Ausscheidung 4 Stunden, bei dem dritten 5 Stunden, blieb also in 
allen Fällen innerhalb der normalen Grenzen. Dieses Ergebnis ist von 
doppeltem Interesse. Es zeigt einmal, daß selbst beträchtliche Oligurie 
(nur 150 ccm Urin in 4—5 Stunden) die Ausscheidung des Milchzuckers 
nicht zu verlängern vermag. Dies Resultat steht in vollkommenem 
Einklänge mit unseren Erfahrungen beim Tiere: auch dort hatte 
Oligurie keine Verlängerung der Milchzuckerausscheidung zur Folge. 
Dann aber — und das ist für unsere Zwecke fast noch wesent¬ 
licher — lehren die Versuche, daß selbst so hochgradige Resorp¬ 
tionshindernisse, wie Ascites infolge tuberkulöser Peritonitis oder 
Polyserositis, mit Pleuraexsudat kompliziert, auf die Ausscheidung 
des Milchzuckers keinen Einfluß haben. Während bekanntermaßen 
die Kochsalzausscheidung von diesen Hindernissen sehr stark be¬ 
troffen wird und auch in den betreffenden Fällen betroffen war, 
wird der Milchzucker in ganz gleicher Zeit wie beim Normaltier 
ausgeschieden. Der Organismus hat demnach die Fähigkeit, ge¬ 
wisse körperfremde Stoffe, wie Milchzucker, selbst bei Resorptions¬ 
störungen, bei denen körpereigene, wie Kochsalz, retiniert werden, 
geradeso gut wie unter normalen Bedingungen auszuscheiden. 

Jedoch auch diese Fähigkeit hat offenbar ihre Grenze. Bei 
schweren universellen Resorptionsstörungen wird auch der Milchzucker 
nicht mehr normal eliminiert. Hier leidet auch seine Ausscheidung 
not. So verlängerte sich bei einem Patienten mit Herzschwäche, 
maximalem cirrhotischem Ascites, Ödemen der Beine und der 
ganzen unteren Rumpf hälfte die Milchzuckerausscheidung auf über 
6 Stunden. Die Autopsie zeigte dabei die Nieren, auch mikro¬ 
skopisch, frei von Veränderungen (Tab. B, 4). Bei einem zweiten 
Patienten mit Herzinsufficienz bei Emphysem fanden wir ebenfalls 
die Milchzuckerelimination auf 6 Stunden verlängert (Tab. B. 5- 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 351 


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352 


SCHLAYKK U. TAKAYASU 


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Hier vermochten wir jedoch eine Beteiligung der Nieren an der 
Verlängerung nicht so sicher auszuscbließen wie im ersten Fall 
da keine Autopsie stattfand. Auch klinisch war der Patient nicht 
ganz einwandfrei in dieser Hinsicht: er hatte eine leichte Hyper¬ 
tension (148—158 mm Hg, breite Manschette) und leichte Albu¬ 
minurie. Derselbe Grund, die Unmöglichkeit, eine Beteiligung der 
Nieren ganz sicher auszuschließen, machte noch eine Anzahl von 
weiteren Versuchen dieser Richtung unverwertbar. Der oben ge¬ 
schilderte einwandfreie Fall genügte, um uns zu zeigen, daß schwere 
Herzinsufficienz und höchstgradige Resorptionsstörungen wohl im¬ 
stande sind, auch die Milchzuckerausscheidung zu beeinflussen. 
Wir haben aus diesem Grunde davon abgesehen, die 
Milchzuckerprüfung bei Herzinsufficienten resp. 
Nierenkranken mit irgendwie stärker hervor¬ 
tretender Herzbeteiligung vorzunehmen. Auf diese 
Weise ließ sich jede Unklarheit der Deutung, welche etwa von 
dieser Seite stammen könnte, umgehen. Wir untersuchten nur rein 
renale Fälle oder Nierenkranke mit gut kompensiertem Herzen. 

Während Herzschwäche, zum mindesten in den höheren Graden, 
auf die Ausscheidung des Milchzuckers einen deutlichen Eiufluß 
hatte, hat bemerkenswerterweise Fieber keinerlei Einwirkung 
darauf. Bei einer Anzahl von Patienten, die bis zu 40 0 fieberten, 
war die Dauer der Milchzuckerausscheidung vollkommen normal, 
nämlich 4 Stunden, maximal 5 Stunden. Unter ihnen befand sieb 
auch einer der Fälle mit tuberkulöser Peritonitis, von denen oben 
die Rede war (Tabelle B, Fall 3). Ebenso war bei einem der er¬ 
wähnten Patienten, welche nach Milchzuckerinjektion Schüttelfrost 
mit Fieber bekamen, die Ausscheidungszeit trotz Fiebers von 3 9 * 
nur 4 Stunden. Selbst starkes Fieber vermag demnach die Milch¬ 
zuckerausscheidung nicht zu verändern, und zwar auch dann nicht, 
wenn mit ihm Oligurie und Oligochlorurie verbunden ist (cfr. Fall o. 
Tabelle B). 

Ganz analoge Erscheinungen zeigt die Elimination des Jod k a 1 i. 
Über seine Ausscheidung beim Normalen sind wir durch zahlreiche 
sorgfältige Untersuchungen genügend oiientiert. Nach diesen Studien 
beträgt die Ausscheidungsdauer von 0,25—1,0 g zwischen 30 und 
55 Stunden (Roux, Hecker, Purpus, Studeni). Für 0.5 g 
fand Anten'-’) unter Heffter’s Leitung 40 Stunden als Durch- 


1) Literatur siehe Ergebnisse der Phvsiol. Bd. II, 1 1903 p. 101. 

2 ) Ergebt), d. Physiol. Bd. II, 1903 p* 106. 


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Untersuchungen aber die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 353 


schnitt, ln ausgedehnten Nonnaiversuchen fanden wir nach unserer 
einfachen Methode des Nachweises im Durchschnitt annähernd die¬ 
selben Werte für dieselbe Menge, 44 Stunden. Die Ausscheidungs¬ 
dauer schwankt jedoch nach oben wie nach unten ziemlich stark. 
Für unsere Zwecke kam es weniger darauf an, einen Durchschnitt 
zu finden, als vielmehr die normale Maximalgrenze nach 
oben zu ermitteln. Wir fanden sie für 0,5 g bei etwa 50 Stunden. 
Was unterhalb dieser Grenze liegt, kann noch nicht sicher als 
pathologisch betrachtet werden. Auch Werte bis zu 55 Stunden 
verdienen diese Bezeichnung nicht mit aller Sicherheit. Wir haben 
deshalb, um sicher zu gehen, einwandfreie Verlängerung erst von 
60 Stunden ab angenommen. In praxi kommt dies für unsere Be¬ 
obachtungen nicht sehr in Betracht, da meist die Verlängerung 
der Ausscheidung sehr ausgesprochen ist, so daß einige Stunden 
keine Rolle spielen. 

Genau wie beim Milchzucker untersuchten wir auch für die Jod¬ 
kalielimination den Einfluß von gesteigerter Diurese beim Menschen. 

Beim Tier hatte sie sich außerordentlich konstant erwiesen 
noch konstanter als die Ausscheidung des Milchzuckers. Weder 
Oligurie noch Polyurie konnten die Jodkalielimination beim Ka¬ 
ninchen verändern. Maximale Polyurie, durch große Mengen 
starker Kochsalzlösung erzielt, vermochte wohl die Milchzucker¬ 
aasscheidung zu kürzen, nicht aber die des Jodkali. Für den 
Menschen hat Heffter 1 ) schon ganz ähnliche Befunde erhoben. 
Er fand bei starker Diurese durch Biertrinken keine Abkürzung 
der Jodkaliausscheidung. Einige analoge Versuche ergaben uns 
das gleiche Resultat. Für die Polyurie liegen demnach die Ver¬ 
hältnisse genau so wie beim Tier. Auch Oligurie vermag die 
Jodkaliausscheidung nicht zu beeinflussen. So zeigten dieselben 
Patienten mit Ascites, an welchen wir die Prüfung der Milchzucker¬ 
ausscheidung vorgenommen hatten, trotz ihrer beträchtlichen Oli¬ 
gurie keine Verlängerung der Jodkaliausscheidung. Sie eliminierten 
0.5 g in 50 und 34 Stunden (Tabelle B, Fall 1 und 3). Bei anderen 
Patienten mit Ascites und auch solchen mit frischen pleuritischen 
Exsudaten fand sich genau dasselbe Resultat. 

Weder Oligurie noch Polyurie vermögen danach die Ausschei¬ 
dung des Jodkali zu verändern. Wie bei Milchzucker sehen wir 
auch bei Jodkali, daß selbst starke Resorptionshindernisse, wie 
Ascites und Pleuraexsudate, die Ausscheidung des Jodkali nicht 


1) Ergebn. d. Pbysiol. Bd. II 1903 p. 106. 

Deutsche» Archiv f. klin. Medizin. 10t. Bd. 23 


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Schuaybr u. Takayasu. 


854 

beeinflussen. Sie bleibt dieselbe. Das ist für das Jodkali mit 
Rücksicht auf den Kocbsalzstoffwechsel von besonderem Interesse. 
Nach unseren tierexperimentellen Untersuchungen werden Jodkali 
und Kochsalz an gleicher Stelle der Niere abgeschieden, in den 
Tubulis. Bei jenen Fällen von Ascites tuberculosus sahen wir nun. 
wie schon erwähnt, eine Retention von Kochsalz; daß diese durch 
extrarenale Einflüsse bedingt ist, steht wohl außer Zweifel. Das 
Jodkali wird jedoch von diesen Einflüssen nicht betroffen. Es geht 
in normaler Weise ganz unabhängig von ihnen seinen Weg durch 
die Niere- Bei Oligochlorurie, die nicht durch die. Niere verursacht 
ist, wird also das Jodkali binnen normaler Zeit eliminiert. Auch 
sehr starke Ausscheidung von Kochsalz vermag die Jodkaliaus¬ 
scheidung nicht wesentlich zu beeinflussen. So haben wir mehr¬ 
fach bei herzkranken Menschen, die unter Besserung ihrer Herz¬ 
kraft starke kardiale Ödeme und dabei große Kochsalzmengen 
entleerten, die Jodkaliausscheidung nicht oder nicht wesentlich 
sich abkürzen sehen. Kochsalzausscheidung und Jodkalielimination 
gehen demnach nicht immer Hand in Hand, sondern die Jodkali¬ 
ausscheidung ist weit konstanter als die des Kochsalzes, die sehr 
vielen extrarenalen Einflüssen unterliegt. 

Das zeigt sich auch bei Herzinsufficienz. Während 
Milchzucker bei schwerer Herzinsufficienz verlängert aasgeschieden 
werden kann, ist die Jodkaliausscheidung noch immer innerhalb 
normaler Grenzen; sie überschritt nach unseren Versuchen 54 Stunden 
nie. In besonders ausgesprochener Weise demonstriert das jener 
Patient mit schwerer Herzinsufficienz, Ödemen und Ascites, aber 
autoptisch gesunden Nieren, bei dem der Milchzucker verlängert 
ausgeschieden wurde (Tabelle B, Fall 4). Auch bei ihm war hoch¬ 
gradige Störung der Kochsalzausscheidung und hochgradige Oli¬ 
gurie vorhanden. Er brauchte trotzdem für die Jodkaliausscheidung 
nur 52 Stunden. Hier verhält sich demnach das Jodkali, ebenso 
wie gegenüber maximaler Polyurie noch konstanter als der Milch¬ 
zucker. Bei Fieber schließlich wird die Jodkalielimination eben¬ 
sowenig verändert wie die des Milchzuckers. Sie bleibt normal 
(z. B. cfr. Fall 3, Tabelle B, Ascit tub. mit dauerndem hohem Fieber, 
Dauer der Jodkaliausscheidung 34 Stunden). 

Diese Versuche über die Art der Ausscheidungsverhältnisse 
der beiden körperfremden Substanzen beim normalen und beim 
nicht nierenkranken Menschen sind für ihre Verwendung beim 
Nierenkranken von wesentlichem Interesse nach mehrfacher Rich¬ 
tung. Zunächst sei nochmals die Analogie mit den diesbezüglichen 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 355 


Tierversuchen hervorgehoben. Es zeigt sich, daß die Ausscheidung 
der beiden körperfremden Stoffe beim Menschen genan so verläuft 
wie beim Tier. Auch beim Menschen findet sich wie beim Tier 
eine außerordentlich große Konstanz der Ausscheidung für beide 
Substanzen. Oligurie und Polyurie haben keinen Einfluß auf sie. 
Physiologische Schwankungen und Differenzen des Menschen in 
dieser Hinsicht kommen demnach für sie nicht in Betracht. Nur 
sehr starke Polyurie kann auf Milchzucker verkürzend wirken. 
Aber selbst pathologische Einflüsse extrarenaler Art, die weit¬ 
gehende Resorptionshindernisse darstellen, wirken nicht auf sie ein. 
Weder Ascites noch Pleuraexsudate vermögen die Ausscheidung 
zu verändern. Ja selbst Fieber und Herzinsufficienz sind dazu 
nicht imstande. Damit beantwortet sich die oben besprochene 
Frage, inwieweit die Zustände, die wir als akzidentelle Stoflfwechsel- 
einflüsse extrarenaler Art bezeichneten, die Elimination der beiden 
körperfremden Prüfungssubstanzen ändern können. Mit der einen 
Ausnahme, daß schwere Herzinsufficienz die Milchzuckerelimination 
verlängert, wird die Ausscheidung beider Substanzen selbst von 
so erschwerten Resorptionsbedingungen nicht betroffen, sondern 
bleibt vollkommen unbeeinflußt. Daraus ergibt sich, daß beiden 
Substanzen auch beim Menschen — unter physiologischen wie unter 
den geprüften pathologischen Bedingungen — die Eigenschaft zu¬ 
kommt, die für unsere Zwecke als ein notwendiges Desiderat er¬ 
scheint, eine hinreichend große Gleichmäßigkeit der Ausscheidungs¬ 
verhältnisse. 

Untrennbar mit dieser Eigenschaft verbunden ist es, daß die 
Ausscheidung beider körperfremden Stoffe mit der der körpereigenen, 
soweit wir diese prüften, nicht parallel geht. Und zwar auch nicht 
mit denjenigen körpereigenen Substanzen, mit denen sie, nach 
unseren Untersuchungen am Tier, den gleichen Sekretionsort ge¬ 
meinsam haben. Wasser und Milchzucker werden an gleicher 
Stelle abgesondert, in den Nierengefäßen. Schon beim normalen 
Kaninchen gehen aber beide Stoffe keineswegs immer miteinander, 
wie wir bereits in unserer früheren Arbeit betonten (Arch. f. klin. 
Med., Bd. 98, p. 73). Dieses Auseinanderfallen war nicht bloß unter 
physiologischen Verhältnissen der Fall, sondern auch unter denen 
der experimentellen Nephritis. 

Unsefe oben gegebenen Vorversuche zeigen, daß sich das beim 
normalen resp. nicht nierenkranken Menschen ebenso verhält. 
Auch bei ihm hat Oligurie und Polyurie (sofern letztere nicht sehr 
stark ist) keinen Einfluß auf die Ausscheidung des Milchzuckers. 

23 * 


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Schlaykb u. Takayasu 


Er bleibt in seiner Ausscheidung konstant. Selbst Oligurie, die 
durch pathologische Resorptionsstörungen hervorgerufen ist, vermag 
ihn nicht zu beeinflussen. 

Ganz gleichartige Verhältnisse weisen Kochsalz und Jodkali 
auf. Beide werden an gleicher Stelle, in den Tubulis abgesondert. 
Schon beim normalen Tier ist die Ausscheidung des Jodkali so gut 
wie unbeeinflußbar, die des Kochsalzes dagegen kann mit Leichtig¬ 
keit durch Theocin oder Diuretin gesteigert und beschleunigt 
werden, wie zahlreiche Arbeiten ergeben haben. Ganz ebenso 
liegen nach unseren Vorversuchen die Dinge beim Menschen: weder 
die vermehrte noch die verminderte Kochsalzausscheidung beeinflußt 
die Elimination des Jodkali in nennenswerter Weise. Sie bleibt 
konstant. 

Von einem Parallelismus zwischen den körpereigenen und den 
an gleicher Stelle secernierten körperfremden Substanzen ist da¬ 
nach keine Rede. Unsere Studien ergeben, daß er bei Mensch und 
Tier schon unter physiologischen Verhältnissen fehlt Sie zeigen, 
daß die geprüften körperfremden Substanzen, Jodkali und Milch¬ 
zucker außerordentlich stabile Ausscheidungsverhältnisse haben, 
die geprüften körpereigenen, Wasser und Kochsalz dagegen sehr 
labile. Daraus erklärt sich, warum beide nicht parallel gehen 
können. Die beiden körperfremden Substanzen unterliegen offenbar 
sehr gleichmäßigen, wenig alterierbaren Eliminationsbedingungen, 
während die Ausscheidung der beiden körpereigenen außerordent¬ 
lich wandelbar ist und von zahlreichen variablen, bald extrarenalen, 
bald renalen Einflüssen bestimmt wird. Wir können demnach 
auch nicht mit von Noorden 1 ) den Prüfungswert der körper¬ 
fremden Substanzen für die Nierendiagnostik danach bemessen, ob 
sie mit den wichtigsten körpereigenen parallel gehen oder nicht. 
Wir werden im Gegenteil ihre Konstanz gegenüber der Inkonstanz 
der geprüften körpereigenen für unsere Zwecke als einen großen 
Vorzug betrachten müssen, der sie besonders geeignet zu Unter¬ 
suchungen mit unseren Zielen macht. 

Es wird Sache weiterer Untersuchungen sein, in gleicher 
Weise zu erforschen, wie sich die Ausscheidungsbedingungen der 
anderen körpereigenen Substanzen verhalten. Bis heute ist uns 
darüber noch sehr wenig bekannt. Schon die bisherigen Erfah¬ 
rungen genügen, um zu zeigen, daß die Verhältnisse in dieser Hin¬ 
sicht keineswegs so einfach liegen, wie bisher die fast allgemein 


1) Handb. d. Pathol. d. Stoffwechsels, Bd. 1 p. 1021. 


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Untersuchungen Uber die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 307 

übliche Annahme war. Sie lehren, daß offenbar die Ausscheid ungs- 
bedingungen für die einzelnen Körper weitgehend verschieden sein 
können, und zwar auch bei solchen, die an gleichem Orte abge¬ 
sondert werden. Die Vorstellungen, die wir auf diese Weise ge¬ 
winnen, nähern sich in bemerkenswertester Weise denjenigen, welche 
Albarran 1 ) auf Grund seiner ausgedehnten und sorgfältigen 
Stndien an einseitigen Nierenerkrankungen gewonnen hat. Von 
ihm wird die Anschauung vertreten, daß jeder harnfähige Stoff 
seine eigenen Ansscheidnngsbedingungen habe. Solange wir diese 
nicht näher kennen, werden wir einen prinzipiellen Parallelismus 
der Ausscheidung weder für den normalen, noch für den kranken 
Menschen erwarten können. Wir werden vielmehr danach streben, 
den Ausscheidnngscharakter jedes einzelnen Stoffes zu bestimmen, 
die Wirkung extrarenaler Einflüsse auf ihn zu studieren und so 
eine vertiefte Kenntnis von der Nierentätigkeit überhaupt zu ge¬ 
winnen. Eine Erweiterung unserer Kenntnisse in dieser Richtung 
wird nicht ohne Einfluß auf die Diagnostik bleiben und auch dieser 
fördernd zustatten kommen. Kennen wir die extrarenalen Faktoren, 
welche die Ausscheidung eines Körpers beeinflussen, nnd seinen 
renalen Ausscheidungstyp in dem oben dargelegten Sinne, so werden 
wir Abweichungen in bestimmter Richtung wohl auch zu diagnos¬ 
tischen Schlüssen heranziehen können. Wir haben das einstweilen 
nur für die angegebenen vier Substanzen getan. 

Außer diesen Vorversuclien über die von uns verwendeten 
körperfremden Substanzen haben wir auch eine Anzahl von Ver¬ 
suchen über die Beziehungen zwischen Wasser und Kochsalz beim 
normalen Menschen ausgeführt. Sie betrafen die Art, wie eine 
Kochsalzzulage vom normalen Menschen eliminiert wird. Rein 
theoretisch betrachtet, kann diese Elimination auf zwei verschie¬ 
dene Arten erfolgen. 

1. Es wird unter gleichzeitiger Zunahme der Wasserzufuhr 
auch mehr Wasser ausgeschieden. Dann wird die Elimination des 
mehrzugeführten Kochsalzes ohne Erhöhung der Kochsalzkonzen¬ 
tration vor sich gehen können. 

2. Es wird bei gleichbleibender Wasserzufuhr auch die Wasser¬ 
ausfuhr nicht vermehrt. Dann muß, soll das Mehr an Kochsalz 
eliminiert werden, notwendigerweise die Kochsalzkonzentration be¬ 
trächtlich ansteigen. 

In der Tat finden sich diese beiden Typen genau so beim nor- 


1) Albarran, Explorat. des fonct. renales. 


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358 


Schlaybb n. Takayasu 


malen Menschen, wenn man ihm eine einmalige Kochsalzzulage von 
10 g verabreicht. Wir fügen von jeder der beiden Typen ein 
beim normalen Menschen gewonnenes Beispiel an. 

Kurve 1 auf Taf. II zeigt den ersten Typ. Es fallt sogleich 
ins Auge, daß hier- die Elimination der Kochsalzzulage ganz in der 
Weise geschieht, wie bei der vaskulären Hyposthenurie: Ansteigen 
des Wassers bei Gleichbleiben der Konzentration. Die Gesant- 
kochsalzausfuhr überschießt sogar die Einfuhr etwas. Die Kon¬ 
zentration bleibt völlig konstant. 

Kurve 2 auf Taf. II zeigt den zweiten Typ. Die Wasser- 
ausfuhr nimmt bei gleichbleibender Zufuhr an dem Tage der Koch¬ 
salzzulage wie am nächsten Tage sogar etwas ab. Die Konzen¬ 
tration des Kochsalzes dagegen nimmt sehr beträchtlich zu (von 0.68 
auf 0,89 # / 0 ). Trotz dieser Konzentrationserhöhung hat die Niere 
es doch nicht vermocht, alles zugeführte Kochsalz an denn Tag der 
Zulage zu eliminieren, sondern die Ausfuhr bleibt um nahezu 6.0 z 
zurück. Der Ausgleich erfolgt erst am nächsten Tage: hier er¬ 
höht die Niere die Konzentration noch mehr (auf 0,94 °/ 0 ) und 
eliminiert auf diese Weise einen Teil des retinierten Kochsalzes. 
Am letzten Tage schließlich sinkt die Konzentration wieder zu der 
anfänglichen Höhe herab. Dieser zweite Weg ist offenbar der für 
die Elimination der Kochsalzzulage ungünstigere. Theoretisch sollte 
die gesunde Niere auch auf diese Weise mit der Kochsalzzolage 
ebensogut fertig werden wie auf die andere Art, indem sie einfach 
die Konzentration des Kochsalzes so stark erhöht, als notwendig 
ist, um das Kochsalz zu eliminieren. Das scheint jedoch schon 
unter normalen Verhältnissen Grenzen zu haben. Nur selten ver¬ 
mag die normale Niere die Kochsalzkonzentration so stark zu er¬ 
höhen. Sie bleibt vielmehr meist zurück und dadurch wird ein 
Teil des Kochsalzes nicht resp. erst am nächsten Tage ansgeschie¬ 
den. Wir sehen, bei Erhöhung der Wasserzufuhr wird das Koch¬ 
salz glatt eliminiert, bei gleichbleibender Wasserzufuhr dagegen 
meist nicht sofort und unvollständig. Danach besteht zweifellos 
eine gewisse Beziehung zwischen der Elimination des Wassers und 
der des Kochsalzes. Die Ausscheidung des Kochsalzes ist bis zu 
einem gewissen Grade von der des Wassers abhängig, wenigstens 
da, wo es sich um Elimination von einem Mehr an Kochsalz 

handelt. 

Auf Grund unserer experimentellen Erfahrungen hegen wo¬ 
von diesen Verhältnissen folgende Vorstellung: Das Mehr an Koch- 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 359 


salz wird nur da gut und prompt ausgeschieden, wo eine vermehrte 
Wasserausscheidung eintritt. Diese vermehrte Wasserausscheidung 
ist für uns das Zeichen einer vermehrten Arbeit der Nierengefäße. 
Die Nierengefäße verhalten sich genau so wie beim Tier, wenn ihm 
eine Kochsalzlösung in die Vene infundiert wird: sie erweitern sich 
und sondern mehr Wasser ab. Antworten die Nierengefäße nicht 
in dieser Weise auf die Mehrzufuhr von Kochsalz, so ist die Aus¬ 
scheidung des Kochsalzes selbst beim normalen meist nur unvoll¬ 
ständig; die Konzentration des Kochsalzes steigt wohl, aber nur 
bis zu einer gewissen Grenze, d. h. die Tubuli können mit dem 
mehreingeföhrten Kochsalz ohne die Mitwirkung der Nierengefäße 
nicht fertig werden. 

Die eben geschilderten beiden Typen der Ausscheidung einer 
Kochsalzzulage sind zwei Extreme. Zwischen beiden finden sich 
mannigfache Übergänge. 


Ergebnisse bei nierenkranken Menschen. 

Wir wandten die geschilderten Methoden hei nunmehr 150 
nierenkranken Menschen an. Unter ihnen befinden sich Nieren¬ 
krankheiten der verschiedensten Arten, jedoch nur doppelseitige. 

Der Lage der Dinge nach hat die Verwendung unserer Methoden 
hei einseitigen Nephritiden keinen Zweck, da eine etwa vorhandene 
einseitige Funktionsstörung ja jederzeit durch die andere Seite aus¬ 
geglichen werden kann. ' Für Prüfung mittels Ureterenkatheterismus 
aber sind die Ausscheidungszeiten der körperfremden Substanzen zu 
langdauernd. Es würden sich demnach nur unsere Erfahrungen hinsicht¬ 
lich der Wasser- und Kochsalzaussoheidung für einseitige Nephritiden 
verwerten lassen. Inwieweit sie dafür in Betracht kommen, wird später¬ 
hin untersucht werden. 

Die Einteilung unseres Materials haben wir nach den mit 
unseren Methoden erhaltenen Resultaten vorgenommen. Wir unter¬ 
scheiden danach rein vaskuläre und rein tubuläre Nephritiden, und 
ferner Nephritiden, bei denen Tubuli und Nierengefäße betroffen 
sind. Unter ihnen wieder solche, bei denen die Nierengefäßschä¬ 
digung überwiegt (vaskulotubuläre) und solche, bei denen die Schä¬ 
digung der Tubuli überwiegt (tubulovaskuläre). Aus unserem 
Material selbst wird sich ergeben, ob diese Einteilung bereits 
überall durchführbar ist. Gleichzeitig steht zu hoffen, daß bei 
dieser Einteilung die gemeinsamen Züge der einzelnen Formen der 
Nephritiden deutlicher hervortreten. 


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360 


ScHLAYBR U. TAKAYASU 


Wir beginnen mit den rein vaskulären bzw. überwiegend Tas¬ 
kulären Nephritiden. 

I. Bein vaskuläre oder überwiegend vasknläre Nephritiden. 

a) Akute. 

Nach unseren experimentellen Erfahrungen müssen wir er¬ 
warten, daß bei reinen oder überwiegend vaskulären akuten Nephri¬ 
tiden, entsprechend der Gefäßschädigung, die Wasserabsondertine 
und ebenso auch die Milchzuckerabscheidung leidet. Dagegen 
müßte die Kochsalzausscheid ung und die Jodkalielimination sowohl 
prozentual wie absolut nicht oder so gut wie nicht beeinträchtigt sein. 

Die nachfolgenden Krankengeschichten mögen eine Reihe von 
Beispielen dafür erbringen. Aus den einzelnen Fällen und ihrer 
Entwicklung nach unseren Anschauungen wird am besten hervor¬ 
gehen, wie weit unsere Betrachtungsweise imstande ist, die Ver¬ 
hältnisse bei akuten Nephritiden zu klären. 

1. N., 30jähr. Frau (s. Tabelle C, am Schlüsse der Arbeit, Fall 1). 
Graviditätsnephritis: während der Schwangerschaft Ödeme von wechseln¬ 
der Stärke. 6 Wochen vor der Aufnahme normaler Partus. Mittelstarke 
Ödeme bestehen noch, keine Urämie. Herz: o. B. Blutdruck 118— 123 . 

Verhalten der Ausscheidung der körpereigenen Sub¬ 
stanzen: 

Wasser: leichte Oligurie (1500 ccm Ausscheidung bei 2500 ccm 
Einnahme). 

Kochsalz: absolut: überschießt die Aufnahme etwas (12,96 resp. 
13,44 g Ausscheidung gegen 11,2 resp. 11,4 g Aufnahme). 

Prozentual: ausgezeichnete Ausscheidung (0,80 o / o im Durchschnitt. 
0,84°/ 0 i“ roaximo). 

Spez. Gewicht: 1016—20 bei 3 —6°/ 00 Albumen, also nach Abzug 
des Eiweißes ein etwas dünner Urin. 

Danach findet sich nur eine mäßige Oligurie. Von einer Hyposthenurie 
kann kaum gesprochen werden, umsoweniger als hier auch das spezifische 
Gewioht nicht fixiert ist, sondern ziemlich stark schwankt. Kochsalz 
wird sowohl absolut wie prozentual sehr gut ausgeschieden. 

Ausscheidung der körperfremden Substanzen: ergibt 
für Milchzucker (2,0 g) eine Verlängerung auf das doppelte (8—9 Stunden 
anstatt 4). Jodkali hingegen wird in normaler Zeit, in 50 Stunden, aus- 
geschieden. 

Verlauf: P. verließ die Klinik nach wenigen Tagen. 

Wir haben hier die einfachsten Bedingungen vor uns. Pi« 
einzige, krankhafte Veränderung der Ausscheidung von Wasser und 
Kochsalz ist eine leichte Oligurie. Alles andere, das spezifische 
Gewicht, die Kochsalzausscheidung, absolut und prozentual, ist 
intakt. Wollen wir also hier auf der Basis unserer experiraen- 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 361 

teilen Erfahrungen ein Urteil über den Charakter der Nephritis 
abgeben, so ist die Antwort ganz eindeutig: nach ihnen hat 
nephritische Oligurie eine Schädigung der Nierengefäße zur Grund¬ 
lage. Die Tubuli dagegen müßten nach der sehr guten Kochsalz¬ 
elimination intakt sein. Es muß sich also um eine reine vaskuläre 
Schädigung handeln. Die Prüfung der körperfremden Substanzen 
bestätigt das in bester Weise: Jodkali wird ganz übereinstimmend 
mit der guten Kochsalzausscheidung normal eliminiert, die Milch¬ 
zuckerausscheidung dagegen ist auf das doppelte verlängert. 

Beide Methoden geben danach gleichlautend an, daß es sich 
um eine rein vaskuläre Nephritis handelt 

Hier entspricht alles in jedem Punkte unseren Erwartungen. 
Die Verhältnisse sind klar und eindeutig. Aber sie zeigen uns 
leider nur einen kurzen Ausschnitt aus dem Bilde der akuten 
vaskulären Nephritis, weil die Patientin die Klinik sehr bald ver¬ 
ließ. Dieser Mangel wird durch den nun folgenden Fall ergänzt. 
Er schließt sich in seinem Beginn bis ins Detail dem vorausgehen¬ 
den an. Aber sein weiterer Verlauf bringt uns eine wesentliche 
Erweiterung unserer Kenntnisse (s. Kurve 3 a auf Tafel II und 
Tabelle C, Fall 2). 

2. R., 19jährig. junger Mann. Akute Nephritis seit 6 Tagen, 
Ätiologie unbekannt. Von vornherein Hämaturie. Keine Ödeme, keine 
Urämie. Herz o. B. Blutdruck 122. Arterien stark gespannt, deutlich 
palpabel. 

Ausscheidung der körpereigenen Substanzen. Wasser: 
Zu Beginn ca. 8tägige leichte Oligurie, dann dauernd etwa normale 
Menge mit Neigung zu leichtester Polyurie (1500—1900 gegen 2000 
Einfuhr), so auch zur Zeit der Milchzuckerinjektion. 

Kochsalz: Von Anfang an sehr gute Elimination, sowohl absolut 
wie prozentual; überscbießt die Einfuhr dauernd etwas (10—12 g Ein¬ 
fuhr gegen ca. 15 g Ausfuhr). Konzentration sehr hoch, ca. 0,8—0,9°/ o 
bis 1,15°/^. 

Spez. Gewicht schwankt bei 0,5 °/ 00 Albumen von 1014 
bis 24. 

In den Ausscheidungsverhältnissen der körpereigenen Substanzen ist 
danach außer der zu Anfang vorhanden gewesenen Oligurie überhaupt 
keine nennenswerte Änderung vorhanden. Es besteht nicht einmal eine 
Hyposthenurie. Nur das Albumen, die Zylindrurie und die Hämaturie 
zeigen das Vorhandensein einer Nierenschädigung an. 

Ausscheidung der körperfremden Substanzen: Der Milch¬ 
zucker wird anstatt in 4 Stunden in 6 Stunden eliminiert, Jodkali da¬ 
gegen in 48 Stunden, also innerhalb normaler Grenzen. 

Hier liegen die Dinge zunächst genau so wie in dem ersten 
Fall: Es besteht eine deutliche Oligurie, aber keine Hyposthenurie, 


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362 


Schlaykb n. Takayasu 


das Kochsalz wird sowohl absolut wie prozentual sehr gut ausge¬ 
schieden. Danach müssen wir anch hier eine rein oder doch weit 
überwiegende vaskuläre Schädigung annehmen. Daß in der Tat 
die Nierengefäße geschädigt sind, wird noch besonders wahrschein¬ 
lich durch die von Anfang an bestehende Hämaturie. 

Aber allmählich verschwindet die Oligurie zusammen mit der 
Hämaturie, und nun unterscheiden sich die Ausscheidungsverhält' 
nisse in nichts mehr von der Norm. In Wirklichkeit ist jedoch die 
vaskuläre Schädigung, die wir aus den anfänglichen Ausscheidung*- 
verhalten erschlossen hatten, noch nicht ganz abgeklungen. Das 
lehrt die Prüfung der körperfremden Substanzen. Es findet sich 
noch eine, freilich geringe, Behinderung der Milchzuckers usschei- 
dung. In voller Übereinstimmung mit den vorher gezogenen Schlüssen 
auf eine rein vaskuläre Nephritis steht es, daß Jodkali in ganz 
normaler Weise eliminiert wird. 

Wir begegnen hier demnach zum erstenmal einer Erschei¬ 
nung, welche wir bei den experimentellen Nephritiden bisher nicht 
kennen gelernt hatten: Bei vollkommen normaler, ja sogar leicht 
vermehrter Wasserausscheidung wird Milchzucker deutlich, wenn 
auch wenig verschlechtert ausgeschieden. Man wird sich fragen 
müssen, welcher von den beiden Substanzen wir unter diesen Ver¬ 
hältnissen für unser Urteil mehr Gewicht beizulegen haben, den 
Wasser oder dem Milchzucker. Nach unseren Vorversuchen kann 
darüber kein Zweifel sein. Sie haben gelehrt, daß die Aasschei¬ 
dungsbedingungen des Wassers auch beim Menschen außerordentlich 
labil, die des Milchzuckers dagegen sehr konstant sind. Unter 
solchen Verhältnissen werden wir — vorausgesetzt, daß keine sehr 
schweren anderweitigen Kesorptionsstörungen vorliegen — einer 
Verlängerung des Milchzuckers eine weit größere Bedeutung bei¬ 
zumessen haben, als einem abweichenden Verhalten des Wassers. 
Wenden wir dies auf den vorliegenden Fall an, so würde uns hier 
die Verlängerung der Milchzuckerausscheidung zeigen, daß die zu 
Beginn vorhandene vaskuläre Störung noch nicht ganz abgeheilt 
ist. Das erscheint um so glaubhafter, als auch die Albuminurie 
und die Oylindrurie noch nicht verschwunden sind. 

Schon diese Überlegungen lassen es sehr wahrscheinlich er¬ 
scheinen, daß hier die Prüfung der Milchzuckerausscheidung das 
Fortbestehen einer vaskulären Schädigung zu Recht anzeigt. In 
noch viel deutlicherer Weise tut dies der Verlauf. 

Verlauf (s. Kurve 3 a auf Tafel II): 7 Tage nach der Injektion 
tritt unter Fieber eine typische Angina lacunaris auf. Sofortiges Wieder- 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 368 

auftreten der Hämaturie, Alb. schnellt von 1 / 4 °/ 00 auf 7 °/ 00 empor. Das 
Verhalten der körpereigenen Substanzen zeigt die Karvea starke Oligurie, 
sehr starke Reduktion der prozentualen wie der absoluten Kochsalz¬ 
ausscheidung; darauf wird später an anderem Orte weiter einzugehen 
sein. Es handelt sich also um einen akuten Nachschub der Nephritis. 
Die Stärke, mit der er einsetzt, spricht dafür, daß in der Tat die vor¬ 
her vorhanden gewesene 8ohädigung noch nicht ganz ausgeglichen war. 
Sehr bald sinkt mit der Entfieberung die Eiweißmenge wieder ab, die 
Hämaturie verschwindet nach 6 Tagen und nun stellt sich auch prompt 
wieder annähernd dasselbe Verhalten der Ausscheidung her, wie vor der 
akuten Verschlimmerung. Das Wasser wird in annähernd normalem 
Verhältnis zur Einfuhr eliminiert, gelegentlich leichte Polyurie. Das 
Kochsalz wird sowohl absolut wie prozentual sehr gut ausgeschieden. 
Das einzige, was gegenüber dem Verhalten vor der Verschlimmerung 
auffällt, ist, daß nun das spezifische Gewicht sich dauernd niedriger hält, 
und bei gleich niedrigem Eiweißgehalt viel geringere Schwankungen aus¬ 
führt als zuvor (vorher 1014—24, jetzt dauernd 1014—18). Es ist 
demnach ein Sinken des Durchschnitts des spezifischen Gewiohts ein¬ 
getreten und gleichzeitig eine Fixation desselben. Im übrigen keine 
Veränderung, keine Drucksteigerung, keine Urämie. Entlassen mit Spur 
Albumen und einzelnen Zyl. ohne Erscheinungen von Herz- und Blut¬ 
druck. 

9 Monate später: Zur Nachuntersuchung eine Woche aufge¬ 
nommen. Keine Ödeme, keine Urämie, Herz o. B. Druck 126 mm Hg, 
Arterien wieder stark gespannt. (Kurve 8 b auf Tafel II.) 

Aussaheidung der körpereigenen Substanzen: 

Wasser: Deutliche beträchtliche Polyurie (2500 ccm Ausfuhr gegen 
2000 Einfuhr). 

Kochsalz: wird sowohl absolut wie prozentual sehr gut aus¬ 
geschieden. Einfuhr etwa gleich Ausfuhr resp. etwas überschießend 
(10 g Einfuhr gegen 10,5 g Ausfuhr). Prozent. Konzentration 0,87 °/ 0 
durchschnittlich. 8pez. Gewicht jetzt 1010—14. Deutliche Spuren von 
Albumen und Zylindrurie. 

Ausscheidung der körperfremden SubstaUzen: Jodkali wird wie 
früher normal ausgeschieden (52 Stunden gegen 48 Stunden früher), der 
Milchzucker aber wird nach wie vor verlängert ausgeschieden, und zwar 
ebenso wie damals auf 6 Stunden. 

Danach hat sich inzwischen der Typ der Ausscheidung wesent¬ 
lich geändert Während früher keine deutliche Hyposthenurie be¬ 
stand, ist jetzt eine solche vorhanden und zwar trägt sie den aus¬ 
gesprochenen Charakter der leichten vaskulären: überschießende 
Urinmengen, hohe Kochsalzkonzentration, unbehinderte absolute 
Kochsalzansscheidung. 

Legen wir auch dieser Ausscheidungsveränderung unsere experi¬ 
mentellen Erfahrungen zugrunde, so ist inzwischen eine Über¬ 
empfindlichkeit der Nierengefäße eingetreten, welche früher 


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364 


Schlaykb u. Takayasu 


nicht vorhanden war. Und ganz dementsprechend verhält sich das 
spezifische Gewicht: es ist nicht bloß noch weiter gesunken als 
gegen das Ende der ersten Beobachtung und hat jetzt einen sehr 
niederen Grad erreicht, sondern es hält außerdem jetzt noch viel 
ausgesprochener seine Höhe fest, mit anderen Worten, auch seine 
Fixation hat zugenommen. Die Veränderung des spez. Gewichts, 
welche sich zu Ende der ersten Periode schon in angedeuteter 
Weise einstellte, hat also inzwischen ganz gleichmäßig und in 
gleicher Richtung zugenommen. 

Aus der Ausscheidungsveränderung, wie sie jetzt vorliegt, 
können wir nur den Schluß ziehen, daß die Nierengefäße über¬ 
empfindlich sind, und ferner den, daß die Tubuli, nach der sehr 
guten absoluten und prozentualen Kochsalzausscheidung zu urteilen, 
nach wie vor normal arbeiten. Das letztere wird auch jetzt wieder 
durch die Prüfung der Jodkaliausscheidung bestätigt. Hinsichtlich 
der Nierengefäße aber liegen die Dinge besonders interessant Trotz 
der inzwischen aufgetretenen Polyurie sehen wir auch jetzt noch 
genau dieselbe Verschlechterung der Milchzuckerausscheidung wie 
damals; danach besteht bei dem Patienten nach wie vor eine leichte 
vaskuläre Schädigung fort, zugleich mit einer allmählich ausge¬ 
bildeten Überempfindlichkeit der Nierengefäße. Daß auch hier der 
Milchzucker richtig anzeigt, daß in der Tat die Nephritis in den 
neun dazwischenliegenden Monaten noch keineswegs ausgeheilt ist, 
das zeigt nicht bloß das Albumen und die Cylindrurie, sondern auch 
für unsere bisherige Betrachtungsweise die Ausscheidungsverände¬ 
rung, die durchaus den Typ der Schrumpfniere zeigt. Wir sehen 
hier zum zweitenmal ein solches Auseinanderfallen von Wasser¬ 
ausscheidung und Milchzuckerelimination; das erste Mal zeigte sich 
der Milchzucker bei anscheinend normaler Wasserausscheidung noch 
verlängert; hier ist er es gar bei Polyurie. 

Die Lehren, die dieser Fall gibt, erweitern unsere Vorstel¬ 
lungen: wir sehen, wie eine nach unseren Untersuchungen akute 
vaskuläre Nephritis allmählich aus dem Zustande der Oligurie in 
den anscheinend normaler Ausscheidungsverhältnisse übergeht. Die 
Milchzuckerprüfung aber zeigt an, daß die vaskuläre Schädigung 
noch nicht ausgeheilt ist. Und wie recht sie damit hat, beweist 
die zweite Beobachtung neun Monate später: inzwischen haben sich 
die Ausscheidungsbedingungen ganz so geändert wie bei einer 
Schrumpfniere, und auch jetzt wieder zeigt nur der Milchzucker 
dos Fortbestehen der vaskulären Schädigung direkt an. Wir haben 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 365 


also hier vor unseren Augen aus einer akuten vaskulären Ne¬ 
phritis eine chronische resp. subchronische vaskuläre werden sehen. 

In noch eindrucksvollerer Weise zeigt dasselbe Bild der nächst¬ 
folgende Fall: 

3. H., 27jähriger Mann. Akute Nephritis seit 4 Tagen, Gesichts- 
Ödem, leichte Urämie, Herz o. B. Blutdruck 130 mm Hg. Kein Fieber 
(s. Kurve 4 a auf Tafel III und Tabelle C, Fall 3). 

Verhalten der Ausscheidung der körpereigenen Substanzen: 

Wasser: in den ersten Tagen Oligurie (800—1100 ccm Ausfuhr 
gegen 2000 Einnahme). Am Tage vor der Milchzuckerinjektion und au 
diesem selbst erstmals Besserung der Wasserausscheidung: 18—1900 gegen 
2000 Einfuhr. 

Kochsalz: absolut: in den ersten Tagen ist die Ausfuhr bei sehr 
geringer Einfuhr (Milchdiät) ebenfalls sehr gering, erreicht jedoch die 
Einfuhr, steigt allmählich und überschießt dann etwas die Zufuhr (3 1 /, g 
Ausfuhr gegen ca. 3 g Einfuhr). 

Die prozentuale Ausscheidung des Kochsalzes ist zu Anfang recht 
niedrig, beginnt mit 0,21°/ 0 , bessert sich dann ebenso wie die absolute 
Ausscheidung rasch auf 0,43 °/ 0 . 

Am Tage der Injektion bleibt die NaCl-Ausfuhr trotz der besseren 
Wasserdiurese etwas hinter der Einfuhr zurück (11,2 Einfuhr gegen 10 g 
Ausfuhr). Die prozentuale Konzentration ist bereits wieder auf 0,66°/ 0 
angelangt. 

Spez. Gewicht 1010—14 bei l°/ 00 Albumen, ist stark fixiert. 

Am Tage vor der Injektion setzte Hämaturie ein und blieb bis 
zwei Tage nachher bestehen. 

Es bestand demnach bis unmittelbar vor der Prüfung mit unsern 
Methoden Oligurie, außerdem aber eine Hyposthenurie, die die Charakte¬ 
ristika einer leichten tubulären zeigt (niedrige absolute und prozentuale 
Kochsalzausscheidung). Zur Zeit der Injektion waren die Erscheinungen 
der letzteren so gut wie ausgeglichen, die Kochsalzkonzentration ist recht 
gut, die absolute Kochsalzmenge fast gleich Einfuhr; die Hyposthenurie 
nähert sich also jetzt mehr der vaskulären. 

Prüfung der körperfremden Substanzen: Die Milchzuckerausschei¬ 
dung ist anstatt in 4 Stunden in 12 Stunden noch nicht beendigt (wieder¬ 
gewonnene Menge 73°/ 0 ), und Jodkali weist eine geringe Verlängerung bis 
auf 68 Stunden auf. 

Auch hier sehen wir zunächst eine Oligurie, aber sie unter¬ 
scheidet sich von den beiden vorausgegangenen Fällen dadurch, 
daß sie bereits mit Hyposthenurie, niederem spez. Gewicht und 
Fixation verknüpft ist, während jene beiden im Anfang keine 
ausgeprägte Hyposthenurie aufwiesen. Wir könnten daraus schließen, 
daß sich hier schon eine Überempfindlichkeit ausgebildet hat. 
Daran hindert uns jedoch die sehr schlechte Kochsalzausscheidung 
(absolut wie prozentual) zusammen mit der Oligurie: die Hyposthe- 


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SCHLAYBR O. TAKAYASU 


nurie trägt hier mehr das Bild der tubulären. Wir müssen als« 
wohl eine Schädigung der Tubuli annehmen, und die zugleich be¬ 
stehende Oligurie weist auf eine gleichzeitige Läsion der Nieren- 
gefäße hin. 

Zur Zeit der Prüfung der körperfremden Substanzen haben 
sich die Verhältnisse bereits geändert: die Kochsalzausscheidone 
hat sich absolut wie prozentual so bedeutend gebessert, daß tob 
einer ausgeprägten tubulären Hyposthenurie jetzt keine Rede mehr 
sein kann, wenn auch das leichte Zurückbleiben der absolutes 
Kochsalzausfuhr hinter der Einfuhr noch das Vorhandensein einer 
gewissen Beschränkung der Tubulusfunktion anzeigt Auch die 
Wasserausscheidung hat sich so gehoben, daß sie jetzt sogar schon 
als leichte Polyurie zu bezeichnen ist. 

Nach diesem Ausscheidungsverhalten ist also sowohl die Schä¬ 
digung der Tubuli, wie auch die der Nierengefäße wesentlich zurück¬ 
gegangen. An den Tubulis kann nur ein geringer Rest der Schä¬ 
digung vorhanden sein. Das Verhalten des spez. Gewichts und die 
Polyurie lassen erkennen, daß an dep Nierengefäßen eine gewisse 
Überempfindlichkeit besteht. Die Frage, ob nebenbei noch eine 
Schädigung der Nierengefäße vorhanden ist, müßten wir, wollten 
wir uns nach der Menge des geförderten Wassers richten, wie bis¬ 
her eigentlich stillschweigend geübte Grundvorstellung war. dahin 
beantworten, daß eine solche nicht mehr in nennenswertem Grade 
vorhanden sein könne. 

Das ist von vornherein sehr unwahrscheinlich, denn wir können 
uns kaum denken, daß eine so schwere Schädigung der Nierengefaße. 
wie sie die vorausgehende Oligurie verriet, in zwei Tagen plötzlich ver¬ 
schwunden sein soll; erst recht spricht dagegen, daß unmittelbar 
vor dem Einsetzen der besseren Wasserausscheidung auch frische 
Hämaturie aufgetreten ist und noch andauert. Und in der Tat 
gibt auch hier wieder die Prüfung der körperfremden Substanzen 
einen sehr viel tieferen Einblick: während die körpereigene, in 
ihrer Sekretion sehr labile Substanz, das Wasser, keine Nieren¬ 
gefäßschädigung mehr erkennen läßt, zeigt die körperfremde, in ihrer 
Ausscheidung konstante Substanz, der Milchzucker, eine schwere 
Schädigung der Nierengefäße an: sie ist auf mehr als das Drei¬ 
fache der Norm verschlechtert (nach 12 Stunden noch nicht be¬ 
endigt). Wir sehen hier zum drittenmal dieses eigenartige Ans¬ 
einanderfallen von Wasser- und Milchzuckerelimination bei Nieren¬ 
gefäßschädigung, und hier ist die gute Wasserausscheidung bei 
verschlechterter Milchzuckerelimination nm so auffallender, als doch 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren keim Uenschen. 367 


die starke Verschlechterung des Milchzuckers eine sehr schwere 
Nierengefäßläsion anzudeuten scheint. Die schlechte Milchzucker- 
ausseheidung bestätigt damit durchaus die Deutung, welche wir 
der vorausgehenden Oligurie und der Hämaturie gegeben hatten. 

Auch unsere Überlegungen für die Tubuli finden ihre Be¬ 
stätigung durch die körperfremde Substanz; Jodkali wird in der 
Tat deutlich, wenn auch nur in geringem Grade verlängert aus¬ 
geschieden. 

Damit ergibt sich als Gesamturteil: es handelt sich um eine 
schwere vaskuläre Funktionsstörung neben einer im Abklingen be¬ 
griffenen leichten tubulären. 

Sehen wir zu, was der weitere Verlauf dazu sagt. 

Weiterer Verlauf (s.Kurve4a auf Tafel III): Parallel mit der Polyurie 
Ansteigen des Drucks, ▼on 110 auf 130 mm Hg zuerst; dann tritt unter 
weiterem Steigen des Drucks auf 175 mm leichte Oligurie (resp. scheinbar 
normale Urinmenge) und ausgeprägte Urämie zusammen mit starkem Steigen 
des Albumengehalts ein. Nun folgt gleichzeitig allmähliches Sinken des 
Blutdrucks auf 130 mm Hg und Steigen der Urinmenge, dann unter 
Verharren des Blutdrucks auf demselben niederen Niveau (135—145 mm Hg) 
ziemlich plötzlich sehr starke Polyurie und Polychlorurie mit rapidem 
Verschwinden der Ödeme (siehe Gewichtskurve). 

Iu dieser Periode führten wir eine zweite Prüfung mit unseren 
Methoden aus. Verhalten der körpereigenen Substanzen: 

Wasser: starke Polyarie (3200-—3400 ccm gegen 2000 Einfuhr). 

Kochsalz: absolut werden sehr große Mengen ausgefübrt, die Aus¬ 
fuhr überschießt die Einfuhr weit (10—13 g Einfuhr gegen 23—25 g 
Ausfuhr); aber auch die prozentuale Konzentration ist sehr hoch (0,70 
bi. 75*/,). 

Spez. Gewicht des Urins bei 1—2°/ 00 Albumen dauernd 1010, also 
vollkommene Fixation. 

Die Hämaturie besteht in geringem Grade weiter. 

Das Gesamtbild ist das typische der vaskulären Hyposthenurie: stärk 
überschießende Wassermengen bei hoher Kochsalzkonzentration und un¬ 
behinderter absoluter Kochsalzelimination. 

Ausscheidung der körperfremden Substanzen: Jodkali wird in 
48 Stunden glatt eliminiert. Der Milchzucker wird nach wie vor ver¬ 
längert ausgeschieden. Er wird wohl etwas besser eliminiert als vorher 
(in 8 Stunden gegen mehr als 12 bei der ersten Prüfung), aber immer 
noch aufs Doppelte verlängert. 

Diese Weiterentwicklung ist in mehrfacher Richtung von Inter¬ 
esse: Offensichtlich war die Besserung der Ausscheidung zur Zeit 
der ersten Prüfung nur vorübergehender Natur. Ihr folgt jetzt 
sofort eine Periode normaler Wasserausscheidung resp. leichtester 
Oligurie; das Kochsalz wird davon kaum mehr berührt, sondern 


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SCHLAYBB U. TaKAYaSÜ 


bleibt in guter Elimination. Diese anscheinend normale Wasser¬ 
ausscheidung entspricht jedoch keineswegs einer Wiederherstellani' 
der Niere, ebensowenig wie in Fall 2. Das zeigt aufs deutlichste 
die gleichzeitig einsetzende Urämie sowie das Hochschnellen des 
Blutdrucks weisen darauf hin, daß noch eine schwere Störung der 
Nierentätigkeit vorhanden sein muß und bestätigen damit das Er¬ 
gebnis der Milchzuckerausscheidung. Nun folgt eine Periode maxi¬ 
maler Polyurie und Polychlorurie. 

Nach den bisher üblichen Vorstellungen ist diese Polyurie ein Zeichen, 
daß die Niere wieder durchgängig geworden sei, und man pflegt solche 
Polyurien als die Folge der Drncksteigerung zu betrachten, infolge Fil¬ 
tration unter erhöhtem Druck. Es spricht nicht gerade für diese An¬ 
schauungen, daß die Hämaturie trotz des Durchgängigwerdens fortbestek 
und der Druck mit dem Einsetzen der Polyurie dauernd niedrig bleibt. 

Nach unseren experimentellen Erfahrungen müssen wir in 
dieser Polyurie und Polychlorurie eine typische vaskuläre Hyp> 
sthenurie sehen. Sie bedeutet mithin für uns, daß die Nieren- 
gefäße nun sehr stark überempfindlich sind. Ob sie geschädigt 
sind oder nicht, können wir aus diesem Verhalten nicht erschließen. 

Die Tubuli müssen, nach der vorzüglichen Kochsalzelimination 
zu urteilen, jetzt intakt sein; selbstverständlich können wir in 
diesem Falle die absolute Kochsalzausscheidung nur bedingt zn 
diesem Urteil verwerten; denn die großen Urinmengen müssen 
schon an sich eine gute absolute Kochsalzelimination bis zu einen 
gewissen Grade gewährleisten. Wichtiger ist in solchem Falle die 
Kochsalzkonzentration; auch sie ist jetzt im Gegensatz zu der 
ersten Prüfung sehr gut. Gerade in solchen Fällen wie dem vor¬ 
liegenden ist die Annahme, die uns schon durch experimentelle 
Erfahrungen nahegelegt wurde, sehr plausibel, daß hier auch die 
Tubuli an dem starken Überempfindlichkeitsreiz, dem die Nieren¬ 
gefäße offensichtlich unterliegen, teilnehmen. Jedenfalls muß der 
früher vorhanden gewesene Rest von tubulärer Schädigung jetzt 
vollkommen verschwunden sein. 

Dies wird bestätigt durch die Prüfung der körperfremden 
Substanzen: die Jodkaliausscheidung ist jetzt in der Tat von ob 
auf 48 Stunden, auf einen völlig normalen Wert herabgesunken: 
nach beiden Methoden gemessen, arbeiten die Tubuli nunmehr 
normal. 

Die Nierengefaße dagegen bieten wieder das schon bekannte 
Verhalten, nur diesmal in geradezu paradoxer Stärke des Gegen¬ 
satzes: während das Wasser in sehr großen Mengen ausgeschieden 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 369 


wird, ist die MilchzuckerausscheiduDg nach wie vor verschlechtert, 
zwar etwas weniger als früher, aber immer noch um das Doppelte 
verlängert. Selbst diese starke Polyurie hat nicht vermocht, den 
Milchzucker auch nur innerhalb der normalen Zeit auszuscheiden, 
geschweige denn ihn verkürzt zu eliminieren. Die Vorstellung 
einer einfachen Ausschwemmung des Milchzuckers wird man 
unter solchen Verhältnissen gewiß nicht mehr aufrecht erhalten 
können. Trotz der sehr starken Polyurie besteht also noch eine 
recht beträchtliche Schädigung der Nierengefäße fort. 

Auch hier wird dieser Schluß nicht nur durch das Fortbestehen 
der Hämaturie, sondern auch durch den endgültigen Verlauf, wie 
im Fall 2, eindringlich unterstützt: 

Nach völliger Entleerung der Ödeme blieb nach wie vor eine 
dauernde ziemlich beträchtliche Polyurie bestehen, das spezifische Gewicht 
betrug dauernd zwischen 1007 und 1010, war also nicht nur sehr nie¬ 
drig, sondern auch fixiert, die Kochsalzausscheidung überschoß meist 
etwas die Einfuhr, ihre prozentuale Konzentration schwankte zwischen 
0,5—0,6 °/ 0 . Es blieb somit eine typische vaskuläre Hyposthenurie be¬ 
stehen, außerdem Spuren von Albumen und Zylinder. Der Druck war 
auf 120 gesunken, das Herz o. B. 

Auch hier sehen wir demnach die Dinge in das Verhalten der 
Ausscheidung ausklingen, welches wir schon seit langem als chara- 
teristisch für die sekundäre Schrumpfniere kennen, und daß bei 
ihr in der Tat vaskuläre Veränderungen vorliegen, wird ja von 
niemand bezweifelt. 

Im wesentlichen ist es dasselbe Bild, welches sich hier vor 
unseren Augen entrollt, wie in dem vorhergehenden Falle, nur daß 
sich die Dinge hier viel rascher abwickeln als dort. Es handelt 
sich wieder um eine ganz überwiegend vaskuläre Nephritis, die 
nur zu Anfang Reste einer leichten tubulären Beteiligung auf¬ 
weist. Sie beginnt wieder mit Oligurie, dann folgt mächtigste 
Polyurie mit den Zeichen sehr starker Überempfindlichkeit der 
Nierengefäße, trotzdem Fortbestehen der Nierengefäßschädigung, 
während die Tubulusschädigung inzwischen ausgeglichen ist, und 
zum Schluß auch hier wieder Fortbestehen einer Ausscheidungs¬ 
veränderung, die auf Andauern der Nierengefäßüberempfindlichkeit 
hinweist. Von besonderem Interesse ist bei diesem Fall wie im 
vorhergehenden die Nachprüfung nach einer längeren Zeitspanne 
(siehe Kurve 4 b auf Taf. III). 

Ein Jahr später: volle Arbeitsfähigkeit, keine Ödeme, keine 
Urämie, keine Veränderung am Herzen, Blutdruck 115 mm Hg, aber 
nach wie vor stark gespannte und palpable Arterien. 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bil. 24 


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370 


Schlayer n. Takayasu 


Körpereigene Substanzen: Wasser: wird noch immer stark 
überschießend eliminiert bei 2200 Einnahme bis 2700 ccm Ausfuhr. 1 ) 

Kochsalz: absolute Ausscheidung überschießt deutlich (23,5 g Aus¬ 
fuhr gegen 15,0 g Einfuhr), die prozentuale Konzentration ist ans¬ 
gezeichnet (0,84°/ 0 ). 

Spez. Gewicht ist nach wie vor sehr niedrig (1012) und -tark 
fixiert. 

Kein Albumen mehr, keine Zylindrurie. 

Ausscheidung der körperfremdeu Substanzen: Jodkali wird nicht 
geprüft, da die Kochsalzausscheidung ebenso wie bei der zweiten Prüfung 
sehr gut ist, also eine Tubulusschädigung sicher nicht besteht. Der 
Milchzucker wird jetzt in 5 Stunden ausgeschieden. 

Es besteht demnach selbst ein volles Jahr Dach der Entlassung 
noch dieselbe Ausscheidungsveränderung wie bei der Entlassung: 
Absonderung eines sehr dünnen und reichlichen Urins, nach auseren 
Anschauungen eine vaskuläre Hyposthenurie. Es muß somit noch 
heute, nach wie vor eine Überempfindlichkeit der Nierengefäße vor¬ 
handen sein, und auch jetzt scheinen die Tubuli noch in geringem 
Grade daran teilzunehmen. Was sich aber inzwischen wesentlich ver¬ 
ändert hat, das ist die Ausscheidung des Milchzuckers; sie beträgt 
jetzt nur noch 5 Stunden, also einen Wert, der das Maximum der Norm 
darstellt. Von einer deutlichen Verlängerung der Milchzuckerausschei¬ 
dung kann hier nicht mehr gesprochen werden: mit anderen Worten, 
eine Schädigung der Nierengefäße ist jetzt nicht mehr sicher nach¬ 
weisbar. Damit soll keineswegs behauptet werden, daß sie die 
frühere Schädigung auch anatomisch ohne Reste ausgeheilt sei: 
darüber können wir nichts aussagen, wie schon in der Einleitung 
betont. Dagegen können wir mit Sicherheit aus der Milchzucker¬ 
ausscheidung schließen, daß hier die Nierengefäßschädigung funk¬ 
tionell ausgeglichen ist. Dem entspricht auch vollkommen, daß 
inzwischen Albumen und Zylindrurie spurlos verschwunden sind. 
Trotzdem können wir diese Niere noch nicht als völlig normal be¬ 
trachten; denn noch besteht eine sehr ausgeprägte Ausscheidungs¬ 
veränderung, die uns zur Genüge darüber belehrt, daß noch eine 
erhebliche Überempfindlichkeit der Nierengefäße vorhanden sein muß. 

Wir verfügen noch über einige analoge Fälle, die in ganz gleicher 
Weise abliefen. Sie sind in der Tabelle aufgeführt (s. Tabelle 
Fall 8 und 9). Wir verzichten darauf, sie an dieser Stelle ausführ¬ 
licher mitzuteilen; sie bestätigen das, was wir im vorstehenden 

!) An dem ersten Tag auf der Kurve (4. Juli) war nur ein Teil des Ge¬ 
samt urins gesammelt: erst der 5. Juli ist voll zu rechnen. Über diesen ersteu 
Tag wird später zu sprechen sein. 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 371 


bereits in typischen Beispielen gezeigt. Bei allen diesen Nephri¬ 
tiden setzt die Nephritis mit Oligurie ein, die Kochsalzaus¬ 
scheidung ist sehr gut, sowohl absolut wie prozentual und erscheint 
in keiner Weise oder so gut wie nicht beeinträchtigt; das spe¬ 
zifische Gewicht, zum Teil schon niedrig und fixiert, zum Teil aber 
auch noch in normaler Weise hoch und wechselnd. Prüft man in 
diesem Stadium, so findet sich starke Verlängerung der Milchzucker¬ 
ausscheidung ohne Verlängerung der Jodkalielimination. In allen 
diesen Fällen stimmen, wie die Tabelle zeigt, beide Methoden, die 
Prüfung der körpereigenen, wie die der körperfremden überein: 
sie zeigen immer eine rein vaskuläre Nephritis. 

Dann folgt bei allen diesen Nephritiden eine Periode mehr 
minder starker Polyurie, mit überschießenden Kochsalzmengen 
und hoher absoluter Kochsalzkonzentration. In dieser Phase sinkt 
das spezifische Gewicht auch da, wo es bisher hoch gewesen, rasch 
ab und bleibt auf niedriger Höhe sehr gleichmäßig fixiert. Prüft 
man jetzt von neuem, so ergibt sich mit derselben Gleichmäßigkeit, 
wie in den gegebenen Beispielen, trotz der vielleicht sehr starken 
Polyurie nach wie vor eine starke Verlängerung der Milchzucker¬ 
ausscheidung, während die Ausscheidung des Jodkali ebenso wie 
vorher normal ist. Die Nierengefäßschädigung besteht. also trotz 
der Polyurie noch fort, nur ist jetzt noch eine starke Überempfind¬ 
lichkeit der Nierengefäße hinzugetreten und in dieser sehen wir 
die Ursache der Polyurie; darf man aus den stark überschießenden 
Kochsalzmengen analog experimentellen Ergebnissen schließen, so 
erstreckt sich diese Überempfindlichkeit vielleicht auch auf die 
Tubuli. Daß bei solchen Verhältnissen in der Tat die Nieren¬ 
gefäßschädigung trotz der mitunter hochgradigen Polyurie noch 
nicht abgeheilt ist, zeigen die häufigen Verschlechterungen und 
Nachschübe, die gerade in dieser Zeit einsetzen und entsprechend 
dem überwiegenden oder rein vaskulären Charakter der Nephritis 
vorzugsweise die Nierengefäße treffen, und zwar selbst da, wo vor¬ 
her die Tubuli mitgeschädigt gewesen waren. Ein Beispiel dieser 
Art zeigt schon in leichter Andeutung der Fall Nr. 3 nach der 
ersten Prüfung (Kurve 4 a auf Taf. HI). Sehr deutlich zeigt sich 
dieses Verhalten ebenso wie auch die Polyurie bei starker Gefä߬ 
schädigung im nachfolgenden Fall. Bei ihm ist auch die Ätiologie 
der Nephritis bekannt und von besonderem Interesse. 

4. Sch., 54jähr. Mann. Nephritiß acuta haemorrhagica bei phleg¬ 
monöser Infiltration des linken Armes, ausgehend von septischer Wunde. 
Mittleres Fieber zwischen 38—39°, Milzschwellung, Ödeme, Herz o. B, 

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SCHLAYBB U. TaKAYASU 


Druck 140 mm Hg. Arterien trotz des Fiebers ziemlich gespannt (Tabelle C. 
Nr. 4). 

Ausscheidung der körpereigenen Substanzen: 'Wasser: 
zunächst Oligurie für einige Tage, dann leichte Polyurie für etwa acht 
Tage, nun aber wieder Absinken der Urinmenge auf eine absolut ge¬ 
messen normale Menge (2000 ccm Einfuhr gegen 1400—1600 Ausfuhr. 
So auch am Tage der Injektion 2000 ccm Ausfuhr gegen 2500 ccm Einfuhr. 

Kochsalz: überschießt die Einfuhr dauernd, auch während des 
Absinkens der Urinmenge auf anscheinend normale Mengen. Am Tsg 
der Injektion betrug die Ausfuhr 11,7 g gegen 8,9 g Einfuhr. Die 
Konzentration war 0,55—0,58°/ 0 . 

Spez. Gewicht trotz des Fiebers von Anfang an sehr niedrig, dabei 
außerordentlich konstant, dauernd 1010, bei 1—2°/ 00 Albumen. Starke 
Hämaturie. 

Es handelt sich somit um eine ausgesprochene Hyposthenurie; sie 
nähert sich in der Unbehindertheit der absoluten Kochsalzausscheidung 
der vaskulären Hyposthenurie, unterscheidet sich jedoch von ihr dadurch, 
daß sie nicht mit vermehrter WasserabBonderung einhergeht, sondern nur 
mit einer annähernd normalen. Die Kocbsalzausscheidung ist absolut 
seht* gut, dagegen ist die Konzentration etwas niedrig. 

Die Ausscheidung der körperfremden Substanzen ergibt: Milch¬ 
zucker ist im Urin überhaupt quantitativ nicht wiederzugewinnen. Auch 
der qualitative Nachweis mit Nylander ist kaum eben zu erbringen und 
nur in den ersten Stunden nach der Injektion ganz schwach positiv, 
später nicht mehr. Jodkali dagegen wird in 66 Stunden ausgeschiedeu. 

Hier liegen die Verhältnisse höchst bemerkenswert: aus dem 
Verhalten der Wasserausscheidung läßt sich — zur Zeit der In¬ 
jektion wenigstens — keinerlei sicherer Schluß auf die Nieren¬ 
gefäße ziehen; das niedere und fixierte spezifische Gewicht läßt 
an eine Überempfindlichkeit der Nierengefäße denken, aber es fehlt 
die damit sonst, wenigstens bei der typischen vaskulären Hypo¬ 
sthenurie verbundene Polyurie. Die Urinmenge ist hier im Ver¬ 
hältnis zur Einfuhr ganz normal. Die Prüfung der Milchzuckeraus- 
scheidung aber zeigt, daß in Wirklichkeit eine sehr schwere Schä¬ 
digung der Niereugefaße vorliegt: der Milchzucker läßt sich quan¬ 
titativ überhaupt nicht wiedergewinnen. 

Daß auch hier wieder die Milchzuckerausscheidung richtig an¬ 
gibt, lehrt die Exacerbation der Hämaturie, die gerade in diesen 
Tagen auftrat, und ebenso zeigten gleichzeitig einsetzende urä¬ 
mische Symptome, daß es sich in der Tat um eine schwere Nephritis 
handelte. Zu gleicher Zeit stieg auch der Druck auf 155 mm Hg. 

Die Funktion der Tubuli ist in diesem Falle nicht ganz leicht 
zu beurteilen. Nach der guten absoluten Kochsalzausscheidung 
müßten sie intakt sein. Die prozentuale dagegen ist ziemlich 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 373 

niedrig. Hätten wir es hier mit einer starken Polyurie zn tun, 
so würde das keine Bedenken erwecken: es könnte sich analog 
experimentellen Erfahrungen um eine so starke Überempfindlich¬ 
keit der Nierengefaße handeln, daß das Kochsalz nur in einiger 
Verdünnung ansgeschieden werden kann. Aber hier ist keine 
Polynrie vorhanden, sondern nur eine etwa normale Urinmenge, 
und so kann die niedere Konzentration nicht nur auf diese Weise 
erklärt werden, sondern muß wohl auch eine gewisse Beeinträch¬ 
tigung der Tubuli zur Ursache haben. Eine tiefgreifende Schädigung 
ist jedoch nicht vorhanden, das zeigt nicht nur die gute absolute 
Kochsalzausscheidung, sondern auch das Verhalten der Jodkaliaus¬ 
scheidung: sie ist nur in geringem Grade verlängert, auf 66 Stunden. 

Auch hier ist der weitere Verlauf von wesentlichem Interesse: 

Verlauf: Andauern des Fiebers, aber Sinken des Drucks auf 110 
bis 112 mm Hg, ebenso enormes Sinken des Körpergewichts und Verschwin¬ 
den der Ödeme und der Urämie. Beträchtliche Polyurie und stark über¬ 
schießende Kochsalzmengen. Andauern der Hämaturie. 

12 Tage nach der ersten Injektion zweite Prüfung: 
Ausscheidung der körpereigenen Substanzen: 

Was8er: überschießt stark, 2500—3000 ccm gegen 2500 ccm Zu¬ 
fuhr. 

Kochsalz überschießt stark die Einfuhr (13—15 g Ausfuhr gegen 
8 g Einfuhr). Prozentual 0,5—0,61 °/ # . 

Spez. Gewicht gleich niedrig wie bei der ersten Prüfung, 1010 bei 
V s °/ 00 Albumen. 

Danach besteht jetzt eine ausgesprochene vaskuläre Hyposthenurie. 

Die Kochsalzausscheidung hat sich in keiner Weise geändert, ist 
auch prozentual etwa gleich geblieben. 

Ausscheidung der kö rperfrem den Su bst an zen : Milch¬ 
zucker wird jetzt in deutlich verfolgbarer Weise eliminiert, aber nur bis 
zu 6 Stunden, nach dieser Zeit ist er quantitativ nicht mehr zu finden. 
Bis dahin sind erst 34 °/ 0 der injizierten Menge wiedergewonnen. Jod¬ 
kali wird wieder in 63 Stunden eliminiert. 

Der einzige Unterschied in der Ausscheidung der körpereigenen 
Substanzen besteht zur Zeit dieser zweiten Prüfung darin, daß jetzt 
deutlich starke Polyurie herrscht. Diese Polyurie zeigt nun das aus¬ 
geprägte Bild der vaskulären Hyposthenurie: überschießende Urin¬ 
mengen, sehr gute absolute und auch leidliche prozentuale Koch¬ 
salzausscheidung. Wir müssen danach eine beträchtliche Über¬ 
empfindlichkeit der Nierengefäße annehmen. Darüber, ob sie ge¬ 
schädigt sind, erfahren wir aus der Wasserausscheidung nichts. 
Der Milchzucker dagegen zeigt wieder eine sehr starke Schädigung 
an; wir sehen auch hier wieder dasselbe Verhalten wie schon mehr¬ 
fach in Fall 2 und 3: schlechte Milchzuckerausscheidung bei sehr 


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374 


•ScHLAYKB U. TAKAYASU 


guter Wasserausscheidung, und insofern bildet der Fall nur eine 
Wiederholung jener Erfahrungen. Von Interesse ist hier, daß di»* 
Milchzuckerausscheidung jetzt, nachdem die Polyurie eingesetzt 
hat, besser geworden ist, als zur Zeit der scheinbar normalen 
Wasserausscheidung bei der ersten Prüfung. Danach scheint mit 
der Polyurie doch eine Besserung der Nierengefäßtätigkeit ein¬ 
getreten zu sein. Damit stimmt auch das klinische Bild überein 
Ödeme, Urämie und Drucksteigerung sind verschwunden; aber di« 
Gefäßschädigung ist noch keineswegs abgeheilt, das zeigt neben 
der Milchzuckerausscheidung wieder sehr deutlich das Fortbestehen 
der Hämaturie. 

Auch in diesem Falle möchten wir auf das geradezu entgegengesetzt« 
Verhalten von Drucksteigerung und Polyurie hinweisen: jetzt, wo stark- 
Polyurie herrscht, ist der Druck zur Norm abgefallen; vorher als relative 
Oligurie vorhanden war, stieg er stark an. 

Die Tubuli sind nach beiden Methoden so gut wie intakt in 
ihrer Funktion. Die noch immer ziemlich niedrige Kochsalzkon¬ 
zentration könnte sich jetzt wohl durch die Polyurie in dem obigen 
Sinne erklären, daß infolge der starken Überempfindlichkeit der 
Nierengefäße das Kochsalz nur in niedriger Konzentration aus¬ 
geführt werden kann. Eine gröbere Störung der Tubuli kann zum 
mindesten nicht mehr vorliegen. 

Überblicken wir das Bild, das wir von dieser Nephritis mit 
Hilfe unserer Methoden gewinnen, so handelt es sich um ein« 
von septischer Infektion ausgehende weit überwiegend vaskuläre 
Nephritis. Sie befand sich bei der ersten Prüfung in einem akuten 
vaskulären Nachschub, der sich unmittelbar an eben einsetzende 
Besserung anschloß. .Bei der zweiten Prüfung dagegen ist nun 
eine definitive Besserung eingetreten; freilich besteht noch nach wie 
vor eine schwere Schädigung der Nierengefäße mit Überempfind¬ 
lichkeit. 

Dem entspricht der weitere Verlauf: 

Verla-nf: Die Ödeme kehren nicht wieder. Der Blutdruck bleibt 
niedrig. Dagegen bleibt ausgesprochene Polyurie mit Hypostbenune 
dauernd bestehen, also der Typ der vaskulären Hyposthenurie, bei normaler 
resp. etwas überschießender Kochsalzelimination. Ebenso bleibt in ge¬ 
ringem Grade die Hämaturie und die Albuminurie bestehen. 

Die Überempfindlichkeit der Niereugefäße ist danach bei der 
Entlassung noch immer vorhanden, und daß auch die Nierengcfaß- 
schädigung noch nicht abgeklungen ist, zeigt die sehr hartnäckige 
Hämaturie. 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 375 


Alle Nephritiden, welche wir bisher anführten, heilten nicht 
aus, sondern zeigten bei ihrer Entlassung, abgesehen von Spuren 
von Eiweiß und Zylindrurie, auch in dem Ausscheidungsverhalten 
deutliche und in allen Fällen (mit Ausnahme von Fall 1, der zu 
kurz beobachtet wurde), gleichartige Veränderungen: Neigung zu 
leichter oder stärkerer Polyurie, dabei niederes und stark fixiertes 
spezifisches Gewicht, also Produktion eines reichlichen dünnen Urins. 

Unseren experimentellen Erfahrungen entsprechend betrachten 
wir diese Erscheinungen als Zeichen einer Überempfindlichkeit der 
Nierengefaße. Jeder sekretorische Reiz, der die Nierengefäße in 
diesem Zustand trifft, wird von ihnen mit Produktion einer großen 
Menge von Wasser beantwortet. Dadurch wird einmal die Polyurie 
bedingt, dann aber auch die Niedrigkeit und die Fixation des spe¬ 
zifischen Gewichts: Infolge der Überempfindlichkeit der Nieren¬ 
gefäße können die festen Substanzen nur in niedriger Konzen¬ 
tration ausgeschieden werden, und zwar um so niederer, je stärker 
die Überempfindlichkeit ist. Solange sie ausgeprägt herrscht, wird die 
Niere unter ihrem Zwang unfähig sein, wesentliche Änderungen des 
spezifischen Gewichts, vor allem Erhöhungen, aber auch wohl Er¬ 
niedrigungen vorzunehmen; sie ist auf ein bestimmtes Niveau des 
spezifischen Gewichts eingestellt. 

Unter den vorliegenden Verhältnissen unterliegt es keinem 
Zweifel, daß wir das Fortbestehen der Überempfindlichkeit als 
einen Rest der Nierenerkrankung zu betrachten haben. Die eben 
noch nachweisbar geschädigten Nierengefäße sind noch nicht ganz 
zur Norm zurückgekehrt, sondern behalten als Rest die Überempfind¬ 
lichkeit zurück. 

Im Gegensatz hierzu möchten wir nun noch einige andere 
vaskuläre Nephritiden anfügen, die in ihrem Beginn die gleichen 
Eigenschaften aufwiesen, wie die bisher angeführten, und insofern 
nur eine Bestätigung und Erweiterung des bisher Festgestellten 
geben. Sie unterscheiden sich jedoch von den vorausgehenden sehr 
wesentlich durch ihren Ausgang. 

5. F., 9jähr. Knabe. Nephritis acuta postscarlatinosa. 17 Tage 
nach Einsetzen der Scarlatina, wenige Tage vor der Aufnahme, erkrankt 
mit Fieber und Albuminurie. Keine Ödeme, keine Urämie. Fieber bis 
39 ü . Herz o. B. Druck 85 — 90 mm Hg (siehe Kurve 5 auf Tafel IV, 
Tabelle C, Fall 5). 

Ausscheidung der körpereigenen Substanzen: 

Was ser: dauernd annähernd gleich Einfuhr (also leichte Polyurie) oder 
etwas über8cbießend (1900—2200 ccm Ausfuhr bei 1800—2200 ccm Zu¬ 
fuhr). 


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SCHLAYBB U. TaKAYABÜ 


* 


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Kochsalz: überschießt dauernd die Zufuhr etwas; 12— log Aus¬ 
fuhr gegen 10 g Einfuhr). Konzentration 0,68—0,82°/ 0 . 

Spez. Gew. dauernd 1010—12, bei ca. 1 °/ 00 Albumen. Ziemlich 
reichlich Erythrocyten im Sediment. Makroskopisch keine Hämaturie. 

Es besteht also eine deutliche leichte vaskuläre Hyposthenarie: 
Übernormale Urinmengen, hohe Kochsalzkonzentration und sehr gute 
absolute Kochsalzelimination. 

Ausscheidung der körperfremden Substanzen: Die 
Miichzuckerausscheidung ist auf 6 Stunden anstatt des Durchschnitts voi 
4 und des Maximums von 5 Stunden verlängert. Jodkali wurde nicht 
geprüft. 

Bei dieser Scharlachnephritis zeigt die Ausscheidung wie er¬ 
wähnt, den Charakter der vaskulären Hyposthenurie; danach 
müssen wir eine Überempfindlichkeit der Nierengefäße annehmen. 

Die verschlechterte Milchzuckerausscheidung lehrt, daß außer¬ 
dem auch eine Schädigung der Nierengefaße besteht. Sie ist 
jedoch hier nur sehr leichten Grades, wenn wir nach dem Grad 
der Milchzuckerverschlechterung schließen dürfen; anstatt 4 Stun¬ 
den dauert seine Elimination 6 Stunden. Die Tubuli sind nach der 
Kochsalzausscheidung zu urteilen, intakt. Danach sehen wir das 
schon geläufige Bild einer geringfügigen Gefäßschädigung, die mit 
leichter Polyurie verbunden ist, also einer leichten rein vaskulären 
Nephritis. 

Von ganz besonderem Interesse ist der weitere Verlauf: Etwa 
10 Tage nach der Prüfung trat, wie die Kurve zeigt, ein allmäh¬ 
liches Steigen des spez. Gewichts ein; gleichzeitig fing das spez. 
Gewicht an, an Stelle der bisherigen Fixation Oscülationen auszu¬ 
führen, seine Fixation wurde geringer. Bei gelegentlichem Sinken 
der Urinmenge tritt jetzt prompt Konzentrationserhöhung auf. Die 
Urinmengen bleiben dabei etwas erhöht, die Albumenmenge nimmt 
ab und das Blut verschwindet aus dem Urin. Nach weiteren 
14 Tagen ist die Polyurie ganz verschwunden, die Harnmenge ent¬ 
spricht jetzt der Norm und das spezifische Gewicht ist nun auf 
einer Durchschnittshöhe von 1018 angelangt, gegen 1010—1012 zu 
Anfang, und schwankt zwischen 1013 und 1020. Albumen ist über¬ 
haupt nicht mehr nachweisbar, ebensowenig Blut. 

Hier ist demnach in dem Ausscheidungsverhalten keine Spur 
von Veränderung mehr zurückgeblieben. Im Gegensatz zu den 
vorausgehenden Nephritiden hat die Niere die Fähigkeit wieder¬ 
gewonnen, das spezifische Gewicht zu steigern, wie überhaupt bald 
ein niederes, bald ein hohes spezifisches Gewicht zu produzieren, 
w ährend es dort dauernd auf niederer, unverrückbarer oder wenig 


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Untersuchungen über die Fanktion kranker Nieren beim Menschen. 377 

wechselnder Lage verharrte. Ebenso ist auch die Wasseraus¬ 
scheidung hier ganz allmählich wieder zu normalen Verhältnissen 
zurückgekehrt. Mit dieser Rückkehr der Ausscheidungsverhält¬ 
nisse zur Norm sind gleichzeitig auch alle sonstigen klinischen 
Symptome der Nephritis verschwunden, Albumen, Zylindrurie und 
Hämaturie. Es besteht also keinerlei Anhalt mehr für ein Fort¬ 
bestehen irgendwelcher Nierenveränderung. 

An diesen Fall schließt sich ein zweiter Fall von Scharlach¬ 
nephritis an. Sie trat während des Aufenthalts in der Klinik auf 
und war somit vom ersten Tage ab verfolgbar. 

6. Sch., 12jähr. Knabe. Nephritis acuta haemorrhagica postscarla- 
tinosa. Otitis media. Während des Aufenthaltes in der Klinik trat 
22 Tage nach dem Scharlach Albumen und Hämaturie ein. Keine 
Ödeme, keine Urämie, Blutdruck 120 mm Hg. Herz o. B. 

Ausscheidung der körpereigenen Substanzen: (s. Tabelle C, 
Fall 6). 

Wasser: leichte Oligurie, 2300 ccm Ausfuhr gegenüber 3400 Zufuhr. 

Kochsalz: nicht verfolgt. 

Spez. Gewicht: 1010—12 bei 1 °/ 00 Albumen, stark fixiert, trotz 
schwankender UrinmengeD. Hämaturie makroskopisch und mikrosko¬ 
pisch. 

Danach handelt es sich um eine Hyposthenurie mit Oligurie. 

Die Prüfung der körperfremden Substanzen ergibt: Ver¬ 
längerung der Milchzuckerausscheidung auf das Doppelte, 8 Stunden. 
Jodkali wurde nicht geprüft. 

Die Oligurie deutet auf eine Schädigung der Nierengefäße hin. 
Da das Kochsalz nicht mitbestimmt ist, so läßt sich nicht sicher 
sagen, ob die gleichzeitig bestehende Hyposthenurie eine tubuläre 
ist Sicher vermögen wir nur zu sagen, daß eine vaskuläre Schädi¬ 
gung vorhanden sein muß. 

Die Prüfung der Milchzuckerausscheidung entspricht auch hier 
wieder dieser Annahme vollkommen: sie ergibt eine Verlängerung 
der Ausscheidung aufs Doppelte. Danach handelt es sich auch 
hier wieder um eine vaskuläre Nephritis. An und für sich schon 
wissen wir, daß gerade Scharlach ganz überwiegend zu vaskulären 
Nephritiden führt, den anatomischen Glomerulonephritiden; daß im 
vorliegenden Fall die Gefäße geschädigt sein müssen, zeigt außer¬ 
dem noch direkt die Hämaturie. 

Weiterer Verlauf: Nach 10 Tagen langsam einsetzende leichte 
Polyurie (Einfuhr gleich Ausfuhr). 

äpez. Gewicht steigt von 1010—12 inzwischen langsam auf 1016, 
dann 1018 und bleibt schließlich auf 1018 ziemlich konstant stehen, 
während noch leichte Polyurie herrscht. 


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378 


ScHLAYER U. TAKAYASU 


Die Hämaturie ist schon nach wenigen Tagen verschwanden. 

Das Albumen sinkt sehr rasch und ist schon 10 Tage nach 
ersten Prüfung vollkommen und dauernd verschwunden; der Druck sink’ 
von 120 auf 90 mm Hg. 

Auch hier entwickelt sich also, wie bei den eingangs geschil¬ 
derten akuten vaskulären Nephritiden, im Anschluß an die Oligurie 
langsam eine Polyurie, freilich nur geringen Grades. Während 
aber bei den bisherigen Nephritiden mit dem Einsetzen der Polynri- 
das spezifische Gewicht entweder gleich blieb oder gar sank, i?* 
hier das Umgekehrte der Fall: das spezifische Gewicht steigt lang¬ 
sam immer höher trotz der Polyurie, und erreicht zum Schluß Wenn 
welche wir nicht mehr als Zeichen einer abnorm starken Empfind¬ 
lichkeit der Nierengefäße betrachten können, die vielmehr bereit.' 
der Norm angehören. Das einzige, was noch an eine Übererre*- 
barkeit erinnert, ist eine leichte Fixation des spezifischen Gewicht' 
neben der leichten Polyurie. 

Wir sehen hier einen gleichgerichteten Verlauf der Nephrit* 
wie im Fall Fr. (Nr. 5): zugleich mit dem Albnmen und der Häma¬ 
turie verschwinden auch die Erscheinungen der Übererregbarkdt 
an den Nierengefäßen und die Ausscheidung nähert sich nun den 
Verhalten, wie wir es für die Norm kennen, resp. unterscheidet 
sich nur noch in sehr geringfügiger Weise davon. Dieser Fall er¬ 
innert in seinem Ausgange an das Ausklingen des Falles H. (Nr. 3 . 
Auch dort bestand, wie hier, bei der letzten Prüfung kein Albaner, 
mehr. Das Verhalten der Ausscheidung jedoch war bei H. zum 
Schluß der Beobachtung noch viel tiefgreifender verändert: bei ihm 
bestand, nach wie vor, eine starke vaskuläre flyposthenurie, als 
eine deutliche Überempfindlichkeit der Nierengefäße, hier nnr noch 
Reste davon. 

Ähnliches Verhalten, jedoch weniger ausgeprägt und nicht 
ganz bis zum Schlüsse verfolgt, zeigt der nun folgende Fall: 

7. H., 14 jähriger Junge. Nephritis acuta haemorrhagica. Vor 3 Mo¬ 
naten Gesichtsödem. Damals wurde Albumen festgestellt. Ätiologie der 
Nephritis dunkel. Auch bei der Aufnahme bestehen noch Gesichts¬ 
ödeme. Herz leicht nach links verbreitert, etwas hebender Spitzenstoß 
Blutdruck 135 mm Hg. Arterien stark gespannt (siehe Tabelle C, Nr. 7i. 

Ausscheidung der körpereigenen Substanzen: 

Wasser: Zunächst leichte Oligurie, resp. etwa normale Urinmencr 
(lti(H) ccm Ausfuhr bei 2200 ccm Einfuhr). Dann unter Verschwinden 
der Ödeme leichte Polyurie (Einfuhr gleich Ausfuhr). Zur Zeit der 
Prüfung besteht diese seit Wochen fort. 

K o c h h a I z: wird während der Oligurie nur mäßig ausgeschiedec 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 379 


^7,6 g bei ca. 8 g Einfuhr). Prozentuale Konzentration 0,53—0,64 °/ 0 . 
"Während der anschließenden leichten Polyurie steigt die Kochsalzaus- 
fuhr und öberscbießt die Einfuhr beträchtlich (16 g gegen ca. 10—11 g 
Einfuhr). Prozentuale Konzentration beträgt jetzt zwischen 0,74 und 
0,83 ° 0 , ist also ebenfalls gestiegen. 

Spez. Gewicht: während der Oligurie und zu Beginn der Polyurie 
1010— 11 , also stark fixiert, bei 1 °/oo Albumen und Hämaturie. 
Steigt dann allmählich während der Polyurie an, bleibt aber noch ziem* 
lieh stark fixiert (1016). Gleichzeitig sinkt das Albumen und die Hä¬ 
maturie verschwindet. Zur Zeit der Injektion ist das spez. Gewicht 
noch etwas höher gestiegen und beginnt bereits gelegentlich starke Schwan¬ 
kungen auszuführen (von 1009 auf 1019), ist im Durchschnitt 1017—18 
und im allgemeinen noch in dieser Lage ziemlich fest fixiert. 

Die Prüfung der körperfremden Substanzen ergibt: Der 
Milchzucker wird in 6 Stunden ausgeschieden, das Jodkali in 54 Stunden. 

Das Verhalten der körpereigenen Substanzen zeigt, daß zu 
Anfang eine beträchtliche Schädigung der Nierengefäße bestanden 
haben muß. Das lehrt die hyposthenurische Oligurie ebenso wie 
die Hämaturie. Ob die Hyposthenurie nicht eine tubuläre Kompo¬ 
nente enthielt, ob also die Tubuli nicht doch etwas mitbeteiligt 
waren, ist nicht ganz sicher zu sagen. Die nicht sehr gute pro¬ 
zentuale und absolute Kochsalzausscheidung zu Beginn der Er¬ 
krankung scheinen darauf hinzuweisen. 

Sobald aber im weiteren Verlaufe die Oligurie einer dauernden 
leichten Polyurie Platz macht, sehen wir die unverkennbaren Er¬ 
scheinungen einer sehr leichten vaskulären Hyposthenurie: absolut 
gute, ja überschießende-und auch prozentual gute Kochsalzelimination 
bei überschießenden Flüssigkeitsmengen. Aus diesem Verhalten 
ist zu schließen, daß die Tubuli nun intakt sind, die Nierengefäße 
dagegen überempfindlich. Auch ihre Überempfindlichkeit hat aber 
im weiteren Verlauf der Polyurie allmählich abgenommen. Das 
zeigt aufs deutlichste das rasche Steigen des spezifischen Ge¬ 
wichts: eine Durchschuittshöhe von 1017—1018 können wir kaum 
noch als niedriges spezifisches Gewicht bezeichnen; des ferneren 
geht das aus der Tatsache hervor, daß das spezifische Gewicht 
seine Fixation verloren resp. nur noch andeutungsweise beibe¬ 
halten hat. Zur Zeit der Injektion können wir im vorliegenden 
Fall ebenso wie in dem letzten Abschnitt des vorhergehenden Falles 
kaum mehr von einer Überempfindlichkeit sprechen; sie kann nur 
noch geringsten Grades sein. 

Die Prüfung der körperfremden Substanzen lehrt, daß trotz 
dieser geringen Ausscheidungsveränderung doch noch eine vas¬ 
kuläre Schädigung besteht, aber sie ist nur leichtesten Grades: 


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der Milchzucker wird in 6 Stunden, anstatt wie normal in 4 Stunks 
ausgeschieden, ist also nur wenig verlängert. 

Verlauf: P. wurde acht Tage nach der Prüfung entlassen. * 
bestand noch leichte Neigung zur Polyurie, aber dasselbe hohe spezifisch 
Gewicht, und dieselbe leichte Fixation wie vorher. Nebenbei noch ' 4 prc 
mille Albumen. 

Dieser ganze Verlauf bietet weitgehende Ähnlichkeit mit dto 
der beiden vorhergehenden Fäile. Es handelt sich auch hier de 
eine rein vaskuläre Nephritis. Wie dort beginnt auch hier in <k 
späteren Stadien das spezifische Gewicht zu steigen, gleichzeitig 
nimmt seine Beweglichkeit zu; noch besteht eine leichte Polyurie 
Gleichzeitig nimmt auch hier wieder das Albumen ab und die 
Hämaturie verschwindet. Aber die Ausgleichung ist hier keine * 
vollkommene wie in den beiden vorausgehenden Fällen, vor allem 
in dem ersten von beiden (Fall Fr., Nr. 5). Es bleibt noch eine 
leichte Veränderung der Ausscheidung bestehen, die Albuminurie 
dauert fort, während sie in jenen beiden verschwunden war. und 
wirklich weist auch die Milchzuckerausscheidung nach, daß no^h 
eine leichteste Schädigung der Nierengefäße vorhanden ist. 

Nachprüfung: Ein Jahr später. 

Keine Ödeme, keine Urämie, Herz o. B., keine Hypertension mehr 
(Blutdruck 110 mm Hg). 

Ausscheidung der körpereigenen Substanzen: 

Wasger: nach wie vor Neigung zu Polyurie (1800—2000 cca 
Ausfuhr bei 2000 ccm Einfuhr). 

Kochsalz: absolut etwa gleich Einfuhr, resp. etwas übersebießen! 
(15,7g Ausfuhr gegen 15 g Einfuhr), die Konzentration ist 0,87 ° # . 

Spez. Gewicht: trotz ziemlich stark wechselnder Urinmengen dauernd 
auf 1019—20 eingestellt. Albumen noch deutlich vorhanden, ca. 

Ausscheidung der körperfremden Substanzen: Milchzucker 
wird in 5—6 Stunden ausgeschieden, Jodkali in 48 Stunden. 

Die Reste von Ausscheidungsveränderung, welche bei der Ent¬ 
lassung vor einem Jahre vorhanden waren, bestehen noch heute 
in ganz gleicher Weise. Und auch die Prüfung der körperfremden 
Substanzen gibt dasselbe Resultat wie damals: der Milchzucker 
wird immer noch etwas verlängert ausgeschieden. 

Danach besteht noch immer ein leichtester Grad von vasku¬ 
lärer Schädigung fort und damit stimmt auch überein, daß hier 
noch immer deutlich Albuminurie nachweisbar ist. 

Wir haben in den drei letzten Fällen im Gegensatz zu den 
ersten vier Fällen akute vaskuläre Nephritiden vor uns, die die 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 381 

ausgesprochene Tendenz zeigen, zu normalen Verhältnissen der 
Ausscheidung zurückzukehren. Bei dem ersten Patienten (Nr. 5) 
ist dies in mustergültiger Weise der Fall: Hier ist die Nephritis 
vollkommen abgeheilt. Im zweiten Fall ist nur noch eine gering¬ 
fügige Veränderung der Ausscheidung vorhanden: eine leichte 
Neigung zu Polyurie und eine leichte Fixation des spezifischen 
Gewichts, also Reste einer Überempfindlichkeit der Nierengefäße. 
Klinisch ist die Nephritis ausgeheilt. Im dritten Fall ist nach 
dem Verhalten der Ausscheidung wohl auch die Tendenz der Aus¬ 
heilung vorhanden, aber eine definitive Heilung ist noch keines¬ 
wegs erfolgt; das zeigen alle drei in Betracht kommenden Fak¬ 
toren: das Fortbestehen der Albuminurie, das Fortbestehen einer 
Ausscheidungsveränderung (leichte Polyurie und leichte Fixation 
des spezifischen Gewichts) und schließlich vor allem die noch immer 
vorhandene Verschlechterung der Milchzuckerausscheidung. 


Wir haben im vorausgehenden eine Reihe von akuten Nephri¬ 
tiden angeführt, die wir nach dem Ausfall unserer Untersuchungs¬ 
methoden sämtlich als rein oder doch weit überwiegend vaskuläre 
bezeichnen müssen. Ihnen allen gemeinsam ist einmal die sehr 
gute Kochsalzausscheidung: sowohl absolut wie prozentual sind die 
Werte durchaus diejenigen der Norm. Dementsprechend verhält 
sich auch die Elimination des Jodkali: sie ist überall da, wo das 
Kochsalz gut eliminiert wird, vollkommen normal. Beide Sub¬ 
stanzen, Kochsalz wie Jodkali, sind nur da in ihrer Ausscheidung 
einigermaßen beeinträchtigt, wo Oligurie vorhanden ist; aber auch 
hier nur bei stärkeren Graden der Oligurie, bei leichteren bleiben 
sie unberührt, wie mehrere Beispiele unter den angeführten Nephri¬ 
tiden zeigen. 

Fast alle diese Nephritiden beginnen mit Oligurie. Die Oligurie 
ist bald sehr rasch, binnen wenigen Tagen verschwunden, bald 
dauert sie, oft wechselnd mit normalen Mengen, ja Polyurie, wochen¬ 
lang an. 

Überall, wo Oligurie vorliegt, zeigt sich auch die Milchzucker¬ 
ausscheidung deutlich verlängert (z. B. Fall Nr. 1, Nr. 6 usw.) und 
zwar auf recht beträchtliche Werte. 

In allen diesen Punkten entsprechen somit die geprüften 
Nephritiden vollkommen den Erwartungen, wie wir sie auf Grund 
unserer experimentellen Untersuchungen für vaskuläre Nephritiden 
hegen mußten: gute Kochsalzausscheidung und gute Jodkalielimi- 


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nation, und auf der anderen Seite Oligurie und Verschlechten!!!? 
der Milchzuckerausscheidung. 

Daraus geht hervor, daß unsere Untersuchungsmethoden and 
beim Menschen aufs beste übereinstimmen: beide Methoden, sowrii 
die Prüfung der körpereigenen wie die der körperfremden Sol- 
stanzen sagen in vollkommener Harmonie aus, daß es sich in alk 
den angeführten Fällen um reine resp. weit überwiegende Erkrankus? 
der Nierengefäße handelt. Schon in dieser gegenseitigen Kon¬ 
trolle, welche die Resultate beider Methoden ausüben, sehen wir 
eine Gewähr dafür, daß das Ergebnis richtig ist. Aber auch dir 
klinische Beobachtung gibt uns weitere Tatsachen an die Hand 
welche die Richtigkeit unserer Schlüsse nachdrücklich zu stützet 
vermögen. Hier ist einmal die Ä t i o 1 o g i e der geprüften Nephritidrt 
zu nennen. Bei manchen von ihnen können wir keine bestimm!' 
ätiologische Einwirkung erkennen. Bei anderen dagegen lindes 
wir als Ursache resp. Ausgangspunkt eine septische intizieitt- 
Wunde, Anginen und vor allem Scharlach. Von allen dreien, be¬ 
sonders aber von dem letzteren ist es uns wohlbekanut, daß gerade 
sie vorzugsweise zu einer Schädigung der Glomeruli fuhren: giii 
doch die Scharlachnephritis als Prototyp der akuten Glomeiule- 
nephritis; die Tubuli dagegen pflegen nur wenig und selten oder 
erst in zweiter Linie geschädigt zu sein. In der anatomische;; 
Veränderung der Glomeruli im Sinne einer Glomerulonephritis sehen 
wir einen Ausdruck der vaskulären Nephritis; wie unsere experi¬ 
mentellen Erfahrungen lehrten, sind überall da, wo die Glomeruli 
anatomisch lädiert erscheinen, die Nierengefäße aufs schwerste ge¬ 
schädigt. Das Ergebnis unserer funktionellen Methoden stimm: 
danach auch in dieser Hinsicht vollkommen mit dem überein, was 
uns die pathologisch-anatomische Erfahrung erwarten läßt 1 ' 

Noch ein zweites, direkteres Zeichen einer stattgehabten Niereii- 
gefäßschädigung liefert uns die klinische Beobachtung: das ist die 
Hämaturie. Bei der Durchsicht der Krankengeschichten der 
geprüften Nephritiden fällt sofort in die Augen, wie häufig sie bei 
ihnen ist. Weitaus die Mehrzahl dieser Patienten hatte nicht nur 
mikroskopisch, sondern makroskopisch Hämaturie, zum Teil über 

I ) Wir sind bis beute nicht in der Lage, den direkten anatomischen Be¬ 
weis für die Richtigkeit unserer Schlüsse zu erbringen, wenigstens hinsicbtlka 
der akuten vaskulären Nephritiden. Keine der untersuchten Nephritiden führt« 
'/iiiii Tode. Diese Ergänzung wird unter Berücksichtigung der Einschränkung 
fiir die Verwertung des anatorn. Befundes, welche bereits in der Einleitung U- 
sprurlieii sind, weiteren Untersuchungen überlassen bleiben. 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 888 


Wochen hinweg (Fall Sch., Nr. 4 und H., Nr. 3). Schon bei den 
experimentellen Nephritiden hatten unsere Studien ergeben, daß 
es gerade die vaskulären Nephritiden sind, bei denen wir so starke 
Hämaturie finden. 1 ) Schließlich könnte noch eine weitere Stütze 
für das Vorhandensein einer Nierengefäßschädigung in den ge¬ 
prüften Fällen darin gesehen werden, daß sich bei so vielen unserer 
akuten Nephritiden, zum Schluß der Beobachtung, soweit sie nicht 
ausheilten, eine Ausscheidungsveränderung einstellte, die genau der 
der Schrumpfniere, also einer ausgesprochen vaskulären Nephritis ent¬ 
spricht. Darüber wird bei den chronischen vaskulären Nephritiden 
noch eingehender zu sprechen sein. 

Diese Erfahrungen geben uns das Recht, eine Nephritis, die 
mit Oligurie, intakter Kochsalzausscheidung, andererseits ver¬ 
längerter Milchzuckerelimination und intakter Jodkaliausscheidung 
einhergeht, als eine reine oder weit überwiegend vaskuläre Ne¬ 
phritis zu bezeichnen. Insoweit liegen die Verhältnisse einfach und 
entsprechen unseren experimentellen Erfahrungen. 

In nahezu allen unseren akuten vaskulären Nephritiden haben 
wir jedoch im weiteren Verlaufe der Erkrankung eine Erscheinung 
auftreten sehen, für die das Tierexperiment uns bisher kein 
Analogon gegeben hatte. Mit dem Abklingen der Oligurie schlägt 
die Wasserabsonderung in das Gegenteil um, es kommt zu Polyurie, 
manchmal scheint eine solche auch von vornherein zu bestehen. 
Diese Polyurie kann nur leicht sein, so daß die Ausfuhr nun der 
Einfuhr an Wasser entspricht, sie kann aber auch extreme Grade 
erreichen. Prüfen wir während dieser Zeit die Milchzuckeraus¬ 
scheidung, so zeigt sich, daß seine Ausscheidung vielleicht etwas 
besser als zur Zeit der Oligurie, aber noch keineswegs normal ist. 
Ja, selbst bei hochgradiger Polyurie kann der Milchzucker so 
schlecht ausgeschieden werden, daß er noch auf das Doppelte ver¬ 
längert oder sogar kaum nachweisbar ist (Fall H. und Sch., Nr. 3 
und 4, beide zweite Prüfung). 

Wir haben diese Erscheinung schon an Ort und Stelle bei jeder 
einzelnen geprüften Nephritis zur Genüge betont, um erkennen zu 
lassen, daß es sich hier nicht etwa um ein seltenes und ausnahms¬ 
weises Vorkommnis handelt. Vielmehr findet sich dieses Verhalten 
mit großer Regelmäßigkeit bei fast allen vaskulären Nephritiden, 
sobald sie aus dem Stadium der Oligurie in das der Polyurie über¬ 
gehen. Wir schließen aus dieser Erscheinung, daß in allen diesen 

1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 90 p. 49. 


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Fällen trotz der Polyurie die Nierengefäßschädigung noch keines¬ 
wegs abgeheilt ist. Wie sich bei der Betrachtung der einzelnes 
Fälle ergeben hat, wurde dieser Schluß immer wieder durch dir 
klinischen Erscheinungen bestätigt, sei es durch das Fortbestehen 
der Hämaturie während der Polyurie, durch Auftreten von Urämie 
oder durch den späteren Verlauf. Schon die klinischen Beobach¬ 
tungen ließen bei den meisten von diesen Nephritiden keinen 
Zweifel, daß trotz der Polyurie noch eine schwere Nierengefaä- 
schädigung bestehen müsse. Damit ergibt sich für uns der Schlnt 
Nierengefäßschädigung braucht nicht immer mit 
Oligurie verbunden zu sein; sie kann auch mit Poly¬ 
urie einhergehen, und zwar ist dies keine seltene Erscheinung, 
sondern eine ebenso alltägliche, wie die der oligurischen Nieren¬ 
gefäßschädigung. 

Diese Erfahrung scheint uns von größtem Interesse für dir 
Pathologie der menschlichen Niere; sie vermag eine Reihe von 
Beobachtungen zu erklären, die bisher vollständig unverständlich 
erschienen. 

Die bisherige Anschauung über diese Verhältnisse war die 
daß das Einsetzen solcher Polyurie ein Wiederdurchgängigwerden 
der Niere, also den Beginn der Heilung bedeute, eine Wiederher¬ 
stellung der Zirkulationsverhältnisse, wie Bartels 1 ) sich aus¬ 
drückt, und wie auch heute noch wohl allgemein angenommen wird 
Die P o 1 y urie, das Überschreiten der normalen Urinmenge wurde 
dabei als reine Folge der Retention aufgefaßt: das aufgespeicherte 
Wasser wird durch die nun wieder durchgängigen Glomeruli filtriert 

Für diese Auffassung muß vor allem der Übergang der akuten 
Nephritiden in sekundäre Schrumpfniere die größten Schwierig¬ 
keiten bieten: bei der akuten Nephritis sieht man die Polyurie 
als ein Zeichen der Genesung resp. Heilung an; bei der sekun¬ 
dären Schrumpfniere dagegen wird dieselbe Polyurie als ein Sym¬ 
ptom betrachtet, das auf eine vorhandene Schädigung der Niere 
hinweist. Diese Erklärung wird vollends unannehmbar, wenn wir 
die Polyurie der akuten Nephritis unter unseren Augen ganz gleich¬ 
mäßig in die Polyurie der sekundären Schrumpfniere übergehen 
sehen. 

Durch unsere Erfahrungen lernen wir, daß die Polyurie 
der akuten Nephritiden fast immer mit einer Gefäßschädi¬ 
gung einhergeht, daß also die Nierengefaße trotz der Polyurie 

1) Bartels, N'ierenkrankbeiten 2. Aufl. p. 342. 


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Untersuchungen Uber die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 385 


noch sehr stark beeinträchtigt sein können. Auf dieser neu¬ 
gewonnenen Basis werden uns solche Zusammenhänge nicht mehr 
unerklärlich erscheinen. Wir sehen auch in der Polyurie der 
akuten Nephritis nur eine Begleiterscheinung der Nierengefä߬ 
schädigung und kommen damit auch für sie zu der gleichen Deu¬ 
tung, wie sie die klinische Beobachtung und Erfahrung der Polyurie 
bei der sekundären Schrumpfniere schon lange gegeben hat. Damit 
begreift sich ohne Schwierigkeiten, wie es möglich ist, daß die 
Polyurie bei akuter Nephritis direkt in diejenige der sekundären 
Schrumpfniere übergehen kann. 

Auf diese Weise läßt sich ferner verstehen, wie es kommt, 
daß trotz der Polyurie und neben derselben ausgesprochene und 
starke Hämaturie vorhanden sein kann, ja daß akute Nephritis 
mitunter fast sofort mit Polyurie und gleichzeitig mit starker Häma¬ 
turie einsetzen kann (Fall H., Nr. 8 der Tabelle C). Derartige Er¬ 
fahrungen sind unverständlich, wenn man in der Polyurie lediglich 
ein Zeichen des Wiederdurchgängigwerdens der Niere, eine Wieder¬ 
herstellung der Zirkulation sehen will, haben aber keine Schwierig¬ 
keiten, wenn man weiß, daß Polyurie auch mit Nierengefäßschädi¬ 
gung verbunden sein kann. 

Die nächste Frage ist für uns: welche Faktoren bestimmen es, 
ob bei einer Nierengefäßschädigung Oligurie oder Polyurie auftritt. 
Sieht man sich die mitgeteilten Krankengeschichten daraufhin 
durch, so ergibt sich, daß die meisten unserer akuten Nephritiden 
mit Oligurie einsetzen und dann erst in Polyurie übergehen. In 
diesem Falle finden wir immer wieder, daß die Milchzuckeraus¬ 
scheidung — bei ein und demselben Fall geprüft — während der 
oligurischen Periode erheblich schlechter ist, als zur Zeit der 
Polyurie. Danach ist in der Tat mit der Polyurie eine Besserung 
der Nierengefäßschädigung verknüpft, und das erklärt auch die 
uns allen so geläufige Auffassung der Polyurie als eines pro¬ 
gnostisch günstigen Zeichens. Aber keineswegs ist damit nun eine 
volle Wiederherstellung verbunden, sondern lediglich eine relative 
Besserung. Absolut genommen kann die Durchgängigkeit der 
Nierengefäße nach wie vor hochgradig beeinträchtigt sein. Stellt 
sich somit die von Polyurie begleitete Nierengefäßschädigung schon 
hier als die leichtere dar gegenüber der mit Oligurie verknüpften, 
so spricht in gleichem Sinne auch das Verhalten der Nephritiden, 
die von vornherein oder nach einer sehr kurzen Periode der 
Oligurie mit Polyurie einhergehen. Bei ihnen ist, wie die Milch¬ 
zuckerprüfung und übereinstimmend damit der Verlauf lehrt, im 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 25 


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allgemeinen die Nierengefäßschädigung schon von vornherein leichter 
(z. B. Fall H., Nr. 8 und Fall F., Nr. 5, Tabelle C). 

Wir sehen ferner bei unseren akuten Nephritiden diese Polyurie 
bald aus Oligurie entstehen, aber auch umgekehrt gelegentlich aus 
einer schon eingetretenen Polyurie wieder eine Oligurie werden 
(Fall H., Nr. 3, Anginarückfall, Fall Sch., Nr. 4, Tabelle C). Wie 
schon seit langem bekannt, handelt es sich in letzterem Falle 
immer um eine Verschlechterung der Nephritis, und oft demon¬ 
striert sich dies auch direkt durch einen Nachschub einer schon 
verschwunden gewesenen Hämaturie. 

Danach zeigt sich, daß die Nierengefäßschädigung, 
welche mit Polyurie einhergeht, im allgemeinen einen leich¬ 
teren Grad der Nierengefäßschädigung darstellt, während die mit 
Oligurie verbundene dem schwereren Grad entspricht. Die 
Polyurie kann sich so aus der Oligurie entwickeln oder in die 
Oligurie übergehen, je nach dem Verlauf der Nephritis. Es sei 
jedoch nachdrücklich betont, daß solche Polyurie sich auch bei 
recht schweren Gefäßschädigungen findet (Fall Sch., Nr. 4); in 
solchen Fällen ist der Begriff der leichten Schädigung nur ein 
relativer, gegenüber der noch schwereren während der Zeit der 
Oligurie. 

Diese Feststellungen erleichtern es wesentlich, sich bestimmte 
Vorstellungen über das Wesen dieser mit Gefäßschädigung ver¬ 
bundenen Polyurie zu machen. Wir sehen hier ein starkes Aus- 
einanderfallen der Ausscheidung zweier Körper, die nach unseren 
Untersuchungen beide durch die Nierengefäße abgeschieden werden: 
das Wasser wird in mehr minder stark vermehrter Menge abge¬ 
sondert, der Milchzucker dagegen trotzdem nicht einmal in nor¬ 
maler Zeit, sondern sogar verlängert. 

Es handelt sich demnach um eine dissociierte Schädigung: 
für die Elimination des Wassers ist keine Schädigung vorhanden, 
wohl aber für die des Milchzuckers. Mit dieser Annahme ließe 
sich wohl verstehen, warum Wasser ausgeschieden wird, Milch¬ 
zucker aber nicht. Keine Erklärung aber würden wir damit für 
die P o 1 y urie gewinnen: das Wasser wird ja hier uicht bloß in 
normaler Menge eliminiert, es wird sogar vermehrt ausgeschieden. 
Man könnte diese vermehrte Ausscheidung, nach der bisher allge¬ 
mein üblichen Anschauung so erklären, daß nun eben das retioierte 
Wasser durch die wieder durchgängig gewordenen Nierengeftße 
filtriert werde. Die Nierengefäße sind aber nicht normal durch¬ 
gängig, wie die Milchzuckerausscheidung lehrt; sie können »gar 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 387 

sehr schwer geschädigt und doch Polyurie vorhanden sein. Außer¬ 
dem ist bei dieser Anschauung nicht zu begreifen, warum die Poly¬ 
urie so oft nach völligem Verschwinden der Ödeme noch wochen- 
nnd monatelang anhält, wenn die Ödeme längst verschwunden sind 
und auch die Körpergewichtskurve schon längst wieder eine — nicht 
auf Ödem beruhende — Zunahme aufweist, ja sogar gelegentlich 
dann noch anhält, wenn bereits deutliche Anstrocknungserschei¬ 
nungen seitens des Körpers aufgetreten sind. 

Als zweite Hypothese zur Erklärung der Polyurie wird eine 
verstärkte Filtration durch erhöhten Blutdruck angenommen. Auch 
anf sie kann bei diesen aknten Nephritiden nicht rekurriert werden, 
znm mindesten gibt sie keine generelle Erklärung; denn sehr oft 
sehen wir eine dauernde Polyurie ohne jede Drucksteigerung (z. B. 
Fall H., Nr. 3, HL Prüfung, Fall Sch., Nr. 4, H. Prüfung, Fall He., 
Nr. 8 der Tabelle C), resp. in anderen Fällen, wie schon an Ort 
und Stelle betont, den Blutdruck mit dem Einsetzen der Polyurie 
auf normale Werte sinken. 

Den Schlüssel zum Verständnis der Erscheinungen gibt auch 
hier wieder die experimentelle Erfahrung. Wir sehen, daß diese 
mit Nierengefäßschädigung verbundene Polyurie des Menschen genau 
dem Typus der Ausscheidung entspricht, den wir durch unsere 
Studien am Tier als vaskulär bedingte Hyposthenurie kennen 
gelernt hatten: vermehrte Wasserausscheidung mit fixierter Konzen¬ 
tration ; auf Zulage von Kochsalz prompte Ausscheidung des Koch¬ 
salzes unter Ansteigen des Wassers, aber Gleichbleiben der Kon¬ 
zentration. Beim Tier hatten wir als Ursache dieses Verhaltens 
der Ausscheidung eine Überempfindlichkeit der Nierengefäße gegen 
sekretorische Beize gefunden; wir hatten dort bereits diese Über¬ 
empfindlichkeit als ein erstes Zeichen der Schädigung der Nieren¬ 
gefäße betrachtet (Deutsch. Archiv f. klin. Med. Band 98 p. 76). 
Übertragen wir diese Erfahrung auf die analogen Verhältnisse beim 
Menschen, so sehen wir sofort eine wesentliche Klärung der Dinge. 
Die Polyurie zeigt sich nun nur als ein weiteres Glied einer großen 
Kette von gleichartigen bereits bekannten biologischen Erschei¬ 
nungen, welche besagen, daß ein leichterer Grad von Schädigung 
zu einer Überempfindlichkeit mit Mehrproduktion führt. Danach 
ist die Polyurie als die Folge eines krankhaften Reizes an 
den Nierengefäßen äufzufassen, der sie überempfindlich macht. 
Aber nur der Körper wird von der Überempfindlichkeit betroffen, der 
schon unter normalen Verhältnissen in seiner Ausscheidung von 
physiologischen Reizwirkungen völlig bestimmt wird: das Wasser. 

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Der Körper dagegen, der von diesen physiologischen Reizen in 
seiner Ausscheidung nicht beeinflußt wird, der vielmehr sehr kon¬ 
stante Ausscheidungsbedingungen hat, der Milchzucker wird davon 
nicht betroffen. Er bleibt in seiner Ausscheidung verschlechten 
und zeigt damit die vorhandene Nierengefäßschädignng an, während 
das Wasser durch die krankhaft überempfindlichen Nierengefäße in 
vermehrter Menge eliminiert wird. 

Damit läßt sich nun nicht bloß das Zustandekommen dieser 
scheinbaren Mehrleistung verstehen, die uns bisher die Erkenntnis 
der zugrundeliegenden Gefäßschädigung so sehr erschwerte, son¬ 
dern auch das eigentümliche Zusammentreffen von Schädigung mit 
einseitiger Mehrleistung. Die Mehrleistung ist auch hier wie bei 
unseren Tierversuchen ein Zeichen der Schädigung der Nieren¬ 
gefäße; die Nierengefäße sind durch die Schädigung überempfind¬ 
lich geworden. Nur daß wir beim Menschen diese Überempfind¬ 
lichkeit auch dann noch finden, wenn die Schädigung bereits zur 
Verschlechterung der Milchzuckerausscheidung geführt hat. Beim 
Tier fanden wir dagegen raschen Übergang der Überempfindlich¬ 
keit in Oligurie und damit auch Verschlechterung der Milchzocker¬ 
ausscheidung. Prinzipiell besteht kein Unterschied zwischen Mensch 
und Tier: bei beiden sehen wir schwerste Nierengefaßschädigw 
mit Oligurie einhergehen, leichtere dagegen mit Polyurie. 

Wir können uns das nach den Vorstellungen, die wir Ehrlich 
verdanken, vielleicht in der Weise denken, daß die schwere Nieren- 
gefaßschädigung den Untergang einer großen Zahl von Rezeptoren 
für sekretorische Wirkungen zur Folge hat. Die Zellen werden 
unfähig, auf derartige Reize zu antworten, es tritt Oligurie ein. 
Bei leichterer Schädigung oder bei Erholung wirkt die Schädigung 
als Reiz auf die Zelle und macht sie überempfindlich. 

In dieser Weise aufgefaßt fügen sich unsere Erfahrungen der 
großen Reihe bekannter analoger biologischer Erscheinungen ohne 
Schwierigkeit ein und bedeuten den erstmaligen Versuch, von experi¬ 
menteller Basis ausgehend diese biologischen Gesetze auf krankhafte 
Lebensäußerungen eines einzelnen Organs anzuwenden. Es würdesfch 
danach in letzter Linie um Änderungen der Zellfunktion handele, 
welche es bedingen, ob wir Oligurie oder Polyurie bei einer Nieren¬ 
gefäßschädigung auftreten sehen. 

Bei dieser Auffassuug der Dinge ergibt sich weiter, daß sich 
gelegentlich beide Zustände, der der oligurischen Nierengefäßschi- 
digung wie der der polyurischen Nierengefäßläsion in ein und der¬ 
selben Niere kombinieren können; schon das anatomische Bild zeigt 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 389 


uns ja bei vielen Nephritiden, daß nicht alle Teile einer erkrankten 
Niere z. B. nicht alle Glomeruli gleichmäßig intensiv geschädigt 
sind. Es ist dnrchans möglich, daß die schwerer geschädigten Teile 
schon resp. noch unempfindlich, refraktär gegen sekretorische Reize 
sind, die leichter geschädigten dagegen überempfindlich. Daraus 
ergeben sich mannigfache Kombinationsmöglichkeiten, die nicht ohne 
Einfluß auf die Urinmenge bleiben können. So kann es unter 
Umständen dazu kommen und so läßt es sich erklären, daß wir 
oft eine scheinbar vollkommen normale Urinmenge feststellen, 
während gleichzeitig die Milchzuckerausscheidung wie die klinische 
Beobachtung keinen Zweifel darüber läßt, daß eine beträchtliche 
Schädigung der Nierengefäße vorliegt, (Fall N., Nr. 4, Sch., Nr. 11 
u. 12 usw.). Wir lernen daraus eine Tatsache, die uns wiederum 
sehr wesentlich erscheint für die Pathologie der Niere: wie wenig 
zuverlässig die Größe der Wasserausscheidung an sich für die Be¬ 
urteilung der Gesundheit oder Krankheit einer Niere ist. Hatten 
wir früher schon erfahren, daß selbst bei hochgradigster Polyurie 
starke Nierengefäßschädigung bestehen kann, so erfahren wir nun 
Doch weiterhin, daß auch bei anscheinend ganz normaler Urin¬ 
menge eine schwere Nierengefäßschädigung vorhanden sein kann. 

Diese Erfahrungen und die Vorstellungen, welche sie invol¬ 
vieren, stehen in einschneidendem Gegensatz zu den bisher allgemein 
üblichen Anschauungen: Man legte praktisch bei den akuten 
Nephritiden für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Niere 
ganz überwiegenden Wert auf die Menge des Wassers, welche sie 
produzierte. Sonderte sie wenig Wasser ab, so wurde sie als 
schwer krank betrachtet, produzierte sie normale Mengen, dann im 
allgemeinen auch als normal, und produzierte sie schließlich sehr 
viel Wasser, so wurde sie als besonders gut durchgängig, resp. 
unter besonderen der Harnsekretion sehr günstigen Bedingungen 
stehend angesehen. 

Von diesen Vorstellungen können wir nach unseren Ergeb¬ 
nissen nur an der einen festhalten, daß starke Oligurie bei 
Nephritis — soweit sie nicht extrarenal bedingt ist — in der Tat¬ 
einer schweren Gefäßschädigung entspricht. Aber weder 
die vermehrte noch die normale Urinmenge gestatten uns, eine in¬ 
takte oder besonders gute Funktion der Niere anzunehmen. Beide 
stellen wohl im allgemeinen leichtere Grade der Nierengefä߬ 
schädigung dar, als die starke Oligurie, aber beide können mit 
hochgradiger Schädigung der Nierengefäße ein hergehen. 

Damit wird der Wert der Verfolgung der Wasser-Diurese 


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für unser Urteil über den Zustand der Niere besonders da sehr 
beeinträchtigt, wo die akut erkrankte Niere normale Wassermengen 
ausscbeidet. Wir können nicht wissen, ob nicht doch damit eine 
recht beträchtliche Nierengefäßschädigung verbunden ist; das be¬ 
weisen eine Reihe von unseren Beispielen. Aus der Wasseraus- 
scheidung allein vermögen wir dies nicht zu erschließen, ebenso¬ 
wenig wie da, wo Polyurie herrscht. Das Wasser als sekretorisch 
labiler Stoff erlaubt uns kein Urteil. Dazu sind seine Ausschei¬ 
dungsbedingungen zu vielseitig beeinflußbar; Auskunft über den 
Zustand der Niere kann hier nur der Körper geben, der sehr 
stabile Sekretionsbedingungen hat Gerade in solchen Fällen wird 
sein Verhalten ganz ausschlaggebend sein. Wie wir später, bei 
den chronischen vaskulären Nephritiden, sehen werden, brauchen 
wir aber deshalb noch nicht ganz auf eine Verwertung der Aus¬ 
scheidungsverhältnisse des Wassers in solchen Fällen überhaupt zn 
verzichten. Wir können vielmehr durch ein bestimmtes Vorgehen 
aus seiner Ausscheidungsart eine Unterstützung resp. Kontrolle des 
Ergebnisses der Milchzuckerausscheidung erhalten, die uns sehr 
willkommen ist. 

Wir haben oben die Polyurie, wie sie im Laufe der akoten 
vaskulären Nephritiden auftritt, als eine Reizerscbeinung, die mit 
Überempfindlichkeit der Nierengefaße verbunden ist, kennen ge¬ 
lernt. Die Durchsicht unserer Krankengeschichten dieser Nephri¬ 
tiden lehrt, daß das Einsetzen dieser Überempfindlichkeit der Nieren¬ 
gefäße sich sehr verschieden gestaltet In manchen Fällen, vor 
allem den sehr kurz beobachteten, sehen wir nichts von einer 
solchen Überempfindlichkeit, oder sie tritt vielleicht nur tageweise 
auf, so daß Tage der Polyurie mit solchen der Oligurie wechseln 
(z. B. Tabelle C, Nr. 11 u. 12). In anderen Fällen sehen wir lange 
Zeit hindurch ebenfalls keine Erscheinungen der Überempfindlich¬ 
keit; ganz allmählich erst, vielleicht sogar erst nach Jahresfrist 
bildet sie sich voll aus (Fall Nr. 2), und wir können die Art der 
Ausbildung fast von Stufe zu Stufe verfolgen. In anderen Fällen 
tritt sie schon nach kurzer Zeit des Bestehens der Nephritis sehr 
ausgeprägt hervor und bleibt auch dauernd bestehen, und zwar nicht 
nur einige Wochen hindurch, während der Dauer der eigentlichen 
akuten Nephritis, sondern jahrelang (Fall H., Nr. 3). Gerade solche 
Fälle sind es, welche der Erklärung der Polyurie als einer ein¬ 
fachen Entleerung retinierten Wassers größte Schwierigkeiten dar¬ 
bieten, während unsere Auffassung sie ohne Schwierigkeiten ver¬ 
ständlich erscheinen läßt. 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 391 


In allen diesen Fällen, wo sich die Überempfindlichkeit unter 
unseren Augen ausbildet, sehen wir, langsam oder ganz unver¬ 
mittelt, immer die gleichen Erscheinungen auftreten: das spez. Ge¬ 
wicht, das vielleicht bis dahin hoch war, fängt mit dem Einsetzen 
der Polyurie an, langsam oder rasch zu sinken und gelangt schlie߬ 
lich auf ein bestimmtes, meist niedriges Niveau, das es mit großer 
Konstanz einhält: es ist fixiert. Sehr rasch trat diese Erscheinung 
auf bei Fall Sch. (Nr. 9 der Tab. C), ganz langsam bei dem schon 
citierten Fall ß. (Nr. 2 der Tab. C). 

Die Prüfung der Milchzuckerausscheidung hat gelehrt, daß da, 
wo diese Überempfindlichkeit bei akuten Nephritiden auftritt und 
nach ihrem Ablauf noch fortbesteht, auch gemeinhin die Nieren¬ 
gefäßschädigung noch nicht ausgeheilt ist. Und in vollkommener 
Übereinstimmung damit ergibt die klinische Beobachtung, daß da, 
wo diese Überempfindlichkeit bestehen bleibt, die Nephritis auch 
klinisch nicht ausheilt, sondern bestenfalls stabil bleibt. 

Die Prüfung der Milchzuckerelimination wie das klinische Ver¬ 
halten geben uns also das gleiche ßesultat. 

Auf der anderen Seite zeigt sich, daß bei leichteren Nephri¬ 
tiden der Ablauf der Nephritis sich ganz anders gestalten kann 
(Fall Fr., Sch., H., Nr. 5, 6, 7 der Tab. C). Ganz allmählich lassen 
die Erscheinungen der Überempfindlichkeit, die Polyurie, die Fixation 
und die Niedrigkeit des spez. Gewichts nach und nähern sich wieder 
dem normalen Verhalten. Gewöhnlich fängt zuerst das spez. Ge¬ 
wicht an, in seiner absoluten Höhe zu steigen, behält aber noch 
seine Fixation bei; die Urinmenge nimmt langsam ab, und schlie߬ 
lich sehen wir wieder normales Verhalten zwischen der Wasser¬ 
ausscheidung und dem spez. Gewicht eintreten; die Wasser¬ 
ausfuhr steht wieder im normalen Verhältnis zu der Einfuhr, und 
das spez. Gewicht schwankt je nach der Wasserzufuhr stark und 
ist im Durchschnitt nicht mehr niedrig, sondern hoch. 

Aus diesem Verhalten ergibt sich, daß sich hier allmählich 
die Überempfindlichkeit zurückgebildet hat zu normalen Aus¬ 
scheidungsverhältnissen. Gleichzeitig sehen wir aber auch klinisch 
alle Zeichen der Nierenschädigung verschwinden: klinisch ist die 
Niere geheilt In zwei von den drei Beobachtungen dieser Art 
war von einer Nierenkrankheit in der Tat zum Schluß der Beob¬ 
achtung nichts mehr erkennbar. 

Daraus würde sich die Folgerung ergeben: da, wo nach einer 
akuten vaskulären Nephritis die Überempfindlichkeit der Nieren¬ 
gefäße bestehen bleibt, ist keine Ausheilung erfolgt: es ist immer 


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392 


SCHLAYBB U. TaKAYABO 


noch eine Nierengefäßsc^ädignng vorhanden, oder die Überemp&nd- 
lichkeit besteht weiter als letzter Rest der Nieren gefäßschädigune 
(Fall H., Nr. 3, II. Prüfung, Tabelle C). 

Dagegen da, wo die Überempfindlichkeit wieder verschwindet 
und normalem Ausscheidungsverhalten Platz macht, werden wir 
allermeist mit einer Heilung rechnen dürfen. Unter Zugrunde¬ 
legung unserer Anschauungen lassen sich auch diese Vorgänge wohl 
verstehen: wir haben gesehen, daß bei der akuten Nephritis eine 
Überempfindlichkeit der Nierengefäße, wie sie sich in der Ans¬ 
scheidung demonstriert, fast immer mit einer Nierengefaßschädigun? 
gleichbedeutend ist, daß sie geradezu eine Nierengefäßschädigung 
anzeigen kann. Danach müssen wir auch annehmen, daß, solange 
die Nierengefäßüberempfindlichkeit fortbesteht, die Nierengefä߬ 
schädigung auch noch nicht ganz abgeheilt ist. 1 ) Verschwindet 
aber die Überempfindlichkeit, so werden wir, wenn nicht besondere 
Bedingungen vorliegen, in der Mehrzahl der Fälle annehmen dürfen, 
daß auch die Gefäßschädigung abgeklungen ist. 

Unsere bisherigen Erfahrungen und Nachprüfungen überstan- 
dener akuter Nephritiden haben diesen Schlüssen recht gegeben, 
mit der Ausnahme, daß offenbar trotz der Rückkehr zu normalen 
Ausscheidungsbedingungen nicht immer mit einer vollkommenen 
Ausheilung der Nierengefäßschädigung gerechnet werden kann. 
So sehen wir in Fall H. und N. (Nr. 7, IL Prüfung, und Nr. 10 der 
Tabelle C), trotzdem die Ausscheidungsverhältnisse sich so gut wie 
normal verhalten, noch 8 Monate resp. 1 Jahr nach der akuten 
Nephritis eine freilich nur leichteste Nierengefäßschädigung fort- 
bestehen. Das lehrt in beiden Fällen die leichte Verlängerung 
der Milchzuckerausscheidung, und die nicht unbeträchtliche Albn- 
rainurie, die noch bestand, gibt diesem Schluß recht. Gerade in 
diesem Punkte, dem Fortbestehen der Albuminurie unterscheiden 
sich diese beiden Fälle auch wesentlich von Fall 5 und 6, die wir 
als ganz ausgeheilt betrachten. Bei diesen letzteren beiden war 
außer der Ausscheidungsstörung auch die Albuminurie vollkommen 
verschwunden. 

Wir sehen daraus, daß die Wiederherstellung der normalen 

1) Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei scharf betont, daß die Beobach¬ 
tung einer einzelnen Tagesportion des Urins nicht als Grundlage für die Fnee 
gelten kann, ob noch eine Überempfindlichkeit besteht oder nicht. Solche ein¬ 
zelnen Urinportionen können sehr wohl ein wesentlich abweichendes Verhalten 
hinsichtlich ihres spez. Gewichtes zeigen. Darüber wird bei den chronischen vas¬ 
kulären Nephritiden noch zu sprechen sein. 


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Untersuchungen Uber die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 393 

Ausscheidungsverhältnisse allein uns noch kein genügend sicheres 
Urteil gestattet, ob eine akute Nephritis ausgeheilt ist oder nicht. 
Sie ist nicht eindeutig; denn wie schon, speziell für das Wasser, 
oben ausgeführt, kann gelegentlich auch mit einem ganz normalen 
Ausscheidungsverhalten eine Nierengefäßschädigung verbunden sein. 
Wir werden demnach in einer Wiederherstellung der normalen 
Ausscheidungsverhältnisse nur ein Symptom erblicken dürfen, das 
in der Richtung einer Heilung weist. Erst dann, wenn außerdem 
auch die klinische Beobachtung und die Milchzuckerausscheidung 
in gleichem Sinne sprechen, werden wir das Recht haben, die 
Nephritis als geheilt zu betrachten. 

Wir haben demnach drei Methoden, um uns über das Fort¬ 
bestehen einer Nierengefaßschädigung zu orientieren: außer der 
bisher allein geübten klinischen (Beobachtung des Albumens usw.) 
nun auch noch die Prüfung der Ausscheidungsverhältnisse (hin¬ 
sichtlich des Wassers und des spezifischen Gewichts) und endlich 
noch die Prüfung der Milchzuckerausscheidung. Es steht zu hoffen, 
daß es uns auf Grund dieser drei Methoden vielleicht gelingt, ein 
schärferes Urteil, als es bisher möglich war, über die Frage zu 
erhalten, ob eine Nephritis ausgeheilt ist oder nicht. 

Wir haben in dem Voraufgehenden gesehen, daß die Niere 
mit dem Abheilen der Schädigung die Fähigkeit wieder erlangt, 
einen konzentrierten Urin auszuscheiden, während sie, solange die 
Nephritis anhält, einen dünnen Harn mit niederem spezifischem 
Gewicht produziert. 

Aber auch im Beginn akuter vaskulärer Nephritiden finden 
wir nicht selten ganz normale, ja selbst hohe Konzentrationswerte 
(auch bei geringem oder fast fehlendem Albumengehalt, vgl. Fall R., 
Nr. 2, u. N., Nr. 1 der Tabelle C). Dabei lehren schon die gleich¬ 
zeitige Oligurie und Hämaturie, aber nicht minder die Prüfung 
der Milchzuckerausscheidung, daß hier eine beträchtliche, ja oft 
sogar schwere Nierengefäßschädigung vorliegt. Eine Nierengefä߬ 
schädigung kann also nicht nur mit einer etwa normalen Urin¬ 
menge einhergehen, wie oben betont, sondern auch mit eiuer recht 
guten Konzentrationsfähigkeit verbunden sein. Diese Tatsache ist 
an sich der internen Klinik schon lange bekannt, war aber bei 
den bisherigen Vorstellungen unerklärbar. Die allgemeine An¬ 
schauung ging, besonders beeinflußt durch die Studien an den ein¬ 
seitigen Nephritiden, bisher dahin, daß die Produktion eines gut 
konzentrierten Urins — wie schon das Wort „gut“ zeigt — ein 
Zeichen hochwertiger Nierenarbeit sei. Daß dagegen die sogenannte 


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394 


Schlayir o. Takayasu 


Konzentrationsunfähigkeit, d. h. die dauernde Produktion eines 
dünnen Urins, ein Zeichen von Nierenschwäche sei. Danach mnßte 
eine schwere Nephritis mit erhaltenem gutem Konzentrationsver¬ 
mögen unverständlich bleiben. 

Die Dinge klären sich, sobald wir unsere Anschauungen zu¬ 
grunde legen: die gute Konzentration wird begreiflich da, wo nnr 
die Nierengefäße, nicht aber die Tubuli geschädigt sind. Die 
beträchtlich geschädigten Nierengefäße produzieren nur eine geringe 
Menge Wassers; da die Tubuli aber normal oder so gut wie nor¬ 
mal arbeiten und noch keine Überempfindlichkeit herrscht, so mnil 
das Resultat ein hochkonzentrierter Urin sein. 

So wird es uns begreiflich, daß auch eine schwerkrankt 
Niere hochkonzentrierten Urin produzieren kann. Wir können 
demnach in der Tatsache eines hochkonzentrierten Urins an sich 
noch keineswegs ein Zeichen guter Nierenarbeit erblicken, nnd 
ebensowenig werden wir immer in der Produktion eines dünnen 
Urins ein Zeichen von Schwäche der Niere erblicken. Dies wird 
da wohl der Fall sein, wo eine tubuläre Hyposthenurie vorliegt, 
dagegen bei einer einfachen vaskulären Hyposthenurie ist die 
nicht ohne weiteres der FalL Bei ihr bedeutet die Produktion 
eines dünnen Urins nur eine Überempfindlichkeit der Nierengefafie. 
die Folge eines Reizes auf dieselben. Dabei kann aber, wie später 
noch gezeigt werden wird, die Arbeit der Niere sonst vollkommen 
normal sein. Hier handelt es sich nicht um eine Schwäche der 
Niere, sondern um eine vielleicht nur einseitige Mehrleistung eine 
Teils der Niere, der Nierengefäße. 

Schon hieraus geht hervor, — und unsere demnächst folgenden 
Studien über chronische vaskuläre Nephritiden werden das noch 
wesentlich erweitern — daß die Konzentrationsfähigkeit an sich 
überhaupt kein Maßstab für die Leistung der Niere in dem Sinne 
ist, wie bisher verwandt. Die Beobachtungen und Erfahrungen, 
auf welche sich diese bisherige Ansicht gründet, erklären sich 
nach unseren Untersuchungen auf wesentlich andere Weise; das 
tun schon die bisherigen Beispiele dar. 

Für die Betrachtung dieser Verhältnisse und ihre diagnostische 
Verwertung kommt ganz offenbar ein Faktor in Frage, der bisher 
überhaupt nicht berücksichtigt wurde, der aber von allergrößtem 
Einfluß auf die Art der Ausscheidung der festen Substanzen, also 
die Konzentration des Urins ist, das biologische Verhalten 
der Nierengefäße. Das zeigen gerade die Verhältnisse bei 
den hier behandelten akuten vaskulären Nephritiden am deutlich- 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 395 


sten, da bei ihnen die Tubnli intakt sind. Sind die Nierengefäße 
infolge einer Schädigung in ihrer Arbeit stark beeinträchtigt, so 
wird bei intakten Tubulis ein konzentrierter Urin produziert werden. 
Sind sie dagegen durch die Schädigung überempfindlich geworden, 
so wird selbst bei vollkommen intakten Tubulis ein dünner Urin 
abgesondert. 

Schon die Nierengefäße allein sind danach imstande, weitest¬ 
gehende Einwirkung auf die Art der Ausscheidung der festen Sub¬ 
stanzen auszuüben; schon sie vermögen die Konzentration in jeder 
beliebigen Weise zu ändern. Das ist ein Ergebnis, auf das wir 
besonders mit Rücksicht auf die demnächst folgenden chronischen 
vaskulären Nephritiden Nachdruck legen. 

Auf alle weiteren Schlüsse, welche sich aus unserer Art der 
Auffassung für den Zusammenhang der akuten vaskulären Nephri¬ 
tiden mit Ödem, Urämie und Hypertension ergeben, möchten wir 
hier noch nicht eingehen, sondern ihre Erörterung auf später ver¬ 
schieben. 

Unsere Zusammenfassung lautet: 

1. Als akute vaskuläre Nephritiden werden wir diejenigen 
akuten Nephritiden bezeichnen dürfen, die mit Oligurie verbunden 
sind, während gleichzeitig die Kochsalzausscheidung sowohl pro¬ 
zentual wie absolut intakt ist. In diesen Fällen ist immer, ent¬ 
sprechend unseren tierexperimentellen Erfahrungen, die Milchzucker¬ 
elimination verschlechtert, die Jodkaliausscheidung dagegen intakt. 

2. Nierengefäßschädigung braucht nicht immer mit Oligurie 
einherzugehen. Sie kann vielmehr auch mit Polyurie verbunden 
sein. Diese Polyurie hat zur Ursache eine Überempfindlichkeit der 
Nierengefäße infolge krankhaften Reizes. 

3. Die polyurische Nierengefäßschädigung ist im allgemeinen 
eine leichtere Form der Nierengefäßschädigung; sie kann der 
schwereren, der Oligurie, entweder vorausgehen oder sich aus ihr 
entwickeln. 

4. Die Größe der Wasserausscheidung erlaubt kein sicheres 
Urteil über den Zustand einer Niere: sowohl bei normaler Urin- 
menge wie bei vermehrter Urinmenge kann beträchtliche Nieren¬ 
gefäßschädigung bestehen. Nur die nephritische Oligurie ist ein 
sicheres Zeichen schwerer Nierengefäßschädigung. 

5. Akute vaskuläre Nephritiden zeigen in ihrem Ausscheidungs¬ 
verhalten zwei verschiedene Ausgänge: 


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396 


SCHLAYER U. TAKAYASU 


Entweder bleiben die Erscheinungen einer vaskulären Über¬ 
empfindlichkeit bestehen. Dann ist für gewöhnlich auch noch keine 
Ausheilung erfolgt, sondern die Nierengefäßschädigung besteht fort. 

Oder die Erscheinungen der Nierengefäßüberempfindlichkeit 
gehen zurück und verschwinden. Dann ist meist Tendenz zur 
Heilung vorhanden. Das Verschwinden der Überempfindlichkeit 
allein gestattet jedoch noch kein genügend sicheres Urteil, ob die 
Nephritis abgeheilt ist. Außer ihr ist auch noch das klinische 
Verhalten und der Ausfall der Milchzuckerprüfung zu berück¬ 
sichtigen. 

6. Nierengefäßschädigung kann sowohl mit hoher Konzen¬ 
tration des Urins, wie mit niederer einhergehen. 

7. Die Produktion eines hochkonzentrierten Urins ist keines¬ 
wegs immer ein Zeichen guter Nierenarbeit resp. intakter Nieren. 
Ebensowenig ist Produktion eines dünnen Urins immer ein Zeichen 
von Schwäche der Niere. Bei intakten Tubulis hängt vielmehr 
die Ausscheidung der festen Substanzen und damit auch die Höhe 
des spezifischen Gewichts ganz maßgebend ab von dem biologischen 
Zustand der Nierengefäße. 

Arbeiten sie infolge einer Schädigung vermindert, so wird ein 
konzentrierter Urin ausgeschieden. Sind sie dagegen überempfind¬ 
lich, so wird ein dünner Urin ausgeschieden. 



h F. c. 1 


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Tafel II 



u F. C. W. Vogel 1 Druck von August Pries in Leipzig 


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396 


ScHLAYER U. TAKAYA8Ü 


Entweder bleiben die Erscheinungen einer vaskulären Über“ 
empfindlichkeit bestehen. Dann ist für gewöhnlich auch noch keine 
Ausheilung erfolgt, sondern die Nierengefäßschädigung besteht fort 

Oder die Erscheinungen der Nierengefäßüberempündlichkeir 
gehen zurück und verschwinden. Dann ist meist Tendenz zni 
Heilung vorhanden. Das Verschwinden der Überempfindlichkeit 
allein gestattet jedoch noch kein genügend sicheres Urteil, ob di 
Nephritis abgeheilt ist Außer ihr ist auch noch das klinisd 
Verhalten und der Ausfall der Milchzuckerprüfung zu bernc 
sichtigen. 

6. Nierengefäßschädigung kann sowohl mit hoher Konze 
tration des Urins, wie mit niederer einhergehen. 

7. Die Produktion eines hochkonzentrierten Urins ist keines 
wegs immer ein Zeichen guter Nierenarbeit resp. intakter Niered 
Ebensowenig ist Produktion eines dünnen Urins immer ein Zeichei 
von Schwäche der Niere. Bei intakten Tubulis hängt vielmet 
die Ausscheidung der festen Substanzen und damit auch die Hob; 
des spezifischen Gewichts ganz maßgebend ab von dem biologische; 
Zustand der Nierengefäße. 

Arbeiten sie infolge einer Schädigung vermindert, so wird ei- 
konzentrierter Urin ausgeschieden. Sind sie dagegen überempfind 
lieb, so wird ein dünner Urin ausgeschieden. j 


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Tafel II 


Kurve 3b 


druck | IQ | tl 112 


4 M*_ I I» 


JW I » 


EiWeia» SptcOew 
W» Hl_ 


Druck von August Pries in Leipzig 


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Original frn-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



Tafel III 


Kurve 4 b 



Na CI 


»H 


Sp«c Oew 


Druck von August Pries in Leipzig. 


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Original fram 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




















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Tafel IV 



Druck von August Pries in Leipzig 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 397 


Erklärung der Klirren anf Tafel II, III und IV. 

Die schwarzen Säulen zeigen die Ausfuhr an; die unteren die des 
Wassers, die oberen die des Kochsalzes. 

Die schraffierten Säulen geben die Einfuhr an; die unteren die des 
Wassers, die oberen die des Kochsalzes. 

Die prozentuale Kochsalzkonzentration ist am Fuße der Kochsalzausfuhr¬ 
säulen angegeben. 

Die untere schwarze ausgezogene Linie gibt das spezifische Ge¬ 
wicht an, die obere schwarze ausgezogene Linie den Blutdruck. 

Die schwarze punktierte Lime zeigt den Eiweißgehalt des Urins an. 

Die schwarze unterbrochene Linie schließlich die Schwankungen des 
Körpergewichts. 

Zeiten reiner Milchdiät resp. kochsalzarmer Kost sind besonders markiert 
durch liegende Rechtecke. Der Zeitpunkt der vorgenommenen Funktionsprüfungen 
ist durch einen senkrechten Pfeil markiert 

Verabreichte Medikamente sind am unteren Rande der Kurve vermerkt. 


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Schlaykr n. Takayasu 


398 


T»- 


Name 

1 

1 

1 

Krankheit: 

Ödeme, Urämie, 
Hypertension 

Wasser¬ 

elimination 

NaCl 

absolut 

NaCl- 

Konzentr. 

a) durch- 
schnittl. 

b) höchste 

% 

NaCl- äfM 

Zulage 6« 

1. N. 

! 

Nephr. acuta 
gravid, mit 
Ödemen 

Oligurie 

gut 

a) 0,82 

b) 0,84 

nicht ganz 
eliminiert 1 

2. R. 1 Nephr. acuta 

I.Prüfung hämorrhag. 

0 Ödeme, 0 Hy- 
pertensiou 

leichte Polyurie, 
resp. normale 
Menge 

sehr gut 

a) 0,91 

b) 1,15 

J 

R. 

II. Prü¬ 
fung 

9 Monate später 

beträchtl. Poly¬ 
urie 

sehr gut 

0,87 

i 

3. H. 

I. Prüfung 

Nephr. acuta 
hämorrhag., 
.leichte Urämie, 
Ödeme u. Hyper¬ 
tension 

Oligurie vorher, 
am Tage der 
Injektion erst¬ 
mals Besserang 

erstmals sehr 
gut. über- 
scnießt 

a) 0,56 

b) 0,73 

1 

H. 

II. Prü¬ 
fung 

Keine Ödeme 
u. keine Urämie 
mehr, noch 
leichte Hämat. 

enorme Polyurie 

sehr gut 

a) 0,7 

b) 0,75 


H. 

III. Prü¬ 
fung 

Ein Jahr später: 

0 Ödeme, 

0 Hypertension, 
0 Urämie 

beträchtliche 

Polyurie 

sehr gut, 
überschießt 

0,84 

j 

4. Sch. 

I. Prüfung 

Nephr. acuta 
häinorrhag. 
bei sept. Wunde, 
Ödeme, ternpor. 
Hypertension, 
Urämie 

normal 

sehr gut 

a) 0,55 

b) 0,58 

1 

Sch. 

II. Prü¬ 
fung 

Ödeme und Urä¬ 
mie verschwun¬ 
den, ebenso 
Hypertension 

i beträchtl. Poly- 
urie 

j 

1 

sehr gut 

a) 0,56 

b) 0,61 

j 

5. F. 

Nephr. acuta 
j postscarlat., 

1 o Ödeme, 

0 Urämie 

i 

leichte Polyurie 

sehr gut 

a) 0,68 

b) 0,82 


6. Sch 

Nephr. acuta, 
h ä m o r r h a g.- 
postscarlat., 

0 Ödeme, 

leichte Oligurie 



— IO* 


0 Urämie 





i. hT 

I. Prüfung 

Nephr. acuta, leichte Polyurie 
häinorrh. mit ( 

Gesichtsödem, 

| leichte Hvper- 
^ension, 0 Urämie. 

sehr gut 

1 

0,85 

— 


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Gck 'gle 


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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 399 

>elle C. _ 

Milchzncker- 


der Aus¬ 
eidung 

ausscheidung 

Jodkali 

1 Al ’ 



Dauer, 
in Std. 

Menge 

in tr 

wieder¬ 
gewonnene 
Menge 
in % 

Dauer 
in Stund. 

bumen 

01 

1 00 

SchluOurteil 

Verlauf 

igurie J 

8—9 Std. 

2.0 g 

60 

50 

2—4 

rein vaskuläre 
Störung 


e Hypo- 
enurie 

6 Std. 

1 g 

99,3 

" 48 

7* 

leichte vaskuläre 
Schädigung 

| siehe II. Prüfung. 

zt typ. 
ul. Hypo- 
lenurie 

6 Std. 
2g 

(30?) 

52 

Spur , 

vaskul. Schädigung 
besteht fort, in¬ 
zwischen Überemp- 
findl. eingetreten 

— 

einsetzen- 
isk. Hypo- 
enurie? 
en abklin- 
er tubul. ? 

124-Std. r ) 

2,0 g 

73 

68 

1=ST | 

starke vaskuläre 
Schädigung, Tubul. 
eben abgelaufen (?) 

siehe II. Prüfung. 

. vaskul. 
osthenurie 

8 Std. 

2,0 g 

68 

48 

l 

noch immer starke 
vaskul. Schädigung 
trotz Polyurie 

siehe III. Prüfung. 

. vaskul. 
osthenurie i 

5 Std. 

2,0 g | 

100 


0 

nur noch Über¬ 
empfindlichkeit der 
Nierengefäße nach¬ 
weisbar 


»osthenurie 
ir vaskul. 
arakters 

nicht 

wieder 

erhalten 

2,0 g 


66 

i—2 

schwere vaskuläre 
Schädigung trotz 
normaler Urin- 
menge 

siehe II. Prüfung. 

tzt reine 
kul. Hypo- 
thenurie 

6+Std. 1 ) 

2,0 g 

34! 

63 

V* 

Noch immer 
starke vaskul. Schä¬ 
digung trotz Poly¬ 
urie 

Überempfindl. der 
Nierengefäße und 
Hämaturie bleibt 
bestehen. 

ite vaskul. 
osthenurie 

6 Std. 
2,0 g 

93,4 


i 1 

leichteste vaskuläre 
..Schädigung mit 
Überemptindlichkeit 

Ausheilung unter 
Ansteigen d. spez. 
Gew.u.Verschwin- 
den d. Polyurie u. 
des Albaniens. 

ignrie mit 
posthenurie 

! 8 Std. " 

2,0 g 

94 


“TT' 

beträchtl. vaskul. 
Schädigung 

Verschwinden der 
Hyposthenurie, An¬ 
steigen des spez. 
Gew., Rückgang 
der Nephritis. 

ioste von 
? kul. Hypo- 
sthennrie 

6 Std. 

2,0 g 

73,3 

54 

v. 

leichteste vaskuläre 
Schädigung noch 
zurückgeblieben 

siehe II. Prüfung. 


d. h. nach 12 resp. 6 Stuuden noch nicht beendigt. 


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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 





400 


Schlayer n. Takayasu 


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— —- 

--- 

■ ■ ■ ■ — — 


NaCl- 

— - 

Name 

Krankheit: 

i .. 

1 Ödeme, Urämie, 
Hypertension 

i 

Wasser- 

eliminatioD 

NaCl 1 

absolut 

Konzentr. 

a) durch- 
schnittl. 

b) höchste 

Ol 

lo 

NaCl- 

Zulage Ge* 


H. Ein Jahr später: 
II. Prü- j 0 Ödeme, 

fung | 0 Urämie, 

0 Hypertension 


leichte Polyurie sehr gut 


8. II., 
30jähr. 
Mann 


Nephr. acuta 
i hämorrhag., 
keine Ödeme, 
keine Urämie, 
keine Hyper¬ 
tension 


sehr starke Poly-i 
urie, nach ein¬ 
tägiger Oligurie 
(1500 Ausfuhr 
gegen 2000 ccm 
Einfuhr) 


9. Sch., 
18 jäbr. 
Mann 


Nephr. acuta 
hämorrhag., 
Ödeme, Pe¬ 
techien, 0 Hyper 
tension,0 Urämie! 


10. N. 
8jähr. 
Knabe 


sehr gut, = 
überschießt j 
stark (16,5 
Ausf. gegen | 
5 g Einfuhr) 


0,87 


a) 0,66 

b) 0,76 


fix 


sehr gut und 101« 
glatt ausge¬ 
schieden 


zuerst 5 tägige ! sehr gut, 
Oligurie mit tiberschießt 
hoher Konzentr. stark (20,5 g 
(1028 bei 5 °/ 00 Ausfuhr 

Alb.) jetzt sehr gegen 10 g 
starke Polyurie Einfuhr) 

(8300 Ausfuhr ! 
gegen 2000 ccm 
Einf.) | 


a) 0,82 

b) 0,86 
von An¬ 
fang an 


ii 


Nephr. subacuta durchschnittl. 

postscarlatin. annähernd nor- 
(seit 8 Monaten), mal, öfters leichte 
Früher Ödeme, j Polyurie (ca. 
jetzt0, 0 Urämie,! Einfuhr gleich 
keine Hyperten-j Ausfuhr) 
sion i 


Einfuhr 
gleich Aus¬ 
fuhr 


11. L., 
33jähr. 
Frau 


Nephr. subacuta stark wechselnd, 
gravid.; vor 5 j bald Polyurie, 
Monaten wäh- bald anscheinend 
rend Gravidität normale Urin- j 
Ödeme, auch nach menge; am Tage! 
dem vor 3 Monat, der Prüfung etwa 
erfolgten Partus,! normale Urin- , 
jetzt noch Spur menge (1400 Aus* 

I Ödeme. R. R. Ifuhrbei 1800 ccm 
1 138 mm Hg, l Zufuhr) 

0 Urämie, Herz 

i o. B. I 


sehr gut 


12. H. Nephr. subacuta, stark wechselnd,! sehr gut, 
22 jähr. Beginn vor 6 Mo- bald leichte Poly-: Einfuhr 
Mädchen nateu mit Ödem., urie, meist etwa 1 gleich Aus- 
jetzt 0 Urämie, normale Urin- i fuhr 


I kaum Ödeme, 

0 Hypertension , 
(R.R. 130mm Hg) 
0 Urämie, Herz 
o. B. 


menge 


a) 0,78 trotz Mehre 

b) 0,83 fuhr von 50( 

Flüssigk. n 
teilw. elira 
niert [v. 17,i 
Zufuhr nu 
10,6 g elimi 


0,86 nicht ganz 10! 
eliminiert (von 
23,7 g Zufuhr 
aus geschieden 
14,0gj 


a) 0,73 I 

b) 0,82 


— iol 


Gck igle 


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Untersuchungen Uber die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 401 



Milchzuck« i - 
ausscheidung 

Jodkali 

Al- 


i u lyp der Aus* 

Scheidung 

Dauer, 

Menge 

wieder- 
gewonnene 
Menge 
in °/ 0 

Dauer 
in Stund, i 

binnen Schlußurteil 

0 

00 

Verlauf 

Reste von 
vasknl. Hypo- 
sthenurie 

5—6 Std. 

2,0 g 

67 

48 

Spur noch immer Reste 
von leichter vaskul. 
.Schädigung ohne 
Überempfindlichkeit! 


typ. vaskul. 

‘ Hyposthenurie 

6 Std. 

2,0 g 

97 

56 

7i leichte vaskuläre 

Schädigung bei 
starker Überempfind- 
lichkeit 

Überempfindlich- 
keit der Nieren¬ 
gefäße besteht fort. 

_ rein va9- 

knl. Hypo¬ 
sthenurie 

7—8 Std. 

2,0 g 

50 

52 

2—3 rein vaskuläre 

Schädigung bei 
Polyurie 

mehrfache Rück¬ 
fälle mit Hämat¬ 
urie u. Ansteigen 
des Albumens und 
Sinken der Uriu- 
menge, sonst dau¬ 
ernde Polyurie mit 
niedr. fix. spez. 

Gewicht. 

keine Hypo- 
" sthennrie, an- 
»* 5 ’ ■ scheinend nor- 
>o mal 

11* r.; 

5—6 Std. 

2,0 g 

64 

48 

3 / 4 rein vaskuläre 

Störung leichtesten 
Grades ohne Über¬ 
empfindlichkeit, 
Rest von Scharlach¬ 
nephritis 

noch in Beobach¬ 
tung. 

keine Hypo- 
ihfi stheuurie 

iS: 

9 Std. 

2,0 g 

74 

44 

Spur rein vaskuläre 

Störung ohne aus¬ 
gesprochene Über- 
l j empfindlichkeit 

Entlassen nach 

14 Tagen mit 
gleichem Befund. 

1 

keine Hypo- 
^ sthenurie 

i , 

i 

5—6 StcL 

2,0 g 

94 

1 

H 52“ 

1 rein vaskuläre 

Störung leichten 
Grades ohne Über- 
empfindlichkeit 

j allmählich. Sinken 
des spez. Gewichts 
auf 1014—16, stär¬ 
kere Fixation, zu¬ 
nehmende Nei¬ 
gung zu leichter 
Polyurie, also Aus¬ 
bildung von Uber- 
empfindlichkeit. 

Deutsches Archiv f. Ulin. Medizin. 101. Bd. 

26 


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Über eine kritische Frequenz des Herzens bei 
paroxysmaler Tachykardie. 

Von 

K. F. Wenckebach 

in Groningen. 

(Mit 3 Abbildungen.) 

In den folgenden Zeilen wird gezeigt werden, daß eine sehr 
hohe Frequenz der Herztätigkeit an sich die Ursache bedeutender 
Kreislaufstörung und nicht geringer Erweiterung des Herzens 
sein kann. 

Diese Tatsache ist wichtig für die klinische Beurteilung des 
Herzens in Fällen von hoher Frequenz, besonders bei der paroiys- 
malen Tachykardie. Gerade bei dieser Krankheit, wobei ich nur 
die regelmäßige Form, nicht die sehr rapide „Arhythmia perpetoa* 
ins Auge fasse, bestehen Meinungsverschiedenheiten über die Frag?, 
ob während des Herzjagens akute Vergrößerung des Herzens, Er¬ 
weiterung der Herzhöhlen, eventuell Insufficienz der Klappen ent¬ 
stehe oder nicht. Die Antworten fallen verschieden aus je nach 
den beobachteten Fällen. 

Daß nun bei paroxysmaler Tachykardie sehr bedeutende Herz¬ 
vergrößerung mit starker venöser Stauung entstehen kann, steht 
fest und wird u. a. von einem Falle aus der hiesigen Klinik (1905' '• 
bewiesen. 

Frau d. V., 37 Jahre, sonst immer gesund, leidet nur währen*) 
der Gravidität an Anfallen von Herzklopfen mit starken Schmerzen 
im Epigastrium. Das Herzklopfen geht den Leibschmerien 
voran. Dies war auch der Fall, als 4 Tage vor der Aufnahme in di** 
Klinik (16. November 1905) die Schmerzen wieder auftraten. Sie hatte 
hier eine äußerst frequente, regelmäßige Herztätigkeit bis 240 pro Mi¬ 
nute (s. die Kurven der Fig. 3). Das Herz war nach allen Seiten hin 

1) Siehe J. Lankhout. Essentieele paroxysmale Tachykardie. Ned. Tijl- 
schrift voor Geneeskunde 1910 I p. 97. 


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Über eine kritische Frequenz des Herzens bei paroxysmaler Tachykardie. 403 

stark vergrößert, die ganze Regio cordis wogte bei den schnellen Schlägen, 
die Töne waren rein. Es war starke Stauung der Halsvenen und be¬ 
sonders der Leber vorhanden: die „Leibschmerzen" stammten von der 
akut geschwollenen Leber her. Der Puls war sehr klein, oft nicht fühl¬ 
bar, die Extremitäten kalt und cyanotisch, der Urin sehr spärlich, nur 
500—550 ccm, ein geringer Hydrothorax ließ sich in der linken Brust- 
hälfte feststellen. 

Dieses Bild der kardialen Stauung, wie es bei gestörter Kompen- 
sierung eines Klappenfehlers nicht anders ist, änderte sich schnell unter 
Digitalisbehandlung und Sinken der Frequenz. Die Venen entleerten 
Bich, die Herzgröße und die Leberschwellung nahmen schnell ab, der Urin 
wurde reichlich entleert. Nach wenigen Tagen scheint Patientin geheilt 
zu sein, als sich am 1. Dezember der Anfall wiederholt, wobei sich so¬ 
fort die Herzsilhouette vergrößert, die Regio cordis wieder heftig wogt. 
Am nächsten Tage ist alles wieder verschwunden. Später wieder ein 
Anfall, der 7 Tage dauerte, wobei wieder die nämliohen Symptome auf¬ 
traten, und auch die Leberschwellung, die Leibschmerzen und der Stau¬ 
ungsurin nicht ausblieben. Dieser Anfall hörte plötzlich mit einem 
starken Schlage in der Herzgegend auf. Nachher verlief der Partus 
ganz normal. 

Es läßt sich somit nicht bezweifeln, daß bei übrigens gesundem 
Herzen die extreme Tachykardie za starker Vergrößerung des 
Herzens mit dem vollständigen Bilde der venösen Staunng in dem 
großen Kreislauf führen kann. 

Die Analyse der Pulskurven solcher Patienten ermöglicht 
die Ursache dieser schnell eintretenden und wieder verschwindenden 
Störung zu entdecken. 

Schon bei mittlerer Frequenz ist dem Herzen nur kurze Ruhe¬ 
zeit zugemessen. Die Ventrikelsystole nimmt einen großen Teil 
der Herzperiode ein; sehr bald nach dem Ende der V 8 fangen die 
Vorhöfe ihre Kontraktion schon wieder an (Fig 1, I). Geht die 
Frequenz in die Höhe, so folgt die A B sofort der vorhergehenden 
V g nach (Fig. 1, II;. Besonders im Venenpulsbilde, neuerdings auch 
im Elektrokardiogramm, läßt sich nachweisen, wie sich dabei die 
Vorhofswellen den letzten Wellen der Ventrikelsystole unmittelbar 
anschließen und damit verschmelzen. Die Füllungsbedingungen 
für das Herz sind dabei noch recht günstige, weil die Diastole der 
Ventrikel zusammenfällt mit der Systole der Vorhöfe. Bei steigender 
Frequenz rücken die Schläge einander immer näher, bis schließlich 
die Vorhofssystole eintritt vor dem Aufhören der V a des vorher¬ 
gehenden Schlages (Fig. 1, III). Sobald dieses Zusammentreffen 
v on Ag und V 9 erfolgt, ist hierdurch eine bedeutende Störung des 
Pumpmechanismus des Herzens eingetreten, welche fast unumgäng- 

26 * 


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404 


Wbnckebach 


lieh zu Kreislaufstörung führt, wie aus den folgenden Betrach 
tungen und einschlägigen Beobachtungen hervorgeht. 




Schematische Darstellung der Entstehung der Vorhofpfropfung durch Steigen 
der Frequenz des Herzens in I, II und III. 

Die Systole der Vorhöfe führt das in denselben erhaltene Blot 
den Ventrikeln zu. Wenn aber in dem Augenblicke der A, die 
Ventrikel sich in Systole befinden, so können sich die Vorhöfe 
ihres Inhalts nicht in die normale Richtung entledigen, denn die 
Mitral- und Trikuspidalklappen sind unter dem vollen Kammerdroek 
geschlossen. Der rechte Vorhof wirft dann, wie aus den enormen 
Venenwellen in der Vena jugularis hervorgeht, seinen Inhalt io 
die Venen zurück, der linke Vorhof wird es wohl nicht anders 
machen. Es wird das Blut statt befördert, aus den Vorhöfen 
zurückgeworfen. 

Diese Erscheinung ist schon bekannt und beschrieben worden 
bei dem Auftreten von Extrasystolen. Bei sehr früh in der Vor¬ 
hofsdiastole auftretenden Vorhofsextrasystolen kann es Vorkommen, 
daß die Ventrikel ihre Kontraktion noch nicht beendet haben, und 
es zeigt sich dann ebenfalls eine sehr große Welle im Jugularis- 
puls. x ) Allbekannt ist die Koinzidenz von A s und V s bei ven¬ 
trikulären Extrasystolen und beim Herzblock. 

Bei hoher Frequenz habe ich den nämlichen Vorgang ebenfalls 

1) Siehe Wenckebach, Beiträge zur Kenntnis der menschlichen Herz¬ 
tätigkeit. Zweiter'Teil, Fig. 1 u. 2. Arch. f. Physiol. 1907. 


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Über eine kritische Frequenz des Herzens bei paroxysmaler Tachykardie. 405 


nachgewiesen. 1 ) Das Ineinanderrüeken der Herzschläge und der 
von denselben hervorgerufenen graphischen Wellen läßt sich be¬ 
sonders schön an solchen Fällen demonstrieren, wo die Frequenz 
stark wechselt. Schon bei der einfachen Betrachtung der Hals¬ 
venen bemerkt man bei solchen Patienten das Auftreten starker 
Venenpulsationen, auch eine stärkere Füllung der Venen während 
der frequentesten Herztätigkeit; beide Erscheinungen verschwin¬ 
den, sobald das Herz ruhiger arbeitet. Die Kurvenanalyse ergibt 
ein Zusammenrücken, ein Ineinandergeschobenwerden der einzelnen 
Venenpulswellen und das Auftreten sehr hoher, oft für echten 
positiven Venenpuls gehaltenen Pulsationen. Meistens macht sich 
dabei auch eine Abnahme der arteriellen Pulshöhe deutlich be¬ 
merkbar, das Debit des Herzens wird eben kleiner. 

Auf die Details dieser Vorgänge, welche ich früher (1. c. dritter 
Teil) ausführlich beschrieben habe, muß ich hier verzichten und 
in den Vordergrund stellen, daß auch bei der paroxysmalen Tachy¬ 
kardie eine solche Koinzidenz von A 8 und V 8 Vorkommen kann, ein 
Vorgang, den man vielleicht passend mit dem Namen Vorhof¬ 
pfropfung bezeichnen könnte; wird doch die A„ auf die V 8 wie 
gepfropft und der Ventrikel durch die V 8 wie mit einem Pfropfen 
dem Blute verschlossen. So wird es begreiflich, daß bei dieser 
Krankheit lediglich durch die hohe Frequenz eine starke 
Kreislaufstörung sich ausbilden kann, ohnejede Insufficienz 
des Herzmuskels. 

Vor wenigen Wochen war ich in der Lage einen sehr prä¬ 
gnanten Fall dieser Art zu beobachten und einer Zahl von Hörern 
zu demonstrieren: 

Frau P., 47 Jahre alt, verheiratet und Mutter, leidet seit Jahren 
an einer chronischen hypertrophischen Lebercirrhose unbekannter Her¬ 
kunft. Allgemeinbefinden seit ihrer Verpflegung in der Klinik recht 
gut, keine Besonderheiten am Herzen, nur hat sie immer eine Pulsfre¬ 
quenz von 96—113 p. Min. bei normaler Temperatur. 

Am 19. Oktober 1910 bekam sie, wie sie sagte nicht zum ersten 
Male, einen Anfall von starkem Herzklopfen, ohne schwereren subjek¬ 
tiven Erscheinungen. Eine halbe Stunde nach dem Beginn des Anfalls 
ist der Puls 180—200 p. Min., etwas wechselnd, aber regelmäßig (siehe 
Fig. 2 a). Die Herztöne sind rein und kräftig, die ganze Regio cordis 
ist stark gewölbt und in fortwährendem Wogen durch die Herzbewegungen. 
Der Herzmuskel arbeitet also sehr kräftig, von Muskelschwäche kann 
keine Rede sein. Trotzdem ist das Herz und sind namentlich die beiden 


1) Wenckebach, Beiträge zur Kenntnis der menschlichen Herztätigkeit. 
Dritter Teil, p. 67 Fig. 7, 8, 12, 13. Arch. f. Physiologie 1908. 


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406 


Wenckebach 


Vorhöfe stark ausgedehnt. Der rechte Vorhof gibt starke Dämpfung 
bis 6 cm rechts von der mittleren Sternallinie, der linke bis an die dritte 
Rippe. Die Vorwölbung des Brustkorbes und der Interkostalräume und 
die Bewegungen des Herzens zeigen den vergrößerten Umfang des 
Herzens schon bei einfacher Inspektion. 

a Abbild. 2. 


Fall P. Herz-, Jugular- und Radialkurven bei paroxysmaler Tachykardie. 

a Während des Anfalles sehr starke Vorhof-Venenpulswellen, infolge Koind- 
denz von A s und V 8 . Pulsfrequenz = 195 p. Min. 

b Sofort nach dem Sistieren des Anfalles durch Vagusdruck, Venenpuls ver¬ 
schwunden, Radialpuls größer. Frequenz = 140 p. Min. 

Die Halsvenen sind dabei stark angeschwollen, füllen das Jugu- 
lum und die Gegend der Jugularis interna ganz aus und zeigen auffallend 
starke, scheinbar systolische Venenwellen. 

Die Kurven (Fig. 2 a) zeigen die hohe Frequenz, den für die 
paroxysmale Tachykardie typischen dikroten Puls und die hohen Venen¬ 
wellen, welche nahezu mit den arteriellen Wellen in der Radialarterie 
zusammenfallen. So stark ist die Wellenbewegung in den Venen, daß 
die Exkursionen des Schreibhebels bedeutend reduziert werden mußten, 
um brauchbare Kurven zu bekommen. 

Es war also starke venöse Stauung in den Halsvenen und stark* 
Ausdehnung der Vorhöfe vorhanden. 

Als ich den Fall demonstrierte, versuchte ich durch rechtsseitigen 
Vagusdruck den Anfall zu coupieren. Bei dem zweiten Versuch gelang 
mir dies, die Pulsfrequenz sank plötzlich, ohne Übergang, auf 140—145 
ab. Ebenso plötzlich änderte sich das Außere der Patientin: auf ein¬ 
mal war die Überfüllung der Halsvenen verschwunden, Jugulum und 
Supraclaviculargegend, vorher ganz von den Halsvenen gefüllt, waren ein¬ 
gesunken, von venösen Wellen keine Spur. Die sofort aufgenommenen 
Kurven (Fig. 2 b) zeigten gar keinen Venenpuls (auch bei stark ver¬ 
größerndem Schreibhebel) und bedeutend bessere Füllung des arteriellen 




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Über eine kritische Frequenz des Herzens bei paroxysmaler Tachykardie. 407 


Pcüses (bei unveränderter Aufnahme des Pulses). Bei der nach wenigen 
Minuten stattfindenden Untersuchung des Herzens war von der Herz¬ 
vergrößerung, von der Yorwölbung der Regio cordis und von den wogen¬ 
den Bewegungen nichts mehr zu finden; die Patientin gab an, das Herz¬ 
klopfen habe sofort und ganz aufgehört. 

Wir beobachteten hier also bei einer übrigens nicht herzkranken 
Frau eine starke Venenstauung und bedeutende Vergrößerung der 
Vorhöfe des Herzens infolge eines vor einer halben Stunde ange¬ 
fangenen Anfalls von Tachykardie. Die Herzaktion ist vollkommen 
regelmäßig, 180—200 in der Minute und so kräftig, daß die reinen 
Herztöne sehr laut sind, die Regio cordis von den Herzbewegungen 
stark gehoben wird und die Patientin über heftiges Herzklopfen klagt 

Es gelingt durch Vagusdruck die Frequenz plötzlich auf 
145 pro Minute zurückzubringen. Sofort sistieren trotz der 
immerhin noch sehr hohen Frequenz alle Erscheinungen, das Herz¬ 
klopfen hört auf, die Venen entleeren sich, die Venenwellen, die 
Herzvergrößerung, die Vorwölbung und das Wogen der Herz¬ 
gegend verschwinden, und dies Alles nicht etwa langsamerhand 
sondern urplötzlich. 

Die Erklärung der Stauung und der Herzerweiterung kann 
hier nicht in einer akut aufgetretenen Herzinsufficienz oder gar 
Schlußunfähigkeit der Trikuspidalklappen gesucht werden. Dazu 
waren Beginn und Entwicklung der Erscheinungen viel zu rapid, 
das sofortige Aufhören aller Symptome beim Systieren des Anfalls 
zu plötzlich, zumal die Frequenz anfänglich noch eine recht hohe 
war. Außerdem arbeitete das Herz gar nicht schwächlich, sondern 
führte sehr starke Kontraktionen aus (kräftige Töne, starkes Wogen) 
und waren die Mitral- und Trikuspidalklappen sicher nicht schlu߬ 
unfähig (absolut reine Töne). 

Es liegt vor der Hand anzunehmen, daß sich die Stauung der 
Venen und die ungenügende Entleerung der Vorhöfe hier ent¬ 
wickelten, als die Frequenz die kritische Höhe, wobei die Pfropfung 
des A g auf die V 8 stattfindet, überstiegen hatte. Sobald die Fre¬ 
quenz nur wenig bis unter diesen kritischen Punkt herunterging 
war, trotz an sich noch hoher Frequenz, die Ursache der Stauung 
weggefallen und die richtige Funktion des Pumpmechanismus des 
Herzens wieder hergestellt. 

Die Stauung, die hohen Venenpulse, die akute Herzerweiterung, 
welche sofort nach dem Aufhören der allerhöchsten Frequenz 
sistierten, finden also in dem Übersteigen der „kritischen Frequenz“ 
und dem Auftreten der „Pfropfung“ eine einfache mechanische Er- 


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408 


Wenckebach 


klärung. Eine etwaige mysteriöse relative Insnfficienz braucht 
und darf nicht zur Erklärung herangezogen werden. 


Die mitgeteilten Fälle und die hier gegebene Erklärung ver¬ 
langen eine Auseinandersetzung der Theorie des tachykardischeo 
Anfalls und die Besprechung einiger Details der abgebildeten Kurven 
und einschlägiger Beobachtungen Anderer. 

Der Mechanismus des Herzens im tachykardischen Anfall. 

Die Frage, ob in den Fällen von regelmäßigem Herzjagen dir 
Schlagfolge von Vorhöfe und Ventrikel die normale ist, oder ob e< 
sich um eine schnelle Reihenfolge abnormaler Systolen, also von 
einer Art Extrasystolen handelt, ist wiederholt und besonders von 
dem gründlichen Kenner des Herzjagens, A. Hoffmann, be¬ 
sprochen worden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß in vielen 
Fällen, welche zu der paroxysmalen Tachykardie gerechnet werden 
können, viele Vorkommen welche auf abnormaler Reizbildung beruhen, 
wodurch ein abnormaler Herzmechanismus hervorgerufen wird. Daß 
solches vorkommt, darauf habe ich selbst auch schon in früheren 
Publikationen hingewiesen. Jedoch unterliegt es ebenfalls keinem 
Zweifel, daß in anderen Fällen, ich vermute sogar in der Mehr¬ 
zahl der Fälle, der Erregungsablauf und die Schlagfolge im Herzen 
die normale sind. Besonders aufdringlich zeigen uns dies die Fülle, 
wo alle Übergänge von der normalen zur beschleunigten Frequenz 
und umgekehrt Vorkommen; wo der Anfall plötzlich sistiert, kann 
man im Zweifel sein. 

Das Elektrokardiogramm zeigt uns den Erregungsablanf im 
Herzen und ist deshalb besonders geeignet, in solchen Fragen eine 
Entscheidung zu bringen. Th. Lewis hat sich nun in einer 
rezenten Arbeit über diese Krankheit 1 ) in der nämlichen Weise 
geäußert und gezeigt, daß es Fälle von Tachykardie mit normaler 
Schlagfolge gibt A. Hoffmann 8 ) hat vor kurzem auf Grund 
seiner elektrokardiographischen Studien sich in ähnlichem Sinne ge¬ 
äußert, hält inseinen währenddes Anfalls gewonnenen Kurven einiger 

Fälle die Systolen aber für „anatrische“, wo also die Vorhöfe nicht 
mitschlagen, und sieht in den Unregelmäßigkeiten nach Vagus¬ 
druck das Abwechseln normaler und abnormaler Systolen. Mir 

1) Th- Lewis, Paroxysmal Tachycardia. Heart. Vol. 1 p.43. 1909. 

2) Aug. Hoffmann, Über „anatrische“ Herztätigkeit. Verh. des XXVII. 
deutsch. Kongresses für inn. Med. 1910 p. 617. Siehe auch seine eben erschienene 
Funktionelle Diagnostik des Herzens p. 190. 


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Über eine kritische Frequenz des Herzens bei paroxysmaler Tachykardie. 409 


scheint eine ungezwungene andere Erklärung der deutlichsten 
Figuren Hoffmann’s geboten. Sowohl in seinen Figuren 2 als 3 
sehe ich in der steilen Zacke, die Hoffmann nur für T hält, die 
Summierung von T und der nächstfolgenden P (Yorhofszacke). ln 
Fig. 3, wo der Rhythmus langsamer wird durch Vagusdruck, er¬ 
blickt man dann ein rhythmisches Auftreten von P (Vorhofszacke), 
typische Leitungsstörung (Verlängerung des Intervalls P—R) und 
dadurch verursachtem dreimal wiederholtem Ventrikelausfall. 

Die nämliche Erklärung ließe sich auf die Figuren 4 und 5 an¬ 
wenden. 

(Die Details der Kurven, die ungleiche Distanz R—T des näm¬ 
lichen Schlages, der Form der von Hoffmann für T gehaltenen 
Zacke, die wechselnde Größe dieser Zacke, scheinen alle für die 
hier gegebene Erklärung einer durch Vagusdruck geweckten 
Leitungsstörung zu sprechen, können aber hier nicht weiter er¬ 
örtert werden.) 

So scheinen mir die Hoffmann’ sehen Kurven eher für meine 
und Lewis’ Auffassung zu sprechen, daß in der Tat bei paroxys¬ 
maler Tachykardie die normale Schlagfolge des Herzens vorherrscht. 
Dieses festzustellen war notwendig, weil die gegebene Erklärung 
durch Vorhofpfropfung nur zu Recht bestehen kann, falls die Schlag¬ 
folge der Herzabteilungen die normale ist Sollten z. B. atrio¬ 
ventrikuläre Extrasystolen vorliegen, so würde die Erklärung der 
Venenwellen und der Stauung eine andere sein müssen; man sollte 
dann ebensowenig an Insufßcienz des Herzens denken dürfen, son¬ 
dern die Koincidenz von A„ und V„ dem geänderten Ursprungs¬ 
reiz der Systole und die großen Venenwellen der rückläufigen Vor¬ 
hofssystole zuschreiben müssen. 

Die Erklärung der abgebildeten Kurven. 

Bei der Betrachtung der Fig. 2 kann Zweifel aufkommen, ob 
die großen Wellen im Venenpulse wirklich die Bezeichnung a (Vor¬ 
hofswelle) verdienen und nicht als fällend im Bereiche der V 8 , 
doch als rückläufige Ventrikelwellen betrachtet werden müssen. 
Hierzu muß folgendes bemerkt werden: 

Allererst war in den beiden hier beschriebenen Fällen der erste 
Tricuspidalton ganz rein, was bei einer so hohe Venen wellen liefern¬ 
den Insufficienz der Tricuspidalklappe nicht annehmbar erscheint. 

Zweitens aber zeigt die Ausmessung der Kurven, daß die große 
Venenwelle, wenn man ihr Verhältnis zur nächstfolgenden V 8 bringt, 
an richtiger Stelle kommt. Tn Fig. 2 a (vom zweiten Fall) ist das 


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410 


Wenckebach 


Intervall A s —V 8 noch nicht a / 26 Sekunde. Wenn man bedenkt 
daß bei der extrem hohen Frequenz die Leitung von A auf V 
leicht etwas verzögert sein kann, ist dieser Wert gar nicht hoch. 

Abbild. 3. 



Fall de V. Kurven bei paroxysmaler Tachykardie, 
a Außerhalb des Anfalls, normaler Venenpuls. Intervall a— r = */*#Sek. 
b nnd c während des Anfalls. 

b Herzstoß und Radialpuls. Intervall V—r = 4 - 5 / so . Frequenz = 240 p. Min. 
c Jugular- und Radialpuls. Die hohen A-Wellen in den Jugularvenen nur 
während der hohen Frequenz. Frequenz = 212 p. Min. 


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Über eine kritische Frequenz des Herzens bei paroxysmaler Tachykardie. 411 


Auch an den Kurven des ersten Falles läßt sich nachweisen, 
daß die hohe Venenwelle an den Zeitpunkt kommt, wo man die 
A* des nächsten Schlages erwarten sollte. Hier wurden Venenpuls 
und Herzstoß nicht zusammen, sondern beide mit dem Kadialpulse auf¬ 
geschrieben. Fig. 2c zeigt das Verhältnis zwischen Venenwelle und 
Radialpuls; das Intervall Beginn A 8 —r beträgt 10 / 80 Sekunde. Wie 
aus Fig. 3 b hervorgeht, mißt das Intervall Beginn V„—r ungefähr 
M/ t0 Sekunde. Es bleibt also für den Intervall A 8 —V 8 während 
des Anfalls ungefähr 4 > 6 / 80 Sekunde übrig, also noch nicht V« Se¬ 
kunde, was ebenfalls kein hoher Wert ist. 

Hieraus ergibt sich, daß die Analyse der Kurven, wenn auch 
in diesen Fällen keinen Beweis für die hier gegebene Erklärung 
(was bei der hohen Frequenz überhaupt nicht möglich, siehe 1. c. 
dritter Teil), doch auch keinen Beweis gegen die hier gegebene 
Deutung liefert. 

Das Debit des Herzens und die Blutdrucksenkung 
während des Anfalls. 

Henderson hat in seinen interessanten Untersuchungen über 
Acapnia und Shock 1 ) folgende Behauptungen aufgestellt, erstens 
daß das Debit des einzelnen Herzschlags kleiner wird parallel an 
der Steigerung der Frequenz, zweitens daß die Vorhofssystole nur 
wenig zu der Füllung der Ventrikel beiträgt. 

Sollten diese Behauptungen ohne weiteres acceptiert werden 
müssen, so würde besonders die zweite nicht recht vereinbar er¬ 
scheinen mit der von mir gegebenen Erklärung der Stauung durch 
Vorhofpfropfung. Bei näherer Betrachtung folgt aber erstens aus 
Henderson’s Figuren (4 und 6, 1. c. 1909, Nr. V, S. 357 und 
367), daß auch dieser Forscher den Blutstrom pro Minute einmal 
bei einer Frequenz von 200, das andere Mal bei einer solchen von 
180 p. M. verringert sah. Zweitens aber scheint mir Hender¬ 
son’s Versuchsanordnung nicht geeignet, einen richtigen Einblick 
in die Tätigkeit der Vorhöfe bei der Füllung der Ventrikel zu 
gewähren. Er umklammert den Sulcus coronarius des Herzens mit 
dem Rande eines die Kammer einschließenden Plethysmographen. 
Wer nun Keith’s Untersuchungen und diejenigen älterer Unter¬ 
sucher über die Bewegungen der A—V-Grenze bei der A 8 und der 
V, kennt, wird mir zustimmen, daß die Füllung der Ventrikel hier 

1) Y&ndell Henderson, Acapnia and Shock. American Journal of phy- 
siology 1906, 1908, 1909. 


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412 


Wbsckebaoh 


nicht ungestört beobachtet worden ist. Daß übrigens bei rufe 
Herztätigkeit die Ventrikel Zeit gehabt haben, sich ganz zu fülle: 
und dann die Vorhöfe nicht viel Blut mehr in dieselben hinein- 
zupressen vermögen, läßt sich leicht einsehen. Daß aber bei vit! 
schnellerer Schlagfolge des Herzens, wie im Schema Fig. 1, II. di- 
Vorhofstätigkeit nicht von der größten Bedeutung für die Füllung 
der Ventrikel sein sollte, würde mir ganz unbegreiflich vorkommeL 

Ich kann somit in den Ausführungen Henderson’s. welch- 
übrigens außerordentlich interessant erscheinen, keinen triftige* 
Einwand gegen die hier gegebene Erklärung erblicken. 

Pal hat gefunden, daß während des tachykardischen Anfall: 
sich eine starke Blutdrucksenkung bemerkbar macht. In allen 
von diesem Autor untersuchten Fällen wurde während der hohen 
Frequenz ein niedriger, oft ein sehr niedriger Blutdruck gefunden 
Pal sagt zu diesen Befunden: 

„Die Erniedrigung des Blutdrucks bildet einen integrierende: 
Bestandteil der Anfälle. Sie tritt isochron mit der Tachy¬ 
kardie 2 ) ein und schwindet mit ihr.-Mit der An¬ 

nahme einer Herzschwäche im Anfalle wäre natürlich der niedrige 
Blutdruck erklärt. Allein eine Herzschwäche läßt sich bei der 
paroxysmalen Tachykardie gewöhnlich gar nicht nachweisen und 
überdies sprechen die von mir erhobenen Befunde gegen die An¬ 
nahme einer Herabsetzung des Druckes vom Herzen aus. 

Weder durch die Perkussion des Herzens noch dnrch di- 
Röntgen-Untersuchung im Anfall konnte eine Erweiterung des 
linken Ventrikels nachgewiesen werden. Wohl konnte in unserem 
Falle mitunter deutliche Halsvenenschwellung 2 ) und ge¬ 
legentlich dann Verbreiterung der Herzdämpfung nach rechts er 

hoben werden.-Es ist nach alledem unwahrscheinlich, daß 

Tachykardie und Blutdrucksenkung hier in einfacher Kausal- 
beziehung zueinander stehen. Es spricht vielmehr alles dafür, daß 
wir es mit zwei koordinierten Erscheinungen zu tun haben." 
Weiter nimmt dann Pal als wahrscheinliche Ursache des niedrigen 
Blutdrucks eine gleichzeitig auftretende akute Erweiterung der 
Bauchgefäße an. 

Pal hat hier eine sehr interessante Frage angeschnitten und 
seine Erklärung hat viel Bestechendes. Jedoch möchte ich anf 


1) J. Pal, Über paroxysmale Tachykardie. Wiener med. Wochenschr. 19* 
Nr. 14. 

21 Die Sperrung ist von mir W. 


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Über eine kritische Frequenz des Herzens bei paroxysmaler Tachykardie. 413 


Grund der von mir beschriebenen Befunde eine andere Erklärung 
als eine einfachere und wahrscheinliche vorstellen: der Blutdruck 
sinkt sofort beim Überschreiten der kritischen Frequenz infolge 
der Koincidenz von A s und V 8 , welche die Blutzufuhr zu den Ven¬ 
trikeln und dadurch die Blutzufuhr zu den Arterien sehr wesent¬ 
lich herabsetzt. Der Blutdruck ist nicht von den peripheren 
Widerständen allein, sondern an erster Stelle auch von der Blut¬ 
versorgung seitens des Herzens abhängig. Und diese wird in den 
Anfallen eine mangelhafte. Sehr richtig bemerkt Pal, daß man 
von einer Herzschwäche in den meisten Fällen nicht reden darf, 
und daß sich der linke Ventrikel nicht vergrößert zeigt. Auch ich 
halte die Vergrößerung des linken Ventrikels im ersten hier be¬ 
schriebenen Falle für sekundär (bei der langen Dauer des Anfalls 
durch mangelhaften Koronarkreislauf bedingt). Die Störung aber 
befindet sich eben oberhalb der Ventrikel, in den Vorhöfen, welche 
vergebens versuchen, sich in richtigerWeise ihres Inhalts zu ent¬ 
ledigen und sofort nach dem Eintreten der hohen Frequenz durch 
eine jetzt nicht zu bewältigende Blutquantität ausgedehnt werden. 
Hierzu liefern auch die gestauten Halsvenen, schließlich auch die 
enorm gestaute Leber den beredten Beweis (1. Fall). Sind doch 
diese beiden Gebiete, Halsvenen und Leber, gerade bei unge¬ 
nügender Herzarbeit das Terrain der stärksten Stauung; bei Er¬ 
weiterung des splanchnischen Kreislaufs bleiben diese Gebiete ohne 
Stauung, weil sie nicht genügend Blut aus den atonischen Bauch¬ 
gefäßen erhalten. 

Ich fühle mich deshalb gezwungen, den niedrigen Blutdruck 
bei der Tachykardie dem mangelhaften Pumpmechanismus des 
Herzens, durch A s -Propfung verursacht, zuzuschreiben, wenn ich 
auch, wie ich schon hervorgehoben habe, Pal vollständig bei¬ 
stimme, daß hier von Herzinsufficienz oder Herzschwäche keine 
Rede sein kann, und ein vasomotorischer Einfluß vielleicht in 
einigen Fällen nebenbei vorhanden sein kann. Als alleinige oder 
Hauptursache darf dieser letztere aber nicht angesehen werden. 

Auch in der englischen Literatur ist die Frage der Über¬ 
füllung der Bauchgefäße bei paroxysmaler Tachykardie vor kurzem 
besprochen werden. G o r d o n J ) beschreibt den günstigen Einfluß von 
Kompression des Abdomens in einem Falle, welchen er aber ausdrück¬ 
lich als „a case of very rapid heart“, nicht als paroxysmale Tachy- 


1) W. Gordon, The effect of abdominal compression in a case of very 
rapid heart. Brit. med. Journal 1910 I p. 624. 


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kardie angesehen haben will. Trotzdem gibt Ewart, der Autor 
vieler geistreichen Arbeiten in der englischen Literatur, in der 
nächstfolgenden Nummer des Brit. Med. Journal in enthusiastischer 
Weise als seine Ansicht, daß bei der wirklichen paroxysmalen Tachy¬ 
kardie ein vasomotorischer Einfluß, Erweiterung der splanchnisches 
Gefäße, die Ursache des Anfalls sein sollte. Leider dürfen vir 
uns auf Grund der schon von Pal erhobenen Befunde und des 
hier Angeführten dieser Meinung nicht anschließen. Bei Erweite¬ 
rung der Bauchgefaße sind Leber und Halsvenen nicht gestaut 
im Gegenteil; eine noch zu wenig angewandte Methode, festzu¬ 
stellen, ob Blutüberfüllung im Bauche besteht, ist eben eine starke 
Kompression des Abdomens. Ist Bauchstasis vorhanden, so sich: 
man bei diesem Handgriffe sofort die Halsvenen stark anschwellen. 
Hebt man die Hand wieder ab, so fallen die Halsvenen sofort 
wieder ein. 

Ewart machte weiter die ganz zutreffende Beobachtung, dal 
in dem tachykardischen Anfall die Dyspnoe fehlt. Insoweit Ewart 
dieses Fehlen von starker Dyspnoe als Argument gegen die Hypo¬ 
these einer akuten Herzschwäche anfuhrt, kann ich ganz mit ihn 
einstimmen. Die Ursache dieser Erscheinung liegt aber wo anders. 
Dyspnoe, stärkere Kurzatmigkeit, angestrengte Atembewegungei 
entstehen bei Überfüllung des Lungenkreislaufs. Diese aber kann 
hier nicht entstehen, denn das Blut wird eben vor den 
rechten Ventrikel aufgehalten. Der rechte Ventrikel kann 
den Lungenkreislauf nicht überfüllen, denn er bekommt selber schon 
zu wenig Blut, infolge des verdorbenen Pumpmechanismus bei der 
A„-Pfropfung. Daher mag es kommen, daß wir im zweiten Falle 
zwar Ausdehnung des linken Vorhofs, also unmittelbar vor dem 
Hindernis im linken Herzen fanden, nicht aber eine bedeutende 
Stauung in den Lungen. 

Was schließlich den Einfluß von Druck auf das Abdomen an/ 
die Frequenz der Herztätigkeit betrifft, so muß man mit der Ver¬ 
wertung einschlägiger Beobachtungen vorsichtig sein. Der Mensch 
steht zwar ziemlich weit vom Frosch ab, trotzdem gibt es Patienten 
welche die Fähigkeit zum Goltz’sehen Klopfversuch beibehalten 
oder in irgendeiner Weise zurückerlangt haben. Bei meiner früher 
beschriebenen und hier zitierten Patientin mit Luciani'schen 
Perioden (1. c. dritter Teil) beeinflußte ein Druck auf das F.pi- 
gastrium allein die Herztätigkeit in ganz genau der nämlichen 


1) W. Ewart, Brit. med. Journal 1910, I p. 724. 


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Über eine kritische Frequenz des Herzens bei paroxysmaler Tachykardie. 415 

Weise, als es Druck auf den Vagus am Halse tat. Hier darf also 
nicht ohne weiteres auf Austreibung des Blutes aus dem Abdomen 
zum Herzen geschlossen werden, es kann auch reflektorische Beein¬ 
flussung und zwar im Sinne einer Verlangsamung der Herztätig¬ 
keit vorliegen. 


Wo liegt die kritische Frequenz? 

Auf diese Frage kann ich, so weit meine Erfahrung geht, ant¬ 
worten, daß ich sie ungefähr bei 180 p. M. vermute. 

Jedoch muß sofort hinzugefügt werden, daß das Eintreten der 
As-Pfropfung in den verschiedenen Fällen, je nach dem Zustande 
des Herzmuskels, bei einer anderen Frequenz liegen wird. Ein 
Blick auf die schematische Figur 1 zeigt: 

1. Wie länger das Intervall A g —V 8 ist, desto eher wird die 
nächstfolgende A s die nachschleppende V B einholen. Das Intervall 
Ag—V B aber wird von der Reizleitungsgeschwindigkeit bedingt. 
Eine gestörte Leitung, wie sie bei der extremen Frequenz wohl 
öfters Vorkommen wird (siehe den zitierten Hoffmann’schen Fall 
und die Fälle von durch Vagusdruck halbierte Frequenz), wird 
also das Eintreten der A a -Pfropfung in die Hand wirken, die 
kritische Frequenz niedriger stellen. 

2. Die Dauer der V B beherrscht ebenfalls den Zeitpunkt des 
Eintretens der A 8 -Pfropfung. Wie länger die V B dauert, desto eher 
wird die erwähnte Erscheinung auftret en. Die Dauer der V 8 aber hängt 
unmittelbar von den Kontraktionsbedingungen des Herzens ab. Daher 
darf man vielleicht erwarten, ob es immer zutrifft kann ich natür¬ 
lich nicht sagen, daß bei übrigens gesundem Herzen die A s -Pfropfung 
eher, das heißt bei niedriger Frequenz, auftreten wird als bei ge¬ 
schwächtem Herzen mit kurzdauernder Ventrikelsystole. In diesem 
Verbände ist es auffallend, daß in meinen beiden Fällen, ebenso 
in Pal’s Fall, die Herztätigkeit eine sehr kräftige war. 

Ein fester kritischer Punkt läßt sich somit beim Ansteigen 
der Frequenz nicht für alle Fälle • angebeu. Es dürfte aber die 
Mühe lohnen, mit dieser kritischen Frequenz bei der Beurteilung 
des Herzens in Fällen von paroxysmaler Tachykardie zu rechnen 
nnd einschlägige Beobachtungen zu publizieren, zur Erhärtung der 
hier angegebenen Erklärungen. 

Schlußsätze: 

1. Wenn auch nicht alle Fälle, welche unter den Begriff der 
paroxysmalen Tachykardie fallen, die normale Schlagfolge des 


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Herzens aufweisen, läßt sich das Vorkommen dieser normalen 
Schlagfolge in vielen Fällen nicht bezweifeln. 

2. In diesen letzteren Fällen kann die Frequenz eine kritische 
Höhe erreichen, bei welcher die A a mit der V 8 des vorhergehenden 
Schlages zusammenfällt. 

3. Diese Erscheinung, als A„-Pfropfung bezeichnet, ist an sieb 
Ursache einer bedeutenden Obstipatio sanguinis in den Vorhöfen 
und in den dem Herzen am meisten benachbarten venösen Gebieten, 
den Halsvenen (und der Leber). 

4. Die Höhe dieser „kritischen Frequenz“ liegt wahrscheinlich 
bei ungefähr 180 p. M., ist aber von dem Zustande des Herzmukels. 
speziell von der Reizleitung und von der Dauer der Y„ abhängig 

5. Der Blutdruckabfäll während des Anfalles der Tachykardie 
und das Fehlen stärkerer Dyspnoe können durch den geringen 
Debit des Herzens infolge der Pfropfung vollständig erklärt werden 
und bedürfen nicht des Heranziehens einer konkomittierenden Kr- 
Weiterung der Bauchgefäße, welche auch sonst hier nicht annehm¬ 
bar erscheint. 

6. Weitere Beobachtungen werden lehren müssen, ob und in 
welchem Maße die hier geschilderten Vorgänge für die verschiedener 
Fälle von paroxysmaler Tachykardie Geltung haben. 


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Bemerkungen zur Arbeit Schlaepfer, 

„Beiträge zur Histologie des Darmes bei perniziöser 

Anämie“ 

dieses Archiv Bd. 100 p. 448. 

Von 

L. Aschoff. 

In der oben erwähnten Arbeit bringt Schlaepfer eine sorgfältige 
Beschreibung der Darraschleimhaut bei perniziöser Anämie und erwähnt 
dabei auch das Vorkommen eigenartiger Zellen, die seiner Meinung nach 
der Ausdruck eines entzündlichen Reizzustandes sind. Er belegt. diese 
Zellformen auch mit Abbildungen und er glaubt, den feingekörnten In¬ 
halt dieser Zellen als lipoidartig ansehen zu müssen. Er hat diese bei 
Vorbehandlung mit Kali bichromat. gelblich gefärbten Zellen in Kon- 
trolldärmen nicht gefunden und fühlt sich daher um so mehr berechtigt, 
in ihnen den Ausdruck eines besonderen Reizzustandes des Darmes zu 
erblicken. Der von ihm geführte Nachweis der Lipoidnatur der in diesen 
Zellen enthaltenen Granula interessiert mich sehr, doch möchte ich auf 
Grund eigener Erfahrungen davor warnen, in dem Befund dieser Zellen 
den Nachweis eines besonderen Reizzustandes des Darmes zu sehen. 
Nur deshalb verweise ich auf die Arbeit meines Schülers J. E. Schmidt 
im Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. 66, 1905/06, in welchem 
zum ersten Male diese gelben Zellen des Darmes beschrieben und ihr 
regelmäßiges Vorkommen in Dünn- und Dickdarm bei Kindern und Er¬ 
wachsenen festgestellt worden ist. Über die Funktionen dieser Zellen 
vermochte auch Schmidt nichts auszusagen. Jedenfalls stehen sie zu 
den Paneth’schen Zellen, wie das neuerdings Marullaz (Archives de 
Medecine experimentale et d’Anatomie pathologique 1910 Nr. 2), aller¬ 
dings ohne Kenntnis der S ch m i d t ’ sehen Arbeit behauptet hat, in keiner 
Beziehung. Es handelt sich vielmehr bei diesen Schmidt’schen Zellen 
um spezifische Zellen der normalen Darmschleimhaut, deren Funktion 
noch ganz unbekannt ist. Die von Schlaepfer angenommene Lipoid¬ 
natur der Granula der Schmidt’schen oder sogenannten gelben Zellen 
wird wohl zur weiteren Erforschung ihrer Funktionen anregen. Sehr 
wohl möglich ist es, daß ihr gehäuftes Vorkommen bereits als patho¬ 
logisch angesehen werden muß. So erwähnt Schelble (Bakteriolo¬ 
gische und pathologisch-anatomische Studien bei Ernährungsstörungen der 
Säuglinge, Leipzig 1910), daß er die Schraidt’schen Zellen besonders 
reichlich bei drei Kindern gefunden hat, die alle drei parenterale In¬ 
fektionen bei Mehlnährschaden hatten. 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 27 


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Besprechungen. 

1. 

H. Lenhartz, Mikroskopie und Chemie am Krankenbett. 

Sechste wesentlich mngearbeitete Auflage. Berlin, J. Springer 
1910. 

Diese Auflage des ausgezeichneten Werkes ist die letzte Arbeit 
unseres verstorbenen Freundes. Sie zeigt ihn ganz wie er war, voller 
Leben und Leidenschaft und mit ganzer Seele Arzt. Das ist der Kern* 
punkt des Buches und das verleiht ihm meines Erachtens seinen großes 
Wert, daß es uns zeigt, wie unsere feinen diagnostischen Methoden sieb 
spiegeln im Kopfe eines hervorragenden Arztes der sie täglich am 
Krankenbette übt. Man hat in unserer Zeit vielfach von Laboratorium»- 
diagnostik gesprochen. Aber wir fragen zugleich: wer wird für aeiae 
Diagnosen die feinen und feinsten Methoden des Laboratoriums ent¬ 
behren wollen? Niemand kann mehr ohne sie aaskommen. Es kommt 
nur darauf an, daß sie von einem Verstand angewandt werden, der meb 
mit ärztlichem Instinkt auf den ganzen kranken Menschen richtet. Das 
tat Lenhartz wie wenige andere und das macht das Buch so inter¬ 
essant. Überall treten eigene Ansichten hervor; sie interessieren und 
fesseln den Kundigen auch da, wo er nicht mit ihnen übereinstimmen 
kann. So ist das Buch für jeden, der es studiert, von großem Nutzen. 
Uns aber, die wir den Verstorbenen persönlich kannten und liebten, ist 
es eine wehmütig schöne Erinnerung. Krekl. 


2 . 

Erben, Vergiftungen. Klinischer Teil. 2. Teil Therapie und 
semiotische Übersicht der organischen Gifte. Aus Handbuch 
der ärztlichen Sachverständigen-Tätigkeit von Dittrich. 7. Bd. 
1. Teil. Wien, Braunmüller 1910. 

Die Schwierigkeit jeder Abhandlung über Vergiftungen liegt darin, 
daß der Darsteller zu einem erheblichen Teil auf die Literatur ange¬ 
wiesen ist, weil naturgemäß jeder Einzelne unter den vielen möglichen 
Vorkommnissen nur eine verhältnismäßig kleine Zahl selbst erlebt hsi 
Wie schwer es aber ist, die Literatur zu sichten, brauchbares und un¬ 
brauchbares zu trennen, das weiß jeder, der in dieser Richtung Versuche 
machte. Das Erben 'sehe Werk zeigt eine sehr reichliche Berücksich¬ 
tigung der Literatur und wird vielen Hilfe gewähren. Über manche 


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Besprechungen. 


419 


Einzelheiten kann man rechten; aber ich glaube es würde kaum mög¬ 
lich sein ein so breit angelegtes Werk vollkommen gleichmäßig zu ge¬ 
stalten. Ich möchte es für eine wertvolle Bereicherung unserer Literatur 
halten. Krehl. 


3. 

Ernährung und Stoffwechsel. In ihren Gruudzügen dargestellt 
von Dr. Graham L u s k. Zweite erweiterte Auflage. Ins Deutsche 
übertragen und herausgegeben von Dr. Leo Heß (Wien). Berg¬ 
mann, Wiesbaden 1910. 

Die verdienstvolle deutsche Übersetzung des leider bisher nur in 
englischer Sprache vorliegenden Werkes von Lusk wird sicherlich all¬ 
gemein mit Freuden aufgenommen werden. Rubner hat dazu das 
Vorwort geschrieben und darin die großen Vorzüge des Buches hervor¬ 
gehoben. Lusk ist aus der Voit’sehen Schule hervorgegangen, wie 
schon aus der Widmung „Dem Andenken C. von Voit’s“ hervorgeht. 

Aber auch sonst verrät sich fast auf jeder Seite der Schüler der 
großen Münchener Physiologen. Demgemäß werden die Anschauungen 
dieser Schnle in erster Linie hei der Darstellung berücksichtigt. 

Die große Materie ist in 15 Kapiteln abgehandelt, die gewöhnlich 
mit einer kurzen Übersicht über die historische Entwicklung der be¬ 
treffenden Frage eingeleitet werden. Als Anhang Bind Tabellen über 
die chemische Zusammensetzung und den Nutzwert der hauptsächlichsten 
Nahrungsmittel nach Atwater und Bryant angefügt. 

Es gibt wohl wenig Darstellungen, die in so klarer, eleganter und 
fesselnder Weise in die verwickelten theoretischen und praktischen Fragen 
der Stoffwechselphysiologie und Pathologie einführen. 

Die gute Übersetzung hat das Ihre dazu beigetragen. 

E. Grafe, Heidelberg. 

4 . 

Die Zuckerkrankheit und ihre Behandlung von C. v. Noorden. 

Fünfte vermehrte und veränderte Auflage. Berlin, Hirschwald 
1910. 

Die fünfte Auflage des bekannten Buches ist ihrer Vorgängerin 
wieder in kurzem Abstande gefolgt. In dem dazwischen liegenden Zeit¬ 
räume von 3 Jahren ist wieder eine Fülle neuen Materials zur Ergrün- 
düng de9 Diabetes zutage gefördert worden. 

Frühere und jetzige Mitarbeiter v. Noorden’s haben einen be¬ 
sonders großen Anteil an diesen Arbeiten. 

Vor allem sind durch die Arbeiten von Eppinger, Falta u. a., 
über die Korrelationen der Organe mit innerer Sekretion, so hypothetisch 
sie vielleicht auch noch in manchen Punkten sein mögen, doch sehr 
wertvolle neue Gesichtspunkte für die Auffassung vom Wesen der diabe¬ 
tischen Stoffwechselstörung gewonnen worden. 

Demgemäß betrifft die größte Veränderung in der neuen Auflage 
gegenüber der alten das Kapitel: „Zur Theorie des Diabetes“. 

27* 


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420 


Besprechungen. 


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v. Noorden zieht hier das Fazit aus deu zahlreichen alten und 
neuen Arbeiten und gelangt zu der Vorstellung, „daß beim Diabetiker 
entweder infolge einer primären Anomalie der Leberzellen oder infolge 
von stärkerer (chromaffinogener) Erregung oder infolge von geringerer 
(pankreatogener) Hemmung der zuckerbildende Apparat sich im Zu¬ 
stande größerer Erregbarkeit befindet“. Infolge des Versagens der nor¬ 
malen Regulation kommt es zur Hyperglykämie und damit zur Zucker- 
ausscheidung. 

Die Bereicherung unserer Kenntnisse gerade durch die Arbeiten der 
letzten Jahre ist sehr groß. Sie haben uns der Lösung des Problems 
einen Schritt näher gebracht, aber noch vieles bleibt ungeklärt, and die 
Lösung einer Frage hat wiöder neue ungelöste im Gefolge gehabt. 

Neue therapeutische Gedanken und Erfolge beim Diabetes haben 
die letzten Jahre nicht gefördert, ebensowenig eine wesentliche neue Be¬ 
reicherung der Kenntnisse des klinischen Bildes der Krankheit. Dem¬ 
gemäß sind die Abschnitte des Buches, welche diese Fragen behandelt 
nur unwesentlich verändert. Die außerordentlich reiche Erfahrung, die 
v. Noorden wie wenig andere auf diesem Gebiete besitzt, spricht sich 
hier Überall deutlich aU8. E. Grafe f Heidelberg. 


5, 

Nahrungsmitteltabelle zur Aufstellung und Berechnung 
von Diätvorschriften von Dr. H. Schall und Dr. A. Heißler. 
Zweite bedeutend vermehrte Auflage. AVürzburg 1910. 

Die Tafeln enthalten in sehr übersichtlicher Weise zusammengestellt 
alles Analysenmaterial, welches für Kostberechnungen bei frischen und 
zubereiteten Speisen erforderlich ist. 

Zweckmäßigerweise ist überall auch der Kochsalzgehalt mit an¬ 
gegeben. E. Grafe, Heidelberg 


fi. 

Praktische Winke für die chlorarme Ernährung von Prof. 
Dr. H. Strauß. Berlin, Verlag von Karger 1910. 

Das kleine Schriftchen enthält nach einer kurzen Einleitung über 
die Bedeutung und Technik der chlorarmen Ernährung sowie über die 
Feststellung der Chlortoleranz ein umfassendes Zahlenmaterial über den 
Kochsalzgehalt tischfertiger Nahrungsmittel. Da von dem Verf. und 
seinen Schülern sehr viel eigene Analysenzahlen hinzukommen, sied 
auch noch einzelne Lücken in den Königs’schen Tabellen ausgefüllt 
worden. Auch Kochrezepte sind angegeben. E. Grafe. Heidelben: 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des 
Nervus vagus, zugleich ein Beitrag zur Neurologie des 
Herzens, der Bronchien und des Magens. 1 ) 

Von 

Dr. L. R. Müller, 

Oberarzt der inneren Abteilung des städt. Krankenhauses in Augsburg. 

(Mit 9 Abbildungen im Text und Tafel V—XIV.) 

Der X. Gehirnnerv, der Vagus, unterscheidet sich von allen 
Gehirnnerven, ja von sämtlichen übrigen Nerven des cerebrospinalen 
Systems dadurch, daß er große innere Organe versorgt; werden 
doch von ihm außer dem Schlund- und Kehlkopf das Herz, die 
Lungen und der Magen innerviert. Der Vagus hat also außer 
seinen motorischen und sensiblen Funktionen auch noch vege¬ 
tativen Aufgaben gerecht zu werden. Freilich verlaufen auch 
in den Spinalnerven vegetative Bahnen, welche zu den Gefäßen, 
zu den Schweißdrüsen und zu den Haarbalgmuskeln ziehen, und 
auch von den übrigen Gehirnnerven ist es erwiesen, daß sie Organe 
mit glatter Muskulatur, wie die Iris und den Ciliarmuskel und 
Drüsen, wie die Tränendrüsen und die Speicheldrüsen versorgen. 
Diese vegetativen Bahnen unterscheiden sich aber von denjenigen 
des Vagus dadurch, daß zwischen ihren Ursprungsstellen im Rücken¬ 
mark, im verlängerten Mark oder im Mittelhirn ein rein sym¬ 
pathisches Ganglion, wie solche des Grenzstranges und wie 
am Kopfe das Ganglion ciliare, oder das Ganglion sphenopalatinum 
eingelagert sind, während die Lungen, das Herz und der Magen 
ohne größere zwischengeschaltete sympathische Ganglien vom 
Vagus innerviert werden. Demnach würde der Vagus in Beziehung 
auf seine vegetativen Bahnen eine einzigartige Sonderstellung vor 
den übrigen Gehirn- und Rückenmarksnerven einnehmen. Tatsäch- 

1) Über einen kleinen Teil der vorliegenden Untersuchungen habe ich auf 
dem Kongreß für innere Medizin Wiesbaden 1910 kurzen Bericht erstattet. 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. 101. Bd. 28 


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422 


L. R. Mülleb 


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lieh sind nirgends noch sympathische Ganglienzellen beschrieben 
worden, die sich zwischen dem Vagus und den von ihm innervierten 
Organen einschieben. 

Bevor wir auf die visceralen Funktionen dieses Nerven und 
auf die Histologie der vegetativen Bahnen näher eingehen. mag 
es zweckmäßig sein, ganz kurz die makroskopische Anatomie dieses 
Nerven zu rekapitulieren (vgl. Abbild. 1): Er entspringt mit 12—ls 
feinen Wurzelfäserchen in einer Furche hinter der Olive unterhalb 
der Fasern des Glossopharyngeus aus dem verlängerten Mark. Dir 
zarten Bündel vereinigen sich zu einem lockeren Strang und bilden 
noch innerhalb der Schädelhöhle eine knopfförmige, kaum klein¬ 
erbsengroße Verdickung, das Ganglion jugulare. Nachdem der 
Nerv durch das Foramen jugulare aus der Schädelhöhle ausgetreten 
ist und den Ramus meningeus posterior und den Ramus auricularis 
abgegeben hat, durchsetzt er ein zweites Ganglion, das Ganglion 
nodosum; dieses ist länger gezogen und gewinnt dadurch ans¬ 
gesprochen spindelige Gestaltung. Zum Unterschied von den übrigen 
Gehirnnerven bildet also der Vagus ebenso wie der Glossopharyngeus 
zwei Ganglien. Worauf der Umstand zurückzuführen ist, daß der 
X. Gehirnnerv zwei Ganglien zu durchsetzen hat, ist noch unge¬ 
klärt; vermutlich ist dafür phylogenetisch die Zusammenlegung 
zweier Nerven in einen verantwortlich zu machen. Wie auf 
nebenstehender, schematischer Abbild. 1 dargestellt ist. bestehen 
zwischen dem Vagus und dem anliegenden Glossopharyngeus und 
dem Nervus accessorius, ja auch zwischen dem Vagus und dem 
Ganglion cervicale supremum nervi sympathici zahlreiche Anastc- 
mosen. 0 Vom Ganglion nodosum ab hat der Nervus vagus einen 
langgestreckten Verlauf bis herab zum Magen. Entlang der unteren 
Hälfte der Speiseröhre verästelt er sich häufig zu einem Plexus. 

Bei der Aufzählung der einzelnen Äste des Vagus soll gedrängt 
auch auf deren Funktion eingegangen werden. Eine Berücksich¬ 
tigung der Physiologie der einzelnen Vagusfasern scheint mir zum 
Verständnis der unten darzulegenden histologischen Forschungen 
unumgänglich notwendig. Der erste Nerv, welcher vom Vagus ab- 
zweigt, der Ramus meningeus, entspringt unmittelbar hinter 
dem Ganglion jugulare und wendet sich zu der Dura mater. Ganz 
allgemein wird angenommen, daß dieser Nerv die harte Hirnhaut 


1) Bei der Darstellung dieser Nervenverbindungen habe ich mich an die Ab¬ 
bildung 48 S 'Schema des Ursprungs des IX., X., XI. und XII. Gehimnervenpaart- 
des anatomischen Atlas von Heitzmann (>. Auflage 1890 gehalten. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 423 



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Abbild. 1. Schematische Darstellung des Nervus vagus und seiner Äste und 
deren Beziehungen zum Grenzstrange des Sympathikus. 

28 * 


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424 


L. R. Müller 


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sensibel versorge. Sicher erwiesen ist diese Annahme aber hl t 
freilich noch nicht; Sensibilitätsprüfungen sind dort wohl noch nicht 
vorgenommen worden und es erscheint mir sehr wohl möglich, dau 
der Eamus meningeus posterior auch vasomotorischen Funktionen 
vorsteht, daß er also auch viscerale Fasern enthält. 

Der zweite Ast des Vagus, der Eamus auricularis, ent¬ 
springt auch noch aus dem kurzen Stück zwischen den beiden 
Ganglien dieses Nerven. Er enthält, wie auf Abbild. 1 zu sehen 
ist, einen Faden von dem nahegelegenen Nervus glossopharyngeu?. 
Er wendet sich nach hinten zu dem Canalicus mastoideus. um durch 
diesen aus der Schädelhöhle auszutreten. Vom Eamus auriculari> 
nervi vagi steht es fest, daß er die Sensibilität der hinteren Fläch? 
der Ohrmuschel und des äußeren Gehörganges leitet. Bei der 
Eeizung der tieferen Teile des äußeren Gehörganges werden durch 
seine Vermittlung wohl infolge der Irradiation auf die nahe ge¬ 
legenen Fasern des N. laryngeus superior Husten und Schluck¬ 
zwang ausgelöst. 

Nachdem der Vagus aus der Schädelhöhle ausgetreten ist und 
sein zweites Ganglion, das Ganglion nodosum durchsetzt hat. gibt 
er Eami pharyngei zum Schlundkopf ab. Diese bilden mir 
Fasern des Nervus glossopharyngeus und mit solchen aus dem 
Ganglion cervicale supremum nervi sympathici den Plexus pha- 
ryngeus, sie sind vorwiegend motorischer Natur und innervierec 
die Muskeln: Constrictores pharyngis, levator veli palatini.G M. 
azygos uvulae, M. glossopalatinus, M. pharyngopalatinus. Zum Gan¬ 
glion nodosum, zum Vagusstamm und zu den dort entspringenden 
Ästen für den Schlundkopf ziehen jedesmal auch feine Bündel von 
dem nahe gelegenen Nervus accessorius. 

Die sensible Innervation des Schlund- und Kehlkopfes wird 
fast ausschließlich durch den Nervus laryngeus superior 
geleitet. Dieser Ast entspringt aus der unteren Hälfte des Gan¬ 
glion nodosum. Er gibt manchmal einen feinen motorischen Zwei? 
(Eam. extemus) zum M. constrictor pharyngis und jedesmal einen 
solchen zum M. cricothyreoideus ab. Im Schlund innerviert er die 
hinterste Partie der Zunge, die Schleimhaut des Kehldeckels und 


1) L. Re t hi-Wien hat in einem Vortrag: Die motorische und sekretorisch: i 

Innervation des weichen Gaumens auf der 3. Jahresversammlung der Gesellsch 
deutsch. Nervenärzte in Wien 1909 (Sitzungsber. in d. deutsch. Zeitschr. f. Nerven- j 
heilkunde 38. Bd.) wieder darauf hingewiesen, daß die Fasern für den M. levato: , 
veli palatini nicht dem Facialis sondern dem Vagus entstammen. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 425 


seiner Umgebung und die des Kehlkopfes sensibel. Durch die 
Reizung dieses Nervenastes, vornehmlich aber durch die Reizung 
besonders empfindlicher „Schluckstellen“, so der Schleimhaut an der 
Zungenwurzel und der dorsalen Pharynxwand wird der Schluckakt 
ausgelöst. Dieser besteht bekanntlich in einem Heben des Zungen¬ 
grundes gegen die Mundhöhle, in einem Abschluß der Nasenhöhle 
durch das Gaumensegel und in einem Heben und Andrücken des 
Kehlkopfes an den Kehldeckel und an die Hinterwand der Zunge. 
Sowohl der sensible als der motorische Teil des Schluckreflex¬ 
bogens verläuft also fast ausschließlich in den Ästen des Vagus. 

Das Schluckzentrum liegt im verlängerten Mark. Dort 
müssen Fasern den sensiblen Kern des Vagus, den Nucleus tracti 
solitarii (siehe Abbild. 2) mit dem motorischen Kern dieses Nerven 
(Nucleus ambiguus) verbinden. Die Reflexbewegungen sind be¬ 
kanntlich zwangsmäßig und lassen sich, einmal eingeleitet, nicht 
mehr unterbrechen. Zwischen dem Schluck Zentrum und dem Atem¬ 
zentrum bestehen Beziehungen: Durch den Schluckakt wird die 
Atmung, in welcher Phase sie sich auch gerade befindet, gehemmt. 
Das Gefühl der Atemnot verschwindet im Moment des Schluckens. 
Der Vorgang des Schluckens geht, wenn er ausgelöst ist, in gleich¬ 
mäßiger Folge vor sich. Von den quergestreiften Muskeln des 
Schlundkopfes wird der Bissen zu den glatten Muskeln des Ösophagus 
hinabgedrückt, um hier durch peristaltische Bewegungen nach dem 
Magen befördert zu werden. 

Der Nervus laryngeus inferior oder N. recurrens ist 
im wesentlichen der motorische Nerv des Kehlkopfes. Er innerviert 
im Larynx sämtliche Muskeln mit Ausnahme des M. cricothyreoideus. 
Daneben gibt er aber auch noch Äste zum Halsteil, zur Trachea 
ab, die zweifellos sensibler Natur sind. Außerdem zweigen vom 
Recurrens häufig Äste zum Plexus cardiacus (Ramus cardiacus) 
und ein solcher zur Aorta (Nervus depressor) ab. Demnach be¬ 
herbergt der Recurrens neben überwiegend motorischen Bahnen 
auch sensible und viscerale Fasern. Wie später noch ausführlicher 
dazulegen sein wird, fand ich am Nervus recurrens dort, wo er 
sich in den Kehlkopf einsenkt, einmal ein stecknadelkopfgroßes 
Ganglion, welches sich ausschließlich aus großen multipolaren, also 
sympathischen Ganglienzellen zusammensetzte. Diese Ganglien¬ 
zellen und die zugehörigen Nervenfasern können meines Erachtens 
nur für die Innervierung der Gefäße des Kehlkopfes oder der 
Schilddrüse in Betracht kommen. 

Die Nervi tracheales leiten die Empfindung der Luft- 


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L. R. Mülleb 


röhrenschleiinhaut zum Bewußtsein und lösen, wenn sie gereizt 
werden, Hustenreflex aus. 

Am wenigsten geklärt ist die Funktion des Flexas pai- 
mon&lis. Die Fasern des Vagus, welche zur Lunge ziehen, setzen 
sich zweifellos zum größten Teil aus Bahnen zusammen, welche 
der Sensibilität der Bronchialschleimhaut dienen. Ob diese Fasern 
auch bei der „Atemsteuerung“, wie sie von Hering und Brauer 
angenommen wird, beteiligt sind, kann wohl nicht mit Sicherheit 
entschieden werden. Nach der doppelseitigen Vagusdurchschneidunz 
wird die Atmung langsamer und tiefer; vermutlich ist dies deshalb 
der Fall, weil unter normalen Verhältnissen mit dem Schloß der 
Inspiration vom Lungenvagus aus die Ausatmung angeregt wird. 
Nach neueren Forschungen sollen die zentripetalen Lungen vagus¬ 
fasern lediglich hemmende Einflüsse dem Atemzentrum zuleiten. 
Bei Reizung des Liingenvagus wird tatsächlich stets die Inspiration 
gehemmt. Demnach wäre nur der exspiratorische Stillstand bei 
der Lungenblähung auf eine Vagusreizung zurückzuführen. Die 
zentripetalen Lungenäste des Vagus würden also ebenso wie der 
Laryngeus superior und die Nervi tracheales sensible Fasern fuhren, 
deren Reizung (z. B. durch giftige Gase) zu einer Innervations¬ 
hemmung im Atemzentrum führt. Ob diese Bahnen als viscero- 
sensible, d. h. sympathische anzusprechen sind oder als einfach 
sensible, wie sie auch von der Schleimhaut des Kehlkopfes und der 
Luftröhre durch den Vagus nach dem verlängerten Marke geleitet 
werden, kann z. Z. wohl kaum mit Bestimmtheit entschieden werden. 
Persönlich scheint mir die Auffassung, daß es sich auch im Lungen¬ 
vagus um einfach sensible Fasern handelt, die zutreffende. 
Reizung dieser Fasern durch Fremdkörper, durch Sputum oder 
durch Entzündung löst zwangsmäßig Husten aus. 

Für die Leitung der Lufthungerempfindung kommen 
dagegen die zentripetalen Fasern des Lungenvagus sicher nicht 
in Betracht. Bei durchschnittenen Vagi tritt kein Stillstand der 
Atembewegungen ein, ebensowenig, wenn man alle hinteren Wurzeln 
durchschneidet. Das Gefühl der Atemnot entsteht vielmehr nach 
den klassischen Untersuchungen von J. Rosenthal autochthon 
im Atemzentrum selbst. Es ist dieses imstande, aus sich allein 
rhythmische Atembewegungen zu innervieren. Und zwar scheint 
das Atemzentrum im verlängerten Marke und im obersten Hals¬ 
mark sowohl durch den Sauerstoffmangel als auch durch den Kohlen- 
säureüberscliuß des kreisenden Blutes erregt zu werden. 

Sichergestellt ist, daß der Lungenvagus auch zentrifugale 


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Beiträge zur Anatomie. Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 427 


Bahnen enthält Bei Reizung dieser Fasern kontrahiert sich die 
glatte Bronchialmuskulatur. Ob die Vagi auch Bahnen mit sich 
führen, deren Erregung eine Erschlaffung der Bronchialmuskulatur 
verursacht, ist noch strittig. Wir wissen nur, daß nach Durch¬ 
schneidung der Vagusstämme die Bronchien sich erweitern. Der 
physiologische Zweck der Bronchialmuskulatur ist noch nicht auf¬ 
geklärt. Ihre Kontraktion kann unter krankhaften Umständen 
zu schwerer Atemnot (Asthma bronchiale) führen, aber auch bei 
Gesunden kommt es infolge von großen seelischen Erregungen (z. B. 
von Zorn) vorübergehend zu angestrengter, mühseliger, keuchender 
Atmung, und dies ist zweifellos auf eine Verengerung der Luft¬ 
wege in den Bronchien zurückzuführen. Werden solche Zustände 
von Dyspnoe nach Gemütserregungen anhaltender, so spricht man 
von Asthma nervosum. *) 

Bei Reizung des Vagus soll auch eine Erhöhung des 
respiratorischen Stoffwechsels zu konstatieren sein. Da 
zugleich eine Herabsetzung der Herzfrequenz eintritt, kann die Zu¬ 
nahme des Gasaustausches nicht auf eine Beschleunigung des Blut¬ 
stromes zurückgeführt werden. Nach Bohr 1 2 3 ) ist „der spezifische 
Einfluß des N. vagus auf den Gaswechsel mit Sicherheit nachge¬ 
wiesen“. 

Auf die Tätigkeit des Herzens hat der Vagus bekanntlich 
einen hemmenden, frequenzherabsetzenden Einfluß. Die Fasern, 
welche zum Herzen ziehen, befinden sich in einer dauernden toni¬ 
schen Erregung.®) Durchschneidung beider Vagi bedingt deshalb 
eine anhaltende Beschleunigung des Herzschlages. Durch elek¬ 
trische Reizung läßt sich die Hemmung bis zum diastolischen Still¬ 
stand des Herzens steigern. Daß das Herzhemmungs¬ 
zentrum im verlängerten Mark gelegen ist, läßt sich 


1) Im Anschluß an psychische Emotionen kann es aber auch zum echten 
Asthma bronchiale kommen, so wurde uns schon wiederholt ein junger Kutscher 
unter schwerer Atemnot, den Erscheinungen der akuten Lungenblähung, mit ver¬ 
längertem Exspirium und Blaufärbung des Gesichtes ins Krankenhaus gebracht, 
bei dem dieser Zustand durch einen pathologischen Wutanfall ausgelöst war. 

2) Blutgase und respiratorischer Gaswechsel in Nagel’s Handbuch der 
Physiologie des Menschen, Braunschweig, F. Vieweg u. Sohn 1905. 

3) Der Tonus der Herzvagi ist nach H. E. Hering (Die Funktionsprüfnng 
der Herzvagi beim Menschen, Münch, med. Wochenschr. 1910 Nr. 37) ein stets 
schwankender. „So zeigt er eine Abnahme bei der Inspiration, eine Zunahme bei 
der Exspiration und ist im allgemeinen um so stärker, je ruhiger sich das Indi¬ 
viduum verhält und nimmt dementsprechend in dem Maße ab, als Muskel¬ 
bewegungen ausgeführt werden.“ 


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L. R. Mülleb 


durch physiologische Versuche beweisen. Nach Durchschneidung 
des Halsmarkes unterhalb der Medulla oblongata iibti Reizung de? 
Trigeminus eine Erregung des Hemmungszentrums und damit eine 
Verlangsamung der Herztätigkeit aus. Wenn der Schnitt oberhalb 
des verlängerten Markes ausgefiihrt wurde, ist dies nicht mehr 
möglich, daun aber kann durch Erregung von Spinalnerven eine 
negativ chronotrope Wirkung bewirkt werden. Zweifellos maß 
man den dorsalen Vaguskern als Sitz des Herzhemmungs¬ 
zentrums ansprechen. Erregt kann dieses Zentrum werden: 

1. Durch intrakranielle Drucksteigerung, insbeson¬ 
dere durch Erhöhung des Druckes der Cerebrospinalflüssigkeit im 
4. Ventrikel. 

2. Durch psychische Vorgänge, durch Affekte und 
Stimmungen; und zwar werden bei den Lustgefühlen die Herz¬ 
schläge seltener und kräftiger, bei den Unlustgefühlen, insbesondere 
bei der Angst, beschleunigt. 

3. Wird das Herzhemmungszentrum durch Reizung von 
sensiblen Nerven erregt, wenn diese zu Schmerzeindrücken 
führen. Aber nicht nur die Erregung von spinalen sensiblen 
Fasern führt zur Verlangsamung der Herztätigkeit, auch die Rei¬ 
zung von viscero-sensiblen Bahnen bedingt eine solche. So 
verursacht, wie Goltz durch seinen Klopfversuch nachgewiesen 
hat, Reizung der Baucheingeweide Frequenzabnahme, ja sogar 
Herzstillstand. Nach Durchschneidung beider Vagi bleibt dieser 
Erfolg aus. 

Das Herzhemmungszentrum wird schließlich auch durch sen¬ 
sible Bahnen, welche in den Herzvagusästen selbst 
verlaufen, beeinflußt. Diese faßt man als N. depressor cordis 
zusammen. Tatsächlich verursacht Reizung des zentralen Stumpfes 
der extrakardialen Vagusäste Abnahme der Herzfrequenz, die nach 
Durchschneidung beider Herzvagi wegfallt. Nach neueren Unter¬ 
suchungen 1 ) verästelt sich der Depressor an der Aorta und wird 


1) Köster und Tschermak, Über den Ursprung und die Endigung des 
Nervus depressor beim Kaninchen. Archiv f. Anatom, n. Physiol., anatom. Ab¬ 
teilung, Suppl.-Bd. 1902. Die Darstellung des N. depressor ist beim Menschen 
wesentlich schwieriger als beim Hasen. Er scheint beim Menschen verhalt- 
mäßig hoch oben zu entspringen, ja häufig zweigt er vom Nerv, laryngeus superior 
ab. Er beteiligt sich dann meist an der Bildung des Plexus cardiacus und damit 
ist er schwer weiter zu verfolgen und zu isolieren. Von den Asten des Plex 
cardiacus wendet sich jedesmal eine Anzahl zum Aortenbogen und es ist wahr¬ 
scheinlich, daß diese Fasern dem Depressor angehören. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 429 

durch Drucksteigerung dort erregt. Wie eben dargelegt, kommt 
es dann zur Verlangsamung der Herztätigkeit und damit zum Ab¬ 
sinken des Blutdruckes. Im Nervus depressor würden wir demnach 
ausgesprochen „viscero-sensible“ Fasern zu suchen haben, 
durch deren Vermittlung ein visceraler Reflexvorgang aus¬ 
gelöst wird. *) 

Als Antagonisten des Vagus wirken bekanntlich die¬ 
jenigen Fasern, welche vom sympathischen Grenzstrang zum Herzen 
ziehen. Ihre Erregung führt zu einer Beschleunigung der Herz¬ 
tätigkeit. Die Acceleratoren scheinen den Grenzstrang am ersten 
Brustganglion, zum Teil aber auch höher oben zu verlassen, von 
hier aus ziehen sie zum Ganglion stellatum und von dort als mark¬ 
lose Fasern zum Plexus cardiacus. 

Ich glaube die Annahme vertreten zu können, daß die unan¬ 
genehmen Empfindungen, welche bei manchen Herzkrankheiten 
in der Herzgegend auftreten, durch diese sympathischen Fasern zum 
Rückenmark und damit zum Bewußtsein geleitet werden. Die Tat¬ 
sache, daß bei Herzstörungen, insbesondere bei solchen der Kranz- 
gefäße und der Herzmuskulatur, häufig schmerzhafte Empfindungen 
in der oberen Brusthälfte, in den Armen und zwar besonders in 
der dem 8. Cervikalsegment des linken Armes entsprechenden 
Hauptpartie auftreten, und daß dort sehr häufig Zonen von erhöhter 
Schmerzempfindlichkeit (H e a d’sche Hyperalgesien) auftreten, kann 
nur durch Irradiation von nervösen Erregungen, die über sym¬ 
pathische Bahnen zum obersten Brust- und untersten Halsmark 
geleitet werden, erklärt werden. 1 2 ) Der anatomische Nachweis, daß 
sympathische Fasern über die Spinalganglien zum Rückenmark 
ziehen, ist ja von Cajal und Dogiel erbracht. Die Irradiation 

1) 0. BrunB u. J. Genner („Der Einfluß des Depressors auf die Herz¬ 
arbeit und die Aortenelastizität“ Deutsch, med. Wochenschr. 1910 Nr. 37) wiesen 
durch Tierexperimente nach, daß nach Resektion des N. depressor das Herz hyper¬ 
trophisch wird. „Der Wegfall des Einflusses des Depressor auf die Blutregulation 
mußte aber neben der Mehrarbeit für das Herz auch eine Mehrarbeit für die 
elastischen Elemente der Aorta bedingen. In der Tat ergaben die entsprechenden 
histologischen Untersuchungen der Aortenwand bei sämtlichen Hunden eine echte 
Hypertrophie, wie wir sie aus der menschlichen Pathologie von den Anfangs¬ 
stadien der Schrumpfniere kennen.“ 

2) Auch G. A. Gibsou (Die nervösen Erkrankungen des Herzens. Über¬ 
setzung ans dem Englischen von M. Heller. Wiesbaden J. F. Bergmann 1910) 
scheint zu ähnlicher Anschauung gekommen zu sein. In diesem Werke bringt 
er eine instruktive Abbildung, wie er sich die Irradiation der Reize von den 
sympathischen Bahnen auf die anliegenden sensiblen Bnhnen im Rückenmark 

vorstellt. 


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L. R. Müller 


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von Herzschmerzen auf die Haut der Brust und der Arme ist mit 
einer Leitung von sensiblen Bahnen vom Herzen durch den Vasni' 
zum verlängerten Mark nicht zu erklären; liegen doch den Vaga- 
fasern nirgends solche von den oberen Brust- oder von den untersten 
Halssegmenten an. Aus rein klinischen Gründen möchte ich mid 
deshalb dahin aussprechen: Der Vagus kommt als zentri¬ 
petaler Nervfürdie unangenehmen Empfindungen air 
Herzen nicht in Betracht. 

Der Vagus versorgt nicht nur den Schlundkopf sondern aud 
den mittleren und unteren Teil des Ösophagus. Es herrsch: 
allerdings noch keine Einigkeit darüber, ob die Vagusinnervatki 
den Verschluß oder die Öffnung des Ösophagus und der Cardia zar 
Folge hat. Langley 1 2 ) erhielt nach Reizung des Vagus mei?t 
Kontraktion der Cardia, nach Reizung des Sympathicus meist Öff¬ 
nung des Magenmundes. Von anderen Autoren wird angenommen 
daß der Vagus Fasern für die Schließung und für die Öffnung 
beherberge. Es ist erwiesen, daß der Tonus der Cardia sich trotz 
der Durchschneidung der zuleitenden Nerven nach einiger Zei: 
wiederherstellt und daß die vorübergehenden schweren Störungen 
des Schluckmechanismus sich bald wieder beheben. Aus dieser 
Tatsache muß geschlossen werden: die Muskulatur des «Öso¬ 
phagus und der Cardia trägt ihre Innervationsorgane in sich -i: den 
Fasern des Sympathicus und des Vagus ist nur ein hemmender 
oder ein anregender Einfluß auf die in der Muskulatur des Öso¬ 
phagus und der Cardia gelegenen Ganglienzellen zuzuschreiben. 

Auf die Tätigkeit der Magenmuskulatur hat der Vagus augen¬ 
scheinlich eine beschleunigende Einwirkung. Durchschnei¬ 
dung beider Vagi am Halse führt, wiePawlow an Hunden naeii- 
gewiesen hat, zu schwerer Motilitätsstörung des Magens. Dir 
Speisen werden nicht ordentlich fortgeschafft und nur durch regel¬ 
mäßige Ausspülungen des Magens gelingt es, solche Tiere am 


1) Citiert nach Cohnheim, Die Physiologie der Verdauung und Aufsaugung 
W. Nage Ts Handbuch der Physiol. d. Menschen. 2 ßd. Braunschweig, F. Viewer 
u. Sohn 1907. 

2) H. Stark (Intrathorakale doppelseitige Vagusdurchschneidung. Münci 
med. Wocheusehr. 1904) sah nach Resektion des Vagus keinen stärkeren Ansfal 
in den Bewegungsvorgängen der Speiseröhre. Nach Cannou (On the moto: 
activities of the aliinentary canal after splanchnic and vagus section. Proceei 
of the Soc. for experim. Biol. a. Med. IV, 1 p. 8 1906 citiert aus Schmidt s Jahr* 
Michern 1908) fuhrt doppelseitige Vagusdurchschneidung zu Lähmung des Öä- 
pliagus, die sich jedoch nach einiger Zeit wieder ansgleicht. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 431 

Leben zu erhalten. Nach einiger Zeit stellen sich aber auch bei 
durchschnittenen Vagi wieder normale Magenbewegungen ein. Bei 
der künstlichen Reizung des Vagus kommt es zur Verstärkung der 
Magenperistaltik. 1 ) Bei Reizung von sensiblen Nerven irgendwo 
am Körper tritt, wenn diese mit Schmerzempfindung verbunden ist, 
ebenso wie bei seelischen Erregungen Sistierung der Magen¬ 
bewegungen ein. Freilich müssen wir auch für die Magen¬ 
muskulatur annehmen, daß der Vagus sie nicht direkt innerviert, 
sondern daß er lediglich einen anregenden Einfluß auf die in den 
Magenwänden gelegenen Ganglienzellen ausübt. 

Vom Vagus wird aber nicht nur die normale Peristaltik, 
sondern auch die Antiperistaltik des Magens, der Brechakt 
ausgelöst. Dem Brechakt stehen zweifellos besondere, präformierte 
Zentren in der Medulla oblongata zur Verfügung. Bei erhöhtem 
Druck in der Schädelhöhle oder bei anderen diffusen Störungen im 
Gehirn, wie bei der Gehirnerschütterung, wird dieses Zentrum ge¬ 
reizt und dann kommt es zum cerebralen Erbrechen. 2 ) Aber 
auch durch seelische Vorgänge, wie durch starke psychische Er¬ 
regung oder durch eine Ekelempfindung, kann dieses Zentrum der 
Antiperistaltik 8 ) des Magens erregt werden. 


1) So schreibt Hotz (Beiträge zur Pathologie der Darmbewegungen, Mit¬ 
teilungen aus den Grenzgebieten der Medizin und Chirurgie 20. Bd. 1909): „Bei 
Durchtrennung der Vagi unter dem- Diaphragma sieht man bei Kaninchen eine 
kurze, kräftige Kontraktion, welche von der kleinen Kurvatur ausgeht.“ „Der 
Vagus gilt allgemein als der motorische Nerv für den Magendarmkanal, sagen 
wir besser für die Bahn, auf welcher erregende Impulse zugeführt werden. Für 
den ungestörten Ablauf der Peristaltik ist er keineswegs notwendig. Ich konnte 
in mehreren Experimenten Kaninchen über Monate gesund erhalten, bei denen 
ich die beiden Vagusäste dicht am Zwerchfell reseziert hatte. Irgendwelche Störungen 
in der Verdauung oder eine Gewichtsverminderung waren nicht nachweisbar.“ 

2) Das cerebrale Erbrechen erfolgt verhältnismäßig leicht und ohne stärkere 
Übligkeit. Dagegen ist das durch ungeeignete oder durch allzureichliche Nahrung 
bedingte Erbrechen mit starker Nausea verbunden. Zu dem Gefühl der Übligkeit 
gesellt sich Schweißausbruch, Vasokonstriktion der Gesichtsgefäße, ja unter Um¬ 
ständen Herzklopfen und Durchfall, kurz es kommt zu einer Revolution im ge¬ 
samten sympathischen Nervensystem. 

3) Daß es sich beim Erbrechen tatsächlich um aktive Kontraktionen des 
Magens und nicht lediglich um Kompression des Magens durch die Bauchdecken 
bei tiefstehendem Zwerchfell handelt, konnten Levy-Dorn und Mühlfelder: 
Uber den Brechakt im Röntgenbild (Münch, med. Woehenschr. Nr. 9, 1910) nacli- 
w r eisen. Sie schreiben: „Der Magen wird während des Erbrechens nicht allein 
durch äußere Impulse in die Höhe getrieben, sondern er zieht sich auch kräftig 
um seinen Inhalt zusammen.“ „Bisweilen ging der Magen in kurzen Stoßen 
einige Male auf und nieder.“ 


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Sehr wichtig ist der Einfluß des Vagus auf die Drüsen- 
Sekretion im Magen. Zwar war es schon früher bekannt, d&ü 
beim Anblick oder beim Geruch von Speisen Magensaft sezernien 
wird, doch wurde diese Tatsache in den letzten Jähren von 
Pawlow besonders eingehend studiert. Pawlow 1 ) wies nach, 
daß ein Hund beim Anblick von Fleisch oder von Brot nach einer 
kurzen Latenzzeit einen reichlicheren und andersartig zusammen¬ 
gesetzten Magensaft ausscheidet als beim Anblick von Milch. Die 
Reizung der Magendrüsen auf Grund von Geruchswahrnehmungei 
oder auf Grund von optischen oder akustischen Wahrnehmungen, 
welche mit der Nahrungsaufnahme Zusammenhängen, kann nur aut 
dem Wege des Vagus erfolgen. So ist es experimentell festgestellt, 
daß nach Durchschneidung beider Vagi durch psychische Eindrücke 
keine Sekretion der Pepsindrüsen mehr auszulösen ist. Anderer¬ 
seits kann durch elektrische Erregung des peripherischen Vagus¬ 
stumpfes Sekretion der Magendrüsen hervorgerufen werden und 
schließlich bleibt die Hemmung der Magensaftsekretion, welche bei 
schmerzhafter Erregung von sensiblen Nerven erfolgt, nach doppel¬ 
seitiger Vagusdurchschneidung aus (Pawlow). 

Es kann also kein Zweifel darüber bestehen, daß dem Magen 
durch den Vagus sekretionsanregende und sekretionshemmende 
Impulse zugehen. Freilich kommt es auch ohne Vermittlung der 
Vagi zur Ausscheidung von Magensaft. 2 3 * * ) So bedingen chemische 
Reize, wie Fleischextrakt Sekretion der Magendrüsen, auch wenn 
sie unter Ausschaltung der Geschmacks- und Geruchsorgane direkt 
dnreh eine Fistel in den Magen verbracht werden; ja selbst bei 
der Einspritzung in das Blut wirken solche Stoffe sekretionsan¬ 
regend. 8 ) 

Ob neben diesen zentrifugalen Innervationen des Vagus in 
diesem Nerven auch zentripetale Leitungen vom Magen nach 
dem Gehirn zu Vorkommen, scheint mir sehr zweifelhaft. Wenn 


1) Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. Übersetz, von Walther. Wies¬ 
baden 1898. 

2) Auch aus den Versuchen von Aldehoff und v. Mehring (Über der 
Einfluß des Nervensystems auf die Funktionen des Magens. Verhandl. d. Kon¬ 
gresses f. inn. Med. 1899) ist zu entnehmen, daß nach doppelseitiger Vagotomie 
die Entleerung und die Säureabsonderung des Magens noch in gehöriger Weise 
vor sich geben. 

3) Vgl. M. Reinhold, Über den Sekretionsablauf an dem der extragastralen 

Nerven beraubten Magenblindsack. Internat. Beiträge zur Path. u. Therap. der 

Ernährungsstörungen Bd. 1 II. 1. Ref. in der Berl. klin. Wochenschr. Nr. 11,1310 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 433 


ich mich auch nicht den Forschern wie Lennander und Wilms 
u. a. anschließen kann, welche behaupten, daß von den inneren 
Organen der Bauchhöhle, also auch vom Magen, überhaupt keine 
Schmerzen ausgelöst werden können, daß diese vielmehr immer 
durch das parietale Peritoneum zustande kommen, so vermute ich 
doch auch, daß für die Leitung der schmerzhaften Empfindungen 
des Magens der Vagus nicht in Betracht kommt. Die lebhafte 
Hyperalgesie der Hautpartien am linken Hypochondrium und links 
neben der Wirbelsäule, die außerordentlich häufig bei wirklichen 
Magenerkrankungen, wie bei Magengeschwüren objektiv nachge¬ 
wiesen werden kann, spricht dafür, daß die Magenschmerzen durch 
das sympathische System geleitet werden und dort, wo dessen 
Kami communicantes in die Spinalganglien oder in das Rücken¬ 
mark einmünden, zu Irradiationen des Schmerzes führen. 

Die Behauptung, daß durch den Vagus die Empfindung des 
Hungers und des Durstes zum Bewußtsein gebracht wird, kann 
nicht begründet werden. Ja, es lassen sich manche Tatsachen 
gegen eine solche Annahme anführen. Einmal ist ein leerer Magen 
noch lange nicht gleichbedeutend mit Hunger- oder Durstgefühl. 
So besteht z. B. in den frühen Morgenstunden bei völlig leerem 
Magen sehr häufig noch gar kein Nahrungsbedürfnis. Andererseits 
kann man bei vollem Magen ein lebhaftes Durstgefühl haben. 

Dafür also, daß durch den Vagus sensible Ein¬ 
drücke vom Magen nach dem Gehirn zu geleitet 
werden, sind keine Anhaltspunkte beizubringen. 

Auf die Peristaltik des Dünndarmes hat der Vagus zweifellos 
einen erregenden Einfluß,*) im Gegensatz zum Splanchnicus, welcher 
die Bewegungen des Dünndarmes hemmt. Ob der Vagus auch die 
Sekretion der Dünndarmdrüsen anregt, ist ebensowenig entschieden 
wie die Frage, ob die Fasern des Vagus direkt zum Dünndarm 


1) So schreibt R. Magnus: „Die Bewegungen des Verdauungsrohres“ im 
Handbuch der physiologischen Methodik herausgegeben von R. Tigerstedt. „Am 
Dünndarm hat der Vagus vorzugsweise eine bewegungsverstärkende Wirkung, 
beim Hunde geht dem motorischen ein kurzer Hemmungseffekt voraus.“ J akoby, 
Beiträge zur physiologischen und pharmakologischen Kenntnis der Darmbewegung. 
Archiv f. exper. Path. u Therap. Bd. 29, 1892 (cit. nach Hotz), sah nach Reizung 
der Halsvagi deutliche Darmbewegungen. Hotz konnte nach der doppelseitigen 
Vagotomie keinerlei dauernde Ausfallserscheinungen in den Bewegungen des 
Dünndarmes feststellen. Auffällig erschien ihm, daß nach Durchschneidung der 
Vagi die Hemmungserscheinungen der Splanchnici, welche nach äußeien Reizen 
sich einstellen, lebhafter und stärker waren als beim normalen Tiere. 


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ziehen oder ob sie über das Ganglion solare dahin gelangen. 1 
Jedenfalls ist in allen anatomischen Lehrbüchern eine Verbindui? 
des Nervns vagns mit dem Plexus solare beschrieben. 

Über die Einwirkung des Vagus auf die Pankreasfunk¬ 
tion ist wenig Positives bekannt. Pawlow 1 ) spricht sich dahii 
aus, daß der „spezifisch sekretorische Einfluß des Vagus aa: 
das Pankreas unumstößlich bewiesen ist“. Tatsächlich paralysier. 
Atropin die Sekretionstätigkeit der Bauchspeicheldrüse, und da ein 
Einfluß dieses Giftes auf die sezernierende Zelle ausgeschlossen 
werden kann, so muß eine Lähmung des Sekretionsnerven ange¬ 
nommen werden. Auch der Umstand, daß das Erbrechen die nor¬ 
male Pankreasfunktion aufhebt, und daß beim körperlichen Schmerz 
die Pankreassekretion ins Stocken kommt, spricht für die Beein¬ 
flussung dieser Drüse durch den Vagus. Den strikten Beweis für 
diese Annahme erbrachte Pawlow durch die Feststellung, dai 
Reizung des Vagus Pankreassekretion zur Folge hat. Freilich 
wird eine solche sekretorische Einwirkung auch den sympathischen 
Fasern zugeschrieben, welche zu der Bauchspeicheldrüse ziehen, 
doch soll — ähnlich wie bei den Speicheldrüsen — das Sekret ver¬ 
schiedener Art sein, je nachdem man den Vagus oder die sympa¬ 
thischen Fasern reizt. Bei Erregung des Vagus soll ein sehr kon¬ 
zentrierter Saft mit hohem Fermentgehalt ausgeschieden werden/ 

Makroskopisch-anatomisch ist unzweifelhaft darzulegen. dai 

2) Die Vagusreizung erreicht nach Bayliss and Starling (Jouni. of Pb y 
siology Bd. 24, 1899) den Darm auf dem Wege der Mesenterialnerven. Auch dir- 
Forscher sahen bei der Vagusreizung nach anfänglicher kurzer Hemmung eil 
Anwachsen der Kontraktionen des Dünndarmes. Nach F. Winkler, Studie 
über Bewegungsvorgänge in den beiden Muskelschichten der Darmwand unter 
dem Einfluß des Vagus und des Splauchuicus. Beiträge zur experimentelle 
Pathologie 1902 soll Reizung des Vagus zur Schließung und solche des Splacd:- 
nicus zur Öffnung der Ileoeücalklappen führen (citiert nach Schmidts Jahrbuchen 

1) Die äußere Arbeit der Verdauungsdrüsen und ihr Mechanismus. Nagt-* 
Handbuch der Pbysiol. II. Bd. II. Hälfte. 

2) Buch stab (Arbeit der Bauchspeicheldrüse nach Durchschneidung der 
Splanchnici und Vagi. Dissertation, 8t. Petersburg 1904) führt die nach Durtlt- 
schneidung der Vagi auf tretende Stüruug der Sekretionstätigkeit des Pankreas 
z. T. auf die Beeinträchtigung der Magenverdauung und den verzögerten Über¬ 
gang der Speisen ins Duodenum zurück. „Über eine direkte Wirkung der 

auf die Bauchspeicheldrüse kann dabei nicht geurteilt werden.* Citiert tue: 
einem Referat von Boldireff in Schimdt’s Jahrbüchern. Scaffidi iCyt«*i- 
gische Veränderungen im Pankreas nach Resektion und Reizung des Vagus aci 
Sympathicus. Archiv f. Anat. u. Physiologie (physiolog. Abteilung 1907) will nac- 
Vagusreizung gewisse Veräuderuugungen in den Pankreaszellen festgestellthabei 
Nach einem Referat in Schmidt ? s Jahrbüchern citiert. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 435 


der Vagus auch Fasern zur Leberpforte und zur Leber abgibt. 
Die Bedeutung und die Funktion dieser Fasern ist freilich noch gar 
nicht bekannt. Mit dem Vagus treten auch Nerven aus dem Plexus 
coeliacus dort ein und folgen besonders der Leberarterie, aber auch 
zur Gallenblase, zu den Gallengängen und zu der Glisson’schen 
Kapsel treten feine Nervenfasern. Einen Hinweis auf die Funktion 
dieser Nerven mag die Tatsache geben, daß nach einem Stich in 
den Boden des vierten Ventrikels eine mehrere Stunden dauernde 
Zuckerausscheidung durch den Harn erfolgt, dabei findet eine Ver¬ 
mehrung des Zuckers im Blute statt. Da durch einen solchen Stich 
immer der dorsale Vaguskern lädiert und gereizt 
wird, liegt es nahe, eine Störung in der Vagusinnervation der Leber 
für die Zuckerausscheidung verantwortlich zu machen. Denn er¬ 
wiesenermaßen liefert die Leber den bei der Piqüre auftretenden 
Zucker. Der Zuckerstich hat aber auch Erfolg nach Durchschnei¬ 
dung beider Vagi, dagegen bleibt er nach Durchtrennung der 
Splanchnici unwirksam. Eine eindeutige Erklärung für die Tat¬ 
sache, daß nach Verletzung des Bodens des vierten Ventrikels die 
Leber vermehrten Zucker ausscheidet, ist so lange nicht zu geben, 
als die Funktion der zur Lebep ziehenden Äste des Vagus und des 
Sympathicus so wenig bekannt ist. 

Ebensowenig erforscht ist der Einfluß des Vagus auf die 
Nierentätigkeit. Die bei Reizung des Vagus am Halse zu 
beobachtende Abnahme der Hainabsonderung wurde auf die Ver¬ 
langsamung der Schlagfolge des Herzens und die dadurch bedingte 
Abnahme des Blutdruckes zurückgeführt. Nach neueren Unter¬ 
suchungen 1 ) läßt sich aber eine Verminderung der Harnausschei¬ 
dung auch feststellen, wenn eine Blutdrucksenkung vermieden wird. 
Nach diesen Forschungen müßten dem Vagus sekretionshemmende 
Fasern für die Niere zugeschrieben werden. Damit würde über¬ 
einstimmen, daß nach Vagusdurchschneidung, wenn diese unterhalb 
des Abgangs der Herzfasern ausgeführt wird, eine Vermehrung der 
Diurese zu beobachten ist. Die sympathischen Fasern, welche zur 
Niere ziehen und die aus den unteren Dorsalwurzeln entstammen, 


1) Siehe die ausführliche Literaturangabe bei R. Metzner, Die Absonderung 
und Herausbeförderung des Harnes. E. „Einfluß des Nervensystems auf die Harn¬ 
absonderung.“ W. Nagel’s Hamlb. d. Physiol. d. Menschen 1906 und Arthaud 
et Butte, Action du pneumogastrique sur la seeretion renale. Archiv de Fhy- 
siolog. XXII, 1890. Nach diesen Autoren setzt eine Reizung des Vagus auch 
unterhalb des Herzens die Harnsekretion herab und zwar vermutlich durch Vaso¬ 
konstriktion (citiert nach Schmidt’s Jahrbüchern). 


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L. R. Müllrr 


sollen vorzügliche Vasodilatatoren beherbergen. Demnach wir: 
auch bei der Niere ein Antagonismus zwischen Vagus (Sekretion¬ 
hemmung) und den Fasern des Sympathicus (Vasodilatation un: 
Steigerung der Diurese) zu konstatieren. Die nach der Piqnr- 
und bei Gehirnerkrankungen, die sich auf die Medulla oblonge 
erstrecken, auftretende Polyurie könnte somit mit einer Störua; 
der Funktion des visceralen Vaguskernes erklärt werden. 

Histologie des Vagus. 

Ursprungskerne des Vagus im verlängerten Marx 

Den drei verschiedenen Funktionen, welchen der Vagus geren* 
werden muß, der Innervation der quergestreiften Muskulatnr d~ 
Schlund- und des Kehlkopfes, der Leitung der Empfindung t.l 
dort und Schließlich der Beeinflussung der glatten Bronchial¬ 
muskulatur, der Herztätigkeit, des Magens, des Darmes und der 
großen Drüsen der Leibeshöhle, entsprechen auch drei ver¬ 
schiedene Kerne im verlängerten Marke. Über die 
Lage dieser Kerne ist im Verlauf der letzten Jahre ziemlieh- 
Einigkeit erzielt worden. 

Als motorischer Kern für die quergestreifte Mus¬ 
kulatur des Schlund- und des Kehlkopfes ist zweifellos die gro߬ 
zellige Gangliengruppe des Nucleus ambiguus anzusprechen. Dieser 
Kern enthält große multipolare Ganglienzellen von ausgesprochenes 
Vorderhorntypus, entspricht er doch auch der Forsetzung der Vorder 
säule in der Medulla oblongata. Auf Fig. 1 der Tafel V ist ein Mikr - 
photogramm einer Zellgruppe aus dem Nucleus ambiguus wieder¬ 
gegeben. Dort ist die bedeutende Größe der Ganglienzellen ans emes 
Vergleich mit den dazwischen liegenden quer- und längsgetroffenei 
Nervenfasern gut zu ermessen. Zufälligerweise erscheinen am 
diesem Bilde drei größere Zellen als bipolare Ganglienzellen, tat¬ 
sächlich handelt es sich aber um multipolare, die ihre langen Fort¬ 
sätze nach allen Seiten aussenden. Nach Durchtrennung des X 
recurrens findet man, wie Kohnstamm u. a. nachgewiesen haben, 
eine ausgesprochene Degeneration im gleichseitigen Nucleus ambignns 

Von dem Nucleus ambiguus, der ventral von den übrigen 
Vaguskernen und dorsal von der Olive zwischen der Oliven- 
zwischenschicht und der Substantia gelatinosa gelegen ist (sieb* 
Abbild. 2 im Text) strahlen die Nervenfasern dorsalwärts und leicht 
medialwärts nach dem dorsalen Vaguskern, um, bevor sie diesen 
erreichen, in scharfer hackenförmiger Biegung sich dessen Bahnen 
anzuschließen. Mit diesen durchbrechen sie gemeinschaftlich das 


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Beiträge zur Auatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 4H7 


spinale Trigeminusfeld und treten in einer Furche hinter der Olive 
aus dem verlängerten Marke aus (siehe Abbild. 2). 

a r..J _ t- Nachus vaji 

viscfralis 


’umc 


asariuus solltanus 
(JVucLus vaui stnsi 


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T. fl r \lTZt 

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J tiknstraiujh 


Ijajiejüoih 

\nodosurrv 


ulnunwilis 


Abbild. 2. Durchschnitt durch die Ursprungskerne des Vafifiis im verlän 
ßferten Marke (motorische Bahnen blau, viscerale Bahnen griin, sensible Bahnen rot}. 

Deutsches Archiv für klin. Med. 101. Bd. 29 


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L . R. Mülleb 


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Nach Durchschneidnng des Vagus verfällt nun aber nicht nur der 
Nucleus ambiguus, sondern wie Bunzl-Federn 1 2 * * ) nachgewiesen 
hat, auch eine große Ganglienzellengruppe am Boden des 4. Ven¬ 
trikels lateral vom Hypoglossuskern der Tigrolyse. Es ist damit 
erwiesen, daß auch diese Ganglienzellengruppe, der sogenannte dor¬ 
sale Vaguskern, zentrifugale Fasern aussendet. Da nun bei 
Rekurrensdurchtrennung keine einzige Zelle des dorsalen Vagu>- 
kernes degeneriert, diese aber nach Durchschneidung des Vagn>- 
Stammes tiefer unten am Halse, also nach Abgang des Nervo.' 
recurrens, in Entartung geraten, so bleibt, wie Kohnstamm udc 
Wolfs tein a ) überzeugend darlegen, für den dorsalen Vaguskem 
keine andere Funktion übrig, als die motorische Innervation von 
visceralen Organen. 

Die Ganglienzellen dieses dorsalen oder visceralen 
Vaguskernes unterscheiden sich ganz wesentlich 
von denjenigen des Nucleus ambiguus. Vor allem iE 
der Größe. Der Vergleich des Mikrophotogrammes der Ganglien¬ 
zellen des Nucleus ambiguus (Fig. 1 auf Taf. V) mit dem der 
Zellen vom dorsalen Vaguskern (Fig. 2 auf Taf. V) demonstriert 
den Größenunterschied auf das Deutlichste. Beide Bilder 
sind bei der gleichen mikroskopischen Vergrößerung aufgenommen. 
Aber auch die Form der Ganglienzellen dieser beiden 
Vaguskerne ist sehr verschieden. Die Zellen des Noclen> 
ambiguus sind multipolar, sie zeigen zahlreiche lange, weithin zu 
verfolgende schlanke Fortsätze. Der umfangreiche Zelleib wei>* 
jedesmal ein großes Kernbläschen mit Kernkörperchen auf. Dit 
kleinen Ganglienzellen des Nucleus visceralis sind meistens rund¬ 
lich oder bimförmig zu einer Spitze ausgezogen. 8 ) Multipolarc 
Formen wurden nur ganz vereinzelt angetroffen. Die eiförmigen 
Zellen weisen vielfach gar keine Fortsätze auf, manchmal setzt 
sich an ihnen ein breiter Nervenfortsatz an und es entstehen danD 
keulenähnliche Gebilde (siehe Fig. 2 auf Tafel V). Auch von den 

1) Der zentrale Ursprung des Vagus. Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neurods: 
Bd. V 1899. Hudovernig (Beiträge zur mikrosk. Anatomie und zur Lokah«a 
tionslehre einiger Hirnnerven (X hypogloss., vagus u. facialis) Jonrn. f. Psycho’ 
u. Xeurol. Bd. XI 1908) beschreibt einen Fall, bei welchem nach einer Vaga- 
durchschneidnng gelegentlich einer Operation hochoben am Halse es zur „iaten- 
siven Chromolyse des dorsalen Vaguskerues und des Nucleus ambiguus gekommet 
war u . 

2) Versuch einer physiologischen Anatomie der Vagusursprünge und 

Kopfsynipathicus. Journal für Psychologie u. Neurologie Bd. VIII 1907. 

Bi Bunzl-Federn (1. c.) beschreibt die Zellen als ei- oder spindelförmig 


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TteitrÄge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 439 

bimförmigen Zellen läßt sich häufig, dem Stiel entsprechend, ein 
Fortsatz weiter verfolgen. Hin und wieder finden sich auch bipo¬ 
lare Zellen, die manche Ähnlichkeit mit Trypanosomenfiguren haben. *) 
Zellkerne wiesen die Ganglienzellen des visceralen Vaguskernes 
bei der Silberbehandlung nach Bielschowsky nicht auf, sie 
färbten sich vielmehr gleichmäßig braun. Dagegen kam das 
lockere, feinfaserige Nervenz wischenge webe sehr gut zur Dar¬ 
stellung. Die Nervenfasern sind hier viel zarter und schmäler 
als auf dem übrigen Querschnitt des verlängerten Markes (vgl. 
Fig. 2 mit Fig. 1 auf Tafel V). Um die Ganglienzellen herum 
läßt das lockere, aus feinsten Nervenfasern bestehende Zwischen¬ 
gewebe stets einen kleinen Lymphraum frei. Eine scharfe Ab¬ 
grenzung des visceralen Vaguskernes ist nicht möglich. Medial- 
wärts freilich hebt sich die Gruppe der großzelligen, multipolaren 
Zellen des Hypoglossuskernes auf das Deutlichste von den kleinen 
rundlichen Formen des Vaguskernes ab, lateralwärts und ventral- 
wärts stoßen aber auch Gebiete mit kleineren Ganglienzellen an, 
so daß eine Unterscheidung von der Zellgruppe des Glossopharyn- 
geus und von dem sensiblen Vaguskern recht schwierig ist. Die 
Zellen des visceralen Vaguskernes treten zu einzelnen Gruppen 
etwas dichter zusammen; ob es aber möglich ist, eine Gesetzmäßig¬ 
keit in dieser Gruppenbildung festzustellen, wie dies R. Shima 1 2 ) 
getan hat, möchte ich bezweifeln. Dieser Autor gibt selbst zu, 
daß es bisher „nicht gelungen ist, die einzelnen Gruppen des dor- 


1) Die Gestaltung und Form der Ganglienzellen des dorsalen Vaguskernes 
stimmt genau mit der Schilderung der Zelleu der Nuclei sympathici medullae 
spinalis durch L. Jacobsohn (Über die Kerne des menschlichen Rückenmarkes, 
Abhandl. d. königl. preuß. Akademie d. Wissensch. 1908, physikal.-mathem. Klasse) 
überein. Auch Jacobsohn schildert die sympath. Ganglienzellen, die sich haupt¬ 
sächlich in der dorsalen Partie des Seitenhornes der grauen Rückenmarksfigur 
finden, als spindelförmig, keulenförmig, kaulquappenförmig oder 
spermatozoenartig, „viele Zellen erscheinen bei schwacher Vergrößerung 
wie fortsatzlos.“ „Die Zellen des Nucleus sympathicus sind ungefähr halb so 
groß wie die daneben liegenden des lateralen Zellkomplexes des Vorderhornes.“ 
Es scheint mir die Tatsache von großer Bedeutung zu sein, daß die Zelleu des 
visceralen Vaguskerues durchaus den Ganglienzellen der sympathischen Kerne 
des Rückenmarkes und damit den Ursprungszellen der visceralen Bahnen in den 
peripherischen Nerven gleichen. 

2) Zur vergleichenden Anatomie des dorsalen Vaguskernes. Arbeiten aus 
dem neurologischen Institut an der Wiener Universität, herausgegeben von Ober¬ 
steiner, XVII. Bd. 1909. Shima unterscheidet einen Nucleus dorsalis medius, 
«inen Nucleus dorsalis lateralis und einen 3. zur dorsalen Vagnsgrnppe zu rech¬ 
nenden Kern in der Substantia gelatinosa. 

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L. R. Müllbr 


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salen Vaguskernes mit bestimmten Körperabschnitten (Lunge. Her?. 
Baucheingeweide) in Zusammenhang zu bringen. Es scheint hier 
weniger eine Gruppeneinteilung in der dorsoventralen als in der 
orokaudalen Richtung maßgebend zu sein.“ 

Die rezeptorischen, sensiblen Bahnen des Vagus, welch- 
die Empfindung vom Schlund- und Kehlkopf, von der Trachea unc 
den Bronchien nach dem Gehirn zu leiten, haben ihr trophischo 
Zentrum in den beiden Ganglien, die der Vagus durchsetzen mo> 
(Ganglion jugulare und Ganglion nodosum). Von hier ziehen di- 
sensiblen Fasern als dorsale Wurzeln, dorsal von den motorischer 
und von den visceralen Fasern gelegen und gelangen zu dem Soli¬ 
tärbündel (Fasciculus solitarius) (siehe Abbild. 2 im Text). Hier 
endigen die Fasern aber nicht sofort in Ganglienzellen, sondern si- 
ziehen ähnlich wie die Bahnen des Trigeminus und die des Glos*- 
pharyngeus im Solitärbündel noch nach abwärts, d. h. kaudal wärt', 
um weiter unten erst in den Ganglienzellen des Solitärbündelkemes 
(Nucleusfasciculisolitarii, medial und dorsal von der Trige¬ 
minuswurzel gelegen) zu endigen (vgl. Abbild. 3). Von hier ver¬ 
laufen dann, ebenso wie von den spinalen Trigeminuskernen Bogen¬ 
fasern zur medialen Schleife und damit zum Gehirn. Theoretisch ist 
eine Verbindung des sensiblen Vaguskernes, des Nucleus fascicnli 
solitarii mit dem motorischen Vaguskern, dem Nucleus ambiguus 
zu fordern, denn nur hier können die Bahnen sein, welche drti 
sensiblen Schenkel des Schluckreflexes mit dem motorischen 
verbinden. Auch eine nur einseitige Zerstörung dieses Teilte 
des verlängerten Markes, wie sie manchmal infolge einer Emboli- 
oder einer Thrombose der Arteria cerebellaris posterior inferior zu¬ 
stande kommt, hebt den Schluckakt völlig auf. *) 

Außerdem müssen vom Nucleus solitarius Fasern zu den Kernen 
der Atemmuskeln ziehen, um bei Reizung der Kehlkopf- oder 
Trachealschleimhaut zuerst Hemmung der Inspiration und danD 
zwangsmäßig kräftige Exspiration bei geschlossener Glottis, Husten, 
auszulösen. 

Auf Abbild. 3 des Textes habe ich die Säulen der drei Vagus¬ 
kerne in den Längsverlauf des verlängerten Markes eingezeichnet, 
um die gegenseitige Lagerung und den Zusammentritt der Wurzeln 
zu illustrieren. Von den großen, multipolaren Ganglienzellen de* 
Nucleus ambiguus ziehen die Fasern (blau gezeichnet) dorsalwärts. 

1) Vgl. L. R. Müller, Über eiue typische Erkrankung des verlängertea 
Markes. Deutsches Archiv für klin. Medizin Bd. 86. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 441 

um dann umzubiegen; vom Nucleus dorsalis vagi am Boden des 
vierten Ventrikels gehen die zarten Fasern (grün gezeichnet) im 
geraden Verlauf in die Wurzeln über. Von den lateral, nahe 
der Außenfläche gelegenen kleinen 
Ganglienzellen des Nucleus tract.i 
solitarii steigen die Fasern (rot ge¬ 
zeichnet) im Solitärbündel aufwärts, 
um sich dann erst den übrigen Wurzel¬ 
fasern des Vagus auzuschließen. 

Histologie des Ganglion jugnlare. 

Unmittelbar nachdem die Wurzeln 
des Vagus zu einem lockeren Bündel 
zusammengetreten sind, verdickt sich 
dieses zu der Größe eines kleinen 
Weichselkernes zu dem Ganglion jugu- 
lare. Die Mehrzahl der Faserbündel 
durchsetzt das Ganglion, ohne sich 
darin aufzulösen; sie ziehen dann, wie 
auf Abbild. 3 der Tafel VI, die einem 
Querschnitt durch das Ganglion ent¬ 
spricht, zu sehen ist, mitten durch 
das Ganglion oder sie verlaufen in 
oder außerhalb der fibrösen Kapsel, 
welche das Ganglion umhüllt. Auf 
Längsschnitten durch das Ganglion 
kann man feststellen, daß die Faserbündel des Vagus tatsächlich 
zum größeren Teil nicht mit den Zellgruppen des Jugularknotens 
in Beziehung treten, zum kleineren Teil strahlen sie aber pinsel¬ 
artig zwischen die Ganglienzellen ein, um dort sich bald zu ver¬ 
lieren. 

Die Ganglienzellen sind im .lugularknoten zu einzelnen Gruppen 
von 15, 20 und mehr Zellen zusammengefaßt (vgl. Abbild. 3 auf 
Tafel VI). Auf Präparaten, die mit Alaunkarmin, mit Hämatoxylin 
oder nach Nißl gefärbt sind, stellen sich die Ganglienzellen aus¬ 
nahmslos als runde, fortsatzlose Scheiben dar, die ein Kernbläschen 
und in diesem ein Kernkörperchen beherbergen. Sie sind stets von 
einer kernhaltigen Kapsel umgeben. Färbt man solche Schnitte 
nach der Methode von R. y Cajal oder von Bielschowsky. 
so läßt sich konstatieren, daß die überwiegende Mehrzahl der Zellen 
dem Typus von Ganglienzellen entspricht, wie er in den Spinal- 



Abbild. 3. Schern atisehe Dar¬ 
stellung der Kernsäulen 
des Vagus. Die motorischen 
Bahnen (blau) verlaufen zuerst 
dorsal und dann erst ventral, die 
sensiblen Bahnen (rot) ziehen im 
Faseicnlus kaudalwärts, um im 
Nucleus solitarius zu endigen, die 
visceralen Bahnen (grün) ver¬ 
laufen gestreckt. 


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L. R. Müllbr 


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ganglien gefunden wird. Die Zellen haben sich durchweg gut nuJ 
intensiv gefärbt, die Begrenzung ist scharf, ihre Form ist rundlich, 
oval oder bimförmig. An den meisten Zellen findet man entweder 
keine oder nur einen ganz kurzen, stummelförmig abgebrochenen 
Achsenzylinder, wie solche unter E und der darüberliegenden Zeilr 
auf Abbild. 4 der Tafel VI, in welcher nur Zellen aus dem Ganglion 
jugulare zusammengestellt sind, genau nach dem Original gezeichnet 
wurden. Nicht selten ist der von einer Spinalganglienzelle breit ent¬ 
springende, bandartige Fortsatz weithin zu verfolgen, er schlingt si< h 
bisweilen um die Zelle herum (siehe die Zelle zwischen D und L 
auf der Zeichnung und dieselbe Zelle rechts unten auf dem Mikro» 
photogramm 6 der Tafel VII). Manchmal kommt es zu ganz unwahr¬ 
scheinlichen Schleifenbildungen. Eine Zelle, an welcher diese eigen¬ 
artigen Windungen des Achsenzylinders besonders klar beobachtet 
werden können, ist unter K auf Abbild. 4 wiedergegeben. Ani- 
falligerweise gelang es, diese Schleifenbildung des unipolaren Fort¬ 
satzes auch in der einen Ebene, welche ein Mikrophotogramm 
bietet, überzeugend klar und schön zur Darstellung zu bringen 
(siehe Abbild. 5 auf Tafel VII). Häufig windet sich der Achsen¬ 
zylinder knäuelartig um die Zelle (vgl. Abbild. 4 auf Tafel VI die 
Zelle D), manchmal sind dann, wie zwischen Zelle F und K za 
sehen ist, solche Schleifenbildungen ohne die zugehörige Zelle ge¬ 
troffen. l ) 

Neben diesen unipolaren Ganglienzellen, welche die überwie¬ 
gende Mehrheit bilden, sind nun im Ganglion jugulare stets auch 
vereinzelte Zellen zu treffen, die kleine Fortsätze nach 
allen Seiten aussenden, vgl. auf Abbild. 4 der Taf. VI die 
Zellen A, B, F, G, H und L. 2 ) Auch diese Ganglienzellen sind 
immer von einer faserigen Kapsel umgeben, welche zahlreiche bläs¬ 
chenartige Kerne aufweist. Die kurzen Fortsätze der multipolaren 

1) Besonders schön ist die Knäuelbildung des Achsenzylinders der SpinaJ- 
gauglienzellen auf den zahlreichen Tafeln reproduziert, welche dem Werke tob 
A. S. Dogiel, Der Bau der Spinalganglien der Menschen und der Säugetiere 
Verlag von G. Fischer, Jena 1908 beigegeben sind. Dogiel bediente sich einer 
Methylenblaufärbnng der Schnitte, welche mir, obgleich er mir die genauen Vor¬ 
schriften übermittelte, trotz eifrigen Bemühens keine brauchbaren Resultit* 
lieferte. 

2) Das Verhältnis der multipolaren Ganglienzellen zu den unipolaren ant 
dieser Zeichnung entspricht nicht der Wirklichkeit. Wie mehrfach erwähnt, sind 
die inultipolaren Zellen nur sehr spärlich. Der Zweck der Zeichnung ist, die rer- 
schiedenen Typen der Ganglienzellen, welche sich im Jugnlarknoten vorfindct:. 
mit möglichster Genauigkeit wiederzngeben. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 443 


Ganglienzellen bleiben stets intrakapsulär, d. h. sie durchbrechen die 
Kapseln nie, aber gerade dort, wohin sich die Dendriten in die Kapsel 
erstrecken, finden sich stets besonders zahlreiche Zellkerne. Die 
Dendriten sind zart, vielfach etwas hakenförmig gebogen; sie teilen 
sich manchmal am Ende noch gablig, siehe die Zelle H der Zeich¬ 
nung und das Mikrophotogramm einer multipolaren Zelle aus dem 
Ganglion jugulare, Figur 7 auf Tafel VIII. Hin und wieder endigen 
die Dendriten auch in einer knopfartigen Anschwellung. Immer 
handelt es sich um den Typus von Ganglienzellen, den R. y Cajal 
als „Kronenzelle“ bezeichnet hat. Nur selten gelingt es, den einen 
langen Fortsatz zu Gesicht zu bekommen, welcher die Kapsel durch¬ 
bricht und der dann als Achsenzylinder zu bezeichnen ist. Auf 
der Zeichnung der Ganglienzellentypen aus dem Ganglion jugulare 
ist bei Zelle A ein längerer, sich schraubenzieherartig windender 
Fortsatz getroffen; es ist das dieselbe Zelle, welche auch auf dem 
Mikrophotogramm, Abbild. 6 links oben wiedergegeben ist Auf 
diesem Lichtbild, das natürlich nur einer Ebene entspricht, sind die 
Fortsätze der 3 zusammenstehenden multipolaren Zellen nicht so 
gut zu studieren wie im Mikroskop unter Benutzung der Mikro¬ 
meterschraube, vergleiche dieselbe Zellgruppe auf der Zeichnung 
Abbild. 4 links oben. 

Das Protoplasma der multipolaren Zellen unterscheidet sich ent¬ 
schieden von dem der unipolaren Zellen. Es tingiert sich bei der 
Silberfärbung weniger intensiv und läßt die netzartige, feinfibrilläre 
Struktur der Spinalganglienzellen vermissen. Im Leibe der multi¬ 
polaren Zellen sieht man meist hellere Stellen, vergleiche die Zellen 
F, G und H mit ihren Lichtungen. 

Außen um die Kapsel der multipolaren Zellen schlingen sich 
zahlreiche, sehr dünne Nervenfasern, die dann korbartige Verflech¬ 
tungen miteinander eingehen. Solche Faserkörbe um die Kapseln 
sind auffälligerweise gerade in den Präparaten besonders deutlich, 
in welchen die Ganglienzellen sich verwaschen gefärbt haben. Es 
handelt sich dabei augenscheinlich um die Endaufsplitterung der¬ 
jenigen Nerven, von welchen die Ganglienzellen ihre Anregung zur 
Tätigkeit bekommen. 

Zweifellos sind also im Ganglion jugulare zweierlei Zell¬ 
typen zu unterscheiden: solche mit einem breiten, langen, 
sich vielfach schleifenartig windenden Fortsatz und vereinzelte 
Zellen mit zahlreichen kleinen, intrakapsulären Den¬ 
driten. Die ersteren entsprechen dem Spinalganglienzellentypus, 
die letzteren sind meines Erachtens als sympathische Gan- 


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L. E. Müller 


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glienzellen aufzufassen. Sie gleichen durchaus den Zellen,™ 
man sie in den sympathischen Ganglien am Schädel, im Ganglion 
ciliare, sphenopalatinum, oticum und submaxillare findet. Demnach 
ist der Jugularknoten als eine Mischung von spinalen und sym¬ 
pathischen Ganglienzelllen anzusehen, eine Tatsache von großer 
theoretischer Bedeutung. 

Freilich ist erst noch der Beweis zu liefern, daß es sich bei 
den multipolaren Ganglienzellen wirklich auch um sympathische 
Elemente handelt, und daß hier nicht vielleicht normale Gebilde 
eines Spinalganglions oder Degenerations- oder gar Kunstprodnkte 
vorliegen. Dieser Beweis ist um so mehr zu erfordern, als von 
einer Anzahl von Autoren multipolare Ganglienzellen als normale 
Bestandteile der Spinalganglien beschrieben wurden. 

So schilderte R. y C a j a 1*) in den Spinalganglien einen Zelltypus, 
„cellulas desgarradas o seniles“, dessen Peripherie eine größere Anzahl von 
kleinen, winkelig gebogenen Ausläufern entspringen. Diese Zellart fand 
Cajal nur bei alten Leuten und er nimmt an, daß sie dem jugendlichen 
Individuum noch abgehen. 

Marinesco-) (Bukarest) fand solche Ganglienzellen bei einem Fallt 
von progressiver Paralyse und nach Kompression von Spinalgangiien. 
einerlei ob diese durch Pachymeningitis tuberculosa oder experimentell 
verursacht war. Er schreibt: „II est a remarquer que certaines cellules 
devenues multipolaires simulent plus ou moins Faspect exterieur des cellules 
sympatiques d’autant plus qiFelles sont parfois pourvues,d'une couronnedentri* 
ques. w Marinesco hat, was für unsere Fragestellung von besonderem 
Interesse ist, die Seidenfadenunterbindungen auch am Ganglion plexi- 
foruiis des Vagus gemacht: „Immediament au dessus de la ligature on 
constate un grand nornbre de cellules ayant completement change leur 
aspect exterieur et leur forme.“ „Beaucoup de cellules deviennent mul- 
tipolaires, cette inultipolarite difföre de celle de cellules sympatiques et 
de celle de centres nerveux par son aspect etrange.“ 

Rossi J *) stellte nun aber auch in den Spinalganglien von jugend- 

F) Tipos celulares de los ganglios sensitives de] hombre y mamiferos. Tra- 
bajos de Lab. de Invest. Biolog. de la l'nivers. de Madrid T. 4 1905. Cajal 
bildet multipolare Ganglienzellen aus dein Plexus ganglioformis des Vagus ab. 
die völlig mit den hier geschilderten Zellen übereinstimmen. 

2) Quelques reeherdies sur la morphologie normale et pathol. des cellules 
des gangl- spinaux et sympath. de Flioiunie. Le Nevraxe V 8. Marinesco u. 
Minea, Kecherches experimentales et anatom.-patholog. sur les lesions consecutive 
ä la coinpression et ä Fecrasement- des ganglions sensit. Folia Neuro-Biolospca 
V, 1 Xr. 1 1907 und Kecherches experimentales et anatomo-pathologiqnes snr les 
cellules des ganglios spinaux et sympatliiques. Journ. für Psycholog, u. Neurol. 

Ed. XIII 1908. 

I ber einige morpliolng. Besonderheiten der 8pinalganglienzellen bei den 
Säugetieren. Journal für Psychologie und Neurologie Kd. XI. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 445 

liehen Individuen Ganglienzellen mit zahlreichen kleinen Ausläufern 
fest, die dem „Desgarrado 1 2 3 4 -Typus von Cajal, den dieser Forscher aber 
nur bei Individuen nach dem 60. Lebensjahr vorgefunden hat, entsprechen 
sollen. Bos8i glaubt, daß diese Expansionen des Zellkörpers nicht 
auf einen abnormen Status der Ganglienzellen hinweisen. Ebenso fand 
Levi 1 ) bei seinen Untersuchungen der Spinalganglien „sämtlicher Klassen 
der Wirbeltiere 4 bei den großen Säugern stets gefensterte Zellen und 
solche mit keulenförmigen Endigungen. Levi spricht die Vermutung 
aus, „daß die aus multipolaren Zellen bestehenden Abschnitte der Ganglien 
der visceralen sensiblen Innervation bestimmt sind 4 . 

Besonders wertvolle Untersuchungen über diese Frage verdanken 
wir M. Bielschowsky.-) Auch dieser deutsche Forscher stellte neben 
den typischen, unipolaren Spinalganglienzellen noch andere Zellformen 
in den Spinalganglien fest. So solche, deren Randzonen durchlöchert 
sind, entsprechend den Celulas fenestradas von Cajal, dann Zellen mit 
kurzen, stummelartigen Dendriten. Diese Zellfortsätze hält Bielschowsky 
„für Henkelfragmente, die auf der Höhe des Bogens abgeschnürt worden 
sind 4 . Ferner schildert er feine, fadenförmige Fortsätze, welche in 
kugelförmigen Anschwellungen auslaufen P ’ . c h n v * k y gesteht aber 
auch zu, daß diese mit mehreren Fort wn/ w» v < n, j,_.. u , 1 / 

in den Spinalganglien um so zahlreicher a«;tf t* ii, ; , r , T 

Individuum ist. „Bei einem Neugeboren: n v 1 w : * '/> w nur ;; r: 
vereinzelt vorhanden, bei einem 78 jährig»; f ne »• .. ?■ t 

Zellen in den untersuchten Ganglien ck r V , r * i.. h ■ ^ K.6 

einer 35jährigen Frau betrug die Durchschnitt mmrige d.-r Wi¬ 

derten Zellen in den Dorsalganglien ca. 6°/ 0 . 4 Bielschowsky kommt 
zu dem Schlüsse, daß nicht nur das Alter und die Kachexie, sondern 
daß insbesondere auch Erkrankungen des Zentralnervensysteme«, wie die 
Tabes die multiple Sklerose und Kompression durch Geschwülste einen 
formativen Reiz auf die Zellen der Spinalganglien ausüben und daß bei 
diesen Krankheiten besonders zahlreiche Fensterzellen und solche mit 
henkelartigen oder fädchenähnlichen Fortsätzen sich finden. 

Schließlich hat Lenhossek 4 ) schon im Jahre 1906 darauf hin¬ 
gewiesen, daß sich in den Ganglienzellen neben typischen Unipolarzellen 


1) I gangli cerebrospinali. Studi di istologia comparata e di istogenesi. 
Sappl, al Arch. ital. di Anat. e di Enibriol. Firenze 1908. Ausführliches Auto¬ 
referat in Schmidt’s Jahrbüchern Bd. 304 lieft 11 p. 127. 

2) Über den Bau der Spinalzellen unter normalen und pathol. Verhältnissen. • 
Jonrn. für Psychologie u. Neurologie Bd. XI 1908. 

3) Bei der Tabes wurden auch an den Ganglienzellen des Rückenmarkes 
gewisse Auswüchse festgestellt. Vgl. Nagentte. Note sur la presence des 
massues d’accroissernent dans la substance grise de la moelle. 0. R. de la Soe. 
d. Biologie 12. V. 1906 (eit. nach Rossi) und Marinesco, Contribut. ä lctude 
de fhistologie et de la pathologie du Tabes. Sein. ined. 1906 (eit. nach Bi ei¬ 
se ho wsky). 

4) Zur Kenntnis der Spinalganglieii. Archiv f. mikrosk. Anatom, u. Ent¬ 
wicklungsgeschichte Bd. 79, 1906. 


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446 


L. R. Müllkk 



auch multipolare Elemente finden“, „manchmal kehren schlingenfonnisr 
Zellfortsätze wieder zum Zellkörper zurück (henkelartige Zellanhäagei* 

Aus dieser Literaturzusammenstellung ist zu entnehmen, dai> 
in den Spinalganglien tatsächlich neben den typischen unipolaren 
Ganglienzellen stets auch solche mit kleinen fadenförmigen, haken- 
öder henkelähnlichen Fortsätzen gefunden werden und daß die Zahl 
dieser Zellen mit dem zunehmenden Alter, besonders aber bei Ent¬ 
kräftung und bei organischen Nervenerkrankungen steigt. Dir 

Mehrzahl der Autoren spricht 
sich dahin aus, daß es sich bei 
diesen Zellen um Alters-, um 
x »J Degenerations- und Regenera- 

MM . | tionsprodukte handelt. Solche 

Zellformen waren tatsächlich 
. Cauch im Ganglion j ugulare 

zu finden und zwar in um sc» 
größerer Anzahl, je älter das 
betreffende Individuum war. oder 
l je mehr es durch eine zehrende 

Krankheit heruntergekommen 
war. In der Abbild. 4 des Texte' 
X dffljgL \ sind zwe * solcher Zellen ans 

dem Ganglion jugulare einer 
alten Frau gezeichnet. Diese 


Abbild. 4. Degenerationszellen aus dem 
Ganglion jugulare. 


1) Aus ganz ähnlichen, löcherigen, verwaschenen, wenig deutlich umschrie¬ 
benen Zellen setzt sich bei Erwachsenen das Gangliou sphenopalatinmn und da? 
Gangl. oticum zusammen, vgl.: L. R. Müllern. Dahl, Die Beteiligung d sve- 
path. Nervensystems a. d. Kopfinnervation Tafel VI. Deutsch. Arch f. klin. Met 
Bd. 99. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 447 


Anschwellungen verdicken oder sich noch gablig teilen. Um ein 
völlig objektives Urteil über die Natur dieser Ganglienzellen zu 
ermöglichen, habe ich nicht nur in Fig. 4 der Tafel VI Zeichnungen, 
sondern auch in Fig. 6 und 7 der Tafel VII und VIII Mikrophotogramme 
von multipolaren Zellen aus dem Ganglion jugulare gebracht. Aus der 
Gestaltung dieser Zellen, insbesondere aus der Art ihrer kräftigen 
sich gabelnden Dendriten (vgl. Abbild. 7 der Tafel VIII) muß man 
meines Erachtens den Schluß ziehen, daß es sich bei den multi¬ 
polaren Ganglienzellen des Jugularknotens nicht um Entartungs¬ 
produkte, sondern um normale, vollwertigeZellenhandelt, 
die auf der Höhe ihrer Funktion stehen. 

Der Prozentgehalt, mit welchem die multipolaren Ganglienzellen 
den unipolaren, spinalen Zellen im Ganglion jugulare beigemischt 
sind, ist allerdings sehr wechselnd, wie ja auch die Größe dieses 
Ganglions und sein Gehalt an Zellen überhaupt merkwürdigen 
Schwankungen bei den verschiedenen Individuen unterworfen ist. 
Da die ersten Untersuchungen über das Zahlenverhältnis der multi¬ 
polaren Zellen zu den unipolaren ganz. »riiversT;m* : >he Iliieren;- n 
ergaben, so sah ich mich genötigt, eine üi r.ü« A.r/ihl 
Jugnlarknoten zu untersuchen, was eine nicht geriu.-re An ... 
wenn man in Betracht zieht, daß schon das Heiauspväparieren 
dieses Ganglions aus der Schädelbasis nicht leicht ist und recht viel 
Zeit in Anspruch nimmt, und daß die Silberfärbung der Präparate 
auch dann, wenn man auf diese Methode schon eingeübt ist, doch 
immer noch viel Schwierigkeiten macht und häufig noch Fehl¬ 
resultate gibt. 

Tatsächlich konnten nun bei älteren Individuen oder bei solchen, 
die an langdauerndem Sichtum, z. B. an Carcinom zugrunde ge¬ 
gangen waren, besonders zahlreiche „Degenerationszellen** festge¬ 
stellt werden. Diese unterscheiden sich von den anderen Gan¬ 
glienzellen dadurch, daß sie hell und blasig sind und daß aus ihrer 
verwaschenen Peripherie feine, fadenförmige, vielfach henkelartige 
Fortsätze entspringen. Daneben waren aber jedesmal scharf 
umschriebene multipolare Ganglienzellen mit intrakapsulären Den¬ 
driten nachzuweisen. Solche sind also nicht nur bei kachektischen 
oder bei alten Leuten zu finden. So konnte ich bei einem 17- 
jährigen, kräftigen jungen Mann, der einer Rollw r agenverletzung 
erlegen ist, im Ganglion jugulare 5 0 „ scharf umschriebener multi¬ 
polarer Ganglienzellen, neben 4 0 0 degenerierter Zellen zählen. Der¬ 
selbe Prozentsatz war bei einem 21jährigen Manne, welcher an einer 
doppelseitigen Lungenentzündung starb, festzustellen. 


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448 


L. R. Mülleb 


Das Ergebnis der Durchzählung der verschiedenen Zellart«) 
im Ganglion jugulare von 24 Individuen im Alter von 18—75 
Jahren habe ich dahin zusammenzufassen, daß der Gehalt u 
Degenerationszellen von 4— 20 °/ 0 , ja 30 % wechselt und zweifello> 
bei alten und entkräfteten Leuten höher ist als bei jugendlichen. 
Der Prozentsatz der multipolaren, also sympathischen Ganglien¬ 
zellen schwankt nur zwischen 2 und 6 °/ 0 , er erhöht sich beim Alte 
und mit der Kachexie nicht. Die multipolaren Ganglienzellen sine 
meist ganz unregelmäßig in die überwiegende Mehrzahl der unipr*- 
laren Zellen von Spinalganglientypus eingestreut; nur selten finde: 
man eine kleine Gruppe von multipolaren Zellen beisammenstehend 
{vgl. Abbild. 6 auf Tafel VII). 

Um nun meine Behauptung, daß es sich mit der Beimischnn? 
von multipolaren Zellen im Ganglion jugulare um etwas ganz Be¬ 
sonderes handle, zu kontrollieren, habe ich in mehreren Fällen 
außerdem Schnitte durch das Ganglion Gasseri, durch das Ganglion 
geniculi oder durch ein Spinalganglion angefertigt, mit Silber tin- 
giert und durchgemustert; ich konnte in all diesen Präparaten nur 
ein einziges Mal eine multipolare Ganglienzelle in einem Schnitt ans 
einem Spinalganglion feststellen. Fast jedesmal wurde gleichzeitig 
mit dem Ganglion jugulare auch das Ganglion nodosum heraus¬ 
genommen. Dieses letztere besteht nun, wie weiter unten noch 
ausführlich darzulegen sein wird, ausschließlich aus unipolaren 
Ganglienzellen. 

Durch die regelmäßige Beimengung von multip<>- 
laren Ganglienzellen unterscheidet sich das Ganglion 
jugulare prinzipiell von dem Ganglion nodosum. Da 
die multipolaren Ganglienzellen ganz dem Zelltypus gleichen, welcher 
im Ganglion ciliare und in anderen sympathischen Ganglien ver¬ 
treten ist (Caja 1 ’scher Kronenzellentypus) liegt es nahe, sie auch 
als sympathische Ganglienzellen anzusprechen. Welchen Funktionen 
sie vorstehen, läßt sich allerdings kaum vermuten. Nachdem der 
Vagus aber Fasern für die Bronchien, das Herz und den Magen mit 
sich führt, so ist es wohl möglich, daß die multipolaren Zellen des 
Jugularknotens mit der Innervation dieser Organe in Beziehung 
stehen. Die Einlagerung von sehr zahlreichen marklosen Fasern 
im Lungen-, Herz- und Magenvagns würde mit dieser Annahme 
wohl übereinstimmen. Es wären dann die multipolaren Zellen im 
Ganglion jugulare auch physiologisch den Zellen des Ganglion 
ciliare oder der übrigen sympathischen Kopfganglien gleichzustellen 
und von ihnen aus würde das marklose postganglionäre 


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Beiträge znr Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 449 


Neuron für die großen inneren Organe entspringen. Freilich ist 
es aber auch möglich, daß sie lediglich vasomotorischen Innerva¬ 
tionen für den Nervus meningeus posterior dienen. Die Zahl der 
multipolaren Zellen im Ganglion jugulare erscheint allerdings, wenn 
man die Größe der von den visceralen Fasern des Vagus zu in¬ 
nervierenden Organen in der Brust- und Bauchhöhle in Betracht 
zieht, recht klein. Durchschnittlich wurden auf jedem Präparat 
aus dem Ganglion jugulare 3—8—10 multipolare Zellen gefunden. 
Da das Ganglion in etwa 150 Schnitte zerlegt wurde, so ist die 
Gesamtsumme der multipolaren Zellen auf etwa 12—1400 zu be¬ 
rechnen, eine Zahl, die andererseits zu groß erscheint, um lediglich 
für die fraglichen vasomotorischen Impulse im Nervus meningeus 
posterior in Betracht zu kommen. 

Histologie des Ganglion nodosum. 

Nachdem der Vagus durch das Foramen jugulare aus der 
Schädelhöhle ausgetreten ist, schwillt er unmittelbar unter der 
Basis cranii neuerlich an und bildet das langgezogene Ganglion 
nodosum. Im Gegensatz zum Ganglion jugulare, welches eine kurze 
knopfartige Anschwellung darstellt, ist die Form des Ganglion 
nodosum ausgesprochen spindlig. Seine Länge kann bis zu 2, ja 
2,5 cm betragen. Aus dem Verlaufe des Ganglions entspringen 
3 Nerven: der Bamus auricularis vagi, der Bamus pharyngeus und 
zwar meist in mehreren Ästen, und der Nervus laryngeus superior 
(ygl. Abbild. 1 im Text) 

Die Anordnung der Ganglienzellen im Ganglion nodosum ist 
eine ganz andere als die im Ganglion jugulare. Waren sie hier 
in kleinen rundlichen Gruppen vereinigt, so bilden die Zellen im 
Ganglion nodosum zeilenartige Beihen zwischen den parallelen 
Nervenfaserbündeln. Das Bild, das so entsteht, ist ein ähnliches, wie 
wir es auf Längsschnitten durch die Spinalganglien sehen. Mustert 
man nun Präparate, die nach der Methode von Cajal oder von 
Bielschowsky tingiert worden sind, mit stärkeren Vergröße¬ 
rungen durch, so kann man feststellen, daß die Zellen sämtlich 
gleichmäßig intensiv gefärbt und scharf begrenzt sind. Sie sind 
ausnahmslos unipolar. Der Fortsatz ist meist nur auf eine kurze 
Strecke zu sehen; die häufig ei- oder tropfenförmige Zelle bietet 
dann, wenn der Achsenzylinder an dem schmalen Pole entspringt, 
ein ähnliches Bild wie eine Birne mit ihrem Stiel. Nicht selten ist 
aber der breite Achsenzylinder in seinen Windungen um die Zelle 
oder in seinen korkzieherartigen Schleifen weiterhin zu verfolgen. 


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450 


L. R. Müller 


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Multipolare Ganglienzellen konnten nun im Ganglion 
nodosum nicht gefunden werden, obgleich sehr zahlreichr 
wohlgelungene Präparate von 8 verschiedenen Fällen genau durcL- 
gemustert wurden. 1 ) Ganz vereinzelt waren einige helle, blasige 
Zellen mit fadenförmigen henkelartigen Fortsätzen nachzuweisen. 

Die beiden nahe beisammen gelegenen Ganglien des Xervn> 
vagus unterscheiden sich also nicht nur in der äußeren Form und 
in der Art der Gruppierung der Ganglienzellen, sondern auch it 
der Zusammensetzung. Der Umstand, daß multipolare Ganglien¬ 
zellen regelmäßig im Jugularknoten, niemals aber im Ganglion 
nodosum festzustellen waren, scheint mir, nachdem die Unter¬ 
suchung stets an den zusammengehörigen Nervenknoten eines nnd 
desselben Individuums vorgenommen wurde, ein weiterer Beweis 
dafür, daß es sich bei den multipolaren Ganglienzellen des Gan¬ 
glion jugulare nicht um Degenerationsprodukte handeln kann. 

Histologie des Nervus vagus. 

Von den Wurzelfäserchen, welche aus der Medullaoblon- 
gata entspringen, um dann zum Nervus vagus zusammenzutreter. 
wurden Längs- und Querschnitte angefertigt und nach der Weigert- 
sclien Methode gefärbt. Da zeigte sich nun, daß die überwiegende 
Mehrzahl dieser Wurzelbündel sich hauptsächlich aus ganz 
dünnen Markscheiden zusammensetzt, zwischen denen große, 
dicke, segmentierte Markscheiden eingelagert sind. Der Quer¬ 
schnitt der zarten, schmalen Nervenfasern erreicht den Umfan: 
eines roten Blutkörperchens bei weitem nicht. Der Querschnitt de: 
dicken Markscheiden erscheint 8—10mal so groß als der der zarten 
Hin und wieder findet sich in den Wurzelbündeln eine Ganglien¬ 
zelle eingelagert, die nach der regelmäßig entwickelten, kräftigen 
pericellulären Kapsel zu schließen, dem Spinalganglienzellentyi'Q? 
angehört. Marklose, nackte Achsenzylinder konnte ich in den 
Wurzelfäden nicht vorfinden. Dagegen war jedesmal festzustellen. 
daß von den 10—12 Wurzelfäserchen 1— 2 —3 Bündel ausschließlich 
oder hauptsächlich dicke, breite Markscheiden enthalten. 

Beim Zusammentritt zum Ganglion jugulare bleiben die 


1) Welche Unklarheit bisher über die Natur des Ganglion nodosum 
bestand, ist daraus zu entnehmen, daß z. B. in der eben erst heransgekommeEea 
Diagnostik der Nervenkrankheiten von L. E. Bregmann (S. Karger, Berlin 1911 
der Plexus nodosus vagi als den sympathischen Ganglien entsprechend beschrieb 
wird. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 451 


Bündel, welche nur dicke Nervenfasern beherbergen, abseits und 
verlaufen in dem periganglionören Bindegewebe. Die übrigen 
Wurzelfasern treten alle in das Ganglion ein und zwischen den 
Ganglienzellen lassen sich sehr dünne Nervenfasern von ganz dicken 
wohl unterscheiden; an Zahl überwiegen freilich auch hier die 
ersteren ganz wesentlich. 

In dem kurzen Abschnitt zwischen dem Ganglion 
jugulare und dem Ganglion nodosum liegen die Verhält¬ 
nisse ganz ähnlich: Die überwiegende Mehrzahl der Fasern besteht 
aus ganz dünnen markhaltigen Böhren, dazwischen sind zahlreiche 
dicke plumpe Markscheiden eingelagert und abseits liegen einige 
Bündel, die ausschließlich breite Markscheiden beherbergen. Diese 
Faserbündel treten auch nicht in das Ganglion nodosum ein, 
sie sind mit diesem höchstens durch lockere Bindegewebsbündel 
verbunden. Da die Bündel dicker Markscheiden zweifellos den 
Bahnen des motorischen Nervus laryngeus inferior entsprechen, so 
kann ihr Verlauf sehr wohl mit einer motorischen Wurzel, 
die an dem Spinalganglion des betrelfenden Segmentes vorbeizieht, 
verglichen werden (siehe die schematische Darstellung der Nerven¬ 
fasern des Vagus auf Fig. 9 des Textes). Die übrigen Nerven¬ 
stränge scheinen aber alle das Ganglion nodosum zu durchsetzen. 
Wie weit sie freilich mit den Ganglienzellen in Beziehung treten, 
entzieht sich der Beurteilung. Jedenfalls sind in dem Ganglion 
nodosum dünne und dicke Markscheiden festzustellen, die ersteren 
überwiegen an Zahl bei weitem, ihre Markhülle ist so dünn, daß 
sie eben an der Grenze der Sichtbarkeit steht, es handelt sich um 
feinste Böhrchen, die hin und wieder Auftreibungen, niemals aber 
Segmentierung aufweisen. Die dicken Markscheiden des Ganglions 
sind plumpe Gebilde, die auf Längsschnitten jedesmal Lanter¬ 
mann’sehe Segmente zeigen oder feinlöcherige, wabenähnliche 
Struktur bieten. Abseits des Ganglion nodosum konnten ebenso¬ 
wenig wie außerhalb des Ganglion jugulare Bündel von dünnen 
Markfasern nachgewiesen werden. Die visceralen Fasern 
des Vagus — und als solche dürfen wir wohl die zarten Mark¬ 
scheiden ansprechen — scheinen demnach die beiden 
Ganglien zu durchsetzen. 

Ein feines Nervenbündel, welches aus dem Ganglion nodosum 
entsprang, enthielt lauter gleichmäßig dicke Markscheiden mittleren 
Kalibers. Da diese Fasern sich im Ganglion um Ganglienzellen¬ 
gruppen aufsplitterten, so vermute ich, daß es sich um einen sen¬ 
siblen Gaumennerven handelte. 


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Auf Querschnitten durch den Halsvagus lassen sich auch 
stets verschiedene Arten von Nervenfasern feststellen, solche, die 
von einem großen, breiten Markmantel umhüllt sind und schmal* 
Fasern mit ganz zarter, dünner Markscheide. Auf Abbild. 5 de? 
Textes ist zu sehen, daß diese beiden Arten von Nerven¬ 
fasern regellos durcheinander gemischt sind. In* 
zarten Nerven überwiegen auch hier an Zahl ganz wesentlich. 
Daneben finden sich hier schon vereinzelte marklose, also nacktr 
Achsenzylinder. Der Vagus stellt sich niemals als ein kompakter 

Nervenstrangdar. son¬ 
dern setzt sich stet> 
aus zahlreichen Bün¬ 
deln, die nur durch 
lockeres Bindegewebe 
verbunden sind, zu¬ 
sammen. Wakelin 
B a r r a t*) studierte 
auf Querschnitten an> 
verschiedenen Höhen 
das Verhalten dieser 
Bündel zueinander und 
konnte dartun. daß da¬ 
bei nicht nur groß* 
individuelle Verschie¬ 
denheiten bestehen, 
sondern daß auch bei 
einem und demselben 
Individuum die Lage 
der Nervenbündel zu¬ 
einander wechselt: 


Abbild. 5.! 
Querschnitt 
durch den 
Halsvagns. 


1) On the anatomical structure of the Vagus Nerve. Journal of Anatom? 
aud Physiology Vol. XXXII London Charles Griffin 1898. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 458 


laryngei abzweigen. Besonders der Nervus laryngeus inferior, der 
Recurrens setzt sich, nachdem er den Ramus cardiacus abgegeben 
hat, fast ausschließlich aus breiten Markscheiden zusammen. Auf 
Abbild. 6 des Textes ist ein Teil des Querschnittes des Recurrens 
wiedergegeben. Hier sind nur große, plumpe, vielfach unregelmäßig 
gebildete Markscheidenringe zu sehen, an anderen Stellen des 
Querschnittes sind auch im Recurrens daneben noch zarte Nerven¬ 
fasern eingelagert und diese sind es wohl, welche die Gefäße des 
Kehlkopfes und namentlich 
der Thyreoidea versorgen. Daß 
im Recurrens auch viscerale 
Fasern verlaufen, kann ich mit 
Bestimmtheit daraus entneh¬ 
men, daß ich bei der makro¬ 
skopischen Präparation des 
Nervus recurrens einmal ein 
feines Ästchen zum Isthmus 
der Schilddrüse hin verfolgen 
konnte, das in einem kaum 
stecknadelkopfgroßen Knöt¬ 
chen endigte. Schnitte durch 
dieses kleine Gebilde wiesen 
nun multipolare Ganglienzellen 
mit breiten, sich weithin er¬ 
streckenden und verzweigen¬ 
den Fortsätzen auf, wie ich 
sie so schön kaum jemals in den Ganglien des Grenzstranges 
oder im Ganglion Wrisbergii gesehen habe. 1 ) 

Der Halsvagus enthält auch unterhalb des Ganglion nodosum 
noch Ganglienzellen, und zwar handelt es sich ausschließlich 
um unipolare Zellen, um dieselbe Art, wre sie sich in den Spinal¬ 
ganglien vorfindet. Solche Zellen reichen jedesmal 1—1’/ 2 , ja 2 cm 
kaudalwärts vom unteren Pol des spindligen Ganglion nodosum. 
Ja es ist beschrieben worden, daß der Vagus in seinem ganzen 


1) Paul Schultz (Die Beteiligung <les Sympathicus au (1er Kehlkopf¬ 
innervation, Archiv f. Laryugologie u. Rhinologie Bd. 16) wies nach, daß der 
Halssympathicus keine motorischen Fasern für den Kehlkopf führe. Durch den 
oben geschilderten Befund ist dagegen der Beweis geliefert, daß der Vagus 
bzw. der Recurrens vegetative Fasern, die in der Kehlkopfgegend endigen, 
beherbergt. 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. dU 



Abbild. 7. Querschnitt durch den Vagus 
oberhalb der Cardia. 


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L. R. Müller 




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Verlaufe am Halse Ganglienzellen beherberge. 1 ) Dreimal habe ich 
den Vagus in einzelnen Längsstückchen bis herunter zur Cardia 
geschnitten, ich konnte aber, abgesehen von den nach unten ver¬ 
sprengten Zellen des Ganglion nodosum, keine weiteren Ganglien¬ 
zellen im Vagusstamm linden. Nur an der Einmündungsstelle des 
Pulmonalplexus waren einmal einige unipolare Ganglienzellen nacli- 
zuweisen. 

Verfolgt man den Vagus vom Ganglion nodosum ab weiter 
nach abwärts, so kann man sehen, wie sich die dicken Markfasern 
zum größeren Teil nach der Peripherie wenden, um mit den Ästen 
am Halse abzuzweigen. 2 ) Die Fasern, welche zum Herzen ziehen, 
beherbergen neben vereinzelten dicken zahlreiche zarte Mark¬ 
scheiden und schon sehr viele nackte Achsenzylinder. 

Unterhalb des Abganges vom Plexus pulmonalis 
bietet der Vagus ein ganz anderes Bild (vgl. Abbild. 7). Hier sind 
die marklosen Fasern in der Mehrzahl. In den einzelnen Feldern 
sind die nackten Achsenzylinder bei der Weigert’scheu Mark¬ 
scheidenfärbung und Nachfärbung mit Alaunkarmin daran zu er¬ 
kennen, daß sie keinen Farbstoff aufgenommen haben und deshalb 
hell und glasig erscheinen. Außerdem beherbergt der Vagus in 
seinem unteren Drittel aber noch reichlich feine, markumhüllte 
Fasern und ganz vereinzelte grobe dicke Markscheiden (siehe 
Abbild. 7j. Auf Längsschnitten stellen die dünnen Markscheiden- 


1) Vgl. L. A schuf f u. Gortlon Goodliart, Vorkommen von Paraganfflien- 
im peripherischen Stamm des N. vagus. Deutsehe med. Wochenscbr. Kr. 38, UW. 
Sitzungsbericht d. natnrforsch. Gesellseh. in Freibnrg i. Br. „Unter 80 unter* 
suchten Vagi fand Herr Goodliart in etwa der Hälfte aller Fälle (janglien¬ 
zellen oder größere Ganglienzellengruppen im Halsteil. In 3 Fällen fanden sich 
auch kleinere oder größere z. T. recht stattliche Zellhaufen, welche ihrer bio¬ 
logischen Struktur nach als Paraganglien angesprochen werden mußten, wenn 
auch die Chromreaktion nicht mehr gelang.“ Darüber ob es sich um unipolare 
oder rnultipolare Zellen handelt wird kein Aufschluß gegeben. 

2 ) Dies wurde schon im Jahre 1886 v. \V. H. Gaskell in der klassischen 
Abhandlung (Jonrn. of Physiol. Vol. III, 1 HS(>): „On the st.rncture, distribution 
and function of the nerve* wliich irmervate the visceral and vascnlar System“ 
festgcstellt: „Tracing thcse fibres of the Vagus downwards it is instractive tosee 
how the mcdullatcd fibres btdonging tu euch brauch group themselves together 
at tlie peripbery of the main st cm before Hiev pass away as a separate branch 
In this way groups of med ul lat ed fibres pass away in the laryngeal nerves; each 
successive rteparture leaviug the core ot‘ non medullated nerves inore and more 
fr^e from admixt-ure with mcdullatcd, mitil at last when the pulmonary nerves 
have gone, the intestinal nerves are left as a muss of non medullated fibres 
with a few medullated scattered aniong them. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 455 


fasern zarte Röhrchen dar, welche hin und wieder Auftreibungen 
zeigen. Die breiten Markscheiden sind auf Längsschnitten meist 
klumpig zerfallen oder nach der von Lantermann beschriebenen 
Art segmentiert. Die Struktur des Vagus kurz vor seinem Ein¬ 
tritt in den Magen hat viele Ähnlichkeit mit den Nerven des sym¬ 
pathischen Systems. 

Lungenvagns. 

Über die Fasern des Vagus, welche zur Lunge ziehen, und 
über die Ganglienzellen der Bronchien sind meines Wissens ge¬ 
nauere Untersuchungen noch nicht vorgenommen worden. Bei der 
makroskopischen Präparation ist man erstaunt, welch reiches Ge¬ 
flecht von Nervenfasern sich aus dem Vagus nach der Rückseite 
der Bronchien zu wendet. Dort wo der Plexus bronchialis aus 
dem Vagus entspringt, fand ich, wie oben schon berichtet, Gan¬ 
glienzellen, die in einer wohlgebildeten Kapsel eingeschlossen 
waren und auf dem Schnitt keinen oder nur einen breiten und 
gewundenen, langen Fortsatz aufwiesen. Diese sind zweifellos dem 
Spinalganglientypus zuzurechnen. Sie gehören den sensiblen 
Bahnen an, welche die Empfindung von den großen Bronchien 
vermitteln und den zentripetalen Schenkel des Reflexbogens, der 
zum Husten führt, bilden. 

Die feinen Fädchen, die in die Bronchien ziehen, erwiesen sich 
bei Untersuchungen an zwei verschiedenen Individuen als aus 
dünnen, ausschließlich markhaltigen Nerven bestehend. 
Zwischen den sehr schmalen, nicht segmentierten Markröhrchen 
fanden sich nur ganz vereinzelt dicke Markscheiden, welche dann 
starke Segmentierung aufwiesen. Marklose Nervenfasern 
konnte ich in den Nervi bronchiales nicht feststellen. 

Präpariert man die Bronchialäste bis an die Grenze der Sicht¬ 
barkeit, also etwa 4-6 cm in die Lungen hinein, so findet man 
bisweilen an ihnen ein kleinstes Knötchen in der Bronchialwand 
eingelagert, das besser noch zwischen den Fingerbeeren gefühlt 
als gesehen werden kann. Diese Knötchen bestehen aus Gruppen 
von Ganglienzellen. Färbt man solche Gruppen, die 4—6, aber 
auch 8—10 Ganglienzellen enthalten, nach der Biel sch o wsky- 
schen Methode, so zeigt sich, daß man multipolare Ganglien¬ 
zellen vor sich hat. Auf Abbild. 8 der Tafel VIII habe ich solche- 
Zellen, genau nach den Präparaten gezeichnet, wiedergegeben. Die 
Fortsätze der Zellen sind ziemlich dick und verästeln sich knorrig 
(vgl. die Ganglienzelle links oben). Sie entspringen oft recht massig 

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L. R. Müller 


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am Zellkörper, um sich dann in eine dünne Nervenfaser auszuziehen 
(siehe die Zelle rechts oben). Nicht selten verzweigen sich die Den¬ 
driten hirschgeweihähnlich. Im Gegensätze zu den zahlreichen 
Fortsätzen der Ganglienzellen in den Magen wänden (vgl. Abbild. 18 
und 19 auf Tafel XIII nnd XIV) scheinen die Dendriten der Ganglien¬ 
zellen in der Bronchialschleimhaut viel spärlicher zu sein. Wieder¬ 
holt konnte ich nur 2 Dendriten feststellen. Pericelluläre Kapseln 
sind bei den multipolaren Ganglienzellen der Bronchien kaum aus¬ 
gebildet. Auch die Zellkerne in der Umgebung der Ganglienzellen 
haben sich nicht deutlich darstellen lassen. Wohl aber findet sich um die 
Ganglienzellen ein nestartig angeordnetes Gewirr von Nervenfasern 
(siehe Zelle rechts oben) nnd die langen Dendriten bilden untereinander 
ein Geflecht. Nach alldem ist nicht daran zu zweifeln, daß die Gan¬ 
glienzellen der Bronchien demjenigen Typus von Zellen entsprechen, 
welcher in den Ganglien des Grenzstranges und in dem Ganglion 
Wrisbergii vertreten ist. Der Mangel an einer kräftigen peri- 
cellulären Kapsel mit ihren Kernen, der Umstand, daß die Den¬ 
driten breit entspringen, sich gabeln und weithin zu verfolgen sind, 
läßt die Ganglienzellen der Bronchien von dem Kronenzellentypus, 
wie er in den Kopfganglien vertreten ist und sich auch im Gan¬ 
glion jugulare findet (vgl. Abbild. 4, 6 und 7 der Tafeln VI, VII 
und VIII), wohl unterscheiden. 

Da die hier geschilderten Ganglienzellen zweifellos sym¬ 
pathischer Natur sind, so ist damit auch ein Hinweis auf ihre 
Funktion gegeben. Vasomotorische Innervationen kommen in den 
Bronchien wohl nicht so sehr in Betracht. Dagegen ist durch 
Volkmann, 8chiff, Leo Ger 1 ach M und andere nachgewiesen, 
daß Reizung des Vagus Kontraktion der Bronchiolen verursacht. 
Zwischen dem Lungenvagus und der Bronchialmuskulatur sind aber 
Ganglienzellen eingeschaltet, und diese sind es, über welche beim 
Asthma bronchiale und beim Asthma nervosum und bei den seeli¬ 
schen Erregungen („er ringt nach Atem“) die bronchokonstrik- 
torischen Erregungen geleitet werden. Nach Roy und Brown 3 ' 
sollen die Vagi „auch lungenerweiternde, d. h. die Bronchial¬ 
muskeln erschlaffende Fasern führen“. Doch werden von anderen 
diese Funktionen den Fasern, welche aus dem Grenzstrang des 
SympHtliieus zu den Bronchien ziehen, /.»geschrieben. 


1) CititTt luirU II. Borutt.au, Die Atembewegung uud ihre Innervation. 
Handbuch d. Physicd. von Naurtd 1. Bd. 1. Halite. 

2i Journ. of Physiolog. f>, 4, citiert nach Boruttan. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 457 


Herzvagus. 

Zum Herzen ziehen aus dem Stamm des Vagus meist drei 
verschiedene Bündel. Das eine von ihnen entspringt hoch oben, 
gleich unterhalb des Laryngeus superior und geht Verbindungen 
mit Fasern vom Halssympathikus ein, die auch zum Herzen ge¬ 
langen. Der bedeutendste Herzast zweigt gewöhnlich vom Nervus 
recurrens ab und schließlich gelangt auch vom Brustteile des 
Vagus noch ein Ast zum Herzen. Ebenso wie der Ursprung, so ist 
auch der Verlauf der Herzäste des Vagus ein recht wechselnder. 
Die Äste, die sie an den Aortenbogen abgeben, dürfen wohl als 
Depressorfasern angesprochen werden. Je näher die Vagusäste dem 
Herzen kommen, desto mehr verzweigen sie sich. Inwieweit die 
Fasern des Plexus cardiacus dem Vagus zugehören und inwieweit 
sie von den sympathischen Nerven gebildet werden, läßt sich dann 
nicht mehr unterscheiden. In den Lehrbüchern wird das Herzge¬ 
flecht in einen oberflächlichen und einen tiefer gelegenen .Teil 
unterschieden. Zu dem Plexus cardiacus superficialis zieht vorzüg¬ 
lich der linke Herzvagus. Seine Verästelungen sind zwischen dem 
Aortenbogen und der Arteria pulmonalis gelegen. Hier findet sich 
auch manchmal ein kleiner, kaum linsengroßer Nervenknoten, das 
Ganglion Wrisbergii, zu dem die Fasern des Vagus und 
Sympathicus zusammenstrahlen (vgl. Fig. 1 im Text) und aus dem 
dann feine Fädchen zur Wurzel des Herzens ziehen, um in dieses 
sich einzusenken oder mit der Arteria coronaria sinistra im Sulcus 
longitudinalis zu verlaufen. 

Der rechte Herzvagus gibt zwar auch einige Zweigehen zum 
Plexus superficialis ab, sein Hauptstamm bleibt aber in der Tiefe, 
um sich zwischen der Hinterfläche der Aorta und den, in den linken 
Vorhof ziehenden Pulmonalvenen zum Plexus cardiacus profundus zu 
verästeln. Präpariert man die feinen Endverzweigungen des rechten 
Herzvagus vorsichtig, wie dies Herr cand. med. Berberich im 
Laboratorium des hiesigen Krankenhauses an mehreren Herzen mit 
großer Gewissenhaftigkeit getan hat, so kann man nachweisen, daß 
*ich Fädchen zum Teil in das Septum atriorum einsenken und 
daß solche zur Einmündungsstelle der oberen Hohlvene in den 
rechten Vorhof ziehen. Es gelang uns, auf Schnitten nach¬ 
zuweisen, daß gerade dort, wo die Vagusästchen von 
hinten an den Trichter der Vena cava herantreten, 
sich mehrere Gruppen von Ganglienzellen vorfanden. 

Das histologische Bild der Vagusfasern, die zum Herzen 


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L. R. Mülleb 


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ziehen, ist ganz ähnlich dem Bilde, welches die mikroskopische 
Untersuchung des Vagusstammes in der unteren Brusthöhle bietei 
vgl. Abbild. 7 im Text. Auf dem Querschnitt von Präparaten, welche 
nach der Weigert’schen Methode gefärbt werden, finden sich ir 
der überwiegenden Mehrzahl marklose Nervenfasern (schätzungs¬ 
weise 70—80%); etwa 20% der Fasern weisen sehr dünne, aber 
intensiv gefärbte Markscheiden auf, nur ganz vereinzelt trifft man 
große, breite Ringchen, wie sie den Markscheiden in den peri¬ 
pherischen Nerven entsprechen. Auf Längsschnitten durch die 
Vagusfasern, die zum Herzen ziehen, treten die spindligen Kernt 
der marklosen Fasern besser hervor, bei starkem Abblenden lassen 
sich an den mit Alaunkarmin nachgefärbten Präparaten die mark¬ 
losen Fasern deutlich als ganz dünne, wasserhelle Streifen erkennen. 
Die schmalen markhaltigen Nervenfasern stellen sich als gleich¬ 
mäßig geformte feine Röhrchen dar, während die Markscheiden 
der vereinzelten dicken Nervenfasern auf Längsschnitten stet«; in 
Schollen oder in Segmente zerfallen sind. 

Histologie des Ganglion Wrisbergii. 1 ) 

Das zwischen dem Aortenbogen und der Pulmonalis gelegene 
Ganglion Wrisbergii war, obgleich ich 15 Präparate genan 
darauf untersuchte, 2 ) nur zweimal nachzuweisen. Es hatte da? 
Knötchen dann die Größe eines kleinen Stecknadelkopfes. Mehr¬ 
mals schnitt ich auf gut Glück die Verzweigungsstellen der Vagns- 
fasern im Plexus cardiacus superficialis und tatsächlich fand ich 
einmal in den Nervenästchen Ganglienzellen eingelagert. Die 
extracardialen Ganglienzellen sind ebennicht immer 
zu einem umschriebenen Knötchen zusammengefaßt, 
sie scheinen vielmehr recht häufig in den Ästchen 
des Herzgeflechtes zerstreut zu sein, ohne in diesen 
zu Anschwellungen zu führen, die mit bloßem Äugt 
erkannt werden könnten, ein Verhalten, das völlig mit den 


1) In der Literatur konnte ich eine Schilderang der Ganglienzellen de? 
Ganglion Wrisbergii nirgends finden. 

2) Da das Präparieren an der frischen Leiche mich nicht zum Ziele brachte, 
wurde das Herz mit den großen Gefäßen herausgenotnmen und in Formol ge¬ 
bracht; nach einigen Tagen verfolgte ich dann an dem gehärteten Präparat vom 
Halsteil des Vagus aus dessen weiteren Verlauf und da ließ sich zweimal eii 
Ast verfolgen, der in das Ganglion Wrisbergii einstrahlte. Wiederholt glaubt'' 
ich das Ganglion vor mir zu haben, bei der mikroskopischen Untersuchung er¬ 
wies sich das Knötchen aber als eine kleine Lymphdrilse. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 450 


Verhältnissen des Ganglion ciliare, des Ganglion sphenopalatinum 
und des Ganglion submaxillare übereinstimmt. Auch die Ganglien¬ 
zellen dieser Nervenzentren sind oft in den sich verteilenden 
Nervenzweigchen eingelagert. 

Hat man das Ganglion Wrisbergii nur einmal erst wirklich 
gefunden, so macht die mikroskopische Darstellung der Ganglien 
zellen und ihrer Fortsätze keine Schwierigkeiten, vorausgesetzt. 
<laß man mit den Silbertinktionsmethoden vertraut ist. Die Prä¬ 
parate gelingen ausnahmslos, die Ganglienzellen und ihre Fortsätze 
iärben sich, wie aus den Mikrophotogrammen 10 und 11 zu ent¬ 
nehmen ist, gut. Degenerierte Zellen mit unscharfen Konturen und 
hellem, wabigen Leib sind nicht oder nur ganz vereinzelt einge¬ 
lagert. 

Das histologische Bild des Ganglion Wrisbergii ist ganz 
•das eines Vertebralganglions des Grenzstranges. 1 ) Die Ganglien¬ 
zellen sind groß, ihr Körper ist rundlich oder oval und von ihm 
ziehen nach allen Seiten breite, knorrige, sich bald verästelnde 
Fortsätze. Auf der Abbild. 9 der Tafel IX sind 6 Zellen aus ver¬ 
schiedenen Schnitten gezeichnet. Dort und auf den Mikrophoto¬ 
grammen 10 und 11 ist zu sehen, daß die Fortsätze sich weithin er¬ 
strecken und daß sie nicht den kurzen, intrakapsulären Dendriten 
entsprechen, wie sie den Zellen der sympathischen Kopfganglien 
und den multipolaren Zellen des Ganglion jugulare zu eigen sind. 
An dem Zellkörper setzen die Fortsätze breit an und verzweigen 
sich oft unmittelbar nach ihrem Ursprung (s. Abbild. 9), indem sie 
nicht selten hirschgeweihähnliche Figuren bilden. Häufig trifft man 
Zellen, deren Dendriten sternartig nach allen Richtungen sich erstrecken 
(vgl. Abbild. 11 der Tafel X, dieses Photogramm entspricht der 
mittleren Zelle der oberen Reihe auf Fig. 9), man ist also zur Ver¬ 
mutung wohl berechtigt, daß die Zellen von annähernd kugliger 
Form sind und ähnlich wie ein Stechapfel nach allen Seiten hin 
Fortsätze abgeben. Diese bilden mit den Dendriten benachbarter 
Zellen ein lockeres Geflecht (s. Abbild. 10 der Tafel IX). Da die 
Fortsätze sich so weit hin erstrecken, so ist es wirklich nicht zu 
■entscheiden, welche als Dendriten zu bezeichnen sind und welcher 
als Achsenzylinder angesprochen werden muß. Um den Zellkörper 
herum findet sich fast stets ein schmaler Saum freien Raumes 
(Lymphraum). 

1) Vgl. Tafel XXVIII und Tafel XXIX in L. K. Mülle r, Studien über die 
Auat. u. Histol. d. sympath. Grenzstrauges, insbesondere Uber seine Beziehungen 
xu dem spinal. Nervensyst. Verhandl. des Kongr. f. inn. Med. Wiesbaden 1909. 


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L. R. Müller 


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Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Kronenzellentypas. 
wie er unter A, B, F, G, H und L der Abbild. 4 und auf de» 
Mikrophotogramm der Abbild. 7 wiedergegeben ist, und zwischen 
den Zellen des Ganglion Wrisbergii besteht ferner darin, daß 
bei den letzteren eine Kapsel um die Zelle entweder nicht oder 
nur andeutungsweise zur Darstellung gekommen ist. Auch die Zell¬ 
kerne der Kapsel sind bei der Silberfärbung nur ganz spärlich und 
schlecht zu sehen. Wenn auch in den meisten Präparaten aus dem 
Ganglion Wrisbergii, ebenso wie auf dem Mikrophotogramm 10 
und 11 von Zellkapseln nichts zu sehen ist, so zweifle ich doch 
nicht an dem Vorhandensein einer solchen, doch ist diese sicher 
viel weniger ausgebildet als bei den Spinalganglienzellen oder bei 
dem Kronenzellentypus der Kopfganglien. Die mangelhafte Ent¬ 
wicklung der Kapsel und ihrer Zellkerne haben die Zellen des Gan¬ 
glion Wrisbergii auch mit denen der Ganglien des Grenzstranges 
gemeinsam. 

Um die rudimentäre Kapsel schlingt sich ein feines Netz von 
zarten, meist kurz getroffenen Fasern, Nervenästchen. die wesent¬ 
lich dünner sind als die breiten, knorrigen Fortsätze der Zelle 
( vgl. Abbild. 9, Zelle rechts oben, hier haben sich auch die Zell¬ 
kerne der Kapsel verhältnismäßig gut gefärbt). Manchmal ist die 
Ganglienzelle mit zarten Pünktchen umgeben, die wohl den quer¬ 
getroffenen Fäserchen des pericellulären Korbes entsprechen vgl. 
die mittlere Zelle der unteren Reihe auf Abbild. 9). 

Die Ganglienzellen sind, wie auf dem Mikrophotogramm 10 zu 
sehen ist, in Gruppen von 50—80 Stück zwischen dickeren Nerven¬ 
faserbündeln eingeschlossen; in allen Präparaten von drei ver¬ 
schiedenen Individuen konnte an den extrakardialen Zellen immer 
und ausschließlich derselbe Typus mit großen, breiten, 
nach allen Seiten sich erstreckenden Fortsätzen festgestellt werden. 

Histologie der intrakardialen Ganglienzellen. 

Der Vagus gibt durch den oberflächlichen, namentlich aber 
durch den tiefen Plexus cardiacus Äste an die Wurzel des Herzens 
ab, die sich zwischen dem Ursprung der großen Gefäße verlieren 
und in das Septum atriorum einsenken. Jedesmal ist ein Ast zu 
verfolgen, der sich zur Einmündungsstelle der Vena cava descen- 
dens in den rechten Vorhof wendet. Herr cand. med. Berberich. 
der den makroskopischen Verlauf der Herzvagusäste an vielen 
Präparaten studierte, konnte einmal feststellen, daß ein Verhältnis- 


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Beiträge zur Anatomie* Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 461 


mäßig dickeres Fädchen direkt vom Brustvagus zum Cava¬ 
trichter zog. 1 ) 

Seit Remak, Ludwig und Bidder ist es bekannt, daß am 
Übergang der oberen Hohlvene in den rechten Vorhof und daß in 
der Vorhofscheidewand nahe der Atrioventrikulargrenze besonders 
zahlreiche Ganglienzellen zu finden sind. Ihre Gestaltung ist freilich 
mit den üblichen Kernfärbungen und auch mit der N i ß 1 ’sclien 
Methode schlecht zu studieren, da sich eben nur der rundliche 
Zelleib und sein Kernbläschen, nicht aber die Fortsätze der Gan¬ 
glienzellen färben. 2 ) Diese Methoden eignen sich infolgedessen auch 
wenig zum Studium der pathologischen Veränderungen der intra¬ 
kardialen Ganglienzellen und es erscheint wohl verständlich, daß 
die Untersuchungen von Kusnezow, 8 ) Aschoff u. Tawara, 4 ) 
W.Koch, 5 ) Fahr®) und anderen in dieser Hinsicht wenig erfolg¬ 
reich waren. 

Geradeso wie die Zellen der Spinalganglien und wie die des 
sympathischen Nervensystems, so sind auch die Ganglienzellen des 
Herzens nur dann vollständig d. h. mit ihren Fortsätzen zur 
Darstellung zu bringen, wenn man Metallimprägnationsverfahren T ) 
oder die von A. S. Dogiel angegebene Methylenblaufärbung an* 

1} Ähnliche Beobachtungen scheinen auch Krehl und Romberg (Über die 
Bedeut, des Herzmuskels u. <1. Herzganglien f. d. Herztätigkeit. Arch. f. exper. 
Pathol. u. Pharmak. 30. Bd. 1892) gemacht zu haben. Sie schreiben: „Das Vor¬ 
hofgeflecht erhält außerdem einige Nervenfasern unmittelbar aus den Vagi 
resp. den Brouchialästen derselben.“ 

2) VgL L. Ger lach, Über die Nervenendigungen in der Muskulatur des 
Froschherzens. Virchow’s Archiv 1876 und J. Dogiel. Die Ganglienzellen des 
Herzens bei verschiedenen Tieren und bei Menschen. Arch. f. mikrosk. Anat. 
Bd. 14. 1877 (vorzügliche Tafeln!). Wo es sich nur um das Studium der Lagerung 
der Ganglienzellen im Herzen handelt, genügen die einfachen Färbungsmethüden 
völlig, siehe M. Lissauer, Über die Lage der Ganglienzellen des menschl. Herzens. 
Arch. f. mikr. Anat. u. Entwicklungsgeschichte Bd. 74 (dieser Autor bediente sieh 
der Thioninfärbung und der Färbung nach van Gieson) und Fahr (Zur Frage 
der Ganglienzellen im menschl. Herzen. Zenfralbl. f. Herzkrankh. u. d. Erkrank, 
d. Gefäße 1910 Nr.Hu.fi), welcher mir der N iss Eschen Methode färbte. 

3) Über die Veränderungen der Herzganglien bei akuten und subakuten 
Endokardit. Virchow’s Arch. Bd. 132, 1893. 

4) Die heutige Lehre von der patholog.-unatom. Grundlage der Herzschwäche. 
G. Fischer, Jena 1906. 

ö) Zur pathol. Anatomie der Rhythmusstürmigen des Herzens. Berl. klin. 
Wochenschr. 1910 Nr. 24. 

6) 1. c. 

7) F. B. Hoffman u (Das intrakardiale Nervensystem des Frosches. Arch. 
f- Anatomie 1902) bediente sich der Methode von Golgj. 


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L. R. Mülleb 


wendet. 1 2 3 * ) Mit der letzteren Methode will der rassische Forscher 
dreierlei verschiedene Typen von Zellen im Herzen gefunden hab*m 
solche mit kurzen, mit mittleren und mit langen Dendriten. ; 
Sergius Michailow, der sich auch der Methylenblaumethodr 
bediente. 8 ) kann sich der Einteilung von Dogiel nicht anschließec. 
er beschreibt noch mehr verschiedene Arten von Ganglienzellen, 
darunter gefensterte Formen und Zellen, deren Protoplasma 
rosettenförraiges Aussehen bietet. Ich muß gestehen, daß ich mit 
der Methylenblaumethode von Do giel keine brauchbaren Resultatr- 
erhielt. Um so bessere Präparate konnte ich mir verschallen. wenn 
ich die Schnitte nach der von Bielschowsky angegebenen Me¬ 
thode behandelte. 

An der Übergangsstelle der oberen Hohlvene zum rechten 
Vorhof konnten nun jedesmal Ganglienzellen fest?e- 
stellt werden. Besonders groß und reichlich waren die Gan- 
glienzellengruppen dort, wo vom Plexus cardiacus oder direkt vom 
Vagus kommende feine Nerveuäste sich am Cavatrichter anf- 
splitterten. Hier waren dann auch stets sehr zahlreich*- 
kleine Nervenbündelchen nachzuweisen, die sich, wie an: 
Schnitten, die nach der Weigert’schen Methode gefärbt wurden, 
festzustellen war, z. T. aus markhaltigen Fasern zusammensetzten, 
Nervenfasern wie Ganglienzellen waren unmittelbar unterhalb de? 
serösen Überzuges, also unter dem Perikard und seiner Umschlags¬ 
stelle im lockeren Bindegewebe und im Fettgewebe eingelagert. 
Es erwies sich deshalb am zweckmäßigsten, am Cavatrichter von 
außen her Flachschnitte anzufertigen; diese Schnitte wareu für 
das Studium der Ganglienzellen besonders ergiebig. 

In den Nervenbündelchen fanden sich Ganglienzellen nur ver¬ 
einzelt, sie waren meistens zu größeren oder kleineren Gruppen zu- 
sammengefaßt (vgl. Abbild. 12 auf Tafel X und 13 auf Tafel XI. 
Solche Gruppen enthielten 5—8, aber auch 15—20 Ganglienzellen. 
Das Zwischengewebe zwischen den Ganglienzellen erwies sich ais 
ungemein kernreich; ich habe den Eindruck gewonnen, daß die blä?- 
chenartigen Zellkerne demselben Typus entsprechen wie die Kerne 
der die Ganglienzellen umhüllenden Kapseln. Manchmal konnte 

1) Eingehend beschrieben in A. S. Dogiel. Der Bau der SpinalgamrlieiL 
Jena, G. Fischer 1908 p. 15—18. 

2) A. S. Dogiel, Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. 53, 1899. 

3) »Sergius Mich ai low, Zur Frage von der feineren Struktur der periphe¬ 

rischen sympath. Ganglien. Anatom. Anzeiger Bd. 33, 1908 Nr. 6u7. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 463 


man feststellen, daß ein schmales Bündel von Nervenfasern in eine 
solche Gruppe einmündete und dort pinselförmig ausstrahlte, vgl. 
Mikrophotogramm 13, ja einmal war eine Gruppe so getroffen, 
daß an zwei gegenüberliegenden Polen ein Nervenbündel ein- und 
ein anderes austrat. Leider läßt sich an den nach der Biel- 
schowsky’schen Methode gefärbten Präparaten kein sicheres 
Urteil darüber gewinnen, wie weit die Nerven markhaltig sind. 
Ich glaube aber in dem helleren, lockigen Nerven den zuführen¬ 
den, markhaltigen und in dem dichteren, dunkleren den abführen¬ 
den Nerven vermuten zu dürfen. Auch den Nervenast der kleinen, 
durch Figur 13 wiedergegebenen Ganglienzellengruppe möchte ich 
als ein Bündel markloser Nervenfasern ansprechen. 

Von dem umgebenden lockeren, subperikardialen Gewebe sind 
solche Gruppen von Ganglienzellen stets durch eine faserige 
Hülle abgegrenzt. 

Die Ganglienzellen stehen, wie auf Abbild. 12 und 13 
zu sehen ist, ziemlich weit voneinander entfernt, ihre 
Fortsätze erreichen sich also nicht und können deshalb auch nicht, 
wie das im Ganglion Wrisbergii der Fall ist, untereinander ein 
Geflecht bilden. Im weiteren Gegensätze zu den extrakardialen 
Ganglienzellen sind die innerhalb des Herzens gelegenen Ganglien¬ 
zellen von einer kräftigen, faserig-hyalinen Kapsel umgeben, 1 ) 
deren Kerne sich außerordentlich intensiv gefärbt haben (vgl. 
Abbild. 12, 13 und 14). Die Ganglienzellen füllen die Kapsel aber 
nie völlig aus, sondern lassen immer noch einen Raum (Lymph- 
raum) frei. Die Fortsätze der Ganglienzellen bleiben zum 
größten Teil intrakapsulär, zum Teil erstrecken sie sich zwischen 
die Zellkerne der Kapsel oder sie überragen die Kapsel noch um 
ein kleines Stück (cfr. Abbild. 12 und Mikrophotogramm 14 auf 
Tafel XI, dieses letztere Bild entspricht der kleinen Zelle rechts unten 
der bei schwacher Vergrößerung aufgenommenen Figur 13). Die 
Dendriten sind stets zart und dünn, fadenförmig, sie 
verästeln sich nicht. Ein Fortsatz, zu dem sich die Ganglien¬ 
zelle bisweilen bimförmig auszieht (vgl. zwei kleine Zellen auf dem 
Mikrophotogramm 13), ist manchmal auf weitere Strecken hin zu 
verfolgen (Achsenzylinder?), aber auch dieser ist immer dünn und 
zart. Um die fibröse Kapsel herum verästeln sich kranzartig feine 

1) Die von Lenhossek (1. c.) ausgesprochene Vermutung, daß es sich bei 
der pericellulären Kapsel um gliöses Gewebe handle, hat manches für sich, du 
die faserigen Kapseln bei der van G ieson’schen Färbung nicht dieselbe Farben¬ 
reaktion geben wie das Bindegewebe. 


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Nerveufasern, die wohl der Reizüberleitung auf die Ganglienzelk 
dienen. 

Die Darstellung der Ganglienzellen in der Yorhofscheidt- 
wand bot insofern wesentlich größere Schwierigkeiten, weil es nich; 
so leicht gelang, sie zu finden. Viele Stückchen des Septums atrionnr 
wurden geschnitten und erfolglos durchgemustert. Die Präparate, ir¬ 
denen Ganglienzellen enthalten waren, stammen alle aus der Gegend 
der Einmündungsstelle der Vena coronaria; besonders ergiebig war 
die Gegend unterhalb des Coronarvenentrichters, die Stelle <ie> 
Tawara’schen Knotens und des Ursprungs des His'scheu 
Bündels. Die Ganglienzellen lagen auch hier nicht in der Musku¬ 
latur, sondern unmittelbar unter dem Endokard, in lockerem Binde- 
und Fettgewebe eingebettet. Ebenso wie am Cavatrichter. >.* 
standen sie auch hier in Gruppen beisammen, nur selten wäret 
sie vereinzelt zu treffen. 

Die Form und die Gestaltung der Ganglienzellen in der Vor¬ 
hofscheidewand (siehe Abbild. 15 und 16 auf Tafel XII) scheint mir 
durchaus derjenigen der Zellen im Cavatrichter zu entsprechen 
Zarte, kurze Dendriten, die entweder rings von der Peripherie des 
Zellkörpers entspringen oder nach einer Richtung hin reichlicher 
entwickelt sind und ein längerer Fortsatz (Achsenzylinder , de: 
sich einem Nervenbündel anschließt. Auch diese Zellen sind von 
einer fibrös-hyalinen, zellkernreichen Kapsel umgeben und lassen 
zwischen dieser und sich einen Lymphraum frei. Ganz be¬ 
sonders deutlich ist in all den Präparaten aus der 
Vorhofscheidewand ein Netzwerk von feinen Nerven¬ 
fasern entwickelt, das sich um die Zellkapsel herunt- 
schlingt (vgl. die mittlere Zelle der oberen Reihe auf Figur. IV. 
Auf dem Mikrophotogramm einer Ganglienzelle aus der Yorhot- 
scheidewand, Abbild. 16, ist die obere Partie des Faserkorbes sehr 
gut zu sehen. Nach rechts scheint ein Achsenzylinderfortsatz das 
Netz zu durchsetzen. Es ist das dieselbe Zelle, welche in der 
Mitte der unteren Reihe auf Figur 15 allerdings um 80° gedreht 
abgezeichnet wurde. Die zarten, pericellulären Nervenfäsercheo 
verschlingen sich untereinander wie die Zweigehen eines Nestes 
und zwischen sie hinein erstrecken sich die Dendriten der Gan¬ 
glienzellen. Einige Male glaubte ich den Übergang einer Nerven¬ 
faser in solche pericelluläre Körbe verfolgen zu können. 

In der Umgehung der Ganglienzellengruppen waren stets zahl¬ 
reiche Nervenbündel im lockeren subendokardialen Gewebe eilige- 
lagert. Auf Weigert- Präparaten zeigte sich, daß die Nervenfadcbcn 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 465 


auch liier in der Vorhofscheidewand markhaltige Fasern beherbergten; 
etwa ein Viertel oder ein Fünftel der Nervenfasern eines Bündels 
war von dünnen, gleichmäßig röhrenförmigen Markscheiden umhüllt. 

Bekanntlich verlaufen auch an der Außenseite des Herzens 
feine Nervenfasern, sie ziehen in den beiden Längssulcus und im 
Quersulcus parallel mit den entsprechenden Coronargefäßen. Es 
ist beschrieben worden, daß auch in diesen Herznerven Ganglien¬ 
zellen eingelagert sind.*) Mir gelang es bei der Präparation von 
12 Herzen nur zweimal, an den unmittelbar unterhalb des Peri¬ 
kards verlaufenden Fädchen Ganglienzellen zu finden. Auch diese 
Ganglienzellen sind zu kleinen Gruppen vereinigt, sie werden meist 
von einer kräftigen, zellkernhaltigen Kapsel umgeben und senden 
in diese kurze intrakapsuläre Fortsätze (vgl. die Zelle links oben auf 
Abbild. 17 Tafel XIII). Außerdem entspringen aber von diesen Zell¬ 
körpern auch mehrere lange, breite, faserige Dendriten, die sich 
dann bald abbiegen und verwirren (siehe Zelle rechts oben) oder im 
gestreckten Verlauf weithin zu verfolgen sind. Solche Zellen bieten 
dann ein kometenähnliches Aussehen (vgl. die Zelle rechts unten). 
Manchmal sind es auch nur zwei breitere und längere Fortsätze, 
welche die Kapsel durchbrechen, oder ein besonders dicker gabelt 
sich nach längerem Verlauf. Es sind das Zellen, die zweifellos einem 
anderen Typus entsprechen als diejenigen, welche ich im Cava- 
trichter und in der Vorhofscheidewand getroffen habe. Doch muß 
ich darauf hinweisen, daß von A. S. Dogiel (1. c.) drei und von 
Serg. Michailow (1. c.) fünf verschiedene Zelltypen im Herzen 
beschrieben wurden. Wenn die bildlichen Darstellungen dieser 
beiden russischen Forscher nicht mit den von mir gebrachten 
Schilderungen, Zeichnungen und Mikrophotogrammen übereinstimmen, 
so ist dies wohl darauf zurückzuführen, daß eben ganz verschiedene 
Methoden der Färbung in Anwendung gekommen sind. Welcher 
von beiden Tinktionsarten die der Wirklichkeit am nächsten kom¬ 
menden Bilder zukommen, wage ich nicht zu entscheiden. Ich 
kann mich nach den Darstellungen von Michailow des Ein¬ 
druckes nicht erwehren, daß es bei der Methylenblaufärbung zu 

1) „Les troncs nerveux, le long des arteres coronaires forment vera et 
genuina ganglia“, Mollard, Les nerfs du coeur. Paris, Masson et Ci 1908 und 
A. Waledinsky (Einige Ergänzungen zur Frage nach der Gegenwart und der 
Verteilung der Nervenganglien in den Herzkammern einiger Säugetiere und des 
Menschen. Anatomischer Anzeiger Bd. XXXVII Nr. 17/19) stellte hauptsächlich 
die Nervenganglien an der Oberfläche des Herzens dar und beschreibt einen 
«Plexus gangliosus ventrieulorum cordis superficialis’*. 


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Quellungen kommt, 1 ) muß aber andererseits zugeben, daß bei de: 
Formol-Silberbehandlung Schrumpfungen möglich sind, immerfam 
hat die letztere Methode den großen Vorteil, daß mit ihr Daucr- 
präparate zu gewinnen sind und daß man diese auf der phot«*- 
graphischen Platte fixieren kann. Wenn Mikrophotogramme natür¬ 
licherweise auch lange nicht alles das geben, was mit Zeichnung^ 
unter der Benützung der Mikrometerschraube dargestellt werdta 
kann, so glaubte ich doch von der Wiedergabe von Mikrophon» 
grammen reichlich Gebrauch machen zu müssen, da solchen etwa 
die völlige Objektivität zugute kommt. 

Die Frage, ob bei den intrakardialen Ganglienzellen ver¬ 
schiedenartige Formen zu unterscheiden sind, kann ich au« 
deshalb nicht mit Bestimmtheit beantworten, da von mir .nur 
die Übergangsstelle der oberen Hohlvene zum rechten Vorht; 
und die Vorhofscheidewand untersucht wurden. Die dort ge¬ 
fundenen Ganglienzellen schienen mir alle derselben Art zu sein 
Da aber auch in den Herzohren 2 ) und in den Kammerwandungeo. 
ja selbst in der Herzspitze 3 ) Ganglienzellen gefunden wurden, &* 
kann ich die Möglichkeit nicht leugnen, daß auch innerhalb de? 
Herzens verschiedene Typen von Ganglienzellen Vorkommen. 

Auf das eine Moment muß aber als auf eine außerordent¬ 
lich wichtige Tatsache hingewiesen werden, das zwischen 
den extrakardialen Ganglienzellen, wie sie im Ganglion Wris- 
bergii vereinigt sind, und den intrakardialen Ganglienzellen 
des Cavatrichters und der Vorhofscheidewand stets ein wesent¬ 
licher Unterschied festzustellen ist. Die im Plexus cardiacus 
eingelagerten Ganglienzellen sind groß und senden nach allen 
Seiten hin breite, knorrige, sich verästelnde Fortsätze, die unter¬ 
einander ein lockeres Geflecht bilden. Pericelluläre Kapseln sind 
an ihnen nicht oder nur andeutungsweise entwickelt. 

1) Während S. Michailow (Zur Frage über den feineren Ban des intra¬ 
kardialen Nervensystems der Säugetiere. International. Monatsschrift für Ana¬ 
tomie Bd. 25, 1908) anf Grund von Färbungen mit Methylenblau die Ganglien¬ 
zellen mit breiten, verwaschenen Fortsätzen beschreibt und abbildet, bringt er 
in demselben Band derselben Zeitschrift eine Studie über „das intrakardiale 
Nervensystem des Frosches und die Methode von K. y Cajai“, in welcher di- 
Darstcllnugen der Ganglienzellen viel mehr'unseren Bildern entsprechen. 

2) .1. Mollard (1. c.) schreibt, vom Herzohr eines Kindes „les cellale- 
uervouses seit, en groupes. soit isolees, sont tellement nombreuses qu'elles nr 
torment pour ainsi dire qu’un unique ganglion ininterrompu.“ 

3) Bethe, Allgemeine Anatomie u. Physiologie des Nervensystems. G.Thiene. 
Leipzig 1903, eit. nach Fahr, Zur Frage der Ganglienzellen im menschl. Herzet 
Zentral bl. f. Herzkrankheiten Nr. 5 u. 6, 1910. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 467 

Im Gegensatz dazu werden die Ganglienzellen des Cava- 
trichters und der Vorhofscheidewand stets von einer stark ent¬ 
wickelten, zellkernreichen Kapsel umhüllt. Die Dendriten sind 
zart, verzweigen sich nicht, verbleiben zum größten Teil innerhalb 
der faserigen Hülle oder überragen diese nur auf eine kurze Strecke. 
Entsprechen die extrakardialen Zellen denjenigen, 
wie wir sie in den Grenzstrangganglien vorfinden, 
so sind die Zellen innerhalb des Herzens den kapsel¬ 
umhüllten Ganglienzellen des Ciliarknötchens oder 
der übrigen Kopfganglien zu vergleichen. Auch das 
perikapsuläre, korbartige Geflecht feiner Nervenfasern ist bei den 
intrakardialen Ganglienzellen viel deutlicher und reichlicher aus¬ 
gebildet als bei den extrakardialen Nervenzellen. 

Bei dem Studium der Ganglienzellen des Herzens drängt sich 
unwillkürlich die Frage nach der Funktion dieser Gebilde auf. 
Unter dem Einfluß der myogenen Theorie der Herztätigkeit wurde 
diesen Zellen jede Wirkung auf die Bewegung des Herzens ab¬ 
gestritten, ja es wurde die Vermutung ausgesprochen, sie möchten 
lediglich sensiblen Funktionen dienen. 1 ) Nachdem nun aber von 
H i s jun. ein muskulöses Reizleitungssystem zwischen dem Vorhof¬ 
septum und der Ventrikelscheidewand festgestellt wurde und nach¬ 
dem von Aschoff-Tawara an der Ursprungsstelle des His’schen 
Bündels unterhalb des Coronarvenentrichters, an demselben Ort, an 
dem sich besonders viel Ganglienzellen in der Vorhofscheidewand 
finden, ein muskulöser Knoten nachgewiesen wurde, und nachdem 
schließlich in jüngster Zeit durch Aschoff-Engel *) der Über- 

1) Krehl n. Romberg (1. c.) schreiben: „Die Herzganglien können nach 
ihrer Abstammung und nach den negativen Resultaten unserer Versuche hinsicht¬ 
lich ihrer motorischen Natur als seiisible Organe bezeichnet werden.“ 

21 Die Nervengeflechte des Reizleitungssystems des Herzens. Deutsche med. 
Wochenschr. 1910 Nr. 2. Durch die hier luitgeteilten Untersuchungen wird fest¬ 
gestellt, daß im musknlösen Reizleitungssystem zahlreiche Nervenfasern einge¬ 
lagert sind. „Damit ist auch für den Menschen die neuromuskuläre Zusammen¬ 
setzung des Reizleitungssystems erwiesen.“ Iu einer größeren Arbeit (Beiträge zur 
normalen und pathologischen Histologie des Atrioventrikularbündels, Ziegler’s 
Beitr. zur patbol. Anat. u. zur allgem. Pathol. 48. Bd) bringt J. Engel einen 
eingehenden Bericht über ihre Untersuchungen des Atrioventrikularbündels. Es 
ist ihr gelungen, nicht nur Nervenfasern, sondern auch Ganglienzellen in diesem 
Bündel nachzuweisen. Wenn Engel schreibt: „Die Hauptmasse der Ganglien¬ 
zellen scheint unipolar zu sein, doch sieht man häutig auch bi- und multipolare, 
letztere am seltensten,“ so glaube ich, daß diese Annahme auf einer nicht voll¬ 
kommenen Färbetechnik der Ganglienzellen beruht, ich konnte jedenfalls im Herzen 
nur multipolare Ganglienzellen feststellen. 


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L. R. Müller 


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gang von Nervenfasern in diesen Knoten und damit in das Reiz¬ 
leitungssystem konstatiert wurde, liegt es wahrlich nahe, der 
Ganglienzellen einen Einfluß auf die Tätigkeit des Herzens zn- 
zuschreiben. Diese Vermutung wird noch bestärkt durch die Tat¬ 
sache, daß an dem Übergang der oberen Hohlvene in den rechtet; 
Vorhof, also gerade dort, wo schon von Remak Gruppen tot. 
Ganglienzellen beschrieben wurden und wo auch wir sehr vir 
Nervenfasern und sehr zahlreiche Zellen vorfanden, ein weitere: 
Knäuel von embryonal gebliebener Muskulatur, der Sinusknoter 
liegt, der von seinen Entdeckern, K e i t h und F1 a c k . au> L 
als Ursprungsstelle von Herzreizen angesprochen wird. Vor 
diesem Knoten ziehen dann muskulöse Leitungssysteme nad. 
dem Vorhof, 1 ) ja von Thorei 2 ) wird behauptet, daß er eii> 
Verbindung des Sinusknotens mit der Vorhofscheidewand nachge- 
wiesen habe. 

Der Umstand, daß die Ganglienzellen im Herzen am Sinn>- 
knoten und an dem Ta war a’sehen Knoten, also an der Ursprung- 
steile der Reizleitungssysteme besonders gehäuft sind, spricht eben¬ 
so wie physiologische Unterbindungsexperimente (Stannius'sche: 
Versuch) und wie pathologische Erfahrungen (Adam-St okes'seU 
Krankheit) für die motorische Funktion dieser Zellen. 3 ) 

Freilich bleiben auch, wenn diese Annahme sich bestätig: 
sollte, noch viele Fragen zur Beantwortung übrig, so z. B. die¬ 
jenige, ob der Vagus direkt auf die Muskulatur de- 


1) A. Keith u. J. Mackenzie (Recent researches on the anatomy ot rb- 
heart. The Lancet 1910, Jau.) fanden regelmäßig ein schmales Band von Mn*kei: 
und Nerven, welches die Endigung der oberen Hohlvene mit dem rechten Herz 
ohr verbindet, „sino-auricular norte“. 

2) Vorläufige Mitteil, über eine besondere Muskelverbindung zwischen «irr 
€ava sup. u. a. His'sehen Bündel. Münch, med. Wochenschr. 1909 Nr. 42. 

3) Erst in jüngster Zeit wurden von Thor Jäger (Eber die Bedeut*!!!’ 
•des Keith- Fla<*k ’sehen Knotens für den Herzrhythmits. Deutsches Arvh. f. 
klin. Med. 1(K). Bd.) aus der med. Klinik zu Tübingen Versuche veröffentlicht, 
welche die motorische Funktion des Sinusknotens in Frage stellen. Jäger ha: 
diesen Knoten versehorft und darnach keinerlei Rhythmusstörungen beobachte: 
können. Ob sein Schluß: „demnach ist der Knoten für den Herarhythmus i*- 
langlos u auch für die Ganglienzellen zutrifft, möchte ich bezweifeln, da er dura 
die Kauterisation sicher nicht alle Ganglienzellen des Cavatrichters zerstör*! 
konnte. Im Gegensatz zu dieser Beobachtung sah Hering bei Einschnitt i: 
die Gegend des Sinuskuotens Stillstand des Vorhofs. Auch Lan gen dorff n. 
Lehmann konstatierten Vorhofstillstand nach Abtragung des oberen Cav*- 
trichters fit. nach A sc hoff. Med. Klinik 1909 Nr. 8). 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagns etc. 469 

Herzens einwirkt oder ob zwischen diesem Nerven 
und der Muskulatur noch Ganglienzellen einge¬ 
schaltet sind. Krehl und ßomberg (1. c.) sprechen sich 
dahin aus, daß „die Hemmungswirkung des Vagus eine Funktion 
ist, deren Abhängigkeit von den Herzganglien durch sichere Be¬ 
weise nicht gestützt ist, auch anatomisch ist der Zusammen¬ 
hang von Vagusfasern mit Ganglien nach unseren heutigen An¬ 
schauungen nicht erwiesen.“ Im Gegensätze dazu schreiben 
J. Dogiel und K. Archangelsky 1 2 ): „Die hemmende Wirkung 
des Vagus auf das Herz besteht eher in einer Beeinflussung der 
Ganglienzellen durch diesen Nerven als in einer direkten Wirkung 
auf die Herzmuskeln.“ Aus der Beobachtung, daß am überlebenden 
Herzen die Acceleranswirkung die Vaguswirkung lange überdauert, 
schloß H. E. Hering,*) daß zum Unterschied vom Vagus „für 
den Accelerans die intrakardiale nervöse Übertragung nicht durch 
Ganglienzellen vermittelt wird.“ Auch die Tatsache, „daß wir 
unter den vielen bekannten Giften kein einziges kennen, welches 
die Acceleranswirkung in exklusiver Weise aufhebt, während die 
Vagns Wirkung durch viele Gifte paralysiert wird“ (H. E. Hering), 
scheint Für die Zwischenlagerung von Ganglienzellen zwischen dem 
Nervus vagus und der Herzmuskulatnr zu sprechen. 

Unsere anatomischen Untersuchungen deuten auch entschieden 
darauf hin, daß die Vagusfasern im Herzen erst durch die Ver¬ 
mittlung von Ganglienzellen auf die Muskulatur einwirken: Gerade 
dort, wo die zarten Vagusbündelchen von hinten her in die Über¬ 
gangsstelle der oberen Hohlvene zum rechten Vorhof einmünden, 
fand ich besonders viele und besonders große Gruppen von Gan¬ 
glienzellen. Am Sinusknoten und in der Vorhofscheidewand sind 
jedesmal sehr zahlreiche kleine Nervenbündel festzustellen, deren 
Gehalt an Markscheiden ganz dem der Rami cardiaci des Vagus 
entspricht, und schließlich glaubte ich nachweisen zu können, daß 
sich von den feinen Nervenfasern des Cavatrichters und des Septum 
atriorum Bündel abzweigen, welche die zarten Netzwerke um die 

1) Der bewegungshemmende und der motor. Nervenapparat des Herzens. 
Pflügers Archiv für die gesamte Physiol. 113. Bd. 1906. 

2) „Sind zwischen dem extrakardialen Teile der zentrifugalen Herznerven 
und der Herzmuskulatur Ganglienzellen eingeschaltet ? u und „Über die Wirk¬ 
samkeit der Nerven auf das durch Ringer’scbe Lüsung sofort oder mehrere 
»Stunden nach dem Tode wiederbelebte Säuge tierherz“. Pfliiger's Archiv 99. Bd. 
1903. 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 31 


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intrakardialen Ganglienzellen bilden. 1 ) Beim Studium solch um¬ 
sponnener Zellen konnte ich mich des Vergleiches mit der Um¬ 
wicklung eines Magnetes und dessen Beeinflussung durch den 
elektrischen Strom nicht erwehren. Wirkt doch der Vagus auch 
nicht auslösend, sondern nur hemmend auf die Tätigkeit der Gan¬ 
glienzellen ein. 

Die Nerven und die Ganglienzellengruppen, welche im S u 1 c u > 
transversarius und im Sulcus longitudinalis anterior 
und posterior liegen und den Coronargefäßen folgen, dienen 
vermutlich vasomotorischen Funktionen. Die Empfindungen 
des „zusammenschnürenden“ Gefühls am Herzen bei der Angst und 
die Empfindung der Wärme und der Völle bei der Freude (vgl. die Rede¬ 
wendungen „aus warmem Herzen“, „das Herz ist voll“) mögen wohl 
durch Veränderungen der Weite der Coronargefäße bedingt sein 

Welchen Funktionen die Zellen des Ganglion Wrisbergii 
entsprechen, darüber lassen sich z. Z. noch kaum Vermutungen 
aufstellen. Von verschiedenen Seiten, so von Hering (1. c.'. wird 
die Annahme vertreten, daß die sympathischen Bahnen, d. h. dir 
Fasern des Accelerans im Herzen ohne weitere Zwischenlagerung 
von Ganglienzellen direkt in der Muskulatur des Herzens endigen. 

Auch Aschoff*) vermutet, daß die Acceleransfasern nicht 
mit dem Reizleitungssystem im Herzen in Beziehung treten, son¬ 
dern die Kammern direkt beeinflussen. Da die Zellen des Gan¬ 
glion Wrisbergii ganz denjenigen der Grenzstrangganglien ent¬ 
sprechen und da nach Langley nur zwei Neurone, ein prä- und 
ein postganglionäres unterschieden werden können, so ist auch von 
anatomisch-histologischer Seite aus die Möglichkeit zuzugeben, dab 
diese sympathischen Bahnen im Herzen nicht nochmal durch Gan¬ 
glienzellen unterbrochen werden. 

Schließlich wäre noch die Frage zu erörtern, ob die Ganglien¬ 
zellen des Herzens nicht vielleicht sensiblen Funktionen dienen: 
wurden doch, wie oben schon erwähnt, von Krehl und Roinberg 
im Jahre 1892 auf Grund „der negativen Resultate ihrer Versuche 
hinsichtlich der motorischen Natur der Herzganglien“ diese als 

li Ähnliche Beobachtungen scheint S. Michailow (Zur Frage über den 
fein. Bau des intrakardial. Nervensystems der Säugetiere. Int. Monatsschrift fnr 
Anat. Bd. 25. 1908) gemacht zu haben. Er schreibt: „Nachdem die markhaltigen 
Nervenfasern ihre Markscheide verloren haben, schlängeln sie sich um die eine 
oder andere Gauglienzelle, sich auf der Peripherie ihrer Kapsel lagernd ;peri- 
kapsuläres Endnetz). u 

2) l’ber die neueren anatom. Befunde ira Herzen und ihre Beziehungen zur 
Herzpathologie. Med. Klinik 1909 Nr. 8. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 471 


sensible Organe angesprochen. Zweifellos werden vom Herzen 
unter krankhaften Verhältnissen unangenehme Empfindungen aus¬ 
gelöst, ob aber diese Empfindungen durch die Erregung der intra¬ 
oderextrakardial gelegenen Ganglienzellen Zustandekommen,erscheint 
mir doch sehr zweifelhaft, ich möchte mich vielmehr der Anschau¬ 
ung Langley’s anschließen, der in allen sympathischen Ganglien¬ 
zellen nur visceromotorische Elemente sieht. 

Hagenvagus. 

Schon früher wurde dargelegt, daß der Vagus nach dem Ab¬ 
gang des Plexus pulmonalis nur mehr ganz vereinzelte dicke 
Markscheiden enthält; der zum Magen ziehende Strang des Vagus 
setzt sich also aus dünnen Markröhrchen und vorzüglich aus mark¬ 
losen Fasern zusammen (vgl. Abbild. 7 im Texte). Am unteren Teil 
des Ösophagus zerteilt sich der Nerv meist wieder zu einem Geflecht. 
An der Cardia tritt der linke Vagus an die Vorderfläche, der 
rechte an die dorsale Seite des Magens über. Sobald die Vagusäste 
unter die Serosa gelangen, sind sie durch die makroskopische 
Präparation nicht mehr weiter zu verfolgen. Wohl aber trifft man 
auf Flachschnitten durch die Magenwände unterhalb der Cardia 
mikroskopisch noch auf feine Nervenbündelchen. Hier sind auch 
stets Gruppen von Ganglienzellen eingelagert. Auf Abbild. 18 der 
Tafel XIII ist eine solche Gruppe von 10 Ganglienzellen genau nach 
dem mikroskopischen Präparat gezeichnet. Die Zellen liegen un¬ 
mittelbar unter der Serosa in lockerem Bindegewebe. Kapseln um 
die Zellen und ihre Kerne sind kaum ausgebildet. Die Ganglien¬ 
zellen selbst sind auffällig groß und geben nach allen Seiten Den¬ 
driten ab. Diese verlaufen, obgleich sie vielfach sich abbiegen, 
weithin, sie sind alle ziemlich gleich dünn und verästeln sich nicht 
oder nur sehr wenig. An manchen Zellen (siehe Zeichnung rechts 
unten) erscheinen die Dendriten bald abgebrochen. Ni rgends im 
übrigen autonomen Nervensystem konnte ich Zellen 
solcher Art feststellen, wie sie sich jedesmal am 
Magen unterhalb der Cardia vorfinden. Auch von den 
bronchialen und von den extra- und intrakardialen Ganglienzellen 
unterscheiden sich die Zellen des Magens ganz wesentlich. Auf 
dem Mikrophotogramm 19 der Tafel XIV ist die Zelle, welche in 
der Figur 18 links oben wiedergegeben ist, gut getroffen. 16 Den¬ 
driten gehen allein in dieser Ebene von dem Protoplasmakörper 
ab! Ihr Verlauf ist vielfach bogenförmig. Von einer umgebenden 
Zellkapsel ist nichts zu sehen. Wohl aber liegt die Zelle in einem 

31 * 


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freien Lymphraum. Auf anderen Präparaten aus der Cardiagegeti 
des Magens sind ganz blasse Zellkerne zwischen der UrsprunR- 
stelle der Dendriten zu erkennen. Das Wirrwar der gewundenes 
Fortsätze ist bisweilen dem Schlangenhaar des Medusenhauptes zu 
vergleichen. Deutlich als Achsenzylinder anzusprechende Fortsätz? 
konnte ich nicht feststellen. 

Auch in der Muscularis des Magens — und zwar nicht nur 
des kardialen Teiles, sondern auch der kleinen Kurvatur und d?> 
Fundus sind reichlich Ganglienzellen anzutreffen. In spaltförmigen 
Lücken zwischen den Bündeln glatter Muskelfasern sind sie zn 
Gruppen von 3—8 Zellen von zartem, ganz lockerem Bindegewebe 
zusammengefaßt. In nächster Nähe solcher Ganglienzellenkonglo- 
merate sind stets Gefäße und ganz dünne Nervenfasern anzutreffen 
Die Zellen selbst weisen sehr viele zarte aber lange, manchmal 
büschelartig ausstrahlende Dendriten auf, die ringsum am Zellkörper 
entspringen und wenig Neigung zum Verzweigen haben. Einige 
Male ließ sich ein deutlich pericelluläres Nervennetz darstellen. 

In der Submucosa konnte ich in der Cardiagegend und im 
Fundus des Magens trotz eifrigen Suchens keine Ganglienzellen 
vorfinden. 

Viel größere Schwierigkeiten als im übrigen Teile des Magens 
machte die Darstellung der Ganglienzellen am Pylorus. Nicht als 
ob sie dort weniger zahlreich wären, im Gegenteil, man findet am 
Magenausgang mehr Ganglienzellen als in der übrigen Magenwand. 
Auffälligerweise gelang es aber nur selten, die Ganglienzellen mi! 
ihren Fortsätzen zur Anschauung zu bringen. Meist tarbte sich 
nur der Zellkörper und selbst dessen Grenzen blieben verwaschen 
und unscharf. Dagegen trat dann das Zellbläschen mit dem Kera- 
körperchen besonders deutlich hervor. Von der Vermutung ans¬ 
gehend, daß die Ganglienzellen des Pylorus, obgleich die Stückchen 
manchmal schon wenige Stunden nach dem Tode fixiert wurden, 
durch die Selbstverdauung des Magens verändert sein könnten, 
nahm ich bei der Katze unmittelbar nach dem Chloroformtod den 
Magen zur Darstellung der Ganglienzellen sofort heraus, hatte aber 
auch hier keine besseren Resultate. Auch bei der Katze färbten 
sich die Kernbläschen mit dem Kernkörperchen viel deutlicher mit 
Silber als dies sonst an den Präparaten des autonomen Systems 
der Fall ist; die Grenzen der Ganglienzellen des Magens und die 
Dendriten blieben unscharf und verwaschen. 

Das spärliche Ergebnis meiner Untersuchungen über die Gan¬ 
glienzellen des Pylorus kann kurz dahin zusammengefaßt werden. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 473 


<Jaß sich solche sowohl unter der Serosa als hauptsächlich in 
Spalten zwischen der hier so reichlich entwickelten Muskulatur 
linden. Auch am Pylorus sind sie zu kleinen Gruppen vereinigt, 
zwischen den Muskelfasern liegen die Zellen meist zu Zeilen an- 
einandergereiht in lockerem Gewebe. Nur selten waren mit der 
Ganglienzelle auch ihre Dendriten gefärbt. Neben großen Gan¬ 
glienzellen mit zahlreichen Fortsätzen, die ganz den eben beschrie¬ 
benen Zellen in der Subserosa des kardialen Magenabschnittes 
gleichen, sind am Pylorus wesentlich kleinere Ganglienzellen' mit 
spärlicheren Dendriten zu unterscheiden. Aber auch diese haben 
keine pericelluläre Kapsel. Der Körper dieser kleineren Zelltypen 
ist meist längsoval geformt oder sie ziehen sich bimförmig zu 
einem langen Fortsatz aus, der weithin zu verfolgen ist, und da er 
keine Verzweigungen abgibt, wohl als Achsenzylinder angesprochen 
werden kann. Die Dendriten sind sehr zart, entspringen rings an 
der Peripherie und verästeln sich nur wenig. Diese Zellen bieten 
viele Ähnlichkeit mit den Gangliengebilden, welche A. Dogiel in 
den Darmwandungen nachgewiesen und abgebildet bat. *) 

Über die Funktion der geschilderten Ganglienzellen 
des Magens lassen sich zurzeit bestimmte Angaben noch nicht 
machen. Da sie der Muskulatur anliegen oder ihr eingelagert sind, 
so liegt es nahe, ihnen m o t o r i s c h e Eigenschaften zuzuschreiben. 
Ob sie freilich vom Vagus in ihrer Tätigkeit beeinflußt werden 
oder ob sie unter der Einwirkung von sympathischen Fasern stehen, 
kann auch noch nicht entschieden werden. Erwiesenermaßen tritt 
aber der Vagus gerade an der Cardia und am Pylorus in die 
Magenwände ein und da er einen beschleunigenden Einfluß auf die 
Tätigkeit der Magenmuskulatur hat, so ist der Schluß, daß der 
Vagus mit den geschilderten Ganglienzellen des Magens in Be¬ 
ziehung tritt, wohl erlaubt. Daneben werden die motorischen 
Ganglienzellen des Magens aber auch von der Magenschleimhaut 
her zur Tätigkeit angeregt. Denn auch bei durchschnittenen Vagi 
wird eingeführte Nahrung aus dem Magen wieder entfernt; ja 
selbst der aus der Leibeshöhle herausgenommene Magen führt noch 
peristaltische Bewegungen aus. 

Über den Modus der Innervation der Magendrüsen durch 
öen Vagus Erörterungen anzustellen, ist müßig, nachdem uns die 
Darstellung der Ganglienzellen in der Submucosa nicht gelang. 
Doch glaube ich zu der Annahme berechtigt zu sein, daß auch 

1) „Zur Frage über die Ganglien der Darmgefledite bei den Säugetieren.“ 
Anatom. Anzeiger X. Bd. Nr. 16. 


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L. R. Müller 


hier der Vagus nur durch die Vermittlung von Ganglienzellen 
seinen Einfluß auf die Tätigkeit der Drüsen ausübt. Sezerniem 
doch die Magendrüsen auch bei Ausschaltung des Vagus auf Reiz- 
von der Magenschleimhaut in durchaus genügender Weise. 

Cerebraler Verlauf der Vagusbahnen. 

In den bisherigen Abschnitten wurde der Verlauf des Nem- 
vagus von seinen Ursprungskernen im verlängerten Mark bis zt 
seinen Endigungen in den verschiedenen Organen erörtert. NieL: 
besprochen wurde noch der intracerebrale Verlauf der Vagusbahntn 
Soweit die Innervation von quergestreiften, der Willkür unter 
stehenden Muskeln und die Leitung von sensiblen Eindrücken tu. 
der Luftröhre, dem Kehlkopf und dem Schlundkopf und von d*- 
hinteren Partien des äußeren Ohres in Betracht kommt, sind dir 
Wege im Gehirn wohl bekannt. Die sensiblen Bahnen d- 
Vagus verlaufen aus dem Nucleus solitarius gemeinsam mit den-: 
des anliegenden Trigeminuskernes. Sie kreuzen in Bogenfasern dir 
Mittellinie, liegen anfänglich lateral und ventral vom Fascicoh' 
longitudinalis posterior und gelangen schließlich mit den übrige. 
Fasern der Schleife zum ventralen Thalamuskern (Tractus bnl'r- - 
thalamicus Wallenbergs), um von hier nach der Hirnrinde zu au.- 
zustrahlen und dort Felder einzunehmen, die den Empfindungen tur 
Mundschleimhaut benachbart sind. 

Die motorischen Rindenzentren für die Muskulatur des Keh 
kopfes liegen in oder nahe der Broca’schen Windung am Fuße drr 
III. Stirnwindung und auch das Innervationsgebiet für die G-l- 
strictores pharyngi muß mit der Rindenpartie für die Zungen- ug: 
Gaumenmuskulatur im untersten Teil der vorderen Zentral windcnz 
verbunden sein. 

Über den cerebralen Verlauf der visceralen Faser 
des Vagus weiß man zurzeit noch gar nichts Bestimmtes. Di- 
Frage, ob die zum Herzen, zu den Bronchialmuskeln und zum Magr; 
ziehenden Fasern des Vagus auch ein Zentrum in der Hirnrind- 
oder in dem subkortikalen Grau der Hemisphären haben, wird merk¬ 
würdigerweise nur wenig erörtert. Wie weiter unten noch au>- 
führlich dargelegt werden soll, wird die Tätigkeit der genannten 
Organe von psychischen Vorgängen, wie von Stimmungen und wn 
der Empfindung körperlichen Schmerzes beeinflußt und dies schein* 
ja für eine Abhängigkeit von der Hirnrinde zu sprechen. Darac' 
ist aber noch nicht der zwangsmäßige Schluß zu ziehen, daß di 
Zentren für die visceralen Funktionen auch in die Hirnrinde zr. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 475 


lokalisieren sind. Die Stimmungen und der körperliche Schmerz 
haben ja auch auf andere Organe wie auf den Darm, die Gebär¬ 
mutter usw. einen Einfluß, die sicher keine Vertretung im grauen 
Mantel des Gehirnes besitzen*) und so glaube ich die Auffassung 
vertreten zu können, daß die Fasern von der Bronchial- 
rauskulatur, vom Herzen und vom Magen nicht weiter 
frontalwärts reichen als bis zum Nucleus dorsalisseu 
visceralis vagi in der Medulla oblongata und daß die 
Stimmungen und die Empfindung des körperlichen 
Schmerzes eben ihren Einfluß auf dieses Zentrum im 
verlängerten Marke ausüben. Zurzeit sind jedenfalls 
noch keine sicheren Anhaltspunkte dafür beizu¬ 
bringen, daß irgendwo in der Hirnrinde ein Zentrum 
für das Herz oder den Magen oder die Bronchialmus¬ 
kulatur bestehtund daß von dort Bahnen zum dorsalen 
Vaguskern am Boden des vierten Ventrikels ziehen. 

Bei manchen Tieren, deren Gehirn noch keinen Rindenmantel auf¬ 
weist, der unseren Großhirnhemisphären entsprechen würde, so z. B. 
bei den Knochenfischen, sind, wieEdinger nachgewiesen hat, die 
Vaguskerne in der Medulla oblongata ganz besonders stark ent¬ 
wickelt, ein Beweis dafür, daß sie keiner direkten Innervation von 
der Rinde bedürfen. Während die von Hypoglossus versorgten 
Muskeln wie alle Körpermuskeln Derivate der Urwirbel sind, gehen 
die vom Vagus innervierten Muskeln am Hals aus den in den Kiemen¬ 
bogen eingeschlossenen Streifen der Seitenplatte hervor (Edinger). 
Also auch die Kehlkopfmuskeln entstehen aus einem System, 
welches bei den Fischen nur visceralen Funktionen (Schluckreflex) 
dient. Erst mit der höheren Entwicklung der Tiere wird aus der 
glatten, nur Reflexen zugänglichen Muskulatur eine quergestreifte 
und mit der Ausbildung einer Stimme oder gar der Sprache stellt 
sich eine Verbindung zwischen den Nervenzentren dieser Mus¬ 
kulatur im verlängerten Mark und dem Großhirn her. Die Bei¬ 
lagerung von sensiblen Fasern aus der Gegend des äußeren Ohres, 
des Ramus auricularis an den Stamm des Vagus ist ein rein zu¬ 
fälliges Spiel der Phylogenie, variiert doch die' Anlage der Hirn- 


1) In einer kürzlich erst veröffentlichten Arbeit (Gehirn und Sympathien», 
Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 135, 1910) wiesen Karplus n. Kreidl nach, daß 
„im Zwischenhirn ein von der Rinde unabhängiger zentraler Mechanis¬ 
mus für den Halssympathicus gelegen ist“. Das Zentrum für die Innervation der 
Pupillenerweiterung und für das Aufreißen der Lidspalte behält nach den Unter¬ 
suchungen dieser Autoren seine Erregbarkeit auch nach Entfernung der Hirnrinde. 


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L. R. Müller 


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nerven bei den Tieren unserer Staramesreihe und verfallen doch 
manche Systeme, wie die Nerven für die Lateralorgane der Fische 
dem Schwunde.O 

Nach den bisherigen Darlegungen könnte man wohl vermuten, 
daß dem Nervus vagus eine ganz außergewöhnliche Stellung im 
cerebrospinalen System zukomme, d. h. daß er sich prinzipiell von 
allen übrigen peripherischen Nerven unterscheide. Dem ist aber 
nicht so. Wie schon eingangs erwähnt, enthält die Mehrzahl der 
übrigen Nerven des Kopfes und des Rumpfes neben somatisch 
motorischen und sensiblen Bahnen auch solche visceraler Natur. 
Pie Fasern für die Gefäßmuskulatur, für die Schweißdrüsen und für 
die Haarbalgmuskeln verlaufen alle in den peripherischen Nerven, 
und auch die Gehirnnerven beherbergen Leitungsbahnen für die glatte 
Muskulatur im Auge, für die Drüsen im Nasenrachenraum und für 
die Tränen- und Speicheldrüsen. Zwischen dem Ursprung dieser 
visceralen Nerven im Rückenmark oder in dem verlängerten Marke 
und ihrer Endigung in den betreffenden Organen sind jedesmal 
multipolare, sympathische Ganglienzellen eingeschaltet, die meistens 
zu makroskopisch erkennbaren Knötchen, den Ganglien des Grenz- 
stranges, dem Ganglion ciliare, sphenopalatinum, oticum und sub- 
maxillare, zusammengehäuft sind. Manchmal freilich ist ein eigent¬ 
liches Knötchen nicht zu finden, die Ganglienzellen sind dann in 
doii sich plexusartig aufteilenden Nervenfasern zerstreut. Nicht 
selten, wie z. B. bei den Nerven, welche aus der Chorda tympani 
zur Glandula submaxillaris ziehen, sind die Ganglienzellen erst an 
den intraglandulären Verzweigungen der Nerven eingelagert. Auf 
Abbild. 8 habe ich den Verlauf der visceralen Fasern der peri¬ 
pherischen Nerven schematisch dargestellt. Von ihrem Ursprung 
in den mittleren Partien der grauen H-Figur gelangen sie durch 
die vorderen Wurzeln und die Rami conmumicantes albi zum nahe- 
gelegenen Ganglion des Grenzstranges und endigen dort an uuilti- 
polaren Ganglienzellen. Von liier ziehen dann die post-cellularen, 
anfänglich marklosen visceralen Bahnen wieder zurück zum peri- 

]i lidin gor | Vorlesungen über den Ban der nervösen Zentralorgane dis 
Menschen und der Tiere I I. Bd. Leipzig, F. ( '. W. Vogel) hält es fiir wahrselieiu- 
lieb, dali die unirewöhnlich .starke Entwicklung des dorsalen Vaguskernes bei 
l’etrom.vzon mit der Bildung eines elektrischen Nerven und eines elektrischen 
Organes, das sieb aus tungewandelter Muskulatur entwickelt hat, in Zusammen¬ 
hang zu bringen ist. liie aus dem Lohns eleetricus entspringenden Nerven 
,-i‘llen sich dem Vagus bei. 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 477 


pherischen Nerven, um mit diesem zu den Gefäßen, zu den Schwei߬ 
drüsen und zu den Haarbalgmuskeln der Haut zu verlaufen. Für die 
visceralen Fasern des Vagus ist nun ein eigenes, abseits des Nerven- 
verlaufes gelegenes sympathisches Ganglion nicht nachzuweisen, 
wohl aber sind im Ganglion jugulare jedesmal multipolare Ganglien¬ 
zellen aufzufinden (vgl. Abbild. 4,6 u. 7 auf den Tafeln VI, VII und VIII). 
Ich war früher geneigt, in diesen Zellen die Ursprungsstelle für die 
postganglionären Fasern der Bronchien, des Herzens und des Magens 
zu sehen und habe dieser meiner Vermutung auch in einem Vor¬ 
trag ,.über das Vagusproblem“ auf dem Kongresse für innere Medizin, 
Wiesbaden 1910, Ausdruck gegeben. Die verhältnismäßig geringe 
Zahl der multipolaren Zellen im Ganglion jugulare, hauptsächlich 
aber der Umstand, daß sich dort, wo sich die Vagusfasern in die 
Organe einsenken, jedesmal multipolare Ganglienzellen nachweisen 
ließen, scheint mir aber jetzt gegen diese Annahme zu sprechen. 



Abbild. 8. Schematische Darstellung des Verlaufes der visceralen Fasern des 

peripherischen Nerven. 


•Jedenfalls werden alle Bahnen, weiche von dein 
Nucleus visceralis vagi am Boden des 4. Ventrikels 
zur Lunge, zum Herzen oder zum Magen ziehen, 
jedesmal von multipolaren Ganglienzellen unter¬ 
brochen und das stempelt sie zu Fasern des auto¬ 
nomen Systems. Liegen doch bei den übrigen Gehirnnerven 
die Verhältnisse ganz ähnlich. Auch das Ganglion ciliare, das 
Ganglion sphenopalatinum und insbesondere das Ganglion sub- 
maxillare sind nahe den von ihnen innervierten Organen gelagert 
und ihre Ganglienzellen, namentlich die des Submaxillare er- 


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478 


L. R. Müller 


strecken sich, wie oben schon erwähnt, nicht selten bis in i» 
Drüsen selbst hinein. 

Der lange Verlauf des Vagus ist damit zu erklären, daß & 
Medulla oblongata bei den Tieren unserer Stammesreihe, inst- 
besondere bei den Fischen weiter kaudalwärts reicht und dai ix 
Herz, die Lungen und der Magen bei den Tieren, aus denen r: 
uns entwickelt haben, näher dem Kopfe liegen. Nur so ist es a 
verstehen, daß diese Organe von einem Gehirnnerven versorr 
werden. 



Abbild. 9. Schematische Darstellung des Verlaufes der motorischen, senkte 
und visceralen Fasern des Vagus. 


Ein Vergleich der Abbild. 9 mit der Abbild. 8 im Texte «ft 
daß die Anlage der drei verschiedenen Kerngroppf 1 
des Vagus im verlängerten Marke durchaus der La?*’ 
rung der entsprechenden Zentren im Rückenmark? 
analog ist; dies wird dann überzeugend klar, wenn man in ft- 
tracht zieht, daß sich der Zentralkanal zum vierten Ventrikel 


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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 479 


öffnet hat und daß die Hinterstränge und die Hinterhörner dadurch 
seitlich verdrängt wurden. Den motorischen Zellen der Vorder- 
säulen sind die großen multipolaren Ganglienzellen des Xucleus 
ambiguus gleichzusetzen, welche die quergestreifte Muskulatur 
des Kehlkopfes innervieren. Der sensible Vaguskern, der 
Xucleus solitarius mit der ihm anhaftenden Substantia gelatinosa 
ist als Kest des Hinterhornes anzusprechen, und der große 
dorsale Vaguskern am Boden des vierten Ventrikels entspricht 
ganz zweifellos dem Nucleus paracentralis des Rticken- 
markes, 1 ) Gehen von dem letzteren die Bahnen für den 
Splanchnicus und für die Organe der Haut aus, so entspringen 
vom Nucleus visceralis vagi die Fasern für die Bronchien, für das 
Herz und den Magen. 

Auch in physiologischer Hinsicht entsprechen die 
visceralen Fasern des Vagus durchaus den Innervationsbedingungen, 
welche für das übrige autonome Nervensystem gelten. Ebenso¬ 
wenig wie dieses sind sie Willensimpulsen zugänglich. Wohl aber 
werden sie durch die Empfindung lebhaften Schmerzes und 
durch Stimmungen beeinflußt. Beim körperlichen Schmerz 
kann es nicht nur zur Kontraktion der Bronchialmuskeln kommen, 
so daß die Atmung erschwert und beschleunigt wird, auch das 
Herz schlägt rascher und schließlich werden auch die Magen¬ 
bewegung und die Sekretion des Magensaftes durch den Schmerz 
gehemmt. 

Daß die Tätigkeit der Bronchialmuskeln, des Herzens und des 
Magens gerade so wie die Gefäße des Gesichts, die Tränendrüsen 
und die Schweißdrüsen von den verschiedenen Stimmungen beein- 


1) Diese Auffassung wird auch von Edinger (1. c.) vertreten, wenn er 
schreibt „der visceral-motorische Hirnnervenanteil hat seinen Ursprung in der 
eerebralwärts mächtig anschwellenden Fortsetzung der Kerngruppe des Xucleus 
paracentralis in der lateralen Wand des spinalen Zentralkanales“. Von A. Bruce 
(Distribution of the Cells in the intermedio- lateral Tract of the spinal Cord, 
Transactions of the royal society of Edinburgh Vol. XLV Part 1, 1906) wird 
allerdings angenommen, daß die Ganglienzellen für die visceralen Fasern des 
Rückenmarkes nicht so nahe am Zentralkanal sondern an der Peripherie des 
Mittelhornes gelegen sind. Diese letztere Auffassung vertritt auch L. Jakob- 
sohn in seiner vorzüglichen Arbeit „Über die Kerne des Rückenmarkes“ (Ab¬ 
handlungen der kgl. preußischen Akademie der Wissenschaften 1908. Physi¬ 
kalisch mathematische Klasse). Wie schon weiter oben dargelegt, entspricht die 
Form der von Jacobsohn als sympathische Elemente beschriebenen Ganglien¬ 
zellen im Seitenhorne des Rückenmarkes durchaus der Gestaltung der Ganglien¬ 
zellen des visceralen Vaguskernes in der Mednlla oblougata. 


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480 


L. R. Müller 


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flußt werden, das braucht nicht durch Versuche und ärztliche Be¬ 
obachtungen erhärtet werden, darauf weisen viele Redewendung: 
der Völker zu allen Zeiten und in allen Sprachen hin. Beim Zorc- 
wird die Atmung keuchend, die Freude macht die Brust frei 
Seelische Erregungen sistieren nicht nur die normale Magea- 
bewegung, sie können sogar zur Antiperistaltik, zum Erbrecht 
führen. Die lebhafte Beeinflussung des Herzens durch den Vagr- 
ist die Ursache dafür, daß der Dichtermund und Laienkreise nid 
das Gehirn, sondern das Herz als den Sitz der Seele und der Stin - 
raungen angesprochen haben. 

Aber auch psychische Vorgänge, welche nicht den Stimmung: 
zuzurechnen sind, können eine Einwirkung auf die vom Vag* 
innervierten Organe haben, so hat Pawlow nachgewiesen. d&, 
schon bei Ansichtigwerden des Fleisches oder beim Geruch ein- 
Speise die Magendrüsen in Tätigkeit geraten und daß dies nacl 
Durchschneidung der Vagi nicht der Fall ist. 

Geradeso wie die Vasomotoren und die Schweißdrüsen duni. 
einen lokalen Reiz, wie z. B. umschriebene Wärmeapplikation, h 
Funktion treten und wie die Tränendrüsen auf Reizung der Km- 
junktiva und die Speicheldrüsen auf Reizung der Mundschleimhaut 
sezernieren, so reagieren auch die vom Vagus innervierten Orga:;- 
auf örtliche Reize: Bei Einatmung scharfer oder giftiger Dämpf- 
kontrahieren sich die Bronchialmuskeln; die Erhöhung des Blut¬ 
druckes in der Aorta führt über den Nervus depressor zur Ver¬ 
langsamung der Herztätigkeit, und Reizung der Magenschleimhaut 
löst Sekretion der Magendrüsen aus. Ob bei diesen Innervationen 
der Reflexbogen immer über die Medulla oblongata geht, läßt >i<i 
zurzeit freilich noch nicht sicher entscheiden, die Magendrüsen 
jedenfalls reagieren auf örtliche Reize auch bei Ausschaltung de> 
Vagus. 

Bekanntlich werden*die Pupillen, die Tränendrüsen und die 
Speicheldrüsen nicht nur vom kranialen autonomen S) T stem. sondern 
auch vom Grenzstrang des Sympathicus aus innerviert und zwar 
ist diese Innervation eine antagonistische. Auch die vom VagU' 
versorgten inneren Organe stehen außerdem alle nodi 
durch Nervenfäden mit dem Grenzstrange des Sym- 
pathicus in Beziehung und auch hier ist die Ein¬ 
wirkung der beiden verschiedenen Systeme ein- 1 
gegensätzliche. Bedingt die Reizung des Vagus Kontraktil 
der Broncliialnuiskeln, so führt diejenige des Sympathicus zur Er¬ 
weiterung der Bronchiallumina, verursacht der Vagus Verlang- 


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2. Mikropliotogramin des Nucleus dorsalis seu visceralis va 


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UNIVERS 


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Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 



Fig. 5. Mikrophotogramm einer Spinalganglienzelle aus dem Ganglion jugulare 
mit schlingenartig gewundenem Achsenzylinder. 






Tafel VII, VIII. 



Mg. 7. Mikrophotogramrn einer multipolaren Zelle aus dem Ganglion jugulare. 



Fig. 8. Ganglienzellen aus den Bronchien, bei starker Vergrösserung gezeichnet. 



Diuck von Richard Hahn (H. '?if 1 Ilfelfizi«. 

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Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 



Fig. 13. Mikrophotogramm einer Ganglienzellengruppe des Cavatrichters 
, mit ausstrahlenden Nerven (schwache Vergrösserung). 



Fig. 14. Mikrophologramm einer Ganglienzelle aus dem Cavatrichter 
(starke Vergrösserung). 


L. R. Müll 

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Original frciVetUg »ob F 

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Tafel XI, XII. 




Fig. 16. Ganglienzelle aus der Vorhofscheidewand mit perizellulären, korbartig 
angeordneten Nervenfasern. Mikrophotogramm. 


>n Leipzig. 

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Druck von Richard Hahn (M. 

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Talei XIII, XIV. 



Fig. 19. Mikrophotogramm einer Ganglienzelle aus dem der Cardia an- 
grenzenden Teile des Magens (starke Vergrösserung). 



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Original fram 

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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 481 


samung der Herztätigkeit, so haben die vom Grenzstrang ent¬ 
springenden Nervi accelerantes, wie ihr Name sagt, Beschleunigung 
zur Folge. Hemmt der sympathische Splanchnieus die oberen Ab¬ 
schnitte des Magendarmkanales, so regt der Vagus diese zur Be¬ 
wegung an. Der Antagonismus zwischen den aus dem verlängerten 
Marke hervorgehenden autonomen Vagusfasern und den aus dem 
Rückenmark entspringenden und über die Ganglien des Grenz¬ 
stranges ziehenden sympathischen Bahnen äußert sich auch in 
pharmakologischer Beziehung, so wirkt z. B. Atropin nur auf 
die Endapparate der kranialen autonomen Fasern lähmend, während 
das Adrenalin nur auf die sympathischen Fasern einen er¬ 
regenden Einfluß ausübt. Bedingt das Alcaloid der Tollkirsche 
durch Paralyse des Vagus Herzbeschleunigung, so verursacht der 
Extrakt aus den Nebennieren durch Reizung des Nervus accelerans 
Verstärkung und Beschleunigung des Herzschlages. 

Die monographische Bearbeitung des X. Gehirnnerven darf ich 
mit dem Hinweis schließen, daß sowohl die Histologie als die 
Physiologie der im Vagus verlaufenden visceralen Fasern sich 
durchaus den Gesetzen anschließen, welche für die Bahnen des 
vegetativen Nervensystems gelten. Es besteht also kein Grund, 
dem Vagus eine Sonderstellung vor den übrigen Gehirn - und 
Rückenmarksnerven einzuräumen. Freilich so reichliche und so 
wichtige viscerale Bahnen, wie sie sich im Vagus finden, sind 
keinem anderen cerebrospinalen Nerven beigemengt. 

Von der Überzeugung ausgehend, daß die Forschungen über 
die visceralen Innervationen nicht einer, sich als Spezialität ab¬ 
sondernden Neurologie zuzurechnen sind, sondern dem eigensten 
Gebiet der inneren Medizin angehören, habe ich die Redaktion des 
Archivs für innere Medizin gebeten, den vorliegenden Erörterungen 
in dieser Zeitschrift Platz zu gewähren. 


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Aus der I. medizin. Abteilung des allgemeinen Krankenhauses 
Nürnberg (Direktor: Prof. Dr. Joh. Müller). 

Erfahrungen Uber die Spezifität der Wassermann’scben 
Reaktion, die Bewertung und Entstehung inkompletter 

Hemmungen. 

Von 

Dr. E. Scheidemandel, 

Sekundärarzt. 

Die hervorragende diagnostische Bedeutung der Wassermann- 
schen Reaktion ist durch unzählige Arbeiten aus den verschieden¬ 
sten Gebieten der gesamten Medizin anerkannt. Die Serodia¬ 
gnostik der Syphilis ist in der relativ kurzen Zeit ihres Bestehens 
ein unentbehrliches Hilfsmittel unserer klinischen Untersuchungs¬ 
methoden geworden, trotzdem wir über das Wesen der Reaktion 
selbst noch völlig im unklaren sind. Nachdem erwiesen war. daß 
die Komplementfixation nicht nur beim Zusammentreffen des supa¬ 
nierten Antigens in syphilitischen Leberextrakt, sondern in gleicher 
Weise mit normalem Organextrakt und Luesserum erfolgt, mußte 
die Annahme von einer spezifischen Reaktion im Sinne der Im¬ 
munitätslehre fallen. Zu gleicher Zeit tauchten naturgemäß für 
jeden kritisch Denkenden Zweifel auf, ob die Methode nach der 
Erschütterung ihrer theoretischen Grundlagen nicht an praktischem 
Werte eingebüßt habe. Die Mehrzahl der Untersucher konnte auf 
Grund ausgedehnter Erfahrungen erfreulicherweise diese Befürch¬ 
tungen zerstreuen. dagegen berichten Elias, Neubauer, Porges. 
Salomo n aus der von Noorden’schen Klinik, ferner Weil und 
Braun über positive Reaktionen bei nicht-luetischen Erkrankungen 
wie Pneumonie, Tuberkulose, Tumoren und Diabetes, Much und 
Eichelberg bei zahlreichen Scharlachfallen. Ebenso war bereits 
vorher bekannt ein positiver Ausfall der Reaktion bei experimen¬ 
teller Dourine, Frambüsie und besonders bei Lepra. Bei der Mehr- 


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Original frorn 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



Erfahrungen Uber die Spezifität der Wassermann’schen Reaktion etc. 483 


zahl dieser angeblich nicht spezifischen positiven Reaktionen handelt 
es sich um akut fieberhafte oder schwere Konsumptionskrankheiten, 
wie sie in erster Linie dem internen Kliniker unterlaufen. Nun 
läßt es sich in der Regel ja wohl vermeiden eine Serumuntersuchung 
auf Lucs während einer fieberhaften Erkrankung wie Scharlach, 
Pneumonie anzustellen; dagegen ist für die Diagnose der häufig 
fieberhaft verlaufenden visceralen Lues (speziell der Leber), ferner 
für die Differenzierung von Lues gegenüber Tumor und Tuberkulose 
die Entscheidung der Frage, ob wir in diesen Fällen eine positive 
Reaktion unbedingt als spezifisch ansehen dürfen, von einschnei¬ 
dender Bedeutung. Ich habe daher seit ich mich mit der Wasser- 
mann’schen Methode beschäftige von dem Gesichtspunkte der Spe¬ 
zifitätsfrage ausgehend neben nahezu sämtlichen vorkommenden 
Krankheitsformen nicht luetischer Natur auch die oben erwähnten 
Krankheitsgruppen in den Kreis meiner Untersuchungen gezogen. 
Im Laufe von 2 1 j i Jahren habe ich 1212 Fälle untersucht, von 
denen mehr als */$ klinisch und annamnestisch frei von Lues 
waren. Auf die einzelnen Krankheiten verteilen sich dieselben 
folgendermaßen: 



Gesamtzahl 

Positiv 

! Zweifelhaft 

Lues florid I—III 

152 

135 

3 

Lues latent 

21 

10 

5 

(bei verschiedenen Krankheiten) 




Nervenkrankheiten: 




Paralvse 

80 

76 

2 

Tabes 

47 

18 

14 

Lues cerebri 

14 

9 

3 

Tumor cerebri 

11 

1 (Lues?) 
3 

3 

Meningitis luetica 

3 

— 

Encephalitis luetica 

2 

2 

— 

Multiple Sklerose 

13 

1 (Lues) 

— 

Epilepsie 

23 

— 

i 

Neurasthenie 

21 

1 (Lues) 

i 

Verschiedenes 

63 

2 (Lues) 

3 

(Neuralgie, Cephalaea, Mye¬ 
litis usw.) 




Herz, Gefäße. Nieren: 




Aorteniusufficienz und Aneurysma 
Sonstige und kongenitale Herzer¬ 

58 

30 

12 

krankungen 

30 

1 

2 

Arteriosklerose 

8 

— 

1 

Nephritis (Urämie) 

22 

2 (Lues)! 

4 

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SCH KI DK MANDEL 


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4K4 



| Summe 

Komplette 

Hemmungen 

Inkomplette 

Hemmungen 

Die 

»i 

Leber: 

Icterus bei Cirrhose 

4 

3 

i 

Wi 

V. 

trm 

„ „ akuter Atrophie 

Phosphor Vergiftung 

2 

1 

2 

_ 

Id' 

Icterus catarrhalis 

7 

5 

— 

Wi 

Hepar Io bat um 

3 

— 

— 

trfi] 

31 ilz-Schwe Hunden 

17 

1 (Lues) 

i 

Abi 

unbekannter Ursache) 

Blut- und Stoffwechsel: 
Anämie 

22 ! 

1 (Lues) 

2 

in? 

•ein 

i'tf 

Chlorose 

41 

— 

h 

Perniziöse Anämie 

2 

— 

1 

Leukämie 

i 

— 

— 

iflrl 

Skorbut und hämorrhag. Diathese 

10 

1 (Lues) 

1 


Pseudoleukämie 

a 

2 


Hämoglobinurie 

2 


2 


Diabetes mellitus 

17 

3 (1 Lues) 

— 

•*4jC 

(’oma diabeticum 

2 

— 

— 

“i:ij 

Diabetes insipidus 

3 

— 

o 

•dt-: 

Sai 

-■h 

Vergiftungen: 

Kohlenoxyd 

10 



Verschiedene 

14 

— 

— 


T u m o r e n : 

(’arcinom 

35' 

1 (Lues) 

4 


Sarkom 

10 

— 

3 


3Iyelom 

1 

— 

— 


Infektionskrankheiten: 
Scharlach , 

70 


6 

TK|' 

Masern 

a 

— 

— 

. fi r 

Diphtherie 

7 

— 

— 


Meningitis (tub. u. cerebrospinal) 

10 j 

— ! 

1 

l n 

Polyarthritis 

12 

15 i 

2 (Lues) 

5 

Ul 

Sepsis 

— 

Pneumonie 

Typbus 

28 

27 

4 1 2 Lues) 


di 

Schwere Tuberkulose 

65 , 

4 (3 Lues) 

12 


Miliartuberkulose 

7 

— 



Gastroenteritis 

8 

— 


•ic 

Ui 

Variola 

1 

1 


Hochf ieberh af te Erkrank. 

22 

1 (Lues) 

6 


i Pyelitis. Peritonitis, usw.) 

V e r schi <* d e nes: 

Luj us erythematus 

1 

1 


ii 

Ervtlicina liodosuin 

a 

— 

2 

vi: 

MiiihiUluiur»*!! 

5 

— 

— 

U 

Gelenk. Muskel, Knochen 

18 

4 (Lues) 

— 


Normalsera ( Kekonvalexentcn von 
leb liten Erkrankungen) 

132 

1 (Lues) 

2 

^ ! 

1 


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Original fro-m 

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Erfahrungen über die Spezifität der Wassermann’schen Reaktion etc. 485 

Bezüglich der Untersuchungstechnik möchte ich folgende Bemerkungen 
nicht unerwähnt lassen: Zur Reaktion wurde nur Blutserum und Lum- 
balflüssigkeit von lebenden Individuen verwendet nach der klassischen 
Wassermann’schen Methode, wie ich sie am Laboratorium von Geh.-Bat 
v. Wassermann selbst kennen gelernt habe. Die Gesamtmenge be¬ 
trug 5 ccm im Röhrchen, davon 0,2 Serum oder 0,4 Lumbalflüssigkeit. 
In ca. 300 Fällen benutzte ich nur die halbe Menge, also 2,5 ccm ins¬ 
gesamt, um Meerschweinchenkomplement zu sparen. Die Blutentnahme 
erfolgte nur direkt aus der Vene in einer Menge von 10 ccm, meist am 
Abend vor der Reaktion, die stets mit 25—30 Seris zu gleicher Zeit 
angestellt wurde. Niemals wurde Blut, wie von einigen Seiteu vorge¬ 
schlagen wurde, aus der Nasenscheidewand oder dem menstruierenden 
Uterus entnommen, ebensowenig aus — mit Zugpflastern artifiziell er¬ 
zeugten — Hautblasen oder kleinen Hautstichen, aus denen man mit 
Mühe die nötigen Mengen herausquetschen mufl. Für absolut einwand¬ 
frei halte ich nur die direkte Entnahme aus der Vene; nur so lassen 
sich Verunreinigungen durch die Sekrete der Haut und Schleimhaut oder 
durch medikamentöse Verunreinigungen vermieden, die zu störenden 
Änderungen der Alkalescenz des Blutes führen können. Die bei Chirurgen 
nicht unbeliebte Blutentnahme während einer Narkose muß unterbleiben, 
seitdem man positiven Ausfall der Wassermann’schen Reaktion am 
Narkoseblut normaler Menschen gesehen hat (Reicher, Wolfs¬ 
sohn). Sehr störend für den Hämolysevorgang können chylöse Sera 
sein, wie es der Fall ist bald nach der Mahlzeit und bei Leuten, die 
viel Milch erhalten. So sah ich bei 2 Ösophaguscarcinomen durch das 
fettreiche, milchig-trübe Serum regelmäßig langsame, inkomplette Lösungen. 
Kalb-Hoehne haben kürzlich (Berl. klin. Wochenschr. Nr. 29) direkt 
empfohlen, das zu untersuchende Blut nach dem Essen zu entnehmen, 
weil man dann wegen des Fettgehalts des Serums mehr positive Reak¬ 
tionen erhalte. Dies mag für die Zwecke einer dermato¬ 
logischen Klinik ohne Nachteil sein, dem Internisten, 
der an und für sich bei manchen Erkrankungen mit in¬ 
kompletten, nichtspezifischen Reaktionen rechnen muß, 
kann von dieser Technik nur abgeraten werden. 

Die Inaktivierung und Untersuchung der Sera erfolgte innerhalb 
24 Stunden. Sera, die in aktivem Zustande mehrere Tage aufbewahrt 
sind, geben nicht selten unspezifische Hemmungen. 

Als Extrakte habe ich anfangs wässerigen, im letzten Jahr nur noch 
luetischen Fötalextrakt gleichzeitig neben Meerschweinchenherzextrakt nach 
Leas er benutzt. Verschiedene Auszüge aus luetischen Lebern erwiesen 
sich mir unbrauchbar, während die Normalherzextrakte eigentlich nie ver¬ 
sagten. 

Hamraelblut beziehe ich aus dem Schlachthof; es wird nie länger 
als 24 8tunden aufgehoben. Komplement wird durch Carotisdurch- 
schneidung gewöhnlich durch Schlag betäubter Tiere gewonnen. Ich 
lasse es über Nacht im Zusammenhang mit dem Blutkuchen im Eis¬ 
schrank, da nach meiner Erfahrung auf diese Weise eine gewisse Stabilität 
in den sonst innerhalb Stunden wechselnden Faktoren des Komplements 
ein tritt. 

Deutsches Archiv f klin. Medizin. 101. Bd. 32 


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486 


ScHEIDEM AN DKL 


Die Beurteilung der Reaktion ist folgende: 

-j—{--f- komplette Hemmung ^ 

-j—j- fast komplette Hemmung} 8tar ^ positiv. 

-f- große Kuppe, inkomplette Hemmung: schwach positiv. 
4- fast komplette Lösung: zweifelhaft. 

Die tabellarische Übersicht zeigt in bezug auf die Prozent¬ 
zahlen positiver Reaktionen bei Lues (93%), Paralyse (97.5 0 „i. 
Tabes (66%) Übereinstimmung mit den Resultaten anderer Au¬ 
toren, auch auf dem Gebiete der Aorten erkrank un gen, deren 
ätiologische Erkenntnis durch die Wassermann’sche Reaktion nach 
unseren Erfahrungen ganz hervorragend gefördert wurde. 

Systematische Untersuchungen bei primären Milzschwel¬ 
lungen, Neurasthenie und Mißbildungen haben keine 
Anhaltspunkte für einen wesentlichen Einfluß der syphilitischen 
Infektion bei diesen Gruppen ergeben. 

Vier Fälle von sehr chronisch verlaufendem Gelenkrheu¬ 
matismus bei Individuen, die von einer Infektion nichts wußten, 
werden durch stark positive Wassermann’sche Reaktion als luetisch 
erkannt und durch spezifische Behandlung einer raschen Heilung 
zugeführt In einem der Fälle wurde das spezifische Ulcus durch 
die Rhinoscopia posterior an der Rachenmandel entdeckt. 

Eine unter dem Bilde einer fieberhaft verlaufenden Stirnhöhlen- 
affektion (Periostitis?) Erkrankung wurde ebenfalls durch die Reaktion 
geklärt. 

Als klinisch wichtig seien auch zwei Fälle von jugend¬ 
licher Tabes mit positiver Wassermaun’schen Reaktion bei einer 
22jähr. Prostituierten und einem 19jähr. Dienstmädchen erwähnt. 
Letztere war lange Zeit als Cardialgie und Enteritis membranacea be¬ 
handelt worden. Es bestanden bei uns typische Crises gastriques 
und kaum auslösbare Patellarreflexe mit ungleichmäßigen Pupillen. 

Auf zahlreiche, andere klinisch interessante Ergebnisse will 
ich hier nicht näher eingehen, da diesbezügliche Ausführungen nicht 
im Rahmen dieser Arbeit stehen sollen. 

Die Zahl der Fälle, die lediglich zur Entscheidung der Spezili- 
tätsfrage untersucht wurde, betrug ca. 600. Es sind fast ausschlie߬ 
lich jüngere Individuen bis zu 35. Jahren, die eine vorausgegamre 
luetische Infektion auch bei fehlender Anamnese durch Drüsen. 
Narben, Leukoderm usw. unschwer nachweisen lassen. Alle Fälle, 
insbesondere alte Leute, bei denen die Erhebung einer zu¬ 
verlässigen Anamnese oder der klinische Nachweis einer latenten 


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Erfahrungen über die Spezifität der Wassermann’schen Reaktion etc. 487 

Lues auf Schwierigkeiten stieß, sind hier unberücksichtigt, mit Aus¬ 
nahme von Tumorkranken und Diabetikern. 

Auf einzelne Krankheitsgruppen, die nach verschiedenen 
Autoren speziell zu nichtspezifischen Reaktionen neigen, muß ich 
besonders eingehen. 

Tuberkulose: Nach Elias, Neubauer, Porges, Salomen 
in 33 Fällen des II. und III. Stadiums 5 mal schwache bis mittelstarke 
Reaktion, nach Weil und Braun in 21 Fällen 1 mal, Marschalkö, 
Janesi ebenfalls in mehreren Fällen inkomplette Reaktion. 

Eigene Fälle: 65. Davon mittelstarke bis schwache Reaktion 
8mal, nur bei hochfieberhaften des II. und III. Stadiums, niemals 
-}- Reaktion bei 30 leichten Fällen. Komplette Hemmung einmal bei 
32jäbr. Frau (5 Wochen vor dem Tode) ohne Anhaltspunkt für Lues: 
Lumbalflüssigkeit des gleichen Falles negativ, 4 weitere komplette Hem* 
mungen nachträglich Lues zugegeben. 

Sepsis: 15 Fälle, 5 inkomplette Hemmungen bei sehr lange 
fiebernden Kranken, auch bei wiederholter Untersuchung -}-• Lues aus* 
zuschließen. 

Pneumonie: Weil und Braun: bei 12 croupösen Pneumonien 
gaben 4 sehr schwere Fälle, darunter 2 jugendliche Personen, stark posi* 
tive Wassermann* sehe Reaktion, ohne daß bei letzteren die Sektion und 
der klinische Befund Lues ergab. Marschalkö: 8Pneumonien-J-Reaktion. 
Nach Ablauf der Krise war in einem nochmals untersuchten Fall die 
Reaktion negativ. 

Eigene Untersuchungen: 28 Fälle, davon 4 stark positiv. 

2 Fälle durch Lues geklärt, 2 Fälle ohne Zeichen von Lues, nach 
der Krise vollkommen negativ. Schwach positive Reaktion in 3 Fällen. 

Scharlach: Die durch Much und Eichelberg veröffentlichten 
Untersuchungen — 25 Fälle mit 10 positiven Reaktionen — gaben zu 
zahlreichen Arbeiten (Seligmann, Hecht, Hoehne, Jochmann, 
Meier, Halberstädter, Lüdke, Frä und Koch usw.) Veran¬ 
lassung. Nur wenige bestätigen die ersten Angaben des Hamburger 
Laboratoriums (Seligmann, Zeißler) mit weit geringeren Prozent- 
z&hlen. Unter insgesamt 521 Fällen fand ich in der Literatur 48, zum 
Teil nur schwach positive Reaktionen. 

Eigene Fälle 70: Komplette Hemmungen 0. Inkom¬ 
plette Hemmungen 6. Nach Ablauf von 5 Wochen gab in 15 Fällen 
die Untersuchung —Reaktion. 

Typhus: Weil und Braun bei 20 Fällen 3 positive Reaktionen. 

Eigene Fälle: 27, davon 25 negativ, 2 inkomplett. 

Tumoren (Carcinom, Sarkom): Elias, Neubauer, 
Porges, Salomon in 14 Fällen 4 positive, Weil und Braun in 
11 Fällen 2 positive Reaktionen. 

Eigene Fälle: Sarkome 10, positiv 0; Myelom 1, positiv 0; 
Carcinom 35, positiv 1; Tumor cerebri 11, positiv 1. 

Von letzteren eine komplette Hemmung: Lues nachträglich zuge* 

32* 


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geben, außerdem 4 inkomplette Hemmungen bei Carcinom, 3 bei Sarkom. 
3 bei Gehirntumoren. 

Hämoglobinurie: Saathof, Moro und andere stets positive 
Reaktionen, wobei Lues anaranestisch wahrscheinlich. Citron zweifelt 
mit Krau8 an der Sicherheit der Reaktion bei dieser Erkrankung uod 
halten es für möglich, daß hier nur ähnliche Reaktionsstoffe gebildet 
werden, ohne daß Lues vorliegt. Auf Grund eigener Untersuchungen 
komme ich zu demselben Schluß. Bei einem 20jährigen Mädchen mit 
typischer, durch Kälte experimentell zu erzeugender paroxysmaler Hämo¬ 
globinurie fand ich 3 Tage nach dem Anfalle stark positive Reaktion 
(Serum nicht hämoglobinbaltig, Serumkontrolle ohne Extrakt negativ) so¬ 
wohl mit wässerigem Extrakt (Laboratorium Wassermann) als mit 
alkoholischem Meerschweinchenherzextrakt. 

Nachuntersuchung ein halbes Jahr später 8 Tage nach einem Anfall 
ergab schwach positive Reaktion. Nach weiteren 3 Wochen war die 
Reaktion vollkommen negativ, ohne daß eine antiluetische Behandlung 
jemals erfolgt war. Die Patientin (Virgo) hatte klinisch und anam¬ 
nestisch nichts für Lues. Sie stammt aus gesunder, aber etwas nervöser 
Familie. Um kongenitale Lues auszuschließen, untersuchte ich die ver¬ 
heirateten Geschwister, die gesunde Kinder haben. Weder die zwei 
älteren noch eine jüngere Schwester (ledig) gaben positive Wasser- 
mann’sche Reaktion. Die seit Jahren in Behandlung meines Vaters 
stehende Familie bot niemals Erscheinungen von Lues. 

Bei einem zweiten Fall von Hämoglobinurie mit leichter Nephritis 
nach recidivierenden Erysipel war die Reaktion während der Hämo¬ 
globinausscheidung zweimal stark positiv. Der 25jährige Mann (keine 
Lues) kam 1 Monat später wieder zur Untersuchung mit der gleichen 
Erkrankung in geringerem Grade. Die erste Untersuchung ergab zweifel¬ 
hafte Reaktion, die zweite nach Ablauf der Erkrankung negative Wasser- 
mann’sche Reaktion. 

Diabetes: Unter 7 Fällen 4mal positive Wassermann’sche Reak¬ 
tion (Eichelberg); nach dem Verschwinden des Zuckers in einem Fall 
wieder negative Reaktion. Weil und Braun 4 Fälle, positiv 1 Fall; 
Elias, Neubauer bei Diabetes-Acidosis ebenfalls eine stark positive 
Wassermann’sche Reaktion. Meier und Bauer in 8 Fällen stets nega¬ 
tives Resultat. 

Eigene Fälle: 17, davon negativ 14, darunter 2 Fälle, 
die im diabetischen Coma starben. 

1 Fall bei viermaliger Untersuchung stets stark positiv (Lues sehr 
wahrscheinlich). 2 Fälle mit fast kompletter Hemmung (ohne 
Acidosis) ohne Anhaltspunkte für Lues. 

Diabetes insipidus: Eigene Fälle: 4, negativ 1, inkom¬ 
plett ohne nachweisbare Lues 2, stark positiv 1 (Lues sicher). 

Icterus: Eigene Fälle 14, negativ 3. 

In diesen 3 Fällen war das Serum nur schwach icterisch, stark 
icterische Sera zeigten regelmäßig eine starke Eigenhemmung, die mit 
dem Extrakt zusammen ebenfalls positiv reagierten. In zahlreichen 
Arbeiten ist auch die Bedeutung der Wassermann’schen Reaktion für die 
Diagnose der luetischen Lebererkrankungen hingewiesen. Solange kein 


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Erfahrungen Uber die Spezifität der Wasserinann’schen Reaktion etc. 489 

Icterus vorhanden, mag die Reaktion für diese Fälle brauchbar sein; da* 
gegen ist nach meinen Erfahrungen jedes stärker icterische 
Serum für die Wassermann’sche Reaktion unbrauchbar. 

Nervenkrankheiten: Ebenso wie die Mitteilungen über positive 
Wassermann’sche Reaktion bei Scharlach erregten die TJntersucbnngs* 
ergebnisse von Nonne und Eichelberg über positive Wassermann’sche 
Reaktion bei Epilepsie und multipler Sklerose — ebenfalls aus dem Ham¬ 
burger Laboratorium stammend — großes Aufsehen. Unter 9 Fällen von 
Epilepsie wurde 5 mal -{- Wassermann’sche Reaktion gefunden, das gleiche 
bei 8 multiplen Sklerosen. Plaut, Lippmann, Hübner konnten 
diese Befunde nicht bestätigen. Inzwischen ist auch Nonne zu der 
Überzeugung zurückgekommen, daß bei diesen Erkrankungen eine posi¬ 
tive Reaktion ohne Lues nicht vorkommt. 

Unter 22 Epilepsien fand ich in einem fraglich luetischen Fall eine 
schwache Reaktion, in 13 Fällen von multipler Sklerose war 1 Fall positiv, 
der sich im weiteren Verlauf als Lues cerebri erwies. Bei allen übrigen 
Nervenerkrankungen stimmte Reaktion und klinischer Befund überein. 

Hodgin’sche Pseudoleukämie: Nach Caan in 3 Fällen 
positive Reaktion, von 2 eigenen Fällen einmal inkomplette, nicht spezi¬ 
fische Hemmung. 

Bei Lupus erythematodes fand ich eine fast komplette Wasser- 
mann’scbe Reaktion (ohne Lues), wie Hauck. 

Dazu inkomplette Reaktionen (ohne Lues) bei einem hoch fieber¬ 
haften Erysipel, 2 schweren Gelenkrheumatismus, 2 Ery- 
thema nodosam *), 1 Skorbut, 2 Nephritis, 6 verschiedenen 
fieberhaften Erkrankungen (Pyelitis, Parametritis). 

Unter meinem gesamten Untersuchungsmaterial haben also nur 
7 Fälle eine starke Wassermann’sche Reaktion gezeigt, die weder 
durch Eigenhemmung noch durch Lues erklärt werden konnten. Fall I 
ist eine hochfieberhafte Tuberkulöse, Fall II ein 25jähriger Mann, 
der im Anschluß an Gelenkrheumatismus eine Herzbeutelsynechie mit 
diastolischem Spitzenstoß aufwies. Fieber bestand nicht, der Kräfte¬ 
zustand war gut. Typische Herzfehlerfarbe ohne GallenfarbstofF 
im Urin oder Serum. Spezialärztliche Untersuchung (Oberarzt Dr. 
Neuberger) ließ keine Residuen für Lues finden. Da eine drei¬ 
malige Untersuchung stark positiv ausfiel, möchte ich Lues doch 
nicht ausschließen. 2 weitere fast komplette Hemmungen gaben die 
erwähnten Diabetesfälle, je ein Fall von Variola;vera (Agone), Lupus 
erythematodes und Mammakrebs mit starker Kachexie. Zwei stark 
positive Reaktionen bei letal verlaufender Nephritis ohne Anhalts¬ 
punkte für Lues wurden durch die Sektion als spezifisch erkannt 
(Hodenschwiele; Aortitis luetica). Inkomplette Reaktionen in 

1) Nachtrag: Neuerdings sah ich bei Erythema nodosum wieder eine 
stark positive Reaktion, die nach Ablauf der Erkrankung verschwand. Lues war 
nicht nachzuweisen. 


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einer Stärke wie man sie bei Tabes und gut behandelter Lues 
häufig zu sehen bekommt, traten bei den verschiedensten, 
hochfieberhaften Krankheiten auf. Daß bei Schar¬ 
lach der Prozentsatz höher gewesen wäre, kann icb 
nicht behaupten, im Gegenteil. Nach Ablauf des Fiebers 
waren, soweit Nachuntersuchungen vorgenommen wurden, die Re¬ 
aktion stets negativ, auch in 15 Fällen von Scharlach. Von einer 
Einwirkung des aberstandenen Scharlach auf die 
Reaktion nach Wochen oder Monaten — eine Ansicht, die man als 
Folge der Much’schen Arbeit nicht selten hört — kann keine 
Rede sein. Unter den gesunden Kontrollfällen befinden sich zu¬ 
dem zahlreiche Sera an früheren Scharlachkranken. 

Die Spezifität der Reaktion ist demnach mit 99°/ 0 Wahr¬ 
scheinlichkeit eine nahezu absolute, solange man nur die kom¬ 
plette Hemmung als positiv bezeichnet; über den Einfluß des Diabetes 
und der Gravidität sind weitere Untersuchungen noch erforderlich, 
ebenso über das Verhalten der Reaktion bei Erythema nodosum. 

Inkomplette Reaktionen kommen vor bei den verschiedensten 
Krankheitsgruppen, vor allem fieberhaften und schweren Konsum¬ 
tionskrankheiten, ohne daß Lues vorliegt, in ca. 10% aller Fälle 
gegenüber l°/ 0 bei gesunden Personen. 

Die Wasserraann’sche Schule vertritt auch jetzt noch den 
Standpunkt, daß man in zweifelhaften Fällen nur die vollständige 
Komplementfixation als beweisend für eine luetische Infektion an- 
sehen soll. Für die Zuverlässigkeit der Reaktion kann dieser Stand¬ 
punkt nur von Vorteil sein. Es ist ungerecht, der Methode den 
Vorwurf der Nichtspezifität zu machen auf Grund inkompletter 
Reaktionen, die offenbar bei den aufgezählten Krankheiten vielfach 
ohne weiteres als positiv gerechnet wurden. Leider ist aber der 
Wassermann’sche Standpunkt nur im serologischen Laboratorium, 
nicht aber in der Praxis aufrecht zu erhalten. Der Dermatologe 
kann es sich gestatten nur starke Hemmungen als positiv hinzu¬ 
nehmen, für den Neurologen und noch mehr für den internen 
Kliniker würde bei der gleichen Stellungnahme die Reaktion ganz 
wesentlich an Wert verlieren. Die Fälle, deren diagnostische 
Schwierigkeiten uns die Wassermann’sche Reaktion beseitigen zu 
helfen berufen ist, geben — mit der subtilsten Technik und deu 
besten Materialien — eben in größerer Zahl nur halbe, resj>. 
zweifelhafte Hemmungen. Gerade diesen + Reaktionen schreibt 
Citron ein besonderes Interesse und besonderen Wert zu. Stark 
positive Reaktionen habe ich bei metaluetischen Erkrankungen 


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Erfahrungen über die Spezifität der Wasser mann’schen Reaktion etc. 491 


regelmäßig nur bei Paralyse und Aortenaneurysmen 
resp. Insufficienzen sowie bei kongenitaler Lues gesehen. 
Die Tabes, Gehirnlues und andere Krankheitsformen des Spät¬ 
stadiums, die gerade dem Internisten unterlaufen, geben in einem 
Drittel der Fälle inkomplette Reaktionen ähnlich denen von 
gut behandelten Luetikern. Bei der Art des internen Kranken¬ 
materials, wo die Infektion oft Jahre bis Jahrzehnte zurückliegt, 
können wir die halben Hemmungen nicht entbehren; ich stimme 
darin mit Saathof, der über seine Erfahrungen an der Fr. v. 
Müller’schen Klinik berichtet hat, vollkommen überein. 

Die diagnostische Brauchbarkeit der Sera-Diagnostik der Lues 
ist erwiesen. Die Serologen haben ihre Arbeit getan. In der Zu¬ 
kunft wird die Hauptaufgabe darin bestehen, daß die Kliniker und 
in erster Linie die interne Klinik, der zum Studium das vielseitigste 
Versuchsmaterial zur Verfügung steht, in die Reihe tritt und die Krank¬ 
heitszustände definitiv fixiert, deren störender Einfluß auf die Reak¬ 
tion die zuverlässige Bewertung derselben sehr erschweren kann. 

Erst die Verwendung von Seris fieberhafter und in das Stoff¬ 
wechselleben schwerer eingreifender Krankheiten lehrte mich die 
Mängel der einzelnen Komponenten, aus denen sich der Komplement¬ 
fixationsversuch zusaramensetzt, näher kennen. Marg. Stern 1 ) 
hat schon darauf aufmerksam gemacht, daß der Grenzwert schwach 
positiver luetischer Sera, die in geringer Anzahl die Re¬ 
aktionsstoffe enthalten sich durch die geringsten Zufälligkeiten 
nach der positiven oder negativen Seite hin verschieben 
kann. So entstehen die sog. paradoxen Sera Meirowsky’s mit 
tageweise wechselnden Reaktionen. Wenn man die inkompletten 
Reaktionen verwerten will, muß man die Ursachen derselben kennen. 
Neben dem Hämolysin und Hammelblut sind die wichtigsten Fehler¬ 
quellen : 

1. Das Komplement, 2. der Extrakt, 3. die Eigen- 
hemmung. 

Das Komplement wird allgemein in einer Menge von 0,1 ccm 
bei einer Gesamtmenge von 5 ccm in jedem Versuchsröhrchen benutzt. 
Die Schwankungen im Titer werden ausgeglichen durch die im Vorver¬ 
such bestimmte Festsetzung der Amboceptormenge. Wir müssen aber 
noch mit anderen wichtigen Faktoren rechnen, die in der Indi¬ 
vidualität jedes Meerschweinchenserums begründet sind. 
Die Komplementmenge ist in einem Serum hoch, im anderen niedrig. 
Ganz frisches Komplement wird in größeren Mengen gebunden als altes. 

1) Zeitschr. für Immunitätsforschung 1910 Bd. 5. 


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Browning und Marg. Stern unterscheiden daher zwischen einem 
schwer und leicht deviablem Komplement. Ist das Komplement leicht 
ablenkbar, wird es in höherer Menge gebunden, so können auch nicht- 
luetische Sera, die an der Grenze der ReaktionBbreite stehen, ein posi¬ 
tives Resultat Vortäuschen. Im anderen Palle wird jeder Serologe die 
Beobachtung machen, daß z. B. an einem Tage, wie auch M. Stern 
erwähnt, auffallend viele Lösungen auftraten mit den gleichen Extrakten 
und denselben Seris, die am Tage zuvor mit anderem Komplement 
typische Hemmungen gaben. Ebenso habe ich beobachtet, daß in einer 
Versuchsreihe von 25 Fällen durch die hochgradige Deviabilität des 
Komplements eine Reihe sicher gesunder Kontrollsera mehr oder minder 
starke Hemmung zeigten. 

Im Vorversuch und in den Serumkontrollen lassen 
sieb diese Störungen in der Deviabilität gar nicht er¬ 
kennen. Sie werden nahezu sicher übersehen in kleinen Laboratorien, 
wo nur einige wenige Sera auf einmal zur Untersuchung kommen. Selbst 
einem geübten Untersucher geben nur große Versuchsreihen mit 
verschiedenen luetischen, normalen und zu inkompletten Reaktionen 
neigenden Seris für die Bewertung der letzteren den richtigen Ma߬ 
stab. Läuft die Lösung im ganzen rasch und glatt ab, so resultieren 
in der Regel wenig inkomplette Reaktionen, die dann sehr hoch bewertet 
werden können. Die gleich starke Hemmung darf im anderen Fall bei 
zögernder Lösung mit zahlreichen graduell differierenden Hemmungen nur 
als zweifelhaft bezeichnet werden. 

In der Überzeugung, daß das Komplement von 
nicht zu unterschätzender Bedeutung für den Aus¬ 
fall der Wassermann’schen Reaktion sein kann, haben 
mich in der letzten Zeit eigene Untersuchungen 
wesentlich bestärkt. Ich habe eine Reihe yon Seris mit 
denselben Reagentien zu der gleichen Zeit mit verschiedenen, 
jedesmal gleichzeitig frisch entnommenen Komplementen untersucht 
und dabei recht bemerkenswerte Unterschiede gefunden, von denen 
ich nur einige hier anführe. 


Komplement I 

Komplement II 

10. Normalblut 

— 

— 

12. Parametritis (38,5°) 

— 

+ 

13. Tuberkulose (39 °) 

+ 


14. Paralyse 

+++ 

++ 

15. Paralyse 

16. Lues I 

++ 

4“ 

+++ 

17. Lues 11 

+ 

H — f~ 

18. Aortitis 

± 

— 

19. Skorbut 

— 

+ 


Aus dieser kleinen Tabelle ersehen wir folgende wichtige Tatsachen: 
Zweifelhafte Sera reagieren mit einem Komplement schwach positiv, mit 
dem anderen negativ, ohne daß etwa nur die eine Versuchsreihe gleich¬ 
mäßig — oder —Resultate zeigt. Stark positiv reagierende Sera (14, 


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Erfahrungen über die Spezifität der Wassermann’schen Reaktion etc. 493 

17, 15) geben im allgemeinen wenig Differenzen. Immerhin zeigt Fall 16 
(Primäraffekt), daß wir mit einem Komplement eine absolutiv 
negative, mit einem zweiten eine stark positive Reaktion er¬ 
halten können. Über meine Versuche mit verschiedenen und Misch¬ 
komplementen werde ich an anderer Stelle berichten; doch sei jetzt 
schon erwähnt, daß eine Tabelle wie die obige, wenn man neben den 
Komplementen noch verschiedene Extrakte heranzieht, ein 
äußerst buntes Bild zeigen kann. 

Das Hämolysin ist im allgemeinen frei von störenden Eigen¬ 
schaften. In der Regel nehme ich die 2 1 / 2 fache Menge der komplett 
nach 2 Stunden lösenden Dosis, bei von Anfang an zögernder Hämolyse 
die 3 fache Menge. 

Das Hammelblut, das in 5 °/ 0 Lösung verwandt wird, muß in 
seltenen Fällen je nach Dichtigkeit der Blutlösung etwas weiter verdünnt 
resp. konzentriert werden. Die Farbe der 5 °/ 0 Emulsion kann nicht 
allein von der Schärfe und Dauer des Zentrifugierens abhängen, sondern 
auch von dem Hämoglobingehalt der Erythrocyten. Theoretisch sollte 
man zwar annehraen, es müßte der Hämoglobingehalt für die hämo¬ 
lytische Krafteinwirkung des Amboceptors gleichgültig sein, in der Praxis 
aber geht gleichzeitig eine erhöhte Resistenz der Blutkörperchen einher. Das 
von mir benutzte Hammelblut war niemals älter als 24 Stunden. Bei 
längerer Aufbewahrung nimmt die Löslichkeit der Blutkörperchen rasch zu. 

Eigenhemmung der inaktivierten Sera, die eine positive Reaktion 
Vortäuschen kann, sah ich besonders bei Icterus und hämoglobin- 
haltigen Seris, wie sie fast spezifisch für Paralytiker sind, 
ferner in einigen Fällen von Lues, Tuberkulose und länger 
aufbewahrten Seris. Merkwürdigerweise finde ich die äußerst 
störende Eigenhemmung bei icterischen Seris nirgends be¬ 
tont. Bei schwerem Icterus ist es nach meinen Erfahrungen daher 
unmöglich, eine Diagnose auf Lues zu stellen. Als Kuriosa möchte ich 
noch 2 Fälle von Eigenhemmung ohne gleichzeitige positive Wasser- 
mann’sche Reaktion bei je einem Unfallkranken und einer Aorteninsuf- 
ficienz erwähnen. Das eine dieser Sera fixierte bei 2 maliger Unter¬ 
suchung zuerst 0,5, am nächsten Tag 0,2 Komplement. In größerer 
Anzahl wurden solche „autotrope“ Sera von Ballner und Duastello 
bei der Verwendung von Rinderblut gesehen. Schon daraus ergibt sich 
die Folgerung, das bewährte Hammelblut nicht zu ersetzen durch andere 
Blutsorten, die zu unspezifischen Hemmungen führen. 

Der Extrakt bereitet von jeher — darüber herrscht nur eine 
Ansicht — dem Serologen die größten Schwierigkeiten. Wassermann 
erklärt immer noch den wässerigen luetischen Extrakt als den zuver- 
verlässigsten, gibt aber die Brauchbarkeit alkoholischer Normalorgan¬ 
extrakte neben dem ersteren zu. Da es äußerst schwierig ist, den seit 
der Entdeckung der Luesdiagnostik sehr gesuchten Artikel der fötalen 
Luesleber jederzeit zur Verfügung zu haben, so wird jetzt wohl allgemein 
der alkoholische Herzextrakt verwandt, zumal nachdem für dessen Güte 
autoritative Stellen, wie das Institut von Kolle, Ehrlich, die Wiener 
Kliniken, Ledermann, Lesser, Michaelis usw. dafür eingetreten 
sind. Ich selbst benutze für zweifelhafte Fälle stets alkoholischen Lues- 


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extrakt, da ich mit dem selbst bereiteten wässerigen keine guten Re¬ 
sultate bekam, gebe aber zu, daß ich mit wässerigen Extrakten aus dem 
Wassermann 1 sehen Institut früher die besten — und vor allem spär¬ 
lichsten unklaren — Reaktionen bekam. Lediglich der Mangel an brauch¬ 
baren Luesextrakten hat mich veranlaßt, andere Extrakte anzuwendec. 
als deren vorzüglichsten ich zurzeit den sogenannten Lesser sehen 
Tauenzienextrakt bezeichnen muß. Er gibt die meisten positiven Re¬ 
sultate, steht aber der Spezifitätsgrenze sehr nahe. Ich 
möchte diesen wässerigen Extrakt nicht mehr entbehren, weil er manche 
mit Luesextrakt zweifelhaft reagierende sicher luetische Sera zu positiver 
Reaktion verschärft. Neuere Erfahrungen haben mich veranlaßt, trotz¬ 
dem stets einen luetischen Extrakt mitzubenutzen, da dieser anderer¬ 
seits bei metaluetischen Erkrankungen, wie Tabes, positiv reagiert, 
während der Herzextrakt hier versagen kann. Das Ideale wäre, 
einen allgemein anerkannten Extrakt von einer zuver¬ 
lässigen Zentrale aus beziehen zu können. Derselbe müDt? 
jedoch nicht nur an sicheren Normal- und Luesfällen, sondern auch at. 
den von mir erwähnten Serie mit unspezifischer Hemmung austitrier: 
werden. Außerdem wäre es erforderlich, die Abnehmer, ähnlich 
wie beim Diphtherieheilserum, über die bei jedem Extrakt eio- 
tretenden Schwankungen auf dem laufenden zu erhalten 
Seligmann behauptet, es gebe überhaupt keinen Extrakt, der nicht 
zu irgendeiner Zeit mit irgendeinem Normalserum positiv reagieren könne. 
Auch Marg. Stern hat ähnliche Beobachtungen gemacht. Es ist da¬ 
her zweckmäßig und bereits in allen größeren Laboratorien üblich, jede« 
Serum mit mehreren Extrakten anzusetzen. Kleinere Laboratorien können 
den Mangel an geeigneten Kontrollseris nur auf diese Weise einiger¬ 
maßen ausgleichen. 

Außer den erwähnten in den variablen Faktoren des ganzen 
Systems liegenden Fehlerquellen gibt es noch eine Reihe anderer 
in der Technik selbst liegender. Zunächst werden dieselben um 
so größer, je geringer die zur Untersuchung kommende Serummenge 
ist; ich kann mich daher für die Weidanz’sche Modfikatiou 
(Verwendung kleinster Serummengen) nicht begeistern. Zur Er¬ 
sparung von Meerschweinchenkomplement benütze ich seit längerer 
Zeit die im Ehrlich’schen Institut übliche Gesamtmenge von 
2,5 ccm (also 0,1 ccm Serum), habe aber gefunden, daß bei der 
Nachuntersuchung zweifelhaft reagierender Sera größere Mengen 
(0.2 ccm Serum resp. 5 ccm im ganzen) die Resultate leichter be¬ 
urteilen lassen. Für alkoholische Extrakte ist an der fraktionierten 
Verdünnung festzuhalten. Von außerordentlicher Bedeutung für 
die Beurteilung der Endresultate eines Versuchs ist die Dauer des 
Aufenthalts im Brutschrank. Je nach der Deviabilität des 
Komplements läuft dieLösung heute rasch und glatt. 

1 i Siehe p. 4 l J7 ds. 


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Erfahrungen über die Spezifität der Wassermaun’schen Reaktion etc. 495 


morgen langsam und zögernd ab. Ich lasse den Versuch 
nicht schematisch 2 Standen im Brutschrank, sondern nehme ihn 
heraus, sobald alle Kontrollen J /s Stunde gelöst sind. Diejenigen 
Röhrchen, in denen eine Verzögerung der Lösung durch eine sehr 
langsame resp. keine sichtbare Sedimentierung der Blutkörperchen 
sich kundgibt, lasse ich auch bei gelösten Kontrollen länger bei 37 °. 
Es sind dies häufig nichtspezifische schwächere Hemmungen. 

Solche Röhrchen empfehle ich mehrmals zu 
schütteln; es gelingt auf diese Weise meist das unspezifisch 
fixierte Komplement aus seiner Verankerung frei zu machen und 
eine rasche Hämolyse herbeizuführen. Das endgültige Resultat 
bestimme ich in der Regel nach 4—6 Stunden, in zweifelhaften 
Reaktionen erst nach 12—20 Stunden. 

Nach meinen eigenen und anderen Untersuchungen kann es 
kein Zweifel mehr sein, daß bei den verschiedensten Erkrankungen 
nichtspezifische, schwach positive Reaktionen auftreten können. 
Das hat nunmehr auch Citron, der immer an der absoluten Spe¬ 
zifität festhielt, zugegeben. Auffällig ist das übereinstimmende 
Ergebnis der verschiedenen Untersucher bezüglich der Krankheits¬ 
gruppen, die luesähnliche Reaktionsstoffe produzieren. Worin die 
Ursache liegt, ist noch unbekannt. Bergei weist in einer kürz¬ 
lich erschienenen interessanten Arbeit auf die Beziehungen zwischen 
Wassermann’scher Reaktion und die fettspaltenden Eigenschaften der 
bei Lues und den erwähnten Krankheiten vermehrten Lymphoeyten 
hin. Der Lipoidgehalt der Sera ist unzweifelhaft von Bedeutung; 
darauf deuten die nichtspezifischen Hemmungen bei Diabetes, fett¬ 
haltigen Seris nach Milchdiät, Narkose usw. hin. Zum Studium 
dieser Fragen, die uns dem Wesen der rätselhaften Reaktion näher 
kommen lassen, sind noch größere Versuche an dem vorwiegend 
hierzu geeignetem Material einer inneren Klinik nötig. Es ist 
keineswegs ausgeschlossen, daß uns noch verschiedene Einwirkungen 
infektiöser oder chemischer Art auf den Ausfall der Reaktion un¬ 
bekannt sind. Solange wir mit dieser Möglichkeit rechnen müssen, 
ist bei der definitiven Entscheidung, ob eine inkomplette Hemmung 
als positiv oder negativ aufgefaßt werden soll, größte Vorsicht an¬ 
gezeigt. Wenn die Sicherheit der Wassermann’schen 
Methode an den Klippen der zweifelhaften Reaktionen 
nicht scheitern soll, müssen wir uns in erster Linie 
von den klinischen Beobachtungen im jeweils vor¬ 
liegenden Fall leite* lassen. 

Bei der ausgedehnten durch den Freudenberg’schen Vor- 


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ScHEIDEM ANDEL 


trag in der Berl. Med. Gesellschaft 1 ) hervorgerufenen Debatte 
erhob sich bei der Forderung, dem Serologen klinische Daten in 
die Hand zu geben, Widerspruch. Das würde das Mißtrauen der 
Praktiker gegen die Wassermann’sche Eeaktion nur noch vermehren, 
hieß es. Das kann aber doch nicht maßgebend sein, wenn es sieh 
darum handelt, über ein Individuum das schwerwiegende Urteil: 
Syphilis zu fällen. Der gewissenhafte Untersuchet* ist eben dann 
gezwungen öfter als nötig die schwer zu verwertende Diagnose: 
zweifelhaft zu stellen. Ich würde es niemals wagen anf 
eine einmalige positive Eeaktion hin — wenn dies nicht 
mit mehreren Extrakten der Fall ist — die Diagnose: Lues 
auszusprechen, solange ich über den körperlichen Allge¬ 
meinzustand des Seruminhabers absolut im unklaren ge¬ 
halten werde. Ich setze z. B. den Fall: Fast komplette Hemmung 
Klinisch: fehlende Patellarreflexe. Lues negiert. Tabes? Ist der 
Patient nun schwerer Diabetiker, so würde ich mich hüten die 
Diagnose auf positiv zu stellen. Ist es ein sonst Gesunder oder 
auch ein Alkoholiker, so kann ich mit größter Wahrscheinlichkeit 
sagen: Eeaktion positiv, weil ich eben weiß, daß Diabetes, nicht 
aber Alkoholismus störend auf die Eeaktion einwirken kann. Bei 
der Differentialdiagnose zwischen Lues und Carcinom werde ich 
eine + Eeaktion überhaupt nicht verwerten können, da bei diesen 
beiden Erkrankungen schwache Eeaktionen Vorkommen können. 
Citron erwähnt einen anderen Fall: klinisch Mediastinaltnmor 
oder Aneurysma. Eeaktion +. Hier sagt ihm die Erfahrung: Un¬ 
behandelte Aneurysmen geben in der Eegel starke Eeaktion: es ist 
also in diesem Fall wahrscheinlich kein Aneurysma, sondern ein Tumor. 

Bei rein dermatologischem Material hatte ich regelmäßig solche 
ausgesprochene Hemmungen, bei dem internen Material sind die 
Grenzreaktionen, die uns die meisten Schwierigkeiten bereiten, weit 
häufiger. Ich könnte hierfür noch zahlreiche Beispiele anfiihren. 
Aus den wenigen geht aber schon zur Genüge hervor, daß es von 
entscheidendem Wert ist, den jeweiligen Krankheitszustand des 
Patienten zu kennen. Dann werden einem geübten und in der 
Immunitätslehre erfahrenen Untersucher, der mit größeren Ver¬ 
suchsreihen arbeitend die Mängel der komplizierten Methode jedes¬ 
mal herausfinden wird, auch in der Verwertung der wichtigen, 
inkompletten Eeaktionen gröbere Irrtümer nicht unterlaufen. Nie¬ 
mals darf die Entscheidung in einer klinisch zweifelhaften Diagnose 
einzig und allein dem Eeagenzglas des Serologen überlassen bleiben. 

1) Berl. klin. Wochenschr. 1910 Nr. 26. 


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Erfahrungen über die Spezifität der Wassermann’schen Reaktion etc. 497 


nur in engem Zusammenhang mit der Klinik wird die moderne 
Serodiagnostik den ihr gebührenden Platz festhalten können. 

Zusammenfassung: 

Die stark positive Wassermann’sche Reaktion ist fast 
absolut für Lues spezifisch und unseren besten biologischen Methoden 
an Sicherheit ebenbürtig. 

Inkomplette (schwach positive) Hemmungen kommen auch bei 
hochfieberhaften und konsumierenden Erkrankungen vor (Tuber¬ 
kulose, Tumoren, Diabetes usw.). Bei wenig gestörtem Allgemein¬ 
zustand sind sie selten und meist auf Lues zurückzuführen. Nur 
durch wiederholte Untersuchung bei genauer Berücksichtigung des 
klinischen Bildes kann eine zweifelhafte Reaktion unter Umständen 
als positiv gerechnet werden. 

Stark icterische Sera sind wegen Eigenhemmung unbrauchbar. 
Unspezifische schwache Hemmungen treten bei luetischen Extrakten 
seltener auf als bei normalen Organextrakten. Bei der Verwendung 
der letzteren sind schwache Reaktionen geringer zu bewerten. 
Neben den Extrakten ist für den Ausfall der Reaktion das Kom¬ 
plement von großer Bedeutung; es kann oft — auch bei florider 
Lues — die alleinige Ursache einer negativen Reaktion sein. 

Eine einmalige negative Reaktion beweist nichts: weder für 
die Diagnose noch für die Heilung; aus dem gleichen Grunde sind 
Schlüsse auf den Gehalt eines Serums an Antikörpern oder auf 
den Einfluß der Therapie sehr problematisch. Die Kompliziertheit 
der Methode und die Schwierigkeit der Beurteilung erfordert ein 
größeres Laboratorium mit reichlichem Kontrollmaterial. Einzelne 
Fehlerquellen sind selbst von einem erfahrenen Untersucher nur 
in großen Versuchsreihen aufzudecken. Der Versuch, dem prak¬ 
tischen, nicht mit der Immunitätslehre vertrauten Arzt Modifi¬ 
kationen wie die von v. Düngern in die Hand ist daher verfrüht. 

Im Interesse der Sicherheit der Wassermann’schen Reaktion 
wäre dringend erwünscht, ein einheitliches Arbeiten aller Insti¬ 
tute nach der allgemein als zuverlässig anerkannten Originalmethode 
möglichst unter Benutzung eines „Standardantigens“ (Arning), das 
von einer Zentralstelle beziehbar, an den verschiedensten, auch zu 
nicht spezifischen Reaktionen neigenden Seris austitriert und 
ständig kontrolliert werden müßte. 1 ) 

1) Nachtrag bei der Korrektur: Inzwischen ist die Herstellung eines 
•derartigen Standardantigens (unter Kontrolle von Wassermann u. Meier) er¬ 
folgt durch die Firma Gans in Frankfurt a. M. 


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Aus der chirurgischen Klinik zu Königsberg i. Pr. 

Direktor: Prof. Dr. Erich Lexer. 

Radikale Appendizitisbehandlnng und ihre Ergebnisse 
bei 611 Fällen der Königsberger chirurgischen Klinik. 

Von 

Dr. Ad. Ebner, Königsberg i. Pr. 

Wenn ich trotz der zahlreichen und zum Teil so überaus um¬ 
fangreichen Zusammenstellungen, welche in den letzten Jahren 
über die operativen Erfolge der Appendizitisbehandlung in den 
verschiedenen Stadien der Erkrankung veröffentlicht worden sind, 
es wagen darf, im folgenden einen weiteren Beitrag hierzu za 
liefern, so glaube ich, daß derselbe insofern eines gewissen Interesses 
nicht entbehren dürfte, als es sich bei den innerhalb der letzten 
4V 2 Jahre bei Professor Lexer zur Behandlung und Operation 
gelangten 661 Appendizitiskranken meiner Zusammenstellung um 
Fälle handelt, welche durchweg nach dem gleichen, von mir an an¬ 
derer Stelle bereits ausführlich vertretenen Grundsatz des operativen 
Eingriffs in jedem Stadium und zu jedem Zeitpunkt der Er¬ 
krankung behandelt worden sind. Gerade mit Rücksicht auf diese 
Einheitlichkeit des Vorgehens im radikalen Sinne dürfte eine ein¬ 
gehendere Betrachtung derselben vornehmlich vom klinischen Ge¬ 
sichtspunkt aus für die Entscheidung der praktisch wichtigen, noch 
strittigen Fragen insbesondere hinsichtlich des Eingriffs im Zwischen¬ 
stadium — zwischen Früh- und Spätstadium — manch wertvollen 
Hinweis ergeben. 

Bezüglich der Anordnung der Fälle werde ich mich der bereits 
mehrfach von mir hervorgehobenen Einteilung bedienen, welche in 
gleicher Weise dem zeitlichen, wie dem klinisch-therapeutischen 
Prinzip gerecht zu werden vermag, indem ich zwischen dem ab¬ 
soluten Frühstadium innerhalb der ersten 24 Stunden, dem Zwischen¬ 
stadium (sog. Intermediärstadium) zwischen Früh- und Spätstadium 
vom 3.—8. Tage der Erkrankung, dem Spätstadium vom 9. Tage 


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Radikale Appendizitisbehandlnng und ihre Ergebnisse etc. 499 

der Erkrankung ab und schließlich dem Sicherheitsstadium (sog. 
Intervallstadium) nach Ablauf der Entzündungserscheinungen unter¬ 
scheide. Zu diesen kommt dann noch im Interesse der Vervoll¬ 
ständigung der Einteilung vom klinischen Gesichtspunkt aus das 
Notstadium, in welchem durch den Eintritt der peritonealen All¬ 
gemeininfektion die Not am größten ist, das zeitlich naturgemäß 
bereits vom ersten Tage der Erkrankung ab in jedem Stadium 
einsetzen kann und bei dem wir noch im Gegensatz zu dem ab¬ 
soluten das relative Frühstadium innerhalb der ersten 48 Stunden 
nach Beginn der peritonealen Allgemeininfektion wegen seiner relativ 
günstigen Prognose für den operativen Eingriff unterscheiden müssen. 

Daß klinisch dieser rein zeitlichen Einteilung die Einteilung 
in die Appendicitis simplex, Periappendicitis incipiens, P. circum¬ 
scripta, P. chronica und P. diffusa in der Regel zu entsprechen 
pflegt, ist ebenfalls bereits an anderer Stelle von mir hervorgehoben 
worden, wenngleich bei dem so unendlich verschiedenartigen Ablauf 
der Erscheinungen am Appendix und seiner Umgebung auch hin¬ 
sichtlich ihrer Schnelligkeit eine bestimmte Norm sich überhaupt 
kaum aufstellen läßt, vielmehr recht häufig Abweichungen der 
Befunde von dem zeitlich zu erwartenden Ergebnis Vorkommen. 
Es sollen damit vielmehr lediglich diejenigen Veränderungen am 
Appendix und seiner Umgebung angedeutet sein, welche man zeit¬ 
lich am häufigsten in den entsprechenden Stadien der Erkrankung 
zu finden pflegt. 

Wie wünschenswert, um nicht zu sagen notwendig, im übrigen 
eine möglichst einheitliche Einteilung und Anordnung der Fälle 
nach den gleichen zeitlichen und therapeutischen Gesichtspunkten, 
bezw. eine definitive Einigung über die einzelnen Bezeichnungen 
und Begriffe ist, zeigt immer wieder von neuem eine Durchsicht 
der einzelnen Appendizitiszusammenstellungen bis auf den heutigen 
Tag, indem verschiedene Autoren gerade unter der klinisch und 
therapeutisch so überaus wichtigen Bezeichnung des Zwischen- 
bzw. Indermediär- und Spätstadiums gänzlich verschiedene Begriffe 
und Zeiträume der Erkrankung verstehen, so daß an einen Vergleich 
der betreffenden Zusammenstellungen von auch nur annähernd 
gleichen Gesichtspunkten aus gar nicht zu denken ist, und man 
demgemäß über das Ergebnis in den einzelnen Stadien der Er¬ 
krankung kein einheitliches Übersichtsbild zu gewinnen vermag. 

Im Interesse einer erfolgreichen und einheitlichen Betrachtung 
der Ergebnisse kann daher namentlich im Hinblick auf die immer 
weiter noch wachsende Zahl der Zusammenstellungen und Ver- 


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500 


Ebner 


öffentlichungen auf diesem Gebiet nicht dringend und häufig genug 
darauf hingewiesen werden, wie unbedingt nötig eine Einigung 
darüber wäre, nach welchen Gesichtspunkten bzw. zeitlichen und 
klinischen Begriffsbestimmungen sich die sämtlichen Autoren bei 
ihren Aufstellungen zu richten hätten, um damit zur Entscheidung 
zweifelhafter Fragen einen wirklich erfolgreichen Beitrag liefern zu 
können. 

Wenn sicherlich auch bezügl. gewisser klinischer Begriffe, wie 
beispielsweise der genauen Begriffsbestimmung einer diffusen Peri¬ 
appendizitis bzw. peritonealen Allgemeininfektion, und therapeu¬ 
tischer Anschauungen für vereinzelte Stadien der Erkrankung eine 
völlige Einigung sämtlicher Autoren sich innerhalb absehbarer 
Zeit kaum herbeiführen lassen dürfte, für die zeitlichen Bezeich¬ 
nungen und Begriffe aber, mit denen man arbeitet, kann und muß 
eine derartige Einigung zustande kommen, um so mehr als sie nur 
von dem guten Willen der einzelnen Autoren abhängt, wenn anders 
die so überaus zahlreichen und fleißigen Arbeiten auf diesem Ge¬ 
biet einen auch nur annähernd entsprechenden Erfolg in ihrer 
Gesamtheit zeitigen sollen. 

Es ist dies ein Punkt, der mir zu oft und zu augenfällig immer 
wieder hinderlich bei einer vergleichenden Durchsicht der Literatur 
in die Erscheinung getreten ist, als daß ich es mir versagen sollte, 
an dieser Stelle einmal ausdrücklich auf die Nachteile dieses 
dauernden Getrenntmarschierens bei der Bearbeitung wissenschalt- 
licli gleichartiger Fragen hinzuweisen. 

Das ist auch der Grund, weswegen ich im folgenden von dem 
Anfuhren größerer und zahlreicher Statistiken im allgemeinen ab- 
sehen und mich lediglich auf die Übersicht bzw. eine nähere 
Besprechung der einzelnen Stadien und allenfalls einen kurzen 
Vergleich unserer Fälle mit meiner Zusammenstellung des G arre- 
sehen Materiales beschränken werde, der mir einer gewissen Be¬ 
rechtigung insofern nicht zu entbehren scheint, als das letztere 
nach denselben völlig gleichen Gesichtspunkten s. Z. von mir zu¬ 
sammengestellt worden ist, und der auch insbesondere hinsichtlich 
seiner Ergebnisse des verschiedenartigen Vorgehens im Zwischen¬ 
stadium von gewissem Interesse sein dürfte, da wir bei den letz¬ 
teren Fällen den auch heute noch von Garre vertretenen Stand¬ 
punkt des individualisierenden Vorgehens im Gegensatz zu unserem 
erheblich radikaleren Vorgehen zum Ausdruck gebracht finden. 

Unterziehen wir so das gesamte Material der Königsbergei 
chirurgischen Klinik an Appendizitisfällen, die vom 1. Oktober 1905 


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Radikale Appendizitisbehandlung and ihre Ergebnisse etc. 


501 


ab nach der bekannten Indikationsstellnng unter Professor Lex er 
zur Behandlung und Operation gelangt sind, einer Einteilung und 
Sichtung nach den oben erwähnten Stadien, so fällt von vorn¬ 
herein bei den insgesamt 611 Fällen von Appendizitis, welche bis 
Anfang März 1910 zur Operation gelangt sind, eine ganz erhebliche 
Zunahme der akuten Fälle gegen früher auf, indem heute 306 
chronischen Fällen fast die gleiche Zahl von 305 akuten Fällen 
gegenüber steht, was einem Prozentsatz von 50 : 50°/ 0 entsprechen 
würde, während nach meiner früheren sich allerdings über den 
langen Zeitraum von dreizehn Jahren erstreckenden Zusammen¬ 
stellung des Gar röschen Materials aus der Rostocker, Königsberger 
und Breslauer Klinik bis zum Januar 1907 auf 346 Fälle im 
chronischen Stadium nur 167 akute Erkrankungen kommen, was 
den erheblich niedrigeren Prozentsatz von 32,5°/ 0 der akuten zu¬ 
gunsten von 67,5% der chronischen Fälle ergibt. 

Es weisen demnach in meiner letzten Zusammenstellung die 
akuten Fälle eine Zunahme um rund 17,5% gegen früher auf, und 
diese Tatsache an sich dürfte den besten Beweis dafür bilden, wie 
sehr mittlerweile die Erkenntnis von den Vorteilen des frühzeitigen 
Eingriffs und einer möglichst radikalen Indikationsstellung An¬ 
erkennung gefunden hat. 

Und wenn ich nun auch im folgenden versuchen werde, be¬ 
züglich der Mortalitätsverhältnisse einen gewissen Vergleich der 
beiden nach den gleichen Gesichtspunkten von mir bearbeiteten 
Aufstellungen durchzuführen, so liegt es mir selbstverständlich voll¬ 
ständig fern, damit eine Kritik des einen oder anderen Verfahrens 
üben zu wollen, da dieses sich naturgemäß, abgesehen von der 
individuell verschiedenen Indikationsstellung und Auffassung der 
einzelnen Fälle, schon insofern von selbst verbietet, als ja die 
Technik des Eingriffs, wie auch die Nachbehandlung sich innerhalb 
des langen Zeitraumes von 16 Jahren erheblichen Wandlungen 
und Verbesserungen unterzogen hat, die meiner späteren Zusammen¬ 
stellung entsprechend zugute kommen und damit auch eine absolut 
einheitliche Beurteilung der gesamten Fälle bis zu einem gewissen 
Grade ausschließen müssen. 

Ich möchte vielmehr lediglich versuchen, auf diese Weise den 
Beweis zu erbringen, daß trotz des gegenüber meiner ersten Zu- 
•satamenstellung weit überwiegenden Prozentsatzes der akuten, und 
zwar nicht allein der absoluten Frühfälle in meiner jetzigen Zu¬ 
sammenstellung die Resultate der letzteren hinsichtlich der Mor¬ 
talität zunächst ganz allgemein beurteilt, dennoch keine wesentlich 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 33 


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Ebner 


schlechteren Ergebnisse gezeitigt haben, als die der ersteren sich 
vorwiegend aus chronischen Fällen zusammensetzenden Auf¬ 
stellung. 

Zur besseren und gedrängten Übersicht über die Zahl und 
die Mortalität unserer Fälle in den einzelnen Jahrgängen und ver¬ 
schiedenen Stadien der Erkrankung schicke ich kurz folgende kleine 
Tabelle voraus, bei der die Zahl der gestorbenen Fälle in Klammern 
beigefügt ist: 



Frtihop. 

Zwischenop. 

Spätop. 

Notop. 

Sicherheitsop. 

Summ 

1905/6 

6 

6(1) 

6(1) 

3(1) 

35 

5« (3) 

1906/7 

6 

9 

20 (2) 

6(4) 

61 

102 (6) 

1907/8 

14 

19(1) 

25 

16(5) 

69 

143 (61 

1908/9 

21 

14 

23 

18(6) 

82 

158161 

1909/10 

33 

34(1) 

14(1) 

12(6) 

59 

152 (8) 

Summa: 

80 

82(3) 

88(4) 

55(22) 

306 

611(29) 


Aus dieser Tabelle ergibt sich zunächst hinsichtlich der ein¬ 
zelnen Jahrgänge ein Ansteigen sowohl der Fälle in ihrer Gesamt¬ 
heit, als auch in den einzelnen Stadien der Erkrankung, bei denen 
allerdings der Löwenanteil dieses Anstiegs auf die Fälle im Früh- 
Stadium — worunter im Gegensatz zu dem relativen stets das 
absolute Frühstadium verstanden wird — und im Zwischenstadium 
entfällt, die beide von 6 Fällen im ersten Jahr bis auf 33 bzn. 
34 Fälle im letzten Jahre angestiegen sind. 

In gleicher Weise lassen auch die chronischen Fälle ein Anwachsen 
entsprechend der Zunahme des Operationsmaterials überhaupt er¬ 
kennen, während, gleich wie dieses auch bei meiner früheren Aof- 
stellung besonders von mir hervorgehoben ist, auch hier wieder 
die Spät- und Notoperationen sich auf einem ziemlich gleichbleiben¬ 
den Niveau bewegen, also im Verhältnis zu der stets wachsenden 
Zahl der Fälle insgesamt und in den übrigen Stadien eigentlich 
einen Rückgang erkennen lassen. Dieser Rückgang fallt gegen¬ 
über der erheblichen Zunahme der Früh- und Zwischenoperationen 
um so schwerer ins Gewicht, da ein Zusammenhang dieser Vorgänge 
insofern nicht zu leugnen sein dürfte, als mit der dauernden Zo- 
nahme der Früh- und Zwischenoperationen die Zahl der Spät- nnd 
Notoperationen mit ihrer mehr minder schlechten oder doch zweifel¬ 
haften Prognose solange zurückgehen muß, bis sie im idealen Sinne 
gesprochen gleich 0 geworden und damit die Mortalität der Er¬ 
krankung um ein wesentliches gehoben sein dürfte. Daß wir zu 
diesem erfreulichen Ergebnis auf dem besten Wege sind, scheint 
mir durch die obige Verschiebung des Zahlenverhältnisses zwischen 


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Radikale Appendizitisbehandlung und ihre Ergebnisse etc. 


503 


Früh- und Zwischenoperationen einerseits und den Spät- bzw. Not¬ 
operationen andererseits zugunsten der ersteren einwandsfrei be¬ 
wiesen zu sein. 

Interessant dürfte sich ferner die Prüfung der Frage gestalten, 
in welcher Weise diese Verschiebung der Prozentverhältnisse zu¬ 
gunsten der Eingriffe im akuten Stadium auf das Mortalitäts¬ 
verhältnis im ganzen eingewirkt haben mag. Treten wir dieser 
Frage näher, so finden wir in unserer obigen Tabelle auf die Ge¬ 
samtzahl von 611 operativ behandelten Fällen verteilt 29 Todes¬ 
fälle, was einem Prozentsatz von 4,7°/ 0 Mortalität entsprechen 
würde, während nach meiner früheren Zusammenstellung des Garre- 
schen Materials auf insgesamt 513 operativ behandelte Fälle 
rund 30 Todesfälle entfallen, was einem Prozentsatz von 5,8°/ 0 
Mortalität entsprechen würde. Man ist demnach trotz des um 17,5°/o 
überwiegenden Vorhandenseins der akuten Fälle in meiner letzten 
Zusammenstellung in der Lage gewesen, eine noch um 1,1 °/ 0 ge¬ 
ringere Mortalität zu erzielen, und es scheint mir in dieser Tat¬ 
sache ebenfalls eine nicht unerhebliche Empfehlung des radikaleren 
Vorgehens zu liegen, um so mehr als für dieses Ergebnis durchaus 
nicht etwa eine überwiegende Steigerung der absoluten Frühfalle 
allein mit ihrer ohnehin günstigen Prognose gegenüber einer ent¬ 
sprechend geringeren Zahl von Zwischen-, Spät- und Notfällen ver¬ 
antwortlich zu machen ist, wie man möglicherweise einwenden könnte. 

Die prozentuale Berechnung der Frühfälle in ihrem Verhältnis 
zur Gesamtzahl bei beiden Zusammenstellungen ergibt nämlich 
eine Steigerung derselben um 5,3°/ 0 bei dem Garre’schen Material 
gegenüber einer Zunahme derselben um 13,l°/ 0 bei meiner letzten 
Zusammenstellung, was einer prozentualen Überlegenheit der Früh¬ 
fälle um 7,8°/ 0 bei L e x e r entsprechen würde, während die übrigen 
akuten Fälle, also Zwischen-, Spät- und Notfälle zusammenge¬ 
nommen, von 27,3"/ 0 bei Gar re auf 36,8°/ 0 in meiner letzten Zu¬ 
sammenstellung gestiegen sind, was also einer prozentualen Ver¬ 
mehrung derselben um 9,5% entsprechen würde. Es ergibt sich 
daraus, daß die prozentuale Steigerung der absoluten Frühfälle in 
meiner letzten Zusammenstellung der gleichzeitigen Steigerung der 
übrigen akuten Fälle nicht nur nicht überlegen, sondern sogar um 
1,7% unterlegen ist, so daß von einer überwiegenden Beteiligung 
der prognostisch ungleich günstigeren Frühfälle an dem Ergebnis 
meiner letzten Zusammenstellung nicht gut die Rede sein kann. 

Sehen wir nun des weiteren, in welcher Weise sich die 29 
Todesfälle seit dem 1. 10. 05 auf die einzelnen Stadien der Er- 

33* 


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Ebner 


krankung verteilen, bzw. wie sich die Mortalität innerhalb dieser 
Stadien verhält, So finden wir zunächst 80 Fälle von absoluter 
Frühoperation und 306 Sicherheitsoperationen, die, wie es an sich 
ja auch nicht anders zu erwarten ist, ohne Todesfall verlaufen sind. 

Es verteilen sich demnach die 29 Todesfälle unserer Zusammen¬ 
stellung lediglich auf diejenigen 225 Fälle, welche im Zwischen-. 
Spät- und Notstadium zur Operation gelangt sind. Das ergibt für 
diese Fälle den relativ hohen Prozentsatz von 12,9°/ 0 Mortalität 
der jedoch in erster Linie der entsprechend hohen Sterblichkeit 
bei den Notoperationen zur Last zu legen ist, gegen welche die 
Mortalität bei den Zwischen- und Spätoperationen kaum ins Ge¬ 
wicht fällt, wie wir im folgenden sehen werden. 

Es entfallen nämlich von ihnen auf rund 82 Zwischen¬ 
operationen nur drei Todesfälle, was zunächst dem an sich 
schon nicht allzu hohen Prozentsatz von 3,6°/ 0 Mortalität entsprechen 
würde, der nur um 0,6°/ 0 höher ist, als das von Sprengel in 
seiner Zusammenstellung gefundene Ergebnis von 3 0 / o für das 
Zwischenstadium. 

Da aber in dem einen von diesen drei Fällen sich trotz ge¬ 
nauester Obduktion seitens des hiesigen pathologischen Instituts 
eine Klarheit über die eigentliche Todesursache überhaupt nicht 
erlangen ließ, sich insbesondere auch nicht die Anzeichen einer 
stärkeren peritonealen Entzündung bzw. peritonealen Allgemein- 
infektion, ebensowenig wie einer Embolie oder dgl. feststellen 
ließen, so muß man wohl naturgemäß den letzteren Fall für die 
eigentliche Wertung des operativen Eingriffs an sich im Zwischen¬ 
stadium in Abzug bringen und würde damit für das Zwischen¬ 
stadium den noch erheblich günstigeren Prozentsatz von nur 2,4 # » 
Mortalität erhalten. Das muß um so mehr hervorgehoben werden, 
als die Gegner der Zwischenoperation, wie Koerte, Garre. 
Kuemmel, v. Eiseisberg, Sonnenburg u. a. sich bei ihrer 
Abneigung gegen dieselbe auf die schlechten Ergebnisse ihrer 
Statistik mit 8—16% Mortalität im Zwischenstadium stützen. 
Diese können aber insofern nicht als beweisend erachtet werden, 
als von ihnen eben nur die wirklich schweren Fälle, bei denen es 
wegen drohender Gefahr der peritonealen Allgemeininfektion dringend 
notwendig ist, in diesem Statium operiert werden, so daß es sich 
dabei nicht allzu selten um Notoperationen, nicht aber um Zwischen¬ 
operationen im eigentlichen Sinne des Wortes gehandelt haben dürfte. 

Daß wir im übrigen dabei auch selbst nach dem Vorgänge 
Sprengels die Fälle von bereits vorhandener peritonealer All- 


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Radikale Appendizitisbehandlung and ihre Ergebnisse etc. 505 

gemeininfektion oder freier Peritonitis, wie sie Sprengel bezeichnet, 
die innerhalb des Zwischenstadiums zur Operation gelangt sind, 
fortlassen, versteht sich insofern von selbst, als diese dann eben’ 
Notoperationen sind, die in jedem, also auch im Zwischenstadiam 
dringend indiziert sind und bei der bereits vorhandenen Allgemein* 
infektion des Peritoneums von vornherein auch eine wesentlich 
schlechtere Prognose ergeben müssen, wie die eigentliche Zwischen- 
Operation, welche ja lediglich zur Verhütung der gleichsam sekun¬ 
dären Allgemeininfektion des Peritoneums unter entsprechender 
Erweiterung der operativen Indikationsstellung auch für alle die 
Fälle eben vorgeschlagen wird, die bereits eine gewisse Neigung 
zur Umgrenzung und Abkapselung des Entzündungsvorganges zeigen: 
und die auch heute noch nach der Ansicht der konservativeren 
Chirurgen ein Noli me tangere darstellen sollen« 

Etwas, aber nicht wesentlich höher gestaltet sich in uuserer 
Zusammenstellung die Mortalität der Spätoperation mit 4 Todes¬ 
fällen auf 88 Operationen im Spätstadium der Erkrankung, w;as 
zunächst einer Mortalität von 4,5% entsprechen würde. Sie ge¬ 
staltet sich danach also noch um 2,3% höher als unsere Mortalität 
im Zwischenstadiuro, und ich möchte nicht verfehlen, das ganz be¬ 
sonders hervorzuheben gegenüber der vielfach noch üblichen An¬ 
schauung, daß die Eingriffe im Zwischenstadium sich erheblich 
gefährlicher zu gestalten bzw. eine wesentlich schlechtere Mortalität 
zu liefern pflegen, als im Spätstadium der abgekapselten Ent¬ 
zündungsherde und Abszesse. 

Jedenfalls kann im Vergleich zu den Spätfällen meiner ersten 
Zusammenstellung, nach Abzug der ursprünglich dabei mitgezählteü 
Zwischenoperationen, mit einer Mortalität von 7,8% und zu den 
weiteren Ergebnissen von Hab er er mit 5,9%, Silbermark 
mit6%, Sprengel mit5—10%, Dannehl mit 11,6%, Kuemmel 
und Battle mit je 10% das Ergebnis unserer Spätoperationen 
zum mindesten nicht als ungünstig bezeichnet werden, selbst wenn 
man unter Einrechnung der beiden durchaus zweifelhaften Fälle - 
den höheren Mortalitätssatz von 4,5% als zurecht bestehend an- 
sehen wollte. 

Kommen wir nun schließlich zu den übrigen 22 Todesfällen, 
welche sämtlich auf die im Notstadium, dem Stadium der perito¬ 
nealen Allgemeininfektion, zur Operation gelangten 55 Fälle ent¬ 
fallen, so ergibt das den gegenüber den anderen Stadien außer¬ 
ordentlich hohen Prozentsatz von rund 40,0% Mortalität, der sich 
abgesehen von der Schwere der pathologischen Veränderungen zum 


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506 


Ebner 


Teil vielleicht auch dadurch erklären lassen dürfte, daß die Falle 
größtenteils von verschiedenen Assistenten operiert worden sind, 
bei denen man naturgemäß nicht ohne weiteres den gleichen Erfolg 
voraussetzen kann, als wenn sämtliche Fälle von der Hand des 
gleichen erfahrerenen Chirurgen operiert worden wären, wie sich 
das an großen Krankenhäusern, wie Braunschweig, Hamborg. 
Frankfurt u. dgl. wohl durchführen läßt, aber an einem Lehrinstitut 
aus mannigfachen Gründen äußerer und innerer Natur nicht gnt 
möglich ist. 

Daß dieser an sich ziemlich hohe Prozentsatz, namentlich aocb 
der eigentlichen Notoperationen, im Verhältnis zu den Ergebnissen 
anderer Autoren indes ebenfalls nicht als besonders ungünstig za 
bezeichnen ist, dürfte sich am besten aus der folgenden kleinen 
Tabelle ergeben, in welcher ich versucht habe einige Zusammen¬ 
stellungen derart lediglich nach der Höhe dieses Prozentsatzes bei 
den Notoperationen im allgemeinen, also einschließlich der relativen 
Frühoperationen zu ordnen, während ich das getrennte Ergebnis 
der relativen Frühoperationen und der eigentlichen Notoperationen. 
soweit mir dasselbe zugänglich war, daneben gestellt habe: 


Autore. Notoperation. 

Relative Frühop. 

Eigentl. Notop. 

Ebner (Lexer) 1910 

40,0»/. 

W/o 

65,62% 

Lindström 

mx 

22,0% 

65,2% 

Nötzel 

49,1°/. 

— 

— 

Heidenhain 

54,76»/, 

— 

— 

Trendelenburg 

64,0»/, 

— 

— 

Fowler 

69,5»/, 

— 

— 

Ebner (Garrö) 1908 

70,4»/, 

14,3 % 

85,0», 

Dannehl 

74,4»/, 

-- 

— 

v. Haberer 

76,0»/, 

— 

— 

v. Mikulicz 1903 

83,0»/, 

— 

— 

Kümmel 

89,0»/, 

— 

— 

Sprengel 1901 

— 

25,0 % 

44,0% 

Sprengel 1905 

— 

4,0 % 

25,0% 

Silbermark 

— 

10,0% 

45,9% 


Indem ich die Besprechung der einzelnen Todesfälle bei der 
näheren Erörterung der einzelnen Stadien unserer Einteilung vor¬ 
nehmen werde, möchte ich noch kurz hinsichtlich des Geschlechtes 
der Patienten hervQrheben, daß wir entsprechend dem Ergebnis 
fast sämtlicher übrigen Aufstellungen vorwiegend das männliche 
Geschlecht von der Erkrankung betroffen finden, insofern als von 


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Radikale Appendizitisbehandlnng and ihre Ergebnisse etc. 


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611 Erkrankungsfällen 358 auf das männliche und nur 253 auf das 
weibliche Geschlecht entfallen, was einem Prozentsatz von 58,6°/ 0 
zugunsten des männlichen Geschlechts gegenüber 41,2% für das 
weibliche Geschlecht entsprechen würde. 

In gleicher Weise habe ich in meiner ersten Zusammenstellung 
von 550 Fällen des Gar röschen Materiales gegenüber 63,6% von 
männlichen Patienten nur 36,4% Frauen gefunden, ebenso hat u. a. 
auch Dan ne hl ein Verhältnis von 72,2% : 27,8 % und Ho ff mann 
bei 2131 Fällen fast das gleiche Verhältnis mit 72,4% : 27,6% 
zwischen der Beteiligung der beiden Geschlechter zugunsten des 
männlichen Geschlechts gefunden. Asch off dürfte also mit dem 
Ergebnis seiner Zusammenstellung der von ihm untersuchten 1000 
Fälle hinsichtlich einer Beteiligung der Geschlechter an der Er* 
krankung zu gleichen Teilen auch weiterhin ziemlich vereinzelt 
dastehen. 

Treten wir nun in die nähere Besprechung der einzelnen Stadien 
der Erkrankung ein, so möchte ich zunächst diejenigen Kategorien 
vorausschicken, deren Besprechung ich etwas summarischer ge¬ 
stalten kann. 

Es sind dieses vorerst die im Slcherheitsstadium zur Operation 
gelangten Fälle, deren Zahl sich auf 306 beläuft, und bei denen 
ein Todesfall nicht zu verzeichnen ist. 

Die Zahl der vorangegangenen Anfälle bewegt sich 
bei diesen zwischen 1—12 Anfällen, und zwar waren vorausgegangen 
ein Anfall in 91 Fällen, 2 in 98, 3 in 63, 4 in 27, 5 in 15, 6 in 7, 
7 in 1, 10 in 3, und schließlich 12 Anfälle in einem Fall. Danach 
ist also weitaus die Mehrzahl der Fälle, nämlich 189, bereits nach 
dem ersten bis zweiten Anfall zur Operation gelangt, was einem 
Prozentsatz von 61,8% entsprechen würde, während die Zahl der 
später gekommenen Fälle sich auf 117 = 38,2% beläuft. 

Der Zeitpunkt der Operation nach Ablauf des 
letzten Anfalls fällt innerhalb der 1.—10. Woche in 213 Fällen, 
innerhalb der 11.—20. Woche in 54 Fällen, innerhalb der 21.—30. 
Woche in 17 Fällen, innerhalb der 31.—40. Woche in 9 Fällen 
und innerhalb der 41.—50. Woche in 4 Fällen, während der Rest 
von 9 Fällen erst nach einem Jahr oder noch später zur Operation 
gelangt ist. Es sind danach 69,6% unserer chronischen Fälle 
bereits innerhalb der ersten 10 Wochen nach Ablauf des letzten 
Anfalls zur Operation gelangt 

Daß es dabei durchaus nicht so notwendig und angesichts der 
Möglichkeit neuer Rückfälle nicht einmal zweckmäßig ist, wie das 


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Ebne« 


früher vielfach der herrschenden Anschauung entsprach, mindestens 
acht bis zehn Wochen oder darüber nach dem letzten Anfall bis 
za dem Eingriff verstreichen za lassen, das geht aas dem Ergebnis 
unserer Zusammenstellung insofern hervor, als fast die Hälfte 
dieser Fälle bereits innerhalb der ersten drei Wochen nach dem 
Ablanfe des Anfalls operiert worden ist, ohne daß dadurch irgend¬ 
eine Beeinflussung der Mortalität oder des Heilungsverlaufs im 
ungünstigeren Sinne zutage getreten wäre. 

Daß gelegentlich einmal so kurz nach einem schweren Aufall 
noch Exsudatreste bzw. virulente Herde gefunden und entleert 
werden können, liegt auf der Hand. Bei geeignetem Vorgehen und 
entsprechender Technik des Eingriffs werden aber auch derartige 
Entzünduqgsreste für den Patienten durch den Eingriff an sieb 
nicht eine größere Gefahr bedingen, als die sonst im Körper noch 
länger zurückbleibenden Herde virulenter Erreger. Vielmehr werden 
im allgemeinen bereits vorhandene Verwachsungen so kurz nach 
dem abgelaufenen Entzündungsvorgang immer noch leichter lösbar 
sein, als wenn man einen längeren Zeitraum verstreichen läßt, bis 
die Verwachsungen erst recht fest geworden und dementsprechend 
schwieriger zu trennen sind. Und wie schwere Verwachsungen 
man selbst nach 6, ja nach 9 Monaten und darüber noch antreffen 
kann anstatt der erwarteten Resorption der Adhäsionen, falls NB. 
inzwischen nicht ein neuer Anfall hinzugekommen ist, das dürfte 
wohl so ziemlich jeder erlebt haben, der auf eine größere Anzahl 
von Sicherheitsoperationen zurückblicken kann. 

Sowohl von theoretischen Erwägungen, wie auch dem Ergebnis 
unserer praktischen Erfahrungen ausgehend, können wir uns daher 
auch hinsichtlich des Sicherheitsstadiums der früheren, mehr kon¬ 
servativen Anschauung nicht anschließen, sondern glauben vielmehr, 
daß gleich wie während des gesamten Verlaufes der Erkrankung über¬ 
haupt, so auch im Sicherheitsstadium bzw. nach Ablauf der akuten 
Entzündungserscheinungen der Eingriff jederzeit zweckmäßig und 
empfehlenswert ist, und zwar im Hinblick auf die leichtere Löslich¬ 
keit der Verwachsungen je früher desto besser. Auch hier darf 
man nach unseren Erfahrungen gleichwie im Zwischenstadium der 
Erkrankung sich ruhig einer radikaleren Anschauung befleißigen, 
als das früher der Fall gewesen ist. 

Hinsichtlich der Behandlungsdauer der chronischen 
Fälle sind innerhalb der ersten zwei Wochen 138 Fälle, gleich 
44,8° ,,. und innerhalb der ersten drei Wochen weitere 101 Fälle, 
im ganzen also 239 Fälle gleich 78% der gesamten chronischen 


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Radikale Appendizitiabehandlnng and ihre Ergebnisse etc. 509 

Fälle zur Entlassung gekommen, während der Rest von 65 Fällen, 
gleich 22°/ 0 , erst innerhalb der 4.-5. Woche entlassen werden' 
konnte. Der Appendix konnte in sämtlichen 306 Fällen entfernt werden. 

Was die pathologisch - anatomischen Befunde im 
Sicherheitsstadium anbelangt, so möchte ich dieselben lediglich 
summarisch berichten und nur bei denjenigen Fällen etwas länger 
verweilen, die von den üblichen Befunden Abweichendes darbieten. 

Zunächst Zeichen vorausgegangener Entzündung 
am Peritoneum in der Umgebung des Appendix in Gestalt von 
älteren bzw. frischen Verwachsungen oder Exsudatresten finden wir 
angegeben in 162 Fällen, gleich 52,9°/ 0 , also über der Hälfte der 
gesamten Sicherheitsfälle. Von diesen handelte es sich um wenige 
bzw. leichter lösliche Verwachsungen in 53 Fällen, während zahl¬ 
reiche und schwerer lösliche Verwachsungen in 87 Fällen gefunden 
wurden, was also einem Prozentverhältnis von 17,3:28,4"/ 0 ent¬ 
sprechen und somit auf eine Überlegenheit der stärkeren Ver- 
wachsungsfälle um 15,l°/ 0 über die Fälle mit leichten Verwachsungen 
hinauslaufen würde, eine Tatsache, die mir für die Abwägung 
zwischen den Vorteilen der Früh- und der Sicherheitsoperation be¬ 
achtenswert erscheint. 

Zeichen einer erst kürzlich abgelaufenen Entzündung * in der 
Umgebung des Appendix in Gestalt von Exsudatresten bzw. Gra¬ 
nulationen werden in weiteren 22 Fällen, dem Rest der oben er¬ 
wähnten 162 Fälle, angegeben, was einem Prozentsatz von 7.2°',, 
der chronischen Fälle insgesamt entsprechen würde. 

So hoch nun das Verhältnis dieser noch frischen Exsudatreste 
bzw. noch vorhandenen Abszesse zu der gesamten Zahl der 
chronischen Fälle auch von vornherein erscheinen mag, so erklärt 
sich die Höhe desselben eben daraus, daß wir auch im Sicherheits¬ 
stadium die Fälle nach Ablauf der entzündlichen Erscheinungen 
zu jeder Zeit operiert haben und eine verhältnismäßig große Zahl 
von Fällen bereits 8—14 Tage nach dem Anfall zur Operation ge¬ 
langt ist, wo naturgemäß frische Entzündungsreste noch vorhanden 
sein konnten. 

Daß dadurch im übrigen die Prognose der Fälle wesentlich 
verschlechtert wäre, kann man, wie das auch von anderen Autoren 
gefunden ist, nach dem praktischen Ergebnis unserer kleinen 
Statistik wohl kaum sagen. 

Hinsichtlich der Merkmale von Entzündungsprozessen 
am Appendix selbst möchte ich im folgenden der größeren 
Übersichtlichkeit wegen unterscheiden zwischen denjenigen, welche 


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510 


Ebnkh 


in der Haltung, der Form, der Wandung und schließlich dem Inhalt 
des Appendix zum Ausdruck gelangt sind. 

Was zunächst die Haltung des Appendix anbelangt, soweit 
darüber Angaben vorhanden sind, so finden wir als die häufigste 
Abnormität derselben erwähnt eine ausgesprochene Abknickung in 
10 Fällen. 

Eine weitere Haltungsanomalie des Appendix in Gestalt einer 
„spiraligen" bzw. „korkzieherartigen" Drehung um seine Längs¬ 
achse wird nur in zwei Fällen erwähnt. Schließlich wird noch 
in einem Falle eine „penisartige Erektion“ des Appendix besonders 
hervorgehoben, als Zeichen der noch vorhandenen entzündlichen 
Veränderung seiner Wand. 

Hinsichtlich einer Formveränderung des Appendix 
findet sieb eine durch Retention bedingte Auftreibung seines Lumens 
in rund 30 Fällen erwähnt, was einem Prozentsatz von 9,8°/ 0 der 
chronischen Fälle insgesamt entsprechen würde. 

Zu den Formanomalien des Appendix möchte ich schließlich 
noch rechnen die meist durch narbige Verwachsungen bedingten 
Strikturen seines Lumens, die wir hier in 11 Fällen ausdrücklich 
erwähnt finden. 

Entzündliche Veränderungen der Wand des Appen¬ 
dix in Gestalt einer ausgesprochenen Schwellung bzw. umschriebenen 
Ulceration derselben werden verzeichnet in 18 Fällen, bei denen 
es sich einmal infolgedessen zu der oben bereits erwähnten penis¬ 
artigen Erektion des Appendix gekommen war. 

Eine Stenose der Schleimhaut, im Gegensatz zu der durch 
äußere Serosaveränderungen hervorgerufenen Striktur, wird an¬ 
gegeben in 6 Fällen. Die nächstfolgende Veränderung in Gestalt 
einer Verklebung der Wand bzw. Obliteration des Appendixlumens 
wird erwähnt in 23 Fällen, gleich 7,5%. 

Eine noch nachweisbare Perforation der Wandung wird 
angegeben in 12 Fällen, gleich 4% der chronischen Fälle. Als 
immerhin recht seltener Befund war in einem Falle die Spitze des 
Appendix in das Coekum hinein perforiert, so daß auf diese Weise 
eine zweifache Amputation des Appendix sich als notwendig erwies. 

Hinsichtlich des Inhaltes des Appendix möchte ich noch 
hervorheben, daß von Fremdkörpern in seinem Lumen nur in 
zwei Fällen berichtet wird, gleich 0,6%, die sich einmal in Gestalt 
mehrerer Borsten, vermutlich von einer Zahnbürste herrührend, in 
der Spitze des Appendix, und ein anderes Mal in Gestalt eines 
Getreidekornes vorfanden, das durch eine vermutlich artefbriell 


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Radikale Appendizitisbehandlong und ihre Ergebnisse etc. 


511 


während des Eingriffs entstandene Öffnung ebenfalls an der Spitze 
herausschaute. 

Das Vorhandensein von Kotsteinen wird ausdrücklich 
hervorgehoben in 16 Fällen, gleich 5,2°/ 0 . Der größte dieser Steine 
wird als bohnengroß angegeben. In zwei Fällen fanden sich zwei 
Kotsteine gleichzeitig im Appendixlumen vor. In einem Falle war 
unter dem Kotstein ein Ulcus gelegen, in einem anderen Falle 
entsprach eine Deknbitnsstelle an der Spitze der Lage des Steines. 

Hinsichtlich des OperationsVerlaufes möchte ich noch 
erwähnen, daß in fünf Fällen während der Lösung der Appendix 
ein- bzw. abgerissen wurde, und daß trotzdem nur in einem einzigen 
von ihnen, sich eine Fistel etablierte, die noch bei der Entlassung 
sich nicht geschlossen hatte. Bei den übrigen Fällen hingegen 
trat nach Einlegen einer Drainage bzw. geringen Tamponade auf 
den Stnmpf glatte Heilung ein, trotzdem sogar in zwei Fällen von 
ihnen die Spitze des abgerissenen Appendix überhaupt nicht ge¬ 
funden wurde nnd zurückgelassen werden mußte. 

Außer dieser eben erwähnten bei der Entlassung noch vor¬ 
handenen Fistel wird nur noch in zwei weiteren Fällen von einer 
postoperativen Fistelbildung berichtet. Wir haben es 
danach also nur in drei Fällen, gleich 1%, überhaupt mit einer 
Fistelbildung nach dem Eingriff zu tun, von denen eine bereits bei 
der Entlassung ausgeheilt war, während die beiden anderen sich 
höchstwahrscheinlich innerhalb kürzerer Zeit nach der Entlassung 
ebenfalls spontan geschlossen haben dürften, da sonst die Patienten 
sich sicherlich früher oder später noch einmal zwecks Beseitigung 
der Fistel vorgestellt hätten. 

Eine Tamponade bzw. Drainage des Operationsfeldes war not¬ 
wendig in 33 Fällen, was dem immerhin noch recht hohen Prozent¬ 
satz von 10,8°/ o der chronischen Fälle insgesamt entsprechen würde. 

Die Höhe dieses Prozentsatzes dürfte sich aber ohne weiteres 
aus dem vielfach recht frühen Zeitpunkt unseres Vorgehens nach 
dem Abklingen der entzündlichen Erscheinungen und der ent¬ 
sprechend vergrößerten Möglichkeit des Vorhandenseins frischer 
Entzündungsreste zwanglos erklären lassen. 

Der H eilungsverlauf derFälle nach derOperation 
war in 286 Fällen, gleich 93,5°/ 0 , ohne Störung und fieberhafte 
Temperatursteigerung. Auf den Best von 20 Fällen, gleich 6,5°/ 0 
der chronischen Fälle überhaupt, entfallen Störungen des Wund¬ 
verlaufes in 9 Fällen, was einem Prozentsatz von 3 °/ 0 der Ge¬ 
samtfälle entsprechen würde. Und zwar bestand diese Störung in 


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Ebner 


7 Fällen in einer Faden- bzw. Nahteiterung. In einem weiteren 
Falle wurde am 11. Tage post op. wegen eingetretenen Schüttel¬ 
frostes und Fieber durch Eröffnung der frischen Narbe ein Absceß 
der rechten Leistengegend entleert und drainiert. In dem nennten 
Falle schließlich wurde ein unterhalb der Nabt sekundär zur Ent¬ 
wicklung gelangter Absceß durch Eröffnung der Naht entleert und 
drainiert, nachdem man trotz verhältnismäßig frischer Entzünd ungs- 
reste sich dennoch in diesem Falle zum primären Verschluß der 
Bauchwunde verstanden hatte. 

Eine Störung durch Hämatombildung wird im ganzen 
sechsmal gleich 2°/ 0 der Gesamtfälle verzeichnet. Und zwar saß 
das Hämatom in fünf Fällen direkt in der Narbe und war somit 
von den Bauchdecken ausgegangen. Nur in einem Falle handelte 
es sich um ein intraperitoneal bzw. unterhalb der Bauchdecken 
gelegenes Hämatom nach Tamponade wegen heftiger Blutungen 
aus den zahlreichen Adhäsionen, das infolge Infektion vom Dann 
aus vereitert war. 

Von Störungen seitens der Lungen wird nur in 3Fällen. 
gleich 1 %, der chronischen Fälle insgesamt berichtet. In allen 
3 Fällen handelte es sich um außerordentlich leichte Erkrankungen, 
die zweimal in einer leichten Bronchitis mit geringem Fieber bis 
38,2° von 2—3 tägiger Dauer bestanden und einmal einer ganz 
leichten Pleuritis serosa im komplementären Zwerchfellraum der 
rechten Seite entsprachen. 

Störungen seitens des Gefäßsystems werden nur in 
einem Falle in Gestalt einer leichten Thrombose des rechten Unter¬ 
schenkels mit einer geringen Temperatursteigerung bis 37.6 be¬ 
richtet. 

Störungen seitens des Darmtraktus werden gleich¬ 
falls nur in einem Falle, gleich 0,3%, berichtet, in dem es vom 
3. bis 5. Tage nach dem Eingriff unter einem kurzen und ziemlich 
steilen Temperaturanstieg bis 39,2° zu übelriechenden Durchfallen 
kam, die wohl auf eine Störung der Darmtätigkeit im Sinne einer 
Enteritis hinweisen dürften. 

Die gleich günstige, wenn nicht noch günstigere Prognose, wie 
die Sicherheitsoperation im chronischen Stadium liefert die abso¬ 
lute Frühoperation innerhalb der ersten 48 Stunden nach Beginn 
der Erkrankung, eine Prognose, die wir ebenfalls mit einer Mor¬ 
talität von 0% an unseren 80 Fällen von absoluter Frühoperation 
bestätigt gefunden haben. 

Hinsichtlich der Anzahl der vorangegangenen Anfälle 


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Radikale Appendizitisbehandlang und ihre Ergebnisse etc. 


513 


wird in der überwiegenden Mehrzahl von 43 Fällen der betreffende 
Anfall als der erste angegeben, während es sich noch in 29 Fällen 
um den zweiten, dagegen nur in 4 Fällen um den dritten, in 3 Fällen 
nm den vierten Anfall und schließlich in 1 Falle um angeblich 
zehn vorausgegangene Anfälle, allerdings mehr weniger leichten 
Charakters, gehandelt hat. Es siud also 72 von 80 Fällen, gleich 90°/ o 
unserer absoluten Frühoperationen, bereits im ersten bzw. zweiten 
Anfall, also verhältnismäßig frühzeitig zur Operation gelangt, 
während nur in 8 Fällen der dritte bis vierte Anfall bzw. noch 
später abgewartet worden ist. 

Auch hier konnte in sämtlichen Fällen der Appendix ohne be¬ 
sondere Schwierigkeit gefunden und entfernt werden. 

Bezüglich des Zeitpunktes der Operation nach dem Be¬ 
ginn des Anfalles gelangte die Mehrzahl der Fälle, nämlich 55, 
erst am zweiten Tage zur Operation, während nur 25 gleich am 
ersten Tage die Hilfe des Chirurgen in Anspruch nahmen. 

Hinsichtlich der Heilungsdauer gelangten inner¬ 
halb der ersten 3 Wochen 64 von 80 Fällen, gleich 80°, 0 
der absoluten Frühoperationen, zur Entlassung. Der 
Rest von 16 Fällen gleich 20°/o bedurfte zum Teil wegen einer 
notwendigen Tamponade, zum Teil auch wegen späterer Zwischen¬ 
falle einer längeren Behandlungsdauer, auf die wir an geeigneter 
Stelle noch näher zu sprechen kommen werden. 

Immerhin ist trotzdem noch gegenüber 45,6 °/ 0 der Sicherheits¬ 
operationen, welche ebenfalls innerhalb der ersten 3 Wochen die 
Klinik verlassen durften, ein um 34,4 °/ 0 überlegener Prozentsatz 
der absoluten Frühoperationen innerhalb des gleichen Zeitraumes 
zur Entlassung gelangt, eine Tatsache, die nicht gerade zuun¬ 
gunsten der Frühoperation und ihres Heilungsverlaufes gegenüber 
der Sicherheitsoperation sprechen dürfte. 

Was nun die gelegentlich des Eingriffs erhobenen patho¬ 
logisch-anatomischen Befunde der absoluten Früh¬ 
fälle anbelangt, so habe ich mich bemüht, dieselben wie im Sicher¬ 
heitsstadium hinsichtlich ihrer einzelnen Erscheinungen zu ordnen, 
um so ein möglichst einheitliches Übersichtsbild von der Häufig¬ 
keit dieser Erscheinungen im Frühstadium der Erkrankung zu ge¬ 
winnen. 

So finden wir hinsichtlich einer Beteiligung des Perito¬ 
neums ältere Entzündungsreste in Gestalt reichlicher bzw. festerer 
Verwachsungen angegeben in 16 Fällen, neuere Entzündungsreste 
in Gestalt geringerer bzw. leichter trennbarer Verwachsungen in 


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Ebnbb 


7 Fällen, so daß insgesamt in 23 Fällen, gleich 28>7 % der Frühfalle. 
Entziindungsreste als Zeichen vorangegangener Anfalle am Peri¬ 
toneum festzustellen waren. Hinsichtlich frischer Entzündumrser- 
scheinungen am Peritoneum und zwar in ziemlicher Übereinstimmung 
mit dem Zeitraum seit dem angeblichen Beginn der Erkrankung 
finden wir als ersten Grad derselben ein Ödem am Peritoneum 
bzw. Mesenteriolum verzeichnet in 4 Fällen, gleich 5%, und als 
zweiten Grad ein freies, rein seröses Exsudat in 10 Fällen, gleich 
12,5 %• Ein trüb seröses bzw. eiterig getrübtes Exsudat als dritter 
Grad der Entzündung fand sich in 12 Fällen, gleich 15 0 0 . In 
allen diesen Fällen war das Exsudat durchweg auf die nähere 
Umgebung des Appendix beschränkt, während die weitere Um¬ 
gebung bereits in Gestalt von mehr weniger reichlichen fibrinösen 
Beschlägen der Serosa die ersten Ansätze zu beginnender Ver¬ 
klebung und Abgrenzung der Entzündung aufwies. 

Eine ausgesprochene Absceßbildung wird unter den absoluten 
Frühoperationen nur in 2 Fällen gleich 2,5 % berichtet und hatte 
augenscheinlich sekundär zum Auftreten der neuen, als eigentlicher 
Anfall imponierenden Entzündungserscbeinungen getührt. 

Sowohl aus den obigen zum Teil bereits recht fortgeschrittenen 
Reaktionserscheinungen am Peritoneum, wie namentlich auch den 
beiden letzten Fällen, kann man wieder die Bestätigung des so oft 
bereits hervorgehobenen Widerspruchs der tatsächlich vorhandenen 
klinischen Erscheinungen mit dem seit dem angeblichen Beginn 
der Erkrankung verstrichenen Zeitraum ersehen. Das muß um 
so mehr hervorgehoben werden vom praktischen Gesichtspunkt aus, 
als auf diese leichtverständliche Weise selbst der strikteste Gegner 
der Zwischenoperation gelegentlich gezwungen sein kann, statt der 
erwarteten Frühoperation eine Zwischenoperation dem Befunde 
nach machen zu müssen, deren Erfolg ihn dann wohl zu einem 
weiteren Beschreiten des zufällig betretenen Weges ermutigen 
dürfte. Man kann eben niemals sowohl nach den rein klinischen 
Erscheinungen, wie nach der zeitlichen Berechnung des Krank¬ 
heitsverlaufes ganz sicher sein, den erwarteten Befund auch wirk¬ 
lich anzutreffen, und darum wird es auch vom praktischen Stand¬ 
punkt aus immer sein mißliches haben, hier für den Eingriff ge¬ 
wisse zeitliche Grenzen des Krankheitsverlaufes festsetzen und 
überhaupt irgendwelche auf dieser Basis beruhende Normen auf- 
steilen zu wollen, die man beim besten Willen gar nicht befolgen 
kann, weil sie eben pathologisch-anatomisch in zahlreichen Fällen 
nicht zutreffen. 


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.Radikale Appendizitisbehandlnng and ihre Ergebnisse etc. 


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Was nun die eigentlichen Veränderungen am Appen¬ 
dix bei unseren Frühfällen anbelangt, so linden wir als einen 
leichteren Grad derselben lediglich eine Schwellung und Rötung 
seiner Wand in 18 Fällen gleich 22,5 °/ 0 , und einen stärkeren Grad 
derselben in Gestalt makroskopisch deutlich erkennbarer ulceröser 
Veränderungen in 8 Fällen, gleich 10 °/ 0 , verzeichnet. Eine noch 
stärkere Veränderung der Wand in Gestalt einer ausgesprochenen 
Gangrän wird berichtet in 4 Fällen, von denen in einem Falle so¬ 
gar die ganze Schleimhaut des Appendix eine gangränöse Ver¬ 
färbung mit diphtherieähnlichen Belägen aufwies, während in den 
anderen 3 Fällen eine mehr umschriebene Gangrän der Wand in 
ihrer ganzen Dicke an der Spitze saß. 

Multiple Hämorrhagien der Schleimhaut werden nur in 
3 Fällen, gleich 3,7 °/ 0 , angegeben, von denen sie sich in einem Falle 
gleichzeitig zusammen mit einem Kotstein vorfanden. Zur aus¬ 
gesprochenen Perforation der Wand war es nur in 4 Fällen 
gleich 5 % der Frühoperationen gekommen. In 2 von diesen Fällen 
fänden sich bezeichnenderweise auch Kotsteine vor. 

Das Vorhandensein von Kotsteinen überhaupt finden wir 
angegeben im ganzen nur in 6 Fällen, gleich 7,5 °/ 0 . 

Zu einer Veränderung der Form des Appendix in¬ 
folge Retention seines Inhalts war es gekommen in 23 Fällen 
gleich 28,7 °/ 0 . 

Auch hier finden wir, gleich wie im Sicherheitsstadium, in 
weitaus überwiegendem Maße die Spitze bzw. das obere Drittel des 
Appendix von den akut entzündlichen Erscheinungen betroffen, die 
stellenweise bereits zu den schwersten Störungen der Wand, ja 
sogar mehrfach zur Perforation innerhalb des kurzen Zeitraums 
seit dem angeblichen Beginn der Erkrankung geführt hatten. 

Was nun den Eingriff selbst anbelangt, so spielte er sich 
in der gleichen Weise wie der im chronischen Stadium ab. 

Das Einlegen eines Tampons erwies sich notwendig in 19 Fällen 
gleich 23,7 °/ 0 , ein Prozentsatz, der gegenüber 10,8 °/o der Tampon¬ 
fälle im Sicherheitsstadium über doppelt so hoch ausfällt, wie bei 
den Sicherheitsoperationen. Diese an sich ja recht auffällige Tat¬ 
sache findet aber ohne weiteres ihre Erklärung in der Überlegung, 
daß in den betreffenden Fällen die akuten Veränderungen am Appen¬ 
dix und Peritoneum bereits soweit fortgeschritten waren, daß man 
es für vorsichtiger erachten mußte, für einige Tage die Wunde in 
geringer Ausdehnung noch offen zu halten. Da im übrigen bereits 
nach einem kurzen Zeitraum von 2—4 Tagen meist die geringe 


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Ebner 


Tamponade bzw. Drainage entfernt werden konnte, so trat eine 
wesentliche Verlängerung des Heilungsverlaufes dadurch in der 
Regel nicht ein. 

Trotz dieser verhältnismäßig häufigen Tamponfälle wurde nnr 
ein Fall, der ein ausgesprochen eiteriges Exsudat gehabt hatte 
mit einer noch bestehenden geringen Eiterabsonderung ans der 
kleinen Tamponfistel entlassen, die sich ebenfalls sehr schnell 
spontan geschlossen haben durfte. Bei allen übrigen Fällen ist 
die Tamponöffnung meist innerhalb kürzester Zeit nnd zwar durch 
sekundäre Verklebung der Wundränder znr Heilung gelangt. 

Der Heilungsverlauf der Fälle nach der Operation war 
in 74 Fällen, gleich 92,5 °/ 0 . ohne weitere Störung. Bei dem Best 
von 6 Fällen, gleich °/o? handelte es sich um eine Störung des 
Wandverlaufes durch eine Faden- bzw. Nahteiterung in 2 Fällen 
gleich 2,5 °/o» durch vorübergehende Retention mit entsprechendem 
Temperaturanstieg nach Entfernung des Tampons in einem Falle. 
In 2 Fällen kam eine geringe Störung seitens der Lungen vor. 
Ganz besonders erschwert wurde schließlich der Verlauf des 
6. Falles durch einen Vorgang, der mit der eigentlichen Erkran¬ 
kung an sich nichts zu tun hatte, der vielmehr lediglich dem bis 
dahin von uns zur Ligatnr des Mesenteriolums verwandten Katgut- 
material zur Last zu legen ist, indem nämlich durch nachträgliches 
Abgleiten der Ligatur von der Art. appendicnlaris ein sehr großes 
retrocökal gelegenes Hämatom unter entsprechender Anämie znr 
Entwicklung gelangte. Wir haben uns diesen Fall zur Warnung 
dienen lassen und seitdem nur noch mit Seide ligiert, worauf ein 
derartiger Zwischenfall nicht mehr zu verzeichnen gewesen ist 

Der Prozentsatz der postoperativen Zwischenfälle beim Früb- 
stadium in Höhe von 7,5 °/ 0 stellt sich im übrigen ziemlich gleich 
demjenigen im Sicherheitsstadium mit 6,5 °/ 0 , insbesondere wenn man 
den letzten Fall, der ja überall hätte passieren können, dabei in 
Abzug bringt, was dann einen Prozentsatz von 6,2 °/ 0 für das Früh¬ 
stadium unserer Zusammenstellung ergeben würde. 

Kommen wir nun zu der Erörterung der im Zwischen¬ 
stad iura vom 3.—8. Tage der Erkrankung zur Operation ge¬ 
langten Fälle, so sind darunter, wie bereits oben bemerkt nur 
diejenigen Fälle einbegriffen, welche nicht bereits zu einer aus¬ 
gesprochenen Allgemeininfektion des Peritoneums geführt hatten 
und somit bereits eher eine gewisse Neigung zur Umgrenzung des 
Entziindungsvorganges erkennen ließen, da ja die ersteren Fälle 
von vorneherein unter anderer Indikationsstellung und Prognose 


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Radikale Appeudizitisbehandlnng nnd ihre Ergebnisse etc. 


517 


stehen nnd zum Schluß unserer Ausführungen unter der Kategorie 
der Notfälle bzw. Notoperationen gesondert besprochen werden 
sollen. 

Daß im übrigen nur nach diesen Gesichtspunkten aufgestellte 
Zusammenstellungen in ihren Endergebnissen für die Entscheidung 
über den Wert bzw. die Mortalität der Operation im Zwischen¬ 
stadium von Wert sein können, und daß demnach die vom indi¬ 
vidualisierenden Gesichtspunkt ans im Zwischenstadium behandelten 
Fälle hinsichtlich der Wertung ihrer operativen Erfolge oder Mi߬ 
erfolge nur von bedingtem Wert sein können, ergibt sich insofern 
von selbst, als nach der letzteren Behandlungsart nur bei Gefahr 
einer drohenden peritonealen Allgemeininfektion zur Operation ge¬ 
schritten wird, die dann vielfach statt der drohenden die bereits 
vorhandene peritoneale Allgemeininfektion ergeben nnd so ähnlich 
wie vorher die Früh- zur Zwischenoperation, in diesem Falle statt 
der Zwischen- znr Notoperation werden kann, so daß sie mit ihrer 
entsprechend schlechteren Prognose selbstverständlich für die Wer¬ 
tung der eigentlichen Zwischenoperation an sich ohne weiteres 
fortfallen muß. Von diesem Gesichtspunkt aus dürfte auch gerade 
dem Mortalitätsergebnis unserer 82 Zwischenoperationen eine be¬ 
sondere Bedeutung für die Entscheidung der Frage insofern nicht 
abzusprechen sein, als hier eben nur solche Fälle für die Zusammen¬ 
stellung verwendet sind, welche als Zwischenoperationen im eigent¬ 
lichen Sinne durchweg zu gelten haben. 

Daß dabei die Infektionsgefahr für das übrige Peritoneum 
durch die Lösung frisch entzündlicher Verwachsungen während des 
Eingriffs durchaus nicht so naheliegend ist, wie das von den 
Gegnern des radikaleren Vorgehens angenommen wird, das dürfte 
neben anderen Ergebnissen auch das unsrige vom rein praktischen 
Gesichtspunkt aus — der doch am Ende der einzig maßgebende 
immer sein und bleiben wird — zu beweisen geeignet sein, wenn 
wir mit 3 Todesfällen bei 82 Operationen auf einen Prozentsatz 
von 3,6 °/o Mortalität im Zwischenstadium zurückblicken können, 
der mit Abrechnung des bereits oben erwähnten Todesfalles, für 
den eine Todesursache sich auch bei der Autopsie nicht finden 
ließ, sich sogar auf 2,4 % Mortalität noch verringert. Daß eine 
so günstige Mortalität im übrigen nicht vereinzelt dasteht oder auf 
einem Zufallsergebnis beruht, zeigt neben anderen Zusammen¬ 
stellungen vor allem der von Sprengel für seine Fälle gefundene 
Satz von 3 und diese Tatsache allein dürfte vom praktischen 
Gesichtspunkt aus eine genügende Widerlegung der allzu über- 

Dentacbes Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 34 


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Ebner 


triebenen Befürchtungen vor dem Eingriff im Zwischenstadium zu 
bilden geeignet sein. 

Vom theoretischen Standpunkt aus ist ferner in Betracht zu 
ziehen, daß gleich der von uns mehrfach experimentell nach¬ 
gewiesenen Immunität der reaktiven EntzQndungszone am Furankel 
der Haut, so auch bei der meist deutlich erkennbaren hyperämi- 
schen Reaktionszone der Darmserosa in der Umgebung des ent¬ 
zündeten Appendix eine erhöhte Produktion von bakteriolytischen 
und bakteriziden Schutzstoffen stattfindet, welche in gleicher Weise 
zu einer völligen Immunität des Peritoneums innerhalb dieser Zone 
gegen eine sekundäre Infektion vom zentralen Entzündungsherd 
aus führt, und daß somit auch vom theoretischen Standpunkt aus 
eine Infektionsgefahr für das freie Peritoneum mit ziemlicher 
Sicherheit auszuschließen ist, solange der Operateur sich möglichst 
innerhalb dieser Sicherungszone hält. Wie weit er dieses im ein¬ 
zelnen Falle praktisch durchzuführen in der Lage ist, dürfte wohl 
mit von der Erfahrung und Technik des betreffenden Chirurgen 
abhängig zu machen sein. 

Um nun nach dieser kurzen Abschweifung zu der näheren Be¬ 
sprechung unserer Fälle im Zwischenstadinm zurückznkehren. so 
ist bezüglich der vorangegangenen Anfälle zu bemerken. da£ 
die weitaus größte Anzahl der Fälle, nämlich 52 gleich 63.4'%. 
bereits im ersten Anfall zur Operation gelangt ist, während nur 
20 Fälle gleich 24,4 % im zweiten Anfall, 6 gleich 7,3% im dritten. 
3 im vierten und schließlich einer im fünften Anfall noch zur 
chirurgischen Behandlung seine Zuflucht nehmen mußte. 

Der Appendix konnte trotz des vorgeschritteneren Zeitraums 
noch entfernt werden in 75 Fällen gleich 91,5%, während er in 
nur 7 Fällen gleich 8,5% zurückgelassen werden mußte. Und zwar 
handelte es sich bei den letzteren ausnahmslos um Inzisionen von 
abgekapselten Abscessen, bei denen fünfmal der Appendix nicht 
gefunden werden konnte, während man in 2 Fällen von der ge¬ 
waltsamen Entfernung des in und mit der Absceßwand fest ver¬ 
wachsenen Appendix Abstand nehmen mußte, um nicht die ge¬ 
schlossene Absceßhöhle zu eröffnen. Trotzdem gelangte nur in einem 
dieser Fälle, bei dem die Spitze des Appendix perforiert und völlig 
gangränös gewesen war, eine Kotfistel zur Ausbildung, die sich 
jedoch bis zu der Entlassung des Patienten nach 31 tägiger Be¬ 
handlung von selbst schloß. Ein anderer von diesen Fällen ging 
an einer langsam fortschreitenden retroperitonealen Phlegmone mit 


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Radikale Appendizitisbehandlung und ihre Ergebnisse etc. 


519 


anschließender Peritonitis zugrunde und wird später noch genauer 
besprochen werden. 

Was nun den Zeitpunkt der Operation nach Beginn 
des Anfalls anbelangt, so fällt derselbe auf den 3. Tag nach 
Beginn der Erkrankung in. 31 Fällen, auf den 4. Tag in 16, den 
5. Tag in 14, den 6. Tag in 7, den 7. Tag in 6, und schließlich 
den 8. Tag in 9 Fällen. Auch hier ist wieder das Bestreben die 
Fälle möglichst frühzeitig zur Operation zu senden, daraus ersicht¬ 
lich, daß die größte Anzahl der Fälle mit 31 gleich 38°/ 0 bereits 
am 3. Tage der Erkrankung zur Operation gelangt ist, und daß 
dieses Bestreben auch im Zwischenstadium immer noch voll und 
ganz gerechtfertigt ist, wird wohl am besten durch die Tatsache 
illustriert, daß sämtliche bis zum 4. Tage der Erkrankung zur 
Operation gelangten Fälle ihren Ausgang in Heilung nahmen, 
während von den 3 tödlich verlaufenen Fällen der eine am 5. und 
die beiden anderen erst am 6. Tage der Erkrankung zur Operation 
gelangt sind, Tage, die an sich ja auch von manchen für den Ver¬ 
lauf der Erkrankung als besonders kritisch angesehen zu werden 
pflegen. 

Die Behandlungsdauer der geheilten Fälle im Zwischenstadium 
Anden wir entsprechend dem weiter fortgeschrittenen Entzündungs¬ 
stadium erheblich weiter hinausgerückt. Sie schwankt in der weiten 
Grenze von 5 bis zu 104 Tagen, und zwar ist innerhalb der ersten 
3 Wochen der erheblich niedrigere Prozentsatz von 49,4 °/ 0 der Fälle, 
gegenüber 78 % im Sicherheitsstadium und 80 °/ 0 im absoluten Früh¬ 
stadium, zur Entlassung gelangt, während der Rest von 40 Fällen 
gleich 50,6 °/ 0 erst innerhalb der 4.—7. Woche die Klinik verlassen 
durften, abgesehen von 3 Fällen, die eine ausnahmsweise lange 
Heilungsdauer von 62, 86 und 104 Tagen für sich in Anspruch 
nahmen. 

Kommen wir nun zu den pathologischen Befunden, 
soweit sie sich beim Eingriff erheben ließen, so finden wir, daß in 
27 Fällen gleich 33 °/ 0 ältere Entzündungen am Peritoneum vor¬ 
ausgegangen sind. Zeichen eines frischen EntzündungsVor¬ 
ganges am Peritoneum werden angegeben in insgesamt 58 Fällen 
gleich 70,7 %• Dieselben waren noch nicht bzw. in eben erst be¬ 
ginnender Abgrenzung begriffen in 34 Fällen gleich 41,5%? sie 
ließen eine deutliche Abgrenzung des Entzündungsvorganges er¬ 
kennen in Gestalt einer umschriebenen Absceßbildung in 24 Fällen 
gleich 29,3 °/ 0 . 

Vpn den ersteren noch nicht abgeschlossenen Entzündungs- 

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Ebner 


erscheinungen finden wir nach den vier Graden der Entzündungs- 
Vorgänge am Peritoneum eingeteilt den ersten und zweiten Grad 
der Entzündung in Gestalt eines Ödems des Peritoneums bzw. eines 
rein serösen Exsudats nur noch in 6 Fällen gleich 7,3 %, den dritten 
Grad in Gestalt eines serös getrübten Exsudats in 8 Fällen gleich 
9,7 °/ 0 , dagegen den vierten Grad in Gestalt eines ausgesprochen 
eiterigen, zum Teil freien, zum Teil von beginnenden fibrinösen Ver¬ 
klebungen abgeschlossenen Exsudats in 20 Fällen gleich 24,4 
Es handelt sich also in der überwiegenden Mehrzahl von friscben 
Entzündungserscheinungen am Peritoneum entsprechend dem vor¬ 
geschrittenen Zeitraum tatsächlich um den vierten Grad der Ent¬ 
zündung in Gestalt einer ausgesprochenen eiterigen Exsndation 
bzw. mit Sicherheit virulente Exsudate. Das darf nm so mehr 
hervorgehoben werden, als trotzdem die so sehr gefürchtete sekun¬ 
däre Infektion des Peritoneums als Folge des Eingriffs im Zwischen¬ 
stadium doch nicht eingetreten ist 

Was nun die Veränderungen am Appendix selbst aa- 
belangt, so finden wir zunächst Abweichungen von der normalen 
Haltung angegeben in 7 Fällen gleich 8,5°/ 0 , derart, daß er in 
einem Falle leicht gekrümmt, in 2 Fällen deutlich in seinem Ver¬ 
lauf abgeknickt, in einem Falle penisartig erigiert und in 3 Fällen 
spiralig um seine Längsachse gedreht war. 

Abweichungen seitens der Form des Appendix in Gestalt 
einer entzündlichen Schwellung und Verdickung werden angegeben 
in 21 Fällen gleich 25,6 °/ 0 , in Gestalt einer ausgesprochenen Re¬ 
tention bzw. kolbigen Auftreibung seiner distalen Hälfte in 4 Fällen 
gleich 4,9% und schließlich in Gestalt eines Empyems der Spitze 
in nur einem Falle gleich 1,2%. 

Frische Entzündungserscheinungen der Wand in Gestalt von 
zahlreichen kleinen Hämorrbagien der ödematös geschwollenen 
Schleimhaut finden sich verzeichnet in 3 Fällen gleich 3,7%, in 
Gestalt eines Ulcus der Wand in 6 Fällen gleich 7,3%. 

Noch häufiger, nämlich in 9 Fällen gleich 10,9%, fand sich 
eine Gangrän der Wand, die in 6 Fällen bereits zu einen 
Perforationsvorgang geführt hatte. 

Abgesehen von diesen 6 auf einer ausgesprochenen Gangrän 
der Wand beruhenden Perforationsfällen fand sich eine Per¬ 
foration der Wand des Appendix bei unseren Zwischeo- 
operationen insgesamt noch in weiteren 17 Fällen, so daß wir da¬ 
nach mit einem Prozentsatz von mindestens 28,1 % der Perforations¬ 
fälle für das Zwischenstadinm überhaupt zu rechnen haben. 


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Was schließlich noch den Inhalt des Appendix anbelangt, 
so sei noch hervorgehoben, daß in 12 Fällen gleich 14,6% ein 
Kot stein gefunden wurde, der in 6 Fällen noch innerhalb des 
Appendix gelegen war. Um mehrere Kotsteine gleichzeitig handelte 
es sich in 3 Fällen. Als größter der Steine darf ein als hasel¬ 
nußgroß bezeichneter Stein angesehen werden. 

Fremdkörper im Appendix konnten nur in einem Falle 
gleich 1,2 % und zwar in Gestalt von Ascaris lumbricoides kon¬ 
statiert werden, welche ihren Sitz an der Basis des Appendix eines 
12 jährigen Knaben hatten. 

Was den eigentlichen Operationsverlauf anbelangt, so 
wurde in 4 Fällen vor seiner Entfernung der Appendix einge¬ 
rissen bzw. er brach infolge der prallen Spannung und brüchigen 
Beschaffenheit seiner Wand ab, so daß er bei 3 Fällen in zwei 
Partien herausgeschält und in dem 4. Falle teilweise zurück¬ 
gelassen werden mußte, da seine Spitze nicht zu finden war. In 
sämtlichen 4 Fällen ist nach entsprechender Tamponade der Hei¬ 
lungsvorgang ungestört und ohne jede Fistelbildung vor sich ge¬ 
gangen. 

Überhaupt ist im Gegensatz zu den absoluten Frühfällen, bei 
denen nur in 23,7 % eine Tamponade notwendig war, die Zahl der¬ 
jenigen Fälle im Zwischenstadium, die eine Tamponade bzw. Drainage 
des Abdomens erforderten, eine unverhältnismäßig höhere, indem 
in rund 52 Fällen gleich 63,4 % der Zwischenoperationen ein pri¬ 
märer Verschluß der Bauchdecken zu gewagt erschien, so daß man 
meist in der von Rehn-Noetzel angegebenen Weise ein Sicher¬ 
heitsventil herzustellen suchte. 

Eine Fistelbildung post. op. wird angegeben in 6 Fällen 
gleich 7,3%, von denen 3 bis zur Entlassung spontan heilten, 
während der 4. erst durch einen operativen Eingriff beseitigt 
werden mußte, und in den beiden letzten Fällen der Patient mit 
einer kleinen Kotfistel entlassen wurde, die sich vermutlich später 
spontan geschlossen haben dürfte, wie ja derartige Kotfisteln über¬ 
haupt bei einem entsprechend langen Heilungsverlauf bis zu 6 Mo¬ 
naten und bisweilen noch länger im allgemeinen eine gute Tendenz 
zur Spontanheilung aufzuweisen pflegen. 

Hinsichtlich des Heilungsverlaufes finden wir ausge¬ 
sprochene Störungen verzeichnet in 10 Fällen gleich 12,7%, was 
gegenüber 7,5 % bei den absoluten Frühoperationen immerhin eine 
Steigerung der Störungen im Zwischenstadium um 5,9 % gegen das 
Frühstadium erkennen läßt. Und zwar gingen diese Störungen 


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Ebner 


viermal gleich 4,9 °/ 0 vom Peritoneum in Gestalt einer nachträg¬ 
lichen gewissermaßen sekundären Absceßbildung und von den 
Lungen in weiteren 4 Fällen gleich 4,9°/ 0 aus. 

Schließlich sei noch ein kleines Hämatom der Narbe erwähnt, 
wenn man ein solches als besondere Störung betrachten will, so¬ 
wie ferner ein Fall von Strangileus, der im Anschluß an die 
Spaltung eines kleinen Abscesses mit Appendektomie und Drainage 
auftrat und 12 Tage post. op. die mediane Laparotomie notwendig 
machte, und als letzte Störung des Heilungsverlaufes ein Fall von 
Thrombose des linken Oberschenkels, die bei einem 20jährigen 
Manne aufgetreten war, der bei der Operation lediglich eine stärkere 
Rötung und Schwellung an der Spitze des Appendix neben reich¬ 
lichen älteren Verwachsungen, also keinesfalls schwerere Krank¬ 
heitsveränderungen hatte erkennen lassen, welche für die Ent¬ 
stehung einer Thrombose gerade in diesem Falle heranzuziehen 
wären. 

Wenden wir schließlich noch etwas eingehender den drei 
Todesfällen im Zwischenstadium unsere Aufmerksamkeit 
zu, so bot der erste Fall bereits bei seiner Einlieferung am 5. Tage 
der Erkrankung mit deutlichem Meteorismus, allgemeiner, besonders 
rechts hervortretender Bauchdeckenspannung und Druckschmerz¬ 
haftigkeit ohne nachweisbare Peristaltik von vornherein ein recht 
schweres Krankheitsbild dar, welches eher an eine allgemeine 
Peritonitis mit der für diesen Zeitraum üblichen Prognose denken 
ließ. Nachdem man bei dem Eingriff eine sehr große, anscheinend 
geschlossene Absceßhöhle eröffnet und drainiert hatte, ohne dabei 
den Appendix zu finden, bekam der Patient dann im weiteren Verlauf 
noch einen rechtsseitigen metastatischen Parotisabsceß, der inzidiert 
wurde, sowie später eine Schwellung auch der linken Parotis, und 
ging trotz einer dauernd normalen Temperatur unter den Anzeichen 
einer fortschreitenden Darmlähmung, die auch eine Enterostomie 
nicht mehr aufzuhalten vermochte, im Verlauf von 18 Tagen zu¬ 
grunde. Klinisch glaubte mau den Fall im Sinne einer langsam 
fortschreitenden retroperitonealen und besonders mesenterialen Phleg¬ 
mone wahrscheinlich lymphogener Natur deuten zu müssen, die 
schließlich zur allgemeinen Peritonitis geführt hatte. Pathologisch¬ 
anatomisch ergab die Sektion als unmittelbare Todesursache eine 
allgemeine eiterige Peritonitis mit abgekapselter Absceßbildung im 
Becken. Der Appendix war am oberen Ende in großer Ausdehnung: 
ulzeriert und durchgebrochen, ein Kotstein war weder innerhalb, 
noch außerhalb des Appendix zu finden. Inwieweit hier zu dem 


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Radikale Appendizitisbehandkmg and ihre Ergebnisse etc. 


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traurigen Ausgang das Nichtfinden bzw. Zurücklassen des Appendix 
beigetragen haben mag, bzw. ob ohne dasselbe der Ansgang ein 
günstigerer hätte sein können, mag dahingestellt bleiben. 

Der zweite der Todesfälle gehört in gewissem Sinne eigentlich 
ebensogut zu dem Kapitel der stumpfen Bauchverletzungen wie des 
Strangulationsileus, wenn er auch nach der Art seines Befundes unbe¬ 
dingt in einen zum mindesten mittelbaren ursächlichen Zusammen¬ 
hang mit den bereits vorher vorhandenen Veränderungen am Appendix 
zu bringen ist. Er war erst am sechsten Tage nach Beginn der 
peritonealen Erscheinungen im Gefolge eines Falles auf die Ruder¬ 
pinne schwerkrank, ohne ausgesprochene Bauchdeckenspannung, 
aber auch ohne nachweisbare Darmperistaltik, lediglich mit einer 
Druckschmerzhaftigkeit der rechten Unterbauchgegend und einem 
Puls von 100 pro Minute zur Operation gelangt. Ein medianer 
Banchschnitt ergab zunächst ein freies, braunrotes, etwas getrübtes 
Exsudat, und eine starke Auftreibung des Dünndarmes. Vom Cökum 
aus war ein alter, anscheinend entzündlicher Strang nach der 
Mittellinie zu am Mesenterium einer Dünndarmschlinge verwachsen, 
der das Ileum vor seiner Einmündung ins Cökum an zwei Stellen 
abgeschnürt hatte. Nach seiner Lösung erweist er sich als der 
teilweise obliterierte Appendix, der in üblicher Weise entfernt wird. 
Darauf Resektion des zweiten Schnürringes in ca. 5 cm Länge des 
Ileum, der sich nicht mehr erhalten würde. Der Ueumstumpf wurde 
seitlich in das Colon eingenäht. Unter zunehmenden Kollaps¬ 
erscheinungen erfolgte dann am dritten Tage post op. der Tod des 
Patienten, und die Sektion ergab, wie zu erwarten war, eine frische 
Peritonitis mit guter Sufficienz der frisch verklebten Darmnähte. 
Es war eben trotz des Eingriffs die bereits infolge der Abschnürung 
des Ileum in Verbindung mit der beginnenden Peritonitis ent¬ 
standene Darmlähmung des Dünndarmbezirkes und mit ihr die 
Peritonitis nicht mehr zurückgegangen, wie das ja leider von vorn¬ 
herein bei dem Fehlen einer jeglichen Peristaltik schon vor dem 
Eingriff zu befürchten gewesen war. Daß jedenfalls hier durch den 
Eingriff an sich irgendeine Verschlimmerung des vorhandenen 
Erkrankungszustandes ausgelöst sein könnte, ist wohl nach dem 
obigen Befund und Verlauf ohne weiteres mit Sicherheit von der 
Hand zu weisen. 

Was nun schließlich den letzten der drei Todesfälle anbelangt,, 
so handelt es sich dabei um einen an der Spitze ulzerierten, dicht 
vor der Perforation stehenden Appendix, der mit fibrinösen Belägen 
im kleinen Becken verklebt, nach nicht allzu schwieriger Lösung 


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Ebnes 


in der üblichen Weise amputiert und versorgt wurde. Angesichts 
der geringfügigen Veränderungen seiner Umgebung wurde die 
Bauchwand primär geschlossen. In der Nacht darauf traten plötz¬ 
lich heftige Schmerzen im Abdomen auf, so daß man am nächsten 
Tage noch einmal einging, ohne jedoch etwas anderes, als lediglich 
nur ganz wenig seröses Exsudat zu finden, worauf das Abdomen 
zur größeren Sicherheit durch Einlegen eines Drains und eines 
kleinen Tampons offengehalten wurde. Trotzdem trat weiter ein unauf¬ 
haltsamer, schneller Verfall ein, der schon am nächsten Tage zum 
Tode des Patienten führte. Die Sektion ergab nun keinerlei peri- 
tonitische Erscheinungen, sowie auch trotz genauester Nachforschung 
keine weitere Ursache für den schnellen Verfall des Patienten, so 
daß die Todesursache in diesem Falle völlig unklar blieb. Wichtig 
für unsere Zusammenstellung ist hier vor allem die Tatsache, daß 
sich nicht die geringsten Anzeichen einer peritonealen Allgemein- 
infektion, ebensowenig eines retroperitonealen Entzündungsvorganges, 
einer Embolie o. dgl. feststellen ließen, so daß damit der Fall naturgemäß 
für die eigentliche Wertung des operativen Eingriffs an sich in 
Fortfall kommen müßte, womit wir dann von rechtswegen für unsere 
Eingriffe im Zwischenstadium statt des Mortalitätsergebnisses von 
3,6 °/ 0 eine Mortalität von nur 2,4 °/ e in Anspruch zu nehmen hätten. 

Kommen wir nun zu der Erörterung des Spät Stadiums vom 
9. Tage des Krankheitsverlaufes ab, wo man in der Regel ja mit 
einer abgeschlossenen Absceßbildung zu rechnen hat, und das dem¬ 
gemäß auch nicht mit Unrecht als Absceßstadium bezeichnet zu 
werden pflegt, so haben wir hier doch mit nach mancher Hinsicht 
erheblich ungünstigeren Verhältnissen als in den bisher besprochenen 
Erkrankungsstadien zu rechnen, was bereits in einer Steigerung 
der Mortalität auf 4 Todesfälle bei 88 Spätoperationen, also auf 
den nicht unwesentlich höheren Mortalitätssatz von 4,5 % zum 
Ausdruck gelangt, und was neben später noch zu erörternden Unter¬ 
schieden auch in der weiteren Tatsache eine deutliche Illustration 
findet, daß in nicht weniger als 52 Fällen gleich 59,1 % der Spit- 
fälle der Appendix zurückgelassen werden mußte gegenüber 8,5°* 
im Zwischenstadium, bei denen der Appendix ebenfalls nicht entfernt 
werden konnte. 

Bezüglich der vorausgegangenen Anfälle ist zu be¬ 
merken, daß in der weitaus überwiegenden Mehrzahl vbn 62 Fällen 
gleich 70,5 °/ 0 es sich um den ersten Anfall handelte, entsprechend 
der alten Beobachtung, daß vielfach gerade der erste Anfall am 
schwersten aufzutreten pflegt, während nur in 17 Fällen gleich 


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Radikale Appendizitisbeh&ndluug und ihre Ergebnisse etc. 


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19,3 °/ 0 der zweite Anfall, in 7 Fällen gleich 7,9 % der dritte Anfall 
und schließlich noch in 2 Fällen bereits der vierte Anfall in 
Frage kam. 

Was den Zeitpunkt der Operation nach dem Beginn 
des Anfalls anbelangt, so ist weitaus die Mehrheit der Fälle, 
nämlich 82 gleich 92,3 °/ 0 zwischen dem 9.—30. Tage, also etwa 
innerhalb der ersten vier Wochen nach dem Beginn des Anfalls 
zur Operation gelangt, während nur noch sechs weitere Fälle sich 
bis auf einen Zeitraum von 8 Wochen nach Beginn der Erkrankung 
verteilen. 

Die Behandlungsdauer der Spätfälle ist eine ganz besonders 
lange gegenüber den bisherigen Stadien. Es konnten nur 16 von 
84 geheilten Fällen gleich 19,1 °/ 0 innerhalb der ersten drei Wochen 
entlassen werden, gegen 80 % im absoluten Frühstadium, 78 % im 
Sicherheitsstadium und 47,3 v / 0 im Zwischenstadium, während über 
die Hälfte der Fälle, nämlich 50 Patienten gleich 59,5 °/ 0 erst 
innerhalb der vierten bis sechsten Woche die Klinik verlassen 
konnte und schließlich der Rest von 18 Fällen gleich immerhin 
noch 21,4 °/ 0 , sich in ziemlich gleichmäßiger Weise auf eine Be¬ 
handlungsdauer bis zu rund 18 Wochen verteilt, Zahlen, die an sich 
bereits genügend für die Nachteile des Eingriffs im Spätstadium 
sprechen dürften. 

Was die pathologischen Befunde der Spätfälle 
während des Eingriffs anbelangt, so wurde das Bild vornehmlich 
von älteren Verwachsungen mit geringeren, frischen Entzündungs¬ 
erscheinungen am Peritoneum und Appendix beherrscht in 9 Fällen 
gleich 10,2 °/ 0 , von vorwiegend frischen Entzündungserscheinungen 
und Verwachsungen in Gestalt fibrinöser Verklebungen der Darm¬ 
schlingen und bröckliger Exsudatreste bzw. Granulationen in 11 
Fällen gleich 12,5 °j 0 , ohne daß dabei eine ausgesprochene Eiter¬ 
bildung vorhanden gewesen wäre. In zwei Fällen fand sich lediglich 
ein freies, rein seröses Exsudat zwischen den infiltrierten Darm¬ 
schlingen, während in der weitaus überwiegenden Mehrzahl von 
66 Fällen gleich 75 °/ 0 der Spätfälle es sich um mehr oder weniger 
große Absceßbildungen handelte, bei denen man sich naturgemäß 
in 59,1 °/ 0 mit der einfachen Inzision und Drainage der Höhle be¬ 
gnügen mußte. 

Unter diesen 66 Absceßfällen handelte es sich um eine mehr¬ 
fache, nicht eigentlich multiple Absceßbildung in 4 Fällen, 
während es sich in dem fünften Falle um multiple Abscesse im 
eigentlichen Sinne des Wortes mit der bekannten üblen Prognose 


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Ebnes 


handelte, die auch hier leider sehr schnell ihre Bestätigung finden 
sollte. Der betreffende Patient — der jüngste unserer Spätfälle, 
ein Knabe im Alter von 2 Jahren — kam erst am 17. Tage nach 
Beginn der Erkrankung in Behandlung und ging bereits am dritten 
Tage nach der doppelseitigen Inzision und Drainage rettungslos 
zugrunde. Die Sektion ergab eine multiple Absceßbildung, retro- 
peritoneale Phlegmone nnd Lymphangitis mesenterialis purulent*. 
Der schnelle Ausgang zum Tode dürfte in der Hauptsache auf die 
Folgen der allgemeinen toxischen Infektion des Kindes durch den 
Rest der zurückbleibenden Abscesse zu schieben sein, die sich durch 
die Eröffnung des einen Abscesses rechts und links naturgemäß 
nicht mehr aufhalten ließ. 

Gleich diesem gehören auch die drei übrigen Todesfälle den 
Absceßfällen an und sollen daher im folgenden gleich mit ab¬ 
gehandelt werden. Der zweite dieser Patienten gelangte am 14. 
Tage der Erkrankung in chirurgische Behandlung. Er bekam 
zwei Tage nach der üblichen rechtsseitigen Inzision eine Kotfistel 
und ging schließlich nach einer 27 tägigen Behandlnngsdauer an 
einer langsam fortschreitenden sekundären Peritonitis zugrunde, 
die zur Bildung mehrerer abgekapselter Abscesse im Mesenterium 
geführt hatte und in einer freien eiterigen Flüssigkeit über der Blase, 
sowie im Hypochondrium beiderseits ihren weiteren Ausdruck fand. 

Die beiden letzten Todesfälle im Spätstadium, die zwar in den 
Journalen unter dem Titel einer Appendizitis geführt und in diesem 
Sinne von mir in unsere Zusammenstellung aufgenommen sind, 
bieten durch die Eigenartigkeit ihres Befundes bzw. durch das 
Vorherrschen anderer vom Appendix unabhängiger pathologischer 
Erscheinungen ein ganz besonderes Interesse dar und lassen gleich¬ 
zeitig begründete Zweifel an der Berechtigung einer Auffassung 
derselben im Sinne einer eigentlichen, und sei es auch nur sekun¬ 
dären, Appendizitis aufsteigen. 

In dem ersten dieser Fälle gelangte man mit einem rechts¬ 
seitigen Wechselschnitt zunächst auf schwartig verdicktes Peri¬ 
toneum, nach dessen Eröffnung man eine große mit kotigem Eiter 
gefüllte Höhle entleerte. Von dieser aus führte ein Gang bis zur 
Leber hinauf und ein weiterer Gang nach unten bis in den Douglas 
hinab. Es wurde gleichzeitig nach oben und von unten her per 
Rectum drainiert und daneben eine breite Tamponade eingelegt. 
Vier Tage post op. konnte man Entleerung von Urin aus dem 
Rektaldrain konstatieren; die Patientin ging dann trotz völligen 
Abfalls der Temperatur nach 17 tägiger Behandlung nnter den 


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Radikale Appendizitisbehandlung nnd ihre Ergebnisse etc. 


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Erscheinungen einer zunehmenden Herzschwäche zugrunde. Die 
Sektion ergab eine multiple Peritonealtuberkulose, eine Heocöcal- 
tuberkulose mit Durchbruch in die Eiterhöhle, eine Blasenperforation, 
sowie Rekto- und Vesikovaginalfistel, daneben eine rechtsseitige 
Hydronephrose. Über den Befund am Appendix sind Angaben 
überhaupt nicht vorhanden, und es erscheint daher die Vermutung 
völlig gerechtfertigt, daß es sich in diesem Falle allerhöchstens 
um eine sekundäre Appendixerkrankung gehandelt haben könnte, 
wenn überhaupt eine solche Vorgelegen hat. 

In dem zweiten Falle bestand bei dem bereits 74jährigen 
Patienten eine rechtsseitige Leistenhernie, die seit 8 Tagen irre- 
ponibel geblieben war trotz verschiedener Repositionsversuche 
seitens des behandelnden Arztes. Der Patient gelangte mit einer 
Temperatur von 37 0 und einem Puls von 108 p. M. zur Aufnahme und 
zeigte bei der Untersuchung einen rechtsseitigen, ca. gänseeigroßen 
Leistenbruch, wegen dessen sofort zur Operation geschritten wurde. 
Die zunächst in üblicher Weise vorgenommene Herniotomie rechts 
mit Spaltung des Bruchringes zeigte eine Dünndarmschlinge vor¬ 
liegend, in deren Wand eine alte, walnußgroße und eine etwas 
kleinere Blutcyste lag. Der eine Schenkel der Dünndarmschlinge 
war am Cöcum festgewachsen, der andere im kleinen Becken 
adhärent. Bei Lösung dieser letzteren Adhäsionen im Becken er¬ 
folgte die Entleerung eines Kotabscesses aus dem Douglas, der 
durch das Rektum und nach oben hin mit entsprechender Drainage 
und Tamponade versorgt wurde. Das Mesenterium der vorliegenden 
Dünndarmschlingen zeigte weiter eine keilförmige dunkle Ver¬ 
färbung augenscheinlich als Ausdruck einer vorhandenen Throm¬ 
bose der Mesenterialgefäße. Von der Blutcyste aus gelangte man 
in diese dunkel gefärbte Stelle zwischen den beiden Mesenterial¬ 
blättern hinein, aus denen sich nach der Spaltung des zuführenden 
Kanals jauchiger, übelriechender Eiter entleerte. Wegen der Ge¬ 
fahr einer ausgesprochenen Gangrän wurde die Resektion der be¬ 
treffenden Dünndarmschlinge mit den beiden Blutcysten unter seit¬ 
licher Vereinigung der Darmstümpfe vorgenommen. Trotzdem ging 
der Patient innerhalb 3 Tagen bei normaler Temperatur unter 
den Erscheinungen einer fortschreitenden Herzschwäche mit ent¬ 
sprechendem allgemeinen Verfall zugrunde, vermutlich da er bei 
seinem hohen Alter den immerhin recht umfangreichen und lange 
dauernden Eingriff doch nicht vertragen hatte. Wenigstens scheint 
mir für die Richtigkeit dieser Annahme auch das Sektions¬ 
ergebnis zu sprechen, welches neben einer recht atrophischen 


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Ebkxb 


Herzmuskulatur eine umschriebene Peritonitis an der Stelle der 
Absceßhöhle, sowie eine Thrombose und Verjauchung der Mesen¬ 
terialgefäße ergab. Die Dannnähte der Anastomosenstelle hatten 
gut gehalten. Auch hier ist, abgesehen von dem Kotabsceß im 
Douglas, nicht das geringste Zeichen vorhanden, was mit Not¬ 
wendigkeit für eine gleichzeitig vorhandene, sei es nun primäre 
oder sekundäre Erkrankung des Appendix sprechen würde, viel¬ 
mehr lassen sich die sämtlichen Erscheinungen ebensogut durch 
die seit 8 Tagen bereits vorhandene Einklemmung der rechts¬ 
seitigen Leistenhernie zwanglos erklären, und dürfte danach eine 
abweichende Auffassung auch dieses Falles lediglich im Sinne einer 
Hernieneinklemmung und ihrer Folgeerscheinungen doch erheblich 
näher liegen. 

Es scheint mir daher bei dem Fehlen sämtlicher näherer An¬ 
haltspunkte für das Vorhandensein einer Appen dixerkrankung 
durchaus berechtigt, diese beiden Fälle, die ich hauptsächlich ihres 
eigenartigen Befundes halber und eben auch weil sie unter dem 
Titel einer Appendizitis geführt worden sind, in meiner Aufstel¬ 
lung mit angeführt habe, nicht als Spätoperation einer tatsächlich 
vorhandenen Appendizitis in Anschlag zu bringen, so daß wir nach 
Fortfall derselben nur noch mit 2 Todesfällen auf 86 Spätopera¬ 
tionen zu rechnen hätten, was somit einem Mortalitätsergebnis von 
nur 2,3 % entsprechen würde, das allerdings sogar noch um 0.1 * „ 
niedriger wäre als die Mortalität unserer Zwischenoperationen mit 
2,4 °/o Todesfällen. 

Hinsichtlich der Veränderungen am Appendix selbst 
sind naturgemäß bei den Spätoperationen nur wenige Angaben 
vorhanden, vermutlich, da in den meisten Fällen der Appendix, 
auch wenn er gefunden werden konnte, bereits zu sehr zerstört 
worden war, um nähere pathologisch-anatomische Einzelheiten noch 
erkennen zu lassen. Es dürfte sich darum nicht verlohnen, auf 
diese wenigen Fälle des näheren einzugehen, es sei vielmehr nur 
kurz hervorgehoben, daß Kotsteine dabei in 10 Fällen, gleich 
11,4% der Spätfälle, gefunden wurden, und zwar bezeichnender¬ 
weise in 8 Fällen davon frei in der Absceßhöhle liegend, während 
nur in 2 Fällen zwei kleine Kotsteine noch innerhalb des Appen¬ 
dix saßen und mit diesem zusammen entfernt wurden. Wie oft 
im übrigen noch innerhalb der Absceßhöhle gelegene Kotsteine der 
Beobachtung entgangen sein mögen, entzieht sich selbstverständlich 
einer auch nur annähernden Beurteilung. 

Hinsichtlich des operativen Eingriffs selbst im Spät- 


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Radikale Appendizitisbehandlnng und ihre Ergebnisse etc. 


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Stadium dürfte es von Interesse sein, daß in rund 80 Fällen, 
gleich 90,9 % der Spätfälle, das Einlegen einer Drainage bzw. Tam¬ 
ponade notwendig wurde, während nur in 8 Fällen, gleich 9,1 °/ 0 , 
sich ein primärer Verschluß der Bauchdecken als tunlich erwies. 
Die Folgerungen daraus für die durchschnittliche Heilungsdauer 
dieser Fälle entsprechend dem bereits oben von uns gefundenen 
Zahlenverhältnis ergibt sich ohne weiteres von selbst 

In 2 FäHen riß der Appendix bei dem Versuch seiner Ent¬ 
wicklung glatt ab, ohne daß, trotzdem in dem einen Falle der 
Stumpf nicht einmal genäht werden konnte, eine Fistelbildung auf¬ 
getreten wäre. Dagegen kam es in 6 anderen Fällen, gleich 6,8 °/ 0 , 
zur postoperativen Ausbildung einer Kotfistel, die sich in 4 Fällen 
noch vor der Entlassung spontan wieder schloß, während in dem 
5. Falle noch 2 Monate nach der Absceßinzision eine erfolgreiche 
Fisteloperation notwendig war, und der 6., bereits oben erwähnte 
Fall 27 Tage nach der Operation an einer sekundären Peritonitis 
zugrunde ging. 

Kommen wir schließlich zu der Frage der postoperativen 
Störungen unserer Spätfälle, so finden wir hier dieselben natur¬ 
gemäß in besonders reichlichem Grade vertreten. Und zwar kommen 
an weitaus erster Stelle ihrer Häufigkeit nach die postoperativen 
Abscesse, die wir in nicht weniger als 12 Fällen, gleich 13,6 %, 
verzeichnet finden, und die zum Teil metastatischen Charakters, 
zum Teil als mehrfache, sei es bei der Operation übersehene oder 
nach dem Eingriff durch Retention von Erregern bzw. virulenten 
Exsudats entstandene Absceßbildung anzusehen sein dürften. 

Von weiteren Störungen des Heilungsverlaufes finden wir 
solche seitens der Lungen erwähnt in 6 Fällen, gleich 6,8 °/„, und 
zwar zweimal in Gestalt einer Bronchitis mit leichtem Verlauf, 
zweimal in Gestalt einer serösen Pleuritis, die in einem Falle links 
gelegen war und auf einmalige Punktion zurückging, während sie 
in dem anderen Falle auf der rechten Seite lag und spontan zur 
Rückbildung gelangte. Im 5. Falle kam es im Anschluß an eine 
Lungenembolie zur Ausbildung eines Empyems der Lunge, das 
dreimal vergeblich punktiert, schließlich auf Inzision mit nach¬ 
folgender Drainage zurückging. Im 6. Falle endlich handelte es 
sich um eineu hämorrhagischen Infarkt der rechten Seite, der im 
Anschluß an eine Thrombophlebitis im rechten Oberschenkel auf¬ 
getreten war, übrigens der einzige Fall, in dem wir derart eine 
Störung seitens des Gefäßsystems verzeichnet finden, was einem 


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Prozentsatz von 1.1 °/ 0 zur Gesamtzahl der Spätfälle entsprechen 
würde. 

Zu der Ausbildung einer metastatischen Parotisentzündong 
kam es ebenfalls nur in einem Falle, und zwar erst links, dann 
rechts mit einer Spontanperforation des rechtsseitigen Parotis- 
abscesses in den äußeren Gehörgang, während die linksseitige In¬ 
filtration der Parotisdrüse von selbst zur Rückbildung gelangte. 

Zur Ausbildung von Ileuserscheinungen kam es nach dem Ein¬ 
griff noch in 2 Fällen, gleich 2,3 °/ 0 > derart, daß in dem einen Falle 
9 Tage nach der vorausgegangenen Absceßinzision eine Laparo¬ 
tomie wegen Strangileus mit nachfolgender Drainage und weitere 
19 Tage später eine zweite Laparotomie ebenfalls wegen neuer 
Ileuserscheinungen notwendig wurde, die einen Volvulus einer 
Dünndarmschlinge um einen vorhandenen Verwachsungsstrang er¬ 
gab. In dem zweiten Falle wurde ebenfalls 4 Wochen nach der 
Absceßinzision die Laparotomie in der Mittellinie notwendig zur 
Beseitigung der Ileuserscheinungen durch Lösung der zahlreichen 
Verwachsungen, wobei gleichzeitig bei dem Vorgehen gegen die 
Flexura sigmoidea ein zweiter Absceß eröffnet und durch eine 
zweite Inzision linksseitig ausgiebig entleert und drainiert wurde. 
Es ist das derselbe Fall, der gleichzeitig die vorher erwähnte 
weitere Störung durch linksseitige und später rechtsseitige Ent¬ 
zündung und Vereiterung der Parotiden durchzumachen hatte. 

Schließlich kam noch ein nach Absceßinzision bereits ent¬ 
lassener Fall 8 Wochen später wieder zur Aufnahme wegen aus¬ 
gesprochener Verwachsungsbeschwerden, mußte aber, da er die 
Radikaloperation schlankweg ablehnte, ungebessert entlassen werden. 

Wir haben demnach für das Spätstadium mit rund 23 einzelnen 
Störungen des HeilungsVerlaufes zu rechnen, was zunächst dem an 
sich ja außerordentlich hohen Prozentsatz von 26,1 °/o entsprechen 
würde. Da sich diese Störungen insgesamt aber nur auf 20 Patienten 
verteilen, so wird dieses Verhältnis auf den immer noch recht er¬ 
heblichen Prozentsatz von 22,7 % herabgemindert, der nahezu einem 
Viertel sämtlicher zur Operation gelangten Spätfälle entspricht 
und dem entsprechenden Prozentsatz der Zwischenoperationen von 
13,4 °/ 0 immer noch um 9,3 °/ 0 überlegen ist, also ebenfalls nicht 
gerade zugunsten der Spätoperation gegenüber der leider immer 
noch vielfach mit einem gewissen Mißtrauen angesehenen Zwischen¬ 
operation sprechen dürfte. 

Kommen wir nun schließlich zu der letzten Kategorie unserer 
Einteilung, den Eingriffen im Notstadinm der peritonealen All- 


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Radikale Appendizitisbehandlung und ihre Ergebnisse etc. 531 

gemeininfektiön, so schnellt dabei der bis dahin im allgemeinen 
so günstige Mortalitätssatz unserer Fälle ganz gewaltig in die 
Höhe, insofern wir auf 55 operative Fälle in diesem Stadium ins¬ 
gesamt nicht weniger als 22 Todesfälle zu verzeichnen haben, was 
dem verhältnismäßig hohen Prozentsatz von 40°/ o Mortalität ent¬ 
sprechen würde. Unterscheiden wir hier aber zwischen der rela¬ 
tiven Frühoperation und der eigentlichen Notoperation nach Ab¬ 
lauf der ersten 48 Stunden seit Beginn der peritonealen Allgemein¬ 
infektion, so finden wir, daß darunter 23 relative Frühoperationen 
mit nur 1 Todesfall, gleich 4,3 % dieser Fälle, vertreten sind, gegen¬ 
über 32 Eingriffen im eigentlichen Notstadium, auf die allein der 
Rest von 21 Todesfällen kommt, wodurch für diese das Mortali¬ 
tätsverhältnis noch entsprechend weiter bis auf 65,6% in die Höhe 
schnellt. Dieses relativ hohe Mortalitätsverhältnis der eigentlichen 
Notoperationen dürfte sich neben den oben angeführten Gründen 
auch aus der Schwere der Fälle an sich erklären lassen, indem ich 
nur diejenigen Fälle zu dieser Kategorie gerechnet habe, bei denen 
tatsächlich aus der deutlich erkennbaren Unbegrenztheit des Ent¬ 
zündungsvorganges und der mehr oder weniger hervortretenden 
Beteiligung des allgemeinen Peritoneums am Erkrankungsvorgang 
die Bezeichnung der peritonealen Allgemeininfektion völlig und 
sicher gerechtfertigt war. 

Indem ich die nähere Besprechung der Todesfälle auf später 
verschiebe, möchte ich hinsichtlich der vorangegangenen An¬ 
fälle bemerken, daß in nicht weniger als 42 Fällen, also 78,2 % 
der Notoperationen, der Eingriff beim ersten Anfall bereits erfolgen 
mußte, während es sich um den zweiten Anfall nur in 7 Fällen, 
gleich 12,7%, um den dritten in 5 Fällen, gleich 9,1%, und den 
vierten Anfall bei einem Patienten, gleich 1,8%, handelte. Auch 
hieraus erhellt wieder die bereits mehrfach betonte alte Erfahrung, 
daß häufig der erste Anfall gerade der heftigste und schwerste zu 
sein pflegt, derart, daß er auch in unseren Fällen direkt zur peri¬ 
tonealen Allgemeininfektion und der dadurch bedingten Notwendig¬ 
keit des Eingriffs geführt hat. 

Was den Zeitpunkt des Eingriffs in diesen Fällen nicht 
nach Beginn der Erkrankung, sondern seit dem mutmaßlichen Be¬ 
ginn der peritonealen Allgemeininfektion anbelangt, so lag derselbe 
am 1. Tage in 8 Fällen, am 2. in 1 b Fällen. Auf letztere entfällt 
auch der einzige bei den relativen Frühoperationen vorhandene 
Todesfall. Von den eigentlichen Notoperationen nach 48 Stunden 
entfallen auf den 3. Tag 6 Elingriffe mit 5 Todesfällen, auf den 


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Ebhkb 


4. Tag 10 Eingriffe mit 6 Todesfällen, auf den 5. Tag 5 mit 2 
Todesfällen, anf den 6. Tag 3 mit 2 Todesfällen, anf den 7. Ta* 
1 Eingriff mit 1 Todesfall, anf den 8. Tag 5 mit 5 Todesfälle! 
anf den 10. Tag 1 Eingriff mit 1 Todesfall tmd anf den 14 Ta* 
schließlich noch 1 Fall, der geheilt wurde. 

In Prozenten berechnet würde das für die einzelnen Tage da 
Notstadiums bei unseren Fällen folgendes Mortalitätsverhiltnis 
ergeben: Am 1. Tage 0°/ 0 , am 2. Tage 6,7°/ 0 , am 3. Tage 83.3%. 
am 4. Tage 60 %, am 5. Tage 40,°/ 0 , am 6. Tage 66,6 %, am i.a 
4ind 10. Tage je 100%. Es ist also hier ein ganz außerordentlicher 
Anstieg von 6,7 % bis auf 83,3 % gewissermaßen als scharfe und 
bedeutungsvolle Grenze zwischen dem relativen Frühstadinm und 
dem eigentlichen Notstadinm vom zweiten auf den dritten Ta* 
seit Beginn der peritonealen Allgemeininfektion zu verzeichnen, 
während anscheinend in dem Abfall der Mortalität bis auf 40*, 
am 5. Tage und dem dann erst allmählich wieder erfolgenden An¬ 
stieg ein Widerspruch zu dem häufig aufgestellten Satz von den 
Ansteigen der Mortalität entsprechend dem Zeitpunkt der Ent¬ 
fernung vom Beginn der peritonealen Allgemeininfektion zu lieg« 
scheint. Dieser Widerspruch dürfte aber nur scheinbar sein, denn 
ausschlaggebend bleibt dann schließlich doch der sich gleich bleibende 
Mortalitätssatz von 100 % am 7., 8. und 10. Tage seit Beginn des 
Infektionsvorganges, während bei den geringen für die einzelnen 
Tage an sich in Betracht kommenden Zahlen von 3—10 Fällen 
namentlich zwischen dem 3.-6. Tage geringe Schwankungen bereits 
so große Ausschläge erzielen, daß der vorübergehende Abfall der 
Mortalität gegenüber dem schließlich und definitiven Anstieg de 
Mortalität auf rund 100°/ o eine gewisse Bedeutung im Sinne einer 
tatsächlich günstigeren Prognose für die betreffenden Tage kamt 
beanspruchen kann. 

Bezüglich der Behandlungsdauer der 33 geheilte« 
Notoperationen insgesamt, d. h. einschließlich der rel. Frtb- 
operationen, ist zu bemerken, daß innerhalb der ersten drei Woche® 
5 von 33 geheilten Notoperationen entlassen werden konnten, was 
einem Prozentsatz von 15,6% entspricht, der bezeichnenderweise 
den Spätoperationen mit ll,4°/ 0 immer noch um 422% überleg® 
ist, ein Ergebnis, das allerdings lediglich dem begreiflichen Einflüsse 
der relativen Frühoperationen auf die Abkürzung der Heilungs¬ 
dauer im Notstadium zu verdanken ist. 

Bezüglich der Behandlungsdauer der gestorbenen 
Fälle möchte ich nur hervorheben, daß der tödliche Ausgang ii 


I 


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Radikale Appendizitisbehandlung und ihre Ergebnisse etc. 533 

der Mehrzahl der Fälle, nämlich 12, an den ersten beiden Tagen 
nach dem Eingriff und zwar an dem ersten Tage in 4 und am 
zweiten Tage in 8 Fällen erfolgt ist, letzteres als die Höchstzahl 
der Todesfälle an einem Tage nach der Notoperation überhaupt. 
Die übrigen 10 Todesfälle verteilen sich dann ziemlich gleichmäßig 
derart, daß auf den 3. Tag nach dem Eingriff 2, den 4. Tag 4, 
den 6., 7., 8., 9. und schließlich den 33. Tag je ein Todesfall kommt. 
Es entfällt somit die weitaus überwiegende Mehrheit der Todesfälle 
auf den ersten bis vierten Tag nach der Notoperation in der Höhe 
von 18 auf 22 Todesfälle insgesamt, was für diesen Zeitraum einem 
Prozentsatz von 78,1 % der Todesfälle entsprechen würde, so daß 
man danach wohl mit Recht die ersten vier Tage nach dem Ein¬ 
griff im Notstadium als den entscheidenden Zeitraum für den 
Ausgang der Fälle im guten oder schlechten Sinne ansehen darf. 

In einer verhältnismäßig hohen Anzahl von Fällen, nämlich 
46, gelang es, die Entfernung des Appendix vorzunehmen, 
was dem erheblich höheren Prozentsatz von 83,6% gegenüber nur 
40,9% der Spätoperationen entsprechen würde, während nur in 9 
Fällen gleich 16,4% der Appendix zurückgelassen werden mußte. 
Dabei ist allerdings hervorzuheben, daß heute von uns wenn irgend 
möglich auch im Notstadium durchaus die Entfernung des Appendix 
angestrebt wird, und nur wenn das endgültige Aufsuchen desselben 
mit dem tastenden Finger an die Widerstandsfähigkeit des Peri¬ 
toneums im besonderen und des Patienten im allgemeinen zu große 
Anforderungen stellen würde, ausnahmsweise der Appendix zurück¬ 
gelassen zu werden pflegt. 

Betrachten wir nun im Zusammenhang mit der obigen Tatsache 
die auf die einzelnen der beiden Kategorien entfallenden Todesfälle, 
um daraus vielleicht für die Entscheidung der Frage nach einer 
möglichen Einwirkung des Zurücklassens oder der Entfernung des 
Appendix auf den Ausgang der Notoperationen irgendwelchen 
Hinweis zu gewinnen, so entfallen zunächst auf die 46 Fälle mit 
Entfernung des Appendix nur 15 Todesfälle, was für diese 46 Fälle 
eine Mortalität von 32,6% ergeben würde, während auf 9 Fälle mit 
Znrücklassung des Appendix 6 Todesfälle gleich 66,6% Mortalität 
entfallen würden. Dabei ist aber zu beachten, daß diese 46 Fälle 
auch die sämtlichen 23 Fälle von relativen Frühoperationen ent¬ 
halten, so daß daraus wegen der an sich ja unendlich günstigeren 
Prognose der Frühfälle überhaupt für die eigentliche Bedeutung 
der Entfernung des Appendix in schweren Fällen bzw. bei den 

Deutsches Archiv f. kliu. Medizin. 101. Bd. 35 


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Ebner 


eigentlichen Notoperationen sich kein einheitliches Bild im einen 
oder anderen Sinne gewinnen läßt. 

Vielmehr dürfen wir zu diesem Zweck lediglich die übrigen 
23 Fälle von eigentlichen Notoperationen heranziehen, bei denen 
der Appendix entfernt werden konnte, und auf die allein dann die 
obigen 15 Todesfälle entfallen. Das würde aber für diese 23 Fälle 
berechnet einem Prozentsatz von 65,2% Mortalität entsprechen 
gegenüber 66,6% für die 9 Fälle mit Zurücklassung des Appendix, 
und wir finden demnach für diejenigen Fälle, wo eine Entfernung 
des Appendix möglich war, lediglich eine um 1,4% bessere Mor¬ 
talität, ein Unterschied, der doch zu gering erscheinen dürfte, um 
irgendwelche Schlüsse daraus nach der einen oder anderen Richtung 
ziehen zu wollen. Immerhin dürfte man dennoch daraus den (auch 
von anderen Autoren bereits hervorgehobenen) Eindruck- gewinnen, 
als ob für diese ganz schweren Fälle keineswegs in der Entfernung 
des Appendix unter allen Umständen die Hauptsache, sondern 
lediglich in der möglichst weitgehenden Beschleunigung und Gering¬ 
fügigkeit des Eingriffs an sich das entscheidende Moment für den 
Ausgang des Falles zu erblicken sein dürfte. 

Auf die technischen Einzelheiten unseres Vorgehens bei der 
Operation und Nachbehandlung im Notstadium, insbesondere auf 
die unendlichen Vorteile einer richtigen Hoch- oder Seitenlagerung 
der Patienten, der permanenten Kochsalzinfusion per Rectum und. 
wenn nötig, der subkutanen Physostigmininjektion zur Erregung 
einer besseren Peristaltik habe ich erst kürzlich im Beiheft 6 der 
„Med. Klinik“ 1910 so eingehend hingewiesen, daß ich mir ein näheres 
Eingehen darauf an dieser Stelle ersparen darf. 

Was nun die pathologischen Befunde der Fälle an¬ 
belangt, so habe ich sie der besseren Übersicht wegen von vorn¬ 
herein nach den beiden Kategorien der geheilten und gestorbenen 
Fälle gesondert zu ordnen gesucht, um daraus vielleicht gleich¬ 
zeitig irgendwelche Gründe in Gestalt einer besonderen Schwere 
der Veränderungen für den traurigen Ausgang der letzteren Fälle 
herleiten zu können. 

Und tatsächlich finden wir diese ohne weiteres bereits durch 
einen Vergleich der prozentualen Verhältnisse bzgl. der Veränderungen 
am Peritoneum selbst insofern zum Ausdruck gebracht, als wir 
unter den 33 geheilten Fällen 4 gleich 9,4% mit einem freien 
serösen Exsudat, ferner 20 Fälle gleich 62,5% mit einem serös¬ 
getrübten Exsudat und nur 9 Fälle mit einem ausgesprochen 
eiterigen Exsudat gleich 28,1% finden, .während für die 22 ge- 


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Radikale Appendizitisbehandlung and ihre Ergebnisse etc. 


535 


storbenen Fälle sich die Verhältnisse derart verschieben, daß ein 
seröses Exsudat dabei überhaupt nicht, ebenso ein serösgetrübtes 
nur in 4 Fällen gleich 17,4°/ 0 , dagegen ein ausgesprochen eitriges 
Exsudat in 19 Fällen gleich 82,6% bei dem Eingriff vorhanden 
war. Zu letzteren Fällen mit einem freien deutlich eitrigen Exsudat 
ist übrigens auch der einzige im relativen Frühstadium trotz des 
Eingriffs zugrunde gegangene Fall zu zählen, der neben einer 
Perforation an der Spitze des Appendix bereits fibrinöse Beläge, 
sowie deutlichen Meteorismus der umliegenden Darmschlingen auf¬ 
wies, so daß er, wenn auch zeitlich nach dem Beginn der Er¬ 
scheinungen, so doch keinesfalls nach dem vorhandenen pathologisch¬ 
anatomischen Befund der relativen Erühoperation als solcher zur 
Last zu legen ist, und somit auch hier wieder das so häufige 
Mißverhältnis zwischen den zeitlich zu erwartenden und den 
tatsächlich vorhandenen Veränderungen deutlich in die Erschei¬ 
nung tritt. 

Bzgl. der Veränderungen am Appendix selbst habe ich 
eine Appendicitis ulcerosa in den Journalen nur in 2 Fällen gleich 
6,2 % verzeichnet gefunden. 

Wesentlich häufiger, nämlich in 16 Fällen gleich 29,1%, handelte 
es sich um eine Appendicitis gangraenosa mit mehr oder weniger 
ausgedehnter Gangrän der Appendixwand, die in zwei Fällen so 
ziemlich den Appendix in seiner ganzen Ausdehnung befallen hatte. 
Und zwar entfallen von diesen 11 auf die geheilten Fälle gleich 
34,3% der Heilungen, und nur 5 auf die Todesfälle gleich 21,7 % 
der Todesfälle, wobei der verhältnismäßige geringe Prozentsatz 
für die letzteren Fälle sich daraus erklärt, daß allein in 9 Fällen 
von den Todesfällen der Appendix überhaupt nicht gefunden worden 
ist und demgemäß für die Gesamtzahl dieser Fälle dadurch ein 
geringerer Prozentsatz der am Appendix festgestellten Veränderungen 
überhaupt herauskommen muß. 

Ebenso muß naturgemäß aus dieser verständlichen Erwägung 
heraus auch hinsichtlich der Perforation, sowie des Vorhanden¬ 
seins von Kotsteinen am Appendix ein anscheinend für die 
Todesfälle günstigeres Verhältnis bzgl. ihrer Häufigkeit bei diesen 
Zustandekommen, so paradox das auch auf den ersten Blick er¬ 
scheinen mag. Und tatsächlich finden wir diese Annahme auch 
ohne weiteres bestätigt, insofern von 32 Fällen gleich 58,2% der 
gesamten Notfälle, bei denen eine Perforation verzeichnet, ist, 22 
auf die geheilten 33 und nur 10 auf die gestorbenen 22 Fälle 
kommen, was einer Beteiligung des Perforationsvorganges bei den 

36* 


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Ebner 


geheilten mit 66,1% gegenüber 45,4% bei den gestorbenen Fällen 
entsprechen würde. 

Das gleiche Verhältnis finden wir auch bzgL des Vorhanden* 
seins von Kotsteinen, indem von 11 Fällen gleich 20% der Notfälle, 
bei denen das Vorhandensein eines Kotsteines angegeben wird, 7 
Fälle anf die geheilten und nnr 4 auf die gestorbenen Fälle ent¬ 
fallen, was einem Vorhandensein von Kotsteinen in 21,9% der 
geheilten nnd nnr in 17,4% der gestorbenen Fälle entsprechen 
würde. Wie oft im übrigen bei den letzteren der bereits in die 
freie Bauchhöhle durchgebrochene Stein nicht gefunden sein mag, 
entzieht sich naturgemäß jeder Schätzung, nm so mehr als bei weitem 
nicht alle gestorbenen Fälle zur Obduktion gelangt sind, nnd selbst 
da das Vorhandensein eines kleinen Kotsteines in der freien Bauch¬ 
höhle der Beobachtung ohne weiteres entgehen kann. Tatsächlich 
handelte es sich bei den in diesem Stadium gefundenen Steinen 
durchweg nm freie, bereits innerhalb der Bauchhöhle gelegene 
Kotsteine, von denen einer sich ausnahmsweise einmal ans dem 
sonst mit Unrecht so berüchtigten Kirschkern anscheinend ent¬ 
wickelt hatte, während in einem anderen Falle nicht weniger als 
4 Kotsteine zugleich vorhanden waren, von denen zwei bereits in 
die Bauchhöhle perforiert und die anderen beiden noch innerhalb 
des Appendix gelegen waren. 

Im Gegensatz hierzu finden wir entsprechend dem meist früh¬ 
zeitigeren Zeitpunkt des Eingriffs bei den geheilten Fällen nnr 
zweimal einen Kotstein frei in der Bauchhöhle liegend, während 
in den übrigen 5 Fällen die Kotsteine noch innerhalb des Lumens 
vorhanden waren. Anch hier handelte es sich in 3 Fällen um eine 
Mehrzahl von Kotsteinen, derart, daß in einem Falle 4 Kotsteine 
gleichzeitig, in einem anderen Falle 2 Kotsteine und in einem 
dritten Falle ebenfalls 2 Kotsteine im Lumen des Appendix ge¬ 
funden wurden, während noch ein dritter Kotstein bereits anfter- 
halb des Appendix gelegen war. 

Was den Eingriff an sich anbelangt, so war, wie es ja im 
Notstadium nicht anders zu erwarten ist, in sämtlichen Fällen 
eine Tamponade bzw. Drainage in einer der Schwere des Falles 
entsprechenden Ansdehnnng erforderlich. Und zwar war diese 
durch mehrfache Inzisionen vorgenommen bei den geheilten Fällen 
entsprechend ihrer größeren Leichtigkeit nur in 4 Fällen gleich 
12,5 %, derart, daß in 2 Fällen eine Inzision der Leistengegend 
beiderseits, in dem 3. Falle eine Gegeninzision der rechten Lendea- 
gegend und in dem 4. Falle eine dreifache Inzision in Gestalt einer 


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Radikale A ppendizitisbehandlung and ihre Ergebnisse etc. 


537 


beiderseitigen Eröffnung der Inguinalgegend und einer Gegen¬ 
inzision in der Lendengegend angelegt wurde. 

Wesentlich höher gestaltete sich naturgemäß dieser Prozent¬ 
satz der mehrfachen Inzisionen bei den gestorbenen Fällen, indem 
auf 23 von diesen rund 11 Fällen mit mehrfachen Inzisionen in 
einer Anzahl von 2—6 kommen, was einem Prozentsatz von 47,8 °/ 0 , 
also nahezu der Hälfte der Fälle, entsprechen würde. 

Inwieweit dieser höhere Prozentsatz der mehrfachen Inzisionen 
gerade bei den gestorbenen Fällen mit der Schwere der Fälle an 
sich zusammenhängt, und wie oft in diesen Fällen der tödliche 
Ausgang trotz oder vielleicht auch gerade umgekehrt wegen der 
mehrfachen Inzision erfolgt sein mag, das ist eine Frage, die ich 
selbstverständlich nicht ohne weiteres lediglich an der Hand der 
Journale beantworten kann und will. Zweifellos aber muß man 
bei der Durchsicht der Krankenblätter den Eindruck gewinnen, 
daß in einer Anzahl von Fällen der im unmittelbaren Anschluß 
an ein derart eingreifendes Vorgehen erfolgte Tod des Patienten 
einer direkten Shokwirkung des Eingriffs an sich auf die zum Teil 
bereits sehr herabgekommenen Kranken zuzuschreiben ist Und 
ebenso zweifellos dürfte in einer weiteren Anzahl von Fällen auch 
späterhin noch der Tod als Folge der durch diese zahlreichen In¬ 
zisionen ganz außerordentlich herabgesetzten Druckverhältnisse im 
Abdomen erfolgt sein, indem bei der an sich bereits darnieder 
liegenden Herztätigkeit dadurch eine noch weitere Erniedrigung 
des allgemeinen Blutdrucks, bei der an sich bereits herabgesetzten 
Widerstandsfähigkeit und Gewebsvitalität der Därme eine weitere 
Schädigung durch die entsprechend dem größeren Querschnitt der 
intraabdominalen Gefäßlamina verlangsamte Darmzirkulation und 
schließlich noch durch die Ausschaltung der Visatergo eine weitere 
Verminderung des Sekretabflusses und damit der gewissermaßen 
physiologischen Fortspülung der Erreger und ihrer Toxine bewirkt 
wird, Faktoren, von denen bereits jeder im einzelnen genügen dürfte, 
um das schwankende Zünglein der Wage in solchen Fällen zum 
Schlechteren ausschlagen zu lassen. 

Um so augenfälliger mußten uns gerade diesen Fällen gegen¬ 
über die Erfolge in die Erscheinung treten, welche wir bei den 
geheilten Fällen trotz teilweiser bereits recht schwerer und fort¬ 
geschrittener Veränderungen, die selbstverständlich jedoch niemals 
bis zur Lähmung der Dünndarmschlingen fortgeschritten waren, 
mit der später bevorzugten kleinen Schnittführung und einer mög¬ 
lichst weitgehenden Beschränkung der Drainage und Tamponade 


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Ebner 


im Sinne von Rehn-Nötzel zu verzeichnen hatten. Wir konnten 
um so eher zu dieser Beschränkung der Drainage übergehen, als 
wir durch die gleichzeitige Hochlagerung der Patienten nach 
Fowler, vielfach kombiniert mit einer gleichzeitigen Lagerung 
auf die rechte Seite, die kleine Schnittöffnung zum tiefsten Punkte 
des Drainagesystems machten und gleichzeitig durch die perma¬ 
nente Kochsalzinfusion per Rectum die an sich bereits vorhandene 
bzw. auf diese Weise erhalten gebliebene Vis a tergo des intra¬ 
abdominalen Druckes durch eine entsprechend vermehrte peritoneale 
Sekretionsmöglichkeit ganz erheblich verstärkten. Und ich möchte 
nicht verfehlen, unter Hinweis auf meinen oben citierten Beitrag 
zur „Medizin. Klinik“ auch an dieser Stelle nochmals ausdrücklich 
darauf hinzuweisen, daß wir nach unseren Erfahrungen bei der 
so oft umstrittenen Frage der Peritonitisbehandlung neben ent¬ 
sprechender Schnittführung und Drainage in der regelmäßigen und 
genauesten Anwendung einer, derartigen Nachbehandlung die Con- 
ditio sine qua non erblicken müssen, ohne welche die schwereren 
Fälle trotz des technisch glänzend gelungensten Eingriffs nur selten 
über den kritischen Zeitraum der ersten 4 Tage nach dem Ein¬ 
griff hinwegzubringen sein werden. 

Was die Sektionsbefunde von 15 der gestorbenen Fälle 
anbelangt, bei denen ein Ergebnis der Autopsie verzeichnet steht, 
so bieten sie insofern nichts Bemerkenswertes dar, als es sich in 
sämtlichen Fällen um eine allgemeine eiterige Peritonitis, ver¬ 
einzelt in Verbindung mit beginnender multipler Absceßbildung 
handelte, mit Ausnahme nur eines Patienten, bei dem eine sekun¬ 
däre Perforation eines kleinen, neben dem gangränös veränderten 
und perforierten Appendix gelegenen Abscesses in die freie Bauch¬ 
höhle vorlag, und der etwa 4 Tage nach diesem Vorgang zur 
Operation gelangt ist Hier fand man entsprechend dem weiteren 
postoperativen Verlauf des Falles, der ohne ausgesprochene peri- 
tonitische Erscheinungen unter Fieber und zunehmendem Kollaps 
zum Tode führte, auch bei der Sektion in Gestalt von Icterus. 
Hepatitis, Nephritis, Enteritis, Splenitis und Bronchopneumonie die 
untrüglichen Anzeichen einer allgemeinen Autointoxikation der 
Organe, welcher der Patient augenscheinlich in erster Linie zum 
Opfer gefallen war, während der örtliche Infektionsvorgang am 
Peritoneum durch den Eingriff anscheinend derart beschränkt war. 
daß es nicht mehr zu dem üblichen Bilde der allgemeinen eiterigen 
Peritonitis gekommen war. 

Werfen wir schließlich noch einen Blick auf den weiteren 


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Radikale Appendizitisbehandlung nnd ihre Ergebnisse etc. 


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* 

Verlauf der geheilten Fälle nach dem Eingriff, so finden 
wir in 5 Fällen, gleich 15,6 °/ 0 der 32 geheilten Fälle, die Not¬ 
wendigkeit einer späteren Spaltung von postoperativen Abscessen 
angegeben, die sich auf einen Zeitraum zwischen dem 6.—20. Tage 
yon der Operation ab verteilen. Von weiteren Zwischenfällen 
findet sich nur einmal eine Bronchitis beiderseits, gleich 3,1 °/ 0 , 
und in einem weiteren Falle das Auftreten eines Strangileus an¬ 
gegeben, der am 16. Tage nach der vorausgegangenen Appendek¬ 
tomie die Vornahme einer medianen Laparotomie zur Lösung der 
Adhäsionen erforderte. 

Es war demnach also bei insgesamt 7 von 32 geheilten Fällen 
der Heilungsverlauf durch die obigen Zwischenfälle gestört, so daß 
wir für die Notoperationen, soweit sie zur Heilung gelangt sind, 
danach mit einem Prozentsatz von 21,9 °/ 0 Störungen des Heilungs¬ 
verlaufes zu rechnen haben. 

Werfen wir nun zum Schluß einen vergleichenden Rückblick 
über die einzelnen Stadien der Erkrankung und fragen wir uns 
nach dem praktischen Ergebnis der langen Reihe von Prozent¬ 
berechnungen , durch welche wir uns im Laufe unserer Erörte¬ 
rungen mühsam — zum Teil vielleicht auch gar nicht — hindurch¬ 
gewunden haben, so wird sich' aus aller dieser grauen Theorie des 
Lebens grüner Baum in Gestalt eines praktischen und für die Praxis 
brauchbaren Ergebnisses sehr bald insofern von selbst ergeben, als 
wir eben aus dem vergleichsweisen Verhalten dieser Prozentsätze 
zueinander in den einzelnen Stadien ohne weiteres unsere Folge¬ 
rungen für die zum Teil ja noch zweifelhafte Wertung der ein¬ 
zelnen Stadien in ihrem Verhältnis zu einer möglichst rationellen 
chirurgischen Therapie werden ableiten können. 

Wenn wir z. B. in der folgenden Übersichtstabelle hinsichtlich 
der Behandlungsdauer finden, daß dieselbe betragen hat: 



bis 2 

bis 

3 

4- 

5 

6—7 Wochen 


Wochen 

Wochen 

Wochen 

und länger 

bei den chron. Fällen in 

44,8% 

78 

0/ 

io 

21,1 

°/o 

0,9 % 

absolut. Frühfällen 

63,7 •/. 

80 

°/ A 

10 

16,2 

% 

3,8 °/ 0 

Zwischenoperationen 

20,3 % 

45,6 

0/ 

Io 

43,0 

01 

Io 

11,4 % 

Spätoperationen 

9,5 °/o 

21,4 

Ol 

io 

45,2 

0/ 

Io 

33,3 % 

Notoperationen 

6,0 % 

15,2 

Ol 

Io 

60,6 

0 

10 

24,2 \ 


so ersehen wir daraus, wie in gleichmäßiger Linie die Zahl der 
Entlassungen innerhalb der ersten 2 Wochen von 63,7 °/ 0 bei den 
Frühoperationen bis auf 6,0 °/ 0 abfällt bei den Notoperationen, und 


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wie gerade umgekehrt die Zahl der Entlassungen zwischen der 
6.—7. Woche und darüber hinaus wiederum ansteigt von 3,8 ° 0 bei 
den Frühfällen bis auf 33,3 °/ 0 bei den Spätfällen. Und wenn wir 
insbesondere das Verhältnis der Früh-, Zwischen- und Spätopera¬ 
tionen zueinander von diesem Gesichtspunkt aus betrachten, so er¬ 
sehen wir daraus ohne weiteres, daß die Dauer des durchschnitt¬ 
lichen Heilungsverlaufes durchaus dem seit Beginn der Erkrankung 
verflossenen Zeitraum bzw. dem jeweils vorgerückteren Erkran¬ 
kungsstadium entspricht, in welchem der Patient zur Operation ge¬ 
langt ist. Mathematisch ausgedrückt: Die Behandlungsdauer nach 
der Operation ist der Krankheitsdaner vor der Operation als direkt 
proportional anzusehen. 

Dieses durchaus konstante Verhältnis des Heilungsverlaufes 
zur voroperativen Erkrankungsdauer wird um so verständlicher, 
wenn wir bei dem weiteren Vergleich der einzelnen Stadien finden, 
daß der Appendix bei den Früh- und chronischen Fällen in 0%. 
bei den Zwischenoperationen in 8,3 °/ 0 , bei den Notoperationen in 
16,4 # /o and bei den Spätoperationen in 59,1 % der Fälle zurück- 
gelassen werden mußte, was sicherlich nicht zur Abkürzung des 
Heilungsverlaufes beigetragen haben dürfte, wenn wir weiter finden, 
daß bei den chronischen Fällen in 10,8 °/ 0 , bei den Frühfällen in 
23,7 °/ 0 , den Zwischenfällen in 63,4 °/ 0 , den Spätfällen in 90.9®« 
und den Notfällen in 100 °/ 0 eine Tamponade bzw. Drainage am 
Schlüsse des Eingriffs notwendig war, und wenn wir schließlich 
bezüglich der Störungen des Heilungsverlaufes finden, daß solche 
bei den chronischen Fällen in 6,3 °/ 0 , den Frühfällen in 7,5 ® 0 , den 
Zwischenfällen in 26,1 % und den Notfällen in 21,9 °/ 0 vorhanden 
waren. 

Wir sehen auch hier wieder, daß entsprechend der Länge der 
voroperativen Erkrankung, d. h. vom Frühstadium bis zn dem Spät¬ 
stadium der Erkrankung auch die Notwendigkeit einer Sicherung 
des Operationsgebietes durch .Drainage wächst, derart, daß die 
Häufigkeit der Tamponfälle von 23,7 °/ 0 im Frühstadium bis aof 
90,9 0 0 im Spätstadium ansteigt, und wir sehen vor allem auch 
daraus die nicht allzu oft hervorgehobene oder zum mindesten 
doch kaum bewiesene Tatsache, daß auch die Zahl der nachopera¬ 
tiven Störungen des Heilungsverlaufes genau in dem gleichen Ver¬ 
hältnis, also direkt proportional dem voroperativen Erkrankungs¬ 
verlauf bzw. dem Bestehen des Entzündungsvorganges zunimmt, 
indem sie eine Steigerung von 7,5 °/ 0 im Frühstadium bis auf 13.9 
im Zwischenstadium und auf 26,1 ° 0 im Spätstadium erfährt, alles 


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Radikale Appendizitisbehandlnng und ihre Ergebnisse etc. 


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Tatsachen, die ein entsprechendes Anwachsen der Behandlungs- 
d&uer unter solchen Umständen nicht weiter verwunderlich er¬ 
scheinen lassen durften. 

Und wenn wir schließlich noch die Störungen des Heilungs¬ 
verlaufes in den verschiedenen Stadien im einzelnen betrachten, so 
sehen wir weiter, daß die meisten bzw. am häufigsten in Betracht 
kommenden Störungen, nämlich seitens der Lungen und durch post¬ 
operative bzw. metastatische Absceßbildung genau in dem gleichen 
Verhältnis, wie die Zahl der Störungen insgesamt ansteigen, indem 
die ersteren von 1 % bei den Sicherheitsoperationen bis auf 2,5 °/ 0 
bei den Frühfällen, 4,9 % hei den Zwischenoperationen und 6,8 °/ 0 
bei den Spätoperationen ansteigen, während das Verhältnis der 
postoperativen Absceßbildung in noch viel steilerer Linie von 0,6 °/o 
bei den chronischen Fällen, auf 1,2 °/ 0 bei den Frühfällen, 4,9 °/ 0 
bei den Zwischenoperationen und 13,6 °,/ 0 bei der Spätlällen und 
schließlich noch auf 15,6 °/ 0 bei den Notfällen ansteigt. 

Werfen wir nun die Frage auf, was ergibt sich jetzt aus 
unseren obigen Vergleichen und Ausführungen für die Entscheidung 
der heute wohl noch umstrittensten Frage auf dem Gebiet der 
Appendizitistherapie, nämlich für die Wertung des Zwischen¬ 
stadiums in seinem Verhältnis zur Operation und namentlich zu 
dem von vielen Seiten immer noch als zweckmäßiger für den Ein¬ 
griff bevorzugten Spätstadium, so finden wir, daß nach unseren 
Ergebnissen bei einer an sich ziemlich gleich geringen Mortalität 
von 3,6—4,5 °/ 0 bzw. 2,4—2,3 % der Unterschied für den Eingriff 
in beiden Stadien darin besteht, daß der Appendix im Zwischen¬ 
stadium in 8,5 °/ 0 , im Spatstadium in 59,1 °/ 0 der Fälle zurück¬ 
gelassen werden mußte, daß eine Drainage bzw. Tamponade der 
Wunde in 23,7 °/ 0 der Zwischenfälle gegen 63,4 °/ 0 bei den Spät¬ 
fällen notwendig war, daß Störungen des Heilungsverlaufes im all¬ 
gemeinen vorkamen bei den Zwischenfällen in 12,7°/ 0 , den Spät¬ 
fällen in 26,1 °/ 0 , daß postoperative Abscesse im besonderen vor¬ 
kamen bei den Zwischenfällen in 4,9 °/ 0 , bei den Spätfallen in 13,6 °/ 0 
und ebenso Störungen seitens der Lungen verzeichnet sind bei den 
Zwischenoperationen in 4,9 %, bei den Spätoperationen in 6,8 °/ 0 , 
und daß schließlich entsprechend den bisher gefundenen Unter¬ 
schieden innerhalb der ersten 3 Wochen 45,6 % der Patienten im 
Zwischenstadium gegenüber 21,4 °/ 0 beim Spätstadium und umge¬ 
kehrt erst in der 6.—7. Woche 11,4 °/ 0 im Zwischenstadium gegen 
33,3 °/ 0 im Spätstadium entlassen werden konnten. 

Es ist danach in unserer Zusammenstellung bei keineswegs 


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542 Ebner, Radikale Appendizitisbehandlung und ihre Ergebnisse etc. 


größerer, sondern eher noch geringerer Mortalität das Zwischen- 
Stadium bzw. die Zwischenoperation der Spätoperation fraglos da¬ 
durch überlegen, daß dabei in 40,6 °/ 0 der Fälle mehr der Appendix 
entfernt werden konnte, und dementsprechend in 27,5 % der Fälle 
weniger tamponiert bzw. drainiert zu werden brauchte, daß Stö¬ 
rungen des Heilungsverlaufes im allgemeinen um 13,4 %, Störungen 
durch postoperative Abscesse im besonderen um 8,7 °/ 0 und seitens 
der Lungen um 1,9 °/ 0 weniger vorkamen, und daß schließlich die 
Behandlungsdauer eine dementsprechend ganz erhebliche Verkürzung 
gegenüber dem Spätstadium erfahren konnte. 

Daß wir es unter solchen Umständen nicht gerade für zweck¬ 
mäßig erachten können, den Patienten prinzipiell den Gefahren 
einer stets möglichen primären oder sekundären Perforation bzw 
Allgemeininfektion des Peritoneums während einer konservativen 
Behandlung im Zwischenstadium auszusetzen, um ihn damit, wenn 
er das Glück hat, diese vermieden zu haben, schließlich der erheb¬ 
lich größeren Nachteile des um nichts weniger gefährlichen Ein¬ 
griffs im Spätstadium teilhaftig werden zu lassen, ist eine Schlu߬ 
folgerung, deren Berechtigung nach den praktischen Ergebnissen 
an unserem Material wenigstens sich schwerlich bestreiten lasen 
dürfte! 


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Aus der medizinischen Klinik (Prof. Pel) und aus dem patholo¬ 
gischen Laboratorium (Prof, ßuitinga) der Universität von 

Amsterdam. 

1 

Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne. 

Von 

Dr. J. C. Schippers, 

Assistenten der Klinik. 

Schon vor längerer Zeit ist es mehreren Untersuchern ge¬ 
lungen, im Blutserum von mit Fermentlösungen behandelten Tieren 
Antifermente nachzuweisen (Morgenroth u. a. (1)). 

Das Antitrypsin wurde zuerst von Achalme (2) studiert. 
Dieser Forscher sah bei Meerschweinchen, nachdem er ihnen sub¬ 
kutan Trypsinlösungen einverleibt hatte, bald in der Nähe der 
Einspritzungsstelle Nekrose des Gewebes auftreten, welche nach 
1 %—3 Tagen durch den Tod des Tieres gefolgt wurde. Wenn er 
nun den Meerschweinchen zuvor wiederholt kleinere Mengen Trypsin¬ 
lösung intraperitoneal eingespritzt hatte, reagierten die Tiere kaum 
mehr auf die subkutane Injektion. Zu gleicher Zeit hatte das 
Blutserum die Eigenschaft bekommen, eine 8 fach größere Menge 
Trypsinlösung in seiner Wirkung auf Eiweiß zu hemmen als zuvor. 

Nachdem Brieger und Trebing.(3) mitgeteilt hatten, daß 
der Antitrypsingehalt des Blutserums Krebskranker dauernd er¬ 
höht war, und sie diesen Befund für die oft so schwierige Diagnose 
des Krebses verwerten wollten, hat diese Frage auch das Interesse 
der Kliniker gewonnen. Bald aber kam der Widerspruch und zu¬ 
mal von Bergmann und Meyer (4) zeigten, daß die Erhöhung 
des antitryptischen Titers des Blutserums für Krebs nicht patho- 
gnomonisch war, sondern bei allen zu Kachexie führenden Krank¬ 
heiten auftrat; man hat deshalb später von Kachexiereaktion 
gesprochen. Aber auch dies trifft nicht zu, da mehrere Unter¬ 
sucher sie bei Krankheiten, welche keine Kachexie herbeiführen, 
gelegentlich im Blutserum fanden: z. B. bei puerperalen Infek- 


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544 


Schippers 


tionen (Thaler (5)), Abscessen und Phlegmonen (Landois 6 , 
croupöser Pneumonie (Ascoli und Bezzola (7)), künstlich er¬ 
nährten Säuglingen (von Reus(8)). 

Während also die Bestimmung des antitryptischen Titers des 
Blutserums in praktischer Hinsicht wahrscheinlich nur relativ ge¬ 
ringen Wert hat. so beansprucht sie doch ein gewisses theoretisches 
Interesse. Es ist nämlich die Frage, ob wir mit einem wirkliches 
Antikörper zu tun haben, oder ob im Blutserum ein chemisch de¬ 
finierbarer Körper, der imstande ist das Trypsin zu hemmen, in 
größerer Menge auftritt Ich möchte aber sogleich betonen. daS 
man eigentlich immer sagen muß Hemmung der Kaseinverdanun? 
durch Trypsin, statt Hemmung der Trypsinwirkung, weil ja die 
Mehrzahl der Untersucher, wie auch ich, mit der bekannten GroE- 
sehen Methode gearbeitet hat Es ist ja möglich, daß die Ver¬ 
dauung anderer Eiweißkörper durch Trypsin nicht in gleicher 
Weise beeinflußt wird. 

Kurt Meyer (10) ist der Meinung, daß wir in den oben ge¬ 
nannten Fällen das hemmende Agens als einen wirklichen Anti¬ 
körper zu betrachten haben. Er sagt: „Als antigen spielen Pan¬ 
kreassekret und Leukocytenferment wahrscheinlich nur eine unter¬ 
geordnete Rolle; viel mehr sind wahrscheinlich proteolytische Zell¬ 
fermente die Erregung der Antikörperbildung. Zellzerfall als 
solcher mit freiwerdenden autolytischen Fermenten führt nicht zur 
Antitrypsinzunahme. Dies ist wahrscheinlich auf eine primäre 
Vermehrung der proteolytischen Zellfermente zurückzuführen. für 
deren Vorkommen verschiedene Anhaltspunkte vorliegen. Als Ur¬ 
sache der abnormen Fermentvermehrung sind Stoffwechselgifte an¬ 
zunehmen.“ Braunstein und Kepinow(ll), welche nach Ein¬ 
spritzen von fein zerriebenen Leber- und Krebsknoten eine Ver¬ 
mehrung des antitryptischen Titers des Blutserums beobachteten, 
betrachten die proteolytischen Zellfermente als Antigene des Anti¬ 
trypsins. Landois (6) hält die aus zugrunde gegangenen Leuko- 
cyten freikommenden Fermente für die Ursache der Antitrysin- 
bildung. Cobliner(12) sah einige Zeit nach Entfernung des 
Pankreas beim Hunde eine Erniedrigung des antitryptischen Titers, 
welche später durch Verfütterung von Pankreaspräparaten bei¬ 
nahe zum ursprünglichen Wert erhöht werden konnte und meint 
also, daß das Pankreastrypsin als Antigen wirkt. 

Ganz anderer Meinung sind Pick und Pfibram(13) sowie 
0. Schwarz (14). welche meinen, daß das „Antitrypsin“ ein Lipoid 
sei. welches durch Zerfall zelliger Elemente in den Kreislauf gerät 


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Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne. 545 

Sie stützen sich unter anderem auf die Tatsache, daß das Blut¬ 
serum sein antitryptisches Vermögen durch Schütteln mit Äther 
zum größten Teil einbüßt, während nachher das Zusetzen von 
Lipoiden die antitryptische Wirkung wieder herstellt. 

Kurt Meyer (10) und später Cobliner(12) konnten dies 
nicht bestätigen: das Schütteln des Blutserums mit Äther übte 
keinen Einfluß auf den antitryptischen Titer aus. 

Wenn das Blutserum in den oben genannten Zuständen wirk¬ 
liche Antikörper enthalten soll, müssen es Autoantifermente sein. 
Lange Zeit hat man gezweifelt, ab dies möglich ist, nach Bössle (15) 
muß man es jedoch als wahrscheinlich ansehen, daß sich unter 
Umständen wirkliche Autocytotoxine bilden können. 

Auf Anregung meines verehrten Chefs Herrn Prof. Pel habe 
ich die antitryptische Wirkung des Harnes bei verschiedenen patho¬ 
logischen Zuständen untersucht. Ich war schon seit einiger Zeit 
hiermit beschäftigt, als ich mit der Arbeit von Bauer und 
Reich (16) bekannt wurde, während ich nach Abschließung dieser 
Untersuchung von den Mitteilungen von Bauer und Reich (Nach¬ 
trag) (17), E. Müllerund Kolaszec (18), E. Müller (19), Döb- 
lin (20), J. Bauer (21) Kenntnis genommen habe. Ich werde des¬ 
halb ihre Resultate im Vergleich mit den meinigen am Schlüsse 
besprechen. 

Die frischen Morgenharne der Kranken wurden filtriert, ab¬ 
steigende Mengen (0,4, 0,8, 0,2 und 0,1 ccm) zu je 0,1 ccm Trypsin¬ 
lösung zugesetzt, und mit destilliertem Wasser die Volumina in die 
Röhrchen gleich groß gemacht. Nach zweistündigem Erhitzen im 
Thermostat auf 37,5 0 C wurde in jedes Röhrchen 2 ccm Kasein¬ 
lösung gegossen, und jetzt 3V 2 weitere Stunden im Thermostat 
erhitzt; dann wurden die Röhrchen ausgenommen und jedem 0,1 ccm 
einer 6 °/« Essigsäurelösung zugesetzt. 

Die benutzte Kaseinlösung wurde jede 2 oder 3 Tage frisch 
hergestellt nach Groß (9): lg Caseinum puriss. Grübler und 1 g 
Natr. carbon. anhyd. aufgelöst in 1 Liter destillierten Wassers. 
Weil die Kaseinlösungen nach einiger Zeit, bisweilen schon nach 
2 oder 3 Tagen der Autohydrolyse anheimfallen, wie schon seiner¬ 
zeit Brailsford Robertson (22) ausführlich studiert hat, wurde 
wiederholt zur Kontrolle zu gleicher Zeit auch Kaseinlösung während 
3 1 /* Stunden auf 37,5 0 C erhitzt und nach Zusatz von Essigsäure 
der Niederschlag verglichen mit jenem in nicht erhitzter Kasein¬ 
lösung, die Niederschläge waren immer gleich groß. Es war jetzt 


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546 


Schippers 


überflüssig, zur Konservierung der Kaseinlösung Chloroform zuzn- 
setzen, und so konnte mithin seine störende Wirkung auf di« 
Trypsinlösung (Kaufmann (23)) vermieden werden. 

Die Trypsinlösung wurde nach Angabe Kudo’s (24) hergestellt: 
100 mg Trypsin Grübler, aufgelöst in 100g destillierten Wassers. 
24 Stunden im Eisschrank ruhig gestellt, zentrifugiert, die eben- 
stehende Flüssigkeit dekantiert und mit einem gleichen Volon 
Glyzerin gemischt. Von der so hergestellten Trypsinlösung wurden 
(mittels gleicher Teile destillierten Wassers und Glyzerin) auch 
Verdünnungen */# und V« gemacht. In den Protokollen sind diese 
3 Lösungen resp. angegeben als Trypsin 1 j 1 , */* und ’/«; sie hatten 
nach 6 Monaten noch nicht merklich an Wirksamkeit eingebaut 
Bei jedem Versuch wurde ihre Wirksamkeit aufs neue geprüft 

Weil nach Hedin (25) die Bindung des Trypsins an das Anti¬ 
trypsin einige Zeit beansprucht, wurden Harne und Trypsinlösuns 
vorher zusammen während 2 Stunden erhitzt. 

An erster Stelle habe ich die Harne von verschiedenen Kranken 
der Klinik untersucht nach unten stehendem Schema: 



i 

1 II 

III 

IV 

V 

Trypsinlösung ('!,) 

0,1 

0,1 

0,1 

! o,i 

0,1 ccm 

Harn 

0,4 

0,3 

0,2 

0.1 

0,0 

Destilliertes Wasser i 

0,0 

0,1 

0,2 

0,3 

0,4 

Kaseinlösung 

2,0 

2,0 

2,0 

2,0 

2,0 

Essigsäure von 6°/ 0 

0,1 

I 

0,1 

, 

i 

0,1 


0,1 


Während 2 Ständen anf 
37,5® C. 


Nach Zusatz der Kaseii- 
lösang weitere 3', Std 
anf 37,5® C. 

Znm Schloß zugesetzt. 


Das Resultat war folgendes: 


Krankheit 

1 Zahl der 
untersuchten 
Harne 

Zahl der 
hemmenden 
Harne 

Zahl der 
Eiweiß hal¬ 
tenden 
Hame 

Tuberculosis! §£j n 

8 

10 


1 

pulmonum j Stad Iir 

! ii 

2 

1 ö 

Pneumonica catarrbalis 

1 3 


1 

Bronchitis putrida 

1 



Emphysema pulmonum 

1 3 

| 

1 

Endocarditis subacuta 

1 1 


1 

„ chronica 

, 10 


4 

Myodegeneratio cordis 

1 1 


1 

Carcinoma ventriculi 

1 3 

1 


Ulcus ventriculi 

12 


1 1 

Neurosis gastrica 

1 



Hyperacidität 

1 

1 1 



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Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne. 


547 


Krankheit 

Zahl der 
untersuchten 
Harne 

Zahl der 
hemmenden 
Harne 

Zahl der 
Eiweiß hal¬ 
tenden 
Harne 

Echinococcus hepatis 

i 



Colica fellea 

i 



Icterus catarrhalis 

i 

! 

! 

Carcinoma vesicae felleae 

i 


Appendicitis acuta 

2 

I 


Enteritis chronica 

2 


1 

Peritonitis tuberculosa 

1 



Polyserositis tuberculosa 

3 



Nephritis interst. chron. 

8 

4 

7 

Albuminuria orthostatica 

3 


1 

Pyelitis traumatica 

1 



Haemophilia renalis 

1 

1 

1 

Arthritis deformans 

1 


1 

Rhenmatism. acut. 

1 



„ snbacnt. 

1 



„ chron. 

2 



Anaemia 

6 


1 

Diabetes mellitus 

7 

2 

2 

Rhachitis 

4 



Spondylitis tuberc. 

1 

1 

Febris puerperalis 

1 

1 

1 

Adnexitis 

1 

, 

Scrophylodenna 

1 

! 

Abscessus frigid ns 

1 

, 

Tnbercul. lymphogland. 

1 


Thrombos. ven. crural. 

1 



Nervositas 

2 



Chorea minor 

3 



Morbus Basedowii 

2 



Meningitis tuberculosa i 

1 

i 


Myxoedema 

1 



Acromegalia 

1 



Lues cerebri 

1 



Apoplexia cerebri 

3 


Tumor cerebri 

2 

i 

Poliencephalitis ac. 

2 



Paralysis agitans 

1 



Scl&rose en plaques 

1 



Tabes dorsalis 

4 



Sine Morbo 

6 




Wenn wir obenstehende Tabelle betrachten, sehen wir, daß 
einige Harne, teils eiweißhaltige, teils eiweißfreie, die Kaseinver¬ 
dauung des Trypsins hemmen. Zu gleicher Zeit war es aufgefallen, 
daß sehr oft die Trypsinwirkung in dem Kontrollröhrchen (V) 
im Gegensatz zu den anderen Röhrchen (I—IV) nicht komplett 
war. An erster Stelle wurde nun untersucht, ob der Mangel an 
Salzen hier die Ursache sei. 

Es wurden je 0,1 ccm der Trypsinlösungen 1 I 1 , */* und 1 / a mit 
0,4 ccm Kochsalzlösung wechselnder Konzentration während 2 Stun- 


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548 


SCHEPPXBS 


den auf 37,5° C erhitzt, dann 2,0 ccm Kaseinlösung zugesetzt. 
3 Vs weitere Stunden erwärmt, und zum Schlüsse 0,1 ccm 6% Essig¬ 
säure beigegossen. Das Resultat ist aus unten stehender Tabelle 
ersichtlich: 


Konzentration der 1 20 
Kochsalzlösung 

18 16 

1 

14 112 110 j 8 

1 

6 ! 4 

2 1 0,5 0,0\ 

i 1 

Trypsin ’/i 1 — 

- - 


- - 

- - 1 — — 

Trypsin Vs 1 — 

- 1 - 

- - ' - ’ - 

1 

-!-> 

Trypsin '/« i — 

f " ’ j 

| - j - j - | - | 

—. Sp. 

+ |+|+ T 


Bei schwächeren Konzentrationen der Fermentlösungen vei- 
läuft also die Kaseinverdauung durch Trypsin besser, je nachdem 
der Salzgehalt der Lösung ein höherer ist. Es ergab sich weiter, 
daß die Konzentration des Salzes keinen Einfluß hatte auf dir 
Bildung des Essigsäureniederschlages, weder vor, noch nach der 
Erhitzung. 

Der Eiweißgehalt der einzelnen Harne wurde nach Esbach 
bestimmt, es zeigt sich, daß die Harne bei einem Gehalte über 
2 pro Mille immer hemmten und daß ein Gehalt unter 1 pro Mille 
die Trypsin Wirkung nicht beeinflußte; dagegen fiel es auf, daß bei 
einem Eiweißgehalt von 1—2 pro Mille die Harne ab und zn 
hemmten. Es war in den letzten Fällen wahrscheinlich ein weiterer 
Faktor mit im Spiele. 

Ein Eiweißreiches Transsudat, das nur Spuren Kochsalz enthielt, 
wurde jetzt nach oben beschriebener Methode untersucht. In eine 
Serie wurden die Röhrchen mit 20°/ o Kochsalzlösung statt mit 
destilliertem Wasser beschickt. Die Vorerwärmung war in allen 
Serien dieselbe; nachdem Kaseinlösung zugesetzt war, wurden nach 
verschiedenen Zeiten die Größe der Verdauung des Kaseins unter¬ 
sucht. Die Trypsinlösung 1 / 1 wurde benutzt. 

Menge des Transsudates: 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 ccm 

Niederschlag nach 3 Stunden: -b + + + + *) 

n n 4 „ : + + 4" 4" Sp. 

)• »ö ’• : + + + + — 

„ „5 „ : -|-(mit 20% NaCl 1 

» » 24 „ H—b + “b 

« «48 „ : -j-b -b + 

Es zeigte sich, daß der hemmende Elinfluß des Eiweiße», 
wenigstens teilweise, durch Kochsalzzusatz zu beseitigen war. 

*) Die Zeichen -f-+, Sp(nr) nsw. geben die OrSfie des Eaaigsinreaieder- 
echlages an; sie sind jedoch in jeder Tabelle nur gegenseitig vergleichbar. 


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bv Google 


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Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne. 


549 


Ich machte jetzt denselben Versuch mit einem eiweißhaltigen 
Harne mit dem gleichen Erfolg: 

Nr. 166. Frau L. Nephritis haemorrhagica chronica. 

Harn: Spez. Gew. = 1,014; Acidität = 2,35 cmm ^ NaOH; 

Eiweißgehalt nach Scherer = 2,540 Gr. p. L.; Kochsalzgehalt nach 
Volhardt = 8,022 Gr. p. L. 









550 


Schippers 


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Nach: 1 Stunde 1% St. 2 St. 3 St. 4 St. 

mit NaCl 20%: + Sp. Sp. - 

mit Aq. dest.: + 4~ > + + < + Sp. 

Es gibt also 2 Faktoren, welche die Kaseinverdauung durch 
Trypsin beeinflussen: 

1. der Eiweißgehalt, welcher hemmend wirkt auf 
Trypsin; 

2. der (Koch)salzgehalt, welcher, wenn groß genu». 
die Trypsin Wirkung fördert. 

Wenn also diese beiden Faktoren Zusammenwirken, können 
wir eine kräftige Hemmung erwarten. Und wirklich ist das 
der Fall. 

Ich notiere hier unten in Vergleich miteinander die Resultate 
zweier Harne. Nr. 162, einer Frau mit Krebs der Gallenwege, 
und Nr. 165, einer Frau mit croupöser Lungenentzündung. 


Trypsin ’/i 


Harn- 
mentre 
Nr. 162 
Nr. lt>5 


0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 0,4 0,3 < 0,2 


+ ++++ 


+ s P . s P . 

I-H- ++++ 


0,1 |0,0 0,4 0,3 0,2 0.1 U.Ü 

f ; ' i 

Sp. Sp. + Sp. -4— ~" 
++; -rM-+ x ++~ — 

I i 


Sobald aber dem Harne der Pneumoniepatienten Kochsalz in 
genügender Menge zugesetzt wurde, konnte die Hemmung teilweise 
beseitigt werden. 

Nr. 165. Frau 0. Pneumonia crouposa. 4. Krankheitstag. 

Harn: Spez. Gew. = 1,024; Acidität = 4,3 ccm ^ NaOH; 

Eiweißgehalt nach Esbach = 2%„; Kochsalzgehalt nach Vol- 
hardt = 6,110 Gr. p. L. 

Dieselbe. 6. Krankheitstag. 

Harn: Spez. Gew. = 1,028; Acidität = 3,7 ccm ^ NaOH; 

Eiweißgehalt nach Scherer = 2,100 Gr. p. L.; Kochsalzgehalt 
nach Volhardt = 5,160 Gr. p. L. 

Trypsin j ’/i j */« 1 V» 

Harnmen ge: 0.4 0,3 0.2 .0,1 0,0 1.0,40,3 (0,2 0,1 |ü,0 ;0,4 0,3 0,2 0.1,0.0 

. (mit Aq. «lest. %+ -H-1++ A-+ - -H--4-4- ++ -H- Sp.'++!++++++! i 
‘ k \mit20°,, Nal'l -M-« + i + j ++ ++ -F , + I ++,++ + ■ ~ 

, r iinit Ai). «l«'st. :+ r+++-r + r — FF-,++++ -H%p. -H-'-H--H--H- + 
b * la> » \mit20% Nat’l 1++++! + +! ++(+++ + ■++■++: - : r 


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Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne. 


551 


In einem anderen Falle von croupöser Pneumonie war der 
Eiweißgehalt niedriger, also die Hemmung weniger deutlich, jedoch 
war auch hier nach Beigabe von Kochsalz die Trypsinwirkung 
eine wesentlich bessere: 

Nr. 177. Mann. Pneumonia crouposa. Digestion während 5 
Stunden. 

Harn: Spez. Gew. = 1,018; Acidität = 2,4 ccm ^ NaOH; 

Eiweißgehalt nach Scherer = 1,240 Gr. p. L.; Kochsalzgehalt 
nach Volhardt = 4,740 Gr. p. L. 


Trypsin 

| V. 

i 


V* 


[ 

V« 


Harnmenge 
Mit Aq. dest. 
Mit20° /o NaCl 

0,4 

l 

0,3 | 0,2 , 0,1 0,0 

! t’ 

0,4 

0,3 

0,2 0,1 
Sp. i Sp. 

0,0 

Sp. 

0,4 

+ 

Sp. 

0,3 0,2 ’0,1 
+ + Sp. 
Sp. Sp. Sp. 

0,0 

+ 


Auch von Schoenborn (26) fand, daß die Pneumonikerharne 
besonders die Trypsinwirkung hemmten; ich meine, daß die oben 
angeführten Versuche, welchen ich noch einige beifügen könnte, 
eine befriedigende Erklärung geben. 

Die Harne Carcinomkranker als solche hemmen die Trypsin¬ 
wirkung nicht, es sei denn, daß ihr Salzgehalt durch ungenügende 
Fütterung zu niedrig wird. Zur Bestätigung führen wir 3 Bei¬ 
spiele an: 

Nr. 173. Frau. Carcinom der Gallenwege; schwere Kachexie; 
gebraucht nur Milch und ein wenig Zwieback. 

Harn: Spez. Gew. = 1,014; Acidität = 2,5 ccm ^ NaOH; 

eiweißfrei; viel Gallenfarbstoffe; Kochsalzgehalt nach Volhardt 
= 5,639 Gr. p. L. 

Nr. 164. Frau. Magencarcinom; schwere Kachexie; gebraucht 
sehr wenig, etwas Milch, Tee, geweichtes Brot usw. 

Harn: Spez. Gew. = 1,015; Acidität = 2,5 ccm ~ NaOH; 

Eiweißgehalt nach Esbach: Vi°'oo ; Kochsalzgehalt nach Vol¬ 
hardt = 6,734 Gr. p. L. 

Nr. 174. Frau. Großes Magencarcinom; keine subjektiven 
Beschwerden, ißt und trinkt normal. 

Harn: Spez. Gew. = 1,025; Acidität = 6,0 ccm ^ NaOH; 

eiweißfrei; Kochsalzgehalt nach Volhardt = 10,018 Gr. p. L. 

36* 


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552 


SCHIPPEHS 


Trypsin 

1 

7* 

V. 

Harnmenge: 

Nr. 173 

Nr. 164 

Nr. 174 

1 1 

! 0,4 J 0,3 

:+ i + 

r r 

0,2 

+ 

1 

0,1 f c 

±iä 

M> 

l 

0,4 

++ 

1 1 

k 

! i 

\n 

! 

0,1 0,0 
tt t 

+ -t-r 


Wir sehen hier bei Nr. 164 Hemmung durch Eiweiß -f- langsamere 
Verdauung durch wenig Kochsalz; bei Nr. 173 eine langsamere 
Verdauung durch zu wenig Kochsalz, während Nr. 174 sich wie 
ein ganz normaler Harn benimmt. 

Ich habe bei meinen Versuchen nur Kochsalz benutzt, weil 
dieser Körper in größerer Menge im Harn anwesend ist und großen 
Schwankungen unterliegt. Daß auch die anderen Harnsalze einen 
Einfluß üben, zeigt der Umstand, daß z. B. eine 6°/ 0 Kochsalzlösung 
die Kaseinverdauung durch Trypsin weniger anregt als ein Harn 
mit einem gleich großen Gehalt an Kochsalz. 

Es sei weiter bemerkt, daß die Anwesenheit von Glukose nicht 
hemmend wirkt, wie auch Marcus (27) seinerzeit schon gesagt hat 

In Widerspruch mit Döblin muß ich mit Bauer den Gallen¬ 
farbstoffen eine hemmende Wirkung absprechen; auch das Urobilin 
ist dem Trypsin gegenüber indifferent. Während verschiedene 
Eiweißkörper hemmen, fehlt Albumosen und Peptonen diese Eigen¬ 
schaft. Das Ureum übt wenigstens bis zu einer Konzentration von 3 *, 
keinen Einfluß auf die Kasein Verdauung aus, ebensowenig das 
Glykokoll in schwachen Lösungen. 

Wir können also feststellen, daß der Gehalt an 
Eiweiß und Kochsalz bei vielen Harnen, welche die 
Kaseinverdauung durch Trypsin hemmen, als Ursache 
dieser Hemmung angesehen werden muß. 

Müller und Kolaszec untersuchten als erste die antipro¬ 
teolytische (antitryptische) Wirkung normaler Harne nach dem 
Müller-Jochmann 'sehen Verfahren (28) und zwar mit negativem 
Resultat. Später fand Müller Hemmung bei stark eiweißhaltigen 
Harnen, und gerade bei Stauungsniere und chronischer paren¬ 
chymatöser Nephritis. 

Marcus hat die Harne Zuckerkranker auf ihre antitryptische 
Wirksamkeit untersucht und zwar mit negativem Erfolg. Bauer 
und Reich sagen in ihrer Mitteilung: „Den größten antitryptischen 
Index haben Harne von akuten und subakuten Nephritiden, Tuber- 


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Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne. 553 

kalose und Amyloidosen der Niere und von akuten Infektions¬ 
krankheiten,“ und weiter: „Die antitryptische Wirksamkeit des 
Harns findet sich zumeist mit dem Eiweißgehalt desselben ver- 
gesellschaftet, der antitryptische Index geht jedoch mit dem Eiwei߬ 
gehalt des Harns parallel.“ Ein Parallelismus zwischen erhöhtem 
Autitrypsingehalt des Blutserums und der antitryptischen Wirkung 
der Harne konnten sie nicht feststellen. Zur Erklärung berufen 
sie sich auf die oben schon mitgeteilten Beobachtungen Pick und 
Pribram’s und Schwarz’s, indem sie aus zugrunde gegangenen 
Nierenepithelien und Epithelien der Harnwege stammende Li¬ 
poide für die Hemmung verantwortlich machen. Wie wir oben 
schon sagten, ist die Hypothese von Pick und Pribram und 
von Schwarz durch Kurt Meyer und Cob 1 iner experimentell 
widerlegt worden. Ich selbst habe oben auf den Einfluß des Eiweiß- 
und Kochsalzgehaltes aufmerksam gemacht, diese beiden Faktoren 
werden auch in den von Bauer und Reich genannten Krank¬ 
heiten von Einfluß sein. Wie aber läßt sich erklären, daß das 
Schütteln mit Äther die hemmende Kraft gewisser Harne ganz 
oder teilweise aufhebt? Ich habe mich aufs neue mittels der oben 
beschriebenen Methodik davon überzeugt, daß wässerige Suspen¬ 
sionen verschiedener Lipoide die Kaseinverdauung durch Trypsin 
ganz aufhebt. 

Ich untersuchte wässerige Suspensionen von einem eigenen 
aus Hühnereiweiß hergestelltem Lecithin, von Lecithin ex ovo 
Merck, von nach Drechsel (29) aus Pferdeleber hergestelltem 
Jecorin, sowie von nach Hammarsten (30) bereitetem Protagon 
aus menschlichem Gehirn. Wurden die Suspensionen mittels Äther 
ausgeschüttelt, dann verloren sie ihre hemmende Eigenschaft. Das¬ 
selbe sah ich nach Zusetzung der Lipoidsuspensionen zu normalem 
Harn. Cholesterine von Mensch und Schaf warefl der Trypsin¬ 
wirkung gegenüber indifferent. 1 

Nun fiel es mir auf, daß in der Mehrzahl der von Bauer und 
Reich genannten Fälle mit großer Wahrscheinlichkeit auch Blut 
im Harn anwesend war und somit Lecithin; dieser Ümstand läßt 
den Effekt des Ausschüttelns mit Äther ungezwungen erklären. 

Nr. 178. Frau. Nephritis haemorrhagica chronica. 

Harn: Spez. Gew. = 1,010; Acidität = 1,2 ccm ~ NaOH; 

Eiweißgehalt nach Scherer = 1,510 Gr. p. L.; Kochsalzgehalt 
nach Volhardt: 4,234 Gr. p. L.; sehr viel Blut. 


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554 


Schippers 


Ein Teil des Harnes wurde mit */* Volum Äther einige Minuten 
im Scheidetrichter geschüttelt, und der untenstehende Harn, nach¬ 
dem mittels eines Luftstromes der Äther entfernt worden war. anf 
die bekannte Weise untersucht. 


Trypsin 



V, 



Harnmenge 

°A ; 

, 0,3 

0,2 ! 

1 0,1 

0,0 

Nicht behandelt 1 

Mit Äther behandelt i 

+4- 

++ 

++ | 

! ++ . 

i 

Sp. 


Steensma’s (31) spektroskopische Blutreaktion (mit Pyridin 
und Schwefelammon) war nach der Behandlung mit Äther auch 
erheblich schwächer geworden. Es ließ sich in die gelatinöse 
Masse, welche nach dem Schütteln mit Äther fast immer auf die 
Scheidefläche der beiden Flüssigkeiten bildet, leicht Blutfarbstoff 
nachweisen. 

Daß nicht der Verlust an Eiweiß die Hemmung auf hebt, leuchtet 
aus den folgenden Eiweißbestimmungen, welche in dem Harne des¬ 
selben Kranken (Nr. 178) an 2 folgenden Tagen vorgenommen 
wurden, ein. 

100 ccm Harn und 50 ccm Äther wurden während einer halben 
Stunde im Scheidetrichter wiederholt geschüttelt; nachdem der 
Äther mittels eines Luftstromes aus dem Harn vertrieben worden 
war, wurde der Eiweißgehalt nach der Scherer’schen Methode 
bestimmt. 

Datum 4. Juli 5. Juli 

mit Äther behandelt 1,500 Gr. p. L. 1,040 Gr. p. L. 

nicht behandelt 1,500 Gr. p. L. 1,140 Gr. p. L. 

Weiter wurden 2 blutfreie Harne mit hohem Eiweißgehalt 
(resp. 1,6 Gr. und 7,61 Gr. p. L.) untersucht: das Schütteln mit 
Äther hatte gar keinen Einfluß auf die hemmende Kraft 

Das Blut ist also (wahrscheinlich durch seinen Gehalt an Lipoid* 
ein weiterer Faktor beim Auftreten der Hemmungserscheinungen 
in gewissen Harnen. 

Döblin meint Antitrypsin in normalen Harnen nachgewiesen 
zu haben. Die Harne normaler Personen wurden unter Xylolzusatz 
während 2 oder 3 Tagen dialysiert gegen destilliertes Wasser, sodann 
wurde die Keaktion mit Natriumkarbonat alkalisch gemacht. Mit 
den so veränderten Flüssigkeiten, welche kaum mehr den Namen 
Harne beanspruchen können, wurde nach der Groß ’schen Methode 


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Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne. 


555 


die Prüfung auf die antitryptische Wirkung vorgenommen. Die 
Hemmung zeigte sich am stärksten, wenn „ihr Salzgehalt dem 
destillierten Wasser gleichkam“; das wirksame Prinzip konnte nicht 
mit Äther ausgeschüttelt werden und war hitzebeständig. „Es 
handelt sich scheinbar um ein Kolloid, dessen Herkunft möglicher¬ 
weise aus dem Blutserum erfolgt.“ 

Das Resultat meiner Versuche wird auch eine ganz andere 
Deutung zulassen; wir haben hier, wenn man will, eine anti¬ 
tryptische Wirkung, d. h. die Kaseinverdauung durch Trypsin wird 
durch die Flüssigkeit wenig gefordert, und das ist etwas anderes 
als Hemmung; nicht die Anwesenheit eines Antikörpers, aber die 
Abwesenheit der Salze kann hier als Faktor angenommen werden. 
Sobald ich den Einfluß des Eiweißgehaltes auf die Trypsinwirkung 
erkannt hatte, habe ich hemmende, eiweißhaltige Harne gekocht 
Es zeigte sich, daß wenn man nur dafür sorgt, daß der Eiwei߬ 
gehalt derselbe bleibt indem man durch kräftiges Schütteln die 
Flöckchen zerkleinert, und so die Suspension benutzt, die Hemmung 
nicht sichtbar kleiner wird. Filtriert man den Harn nach der 
Erhitzung, so nimmt mit dem Eiweißgehalt auch die Hemmung 
ab. Ich sah dasselbe mit dem oben benutzten Transsudate und 
auch mit 10 fach verdünntem menschlichen Blutserum. Es mag 
dennoch möglich sein, daß sich im Harne kolloide Körper vorfinden, 
welche die Trypsin Wirkung auf Kasein beeinträchtigen, jedoch ent¬ 
weder Müller und Kolaszec, Bauer noch ich konnten in 
normalen unveränderten Harnen antitryptische Wirkung nach- 
weisen. 

Bauer kommt in seiner letzten Arbeit u. U. zu dem Schlüsse, 
„(daß) das Antitrypsin keine einheitliche Substanz darstellt“. Ich 
kann dieser Meinung nur beipflichten. Bei seinen Versuchen über 
experimentelle Nephritis sagt er, daß kein Parallelismus zwischen 
Eiweißgehalt und antitryptischer Wirkung zu bestehen scheint. 
Auch dies kann ich jetzt begreifen, wenn ich den Einfluß des 
Blutgehaltes dieser Harne in Betracht nehme. Hirata (32), der 
auch experimentell Nephritis erzeugte, kommt in Widerspruch mit 
Bauer und Reich zu dem Schlüsse, daß ein gewisser Paralle¬ 
lismus besteht zwischen dem Antitrypsingehalt des Serums und 
des Harnes. Ich glaube, daß wenn man meine Befunde in Betracht 
nimmt, viele Widersprüche der verschiedenen Untersucher erklärt 
werden können. 


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556 Schippers, Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne. 


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Zusammenfassung. 

1. Man soll einen Unterschied machen zwischen der 
antitryptrschen Wirkung des Harnes und der even¬ 
tuellen Anwesenheit eines Antitrypsins. 

2. Die antitryptische Wirkung vieler patholo¬ 
gischer Harne ist abhängig von mehreren Faktoren 
und zwar von ihrem Gehalt an Eiweiß, Kochsalz und 
Blut; warscheinlich können im Harne noch andere 
Faktoren gefunden werden, welche die Kaseinver¬ 
dauung durch Trypsin beeinträchtigen. 

3. Die Methode von Groß ist nicht geeignet, mit 
genügender Bestimmtheit im Harne Antikörper naeh- 
znweisen. 

4. Es ist zweifelhaft, ob die Frage nach dem An¬ 
titrypsingehalte des Harnes vorläufig einiges klini¬ 
sches Interesse haben wird. 


Literatnr. 

1. Morgenroth, Zentralbl. f. Bakt. 26, 349, 1899. 

2. Achaline, Annal. de l’Inst. Pasteur 1901, 737. 

8. Briegeru. Trebing, Berl. klin. Wochenschr. 1908, 1041. 

4. von Bergmann n. Meyer, Berl. klin. Wochenschr. 1908, 1064. 

5. Thal er, Wien. klin. Wochenschr. 1909, 850. 

6. Landois, Berl. klin, Wochenschr. 1909, 440. 

7. Ascoli n. Bezzola, Berl. klin. Wochenschr. 1903, 391. 

8. von Reus, Wien. klin. Wochenschr. 1909, 1171. 

9. Groß, Arcb. f. exp. Path. n. Pharmak. 58, 157, 1908. 

10. Kurt Meyer, Berl. klin. Wochenschr. 1909, 1064. 

11. Kepinov n. Braunstein, Biochem. Zeitschr. 27, 170, 1910. 

12. Cobliner, Biochem. Zeitschr. 25, 494, 1910. 

13. Pick u. P/ibram, cit. nach 0. Schwarz (14). 

14. 0. Schwarz, Wiener klin. Wochenschr. 1909, 1151. 

15. Rössle, Lubarsch n. Ostertag, Ergebnisse usw. Uber 1909, II. Abt. 
226, 1910. 

16. Bauer u. Reich, Med. Klinik 1909, 1744. 

.17. Dies., ibid. 1910, 65. 

18. Müller n. Kolaszec, Münch, med. Wochenschr. 1907, 354. 

19. Müller, Deutsch. Aren. f. klin. Med. 91, 291, 1907 und 92, 199. 1907. 

20. Döblin, Zeitschr. f. Immunitätsforschung 4, 224, 1910. 

21. Bauer, ibid. 5, 186, 1910. 

22. Brailsford Robertson, Journ. of Biol. Chemistry 2, 317, 1907. 

23. Kaufmann, cit. nach Oppenheimer, Die Fermente usw. 3. And. 297. 
1909. 

24. Kudo, Biochem. Zeitschr. 15, 473, 1908. 

25. Hedin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 52, 412, 1907. 

26. vonSchoenborn, Zeitschr. f. Biol. 53, 386, 1910. 

27. Marens, cit. nach Bauer u. Reich (16). 

28. Müller u. Jochmann, Münch, med. Wochenschr. 1906, 1393. 

29. Mein er tz, Zeitschr. f. physiol. Chem. 46, 346, 1905. 

30. Hammarsten, Lehrbuch d. physiol. Chem. 484, 1907. 

31. Steensma, Xederl. Tijdschr. v. Gen. 1908, 160. 

32. Hirata, Biochem. Zeitschr. 27, 397, 1910. 


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Aus der Anatomie des Johannstädter Krankenhauses Dresden. 

Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die 

Lungenarterie. 

Von 

Dr. P. Geipel. 

(Mit 2 Abbildungen.) 

Bei der Perforation eines Aortenaneurysmas in den Stamm der 
Lungenarterie kommen ausschließlich Aneurysmen der aufsteigenden 
Aorta in Betracht. Der anatomische Vorgang ist zumeist jener, 
daß an der medialen Seite der Aorta ein Aneurysma sich ent¬ 
wickelt, nach Verwachsung mit der Adventitia der Pulmonalis die 
letztere usuriert, hierbei in das Lumen sich vordrängend. Die 
Lungenarterie erleidet durch das Aneurysma Veränderungen ihres 
Volumens, die zumeist als Stenose zutage treten. Erstreckt sich 
das Aneurysma bis in den Bereich der Halbmondklappen, dann 
kommt durch Verwachsung einer Klappe eine Insufficienz zustande, 
die sich naturgemäß mit einer Stenose des Ostiums vergesellschaften 
kann. Am ungewöhnlichsten ist das Vordringen des Aneurysmas in 
in den Endteil des Conus pulmonalis. Ebenso wie der Hauptstamm 
der Pulmonalis können die beiden Hauptäste, insbesondere der 
rechte, in Mitleidenschaft gezogen werden und das Aneurysma sich 
in dieselben eröffnen. Durch sekundäre Ausbuchtungen des Aneu¬ 
rysmas (Rokitansky’s Aneurysma bilobum) können die verschie¬ 
densten Kombinationen entstehen. Die Perforation des Aneurysmas 
ist zumeist einfach, mitunter zwei- bis dreifach. Eine übersicht¬ 
liche Zusammenstellung der bisher beobachteten Aneurysmen und 
eine Besprechung, besonders der klinischen Verhältnisse, findet sich 
bei Käppis. In folgendem bringe ich als weiteren Beitrag die 
Schilderung zweier hierzugehöriger Fälle, deren erster der Mehr¬ 
zahl der bisherigen Beobachtungen entspricht, während der zweite 
eine Veränderung der Pulmonalarterienwand aufweist, welche bei 
derartigen Durchbrüchen noch nicht beobachtet worden ist, eine 


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558 


Geipel 



Einstülpung der inneren Gefäßhäute in den Haupt- 

stamm. 

Fall I (siehe Fig. 1). 

Karl Th., Maurer, 33 Jahr, -j* 2. Januar 1910. 

Anamnestisch ist nur bekannt, daß Pat. herzleidend war. Er 
starb sofort nach Überführung ins Krankenhaus. 

Sektion: Mittelgroßer, kräftiger Mann. Haut schwach gelblich. 
In beiden Pleurahöhlen je 1 Liter Transsudat. Die Bauchorgane stark 
gestaut. 

Herz: Die Länge d« 
Fig. 1. Herzens 10 cm, Breite ander 

r- Basis 10 cm, Dicke 7 cm. 

// , Der rechte Ventrikel mäßig 

V \ dilatiert, die Wand byper- 

\ \ - - trophisch, zeigt im Konus 

\ v 5—7 mm Durchmesser der 

\ \ Wandmuskulatur, im Ventrikel 

\ \ 6 mm. Linker Ventrikel: 

^/ Klappen zart. Wandstärk«? 
11 —12 mm. Dicht über der 
Herzbasis an der Vorder- 
fläche sieht man zwischen den 
A : lfir ~ yjL 1 beiden großen Gefäßen eine 

aneurysmatische Vorwölbung 
' l wh ri von der Größe eines kleinen 

V Apfels. Der Quer- und Längs- 

\ 1 | A|' durchmesser beträgt 3 1 ;* cm. 

B \ Bei Eröffnung der Aorta fin- 

B det sich dicht oberhalb der 

^ IBA, l Klappen beginnend eine ziem- 

/ > ^ WfoSm lieh stark entwickelte Arte- 

f A i 1 riosklerose, welche bis znm 

11 Abgang der linken Arten* 

subclavia reicht. Die Intima 
ist verdickt, von bläulich-weißer Farbe, zeigt narbenartige Einziehungen, 
sowie die gesamte Wand zeltförmige Ausbuchtungen. An der medialen 
Seite findet sich dicht oberhalb der rechten Halbraondklappe ein rund¬ 
licher 22 mm im Durchmesser haltender Eingang in das 
erwähnte Aneurysma. Die Aortenwand ist daselbst derart nach außen 
umgebogen, daß die rechte Coronararterie dicht hinter dem Eingang in 
das Aneurysma aus dem unteren Umfange desselben entspringt. Das 
Ostium der rechten Coronaria ist demnach in den Hals des Aneurysma 
mit einbezogen. Der größte Teil des Aneurysmas findet sich zwischen 
den beiden großen Gefäßen. Bei Eröflhung der Pulmonalis findet sich 
das Pulmonalostium mindestens auf zwei Drittel verengt durch die Vor- 
buchtung des Aneurysmas an der inneren Wand, und zwar reicht das¬ 
selbe in die Kommissur zwischen rechter und linker Klappe bis zur unge¬ 
fähren Höhe der Ansatzstelle der Klappen. Die rechte Halbmondklappe 


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Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die Lungenarterie. 559 

desgleichen die linke, sind an den aneinanderstoßenden Hälften in das 
Lnmen vorgedrängt, dieselben sind nicht mit dem Aneurysma verwachsen. 
Der Umfang der Pulmonalis beträgt 7 cm in der Klappenhöhe, der Um¬ 
fang der Aorta ebenfalls 7 cm. Die Verengerung der Pulmonalis nimmt 
bis zur Abgangsstelle der beiden Hauptäete durch die kugelige Vor¬ 
treibung des Aneurysmas derart zu, daß die Pulmonalis etwa io der 
Mitte vollständig verlegt wird. Am obersten Umfang der Vorwölbung 
findet sich ein annähernd querverlaufender Spalt von 11 mm 
Länge und 4—5 mm Breite, welcher eine Perforation des 
Aneurysmas in die Pulmonalis darstellt. Derselbe beginnt 
direkt an der Pulmonalarterienwand. Die Ränder sind zugeschärft, von 
ungleicher Dicke, etwas nach dem Lumen der Pulmonalis zu umgebogen. 
Der rechte Pulraonalarterienast ist bis auf einen schmalen Spalt durch 
das Aneurysma verlegt. Die Innenfläche^ der Pulmonalis ist völlig glatt. 

Die vorgewölbte Fläche des Aneurysmas zeigt keine vollkommen 
glatte Fläche, sondern ist schwach höckerig in dem vorderen inneren 
Bereich. Abgesehen davon, daß das Aneurysma zwischen Pulmonalis 
und Aorta sich nach vorn vordrängt, sowie auf der linken Seite in die 
Pulmonalis herein, drängt es sich nach hinten 1 cm weit hinter der 
linken Seite der Pulmonalis vorüber nach außen gegen die innere Wand 
des linken Vorhofes, so daß die mediale Seite desselben flach einge¬ 
buchtet und der linke Vorhof im queren Durchmesser verengt wird. Das 
Vorhofseptum biegt infolgedessen in seiner vorderen Hälfte nach links ab. 

Die arteriosklerotischen Veränderungen der Aorta sind makro¬ 
skopisch als luetische aufzufassen. Durch die Verlegung des Lumens 
und die Stenose des Ostiums der Pulmonalis wurde jedenfalls die 
Hypertrophie des rechten Ventrikels hervorgerufen. Das Aneurysma 
tritt außerdem zu dem linken Vorhof in "Beziehung, indem es die 
vordere Hälfte von demselben einengt. Woselbst das Aneurysma 
durch die Wand der Pulmonalis tritt, findet sich in Verlängerung 
der medialen Wand der Arterie eine Einsenkung, welche auf der 
Innenseite des Aneurysmas als eine leistenförmige Erhebung sich 
kennzeichnet, desgleichen findet sich eine Verengerung des Lumens 
des Aneurysmas an der Abgangsstelle des hinter der Pulmonalis 
gelegenen Teiles, welcher die Innenwand des linken Vorhofs nach 
links verdrängt. Das Aneurysma zeigt demnach drei verschiedene 
Abschnitte, einen ersten, zwischen Aorta und Pulmonalis befind¬ 
lichen, welcher sich besonders nach vorn vorwölbt, einen zweiten, 
welcher in die Pulmonalis hinein vorragt, einen dritten, welcher 
hinter und links von der Pulmonalis gelegen ist. 

Mikroskopische Untersuchung. 

I. Umgebung der Perforationsstelle, äußerer Winkel 
derselben. 

Auf der Aneurysmaseite Fibrinauflagerungen, darunter eine ungleich- 


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560 


Gbipel 


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mäßig dicke bindegewebige Lage. Bei der Färbung auf elastisch« Ge¬ 
webe stellt sich diese bindegewebige Lage als hochgradig veränderte Media 
dar, welche von Bindegewebe durchwachsen ist. Nach dem freien Bande 
verdünnt sich die Media außerordentlich, nur Trümmer und Stücke elasti¬ 
scher Fasern kennzeichnen die ursprüngliche mittlere Gefaßhaut. In dem 
aufliegenden Fibrin des Aneurysmas sind geringe organisatorische Vor¬ 
gänge zu beobachten. Auf der pulmonalen Seite liegt der Media eine 
neugebildete Intima von der Dicke der Media, sogar dieselbe noch über¬ 
treffend, auf. Dieselbe verschmälert sich stark nach dem freien Bande 
der Öffnung zu, ähnlich wie die Media. Je mehr man sich demselben 
nähert, um so zellreicher wird ihre Bauart. Innerhalb eines zarten 
Stromas liegen massenhaft Bundzellen verstreut. 

II. Die Pulmonalarterien wand. 

Die inneren Schichten sind von normaler Bauart, dagegen finden 
Bich in den äußersten der Adventitia benachbarten Partien eine geringe 
Vermehrung des Bindegewebes auf Kosten des elastischen Gewebes. 

III. Aortenwand zeigt sehr schwere Veränderungen zumal in der 
Media, erstens ansgedehnte Nekrosen des elastischen Gewebes, Sub¬ 
stitution desselben durch Bindegewebe und neugebildete Gefäße, massen¬ 
hafte entzündliche Herde mit Biesenzellen über die Media verstreut 
ebenso in der Adventitia. Daselbst sind die Vasa vasorum sehr stark 
durch Intimawucherungen verengt. Die Intima ist in ein dickes Polster 
umgewandelt, welches in die Defekte der Media vordringt. 

IV. Pulmonalarterienwand mit TTmschlagsstelle des 
Aneurysmas in mittlerer Höhe. 

Die Media ist spitzwinkelig umgebogen an ihrem Übergang in da« 
Aneurysma. Auf der pulmonalen Seite ist dieser Winkel ausgefüllt von 
Fibrinmassen und einer qphr stark höckerig gewucherten Intima. Lot¬ 
gerissene Faserzüge der Media, welche in das Fibrin nach dem Pul¬ 
monallumen zu verlagert sind, zeigen die Umbiegungsstelle der Media 
an. Je mehr man sich dem Aneurysma nähert, um so stärkere Ver¬ 
änderungen treten in der Media auf. Das Bindegewebe ist im Innen 
der Media auf Kosten des elastischen Gewebes vermehrt, penetrierende 
neugebildete Gefäße ziehen bis nahe an die inneren Schichten. Um die¬ 
selben herum liegen Anhäufungen von Lymphocyten. 

Die innerste stärkere Lamelle, eine Art Elastica interna, ist mehr¬ 
fach durchgerissen, um hinter der Umbiegungsstelle völlig aufzuhörec. 
Der Dickendurchmesser der Media sinkt auf ‘/ 8 bis */ 4 des ursprüng¬ 
lichen herab. Nach dem Grunde des Aneurysmas zu ist die Grenze 
gegen das benachbarte Bindegewebe der Adventitia unscharf. Inseln von 
Bindegewebe schieben sich zwischen die Mediazüge substituierend ein. 
Schließlich hört sie ähnlich einem hochgradig ausgezogenen verdünnten 
Bande völlig auf. In der Aneurysmawand ist schließlich keine Spor 
elastischen Gewebes mehr vorhanden, nur hier und da begegnet man 
einzelnen Inseln ausgezogener dünner Fasern. 

Die gesamte Aneurysmawand besteht schließlich aus nichts anderem 
als einer hochgradig verdickten und gewucherten Intima auf der Beite 
des PulmonaUnmens. Diese Bindegewebslage ist größtenteils allein jh 


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Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die Lungenarterie. 561 

der Intima hervorgegangen, zum kleineren Teil aus organisierten Fibrin¬ 
massen, welche sich in dünnen Lagen auf der Oberfläche niedergeschlagen 
haben. Hervorzuheben sind noch die Verwerfungen der verdickten In¬ 
tima, woselbst sie auf die normale Pulmonalarterienwand.sich überschlägt. 
Mitsamt der anliegenden Media sind Stücke abgerissen. Diese Ver¬ 
werfungen erklären sich aus der beträchtlichen Zugwirkung, welche von 
seiten des Aneurysmas auf die Anhaftungsstelle der neugebildeten Intima 
auf die normale Gefäßwand ausgeübt wurde. 

Der mikroskopische Befand zeigt demgemäß, abgesehen von 
der syphilitischen Mesaortitis eine ausgedehnte Zerstörung der 
Media der Pulmonalis, welche nur eine kurze Strecke sich an der 
Bildung der Wand des Aneurysmas beteiligt. Jene durch den Blut¬ 
druck hervorgerufene Veränderungen sind sehr deutlich sichtbar 
und bestehen in Zerreißungen, Einrissen der Media, Abreißen der 
verdickten Intima von ihrem Ansatzpunkte. Die abgerissenen 
Stücke sind durch Fibrinmassen miteinander zur Verklebung ge¬ 
bracht, mithin sind die kleinen Risse gleichsam ausgeheilt. Der 
Haupteinriß erfolgte jedenfalls von der Umschlagsstelle des Aneu¬ 
rysmas auf die Pulmonalis aus, zum Unterschied von der Per¬ 
foration auf der Höhe der Konvexität an der Stelle der größten 
Verdünnung in anderen Beobachtungen. Bei einem Aneurysma, 
welches auf Kosten des Lumens der Pulmonalis eine derartige 
Größe angenommen hat, geht die Media der letzteren genau in 
derselben Weise zugrunde wie jene der Aorta. Entsprechend der 
Ausdehnung des Aneurysmas werden sich mikroskopisch bei den 
verschiedenen Fällen alle Übergänge von einfacher Dehnung der 
der Media bis zur vollkommenen Druckatrophie finden. Zum Schluß 
ist hervorzuheben die starke Hypertrophie des rechten Ventrikels, 
ein beredtes Zeichen für die Stenose der Lungenarterie. 

Fall H (siehe Fig. 2). 

Joseph B., 48 Jahr, Arbeiter. Aufnahme 23. Februar 1909. 
Exitus 30. März 1909. 

Früher nicht wesentlich krank. Seit 11. Februar krank. Plötzlich 
Übelkeit. Stechen im Rücken, in der Nacht starker Frost. Anfangs 
noch Appetit. Der Atem wurde kürzer. Druck auf der Brust trat auf. 
Seitdem bettlägerig. Bei Bewegung zunehmende Atemnot. 

Status praesens: Kräftiger Muskel- und Knochenbau. Gesicht 
und Extremitäten cyanotisch. Ödem an den Unterschenkeln, besonders 
an den Knöcheln des linken Beines, Extremitäten kühl. Haut der Brust 
und des Rückens von linsengroßen oberflächlichen Narben übersät, die 
von einem Ausschlag, der im Herbst vorigen Jahres heBtand, herrühren 
sollen (Syphilid?). Herzgrenzen: 4. Rippe, linker Sternalrand. Ictus 
im V. Interkostalraum 10 cm von der Mittellinie nach außen nicht aus- 


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562 


Geipel 


gesprochen hebend. Statt des I. Tones hört man ein systolisches und 
diastolisches Geräusch, das auch sehr laut in der Mitte des Sternums 
und II. Interkostalraums zu hören ist. Kein ausgesprochener Accent 
Puls wenig groß, gleichmäßig, regelmäßig. Abdomen aufgetrieben. Leber 
vergrößert, hart, Leibesumfang 86 cm. Milz nicht palpabel. 


Fig. 2. 



2. März. Ictus deutlich hebend. Im V. Interkostoalraum 10 cm 
von der Mittellinie entfernt. Aktion regelmäßig. Dauernd kurzes diasto¬ 
lisches Geräusch über den Aortenklappen. Rasch vorübergehende An¬ 
fälle von Atemnot. 

8. März. Links vom Sternum oben Dämpfung, daselbst auch leicht« 
Pulsation zu fühlen, während vom Jugulum und linker Supraclavicular- 
grübe die Aorta nicht fühlbar ist. Untere Extremitäten geschwollen. 


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Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die Lungenarterie. 563 

10. März. Durchleuchtung ergibt deutliche Erweiterung der Aorta 
links vom Sternum im absteigenden Teil. Wassermann positiv. 

29. März. Zunehmende Beschwerden. Atemnot. BeklemmungB- 
gefühl. Schmerzen in den linken Arm ausstrahlend. Überschlagende 
Stimme (Recurrenslähmung?). 

30. März. Plötzlicher Exitus (Dr. P. Meyer). 

Sektion: Große kräftige Leiche, Lippen livid. Ödem der Knöchel. 
In der Brusthöhle ausgedehnte Verwachsung der Lungen mit der Thorax* 
wand. Lungen von zäher Konsistenz, rostbrauner Schnittfläche (Herz¬ 
fehlerlunge). Geringe Sklerose der Lungenarterien. Bronchial- und 
Trachealschleimhaut stark gerötet. Verknöcherung der Kehlkopfknorpel. 

Bauchhöhle: Alte Verwachsungen der Milz mit dem Zwerchfell, 
starke Stauung in der Milz, Leber und Niere. Multiple Blutungen in 
der Nierenrinde. Alte Narbe im Duodenum. 

Herzbeutel liegt in über Handtellergroße frei, enthält 2 Eßlöffel 
Serum. Blätter glatt. 

Das Herz ist in sämtlichen Dimensionen vergrößert. Länge 11 cm, 
Breite 13 cm, Dicke 9 cm, der Umfang 26 cm an der Basis. Rechter 
Vorhof stark dilatiert. Foramen ovale geschlossen. Die Wandstärke 
des rechten Ventrikels beträgt 4—5 mm. Die Höhle ist stark erweitert. 
Die Pulmonalklappen zart. Der Umfang der Pulmonalis beträgt 8 cm. 

Linker Vorhof und linker Ventrikel stark erweitert. Wandstärke 
der linken Herzkammer 13—15 mm. Mitralklappen zart, schlußfähig. 
Der Umfang der Aorta 8 cm. Das Perikard ist über der aufsteigenden 
Aorta verdickt. Die aufsteigende Aorta ist zylindrisch erweitert. Die 
gesamte Intima ist verdickt, von weißlicher Farbe, von feinen Narben¬ 
zügen durchsetzt. Abgesehen von diesen finden sich zeltförmige Aus¬ 
stülpungen und Ausbuchtungen der Wand. Die Veränderungen reichen, 
schwächer werdend, in die absteigende Aorta bis zum Durchtritt durch 
das Zwerchfell. 2 cm oberhalb der Schlußlinie der Klappen findet sich 
an der medialen Seite eine rundliche 4*/ 2 —5 x / 3 cm im Durchmesser be¬ 
tragende aneurysmatische, bis zum Anfang des Aortenbogens reichende 
Erweiterung, welche zwischen Pulmonalis und Aorta sich einschiebt. Die 
größte Tiefe des Aneurysmas beträgt 1 x / 2 cm und ist am oberen Um¬ 
fang vorhanden. Der übrige Boden des Aneurysmas steht fast in Höhe 
der Aortenwand, so daß das Aneurysma die Gestalt einer flachen Schüssel 
aufwemt. 1 cm vom Rande entfernt am unteren inneren Umfang findet 
sich eine Perforation des Bodens des Aneurysmas in die 
Pulmonalis. Dieselbe ist annähernd längs gestellt, 9 mm lang, 4 mm 
breit, glatt. 

Bei der Eröffnung der Pulmonalis findet sich an der rechten Seite 
2 cm oberhalb der Scblußlinie der Klappen dieses erwähnte Loch, welches 
direkt in die Aorta führt. Das Loch findet sich also an der Innenseite 
der Berührungsfläche von aufsteigender Aorta und Pulmonalis. Die 
Innenhaut (Intima und innere Mediaschicht) ist 1 cm 
oberhalb der Schlußlinie der Klappen abgehoben, im 
weiteren Verlaufe in großer Ausdehnung abgerissen, so 
daß nur eine l 2 / 3 cm breite, unversehrte Innenfläche 1 cm 
oberhalb der Kommissur der rechten und linken Klappe 


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vorhanden iBt. Die Abrißstelle liegt ungefähr 1 cm 
unterhalb der Sohlußlinie der Halbmondklappen, ver¬ 
läuft also annäherd quer. Die Abreißung beginnt dem¬ 
nach am proximalen Ende der Perforationsöffnnng und 
geht um die ganze vordere Fläche der Pulmonalia herum. 
4 *2 cm unterhalb der Schlußlinie setzt sich die abge¬ 
hobene Innenhaut in die normal anliegende fort. Die 
losgelöste Innenhaut ist in das Lumen des Gefäßes, ein¬ 
gestülpt und verlegt dasselbe derart, daß nur ein 4 mm 
im Durchmesser haltender Spalt der Lichtung offen 
bleibt; die abgehobene Innenhaut ist gefaltet. Bei der Betrachtung 
der umgeschlagenen Fläche finden sich feinste quer verlaufende Leistcheo. 
im Bereich der Bißfläche fehlen diese feinen Bisse und Leisten stellen¬ 
weise, besonders in der Nachbarschaft der Perforation, woselbst die 
Innenfläche von flach höckeriger Beschaffenheit ist. Ductus Botalli ge¬ 
schlossen. In mittlerer Brusthöhe beträgt der Aortenumfang 6 cm. Der 
Abgang der Anonyma ist erweitert. Die sklerotischen Veränderungen 
reichen nur einige Millimeter über die Abgangsstelle hinweg. 

Mikroskopische Untersuchung. 

I. Proximale Abrißstelle oberhalb der Kommissur der 
vorderen und rechten Halbmondklappe. 

Der Bau der Wand der Pulmonaüs entspricht der Norm. An der 
Abrißstelle setzt sich das innere Drittel der Media kontinuierlich mit 
der Intima in die abgehobene Lage fort. Die Innenfläche der hierdurch 
gebildeten Tasche wird von einem dicken bindegewebigen Polster aui- 
gekleidet, welches sich eine weite Strecke über die ihres inneren Drittelt 
beraubte Media fortsetzt. Das Polster ist von ungleicher Dicke, ntcb 
dem Gefäßlumen ist es schwach gewellt. Die Media zeigt einmal des 
Abriß der inneren Schichten und zwar des inneren Drittels. Die Ri£- 
flächen sind unregelmäßig gestaltet, Inseln elastischer Fasern, gleichsam 
zusammengeschnurrt, liegen zu oberst, ferner finden sich abgelöste Fetzeo 
elastischer Fasern freiliegend in der Tiefe der neugebildeten oberfläch¬ 
lichen Bindegewebslage, welche gleichmäßig die unregelmäßigen Lu- 
senkungen überzieht. Durch die neugebildete Bindegewebslage werden 
die entstandenen Unebenheiten gleichsam wieder ausgeglichen. 

Die Gesamtstärke der Media beträgt 1,25 cm. Die Dicke der ab¬ 
gerissenen Media 240—320 (.i, demnach den 4.—5. Teil der Gesamt¬ 
stärke. Durch die neugebildete Bindegewebslage erreicht die von innerer 
Lage entblößte Media die ungefähre Dicke von 1 cm. 

H. .Vorderwand der Pulmonaüs etwa 1 cm oberhalb 
der Mitte der vorderen Halbmondklappe. 

Die Veränderungen sind noch stärker ansgebildet, die neugebildete 
Bindegewebslage ist wesentlich stärker entwickelt, bildet buckelige Her- 
vorragungen. In den tiefsten Schichten begegnet man. bereits maaaes- 
haften neugebildeten feinsten elastischen Fäserchen. Die innere Lag* 
erreicht stellenweise die Hälfte der Mediadicke (Dicke der Media 480 u- 
innere Bindegewebslage 200—240 p). 


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Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die Lungeuarterie. 565 

III. Perforation mit benachbarter stromabwärts* 
gelegener Umsohlagsstelle. 

Im Schnitt ist sowohl der Q-rnnd des Aneurysmas auf der einen 
Seite vorhanden, auf der anderen die Pulmonalarterienwand. Der Einriß 
liegt in der Media zwischen mittlerem und äußerem Drittel, nach innen, 
d. i. dem Lumen der Pulraonalis sind demnach zwei Drittel der ge¬ 
samten Mediawand eingeschlagen. 

Auf der Aortenseite, also dem Grunde des Aneurysmas, liegen dicke 
Fibrinauflagerungen mit schwach höckeriger Oberfläche. In direkter 
Umgebung der Perforationsöffnung ist das elastische Lamellensystem der 
Pulmonalis mehrfach durchrissen, ebenso zeigen in der nächsten Nachbar¬ 
schaft die äußeren Mediaschichten, welche an den Boden des Aneurysmas 
stoßen, mehrfache Einrisse und Defekte. Je weiter man sich von der 
Perforationsöffnung entfernt, um so normalere Beschaffenheit nimmt die 
Media an. Während der Grund des Aneurysmas jedweder Endothellage 
entbehrt, ist die Umgebung der Perforationsöffnung auf der Seite. der 
Pulmonalis, also im Bereich der von ihren inneren zwei Drittel ent¬ 
blößten Media, ferner die abgehobene Media selbst mit einer mehr¬ 
schichtigen Lage gewucherter Endothelzellen bedeckt. Diese Lage ist 
zellreicher als die unter I beschriebene, indes schmäler. Ihre Dicke 
erreicht bis 48 fi, während anderweit eine Lage von 200—240 /u fest¬ 
gestellt werden konnte. Diese neugebildete Endothellage reicht bis an die 
Ränder der Perforationsöffnung, setzt sich sogar eine kurze Strecke weit 
über den Rand der Öffnung nach dem Boden des Aneurysmas fort. 

IV. Pulmonalis, distale Abrißstelle an der linken 
Wand. 

Die Rißfläcbe ist völlig frisch. Daselbst liegt die mehrfach ein¬ 
gerissene, ihres inneren Drittels entblößte Media frei zutage, nirgends 
begegnet man einer endothelialen Auflagerung. Die weitere Untersuchung 
der Pulmonalarterienwand ergibt, daß die Größe der überhäuteten Fläche 
etwa 1 l i der gesamten Abrißfläche beträgt, die übrigen 8 / 4 zeigen eine 
frische Rißfläche. 

V. Aorta. 

In der Media sehr schwere Veränderungen mit ausgedehnter Zer¬ 
störung derselben, Narbenbildung, sowie frisches Granulationsgewebe. Die 
entzündlichen Veränderungen setzen sich in die Adventitia fort. In der 
Vasa vasorum ausgedehnte Intimawucherungen. 

Die mikroskopische Untersuchung der Pulmonalarterienwand 
ergibt eine Dissezierung der Media in wechselnder Höhe, am proxi¬ 
malen Teile ist knapp das innere Drittel abgehoben, distal die 
beiden inneren Drittel, ferner zeigt sie eine ungleiche Beschaffen¬ 
heit der Rißflächen der Media. Ein Teil der abgerissenen sowie 
Stehengebliebenen Media ist von einer neugebildeten, mehrschich¬ 
tigen Endothellage überzogen, während der andere eine völlig 
nackte Beschaffenheit aufweist. Aus dieser ungleichen Beschaffen¬ 
heit ergibt sich, daß nicht mit einem Male die Abhebung der 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. 101. Bd. 37 


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inneren Media erfolgte, sondern zu zwei durch einen Inter¬ 
vall getrennten Zeiten. Die mit neugebildetem Endothel 
überzogenen Abschnitte, welche gleichsam frisch überbautet waren, 
sind die älteren, während die nackten Flächen, in denen die elasti¬ 
schen Lamellen bloß zutage liegen, den jüngeren Prozeß an zeigen. 

Wie gestaltet sich der zeitliche Verlauf des anatomischen 
Vorganges? Jedenfalls in der Weise, daß zuerst ein Riß in 
den äußeren Schichten der Media erfolgte nnd die 
inneren Lagen derselben durch den Blutstrom abgewühlt wurden, 
genau wie beim Aneurysma dissecans der Aorta, nur daß der Ein¬ 
riß von außen in das Gefäß erfolgte, nicht von innen. Die ab¬ 
gehobene Media reißt nunmehr infolge des auf ihr lastenden Blut¬ 
drucks ein, das Aneurysma ist völlig in die Pulmonalarterie 
perforiert. Dieser neue Zustand blieb unverändert eine Zeitlang 
bestehen. Die Rißflächen begannen sich mit einer frischen Endothel¬ 
lage zu überkleiden, welche von den Seiten her bis zur Perforations¬ 
öffnung vorwärtsdrang. Diese Überhäutung erfolgte von der er¬ 
haltenen Endothellage der Ränder aus. Beweisend hierfür ist. daß 
ihre Dicke nach der Perforationsöffnung stetig abnahm. Auf diese 
Weise erfolgte eine Art Ausheilung, nämlich eine Überhäutung der 
voneinander getrennten elastischen Lamellen der Media, ähnlich 
wie beim geheilten Aneurysma dissecans (vgl. Bostroem). 

Der zweite jüngere Vorgang bestand darin, daß 
eine noch ausgedehntere Abreißung der inneren 
Mediaschichten erfolgte und letztere in das Lumen 
der Pulmonalis eingestülpt wurden. Die Länge des zeit¬ 
lichen Intervalls der beiden Vorgänge läßt sich im Anhalt an den 
klinischen Verlauf auf ca. IVa Monat berechnen. Die Herz¬ 
beschwerden traten plötzlich 7 Wochen a. e. auf. Diese erste 
schwere Attacke stellt möglicherweise den Moment des Durch¬ 
bruchs dar, während die zweite ausgiebige Ablösung und ihre Ein¬ 
stülpung in das Gefäßrohr mit dem plötzlichen Exitus zusammenfällt. 

Beim Studium der Literatur begegnen wir einem analogen Fall 
Rokitansky’s, welcher uns das erste Stadium des geschilderten 
anatomischen Vorgangs wiedergibt. In seiner 7. Beobachtung fand 
sich bei einem 49jährigen Kupferdrucker in der aufsteigenden 
Aorta ein sackiges, faustgroßes Aneurysma mit kleinen sekundären 
Ausbuchtungen. Zwei solche von Walnußgröße saßen nach innen 
so auf, daß sie die Lungenarterie überragten. Sie gehörten einen 
durch eine seichte Einschnürung in zwei übereinander liegenden 
Wülsten gesonderten Aneurysma an (Aneurysma bilobum). Es war 


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Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die Lnngenarterie. 567 


mit der Lnngenarterie verwachsen und in deren Wand 3—4 über 
den Klappen mit einer stumpfwinkligen, in jedem Schenkel etwa 
4 V* betragenden Öffnung geborsten. Der Riß betraf drei 
Schichten, Aneurysmawand, Ringfaserhaut, innere Gefäßhaut. Die 
Ränder des Risses in den beiden letztgenannten Gefäßhäuten ins¬ 
besondere gefranst und die innere Gefäßhaut vom Risse 
aus auf 3"' Entfernung losgeblättert Aus der Figur X 
ist ersichtlich, wie sich diese losgeblätterte Gefäßwand einem ge¬ 
schwellten Segel gleich in die Lungenarterie vorwölbt, hierbei den 
Eingang zum rechten Hauptast spaltförmig verengend. 

Dieses Abreißen der inneren Gefäßhaut und die 
Einstülpung in das Gefäßlumen muß als sehr ungewöhnlich 
bezeichnet werden. In der mir zugänglichen Literatur fand sich 
kein Fall von Perforation eines Aneurysmas in die Pulmonalis mit 
einer derartigen Komplikation vergesellschaftet. Der Grund hier¬ 
für liegt jedenfalls in der Art des Einrisses der Media. 
Durchsetzt derselbe die ganze Dicke der mittleren Gefäßhaut auf 
einmal, so wird in der Nachbarschaft der Perforation keine Ab¬ 
hebung der inneren Häute erfolgen, die Perforationsstelle wird 
sich überhäuten und, um mit Rokitansky zu reden, als eine 
„geheilte“ Eröffnung sich darstellen. Ist der Riß kein voll¬ 
ständiger, alle Schichten der Media durchsetzender, sondern ein 
partieller, dann können durch das sich ein wühlende Blut die 
inneren Mediaschichten abgehoben resp. losgeblättert werden. Viel¬ 
leicht wird sich einmal eine Beobachtung finden, in welcher wir 
die losgeblätterte innere Gefäßhaut in das Lumen sich vorbuchten 
sehen, bevor eine Perforation derselben eingetreten ist. Wir hätten 
dann eine Art Aneurysma dissecans der Aorta vor uns mit dem 
Unterschiede, daß das Aortenblut nicht die Media der Aorta ein¬ 
reißt, sondern die Media der Pulmonalis. Hierbei wäre natürlich 
zu berücksichtigen, daß das Blut nicht direkt aus der Aorta Über¬ 
tritt, sondern aus dem Aneurysma. Gewöhnlich wird die los¬ 
geblätterte Innenhaut dem Blutdruck keinen Stand halten und ein¬ 
reißen, wie wir in der 7. Beobachtung Rokitansky’s sehen. Je 
ausgedehnter diese Losblätterung, um so eher wird es zu einer 
Vergrößerung des Einrisses in die Media und zur Einstülpung des 
inneren Gefäßrohres kommen. 

Nicht die gleichen ätiologischen Faktoren bewirken die mit 
Loslösung der Innenhaut vergesellschaftete Perforation, sowie die 
Vergrößerung des Risses und die Einstülpung. Während der Druck 
des Aortenblutes für die Entstehung der ersteren in Frage kommt, 

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werden die letzteren im wesentlichen durch die Strömungsverhilt* 
nisse in der Pulmonalis bedingt. Die einmal abgehobene Innen- 
haut wird durch den Anprall des strömenden Blotes noch weiter 
abgerissen und in der Richtung des Stromverlaufes vorgetriebe«. 

Beim Studium der Frage, ob ähnliche Abreißungen der Innen- 
haut mit sekundärer Einstülpung anderweit Vorkommen, zeigte 
sich, daß beim Aneurysma dissecans der Aorta analoge 
Beobachtungen Vorlagen, nur mit dem Unterschiede, daß der Hin- 
riß in die Media nicht von außen her, sondern von innen, d. i. dem 
Aortenlumen her erfolgte. Chiari berichtet über einen plötzlichen 
Todesfall bei einem 63 jährigen Mann. In der Aorta zeigte sich ein 
1,5 cm über der Coronararterie beginnendes Aneurysma dissecans, 
der Querriß war ganz zirkulär und betraf die Intima und innere 
Hälfte der Media. Dieser innere Zylinder des Aorten¬ 
rohres war ganz abgelöst, umgerollt und mit seinem 
unteren Ende in die Arteria subclavia sinistra em 
1,5 cm weit hineingesteckt Dadurch wurden die Ostien der Arten» 
anonyma und Arteria carotis communis sinistra im Aortenbogen zu- 
gedeckt Im äußeren Zylinder der Aorta ascendens war es etwa 
3 cm über dem Ostium der Arteria coronaria sinistra zu einer 
Dehiscenz gekommen und Blutung ins Perikard. Im Anschlnä 
demonstrierte Mare sch einen ganz ähnlichen Fall, bestehend in 
einer Ruptur der inneren Schicht der Aorta und Einstülpung der 
abgelösten inneren Schicht mit Verschluß des Aortenbogens, h: 
der älteren Literatur finden sich zwei sehr instruktive Beobach¬ 
tungen von Rokitansky. 

22. Beobachtung. Plötzlicher Exitus einer 52jährigeu Frau. 1s 
der Aorta war die Zellscheide in derem ganzen Verlaufe und zwar am 
aufsteigenden Stücke ringsherum rein von Ringfaserhaut, am Bogen und 
an der ganzen Brust* und Bauchaorta meist bis auf den dritten Teil ab¬ 
gelöst. Innerhalb der abgesonderten Zellscheide in dem aufsteigend« 
Aortenstück war die Aorta in ihrer mittleren und inneren Haut 1" 9 “ 
über ihrer Klappe in der Quere gerissen, so daß bloß ein etwa 2 1 ,' 
breiter, seiner Länge nach etwa die halbe Peripherie des Aortenrobrr- 
betragender Spiralstreifen von deren hinterer Wand übrig blieb, die eia 
Rißende mit dem anderen verband. Das untere Rißende klaffte infWf* 
des blanken Querrisses mit fast kreisrunder Mündung nach aufwirt.', 
das obere dagegen war von der konvexen Wand an* 
größtenteils um* und eingestülpt und in die Höblnar 
des Aortenbogens bis an die Subclavia sinistra hinein- 
getrieben, ja in den Eingang zu dieser letzteren selbst war eine 
konisch zusammengerollte Partie des eingestülpten Aortenrohres hineii- 
gekrochen, so daß man aus ihr (8ubclavia sinistra) in das umgestülpte 


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Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die Lungenarterie. 569 

Aortenrohr und durch dieses in das C&vum der Zellscheide gelangte. 
Nach außen war das Aneurysma dissecans in den Herzbeutel perforiert. 

23. Beobachtung. Plötzlicher Exitus eines 76 jährigen Mannes.. Die 
Zellscheide der Aorta von deren Ursprung bis jenseits des Abganges der 
Arteria subclavia sinistra von der Ringfaserhaut abgelöst und zu einem 
weiten Sack ausgedehnt. Innerhalb derselben war die Aorta 1 " über 
ihren Klappen in der Ringfaserhaut und inneren Gefäßhaut schief, bei* 
nahe quer mit einiger Ausfransung zerrissen, indem ein etwa linienbreiter 
Streifen vom unteren Rißende losgelöst an die Zellscheide hintrat und 
an ihr haftete. Das untere Rißende klaffte mit länglich runder Mündung 
in den Sack der Zellscheide, das obere war aber in den Kanal 
des Aortenbogens eingestülpt und sofort in Form eines 
mehrfach gefalteten Konus in den Truncus anonymus 
dergestalt eingetrieben, daß dessen Spitze beinahe an die Spal¬ 
tung des Gefäßes reichte. Die Zellscheide war im Umfange einer Erbse 
geborsten, sekundär war das Blut in den Herzbeutel gelangt. 

Diese drei Beobachtungen zeigen sämtlich einen Querver¬ 
lauf des Risses, zweimal einen totalen Querriß der inneren 
Gefäßhäute (Chiari, Rokitansky, 23. Beobachtung), einmal 
einen unvollständigen (22. Beobachtung). Bei dem totalen 
Querriß erfolgte einmal die Einstülpung des inneren Zylinders in 
die linke Subclavia, das andere Mal in die Anonyma, bei dem un¬ 
vollständigen in den Aortenbogen sowie die linke Arteria subclavia. 
Gemeinsam ist sämtlichen drei Beobachtungen ein Einriß der Ad- 
ventitia mit sekundärer Blutung in den Herzbeutel und zwar strom¬ 
aufwärts von der Einstülpung. Die Entstehung dieser Ruptur ist 
sicherlich auf die hochgradige Drucksteigerung in der aufsteigenden 
Aorta infolge Verlegung des Hauptgefäßes und der Hauptäste zu¬ 
rückzuführen, eine Ansicht, welche Chiari für seine Beobachtung 
bereits erwähnte. Die aufsteigende Aorta erwies sich bei Chiari 
wenig verändert, desgleichen fehlten bei Rokitansky anscheinend 
schwere degenerative Prozesse. Ob eine derartige Beschaffenheit 
der Aortenwand bei einem totalen oder fast totalen Querriß 
günstigere Bedingungen zur Loslösung der gesamten inneren Ge- 
faßhaut schafft als eine schwere sklerotische Gefäßwand, speziell 
eine syphilitische Mesaortitis, ist immerhin möglich. Bei den 
schweren Veränderungen, welche in der Media bei der produk¬ 
tiven Mesaortitis (Chiari) auftreten, erscheint infolge der un¬ 
gleichen Beschaffenheit der Media, der häufigen Unterbrechung der 
elastischen Fasern durch Bindegewebszüge und penetrierende neu¬ 
gebildete Gefäßchen, der Verwerfung der elastischen Lamellen, eine 
derartig glatte Dissezierung, überhaupt die Entstehung eines auf 
weite Strecken ausgedehnten Aneurysma dissecans unmöglich. 


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570 Geipkf., Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die Lnn genauen- 


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Erklärung der Figuren. 

Fig. 1. Die Pnlmonalis eröffnet. Blick auf das sich vorwölbende Aneurriti 
mit Perforation am oberen Umfange. 

Fig. 2. Blick in die anfgeschnittene Pnlmonalis. Abgerissene Innenhaut ii 
das Lnmen eingestülpt. 


Literatur. 

Rokitansky, Über einige der wichtigsten Krankheiten der Arterien. Wien 
1852. 

Bostroem, Das geheilte Aneurysma dissecans 1887. Festschrift für Zenker. 
Ohiari, Aneurysma dissecans mit Inversion des inneren Zylinders. Verhand¬ 
lung der deutschen pathologischen Gesellschaft, 13. Tagnng 1909, 207. 
Käppis, Die Perforation eines Aortenaneurysmas in die Pulmonalarterit. 
Deutsches Archiv für klinische Medizin Bd. 90, 1907 p. 506. 


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Aus der Akademie für praktische Medizin in Köln a. Rh. 

Über den Pektoralfremitns. 

Von 

Prof. H. Hochhaus. 

Die Bedeutung, welche heute der Prüfung des Stimmfremitus 
bei der Diagnose der Respirationskrankheiten zukommt, erscheint 
relativ gering gegenüber den vielen anderen diagnostischen Hilfs¬ 
mittel, mit denen uns die Neuzeit bereichert hat. Aber trotzdem 
wird kein erfahrener Arzt diese Prüfung unterlassen, wenn es gilt 
eine Infiltration der Lunge von einem pleuritischen Erguß zu 
unterscheiden. Hier ist sie nach Ansicht fast aller Autoren noch 
immer ein recht zuverlässiges Hilfsmittel. Liegt eine Infiltration 
vor, wie das in besonders typischer Weise am häufigsten bei der 
Pneumoniacrouposa der Fall ist, dann erscheint das Stimmzittern 
verstärkt, handelt es sich dagegen um eine exsudative Pleuritis, 
dann fühlt man dasselbe abgeschwächt oder überhaupt nicht. So 
lautet die Lehre in fast allen Handbüchern 1 2 3 * ), die sich in der 
Hauptsache stützen auf Experimente und Erfahrungen, die zuerst 
Win trich *) veröffentlicht hat. Seine Erklärung für die Verstärkung 
des Fremitus bei der Infiltration der Lunge gipfelte darin, daß die 
Schwingungen der Stimmbänder um so besser fortgeleitet würden, 
je gleichmäßiger und schwingungsfähiger die Lungen durch die 
Einlagerung des Exsudats geworden. Nur wenige Beobachter waren 
anderer Meinung, soerwähnt Wintrich selber schon Gri solle, der 
nach seinen Untersuchungen den Fremitus bei der Pneumonie crouposa 
fast nie verstärkt fand. Aber dieser vereinzelte Widerspruch schienden 
meisten 8 ) genügend erklärt durch eine vorübergehende Verstopfung 


1) Vgl. die Lehr-und Handbücher von Gerhardt, Geigel, Klemperer, 
Sahli, Strümpell u. a. 

2) Krankheiten der Respirationsorgane 1854 p. 66 f. 

3) Siehe bei Jürgensen, Croupöse Pneumonie, Ziemssen’s Handbuch 1877 

p. 94. 


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Hochhaus 


der Bronchien durch Schleim oder fibrinöse Gerinnsel; er konnte 
jedenfalls nicht aufkommen gegen die allgemein anerkannte Lehre, 
daß bei der cronpösen Pneumonie fast durchweg eine Verstärkung 
des Pektoralfremitus nachweisbar sei. 

In neuerer Zeit hat Arneth 1 ) das Verhalten des Pektoral¬ 
fremitus gerade bei der Pneumonie einem eingehenden Studium 
unterzogen und gefunden, daß derselbe wohl im ersten und dritten 
Stadium verstärkt, aber im zweiten meistens abgeschwächt sei 
Als Ursache dieser Erscheinung gibt er an, daß die feste Infiltration 
des 2. Stadiums für die Schallwellen ähnlich schwächend wirke, 
wie ein flüssiges Medium und daher die Abnahme der Stimm- 
Schwingungen zu erklären sei. Die bessere Leitung im 1. und 3. 
Stadium sei bedingt durch die festweiche Beschaffenheit der Lunge, 
welche zur Fortpflanzung der Schwingungen besonders geeignet sei 

Auf meine Veranlassung hin hat dann Herr Dr. Wolter") 
diese Resultate an einem großen Material nachgeprüft und kon¬ 
statiert, daß ein gesetzmäßiges Verhalten der Stimmschwingungen 
bei der croupösen Pneumonie sich überhaupt nicht feststellen läßt 
Abschwächung und Verstärkung kam sowohl im 1. wie im 2. und 
3. Stadium vor, ohne daß für den jeweiligen Befund sich besondere 
Gründe auffinden ließen. Wolter sah sich nicht in der Lage, eine 
überzeugende Erklärung für die gefundenen Resultate abzugeben. 
Jedenfalls konnte nach dem, was er gefunden, die Meinung Arneth's 
nicht als stets gültig adoptiert werden und damit fielen auch 
die von demselben gezogenen Schlüsse für die Diagnose der Pneu¬ 
monie weg. 

Bei diesem Widerstreit der Meinungen um den Wert eines 
doch recht wichtigen diagnostischen Hilfsmittels habe ich nun 
versucht, auf Grund neuer Experimente und zahlreicher klinischer 
Beobachtungen endgültig festzustellen, welche Änderungen das 
Stiramzittern speziell durch eine Infiltration der Lunge bei der 
croupösen Pneumonie erleidet, wodurch dieselben bedingt und welcher 
Wert denselben für die Diagnose beizulegen ist. 

Experimenteller Teil. 

Die bekanntesten Versuche über den Stimmfremitus hat Win¬ 
trich 1 ) angestellt: er band in die Trachea von Lungen frisch ge- 

1) Münch, med. Wochensehr. 1906 Nr. 17 u. 18, 

2) Deutsche raed. Wochenschr. 1908 Nr. 39. 

3) Loc. dt. 


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Über den Pektor&lfremitus. 


573 


scblachteter Tiere ein hölzernes Röhrchen, ließ in dasselbe laut 
hineinsprechen und konnte dann allerwärts an der Oberfläche der 
Lunge ein deutliches Vibrieren fühlen. Dasselbe verschwand nicht, 
wenn 2—3 Hände der Zuschauer übereinander auf die Oberfläche 
der Lunge gelegt wurden, oder auch mehrere Lagen von Muskeln 
oder von Haut, selbst nicht von Drüsen oder Gehirnmassen, mußte 
demnach also von ziemlich bedeutender Intensität sein. 

Diese Versuche habe ich nun an menschlichen Lungen nach¬ 
geprüft, die natürlich nicht ganz so frisch sein konnten wie die 
von Wintrich angewendeten Versuchsobjekte. Die Versuchs¬ 
ordnung war dieselbe. Dabei ergab sich nun durchweg, daß der 
Stimmfremitus an der normalen menschlichen Leichenlunge ein 
außerordentlich schwacher ist, mochte ich den Trichter in die 
Trachea oder in einen Bronchus hineinstecken; fast stets konnte, 
trotzdem laut hineingesprochen wurde, nur ein ganz leichtes Vi¬ 
brieren an der Lunge gefühlt werden, gar nicht zu vergleichen 
mit der Stärke des Pektoralfremitus beim Lebenden. Relativ noch 
am stärksten war derselbe bei Leuten in den mittleren Jahren, 
besonders, wenn eine leichte Blähung der Lunge vorhanden war. 

Gleichzeitig habe ich dabei festzustellen versucht, auf welche 
Weise sich die Stimmschwingungen innerhalb der Lunge fort¬ 
pflanzen; ob lediglich durch die Luft oder auch durch die festen 
Bronchial wände. Darüber entschieden folgende Versuche: wenn 
man den Trichter oder das Röhrchen tief in die Trachea hinein¬ 
steckte, aber ohne die Wand zu berühren, so war der fühlbare 
Fremitus sehr viel schwächer, kaum merkbar. Ferner, wenn man 
die Trachea kurz über der Bifurcation abschnitt und dann das 
Röhrchen in einen Bronchus hineinsteckte, so wurden die Stimm¬ 
schwingungen auch über der anderen Lunge gefühlt. Die Fort¬ 
pflanzung der Schwingungen kann also in diesem Falle nur durch das 
die beiden Bronchien noch verbindende Stück der Trachea erfolgt 
sein. Wie sehr diese beiden, Trachea und Bronchien, an der Fort¬ 
leitung beteiligt sind, läßt sich bei der Ausführung der Versuche 
durch einfache Palpation sehr gut feststellen; am stärksten vibriert 
die Trachea und je weiter man den Bronchialbaum mit der Hand 
heruntergleitet, um so geringer werden die fühlbaren Vibriationen 
seiner Wände. Wintrich hat also vollkommen Recht, wenn er 
angibt, daß die Schwingungen sich sowohl durch die Luft wie 
durch die Bronchialwand fortleiten. 

Dagegen ist auffallend und steht mit der Arbeit Wintrichs 
in Widerspruch die außerordentlich geringe Intensität der Vi- 


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Hochhacs 


brationen an der Leichenlange, die zeigt, daß der Versuch an der 
Leiche die Verhältnisse am Lebenden nur recht unvollkommen 
wiedergibt; und in der Tat, eine einfache Überlegung zeigt schon 
die großen Differenzen. Beim Sprechen wird zuerst durch eine 
Inspiration die Lunge mit Luft gefüllt, unter einen gewissen Drnck 
gesetzt und dann die Intonation bewirkt durch eine kräftige Ei- 
spiration bei verengter Stimmritze. Lungengewebe und Brustkorb 
werden dadurch sicher in die günstigsten Bedingungen zum Schwingen 
gesetzt, was an der Leiche wohl kaum nachzumachen ist. Ob 
dadurch allein der große Unterschied in der Stärke bei der Leiche 
und beim Lebenden sich erklären läßt, sei dahin gestellt 

Die Mitwirkung des Brustkorbes habe ich bis jetzt noch nicht 
besprochen und möchte darauf mit einigen Worten zurückkoramen. 
Alle Autoren erkennen an, daß die Schwingungsfähigkeit des 
Thorax beim Zustandekommen des Fremitus eine gewisse Rolle 
spielt und daß alle Momente, welche diese Eigenschaft beein¬ 
trächtigen, also Auflagerungen, Entzündungen, Verkrümmungen, 
naturgemäß auch das Stimmzittern schwächen; aber die Bedeotnng 
dieser Knochenleitang wird verschieden hoch geschätzt. Wint¬ 
rich, Arneth und besonders Gerhard legen ihr keinen großen 
Wert bei, während Penzoldt 1 ) geneigt ist, auf Grund seiner Be¬ 
obachtungen bei einer Fissura sterni congenita die Leitung durch 
den knöchernen Thorax recht hoch anzuschlagen. P. fand nämlicb. 
daß über der in der Exspiration in die Spalte sich vordräugende 
Lunge der Fremitus weit schwächer gefühlt wird, als dicht daneben 
über dem Thorax selber. Daraus geht m. E. unzweifelhaft her¬ 
vor, daß tatsächlich die Knochenleitung eine recht bedeutende 
Rolle spielt. 

Auch meine Versuche an der Leiche, bei denen nur stets ein 
ganz geringer Fremitus zu fühlen war, drängen zu der Annahme, 
daß außer den eben schon angegebenen viel günstigeren Bedingungen, 
unter denen sich die Lunge beim Sprechen befindet, noch ein anderer 
Faktor sein muß, der zu dem so kräftigen Stimmzittern beim Le¬ 
benden beiträgt und der kann m. E. kaum etwas anderes als die 
Fortleitung durch den knöchernen Thorax sein. 

Nach dem Vorgänge von Wintrich, Arneth und Wolter 
habe ich den Pektoralfremitus dann auch an einer größeren Zahl 
von erkrankten Lungen geprüft. Der erst erwähnte Autor hatte 
gefanden, daß jedwede Verdichtung der Bronchialwände durch 

1) Deutsches Archiv für klin. Med. 24. Bd. 


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Über den Pektoralfremitna. 


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Hepatisation, chronische Induration den Pektoralfremitus verstärkt, 
wenn in den betreffenden Bronchialröhren Dämpfungsmedien fehlen. 

Arneth 1 2 ) fand bei zwei pneumonisch infiltrierten Lungen auf 
der Höhe der Hepatisation starke Abschwächung des Pektoral¬ 
fremitus; Wolter*) fand ebenfalls bei pneumonisch infiltrierten 
Lungen eine Abschwächung. 

Ich habe nun untersucht im ganzen 8 Fälle von croupöser 
Pneumonie Es fand sich die Pneumonie in den verschiedensten 
Stadien der Infiltration, aber trotz des verschiedenen anatomischen 
Verhaltens war das Resultat bei der Prüfung des Pektoralfremitus 
nach Wintrich stets das gleiche. Derselbe war immer deutlich 
abgeschwächt. Es ist mir nie gelungen, weder im 1., noch 2., noch 
3. Stadium eine Verstärkung nachzuweisen, auch wenn beim Lebenden 
dieselbe deutlich war. 

Auch bei 2 chronischen Pneumonien war das Resultat das 
gleiche. 

Zur weiteren Orientierung habe ich dann außer bei croupöser 
Pneumonie auch noch bei einer Anzahl anderer Lungenerkrankungen 
Versuche gemacht. 

In 3 Fällen von ausgedehnter tuberkulöser Infiltration war 
der Fremitus gleichfalls abgeschwächt. Bei einer Lunge fand sich 
über einem Lappen, der an und für sich weniger verändert war, eine 
ausgedehnte pleuritische Schwarte, über der der Fremitus ganz 
besonders abgeschwächt war. 

Bei 3 Fällen von ausgesprochenem Lungenödem war der 
Pektoralfremitus kaum fühlbar. 

Bei hypostatischer Pneumonie war der Fremitus entschieden 
verringert. 

Bei einer durch ein Exsudat stark komprimierten Lunge war 
der Pektoralfremitus abgeschwächt. Bei Emphysema pulmonum 
war das Verhalten ein verschiedenes, war dasselbe stark ausge¬ 
sprochen, so war eher eine Verringerung zu konstatieren, dagegen 
habe ich mehrmals bei einer nur mäßigen Blähung eine deutliche 
Verstärkung der Stimmvibriationen nachweisen können. 

Wenn ich also die Resultate der Versuche an den Leichen 
kurz zusammenfasse, so habe ich im Gegensatz zu Wintrich 
niemals bei einer Infiltration der Lunge, weder bei einer pneu¬ 
monischen noch bei einer tuberkulösen eine wesentliche Verstär- 


1) Loc. cit. 

2) Loc. cit. 


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Hochhaus 


kung des Fremitus nach weisen können; selbstverständlich habe ick 
jedesmal sorgfältig darauf geachtet, daß eine Verstopfung der 
Bronchien weder durch Schleim noch durch Fibringerinnsel vorlag. 
Auch bei ödematösen, atelectatischen Lungen war das gleiche 
der Fall. 

Klinischer Teil. 

Seit Anfang dieses Jahres habe ich dann bei fast sämtlichen 
Pneumonien auf meiner Abteilung den Pektoralfremitus studiert, 
mit allen Kautelen; insbesondere darauf geachtet, daß stets sym¬ 
metrische Brustpartien untersucht wurden, daß sowohl mit der 
Volarfläche wie auch mit der Ulnarseite der Hand die Betastung 
vorgenommen wurde, und daß der Kranke auch aufgefordert wurde, 
mehrmals zu husten. Wir haben die Untersuchung nicht bloß 
einmal, sondern fortlaufend tagtäglich während des Verlaufs der 
ganzen Erkrankung vorgenommen, um so über alle Schwankungen 
dieser Erscheinung unterrichtet zu werden. 

Es sind im ganzen 90*) Fälle von croupöser Pneumonie, die 
ich seit Anfang dieses Jahres in dieser Art und Weise unter¬ 
suchen konnte. Von diesen zeigten eine Verstärkung des Pektoral¬ 
fremitus während des ganzen Verlaufs 32 Fälle, und zwar befinden 
sich darunter solche aus allen Stadien; einzelne sogar vom 1. Tag 
bis zu dem 8. Tag. Abgeschwächt war der Pektoralfremitus in 
16 Fällen während der ganzen Beobachtungszeit, auch hier findet 
sich die Abschwächung nicht an ein Stadium gebunden, sondern 
sie ist von uns in allen Stadien beobachtet worden, sogar bei 
3 Pneumonien, die am 1. Tage hereinkamen; wechselnd war sein 
Verhalten in 28 Fällen, und zwar derart, daß er bald stärker, bald 
schwächer, bald unverändert erschien. Auch hier ließ sich dies 
Vorkommen in allen Stadien konstatieren. Ich bemerke ausdrück¬ 
lich, daß dieses wechselnde Verhalten nicht etwa bedingt sein 
konnte durch Störungen der Expektoration des Sputums, denn wie 
ich einleitend schon gesagt habe, war es die Regel, daß während 
der Prüfung der Kranke auch aufgefordert wurde, mehrmals zu 
husten. Ohne jede Änderung während des ganzen Verlaufs war 
das Verhalten in 14 Fällen. Die sonstigen physikalischen Erschei¬ 
nungen, die neben dem Pektoralfremitus beobachtet wurden, waren 
diejenigen, welche dem jeweiligen Stadium der Pneumonie ent¬ 
sprachen Also im 1. Stadium meist tympanitischer Perknssions- 

1) Es sind inzwischen noch 12 hinzugekommen, bei denen das Resultat das 

gleiche war. 


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Über den Pektoralfremitua. 


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klang, mit hauchendem bis bronchialem Atem und inspiratorischem 
Knisterrasseln; im 2. Stadium ausgesprochene Dämpfung mit lautem 
Bronchialatmen und im 3. Stadium wieder ähnlich wie im 1. Sta¬ 
dium. Daß dabei zuweilen Abweichungen vorkamen ist selbstver¬ 
ständlich, denn es ist bekannt, daß die physikalischen Erscheinungen 
in den 3 Stadien durchaus nicht immer die typischen sind, ins¬ 
besondere daß das Knisterrasseln manchmal periodisch zuweilen 
während des ganzen Verlaufs der Erkrankung vollkommen fehlt. 
Jedenfalls stimmt aber, was Arneth auch schon in seiner Arbeit 
hervorgehoben hat, daß lautes Bronchialatmen und ebenso Broncho- 
phonie deutlich vorhanden sein können und trotzdem eine Ab¬ 
schwächung des Pektoralfremitus besteht. Diese drei Erscheinungen 
gehen also in ihrer Intensität durchaus nicht parallel. 

Es würde zu weit führen und auch wohl kaum einen beson¬ 
deren Zweck haben, wenn ich die sämtlichen von mir beobachteten 
Krankheitsfälle durch ausführliche Krankengeschichten belegen 
wollte; einzelne indes, die mir von besonderem Wert auch für die 
nachherigen theoretischen Erörterungen scheinen, seien hier kurz 
angeführt. 

Zuerst der Bericht über einen Fall, bei dem der Pektoral¬ 
fremitus während des ganzen Verlaufs verstärkt war und die Krise 
eine ganz erhebliche Zeit überdauert hat. 

Krankengeschichte. 

Christian M., 36 Jahre, aafgenommen 2. Dezember 1909, geheilt 
entlassen 7. Januar 1910. 

Anamnese: Mit 9 Jahren Rippenfellentzündung. Am 25. No¬ 
vember erkrankt mit Schüttelfrost, Seitenstechen, Husten und gefärbtem 
Auswurf. In den nächsten Tagen Husten und Auswurf stärker, starkes 
Schwitzen. 

Status: 3. Dezember. Großer kräftiger Mann, gut genährt, Haut 
rot, sehr heiß mit Schweißtropfen bedeckt. Über den Lungen rechts 
hinten unten von der Scapula an deutliche Schallabschwächung, Bronchial¬ 
atmen, feinblasiges inspiratorisches Knisterrasseln. Pektoralfremitus sehr 
deutlich verstärkt; die übrigen Lungenpartien normal. Sputum reichlich, 
schleimig-eiterig, bräunlich verfärbt. Herzbefund normal. Puls regel¬ 
mäßig, kräftig, 100 in der Minute. Temperatur 39,5. 

5. Dezember. Lungenbefund derselbe, Pektoralfremitus rechts ver¬ 
stärkt. Temperatur 38,8 bis 39,5. 

6. Dezember. Rechts hinten unten von der Mitte der Scapula an 
Dämpfung mit bronchialem Atmen und mittelgroßblasigen inspiratorischen 
feuchten Rasselgeräuschen. Pektoralfremitus rechts deutlich verstärkt. 
Temperatur 38,8 bis 38,5. 

9. Dezember. Dämpfung gering, verschärftes Vesikuläratmen, in- 


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spiratoriscbes feuchtes Rasseln. Sputum schleimig, weiß gefärbt. Pols 
gut und kräftig; Temperatur normal. 

17. Dezember. Der Schall über dem rechten Unterlappen wenit 
gedämpft, Atmung vesikulär, vereinzeltes Giemen und Pfeifen; gering» 
Sputum. Temperatur normal. Pektoralfremitus verstärkt. 

7. Januar. Rechts hinten unten noch geringe Scballabschwlcbosg. 
Atmung vesikulär, aber etwas leise, keine Nebengeräusche. Pektoral¬ 
fremitus rechts deutlich verstärkt. Geheilt entlassen. 

Bemerkenswert an dem Verlaufe der Erkrankung ist, daß die 
Verstärkung des Pektoralfremitus die Krise so lange Zeit über¬ 
dauert hat. Es scheint mir, daß diese Beobachtung, die ich no*:-h 
durch eine größere Anzahl ähnlicher ergänzen kann, für die Dentuns 
der Entstehung des Pektoralfremitus nicht ohne Wichtigkeit ist. 
Bisher nahm man allgemein an, daß die Verstärkung des Fre¬ 
mitus am häufigsten vorkomme bei einer möglichst vollkommenen 
und derben Infiltration eines ganzen Lungenlappens; daß ak 
dadurch die besten Bedingungen für seine Entstehung gegeben 
sein müßten. Solche Beobachtungen wie die vorstehenden zeigen 
nun, daß die Verstärkung des Fremitus sich auch erhält, 
wenn die Zeit der vollen Infiltration längst vorüber und 
nur noch ganz minimale Veränderungen im Lungengewebe sein 
können. 

Der Abschwächung des Pektoralfremitus können die ver¬ 
schiedensten Ursachen zugrunde liegen. Am häufigsten wird er¬ 
wähnt die Verstopfung der Bronchien durch Schleim und Gerinnsel: 
zweifellos kann dadurch die Abschwächung herbeigeführt werden 
daß es aber gerade bei der Pneumonie häufig der Fall ist, möchte 
ich nach meinen Erfahrungen kaum glauben und muß Ar¬ 
ne th darin zustimmen. Unbestritten ist auch der abschwächende 
Einfluß eines pleuritischen Exsudats, das sich neben einer Pneu¬ 
monie entwickelt; obschon ich auch gesehen habe, daß trotz 
eines Exsudats, das 1% cm dick war, der Fremitns verstärkt 
sich erwies. 

Auch Veränderungen der Brustwand, wie sie durch pleuritisctie 
Adhäsionen, Schrumpfungen, Verbiegungen hervorgerufen werden, 
mindern zweifelsohne das Stimmzittern. Indes kommen auch Fälle 
genug vor, wo alle diese Momente fehlen, auch ein Exsudat nicht 
vorhanden ist, wie die Punktion nach weist, und doch der Pektoral- 
fremitus andauernd abgeschwächt ist. Ein charakteristischer Fall, 
der auch sonst noch eine interessante Erscheinung darbot. ist 
folgender: 


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Über den Pektoralfremitus. 


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Krankengeschichte. 

Peter R., 18 Jahre, aufgenommen 13. April 1910, geheilt entlassen 
23. Mai 1910. 

Anamnese: Am 8. April plötzlich erkrankt mit Schüttelfrost, 
Schmerzen und Stichen in der linken Seite, Husten mit weißlichem 
Auswurf. 

Status: 13. April 1910. Kräftiger, gut ernährter junger Mann, 
Haut heiß und feucht. Lungenbefund: Links hinten unten vom unteren 
Rand der Scapula abwärts tympanitische Dämpfung, abgeschwächtes 
hauchendes Atmen, keine Nebengeräusche. Pektoralfremitus vollkommen 
aufgehoben. Temperatur 39,0. Pols 100. Die übrigen Organe normal. 

15. April. Links hinten unten Dämpfung, schwaches Bronchial- 
atmen, Pektoralfremitus aufgehoben. Rechts neben der Wirbelsäule scheint 
ziemlich deutlich ein Grocco’sches Dreieck. Temperatur 39,8 bis 40,3. 

20. April. Status idem. Temperatur normal. 

27. April. Rechts hinten unten noch deutliche Dämpfung mit ab¬ 
geschwächten Atmen und aufgehobenem Pektoralfremitus. Rechts neben 
der Wirbelsäule deutlich ein Grocco’sches Dreieck. Temperatur normal. 
Da trotz mehrfachen Hustens Pektoralfremitus und Atmen sich gleich 
blieben, wurde angenommen, daß sich nachträglich ein pleuritisches Ex¬ 
sudat entwickelt hätte; es wurde mit ziemlich dicker Kanüle eine Punktion 
gemacht, indes kein Exsudat gefunden. Die Kanüle war augenscheinlich 
direkt in die Lunge gedrungen. 

23. Mai. Der gleiche Befund, wie eben beschrieben, wurde auch 
noch heute erhoben. Das Allgemeinbefinden war rechts gut, aber die 
Abschwächung des Schalles, des Atmens und des Pektoralfremitus ist 
noch deutlich. Der Kranke wurde zum Genesungsheim entlassen. 

Es handelt sich also hier um einen Fall von croupöser Pneu¬ 
monie mit verzögerter Lösung, der am 6. Tage hereinkam und 
während des ganzen Verlaufes einen abgeschwächten Pektoral¬ 
fremitus und abgeschwächtes Atmen zeigte. Die Erscheinungen 
waren so deutlich, daß man an das Hinzutreten einer Pleuritis 
exsudativa denken mnßte. Hinzu kam der deutliche Nachweis des 
Grocco’schen Dreiecks, das auch für Pleuritis exsudativa sprach. 
Ich habe indes noch in einem anderen Falle, der diesem ganz 
ähnlich ist, das Auftreten dieser Erscheinungen bei croupöser Pneu¬ 
monie konstatieren können; ohne daß ein Exsudat vorhanden war. 

Die Abschwächung des Stimmfremitus bei sehr starker Infiltration 
der Lungenlappen ist nicht so ganz selten beobachtet 1 ) und wird 
diese starke Infiltration mit Vergrößerung des betreffenden Teiles 
auch in Lehrbüchern unter den Ursachen der Fremitusabschwächung 
stets erwähnt. Ich habe derartige Fälle mehrere beobachtet, von 
denen ich den prägnantesten kurz beschreiben will. 

1) Siehe bei Gerhardt, Arneth, Aufrecht u. a. 


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Hochhaus 


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Krankengeschichte. 

Wilhelm N., 38 Jahre, anfgenommen 27. Angust 1909, gestorben 
1. 8eptember 1909. 

Anamnese: Am 26. August plötzlich erkrankt mit Schnttelfron. 
Fieber, Kopfschmerzen, Husten und Stichen in der linken Seite. 

Status: 28. August 1909. Kräftiger Mann in gutem Ernährung?- 
zustand, Haut und sichtbaren Schleimhäute normal gefärbt. Uber aei 
Lungen in der linken Axillargegend sowie linkB vorn fast bis zur 3. Rippe 
tympanitische Dämpfung, sehr stark abgescbwächtes Atmen, mit verein¬ 
zelten Rasselgeräuschen. Pektoralfremitus daselbst ganz aufgehoben. Orr 
Traube’sche Raum ist frei. Links hinten unten keine Dämpfung. Vesi¬ 
kuläratmen mit Brummen und Giemen, die rechte Lunge ist frei. Pu-? 
weich, frequent. An den übrigen Organen nichts Besonderes. 

30. August. Links vorn beginnt starke Dämpfung von der 3. Rippe 
ab, die ganze Axillargegend ist gedämpft, ebenso Knks hinten unke 
mäßige Dämpfung, das Atmungsgeräusch ist schwach und unbestimmt 
und der Pektoralfremitus ist fast ganz aufgehoben. Das Spntum ist 
schleimig, zäh, aber nicht gefärbt. Es besteht ziemlich starke Cysno*? 
Der Puls wird auf Injektion von Strophanthin intravenös langsamer und 
kräftiger. Es fällt schon bei äußerer Besichtigung auf, daß die gut» 
linke Seite recht stark vorgewölbt ist. 

31. August. Befinden leidlich gut, mäßige Dyspnoe und Cymo?? 
Der physikalische Befund über den Lungen ist ungefähr der gleiche 
Der Herzspitzenstoß ist deutlich zu sehen und zwar 3 V 2 cm ein wärt-- 
von der Mamillarlinie. Die rechte Grenze der relativen Herzdämpfon: 
überschreitet die Mediane um 5 cm. Die Ausdehnung der ganzen link« 
Brustseite erschien heute noch deutlicher. Bei dieser augenscheinliche: 
Verschiebung des Herzens, bei der Ausdehnung der linken Seite uod 
dem physikalischen Befunde mußte ein Erguß in die Unke Pleurahöhle m 
wahrscheinlich angenommen werden. Es wurde deshalb eine Probe¬ 
punktion gemacht mit einer ziemlich starken Kanüle an zwei Stellen 
Erguß wurde nicht gefunden, sondern es drang die Kanüle sofort in dit 
Lungenparenchym und sie gab syncron der Herzbewegung außerordentlich 
starke Ausschläge. Der Puls wurde im Verlauf des Tages schlechter, 
es wurde wiederum Strophanthin injiziert und jetzt war der Erfolg nich: 
so gut wie am Tage vorher. 

1. September. Die Cyanose sehr stark, Trachealrasseln, Pul» «1* 
beschleunigt, flatternd, weich, kaum zu zählen, trotz Darreichung von 
Exitantien erfolgte der Tod am Abend. 

Bei der Obduktion fand sich fast die ganze linke Lunge 
infiltriert und erheblich geschwollen; die Schwellung war so groß, 
daß sie an Größe die rechte Lunge sicher um */• übertraf. Da* 
Herz war deutlich nach der rechten Seite verschoben, ähnlich 
wie bei einem pleuritischen Exsudat. Die Rippen waren auf der 
Außenseite alle deutlich eingedrückt. Die Pleura war durch ab* 
derbe Verwachsungen und auch neue Fibrinauflagerungen ad hären t. 


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Über den Pektoralfremitus. 


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Auf dem Durchschnitt waren die Lungen in den unteren zwei Dritteln 
fest hepatisiert in den verschiedensten Stadien, teils rot, teils gelb 
und weiß; stellenweise sehr stark körnig und markig vorquellend. 
In den kleinen Bronchien saß schleimig eitriges, zähes Sekret. 

Der Fall ist bemerkenswert, weil Atmungsgeräusch und Pek- 
toralfremitus fast ganz aufgehoben waren und dann durch die 
außerordentliche Anschwellung, die so stark war, daß sie zu 
einer deutlichen Ausdehnung der linken Brustseite und auch 
zu Verschiebung des Herzens führte. Ein derartiges Vorkomm¬ 
nis ist selten, aber es beweist doch, entgegen der Anschauung von 
Aufrecht und Arneth, daß eine pneumonische Verdichtung 
gelegentlich einmal die Lunge derartig vergrößern kann, daß 
es zu einer Ausdehnung der betreffenden Brustseite und zu einer 
Verdrängung der Nachbarorgane kommen kann. Die übrigen 
Fälle der Art, die ich beobachtet habe, es waren noch zwei, 
gingen nicht mit so bedeutender Vergrößerung der Lunge ein¬ 
her, auch bei ihnen war der Pektoralfremitus stark abgeschwächt, 
das Atmungsgeränsch auch in geringem Grade, aber nicht so stark 
wie in dem ersten Fall. Die Tatsache, daß ich innerhalb von 
8 Monaten drei derartige Fälle mit Exitus letalis beobachtet, 
scheint darauf hinzuweisen, daß die Prognose dieser Fälle stets 
eine sehr übele ist. 

Wie es zu erklären ist, daß hier der Pektoralfremitus vollkommen 
verschwindet, darüber soll nachher gesprochen werden. 

Wechsel des Pektoralfremitus hat man schon früher beob¬ 
achtet und in der Regel darauf zurückgeführt, daß die Bronchien 
zeitweise durch Schleim oder Gerinnsel verstopft und so die Luft¬ 
schwingungen mechanisch am Vordringen gehindert waren, wurde 
dann durch einige kräftige Hustenstöße der Inhalt der Bronchien 
entleert, so war der Fremitus wieder nachweisbar. Daß diese Er¬ 
scheinung zuweilen zu beobachten ist, habe ich bei meinen häufigen 
Nachuntersuchungen auch gefunden, indes auch Fälle genug ge¬ 
sehen, wo der Husten sehr stark, sehr häufig, das Sputum sehr 
gut entleert wurde und trotzdem der Pektoralfremitus verschwand 
und spontan nach einiger Zeit wiederkehrte. Ich führe einen Fall 
der Art an, der auch sonst von Interesse ist: 

Krankengeschichte. 

Julius "W., 42 Jahre, aufgenommen 15. Mai, entlassen 7. Juli 1910. 

Anamnese: Vor 6 Jahren rechtsseitige Lungenentzündung. Am 
13. Mai plötzlich Sohüttelfrost, Husten, stechende 8chmerzen in der 
rechten Seite. 

Deutsche« Archiv für klin. Medizin. 101 . Rd. 38 


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Befund am 16. Mai. Mittelgroßer, mäßig kräftig gebauter Mann, 
gut genährt. Gesicht ist stark gerötet. Über den Lungen rechts husten 
unten vom unteren Band der Scapula an Dämpfung und lautes Bronchial- 
atmen. Pektoralfremitus daselbst deutlich verstärkt. Sputum schleimig, 
geballt, von braungelber Farbe. Puls regelmäßig, kräftig, 100—120 in 
der Minute. Temperatur 39 bis 39,3. An den übrigen Organen nicht? 
Besonderes. 

17. Mai. Allgemeinzustand gut, Husten mit Auswurf von gelb¬ 
lichem Sputum. Bechts hinten unten Bronchialatmen mit Knisterrassek, 
verstärktem Pektoralfremitus. Puls 120, Temperatur 39,0 bis 39,5. 

19. Mai. Bechts hinten unten der gleiche physikalische Befand 
nur findet man heute, daß der Pektoralfremitus abgeschwächt ist und dal 
sich über der linken Seite deutlich ein Grocco’scbes Dreieck nachweisea 
läßt. Temperatur 39,0 bis 39,3. Puls 120. Dabei ist das Sputum 
reichlich. 

20. Mai. Am Morgen rechts hinten unten Schallverkürzung mit 
abgeschwächtem Pektoralfremitus, dagegen wurde am Abend über der 
Dämpfung ein schwaches Bronchialatmen mit Knisterrasseln konstatiert 
und der Pektoralfremitus war wieder stärker wie links. 

21. Mai war der Pektoralfremitus wieder deutlich abgescbwächt; es 
bestand Dämpfung mit einem fernklingenden Bronchialatmen. Auf der 
anderen Seite war deutlich Grocco nachzuweisen. Am Abend spät wurde 
Pektoralfremitus nochmals geprüft und er war dann wieder verstärkt. 

30. Mai. Seit dem 24. ist der Patient fieberfrei, es besteht aber 
immer noch Dämpfung in derselben Ausdehnung mit abgeschwächtem 
Atmen, Pektoralfremitus ist wenig verstärkt und es läßt sich auf der 
anderen Seite deutlich ein Grocco’sches Dreieck nachweisen. Mit Rück¬ 
sicht auf letzteren Befund wird eine Probepunktion vorgenommen, aber 
Flüssigkeit nicht gefunden. 

15. Juni. Das Allgemeinbefinden ist gut: kein Fieber, es besteht 
aber immer Husten und Auswurf von weißlichem Schleim. Bechts hinten 
unten läßt sich auch noch eine mäßige tympanitische Dämpfung mit 
bauchendem Atmen und inspiratorischem feuchten Bassein nachweisen. 
Der Pektoralfremitus ist verstärkt. 

7. Juli. Der Klopfschall ist jetzt auch rechts unten ziemlich sonor, 
das Atmen vesikulär, aber etwas abgeschwächt, der Pektoralfre- 
mitus ist deutlich verstärkt. Der Kranke wird in ein Genesungsheim 
entlassen. 

Bemerkenswert an diesem Falle ist die Abschwächung des 
Pektoralfremitus, die sich am 6., 7. nnd 8. Krankheitstage nach¬ 
weisen ließ und auch plötzlich wieder verschwand, die weder er¬ 
klärt werden kann durch ein pleuritisches Exsudat, denn die 
Punktion hat das Nichtvorhandensein eines solchen erwiesen, noch 
durch Verstopfung der Bronchien durch Schleim, denn der Kranke 
hat während der Zeit sehr häufig und kräftig gehustet und auch 
viel Schleim ausgeworfen, ohne daß sich an den Tagen eine Än¬ 
derung gezeigt hätte. Auch die Am ethische Meinung, daß das 


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Über den Pektoralfremitus. 


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Stadium der Hepatisation daran Schuld gewesen, kann nach Lage 
der Dinge wohl kaum in Betracht kommen. Was hier die Ursache 
gewesen ist, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, jedenfalls habe ich 
auch nicht den Eindruck gewonnen, als ob der Fall zu denen ge¬ 
hörte, bei denen eine außerordentliche Schwellung der Lunge die 
Ursache ist. Bemerkenswert ist dann ferner, daß längere Hervor¬ 
treten eines Grocco’schen Dreiecks, eine Erscheinung, die wir ja 
auch bei einem früheren Fall schon gesehen haben und dann noch 
die lange Persistenz des verstärkten Fremitus, die wir noch am 
Tage seiner Entlassung fast 2 Monate nach Beginn der Erkrankung 
konstatieren konnten, zu einer Zeit, wo die Veränderungen in dem 
erkrankten Lungenlappen jedenfalls nur noch sehr unbedeutende 
sein konnten. Es zeigt sich also auch an diesem Falle wieder, 
daß die Bedingungen für das Zustandekommen eines verstärkten 
Fremitus unter Umständen auch durch relativ geringfügige Ver¬ 
änderungen innerhalb der Lunge erfüllt sein können. 

Zum Schlüsse führe ich noch eine Krankengeschichte von 
einem Manne an, bei dem ich den Pektoralfremitus sowohl während 
des Lebens wie auch nachher an der Leiche geprüft habe. 

Krankengeschichte. 

Gerhard L., 44 Jahre, aufgenommen 29. Juni 1910, gestorben 
30. Juni 1910. 

Anamnese: Patient kommt leicht delirierend zur Aufnahme, ge¬ 
naue Anamnese ist von ihm nicht zu erfahren. 

Befund am 29. Juni. Kräftiger Mann, gut ernährt, Gesicht leicht 
cyanotisch, Haut fühlt sich heiß an. Zunge ist trocken, borkig belegt. 
Links hinten unten vom 5. Brustwirbelfortsatz ab ist der Schall deutlich 
gedämpft, das Atmen bronchial ohne Nebengeräusche. Der Stimmfremitus 
ist verstärkt. Am Herzen ist nichts Besonderes; Puls ist klein, 140 in 
der Minute; Temperatur 39 bis 39,5. Im Urin geringe Mengen Eiweiß. 

30. Juni. Patient ist noch unruhig, redet durcheinander und hat 
auch in der Nacht wenig geschlafen. Die Dyspnoe ist mäßig; über den 
Lungen ist der gleiche physikalische Befund wie gestern, der Pektoral¬ 
fremitus verstärkt. Sputum zäh, bräunlich verfärbt. Bei einer weiteren 
Prüfung des Stimmfremitus am Nachmittag fand sich derselbe links hinten 
unten abgeschwächt. Abends 8 '/ 2 Uhr trat plötzlich unerwartet der Tod 
ein unter den Erscheinungen der Herzinsufficienz. 

Bei der Obduktion fand sich der ganze linke Unterlappen 
stark verdichtet, von grauer Farbe, die im obersten Zipfel des 
Unterlappens etwas ins rötliche übergeht. 

Ich habe den Pektoralfremitus an der Leiche geprüft und ge¬ 
funden, daß derselbe nicht verstärkt, sondern stark abgeschwächt 
war. Die Bronchien waren weder durch Schleim noch durch eine 

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stärkere Gerinnselbildnng verstopft. Es handelt sich demnach hier 
nm eine Lunge in späteren Stadien der Entzündung, wo man an der 
Leiche eigentlich eine Verstärkung des Pektoralfremitns nach den 
Anschauungen von Arneth hätte erwarten müssen. Es war da« 
aber nicht der Fall, trotzdem während des Lebens der Pektoral- 
fremitus ja meistens verstärkt war. Ähnliche Fälle wie der vor¬ 
liegende könnte ich noch mehrere anführen; ich glaube indes daranf 
verzichten zu können. 

Nachdem ich die Resultate meiner Versuche an der Leiche 
und meine klinischen Beobachtungen kurz dargelegt habe, käme 
es nun daranf an, zu untersuchen, wie dieselben sich mit den bi« 
jetzt bestehenden Anschauungen über den Pektoralfremitns ver¬ 
einigen lassen und inwieweit dieselben geeignet sind, zu einer 
Klärung der noch strittigen Punkte beizutragen. 

Wodurch -der Fremitus entsteht und wie er sich in den Luft¬ 
röhren fortpflanzt, darüber besteht glaube ich allgemeine Einigkeit. 
Die Exkursionen der Stimmbänder besonders die ausgiebigeren 
beim Intonieren mit tiefer Stimme werden sowohl durch die Loft, 
wie auch durch die Bronchialwände in das Lungenparenchym hin¬ 
ein fortgetragen. Das hat Wintrich zuerst so gelehrt und meine 
Versuche haben das bestätigt. Noch unaufgeklärt ist, welche Be¬ 
schaffenheit der Lunge am besten geeignet ist, die Schwingungen 
fortzuleiten. Die Untersuchungen an der Leiche haben darüber 
wenig Klärung ergeben. Der Stimmfremitus war stets sehr schwach 
sowohl bei normalen wie bei pathologisch veränderten Lungen, 
nur eins hat sich doch mit Sicherheit ergeben, bei einem mäßigen 
Blähungszustand der Lungen war der fühlbare Fremitus auffallend 
stark; offenbar war das die günstigste Bedingung des Parenchym.« 
um die Schwingungen gut fortzuleiten. Dies ist das einzige posi¬ 
tive Resultat mit starkem Pektoralfremitns, welches ich bei den 
Leichenversuchen gefunden habe. Ich habe niemals, anch bei des 
stärksten und ausgedehntesten Infiltrationen pneumonischer Lungen 
irgendeine Verstärkung nachweisen können, mochten dieselben sich 
im l. r 2. oder 3. Stadium der Hepatisation befinden. Dabei habe ich 
natürlich sorgfältig darauf geachtet, daß die Bronchien durch 
Schleim oder Gerinnsel nicht verstopft waren. Aus diesen Ver¬ 
suchen geht hervor, daß jedenfalls eine Infiltration an der Leichen¬ 
lunge den Fremitus nie verstärkt, ihn höchstens etwas abschwächt 
das würde übereinstimmen mit den Versuchen, die Arneth ge¬ 
macht hat, der sich allerdings nur auf zwei Experimente mit Lungen 


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Über den Pektoralfremitus. 


585 


im Stadium der festen Infiltration stützen kann; es stände aber im 
Gegensatz zu den vielen Beobachtungen von Wintrich. 

Meine klinischen Erfahrungen sprechen weder für die Meinung 
von Wintrich noch von Arneth. Nach des ersteren Theorie 
sollen die Stimmschwingungen durch die gleichmäßige Infiltration 
der Bronchialwandungen und der Lungen besser fortgeleitet und 
verstärkt werden, nach des zweiten Meinung böte die infiltrierte 
Lunge im 2. Stadium der Hepatisation, in dem die kleinen 
Bronchien nach seiner Ansicht meist durch Gerinnsel ausgefüllt 
sind, ein ähnliches Hindernis wie eine entsprechend dicke Flüssig* 
keitsschicht und daher müßten alsdann die Stimmschwingungen ab¬ 
geschwächt oder gar nicht gefühlt werden; fast durchweg hat er 
beobachtet, daß beim Übergang aus dem 1. in das 2. Stadium der 
Pektoralfremitus ziemlich plötzlich an Intensität abnahm und daß 
er umgekehrt, wenn die Lösung eintrat, wieder eine Verstärkung 
des Fremitus sich zeigte. Der Übergang der Lunge aus einem 
weicheren in den festen Zustand und aus dem festen wieder in 
einen weicheren Zustand soll also die Ursache der Fremitusver- 
änderung sein und zwar deshalb, weil die mehr weiche Beschaffen¬ 
heit der Lunge für die Fortpflanzung der Stimmschwingungen ganz 
besonders geeignet sei. 

Das, was ich gesehen habe, stimmt mit keiner der eben der eben 
erörterten Ansichten überein; es zeigt meines Erachtens mit Sicher¬ 
heit, daß beim Lebenden die Bedingung für eine gute Fortleitang 
durch das Lungenparenchym in allen Stadien der Pneumonie ge¬ 
geben sind, ganz unabhängig natürlich von Verstopfung der Bron¬ 
chien; welches dieselben nun sein müssen, ist mit aller Sicherheit 
schwer zu sagen. Daß nicht die Stärke der Infiltration eine not¬ 
wendige Vorbedingung bildet, geht hervor aus den klinischen Be¬ 
obachtungen, die zeigen, daß der Pektoralfremitus auch noch 
verstärkt ist, in der Rekonvalescenz von Pneumonien, zu einer 
Zeit, wo anzunehmen ist, daß höchstens noch ganz geringe Reste 
des Infiltrats vorhanden sind. Dieses beweist, daß nicht das Infil¬ 
trat an und für sich das bestimmende ist, sondern meines Erachtens 
die durch die Hyperämie und die Exsudatsabsetzung bewirkte 
Durchtränkung und Spannungsveränderung des eigentlichen Lungen¬ 
parenchyms. Ist diese Veränderung zufällig eine solche, daß 
dadurch die Schwingung und Resonanzfähigkeit vermehrt wird, so 
ist der Pektoralfremitus verstärkt und im umgekehrten Falle ver¬ 
mindert. Ich glaube, durch diese Annahme lassen sich alle Er¬ 
scheinungen am besten erklären. Es wird so begreiflich, daß in 


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586 


Hochhaus 


allen Stadien der Pneumonie eine Verstärkung oder Verminderung 
beobachtet werden kann; meistens scheint er ja verstärkt zu sein. 
Auch der Wechsel in der Stärke wird so erklärlich, denn die 
in Betracht kommenden Faktoren, die Blutfüllung, die Durch¬ 
feuchtung des Parenchyms werden ja zweifelsohne auch je nach 
dem Zustande des Herzens oder auch unter Bedingungen, die wir 
nicht feststellen können, erheblich wechseln. Sicher ist, daß bei 
den sehr ausgedehnten Infiltrationen mit Vergrößerung der Lunge 
der Pektoralfremitus stets abnimmt. Offenbar wird durch die 
starke Ausfüllung der Alveolen, die Schwingungsfahigkeit der 
Lungen in ungünstigstem Sinne beeinflußt und daher stets eine 
Abschwächung beobachtet. Daß dabei mechanisch auch noch die 
Brustschwingungen gehindert werden, davon soll später die Rede 
sein. Was Arneth erwähnt über das gleichzeitige Verhalten des 
Atemgeräusches, nämlich, daß es häufig, trotz Abschwächung des 
Pektoralfremitus, laut gehört wird, habe ich in der Regel nicht 
immer bestätigen können; offenbar ist das Durchdringen des Bronchial- 
atmens nicht an dieselben Bedingungen geknüpft. 

Neben der Beschaffenheit des Lungenparenchyms spielen natür¬ 
lich noch andere Faktoren eine Rolle; in erster Linie die Brust¬ 
wandung. Wintrich macht darauf schon mit Recht aufmerksam 
und andere Autoren schließen sich ihm an; und nach dem, was 
Wintrich dafür anführt und was ich selber erfahren habe, über 
die Fortleitung der Stimmschwingungen durch die Wandungen des 
Larynx und der Bronchien, kann es wohl keinem Zweifel unter¬ 
liegen, daß diese ihre Vibriationen auch abgeben auf die ihr be¬ 
nachbarten festen Bestandteile des Mediastinums, auf die Wirbel¬ 
säule und von da aus auf die Rippen. Daß mithin alle Momente, 
welche die Schwingungsfahigkeit der Rippen beeinträchtigen, wie 
pleuritische Auflagerungen auf den Thoraxwandungen, Entzün¬ 
dungen derselben, besondere Stärke der den Thorax bedeckenden 
Weichteile, auch eine Rolle spielen, erscheint von vornherein klar. 

Demnach ist die Stärke des Pektoralfremitus abhängig in 
erster Linie von dem Zustand der Lunge, in zweiter Linie von 
der Beschaffenheit der Pleuren und der Brustwand, wenn ich davon 
absehe, daß Ausfüllung der Bronchien durch Schleim oder Gerinnsel 
nicht in Frage kommen. Welcher Faktor die Hauptrolle spielt, 
das ist im Einzelfalle schwer zu sagen, da man nicht immer Auf¬ 
lagerungen der Pleuren, Entzündungen der Brustwand mit Sicher¬ 
heit diagnostizieren kann. Jedenfalls geht aber aus unseren Aus¬ 
führungen hervor, daß man den Pektoralfremitus nur mit einer 


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Über den Pektoralfremitus. 


587 


gewissen Vorsicht zur Diagnose benutzen kann. Ist derselbe 
verstärkt, so kann man mit Sicherheit annehmen, daß die vor¬ 
liegende Affektion wohl eine Infiltration der Lunge ist und daß 
eine exsudative Pleuritis auszuschließen ist. Liegt eine Abschwä- 
chung des Pektoralfremitus vor, so kann die Ursache ein pleuritisches 
Exsudat sein, braucht es aber durchaus nicht, und es kann auch 
recht gut eine Lungeninfiltration vorliegen, die Differentialdiagnose 
ist dann ohne Punktion manchmal nicht leicht. 

Folgendes kann die Entscheidung erleichtern: Findet sich die 
Abschwächung bei einer Pneumonie, so hört man häufig ein lautes 
Bronchialatmen, deutliche Bronchophonie und Knisterrasseln, aber 
nicht immer, zuweilen ist, wie ich das auch angeführt habe, beson¬ 
ders bei sehr massigen Infiltraten auch das Atemgeräusch und die 
Bronchophonie abgeschwächt; dann kann häufig ein anderes Merk¬ 
mal die Aufklärung geben. Ist eine Abschwächung über einer 
pleuritischen Dämpfung vorhanden, so pflegt meist oberhalb der 
Dämpfung der Pektoralfremitus verstärkt zu sein, ein Merkmal, 
das mich bei sehr vielen Untersuchungen nie getäuscht hat und 
das ich deshalb als recht zuverlässig empfehlen kann. Die Ur¬ 
sache dieser Verstärkung anzugeben ist nicht leicht; nach meinen 
Erfahrungen an der Leiche, scheint mir folgende Erklärung die 
plausibelste: Die Lunge über dem pleuritischen Exsudat befindet 
sich im Stadium der Retraktion, ist also wenig lufthaltig, an der 
Atmung nimmt sie nur geringen Anteil, ist indes nach neueren 
Erfahrungen nicht ganz davon ausgeschlossen, sondern es kommt 
bei jeder Inspiration immerhin eine, wenn auch geringere Menge 
Luft in die Alveolen hinein, besonders wohl in diejenigen, welche 
noch wandständig und nicht von der Flüssigkeit komprimiert sind. 
Da die Fähigkeit zur Exspiration aber eine sehr geringe ist, so 
wird sich hier ein gewisser Grad von Emphysem in denselben ent¬ 
wickeln, und dieses ist, wie ich ja früher gefunden, ganz besonders 
geeignet, die Stimmschwingungen fortzuleiten und zu verstärken. 
Dagegen ist die Feststellung eines Grocco’schen Dreiecke auf der 
anderen Seite, wie aus meinen Erfahrungen hervorgeht, differential¬ 
diagnostisch nicht so sicher. 

Ich habe bei zwei Pneumonien sehr deutlich auf der gesunden 
Seite ein Grocco’sches Dreieck nachweisen können, eine Erfahrung, 
die auch von anderer Seite gemacht worden ist.*) 


1) Siehe bei F. Hamburger, Wiener klin. Wochenschr. 1906 Xr. 14 u. 27 
und Matthes, Med. Klinik 1908 Xr. 38. 


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Hochhaus, Über den Pektoralfremitns. 


Bei einer Abschwächung des Fremitus über einer Pneumonie 
findet man oberhalb derselben jedenfalls nie eine Verstärkung. 

Wenn ich meine Ansicht über den diagnostischen Wert des 
Pektoralfremitus also znsammenfasse, so würde sie dahin gehen, 
daß bei Verstärkung desselben sich wohl stets eine Infiltration der 
Longe findet; bei einer Abschwächung desselben mnß die Frage, 
ob Infiltration oder pleuritischer Erguß vorhanden, durch andere 
Hilfsmittel sichergestellt werden. 


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Aus der medizinischen Klinik der Universität Bonn 
(Prof. Dr. F. Schultze). 

Nene Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen 
Probefrühstücks. 

Von 

Privatdozent Dr. 0. Prym, 

Assistenten der Klinik. 

Die butyrometrische Methode nach Sahli und Seiler zur 
Untersuchung der Magenfunktionen, hat in der neuen Auflage von 
S a h 1 i ’s Lehrbuch der klinischen Untersuchungsmethoden x ) gegen¬ 
über der Darstellung in der früheren Auflage des Lehrbuches und 
in der Münchener medizinischen Wochenschrift 1 2 ) einige wesent¬ 
liche Änderungen erfahren. 

1. Der Mageninhalt wird nach dem Probefrühstück nicht in 
der gewöhnlichen Weise ausgehebert oder exprimiert und unter 
Benutzung der Matthieu’schen Bestbestimmung der Gesamtmagen¬ 
inhalt — To — berechnet, sondern der Magen wird durch eine 
neue Art der Ausheberung mit einer besonderen Magensonde voll¬ 
ständig entleert. Eine nachfolgende Spülung mit Wasser gibt im 
Einzelfalle darüber Aufschluß, ob die vollständige Entleerung 
gelungen ist oder nicht. Die Matthieu’sche Restbestimmung 
fallt fort. 

2. Zur butyrometrischen Bestimmung wird der Gesamtmagen¬ 
inhalt unmittelbar vor der Abmessung der hierzu nötigen Menge 
erwärmt und gut durcbgeschüttelt. 

3. Zur butyrometrischen Bestimmung werden Butyrometer ver¬ 
wendet, die nur die halbe Größe der früheren haben und die durch 


1) V. nmgearbeitete und ergänzte Auflage, Leipzig n. Wien, Franz Deu- 
ticke 1909. 

2) Sabli, Über eine Vereinfachung der butyrometrischen Untersnchungs- 
methode des Magens und die Verwendbarkeit desselben für den praktischen Arzt. 
Münch, med. Wochenschr. 1905 p. 1273 u. 1338. 


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590 


Pbym 


Aluminiumeinsätze auf jeder der gebräuchlichen Zentrifugen zentri¬ 
fugiert werden können. 

4. Bei der Beurteilung der Resultate des Probefrühstücks wird 
der verschluckte Speichel nicht mehr vollständig vernachlässigt 

Punkt 3 ist eine rein technische Änderung. Sie soll die butvro- 
metrische Bestimmung erleichtern. Ich konnte nicht mit dem 
neuen Butyrometer arbeiten. Zur Zeit meiner Untersuchungen wir 
es noch nicht hergestellt, ein eigentliches Modell desselben existierte 
noch nicht (Mai 1910). 

Punkt 4 trifft eine prinzipielle Frage der Methode. In seinen 
früheren Mitteilungen glaubte Sahli den verschlackten Speichel 
vernachlässigen zu dürfen und aus der Gesamtheit des Ausgeheberten 
(To) abzüglich der durch die butyrometrische Methode berechneten 
Suppenmenge (— Su) die Menge des „reinen Magensaftes, wie er 
aus der Schleimhaut quillt“ *) (Ma) zu erhalten und die Acidität 
dieses reinen Saftes berechnen zu können. Nach ihm bestand 
also das Ausgeheberte nur aus Suppe und reinem Magensaft 
(Su -f Ma = To). In der neuen Auflage seines Lehrbuches scheint 
Sahli an dieser Ansicht für die meisten Fälle festzuhalten. Ich 
sage absichtlich „scheint“, denn die sich auf diesen Punkt be¬ 
ziehenden Ausführungen sind nicht eindeutig. Jedenfalls aber gibt 
Sahli die Möglichkeit zu, daß der verschluckte Speichel in 
gewissen Fällen das Gesamtresultat beeinflussen kann und rät 
„wo die sezernierte Menge abnorm hohe Magensaftmenge oder 
abnorm niedrige Acidität des Sekretes ergibt, an die Möglichkeit 
einer ungewöhnlichen Verdünnung des Magensaftes mit Speichel 
zu denken. Eventuell kann in einem solchen Falle der Versuch 
auch in der Weise wiederholt werden daß die Suppe getrunken 
wird, wobei weniger Speichel sezerniert und verschluckt wird*. 1 2 3 * * ' 
So sehr ich mich freue, daß Sahli meinen diesbezüglichen Aus¬ 
führungen im Deutsch. Archiv 8 ) teilweise beistimmt, so bedauert 
ich doch, daß er auf halbem Wege stehen bleibt, und daß nach 
meinen ausführlichen Erörterungen an der angeführten Stelle die 
im Grunde so einfach liegende Frage, nicht die klipp und klare Ent¬ 
scheidung dahin erhalten hat, daß Sahli zugibt, daß in allen 
Fällen bei der Beurteilung des Ausgeheberten der verschluckte 

1) Sahli, Lehrbuch IV. Aufl. p. 429. 

2) Sahli, 1. c., V. Aufl. p. 546 Anm. 2. 

3) 0. Prym, Die Bedeutung der schichtweisen Auffüllung des Magens für 

die klinische Diagnostik, speziell für die Beurteilung des Sahli-Seilerschen Probe- 

frühstiicks. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 90 p. 327. 


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Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen Probefrühstücks. 591 


Speichel mit berücksichtigt werden muß. Unexakt ist es, daß es 
jetzt dem einzelnen Untersucher überlassen bleibt, ob er in einem 
bestimmten Falle den mitverschluckten Speichel mit in Betracht 
ziehen will, oder glaubt ihn vernachlässigen zu dürfen.*) Die Er¬ 
kenntnis, daß bei jedem Probefrühstück der mitverschluckte Speichel 
einen Einfluß auf das Gesamtresultat ausüben kann und in der 
allergrößten Mehrzahl der Fälle ausüben wird, führt uns mit 
zwingender Notwendigkeit vor Augen, daß wir, um in der Er¬ 
kenntnis der Motilitäts- und Sekretionsanomalien des Magens weiter 
Vordringen zu können, eine klinische Methode haben müssen, die 
erlaubt, in jedem Einzelfall die auf die Probekost ergossene Speichel¬ 
menge zu bestimmen. Diese Forderung wird um so dringender, 
je mehr die übrigen Voraussetzungen, welche einer verfeinerten 
Diagnostik der Magenfunktion zugrunde liegen, erfüllt werden. 

Es ist durch die neue Mitteilung von Sahli eine Voraus¬ 
setzung, welche ich a. a. 0. noch als unhaltbar bezeichnen mußte, 
erfüllt worden. Es ist dies die II. Voraussetzung „Möglichkeit 
der Bestimmung des Gesamtmageninhalts zur Zeit der Aus¬ 
heberung“. 1 2 3 ) Läßt sich durch die neue Sahli’sche Methode der 
Magen in der Tat vollständig entleeren, so ist die II. Voraussetzung 
erfüllt. To ist exakt bestimmbar. Ja noch mehr, es ist denkbar, 
daß durch diese neue Methode, auch mein Ein wand gegen die 
L Voraussetzung 8 ) hinfällig wird. Aus der Tatsache, daß im 
Magen das Butterfett in der Suppe nicht in gleichmäßiger feiner 
Verteilung bleibt, hatte ich geschlossen, daß es unmöglich ist, aus 
der Menge des Fettes auf die Menge der im Magen noch vorhandenen 
ursprünglichen Suppe zu schließen. Daß in der Tat eine ungleich¬ 
mäßige Verteilung des Fettes im Mageninhalt zustande kommt, 
scheint Sahli jetzt auch selbst zuzugeben; die unter 2. ange¬ 
führte Vorschrift scheint zu bezwecken, nachträglich wieder im 
Ausgeheberten eine feine gleichmäßige Verteilung des Butterfettes 
herbeizuführen. Es ist nun denkbar, daß bei Benutzung des ge¬ 
samten Mageninhalts und nachträglicher gleichmäßiger Durch¬ 
mischung desselben zwar theoretisch der Einwand bestehen 
bleibt, die Menge des wiedergewonnenen Fettes brauche nicht der 
Menge der übrigen noch im Mageninhalt vorhandenen Bestand¬ 
teilen der ursprünglichen Suppe zu entsprechen, daß aber prak- 


1) Sahli, 1. c., V. Anfl. p. 544 Anm. 1. 

2 ) 0. Prym, 1. c. p. 326. 

3) 0. Prym, 1. c. p. 324. 


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592 


Pbym 


tisch die Differenz eine nur geringe ist, daß man also mit ge¬ 
nügender Genauigkeit ans dem Fettgehalt des Ausgeheberten aaf 
seinen Gehalt an ursprünglicher Suppe schließen darf — oder mit 
anderen Worten — daß trotz theoretischer Einwände Sn in To 
sieh mit genügender Genauigkeit bestimmen läßt Damit wäre viel 
gewonnen. 

Ich habe deshalb versucht, die Grüße dieses Fehlers zu be¬ 
stimmen und bin auf Grund folgender Überlegung zum Ziel« 
gekommen. 

Man mußte der Probesuppe noch Substanzen von anderer 
physikalischer Beschaffenheit als das Fett beimischen. Diese Sub¬ 
stanzen müssen sich in der Suppe gleichmäßig verteilen, ihre Meng« 
muß sich relativ leicht bestimmen lassen. Von ihnen muß man 
annehmen dürfen, daß sie während der Magenverdauung nicht 
verändert werden, und daß sie den Magen nur durch den Pylorns 
gemeinsam mit den übrigen Bestandteilen der Suppe verlassen. 
Wenn man dann vom Ausgeheberten gleichzeitig Fett und diese 
Substanzen quantitativ bestimmt, und die im Gesamtmageninhalt 
noch vorhandene Suppenmenge aus der Menge dieser verschiedenen 
Substanzen berechnet, so mußte es sich zeigen, ob die für dm* 
selben Mageninhalt gefundenen Zahlen für die Suppern»enge eine 
befriedigende Übereinstimmung zeigten oder nicht Stimmten die 
Zahlen in einer größeren Untersuchungsreihe überein, so war jede 
der Methoden in bezug anf die Genauigkeit ihrer Resultate braach- 
bar und man würde dann der butyrometrischen Methode wegea 
der relativen Einfachheit ihrer Ausführung und weil die Mehlfett* 
suppe keinerlei unphysiologische Ingredienzien enthält, den Vorzug 
geben. Stimmten die Zahlen aber nicht überein, so mußte eine 
oder auch mehrere der angewandten Methoden falsch sein, und es 
war dann zn untersuchen, welche Methode die richtigere and 
welche die falschen Resultate liefert Ließ sich dies nicht ent¬ 
scheiden, so war die ganze Untersuchung unbrauchbar. 

Als solche Substanz wählte ich erstens Bolus alba. 

Etwa 8—10 g Bolus alba werden durch ein gans fernes Haarsieb 
in dem zum Kochen der Snppe bestimmten Wasser anfs feinste anf- 
geschwemmt und die Sappe unter stetem Rühren gekocht. Zuerst «uni« 
versucht, Bolus alba, Mehl und Butter zusammen zu rösten und aus dem 
erhaltenen Produkt die Suppe zu kochen. Eine so hergestellte Supp« 
hat weniger guten Geschmack und erhält nicht die gleichmäßige sähmige 
Beschaffenheit wie die ursprüngliche Sahli-Seiler’sche Probesuppe. Da¬ 
gegen erhielt die Suppe, wenn sie, wie vorher angegeben, statt mit klarem 
Wasser mit der feinen Lehmaufschwemmung gekocht wurde, leidliches 


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Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen Probefrühstücks. 593 


Wohlgeschmack und gleichmäßig sähmige Beschaffenheit. Vollständig die 
Eigenschaften der ursprünglichen 8alhi-8eiler’schen Probesuppe hatte sie 
nicht: 1. Der Fettgehalt dieser Lehmmehlsuppe ließ sich nicht butyro- 
metrisch bestimmen. Es kam anscheinend durch den Bolnsgehalt der 
Sappe nicht znr Abscheidung der klaren Fettamylalkoholschicht. 

2. Füllte man einen hohen Maßzylinder von 20 com Inhalt mit der 
Mehlsuppe, einen anderen mit der Mehllehmsnppe, ließ beide 24 Stunden 
stehen, so zeigte sich für den bloßen Anblick folgender Unterschied: Die 
Mehlsuppe erschien nach 24 Stunden vollständig unverändert oder hatte 
sich im ganzen etwas zusammengesetzt und hatte über sich eine nur 
wenige Millimeter hohe Schicht klarer Flüssigkeit stehen; die Mehllehm* 
suppe hatte sich regelmäßig im ganzen etwas zusammengesetzt und hatte 
über sich eine bis zu 1 cm hohe Schicht klarer Flüssigkeit abgeBetzt. 
Zu einer sichtbaren Absonderung von Fett war es nicht gekommen. Da¬ 
gegen befand sich zuweilen auf dem Boden des Maßzylinders eine ganz 
schmale, nicht meßbar hohe 8chicht weißen Bolus. Wurde Meblsuppe 
und Mehllehmsupe mit Pepsinsalzsäure verdaut, so zeigten beide Suppen 
die bekannte Abscheidung von Fett an die Oberfläche, nnd die Mehl¬ 
lehmsuppe zeigt an den untersten Teilen des Zylinders einen deutlichen 
vermehrten Bolnsgehalt. Diese Abscheidung des Lehmes in der ange- 
dauten Snppe und seine Tendenz, der Schwere folgend nach unten zn 
sinken, war für die Versuchsanordnung günstig. Ich hatte so in der 
Suppe zwei Körper mit entgegengesetztem physikalischen Verhalten. Das 
spezifisch leichte Fett mit seiner Neigung an die Oberfläche zu gelangen, 
den spezifisch schweren Lehm mit seiner Neigung zu Boden zu sinken. 

Um nun in dem Mageninhalt den Gehalt an ursprünglicher Mehl¬ 
lehmsuppe berechnen zu können, bestimmte ich die Asohe in 10 ccm des 
Ausgeheberten und in 10 ccm der mit der gleichen Menge destillierten 
Wassers verdünnten Suppe. Der Aschegehalt der Suppe ist durch den 

Su 

zugemischten Lehm sehr hoch, er beträgt für 10 com ca. 0,12 g. 

Daraus ergab sich erstens, daß die Asche von 10 ccm bis auf Milligramm 
gewogen mit genügender Genauigkeit die Suppenmenge berechnen ließ, 
wie ich mich durch den direkten Versuch überzeugte. 

I. 50 Mehllehmsuppe -J- 50 Normalsalzsäure 
II. 65 Mebllehmsuppe -j- 35 Normalsalzsäure 
Asche von 10 ccm von I 0,146 g, 0,148 g, Mittel 0,147 g 
Asohe von 10 ccm von II 0,189 g, 0,189 g, Mittel 0,189 g 
0,147 : 0,189 = 50: x. x = 64,3. 

Also gefunden wurden 64,3 ccm Suppe in 100 To, statt 65 ccm Suppe 
in 100 To. Das ist genügend genau. 

Zweitens ergab sich aus dieser künstlichen Erhöhung des Asche¬ 
gehaltes der Suppe, daß der Aschegehalt der sich der Suppe zumischenden 
Körpersäfte keinen allzugroßen Fehler bedingt. Speichel enthält ca. 0,5 °/ # 
Asche; Magensaft 0,09 bis 0,16 °/ 0 Asche. Pankreassaft und Galle mit 
ca. 0,9 °/ 0 Asche kamen bei den zur vergleichenden Untersuchung heran¬ 
gezogenen Fällen nicht in Betracht. 

Unter der Annahme, daß die Hälfte des Ausgeheberten aus zu der 


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Prym 


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Suppe hinzugekommenen Körpersäften besteht, und daß diese Körper¬ 
säfte höchstens einen Aschegehalt von 0,5 °/ 0 haben können, ergibt sich, 
daß bei dem hohen Aschegehalt der Suppe von 2,4 °/ 0 im extremsten 
Falle in 100 ccm Ausgeheberten 10 ccm Suppe bei der Berechnung durch 
den Aschegehalt der hinzugekommenen Körpersäfte mehr vorgetäuscht 
werden können, als in der Tat vorhanden sind. In den meisten Fallen 
— in denen die hinzugekommenen Körpersäfte nicht nur Speichel sind — 
ist der Fehler geringer. Jedenfalls gibt der Aschegehalt nach dieser 
Überlegung maximale Werte für die ursprüngliche Suppe. 

Als zweite Substanz wählte ich einen wasserlöslichen, fett- 
unlöslichen Farbstoff und fand in dem Farbstoff der getrockneten 
Heidelbeeren einen für meine Zwecke brauchbaren Körper. 

Es hat außerordentliche Schwierigkeiten gemacht, aus der Suppe und 
aus dem Ausgeheberten der Farbstoff wieder in absolut klarer Lösung so m 
erhalten, daß er zu exakten vergleichenden Bestimmungen benutzt werden 
konnte. 

Die Schwierigkeiten bestanden darin, 1. daß die festen Substanzen 
der Suppe den Farbstoff an sich rissen, 2. daß der Farbstoff je nach 
der Acidität und sonstigen beigemengten — farblosen — Substanzen — 
etwa Alkohol — einen anderen Ton annahm, 3. daß die Suppe und das 
Ausgeheberte, um eine klare Flüssigkeit zu erhalten, nicht filtriert werden 
durften — das Filter riß Farbstoff an sich — und 4. daß es unmöglich 
war, durch einfaches Zentrifugieren eine vollständig klare Flüssigkeit aus 
der Suppe und aus dem Ausgeheberten zu erhalten. 

Schließlich führte folgendes Verfahren zum Ziele: die Gesamtacidität 
des Ausgeheberten wurde bestimmt. Genau 30 ccm des Ausgeheberten 
und der mit Wasser zu gleichen Teilen verdünnten Suppe wurden mit 
Normal Salzsäure auf die gleiche Gesamtacidität von 100 gebracht; Pepsin- 
Grübler wurde hinzugesetzt und die Proben 24 Stunden im dunklen 
Brutschrank belassen. Dann wurde jede Probe auf genau 50 ccm ge¬ 
bracht, gut durchgeschüttelt und stark zentrifugiert. Es resultierte unten 
Schicht fester Substanz. Darüber leicht getrübte Flüssigkeit, oben Schicht 
fast reinen Fettes. Aus der leicht getrübten Schicht werden genau 
10 ccm entnommen und in genau 10 ccm 1 °/ 0 Salzsäure-Alkohol ein- 
fließen lassen, die sich in Zentrifugengläsern befinden. Dabei entsteht 
eine intensive Trübung. Die Gläser werden im dunklen Eisschrank 
mehrere Stunden sich selbst überlassen, dabei wird die Trübung flockig. 
Dann wird zentrifugiert, und man erhält nun absolut klare Lösung, 
deren Farbkonzentration sich mit dem Plesch’schen Kolorimeter 1 ) exakt 
vergleichen ließ und der Menge der ursprünglichen Suppe im Auage- 
heberten proportional war. 

Die Grundlage für die vorige Betrachtung bilden die im folgendes 
auszugsweise mitgeteilten Vorversuche. 


1) J. Plesch, Hümodynamische Studien. Zeitschr. f. exp. Path. u. Therap. 
Bd. VI p. 380. 


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Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen Probefrühstücks. 595 


1. Voryersuch. 

I. 10 ccm salzsaures Heidelbeerinfus 

II. 10 ccm salzsaures Heidelbeerinfus10 ccm Wasser 

10 ccm I -}- 10 ccm 1 °/ 0 Salzsäure-Alkohol = A 
10 ccm II 10 ccm 1 °j Q Salzsäure-Alkohol = B. 

Kolorimetrie: 

Eine 20 mm dicke Schicht von B hat die gleiche Farbenintensität 
wie eine 10,3 mm dicke Schicht von A. 

Also gefunden 10,3 mm, berechnet 10,0 mm. 

Derselbe Versuch mit anderen Verdünnungsverhältnissen ergab gleich 
gutes Resultat. 

2. Vor versuch. 

III. 50 ccm Heidelbeerinfussuppe -|~ 50 ccm 2 / 10 n Salzsäure 

IV. 65 ccm Heidelbeerinfussuppe -j- 35 ccm 3 / 10 n Salzsäure 
zentrifugiert mit Salzsäure-Alkohol zu gleichen Teilen verdünnt und noch¬ 
mal zentrifugiert wie oben beschrieben, ergibt die klaren Lösungen III a 
und IV a. 


Kol orimetrie : 

Eine 20 mm dicke Schicht von III a hat die gleiche Farbeninten¬ 
sität wie eine 15,3 mm dicke Schicht von IV a. Das umgerechnet auf 
die in IV a vorhandene Menge Ursprünglicher Suppe ergibt 65,3 ccm. 
Also gefunden in 100 To 65,3 ccm, berechnet 65 ccm Su, Formel: 

100 ov 

TO 

x = die gesuchte Zahl ccm Su, die in 100 ccm To enthalten sind. 
ov = die Anzahl mm, welche die aus Su hergestellte klare Farbstoff- 
lösung-Schichtdecke haben muß, um die gleiche Farbenintensität zu haben, 
wie die durch to in mm bestimmte Schichtdicke der aus To hergestellten 
klaren Farbstofflösung. 


In dem angeführten Versuch: 

Su 

ov =10 mm (die aus hergestellte klare Lösung brauchte 20 mm 

£ 

Schichtdicke; demnach die aus Su hergestellte 10 mm), to — 15,3 mm 


100.10 

15,3 


= 65,3 


3. Vorversuch. 

Salzsäure - Heidelbeerinfus - Lehmmehlfettsuppe. 

V. Im Eisschrank 72 Stunden, 

VI. Aurch Zusatz von Pepsin im Brutschrank 72 Stunden. 

Durch Zentrifugieren und Salzsäure-Alkoholzusatz hergestellt die klaren 
Lösungen V a und VI a. 

Kolorimetrie: 

Eine 20 mm dicke Schicht von V a hat die gleiche Farbenintensität 
wie eine 10 mm dicke Schicht von VI a. 


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Original frorn 

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596 


Phym 


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Also: Die ■ aus einer mit Pepsinsalzsäure verdauten Suppe her¬ 
gestellte klare Farblösung hat die doppelte Farbenintensität all eine so» 
der gleichen aber unverdauten Suppe hergestellte klare Lösung. 


4. Yorversucb. 


I. 5 ccm Heidelbeersaft 

II. 5 ccm „ 

DI. 5 ccm „ 

IV. 5 ccm „ 


50 ccm Suppe 45 ccm Salzsäurepepsin 
30 ccm „ - - 65 ccm * 

-|- ohne Suppe - - 95 ccm „ 

- - 95 ccm Salzsäurelösung. 


von I—III 24 Stunden im Brutschrank und IV ohne Pepsin im Eisschrank. 


Aus I, II, III, IV in der bekannten Weise die klaren Lösungen 

I a, II a, III a, IV a hergestellt und kolorimetrisch verglichen: Eine 20 mm 
dicke Schicht von IV a hat die gleiche Farbenintensität wie 

eine 20,6 mm dicke Schicht von I a statt berechnet 20,0 mm 
D 20,4 „ „ r n II a „ „ 20,0 „ 

* 20,2 „ Hla * „ 20,0 . 

Weitere Versuche in der gleichen Art ergaben ähnliche gut über- 
einstimmmende Werte, die stärkste Abweichung zeigte bald III a, bald 

II a, bald wie oben I a. 

Aus dem ersten angeführten Vorversuch ergibt sich, daß die Be¬ 
handlung des Heidelbeerinfuses mit Salzsäure und mit Alkohol unter 
Berücksichtigung gleicher Konzentrationen dieser Zusätze vergleichbare 
klare Farblösungen ergibt. Der zweite Vorversuch zeigt das gleiche für 
die Suppe und zeigt, daß verschiedene Verdünnung der ursprünglich«! 
Suppe Bich mit genügender Genauigkeit berechnen läßt, wenn die ver¬ 
schiedenen Proben unter ganz gleichen Bedingungen gehalten werden ii 
dem Versuch, wenn keine derselben angedaut ist. Der dritte Vorvemci 
zeigt die Unmöglichkeit, durch Vergleich unverdauter 8uppe und angf- 
dauter Suppe verwertbare Resultate zu erhalten. Der vierte Vorvemci 
zeigt, daß Pepsinsalzsäureverdauung aus verschiedener Suppenmenge den 
Farbstoff so in Freiheit setzt, daß die absorbierende Eigenschaft der feste« 
Bestandteile der Suppe für den Farbstoff hierdurch wieder vollständig 
ausgeschaltet wird, und daß die Pepsinsalzsäureverdauung selbst den Farb¬ 
stoff nicht ändert. Gleichzeitig geht aus den Vorversuchen hervor, da£ 
die kolorimetrische Methode für unsere Zwecke genügend brauchbare 
Resultate gibt. 

Somit waren die Grnndlagen für eine vergleichende Bestimmung 
des Gehaltes an ursprünglicher Suppe in dem Ausgeheberten ge¬ 
geben. Er wurde bestimmt 

1. aus dem Fettgehalt | 

2. aus dem Aschegehalt ; des Ausgeheberten verglichen mit 

3. aus der Farbenintensität ) 

dem Fettgehalt, dem Aschegehalt und der Farbenintensität der 
Suppe. 

Jeder Versuch hatte folgende Anordnung: Mehl und Butter 
waren auf Vorrat in dem von Sahli-Seiler angegebenen Mengen- 


Gck igle 


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Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen Probefriihstücks. 597 


Verhältnisse geröstet und in Einzelportionen abgewogen. Die feine 
Bolus-Aufschwemmung wurde wie angegeben hergestellt. Der Auf¬ 
schwemmung werden etwa 10 ccm eines klaren starken Heidel- 
beerinfuses und etwa 2 g Kochsalz hinzugesetzt und die Suppe 
mit diesem blaurötlichen trüben Wasser gekocht. Die so herge¬ 
stellte Suppe wurde als Suppe mit Heidelbeersaft den Patienten 
übergeben. Sie ist nicht so wohlschmeckend wie die Sahli- 
Seiler’sche Probesuppe, wurde aber von den Patienten ausnahms¬ 
los ohne Widerstreben genommen. Aus äußeren Gründen konnten 
die Patienten die Suppe nicht zur Zeit ihres gewöhnlichen Früh¬ 
stücks bekommen, sondern erst 2 Stunden später. Ich fand nach 
einer Stunde den Magen leer. Deshalb wurde der Magen bereits 
nach Vs Stunde in der von Sahli angegebenen Weise entleert. 
Bei der Entleerung wurde darauf geachtet, ob bei dem Umlegen 
des Patienten — nachdem er vorher im Sitzen versucht hatte, 
möglichst ohne jedes Würgen durch leichtes Pressen den Magen 
zu entleeren — noch Mageninhalt aus der Sonde floß. Das trat 
nun in der Tat in fast allen Fällen ein. Ein Beweis für die 
Zweckmäßigkeit der neuen Sahli’schen Vorschrift. Eine Nach¬ 
spülung des Magens mit Wasser zeigte, daß in rund 80 % der 
Fälle die nahezu vollständige Entleerung des Magens geglückt war. 

Id einem Teil der Fälle zeigte sich sofort beim Aushebern, daß 
sich der Farbenton — außer dem durch die Säure bedingten Umschlag 
von dunkelblaurot in hellrot — geändert hatte, in anderen Fällen zeigte 
sich eine Änderung des Farbentons erst in der klaren alkoholischen 
Farblösung oder sogar erst heim Vergleich der Farblösung aus dem Aus¬ 
geheberten mit der Farblösung aus der ursprünglichen Suppe im Kolori¬ 
meter. Unzweifelhaft war in den Fällen starker Verfärbung diese durch 
Gallenfarbstoff bedingt. ‘Wahrscheinlich war die gleiche Ursache — 
Gallenbeimengung — auch für jene minimale erst im Kolorimeter deut¬ 
lich erkennbare Farbenänderung verantwortlich zu machen. Alle diese 
Fälle mußten ansscheiden, da das Kolorimeter versagte, sobald die beiden 
zu vergleichenden Lösungen nicht genau denselben Farbenton hatten. 
Ich war erstaunt, wie außerordentlich häufig — in etwa der Hälfte der 
Fälle — sich im Ausgeheberten Galle befand, viel häufiger als man 
nach dem gewöhnlichen Teebrötchen-Probefrühstück vermutet. 

Bei dem gewöhnlichen Teebrötchen - Probefrühstück können ge¬ 
ringe Gallenbeimengungen wegen der Eigenfarhe des Tees leicht der 
Beobachtung entgehen. Die vollständige Entleerung des Magens dürfte 
auch leichter geringe Gallenbeimengungen heraus befördern, die bei der 
gewöhnlichen Art, den Magen zu entleeren, in demselben Zurückbleiben. 
Schließlich mag auch der höhere Fettgehalt der Mehlsuppe mehr Galle 
in den Magen gelangen lassen, als das beim Teebrötchen • Probefrüh¬ 
stück der Fall ist. 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin, toi. Bd. 39 


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Original frum 

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Prym 


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Für unsere Fälle konnten nur die Fälle herangezogen werden, 
bei welchen die Entleerung des Magens vollständig gelang, nnd bei 
welchen sich keine Spur Galle dem Mageninhalt beigemischt hatte 

Das Ausgeheberte wurde gemessen, durch ein feines Drahtsieb 
gegossen — um verschluckte Sputa und kompakten zähen Schleim 
— von ihm zu trennen. Das durchgesiebte Ausgeheberte wurde 
erwärmt und gut gemischt Unter dauerndem Rühren wurden mit 
Pipette die erforderlichen Mengen zu den Bestimmungen entnommen. 
Die zum Vergleich aufgehobene Suppenprobe wurde zu gleichen 
Teilen mit Wasser verdünnt und genau so behandelt wie das Ans¬ 
geheberte. 

Es wurde abgemessen 30 ccm zur Kolorimetrie wie vorher 
angegeben. Diese Menge diente gleichzeitig zur Fettbestimmun? 
Nach der Kolorimetrie wurde der Inhalt der einzelnen zusammen- 
gehörenden Gläser quantiativ vereinigt. Es wurden essigsaom 
Natron in geringem Überfluß zugesetzt und die ganze Menge mit 
Kieselgur zur Trockne auf dem Wasserbad eingedampft, pnlveri- 
siert und im Soxhlet-Apparat 2 X 12 Stunden mit Äther extrahiert 
Der in der üblichen Weise gereinigte, vom Äther befreite und im 
Trockenschrank bei 100° getrocknetem Extrakt gewogen. 

10 ccm werden getrocknet verascht und gewogen. 

Es ergab sich folgendes: 


Versuch 1. 


135 ccm To erhalten 
Sa 
2 

Su 


Asche aus 10 ccm 
Fett aus 30 ccm 


= 0,081 g, Asche aus 10 ccm To = 0,042 g 

= 0,340 g, Fett aus 30 ccm To = 0,133 g 

Kolorimetrie av = 5,6 mm, ro = 20,0 mm. 

Hieraus wurde berechnet, wieviel ccm ursprüngliche Suppe die 
100 ccm des Ausgeheberten an der Hand der einzelnen Bestimmung*- 


arten waren; für Asche und Fett nach der Formel 


/, = T» 

1 »xTb 


wenn 


x die gesuchte Anzahl ccm ursprünglicher Suppe im Ausgebebeitsa 

bedeutet, To den Asche- resp. Fettgehalt einer bestimmten Anzahl ccm 

Sa . . 4 

des Ausgeheberten, - den Asche- resp. Fettgehalt einer gleichen An- 

JO 


zahl ccm der um die Hälfte mit destilliertem Wasser verdünnten ur¬ 
sprünglichen Suppe. Zur Berechnung mit Hilfe der ans dem kolori- 
metrischen Verfahren erhaltenen Daten diente die bereits erklärte FonwJ 

100-Ot’ 
x = — . 

io 


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Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seilerschen Probefrühstücks. 599 


Demnach x aus Asche 
x „ Fett 


= 25,6 ccm 
= 19,5 „ 


x ,, Kolorimetrie = 28,0 ,, 

Versuch 2. 

100 ccm To erhalten * HCl -f-j freie Säure 34, G.-A. o2. 

Su 

Asche aus 10 ccm — = 0,144 g, Asche aus 10 ccm To = 0,066 g 

A 

Su 

Fett aus 30 ccm = 0,390 g, Fett aus 30 ccm To = 0,219 g 

Kolorimetrie ov = 3,8 mm, io — 20,0 mm. 

Demnach x aus Asche = 22,9 ccm 

x „ Fett = 28,0 „ 

x „ Kolorimetrie = 19,0 „ 

Versuch 3. 

145 ccm To erhalten, HCl -f-» freie Säure 38, G.-A. 60. 

Su 

Asche aus 10 ccm -- = 0,144 g, Asche aus 10 ccm To = 0,102 g 

A 

Sn 

Fett aus 30 ccm = 0,390 g, Fett aus 30 ccm To — 0,470 g 

M 

Kolorimetrie ov = 3,8 mm, vo = 9,5 mm. 

Demnach x aus Asche = 35,4 ccm 

x „ Fett = 60,3 „ 

x „ Kolorimetrie = 40,0 „ 

Versuch 4. 

150 ccm To erhalten, HCl —, G.-A. 38. 

Su 

Asche aus 10 ccm -- = 0,126 g, Asche aus 10 ccm To = 0,227 g 
Su 

Fett aus 30 ccm = 0,312 g, Fett aus 30 ccm To = 0,639 g 

mL 


Kolorimetrie ov =17,0 mm, 

Demnach x aus Asche = 90,0 ccm 

x „ Fett = 102,4 „ 

Kolorimetrie = 85,0 „ 


jo = 20,0 mm. 


n 

v n 


Versuch 5. 

185 ccm To erhalten, HCl -f-, freie Säure 26, G.-A. 57. 

Su 

Asche aus 10 ccm = 0,116o g, Asche aus 10 ccm To = 0,103 g 

A 

Sn 

Fett aus 30 ccm = 0,439 g, Fett aus 30 ccm To = 0,504 g 

dt 


Kolorimetrie ov = 8,65 mm, 

Demnach x aus Asche = 44,2 ccm 

x r Fett — 57,4 „ 

x - Kolorimetrie = 43,2 „ 


xo = 20,0 mm. 


39* 


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Prym 


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Versuch 6. 

100 ccm To erhalten, HCl freie Säure 16, G.-A. 46. 

Asche aus 10 ccm = 0,108 g, Asche aus 10 ccm To = Ü,09Ug 

Fett aus 30 ccm = 0,401 g, Fett aus 30 ccm To = 0,485 g 

Kolorimetrie av — 10 mm, io = 26,1 ram. 

Demnach x aus Asche = 41,6 ccm 

x „ Fett = 60,4 „ 

x „ Kolorimetrie = 38,3 „ 

Versuch 7. 

125 ccm To erhalten, HCl -J-, freie Säure 30, G.-A. 50. 

Asche aus 10 ccm — = 0,108 g, Asche aus 10 ccm To = 0,111 g 

Fett aus 30 ccm — 0,401 g, Fett aus 30 ccm To = 0,850 g 

Kolorimetrie <ji — 10 mm, ro = 18,9 ram. 

Demnach x aus Asche = 51,5 ccm 

x „ Fett = 105,9 r 

x „ Kolorimetrie = 52,9 „ 


Versuch 8. 

180 ccm erhalten, HCl —, Milchsäure —, G.-A. 30. 

Asche aus 10 ccm = 0,1315 g, Asche aus 10 ccm To = 0,202g 

Fett aus 30 ccm " - - 0,348 g, Fett aus 30 ccm To = 0,713g 

Kolorimetrie av — 7,65 mra, ro — 10,2mm. 

Demnach x aus Asche = 76,8 ccm 

x „ Fett = 102,4 „ 

x „ Kolorimetrie — 75,0 „ 

Versuch 9. 

110 ccm To erhalten, HCl -J-, freie Säure 45, G.-A. 72. 

Su 

Asche aus 10 ccm - = 0,1315 g, Asche aus 10ccm To = 0,1075g 

Fett aus 30 ccm = 0,348 g, Fett aus 30 ccm To = 0,502g 

Kolorimetrie ov = 7,65 mm, io = 20,0 mm. 

Demnach x aus Asche = 40,9 ccm 

x „ Fett = 72,1 „ 

x r Kolorimetrie ----- 38,2 „ 


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Nene Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen Probefrühstücks. 601 


Versuch 10. 

350 ccm To erhalten, HCl freie Säure 46, G.-A. 73. 

8u 

Asche aus 10 ccm — = 0,1315 g, Asche 'aus 10 ccm To = 0,147 g 
Su 

Fett aus 30 ccm — = 0,348 g, Fett aus 30 ccm To = 0,324 g 

ml 

Kolorimetrie ov = 7,65 mm, ro = 16,9 mm. 

Demnach z aus Asche = 55,9 ccm 

x „ Fett = 46,5 „ 

x „ Kolorimetrie = 45,2 „ 

Das Resultat der Versuche ist: 

In 100 ccm des Ausgeheberten (To) ist ursprüngliche Suppe (Su). 


In Ver- \ 
such 

Nach Asche- | 
bestimm an g 

ccm | 

Nach Fett¬ 
bestimmung 

ccm 

Nach 

Kolorimetrie 

i ccm 

! 

Größte Differenz 

ccm 

i ! 

25,6 

19,5 

1 

28,0 

8,5' 

2 

22,9 

28,0 

19,0 

9,0 

3 ; 

35,4 

60,3 

40,0 

24,9 

4 

90,0 

102,4 

85,0 

17,4 

5 

44,2 1 

57,4 

43,2 

14,2 

6 

41,6 1 

60,4 

38,3 

22,1 

7 

51,6 

105,9 

52,9 

54,4 

8 

76,8 

102,4 

76,0 

27,4 

9 

40,9 

72,1 

38,2 

34,9 

10 

55,9 

46,5 

| 45,2 

10,7 


i 


I. Differenz zwischen 
„Asche“ und „Fett“ 


II. Differenz zwischen 
„Fett“ und Kolorimetrie „ 


III. Differenz zwischen 
Asche“ und Kolorimetrie 


1 

2 

3 

4 

5 

6 

7 

8 
9 

10 


+ 6,1 

— 5,1 

— 24,9 

— 12,4 

— 13,2 

— 18,8 

— 54,4 

— 25,6 

— 31,3 

+ 9,4 


— 8,5 
+ 9,0 
+ 20,3 

— 17,4 

— 14,2 

-- 22,1 

— 53,0 

— 27,4 
+ 34,9 

— 10,7 


+ 


2,4 

3,9 

4.6 

o,0 

1,0 

3.3 

1.4 

1,8 

2.7 
10.4 


Aus der Zusammenstellung geht hervor, daß eine annähernde 
Übereinstimmung der mit den drei Bestimmungsmethoden erhaltenen 
Werte nur in drei Fällen (1, 2, 10) erreicht worden ist; in den 
übrigen sieben Fällen beträgt die größte Differenz zwischen den 


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602 


Prym 


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für einen Versuch bestimmten einzelnen Werten 14,2 bis 54.4 ccm. 
Suppe in 100 ccm des Ausgeheberten, also vollständig unbrauchbar 
große Differenzen. Die Ursache dieser großen Differenzen liegt 
darin, daß die durch Fett bestimmten Werte wesentlich höher ah 
die durch Asche und Kolorimetrie bestimmten Werte sind. Die 
durch Asche und Kolorimetrie bestimmten Werte stimmen pt 
miteinander überein. In einem Falle (10) beträgt die Differenz 
-}- 10,4 ccm, in den neun übrigen ist sie wesentlich kleiner (1,0 bis 
5,0 ccm). Es ist jetzt die Frage, sind die durch die Fettbestimmungen 
gefundenen Werte die richtigen oder die durch die Aschebestimmw 
und die Kolorimetrie gefundenen? 

Trotz der geringen Zahl von Versuchen spricht die Überein¬ 
stimmung der aus Asche und Kolorimetrie gefundenen Werte für 
ihre Richtigkeit. Ferner erweist sich ein Teil der von diesen überein¬ 
stimmenden Werten abweichenden, durch die Fettbestimmung ge¬ 
fundenen Werte schon durch die Betrachtung dieser Werte an und 
für sich als falsch. In drei Fällen (4, 7, 8) ist die aus dem Fett¬ 
gehalt im Ausgeheberten bestimmte Suppenmenge größer als die 
Menge des Ausgeheberten selbst. In 100 ccm To 102,4 resp. 
105,9 ccm Su. Das muß falsch sein. 

Nach dem, was wir über das Verhalten des Fettes im Magen wissen, 
ist die einfachste Erklärung für diesen Befund, daß das Fett sich voc 
den übrigen Bestandteilen der Suppe getrennt und in relativ größerer 
Menge als die übrigen Bestandteile der Suppe zur Zeit der Ausheberung 
zurückgeblieben war, daß also die gefundene Fettmenge nicht der zur 
Zeit der Ausheberung noch im Magen vorhandenen Suppenmenge ent¬ 
spricht. Auch folgender Erklärungsversuch drängt sich auf: Die feetea 
Bestandteile der Suppe sind im Magen zusammengedrängt worden. Die 
flüssigen Bestandteile der Suppe haben den Magen in vermehrter Menge 
verlassen (ähnlich wie ich es bei Fütterung von FleiBchstückchen uni 
Suppe beobachtet habe). 1 ) Wäre der Erklärungsversuch richtig, dann 
müßte der aus der Asche berechnete Wert auch hoch sein, während der 
durch Kolorimetrie bestimmte Wert niedrig sein würde, ln der Tat 
stimmen aber in den drei Fällen die aus Asche und durch Kolorimetrie 
bestimmten Werte gut miteinander überein und sind niedriger — in dem 
ersten Fall um ca. 50 °/ 0 — als die aus dem Fett bestimmten Werte. 
Der Erklärungsversuch ist demnach abzulehnen. 

Es bleibt die Tatsache, daß bei Verwendung der 
gefärbten Lehm-Fett-Mehlsuppe sich im Ausgeheber¬ 
ten die Menge der ursprünglichen Suppe aus dem 


1) 0. Prym, Pie Entleerung des Magens, die Trennung des Festen nn<i 
Flüssigen, das Verhalten des Fettes. Münch, med. Wochenschr. 1908 p. 57. 


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Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler scheu Probefrühst ileks. 603 


Aschegehalt und durch Kolorimetrie annähernd be¬ 
stimmen läßt, daß sich dies aber aus dem Fettgehalt 
nicht machen läßt. 

Ein Einwand ist möglich. Wie wir gesehen haben, bedingt 
der Zusatz von Bolus alba eine geringe Änderung der physika¬ 
lischen Eigenschaften der Fett-Mehlsuppe. Vielleicht ist es daher 
nicht erlaubt, die an der Lehm-Fett-Mehlsuppe gefundenen Resul¬ 
tate auf die Fett-Mehlsuppe ohne weiteres zu übertragen. Dieser 
Einwand war der experimentellen Prüfung jetzt leicht zugänglich, 
nachdem die vorigen Versuche gezeigt haben, daß die Kolorimetrie 
brauchbare Resultate gibt. Es war nur nötig, die genau nach der 
Sahli’schen Vorschrift hergestellte Suppe durch Heidelbeerinfus 
zu färben, und im Ausgeheberten die butyrometrische und die 
kolorimetrische Bestimmung zu machen und die aus diesen Be¬ 
stimmungen berechneten Werte miteinander zu vergleichen. 


Versuch 11. 

Nach s / 4 Stunde 200 ccm To erhalten, HCl -J-. freie Säure 53, G.-A. 70. 

Fett in To = 20 ° , 


Fett in S 2 U = 18 " 00 , 


00 


Kolorimetrie au = 4,85 mm, ro=16,l mm. 

Demnach x aus Fett = 55,5 ccm, 

x „ Kolorimetrie = 30,1 „ 

Versuch 12. 

Nach ,r 4 Stunde 180 ccm To erhalten, HCl —, G.-A. 30. 

Fett in ^ = 18 °/ 00 , Fett in To = 26 0 00 

mi 

• Kolorimetrie au = 4,85 mm, ro — 8,4 mm. 

Demnach x aus Fett —72,2 ccm, 

x „ Kolorimetrie — 57,7 „ 

Versuch 13. 

Nach 3 4 Stunde 285 ccm To erhalten, HCl -f-, freie Säure 66, G.-A. 89. 

Fett in = 18 %„, Fett in To = 24 % 0 

£ 

Kolorimetrie au — 1,85 mm, ro = 15,6 mm. 

Demnach x aus Fett — 66,6 ccm, 

x ,, Kolorimetrie = 3 UO „ 

Versuch 14. 

Nach 3 4 Stunde 250 ccm To erhalten, HCl -f-, freie Säure 94, G.-A. 114. 

Fett in To — 8 


Fett in = 18 
kolorimetrie ar = 4,85 


mm. 


ro — 20,0 mm. 


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604 


Prym 


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Demnach x aus Fett = 22,2 ccm, 

x „ Kolorimetrie = 24,2 „ 

Versuch 15. 

Nach 1 Stunde 75 ccm To erhalten, HCl -{-» freie Säure 65, G.-A. 84. 
Su 


Fett in - = 18°/ 00 , 


Fett in To = 36 % 0 


Kolorimetrie ov = 2,45 mm, to = 17,4 mm. 

Demnach x aus Fett = 100,0 ccm, 

x „ Kolorimetrie = 14,0 „ 


Versuch 16. 

Nach 1 Stunde 190 ccm To erhalten, HCl freie 8äure 71, G.-A. 87. 
Su 

Fett in 2 = 18 <>/ 00 , Fet t in To = 9 % 

Kolorimetrie ov — 2,45 mm, to = 20,0 mm. 

Demnach x aus Fett = 25,0 ccm, 

x „ Kolorimetrie = 12,2 „ 


Versuch 17. 


Nach 1 Stunde 155 ccm To erhalten, HCl 4-» freie Säure 31, G.-A. 47. 
Su 

Fett in — = 18 °/ 00 , Fett in To = 27 °; 00 

Kolorimetrie ov = 2,45 mm, xo — 7,3 mm 

Demnach x aus Fett = 75,0 ccm, 

x „ Kolorimetrie = 33,5 „ 


Versuch 18. 

Nach 1 Stunde 146 ccm To erhalten, HCl. -f"> freie Säure 18, G.-A. 44. 
Su 

Fett in — = i8 °/ 00 , Fett in To = 33 # / 00 

Kolorimetrie ov — 2,45 mm, to — 5,8 mm. 

Demnach x aus Fett =91,6 ccm, 

x „ Kolorimetrie = 42,2 „ 

In den folgenden V ersuchen wurde eine Suppe verwandt mit einem 
geringeren Fettgehalt als Sahli vorschreibt: 


Versuch 19. 

Nach * Stunde 190 ccm To erhalten, HCl 4-, freie Säure 35, G.-A. 65. 
Su 

Fett in 2=8 °/ 0 „, Fett in To = 10 °/ 00 

Kolorimetrie a«'=10 mm, to — 25,1 mm. 

Demnacli x aus Fett = 62,2 ccm, 

x „ Kolorimetrie = 39,8 „ * 


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Nene Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen Probefrühstücks. 605 


Versuch 20. 

Nach */ 2 Stunde 170 ccm To erhalten, HCl -f-, freie Säure 3, G.*A. 34. 
Su 

Fett in — = 8 ®/ 0# , Fett in To = 17,5 <>/ 00 

Kolorimetrie av = 10 mm, r o = 18,2 mm. 

Demnach x aus Fett = 109,3 ccm, 

x „ Kolorimetrie = 55,0 „ 

Versuch 21. 

Nach */ 9 Stunde 145 ccm To erhalten, HCl -f-, freie Säure 20, G.-A. 51. 
Su 

Fett in -- = 9 ®/ 0# , Fett in To = 7 «/ #0 

Kolorimetrie av — 8,5 mm, ro = 20,0 mm. 

Demnach x aus Fett = 38,8 ccm, 

x „ Kolorimetrie = 40,2 „ 

Versuch 22. 

Nach s / 4 Stunde To erhalten, HCl -}-, freie Säure 25, G.-A. 50. 

Su 

Fett in =8 °/ 00 , Fett in To = 10 °/ 0 o 

m 

Kolorimetrie av = 6,4 mm, ro — 20,0 mm. 

Demnach x aus Fett = 62,2 ccm, 

x „ Kolorimetrie = 32,0 „ 

Versuch 23. 

Nach */ 4 Stunde 220 ccm To erhalten, HCl -f-, freie Säure 19, G.-A. 54. 

Fett in S 2 U = 8 % 0 , Fett in To = 9 °/ 00 

Kolorimetrie av = 6,4 mm, ro = 21,0 mm. 

Demnach x aus Fett = 56,2 ccm, 

x „ Kolorimetrie = 30,5 „ 

Versuch 24. 

Nach a / 4 Stunde 30 ccm To erhalten, HCl -j-, freie Säure 44, G.-A. 60. 
Su 

Fett in Ä = 8 °/ nnf Fett in To = 3 °/ 0 


2- 00 ’ 

Kolorimetrie av = 6,4 mm, 

Demnach x aus Fett = 18,7 ccm, 

x Kolorimetrie = 21,3 „ 


/oo 


to = 30,0 mm. 


Versuch 25. 

Nach 1 ; 2 Stunde erhalten 175 ccm To. HCl -f-, freie Säure 40, G.-A. 67. 

Fett in ^ =6 °/ 00 , Fett in To = 4 °/ 00 

Kolorimetrie av = 7,8 mm, ro = 20,0 mm. 

Demnach x aus Fett = 33,3 ccm, 

x „ Kolorimetrie = 39,0 „ 


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Goi igle 


i 

UMIVERSITY OF CALIFORN 



606 


Prym 


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Das Resultat der Versuche ist: 

In 100 ccm des Ausgeheberten (To) ist ursprüngliche Sappe St. 


In Ver¬ 
such i 

i 

Nach Fett¬ 
bestimmung 

ccm 

Nach 

Kolorimetrie 

ccm 

Differenz, auf die durch 
Kolorimetrie gefundenen 
Werte bezogen 

ccm 

11 ! 

55,5 

30,1 

+ 25,4 

12 : 

72,2 

57,7 

+ 14,5 

13 1 

66,6 

31,0 

+ 35,6 

14 1 

22,2 | 

24,2 

- 2,0 

15 

100.0 

14,0 | 

+ 86,0 

16 1 

25,0 

12,2 

+ 12,8 

17 , 

75,0 

33,5 

+ 41.5 

18 

91,6 

42,2 ; 

+ 49,4 

19 ' 

62,2 

39,8 | 

+ 22.4 

20 1 

109,3 , 

55,0 

+ 54.3 

21 

38,8 

40,2 

— 1,4 

22 

62,2 

32,0 

+ 30,2 

23 

56,2 

30,5 

+ 25.7 

24 

18,7 

21,3 

— 26 

25 ! 

33,3 

39,0 , 

— 5.7 


Man sieht: nur in 4 Versuchen (14, 21, 24, 25) eine gute 
Übereinstimmung der auf die beiden verschiedenen Methoden ge¬ 
fundenen Werte für Su; in allen übrigen Versuchen weitgehend? 
Differenzen (von 12,8 bis 86,0 ccm Su in 100 ccm). Daß die an> 
der Fettbestimmung gefundenen Zahlen die falschen sein müsset 
wird für die Versuche 15 und 20 schon allein durch die Betrach¬ 
tung dieser Zahlen an und für sich bewiesen (100,0 und lOltf. 
d. h. im Ausgeheberten in dem einen Versuch (15) der gleich? 
Fettgehalt, in dem anderen Versuch (20) ein höherer Fettgehalt 
als in der ursprünglichen Suppe, und dies in einem Ausgeheberten, 
das durch seine Gesamtacidität und durch das Vorhandensein von 
freier Salzsäure beweist, daß zu der ursprünglichen Sappe im 
Magen Magensaft hinzugekommen ist. Die Suppe ist also in der 
Tat verdünnt worden, der Fettgehalt zeigt dies aber nicht at 
Bei der durch die Kolorimetrie gefundenen Werte finden sich solche 
Unstimmigkeiten nicht. In den meisten Fällen verläßt also bei 
der Entleerung des Magens das Fett und die übrigen Bestandteile 
der Suppe den Magen nicht gleichmäßig. Vielmehr findet eine 
Entmischung des Fettes aus der Suppe während der Magenrer- 
dauung statt. Das entmischte Fett bleibt im Magen verhältnis¬ 
mäßig länger zurück als die übrigen festen und flüssigen Bestand¬ 
teile der Suppe. In vielen — den meisten — Fällen findet das 
quantitativ in so bedeutendem Maße statt, daß nicht nur theo- 
retische Bedenken bestehen, sondern daß auch praktisch ans 


Gck igle 


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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen Probefrühstücks. 607 


dem Fettgehalt des Ausgeheberten der Gehalt an ur¬ 
sprünglicher Suppe im Ausgeheberten quantitativ 
nicht bestimmt, ja nicht einmal annähernd abge¬ 
schätzt werden kann. 

Kurz gesagt: To in Su läßt sich butyrometrisch nicht 
bestimmen. „Die butyrometrische Methode nach Sahli 
und Seiler zur Untersuchung der Magenfunktion“ ist 
daher auch in der neuesten Modifikation noch nicht 
einwandfrei. 

Da sich — wie ich bei dieser Nachprüfung bestätigen konnte — 
mit Hilfe der neuen Sahli’schen Methode To in der größten Mehr¬ 
zahl der Fälle mit genügender Genauigkeit bestimmen läßt, wird 
es jetzt das erste Ziel sein, eine leicht anwendbare Methode zu 
finden, um Su in To zu finden. 

Meine hierfür angewandten Methoden — Aschebestimmung 
nach Zusatz von Bolus alba zur Suppe, Kolorimetrie nach Zusatz 
von Heidelbeerinfus zur Suppe — sind für die allgemeine Anwendung 
unbrauchbar, weil sie zu kompliziert und zeitraubend sind. Zu 
Untersuchungen dort, wo Laboratorien zur Verfügung stehen, kann 
ich beide Methoden empfehlen. Die Aschebestimmung hat den 
Vorteil, daß Beimischung von Galle sie nicht stört, den Nachteil, 
daß der Bolus eine unphysiologische Beimengung zur Suppe dar¬ 
stellt. Die kolorimetrische Bestimmung hat den Vorteil, daß 
keinerlei unphysiologische Beimengung in der Probesuppe enthalten 
ist, den Nachteil, daß die geringste Beimengung von Galle oder 
sonstigen färbenden Stoffen (etwa Blut) sie unmöglich macht. Sie 
läßt sich also nur in einem Bruchteil der Fälle verwenden. 

Ist Su in To bestimmt, so wird die zweite Aufgabe sein, sich 
darüber klar zu werden, was To — Su ist, nicht reiner Magensaft, 
sondern mehrere Komponenten, die beachtet werden müssen. Es 
wird der Versuch gemacht werden müssen, sie auch quantitativ zu 
sondern. In Betracht kommt der Mundspeichel, die Sekretionen 
und Transsudationen der Magenschleimhaut und in einer sehr 
großen Zahl von Fällen rückläufig in den Magen eingetretener 
Duodenalinhalt (Galle, Darmsaft, Pankreassaft). 

Zum Schlüsse noch einige Worte zu den Bemerkungen S a h 1 i ’s 
über meine frühere Arbeit. *) Zunächst die Anmerkung auf p. 544 
der V. Aufl. des Lehrbuchs. Der Leser gewinnt an dieser Stelle 
den Eindruck, es sei deshalb auf die stärkere Speichelbeimengung 


1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 90 p. 310 ff. 


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608 Prym, Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen Probefrühstücks. 

beim Essen der Suppe aufmerksam gemacht worden, weil der be¬ 
treffende Autor — ich bin es — auf dem Standpunkte stehe, .der 
beim Essen mitverschluckte Speichel sei nicht als ein notwendige 
physiologisches Ingrediens des Mageninhaltes zu betrachtend Fenier 
sei dieser Autor der Ansicht, „es sei ein Fehler im Schöpfungs- 
plan, daß man das Essen nicht trinken kann“. Nun, meine Ansicht 
ist das gewiß nicht. Ich habe gerade die Wichtigkeit der Speichel¬ 
sekretion hervorgehoben und es für falsch erklärt, daß Sahli sic 
einfach vernachlässigen zu können glaubte. 

Zu dem mir direkt gewidmeten Abschnitt p. 551 der V. And 
des Lehrbuchs, der beginnt: „Um zu zeigen, in welch sonderbares 
Weise mit dem Schlagworte Schichtung in dem Kampf m die 
Mehlsuppe manipuliert und gegen dieselbe Stimmung gemacht wird 
will ich als Kuriosum anführen, daß z. B. Prym usw. . ist 
folgendes zu sagen: Manipulationen mit dem Schlagworte Schich¬ 
tung, in dem Sinne, wie Sahli das Wort braucht — Trennung 
verschiedener Schichten der Schwere nach — habe ich überhaupt 
nicht gemacht. Ich habe dazu das Wort „Sedimentierung“ benutzt 
und mit Schichtung den Zustand des Mageninhaltes bezeichnet 
der dadurch bedingt ist, daß die hintereinander genossenen Snppeu- 
teile im Magen keine innige Durchmischung erfahren. Zwischen 
dieser „Schichtung“ und der „Sedimentierung“ habe ich streng 
unterschieden. Sahli hat mich also — merkwürdigerweise — in 
diesem Punkte mißverstanden. Ich hoffe, daß Herr Professor Sahli 
mich nach dieser Aufklärung richtig verstehen und zugeben wird, 
„daß ich mir den Vorgang richtig überlegt habe“ und „daß meine 
Versuche mit Bestimmtheit nicht gerade das Gegenteil von dem 
beweisen, was ich aus ihnen geschlossen habe“. 


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Aus der raed. Universitätsklinik zu Bonn. 

Direktor Prof. Schultze. 

Untersuchungen über Art und Ursache yon Getäß- 
reflexstörungen bei Syringomyelie. 

Von 

Privatdozent Dr. H. Stursberg, 

Assistenzarzt an der Klinik. 

Das Bestehen von Störungen im Gebiete der Gefäßnerven bei 
Syringomyelie wird in allen zusammenfassenden Abhandlungen, die 
sich mit dieser Erkrankung beschäftigen, anscheinend als erwiesen 
anerkannt. Diese Einmütigkeit ist um so auffallender, als nähere 
Angaben über die Art der Störungen, soweit ich die Literatur 
übersehe, bisher nicht vorliegen und als die Grundlagen für ihre 
Annahme verhältnismäßig dürftig und zum Teil anfechtbar sind. 
Denn die Erscheinungen, welche als Stütze für sie angeführt zu 
werden pflegen, die regelwidrige Blutverteilung, die Ernährungs¬ 
störungen der Haut usw., sind durchaus nicht derart, daß daraus 
mit Sicherheit auf eine Beeinträchtigung gerade der Gefäßnerven 
geschlossen werden müßte. Sie können vielmehr mindestens teil¬ 
weise auf andere Umstände zurückgeführt werden, z. B. auf den 
Nichtgebrauch infolge der Muskellähmung, auf Verletzungen infolge 
der Empfindungsstörung oder auf Erkrankungen trophischer Nerven, 
falls man solche annehmen will. 

Genauere Feststellungen über das Verhalten der eigentlichen 
Gefäßnerven, der Gefäßverengerer und Erweiterer, liegen meines 
Wissens bisher nicht vor, obwohl die in den letzten Jahren ge¬ 
wonnenen Kenntnisse über das Verhalten der Gefäßreflexe einen 
gangbaren Weg zur Prüfung dieser Fragen eröffnet haben. 

Ich möchte im folgenden über derartige Untersuchungen be¬ 
richten, aus denen sich einige Schlüsse über die Art der Gefä߬ 
nervenstörungen bei der Syringomyelie ziehen lassen. 

Nachdem ich mich im Beginn der Versuche von dem Vor¬ 
handensein von Gefäßreflexen in den erkrankten Gliedmaßen über- 


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Original frorri 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



610 


Stursbbrg 


zeugt hatte, mußte ich mir die Frage vorlegen, ob der Abki 
dieser Reflexvorgänge regelrecht erfolge, oder ob sich irgendwelel- 
Besonderheiten dabei uachweisen ließen. 

Wir müssen annehmen, daß ein Gefäßreflex in der gleicht. 
Weise wie jeder andere Reflexvorgang, etwa wie ein Sehnen- »dt: 
Hautreflex, abläuft: die sensible Erregung steigt zum Röckenmaik 
auf, der Reiz wird hier auf eine Zelle übertragen und von d»n 
in motorische Bahnen fortgeleitet. Daraus ergibt sich die M»z- 
lichkeit, auch Störungen der Gefäßreflexe je nach dem Sitz der 
zugrunde liegenden Erkrankung einzuteilen, und zwar 1. in Störanzti 
bei welchen der sensible, zum Rückenmark hinleitende Teil dt? 
Reflexorgans betroffen ist, 2. solche, bei denen die Erkrankung iE 
motorischen Teil angreift und 3. solche, bei welchen beide Teil- 
des Reflexbogens erkrankt sind. Endlich kämen noch Verände¬ 
rungen in nicht zum Reflexbogen gehörigen, aber mit ihm in Ver¬ 
bindung tretenden zentralen Bahnen in Betracht. Eine Be hindern nr 
an der Übergangsstelle vom sensiblen zum motorischen Teil wir« 
sich praktisch nicht von einer Erkrankung des sensiblen Teile? 
unterscheiden lassen. 

Zur Feststellung, ob eine Störung der Gefäßreflexe besteht, 
und besonders, welche der drei erstgenannten Möglichkeiten zntriffi 
bietet die Syringomyelie besonders günstige Verhältnisse. Wem 
wir mittels des Plethysmographen die Volumenkurve eines Vorder 
armes aufzeichnen und nun einen Kältereiz einmal auf den anderen 
Vorderarm, das andere Mal auf die Füße einwirken lassen, so wird 
im letzteren Falle sicher die Erregung in regelrechter Weise ii> 
Rückenmark und von hier aus weiter fortgeleitet werden, in 
ersteren dagegen in erkrankte Teile des Markes gelangen und sid 
nicht oder wenigstens nicht in normaler Weise fortpflanzen. Fehlt 
demnach bei Reizung des einen Unterarmes durch Kälte die normaler¬ 
weise eintretende Zusammenziehung der Gefäße des anderen Inter- 
armes oder ist sie regelwidrig gering, so würde dies nur auf eint 
Störung im Bereich des Reflexbogens für die Armgefäße überhaupt 
schließen lassen. Bliebe dann bei Ausübung eines Kältereizes ani 
die Füße ebenfalls eine Zusammenziehung der Armgefäße ans. * 
müßte daraus der Schluß* gezogen werden, daß der motorische Teil 
des Reflexbogens nicht normal sei, weil ja, wie gesagt, die Erregon? 
von den Füßen aus in normaler Weise ins Rückenmark fortgeleitet 
wird. Tritt dagegen in diesem Falle eine gute ZusammenziebiHiz 
der Armgefäße ein, so würde dies regelrechtes Verhalten des moto¬ 
rischen Teiles des Reflexbogens für die Arme beweisen, die vorher 


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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



Art und Ursache von Gefäßreflexstörungen bei Syringomyelie. 611 


festgestellte Störung also im zuleitenden („afferenten“) Teil des¬ 
selben zu suchen sein. Das Vorhandensein oder Fehlen der soge¬ 
nannten „psychischen Reaktionen“ würde ähnliche Folgerungen 
gestatten. 

Verwickelt wird die Frage dadurch, daß für die Gefä߬ 
verengerer andere Wege anzunehmen sind wie für die Gefä߬ 
erweiterer, worauf später noch einzugehen sein wird, und daß es 
sich dnrch beim Menschen anwendbare Versuchsanordnungen kaum 
entscheiden lassen wird, ob Erweiterung der Gefäße durch Nach¬ 
laß des Tonus der Gefäßverengerer oder durch Reizung gefä߬ 
erweiternder Fasern bedingt ist. 

Von den soeben entwickelten Gesichtspunkten ausgehend, habe 
ich bei 5 Kranken mit Syringomyelie Versuche angestellt. Ein 
näheres Eingehen auf die Krankengeschichten ist nicht erforderlich, 
ich beschränke mich vielmehr auf eine kurze Kennzeichnung der 
Fälle unter Hervorhebung der für das Verständnis der folgenden 
Darlegungen wichtigen Punkte. 

Fall I. 18jähriger Schriftsetzer; aufgenommen 23. Februar 1910. 
Beginnende Syringomyelie. In der rechten Hand zeitweise Ge¬ 
fühl von Schwäche, deutliche Abmagerung der kleinen Handmuskeln mit 
EaR. im ersten Zwischenknochenmuskel, stärkerer Herabsetzung der 
Empfindung für Schmerz, geringerer für Temperaturunterschiede bei 
völlig erhaltener Berührnngsempfindung. 

An der Kleinfingerseite der linken Hand angeblich zeitweise Taub- 
heitsgefnhl, sonst links keine Störung. 

Fall II. K., Tagelöhner, 47 Jahre alt; aufgenommen am 18. Februar 
1910. Mäßig fortgeschrittene Syringomyelie. Hände kühl, 
bläulich, ausgesprochene Krallenstellung, rechts stärker als links, mit Ver¬ 
steifung einer größeren Anzahl von Fingergelenken. Haut der Hände 
verdickt, zeigt eine Reihe älterer und frischerer Narben. Nägel ebenfalls 
verändert. Alle diese Störungen rechts ) links. Deutliche Abmagerung 
der kleinen Haadmoakeln mit EaR. Berührungsempfindung ganz wenig 
beeinträchtigt. An der rechten Hand deutliche Herabsetzung der Schmerz¬ 
empfindung; links wechselnde Angaben hierüber, anscheinend auch Herab¬ 
setzung, jedoch weniger ausgesprochen als rechts. Temperaturempfindung 
beiderseits an den Händen stark beeinträchtigt, r. )1., fast erloschen. 
Reflexe an den Beinen leicht gesteigert, r. /1. Rechts Babinski’sches 
Zeichen deutlich. 

Fall III. 8t., Hausierer, 29 Jahre alt; äufgenommen 20. Juli 1910. 
Mäß ig fortgeschrittene Syringomyelie. Deutliche Abmage¬ 
rung des rechten Armes (Umfang rechts 1—2 cm geringer als links) ein¬ 
schließlich der Schultergürtelmuskulatur. Besonders stark sind die kleinen 
Handmuskeln rechts betroffen, die auch links etwas abgemagert sind. 
Starke bündelformige Zuckungen am rechten Arm, die links fehlen. 
EaR, in den kleinen Handmuskeln rechterseits, Herabsetzung der Erreg- 


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612 


Stursbbhg 


barkeit in den Armmuskeln für beide Stromesarten. Reflexe an den 
Armen gesteigert, besonders rechts, an den Beinen lebhaft aber nicht 
deutlich erhöht; kein Babinski’sches Zeichen. An der rechten Hand 
und am rechten Arm angeblich starke Störungen der Schmerz- und 
Temperaturempfindung. Keine deutlichen trophischen Störungen der 
Haut. Intelligenz gering. Eine gewisse Neigung zu Übertreibung scheint 
vorzuliegen, so daß die subjektiven Angaben des zur Unfallbegutachtung 
überwiesenen Kranken mit Vorsicht zu verwerten sind. 

Fall IV. Kl., Schiffer, 35 Jahre alt; aufgenommen 27. Juli 1910. 
(Bereits in früheren Jahren mehrfach beobachtet.) Sehr weit vor¬ 
geschrittene Syringomyelie. Fast unbrauchbare Krallenhand 
beiderseits mit schweren trophischen Störungen der Haut an beiden 
Händen und Armen, sehr weit vorgeschrittene Abmagerung der Muskeln, 
starke Herabsetzung der Schmerzempfindung und der Temperaturempfin¬ 
dung. Nur starke Hitze wird wahrgenommen. 

Fall V. R., Putzer, 40 Jahre alt. 1 ) Mäßig fortgeschrittene 
Syringomyelie mit starken Störungen am rechten, ganz 
geringen am linken Arm. Starke trophische Störungen an den 
Fingern der linken Hand, besonders auch vitiligoartige Hautveränderungen, 
links geringere Störungen gleicher Art fast ausschließlich auf die Finger¬ 
spitzen beschränkt. Muskulatur gut entwickelt, keine Abmagerung ein¬ 
zelner Muskeln erkennbar. Schmerzerapfindung an der rechten Hand, 
am rechten Unterarm und an der Rückseite des rechten Oberarmes ziem¬ 
lich stark, am linken Unter- und Oberarm nur wenig herabgesetzt. 
Temperaturempfindung an der rechten Hand fast aufgehoben, am rechten 
Unterarm schwer gestört, links sehr gut erhalten, so daß selbst geringe 
Temperaturunterschiede sofort und ohne Schwierigkeit erkannt werden. 
Babinski’sches Zeichen und Kniereflexsteigerung recbterseits. 

Über die Versuchsanordnung ist folgendes zu bemerken. Ein 
Unterarm wurde in der üblichen Weise unter sorgfältiger Ver¬ 
meidung von Stauung in den Plethysmographen eingeschossen und 
die Kurve mit Hilfe eines nach Strasburger’s Angaben her¬ 
gestellten Volumensclireibers J ) auf der Trommel des Kymogra- 
phions aufgezeichnet. Der freie Unterarm wurde bequem in eine 
Wanne gelagert und die Temperaturreize dann durch Eingießen 
von Wasser in diese ausgeführt, natürlich unter möglichster Ver¬ 
meidung mechanischer Reizung. In gleicher Weise wurde bei Ein¬ 
wirkung auf die Füße verfahren. Zur Beendigung des Bades 
wurde der Arm von einer Hilfsperson vorsichtig aus der Wanne 
gehoben und fest gelagert. Das Fußbad dagegen wurde schnell 
durch einen weiten Schlauch abgesaugt, weil ein Herausnehmen 

1) Für Überweisung dieses Kranken bin ich der chirurgischen Klinik zu 
besonderem Dank verpflichtet. 

2] Bisher noch nicht veröffentlicht. 


I 


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UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



Art und Ursache von Gefäßreflexstörungen bei Syringomyelie. 613 

der Füße aus der Wanne nicht ohne Störung der Kurven möglich 
war. Als „psychischer Reiz“ kam besonders Kopfrechnen zur An¬ 
wendung, ferner Fragen nach für den Kranken wichtigen Ange¬ 
legenheiten (z. B. Rente), Ankündigung unangenehmer Maßregeln, 
deren Ausführung dann unterblieb, endlich in einigen Fällen leichte 
Schmerzreize. 

Das Ergebnis der Versuche ist in der umstehenden Über¬ 
sicht zusammengestellt, deren Anordnung wohl keiner eingehen¬ 
deren Erklärung bedarf. Die Zahlen geben die Abnahme und die 
Zunahme des Volumens in Kubikzentimetern an. In beiden Fällen 
ist die mittlere Stellung der Kurve vor Anwendung des Reizes 
als Ausgangswert zugrunde gelegt, sodaß als Zunahme nur der 
Anstieg über diese Höhe, nicht etwa die gesamte Zunahme vom 
tiefsten Punkte der Senkung an, zu verstehen ist. Da es sich 
wesentlich um einen Vergleich der Werte in den einzelnen Fällen 
handelt, habe ich von einer Umrechnung auf "/„-Zahlen abgesehen 
und nur angegeben, wie viel eine Änderung von 1 cciü auf 100 
des Volumens berechnet ausmachen würde. Die Anwendung des 
Zeichens für „mehr als“ ( ) erklärt sich dadurch, daß der von mir 
benutzte Schreiber im äußersten Falle eine Änderung von 5 ccm 
wiedergibt. Um größere Schwankungen aufzuzeichnen, muß der* 
Schreibhebel unter Öffnung des übertragenden Luftraumes zurück¬ 
gestellt werden, was ich in der Mehrzahl der Fälle unterließ, weil 
es mir nicht auf Feststellung absoluter Werte ankam. Einige 
Male (besonders in Fall 5) erfolgte der Abfall so schnell und kräftig, 
daß der Zylinder des Volumenschreibers leergesaugt wurde. Eine 
Verdoppelung des Zeichens > bedeutet, daß hier nach der Art des 
Abfalles und weiteren Verlaufes der Kurve ein beträchtliches Über¬ 
schreiten der angegebenen Zahlen anzunehmen war. 

Wenn angängig wurden die Plethysmogramme abwechselnd 
von beiden Vorderarmen gewonnen. Im Fall 3 mißlangen aber 
die meisten Versuche am rechten Vorderarm, weil sehr oft außer¬ 
ordentlich starke bündelweise Zuckungen besonders im zweiköpfigen 
Armmuskel erhebliche Störungen in der Aufzeichnung hervorriefen. 
In Fall 4 war linkerseits infolge der starken Abmagerung der 
Unterarmmuskeln, wodurch an der Streckseite eine Einsenkung 
zwischen den Unterarmknochen entstand, eine Abdichtung des 
Plethysmographen nicht in ausreichender Weise möglich, sodaß 
ich hier nur Kurven vom rechten Arm erhalten konnte. 

Daß die Zahlen bei gleicher Versuchsanordnung nicht jedes- 
inal völlig gleichmäßig sind, kann nicht wundernehmen, weil die 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. 101. Bd. 40 


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Gck igle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



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614 



Stursberg 


j 

Bezeichnung 

der 

Beobachtung 

Plethysmo¬ 
gramme 
des Unter¬ 
armes 

a) v. anderen U n t e i 

Abnahme 

Art des ' Stärke 
Abfalles j ccm 

I. Kälte 

rarm ans 

Zu¬ 

nahme 

ccm 

! 

wirknng | 

b) von den Füßen u j 

Abnahme Zt 

Art des ; Stärke i 

Abfalles ccm ca ' 

1 ! 1 

Pall 1. (N.) 

rechts 

zieml. steil 

1,6 

3,25 

steil 

»1.75 3.' 11 



steil 

>1,75 


sehr steil 

»3,25 


links 

steil 

>2,5 


steil 

»3,5 



steil 

1,8 

7 

6,6 


i! 



! 


(vielleicht 







mehr) 



Fall 2. (K.) 

rechts 

steil 

2,0 

2,5 

steil 

2,0 i.' 



langsam 

0,75 

0,6 

steil 

4,0 beOS* 







gebwta 



langsam 

0,75 

0,5 





langsam 

1,1 

? 




links 


Spur 

Spur 

langsam 

2,6 06 



langsam 

0,7 

V 

steil 

»2,5 ' | 



langsam 

0,26 

ö 

steil 

»3,25 bei U Vj 



langsam 

1.2 

2,0 





zieml.steil 

1,8 

0 


i j 

Fall 3. (St.) 

rechts 

langsam 

0,5 

3.0 

steil 

m ! 15 , 


links 

sehr 

0,6 

3,0 

steil 

>3,0 ! ! 



langsam 




i 



steil 

3,0 

1,25 

sehr steil 

»3,5 > 



ziemlich 

>3.4 

0 

sehr steil 

»4,6 i 1 



steil 





Fall 4. (Kl.) 

rechts 

steil 

1,0 

1,0 

steil 

»2,5 | W 



langsam 

0,5 * | 

0 

steil 

>4,5 



langsam 

0,7* 

; 1 

0 

sehr steil i 

9,0 1 i 




j 

i 

1 , 

1 1 

i 

! 

sehr steil 

I 

i 

7,0 

! i_ 

Fall 5. (R.) 

rechts 


Spur? 

2,0 

i 

Spur? [ & 1 



langsam 

0,4*) 

2,0 

steil 

2,2 I 0 ■ 



langsam 

0,5*)‘) t 

1,7 | 

steil 

2,2 ; U : 


links 

ziemlich 

1,0 

1,4 

[ steil 

2,4 j i? ; 



steil 


i 


I 




Spur 


steil 

i 

3,5 



langsam 

i 0,8 *) 

0,4 

1 

t . 

i 

i 


Gck 'gle 


Original from 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 




Art und Ursache von Gefäßreflexstöruugen bei Syringomyelie. 


615 


II. Wärmewirkung 

aiv. anderen Unterarm aus b) von den Füßen aus 
Abnahme Zu- Abnahme ! Zu- 


Art des Stärke 
Abfalles ccm 


nähme 

ccm 


Art des Stärke 
Abfalles 1 ccm 


nähme 

ccm 



± 1 ccm 
= ±0,147 % 


langsam 0,5 


ziemlich 

steil 


3,0* ziemlich 
steil 


„Psychische 

Reaktion“ 


Auf Rechneu 
keine 
deutliche 
Znsammen- 
ziehung, 
jedoch nur ein 
Versuch. 


bei 1,1 ab- Wechselnd; ± 1 ccm 

gebrochen bei Rechnen =±0.12 % 
einige Male 
gering, zu 
anderer Zeit 

steiler Abfall *) In diesem Versuch 
bei 1,75 um mehr ab' wurde eine kalte 
abgebr. 3,0. Übergießung der 
rechten Hand un¬ 
mittelbar ange- 
schlossen, dabei nur 
spurweise Volums¬ 
abnahme. 



1,4 

0,5 

2,0 

2,5 

langsam 

1,0 

bei 2,2 
gebrocl 

1,0 

1 0,6 

1 langsam 

0,8 

0,7 

Spur? 

0,8 f 

ziemlich 

1.25 

0,5 



steil 



1,0* ' 

0,5 





Wechselnd: 
im gangen auf 


auf Schmerz 
nicht besond. 
ausgiebig. 


±1.0 ccm 
= 0,115 \ 


Sehr stark 
auf alle 
Reize, 
z. B. bei 
Rechnen 
bis >3,5 ccm 
Abnahme. 


langsam 

0,8 

0 


Spur 

I 

1,0 

»teil 

~ 0,75 1 

1,7 


langsam 

langsam 


Spur 

2,1 

Recht gut; 
bei Rechnen 

0,5 

3,1 

bis zu 4,0, bei 
Besprechung 

der Unfallan¬ 

1 

1,5*) j 

0,5 

gelegenbeit 
3,0 ccm Ab¬ 



nahme 


±1,0 ccm 
= ±0,125% 

In den mit * bezeieh- 
neten Versuchen war 
die Volum sab nah ine 
sehr kurzdauernd, 
Vi Min. u. weniger. 
In den mit f bezeich- 
ueten Versuchen 
wurde der Anstieg 
mehrfach durch an¬ 
scheinend psychisch 
bedingte Senkungen 
unterbrochen. 

± 1 ccm 

= ± 0,1 % 

*) Vgl. Bemerkung 
zu Fall 4. 

*) Vorher warmes 
Bad d. 1.Unterarmes. 
•*) Temperatur des 
Fußbades 42°. 

40* 


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Stühsberg 


61 t» 

Versuchsbedingungen verwickelt und zum Teil unserer genauer 
Einsicht entzogen sind. Besonders machen sich psychische Vor¬ 
gänge nicht selten störend bemerklich. 

Gelegentlich ließ sich z. B. ein plötzliches Fallen der Karre dand 
zurückführen, daß der Kranke, wie er auf Befragen angab, in dem be¬ 
treffenden Augenblick über dieses oder jenes nachgedacht hatte, oder et» 
unvermuteter Abfall schloß sich unmittelbar an ein plötzliches Geräusch, 
das Vorüberfahren eines Wagens oder ähnliches, an. Auch für die 
Stärke der Zusaramenziehung bei Kälteeinwirkung spielt der Grad der 
dadurch ausgelösten unangenehmen Empfindung, worauf wir später noch 
zurückkommen werden, eine nicht zu unterschätzende Rolle. 

Am klarsten und einfachsten ist die Beurteilung der Wirkunc 
des Kältereizes und sie ist daher bei Besprechung der Versuch- 
ergebnisse in erster Linie zu berücksichtigen. 

Bei Durchsicht der in der Zusammenstellung unter Ia aufp- 
führten Zahlen fallt sogleich auf, daß die Rückwirkung von Arm 
zu Arm, soweit die Abnahme des Volumens in Frage kommt, nur 
im 1. Falle in allen Versuchen, im 3. Falle in 2 Versuchen und 
im 2. Falle ebenfalls in 2 Versuchen einigermaßen ausgiebig ist 
In allen übrigen Versuchen ist sie gering und bleibt zweifellos 
gegenüber den bei Gesunden beobachteten Werten ganz beträcht¬ 
lich zurück. Auch der Abfall der Kurve entspricht in der über¬ 
großen Mehrzahl der Versuche nicht der bei Gesunden gewöhnlich 
beobachteten Form, die ich in der Zusammenstellung kurz ai' 
„steil“ bezeichnet habe, sondern verläuft beträchtlich langsamer 
Endlich sei noch bemerkt, daß auch die Dauer der Volumenabn&hmr 
oft nur verhältnismäßig gering ist. Diejenigen Versuche, bei denen 
dies am stärksten hervortrat, sind in der Zusammenstellung be¬ 
sonders gekennzeichnet, aber auch unter den übrigen finden sich 
noch solche mit auffallend kurzer Dauer der Gefäßzusammen¬ 
ziehung. 

Im Gegensätze hierzu ist die Rückwirkung von den Füßen 
aus, Spaltelb, in der überwiegenden Mehrzahl der Versuche recht 
ausgiebig und wohl im wesentlichen nicht geringer als bei ge¬ 
sunden Personen. Der Abfall der Kurve erfolgt dabei schnell and 
steil und hält lange an. Am geringsten ist durchschnittlich die Ab¬ 
nahme im 5. Falle und fehlt hier in einem Versuche fast vollständig. 
Wodurch letzteres bedingt war, ließ sich nicht mit Sicherheit ent¬ 
scheiden. Ein auffallend langsamer Abfall wurde außerdem nnr 
lmal (in Fall 2) beobachtet. 

Ein Vergleich zwischen den Spalten Ia und Ib ergibt im 
4. Falle außerordentlich starkes Überwiegen der Zusammenziebong 


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Art und Ursache von Gefäßreflexstörungen bei Syringomyelie. 


617 


der Armgefäße bei Kälteeinwirkung auf die Füße gegenüber der 
durch Eältereiz auf den anderen Arm ausgelösten, beträchtliches 
Überwiegen auch in der Mehrzahl der Versuche bei den Fällen 2 
und 5. Nur in Fall 1 und 3 stehen sich beide Werte mehrfach 
nahe. Auch in Bezug auf die Art des Kurvenabfalles ist ein deut- 
licher Gegensatz zwischen Ia und Ib festzustellen, indem die 
Häufigkeit regelwidrig langsamen Abfalles bei Abkühlung des 
Armes bei weitem überwiegt. 

Vergleichen wir die Größe dieser Unterschiede in den einzelnen 
Fällen mit den oben angedeuteten klinischen Befunden, so ergibt 
sich der größte Abstand zwischen beiden bei dem schwersten Falle 
(Fall 4), der geringste bei dem leichtesten Falle (Fall 1). Fall 3, 
der mehrfach gute Gefäßzusammenziehung bei Kältereiz am Arme 
zeigte, nimmt in dieser Hinsicht eine Sonderstellung unter den 
fortgeschritteneren Fällen ein. Er ist aber auch klinisch unge¬ 
wöhnlich durch das Bestehen einer Reflexsteigerung an den Armen, 
die im Verein mit den von den Handmuskeln bis zum Schulter¬ 
gürtel ausgedehnten Muskelabmagerungen für sehr hohen Sitz der 
Erkrankung bei beträchtlicher Längenausdehnung in der vorderen 
grauen Substanz spricht. Man würde vielleicht daran denken 
können, daß die zur Störung der Temperaturempfindung führende 
Leitungsunterbrechung in diesem Falle verhältnismäßig hoch sitzt 
an einer Stelle, welche für den, wie später noch zu besprechen 
sein wird, abwärts gerichteten Gefäßreflexbogen nicht wesentlich 
in Betracht kommt. 

Das Ergebnis der bisherigen Erörterung können 
wir dahin zusammenfassen, daß bei einem Teil der 
untersuchten Fälle von Syringomyelie Abweichungen 
im Bereiche der Gefäßreflexe bestehen und zwar in 
dem Sinne eines regelwidrig großen Unterschiedes 
zwischen der durch Kälteeinwirkung von den Beinen 
und der durch gleiche Ein Wirkung vom anderen Arme 
aus hervorgerufenen Gefäß Verengerung am Unter¬ 
arm. Auf Grund der Vorstellungen, von denen wir 
oben ausgingen, müssen wir hieraus den Schluß 
ziehen, daß höchstwahrscheinlich eine Störung 
im zuführenden Teile des die Gefäßreflexe ver¬ 
mittelnden Reflexbogens vorliegt. Daß neben ihr auch 
noch eine Störung im motorischen Teile besteht ist naturgemäß 
nicht mit Sicherheit auszuschließen, im Vergleich mit der Beein- 


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618 


STUR8BKRG 


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trächtigung des sensiblen Teiles kann sie aber nicht irgendwie 
beträchtlich sein. 

Unterstützt wird diese Anschauung durch das Verhalten der 
psychischen Reaktionen. Daß dieses auch schon bei völlig gesunden 
Personen große Unterschiede zeigt, ist bekannt und durchaus er¬ 
klärlich, wenn man berücksichtigt, wie viele schwer oder gar nicht 
zu durchschauende Umstände, z. B. mehr oder weniger guter Wille, 
eine gestellte Aufgabe zu lösen, verschiedene Empfindlichkeit gegen 
Reize usw., auf den Ausfall des Versuchs einwirken. Ich habe 
daher für diese Reaktionen anch von Berechnung eines zahlen¬ 
mäßigen Ergebnisses für jeden einzelnen Versuch abgesehen uni 
gebe nur den Gesamteindruck wieder, den man bei Durchsicht der 
Kurven erhält. 

Die ausgiebigste Gefäßzusammenziehung am Arme auf psy¬ 
chische Reize hin, fand sich bei dem vierten Kranken, dem 
schwersten der untersuchten Fälle, und zwar in allen Versuchen 
ziemlich gleichmäßig. In den anderen Fällen war das Ergebnis 
wechselnd. Gelegentlich fand sich starke Volumenabnahme, nur 
bei Fall 1, bei dem allerdings nur ein Versuch in dieser Richtung 
angestellt werden konnte, hatte Kopfrechnen keinen nennenswerten 
Einfluß. 

Außer im Falle 5 kam ein Überwiegen der psychischen Reak¬ 
tionen über die von den Beinen aus durch Kältewirkung hervor¬ 
gerufene Zusammenziehung der Armgefäße nur ausnahmsweise vor. 
Die Wirkung des kalten Armbades wurde dagegen häufig von ihnen 
übertroffen, ein Verhalten, welches bei gesunden Personen zum 
mindesten recht ungewöhnlich zu sein scheint und welches wieder 
bei dem schwersten Falle (Fall 4) am ausgesprochensten hervortrat 

Auch diese Befunde beweisen eine jedenfalls im wesentlichen 
regelrechte Tätigkeit der gefaßverengernden Nerven, unterstütze« 
also, wie gesagt, die auf andere Weise erhaltenen Ergebnisse. 

Der Umstand, daß die anfängliche Abnahme des Volumens bei 
Anwendung warmer Fußbäder diejenige bei Wärmewirkung aut 
den Arm wenig oder gar nicht überwiegt, spricht nicht gegen dir 
obigen Ausführungen. Denn während ein kaltes Bad an den 
Füßen eine oft als recht unangenehm bezeichnete Empfindung au>- 
löste, neben dem Kältereiz also eine gelegentlich starke Unlust- 
einpfindung einwirkte, die an den Teilen mit gestörter Temperatur¬ 
empfindung fehlte, wird ein Fußbad von 40° und selbst von noch 
etwas höherer Temperatur meist durchaus nicht unangenehm 
empfunden. Ein Teil des Reizes kommt also hier in Fortfall nnJ 


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Art und Ursache von Gefäßreflexstörungen bei Syringomyelie. 


619 


dies macht sich naturgemäß in einer Verminderung der Reiz¬ 
wirkung bemerklich. 

Diese Feststellung führt uns zu der Frage, ob sich der Teil 
der sensiblen Bahn genauer bestimmen läßt, dessen Erkrankung 
die Herabsetzung der Gefäßreflexe bei Einwirkung des Reizes auf 
die Haut der Arme bedingt. Es sind mehrere Möglichkeiten zu 
berücksichtigen. Zunächst könnte die schwächere Wirkung vom 
Arme aus lediglich durch den Fortfall der Unlustempfindung bei 
unversehrtem Reflexbogen bedingt sein, also auf einer Unter¬ 
brechung derjenigen Bahnen beruhen, welche die Kälteempfindung 
zum Großhirn fortleiten. Sodann käme eine Erkrankung im sen¬ 
siblen Teile des Reflexbogens selbst in Betracht, also eine Störung, 
welche, unabhängig von der zum Bewußtsein kommenden Empfindung, 
die Leitung von der Haut zum Rückenmark oder in diesem unter¬ 
bricht. Endlich könnten die beiden bisher besprochenen Störungen 
nebeneinander bestehen. 

Eine für alle Fälle zutreffende Entscheidung darüber, welche 
von diesen Möglichkeiten zutritft, wird sich schon mit Rücksicht 
auf die verschiedene Ausdehnung der Erkrankung im Rückenmark 
nicht treffen lassen. Eine hochsitzende Höhlenbildung wird z. B. 
mehr die Leitung zum Gehirn hin unterbrechen, eine weiter ab¬ 
wärts gelegene dagegen vielleicht mehr den Reflexbogen treffen. 

Jedenfalls muß aber zugegeben werden, daß die ersterwähnte 
Möglichkeit, Fortfall der Unlustempfindung, sicher eine Rolle spielen 
kann. Für allein ausschlaggebend möchte ich sie aber im Hin¬ 
blick auf den Befund im 5. Falle nicht halten, vielmehr spricht 
diese Beobachtung für die Annahme einer Störung im Reflexbogen 
selbst. Denn bei dem Kranken war (bei Fehlen nennenswerter 
Störungen an den Muskeln beider Hände und Arme) die Tempera¬ 
turempfindung am linken Arm sicher völlig regelrecht, rechts da¬ 
gegen schwer gestört, und trotzddm waren die Gefäßreflexe bei 
Einwirkung der Kälte am linken, regelrecht empfindenden Arm 
eher noch etwas schwächer als bei Abkühlung des rechten Armes. 
Handelte es sich allein um einen Ausfall der durch die Kälte 
ausgelösten Unlustempfindung, so wäre doch wohl ein Über¬ 
wiegen der Gefäßzusammenziehung bei Abkühlung des linken 
Armes eingetreten. Die Annahme einer erheblicheren Störung im 
motorischen Teile des Gefäßrefiexbogens, die ja auch zur Er¬ 
klärung dieses Verhaltens herangezogen werden könnte, wird gerade 
in diesem Falle durch die guten psychischen Reaktionen widerlegt. 1 ) 

1) Die 3. Beobachtung' kann leider hier nicht verwertet werden, weil am 


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620 


Stursberg 


Die eben besprochene Beobachtung ist weiterhin noch für di« 
Frage von Bedeutung, ob die Reize, welche die Gefäßreflexe m 
lösen, durch die gleichen Bahnen vermittelt werden wie die Haat 
empfindung oder ob ihnen besondere Bahnen zur Verfügung stehen. 
Da keine nennenswerten Störungen im motorischen Teile des Reflei- 
bogens erkennbar sind, so würde sich das Verhalten in derartigen 
Fällen, gleichmäßig schlechte Rückwirkung von dem Arme mit er¬ 
haltener wie von dem mit gestörter Temperaturempfindung, wohl nar 
durch die Annahme besonderer Bahnen erklären lassen, die oh&e 
gleichzeitige Erkrankung der die Temperatur empfindung vermit¬ 
telnden Bahnen allein geschädigt sein können. Möglich wäre aller¬ 
dings auch, daß zwar die gleichen Nervenfasern die beiden ver¬ 
schiedenen Erregungen leiten, daß aber die Umsetzung des za- 
geleiteten Reizes auf zentrale Bahnen für die Fortleitung nach 
dem Gehirn zu an anderer Stelle geschieht als die Umsetzung für 
die reflektorische Erregung der Gefäßnerven. 

Da diese Fragen nicht nur für die Lehre von der Syringo¬ 
myelie , sondern noch mehr für die allgemeine Physiologie vuo 
wesentlicher Bedeutung sind, wäre die Nachprüfung der Befand« 
an ähnlichen Fällen von Syringomyelie mit vorwiegend einseitig« 
Empfindungsstörungen dringend erwünscht. 

Mit einigen Worten muß ich noch auf das Verhalten der 
Volumenzunahme nach Ablauf der durch Kälte hervorgerufenen 
Verengerung oder unter Wärmewirkung eingehen. Die Beurteilung 
ist hier, wie bereits oben erwähnt wurde, naturgemäß unsicherer, 
weil sich beim Versuch am Menschen nicht entscheiden läßt. 06 
die Gefäßerweiterung durch Nachlaß des Tonus der gefäßver¬ 
engernden oder durch Reizung der gefäßerweiternden Nerven be¬ 
dingt ist. 

Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß in denjenigen Ver¬ 
suchen, welche ausreichend lange fortgeführt werden konnten, fast 
ausnahmslos eine Gefäßerweiterung verzeichnet wurde, die aller¬ 
dings nur selten ausgiebig war! Unterschiede erheblicherer Art 
zwischen der Rückwirkung vom Arm und derjenigen von den 
Füßen aus sind hier nicht nachzuweisen. — 

Um noch weiterhin die Richtigkeit unserer Darstellung zn 
prüfen, scheint es mir zweckmäßig, die Ergebnisse daraufhin z® 

Arm nur ein Versuch einwandfrei gelang. Außerdem zeigte sie ,il - 
tilten erwähnten Abweichungen im klinischen Befunde, die ihre Beurteilen? «• 

srhwiTOll. 


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Art and Ursache von öefäßreflexstörangen bei Syringomyelie. 


621 


untersuchen, ob sie mit den über die Anatomie und Physiologie 
der Gefäßnerven und über die Syringomyelie bekannten Tatsachen 
in Einklang stehen. 1 ) 

Am besten geklärt sind die Verhältnisse bei den gefäßver¬ 
engernden Nerven, den Vasokonstriktoren oder Vasomotoren 2 ) im 
engeren Sinne. 

Die Zellen, von denen sie ausgehen, liegen wahrscheinlich in 
den seitlichen Teilen der grauen Substanz des Rückenmarkes. Die 
hier entspringenden Fasern verlaufen durch die vorderen Wurzeln 
zu den weißen Zweigen der Rami communicantes und in diesen zu 
den Nervenknoten des sympathischen Grenzstranges. Auf Grund 
der Tierversuche muß angenommen werden, daß die für die vorderen 
Gliedmaßen bestimmten Gefäß Verengerer aus dem mittleren Brust¬ 
mark hervorgehen. Nach Eintritt in einen Nervenknoten des Grenz¬ 
stranges werden alle Fasern durch eine Zelle unterbrochen und 
ziehen dann zu den Gefäßen weiter, zum geringen Teile unmittel¬ 
bar, zum größeren Teile auf dem Wege durch das Armnerven¬ 
geflecht. 

Die sympathischen Nervenzellen sind nach den Untersuchungen 
von Langley nicht befähigt, echte Reflexe zu vermitteln, viel¬ 
mehr ist für das Zustandekommen solcher stets die Mitwirkung 
des Zentralnervensystems nötig. Die sog. „Axonreflexe“ Lang¬ 
ley’s spielen für die Vermittelung der Reflexe von den Beinen zu 
den Armgefäßen wohl kaum eine Rolle. 

Bei einer umschriebenen Erkrankung im Halsmark, wie sie 
die Syringomyelie darstellt, würde man also rein theoretisch, wenn 
die Auffassung, daß die gefäßverengernden Nerven im Brustmark 

1) Die folgenden Ausführungen stützen sich besonders auf die zusammen¬ 
fassenden Arbeiten von As her, Die Innervation der Gefäße, Ergebnisse der 
Physiologie I. Jahrgang 1902, II; Langley, Das sympathische und verwandte 
nervöse Systeme der Wirbeltiere (autonomes nervöses System), ebenda 2. Jahr¬ 
gang 1903, II; Bayliss, Die Innervation der Gefäße, II. Die Regulation der 
Blutversorgung, ebenda 5. Jahrg. 1906; Luciani, Physiologie des Menschen, 
I. Bd. p. 279ff.; Grützner, Über vasomotorische Nerven und die durch sie be¬ 
dingten Leistungen der Gefäße, Referat auf der 31. Wanderversammlung der 
südwestdeutschen Neurologen und Irrenärzte in Baden-Baden 1906: L. R. Müller, 
Studien über die Anat. u. Histologie des sympath. Grenzstranges usw., Verhandl. 
des 26. Kongr. f. inn. Med., Wiesbaden 1909, p. 658. 

2) Dieser in doppeltem Sinne gebrauchte und daher oft unklare Ausdruck 
wird wohl zweckmäßigerweise durch die eindeutigen deutschen Bezeichnungen 
„Gefäßnerven“ und „gefäßverengernde Nerven“ oder kurz „Gefäßverengerer“ er¬ 
setzt. 


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622 Stürsbehg, Art and Ursache von Gefäßreflexstörungen bei SvringonT-jf 


entspringen, auch beim Menschen zutrifft, regelrechte Tätigten 
dieser Nerven erwarten müssen, soweit sie unabhängig von reflek 
torischen Erregungen verläuft, ferner regelrechte Zuleitung uni 
Umsetzung reflexerzeugender Beize von den Beinen und, solang 
kein stärkerer Druck auf die absteigenden Bahnen im Halsmark 
ausgeübt wird, auch vom Gehirn aus. Dagegen wäre eine Störung 
in der Zuleitung solcher Beize von den Armen aus zu erwartet 
Damit stimmt der von uns tatsächlich erhobene Be¬ 
fund vollkommen überein. 

Bemerkenswert in theoretischer Hinsicht ist noch aus anderen 
Gründen die 4. Beobachtung. Bei diesem Kranken bestand eine ganz 
außerordentlich starke Abmagerung derVorderarm-und Handmuskeln, 
so daß die verhältnismäßig große Masse des im Plethysmographen 
eingeschlossenen Armes zum ganz überwiegenden Teile durch die 
ungewöhnlich starken Knochen und die Haut dargestellt wurde, 
und trotzdem hatten Kältereize zum Teil sehr kräftige Wirkungen. 
Das Volumen zeigte Abnahmen bis zu 1,125 °/ 0 . Dieses Ergebnis 
entspricht durchaus der Annahme, daß die Haut sehr reich¬ 
lich mit gefäßverengernden Nerven versorgt ist und sich aus¬ 
giebig an der durch Gefäßreflexe hervorgerufeuen Veränderung dts 
Volumens beteiligt, während die Muskeln wesentlich ärmer an der¬ 
artigen Fasern sind. 

Über Verlauf und Wirkungsweise der gefäßerweiternden Nerven 
ist noch keine völlige Einigkeit erzielt, und ich kann von ihrer 
Besprechung um so eher absehen, als, wie oben dargelegt wurde, 
unsere Versuche keine sicheren Schlüsse über ihr Verhalten zn- 
lassen. — 

Die Versuchsanordnung, mit deren Hilfe die mitgeteilten Er¬ 
gebnisse erzielt wurden, Vergleich der Gefäßreflexstärke bei Ein¬ 
wirkung des Reizes auf gesunde und auf kranke Teile, wird auch 
bei anderen Erkrankungen gewisse Aufschlüsse über das Verhalten 
der Gefäßnerven erbringen können, die um so wertvoller sind. ab 
sich unsere Kenntnisse auf diesem Gebiete bisher fast ausschlie߬ 
lich auf den Tierversuch gründen. So ließe sich z. B. in geeig¬ 
neten Fällen peripherer Neuritis feststellen, ob eine Erkrankung 
der Gefäßnerven dabei vorliegt oder ob die sensiblen und moto¬ 
rischen Bahnen allein erkrankt sind. Versuche in dieser Richtung, 
die ich bei einem Kranken mit schwerer Neuritis an beiden Armen 
vornahm, scheiterten leider an dem ungeschickten Verhalten der 
Versuchsperson. 


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Besprechungen. 

1 . 

Shiraodaira, Experimentelle Beiträge zur Wirkungs¬ 
weise der Bier’schen Stauungstherapie. Arbeiten 
aus dem Institute zur Erforschung der Infektionskrankheiten in 
Bern (herausgegeben von Kolle) Heft 5. Jena 1910. 

Nach eingehender Darstellung der bisherigen klinischen Erfahrungen 
über die Bi er’sehe Stauung und der experimentell versuchten Erklärungen 
berichtet Verf. seine Versuche an Kaninchen über den Gehalt des Stauungs- 
ödemes an Opsoninen, Komplementen, komplementbindenden Substanzen, 
Agglutininen und Bakteriziden teils bei normalen, teils bei infizierten 
Tieren, und vergleicht die Werte mit den entsprechenden des zugehörigen 
Blutserums. Keiner dieser Schutzstoffe ist im Stauungsgebiet derart ver¬ 
mehrt, daß allein dadurch die günstige Wirkung erklärt werden könnte. 
Man muß nach Verf. ein kompliziertes Zusammenwirken vieler Faktoren 
annehmen. Wurden in das Stauungsgebiet Bakterien (Cholerakultur) in¬ 
jiziert, so konnten nachher durch die Komplementbindungsreaktion keine 
bakteriellen Substanzen (kein Antigen) nachgewiesen werden. Daraus 
schließt Verf., daß sich die Bakterien im Stauungsgebiet nicht vermehren, 
sondern zugrunde gehen, und daß die gelösten, aus den Bakterien stam¬ 
menden Stoffe rasch resorbiert oder vollkommen zerstört werden. 

R. Siebeck, Heidelberg. 


2 . 

R. Bernert, Kardiale Dyspnoe. Leipzig und Wien, Franz Deu- 
ticke 1910. 

Nach einer Einleitung, in der die so komplizierten Beziehungen 
zwischen Respiration und Zirkulation eingehend besprochen werden, teilt 
Verf. seine eigenen Versuche mit; an kurarisierten Hunden wurden bei 
künstlicher Atmung verschiedene Größen des Kreislaufes (so Arterien¬ 
druck, Vorhofdruck, Venendruck, Pulmonalisdruck), ihre Reaktion auf 
elektrische Reizung des Ischiadicus, ihr Verhalten bei intakten und bei 
durchschnittenen Vagi, bestimmt und mit den entsprechenden Verhält¬ 
nissen bei ungenügender Ventilation (also im „dyspnoischen“ Zustande) 
verglichen; zum Teil wurde die Bock-Hering’sehe Anordnung be¬ 
nutzt. Die meisten Versuche sind so kompliziert, die Bedingungen nicht 
nur durch die künstliche Atmung, sondern auch durch die für die Be¬ 
stimmungen notwendigen Eingriffe so unnatürlich, daß sich die Ergeb- 


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624 


Besprechungen. 


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nisBe nur sehr schwer auf die natürlichen Verhältnisse Übertrags 
lassen. Ganz besonders gilt dies, wie Verf. selbst zugibt, für die Beo: 
teilung der direkten mechanischen Beeinflussung. 

Von den Besultaten seien folgende Punkte hervorgehoben: bei ung* 
nügender Ventilation steigt der Druck im 1. Vorhofe an, d. h. die Hen- 
arbeit wird schlechter; bei Ischiadicusreizung im eupnoischen Zustand: 
geht die Steigerung des arteriellen Druckes mit Vorhofsdrucksenhn? 
im dyspnoischen Zustande mit Vorhofsdrucksteigerung einher: rechter 
und linker Ventrikel verhalten sich im wesentlichen gleich. — Die ver¬ 
schiedenen Momente, die zur Erklärung der Kreislaufs Verhältnisse bei 
Dyspnoe berangezogen werden können, werden ausführlich erörtert. 

Ein weiteres Kapitel behandelt die von Basch'sehe Theorie-k 
Langenschwellung und Lungen Starrheit, die Verf. durch eingehende Kritik 
der Einwände, besonders von Hofbauer, Sihle, Einthoven and 
Kraus, sowie durch die Ergebnisse eigener Versuche zu stützen sucht 
Der Ansicht des Verf., daß die gegen die Thorie erhobenen Einwände 
völlig widerlegt seien, kann ich mich nicht anschließen : vor allem schein: 
mir die „Lungenschwellung“ weder durch die physikalisch-theoretische 
Überlegung, noch durch das vorliegende Versnchsmaterial zwingend be¬ 
gründet zu sein. 

Den Schlußsätzen der eingehenden Untersuchung, daß man für <hs 
Zustandekommen der kardialen Dyspnoe mehrere Faktoren verantwortlich 
machen muß, deren Wirkungen im einzelnen noch nicht zu übersehet 
sind, wird jedermann zustimmen. R. Sisbeck. HeideP-eiv- 

3. 

Richard Stern, Über traumatische Entstehung innerer 
Krankheiten. Klinische Stadien mit Berücksichtigung 
Unfallbegutachtung. 2. Aufl. l.u. 2. Heft. Fischer, Jena. 

Von dem bekannten Werk liegen bis jetzt 2 Hefte in neuer Auflage 
vor. Das erste, die Infektionskrankheiten der Kreislaufsorgane behan¬ 
delnde, bereits 1907 erschienene Heft ist gegenüber der 1. Auflage 
durch ausführlichere Behandlung der Infektions- und der Gefaßkrank- 
heiten wesentlich erweitert und auch sonst mannigfach bereichert und mit 
neueren Ergebnissen in Einklang gebracht. Es bringt als Einleitung all¬ 
gemeine Betrachtungen über die Bedeutung des TraumaB im allgemeinen, 
über den Begriff Anstrengung und Unfall, über die Aufgaben der Unfall- 
begutachtung und über allgemeine häufige Fehlschlüsse bei der Begut¬ 
achtung. Sie setzen in klarer Weise diese wichtigen Fragen auseinander 
und führen deu Anfänger in der Unfallbegutachtung durch kritische, auf 
eigener Erfahrung und eingehender Literaturkenntnis basierende Bar* 
Stellung in der rechten Weise in das schwierige Gebiet ein. Das 2. Heft, 
erschienen 1910, behandelt die Krankheiten der Lungen und des Brustfell* 

Die einzelnen Krankheiten sind ihrer Häufigkeit und Bedeutung ah 
(In fall folgen entsprechend kürzer oder ausführlicher, zum Teil »ehr ein¬ 
gehend, wie z. B. die Pneumonie, behandelt und durchwegs mit zahl¬ 
reichen, teilweise sehr instruktiven Krankengeschichten und Entschei¬ 
dungen aus der Unfallpraxis belegt. Dabei findet besonders die für Am 


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Besprechungen. 


62 f> 


Richter wichtige Frage, wann ein Krankheitsfall nur als mögliche oder 
vielmehr als wahrscheinliche Unfallfolge bezeichnet werden muß, ein¬ 
gehende Erörterung. An dem ganzen Werk ist die kritische, immer auf 
pathologisch-anatomische Tatsachen, auf experimentelle Grundlagen und 
sichere klinische Beobachtungen zurückgreifende, mit einem Wort wissen¬ 
schaftliche Darstellungsweise hervorzuheben. Den einzelnen Abschnitten 
ist ein genaues Literaturverzeichnis angefügt. Das Werk ist geschrieben 
in der Form klinischer Studien und liefert als solches bei der Lektüre 
eine Fülle von Anregung und Belehrung, ist aber darüber hinaus ein 
zuverlässiger Ratgeber für die Praxis der internen Unfallbegutacbtung. 
Das Schlußheft (Bauchorgane, Blut und Stoffwechsel) ist für Anfang 1911 
in Aussicht gestellt. Dietlen, Straßburg. 


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Berichtigung 

zu dem Aufsatze Skornjakoff's: Zur Frage der extra¬ 
medullären Blutbildung bei posthämorrhagische« 

Anämien 

(dieses Archiv Bd. 101 p. 251). 

Von 

Prof. Dr. Carl Sternberg. 

In der Besprechung meiner Arbeit (Experimentelle Untersuchungen 
über die Entstehung der myeloiden Metaplasie, Ziegler’s Beiträge, Bd. 46 
p. 586) sagt Skornjakoff: es . . . „dürften sämtlichen Versnoben ge¬ 
wisse prinzipielle Fehler anhaften“ und motiviert diesen Vorwurf aal 
folgende Weise: „Zunächst ist, wie ans den Protokollen Sternberg * 
hervorgeht, in keinem Falle eine ausgesprochene Anämie erzielt worden 
(der niedrigste angeführte Wert der roten Blutkörperchen = 3000000 
Hämoglobinzahlen werden nicht angegeben). Weiter ließ Sternberg, 
trotzdem er in Anlehnung an v. Do mar ns auf die Bedeutung der Er- 
holungsperioden für das Zustandekommen der in Frage stehenden Ver¬ 
änderungen aufmerksam macht, hei seinen eigenen Versuchen die Ein¬ 
schaltung derartiger .Remissionen außer acht.“ 

Was den ersten Einwand anlangt, so habe ich p. 594 ausdrücklich 
bemerkt, daß die durch den starken Blutzerfall bedingte Anämie in 
meinen Versuchen „weniger in der Zahl der roten Blutkörperchen ah 
im mikroskopischen Blutbefund und im Organbefund znm Ansdruck kam* 
und an derselben Stelle darauf verwiesen, daß die relativ hohe Zahl der 
roten Blutkörperchen (im Verhältnis zu den von v. Do mar ns ge¬ 
fundenen Werten) sich wohl dadurch erklären dürfte, daß ich „alle, aoci 
die in ihrer Form und ihrem Hämoglobingehalt stark geschädigten roten 
Blutkörperchen mitzählte“. Skornjakoff selbst, der bei der Zählung 
in gleicher Weise vorging, erhielt in den mitgeteilten vier Versuchen bei 
zwei Tieren ganz vorübergehend je einmal niedere Werte für die Erythro- 
oyten, die Zahlen bei Beendigung der Versuche waren aber 2800000. 
2 240000, 2 200000 und 4 760000, mithin Werte, die sich von den toh 
mir gefundenen nicht wesentlich unterscheiden. 

Was den zweiten Einwand anlangt, so habe ich p. 592 angegeben, 
daß eine Reihe von Versuchstieren „nach dem Vorgang von v. Domaros 
fast täglich mit Einschaltung 1—3 wöchentlicher Erholungsperioden in¬ 
jiziert“ wurde. Um den Umfang der Publikation nicht überflüssig« 


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Berichtigung. 


627 


vergrößern, habe ich nur Beispiele hierfür veröffentlicht; aus den ent¬ 
sprechenden VersuchBprotokollen ist auch ersichtlich, daß die angegebenen 
[Erholungsperioden eingehalten wurden. Für Zahl und Dauer derselben 
läßt sich keine Hegel aufstellen; Skornjakoff gibt zwar p. 254 seiner 
Arbeit an: „Bei Kaninchen 1, 3 und 4 suchte man die möglichst starke 
Anämie durch hSafige Erholungsperioden zu unterbrechen u , aus den Zu¬ 
sammenfassungen am Schlüsse der einzelnen Versuchsprotokolle ergibt 
sich jedoch, daß nur bei Kaninchen 3 vier Remissionen, bei Kaninchen 1 
aber bloß zwei Remissionen und bei Kaninchen 4 gar nur eine Re¬ 
mission eingeschaltet wurden. 

Ich glaube mithin den Vorwurf, daß meiner Arbeit prinzipielle 
^Fehler anhaften, als unbegründet entschieden zurückweisen zu dürfen. 

Inwiefern meine damaligen Ausführungen, wie Skornjakoff meint, 
„komplizierte biologische Probleme in ein Schema zwängen, das not¬ 
wendigerweise wegen der darin enthaltenen Verallgemeinerung zu falschen 
Schlußfolgerungen führen muß“, ist mir unverständlich; Verf. hat sich 
auf diese „Verallgemeinerung“ beschränkt, ohne seinen Einwand näher 
zu begründen. 


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Bemerkungen zu der Arbeit von K. Grandaaer 

„Der hemmende Einfluß derPsyche auf die Sekretion 
des menschlichen Magens und seine Bedeutung für 
diediagnostischeV erwertbarkeit des Probefrühstücks" 

Bd. 101 p. 302f. dieses Archivs. 

Von 

H. Curschmanu, Mainz. 

Unter dem obigen Titel hat K. Grandauer aus der Münch, med. 
Poliklinik über Untersuchungen berichtet, die mich lebhaft interessiert 
haben, um so mehr als ich bereits im April des vergangenen Jahres, auf 
dem letzten Wiesbadener Kongreß, über ein dem obigen eng verwandtes 
Thema „die Appetitmahlzeit als Probeessen 44 (auf Grund von mehr¬ 
jährigen klinischen Untersuchungen) vorgetragen hatte. Meine Arbeit ist 
Grandauer aber anscheinend entgangen, trotzdem sie seit Herbst 1910 
im Druck vorliegt l ) und im Mai vergangenen Jahres in den Kongre߬ 
berichten der med. Zeitschriften referiert wurde (in der Münch, med. 
Wochenschr. erschien sogar ein ausführlicheres Autoreferat). Noch auf¬ 
fallender ist mir aber der Umstand, daß Grandauer in einer An¬ 
merkung bei der Korrektur einen Vortrag von Fischer-Leipzig über 
Appetitmahlzeiten erwähnt, der sich ausdrücklich als Nachprüfung meiner 
Untersuchungen deklarierte und als solche in den Berichten einiger 
Wochenschriften referiert wurde, ohne sich die Mühe zu geben, nach der 
ersten Publikation über dies Thema, nämlich der meinigen, zu suchen. 
Hätte Grandauer das getan, so würde ihm auch nicht entgangen sein, 
daß nach Abschluß meiner Arbeit Fr. Gigni (aus der med. Klinik in 
Florenz) über individuell angepaßte Probespeisen berichtet hat. 2 ) 

Angesichts der mangelnden Berücksichtigung, die meine Arbeit, wie 
ich sehe, gefunden hat, möchte ich an dieser Stelle kurz konstatieren, 
daß mich ganz ähnliche Beobachtungen seinerzeit zu meinen Unter¬ 
suchungen angeregt haben, wie Herrn Prof. May, als er seinen Assi¬ 
stenten Grandauer zu den obigen Untersuchungen veranlaßte, nämlich die 
Erfahrung, daß Patienten der Poliklinik nach dem Genuß des üblichen, 
wenig schmackhaften Probefrühstücks, das sie in ängstlicher Erwartung 
der drohenden Ausheberung verzehrten, eine sehr geringe Magensaft* 

1) Verhandl. d. XXVII. deutsch. Kongr. f. innere Med. p. 323f. 

2) Rivista critiea di clin. med. 1910, Nr. 5 u. 6, cit. nach Ref. der Theray. 
Monatshefte 1910 H. 4 p. 204. 


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Bemerkungen zn der Arbeit von K. Grandauer. 


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Sekretion und meist Subacidität zeigten. Diese wohl den meisten Poli¬ 
kliniken) geläufige Beobachtung prüft Grandauer nun noch einmal 
nach und kommt zu dem zu erwartenden Resultat, daß psychische Hem¬ 
mungen (Angst, Erwartung) die Acidität vermindern. Zum Zustande¬ 
kommen eines einwandfreien Sekretionsresnltates fordert Grandauer 
darum, daß dem Patienten die bevorstehende Ausheberung verschwiegen 
werde, bzw. daß, falls dies nicht. möglich ist, diese Fehlerquelle (die 
hemmende Wirkung der Angst) vom Arzt bei der Bewertung des Sekre¬ 
tionsresultates berücksichtigt werde. Außerdem, meint Grandauer, sei 
es „in auszuwählenden Fällen sehr zweckdienlich ein Probefrühstück 
(resp. eine Probemahlzeit) zu gehen, das in jeder Beziehung dem Appetit 
des Pat. Genüge leistet und auch sonst seinen Gewohnheiten entspricht“. 

Grandauer wird, wenn er nachträglich meine Arbeit liest, sehen, 
daß dies Postulat bereits eingehend von mir erfüllt worden ist. Ich bin 
sowohl für eine regionäre, als besonders für eine individuelle Variierung 
der Prohespeisen — vor allem in allen Fällen von scheinbarer An- oder 
Subacidität — eingetreten und habe speziell über die Resultate der 
„Appetitmahlzeit“ berichtet. Als solche bezeichnete ich die Speise oder 
die Speisenkombination, nach der der Patient gerade den größten Appetit 
hat. Er wird möglichst unauffällig nach seiner „Leibspeise“ gefragt 
und erfährt nicht, daß er nach dieser Mahlzeit ausgespült werden soll. 

Die Forderung, deren Wichtigkeit Grand au er besonders betonte, 
daß dem Patienten die drohende „Magenpumpe“ verschwiegen werde, 
läßt Bich gerade durch die Appetitmablzeit besonders gut erfüllen. Denn 
daß auf irgendeine freigewählte Mahlzeit (Kalbfleisch mit Bohnen, 
Nieren mit Spätzle unter Zufügung eines Viertelliters Wein womög¬ 
lich) eine Magenspülung folgen wird, ahnt meiner Erfahrung nach auch 
der älteste Spitalbabituö nicht, während diese Spezies die Neulinge über 
die Bedeutung und Konsequenzen des typischen Probefrühstücks und der 
allen bekannten Leube’scben Probemahlzeit stets rasch genug aufzuklären 
pflegt. So hat die Appetitmahlzeit neben ihrem eigentlichen Zweck 
und Erfolg, die optimale Magensaftsekretion hervorzurufen, auch den 
Vorzug, eben durch ihre Vielgestaltigkeit dem Verdacht des drohenden 
Magenschlauchs (und damit der psychischen Hemmung der Sekretion) am 
besten vorzubengen. Bezüglich der Bedeutung meiner Probe für die 
Einschränkung der Diagnose „Anacidität“ oder „Subacidität“ besonders 
unter den funktionellen Dyspepsien, für die Differentialdiagnose organischer 
und schwer nervöser Magenleiden und die möglichst rasche und relativ 
schonende Feststellung der wirklichen Sekretionsmöglichkeit deB Patienten 
verweise ich auf meine Arbeit. 


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Lippert & Co. (G. Pätz’sehe ßuchdr.) G. m. b. H., Kaumburg a. *S. 


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