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7 - 6
DEUTSCHES ARCHIV
FÜB
KLINISCHE MEDIZIN.
HERAUSGEGEBEN
VON
Prof. AUFRECHT in Magdeburg, Prof. v. BAUER in München,Prof.BAEUMLER inFrkiburg,
Prof. BOSTRÖM in Giessen, Prof. BRAUER in Hamburg, Prof. EBSTEIN in Güttingen,
Prof. EICHHORST in Zürich, Prof. ERB in Heidelberg, Prof. FIEDLER in Dresden,
Prof. FÜRBRINGER in Berlin, Prof. GERHARDT in Basel, Prof. HELLER in Kiel,
Prof. HIRSCH in Güttingen, Prof. HIS in Berlin, Prof. F. A. HOFFMANN in Leipzig,
Prof. v. JAKSCH in Prag, Prof. v. KÄTLY in Budapest, Prof. KRAUS in Berlin, Prof.
KREHL in Heidelberg, Prof. v. LEUBE in Würzburg, Prof. LICHTHEIM in Künigsberg,
Prof. LÜTHJE in Kiel, Prof. MANNKOPFF in Marburg, Prof. MARTIUS in Rostock, Prof.
MATTHES in Cüln, Dr. G. MERKEL in Nürnberg, Prof. MORITZ in Strassburg, Prof.
MOSLER in Greifswald, Prof. F. MÜLLEB in München, Prof. NAUNYN in Baden-Baden,
Prof. v. NOORDEN in Wien, Prof. PEL in Amsterdam, Prof. PENZOLDT in Erlangen, Pro*
PREBRAM in Prag, Prof. PURJESZ in Klausenburg, Prof. QUINCKE in Frankfurt;a. M., Prof.
v. ROMBERG in Tübingen, Prof. RUMPF in Bonn, Prof. SAHLI in Bern, Prof. SCHREIBER
in Künigsberg, Prof. F. SCHULTZE in Bonn, Prof. SENATOR in Berlin, Prof. STINTZING
in Jena, Prof. v. STRÜMPELL in Leipzig, Prof. THOMA in Heidelberg, Prof. UNTER¬
RICHT in Magdeburg, Dr. H. WEBER in London, Prof. TH. WEBER in Halle und Prof.
WEIL in Wiesbaden
REDIGIERT
Dr. L. KREHL,
Prof, der medizinischen Klinik
in Heidelberg
von
Dr. F. MORITZ,
Prof, der medizinischen Klinik
IN STRA88BURG i. E.
dr. f. Müller,
UND
Db. E. ROMBERG,
Prof, der medizinischen Klinik
in München.
•
Prof, der medizinischen Klinik
IN TÜBINGEN.
einhunderterster band.
MIT 61 ABBILDUNGEN IM TEXT UND 14 TAFELN.
LEIPZIG,
VERLAG VON F. C. W. VOGEL.
1911. . ..
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Inhalt des einhundertersten Bandes.
Erstes und Zweites Heft
ausgegeben am 23. November 1910.
Nekrolog: Ernst von Leyden.
t. Wyss, Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saiten¬
galvanometer und Untersuchungen fiber Galopprhythmus (Mit 18 Kurven) 1
Trembur , Lymphosarkomatose und positive Wassermann'sche Eeaktion
(Mit 3 Abbildungen).20
Ebstein, Zur Lehre von den Katarrhen.34
Siebeck, Zur spirometrischen Methodik (Mit 2 Abbildungen).60
Magsini, Über Nitrobenzolvergiftung, Blutbefund und Veraalten des Herzens
bei derselben (Mit 1 Abbildung).72
Meyer-Betz, Beobachtungen an einem eigenartigen mit Muskellähmungen
verbundenen Fall von Hämoglobinurie.85
Strnnch, Die Grundlage der Ad. Schmidt’schen Kernprobe (Mit 5 Abbild.) 128
Kniek u. Prlngshelm, Beiträge zur Frage der inneren Desinfektion.
I. Über antiseptische Beeinflussung der Galle durch innere Anwendung
von_Desinficientien ..137
Gran, Über die Einwirkung von eiweißartigen und Eiweißkörpern auf die
Gerinnbarkeit des Blutes (Mit 3 Kurven).150
Fanlhaber, Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für /lie Diagnose des
Magencarcinoms (Mit 10 Abbildungen).177
Weizsäcker, Beitrag zur Frage der Blutgeschwindigkeit bei Anämie . . 198
Besprechung:
Kraus u. Nikolai, Das Elektrokardiogramm des gesunden und
kranken Menschen (Hering). 207
Drittes und Viertes Heft
ausgegeben am 28. Dezember 1910.
Grafe, Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber . . . 209
Skongakoff, Zur Frage der extramedullären Blutbildung bei posthämor¬
rhagischen Anämien.251
v. Körösy, Studien Uber Puls- und Atmungsfrequenz (Mit 2 Kurven) . . 267
Jerusalem, Über die Veränderungen der Magenschleimhaut bei akuten
Infektionskrankheiten (Mit Tafel I).283
Oppenheimer, Zur Frühdiagnose des Magencarcinoms (Tryptophanprobe und
eine neue Probe mit Essigsäure).293
Grandauer, Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des
menschlichen Magens und seine Bedeutung für die diagnostische Ver¬
wertbarkeit des Probefrühstücks.302
Sehlayer u. Takayasu, Untersuchungen Uber die Funktion kranker Nieren
beim Menschen (Mit 1 Abbildung und Tafel II—IV).333
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89YÜ
Gck igle
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IV
Seit«
Wenckebaeh, Über eine kritische Frequenz des Herzens bei paroxysmaler
Tachykardie (Mit 3 Abbild.).402
Aschoff, Bemerkungen zur Arbeit Schlaepfer.417
Besprechungen:
1. Lenhartz, Mikroskopie und Chemie am Krankenbett (Krehl). . . 418
2. Erben, Vergiftungen (Krehl).418
3. Lusk, Ernährung und Stoffwechsel (Grafe).419
4. v. Noorden, Die Zuckerkrankheit und ihre Behandlung (Grafe). . 419
5. Schall u. Heißler. Nahrungsmitteltabelle zur Aufstellung und
Berechnung von Diätvorschriften (Grafe).420
6. Strauß, Praktische Winke für die chlorarme Ernährung (Grafe). . 420
Fünftes nnd Sechstes Heft
ausgegeben am 6. Februar 1911.
Müller) Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus
vagus, zugleich ein Beitrag zur Neurologie des Herzens, der Bronchien
und des Magens (Mit 9 Abbildungen im Text und Tafel V—XIV) . . 421
Seheidemandel, Erfahrungen Uber die Spezifität der Wasserraann’schen Re¬
aktion, die Bewertung und Entstehung inkompletter Hemmungen . . 482
Ebner, Radikale Appendizitisbehandlnng und ihre Ergebnisse bei 611 Fällen
der Königsberger chirurgischen Klinik.498
Schippers, Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne . . . 543
Gelpel, Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die Lungen¬
arterie (Mit 2 Abbildungen).557
Hochhaus, Über den Pektoralfremitus.571
Prym, Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen ProbefrühstUcks. . 589
Stursberg, Untersuchungen über Art und Ursache von Gefäßreflexstörungen
bei Syringomyelie.609
Besprechungen:
1. Shimodaiva, Experimentelle Beiträge zur Wirkungsweise der
Bier’schen Stanungstherapie (Siebeck, Heidelberg).623
2. B e n e r t, Kardiale Dyspnoe (Siebeck, Heidelberg) ....... 623
3. Stern, Über traumatische Entstehung innerer Krankheiten (Dietlen,
Straßburg).624
Berichtigung zu dem Aufsatze Skornjakoff’s : Zur Frage der extramedullären
Blutbildnng bei posthämorrhagischen Anämien (dieses Archiv Bd. 101
p. 251) (Sternberg). 626
Cnrschtnann, Bemerkungen zu der Arbeit von K. Grandauer „Der hemmende
Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschlichen Magens und seine
Bedeutung für die diagnostische Verwertbarkeit des Probefrühstücks 4-
Bd. 101 p. 302 f. dieses Archivs.628
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t
Am 5. Oktober starb
Ernst von Leyden.
Mit ihm ist deijenige der deutschen inneren Kliniker
dahingegangen, der in den letzten dreißig Jahren wie
kein anderer genannt wurde, in Deutschland und im
Auslande.
Es ist für den Jüngeren nicht leicht dem vollkommen
gerecht zu werden, was Leyden der deutschen Klinik
war. Denn manche Seiten seines ausgebreiteten Wirkens
der letzten Zeit, z. B. sein lebhaftes Bestreben in der
Gründung neuer Gesellschaften und neuer literaririscher
Unternehmungen, schien vielen, in Deutschland gegen¬
wärtig verbreiteten Neigungen zu sehr entgegen zu
kommen. Es mag schwer sein sich von den umformenden
Einflüsse einer werdenden Weltstadt völlig frei zu halten.
Noch viel mehr würde es Unrecht sein einen Mann nach
den Konzessionen zu beurteilen, die er manchmal wohl
machen mußte in dem Drange der mannigfaltigen und
aufreibenden Wirksamkeit, der sich ein großer Kliniker in
einer großen Stadt nicht entziehen kann. Denn Ernst
von Leyden war ein großer Kliniker im eigentlichen
Sinne des Wortes und seine Bedeutung für die deutsche
Klinik liegt, wie mir scheint, in der erstaunlichen Viel¬
seitigkeit und Beweglichkeit seines Geistes, sowie in dem
Bestreben miteinander zu vereinigen die Symptomato¬
logie und systematische Krankheitslehre einerseits, mit
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11
dem Verständnis der Erscheinungen andererseits. Er gab der
klinischen Medizin eine Fülle von Anregungen. Es ist ganz er¬
staunlich und ein Beweis für die wirkliche Universalität seines
Geistes, welche ausgezeichneten und tiefsinnigen Ideen über krank¬
hafte Vorgänge er gelegentlich äußerte, Gedanken, die später
die reichsten Früchte trugen; ich erinnere z. B. an seine Vorstel¬
lungen über die Entstehung, Ausgleichung und Behandlung der
tabischen Ataxie.
Soviel ich sehe hat er sich nie einer Richtung verschrieben,
weder der alten Trousseau’schen Klinik, noch der sogenannten
physiologischen, noch der pathologisch-anatomischen. Unzweifelhaft
hatte er den größten ärztlichen Instinkt, die Fähigkeit der vollen
Beherrschung klinischer Auffassung der Krankheitserscheinungen,
Man lese z. B. die verschiedenen Aufsätze über Herzkrankheiten,
man denke an die Arbeiten über Tabes und Polyneuritis: nicht
vieles in der klinischen Literatur ist dem zu vergleichen an
feinem ärztlichen Verständnis. Wo hat er sich nicht bemüht neues
zu schaffen! Wie viele Beobachtungen, Anregungen, ja Entdeck¬
ungen verdanken wir ihm! Die experimentelle Pathologie, wie
sie sich anlehnt an die physiologischen Strömungen der Zeit und
wie sie als ein gangbarer Weg zum Verständnis der krankhaften
Vorgänge erscheint, wurde von Leyden und seinen Schülern stets
nach allen Richtungen hin im Sinne und nach dem Vorbilde seines
Lehrers Traube gepflegt.
Die Königsberger Zeit zeigt den großen Kliniker auf seiner
ganzen Höhe. Die Klinik wurde dort gewissermaßen neu geschaffen.
Welches angeregte wissenschaftliche Leben an der Klinik, man
braucht nur an die Männer zu denken, die aus ihr hervorgingen,
an Namen wie Jaffe und Nothnagel. Welche Fülle ausge¬
zeichneter Arbeiten! Mich hat die Allseitigkeit der Betätigung
immer mit größter Bewunderung erfüllt. Sie war nur bei einem
Manne möglich, der mit unermüdlichem Fleiße, mit Talent, Liebe
und wirklichem Interesse an wissenschaftlicher Arbeit hing. Die
ersten theoretischen Forscher standen mit Leyden in stetem
Gedankenaustausch und liebten ihn — von vielen weiß ich es;
vielleicht das schönste Zeichen für den Wert eines Klinikers als
Gelehrten. Wenn man das zusammennimmt mit einer vollendeten
ärztlichen Persönlichkeit, so sehen und verehren wir in Leyden
einen Kliniker ersten Ranges, einen Mann, der uns das erhebende
Beispiel gibt, daß es doch möglich ist zugleich wirklicher Arzt
und wirklicher Gelehrter zu sein.
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HI
Es würde aber im Bilde Leyden’s als Kliniker etwas Wesent¬
liches fehlen, würde nicht noch mit Nachdruck hervorgehoben werden,
mit welcher beharrlichen Energie er immer und immer wieder auf die
Bedeutung der therapeutischen Bestrebungen in der medizinischen
Klinik hinwies. Wie mir scheint beruht der beste Teil unserer
Behandlung auch jetzt noch auf dem instinktiven Helfen, wie es
<lem im Blute liegt, den die Natur zum Arzte machte. Leyden
gehörte zu diesen Ärzten. Was ihn aber auch hier über so viele
andere heraushob, war sein Bestreben auch diesen — ich möchte
sagen fast unveräußerlichen — Besitz anderen mitzuteilen. Er
wollte nicht nur Helfer sein, sondern er hat Therapie gelehrt
und zwar schon zu einer Zeit, in der die meisten anderen noch
kaum an die Möglichkeit einer Therapie als Wissenschaft glaubten.
Auch hier war er durchaus ein Führer und hat uns allen seine
-Spur eingeprägt. Er ist unseres dankbaren Andenkens gewiß.
KrehL
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Aus der medizinischen Klinik in Basel.
Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen
Saitengalvanometer und Untersuchungen über
Galopprhythmns.
Von
Walter von Wyss,
Assistenzarzt.
(Mit 18 Kurven.)
Die Methoden zur Aufzeichnung von Herztönen sind zahlreich
und werden immer feiner. Wir möchten hier nur die Mikrophon¬
methode von Hürthie, dann die optische Methode von deHolo-
winski und die Methode von Marbe mit den Flammenbildchen
erwähnen. Einthoven hat zunächst Stromschwankungen ver¬
mittels des Kapillarelektrometers registriert. Wir versuchten die
spätere Methode von Einthoven, mit dem Saitengalvanometer Herz¬
töne aufzuzeichnen, klinisch zu verwerten.
Dem ruhig liegenden Patienten wurde die Gummiplatte des
Phonendoskops auf die Brustwand gelegt. Das Mikrophon befand
sich in Julius’scher Aufhängung, um accidentelle Erschütterungen
möglichst auszuschalten. Aufnahmen mit Fernleitung erwiesen sich
als unzweckmäßig, weil in dem Krankenhause störende mechanische
Erschütterungen sich nicht völlig ausschalten ließen.
Einwandsfreie Aufnahmen zu gewinnen ist mit Schwierigkeiten
verbunden. Einmal ist erforderlich, daß der Patient absolut still
liegt, ferner, daß der Herzschlag nicht allzu lebhaft und stürmisch
ist, außerdem müssen die aufzuzeichnenden Schallerscheinungen eine
genügende Intensität haben.
Die Bilder, die die nachstehenden Kurven wiedergeben, sind
keine akustischen Erscheinungen, es sind Darstellungen mechanischer
Erschütterungen der Brustwand. Weder die Form noch die Zahl
der Schwingungen, die wir auf unseren Kurven erhielten, ent¬
sprechen den Anforderungen, die wir an Bilder von akustischen
Phänomenen stellen. Es sind ziemlich unregelmäßig verlaufende
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. Bd. 101. 1
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2
Wyss
Sinusschwingungen von beschränkter Zahl. Auch Einthoven
selbst und andere, die seine Methode befolgten, haben, wie wir wohl
mit Sicherheit annehmen dürfen, nur mechanische Erschütterungen
der Brustwand dargestellt. Auch in den Fällen, wo die Schwingungs¬
zahlen an der untersten Tongrenze liegen handelt es sich wohl nur
um Eigenschwingungen der rezeptierenden Membran, ausgelöst
durch mechanische Erschütterungen der Brustwand (20—30 Schwin¬
gungen). Ein stärker empfindliches Galvanometer reagiert selbst¬
verständlich mit einer größeren Zahl von Vibrationen. Aber ein
prinzipieller Unterschied besteht wohl nicht zwischen den Bildern
von Einthoven und unseren.
Joachim und Weiß haben inzwischen eine Methode er¬
sonnen, die es ermöglicht, rein akustische Phänomene zu gewinnen
und wieder als solche zu reproduzieren.
Wir anerkennen, daß diese Methode der Einthovenaschen
und auch allen übrigen neuen Methoden überlegen ist, insofern als
sie wirklich die verschiedenen Tonqualitäten und auch die Ge¬
räusche in charakteristischer Weise wiedergibt, Eigenschaften, die
wir der Einthoven’schen Methode nicht zusprechen können.
Immerhin ist es uns auch gelungen auf diesem Wege Aufschluß
gewinnen zu können über die zeitlichen Verhältnisse der Herztöne,
spez. auch bei den unter gewissen Umständen auftretenden acci-
dentellen Tönen.
Wie gleichzeitige Auskultation und Palpation ergeben, können
die mechanischen Erschütterungen der Brustwand, die wir auf
unseren Kurven reproduzierten, wohl auf dieselbe Ursache wie die
akustischen Erscheinungen selbst zurückgeführt werden.
Vorerst möchten wir noch einmal die Kurve eines Patienten
mit zwei reinen Herztönen reproduzieren.
Es zeigen sich hier zwei in annähernd absolut gleich bleibendem
Intervall wiederkehrende Schwingungsbilder. Das eine mit größerer
Amplitude, das andere mit kleinerer. Der erste Ton erscheint immer
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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer etc. 3
größer sowohl in bezug auf die Amplitude als auch in der Regel
auf die Frequenz der Schwingungen; auch wenn der akustische
Eindruck ein anderer ist: wiederum ein Beweis dafür, daß wir es
mit mechanischen Erschütterungen zu tun haben. Vor dem ersten
Ton erscheint öfters noch ein kleiner Vorschlag, er entspricht der
kleinen Zacke am Fußpunkt der großen Erhebung des Kardiogramms
und ist somit nach den heute allgemein geltenden Anschauungen
als Vorhofston charakterisiert.
Aus den Distanzen der beiden Herztöne lassen sich Systolen-
und Diastolendauer bestimmen. Die Messung beginnt jeweilen am
Anstieg der Schwingung. Die Geschwindigkeit, mit der die Auf¬
nahmetrommel rotierte, war stets konstant. Auf den Kurven ent¬
sprachen 4 mm = 0,2 Sekunden. Daraus ergibt sich für den vor¬
liegenden Fall, einen Normalen mit 78 Pulsen pro Minute, eine
Systolendauer von 0,3 Sekunden, eine Diastolendauer von 0,44 Se¬
kunden. Die Werte entsprechen ziemlich genau den vonEdgren
beim Normalen innerhalb derselben Pulsfrequenz auf andere Weise
gewonnenen Zahlen. Die Distanz zwischen Vorschlag und erstem
Ton beträgt 0,1 Sekunden.
Wir geben im folgenden eine Tabelle wieder von 50 Fällen,
bei denen wir genaue Messungen über das Verhältnis von Systole
und Diastole vornehmen konnten.
Es ist bekannt, daß unter den Variationen der Pulsfrequenz
beim Normalen, das zeitliche Verhalten der Systole bedeutend
weniger beeinflußt wird, wie das der Diastole. Ein Blick auf die
nachfolgende Tabelle I ergibt aber doch auch ganz erhebliche
Schwankungen der Systolendauer unter krankhaften Verhältnissen.
So kann die Systole ganz bedeutend verkürzt werden, z. B. bei
dem schnellschlagenden Herzen von Tuberkulösen, bei beschleunigtem
Pulsschlag infolge von Krankheiten des Herzens, bei Basedow- *
kranken, ferner können Systole und Diastole derart verkürzt
werden, daß die Systole relativ länger wird wie die Diastole, wie
hier z. B. beim Patienten mit extremster Lungenphthise und
deutlichem präsystolischem Galopprhythmus.
Ferner finden wir auch erhebliche Verlängerungen der Systole
bei langsamem Puls, so z. B. in einem Fall von ikterischer Brady¬
kardie. Wenn auch die Systole einen relativ geringen Anteil an
der Verlangsamung der gesamten Herzaktion bietet, so beträgt ihre
Dauer doch immerhin volle 4 / 10 Sekunden.
Ebenso sehen wir eine Verlängerung der Systole bei Brady-
l*
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4
Wyss
I
Tabelle I.
Name
Krankheit
Systole
Diastole
Pols
T. B.
Typhusrekonvalenscenz
0,24
0,32
108
B.
Taberc. pnlm.
0,24
0,2
130
G.
Hypertroph, cord.
0,24
0,3
108
W.
Nephritis
0,27
0,3
114
M.
Herzbypertrophie
0,2
0,36
100
Sch.
Adams Stokes
0,2
0,34
106
G.
Nephritis
0,3
0,34
90
W.
Mitralstenose
0,24
0,44
90
E.
Mitralstenose
0,34
0,62
60-70
0.
Mitralstenose
0,3
0,36
90
Sch.
Lungentnberk.
0,24
0,32
100-110
B.
Nephritis
0,36
0,46
84
P.
Nephritis
0,3
0,44
78
K.
Tuberc. pnlm.
0,25
0.35
90
W.
Nephritis
0,34
0,56
66
P.
Anämie
0,36
0,5
70
W.
Nephritis
0,34
0,54
66
s.
Nephritis
0,4
0,94
44—48
Anilin Intox.
0,4
0,74
48
St.
Morb. basedow.
0,2
0,22
140
B.
Bronchitis
0,3
0,44
78
s.
Nephritis
0,36
0,52
66
D.
Mitralstenose
0,3
0,4
70
T.
Myokarditis
0.34
0,66
i 66
N.
Nephritis
0,37
0,5
60-70
K.
Myodeg. Arythmia per.
0,25
I
K.
Aortenstenose
0,42
0,64
! 54
B.
Aortenstenose
0,34
0,36
84
H.
Perikarditis
0,24
0,3
! 108
N.
Nephritis
0,3
0,4
! 84
Sch.
Mitralstenose
0,24
0,34
102
Z.
Herzhypertrophie, Lungentuberk.
0.24
0,34
102
Sch.
Lungentuberk.
0,3
0,34
90
B.
Ulcus ventr.
0,3
0,46
78
M.
Mitralstenose
0.24
OB
108
Sch.
Mitr. sten. Arythmia per.
! 0,34
M.
Mitr. sten. + Tuberc. pulm.
0,26
0,3
108
H.
Mitralstenose
0,32
0.42
72
B.
Mitralstenose
0,3
0,44
72
S.
Mitralstenose ,
0.4
0,54
60
z.
Mitralstenose
0,36
0,72
54
w.
Mitr. sten. Arythmia per.
0,3
Icterus
0,4
0,74
48
H.
Gelenkrheumatismus
0,34
0.6
66
Sch.
Herzhypertrophie
0,24
0,3
108
G.
Arteriosklerose
0,24
0,36
90—100
V.
Lebercirrhose
0.25
0,34
74
s.
{ Rheumatismus. Bradykardie
0,36
0,76 1
48
G.
i Nephritis !
0,35 I
0,8
48
! Aorteninsufficienz
0,3 !
0,45
78
kardie infolge von Nephritis und Klappenfehlern (s. Kurve 2), Fälle,
bei denen das Herz ankämpft gegen einen erhöhten Widerstand
im arteriellen System. Der stärker gedehnte Muskel kontrahiert
Gck igle
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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer etc. 5
sich hier eben langsamer. Endlich linden wir ebenfalls beträcht¬
liche Verlangsamung der Systole bei einer schweren Anämie in¬
folge von Anilinvergiftung. Die Tatsache, daß die Pulsfrequenz
zunahm mit der Besserung des Befindens des Patienten, läßt wohl
die Deutung zu, daß diese Verlangsamung als eine toxische zu
deuten sei, klinisch ein Zeichen von darniederliegender Herzkraft.
Kurve 2.
Aortenstenose, langsamer Puls.
Lange Systole. Unten Spitzenstoß.
Neuerdings hat Kraus die Systolendauer ermittelt, indem er
die Ventrikelschwankung des Elektrokardiogramms bei einer Reihe
von Individuen maß und verglich. Seine Werte liegen etwas höher,
weil die zeitlichen Verhältnisse der Ventrikelschwankung sich nicht
völlig decken mit der Distanz der beiden Herztöne.
Wie verhält sich nun die Distanz zwischen Vorschlag und
erstem Ton bei den Variationen der Pulsfrequenz?
Bei beschleunigtem Puls läßt sich meist kein deutlicher Vor¬
schlag trennen von dem ersten Ton. Bei langsamem Puls schon
viel häufiger. Die Variationen, die auf der beiliegenden kleinen
Tabelle eingetragen sind, scheinen in dem Sinne zu sprechen, daß
auch hier dieselbe Erscheinung wie oben gilt, d. h. daß die Distanz
bei langsamem Puls größer wird wie bei raschem (Tabelle II).
Ob es sich dabei um eine Verzögerung der gesamten Vorhofs¬
kontraktion oder um eine Verlangsamung der Leitung handelt,
das läßt sich aus diesen Bildern nicht ersehen, darüber kann viel¬
leicht das Elektrokardiogramm besser Aufschluß geben.
In bezug auf die Form der Schwingungen lassen sich zwar
bestimmte Unterschiede beobachten, die Deutung aber ist erheb¬
lich schwieriger. Das Bild des ersten Tones zeigt gewöhnlich
mehrere Schwingungen mit raschem Anstieg der Amplitude im
Beginn und allmählichem Abklingen. Dasselbe wiederholt sich
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6
Wyss
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Tabelle II. Distanz zw. Vorschlag und 1. Ton.
Name
Krankheit
Systole
Distanz
As—Vs
Pols
i
Rheumatismus
0,3
0,04
72
P.
Tnberc. pnlm.
0,3
0.06
76
B.
Bronchitis
0,32
0,1
78
K.
Aortenstenose
, 0,42
0,1
54
S.
Nephritis
1 0,4
0,14
44
T.
Myokarditis
! 0,34
0.1 |
66
P.
Anämie
' 0,36
0,08 1
70
w. i
Nephritis
; 0,34
0,06
66
H.
Mitralstenose
| 0,3
0,12 i
\
70
meist minder deutlich in der Darstellung des zweiten. Tones. Nun
kommt es aber auch vor, daß der Anstieg der Amplitude mehr in
den zweiten Teil des Bildes fallt, oder aber, es liegt ein mittleres
Tal zwischen zwei annähernd gleich hohen Ausschlägen. Als be¬
sonders charakteristisch für irgendeine bestimmte Qualität eines
Herztones haben wir weder die eine noch die andere Form finden
können. Selbst die physiologische Spaltung des zweiten Herztones
bei der Inspiration gibt keine einwandsfreien charakteristischen
Bilder wie sie z. B. von Joachim und Weiß gewonnen wurden.
Immerhin lassen sich vielleicht auf diesem Gebiet noch weitere
Beobachtungen anstellen, die zu einem positiven Resultat führen.
In der Hauptsache suchten wir mit unseren Kurven ein Urteil
zu gewinnen über die Lage der accidentellen Töne, die unter ge¬
wissen pathologischen Bedingungen auftreten, wie sie vor allem von
französischen Autoren analysiert worden sind.
Zunächst suchten wir nach dem dritten Ton bei der Mitral¬
stenose, jenem kurzen dem normalen zweiten Ton folgenden Nach¬
klapp, der an der Spitze am deutlichsten hörbar ist, dem öfters in
dem Kardiogramm eine eigene kleine Zacke entspricht am Fußpunkt
des absteigenden Schenkels, der zuweilen neben einem systolischen
Geräusch 1 ), einem lauten ersten Ton und dem verstärkten zweiten
Pulmonalton das charakteristische Zeichen der Stenose der Mitral¬
klappe darstellt. Diese Schallerscheinung ist oft am deutlichsten
zur Zeit des schlechten Befindens der Kranken, zuweilen ist sie
gefolgt von einem diastolischen Geräusch. Sie kann im Ver¬
lauf einer akuten Endokarditis auftreten und wieder verschwinden.
Derart ist dieser accidentelle Ton von Potain und seiner Schule
charakterisiert worden, unter deutschen Autoren hat ihn D. Ger¬
hardt in dieser Weise definiert.
1) Bei fehlendem präsvstol. Geräusch.
Gck igle
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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer etc. 7
Potain unterscheidet zwischen einem Dedoublement du se-
cond bruit und dem Claquement de l’ouverture mitrale. Das erstere
beruht nach seiner Auffassung auf dem ungleichzeitigen Schluß
der Aorten- und Pulmonalklappen, infolge der Druckdifferenz in
den beiden S}'stemen analog der Erscheinung des physiologisch¬
inspiratorisch gespaltenen zweiten Pulmonaltons, für den diese Er¬
klärung wohl von den meisten Autoren acceptiert worden ist. Das
Claquement de l’ouverture mitrale sollte dadurch zustande kommen,
daß die bei der Mitralstenose miteinander verwachsenen Klappen¬
segel, die ihre Elastizität verloren haben, gewaltsam gezerrt werden
beim Wiedereinströmen des Blutes in den Ventrikel im Beginn der
Diastole. Die Erscheinung müßte demnach zeitlich sich trennen
lassen von der einfachen Verdoppelung des zweiten Tones. Andere
Autoren, z. B. Geigel, haben überhaupt diesen dritten Ton immer
nur als ungleichzeitigen Schluß der Semilunarklappen aufgefaßt.
Bard, der sich viel beschäftigt hat mit der Analyse der
accidentellen Töne, anerkennt einerseits das Claquement de l’ouver-
ture mitrale, andererseits nimmt er als häufigsten Mechanismus
des Phänomens eine Übertragung der Erschütterung der Aorten¬
klappen bei ihrem Schluß auf die Mitralklappe und deren Rück¬
wirkung ihrerseits wieder auf die Aortenklappe an. Andere Au¬
toren endlich deuteten den dritten Ton in der Hauptsache als
Vorhofston.
Unsere Kurven haben ergeben, daß der accidentelle Ton immer
protodiastolisch ist, was ja schon die Auskultation lehrt. Wir
konnten dies Verhalten auch beim unregelmäßigen Puls feststellen.
Die Aufnahme erfolgte immer über der Spitze.
Wir geben hier einige Kurven wieder, die den dritten Ton
bei der Mitralstenose auf¬
weisen , und zugleich eine
Tabelle von 9 Fällen, in denen
wir die Distanz zwischen dem
zweiten und dem acciden¬
tellen Ton messen konnten.
Auf der einen der Kurven (3.)
liegt der dritte Ton so sehr
in der Mitte der Diastole,
daß seine Zugehörigkeit zum
ersten oder zweiten Ton
nur aus dem Vergleich mit
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Wyss
Kurve 4.
Pulskurve
gehört zu
Fall 3.
Mitralstenose. Oben: V. jugularis, unten: Spitzenstoß.
Am Spitzenstoß 2 diastolische Zacken, die protodiastolische entspricht dem 3. Ton.
Kurve 5.
Kurve 6.
Mitralstenose. Mitralstenose. Arrhythmia perp.
der Pulskurve erschlossen werden kann. Zur Erläuterung seien
hier Spitzenstoß und Venenpuls derselben Patientin reproduziert
Der Spitzenstoß weist zwei kleine diastolische Zacken auf, von
denen die eine protodiastolische dem accidentellen Ton entspricht,
während die andere durch ihre Koinzidenz mit der A -Welle des
Venenpulses als Vorhofsaktion charakterisiert ist.
Tabelle III. Dritter Ton bei Mitralstenose.
Name
1
Systole Distanz zw. 2. und 3. Ton
Puls
V.
0,24
0,1
90
w.
0,14
z.
0.36
0,16
54
H.
0,32 i
0,12
70—80
s.
0,4
0,14
60
E.
0,34
0,16
66
0.
0.3
0,11
90
Sch.
0,24
0,16
102
M
0,24
0,12
108
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Go igle
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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoyen’scben Saitengalvanometer etc. 9
Die Distanzen zwischen zweitem und accidentellem Ton schwan¬
ken zwischen 0,1 und 0,2 Sekunden. Wir finden auch hier eine
gewisse Abhängigkeit von der Pulsfrequenz, d. h. es zeigt sich,
daß im allgemeinen beim schnell schlagenden Herzen die Entfer¬
nung geringer ist. wie bei langsamem Puls. Dies Verhalten läßt
sich zwar nicht als Regel aufstellen. Es ist aber einleuchtend,
daß sich der Unterschied zwischen einem wohlkompensierten
Klappenfehler oder einer in Heilung begriffenen akuten Endo¬
karditis und einem alten dekompensierten Vitium auch sowohl in
dem zeitlichen Verhalten des accidentellen Tones als auch in einem
verschiedenen Timbre äußert, ohne daß wir deshalb gezwungen
wären, die komplizierende Annahme von zwei differenten Ent-
stehungsursachen zu übernehmen.
Wir werden weiter unten sehen, daß wir auch beim Normalen
in annähernd derselben Distanz zuweilen eine schon von Eint¬
hoven beschriebene accidentelle Schwingung finden. Die ein¬
fachste Annahme für die Erklärung des accidentellen Tones bei
der Mitralstenose ist die, darin eine Erscheinung zu sehen, die
einem physiologischen Vorgang entspricht, und die einfach durch
die bei der Mitralstenose charakteristischen Veränderungen des
Klappenapparates ihre Verstärkung erhält, ganz ähnlich wie wir
diesen accidentellen Ton unter anderen Bedingungen als proto¬
diastolischen Galopprhythmus kennen. Mit dieser Ansicht scheint
uns auch die Auffassung am besten vereinbar, die den dritten Ton
in die Zeit des Wiedereinströmens des Blutes in den Ventrikel
verlegt, in den Augenblick, da sich die Klappen wieder öffnen.
Dafür spricht auch die Tatsache, daß oft dem accidentellen Ton
ein diastolisches Geräusch nachfolgt. Diese Zeit ist meßbar durch
den Vergleich von Vorhofsdruckkurven und Kardiogrammen und
entspricht genau den von uns gefundenen Werten von 0,1 und 0,2
Sekunden. Diese Anschauung deckt sich mit der alten Potain-
schen Lehre von dem Claquement de l’ouverture mitrale. Ob es
nun tatsächlich die Zerrung der Klappen ist oder die Spannung
der Ventrikelwandung, die den Ton erzeugt, das läßt sich nicht
entscheiden. Mit Bestimmtheit aber dürften wir folgern, daß die
Bedingung zum Zustandekommen des accidentellen Tones an dem
Hindernis an der Mitralklappe gesucht werden muß und an keiner
anderen Stelle.
Das interessanteste akustische Phänomen, das für unsere Unter¬
suchungen in Betracht kommt, ist der Galopprhythmus. Dieser
eigentümlich dreiteilige Rhythmus ist von einer Reihe von Autoren,
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10
Wyss
wiederum in erster Linie von Potain und seiner Schule, so genau
definiert worden, daß wir ohne weiteres auf jene Darstellungen
verweisen.
Brauer und andere Autoren betonen in erster Linie den
protodiastolischen Galopprhythmus als den wesentlichen Typus. Im
Gegensatz dazu haben wir gefunden, daß der präsystolische Galopp¬
rhythmus an Häufigkeit des Vorkommens überwiegt.
Die Ansicht der meisten Autoren geht wohl heutzutage dahin,
in dem accidentellen präsystolischen Ton eine verstärkte Vorhofs¬
aktion zu erkennen, wie dies durch den Vergleich von Kardio¬
gramm und Venenpuls bewiesen worden ist. Friedrich Müller
hat betont, daß bei einer Reihe von Fällen von Galopprhythmus
eine Verlängerung des Intervalls zwischen Vorhof- und Ventrikel¬
kontraktion gefunden wird, daß hierbei eine Störung der Leitung
stattfindet. Wir geben hier einige Kurven wieder, in denen es uns
gelungen ist, den accidentellen Ton graphisch zu fixieren, zu¬
gleich eine Tabelle von 7 Fällen, bei denen wir das Intervall
zwischen accidentellen und erstem Ton messen konnten.
Tabelle IV. Galopprhythmus.
Name
Krankheit
Systole
Puls
| Distanz zw. 1.
i u. accident. Ton
Diastole
1. G.
Herzhypertrophie
0.24
i
108
0.14
0,3
2. V.
Lebercirrhose
0.25
74
0,15
0,34
3. W.
Nephritis
0,27
114
0,16
0,3
4. Schn.
Aorteninsufficienz
1 0.24
108
0.14
0,34
5. Sehe.
Aorteninsufficienz
1 0.3
78
0,15
0,4
6. H.
Herzhypertrophie
0,24
108
0,12
0.44
7. W.
w
0,28
108
0,15
0,30
Auf Kurve 7 ist der accidentelle Ton durch seine Koinzidenz
mit der präsystolischen Zacke am Fußpunkt des aufsteigenden
Schenkels des Kardiogramms als Vorschlag charakterisiert, er ent¬
spricht also nach den allgemein geltenden Anschauungen tatsäch¬
lich der Vorhofsaktion.
Kurve 7.
Präsyst. Galopprhythmus. nuten SpitzenstoG.
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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer etc. H
Auf Kurve 8 ist der erste Ton als solcher charakterisiert
durch den (umgekehrt geschriebenen) Carotispuls. Der accidentelle
Kurve 8.
a 1 2 a l 2 Galopprhythmus. Oben Carotis.
Ton fallt ebenfalls wieder in die Präsystole. Die beigefügte Puls¬
kurve läßt das Intervall a—c resp. nach Abzug der Verspätung
das Intervall zwischen Vorschlag und Ventrikelsystole, das wir der
Kürze halber als As—Vs, bezeichnen, bestimmen; letztere Distanz
erweist sich als dieselbe, die wir eben auf dem Kardiophonogramm
gefunden haben: 0,14 Sekunden. Die Kurve 9 stammt von dem-
Kurve 9.
Carotis
selben Patienten bei etwas rascherer Pulsfrequenz. Systole und
Diastole sind entsprechend verkürzt, der zweite und dritte Ton
liegen noch näher beisammen, die Distanz As—Vs, aber ist die¬
selbe. Ein ähnliches Verhalten ergibt die Kurve 10.
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Vena
inf.
Kurve 10.
Galopprhythmus.
* Pnlskurve gehört zu Kurve 8 u. 9.
Präsystolischer Galopp-
rhythmus.
a 1 2
Galopprhythmus.
Kurve der Herztöue 8 u. 9.
.......
12
Wyss
Bei einer stärkeren Pulsbeschleunigung wird selbstverständlich
die Diastole noch kürzer und der dritte Ton liegt gerade in der
Mitte, so daß von einem Unterschied zwischen präsystolischem und
protodiastolischem Galopprhythmus keine Rede mehr sein kann.
Hier sei auch die schon erwähnte Kurve vom präsystolischen
Galopprhythmus wiedergegeben, hei der die Systole länger erscheint
wie die Diastole (s. Kurve 11). Der accidentelle Ton scheint hier
nur eben angedeutet, nicht wesentlich verschieden von dem gewöhn¬
lichen Vorschläge.
Karre 11.
Präsyst. Galopprhythmus. Systole länger wie Diastole.
Die auf der Tabelle IV eingetragenen Zahlen lassen erkennen,
daß die Distanz As—Vs in Anbetracht der hohen Pulsfrequenz
gegenüber der Norm ziemlich groß ist. Tatsächlich sind aber die
Unterschiede doch zu gering, als daß wir hieraus mit Sicherheit
schließen dürfen, es handle sich um eine verzögerte Überleitung
zwischen Vorhof und Ventrikel.
Worin liegt denn nun wohl die Ursache der deutlichen Hör¬
barkeit des accidentellen Tones?
Erstens handelt es sich wohl immer um eine verstärkte Vor¬
hofsaktion. Das eigentlich Charakteristische aber des Rhythmus ist,
wie wir glauben, in der Hauptsache bedingt durch das zeitliche
Verhalten von Systole und Diastole. Tatsächlich linden wir in
der Regel, daß die Systole in Anbetracht der starken Verkürzung
der Diastole, relativ lang erscheint, (Vergleiche dazu Tabelle IV.)
Nun gibt es aber einen accidentellen Ton protodiastolischer
Natur, der sicher mit der Vorhofsaktion nichts zu schaffen hat. Wir
hatten Gelegenheit auch einen derartigen Fall zu untersucheu. Es
handelte sich um einen Patienten mit einer schweren Anämie und
Magenbeschwerden, bei dem während einer ungünstigen Phase
seines Leidens ein deutlicher accidenteller Ton hör- und registrier¬
bar war, der mit der Besserung des Befindens wieder verschwand.
Auf der Kurve erscheint dieser accidentelle Ton 0,18 Sekunden
nach dem zweiten Ton bei einer Pulsfrequenz von 70 pro Minute.
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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer etc. 13
Der Vorschlag erscheint ebenfalls deutlich und selbständig. Wir
glauben, es handle sich hier um die gleiche Erscheinung wie bei
der Mitralstenose, nur mit dem Unterschied, daß hier nicht ein
Hindernis an der Klappe vorliegt, daß die Ursache für die Ent¬
stehung des Tones liefert, sondern vielleicht ist es hier die Dilatation
des Herzens, die Bedingungen liefert analog der Klappenanomalie,
so daß vielleicht beim Wiederein¬
strömen des Blutes in den Ventrikel
die Wand gedehnt wird entsprechend
der Potain’schen Anschauung, oder
es mag ein aktiver diastolischer Vor¬
gang sein wie ihn Brauer geschil¬
dert hat.
Die beiden Formen des Galopp-
rhythmus scheinen demnach einer
gleichartigen Erscheinung zu ent¬
sprechen : In beiden Fällen handelt es
sich um einen verstärkten Blutein¬
strom in der Diastole bei rascher
Pulsfrequenz. Bei der präsystolischen
Form ist offenbar der Vorhof mit be¬
teiligt, dies sind wohl auch die Fälle,
bei denen die Autopsie eine Hyper¬
trophie des Vorhofes ergibt. Bei der
anderen, selteneren Form ist es der
Beginn der diastolischen Füllung des
Ventrikels, der Zeitpunkt der Öff¬
nung der Klappen. Diese Anschau¬
ung deckt sich ziemlich genau mit der
Potain’schen Lehre und der Auf¬
fassung, wie sie z. B. auch von Sahli
vertreten wird.
Einen wirklichen Übergang der
präsystolischen in die protodiastolische
Form können wir bei der hier ge¬
gebenen Definition nicht anerkennen.
Es gibt Fälle, bei denen der dritte
Ton in die Mitte der Diastole fällt,
dann, wenn jene sehr stark verkürzt
ist, die genaue Analyse ergibt aber,
daß es sich um die Form handelt,
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Original frnm
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14
Wyss
bei der die Vorhofsaktion mit beteiligt ist. Systole und Diastole
sind in der Regel stark verkürzt. Nach unseren Beobachtungen
scheint aber die Distanz As—Vs nicht abhängig zu sein von der
Länge der Systole.
Potain hat bekanntlich noch zwei weitere Formen des
Galopprhythmus unterschieden, einen systolischen und einen meso¬
systolischen. Der erstere deckt sich mit dem Begriff des ersten
gespaltenen Tones, wie er z. B. von Geigel eingehend studiert
worden ist, den zweiten Typus haben wir ebenfalls beobachtet,
doch ist es uns weder in dem einen, noch in dem anderen Fall ge¬
lungen, charakteristische Bilder davon zu erhalten
Wie schon erwähnt hat Ein¬
thoven auf seinen Kurven einen
accidentellen Ton gefunden, der
zuerst von Gibson gehört und
beschrieben wurde bei normalen
Individuen in einer Distanz von
0.11—0,15 Sekunden nach dem
zweiten Ton. Neuerdings ist auch
von Thayer aufmerksam gemacht
worden auf die Existenz eines
dritten Herztones bei normalen
jugendlichen Individuen. Auch
wir haben zuweilen bei jungen
Leuten mit ruhigem Herzschlag
dem zweiten Ton folgend eine kleine dritte Zacke erhalten, die wohl
der von Einthoven beschriebenen entspricht. Die Kurve 13
gibt ein derartiges Bild wieder. Die Distanz ist hier in dem vor¬
liegenden Falle etwas größer, gleich 0,2 Sekunden entsprechend der
sehr niederen Pulsfrequenz. Einthoven sucht diesen dritten
Herzton zu deuten als eine erneute Schwingung der Aortenklappen
infolge von Druckschwankungen nach dem Klappenschluß. Thayer
gibt keine Deutung, glaubt aber in dieser accidentellen Erscheinung
das physiologische Äquivalent des pathologischen protodiastolischen
Galopprhythmus zu finden.
Es ist an sich nicht wahrscheinlich, daß durch Druckschwan¬
kungen die Aortenklappen wiederum derart in Vibration gelangen,
daß diese Vibrationen einen Ton erzeugen. Noch weniger wahr¬
scheinlich aber wird diese Deutung durch die oben erwähnten
pathologischen Befunde, denn daß es sich bei diesem Einthoven-
sclien Ton wiederum um eine besondere Erscheinung handeln soll,
Kurve 13.
1 2 3 12 3
3. Ton bei Normalen.
(Eintboven's 3. Ton.)
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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer etc. 15
das erscheint uns völlig ausgeschlossen, allein schon durch die
zeitliche Koinzidenz mit dem dritten Ton der Mitralstenose und dem
protodiastolischen Galopprhythmus. Es liegt kein Grund vor, daß
gerade bei der Mitralstenose oder bei einem kachektischen Indi¬
viduum erneute Vibrationen der Aortenklappen besonders deutlich
sein sollten.
Im Anschluß an diese Untersuchungen habe ich das Phänomen
des Galopprhythmus noch weiter studiert an der Hand von Puls¬
kurven, die während mehreren Jahren an der hiesigen Klinik auf¬
genommen w'orden sind. Es zeigte sich auch hier, daß der prä¬
systolische Typus des Galopprhythmus an Häufigkeit bedeutend
überwiegt.
Zunächst seien hier einige Kurven wiedergegeben vom prä¬
systolischem Galopprhythmus.
Die beiden ersten Kurven stammen von demselben Patienten.
Nr. 14 zeigt eine deutliche Verlängerung des a—c-Intervalls, bei
Kurve 14.
a c a c
Galopprbythmus. Intervall a—c. 0,21.
Kurve 15.
Kurve 16.
a c
i
iLJU UL 1 [ l ■- _J_>—>—>—l
Kein Galopprhythmus.
Intervall a—c 0,18.
a c v
Galopprhythmus.
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16
\VyS8
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bestehendem Galopprhythmus. Nr. 15 ergibt das normale a—c-Inter-
vall, hierbei war auch kein Ton mehr hörbar.
Die nächste Kurve Nr. 16, die
Kurve 17.
Spitzen-
fttoß
Carotis
Galopprbythmus. A s.—V s. 0,10.
Tabelle V.
von einem anderen Patienten
stammt, ergibt trotz deut¬
lichem Galopprhythmus ein
normales a—c-Intervall.
Kurve 17 endlich gibt
einen Vergleich zwischen
Spitzenstoß und Carotis. Die
präsystolische Zacke am
Spitzenstoß ist hier sehr deut¬
lich.
Die Messungen einer
größeren Zahl anderer Fälle
sind auf der Tabelle V ein¬
getragen.
G a 1 o p p r h y t h m u s.
Name
Krankheit
datier l ^ 016 A ~° ! As ~ V8
I
n.
in.
IV.
v.
VI.
VII.
VIII.
IX.
X.
XI.
XII.
XIII.
XIV.
a) G.
b) „
C) n
<1) *
e) „
f) n
a) E.
c) „
a) H.
b) „
P.
R.
W.
M.
H.
G.
P.
M.
K.
S.
XV. B.
XVI. W.
XVII. F
XVIII. Scb.
XIX. d. G.
Herzhypertrophie
Kein Galopprhythmus
Nephritis
n
Nephritis
I Nephritis
Nephritis
Nephritis
Bradykardie
Nephritis
Nephritis
Nephritis
Herzhypertrophie
Perniziöse Anämie
Bronchiolitis
Nephritis
Kein Galopprhythmus
Nephritis
Nephritis akut
Aorteninsuflicienz
Cheyne-Stokes
0,62
0 . 6 «
0.8
0,7
0,62
0,82
0,62
0,86
0,52
0,76
0,54
0,6(5
0,70
0,52
0,66
0,52
0,52
0.50
0.4
0,46
0,9
0.62
0,52
0,66
0,76
0,52-1,0
0.26
0,30
0.26
0,26
0.21
0.2
0,24
0,26
0,2
0.21
0.22
0,2
0,2
0,22
0.22
0,24
0,24
0.2 J
0,21
0,18
0,2
, 0,2
. °’ 2
0,2
0,18—0,2
I 0 ’ 2
0.22
0,18
0,18—0,2
0.16
0,2
0,18
: o,i8
0.18
0.1
; 0,2
0,18
0,18
L °’ 2
0,14-0,26
0,14
0,16
0,14
042
0,12
0 , 10 «)
0,11
0,12
0,16
0,14
0,14
0,16
1) Gemessen vom Gipfel der präsystolischen Zacke und nicht vom Fußpunkt
wie bei den übrigen.
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Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer etc. 17
Fassen wir das Resultat dieser Untersuchungen zusammen, so
finden wir, daß in der Mehrzahl der in der Tabelle eingetragenen
Fälle das Intervall a—c sich an der oberen Grenze der Norm
hält, daß es unter Umständen verlängert ist, daß diese Fälle aber
mehr Ausnahmen darstellen. Daß wir Werte finden, die meist an
der oberen Grenze der Norm liegen, dies kann gerade unter den
speziellen Umständen (beschleunigte Herzaktion und kurze Systole)
eine relative Verlängerung des a—c-Intervalls bedeuten. Von be¬
sonderem Interesse erscheint uns nun, daß bei zwei von den
untersuchten Patienten zeitweise eine wirkliche Verzögerung der
Überleitung von Vorhof zu Ventrikel vorkam.
Kurve 18.
a a c
Galopprhythmus mit Überleitungsstörung. Während der Intermittenzen
kein Ton hörbar.
Bei einem Patienten mit Cheyne-Stokes (Fall 19) erschien jedes¬
mal kurz vor Einsetzen der Atmungen eine solche Verlängerung bis
aufs doppelte. 1 ) Bei einem anderen Patienten (Fall 1, Kurve 18) trat
zweimal anfallsweise je einen halben Tag lang starke Dyspnoe mit
wahren Ventrikel-Intermittenzen auf. Auch in diesem Fall war das
a—c-Intervall während dieser Stadien bis aufs doppelte verlängert.
Beide Male hörte man auch einen der Vorhofskontraktion entsprechen¬
den kurzen Ton, aber es fehlte hierbei durchaus der Schalleindruck
des Galopprhythmus. Die beiden Fälle stellen etwas Eigenes dar,
immerhin zeigen sie, daß unter gewissen Umständen richtige Uber¬
leitungsstörungen gewissermaßen störend mit hinein spielen können
in den eigentlichen Mechanismus des Galopprhythmus, ohne daß sie
mit demselben indentisch wären. Auch diese Frage kann durch das
Studium des Elektrokardiogramms noch weiter gefördert werden.
1) Zu diesem Fall vergleiche: Magnus-Aisleben, Beitrag zur Kenntnis
der vorübergehenden Überleitungsstörungen.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 2
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Wyss
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18
Zum Schluß möchten wir die Ergebnisse unserer Unter¬
suchungen noch einmal zusammenfassen.
Die von Einthoven angegebene Methode, Herztöne ver¬
mittels des Saitengalvanometers zu registrieren, erweist sich
für klinische Zwecke insofern als fruchtbar, als sie gestattet:
1. genaue Bestimmungen der Systolendauer vorzunehmen. 2. indem
sie Aufschluß gibt über die zeitlichen Verhältnisse der accidenteilen
Töne, die unter pathologischen Bedingungen über dem Herzen ge¬
hört werden.
Wir können zweierlei Hauptarten von accidentellem Ton unter¬
scheiden, einen präsystolischen und einen protodiastolischen. Der
präsystolische Typus findet sein physiologisches Äquivalent in
einem Vorschlag, der durch seine Koincidenz mit der präsysto¬
lischen Zacke am Fußpunkt des Kardiogramms als Vorhofsaktion
charakterisiert ist Als abnormer dritter Ton erscheint er in dem
Phänomen des präsystolischen Galopprhythmus, ohne daß wir eine
richtige Überleitnngsstörung für seine Hörbarkeit verantwortlich
machen könnten, wenn wir auch das Intervall a—c in Anbetracht
der meist hohen Pulsfrequenz in der Regel relativ lang finden.
Er erscheint somit einfach als Ausdruck einer erhöhten Vorhofs¬
aktion. Der protodiastolische Typus findet sich zuweilen als eine
normale Erscheinung vorgebildet in einer accidentellen Zacke in
dem normalen Kardiophonogramm und ist von Einthoven schon
als dritter Herzton beschrieben worden. Pathologisch verstärkt
findet er sich bei der Mitralstenose, seltener als protodiastolischer
Galopprhythmus bei Anämien und anderen kachektischen Zu¬
ständen. Der Zeitpunkt seines Auftretens fallt zusammen mit
dem Moment der Öffnung der Atrioventrikularklappen.
Citate.
Einthoven u. Ge Ink, Die Registrierung der menschlichen Herztöne mit dem
Kapillarelektrometer. Bd. 57. Pflüger's Archiv f. d. ges. Phys.
Einthoven, Die Registrierung der menschlichen Herztöne, vermittels desSaiten-
galvanometers Pflügers Archiv f. d. ges. Phys. 117. — Ein dritter Herz¬
ton. Ebenda 12U.
Hürthle. Die Registrierung der menschlichen Herztöne. Pflügers Archiv f. d.
ges. Phys. 10.
de Holowinski, Photographie des bruits de coenr. Archive de Physiologie
norm, et patholog.
Joachim u. Weiß, Die Registrierung und Reproduktion menschl. Herztöne und
Herzgeräusche. Pflüger s Archiv f. d. ges. Phys. 123. — Die Registrierung
menschl. Herztöne und Herzgeräusche. Archiv für klin. Med. 1010.
Edgren. Cardiographische und sphygmographische Studien. Skandinavisches
Archiv f. Phys. 1.
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Aufzeichnung von Herztönen mit dem Einthoven’schen Saitengalvanometer etc. 19
Kraus u. Nikolai, Das Elektrokardiogramm.
Potain, Clinique mödicale de la chariti.
Bard, De la multiplicitä anormal des bruits du cceur.
D. Gerhardt, Die Entstehung und die diagnost. Bedeutung der Herztöne.
Sammlung klinischer Vorträge. Serie 8.
Geigel, Der erste Herzton. Münchener med. Wochenschr. 1906.
Fr. Müller, Über Galopprythmus des Herzens. Münchener med. Wochenschr.
1906.
Brauer, Untersuchungen am Herz. Kongreß Verhandlungen f. innere Medizin
1904.
Thayer, Sur le troisifeme bruit du cceur. Archive des maladies de coeur 1910.
Magnus-Alsleben, Beitrag zur Kenntnis der vorübergehenden Überleitungs¬
störungen des Herzens. Zeitschr. f. klin. Medizin Bd. 69.
Sahli, Klinische Untersuchungsmethoden.
2 *
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Aus der medizinischen Universitätsklinik in Jena.
(Direktor: Geh. Med.-Rat Prof. Dr. Stintzing.)
Lymphosarkomatose und positive Wassermann’sche
Reaktion.
Von
Oberarzt Dr. F. Trembnr,
kommandiert zur Klinik.
(Mit 3 Abbildungen.)
Schon relativ früh nach dem Bekanntwerden der Wassermann-
Neißer-Bruck’schen Komplementbindungsreaktion bei Syphilis er¬
schienen in der Literatur Angaben, die geeignet sein konnten, an
der Spezifizität dieser neuen Untersuchungsmethode Zweifel ent¬
stehen zu lassen. So wurde über positiven Ausfall der Reaktion
bei Typhus, Tuberkulose, Pneumonie, Diabetes, Arteriosklerose,
Neubildungen, Herzfehler, Lebercirrhose, myeloider Leukämie be¬
richtet. Zum Teil konnten diese Ergebnisse einer genaueren Prü¬
fung und besseren Technik jedoch nicht standhalten, zum Teil
betrafen sie eben Krankheiten, für deren Entstehung schon seit
langem eine in früheren Jahren stattgehabte, wenn auch später
nicht mehr klinisch nachweisbare luetische Infektion des Organis¬
mus angeschuldigt wird. Zum Teil endlich betrafen sie Personen,
bei denen auch bei strikte in Abrede gestellter Infektion ihr Be¬
ruf einen gewissen Skeptizismns ihren Angaben gegenüber wohl
berechtigt erscheinen ließ. In anderen Fällen wiederum wurde
ein positives Resultat festgestellt bei Untersuchungen, die kurz
ante mortem, also im agonalen Stadium der Erkrankungen, vor¬
genommen waren. Für ihre Beurteilung kommt wohl mit Recht
die Tatsache in Berücksichtigung, daß z. B. Leichensera von Per¬
sonen, die an den verschiedensten Krankheiten gelitten, und die
sicher zu Lebzeiten keine Syphilis überstanden, in sehr vielen
Fällen positive Reaktionen ergaben. Schwerwiegender waren
schon die Befunde, die bei Scharlach erhoben wurden, aber auch
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Lymphosarkomatose und positive Wassermann’sche Reaktion.
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hier stellte es sich doch schon bald heraus, daß der positive Aus¬
fall nur eine vorübergehende Erscheinung war, daß spätestens 80
bis 90 Tage nach der Scharlachinfektion die Sera wieder negativ
reagierten und auch ständig negativ blieben. Auch die Tatsache,
daß Sera von gegen Tollwut immunisierten Menschen positiv rea¬
gieren, kann nicht ernstlich in Frage kommen, denn es ist ja be¬
kannt, daß nach Vorbehandlung mit Eiweißarten komplement¬
bindende Sera hervorgerufen werden können. Zudem fand M u 1 z e r,
daß bei Ausschaltung des Kaninchenamboceptors (also nach der
Bauer’schen Methode) solche Sera negativen Ausschlag geben.
Schließlich läßt die Anamnese in solch einem ev. Falle ja auch
rasch die Klärung zu. Weiterhin ohne Wert für die Bedeutung
der Reaktion — wenigstens in unseren Breiten — ist die Tatsache,
daß sie bei Lepra tuberosa, Framboesia tropica, Trypanosomerkran¬
kungen, Beri-Beri, Filariasis nocturna positiv sein kann. Bei Ma¬
laria findet der eine Untersucher positive Resultate, der andere
nicht, jedenfalls geben alte Fälle stets ein negatives Resultat.
Auch bei Lupus erythematosus acutus stellte Hauck einwandfrei
in einem Falle eine positive Wassermann’sche Reaktion fest, und
ebenso hatte die Untersuchung dasselbe positive Resultat bei einem
21jährigen Mädchen mit akutem disseminiertem Lupus erythema¬
todes, von dem Reinhart berichtet. In letzterem Fall ergab auch
die Sektion keinerlei Anhalt für Lues. Hierhin ist auch der
v. Zumbusch’sche Fall derselben Krankheit zu rechnen. End¬
lich sind hier noch zu erwähnen die vier von Caan veröffent¬
lichten Fälle von Hodgkin’scher Krankheit, die positiven Ausfall
der Syphilisreaktion ergaben, und bei denen in der Anamnese und
im klinischen Befund nichts für Lues sprach.
Sicherlich können alle diese Mitteilungen wenigstens bisher
noch nicht die weittragende praktische Bedeutung der Wasser-
mann’schen Reaktion erschüttern, da es sich in den einwandfrei
nachgewiesenen Fällen ja immer nur um ein vereinzeltes Vorkomm¬
nis gehandelt hat und auch um Krankheiten, die in ihren klini¬
schen Erscheinungen von der Syphilis wohl zu differenzieren waren.
Immerhin sind aber diese Mitteilungen von nicht zu unterschätzender
Wichtigkeit, da sie uns die Möglichkeit bieten, ev. durch sie das
bisher noch dunkle Wesen der Syphilisreaktion zu klären, anderer¬
seits in die Ätiologie der Krankheiten, bei denen ihr positiver
Ausfall beobachtet wurde, mehr Licht zu bringen.
Unter diesen Gesichtspunkten möchte ich den schon veröffent¬
lichten Ausnahmefällen einen weiteren anreihen, zumal er auch in
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Thembcr
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anderer Hinsicht ein sowohl klinisches wie pathologisch-anatomi¬
sches Interesse bietet.
Es handelt sich am eine 63jährige Landwirtsfrau E. ans gesunder
Familie. Ihr Mann, zwei Söhne and deren Nachkommen sind gesund.
Bis zar Menopause im 50. Jahre stets gesund, litt Patientin nach Bericht
des Hausarztes April 1905 an Influenza, Juni an Influenza-Neuralgien,
Ischias, Magenatonie, verzögerter Rekonvalescenz; September 1907 an
Pleuritis sicca sin; Juli—August 1908 an ischiadischen Schmerzen,
Magenverstimmung, Senkniere rechts, Anämie. Die Milz wurde fühlbar.
Juni 1909 bildete letztere einen mehr als kindskopfgroßen nach oben
unter die Rippen verschwindenden, dort nicht abgrenzbaren Tumor.
Urin enthielt Alb. Schon seit Jahren blaß, neigte Frau E. stets zur
Fülle. Am 2. Januar 1910 wurde sie der chirurgischen Klinik zur
Operation des Milztumors zugeführt und am 7. Januar in unsere Klinik
verlegt.
Bei der 160 cm großen, 61,4 kg schweren Frau mit anämischen
Schleimhäuten, blassen trockenen Hautdecken waren Nuchal-, Sub-
maxillar-, Inguinaldrüsen beiderseits schwach fühlbar.
In beiden Lungenunterlappen ziemlich reichlich feuchte Rasselgeräusche,
su der Herzspitze leises systolisches Geräusch. Milzdämpfung 40 24 cm.
Der etwas elastische Tumor läßt am freien Rande Einkerbungen fühlen
bei glatter Oberfläche. Leberrand 1 cm unter dem Rippenbogen, glatt.
Urin eiweißhaltig, enthält im Sediment Leukocyten, Epithelien, keine
Zylinder. Temperatur 39 °C. Blutuntersuchung am 8. Januar:
56 °/ # Hämoglobin, 4 128000 rote, 3437 weiße Blutköperchen.
Im nach Jenner gefärbten Blutausstrichpräparat keine
pathologischen Zellformen, mäßige Poikilocytose, Poly¬
chromasie, viele Blutplättchen. Differenzierung der
Leukocyten ergab: 48,63% neutrophile polynucleäre,
1,38% eosinophile L eukocyten, 49,31% Lymphocyten
(kleine und große zusammengerechnet), 0,68% Mastzellen.
Mageninhalt nach Probefrühstück freie HCl, keine Milchsäure, 82 Gesamt¬
säure. Bei einer bakteriologischen Blutuntersuchung am 12. Januar
blieben die angelegten Bouillonkulturen und Blutagarplatten steril.
Gleichzeitig angestellte Wassermann’sche Reaktion er¬
gab mit 4 alkoholischen Extrakten ans hereditär luetischen Lebern
komplette Hemmung! Kontrollen einwandfrei! Dasselbe Resultat
im hygienischen Institut Halle mit 3 Extrakten.
Daraufhin nochmals vorgenommene peinlichste Untersuchung des
ganzen Körpers auf etwaige Zeichen einer überstandenen luetischen In¬
fektion blieb völlig resultatlos, ebenfalls nochmalige Durchforschung der
Anamnese nach dieser Richtung hin. Die Bronchitis schwand bald,
Temperatur blieb aber erhöht. Die tägliche Eiweißmenge im Urin be¬
trug S U — 11 Vom 18. Januar an Sol. arsen. Fowlaer in steigenden
Dosen. Bei einer zweiten Blutentnahme am 19. Januar war das Blot
bakteriologisch wieder steril.
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Lymphosarkoroatose und positive Wassermann’sche Reaktion.
23
Wieder Wassermann’sche Reaktion unter den größten Kau-
teien. Ich selbst prüfte das Serum in einem besonderen Versuch
mit 4 verschiedenen alkoholischen Extrakten. Gleichzeitig prüften
Oberarzt Schröter und Privatdozent Busse von hier dasselbe
Serum in Versuchen mit einer größeren Sera-Reihe zusammen mit
je 2 Extrakten, von denen je einer mit einem meiner 4 identisch
war. Also Prüfung mit 6 Extrakten! Alle Versuche waren ein¬
wandfrei positiv. Ich selbst richtete ein besonderes Augenmerk
darauf, bis zu welchen Serumverdünnungen herab wohl ein posi¬
tiver Ausschlag stattfäude und es ergab sich die auffallende Tat¬
sache, daß das Serum von 0,2 ccm an noch herab bis zu
0,005 ccm eine komplette Hemmung der Hämolyse
zeigte. Entsprechende Kontrollen waren völlig gelöst. Dasselbe
Blut war in Halle für Wassermann- und die Höhne’sche Modi¬
fikation positiv. Ebenfalls positives Resultat ergab die Unter¬
suchung desselben Blutes im pathologischen Institut der Charite
durch Dr. Halberstädter.
Auf dieses Ergebnis hin wurde eine energische Inunktionsknr (5 g
pro die) eingeleitet und täglich 5 g Kal. jod. gegeben. Am 21. Januar
wurde festgestellt: Zahlreiche kleine Nackendrüsen links,
rechts weniger aber größere bis Bohnengrößä; zwei
erbsengroße submaxillar'e, in der linken Fossa supra-
clavicul. eine doppeltbohnengroße, eine erbsengroße
Cubitaldrüse links. Axillardrüsen nicht fühlbar. In
beiden Leistenbeugen kleinere Drüsen, rechts mehr
kettenförmig zusammenhängend, links mehr vereinzelt.
In der linken Fossa ovalis zwei bohnengroße, in der
rechten einige kleinere Drüsen. AlleDrüsen nicht druck¬
empfindlich, eher weich als hart. Milz gegen die Auf¬
nahme unverändert. Im TJrinsediment reichlich granulierte, einzelne
hyaline Zylinder, wenig Epithelien, Leukocyten. Blutbild wie folgt:
55 °/ 0 Häm o gl obin, 3388000rote, 3145 weiße Blutkörperchen.
Im gefärbten Präparat derselbe Befund wie am 8. Januar.
Blutuntersuchung am 30. Januar: 52°/ 0 Hämoglobin,
3812000 rote, 3750 weiße Blutkörperchen. Spezifizierung
der letzteren zeigte: 47,96 °/ # neutrophile polynucleäre,
0,51% eosin ophile Leukocyten, 47,95% Lymphocyten,
1,53% Mastzellen, 2,04% Übe rgangszellen. Jenner-
Präpaxat: Poikilocytose, Polychromasie, viele Plättchen, keine patho-
logischen Formen. Bakteriologische Butuntersuchung am 2. Februar steril.
Am 3. Februar auch in beiden Achseln, links stärker als
rechts, fühlbare Drüsen. Milz 48/31 cm, druckempfindlich.
Am 5. Februar wurde die antesyphilitische Behandlung abgebrochen, da
sich keinerlei therapeutischer Effekt zeigte, und wieder Arsen gegeben.
Blutunteroucbung am 6. Februar ergab: 52°/ 0 Hämoglobin,
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Trembcb
3112000 rote, 3125 weiße Blutkörperchen and unter
letzteren 26,86 ° (# neutrophile polynaeleäre, 0,47 °/ # eosino¬
phile Leakocyten, 71,46 ®/ 0 Lymphocyten, 0,71 °/ 0 Über-
gangszellen. Gefärbtes Präparat wie am 30. Januar.
Am 11. Februar erwies sich das sterile Blut, serologisch, mit
5 Extrakten geprüft, wieder als Wassermann positiv. Dasselbe
Ergebnis in Halle und Berlin.
An demselben Tage wurde eine beginnende linke Unterlappen¬
pneumonie festgestellt. Temperatur, bisher stets zwischen 38 und 39 0 C,
stieg auf 40° C. Am 12. Februar wurde in Hinsicht auf die Pneumonie
nochmals Blut bakteriologisch untersucht. Es enthielt Streptokokken.
Dieselben hämolysierten nicht, vergoren nicht Traubenzucker, waren nicht
tierpathogen. Das Blut zeigte 50 ° J0 Hämoglobin, 3 061 000 rote,
3145 weiße Blutkörperchen. Eine Auszählung ergab:
31,7 ° (# neutrophile polynaeleäre, 0,58°/ 0 eosinophile
Lenkocyten, 67,71 °/ # Lymphocyten. Das Jenner-Präparat
wie bisher. Urinbefund derselbe, Indikan positiv. Die geschwollenen
Drüsen waren kaum mehr fühlbar. Der Milztumor war kleiner aber
stark druckempfindlich. Starker Meteorismus. Am 13. Februar abends
11 20 Uhr Exitus letalis. In dem nach Jenner gefärbten Ausstrich eines
noch vorher stattgehabten Milzpunktates fanden sich reichlich Lympbo-
cyten und Zellen nach Art der großen Lymphocyten aber mit nur schwach
färbbarem Kern. Die roten Blutkörperchen waren blaß, zeigten mäßige
Poikilocytose. Es erfolgte weiterhin Verimpfung des Milzpunktats auf
mit Menschenblut beträufelte Schrägagarröhrchen einerseits und anderer¬
seits wurde dem Milzpunktat eine geringe Menge einer 5 °/ n Lösung von
Natr. citric. zugesetzt. Die Nährböden wurden bei 22 0 C gehalten. Ich
ging dabei von dem Gedanken aus, daß ähnlich wie bei Kala-azar
vielleicht auch in solchen Fällen, wie dem vorliegenden, irgendwelche
Parasiten eine Rolle spielen könnten. Die Nährböden blieben steril.
Sowohl in diesem Milzpunktat, als auch in dem einige Minuten
post mortem entnommenen Herzblut, in der 7 Stunden später ent¬
nommenen Herzbeutelflüssigkeit und dem ca. 10 Stunden post mortem
aus der unteren Hohlvene gewonnenen Blute war die Wassermann-
sche Reaktion stark positiv.
Die serologische Blutuntersuchung bei dem Ehemann und den
beiden Söhnen hatte bezüglich der Syphilisreaktion ein völlig nega¬
tives Ergebnis. Ich wende mich nun den differentialdiagnosti¬
schen Erwägungen zu. Im Vordergrund der klinischen Erschei¬
nungen standen bei der Aufnahme der große Milztumor, die Anämie,
verbunden mit der nicht unbeträchtlichen Leukopenie und die erhöhte
Temperatur, die zunächst ja durch die vorhandene Bronchitis er¬
klärt werden konnte, aber doch nach deren ziemlich raschem Ab¬
klingen bis zum Tode bestehen blieb.
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Lymphosarkomatose und positive Wassermaun’sche Reaktion.
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Der beim ersten Anblick der Kranken am nächsten liegende
Gedanke, es könne sich nm eine lymphatische oder myeloi¬
sche Leukämie handeln, mußte nach der näheren Untersuchung
des Blutes natürlich sofort fallen gelassen werden. Ebenso konnte
die perniziöse Anämie mit Sicherheit ausgeschieden werden,
sowie die Leukanämie im Sinne Leube’s. Auch Malaria und
Sepsis konnten nicht in Frage kommen. Nach dem positiven Ausfall
der Wassermann’schen Reaktion mußte natürlich an Syphilis
gedacht werden, zumal ja der chronische syphilitische Milztumor
sich auch bei erworbener Syphilis manchmal ausbildet. Das Ver¬
sagen der Quecksilber- und Jodtherapie stand dieser Annahme
nicht im Wege, denn es ist ja bekannt, daß antesyphilitische Mittel
gerade dem chronischen syphilitischen Milztumor gegenüber meist
versagen, aber bei dem Fehlen aller sonstigen luetischen Sym¬
ptome und der in dieser Hinsicht gänzlich versagenden Anamnese
mußte die Annahme fallen gelassen werden. Auch das ev. Vor¬
liegen einer Banti’schen Krankheit wurde in Frage gezogen.
Der Milztumor, die Oligozythämie, die Oligochromämie, die Leuko¬
penie, die noch dazu durch eine Verschiebung der einzelnen For¬
men zu ungunsten der neutrophilen polynucleären Leukocyten aus¬
gezeichnet war, verführten dazu. Auch sind ja Fieberbewegungen
von einzelnen Autoren beobachtet worden. Doch stand der nor¬
male Leberbefund und das Fehlen jeglichen Ascites hindernd im
Wege. Weiterhin wurde an Anaemiasplenica gedacht; die
Anämie und der Milztumor berechtigten dazu. Im Gegensatz zu
dem Strümpell’sehen Fall waren im vorliegenden jedoch Lymph-
drüsenschwellungen vorhanden, zudem war die Anämie nicht im
Sinne einer perniziösen aufzufassen. Endlich ist ja auch nach den
Untersuchungen neuerer Autoren die Berechtigung dieser Form
der Anämie als einer selbständigen Krankheit mehr als zweifelhaft.
Mit Rücksicht auf die von der Kranken schon bei der Aufnahme
gemachten Angabe, sie hätte häufiger Nachtschweiße, uud in Hin¬
sicht auf das hektische Fieber hätte es sich natürlich auch um
eine Komplikation mit Tuberkulose handeln können. In
Frage wäre die von Sternberg zuerst als eigenartige unter
dem Bilde der Pseudoleukämie verlaufende Tuberkulose des
lymphatischen Apparates gekommen. Aus dem Befund der all¬
gemeinen Drtisenschwellung ließ sich ein sicherer Rückschluß je¬
doch nicht ziehen. Erweichung konnte an irgendeiner der Drüsen¬
gruppen nicht festgestellt werden, auch Konfluierung zu größeren
Paketen war nicht vorhanden, der Milztumor war auch wohl ein
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Trrmbur
zu exorbitanter. Hinzu kam, daß auch an den sonstigen Organen,
besonders den Lungen, sich keine Zeichen für Tuberkulose fanden.
Die mehrmals vorgenommene Untersuchung des Sputums auf Tuber¬
kelbazillen verlief resultatlos, auch die Konjunktivalreaktion hatte
zweimal ein negatives Resultat. Auch aus dem Blutbefunde ließen
sich in dieser Hinsicht keine bindenden Schlüsse ziehen, wenn man
die Fälle von Schur, Hitschmann-Stroß im Auge hielt,
bei denen eine polymorphkernige Leukocytose bestand, wenn es ja
allerdings auch nach Sternberg Fälle dieser Krankheit ohne
Leukocytose gibt.
Nach allem entschieden wir uns — an die ev. Möglichkeit des
Vorliegens einer Leukosarkomatose oder Lymphosarkomatose ist
nicht gedacht worden — zu der Diagnose Pseudoleukämie,
d. h. zu der Pseudoleukämie im alten Cohnheim’schen Sinne,
also einer Erkrankung, die der Leukämie gleicht, aber prinzipiell
durch die fehlende Ausschwemmung der zelligen Elemente in das
Blut von ihr unterschieden ist. Mit dieser Diagnose waren von
den vorhandenen Symptomen ja ziemlich gut in Einklang zu bringen
der große Milztumor, die Temperatursteigerung, die allerdings erst
im weiteren Verlauf des Klinikaufenthaltes langsam einsetzende
Kachexie und der Blutbefund. Die roten Blutkörperchen waren
der Zahl nach ja allerdings etwas vermindert, aber doch nicht
hochgradig, zwischen 4 und 3 Millionen, Zahlen, wie sie mit den
von Laache angegebenen gut übereinstiramen. Poikilocytose war
vorhanden, zeigte aber keinen besonders hohen Grad. Normoblasten
waren nicht vorhanden. Der Hämoglobingehalt war herabgesetzt.
Nicht ganz so gut stimmte der Befund an den weißen Blutkörper¬
chen insofern, als während der ganzen Beobachtungszeit in der
Klinik eine deutliche Verminderung der relativen und absoluten
Zahl der polynucleären neutrophilen Leukocyten und eine zum
Ende der Krankheit hin deutlicher werdende Erhöhung der ab¬
soluten Zahl der Lymphocyten bestand. Doch es bietet ja auch
nach Gnawitz der Leukocytenbefund keine charakteristischen
und für die Diagnose verwertbaren Merkmale dar. Drüsenschwel¬
lungen waren zwar vorhanden, aber von den sonst charakteristi¬
schen massenhaften und großen Drüsentumoren konnte allerdings
keine Rede sein.
Endgültige Aufklärung dieses bis dahin klinisch und serologisch
so interessanten Falles konnte daher nur die Sektion und histo¬
logische Untersuchung der Organe bringen.
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Lymphosarkomatose und positive Wassermann’sche Reaktion. 27
Die von Herrn Prof. Dürck vorgenommene Obduktion ergab
folgende vorläufige Diagnose:
Hochgradige Splenomegalie. Schwellung der intra¬
abdominalen, der peritrachealen und der Bifurkations-
lymphdrüse, sowie der äußeren und inneren inguinalen
und der axillaren Lymphdrüsen. E r y t h r o b 1 a s t i s c h e s
Knochenmark in den Diaphysen. Multiple Blutaustritte
Abbild. 1. Einbruch der Zellmassen in das umgebende Fettgewebe einer
axillaren Lymphdrüse (Vergrößerung 60 fach).
Abbild 2. Dasselbe wie Abbild. 1 (Vergrößerung 220fach).
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in den geschwellten Lymphdrüsen. Hypostatische
Pneumonie des linken Unterlappens. Braune Atrophie
des Herzens. Lungenödem. Großer Infarkt im oberen
Teil der geschwellten Milz. Cholelithiasis.
Im übrigen lasse ich aus dem Sektionsprotokoll nur die für die end¬
gültige Diagnose wichtigen Punkte folgen.
Die Milz überragt den Bippenbogen mehr als handbreit und ragt
bis fast auf den Beckeneingang herab. In allen Durchmessern vergrößert
— 34,5 cm lang, lö 1 ^ breit, 6,4 dick — ist sie nach oben schwer lösbar,
gegen das Zwerchfell durch reichliche Spangen adhärent. An der Spitze,
den Verwachsungen entsprechend, fibröse Auflagerungen und Einlagerungen
in die Kapsel. Organ außerordentlich weich, auf dem Durchschnitt die
Pulpa dunkelbraunrot, reichlich abstreif bar; beim Darüberstreifen aber im
wesentlichen nur hellrote breiige Massen zu erhalten. Gerüst deutlich,
Follikel groß, deutlich gezeichnet. Im oberen Teil, 6 cm unter der
Spitze ein walnußgroßer, derber, Bcharf umschriebener, hellgelber,
käsig aussehender Herd mit nach innen gerichteter Spitze.
Linke peribronchiale Lymphdrüsen klein, derb, ganz,
schwarz, rechts etwas kleiner und weicher.
Im Anfangsteil der Aorta ist die Intima nahezu fleckenlos, ebenso
die Brust- und Bauchaorta, glatt fleckenlos. Die linken axillaren
Lymphdrüsen sind sehr deutlich geschwellt, weich, fast dattelgroß,
auf dem Durchschnitt stark vorquellend, graurot und dunkelbraunrot ver¬
färbt; ebenso auch die rechten diffus geschwellt, weich und fleckig. Die
beiden Schilddrüsenlappen ziemlich klein, sehr derb, sehr feinkörnig. Die
unteren peritrachealen Lymphdrüsen und die Bifurkations-
lymphdrüse sind hier beträchtlich geschwellt, sehr weich, z. T. dunkelrot,
z. T. von konfluierten, dunklen Herden durchsetzt; auch in ihrer Um¬
gebung in den Bindegewebskapseln kleine Blutaustritte. Die mesen¬
terialen Lymphdrüsen sind ganz klein und etwas fleckig gezeichnet.
Nach Herausnahme der Gedärme zeigen sich die retroperi-
tonealen Lymphdüsen in zusammenhängender Kette stark ge¬
schwellt, sehr weich, z. T. an der Oberfläche dunkel blutig, fleckig
durchscheinend. Die Schwellung erstreckt sich beiderseits bis auf die
iliacalen Lymphdrüsen herab. Auf dem Durchschnitt zeigen sich diese
Drüsen ebenfalls bunt gesprenkelt durch Einlagerung von zahlreichen
dunkelbräunlichen und rötlichen Bezirken und ein hellgraues Grund¬
gewebe, welches auf dem Durchschnitt stark vorquillt. Die Aorta ab¬
dominalis ist fast völlig von den bedeutend vergrößerten Lymphdrüsen
umwuchert. Linkerseits auch die inneren inguinalen Lymph¬
drüsen bis fast Dattelgröße geschwellt und gleichfalls fleckig gesprenkelt.
Rechterseits die Schwellung etwas geringer, die Drüsen hier entsprechend
härter. Die äußere n Inguinal drüsen rechterseits etwas vergrößert,
ziemlich derb, etwas gefleckt; links die äußeren sehr wenig geschwellt,
blaßgrau, fast ohne fleckige Einlagerungen.
Das Diaphysenmark des Femur ist dunkelbraunrot, schmierig
weich. Fettmark fast völlig geschwunden.
Zur histologischen Untersuchung kamen Herz (Papillar- und
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Lymphosarkomatose und positive Wassermann’sche Reaktion. 29
Wandmuskel), Leber, Nieren, untere peritracheale, axillare, retro-
peritoneale Lymphdrüsen, Milz- und Knochenmark.
1. Herz: Braune Atrophie der Herzmuskulatur. Stellenweise starke
zellige Infiltration and Bindegewebsneubildung.
2. Leber: Unbedeutende streifige und knötchenförmige Lympho-
cytenanhäufung im Glisson’schen Gewebe. An einigen Stellen daneben
größere ein- und blaßkernige protoplasmareiche Zellen wie in den
Lymphdrüsen (s. u.).
3. Nieren: Lymphocytenanhäufung an der Grenze von Binde und
Marksubstanz leichten Grades. Interstitielles Odem der Markkegel.
4. Untere peritracheale Drüsen: Struktur der Lymphdrüse
völlig verwischt. Das Maschenwerk des Betikulum zeigt neben den
kleinen Lymphocyten große blaßkernige protoplasmareiche Zellen von
rundlicher bis ovaler und an den Zusammenlagerungsstellen auch poly¬
gonaler Gestalt. Daneben Blutungen mit Bildung reichlicher großer rote
Blutkörperchen haltender Zellen. Die Kapsel der Lymphdrüsen zeigt
sich im großen und ganzen wohl erhalten, wird aber an mehreren Stellen
von den Drüsen durchbrochen. Im Bereich der größeren Gefäße finden
sich keine sklerosierenden Prozesse.
5. Axillardrüsen: An den vergrößerten axillaren Drüsen sieht
man, daß die Kapsel von dem veränderten Drüseninhalt in diffuser Weise
durchbrochen ist und die Zellmassen das umgebende Fettgewebe weithin
gleichmäßig und in weiterer Entfernung inselförmig infiltrieren. Das
zellige Infiltrat zeigt hier im allgemeinen genau denselben zelligen
Charakter wie in den Lymphdrüsen selbst; auch hier überwiegen wiederum
die großen blaßkernigen Zellen zwischen den Lymphocyten und erfüllen
in diffuser Weise die Fettgewebslücken und das lockere retikuläre Gewebe.
In weiterer Entfernung finden sich einige inselförmige Einsprengungen.
6. Hetroperitonealdrüsen: Derselbe Befund wie bei 4., nur
findet sich noch vorwiegend subkapsulär gelegenes anthrakotisches Pigment.
7. Milz: In ihr sind auch mikroskopisch die Follikel sehr unscharf
abgegrenzt, klein, mit undeutlichen Keimzentren. Die Pulparäume in
diffuser Weise durchsetzt von den gleichen protoplasmareichen zelligen
Elementen wie in den Lymphdrüsen. Um die Grenzen der Follikel
schieben sich diese Zellen zwischen die Lymphocyten hinein und sind
stellenweise zu kleinen Gruppen vereinigt, so daß sie sich dann gegen¬
seitig abplatten und epitheloide Verbände ergeben. In der Pulpa und
den großen venösen Bluträumen auffallend reichlich rote Blutkörperchen-
haltige Zellen.
8. Knochenmark: In ihm haben wir die ausgedehnteste Aus¬
breitang des diffusen Tumors. Es finden sich hier nur mehr sparsame
Fettlücken, größtenteils ist das Mark in Zellmark umgewandelt. Aber
fast alle zu beobachtenden Zellen sind heterotop und pathologische
Bildungen. Neben reichlichen kleinen Lymphocyten finden sich massen¬
haft wiederum die großen blaßkernigen rundlichen Elemente, ebenfalls
wieder in Gruppen oder selbst aüf weitere Strecken in epitheloiden Ver¬
bänden. Ganz vereinzelt sind Myeloblaxen zu sehen.
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Trembuh
Abbild. 3. Knochenmark (Vergrößerung 220 fach).
Auf Grund dieses histologischen Befundes wurde nunmehr die
Diagnose gestellt auf:
Lymphosarkomatose mit Befallensein der unteren peri-
trachealen, axillaren und retroperitonealen Lymphdrüsengruppen,
der Milz, des Knochenmarkes und in geringerem Maße der Leber.
Wir hatten es also mit einer Lvmphosarkomatose im Sinne des
von Kundrat und Pal tauf aufgestellten und näher studierten
Krankheitsbildes zu tun.
Von klinischer Seite liegen noch relativ wenige Beobachtungen
über diese Krankheit vor, und da es sich um eine Erkrankung des
lymphatischen und hämatopoetischen Apparates handelt, dürfte das
in unserem vorliegenden Falle erhobene klinische Blutbild
immerhin ein gewisses Interesse beanspruchen. Von den bisherigen
Beobachtern stellte Grawitz in drei Fällen, die zum Teil monate¬
lang beobachtet werden konnten, eine hochgradige Vermehrung der
Leukocyten und zwar der polynukleären, neutrophilen Formen fest.
Ebenso fand S a d 1 e r mehr oder minder starke Leukocytosen.
Sabrazes, Pinkus und Türk fanden im Gegensatz hierzu starke
Leukocytenverminderung oder normale Lymphocyten. Letzterer
aber auch in einem Falle eine starke Vermehrung der Lymphocyten.
Ebensolche Fälle beobachtete St. Klein. Reckzeh erhob einmal
bei bösartiger Lymphdrüsengeschwulst den Befund einer poly-
nucleären Leukoeytose, das andere Mal den einer lymphatischen
Leukämie. Limbeck konstatierte eine Vermehrung der lympho-
cytären Zellen.
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Lymphosarkomatose und positive Wassermann’sche Reaktion.
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In nnserem Falle nahmen während der ganzen Zeit der
klinischen Beobachtung die roten Blutkörperchen langsam aber
ständig an Zahl ab. Es bestand geringe Poikilocytose, Poly¬
chromasie; pathologische Zellformen waren mit Sicherheit nicht
nachweisbar. Der Hämoglobingehalt war herabgesetzt und von
Anfang bis zum Schluß war eine deutlich ausgesprochene Leuko¬
penie vorhanden. Dabei bestand während der ganzen Zeit eine
sowohl relative wie absolute Verminderung der polynucleären
neutrophilen Leukocyten. Die Lymphocyen zeigten im ganzen Ver¬
lauf eine relative Vermehrung bei anfangs normalen absoluten
Zahlen, doch zeigten sie, je mehr es zum Schlüsse der Krankheit
hinging, eine deutliche Erhöhung auch der absoluten Zahlen.
Zum Schlüsse noch einige Worte zu dem positiven Ausfall
der Wassermann’schen Reaktion. Anamnestisch und
klinisch lag keinerlei Anhalt für das Bestehen einer luetischen
Infektion vor, der Sektionsbefund und die histologische Unter¬
suchung ließen jegliches Anzeichen für Syphilis vermissen und
doch war der Ausfall der Seroreaktion ein absolut eindeutig positiver.
Von dem positiven Ausfall der Reaktion in den verschiedenen post
mortem dem Körper entnommenen Flüssigkeiten sehe ich ab. Auch
dem positiven Ausfall in dem kurz ante mortem entnommenen
Milzsaft lege ich keine Bedeutung bei, da es sich hier schon um
eine agonale Erscheinung gehandelt haben mag. Auch den sero¬
logischen Befund vom 11. Februar rechne ich noch hierhin. Anders
aber ist doch der Befund vom 19. Januar und vor allem der vom
12. Januar zu bewerten. Er liefert sicher den Beweis,
daß doch wohl hin und wieder eine positive Reaktion
bei einem Nichtsyphilitiker vorkommt. Diese Möglich¬
keit solle man sich also in solchen Fällen, in denen außer der
positiven Reaktion jeglicher anamnestischer wie klinischer Anhalt
für Lues fehlt, immer vor Augen halten und nicht eine Erklärung
für den positiven Ausfall bequemerweise so suchen, daß man ein¬
fach eine latente Syphilis als vorliegend annimmt.
In einer weiteren Hinsicht scheint mir dieser auffallende sero¬
logische Befund aber vielleicht doch noch einen Fingerzeig geben
zu können. Über den Körper, der die positive Wassermann’sche
Reaktion bedingt, weiß man ja nichts, als daß er zur Gruppe der
Eiweißkörper gehört. Es ist nun eine bei der Anstellung der
Wassermann’schen Reaktion keineswegs selten zu beobachtende Er¬
scheinung, daß, wie man gewöhnlich sagt, stark Wassermann positive
Seren in größerer Menge, z. B. 0,2 ccm, bereits ohne Extrakt
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Termbcr
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hemmen. Hier aber haben wir ein nebenbei sicher nicht
Inetisches Serum, das in sehr seltenem Grade stark
Wassermann positiv reagiert, dabei aber ohne Ex¬
trakt absolut keine komplementbindende Leistung
vollbringt. Das scheint doch darauf hinzudeuten, daß der die
positive Wassermann’sche Reaktion bedingende Körper nicht immer
derselbe ist (Citron hat ihm ja ganz zweckmäßig die Funktions¬
bezeichnung „Reagin“ gegeben.) Dieser Körper ist ein Beweis fin¬
den in einer bestimmten Richtung pathologisch veränderten Stoff¬
wechsel, wobei die Lues zwar in den allermeisten Fällen, andere
Krankeiten aber sehr selten die Störung verursachen. Das End¬
resultat ist dann eine Gruppe chemischer Körper des Serums, denen
gewisse Bindungsleistungen eigen sind, aber in quantitativ ver¬
schiedenem Grade. Derart etwa, daß ein Hauptkörper entsteht,
der nur oder fast nur die Eigenschaft hat, mit Extraktsubstanz zu¬
sammen Komplement zu absorbieren, neben ihm aber noch Körper,
denen diese Fähigkeit auch in geringerem Grade zukommt, die
daneben aber bereits für sich, ohne Extrakt, Komplement binden.
In Analogie mit diesen in der Serologie ja vielfach benutzten
Hypothesen könnte man annehmen, daß je nachdem, ob nur die
erste Substanz vorhanden ist, (die „dominante“) Hemmung nur bei
Extraktgegenwart erfolgt, oder je nach der Menge der zweiten
Substanz auch bereits ohne Extraktstoff. Sowohl in der Richtung
der Erforschung des die positive Wassermann’sche Reaktion be¬
dingenden Körpers als auch in der Richtung, die Serumreaktion
durch alle erdenklichen Maßnahmen zu sichern und dadurch den
Bestrebungen entgegenzutreten, die ihren sicher hohen diagnostischen
Wert herabsetzen zu sollen meinen, erscheint es nicht aussichtslos,
nicht nur mehr als bisher auf die quantitativen Verhältnisse bei
der Wassermann’schen Reaktion zu achten, wie Zeißler rät,
sondern auch die quantitativen Verhältnisse der
Eigenhemmung mehr als bisher zu berücksichtigen.
Freilich ist das nur dem über reichliche Zeit verfügenden Experi¬
mentator möglich. Indessen geht ja die Hauptströmung heute da¬
hin, die Ausführung der Wassermann’schen Reaktion zu zentrali¬
sieren. Und jeder, der längere Reihen der Seroreaktion beobachtet
hat, kann diese Bestrebungen nur dringend befürworten, da wohl
niemandem dabei Fälle entgehen, die sehr lebhafte diagnostische
Schwierigkeiten bieten, bei denen er sich sagen muß, daß die Sero¬
reaktion in der Hand des Unerfahrenen entweder wertlos oder sehr
bedenklich ist. So ließen sich gerade an diesen Zentralstellen für
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Lymphosarkomatose und positive WassermamTsche Reaktion.
33
WassermamTsche Reaktion solche Maßnahmen sicher durchführen.
Man könnte dann bei Seren, wie dem vorliegenden, das Reagin so¬
zusagen ohne alle störenden Beimengungen in überaus großer Menge
enthielt, vielleicht auch nicht ohne Erfolg versuchen, sie direkt
der chemischen Analyse zuzuführen.
Benutzte Literatur.
1. Blumenthal, Die Serodiagnostik der Syphilis. Dermatologische Zeitschr.
Bd. XVII (1910) Heft 1 und 2.
2. Bruck, .Die Serodiagnose der Syphilis. Berlin, Springer, 1909.
3. Caan, Über Komplementablenkung bei Hodgkin’scher Krankheit. Mönch,
med. Wochenschr. 1910 Nr. 19.
4. Grawitz, Klinische Pathologie des Blutes. Leipzig, Thieme, 1906.
5. Hauck, Positiver Ausfall der Wassermann-Neißer-Bruck’schen Syphilis¬
reaktion bei Lupus erythematosus acutus. Münch, med. Wochenschr. 1910
Nr. 1.
6. Hecht, Eigenhemmung menschlicher Sera. Berl. klin. Wochenschr. 1910
Nr. 18.
7. Hitschmann und St roß, Zur Kenntnis der Tuberkulose des lymphati¬
schen Apparates. Deutsche med. Wochenschr. 1903 Nr. 21.
8. Klein, St., Lymphocythfimie und Lymphomatöse. Zentralbl. f. inn. Med.
1903 Nr. 34/35.
9. Kundrat, Über Lymphosarkomatosis. Wien. klin. Wochenschr. 1893.
10. Leube, Über Leukämie. Deutsche Klinik am Eingang des XX. Jahrhun¬
derts Bd. 3, 1902, 42. Lieferung.
11. Mulzer, Praktische Anleitung zur Syphilisdiagnose auf biologischem Wege.
Berlin, Springer, 1910.
12. Pal tauf, Lymphosarkom (Lymphosarkomatose, Pseudoleukämie, Myelom,
Chlorom). Lubarsch-Ostertag Ergebnisse III. Jahrg. 1896.
13. Reckzeh, Über Lymphome und Lymphomatöse. Charite Annalen XXIX.
Jahrg. 1905.
14. Rein hart, Erfahrungen mit der Wassermann-Neißer-Bruck’schen Syphilis¬
reaktion. Münch, med. Wochenschr. 1909 Nr. 41.
15. Schur, Zur Symptomatologie der unter dem Bilde der Pseudoleukämie ver¬
laufenden Lymphdrüsentuberkulöse. Wien. klin. Wochenschr. 1903 Nr. 6.
16. Senator, Über Anaemia splenica mit Ascites (Banti’sche Krankheit). Berl.
klin. Wochenschr. 1901 Nr. 46.
17. Sternberg, Über eine eigenartige unter dem Bilde der Pseudoleukämie
verlaufende Tuberkulose des lymphatischen Apparates. Zeitschr. für Heil¬
kunde 1898 Bd. 19.
18. Ders., Pathologie der Primärerkrankungen des lymphatischen u. hämatopoeti-
schen Apparates einschließlich der normalen u. pathologischen Morphologie
des Blutes sowie einer Technik der Blutuntersuchung. Wiesbaden, Berg¬
mann, 1905. .
19 Strümpell, Ein Fall von Anaemia splenica. Arch. d. Heilkunde 1876
Bd. 17.
20. Zeißler, Quantitative Hemmungskörperbestimmung bei der Wassermann-
schen Reaktion. Berl. klin. Wochenschr. 1910 Nr. 21.
21. Zumbusch, Ein Fall von Lupus erythematodes disseminatus mit positiver
Wassermann’scher Reaktion. Wien. klin. Wochenschr. 1910 Nr. 15.
Deutsches Archiv für klin. Medizin. 101. Bd.
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Zur Lehre von den Katarrhen.
Vom
Dr. Wilhelm Ehstein
(Göttiiigen .
Die Lehre von den Katarrhen ist eine noch vielfach lücken¬
hafte. In dieser Beziehung einige ergänzende Beiträge zn liefern,
ist der Zweck der folgenden Blätter.
Daß die Bezeichnung „Katarrh“ nicht zutreffend ist, ist be¬
kannt Es steht damit wie mit einer Reihe anderer Krankheits¬
namen, welche die Aufgabe, die sie erfüllen sollten, nämlich: eine
bündige Vorstellung von der Art und dem Wesen der betreffenden
Krankheit zu geben, entweder nur unvollkommen oder gar nicht
erfüllen. Ich erinnere in dieser Beziehung zunächst an das mit
der Bezeichnung „Gelbsucht“ synonym gebrauchte Wort „Ikterus“,
über dessen Bedeutung soviel hin und her diskutiert worden ist
ohne daß man darüber bis jetzt zn einem abschließenden Urteile
kommen konnte. 1 2 ) Ich gedenke ferner der Bezeichnung „Gicht“ für
die Arthritis uratica. Während R. Virchow das Wort „Gicht“
durch eine Art Verstümmelung aus dem lateinischen gutta ent¬
stehen ließ, habe ich vor längerer Zeit bereits darauf hingewiesen,
daß wir auf Grund von Moriz Heyne’s etymologischen For¬
schungen annehmen müssen, daß „Gicht“ einem nrdeutschen Worte
entstammt, mit dem aber keineswegs die wirkliche Natur der Gicht
bezeichnet wird, sondern das lediglich ein Kollektivname für
allerlei Leiden, wie Lähme, Körperschmerz usw. ist, welche aller¬
dings bei der Arthritis uratica nicht vermißt zu werden pflegen.*)
Ebensowenig vermag das Wort „Katarrh“ eine richtige Vor¬
stellung davon zu erwecken, daß es eine einfache Schleimhaut-
1) W. Ebstein, Znr Etymologie des Wortes Gelbsucht nsw. Deutsche
med. Woclieiisc.hr. 1903 Nr. 6, und ders. in Ebstein-Schwalbe, Handbuch
d. ]>rakt. Medizin, 2. Auf]., Stuttgart 1905, Bd. 2 p. 374.
2 ) W. Ebstein, Natur und Behandlung der Gicht. 2. Aufl., Wiesbaden
1906, p. 1 ff.
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Zur Lehre von den Katarrhen.
35
entzündung mit vermehrter Absonderung bedeutet, einen Krank¬
heitszustand, den wir nicht nur als einen der häufigsten, sondern
auch als einen seit uralten Zeiten schon gekannten bezeichnen
können. Dem Ausdruck „ Karaggeiv “ nämlich begegnen wir bereits
bei Hippokrates.*) Dies Wort belehrt uns, daß der Vater der
wissenschaftlichen Medizin über die Entstehung des Katarrhs eine
recht wenig zutreffende Vorstellung hatte. Es handelt sich für
ihn dabei um eine Störung der vier von ihm als Körperkonstituen-
tien angenommenen Humores, nämlich der schwarzen Galle, der
gelben Galle, des Blutes und des Schleimes. Das Gleichgesicht der
vier Humores untereinander, deren richtige Mischung, die Krasis,
ist für ihn die unerläßliche Bedingung für das Bestehen der Ge¬
sundheit. Fließt aber z. B. der Schleim in vermehrter Menge aus
dem Kopfe in den übrigen Körper herab, so tritt durch dieses
Herabfließen, durch das „KataQQMv “, durch den Katarrh eine
Störung ein. Werden dadurch die Mischungsverhältnisse dieser
vier Humores gestört und entsteht also eine schlechte Mischung,
eine Dyskrasie, so ist der Mensch krank.
Ganz analoge Vorstellungen finden wir auch bei Aul. Cornelius
Celsus 1 2 ) (ca. 30 vor bis ca. 50 nach Chr. Geb.). Hier wird in
dem 5. Kapitel des 4. Buches in dem Abschnitt, der von dem
Katarrh (destillatis), Stockschnupfen (gravedo) handelt, über diese
Krankheitszustände, insbesondere über deren Lokalisation, folgendes
von Celsus mitgeteilt. Es habe nicht viel zu bedeuten, wenn
bisweilen Flüssigkeit aus dem Kopfe in die Nase tropfe. Es sei
schon ernster, wenn sie bisweilen in den Schlund tropfe; mitunter
fließe sie auch in die Lungen, und dies ist sehr schlimm. Ergießt
sie sich in die Nase, so fließt aus dieser ein dünner Schleim, der
Kopf schmerzt leicht, man hat in demselben ein Gefühl der Schwere
und man muß häufig niesen. Ergießt sich die Flüssigkeit in den
Schlund, so wird dieser rauh, und es entsteht leichter Husten.
Fließt sie in die Lungen, so ist außer Niesen und Husten auch
Gefühl von Schwere im Kopfe, Mattigkeit, Durst, Hitze und galliger
Urin vorhanden. Ein anderes von dem vorigen nicht sehr ver¬
schiedenes Übel ist der Stockschnupfen. Hierbei ist die Nase ver¬
stopft, die Stimme heiser und es besteht trockener Husten, der
1) Vgl. Th. Beck, Hippokrates’ Erkenntnisse usw. Jena 1907, p. 46.
2) Aul. Cornel. Celsus, Über die Arzneiwissenschaft in 8 Büchern, 2. Aufl.,
durchgesehen von W. Frieboes, Braunschweig 1906, p. 146 — IV. Buch, 6. Kapitel
[II, 4]: Von dem Katarrh (destillatio) und Stockschnupfen (gravedo) —.
3 *
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Speichel ist salzig, die Ohren klingen, die Adern am Kopfe pul¬
sieren stark und der Urin ist trübe.
Bei CI. Galen 1 ) (131—201 oder 210 n. Chr.) vertritt betreffs
der Ursache der Katarrhe die hippokratische Lehre. Die hier er¬
örterten Anschauungen über die Ursache der „coryza“ finden wir
bei der Hl. Hildegard 2 ), der berühmten Äbtissin im Kloster
Ruppertsberg (1099—1177) in einer etwas modifizierten Form vor¬
getragen. Bemerkt sei, daß das Wort „catarrh“ von ihr nirgends
genannt wird. Dagegen ist betreffs der Entwicklung einer Art
desselben, der mehrfach erwähnten „coryza“ mitgeteilt, daß während
das Gehirn des Menschen zuzeiten gesund und rein ist, bisweilen
Wirbel von Luft und von anderen Elementen in dasselbe auf¬
steigen, die verschiedenen Humores in dasselbe herein- und ans
demselben herausziehen und einen trüben Rauch im Nasen- und
Gaumenkanal vorbereiten, so daß sich, analog dem nebligen Hauche
des Wassers, ein schädlicher Flecken (livor) zusammenzieht. Die
Heilige Hildegard läßt also um die Entstehung der Coryza zu
erklären, von außen in das Gehirn eindringende Noxen eine Rolle
spielen, die von hier aus hernach die Nase und die Kehle, also peri¬
pherische Teile, nachteilig beeinflussen.
Caelius Aurelianus 8 ) dagegen, der am Ende des 4. oder am
Anfang des 5. Jahrhunderts n. Chr. gelebt hat, vertrat, abweichend
von den vorher genannten, bereits einen den heutigen Anschauungen
entsprechenderen Standpunkt, indem er auf die betreffenden Körper¬
teile, ohne Beteiligung des Kopfes wirkende Schädlichkeiten für
die Entstehung des Katarrhs verantwortlich machte. Dasselbe tat
auch Paulos von Aegina 4 ) (ca. 625—690). Beide nämlich, der
erstere ausschließlich, haben die Kälte und die Anstrengung bei
der Stimmbildung für die Entstehung des Katarrhs verantwortlich
gemacht.
1) Cl. Galeni, Opera omnia, edidit C. G. Kühn, Tom, XIV. Lipsiae 1827.
p. 742: Gravedo. raucitas et catarrlms sunt affectus, qui fiunt ab humore, qui ab
oppleto eerebro deeumbit.
2i Hildegar dis, Oausae et curae edidit Paulus Kaiser 1903 p. 134.
3j Caelius Aurelianus, De morbis acutis et chronicis, Amstelodami 1709.
p. 379 (de morbis chronicis Lib. 2, cap. 7 de influxione, quam Graeci Karapom
vocant. Hier werden als „Oausae“: perfrictio profunda vel extenaio — als Fu߬
note ist hier beigefiigt: an vocis (?) ejus enim nimia intensione facile raucedo
contrahi potest — angegeben).
4) Paulus Aegineta, The seven books of. — translated of the Greekby
Francis Adam. Yol. I, London 1844, Book III, Sektion 28 p. 469: — „Not onlv
to the iiiHammatiou front the liead but also to the arising from vociferation and
inhaling eold air.“
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Zar Lehre von den Katarrhen.
37
In den Bezeichnungen für die einzelnen Schleimhäute be¬
stehen bei den Alten mancherlei Widersprüche. Es scheint nur
allgemeine Übereinstimmung betreffs der Benennung des Schnupfens
als Coryza, die bereits von Hippokrates gebraucht wurde, zu
herrschen. Dagegen bezeichnet Caelius Aurelianus den Rachen-
katarrh als „branchos“, während Paulus Aegineta Katarrhe
des Rachens und des Gaumens einfach „Katarrhe“ nennt, dagegen
die in dem Kehlkopf und in der Luftröhre sich lokalisierenden
mit dem Namen „branchus“ oder „morbus arteriacus“ belegt.
Caelius Aurelianus bezeichnet den zum Brustkasten oder zu
den Lungen herabsteigenden Katarrh als „mvois“. Bei CI. Galen
(1. c. T. XVIII, pars 2 p. 180) lesen wir dagegen „humorem illum
tenuem et crudum qui per nares excernitur veteres omnes medici
gravedinem vocare consueverunt, uti et similem ubi per palatum
descendit, catarrum, destillationem appellant. Sed miror quomodo
Hippokrates non destillationem, sed sternutamenta cum gravedine
conjunxerit“, a. a. Stelle (Tom. XIV, p. 742) gibt Galen als Be¬
zeichnung für den Katarrh der Luftröhre „raucitas“ an und sagt,
daß derselbe, wenn er in den Brustkasten herabsteige, Katarrh
genannt werde. Celsus bemerkt a. a. 0., daß Hippokrates
„alle diese Krankheitsformen Kogv£cu nennt“ und fügt hinzu: „die
Griechen haben jetzt, wie ich sehe, diesen Namen für den Stock¬
schnupfen beibehalten, den Katarrh aber nennen sie „ Kataarayfios “.
Johann Peter Frank (1745—1821) bemerkt in seiner spe¬
ziellen Pathologie und Therapie, übersetzt von Sobernheim,
3. Ausgabe 1848 — Bd. 1, S. 380 — wo er coryza und gravedo
als synonym bezeichnet, daß mit Unrecht die Alten beide dadurch
unterscheiden wollten, daß bei letzterem ein zäher Schleim unter
einem drückenden Schmerz (dolor gravativus) abgesondert werde,
während es sich bei ersterem um die Sekretion einer serösen,
dünnflüssigen und scharfen Materie handle. Mit Recht hebt
Frank hervor, daß beide Arten nur dem Grade und der Zeit
nach voneinander ab weichen.
Diese Beispiele dürften genügen, um zu beweisen, daß betreffs
der Nomenklatur der verschiedenen Katarrhformen keineswegs
••
Übereinstimmung bei den verschiedenen alten griechischen und
römischen Autoren besteht.
Obgleich, wie wir gesehen haben, bereits Caelius Aurelianus
und Paulos von Aegina mit den Anschauungen des Hippo¬
krates über die Pathogenese der Katarrhe mehr oder weniger
gebrochen hatten, brachte es doch vornehmlich der Einfluß G a 1 e n s
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Ebstein
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zuwege, daß die hippokratischen Vorstellungen auch in diesen Be¬
ziehungen während sehr langer Zeit ein gewisses Ansehen be¬
wahrten. Auch Stephan Blancard 1 ), obgleich er angibt, daß
auf diese Weise keine Katarrhe entstehen, indem vom Kopfe nichts
in die Nase, den Mund, die Lungen usw. fließe, sondern daß viel¬
mehr die oft infolge der eintretenden Verstopfung der Drüsen der
Nase und der in der Umgebung des Mundes gelegenen Drüsen
sich entwickelnde Entzündung als Ursache zu beschuldigen sei.
hält es doch für angemessen, seine Ansicht folgendermaßen zu for¬
mulieren: „Si fluat ad pectus, dicatur rheuma catarrhus ad fauces
branchus, ad nares esto coryza.“ Es deckt sich dies also im
wesentlichen mit folgendem Satze des Hippokrates 2 3 ): „Fluß
vom Kopfe nach der Nase bewirkt eine Coryza, auf der Brust ein
Rheuma.“
Wenngleich das Wort „Katarrh“ so alten Datums ist, ist es
bei uns verhältnismäßig spät populär geworden; denn M. Höfler *).
der diese Frage verfolgt hat, gibt an, daß erst seit der ersten
Hälfte des 17. Jahrhunderts dasselbe aus der ärztlichen Schule,
nachdem 1660 C. V. Schneider 4 5 ) (1614—1680) die sog. Schnei¬
der’sehe Membran als Geruchsschleimhaut entdeckt hatte, in nicht¬
ärztliche Kreise gedrungen und jetzt erst durch den Umgang der
Kranken mit den Ärzten ganz volkstümlich geworden sei. Früher
und zum Teil auch später noch sind mannigfache andere Bezeich¬
nungen: Strauchen, Schnupfen, Fluß. Rheuma, Rotz, Influenza.
Hirnfluß, Hauptfluß, Pfnüsel usw. in Anwendung gezogen worden.
Wir gebrauchen das Wort „Katarrh“ heutzutage, ohne weiteren
Zusatz fast ausschließlich für Bezeichnung einer katarrhalischen,
d. h. mit vermehrter Schleimbildung einhergehenden Entzündung
der tieferen Luftwege, handelt es sich um andere Schleimhäute, so
setzen wir vor das Wort „Katarrh“ den Namen des davon be¬
troffenen Organs. Nur das Wort „Schnupfen“ wird gleichfalls ohne
weiteren Zusatz, ebenso wird das griechische „Koryzaa“ zur Be-
1) Steph. Blancardi, Lexicon medicum renovatum etc. Editio novissiraa.
Lngdnni Batavor 1717 p. 138.
2) Oeuvres completes d’Hippacrate. Traduction nouvelle par E. Littre.
T. VI, Paris 1849 p. 107.
3) M. Höf ler. Deutsches Kranklieitsnaineubuch. München 1899 p. 260,61
(Katarrh).
4) K. F. H. Marx, Konrad Victor Schneider und die Katarrhe. Güttingen
1873. (Daselbst die einschlägigen Literaturangaben.)
5) F. Th. Viseher, Auch einer, Bd. 1 p. 101 (7. Aufl., Stuttgart und
Leipzig 1897) schreibt: „Pfnüssel“.
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Zur Lehre von den Katarrhen.
39
Zeichnung des Nasenkatarrhs angewendet. Auch in Frankreich *)
brauchte man bis in die neuere Zeit das Wort „catarrhe“ nicht
allgemein, sondern lediglich zur Bezeichnung einer „bronchite“.
Die klinische Terminologie kennzeichnet gewöhnlich, indem zu der
Bezeichnung des betreffenden Organs als Endsilben „itis“ hinzu¬
gefügt wird, dessen Befallensein von einem entzündlichen Prozesse.
Ohne weiteren Zusatz pflegt man darunter einen einfachen Katarrh
der betreffenden Schleimhaut zu verstehen, auch wenn man zu
Rhinitis, Laryngitis usw. als Epitheton „catarrhalis“ nicht hin¬
zufügt.
Was die Ursachen der Katarrhe anlangt, so haben die Alten
bei ihren diesen Gegenstand betreffenden Angaben augenscheinlich
nur die in den Schleimhäuten der oberen Körperhälfte lokalisierten
Katarrhe im Auge gehabt. Die ursprüngliche hippokratische Lehre
hat, wie mir scheint, nicht mit der Möglichkeit gerechnet, daß in¬
folge des Herabfließens vom Kopf Katarrhe in den Organen des
Bauches (Magen, Darm, Scheide usw.) sich entwickeln. Dagegen
sind die bereits von Caelius Aurelianus und Paulos Aegineta
beschuldigten Schädlichkeiten (vgl. oben), insbesondere die Erkäl¬
tung als Katarrhe veranlassende Ursachen heute noch in Geltung,
lassen doch die Engländer die Katarrhe der Luftwege, welche sie
populär direkt als „the cold M bezeichnen, geradezu bei kaltem und
feuchtem Wetter entstehen. Damit sind aber die Katarrhe veran¬
lassenden Ursachen keineswegs erschöpft, deren große Mannig¬
faltigkeit sich, um hier nur ein Beispiel hervorzuheben, an dem
Schnupfen sehr leicht exemplifizieren läßt. Die altindischen Ärzte
haben fünf Arten von Schnupfen oder Katarrh beschrieben.*) Wir
wissen, daß die verschiedensten mechanischen, chemischen und ther¬
mischen Reize Nasenkatarrhe hervorzurufen vermögen. Gewisse
chemische Reize sind imstande, dies auch — wie der Jodschnupfen
lehrt, der nach innerlicher Darreichung von Jodpräparaten auf-
tritt — auf dem Säftewege von innen heraus zu bewirken. Da
dies ceteris paribus keineswegs bei allen Menschen geschieht, müssen
besondere Idiosynkrasien angenommen werden, die in dieser Be¬
ziehung prädisponierend wirken. Es genügen bei solchen Menschen
manchmal gewisse, im allgemeinen angenehm wirkende Reize, wie
1) C-f. L. Thomas, Artikel: „catarrhe“ in der Grande Encyelopedie. Toni.
IX p. 819, Paris.
2) Julius Jolly, Medizin ans dem Grundriß der indo-arischen Philologie
und Altertumskunde, 3. Bd. 10. Heft, Straßburg 1901, p. 117.
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40
Ebstkix
Rosenduft, um katarrhalische Zustände in der Nasenschleimhaut
zu erzeugen. Als typisches Beispiel sei hier der Heuschnupfen
angeführt, bei dessen Entstehung jedenfalls auch eine individuelle
Disposition wesentlich mitspielt. Es ist bekannt, daß der Schnupfen
sehr viele Infektionskrankheiten begleitet, so z. B. die Influenza,
die Masern usw., und daß ferner durch die Übertragung des Tripper¬
giftes, z. B. während des Gebäraktes, von den Geburtswegen der
Mutter in der Nase und Bindehaut des Auges Entzündungen
und zwar schlimmster Art bewirkt werden können. Auf diese
Weise läßt sich auch die Frage betreffs der Ansteckungsfahigkeit
des Schnupfens beantworten. Durch infektiöse Stoffe, wie z. B.
durch Bakteriengifte bedingte Katarrhe werden als übertragbar,
als kontagiös, also als ansteckend bezeichnet werden müssen, wäh¬
rend vorauszusetzen ist, daß bei den durch rein mechanische, ther¬
mische und nicht bakterielle chemische Ursachen bedingten akuten
Katarrhen, wie ersteres beim Heuschnupfen uud letzteres bei dem
Jodschnupfen der Fall ist, eine Ansteckungsfahigkeit nicht besteht,
ebensowenig wie bei gewissen nicht infektiösen chronischen Nasen¬
katarrhen, wozu Individuen mit skrofulöser Anlage erfahrungs¬
gemäß sehr disponiert sind.
Übrigens besitzt kein Stand, kein Beruf, kein Lebensalter
Immunität gegen Katarrhe. Die extremsten, das kindliche und
das Greisenalter sind dadurch am meisten gefährdet, obgleich sich
bei letzterem die Disposition zu gewissen infektiösen Katarrhen,
freilich nicht zu Infektionen im allgemeinen, wesentlich abzu¬
schwächen scheint. Katarrhe der tiefen Luftwege werden im hohen
Alter besonders verhängnisvoll. Bei erwachsenen Personen haben
unter den Katarrhen am meisten diejenigen zu leiden, die in ihrem
Berufe sich mechanischen, thermischen und chemischen Schädlich¬
keiten in hohem Maße auszusetzen genötigt sind, also die arbeiten¬
den Klassen und vornehmlich die Individuen, die unter dem Ein¬
fluß von verschiedenen Arten von Staub, wie dem Mehl- oder Straßen¬
staub usw., ganz besonders zu leiden haben. Abgesehen von den Ka¬
tarrhen, welche die im übrigen gesunden Schleimhäute primär be¬
fallen gibt es auch sekundäre, die im Gefolge anderer Krankheits¬
prozesse auftreten. Unter ihnen stehen die zu tuberkulösen Er¬
krankungen, z. B. der Lungen, sich hinzugesellenden in erster Reihe.
Was die anatomischen Veränderungen anlangt, welche durch
die Katarrhe bedingt werden, so sind sie zum Teil schon bei Leb¬
zeiten zu übersehen, sei es bei direkter Besichtigung, sei es mit
Hilfe der Spiegeluntersuchung, die uns eine Einsicht in die krank-
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Zar Lehre von den Katarrhen.
41
haften Veränderungen, z. B. in dem Kehlkopf, in der Harnblase er¬
möglicht Ehe man aber eine befriedigende Kenntnis über die
einschlägigen Verhältnisse bekommen konnte, mußte eine genaue
Erforschung der normalen Strukturverhältnisse der Schleimhäute,
in deren Geweben die Katarrhe sich lokalisieren, unternommen
werden. Wie lange diese Erforschung auf sich hat warten lassen,
ist allerdings recht befremdlich, denn erst Henle 1 ) hat sich der
Lösung dieser Aufgabe in befriedigender Weise unterzogen.
Wir erfahren aus Henle’s Darstellung, daß das geschich¬
tete Pflasterepithel der äußeren Häute, das die erste Schicht,
von deren freien Oberfläche angefangen, darstellt, von den äußeren
Öffnungen des Schleimhauttraktus an bis zu einer größeren oder
geringeren Tiefe derselben die Schleimhautoberfläche bedeckt. Die
Körperöffnungen, an denen ein solcher Übergang der Cutis in die
Schleimhaut erfolgt, sind die Nasenlöcher, der Mund und der After,
die Öffnungen der Harn- und Geschlechtsorgane, sowie endlich die
Mündungen der Milchgänge auf der Brustwarze. Das Epithel der
Schleimhaut ist hier ebenso wie die Epidermis der äußeren Haut,
als deren Fortsetzung es anzusehen ist, indem es sich von ihr
lediglich durch eine geringere Dicke unterscheidet, in einer be¬
ständigen Abschilferung seiner obersten Schicht begriffen. Was
diese abgestorbenen Schüppchen betrifft, so bedecken als soge¬
nannter schleimiger Beleg die tieferen Epithelschichten der Schleim¬
haut. Sie werden durch flüssige Sekrete oder durch von außen
eingeführte Flüssigkeiten weggespült. Die Mächtigkeit des ge¬
schichteten Epitheliums nimmt an einer bestimmten Stelle rasch
ab und endet für das unbewaffnete Auge mit einer scharfen Grenze,
an der es entweder durch eine einfache Lage von Pflaster- oder
Zylinderepithel ersetzt wird. Henle erinnert an eine verbreitete
Abart des letzteren, die Becherzellen, und scheint sich der An¬
sicht der Beobachter anzuschließen, die diese Zellen für abson¬
dernde Organe halten, die bei der Bildung des Schleimes beteiligt
sind. Ferner ist bei dieser Gelegenheit noch der kleinen acinösen
Drüsen zu gedenken, die man schlechthin unter dem Namen
Schleimdrüsen und speziell im Zwölffingerdarm als Brunn-
sehe Drüsen zu bezeichnen pflegt. Man sieht sie eingebettet in
dem der Tunica-Nerven eigentümlichen Gewebe. Diese kleinen
Drüsen liegen zum Teil von festeren Faserzügen umschlossen in
1) J. Henle, Lehrbuch der Eingeweidelehre des Menschen. 2. Anfl., Braun¬
schweig 1873, p. 45 ff.
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Ebstein
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der Dicke der Schleimhaut und zwar bald in kootiuuierlicher Aus¬
breitung, bald vereinzelt. Es ist aus dieser Schilderung ohne
weiteres klar, daß die Schleimhäute stets Sekret absondern, welches
bei normalem Zustande derselben aus Schleim einer farblosen, zähen
und fadenziehenden Flüssigkeit besteht, die dann bei katarrhali¬
schen Zuständen in mannigfacher Weise modifiziert wird. Am be¬
quemsten läßt sich dies, ebenso wie die beim Katarrh auftretenden
Schleimhautveränderungen beim akuten Nasenkatarrh, also bei der
einfachen exsudativen Entzündung der Nasenschleimhaut, dem
Schnupfen, dem Typus eines akuten Schleimhautkatarrhes studieren.
Wir sehen dabei die Schleimhaut blutreich und mehr oder
weniger geschwollen, was an der unteren Muschel mit ihrem aus¬
gebildeten Schwellgewebe vornehmlich in die Augen fällt Erst
nachdem die Hyperämie einige Zeit bestanden hat, stellt sich eine
Exsudation an der Oberfläche der Schleimhaut ein, welche, nach¬
dem sie zuerst spärlich und glasig war, durch ihre dünnflüssige,
wasserhelle, schwach fadenziehende Beschaffenheit, sowie durch
ihre alkalische Reaktion und ihre ätzende Eigenschaft genügend
gekennzeichnet ist. Letzteres gibt sich dadurch kund, daß
diese oft in ansehnlicher Menge aus den Nasenlöchern herab¬
fließende und deren Umgebung benetzende Flüssigkeit die Haut¬
oberfläche reizt und wund macht, während die tieferen Partien
der Haut mit dem Stärkerwerden der Entzündung der Schleim¬
haut, wie wir besonders an den Nasenflügeln und an der Oberlippe
bemerken, an der Entzündung sich derart zu beteiligen pflegen,
daß diese Teile gleichfalls mehr oder weniger verdickt und infil¬
triert erscheinen. Dabei ändert sich gleichzeitig der Charakter
des Sekrets. Dasselbe verliert mehr und mehr seine wässerige
Beschaffenheit, es wird konsistenter. Die Absonderung wird stetig
zähflüssiger, und das mehr oder weniger schleimig eitrige Sekret
wird der Schleimhaut fester anhaftend und schwerer entfernbar.
Wenn dann, da in der Regel der gewöhnliche akute Schnupfen rasch
rückgängig zu werden pflegt, sich die gesteigerte Absonderung
der Nasenschleimhaut auch ebenmäßig vermindert, verliert das
Sekret wieder seine zähe, schleimige, eitrige Beschaffenheit. Es
wird glasig, also heller und dünner und die im Anfang vorhandene
ätzende Wirkung erlischt. Gleichzeitig verschwindet auch die
Rötung und die Schwellung der Nasenschleimhaut. Es verheilen
dabei auch die Erosionen, welche infolge des entzündlichen Pro¬
zesses auf der Schleimhaut entstanden und die man heut immer
noch gelegentlich Unrichtigerweiser als katarrhalische Geschwüre
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Zur Lehre von den Katarrhen.
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zu bezeichnen pflegt. Der Schnupfen pflegt aber bei dazu dispo¬
nierten Individuen oder bei häufiger Wiederkehr der die Ent¬
zündung vermittelnden Ursachen mehr oder weniger häufig zu rezi-
divieren. Anf diese Weise oder bei der Kombination der ange¬
gebenen Verhältnisse oder unter gewissen Umständen auch infolge
einer einmaligen derartigen katarrhalischen Entzündung der Nase
kann sich ein chronischer Zustand entwickeln, bei welchem oft
eine vollständige Ausscheidung nicht stattfindet. Es bleiben häufig
dauernde Gewebsveränderungen in der Nase zurück und zwar
treten in der Regel zunächst Schwellungen und nachher Schrump¬
fungsprozesse auf. Es sei bemerkt, daß sich die chronischen, was
übrigens auch bei den akuten Katarrhen der Nase häufig der
Fall ist, auf deren Nebenhöhlen fortsetzen können. Bei dem chro¬
nischen Nasenkatarrh hat daa Sekret die Neigung zu Zersetzungs¬
prozessen, und zur Schorfbildung. Es wird oft stinkend. Die In¬
dividuen mit einer sog. Stinknase, Ozaena, sind unliebsame
Persönlichkeiten, die von jedermann gemieden werden.
Wertvolle, nicht nur die makroskopische Untersuchung er¬
gänzende, sondern ganz neue, die Ätiologie betreffende Aufschlüsse
liefert hier die mikroskopische Untersuchung, welche sich beim
lebenden Menschen im wesentlichen auf die des Sekretes zu be¬
schränken haben wird. R. Virchow 1 2 ) hat auch betreffs der Ka¬
tarrhe in dieser Beziehung dankenswerte Anregungen gegeben und
das ärztliche Handeln gefordert.
Die mikroskopische Untersuchung des katarrhalischen Nasen¬
schleims ergibt zahlreiche Rundzellen, deren Menge sich, ent¬
sprechend der fortschreitenden Entzündung, vermehrt. Sie sind an
einer Seite mit Flimmern besetzt. Außerdem sieht man auch
Zylinderepithelien. Orth*) bemerkt, daß die mit Flimmern be¬
setzten Rundzellen wohl durch eine Art Kontraktur des Leibes
der letzteren entstanden sein und jedenfalls mit einer Eiterzellen¬
bildung aus den Epithelien nichts zu tun haben dürften. Die Zahl
der Rundzellen erreicht schließlich auf dem Höhepunkt des ent¬
zündlichen Prozesses eine beträchtliche Höhe. Das zur Unter¬
suchung des Nasensekrets auf Mikroorganismen erforderliche Ma¬
terial gewinnt man mittels eines sterilen Wattetupfers. 0. Aro-
1) R. Virchow, Tiber die Reform der pathologischen und therapeutischen
Anschauungen durch die mikroskopischen Untersuchungen, dessen Archiv Bd. 1.
1847, p. 251.
2) J. Orth, Lehrbuch der pathologischen Anatomie. I. Band, Berlin 1887 T
P- 185.
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nade'i berichtet betreffs des Schnapfens der Säuglinge, welche
anf Grund ihrer mangelhaften Wärmeregulation leicht zu -Er¬
kältungen - der Nasenschleimhaut unabhängig von der Jahreszeit
geneigt seien, daß diese Erkältungen von echter Entzündung und
bakterieller Infektion gefolgt sind. Die letztere kann teils durch
Autoinfektion, teils durch die oft unvorsichtige Umgebung des
Kindes bewirkt werden; in Betracht kämen hier vorzugsweise
Pneumokokken, Mikrokokkus catarrhalis, Coli- und Diphtherie¬
bazillen. Bei den katarrhalischen Entzündungen geht das Epithel
niemals, wie es bei den diphtherischen geschieht, zugrunde.
Zur Kenntnis der durch Katarrhe bedingten anatomischen Ver¬
änderungen der Schleimhäute liefert auch die mikroskopische Unter¬
suchung des durch das Tierexperiment gelieferten Materials ein
nicht zu unterschätzendes Material, da einfache Katarrhe beim
Erwachsenen kaum zum Tode führen. Ich habe 1 2 ) dazu die Ver¬
änderungen verwertet, welche die Magenschleimhaut der Hunde,
einschließlich der in ihr enthaltenen der Verdauung dienenden
Drüsen, durch Einverleibung von Alkohol in den Magen erleidet.
Die anatomische Untersuchung des akuten Magenkatarrhs beim
Menschen bat gewisse Schwierigkeiten, weil diese Krankheit, da
sie nicht tödlich verläuft, nur zufällig zur direkten Untersuchung
gelangt, deren Ergebnis überdies deshalb ein unvollkommenes wird,
weil die nach dem Tode infolge der Selbstverdauung eintretenden
Magen Veränderungen die Verwertung der Beobachtung ganz wesent¬
lich beeinträchtigen. Indes weiß man in dieser Beziehung immer¬
hin so viel, daß der akute Magenkatarrh beim Menschen durch
eine gesteigerte Füllung der Blutgefäße, die selten über die ge¬
samte Magenschleimhaut sich erstreckt, sondern in der Regel auf
einzelne Partien derselben und zwar vornehmlich auf die Gegend
des Pförtners sich zu beschränken pflegt. Daneben finden sich
häufig oberflächlich gelegene kleine Schleimhautblutungen sowie
gar nicht selten auch sog. hämorrhagische Erosionen, wo das Epi¬
thel der Magenschleimhaut im Bereich dieser Blutungen abge¬
stoßen worden ist. Die gesamte Schleimhaut ist überdies ebenso
wie meist auch die submuköse Schicht etwas geschwollen. Die
Oberfläche der Schleimhaut ist mit einem zähen, glasigen, durch
leichte blutige Beimischung rötlich gefärbten Schleim bedeckt.
1) Vgl. 0. Aron ade. Der Schnupfen der Säuglinge und seine Kompli¬
kationen. Therapeut. Monatshefte 1910 Nr. 9.
2) W. Ebstein. Virchow's Archiv, Bd. 55 1872 p. 409ff.
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Zur Lehre von den Katarrhen.
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Die Veränderungen der Magendrüsen lassen sich aus den oben an¬
geführten Gründen beim menschlichen Magenkatarrh sehr schwer,
häufig gar nicht beurteilen. Die übrigen Häute des Magens zeigen
bei dem akuten Katarrh keine in die Augen fallenden Verände¬
rungen. Die Lücken, die bei der Untersuchung des menschlichen,
an akuter katarrhalischer Entzündung erkrankten Magens ver¬
bleiben, werden durch die angegebenen experimentellen Unter¬
suchungen bei Hunden ergänzt, bei denen mehrfach in den Magen
Kornbranntwein in verschieden großer Menge mittels der Schlund¬
sonde eingeführt worden war. Die Versuchstiere wurden durch
Verbluten getötet. Die Untersuchung des Magens wurde in völlig
frischem Zustande vorgenommen, wodurch einwurfsfreie Befunde
bei derselben erzielt werden konnten. Ich beschränke mich hier
auf die Mitteilung der Ergebnisse der mikroskopischen Unter¬
suchung und bemerke, daß die Versuche lediglich an Hungerhunden
angestellt worden sind. Das Verhalten des Magens eines unter
gleichen Verhältnissen gehaltenen anderen, lediglich im Hunger¬
zustande befindlichen Hundes ließ einwurfsfrei erkennen, welche
Veränderungen der Alkohol bewirkt hatte. Das Epithel der
Magenoberfläche sowie das der Magengrübchen des Alkoholhundes
zeigte in verschiedener Intensität und Ausdehnung sich immer in
dem Zustande hochgradigster Verschleimung, wodurch sie sich
wesentlich von den gleichen Zellen des Hungerhundes unter¬
schied. Bei den Alkoholhunden war die freie Fläche der Epithel-
auskleidnng des Magens mit einer von Formbestandteilen freien,
mehr oder weniger dicken, hyalinen, farblosen Schicht von Schleim
bedeckt, die sich mehr oder weniger tief in die Magengrübchen
fortsetzte. An ihren freien Enden gehen die Epithelzellen und
zwar insbesondere in der Pfortnergegend, becherförmig auseinander.
Zu zwei Dritteilen, aber bisweilen nur bis zur Hälfte sind sie ver¬
schleimt und ihr Protoplasma zeigt gleichfalls keine Reaktion
gegen Tinktionsflüssigkeiten, dagegen aber färben sich ihre Kerne.
Was das Verhalten der eigentlichen Drüsenzellen betrifft, so sind
es nur die Hauptzellen der zusammengesetzten (Lab ) und der
ihnen analogen Zellen der einfachen Pepsindrüsen (Pylorusdrüsen),
an denen ausgesprochene Veränderungen nachweisbar sind. Die¬
selben sind an den Pylorusdrüsen hochgradiger als an den Lab¬
drüsen. Die betreffenden Drüsenzellen werden trüber, granulierter
und auch kleiner und reagieren stark auf Tinktionsflüssigkeiten,
wie Karmin und Anilin. In dem Lumen der Pylorusdrüse findet
sich eine mehr oder weniger feinkörnige, gelb oder gelbbräunlich
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gefärbte Substanz, die ebenfalls eine starke Färbbarkeit zeigt. In
einzelnen besonders stark veränderten Zellen werden deutliche
Fetttropfen beobachtet Abgesehen davon findet man bei diesen
Reizungen des Magens durch Alkohol auch in dem Bindegewebe
zwischen den einzelnen Magendrfisen eine mehr oder weniger
reichliche, jedenfalls aber weit reichlichere Anhäufung von Schleim¬
körperchen, als wir sie an dieser Stelle bei den im Hungerzustande
befindlichen Hunden beobachten. Sie springt besonders im unteren
Teil des Zwischenbindegewebes in der Nähe der Muscularis mucosae
ins Auge. Die geschilderten Veränderungen der Magenschleimhaut,
die infolge deren Reizung mit Alkohol eintreten, haben Analogien
mit den Veränderungen, die die Magendrüsen während der Ver¬
dauung erleiden, wie sie zuerst von R. Heidenhain an den zu¬
sammengesetzten und von mir an den einfachen Pepsindrüsen be¬
schrieben worden sind. Unterschieden werden die durch die ge¬
nannten Reizungen — Alkohol und Verdauung — veranlaßten
Drüsenveränderungen durch zwei Momente, nämlich durch die
lange Persistenz der durch die stattgehabte Reizung mit Alkohol
bedingten Veränderungen sowie durch das dabei frühzeitige sich
bemerkbar machende Auftreten von degenerativen Prozessen, <L h.
durch das Erscheinen von Fetttröpfchen in den affizierten Drüsen¬
zellen. Es schließen demnach die durch die Reizung mit Alkohol
bedingten Veränderungen große Gefahren ein, die darin liegen,
daß der Ausgleich der Schleimhautalterationen ungleich schwieriger
eintritt, wenn sie durch Reizzustände katarrhalischer Natur, wie
sie der Alkohol herbeiführt, bedingt sind. Selbst bei einer nicht
allzu langen Dauer einer solchen Reizung pflegt es zum Unter¬
gänge der vornehmlich betroffenen Partien infolge von Degeneration
des Zellprotoplasmas in Form fettiger Metamorphose zu kommen.
Wie bei den Katarrhen der Magenschleimhaut beteiligen sich
auch, abgesehen von den schleimbildenden Zellen und Drüsen, die
in anderen Schleimhäuten enthaltenen, deren spezieller Funktion
dienenden Drüsen, so z. B. die Lieberkühn’schen Drüsen des Darms,
überdies aber auch dessen solitäre und aggregierte Follikel an
den ihre Mucosa befallenden katarrhalischen Prozessen. Es treten
im Verlaufe der akuten wie der chronischen Katarrhe im wesent¬
lichen die gleichen Veränderungen in den betreffenden Schleim¬
häuten auf, die freilich auch hier in den verschiedenen Stadien
der Entzündung verschieden sind. Außerdem aber zeigen die Ka¬
tarrhe der einzelnen Schleimhäute gewisse Verschiedenheiten. Was
aber allen gemeinsam ist, ist die Bildung eines katarrhalischen
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Zur Lehre von den Katarrhen.
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Sekrets, welches in Quantität und Qualität freilich manchen
Schwankungen unterliegt, aber besonders bei akuten Katarrhen in
ungleich größerer Menge als bei den chronischen produziert wird.
Durch dieses Sekret, sei es, daß es bei den der Inspektion direkt
zugänglichen Schleimhäuten ohne anderweitige Beimischung zutage
tritt, oder sei es, daß es anderen normalen oder pathologischen
Ausscheidungen, wie dem Harn, dem Sputum, dem Erbrochenen,
den Stuhlgängen usw. beigemischt ist, bleiben wir keinen Augen¬
blick darüber im Zweifel, daß es sich in jedem derartigen Falle
um eine katarrhalische Affektion der betreffenden Schleimhaut
handelt, die auch bei akuten Katarrhen, wie sich bekanntlich aus
anatomischen Erfahrungen ergibt, sich nicht auf diese zu be¬
schränken braucht, sondern sich auch auf das submuköse Gewebe
fortpflanzen kann.
Die anatomische Untersuchung belehrt uns weiter auch über
das Vorhandensein von Folgezuständen der Katarrhe sowie oft
auch, nämlich wenn die betreffenden Krankheitsprodukte, wie
Tuberkeln usw., darüber Auskunft geben, ob es sich im konkreten
Falle um sekundäre Katarrhe handelt, bzw. auf welchem Boden
sie entstanden sind.
Das Krankheitsbild, welches die katarrhalischen Prozesse
erzeugen, ist wohl jedem Menschen aus Selbsterfahrung bekannt,
denn es dürfte sehr wenige geben, die dieselben nicht in der einen
oder anderen Form am eigenen Leibe erfahren hätten. Es gibt
Menschen, die man eigentlich als „katarrhalische“ bezeichnen
könnte, weil sie entweder stetig von dem Katarrh einer oder auch
verschiedener Schleimhäute mehr oder weniger geplagt sind. Die
Lokalisation der Katarrhe kann nämlich erfahrungsgemäß eine
sehr mannigfache sein. Jede Schleimhaut kann bekanntlich, die
eine natürlich häufiger als die andere, katarrhalisch erkranken.
Am öftersten erkrankt wohl die Schleimhaut der Nase. Es gibt
einen habituellen Schnupfen, der die daran leidenden Personen so
gut wie niemals ganz verläßt. Prädisponiert dürften dazu solche
Individuen mit weiten, mehr nach oben gerichteten Nasenlöchern
sein, die zur Aufnahme von Entzündungserregern besonders ge¬
eignet zu sein scheinen. Es gibt ferner einen Nasenkatarrh, der
die davon heimgesuchten Personen zwar nicht stets, aber mit
großer Regelmäßigkeit alljährlich in der Zeit befällt, in welcher
sie der Einwirkung des Pollenstaubes oder des Riechstoffes ge¬
wisser Pflanzen, der Gramineen, ausgesetzt sind, der aber auch
durch Staub, Hitze und andere Schädlichkeiten hervorgerufen
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Ebstein
werden kann. Derselbe führt nach einem hervorragenden eng¬
lischen Arzte John Bostock, der Jüngere (1773—1846), der ihn
an sich selbst beobachtete und ihn auf Grund von achtzehn sicheren
nnd zehn weniger zuverlässigen Beobachtungen genauer beschrieb
und als Catarrhus aestivus bezeichnete, sowie auch die Behandlung
desselben schilderte, den Namen Bostock’scher Katarrh, ist aber
unter der Bezeichnung: Heuasthma oder besser noch Heufieber
viel bekannter. Diese Krankheit ist übrigens ein gutes Paradigma
dafür, daß ein und dieselbe Schädlichkeit gleichzeitig den Katarrh
mehrerer Schleimhäute, nämlich die Bindehaut der Augen, die
Nasenschleimhaut und die Schleimhaut der Atmungsorgane im all¬
gemeinen befallen kann.
Was nun die spezielle Symptomatologie der Katarrhe betrifft,
so finden wir, abgesehen von den sekundären, im Gefolge von
fieberhaften Krankheiten entstehenden Katarrhen, diejenigen pri¬
mären Katarrhe, welche aus infektiösen Krankheitsursachen ent¬
stehen, von meist mäßigem Fieber und damit vergesellschafteten
anderen allgemeinen Krankheitssymptomen, wie z. B. von allge¬
meinem Elendigkeitsgefühl und Abgeschlagenheit begleitet Die¬
selben können außer einer sehr verschiedenen Intensität auch eine
kürzere oder längere Dauer haben. Sie sind aber in der Mehrzahl
der Fälle bei der letzteren Kategorie von Katarrhen im allge¬
meinen von keiner die Prognose trübenden Bedeutung. Dies gilt
insbesondere auch von dem einfachen Schnupfen, von dem übrigens
bereits in den Hippokratischen Schriften ein im wesentlichen
recht treffendes Krankheitsbild entworfen worden ist.*) Der
Schnupfen bietet auch, da das dabei abgesonderte und nach außen
entleerte Sekret der direkten Untersuchung, wie bereits ausge¬
führt wurde, zugänglich ist, ein typisches Bild der bei den Ka¬
tarrhen stattfindenden Hypersekretion und der dabei sich voll¬
ziehenden nasalen Schleimhautveränderungen, sowie der Alterationen,
die die Nase selbst und deren nächste Umgebung erfährt Durch
diese Lokalaffektionen werden gewisse lokale Symptome hervor¬
gerufen. Unter ihnen seien erwähnt die in der Regel den Schnupfen
einleitenden Stirnkopfschmerzen, die von einem Gefühl von Schwere
1) John Bostock, Case of a periodical affeetion of the eyes and ehest.
Transactious of the inedico-chirnrgical society London. Vol. 10, 1819, p. 161—165.
2) John Bostock, Of the catarrhus aestivus. or summer catarrh. Ebenda
Vol. 14, Part 2, London 1S28, p. 437—446.
3) Oeuvres d’Hippokrate etc. 1. c., Tome I p. 613, 1839, (de Tancienne
medecine § IS).
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Zur Lehre von den Katarrhen.
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im Kopf begleitet und die im wesentlichen auf eine Beteiligung
der Nebenhöhlen der Nase, insbesondere der Stirnhöhlen zu be¬
ziehen sind. Ferner sei erinnert an die Schwierigkeit, besonders
in der Rückenlage durch die Nase zu atmen. Dadurch werden
beim akuten Nasenkatarrh das Schlafen mit offenem Munde und
das Schnarchen erklärt, sowie das Unvermögen der Säuglinge zu
saugen, sowie die Mißgefühle — Kitzel und Brennen — in der Nase,
wodurch die häufigen Anfälle von Niesen bewirkt werden. Dieselben
sind von einer vermehrten Bildung und Entleerung des Sekretes
der Nasenhöhle sowie auch häufig von einem Katarrh der Binde¬
haut des Auges begleitet, die sich durch Rötung und Schwellung
sowie durch ein mehr oder weniger starkes Tränen der Augen
kundgeben. Dabei wird regelmäßig der Geruchssinn, und zwar in
sehr bemerkenswerter Weise beeinträchtigt und mehr oder weniger
leidet gar nicht selten das Gehör und der Geschmack. Letzteres
ist dann der Fall, wenn außer der Nasenhöhle auch die Mundhöhle
bei dem Katarrh in Mitleidenschaft gezogen wird. Ersteres ge¬
schieht, wenn bei Mitbeteiligung des Rachens die katarrhalische
Entzündung auf die Eustachische Trompete, einen sog. Tuben¬
katarrh bewirkend, übergeht und besonders auch die Schleimhaut
des Mittelohres ergreift. Der sich daselbst entwickelnde akute
katarrhalische Prozeß macht häufig erhebliche Beschwerden. Es
kommt oft zu reichlicher Exsudatbildung, wodurch auch gar nicht
selten behufs der Entleerung des in der Paukenhöhle angehäuften
Sekrets eine Punktion des Trommelfelles notwendig werden kann.
Wenn die Rachenschleimhaut 1 ) an der akuten katarrhalischen
Entzündung sich beteiligt, treten weitere Symptome auf, durch
deren Anwesenheit die Situation genügend gekennzeichnet wird.
Unter ihnen verdienen das Würgen mit Brechneigung, die beson¬
ders am Morgen (vomitus matutinus) auftreten, sowie der Husten
besonders genannt zu werden. Es gibt nämlich einen Rachen¬
husten, der gelegentlich, besonders beim chronischen Rachenkatarrh,
fälschlich für das Symptom einer infolge einer Brustaffektion
schwindsüchtiger Natur entstandenen Krankheit gehalten wird.
Rückt der Katarrh weiter nach abwärts, so macht sich eine
Schädigung des Stimmapparats bemerkbar. Dies ist bereits dann
der Fall, wenn lediglich der Kehlkopfeingang mit Einschluß der
falschen Stimmbänder in Mitleidenschaft gezogen wird. Durch
deren Schwellung wird die freie Bewegung der wahren Stimm-
1) Vgl. Rühle, Über Pharynxkrankheiten. Volkmann’s Sammlung
klinischer Vorträge, Nr. 7.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 4
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Ebstein
bänder gehindert. Dies kann auch durch katarrhalisches Sekret
bewirkt werden, welches auf die falschen Stimmbänder aufgelagert
ist. Wird letzteres durch leichtes Anhusten entfernt, kann die
Stimme sehr bald wiederkehren. Anders gestaltet sich die Sache,
wenn die wahren Stimmbänder selbst von dem Katarrh befallen
werden. In diesem Falle kommt es nicht nur zu ausgesprochener
Heiserkeit, sondern bisweilen sogar zu vollkommenem Stimmverlust
Diese Stimmstörungen können sogar, wenn sich infolge des Katarrhs
Lähmungszustände in den die Stimmbänder versorgenden Muskeln
entwickelt haben, diesen noch überdauern, was sich mit Hilfe des
Kehlkopfspiegels leicht feststellen läßt. Es ist dies von prak¬
tischer Wichtigkeit, denn während man bei den entzündlichen
Prozessen Ruhigstellung der Stimmbänder verlangen muß, also
Schweigen verordnet, pflegt bei Lähmungszuständen unter Um¬
ständen fleißige Übung der Stimme die Heilung wesentlich be¬
schleunigen. Abgesehen von den Stimmstörungen treten bei diesen
Aflektionen des Kehlkopfes auch Atmungsstörungen auf, die um
so größer sind, je enger die Kehlkopfhöhle ist. Es schließt dies
demgemäß nicht nur im kindlichen Lebensalter eine ernstliche
Lebensgefahr ein, sondern kann unter Umständen aber auch dem
Erwachsenen verhängnisvoll werden. Ich erinnere mich eines
jungen Arztes, der, an einem einfachen Kehlkopfkatarrh leidend,
sich dadurch, trotz der Warnung seiner Kollegen, nicht hatte ab¬
halten lassen, sich an einem Kommers seines alten Korps zu be¬
teiligen. Am nächsten Morgen wurde er tot in seinem Bett ge¬
funden. Die Sektion ergab lediglich eine Laryngitis submucosa
(Glottisödem) mit Verschluß der Stimmritze. Diese Affektion hat
sich zweifellos akut, infolge der durch den Kommers bedingten
Schädlichkeiten, im Anschluß an den einfachen Kehlkopfkatarrh
entwickelt. Der schwere Rausch hat zweifellos wesentlich dazu
beigetragen, daß die Entwicklung des verhängnisvollen Zustandes
sich der Beobachtnng des Patienten entzog. Katarrhe der Luft¬
röhre markieren sich in der Regel nur im agonalen Zustande
durch das dabei auftretende tracheale, das sog. Sterberasseln
deutlich, welches dadurch zustande kommt, daß den Kranken die
Kraft fehlt, das sich ansammelnde Sekret durch die entsprechende
Reflexbewegung mittels des Hustens *) zu entleeren. Derselbe ist
nicht das Zeichen einer bestimmten, sondern das eigentliche Kar¬
dinalsymptom bei den mannigfachsten Erkrankungen der Atmungs-
organe, insbesondere entzündlicher Natur. Sie umfassen die häu-
1) W. Ebstein, Über den Husten. Leipzig 1876.
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Zur Lehre von den Katarrhen.
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figsten und wichtigsten einschlägigen Krankheiten, von der ein¬
fachen katarrhalischen Entzündung bis zur mörderischesten aller
chronischen Krankheiten: der Lungenschwindsucht, die mit Ver¬
ödung oder Zerstörung eines größeren oder geringeren Teils des
Lungengewebes einhergeht Welcher von den hierbei in Betracht
kommenden Prozessen im konkreten Falle vorliegt, darüber gibt
die weitere Untersuchung des Patienten Aufschluß, vor allem aber
kommt die Untersuchung des durch den Husten nach außen ge¬
langenden Auswurfs hierbei in Frage. Wir erfahren dadurch, ob
sich Teile zerstörten Lungengewebes in Form elastischer Faser¬
netze darin finden oder ob gar pathogene Mikroorganismen, wie
insbesondere der Tuberkelbazillus, in demselben vorhanden sind.
Wie bei dem Katarrh der Nase, der Mundhöhle und des
Rachens ist auch das Krankheitsbild der Katarrhe der Harn- und
Geschlechtsorgane sowie des Mastdarms mehr oder weniger der
direkten Besichtigung zugänglich, bzw. läßt sich das Bestehen
solcher Katarrhs, wofern eine Okularinspektion nicht möglich ist,
durch die dem Harn- bzw. den Stuhlentleerungen beigemischten
katarrhalischen Sekrete erschließen. Man hatte sogar gemeint,
daß man sehr wohl imstande wäre, aus der Form der dem Harn
beigemischten Epithelien sicher zu erkennen, ob es sich um einen
Harnblasen- oder um einen Katarrh des Nierenbeckens handle.
Indes habe ich schon früher *) darauf hingewiesen, daß dies des¬
halb nicht möglich sei, weil das Epithelium des Nierenbeckens
ebenso wie das der übrigen Harnwege zu dem von He nie als
Übergangsepithel bezeichneten gehört. Dagegen sind andere
Qualitäten des Urins geeignet, so der stärkere Schleimgehalt des
Urins, sowie eine größere Eitermenge, seine leichtere, durch das
Auftreten der ammoniakalischen Harngärung erkennbare Zer¬
setzbarkeit weit mehr an einen Katarrh der Harnblase als an
einen des Nierenbeckens denken zu lassen. Beide können freilich
auch miteinander vergesellschaftet Vorkommen. Will man solche
Katarrhe der Harnorgane richtig lokalisieren, dann wird man auch
hier mit der Gesamtheit ihrer Symptome, z. B. mit dem Sitz der
dabei auftretenden Schmerzen, sowie ob und welche Beschwerden bei
der Entleerung der Harnblase usw. vorhanden sind, rechnen müssen.
Was die Darmentleerungen anlangt, so finden sich bei
katarrhalisch entzündlichen Prozessen oft genug dem Kot beige¬
mischte schleimige Massen, welche von Laien häufig als „Darm-
1) W. Ebstein, In dem Handbuch der speziellen Pathologie usw. von
v. Ziems8en. Bd. IX, 2, p. 47, 2. Aufl., Leipzig 1878.
4*
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Ebstein
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häute- 1 *) bezeichnet werden, welche aber natürlich lediglich vom
Darm abgesonderte Sekrete sind, die jedoch infolge ihres hantigen
Aussehens für den Unerfahrenen den Eindruck machen, als wären
es Teile des Darmes selbst. Sie stellen gar nicht selten Hohl¬
gebilde dar und umhüllen die Fäkalmassen oder sind denselben in
Form von fädigen oder fetzigen Massen nur locker aufgelagert.
Neben dem ihren Hauptbestandteil bildenden Schleim ist in ihnen
auch ein geringer Eiweißgehalt nachzuweisen. Dieser ist meist
auf im Untergange begriffene Zellen zurückzuführen, die in einer
unregelmäßig gestreiften Grundsubstanz eingebettet sind und die
durch ihre gelbliche Färbung dem ursprünglich grauen noch einen
entsprechend modifizierten Farbenton geben. Bisweilen werden
diese schleimigen Massen auch allein, ohne jede fäkale Beimengung
entleert. Ihrer Entleerung gehen gar nicht selten heftige kolik-
artige Schmerzen vorher. Will man eine besondere Bezeichnung
für diesen Prozeß wählen, so ist die von .T. Orth 2 ; vorgeschlagene
„Enteritis chronica mucosa“ eine durchaus sachgemäße, indem sie
mit der Möglichkeit rechnet, daß solche Abgänge, die ihre Ent¬
stehung nicht einem katarrhalischen Prozeß des Darms sondern
einer sog. Sekretionsanomalie verdanken, unter dem Bilde einer
einfachen Kolik, Colica mucosa, entleert werden. Mit diesen Ab¬
gängen schleimiger Massen aus dem Darm, die vorzugsweise in¬
folge chronisch entzündlicher Prozesse sich entwickeln, ist es bei
dem Darmkatarrh nicht abgetan, im Gegenteil, den Durchfällen
kommt, weil sie oft genug beim Darmkatarrh auftreten, wohl eine
noch größere praktische Bedeutung zu. Sie entstehen, wie im all¬
gemeinen noch angenommen zu werden pflegt, unter dem Einflüsse
der durch den entzündlichen Prozeß auf der Darmschleimhaut be¬
dingten pathologisch gesteigerten Peristaltik. In je tiefere Par¬
tien des Darms dieselbe unter diesen Umständen einsetzt, um so
wässeriger sind auch ceteris paribus die Stuhlgänge. Bei Ka¬
tarrhen des Colon descendens sind also die Stuhlgänge von un¬
gleich dünnerer Konsistenz als bei den in den oberen Teilen des
Ueum lokalisierten katarrhalischen Prozessen. Nach den Unter¬
suchungen von H. Ury 3 ) kommt der Steigerung der Peristaltik
besonders des Dickdarms zur Erklärung des Durchfalls nur als
1) Vgl. W. Ebstein. Die chronische Stuhlverstopfung in der Theorie und
Praxis. Stuttgart 1901, p. 23.
2) Johannes Orth. Lehrbuch der spezifisch-pathologischen Anatomie.
Berlin 18*7. p. 801.
3j H. Ery, Eber neuere Fäkaluntersuchungen. Intern. Beiträge zur Patho¬
logie und Therapie der Ernährungsstörungen. Bd. I, 1910, p. 368.
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Zur Lehre von den Katarrhen.
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sekundärer Faktor in Frage. Die Diarrhöen sollen in erster Reihe
durch abnorm vermehrte Ausscheidung von Verdauungssekreten be¬
dingt sein. Reichlichere eitrige Massen kommen bei den einfachen
Katarrhen des Darms nicht vor, desgleichen keine erheblicheren
Blutmengen, die, wofern sie nicht hämorrhoidaler Natur sind, zunächst
für die Anwesenheit von Darmgeschwüren sprechen. Verdautes
Blut in Form teerartiger Massen entstammt nur den allerobersten
Partien des Darms, wofern es nicht von Magenblutungen herrührt.
Betreffs der beim Magenkatarrh auftretenden Erschei¬
nungen habe ich bereits die auf experimentellem Wege beim
Hunde durch Einverleibung von Alkohol hervorgebrachten Ver¬
änderungen der Magenschleimhaut geschildert. Tatsächlich ist der
Alkoholmißbrauch auch beim Menschen eine der häufigsten Ur¬
sachen besonders des chronischen Magenkatarrhs, weil ja die
Trunksucht ein langdauerndes Leiden ist. Außerdem aber treten
solche chronische Magenkatarrhe bei allen aus irgendwelchem
Grunde auftretenden Pfortaderstauungen, bei allen mit Insuffizienz
des Myocardiums einhergehenden Affektionen auf. Der chronische
Magenkatarrh imponiert durch die schiefergraue Verfärbung der
Schleimhaut, die infolge der kleinen Blutungen im Gewebe sich
entwickelt. Der chronische Reizzustand führt je länger je mehr
zu einem Schwunde der Magendrüsen, deren Zellen dabei zugrunde
gehen. Abgesehen vom Alkoholmißbrauch und den angeführten
Kreislaufsstörungen können zahlreiche diätetische Schädlichkeiten,
wie z. B. der Genuß schwer verdaulicher Dinge, übermäßige Nah¬
rungsaufnahme, zu hastiges Essen heißer Speisen zu länger oder
kürzer dauernden katarrhalischen Zuständen des Magens führen.
Ferner gibt es Individuen, wie es scheint, besonders solche mit
gichtischer Anlage oder mit Gicht behaftete, die eine erhöhte Reiz¬
barkeit des Magens haben und die zu Katarrhen desselben dispo¬
niert sind. Ob und inwieweit atmosphärische Einflüsse, wie z. B.
große Kälte oder Hitze, plötzliche Witterungsumschläge zur Ent¬
wicklung gastrischer Störungen dieser Art beitragen, ist nicht ganz
leicht zu beantworten. Daß sie Appetitverlust bedingen, ist ohne
weiteres zuzugeben, damit ist. aber keineswegs gesagt, daß sich
daraufhin allein ein akuter katarrhalischer Zustand des Magens
diagnostizieren läßt. Zu den häufigsten Symptomen desselben ge¬
hört das Erbrechen schleimiger Massen, die bisweilen gallige Bei¬
mengungen enthalten. Das Erbrechen ereignet sich gewöhnlich nach
dem Essen und ist keineswegs, was bei dem sogen. Vomitus matu-
tinus die Regel bildet, auf die Zeit vor und nach dem Frühstück
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Ebstein
beschränkt. Bei dem Magenkatarrh leidet auch infolge der Mit¬
leidenschaft der Magendrüsen die Absonderung eines wirksamen
Magensaftes. Dadurch wird die Verdauung verlangsamt. Zer-
setzungs- und Gärungsprozesse stellen sich ein, wodurch nicht
nur die bestehenden dyspeptischen Symptome gesteigert werden,
sondern auch weitere sich hinzugesellen. Wird der Zwölffinger¬
darm bei Magen- oder Darmkatarrhen beteiligt, ist auch das Auf¬
treten von Gelbsucht die gewöhnliche Folge. Übrigens treten bei
Darm Störungen, insbesondere bei chronischer Koprostase magen-
dyspeptische Symptome auf, unter denen neben den Symptomen
der Hyperacidität der Appetitverlust oben ansteht. Werden die
Darmstörungen beseitigt, so sieht man häufig ohne jede weitere
Medikation oder diätetische Behandlung eine normale Magenfunk-
tion wiederkehren. Unter den sog. Magenkranken entfällt nach
meinen Erfahrungen ein großer Bruchteil auf derartige Fälle, bei
denen die erfolgreiche Behandlung der Darmstörungen die con¬
ditio sine qua non für die Beseitigung der Magenerkrankung ist.
Was die Dauer und den Verlauf der Katarrhe betrifft, so
sind dieselben im wesentlichen bedingt durch die Intensität und
den Fortbestand ihrer Ursachen. Es gibt bekanntlich akute und
chronische Katarrhe. Der akute Schnupfen ist zwar lästig, aber
mit Ausnahme des Schnupfens der Säuglinge ein harmloses Leiden,
das in der Mehrzahl der Fälle in einer Woche in Heilung über¬
geht. Bei Säuglingen kann wegen der Enge der Nasengänge die
Schwellung der Schleimhaut eine durchaus nicht unbedenkliche
Erschwerung der Atmung und der Nahrungsaufnahme bewirken.
Der chronische Schnupfen dauert oft genug monate-, ja jahrelang.
Bei ihm, wie bei allen chronischen Katarrhen, wird die Krank-
heitMlauer dadurch wesentlich oft so sehr verlängert, weil die in
ihrem Gefolge sich entwickelnden Veränderungen der Gewebe des
befallenen Organs bewirken, daß immer wieder neue Momente hin-
ziitieteii, die nicht nur die früheren Krankheitssymptome ver¬
schärfen, sondern ihnen auch weitere andere hinzufügen.
Die Dia gnose der Katarrhe ist im wesentlichen eine leichte
und besonders lassen die der Okularinspektion zugänglichen Schleim¬
häute bequem erkennen, bis zu welchem Grade die durch die ka-
lan balisf'he Entzündung bedingten Veränderungen gediehen sind.
Die verfeinerten diagnostischen Untersuchungsmethoden mittels
Spiegel besieht igung haben unsere Einsicht nicht minder gefördert,
wie die mikroskopische Untersuchung der Sekrete und die Fort-
schiilte der Bakteriologie. Durch letztere ist es möglich geworden.
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Zur Lehre von den Katarrhen.
55
der Ätiologie der Katarrhe näher zu treten, als dies je zuvor der
Fall war und hiervon hat auch die Behandlung in allen den
Fällen Nutzen gezogen, wo die Möglichkeit vorliegt, die krank¬
heitserregenden Momente ohne dem betreffenden Individuum Schaden
zuzufügen, zu beseitigen. Jedoch muß hervorgehoben werden, daß
es durchaus nicht immer möglich ist, im Beginn einer akuten
Nasenschleimhautentzündung weder aus dem klinischen Bilde noch
durch die bakteriologische Untersuchung des Nasensekrets festzu¬
stellen, ob es sich dabei um eine spezifische Infektion handelt.
Bei den Katarrhen der Schleimhäute, die im Innern des Körpers
gelegen sind, stößt die Diagnose naturgemäß oft auf noch weit
größere Schwierigkeiten. Auch wenn dieselben der Spiegelunter¬
suchung zugänglich sind, ist dadurch oft genug nicht zu ent¬
scheiden, ob im konkreten Falle primäre oder sekundäre Katarrhe,
und welcher Art die letzteren sind, vorliegen.
Aus den vorstehenden Mitteilungen ergibt sich ohne wesent¬
liche Schwierigkeiten die Prognose.
Wir haben gesehen, daß es sich bei den Schleimhautkatarrhen
um Oberfiächenerkrankungen handelt, welche, wenn die sie veran¬
lassenden Ursachen entweder keine Gefahren für Gesundheit und
Leben einschließen oder, wenn prognostische Bedenken nicht durch
unliebsame Zwischenfälle und Komplikationen bedingt werden, im
allgemeinen unschwer zur Heilung gelangen. Bei manchen Ka¬
tarrhen liegen Gefahren vor, z. B. infolge der, besonders bei
dem akuten Kehlkopfkatarrh sich einstellenden Verenge¬
rungen. Dies gilt nicht nur für das zarte Kindesalter, sondern
gelegentlich können, wie das oben erzählte Beispiel lehrt, auch bei
Erwachsenen bei komplizieronder Laryngitis submucosa Kehlkopf¬
stenosen akut auftreten. Bei hochbetagten Menschen ferner fürchtet
man Katarrhe der Bronchien, besonders wenn sie sich auf die
feinen und feinsten Luftwege verbreiten. Im höchsten Grade gilt
dies von der Bronchitis acutissima von bedeutender In- und
Extensität, die in der Regel sekundär infolge verschiedener Lungen¬
leiden auftritt und Erstickungserscheinungen bewirkt (Catarrhus suffo-
cativus). Ferner schließen auch akute Katarrhe des Magens
und des Darmkanals besonders im zarten Kindes- und im
Greisenalter ernste Gefahren ein. Von den chronischen Katarrhen
erscheinen besonders diejenigen verderblich, deren Ursachen in
schweren Veränderungen, sei es tuberkulöser, sei es carcinoma-
töser usw. Natur liegen. Dasselbe gilt u. a. auch von den Stauungs¬
katarrhen des Magendarmkanals infolge unheilbarer Herzkrank-
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Ebstein
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heiten, die ein absolut unheilbares Leiden dieses Organs zur Vor¬
aussetzung haben, sowie gleichfalls von den Katarrhen, die Teil¬
erscheinungen schwerer Allgemeininfektionen sind, wie wir dies
bei der jüngsten schweren, noch immer nicht erloschenen Influenza-
invasion gesehen haben. Hippokrates 1 ) schrieb atmosphärischen
Einflüssen — vielleicht spielten hierbei auch infektiöse Ursachen
mit — bei der Prognose eine große Bedeutung zu. 1 )
Die Behandlung der Katarrhe ist so alt wie die Geschichte
der Katarrhe überhaupt. Die Alten hatten Heilmittel für dieselben.
Bei Hippokrates 2 ) finden wir unter anderen die Myrrhe und
den Honig als Mittel gegen den Schnupfen erwähnt. Soranus
von Ephesus 3 ), der in dem 2. Jahrh. nach Chr. lebte, schildert im
46. Kapitel des ersten Buches seines Werkes, das vom Katarrh
und Husten handelt, die Behandlung dieser Krankheit beim Kinde,
welche er als die Folge starker Schleiraanhäufung bezeichnet. Er
verwirft die von einzelnen Ärzten dagegen verordneten Leck¬
arzneien aus Kresse, Kümmel, Nesselsamen und Pfeifer wegen ihrer
Schärfe und weil sie Blutandrang erregen, sowie auch Anlaß zu
einer stärkeren Entzündung geben. Soranus träufelt beharrlich
Honigwasser ein. Vermag das Kind, wenn es dieses schluckt, den
Schleim noch nicht auszuspeien, so bewirkt dies Soranus. indem
er durch Niederdrücken der Zunge Erbrechen erregt. Bei Husten¬
anfällen der Kinder verordnet er Leckarzneien aus Pinienkeruen,
gerösteten Mandeln, Leinsamen, Lakritzensaft, Zirbelnüssen. Bocks¬
dorn und Honig. Die scharfen Mittel erhöhen nur den Hustenreiz,
besonders in der ersten Zeit der Krankheit. Auch den Gebrauch
von Bädern kann Soranus beim Katarrh der Kinder nicht emp¬
fohlen. Noch manchen anderen, die Behandlung anderer Katarrhe be¬
treuenden Angaben begegnen wir bei Soranus. Es darf ferner
hier auf die Mitteilungen verwiesen werden, die Aretaeus von
Kappadocien (a. a. 0. S. 147 ff.) über die Kur der Angina, der
Krankheiten des Zäpfchens und der bösartigen Krankheiten im
Sehlunde gemacht hat. Eigenartig mutet einen die Schnupfen¬
therapie der Heil. Hildegard (a. a. 0. p. 140 u. 143) an, wenn sie
u. a. sagt : „Si reunia a naribus superflue effluit, fumus de ligno
1) Litt re, Oeuvres d ' H i p pok rate 1. c. Aplior. 3. sect. § 12, p. 491 u.
S 31, p. •)()l isi l'hiver est. austral, pluvieux et calme, et le printemps sec et boreal
. . . surviennent . . . eliez les vieillanls des catarrhes. qui tuent proiuptenient).
3j Litt re, Oeuvres d’Hippokrate 1. c. T. YJII, 1853, p. 231. Des
imiladirs dr* fennnes, Livre 1 S
3i Die (i a viiaUoln<rjt> des Soranus von Ephesus, übersetzt von Lüneburg.
Münrlieii ls‘J4 ( j), 90.
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Zur Lehre tou den Katarrhen.
57
abietis naribus excipiatur, et fluor die suavius solvetur et cessabit.“
In der altindischen Medizin (vgl. J. J o 11 y a. a. 0.) wurden gegen
die Nasenkatarrhe usw. Einträufelungen angewendet. Viele ärzt¬
liche Rezepte beziehen sich auf „pinasa“ d. i. die „verstopfte Nase“,
eine Bezeichnung, welche u. a. besonders den chronischen Schnupfen
bedeutet, sowie auf „pratisyäya“ (Schnupfen oder Katarrh). Ins¬
besondere aber wird den daran Leidenden Aufenthalt in einem
gegen Winde geschützten Hause vorgeschrieben. Sie sollen sich
mit einem schweren Tuch den Kopf umhüllen; kaltes Wasser, den
Umgang mit Frauen, sehr trockene Speisen, Kummer und Sorgen,
frische geistige Getränke meiden; bei frischem Schnupfen wende
man Räucherungen an. Daß auch die Volksmedizin sich die Be¬
handlung der Katarrhe, insbesondere derer der Nase angelegen
sein ließ, ersehen wir aus 0. v. Hovorka’s und A. Kronfeld’s
vergleichender Volksmedizin (Bd. 2, Stuttgart 1909, S. 4 ff.).
Die Behandlung hat sich in neuester Zeit entsprechend unseren
Kenntnissen von der Pathologie der Katarrhe ausgestaltet.
Wir unterscheiden heutzutage bei der Therapie der Katarrhe
eine vorbeugende und eine Behandlung der entwickelten Krank¬
heit. Die erstere stellt sich die Aufgabe, die die Katarrhe veran¬
lassenden Ursachen fern zu halten. Dieselbe ist eine ebenso um¬
fassende wie im allgemeinen dankbare Aufgabe. Nur einige wenige
Punkte sollen hier in dieser Beziehung hervorgehoben werden. Es
ist allbekannt, wie häufig man auf Reisen einen Katarrh, zum
mindesten einen einfachen Schnupfen einheimst, der die guten Er¬
folge sofort wieder vernichtet, die von dem Aufenthalte in den
Alpen oder am Meere bewirkt worden waren. Ich glaube, daß
daran die Polsterkissen der Eisenbahnwagen einen gar nicht ge¬
ringen Anteil haben. Seitdem ich auf längeren derartigen Fahrten
meine Nasenlöcher mit Wattepfropfen, die mit Bormelin oder ähn¬
lichen Materialien bestrichen sind, verstopfe, bin ich von solchen
sehr unliebsamen, unmittelbar an die Reise sich anschließenden
sog. „Erkältungen“ verschont geblieben. 1 )
Auf die gleiche Weise kann ‘ auch der Heuschnupfen verhütet
werden. Einer meiner Kollegen, M. Verwor n, der tatsächlich ein Mär¬
tyrer dieser ihn alljährlich behelligenden Plage war, dem ich vor Jahren
zur Anwendung der eben erwähnten Prozeduren geraten hatte, hat mir
erst neuerdings wieder versichert, daß er sich nun allen den Einflüssen
ungestraft aussetzen könne, die früher unzweifelhaft den Heu-
1) Anmerk, bei der Korrekt.: Vgl. meinen demnächst in der „Um¬
schau“ erscheinenden Artikel über den „Reiseschnupfen“.
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58
Ebstein
schnupfen zufolge gehabt hätten. Freilich gehört, um solche Erfolge
zu erzielen, die korrekte Ausführung der hier in Frage kommenden
kleinen Manipulationen, insbesondere die sorgsame Applikation der
Wattebäusche, die weder zu fest noch zu locker sein dürfen, und
ohne die Nasenatmung zu stören, das Eindringen von korpus¬
kularen. Elementen in die Nase ausschließen. 1 ) —
Was nun die Behandlung der bereis entwickelten Katarrhe
anlangt, so kann sie entweder eine kausale oder eine sympto¬
matische sein, und zwar bei den Katarrhen, die der Okularinspektion
zugänglichen Schleimhäute, eine rein äußerliche. Die letztere kann
in Flüssigkeitseinträufelungen, Inhalationen von Dämpfen oder von
zerstäubten, antibakteriellen Flüssigkeiten oder im Bestreichen usw.
mit konsistenten Arzneimitteln usw. bestehen. Die Behandlung soll
die bakteriellen Krankheitserreger unschädlich machen, dies gilt
insbesondere von der akuten katarrhalischen Rhinitis, die meist
infektiöser Natur ist. Natürlich müssen die hier anzuwendenden
Mittel absolut unschädlich und leicht anwendbar sein. Die sorg¬
same Ausführung der betreffenden Maßnahmen ist auch hier von
geradezu ausschlaggebender Bedeutung. Bei allen Rachenkatarrhen
wird man natürlich, was gar nicht so selten geschieht, keine
Gurgelungen empfehlen dürfen, weil dabei die sich wie eine Gardine
schließenden Teile des weichen Gaumens verhinderu, daß das Medi¬
kament in zweckdienlicher Weise die hintere Rachenwand benetzt.
Dazu sind die sogenannten Rachenbäder weitaus das geeignetste
Mittel, wozu man am besten 2—3 °/ 0 essigsaure Tonerde verwende«
kann, welche übrigens auch zu Gurgelungen bei Anginen usw. sehr
geeignet erscheint. Bei ihrer Anwendung wird vornehmlich mit
ihrer antibakteriellen, also die Ursache des katarrhalischen Prozesses
beseitigenden Wirkung gerechnet. Ein anderes Tonerdepräparat,
das kieselsaure Aluminium, ist neuerdings besonders bei Behand¬
lung der akuten Nasenschleimhautentzündung empfohlen worden.
Dasselbe, die Bolus alba, vermag wegen ihrer austrocknenden
Eigenschaften die vermehrte Sekretion wesentlich einzuschränken
und kann wenigstens in gewissen Fällen in kürzester Zeit den
heftigsten Katarrh zum Stillstand bringen. 2 ) Mannigfacher Art
sind übrigens die Mittel, die gegen Katarrhe empfohlen werden. Nur
einiges möge hier erwähnt werden.
1) An merk, bei der Korrekt.: Vgl. W. Ebstein, Zur Behandlung des
IleufibeiH (erscheint demnächst in der Deutschen mediz. Wochenschr.).
2) Vgl. Trum pp, Notiz zur Behandlung der Rhinitis acuta. Münch, med.
WorheuHc.lir. 1ÜOI) p. 2422 Nr. 47, daselbst auch die einschlägigen Literaturangabeii.
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Zur Lehre von den Katarrhen.
59
Bei Darmkatarrhen tritt anch die kausale Behandlung
manchmal in ihr Recht, z. B. werden die durch Koprostase er¬
zeugten und unterhaltenen chronischen Darmkatarrhe, die sich
durch mehr oder weniger häufige Durchfälle und besonders durch
schleimige Abgänge mit den Stuhlgängen äußern, bekanntlich
lediglich durch die Evakuation des Darms durch milde Mittel, wie
vornehmlich durch den Gebrauch großer Ölklysmen geheilt Da¬
gegen gehören die vielfach bei Katarrhen der Verdauungsorgane
sowie auch der Atmuugsorgane mit Erfolg benutzten kohlensauren
Alkalien in den Bereich der symptomatischen Behandlung. Sie
werden angewendet, um zähe, den Schleimhäuten aufgelagerte
Schleimmassen, also die katarrhalischen Produkte, zu verflüssigen,
um auf diese Weise leichter die Beseitigung der durch die katar¬
rhalische Entzündung bedingten Sekrete zu ermöglichen.
Es handelt sich für uns aber nicht allein um die kausale und
symptomatische Therapie der primären, sondern auch um die
der sekundären Katarrhe. Zahllos fast ist die Zahl der hierzu
empfohlenen Mittel. Die chemische Industrie ist gerade in unserer
Zeit andauernd bestrebt, deren Zahl zu steigern. Als Allheilmittel
werden die nach Angabe des Prof. Rotter bereiteten und als
Rotterin bezeichneten antiseptischen Pastillen empfohlen. 1 ) Man
kann, ohne sich einer Übertreibung schuldig zu machen, sagen, daß jede
Schleimhaut ihre besondere Katarrhtherapie hat. Alle diese Heil¬
mittel sowie ihre besonderen Heilanzeigen zu erörtern gehört nicht in
den Rahmen dieser Arbeit, in welcher in dieser Richtung lediglich
einige allgemeine Gesichtspunkte aufgestellt werden sollten. Unter
ihnen ist einer der vordersten, bei der Erziehung des Kindes bereits da¬
mit zu beginnen durch körperliche zweckdienliche Abhärtung auch
die erforderliche Widerstandsfähigkeit der Schleimhäute zu schaffen
und durch geeignete hygienische Maßnahmen die Momente zu besei¬
tigen, die der Entwicklung der Katarrhe Vorschubleisten. Die Straßen-
und die Eisenbahnhygiene stehen dabei sicher nicht in der letzten
Reihe. Die Anforderungen, welche in diesen Beziehungen den Be¬
dürfnissen seiner Zeit entsprechend an die individuelle und soziale Ge¬
sundheitspflege zu stellen waren, sind dem Scharfblick von Hippo-
k r a t e s durchaus nicht entgangen. Es darf wohl angenommen werden,
daß dieselben in demselben Maße sich steigern müssen, wie die
Schädlichkeiten, die das moderne Leben mit sich bringt, zunehmen.
1) Vgl. Stob aus, Zur Behandlung der Schleimhautkatarrhe. Thera]>.
Monatsh. 1904, Oktober.
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Aus der medizinischen Klinik in Heidelberg.
Znr spirometrischen Methodik.
4 Von
Richard Siebeck,
Assistent der Klinik.
(Mit 2 Abbildungen.)
Der Luftgehalt der Lunge in einer bestimmten Phase der At¬
mung (Mittelkapazität resp. Residualluft) kann nach Davy 1 ) und
Grehant 2 ) dadurch bestimmt werden, daß aus einem Gasometer
ein bestimmtes Volumen Wasserstoff eingeatmet, dann die Luft in
der Lunge und im Gasometer durch mehrere tiefe Atemzüge voll¬
ständig gemischt wird. Ans der bekannten Menge vorhandenen
Wasserstoffes und aus dem Wasserstoffgehalte der Mischung kann
das Volumen berechnet werden, auf das der Wasserstoff verteilt
wurde, d. h. das Volumen von Gasometer, Leitung und Lunge;
daraus findet man durch Abzug den Luftgehalt der Lunge in dem
Augenblick, in dem sie mit dem Gasometer verbunden wurde.
Die Berechnung setzt voraus, daß die Gasmischung durch die
Atemzüge tatsächlich zu vollkommen gleichmäßiger Zusammen-
-etzung im Gasometer und in der Lunge führt. Schon Grehant
bat dies«? Voraussetzung durch Versuche gestützt, in denen er
zeigen konnte, daß nach der 4. tiefen Respiration keine Änderung
der Zusammensetzung mehr eintritt; doch wurde später noch mehr¬
fach über die Berechtigung der Methodik gestritten. 3 )
ln neuerer Zeit wurde im Anschlüsse an die Arbeiten von Bohr 4 )
die Methode wieder vielfach verwendet, und die Autoren, die mit
J \\ n rn ph ry-Da vy, Untersuchungen Uber das oxydierte Stickgas und
•St*. -selben. II p. 70. Lemgo 1814.
' br i* haut, Journal de l’anatomie et de la Physiologie 1864 p. 525.
Vgl. Schenk, Pflügers Archiv 55 p. 191. 1894; dagegen Hermann,
. i w \i ih:m.
L',hr, deutsches Archiv f. klin. Med. 88 p. 885, 1907 u. a.
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Original frorri
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Zur spirometrischen Methodik.
61
gesunden, mehr oder weniger geübten Versuchspersonen arbeiteten,
sind nach ihren Versuchen übereinstimmend davon überzeugt, daß
die Resultate bei gewisser Vorsicht zuverlässig sind. Anders liegt
die Sache bei der Untersuchung von Patienten mit krankhaft ver¬
änderter Atemmechanik. ßubow 1 ), Bittorf u. Forschbach 2 3 ),
Bie u. Maar*) und ich 4 ) konnten zwar eine große Reihe ge¬
nügend gesicherter Ergebnisse mitteilen, aber es hatte sich mir
bei der Untersuchung dyspnoischer Kranker bald gezeigt, daß viele
Versuche ausgeschaltet werden mußten, weil eben die Gasmischung
im Spirometer und in den Lungen keine vollständige war. Ich
habe, wie früher, zur Kontrolle stets 2 Gasproben aus verschie¬
dener Höhe des Spirometers zur Analyse entnommen. War der
Wasserstoffgehalt verschieden, so war ungenügende Mischung be¬
wiesen, der Versuch also unbrauchbar. Freilich kann man anderer¬
seits aus der Übereinstimmung beider Proben noch nicht schließen,
daß die Zusammensetzung im Gasometer und in den Lungen
eine gleichmäßige ist. Hier müssen zur Sicherung des Ergeb¬
nisses Doppelversuche unter verschiedenen Bedingungen ausgeführt
werden. 5 )
Für die Gasmischung kommt natürlich in erster Linie die
Vitalkapazität des Patienten in Betracht. Je kleiner die Ex¬
kursionen sind, die die Mischung bewirken, desto mehr wird sie
durch die schädlichen Räume (schädlicher Raum des Spirometers,
der Leitung und der Luftwege im Körper) erschwert. Mit dieser
Erwägung war der Weg gegeben, auf dem eine Verbesserung der
Methode zu suchen war. Eine Besserung der Exkursionen war
natürlich nicht zu erreichen, wenn man nicht auf die Untersuchung
eben schwer dyspnoischer Patienten verzichten wollte; denn diese
haben fast durchweg eine sehr stark herabgesetzte Vitalkapazität. Der
schädliche Raum der Luftwege im Körper ist nicht zu beeinflussen.
Es mußte also die Leitung möglichst kurz und vor allem der
schädliche Raum des Spirometers möglichst klein
gestaltet werden.
Der schädliche Raum meines Spirometers, das genau nach dem
Bohr’schen von der gleichen Fabrik angefertigt ist, beträgt un-
1) Rubow, Deutsches Archiv f. klin. Med. 92 p. 255, 1908.
2) Bittorf u. Forschbach, Zeitschr. f. klin. Med. 70 p. 474, 1910.
3) Bie u. Maar, Deutsches Archiv f. klin. Med. 99 p. 382, 1910.
4) Siebeck, Ibid. 100 p. 204, 1910.
5) Vgl. darüber: Sieb eck, Deutsches Archiv f. klin. Med. 97 p. 219, 1909
und ibid. 100 p. 204, 1910.
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SlBBBCK
gefähr 670 ccm. Es ist klar, daß dieser Raum für die Mischung
die größte Rolle spielt. Die Vitalkapazität mancher Patienten
beträgt 900—800, ja zuweilen nur 500 ccm. Atemzöge dieser Größe
können natürlich bei so großem schädlichen Raume nicht zu voll¬
ständiger Mischung führen, zumal bei zu langer Dauer des Ver¬
suches andere Fehler störend auftreten (Gasabsorption, Kohlen¬
säureanhäufung und dadurch Unruhe der Versuchsperson, Husten
bes. bei Patienten).
Ich habe mir nun die Aufgabe gestellt, ein Spirometer mit
möglichst kleinem schädlichen Raume zu konstruieren.
Das gewöhnliche System mit der aufsteigenden Glocke konnte da¬
bei nicht benutzt werden, da die Leitung bis in den Hoblraum durch
die ganze Höhe des Wassermantels zu viel Raum beanspruchte.
Versuche mit Gassäcken führten zu keinem Ergebnisse; einmal war
die Volumenbestimmung dabei zu ungenau, und dann konnte ich
bis jetzt keinen Gummistoff oder dgl. finden, der für Wasserstoff
und Kohlensäure dicht genug gewesen wäre. Ich kam nun auf
ein anderes System eines Gasometers: bei einem um eine Achse
drehbaren Deckel 1 ) sollte die Zuleitung an der Achse an¬
gebracht und dadurch möglichst kurz gemacht werden. Ich kon¬
struierte einen derartigen Apparat, dessen Ausführung die Firma
C. Zeiß inJenain entgegenkommendster Weise übernahmen. Der
Abteilungsvorstand der Zeißwerke, Herr Dr. Henker, hat dabei
die Konstruktion auf das wirksamste unterstützt und z. B. die
Übertragung zur graphischen Darstellung angegeben. Der Fabrik¬
leitung, die uns den Apparat gütigst übergeben hat, sowie Herrn
Dr. Henker möchte ich hier meinen verbindlichsten Dank aus-
drücken.
An der Hand der Abbildungen beschreibe ich den Apparat,
soweit das zur Beurteilung seiner Leistungsfähigkeit notwendig ist
Die Glocke des Gasometers (A), die den rechtwinkligen Sektor
einer Walze bildet, ist in der Achse (a) äußerst leicht drehbar
und durch die Gewichte (B, C) derart ausbalanciert, daß sie in
jeder Stellung vollkommen im Gleichgewicht ist und daß der Auf¬
trieb, den die Glocke beim Eintauchen in Wasser erleidet, genau
kompensiert ist (durch das frei hängende Gewicht C). Das Ge¬
wicht B kann zur Einstellung an seinem Hebelarm verschoben,
1) Ohne diese Absicht wurde, wie ich später erfuhr, das Prinzip von Gad
bei seinem Aeroplethysmographen verwendet (vgl. Archiv f. (A. u.) Physio¬
logie 1879 p. 181).
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der Hebelarm selbst in der Achse a gegen die Glocke beliebig
gedreht werden. — Der Boden des Gasraumes wird durch den
Kasten D gebildet, der an der der Achse entsprechenden Wand
des Wassergefäßes angeschraubt ist. Ganz entsprechend ist an
der gleichen Wand die Zuleitung in den Gasraum angebracht, der
Achse möglichst nahe, damit die Leitung möglichst kurz sein kann.
Sie hat eine lichte Weite von 1 cm Durchmesser. Bei der Kürze
wird dadurch ruhige Atmung nicht merkbar behindert. Für an¬
dere Versuche w'äre es vielleicht zweckmäßiger, die Leitung etwas
weiter zu machen. Zur Einfüllung der Gasmischung und Entnahme
der Proben sind 2 Hähne bei G angebracht. Die Zuleitung selbst
ist durch den Vierwegehahn H abgeschlossen, der Verbindung des
Atemrohres (b) mit der Außenluft und mit dem Spirometer, sowie
des Spirometers mit der Außenluft ermöglicht. Die Öffnungen nach
der Außenluft können besonders geschlossen werden.
An der Peripherie der Glocke ist ein Zeiger für die Skala S
angebracht.
Zur graphischen Darstellung dient die Scheibe J, durch die
mittels Schnurlaufes die Schiene K bewegt wird. An der Schiene
ist die Feder L angebracht, die auf der durch das Uhrwerk M
bewegten Trommel N schreibt.
Zur Aufstellung ist der Apparat mit Stellschrauben und einer
Libelle (0) versehen.
Die Größe des Spirometers ist folgendermaßen gewählt.
Der Grundriß des Gasraumes (= der rechteckigen Wand der
Glocke) ist 10:20 cm groß. Danach ist der Inhalt des Gasraumes
er
= 10 ' 205 ' « •
w r enn die Glocke um den Winkel a von der
Horizontalen erhoben ist, oder = } • 10 • 20 • b = 100 b, wenn b der
(im entsprechenden Maße) an der Skala S abgelesene Bogen ist
Der maximale Inhalt ist danach etwa 3 Liter. 1 ) 1 cm der Skala
entspricht also etwa 100 ccm Inhalt. Die Skala ist in Millimeter
geteilt, es kann danach auf 10 ccm genau abgelesen, auf etwa
2 ccm geschätzt w r erden.
Da der Radius der Scheibe .1 10 cm ist, also halb so groß wie
der des Zeigers an der Skala, entspricht 1 cm der geschriebenen
Kurve etwa 200 ccm.
1) Infolge eines kleinen (leicht korrigierbaren) Versehens kann mein Spiro¬
meter nur bis 1,5 Liter gefüllt werden, da sonst die Wände nicht tief genug
in das Wasser hiueiuragen.
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Zur spirometrischen Methodik.
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Die Ablesung ist also eine sehr genaue. Zum Vergleiche führe
ich an, daß bei dem Bohr’sehen Spirometer 1 cm der Skala oder
einer direkt von der Glocke geschriebenen Kurve ungefähr einem
Volumen von 250 ccm entspricht.
Das Spirometer ist von C. Zeiß mit solcher Sorgfalt aus-
geführt worden, daß es ohne merklichen Widerstand läuft und in
jeder Stellung ausbalanziert ist. Die Resultate bei der Prüfung
waren, wie unten gezeigt wird, sehr gute.
Das Spirometer wird empirisch geeicht und eine auf die Skala
bezogene Tabelle angefertigt. — Der schädliche Raum wird durch
Gasmischung bestimmt; er beträgt etwa 50 ccm (gegenüber 670 ccm
bei dem großen Spirometer).
Die Eichungsversuche, die zugleich zur Prüfung des Apparates
dienten, seien hier angeführt.
Tabelle I.
18° 747 mm.
ccm Wasser
aas der
Bürette
An der Skala des Spirometers abgelesen:
1.
! 2.
1
3.
1 4
5.
1 Dnrch-
l schnitt
0
0
100 |
90
90
90
90
90
90
200
190
190
190
189
190
190
300
290
290
290
289
1 290
290
400
390
390
390
385
389
389
500 1
487
488
488
485
488
487
600
585
583
586
583
585
584
700
680
680
683
680
682
681
800
780
778
780
780
780
780
900
878
875
8h0
879
880
878
1000 i
978
975
978
978
978
977
1100
—
—
1075
1075
1075
1200 !
—
—
1170
1170
1170
1300
—
— |
1265 i
1270
1268
1400
—
—
— l
1360 !
1368
1364
1500
—
1
—
1455 1
1
1460
1458
I. Eichung der Skala.
Ein großer Kolben wird mit einem doppelt durchbohrten Gummi¬
stopfen verschlossen. Durch das eine Loch wird die Verbindung
mit dem Spirometer hergestellt, durch das andere der Ausfluß einer
Bürette gesteckt. Man läßt dann aus der Bürette eine bestimmte
Menge Wasser in den Kolben fließen und notiert die entsprechende
Volumenzunahme des Spirometers. Die Versuche sind in der Ta¬
belle I zusammengestellt; sie sind nicht korrigiert, gelten also für
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 5
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66
Siebeck
Temperatur und Druck im Zimmer: 18°, Barometerstand (747 mm)
Wasserdampftension bei 18°.
Das Resultat ist außerordentlich günstig. Bis 1000 ccm finden
wir keinen größeren Fehler als 5 ccm (2 X)> his 1500 ccm als 8 ccm.
Es sei nochmals hervorgehoben, daß die Ablesung auf 10 ccm
genau ist. — Aus dieser Tabelle wird eine andere berechnet, in
der umgekehrt der Wert (in ccm) jedes Skalenteiles angegeben ist.
II. Bestimmung des „schädlichen Raumes“.
Es ist dreierlei zu unterscheiden: 1. die Atemleitung vom
Mundstück bis zum Hahn; 2. die Hahnbohrung; 3. der Luftgehalt
des Spirometers bei der Einstellung auf den Nullpunkt der Skala.
1. u. 2. werden mit Wasser geeicht, 3. durch Gasmischung. Die
Atemleitung bis zur Hahnbohrung beträgt (ohne Schlauchansatz
und Mundstück) 3 ccm, die Hahnbohrung etwa 1 ccm. — Zur Be¬
stimmung des schädlichen Raumes durch Gasmischung wird der
Apparat mit analysiertem Wasserstoff ausgespült, dann bis zu einem
bestimmten Punkte, ev. auch bis zum Nullpunkte geleert. An die
Atemleitung wird dann eine luftdichte Spritze von bekanntem Luft¬
gehalte (107 ccm) mit Luft gefüllt angeschlossen; wenn die Ver¬
bindung hergestellt ist, wird durch 10—20 Exkursionen des
Stempels die Luft der Spritze mit dem Wasserstoffe des Spirometers
vollständig gemischt. — Die Berechnung ist dann sehr einfach:
x sei der schädliche Raum, a der Wasserstoffgehalt vor, b nach der
Mischung mit Luft, A der an der Skala abgelesene Inhalt des
Spirometers (also Inhalt — schädlicher Raum), dann ergibt sich
folgende Gleichung:
(x + A) a = (x + A + 107 + 3) b
, b (A -J- 107 -f- 3) — a A
da die Spritze 107 ccm, die Leitung 3 ccm Luft enthält. — Ich be¬
nutzte käuflichen, komprimierten Wasserstoff, der nach mehreren
Analysen 99,7 °/ 0 Wasserstoff enthielt, durch Verbrennung mit Sauer¬
stoff bestimmt. Der Wasserstoff war danach nahezu rein. Es wäre
übrigens für die Berechnung gleichgültig, wenn er Spuren anderer,
mit Sauerstoff brennbarer Stoffe enthielte, da die Analysen immer
genau gleich, bis zur vollständigen Verbrennung ausgeführt wurden
und die Berechnung nur auf dem Vergleich zweier verschiedener
Analysen beruht.
Jr.li möchte noch einige Bemerkungen über die Gasanalyse
einschalten. Ich benutzte, wie gewöhnlich, den Petterson’schen
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Zur spirometrischen Methodik.
67
Apparat mit Verbrennungsbürette. Nach einer großen Erfahrung
scheint mir folgendes Verfahren das beste zu sein. Eine der Ab¬
sorptionsbüretten des Apparates wird über Wasser oder Kalilauge
mit atmosphärischer Luft gefüllt. Wie gewöhnlich wird die Gas¬
probe (je nach dem H a -Gehalte 10—20 ccm) eingesogen und ab¬
gelesen, dann aus der mit Luft gefüllten Bürette so viel Luft ein¬
gesogen, daß der geschätzte Wasserstoffgehalt der Mischung etwa
20—30°/ o beträgt. 1 ) Nun wird in die Explosionsbürette soviel von
dem Gas gegeben, daß der Platindraht eben frei wird, durch
Schließung des elektrischen Stromes*) wird der Platindraht zu
schwacher Rotglut erhitzt. Da der oberste Teil des Gases im Me߬
rohre noch fast unvermischte atmosphärische Luft enthält, tritt
anfangs gar keine Verbrennung ein. Man füllt nun das Gas lang¬
sam in das Verbrennungsrohr über, wobei man mit der Geschwindig¬
keit des Füllens die Intensität der Verbrennung regulieren kann.
Dieses Prinzip wurde von Coquillon angegeben und wird auch
für andere Gase, z. B. Stickoxydul 8 ), mit Vorteil verwendet. Nach¬
dem man dann die Gasmischung mehrmals hin- und herbewegt
hat, bestimmt man das Volumen, verbrennt nochmals und liest
wieder ab. Bleibt das Volumen konstant, so ist die Verbrennung
vollständig, die Analyse beendet.
Ich führe nun die Versuche an.
Der Wasserstoffgehalt des mit Wasserstoff ausgespülten Spiro¬
meters — zu Beginn des Versuches — war übereinstimmend 99,7 °/o
(= a der Gleichung). Die übrigen Werte der Versuche sind in
Tab. II angeführt.
Die Werte der Tabelle stimmen sehr gut überein; der höchste
ist 56, der niederste 46, der Mittelwert 51 ccm. 4 )
Die Eichungsversuche haben also ergeben, daß der Apparat
erheblichen Anforderungen an Genauigkeit entspricht. Wo durch
die besonderen Versuchsbedingungen keine neuen Fehler bedingt
sind, dürfen wir die Volumenbestimmungen auf etwa
10—20 ccm genau erwarten.
1) Zumischung von Sauerstoff ist weniger zu empfehlen, da bei geringem
Stickstoffgehalte zu leicht eine Explosion eintritt und dabei Salpetersäure entsteht.
2) Ich habe den Platindraht mit Lampenwiderstand an die Lichtleitung
angeschlossen.
3) Vgl. Sieb eck, Skand. Archiv f. Physiologie 21 p. 368, 1909.
4) Die Werte sind in bezug auf Temperatur und Druck nicht korrigiert,
gelten also für Zimmertemperatur und den entsprechenden Druck. Die geringen
Unterschiede von Temperatur- und Barometerstand bewirken keinen Fehler, der
bei dem absolut so kleinen Werte von 51 ccm in Betracht käme.
5*
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68
SlKBECK
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Tabelle II.
Nr.
j Temp.
Baro¬
meter
A
b
! x
1
1 18°
752 i
200
69,4
52
2
!
69,2
50
3
1
744
0
32,3
53
4
r»
r
n
33,8
56
5
r
r
r
31,4
51
6
! l?o
747
100
)ö7,oy
156,7/
46
7
r?
79
i 79
54,4
53
8
i
ff
: 57
48.6
48
9
n
n
80
53.7
49
10
n
r>
102
57,8
50
Durchschnitt: 50,8
Zum Schlüsse führe ich noch einige Bestimmungen der Mittel¬
kapazität bei Patienten mit kleiner Vitalkapazität an.
Ein Versuch wird folgendermaßen ausgeführt: Das Spirometer
wird mit Wasserstoff ausgespült und dann mit Wasserstoff gefüllt.
Wenn der Ablesung an der Skala das Volumen A (Tab. III) ent¬
spricht, so enthält das Spirometer A -J— 51 ccm H,, da der schäd¬
liche Raum 51 ccm beträgt. — Die Versuchsperson atmet dann —
meist mit Mundstück — durch den Vierwegehahn ruhig ins Freie:
nach einer entsprechenden Vorperiode wird die Verbindung mit
dern Spirometer hergestellt*) und gleichzeitig die Trommel in Gang
gesetzt. Man läßt dann 2—3 mal ruhig weiter atmen, und da¬
nach die Atmung willkürlich vertiefen. Kann man nach mehreren
tiefen Atemzügen annehmen, daß die Mischung vollkommen ist
schließt man ab und entnimmt zwei Proben aus verschiedener Höhe
des Spirometers zur Analyse (b, Tab. III).
Ich lasse gewöhnlich reinen Wasserstoff einatmen, nicht ein
Gemisch von Wasserstoff und Luft wie Bohr 2 ), da die Mischung
natürlich um so leichtersein wird, je kleiner die anfängliche
Gasmenge im Spirometer ist; andererseits ist aber die Genauig¬
keit größer, wenn die anfängliche Wasserstoffmenge
größer ist. Ich habe dabei auch nie unangenehme Erscheinungen
beobachtet. Ich bevorzuge Wasserstoff vor Sauerstoff (resp. Stick¬
stoff. einmal weil nach meiner Erfahrung die Analyse genauer und
1 Ocw.hiilirh am Emle einer Exspiration.
^ I.
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Zur spirometrischen Methodik.
69
bequemer ist, dann weil ich glaube, daß der leichter diffusible
Wasserstoff für die Gasmischung doch günstiger ist.
Die Berechnung ist sehr einfach. Wird zu Beginn des Ver¬
suches an der Skala das Volumen A abgelesen und ist der Wasser¬
stoffgehalt der Gasmischung am Ende des Versuches b°/ 0 , so ist
das Lungenvolumen (x) in dem Augenblicke, in dem die Lunge
mit dem Spirometer verbunden wurde, aus der Gleichung zu be¬
rechnen :
(A -f- 51 + c + x) • b = (A -f- 51) a oder
x = - A + b ° 1)a — (A + 51 + c)
wobei c das Volumen der Atemleitung, a der Wasserstoffgehalt des
benutzten Gases ist (=99,7 °/ 0 ). Aus x und der geschriebenen
Kurve kann dann die Mittelkapazität berechnet werden (durch
Addition oder Subtraktion des Volumens, das dem Abstand des An¬
fangspunktes der Kurve von der „Mittellage“ entspricht). — Als
Mittelkapazität ist in der folgenden Tabelle der Luftgehalt der
Longe am Ende einer ruhigen Exspiration angegeben. 1 ) — Ich
habe die Mittelkapazität stets direkt bestimmt, da gerade sie
mir das größte Interesse zu bieten schien. Es hat ja auch
zweifellos große Vorteile, wenn der Versuch während ruhiger, nicht
willkürlich beeinflußter Atmung beginnt. Andererseits muß frei¬
lich zugegeben werden, daß die Gasmischung voraussichtlich um so
besser ist, je geringer der Luftgehalt der Lunge zu Beginn des
Versuches ist. 2 ) Da ich das Spirometer aber immer am Ende
einer ruhigen Exspiration eingeschaltet habe, ist das bei der mini¬
malen Reserveluft der meisten in Betracht kommenden Patienten
ziemlich gleichbedeutend mit der Bestimmung der Residualluft.
In Tabelle III sind einige Versuche angeführt; da es nur auf
Vergleiche ankommt, sind die Werte im Bezug auf Temperatur
und Druck nicht korrigiert. Zwei entsprechende Versuche wurden
jeweils unmittelbar nacheinander, also bei gleicher Temperatur und
gleichem Druck ausgeführt. Natürlich ist mit geringen Schwan¬
kungen der Mittellage zu rechnen; dennoch stimmen die Werte
recht gut überein. Besonders betont sei * die überaus gute Über¬
einstimmung der Doppelanalysen aus verschiedener Höhe des Spiro¬
meters. Hier zeigt sich deutlich, wie der Apparat für diese Zwecke
1) Vgl. Siebeck, Deutsches Archiv f. klin. Med. 100. Anm. auf p. 210.
2) Vgl. darüber eine demnächst erscheinende Untersuchung über den „Uas-
austausch zwischen Außenlnft und Alveolenluft“ Zeitschr. f. Biol. 1910.
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70
Sisbeck
Tabelle III.
Name
Vital¬
kapazität
Liter
A
Liter
Zahl der
Atemzüge
zur
Mischung
i
j
b
Mitral-
kapazität
Liter
M.
2,0
1,342
|
—
42,43
42,48
1,77
n
n
1,302
—
42,46
42,45
1.79
w.
1.0
1,003
io
33,33
33,33
2.02
n
r
0,823
i 13
j
30,99
30,93
1,91
0.
0,80
0,828
I
i
34,00
34,00
1,67
r
n
0,861
—
35,20
1,60
Sch.
1,90
1,012
5
33,30
2.01
r
n
1,033
i 5
34,07
34,02
1,99
R.
2,00
1,013
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21,8
4,09
n \
n |
i
1,018 !
| j
! li
22,00
21,90
4.05
größeren Spirometern überlegen ist. Ich habe bei so kleiner Vital¬
kapazität (z. B. von W. u. 0.) mit dem großen Spirometer niemals
eine so gleichmäßige Zusammensetzung des Gases im Spirometer
gefunden. Natürlich ist dies noch kein Beweis dafür, daß die
Mischung auch in den Lungen vollkommen ist. 1 ) Besonders bei
dem relativ kleinen Gasraume und dem kleinen schädlichen Raume
ist eine ungleichmäßige Zusammensetzung des Gases im Spirometer
gar nicht zu erwarten. Das sollte ja eben durch die Konstruktion
erreicht werden: es sollte die Gasmischung innerhalb des Spiro¬
meters möglichst erleichtert werden. — Um die Gasmischung in
den Lungen zu prüfen, habe ich Doppelbestimmungen gemacht.
Daß in zwei Versuchen die Mischung in gleicher Weise unvoll¬
kommen ist, ist ja nicht anzunehmen. Aus der Übereinstimmung
von Doppelanalysen kann daher wohl auf eine — wenigstens an¬
nähernd — vollkommene Mischung geschlossen werden. Ganz be¬
sonders ist dies dann der Fall, wenn die Versuchsbedingungen so
verschieden sind, wie z. B. bei R., wo in einem Versuche 6, im
anderen 11 tiefe Atemzüge in das Spirometer gemacht wurden und
der Wert für die Mittelkapazität eine recht gute Übereinstimmung
zeigt.
1) Umgekehrt, ist jeder Versuch unbrauchbar, bei dem die Gasmischung im
Spirometer keine vollkommene ist.
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Zur spiroroetrischen Methodik.
71
Ich glaube, daß aus dem Vorstehenden zur Genüge erhellt,
was mich zu der Konstruktion des Spirometers bestimmte, und in¬
wiefern meine Erwartungen erfüllt wurden. Nach meiner bis jetzt
allerdings noch nicht sehr großen Erfahrung kann ich in der Tat
sagen, daß mir das kleine Spirometer bei der Untersuchung manches
dyspnoischen Patienten zu brauchbaren Bestimmungen der Mittel¬
kapazität verholfen hat, wo das große versagte. Auch für andere
Versuche habe ich den Apparat sehr zweckmäßig gefunden. Diese
oder jene kleine Verbesserung dürfte auch unschwer noch zu er¬
reichen sein.
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Aus der medizinischen Klinik in Basel.
Über Nitrobenzolvergiftnng, Blutbefnnd nnd Verhalten
des Herzens bei derselben.
Von
Dr. Rudolf Massini,
Assistenten der Klinik.
(Mit 1 Abbildung.)
Krankengeschichten: Fall 1. Ein 18 Jahre alter Arbeiter
in einer chemischen Fabrik trank ans Versehen ungefähr 30 ccm Nitro¬
benzol. Eine sofort mit einem Gasschlauch versuchte Magenspülung
mißlang. Nach Darreichung von l 1 /* g Kupfersulfat in 50 ccm Wasser
trat Erbrechen ein. Am 30. November 6 Uhr abends, 2 Stunden nach
dem Unfall wird der Patient in die Klinik gebracht.
Status beim Eintritt: Guter Allgemeinzustand. Bewußtsein klar.
Pupillen mittelgroß, gleich weit, reagieren prompt auf Lichteinfall. Haut
feucht, Farbe blaß-bläulich. Lungen o. B. Herz: Spitzenstoß ein Finger
außerhalb der Mammillarlinie. Absolute Dämpfung: 3 Finger links vom
linken Sternalrand. Relative Dämpfung: 1 Finger außerhalb der
Mammillarlinie, 1 Finger rechts vom rechten Sternalrand. An der Spitze
systolisches Geräusch. Puls regelmäßig, von mittlerer Füllung und
Spannung, 92, Blutdruck 170/100 (Recklinghausen).
Patient verbreitet einen sehr starken Geruch nach Bittermandelöl.
Wenige Minuten nach Eintritt bricht Patient Fetzen koagulierter
Milch in einer hellblauen fast ganz klaren Flüssigkeit. Eine Magen¬
spülung entleert noch mehr der gleichen Flüssigkeit. Alles riecht stark
nach Bittermandelöl. Im Erbrochenen läßt sich Nitrobenzol chemisch
nachweisen. Um 7 Uhr wird Patient benommen. Puls noch ziemlich
kräftig. Koffeininjektion. Die Gesichtsfarbe wird blässer. Auf Sauer-
stoffinhalation bessert sich das Befinden etwas. Auf Schwarztee mehr¬
mals Erbrechen.
Gegen 8 Uhr wird der Patient noch blässer, der Puls wird schlecht
und ist bald nicht mehr zu fühlen. Das Bewußtsein schwindet zeitweise
vollständig. Trotz Koffein- und Kampferinjektionen nimmt die Herz¬
tätigkeit ständig ab. Auch eine Infusion von 1100 ccm physiologischer
Kochsalzlösung unter die Haut bringt keine Besserung. Ein rektaler
Einlauf (l 1 ., 1 XaCl-Lösung mit Inf. Digitalis) wird nur zur Hälfte ge¬
halten.
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Über Nitrobenzolvergiftung etc.
73
Um 9 Uhr vollständige Reaktionslosigkeit. Incontinentia nrinae,
Pupillen weit, reagieren nur spurweise auf sehr starken Lichteinfall. Die
Haut hat eine blaß-blaue FärbuDg.
Im Verlaufe der Nacht hat Patient epileptiforme Anfälle.
Gegen Morgen etwas Besserung. Der Patient gewinnt im Verlaufe
desselben seine Besinnung wieder. Der Puls wird kräftiger. Herz*
dämpfung wie beim Eintritt. Galopprhythmus. Mehrmals Erbrechen.
Patient löst 1300 ccm dunkeln, stark nach Bittermandelöl riechenden
Urins. Temperatur 38°.
Am 2. Dezember weitere Besserung. Kein Galopprhythmus mehr.
In der Hautfarbe tritt eine grau-blaue Komponente deutlich hervor.
Kein Erbrechen mehr. Temperatur 37,6 °. Patient klagt über Kopfweh.
4. Dezember. Patient fühlt sich wohl, schläft viel. Milz hart,
leicht palpabel, reicht einen Finger unter dem Rippenbogen hervor.
7. Dezember. Leichte Gelbfärbung von Haut und Skleren.
9. Dezember. Nur noch geringe Gelbfärbung.
12. Dezember. Haut nicht mehr gelb, Skleren noch etwas gelblich.
Milz noch etwas vergrößert aber weicher.
17. Dezember. Leichte Angina.
22. Dezember. Angina geheilt.
28. Dezember. Milz nicht mehr zu fühlen, Dämpfung normal.
11. Januar. Austritt. Herz: Spitzenstoß in der Mammillarlinie.
Relative Dämpfung: Mammillarlinie, rechter Sternalrand.
Der Blutdruck ergab bei seiner ersten Untersuchung am Tage des
Eintritts einen Wert von 170/100 cm Wasser (Recklinghausen). Am
3. Tage war er auf 110/62 gesunken. Am 6. Tage betrug er 150/90
und blieb von da an auf dieser Höhe ohne wesentliche Schwankungen.
Im Urin fand sich im Beginn eine Spur Albumen, keine redu¬
zierenden Substanzen. Anilin konnte nicht nacbgewiesen werden. Die
Farbe war dunkel bis zum 17. Dezember.
Das durch Aderlaß entnommene Blut war schokoladebraun und hatte
starken Geruch nach Nitrobenzol. Spektroskopisch ließ sich darin Methärao-
globin nachweisen. Die Braunfärbung blieb bestehen bis zum 3. Dezember.
Eine Methämoglobinbildung ist außer in diesem Falle noch be¬
schrieben von E h 1 i c h und Lindenthal 1 ), sie fehlte in dem von
E. Meyer 2 ) mitgeteilten Fall. Nach E. Meyer soll Nitrobenzol selbst
das Hämoglobin nicht verändern, wo Methämoglobin auftritt, soll es
durch das aus dem Nitrobenzol im Körper gebildete p-Aminophenol er¬
zeugt sein. Nach Brat 3 ) entsteht bei Fleischfressern aus Nitrobenzol
sowohl p- als auch o-Aminophenol.
Im Zusammenhang mit der Blutveränderung möchte ich noch die
am 4. Tage auftretende Milzvergrößerung und den 3 Tage später be¬
ginnenden Icterus betonen.
Die folgende Tabelle gibt Aufschluß über die Zahlenwerte der
einzelnen Bestandteile des Blutes.
1) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 30 p. 427.
2) Verhandl. d. deutsch, pathol. Gesellsch. Meran 1905 p. 224.
3) 77. Versamml. d. Ärzte u. Naturforscher Meran 1905 p. 63.
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Über Nitrobenzolvergiftung etc.
75
Fall 2. Der zweite Fall betrifft einen 30jährigen Arbeiter. Im
Gegensatz zum ersten handelt es sich hier nicht um eine einmalige
stärkere Intoxikation mit Nitrobenzol, sondern um eine chronische Ver¬
giftung, die im Verlaufe von einem Vierteljahr, währenddem der Patient
in einem Raume, in dem mit Nitrobenzol gearbeitet wurde, beschäftigt
war, allmählich manifest wurde.
Anfang Mai 1910 fühlte sich der Patient nicht wohl und blieb für
10 Tage dem Betriebe fern. Zu Hause in den nächsten Tagen Er¬
brechen, Appetitlosigkeit. 8päter fühlt sich der Patient wieder wohler
und begann wieder zu arbeiten. Nach 10 Tagen aber stellten sich die
früheren Beschwerden in verstärktem Maße ein. Allgemeine Kraftlosig¬
keit, Schwitzen schon nach geringer Arbeit, vollständige Appetitlosigkeit,
unangenehmer Geschmack im Mund, leichter Durchfall. Patient blieb
zu Hause und wurde dem Spital zugewiesen.
Aus dem Status beim Eintritt (4. Juni 1910). Mäßig ernährter
Patient. Hautfarbe grau-gelblich, Bubicterisch, Schleimhäute blaß, Nonnen¬
sausen, Lunge o. B. Herz: nach rechts und links ein Finger breiter als
normal, Töne rein. Puls weich, regelmäßig. Abdomen mit Ausnahme
der Milz normal. Milz undeutlich palpabel, die Dämpfung reicht bis zum
Rippenbogen. In den nächsten Tagen des Spitalaufenthaltes trat sub¬
jektive und objektive Besserung ein. Die Hautfarbe wurde normal. Die
Milz war am Tage nach der Aufnahme deutlich fühlbar, später aber
nicht mehr. Die Milzdämpfung beim Eintritt bis zum Rippenbogen
reichend, ging im Verlaufe von 4 Wochen um einen Finger zurück. Am
4. Tage nach dem Eintritt war auch das Nonnensausen verschwunden.
Das Körpergewicht stieg von 62,9 kg auf 66,3 an. Blutdruck 130/50
(Recklinghausen).
Urin in den ersten Tagen sehr dunkel, später normal gefärbt, ent¬
hält beim Eintritt Spuren von Eiweiß, später aber nicht mehr. Anilin
konnte nicht nachgewiesen werden. Spektroskopisch die Urobilinstreifen.
Im übrigen o. B. Zusammensetzung des Blutes siehe Tabelle II p. 76.
Herzmaße an Telephotographien gemessen am 10. Juni und am
2. Juli siehe Tabelle HI.
Tabelle HI.
Transversaldurchmesser 15 1 / s cm
Länge 15 „
Die vorliegenden Fälle reihen sich hinsichtlich ihres klinischen
Verhaltens, blau-graue Verfärbung des Gesichtes, Bewußtseins¬
störungen, Verhalten des Urins usw., den schon in der Literatur
niedergelegten an (E. Meyer, Brongers, Ehlich und
Lindenthal). Bemerkenswert sind zwei Punkte, auf welche
ich näher eingehen möchte, nämlich das Verhalten des Blutes und
dasjenige des Herzens.
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Original frum
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76
MaS8IX1
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Datum
Rote
Blntk.
Weiße
Blutk.
Hämo¬
globin
%
Index
Poly-
nucl.
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Lympho-
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4. VI.
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M.
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1,3
60,2
1 31.1
5. VI.
2,8
M.
6600
66,7
j 23,1
i
6. VI.
2,94
M.
7600
80
1,2
53,5
40.5
7. VI. i
3,01
M.
8000
81
1.2
55,5
36.2
8. VI. |
3,09
M.
8400
81
1.2
58,3
34,7
10. VI.
3,1
M.
8300
81
1,2
61,5
| 31,6
18. VI.
3,2
M.
7200
82
i 1,2
i 49,2
43,8
16. VI.
3,87
M.
5200
86
1,0
54,0
35.6
20 VI.
3,86
M. .
4200
92
1,1
i 41,8
I 45;:
24. VI.
4,2
M.
3800
98
1 1.0
60,3
32.3
29. VI.
4.31
M. '
6500
100
1,0
! 60,9
i 34.4
I.
Verhalten des Blutes.
Wenn
auch die durch
die Einwirkung von Blutgiften ent-
stehende Anämie experimentell sehr gut studiert ist, so liegt doch
von klinisch gut bearbeitetem Material nur sehr wenig vor. Außer
den Angaben von Brongers 1 ), er habe nach Inhalation von
Nitrobenzol bei einem 12jährigen Knaben die Hämoglobinmenge
vermindert gefunden (nach Tallqvist), finde ich nur noch die
obenerwähnte Arbeit von Eh lieh und Lindenthal.
Das Verhalten des Blutbildes bei Blutgiftanämien hat beson¬
ders darum großes Interesse erweckt, weil sich daraus Schlüsse
auf die Blutbildung bei schweren Anämien mit noch unklarer
Ätiologie ziehen lassen.
Es scheint darum auch nicht unangebracht, Vergleiche zu
ziehen mit Veränderungen im Blutbilde der perniziösen Anämie
und demjenigen einiger schweren Anämien, deren Blutbild nicht
ganz übereinstimmt mit demjenigen der perniziösen Anämie.
Beobachten wir zunächst das Verhalten der roten Blut¬
körperchen. Poikilocytose, Polychromatophilie, erhöhter Färbe¬
index, Normo- und Megaloblasten im Blutbilde sind Anomalien,
die als typisch für die perniziöse Anämie angesehen, und als
Rückschlag in den embryonalen Typus der Blutbildung gedeutet
werden. Dieser Befund, konstant bei der perniziösen Anämie ist
1) Nieder!. Tijdschr. v. Geneesk l l d06 II p. 57K.
Gck igle
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Über Nitrobenzol Vergiftung etc.
77
belle II.
Eosino¬
phile
0'
0
Mast¬
zellen
7«
Myelo-
cyten
°/
Io
Überg.-
Zellen
. %
Bemerkungen
2,9
0,4
0,5
' 1 2 3 4 -8 ,
3,7
0,5
i
1,0
4,9 |
Punktierte Normoblasten mit einem
bis 3 Kerne, wenige Megaloblasten.
Polychromatophile, Amsocytose.
1,9
1,0
1
1
0,4
2,5
1
Punktierte Normoblasten mit einem
bis mehreren Kernen, freie Kerne roter
Blutk. Vereinzelte punktierte Erythro-
cyten. Polyehromatophilie, Anisocytose.
3,3
0,1
1,7
3,0
Nur noch vereinzelte Normoblasten.
2,5
0,3
1,1
3,6
Ganz vereinzelte Normoblasten.
1.8
0,6
0,4
5,3
3,0
0,4
2.0
3,1
4,4
1,5
0,4
3,9
4,6
1.2
0,2
6,3
3.3
0,4
0,1
3,6
1.2
0,1
o,i
3,1
aber auch nicht ganz selten bei anderen Krankheiten erhoben
worden. Nachdem er früher als Zeichen einer Schädigung der
blutbildenden Organe aufgefaßt worden war, wird er jetzt für die
Folge eines Eegenerationsvorganges gehalten.
Daß auch bei sekundären Anämien (bei chronisch infek¬
tiösen Krankheiten, aber auch bei akuten z. B. Typhus abdominalis)
als „kompensatorische“ Vorrichtung Rückschlag zur embryonalen
Blutbildung auftritt, folgert Neumann 1 ) schon 1877 aus dem
Auftreten von rotem Mark in den langen Röhrenknochen bei den
genannten Krankheiten.
Seitdem Ehl ich die Bedeutung der Megaloblasten und Me-
galocyten für die Diagnose dieses Zustandes gezeigt hat, ist dieser
Schluß noch bindender geworden.
Aus dem Blutbilde konnte auf diese Art der Erythropoese auch
noch bei einigen schweren Anämien, deren systematische Stellung
noch unklar ist, geschlossen werden.
Es sind das die Lenkanämie von Leube-Arneth 3 ), zwei von
Morawitz 8 ) beschriebene atypische Anämien, einige der von Meyer
and Heineke 4 ) beschriebenen Fälle und die Pseudoleucaemia infantum
(J a k 8 c h 6 )), in seltenen Fällen kann auch die Malaria eine Anämie er-
1) Berl. klin. Wochenschr. 1877 p. 685.
2) Deutsches Archiv f. klin. Med. 1901 Bd. 69 p. 331.
3) Deutsches Archiv f. klin. Med. 1907 Bd. 88 p. 493.
4) Deutsches Archiv f. kliu. Med. 1907 Bd. 88 p. 435.
5i Wien. klin. Wochenschr. 1898 p. 433.
Digitizeit by
Gck igle
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78
Massini
Digitized by
zeugen mit erhöhtem Index und Megaloblasten nsw. (Zeri *)). Yod
Blntgiften bewirkt das Blei unter Umständen einen Rückschlag in die
embryonale Blutbildung. Auch die Bothriocephalueanämie, die ja bis in
alle Einzelheiten der perniziösen Anämie gleichen kann, muß als Anämie
durch Schädigung des Blutes angesehen werden, da ein aus den Leibern
des Bandwurmes gewonnener Extrakt dieselbe Wirkung entfaltet wie der
Wurm selbst.
Experimentell gelang es Kaminer und Rohnstein-) durch Ver¬
giften von Kaninchen mit Phenylhydrazin eine Anämie zu erhalten mit
Auftreten von Normoblasten und Megaloblasten. In gleicher Weise er¬
zeugt Reckzeh 1 2 3 ) bei Hunden durch Pyrogallol ein typisches Blutbild.
Bei jungen Hunden, welche normalerweise schon Normoblasten im Blute
haben, waren diese nach Pyrogallolgaben vermehrt, dazu traten Megalo¬
blasten auf. Der Index war stets größer als 1.
Ebenso wichtig für die Diagnose der in Frage stehenden
Anämien wie das Verhalten der roten Blutkörperchen ist das¬
jenige der weißen. Nägeli 4 ) und Strauß 5 ) weisen mit Nach¬
druck darauf hin, daß bei perniziöser Anämie eine Leukopenie,
und zwar eine sich auf die polynukleären Elemente des Blutes
erstreckende Leukopenie entsteht, während die Zahl der Lympho-
cyten annähernd normal bleibt. Diese Leukopenie findet sich nun
beinahe nur bei der perniziösen Anämie. Fast alle vorhin be¬
sprochenen Fälle von Anämien mit Rückschlag der Erythropoese
in den embryonalen Typus gehen mit einer Leukocytose einher.
Auch unser erster Fall von Nitrobenzol Vergiftung zeigte, wie der¬
jenige von Eh lieh und Lindenthal eine Vermehrung der
weißen Blutkörperchen, die sich hauptsächlich auf die polynucleären
Elemente, aber auch auf die Lymphocyten erstreckte. Die Ver¬
mehrung der polynucleären Leukocyten klang schneller ab als die
der Lymphocyten, so daß zum Schlüsse die Lymphocyten gegen die
Norm prozentisch vermehrt waren (41,7).
Bei unserem zweiten Fall aber fehlte eine ausgesprochene
Leukocytose ganz.
Eine vollständige Übereinstimmung in dem Blutbilde mit dem¬
jenigen der perniziösen Anämie zeigt eigentlich nur die Bothrio-
cephalusanämie. Zwischen diesem einen Extrem, Leukopenie, be¬
schränkt auf die polynucleären Leukocyten und demjenigen einer
hochgradigen Leukocytose gibt es nun Zwischenstufen.
1) Oit. nach Stempelin’s Dissertation Zürich 1908.
2) Berl. klin. Woehenschr. 1900 Heft 31.
3) Zeitschr. f. klin. Med. 1904 p. 165.
4) Bhitkrankheiteu nnd Blutdiagnostik. Leipzig, Veit, 1908.
5) Berlin, Aug. Hirschwald, 1901.
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Über Nitrobenzolvergiftung etc.
79
Im Fall 8, Meyer und Heineke 1 ), postluetische Anämie, sank
die Zahl der weißen Blutkörperchen von 3200 auf 2800 herunter, aller¬
dings ohne daß eine relative Lymphocytose dabei bestanden hätte. In
den beiden Fällen von Morawitz 2 ) ist im Beginn eine Leukocytose
verzeichnet, im Verlaufe der Krankheit aber machte diese einer leichten
Leukopenie Platz (4000 weiße Blutkörperchen resp. 4500). Auch hier
sind die polynukleären Leukocyten prozentual stets an erster Stelle. Im
Fall 15, Meyer und Heineke 1 ), waren 5200 Leukocyten vorhanden,
78 % davon neutrophile Polynucleäre. Bei zwei anderen atypischen
Anämien der gleichen Autoren (Fall 14, 16) bestand zwar eine ziemlich
bedeutende Leukocytose (10 000 resp. 139 000, später 7200 weiße Blut¬
körperchen), aber bei beiden waren nur ca. 33 % der weißen Blut¬
körperchen polynucleäre Leukocyten. Die Lymphocyten betrugen daher
im Fall 14 57 °/ 0 , im Fall 16 36 °/ 0 . In letzterwähntem Falle waren
außer den Lymphocyten und polynucleären Leukocyten noch 24 % große
lymphoide Markzellen und 19% große raononucleäre Formen vorhanden.
Koloss» 1 gesteigert waren die weißen Blutzellen bei dem von Leube-
Arneth 8 ) initgeteilten Falle von perniziöser Anämie, so daß von
Leukanämie gesprochen wird. Die Krankheit trat ganz akut auf
und führte in wenigen Tagen zum Tode. Die Zahl der Leukocyten war
256 000, darunter waren die polynucleären Elemente mit 44, die Lympho¬
cyten mit 40 % vertreten. Bemerkenswert ist, daß es sich um eine
Anämie bei einem Kinde, einem 10jährigen Knaben handelt, und daß
die Blutentnahme am Tage ante mortem gemacht wurde. Ähnlich hohe
Leukocytenzahlen finden sich auch bei dem unter dem Namen Anaemia
pseudoleucaemica infantum zusammengefaßten Symptomenkomplex.
Bei experimentell durch Blutgifte erzeugten Anämien ist eine Leuko¬
cytose die Norm. Diese ist um so stärker, je länger die Tiere leben, je
stärker die Anämie ist und je jünger die Tiere sind (Strauß und
Rohnstein 4 ), Rekzeh 5 )). In gleicher Weise erzielten Kam in er
und Rohnstein 6 ) bei ihren mit salzsaurem Phenylhydrazin anämisch
gemachten Kaninchen meist eine Leukocytenvermehrung (bis 25 000),
aber bei sehr großen Dosen (0,15 bis 0,125 subkutan injiziert),
denen die Tiere schon meist innerhalb 48 Stunden erlagen, gelang es
doch eine Leukopenie zu erhalten.
Trotzdem nun aber die Möglichkeit einer Leukopenie bei der
sekundären Anämie theoretisch zugegeben werden muß, scheint
doch bis jetzt für die Praxis die Regel zu Recht zu bestehen,
daß die Zahl der weißen Blutkörperchen ein gutes Unterscheidungs¬
merkmal abgibt zwischen sekundären und perniziösen Anämien
(Nägeli, Strauß und Rohnstein).
1) Archiv f. klin. Med. Bd. 88 p. 435.
2) Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. 88 p. 493.
3) Deutsches Archiv f. klin. Med. 1901 p. 331.
4) Berlin, Aug. Hirschwald, 1901.
5) Zeitscar. f. klin. Med. 1904 Bd. 54 p. 165.
6) Berl. klin. Wochenschr. 1900 Heft 31.
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80
Massim
Von unseren zwei Fällen bietet der erste akute ein gutes
Beispiel für eine sekundäre Anämie, wie sie anch experimentell
bei Tieren hervorgerufen wurde. Es bestand embryonaler Typus
der Erythropoese verbunden mit Lenkocytose (22400 weiße Blut¬
körperchen). Der zweite chronische Fall von Vergiftung zeigte
ebenfalls embryonale Blutbildung, aber es fehlte die Lenkocytose.
die große Zahl der weißen Blutkörperchen betrug 4800. Im Be¬
ginn der dritten Woche zeigte sich sogar eine leichte Leukopenie
(3800 weiße Blutkörperchen).
Ein Überwiegen der Zahl der Lymphocyten über diejenige
der polynucleären Leukocyten, wie das bei der perniziösen Anämie
beschrieben ist, fehlte zwar im ersten wie im zweiten Fall, aber
in beiden Fällen konnte doch eine relative Vermehrung der LjTnpho-
cyten (41,7 im ersten und 45,7 °/ 0 im zweiten Falle) gegenüber
der Norm konstatiert werden und zwar in beiden Fällen im Be¬
ginn der dritten Woche.
Im besonderen sei hier noch auf einige zeitliche Verhältnisse
aufmerksam gemacht. Beide Patienten restituierten ihr Blut außer¬
ordentlich rasch, trotzdem sie stark anämisch waren (Fall 1: 1.8
Millionen rote Blutkörperchen, Fall 2: 2,5 Millionen rote Blut¬
körperchen im cmm) und trotzdem beide Patienten auch sonst stark
heruntergekommen waren. In 3—4 Wochen war die Norm bereits
erreicht. In der gleichen Zeit trat auch subjektive und objektive
Besserung des Allgemeinzustandes ein. Daß auf Anämie durch
Vergiftung eine schnellere Regeneration des Blutes erfolgt, als auf
solche infolge Blutung, suchte H. Ritz 1 ) experimentell darzulegen.
Der Unterschied zwischen den beiden Arten bezieht sich dort aller¬
dings nur auf wenige Tage.
Im speziellen bemerke ich noch, daß die abnormen Befunde
bei den roten Blutkörperchen (Megaloblasten usw.) in beiden Fällen
dann verschwanden, als die Zahl der roten Blutkörperchen zu
steigen begann, während diese embryonale Blutbildung im ersten
Falle dann besonders ausgesprochen war, solange die Zahl der
roten Blutkörperchen schwand. Dies erlaubt schon den Schluß zu
ziehen, daß der embryonale Typus der Blutbildung als ein Zeichen
dafür angesehen werden kann, daß zur Zeit seines Auftretens Blut
zerstört wird. Die Leukocytose beim ersten Fall, am stärksten
vorhanden am 7. Tage, ist als durch den starken, raschen Zerfall
der roten Blutkörperchen bedingt anzusehen, und darf wohl der
1) Fulia haematolog. 1 ( .X)9 p. 186.
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Über Nitrobenzolvergiftung etc.
81
Milzschwellung analog gerechnet werden. Letztere war ja in dem
ersten Falle anch viel deutlicher und länger andauernd als in dem
zweiten. Für den hei chronischen Anämien häufig gefundenen
Milztumor läßt sich eine ähnliche Entstehung denken.
II. Herzbefund.
Außer dem Blutbefund ist bei unserem ersten Falle noch be¬
merkenswert das Verhalten des Herzens während und nach der
Vergiftung. Da ich in den Lehrbüchern von Jürgensen,Krehl
und Romberg keine genaueren Angaben gefunden habe, sei etwas
näher darauf eingegangen. Bei seinem Eintritt wies der Patient
eine Verbreiterung seiner Herzdämpfung auf, welche sich im Laufe
seines Spitalaufenthaltes wieder zurückbildete. Die orthodiagraphi-
schen Aufnahmen bestätigten das durch die Perkussion gewonnene
(s. Fig. 1).
V* Original.
am 17. XII.-
* 8. I. .
„30.1.-
Die Maße sind in folgender Tabelle zusammengestellt:
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 6
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Original frorn
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82
Massini
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Tabelle IV.
Datum 17. XII. 8. I. 30. I.
Transversaldurchmesser 12 3 / 4 12 12 cm
Länge 13>4 12»/ 4 12 1 /* „
Die Verbreiterung des Herzens darf wohl als durch die Ver¬
giftung mit Nitrobenzol bedingt angesehen werden, trotzdem wir
dieselbe nicht entstehen, sondern nur vergehen sahen. Der Pa¬
tient war vor seinem Unfall stets gesund. Eine Schädigung des
Herzens wird auch durch den während den ersten zwei Tagen vor¬
handenen Galopprhythmus und die am dritten Tage festgestellte
Erniedrigung des systolischen und diastolischen Blutdruckes er¬
härtet.
Über das Verhalten des Herzens bei Nitrobenzol Vergiftung
finden sich nur wenig Angaben. Überall wird ein hochfrequenter
Puls vermerkt, Bahrdt 1 ) hörte in einem Falle an Stelle des ersten
Tones ein Geräusch. Bei der Sektion der Patientin von E hl ich
und Lindenthal fand sich eine Verbreiterung des Herzens,
kleine Schwielen im Herzmuskel, geringe Arteriosklerose.
DaB Herzdilatationen sehr rasch entstehen können, ist bekannt.
Buttermann 2 ) berichtet über ein Auftreten derselben schon innerhalb
48 Stunden. Über das Entstehen von akuten Dilatationen nach ein¬
maligen Überanstrengungen des Herzens sind die Ansichten geteilt.
Moritz und Dietlen 8 ) sahen bei ihren Untersuchungen an Radfahrern
stets eine Verkleinerung, Schott 4 5 ) bei Ringern eine Verbreiterung der
Silhouette. Raab 6 ) beobachtete beides, glaubt aber, daß Dilatationen
nur bei schon vorher nicht ganz intakten Herzen eintreten können. Anf
Giftwirkungen, allerdings von etwas längerer Einwirkungsdauer, können
die von Dietlen 6 ) bei Diphtherie, in geringem Maße auch bei Scharlach
beobachteten Dilatationen zurückgeführt werden.
Im Experimente konnte de la Camp 7 ) durch Laufenlassen von
Hunden im Tretrade keine Erweiterung erreichen, leicht aber gelang die
Erzeugung einer solchen, wenn das Tier durch Fieber, Hunger und
Philoridzin- oder Phosphorvergiftung vorher geschädigt war. Als direkte
Giftwirkung auf das Herz siebt M iscowitz 8 ) eine Dilatation des Herzens
bei mit Adrenalin behandelten Kaninchen an, da jene schon nach wenigen
1) Archiv f. Heilkunde 1874 Bd. 12 p. 320.
2) Archiv f. klin. Med. Bd. 74 p. 1.
3) Münch, med. Wochenschr. 1908 p. 489.
4) Münch, med. Wochenschr. 1908 p. 952.
5) Mimik. med. Wochenschr. 1909 p. 555.
6) Münch, med. Wochenschr. 1908 p. 2077.
7) Zeiischr. f. klin. Med. 1904 Bd. 51 p. 1.
8) Wien. klin. Wochenschr. 1909 Heft 3.
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UNIVERS1TY OF CALIFORNIA
Über Nitrobenzolvergiftung etc. 83
Injektionen auftrat, lange bevor sich eine Steigerung des Blutdruckes
nachweisen ließ.
Bei länger dauernder Einwirkung von Giften sind Hypertrophie und
Dilatation bekannt (Bierherz, Weinherz). Die Verbreiterung der Dämpfung
bei Anämien wird von von Criegern 1 ) bloß auf größere Wand*
ständigkeit des schlaffen Herzens und nicht auf eine wirklich vorhandene
Vergrößerung zurückgeführt. Ebenso kann eine Dilatation z. B. bei
Chlorose vorgetäuscht werden, entweder indem die Vorderfläche des
Herzens freier zutage tritt, wenn, infolge schlechter Atmung, die Lungen*
ränder zurückweichen (von Noorden 2 3 * )) oder weil, infolge Hochstand
des Zwerchfells, eine Querstellung des Herzens resultiert (Grumnach 8 )).
In unserem ersten Falle nun handelt es sich um einen Zu¬
stand akuter echter Dilatation des Herzens infolge Giftwirkung,
verbunden mit Blutdrucksenkung und Galopprhythmus. Das Auf¬
treten der Blntdrucksenkung spricht dafür, daß nicht nur das Herz,
sondern der ganze Zirkulationsapparat eine Schädigung erfahren
hat, da sonst doch wohl ein Ausgleich des Blutdruckes statt¬
gefunden hätte. Die Erscheinungen der Dilatation bildeten sich
nur sehr langsam zurUck, während Blutdrucksenkung und Galopp¬
rhythmus in wenigen Tagen verschwunden waren.
Daß eine akute Vergiftung zu Schädigung des Herzens
führen kann, sahen wir noch in einem Falle von Anilin Ver¬
giftung, bei welcher ebenfalls das Auftreten eines Galopprhyth¬
mus während einigen Tagen beobachtet werden konnte. Die Ver¬
giftung war eine leichte. Im Blute konnte keine Veränderung
festgestellt werden, die Orthodiagraphien zeigten nichts Abnormes
in Größe oder Form.
In unserem zweiten Falle konnte mit Ausnahme von Nonnen¬
sausen in den ersten Tagen des Spitalaufenthaltes nichts Abnormes
an den Zirkulationsorganen festgestellt werden.
Zusammenfassung.
I. Die Fälle bestätigen die Angaben der Autoren, welche bei
Blutgiftanämien in Tierversuchen Auftreten des embryonalen Typus
sahen.
II. Der embryonale Typus, der als Kompensationserscheinung
aufzufassen ist, war deutlich, solange die Zahl der roten Blut¬
körperchen abnahm, und verschwand auffallend rasch mit der Zu¬
nahme derselben. Das Auftreten eines embryonalen Typus fällt,
1) Kongreß f. innere Med. 1899 p. 298.
2) Nothnagel, Spez. Path. Bleichsucht 1897.
3) Ther. Monatshefte 1897 p. 1.
6 *
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84 Massini, Über Nitrobenzolvergiftung etc.
wie bei der perniziösen Anämie, zeitlich mit der Blutzerstörung
zusammen.
III. Bei Nitrobenzolvergiftung kann Leukocytose auftreten
(a'knte Vergiftung) oder nicht (chronische Vergiftung). Als Ur¬
sache für das Auftreten einer Leukocytose ist ein rapider Zerfall
der roten Blutkörperchen anzusehen. Auf die gleiche Ursache ist
die Milzschwellung zurückzuführen.
IV. Der Blutersatz bei Anämien durch Blutgifte ist ein sehr
rascher.
V. Bei Nitrobenzolvergiftung können Störungen am Herzen
und an den Gefäßen auftreten, bestehend in akuter Herzdilatation.
Galopprhythmus und Blutdrucksenkung.
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Aas der II. medizinischen Klinik München.
Direktor: Prof. Friedrich Müller.
Beobachtungen an einem eigenartigen mit Muskel¬
lähmungen verbundenen Fall von Hämoglobinurie. 1 )
Von
Dr. Friedrich Meyer-Betz,
Assistent.
Am 29. November 1909 abends 10 Uhr wurde mit der Sanitäts¬
kolonne auf unsere Abteilung ein dreizehnjähriger Junge in außer¬
ordentlich schwerem Zustand eingeliefert. Er sah todblaß aus, das
Gesicht war spitz und verfallen, die Augen waren eingesunken und
haloniert. Er klagte über große Mattigkeit, war eigentümlich un¬
ruhig und ängstlich und dabei so schwach, daß er nicht imstande
war, den Kopf zu erheben, aufgerichtet über Schwindel klagte und
sofort wieder schlaff in sich zusammensank. Er glich einem sich
Verblutenden. Der Puls war kaum fühlbar, Blutdruck: systolisch
60—70 mm Hg nach Riva-Rocci, diastolisch nicht zu bestimmen.
Temperatur 37,6 0 C. Die sonstige erste orientierende Untersuchung
ergab keinerlei wesentliche Veränderungen der inneren Organe.
Die Mutter gab an, der Junge sei am 27. November noch voll¬
kommen wohl gewesen, habe abends vor dem Zubettgehen mit
Appetit gegessen. In der Nacht 3 Uhr sei er plötzlich aufgewacht,
habe erbrochen, über Leibschmerzen geklagt. Kurz darauf sei
Nasenbluten eingetreten, das ziemlich heftig gewesen sei. Am
28. November 1909 sei er deshalb zu Bett geblieben. Über Tag
gering, sei das Bluten in der Nacht auf den 29. November wieder
sehr heftig geworden, und heute habe der Junge plötzlich ganz
schwarzen Urin gelassen, das Nasenbluten sei noch stärker ge-
1) Herr Dr. 0. Neubauer hatte die Liebenswürdigkeit, den Fall in meiner
Abwesenheit auf dem Kongreß für innere Medizin zu Wiesbaden in der Diskussion
zum Vortrag von Herrn Ros in zu erwähnen.
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86 Mbyer-Betz
worden, schwere allgemeine Schwäche sei eingetreten, er habe nicht
essen können. Ob Fieber bestand, konnte die Mutter nicht angeben.
Der von der Mutter mitgebrachte Urin war schokoladebraun,
ganz trübe und enthielt dicken bräunlichen Bodensatz, der mikro¬
skopisch ganz überwiegend aus Detritus von roten Blutkörperchen
und Hämoglobinzylindern bestand. Hyaline und granulierte Zylinder
fanden sich nur vereinzelt, ebenso Leukocyten, keine Erythrocyten.
Chemisch enthielt er reichlich Eiweiß, Zucker 0, Urobilin 0. Spektro¬
skopisch: Deutlicher Met-Hb-Absorptionsstreifen im Rot, Oxy-Hb-
Streifen in Gelb und Grün.
Wir glaubten einem schweren Fall von paroxysmaler Hämo¬
globinurie gegenüber zu stehen, aber eine genauere Anamnese,
weitere Untersuchungen und der fernere Verlauf ließen uns er¬
kennen, daß ein höchst eigenartiges Krankheitsbild vorlag.
Anamnese, Befund und klinischer Verlauf.
P. M., 13 Jabre alt, Molkereibesitzerssohn. Vater mit 38 Jahren
an Lungenbluten und Tuberkulose gestorben. Mutter gesund, weder
Früh- noch Fehlgeburten durchgemacht, 3 andere Kinder lebend, gesund,
1 mit 8 Monaten an Pertussis gestorben.
P. ist vorletztes Kind. Geburt verlief ohne Besonderheiten. Das
Kind war nur 1 Jahr 2 Monate bei der Mutter, kam dann zu einer
Ziehmutter aufs Land, soll nicht recht gediehen, immer schwächlich und
elend gewesen sein. In den ersten Jahren Masern. Mit 9 Jahren „ge¬
schwollene Gelenke“, 2—3 Wochen krank. Nach Angaben der Mutter
soll er vom 6.—7. Jahre an zeitweise heftiges Nasenbluten gehabt
haben, jedenfalls erinnert er selbst sieb, daß er mit etwa 10 Jahren so
starkes Nasenbluten gehabt habe, daß der Arzt die Blutung mit Tam¬
ponade kaum habe beherrschen können, gleichzeitig sei damals der Harn
2 Tage blutig gewesen, er habe sich aber noch nicht so schlecht dabei
gefühlt wie später. Seitdem habe er jedes Jahr 1—2mal Anfälle
von Blutharnen gehabt. Diese hätten immer nur 2 Tage gedauert
und seien meist im Frühjahr und Winter aufgetreten. Während der
Anfalle habe er sich immer sehr matt und schlecht gefühlt, so daß er
ganz schwach gewesen sei, so daß die anderen Jungen ihm beim
Ersteigen der Schultreppe behilflich sein mußten. In solchem Zustande
kam er Juni 1907 zum ersten Male für 3 Tage im Hauner’schen
Kinderspital zur Aufnahme. Im Mai 1908 kam der Junge zur Mutter
zurück. Er sei damals sehr elend gewesen, habe keine Treppe steigen
können, sei sehr blaß gewesen, habe sich dann aber unter guter Pflege
rasch erholt. Anfang 1909 verschlimmerte Bich sein Zustand, er konnte
sich nicht mehr anziehen, nicht mehr vom Boden aufstehen, seine Mütze nicht
mehr aufsetzen und sei eine Zeitlang auf den Zehen gegangen.
Gegen Februar habe er dann plötzlich von einem Tag zum anderen zu
bluten angefangen. der Urin war bei drei Miktionen vollkommen schwarz,
außerdem bestand 2 tägiges starkes Nasenbluten. Februar 1909 war er des-
Gck igle
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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 87
wegen 4 Wochen im Kinderspital. Im Juli 1909 wiederholte sich der
Zufall: eine Nacht und einen Tag blutiger Urin, diesmal aber kein Nasen*
bluten. Beginn des Anfalls in der Nacht vom 13. auf 14. Juli mit Er*
brechen, Leibschmerzen, Hitze. In der Zwischenzeit hätte er nur mit
Mühe gehen können, jetzt trat wieder ein hochgradiger Schwäche¬
zustand ein. 14 Tage lang (vom 16. Juli bis 31. Juli 1909) im
Kinderspital. Als er danach nach Hause zurückverlegt wurde, seien die
Beine und Füße angeschwollen, er habe gar nicht gehen können. Nach
8 Tagen Besserung. Kein Arzt konsultiert. Seitdem sei er ganz munter
gewesen, nur immer schwächlich, bis wiederum ganz plötzlich am
28. November die Krankheit neu sich einstellte.
Als Ursache der Erkrankung nahm die Mutter Erkältung (Spielen
im zugigen Hausflur) an, der Junge erzählte, die Erkrankung sei immer
ganz plötzlich gekommen, er habe sich vorher vollkommen wohl gefühlt
und könne nicht angeben, wieso sie aufträte. An Durchnässungen oder
dergleichen könne er sich nicht erinnern.
In der Nacht des Aufnahmetages schläft P. nur wenig, klagt über
Schmerzen im Leib, die auf Wärmeapplikation aber bald verschwinden.
Der am 30. November aufgenommene genauere Befund ergibt kurz
folgendes:
Sehr schwächlich gebauter, im Wachstum zurückgebliebener Junge
mit gering entwickelter Muskulatur. Augen ohne besonderen Befund,
Reflexe prompt. Zunge weißlich belegt, Rachenorgane nicht geschwollen,
nicht gerötet, Zähne defekt, Zahnfleisch zeigt keine Neigung zu Blutungen.
Zu beiden Seiten des Halses zahlreiche erbsengroße Lymphdrüsen fühl¬
bar. Thyreoidea etwas vergrößert, besonders in ihrem rechten Lappen.
Thorax infantil, lang, schmal, mit sehr spitzem Rippenwinkel. Atmung
frei 32. Die Lungen zeigten nichts Besonderes. Uber der Herzgegend
diffuse Pulsation. Herz nicht vergrößert. Ictus im 4. Interkostalraum,
in der Mammillarlinie, etwas verstärkt. Herzaktion beschleunigt (120),
Töne paukend. Puls noch immer sehr klein und weich. Das Abdomen
ist flach, etwas druckempfindlich, besonders in der Lebergegend; die Leber
überragt etwas den Rippenbogen, ist vergrößert. Milz nicht deutlich
palpabel, perkutorisch nicht abzngrenzen. Inguinaldrüsen nicht vergrößert.
Qenitale kindlich. Phimose. Von den Reflexen waren die Bauchdecken¬
reflexe nur schwach, die Patellarreflexe weder links noch
rechts auszulösen, die übrigen zeigten sich normal.
Blutbefund: Hb = 76 °/ 0
Erythrocyten 3 864 000
Leukocyten morgens 20000, abends 15000, differentiell:
Polynucleäre 88 °/ 0
Lymphocyten 6,8 °/ 0
Mononucleäre 4,0 °/ 0
Übergangsformen 0,4 °/ 0
Eosinophile 0,7 °/ 0
Mastzellen 0,2 °/ 0
Am Morgen waren nur wenige Kubikzentimeter Urin von dunkler,
trüber Beschaffenheit entleert worden, nachmittags wird er schon wesent-
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lieh heller gelassen, enthält aber noch reichlich Met-Hb, dagegen nur
geringen Bodensatz von Detritus. Im Stuhl kein Blut.
Während der Untersuchung trat infolge der leichten Anstrengung
(P. mußte gehalten werden, er war nicht imstande zu sitzen), ein
schwerer Kollaps ein. P. wurde plötzlich wieder extrem blaß, sah
verfallen aus, bekam einen Schüttelfrost, klagte über Übelkeit und er¬
brach. Die Temperatur stieg auf 37,9 °.
So konnte erst anderen Tags eine genauere Untersuchung der
Muskeln und Gelenke vorgenommen werden, deren eigentümliche
Beschaffenheit aufgefallen war.
1. Dezember. P. ist noch immer sehr matt, er ist noch nicht im¬
stande sich im Bett selbst aufzurichten, er muß gefüttert werden, da er
noch zu schwach ist, selbst die Speisen zum Munde zu fuhren.
ln beiden Schultergelenken besteht freie Beweglichkeit der passiven
Bewegungen, ebenso sind sie im Liegen aktiv, wenn auch mühsam, aus¬
führbar. Die Streckung im Ellbogengelenk ist beiderseits nur
bis zu einem stumpfen Winkel von ca. 120° möglich und
kann auch passiv nicht weiter geführt werden, da dem Versuch der
wie eine Sehne gespannte Biceps einen festen schmerzhaften
Widerstand entgegensetzt. Linkerseits ist auch die Supination im EU-
bogengelenk behindert. Die aktive Beugung der Hand im Handgelenk
ist ebenfalls nicht in vollem Umfange möglich. Passiv gelingt es durch
langsamen Druck die Hand in extreme Beugestellung zu massieren, los¬
gelassen schnellt sie aber sofort in die frühere Lage zurück, dabei werden
Schmerzen geäußert. Die Fingerbewegungen sind frei.
Die von der Unterlage emporgehobenenExtremitäten können
in dieser Lage nicht gehalten werden, sie sinken langsam auf sie zurück.
Eine aktive Erhebung gelingt nicht. Bei der passiven Abduktion der
Beine werden Schmerzen in der Adduktorengruppe angegeben, ebenso
ist Beugung des 0 berschenkels zum Kumpf nicht voll weder
aktiv noch passiv möglich, der Versuch schmerzhaft. Im Knie¬
gelenk Btossen sämtliche Bewegungen ebenfalls auf Muskel¬
widerstand, besonders die Beugung. Beide Füße befinden sich
in Equinusstellang und zeigen verminderte Beweglichkeit, bei
passiver Dorsalflexion spannt sich die Achillessehne und der Gastro-
cnemius schmerzhaft an. Sämtliche aktiven Bewegungen sind vor
allem in den Unterextremitäten kraftlos.
Die an den Kontrakturen beteiligten Muskeln fühlen sich hart
und gespannt an und sind etwas druckempfindlich.
Stehen vollkommen unmöglich. P. sinkt, mit Unterstützung
auf die Füße gestellt, schlaff in sich zusammen.
320 ccm Urin entleert; von Portion zu Portion deutliche Auf¬
hellung, so daß die letzte Portion nur mehr ganz schwach bräunlich ge¬
färbt ist und keinen Bodensatz sondern nur diffuse Trübung aufweist.
Sie enthielt sehr viel Eiweiß und im Zentrifugat reichlich Hämoglobin-
zylinder, Schattenzylinder und nun auch Erythrocytenzylinder und viele
Nierenepithelien. Die letzte Portion zeigt auch keinen deutlichen Met-
und Oxy-Hb-Streifen mehr.
Ara 4. Dezember ist der Urin wieder vollkommen klar, enthält aber
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Ein mit Mnskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 89
noch Eiweiß, Hämoglobin« und Schattenzylinder, keine Erythrocyten.
Chemisch kein Blut.
In der Frühe tritt plötzlich Nasenbluten ein, in 10 Minuten
werden ca. 200 ccm flüssiges und zu Klumpen geronnenes Blut entleert.
Die Blutung kommt auf Tamponade mit Suprarenin zum Stehen. P.
sieht aber sehr blaß aus. Nachmittags Erbrechen.
Vom 6. Dezember ist notiert:
Die Muskeln im Gebiet des Kopfes und Halses sind vollkommen
intakt.
Schultermuskeln im ganzen sehr dünn, keine individuelle Atrophie
an den Schulter- oder Armmuskeln. Bei mehreren, gleichen, hinterein¬
ander ausgeführten Bewegungen ist eine starke Ermüdbarkeit der
Muskeln zu bemerken. Hechts wird der Arm unter größter An¬
strengung 15 mal zur Vertikalen erhoben, fallt aber mitten in der 16. Be¬
wegung schlaff herab, links ist die Bewegung nur 12 mal möglich. Während
der Übung Ansteigen der Atemfrequenz. Zwischen beiden Armen in
der Beschaffenheit der Muskulatur keine wesentlichen Differenzen. Beider¬
seits springt der M. biceps unnatürlich vor. Es besteht noch immer
Kontraktur im Ellbogen- und Handgelenk.
P. ist nicht imstande, aus liegender Stellung in sitzende
zu gelangen, auch nicht mit Hilfe der Arme, obwohl Bauch- und
Beckenmuskeln beim Versuch sich anspannen, er fällt immer wieder
zurück. In Bauchlage kann der Unterschenkel zum Oberschenkel nur
einmal gebeugt werden, bei weiteren Versuchen versagt die Muskulatur.
Abheben des Beines von der Unterlage aktiv in Kiickenlage unmöglich,
passiv fühlt man dabei Muskelwiderstand im Oberschenkel. Ab- und
Adduktion der Beine jetzt frei.
Die Füße stehen noch in Spitzfußstellung. Bewegungen im
Fußgelenk und Zehenbewegungen möglich.
Passiv aufges etzt sinkt P. im Bett zusammen, auf harte
Unterlage (z. B. auf einem Stuhl) mit herabhängenden Beinen kann er
frei sitzen, dabei Zurückwerfen des Oberkörpers nach hinten und
Lordose. Er steht auch heute, im Zehenstand, 10 Sekunden,
dabei wird die starke Anspannung der Gastrocnemii besonders augenfällig.
Muekelflimmern nicht beobachtet.
Vom 6. Dezember an wird die Temperatur normal, nachdem sie zu¬
vor noch subfebril gewesen war und am 3. Dezember mit 38,1 den
höchsten Wert erreicht hatte.
Der Urin enthält noch Eiweiß (Trübung) und ziemlich reichlich
granulierte, hyaline und Hämoglobinzylinder neben Harnsäurekristallen bei
verhältnismäßig niederer Acidität (10—13 nach Moritz). Dabei ist der
Harn makroskopisch schon vollkommen klar, Menge normal oder etwas
erhöht (bis 2000, am 20. Dezember 3500), spezifisches Gewicht anfangs
niedrig, 1005—1010, später dauernd meist 1010. Erst vom 23. Dezember
an ist die letzte Spur Eiweißtrübung aus dem Harn verschwunden.
Vom 10. Dezember an kann P. zum Essen (er aß seit 7. Dezember
selbst) an den Tisch gesetzt werden. Aus liegender Stellung kann er
sich immer noch nicht aufrichten. Dazu aufgefordert verfährt er w i e
ein Muskeldystrophiker, indem er sich zunächt auf die Seite wälzt
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und mit den Händen aufzurichten sucht. Er fällt aber nach kurzer An¬
strengung bald wieder schlaff zusammen. Das Gehen, noch immer in
Spitzfußstellung, ist jetzt möglich geworden, aber nur nachdem man ihn
auf die Füße gestellt und so lange gestützt hat, bis er unter Zurück¬
werfen des Oberkörpers in die für die Erhaltung seines Gleichgewichts
nötige stark lordotische Haltung in der Lendenwirbelsäule gekommen ist.
Der Gang ist dabei ausgesprochen watschelnd in der Hüfte mit über¬
mäßiger Hebung und Senkung des Beckens und geschieht unter starker
Erhebung der Knie.
In den nächsten Tagen mit der fortschreitenden Er¬
starkung wird die Ähnlichkeit seiner Bewegungsart mit
dem Bild der Muskeldystrophie von der infantilen Form
immer schlagender, indem die Schwäche der Becken- und Wirbel¬
säulenmuskulatur gegenüber der zunehmenden Leistungsfähigkeit der
übrigen Muskeln mehr hervortritt. Gleichzeitig verschwinden langsam gegen
Ende des Monats die eigenartigen Kontrakturen zuerst in den
Händen, im rechten, dann im linken Ellbogengelenk. Die Kontrakturen
in den Wadenmuskeln hielten sich am hartnäckigsten, sie sind erst am
den 8. Januar 1910 vollkommen verschwunden. Außerdem blieb die
Peronacusgruppe beider Unterschenkel länger als die übrigen
Muskeln funktionsuntücbtig, was ein häufiges Überkippen der Füße
auf den äußeren Fußrand beim Gehen verursachte. Anfang Januar wird
auch endlich das aktive Aufrichten aus liegender Stellung möglich,
natürlich unter Zuhilfenahme der Arme und unter Nachahmung all der
Kunstgriffe, die aus den vielfachen Abbildungen der MuskeldyBtrophie
bekannt sind. Nur ist jetzt schon die erste Phase der Bewegungen (das
Aufrichten zum Sitzen) ohne Hilfe der Arme möglich. Der Gang ist
aber noch watschelnd, während der Junge sich sonst rasch und geschickt
bewegt und über den vollen Gebrauch seiner Oberextremitäten verfügt,
z. B. imstande ist, größere Zeichnungen hübsch auszuführen.
Von da an macht die Besserung rasche Fortschritte, obwohl nach
der hämoglobinurischen Attacke noch beträchtliche Anämie besteht
(Hb 62°/ 0 ). Am 18. Januar ist der Gang in der Ebene fast normal,
dagegen tritt beim Treppensteigen die Störung der Beckenmuskelu noch
stark hervor, der Rumpf wird dabei nach der Seite des steigenden Beines
rotiert, die rechte Hand zur Unterstützung auf das Knie bei jedem
Schritt aufgestemmt. Nach 10 Stufen ist schon vollkommene Erschöpfung
vorhanden. Vom Boden kann er sich ohne Zuhilfenahme der Arme, ins¬
besondere ohne mehr an den Beinen in die Höhe zu klettern, aus dem
Liegen zum Stand erheben, wenn auch unter großer Anstrengung. Die
grobe Kraft in sämtlichen Gelenken hat sich viel gebessert.
Der Februar 1910 brachte die letzten Reste der überstandenen Er¬
krankung zur Norm, so daß P. als geheilt betrachtet werden konnte.
Der Blutbefund wurde annähernd normal, der Hämoglobingehalt betrug
80°/ o , die Zahl der Erythrocyten 5 240 000. P. M. fühlte sich sehr
wohl, wenn auch die allgemeine Schwächlichkeit bestehen blieb, und der
Junge natürlich dauernd als im Wachstum hinter seinen Altersgenossen
zurückgeblieben bezeichnet werden mußte, und keine Körpergewichts¬
zunahme eintrat. Seit dem 22. Dezember 1909, wo zum letzten Male
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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 91
eine Spar Eiweiß im Harn konstatiert worden war, blieb der Harn voll¬
kommen frei von pathologischen Bestandteilen.
P. M. verblieb noch weiter in unserer Beobachtung, ohne daß zu¬
nächst irgendein bemerkenswertes Ereignis auftrat. Später traten dann
aber Zufälle auf, die sich nach ihrer ganzen Erscheinung als abortive
Anfälle kennzeichneten. Am 1. März kommt P. M. heiser vom Garten
und blieb deshalb die nächsten Tage zu Bett. Der Urin vom 3. März
war vollkommen frei von abnormen Bestandteilen. Am 5. März steht
er wieder auf, erkältet sich wieder und läßt in der Nacht trüben dunkel¬
braunroten Urin. Am anderen Tage fühlt er sich wieder sehr matt,
klagt über Schwäche. Der Urin enthält makroskopisch gelöstes
Hämoglobin (die spektroskopische Untersuchung konnte leider nicht
vorgenommen werden, da der Urin infolge Versehens zuvor weggegossen
worden war), das Sediment mikroskopisch massenhaft Erythrocyten-
schatten, aber auch erhaltene Erythrocyten, Leukocyten, keine Zylinder,
keinen Detritus. Abends wird bemerkt, daß P. wieder Zehengang
des rechten Fußes zeigt, es war wieder Kontraktur in der Waden¬
muskulatur eingetreten. Dieselbe ist aber nirgends deutlich geschwollen,
nirgends druckempfindlich. Eine sonstige Störung ist nicht zu erkennen,
die Beckenmuskeln blieben frei. Am 6. März ist der Urin noch fleisch-
Wasserfarben, enthält fast nur Erythrocyten, am 7. März sind sie nur
noch vereinzelt vorhanden, vom 10. März ist der Urin wieder vollkommen
normal. Am 17. März wieder für einen Tag Blut im Urin, 18. März
vereinzelte Blutschatten, dann normal. Ebenso am 4. April und 11. April
je für einen Tag Erythrocyten im Urin nachzuweisen. Muskel¬
störungen kamen nicht mehr zur Beobachtung, nur klagte
P. am 4. April wieder über Mattigkeit, Treppensteigen machte rasche
Ermüdung. Nur die Kontraktur im rechten Fuß blieb bestehen,
es war eine irreparable Verkürzung in der Wadenmuskulatur eingetreten.
Sie war wohl schon früher angelegt, da P. M. angab, der rechte Fuß
sei schon länger etwas „kürzer“ gewesen, sie mußte aber unter allen
Umständen stärker geworden sein, da der Gang zuvor anscheinend voll¬
kommen normal erschienen war.
Weitere Störungen sind in der letzten bis 19. Mai 1910 währenden
Beobachtangszeit nicht mehr aufgetreten, der Harn ist dauernd normal
geblieben.
Die Hämoglobinurie.
Das gezeichnete Bild und die Anamnese machten uns mit einer
wiederholt auftretenden Erkrankung bekannt, deren plötzlicher
Beginn durch den Eintritt eines schweren Anfalles von Hämo¬
globinurie vollkommen beherrscht wird. Erst wenn die lebens¬
bedrohlichen Erscheinungen dieses ersten Stadiums schon im Ab¬
klingen begriffen sind, tritt die, während dieser gleichen Zeit ge¬
setzte, Muskelschädigung in den Vordergrund und zögert die völlige
Wiedergenesung noch Wochen und Monate hin. Diese Muskel Ver¬
änderung fehlt unter den Symptomen der klassischen paroxysmalen
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Meyer-Betz
Hämoglobinurie e frigore und eine genauere Analyse deckte noch
weitere Unterscheidungsmerkmale zwischen ihr und dem beschriebenen
Fall auf, so groß auch die Ähnlichkeit in anderen Punkten gefunden
wurde. Als solche sind der Verlauf in Anfällen, der perakute
Beginn wie bei einer schweren Infektionskrankheit, der typische
Harnbefund und die Leukocytose mit Lymphopenie zu nennen.
Die Anfälle der paroxysmalen Hämoglobinurie zeigen aber im
allgemeinen einen in Stunden beendigten Ablauf. Der Harn wird
fast immer am 3. Tag, meist früher, frei von abnormen Bestand¬
teilen gefunden, sofern keine neue, Hämoglobinurie verursachende.
Schädlichkeit den Organismus trifft; höchstens daß sich eine geringe
Eiweißausscheidung über mehrere Tage noch hinziehen kann. In
unserem Fall schließt sich an eine zweitägige starke Hämoglobin¬
urie eine mehrtägige Nierenreizung an, mit Ausscheidung von reich¬
lichen Zylindern, Leukocyten und Erythrocyten, die, während das
freie Hämoglobin allmählich aus dem Harn verschwindet, geringer
werdend bis zum 13. Tag sich hinzieht, und erst nach Verlauf der
3. Woche fehlt die letzte Eiweißspur im Harn.
Die Anfälle der paroxysmalen Hämoglobinurie pflegen auch
häufiger einzutreten, in der schlechten Jahreszeit oft mehrere Tage
hintereinander; hier erfolgen im Jahr nur 2—3 Anfälle. Auffällig
war auch, daß während des schweren Anfalls der Blutdruck so
niedrig sich fand, der im Paroxysmus der echten Hämoglobinurie
e frigore bedeutend erhöht 1 ) gefunden wird. Die Verbindung der
Hämoglobinurie mit der Neigung zu Blutungen aus anderen Organen,
wie sie hier in der Epistaxis und den Nierenblutungen der abortiven
Anfälle der späteren Beobachtungszeit zum Ausdruck kommt, ist
ebenfalls für die paroxysmale Hämoglobinurie unbekannt.
Bei der paroxysmalen Hämoglobinurie ist die Niere nicht An¬
griffsobjekt der Krankheit, sie fungiert nur als Ausscheidungsorgan
pathologisch veränderten Körpermaterials. Daß sie selbst bei dieser
Arbeit Schädigungen erfährt, ist prinzipiell gleichgültig. Der An¬
griff der Krankheit geschieht auf das Blut, bzw. die Erythrocyten.
deren Zerstörung zum Hämoglobinaustritt und damit zur Hämo¬
globinurie führt, die ihrerseits wieder als Hämoglobinurie klinisch
zutage kommt. Eine Abspaltung von Hämoglobin aus geschädigten
Erythrocyten in der Niere, die Choroschilow 2 ) annimmt, ist
unbewiesen.
1) Meyer u. Emmerich, Deutsches Archiv f. klin. Med. Bd. 96 p. 296ff.
2) Deutsche Zeitsehr. f. klin. Med.. 64 p. 431.
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Ein mit Mnskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 93
Daß in unserem Falle überhaupt eine echte Hämoglobinurie,
d. h. nur eine Ausschwemmung von gelöstem Hämoglobin aus der
Blutbahn vorlag, hätte demnach streng durch den Nachweis der
Hämoglobinämie dargetan werden müssen. Leider wurde während
des ersten Anfalles die hierzu nötige Blutentnahme nicht ausgeführt
— wir dachten dazu bei weiteren Anfällen noch hinreichend Ge¬
legenheit zu haben. Bei späteren Blutentnahmen habe ich einmal
am 17. März 1910 eine deutliche Kosafärbung des Serums erhalten
und anderen Morgens fand sich der Harn bluthaltig (vgl. oben),
doch wurde an diesem Tage gegen sonstige Gelegenheit nicht durch
Venenpunktion, sondern durch Einschnitt in Ohrläppchen und Zehe
Blut entnommen. Ich hoffe diese Lücke meiner Untersuchungen
später einmal ausfüllen zu können. Daß eine Hämoglobinurie im
Anfall vorlag, ist nach den klinischen Symptomen und der Be¬
schaffenheit des Harns dennoch wohl anzunehmen. Allerdings ein
Anfall von paroxysmaler Hämoglobinurie, wie erst angenommen
worden war, war nach den angegebenen Unterschieden recht un¬
wahrscheinlich geworden. In letzter Linie entschieden wurde diese
Frage durch den Ausfall der Abkühlungsversuche und die sero¬
logischen Befunde.
Untersuchung des Blutes auf seinen Gehalt an Auto¬
hämolysin.
(Abkühlungs- und Donath-Landsteiner’scher Versuch.)
Das Studium der während des Paroxysmus zustande kommenden
Hämolyse ist seit dem ersten Nachweis der Hämoglobinämie durch
Küstner 1 ) die vornehmste Aufgabe geblieben, die sich die innere
Medizin in der Erforschung der paroxysmalen Hämoglobinurie ge¬
stellt hat. Jedoch blieben die Arbeiten, die eine Lösung der Frage
durch die Klarlegung der causa morbi selbst anstrebten, hypo¬
thetisch, nachdem erkannt worden war, daß die Kälte mit dieser
letzten Ursache nicht identisch sein könne. Weitere Fortschritte
dagegen wurden erzielt, als man die experimentelle Untersuchung
des Mechanismus der Hämolyse in Angriff nahm. Die Entdeckung
Rosenbach’s*), daß es genügt, die Beine oder Hände eines
Hämoglobinurikers in eiskaltes Wasser zu stecken, um einen
typischen Anfall zu erzielen, bildet den ersten Markstein auf diesem
Wege; Ehrlich 1 ) zeigte dann die lokale Blutauflösung im ab-
1) Literatur 8. Donath u. Landsteiner, Münch, med. Wochenschr. 1904
Nr. 36.
2) Berl. klin. Wochenschr. 1880 Nr. 10 u. 11.
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Mkyer-Betz
geschnürten Finger, die aufblühende Serologie legte die Anschauung
nahe, daß auch diese Krankheit durch eine hämolytische Noxe be¬
dingt sei. Aber wiederum schlug der Versuch, das toxische Agens
selbst zu finden, fehl. Ehrlich, Kretz, Viola und Chiaruttini
und ihre Nachfolger wiesen dann die eigene und fremde Erythro-
cyten lösende Kraft des Hämoglobinurikerserums nach, doch waren
die Angaben der verschiedenen Autoren einander widersprechend,
die Versuchsresultate unsicher, bis Donath und Landsteiner 1 1
durch den Nachweis eines nur in der Kälte an die Erythrocyten
sich bindenden Ambozeptors im Hämoglobinurikerserum eine sichere
Basis für weitere Untersuchungen schufen. Die Erforschung der
Bedingungen, unter denen dieser Ambozeptor zur Wirkung ge¬
langt, bildet den hauptsächlichen Vorwurf der letzten Arbeiten,
und dieses Thema steht noch immer im Mittelpunkt des Interesses
und es darf trotz mancher Angriffe als Tatsache gelten, daß ein
echter Fall von paroxysmaler Hämoglobinurie durch Abkühlung
seiner Extremitäten einen Anfall bekommt und im Blut den
Donath-Landstein er’schen Ambozeptor führt.
Zu Beginn der Beobachtung verboten die schweren, während
des Anfalles lebensbedrohlichen Allgemeinerscheinungen unseres
Kranken die Vornahme jeden Experiments. Zum ersten Male wurde
der Abkühlungsversuch am 17. Dezember 1909 ausgefuhrt.
P. wurde an diesem Tage 3 h 25 p. m. mit beiden Beinen bis
zur Mitte des Unterschenkels in eisgekühltes Wasser (8—10° C)
gebracht, er klagte dabei über sehr starkes Gefühl von Kälte,
zitterte. 3 h 55 wurde der Versuch beendigt. Er fiel vollkommen
negativ aus. Temperatur, Puls, Blutdruck blieben fast unverändert,
das Blutbild zeigte sich unbeeinflußt, weder fand sich ein Ansteigen
der Gesamtzahl, noch trat ein Lymphocytensturz ein, auch die
eosinophilen Zellen verschwanden nicht aus dem kreisenden Blut,
alles Veränderungen, die die Untersuchungen von Erich Meyer
und Emmerich*) sowie von Benjamin 2 ) kennen gelehrt haben.
Als 6 h 25 abends noch immer keine Reaktion eintrat, wurde
der Versuch wiederholt und dabei die Vorsicht gebraucht, das Bad
während des Versuchs von 11 auf 6 7 2 ° C abzukühlen. Damit blieb
auch das während des ersten Versuches quälende Kältegefühl aus.
Patient fühlte sich danach vollkommen wohl.
Ich habe den Kälteversuch später in der Zeit, wo im Harn
1) 1 c.
2 ) Moro, Noda u. Benjamin. Münch, nied. Wochenschr. 1909 Nr. 11.
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Ein mit Muskellähnmngen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 95
auftretende Erythrocyten eine Prädisposition zur Hämoglobinurie
annehmen ließen, noch zweimal, am 14. März 1910 und am 18. März
1910, wiederholt. Ich habe am 14. März das Bad über eine ganze
Stunde ausgedehnt, die Abkühlung auf 0 C getrieben und habe
nach dem Bad den Jungen bis zu hochgradiger Ermüdung */ 2 Stunde
am Ergostaten und den verschiedenen mechano-therapeutischen
Apparaten (um möglichst viele Muskeln anzustrengen) arbeiten
lassen, bekam damit natürlich ein Ansteigen des Pulses, der Re¬
spiration und auch eine geringe der Temperatur — aber dies war
auch alles, der Urin blieb vollkommen klar. Ebenso war auch ein
Ehrlich’scher Versuch, am 18. Dezember ausgetührt, negativ.
Die Arbeiten von Erich Meyer und Emmerich 1 ), Gräfe und
Leo 8 ), sowie von Moro 8 ) und Noda hatten gezeigt, daß bei der
Anstellungdes Donath-Landsteiner’schen Versuchs ein
einwandfreies Resultat nur unter genauer Einhaltung verschiedener
Kantelen erhalten werden kann. Vor allem ist der Zusatz von
Normalserum oder Meerschweinchenkomplement in vielen Fällen
zur Hämolyse erforderlich, da der eigene Komplementgehalt des
Serums sehr starken Schwankungen unterliegt, besonders nach An¬
fällen sehr gering zu sein pflegt und sogar binnen einer Woche
vom Voll wert auf Null herabsinken kann. Es war weiter gezeigt
worden, daß einwandfreie Kontrollen nur erwartet werden dürfen,
wenn eine Sensibilisierung der zum Versuch verwandten Hämo-
globinurikererythrocyten, durch Abkühlung in Anwesenheit ambo¬
zeptorenhaltigen Serums, verhindert wird. Bei hochwertigem Serum
reicht hierzu schon die durch einmaliges Waschen mit kalter
physiologischer NaCl-Lösung gegebene Abkühlung aus und bewirkt
Hämolyse auch ohne weitere Erkältung. Andererseits kann die in
der Kälte erfolgte Bindung des Ambozeptors an die Erythrocyten
bei 37 0 wieder vollständig aufgehoben werden, wenn kein Komple¬
ment zuvor zugesetzt wurde, bei dessen Gegenwart zur Dissoziation
in der Wärme, der rasch eintretenden Hämolyse wegen, keine Zeit
bleibt.
Unsere Hämolyseversuche nahmen auf alle diese Punkte Rück¬
sicht. IhrResultatwar, um dies gleich vorweg zu nehmen, e i n
vollkommen eindeutiges, negatives; insbesondere wurde
auch (auf die Wichtigkeit dieser Maßregel hat Moro hingewiesen)
lj 1. c.
2) Archiv f. experim. Pathol. und Pharmakol. Bd. 59.
3) 1. c.
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eine Abkühlung des Blutes nach der Entnahme durch Einpacken der
Blutprobe in Watte und sofortiges Verbringen in den Brutschrank
vermieden.
Nachdem ein erster orientierender Versuch vom 8. Dezember
negativ ausgefallen war, wurde in größeren Versuchsreihen vom
9., 14., 15., 17. Dezember 1909 und 9. Januar 1910 durch Anwen¬
dung verschiedener komplettierender Sera von Menschen und von
Meerschweinchen, durch Variation der Blutkörperchen-, der Kom¬
plement- und Hämoglobinuriker-Serummengen Hämolyse umsonst
zu erzielen versucht.
Ich habe später am 14., 16., 17. März, 8. und 22. April 1910
diese Versuche nochmals aufgenommen, in der Erwartung kurz vor
einem neuen Anfall zu stehen. Erich Meyer u. Emmerich
haben darauf hingewiesen, daß der negative Ausfall des Kälte¬
versuches in vitro auf einem völligen Fehlen des Ambozeptors oder auf
der Anwesenheit hämolysehemmender, antikomplementärer Stoffe be¬
ruhen könne. Durch weitgehende Variation der quanti¬
tativen Verhältnisse wurde auch diesmal keine Hämolyse erhalten,
es war also noch daran zu denken, ob nicht andere Resultate er¬
zielt würden durch Änderung des Mediums, in dem die Hämolyse
zum Ablauf gebracht wurde bzw. durch Änderung der Salzkonzen¬
tration, aber auch dies schlug fehl. Ich erwähne nur beiläufig, daß
ich bei diesen Versuchen, die von Girard-Mangin u. Henri 1 )
zuerst beobachtete Tatsache, daß normale Sera in Rohrzucker¬
lösung stärker hämolytisch wirken, als in Kochsalzlösung, für Meer¬
schweinchenserum gegen Menschenerythrocyten bis zu einer Ver¬
dünnung auf V 20 bestätigen konnte.
Es muß nach alledem angenommen werden, daß
das Blut meines Kranken den von Donath u. Land¬
steiner entdeckten Ambozeptor nicht enthielt. Ich
glaube nicht, daß der Einwurf, es hätten die serologischen Unter¬
suchungen früher vorgenommen werden müssen, stichhaltig ist, da
der Nachweis des Zwischenkörpers auch gelingt, nachdem längere
Zeit kein Anfall mehr stattgefunden hat.*) Ich selbst habe den
Ambozeptor, bei dem von Erich Meyer beschriebenen Hämoglobin-
uriker A. P., 4 Wochen nach der letzten Attacke in einer am
15. März 1910 ausgeführten Untersuchung sowohl mit als ohne
Zusatz von Komplement wirksam gefunden und er ist es auch
1) Comptes rend. d. I. Societe d. Biol. 1904 Bd. 56 p. 935 f.
2) Dagegen wäre es nicht ausgeschlossen, daß im Anfall der Nachweis eines
anderen Autohämolysins hätte geliefert werden können.
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Ein mit Muskellahmnngeu verbundener Fall von Hämoglobinurie. 97
später noch. Ob er überhaupt dem Anfall oder vielmehr dessen
Vorläufern seine Entstehung verdankt, ob er nach langdauerndem
Intervall noch im Blut sich findet, ist ja eine offene Frage.
Daß er manchmal im Blut nicht nachzuweisen ist, haben Erich
Meyer u. Emmerich öfter erfahren müssen. Dagegen ist noch
kefn klinisch einwandfreier Fall bekannt geworden, in dem die
Versuchsanordnung all die neueren Untersuchungsergebnisse aus¬
nutzte, insbesondere auf die notwendige Komplettierung des Serums
Rücksicht nahm und trotzdem niemals ein positiver Ausschlag er¬
zielt werden konnte. Hätten Choroschilow 1 ) und Czernecki 2 ),
die sich gegen den Donath-Landsteiner’schen Erklärungs¬
versuch gewandt haben, diese Ergebnisse schon verwenden können,
wären ihre Versuche wohl sicher positiv ausgefallen. So hat Czer-
necki ohne Komplementzusatz gearbeit, Choroschilow eine
andere Versuchsanordnung benutzt, die ihn zu der irrigen Annahme
einer herabgesetzten Resistenz der Hämoglobin urikererythrocyten
gegen Kälte führte.
Jedenfalls wäre es aber nötig, Fälle, in denen sich der Kälte¬
ambozeptor trotz Beachtung aller Vorschriften niemals nachweisen
ließ, durch genaueste Untersuchung als wirklich der paroxysmalen
Hämoglobinurie in allen sonstigen Punkten zugehörig zu erweisen,
ehe man sie als Gegenbeweis gegen den Donath-Landsteiner-
schen Versuch ins Feld führt. Es wird sich dann vielleicht zeigen,
daß sie nur durch das Symptom der Hämoglobinurie Beziehung zur
klassischen paroxysmalen Hämoglobinurie e frigore besitzen.
Die Versuche vom 14., 17. Dezember 1909 und 9. Januar 1910
habe ich gemeinsam mit Herrn Kollegen J. T. M e i e r von der I.
medizinischen Klinik durchgeführt und zwar haben wir in Parallel¬
versuchen Blut des Patienten P. M. mit dem Blut einer an Hämo¬
globinurie leidenden Frau der I. medizinischen Abteilung verglichen.
Da dieser Fall noch näher bearbeitet werden soll, erwähne ich
nur, daß diese Patientin nach einem Gang bei kühlem Wetter
regelmäßig einen Anfall bekam. Trotzdem diese Versuche unter
den gleichen Kautelen angestellt wurden, insbesondere eine Ab¬
kühlung des entnommenen Blutes durch Verpacken in Watte und
sofortiges Verbringen in den Brutschrank peinlichst vermieden
wurde, gelang der Nachweis des Ambozeptors damals und auch
bislang nicht. Dieser Fall zeigte aber auch noch das Fehlen eines
1) Zeitschr. f. klin. Med. 64 p. 431 ff.
2) Wien. klin. Wochenschr. 11)08 p. 1435.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. bd. 7
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weiteren sonst für die paroxysmale Hämoglobinurie charakteristi¬
schen Symptoms: der Abkühlungsversuch — und ebenso der Ar¬
beitsversuch — blieben erfolglos.
Ich erwähne noch, daß eine Resistenzprüfung der Erythro-
cyten beider Fälle gegen Wärme und Saponinlösungen keine Unter¬
schiede im Sinne einer Resistenzverminderung gegenüber Normal-
erythrocyten ergaben, auch habe ich das charakteristische Phä¬
nomen der Agglutination, das bei den Erythrocyten des Patienten
A. P. 1 ) sehr auffallend war, bei denen des Patienten P. M. vermißt.
Klinische Beobachtung, Experiment und serologische Unter¬
suchungen vereinigten sich damit zu einem gleichlautenden Urteil:
Der vorliegende Fall gehörte der paroxysmalen
Hämoglobinurie e frigore nicht zu.
Die Muskel Veränderungen und ihr Verhältnis zur
Dystrophia musculorum progressiva.
Muskel Veränderungen gehören nicht zum Bild der paroxys¬
malen Hämoglobinurie. Der echte Hämoglobinuriker e frigore kann
in der schlechten Jahreszeit fast Tag um Tag wochenlang tief
dunkel gefärbten Blutharn entleeren, er wird dabei blaß, matt,
wohl auch arbeitsunfähig, aber nirgends findet sich die Beschrei¬
bung einer dadurch verursachten chronischen Muskelschädigung.
Im Gegenteil, ein Kranker kommt vielleicht nach solcher Periode
auf die Abteilung, man legt ihn zu Bett, sorgt für reichliche Er¬
nährung, bewahrt ihn vor der schädlichen Abkühlung und hat.
nach Verlauf einer Woche Mühe, den vollkommen arbeitsfähig sich
fühlenden Mann länger zu halten, wie ich dies selbst bei dem
oben genannten Patienten A. P. beobachtet habe
Um so merkwürdiger ist der vorliegende Fall. Der Junge
zeigte während des hämoglobinurischen Anfalls und noch mehrere
Tage nach demselben eine so hochgradige allgemeine Muskelschwäche,
daß er seine Arme nicht einmal zur Nahrungszufuhr verwenden
konnte, die Schwäche der Rumpf- und Beckenmuskeln ihn zur
dauernden Rückenlage im Bett zwang, und seine Beine so gut wie
unfähig zu jeder Bewegung geworden waren. Nur die Muskeln
des Gesichtes und die übrigen von Hirnnerven versorgten Muskeln
blieben intakt. Die elektrische Untersuchung der geschwächten
Muskeln die zuerst am 9. Dezember 1909 vorgenommen wurde und
1) Von Erich Mever n. Emmerich als Fall I beschrieben, von mir eben¬
falls untersucht.
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Ein mit Aluskelläbmmigen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 99
die sich auf 23 symmetrisch gelegene Muskeln aus allen Be¬
wegungsgebieten beider Körperseiten erstreckte, bewies, daß dieser
Muskelschwäche eine organische Muskelschädigung zugrunde liegen
mußte. Es fand sich nämlich in allen untersuchten Muskelgebieten
eine starke Herabsetzung der Erregbarkeit sowohl gegen faradi-
schen als galvanischen Strom derart, daß meist erst sehr schmerz¬
hafte Stromstärken eine Zuckung auszulösen vermochten (bis,48 mm
R. A. und 10,0 M. A!). Eine Herabsetzung, die vor allem im
Vergleich mit der prompten Reaktion der Muskeln eines nur wenig
älteren, aber normalen Knaben, den ich gleichzeitig untersuchen
konnte, sehr auffallend war. Nirgends fand sich aber volle Ent¬
artungsreaktion, wurmförmige Zuckung oder Umkehrung des
Zuckungsgesetzes.
Weiterhin vollzog sich aber die Rückbildung dieser Muskel¬
veränderungen nicht gleichmäßig in allen Muskelgebieten. Jeden¬
falls ergaben sich für die klinische Funktion bald Differenzen in
der Muskeltüchtigkeit. Während nämlich die Erstarkung der
Arm- und Handmuskeln rasche Fortschritte zeigte, blieben die
Muskeln des Schultergürtels und ganz besonders des Beckens, der
Beine und der Wirbelsäule noch wochenlang geschwächt, und
führten zu einem Funktionsausfall (watschelnder Gang in lordoti-
scher Rückenhaltung, Unfähigkeit sich aufzusetzen, sich vom Boden
zu erheben, später „Emporklettern an den Beinen“ usw.), der ein
der Dystrophia musculorum vollkommen gleichendes Bild zustande
brachte, das durch die bestehenden Kontrakturen (im Biceps, in
der Wadenmuskulatur) noch vervollständigt wurde. Zum mindesten
war in dieser Zeit der Krankheit die Ähnlichkeit mit dem ge¬
nannten Leiden so groß, daß ohne Kenntnis der vorausgehenden
akuten hämoglobinurischen Attacke, und wenn nicht die Möglich¬
keit gegeben war, den Kranken bis in die Rekonvalescenz zu ver¬
folgen, der Untersucher die Diagnose auf Dystrophia musculorum
stellen mußte und sie demgemäß auch gestellt hat.
Es ist in der Vorgeschichte erwähnt, daß P. M. vor seiner
Aufnahme auf unserer Abteilung dreimal im Hauner’schen Kinder¬
spital Aufnahme gefunden hatte. Zum erstenmal vom 3.-6. Juni
1907. *) Der Urinbefund war damals normal, ob ein Anfall der
Aufnahme einige Zeit voranging, ist aus dem Krankenblatt nicht
1) Die Erlaubnis, die Krankenblätter der Kinderklinik für diese Arbeit ver¬
wenden zu dürfen, verdanke ich dem liebenswürdigen Entgegenkommen von Herrn
Professor Pfaundler und Herrn.Dr..Mo*o...„ . . .
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ersichtlich, nach Angabe der Mutter (conf. Anamnese) aber anzu¬
nehmen. Ich entnehme dem Journal: „Die Muskulatur des Schulter¬
gürtels ist stark atrophisch, Latissimus dorsi, die Serrati, Supra-
spinatus, Deltoideus fehlen funktionell vollständig.“ Übrige Schulter¬
muskeln, Pectorales und Biceps in ihrer Funktion stark geschädigt.
„Am Beine fällt zuerst auf das große Volumen des Gastrocnemius-
bauches, er fühlt sich außerdem bretthart an.“ Freies Erheben
vom Liegen zum Sitzen gelingt nicht, zum Aufstehen benötigt er
die Arme, „indem er mit den Händen entlang dem Oberschenkel
emporklettert“. Keine fibrillären Zuckungen.
Die Diagnose lautete: Dystrophia musculorum progressiva,
hypertrophischer Typus.
Die zweite Aufnahme datiert vom 3. Februar bis 1. März 1909.
Auch diesmal war während der ganzen Beobachtungszeit der Urin¬
befund vollkommen normal. 4 Wochen zuvor war der Urin einen
Tag lang schwarz gewesen, gleichzeitig bestanden Hitzen, Schweiße
und besonders große Mattigkeit, so daß Laufen, Stufensteigen ganz
unmöglich war. Eine Zeitlang soll Patient nur auf den Zehen
gegangen sein. Der Zustand war bei der Aufnahme schon wieder
wesentlich besser als nach dem Anfall.
Aus dem Status: Die Muskeln des Patienten sind nicht kräftig
entwickelt, aber auch nicht wesentlich atrophisch. „Hypertrophien
sind nicht zu sehen. Höchstens Biceps und Gastrocnemius treten
etwas stärker hervor und fühlen sich hart an.“ „Die Bewegungen
der oberen Extremitäten erfolgen sämtlich ohne gröbere Funktions¬
störungen, nur ist die Streckung in den Ellbogengelenken nicht
vollkommen möglich.“ Vollkommene Streckung der Finger auch
passiv nicht möglich. Aufstehen vom Boden zuweilen auch mit
Hilfe der Arme unmöglich. Gang watschelnd, dabei deutliche Lor¬
dose. Spitzfußstellung des rechten Fußes. Das Resultat einer am
9. und 10. Februar 1909 vorgenommenen elektrischen Prüfung des
N. medianus und peronaeus, sowie des Muse, biceps und qua-
driceps war: „Während die Nerven gut faradisch und galvanisch
erregbar sind, sind die Muskeln bei direkter Reizung schwer er¬
regbar.“
Die Diagnose lautete: Dystrophia musculorum.
Aber Zweifel waren damals vorhanden. Es fiel auf, daß die
Muskelatrophie „nicht deutlich individualisierend“ war, daß der
Befund seit der 1. Aufnahme ..eher besser als schlechter" ge¬
worden war. Das „progressiva" wurde gestrichen.
Erst*-Ijei cfcer-3. Aufnahme ilfi.—31 . Juli 1909) kam der Junge
• • » .
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Ein mit Mnakellähmnngen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 101
im abklingenden Anfall in die Kinderklinik. Er war in der
Nacht vom 13. auf 14. Juli mit Leibschmerzen, Erbrechen und
Fieber erkrankt, am 14. abends sehr dunkler Urin. „Heute soll
der Knabe bei dem Versuch sich mit Unterstützung der Mutter
aufzurichten, einen Schwächeanfall gehabt haben, so daß er mori¬
bund erschien.“ Der Urinbefund lautet: „Im mitgebrachten Urin,
der deutlich bluthaltig und getrübt ist, ein dicker Eiweißnieder¬
schlag und positive Heller’sche Blutreaktion. Der heutige Urin,
gelblicher noch trüb.“
Albumen nach Br an dberg 0,1 % — Sanguis Im Sedi¬
ment: „Sehr viel [Träte, *) daher nur vereinzelte pathologische Be¬
standteile zu finden.“ Am 19. Juli war der Urin noch fleischwasser-
farben. Im Sediment: nur vereinzelt Cylinder (hyaline und grob¬
gekörnte), Eythrocyten, Leukocyten, Epithelien.
Vom 21. Juli an kein Blut mehr und nur noch Spuren Ei¬
weiß, dies war auch bei der letzten Urinuntersuchung am 30. Juli
gleichermaßen der Fall.
Der Allgemeinzustand bei der Aufnahme war der eines schwer
Kranken, der Puls inäqual, klein und weich. Am 25. Juli war
Patient aber schon außer Bett. Es ist unter anderem Zehengang,
Watscheln in der Hüfte und außerdem notiert, daß in beiden
Ellbogengelenken keine volle Streckung möglich ist. Die elek¬
trische Untersuchung ergab gleiches Resultat wie früher. Die
Diagnose lautet: Nephritis haemorrhagica. Dystrophia musculorum.
Die Diagnose Hämoglobinurie, die erst ins Auge gefaßt worden
war, war fallen gelassen worden, wegen des von der klassischen
Hämoglobinurie abweichenden Verlaufs und da der Kälteversuch,
wie ich später von Herrn D. Moro freundlichst erfuhr, auch vor¬
genommene Landsteiner’sche Versuche, negativ geblieben waren.
Daß trotzdem keine progressive infantile Muskeldystrophie,
überhaupt keine Muskeldystrophie im gebräuchlichen Sinne des
Wortes vorlag, das beweist einwandfrei der weitere Verlauf, der
zu einem vollkommenen Verschwinden der Ausfallssymptome führte
und die Kontrakturen fast vollkommen ausglich. Langdauernde Still¬
stände, auch ein gewisser Wechsel der Intensität der Ausfalls¬
erscheinungen sind bei ihr alltäglich; ein derartiger Rückgang
ausgeprägter Symptome, ein solch akutes Auftreten nicht beobachtet.
Dies alles abgesehen von der Verbindung mit der Hämoglobinurie,
zu der man in der Literatur für den Menschen vergeblich weitere
1) Könnte es nicht auch Blutkörperchendetritus gewesen sein?
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Belege sucht. Die sichere Entscheidung war uns durch die lang-
dauernde Beobachtung erleichtert. Wenn wir die Diagnose Dy¬
strophia musculorum schon ziemlich früh fallen ließen, so waren
neben den mit ihr unvereinbaren Angaben der Anamnese zwei
Dinge maßgebend: die im Beginn fast allgemeine Muskelparalyse
ohne die Zeichen individueller Atrophie und das Ergebnis der
elektrischen Untersuchung. Daß eine Muskeldystrophie so schweren
Funktionsausfall zu erzeugen vermöchte, ohne daß auch schon der
eine oder andere Muskel wenigstens stärker atrophisch geworden
ist, ist kaum denkbar. Ausgeprägte Differenzen hätten sich wohl
auch bei der elektrischen Untersuchung finden müssen. Gewiß es
gibt Fälle, in denen, obwohl die Bewegungen schon wesentlich ge¬
stört sind, die elektrische Untersuchung fast normale oder gar nor¬
male Reaktion ergibt, wohl keinen, in dem eine Untersuchung von
23 Muskeln beider Körperseiten aus allen Bewegungsgebieten eine
gleichmäßige und so starke Herabsetzung der Reizbarkeit ohne
jede Atrophie zeigte. Und der Umstand, daß nach Verlauf von
vier Wochen die Erregbarkeit in den gleichen Muskeln sich hoch¬
gradig gebessert hat (die galvanische um das 2—3fache!), ja fast
normal ist, zeigte daß die echte Erb’sche Dystrophie nicht vor¬
liegen konnte.
Die verkürzten Muskeln boten zunächst das gleiche Verhalten
wie die übrigen dar, nur war in ihnen die Herabsetzung der Er¬
regbarkeit auch nach vier Wochen noch deutlich.
Diese Kontrakturen bilden einen weiteren interessanten Zug
in dem vielgestaltigen Krankheitsbild. Ich habe solche beiderseits
im Biceps, in der Streckmuskulatur der Hand, in der Waden¬
muskulatur erwähnt. Angedeutet waren sie in den Adduktoren
der Oberschenkel, im Cruralisgebiet. Außerdem war in der Kinder¬
klinik bei der 3. Aufnahme eine krallenförmige Extensionskontrak-
tur der Großzehen beobachtet worden. Überblickt man die be¬
troffenen Muskeln, so fällt auf, daß es dieselben sind, die bei der
Dystrophia musculorum zur Kontraktur neigen. Es gilt dies be¬
sonders für die Beugekontraktur im Ellbogengelenk und den Zehen¬
gang. die Gastrocnemiuskontraktur.
Man unterscheidet bei der Dystrophia musculorum eine Früh-
und eine Spätkontraktur. 0 Die letzteren finden ihre Erklärung
in der Schrumpfung des die zerfallenden Muskelfasern ersetzenden
1 Vi'l. hierzu: Hahn. Über das Auftreten von Kontraktionen bei Dystro¬
phia nm.-'ularis progressiva. Deutsche Zeitsebr. f. Nervenheilkunde 20.
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Ein mit Muskelläh inungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 103
Narbengewebes. Sie bilden eine oft beobachtete Folgeerscheinung.
Seltener ist die Frühkontraktur. Die häufigste durch sie bedingte
Difformität ist der Pes equinus oder equinovarus bei gleichzeitiger
Schwäche der Peronealmuskeln. Die Neigung der Großzehe zur
Dorsaltlexion ist von Hofmann 1 2 * ) und Jam in 8 ) beschrieben. Im
Bereich der oberen Extremitäten sind außer Bicepskontrakturen
solche im Handgelenk von Schlippe 8 ) erwähnt worden. Die
neueren Arbeiten haben gezeigt, daß diese Frühkontrakturen das
erste, den übrigen um Jahre vorausgehende Symptom der Dy¬
strophia musculorum bilden können, und dann ist es meist der Pes
equinus, der die Krankheit einleitet. Ihre Erklärung (Dreyer) 4 5 )
ist schwieriger, da sie mit Vorliebe bei hypertrophischer Waden¬
muskulatur sich findet, zu einer Zeit, wo diese als noch sehr
leistungsfähig betrachtet werden muß. Man hat deshalb ein funk¬
tionelles Über wiegen dieser Muskeln über ihre Antagonisten als
Ursache der Kontrakturen bezeichnet und als Hilfsmoment die
Schwerbeweglichkeit der Dystrophiker, die zur vorwiegenden
Rückenlage führt, herangezogen, so wäre dann die Frühkontraktur
zunächst als eine aktive aufzufassen, erst im weiteren Verlauf
stellen sich dann in den kontrakten Muskeln die sekundären
Bindegewebsveränderungen ein. Eine weitere Erklärung gibt
Roth 6 ), der die fibröse Umwandlung der Muskelbündel an ihrem
Ansatz an die Sehne für die Verkürzung des ganzen Muskels ver¬
antwortlich macht.
Faßte man in unserem Fall die vorhandenen Kontrakturen als
solche Frühkontrakturen auf (Spätkontrakturen waren nach der
Beschaffenheit der Muskeln und dem weiteren Verlauf nicht anzu¬
nehmen), so fügte sich auch dieses Detail ins Bild der Dystrophia
musculorum ein. Aber ein prinzipieller Unterschied durchschnitt
auch hier die anscheinend vorhandene enge Verbindung. Ich habe
nirgends in den Beschreibungen dieser Frühkontrakturen etwas
über ihre Rückbildung gefunden oder, daß sie plötzlich entstanden
wären, vielmehr entwickeln sie sich schleichend und gehen früher
oder später in die passive Form über. Hier waren sie akut ent¬
standen und bildeten sich langsam im Verlauf von Wochen zurück.
Ich glaube sie als eine Reizwirkung des degenerativen Prozesses
1) Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde 12, 1898.
2) Inauguraldissertation, Erlangen 189(5.
3j Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde 30. 190(5.
4) Ibidem 31, 1906.
5) Cit. nach Marinesco, Maladies des muscles, Paris 1910.
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is. u.) auf die Muskelfasern auffassen zu müssen, es handelte sich
um aktive Reizkontrakturen. Mit der einzigen Ausnahme
der gebliebenen Gastrocnemiuskontraktur, die vielleicht eine pas¬
sive. durch Narbengewebe bedingte ist.
Ein Urteil über den pathologisch-anatomischen Prozeß,
der der Muskelveränderung zugrunde lag, kann nur vermutungsweise
abgegeben werden, da eine Gelegenheit zu direkter Untersuchung
fehlte. Daß eine primäre Muskelschädigung, keine sekundäre
durch Nerven- oder Vorderhornzellschädigung bedingte Degenera¬
tion vorlag, ist nach dem Verlauf zweifellos. Die Kontrakturen
sind als der Ausdruck einer Reizwirkung dieser Schädigung auf
die Muskelfasern aufzufassen. Lag eine ausgeprägte Entzündung,
eine Myositis vor? Eine deutliche Schwellung der betroffenen
Muskeln fehlte, die Schmerzhaftigkeit war besonders bei dein Ver¬
such passiver Bewegungen im Bereich der Kontrakturen ausge¬
prägt. die Druckempfindlichkeit im Vergleich mit einer ausge¬
prägten Myositis aber sehr gering. Das Ganze machte den Ein¬
druck eines akut beginnenden aber langandauernden Degenerations-
zustandes (Muskelzerfall), was auch die langdauernde Regeneration
verständlich erscheinen läßt.
Die Anamnese und frühere Beobachtungen zeigten, daß der Ein¬
tritt dieser Muskelveränderungen mit einem schweren Hämoglo¬
binurieanfall zusammentrifft und wir erkennen diese Abhängigkeit
der beiden Symptome auch in der späteren Beobachtungszeit bei
den abortiven Anfällen wieder. Wenn in der Vorgeschichte von
Zeiten der Verschlechterung ohne Anfall die Rede ist, so lagen
ihnen sicherlich ebenfalls solche Äquivalente zugrunde, nur daß
die weniger markante Veränderung des Harns außerhalb des
Krankenhauses der Beobachtung entgehen mußte.
Der VerlaufundderZusammenhangmit dem Hämo-
gl obi nurieanfall scheiden somit die Erkrankung
trotz der schlagenden Ähnlichkeit des klinischen
Bildes in der Art der Bewegungsstörung und in der
Verbindung mit Kontrakturen scharf von der Dys¬
trophia musculorum. Wie der Fall zur paroxysmalen
Hämoglobinurie e frigore nicht gezählt werden kann,
-o verträgt er auch nicht die Einreihung in das Bild
der D y <t roph i a musculorum.
]•.' findet sich nun in der Literatur menschlicher Erkrankungen
kein Fall. der. dem unseren ähnlich, die eigentümliche Komplikation
•,<.n Hämoglobinurie und Muskeldegeneration dargeboten hätte. Es
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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 105
ist aber ebensowenig eine akut entstandene Dystrophia musculorum
bekannt geworden. Die Ätiologie dieser Krankheit ist vollkommen
dnnkel und es erhebt sich die Frage, ob nicht doch der vor¬
liegende Fall Licht auf ihre Entstehung zu werfen
imstande sei. Vielleicht, daß bei ihr ein gleicher Krankheits¬
prozeß über lange Zeiträume und mehr schleichend wirkend eine
Muskelfaser nachder anderen zur Degeneration bringt, ohne daß eine
Regeneration möglich ist, während hier die nur immer während
kürzerer Zeiträume, aber dafür mächtiger, rezidivierend auftretende
Schädlichkeit der Muskulatur Zeit zur Wiederherstellung ließe. Es
ist weiter zu bedenken, daß diese recidivierende Schädlichkeit eine
allgemeine Störung der Muskelentwicklung und eine Muskelschwäche
verursacht hat, und daß nicht ausgeschlossen ist, daß sie späterhin
eine progrediente Dystrophie zur Entwicklung bringen könnte.
Weitere Anhaltspunkte für eine solche Auffassung konnten aber
bislang aus der Untersuchung anderer Muskeldystrophien an unserer
Klinik nicht gewonnen werden.
Dagegen wurde durch ein Referat Schindler’s 1 ) über eine
Arbeit von Camus 2 ) die Aufmerksamkeit auf eine sehr inter¬
essante vergleichend - pathologische Parallele unseres Falls mit
der paroxysmalen Hämoglobinurie der Pferde und der experimen¬
tellen Hämoglobinurie des Hundes gelenkt. Auf beide muß zum
besseren Verständnis hier eingegangen werden.
Das klinische Bild der Pferdehämoglobinurie unddie
vergleichend-pathologische Parallele. 8 ) 4 )
Diese als schwarze Harnwinde, paroxysmale Hämo¬
globinurie, paralytische Hämoglobinämie bekannte Er¬
krankung pflegt im allgemeinen so zu verlaufen, daß das vorher
vollkommen gesunde Tier, nachdem es einen oder mehrere Tage
ruhig im Stall gestanden, nach kurzem Gehen in der Morgen¬
frühe oder bei rauher Witterung, manchmal auch einfach nach
Überanstrengung in den Hinterextremitäten steif zu werden
beginnt, im Hinterteil schwankt und endlich zusammenbricht
oder auch in schweren Fällen ganz plötzlich wie vom Schlag getroffen
zusammenstürzt. Gleichzeitig besteht Muskelzittern und
1) Schindler, Therapeut. Monatshefte 1905 p. 525.
2) Camus, Les Hemoglobinuries. Paris 1903.
3) Vgl. Friedberger u. Fröhner, Spez. Pathologie und Therapie der
Haustiere 1906, I, p. 338ff. mit ausführlichen Literaturangaben. Hutira u.
Marek, Pathologie und Therapie der Haustiere. II. Aufl. p. 837ff.
4) Die Piroplasmose des Pferdes bleibt außerhalb des Kreises der Betrachtung.
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Meyer-Betz
Schweißausbruch. Die Atmung ist beschleunigt, die Tempe¬
ratur manchmal etwas erhöht. Mit dem Anfall erscheint
ein dunkelroter, trüber Harn, der massenhaft freies
Hämoglobin und Hämoglobinzylinder, aber nur vereinzelte F.ry-
throcyten und eine große Menge von Nierenepithelien enthält. Die
meist zuerst und am stärksten befallenen Kruppmuskeln
(Mm. glutaci, quadratus) erscheinen derb geschwollen, gespannt und
schmerzhaft. Die Sehnenreflexe im Bereich der gelähmten Muskeln
sind herabgesetzt. Die faradische Erregbarkeit wurde normal ge¬
funden. In mehreren Fällen wurde während des Anfalls Hämo-
globinämie festgestellt, in anderen wurde sie vermißt
Verläuft der Fall günstig, so kann unter Rückgang der Muskel¬
erscheinungen und Aufhellung des Urins in 3—4 Tagen bis zu
einer Woche Genesung ein treten, oder aber die Muskelerkrankung
ergreift fortschreitend weitere Gebiete, geht auf die Brustmuskeln,
die Vorderextremität über und kann schließlich zu vollkom¬
mener Paralyse führen. Der Tod tritt in diesen schweren
Fällen durch Dyspnoe, Herzlähmung oder Decubitus mit nach¬
folgender Sepsis meist in wenigen Tagen oder gar schon am ersten
Tage ein. Kommt es zur Genesung, so bleiben oft lähmungs¬
artige Zustände zurück. „Entweder hält eine beiderseitige
Parese der hinteren Extremität Wochen, Monate und selbst Jahre
hindurch an, so daß das Bild der Kreuzschwäche zutage tritt oder
es bilden sich bleibende einseitige Lähmungen von
Extremitäten und Muskelgruppen.“ Besonders häufig ist
eine Quadricepslähmung. Aber auch diese Zustände können
nachträglich noch ausheilen.
Es ist nun sehr wichtig, daß, sofern die erste Erkrankung nicht
tödlich verläuft, beim gleichen Tiere wiederholte Erkran¬
kungen mehrfach beobachtet worden sind. Doch pflegen dann
die einzelnen Erkrankungen durch Wochen und Monate voneinander
getrennt zu sein. Kurz aufeinander folgende Erkrankungen, wie sie
z. B. von Luc et ’) beschrieben wurden, sind dagegen die Ausnahme.
Bei der Sektion werden die befallenen Muskeln (Lende.
Kruppe, Psoas) hochgradig blaß, graugelblich verfärbt, wie Fisch¬
fleisch und stark durchfeuchtet gefunden. Die weniger befallenen
zeigen gelbliche Streifen in der braunroten normalen Muskulatur.
Mikroskopisch erscheint die Querstreifung der Muskelfasern ge¬
schwunden, die kontraktile Substanz von Eiweißkörnchen und Fett-
1) Cit. uaek Tainus, Les Henuiglobinuries.
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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 107
tropfen erfüllt. Manchmal finden Blutungen in die Musku¬
latur statt. Die Nieren können trübe Schwellung oder auch
schwerere parenchymatöse Degeneration mit Epithel¬
nekrose (Johne 1 )) zeigen. Trübe Leber. Spodogener oder sep¬
tischer Milztumor. Hyperämisches Knochenmark, manchmal mit
kleinen Blutungen.
Neben den vollentwickelten Bildern existieren andere, bei
denen keine Hämoglobinurie eintritt, vielmehr der Anfall — viel¬
leicht durch rasches Zurückbringen des steifgewordenen Pferdes
in den Stall — wieder zurückgeht oder aber dennoch lang-
dauernde Lähmung sich entwickelt. Fröhner 2 ) gelang es,
diese früher als „Cruralislähmung“ bezeichnete Erkrankung
als der paralytischen Hämoglobinämie zugehörig zu erweisen, indem
er in 8 von 12 solcher Fälle Hämoglobinämie fand.
Die Arbeiten über die paroxysmale Hämoglobinurie des Menschen
(so z. B. die von Lichtheim 8 ), Senator 4 ), Erich Meyer und
Emmerich 6 )) enthalten mehrfach Hinweise auf diese Erkrankung
des Pferdes. Doch haben sich die Autoren immer damit begnügt,
die beiden Erkrankungen gemeinsamen Merkmale hervorzuheben.
Als solche finden sich der perakute Beginn unter der Einwirkung
von Kälteeinflüssen, die massenhafte Ausscheidung von gelöstem
Hämoglobin durch den Harn, der Verlauf in Anfällen angegeben;
die Hämoglobinämie könnte noch weiter hinzugefügt werden. Viel
weniger beachtet wurden dagegen die bedeutsamen
Unterschiede. Dazu gehört vor allem die schwere Muskelaffektion
bei der Hämoglobinämie des Pferdes, zu der man, wie das Camus
getan hat, höchstens das Muskelzittern und die Kreuzschmerzen im
Krankheitsbild des Menschen in Parallele setzen kann, während
dieses zum Glück für die schweren chronischen Muskelveränderungen
kein Gegenstück kennt. Ebenso fehlt in den wenigen bekannt ge¬
wordenen Sektionsfällen fl ) der paroxysmalen Hämoglobinurie des
Menschen die Erwähnung von Muskelbefunden. Dazu gehört die
hohe Mortalität der Erkrankung des Pferdes, die Fried berge r
und Fröhner zu 20—40% im allgemeinen, zu 70% in den Fällen
mit allgemeiner Paralyse angeben und weiterhin die viel kürzere
1) Cit. nach Hutira u. Marek.
2) Fröhner, Monatsscbr. f. Tierheilkunde 8, 1897.
3) Yolkmann’s Vorträge 134 p. 1166 t.
4) Nothnagel’s Handbuch.
5) Deutsches Archiv f. klin. Med. 96.
6) Siehe bei Senator u. Eichbaum, ßerl. Dissertation 1881 (die Originale
waren mir leider nicht zugänglich).
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Dauer der einzelnen An falle beim Menschen, die dafür sehr gehäuft
in Szene treten können. Die Abkühlungsversuche, die in der
menschlichen Diagnostik vielfach angewandt wurden, haben in der
Veterinärmedizin keinen Eingang gefunden und ebenso sind die
wichtigen serologischen Entdeckungen von ihr, nach der Literatur
zu urteilen, vollkommen unbeachtet geblieben (ich selbst habe leider
keinen Fall von Pferdehämoglobinurie bislang zur Untersuchung
bekommen können), so daß ein Urteil über die Ähnlichkeit beider
Erkrankungen nach dieser Richtung hin nicht abgegeben werden
kann. Die paroxysmale Hämoglobinurie des Menschen
kann darum mit der paralytischen Hämoglobinämie
des Pferdes nur unter weitgehendem Vorbehalt ver¬
glichen werden, ein Schluß von der einen Erkrankung auf die
andere wird dagegen immer recht skeptisch beurteilt werden müssen.
Dagegen deckt sich die Erkrankung des Pferdes in
ganz auffallender Weise mit den Symptomen des von
mir beschriebenen Falles. Beiden Krankheitsbildern eignet
die eigentümliche Verbindung einer Hämoglobinurie mit Muskel¬
prozessen, bei beiden erschreckt der schwere lebensbedrohliche Beginn,
die furchtbare Muskelschwäche, die den Knaben vollkommen hilflos
macht, den starken Gaul ohnmächtig auf die Seite wirft und zu seiner
Verbringung in den Hängegurt zwingt. Bei beiden zieht sich die
schwere Hämoglobinurie über mehrere Tage hin (ob sich eine durch
Nierenschädigung bedingte längerdauernde Albuminurie daran an¬
schließt, ist auch aus neueren Krankheitsberichten 1 ) der Pferde¬
hämoglobinurie nicht ersichtlich) und mit der einsetzenden Besserung
tritt hier und dort die Muskellähmung in den Vordergrund, die
Wochen und Monate zur vollkommenen Wiederherstellung braucht
Dabei geht die Ähnlichkeit so weit, daß auch die am schwersten
geschädigten Muskelgebiete in beiden Fällen dieselben sind. Der
Wiedereintritt der Krankheit folgte nicht wie bei der paroxysmalen
Hämoglobinurie des Menschen in gehäuften Anfällen (besonders
während der rauhen Jahreszeit), einige wenige Anfälle im Jahr
nur pflegen beobachtet zu werden.
Zur Ätiologie.
Die Ätiologie der paroxysmalen Hämoglobinurie e frigore des
Menschen ist in allen wesentlichen Punkten klargestellt. Wir
wissen, daß als letzte Ursache, als grundlegendes Moment, eine
1) Vgl. z. B. Paul Mayer, Die klin. Diagnostik der Hämoglobinurie. Disser¬
tation GieCen lü()!>.
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Ein mit Mnskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 109
vorausgegangene syphilitische Infektion zu betrachten ist, wir
kennen die Rolle der Kälte als auslösende Gelegenheitsursache und
wir sind durch die Abköhlungsversuche und die serologischen Ent¬
deckungen über den Mechanismus der Hämolyse selbst weitgehend
orientiert.
Viel weniger klar liegen die Verhältnisse bei der
Pferdehämoglobinurie.
Wenn ich die früheren Arbeiten, die sich im wesentlichen mit
der Abtrennung und Beschreibung der Krankheit befaßten, über¬
gehe, so fanden vor allem die Arbeiten Bollinger’s 1 ) weit¬
gehende Beachtung. Sie lehrten, daß die Krankheit durch Auf¬
nahme von Giftstoffen mit der Nahrung verursacht werde,
durch sie entstehe der Blutzerfall, der die Muskel- und Nieren¬
veränderungen nach sich ziehe. Später 2 * ) hat er dann mit Rücksicht
auf Erfahrungen beim Menschen 8 ) 4 5 ) und gestützt auf eine eigene
Beobachtung seine Ansicht dahin modifiziert, daß es sich um eine
Autointoxikation handeln dürfte, wobei durch die Einwirkung
des Gehens oder der Kälte ein toxisches Agens sich bilde, welches
auf die roten Blutkörperchen zerstörend einwirkt und zur patho-
gnomonischen Hämoglobinurie führt. Im Gegensatz zu ihm hat
Siedamgrotzky 8 ) als erster die Myositis als die primäre Ver¬
änderung angesprochen, er nahm an, es träten im Anfall Produkte
der regressiven Metamorphose des Muskels (Harnstoff
und Extraktivstoffe) plötzlich in solcher Menge auf, daß dadurch
Hämolyse zustande käme und er glaubte diese Ansicht durch die
starke Steigerung der Harnstoffausscheidung im Harn und gesteigerten
Harnstoffgehalt des Blutes bewiesen zu haben, doch ist die Beweis¬
kraft seiner Zahlen später erschüttert worden. Noch deutlicher be-
zeichnete Fröhner 6 ) die Muskel Veränderung als das Wesentliche
des Prozesses, indem er zeigte, daß diese vorhanden sein kann ohne
gleichzeitige Hämoglobinurie, daß aber eine Hämoglobinurie ohne
Myositis nicht vorkomrae. Diese selbst ließ er durch einen abnormen
Stoffzerfall in den Muskeln unter dem Einfluß der Kälte entstehen,
und sie bewirkte Faserzerfall mit Übergangvon M u skelhämo-
globin ins Blut und durch die Nieren in den Harn.
1) Deutsche Zeitschr. f. Tierheilkunde 1877 p. 155.
2 ) Münch, ärztliches Intelligenzblatt 1885 p. 623.
H) Fleischer, Berl. klin. Wochenschr. 1881 Nr. 47.
4) Käst, Deutsche med. Wochensehr. 1884 Nr. 52.
5) Berichte Uber das Veterinärwesen im Königr. Sachsen 1878.
6) Archiv f. wissenschaftl. und prakt. Tierheilkunde 1884 p. 296.
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Abnorme Stoffwechsel Vorgänge, die sich, nachdem das Tier längere
Zeit untätig im Stall gestanden, in den Muskeln des Pferdes beim
Übergang zur Arbeit abspielen sollen, nehmen auch Di eck er¬
hoff 1 2 3 ), Hink*) und Eber 8 ) an. Einen mehr vermittelnden
Standpunkt nimmt Lucet 4 5 ) ein, der ganz besonders die Beziehungen
der Schwere der Allgemeinsymptome und der Hämoglobinurie zur
Ausdehnung der Muskelveränderungen hervorhebt, indem er die
von ihm angenommene Nephritis und die Muskeldegeneration auf
eine gemeinsame toxämische (aus dem Darmkanal stammende'*
Noxe zurückfuhrt; diese wird von den führenden französischen
Tierärzten (Cadiot, Cadeac, Benjamin, Lucet, Lavalard)
zurzeit fast allgemein angenommen, wie dies aus der interessanten
Diskussion zu einem Vortrage Le Brun’s 6 ) deutlich hervorgeht.
Die Kälte, die früher als Hauptursache angegeben wurde, spielt
jetzt, nachdem erkannt worden ist, daß die Krankheit auch ohne ihr
Zutun und mit gleicher Häufigkeit zu jeder Jahreszeit 6 ) auftreten
kann, nur mehr die Rolle einer Gelegenheitsur.sache, während
die Wichtigkeit des ruhigens Stehens im Stall mehr betont
wird. Ganz besonders scheint dieses aber in Verbindung mit all¬
zureichlicher Ernährung den für das Auftreten der paralytischen
Hämoglobinurie geeigneten Boden zu schaffen. Es geht die dadurch
bedingte Prädisposition so weit, daß man in großen (z. B. durch
einen Kutscherstreik) zu längerer Untätigkeit gezwungenen Pferde¬
beständen mit dem Auftreten der Erkrankung sicher rechnet und
durch Bewegen der Tiere und Reduktion des Kraftfutters der Er¬
krankung erfolgreich vorbeugt. 6 ) Der früher von Cadiot, Cadeac
und Lign^re vertretene infektiöse Ursprung des Leidens
wird zurzeit besonders noch von Schlegel 7 ) verteidigt, der eine *
Meningomyelitis (durch eine besondere Streptokokkenart hervor¬
gerufen) annimmt. Doch steht er mit seiner Anschauung ziemlich
allein. Als Anhang zu den Nervenkrankheiten hat Dexler die
Hämoglobinurie abgehandelt und in frischen Fällen „perinucleäre
1) Spezielle Pathologie 1904, II., p. 524. I
2) Deutsche tieriirztl. Wochenschr. 1901 p. 106. i
3) Archiv f. wissensehaftl. und prakt. Tierheilkunde 1898. 24, p. 262.
4) Recueil de med vet. 1899 p. 209 u. 283.
5) Faits de greve, Sur rhemoglobinurie da Cheval. Balletin de la Soc. de
Med. veter. 1907 p. 237.
6) Preußische Militärveterinärberichte der letzten Jahre.
7) Berl. tierärztliche Wochenschr. 1906 Nr. 29 und „Die infekt. Rücken-
marksentzündung nsw. u 1907.
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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. Hl
Chromatolyse“ der motorischen Ganglienzellen des Rückenmarks
beschrieben, die durch ein unbekanntes Toxin bewirkt, die Grund¬
lage des klinischen Bildes ausmachen. Bestätigungen seiner Arbeiten
sind aber nicht erfolgt.
Was das Verhältnis zwischen Hämoglobinämie, Hämo¬
globinurie und Muskeldegeneration anlangt, so sind verschie¬
dene Möglichkeiten denkbar, die gleicherweise sowohl für die Beur¬
teilung meines Falles als auch für die Pferdehämoglobinurie in Be¬
tracht kommen und deshalb gemeinsam besprochen werden können.
1. Blut und Muskel trifft eine gemeinsame Schäd¬
lichkeit, die im Blut zur Hämolyse, im Muskel zur Degeneration
lührt. Das gelöste Erythrocytenhämoglobin wird durch den Harn
ausgeschwemmt. Dieses Verhältnis erscheint als das einfachste und
naheliegendste; Blut und Muskeln enthalten beide Hämoglobin und
so vielleicht Angriffspunkte für eine gleiche Schädlichkeit. Etwas
modifiziert erscheint es in der Theorie von Hutira und Marek,
bei der das toxische Agens, das den Muskel zur Degeneration
bringt, in dem diesen durchströmenden Blut Hämolyse erzeugt.
2. Viel weniger wahrscheinlich erscheint die Möglichkeit, daß
die krankhafte Noxe zur Hämolyse und Hämoglobin¬
urie führt und die Muskeldegeneration als Folge der
Blutverschlechterung auftritt, da eine solch schwere Blut¬
entmischung wohl sichey zuvor in empfindlicheren Organen lebens¬
bedrohliche Schädigungen zur Folge haben müßte. Auch könnte
als Gegenbeweis die paroxysmale Hämoglobinurie des Menschen
mit einem gewissen Recht angeführt werden, da bei ihr wochen¬
lang sich wiederholende hämolytische Vorgänge keine Muskelver¬
änderungen nach sich ziehen.
3. Anders liegt der umgekehrte Fall, bei dem der Muskel-
zerfall den Blutzerfall verursacht. Diese Anschauung
liegt, wie wir gesehen haben, einem großen Teil der Theorien über
die Pferdehämoglobinurie zugrunde, indem im Muskel entstandene
Substanzen (Stoffwechselprodukte) als Isohämolysine wirksam werden.
4. Es existiert noch eine weitere Möglichkeit: das im Blut
anzutreffende freie Hämoglobin verdankt nicht dem
Erythrocytenzerfall seine Entstehung, es ist viel¬
mehr Muskelhämoglobin, eine wesentliche Blutalte¬
ration findet nicht statt. Dementsprechend ist auch
das im Harn ausgeschiedene Hämoglobin nicht Erythro¬
zyten- sondern Muskelhämoglobin. Diese Auffassung, die
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auf den ersten Blick befremdlich erscheinen könnte, hat in der
Tierheilkunde weitgehende Beachtung erfahren, sie beherrscht die
französische Literatur und wird auch in dem führenden deutschen
Lehrbuch von Friedberger und Fröhner zur wahrscheinlichsten
Theorie erhoben. Sie geht im wesentlichen aufFröhner zurück,
der aus der eigentümlichen fischfleischartigen Beschaffenheit der
Muskulatur bei der Sektion, eine Auslaugung des Muskelhämoglobins
und Übergang desselben in den Harn schloß. Gestützt wurde diese
Auffassung später durch eine Arbeit von Schindelka 1 ), der im
Anfall nicht die erwartete Abnahme, sondern eine deutliche
Zunahme des Hämoglobingehalts im Blut fand, den er auf den
Übertritt von Muskelhämoglobin ins Blut bezog. Hutira und
Marek 2 3 ) bestreiten aber die Richtigkeit dieses Befundes und weisen
außerdem darauf hin, daß er auch durch Bluteindickung (starkes
Schwitzen bei mangelnder Tränkung— Schindelka gibt übrigens
an, seine Pferde hätten reichlich Wasser aufgenommen —) erklärt
werden könne. Es ist weiter zu bedenken, daß keinerlei einwandfreies
Kriterium dafür beizubringen ist, daß das im Blut gelöst sich
findende oder im Harn zur Ausscheidung gelangte Hämoglobin aus
gelösten Erythrocyten oder ausgelaugten Muskelfasern stammt,
zum mindesten ist nicht auszuschließen, daß, wenn überhaupt eine
Auslaugung von Muskelgewebe statthat, das im Harn erscheinende
Hämoglobin zum Teil Muskelhämoglobin sein kann. Experimentell
ist diese Frage der „Haemoglobinuria muscularis“ später von
Camus und Pagniez 8 ), sowie in einer großen vergleichenden
Arbeit von Camus 4 ) in Angriff genommen worden, der diese
Theorie gleichermaßen auf die paroxysmale Hämoglobinurie e frigore
des Menschen, die Pferdehämoglobinurie und die experimentelle
Hämoglobinurie des Hundes angewendet wissen will. Mit Rück¬
sicht auf das Interesse, das diese Theorie besonders für den vor¬
liegenden eigentümlichen Krankheitsfall beim Menschen hatte, mußte
ich mich mit ihr des weiteren auseinandersetzen. Daß
5. eine Kombination von „Haemoglobinuria muscu¬
laris“ und „globularis“ gedacht werden kann, ist oben schon
beiläufig erwähnt.
1) Hämoinetrische Untersuchungen an gesunden und kranken Pferden.
Osterr. Zeitschr. f. wissenschaftl. Veterinärkunde 1888.
2 ) 1. c.
3) Pumpt, rend. de l'Academie des 8c. 11 aoüt 1902 und 24 novembre 1902.
4) Les Hemoglobinuries. Paris, C. Xaud, 1903.
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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 113
Die experimentellen Untersuchungen von Jean Camus
und ihre Kritik.
Der erste Teil der Arbeit von Camus bestätigt im wesent¬
lichen die von Ponfick gefundene Tatsache, daß Hämoglobin im
Harn nur dann auftritt, wenn die Menge des in die Blutbahn ein¬
geführten oder in ihr gelösten Hämoglobins eine gewisse Größe
( , / 6 , der Gesamtblutmenge, 1,3 ccm pro kg Tier) überschreitet.
Außerdem wird gezeigt, daß dieses Verhalten unbeeinflußt bleibt
von anderen gleichzeitig vorgenommenen experimentellen Ein¬
griffen: Milzexstirpation, Leberausschaltung, Nierengiften, Ände¬
rungen des Blutdruckes usw.
Der für die vorliegende Arbeit wichtigste II. Teil handelt von
der „Haemoglobinurie musculaire“. Camus untersuchte zunächst
an Hunden die Ausscheidungsbedingungen von intravenös injiziertem
Muskelhämoglobin.
Seine Versuchsanordnung ist folgende: Ein Hnnd wird getötet, die
Leiche von der Aorta aus mit mehreren Litern NaCl-Lösung, zur Ent¬
fernung des Blutes in den Gefäßen, ausgewaschen. Eine gewisse Menge
der Muskulatur des Tieres wird dann gefroren, zerstoßen, der erhaltene
Muskelsaft mit destilliertem Wasser verdünnt und mit NaCl Isotonie zum
Blutserum hergestellt.
Die Versuche ergaben übereinstimmend, daß in die Blutbahn
auch in kleinen Mengen eingebrachtes Muskelhämoglobin die Niere
passiert, Hämoglobinurie erzeugt. Ich setze einen seiner Versuche
hierher:
Pintscher von 17 kg.
Urin
3 h 15 Narkosenbeginn (Cblo-
ralose).
4 h Resektion von 53 g Musku- 6 h normal,
latur, die 190 ccm Muskel¬
lösung ergeben.
€ h 10 intravenöse Injektion 6 h 20 dunkelrot hämo-
von 80 ccm dieser */ 4 Stunde globinurisch.
lang auf 58 0 erhitzten und
filtrierten Lösung.
Wie aus diesem Versuche erhellt, änderte die Erwärmung
nichts an dem Resultat, dagegen wurde durch Aufkochen der
Muskellösung das Hämoglobin gefällt und Hämoglobinurie trat
nicht ein. Herzmuskel und Skelettmuskel zeigten im Versuche
gleiches Verhalten, während Leber oder Milzextrakte keine Hämo¬
globinurie zu erzeugen vermochten.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 8
Ozalatblut
6 h 30 Plasma
klar, ganz
leicht gelblich.
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Experimentell konnte Camus Hämoglobinarie auch durch
direkte Einwirkung auf die Muskulatur erzeugen, indem er destil¬
liertes Wasser oder Glyzerinlösung intramuskulär injizierte, die in
gleichen Mengen intravenös injiziert Hämoglobinurie nicht ver¬
ursachen konnten.
Ich führe auch aus dieser Reihe einen Versuch an:
Gebirgshund von 22 kg.
Chloroformnarkose
5 h 30—5 h 37 in verschie¬
denen Maskelgruppen des
linken Oberschenkels 22 g
Glyzerin -(- 44 ccm destil¬
liertes Wasser injiziert.
Kontraktur and starkes
fibrilläres Zittern der inji¬
zierten Muskeln.
Urin
5 h 15 Spur Eiweiß.
5 h 55 starke Albumin¬
urie , kein Hämo¬
globin.
6 h 05 starke Albumin¬
urie.
6 h 30 Hämoglobinurie.
6“ 50 —
Oxalatblut
5 h 50 Plasma
normal.
6 h 45 Plasma
leicht rötlich.
Im Gegensatz zu diesen Versuchen hatte subkutane Zermal¬
mung oder elektrische Reizung der Muskeln oder des bloßgelegten
Rückenmarks keine Hämoglobinurie zur Folge. Um zu beweisen,
daß wirklich das Muskelhämoglobin und nicht andere Snbstanzen
des Muskels für die Hämoglobinurie verantwortlich gemacht werden
müssen, injizierte Camus Hunden intravenös durch Tierkohle farb¬
los filtrierten Muskelsaft, ohne Hämoglobinurie zu erhalten, sie trat
auch nicht auf, wenn er Extrakt weißer Muskeln von Kaninchen
Kaninchen intravenös injizierte, während Zusatz von Muskel hämo-
globin zu einer für sich unwirksamen Blutlösung oder dekolorierten
Muskellösung Hämoglobinurie verursachte.
Die Versuche von Camus haben keine Nachprüfung oder Be¬
stätigung erfahren. Die Tatsache, daß Muskelhämoglobin so viel
leichter als Erythrocytenhämoglobin die Nieren passieren sollte,
war eigentümlich; für die Deutung der Hämoglobinurie des Pferdes
und auch meines Falles als „Haemoglobinuria muscularis“ aber von
großer Wichtigkeit. Die intramuskulären Injektionen von Glyzerin
und Aqua destillata, wie Camus sie vorgenommen, erweckten
in mir außerdem den Verdacht, daß hier eine Hämolyse im Muskel
das Wesentliche des Vorganges ausmachen möchte, um so mehr,
als Glyzerin subkutan Hämoglobinurie zu erzeugen imstande Ist.
Ich entschloß mich deshalb, in eigenen Versuchen das Verhalten
intravenös und andersartig injizierter Muskellösungen selbst zu
studieren und die Bedingungen, die in den Injektionsversuchen mit
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Ein mit Muskellähmungen verbnndener Fall von Hämoglobinurie. 115
Glyzerin und Aqua destillata zur Hämoglobinurie führten, näher
zu ergründen.
Ich schicke zu meinen Versuchen voraus: Verwandt wurden
meist weibliche Hunde, die durch eine dem Versuch vorangehende
Kolpotomie nach Falck 1 ), der eine Kolpoplastik angeschlossen
wurde, vorbereitet waren. Es wurde dadurch der Katheterismus
erleichtert und unerwünschte artifizielle Blutung aus den Harn¬
wegen ausgeschlossen. Sämtliche Versuche wurden am vollkommen
narkotisierten Tier ausgeführt.
I. Versuch. 6. April 1910.
Junge Hündin. 11230 g. Morphiumäthernarkose.
11 b 40 50 g Muskelsubstanz aus dem linken Oberschenkel reseziert.
Blutstillung. Nabt. Muskel im C0 2 -Strom gefroren, zer¬
quetscht, mit Fleischpresse unter Zusatz physiologischer NaCl-
Lösung ausgepreßt- Fs werden 32 ccm dunkelkirschroten
„Muskelhämoglobins“ erhalten.
2 b 15 Muskelsaft in Vena femoralis injiziert. Urin o. B., gelb
2 h 17 Hämoglobinurie tritt auf.
bis 2 h 25 2 ccm dunkelroten Urins erhalten. Dieser ist stärker gefärbt
als der injizierte Muskelsaft. Spektroskopisch Oxyhämoglobin¬
streifen im Urin.
„ 2 h 40 4 ccm Urin heller als erste Probe.
„ 3 h 5 ccm Urin hellrotbraun, noch starkes Oxy- Hb - Spektrum.
„ 3 h 20 3 ccm Urin wieder gelb. Oxyhämoglobinstreifen noch an¬
gedeutet.
„ 3 h 30 Hb-Spektrum verschwunden.
Der zentrifugierte Urin enthielt wenige £rythrocyten und -Schatten,
Hämoglobinkörnchen und -Schollen, nur vereinzelt hyaline Zylinder.
Nach dem Versuch wird der Hund durch Verbluten getötet,
die untere Körperhälfte von der Aorta aus mit einigen Litern
0,85 \ NaCl-Lösung ausgespült. 200 g der Oberschenkelmuskulatur
werden exzidiert, im Mörser zerquetscht mit Kochsalzlösung erst
einige Stunden in der Kälte ausgezogen, dann ausgepreßt und fil¬
triert Die fertige Lösung (110 ccm dunkelroter Saft) im Eis¬
schrank „Frigo“ aufbewahrt (ca. —7°C).
H. Versuch. 7. April 1910.
Hündin „Lux“. 15 000 g. Morphiumäthernarkose.
10 h 15—10 h 20 Injektion von 35 ccm des Muskelsaftses aus Versuch I.
10 h 05—10 h 20 4 ccm klarer Urin entleert.
10 h 23 Hämoglobinurie beginnt.
1) Virchow’s Archiv 9.
8 *
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bis 10 h 25 5 ccm dunkelbrauner Urin entleert. Starkes Oxy- und schwache-
Met-Hb-8pektrum.
10 h 30 Plasma deutlich rosa.
_ 10 h 35 8 ccm Urin wie oben.
„ 10 h 45 8 ccm bräunlichrötlicher Urin (wesentlich heller als die zu-
geführte Lösung).
„ 10 h 55 10 ccm blaß rötlichhrauner Urin. Spektra noch stark.
„ 11 h 10 9 ccm hellgelber Urin. Spektra eben noch deutlich.
„ ll h 17 8pektrum verschwunden.
Bei grober Betrachtung erscheinen die Versuche schlagend
undunzweideutig. Fast sofort nach der Injektion, Hämo¬
globinausscheidung, der intravenös zugefiihrten Menge zwar
quantitativ nicht entsprechend, sondern weniger als diese, aber
doch in einem bestimmten Verhältnis zu ihr stehend (Camus
nimmt ca. */* des zugeführten Farbstoffes an). Daß die erste Por¬
tion meist dunkler gefärbt ist als die eingespritzte Lösung, ist
auch von Camus beobachtet. Der strikte Beweis, daß dasselbe
Hämoglobin, das eingeführt wurde, auch ausgeschieden wird, ist
schwerer zu erbringen. Es könnte eben doch eine Auflösung von
Erythrocyten durch die Injektion verursacht worden sein, der
Hämolyseversuch in vitro ist dafür nicht beweisend, da destilliertes
Wasser in gleicher Menge intravenös injiziert, doch nicht zur
Hämoglobinurie führt. Ich habe deshalb versucht, das eingespritzte
Muskelhämoglobin durch Herstellung der CO-Verbindung zu si¬
gnieren (III. Versuch vom 11. April 1910).
Im ausgeschiedenen hämoglobinurischen Harn ließ sich aber
kein CO-Hämoglobin mehr nachweisen, was nichts beweist, da eine
Dissoziation der Verbindung und Oxydation (es trat das OHb-
Spektrum auf, das durch Schwefelammonium reduziert wurde) unter¬
wegs eingetreten sein konnte.
Aber nur für intravenöse Injektion gilt dies leichte Übertreten
von Muskelhämoglobin in den Harn und Camus hat nur diese
studiert. Ganz anders gestalten sich die Ergebnisse bei subkutaner
oder intramuskulärer Injektion des Muskelsaftes.
IV. Versuch. 7. April 1910.
Lux. 15000 g. Morphiumäthernarkose.
ll h 13—11 11 14 Injektion von 35 ccm der am 6. April gewonnenen
Lösung unter die Oberschenkelhaut.
11 h 17 Urin frei von Hämoglobin,
bis 11 h 32 7 1 /, ccm Urin. Kein Hämoglobin.
11 h 40 Injektionsgeschwulst vollkommen resorbiert.
- 11 ,l 45 7 ccm 1 , . tj.. , i • .
. „ h ... ; kein Hämoglobin!
12 h b,o ccm 1 ®
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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 117
12 h 7—12 h 8 Injektion mit 30 ccm wiederholt,
bis 12 h 15 5,5 ccm. Kein Hämoglobin. Geringe Trübung durch Eiweiß.
12 h 30 14 ccm. Kein Hämoglobin.
12 h 45 9 ccm. Kein Hämoglobin.
Der Versuch wurde bis 2 h noch weiter verfolgt, ohne daß Hämo¬
globin nachweisbar wurde!
V. Versuch. 12. April 1910.
Lux. 15 000 g. Morphiumäthernarkose.
Die Hündin war zuvor in einem von 6 h 14—7 h 25 dauernden Ver¬
such (III. vgl. oben) mit CO gesättigtem Muskelsaft intravenös injiziert
worden, der wie in den anderen Versuchen sofort Hämoglobinurie machte.
6 b 25 zeigte der Harn deswegen spektroskopisch noch einen leichten
OHb-Streifen.
7 h 21—7 h 25 Injektion von 50 ccm am 11. April 1910 von einem
getöteten Hund gewonnener Blutlösung in die Oberschenkel-
muskulatur.
7 h 40 OHb-Streifen noch vorhanden,
bis 7 h 55 5 ccm. OHb-Streifen eben noch angedeutet.
8 h 10 4 ccm. OHb-Streifen unsicher.
8 h 17 2 ccm. OHb-Streifen verschwunden.
Das heißt, trotz der sehr günstigen Bedingungen hatte die
intramuskuläre Injektion keine Verstärkung der im Abnehmen
begriffenen Hämoglobinurie zustande gebracht, obwohl hinreichende
Zeit für ihr Auftreten gegeben war und sämtliche Versuche an
der gleichen Hündin ausgeführt wurden, die intravenös applizierten
Muskelsaft prompt mit Hämoglobinausscheidung beantwortete. Ich
glaube, daß besonders dieser letzte Versuch zur Vorsicht gegen zu
weitgehende Folgerungen für die Theorie der Hämoglobinuria mus-
cularis, die Camus aus dem Erfolg der intravenösen Injektion
von Muskelhämoglobin zog, mahnt, wenn ich auch das Ergebnis
seines Grundversuches bestätigt finde.
Es ist noch etwas anderes zu berücksichtigen, der injizierte
Muskelsaft ist nicht ohne weiteres einer Muskel¬
hämoglobinlösung gleichzusetzen. Daß mit reinen Hämo¬
globinlösungen aber gearbeitet werden muß, wenn bindende Schlüsse
über Verbleib und Wirkung dieses Stoffes gezogen werden sollen,
ist früher mehrfach betont worden ’) und ergibt sich mit zwingen¬
der Notwendigkeit aus den neuesten Untersuchungen über die
Wirkungen von Organextrakten auf den Organismus. 1 2 ) Die viel-
1) Quincke, Deutsches Archiv f. klin. Med., XXXIII, p. 22ff. — Schurig,
Archiv f. experim. Pathologie u. Pharmakologie, XLI, p. 29 ff.
2) Popielski, Pflüger’s Archiv f. Physiologie 128 p. 191 ff.
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faltigen Einflüsse auf Blutgerinnbarkeit, Blutdruck, Darm, Nerven¬
system usw., kurzgesagt die Vasodilatin Wirkungen, schaffen durch¬
aus unkontrollierbare Versuchsbedingungen. Die Darstellung der
Muskelhämoglobinlösung, wie sie oben angegeben wurde, führt ab«
notwendig zu einer Zellzertrümmerung und zum Austritt von Vase-
dilatinen. Mit reinen Muskelhämoglobinlösungen hat noch nie¬
mand gearbeitet, abgesehen davon, daß die Frage strittig ist. ob
Muskel- und Erythrocytenhämoglobin verschieden sind.
Die folgenden Versuche zeigen die Wirkung von Glyzerin- und
Aqua destillata-Injektionen.
VI. Versuch. 2. April 1910.
Hündin „Pia“. 16 000 g. Morphiumäthernarkose.
10 h 47—10 h 50 Injektion von 30 ccm Glyzerin mit Aqua destill. ää
in die Muskulatur des rechten Oberschenkels.
11 h Urin noch vollkommen klar, frei von Hb.
ll h — 11 h 10 6 a / 2 ccm schwachrötlich gefärbter Urin. Oxyhämo¬
globinabsorptionsstreifen deutlich.
11 h 30 Der Urin ist vollkommen klar, klarer als bei der zu Beginn
des Versuchs vorgenommenen Blasenentleerung, jetzt bräun-
lichrot, 6 ccm. Oxy- und Met-Hb-Streifen.
bis 11 h 40 6 ccm dunkelrotbraun.
11 h 50 5 l j 2 ccm dunkelrot. Nur Oxy-Hb-Absorptionsstreifen.
12 h 00 9 ccm.
Die Hämoglobinurie hielt von da an in ziemlich gleicher Stärke bis
1 •> 10 an (während dieser Zeit im ganzen 35 ccm Urin).
1 h 25 8 ccm. Urin hellt sich etwas auf.
2 h 15 wurde der Hund, der seitdem auf dem Brett aufgespaunt ge¬
wesen war, herabgenommen, der Verweilkatheter entfernt. Oie
Hämoglobinurie dauerte noch an.
3 h 30 Katheterismus: 30 ccm noch dunkelroter Urin abgenommen.
5 h 20 Katheterismus: 30 ccm tiefdunkler Urin erhalten.
Ob der Hund weiterhin bis zum anderen Morgen spontan uriniert
hat, ist nicht sichergestellt.
3. April. 10 h . Die Blase enthält noch reichliche Mengen braun-
rötlichen Urins mit starken Oxy-Hb-Streifen.
Während des Versuchs waren um 12 h 20 und 1 h 45 Blutproben
aus der Vena cruralis entnommen worden, beidemal wurde das abzentri¬
fugierte Serum deutlich hämoglobinhaltig gefunden.
Das Urinzentrifugat enthielt in keiner Probe Erythrocyten, dagegen
hyaline, granulierte und Epithelzylinder, sowie Leukocyten.
Im ganzen wurden 130 ccm tiefdunkelroten Urins gesammelt und
gemischt, nach Sahli bestimmt entsprach seine Färbekraft einer ca. 3"„
Blutlösung des Menschen.
4. April. Eine stärkere Schädigung des Muskels durch die Glyzerin¬
injektion ist nicht eingetreten, die Injektionsstelle ist zwar noch druck-
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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinnrie. 119
empfindlich, doch springt die Hündin hente schon vom Boden frei auf
den Tisch.
Ich gebe zum Vergleich einen Versuch mit intravenöser Gly¬
zerininjektion.
VII. Versuch. 4. April 1910.
Hündin „Ruß“. 9700 g. Morphiumäthernarkose.
11 h 25 Injektion von 10 ccm Glyzerin -}- 15 Aqua destill. in die Vena
femoralis.
11 h 30 Urin o. B.
12 h 40 13 ccm sehr klarer, heller Urin. Kein Hb nachzuweisen.
11 h 60 9 ccm sehr klarer, heller Urin. Kein Hb nacbzuweisen.
12 h 2 12 ccm sehr klarer, heller Urin. Kein Hb nachzuweisen.
12 h 15 4 ccm. Der Urin blieb dauernd Hb-frei und enthielt nur Spuren
Albumen. Es werden deshalb
12 h 57—l h nochmals 20 ccm Glyzerin -|- 30 ccm Aqu. dest. injiziert.
12 h 45—lh 7 ccm Urin.
1 h 5 19 ccm. Kein Hb.
1 h 10 18 ccm. Urin ganz schwach rötlich (in dicker Schicht). Deut¬
liche Oxyhämoglobinstreifen.
1 h 20 35,5 ccm in dicker Schicht rosa.
1 h 40 48 ccm. Hämoglobinurie hat noch etwas zugenommen.
1 h 50 17 ccm wie oben.
2 h 12 ccm. Färbung nimmt wieder ab.
2 h 15 19 ccm. Hb-Spektrum nur noch schwach.
2 h 30 19 ccm. Hb-8pektrum unsicher.
2 h 45 Kein Hämoglobin mehr nachzuweisen.
Wenn auch die Hämoglobinurie nicht vollkommen ausblieb, so
ist der Unterschied gegenüber Versuch VI doch ein sehr
auffallender. Viel weniger ist dies der Fall gegenüber dem
VIII. Versuch. 1. April 1910.
Lux. 15000 g. Morphiumäthernarkose.
Der Hund erhielt zunächst 3 h 23—3 h 28 je 75 ccm destilliertes
Wasser in die Oberschenkelmuskulatur injiziert. Als 5 h 10 noch kein
Hb im Urin nachgewiesen werden konnte, wurde der Versuch wiederholt.
5 h 25 6 ccm. Kein Hb.
5 h 45 eben erkennbaren Oxy-Hb-Absorptionsstreifen.
6 h 15 Absorptionsstreifen deutlicher.
6 h 25 Hämoglobinurie auch makroskopisch sichtbar. Leicht rötlicher
Urin in dicker Schicht.
7 h 10 Urin hellbraunrötlich.
7 h 40 Urin noch etwas dunkler.
8 h 20 Die Hämoglobinurie geht wieder zurück. Urin rötlich-gelb.
Eine diuretiscbe Wirkung wie in Versuch VII trat nicht ein. Im
ganzen wurden 28 ccm deutlich farbstoffhaltigen Urins entleert.
Ich habe diese Versuche ziemlich ausführlich mitgeteilt, weil
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aus den Versuchstabellen von Camus die Differenz zwischen
intramuskulärer Injektion von destilliertem Wasser und Glyzerin
nicht deutlich hervorgeht. Er erhält zwar auch in den zwei ersten
Versuchen mit destilliertem Wasser nur eine kurzdauernde Hämo¬
globinurie, er bricht aber den III. Versuch schon nach 20 Minuten
vor Rückgang der Hämoglobinurie ab und teilt die folgenden
Glyzerinversuche (vgl. den oben mitgeteilten) ebenfalls nur bis
höchstens 40 Minuten nach Eintritt der Hämoglobinurie mit. Tat¬
sächlich resultiert im intramuskulären Glyzerinversuch eine lang¬
dauernde schwere Hämoglobinurie (zwei weitere Versuche (IX u. XI>
verliefen gleicherweise. Die Sektionsergebnisse der nach dem Ver¬
such getöteten Hunde sind unten mitgeteilt). Dagegen zeigt der
Versuch mit Aqu. dest. eine kaum merkbare Ausscheidung von
BlutfarbstotF, dies wird noch deutlicher durch die mitgeteilten
Urinmengen, eine Angabe, die bei Camus durchweg vermißt wird.
Für die Deutung des Effekts ist der Unterschied aber sehr
wesentlich.
Camus deutet in beiden Fällen die Hämoglobinurie einfach
als Ausscheidung von Muskelfarbstoff und lehnt einen Blutzerfall
vollkommen ab. Er hat über die Beschaffenheit der mit Glyzerin
injizierten Muskeln nur die Angabe gemacht, daß sofort nach der
Injektion Kontraktur und fibrilläres Muskelzittern stattfände, es
ist aber außerdem noch eine kolossale Schwellung
auf das Doppelte und mehr des Volums nachträglich
nach der Injektion zu beobachten. Daß auch Muskel¬
farbstoff durch diese seröse Durchtränkung des Muskels ausge¬
schwemmt wird, ist zweifellos. Ich habe in dem oben angegebenen
zweiten Glyzerin versuch (IX) die Injektion nur in einen Schenkel
gemacht, um bei der Sektion (der Hund wurde nach dem Versuch
getötet) mit der nicht injizierten Seite vergleichen zu können. Die
injizierten Muskeln fand ich hochgradig blutig serös durchtränkt,
beim Einschneiden in dieselben lief eine sehr reichliche, hämoglobin¬
haltige Flüssigkeit ab, die nach einigem Stehen gerann, die in¬
jizierten Muskeln zeigen sich im Vergleich mit der anderen Seite
sehr blaß, noch lange ist in den überlebenden Muskeln lebhafte
Kontraktion der verschiedensten Bündel, ja es sind Bewegungen
der ganzen Extremität zu sehen. Daß die Menge ausgeschiedenen
Hämoglobins allein aus dem Muskel stammen sollte, ist dagegen
unwahrscheinlich. Die intramuskuläre Glyzerininjektion muß näm¬
lich notwendig zu einem Blutzerfall führen, daß dem so ist, dafür
ist der intravenöse Versuch nicht Gegenbeweis, sondern Beweis.
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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 121
Glyzerin macht nämlich auch subkutan injiziert Hämo¬
globinurie. Diese von Luchsinger 1 ) gefundene Erscheinung,
die zur Zeit der Ära der Jodoforminjektionen der Chirurgen 4 )
wieder aktuell wurde, scheint Camus übersehen zu haben. Es
macht Hämoglobinurie auch dann, wenn man es an einer Stelle
injiziert, an der ein Muskeleinfluß ausgeschlossen ist, nämlich, wie
ich dies auf Rat von Herrn Dr. 0. Neubauer getan habe, bei
Injektion in die Zwischenzehenhaut am Hinterlauf des Kaninchens
(Versuch am 5. April 1910). Warum sich die intravenöse Injektion
scheinbar so ganz gegensätzlich verhält, ist einfach zu erklären.
Bei der intravenösen Injektion kommen in der Zeiteinheit durch
die Nadel nur relativ geringe Mengen ins Blut, die von diesem
sofort fortgeführt, mit anderem Blut vermischt, dadurch ver¬
dünnt und unschädlich gemacht werden, ehe sie stärkere
Hämolyse verursacht haben. Bei der subkutanen und intramusku¬
lären Injektion dagegen wird ein Glyzerindepot geschallen,
das nur durch Zufuhr von Serum aus viel viel kleineren Gefäßen
verdünnt werden kann, so daß lange Zeit eine große hämolytisch
wirkende Konzentration erhalten wird, und damit genügend Ge¬
legenheit für einen weitgehenden Blutzerfall gegeben ist. Diese
Überlegung erklärt auch die zwischen Glyzerin und destilliertem
Wasser bestehende Differenz. Im Falle des Glyzerins muß eine
große Flüssigkeitsmenge aus kleinen Gefäßen herzugebracht werden,
um es unschädlich zu machen und wir sehen dementsprechend
unter unseren Augen die langsame, starke Anschwellung des Muskels,
der Kaninchenpfote, während die Umwandlung des destillierten
Wassers in eine isotonische Salzlösung viel leichter gelingt. De¬
stilliertes Wasser macht deshalb auch, subkutan injiziert, keine
Hömoglobinurie vgl. Versuch X.
Ich habe in meinen Versuchen (intramuskuläre Injektion) dem¬
entsprechend auch das Blutserum deutlich hämolytisch gefunden
und Camus gibt in zweien seiner Glyzerinversuche ebenso das
Plasma als leicht rosa gefärbt an. Konnte der Blutzerfall nicht ein¬
fach durch Blutuntersuchungen während des Experiments bewiesen
werden? Ein am 11. April 1910 ausgeführter Versuch (IX) verlief
nicht eindeutig, da er mit zu geringen Glyzerin mengen ausgeführt
und nicht lang genug ausgedehnt worden war.
Anders Versuch XI, der zeigt, warum der Nachweis des Blut¬
zerfalls im großen direkt nicht gelingt.
1) Inauguraldissertation Zürich 1875 und Pflüger’s Archiv 11 p. 502.
2) Mikulicz, citiert nach Kunkel, Handbuch der Toxikologie p. 427.
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122
Meybb-Betz
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Versuch X u. XI. 17. Mai 1910.
Junger Rüde. 13 500 g. Morphiumäthernarkose.
9 h 20 —9 h 25 werden 200 ccm Aqu. destill. unter die Bauch- und
Rückenhaut injiziert.
10 h Die Injektionsflüssigkeit ist resorbiert; keine Hb-urie.
11 11 30 Hb nach Sahli 95 °/ 0 , Erythrocyten 4 700 000.
11 h 40 Urin noch immer normal.
11 h 50—ll h 55 100 ccm Qlyzerin mit Aqu. dest. ää in beide Ober¬
schenkel und linke Schulter injiziert. Es tritt nachträglich eise
enorme Schwellung der injizierten Partien ein. Fibrilles Zittern
der Muskelbündel, krampfhafte Bewegungen der Extremitäten.
12 h 25 Eintritt der Hämoglobinurie.
12 h 35 Urin dunkelrot, gleichzeitig außerordentlich starke Diurese, es
werden bis 1 h für je 5' 17 ccm Urin entleert, bis 1 h 30 je
20 ccm in 10 ', von da an ziemlich gleichmäßig 10 ccm pro 10 '.
1 h 20 Hb 105 °/ 0 , Erythrocyten 6 420 000.
3 h —3 h 15 werden nochmals 70 ccm Glyzerin und Aqu. dest. äi in
Brust und rechte Schulter injiziert. Mäßige Schwellung der in¬
jizierten Teile. Nach der Injektion stockt plötzlich die Irin-
ausscheidung.
3 h 20 Plasma stark rot gefärbt.
3 h 30 Hb 125 °/o* Erythrocyten 7 500000.
3 h 35—4 h Es wurden nur 3 ccm sehr dunkler Urin entleert. Von da
. an bis zum Schluß des Versuchs noch nicht 3 ccm!
5 h 30 Hb 120 °/ 0 Erythrocyten 7 530 000.
5 h 50 Serum stark rotgefärbt.
6 h Hund durch Chloroforminjektion ins Herz getötet.
Die Sektion zeigte wieder die enorme Durchtränkung und
Auslaugung der injizierten Muskeln. Das perimuskuläre Gewebe
ist in eine bis I / 2 cm dicke sulzige Masse verwandelt. Inner?
Organe hyperämiscb, Darm kontrahiert. Magen stark diktiert,
enthält große Mengen Flüssigkeit. Lange den Tod überdauernde
fibrilläre und allgemeine Zuckungen der injizierten Muskulatur.
Also: statt des erwarteten Blutzerfalls, eine diesen
weit paralysierende Bluteindickung! Der Versuch zeigt
außerdem noch deutlich die starke Glyzerindiurese, die aber
dann plötzlich eingestellt wird, wohl infolge einer durch das Gly¬
zerin gesetzten Nierenschädigung oder infolge der starken Blut-
eindiekung? Er zeigt aber auch, daß die Hämoglobinausscheidung
noch von anderen Faktoren als der Konzentration des gelösten
Hämoglobins im Blut abhängig ist. Würde dieses einfach, nachdem
die Organe, die es sonst zurückhalten, von ihm überfüllt sind,
aus den Nieren sozusagen in den Harn überlaufen, dann müßte
man auch Hämoglobinübertritt in die Galle erwarten. Ich hab?
Gck igle
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Ein mit Mnskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 123
Hb in zwei Versuchen (IX u. XI) in der Galle vermißt Camus
legt großen Wert auf die Beschaffenheit des Serums. Bei
der Haemoglobinuria muscularis wird die geringste Menge frei¬
gewordenen Hämoglobins sofort ausgeschieden, so daß es zu keiner
oder nur leichter Färbung des Serums kommt, während bei der
Haemoglobinuria globularis erst bei deutlich hämolytischem Serum
Hämoglobinurie eintreten kann, in meinen intramuskulären Glyzerin¬
versuchen war diese Färbung sehr deutlich.
Der Nachweis des Blutzerfalls bei intramusku¬
lärer Gl yzerininj ektion gelang einwandfrei auf einem
anderen Wege.
XII. Versuch. 4. Juni 1910.
Lux. 15000 g. llorphiumätheraarkose.
10 h —10 h 10 Intramuskuläre Injektion von 200 ccm Glyzerin -J- Aqu.
dest. ää in beide Unterextremitäten. Kurz danach setzte mächtige
Diurese ein.
10 h 25 Hämoglobinurie beginnt.
10 h 35 Tiefroter Harn.
11 h 15 Die vorher ziemlich reichliche Diurese stockt. Von nun an bis
zur Beendigung des Versuchs durch Tod des Tieres nur wenige
Kubikzentimeter Harn entleert. Vor Beginn der Injektion waren
aus dem Ohrvenenblut Ausstriche und frische Präparate zur Kon¬
trolle angefertigt worden.
11 h werden in die stark geschwollenen Extremitäten sterile Kanülen
eingestochen, aus denen eine rötlich gefärbte Flüssigkeit hervor¬
quillt. Dieselbe zeigte mikroskopisch hochgradig veränderte
Erythrocyten, sehr kleine stark geschrumpfte wie zerknitterte
Formen, Stechapfelformen, Erythrocytenschatten und -Detritus,
Daneben aber auch stark gequollene Blutkörperchen mit poikilo-
cytotischen Fortsätzen, kurz das Bild eines schweren Erythro-
cytenzerfalles.
Schwieriger war es, die Erythrocytenschädigung in den peri¬
pheren Gefäßen nachzuweisen. Der Grund liegt auf der Hand, in
dem rasch den Muskel durcheilenden Blutstrom bleibt schon die
große Mehrzahl der Erythrocyten vollkommen — wenigstens fürs
Auge — intakt und die schwerer veränderten Zellen werden auf
ihrem Weg immer wieder mit völlig Ungeschädigten vermischt oder
zerfallen gänzlich. Aus der Vena cruralis entnommene Proben
lieferten im Nativpräparat deshalb zunächst kein sicheres Resultat,
dagegen erschienen unzweifelhafte Degenerationsformen, nachdem
die Arteria femoralis für kurze Zeit abgeklemmt und dann ein
aus der Vene mit Glaskapillare entnommener Blutstropfen unter¬
sucht wurde. In den nach May gefärbten Ausstrichen zeigten sie
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124
Meykb-Bbtz
sich aber auch ohne diesen Kunstgriff als kaum gefärbte, verzerrte
und oft zu Häufchen zusammengeballte Schatten. In den im
späteren Verlauf des Versuchs gewonnenen Präparaten traten außer¬
dem kernhaltige Erythrocyten auf, die bei Durchmusterung der
vorher entnommenen Kontrollen nicht angetroffen worden, waren als
Beweis einer durch den Versuch gesetzten Knochenmarksreizung.
Meine Versuche beweisen somit, daß bei der Glyzerin¬
injektion (und das gleiche gilt, wenn auch in geringerem Maße,
von den Injektionen mit Aq. dest.) in den Muskel ein Zerfall
der ihn durcheilenden Erythrocyten stattfindet, es
muß demnach das freie während des Versuchs im Blut sich findende
Hämoglobin zum Teil Erythroeytenhämoglobin sein. Wie groß dieser
Anteil ist, ist mit Sicherheit nicht zu bestimmen, da eine voll¬
kommene quantitative Verfolgung des Versuchs unmöglich ist
Immerhin ergibt schon ein Überschlag, daß das Muskelhämo-
globin allein nicht zur Deckung der Hämoglobinans-
fuhr ausreichen kann. Setzt man nach Lehmann 1 ) den
Muskel = einer 2,2 °/ 0 Blutlösung (Wert des Rindsbiceps; für den
Hund existieren keine Bestimmungen), den Harn nach Versuch XI
= einer 3 °/ 0 Blutlösung und nimmt nach den Bestimmungen von
Camus an, daß die Hälfte des Muskelhämoglobins im Harn wieder
erscheint, so mußten, alles auf Muskelhämoglobin berechnet, in Ver¬
such VI bei ca. 150 ccm ausgeschiedenen Urins (131 ccm gesammelt)
1 ^ — 400 g Muskel vollkommen ausgelaugt sein, eine Zahl.
die für diesen Versuch (nur 30 ccm Glyzerin injiziert) sicher viel
zu hoch ist, da immer nur die direkt von der Injektion betroffenen
Muskeln Auslaugung zeigten und außerdem der Hund am 2. Tag
nach der Injektion wieder vollkommen über die injizierte Extremität
verfügte. Außerdem entzieht sich unserer Kenntnis, wieviel Ery-
throcytenhämoglobin in inneren Organen zur Ablagerung ge¬
kommen ist.
Die experimentelle Hämoglobinurie des Hundes
erweist sich demnach als eine Mischform von musku¬
lärer und globulärer Hämoglobinurie, sie ist nicht, wie
Camus meint, eine rein muskuläre. Es kann dann auch nicht die
Pferdehämoglobinurie ohne weiteren Beweis, als den der Analogie
mit dem 'Tierversuch, als Hämoglobinuria muscularis aufgefaßt
werden, wenn auch die Annahme, daß bei ihr Muskelhämoglobin
1 Zeitsebr. f. Biologie 45 p. 324 ff.
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Ein mit Mnskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 125
in großer Menge zur Ausschwemmung gelangt, durch Camus und
meine eigenen Versuche und die Sektionsbefunde (blasse Muskeln)
gut gestützt erscheint. Wahrscheinlich dürfte es sich bei ihr um
eine Kombination von Blutzerfall 1 ) und Muskelhäroo-
globinau stritt handeln und die gleichen Verhältnisse nehme
ich auch für den beschriebenen Fall an, ohne die Größe der Kom¬
ponenten gegeneinander abmessen zu können. Unmöglich er¬
scheint mir aber die Übertragung der Theorie der muskulären
Hämoglobinurie auf die paroxysmale Hämoglobinurie des Menschen.
Abkühlungs- und Landstein er’scher Versuch beweisen hier den
Blutzerfall, während Anhaltspunkte für einen Hämoglobinaustritt
aus den Muskeln nicht existieren, denn daß das Zittern im Par-
oxysmus, nach der Ansicht von Camus, bei dazu disponierten In¬
dividuen Muskelhämoglobin frei werden lasse, ist doch kaum wahr¬
scheinlich. Die Differenzen zwischen paroxysmaler und Pferde
hämoglobinurie sind außerdem, wie ich gezeigt habe, so große, daß
Analogieschlüsse von einer Krankheit auf die andere nicht erlaubt
erscheinen. Für den Fall P. M. bleibt dagegen der weitgehende
Vergleich mit der Pferdehämoglobinurie zutreffend.
Wie sich bei ihm in Wirklichkeit der Mechanismus darstellt,
kann nicht sicher gesagt werden. Am wahrscheinlichsten scheint
mir, daß Blut und Muskel die gleiche Noxe trifft, oder daß im
Muskel unter ihrem Einfluß autohämolytische Substanzen sich
bilden. Für erstere Annahme spricht besonders das gleichzeitige,
plötzliche Eintreten der Hämoglobinurie und der allgemeinen
Muskelschwäche. Über die Art der primären Noxe kann ich eine
bestimmte Ansicht nicht äußern. Anhaltspunkte für eine Lues
congenita fanden sich nicht. Einflüsse der Ernährung, ähnlich den
bei der Pferdehämoglobinurie in Betracht kommenden, scheinen
keine Rolle zu spielen.
Um sie zu studieren, wurde der Junge in der oben erwähnten
kritischen Zeit, in der er vor einem Anfall zu stehen schien, unter
ganz einseitige Ernährungsbedingungen gesetzt, aber weder
langdauernde Mehl-, Milchkost noch eine ausschließliche Eiwei߬
fettkost, die bis zu deutlicher Acidose fortgesetzt wurde (nach Bestim¬
mungen, die Herr Dr. 0. Neubauer auszuführen die Güte hatte,
wurden bis zu 0,227 g Aceton und 0,549 g Oxybuttersäure ausge¬
schieden !) brachten den erwarteten Anfall zum Ausbruch, noch zeigten
sie irgendwelchen anderen Einfluß auf den weiteren Verlauf.
1) Der auch aus dem oft starken Hämoglobingehalt des Serums der Tiere
erschlossen werden kann.
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126
Meyer-Betz
Unterlagen für die Wahrscheinlichkeit einer infektiösen Ätio¬
logie konnten ebensowenig gewonnen werden.
Vielleicht ermöglicht eine spätere Beobachtung, diese Lücke
meiner Untersuchung auszufüllen.
Ergebnisse.
Der vorliegende Fall ergibt:
1. Es gibt beim Menschen eine bisher noch nicht beschriebene
und anscheinend sehr seltene Erkrankung, die perakut mit einem
Hämoglobinurieanfall beginnend, zu einer schweren Muskelschädi¬
gung führt, deren Regeneration Wochen in Anspruch nimmt. Die
Erkrankung zeigt Neigung zu öfterer Wiederkehr.
2. Die Hämoglobinurie dieses Krankheitsfalles unterscheidet
sich von der paroxysmalen Hämoglobinurie e frigore in wesent¬
lichen Punkten: Abkühlungsversuche erzeugten keine Hämoglo¬
binurie, das für die paroxysmale Hämoglobinurie charakteristische
Hämolysin war nicht nachweisbar.
3. Die Muskelveränderungen zeigen während ihrer Rück¬
bildung große Ähnlichkeit mit dem klinischen Bild der Dystrophia
muscularis progressiva und zeichnen sich durch eigentümliche Reiz¬
kontrakturen aus.
4. Hämoglobinurie und Mnskeldegeneration stehen in innigem
Zusammenhang, wodurch die Erkrankung eine weitgehende Ver¬
gleichung mit der Pferdehämoglobinurie zuläßt.
5. Die Pferdehämoglobinurie und die menschliche paroxysmale
Hämoglobinurie e frigore zeigen dagegen unter sich Differenzen,
die eine gemeinsame Ätiologie unwahrscheinlich machen.
6. Die Ätiologie des beschriebenen Falles ist noch dunkel
Toxischer Muskelzerfall wie bei der Pferdehämoglobinurie ist mög¬
licherweise im Spiel, eine infektiöse Noxe ist nicht ausgeschlossen.
7. Experimentelle Untersuchungen bestätigten den von Camus
entdeckten leichten Übergang von Muskelsafthämoglobin in den
Harn nach intravenöser Injektion. Dagegen erscheint bei der ge¬
troffenen Versuchsanordnung der Schluß, daß dies eine besondere
Eigenschaft des Muskelhämoglobins sei, nicht bindend.
8. Der Erfolg der Versuche von Camus durch intramuskuläre
Injektion von Glyzerin und destilliertem Wasser Hämoglobinurie zu
erzeugen, beruht nicht allein auf der unter 7. angegebenen Eigen¬
schaft des Muskelhämoglobins, sondern auch auf einem durch die
Injektionsflüssigkeit verursachten Blutzerfall.
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Ein mit Muskellähmungen verbundener Fall von Hämoglobinurie. 127
9. Die auf diesen Versuchen beruhende Theorie der Hämo-
globinuria muscularis erfährt damit eine Einschränkung. Die Über¬
tragung dieser Lehre auf die paroxysmale Hämoglobinurie des
Mensehen erscheint nicht möglich. Für die Pferdehämoglobinurie
ist eine Kombination von Müskelhämoglobinaustritt und Blutzerfall
wahrscheinlich.
10. Für den vorliegenden Fall hat die Annahme einer Muskel
und Blut gleichermaßen treffenden Schädlichkeit die meiste Wahr¬
scheinlichkeit für sich. Die primäre Noxe ist unbekannt.
Nachtrag bei der Korrektur.
Ich habe am 15. September 1910 Gelegenheit gehabt, meinen
Patienten wieder zu untersuchen. Er ist zurzeit als kunstgewerb¬
licher Zeichner beschäftigt und gab an, er habe sich seit seiner
Entlassung vollkommen wohl gefühlt, fühle sich auch wesentlich
kräftiger als früher. Blutharnen oder Schwächeanfälle seien nicht
mehr eingetreten. Die Untersuchung ergab, daß P. M. zwar noch
immer schwächliche, aber gegen früher deutlich erstarkte Musku¬
latur zeigt. Muskelatrophien sind nirgends nachzuweisen. Sämt¬
liche Bewegungen werden in gehöriger Weise und mit leidlicher
Kraft ausgeführt. Beim sich Aufrichten, Aufstehen, Gehen, Treppen¬
steigen ist keinerlei Funktionsstörung zu bemerken, nur ist die
Kontraktur der rechten Achillessehne in gleichem Maße wie früher
vorhanden
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Aus dem Physiologischen Institut der Königl. Tierärztlichen
Hochschule zu Berlin.
(Direktor: Prof. Dr. Emil Abderhalden.)
Die Grundlage der Ad. Schmidt’schen Kernprobe.
Von
Dr. Friedrich Wilhelm Strauch.
(Mit ö Abbildungen.)
In letzter Zeit sind von verschiedenen Seiten zum Teil schwer¬
wiegende Bedenken gegen die Schmidt'sehe Kernprobe erhoben
worden. Die einen Autoren bezweifelten die physiologische Grund¬
lage, welche diese Probe zur Voraussetzung hat, andere erkannten
ihre diagnostische Brauchbarkeit nur bedingt oder für ein begrenz-
teres Gebiet von Darm(Pankreas)-Erkrankungen an, als dies von
Schmidt behauptet war. 1 )
Um eine Klärung dieser Frage herbeizuführen, erschien es an¬
gezeigt, nochmals das Fundament, auf dem die Schmidt’sehe
Pankreasfunktionsprüfung basiert, einer genauen Nachprüfung- zu
unterziehen.
Die Kernprobe wird klinisch folgendermaßen ausgeführt *): Die
Versuchsperson erhält an mehreren aufeinanderfolgenden Tagen
in Oblate ein in absolutem Alkohol gehärtetes Ochsenfleischstückchen
von */ 8 cm Seitenlänge, das in ein Gazebeutelchen eingehüllt und
1) Vgl. Th. Brugscb, Experimentelle Beiträge zur funktionellen Dann¬
diagnostik. Zeitschr. für experimentelle Pathologie und Therapie 6. Bd. 1909
p. 361. — Saar u. Th. Britgsch, Zur funktionellen Pankreasdiagnostik. Ge¬
sellschaft der Chariteärzte 28 Okt. 1909, Berliner klin. Wochensehr. 1910 Nr. 8
p. 368. — Th. Brugsch, Zur funktionellen Darmdiagnostik. Deutsche med.
Wochenschr. 1909 Nr. 52 p. 2307. — A. Hesse, Zur Bewertung der Schmidt-
seken Kernprobe. Zeitschr. für exper. Pathologie u. Therapie 7. Bd. 1909, p. 91.
— Ad. Schmidt, Erwiderung, ebenda 7. Bd. 1909 p. 263 (Literaturverzeichnis).
— C. Klieneberger, Diagnostik der Pankreaserkrankungen. Deutsche med.
Wochenschr. 1910 Nr. 14 p. 385. — K. Gläßner, Die Diagnose der Pankreas-
erkrankungen. Medizinische Klinik 1910 Nr. 29 p. 1123.
2) Ad. Schmidt u. J. Strasburger, Die Fäces des Menschen im nor¬
malen und kranken Zustande. 3. Aufl. 1910 p. 61.
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Die Grandlage der Ad. Schmidt’schen Kernprobe.
129
zuvor gut gewässert ist, zu schlucken. Dieses Säckchen wird in
den Fäces wieder aufgesucht, mit Wasser abgespült, mit Essigsäure
behandelt und darauf mit Methylenblau oder eingebettet, geschnitten
und mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt untersucht. Normalerweise
sind dann mikroskopisch keine Gewebskerne mehr nachweis¬
bar; Erhaltensein der Muskelkerne bei einer Darmpassage¬
zeit von 6—30 Stunden ist nach Schmidt im Sinne einer
funktionellen (Aufhebung der Pankreasdrüsensekre¬
tion) oder organischen Läsion des gesamten Bauch¬
speicheldrüsengewebes zu verwerten. Bei kürzerem oder
längerem Verweilen der Säckchen im Darmkanal als 6—30 Stunden
(bei Durchfällen, hochgradiger Obstipation, überhaupt Prozessen,
die mit Darmfäulnis einhergehen) sind die Resultate der Eernprobe
belanglos. Das Prinzip der Eernprobe besteht also darin, daß
Pankreassaft die Eerne der Muskelfasern auf lösen, während
Magensaft dieselben mikroskopisch nicht verändern soll
Mit gewisser Berechtigung war gegen alle bisherigen Unter¬
suchungen, die sich mit der Eernprobe beschäftigen, der Einwand
zu machen, daß nie mit reinen Verdauungssäften experimentiert
wurde, jedenfalls die Wirkung reinen Pankreassaftes (Trypsin) und
Darmsaftes (Erepsin) auf die Muskelzellkerne nie studiert worden
war. Die grundlegenden Beobachtungen Schmidt’s wurden mit
einer Pankreatinlösung (Dr. Grübler, Dresden), also einem
Handelspräparate, das neben Trypsinogen noch andere proteoly¬
tische Zellfermente enthielt, ausgefübrt; andererseits konnten be¬
reits im Jahre 1903 Schmidt und Wallenfang 1 ) dartun, daß
Fleischwürfel, die an drei Hunde, denen das Pankreas exstirpiert
worden war, verfüttert wurden, nach dem Passieren des Darmkanals
intakte Muskelkerne aufwiesen.
Dank der Liebenswürdigkeit des Herrn Prof. Abderhalden
war es mir möglich, mit reinen, vom Fistelhunde gewonnenen Ver¬
dauungssekreten, die von Herrn Privatdozenten Dr. Babkin
(Physiologisches Institut, St. Petersburg) freundlichst zur Verfügung
gestellt wurden, die Nachprüfung der Eernprobe vorzunehmen.
Nach gründlicher Wässerung wurden die in Alkohol auf be¬
wahrten Schmidt’schen Fleischwürfel der Einwirkung reinen
Magen-, Pankreas- und Darmsaftes im Brutschrank bei
1) K. Wallenfang, Über die Symptome der gestörten Funktion des Pan¬
kreas, mit besonderer Berücksichtigung neurer Versuche zur Prüfung derselben.
Inaug.-Diss. Bonn 1903.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. ßd. 9
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130
Strauch
37° ansgesetzt; eine nach 1, 2, 4, 6, 8, 12 nnd 24 Standen ent¬
nommene Probe des Fleischstfickchens wurde nach Färbung mit
Methylenblau resp. Häm atoxylin-Eosin mikroskopisch untersucht
Zunächst wollen wir auf die mit Magensaft angestellten
Versuche eingehen. Die bereits früher an nach Probefrübstöck
ausgehebertem Mageninhalt bei analoger Versuchsanordnung wie
der eben beschriebenen erhobenen Befunde, nach denen Pepsin¬
salzsäure die Gewebskerne mikroskopisch nicht wesentlich angreift 1 ),
fanden sich auch bei Benutzung reinen Magensaftes voll bestätigt
Nach etwa 12 Stunden war der Fleisch Würfel bis auf kleinste
Reste verdaut; dann gelang im Sediment (Zentrifugat) des Magen¬
saftes der Nachweis gut erhaltener und färbbarer, etwas verkleinerter
Muskelkerne, die größtenteils noch in Verbindung mit Muskelbrucb-
stücken — ein unbedingtes Postulat der Kernidentifizierung — ange-
troffen wurden.
Um dem Einwurf zu begegnen, das Ergebnis eines in dieser
Weise ausgeführten Reagenzglas versuches sei nicht ohne weiteres auf
die Verhältnisse in vivo zu übertragen, stellte ich analoge Versuche
am Magenfistelhunde an. Einem Hunde, dem nach halbtägigem
Hungern reichlich Fleischnahrung gereicht und des öfteren während
der Versuchszeit zur Anregung möglichst ausgiebiger Magensaft¬
sekretion Fleisch gezeigt wurde, führte ich gleichzeitig eine Anzahl
an Fäden befestigter Fleischsäckchen in seinen Magen ein und ent¬
nahm durchschnittlich alle 2 Stunden der Magenfistel ein Beutelchen,
das dann mikroskopiert wurde. Nach 9, selbst nach 12 Stunden
waren die Kerne der Muskelfasern deutlich, wenn auch etwas ver¬
mindert, in dem gallertig gequollenen Fleischwürfel nachweisbar,
ohne eine Strukturveränderung aufzuweisen; nach ca. 14 Stunden
war das Säckchen leer, oder die noch übrig gebliebenen spärlichen
Fleischpartikelchen wurden kernlos gefunden.
Die mit reinem Magensafte angesetzten Verdauungsversuche
lehren, daß Gewebskerne histologisch durch Pepsinsalzsäure
keine wesentliche Veränderung erleiden, wenn auch immerhin eine
chemische, mikroskopisch nicht zu zeigende Einwirkung aul
die Nucleoprote'ide im Magen stattfinden mag. Der Befund, daß
nach etwa 10 Stunden (unter normalen Verhältnissen ist der Magen
1) Ad. Schmidt, Die klinische Bedeutung der Ansscheidnng yon Fleisch¬
resten mit dem Stuhlgang. Deutsche med. Wochenschr. 1899 Nr. 49 p. 813. —
F. W. Strauch, Zur Bewertung der Ad. Schmidt’schen Kernprobe. Sind die Ge¬
webskerne im Magensaft löslich? Ebenda 1909 Nr.52 p. 2810. — A. Hesse, Noch¬
mals zur Bewertung der Schmidt’schen Kernprobe. Ebenda 1910 Nr. 3 p. 121.
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Die Grundlage der Ad. Schmidt’schen Kernprobe.
131
6—7 Stunden nach der Mahlzeit leer) in den peripheren Partien
des Fleischwürfels die Kerne aus den Sarkolemmschläuchen teil¬
weise herausgefallen sind (Nachweis derselben im Sediment),
vermag die Bewertung der Pankreasfunktionsprüfung nicht zu be¬
einträchtigen. Der springende Punkt ist eben der, daß dann im
Inneren des Fleischstückchens noch Kerne im Zusammenhänge mit
Muskelfasern gefunden werden. Aus unseren Beobachtungen geht
hervor, daß der normale wie der hyperacide 1 ) Magensaft zuerst
das Sarkolemm und dann die Kerne angreift *), ohne jedoch mikro¬
skopisch nachzuweisende Veränderungen an den letzteren zu setzen.
Bei exzessiver Hyperacidität sowie bei hochgradiger motorischer
Mageninsufficienz wird wohl zu erwarten sein, daß die Muskelfasern
relativ früher kernarm werden.
Im Reagenzglas erfolgte die Verdauung des Fleischwürfels
schneller als im Magen des Fistelhundes. Dies dürfte darauf zurück¬
zuführen sein, daß der klarfiltrierte Magensaft kaum Speichel ent¬
hielt, während der vom Fistelhunde reichlich verschluckte Speichel
zuerst ein gewisses Hindernis für die chemische Einwirkung des
Magendrüsensekretes auf die Nahrung abzugeben imstande war.
Ein auffallender Unterschied war zwischen den mit reinem
Pankreassaft ausgeführten und den bisher erörterten mit Magen¬
saft angestellten Verdauungsversuchen zu beobachten (vgL Ab¬
bildung 1—4, Methylenblaufarbungen p. 132).
Bereits nach 3—4 Stunden waren in den Randpartien der
Fleischwürfel, auf die Pankreassaft eingewirkt hatte, die Kerne
vermindert und morphologisch verändert, teils blasig gequollen,
teils unregelmäßig zackig konturiert und weniger gut färbbar; das
die einzelnen Muskelfasern umhüllende Sarkolemm war stellenweise
abgehoben, die Kontinuität der Muskelzellen hier und da durch
Einbuchtungen und Einrisse unterbrochen. Nach 6 Stunden war
die Zahl der Kerne noch mehr vermindert, sie waren beträchtlich
geschrumpft und kaum färbbar. Die Muskelfaserzeichnung war
verwaschen, an Stelle der Quer- und Längsstreifung eine körnige
detritusähnliehe Masse getreten. Nach etwa 8 Stunden waren alle
Kerne auch in der Mitte des makroskopisch etwas breiig-gequollenen
Fleischwülfels verschwunden, d. h. aufgelöst, denn es gelang nie
im Sediment der Nachweis von Kernen oder Kerntrümmern.
1) F. W. Strauch, a. a. 0. p. 2310.
2) A. Schittenhelm, Über die Umwandlung der Nahrungsnucleine im
Kagendarmkanal. Zentralbl. für die gesamte Physiologie u. Pathologie des Stoff¬
wechsels 1910 Bd. V p. 60.
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132
Strauch
Abbild. 1. Abbild. 2
Normale Muskelfaser. Fleischstückehen, auf das 6 Stunden
reiner Magensaft eingewirkt hat.
Abbild. 3. Abbild. 4.
Fleischstückchen, das 4 Std reinem Fleischstückchen. das6Std. reinem
Pankreas saft ausgesetzt war. Pankreassaft ausgesetzt war.
Wurden Fleischwürfel beispielsweise 3 Stunden dem Magen¬
saft ausgesetzt, so waren die dann deutlich vorhandenen Kerne
nach 1 1 / 9 —2stündiger Einwirkung von Pankreassaft vollständig
verdaut.
Ehe der einwandfreie Beweis von der Richtigkeit der Grund¬
lage der Kernprobe erbracht werden konnte, war es nötig, das
dritte im Verdauungstraktus vorkommende eiweißverdauende Fer¬
ment, das im Darm saft enthaltene Erepsin in seiner Wirkung
auf Zellkerne zu studieren.
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Die Grundlage der Ad. Schmidt’schen Kernprobe.
133
Zu diesem Zweck brachte ich analog wie in den früheren
Versuchen Fleisch Würfel in aus einer Ileumfistel stammenden Darm¬
saft und konstatierte, daß nach 24—36 Stunden die Struktur der
Muskelfasern (Zahl und Größe der Kerne etwas vermindert) fast dem
Bilde normaler Muskelzellen glich. Ferner zeigten nach 3 ständigem
Verweilen im Magensaft scharf konturierte Kerne, selbst nachdem
dieselben 12 Stunden lang Darmsaft ausgesetzt waren, keine Struk¬
turveränderung.
Endlich stellte ich die gleichen Versuche mit frisch berei¬
tetem Hundedarmpreßsaft an. Nach 24 Stunden zeigte die
mikroskopische Untersuchung des makroskopisch etwas gequollenen
Fleischwürfels verwaschene Quer- und Längsstreifung und eine
ziemlich ausgesprochene Körnelung der Muskelfasern; die Anzahl
der Kerne war beträchtlich vermindert, die Kerngröße ebenfalls
reduziert; es lagen also Bilder vor, die große Ähnlichkeit zeigten mit
den bei etwa nach 6 ständiger Pankreassafteinwirkung erhaltenen.
Einige unsere Beobachtungen ergänzende Versuche wurden
von Herrn Prof. E. London (Pathologisches Institut für experi¬
mentelle Medizin, St.-Petersburg), dem ich auch an dieser Stelle für sein
freundliches Entgegenkommen bestens danke, am Ueumfistelhunde,
dessen Pankreasausführungsgänge durchschnitten, und dessen Bauch¬
speichel nach außen abgeleitet worden war, angestellt. Die Ileum¬
fistel befand sich ca. 120 cm vom Cöcum entfernt. f)ie mit dem
Chymus nach 7 ständigem Verweilen im Darme zurückgewonnenen
Fleischstückchen enthielten noch deutlich Kerne; dagegen konnten
in dem nach 3 Tagen mit dem Kote entleerten Fleischwürfel
(minimale Reste) keine Kerne mehr nachgewiesen werden, eine
Beobachtung, wie wir sie beim Hunde mit normaler Pankreas-
funktion stets zu machen Gelegenheit hatten.
Was diesen Befund, der mit Wallenfang’s Untersuchungs¬
resultaten im Widerspruch steht, angeht, so ist zu betonen, daß
der Hund für diese Zwecke kein geeignetes Versuchstier ist, w£il
bei der Seltenheit des Absetzens der Fäces (wie hier nach 3
Tagen) auf die Gewebskerne einwirkende Darmfäulnisprozesse
nicht auszuschließen sind.
Über unsere Befunde im einzelnen gebe die folgende Zusammen¬
stellung Auskunft.
Die durchschnittliche Zahl der im Gesichtsfeld liegen¬
den Zellkerne [Einstellung von etwa 3—4 Muskelfasern: Ob¬
jektiv F, Okular I, Zeiß, Jena] wurde durch Zählung der Kerne
in ca. 10 Gesichtsfeldern ermittelt.
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134
Strauch
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/erhalten der Schniidt'sclien Fleischwürfel.
Die Grundlage der Ad. Schmidt’schen Kernprobe.
135
Die Kern größe (Längsdurchmesser) wurde mittels Objektiv F,
Messokular III, Zeiß, Jena, bestimmt. Es sind die meist ans 25 ge¬
messenen Kerngrößen erhaltenen Mittelwerte, die nur ungefähre
Vergleichswerte darstellen, angegeben (s. Tab. p. 134).
Um die prinzipielle Verschiedenheit der Einwirkung von Magen
(Pankreassaft) auf Gewebskerne zu demonstrieren, bedienten wir
uns kernhaltiger roter Blutkörperchen, und zwar verwendeten wir
frisches Hühnerblut. Die nach Abzentrifugieren des Serums
zweimal mit physiologischer CINa-Lösung (0,9 %) gewaschenen
roten Blutkörper wurden zu gleichen Teilen zu den betreffenden
Verdauungsfl&ssigkeiten zugesetzt und nach bestimmten Zeiträumen
ein Tropfen des bei 37° aufbewahrten Gemisches mikroskopiert.
Die folgende Tabelle (vgl. auch Abbildung 5a, b, c) orientiere
über die Versuchsresultate.
Versuchsflttssigkeit
Zeit
Makro- i
skopisch:
Mikroskopisch:
Morphologie
Zell-
gröfle
jZell-
; kern-
igröße
I. Bote Blutkörper-
bis |
normal 1
normal
ca.
ca.
chen
1 nach |
12 Std.
12/“
8 ft
II a. Rote Blntk. +
sofort
schmutzig-
Protoplasma aufgelöst:
Kerne geschrumpft; scharf
konturiert
1 _
ca.
Magensaft
bis
nach
braun
btt
12 Std.
II b. Rote Blutk. 4-
sofort
'
schmutzig-
analog wie bei Ila
_
ca.
verdttnnte HCl
bis
nach
12 Std.
braun
5 fi
|
III. Rote Blutk. +|
| nach
teilweise
Protoplasma etw. gebläht;
ca.
| ca.
Pankreassaft
j 1 Std.
hämolytisch
Kernkonturen unscharf;
beginnende Auflösung
12 f i
9 ff
n
nach
teilweise
Aufgelöst
—
—
! 2 Std.
i
hämolytisch
Abbild, öa. Abbild. 5 b. Abbild. 5 c.
Rote Blutkörperchen 6 Stunden in reinem 1 Stunde in reinem
(normal). Magensaft. Pankreassaft.
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136
Stkaüch, Die Grundlage der Ad. Schmidt’schen Kernprobe.
Das Ergebnis vorliegender Untersuchung fasse ich folgender¬
maßen zusammen:
1. Reiner Magensaft (Pepsinsalzsäure) läßt Gewebs-
kerne unverändert.
2. Reiner Pankreassaft (Trypsin) löst innerhalb 6—8
Stunden Zellkerne vollständig auf.
3. Reiner Darmsaft (Erepsin) wirkt nicht auf Zell¬
kerne ein.
4. Darmpreßsaft vermag Zellkerne (wenn auch lang¬
sam) zu lösen.
5. Die Richtigkeit derGrundlage der Schmidt’schen
Kernprobe ist somit bewiesen.
Berlin, den 1. August 1910.
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Aus der mediz. Universitätspoliklinik und der I. mediz. Abteilung
des Allerheiligen-Hospitals in Breslau (Prof. Dr. R. Stern).
Beiträge zur Frage der inneren Desinfektion.
i.
Über antiseptische Beeinflussung der Galle durch innere
Anwendung von Desinflcientien.
Von
Dr. A. Knick and Dr. J. Pringsheim.
Die Frage, ob es durch innere Darreichung geeigneter Medi¬
kamente gelingt, der Galle antiseptiscbe Wirkung zu verleihen,
ist praktisch und theoretisch von großem Interesse. Trotzdem ist
die Zahl der Arbeiten, welche eine experimentelle Grundlage für
die Lösung dieser Aufgabe zu schaffen suchen, nur klein.
Die ersten Experimente stammen von Vieillard 1 ) aus dem
Jahre 1895. Die Galle von Kaninchen, die mit verschiedenen
Medikamenten vorbehandelt waren, wurde mit Staphylokokken- resp.
Colikulturen versetzt. Mit dieser Mischung wurden Gelatineplatten
gegossen. In den Versuchen mit Sublimat, Salol und salicylsaurem
Natrium wuchsen nach Angabe des Verfassers die Staphylokokken-
kolonien auf den Gelatineplatten viel später und dürftiger als bei
den Kontrollversuchen, während Kalomel, Naphthol und einige
andere Medikamente keine Wirkung erkennen ließen. Auf Coli¬
kulturen wurde durch keines der Medikamente ein entwicklungs¬
hemmender Einfluß ausgeübt.
Analoge Untersuchungen an Menschen mit Gallenfisteln
stellte zuerst R. Stern 2 ) an. Die Versuchsanordnung war fol-
1) Vieillard, Etade comparative da pouvoir aatiseptiqae de la bile 4
l etat physiologique et sous l’inflaence des sabstances medicamentenses. Thfese
de Lyou 1895.
2) B. Stern, Über innere Desinfektion. Festschrift für Leyden, Bd.l, Berlin
1902. Über antiaeptische Beeinflussung von Galle nnd Ham durch innere An¬
wendung von Desinflcientien. Zeitschr. f. Hyg. n. Infektionskrankh. Bd. 59, 1908.
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138
Knick u. Pbinoshkim
gende: Die Galle wurde zunächst unbeeinflußt, dann nach mehr¬
tägigem Gebrauch der betreffenden Medikamente auf ihre bakte-
ricide Kraft gegenüber den in ihr enthaltenen Bakterien (Coli.
Proteus u. a.) untersucht. Zu diesem Zweck wurde ihr Keimgehalt
durch Aussaat auf Agarplatten bestimmt. Nachdem die Galle, vor
Verdunstung geschützt, verschieden lange Zeit — bis 24 Stan¬
den — im Brutschrank bei 37° gestanden hatte, wurde wiedenus
die Keimzahl in der gleichen Weise ermittelt Die ersten
1902 mitgeteilten Versuche mit Salol, salicylsaurem Natrium and
Aspirin ergaben ein negatives Resultat. Dagegen wurden in den
späteren Versuchen mit Menthol beachtenswerte positive Ergeb¬
nisse erzielt. I
Usener *) hat nach einem von Kuhn*) angegebenen Verfahren
(Versetzen der Galle mit Traubenzucker, Impfen mit Fäces, Ab¬
messen der sich beim Brutschrankaufenthalt entwickelnden Gas¬
menge) in zwei Fällen von operativ angelegten Gallenfisteln mit
Menthol, Aspirin und salicylsaurem Natrium positive Ergebnisse
im Sinne einer Entwicklungsverzögerung erhalten. Doch lassen
sich gegen die Methode Kuhn’s, wie Stern (1. c.) näher dar¬
gelegt hat, verschiedene Ein wände machen.
Über die antiseptische Kraft der Galle nach Einnahme von
Methylenblau hat Hamburger nach einer Mitteilung von Brauer*'
einen Desinfektionsversuch am Gallenfistelhunde angestellt, der
negativ ausfieL
Crowe 1 2 3 4 * ) gibt an, daß er in mehreren Fällen von infizierten
menschlichen Gallenfisteln durch mittelgroße Urotropindosen (täglich
4,5 g) teils ein starkes Zurückgehen der Keimzahl, teils völlige
Keimfreiheit der Galle erreicht habe.
Nach Abschluß unser Versuche erschien noch eine Mitteilang
von Eichler 6 ), nach der er in Versuchen am Gallenfistelhunde
nach der Kuhn’ sehen Methode mit Saliformin — einem Additions*
1) Usener, Experimentelle Beiträge zur inneren Desinfektion. Inaug-
Diss. Bonn 1904.
2) K n h n, Die Desinfektion der Gallenwege. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. LIH.
1904. — Ders., Desinfektion der Gallenwege und innere Antisepsis. Manch, med.
Wochenschr. 1904 Nr. 33.
3) Brauer, Über die Funktionen der Leber. Zeitschr. f. physiol. Chemie
Bd. 40, 1903.
4) Crowe, On the exeretion of Hexamethylentetramin (Urotropin) in the hilf
and pancreatic juice. Johns Hopkins Bull. Vol. XIX Nr. 206 April 1906.
ö) Eichler, Zur medikamentösen Therapie der Cholelithiasis. Therapie
der Gegenwart 1910 Heft 4.
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Antiseptische Beeinflussung der Galle etc. 139
prodakt von Salicylsäure und Urotropin — positive Resultate er¬
zielt hat
Die im folgenden mitzuteilenden Versuche sind an Hunden
angestellt, zum größeren Teile an Gallenfistelhunden, zum kleineren
ohne Anlegung einer Fistel (Entnahme der Galle aus der Blase
des getöteten Tieres). Es wurden mit Menthol und Mentholver¬
bindungen, Hexamethylentetramin (Urotropin), anhydro-
methylepzitronensaurem Hexamethylentetramin (Hel-
mitol), Methylenhippur&äure (Hippol), Salicylsäure und
salicylsaurem Natrium, Kalomel, Terpentinöl und
Methylenblau Versuche angestellt. Der Übergang dieser Me¬
dikamente in die Galle war bekannt außer beim Hippol, nach
dessen Darreichung wir Formaldehyd in der Galle nachweisen
konnten.
I. Versuche an Gallenfistelhunden.
Die Gallenfisteln wurden nach der Methode von Dastre ange¬
legt. 1 ) Von dem Endstück der Gallenfistelkanüle wurde eine aus
Gummischläuchen und Metallröhren zusammengesetzte Leitung bis unter
den Hals des Tieres geführt; hier wurde auf das Ende des Metallrohres
ein durch Kochen sterilisierter Gummiballon aufgebunden. Während der
Dauer eines Versuches wurde die ganze sezernierte Galle aufgefangen,
und zwar in der Weise, daß jeden Morgen gegen 10 Uhr und jeden
Abend gegen 6 Uhr der mit Galle gefüllte Ballon unter aseptischen
Kautelen abgenommen und durch einen anderen ersetzt wurde.
Mit jedem Medikament wurden Parallelversuche meist an zwei
Hunden angestellt.
Die Hunde waren 18—25 kg schwer. Sie ließen sich verschieden
lange Zeit zu den Versuchen verwenden, in einem Falle mehrere Monate,
meist nur wenige Wochen; dann fiel die Kanüle aus dem erweiterten
Fistelgange heraus.
Bei den Sektionen fand sich in allen Fällen eine Rötung und Schwel¬
lung der Gallenblasenschleimhaut, ferner eine mäßige Erweiterung der
Gallenwege sowie Hyperämie der Leber.
Die Galle war bei der Anlegung der Gallenflstel stets steril.
Aber meist schon nach dem ersten, spätestens nach dem zweiten
Ballonwechsel fanden sich zahlreiche Keime, meist Colibazillen.
Die antiseptische Kraft der Galle konnte auf zweierlei Weise
geprüft werden: einmal, indem ihre Wirkung auf die zufällig in
ihr enthaltenen Bakterien untersucht wurde, und dann, indem
1) Die Operationen wurden von Herrn Prof. Tietze und Herrn Oberarzt
Br ade ausgeführt, denen wir auch an dieser Stelle besten Dank aussprechen.
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140
Knick u. Pbingsheim
die Galle dnrch Filtrieren keimfrei gemacht und nachher mit einem
bestimmten Mikroorganismus — wir wählten hierzu den Typhus-
bazillus — geimpft wurde. Der letztere Weg hat den Vorteil
daß man vergleichbare Resultate erhält und daß der Typhusbazilins
wegen seiner geringeren Resistenz gegen Antiseptika einen emp¬
findlicheren Indikator abgibt als z. B. Colibazillen.
Die einzelnen Gallenportionen wurden durch ein Berkefeldfilter
filtriert und die sterile Galle mit einer 12 ständigen Typhusbouillon
kultur geimpft (die Menge der zugesetzten Kultur wurde meist so ge¬
wählt, daß 0,001 ccm der Galle auf Agarplatten eine zählbare Aus¬
saat ergab). Dann wurde nach verschieden langem Stehen im Brut¬
schrank bei 37 0 (meist 6—8 und 22—24 Stunden) der Keimgehalt
nochmals bestimmt.
Nur in den Fällen, in denen sich bei diesen Versuchen eine
Abnahme der Zahl der Typhusbazillen ergab, wurde auch ein
Desinfektionsversuch gegenüber den in der Galle selbst enthaltenen
Bakterien angestellt. Hierzu wurde die beim Wechseln des
Gummiballons aus der Kanüle abtropfende Galle benutzt.
Außerdem wurde die Galle, soweit einfache chemische Reaktionen
zur Verfügung standen, daraufhin untersucht, ob sie die ein¬
gegebenen Medikamente bzw. deren Spaltungsprodukte enthielt
ln unbeeinflußter Galle vermehrten sich beim Stehen im Brut¬
schrank sowohl die in der Galle enthaltenen Bakterien als auch
die zu der sterilen Galle zugesetzten Typhusbazillen, letztere so, daß
die Keimzahl in 0,001 ccm nach 24 ständigem Brutschrankaufent¬
halt unzählbar (°°) wurde.
1. Versuche mit Menthol und Menthol¬
verbindungen.
Am aussichtsreichsten schien im Hinblick auf die früheren
Versuche Stern’s die Verwendung von Menthol zu sein.
Es wurden mehreren Hunden 2 Tage lang je 4 g Menthol in
Kapseln oder in Öl gelöst mit der Magensonde gegeben. Die Dosis
entspricht etwa 0,2 g pro kg Körpergewicht.
In allen Fällen ließ sich Menthol und Glykuronsäure in der
Galle nachweisen.
Zum Nachweise des Menthols wurde eine geringe Menge Galle mit
einigen Tropfen konzentrierter Schwefelsäure erwärmt; es trat der
charakteristische Mentholgeruch auf. Zum Nachweise der Glykuronsäure
wurde die Galle nach Zusatz von etwas Schwefelsäure eine Stande
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142
Knick u. Pbingsheim
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am Rückflußkühler gekocht
und nach dem Erkalten fil¬
triert. Das Filtrat reduzierte
Fehling’sche Lösung und gab
die Orcinreaktion.
In dem ersten Versuche
(vgl. Tabelle I) trat eine
deutliche Entwicklungsver¬
zögerung der Typhusbazil¬
len ein. Die Beeinflussung
der in der Galle selbst ent¬
haltenen Bakterien war
nicht erheblich.
In dem zweiten Ver¬
suche (vgl. Tabelle II) wur¬
den die Typhusbazillen in
zwei Gallenportionen völlig
abgetötet, in zwei wei¬
teren stark in ihrer Ent¬
wicklung gehemmt. Die
Keimzahl der frisch sezer-
nierten Galle ging stark —
bis etwa auf ein Fünftel
ihres ursprünglichen Wertes
— herab, um nach dem Aus¬
setzen des Menthols wieder
anzusteigen.
Das beste Resultat
wurde in einem dritten Ver¬
suche (vgl. Tabelle III) er¬
zielt, bei dem nicht nur
eine Abtötung der Typhus¬
bazillen in mehreren Gallen¬
portionen, sondern auch eine
starke Entwicklungshem¬
mung und teilweise Abtö¬
tung der in der Galle ent¬
haltenen Bakterien, ein¬
trat.
Da Menthol vom Men¬
schen nur in Verhältnis¬
Versuch
mit
Typhus¬
bazillen
Versuch mit
den in der
Galle ent-
halteueu
Keimen
Keimzahli
in
0,001 ccm
nach j
Keimzahl]
in |
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Tabelle III. Hund von 18,0 kg Gewicht.
Antiseptische Beeinflussung der Galle etc.
143
mäßig geringen Mengen vertragen wird, andererseits die Verab¬
reichung möglichst großer Mentholdosen erwünscht war, wurden
einige Versuche mit Mentholestern angestellt; letztere werden,
wie Versuche am Menschen ergaben, in viel größeren Dosen als
reines Menthol (auf den Mentholprozentgehalt berechnet) gut ver¬
tragen. Indes haben die bisherigen Versuche zu keinem positiven
Resultate geführt, offenbar, weil zu wenig oder gar kein Menthol
in die Galle übergeht, wie der schwache oder negative Ausfall
der chemischen Untersuchung zeigte.
2. Versuche mit Formaldehyd Verbindungen.
Nächst dem Menthol schien das Hexamethylentetramin
(Urotropin) nach den Angaben in der Literatur die meisten Aus¬
sichten zu bieten. Die Resultate unserer Versuche waren jedoch
nicht günstig. Zwei Versuche — in dem einen erhielt ein
Hund von 18,4 kg 3 Tage lang je 8 g, in dem anderen ein Hund
von 24 kg 2 Tage lang je 12 g Urotropin — fielen negativ oder
im Sinne einer geringen Entwicklungsverzögerung aus. Auf eine
ausführliche Mitteilung der negativ ausgefallenen Versuche glauben
wir hier wie im folgenden verzichten zu dürfen.
Zum Nachweise des Urotropins wurde die BromwaBserprobe, die
Hehner’sche Probe und die Jorissen’sehe Probe teils in der Galle
selbst, teils im Dialysat derselben verwendet. Die ersten beiden Proben
fielen stets positiv, die letztere stets negativ oder zweifelhaft aus.
Ebenso wenig wirksam wie das Urotropin erwies sich das an-
hydromethylenzitronensaure Hexamethylentetramin
(Helmitol) in zwei Versuchen, in denen einem Hunde von 25 kg
Körpergewicht 3 Tage lang je 10 g täglich gegeben wurden.
Die Jorissen’ sehe Probe fiel auch hier negativ oder zweifel¬
haft aus.
Außerdem wurden Versuche mit Methylenhippursäure
(Hippol) gemacht, welches sich nach den Versuchen Stern’s (1. c.)
als Harndesinficienz bewährt hat und auch in großen Dosen gut
vertragen wird. Wie bereits erwähnt, wurde durch die Jo-
rissen’sche Probe die Anwesenheit von Formaldehyd in in der
Galle festgestellt. Im Desinfektionsversuche zeigte das Hippol eine
nicht unbeträchtliche Wirkung:
In einem Versuche (vgl. Tabelle IV) wurde durch Dar¬
reichung von 24 g Hippol im Laufe von 2 Tagen in 4 Gallen¬
portionen eine deutliche Entwicklungshemmung, in einer Portion
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Tabelle IV. Hund von 21,0 k« Gewicht.
Antiaeptische Beeinflussung der Galle etc.
145
eine Abtötung der Typhusbazillen erreicht. In einem zweiten Ver¬
suche (vgl. Tabelle V), bei dem 25 g Hippol im Laufe von 2 '/* Tage
gegeben wurden, war die Wirkung auf die Typhusbazillen eine
ähnliche; die in der Galle enthaltenen Bakterien zeigten in zwei
Portionen ebenfalls eine teilweise Abtötung.
3. Versuche mit gleichzeitiger Darreichung von
Menthol und Hippol.
In zwei Versuchen wurden Menthol und Hippol gleichzeitig
gegeben. Im ersten wurde nur die baktericide Kraft der Galle
gegenüber Typhusbazillen untersucht. Nach 6 g Menthol und 15 g
Hippol, die im Laufe von l'/ a Tagen verfüttert wurden, trat in
drei Gallenportionen eine völlige Abtötung bei einer ziemlich
großen Aussaat ein, während sich vor- und nachher eine wesent¬
lich geringere Aussaat in 24 Stunden bis ins Unendliche ver¬
mehrte (vgl. Tabelle VI).
Im zweiten Versuche, bei dem aus äußeren Gründen nur die
Tagesportionen der Galle aufgefangen werden konnten, fand sich eben¬
falls eine völlige Abtötung der Typhusbazillen in mehreren Portionen
und eine starke Entwicklunghemmung und teilweise Abtötung
der in der Galle enthaltenen Bakterien (vgl. Tabelle VII).
4. Versuche mit anderen Medikamenten.
Die Versuche mit Kalomel, SalicylVerbindungen,
Terpentinöl und Methylenblau fielen meist negativ aus.
Nur in einigen Versuchen trat eine geringe Entwicklungsver¬
zögerung ein; aber stärkere Entwicklungshemmung oder gar Ab¬
tötung der Bakterien wurde niemals beobachtet.
Von Kalomel wurden einem Hunde von 23 kg 0,75 g in 1 x / 2
Tagen, einem zweiten von 19 kg 1,0 g in 2 Tagen gegeben.
Von salicylsaurem Natrium erhielt ein Hund (22 kg)
15 g in l 1 /. Tagen, von Salicylsäure ein Hund (24 kg) 10 g
in 1, ein anderer Hund (19 kg) 14 g in 2 Tagen. In diesen Ver¬
suchen ließ sich die Salicylsäure im Ätherextrakt der Galle mit
der Eisenchloridprobe nachweisen.
Von Terpentinöl wurden zwei Hunden von 24 resp. 23 kg
Körpergewicht 3 Tage hindurch je 2,4 g gegeben.
In zwei Versuchen mit Methylenblau erhielten die 20 kg
schweren Hunde 3 g in 2, resp. 6 g in 3 Tagen. Die Galle war
in diesen Versuchen blaugrün gefärbt und enthielt größere Mengen
der Leukobase des Methylenblau.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 10
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Tabelle VI. Hund von 28,5 kg Gewicht.
Antiseptische Beeinflussung der Galle etc.
147
II. Versuche ohne Anlegung einer Gallenflstel.
Die Versuche an Gallenfistelhunden, die den großen Vorteil
kontinuierlicher Beobachtung bieten, haben andererseits gewisse
Nachteile:
Das Anlegen der Fistel und das ständige Tragen der Kanüle,
deren innere Platte auf der Gallenblasenschleimhaut reibt, führt
zu einer Schädigung der letzteren (vgl. oben die Sektionsbefunde).
So kann auch die möglicherweise bedeutungsvolle Ausscheidung von
Medikamenten durch die Gallenblasenschleimhaut Schaden leiden.
Vorläufig weiß man allerdings nur aus den Versuchen Crowe’s
(1. c.) — die wir, soweit sie die antiseptische Wirksamkeit des Uro¬
tropins in der Galle betreffen, nicht bestätigen konnten— daß
intravenös gegebenes Urotropin in weit größerer Menge durch die
Gallenblasenschleimhaut als durch die Leber ausgeschieden wird.
Ferner ist es möglich, daß mit der qualitativen und quanti¬
tativen Verschlechterung der Gallenabsonderung, wie sie beim
Gallenfistelhunde infolge der fehlenden Rückresorption der Galle
eintritt, auch die Ausscheidung von Medikamenten in ungünstigem
Sinne beeinflußt wird. Die Medikamente machen wahrscheinlich
einen ähnlichen Kreislauf durch wie die Gallenbestandteile und
würden dann beim normalen Tiere durch die vom Darm her er¬
folgende Rückresorption und die nochmalige Ausscheidung in die
Galle längere Zeit zur Wirkung kommen als beim Gallenfistel¬
hunde. Für Methylenblau hat Brauer (1. c.) einen derartigen
Kreislauf wahrscheinlich gemacht, indem er zeigte, daß bei Gallen¬
fistelhunden verfüttertes Methylenblau schneller aus dem Harn ver¬
schwindet als bei Tieren ohne Gallenfistel.
Wir machten daher auch Versuche in der Weise, daß Hunde
das zu prüfende Medikament erhielten und nach einer Zeit, zu der
man auf Grund der Versuche am Gallenfistelhunde das Maximum
der Wirkung erwarten konnte, getötet wurden. Wie bei den
Gallenfistelversuchen gaben wir sehr große Dosen. Diejenigen Me¬
dikamente, bei denen der Gallenfistelversuch negativ ausgefallen
war, wurden einige Tage lang verfüttert.
Mit der Galle, die aseptisch aus der Gallenblase entnommen
wurde und sich in allen Fällen bei der bakteriologischen Unter¬
suchung als steril erwies, wurde je ein Abtötungsversuch mit Typhus-
uud Colibazillen gemacht.
Die Resultate stimmten im wesentlichen mit den an den Gallen¬
fistelhunden gewonnenen überein:
10 *
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148
Knick u. Prinoshkim
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Menthol (s. Tabelle VIII u. IX) und Hip pol (s. Tabelle
XI u. XII) wirkten in je 2 Versuchen stark baktericid. Uro¬
tropin wirkte anch in großen Dosen nur entwicklungshemmend
(vgl. Tabelle XIII, Typhusbazillen); in einem Falle, in dem eine
ganz exorbitant große Dosis — 14 g innerhalb 19 Stunden einem
Hunde von 4,4 kg — gegeben wurde, zeigte das Urotropin bakte-
ricide Wirkung (vgl. Tabelle XIV).
Kalomel,Salicylsäure und Terpentinöl waren unwirk¬
sam. Beim Methylenblau war im Gegensatz zu den Gallen¬
fistelversuchen eine mäßige Entwicklungshemmung zu konstatieren
(s. Tabelle X).
Tabelle VIII. Hund. Gewicht 4,8 kg.
25. V. 09 10» a. m. 1,0 Menthol
3* p. m. 1,5 „
6* p. m. getötet
Versuch mit Typhnsbazillen
Colibazillen
Keimzahl in j
0,001 ccm nach )
f 0 Std.
6-8 Std.
{ 22-24 Std.
200 ! 130
23 steril
steril steril
Tabelle IX. Hund. Gewicht 3,8 kg.
25. V. 09 10** a. m. lg Menthol
6 h p m. 1 „ „
26. V. 09 10* a. m. 1 „
6 h p. m. 1 „ _
27. V. 09 10“ a. m. 1 „
4 h p. m. getötet
Versuch mit
Typhusbazillen
Colibazillen
Keimzahl in /
0,001 ccm nach | 22—24 Std. steril
1200
49
steril
Tabelle X. Hund. Gewicht 4,0 kg.
16. IV. 6 h p. m. 0,5 g Methylenblau
17. IV. 10 h a. m. 0.5 n
getötet
5 h p. m.
Versuch mit Typhusbazillen Colibazillen
0 Std.
0,001 ccm nach | 2 2-24 S Std.
Keimzahl in /
460
725
1050
700
1400
3000
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Antiseptische Beeinflussung der Galle etc.
149
Tabelle XI. Hund. Gewicht 4,6 kg.
17. IV. 09 9 h a. m. 10 g Hippol
4 h p. m. getötet
Versuch mit
Typhusbazillen
Colibazillen
Keimzahl in (
0,001 ccm nach ( 22—24 Std.
Tabelle XII. Hund.
1430
650
steril
Gewicht 3,
875
430
steril
7 kg.
17. IV. 09 9" a. m. 3 g Hippol
4 h p. m. getötet
Versnch mit Typhusbazillen
Colibazillen
Keimzahl in \ R
0,001 ccm nach j 22—24 Std
Tabelle XIII. Hund.
745 1200
480 | 725
90 | 300
Gewicht 3,9 kg.
17. IV. 09 9 h a. m. 3 g- Urotropin
4 h p. m. getötet
Versuch mit
Typhusbazillen
Colibazillen
Keimzahl in. ( cP 1
0,001 ccm nach j 22~24Std.
Tabelle XIV. Hund.
1000 I 625
750 ! 1200
10000 oo
Gewicht 4,4 kg.
26. V. 09 6 h p. m. 4 g Urotropin
27. V. 09 10 h a. m. 4 g
„ „ „ l h p. m. 6 g „
» » „ 7 b p. m. getötet
Versuch mit Typhusbazillen
Colibazillen
Keimzahl in ( I
0,001 ccm nach | 2^—24 Stil
1300 I
4 1
steril
3200
340
580
Das Ergebnis der hier mitgeteilten Versuche ist, daß beim
Hunde Menthol und Methylen hippursäure (Hippol) in
großen Dosen der Galle antiseptische Wirkung verleihen; in
noch größeren Dosen tut dies auch Urotropin. Die übrigen
von uns versuchten Mittel bewirkten — wenigstens in den ange¬
wandten Dosen — höchstens eine geringe Entwicklungsverzögerung;
meist zeigten sie gar keine erkennbare Wirkung.
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Aus der med. Klinik der Akademie für prakt. Medizin zu Düsseldorf
(Direktor: Prof. Dr. A. Hoffmann).
Uber die Einwirkung von eiweißartigen und Eiweißkörpern
auf die Gerinnbarkeit des Blntes.
Von
Dr. H. Grau,
Dirig. Arzt der Heilst&tte Honsdorf, früherem Assistenten der Klinik.
(Mit 3 Kurven.)
In einer früheren Mitteilung (1) habe ich kurz über einige Re¬
sultate berichtet, die ich bei der Prüfung der Wirkung der Gela¬
tine auf die Blutgerinnung erhielt. £s sollen im folgenden einige
weitere Versuche mitgeteilt werden, die sich an die erwähnten
Untersuchungen anschließen.
Auf eine ausführliche Wiedergabe der Literatur soll auch hier
verzichtet und nur das unumgänglich Notwendige erwähnt werden.
Versuche, die Gelatine lokal als blutstillendes Mittel zu verwenden,
sind von Carnot(2), Heymann(3), Bauermeister(4) u. a. ge¬
macht worden. Ein recht interessantes Experiment, dem Ver¬
ständnis der gerinnungsbefordernden Wirkung der Gelatiue näher¬
zukommen, verdanken wir S a c k u r (5). Er hat direkt unter dem
Mikroskop die Vorgänge beobachtet, die sich bei Zusatz einer
5°/ 0 igen Gelatinelösung zum Blute abspielen. Sackur verwandte
Blut, das mit physiologischer Kochsalzlösung verdünnt war. Er
beobachtete dann eine Konglutinierung der roten Blutkörperchen,
seine Bildung von Geldrollen, Schollen und Balken. Dabei verloren
die einzelnen roten Blutkörperchen ihre scharfe Begrenzung.
Sackur schloß aus seinen Versuchen, daß bei Zutritt von Gela¬
tine zum Blut eine Konglutinierung der Erythrocyten stattfindet
der größtenteils anscheinend ein Ineinanderfließen ihrer Leiber folgt
Später hat Kaposi (7) die Versuche wiederholt. Er verwandte
teilweise direkte Betrachtung eines Bluttropfens unter dem
Deckglase, teilweise benutzte er die Hollundermarkmethode von
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Einwirk, von eiweißartigen n. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blutes. 151
J. Arnold. Er sah bei Gelatinezusatz dieselben Bilder wieder,
die Sacknr beschrieben hat. Er sah die roten Blutkörperchen zu
mehr als ihrem doppelten Volumen aufquellen und ihre Zelleiber
bei der Aneinanderlagerung anscheinend größtenteils ineinander-
fließen. Diese Versuche mußten zunächst nachgeprüft werden.
Wie einige Vorversuche zeigten, war es nicht notwendig, die
Hollundermarkmethode zu verwenden, da die Betrachtung eines
hängenden Blutstropfens hinreichend gute Resultate lieferte. Vor¬
aussetzung ist nur, daß der Blutstropfen möglichst klein genommen
wird, damit er auch in seinem Zentrum noch gut durchsichtig
bleibt. Läßt man einen Blutstropfen und einen Gelatinetropfen
in dieser Weise zusammenfließen, so erhält man folgendes Bild:
Die Gelatine scheint sehr rasch den Blutstropfen zu durchdringen,
die Grenzen der einzelnen roten Blutkörperchen treten bald nicht
oder kaum mehr hervor. Statt der isolierten Zellen sieht man
nun große Mengen von ihnen zu bandartigen und zungenförmigen
Lappen zusammengelagert, die auffallend scharf konturierte Ränder
haben und eine auffallend dunkelrote Farbe aufweisen. Ihr Aus¬
sehen ist sehr homogen und kompakt. Rührt man die beiden
Tropfen gleich anfangs rasch mit der Platinöse durcheinander, so
erhält man nicht diese grobe balkige Struktur, sondern man sieht
das ganze Gesichtsfeld übersät mit einzelnen Gebilden, die teils
die Größe eines einzelnen roten Blutkörperchens nur wenig über¬
schreiten, teils länglich, teils von der Dicke mehrerer roter Blut¬
körperchen sind. Sieht man aber genauer zu, so erkennt man in
diesem Falle bei Veränderung der Einstellung genau, daß ein
solcher Klu&pen aus mehreren Blutkörperchen besteht, deren Kon¬
turen fast verwischt sind. Die Versuche wurden bei Zimmer¬
temperatur und mit dem heizbaren Objekttisch ausgeführt und
hatten innerhalb der in Betracht kommenden Temperaturgrenzen
die gleichen Resultate. Dabei war der Effekt bei Verwendung
10 °/ 0 iger Gelatine im ganzen derselbe wie wenn man 1 °/ 0 ige nahm,
nur stärker ausgesprochen.
Nach 4—6 Minuten wird ein solcher hängender Mischtropfen
immer dickflüssiger, offenbar weil die Gelatine erkaltet. Erwärmt
man dann das Präparat über 40 °, so wird die Gelatine sehr dünn¬
flüssig. Erwärmt man stärker, so treten plötzlich die Konturen
sämtlicher roten Blutkörperchen wieder hervor. Zeigte sich so
schon, daß es sich hier nicht um ein Ineinanderfließen der Zelleiber
handelte, so bewies das der folgende Versuch noch eklatanter:
Setzt man zu einem solchen Gelatinebluttropfen nach einigen
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152
Grau
Minuten einen Tropfen physiologischer Kochsalzlösung hinzu, so
tritt teilweise ohne weiteres, teilweise erst nach leisem Umröhren
mit der Platinöse eine vollständige Auflösung der Zellverbände
ein. Die roten Blutkörperchen zeigen wieder ihr völlig normales
Aussehen, sind genau so groß wie früher, scharf begrenzt und
bilden häufig jetzt erst die bekannten Stechapfelformen.
Es geht also aus diesen Versuchen hervor, daß durch die Ge¬
latine bei lokaler Anwendung kein Ineinanderfließen der roten
Blutkörperchen hervorgerufen wird, sondern in der Tat nur ein
grob mechanischer Vorgang, ein äußerliches Zusammenleimen ent¬
steht. Auf die Wertung dieses Vorganges soll später zurück¬
gekommen werden.
Gleichwohl mußten noch in weiteren Versuchen geprüft werden,
ob die Gelatine in vitro gerinnungsbefördernd wirkt. Es seien
hier zunächst einige Vorbemerkungen über die Methodik, der Ge¬
rinnungsbestimmung des Blutes gestattet.
Wenn man an Gerinnungsbestimmungen im Blute herangehen
will, so muß man zunächst den Begriff der Gerinnungszeit fixieren,
der in der Literatur verschieden gefaßt wird. Soll die Zeit bis
zum Beginn der Gerinnung, bis zur ersten Fibrinbildung in einem
bestimmten untersuchten Blutquantum oder aber die Zeit bis zur
Beendigung der Gerinnung als Gerinnungszeit (G.-Z.) registriert
werden? Dastre und Floresco(7) haben beide Zeitabschnitte
in ihren Versuchen bestimmt, nach ihnen Sackur und Gebele (8t
in derselben Weise. Bürcker (9) hat die Zeit bis zum Erscheinen
der ersten Fibrinfädchen als G.-Z. registriert. Der Gerinnungsakt
vollzieht sich erfahrungsgemäß nicht mit einem Schlage, sondern wird
zu einem bestimmten Zeitpunkte beginnend, nach und nach stärker.
Es ist daher von vornherein unbestreitbar, daß eine erhöhte Ge¬
rinnungsfähigkeit zunächst einmal in einem früheren Auftreten der
ersten Fibrinfäden zum Ausdruck kommen kann, zweitens in einer
Verkürzung des Ablaufes der Gerinnung. Wir konnten bei dem
Bürcker’schen Verfahren die Beobachtung machen, daß die Zeit
des Ablaufes der eigentlichen Gerinnung im ganzen gleich blieb
oder vielfach auch etwas verkürzt erschien. Die eigentlich in die
Augen springende Differenz aber zeigte sich in der Zeit, die von
der Blutentnahme bis zum Auftreten der ersten Fibrinfäden, also
bis zum merklichen Beginn der Gerinnung verlief. Wir haben
daher für praktisch wichtig nur die Frage gehalten, ob sich die
Zeit bis zum Auftreten der ersten Fibrinfäden gegen die Norm
ändert, und haben diese Zeit als Gerinnungszeit notiert.
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Ein wirk, von eiweißartigen n. Eiweißkörpern anf die Gerinnbarkeit des Blotes. 153
Fast sämtliche in der Literatur vorhandenen Methoden der Ge¬
rinnungsbestimmung haben ihre mehr oder weniger großen tech¬
nischen Schwierigkeiten und Bedenken. Dementsprchend sind
auch die Fehlergrenzen recht große.
Von den früheren Methoden erwähne ich die von Vi erordt (11),
von Wright (12) und die beiden Methoden von Brodie und
Kussel(13), endlich die von Sabrazös (14).
Eine weitere Methodik ist die, die Dastre und Floresco,
später auch Sackur, Gebele, Kaposi und Morawitz ver¬
wandt haben. Das aus dem Gefäße entnommene Blut wird dabei
in einer Menge von 2—3 ccm oder mehr in Reagensröhrchen auf¬
gefangen. Kaposi hat dabei wie seine Vorgänger, als Beginn
der Gerinnung den Moment bezeichnet, wo zunächst Fibrinbildung
im Gefäß sichtbar wird und als vollendete Gerinnung den Augenblick
notiert, wo man das Gefäß umkehren kann, ohne daß noch ein
Tropfen abfließt. Eine Verbesserung der Methodik war die Verwen¬
dung der feuchten Kammer mit konstanter Temperatur. Bei den
älteren Untersuchungen ist das enorm wichtige Moment der Tem¬
peraturkonstanz, die den Eintritt der Gerinnung beeinflussen konnte,
nicht genügend gewürdigt worden. Die Temperatur spielt eine ganz
hervorragende Rolle. Wir wissen aus den Versuchen von B ü r c k e r,
daß die Gerinnungsbestimmungen, die ohne Rücksicht auf die Außen¬
temperatur ausgeführt sind, nur sehr bedingten Wert haben. Bürcker
fand bei seiner Methodik, wenn er von einer mittleren Temperatur
von 18° um 5° nach oben und unten ging, Änderungen der Ge¬
rinnungszeit um 35 und 90 °/ 0 !
Man wird also bei der oben geschilderten Methodik nur dann
einwandsfreie Resultate bekommen, wenn man, wie es Morawitz(lö)
getan hat, die Blutröhrchen bei konstanter Temperatur in der feuchten
Kammer beobachtet. Der Brauchbarkeit dieser Methodik steht für
bestimmte Zwecke nur die verhältnismäßig große Blutmenge ent¬
gegen, die man zu ihrer Ausführung benötigt. Zu einer oft wieder¬
holten Kontrolle am Menschen, wie sie zu einem längeren Ge-
rinnungsversuche notwendig ist, ist die Methodik nicht zu ge¬
brauchen.
Wir haben daher in unseren Versuchen die Bürcker’sche
Methodik verwandt. Dabei wird bekanntlich ein Blutstropfen in
einem Tropfen destillierten Wassers aufgefangen, der bei konstanter
Temperatur gehalten wird. In diesem Gemisch wird alle halbe
Minuten auf beginnende Fibrinbildung gefahndet Bezüglich der
Originalmethodik darf ich auf die Arbeiten Bürcker’s verweisen.
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154
Gbau
Ich maß indes karz auf die möglichen Fehler der Methodik
und ihrer Vermeidung eingehen.
Wichtig ist in erster Linie peinliche Sauberkeit Wichtig ist
ferner, wie schon oben erwähnt wurde, vor allem die genaueste
Beachtung der Temperatur. Wir haben bei unseren Versuchen nur
solche Resultate verwertet, die bei einer Temperatur von 25° ge¬
wonnen sind. Unsere Versuche haben uns weiter überzeugt daß
die Größe des Wasser- und Bluttropfens nicht nur von erheb¬
licher, sondern geradezu von ausschlaggebender Bedeutung ist
Überwiegt der Blutstropfen um eine sichtbare Menge, sagen wir
um ein Drittel, so erhalten wir schon Verkürzungen der G.-Z. um
eine halbe Minute und mehr, und umgekehrt. Die Abschätzung der
Größe der Tropfen ist das schwierigste Moment bei der Erlernung
der Technik. Wirhabenauf die Mariotte’sche Einrichtung ver¬
zichtet und uns mit Erfolg einer kleinen Abänderung bedient die
zu empfehlen ist. Sie besteht darin, daß man den Blutstropfen
zuerst neben den Wassertropfen auf das Glas legt, so daß eine
rasche Abschätzung der Größe und eventuell noch eine Vergröße¬
rung des einen oder anderen Tropfens möglich ist Dann erst
werden die beiden Tropfen miteinander gemischt.
Die Methode ist nun in Wirklichkeit einfacher als es scheinen
möchte (vgl. Bürcker). Immerhin ist in der Tat eine große Zahl
von Bestimmungen erforderlich bis man die nötige Sicherheit er¬
worben hat. Als Versuchsfehlergrenze ist wie früher erwähnt
wurde, 1 j i Minute anzunehmen.
Die Gerinnungszeit des normalen Menschen, etwa 4% Minute,
ist meist über W'ochen hinaus konstant, in längeren Zeiträumen
können sich auch hier bei ein- und demselben Menschen beträcht¬
liche Unterschiede finden. Ich habe früher erwähnt, daß Tages¬
schwankungen beim normalen Menschen Vorkommen und daß die¬
selben vor allem in der Zeit nach den Hauptmahlzeiten auftreten.
Zwar werden diese Schwankungen von einigen Autoren geleugnet
(Hartmann) (16), ich kann mich aber auf Bürcker selbst als
Zeugen berufen. Man vergleiche seine Versuche vom 7. u. 8. Aug.
1908. Bürcker schloß daraus, daß ein Tagesminimum der G.-Z.
in den frühen Nachmittagsstunden vorhanden sei. Man sieht aber,
daß der zeitliche Zusammenhang mit der Nahrungsaufnahme ge¬
wahrt ist. Es handelt sich hier also um Schwankungen der Ge¬
rinnungsfähigkeit. die zweifellos von den Schwankungen der Zu¬
sammensetzung des Blutes abhängen, die bald nach der Nahrungs¬
aufnahme auftreten können.
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Einwirk, von eiweißartigen n. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blutes. 155
Es lag nahe, mit dieser Methode zunächst noch einmal die
Wirkung der Gelatine in vitro zu prüfen. Zu dem Zweck wurde
statt des Wassers Gelatinelösung in verschiedener Stärke zur Blut-
Verdünnung im Bürcker’schen Versuch verwendet.
Prot. Nr. 48. M., 11. April 1910, 9 h vorm.
G.-Z. bei Verdünnung mit Wasser (gewöhnliche Methodik) 5
Bei Verdünnung mit 1 °/ 0 Gelatine 4 1 / 9
. » » 5 % „ 4 »/*
b b n 10 °/o r> Ö
Prot. Nr. 52. H., 9. April 1910, 9 h 20 vorm.
G.-Z. bei Verdünnung mit Wasser 4 1 /, Min.
n n x 1 °/ 0 Gelatine 4 8 / 4 „
5°/ 4 1 /
V B B “ '0 B * 12 B
« B B 10 °/o „ 4 »/, „
Min.
n
r>
n
Das Resultat von 5 derartigen Versuchen war das gleiche
überall zeigte sich eine nur in den Fehlergrenzen der Methodik
liegende Änderung der Gerinnungszeit. Einige Versuche zeigten
übereinstimmend eine leichte Verkürzung bei Anwendung der 1 °/ 0
Gelatine, während bei Anwendung der 10 % die G.-Z. der gewöhn¬
lichen wieder gleichkam. Das wäre also ein paradoxes Verhalten,
das sicher nicht für eine Wirkung der Gelatine in vitro spräche.
Es kann vielmehr aus den vorstehenden Versuchen mit Sicherheit
der Schluß gezogen werden, daß in vitro der Gelatine sicher keine
gerinnungsbefördernde Wirkung zukommt. Bürcker fand eher
eine gerinnungsverzögernde Wirkung bei analogen Versuchen.
Die gewöhnliche Anwendungsform, die sich in der Medizin ein¬
gebürgert hat, ist die subkutane Injektion. Bei unseren Versuchen
wurde stets die 10°/ o Merck’sche Gelatine verwendet und zwar in
einer Menge von 25—40 ccm. Ich kann mich hier auf ein kurzes
Resume der anderwärts berichteten Versuche beschränken. In
allen, außer einem Fall, zeigte sich nach der subkutanen Injektion
eine charakteristische Veränderung der G.-Z. Nach einigen Stunden,
etwa 2—4, beginn die G.-Z. zu sinken und zwar allmählich fort¬
schreitend bis zu einem Maximum, das im Durchschnitt etwa
10 Stunden nach der Injektion lag. Die Verfolgung des ganzen
Verlaufes stößt auf Schwierigkeiten, weil, wenn man früh morgens
injiziert, die Höhe des Effekts abends gegen 4 oder 5 Uhr vor¬
handen ist. Man muß schon abends spät injizieren, um den ganzen
folgenden Tag über den Verlauf verfolgen zu können. Man kann
dann feststellen, daß die ganze Wirkungszeit etwa 14—18 Stunden
beträgt. Dem langsamen Abnehmen der G.-Z. folgt nämlich weiterhin,
Difitized
bv Google
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156
Ghau
nachdem das Maximum überschritten ist, ein ebenso langsames Zu¬
nehmen. Injiziert man morgens um 8 Uhr, so ist gewöhnlich am
folgenden Morgen die G.-Z. wieder völlig normal. Der Grad der
Verkürzung beträgt bis zu 85°/ 0 . Abhängig ist er auf der einen
Seite von der Menge der verwendeten Gelatine.
Auf der anderen Seite, und das ist der wichtigste Punkt, ist
die Höhe der Veränderung von dem Individuum abhängig. Es zeigt
sich durchaus nicht in allen Fällen bei Verwendung der gleichen
Menge auch der gleiche Effekt. Einige Protokolle mögen das be¬
weisen. Es ist im folgenden in der 2. Kolonne die zur Zeit der
Bestimmung gemessene Temperatur angegeben.
Prot. Nr. 39. Sch., Blasenpolypen, schwere Blutung, Anämie.
G.-Z. Temp.
9. März 1910, 5 h nachm. 3 1 / 3 Min. 36,9
10. März 8 h vorm. „ 36,4
8,15 h 25 ccm Gel. steril Merck am rechten Oberschenkel subkutan.
12 h
3 Min.
36,9
3,45 h
3 „
37,3
6 h
3 „
37,5
Man sieht hier nur einen innerhalb der Fehlergrenzen liegenden
Effekt, der sich allerdings über den ganzen Tag erstreckt. Man
vergleiche damit das folgende Bild. (Es sei noch erwähnt, daß die
Vorversuche nicht immer in derselben regelmäßigen Weise gemacht
werden konnten, da es sich um Fälle von Hämoptoe handelte.)
Prot. Nr. 53. N., Lungentuberkulose, Hämoptoe. 15. April 1910
8,45 h vorm. Gel. 25 ccm
subkutan.
G.-Z.
Temp.
9 h 4
% 474, 47*
Min.
36,2
ll h
47 4
r
36,6
l h
37*
n
37,4
4 h
2,2
n
38,0
4,45 h
1
»
38,7
5,45 h
17*, iV 4
*
38,7
6,30 h
27*- 2*/;
n
38,0
16. April 1910 ll,40 h
4
w
37,6
5,40 h
4
V
38,0
Versucht man, sich über die Verschiedenheit der Wirkung
Rechenschaft zu geben, so findet man, daß der Effekt im allge¬
meinen um so intensiver ist je stärker die Reaktions¬
erscheinungen sind, die nach der Gelatineinjektion auftreten. Es
ist ja genügend bekannt, daß die Gelatineeinspritzung eine Reihe
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Ein wirk, von eiweißartigen n. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blutes. 157
von mehr oder weniger unangenehmen Begleiterscheinungen mit
sich bringt: Fieber, ev. bis über 40°, allgemeine Mattigkeit,
Schmerzen in den Gliedern, Schmerzen und Ödem an der Einstich¬
stelle, Kopfschmerz, Pulsbeschleunigung, motorische Unruhe und
periphere Böte. Diese Erscheinungen sind in dem einen Fall mehr,
im anderen weniger ausgesprochen. Sie fehlten in unseren Fällen
niemals ganz. Es zeigte sich nun, daß der Gerinnungseffekt bis zu
einem gewissen Grade mit diesen Reaktionserscheinungen parallel
ging. Ein Beispiel dafür mögen die oben gegebenen Protokolle
sein. Am besten läßt sich dieser Parallelismus in der Kurve ver¬
folgen.
Prot. Nr. 35. Lungentuberkulose, Hämoptoe. 23. März 1910.
Kurve 1.
29TC1 301V
Soja 10. 12*4 * ja 5 ja 6» 7 jo 8jo 12»
39o
5 5
38 4
5 3
37 2
5 1
36 0
Gerade diese Kurve zeigt deutlich das Parallelgehen der
erwähnten Erscheinungen. Die Gerinnungsfähigkeit war hier un¬
verändert bis mittags l h . Der Temperaturanstieg erfolgte dann
plötzlich und ebenso plötzlich der Gerinnungssturz. Damit ist
aber nicht gesagt, daß nur dort ein Gerinnungseffekt eintritt, wo
die Temperatur stark ansteigt.
Prot. Nr. 54. £., Ischias. 6. Mai 1910.
G.-Z. Temp.
7,15 h vorm. 47 2 Min. 36,6
8,00 h 25 ccm Gel. subkutan.
10 h 4 1 ' 2 „ 36,5
12 h 4, 4 „ 36,8
2“ 2 8 / 4 , 2 % 3 „ 37,3
4 h 2% 2 1 /, „ 37,3
6 h 27„ 2 : 7 4 * 37,3
Beweist schon dieses Protokoll, daß nicht absolut hohes Fieber
zum Zustandekommen eines deutlichen Effektes nötig ist, so mußte
doch noch der Einwand entkräftet werden, daß das Fieber an und
für sich Erhöhung der Gerinnungsfähigkeit macht.
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158
Gbad
Prot. Nr. 62. E., Progresse Lungentuberkulose. 27. April 1910.
G.-Z.
Temp.
9 h
5 Min.
38,5
ll,20 h
n »
38,4
l h
47 « ■
38,7
3 h
4'/« „
38,9
5*
5
38,7
7*
4,4 „
38,7
Ans diesem Protokoll geht schon hervor, daß mit der Fieber-
steigerung an für sich eine Erhöhung der Gerinnungsfähigkeit nicht
verbunden zu sein braucht. Hartmann, der der Frage seine Auf¬
merksamkeit zuwandte, kommt auch zu dem Schlüsse, daß Fieber
ohne Einfluß auf die Gerinnungsfähigkeit ist.
Indes ist noch eins zu beachten. In dem Bürcker’schen Apparat
wird die Gerinnungsbestimmung stets bei 25* ansgeführt. Selbst
wenn das Blut also 40° hat, ist doch der entnommene Tropfen
zweifellos nach ganz kurzer Zeit auf die Temperatur des Thermo¬
staten, 25 0 gebracht. Nun wäre ein Einfluß des Fiebers in doppeltem
Sinne möglich: Einmal so, daß gleichzeitig biologische Veränderungen
im Blute durch die Fieberursache hervorgerufen wären, die zu
einer Verkürzung der G.-Z. führen. Eine solche kann also nach
unseren Versuchen wenigstens kein allgemein gültiges Gesetz sein
Zweitens aher wäre ein Einfluß insofern möglich, als die höhere
Temperatur rein physikalisch die Gerinnungsfähigkeit erhöhen
könnte. Um zu sehen, ob derartige Veränderungen unter dem
Temperatureinfluß etwa typisch vorhanden sind, wurden einige
orientierende Versuche mit dem Bürcker’schen Apparat ausgeführt
Prot.
Nr. 63. Sch., 1. Mai
1910.
G.-Z.
Temp. des Apparates
25°
4V 4 Min.
W f* 77
27°
37*, 3 7 , „
Prot.
Nr. 64. R., 1. Juli 1910.
G.-Z.
Temp. des Apparates
25°
37«. 3%, 37, Min.
r» ft n
27°
3, t*
Also schon eine Erhöhung der Thermostatentemperatnr um
2 Grad bewirkt eine erhebliche Verkürzung der Gerinnungszeit
Es wurden dann die Differenzen untersucht, die sich bei Anwendung
der Temperaturen von 37° und 40° finden.
Prot. Nr. 72. 8t., 20. Mai 1910. G-Z
Temp. des Apparates 25° 4 Min.
* * * 37 » 2 \ „
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Einwirk, von eiweißartigen u. Eiweißkörpern anf die Gerinnbarkeit des Blutes. 159
Prot. Nr. 73. R., 21. Uai 1910. G-Z
Temp. des Apparates 25 0 4, 4*/ 4 Min.
„ „ „ 37° 2 1 / t , 2 „
40 ° 18 /
» n n 1 /4 »
Daraus geht hervor, daß sich innerhalb der in Betracht
kommenden Breiten ein zwar geringer, aber doch sicherer Einfluß
der Temperatur auf die G.Z. in vitro nach weisen läßt. Es fragt
sich freilich, ob man die Resultate auf das zirkulierende Blut über¬
tragen darf, aber es steht dem eigentlich nichts im Wege und wir
dürfen deshalb wohl annehmen, daß das Blut im Fieber tat¬
sächlich eine physikalisch bedingte, etwas erhöhte
Neigung zur Gerinnung hat.
Zur Erklärung der oben geschilderten Gelatinewirkungen
kommt diese Erhöhung der Gerinnungsfähigkeit nicht in Betracht.
Es bleibt demnach nur übrig anzunehmen, daß wir es hier mit
biologischen Veränderungen desBlutes zu tun haben,
die mit der Gelatinereaktion verknüpft sind. Da wir
diese Reaktionserscheinungen als ein Abwehrphä¬
nomen des Organismus gegen die Einführung art¬
fremder eiweißähnlicher Substanzen auffassen
müssen, so ist damit die Annahme gegeben, die Ge¬
rinnungsänderung mit dieser Antieiweißreaktion zu
verknüpfen.
Es ist hier der Ort, einen kurzen Rückblick auf die bisher in
der Literatur niedergelegten experimentellen Ergebnisse der Ge¬
latineuntersuchung zu werfen. Morawitz sagt über dieses Ka¬
pitel in seinem großen Referat über die Chemie der Blutgerinnung:
„In der Tat gibt es nun aber auf dem ganzen Gebiete der Ge¬
rinnungslehre keine Frage, über die die Ansichten auch heute
noch weiter auseinander gehen als gerade die Frage der Gelatine¬
wirkung“. Wirklich sind die Ergebnisse der Forschung in dieser
Hinsicht nicht einheitlich gewesen.
Die ersten Versuchsergebnisse, in denen eine Gerinnungsbeför-
derung durch Gelatine hervortritt, sind die von Gebele. Aber
ihr Fehler ist die Unsicherheit der Methodik, die Vermischung
zweier verschiedener Faktoren, der Gelatinewirkung und der Ein¬
wirkung der Blutentnahme, die an und für sich die Gerinnbarkeit
desBlutes erhöht. Boggd(17) sah in einer Reihe von Kaninchen-
versnchen (6/ eine ausgesprochene Abnahme der G.-Z. auf Gela¬
tineinjektion, die nach 1 Stunde begann und nach 12—24 Stunden
die niedrigsten Werte erreichte. Leider ließen sich diese Resultate
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bei weiteren Versuchen nicht wieder erzielen. Die Versuche von
Sackur haben ein einwandsfreies Ergebnis nicht gehabt und die
von Kaposi sind in einem wesentlichen Teil von Landmann (18
widerlegt worden.
Die wichtigsten Arbeiten sind die von Brat (19) und Moll (201
Beide konnten einwandsfrei eine Globulinverraehrung nach der Ge¬
latineinjektion im Blutserum des Versuchstieres feststellen, hatten
also ein typisches Ergebnis im Sinne eines positiven Gelatine¬
effektes. Ich komme darauf später in anderem Zusammenhänge
ausführlich zurück.
Kehren wir nach dieser Abschweifung auf die Geschichte der
Gelatineforschung zu unseren Versuchen zurück, so war in unseren
Fällen auffallend, daß die Gerinnungsveränderungen ihrem Grade
nach in einer gewissen Abhängigkeit von dem Krankheitszustande
des Individuums zu stehen schienen, soweit bei der bisher beschränkten
Zahl unserer Gelatineversuche ein Urteil darüber möglich ist
Unsere Fälle sind mit Ausnahme von zweien Tuberkulöse in
verschiedenen Stadien. Von den beiden klinisch Nicht-tuberkulösen
hat der eine eine Maximaltemperatur von 37,5 und eine maximale
Gerinnungsverkürzung von V» Minute erreicht, während der andere
eine Maximaltemperatur von 37,3 und eine Gerinnungsverkürzung
von 2 Minuten aufwies. Die anderen Fälle, die Tuberkulosen,
zeigten durchweg erhebliche Temperatursteigerungen (vgl. obige
Protokolle). Auch die Gerinnungseffekte waren meist erheblich
höher. Das Material ist ja leider klein und konnte aus äußeren
Gründen nicht genügend vergrößert werden. Soweit sich nach
dieser geringen Zahl ein Urteil fällen läßt, war die Reaktion auf
die Gelatineinjektion dem Stadium der Tuberkulose proportional
zwar nicht dem Stadium im Sinne der anatomischen Einteilung,
sondern dem Stadium im Sinne des Grades der Tuberkulinempfind¬
lichkeit. Zweifellos gaben die auffallendsten Ausschläge, sowohl
in bezug auf die Temperatur und Allgemeinreaktion, als in bezug
auf die Gerinnungsfähigkeit die Tuberkulosen, die an und für sich
schon fieberhaft oder subfebril waren.
Eine Erklärung dieser Tatsache ist auf doppelte Weise mög¬
lich. Einmal wissen wir ja, daß der fiebernde Organismus auf
Zuführung eines anderen fiebererregenden Agens erheblich stärker
reagiert, als unter gleichen Verhältnissen ein völlig gesunder Or¬
ganismus zu tun pflegt. Krehl(21) hat schon vor langer Zeit
den Nachweis geführt, daß die mannigfachste Beeinflussung des
tierischen Organismus denselben empfindlicher macht gegen Ein-
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Einwirk, von eiweißartigen u. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blutes. 161
Wirkungen auf seine Temperaturregulierung. Als Beispiel aus der
menschlichen Pathologie seien die interessanten Befunde angeführt,
die man bei Frauen mit ausgesprochener menstrueller Temperatur¬
welle erheben kann. Solche weibliche Wesen, die eine latente In¬
fektion irgendwelcher Art, sei es eine rheumatische Infektion
oder eine Tuberkulose, im Körper beherbergen, zeigen vielfach
einen eigentümlich wellenförmigen Temperaturverlauf. Kurz nach
den Menses ist die Temperatur völlig normal, erhebt sich dann
allmählich, bis sie kurz vor den nächsten Menses den höchsten
Wert, eine ausgesprochene Subfebrilität erreicht (Turban, Rie-
bold). Man kann nun oft die Beobachtung machen, daß solche
Frauen, wenn sie gerade kurz vor den Menses einen Schnupfen,
eine Angina, eine Aufregung durchmachen, unter Umständen hohes
Fieber bekommen, während dasselbe Ereignis fast spurlos vorüber¬
geht, wenn es gerade in die Periode des Tiefstandes des Wärme¬
niveaus hineinfällt. Mit der Schärfe eines Experimentes kann man
diese Beobachtung gelegentlich bei Tuberkulininjektionen machen.
Es wäre also möglich auf diese Weise die höhere Reaktion der
subfebrilen oder fiebernden Tuberkulosen auf Gelatineinjektion zu
erklären. Es ist aber noch eine zweite Erklärung denkbar.
Wir wissen aus den Untersuchungen von Matth es (22), daß
die Albumosen eine Wirkung auf den tuberkulösen Organismus
ausüben, die mit der spezifischen Tuberkulinwirkung ganz parallel
zu stellen und eigentlich nur durch die ungeheuren quantitativen
Differenzen von ihr wesentlich verschieden ist. Matthes machte
die außerordentlich interessante Entdeckung, daß man mit Deutero-
albumose bei tuberkulösen Meerschweinchen und in gleicher Weise
hei tuberkulösen Menschen Reaktionen auslösen kann, die in ihrem
ganzen Wesen und Verlauf — Allgemein- und Herdreaktion — ganz
der Tuberkulinwirkung entsprechen. Matthes schloß daraus, daß
die Tuberkulin Wirkung wenigstens zum Teil eine Wirkung von
Albumosen sei. Bewiesen war jedenfalls durch die Matthes’schen
Untersuchungen, daß zwischen den Produkten von Tuberkelbazillen,
die auf den Körper toxisch wirken, und den injizierten Albumosen
eine gewisse Wirkungsgleichheit oder Verwandtschaft besteht.
Nun ist ja die Gelatine keine Albumose, aber sie steht den Al¬
bumosen doch sehr nahe. Sie gehört zu den sog. Albuminoiden, Stoffen,
die im Tierkörper wohl aus Eiweiß entstehen, auch bei der Spal¬
tung mit Säure teilweise dieselben Spaltungsprodukte liefern, wie
die Eiweißkörper. Es lag also immerhin der Gedanke nahe, die
Gelatinewirkung bei ausgesprochen tuberkulösen Individuen mit
Deutsches Archiv f. kiin. Medizin. 101 . fid. 11
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der Tuberkulinwirkung in Parallele zu stellen. War dieser Ge¬
danke richtig, so mußte eventuell auch unter der Tuberkulin-
Wirkung eine Veränderung der Gerinnungsfähigkeit des Blutes zn-
stande kommen.
Tuberkulinversuche.
Die Methodik der Untersuchung war dieselbe, die bei den
Gelatineversuchen befolgt wurde. Es wurde zunächst die Ge¬
rinnungszeit bei den Patienten an einem oder mehreren Tagen
festgestellt, dann Tuberkulin injiziert. Es zeigte sich zunächst,
um das vorwegzunehmen, daß irgendeine akute Beeinflussung der
Gerinnungsfähigkeit in keinem Falle auftrat. Es mußten also
auch hier die Untersuchungen auf einen längeren Zeitraum er¬
streckt und speziell der Zeit des Eintritts der Reaktion die Auf¬
merksamkeit zugewandt werden.
Protokoll Nr. 81.
Th., Tuberculosis pulm. ine.
G.-Z.
Temp. Rektal.
10 .
Juni
9,40 h
4 Min.
36,9
5,55»
4 „
36,9
12 .
Juni
11,50 h
4 *
36,5
12 .
Juni abends 6 h Tuberkulin Kocb alt 0,001 subkutan. 1 )
13.
Juni
9,30 h
3 Min.
36,7
11,50 h
3? 3 n
36,8
2 h
3 *
36,7
5,30 h
n -
37,5
8,10 h
2 1 /*, 3 „
38,6
14.
Juni
9 h
2 Vs *
38,8
15.
Juni
12 h
4 n
37,8
Wie man sieht,
ist eine Veränderung der
Gerinnungszeit nach-
weisbar, die auch hier in deutlicher Weise mit der Temperatur¬
änderung parallel geht.
Prot. Nr. 46. W., Lungentuberkulose.
Kurve 2.
3 : tl \y tfv cvtv
1) Der Patient war mit 0,0002 g reaktionslos injiziert.
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Ein wirk, von eiweißartigen u. Eiweißkörpern anf die Gerinnbarkeit des Blntes. 163
Die Veränderung der Gerinnungszeit, ihre Verkürzung, ist aber
durchaus nicht an das Zustandekommen einer fieberhaften Tempe¬
raturreaktion gebunden. Wir fanden sie in vielen Fällen auch
dann, wenn die Temperatur normal war, wenn keine sichere subjek¬
tive, oder lokale Reaktion über der Lunge zustande kam.
Prot. Nr. 82. P., Tb. pulm. inc., fieberlos.
G.-Z. • Temp. Rektal.
12. Juni.
7,40 h
5 Min.
36,9
12. Juni abends
Tuberkulin 0,0002 subkutan.
13. Juni
10 h
3l /2> 3V. Min -
37,1
5,40 h
3 Vt »
36,9
16. Juni
9 11
4 1 /, „
37,2
16. Juni abends
6 h Tuberkulin 0,0002 subkutan.
17. Juni
9 h
3 % 3 7* Min.
37,4
11,50 h
3% *
37,2
4 h
3'/, .
37,3
6 h
3 7« .
37,3
18. Juni
9,40 h
47. .
37,2
20 . Juni
9,15 h
4 7, .
37,2
In mehreren Fällen war der einzige Ausdruck der positiven
Reaktion eine leichte Stichreaktion an der Injektionsstelle. Trotz¬
dem war gleichzeitig eine deutliche Beeinflussung der Gerinnungs¬
fähigkeit vorhanden.
Im ganzen stehen mir 18 Tuberkulinversuche zur Verfügung.
Die Ergebnisse sind im einzelnen folgende:
Tuberknlinreaktion im
weitesten Sinne
(Jerinnungsreaktion
+
+
Ziahl der ralie
13
4
1
0
Die überwiegende Mehrzahl gab also einen deutlichen Ge¬
rinnungseffekt. Die gleichzeitig vorhandene Tuberkulinreaktion
war dabei, wie erwähnt, meist gering. Nur 2 Fälle überschritten
die Temperatur von 38". Im übrigen beschränkten sich die Er¬
scheinungen meist auf eine subjektive Reaktion oder geringe Stich¬
reaktion, ohne daß überhaupt eine Temperatursteigerung vorhanden
war. Die Höhe des Gerinnungsetfektes ist verschieden. Die höchsten
Werte wurden in den beiden Fällen mit den größten Temperatur¬
ausschlägen erreicht. 1. Protokoll Nr. 46 W. G.-Z. 5V a und 3 1 /* Min.
Temperaturanstieg von 36,0 auf 38,8°. 2. Protokoll Nr. 81 Th.
G.-Z. 4 auf 2 1 /, Min. Temperaturanstieg von 36,5 auf 38,7°. Es ist
danach mit Wahrscheinlichkeit anzunehmen, claß bei hohen Aus-
li*
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Gbau
KM
w:hlägen der Temperatur, wie sie bei excessiven Tuberkulinreak-
lIonen zustande kommen, auch eine Gerinnungsänderung entsteht,
die dem Gelatineeffekt nahe kommt.
Bei den übrigen Versuchen mit geringen oder ohne Temperatur¬
ausschläge betrug die Steigerung im Mittel etwa 1 bis höchstens
l 1 /, Min., mehrfach lag sie auch im Bereiche der Fehlergrenzen
(*/, Min.) und gewann nur durch ihre Dauer und zeitliche Anord¬
nung einen gewissen Wert. Die Dauer der Gerinnungsreaktion
schwankte im einzelnen. In allen Fällen, in denen abends injiziert
wurde, war der Beginn der Veränderung stets am anderen Morgen
nachweisbar, die Höhe gewöhnlich am anderen Nachmittag. Am
übernächsten Tage war dann die G.-Z. wieder normal. In den
Fällen, wo eine starke Reaktion auftrat, erstreckte sich die Ge¬
rinnungsveränderung auch über längere Zeit, so bei dem ge¬
nannten Fall Th. Prot. Nr. 81. Hier wurde kurz vor dem Ab¬
klingen der Temperatur die G.-Z. wieder normal, die Änderung
verlief also über mindestens 24—30 Stunden.
Ein Wort noch über die Dosen Tuberkulin, die zur Auslösung
eines Gerinnungseffektes notwendig waren. Es ist da interessant
die 4 Fälle zu betrachten, in denen eine Gerinnungsreaktion nach
Tuberkulin nicht zustande kam. Der Fall J., Prot Nr. 26, reagierte
auf die 1. Injektion von 0,0002 T. nicht mit einer Gerinnungs¬
änderung. Auf die 2. Dosis von 0,0005 T. war die Reaktion auch
in der Gerinnung positiv. Der Fall Th. zeigte auf die 1. Injektion
von 0,0002 T. keinen Effekt, während auf die 2. Injektion von
0,001 T. eine sehr deutliche Gerinnungsveränderung zutage trat
Die beiden anderen negativen Fälle wurden nur einmal injiziert
und zwar der eine Fall mit 0,0002 T., der andere mit 0,0004 T.
Man wird wohl nicht fehl gehen anzunehmen, daß die Frage des
positiven Gerinnungseffektes nur durch die Höhe der eingespritzten
Dosis resp. das Verhältnis zwischen Dosis und Reaktionsfähigkeit
des Organismus, mit anderen Worten durch die Reaktionsgrenze
gegeben ist. Ich gebe im folgenden eine Tabelle der 6 Fälle, die
mehrfach injiziert wurden.
W., 30 J. alt.
Tb. pulm. inc.
6 . Juni.
T. 0,0002.
Ger.-Reaktion
7. Juni.
Stiebreaktion.
+•
Prot. Nr. 79.
Keine
T.-Steigerung.
4 8 / 4 auf 3'/, Min.
9. Juni.
T. 0.0005.
Ger.-Reaktion
10 . Juni.
Stichreaktion.
+•
4 1 / 4 auf 3 1 /, Min.
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Ginwirk, von eiweißartigen n. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blntes. 165
P., 33 J. alt. 12. Jnni. T. 0,0002. Ger.-Reaktion
Tb. pulm. inc. 13. Jnni. Bnbj. Reakt.
Prot. Nr. 82. 5 auf 3V 2 Min.
16. Jnni. T. 0,0002. Ger.-Reaktion -f-.
17. Juni. Temp. um 0,3 erhöbt. 4 '/ 2 auf 3% Min.
Lokalreakt. a. d. Lunge.
P., 25 J. alt. 22. Juni. T. 0,0002 morgens.
Tb. pulm. inc. 22. Juni. Abends Temp. um
Prot. Nr. 82 u. 87. 0,4 0 erhöht. Stichreakt.
26. Juni. T. 0,0002. Sub¬
jektive und Stichreaktion.
Ger.-Reaktion -|-.
4»/, auf 3 »/, Min.
Ger.-Reaktion -{-
5 auf 3*/ 4 Min.
Th., 30 J. alt.
Tb. pulm. inc.
Prot. Nr. 81.
9. Juni. T. 0,0002.
10. Juni. Stichreakt.
12. Juni. 0,001.
13. Juni. Temp. bis 38,6
14. Juni. Temp. bis 38,7
Ger.-Reaktion 0.
Ger.-Reaktion -f-
4 auf 2 x / 2 Min.
E. J., 26 Jahre, 6. April. T. 0,0002. Ger.-Reaktion 0.
Bronchopneumonie, 7. April. Temp. um 0,4 erhöht.
Tb.-Verdacht.
Prot. Nr. 45 u. 56.
11. April. T. 0,0005. Ger.-Reaktion
12. April. Temp. um0,4erhöht. 4 auf 3 ] / a Min.
B. B., Tb. pulm. inc. 6. Juni. T. 0,0002.
7. Juni. Stickreaktion.
9. Juni. T. 0,0005.
10. Juni. Stichreaktion.
Ger.-Reaktion -}-
4 */, auf 3 l / 4 Min.
Ger.-Reaktion -j-
4»/, auf 3 Vs Min.
Es erhebt sich die wichtige Frage, ob auch der auf die Tuber¬
kulininjektion nicht reagierende Organismus einen Gerinnungseffekt
gibt. Wir verfügen bis jetzt über keinen Fall, der bis zu den höch¬
sten Dosen Tuberkulin (0,01) negativ gewesen wäre. Die Ent¬
scheidung dieser Frage muß weiteren Untersuchungen Vorbehalten
bleiben.
Zusammenfassend konnten wir demnach feststellen, daß die
Einspritzung von Bakterieneiweiß im Körper in ähn¬
licher Weise eine Gerinnungsänderung hervorrief,
wie es die Einführung der eiweißartigen Gelatine
tut. Das gemeinsame Merkmal, die gemeinsame Be¬
dingung der Wirkung ist bei beiden Stoffen eine ge¬
wisse Reaktion, die im Organismus durch die Injek¬
tion hervorgerufen wird.
Eine Durchprüfung weiterer Eiweißkörper steht noch aus.
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166
Gbaü
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Dagegen wurde weiter die Frage geprüft, ob diese Eiwei߬
wirkung an die parenterale Zufuhr geknüpft, oder auch durch
die Resorption vom Verdauungstraktus aus zu erzielen sek
An uud für sich erschien es ja möglich, daß die Wirkung vom
Digestionstraktus aus bei entsprechender Quantität dieselbe war.
wie bei subkutaner Zufuhr. Wir wissen ja auch vom Tuberkulin,
daß wir damit bei Tuberkulösen per os typische Reaktionen aus-
lösen können (Löwenstein, Huß), allerdings bei viel höherer
Dosis.
Prot. Nr. 86. T.,
Tb.
pulm. inc.
G.-Z.
24. Juni 1910.
10“ vorm.
4 Min.
4 h nachm.
4‘/ 2 „
25. Juni 1910.
7 h vorm.
80 g Plasmon.
8,40“ vorm. 4 1 /, „
11,40“
4
4 h nachm.
b 8 / 4 ■
7,40“
4
Eine gewisse Senkung der Kurve
ist deutlich. Da aber
immerhin der Effekt
nicht wesentlich
über die Fehlergrenzen
hinausging, wurde weiterhin eine größere Eiweißmenge verabfolgt.
Prot. Nr. 92. R.,
Tb.
pulm. inc.
G.-Z.
5. Juli 1910.
5 h nachm.
4 1 /* Min.
6. Juli 1910.
7 h vorm. 50
g Plasmon.
8V
4 1 /
* / 4 ”
12“
47*, 5 „
4“
37* „
6“
3 % 37, „
8 “
3 74 „
8. Juli 1910.
6,10“ vorm.
4747. ,
9. Juli 1910.
6,25 “
47* *
12“
47*. 5 „
4“
5
6“
47* „
Hier sieht man also das Bild einer normalen Tageskurve der
G.-Z. (9. Juli) neben der Kurve des Plasmontages (6. Juli). Der
Effekt ist ein zweifelloser.
Die gleichen Versuche waren mit Gelatine auszufuhren. Es
war auch hier von vornherein selbstverständlich, daß man mit
großen Dosen Vorgehen mußte, ungleich größeren als sie subkutan
verwendet wurden. Die Gelatine w r urde zu diesem Zweck in einer
Menge von 10—15 g gegeben. Die Aufnahme einer derartig großen
Gck igle
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Eiuwirk. von eiweißartigen u. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blutes. 167
Menge macht durchaus keine Schwierigkeiten, wenn man die Ge¬
latine in Form von Wein- oder Fruchtgelee verabreicht. Man
kann dann die ganze Menge in einer großen Tasse flüssig (warm)
verabfolgen, oder aber sie in Puddingform nach dem Erkalten
essen lassen. Die Versuche wurden ebenso wie die Plasmon ver¬
suche so vorgenommen, daß das Individuum früh nüchtern um
7 Uhr die Versuchsmenge erhielt, dann erst von 11 Uhr an die
gewohnte Nahrung weiter bekam.
Prot. Nr. 85. Z.,
Tb. pulm. inc.
G.-Z.
20. Juni 1910.
6 h nachm.
4 1 /, Min.
21. Juni 1910.
6 h nachm.
41,'
^ ! 2 »
22. Juni 1910.
7 h vorm. 10 g
Gelatine innerlich.
9 h
4 % Min.
11.35 h
4 J/
^ / 0 r>
4 h naclun.
4 4
•x. ^ v
5.50 h
ri ui;
•■> 2 * ü 0 r>
7,25 h
3% *
23. Juni 1910.
8,25 h vorm.
Do, 4 : > i4 „
1 l,35 h
4«
^ n »
4 h
4 1 /
i 2 r»
5,50 h
4 1
2 »?
Man sieht auch hier wieder einen deutlichen Effekt im Sinne
einer GerinnungsWirkung, wie der Vergleich des freien Tages
(23. Juni) mit der Kurve des Versuchstages (22. Juni) beweist.
Prot. Nr. 98. H.,
Tb. pulm. inc.
G.-Z.
18. Juli 1910.
6,10 h vorm.
4 Min.
1 h mittags
41
^ , 2 *
4 h nachm.
4
9 h
4
10 h nachm. 15 g
Gelatine als Weiugelce.
19. Juni 1910.
6,10 h
3 1 '. 2 , 3 1 , Min.
12,15 h
3 1 .; „
4 h nachm.
Ol 1
“ 0 r
5 h
2 :{
0 h
3
8 h
3 „
20. Juli 1910.
6 h vorm.
41 0 *
4 h
4 ‘ *
8 h
4
Hier war also die Gelatine abends 10 Uhr verabreicht. Per
Effekt war am anderen Morgen 6 Uhr deutlich und erstreckt sich
über den ganzen Tag.
Es zeigte sich also, daß auch die Zufuhr von Gelatine
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168
Graü
ebenso wie von einem anderen Eiweißkörper (Plas¬
mon) auf dem Wege der Verdauung zu einem typischen
Gerinnungseffekt führte, wenn die Stoffe in genügender
Menge verwandt wurden. Auf die praktische Würdigung dieser Tat¬
sache soll später zurückgekommen werden. Im übrigen liefern die
Versuche der stomachalen Zufuhr einen weiteren Beweis für die
Richtigkeit der Vermutung, daß die Einführung körperfremder ei¬
weißartiger Stoffe in weiterem Sinne zur Veränderung der Ge¬
rinnungsfähigkeit des Blutes führt.
Die Literatur enthält eine ganze Reihe von Beobachtungen
die sich diesen Befunden anreihen lassen. Daß die Einspritzung
gewisser Eiweißkörper die Gerinnbarkeit des Blutes beeinflußt
hat wohl als erster Schmidt-Mülheim (23) beobachtet. Er
fand unter Ludwig, daß eine intravenöse Injektion von Witte-
Pepton in einer Menge von 0,3—0,6 pro kg beim Hunde eine Auf¬
hebung der Gerinnbarkeit des Blutes verursacht, die bis zu
7a Stunde, ja öfters 1 Stunde nach der Einspritzung anhält. Eis
bleibt also Blut, das innerhalb der ersten 30 oder 60 Min. nach
der Peptoninjektion entnommen ist, außerhalb des Körpers längere
Zeit, oft tagelang ungerinnbar. Eine große Reihe von Nachunter¬
suchern haben dann die Resultate Schmidt’s geprüft (Fano(24),
Politzer (25) u. a.). Es stellte sich weiter heraus, daß die Beob¬
achtungen in vollem Umfange ihre Bestätigung fanden. Die ver¬
schiedenen Tierarten zeigten gegenüber der Peptoninjektion ein
verschiedenes Verhalten. Die Versuche, eine bestimmte Gruppe
aus den Bestandteilen des Peptons herauszuschälen, die für die
Gerinnungswirkung verantwortlich zu machen wäre, waren zu¬
nächst nicht von vollem Erfolge gekrönt.
Wichtig war der Befund der Peptonimmuni tät (Schmidt-
Mülheim-Fano). Nach dem Abklingen der Wirkung der 1.
Peptoninjektion vergeht eine ganze Zeit, ca. 24 Stunden, während
deren das Tier gegen eine erneute Peptoninjektion immun ist
Spiro (26) und Ellinger wiesen nach, daß für die Erklärung
der Peptonimmunität die Erschöpfungstheorie von Fano nicht
ausreicht und setzten an ihre Stelle den Gedanken der Bildung
eines Körpers, der gegenüber dem ursprünglichen Hemmungskörper
des Peptons antagonistisch wirkt und allmählich diesem gegenüber
die Oberhand gewinnt. Für außerordentlich wichtig halte ich an
ihren Untersuchungen die Bemerkung, daß eine vollkommene Ana¬
logie der Peptonwirkung mit der Wirkung von Bakteriengiften be¬
steht. Hier wie dort finden sich natürlich immune Tiere, ferner
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Einwirk, von eiweißartigen n. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blotes. 169
künstlich giftfest gemachte Tiere, hier wie dort ein im Blutserum
vorhandener, auf andere Tiere übertragbarer Antikörper gegen den
Hemmungsstoff. Vollkommen verständlich ist die typische ge¬
rinnungshemmende Wirkung auf das Blut noch nicht. Morawitz
nimmt ein Fehlen des Fibrinferments und außerdem die Anwesen¬
heit eines gerinnungshemmenden Körpers, eines Antithrombins an.
Von späteren Autoren interessiert uns vor allem Brat. Er
verwandte bei seinen Versuchen Pepton, Gelatine, Gluton, Anti¬
pepton, Trypton und Somatose. Er führte die Substanzen durch
intravenöse Injektion dem Tiere zu und glaubt bewiesen zu haben,
daß ein Antagonismus zwischen Gelatine und Pepton durchaus
nicht existiert. Nach ihm ist die Wirkung der Gelatine qualitativ
durchaus identisch mit der Pepton Wirkung. Es gelang ihm bei
intravenöser Anwendung hoher Dosen Gelatine, einwandfrei eine
Verlängerung der G.-Z. bei seinen Versuchstieren zu erzielen.
Andererseits aber gelang es mit Hilfe der geprüften Eiwei߬
körper, an der Stelle vorheriger Intimaläsion eines Gefäßes viel
umfangreichere Thromben zu erzeugen als bei nicht behandelten
Tieren. Außer acht gelassen ist dabei ein wichtiger Punkt, die
Frage der Anwendungsweise. Dagegen hat die Frage der quan¬
titativen Verhältnisse hier zum ersten Male ihre verdiente Be¬
achtung gefunden. Brat zog aus seinen Versuchen den allerdings
auf indirekte Weise (nach der Beobachtung der Sedimentierungs-
geschwindigkeit der roten Blutkörperchen, Biernacky (27)) ge¬
wonnenen Schluß, daß nach Eiweißinjektion die Globuline im Serum
vermehrt sind, besonders die, die bei der Blutgerinnung in Be¬
tracht kommen.
Die wichtigste Arbeit für unsere vorliegende Frage ist die
von Moll. Er hat systematisch mit Eiweißkörpern verschiedener
Art subkutan Tiere injiziert. Es zeigte sich, daß solche Tiere in
ihrem spontan geronnenen Blut einen • viel festeren Blutkuchen
hatten, als nicht vorbehandelte. Weiter stellte er fest, daß Tiere,
die mit subkutanen Injektionen von Eiweißkörpern vorbehandelt
waren, das gemeinsame und ganz gesetzmäßige Phänomen der
Globulinvermehrung bei gleichbleibendem Gesamteiweißgehalt des
Serums zeigten. Als Eiweißkörper wurden verwendet: Pferde¬
serum, einzelne, rein dargestellte Eiweißkörper dieses Serums,
Kaninchenserum, Ziegenserum, Eieralbumin, Milch, Wittepepton.
Nun ergaben quantitative Messungen, die nach der von R e y e (25)
in Hofmeister’s Laboratorium ausgearbeiteten Methode vor¬
genommen wurden, daß nach Einspritzung von Eiweißkörpern und
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im Verlauf der Immunisierung das Fibrinogen gegen die Norm
an Menge zunimmt. Am stärksten ausgesprochen war diese Zunahme
nach subkutanen Gelatine injektionen. Die Fibrinogen Vermehrung
stand dabei anscheinend im direkten Verhältnis zu der resorbierten
Gelatinemenge. Erst frühstens 12 Stunden nach der Einverlei¬
bung der Gelatine trat diese Fibrinogenvermehrung auf, bzw. war
sie nachweisbar. Sie entsprach in ihrem Maximum etwa dem
2 fachen der ursprünglichen Fibrinogenmenge. Gelatinezufuhr per
os bewirkte niemals Fibrinogenvermehrung.
Aus der neuesten Zeit sind vor allem die Untersuchungen von
Biedl und Kraus (29) erwähnenswert. Diese Autoren erzielten
bei ihren experimentellen Studien über Anaphylaxie durch
Reinjektion von Eiweiß den charakteristischen anaphylaktischen
Kollaps. Als dessen typische Zeichen beschrieben sie neben der
tiefen Senkung des arteriellen Blutdrucks und der passiven Über¬
tragbarkeit ein drittes, bis dahin nicht beobachtetes Symptom,
nämlich die nach der Reinjektion auftretende starke Herab¬
setzung oder völlige Aufhebung der Gerinnbarkeit
des Blutes. Das Blut, daß solchen Tieren im anaphylaktischen
Kollaps entnommen ist, bleibt stunden- und tagelang ungeronnen
Die beiden Autoren machen dann auch wieder auf die weitgehende
Analogie des anaphylaktischen Kollapses mit der Peptonvergiftung
aufmerksam. Auch hier sind die charakteristischen Symptome:
Vasodilatation mit Blutdrucksenkung und Herabsetzung der Ge¬
rinnungsfähigkeit des Blutes. Der Tatsache, daß der anaphylak¬
tische Kollaps innerhalb einer gewissen Zeit nur einmal hervorzu¬
rufen ist, entspricht andererseits die oben erwähnte Peptoniramunität.
Es findet sich also eine in allen Details ausgesprochene Überein¬
stimmung der Wirkungen.
Ob der Begriff der Anaphylaxie hier zu recht verwandt ist,
erscheint fraglich.
Friedemann (30), dessen Untersuchungen über Eiweißstoff¬
wechsel und Eiweißimmunität bekannt sind, hat darauf aufmerk¬
sam gemacht, daß bei den Versuchen von Biedl und Kraus viel¬
leicht eiue echte Anaphylaxie gar nicht Vorgelegen hat, weil nach
seinen eigenen und anderen Versuchen eine aktive Anaphylaxie gegen
Ehveiß bei Hunden nicht zu erzielen sei. Er hält es daher für
sehr möglich, daß es sich in den Versuchen von Biedl und Kraus
nicht um Anaphylaxie, sondern um primäre Giftigkeit
des artfremden Eiweißes gehandelt hat. Diese Frage ist für
unsere Gesichtspunkte hier zunächst von untergeordneter Bedeutung.
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Ein wirk, von eiweißartigen u. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blutes. 171
Die zahlreichen Arbeiten über die Gerinnungsbeschleunigung
nach Injektion von Organextrakten, Gewebssaft, gehören nicht
hierher, da wir hier nicht abschätzen können, inwieweit wir es
mit der direkten Wirkung einer Thrombokinase (Morawitz) zu
tun haben.
Fassen wir hier noch einmal kurz unsere eigenen Versuchs¬
resultate zusammen:
1. Die subkutane Injektion von Gelatine verursacht eine Ge¬
rinnungsbeschleunigung.
2. Stomachale Zufuhr großer Mengen von Gelatine ruft die
gleichen Erscheinungen, wenn auch in geringerem Grade, hervor.
3. Ein weiterer Eiweißkörper, das Plasmon, verursacht bei
stomachaler Zufuhr Gerinnungsänderung.
4. Die Einführung spezifischer Eiweißkörper bei Individuen,
die gegen diese Eiweißkörper überempfindlich sind (Tuberkulin),
macht eine typische Erhöhung der Gerinnungsfähigkeit.
5. Die Gerinnungsänderung nach der Gelatineinjektion geht
zweifellos mit den Erscheinungen parallel, die als die Reak¬
tion des Körpers auf die Zufuhr des artfremden, eiweißartigen
Körpers aufzufassen sind. In gleicher Weise geht auch die Ge¬
rinnungsänderung nach der Tuberkulininjektion mit den Über¬
empfindlichkeitserscheinungen Hand in Hand. Wir dürfen daher
wohl diesen Satz verallgemeinern und sagen, daß die Gerinnungs¬
änderungen, die nach Eiweißinjektionen auftreten, ein Ausdruck
der Reaktion des Organismus auf die Zufuhr artfremden Ei¬
weißes im weitesten Sinne des Wortes sind.
Es ist ersichtlich, daß sich unsere Resultate den in der Lite¬
ratur niedergelegten in passender Weise einreihen.
Die wichtige Frage, wie die Einwirkung der Eiwei߬
injektion auf den GerinnungsVorgang zu denken sei,
ist damit noch nicht gelöst. Sie muß auch selbstverständlich
schwierig bleiben, solange wir uns in unserer Kenntnis des Ge¬
rinnungsvorganges noch so unsicher fühlen. Moll will die Gela¬
tinewirkung, ebenso die Wirkung der übrigen Eiweißkörper nur
durch die Vermehrung des Fibrinogens erklären, die er ja exakt
quantitativ nachweisen konnte. Diese Fibrinogenvermehrung war
aber erst nach frühstens 12 Stunden zu finden. Nun konnten wir
in unseren Versuchen eine nach einigen Stunden beginnende und
von da an ständig zunehmende Verkürzung der G.-Z. nachweisen.
Diese Verkürzung erreichte ihren Höhepunkt etwa nach 10 Stunden,
also kurz vor der Zeit, wo die nachweisbare Fibrinogenvermehrung
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Grau
erst einsetzt. Man kann schon daraus — die Richtigkeit unserer
Ergebnisse ebenso wie der Moll’s vorausgesetzt — den Schluß
ziehen, daß der Vorgang der Gerinnbarkeitsänderung nach Eiwei߬
injektion kein so einfacher ist. Nehmen wir selbst den Beginn
der Vermehrung des Fibrinogens zu einer früheren Zeit an, als er
mit der chemischen Methode nachweisbar ist, so wäre damit die
Verkürzung der G.-Z. noch keineswegs erklärt. Wir müssen, um
diese zu erklären, auf andere Momente zurückgreifen. Schon
Alexander Schmidt nimmt an, daß die Schnelligkeit des Ein¬
trittes der Blutgerinnung u. a. vor allem durch die Anwesenheit
gerinnungshemmender oder gerinnungsbeschleunigender Substanzen
bedingt wird. Wir werden wohl nicht fehlgehen, wenn wir an¬
nehmen, daß hier zum mindesten eine 2 fache Beeinflussung des
Gerinnungsvorganges statthat, einmal ein Auftreten von ge-
rinnungsbefordernden Substanzen im Blut, oder wenigstens eine
Beeinflussung des etwaigen Gleichgewichts gerinnungshemmender
und gerinnungsbefördernder Substanzen im Blute im positiven
Sinne, zweitens eine Vermehrung des spezifisch wichtigen Eiweiß-
stoffes, des Fibrinogens. Es wird naheliegen anzunehmen, daß
beide Momente bei Gelegenheit ein und desselben Vorganges, der
Rückwirkung des resorbierten Eiweißkörpers auf ein bestimmtes
Organ- oder Zellsystem entstehen. Vorerst wäre es müßig, weitere
Schlüsse daran zu knüpfen.
Es soll über weitere Versuche, die Beziehungen zwischen der
beschriebenen Gerinnungsänderung durch ein spezifisches Bak¬
teriengift und den Gerinnungsänderungen beim „anaphylaktischen
Kollaps“ Aufschluß zu geben, in Kürze berichtet werden. Als
entscheidend scheinen hier dieselben quantitativen Differenzen in
Betracht zu kommen, die z. B. auch die Gelatine- und Pepton¬
wirkung voneinander trennen.
Endlich möchte ich noch kurz auf die Schlüsse eingehen, die
wir aus unseren Untersuchungen für die Praxis der Blutstillung
ziehen können. Von Bedeutung ist dabei vor allem die Tatsache,
daß die gerinnungsverkürzende Wirkung der Eiweißkörper an die
Eiweißreaktionserscheinungen bis zu einem gewissen Grade ge¬
bunden erscheint. Wir werden daher um eine möglichst intensive
Wirkung zu erzielen, wohl intensive Reaktionserscheinungen in den
Kauf nehmen müssen. Daraus folgt die wichtige Aufgabe, uns
über die Gefährlichkeit der Reaktionserscheinungen klar zu werden.
Wir werden diejenigen Eiweißkörper, die Überempfindlichkeit ver¬
ursachen, bei denen wir also bei einer etwaigen Reinjektion —
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Ein wirk, von eiweißartigen n. Eiweißkörpern anf die Gerinnbarkeit des Blutes. 173
vielleicht noch nach langer Zeit — alle die ausgesprochenen, un¬
angenehmen Erscheinungen der Überempfindlichkeit bis zum ana¬
phylaktischen Kollaps zu befürchten haben, nur mit größter Vor¬
sicht anwenden dürfen. Wir werden also auf die Seruminjektionen
zur Blutstillung erst in zweiter Linie zurückgreifen. Die Gela¬
tine ist in ihren unangenehmen Reaktionserscheinungen in der Lite¬
ratur häufig genug gewürdigt worden. Ausführliches darüber findet
sich z. B. bei Geb eie. Auch Brat spricht sich dahin aus, daß
wir in der Gelatine ein durchaus differentes therapeutisches Mittel
an wenden. Nun scheint es nach den bisherigen Ergebnissen, daß
die Gelatineinjektion keineswegs Überempfindlichkeit des Organismus
verursacht, daß mit anderen Worten eine zweite Gelatineinjektion
keine derartigen Erscheinungen hervorzurufen vermag, wie eine
wiederholte Seruminjektion. Es sind ja Berichte über wiederholte
Gelatineinjektionen in der Literatur reichlich vorhanden. Immerhin
sind auch die primären Eiweißerscheinungen, die die Gelatine her¬
vorruft, unangenehm genug. Sie wurden oben schon kurz erwähnt
Wir werden also nach den in der Literatur vorliegenden und
unseren eigenen Erfahrungen die Gelatine in den Fällen anwenden,
wo wir ohne Besorgnis derartige Reaktionserscheinungen in Kauf
nehmen können, d. h. wo diese Erscheinungen, auch wenn sie
noch so unangenehm sind, gegenüber der vorhandenen Verblutungs¬
gefahr nicht in Betracht kommen.
Als wirksame Dosis ist auch nach unseren Untersuchungen
die von 30—40 g 10 7 0 Gelatine beim Erwachsenen zu empfehlen.
Eine besondere Würdigung verdient noch die Anwendung beim
Tuberkulösen. Wir haben schon darauf aufmerksam gemacht, daß
wir die Reaktionserscheinungen nach Gelatine beim Tuberkulösen
wahrscheinlich deshalb so stark sehen, weil die Gelatine im tuber¬
kulösen Organismus eine ähnliche Wirkung entfaltet, wie sie
Matthes für die Albumosen nachgewiesen hat, d. h. eine quan¬
titativ ungeheuer abgeschwächte Tuberkulin Wirkung. Während
wir nun bei fieberfreien Tuberkulösen diese Reaktionserscheinungen
rasch vorübergehen sahen, haben wir bei schon früher fiebernden
oder snbfebrilen Individuen einen derartigen Kurvenverlauf gesehen,
daß wir nicht umhin konnten, der Gelatine eine ungünstige Wir¬
kung auf die Temperaturverhältnisse zuzuschreiben (s. Kurve 3 u. 4).
Es scheint aus diesen und ähnlichen Kurven hervorzugehen,
daß durch die Gelatineinjektion nicht nur ein einmaliger rasch vor¬
übergehender Temperaturanstieg ausgelöst wird, wie bei den fieber¬
freien eine Tuberkulosen, sondern daß im Anschluß an die Gelatine-
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Grau
Kurve 3 und 4.
injektion verschleppte Reaktion oder eine größere Labilität der
Temperatur auftreten kann, die immerhin einige Zeit anhalten kann
in derselben Weise etwa wie eine verschleppte Tuberkulinreaktion.
Wenn auch diese Beobachtungen der weiteren Bestätigung durch
ein größeres Material bedürfen, so scheinen sie doch dafür zu
sprechen, daß man jedenfalls bei der Anwendung der Gelatine bei
Fiebernden oder progressen Tuberkulosen die Gefahr gegen den
zu erreichenden Nutzen vorsichtig abwägen muß.
Im übrigen w’iirde die Anwendungsweise der Gelatine in erster
Linie eine prophylaktische sein. Wir sahen bei unseren Versuchen,
daß der Eftekt erst nach Stunden beginnt und erst nach 6—8 Stunden
eine Höhe erreicht, die erheblich in die Wagschale fallen kann.
Wir können also nicht erwarten, mitten in einer Blutung von der
subkutan angewandten Gelatine einen momentanen Erfolg zu sehen.
Wohl aber dürfen wir, wenn wir die akute Blutung anderweitig
bekämpft haben, wo wir eine Wiederholung der Blutung als eine
große Gefahr befürchten, bei fortdauernder Blutung, oder endlich
in solchen Fällen, wo wir das erste Auftreten einer Blutung als
etwas Deletäres befürchten müssen, von einer Gelatineinjektion Er¬
folg erwarten.
Die Anwendung von Gelatine per os gibt einen zweifellosen
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Ein wirk, von eiweißartigen u. Eiweißkörpern auf die Gerinnbarkeit des Blutes. 175
Gerinnungseffekt, aber nur wenn Gelatine in genügend großen
Dosen, also mindestens 15 g auf einmal gegeben wird, und auch
dann nur in beschränktem Maße, in einem Maße, das praktisch
offenbar nicht allzusehr in die Wagschale fallen kann. Wir dürfen
ja nicht vergessen, daß bei dem Zustandekommen einer Blutung
eine Reihe von Faktoren neben der Gerinnbarkeit des Blutes eine
Rolle spielen: Der Zustand des Kreislaufs, etwaige Blutdruck¬
schwankungen, ferner lokale Gefaßverhältnisse, alles Momente, die
von einer solchen Bedeutung sein können, daß neben ihnen die
Erhöhung der Gerinnungszeit um 25 °/ 0 keine erhebliche Bedeutung
hat. Immerhin mag man die Verabreichung der Gelatine per os
als unterstützendes Moment empfehlen, weil man hier zugleich ein
dem Kranken angenehmes und empfehlenswertes Nahrungsmittel
gibt.
Wie es mit der lokalen Verwendbarkeit der Gelatine steht,
darüber sind exakte Untersuchungen noch nötig. Es ist jedenfalls
anzunehmen, daß eine gewisse Konglutinierung der roten Blut¬
körperchen stattfindet. Gleichzeitig aber ist es nicht wahrschein¬
lich, daß dieser ein erheblicher blutstillender Effekt zukommt.
Jedenfalls wäre zu diesem Zwecke die Anwendung einer möglichst
konzentrierten und kurz vor dem Gerinnen stehenden Gelatine zu
empfehlen, um das mechanische Zuleimen zu befördern. Ob bei
der Berührung der Gelatine mit der Gefäßwand oder dem Gewebe
noch eine Kontaktwirkung anderer Art vorhanden ist, wäre noch
erst festzustellen.
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30. Friede mann, Über Anaphylaxie. Med. Klin. 1910 Nr. 17.
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Aus der medizinischen Poliklinik und ambulanten Kinderklinik
der königl. Universität Würzburg.
• Vorstand: Prof. Dr. Matterstock.
Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose
des Magencarcinoms.
Von
Priv.-Doz. Dr. Fanlhaber
in Würz bürg.
(Mit 10 Abbildungen.)
Zu den mannigfachen Bestrebungen, die Diagnose des Magen¬
carcinoms zu fördern, ist in den letzten Jahren noch die Röntgen-
Untersuchung hinzugekommen. Bald zeigte sich, daß dieser völlig
neue Weg zur Erkennung der Krankheit äußerst Vielversprechen¬
des leistete und in der Tat ist heute die Röntgendiagnostik des
Magencarcinoms vielerorts eine regelmäßig geübte Methode, völlig
gleichberechtigt den natürlich nebenher in vollem Umfang an¬
gewendeten klinischen Untersuchungsmethoden. Aber die Bewer¬
tung des neuen Verfahrens ist doch bis heute noch eine schwan¬
kende geblieben und Enthusiasten und Skeptiker stehen sich hier
wie bei allen neuen Dingen gegenüber. Und vielfach will es
mir scheinen, als ob gerade die internen Kliniker nicht zu den
ersteren gehörten. Man betrachtet die Röntgendiagnostik des
Magencarcinoms als ein meist unnötiges Anhängsel der bisherigen
diagnostischen Methoden, welchem nnr eine sekundäre Bedeutung
— etwa die einer an sich überflüssigen Bestätigung der schon
feststehenden Diagnose oder gar nur die einer Dekoration der
Krankengeschichte — zukommt. Aus solchem Geiste heraus ist
das Urteil geboren, welches ich erst vor kurzem aus dem Munde
eines Klinikers von Ruf gelesen habe: „Die Röntgenuntersuchung
kann die Diagnose des Magencarcinoms unterstützen, doch zeigt
sie deutliche Tumoren gewöhnlich erst dann, wenn solche auch auf
andere Weise diagnostizierbar sind.“ Ein solches Urteil unter¬
schätzt die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose
Deatsohes Archiv t. klin. Medizin. 101. Bd. 12
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Faulhabkb
des Magencarcinoms ganz erheblich. Wahr ist ja, daß in einer
sehr großen Zahl von Fällen die Diagnose auch ohne Röntgen
gemacht werden kann, aber es bleibt doch immer eine Anzahl von
Fällen übrig, wo das Röntgenverfahren das entscheidende Wort
spricht und damit seine Überlegenheit über die bisherigen Methoden
bekundet. Unter welchen Umständen dies stattfindet, das zu unter¬
suchen ist der Zweck der nachfolgenden Arbeit, welche damit zu¬
gleich die Bedeutung des Röntgenverfahrens für die Diagnose des
Magencarcinoms dartun soll. Der Arbeit sind 56 in den letzten
2 l l t Jahren von mir beobachtete Carcinomfälle zugrunde gelegt-
Ein Teil davon entstammt dem Materiale der medizinischen Poli¬
klinik und ambulanten Rinderklinik in Würzburg, an deren Röntgen¬
laboratorium der Verfasser seit einer Reibe von Jahren tätig ist.
der andere Teil entstammt der eigenen Praxis. Dem Vorstand ge¬
nannter Klinik, Herrn Prof. Dr. Matterstock, welcher in der
Regel die Güte hatte, den Durchleuchtungsbefund der klinischen
Fälle zu kontrollieren, sei für die freundliche Überlassung dieser
Fälle, sowie sein stetes Interesse an der Arbeit der gebührende
Dank ausgesprochen.
Das Wesen der röntgenologischen Carcinomdiagnostik wird
hier als bekannt vorausgesetzt. Ich will nur daran erinnern, daß
ein Magencarcinom für gewöhnlich erst dadurch röntgenologisch
sichtbar wird, daß es einen Defekt im Füllungsbilde erzeugt. Es
ist wohl überflüssig zu bemerken, daß das Röntgenbild dabei nur
über die Tatsache eines bestehenden Tumors und niemals etwas
über die Spezifität des Prozesses Aufschluß geben kann; aber mit
derselben Wahrscheinlichkeit, mit der wir eine längere Zeit be¬
stehende Dämpfung der Lungenspitze für tuberkulös halten, dürfen
wir Tumorbildung von charakteristischer Form und an typischem
Sitze des Magens für Carcinom erklären. Bezüglich der Unter¬
suchungstechnik, wie wir sie üben, sei auf meine Monographie
„Die Röntgenuntersuchung des Magens“’) hingewiesen, in welcher
dieselbe eine eingehende Darstellung gefunden hat. Nur so viel
sei hier angedeutet, daß wir als Hauptmethode die Röntgen-
oskopie im Stehen nach Genuß von Bismutbrei oder Bismut¬
bolusaufschwemmung 2 ) verwenden und von der Methode der Schirm¬
pal pation ausgiebig Gebrauch machen.
1) Archiv f. phvsikal. Medizin 1908 Heft 3 u. 4, 1909 Heft 1.
2) In neuester Zeit verwende ich mit gutem Erfolge das von Kästle in
die Röntgentechnik eingeführte Zirkonoxyd (Kontrastin).
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Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose des Magencarcinoms. 179
Dabei ist auf die Prädilektionsstellen des Magencarcinoms das
Hauptaugenmerk zu richten. Speziell ist die genaue Durchforschung
der Pars pylorica von ganz besonderer Wichtigkeit. Hier ist nun
oft die Beurteilung eine schwierige, wegen der in der Norm schon
individuell sehr verschiedenen Form, Lage und Größe dieses Magen¬
abschnittes. Deshalb ist die Beobachtung der in diesem Magen¬
abschnitt ganz besonders regen Peristaltik von größter Bedeutung,
insofern, als ihr normaler Ablauf auf anatomische Intaktheit der
Magenwand dortselbst schließen läßt.
Die schönen kinematographischen Röntgenuntersuchungen von Rosen -
thal, Rieder und Kästle haben gezeigt, daß die Magenperistaltik
an der Pars pylorica in etwas anderer Weise vor sich geht, als man
bisher beobachtet hatte. *) Diese Untersuchungen haben nicht nur einen
hohen wissenschaftlichen Wert, sondern auch praktisch klinische Be¬
deutung, wie an einem beigegebenen Falle dargelegt wird. Man wird
aber daraus nicht etwa schließen dürfen, daß jetzt die Röntgenkinemato¬
graphie ihren Einzug in die Röntgen praxis halten soll. Dazu ist diese
Methode viel zu schwerfällig und nicht im entferntesten zu vergleichen
mit ihrer Schwester, der Kamerakioematographie. Die einfache Schirm¬
untersuchung muß und wird vielmehr in der Praxis zur Beobachtung der
Bewegnngsvorgänge am Magen genügen. Sie ist ja vielleicht weniger
genau und vor allen Dingen subjektiv gefärbt: aber bis heute erfreuen
sich doch in der praktischen Medizin zahlreiche subjektive Methoden der
allgemeinen Anerkennung. Das Verhältnis der einfachen Schirmbeobach¬
tung zur Röntgenkinematographie scheint uns dasselbe zu sein wie zwischen
Herzauskultation und elektrischer Registrierung der Herztöne bzw. Herz-
bewegungen; zweifellos kommt man mit der letzten Methode wissen¬
schaftlich weiter, ohne daß darum die praktische Bedeutung der
enteren eingeschränkt wird.
Wenn wir nun im einzelnen auf die Bedeutung der Röntgen¬
untersuchung für die Diagnose des Magencarcinoms eingehen wollen,
so drängt sich eine Frage hier vor allen anderen auf: Was leistet
das Röntgenverfahren für die Frühdiagnose dieser Krankheit.
Man kann unter dem Begriff einer klinischen Frühdiagnose des
Magencarcinoms — wie Boas 9 ) treffend auseinander setzt — alles
mögliche verstehen, und wir wollen hier deshalb den Begriff rein
pathologisch-anatomisch fassen und darunter die Erkennung des
Carcinoms in seiner ersten Entwicklung verstehen, wo dasselbe
1) . Ich habe inzwischen in zahlreichen Fällen durch bloßeLeuchtschirm-
eobachtnng mich überzengen können, daß die Peristaltik in der Pars pylorica
in der Tat in der angegebenen Weise ablänft; ein Teil normaler Fälle aber
zeigte Abweichungen von diesem typischen BewegungsvorgaDg, — worauf ich
an dieser Stelle nicht näher eingehen kann.
2) Boas, Diagnostik u. Therapie der Magenkrankheiten II. Teil 5. Aufl.
p. 271 ff.
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Faulhaber
etwa die Große einer Haselnuß oder eine noch geringere besitzt
Hier mnß nun klipp und klar gesagt werden, daß ein Carcinom
von solcher Größe auch der genauesten Röntgenexploration ent¬
gehen muß, weil der von ihm gesetzte Füllungsdefekt zu klein ist,
um bemerkt zu werden. Dagegen ist es wohl denkbar, daß ein
Tumor von Walnußgroße unter günstigen Umständen z.B. Sitz in der
Pars pylorica und bei magerem Individuum, durch charakteristische
Erscheinungen (Füllungsdefekt, Anomalie der Peristaltik) sich be¬
merkbar machen könnte. Ob je ein Carcinom von dieser Größe
röntgenologisch entdeckt wurde, ist mir nicht bekannt; jedenfalls
war unter meinen eigenen Fällen das kleinste schon erheblich
größer, nämlich 4—5 cm im Durchmesser (laut Operationsbericht
von Fall 40); in vielen meiner Fälle handelte es sich aber am
Tumoren noch ansehnlicherer Größe, sogar bis Apfelgröße and
darüber.
Man wird daraus nicht folgern dürfen, daß ein Magencarcinom
diese Größe besitzen muß, um sich röntgenologisch bemerkbar za
machen und daß also die Röntgenmethode bei kleineren Tumoren
versagen müsse. Die frühzeitige Erkennung des Magencarcinoms,
die röntgenologische so gut, wie die klinische, begegnet eben
ganz besonderen äußeren und inneren Schwierigkeiten. Äußeren —
indem der Patient gewöhnlich erst geraume Zeit nach dem wirk¬
lichen Beginn der Erkrankung den Arzt aufsucht. Denn es steht
fest, daß das Magencarcinom eine Latenzperiode besitzt, daß es
eine verschieden lange Zeit von oft beträchtlicher Dauer bestehen
kann, ehe es seinem Träger überhaupt Magenbeschwerden macht
Und von diesem Zeitpunkt bis zu dem Moment, wo der Kranke
seine anfänglich stets gehegte Meinung einer harmlosen Dyspepsie
aufgibt, und den Arzt aufsucht, vergeht häufig wiederum geraume
Zeit, welche je nach der Indolenz des Patienten verschieden groß
ist. So passiert es fast stets, daß der Arzt diesen erst auf der
Höhe des vollentwickelten Leidens zu sehen bekommt und es ist
wohl immer ein Zufall, wenn ihm einmal ein Patient mit einem
sich eben entwickelnden Magencarcinom unter die Finger kommt
Aber gesetzt, dieser Zufall ereigne sich im konkreten Fall, so sind
die großen inneren Schwierigkeiten einer klinischen Frühdiagnose
bekannt. Es gibt keine einzige Methode, abgesehen von der noch
in ihren ersten Anfängen stehenden Gastroskopie, welche hier
wirklich Positives leistet und man wird in einem solchen Falle
Verdacht auf Magencarcinom nicht einmal schöpfen, geschweige
denn über den bloßen Verdacht eines solchen hinauskommen können.
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Die Bedeutung der ßöntgenuutersuchung für die Diagnose des Magencarcinoms. 181
Auch das Röntgenverfahren besitzt hier keine besseren Chancen
und darin, daß die wirkliche Frühdiagnose des Magencarcinoms
durch sie gefördert werde, beruht die Bedeutung der Röntgen¬
untersuchung sicherlich nicht.
Um die letztere vielmehr voll würdigen zu können, müssen wir
vor allen Dingen betrachten, was das Verfahren in der Diagnose
des Magencarcinoms überhaupt, verglichen mit den bisherigen
klinischen Methoden, leistet. Wir haben ein Urteil über diese
Frage zu gewinnen gesucht, indem wir seit mehreren Jahren nicht
nur alle Fälle von klinisch diagnostiziertem Magencarcinom, in
denen dies tunlich war, einer Röntgenuntersuchung unterwarfen,
sondern auch alle klinisch zweifelhaften Fälle, sowie diejenigen, in
denen nur Verdacht darauf bestand, röntgenuntersuchten. So
haben wir allmählich ein Material von insgesamt 86 Fällen er¬
halten, in denen die Röntgenexploration auf Magencarcinom positiv
gewesen ist, von denen aber nur die in den letzten 2'/, Jahren
beobachteten 56 Fälle dieser Arbeit zugrunde gelegt sind.
In allen Fällen nun, in denen die klinische Dia¬
gnose Magencarcinom außer Zweifel stand, hat die
Röntgenuntersuchung ein positives Ergebnis ge¬
liefert. 39 Fälle der Arbeit gehören in diese Kategorie, näm¬
lich die Fälle 1, 3, 7, 9, 10, 11, 12, 13, 14, 15, 17, 20, 21, 22, 23,
24, 25, 26, 27, 28, 30, 31, 32, 33, 34, 35, 36, 37, 40, 41, 42, 46,
47, 48, 49, 50, 51, 53, 55. Ein Fall, in dem die klinische Dia¬
gnose sicherstand und die Röntgenuntersuchung versagte, hat sich
also in den letzten 27 a Jahren bei uns nicht mehr ereignet. Es
ist mir wichtig, dies festzulegen, da ich in meiner oben citierten
Arbeit: „Die Röntgenuntersuchung des Magens“ unter einem
Material von 24 klinisch sicheren Carcinomen immer noch in 4
Fällen keinen typischen Röntgenbefund erheben konnte.
Heute ist es mir kaum mehr zweifelhaft, daß technische Unter¬
suchungsfehler bzw. mangelnde Übung in der Deutung der Bilder
dieses Resultat verschuldet hat. Jedenfalls müssen wir nach unseren
neueren Erfahrungen sagen, daß wir in allen klinisch sicher¬
stehenden Fällen ein positives Röntgenergebnis erwarten dürfen.
Hier zeigt sich also die Röntgenuntersuchung als durchaus
ebenbürtig den alten klinischen Methoden und die Bedeutung dieser
Konstatierung liegt darin, daß das Röntgenverfahren in manchen
Fällen als das schonendere — ich erinnere nur an die Fälle mit
kürzlich überstandenen Blutungen, wo Sondenuntersuchung nicht
opportun erscheint — auch einmal für sich allein in Betracht
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kommen darf. Damit soll natürlich nicht etwa der Röntgenunter¬
suchung souveräne Bedeutung zuerkannt sein, vielmehr behalten
die bisherigen klinischen Methoden ihre volle Wichtigkeit, wenn
auch zu sagen ist, daß der Wert eines typischen Röntgenbefundes
für die Diagnose höher anzuschlagen ist, als der irgend eines
anderen objektiven Symptoms, von welchen bekanntlich keines für
sich eindeutig ist. Klinische Untersuchung und Röntgen verfahren
stehen ja heute erfreulicherweise nicht mehr im Gegensatz, sondern
beide sind notwendig und die eine soll und muß die andere er¬
gänzen.
So wird man auch nicht sagen können, daß die Anwendung
des Röntgen Verfahrens in dieser Kategorie, welche 69,6 °; 0 unserer
Fälle überhaupt umfaßt, überflüssig 1 ) gewesen sei, wenn ihm auch
prima vista nur die sekundäre Bedeutung einer allerdings will¬
kommenen Bestätigung der schon an sich feststehenden Diagnose
zuzukommen scheint. Aber bei genauerem Zusehen leistet hier
die Röntgenuntersuchung weit mehr und sie bedeutet eine erheb¬
liche Verfeinerung unserer Diagnostik. Und diese besteht darin, daß
nicht nur die Zugehörigkeit eines klinisch palpablen Tumors zum
Magen erwiesen, sondern daß auch eine Lokaldiagnose desselben
ermöglicht wird, in dem Sitz und Ausdehnung des Carcinoms zu
bestimmen ist.
Wegen der ungemein variablen Form, Lage und Größe des
Magens können Magentumoren fast in jeder Bauchregion liegend
gefunden werden. Ein Tumor z. B. sei im Epigastrium und zwar
dicht unterhalb des Rippenbogens in der verlängerten linken Para-
1) Daß sie nicht überflüssig ist, indem bei scheinbar klinisch ganz glatt
liegenden Fällen doch ein Irrtum in der Diagnose möglich ist, dafür ist der
nachstehende Fall ein Beispiel:
Amalie M., 23 Jahre alt, wird mir am 1. Februar 1908 von chirurgischer
Seite mit der Diagnose Carcinom der kleinen Kurvatur behufs diagnostischer Aus¬
heberung zngesandt. Das Mädchen klagt seit 2 Monaten Uber Magenbeschwerden,
starkem Druck nach dem Essen, Appetitlosigkeit, Obstipation, 12 Pfd. Gewichts¬
abnahme. In der Medianlinie ist etwa in der Mitte zwischen Processus xiphoi-
deus und Nabel ein faustgroßer, länglicher, quergestellter und höckeriger Tumor
zu fühlen. Die Ausheberung nach Probefrühstück ergab Fehlen von freier HCl
und Pepsin. HCl-Defizit = 30. Milchsäure negativ. Mikroskopischer Befund
ohne Besonderheiten.
Die Röntgenuntersuchung zeigte einen völlig normalen Magen;
keinerlei Füllungsdefekt der kleinen Kurvatur; Pars pylorica normal; sehr leb¬
hafte Antrumperistaltik sichtbar; der fühlbare Tumor lag ganz außerhalb des
Magens. Die chirurgischerseits vorgenommene Probelaparotomie ergab völlig in¬
takten Magen; der Tumor war ein Paket tuberkulöser Mesenterialdrüsen.
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Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose des Magencarcinoms. 183
Sternallinie palpabel, er sitzt das eine Mal in der Pars media
(Fall 17) oder an der kleinen Kurvatur mehr nach dem Fundus
(Fall 25), das andere Mal nimmt er die Pars pylorica ein (Fall 15
und 34). A priori läßt sich aus der Lage eines Tumors im Ab¬
domen niemals seine Zugehörigkeit zum Magen oder gar seine
Topik innerhalb der Magenwand erschließen. Das Röntgenverfahren
vermag uns nun im allgemeinen durch die Lage und die Größe des
sichtbaren Füllungsdefektes über Ort und Ausdehnung des Carci-
noms zu orientieren. 1 2 ) Die Bedeutung dieser Tatsache wird da¬
durch nicht eingeschränkt, daß auch rein klinisch bisher oftmals
eine Lokalisation des Tumors durch die Methode der Magenauf¬
blähung u. a. ermöglicht war. In einer solchen Regelmäßigkeit,
wie bei der Röntgenuntersuchung, ist dies aber nicht der Fall.
Die große Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Dia¬
gnose des Magencarcinoms wird aber erst ins rechte Licht gerückt,
durch die Betrachtung derjenigen Fälle, in welchen rein klinisch
die Anwesenheit eines Magencarcinoms zwar mehr oder weniger
wahrscheinlich, seine Existenz aber nicht sicher zu erweisen war.
Von unseren Fällen gehörten 17 = 31 °/ 0 in diese Kategorie. Es
sind das die Fälle, wo durch einzelne oder ein Ensemble von
Symptomen diese Diagnose nahegelegt wurde, wo aber ein Tu¬
mor nicht gefühlt werden konnte. Mit dem Fehlen des
Tumors entfällt aber, wie Boas *) mit Recht sagt, eines der wichtig¬
sten Kennzeichen für die Diagnose. Kein anderes Zeichen kann
sich an Bedeutung mit diesem messen. Speziell ist die vielfach
überschätzte diagnostische Ausheberung, selbst wenn sie Fehlen
der freien HCl ergibt, bei der Häufigkeit dieses Befundes auch bei
gutartigen Magenkrankheiten völlig wertlos. Umgekehrt beweist
das Vorhandensein von normaler freier HCl, ja das Bestehen von
Hyperacidität nichts gegen Magencarcinom. Und so kommt auch
keinem anderen objektiven Zeichen eine pathognomonische Bedeu¬
tung zu und höchstens kann das Zusammentreffen möglichst vieler
solcher Zeichen in positivem Sinne verwertet werden. Aber, wie
gesagt, ohne fühlbaren Tumor haftet der Diagnose immer eine
gewisse Unsicherheit an.
Hier springt nun die Röntgenuntersuchung helfend ein, indem
1) Nicht immer geschieht dies in völlig exakter Weise. Z. B. dann nicht,
wenn eine flache carcinomatöse Infiltration der Magenwand sich noch weiter
««treckt, als der sichtbare Füllnngsdefekt dies annehmen läßt.
2) L dt. p. 248.
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sie die Anwesenheit eines Tumors erweisen kann, auch wenn der¬
selbe klinisch nicht zn fühlen ist. Unbedingte Voraussetzung ist
dafür, daß derselbe eine solche Größe besitzt, um sich als Füllungs¬
defekt oder sonstwie im Röntgenbilde bemerkbar za machen.
Zweierlei kann hier nun ein treten:
a) Es kann der vorher klinisch nicht gefühlte Tumor unter
Röntgenlicht an der Stelle des Füllungsdefektes palpabel werden.
b) Der Tumor bleibt auch unter Röntgenlicht nichtpalpabel
seine Anwesenheit und seine Lage ist aber aus charakteristischem
Füllungsdefekt o. a. zu erschließen.
Ad a) Der Röntgenuntersuchung kommt hier die Bedeutung
zu, daß das gleichzeitige Sehen gewissermaßen den Tastsinn schürft
(Holzknecht). Auch wenn man dies nicht zugeben will, so ist
es doch psychologisch durchaus verständlich, daß die Palpation
hier, wo der sichtbare Füllungsdefekt auf einen ganz bestimmten
Punkt im Abdomen hinweist, viel genauer und darum auch mit
besserem Resultate durchgeführt wird, als wenn gar nichts über
den Ort des zu suchenden Tumors bekannt ist
Weiter mag aber auch hier die Tatsache eine Rolle spielen,
daß Tumoren, welche im Liegen nicht gefühlt werden können, im
Stehen öfters gut palpabel sind; wenigstens habe ich mich, seit
ich darauf achte, nicht selten von diesem Verhalten überzeugen
können. 1 ) Schuld daran ist der tiefere Stand des Magens bei auf¬
rechter Körperhaltung, so daß Tumoren, welche in horizontaler
Körperlage unter der Leber oder dem Rippenbogen gelegen sind,
jetzt darunter hervortreten.
In 8 von 56 Fällen, also in 14,3 °/ 0 bat sich dies ereignet, daß
der Tumor erst unter Röntgenlicht palpabel wurde: nämlich in
den Fällen 2, 5, 8, 39, 43, 52, 54, 56. In zweien dieser Fälle (5
und 8) lag der Füllungsdefekt wirklich hoch oben im Magen an
der kleinen Kurvatur in der Pars media und der Tumor konnte
nur bei forcierter Inspiration oder bei Hustenstößen während der
Durchleuchtung im Stehen eben noch getastet werden. In sämt¬
lichen anderen Fällen aber nahm der Füllungsdefekt die Pars
pylorica ein und es fand hier gewiß das oben erwähnte Verhalten
statt, daß der Tumor im Liegen von der Leber bedeckt war,
während er im Stehen unter derselben hervortrat. Speziell in dem
erst kürzlich beobachteten Fall 56 konnte dies durch die Ope-
1) Schon lange vor der Röntgenära ist für die Palpation von Magen¬
tamoren die sitzende Körperhaltung des Patienten empfohlen worden.
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Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose des Magencarcinoms. 185
ration kontrolliert werden. Der Tumor war im Stehen unter
Röntgenlicht deutlich zu fühlen, während er im Liegen absolut
nicht palpabel war; selbst nicht einmal in Narkose unmittelbar
vor der Operation. Dieselbe zeigte denn auch, daß er ganz unter
der Leber verborgen lag.
Ad b) Wenn sich bei der letztgenannten Reihe von Fällen
noch darüber streiten läßt, ob hier nicht auch ohne Röntgenlicht
die Feststellung des Tumors gelungen wäre, so ist diese Möglichkeit
bei der nun folgenden Kategorie aus inneren Gründen ausgeschlossen.
Hier zeigt sich die Bedeutung des Röntgenverfahrens im hellsten
Lichte, indem dasselbe eine für die Diagnose ausschlaggebende
Rolle spielt. Neun meiner Fälle gehören hierher = 16,1 °/ 0 , näm¬
lich die Fälle 4, 6, 16, 18, 19, 29, 38, 44, 45.
Auch in diesen Fällen handelt es sich nicht um eine Früh¬
diagnose in pathologisch-anatomischem Sinne, sondern es war stets
ein größerer bereits röntgenologisch erkennbarer Tumor vorhanden,
welcher aber aus besonderen Gründen der Palpation entgehen
mußte. Der Gründe, warum ein größerer Magentumor der Palpation
unzugänglich sein kann, gibt es mancherlei:
1. Der Tumor nimmt den größten Teil des Magens ein und
bringt den Magen zur Schrumpfung (Schrumpfcarcinom).
2. Der Tumor sitzt sehr hoch oben, am Magenfundus.
3. Der Tumor sitzt zwar tiefer, an der Pars media (Corpus)
bzw. sogar an der Pars pylorica eines normalen Magens, aber er
liegt ganz unter der normalen Leber verborgen.
4. Der Tumor sitzt zwar sehr tief, an der Pars pylorica eines
tiefstehenden Magens, wird aber von einer stark vergrößerten
Leber völlig bedeckt.
Ad 1. Das Schrumpfcarcinom, welches öfters größere Magen¬
teile bzw. den ganzen Magen einnimmt und sein Lumen so zur
Verödung bringen kann, daß der Fassungsraum auf nur 100 bis
200 ccm reduziert wird, ist der klinischen Diagnose häufig nicht
zugänglich. Befallt es nämlich einen Magen, der vorher nor¬
mal groß und richtig gelagert war, so kommt nun der carcino-
matöse Schrumpfmagen ganz hoch ins Hypochondrium und unter
die Leber zu liegen und tritt auch in aufrechter Körperhaltung
nicht darunter hervor. Ein Tumor ist bei solcher Sachlage natür¬
lich nicht zu fühlen und man ist im wesentlichen auf das Ergebnis
der diagnostischen Ausheberung angewiesen. Wenn dieselbe aber
nichts weiter wie den berühmten HCl-Mangel ergibt, so sind wir
so weit in der Diagnose wie zuvor. Dazu kommt, daß man hier
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öfters bei der Expression überhaupt keine Speisereste mehr erhält,
da der Magen wegen des in diesen Fällen häufig nicht funktio¬
nierenden Pylorusverschlusses bereits entleert ist Manchmal stößt
die Sonde auf ein unüberwindliches Hindernis in der Tiefe, sei es.
daß die Cardia in den carcinomatösen Prozeß mit einbezogen und
verengt ist, sei es, daß die Sonde innerhalb des Magens selbst auf
den Tumor aufstößt Dies ist freilich ein wichtiger Befund, aber
über die Frage, ob das Hindernis oberhalb der Cardia, in der
Cardia selbst oder im Magen liegt, werden wir häufig nicht ins
klare kommen. 1 )
Die Röntgenuntersuchung schafft hier nun mit einem Schlage
Licht. Man sieht in diesen Fällen einen abnorm kleinen, hoch
oben im linken Hypochondrium gelegenen Magen.
Daß der Pylorusverschluß nicht funktioniert und der Pförtner
konstant offen steht, sieht man daran, daß die Bismütingestien
sofort und dauernd aus dem Magen auslaufen und die Dünndann-
schlingen anfüllen; der verödete Magen wird hier nur als Durch¬
gangsstraße benutzt (Fall 18). Der Magenschatten kann dabei einer
verkleinerten normalen Magenform ähnlich sein oder er kann eine
abenteuerlich konturierte Form besitzen (Fall 16); jedenfalls ist
eine regelrechte Peristaltik nicht daran wahrzunehmen.
Ad 2. Wenn ein Tumor sich an der kleinen Kurvatur ent¬
wickelt, aber nicht pyloruswärts sondern nach der-Cardia zu fort¬
schreitet bzw. wenn er primär dortselbst oder am Magenfundns
auftritt, so liegt er so hoch im Hypochondrium und unter der
Leber, daß die palpierende Hand ihn nicht mehr erreichen kann.
Solche Fälle bereiten der klinischen Diagnose die größten Schwierig¬
keiten. Nur in dem Falle, wo die Sonde tief unten auf ein Hin¬
dernis aufstößt, kommen wir etwas weiter in der Diagnose; aber
dieser kleine Vorteil ist erkauft durch den Nachteil, daß ja dann
meist kein Mageninhalt zur Untersuchung erhalten wird.
Und nun kommt die schwierige Überlegung, ob die gemessene
Entfernung von der Zahnreihe einem Punkte oberhalb der Cardia,
der Cardia selbst oder einem Punkte im Magen entspricht. Darüber
wird man nur bei extrem hohen oder niedrigen Werten etwas
Sicheres aussagen können. Innerhalb der aber in solchen Fällen
sich gewöhnlich ergebenden Breite von 40—45 cm ist zu rubri¬
zieren unmöglich. Denn die in den Lehrbüchern mit etwas über
40 cm angegebene Entfernung der Cardia von der Zahnreihe stellt
1) Siehe weiter unten p. 186 u. 187 (Fußnote).
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Die Bedeutung der Röntgenuntersuehsmg flrfiaMjgmiefciligaaMn ilwi 187
ja, wie bekannt, nur einen beiläufigen Mittelwert dar, da diese
Entfernung nicht nur individuell, sondern auch nach Geschlecht
und Körpergröße ziemlich erhebliche Schwankungen aufweist. 1 2 )
Auch die Röntgenuntersuchung hat diese Tatsache mir wiederholt
aufs evidenteste vor Augen geführt.*)
So gelangt also die klinische Diagnose hier auf einen toten
Punkt, über den sie nicht hinaus kann. Die Röntgenuntersuchung
aber ist berufen, die Sachlage völlig aufzuklären. Sie zeigt uns
den Tumor innerhalb des Magens, sie liefert bei Sitz an der Cardia
charakteristische Zeichen. Drei meiner Fälle gehören hierher:
Fall 4, 38, 44. In den beiden ersten Fällen war der Tumor ohne
weiteres bei der Durchleuchtung als rundlicher Schatten sichtbar,
welcher von der medialen Begrenzung der Fundusblase ausging
und in diese hineinragte; im letzten Fall konnte der Tumor durch
COj-Aufblähung sichtbar gemacht werden. In allen drei Fällen
waren auch — ein Zeichen, daß bereits die Cardia in den Prozeß
mit einbezogen war — die Erscheinungen der Cardiastenose (Stau¬
ung der Ingesten und Regurgitation im untersten Ösophagus¬
abschnitt) wahrzunehmen; im Falle 4 sogar bereits zu einer Zeit»
wo Sonde Nr. 19 noch anstandslos passierte.
Ad 3 und 4. Während Tumoren der Pars cardiaca stets der*
Palpation zu entgehen pflegen, ist dies bei Tumoren der Pars
media schon weit weniger häufig der Fall. Von acht hierher
gehörigen Fällen war nur dreimal der Tumor klinisch nicht pal-
pabel (also in 63% palpabel), bei zweien davon wurde er schlie߬
lich unter Röntgenlicht fühlbar und nur in einem Falle blieb er
unfühlbar.
Sitzt aber gar der Tumor, wie weitaus in der Mehrzahl der
Fälle, an der Pars pylorica, sei es an dieser allein (36 Fälle) oder
auch die Pars media zum großen Teil einnehmend (5 Fälle), so ist
der Tumor klinisch nur ausnahmsweise nicht palpabel. Unter
sämtlichen 41 Fällen war das Carcinom nur siebenmal unfühlbar
1) £9 wäre eine dankenswerte Aufgabe, die vorliegenden teils an Leichen,
teils ösophagoskopisch am Lebenden gemachten Untersnchnngen durch röntgeno¬
logische Methoden an einem größeren Materiale nachzuprüfen und zu ergänzen.
2) Drei von mir beobachtete Fälle seien hier angeführt:
1. Fall. Die Sonde stieß bei 39 cm auf; es fand sich röntgenologisch ein
Osophaguscarcinom in der Höhe der Bifurkation!
2. Fall. Sondenhindernis bei 42 cm; es fand sich röntgenologisch ein Tumor
ui der kleinen Kurvatur im Bereiche des Fundus, auf den die Sonde aufstieß.
3. Fall. Die Sonde stieß bei 52 cm auf; vorhanden war ein Ösophagus-
carcinom an der Cardia (autoptisch sichergestellt)!
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(also in 83°/ 0 palpabel), bei vier davon wurde es unter Röntgen-
licht palpabel and nar bei drei war es auch während der Durch-
leutung nicht fühlbar. Offenbar macht es dabei etwas aus. ob der
Magen normal oder schon vorher ptotisch war, in dem im erstem
Fall die Wahrscheinlichkeit, daß der Tumor getastet werde, etwas
geringer ist (12 mal von 16 Fällen = 75%) als im letzteren (22 mal
von 25 Fällen — 88 %). Indessen selbst bei erweitertem und tiet-
stehendem Magen ist es möglich, daß ein Pylorustumor der palpie¬
renden Hand entgeht, wie zwei unserer Fälle lehren (Fall 6 u. 19
In beiden war das Carcinom unter einer stark vergrößerter!
Leber gelegen, wie im ersten Fall bei der Autopsie in mortuu.
beim zweiten bei der in vivo festgestellt wurde.
Halten wir das bisherige Ergebnis fest, so müssen wir sagen,
daß in 30,4% unserer Fälle die klinisch nur wahr¬
scheinliche Diagnose Magencarcinom durch die Rönt¬
genuntersuchung bis zur Sicherheit erhoben wnrde.
Dieses Resultat berechtigt uns, das Röntgenverfahren auch bei der
Diagnose des Magencarcinoms für mehr als ein bloßes Adjuvans
der bisherigen klinischen Methoden zu halten. Besonders da es
uns in allen Fällen nicht nur über die Tatsache eines bestehenden
Tumors, sondern auch über dessen Sitz und Ausdehnung mit wün¬
schenswerter Exaktheit unterrichtet
So wird auch im Einzelfall durch die Röntgenuntersuchung
häufig ein Urteil über die Operabilität eines Magencarcinoms
zu gewinnen sein und häufiger vielleicht noch dessen Nicht¬
operabilität erwiesen und damit ein unnötiger Eingriff ver¬
mieden werden können. Einerseits werden die Fälle, wo der Tumor
sehr große Magenbezirke ergriffen hat, oder wo er sehr hoch oben
in der Pars media bzw. der Pars cardiaca sitzt, als ungeeignet 1 )
für die Operation ausgeschieden werden können. Andererseits wird
man bei kleinerem Tumor und Sitz an der Pars pylorica, besonders
wenn der Tumor nicht nur bei der Palpation, sondern auch bei
der röntgenologischen Beweglichkeitsprüfung sich nirgends adhärent
zeigt mit gutem Gewissen zur Operation raten dürfen. Freilich
das letzte Wort, ob die Operation aussichtsvoll ist oder nicht
spricht immer erst die Probelaparotomie. Denn sie kann wider
Erwarten schon Metastasen ergeben in Fällen, wo man nach der
Dauer der Erkrankung und der Größe des Tumors noch keine
solchen vermutet hätte und umgekehrt
1) Die Resultate der Totalresektion des Magens, welche in solchen F&llen
schon mehrfach ausgeführt wurde, sind bis jetzt sehr wenig ermutigend.
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Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose des Magencarcinoms. 189
In der klinischen Medizin gilt allenthalben der Grundsatz,
daß ein positiver Befund höher zu werten sei, als ein negativer
und dementsprechend schließt auch ein normaler röntgenologischer
Magenbefund die Diagnose Magencarcinom nicht ohne weiteres aus.
Unter Umständen kommt jedoch auch dem negativen Röntgen¬
befund eine das Carcinom ausschließende Bedeutung zu.
Eis sind das die Fälle, wo seit längerer Zeit Magensymptome
vorhanden sind, welche den Verdacht einer Neubildung nahelegen.
Nach dem oben anläßlich der Besprechung der Frühdiagnose über
das Latenzstadium des Magencarcinoms Gesagten, ist hier im all¬
gemeinen zu erwarten, daß das Neoplasma bereits eine solche
Größe besitzt, daß es röntgenologisch nachweisbar ist. Und so
gewinnt ein normaler Röntgenbefund hier die Bedeutung, daß er
das Bestehen eines Magencarcinoms, wo nicht ausschließt, so doch
sehr unwahrscheinlich macht.
Zahlreiche hierher gehörige Fälle sind uns vorgekommen 1 )
und es ist mir davon kein Fall erinnerlich, wo der weitere Ver¬
lauf entgegen der röntgenologischen Annahme später doch ein
Magencarcinom erwiesen hätte. Einige besonders markante kasuisti¬
sche Beiträge, welche ich im letzten Jahre in eigener Praxis beob¬
achten konnte, will ich in Form einer Tabelle hier anführen. Es
waren dies sämtlich ältere Leute, bei welchen seit längerer Zeit
schwere Magensymptome mit starker Körpergewichtsabnahme ein¬
hergehend bestanden. Die Röntgenuntersuchung zerstreute aber
den Verdacht des Magencarcinoms und in allen Fällen hat der
spätere Verlauf gezeigt, daß ein solches auch nicht vorlag (s. Tab.
p. 190).
Ein negativer Röntgenbefund ist endlich noch sehr
wertvoll in den Fällen, wo ein Tumor im Abdomen gefühlt wird,
welcher seinem Orte nach sehr wohl dem Magen angehören könnte.
Indem die Röntgendurchleuchtung hier zeigt, daß dies nicht der
Fall ist, fördert sie die so schwierige Kunst der Lokalisation
der Abdominaltumoren um ein gutes Stück. In der Tat hat
sich uns diese Methode, den Magen als Sitz des Tumors auszu-
schljeßen, in zahlreichen Fällen bewährt. Der Wert der Röntgen¬
untersuchung war dabei besonders in die Augen springend, wenn
stärkere Magenbeschwerden und eventuell auch eine vorhandene
Achylie direkt auf den Magen hinzuweisen schien. Ich erinnere
1) Wir haben nns angewöhnt, bei jedem Magenkranken mit Achylie eine
röntgenologische Untersuchung anzuschließen.
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Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose des Magencarcinonxs. 191
nur an den oben p. 182 in der Fußnote angeführten Fall, dem ich
mehrere Parallelfälle an die Seite setzen könnte.
Wenn wir das Ergebnis noch einmal kurz zusammenfassen, so
müssen wir sagen:
1. Eine eigentliche Frühdiagnose des Magencarcinoms ist auch
mit dem Röntgenverfahren nicht zu erzielen.
2. In allen Fällen, in denen die Diagnose Magencarcinom
klinisch sicher zu stellen ist, liefert auch das Röntgenverfahren
positiven Befund und bestätigt so das Ergebnis der klinischen
Untersuchung.
3 . In einer nicht ganz kleinen Zahl von Fällen (30 %), wo
die klinische Diagnose mangels eines palpablen Tumors nicht sicher
zu stellen ist, kann dieselbe durch das Röntgenverfahren gesichert
werden.
4. Das Röntgenverfahren gibt uns Aufschluß über Sitz und
Ausdehnung des carcinomatösen Prozesses am Magen.
5. Bis zu einem gewissen Grade kann hierdurch auch über die
Operabilität oder Nichtoperabilität ein Urteil gewonnen werden.
6. Durch das Röntgenverfahren kann unter Umständen das
Vorhandensein eines Magencarcinoms ausgeschlossen werden.
Kasuistik. *)
Die Abbildungen Nr. 11, 16, 19, 33. 39, 45, 56 sind verkleinerte
Pansen nach dem Röntgenogramme; Nr. 25, 38 nnd 49 sind verkleinerte
Schirmpausen. X bedeutet den Ort des klinisch palpablen Tumors,
X bedeutet den Ort eines nur unter Röntgenlicht palpablen Tumors.
Fall 11. Ludolf F. 55 Jahre alt.
Anamnese: Seit ] / 2 Jahr krampfartige Schmerzen im Epigastrium,
Appetitlosigkeit, Obstipation.
Klinischer Befund: Tumor links unterhalb des Rippenbogens.
Probefrühstück: 100 ccm exprimiert; freie HCl negativ; HCl-Defizit =
18; Ges.-Acid. = 16; Uffelmann positiv; mikrosk: Fett, Stärke, mäßig
Milchsäurebazillen.
1) Es ist natürlich nicht möglich, hier alle Krankengeschichten und die
dazu gehörigen Röntgenbilder wiederzugeben. Ich habe vielmehr nur eine kleine
Auswahl derselben gebracht, wobei es mir darauf ankam, einerseits die Typen
der Röntgenbefunde, welche häufig wiederkehren, zu berücksichtigen, anderer¬
seits au ein paar Fällen zu zeigen, daß das Röntgenverfahren von ausschlag¬
gebender Bedeutung. für die Diagnose sein kann. Eine tabellarische Übersicht
über sämtliche der Arbeit zugrunde gelegten Fälle folgt am Schlüsse derselben.
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Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose des Magencarcinoms. 193
Röntgenbefund: 26. Augnst 1908. Eine mehr dem Holzknecht¬
achen Typus zuzurechnende Magenform, Starke Einengung des Magen-
lumens im Korpusteil, welche ihrer ganzen Konfiguration nach durch
zirkulären Tumor bedingt ist. In der Tat ist dortselbst die Geschwulst
palpabel. Pylorus selbst ist frei; Andeutung von Antrumkontraktion ist
vorhanden. Siehe Fig. 1 p. 192.
Diagnose: Carcinom des Magenkorpus.
Fall 16. Innocenz V. 54 Jahre alt.
Anamnese: Seit 1 Jahr Magenbeschwerden, Aufstoßen, Übelkeit,
kein Erbrechen, Mattigkeit, Appetitlosigkeit, Obstipation, Körpergewichts¬
abnahme 20 Pfund.
Klinischer Befund: Kein Tumor fühlbar. Probefrühstück:
Sonde stößt bei 46 cm auf. Nichts exprimierbar. Sanguis am Sonden¬
fenster.
Röntgenbefund: 18. September 1908. Bizarr geformtes
Füllungsbild des Magens, welches zeigt, daß der Tumor fast den ganzen
Magen außer Fundus einnimmt. An der großen Kurvatur ragen polypöse
Exkrescenzen des Tumors in das Magenlumen hinein. Der Pylorus steht
offen, wie das sofort und kontinuierlich stattfindende Ausfließen des
Bismutinhalts in das Duodenum beweist. Passage durch den Ösophagus
hindurch frei. Siehe Fig. 2 p. 192.
Diagnose: Schrumpfcarcinom.
Epikrise: Die Röntgenuntersuchung lieferte in diesem Falle für
sich allein die Diagnose, da kein Mageninhalt exprimiert werden konnte;
die Sonde stieß dabei offenbar im Magen auf den Tumor auf. Letzterer
war infolge seiner Lage unter dem Rippenbogen klinisch nicht fühlbar.
Fall 19. Isaak N. 61 Jahre alt.
Anamnese: Seit 7—8 Wochen Magendrücken, nur 2mal Er¬
brechen, Appetitlosigkeit, Stuhl normal, Körpergewicht hat um 5 Pfund
abgenommen.
Klinischer Befund: Kein Tumor palpabel; Probefrühstück:
freie HCl negativ; Uffelmann Spuren; Ges.«Azid. = 24; HCl-Defizit
= 36. Mikroskopisch: Fett, Stärke, spärlich Milchsäurebazillen.
„ Rönt « enbefund: 21. Oktober 1908. Längs- und quergedehnter
Magen. Totaler Defekt der Pars pylorica. An der großen Kurvatur ver¬
tiefte Peristaltik. Auch bei kontrollierender Durchleuchtung ist kein
Tamor entsprechend dem Defekte zu palpieren. Siehe Fig. 3 p. 192.
Diagnose: Carcinom der Pars pylorica; Pylorusstenose; Magen-
erweiterung.
Operation (Hofrat Pretzfelder): Magenresektion.
Befund: Hühnereigroßes zirkuläres Carcinom der Pars pylorica,
welches den Pylorus stenosiert. Das Carcioom liegt völlig unter einer
®tark vergrößerten Leber verborgen.
Epikrise: Der Tumor war so groß und hatte eine solche Lage
Magen inne, daß er unter normalen Verhältnissen unbedingt hätte ge¬
fohlt werden müssen. Hier war dies nicht der Fall, weil er von einer
stark vergrößerten Leber völlig überlagert war. Die Röntgenuntersuchung
zeigte aber typischen Befund für Carcinom.
Deauchea Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 13
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Faulhabkr
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Fall 25. Marie K. 58 Jahre alt.
Anamnese: Seit 1 j 2 Jahr geringe Magenbeschwerden: Aufstoßen,
wechselnder Appetit, kein Erbrechen, Körpergewichtsabnahme.
Klinischer Befund: Am linken Rippenbogen Tumor za fhhlen.
Probefrühstück: Sonde stößt bei 42 cm aaf; nichts zu exprimieren.
Röntgenbefund: 23. Januar 1909. Stark ptotischer Magen:
KUllongsdefekt der kleinen Kurvatur dicht unterhalb des Fundus. Defekt
und Tumor fallen zusammen. Siehe Fig. 4 p. 192.
.Diagnose: Karzinom der kleinen Kurvatur im Bereiche des
Magenkorpus.
Epikrise: Trotz seines hohen Sitzes war das Carcinom in diesem
Falle palpabel, weil ein außerordentlicher Tiefstand des Zwerchfells vor¬
lag, so daß die betreffende Partie noch der Palpation zugänglich war.
Fall 38. Michael B. 60 Jahre alt.
Anamnese: Seit 3*/, Monaten kein Appetit ohne sonstige Magen¬
beschwerden.
Klinischer Befund: Im Epigastrium etwas oberhalb des X&bels
Tumor palpabel. Probefrübstück: freie HCl negativ; HCl-Defizit = 18:
Oesamtacidität = 10. Mikroskopisch: Fett, Stärke, Fettsäurenadeln, rote
Blutkörperchen, Milchsäurebazillen.
Röntgenbefund: 26. Juli 1909. Kaudaler Teil und Pars
pylorica des Magenschattens sehr stark verengt, mit rundlichen Ans¬
zackungen versehen, wie sie für Tumor charakteristisch sind. In der Tat
ist dortselbst ein Tumor zu fühlen. Siehe Fig. 5 p. 192.
Diagnose: Zirkuläres Carcinom der Pars pylorica auf das Korpus
übergegangen.
Fall 38. Lorenz St. 45 Jahre alt.
Anamnese: Seit 1 j 2 Jahr „Magenleiden“, feste Speisen bringt er
nicht hinunter, „sie stemmen Bich an“, Flüssiges kann er schlucken:
Erbrechen nicht vorhanden, Appetit gering.
Klinischer Befund: Kein Tumor palpabel. Probefrühstück:
Sonde stößt bei 42 cm auf unüberwindlichen Widerstand. Kein Inhalt
zu exprimieren.
Röntgenbefund: 20. September 1909. An der medialen Seite
der sehr großen spontanen Fandusblase ist ein durch eine tiefe Forche
in zwei Teile geteilter Tumor sichtbar. Übriger Teil des bismutgefüllten
Magens zeigt keine Besonderheit (Holzknechtsform). Im unteren Oso-
phagusabschnitt Stauung der Ingesta und geringe Regurgitation. Siehe
Fig. 6 p. 192.
Diagnose: Carcinom der kleinen Kurvatur im Bereiche des
Fundus, welches die Cardia miteinbezieht.
Epikrise: Hier entscheidet die Röntgenuntersuchung die Diagnose.
Klinisch konnte höchstens Ösophaguscarcinom angenommen werden. Die
Röntgenuntersuchung aber zeigt, daß ein Magencarcinom vorliegt,
welches auf die Cardia übergegriffen ist.
Fall 39. Marie M. 51 Jahre alt.
Anamnese: Seit 1 / 2 Jahr krank, Appetitlosigkeit, Kreuzschmerzen.
Aufstoßen, kein Erbrechen, Körpergewichtsabnabme 30 Pfund, Mattigkeit.
Gck igle
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Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose des Magenearcinoms. 195
Klinischer Befund: Kein Tumor, sondern nur undeutliche
Resistenz im Epigastrium. Probefrühstück: freie HCl negativ, zur
quantitativen Untersuchung Menge zu gering. Milchsäure negativ. Mikr.:
Nur Stärke und Fett, keine Milchsäurebazillen.
Röntgenbefund: 6. Oktober 1910. Totaler Defekt der Pars
pylorica eines sonst normalen Riedermagens. Bei Scbirmpalpation tumor-
artige Resistenz entsprechend dem Defekt. Siehe Fig. 7 p. 192.
Diagnose: Carcinom der Pars pylorica und der kleinen Kurvatur.
Operation (Prof. Burkhardt): Resektion, Enteroanastomose.
Befund: Carcinom der Pars pylorica von der kleinen Kurvatur ausgehend.
hall 45. Johann D. 46 Jahre.
Anamnese: 8eit 10 Wochen Magendrücken, öfters Erbrechen,
bes. nach FleischgenuB, geringer Appetit, Obstipation.
Klinischer Befund: Kein Tumor palpabel. Probefrtihstück:
400 ccm exprimiert; freie HCl negativ; HCl-Defizit = 12; Gesamt¬
acidität = 14. Mikroskopisch: Fett, Stärke, Detritus, Muskelfasern, spär¬
lich Milchsäurebazillen.
Röntgenbefund: 13. Januar 1910. An Stelle des Magens ist
ein plumper Sack sichtbar, welcher nach rechts in eine stumpfe
8 pitze ausmündet. Der Sack ist offenbar quergedehnt und stark er¬
weitert, da die Bismutmahlzeit ihn nur zum Teil anfüllt. Es liegt hier
ein von Hause aus offenbar dem Holzknecht’echen Typ zuzurecbnender
Magen vor, dessen horizontal gelegener Endteil durch einen mächtigen
Tumor eingenommen wird, welcher das Msgenlumen dort auf ein
Minimum reduziert, so daß seine Bismutfüllung unsichtbar wird. Der
supponierte Tumor ist aber auch bei Schirmpalpation unter Röntgenlicht
nicht fühlbar. 8iehe Fig. 8 p. 192.
Diagnose: Carcinom der Pars pylorica bzw. eines angrenzenden
Teiles des Korpus. Turoorstenose.
Epikrise: Die Röntgenuntersuchung war hier ausschlaggebend für
die Diagnose, da ein Tumor nicht zu fühlen war; letzteres trotz einer
wahrscheinlich bedeutenden Größe deswegen nicht, weil er bei dem hoch¬
stehenden Magen ganz unter der Leber verborgen lag.
Fall 49. Philipp H. 64 Jahre alt.
Anamnese: Seit */ 4 Jahr Magendrücken nach dem Essen, kein
Erbrechen, Appetitlosigkeit, Obstipation, Körpergewichtsabnahme 10 Pfund.
Klinischer Befund: Tumor in der Mitte des Epigastriums zu
fühlen. Probefrühstück: freie HCl negativ, Uffelmann schwach positiv.
HCl-Defizit = 64. Gesamtacidität = 42. Mikroskopisch: Fett und
Fettsäurenadeln, Stärke, Detritus, Muskelfasern, mäßig Milchtäurebazillen.
Röntgenbefund: 15. Februar 1910. Nicht erweiterter Rieder-
magen. Defekt der Pars pylorica. Dortselbst Tumor palpabel. Siehe
Fig. 9 p. 192.
Diagnose: Carcinom der Pars pylorica.
Operation: 1. März 1910 (Prof. Enderlen). Gastroentero-
atomia anterior, Enteroanastomose. Befund: Apfelgroßes Carcinom des
Pylorus stark mit Pankreas verwachsen. Ausgedehnte Metastasen in
Netz und Mesenterium.
13*
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196
Faulhaber
Fall 56. Kaspar S. 37 Jahre alt.
Anamnese: Seit 1 j 2 Jahr Druck im Magen, welcher seit 14 Tagen
stärker wurde. Pat. erbrach 2 mal auf Diätfehler.
Klinischer Befund: Ein Tumor ist nicht zu fühlen. Probe-
frühstück: freie HCl negativ. HCl-Defizit = 14. Ges.-Acid. = 12.
Mikroskopisch: Fett, 8tärke, vereinzelte lange Bazillen.
Röntgenbefund: 13. Juni 1910. Normaler Riedermagen;
Defekt der Pars pylorica. Zwei kleine Wismutschatten rechts oberhalb
des Nabels (im Anfangsteil des Duodenums?). An der Stelle des Defektes
ist unter Röntgenlicht deutlich ein Tumor zu fühlen. Siehe Fig. 10 p. 192.
Diagnose: Carcinom der Pars pylorica.
Operation: 14. Juli 1910 (Prof. End er len). Resektion. Bill-
roth II. Befund: hühnereigroßes Carcinom der Pars pylorica. Tumor
lag vollständig unter der Leber.
Tabelle 2.
Übersicht über die der Arbeit zugrunde gelegten 56 Fälle von
Magencarcinom.
Zeichenerklärung: X Tumor palpabe), XI Tumor unter Röntgenlicht palpabel,
— Tumor nicht palpabel.
Fall
Nr.
Name
! Ater
Jahre
1
Tumor
palpabel?
! Röntgenbefund
•i Sitz des 1 Masrengröße
| Carcinoms 1 und Form
Operation
1
Johann B.
1 !
’ 54
X
I
Pars pylor.
ptotisch
2
Franz Josef R.
65 ;
X
V
normal (Rieder)
3
Theodor K.
53
X
71
erweitert u.
1 ptotisch
Resektion.
4
Johann F.
61
—
Pars cardiaca
i
normal (Holz-
! knecht)
5
Josefine A.
63
X(
Pars media
ptotisch
6
Michael YV.
63
—
Pars pylor.
stark erweitert
u. ptotisch
i
7
Pauline A.
46 |
X
Pars media
ptotisch
8
Georg H. j
72
IX '
71
leicht ptotisch
9
Martin S.
45
X I
Pars pylor.
71
10
Anna R.
37
X 1
71
ptotisch
11
Ludolf F.
1
55 i
X ,
Pars ined. et
pylor.
normal (Holz¬
knecht)
12
Klara O.
38 |
x:
Pars pylor.
ptotisch
13
Nikolaus R.
63 1
x
n
* 1
14
Konstantina G. j
49
x I
71
erweitert u. 1
ptotisch |
15
Valentin B.
40
i
X
„ normal (Rieder)
Proheiaparat.
inoperab.
10
fnnorenz V.
54
—
Sch ruinj
Jcarcinom |
17 'Josef. K.
55
X
Pars media
normal (Rieder)'
18 Louis L.
65
—
Scbrumpfcarcinoni
19 Isaak X.
|
—
Pars pylor.
ptotisch
Resektion.
20 |<
'lotilde L.
26
X :
71
erweitert u. j
21 1"
\ndreas II. ,
1
58
1
X
J?
stark ptotisch '
normal (Rieder)!
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Die Bedeutung der Röntgenuntersuchung für die Diagnose des Uagencarcinoms. 197
Fall
Nr.
Name
!
Alter
Jahre
Tumor
palpabel ?
Röntgenbefund
Sitz des I Magengröße u.
Carcinoma ! Form
Operation
22
Katharina F.
56
1
1 x
i
Pars pylor.
normal (Rieder)
Probelaparot.
23
Wilhelm P.
46
X
Pars media
1
inoperabel.
24
Anton W.
43
X
Pars pylor.
W
Gastro-
25
Marie K.
58
X
Pars media
ptotisch
enterostomie.
1
26
Eduard T.
51
X
fl
normal (Rieder)
27
Therese Sch.
62 ,
X
Pars pylor.
stark ptotisch
28
Stefan K.
47 1
X
n
ptotisch
29
Ambrosius G.
70
Pars media
normal (Rieder)
30
Ludwig H.
i 61
X
Pars pylor.
stark ptotisch
31
Georg Sch.
1 54 i
X
n
normal (Rieder) |
|
32
Dorothea K.
49
X
n
ptotisch
33
Michael B.
60 ;
X
n
i
34
Valentin S.
68
X
n
normal (Rieder)
35
Johann M.
56
X
n
ptotisch
Resektion.
36
37
Jakob Sch.
Georg K.
62
51 '
X
X
n
Pars pylor. et
media
Pars cardiaca
l ”
| B
n
38
Lorenz St.
45
—
1 normal (Holz-
1 knecht)
leicht ptotisch
39
Marie M.
51
‘X
Pars pylor.
n
40
Franz D.
55
X
r
ptotisch u. er-
n
41
Valentin J.
60
X
r* !
weitert
normal (Rieder)
Gastro¬
42
Michael L.
59 :
X
X:
n
ptotisch
enterostomie.
Resektion.
43
Konrad V.
49 1
n
normal (Rieder)
44
Jakob B.
67 '
—
Pars cardiaca
normal
45
Johann D.
46
—
Pars media
normal (Holz¬
46
Michael U.
52
X
et pylor.
Pars pylor.
knecht)
stark erweitert
Gastro¬
47
Jakob W.
81
X
w
u. ptotisch
»
enterostomie.
Resektion.
48
Franz H.
57
X
Pars media
normal
49
Philipp H.
64
X
et pylor.
Pars pylor.
ptotisch
Gastro¬
50
Pauline E.
38
X
T)
stark ptotisch
enterostomie.
n
51
!
Frau M.
60
X
1 n
u. erweitert
normal (Rieder)
Resektion.
52
Kilian H.
! 52
X
n
53
Amalie H.
42
X
große Kur¬
stark deformiert
54
Barbara K.
47
IX
vatur
r
n. geschrumpft
yj
55
Michael F. ,
49
X
Pars media
normal
56
; I
Kaspar S. !
37
X
et pylor.
Pars pylor.
normal (Rieder)
n
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Ans der medizinischen Klinik in Heidelberg.
Beitrag zur Frage der Blutgeschwindigkeit bei Anämie.
Von
Dr. Viktor Weizsäcker.
Man nennt unter den Vorrichtungen, welche den Hämoglobin-
mangel der Anämischen für die Aufrechterhaltung der Organfunktion
ausgleichen sollen, gewöhnlich die Erhöhung der spezifischen
0,-Kapazität, die vermehrte Ausnützung des arteriellen Blutes und
die Vergrößerung der vom Herzen in der Zeiteinheit in Umlauf
gesetzten Blutmenge. Daß solche Kompensationen stattfinden
müssen, gilt als sicher, da der respiratorische Gaswechsel nicht
verringert, im Gegenteil zuweilen erhöbt gefunden wurde. Was
nun die Änderung der spezifischen 0 2 -Kapazität anlangt, so darf
nach den neuen Untersuchungen von Butterfield (1), Masing (2i
und Siebeck (3) angenommen werden, daß dieser Faktor nicht
in Betracht kommt. Ferner ist die erhöhte Ausnutzung des arte¬
riellen Blutes, wenn überhaupt vorhanden, zu gering, als daß sie
die Sauerstoffversorgung der Anämischen verständlich machte
(Morawitz u. Rohm er (4)). Somit drängt der gegenwärtige
Stand der Frage immer mehr auf die Annahme eines erhöhten
Blutumlaufes hin. Gerade hier aber stehen die neuesten Beob¬
achtungen in schroffem Gegensatz. Plesch (5) findet das Minuten¬
volum vier- und fünffach erhöht, A. M ü 11 e r (6) dagegen an der
oberen Grenze der Norm.
Eine endgültige Erledigung der Frage ist nur von einer
sicheren Bestimmungsmethode der Gesamtmenge des in der Zeit¬
einheit vom Herzen umgetriebenen Blutes zu erwarten. Bekannt¬
lich sind gerade die neuesten der in dieser Richtung gehenden Ver¬
suche, die von Plesch und A. Müller, nichts weniger als zur
allgemeinen Anerkennung gelangt. Nach wie vor können die Me¬
thoden ihren Platz behaupten, welche das Problem in der Weise
angreifen, daß sie nicht das Schlagvolum, sondern die in einem
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Beitrag zur Frage der Blutgeschwindigkeit bei Auämie.
199
peripheren Körperteil zirkulierende Blutmenge bestimmen. Am
Tier ist die in dieser Beziehung exakteste Methode auch heute
die direkte Eichung mit der Stromuhr.
Ich bediente mich in sämtlichen Versuchen der Stromuhr von
Tigersted t.
Herrn Professor Gottlieb, der mir das Instrument in liberal¬
ster Weise zur Verfügung gestellt hat, erlaube ich mir, an dieser
Stelle meinen verbindlichsten Dank auszusprechen.
Als Versuchstiere wurden Hunde benutzt und die Bestimmungen
wurden an der Carotis communis ausgeführt.
Die Versuchsanorduung folgte im wesentlichen den Vorschriften
Tigerstedt’a (7), nur mit dem Unterschiede, daß die zur Kontrolle
etwaiger Gerinnungen angebrachten Manometer in der zu- resp. ab¬
führenden Kanüle der Stromuhr angebracht waren. Zur Narkose wurde
den Hunden 5—7 mg Morphin pro kg subkutan injiziert und während
der Operation und des Versuches nach Bedarf Äther gegeben. Während
der Versuche war letzteres meist unnötig. In den Versuchen mit akut
durch Aderlaß anämisch gemachten Tieren wurde pro 5 ccm Blut 1 mg
Hirudin intravenös gegeben.
Zunächst wurde in einigen Versuchen das normale Stromvolum
gesunder Tiere bestimmt. Es wurden dabei Werte gewonnen, die
mit denen von Tschuewsky(8) mit der Hürthle’schen Stromuhr
gemessenen vollkommen übereinstimmen.
Tabelle I.
Nummer
Gewicht
1 ?
Hämoglobin
10
ccm
Sek.
in
6400
95
0,65
IV
7350
90
2,00
I
9750
1
1,67
VI
20000
90
2,53
Tschuewsky 3
11200
—
1,31
„ 7
15000 !
1
2,24
„ 16
15000
I
—
1,62
Da es bei Benutzung der gewöhnlichen Vivisektionstechnik
kaum möglich ist, die gleiche Carotis für zwei Versuche — erst
am normalen, dann am anämisierten Tier — zu benutzen, so ergab
sich die Notwendigkeit, Werte verschiedener Gefäße zu vergleichen.
Hierzu die andere Carotis desselben Tieres zu benutzen, ging nicht
an, denn nach Unterbindung der einen Carotis tritt möglicherweise
eine kompensatorische Erweiterung der anderen ein, welche Ver¬
mehrung des Blutstromes zur Folge hat (9); wenigstens konnte
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WeIZ8ÄCKBR
SOG
diese nicht ausgeschlossen werden, um so mehr als ein darauf ge¬
richteter Versuch sie nicht unwahrscheinlich machte:
Tabelle II.
Datum Versuchs-Nr. !
Sek.
6 . Oktober 1908
II
1,16 linke Carotis
8 . Oktober 1906
II
1,75 rechte Carotis
Ebensowenig geht es an, etwa zwischen Carotis und Femoralis
ein konstantes Verhältnis anzunehmen und so an einem Tier vor
und während der Anämie vergleichbare Werte dieser beiden Ge¬
fäße zu suchen, wie schon Dogiel (9) gezeigt hat. So blieb nichts
übrig, als die oben genannten Normal werte mit solchen anderer
zuvor anämisch gemachter Hunde zu vergleichen. In diesem Vor¬
gehen, und zugleich in der großen Variabilität, der die Blutströ-
mung schon normalerweise unterliegt, können schwerwiegende Be¬
denken gegen die ganze Methode gefunden werden. Ein Blick
auf die Tabellen I und II lehrt aber, daß erstens die Gesamt¬
heit aller gefundenen Werte sich innerhalb so enger Grenzen be¬
wegt, daß Ausschläge wie sie Pie sch gefunden hat und wie sie
die Theorie auch bis zu einem gewissen Grade fordert, sich fraglos
geltend machen mußten. Ferner zeigte der einzelne Versuch jedes¬
mal eine so große Konstanz der Stromperioden, daß auch jene
Variabilität der Blutverteilung nicht allzustörend gewirkt haben
kann. Versuche, die methodisch nicht ganz einwandfrei waren
und diese Konstanz nicht zeigten, wurden ansgeschlossen. Tabelle IIa
zeigt die Gleichmäßigkeit des Blutstromes auf das deutlichste.
Tabelle Ilb gibt eine Übersicht über die an subakuten Blutgift¬
anämien erzielten Resultate. Die Anämisierung erfolgte teils durch
Pyrodin per os, teils durch salzsaures Phenylhydrazin subkutan
nach den Vorschriften von Tallqvist (10) in 1—3 Wochen. Ein¬
mal wurden auch Aderlässe angewandt (Nr. XH). Diese Reihe
zeigt bei den hohen Graden der Hämoglobin Verarmung, insbesondere
wenn die Anämie etwas länger im Gange war, eine recht deut¬
liche Erhöhung der Stromvolumina. Zu dem besonders hohen Wert
von Versuch Nr. VIII ist jedoch zu bemerken, daß sich bei der
Operation eine geringe Struma herausstellte, die immerhin einigen
Einfluß auf die Zirkulationsverhältnisse des Halses gehabt haben mag.
Um die Unterschiede, welche durch die Verschiedenheit der
Größe unserer Versuchstiere bedingt sind, mehr zurück treten zu
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Beitrag zur Frage der Blutgeschwindigkeit bei Anämie.
201
lassen, sind die Stromvolnmina auf die Einheit der Körperober¬
fläche nach der Formel von Meeh (Rnbner(ll)) bezogen und
Tabelle Ila.
Versuchs-
Nr.
IV
II X
VII VIII
V
1
1 IX
Periode
Dauer der Perioden in Sekunden
1 I 4,6 5,5 4,6 5,5 2,0 3,5 4,0
2 5,0 7,5 4,5 4,5 2,0 4,0 3,0
3 5.0 7,5 5,0 6,0 1,5 3,5 3.0
4 5,0 8,5 5,0 6,0 2,0 5,0 3.0
5 5,0 8,5 5,0 6,0 1,5 3,5 2,0
6 1 5,5 8,0 5,0 6,0 2,0 5,0 2,5
7 5,0 8,0 5,5 7,0 2,0 6,5 2,0
8 5,0 9,0 5,5 6,0 2,0 7 5 2,5
9 5,0 9,0 6,0 6,5 1,5 6,0 2,0
10 5,0 9,0 5,5 5,6 2,0 6,0 2,0
11 4,5 9,5 5,5 5,6 1,5 5,0 2,0
12 5.5 9.5 5,5 5,0 2,0 5,0 2,5
13 5,0 12,5 5.5 4,6 1,5 4,0 2,0
14 I 5,0 7,5 5,5 4.5 2,0 4,5 2,5
15 5.0 10,0 6,0 4,5 1,5 3,5 2,0
16 5,0 10,0 4,5 5,5 2,0 3,5 2,5
17 5.0 7,6 5,5 4,5 1,5 3,0 2,5
18 5,0 8,5 4,5 4,5 1,5 4,0 2,5
19 4,5 7,5 5,0 5,0 1,5 3,5 2,5
20 5,5 8,0 4,5 4,0 2,0 4,0 2,5
21 I 5,5 8,0 5,0 5,0 1,5 3,0 2,5
22 4.5 7,5 5.0 4,5 2,0 4,0 3,0
23 4,5 8,0 5,0 5.5 2,0 3,5 2,5
24 4,5 8,5 4,0 5,0 2,0 3,5 3,0
26 4.5 — i 5.0 5,5 1,5 4,0 2,5
26 | 5iO — 4:0 6,5 2,0 4,5 3,5
27 5,0 — 4,5 | 6,5 1,5 4,0 3,0
28 5,5 — 4,5 — 2,0 4,5 3,0
29 4,5 i — 4.5 1 — 1,5 3,5 3,0
30 — — 4,5 - 2,0 4,0 3,5
31 — — 5,0 — 1,5 3,5 3,0
32 — — 4,5 - 2,0 4,5 3,5
33 — — 5,0 — 2,0 3,5 3,5
34 1 — — ! 4,5 — 2,0 4,5 3,5
35 1 - — 5,5 — 2.0 5,0 3,5
36 — — 4,5 - 2,0 4,5 -
37 — — 5,0 — 2,0 4,0 —
38 . — — 5,0 — 2,0 4,5
39 — — 4,5 — 2,0 4,5 —
40 — — ! 4,5 : - 2,0 5,0 —
41 — — 5,5 ! — — 4,0 —
42 — — 5,0 — — 5,0 —
43 — I — 5,5 — — 4,5 —
44 — I — 5,5 — — 5,5 —
45 — — I 6,0 — — 2,5 —
46 — — 5,0 — — 5,5 —
47 — , — 6,0 — ] — 4,0 -
48 — 1 5,5 — — 5,0 —
49 — — 6,0 I — — 5,0 —
50 — — 5,5 | — ! — 6,0
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202
Weizsäcker
im letzten Stab der Tabelle II b zusammengestellt worden. Ba£
die Beschleunigung bei Versuch Nr. V eine relativ geringe ist.
liegt vielleicht an der Kürze der Zeit, seit welcher die Anämie
bestand (nur 6 Tage gegen 22 und 19 in Nr. VIII und IX).
Tabelle Ilb.
Vers.-Nr.
Gewicht g
vor | nach
der Anämisierung
Dauer der
Anämisierung
Hämogl.
%
ccm
Sek.
ccm
~SeT
pro 1 qm
Körperober-
fläche
IV
7460
90
2,00
4,77
II
8400
—
—
65
1,16 |
2,53
X
10800
—
—
60
1 1,88 !
1 3,47
VII
5400
—
20.-28. XI.
55
1 -1,86 '
5.45
VIII
10800
10000
6.-28. V.
25
5,48 1
10,58
V
15400
14200
21.—27. X.
20
| 2,27
3,49
IX
7900
7200
6.-25. V.
20
, 3,65 '
1 1
8,82
Um aber den früher erwähnten Mängeln der Methode noch
mehr auszuweichen, sind auch Versuche bei akuter Anämie an¬
gestellt worden, welche in einem Versuche normale und patho¬
logische Verhältnisse enthielten.
Zu diesem Zwecke wurde die Stromuhr wie gewöhnlich in die
Carotis eingesetzt, in die Art. und Ven. femoralis je eine Kanüle
eingebunden, so daß aus ersterer Blut entnommen, durch letztere
Ringer’sche Lösung infundiert werden konnte.
Da die ersten Versuche nämlich zeigten, daß (wie auch C. Tiger-
stedt(12) für vermehrte Blutmenge gezeigt hat), die vom Herzen
ausgeworfene Blutmenge offenbar von der Größe der Gesamtblnt-
menge erheblich beeinflußt wird, indem die Stromvolumina nach den
Aderlässen stark sanken und dauernd niedrig blieben, ebenso wie
sie bei reichlicher Kochsalzlösungzufuhr bedeutend stiegen, so wurde
später die entnommene Blutmenge möglichst gleichzeitig und genaa
quantitativ durch Ringer’sche Lösung ersetzt. Es läßt sich an¬
nehmen, daß die Ringer’sche Lösung als solche (etwa auf toxischem
Wege) keinen erheblichen Einfluß im Sinne der Beschleunigung
oder Verlangsamung ausüben wird.
Der Einfachheit wegen ist in den folgenden Tabellen immer
eine größere Gruppe von Stromuhrperioden zusammengefaßt worden,
und für diese Gruppe der Durchschnittswert der Geschwindigkeit
angegeben worden. Der bei jeder Gruppe vermerkte Eingriff, Ader¬
laß oder Transfusion erfolgte am Ende dieser Gruppe. Seine
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Beitrag zur Frage der Blutgeechwindigkeit bei Anämie.
203
Wirkung drückt sich also in den Zahlen der jeweils nächstfolgen¬
den Gruppe aus. Die Gesamtblutznfuhr in einem bestimmten
Zeitabschnitt erhält mau, m ccm, indem man die Zahl der Perioden
des Zeitabschnittes mit 10 multipliziert, da einer Periode eine
Förderung von 10,0 ccm Blut entsprach.
Tabelle III.
Nr. 4. Gewicht 12000 g, Morphin 0,084, Hirudin 0,1.
Versuchsdauer: 63 Minuten.
Periode
Zeit
in Minuten
in Se¬
kunden
Geschw. ^ c * 11
Sek.
Hämogl.
0/
Io
Bemerkungen
1—25
0—3,38
203
1,23
0,38
97
Aderlaß 200 ccm.
26—30
3,38—5.57
131
—
Transfusion von physio¬
logischer NaCl-Lösung.
31—90
5,57—9,73
1
284
2,11
1
geringe Blutung (ca. 30
ccm) an der Stromuhr-
kanttle -f- Aderlaß 200 ccm.
124—128
! 14,98-16
62
0,81
—
Transfusion.
129—180
16-18
142
: 3.52
I -
Aderlaß 200 ccm.
181—192
18-20
106
1,12
1 -
Transfusion.
193—228
20-22
138
2,61
! 26
Aderlaß 200 ccm.
229—239
22-24
102
1,08
—
Transfusion.
240-268
1 24—26
148
1,96
• —
Aderlaß 200 ccm.
269—278
26-28
112
0,89
—
Transfusion.
279—328
1 28-33
286
1,75
I —
Aderlaß 160 ccm.
329—336
33-35
101
0,79
—
Transfusion. s
337-357
35—38
180
1,17
1
1
Störung der Schreibvor¬
richtung.
362—385
39—43
257
0,93
—
Folgen eines Aderlasses
386-544
43—62
1161
1,36
ca. 7
zu 160 und drei Aderlässen
zu je 200 ccm mit ent¬
sprechenden Transfusionen.
Tabelle IV.
Nr. 5. Gewicht 6050 g, Morphin 0,03, Hirudin 0,05.
Versuchsdauer: 52 Minuten.
Periode
Zeit
in Minuten
in Se¬
kunden
'Geschw. £5 Hä “ ogl -
Sek. io
Bemerkungen
1-32
0 —8,1
486
0,66
i
90
Aderlaß 180 ccm -f-
Ringertransfnsion ISO ccm
(gleichzeitig).
33—64
8,1—19
704
0,47
—
65-72
19—46
2499
0,03
Blutung mit nachfolg.
Ringertransfnsion.
73-88
46—51
i
1
326
0,49
J
46
j Gerinnung in der Uhr
! macht dem Versuch ein
Ende.
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Gck igle
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204
Wkizsackeh
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Tabelle V.
Nr. 6. Gewicht 4100 g, Morphin 0,012, Hirndin 0,07.
Versuchsdauer: 78 Minuten.
Periode
Zeit
in Minuten
in Se¬
kunden
Geachw. S^ Hämogl.
Sek.! %
Bemerkungen
1—7
0—4
1
265
' 0,26
1
78
8—37
4-15 |
660
0,45
Aderlaß 54 ccm.
38-49
15—22
409 I
0,29 j
- 1
Ringertransf. 54 ccm
50-66
22—31 1
552 |
0,29 ;
65 |
Aderlaß 51 ccm.
66—68
31—35 1
257 1
0.12
Ringer 50 ccm
69-88
35 —oo |
t
613 ;
0,33 !
1
50
Aderlai» 55 ccm — Rinr
55 ccm.
89—92
55—63
442 !
0,09 |
35 !
Ringer 250 ccm.
93
63—67
248
0,04
_
94—96
67—72
320
0.09
—
Exitus.
Tabelle VI.
Nr. 8. Gewicht 8000 g, Morphin 0,032, Hirudin 0,1.
Versuchsdauer: 34 Minuten.
Periode
Zeit
J in Minuten
J in Se-
1 künden
i
Geschw.
Sek
H&mogl.
%
Bemerkungen
1—32
0-5
304
! 1,07
95
Aderlaß 50 ccm.
33—47
5—7 !
168
0,88
I
Ringer 50 ccm.
48-60
7—10 |
1
i
176
0,72
1
;
Gerinnung in der Qr
n. geringe Blutung. Reini¬
62-86
0-2 |
175
1,46
85
gung d. Uhr. Ringer 20 ce;r.
87 -103
2-5
146
1
Abermals Gerinnung.
Versuch wird abgebrochen
Zur Kritik dieser Versuche ist zu sagen, daß ohne Bestim¬
mung des respiratorischen Gas Wechsels natürlich nicht mit Sicher¬
heit behauptet werden kann, ob und wie lange die Sauerstoffver-
sorgung eine normale geblieben ist, ob also jener Widersprach
zwischen dem 0 2 -Verbrauch und der zirkulierenden Hämoglobin¬
menge wirklich besteht. Daß zu irgendeiner Zeit die Kompen¬
sationsvorgänge angefangen haben zu versagen, ist sogar höchst
wahrscheinlich, denn die Tiere wurden gewöhnlich bis zur
Erschöpfung entblutet und starben kurz nach Beendigung der
Versuche.
Kerner ist gerade der erste Versuch (Tabelle III), welcher am
deutlichsten eine, wenngleich geringe Beschleunigung anzeigt, am
wenigsten beweisend, weil hier gerade die Zufuhr der Salzlösung
filier von physiologischer Kochsalzlösung) erst nach jedem Aderlaß
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Beitrag zur Frage der Blutgeachwindigkeit bei Anämie.
205
and ziemlich plötzlich erfolgte und zadem mehr Kochsalzlösung
zugeführt wurde, als Blut entnommen war, was eben eine vorüber¬
gehende Vermehrung der Gesamtbltttmenge bedeutet und diese
kann nach C. Tigerstedt (12) offenbar aus ganz anderen Gründen
(mechanisch-reflektorischer Art?) eine Vergrößerung der Schlag¬
volumina zur Folge haben. Man kann wohl sagen, es sei einerlei,
ob die Gründe dieser Vergrößerung mechanische seien oder ob sie
in den Folgen des Hämoglobinmangels liegen, im Effekt sei diese
Vergrößerung in Absicht auf den durch Blutverdünnung bedingten
CL-Mangel eben zweckmäßig. Dagegen ist einzuwenden, daß, ab¬
gesehen vielleicht von der Chlorose, die Mehrzahl Anämien nicht
mit Vermehrung, sondern wahrscheinlich mit Verminderung der
Blutmenge einhergehen (13), daß hier jenes mechanische Moment
also fehlt. Es geht also nicht an, für diese Anämien die Beschleuni¬
gung, die C. Tigerstedt gefunden hat, und mit der mein erster
Versuch in Einklang steht, als Beispiel einer Kompensationsvor¬
richtung anzuführen. Trotzdem ist festzustellen, daß Versuch Nr. 4
und 8 (Tabelle III und VI) eine geringe Erhöhung der Strom¬
volumina während der Anämisierung erkennen lassen und am deut¬
lichsten der 4. Versuch. Wenn man in diesem nicht die unmittel¬
bar nach den Transfusionen eintretenden Stromvolumina berück¬
sichtigt, sondern die Durchschnittsvolumina am Anfang, Mitte und
Ende des Versuches, so erhält man auch in dieser Berechnung eine
Erhöhung um bis zu ca. 60% gegenüber dem Anfangswert des
Versuches:
Periode
Hämogl.
%
ccm
Sek.
Zunahme
! °/o
1-25
! 97
1,23
! -
181—228
26
1,97
ca. 60
386-544
7
1,36
ca. 9
Diese Versuche also lassen, besonders wenn man nur den
ersten Zeitabschnitt, während dessen man die Leistungsfähigkeit
der Kompensationsmechanismen wohl als unbeeinträchtigt ansehen
darf, teils keine, teils nur eine geringe Erhöhung der Strom¬
volumina in der Carotis erkennen. Mag man den Einfluß mecha¬
nischer Umstände, wie Gesamtblutraenge, Konfiguration der Gefä߬
höhle, Viskosität in den vorliegenden Versuchen hoch oder gering
veranschlagen — die Tatsache, daß einwandfreie erhebliche Kom¬
pensationsbestrebungen nicht zur Beobachtung kamen, läßt einen
deutlichen Gegensatz dieser akuten Aderlaßanämien gegenüber den
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206 Wkizsäckkb, Beitrag zur Frage der Blntgeschwindigkeit bei Anämie.
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innerhalb einiger Wochen entstandenen erkennen. Allerdings, dies
alles gilt nur für die Carotis. Aber gerade in der Carotis hätte
man solche Kompensationen teleologisch am frühesten zu erwarten,
und wenn Schlüsse von ihr auf den Gesamtkreislauf auch nur in
beschränktem Maße zulässig sind — eine sehr erhebliche Erhöhung
der Schlagvolumina machen die Versuche doch unwahrscheinlich
Für die chronische Anämie dagegen bildet die erste Versuchs¬
reihe eine weitere Stütze der Annahme, daß eine Kompensation
durch Beschleunigung des Blutumlaufs eintritt Nimmt man die
anderen eingangs erwähnten Kompensationsvorrichtungen hinzu, so
hat die Frage der Aufrechterhaltung des Gasaustausches bei Härao-
globinverarmung wohl keine Schwierigkeit. Zu untersuchen wäre
immerhin noch, ob die von Bohr angenommene Sauerstoffzehrung
innerhalb der Lunge bei den Anämien besteht resp. erhöht ist
Die Tatsache, daß bei Sauerstoffmangel intermediäre Produkte
(Milchsäure) ins Blut treten, würde der Annahme, daß in der Lunge
ein Teil der sonst in anderen Geweben stattfindenden Verbrennungen
zustande käme, jedenfalls nicht ungünstig sein. Hierbei, wie bei
anderen Fragen, wäre jedenfalls zu beachten, daß sich die akuten
und die chronischen Anämien insbesondere in bezug auf den Kom¬
pensationsmechanismus prinzipiell verschieden verhalten.
Dies geht jedenfalls deutlich aus den vorstehenden Versuchen
hervor und erklärt vielleicht auch die Beobachtung, daß unsere
Tiere die akute Anämisierung sehr viel schlechter ertrugen als die
allmähliche. Es ist demnach nicht unwahrscheinlich, daß die
Hämoglobinwerte, die zur Erhaltung des Lebens eben noch aus¬
reichend sind, bei der akuten Anämie höher liegen als bei der
chronischen.
Literatur.
1. Butterfield, Zeitschr. f. pbysiol. Chemie 62 p. 173.
2. Masing, Arch f. klin. Med. 98 p. 122.
3. Masing u. Siebeck, Arch. f. klin. Med. 99 p. 138.
4. Mora witz u. Röhmer, Arch. f. klin. Med. 94 p. 529.
5. Kraus, Deutsche med. Wochenscbr. 1909 p. 239, Plesch, Zeitschr f. exp.
Therap. 6.
6. A. Müller, Arch. f. klin. Med. 97 p. 127.
7. R. Tigersted t, Skandin. Arch. f. Phys. 1892 p. 145.
8. Tschuewsky, Archiv f. d. ges. Phys. 97, 1903 p. 270.
9. Dogiel, Ber. über d. Verhaudl. d. Stichs. Ak. d. Wiss. 1867 p. 264.
10. Tallqvist, Experimentelle Blut gif tauämien 1900, Hirschwald.
11. Rubuer, Zeitschr. f. Biol. 19, 549, 1883.
12. C. Tigerstedt, Skand. Arch. f. Phys. 1908 p. 197.
Go^ gle
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Besprechung.
F. Kraus und G. Nikolai, Das Elektrokardiogramm des
gesunden und kranken Menschen. Mit zahlreichen zum
Teil mehrfarbigen Figuren. Leipzig, Verlag von Veit u. Comp.
1910, 322 Seiten.
Mit gewohnter Initiative hat Kraus, nachdem er vor 3 Jahren
als erster Kliniker sich der neuen von Einthoven angegebenen elektro-
graphischen Methodik bediente, seine Studien auf diesem Gebiete fort¬
gesetzt und es jetzt im Verein mit G. Nikolai unternommen, in voll¬
ständigerer Weise als bisher die eigenen Versuchsergebnisete und klini¬
schen Beobachtungen unter Berücksichtigung der vorliegenden Literatur
dazulegen. Indem die Verf. außerdem sich bemühten, die wissenschaft¬
lichen Grundlagen und die Technik des elektrographischen Verfahrens
ausführlich zu beschreiben, suchten sie es auch anderen zu ermöglichen,
sich in der relativ verwickelten Materie zurechtzufinden und selbständig
mit der neuen Methode zu arbeiten, welche sie besonders zu klinisch-
diagnostischen Zwecken empfehlen. Mit Hecht sehen sie in
dieser Methode eine Ergänzung der schon vorhandenen Untersuchungs-
methoden des Herzens, welche, wenn sie letzterer auch in mancher
Richtung nachstellt, in vieler Beziehung dieselben doch überflügelt hat.
Die Arbeitsteilung haben die Verf. in der Weise vorgenommen, daß
Nikolai im wesentlichen den theoretischen ersten Teil, Kraus den
klinischen zweiten Teil niederschrieb.
Der Inhalt des ersten Teiles bezieht sich auf die Entstehung und
Bedeutung des Elektrokardiogramms, auf die Abhängigkeit der elektro¬
graphischen Kurve von der Art der Ableitung, auf die Technik der
S&itengalvaoometerarbeiten, auf die Form und Bezeichnung des normalen
menschlichen Elektrokardiogramms, auf die morphologischen und physio¬
logischen Grundlagen für die Analyse, Deutung und Erklärung der Form
der elektrokardiographisch gewonnenen Kurve.
Im zweiten Teil bespricht Kraus zunächst die Elektrokardiogra¬
phie als klinische Methode, um in den folgenden Kapiteln die Atrium-
nnd Ventrikelschwankung und ihre Abweichungen von der Norm unter
verschiedenen Bedingungen eingehend zu erörtern, wobei die genaue
Kenntnis der Literatur und die Vielseitigkeit ihrer Verarbeitung hervor¬
zuheben ist, besonders, wenn man bedenkt, daß Kraus in der Haupt¬
stadt des Reiches gewiß nur mit Mühe sich die Zeit erübrigte, um seine
immer anregenden Gedanken zu Papier zu bringen.
Kann der Ref. dem Buche als Ganzem nur uneingeschränktes Lob
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208
Besprechung.
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zollen, so will er andererseits nicht verschweigen, daß er mit einer An¬
zahl Einzelheiten nicht einverstanden ist. Es wäre aber gegenüber der
Gesamtleistung kleinlich und hier auch nicht Raum genug auf dies?
Einzelheiten einzugehen, wozu sich bei anderen Gelegenheiten genügend
Anlaß finden wird.
Es erscheint mir überflüssig, dieses Buch allen Medizinern zo
empfehlen, denn es empfiehlt sich schon genügend durch den Namen de*
Initiators und durch das wirklich vorhandene Bedürfnis nach einer zu¬
sammenhängenden Darstellung der elektrographischen Untersuchung**
methode und der mit ihr gewonnenen Ergebnisse. H. E. Hering.
Gck igle
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Aus der medizinischen Klinik in Heidelberg.
Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel
im Fieber.
Von
E. Grafe.
Unsere bisherigen Kenntnisse über den Stoffwechsel im Fieber
beim Menschen basieren fast ausschließlich auf den Ergebnissen
von Harnuntersuchungen und kurzdauernden Respirationsversuchen,
wie sie vor allem mit der Zuntz-Geppert’schen Methode angestellt
worden waren. Bis ganz vor kurzem lagen nur beim experimentell
erzeugten Fieber der Tiere einige länger dauernde, auch den
Lungengaswechsel umfassende Untersuchungen vor.
Erst in letzter Zeit sind auch beim Fieber des Menschen mit
dem Atwater-Rosa’schen Apparate von Carpenter und Bene¬
dict 1 2 ) einige Versuche angestellt worden. Allerdings handelte
es sich um ein vorübergehendes, offenbar sehr leichtes Fieber (bei
Quecksilbervergiftung), so daß die dort gewonnenen, interessanten
Resultate nicht ohne weiteres für das Fieber überhaupt verallge¬
meinert werden können. Leider fehlen Angaben über den Stick¬
stoffgehalt des Harns, so daß sich der Anteil der Eiweißkörper
an dem Fieberstoffwechsel nicht ersehen läßt.
Zwei Fragen sind es vor allem, die durch die vorliegenden
Stoffwechselversuche bisher noch nicht entschieden werden konnten,
einmal der Anteil der einzelnen Stoffe an der Oxydationssteigerung
im Fieber und ferner das Verhalten des respiratorischen Quotienten.
Seit Alfred Vogel*) ist es bekannt, daß im Fieber der Eiwei߬
zerfall erhöht ist. Später hat dann vor allem Senator 3 ) beim
1) American Journal of Physiologie Bd. 24 p. 203 f. 1909.
2) Zeitschr. f. ration. Med. N. F. II, 1854. Klin. Untersuchungen über den
Typhus. Erlangen 1860.
3) Untersuchungen über den fieberhaften Prozeß und seine Behandlung.
Berlin 1873.
Deqlschea Archiv für klin. Med. 101. Bd. 14
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210
Grape
Tiere den toxischen Eiweißzerfall im Fieber eingehend studiert
Er folgerte aus seinen Versuchen, daß im Fieber gegenüber der
Norm mehr Eiweiß, aber weniger Fett verbrannt würde. Damit
erklärte er auch die fettigen Degenerationen innerer Organe
beim Fieber. Die Kohlensäureausscheidung war etwas vermehrt in
seinen Versuchen, doch erblickte er darin keine Steigerung der
Gesamtoxydationen, sondern nur eine vermehrte Ausscheidung von
Kohlensäure im Fieber infolge vermehrter Säurebildung im Blut.
In der Folgezeit wurde dann die Steigerung der Gesamtoxy-
dationen im Fieber von den verschiedensten Autoren mit den ver¬
schiedensten Apparaten bei Mensch und Tier sichergestellt 1 2 3 ) Im
Anschluß vor allem an die eingehenden Versuche von May s ) nahm
man an, daß die Steigerung der Oxydationen ausschließlich oder
fast ausschließlich durch Mehrzersetzung von Eiweiß bedingt ist.
Noch 1906 konnte Kraus 8 ) als herrschende Meinung feststellen.
daß „alle Mehrzersetzung im Infekte zweifellos ganz vorwiegend
das Eiweiß treffen“.
Stähelin 4 * ) hat im Rubner’schen Institut als erster nach¬
gewiesen, daß beim experimentellen Fieber des Tieres (Infektion
mit Surra) auch die Verbrennung des Fettes gegenüber der Norm
gesteigert sein kann, während die Verbrennung von Eiweiß relativ
nur wenig erhöht war. Es ist dieser Fall bisher ganz isoliert ge¬
blieben und es scheint die Ansicht zu bestehen, daß man ihn nicht
für das Fieber überhaupt, speziell das des Menschen, verall¬
gemeinern dürfe. 8 )
Wie vor allem auch Kraus 8 ) betont, kann die Frage der
Beteiligung der einzelnen Stoffe des Körpers bei den Oxydations-
steigerungen im Fieber, nur durch länger dauernde Untersuchungen
des Gesamtstoffwechsels beantwortet werden. Auch ein anderes
Problem kann wohl auch nur auf diese Weise gefördert werden,
nämlich die Entscheidung der Frage, ob im Fieber oder infolge
der Infektion eine qualitative Störung des Stoffwechsels eintritt
1) Literatur über diese Frage vgl. Kraus, Fieber u. Infektion in v. Xoor-
dtui’s Handbuch der Patholog. des Stoffwechsels Bd. I p. 590, 1906. — Krehl,
Pathologische Physiol. 5. Aufl. 1907 p. 481f. — F. Müller, Handb. der Er-
nllhrungstherapie und Diätetik. II. Aufl. p. 213f.
2) M ay, Zeitschr. f. Biologie Bd. XXX p. 1, 1894.
3) v. Noorden’s Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels Bd. I p. 604,
1900.
4) 1. c.
[>) z. B. Kraus, 1. c. p. 604—605.
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Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber.
211
Es sind nämlich von den verschiedensten Antoren mit den
verschiedensten Apparaten im Fieber abnorm tiefe, unter 0,7 herab¬
gehenden respiratorische Quotienten beobachtet worden (Re-
gnard, A. Loewy, Riethus, Finkler, May, Gröhant et
Quinquaud, Loening, Rolly und Hörnig, Grafe, Rolly
und Meitzer u. a. 1 ) Für eine qualitative Änderung der Zer¬
setzungen des Organismus sprachen ferner abnorme Werte des
G
Quotienten ^ im Ham (vgl. darüber neuerdings Magnus-Als-
leben *)).
ln enger Anlehnung an frühere Betrachtungsweisen von Zuntz
und Rubner ist vor kurzem von Rolly und Meitzer”) die
Hypothese aufgestellt worden, daß das Zurückbleiben von Sauer¬
stoff im Organismus bedingt sei durch abnorme Zersetzung des
Körpereiweißes.
Während angeblich in der Norm beim Zerfall des Eiweißes
der eine Teil, ein noch hypothetischer, kohlehydratähnlicher Körper,
zugleich mit der stickstoffhaltigen Gruppe verbrenne, soll nach
Rolly und seinen Mitarbeitern- dieser Stoff im Fieber, etwa in
Form von Glykogen, im Körper retiniert werden. und erst in der
Rekonvalescenz zur Verbrennung kommen.
Das starke Ansteigen des respiratorischen Quotienten im Be¬
ginne der Rekonvalescenz wird auf eine Mehrverbrennung von
derartig gespeicherten Kohlehydraten bezogen.
Setzt man die Richtigkeit der Hypothese voraus und nimmt
man mit Rubner 4 ) an, daß beim Zerfall von 100 g Eiweiß im
Tierkörper ca. 80 g Traubenzucker entstehen können, so würde die
Rolly’sehe Erklärung im günstigsten Fall (bei ganz besonders
hohem Anteil der Eiweißzersetzung an den Gesamtoxydationen)
ein Herabgehen des respiratorischen Quotienten bis 0,65”) ver¬
ständlich machen.. Tatsächlich gehen aber die Zahlen in der Lite¬
ratur noch tiefer herab, bei Rolly sogar einmal bis 0,366. Es
reicht die Hypothese für Zahlen, die unter 0,65 6 ) liegen, nicht aus.
Als Ursache der niedrigen Werte des Quotienten im Fieber
1) Vgl. Literatur über diese Frage, Grafe, Deutsch. Arch. f. klin. Med.
Bd. 95 p. 544 f. 1909.
2) M agnus-Alsleben, Zeitschr. für klin. Med. Bd. 68 Heft 6—6, 1909,
dort findet sich auch die ältere Literatur zusammengestellt.
3) Rolly u. Meitzer, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 97 p.274f. 1909.
4) Energieverbrauch bei der Ernährung 1902 p. 380 ff.
6) Magnus-Levy gibt als untere Grenze sogar nur 0,68 an. v. Norden’s
Handbuch der Patholog. des Stoffwechs. Bd. I p. 219, 1906.
14*
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212
Gbafe
wurde teils der Inanitionszustand, teils die Infektion als solche
verantwortlich gemacht
Für den ersteren Punkt berief man sich auf die niedrige®
Werte, die Zuntz 1 ) sowie Luciani 2 3 ) bei kurz dauernden Hunger¬
versuchen beobachtet hatten.
Die Beweiskraft dieser Untersuchungen ist jedoch wesentlich
dadurch geschwächt, daß in langdauernden, über viele Stunden er.
Tage sich erstreckenden Versuchen bisher niemals ein subnormaler
respiratorischer Quotient gefunden wurde (Benedict*), Grafe 4 )i
In der 2. und 3. Woche kann der Wert etwas tiefer wie 0,7 liegen.
Dies Absinken scheint aber lediglich durch die starke Acidose des
Organismus bedingt zu sein.
Dieser auffallende Gegensatz zwischen kurzdauernden und lang¬
fristigen Versuchen beim Hunger machte es notwendig, auch beim
Fieber in lange dauernden Versuchen den Quotienten zu untersuchen.
Die beste Lösung der bisher skizzierten, noch schwebenden
Fragen würden zweifellos exakte Bilanzversuche, die sich auf C.
H., 0., N. beziehen, ergeben. Praktisch scheinen solche Versuche
jedoch gerade in den Fällen, bei denen sie wegen besonders hohen
Fiebers und besonders schwerer Infektion (Typhus, Erysipel, Miliar¬
tuberkulose usw.) am wichtigsten sind, leider kaum durchführbar
zu sein.
Bei der meist starken Schwäche und Benommenheit solcher
Patienten ist ein quantitatives Sammeln von Kot und Urin z. B.
während eines Tages im Respirationsapparat, in dem man ohne
vollkommene Unterbrechung des Versuchs nicht an die Kranken
heran kann, nahezu unmöglich.
Ich entschloß mich daher, nur Nüchtern versuche vorzunehmen
und die Kranken nur 6—10 Stunden im Respirationsapparate zu
behalten. Auf die Untersuchung des Kotes konnte ich dabei, ohne
einen erheblichen Fehler zu begehen, verzichten.
Leider gelang es mir auch bei dieser Versuchsanordnung nicht
immer, den während der Versuchszeit produzierten Urin quantitativ
zu erhalten.
Von der Untersuchung des Wasserdampfes nahm ich Abstand.
1) Bei den Hungerkiinatlera Breithaupt und Cetti. Virchow’s Arch. Bd. 131.
Suppl. 1893.
2) Das Hungern. Hamburg u. Leipzig 1890.
3) The Influence of inanition on metabolism. Publish. by the Camey. In¬
stitut of Washingt on 1907.
4) Zeitschr. f. physiol. Chem. Bd. 65 H. 1 p. 21 ff. 1910.
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Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber. 213
einmal, weil sie bei durchschnittlich nur 6 Stunden dauernden Ver¬
suchen leicht ungenau wird, ferner, weil sich im Sommer, in dem
ein großer Teil der Versuche angestellt ist, meist eine Wasser¬
dampfkondensation an den Wänden des Kastens und in den Rohr¬
leitungen nur schwer verhindern läßt. Nach den Untersuchungen
von Schwenkenbecher und In agaki l 2 ) ist die Schwei߬
sekretion im Fieber nicht wesentlich gegenüber der Norm verändert.
Die eingeschlagene Methode war in den Hauptzügen die
folgende:
Die Kranken erhielten 12—14 Stnnden vor Beginn des Versuches
nur etwas Mich (250 ccm) beziehungsweise Suppe und blieben dann voll¬
kommen nüchtern bis zu Beginn des Respirationsversuches. Nur 1 j i 1
Wasser oder schwarzen Tees wurde gegeben (meist 1 j 3 7 Uhr morgens).
Vor Beginn des Versuchs wurden die Kranken gewogen, gemessen
und mußten urinieren. Die Versuche wurden in dem großen Respirations¬
apparate der Klinik vorgenommen. Die Kammer hat einen Inhalt von
2634,8 1, die Seitenwände stehen in einer Ölrinne, die Öffnung und
Schließung des vollkommen luftdichten KastenB geschieht durch Anheben
und Senken des Fußendes. Bezüglich der näheren Beschreibung und
VerBUchatechnik sei auf meine diesbezüglichen früheren Mitteilungen ver¬
wiesen. *)
In dem bequemen Bett lagen die Kranken sehr ruhig und entspannt,
viele schliefen sogar. Nur in ganz seltenen Fällen trat eine vorübergehende
Anspannung der Muskulatur durch Entleerung von Kot oder Urin ein.
Fast immer wurde beides erst nach Beendigung des Versuches entleert.
Während des Versuches wurden die Kranken stets von geschultem
Personal beobachtet, vor allem znr Kontrolle der Muskelbewegungen
sowie der Atmung.
Die Ventilation mit der großen Gasuhr wurde meist so eingerichtet,
daß der Kohlensäuregehalt der Kammerluft sich zwischen 0,6 und 1,0 °/ 0
hielt. Die VersuchBdauer betrug meist 6 Stunden, oft auch 10. Die
VentilationBgröße war, je nach Gewicht und Temperatur der Patienten,
25—35 1 pro Minute. Gewöhnlich hielt ich, um gleich zu Beginn der
Teilstromabsaugung einen hohen Kohlensäuregehalt der Luft zu bekommen,
der Kasten zu Anfang des Versuches für 1 Stunde luftdicht verschlossen.
l j % —*/ 4 Stunde vor Beendigung der Untersuchung wurde die Kasten¬
luft mittels des Deckenventilator gut gemischt und am Schlüsse eine Probe
aus dem Kasten entnommen.
Um zu verhindern, daß ein kleiner Teil der durch den Aufenthalt
der Versuchsperson veränderten Kammerluft in Decken und Kissen
zurückgehalten wird, wurden diese mit Ölleinewand überzogen. Die
größte Gefahr bietet in der Beziehung eine gepolsterte Matratze. Diese
Schwierigkeit wurde durch Verwendung einer Lambotte’schen Matratze,
die nur aus Aluminiumspangen besteht, umgangen.
1) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmak. Bd. 53 S. 365, 1905.
2) Grafe, Zeitscbr. f. physiol. Chemie Bd. 65 p. lff. 1910.
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214
Gbafe
Nach Abstellung des Versuches wurden die Kranken sofort gemessen
und zur Entleerung von Urin, dessen Menge meist zwischen 300 und 500
schwankte, aufgefordert. Im Urin wurde gleich eine Bestimmung de*
Stickstoffs vorgenommen. Patienten mit einem erheblichen Eiweißgehalt
im Urin wurden von der Untersuchung ausgeschlossen. Die kleinen
Mengen von Albumen, die die meisten hochfiebernden Patienten aas¬
scheiden , können vernachlässigt werden. In einzelnen Urinen fanden
sich ganz geringe Mengen von Acetonkörpern, wohl hauptsächlich ah
Ausdruck des Inanitionszustandes des Körpers. Bei der Berechnung des
respiratorischen Gaswechsels konnten sie ohne Bedenken vernachlässigt
werden.
Der Puls wurde vor und nach dem Versuche gezählt, die Atmung
während des Aufenthaltes im Kasten selbst.
Die jedesmal mitgemessene Temperatur der Respirationskammer be¬
trog im Durchschnitt 20°, nach unten schwankte sie bis 17,5°, nach
oben in sehr heißen Sommertagen bei hochfiebernden Patienten in
ganz seltenen Fällen bis 25°. Gewöhnlich lag sie um 2—2 1 /, Grad über
der Temperatur der Gasuhr.
Für die Berechnung des Stoffwechsels wurde von dem Gesichts¬
punkt ausgegangen, daß der fiebernde Organismus 12—14 Stunden
nach einer minimalen, eiweißarmen Mahlzeit im wesentlichen als
hungernd angesehen werden kann. Zumal bei einer so starken
chronischen Unterernährung, wie sie im Fieber bei der üblichen
flüssigen Eost meist unvermeidlich ist, muß man annehmen, daß
die geringen aufgenommenen Nahrungsmengen sofort verbrannt
werden. Löning 1 * ) hat durch zahlreiche Versuche nachgewiesen,
daß der Fiebernde nach Nahrungsaufnahme rascher den Nüchtern¬
wert erreicht als der Gesunde. Auch von der im Versuch ge¬
fundenen Stickstoffmenge im Urin dürfte bei der im Fieber ge¬
reichten eiweißarmen Nahrung höchstens nur ein ganz geringer,
nicht in Betracht kommender Teil auf verspätete Ausscheidung von
Nahrungseiweißstickstoff zurückzuführen sein. Aus Erfahrungen
an Hunden und Menschen geht eindeutig hervor, 8 ) daß selbst nach
Aufnahme ungeheurer Mengen von Eiweiß (1000 g) schon nach
24 Stunden der Nüchternwert nahezu erreicht ist. Der Stickstoff¬
gehalt der in unserer Klinik gereichten flüssigen Diät beträgt je¬
doch nur 5—6 pro die, der Kaloriengehalt ca. 1200 Kal. Es bedarf
demgemäß, ohne daß man dabei einen irgendwie nennenswerten
Fehler begeht, die Annahme gemacht werden, daß während der
Versuchszeit die Kranken nur körpereigenes Material zersetzen.
1) Klinisches Jahrbuch XIX. Bd. p. 105ff. 1908.
2) Vgl. z. B. Tigerstedt in Nagel’s Physiol. d. Menschen Bd. I, 1. Hälfte,
p. 398 f. 1905.
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Untersuchungen über den Stoff- nnd Kraftwechsel im Fieber. 215
Somit war es erlaubt, zur Berechnung die auf Grund zahlloser
Versuche der verschiedensten Autoren aufgestellten Standartzahlen
für den Hungerstoffwechsel zugrunde zu legen. Auf 1 g N im
Ham kommen beim hungernden Menschen 5,923 1 0 und 4,754 1
CO a in der Respiration (vgl. Zuntz*)).
Bei der Berechnung des Gesamtstoffwechsels aus dem Stickstoff
des Harns, den aufgenommenen Sauerstoff und der ausgeschiedenen
Kohlensäure verfuhr ich gemäß den Angaben und Standartzahlen
von Zuntz und seinen Schülern. -) Nach Abzug der auf die
Oxydation von Eiweiß entfallenden Mengen von Kohlensäure und
Sauerstoff von der Gesamtmenge wurde der respiratorische Quotient
des Restes festgestellt und aus den Tabellen von Zuntz und
seinen Schülern der kalorische Wert des Sauerstoffes und der An¬
teil von Fett und Kohlehydrate an den Umsetzungen in jedem
einzelnen Falle berechnet. Addiert man dann zu den Kalorien aus
Fett und Kohlehydraten die Kalorien aus Eiweiß (durch Multipli¬
kation des Stickstoffs mit 6,25 X 4,4423), so erhält man den Gesamt¬
kalorienverbrauch während der Versuchszeit. Um gut vergleichbare
Zahlen zu erhalten, wurde die Stickstoffausscheidung sowie die
Kalorienproduktion auf 24 Stunden umgerechnet.
Von großer Wichtigkeit war die Frage, welche Normalzahlen
man zum Vergleiche heranziehen soll. Am genauesten wäre es,
wenn man die Oxydationen der Versuchspersonen im gesunden Zu¬
stande kennte. Bei einer Reihe von Kranken (z. B. schweren Tuber¬
kulosen) ist dies unmöglich. Leider war es mir aber auch nur bei
einem großen Teile der akut Erkrankten möglich, später in
vollkommen gesundem Zustande Untersuchungen anzustellen. Ge¬
wöhnlich lassen sich die Kranken nicht so lange in der Klinik
halten, bis die Rekonvalescenz ganz vorüber ist Für alle diese
Fälle war ich gezwungen zum Vergleich das große Zahlenmaterial
zugrunde zu legen, das durch zahlreiche Untersuchungen bei'Ge¬
sunden für alle Alters- und Gewichtsverhältnisse vorliegt. Da die
Kranken während des ganzen Versuchs ruhig und entspannt im
Bett lagen, alle stärkeren Muskelbewegungen nach Möglichkeit
vermieden, z. T. schliefen, durfte ich für einen Vergleich die
„Grundumsatzzahlen“ (Magnus-Levy) heranziehen. Die im
1) z. B. Lehrbuch der Physiol. des Menschen p. 660f. 1909.
2) Vgl. Zuntz, Lehrbuch der Physiol. des Menschen p. 662 1910, Magnus-
Levy in v. Noorden’s Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels Bd. 1 p. 203ff.
2. Aull. 1906.
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216
Ghafk
Durchschnitt etwa 15—20 °/ 0 höheren Zahlen, die in großen Apparaten
bei weitgehender Bewegungsfreiheit gewonnen waren, schienen für
den Zweck ungeeignet, wie ein Blick auf die später zu besprechenden
Tabellen II und IV ergibt. Demgemäß sind überall dort, wo mir
keine Normalzahlen beim Individuum selbst zur Verfügung standen,
bei der Berechnung der Oxydationssteigerung die Normalzahlen,
wie sie Zuntz und seine Mitarbeiter, vor allem Magnus-Levy
an einem großen Materiale gefunden haben, benutzt worden. Die
auf solche Weise berechneten Zahlen geben natürlich nur einen
approximativen Wert an. Ein Beispiel für die ganze Art der Be¬
rechnung findet sich im Anhang mitgeteilt. Auch bezüglich der
notwendigsten Daten aus den Krankengeschichten der Versuchs¬
personen sei auf diesen verwiesen.
Bei der Auswahl des Materials kam es mir mehr darauf an.
möglichst viele Fälle der verschiedensten akuten und chronischen
fieberhaften Erkrankungen in den verschiedensten Stadien zu unter¬
suchen, als wenige Fälle häufiger zu studieren.
Zur Beantwortung der oben skizzierten Fragen schien es vor
allen Dingen wichtig, ein möglichst weites Übersichtsbild zu er¬
halten.
Als Repräsentanten der schweren akuten Infektionskrankheiten
wählte ich in erster Linie den Typhus abdominalis in seinen ver¬
schiedensten Stadien, als Paradigma für die chronischen fieber¬
haften Erkrankungen die letzten Stadien der Lungentuberkulose.
Im ganzen wurden 64 Respirationsversuche an 35 Kranken
vorgenommen, 45 bei 18 akut Erkrankten, 19 bei 17 Fällen
chronischer Infektion.
Es handelte sich um 12 Fälle von Typhus abdominalis, 3 Fälle
von Pneumonia crouposa, je einen von Erysipelas faciei, Angina
follicularis und Pleuritis exsudativa, ferner 16 mal um Tuberkulose
der verschiedensten Organe, in erster Linie der Lungen, lmal um
eine chronische fötide Bronchitis mit Ektasien und bronchopneumo-
nischen Herden.
Die wichtigsten Untersuchungsdaten und Ergebnisse sind in
4 Tabellen zusammengestellt. Tabelle I und III beziehen sich auf
die Versuche bei den akuten Infektionskrankheiten, II und IV auf
die entsprechenden bei chronisch fieberhaften Krankheiten. In der
Anordnung der Daten entsprechen sich Tabelle I und II, ferner
III und IV. Die beiden ersten Tabellen enthalten die wichtigsten,
zum Verständnis der beiden weiteren Tabellen notwendigen Unter-
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Untersuchungen über den Stoff- und Eraftwechsel im Fieber.
217
suchtmgs- und Versuchsdaten. Stab 1—14 sind ohne weiteres ver¬
ständlich. Stab 15 enthält die Zahl der Liter Luft, die während
des Versuches die Gasuhr passieren; die Werte sind reduziert auf
0 °, 760 mm Hg und Trockenheit Nr. 16 gibt die Mengen Kohlen¬
säure, die während des Versuchs ausgeatmet wurden, an, Nr. 17
die entsprechenden Werte für den aufgenommenen Sauerstoff. Die
Stickstoflfwerte in Tabelle 19 entsprechen nicht in allen Fällen
genau der Versuchszeit, da manchmal schon Y* Stunde vor Beginn
und nicht sofort nach Ende des Versuchs Urin entleert wurde.
In den Tabellen III und IV sind die wichtigsten Ergebnisse
der Stoffwechselversuche registriert, ln Stab 6 und 7 sind zum
Vergleich mit dem großen Zahlenmaterial, das mit der Zuntz’schen
Methode gewonnen wurde, die Werte für CO a und 0 2 in ccm pro
kg und 1 Minute verzeichnet. Die Berechnung der Gesamtkalorien¬
produktion (Stab 10) wurde meist in der oben geschilderten Weise
vorgenommen. In den mit c versehenen Fällen konnte dieser Weg
jedoch leider nicht eingeschlagen werden. Der Grund war in den
meisten Fällen der, daß Urin durch die Benommenheit der Patienten
oder sonstige Umstände verloren ging. In diesen Fällen konnten
die Eiweißkalorien nicht berechnet werden. Um trotzdem ein un¬
gefähr zutreffendes Bild der Gesamtkalorienproduktion zu bekommen,
berechnete ich nach einer von Magnus-Levy 1 ) aufgestellten
Tabelle im einzelnen Falle für den respiratorischen Quotienten den
zugehörigen kalorischen Wert von 1 1 0 2 und daraus durch Mul¬
tiplikation mit dem Gesamtsauerstoflfverbrauch pro 24 Stunden die
Wärmebildung.
In Nr. 9 c, 11b, 14 b ist wohl die Kalorienproduktion durch
Verbrennung von N-haltigem Material bekannt, aber der respira¬
torische Quotient ist so hoch, z. T. über 1,0 hinausgehend, daß hier
die sonst gegenüber den dissimilatorischen Prozessen ganz in den
Hintergrund tretenden synthetischen Vorgänge einen breiteren
Baum einnehmen müssen. Leider ist es nicht möglich ohne Ver¬
gleich der direkten und der indirekten Kalorimetrie eine sichere
Vorstellung von der Ausdehnung der Synthesen, von denen noch
später die Rede sein soll, zu erhalten.
Da die respiratorischen Quotienten jedoch nur selten über 1.0
hinausgehen, läßt sich wohl so viel mit Sicherheit sagen, daß die
Synthese keine sehr umfassende sein kann.
1) Literatur vgl. Magnus-Levy in v. Noorden’s Handb. der Patholog. d.
Stoffwechs. Bd. I p. 216, 225, 285 etc.
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0,865
7>"
18 a)
126
20. IX. 10
A. St.
n
3,90
4,91
0,793
9.72
b)
130
28. IX. 10
n
n
3.29
4,12
0,784
14.27
c)
139
18. X. 10
i
1
n
rt
3148
i
4,43
0,787
9,02"
Ti-
Chronisch«
19
36
26. XI. 09
E. Dr.
Phthisis pulm.
5,04
6,18
0,816
20
41
3. XII. 09
M. Ga.
n
3,70
4,75
0,776
21 a)
45
9. XII. 09
M. Sch.
n
6,60
9,22
0,716
b)
67
10 . I. 10
99
n
5,58
7,05
0,791
c )
70
31. I. 10
91
n
7,36
8,99
0.818
22
59
12 . I. 10
E. Mül.
n
3,23
4,>
0.788
23
52
20. XII. 09
F. Schw.
91
4,36
5,55
0,786
24
56
6 . I. 10
K. Höf.
99
4,07
6,0
0,821
25
63
19. I. 10
Ba. Wa.
99
3,86
4,56
0,846
26
80
10. III. 10
A. Kü.
3,63
4,58
0,792
27
81
14. III. 10
H. Ad.
99
4,07
5,05
0,807
28
86
24. V. 10
M. Mo.
91
3,93
6,09
0,773
29
92
30. VI. 10
L. Sal.
91
4,36
5,27
0.828
30
97
7. VII. 10
S. Schm
99
4,16
5,51
0,755
31
87
1. VI. 10
A. Sch.
Phthisis
laryng.
3,57
4,36
0,820
32
122
14. IX. 10
Ph. Hei.
Phthisis pulm.
4,29
5,08
0,844
33
104
16. VII. 10
A. Kel.
progr.
Knochen¬
tuberkulose
3,56
4,41
0,807 1
34
88
6 . VI. 10
W. Ju.
1
Chron. Bron¬
chitis mit Ek¬
tasien
4,53
1
5,69 |
0,797 j
i
35
118
15. XII. 09
R. Rein.
1
i
Phthisis en-
terum
3.50 1
1
1
1
4,83
0,726
1
!
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i3.:t
10.67«
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7.3Ä
16,01
12,91"
5,l7 h
Gck 'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber. 225
10
jesamt-
calorien-
produk-
tion be¬
rechnet
pro
24Std.
Kal.
11
Kalo¬
rien
pro
kg
Kal.
12
% der
Kalorien
aus Ei¬
weiß
%
13
°/o der
Kalorien
aus
Kohle¬
hydraten
°/o
14
% der
Kalorien
aus Fett
0 /
Io
15
Steige¬
rung der
Wärme-
bildung
7.
16
Steige¬
rung be¬
dingt
durch
Mehrver¬
brennung
von
Eiweifl
%
17 ~
Steige¬
rung be¬
dingt
durch
Mehrver¬
brennung
von Fett
u. Kohle-
hydr.
°/o
18
Kalor.
pro
1 m*
Ober¬
fläche
Kal.
1925,5 |
82,6
30,6
7,1
62,1
c. 35
c. 70
c. 30
1027,0
1599,3
27,9
10,7
28,7
60,6
c. 13
0
c. 100
875,0
1530,0 !
28,1
17,2
28,5
64,3
c. 13
0
c. 100
865,0
1645,4
31,3
12,0
23,3
64,7
c. 33
0
c. 100
964,3
1294,0
24,6
16,0
47,1
36,9
—
—
■ —
809,1
1897,7
34,2
14,2
23,0
62,8
c. 35
0
c. 100
1060,0
1533.3
28,5
25,7
16
68,3
c. 10
c. 100
0
874,6
1482,6
30,8
1
16,8
20
63,2
c. 12
0
c. 100
910
belle IV.
[nfektionskrankheite n:
:. 1509 I
42,5
—
—
—
c. 28
—
—
1784,2
32,9
19,3
15,1
65,6
c. 24
c. 17
c. 83
1537.5
63,5
9,6
—
90,4
c. 50
0
c. 100
1122
49,2
9,1
23,9
67
c. 10
0
c. 100
1377,5
63,2
5,6
34,1
60,3
c. 40
0
c. 100
1020,0
39,2
20,0
18,7
61,3
0
—
—
2023,8
38,6
18,8
18,9
62,3
c. 40
c. 16
c. 84
1891,2
34,8
15,6
23,2
62,2
c. 23
0
c. 100
1977,7
32,2
12,2
42
45,8
c. 30
0
c. 100
1791,5
32,0
6,0
19,7
74,3
c. 24
0
c. 100
1708,8
35,2
15,0
27,2
57,8
c 26
0
c. 100
1598,8
35,4
11,4
16,6
72,0
c. 22
0
c. 100
1379,4
37,1
10,6
35,9
63,5
c. 15
0
c. 100
1541,6
37,5
12,1
16,4
71,5
c. 14
0
c. 100
c. 1825
31,0
1 ’
—
—
c. 20
—
—
1429
i 35,7
14,2
40,3
45,5
c. 15
0
c. 100
1988
30,7
i
22,2
25
52,8
c. 25
c. 30
c. 70
2538,0
j 40,4
14,1
24,5
61,4
c. 60
c. 5,5
c. 95
1581,4
1 33,3
<
9,6
1,0
89,4
c. 17
0
c. 100
i
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd.
15
1136,0
1028,0
1494,0
1134,0
1436,0
868,8
1173,0
1068,0
1031,0
994.9
1044,0
1024,0
1006,0
1054,0
987,4
993,3
1002,0
1306,0
980,2
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
226
Ghafb
Um gleichwohl einen ungefähren Anhaltspunkt zu gewinnen,
wurde, wenn nach Abzug der auf die Eiweißverbrennung entfallenden
Mengen von Sauerstoff und Kohlensäure ein respiratorischer Quotient
über 1,0 sich herausstellte, angenommen, daß nur Zucker neben
Eiweiß zersetzt wurde. Dabei bin ich mir wohl bewußt, daß bis¬
her der Beweis, daß der Organismus in der Rekonvalescenz voll¬
kommen den schwergeschädigten Fettvorrat schonen kann, nicht
erbracht ist. Wurde aber Fett verbrannt, so ist der kalorische
Wert des Sauerstoffes zu hoch angesetzt worden. Demgemäß wird
die berechnete Wärmeentwicklung zu groß sein. In demselben Sinne
wirken höchstwahrscheinlich außerdem noch die synthetischen Pro¬
zesse, die wohl z. T. mit einer negativen Wärmetönung einhergehen.
Aus diesen Gründen habe ich die in Frage stehenden Zahlen
eingeklammert.
Durch einen Vergleich der indirekten mit der direkten Kalori¬
metrie, wie sie z. B. die Atwater-Benedict’sche Respirations¬
kalorimetrie ermöglicht, wäre die Frage leicht zu entscheiden. Es
ließen sich auf diese Weise sehr interessante Einblicke in den
Umfang der Synthesen in der Rekonvalescenz gewinnen.
Die Stäbe 12—14 enthalten die Werte für den prozentualen
Anteil, in dem sich die einzelnen Organstoffe gemäß ihrem Kalorien¬
gehalt an der Gesamtwärmeproduktion beteiligen. Die Berechnung
ergibt sich von selbst, wenn die absoluten Werte von N, CO a und
O a bekannt sind. Der kalorische Wert der einzelnen Nahrungs-
Stoffe ist nach den Standartzahlen von R u b n e r in Rechnung ge¬
bracht.
In Stab 15 ist die Steigerung der Wärmebildung in °/ 0 gegen¬
über der Norm verzeichnet. Da, wo die Normalzahlen bei der
Versuchsperson selbst zur Verfügung stehen, sind diese als Grund¬
lage für die Berechnung genommen, dort, wo solche fehlen, z. B.
bei allen chronisch Erkrankten, sind die Magnus-Levy’sehen
Vergleichszahlen herangezogen. Zahlreiche Versuche, die ich in
dem Respirationsapparate an Gesunden und Kranken bei strengster
Bettruhe und minimaler Bewegung, z. T. im schlafenden Zustande
ausgeführt habe, überzeugten mich davon, daß meine Werte zu
niedrig wurden, wenn ich sie mit den Zahlen, wie sie in großen
Apparaten bei recht weitgehender Bewegungsfreiheit erhalten
wurden, verglich, sie entsprachen fast immer vollkommen den
Grundumsatzwerten. Beispiele dafür bietet auch Tabelle III. Es
kommt das offenbar daher, daß bei vollkommen ungehinderter At¬
mung die ab und zu vorkommenden Muskelbewegungen in sonst
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Untersuchungen über den Stoff* und Kraftwechsel im Fieber. 227
vollkommener Ruhelage in ihrem Mehrverbrauch etwa der Diffe¬
renz zwischen unbehinderter, freier oberflächlicher Atmung und
der durch Anwendung des Mundstücks etwas vertieften Atmung
entsprechen.
Stab 16 und 17 enthalten die Berechnungen für den Anteil
der einzelnen Nahrungstoffe an der Steigerung der Wärmeproduktion.
Da es sich in allen Fällen um Kranke in einem mehr oder
weniger starken Inanitionszustande handelte, wurde angenommen,
daß, wie aus Hungerversuchen hervorgeht, in den ersten 1—2
Wochen der Beteiligung der Eiweißkalorien an der Gesamtwärme¬
produktion 18—20 °/ 0 betragen kann. Diese obere Grenze der
Norm wurde für die Berechnung zugrunde gelegt.
Leider sind wir zum Vergleich auf die Heranziehung der
Hungerzahlen angewiesen, da bisher ein verwertbares Zahlen¬
material für den nicht durch Fieber komplizierten Inanitions-
zustand fehlt.
Für die chronischen Infektionskrankheiten, bei denen im Laufe
der langen Krankheit ja oft ganz enorme Gewichtseinbußen statt¬
finden, ist 20 °/ 0 vielleicht ein etwas hoher Wert. Um die Gleich¬
artigkeit der Berechnung willen behielt ich ihn bei. Prinzipiell
anders würden die Resultate auch bei Anwendung niedrigerer Zahlen
nicht ausfallen.
Stab 18 enthält die Angaben über die Anzahl Kalorien, die
auf 1 qm Körperoberfläche kommen. Die Körperoberfläche wurde
nach der Meeh’schen Formel (12,3 X ^Gew*) berechnet. Sie ist,
wie vielfach diskutiert, etwas ungenau, bei mittlerem Körper¬
gewicht allerdings noch am brauchbarsten. Im Grundumsatzversuch
kommen ca. 800 Kalorien auf 1 qm Körperoberfläche. 1 ) Um diesen
Durchschnittswert bewegen sich auch meine Normalzahlen.
Besprechung der Ergebnisse.
Was zunächst die akuten Infektionskrankheiten be¬
trifft, so wurde eine Steigerung der Wärmeproduktion nur ganz
selten (17 b und 17 a) vermißt. Die Zahlen, die nicht durch Ver¬
gleich mit dem Normalwerte beim selben Individuum gewonnen
wurden, stellen natürlich nur einen ganz approximativen Wert dar.
Der Zuwachs an Wärmebildung beträgt im Durchschnitt 20—30 °/ 0 .
Es entsprechen diese Zahlen etwa den Werten, wie sie ziemlich
übereinstimmend fast alle Untersucher (z. B. Kraus, 4 ) in letzter
1) Zants n. Loewy, Lehrbncb der Physiol. des Menschen p. 671, 1909.
2 ) Kr an s, Zeitschr. f. klm. Mediz. Bd. 18 n. 16.
15*
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228
Grafe
Zeit Löning x ) u. a.) für die Steigerung der Oxydationen in Zuntz-
Geppert-Versuchen im Durchschnitt gefunden haben. Niedrigere
Werte gehören in meinen Versuchsreihen ebenso zu den Ausnahmen
wie höhere. Dreimal waren es 40 °/ 0 , höher gingen die Zahlen,
verglichen mit dem Normalzustände, nicht. Zu etwa dem gleichen
Ergebnisse gelangt man, wenn man für die Berechnung von der
Kalorienproduktion pro Quadratmeter Körperoberfläche ausgeht. Die
höchsten Steigerungen finden sich fast immer bei den höchsten
Temperaturen, auch sonst besteht im allgemeinen in den ersten
Krankheitswochen ein Parallelismus zwischen Temperatur- und
Oxydationssteigerung.
Die Zahlen, die ich für die Steigerung der Wärmebildung be¬
rechnet habe, geben natürlich auch da, wo Normalwerte zur Ver¬
fügung standen, nur ein ungefähres Bild der Verhältnisse, denn wie
besonders Krehl 8 ) betont hat, dürften strenggenommen zum Ver¬
gleich nicht die normalen Werte herangezogen werden, sonders
Zahlen, wie sie die Untersuchung bei dem gleichen Inanitions-
zustande ohne Fieber liefern würde. Durch die Untersuchnuges
zuerst von F. Müller und A. Nebelthau 8 ), später vor allem
durch die große Arbeit von Magnus-Levy 1 2 3 4 5 ) ist nachgewiesen
worden, daß der chronisch unterernährte Organismus seine Oxy¬
dationen erheblich einzuschränken vermag.
Wie groß aber im einzelnen Falle die Herabsetzung der Wärme-
bildung durch den Inanitionszustand allein ist, entzieht sich natür¬
lich der genauen Beurteilung. Und doch glaube ich, daß die
Herabsetzung der Oxydationen, wie sie nach dem Abklingen des
Fiebers zu einer Zeit, in der noch die Kalorienarme, flüssige Diät
weiter eingehalten wird, eintritt, uns einen ziemlich guten Anhalts¬
punkt für diese Verhältnisse gibt. Svenson 6 ) hat zuerst nach
schweren Typhen die Einschränkung der Oxydationen festgestellt
und ein Teil meiner Zahlen (vgl. z. B. 2 b, 2 c, 4 b) bestätigt dies
Verhalten auch in langdauernden Versuchen.
Zieht man solche Werte zum Vergleiche heran, wozu man
durchaus berechtigt ist, so ist die Steigerung der Wärmebildong
natürlich eine noch größere.
Trotzdem kann aber wohl nicht geleugnet werden, daß bei
1) Löning, Klinisches Jahrbuch XIX. Bd. p. 87, 1908.
2) Krehl, Pathol. Physiol. p. 484. Aull, von 1907.
3) Zentralbl. f. innere Med. Nr. 38, 1897.
4) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 60 p. 177, 1906.
5) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 43 p. 86.
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Untersuchungen über den Stoff- and Kraftwechsel im Fieber. 229
kurzdauerndem, niedrigem Fieber des Menschen eine deutliche Steige¬
rung der Wärmebildung ausbleiben kann. Dafür spricht wenigstens
ein Versuch von Steyrer 1 ) beim Tuberkulinfieber im Pettenkofer-
schen Respirationsapparat. Eine geringe vorübergehende Steigerung
kann natürlich bei langem Versuche verdeckt werden. Die Schwan¬
kungen in den Angaben der einzelnen Autoren bezüglich der Höhe
der Oxydationen bei kurzdauernden Versuchen sind z. T. beim
gleichen Kranken außerordentlich groß. 2 ) Es handelt sich da offen¬
bar z. T. nur um Augenblicksbilder.
Die Untersuchung während vieler Stunden gibt natürlich ein
viel besseres Durchschnittsbild.
Daß die Steigerung des Stoffwechsels in dem größten Teil
meiner Fälle unmöglich allein durch Vermehrung der Atem- oder
Pulsfrequenz zu erklären ist, zeigt ein Blick auf die Stäbe 11 u. 12
in Tabelle I. Gerade der Typhus ist ja bei Männern durch eine relativ
sehr geringe Pulsfrequenz ausgezeichnet. Erwähnt sei noch besonders,
daß keiner der untersuchten Kranken im Versuch einen Schüttel¬
frost hatte. Die Bewegungen der z. T. außerordentlich erschöpften
Kranken waren minimal, sie lagen meist in tiefer Somnolenz, großen¬
teils schlafend im Apparat. Daß selbstverständlich alle nur irgend¬
wie unruhigen, delirierenden Kranken von .der Untersuchung aus¬
geschlossen waren, braucht wohl nicht noch besonders erwähnt zu
werden. Wie schon oben bemerkt, fällt die Wärmebildung nach
Abklingen des Fiebers sofort auf normale oder leicht subnormale
Werte ab. Mit dem Augenblicke, in dem die strenge Fieberkost
einer reichlicheren Ernährung (im Anfang mit Brei) Platz gemacht,
beginnt die 2. Phase der Rekonvalescenz. Sie ist charakterisiert
durch hohe respiratorische Quotienten. Svenson hat in der er¬
wähnten Arbeit diese 2. Periode nochmal in ein Stadium abnorm
hoher Oxydationen und eine 2. Phase mit normalen Werten ein¬
geteilt. Auch ich habe in einem Falle (Nr. 14 b), in dem der
Rekonvalescentenhunger und dementsprechend die Nahrungsaufnahme
in der Zeit, besonders an Kohlenhydraten, weit über das gewöhnliche
Maß hinausging, derartig hohe Werte für Sauerstoff- und Kohlen¬
säure gefunden. Ich glaube aber nicht, daß man darum von einer
Luxuskonsumption reden muß. Jedenfalls wird diese Annahme
durch die hohen Werte nicht bewiesen, weil wir die Gesamtkalorien-
1) Steyrer, Zeitschr. f. experim. Pathol. n. Therapie Bd. 4 p. 720, 1907.
2 ) In einem Falle R o 11 y ’ s schwankte z. B. der Sauerstoffverbrauch zwischen
2,4 u. 7,4 ccm pro kg und Minute (Deutsches Arch. f. klin. Med. 97 p. 251) 1909.
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230
Ura;fr
Produktion des Körpers in diesen Fällen nicht genau berechnen
können. Sie könnte normal sein, wenn die mit negativer Wänne-
störung einhergehenden Synthesen einen großen Umfang einnehmen
Aber leider weiß man darüber zurzeit noch viel zu wenig Sicheres.
Während in allen von mir untersuchten Fällen akuter In¬
fektionskrankheiten während des Fiebers eine Änderung des Stoff¬
wechsels in quantitativer Beziehung nachweisbar war, fehlten jede
Anhaltspunkte für eine qualitative Änderung der Zersetzungen.
Der respiratorische Quotient liegt stets über 0,710.
Im Gegensatz zu den zahlreichen Autoren, die gerade in letzter
Zeit wieder *) auf Grund kurzdauernder Versuche für abnorme Um¬
setzungen im Fieber eingetreten sind, ist die Feststellung dieser
Tatsache von Wichtigkeit. Mich überraschte sie um so mehr, als
auch ich*) mit dem Kopfrespirationsapparate, bei dem abgesehen
vom Kasten selbst Apparat und Methodik genau, die gleichen waren
wie bei den jetzigen Untersuchungen, in Versuchen von ca.
1 ständiger Dauer im Fieber bei chronischen Krankheiten häufig ab¬
norme Werte bis zu 0,600 herunter gefunden hatte. Allerdings
erblickte ich darin noch keinen sicheren Beweis für abnorme Stoff¬
wechselvorgänge im fiebernden Organismus.
Die über viele Stunden ausgedehnten Untersuchungen haben
nun ergeben, daß die Umsetzungen im Fieber nach dem respiratori¬
schen Gaswechsel beurteilt, qualitativ die gleichen sind wie in der Norm
und daß die kurz dauernden Versuche zu falschen Vorstellungen über
die tatsächlichen Verhältnisse Anlaß gegeben haben. Das große Mi߬
trauen von Rubner gegen kurze Versuche bekommt hiermit eine
neue Stütze. Diese großen Differenzen prinzipieller Natur zwischen
kurz- und langfristigen Versuchen im Fieber bieten einer Erklärung
bisher noch die größten Schwierigkeiten. Wären die abnorm nie¬
drigen Quotienten nur mit einem bestimmten Apparate festgestellt
worden, so könnte dieser dafür verantwortlich gemacht werden.
Tatsächlich aber haben mit wenigen Ausnahmen fast alle
Autoren, die kurz dauernde Untersuchungen Vornahmen, die gleichen
Resultate bekommen, unabhängig davon, welcher Methodik sie sich
bedienten. Die Erklärung Magnus-Levy’s 8 ), daß „fehlerhafte
Versuchsanordnung und mangelhafte analytische Bestimmung, vor
1) Vgl. p. 211. Auch in älteren Arbeiten, z. B. von Kr ans, Zeitachr. f. klin.
Med. Bd. 18, ferner von Svenson, 1. c. p. 94 findet man ab und zu subnonnale
Werte, obwohl hier keine abnorme Umsetzung angenommen wird.
2) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 95 p. 543 ff.
8) v. Noorden’s Handb. d. Pathol. d. Stoffwechsels. Bd. I p.220, 1907.
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Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber.
231
allem des Sauerstoffs, die Schuld daran tragen“, ist doch wohl etwas
zu einfach und bedeutet einen schweren Vorwurf gegen die Zuver¬
lässigkeit der fast aller Arbeiter auf diesem Gebiete. Bei Werten
unter 0,5, die nur ganz vereinzelt beobachtet wurden, mag er viel¬
leicht berechtigt sein. Eine Erklärung verlangt aber jeder Wert,
der unter 0,7 herabgeht, vorausgesetzt, daß nicht Alkohol dar¬
gereicht wurde und kein Diabetes bestand. Daß die Entstehung
von Zucker aus Eiweiß den respiratorischen Quotienten nie tiefer
von 0,65 herunterdrücken kann, wurde bereits oben (vgl. p. 211)
dargetan.
Die Zuckerbildung aus Fett ist noch zu umstritten, um zur
Erklärung herangezogen zu werden. Für tiefere Werte wie 0,6
würde aber auch sie nicht ausreichen.
Das auffallendste Moment bei der ganzen Angelegenheit ist,
daß dieselben Autoren, welche auf der Höhe des Fiebers die ab¬
normen niedrigen Quotienten fanden, in der Rekonvalescenz die¬
selben hohen Werte bekamen wie ich in den langdauernden Ver¬
suchen. Am Ende der Rekonvalescenz sind sie dann wieder, ob¬
wohl nichts an der Methodik geändert wurde, auch bei kurz¬
dauernden Versuchen ganz normal.
Dieser Stand der Dinge muß schließlich zu der Vermutung
führen, daß der fiebernde Organismus in kurzen Versuchen sich
anders verhält, wie der normale. Um Stoffwechselanomalien kann
es sich dabei nicht handeln. Möglicherweise ist unter den ge¬
zwungenen Verhältnissen, wie sie der Grundumsatzversuch leider
mit sich bringt, der Gasaustausch vorübergehend gestört Da die
Kohlensäureausscheidung in den sicher zuverlässigen Versuchen
meist in auffallender Weise hinter dem Sauerstoffverbrauch zurück¬
bleibt, könnte man an eine Kohlensäureretention denken. Möglicher¬
weise kommt es auch vorübergehend zur Bildung von Carbamin-
säure oder Bindung der Kohlensäure durch andere Substanzen,
Verhältnisse, wie sie in letzter Zeit besonders M. Siegfried 1 )
studiert hat. Die in irgendeiner Form zurückgehaltene Kohlen¬
säure müßte dann im anschließenden Versuche wieder erscheinen.
In Untersuchungen, die bisher in dieser Richtung gemeinsam mit
Herrn Dr. Siebeck angestellt wurden, ist es uns nicht gelungen,
eine befriedigende Erklärung zu finden.
So wichtig und interessant auch die Frage nach der Ursache
der abnorm niedrigen respiratorischen Quotienten in kurz dauernden
1) Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd, 44, 46 und 59, 1908—1910.
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232
Ghafb
Versuchen ist, eins ist sicher, für die Beurteilung des Stoffwechsels
ist nur der Ausfall langdauernder Versuche von Bedeutung und
der zeigt ganz eindeutig, daß Anomalien des respiratorischen Stoff¬
wechsels im Fieber nicht nachweisbar sind. Der Stoffwechsel im
Fieber ist danach qualitativ der gleiche wie beim Normalen.
Kraus 1 ) hat diesen Standpunkt immer eingenommen.
In welcher Weise sich entsprechend ihrem Energiegehalt die
einzelnen Kraftspender am Kraftwechsel beteiligen, illustrieren die
Stäbe 12—14 in Tabelle III. Besonders wichtig war hier die
Frage der Anteilnahme des Eiweißes.
Bei dem großen Gewicht, daß seit langem auf die starke Ver¬
mehrung des Eiweißzerfalls im Fieber gelegt wird, war zu er¬
warten, daß die Wärmebildung aus Eiweiß gegenüber der Norm
auch relativ außerordentlich vermehrt sei.
Dies ist nun in der Regel nicht der Fall. Im Durchschnitt
bestreitet das Eiweiß bei den von mir untersuchten Fiebernden
nur zu 19,6 % den Gesamtkalorienbedarf des Körpers. Dabei han¬
delte es sich nicht etwa um besonders lange dauernde Erkran¬
kungen, von denen man weiß, daß schließlich die Mehrausscheidnng
von Stickstoff zurückgeht oder sogar einem Stickstoffansatz Platz
machen kann (von Noorden). 2 )
Die Untersuchungen beziehen sich nur auf die ersten 6 Wochen
der Erkrankungen.
Zu Anfang der akuten Infektionen sind die Prozentzahlen am
höchsten und können bei Temperaturen von über 39° sich in
manchen Fällen deutlich über das Mittel erheben, wenn auch nie
über 30°/ o hinaus, der Durchschnitt ist 20,6 °/ 0 . Diese Erhöhung
wurde nur bei Temperaturen gegen 40° beobachtet und ist hin¬
reichend erklärt durch die Steigerung des Eiweißzerfalls infolge der
hohen Temperatur an sich (vgl. Linser und Schmidt 3 )). Zar
Annahme eines toxogenen Eiweißzerfalles noch außerdem liegt
keine zwingende Notwendigkeit vor, wenn er auch nicht ausge¬
schlossen werden kann. Auffallend ist nur, daß bei Temperaturen
unter 39° die Beteiligung des Eiweißes am Gesamtkraftwechsel
weniger als 20 °/ 0 im Durchschnitt 18,5 °/ 0 beträgt. Die Fälle 9b
und 11 a bilden nur scheinbar eine Ausnahme, da die Temperaturen
kurz vor und nach dem Versuche gegen 40° betrugen, so daß
1) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 18 p. 160 ti. v. Noorden’s Haudb. Bd. I p-
2) Pathologie des Stoffwechsels, I. Auf!. 1893.
3) Arch. f. klin. Mediz. Bd. 79 p. 514, 1904.
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Untersuchungen Uber den Stoff* und Kraftwechsel im Fieber. 233
die Annahme naheliegt, daß im Versuche noch ein Teil des kurz
vorher zerfallenen Eiweißes als Harnstoff zur Ausscheidung kam.
Es liegt ja in dieser Richtung ein großes Tatsachenmaterial vor.
In der 6. Krankheitswoche bei z. T. noch immer hohen Tem¬
peratur (vgl. z. B. Nr. 1 u. 17 d) geht die Beteiligung der Stickstoff¬
kalorien enorm herunter, auf Werte bis 11—12°/ 0 , obwohl die Ge¬
samtwärmebildung auch in diesen Fällen noch deutlich gesteigert
sein kann. Dieses starke Absinken der absoluten und relativen
Eiweißzersetzung im Laufe der akuten Krankheiten ist in keiner
Weise charakteristisch für das Fieber und die Infektion, sondern
findet sein Analogon im Hungerstoffwechsel. Auch in den ersten
Hungertagen findet ein starker Eiweißzerfall statt, der sogar zu¬
nimmt und erst, worauf Landergren *) zuerst aufmerksam machte,
am 3. Hungertage sein Maximum erreicht. Er beträgt an diesem
Tage etwa 13—15 g N. Über die Beteiligung des Eiweißes am
Kraftwechsel im Hunger liegen nur wenige gut vergleichbare Be¬
obachtung vor. Es sind im wesentlichen die Zahlen von Zuntz 8 )
für den Grundumsatz bei Breithaupt und Cetti sowie die Werte,
die ich selbst 8 ) bei meiner Versuchsperson während eines 3 Wochen
dauernden Hungerzustandes erhielt.
Danach beteiligen sich in der ersten Hungerwoche die Eiwei߬
kalorien mit 18—20°/ 0 an der Wärmebildung. Etwa die gleichen
Zahlen erhält man für die Versuchspersonen von Tigerstedt*)
und Benedikt 6 ), wenn man in Betracht zieht, daß die Unter¬
suchungen in den großen Apparaten bei mittlerer Bewegungsfreiheit
etwa um 20 °/ 0 höhere Werte liefern, wie die Grundumsatzversuche.
Um diese Hungerwerte schwanken auch die Zahlen im Fieber.
Sie liegen in den ersten 2 Wochen etwas höher, in den folgenden
Wochen etwas tiefer wie im Hunger.
Weil ein geeignetes Vergleichsmaterial für den Zustand der
chronischen Unterernährung fehlt, ist man gezwungen auf die Werte
im vollkommenen Inanitionszustande zurückzugreifen. Man darf
dies um so mehr tun, als im großen und ganzen die Gewichtsab-
1) Landergreen, Skandin. Arch. f. Phys. Bd. 14 p. 167, 1903.
2) Lehmann, Müller, Mnnk, Senator, Znntz, Virch. Arch. Bd.6
XXXI. Snppl. 1893.
3) Grafe, Zeitschr. f. physiol. Chemie Bd. 65 p. 35.
4) Nord. med. Arch. 1897, refer. in Maly’s Jahrb. 1897, p. 652.
5) The inflnence of in anition on Metabolism. Pnbl. by the Carneg. Institut,
of Washingt. 1907 p. 496.
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Grafe
534
nähme während eines Typhus von etwa 4—6 Wochen Dauer bei der
bei uns üblichen, flüssigen Diät etwa dieselbe ist wie bei 10 tägigem
vollkommenem Hunger; auch die Wasserretention, ohne welche die
Gewichtsverluste wahrscheinlich noch größer wären, ist beiden
Prozessen gemeinsam.
Für die Beteiligung der stickstofffreien Nahrungsmittel gibt
der respiratorische Quotient die nötigen Anhaltspunkte. Er schwankt
zu Beginn der Krankheit um etwa 0,8 und sinkt dann langsam,
so daß er in der 4.-6. Woche zwischen 0,72 und 0,74 liegt. Dem¬
entsprechend ist der Anteil der Kohlehydrate am Stoffwechsel zn
Anfang am größten, wie es ja schon aus zahlreichen älteren Ver¬
suchen hervorgeht. Der Hauptteil der Oxydationen wird von
Anfang an vom Fett bestritten. In dem Maße wie der Kohle¬
hydratvorrat des Körpers erschöpft wird, überwiegt dann die Be¬
teiligung des Fettes immer mehr, so daß schließlich 85°/ 0 des Ge¬
samtenergiebedarfes vom Fett bestritten werden kann. In Nr. 3
wurde sogar außer Eiweiß nur Fett zersetzt. Auch hier also das
gleiche Verhalten wie beim Hunger.
Von ganz besonderem Interesse war nun die Entscheidung der
Frage, in welcher Weise das Eiweiß und die stickstofffreien Stoffe
an der Steigerung der Wärmebildung sich beteiligen und ob die
alte, schon durch Stähelin’s Surraversuch beim Hunde etwas
erschütterte Auffassung von der fast ausschließlichen Bedeutung des
Eiweißes für die vermehrte Kalorienproduktion zu Recht besteht
Ein Blick auf die Stäbe 16 und 17 in Tabelle III zeigt, aufs
deutlichste, daß die Steigerung der Wärmebildung nur einmal viel¬
leicht durch Mehrverbrennung von Eiweiß allein hervorgerufen
wird (18 b). Mit Ausnahme von 2 Fällen bestreitet sogar das stickstoff¬
freie Material ganz überwiegend den Mehrbedarf. Die Beteiligung
kann bis 100 °/ 0 betragen. Wenn auch bei der großen Schwierig¬
keit, in jedem Falle exaktes Vergleichsmaterial für die Norm zu
bekommen, die berechneten Zahlen nur ein ungefähres Bild der
tatsächlichen Verhältnisse liefern, so beweisen sie doch so viel, daß
das Fett bei der Oxydationssteigerung im Fieber fast immer die
Hauptrolle spielt.
In den ersten Tagen der Rekonvalescenz, solange noch eine
Diät von geringem Brennmaterial gegeben wird, bleiben die Zahlen
für den respiratorischen Quotient noch niedrig, um dann mit der
größeren Nahrungsaufnahme auf z. T. hypernormale Werte zu
steigen. Diese letztere Tatsache ist übereinstimmend von allen
Autoren festgestellt worden. Nur über die Deutung der hohen
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Untersuchungen über den Stoff- and Kraftwechsel im Fieber.
235
Werte scheint noch keine Einigkeit zu bestehen. Svenson 1 ),
der zuerst die hohen Zahlen beschrieb, erklärte sie mit einer
Bildung von Fett aus Zucker. Rolly und Hörnig 2 3 ) halten
diese Erklärung für „wenig glücklich“, da im Fieber vor allem der
Eiweißbestand reduziert sei und der Ersatz des Fettes erst in
3. Linie in Betracht komme. Nach ihrer Ansicht wird vielmehr
der im Fieber retinierte, sauerstoffreiche Eiweißrest von Kohle¬
hydratnatur oxydiert. Es konnte oben ®) gezeigt werden, daß diese
Hypothese aus mehr wie einem Grunde unhaltbar geworden ist.
Ganz abgesehen davon steigt in der Rekonvalescenz nach Abzug
der auf die Oxydation von Eiweiß entfallenden Mengen von Kohlen¬
säure und Sauerstoff der respiratorische Quotient häufig so erheb¬
lich über 1,0 hinaus, wie es bei einer ausschließlichen oder fast
ausschließlichen Verbrennung von Kohlehydraten neben dem Eiweiß
unmöglich ist. Meiner Ansicht nach trifft die Svenson’sche Er¬
klärung vollkommen das Richtige. Bei den gewaltigen Einbußen,
die in erster Linie das Fett im Fieber erleidet, ist das Bestreben
des Organismus, nach Füllung des Glykogendepots die Fettlager
wieder zu ergänzen, sehr gut verständlich. Genau die gleiche Er¬
scheinung beobachtete ich — besonders ausgesprochen beim Hunde
— nach längerem Hungern.
Wenn dann am Ende der Rekonvalescenz der Organismus
seinen ursprünglichen Materialbestand wieder erreicht bat, sinken
die hohen respiratorischen Quotienten wieder zur Norm ab.
Prinzipielle Unterschiede im Kraftwechsel und den dabei mit¬
wirkenden Hauptfaktoren im Fieber und in der Rekonvalescenz
zwischen den einzelnen akuten Infektionskrankheiten habe ich nicht
feststellen können. Wenn auch meine Untersuchungen hauptsächlich
den Typhus abdominalis betrafen, so passen die wenigen Beobachtungen,
die ich bei Pneumonia crouposa, Erysipel, Angina usw. machen
konnte, doch vollkommen in den Rahmen der für den Typhus ge¬
schilderten Verhältnisse hinein. Die Art der Infektion spielt also
offenbar da, wo sie zu Fieber führt, keine Rolle für den Kraft¬
wechsel. 4 ) Bezüglich der Stickstoffausscheidung im Urin scheinen
nach den Untersuchungen von Löning 4 ) hingegen gewisse Unter¬
schiede quantitativer Art zwischen den einzelnen Infektionskrank¬
heiten zu bestehen.
1) l. c.
2) Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 95 p. 122, 1908.
3) p. 211 u. 231.
4) Klin. Jahrb. 18. Bd. p. 1, 1907.
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236
Grafe
Die chronischen Infektionskrankheiten.
Die Untersuchung des Stoff- und Kraftwechsels bei den fieber¬
haften chronischen Infektionskrankheiten (vgl. Tabelle II und IVi
ergibt in allen wesentlichen Zügen, abgesehen von quantitativen
Unterschieden, das gleiche Bild, wie die akuten Infektionsstadien
es zeigen.
Die Temperaturen während der Versuche waren meist erheb¬
lich niedriger wie im akuten Fieberzustand. Es erklärt sich das
hauptsächlich damit, daß selbst bei den fortgeschrittensten Stadien
der Tuberkulose und hohem abendlichen Fieber morgens die Tem¬
peratur nur unwesentlich erhöht sein kann. Ganz fieberfrei war
keine der Kranken im Respirationsapparat, jedoch wurden Tempe¬
raturen von 38,6° nie überschritten. Trotzdem war eine Steige¬
rung der Oxydationen in fast allen Fällen unverkennbar.
Daß die berechneten Werte wegen des Fehlens von Normal¬
zahlen beim gleichen Individuum nur approximative Gültigkeit
haben, wurde schon oben hervorgehoben. Auch hier ist ferner
sehr wohl möglich, daß die reinen Inanitionswerte, abgesehen von
Fieber und Infektion, erheblich unter den Normalzahlen liegen.
Gegenüber den akuten Infektionskrankheiten ist, wie es zu
erwarten war, die Steigerung der Wärmebildung etwas geringer.
Sie beträgt im Durchschnitt nach den in Stab 15 Tabelle IV be¬
rechneten Zahlen etwa 20 %. In einem Falle (Nr. 22) bei einer
Temperatur von 37,8° wurde sie ganz vermißt, viermal war sie
nur angedeutet. Der höchste Wert von 60% fand sich bei einem
Kranken mit recht erheblicher Dyspnoe (Nr. 34). Vor allem war
hier nicht nur die Zahl, sondern die Tiefe der einzelnen Atemzüge
gegenüber der Norm erheblich vermehrt.
In diesem Falle ist zweifellos ein großer Teil des hohen Wertes
auf stark erhöhte Tätigkeit von Herz und Lungen zu beziehen.
Ferner weiß man vor allem aus zahlreichen Versuchen im Hoch¬
gebirge % daß Sauerstoffmangel den Stoffwechsel in die Höhe treiben
kann.
Werte von 40 und 50% wurden bei einem 15jährigen Mäd¬
chen beobachtet. Hier konnte von einer irgendwie stärkeren Dys¬
pnoe nicht die Rede sein, ebensowenig von motorischer Unruhe,
da das Kind während der Respirationsversuche sehr ermattet,
1) Vgl. vor allem die zahlreichen Erfahrungen, die Zuntz nnd seine
Schiller in ihrem großen Werke: Höhenklima und Bergwanderungen in ihrer
Wirkung auf den Menschen 11)06, niedergelegt haben.
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Untersuchungen Uber den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber. 287
fast stets schlafend da lag. Daß der wachsende Organismus auf
Fieber und Infektion mit besonders starken Oxydationen zu
reagieren scheint, war mir schon in früheren 1 ) Untersuchungen
aufgefallen. Auch Nr. 11a liefert ein weiteres Beispiel dafür.
Eine qualitative Änderung des Stoffwechsels ließ sich bei den
chronischen ebensowenig wie bei den akuten Infektionskrankheiten
feststellen, und es gelten auch hier die obigen Ausführungen.
Was die Beteiligung der einzelnen Nahrungsstoffe am Kraft¬
wechsel betrifft, so fällt zunächst auf, daß die Eiweißkalorien
gegenüber dem akuten Infektionszustand erheblich geringer sind.
Die Verbrennung von Eiweiß liefert im Durchschnitt nur etwa
13°/ 0 der Gesamtkalorien. Nur einmal wurde ein Wert über 20 °/ 0
gefunden, fünfmal lag er sogar tiefer wie 10 %. Die tiefste beob¬
achtete Zahl ist 5,6%. Wenn man bedenkt, daß der hungernde
Organismus sich im Laufe der 3. Woche auf ein Minimum von 10 %
der Beteiligung des Eiweißes den Gesamtumsetzungen einstellt 2 ),
so tritt in den noch niedrigeren Zahlen eine außerordentliche Fähig¬
keit des Organismus, mit seinem wertvollsten Material zu geizen,
hervor.
Allerdings handelte es sich in dem einen Falle um einen
wachsenden Organismus, für den das Eiweiß eine noch größere
Bedeutung hat wie für den ausgewachsenen Körper.
Ein toxogener Eiweißzerfall ist wohl hier trotz hoher Tempe¬
ratur, starker Oxydationssteigerung und schwerster, sehr bald nach¬
her zum Tode führender Infektion sicher nicht da.
Die Tatsache, daß im Laufe langwieriger Infektionskrank¬
heiten die N-Ausscheidung erheblich zurückgehen kann, ist, wie
oben erwähnt, schon länger bekannt und kommt auch hier wieder
deutlich zum Ausdruck.
Der respiratorische Quotient verhält sich im großen und ganzen
wie bei den akuten Krankheiten. Je länger die Krankheit dauert
und je unzureichender die Nahrungsaufnahme wird, desto mehr
sinkt er ab, aber niemals auf subnormale Werte unter 0,71. Er
ist hier wie bei den akuten Infektionen der Ausdruck für den Er¬
nährungszustand des Körpers.
Die Zahlen liegen zwischen 0,84 und 0,72.
Die Kohlehydrate beteiligen sich meist nur mit kleinen Mengen
am Kraftwechsel, zweimal überhaupt nur mit Spuren.
1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 95 p. 547, 1909.
2) Vgl. Grafe, Zeitschr. f. Physiol. Chem. Bd. 65 p. 35, 1910.
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238
Graf*
V 2 - 8 / 4 der Gesamtkalorienproduktion bestreitet das Fett, in
2 Fällen sogar 9 / 10 .
Dementsprechend wird in den meisten Fällen die Steigerung
der Kalorienproduktion fast ausschließlich dnrch Verbrennung von
stickstofffreiem Material, vor allem von Fett hervorgerufen.
Noch stärker wie bei den akuten Infektionskrankheiten tritt
also im chronischen Fieber die Erscheinung zutage, daß im Kraft¬
wechsel das Eiweiß nur eine untergeordnete Rolle spielt.
Es läßt sich somit nach dem Ausfall meiner Untersuchungen
die weitverbreitete Anschauung, daß die Mehrzersetzung bei fieber¬
haften Infektionen des Menschen ausschließlich oder fast ausschließlich
durch Mehrverbrennung von Eiweiß hervorgerufen wird, nicht mehr
halten. Entgegen Senator’s ursprünglicher Vorstellung wird im
Fieber nicht nur kein Fett gespart, sondern im Gegenteil in erheblich
vermehrter Menge verbrannt, manchmal sogar in so weitem Maße für
den Kraftwechsel herangezogen, wie es nicht einmal im extremsten
Hunger der Fall ist. Alle untersuchten Infektionen verhalten sich,
abgesehen von ganz geringen quantitativen Unterschieden, gleich.
Vom energetischen Standpunkte aus betrachtet ist der Fieberstoff¬
wechsel bei unzureichender Nahrungsaufnahme ein auf ein höheres
Niveau eingestellter Hungerstoffwechsel. Daß die Inanition beim
Fieber überhaupt eine Rolle spielt, ist natürlich nicht neu und vor
allen Dingen von v. Noorden 1 ) und Krehl 2 3 ) betont worden.
Doch fand ich nirgends bemerkt, daß sie, abgesehen von der Oxy¬
dationssteigerung, von entscheidender Bedeutung für den Kraft¬
wechsel im Fieber ist.
Man hat der Oxydationssteigerung im Fieber mit gleichzeitiger
Erhöhung des Eiweißumsatzes oft die viel größeren Kalorienent¬
wicklung bei körperlicher Arbeit ohne nennenswerte Alteration des
Eiweißumsatzes gegenübergestellt, für die gewöhnliche körperliche
Arbeit mit vollem Recht. Es fragt sich aber, ob man die Oxy¬
dationssteigerung unter so ungewöhnlichen Verhältnissen, wie das
Fieber sie bietet, mit der Steigerung der Wärmebildung bei leichter
Muskelarbeit vergleichen darf. In den letzten Jahren ist vor allen
Dingen von der Zuntz’schen Schule, von Atwater und seinem
Mitarbeitern u. a. 8 ) der Stoff- und Kraftwechsel bei Muskelarbeit
genau studiert worden. Dabei haben sich gewisse Bedingungen
1) Pathol. d. Stoffwechsels, I. Aufl. p. 197, 1893.
2) Pathol. Physiol. 5. Aufl. p. 495, 1907.
3) Lit. s. bei Magnus-Levy in v. Noorden’s Handbuch d. Phys. Bd. I
p. 394 f. 1906 und in Höhenklima und Bergwanderungen 1. c.
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Untersuchungen über den Stoff- und Kr&ftwechsel im Fieber.
239
gefunden, unter denen eine sehr erhebliche Steigerung des Eiwei߬
umsatzes eintritt. Diese Bedingungen sind ungenügende Ernährung,
Erhöhung der Körpertemperatur oder der Außentemperatur, mangel¬
haftes Training, Sauerstoffmangel. Da, wo diese Bedingungen
z. T. oder alle Zusammentreffen, finden enorme Eiweißverluste statt
und es gelingt nicht, die Versuchspersonen ins Stickstoffgleichgewicht
zu bringen.
Am charakteristischsten sind diese Erscheinungen bei der Berg¬
krankheit ausgesprochen. *)
Hier kann entgegen den Erfahrungen beim reinen Hunger die
Stickstoffausscheidung noch am 6. Tage die anfängliche, enorme
Höhe behalten.
Leider ist in allen solchen Fällen die Gesamtkalorienproduktion
des Tages nicht bekannt, so daß sich nicht entscheiden läßt, ob
sich daß Eiweiß in Prozenten in ähnlicher Weise beteiligt wie im
Inanitionszustand. Ganz wird es wohl kaum der Fall sein.
Die Ursache dafür, daß im Fieber die Eiweißverbrennung im
Durchschnitt in gleichem Maße wie der Gesamtumsatz steigt, er¬
blickt man wohl am richtigsten in der Änderung der chemischen
Wärmeregulation, wie sie die Temperaturerhöhung mit sich bringt.
Gerade für das Gebiet der chemischen Wärmeregulation ist von
Rubner nacbgewiesen, daß sich an der vermehrten oder ver¬
minderten Wärmebildung stickstoffhaltiges und stickstofffreies
Material in ungefähr gleicher Weise beteiligt. In einem von ihm
mitgeteilten Versuche beim Hunde *) stieg z. B. bei starker Variation
der Außentemperatur die Wärmebildung um 24,8 % die Eiwei߬
zersetzung um 28,8 °/ 0 , die Fettzersetzung um 23,3 °/ 0 . Bei allen
derartigen Versuchen bleibt natürlich die Temperatur der Versuchs¬
tiere konstant, aber es ist gut vorstellbar, daß, wenn statt der
Außentemperatur die Körpertemperatur selbst steigt, die energetischen
Vorgänge sich prinzipiell in der gleichen Weise abspielen. Be¬
wiesen ist das allerdings nicht.
Die Frage, ob es einen besonderen Eiweißzerfall bei der fieber¬
haften Infektion gibt, kann durch meine Versucbsanordnung natür¬
lich nicht entschieden werden. Ich konnte nur zeigen, daß er
nicht so groß ist, daß er sich bei der Beteiligung des Eiweißes im
1) So verlor z. B. Caspari (Höhenklima and Bergwanderungen in ihrer
Wirkung anf den Menschen p. 283) in 6 Tagen 1 kg an Fleisch. Der tägliche
Stickstoffrerlnst konnte 9 g betragen.
2) Die Gesetze des Energieverbrauchs bei der Ernährung p. 172, 1902.
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240
Grafb
Kraftwechsel dokumentieren kann. Daß einzelne Werte sich etwas
über das Durchschnittsniveau von 20 °/ 0 erheben, kann wohl kaum
als ein zwingender Beweis von allgemeiner Tragweite betrachtet
werden. Es geht dies vor allem darum nicht, weil in allen Fällen l ;
die 20% überschreitenden Werte nur bei Temperaturen zwischen
39,5—40° beobachtet wurden, also in einer Höhe, in der auch der
künstlich überhitzte Organismus nach den Untersuchungen von
Linser und Schmidt 2 3 ) eine die Norm erheblich übersteigende
Stickstoffeinbuße (maximal 40°/ o ) erleidet.
Unter toxischem Eiweißzerfall sind sehr verschiedene Dinge
verstanden worden. 8 ) Einmal ist damit der Teil des Eiwei߬
zerfalles bezeichnet worden, der selbst bei reichlichster Ernährung
nicht verhindert werden kann.
Es scheint, daß der Begriff des toxischen Eiweißzerfalles in
diesem Sinne gedeutet nicht mehr haltbar ist, nachdem es jüngst
amerikanischen Autoren (Schaffer und Colemann 4 5 )) gelungen
ist, mit abundanter Nahrungszufuhr im Typhus vollkommen oder
nahezu Stickstoffgleichgewicht und Gewichtskonstanz während des
ganzen Verlaufs der Erkrankung zu erzielen.
Freilich könnte gegen die Beweiskraft derartiger Versuche
noch eingewandt werden, daß ein eventueller Eiweißzerfall durch
gleich starke Eiweißsynthese maskiert wird. Eine zweite Auf¬
fassung, die vor allen Dingen Müller 6 ) und Krehl 6 ) vertreten,
sieht den toxischen Eiweißzerfall darin dokumentiert, daß bei
gleicher Ernährung im Fieber mehr Eiweiß wie in der Norm zer¬
fällt und daß es bisher nicht gelungen ist, durch gleiche Kohle¬
hydratzufuhr die Stickstoffausscheidung in gleicher Weise herab¬
zudrücken wie beim Gesunden.
Als Beweismaterial dient die Untersuchung Weber’s 7 ) am
fiebernden Hammel, während die entgegenstehenden Beobachtungen
Hirschfeld’s 8 ) im Tuberkulinfieber nicht als einwandfrei be-
1) Bezüglich der Ausnahmen vgl. die Ausführungen auf 8. 232.
2) Arch. f. klin. Med. Bd. 79 p. 514, 1904.
3) rät. vgl. hei Kraus, Fieber und Infekt, in v. Noorden’s Handbuch der
Stoffwechselpatholog. Bd. I p. 598 ff. 1907.
4) W. Colemann, Journal of Americ. Medic. Associat. 1909 p. 1145. —
Schaffer u. Colemann, Arch. of intern. Medic. Dezember 1909, ref. Joum
1910 p. 321.
5) Handbuch der Ernährungstherapie n. Diätetik p. 218.
6) Patholog. Physiol. V. Auf!, p. 491, 1907.
7) Arch. f. experim. Pathol. u. Pharmakol. Bd. XLVII p. 19, 1902.
8) Hirschfeld, Berliner klin. Wochenschr. 1891 p. 29.
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Untersuchungen über den 3toff- und Kraftwechsel im Fieber.
241
trachtet werden. Ein Punkt ist, wie mir scheint, bei diesen Ver¬
suchen nicht beachtet worden, nämlich die Steigerung des Nahrungs¬
bedarfes, die im Fieber als notwendige Folge der größeren Ka¬
lorienproduktion eintritt. Berücksichtigt man diese Tatsache nicht,
so vergleicht man bei Darreichung der gleichen Nahrung einen
normalernährten mit einem unterernährten Organismus, was gerade
bei Beurteilung der Verhältnisse der Stickstoffausscheidung zu Fehl¬
schlüssen fuhren kann.
Untersuchungen, die diesen Faktor mit berücksichtigen und
bei Temperaturen unterhalb der Grenze, in welcher der Über¬
hitzungseiweißzerfall beginnt, angestellt wurden, liegen meines
Wissens bisher nicht vor und sind von mir in Angriff genommen.
Nur auf diese Weise kann, wie mir scheint, die Frage nach
der Existenz eines toxischen Eiweißzerfalles einwandfrei ent¬
schieden werden,
Zusammenfassung.
Unter Berücksichtigung des bisher vorliegenden Tatsachen¬
materials könnte man sich vom Stoffwechsel und Kraftwechsel im
infektiösen Fieber folgende Vorstellung machen: Bakterien oder
ihre Stoffwechselprodukte gelangen in den Kreislauf und werden
in der Nähe der für das Leben und die Eegulation des Stoff¬
wechsels wichtigsten, wohl hauptsächlich nervösen Zentren paren¬
teral verdaut. Die Verdauungsprodukte, die natürlich nur in minimal¬
sten Mengen vorhanden sind, reizen auf bisher noch unbekannte
Weise jene Zentren. Wahrscheinlich spielen dabei Überempfind¬
lichkeitsprozesse eine bisher noch nicht durchsichtige Bolle. Die
Reizerscbeinungen äußern sich in den zahlreichen, für Fieber und
Infektion so ungemein charakteristischen nervösen Symptomen,
ferner in einer Steigerung der Gesamtoxydationen und einem
partiellen Versagen der Temperaturregulierung. Die Erscheinungen
gehen z. T. parallel nebeneinander her, ohne jedoch ganz von ein¬
ander abhängig zu sein. Vor allem ist die mangelhafte Tempe¬
raturregulierung nicht die Folge der Oxydationssteigerung.
Die Vermehrung der Wärmebildung beträgt im Durchschnitt
20—30°/ o und wird nur ausnahmsweise ganz vermißt. Bei ihrem
Zustandekommen spielt wahrscheinlich eine Art chemischer Wärme¬
regulation eine große Bolle. Die Mehrzersetzung betrifft daher
alle Nahrungsstoffe gleichmäßig und geht bei ausreichender Er¬
nährung in prinzipiell gleicher Weise ver sich wie in der Norm.
Da, wo infolge unzureichender Nahrungsaufnahme eine erheb-
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 16
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Grafe
liehe Gewichtsabnahme eintritt, verhält sich vom energetisches
Standpunkt ans betrachtet, der fiebernde Organismus genau so wie
ein durch chemische Wärmeregulation auf ein höheres Oxydations-
niveau eingestellter hungernder Körper.
Eine qualitative Änderung des respiratorischen Stoffwechsel;
gegenüber der Norm findet nicht statt. Die kurz dauernden Versuche
geben ein falsches Bild der tatsächlichen Verhältnisse, wahrscheinlich
handelt es sich hier um Gaswechselanomalien im Fieberzustande.
Wie in der ersten Hungerwoche, so wird auch im akuten, in¬
fektiösen Fieber im Durchschnitt 20% der Kalorienproduktion von
Eiweiß bestritten. Eine etwas höhere Beteiligung (bis maximal
30%) findet sich nur bei sehr hohen Temperaturen und ist hier
wie bei künstlichen Überhitzungsversuchen erklärbar durch die
Temperatur an sich.
80% der Wärmeproduktion liefern die stickstofffreien Stoffe.
Der Hauptanteil entfällt auf das Fett (50—90%) und richtet sich
ganz nach dem Ernährungszustand; gegen Ende der Krankheit
pflegt er am größten zu sein. Analog aber im umgekehrten Sinne
ist die Beteiligung der Kohlehydrate (30—70%). Die Steigerung
der Kalorienproduktion wird fast immer ganz überwiegend von dem
stickstofffreien Nährmaterial bestritten.
Je länger Fieber und Infektion dauern, desto mehr tritt das
Bestreben des Organismus hervor, seinen Eiweißbestand zu schonen.
Bei chronischen Infektionskrankheiten beträgt trotz deutlich aus¬
gesprochener Steigerung der Wärmebildung die Beteiligung des
Eiweißes im Durchschnitt nur 13%, die tiefsten Werte liegen
sogar bei 5 %, also erheblich unter dem Eiweißminimum des Hunger¬
stoffwechsels in der 3. Hungerwoche (10%). Trotzdem kann in
solchen Fällen noch eine Steigerung des Stoffwechsels bis 40 •„
vorhanden sein. Am Mehrverbrauch ist hier das Eiweiß überhaupt
nicht beteiligt.
Es ist möglich, daß außer der Oxydationssteigerung und der
Inanition noch ein sogenannter toxogener Eiweißzerfall d. h. ein
vermehrter Zerfall von Protoplasma infolge direkter Giftwirkung
stattfindet. Einwandfrei bewiesen ist seine Existenz bisher noch
nicht. Sicher ist nur, daß der toxogene Eiweißzerfall für die
energetischen Leistungen des Organismus nicht merkbar in Be¬
tracht kommt.
Wenn der Stoffwechsel beim infektiösen Fieber und unzu¬
reichender Nahrungsaufnahme ausschließlich oder fast ausschlie߬
lich ein quantitativ gesteigerter Hungerstoffwechsel ist, wie aus
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Untersuchungen über den Stoffe und Kraftwechsel im Fieber. 243
meinen Untersuchungen hervorgeht, muß es gelingen durch ans¬
reichende Ernährung den Körper vollkommen im Normalzustand
zu erhalten.
Dies ist nun tatsächlich der Fall, wie die zahlreichen Beob¬
achtungen amerikanischer Autoren (Colemann und Shaffer 1 ))
ganz kürzlich einwandfrei dargetan haben. Sie erzielten mit einer
durch Zusatz von Milchzucker, Eier und Sahne kalorienreich ge¬
machten Milchdarreichung Stickstoffgleichgewicht und verhinderten
jede Gewichtsabnahme.
Die Bedeutung derartiger Versuche in therapeutischer Richtung
liegt auf der Hand. Vor allem zeigen sie wieder von neuem, daß
in der Bekämpfung der Fieberkonsumption die Kohlehydrate weit¬
aus die wichtigste und entscheidende Rolle spielen.
Anhang.
Die wichtigsten Daten der Krankengeschichten:
Akute Infektionskrankheiten.
Nr. 1. G. Kr. (Typhus abdominalis). In der Ascendenz Phthise.
Etwa 4—5 Wochen vor der Aufnahme akut erkrankt. Klinisches
Bild charakteristisch für Typhus. Widal für Typbus 1 : 100 pos.
Leukocyten 4500 (35 °/ 0 mononucleäre). Komplikation mit Bronchitis (zur
Zeit des Respirationsversuches Nr. 32 sehr gering), leichter Nephritis,
geringen Darmblutungen, außerdem geringe rechtsseitige Spitzenaffektion,
daher auch in der Rekonvalescenz leichte Temperatursteigerung. Ge¬
wichtsabnahme im Fieber 7,2 kg, Gewichtszunahme 8,0 kg in der Re-
konvalescenz.
Nr. 2. E. Gr. (Typhus abdominalis).
Früher Ulcus ventriculi, 6 Aborte. Am 8. Krankheitstage auf¬
genommen. Widal für Typhus 1 : 100 pos., Blutkulturen negativ, 6500
Leukocyten (35 °/ 0 mononucleäre). Komplikation mit leichter Bronchitis
und Nephritis, Mitralinsufficienz (vorübergehende Dekompensation) und
Cholecystitis. Dauer der Erkrankung 8 Wochen. Gewichtsabnahme 1
9 kg, Gewichtszunahme nachher 10,5 kg.
Untersuchungen im Stadium decrementi bei hohen abendlichen
Temperaturen.
Am 106. Krankheitstage (12. Februar 1910) entlassen. Wieder¬
untersuchung am 21. September. Die Kranke befand sich damals zwar
vollkommen fieberfrei, aber in einem schweren Inanitionszustande. Am
21. Juli in einem Anfalle schwerster Depression SuicidverBuch mit Salz¬
säure. Starke Verätzungen des DigestionBtraktus, keine erheblichen
Strikturen. Seit 23. Juli wegen des Depressionszustandes in der
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Okafk
psychiatrischen Klinik. Vom 23. Juli bis 21. September 12 kg Gewichts¬
abnahme, in der Woche vor dem letzten Versuch wieder geringe Zunahme.
Nr. 3. J. Schw. (Typhus abdominalis).
Am 22. Krankheitstage eingeliefert. Widal 1 : 100 für Typhös
pos. Leukocyten 5600 (45 °/ 0 mononucleäre). Alte Affect. apic. sin.
sanata, geringe Bronchitis und Nephritis. Benommenheit z. T. sehr stark.
Däner der Krankheit 7 Wochen. Gewichtsabnahme während des
Aufenthaltes in der Klinik 7,4 kg, in der Rekonvalescenz Zunahme
von 8,5 kg. Untersuchung bei voller Gesundheit ®/ 4 J. später. Zum
Vergleich sind die Kalorien auf die früheren Gewichte umgerechnet.
Nr. 4. W. Kopp. (Typhus abdominalis, sehr schwerer Fall).
Am 18. Krankheitstage aufgenommen. Widal für Typhus 1 : 100
pos. Leukocyten 4000 (28 °/ 0 mononucleäre). Komplikationen mit
Nephritis und Bronchitis, großem septischen Decubitus, mehrfachen pro¬
fusen Darmblutungen und starker Herzinsufficienz. Dauer der Erkrankung
6 Wochen, dann noch 4 Wochen wohl infolge Decubitus leichte Temperatur¬
steigerungen. Gewichtsabnahme in der Klinik 13,5 kg, Zunahme 6 kg.
Nachuntersuchung (4 c) bei vollkommener Gesundheit */ 2 Jahr später.
Da hierbei R. sich nicht ruhig verhielt, ist die Kalorienproduktion etwas
zu hoch ausgefallen. Ich habe daher für die Berechnung der Oxydations¬
steigerung bei 4 a den Mittelwert zwischen 4 b und 4 c genommen.
Nr. 5. E. Dau. (Typhus abdominalis, leichterer Fall).
Am 8. Krankheitstage aufgenommen. Im Blut wachsen Typhus-
kulturen, Leukocyten 3000 (40 °/ 0 mononucleäre). Komplikation mit
geringer Bronchitis und Nephritis.
Dauer der Erkrankung 5 Wochen. Gewichtsabnahme während des
klinischen Aufenthaltes nur 2 kg, nachher Zunahme von 6 kg.
Nachuntersuchung 2 Monate nach beendeter Bekonvalescenz.
Nr. 6. O. Böh. (Typhus abdominalis).
Am 6. Krankheitstage aufgenommen. In Blutgallenröhrchen wachsen
Typhusbazillen. Leukocyten 3000 (40°/ 0 mononucleäre). Am 17. und
19. Krankheitstage schwere recidivierende Darmblutungen, am 20. Exitus
letalis. Pathologisch-anatomisch: Ileotyphus im Stadium der Abstoßung
der Schorfe.
Nr. 7. G. Hab. (Erysipelas faciei).
Am 3. Tage aufgenommen. Klinisches Bild und Verlauf typisch.
Temperaturen bis 40,7°. Ara 15. Tage vollkommen fieberfrei. Kom¬
plikation mit leichter Bronchitis und Nephritis. Gewichtsabnahme 4,7 kg.
Nr. 8. S. Web. (Pneumonia crouposa lob. infer. sin.).
Früher Lungenspitzenkatarrh, 2 X Lungen-, Rippenfell- und Herz¬
beutelentzündung.
Am 1. Krankheitstage in die Klinik aufgenommen. Charakteristischer
Befund und Verlauf. Die Krise am 10. Tage, einige Stunden nach
Beendigung des Respirationsversuches. Gewichtsabnahme 6,5 kg.
Nr. 9. G. Sta. (Pneumonia crouposa lobi inf. dextr. et sin. Affect
apic. sin.?, sehr schwerer Fall).
Arn 6. Krankheitstage eingewiesen. Klinischer Befund charakteristisch,
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Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber.
245
im Spntnm wurde kulturell Pneumococcus lanceolat. nachgewieseu,
niemals Tuberkelbazillen. Verlauf sehr atypisch und protrahiert, Krise
erst am 48. Krankbeitstage (23. August). Bei der Entlassung aus der
Klinik (am 17. September) keine Überreste yon Pneumonie mehr zu
finden, dagegen noch Dämpfung über der linken Spitze und abendliche
leichte Temperatursteigerungen. Daher war ein Normalversuch unmög¬
lich. Gewichtszunahme in der Rekonvalescenz 10 kg.
Nr. 10. F. Stof. (Pneumonia lobul. dextr.).
Anamnese unsicher, da der Kranke fast stets benommen war. Im
Sputum deutliche Pneumokokken, keine Tuberkelbazillen. Krise am
6. Januar, am folgenden Tage Respirationsversuch. 5 Tage später Tod
durch Lungenembolie. Bei der Sektion (Prof. Ernst): Lobuläre
Pneumonie des rechten Oberlappens, keine Zeichen von Tuberkulose.
Bronchitis purulenta mit zylindrischen Ektasien, in den Asten der
Pulmonalis grobe Thrombenmassen.
Nr. 11. K. Och. (Typhus abdominalis, mittelschwerer Fall).
Am 11. Krankheitstage im Stadium der remittierenden Temperaturen
aufgenommen. Aus dem Blute wurden Typhusbazillen gezüchtet, Widal
für Paratyphus 1 :200, für Typhus 1 : 100 pos.
Ganz geringe Bronchitis und Albuminurie.
Gewichtsabnahme in der Klinik 3 kg, Gewichtszunahme 2 Monate
nach Aufhören des Fiebers 10,5 kg. Letzte Untersuchung nach Ende
der Rekonvalescenz.
Nr. 12. H. Schaud. (Angina follicularis).
Am 10. Krankheitstage mit 40,2° eingeliefert, geringe Albuminurie,
vom 14. Krankheitstage an fieberfrei.
Nr. 13. K. Fr. (Pleuritis exsudativa dextra, Affect. apic. utriusque
lateria).
Erbliche Belastung. 6 Wochen vor der Aufnahme mit Husten und
Schmerzen erkrankt.' Bei der Aufnahme am 18. Juli 1910 Zeichen
starker Pleuritis mit doppelseitiger Spitzenaffektion. Temperaturen
zwischen 39 u. 40°.
Punktion ergibt ein seröses, vorwiegend lymphocytäres Exsudat. Da
infolge der Spitzenaffektion noch leichte Temperaturen nach Ausheilung
der Pleuritis fortbestehen, konnte ein Normalversuch nicht vorgenommen
werden.
Nr. 14. G. Böh. (Typhus abdominalis, sehr schwerer Fall).
Am 18. Krankheitstage aufgenommen. Typhusbazillen im Blut,
Widal flir Typhus 1: 200, für Paratyphus B 1: 100 pos. Leukocyten
5000 (50°/ 0 mononucleäre). Hochgradige Benommenheit, leichte Er¬
scheinungen von Herzinsufficienz, geringe Nephritis. Stadium decrementi
stark in die Länge gezogen, einmal kurzes Recidiv. In der Rekonvalescenz
auffallend starker Appetit. Gewichtsabnahme in der Klinik nur 2,5 kg,
dann Zunahme von 11 kg.
Nr. 15. P. Kl. (Typhus abdominalis, mittelschwerer Fall).
Am 10. Krankheitstage in die Klinik aufgenommen. Aus dem Blute
Typhusbazillen gezüchtet, Widal für Typhus 1 : 200, für Paratyphus B
1: 500 pos. 5500 Leukocyten (30 °/ 0 mononucleäre). Starke Benommen-
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heit, geringe Bronchitis nnd Nephritis. Vom 34. Tage an fieberfrei
vom 44.—54. kurzes Reoidiv, dann ungestörte Rekonv&lesceuz.
Gewichtsabnahme in der Klinik 7,5 kg, später Zunahme von 6,5 kg.
Nr. 16. V. Ko. (Paratyphus B, mittelschwerer Fall).
Am 9. Krankheitstage aufgenommen. Agglutination für Paratyphus B
1 : 100 pos., für Typhus negat. Leukocyten 3500 (45°/ 0 mononucleäre).
Komplikation mit Bronchitis und geringer Nephritis, zeitweise leichte
Herzinsufficienz. Verlauf sehr protrahiert, erst vom 47. Kranichei tätige
an fieberfrei, Temperaturen nur im Anfang sehr hoch.
Gewichtsabnahme 6,8 kg.
Nr. 17. M. Wach. (Typhus abdominalis, schwerer Fall).
Am 6. Krankheitstage in die Klinik aufgenommen. Typhnsbazillen
im Blut, Leukocyten 11 000 (54 °/ 0 mononucleäre). 8tarke Benommen¬
heit, leichte Nephritis, Bronchitis nur angedeutet, sehr starker Gewichts¬
verlust, im ganzen 8 kg. Bei Abschluß der Arbeit noch in klinischer
Behandlung.
Nr. 18. A. St. (Typhus abdominalis, schwerer Fall).
Am 6. Krankheitstage eingeliefert. Typhusbazillen im Blut, Agglu¬
tination für Typhus 1 : 200, Leukocyten 8500.
Ziemlich starke Benommenheit, leichte Bronchitis und Nephritis.
Bei Abschluß der Arbeit Kekonvalescentin.
Chronische Krankheiten.
Nr. 19. E. Dr. (Phthisis pulmon. progressa beider Oberlappen
mit Kavernen).
Erbliche Belastung unsicher. Vom 3. Mai bis 29. September 1909
mit Unterbrechung in klinischer Beobachtung. Langsamer, aber unauf¬
haltsamer Fortschritt des Leidens. Sehr viel Tuberkelbazillen im Sputum.
Gewichtsabnahme 6,8 kg.
Nr. 20. M. Ga. (Phthisis pulmonum et enterum progressa).
Vom 19. Oktober 1909 bis 6. Juni 1910 in klinischer Behandlung.
Erblich belastet. Seit 1906 krank. Bei der Aufnahme: Kavernöse
Phthise beider Oberlappen mit positivem Bazillenbefund, Durchfalle. Mit
geringen Remissionen fortschreitender Prozeß. Gewichtsabnahme ca. 13 kg.
Am 6. Juni 1910 infolge schwerer Hämoptoe Exitus letalis.
Bei der Sektion (Dr. Groß): Chronische Lungentuberkulose mit
Kavernen und Schwielenbildung in beiden Ober« und im rechten Unter-
lappen, ziemlich frische Aussaat im linken Unterlappen, tuberkulöse
Ulcera im Darm.
Nr. 21. M. Sehe. (Phthisis pulmonum progressa).
Vom 12. August 1909 bis 5. September 1910 in klinischer Be¬
handlung. Keine erbliche Belastung. Beginn der Erkrankung Mitte
April 1909. Floride, kavernöse Phthise beider Lungen. Sehr viel
Tuberkelbazillen im Auswurf. Meist hohe Temperaturen, extremste Ab¬
magerung, schon bei der Aufnahme, dann bis zur Entlassung (kurz ante
exitum) noch weitere Gewichtsabnahme von 5 kg. Zu Hause bald nach
dem letzten Versuch gestorben.
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Untersuchungen über den Stoff- und Eraftwechsel im Fieber. 247
Nr. 22. E. Mül. (PbtbiBis pulmonum et enterum progressa).
Vom 10.—27. Januar 1910 in der Klinik. Keine erbliche Be¬
lastung, seit Anfang 1908 lungenkrank. Kavernöse Pbtbise beider Ober¬
lappen und Infiltration der Unterlappen. Sehr zahlreiche Tuberkel-
bazillön. Starke Durchfälle. Temperaturen im allgemeinen gering, 38,5°
nie überschreitend.
Nr. 23. Fr. Schw. (Phthisis pulmonum laryngis et enterum pro¬
gressa).
Vom 8. Dezember 1909 bis 25. Januar 1910 in klinischer Be¬
handlung. Keine erbliche Belastung. Seit Winter 1906/07 lungenkrank.
Schwere kavernöse Phthise beider Oberlappen, starker Katarrh der Unter¬
lappen, Heiserkeit, Durchfalle, viel Tuberkelbazillen. Gewichtsabnahme bei
leidlichem Appetit gering (nur 1 kg). Temperaturen zwischen 38 und 39 °.
Am 25. Januar 1910 im Anfall schwerster Dyspnoe plötzlich Exitus letalis.
Bei der Sektion: Bechtsseitiger Pneumothorax, ausgedehnte tuber¬
kulöse Peribronchitis mit Kavernen, eine taubeneigroße des rechten Ober¬
lappens kommuniziert mit der Pleurahöhle. Tuberkulöse Geschwüre des
Larynx, der Trachea und des Bectums. Septischer Milztumor.
Nr. 24. K. Höf. (Phthisis pulmonum et laryngis).
Vom 16. Dezember 1909 bis 14. Februar 1910 in klinischer Be¬
handlung. Erbliche Belastung nicht nachweisbar. Seit Frühjahr 1909
lungenkrank. Kavernöse Phthise des linken Oberlappens, Katarrh des
rechten Oberlappens. Tuberkelbazillen sehr zahlreich. Temperaturen
gering. Im Laufe der Behandlung (Tuberkulinkur) 2 kg Gewichtszunahme.
Nr. 25. B. Wag. (Phthisis pulmonum, laryngis et enterum progressa).
Vom 13. Oktober 1909 bis 29. März 1910 in klinischer Behand¬
lung. Starke Infiltration beider Lungen mit Kavernenbildung, Durch¬
fälle und Heiserkeit. 8ehr viel Tuberkelbazillen in Sputum und Fäces.
Temperaturen meist sehr niedrig, selten über 39 0 hinausgehend, 7,5 kg
Gewichtsabnahme. Unter zunehmendem Kräftezerfall Exitus letalis am
29. März 1910.
Bei der Sektion: Diffuse käsige Pneumonie der Oberlappen mit
großen Kavernen, käsige Pneumonien des Mittel- und der Unterlappen.
Käsige Bronchitis und Peribronchitis, Miliartuberkulose des Peritoneunis,
der Milz und der Leber (Fettinfiltration), zahlreiche Ulcera in Darm und
oberen Luftwegen.
Nr. 26. A. Küh. (Phthisis pulmonum enterum et peritonei pro¬
gressa).
Vom 7. —20. März 1910 in klinischer Behandlung. Erblich be¬
lastet. Seit August 1909 lungenkrank. Starke kavernöse Infiltration
beider Oberlappen, Katarrh der Unterlappen, Durchfälle, Ascites, viel
Tuberkelbazillen in Auswurf und Stuhl. Temperaturen morgens meist
normal, abends bis 40 0 steigend. Exitus am 20. März unter den Er¬
scheinungen der akuten Herzinsufficienz.
Bei der Sektion: Tuberkulöse Pneumonie links, im> rechten Ober¬
lappen zahlreiche Kavernen, Hypertrophie und Dilatation des linken Ven¬
trikels. Peritonitis mit ausgedehnter Verwachsung der Darmschlingen,
zahlreiche Geschwüre im Darm, z. T. perforiert, Ascites, Stauungsfettleber.
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Nr. 27. H. Adel. (Phthisis pulmonum et enterom progresso).
Vom 11. März bis 27. Mai 1910 in der Klinik. Keine sichere
erbliche Belastung. Seit Januar 1909 lungenkrank. Starke Infiltration
beider Oberlappen mit Kavernen, Katarrh der Unterlappen und de«
Mittellappens, Durchfälle. Tuberkelbazillen positiv. Temperaturen'meist
nur 38 °.
Nr. 29. L. Sal. (Phthisis pulmonum progressa). Vom 8. Mai
biß 8. August in der Klinik. Erblich schwer belastet, seit Weihnachten
1909 lungenkrank, doppelseitiger Oberl appenprozeß mit Kavernensymp¬
tomen rechts. Im Sputum Tuberkelbazillen. Temperaturen nur selten
über 38 0 hinausgehend. Mäßige Abmagerung.
Nr. 30. S. Schm. (Phthisis pulmonum et enterum progressa).
Vom 4. Juli bis 11. August 1910 in klinischer Behandlung. Keine
erbliche Belastung. Seit 5—6 Jahren im "Winter viel Husten, seit
Weihnachten 1909 stärkere Lungenerscheinungen. Infiltration beider
Oberlappen und des Mittellappens mit Kavernenbildung, katarrhalische
Geräusche über den Unterlappen. Viel Tuberkelbazillen im Auswurf.
Hohe Temperaturen, starke Abmagerung. Am 11. August Exitus letalis.
Bei der Sektion: Tuberkulöse Infiltration beider Oberlappen und
des Mittellappens mit Kavernen. Frische tuberkulöse Peribronchitis in
beiden Unterlappen, Tuberkulose der Bronchialdrüsen, Empyem der
rechten Pleura, Darmtuberkulose, Fettinfiltration der Leber.
Nr. 31. A. Sch. (Phthisis pulmonum et laryngis).
Seit 30. Mai 1910 in klinischer Behandlung. Erblich stark belastet
Beginn der Krankheit März 1910 mit Husten und Hämoptoe. Infiltration
des rechten Oberlappens wahrscheinlich mit Kavernen, Katarrh der linken
Spitze und der Unterlappen, im Sputum Tuberkelbazillen. Während des
Klinikaufentbaltes geringe rechtsseitige Pleuritis und langsame Ent¬
stehung einer spezifischen Larynxaffektion mit Heiserkeit und Schluck-
beschwerden. Sehr starke Abmagerung. Temperaturen meist sehr niedrig.
Gewichtsabnahme von März bis Ende September 20 kg.
Nr. 32. P. Heit. (Phthisis pulmonum progressa).
Vom 29. Juli bis 15. September 1910 in klinischer Behandlung.
Mütterlicherseits erblich belastet. Februar 1910 im Anschluß an eine
Influenza lungenkrank geworden. Infiltration der ganzen linken Lunge
mit Bronchialatmen und sehr reichlichen klingenden Rhonchi. Rechts
Erkrankung des Oberlappens leichteren Grades. Temperaturen sehr
wechselnd, hin und wieder 39 0 übersteigend. Gewichtsabnahme in der
Klinik nur gering (1,5 kg).
Nr. 33. A. Kel. (Knochen- und Gelenktuberkulose, chron. Miliar¬
tuberkulose ?).
Vom 17. Mai bis 25. Juli 1910 in klinischer Behandlung. Keine
erbliche Belastung.
Seit März 1910 mit uncharakteristischen Erkältungserscheinungen,
Schmerzen im Leib und in den Beinen erkrankt, später Knochenschmerzen
in der rechten Clavicula und dem linken Humerus und der Wirbelsäule.
Lungen frei. Temperaturen um 38 °. Es entwickelt sich ein Absceß
des rechten Ellenbogengelenkes, der Tuberkelbazillen enthält.
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Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel im Fieber. 249
Nr. 34. W. Ja. (Bronchitis chron. mit Ektasien, Gangränhöhle im
linken Oberlappen).
Vom 20. Mai bis 25. Juni 1910 in klinischer Behandlung.
Seit Jahren Husten, vor 4 Jahren Rippenfellentzündung, vor
2 Jahren Heilstättenbehandlung. Seit 1 Jahre massenhafter, fötider Aus¬
wurf, Mattigkeit, Abmagerung. Über beiden Oberlappen Dämpfung, im
linken eine Aufhellung, diffuse grobe und feine Rasselgeräusche über
beiden Lungen. Auswurf sehr reichlich, fötid mit vielen elastischen
Fasern, keinen Tuberkelbazillen. Temperaturen um 38 °. In der Klinik
keine Gewichtsabnahme.
Nr. 35. R. Rein. (Phthisis enterum progressa).
Vom 5. November bis 23. Dezember 1909 in klinischer Behandlung.
Keine erbliche Belastung. Juni 1909 mit Hämoptoe, Lungenerscheinungen
und Durchfällen erkrankt. Infiltration des rechten Oberlappens und der
linken Spitze. Starke Durchfalle. Abendliche Temperaturen ohne Pyra¬
miden zwischen 39 und 40°. Gewichtsabnahme 5,2 kg.
Beispiel für die Berechnung der Versuche.
Nr. 2 b (Versuchsprotokoll Nr. 42). Der Versuch dauerte von
10 19 bis 6 h , Körpergewicht 44,5, der Barometerstand war konstant
739,5°, die Temperatur der Gasuhr ebenfalls konstant 16,7°. Die
Ventilation der Gasuhr während des Versuches betrug 5504 1 (redu¬
ziert auf 0 # , 760 mm Hg und absolute Trockenheit). Da der Kohlen¬
säuregehalt 0,839 °/ 0 , der Sauerstoffgehalt 19,939 % betrug, enthält
die Ventilationsluft 44,24 1 Kohlensäure und 60,0 1 Sauerstoff. Zu
diesen Werten kommen noch dazu die Mengen C0 9 und 0 9 , die im
Kasten zurückblieben: 20,20 bzw. 26,7 1.
Somit ist die Kohlensäureproduktion pro kg und 1 Minute
3,14 ccm, der entsprechende Wert für den Sauerstoffverbrauch 4,23,
die Gesamtkohlensäureausscheidung
pro 24 Std. = 3,14 X 44,5 X 1440 = 201,2 1 C0 9 ,
der Gesamtsauerstoffverbrauch
pro 24 Std. = 4,23 X 44,5 X 1440 = 271,05 1 0 9 .
Die Stickstoffausscheidung pro 24 Std. betrug 4,8255 g, dem¬
entsprechend die Kalorienproduktion durch Verbrennung von Eiweiß:
6,25 X 4,4423 X 4,8255 = 133,4 Kalorien
dabei entstehen:
4,754 X 4,8255 = 22,92 1 C0 9
und werden verbraucht:
5,923 X 4,8255 = 28,55 1 0 2 .
Nach Abzug der auf die Verbrennung von Eiweiß entfallenden
Mengen C0 9 und 0 9 verbleiben noch 178,18 1 C0 9 und 242,5 1 0 9
für die Verbrennung von stickstofffreiem Material; dem zugehörigen
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250 Ctbape, Untersuchungen über den Stoff- und Kraftwechsel ira Fieber.
RQ von 0,7353 entspricht nach Zuntz und Loewy 1 ) ein kalori¬
scher Wert des Sauerstoffes von 4,815, so daß die Kalorienprodnktion
durch Verbrennung von Fett und Zucker 4,815 X 242,5 = 1167,7
Kalorien beträgt, die Gesamtkalorienproduktion ist also 1201,1 Ka-
auf
13R4
lorien, davon entfallen auf Eiweiß ^ g ölT ^ ^ — H %>
Kohlehydrate (berechnet nach der erwähnten Tabelle von Zuntz
und Loewy) 6,6%, auf Fett 82,3%.
Die Körperoberfläche für diesen Versuch nach der Meeh sehen
Formel ist
= 12,3 f/44,iT a = 1,545 qm,
auf 1 qm kommen also = 777,3 Kalorien.
1) Zuntz u. Loewy, Lehrbuch der Physiol. des Menschen, Tab. p. 663 .
1909.
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Aus der II medizinischen Klinik München
(Direktor: Prof. Friedrich Müller).
Znr Frage der extramedullären Blutbildung bei
posthämorrhagischen Anämien.
Von
A. Skornjahoff.
Die Frage der myeloiden Metaplasie der Milz, der Leber und
der Lymphdrüsen bei schweren Anämien war in der letzten Zeit
Gegenstand eingehender Untersuchungen. In erster Linie ist hier
die Arbeit von Meyer und Heineke(l) zu erwähnen. Die ge¬
nannten Autoren sprechen auf Grund ihrer Studien diese Verän¬
derungen wegen der großen Ähnlichkeit des histologischen Bildes
mit demjenigen der embryonalen Organe als Kompensationsvor¬
richtungen des Körpers gegenüber primärer Blutschädigung an.
Im Anschluß daran suchten eine Beihe Autoren diese An¬
nahme experimentell zu prüfen. Die Resultate sind nicht über¬
einstimmend; es sei daher hier gestattet einen kurzen Überblick
über die vorliegenden experimentellen Untersuchungen zu geben.
Man kann alle bisher vorliegenden Untersuchungen in zwei
prinzipiell verschiedene Gruppen teilen, je nach dem Wege, auf
dem am Tier eine Anämie erzeugt wurde:
erstens Blutgiftanämien,
zweitens Aderlaßanämien.
Den Weg der toxischen Anämie betraten Morris (3), v. Do-
marus (2), Itami (5), Masing(4) und Sternberg (6). Die
Versuche v. Domarus bestätigen vollkommen die Ansichten von
Meyer und Heineke. v. Domarus fand, daß bei chronischen
toxischen Anämien bei Kaninchen die Organveränderungen, ähn¬
lich wie bei der perniziösen Anämie beim Menschen, nämlich lym-
phoide Umwandlung des Knochenmarkes, myeloide Umwandlung
der Milz und der Leber, auftreten können. Ähnliche Resultate
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252
Skobnjakoff
bekamen Morris nnd Masing. Beide Autoren fanden myeloide
Umwandlung der Milz, gelegentlich auch der Leber.
Itami suchte im Gegensatz zu v. Domarus eine Anämie
ohne Erholungsperioden zu erzeugen und fand myeloide Umwand¬
lung der Milz schon nach 8—10 Tagen. Die myeloiden Herde in
der Leber traten erst später auf.
Zu dem entgegengesetzten Resultate kam Sternberg.
Sternberg argumentiert folgendermaßen: Wenn die im Ver¬
laufe einer Anämie sich einstellende extramedulläre Metaplasie
tatsächlich eine kompensatorische Funktion besitzt, so müßte nach
Ausschaltung der hierfür in Betracht kommenden Organe (Splen-
ektomie) unter sonst gleichen Verhältnissen die resultierende Anämie
bei Parallel versuchen höhere Grade erlangen. Gegen die Starn¬
berg’sehen Ausführungen lassen sich eine Reihe von Einwänden
erheben. Zunächst erscheint es bedenklich, derartig komplizierte
biologische Probleme in ein Schema zu zwängen, das notwendiger¬
weise wegen der darin enthaltenen Verallgemeinerung, zu falschen
Schlußfolgerungen führen muß.
Was die tatsächlichen Ergebnisse der Sternberg’sehen
Arbeit anbelangt, so dürften sämtlichen Versuchen gewisse prin¬
zipielle Fehler anhaften. Zunächst ist, wie aus den Protokollen
Sternberg’s hervorgeht, in keinem Falle eine ausgesprochene
Anämie erzielt worden (der niedrigste angeführte Wert der roten
Blutkörperchen = 3000000; Hämoglobinzahlen werden nicht an¬
gegeben).
Weiter ließ Sternberg, trotzdem er in Anlehnung an
v. Domarus auf die Bedeutung der Erholungsperioden für das
Zustandekommen der in Frage stehenden Veränderungen aufmerk¬
sam macht, bei seinen eigenen Versuchen die Einschaltung der¬
artiger Remission außer acht
In diese Gruppe der experimentellen Untersuchungen gehören
auch die Versuche von Itami. Er erzeugte posthämorrhagische
Anämien unter gleichzeitiger Injektion von lackfarben gemachtem
Blut, Serum und gewaschenen Blutkörperchen und fand in den
Versuchen nach Injektion von lackfarben gemachtem Blut und ge¬
waschenen roten Blutkörperchen eine myeloide Umwandlung der
Milz.
Viel weiter auseinander gehen die Meinungen über extra¬
medulläre Blutbildungen bei einfachen posthämorrhagischen An¬
ämien. In dieser Frage haben Blumenthal und Morawitz (7).
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Zur Frage der extramedullären Blutbildung bei potshämorrhagischen Anämien. 253
Morawitz und Rehn (9), und Itami (5) experimentell ge¬
arbeitet .
Blumenthal und Morawitz, Morawitz und Rehn fanden
keine myeloide Umwandlung weder in der Leber, noch in der
Milz. Itami machte Parallelversuche zu seinen Versuchen mit
toxischen Anämien und fand keine Veränderung in der Leber
und Milz. Hier ist zu bemerken, daß zwar Itami selbst gegen
die Morawitz’schen Untersuchungen den Einwand erhebt, daß
die Dauer der Anämie (2—4 Wochen) eine kurze war, in seinen
eigenen Protokollen aber Fälle anführt, in denen die Anämie der
Zeitdauer nach diejenige von Morawitz nur um eine unwesent¬
liche Differenz übertriflft.
Technische Vorbemerkungen.
Zu den Versuchen wurden aus zwei Gründen Kaninchen verwendet:
Erstens haben die Kaninchen schon kurz nach der Geburt keine
Blutbildungsherde in der Milz (Bizzozero und Salvioli, v. Do¬
rn arus), zweitens ist die morphologische Untersuchung des Blutes beim
Kaninchen sehr einfach. Die Aderlässe wurden in der Weise gemacht,
daß man eine Bandvene mit einer desinfizierten Nadel anstach; in die
Öffnung wurde die Spitze einer desinfizierten Scherenbranche eingeführt
und hierauf die Vene der Länge nach ein Stück weit geschlitzt.
Als Hyperämisierungsmittel bewährte sich Xylol. Naoh dem Ader¬
lässe wurde das Ohr, ohne vorher mit Wasser abgespült zu sein, mit
Borsalbe oder besser mit 5 °/ 0 Wismutlanolinsalbe eingerieben. Bei
dieser Technik wurden kein einziges Mal, im Gegensatz zu Itami,
Beizungserscheinungen beobachtet, trotzdem die Zahl der Aderlässe bei
ein und demselben Tier sich u. a. bis auf 45 (Nr. I) belief und die
Aderlässe manchmal 4 Tage hintereinander ausgeführt wurden. Vor dem
Aderlaß wurde das Ohr mit Äther (er wirkt auch als Hyperämisierungs¬
mittel, aber die Wirkung ist kürzer als beim Xylol) oder besser mit
Alkohol abgerieben. Ferner empfiehlt sich, die Vene erst 40—50 Sek.
nach der Einreibung mit Xylol zu spalten. In der Weise gelang es
sehr oft, auf einmal bis 60 ccm Blut im Strom binnen 1—P/ a Min. ab¬
fließen zu lassen.
Hämoglobinbestimmungen wurden mit dem Sahli’schen Apparat ge¬
macht, der mehrere Male kontrolliert wurde. Bei der Auszählung der
roten Blutkörperchen wurden alle Erythrocytentrümmer mitgezählt. Die
Auszählung der gefärbten Blutpräparate geschah an Deckglasabstrichen,
die mit May-Grünwald’Bcher Mischung gefärbt wurden. Vielfach
wurde außerdem nach Giemsa gefärbt. Wo in den Protokollen eine
Auszählung der Leukocyten nicht besonders bemerkt ist und z. B. die
Angabe vorliegt, daß zwei kernhaltige gefunden wurden, so bezieht sich
diese Zahl auf die Auszählung von zwei Paar Deckglaspräparaten. Wenn
unter einem Datum neben den üblichen Blutuntersuchungsangaben ein
Aderlaß notiert ist, so heißt es, daß der Aderlaß unmittelbar nach der
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254
Skobnjakoff
Blatnntersuchnng vorgenommen wurde. Bei der Auszählung der ein¬
zelnen Formen der weißen Blutkörperchen wurden stets mindestens 300
Leukocyten gezählt. Auch die Organabstriche wurden mit May-Grün-
wald gefärbt, wobei der Unterscheidung der einzelnen Formen be¬
sondere Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Die Organe wurden in 10 °; #
Formollösung fixiert, in üblicher "Weise in Paraffin eingebettet und mit
Hämatoxylfrieosin gefärbt.
Unter normalen Verhältnissen haben Gruber(8) und Itami im
Kaninchenblute spärliche Myelocyten und kernhaltige rote Blutkörperchen
gefunden. Bei den vorliegenden Versuchen wurden in Übereinstimmung
mit v. Domaras in keinem einzigen Falle Myelocyten oder Erythro-
blasten gefunden.
Bei allen Versuchen wurde Wert auf die Einschaltung von
Erholungsperioden gelegt, auf deren Bedeutung v. Domarushin-
gewiesen hat. Bei Kaninchen Nr. 1, 3 und 4 suchte man die
möglichst starke Anämie durch häufige Erholungsperioden zu unter¬
brechen. Beim Kaninchen Nr. 2 wurde der Hämoglobingehalt ab¬
sichtlich nicht unter 35% herabgedrückt.
Im folgenden seien einige Versuchsprotokolle mit Sektions¬
befunden angeführt.
Kaninchen Nr. 2.
24. III. 6 h p. m. Gew. 4033 g, Hb. 65 %, r. B. 4120000, w. B.
10040, Pseudoeosinophile 37,7%, Lymphocyten 49,0%, Mastzellen
9,7%, große basophile Mononucleäre 1,3%, Übergangsf. 0.8 ° 0 ,
Eosinophile 3,3%.
25. III. 11% h a. m. Hb. 65%, r. B. 4 760000, w. B. 9920.
26. IH. 12 % b p. m. r. B. 4350000, w. B. 6280000, Ps. 50%.
Lymph. 36,7%, Mastz. 6,7%, Mon. 1,7%, Überg. 1,7%, Eo. 3,3%.
27. III. 11 b a. m. Hb. 75%, Ex. 0,75, r. B. 5080000, w. B.
9360, Ps. 29,3 %, Lymph. 54,6 %, Mastz. 7,3 %, Mon. 3,0 %, Überg.
0,9 %, Eo. 5,0 %.
28. III. 11 h a. m. Aderlaß 20 ccm.
29. III. 10 h a. ru. Hb. 60%, r. B. 4380000, w. B. 11280, Ps.
57,3%, Lymph. 33,4%, Mastz. 4,0%, Mon. 1,0%, Überg. 2,3%
Eo. 2,7%.
30. III- 12 h m. Aderlaß 30 ccm.
31. III- 10% h a. m. Hb. 45%, Fx. 0,62, r. B. 3 620000, w.B.
9880 usw.
17. VI. 4 % h p. m. Hb. 35%, Fx. 0,6, r. B. 2800000. Ader¬
laß 30 ccm.
19. VI. 5 h p. m. 25 ccm Aderlaß.
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Zar Frage der extramedullären Blutbildung bei posthämorrhagischen Anämien. 255
21. VI. 5% h P- m. Gew. 3040 g. Aderlaß 50 ccm.
22. VI. Das Tier wurde im Stall tot gefunden. Sektion.
Sektionsbefund:
Das Knochenmark läßt sich aus dem Femur als Ganzes heraus-
nehmen, zeigt vermehrte Konsistenz, ist graurot, bei genauer Betrachtung
etwas scheckig, im unteren Drittel der Tibia hellgrau, glasig, im oberen
Teil zeigt es dieselben Eigenschaften wie im Femur. Übergang an ziem¬
lich scharfer Grenze erkennbar.
Milz: Länge 7 cm, maximale Breite 1 cm, auf der Schnittfläche
quillt bei leisem Druck rotbraune Pulpa hervor.
Leber: Sehr blaß, fast lehmfarbig. Acinöse Zeichnung kaum zu
erkennen. Schnittfläche sehr blutarm, auffallend trocken, brüchig.
Mikroskopisch: Knochenmarkabstrich: Vereinzelte kern¬
haltige rote Blutkörperchen; Granulocyten stark vermindert. Das Ge¬
sichtsfeld . beherrschen Zellen lymphoiden Charakters. Im Schnitt:
Starke Hyperplasie; wabige Struktur fast völlig verschwunden, überall
ist Zellmark vorhanden. Zahlreich sind die hämoglobinarmen Normo-
blasten. Riesenzellen sind nicht vermindert. Mitosen; sehr zahlreich
sind die großen lymphoiden Zellen.
Milzabstrich: Keine Erythroblasten, keine Myelocyten. Im
Schnitt: Schwache Entwicklung einiger Follikel, sonst nichts Abnormes.
Leber in Abstrich: o. B. Im Schnitt: Zentrale Nekrosen.
Epikrise: Die Anämie dauert fast 3 Monate; 2 Erholungsperioden.
Normoblasten und Myelocyten in strömendem Blute nicht beobachtet.
Niedrigster Hämoglobinwert 35 °/ 0 . Hyperplastisches lymphoides Knochen¬
mark. Keine Veränderungen in der Leber und Milz.
Kaninchen Nr. 4.
2. IV. 11 “ a. m. Gew. 2143 g, Hb. 65%, r. B. 3200000, w. B.
5380, Ps.50 °/ 0 , Lymph. 41,0%, Mastz. 2,3 %, Mon. 1,7 %, Überg. 3,4 %,
Eo. 4,3%.
3. IV. 5 h p. m. Hb. 65%, Fx. 0,54, r. B. 6080000, w. B. 4860,
Ps. 49,7%, Lymph. 38,7 %, Mastz. 3,0%, Mon. 0,3%, Überg. 1.4%,
Eo.3,7%.
5. IV. 6% h p. m. Hb. 60 %, Fx. 0,48, r. B. 6 240 000, w. B. 8760,
Ps. 34,3 %, Lymph. 50,3 %, Mastz. 8.0 %, Mon. 2,0 %, Überg. 2,0 %,
Eo. 1,3%.
6. IV. 10% h a. m. Aderlaß 30 ccm.
7. IV. 11“ a. m. Hb. 45 %, Fx. 0,55, r. B. 4150000, w.B. 9920,
Ps. 60,0 %, Lymph. 29,7%, Mastz. 5,7%, Mon. 1.3%, Überg. 1,0%,
Eo. 2,3%.
8. IV. 11% h a. m. Aderlaß 15 ccm.
10. IV. 10 h a. m. Hb.55 %, r. B. 4200000, w.B. 5160, Ps. 46 %,
Eymph. 43,3 %, Mastz. 5,7%, Mon. 0,7%, Überg. 3,0%, Eo. 2,0 %.
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256
Skohnjakofp
16. IV. 5 h p. m. Aderlaß 45 ccm.
17. IV. 4 h p. m. Hb. 40%, Fx. 0,6, r. B. 3360000, w.B. 10630.
29. IV. 4t p. m. Hb. 55 %, Fx. 0,62, r. B. 4400000, w.B.7480.
Aderlaß 4 x / 8 h p. m. 25 ccm, Poikilocytose, Anisocytose, keine Normo-
blasten.
3. V. 6 h p. m. Gew. 1723 g, Hb. 45%.
5. V. 3 h p. m. Aderlaß 35 ccm.
18. V. 6 h p. m. Hb. 45"/ 0 , r.B. 5760000, w.B. 12480, Ps. 76.7%.
Lymph. 25,3 %, Mastz. 2,0 %, Mon. 0,7 %, Überg. 0,7 %, Eo. 0,7 ° ;0 .
Aderlaß 30 ccm.
22. V. 6% h P- m. Hb. 45%, Fx. 0,49, r. B. 4640000, Aderlaß
7% h p. m. 30 ccm.
24. V. 6V 2 h P- m. Gew. 1913 g.
27. V. 6 k p. m. Hb. 45 %, Fx. 0,41, r. B. 5440000, w. B. 8600.
Keine Normoblasten.
2. VI. 2% k p. m. Aderlaß 30 ccm.
7. VI. 4% h p. m. Aderlaß 25 ccm.
10. VI. 7 k p. m. Aderlaß 30 ccm.
2. VI. 6 V 2 h p. m. Aderlaß 30 ccm.
6. VI. 5 Vs h P- Aderlaß 20 ccm.
7. VI. 6 h p. m. Aderlaß 40 ccm.
9. VI. 6 h p. m. Aderlaß 25 ccm.
11. VI. 7 V 4 h P- m. Gew. 1740 g, Aderlaß 30 ccm.
23. VI. 6k p. m. Hb. 20%, Fx. 0,4, r.B. 2600000, w.B. 13160
Ps. 6,7%, Lymph. 35,3 %> Mastz. 2,0%, Mon. 0, Überg. 0, Eo.0,3%
25. VI. 6 h p. m. Vereinzelte Normoblasten.
26. VI. 5 h p. m. Hb. 30%, Fx. 0,5, r. B. 2880000.
29. VI. 4Vs h P- m. Hb. 40%, Fx. 0,5, r.B. 4808000, keine
Normoblasten.
3. VII. 7 h p. m. Hb. 50%, Fx. 0,5, r.B. 5520000, keine Normo¬
blasten.
5. VII. 5 h p. m. Hb. 50%, Fx. 0,6, r.B. 4480000, Aderlaß
40 ccm.
15. VII. 6 h p. m. Hb. 55%. Fx. 0,7, r. B. 4200000.
25. VII. 3 h p. m. Hb. 60%. Fx. 0,6, r.B. 5000000.
3 . VIII. 11 h a. m. Hb. 65%, Fx. 0,5, r. B. 6720000,
7. MII. 6 b p. m. Aderlaß 60 ccm.
10. VIII. 11 h a. ni. Aderlaß 50 ccm.
11. VIII. 10'/ 2 k a. m. Aderlaß 35 ccm.
12. VIII. 4 Vs b p. m. Aderlaß 25 ccm.
16. VIII. 12 k- Hb. 35%, Fx. 0,5, r.B. 340000.
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Zar Frage der extramedullären Blutbildung bei posthämorrhagischen Anämien. 257
17. VIII. 11 h a. m. Aderlaß 25 ccm.
18. VIII. 10 % a. m. Aderlaß 50 ccm.
20. VIII. 10 h a. m. Aderlaß 50 ccm.
22. VIÜ. 11 * a. m. Hb. 20%, r. B. 2000000.
23. VIII. 6'/ 8 h p. m. Aderlaß 10 ccm.
24. Vin. 11“ a. m. Gew. 2230 g, Hb. 50%, r. B. 2240000,
w. B. 13880, Ps. 74,3 %, Lymph. 24,7 %, Mastz. 1,3 %, Mon. 0,7 %,
Überg. 1,0%, Eo. 0, 4 Normoblasten, 1 Megaloblast.
Sektionsbefun d:
Makroskopisch: Das Knochenmark zeigt dieselben Eigen¬
schaften wie im Falle Nr. 2.
Milz desgl.; Länge 6 cm, maximale Breite 1 cm.
Die Leber ist etwas blutarm; aber nicht so weich and brüchig
wie im Falle Nr. 2.
Mikroskopisch: Knochenmark: Im Schnitt zeigt es dasselbe
Bild wie in Nr. 2. Nur Biesenzellen stark vermindert. Im Abstrich:
Normoblasten (viele mit pyknotischem Kern), Megaloblasten, eosinophile
nnd pseudoeosinopbile Myelocyten, in sehr großer Zahl lymphoide Zellen.
Milz: Im Schnitt sieht man haufenweise liegende Erythrohlasten,
sonst nichts Abnormes. Im Abstrich: Normoblasten, zahlreiche Phago-
cyten, keine Meylocyten.
Leber: o. B.
Die Anämie dauerte ca. 4% Monate. Eine Erholungspause. Niedrig¬
ster Hämoglobinwert 15 %. Zweimal wurden im strömenden Blute
Normoblasten, dagegen keine Myelocyten beobachtet.
Kaninchen Nr. 3.
25. III. 12 h Gew. 1763 g, Hb. 60%, r. B. 5400000, w. B. 9400.
26. III. 12 h r. B. 6680000, w. B. 5500, Ps. 14,3%, Lymph.
76,6%, Mastz. 3,6%, Mon 2,6%, Überg. 1,6%, Eo. 4,3%.
27. ni. 10 h a. m. Hb. 75 %, Fx. 0,63, r. B. 5 920 000, w. B. 40700,
Ps. 28,0 %, Lymph. 62,7%, Mastz. 3,7%, Mon. 3,0%, Überg. 0,7,
Eo. 2,3%.
28. III. 10 h a. m. Hb. 70%, r. B. 5960000, w. B. 9760, Ps.
34,7%, Lymph. 43,4 %, Mastz. 5,3 %, Mon. 1,0 %, Überg. 6,3 %, Eo.O
29. in. 12 h Aderlaß 20 ccm.
30. IH. 9 b a. m. Hb. 55 %, r. B. 6340000, w. B. 10620. Ader¬
laß 10 h a. m. 15 ccm.
31. III. 12 h Hb. 50%, r. B. 3830000, w. B. 14220. Aderlaß
p. m. 20 ccm.
5. IV. 6 h p. m. Hb. 50%, Fx. 0,71, r. B. 3500000, w. B. 7160,
Aderlaß 7% h p. m. 22 ccm.
6. IV. 11h a . m> Hb. 35%, r. B. 4640000, w. B. 9820.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101 . Bd. 17
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;
UMIVERSITY OF CAILIFÖRNIA
258
Skornjakoff
7. IV. HV 2 h a.m. Hb. 40°/ 0 , Fx.0,57, r.B. 3520000, w.B. 6520.
8. IV. 11 h Aderlaß 30 ccm.
9. IV. 3 h p. m. Hb. 35%, Fx. 0.56, r. B. 3120000, w.B.6160,
Ps. 30,7%, Lymph. 50,3%, Mastz. 8,0%, Mon. 1,7%, Überg. 2,0%,
Eo. 2,3%, Anisocytose, Polychromatophilie, Poikylocytose.
5. IV. 1 h p. m. Aderlaß 40 ccm.
6. IV. 4 V, h P- m. Hb. 30 %. Fx. 0,68, r. B. 2 280000, w. B. 5480.
8. IV. 12 h Aderlaß 25 ccm.
3. IV. 6 h p. m. Hb. 20%, Fx. 0,42, r. B. 2440000, w.B. 5840.
10. IV. 3% h p. m. Hb. 25%, Aderlaß 25 ccm.
1. V. 4 V a h P- m. Hb. 20 %, ein Normoblast, ein freier Kern.
4. V. 4 h p. m. Hb. 30%, Fx. 0,39, r.B. 3880000, Ps.43,3%,
Lymph. 47,2%, Mast. 4,3%, Mon. 2,0%, Überg. 1,3%, Eo.1,4%.
Ein freier Kern.
16. V. 12 h - Hb. 35%, Fx. 0,54, r. B. 3280000, Ps. 28,3%,
Lymph. 66,3%, Mastz. 37,4%, Mon. 0, Überg. 1,7%, Eo. 1,0%.
19, V. 6 h p.m. Hb. 35%, Fx. 0,5, r. B. 3560000, keine Normo-
blasten.
22. V. 5% h p. m. Hb. 35%, Fx. 0,51, r. B. 3400000, w.B.
6760, Ps. 31,7%, Lymph. 53,7%, Mastz. 6,0%, Mon. 1,3%, Überg.
2,0, Eo. 2,0%, 2 Normoblasten.
24. V. 6 V a h P- m - Gew. 1913 g.
25. V. 7 h p. m. Hb. 40%, Fx. 0,62, r. B. 3280000.
26. V. 4 V 9 h P* m - 32,0 %, Lymph. 52,3 %, Mastz. 6,3 %,
Mon. 3,0%, Überg. 1,7%, Eo. 2,7%.
27. V. 5 h p. m. Hb. 40 %, Fx. 0,45, r. B. 4 400 000, w. B. 6560.
Keine Normoblasten.
3. VI. 5 h p. m. Hb. 40%, Fx. 0,4, r. B. 5400000.
5. VI. 11 h a. in. Keine Normoblasten.
7. VI. 4% b p. m. Hb. 45%, Fx. 0,5, r. B. 4 800000, keine
Normoblasten.
10. VI. 6 b p. m. Hb. 45%, Fx. 0,5, r.B. 4880000, keine Normo¬
blasten.
12. VT. 6 h p.m. Aderlaß 30 ccm.
16. VI. 6 h p. ra. Aderlaß 35 ccm.
17. VI. 5 V* h p. m. Aderlaß 30 ccm.
19. VI. 5% h p. m. Aderlaß 30 ccm.
21. VI. 7 h p. m. Gew. 2020 g. Aderlaß 45 ccm.
23. VI. 5Va h p. m. Hb. 20 %, Fx. 0,5, r. B. 2000000, w.B. 7240,
Ps. 30,0%, Lymph. 60%, Mastz. 7.3%, Mon. 1,7%, Überg. 1,3%,
Eo. 2,0%, 7 Normoblasten, darunter einige Megaloblasten, 8 freie Kerne.
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Zur Frage der extramedullären Blutbildung bei posthämorrhagischen Anämien. 259
25. VI. 6 h p. m. Ein basophil punktierter Normoblast.
26. VI. 4 1 // p. m. Hb. 30%, Fx. 0,6, r. B. 2720000.
29. VI 4 h p. m. Hb. 40%, Fx. 0,5, r. B. 3800000. Keine
Normoblasten. Aderlaß 30 ccm.
1. VH. 6 8 // p. m. Hb. 35%, Fx. 0,6, r. B. 3160000. Keine
Normoblasten.
4. VH. 6% h p. m. Aderlaß 30 ccm.
5. VII. 47a h p. m. Aderlaß 40 ccm.
7. VH 7 h p. m. Aderlaß 15 ccm.
8. VII. 47 2 h p. m. Hb. 30%, Fx. 0,5, r. B. 3000000. Keine
Normoblasten. Aderlaß 25 ccm.
14. VH 6 h p. m. Hb. 40%, Fx. 0,4, r. B. 4800000.
20. VII. 5 h p. m. Hb. 45%, Fx. 0,5, r. B. 4840000.
28. VH 4 b p. m. Hb. 55%, Fx. 0,5, r. B. 6000000.
3. VIII. 11 “ a. m. Hb. 60%, Fx. 0,5, r. B. 6000000. Ader¬
laß 1 h p. m. 30 ccm.
5. VHI. 107s h a. m. 40 ccm.
7. VIH 77/ p. m. 40 ccm.
10. VHI. 67/ a. m. Aderlaß 40 ccm.
11. VIH 2 b p. m. Aderlaß 25 ccm.
12. VIH. 4 h p. m. Aderlaß 30 ccm.
16. VIH. 117/ a. m. Hb. 40%, Fx. 0,4, r. B. 3 800000.
17. VIII. 11 h a. m. Aderlaß 40 ccm.
18. VIH 10“ Aderlaß 30 ccm.
20. VIII. 97 a h a. m. Aderlaß 25 ccm.
23. VIII. 6“ p. m. Aderlaß 25 ccm.
25. VIH 37/ p. m. Hb. 25%, r. B. 2440000.
26. VHI. 3 h p. m. Aderlaß 15 ccm.
27. VHI. 47a h p. m. Aderlaß 20 ccm.
28. VIII. 37s h p. m. Hb. 20 %, r. B. 2400000. Aderlaß 25 ccm.
31. VHI. 10“ a. m. Hb. 30%, r. B. 2320000. Aderlaß 15 ccm.
3. IX. 4 h p. m. Hb. 35%, r. B. 3040000.
4. IX. 37g 11 p. m. Aderlaß 20 ccm.
6. IX. 4%“ p. m. Aderlaß 30 ccm.
9. IX. 127, h- Hb. 35%, r. B. 3840000.
10. IX. 11“• Aderlaß 20 ccm.
11. IX. 127a h - Hb. 25 %, r. B. 3160000. Aderlaß 20 ccm.
12. IX. 117, b a. in. Hb. 25%, r. B. 3020000, Ps. 62,0%,
Lymph. 34,7%, Mastz. 2,0%, Mou. 0, Überg. 0,7%, Eo. 0,3%,
5 Normoblasten, Aderlaß 12 ccm.
13. IX. 67,“ p. m. Hb. 20%, r. B. 2 700000. Aderlaß 10 ccm.
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260
Skoenjakoff
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14. IX. 9 h a. m. Hb. 15%, r. B. 2100000.
15. IX. 9 h a. m. Hb. 25%, r. B. 2200000.
16. IX. im Stall in der Früh tot gefunden.
Sektion ab e fand:
Makroskopisch: Milz: Länge 4 cm, maximale Breite 0,7 cm.
Leber vergrößert, grauweiß, mit rotbraunen Flecken. Schnitt¬
fläche saftreich, brüchig.
Das Knochenmark in der unteren Hälfte der Tibia hellgrau,
fast weiß, glasig.
Im übrigen der Befund wie bei Nr. 2 und 4.
Mikroskopisch: Knochenmark: Im Schnitt geringere Hyper¬
plasie als in den früheren Fällen. Biesenzellen fast ganz verschwunden.
tjbergangBgrenze zum Fettmark sehr scharf. Sehr zahlreich sind die
eosinophilenGranulocyten. Im Abstrich: Zahlreiche Normoblasten, Megalo¬
blasten, pseudoeosinophile Leukocyten; die Eosinophile und Myelocyten
mit gemischter Granulation: besonders zahlreich sind die lymphoiden
Zellen.
Milz im Schnitt: Struktur völlig verwischt, Follikel fast ganz ver¬
schwunden. Man erkennt die Milz fast nur an den Trabekeln. Kern¬
haltige rote Blutkörperchen liegen vereinzelt in der Pulpa. Im Abstrich:
Sehr zahlreiche lymphoide Zellen, Normoblasten nicht zahlreich.
Leber im Schnitt: Geringe zentrale Nekrosen, Kapillaren er¬
weitert. Im Abstrich: o. B.
Die Anämie dauerte ca. 5% Monate. Niedrigster Hämoglobinwert
15%. 4 Erholungspausen. Im strömenden Blute ab und zu Normo¬
blasten, keine Myelocyten.
Kaninchen Nr. 1.
19. III. 11 h a. m. Gew. 2223 g, Hb. 55%, r. B. 4 400000,
w. B. 5740, Ps. 40,9 %, Lymph. 57,8 %, Mastz. 1.2 %, Mon. 0, Überg.
1,2%, Eo. 0,6%.
20. III. 11 h a. m. Hb. 55%, r. B. 4720000, w. B. 9040, Ps.
54%, Lymph. 41,0 %, Mastz. 2,8%, Mon. 0, Überg. 0,3 %, Eo. 0,3 %
21. III. 11 h a. m. Hb. 55%, Fx. 0,59, r. B. 4 600000, w. B.
7740, Ps. 60,4%, Lymph. 37,1, Mastz. 2,1%, Mon. 0, Überg. 0,3
Eo. 0,3%.
22. III. 5 h p. m. r. B. 4600000, w. B. 10520, Ps. 49,2%,
Lymph. 47,4%, Mastz. 0, Mon. 0, Überg. 0,5, Eo. 0,7 °/ 0 . Aderlaß
6 ccm.
23. KI. 12 h - Hb. 50%, r. B. 3400000, w. B. 12480, Lymph.
62,7 %, Mastz. 0, Mon. 0, Überg. 0, Eo. 0. Aderlaß 22 ccm.
24. III. 10% h a. m. Gew. 2123 g. Hb. 40%, r. ß. 3 760000,
w. B. 12680, Ps. 35,0%, Lymph. 64,6%, Mastz. 0,7%, Mon. 0,
Überg. 0,3%, Eo. 1,0%. Aderlaß 4 h p. m. 22 ccm.
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Zur Frage der extramedullären Blutbildung bei posthämorrhagischen Anämien. 261
25. HI. 10 h a. m. Hb. 40°/ o , Fx. 0,77, r. B. 2680000, w. B.
5860, Ps. 31,0%, Lymph. 70,0%, Mastz. 19,8%, Mon. 0,8%, Überg.
1,6 °/ 0 , Eo. 1,8%. Aderlaß 4 h p. m. 20 ccm.
26. HI. 10 h a. m. r. B. 3040000, w. B. 9200, Ps. 57,3 %,
Lymph. 42,0 %, Mastz. 0, Mon. 0,7 %, Überg. 0, Eo. 0.
27. III. 4% h p. m. Hb. 35%, r. B. 3800000, w. B. 8760.
Aderlaß 5 h p. m. 10 ccm.
28. III. 9 h a. m. Hb. 35%, r. B. 3280000, w. B. 63000, Ps.
61,7%, Lymph. 35%, Mastz. 0, Mon. 1,3 %, Überg. 0, Eo. 0,3%.
29. IH. 4 h p. m. Aderlaß 20 ccm.
30. HI. 4 h p. m. Hb. 30%, w. B. 12080, Ps. 70%, Lymph.
26,0%, Mastz. 1,7%, Mon. 1,7%, Überg. 1,3%, Eo. 0. Aderlaß
12 ccm.
31. HI. 4 % h p. m. Hb. 35%, r. B. 3440000, w. B. 4460.
Aderlaß 6 h p. m. 15 ccm.
2. IV. 10 h a. m. Gew. 1963 g. Hb. 35%, Fx. 0,5, r. B.
3540000, w. B. 6980, Ps. 46,7%, Lymph. 45,0%, Mastz. 3,3 % ?
Mon. 2,3%, Überg. 4,8%, Eo. 0,7%. 2 Normoblasten, 4 freie
Kerne, starke Polychromatophilie, Poikilocytose, Anisocytose.
3. IV. 7 h p. m. Ps. 53,3 %, Lymph. 42,7 %, Mastz. 4,7 %, Mon.
0,7 %, Überg. 0, Eo. 0. Aderlaß 20 ccm.
5. IV. 4% h p. m. Hb. 35%, r. B. 2880000, w. B. 5200, Ps.
48,0%, Lymph. 50,0%, Mastz. 0,6%, Überg. 0,6%, Mon. 1,2%,
Eo. 0.
7. IV. 4 h p. m. Aderlaß 30 ccm.
8. IV. 9V 2 h a. m. Hb. 30%, Fx. 0,78, r. B. 2440000, w. B.
3840, Ps. 58,0%, Lymph. 33,6%, Mastz. 2,3%, Mon. 2,7%, Überg.
7%, Eo. 1,7%. 1 Normoblast, 4 freie Kerne.
9. IV. 4 h p. m. Aderlaß 25 ccm. Keine Normoblasten.
15. IV. 11^ a. m. Hb. 30%, r. B. 2960000, w. B. 5120, Ps.
44,7%, Lymph. 52,7 «/ 0 , Mastz. 1,3%, Mon. 0,7%, Überg. 0,7%,
Eo. 0.
17. IV. 5 h p. m. Aderlaß 35 ccm.
23. IV. 5 h p. m. Hb. 25%, Fx. 0,65, r. B. 2960000, w. B.
5360, Ps. 55,7%, Lymph. 40,4%, Mastz. 1,0%, Mon. 0,7%, Überg.
2,3%, Eo. 0,3%.
30. IV. 4% h p. m. Aderlaß 40 ccm.
4. V. 4 h p. m. Hb. 20%, 2 Normoblasten, 3 freie Kerne.
8. V. 6 h p. m. Hb. 25%, Fx. 0,3, r. B. 3 740000, w. B. 8360.
Keine Normoblasten.
9. V. 11h a. m. Aderlaß 15 ccm.
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262
Skoknjakoff
11. V. 6% h P- m- Hb. 25 °/ 0 .
14. V. 3V p. m. Hb. 25%, Fx. 0,34, r. B. 3200000, w. B.
5400, Ps. 41,0%, Lymph. 53,3%, Mastz. 2,0%, Mon. 0,3%, Überg.
2,3%, Eo. 1,0%. 1 Normoblast, 2 freie Kerne.
15. V. 5 h p. m. Hb. 25%, Fx. 0,35, r. B. 3500000. Keine
Normoblasten.
18. V. 4V 2 h P- m * Hb. 30%, Fx. 0,5, r. B. 3040000, w. B.
2680, Ps. 40,0%, Lymph. 56,0%, Mastz, 5,0%, Mon. 1,0, Überg.
0,7 %, Eo. 0,7 %. 14 Normoblasten, 2 freie Kerne.
21. V. 7 h p. m. Hb. 30%, Fx. 0,52, r. B. 2960000. 5 Normo¬
blasten.
24. V. 6 h p. m. Gew. 2063, Ps. 48,3%, Lymph. 43,0%, Mastz.
6,7%, Mon. 0,3%, Überg. 1,3%, Eo. 0,3%.
26. V. 5 h p. m. Hb. 40%, Fx. 0,43, r. B. 4600000, w.B.3960,
Ps. 50,7%, Lymph. 34,0%, Mastz. 14,0%, Mon. 0, Überg. 0,7%.
Eo. 0,7 %. 1 Normoblast, 1 freier Kern.
2. VI. ll% h a. m. Hb. 50%, Fx. 0,45, r. B. 5320000, w. B.
5840. Keine Normoblasten.
4. VI. 6V 2 h P- m. Hb. 45%, Fx. 0,45, r. B. 4 880000.
6. VI. 11 h a. m. Keine Normoblasten.
8. VI. 4 h a. m. Hb. 50%, Fx. 0,41, r. B. 6 200000.
11. VI. 6% h p. m. Aderlaß 40 ccm.
14. VI. 6 U p. m. Hb. 45%, Fx. 0,45, r. B. 4800000. Ader¬
laß 25 ccm.
16. VI. 5 h - Aderlaß 20 ccm.
17. VI. 5 h p. m. Aderlaß 25 ccm.
19. VL 4% h p. m. Hb. 25%. Aderlaß 45 ccm.
21. VI. 6% 11 p. m. Gew. 2340 g. Aderlaß 30 ccm.
22. VI. 6% h p. m. Hb. 25%, Fx. 0,7, r. B. 1760000, w. B.
4400, Ps. 28,3%, Lymph. 66,0%, Mastz. 5,0%, Mon. 1,0%, Überg.
1,0%, Eo. 1,3%. 12 Normoblasten, 9 freie Kerne.
25. VI. 6 h p. m. Vereinzelte Normoblasten.
26. VI. 6 h \\ m. Hb. 35%. Fx. 0,5, r. B. 3640000.
29. VI. 3% h p. m. Hb. 40'%, Fx. 0,4, r. B. 4960000. Ader¬
laß 40 ccm.
1. VII. 6V p. m. Hb. 30%. Fx. 0,4, r. B. 3960000. Ver¬
einzelte N ormoblasten.
4. VII. 6 11 p. m. Aderlaß 50 ccm.
5. VII. 5 h p. m. Aderlaß 30 ccm.
7. VII. 6%" P- in. Aderlaß 40 ccm.
8. VII. 4\> p. in. Hb. 25%, Fx. 0.6, r. B. 2040000. Ver*
Gck igle
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Zur Frage der extramedullären Blutbildung bei posthämorrhagischen Anämien. 263
einzelte Normoblasten und freie Kerne, zahlreiche zerstörte poly¬
chromatophile Normoblasten. Aderlaß 15 ccm.
10. VIL 7 1 / 2 h p. m. Hb. 35 °/ 0 . Aderlaß 30 ccm.
14. VIL 6“ p. m. Hb. 35°/ 0 , Fx. 0,5, r. B. 3640000. Ver¬
einzelte Normoblasten.
20. VII. 5 h p. m. Hb. 45°/ 0 , Fx. 0,5, r. B. 4060000.
28. VII. 4 h p. m. Hb. 55%, Fx. 0,5, r. B. 4900000.
3. VIH. 12 h Hb. 60%, Fx. 0,4, r. B. 7520000. Aderlaß
60 ccm.
5. VIH. 10 h a. m. Aderlaß 60 ccm.
7. VIII. 5 h a. m. Aderlaß 55 ccm.
10. VIII. 10 h a. m. Aderlaß 30 ccm.
11. VIII. 9% h a. m. Hb. 30%, Fx. 0,4, r. B. 3440000. Ader¬
laß 25 ccm.
12. VIH. 3% h P- m. Aderlaß 40 ccm.
16. VHI. 11“ a. m. Hb. 25%, Fx. 0,4, r. B. 3220000.
17. VIII. 10 b a. m. Aderlaß 20 ccm.
20. VIII. 9 1 /* 11 Hb. 25%.
22. VIII. 10 h a. m. Hb. 30%, r. B. 4240000.
23. VIH. 5 1 / 9 h p. m. Aderlaß 30 ccm.
26. VIII. 3 h p. m. Hb. 25%, r. B. 4480000.
27. VIII. 4 h p. m. Aderlaß 15 ccm.
28. VIII. 3 11 p. m. Hb. 25%, r. B. 4240000. Aderlaß 20 ccm.
31. VIII. 8% h a. m. Hb. 25%, r. B. 4400000. Aderlaß
12 ccm.
3. IX. 3% h p. m. Hb. 25%, r. B. 3640000.
4. IX. 3 h p. m. Aderlaß 20 ccm.
6. IX. 4 h p. m. Aderlaß 15 ccm.
9. IX. 12 b - Hb. 25%, r. B. 4440000.
10. IX. 10 h a. m. Aderlaß 20 ccm.
11. IX. 12 b a. m. Hb. 20%, r. B. 3320000. Aderlaß 12 ccm.
12. IX. 10'• a. m. Hb. 25%, r. B. 4 000000, Ps. 53,3%, Lymph.
50,4%, Mastz. 6,3%, Mon. 6,3%, Überg. 3,3%, Eo. 0. 16. Normo¬
blasten, darunter ein basophil punktierter.
13. IX. 6 11 p. m. Hb. 20%, r. B. 3200000.
16. IX. 4 h p. m. Hb. 25%, r. B. 3200000.
18. IX. 10 h a. m. Hb. 30%, r. B. 4100000.
19. IX. 11 h a. m. Aderlaß 5 ccm.
20. IX. 4 h p. m. Aderlaß 25 ccm.
21. IX. 11 b a. m. Hb. 30%, r. B. 4 200 000. Aderlaß 20 ccm.
22. IX. 6' 1 p. m. Hb. 30'%, r. B: 4100000. Aderlaß 20 ccm.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
264
Skobnjakoff
23. IX. 3 h p. m. Hb. 20%. r. B. 3300000.
24. IX. 11 h a. m. Hb. 25%, r. B. 3320000. Keine Normo-
blasten.
25. IX. 10 h a. m. Hb. 30%, r. B. 4250000. Keine Normo-
blasten.
26. IX. 11 h a. m. Hb. 35%, r. B. 4520000. 5 Normoblasten,
darunter ein basophil punktierter, ein freier Kern.
27. IX. 11 h a. m. Hb. 35%, r. B. 4720000. 2 Normoblasten
und 2 basophil punktierte Normoblasten.
28. IX. 12 h a. m. Hb. 30%, r. B. 4200000. 2 Normoblasten.
29. IX. 10% h a. m. Hb. 30%, r. B. 4220000. 2 Normoblasten.
30. IX. 10 h a. m. Hb. 30%, r. B. 4240000. 5 Normoblasten
und 6 basophil punktierte Normoblasten.
1. X. 5% h p. m. Gew. 2120 g, Hb. 35%, r. B. 4 760000. w.B.
5300, Ps. 36,0 %, Lymph. 52,0 %, Mastz. 6,7 %, Mon. 0,3 %, Überg.
3,3%, Eo. 1,3%. 56 Normoblasten, darunter ein basophil punk¬
tierter.
2. X. 8 h a. m. Ps. 47,7 %, Lymph. 44,0 %, Mastz. 9,0 %, Mon.
1,7%, Überg. 1,3%, Eo. 1,7 %. 48 Normoblasten, 1 Megaloblast,
1 basophil punktierter Normoblast, 11 freie Kerne. Sektion.
Sektionsbefund:
Makroskopisch: Knochenmark wie bei Kaninchen Nr. 3.
Milz: Länge 7,5 cm, maximale Breite 1,7 cm, Baftreich.
Leber vergrößert, Ränder scharf, gelappt, saftreich; acinöse Zeich¬
nung nicht überall ganz deutlich. Im übrigen wie bei Kaninchen Nr. 2
und 4.
Mikroskopisch: Knochenmark im Schnitt: Zeitige Hyper¬
plasie, Normoblasten haufenweise vorhanden. Eosinophile Granulocyten
sehr zahlreich. Die Granulocyten im Verhältnis zu den lymphoiden
Zellen scheinen nicht so stark vermindert zu sein, wie in anderen Fällen.
Milz im Schnitt: Follikel klein; an einigen Stellen sind sie gut
erhalten, an anderen dagegen ganz verschwunden. An solchen Stellen
besonders stark das myeloide Gewebe gewuchert. Normoblasten und
Granulocyten liegen haufenweise. Mitosen. Im Abstrich: Normoblasten,
Megaloblasten, kleine Lymphocyten, große lymphoide Zellen. Zahlreiche
basophile Granulocyten (im Gegensatz zum Knochenmark).
Leber im Schnitt: Gesichtsfeld zellarm. Hier und da findet rasn
einen Zellenhaufen : lymphoide Zellen, Granulocyten, Erythrocyten und
Normoblasten. Denselben Zellen begegnet man im periportalen Gewebe.
Im Abstrich: Pseudoeosinophile 24,0%, Lymphocyten 61,0%, Hast¬
zellen 12,7%; Mononucleäre 1,0%, Reizungsformen 4,7 %, Übergangs-
zellen 2,3 %, eosinophile Zellen 2,3%. 71 Normoblasten. 2 Mikro-
cyten, 2 Megaloblasten, 29 freie Kerne.
Anämie über 6 Monate. Niedrigster Hämoglobinwert 15%. 2 Br-
d bv Gon gle
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Zur Frage der extr&medallttren Blutbildung bei posthämorrhagischen Anämien. 265
holungspausen. In den letzten Tagen traten regelmäßig Normoblasten
auf, darunter einige basophil punktierte. In großer Zahl traten die
Normoblasten im Laufe der ganzen Anämie zweimal auf.
Aus den vorstehenden Protokollen ergibt sich, daß das Knochen¬
mark in allen Fällen ausnahmslos hyperplastisch ist. Myeloide Meta¬
plasie der Milzpulpa in ausgedehntem Maße fand sich in zwei
Fällen, in geringerem Grade in einem weiteren dritten Fall. In der
Leber ließ sich das Vorhandensein von Markzellherden in ausgedehn¬
terem Maße in einem Fall beobachten. In einem anderen Falle war
die myeloide Metaplasie des periportalen Gewebes nur schwach ent¬
wickelt.
Hier sei bemerkt, daß das Bild des Knochenmarkes in unseren
Fällen sich insofern mit den Beobachtungen v. Domarus’ deckt,
als auch in unseren Fällen niemals eine Aplasie des Knochen¬
markes gefunden wurde.
Die vorstehenden Resultate durften eine ziemlich klare Ant¬
wort darauf gehen, weshalb die bisherigen Untersucher nach post¬
hämorrhagischen Anämien keine myeloide Metaplasie beobachtet
haben. Es ist zu betonen, daß in unseren positiv ausgefallenen
Versuchen die niedrigste Dauer, während der das Tier anämisch
gehalten wurde, über 12 Wochen betrug und daß die stärksten
Veränderungen bei einer sich über 6 Monate ausdehnenden
Anämie fanden. Allerdings ist zuzugeben, daß die Zahl der Tiere,
die mit extramedullären Veränderungen reagierten, besonders in
Anbetracht der in allen Versuchen vorhandenen langen Dauer der
Anämie relativ klein ist und auch unsere Versuche sprechen ent¬
schieden dafür, daß die toxische Anämie in höherem Grade zu den
fraglichen Veränderungen disponiert, als die posthämorrhagische.
Für die prinzipielle Frage aber, ob nach einer Aderlaßanämie
eine extramedulläre Blutbildung zustande kommen kann oder nicht,
ist der Unterschied in dem Grade der Veränderungen belanglos. 1 )
Nebenbei sei hier erwähnt, daß im Gegensatz zu den Befunden von
Bitz (10) niemals ein Färbeindex über 1 gefunden wurde.
Die einem Tiere eigentümliche prozentuelle Zusammensetzung der
Leukocyten blieb im Verlauf der Anämie, von geringfügigen Abweichungen
1) Es braucht nicht besonders betont zu werden, daß weder Meyer und
Heineke noch v. Domarus das Auftreten von extramedullären Blutbildungs¬
herden bei Anämien als Regel ohne Ausnahme hingestellt haben. Dies sei
gegenüber den Ausführungen von Oberndorfer ausgesprochen, der in einer
Sitzung des ärztlichen Vereins München (9. Februar 1910) einen Fall von allge¬
meiner osteoplastischer Rnochencarcinose ohne extramedulläre Blutbildnngsherde
demonstrierte und den Fall u. a. als einen Beweis gegen die Richtigkeit der
Auffassung der genannten Veränderungen als Reparationsvorgänge hinstellte.
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266 Skormjakofp, Zur Frage d. extramednll. Blutbild, bei posthämorrhag. Anima
abgesehen, annähernd konstant. Oft bedarf es nach unseren Erfahrungen
entgegen denen von Ritz, um eine vorhandene Anfimj « auf gleich
Höhe zu halten, stets wachsender Aderlaßmengen, da im anderen Falle
das Tier trotz Aderlaß durch verstärkte Regeneration den gesetzten Ver¬
lust zu decken vermag.
-Die basophil punktierten Normoblasten traten nie im Stadium der
stärksten Anämie auf, sondern erst, wenn die Anämie sich einigermzfe
gebessert hatte und das Tier sich in der Erholungspause befand.
Der Umstand, daß zuweilen (so bei Kaninchen Nr. 1) in den llilr
abstrichen basophile Granulocyten sehr zahlreich waren, im Gegenau
zum Knochenmark, und daß Erythroblasten im Leberabstrich viel zahl¬
reicher waren als im kreisenden Blute, unmittelbar vor der Sektion
dürfte für die autochthone Entstehung (Meyer u. Heineke v. Dom*-
rus, Schridde, Butterfield, Pappenheim, Morris, Schati-
loff) der extramedullären Blutbildungsherde sprechen.
Zusammenfassung.
Es gelingt im Tierexperiment (Kaninchen) ebenso,
wie bei toxischen (v. Domarus, Itami) auch bei post¬
hämorrhagischen Anämien extramedulläre Blutbil¬
dungsherde in der Milz und in geringerem Grade in
der Leber zu erzeugen.
Die Bedingung für das Zustandekommen dieser
Verände rügen ist, ab ge sehen von individuellen Diffe¬
renzen, eine mehrere Monate betragende Zeitdauer,
während welcher die Tiere unter Einschaltung von
Erholungspausen anämisch bleiben müssen.
Es besteht demnach bezüglich der Entwicklung
der myeloiden Metaplasie kein prinzipieller Unter¬
schied zwischen toxischen und posthämorrhagischen
Anämien.
Literatur.
1. Meyer u. Heineke, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 88.
2. v. Domarus, Archiv f. experim. Path. u. Pharm. Bd. 58.
3. Morris, John Hopkins Hospital Bullet. Bd. 18.
4. M a sing, Dissertat. Dorpat 1908.
5. Itami, Arch. f. experim. Path. u. Pharm. Bd. 60.
6. Stern berg, Beiträge zur pathol. Anat. und zur allgem. Path. Bd. 46 H. 3.
7. Blumenthal u. Morawitz, Deutsches Arch. f. klm. Med. 92.
8. d. (J ruber, Arch. f. exper. Path. u. Pharm. Bd. 58.
9. Morawitz u. Rehn, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 92.
10. Kitz, Folia Haematologica Bd. 8.
Gck igle
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Mitteilung ans dem physiolog. Institute der Universität Budapest.
Studien über Puls- und Atmungsfrequenz.
Eine medizinisch-statistische Untersuchung.
Yon
Kornäl v. Körösy,
Assistent des Institutes.
(Mit 2 Kurven.)
I. Einleitung.
Die Bestimmung von Normalzahlen ist immer eine wichtige
Aufgabe, im Bereiche der medizinischen Wissenschaften wäre es
aber besonders wünschenswert, die allgemein gebräuchlichen Normal¬
zahlen möglichst genau zu revidieren. Das Urmaterial ist weniger
verläßlich als allgemein angenommen, und die Methoden der Auf¬
arbeitung sind heute viel besser entwickelt, als sie es früher waren,
wie späterhin gezeigt werden wird. Die Bestimmung der normalen
Puls- und Atmungsfrequenz ist von Wichtigkeit für den prak¬
tischen Arzt, aber nicht weniger wichtig für die theoretische
Medizin, worauf neuerdings hingewiesen wurde. 1 )
Da ich meine Untersuchungen an möglichst vielen erwachsenen, ge¬
sunden Individuen ausführen wollte, bot sich dazu das Militär als am
besten geeignetes Material dar. Als ich mich diesbezüglich an H. Ge¬
neralstabsarzt Mirdacz, Sanitätschef des IV. Regimentskorps wendete,
gewährte er meine Bitte mit der größten Zuvorkommenheit, wofür ich
ihm auch an diesem Orte besten Dank sage, so wie auch H. Oberst
List, Kommandanten des in Budapest stationierten VI. Infanterieregi¬
mentes; für meine Untersuchungen wurde nämlich sein Regiment bezeichnet,
welches sich aus der Umgegend von Ujvidök rekrutierte. Das Alter der
Soldaten betrug 20—24 Jahre, nur ausnahmsweise mehr oder weniger.
Meine Untersuchungen fanden Ende September und anfangs Oktober 1906
Btatt. Dieser Umstand ist nicht ohne Bedeutung, da die Pulsfrequenz
nach Coste 2 ) nach den Monaten variiert; der Mittelwert der Monate
1) Zuntz, Loewy, Caspari, Müller, Höhenklima und Bergwander.
Berlin (1906) p. 341.
2) Nach Tigerstedt, Physiol. d. Kreislaufes, Leipzig (1893) p. 28.
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268
Kobösy
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September und Oktober fällt aber zufällig mit dem jährlichen Durch-
schnitt zusammen. Ich führte meine Zählungen immer zwischen 6 and
8 Uhr morgens aus; die Mannschaft des zur Untersuchung bestimmten
Schlafraumes schlief bis zu meiner Ankunft und blieb während der Unter¬
suchung liegend. Dies entspricht am ehesten dem Zustande der absoluten
Ruhe und ist deshalb der geeignetste Zeitpunkt zur Gewinnung von
Normalwerten: *) als Zustand absoluter Ruhe ist es der am bestes
definierte physiologische Zustand. Die Soldaten waren während da
* Pulszählung mit einer gebräuchlichen Decke zugedeckt; die Art des Zu-
deckens ist bekanntlich auch von Einfluß auf die Pulsfrequenz. Zur
Bestimmung einer jeden Puls- und Atmungsfrequenz zählte ich eine roll«
Minute aus. Den zu untersuchenden Soldaten weckte ich einige Minuten
vorher auf; vor Beginn der Zählung wartete ich ab, bis sich die anfangs
regelmäßig auftretende kleine Erregung legte, bis der Puls vollkommen
gleichmäßig ward. Nach der Zählung des Pulses zählte ich die Atmung»-
frequenz, meine Hand auf die Brust des Betreffenden legend. Die hoch¬
gradige Indolenz der Soldaten gereichte meinen Untersuchungen zum Vor¬
teil : ich konnte darüber beruhigt sein, daß jede psychische Erregung aus¬
geschlossen war. Wenn ein Soldat verdächtig war, daß sein Herz oder
Respirationssystem nicht gesund ist, wurde er gestrichen. Es blieben so
im ganzen 255 Individuen. Zehn Individuen wurden versehentlich zwei¬
mal untersucht und für dieselben der arithmetische Mittelwert in Br
rechnung gezogen. Die erhaltenen Resultate gebe ich in den beiden bei¬
stehenden Tabellen wieder.
Pulsfrequenz
a
Intervallgrenzen
j Anzahl der In-
j dividuen
1 z
Dasselbe in % der
Gesamtenzahl
42
40,5- 43,5
i
0,4
45
43,5—46,5
i
0,4
48
46,5—49,5
4
1.6
51
49,5—52,5
7
2,7
54 1
52,5—55,5
20
7,8
57
55,5—58,5
33
12.9
60
58,5—61,5
35
13,7
63
61,5—64,5
41
16,1
66
64,5—67,5
37
14,5
69 i
67,5-70,5
29
11,4
72
70,5-73,5
14
5,5
75 |
73,6—76,5
11
4,3
78 |
76,5—79,5 !
8
3,1
81
79,5—82,5
8
3,1
84
82,5—85,5
4
1,6
87 1
85,5-88,5 !
0
0
90
88,5—91,5
0
0
93
91,5—94,5
0
0
96 i
94,5-97,5 ,
0
0
99
97,5—100,5 !
1
0,4
102
100,5—103,5 j
0
0
106
103,5—106,5
0
0
108
106,5—109,5 |
1
0,4 __
■Summe !
i
255 ;
99,9
1) Zuntz, etc. a. a. 0. p. 339.
2 ) Bleuler u. Lehmann, Arch. f. Hyg. 3, 215 (1885).
Gck igle
Original frum
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Stadien über Pols- and Atmangsfreqaenz.
269
At-
mnngs-
frequenz
a
Intervall¬
Anzahl
der In¬
dividuen
z
Dasselbe
in °/ 0 der
Gesamt¬
anzahl
Anzahl der Individuen, deren Höhe
in cm
grenzen
160—
159
160-
.164
165—
169
170—
174
176—
179
180—
184
9
8,5-9,5
1
0,4
0
1
0
0
0
0
10
9,5-10,5
4
1,6
0
0
2
1
1
0
11
10,6—11,5
2
0,8
0
1
1
0
0
0
12
11,6—12,5
15
5,9
0
2
5
5
3
0
13
12,5—13,5
18
7,1
0
4
8
5
1
0
14
13,5—14,5
30
11,8
0
4
12
8
5
0
15
14,6-15,5
33
12,9
2
4
16
6
4
0
16
15,5—16,5
54
21,2
1
14
18
11
7
3
17
16,6—17,5
45
17,6
0
12
13
13
7
0
18
17,5—18,5
26
10,2
2
7
5
11
1
0
19
18,5—19,5
9
3,5
0
1
5
2
1
Ö
20
19,5—20,5
11
4,3
0
4
3
3
1
0
21
20,5—21,5
6
2,4
0
2
0
2
1
1
25 |
24,5-25,5
1
0,4
0
1
0
0
0
0
Summe
255
100,1
5
57
88
67
32
4
II. Methodisches. Berechnung.
Das hier anfgearbeitete Material fällt unter den Begriff der
Kollektivgegenstände, welche Fechner 1 ), der Begründer dieses
Begriffes so definiert, daß sie „ans unbestimmt vielen, nach Zufall
variierenden Exemplaren bestehen, die durch einen Art- oder Gattungs¬
begriff zusammengehalten werden“. Die an einem solchen Materiale
ausgeführten Beobachtungen können nicht durch einen einzigen
Durchschnittswert zusammengefaßt werden, wie z. B. eine Reihe
an einem physikalischen Apparate wiederholt ausgefuhrter Ab¬
lesungen desselben Zustandes der untersuchten Eigenschaft in
einem Werte zusammengefaßt werden kann: im arithmetischen
Mittel. Den wesentlichen Unterschied zeigt uns die graphische
Darstellung am besten: wenn wir in horizontaler Richtung die am
Instrumente abgelesenen Werte, in vertikaler die Zahl der dazu
gehörenden Ablesungen auftragen, so finden wir einen mittleren
größten Wert, von welchem nach rechts und links, im Falle einer
genügenden Zahl von Ablesungen, zu den einzelnen Werten gleiche
Anzahlen von Ablesungen gehören; d. h. unsere Kurve wird be¬
züglich des mittleren Wertes symmetrisch sein. Stellen wir Kollektiv¬
gegenstände in ähnlicher Weise dar, wie z. B. in dem beistehenden
Graphicon, dann werden wir im allgemeinen eine assymetrische
Verteilung finden: der höchste Wert wird nicht in die Mitte fallen
und die Kurve wird rechts und links nicht gleichförmig abfallen.
1) Fechner, Kollektivmaßlehre. Leipzig (1897) p. 3.
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270
Kobösy
Kurve 1.
Anzahl
d. Indiv.
Anzahl
d. Indiv.
Kurve 2 .
Atm-
frequ.
Die Kurve der Pulsfrequenz wurde, wie ersichtlich, nicht nach der
ursprünglichen Tabelle, der sogenannten primären Verteilnngs-
tafel (s. Tab. auf S. 271) konstruiert, weil dieselbe keine genügend
regelmäßige Verteilung zeigte. In solchen Fällen müssen wir nach
Fechner auf Grund der primären Verteilungstafel eine redu¬
zierte Tafel (s. Tab. auf S. 268) verfertigen, in welcher eine ge¬
wisse Anzahl, in unserem Falle je drei Pulsfrequenzen, allgemein
gesagt eine gewisse Anzahl der betreffenden Argumentwerte
in eine Gruppe zusamraengefaßt werden. Die Unregelmäßigkeiten
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Stadien über Puls- and Atmangsfrequenz.
271
werden nach Fechner (S. 108) oft dadurch verursacht, daß der
Beobachter bei den einzelnen Beobachtungen unwillkürlich den
runderen Argumentwert wählt, wenn er zwischen zwei benach¬
barten Argumentwerten zu wählen hat, wie sich dies auch in der
primären Verteilungstafel der Pulsfrequenz zeigt.
Puls¬
frequenz
Gesamt¬
anzahl der
Individuen
Anzahl der Individuen, deren Höhe in <
cm
160—
159
160—
164
165—
169
170—
174
175—
179
180—
184
42
1
0
0
0
1
0
0
44
1
0
0
0
1
0
0
47
3
0
0
1
1
1
0
48
1
0
1
0
0
0
0
50
3
0
1
1
0
1
0
öl
1
0
0
1
0
0
0
52
3
0
0
2
0
1
0
53
4
0
1
2
0
1
0
54
4
0
1
0
1
1
1
56
12
0
3
6
2
1
0
56
8
0
1
3
3
1
0
57
12
1
1
5
4
1
0
58
13
0
4
2
3
4
0
59
9
1
1
2
3
2
0
60
20
0
3
7
6
3
0
61
6
0
1
1
3
1
0
62
17
0
4
8
3
2
0
63
11
0
3
6
2
0
0
64
13
0
3
5
3
1
1
65
12
1
3
5
2
1
0
66
17
0
5
5
6
1
0
67
8
0
3
2
1
1
1
68
10
0
1
3
5
1
0
69
11
0
3
4
1
2
0
70
8
0
3
0
4
1
0
71
1
0
1
0
0
0
0
72
12
1
3
5
2
1
0
73
1
0
0
1
0
0
0
74
6
0
2
2
2
0
0
75
3
0
0
0
1
2
0
76
2
0
0
2
0
0
0
77
4
0
1
2
0
0
1
78
8
1
0
0
1
1
0
79
1
0
0
0
1
0
0
80
6
0
2
1
3
0
0
81
1
0
1 !
0
0
0
0
82
1
0
0
0
1
0
0
83
1
0
0
1
0
0
0
84
3
0
1
2
0
0
0
98
1
0
0
0
1
0
0
108
1
0
0
1
0
0
0
Summe:
255
i 5
57
j 88
; 67
t
| 32
! 4
i
Ein einzelner Zahlenwert kann offenbar nicht sämtliche
Eigenheiten dieser Beobachtungsreihen oder der sie darstellenden
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Original frn-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
272
KoHÖ8Y
Kurven zum Aussprach bringen. Dies könnte nur durch eine Funk¬
tion geschehen, welche der analytische Ausdruck der Kurve wäre.
Es gibt aber einzelne Hauptwerte, welche den untersuchten Kollektiv-
gegenständ bis zu einem gewissen Grade charakterisieren können:
wir wollen dieselben, in Anlehnung an Fechner, die Körperlänge
der Rekruten als Beispiel wählend, kurz besprechen. Der wichtigste
unter ihnen ist der dichteste Wert (englisch modo), d. h. die¬
jenige Körperlänge, welche unter den Rekruten am häufigsten vor¬
kommt, oder allgemein jener Argumentwert, auf welchen die größte
Anzahl von Beobachtungen fallt: der höchste Punkt der entsprechend
ausgeglichenen Verteilungskurve. „Greift man aus der Gesamtheit
der (Argumente) eines Kollektivgegenstandes ein Exemplar nach
Zufall heraus, so wird der dichteste Wert wahrscheinlicher als
jeder andere getroffen werden, und die ihm nahen (Argumente
mit einer, der seinigen nahe gleichkommenden, doch verschiedenen
Wahrscheinlichkeit, je nachdem sie auf die eine oder andere Seite
vom dichtesten Werte fallen“ (p. 171). Ein anderer charakteristi¬
scher Hauptwert ist der Zentralwert (englisch median): wenn
wir sämtliche Beobachtungen — Rekruten — nach wachsenden
Argumenten — Körperlängen — aufgestellt denken, dann wird der
Zentralwelt dem gerade in der Mitte stehenden entsprechen: wir
können also durch einfache Abzählung zu demselben gelangen.
„Dächte man sich alle Exemplare eines Kollektivgegenstandes in
eine große Urne getan . . . und nach Zufall ein Exemplar heraus¬
gezogen, so würde die Wahrscheinlichkeit gleichstehen ein größeres
und ein kleineres Exemplar als der Zentralwert herauszuziehen...
wogegen bezüglich größerer Werte als der Zentralwert die Wahr¬
scheinlichkeit des Herausziehens eines kleineren Gegenstandes, be¬
züglich kleinerer Werte als der Zentralwert die Wahrscheinlichkeit
des Herausziehens eines größeren Exemplares überwiegt“ (p. 166'.
Schließlich ist ein dritter charakteristischer Hauptwert das arith¬
metische Mittel, dessen Bedeutung bekannt ist; zu seiner
Charakterisierung kann unter. anderem die Eigenschaft dienen, daß
„die Summe der positiven Abweichungen von ihm gleich der Summe
der negativen nach absolutem Werte ist“ (p. 161).
Wie schon aus dem Bisherigen ersichtlich, ist von diesen drei
der dichteste Wert der wichtigste zur Charakterisierung eines
Kollektivgegenstandes, so daß er in vielen Beziehungen den Platz
einnimmt, der im Falle von physikalischen Ablesungen dem arith¬
metischen Mittel zukommt. Trotzdem empfiehlt Fechner (p. 86),
daß wir. wenn wir nur einen Wert angeben wollen, auch weiterhin
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Studien über Puls- und Atmungsfrequenz.
273
bei dem arithmetischen Mittel bleiben sollen, besonders wenn die
Verteilung der Werte unregelmäßig ist. Darum werde auch ich
die arithmetischen Mittel berechnen, wenn von der Pulsfrequenz
bei verschiedener Körperlänge, oder derjenigen von Rekruten die
Rede sein wird, in welchen Fällen mir nur relativ wenig Beob¬
achtungen zur Verfügung stehen. Im Falle symmetrischer Ver¬
teilung, die wie erwähnt der Verteilung physikalischer Ablesungen
entspricht, fallen dichtester Wert, Zentralwert und arithmetisches
Mittel in der Mitte zusammen. Außer diesen drei wichtigsten,
zählt F e c h n e r noch eine Reihe weniger wichtiger Hauptwerte auf.
Der dichteste Wert kann nach Fechner (p. 182) auf zwei
Weisen bestimmt werden: empirisch aus der Verteilungstafel oder
theoretisch auf Grund eines Verteilungsgesetzes. Diese beidfen Werte
fallen in der Mehrzahl der Fälle zusammen. Da in unserem Falle die
Asymmetrie, wie wir sehen werden, geringen Grades ist und wir anderer¬
seits keine weiteren Schlüsse ziehen wollen, sind wir nicht genötigt auf
Grund eines Verteilungsgesetzes eine theoretische Wertreihe zu berechnen,
wozu heute am häufigsten ein von Pearson angegebenes Verfahren
(method of raoments) befolgt wird, und können uns mit der Bestimmung
des empirisch dichtesten Wertes begnügen. Die Berechnung desselben
geschieht nach folgender Formel (p. 184):
a = a 0 +
Z—,
2 2 z 0 — Zj — z_j ’
wo a der gesuchte dichteste Wert ist, a 0 die Mitte desjenigen Intervalles,
auf welches laut unserer Tabelle die meisten Individuen fallen (also 63
als Mitte von 61,5—64,5), z 0 die Anzahl der darauf fallenden Be¬
obachtungen (also 41), z 1 und z_ t dasselbe für das folgende bzw. voran¬
gehende Intervall, und I endlich die Breite des Intervalles (also 3 Puls¬
schläge). Zur Ableitung dieser Formel wird auf Grund der Werte des
Intervalles mit maximaler Beobachtungszahl und der beiden Nachbar¬
intervalle eine annähernde Funktion zweiten Grades bestimmt und dann
das Maximum dieser Funktion gesucht. Der so berechnete dichteste
Wert der Pulsfrequenz ist 63,80.
Die Berechnung des Zentralwertes ist einfacher (S. 167); sie
wird nur dadurch etwas kompliziert, daß zu demselben Argumentwerte viele
Beobachtungen gehören, was eine entsprechende Interpolation notwendig
macht. Wir bestimmen durch einfache Abzählung, in welches Intervall
m 1 1 m
das zu mittelst stehende Argument fällt (das —~— und nicht das — te
Glied, wenn m die Gesamtanzahl der Beobachtungen bedeutet, also das
128te Glied); in unserem Falle ist dies das Intervall 61,5—64,5. Im
Bereiche dieses Intervalles wird der nähere Wert durch Interpolation
bestimmt. Bis zur unteren Grenze des Intervalles haben wir 101 Werte,
bis zum ^-= 127,5 ten Werte fehlen 127,5 - 101 = 26,5. Die 41
2
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd.
J8
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274
Eöröst
Werte des Intervalles 61,5—64,5 (= 3 Palsschläge) müssen wir also nad>
der Proportion teilen:
26,5 : x = 41: 3
x= 1,94.
Der gesuchte Zentral wert ist also 61,5 -j- 1,94 = 63,44. Hätten vir
bei dem oberen Ende der Reihe begonnen, so wären wir zum selben Er
gebnis gekommen.
Die Berechnung des arithmetischen Mittels ist bekannt: n
ergab, größerer Genauigkeit halber aus der primären Verteil ungBt&fel be¬
rechnet: 64,13.
Diese drei Hauptwerte sind natürlich noch nicht genügend rar
Charakterisierung der Verteilungsart; von den übrigen dazu dienen¬
den Werten wollen wir die zwei wichtigsten hier besprechen. Da#
Haß der Art, wie die einzelnen Werte um das arithmetische Mittel
sich gruppieren, wie sie um dasselbe zerstreut sind, also wie steil
oder seicht abfallend die Kurve gestaltet ist, bildet der Streuungs-
wert (englisch Standard deviätion), was bei Berechnungen von
physikalischen Beobachtungen dem mittleren Fehler entspricht.
Seine Berechnung geschieht nach der Formel:*)
wo S den gesuchten Streuungswert, A das arithmetische Mittel
bedeutet, Zi die Anzahl der zu den einzelnen Pulsfrequenzen tim
allgemeinen Argumenten) gehörenden Beobachtungen und a; die
einzelnen Pulsfrequenzen (Argumente). In unserem Falle beträgt der
Streuungswert aus der primären Tafel berechnet 8,54 Pulsschläge.
Zuletzt wollen wir noch einen Wert erwähnen, welcher als
Maß der Asymmetrie der Verteilung (der Kurve) dient und englisch
skewness (Schiefe) genannt wird. Seine Berechnung geschieht
nach der Formel: 9 )
arithro. Mittel — dicht. Wert
Streuung
in unserem Falle = 0,097. Nachdem, wie erwähnt, im Falle
vollkommener Symmetrie arithmetisches Mittel und dichtester
Wert zusammenfallen, ist es leicht ersichtlich, daß der Grad der
Asymmetrie desto größer ist, je weiter diese zwei Werte vonein¬
ander fallen; andererseits ist es auch klar, daß die Asymmetrie
ceteris paribus desto kleiner ist, je flacher die Kurve, je größer
also der im Nenner stehende Streuungswert.
Die Verteilung der Atmungsfrequenz ist genügend regelmäßig.
1) Czuber, Die Kollektivmaßlehre. Wien (1908) p. 16.
2) Eider ton, Frequency-curves and correlation. London, 1906 p. 11-
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Stadien über Pale- and Atmangsfreqnenz.
275
so daß keine Reduktion notwendig ist. Es ergeben sich aus ihr
den obigen entsprechend folgende Werte: dichtester Wert = 16,20,
Zentral wert = 15,95,, arithmetisches Mittel = 15,84, Streuungs¬
wert = .2,37, Schiefe = —0,15.
Die drei Haupt werte liegen in den meisten Fällen derart, daß
der Zentral wert zwischen dichtesten Wert und arithmetisches
Mittel zn liegen kommt ! ); dies ist auch bei der Puls- und Atmungs¬
frequenz der Fall. Am häufigsten ist der dichteste Wert zweimal
so weit entfernt vom Zentralwert, als vom arithmetischen Mittel,
welche Eigenschaft von Pearson 1 2 3 * ) zur angenäherten Bestimmung
des dichtesten Wertes aus den leichter berechenbaren anderen
beiden empfohlen wird. Die Atmungsfrequenz entspricht dem voll¬
kommen, indem der derart berechnete dichteste Wert 16,17 beträgt
bei der Pulsfrequenz zeigt sich eine größere Abweichnng, indem
wir zu 62,06 gelangen würden. Die Streuung beträgt bei der Puls¬
frequenz 13,3, bei der Atmungsfrequenz 15,0 °/ 0 des arithmetischen
Mittels, die relative Streuung ist also ungefähr die gleiche. 8 ) Die
Schiefe der Atmungsfreqnenzen ist größer als die der Pulsfrequenzen,
wie dies auch aus der Kurve ersichtlich; das negative Vorzeichen
bedeutet, daß das arithmetische Mittel auf der Kurve nach links
vom dichtesten Wert zu liegen kommt.
III. Lüftung, Körperlänge, Rekruten.
Die Schlafräume waren oft ungenügend gelüftet und obgleich
ich dann bei meiner Ankunft selbstverständlich gründlich lüften
ließ (je eine Ventilation über Türe und Fenster war im allgemeinen
die ganze Nacht offen), hatte ich doch den Verdacht, daß dies auf
die Atmungsfrequenz von Einfluß sein könnte. Aber der Vergleich
der in den gut und schlecht gelüfteten Schlafräumen gefundenen At-
raungszahlen zeigte, daß mein Verdacht unbegründet war. Zu diesem
Zwecke notierte ich den Rauminhalt der Schlafräume und in den mei¬
sten Fällen die Art der Lüftung. Im Schlafraume mit dem kleinsten
Luftkubus (13,7 und 15,1) war die Atmungsfrequenz (arithmetisches
Mittel) 15,3 und 16,0; in den Zimmern, die vor meiner Ankunft nicht
besonders gelüftet waren, fand ich 16,0, 15,3, 15,7 und 15,8. In den
Räumen mit größtem Kubus (46,5 und 34,3) fand ich 15,2 und 15,8;
in den am besten gelüfteten Räumen 16,2, 15,3, 15,2.
1) Fecbner, a. a. 0. p. 200.
2) Pearson, Biometrika,1,260(1901); Pearl u. Dunba ebenda2,327(1903).
3) Davenport: Statistical methods II. Aufl. New York 1904 p. 16; e. auch
Fecbner a. a. 0. p. 95.
18 *
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276
Körösy
Rameaux und Volkmann 1 2 3 ) fanden einen Zusammenbau?
zwischen Körperlänge und Pulsfrequenz. Da die Körperlänge der
untersuchten Individuen mir bekannt war (mit Ausnahme zweier,
deren Pulsfrequenz und Atmungsfrequenz 69 und 60 bzw. 15 und
14 war), konnte ich meine Beobachtungen nach diesem Gesichts¬
punkte zusammenstellen (s. die Tabellen auf S. 269 und 271). Die
arithmetischen Mittel ergeben:
Körperlänge
cm
Pulsfrequenz
Atmungs- |
frequenz 1
Anzahl
160-164
64,8
16,4
57
165—169
' 64,2
15,4
88
170-174
64,4
16,0
67
175—179
l 61,8
15,6
32
Es ergibt sich also im Gegensätze zu den genannten Autor«
so wie zu K. Vierordt*), die sogar quantitative Beziehungen zwi¬
schen Körperlänge und Pulsfrequenz aufstellten, keine direkte
Parallele zwischen diesen beiden Größen, wenn auch eine Tendenz
zur Abnahme der Pulsfrequenz mit steigender Körperlänge nicht
zu verkennen ist. Ähnliches läßt sich bezüglich der Atmung?’-
frequenz sagen, wie in derselben Tabelle zusammengestellt.
Ein gewisses Interesse kann es ferner beanspruchen, daß unter ,
den untersuchten Soldaten 28 Rekruten waren, die vor einig«
Wochen einrückten. Das arithmetische Mittel ihrer Puls- und At¬
mungsfrequenz ist 65,9 und 16,2, also beide etwas höher als da*
Gesamtmittel, was vielleicht durch ihr jüngeres Alter bedingt ist
i
TV. Historisches.
Die Pulsfrequenz der 255 untersuchten Soldaten war also durch¬
schnittlich rund 63, die Atmungsfrequenz 16; auf eine Atmung fall«
vier Pulsschläge. Als allgemein angenommene Durchschnittszahl der
Pulzfrequenzkann wohl 71 gelten, welche Ziffer, soweit ich diesao?
H. Vierordt’s Zusammenstellungen 8 ) und auch anderen Quellen
entnehmen kann, auf Volkmann 4 ) zurückzuführen ist, der diese
Zahl auf Grund teils eigener, teils noch älterer Beobachtungen
anderer für das 20.—24. Lebensjahr bestimmte. Seine Werte sind
1) Volk mann, Die Hämodynamik, p. 429. Leipzig 1850.
2 ) Vierordt, K., D. Lehre v. Arterienpuls p. 60. Braunschweig 1&»
3) Vierordt, H., Anat., physiol. u. physik. Daten und Tabellen. III. Ani
Jena 1906, p. 230.
4) Volk mann, a. a. 0. p. 427.
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Stadien über Puls- and Atmungsfrequenz.
277
seit mehr als einem halben Jahrhundert nicht revidiert worden;
die seitdem angestellten Zählungen bezogen sich immer auf die
Änderung der Pulsfrequenz unter verschiedenen Umständen. Volk-
mann erwähnt bezüglich der Umstände, unter welchen er die
Zählungen vornahm (p. 425), daß die Zählungen „bei gesunden,
körperlich nicht angestrengten und sitzenden Personen vor dem
Mittagsmahle“ vorgenommen wurden. Demgegenüber beziehen sich
meine Zählungen, wie erwähnt, auf den Zustand größter Ruhe.
Dies erklärt, warum ich kleinere Zahlen erhielt als Volkmann.
In geringerem Grade kann dies auch dadurch verursacht sein, daß
ich nur Männer, Volkmann aber Männer und Frauen untersuchte:
die Pulsfrequenz der letzteren ist bekanntlich etwas höher als die
der Männer. 1 )
Als durchschnittliche Atmungsfrequenz gilt allgemein 16—20,
welche Ziffer offenbar auf Hutchinson’s an 1897 Männern aus¬
geführten Zählungen zurückzuführen ist 2 3 ) K. Vi er or d t 8 ) bestimmte
seine eigene Atmungsfrequenz im Ruhezustand beim Sitzen, und
fand als arithmetisches Mittel zahlreicher Zählungen 11,9. Auf¬
fallend niedrige Zahlen erhielten Zuntz, Loewy, Caspari und
Müller 4 5 ), wobei die Höhenlage des Ortes ohne bestimmten Einfluß
zu sein scheint: sie fanden oft Werte unter 10, einmal sogar 5,3.
V. Allgemeines.
Die hier benutzten statistischen Methoden wurden hauptsäch¬
lich von Fechner, Gal ton und Pearson ausgearbeitet. Zu¬
sammengefaßt finden wir sie bei Czuber 6 ), Davenport*) und
Eiderton. 7 ) Fechner befaßt sich in seiner Kollektivma߬
lehre eher vom allgemeinen, methodischen Gesichtspunkte aus mit
der Frage; Pearson hielt in erster Linie ihre biologischen An¬
wendungen vor Augen, die Ergebnisse der derartigen Untersuchungen
erschienen größtenteils in seiner Zeitschrift: Biometrika. Pear¬
son geht sogar noch weiter: er nimmt die Lösung praktisch
sozialer Fragen auf gleicher Grundlage in Angriff, indem er den
1) V ierordt, H., Dat. u. Tab. p. 230.
2) Hutchinson: Todd’s Cyclopaedia IV. Bd. II. Teil p. 1016. London
1849—62.
3) Vierordt, K., Physiol. d. Atmens p. 19. Karlsruhe 1845.
4) Zuntz, Loewy, Caspari, Müller, Höhenklima und Bergwande¬
rungen. Berlin (1906) Tabellen X—XV und p. 311.
5) Cznber a.a.O.u.WahrscheinlichkeitsrechnungII.Aufl. Leipzig 1908—10.
6) Davenport, a. a. 0.
7) Eiderton, a. a. 0.
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278
Kokos v
beliebten soziologischen Wortgefechten eine exakte Wissenschaft
entgegenzostellen trachtet: die „Eugenics“. 1 2 * ) Ich will nur einige Bei¬
spiele dafür anführen, was wir von der Anwendung dieser Methoden
auf medizinische Fragen zu erwarten haben. Es wurden auch
schon physiologisch wichtige Fragen mit ähnlichen Methoden be¬
arbeitet. 8 ) Das interesssanteste Resultat auf medizinischem Ge¬
biete dürfte aber das folgende sein 8 ): seit den Untersuchungen
H. Cohn’s wird allgemein angenommen, daß die in der Schule
verbrachten Jahre die Kurzsichtigkeit steigern; dagegen konnte
mit den neuen Methoden aus Cohn’s eigenen Wahlen gezeigt
werden, daß dem nicht so ist, sondern daß die Kurzsichtigkeit ein¬
fach mit dem Alter zunimmt.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich auf einige Gesichtspunkte
hin weisen, die sich mir aus dieser statistischen Untersuchung er¬
gaben, die aber, wie ich glaube, allgemeinere Bedeutung besitzen.
Handelt es sich um irgend eine meßbare Größe, so müssen wir
unterscheiden 4 ) zwischen 1. der Schärfe der angewandten Me߬
methode, 2. der Genauigkeit der Definition des Objektes, bzw.
richtiger der betreffenden Eigenschaft; hierzu kommt bei biologi¬
schen Kollektivgegenständen noch 3. der Grad der Variation bei 1
verschiedenen Individuen desselben Alters, derselben Lebensweise
usw. der betreffenden Gattung. Eine gewisse Eigenschaft eines
Gegenstandes ist gut definiert, wenn wir die Messung unter mög¬
lichst gleichen Umständen ein anderes Mal wiederholend immer
denselben Wert erhalten. In dieser Beziehung ist also die Puls¬
frequenz eines Soldaten als solche eine schlecht definierte Eigen¬
schaft; die Pulsfrequenz früh morgens kurz nach dem Erwachen
ist besser definiert. Da kein besser definierter Zustand bekannt
ist, wählten wir eben denselben zu unseren Beobachtungen. Wie
wenig gut aber darum die Definiertheit dieses Zustandes ist. das
konnte ich an den, wie erwähnt, zweimal untersuchten Individuen
beobachten, bei denen die Abweichungen der Pulsfrequenz zwischen
0 und 9, die der Atmungsfrequenzen zwischen 0 und 7 variierten, wäh¬
rend das arithm. Mittel der Abweichungen 4,1 resp. 2,5 betrug. Ähn-
1) Kurze Zusammenfassung: Gal ton: Probability, the foundat. of Eugenics.
Oxford (1907). Pearsou, The groundwork of Eugenics. London (1909).
2) Pearson, A biometr. study of the red bloodcorp. of the common tadpole.
Biometrika 6, 402 (1909). — Harvey und Mc Kendrick, The opeonic indei. »
medicostatistical inquiry, ebenda 7. 64 (1909).
9) Pearson: Grouudw. of Eugen, p. 11.
4) s. 0 s t w a 1 d -L u t h e r, Physikal.- chem. Messungen III. Aull. p.2. Leipzig 1910.
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Stadien über Pols- and Atmangsfreqnenz.
279
liches beobachtete auch Staehelin 1 2 ), die Pulsfrequenz betreffend.
Es wäre also sehr wichtig, die Puls- und Atmungsfrequenz eines und
desselben Individuums möglichst oft unter denselben erwähnten
Bedingungen zu bestimmen und die Ergebnisse mit Hilfe der oben
besprochenen Methoden aufzuarbeiten. Hiermit erhielten wir einen
zahlenmäßigen Ausdruck für die Güte der Definiertheit der unter¬
suchten, oder entsprechend auch irgendeiner anderen Eigenschaft.
Auf den dritten erwähnten Punkt, auf den Grad der Variation der
Pulsfrequenz, bezieht sich eben diese Untersuchung. Die durch die
Ungenauigkeit der Definiertheit verursachte Abweichung der eben
einmal bestimmten Pulsfrequenz eines Soldaten von seiner mitt¬
leren Pulsfrequenz stört die Ergebnisse der Untersuchung nicht,
da die Abweichungen entgegengesetzten Vorzeichens sich bei der
großen Anzahl der untersuchten Individuen gegenseitig aufheben.
Nach denselben Prinzipien sollten die übrigen diagnostisch
wichtigen Eigenschaften aufgearbeitet werden, so in erster Reihe
die Körpertemperatur, wobei die Schärfe der einzelnen Messung
(der Meßmethode) vorerst zu bestimmen wäre. Die Definiertheit
der Körpertemperatur wird sicher besser sein, als die der Puls¬
frequenz, weil eben die Temperatur eine der konstantesten Eigen¬
schaften unseres Organismus ist. (Hierbei wird sich wahrscheinlich
herausstellen, daß mit einer höheren Temperatur eine größere
Pulsfrequenz Hand in Hand geht, was wir Pearson’s Nomen¬
klatur folgend so ausdrücken können, daß zwischen Temperatur
und Pulsfrequenz eine hochgradige Koordination besteht. Zwei
meßbare Eigenschaften a und b stehen dann im Verhältnis der
Koordination zueinander, wenn mit gewissen Werten von a zu¬
sammen nicht ein jeder Wert von b gleich häufig vorkommt, sondern
gewisse Werte häufiger als andere. 8 ) Der Grad der Koordination,
der sich ebenfalls zahlenmäßig ausdrücken läßt, wechselt von voll¬
kommener Unabhängigkeit bis zum vollkommenen Parallelismus
zwischen 0 und 1. Der hohe Grad von Koordination zwischen Puls¬
frequenz und Temperatur, und die bessere Definiertheit der letzteren
würde es erklären, warum wir uns bei Krankheiten auf Teraperatur-
messungen eher verlassen können, als auf Pulszählungen. Ähnlich
müßten von zwei koordinierten Eigenschaften verschieden guter
Definiertheit immer die besser definierte für diagnostische Zwecke
bestimmt werden. Wie wichtig es wäre, die Breite, in welcher die
1) Staehelin, Dieses Archiv 59, 86 (1897).
2) Eid er ton, a. a. 0. p. 106.
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280
Kobösy
Morgentemperatur derselben Person, sowie die Morgentemperainr
verschiedener gesunder Individuen variiert, genau festzustellen,
wird wohl niemand bezweifeln, da die großen Abweichungen ron
der gemeingültigen Norm besonders nach unten zu jedem bekannt sind.
Die Asymemtrie der Verteilung der Puls- und Atmungsfrequenzen
war, wie wir sahen, geringen Grades. Bei biologischen Kollektiv-
gegenständen finden sich aber oft Asymmetrien hohen Grades, wofür
Fechner interessante Beispiele anführt Wenn wir bei irgend¬
einer uns interessierenden meßbaren Eigenschaft eine stärkere
Asymmetrie vermuten, müssen wir vorerst die Beobachtungen von
genügend großer Anzahl graphisch darstellen, wie oben geschehen:
wenn die Asymmetrie dann genügend groß scheint, können wir
an die Bearbeitung mit den oben beschriebenen Methoden gehen
wenn diese Aufarbeitung nicht schon aus den oben besprochenen
Gesichtspunkten (Grad der Definiertheit usw.) wünschenswert er¬
schien. Die graphische Darstellung wird bei richtiger Wahl der
Maßstäbe auch über den Grad der Streuung eine Schätzung erlauben.
Die Puls- und Atmungsfrequenzen zeigen beide auffallende Ab¬
weichungen von den Mittelwerten. Es fragt sich selbstverständ¬
lich, ob die extremen Werte nicht abnorm bzw. pathologisch sind.
Dasselbe Problem wiederholt sich bei allen Kollektivgegenständen
und kann nur mit einer gewissen Willkür entschieden werden: die
Monstrositäten müssen ausgeschieden werden. Die Frage hat also
eine medizinische und eine statistische Seite. Den ersten Gesichts¬
punkt betreffend fand ich den Puls des Soldaten mit 108 Puls-
Schlägen wiederholt ganz regelmäßig und auch am Herzen, so weit
meine geringe diesbezügliche Übung es gestattete, keine patho¬
logische Abweichung; er hatte auch keine Klagen und kam seinen
militärischen Pflichten nach. Wir können über eine pathologische
Eigenschaft ganz allgemein sagen, daß sie für das betreffende
Individuum biologisch unzweckmäßig ist, *) d. h. seine Lebens¬
erhaltung ungünstig beeinflußt, wobei ein Organ pathologisch sein
kann, ohne daß es der Organismus als ganzes spürt. Nun kann
dies von der höheren oder geringeren Pulsfrequenz nicht behauptet
werden: durch entsprechende Änderung des Schlagvolumens wird
sie kompensiert, Blutdruck und Blutversorgung der Organe konstant
erhalten. Hohe Pulsfrequenz könnte höchstens ein Symptom einer
pathologischen, d. h. die Lebenserhaltung gefährdenden Veränderung
1) Mach, Anal. d. Empfind. IV. Aufl. Jena 1903, p. 160, bezüglich des Auf-
treten.* von Phantasmen.
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Studien über Puls- und Atmungsfrequenz.
281
sein, oder vielleicht — um die häufigen medizinischen gekünstelten
Erklärungen durch Scheinursachen aüszuschalten — Pearson’s
erwähnter Nomenklatur folgend richtiger gesagt, mit einer
solchen im Verhältnisse hoher Korrelation stehen: eine derartige
Eigenschaft scheint aber nicht vorhanden zu sein. Nach unseren
Beobachtungen müssen wir erwarten, daß von 100 gesunden männlichen
Individuen früh morgens 6 einen Puls unter 50 und 8 einen über 80
haben werden, desgleichen 7 eine Atmungsfrequenz unter 12 und
7 über 20, ohne pathologisch verdächtig zu sein.
Die statistische Betrachtung wird aber bezüglich der Frage,
ob ein extremer Fall monströs resp. pathologisch ist, keine minder
wichtige Aufklärung geben können, wie hierauf schon Fechner *)
hinwies. Ursprünglich wollte ich die zwei höchsten Pulsfrequenzen
(98 und 108) und die höchste Atmungsfrequenz (25) bei Berechnung
der Hauptwerte ausscheiden, da sich von den vorangehenden Argu¬
menten größere Abstände zeigten; arithmetisches Mittel und Zentral¬
wert wären dadurch nur unbedeutend, dichtester Wert gar nicht
verändert. Bei der graphischen Darstellung schien mir aber der
Verlauf der Kurve bei Einbeziehung der fraglichen Werte typischer,
darum zog ich sie mit ein. Erst nachträglich bemerkte ich, daß
bei Volkmann 8 ) ähnlich hohe Werte der Pulsfrequenz Vor¬
kommen (s. auch die graphische Darstellung bei Nicolai 8 )), wobei
nur aufiällt, daß trotz gleicher Extreme mein Durchschnittswert,
wie oben erörtert, viel niedriger ist. Was ich aber sozusagen dem
Gefühle nach entschied, könnte statistisch bestimmter entschieden
werden, etwa folgendermaßen: daß Pulse zwischen 50 und 85
pathologisch wären, wird wohl niemand behaupten. Nun könnte
die Verteilungsfunktion aus diesem Teile der Tabelle bestimmt
werden und dann die Frage beantwortet, ob einer Extrapolation
über 85 die Einbeziehung oder Weglassung der extremen Werte
eher entspricht. Namentlich wäre ein derartiger statistischer Hin¬
weis von Wichtigkeit, wenn er in negativer Richtung, auf Weg¬
lassung hinwiese.
Obige Betrachtungen gelten natürlich für alle Fälle, bei
welchen vom Durchschnittswerte wesentlich abweichende Fälle
einer meßbaren Eigenschaft pathologisch sind; derartige Eigen¬
schaften gehören als meßbare biologische Größen immer unter den
1) Fechner, a. a. 0. p. 324.
2) Volkmann, a. a. 0. p. 427.
3) Nagel’s Handb. d. Physiol. Bd. I p. 754. Braunschweig 1909.
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282 Eobösy, Stadien über Pols- and Atmangsfreqneuz.
Begriff der Kollektivgegenstände. Die medizinische Wissenschaft,
ob es sich um physiologische Daten, um die physikalische oder
chemische Methodik der Diagnose, nm Therapie, am hygienische
Maßregeln, um Prognose handle, entwickelt sich den Naturwissen¬
schaften folgend in der Richtung, daß immer mehr früher qualitativ
untersuchte Eigenschaften quantitativ bestimmt werden, obgleich
die intuitive Fähigkeit des Arztes vielleicht immer das wesentliche
bleiben wird. Möge sich nun auch in vielen Fällen eine quantitative
Bestimmung nachträglich als überflüssig erweisen, so haben sich
andere doch so festgesetzt, daß wir uns dabei des Umstandes, daß
es eben eine quantitative Bestimmung ist, gar nicht recht mehr
bewußt sind, wie zum Beispiel bei Messung der Temperatur.
Andererseits stützt sich der Arzt bei der qualitativen Beurteilung
einer Eigenschaft eigentlich auf sein unbewußt auf statistischer
Grundlage geformtes Urteil, indem er seine mehr oder weniger häufigen
Beobachtungen der betreffenden Eigenschaft, sowie die oft ähnlich
entstandenen Traditionen seiner Vorgänger zusammenfaßt. Der
Übergang von dieser unbewußten auf eine bewußte Statistik mög¬
lichst exakt gemessener Größen bedeutet einen Fortschritt vom
Subjektiven zum Objektiven; auf die Mängel einer objektiven
Statistik läßt sich hinweisen, dieselben können entsprechend richtig-
gestellt werden, die unbewußt zusammengefaßte ärztliche Erfahrung
ist einer Kritik weniger zugänglich. Mit dem Fortschritte der
medizinischen Wissenschaft in dieser Richtung wird sich zu den |
obigen, am Beispiele der Puls- und Atemfrequenz gemachten Über¬
legungen immer mehr Gelegenheit und Notwendigkeit bieten.
Schließlich sei mir erlaubt, meinem Freunde, Prof. K. Gold¬
zieher, für die mir freundlich geleistete Hilfe aufrichtigsten Dank
zu sagen, sowie auch dem stellvertretenden Leiter des Institutes.
Herrn Adjunkt Dr. M. Pekär, für das dieser Untersuchung ent¬
gegengebrachte Interesse.
Zusammenfassung.
Die Durchschnittszahl der Pulsfrequenz von 255 20—24 Jahre
alten Soldaten ergab sich zu 63,3, die der Atmungsfrequenz zu 16.2
(dichtester Werte).
Die gemachten Beobachtungen wurden nach den Methoden der
Kollektivmaßlehre bearbeitet, diese Methoden kurz besprochen. E»
wurde die allgemeine medizinische Bedeutung derartiger Unter¬
suchungen dargelegt.
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Aus dem pathologischen Institut des Augusta-Hospitals in Berlin.
Vorstand: Prof. Dr. R 0 e s t r e i c h.
Über die Veränderungen der Magenschleimhaut bei
akuten Infektionskrankheiten.
Von
Dr. Ernst Jerusalem, Wien.
(Mit Tafel I.)
Zn den gewöhnlichsten Symptomen aller akuten Infektions¬
krankheiten gehören gastrische Erscheinungen wie Appetitlosigkeit,
Erbrechen, Anacidität usw. Dieselben werden vielfach als „funk¬
tionelle“, also nicht mit pathologisch-anatomischen Veränderungen
einhergehende Störungen betrachtet. Wenn gelegentlich organische
Anomalien des Magens bei den erwähnten Krankheitszuständen
erwähnt werden, so handelt es sich meist um ganz allgemein ge¬
haltene Bemerkungen oder um gelegentliche Beschreibungen un¬
gewöhnlicher, mit besonders schweren Störungen einhergehender
Fälle, wie z. B. bei Diphtherie um das seltene Auftreten einer
croupösen Entzündung der Magenschleimhaut. Sonst sind in der
Literatur nur die Veränderungen des Magens bei Milzbrand und
analogen relativ seltenen Infektionen sowie bei chronischen In¬
fektionszuständen wie Tuberkulose einer genaueren Beachtung
gewürdigt. Ein Einblick in die diesbezüglichen Kapitel ein¬
schlägiger Werke belehrt darüber, daß eine genaue Studie, ob
pathologisch-histologische Veränderungen des Magens bei akuten
Infektionskrankheiten einen regelmäßigen Befund darstellen; ob sie
irgendeinem bestimmten Bilde entsprechen und sich diesbezüglich
zwischen den verschiedenen Erkrankungen irgendwelche Unter¬
schiede auffinden lassen, noch aussteht.
Ich habe auf Anregung des Herrn Professor Oestreich, dem
ich dafür an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank ausspreche,
im Folgenden versucht, diese Lücke nach Möglichkeit auszufüllen.
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284
Jerusalem
Es ist mir, da ich nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von Fällen
zur Verfügung hatte, zwar nicht gelungen, dieses Thema irgendwie
vollständig zu erschöpfen, doch dürften die erzielten Resultate
immerhin eine kurze Mitteilung rechtfertigen.
Die Hauptschwierigkeit, die sich der Ausführung dieser Arbeit
entgegenstellte, war die Beschaffung eines einwandfreien Untersn-
chungsmaterials. Ich war gezwungen mit Organen von Leichen zn
arbeiten, deren Eröffnung im allgemeinen erst 24 Stunden post
mortem vorgenommen wurde. Den Ausführungen mancher Autoren
zufolge ist ein derartiges Material für die histologische Magen-
untersuchung nicht verwendbar. Namentlich Tugendreich
hat die zahlreichen Fehlschlüsse, die sich aus der Benützung älterer
Leichenmagen ergeben können, in präziser Weise zusammengetaßt
Für Magen mit schweren kadaverösen Veränderungen bestehen diese
Ausführungen sicherlich im vollsten Maß zu Recht und solche wurden
in der vorliegenden Arbeit auch prinzipiell ausgeschaltet. Immer¬
hin aber muß bemerkt werden, daß geringe malacische Verände¬
rungen durchaus keinen Grund abgeben, das betreffende Material
vollkommen zu verwerfen, da sich sehr zahlreiche Punkte, wie Ver¬
mehrung des interglandulären Gewebes, Hyperämie, Blutungen.
Veränderungen des lymphadenoiden Gewebes und der tieferen
Magenschichten, auch an solchen Organen noch tadellos beurteilen
lassen. Große Vorsicht ist selbstverständlich bei der Konstatierung
von Epithelveränderungen wie Desquamation, Kernzerfall usw.
erforderlich, doch kann man auch in dieser Beziehung noch mancherlei
einwandfreie Beobachtungen machen. So wird man z. B. Vakuo¬
lisierung der Epithelien am Drüsenfundus ruhig als Degenerations¬
erscheinung betrachten dürfen, wenn der Oberfläche näherliegende
Drüsenschichten noch gut erhalten sind.
Eine zweite Schwierigkeit besteht darin, zu entscheiden, ob
die erhobenen Befunde nicht als Folge interkurrenter Magen¬
erkrankungen zu beobachten sind. Dagegen spricht zunächst das
Faktum, daß die gefundenen Veränderungen keinem der bei selb¬
ständigen Magenerkrankungen gewöhnlichen Bilder vollkommen zn
entsprechen pflegten, und ferner, daß bei bestimmten Infektions¬
krankheiten immer nieder dieselben Veränderungen gefunden
wurden, die bei anderen Erkrankungen fehlten.
Wesentlich schwerer ist die Frage zu entscheiden, ob die
beobachteten Anomalien als direkte oder als indirekte Folgen der
J
\) Archiv f. Kinderheilkunde 1904 p. 133.
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Veränderungen der Magenschleimhaut bei akuten Infektionskrankheiten. 285
betreffenden Infektionskrankheit zu betrachten sind. So könnte
man sich z. B. bei Scharlach vorstellen, daß nicht das Scharlach¬
virus an sich, sondern die tödliche Scharlachfälle fast regelmäßig
begleitende Nephritis die betreffenden Magenveränderungen bedingt.
Zu einer sicheren diesbezüglichen Entscheidung bin ich nicht ge¬
langt, da dazu eine viel genauere Kenntnis des klinischen Ver¬
laufs jedes einzelnen Falles erforderlich wäre und überdies eine
viel größere Zahl von Fällen untersucht werden müßte, als ich zur
Verfügung hatte. Immerhin neige ich mit Rücksicht darauf, daß
mir eine und dieselbe Krankheit mit oder ohne Nebenkrankheiten
stets den gleichen Befund geliefert hat, dazu, letzteren als eine
direkte Folge der Infektion zu betrachten, wie man solche ja schon
längst an verschiedenen anderen Organen kennt.
Auf welchem Wege das schädigende Agens zur Magenschleim¬
haut gelangt, ist durch pathologisch-histologische Untersuchungen
natürlich nicht sicher zu eruieren. Doch haben sich, wie im
folgenden gezeigt werden wird, häufig perivaskuläre Verändertmgen
der tiefen Magenschichten gefunden, die den Gedanken an einen
hämatogenen Ursprung zu rechtfertigen scheinen.
Die meisten Fälle verdanke ich der Liebenswürdigkeit des
Vorstandes der Infektionsabteilung am Rudolf Virchow-Krankenhaus,
Herrn Professor Jochmann. Alle Mägen wurden unmittelbar
nach der Sektion in Formol eingelegt, Stücke aus Pylorus, Fundus
und der kleinen Kurvatur in Celloidin eingebettet, in möglichst
feine Schnitte zerlegt und mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt.
In der Beurteilung mancher histologischer Befunde am Magen
bestehen noch Kontroversen insofern, als dieselben von einem Teil
der Autoren als normal, von einem anderen als pathologisch be¬
trachtet werden. So wird Anhäufung von Lymphocyten im inter¬
glandulären Gewebe gelegentlich als pathologisch bezeichnet,
während Bleichröder 1 ) diese für physiologisch hält. In bezug
auf mäßige Grade von Lymphocytenanhäufung, speziell an den
basalen Partien der Drüsen ist das sicher richtig. Stärkere An¬
häufungen dieser Zellart konnte ich jedoch bei normalen Mägen,
sowie an solchen bei bestimmten Infektionskrankheiten nicht finden,
so daß ich letzteren doch wohl eine gewisse pathologische Bedeutung
zusprechen möchte. Kupffer behauptet, daß die Belegzellen bei
akuten Infektionen vollkommen schwinden können. Bleichröder
widerspricht dem mit aller Entschiedenheit. Auch ich habe, soweit
1) Bleichröder (Ziegler Bd. 34 p. 280ff.).
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286
Jbbusalbm
meine Präparate eine genaue Unterscheidung dieser beiden Zell¬
arten zuließen, niemals das Schwinden von Belegzellen konstatieren
können. Es dürfte aber angebracht sein, bei dieser Gelegenheit
darauf hinzuweisen, daß einem Befund von Sachs 1 ) zufolge bei
pyämischen Tieren bedeutende Veränderungen in der Struktur der
Magendrüsenepithelien auftreten, so daß die Frage aufgeworfen
werden kann, ob es denn möglich ist, an Leichenmaterial tos
akuten Infektionskrankheiten Haupt- und Belegzellen immer sicher
zu unterscheiden. Fenwick 2 ) behauptet, daß. sich bei älteren
Leuten immer eine Zunahme des interglandulären Gewebes findet
Ich besitze diesbezüglich keine eigenen Erfahrungen; bei Kindern
— und mit solchen hatte ich es bei meiner Arbeit vorzugsweise
zu tun — ist ein solcher Befund sicher als schwer pathologisch zn
betrachten.
Es kann vorweg genommen werden, daß ich bei meinen Unter¬
suchungen zwei Gruppen von Fällen finden konnte, eine, bei der
regelmäßige schwere Veränderungen vorhanden waren (Masern,
Diphtherie, Sepsis) und eine zweite, bei der sie minimal waren
(bes. Keuchhusten). Viele meiner Fälle waren mit Bronchopneumonie
kombiniert. Fälle von Bronchopneumonie ohne gleichzeitige ander¬
weitige Infektionskrankheit hatte ich leider nur von Erwachsenen
und da können die konstatierten Veränderungen natürlich auf alle
möglichen Ursachen (z. B. Trunksucht) zurückgeführt werden. Bei
Kindern ist in Fällen, bei denen eine Kombination von Broncho¬
pneumonie mit einer akuten Infektionskrankheit vorliegt, die
Bronchopneumonie sicher nicht als Hauptursache der eventuelles
Magenveränderungen zu betrachten, da ich u. a., wie unten gezeigt
werden wird, bei Diphtherie immer schwere Veränderungen fand,
ob nun Bronchopneumonie vorhanden war oder fehlte.
Es folgt nunmehr eine kurze Beschreibung der einwandfreies
Fälle. Um unnötige Längen zu vermeiden, werden im folgendes
nur die konstatierten pathologischen Veränderungen angeführt.
Selbstverständlich wurde jedoch jeder Fall nach allen Bichtungen
sorgfältig durch untersucht. Wenn also irgendein Gewebe der
Magenwand (Epithel, interglanduläres Gewebe usw.) nicht genannt
wird, so heißt das, daß die Untersuchung desselben keine Ab¬
weichung von der Norm ergeben hat. Bei dieser Gelegenheit mag
bemerkt werden, daß ich stärkere Anhäufungen von Plasma* nnd
1) Sachs (Arch. f. exp. Pathol. 22).
2) Fenwick (Virchow’s Archiv 118).
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Veränderungen der Magenschleimhaut bei akuten Infektionskrankheiten. 287
Mastzellen (Färbung mit polychromem Methylenblau) niemals kon¬
statieren konnte.
A. Fälle von Masern.
1. Fall I. R. S., 1 Jahr alt, Masern, Nephritis.
Mikroskopische Untersuchung des Magens: A. Pylorus: Starke Ver¬
breiterung des interglandulären Oewebes, aus mehreren Reihen spindeliger
Zellen mit Faserbildung bestehend. Geringes Ödem der Schleimhaut.
B. Kleine Kurvatur: Protoplasma der Drüsenzellen z. T. wabig. Inter-
glandulare Substanz sehr vermehrt, hauptsächlich aus Spindelzellen be¬
stehend ; daneben auch ovale (Grauulations-) und rundliche Zellen.
C. Fundus: Wie kleine Kurvatur.
Diagnose: Parenchymatös-interstitielle Gastritis.
2. Fall VII. D. E., 1 Jahr 4 Monate alt, Masern, Bronchopneu¬
monie, Nephritis.
Makroskopische Untersuchung des Magens: Schleimhaut mäßig ge¬
schwollen, blaß, mit blutigem Schleim bedeckt; zahlreiche Hämorrhagien.
Mikroskopische Untersuchung: A. Pylorus: Zahlreiche Becherzellen,
sonst keine Veränderungen. B. Kleine Kurvatur: ebenso. C. Fundus:
ebenso.
Diagnose: Schleimige Entartung der Drüsenzellen.
3. Fall XI. 8. T., 1 Jahr alt, Masern, Bronchopneumonie, Pleuritis,
geringe Verfettung der inneren Organe.
Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut blaß, trübe.
Mikroskopischer Magenbefund: A. Pylorus: Protoplasma der Drüsen¬
zellen vakuolär, geringe Infiltration des interglandnlären Gewebes aus
Lymphocyten und Leukocyten, keine Granulationszellen. B. Kleine
Kurvatur: Starke Infiltration des interglandulären Gewebes aus Lympho¬
cyten, wenig Lenkocyten und jungen Bindegewebszellen zusammengesetzt.
C. Fundus zeigt starke Vermehrung des interglandulären Gewebes mit
stellenweiser Neubildung von Bindegewebsfibrillen.
Diagnose: Parenchymatös-interstitielle Gastritis.
4. Fall XIII. H. B., 9 Monate alt, Masern, Bronchopneumonie
nnd links Pleuritis.
Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut blaß, sonst ohne Ver¬
änderungen.
Mikroskopischer Befund: A Pylorus: Protoplasma der Drüsenzellen
vakuolär, vereinzelte. Becherzellen, starke Infiltration des interglandulären
Gewebes, hauptsächlich aus Lymphocyten und jungen Bindegewebszellen,
wenig Leukocyten bestehend. Geringe perivaskuläre Infiltration der
Muscnlaris mucosae (Lymphocyten und Leukocyten). B. Kleine Kur¬
vatur zeigt gleichen Befund, doch ist die Muscnlaris mucosae frei.
C. Fundus: Sehr geringe Veränderungen des interstitiellen Gewebes.
Diagnose: Starke parenchymatös-interstitielle Gastritis.
5. Fall XVIII. U. M., 1 1 j i Jahre alt, Masern, Bronchopneumonie,
Pleuritis fibrinosa, Nephritis.
Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut blaß, mäßig geschwollen,
stark mit Schleim bedeckt.
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288
Jerusalem
Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Unregelmäßige, stellenweise
aber sehr starke Infiltration des interglandulären Gewebes, aus Lympbo-
cyten, wenig Leukocyten und Bindegewebszellen bestehend. B. Kleine
Kurvatur: Protoplasma der Drüsenzellen z. T. vakuolär, geringe Infil¬
tration des interglandulären Gewebes (Lymphocyten, Granulationsgewebe ).
C. Fundus wie B.
Diagnose: Mäßige parenchymatös*interstitielle Gastritis.
6. Fall XXVI. F. K„ 2 Jahre alt, Masern, Bronchopneumonie.
Makroskopischer Magenbefund: Starke Schwellung, starker Schleimbelag.
Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Interglanduläre und in der
Submuco8a perivaskuläre Infiltration mit Lymphocyten und jungen Binde¬
gewebszellen. Drüsenzellen vermehrt. B. Kleine Kurvatur: Interglandn-
lar herdweise Anhäufung von Lymphocyten, wenig Granulationszellen und
Leukocyten. Das Protoplasma der Drüsenzellen ist z. T. vakuolär; sehr
zahlreiche Belegzellen. C. Fundus: wie B. und außerdem starke peri¬
vaskuläre Infiltration der Submucosa mit Lymphocyten und jungen Binde-
gewebszellen.
Diagüose: Starke parenchymatös interstitielle Gastritis.
7. Fall XXVIII. A. P., 1 Jahr alt, Masern, Bronchopneumonie,
Pleuritis fibrinosa.
Makroskopischer Magenbefund: Starke Schwellung der Schleimhaut,
viel Schleim.
Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Protoplasma der Drüsenzellen
teils verschleimt, teils vakuolär, im interglandulären Gewebe geringfügige
Infiltration mit Lymphocyten und Leukocyten, keine Bindegewebszellen.
B. Kleine Kurvatur: Zwischen den Drüsen starke Infiltration mit Lympho¬
cyten, Leukocyten und jnngen Bindegewebszellen, starke Erweiterung der
Blutgefäße, stellenweise Blutungen. C. Fundus: Interglanduläre Infil¬
tration mit Lymphocyten, jungen Bindegewebszellen und Leukocyten.
darunter auch viel eosinophile.
Diagnose: Starke interstitiell-parenchymatöse Gastritis.
Es ergibt sich also, daß bei allen Masernfallen wesentliche Ab¬
weichungen von der Norm vorliegen. In einem Falle handelt es sich
um Degeneration des Epithels, in einem um akut entzündliche Vor¬
gänge, in den übrigen fünf um parenchymatös-interstitielle Gastritis.
B. Fälle von Diphtherie.
1. Fall IV. M. U., 8 Monate alt, Diphtherie, Nephritis.
Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut stark gefaltet, blaß, viel
Schleim, keine Pseudomembranbildung.
Mikroskopischer Befund: In allen Teilen des Magens zwischen den
Drüsen und in der Muscularis mucosae starke Infiltration mit Lympho¬
cyten und Fibroblasteu, keinen Leukocyten.
Diagnose: Schwere interstitielle Gastritis.
2. Fall VI. W. F., 1 Jahr 3 Monate alt, Masern, Diphtherie.
Bronchopneumonie.
Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut blaß, geschwollen, viel
Schleim.
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Veränderungen der Magenschleimhaut bei akuten Infektionskrankheiten. 289
Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Mäßige Lymphocyteninfiltration
zwischen den Drüsen, sonst keinerlei Veränderungen. B. Kleine Kur-
vatur und C. Fundus: Die Drüsenzwischenschicht und die Musoularis
mucosae ist mit Leukocyten und Lymphocyten stark durchsetzt. Be¬
deutende Hyperämie.
Diagnose: Entzündliche Hyperämie und Emigration von Leukocyten.
3. Fall VIII. E. L., 1 Jahr alt, Diphtherie, Nephritis.
Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut graurot gefärbt, mit
Schleim bedeckt, geschwollen.
Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Drüsenzellen z. T. vakuolär.
Stellenweise starke Infiltration des interglandulären Gewebes mit Fibro¬
blasten und Lymphocyten, weniger Leukocyten; ebenso zusammengesetzte
perivaskuläre Infiltration der Submukosa. B. und C.: Am Fundus und
der kleinen Kurvatur gleichartige, aber weniger schwere Veränderungen.
Diagnose: 8chwere parenchymatös-interstitielle Gastritis.
4. Fall X. M. W., 3 1, 2 Jahre alt, Scharlach, Diphtherie, Sepsis;
Milz vergrößert, weich; Nephritis.
Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut blaß, sehr stark ge¬
schwollen, mit zähem Schleim bedeckt.
Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Sehr zahlreiche Becherzellen,
8chleimbelag, zwischen den Drüsen und in der Muscularis mucosae starke
Infiltration mit Lymphocyten und Leukocyten, keine Bindegewebszellen.
B. und C.: Kleine Kurvatur und Fundus zeigen zwischen den Drüsen
und in der Submukosa strichformige Infiltration mit Leukocyten und
Lymphocyten.
Diagnose: Schwere parenchymatöse und leichte interstitielle Ver¬
änderungen.
5. Fall XX. J. L., 2 Jahre alt, Diphtherie, Sepsis, beginnende
Nephritis.
Makroskopischer Magenhefund: Schleimbelag, Schwellung.
Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Schleimbelag, viel Becher¬
zellen, starke Füllung der Blutgefäße, interglanduläre Infiltration mit
Lymphocyten und Leukocyten. B. Kleine Kurvatur: Gleicher Befund,
außerdem starke Degeneration der Drüsenzellen und viel hämorrhagisches
Pigment in den Drüsen. Blutgefäße stark erweitert. C. Fundus: Starke
interglanduläre und in der Submukosa perivaskuläre Infiltration mit Fibro¬
blasten und Lymphocyten sowie einzelnen Leukocyten.
Diagnose: Schwere parenchymatös-interstitielle Gastritis.
6. Fall XXV. E. R., 20 Jahre alt, Diphtherie, Nephritis; Milz
vergrößert, Hyperämie der inneren Organe.
Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut stark geschwollen, wenig
Schleim; etwas kadaverös verändert.
Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Epithel nicht genau zu be¬
turteilen, starke Infiltration des interglandulären Gewebes mit Lympho¬
cyten, zahlreiche Follikel. B. Kleine Kurvatur: Bedeutende Infiltration
der Submukosa mit Lymphocyten und Bindegewebszellen, starke Er-
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 19
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290
Jerusalem
Weiterung der Blutgefäße, einzelne Blutungen. C. Fundus: Zeigt kadaveröse
V eränderungen.
Diagnose: Starke Hyperplasie des lymphatischen Gewebes, inter¬
stitielle Gastritis, Vermehrung des Bindegewebes in den tiefen Magen¬
schichten, Blutungen.
Es weisen also sämtliche Fälle von Diphtherie sehr
schwere Veränderungen auf. In 5 Fällen handelt es sich um
starke parenchymatös-interstitielle Gastritis, in einem Fall um eine starke
Degeneration. Auffallend ist die bedeutende Vermehrung des lymphatischen
Gewebes in Fall XXV, die vielleicht als Teilerscheinung der allgemeinen
adenoiden Hyperplasie bei Diphtherie zu betrachten ist.
C. Fälle von Keuchhusten.
1. Fall XII. W. C., 1 Jahr alt, Keuchhusten, Bronchopneumonie.
Makroskopischer Magenbefund: Sehr geringe Schwellung der
Schleimhaut.
Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Zahlreiche Becherzellen. B. Kleine
Kurvatur: Geringe Infiltration des interglandulären Gewebes mit Lympho-
cyten. Blutgefäße stark erweitert. C. Fundus: Blutgefäße stark erweitert
Diagnose: Geringe parenchymatöse Degeneration.
2. Fall XVI. N., 1 Jahr alt, Keuchhusten, Bronchopneumonie.
Makroskopischer Magenbefund: Geringer Schleimbelag, Blutungen,
geringe Schwellung.
Mikroskopischer Befund: In allen Teilen zahlreiche Becherzellen,
außerdem im interglandulären Gewebe und in der Submukosa minimale
Infiltration mit Lymphocyten und Bindegewebszellen.
Diagnose: Parenchymatöse Degeneration und minimale interstitielle
Gastritis.
3. Fall XIV. H. K., 11 Monate alt, Keuchhusten, Bronchopneumonie.
Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut geschwollen, mit Schleim
bedeckt.
Mikroskopischer Befund: Allenthalben Erweiterung der Blutgefäße.
4. Fall XIX. E. D., 6 Monate alt, Furunkulose, Bronchopneumonie,
eiterige Bronchitis, Blutungen im Herzfleisch.
Makroskopischer Magenbefund: Schleimhaut blaß, mit wenig Schleim
bedeckt.
Mikroskopischer Befund: A Pylorus: Kerne der Drüsenzellen
schlecht gefärbt, minimale Infiltration des interstitiellen Gewebes mit
Lymphocyten und vereinzelten Fibroblasten. B. Kleine Kurvatur und
()' Fundus: Gleicher Befund.
Diagnose: Parenchymatöse Degeneration und minimale interstitielle
Gastritis.
Die Keuchhustenfälle weisen also, trotzdem Fall XIX
kompliziert ist, nur degenerative und ganz geringe inter¬
stitielle Veränderungen auf.
D. Fall von Meningitis epidemica.
Fall XV. B., 21 Jahre alt.
Makroskopischer Magenbefund: Geringe Schwellung, etwas Hyperämie.
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Veränderungen der Magenschleimhaut bei akuten Infektionskrankheiten. 291
Mikroskopisch: Geringe Degeneration der Drüsenzellen, stark er¬
weiterte Blutgefäße, Blutungen.
E. Fälle von Hirnabsceß und Sepsis mit allgemeiner
Pyämie.
1. Fall XXI. Gl., 24 Jahre alt.
Makroskopischer Magenbefund: Sehr starke Schwellung, starker
Schleimbelag.
Mikroskopischer Befund: A. Pylorus: Zahlreiche Becherzellen, starke
Infiltration des interglandulären Gewebes mit Lymphocyten und Binde¬
gewebszellen. B. Kleine Kurvatur: Derselbe Befund, außerdem gleich¬
artig zusammengesetzte Infiltration der Muscularis mucosae. C. Fundus:
Geringe interstitielle Veränderungen.
Diagnose: Schwere parenchymatös-interstitielle Gastritis.
2. Fall XXX. A. B., 35 Jahre alt, StreptokokkensepBis, Milz ver¬
größert, weich, Nephritis.
Makroskopischer Magenbefund: Trübung, Schwellung, Schleimbelag.
Mikroskopischer Befund: In allen Partien des Magens zahlreiche
Becherzellen, ferner interglandulär und perivaskulär in der Muscularis
mucosae und stellenweise auch in der eigentlichen Muskularis Infiltration
mit Lymphocyten und Leukocyten.
Diagnose: Entzündliche Hyperämie, Auswanderung von Leukocyten.
Auf die Einzeldarstellung einer Anzahl anderer Fälle kann
hier wohl verzichtet werden. Es sei nur erwähnt, daß dieselben
immer wieder zu Ergebnissen geführt haben, die mit den oben
dargestellten übereinstimmen, so daß eine Beschreibung derselben
nur eine Wiederholung des bereits angeführten bringen könnte.
Zusammenfassend kann gesagt werden, daß mit Ausnahme
von Keuchhusten alle akuten Infektionskrankheiten
mit schweren Veränderungen des Magens einher¬
gehen, die meist in einer interstitiellen Gastritis mit Bindegewebs-
proliferation besteht. Irgendwelche charakteristische Unterschiede
in den Befunden bei den einzelnen Erkrankungen aufzufinden, ist
nicht gelungen.
Die Hauptfrage bleibt natürlich, ob die erwähnten Befunde
genügen, um die klinisch beobachteten Magensymptome bei akuten
Infektionskrankheiten zu erklären. Diese Frage kann leider nicht
mit genügender Präzision beantwortet werden. Dazu wäre bei
einer sehr großen Zahl von Erkrankungen genauer Vergleich der
durch exakteste klinische Untersuchung des Magens während der
Krankheit erzielten Ergebnisse mit den Befunden post mortem er¬
forderlich. Immerhin aber machen die pathologisch-anatomischen
Veränderungen im Verhältnis zur großen Mannigfaltigkeit der
19*
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292 J brdsalbm, Veränd. d. Magenschleimhaut bei akuten InfektioaskrankhateiL
klinischen Symptome einen sehr einförmigen Eindruck, so daß nach
Empfindung des Verfassers die Annahme „funktioneller“ Störung«
einstweilen nicht umgangen werden kann. Indessen soll damit
nicht gesagt sein, daß keine Chance besteht, diesen Notbehelf mit
der Zeit zu eliminieren. Mußte doch in der vorliegenden Arbeit
mangels brauchbaren Materials auf die Berücksichtigung vieler
Details, wie feiner Veränderungen der Epithelien und namentlich
der nervösen Apparate verzichtet werden. Hoffentlich gelingt es
anderen unter günstigeren Umständen arbeitenden Autoren, diese
Lücke allmählich auszufüllen und klinische und pathologisch-ana¬
tomische Befunde zur vollen Übereinstimmung zu bringen.
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Deutsches Archiv f.klin. Medizin 101.Bd.
Tafel I
Jerusalem .
Verlag von F.C.W. Vogel in Leipzig.
Lith. Anst v Johannes Ar ndt, Jena
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Aus der königl. med. Universitäts-Poliklinik in München.
(Vorstand: Prof. May.)
Zur Frühdiagnose des Magencarcinoms
(Tryptophanprohe nnd eine neue Probe mit Essigsäure).
Von
Hermann Oppenheimer,
Medizinalpraktikant.
„Die Chirurgie hat den Beweis geleistet, daß sowohl bei
Magenkrebs als bei Ulcus simplex die Gefahren rechtzeitig aus-
geführter Operationen auf ein Minimum herabgesunken sind, und
sich mit operativer Behandlung sichere Dauerheilungen erzielen
lassen.“
Mit diesen Worten präzisierte Kocher 1909 auf dem
schweizerischen Ärztetage in Bern seinen Standpunkt in der
operativen Behandlung schwerer Magenleiden und er begründet
seine Ansicht bezüglich des Magencarcinoms mit den Besultaten
seiner Klinik. Mit seiner Resektionsmethode hat er eine Dauer¬
heilung von über 4 Jahren bei 20 °/ 0 erzielt, bei einer Mortalität
von durchschnittlich 15 °/ 0 . Über eine fast ebenso große Zahl von
Dauerheilungen — 18,4% nach Mikulicz berichtet Makkas.
Da uns eine andere Therapie des Magenkrebses als die chirurgische
fehlt und andererseits eine Dauerheilung durch rechtzeitige Resektion
möglich ist, liegt die Hauptaufgabe in einer exakten Früh¬
diagnose. Hier begegnet nun die Unterscheidung des beginnenden
Magenkrebses von anderen Magenleiden, vor allem von dem Ulcus
ventriculi, großen Schwierigkeiten, zumal das Ulcuscarcinom eine
Kombination von Symptomen beider Leiden aufweist. Daß die
subjektiven Beschwerden und auch manche objektive Befunde, wie
Blutbrechen, Blutstühle, Druckpunkte im Epigastrium nichts un¬
bedingt charakteristisches bedeuten, ist heute wohl allgemein an¬
erkannt, ebensowenig gilt ein in der Magengegend palpabler Tumor
als sicheres Carcinomsymptom, da auch ein Ulcus hypertrophicum
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294
Oppenheimer
gleichen Befund darbieten kann; schließlich ist die Zugehörigkeit
des Tumors zum Magen häufig durch Palpation nicht sicher nach¬
zuweisen. Eine sekundäre Anämie ferner kann sich an ein blutendes
Ulcus ebensogut anschließen, wie Folge eines Carcinoms sein, am
meisten spricht noch eine rasch sich entwickelnde Kachexie für
einen Krebs, allein dann sind auch schon die Chancen für eine
Resektion nicht mehr günstig. Was schließlich den Chemismus
des Magensaftes betrifft, so können wir Riegel vollkommen zu¬
stimmen, wenn er sagt, daß Achylia gastrica Simplex und Carcinom
gleichen chemischen Befund bieten können. Die Verminderung der
Gesamtsalzsäure und das Fehlen freier HCl findet sich auch bei
anderen Magenleiden und schon bei Nervösen mit gesundem Magen
häufig, so daß wir auch in diesem Symptome nur eine schwache
Stütze für die Diagnose eines Carcinoms sehen dürfen. Auch der
Nachweis von Milchsäure beweist nur, daß Stauung bei Salzsäure¬
mangel vorliegt, die aber auch durch Gastroptose, Atonie, Narben-
strikturen am Pylorus usw. bedingt sein kann. Einen wesentlichen
Fortschritt in der Frühdiagnose des Magenkrebses brachte der
Nachweis eines peptidspaltenden Fermentes im Krebs¬
safte durch Abderhalden und die auf diesen Untersuchungen
fußende Herstellung eines praktisch leicht zu handhabenden
Fermentdiagnostikums von 0. Neubauer und H. Fischer.
Als Polypeptid benutzten Neubauer und Fischer Glycyltrypto-
phan, welches durch das im Krebssafte vorhandene Ferment in
Glycyl und Tryptophan gespalten wird. Der Nachweis der ein¬
getretenen Spaltung des Glycyltryptophans durch den nach Probe¬
frühstück ausgeheberten Inhalt eines krebsverdächtigen Magens
wird als Zeichen dafür angesehen, daß eine carcinomatöse Neu¬
bildung vorliegt. Die allgemeine Anwendbarkeit der Methode wird
nur durch einige Fehlerquellen eingeschränkt: Beimischung von
Blut und Pankreassaft sowie Bakterien, welche ebenso wie das
Krebssaftferment peptidspaltend wirken, fernerhin das Vorhanden¬
sein von Tryptophan im Magensaft von vornherein, was gelegent¬
lich in pathologischen Fällen bei weitergehender Eiweißverdauung
sich finden soll, schließen die Probe aus, da in diesen Fällen ein
positives Resultat noch keinen Schluß auf die Anwesenheit eines
peptidspaltenden Carcinomfermentes zuläßt. Bezüglich der theore¬
tischen Grundlagen der Methode verweisen wir auf die Original¬
arbeit von Neubauer und Fischer (Deutsch. Arch. f. klin. Med.
Bd. 97 Heft 5 u. 6).
Der Wert eines solchen Fermentdiagnostikum liegt auf der
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Zur Frühdiagnose des Magencarcinoms.
295
Hand. Eine minimale Menge von fermenthaltigem Krebssafte kann
ja schon eine peptidspaltende Wirkung ausüben, und so bietet sich
schon früh Gelegenheit, die Diagnose zu stellen und die chirurgische
Therapie in die Wege zu leiten. Um dem Fermentdiagnostikum
nun eine so bedeutungsvolle, entscheidende Rolle in der Früh¬
diagnose des Magencarcinoms zusprechen zu können — schließlich
handelt es sich doch immer um eine Laparotomie — muß es folgende
Forderungen erfüllen:
1. Die Probe muß bei Magencarcinom auch schon im Früh¬
stadium positiv sein.
2. Sie darf nur bei Magenkrebs positives Resultat ergeben,
selbstverständlich unter Ausschluß der Fehlerquellen.
Unter diesen Gesichtspunkten habe ich im Aufträge von Herrn
Prof. May, welchem ich für sein freundliches Interesse und für
Überlassung des Materiales und der Mittel zu ergebenstem Danke
mich verpflichtet fühle, an der Münchner medizinischen Universitäts¬
poliklinik das Fermentdiagnostikum von Neubauer und Fischer
an einer Reihe von Fällen verschiedenartiger Magenleiden einer
Nachprüfung unterzogen. In der Methodik hielten wir uns im
wesentlichen an das Original, nur setzten wir zum Tryptophan¬
nachweis anstatt Bromdämpfen vorsichtig Bromwasser zu, nachdem
zahlreiche Kontrollversuche ergeben hatten, daß beim vorsichtigen
Zusetzen von Bromwasser aus feiner Tropfpipette ein den typischen
Farbumschlag verdeckender Überschuß sich leichter vermeiden läßt,
auch glauben wir, daß die Reaktion präziser abläuft und ihr Ein¬
treten sich besser kontrollieren läßt als beim Einfallenlassen der
Bromdämpfe. In Kürze sei hier die Methodik skizziert.
Etwa 45 Minuten nach vollendetem Verzehren des Boas’schen
Probefrühstücks (400 ccm Tee, eine Semmel) wurde ausgehebert, dann
der unfiltrierte Magensaft auf Blut nach van Deen, das Filtrat auf
Galle nach Gmelin untersucht. Nachweis von Galle ließe auf zurück¬
geflossenen Pankreassaft schließen (siehe oben und Original); gelbgefärbten
Magensaft haben wir auch bei negativem Gmelin von der Untersuchung
ausgeschlossen. Schließlich wurde noch auf etwa vorhandenes Tryptophan
gefahndet: bei Vorhandensein soll auf Bromwasserzusatz Rosafärbung
eintreten, während beim Fehlen Umschlag in gelb erfolgt. (In unseren
Fällen war übrigens niemals von vornherein Tryptophan nachzuweisen.)
Bei negativem Ausfall aller drei Fehlerquellen versetzt man 10 ccm
filtrierten Magensaftes mit etwa der Hälfte Fermentdiagnostikum '),
schichtet etwas Toluol darüber zur Abtötung der Bakterien und setzt
1) Das Glycyltryptophan wurde von der Firma Kalle u. Co. A.-G. Biebrich
a. Rh. zu ermäßigtem Preise bereitwilligst zur Verfügung gestellt.
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OPPEHHEIMEB
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das ganze für 24 Stunden in den Brutschrank bei 37°. Nach Ablauf
dieser Zeit pipettiert man mehrere Kubikzentimeter unter der Toluol*
Schicht heraus, fügt hierzu im Reagensrohre einige Tropfen 3 0 0 Eisig¬
säure — zum besseren Ablauf der Reaktion — dann setzt man vor¬
sichtig aus der Tropfpipette kleinste Tropfen Bromwasser zu unter stetem
8chütteln. Der Schaum wird von Bromwassertropfen zunächst gelblieh
gefärbt, beim 8chütteln wird er wieder weiß, bis er bei positivem Aal¬
falle eine Rosafärbung annimmt, die bei weiterem Zusetzen tiefrot wird
und erst spät in gelb umschlägt. Bei negativem Ausfälle tritt an Stellt
von Rosa* gleich Gelbfärbung auf, die beim Schütteln nicht wieder ver- '
Schwindet. Die Proben wurden zur Kontrolle häufig mehrmals angestellt. 1
Nachstehende Tabelle 1 berichtet über die Resultate.
Tabelle 1. (Tryptophanprobe.)
Magendiagnose
Reaktion
+
1. Normale '
- ö
2. Ulcus ventriculi und Hyperacidität
— 12
3. Andere Magenleiden ohne Ca '
1 — ! 7
4. Sichere Ca (Sektion oder Operation)
6*) . -
5. Klinisch sichere Ca
3 —
6. Ca-Verdacht
1**) 6***)
Wir sehen also bei der großen Mehrzahl der Fälle eine Über¬
einstimmung zwischen Diagnose und Resultat der Probe, auf die
wenigen Differenzen wollen wir in folgendem näher eingehen.
Zunächst zum Falle U**). Hier wurde die klinische Diagnose
auf Ca-Ventriculi gestellt, es war ein deutlicher Tumor palpabel
die Operation ergab jedoch Gummata hepatis, während der Magen
frei von Tumoren war. Hier seine Krankengeschichte:
Seit 2 Jahren Druck und gelegentlich dumpfer Schmerz in dar
Magengegend, Völlegefühl, viel Anfstoßen, Übelkeit, kein Erbrechen,
mäßiger Appetit, Stuhl angehalten, kein Blut. In letzter Zeit stsrke
Gewichtsabnahme. Vor drei Jahren rechts Spitzenaffektion, deshalb
Aufenthalt in Lungenheilstätte, worauf die früheren Beschwerden voll¬
ständig verschwanden. Familienanamnese o. B. Frau und Kinder gesund.
Potus mäßig. Infectio negatur. Status: Reduzierter Ernährungszustand,
blasse, gelbliche Gesichtsfarbe. Pulmones: rechts vorn oben geringe
Schall Verkürzung, etwas verschärftes Exspirium, sonst reines Vesikulär-
atmen. Cor: o. B. Abdomen: Links vom Processus xiphoideus Dach
unten zu ist eine welschnußgroße Geschwulst fühlbar, respiratorisch ver¬
schieblich und nicht völlig fixierbar, scheinbar dem Magen oder linken
Leberlappen angehörig, starker Druckschmerz. Urin: o. B. Hb: 65°,.
*) Fall Sehr. s. n.
**i Fall U. s. u.
'***) Fall N. s. n.
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Zur Frühdiagnose des Magencarcinoms.
297
Magensaft: Freie HCl negativ, Gesamtacidität 5, Milchsäure positiv,
Tryptophanprobe zweimal positiv.
Operation (Prof. Klaussner): Linker Leberlappen füllt das ganze
Epigastrium aus und reicht bis handbreit nach links und abwärts vom Hippen-
bogen. Auf der Leberoberfläche zahlreiche kleinere und größere, weiß*
liehe Knoten, nicht über die Oberfläche erhaben, teilweise haselnuß- bis
apfelgroße Tumoren, außerdem derbe Narben, ähnliche Knoten und Narben
auf der Leberunterfläche. An der Wirbelsäule sind Drüsenpakete
palpabel, besonders in der Pylorusgegend, wo sie den Pylorus ringförmig
umgreifen. Dagegen ist der Magen vollkommen frei von jeder Verhärtung,
keine Tumoren fühlbar. Der Lebervorderflächentumor zeigt auf dem
Durchschnitte eine weiße Fläche, Ezcision zur mikroskopischen Unter*
Buchung. Leber-, Peritoneal- und Bauchdeckennaht. MikroskopiBoho
Untersuchung (Prosektor Dr. Oberndorfer): Gummata. Auf energische
Jodbehandlung hin fühlt sich Patient bald wohler und ist jetzt nach
4 Monaten beschwerdenfrei, er hat erheblich zugenommen.
Wir sehen also alle üblichen Ca-Symptome, fühlen einen deut¬
lichen Tumor, konstatieren Kachexie und finden Salzsäuremangel
und Milchsäure und die Operation zeigt, daß Gummata der
Leber vorliegen. Leider bat uns hier auch die zweimalige, unter
allen Kautelen angestellte Tryptophanprobe irregeführt.
Abwechselnd positiven und negativen Ausfall der Reaktion
finden wir beim Falle Sehr.*), der ein durch Operation sicher¬
gestelltes Carcinom hatte. Die Probe war das erste und dritte
Mal negativ, das zweite Mal positiv. Wir haben ihn zu den
positiven Fällen gezählt.
Fall N.***) schließlich, welcher unter den Ca-verdächtigen
Fällen angeführt ist, obwohl nach dem ganzen Verlaufe an der
Ca-Diagnose schließlich kaum zu zweifeln war, hatte negative
Tryptophanprobe ergeben. Er ist zwei Monate später gestorben,
die Sektion wurde leider verweigert.
Wenn wir uns nun fragen, ob das Fermentdiagnostikum die
oben anfgestellten zwei Forderungen erfüllt, so können wir es auf
Grund unserer Nachprüfung nicht unbedingt bejahen, denn die
Probe hat in einem, man kann wohl sagen sicheren Falle von
Magenkrebs versagt, und bei einem Falle, in dem kein Carcinom
vorlag, war sie positiv. In einem Falle von Ca-Ventriculi ergab
sie wechselnde Resultate.
Ein unfehlbares Diagnostikum ist also die Tryptophanprobe nicht,
jedoch glauben wir, das häufige Zutreffen der Probe berechtigt eine
Wahrscheinlichkeitsdiagnose zu stellen. Und hierin liegt ihr großer
praktischer Wert, dehn das Fermentdiagnostikum gibt schon Resul¬
tate, wenn die übrigen Carcinomsymptome noch nicht ausgeprägt sind.
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Original frum
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298
Oppenhbimek
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Solange uns noch ein sicheres Diagnostikum fehlt, liefert auch
ein solches, welches nur eine Wahrscheinlichkeitsdiagnose erlaubt, j
eine wertvolle Bereicherung unseres diagnostischen Hilfsmittel¬
schatzes. Auf Anregung von Herrn Prof. May, welchem ich auch
hierfür ergebensten Dank schulde, konnte ich das Vorhandensein
eines auf Zusatz von Essigsäure auch in starker Verdünnung in j
der Kälte ausfallenden Körpers im carcinomatösen Magensafte nach-
weisen. Die Methodik ist folgende:
40 Minuten nach Einnahme des Boas’schen Probefrühstücks wird
ansgehebert. Dann setzt man zu einigen Kubikzentimetern klar filtrierten
Magensaftes vorsichtig tropfenweise 3 °/ 0 Essigsäure. Bei positivem Au- i
falle tritt nun eine Trübung auf, die erst auf Zusatz von reichlicher
Menge Essigsäure oder von wenig Salzsäure verschwindet, jedoch lwi
selbst bis zu etwa fünffacher Verdünnung mit Aqua dest. bestehen bleibt
Als einzige Fehlerquelle stellt sich das Vorhandensein von Schleim dar.
der ebenfalls mit Essigsäure Trübung gibt; diese verschwindet jedoch bei
Zusatz von einigen Tropfen Salzsäure nicht und hält auch stärkerer Ver¬
dünnung nicht stand. Nur wenn der Magensaft schon von vornherein
so trübe ist, daß er auf Verdünnung mit etwa gleicher Menge destillierten
Wassers nicht klar wird, ist die Probe nicht anwendbar. Langsame-
Filtrieren des Magensaftes durch ein angefeuchtetes Faltenfilter ver¬
hütet häufig trübes Filtrieren.
Auffallenderweise traf es stets zusammen, daß Tryptophan-
und Essigsäureprobe zusammen positiv oder negativ waren, auch
in den Fällen Sch. und U. bestand diese Koinzidenz. Somit treffen die
oben erhobenen Vorwürfe auch die neue Probe. Als Vorteil bietet
die Essigsäureprobe, daß ihr Gebiet weniger beschränkt ist, da sie
nicht durch Vorhandensein von Blut, Trypsin, Bakterien und Trypto¬
phan gestört wird, und ferner auch mit Erbrochenem angestellt
werden kann. Hierin liegt wohl ein großer Vorteil. Oft wird es, be¬
sonders in der Privatpraxis, nicht möglich sein, ausznhebern, während
Erbrochenes leicht zu erlangen ist, und noch häufiger findet sich
im ausgeheberten Magensaft Blut gerade in Fällen, bei denen die
Differentialdiagnose zwischen Ulcus und Ca gestellt werden soll.
Hier versagt die Tryptophanprobe, während unsere Essigsäureprobe
Resultate ergibt. Schließlich ist letztere auch rascher anzustellen
und bedarf als Reagens lediglich 3°/ 0 Essigsäure. Der Irrtum, in
den mau durch Vorhandensein größeren Schleimgehaltes verfallen
kann, läßt sich, wie oben erwähnt, leicht vermeiden, lediglich
stärkere Trübung des Magensaftes schließt die Probe aus.
Den mit Essigsäure ausfällbaren Körper zu analysieren, ist
bisher noch nicht gelungen, da es nicht möglich war, genügende
Menge rein zu erhalten. Daß dieser Körper nicht aus dem Probe-
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Zur Frühdiagnose des Magencarcinoms.
299
frühstück stammt, geht wohl daraus hervor, daß er sich in nicht
carcinomatösen Fällen nicht vorfand, bis auf den einen Fall von
Lues hepatis, der uns schon bei der Besprechung der Tryptophan¬
probe ein Rätsel war (vgl. Tabellen 1 und 2). Der Gedanke liegt
nahe, daß es sich um Nucleoalbumine aus den Zellkernen der vom
Carcinom zerstörten Zellen handeln könnte. Das auffallende, stetige
Zusammentreffen mit der Tryptophanprobe ließ uns, wenn es auch
yon vornherein nicht recht wahrscheinlich schien, an eine etwaige
Abhängigkeit der letzteren von dem Vorhandensein des Nuclein-
körpers denken. Wir setzten daher die Tryptrophanprobe mit ver¬
schiedenen Nucleoalbuminen an. Zunächst mit einem organischen,
vegetabilischen Präparat: Phytin, liquidum, dann auch mit reinem
Natrium nucleinicum aus Hefe (Merck) und schließlich mit Nucle-
inen aus dem Harne eines Leukämikers; allein die Spaltung des
Glycyltryptophanes trat nicht ein. Sollte vielleicht das peptid¬
spaltende Ferment an die Nucleoalbumine gebunden sein? Wir
fällten einen Carcinommagensaft mit Essigsäure aus filtrierten und
fuhren mit abwechselndem Ausfällen und Filtrieren solange fort,
bis keine Trübung mehr auf Essigsäurezusatz eintrat, dann setzten
wir die Tryptophanprobe an, und sie fiel positiv aus. Ein Ab¬
hängigkeitsverhältnis zwischen beiden Proben besteht also nicht,
wohl scheint aber ein ursächlicher Zusammenhang vorzuliegen. Es
ist wohl denkbar, daß der peptidspaltende Krebssaft auch cyto¬
lytisch und karyolytisch wirken kann, jedoch bedarf dieser Ge¬
danke noch des experimentellen Nachweises. Auffallend bleibt
immer, daß die Essigsäureprobe niemals bei Ulcus Simplex positiv
ausfällt, hier tritt doch auch ein Gewebszerfall auf und doch fehlt
der mit Essigsäure ausfällbare Körper.
Nach Abschluß unserer Untersuchungen fanden wir in der
Literatur einen Hinweis von Reicher, daß der von H. Salomon
im Spülwasser des von Nahrungsstoffen abends sorgfältig gereinigten,
morgens nüchtern gespülten carcinomatösen Magens mit Esbach
äusgefällte Eiweißkörper ebenfalls aus Nucleoalbuminen bestehen
soll; ein Ulcus soll nur ganz geringen Eiweißgehalt im Spülwasser
ergeben. Hierbei dürfte es sich wohl hauptsächlich um vernarbende
oder schon ausgeheilte Ulcera handeln, welche keine weitere Zell¬
einschmelzung mehr zeigen. Salomon selbst erklärt den Eiwei߬
gehalt mit einer serösen Ausschwitzung der entzündlich gereizten
Schleimhaut in der Umgebung der carcinomatösen Neubildung,
ähnlich dem Wundsekret bei Schnittverletzungen der äußeren Haut.
Lei Ulcus ventriculi soll sich nie annähernd so eiweißhaltiges Spül-
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300
Ofpbnheihbb
wasser finden. Und trotzdem besteht doch beim Ulcns aueh ein«
reaktive Entzündung, die sich sogar bis zur Tumorbildong steigere
kann. Sollte sich hier wirklich kein größeres seröses Exsudat
bilden? Wir sehen wiederum den eigenartigen Unterschied zwischen
Ca und Ulcns. Bei beiden Entzündung und nur bei Ca nachweis¬
bares Exsudat, bei beiden Gewebszerfall und wieder nnr beim Cs
Körper, welche dem Zellkern zu entstammen scheinen. Weiteren
Untersuchungen experimenteller Art muß es Vorbehalten bleiben,
eine befriedigende Erklärung zu geben. Einstweilen genügt die
Tatsache, daß sich im carcinomatösen Magensafte ein mit Essig¬
säure ausfallbarer Körper findet, und wenn zahlreichere Untersu¬
chungen erst unsere Befunde bestätigen können, so wird wohl auch
dieser Probe eine wichtige Rolle in der Frühdiagnose des Magen-
carcinoms zufallen.
In Tabelle 2 sind die Resultate unserer Untersuchungen mittels
der Essigsäureprobe zusammengestellt
Tabelle 2.
Magendiagnose
1. Normale
2. Ulcns ventricnli urd Hyperacidität
3. Andere Magenleiden ohne Ca
4. Sichere Ca (Sektion oder Operation)
5. Klinisch sichere Ca
6. Ca-Verdacht
Reaktion
+ 1 -
— <
— I 24
— 9
6 *) ! -
3 —
3») 4
Bezüglich der mit *) versehenen Fälle verweisen wir auf das
im Anschluß an Tabelle 1 gesagte. Eine Erklärung, warum bei
Fall U die Proben (sowohl Tryptophan- wie EssigsäureprobeJ positiv
ausfielen, vermögen wir nicht zu geben. Die geringfügigen Diffe¬
renzen zwischen Tabelle 1 und 2 betreffen Fälle, die wegen vor¬
handener Fehlerquellen nicht mit dem Fermentdiagnostiknm unter¬
sucht werden konnten, oder — in seltenen Fällen — zn trübe für
die Essigsäureprobe waren. Im übrigen gaben Tryptophan- und
Essigsäureprobe stets gleichlautende Resultate.
Beide Proben gehen also Hand in Hand, sie vermögen ein¬
ander zu unterstützen und bei Unanwendbarkeit der einen kann
die andere sie ersetzen; ohne unfehlbar zu sein, stellen sie wichtig«
Hillsmittel dar zur Frühdiagnose des Magencarcinoms.
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Zur Frühdiagnose des Magencarcinoms.
301
Literatur.
Kocher, Th., Die chirurgische Therapie bei Magenleiden. Mitteil. a. d. Grenz¬
gebieten d. Med. u. Chjr. Bd. 20, Heft 1.
Neubauer u. Fischer. Über das Vorkommen eines peptidspaltenden Fermentes
im carcinomatösen Mageninhalte und seine diagnostische Bedeutung. Deutsch.
Arch. f. klin. Med. Bd. 97 Heft 5/6.
Beicher, Boas’ Arch. f. Verdauungskrankheiten Bd. 12.
Sahli, Lehrb. d. klin. Untersuchungsmeth. 5. Aull. p. 530.
Salomon,H., Zur Diagnostik des Magencarcinoms. Deutsche med. Wochenschr.
1903.
Witte, J., Über den Wert der Methode H. Salomon’s für die Differential¬
diagnose des Magencarcinoms. Zeitschr. t klin. Med. Bd. 55, Heft 1 n. 2.
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Aus der Universitätspoliklinik (Med. Abteilung) München.
Vorstand: Prof. Dr. Richard May.
Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des
menschlichen Magens und seine Bedeutung für die
diagnostische Verwertbarkeit des Probefrühstücks.
Von
Dr. Karl Grandauer,
Assistent.
Vor nunmehr 25 Jahren haben Ewald und Boas das Probe¬
frühstück zwecks Feststellung der Sekretionsverhältnisse im Magen
eingeführt. Die Methode hat damals rasch Eingang in Wissen¬
schaft und Praxis gefunden und sich bis zum heutigen Tage all¬
gemein als am zweckmäßigsten und allen übrigen Methoden (denen
von Leube, Jaworski, Riegel, Klemperer usw.) an Ge¬
nauigkeit der Resultate überlegen erwiesen. Trotz alledem ist sie
an Fehlerquellen nicht frei, worauf Boas 1 ) selbst aufmerksam
gemacht hat; doch ist der Grund hierfür, wie letztgenannter Antor
betont, weit weniger in der Methode selbst als in einer ungenauen
resp. oberflächlichen Ausführung derselben zu suchen: Abweichungen
von der Art der Zusammensetzung des Frühstücks, Ausheberung
im zwar nüchternen Zustande des Individuums, jedoch bei nach*
weislich nichtleerem Magen, falsche zeitliche Entnahme dürften das
Hauptkontingent der verschiedensten Fehlerquellen darstellen. Ver¬
meidet man alle diese Ungenauigkeiten auf das peinlichste, so läuft
man trotz alledem in gewissen Fällen Gefahr, eine Fehlerquelle
zu übersehen, welche mit der Person des Patienten selbst aufs
innigste verknüpft erscheint. Sie besteht darin, daß bei einzelnes
Individuen die Sekretionswerte in außerordentlich hohem Grade
schwanken können.
Für diese schon lange bekannte Tatsache können verschiedene
1) Boas. Über einige Fehlerquellen der Mageninhaltsunters. Berl. kl' 1
Woclif-nschr. UH)') Nr. 44 a.
Difitized by Gougle
Original frn-m
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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 303
Momente verantwortlich gemacht werden, die in dem jeweiligen
Falle in Betracht gezogen werden müssen.
Znm ersten kann der Magen unter dem Einflüsse reflektorischer
Reizwirkungen von anderen Organen aus stehen.
So kann zweifellos die physiologische Funktion der weiblichen
Geschlechtsorgane, die Menstruation, einen Wechsel in der Acidität
(ev. auch der Motilität) des Magens hervorrufen. Nach Kretschy 1 )
findet ein Schwanken der Magensäure in der prämenstruellen
Periode statt. Die Untersuchungen von Quincke 2 ) und Dett-
wyler 2 ) ergaben, daß der menstruelle Blutverlust eine Änderung
der Magendrüsenfunktion im Sinne einer Herabsetzung der Se¬
kretion zur Folge hat. Singer 3 ) teilte mit, daß während der
Menses Sekretionsneurosen des Magens und nervöse Achylie ver¬
kommen können; auch Jaworski 4 ) meint, daß zurZeit der Men¬
struation wenig Magensaft abgesondert wird, oder die Sekretion
manchmal gar sistiert, während Kehrer 6 ) und Elsner 6 ) nur bei
sehr lebhaften Blutungen subacide Werte finden konnten. Hyper¬
acidität dagegen konnte letztgenannter Autor bei der normalen
Menstruation (ohne pathologischen Blutverlust) des öfteren fest¬
stellen. Zu den gleichen Ergebnissen gelangten Ziembicki 7 ), der
in 76,5 °/o Hyperacidität während der Menstruation konstatieren
konnte, und Wolpe 8 ), der auf Grund seiner eingehenden Unter¬
suchungen vor einer Ausheberung zur Zeit der Menses (und auch
in der prämenstruellen Zeitperiode) warnte, da die Saftsekretion
meist vorübergehend gesteigert sei.
Was die motorische Leistungsfähigkeit des Magens betrifft,
so fanden (im Gegensatz zu Elsner) Pariser 9 ), Ziembicki
und Wolpe dieselbe während des menstruellen Prozesses bedeu¬
tend herabgesetzt.
Eine Herabsetzung der Salzsäurefunktion konnte Kehrer auch
1) Arch. f. klin. Med. 1876 Bd. 18 p. 527.
2) Quincke u. Dettwyler, Korr .-Bl. f. Schweizer Ärzte 1875.
3) Singer, Verhandl. d. 25. Kongr. f. i. Med. Wien 6. April 1908 II. Sess.
4) Jaworski, Wien. med. Wochenschr. 1886 Nr. 52.
5) Kehrer, Die Beziehungen d. weibl. Sexualorgane z. Tract. intest. Berlin
1905.
6) Elsner, Arch. f. Verdanungskrankh. Bd. 5 p. 467.
7) Ziembicki, Przeglad lekarski 1902 Nr. 43, cit. nach Wolpe.
8) Wolpe, Über Steigerung d. Sekr. u. d. Acidit. d. Magensaftes während
<1. Menstruation. Deutsche med. Wochenschr. 1908 Nr. 51.
9) Pariser, Verhandl. des 25. Kongr. f. inn. Med. \Vien, 6. April 1908,
II. Sess.
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304
Gbakdaueb
bei Schwangeren speziell in den ersten sechs Monaten der Gravidität
feststellen.
Bei pathologischen Veränderungen der weiblichen Ge¬
schlechtsorgane können ebenfalls vorübergehende und längerdao-
ernde Säureanomalien auf rein nervös-reflektorischem Wege zustande
kommen. So fand Winklermeist subacide Werte bei schweren
gynäkologischen Affektionen, während die leichteren Erkrankungen
(ganz besonders Lageanomalien des Uterus) mit dem Krankheits¬
bilde der nervösen Dyspepsie in ätiologische Beziehung gebracht
werden können (cfr. Kisch*), Sommer 8 ), Panecki 4 ), Frank 4 '.
Freund 8 ), Eisenhart 7 ), Teilhaber u. Crämer 8 ), Braun*.
Riegel 10 )
Von Erkrankungen anderer Organe kommen solche der Leber,
des Darmes (Obstipation, Helminthiasis) und der Nieren in Betracht
die reflektorisch den Magen meist in nervös-dyspeptiscbem Sinne
beeinflussen können; sub- und hyperacide Werte kommen hierbei
zur Beobachtung. Vorübergehende Subacidität fand B i e r n a c k i n i
während der Nierenentzündung, Manassein 1 11 *) bei Fieber.
Edinger 18 ) bei akuter Anämie.
Es würde zu weit führen, alle jene Krankheitsbilder anznführen.
welche vorübergehend hemmend oder steigernd auf die sekretorische
Funktion des Magens einwirken können. Es sind das in erster
Linie solche nervöser Natur; man denke nur an die Migräne, bei
welcher bei sonst stets magengesunden Individuen ganz enorme
Säuregrade auftreten können.
1) Winkler, Über d. Ergehn, von Magenunters. bei Frauenleiden. Berl.
klin. Wocbenscbr. Nr. 33, 1905.
2) Kisch. Berl. klin. Wochenschr. 1883 Nr. 18.
3) Sommer, Zentralbl. f. inn. Med. 1902 Nr. 9.
4) Panecki, Retroftexio Uteri und Magenneurose. Therap. Mon -Hefte 1891
5) Frank, Über den Znsammenhang zw. Genitalaffekt, d. Frauen u. Magen-
beschwerden. Arch. f. Gyuäk. 1894.
6) Freund, Beziehungen der weibl. Geschlechtsorgane z. den Verdaunngv
organen. Ergebnisse d. allgein. Pathologie, Wiesbaden 1898.
7) Eisenhart, Wechselbez. zwischen intern, u. gynäkol. Erkrankungen 18P.V
8) Teilhaber u. Crämer, Münch, med. Wochenschr. 1893 Nr. 47 u. 48
9) B raun, Über den Znsammenhang von Neurosen des Magens und Uteris-
leiden. Wien. med. Wochenschr. 1886 Nr. 41.
10) Riegel, Magenkrankheiten.
11) Biernacki, Zentralbl. für klin. Med. 1890.
12) Manassein, Chem. Beiträge zur Fieberlehre, Virchow’s Arch. 55.
13) Edinger, Znr Physiologie und Pathologie des Magens. Deutsches Arch
für klin. Med. 29 p. 566. Berl. klin. Wochenschr. 1880.
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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menscbl. Magens etc. 305
Zum zweiten kann ein abnormer Sekretionswechsel auch in
Fällen konstatiert werden, bei denen ein Einfluß von anderen Or¬
ganen ans nicht nachweisbar ist.
Leyden 1 ) als erster und Ewald 2 ) machten darauf auf¬
merksam, daß besonders bei nervös veranlagten Individuen ver¬
schiedene Aciditätswerte unter gleichen Bedingungen gewonnen
werden können; beide Autoren halten sowohl einen hemmenden als
erregenden Einfluß durch die Zentralorgane des Nervensystems für
möglich.
Einhorn 3 ) berichtet über 6 Fälle, wo die Anamnese eine
Hyperacidität vermuten ließ, während die wiederholte Untersuchung
totale Achylie ergab. Funktionelle Achylien im weiteren Sinne
sind auch beschrieben worden von Martius und Lubarsch 4 ),
welche auf Grund ihrer Beobachtungen die durch Drüsenatrophie
bedingte Achylieform streng von der nervösen (Achylia gastrica
simplex) getrennt haben wollten. In neuerer Zeit ist von Knud
Fab er und Lange 5 ) spez. das Gebiet der rein funktionellen
Achylie sehr eingeschränkt worden. Diese Autoren konnten in
den meisten Fällen von Achylie krankhaft entzündliche Prozesse
(bis zur ausgedehnten Atrophie) der Magenschleimhaut geltend
machen, so daß vor übereilter Annahme einer rein nervösen Achylie
gewarnt werden muß. In solchen Fällen aber, bei denen in wahl¬
losem Wechselsprunge an- resp. subacide Werte mit normalen oder
gar hyperaciden wechseln, dürfte bei Zusammenfassung aller
sonstigen nervösen Symptome an der nervösen Natur solcher Se-
kretionsanomalien nicht zu zweifeln sein.
Hemmeter 6 ) beschrieb als erster das Vorkommen solcher
Schwankungen unter dem Namen „Heterochylie“. Im Anschluß
an Hemmeter's Mitteilung beschäftigte sich Korn 7 ) mit dem
Studium dieser Zustände; von den 13 Heterochyliefällen, die er
veröffentlichte, konnte er in 11 ‘Fällen kein anderes Moment mit
dem Sekretionswechsel ursächlich in Zusammenhang bringen, als
1) Leyden, Über nervöse Dyspepsie. Berl. klin. Wochenschr. 1885 Nr. 30.
2) Ewald, Klinik der Verdauungskrankh. II. 3. Aufl. p. 521.
3) Einhorn, Achyl. gastr. Hyperchlorhydrie vortäuschend. Arch. f. Ver-
dauungskrankh. Bd. 7 p. 523.
4) Martins u. Lubarsch, Achyl. gast. Leipzig u. Wien 1897.
5) Knud Faber u. Lange, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 66 p. 53.
6) Hemmeter, Diseases of the stomach 2. edit. p. 870. Philadelphia 1900.
7) Korn, Über Heterochylie. Arch. f. Verdauungskrankh. Bd. 8 Heft 1—2.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 20
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306
Grandauer
das rein nervöse. Ähnliche Fälle von nervöser Heterochylie haben
Ewald 1 ), Rosenheim 2 3 ), Murdoch 8 ) u. a. mitgeteilt
Znm dritten komme ich nun auf die oftgemachte Beobachum?
zu sprechen, daß hei ein und demselben in jeder Beziehung nor¬
malen Individuum bei mehrmaliger Ausheberung zum Teil oft
weitgehende Differenzen der verschiedenen Säuregrade gefunden
werden, ohne daß hierfür eine Erklärung irgendwelcher Art mög¬
lich war.
Rotschild 4 5 ) nahm 1886 auf Veranlassung Cahn’s an einem
magengesunden Menschen und an sich selbst Experimente vor and
fand, daß die Salzsäurewerte erheblich differierten, obgleich sie
stets unter gleichen Versuchsbedingungen gewonnen wurden. Ähn¬
liches ist aus den Protokollen von Martius und aus den bei
Rosenheim 6 * ) mitgeteilten Tabellen ersichtlich. Endlich nahm
Schüle 6 ) an vier gesunden Individuen in systematischer Weise
Sondierungen vor und kam auf Grund seiner Resultate zu dem
Schlüsse, „daß sowohl die Werte für die gebundene als auch für
die freie HCl, wie für die Gesamtacidität bei dem gleichen Indi¬
viduum und auch bei verschiedenen ganz erheblich differierten,
ohne nachweisbare Ursachen“.
Ich glaube nun, daß in einem großen Teil der Fälle eine Er¬
klärung für den genannten Aciditätswechsel wohl möglich ist.
Herrn Professor R. May, dem ich die Anregung zu diesen
Untersuchungen verdanke, ist es schon seit langem aufgefallen,
daß sich relativ häufig bei der ersten Ausheberung an- resp. sub-
acide Werte vorfinden, die jedoch auf wiederholte Ausheberungen
hin normalen oder gar hyperaciden Werten platzmachen. Dieser
Typus des allmählichen Ansteigens der Säuregrade bei wieder¬
holter Ausheberung machte ihm die Annahme glaubwürdig, daß
bei einzelnen Individuen der Magen erst nach Gewöhnung der mit
unangenehmen Sensationen verbundenen Exploration imstande ist.
1) Ewald, Krankheiten des Magens III. Aufl. 1893.
2) Kos eil heim, Pathol. und Therap. der Krankh. der Speiseröhre und des
Magens. Berlin u. Wien 1896.
3) Murdoch, An unusual case of Achylia gastrica. Philadelphia, Med.
Journ. 1900.
4) Rotschild, Unters, über das Verhalten der HCl des Magensaftes. Inaug-
Diss. Straßburg 1886.
5) Rose n he im, Über die Säuren des gesunden und kranken Magens ^
Einführung von Kohlehydraten. Virchow’s Arch. 111, 1888.
6) Schüle, Untersuch, über d. Sekret, u. Modil. d. norm. Magens. Zeitschr.
f. klin. Med. 1895 Bd. 28 p. 467.
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Der hemmende Einfluli der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 307
die gewohnten Sekretionswerte zu produzieren, nnd daß die bis zu
diesem Zeitpunkt gewonnenen Aciditätsgrade als Effekt einer auf
psychischem Wege entstandenen Hemmung der Drüsenfunktion
anzusehen sind.
Ich begann vorerst meine Untersuchungen in der Weise, daß
ich ähnlich wie Schule einige Patienten (magengesunde und
-kranke) einer Ausheberung zu wiederholtem Male unterzog und
diese erhaltenen Werte miteinander verglich.
Tabelle.
Nr.
Zahl der
Ausheberung
freie HCl
Total¬
acidität
Diagnose
1
1. Ausheberung
30
40
Magengesuncl.
2 .
77
36
44
■
3.
38
54
4.
n
36
56
2_
1 .
n
38
58
Magengesund.
2.
32
54
3.
n
32
44
3
1 .
rt
40
60
Magengesund.
2.
v
38
64
3.
rt
44
62
4.
n
28
42
4
1 .
rt
10
22
Magengesund.
2.
77
20
28
3.
77
28
48
4.
n
26
52
5
1 .
rt
22
34
Magengesund.
2.
n
28
36
3.
40
58
4.
rt
38
62
8
1.
rt
30
1 40
Gastroptose, Ren. mob. T
2.
n
32
60
Neurasthenia univ.
3.
77
40
60
4.
n
40
! 60
7
1 .
77
44
64
Ulcus ventriculi.
2.
77
36
60
i
3.
77
32
52
i
4.
rt
48
56
1
8
1 .
„ !
10
28
1 Subaciditas ventr.,
2
1
77 I
18
38
Neurasthenia univ.
S.
1
n 1
12
24
9
1 .
l
77
34
54
Gastritis acida.
2.
n i
18
34
3.
rt
30
64
20 '
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308
Grandauer
Nr.
Zahl der
Aasheberang
freie HCl
Total¬
acidität
Diagnose
10
1-
36 !
56
Hyperacidität
2.
48
58
3.
64
70
11
1.
28
52
Digest. Hypersekr.
2.
48
84
3.
1 38
68
4.
34
68
i
Aus dieser Tabelle ist in manchen Fällen ein Ansteigen der
Säurewerte, in anderen ein Sinken derselben zu konstatieren,
wieder andere lassen in ihrem Aciditätswechsel kein eigentliche?
System erkennen.
Woher kommen diese scheinbar wahllosen Wechselsprünge in
der Acidität?
Ausgehend von der durch Pawlow 1 ) erbrachten Tatsache,
daß der Magendrüsenapparat einer psychischen Einwirkung in dem
Sinne untersteht, daß er auf psychischem Wege in Gang gesetzt
resp. seine bereits angeregte Tätigkeit gesteigert werden kann,
hielten verschiedene Autoren auch eine Unterdrückung resp.
Hemmung der Magensaftsekretion infolge psychischer Affekte für
möglich. Dies konnte, wie wir später sehen werden, am Hunde
und am Menschen experimentell erhärtet werden. Die Beobachtun?,
daß wir bei gewissen Individuen erst nach wiederholter Aus¬
heberung jene Sekretionswerte zu Gesicht bekommen, wie sie der
Funktionstüchtigkeit des Magens im jeweiligen Falle normalerweise
zukommen, findet somit ihre beste Erklärung in der Annahme, dafi
die Angst und Furcht vor der Ausheberung wohl imstande ist, die
Sekretionswerte herabzudrücken. Die Möglichkeit einer derartigen
psychischen Hemmung liegt sehr nahe und ist um so mehr begreif¬
lich, wenn man in Erwägung zieht, daß die unangenehmen Emp¬
findungen, die tatsächlich eine Ausheberung begleiten, vielen
Menschen als Schreckgespenst vor Augen stehen. Gerade die¬
jenigen, welche sich ihre Vorstellung über diese Prozedur aus zn-
fällig Gehörtem bilden, sind besonders eingeschüchtert und mau
bedenke nur, daß bei vielen das unglücklich gewählte Wort .aus-
pumpen“ allein schon genügt, die abschreckendsten Vorstellungen
1) Pawlow, Arbeit der Verdauungsdriisen.
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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 309
wachzurufen. So kommt es, daß sich die meisten Patienten in der Zeit
vor der Ausheberung in einer ängstlichen Stimmung befinden, deren
Grad natürlich individuell verschieden ist. Es kann somit in der
Zeit zwischen Ein* und Entnahme des Probefrühstücks die psychische
Energie 1 ) mehr oder weniger auf die Vorstellung der zu erwartenden
unangenehmen Prozedur konzentriert werden, woraus eine mehr oder
weniger starke Hemmung der Saftsekretion resultiert. Diese
psychische Hemmung auszuschalten war Grundbedingung für meine
Versuchsanordnungen. Nun hat unsPawlow durch seine idealen
Versuchsanordnungen gezeigt, mit welchem Raffinement vorgegangen
werden muß, um einen von der Reizwirkung der Psyche nicht be¬
einflußten Saft zu erhalten. In unseren Fällen galt es, jene
psychischen Momente auszuschalten, die ev. lähmend resp. ab¬
schwächend auf die Drüsenfunktion wirken können und der
psychischen Reizwirkung, die normalerweise bei der Nahrungs¬
aufnahme im Sekretionsmechanismus eine wichtige Rolle spielt,
keine Hindernisse in den Weg zu stellen. Um dieser Bedingung
gerecht zu werden, mußten die einzelnen Versuchspersonen der Ex¬
ploration unterzogen werden, ohne daß sie sich in der Zeit zwischen
Ein- und Entnahme des Probefrühstücks meines Vorhabens bewußt
wurden. Da aber die Magenausheberung eine in Krankenhäusern
und Sprechstunden sehr häufig geübte Prozedur ist, sind auch die
Vorbereitungen hierzu in allen Volksschichten hinlänglich bekannt,
was eine Täuschung der Versuchsperson sehr erschwert So
machten die meisten meiner Versuchspersonen nach erfolgter Ex¬
ploration die Angabe, daß sie sehr wohl gewußt haben, zu welchem
Zwecke sie nüchtern kommen resp. ein Probefrühstück zu sich
nehmen mußten. Die einen waren früher schon ausgehebert worden,
die anderen wußten vom Hörensagen den wahren Sachverhalt,
wieder andere wurden erst in der Poliklinik durch mitanwesende
Kranke unterrichtet. Um doch zum Ziele zu gelangen, verfuhr ich
folgendermaßen:
Die Versuchsperson wurde nüchtern bestellt ohne jede weitere
Aufklärung. Nach Möglichkeit wurde eine Isolierung versucht,
um eine Orientierung durch Mitanwesende zu verhindern. Nach
erfolgter Expression wurde jeder einzelne eingehend befragt, ob
1) Für die angewendete psychologische Terminologie nnd die später fol¬
genden psychologischen Ausführungen vergleiche Theodor Lipps, Leitfaden der
Psychologie (Leipzig) und Wilhelm Wundt, Grundzüge der physiologischen
Psychologie (Leipzig).
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310
Grandaukr
er von der Ausheberung gewußt habe. Die wenigen Fälle, die
absolut ahnungslos waren, wurden anderen Tags abermals nüchtere
bestellt mit dem Bemerken, daß eine zweite Ausheberung nötig sei.
Die durch die erste Ausheberung gewonnenen Aciditätswerte
konnten als die eines psychisch normal beeinflußten Magens an¬
gesehen werden. Die durch die zweite Ausheberung erhaltenen Werte
jedoch mußten je nach der Aussage der Versuchsperson betreffs
eines ev. bestandenen Angstgefühls als Produkte eines psychisch
gehemmten Drüsenapparates angesehen werden (Gruppe A). Alle
übrigen nicht in diese Gruppe einschlägigen Fälle — also alle jene,
welche schon von der ersten Ausheberung unterrichtet waren -
wurden ebenfalls auf den nächsten Tag nochmals nüchtern unter
irgend einem Vorwände bestellt mit der ausdrücklichen Versiche¬
rung, daß eine zweite Ausheberung nicht mehr stattfinde. Um
dies glaubhaft erscheinen zu lassen, wurde anderen Tags eine äußere
Untersuchung der Magengegend vorgenommen und dann das Probe¬
frühstück gereicht, angeblich nur, um den Patienten nicht all¬
zulange nüchtern warten zu lassen, oder aber weil eine äußere
Untersuchung des gefüllten Magens vorgenommen werden müßte
usw. Es würde zu weit führen, alle Varianten der Versuchs-
anordnung (spez. bei den in Gruppe B einschlägigen Fällen
aufzuzählen, welche sich mir im Laufe der Zeit als praktisch er¬
wiesen haben.
Selbstverständlich waren meine Bemühungen, die Psyche voll¬
ständig auszuschalten, nicht immer erfolgreich. Viele Patienten,
speziell magengesunde, weigerten sich kurz vor der Sondenein-
führung, eine Ausheberung an sich vornehmen zu lassen; wieder
andere blieben auf die erste Ausheberung aus. In den folgenden
Tabellen sind nur jene Fälle verzeichnet, bei denen das eine oder
andere Mal mit absoluter Sicherheit psychische Hemmungen aus-
zuschalten waren. Diese Fälle zu erkennen war nicht schwer,
da nach jeder Ausheberung durch eingehendes Befragen des Pa¬
tienten eruiert werden konnte, ob er von der Ausheberung gewußt
habe oder nicht, resp. ob in der Zeit zwischen Ein- und Entnahme
des Probefrühstückes mehr oder weniger starkes Angstgefühl be¬
standen habe; hierbei fanden nervöse Veranlagung und alle Mo¬
mente, die ev. die psychische Hemmwirkung steigern konnten,
genaueste Berücksichtigung.
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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 31X
Tabelle. 1 )
Gruppe A.
Lfd.
Nr.
Versuchs¬
bedingungen
freie
HCl
Gesamt¬
acidität
Diagnose
Bemerkungen
1
a) Ohne Wissen! Noch
30
40
Magengesund,
Pat. weigert sich ein
weibl.
nie ausgehebert.
allg. Nervosi-
4. Mal ausgehebert zu
28 J.
b) Mit Wissen! Angst!
16
36 j
tat.
werden.
c) M. W.! Angst!
12
2
a) 0. W.! Noch nie
40
60
Magengesund,
Pat. kam wegen all-
weibl.
ansgehebert.
Hy.
gemeiner nervöser Be-
24 J. |b) M. W. Angst!
30
60
schwerd. Globusgefühl.
3
a) 0. W.
16
40
Magengesund.
männl.
b) M. W.
10
32
1
27 J.
4
a) 0. W.
24
48
Magengesund,
Pat. gibt an bei psych.
weibl.
b) M. W. Starke
40
66
Bronchitis.
Aufregungen saures
41 J.
Angst!
Aufstoßen zu haben.
5
a) 0. W.
14
40
Magengesnnd,
männl.
b) M. W. Keine
16
42
Neurasthenia
18 J.
Angst.
vasomotor.
6
a) 0. W.!
25
44
Magengesund.
männl.
b) M. W.! Etwas
25
50
36 J.
Angst.
c) M.W. Keine Angst.
22
48
dl M. W.! Keine
24
46
Angst.
1
7
a) 0. W.
! 24
44
Magengesnnd,
weibl.
b) M. W. Angst!
24
42
Oystitis.
48 J.
8
a) 0. W. Noch nie
r 38
i 58
Magengesund.
männl.
ausgehebert.
28 J.
b) M. W. Angst.
18
i 26
c) M. W.
24
' 38
i
d) M. W. (Keine
, 36
; 60
,
Angst mehr.)
i
9
a) 0. W. Noch nie
: 24
44
Magengesund.
weibl.
ansgehebert.
'
3t J.
b) M. W.
20
38
10
a) 0. W. Noch nie 14
18
Subacidität.
männl.
ausgehebert.
|
i
50 J.
b)M. W. Angst.
12
12
11
a) 0. W. Noch nie
' 64
90
Gastropt.
Später Besserung auf
weibl.
ansgehebert.
!
1
Ben. mob.
Mastkur und Iiejbbmde.
28 J.
b) M. W. Starke
j 50
76
Atonie. Per¬
Angst.
t
1
acidität. Neur¬
c) M. W. Weniger
i 56
82
asthenia univ.
j
Angst.
1
12
a) 0. W. Früher
44
68
Glenard’sche
weibl.
9chon einmal aus-
1
Krankheit.
32 J.
gehebert.
j
b) M. W. Angst.
40
52
1) M. W. = Mit Wissen. 0. W. = Ohne Wissen.
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312
Grahdaueb
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Lfd.
Nr.
Versuchs¬
bedingungen
freie
HCl
Gesamt¬
acidität
Diagnose
i
Bemerkungen
13
a) 0. W. Früher
16
Snbacidität.
weibl.
schon ausgehebert.
29 J.
b) M. W. Angst!
—
10
14
a) 0. W. Noch nie
54
74
Hyperacidität,
Pat. kam wegen tv-
männl.
ausgehebert.
Adipositas
pischer Hyperaciditlö-
34 J.
b) M. W. Starke
40
55
corp.
besch werden.
Angst!
15
a) 0. W. Noch nie
66
72
Hyperacidität.
Die Hyperaciditätsbe-
weibl.
aasgehebert.
sehwerden ließen aof
35 J.
b) M. W. Angst!
28
32
entspr. Diät u. niedi«:
Therapie erheblich nacL
16
a) 0. W. Noch nie
90
100
Hyperacidität,
StarkeHyperacidität-
männl.
ansgehebert.
Emphysem,
beschwerden.
51 J.
b) M. W. Stuke
60
76
Arterioskle-
Angst.
rose, Prostata-
hypertrophie.
17
a) 0. W. Noch nie
32
58
Periodisches
Auf Ort wechsel ■ inner-
weibl.
aasgehebert.
Erbrechen,
lieh Brom) bedeutende
33 J.
b) M. W. Starke
22
42
Gastralgia
Besserung.
Angst.
nervosa.
18
a) 0. W. Schon früher
—
24
Snbacidität.
männl.
öfters ansgehebert.
40 J.
b) M. W. Angst.
24
48
c) M. W. Keine Angst.
22
42
|
19
a) 0. W. Noch nie
l _
—
Ca. ventr.
Tumor! Milchsäure—
männl.
ausgehebert.
|
! (große Kur¬
56 J.
b) M. W. Angst!
_
—
vatur).
i
20
a) 0: W. Früher schon
—
Achylia gastr.
männl. |
i öfters ausgehebert.
57 J.
b) M. W. Angst.
—
—
21
a) O.W. Noch nie
44
76
Ulcus ventr.
weibl.
ausgehebert.
(Pylorus-
24 J.
b) M. W. Angst.
46
74
gegend).
22
a) 0. W. Noch nie
50
78
Ulcus ventr.
Vor 3 Jahren Ulen*
männl.
ausgehebert.
mit Hämatemesis.
28 J.
b) M. W. Starke
22
58
Angst.
23
a) O.W. Früher schon
40
62
Periodisches
weibl.
ausgehebert.
Erbrechen,
26 J.
b) M. W. Starke
38
48
Neurasth.
Angst.
gravis.
24
a) 0. W. Noch nie
55
85
Gastritis acida.
Starker ilkohol- und
männl.
ausgehebert.
(
Nikotinabusus.
37 J.
b) M. W. Wenig
i 60
90
Angst.
25
al 0. W. Noch nie
22
44
1 Gastro¬
männl.
ausgehebert.
i
enteritis acuta.
26 J.
b) M. w. Starke
1 12
34
Angst.
26
a) O.W. Schon früher,
—
18
Subacidität.
weibl.
ausgehebert.
50 J.
b) M.W. Keine Angst.
—
18
|
c) M. W.
' —
20
Gck 'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Der hemmende Einilaß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 313
Lfd.
Nr.
| Versuchs¬
bedingungen
freie
HCl
Gesamt -1
acidität 1
Diagnose
Bemerkungen
27
a) 0. W. Noch nie
24
48
Gastritis
männl.
aasgehebert,
b) M. W. Angst.
chron.
40 J.
18
40 1
28
a) O. W. Noch nie
48 >
76 1
Hyperacidität.
Typische Hyperacidi¬
tätsbeschwerden.
weibl.
33 J.
ansgehebert,
b) M. W. Etwas
50
74
Angst.
|
29
weibl.
a) 0. W. Noch nie
ansgehebert.
b) M. W. Angst.
66
|
84
Hyperacidität,
aig. Hyper- i
34 J.
40 |
66
Sekretion. |
i
c) M. W. Angst.
42 1
64
30 I
a) 0. W. Noch nicht
55
74
Gastritis acida.
Starker Alkohol- und
männl.
ansgehebert,
b) M. W. Starke
!
Nikotinabnsus. Pat.
37 J.
24
44
Ihatte sehr starken
Angst.
38
i
i Würgreflex während des
c) M. W.
34
Ausheberns und ent-
I
d) M. W.
22
42
schloß sich jedesmal
äußerst ungern dazu.
Gruppe B.
1
a) M. W. Angst!
70
75
Arthritis urica,
Von seiten des Magens
weibl.
b) 0. W.
74
84
Digestive
keinerlei Beschwerden.
44 J.
Hypersekret.
2
weibl.
a) M. W. Angst.
b) M. W. Angst.
8
4
18
14
Magen gesund
(Bronchitis
22 J.
c) 0. W. |
35
45
acuta).
d) M. W. Angst.
12
!
20
!
3
a) M. W. Angst. Noch
40 •
52
Magengesnnd.
weibl.
nie ansgehebert.
29 J.
b) 0. W.
40
60
4
a) M. W. Angst. (Noch
33
50
Magen gesund,
männl.
nie ansgehebert.)
akute
30 J.
b) 0. W.
36
56
Bronchitis.
c) M. W. Keine Angst
40
| 52
mehr.
i
i
5
a) M. W. Angst! (Noch 16
38
Neurasthenie,
weibl.
nie ausgehebert.)
Magengesund.
40 J.
b) 0. W.
| 20
44
i
6
a) M. W. Keine
I 26
40
Aorteninsuffic.|
männl.
Angst! Früh, schon I
Magengesund.;
40 J.
einmal exprimiert.
b) 0. W.
1 28
42
1
7
a) M. W. Angst. Noch
16
36
Magengesund.
weibl.
nie ansgehebert.
1
Aorta angU8ta,
Tropfenherz,
Erethismus
34 J.
b) 0. W.
22
44
c) M. W. Keine Angst
28
44
mehr.
t
i
cord.
8
ja) M.W. Starke Angst.
22
40
Magengesund,
Nervöse Beschwerden,
weibl.
(Noch nie ansgeheb.) i
Neurasth.
Mattigkeit usw.
31 J.
b) 0. W.
44
62
c) M. W.
30
38
Digitized by
Gck 'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
314
Gbandaukr
Digitized by
Lfd.
Nr.
Versuchs-
bedingungen
freie
HCl
Gesamt¬
acidität
Diagnose
Bemerkungen
9
a) M. W. Wenig
30
58
Magengesnnd.
männl.
Angst! (Noch nie
56 J.
ausgehebert.)
b) 0. W.
38
58
10
a) M. W. Angst.
b) 0. W. Angst!
34
50
Cholelithiasis,
Magengesund.
Pat. gibt an, das -
weibl.
1 18
36
Mal bedeutend mehr
40 J.
c) M. W. Angst.
1 34
1
58
Angst gehabt zu haben
als das 1. und 3 Mal
wegen der Ungewißieit
1
„ob Sie nicht doch ao>-
gehebert wird.“
11
a) M. W. Angst. (Noch
16
22
Magengesund
männl.
19 J.
nie ausgenebert.)
b) 0. W.
38
48
(Angina
follicul.)
c) M. W.
18
22
12
a) M. W. (Angst!)
12
26
Magengesund,
Eine 3. Ausheberung
weibl.
(Noch nie ausgeh.)
Nihil.
wird verweigert.
19 J.
b) 0. W.
40
62
13
a) M. W. Etwas
26
48
Nihil.
männl.
Angst. (Noch nie
|
Magen gesund.
28 J.
ausgehebert.)
bl 0. W. Keine Angst.
25
48
c) M.W. Keine Angst.
30
46
14
a) M. W. (Starke
24
38
Magen gesund,
Ca. V vor der L Aus¬
weibl.
Angst!) (Noch nie
Nihil.
heberung war Pat.
24 J.
ansgehebert.)
58
Ohrenzeuge e. Expres¬
b) 0. W.
44
sion, worauf sich stark«
c) M. W. Starke
22
48
Angstgefühl einstellte.
Angst.
1
15
a) M. W. Angst.
1 32 1
44
Ulcus ventri-
Vor 8 Wochen Häms-
weibl.
(Früher schon aus¬
l
culi.
teinesis.
44 J.
gehebert.)
b) 0. W.
1
40
52
1
16
a) M. W. Angst!!!
1
—
Hyperemesis
weibl.
(Schon früher aus¬
.
gravid, Hy.
24 J.
gehebert.)
b) 0. W.
12
16
17
a) M. W. Angst!
34
52
Chronische 1
männl.
Früher öfters aus¬
1
1
Diarrh.
57 J.
gehebert.
1
■ 1
!
b) 0. W.
44
64 ;
1
1
18 i
a) M.W. Wenig Angst.
12 |
36
Digestive
weibl.
(Noch nie ausgeh.V
1
Hypers.,
28 J.
b) 0. W.
16
46
Ulcus ventr. ?
c) M. W. (Gewöh¬
30
50 1
j
1
nung?!)
1
!
1
19
a) M. W. Angst.
—
12 1
Subacidität,
Diät u. HCl-Therapie
weibl. b) 0. W.
—
16 i
Catarrh. ap.
von gutem Erfolg.
35 J.
c) M.W. Keine Angst
—
44.
sin.
mehr. Bouillon-
1
frühstück.
i
i
Gck 'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 315
Lfd.
Nr.
Versuchs¬
bedingungen
freie
HCl
Gesamt¬
acidität
Diagnose
Bemerkungen
20
a) M.W. Wenig Angst.
34
52
Chron. Diarrh.
Pat. gibt an, sehr
männl.
Schon öfters aus-
nervös zu sein.
44 J.
gehebert.
■
b) 0. W.
44
64
21
a) M. W. Starke
—
10
Hyperacidität,
Pat. läßt sich beim
männl.
Angst.
Digest.
1. Mal nur auf Zureden
42 J.
b) 0. W.
32
52
Hypersekr.
hin aushebern. Pat.
e) M. W. Angst.
12
26
leidet a. typisch. Hyper¬
aciditätsbeschwerden.
22
a) M.W. Keine Angst.
—
7
Care, ventr.
Milchsäure -{-. Mikro-
weibl. b) 0. W.
—
5
(Pylorus-
skop. Stagnation im
53 J.
gegend).
nüchternen Magen.
23
a) M. W. Starke
24
38
Enteritis mem-
weibl.
Angst.
branacea.
34 J.
b) 0. W.
26
46
24
a) M. W. Starke
10
30
Hyperacidität.
männl.
Angst.
29 J.
b) 0. W.
50
64
c) M. W. Starke
22
28
Angst.
25
a) M. W. Starke
—
22
Nervöse Dys-
Pat. fühlt sich auf die
weibl.
34 J.
Angst,
b) 0. W.
40
58
pepsie,
Vomitus
mehrmalige Aushebe¬
rung bedeutend besser,
c) M. W. Wenig
28
44
nervosus.
sie erbricht auch nicht
Angst.
mehr.
26
a) M. W. Angst. Schon
—
—
Achylia gastr.
männl.
öfters aasgehebert.
54 J.
b) 0. W.
—
—
27
a) M. W. Keine
36
54
Gastroptose
weibl.
Angst (?).
Ren. mob.
44 J.
b) 0. W. Keine Angst.
40
44
c) M. W. Keine Angst.
38
48
28
a) M W. Starke
! 22
44
Subaciditas
weibl.
Angst.
i
ventr., Gastro-
25 J.
b) 0. W.
10
16
gene Diarrh.
c) M. W. Angst!
36
56
29
a) M.W. Et was Angst.
24
48
Gastritis
i
männl.
b) 0. W.
24
44
acuta.
34 J.
30
a) M. W. Angst.
26
42
Hyperemesis
i
weibl. !b) 0. W.
' 36
54
gravidar.
i
25 J.
c) M. W. Noch etwas
| 36
54
Angst.
1
| Digest. Hyper¬
31
a) M. W. Wenig
26
40
| Schon früher öfters
weibl.
Angst,
b) 0. W.
sekretion,
Hämatemesis. Erst nach
27 J.
36
44
, Ulcus ventri-
der 2. Ausheberung ab¬
I culi.
1
normer Schichtungs¬
quotient.
32
a) M. W. Starke
16
20
Digestive
Das 3. Mal nicht mehr
weibl.
Angst. Noch nie
Hypersekre¬
so sehr ängstlich als das
34 J.
ausgehebert,
b) 0. W.
. 46
66
tion (Ulcus?).
1. Mal.
1
c) M. W. Angst.
: 56
62
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
316
Grandauer
Digitized by
Lfd.
Nr.
Versuchs-
bedingnngen
freie
HCl
Gesamt¬
acidität
Diagnose
Bemerkungen
33
la) M. W. Wenig
_
4
Snbacidität,
Vom Magen ans nur
weibl.
Angst (?).
b) M. W. Keine Augst.
Enteritis mem-
sehr wenig Beschwer'
35 J.
—
5
branacea, Ben.
den.
c) 0. W.
4
24
mob., Gastr.
34
a) M. W. Angeblich
70
84
1 Hyperacidität.
männl.
keine Angst.
37 J.
'b) 0. W.
90
114
1
35
la) M. W. Keine
5
25
Glenard’sche
weibl.
37 J.
Angst (?).
b) 0. W.
1 i
16
1
32
Krankheit
1
36
a) M. W. Angst!
30
54
Leichte Gas-
weibl.
b) 0. W.
18
38
jtropt, Atonie,
44 .J.
c) M. W. Angst.
28
56
Neurasth.univ.
37
a) M.W. StarkeAngst.
32
56
! Glenard’sche
weibl.
28 J.
b) 0. W.
38
64
Krankheit
38
männl.
a) M. W. Keine
Angst (?).
b) 0. W.
—
20
Snbacidität.
i
40 J.
4
40
1
39
a) M.W. Keine Angst.
66
84
Hyperacidität.
männl.
30 J.
b) 0. W.
68
88
40
a) M.W.Angst!(Noch
36
48
Hyperacidität.
!
weibl.
nie ansgehebert.)
21 J.
b) 0. W.
44
68 j
41
männl.
l 29 J.
a) M. W. Keine
Angst! (Noch nie
ansgehebert.)
b) 0. W.
36
1
54
1
Ulcns ventr.
(Verdacht!).
38
[
«54
42
a) M. W. Angst.
_
. -
Tbc. pulmon.
num (Il.Stad.),
weibl.
(Früher schon ans¬
38 J.
gehebert.)
b) 0. W.
—
— 1
Achylia gastr.
i
43
a) M.W. StarkeAngst.
20
46
Ulcus ventr.
weibl.
(Noch nie ausgeh.)
1
23 J.
b) Ö. W.
30
52
1
i
44
1
a) M. W. Angst!
26
34
j
Digestive |
Schichtnngsqnotient
weibl.
b) 0. W.
28
44
Hyper¬
erst nach der 2. Aus¬
38 J.
1
i
sekretion.
1
heberung sehr niedrig.
Das 2. Mal nach Angabe
d. Pat. starkes Brennen
im Magen und die
Speiseröhre entlang
während der Verdauung
und nach der Aus¬
1
i
1
heberung; das 1. W
hatte Pat darüber sv
nicht zu klagen.
Gck 'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 317
Lfd. Versuchs-
Nr. bedingungen
freie
HCl
Gesamt-1
acidität'
Diagnose Bemerkungen
45 a) M. W. Angst.
Achylia gastr
männl. b) 0. W.
—
—
64 J.
46 a) M. W. Sehr starke
14
20
Ulcus veutr. Pat. ging vor der
männl. Angst. (Noch nie
1. Ausheberung auf-
34 J. ansgehebert.)
geregt im Zimmer auf
b) 0. W.
20
60
und ab.
47 aj M. W. Sehr starke
16
22
Hv., nervöse Pat. bekam nach der
weibl. Angst.
Dyspepsie. 1. Ausheberung einen
18 J. b) 0. W.
30
64
typ. hy. Anfall.
48 a) M. W. Keine Angst.
—
14
Subaciditas Nüchtern Speisereste.
männl b) 0. W.
—
15
ventr., Ca.- Abmagerung. Hb50°/ o .
50 J. c) M. W. Keine Angst.
—
16
Verdacht.
49 a) M. W. Wenig
26
44
Hernia Starke Säureschmer-
männl. Angst.
epigastr., Dig. zen.
34 ,T. b) 0. W.
28
40
Hypersekret.
c) M.W. Keine Angst.
28
44
50 a) M. W. Starke
22
42
Nervöse Dysp.
weibl. Angst. (Noch nie
32 J. ansgehebert.)
b) 0. W.
34
62
c) M. W.
28
48
d) M. W.
30
52
51 a) M. W. Starke
12
26
Eructatio
weibl. Angst.
nervosa.
38 J. b) 0. W. ,
38
64
Schon bei grober Durchsicht der Tabellen fällt auf. daß sich
in Gruppe A die durch die 2. (ev. auch 3. und 4.) Ausheberung
gewonnenen Säurezahlen in der überwiegenden Mehrzahl erheblich
niedriger belaufen als die durch die 1. Ausheberung gewonnenen.
In Gruppe B ist bei einer großen Anzahl von Fällen gerade das
Gegenteil ersichtlich. Diese auf den ersten Blick zu erkennende
Tatsache allein macht schon die Annahme äußerst glaubwürdig,
daß die jeweilige Aciditätsverminderung den physiologischen Effekt
der oben besprochenen psychischen Hemmung darstellt. Bei ge¬
nauerer Betrachtung der einzelnen Fälle ist ohne weiteres die Coin-
cidenz des dem Angstgefühl zugrunde liegenden psychischen Vor¬
ganges mit der physiologischen Erscheinung der Verminderung der
Säurewerte ersichtlich, abgesehen von einigen Ausnahmefällen
(Gruppe A Nr. 4, Gruppe B Nr. 10, 28, 36), bei welchen der psychische
Affekt eine Überproduktion von Säure auslöste. Bei wiederholter
Ausheberung kann die Abnahme des Angstgefühls wieder ein An¬
steigen der Acidität (so in Gruppe A Nr. 8, 11,18, Gruppe B Nr. 4,
Difitized by Gougle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
318
Grandauer
7, 13, 18, 19, 21, 25, 30, 32, 50, 51) bedingen; umgekehrt kann eine
mehrmals vorgenommene Expression den Patienten immermehr ein¬
schüchtern (besonders solche, welche die Prozedur als sehr un¬
angenehm empfinden), was wieder ein Ansteigen der Acidität ver¬
hindert (Gruppe A Nr. 30, Gruppe B Nr. 2, 11,14, 24, 33). Zweifellos
spielt nervöse Veranlagung eine wichtige Rolle, weshalb Frauen
einer psychischen Hemmung häufiger unterworfen sein werden als
Männer und bei ihnen die Hemmungswirkung eine intensivere sein
dürfte (cfr. Tabellen). Weiterhin ist leicht einzusehen, daß ein
Magen, dessen Drüsenfunktion gestört ist, ganz besonders wenn
diese Störung einer Herabsetzung seiner Funktionstüchtigkeit
gleichkommt, auf den psychischen Affekt leichter und intensiver
mit der Abscheidung eines minderwertigen Sekretes antwortet als
ein völlig gesunder Magen. Wie wir später sehen werden, beruht
die psychische Hemmung zum großen Teil auf einer Unterdrückung
resp. Ablenkung der psychisch bedingten Saftsekretion — eine
hemmende Wirkung wird sich somit um so mehr geltend machen
bei Fällen, in denen an und für sich die Eßlust mehr oder weniger
herabgesetzt ist
Es soll hier nicht erörtert werden, ob die Verminderung der
Säuregrade auf einer Quantitäts- oder Qualitätsstörung der ab¬
gesonderten Sekretsmengen basiert. Im großen und ganzen ist
heute fast allgemein die Anschauung vertreten, daß der prozen¬
tische Säuregehalt des Magensaftes nur geringen Schwankungen
unterworfen sei, vielmehr sämtliche Säureanomalien den Effekt einer
quantitativen Saftveränderung (event. kombiniert mit Motilitäts¬
störungen) darstellen (cf. Bickel 1 ), Rubow 2 3 ). Für die von
Fleischern. Möller 8 ) vertretene Ansicht, daß in gewrissen Fällen
noch ein zweiter Faktor für die Entstehung der verschiedenen
Aciditätswerte verantwortlich gemacht werden müsse, nämlich ein
sekundär in den Magen ergoßener Flüssigkeitszuwachs, können
event. zwei meiner Fälle Verwertung finden (Nr. 31, 44 (Gruppe Bi).
In diesen Fällen handelte es sich um eine „Hyperaciditas larvata"*,
jene von H. Strauß 4 * ) differenzierte Gruppe von digestiver Hyper¬
sekretion, bei welcher eine Transsudation von neutraler Flüssig-
1) Bickel, Verhandl. des Kongr. f. innere Med. Wiesbaden 1906.
Berliner Klinik 19. Jahrgang II. 230.
2j Rubow, Arch. f. Verdauungskranhh. 1906 Bd. 12, ebenda 1907 Bd. 11
3 ) Fleischer u. Möller, Zur Beurteilung der Entstehung der Soper-
aeidität des Magens. Med. Klinik 1908 Nr. 37.
4i Strauß, cfr. Tnchendler, Deutsche med. Wochenschr. 1899 Nr. 24.
Digitizetf by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 319
keit, die den ursprünglich hyperaciden Magensaft verdünnt, als
Folge einer gesteigerten Drüsenfunktion auftritt. In den genannten
Fällen trat ein abnormer Schichtungsquotient erst nach der 2. Aus¬
heberung auf, während sich die Aciditätswerte jedesmal in den
Grenzen des Normalen bewegten; hieraus resultiert eine Verdünnung
des Sekretes durch den oben besprochenen Flüssigkeitszuwachs, da
die Acidität des Magensaftes um so höher bewertet werden muß
je mehr reinen Saft der Mageninhalt enthält.
Wie kann nun die Annahme, daß tatsächlich psychische Hem¬
mungsvorgänge auf die physiologische Arbeit der Magendrüsen
störend einwirken können, gestützt und bewiesen werden? Die
Beweisführung wäre möglich, wenn der Nachweis gelingen würde,
daB in der Tat eine Wechselbeziehung zwischen psychologischen
Vorgängen und dem Sekretionsmechanismus des menschlichen
Magens bestehen, speziell daß die Arbeit der Magendrüsen in ihrem
physiologischen Gange auf psychischem Wege angeregt und unter¬
stützt werden kann. Gelingt eine strikte Beweisführung in diesem
Sinne, so ist ohne weiteres eine Hemmung, Ablenkung oder Unter¬
drückung der psychischen Tätigkeit schon aus rein psychologischen
Gründen zu erklären. Auch kann dies durch das Experiment ge¬
schehen.
Für den Hund hat Pawlow 1 ) nachgewiesen, daß eine Reiz¬
wirkung der Psyche auf die Magendrüsenfunktion besteht, ja sogar
die erste Rolle im Sekretionsmechanismus spielt Er stellte dies
durch seine ideal angelegten Scheinfütterungsversuche fest und
bezeichnete die Saftmenge, die angeregt durch jene Vorgänge,
welche im Bereich der „Scheinfütterung“ liegen (das Verlangen
nach Nahrung, Sehen, Riechen, Schmecken, Kauen und Verschlucken
der Speisen auftritt, als Appetitsaft. „Appetit ist Saft.“ An den
Ergebnissen der Pawlow’sehen Versuche ist nicht zu zweifeln;
sie sind wiederholt nachgeprüft und bestätigt worden.
Inwieweit aber stimmen die Resultate des Tierexperimentes
mit den bei Menschen erhaltenen Versuchsergebnissen überein?
Von mehreren Seiten wurde behauptet, daß sich die Resultate
Pawlow’s nicht auf den Menschen übertragen lassen, speziell was
die psychisch bedingte Saftsekretion anlangt. Versuche in dieser
Richtung wurden angestellt von Sticker 2 3 ), Troller 8 ), Riegel
1) Pawlow, Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. Wiesbaden 1898.
2) Sticker, Volkmann’s Sam ml. klin. Vorträge Nr. 297.
3) Troller, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 38.
Digitized by
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
320
Grandauer
und Scheuer 1 ). S c h ü 1 e 2 3 4 ) u. a. und die Resultate dieser Autoren
lauteten sämtlich dahin, daß zwar auch beim Menschen jene Vor¬
gänge, welche sich von dem Momente der Nahrungsaufnahme bb
zum Momente des Speiseeintrittes in den Magen abspielen, eine
Saftsekretion hervorrufen, jedoch einesteils durch die mechanischen
und chemischen Reize, andererseits durch das Kaugeschäft. Ein
psychisches Moment wollten sie hierbei nicht geltend machen;
vielmehr bezeichneten sie alle jene im Verlauf der Scheinfutterungs-
vorgänge produzierten Saftmengen als reflektorisch entstandene.
Bereits Riegel 8 ) hat diese Anschauung mit folgenden Worten
zum Ausdruck gebracht: „der Kauakt gibt den ersten Impuls zur
'Magensaftsekretion; er leitet die Verdauung ein“. Auch Krehl*
glaubt, daß „für den Menschen sensible Reflexe im gewöhnlichen
Sinne, die Kaubewegungen und die chemische Erregung der Magen¬
schleimhaut wichtiger sind als der Appetit“.
Bei Betrachtung aller jener Faktoren, welche im Sekretions-
mechanismus ursächlich eine Rolle spielen, möchte ich für den Ab¬
lauf der Nahrungsaufnahme drei Phasen unterscheiden:
1. Phase — bis zum Momente der Speiseneinführung in den
Mund.
2. Phase — bis zum Moment des Speiseeintritts in den Magen.
3. Phase — Verweilzeit der Speisen im Magen (diese kommt
hier weniger in Betracht, da die von den Nahrungsstoffen selbst
angeregte Sekretion weiteren psychischen Einwirkungen nur in¬
direkt unterworfen sein dürfte).
Die erste Phase umfaßt Vorgänge, die sich hauptsächlich im
Bereich der Psyche abspielen (die Vorstellung, das Verlangen nach
Speise) und noch eine wesentliche Unterstützung durch den physio¬
logischen Akt des Sehens und Riechens erfahren können. Der auf
diesem Wege abgesonderte Saft ist somit fast ausschließlich al«
psychisch bedingter anzusehen und kann dem psychisch bedingten
Speicheldrüsensekret analog erachtet werden.
Die Sekretion dieses Magensaftes erklärt sich daraus, daß ein
bestimmter Komplex von Geschmacksvorstellungen au gewisse
physiologische Vorgänge in der Weise geknüpft ist, daß mit der
Auslösung dieser Gruppe von Geschmacksvorstellungen auf psycho-
1) Riegel u. Scheuer, Zeitschr. f. diätet. u. phys. Therap. 1900. 4, 6.
2) Schule, Zeitsch. f. klin. Med. Bd. 33. Inwieweit stimmen die Pawlow-
schen Tierexperiniente etc. Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 71.
3) Riegel, Die Erkrankungen des Magens 1. Teil 2. Anfl.
4) Krehl, Path. Physiol. 6. Anfl. 1910 p. 332.
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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 321
physischem Wege die Sekretion automatisch eintritt. Selbstver¬
ständlich braucht diese allererste rein psychisch bedingt« Saft¬
sekretion nicht immer die Saftsekretion im allgemeinen einzuleiten,
weil zum ersten nicht jeder Nahrungsaufnahme diese erste Phase
vorausgehen muß, resp. weil sie zu kurz sein kann, nm eine Wir¬
kung zu entfalten und sofort in die zweite Phase übergeht, zum
zweiten aber weil die Nahrungsstoffe nicht geeignet sein können,
auf psychophyschem Wege eine Sekretion anzuregen. Alle diese Mo¬
mente sind ungemein wichtig bei Anstellung von Versuchen, psy¬
chisch bedingten Saft zu gewinnen. Es muß hierbei den Gewohn¬
heiten des einzelnen Menschen, der Zeit, in der er diese oder jene
Speise einzunehmen gewohnt ist, Rechnung getragen werden. Vor
allem aber muß darauf gesehen werden, daß dem Ablauf der psy¬
chischen Tätigkeit kein Hindernis in den Weg gesetzt wird. Wenn
manche Autoren einen psychisch bedingten Magensaft nicht erhalten
konnten, so liegt dies in erster Linie an der Nichtberücksichtigung
dieser Momente. Schon Käst und Umber machen darauf auf¬
merksam, daß die Forschungen nach dieser Richtung weit hinter
der operativen Versuchsanordnung, wie sie Pawlow ersonnen
hatte, zurückstehen müssen, da sie sämtlich mittels Ausheberung
des Mageninhaltes angestellt wurden. Durch diese Methode ist es
eben unmöglich, den Saftstrom, wie ihn die Magendrüsen auf die
verschiedenen Reize hin produzieren, zu beobachten und isoliert
zu sammeln, wie das in idealer Weise an der experimentellen
Fistel möglich ist, ganz abgesehen von den Fehlerquellen, welche
das Einfuhren der Sonde mit sich bringt (Peristal tische Bewegung
des Magens, Verschlucken von Mund- und Ösophagusschleim, Ver¬
mengung schleimiger Massen mit dem Mageninhalt beim Heraus¬
ziehen der Sonde etc.).
Derartige Versuche hätten nur dann Beweiskraft, wenn sie auf
einer großen Anzahl von Untersuchungen basiert wären. Nun
machte z. B. Schüle 1 ) seine Experimente an 2 Personen, die er
nach 10 Minuten langer Ausspülung im nüchternen Zustande und
einer abermaligen Ausheberung einige Zeit den Duft einer Tasse
Kaffee einatmen ließ, worauf er ein drittes Mal den Magenschlauch
einführte. Unter 4 Versuchen konnte er einmal freie HCl nach-
weisen. Ich glaube, daß das zweimalige Einführen des Magen¬
schlauches vor dem Versuche wohl geeignet ist, das Appetitgefühl
1) Schüle, Inwieweit stimmen die Experimente von Pawlow am Hunde
mit den Befunden am normalen menschlichen Magen überein. Deutsch. Arch. f.
klin. Med. 71. Bd. 1901.
DenUches Archiv f. klin. Medizin. Bd. 101. 21
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322
Grandaüer
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der Versuchsperson, der obendrein eine 3. Ausheberung be Vorstand,
zu unterdrücken. Schüle hebt hervor, daß zu solchen Versuchen
sehr willige Patienten nötig seien; aber gerade dieser Umstand
läßt jene absolute Unbefangenheit der Versuchsperson vermissen,
welche Grundbedingung für solche Versuche ist.
Ernste Bedeutung beanspruchen eben bis zum hentigen Tage
nur jene Erfahrungen, die an Patienten mit Magenfisteln gesammelt
werden konnten.
Umber 1 ) konnte an einem Manne mit Speiseröhrenstriktar
und Magenfistel beobachten, wie unerwartet Sekretion auftrat, al*
das Frühstück des Patienten in seinem Gesichtskreis gebracht
worden war.
Die von Bickel 2 ) an einem Scheinfütterungsmädchen vor-
genommenen Versuche ergaben, daß z. B. das Riechen von Suppen-
duft Sekretion hervorrief und zwar um so stärker, je hungriger
die Patientin war und je mehr sie nach der Suppe Verlangen hatte.
Ca de und Latarjet 3 4 5 ) teilen den in der Literatur einzig
dastehenden Fall mit, daß bei einem Mädchen eine Magenhernie
zur Abtrennung eines Magenteils von dem übrigen Teile des Or¬
ganes führte; hiermit war die Pawlow’sche Versuchsanordnntg
am Menschen gegeben. Die genannten Autoren konnten denn auch
die Befunde des russischen Forschers bestätigen und konstatieren,
daß sich im Anschluß an das Nahrungsverlangen Magensaft aus
dem Blindsack ergoß.
In neuerer Zeit wurden von Herz und Sterling*» Unter¬
suchungen über psychisch bedingten Magensaft bei einem gastro
stornierten Kranken angestellt. Nach Leerspülung des Magen.«
ließen sie den Patienten ein Kotelett zubereiten und unterhielten
sich gleichzeitig mit ihm über verschiedene schmackhafte Gerichte.
Während dieser Zeit floß aus der Fistel ca. 14 ccm HCl haltige
Flüssigkeit aus.
Im übrigen konnte auch mittels Ausheberung des Magen¬
inhaltes durch die Sonde eine psychische Saftsekretion am mensch¬
lichen Magen festgestellt werden, so von Bulawinzew 6 ) und
1) Umber, Berl. kliu. Wochenschr. 1905.
2) Bickel, 1. c.
3) Cade u. Latarjet cit. nach Arch. f. Yerdauungskrankh. Bd. 9 H. 4.
4) Herz u. Sterling, Untersuch, über psych. bed. Magensaft bei einem
gastrostom. Kranken. (Polnisch.) Ausf. Ref. Arch. f. Verdanung8Krankk.Bd.lt) H.l
5) Bulawinzew, Russki W ratsch 1903 Nr. 17. Ref. biochem. ZentralbL
1903 Nr. 15
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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 323
Käst. 1 ) Letzterer überzeugte sich durch wiederholte Selbstver¬
suche, daß morgens 12 Stunden nach der letzten Nahrungsaufnahme
sein Magen nur wenige ccm schwach sauer reagierende Flüssig¬
keit ohne freie Salzsäure enthielt. Im Anschluß an diesen Versuch
beschäftigte er sich möglichst intensiv mit dem Gedanken an eine
Fleischspeise, die er sehr gern zu sich nahm, indem er sich vor¬
stellte, er würde sie sehen, schmecken und verzehren; der danach
aspirierte Magensaft, wies eine Totalacidität von 65 auf.
Ich selbst konnte eine rein psychisch bedingte Saftsekretion
beim Menschen zu wiederholten Malen nach weisen, indem ich
meinen nüchternen Versuchspersonen, die über mein Vorhaben und
den Zweck desselben nicht orientiert waren, eine Speise vorsetzte,
nach welcher sie gerade Lust hatten. Um der Situation, wie sie
sich im täglichen Leben gewöhnlich abspielt, möglichst gleichzu¬
kommen, forderte ich sie auf, zu essen, hielt sie jedoch im letzten
Moment zurück mit der Bitte, noch etwas zu warten und einige
Zeit die Speise zu betrachten, an ihr zu riechen usw. Hierbei
wurde ein Hinabschlucken des abgesonderten Speichels peinlichst
vermieden. Schließlich ließ ich sie die Speisen zum Munde führen,
ohne es jedoch zur Einbringung des Bissens in den Mund kommen
zu lassen und schloß die Ausheberung an. Absolute Beweiskraft
haben meine Ergebnisse deswegen nicht, weil ich mich nicht vor¬
her von den Sekretionsverhältnissen des nüchternen Magens über¬
zeugte. Doch tat ich dies deshalb nicht, um eine ev. irritierende
Wirkung der Sondeneinführung auf die Psyche zu vermeiden und
mir die Unbefangenheit der Versuchsperson zu erhalten. Vielmehr
schloß ich die nüchterne Ausheberung in darauffolgenden Tagen
an und verglich die so erhaltenen Werte miteinander (s. Tab. p.324).
Nach den bisherigen Ausführungen ist somit an einer rein
psychisch bedingten Saftsekretion (in der 1. Phase) beim Menschen
nicht zu zweifeln. Wenn Schüle 2 ) dieser Sekretionsmöglichkeit
gegenüber den Einfluß der Gesittung geltend machen will, indem
er sagt, daß das ungezügelte Verlangen nach Speise uns schon in
der Kindheit systematisch abgewöhnt wird, so übersieht er hierbei,
daß es sich hier nur um ein äußeres Gebaren handelt. Der
physiologische Ablauf jedoch wird nicht gestört, ebensowenig wie
der psychologische; im Gegenteil: durch die psychische Stauung wird
die Energie des betreffenden psychophysischen Vorganges noch erhöht.
1) Easf, Berl. klin. Wochenschr. 1906 Nr. 22 u. 23. Exper. Beitr. z. Me¬
chanismus der Magensekr. nach Probefrühst.
2) Schüle, Arch. f. klin. Med. Bd. 71 p. 115.
21 *
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Grandatter
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324
Nr.
Versuchsanordnung
Freie
HCl
Gesamt¬
acidität
Diagnose
| Bemerkungen
1
Ausheberung nach
Vorsetzen einer Tasse
Tee mit Kuchen (auf
Wunsch)
18
22
Magengesund
1
23 ccm trübe Flüssig¬
keit. Angeblich guter
Appetit!
1
Nttchterne Aushe¬
berung
—
—
ca. 8 ccm Schleim.
2
Ausheberung nach
Vorsetzen von Schinken
mit Brot u. Brei (auf
Wunsch)
26
28
Angina
(Magen¬
gesund)
34 ccm trübe Flusig¬
keit. Guter Appetit
Nüchterne Aushe¬
berung
4
1
6
5 ccm schleim ige Flüs¬
sigkeit.
3
Ausheberung nach
! Vorsetzen einer Tasse
Kaffe (auf Wunsch)
12
—
M&gengesund
(Bronchitis)
10 ccm trübe Flüssig¬
keit. Guter Appetit
Nüchterne Aushe¬
berung
—
—
Etwas gallig gefärbte
schleimhalt. Flüssigkeit.
4
Ausheberung nach
Vorsetzen von Bouillon
und Brot (auf Wunsch)
70
90
Gastritis
acida (Aorten¬
insuff.)
40 ccm trüber dünni
Inhalt. 3. Schichtung
Schleim! (guter A ppetit
Nüchterne Aushe¬
berung
10
34
12 ccm schleimhaltige
Flüssigkeit.
5
Ausheberung nach
Vorsetzen von Teller¬
fleisch und 1 Glas Brei
(auf Wunsch)
60
80
Kont. Hyper¬
sekretion,
Ulcus ventr.
90 ccm helle Flüssig¬
keit. Mäßiges Appetit¬
gefühl.
| Nüchterne Aushe¬
berung
56
72
50 ccm helle Flüssig¬
keit.
6
Ausheberung nach
Vorsetzen einer Tasse
Bouillon und 1 Weißbrot
(Pat. hätte lieber eine
Tasse Kaffee)
i
Nervöse Dys¬
pepsie
i
i
ca. 5 ccm Schleim.
Pat. hat keinen Appe¬
tit. Pat. wußte ron einer
anderen Pat. daß sie
ausgeheb. werden solle
und zeigte vor der Ans¬
heberang starke Angst.
Trinkt danach den ge¬
wünschten Kaffee mit
großem Appetit
t Nüchterne Aushe¬
berung
—
10 ccm Schleim.
7
Ausheberung nach
Vorsetzen von 1 Glas
Milch u. 1 Stück Kuchen
(auf Wunsch)
18
26
j
Gastritis
acida
18 ccm trübe schleim-
haltige Flüssigk. Sehr
guter Appetit
1
i
Nüchterne Aushe¬
berung
6
(
4 ccm schleimhaltige
Flüssigkeit.
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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 325
Es fragt sich nun, ob die Psyche ihre Aufgabe im Sekretions¬
mechanismus des Magens am Schlüsse der 1. Phase abgeschlossen
hat Schon bei grober Überlegung erscheint es nicht wahrschein¬
lich, daß die Tätigkeit der Psyche, nachdem sie die Sekretion auf
bloßes Verlangen, Sehen oder Riechen einer Speise in Gang gesetzt
hat, von dem Momente einen Abbruch erfährt, in welchem dieses
Verlangen durch den physiologischen Akt des Schmeckens, Eauens
und Schluckens der Speisen gradatim seine Befriedigung erfährt.
Wie schon weiter oben bemerkt, wurde von verschiedenen
Seiten die Behauptung aufgestellt, daß jene Sekretion, welche auf
die Verarbeitung der Speisen im Munde hin erfolge, als rein reflek¬
torisch entstanden anzusehen sei, was ganz im Widerspruch zu den
Ausführungen Pawlow’s steht, welcher dem chemischen Reiz der
Speise und dem mechanischen Moment des Kauens jede reflektori¬
sche Saftsekretion abspricht. Daß überhaupt eine Sekretion im
Verlaufe der 2. Phase stattfindet, ist sowohl für den Hund wie
auch für den Menschen des öfteren nachgewiesen — nur die Aus¬
legung ist eine verschiedene.
Der französische Physiologe Richet 1 ) konnte als erster bei
einer gastrostomierten Kranken die Absonderung reinen Magen¬
saftes wahrnehmen, sobald ihr sauere, süße oder stark riechende
Substanzen in den Mund gebracht wurden.
Auf diesem Versuch fußend machten S c h ü 1 e 2 3 ) und T r o 11 e r ®)
Experimente an einem magengesnnden Individuum, indem sie ihm
das eine Mal Pfefferminzöl und Zitronenscheiben (rein chemisch
wirksame Substanzen), Nahrungsmittel wie Beefsteak, Brot, Kaffee
(schmeckende Substanzen), in den Mund brachten, das andere
Mal genießbare und ungenießbare Stoffe (Gnmmi, Schwamm) zum
Kauen gaben. Bei allen Versuchsanordnungen ergab die Expression
ein verdauungskräftiges Sekret, das nach Ansicht der Autoren
einesteils durch das Kaugeschäft, anderenteils angeregt durch den
chemischen und Geschmacksreiz der Speisen auf rein reflektori¬
schem Wege (ohne Beihilfe der Psyche) entstanden sei.
Wie schon oben betont, stehen die mittels des Magenschlauches
gewonnenen Resultate an Bewertung denen des „Scheinfütterungs¬
versuches“ nach, bei welchen dem Beobachter alle Phasen des
1) Richet, Jonrn. de 1’Anatomie et de la Pbysiol. 1878.
2) Schttle, 1. c.
3) Troller, Über Meth. z. Gewinnung reinen Magensekr. Deutsche Zeitschr.
f. klin. Med. 28.
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326
Gkandauek
Versuches klar vor Augen stehen, und ihm keine Nuance hinsicht¬
lich des psychischen Affektes der Versuchsperson entgehen kann.
Im folgenden möchte ich kurz über die Beobachtungen an
Fistelträgern berichten, die sich mir bei Durchsicht der Literatur
ergaben.
Cade und Latarjet *) konnten durch ihren schon erwähnten
Scheinfütterungsversuche eine Saftsekretion während der 2. Phase
bestätigen, desgleichen Herz und Sterling 1 2 3 ) bei ihrem gastro-
stomierten Kranken. Hornborg®) sah an einem 5jährigen Knaben
mit Ösophagusstriktur und Magenfistel beim Kauen wohlschmeckender
Nahrung Sekretion auftreten, dagegen keine beim Kauen indifferenter
oder übelschmeckender Stoffe (auch nicht von Zitronenschalen ».
Umber 4 ) machte an einem 59jährigen Manne mit Speiseröhren¬
verengerung und Magenfistel folgende Beobachtungen: Ausspülen
des Mundes mit 20 ccm Kognak (Geschmacksreiz ohne Kauakt» riet
Sekretion von HCl-haltigem Magensaft hervor, während energische?
Kauen von Gummi (Kauakt ohne Geschmacksreiz) und Kautabak (Kau¬
akt mit Geschmacksreiz) keinen Tropfen Magensaft zutage förderte.
Soweit die wichtigsten Literaturangaben.
Durch die Versuche von Schüle und Troll er einerseits und
durch die von Umber andererseits ist somit nachgewiesen. daß
durch das Kauen rein indifferenter Stoffe, selbst von Stoffen, welche
wie Kautabak oder übelschmeckende Stoffe den Geschmacksinn
reizen, bald eine Sekretion hervorgerufen wurde, bald jedoch nicht.
Damit ist die Anschauung widerlegt, daß die Sekretion ausschlie߬
lich auf reflektorischem Wege erzeugt wird.
Zur Erklärung der verschiedenen Wirkungen durch ein und
denselben Versuch muß der Weg der psychologischen Erklärung:
eingeschlagen und seine Erklärungsfähigkeit an Beispielen erhärtet
werden.
Nach dem Versuche von Hornborg hatte das Kauen von
indifferenten Stoffen bei einem 5jährigen Knaben keine Sekretion,
nach den Versuchen von Schüle und Trolle bei Erwachsenen
eine Sekretion zur Folge. Das Eintreten der Sekretion in den
1) Cade u. Latarjet., 1. c.
2 ) Herz u. Sterling, Unters, über psych. Magensaft b. einem Gastrostomie-
kranken (polnisch)
3) Hornborg, Finska Läkaresällskapets handlinger 1903 ref. Münch, med.
Wochensehr. 1903 Nr. 30.
4) Umber. Die Magensaftsekr. d. gastostrom. Menschen bei Scheinfüttenwg
und Rektalernähr. Berl. klin. Wocheuschr. Nr. 3, 1905.
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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 327
betreffenden Fällen kann psychologisch aus 2 Ursachen hergeleitet
werden.
Das Kauen indifferenter (weil bisher unbekannter) Stoffe hat
wiederholt Geschmacksvorstellungen und Sekretion ausgelöst. Natür¬
lich müssen die Versuchspersonen, wie Schüle selbst hervorhebt,
intelligent genug sein, indifferenten Stoffen wie Gummi usw. einen
Geschmacksreiz abgewinnen zu können. Wird nun dem durch diese
Erfahrungen nicht mehr unbefangenen Individuum ein indifferenter
Stoff zum Kauen gegeben, so treten nicht bloß jene Erfahrungs¬
associationen in Aktion, sondern es tritt auch ein Interesse für
den Geschmack der betreffenden Substanz auf, also psychische
Faktoren, welche die Brücke zur physiologischen Wirkung schlagen
können (cfr. Versuche von Schüle und Troll er).
Beim unbefangenen Kinde und auch bei nicht geeigneten Er¬
wachsenen treten jene Assoziationen und jenes Interesse eben nicht
in Aktion und stellen die psychophysische Brücke zur physiologi¬
schen Wirkung der Sekretion nicht her (cfr. Versuche von Horn¬
borg und Umber).
Auf psychologischem W r ege allein erklären sich die Ergebnisse
des Versuches von Umber an dem 59jährigen Manne, dem Tabak
zum Kauen gegeben wurde, worauf keinerlei Sekretion eintrat, ob¬
wohl intensive Geschmacksreize dabei eintreten mußten. 1 ) (NB. Die
Versuchsperson Umber’s war ein gewohnheitsmäßiger Tabak¬
kauer.) Die Geschmacksvorstellungen dieses Mannes waren eben
nicht an die psychophysischen Vorgänge gebunden, welche beim
Genuß von Nahrungsmitteln eine Sekretion erzeugen. Mit der Ge¬
schmacksvorstellung beim Tabakkauen wird eben mangels der ent¬
sprechenden Erfahrungsassoziationen jener psychophysische Ablauf
nicht ausgelöst. Das Kauen des Tabaks ist ein geschlossener, von
bestimmten Vorstellungen begleiteter Vorgang, der in seinen Wir¬
kungen nicht über den Bereich der Geschmacksempfindungen im
Munde, nicht über den betreffenden Vorstellungskomplex und die
ihn begleitenden Lustgefühle hinausreicht, sondern in ihnen seine
erfahrungs- und bestimmungsgemäße Begrenzung findet.
Daß psychische Wirkungen für die Auslösung einer Sekretion
von Einfluß sind, beweist auch der weitere Versuch, daß bei einem
Kinde durch das Kauen von übelschmeckenden Stoffen (NB. auch
1) Leider ist über eine eventuell eingetretene Speichelsekretion keine An¬
gabe gemacht. Da jedoch bei den übrigen Versuchen das Hinabschlucken des
Speichels immer peinlich vermieden wurde, so hat Umber dieses Moment auch
bei diesem Versuche augenscheinlich in Betracht gezogen.
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328
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von Zitronenschalen) keine Sekretion erfolgte. An sich beweist
dieser Versuch wiederum für den Menschen, was Pawlow für
das Tier bewiesen hat, daß Geschmacks* oder chemische Keize
allein keine bemerkenswerte Sekretion hervorrufen müssen. Wichtig
wäre die Ausdehnung dieses Versuches auch auf Erwachsene ge¬
wesen, bei welchen, wie oben ausgeführt, Erfahrungsassoziationen
und Interesse an der Geschmackswirkung bisher noch nicht ge¬
kauter Stoffe eine Sekretion auf psycho-physischem Wege herbei-
führen können. Dann hätte sich wohl gezeigt, daß die eintretende
üble Geschmacksempfindung mit ihrem Unlustgefühl eine intensive
psychische Gegenwirkung, damit eine Hemmung des erwähnten
psycho-physischen Verlaufes und infolgedessen weiter einen Mangel
an Sekretion bedingt hätte.
Die Versuche ergeben also, daß nur durch die Annahme
psychischer Wirkungen auf die Sekretion die angeführten Ver-
snchstatbestände lückenlos und zwanglos erklärt werden.
Die Wirkung psychischer Hemmungen, die, was den letzt¬
genannten Versuch anlangt, leider aber am Erwachsenen nicht
mehr erprobt wurde, konnte übrigens auf andere Weise nach¬
gewiesen werden.
Der bekannte Versuch Bickel’s, einen „Scheinfütterungs¬
hund“ während des Fressens mit einer Katze zu reizen, hat den
Nachweis erbracht, daß psychische Vorgänge beim Hunde auf eine
bereits im Gange befindliche resp. auf die dem psychischen Er¬
regungszustand zeitlich nachfolgenden Sekretionsbefunde im Sinne
der fast völligen Hemmung einzuwirken vermögen.
Hornborg 1 ) machte an dem genannten Knaben die Beobach¬
tung, daß die Sekretion versiegte, wenn der Knabe die ihm Vorge¬
setzte Speise nicht sogleich zu essen bekam, und zu weinen begann.
Herz und Sterling 2 ) konnten an ihrem gastrostomierten
Kranken zeigen, daß durch Unlustgefühle die Saftsekretion fast
vollständig gehemmt wurde.
Zu ganz ähnlichen Ergebnissen führten, wie wiederholt er¬
wähnt, die von mir mittels des Probefrühstücks gemachten Unter¬
suchungen. In einem großen Prozentsatz der Fälle wurden dnrch
die Vorstellung des unangenehmen Eingriffs die von Angst- und
Unlustgefühl begleitete hemmende Gegenvorstellung entwickelt, in
der Weise, daß durch die neue intensive Vorstellung die psychische
Energie den normalen Geschmacksvorstellungen entgegen konzen-
1) Hornborg, 1. c.
2) Herz u. Sterling 1. c.
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Der hemmende Einfluß der Psyche anf die Sekretion des menschl. Magens etc. 329
triert wurde, wodurch die wiederholt beschriebene psychologische
Beziehung zu den physiologischen Wirkungen der Sekretion nicht
oder nur abgeschwächt in Aktion treten konnte.
Um wieviel mehr werden sich bei labilem Nervensystem der¬
artige hemmende Einflüsse geltend machen, wo die psycho-physischen
Zusammenhänge differenzierter und wirksamer sind!
Die Psyche beherrscht somit die Magensaft Sekre¬
tion in positivem und negativem Sinne. Der Einfluß
der Psyche erstreckt sich in erster Linie auf die
beiden ersten Sekretionsphasen. Wenn man aber be¬
denkt, daß während der 3. Phase, in der sich die aus
den Reizen der Nahrungsstoffe (Extraktivstoffe us w.)
resultierende Saftbildung (endogene Saftbildung
nach East) abspielt, meistens die 2. Sekretionsphase
noch nicht abgeschlossen ist und weiterhin, daß nach
Pawlow’s Versuchen der psychisch bedingte Saft zu¬
gleich einen „Zündsaft“ für spätere Sekretionsphasen
abgibt, so kann man zu der Schlußfolgerung kommen,
daß sich der Einfluß der Psyche fast auf die ganze
Breite der sekretorischen Tätigkeit des Drüsen¬
apparats erstreckt. Praktisch ist dies jedem bekannt, dem
erst im Verlaufe des Essens die Eßlust gekommen ist (l’appetit
vient en mangeant) oder dem während des Essens aus Ärger „der
Appetit vergangen ist“.
Daß sich deprimierende Einflüsse der Psyche auf die Magen¬
funktion subjektiv bemerkbar machen können, ist längst aus der
Pathologie der Magenneurosen und nervösen Dyspepsie bekannt,
wenn auch die Frage, ob speziell bei letztgenanntem Krankheits¬
bild das Magen- oder das Nervenleiden als das primäre anzusehen
ist, noch nicht entschieden ist. Die meisten Autoren sprechen
jedoch einzig und allein einem labilen Nervensystem die ursächliche
Rolle zu. „Nicht das Magenleiden macht den Menschen zum Hypo¬
chonder, sondern umgekehrt“, sagt Strümpell 1 ) in einer Be¬
sprechung über nervöse Dyspepsie. Dreyfus 2 ) führte in seiner
Abhandlung über nervöse Dyspepsie die zahlreich vertretenen
psychischen Symptome fast ausschließlich als die primären und
auslösenden Momente an. Ähnlich spricht sich in neuerer Zeit
1) Strümpell, Deutsches Arch. f. klin. Med. 1902 Bd. 73.
2) Dreyfus, Nerv. Dyspepsie.
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330
Grandauer
Bofinger 1 ) aus: „Gerade die mit der Verdauung zusammen¬
hängenden Vorgänge zeigen eine so weit gehende Wechselwirkung
mit der Psyche und vor allem mit dem als Stimmung bezeichneten
Teil des psychischen Lebens, wie wir dies sonst nur noch beim
Herzen sehen. Wenn ich Wechselwirkung sage, so meine ich da¬
mit ebensosehr die Beeinflussung der Stimmung und der Vorstel¬
lungen durch den jeweiligen Zustand der Verdauungsorgane al>
umgekehrt die Hemmung oder Förderung der Verdauungstätigkeil
durch psychische Einflüsse.“
Interessant sind die Ergebnisse von Untersuchungen über
Magensaftsekretion bei psychopathischen Zuständen, doch liegt eine
Besprechung außerhalb des Rahmens dieser Arbeit. Kurz anführen
möchte ich nur einen von Pilcz 2 ) mitgeteilten Fall, der die Ab¬
hängigkeit der Magensaftsekretion von psychischen Vorgängen s
recht demonstriert. Es handelt sich um einen Mann mit katato¬
nischem Stupor, der wochenlange absolute Sitiophobie darbot ; jedes¬
mal bei Versuchen der Sondenfütterung trat hartnäckiges Erbrechen
auf; im Erbrochenen fand sich keine Salzsäure. Es wurde die
Diagnose auf Atrophie der Magenschleimhaut gestellt. Eines Abend?
erhebt sich Patient aus dem Stupor, ißt mit großem Appetit
wochenlang beliebige Quantitäten der schwerverdaulichsten Speisen,
bis er ebenso plötzlich wieder zu abstinieren beginnt und neuer¬
dings alles erbricht. —
Auf jeden Fall ist mit der Tatsache, daß bei der Art und
Weise wie die funktionelle Magenuntersuchung mittels des Probe¬
frühstückes gehandhabt wird, eine psychische Hemmung der Saft¬
sekretion stattfinden kann, mit einer Fehlerquelle zu rechnen,
deren Außerachtlassung praktisch von weitgehender Bedeutung
sein kann. Hierzu kommt noch, daß diese Fehlerquelle durch
Hinzutritt anderer Momente gestützt und gesteigert werden kann.
Man bedenke nur, daß eine Tasse ungezuckerten Thees ohne Milch
und ein Weißbrot bei manchen Leuten (speziell der besseren Stände,
auch wenn sie in nüchternem Zustande und hungrig sind, nicht
sehr geeignet ist, sowohl in der ersten als noch vielmehr in der
2. Phase eine psychisch bedingte Saftsekretion hervorzurufen.
In auszuwählenden Fällen wäre es deshalb sehr zweckdienlich, ein
Probefrühstück (resp. eine Probemahlzeit) zu geben, das in jeder
Beziehung dem Appetit des Pat. genüge leistet, und auch sonst
1) Hofinger, Pb. nerv.Dyspepsie. Arch.f. Verdauungskr. Bd. 16 H.3 HW
2) P i 1 cz, Osterr. Irrenärztetat?. Wien, Okt. iy07. Ref. Wien. kl. Wochenschr-
1907 Nr. 47.
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Der hemmende Einfluß der Psyche auf die Sekretion des menschl. Magens etc. 331
seinen Gewohnheiten entspricht. 1 ) So gibt P'r. v. Müller ein
Probefrühstück an, das aus Fleischextrakt, Zwieback und einer
bestimmten Kochsalzmenge zusammengesetzt ist. Weiterhin kann
die ungewohnte Zeit, in der das Probefrühstück oft genommen wird,
das ungewohnte Milieu, in dem es genossen wird (Klinik, Wohnung
des Arztes usw.), bei Leuten mit labilem Nervensystem Anlaß zur
Auslösung psychischer Hemmungen abgeben.
Auf diese Weise können die verschiedensten Aciditätsbilder
vorgetäuscht werden, welche mit den jeweiligen Beschwerden des
Patienten in direktem Widerspruch stehen. Sub- und anacide
Werte können in Fällen zur Beobachtung gelangen, wo sonst
normale Säuresekretion herrscht, andererseits kann eine Hyper¬
acidität, digestive Hypersekretion usw. der Beobachtung entgehen
durch Vortäuschung normaler oder herabgesetzter Aciditätswerte. So
werden die in Wirklichkeit bestehenden Aciditätsgrade durch vor¬
übergehend künstlich erzeugte maskiert und diese letzteren finden
für das jeweilige Krankheitsbild eine falsche Bewertung; die Dia¬
gnose wird unsicher oder falsch. Schließlich werden die entsprechen¬
den Konsequenzen auch für die Therapie gezogen.
Es kann somit die diagnostische Verwertbarkeit des Probe¬
frühstückes in Fällen, bei denen mit einer psychischen Hemmung
gerechnet werden muß, — und das ist in der Mehrzahl der Fall
— praktisch sehr empfindlich beeinträchtigt werden, besonders
wenn die diagnostischen Schlüsse auf einer einmaligen Ausheberung
basieren. Aber auch bei öfterer Exploration — und eine solche
wird obendrein nicht immer gestattet — bedarf es genauester Be-
rüchsichtigung aller jener Momente, welche die Saftsekretion auf
psychischem Wege hemmen können. Absolute Beweiskraft bean¬
spruchen in erster Linie jene Werte, die an einem vollkommen unbe¬
fangenen Individuum gewonnen werden. Darin aber gipfelt eben
die Schwierigkeit, daß wir aus den oben genannten Gründen nur
ausnahmsweise in der Lage sind, den Patienten unbefangen einer
Ausheberung zu unterziehen, besonders wenn es sich um Leute der
besseren Stände handelt. Wird hier oft erst nach langen Bemühungen
eine einmalige Ausheberung gestattet, deren Resultat nur relativ
diagnostisch verwertbar ist, so ist eine Täuschung der Patienten, wie
1) Nachtrag während der Korrektur: In neuerer Zeit wurden von
Fischer (Leipzig) Untersuchungen über die Aciditätsverhältnisse des Magen¬
inhaltes nach dem Ewald'scheu Probefrühstück und einem frei gewählten Appetit¬
frühstück angestellt. Im letzteren Falle zeigten sich meistens höhere S&urewerte
(Versammlung deutscher Naturforscher und Ärzte in Königsberg 20. Sept. 1010).
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332 Grandaübb, Der Einfluß der Psyche anf die Sekretion des menschL Magen; ett
sie in Kliniken geübt werden kann, oft absolut unzuläßig. Trot:
alledem möchte ich Vorschlägen, folgendes Verfahren einzuleiten:
In Fällen, welche ein rücksichtsloseres Vorgehen gestatten,
wähle man die Versuchsanordnung, wie ich sie p. 309 angegeben
habe; eine 2malige Sondeneinführung ist nötig. Ist es gelangen,
die erste Ausheberung ohne Vorwissen des Patienten vorzunehmen,
so kann man sich für die Praxis mit dieser einmaligen Ans*
heberung begnügen. War es in keinem Falle möglich, den
Patienten unbefangen einer Ausheberung zu unterziehen, so
können auf Grund der nach jeder Exploration genau aufzn-
nehmenden Anamnese hinsichtlich der psychischen Affektlage und
nervösen Veranlagung überhaupt und aller jener obengenannter
Momente, die eventuell auf psychischem Wege hemmend auf di«
Saftsekretion haben ein wirken können, die erhaltenen Resultat«
ihre richtige Bewertung finden. In manchen Fällen wird uns
durch die allmähliche Gewöhnung an die Sondeneinführung ein
wahres Bild von der sekretorischen Funktion des Magens verschafft
werden können.
In Fällen, für welche das ebengenannte Vorgehen zu brüsk
erscheint, kann wenigstens der Versuch gemacht werden, den Pa¬
tienten nüchtern zu bestellen, ohne ihn von der bevorstehenden
Exploration in Kenntnis zu setzen. Ist sich der Patient wirklich
über den Zweck seines nüchternen Erscheinens, der Einnahme des
Probefrühstückes usw. nicht klar, so kann ihm in möglichst schonen¬
der Weise kurz vor der Sondeneinführnng die Mitteilung gemacht
werden, daß eine Ausheberung nötig sei. Wußte er von einer
solchen oder war es von vornherein nicht zu umgehen,
von der Ausheberung zu sprechen, so müssen zur
richtigen Beurteilung der zu erhebenden Resultate
alle eventuell psychisch hemmenden Faktoren ent¬
sprechend den Aussagen des Patienten und seiner
nervösen Veranlagung überhaupt eingehende Be¬
rücksichtigung finden. Unter solchen Verhältnissen tritt
eben wieder die ganze Persönlichkeit des Arztes als wichtigster
Faktor neben die trotz der möglichen Fehlerquellen unentbehrliche
Methode des Probefrühstücks; Sache der ärztlichen Kunst ist es.
zu individualisieren und die hemmenden Faktoren durch geeignete
Belehrung und beruhigenden Zuspruch herabzumindern. Wissen¬
schaftliche Methoden sind eben oft nur Hilfsmittel, welche erst durch
die Kunst des einzelnen Arztes zur Erzielung einwandfreier Re
sultate gebracht werden können.
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Aus der medizinischen Klihik zu Tübingen
(Vorstand: Prof. Dr. v. Bömberg).
Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim
Menschen.
Von
Priv.-Doz. Dr. Schlayer, und Dr. Takayasu,
Oberarzt der Klinik. aus Osaka, Japan.
(Mit 1 Abbildung und Tafel II, III u. IV.)
Wir haben vor einiger Zeit an dieser Stelle eine Arbeit ver¬
öffentlicht, die sich mit Untersuchungen über die Funktion experi¬
mentell krankgemachter Nieren befaßte. Das Ziel unserer Be¬
strebungen war die Möglichkeit, aus den Ausscheidungsverhältnissen
kranker Nieren auf die Art ihrer Schädigung zu schließen. Und
zwar war uns das Wesentlichste, aus dem Verhalten der Aus¬
scheidung Kriterien dafür zu finden, ob im Einzelfalle vorwiegend
eine Ändernng der Arbeit der Tubuli oder eine solche der Nieren¬
gefäße vorhanden ist. Unsere Untersuchungen zu diesem Zwecke
erstreckten sich nach mehreren Richtungen. Einmal untersuchten
wir die Veränderung der Ausscheidung einer Anzahl von Körpern
unter den genan feststellbaren Bedingungen von verschiedenen
experimentellen Nephritiden. Als solche Körper wählten wir körper¬
eigene und körperfremde, unter den ersten das Kochsalz und das
Wasser, unter den zweiten den Milchzucker und das Jodkali. Es
ergaben sich direkte Beziehungen zwischen der Art der Nieren¬
schädigung nnd der Art der Ausscheidung; sie gingen dahin: die
Schädigung der Tubuli hat eine Veränderung der Ausscheidung
von Jodkali und Kochsalz zur Folge, läßt aber die des Milchzuckers
unberührt; dagegen führt die Läsion der Nierengefäße zu einer
Verlängerung der Milchzuckerausscheidung.
Auch das Auftreten eines dünnen, annähernd gleichmäßig kon¬
zentrierten Urins kann eine Schädigung der Nieren anzeigen. Ein
solcher Urin kann auf zwei verschiedene Arten in der Niere zu¬
stande kommen. Einmal durch eine Minderleistung der
Kanälchen da, wo sie schwer geschädigt sind. Sie sind nicht
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334
Schlayf.r u. Takayasu
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mehr imstande, größere Mengen von Salzen, speziell von Kochsalz,
zu sezernieren, und so resultiert ein dünner Urin von annähernd
gleicher Konzentration. Wir haben dies als tubuläre Hypo-
sthenurie bezeichnet. Dann aber kann ein dünner, etwa gleich¬
mäßig konzentrierter Urin auch durch eine Mehrleistung de:
Nierengefäße zustande l^ommen; sind sie übererregbar, so ant¬
wortet die Niere auf jeden sekretorischen Reiz mit Produktiv
großer Wassermengen. Die festen Körper können hier nur in mehr
minder starker Verdünnung ausgeschieden werden. Wir haben
diesen Zustand vaskuläre Hyposthenurie benannt.
Entsprechend ihrer Entstehungsart verhalten sich die beider:
Arten von Hyposthenurie verschieden, einmal hinsichtlich der K !-
zentrationshöhe des ausgeschiedenen Urins, und dann hinsiclitlks
der Fähigkeit zur Elimination einer Kochsalzzulage.
Da, wo die Tubuli schwer geschädigt sind, wird die Konzen¬
tration infolge der ungenügenden Sekretion fester Substanzen niedriir
sein. Aus demselben Grunde kann auch mehr zugeführtes Kochsalz
nicht mehr ausgeschieden werden.
Dagegen da, wo die Nierengefaße überempfindlich sind, braucht
die Konzentration nicht unbedingt niedrig zu sein, denn die Kanäl¬
chen sind intakt und somit können feste Substanzen, speziell Salz-:
gut ausgeschieden werden. Hier kann die Konzentration sogar
relativ hoch sein, um so höher, je geringfügiger die Überempfind¬
lichkeit und damit auch die Polyurie. Da die Tubuli ungestört
arbeiten, so wird eine Zulage von Kochsalz glatt eliminiert, jedoch
unter Ansteigen der Wasserausscheidung, denn die Nierengefaße
sind überempfindlich.
Durch diese Unterscheidungsmerkmale gelang es uns, zu diffe¬
renzieren, ob ein dünner Urin seine Ursache in einer schweren
Schädigung der Nierenkanälchen oder in einer Übererregbarkeit
der Nierengefäße hatte.
Nebenstehende Fig. I veranschaulicht diese Verhältnisse noch
einmal in schematischer Weise.
Die Resultate beider Methoden zusammengefaßt, der Prüfung
der körperfremden Substanzen und der Differenzierung der Ausschei¬
dung nach den ebengenannten Gesichtspunkten, haben uns die Mög¬
lichkeit gegeben, bei den experimentellen Nephritiden den funk¬
tionellen Zustand der Nieren hinsichtlich der Beteiligung der Nieren¬
gefäße einerseits und der Kanälchen andererseits mit Zuverlässig¬
keit zu erkennen. Das zeigen zahlreiche Beispiele aus der zitierten
Arbeit.
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Untersuchungen Uber die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 335
Fig. I.
Wir haben deshalb bereits seit nun 3 Jahren den Versuch unter¬
nommen, gestützt auf diese Erfahrungen, auch beim Menschen
eine funktionelle Differenzierung gleicher Art zu erreichen. Auch
hier waren es dieselben zwei Wege, auf denen wir Klarheit über
den funktionellen Zustand der menschlichen Niere in unserem Sinne
zu erlangen suchten.
Einmal soll uns die Art, wie Milchzucker und Jodkali aus¬
geschieden werden, einen Hinweis geben, wie die funktionelle
Leistungsfähigkeit der Nierengefäße bzw. der Tubuli beschaffen ist,
resp. ob eine Änderung ihrer Funktion eingetreten ist.
Dann aber versuchen wir aus der Art, wie Wasser und Koch¬
salz ausgeschieden werden, aus dem Vorhandensein einer Hypo-
sthenurie und ihrer Art, Schlüsse in gleicher Richtung zu gewinnen.
Beide Untersuchungen gehen also in gleicher Richtung, aber
auf verschiedenen Wegen. Daraus ergibt sich, daß die beiden
Methoden eine gewisse gegenseitige Kontrolle ausüben. Der Aus¬
lall der einen bildet in vielen Fällen das Experimentum crucis für
die Richtigkeit der Schlüsse aus dem Verhalten der anderen. Ein-
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336
SCHLAYBR U. TAKAYA8Ü
gehendere Beispiele für diese gegenseitige Ergänznng finden sich
schon in unserer ersten oben zitierten Arbeit und werden sich
auch im nachstehenden an vielen Orten ergeben. Sie scheint m
von wesentlichem Interesse für die Bewertung der Methoden.
Bei der Anwendung unserer experimentell gefundenen Methoden
auf die menschliche Nierenpathologie blieb uns stets gegenwärtig,
daß bei menschlichen Nephritiden die Verhältnisse in mehrfacher Hin¬
sicht wesentlich anders liegen, als bei den experimentellen Nephri¬
tiden, die wir zur Unterlage benutzten. Am ehesten können noch die
Verhältnisse bei akuten menschlichen Nephritiden mit denjenigen der
experimentellen verglichen werden, wenngleich auch hier schon die
Variabilität der Erscheinungsformen eine sehr viel größere ist, ah
bei den toxischen Nephritiden. Besonders für die chronischen
Nephritiden, aber auch bei den akuten, haben wir mit mehreren
Faktoren zu rechnen, die bei den experimentellen Nephritiden kaum
oder überhaupt nicht in Frage kommen; sie sind durchaus im¬
stande, den Rückschluß auf die Art der Nierenfunktion aus der
Ausscheidung wesentlich zu beeinflussen und verdienen deshalb
unsere vollste Beachtung. Diese Faktoren liegen einmal in der
Niere selbst.
Hier bestehen sowohl anatomische Unterschiede beträchtlicher
Art gegenüber den experimentellen Nephritiden, wie auch, noch
viel ausgesprochener, funktionelle.
Bei den experimentellen Nephritiden handelt es sich, zum min¬
desten in den höheren Graden, um eine über die ganze Niere ver¬
breitete Schädigung: Wenn überhaupt Unterschiede in der Niere
vorhanden sind, so sind sie lediglich quantitativer Art. Sämt¬
liche Tubuli resp. sämtliche Glomeruli stehen unter patho¬
logischen Bedingungen. Solche Verhältnisse müssen naturgemäß zu
einem viel eindeutigeren und klareren Resultat unserer Methoden
führen. Beim Menschen können die Dinge auch so liegen and
Über eine Anzahl solcher Fälle werden wir im nachstehenden be¬
richten. Sie betreffen vor allem akute Nephritiden. Bei vielen
anderen menschlichen Nierenerkrankungen, und gerade besonder?
den chronischen, dagegen zeigt uns das anatomische Bild in aus¬
gesprochener Weise keine diffuse, sondern eine nur fleck- oder
herdweise Erkrankung. Hier finden sich nebeneinander Partien,
die schwer erkrankt und völlig funktionsunfähig erscheinen, und
solche, an denen histologisch keinerlei Veränderung wahrzunehmen
ist, Beispiele dieser Art sehen wir vor allem bei der beginnenden
Schrumpf niere, auch bei Nephropyelitiden, bei Nierentuberknlose
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Uutersuchuugen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 337
usw. In diesen Fällen kann eine Ausscheidungsveränderung,
die für uns verwertbare Anhaltspunkte gibt, nur dann eintreten,
wenn die fleckweise Schädigung die Funktion der Harnapparate
in irgendeiner Weise alteriert. Es ist bekannt, daß das keines¬
wegs notwendig der Fall sein muß. Ist den unversehrten Teilen
der Niere die Fähigkeit geblieben, in kompensatorischer Weise für
die zugrunde gegangenen und funktionsunfähigen Teile einzutreten,
so braucht keine Änderung der Ausscheidung einzutreten. Diese
kompensatorische Tätigkeit der übrigbleibenden Teile ist uns schon
aus den physiologischen Versuchen, in denen eine Niere exstirpiert
wurde, eine wohlbekannte Erscheinung. Sie drückt sich auch
anatomisch bis zu einem gewissen Grade in Form der Hypertrophie
der Glomeruli aus. Daß sie auch unter pathologischen Verhält¬
nissen in der Niere vorkommt, ist gerade von pathologisch-anato¬
mischer Seite auf Grund dieser Erscheinung (Hypertrophie der
Glomeruli) bei der Schrumpfniere sehr frühzeitig wahrscheinlich
gemacht worden. Noch viel deutlicher haben ihre Rolle die funk¬
tioneilen Nierenuntersuchungen gelehrt. Wenn beispielsweise bei
doppelseitiger ausgedehnter Erkrankung der Nieren die Urinaus¬
scheidung durchaus normales Verhalten aufweist, so kann die Er¬
klärung dafür nur in kompensatorischer Mehrleistung der nicht-
geschädigten Teile liegen.
Und zwar ist diese kompensatorische Hypertrophie nicht etwa
ein seltenes Vorkommnis, das nur gelegentlich auftritt. Die funk¬
tionelle Untersuchung der sog. chirurgischen Nierenerkrankungen,
vor allem die vortrefflichen Untersuchungen Albarran’s haben
vielmehr gezeigt, daß sie eine sehr weitverbreitete und häufige
Erscheinung ist, so weitverbreitet, daß Albarran die Fälle, in
denen sie nicht oder nicht immer eintritt, besonders aufzählt 1 )
(frische Nierenverletzung, septische AfFektion der Nieren und ein¬
seitiger Krebs).
Bei den internen Nephritiden wissen wir bislang recht wenig
von ihr, aber daß sie auch hier vorkommt und nicht selten vor¬
kommt, daran ist wohl nach dem Gesagten kein Zweifel. Unter
allen Umständen werden wir mit ihr zu rechnen haben.
In dieser Eigenschaft liegt eine der Hauptursachen, warum
alle Versuche, die aus Beschaffenheit und Art der Ausscheidung
auf den anatomischen Zustand der kranken Niere urteilen
wollen, notwendig scheitern müssen.
1) Albarran, Exploration des fonct. renales l'JOö p. 226.
Deutschen Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 22
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SCHLAYKR U. TaKAYASÜ
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Inwieweit ist sie nun imstande, die Ergebnisse unserer Methodea
zu beeinflussen ? Eine einfache Überlegung zeigt, daß da. wo die
kompensatorische Hypertrophie vorhanden ist und vollkommen genas:
ist, um den Defekt auszugleichen, die Ausscheidung überhaupt keine
Änderung zu zeigen braucht Dann werden auch unsere Methoden
trotz zweifellos bestehender anatomischer Nierenveränderung nichts
von ihr erkennen lassen; denn sie vermögen lediglich den Funk¬
tion s zustand der Harnapparate anzuzeigen, nicht aber ihr ana¬
tomisches Verhalten. Ist jedoch die Kompensation durch die Hyper¬
trophie unvollkommen oder überhaupt nicht eingetreten, so wird
die Funktion der Harnapparate sich ändern. Dann dürfen wir er¬
warten, daß diese Änderung sich unseren Methoden verrät.
Schon für die Verhältnisse in der Niere selbst liegen nach
dem Gesagten die Dinge in sehr vielen Fällen wesentlich kompli¬
zierter als bei den toxischen Nephritiden. Nicht minder bietet
aber auch das Verhalten des Gesamtorganismus resp. de>
Gesamtstoffwechsels bei den menschlichen Nephritiden un¬
endlich viel wechselvollere Bedingungen.
Bei den experimentellen Nephritiden können wir den Gesamt-
Stoffwechsel, wenigstens hinsichtlich der Beeinflussung, welche er
auf die zu prüfenden Körper ausübt, hinreichend übersehen. Nur
die vaskulären Formen machen hiervon eine gewisse Ausnahme
Bei den tubulären wird man sagen dürfen, daß für die Ausscheidung
des Jodkali und des Milchzuckers extrarenale Behinderungen nicht
oder nicht maßgebend in Betracht kommen.
Für das Kochsalz könnte das zweifelhafter erscheinen. Hier könnt?
daran gedacht werden, daß die schlechte Kochsalzelimination, wie sie bei
den tubulären Nephritiden vorhanden ist, nicht durch die Schädigung
der Nieren verursacht werde, Bondern schon vor ihrem Niveau eine Ab¬
lenkung des Kochsalzes eintrete. Dieses Abströmen könnte nur in die
Gewebe stattfinden. Dann müßte notwendig das Kochsalz — sei es non
infolge von einer Änderung des physikalisch-chemischen oder infolge einer
solchen des biologischen Zustandes der Gewebe so schnell in die Gewebe
wandern resp. gezogen werden, daß schon auf der Höhe der Xieren
nicht mehr genug Kochsalz im Blute kreist, um eine entsprechende Ani-
Scheidung zu veranlassen. Es müßte also unter allen Umständen —
sollen diese Anschauungen irgendwie fundamentiert erscheinen — erwartet
werden, daß bei den tubulären Nephritiden ins Blut eingeführtes Kochsili
sehr rasch aus demselben in die Gewebe verschwindet. Demnächst zu ver¬
öffentlichende Versuche, die gemeinsam mit Herrn Stabsarzt Paul Schmiß
ausgeführt wurden, lehren, daß das selbst in den extremsten Stadien der
Chromnephritis keineswegs so ist. Vielmehr steigt hier der prozentuale
Kochsalzgehak des Blutes bei Infusion von konzentrierter Kochsalzlösung
genau so stark an wie beim Normaltier, und ist meist selbst nach
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 339
30 Minuten noch nicht wieder auf die Norm gesunken. Eine Ablenkung
des Kochsalzes von den Nieren findet demnach sicherlich nicht statt.
Es kreist vielmehr in pathologisch hoher Konzentration durch die Nieren.
Wird es trotzdem nicht ausgeschieden, so kann das seinen Grund nur
in einer entsprechenden Schädigung der Nieren haben. Also auch ftir
das Kochsalz haben wir kein Recht, bei den experimentellen Nephri¬
tiden — abgesehen von den letzten Stadien der Urannephritis und den
vaskulären Nephritiden — eine besondere extrarenale Beeinflussung an¬
zunehmen.
Für die menschlichen Nephritiden läßt sich dies dagegen keines¬
wegs so sicher und übersichtlich behaupten. Hier liegen die Dinge
erheblich verwickelter. Die Störungen resp. Einflüsse, welche wir
von seiten des Stoffwechsels auf die Ausscheidung der geprüften
Körper zu gewärtigen haben, können teils accidentell, teils durch
die mit der Nephritis verbundene Allgeraeinerkrankung selbst be¬
dingt sein.
Unter accidentellen Momenten werden in erster Linie kompli¬
zierende Krankheitszustände, welche Resorptionsstörungen mit sich
bringen resp. bringen können, z. B. Fieber, Herzschwäche, Pleu¬
ritiden, Ascites, abnorme Schweißbildung usw. zu verstehen sein.
Für die Ausscheidung der körpereigenen Substanzen, des
Wassersund des Kochsalzes, können diese Momente weitgehenden Ein¬
fluß ausüben und müssen deshalb durchaus berücksichtigt werden.
Ihr Einfluß auf die Wasserausscheidung ist zur Genüge be¬
kannt und braucht hier nicht näher besprochen zu werden. Aber
auch das Kochsalz erleidet durch solche accidentellen Momente in
seiner Ausscheidung weitgehende Modifikationen. So kann es ge¬
legentlich unmöglich sein, zu entscheiden, ob bei einer von Fieber
begleiteten Nierenerkrankung eine etwa vorhandene schlechte Koch¬
salzausscheidung auf die Niere oder auf das Fieber zu beziehen
ist. Denn wie bekannt tritt ja auch ohne jede Beteiligung der
Niere bei einer ganzen Reihe von fieberhaften Zuständen Kochsalz¬
retention während des Fiebers auf (s. von neueren Untersuchern
Schwenkenbecher, von Hößlin usw.). Ebenso kann auch
bei einem komplizierenden Pleura- oder Peritonealexsudat resp.
bestimmten Magenretentionen (Pylorusstenosen) oder Thrombosen
großer Venen mit komplizierendem Ödem ein Zurückbleiben des
Kochsalzes nicht ohne weiteres auf die Niere bezogen werden.
Schließlich wird auch bei Herzschwäche nicht selten, besonders bei
vermehrter Zufuhr das Kochsalz schlecht ausgeschieden, so daß
seine Ausscheidungskurve sich der der Nephritiker nähert (H.
Strauß). Damit sind wohl die wesentlichsten Ursachen einer
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accidenteilen Behinderung der Kochsalzausscheidung aufgezähli
Ihre Kenntnis und Berücksichtigung ist für die Anwendung unserer
Methoden unbedingt erforderlich, weil sie uns vor falschen Schlüssen
aus der Kochsalzausscheidung zu schützen vermag. Denn weder
die vaskuläre noch die tubuläre Hyposthenurie sind Ausscheidungs¬
formen, die lediglich der Nephritis zukommen. Sie können eben¬
sogut ohne jede Beteiligung der Nieren auftreten, sind also niemal>
eindeutig für eine Nephritis verwertbar, sondern bilden ein mehr¬
deutiges Symptom, das seine Quellen bald in der Niere, bald in den
extrarenalen Stoffwechsel haben kann.
Von um so größerem Interesse ist es unter diesen Umständen,
zu wissen, wie demgegenüber die körperfremden Prüfungsstoffe.
das Jodkali und der Milchzucker durch jene Faktoren beeinfluß?
werden. Diese Frage ist aus der bisherigen Literatur nicht n
beantworten. Auch unsere Kenntnisse über die Resorptionswerf
•und Bedingungen der beiden Stoffe gestatten kein sicheres Urteil
darüber. Wir haben deshalb besondere Versuche darüber ange¬
stellt, über die weiter unten zu berichten sein wird. Die Trar¬
weite der genannten accidentellen Einflüsse auf den Stoffwechsel
ist für unsere Versuche schon deshalb von keinem allzugroßen
Belang, weil wir nur selten gezwungen sind, unsere Nierenunter-
•suchungsmethoden während des Bestehens solcher komplizieren¬
den Momente anzuwenden. Die beiden wichtigsten Einflüsse. Fieber
und Herzschwäche sind ja meist vorübergehender Art. Aber man
muß sich bewußt bleiben, daß dadurch Fehler entstehen können, ond
deshalb die genannten Faktoren immer in Rechnung ziehen.
Viel unberechenbarer sind die Quellen der Stoffwechselbeein¬
flussung, welche aus der mit der Nephritis verbundenen Er¬
krankung des Gesamtorganismus entstehen können. Geht
damit eine Änderung der gesamten Resorptionsbedingungen einher,
so kann — das leuchtet ein — es aufs äußerste erschwert, ja ganz
unmöglich gemacht werden, zu sagen, wieweit die Änderung der Aus¬
scheidung auf die Niere und wieweit sie auf extrarenale Ursache«
zurückzuführen ist. Solche Bedingungen werden sich in erster
Linie bei denjenigen Nephritiden vermuten lassen, die mit (idem
verbunden sind, oder zu Ödem neigen. Bei ihnen besteht seit langem
der Streit, ob Veränderungen der Ausscheidung auf die Niere oder
auf extrarenale Einwirkungen, vor allem seitens der veränderten
Gewebe, bezogen werden müssen. Ganz besonders wird davon das
Kochsalz betroffen. Auch bei unserer Methodik werden wir nicht
erwarten können, aus seiner Ausscheidung allein etwas über diese-
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 341
Frage zu erfahren. Eine bei einer derartigen Nephritis vorhandene
Hyposthenurie des tubulären Typus kann keineswegs ohne weiteres
als Zeichen einer Tubulusschädigung betrachtet werden. Die
Retention des Kochsalzes könnte ebensogut direkt durch sofortiges
Aufstapeln in den Geweben geschehen. Daß das — zumal bei ge¬
wissen Formen von Nephritis — möglich ist, werden jene oben
genannten, mit P. Schmid zusammen angestellten Versuche an
der Urannephritis, der Kantharidin- und Arsennephritis erweisen.
Aus der Ausscheidung des Kochsalzes werden wir darüber, wie ge¬
sagt, auch durch unsere Methoden nichts erfahren können. Es fragt
sich jedoch, ob hier vielleicht die Ausscheidung der körperfremden
Substanzen uns einen Wegweiser geben kann.
Es wäre möglich, daß sie von den Resorptionsveränderungen
nicht berührt werden, welche auf das Kochsalz einwirken; sie
könnten ihren Gang durch den Organismus trotz der Resorptions¬
störungen in normaler Weise nehmen, eben deshalb weil sie als
körperfremde, für den Körper unverwendbare Substanzen so viel
einfachere Resorptionswege besitzen. Auch hier kann nur die
Untersuchung am nierenkranken Menschen selbst Klarheit und
Förderung bringen.
Aus dem Gesagten geht aufs deutlichste hervor, daß die Ver¬
hältnisse bei den menschlichen Nephritiden von denen der experi¬
mentellen Nephritiden in mancher und nicht unwesentlicher Hin¬
sicht abweichen. Einem Teil dieser andersartigen Bedingungen,
wie den accidentellen Einflüssen von seiten des Stoffwechsels, ver¬
mögen wir aus dem Wege zu gehen, so daß aus ihm keine Fehler¬
quellen entstehen können. Inwieweit andere als solche in Frage
kommen, kann nur die Untersuchung am Menschen lehren. Gerade
das Studium der menschlichen Nierenkrankheiteu mit ihrem so
wechselvollen Verhalten ist die schärfste Probe für unsere Methoden.
Noch eines sei hier betont: Es handelt sich für uns weder um
eine Untersuchung zur Feststellung des anatomischen Zustandes
der Niere, noch auch um eine solche zur Feststellung der Suffi-
cienz oder Insufficienz der Niere. Vielmehr wollen wir in
erster Linie erforschen, wie die menschliche Niere unter patho¬
logischen Verhältnissen arbeitet, wie die verschiedenen Symptome
der Ausscheidungsveränderungen zustande kommen. Wir suchen
den Zusammenhang zwischen der Art der funktionellen Schädi¬
gung und der Art der Auscheidung klarzulegen. Inwieweit sich
damit eine funktionelle Insufficienz verbindet, ist eine Frage,
die noch im weiten Felde steht. Wenigstens ist das der Fall,
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SCHLAYEH U. TaKAYASU
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wenn man unter funktioneller lnsufficienz ganz generell die Un¬
fähigkeit der Niere versteht, den Bedürfnissen des Körpers gerecht
zu werden. Das braucht uns nicht zu hindern, der Kürze halber
im nachfolgenden von einer vaskulären resp. tubulären Insufücietu
zu sprechen. Darunter soll in diesem Falle nur die Leistungsun-
fähigkeit der betreffenden Apparatsysteme gegenüber unseren Me¬
thoden ausgesprochen werden. Keineswegs soll — wie nochmal?
betont sei — darunter etwa eine generelle lnsufficienz verstanden
sein. Bei der Zahl von Stoffen, welche durch die Nieren passieren,
wäre es vermessen, aus der Tatsache, daß Milchzucker verlangten
ausgeschieden wird, nun auch schließen zu wollen, daß alle anderen
Stoffe, welche die Nierengefäße passieren, ebenso verschlechtert
ausgeschieden werden müssen. Das könnte vielleicht so sein; ob e>
aber so sein muß, ist eine Frage, die erst noch zu untersuchen bleibt.
Zweifellos wäre es von hohem Werte, wenn wir die Möglich¬
keit hätten, die durch unsere Methoden erhaltenen Resultate beim
Menschen scharf zu kontrollieren. Wir haben oben betont, daß
eine gewisse Kontrolle schon durch die gegenseitige Ergänzung der
Methoden ausgeübt wird.
Es liegt nahe, daran zu denken, ob nicht die anatomische
Untersuchung eine weitere Kontrolle abgeben könnte. Leider wird
man sich sagen müssen, daß das nur in sehr beschränktem Maße der
Fall sein kann. Wir haben schon oben betont, daß bei negativem
Ausfall unserer Methoden gleichwohl eine positive anatomische
Veränderung vorhanden sein kann. Das ist nicht anders zu er¬
warten. Denn unsere Methoden zeigen lediglich dib Funktions-
Veränderung an, nicht aber den anatomischen Zustand. Eine kom¬
pensatorische Hypertrophie kann die Funktion trotz eines Aus¬
falls auf der Norm erhalten.
Anders liegen die Dinge bei positivem Ausfall unserer Methoden
Man wird zunächst begleitende Umstände ausschließen müssen,
welche auf die Ergebnisse entstellend einwirken können, wie z. B
die oben genannten accidentellen Resorptionsstörungen. Sind sie
nicht vorhanden, so ist zu erwarten, daß einer festgestellten funk¬
tionellen Schädigung auch eine anatomische entspricht. Für die Nieren-
gefälle könnte das bei den chronischen Nephritiden nach unseren
bisherigen Kenntnissen wohl Geltung haben. Bei den akuten dagegen
kann der anatomische Nachweis der Intaktheit der Nierengefäße
eine funktionelle Störung nicht mit voller Sicherheit ausschließen. 1
1) S. Takayasu, l'her die Beziehungen zwischen anat. Glomernlusverinde-
rnngen und Xierenfunktion usw. Deutsch. Arch. f. klin. Med. 1907 p. 127.
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 343
Für die Tubuli hängt die Möglichkeit der Kontrolle durch
die anatomische Untersuchung hauptsächlich von dem Verhalten
der Nierengefäße ab. Sind diese unversehrt, oder nur wenig ge¬
schädigt, so wird auch hier der funktionellen Schädigung eine
anatomische entsprechen müssen. Sind aber auch die Nierengefäße
schwer geschädigt, so werden wir für eine verschlechterte Funktion
der Tubuli nicht ohne weiteres eine anatomische Unterlage ver¬
langen können, zumal bei akuten Nephritiden. Die Schädigung
kann auch eine rein sekundäre, funktionelle sein, infolge der Schä¬
digung der Gefäße. Dafür fehlen uns bislang noch die genügenden
experimentellen Unterlagen; aber es ist wohl unzweifelhaft, daß ein
solcher Zusammenhang möglich ist, wissen wir doch, wie schnell
die Tubuli durch jede Zirkulationsstörung beträchtlicherer Art ge¬
schädigt werden.
Daraus ergibt sich, daß die anatomische Kontrolle der er¬
haltenen Resultate mit großen Einschränkungen zu rechnen hat,
und nur unter ganz bestimmten Verhältnissen uns zu Hilfe
kommen kann.
Es darf wohl als selbstverständlich vorausgesetzt werden, daß
unsere Methoden nichts über die pathologisch-anatomische Art der
Schädigung angeben. Eine nachgewiesene Funktionsschädigung
der Nierengefäße kann ebensogut die Folge einer Schrumpfniere
bei Arteriosklerose, wie diejenige einer akuten Glomerulonephritis
sein. Sicher können ganz verschiedene anatomische Zustände
gleiche funktionelle Wirkungen hervorbringen; das hat schon bis¬
her der Vergleich zwischen Funktion im Leben und anatomischem
Befund gelehrt.
Was nun unsere Prüfungsstoffe im einzelnen betrifft, so ist
die Verfolgung der Wasser- und Kochsalzausscheidung bei Nephri¬
tiden ja schon lange üblich. Von den körperfremden Stoffen ist
Milchzucker bisher überhaupt noch nicht verwendet worden.
Die Versuche, das Jodkali diagnostisch beim nierenkranken
Menschen zu verwerten, sind schon recht alt und dauern auch
heute noch fort. Seit Dice Duckworth 1 ) 1867 bis Ingel-
finger 2 ) 1905 und Oerum 3 ) ist immer wieder der Versuch ge¬
macht worden, Jodkali für die Nierenprüfung zu verwenden. Auf
die verschiedenen Methoden dazu, sowie die Literatur im einzelnen
1) Citiert nach Bard et Bonnet, Arch. general, de med. 1898, 1,1, p. 129.
2) Ingelfinger, Inaug.-Diss. München 1905. Beiträge zur Pathologie der
^iereninsufficieuz.
3) Oerum, Zentralbl. für innere Medizin 1908.
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einiusrehen, würde hier zu weit führen. Die Urteile über seinen
Wert und seine Eignung dazu fielen recht verschieden ans. Es
genüge, aus der allerjüngsten Zeit einige Urteile von allgemeinerem
Interesse anzuführen. Al bar ran 1 ) läßt die Methode gelten und
empfiehlt sie für zweifelhafte Fälle als Ergänzung der übrigen.
Kr. Müller 2 ) legt ihr nicht unbeträchtlichen Wert bei, v. Noorden 5
dagegen urteilt wenig günstig darüber.
Bei ihnen allen ist die Grundfragestellung für die Verwendrat
des Jodkalis, wie schon in unserer ersten Arbeit betont, eine (ranz
andere als hier: sie wollen ermitteln, ob sich eine generell« 1
lnsufficienz der Niere durch das Jodkali verrät. Das kann
nach dem oben Gesagten für uns nicht in Frage kommen; unsere
Ziele sind ganz andere. Insofern haben auch die bisherigen Er¬
gebnisse für unsere Zwecke einen sehr beschränkten Wert, znmai
da vielfach die betreffende Form der Nephritis zu unbestimmt an¬
gegeben ist und viel zu wenig zwischen den einzelnen Stadien
differenziert ist.
Führen wir kurz die Resultate an, die sich bisher bei der Prüfung
mit Jodkali ergaben, so gestalten sie sich folgendermaßen: Nach Bard
und Bonnet ist die Jodausscheidung bei Schrumpfniere verlängert, bei
den „epithelialen“ Nephritiden etwa normal. Ingelfinger findet
starke Verlängerung bei interstitieller Nephritis vorgeschrittener Art
und bei schwerer parenchymatöser Nephritis, geringe bei leichter inter¬
stitieller Nephritis. Oer um findet bei interstitieller Nephritis starke 1
Verlängerung, bei parenchymatöser Nephritis dagegen normale Ans-
sclieidung.
Im ganzen also bei parenchymatöser Nephritis kurze oder aber
sehr stark verlängerte (Ingelfinger) Ausscheidung, bei gerine-
fügiger interstitieller Nephritis geringe oder keine Verlängerung
bei schwerer dagegen sehr starke Verlängerung.
Über die Ausscheidung des Kochsalzes, sowie über die Art
der Wasserausscheidung wird am besten bei jeder einzelnen Grupp*
von Nephritiden zu sprechen sein.
Methodik.
Unsere Methodik mußte sich beim Menschen in einigen Punkten
anders gestalten, als den Tierversuchen. Dort hatten wir sämtliche
zu prüfenden Stoffe intravenös einverleibt. Das gebt aus ver-
1) Al bar ran, Exploration des fonctions renales 1905 p. 128.
2, Friedrich Müller, Referat über Morbus Brightii 1905. Verhandi. de:
deutschen patbol. Gesellsch. Meran.
•}) v. Noorden, Handbuch der Pathologie des Stoffwechsels 1906 Bit
p. 1021.
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 345
schiedenen Gründen für den Menschen nicht an, würde auch die Dinge
zu sehr erschweren.
Nur für den Milchzucker konnten wir von der intravenösen Injektion
nicht Abstand nehmen. Eine Eingabe per os war aus naheliegenden
Ursachen ausgeschlossen. Es kam also nur die subkutane oder die
intravenöse Injektion in Betracht.
Unter diesen Verhältnissen zogen wir die intravenöse Injektion vor,
da sie zweifellos einwandfreiere .Resultate gibt, als die subkutane, bei
der auf dem Wege zwischen Haut und Blut doch noch unberechenbare
Einflüsse mitspielen können, zumal bei hydropischen Kranken. Außer¬
dem aber ist die intravenöse Injektion, selbst in hohen Konzentrationen
vollkommen schmerzlos, während die subkutane nicht unbeträchtlichen
Schmerz bereiten kann.
Der Milchzucker bedarf dazu besonderer Vorbereitung. Erhitzen
auf 100° zwecks Sterilisation bräunt den Milchzucker, und macht ihn
damit schwer polarisierbar; außerdem könnte sie unter Umständen
auch teilweisen Übergang des Milchzuckers in Traubenzucker bedingen.
Deshalb wurde der Milchzucker in 10°/ 0 Lösung (ca. 70 ccm in einem
Erlenmeyerschen Kolben) an drei aufeinanderfolgenden Tagen je 4 Stunden
bei 7 5—80 0 pasteurisiert. Zu jeder Injektion muß eine frisch pasteu¬
risierte Lösung verwendet werden. Zwei aufeinanderfolgende Injek¬
tionen dürfen nicht aus ein und demselben Erlenmeyer-Kolben gemacht
werden. Trotz größter Asepsis und Sauberkeit sahen wir mehrfach zu
Anfang da, wo wir zwei Injektionen aus einem Kolben ausführten resp.
da, wo die gegebenen Pasteurisierungsregeln nicht aufs peinlichste ein¬
gehalten waren, Schüttelfrost und Temperatursteigerung bis 39 0 auf-
treten. Nachteile der Injektion sind im übrigen nie zutage getreten,
auch in den wenigen Fällen nicht, wo die erwähnte Temperatursteigerung
auftrat.
Die Injektion geschah nach der allgemein für intravenöse Injektionen
üblichen Technik in eine Kubitalvene. Nach Voits 1 ) Vorgang ver¬
wendeten wir durchweg etwa eine 10 °/ 0 Lösung. Höhere Konzentrationen
sollen nach Klapp 2 ) schmerzhaft sein, wenn sie unter die Haut kommen.
Wir haben intravenös bis zu 14°/ 0 Lösungen, auch an uns selbst ohne
jedes Schmerzgefühl verwendet. Zu Anfang injizierten wir größere
Mengen des Milchzuckers, bis zu 100 ccm der 10 °/ 0 Lösung = 10 g.
Da diese Methodik jedoch einer ausgedehnteren Anwendung Schwierig¬
keiten bot, so wurde bei der Mehrzahl späterhin nur noch 10 ccm, = 1,0 g
Milchzucker, injiziert. Dies konnte um so eher geschehen, als die Er¬
fahrung lehrte, daß auch so geringfügige Quantitäten sich sehr gut im
Urin nachweisen lassen. Freilich wird bei ihnen ganz analog den Er¬
fahrungen beim Tierexperiment die prozentische wiedergewonnene Menge
erheblich kleiner, als bei größeren Mengen. Denn bei jeder einzelnen
Portion bedingt die Linksdrehung des normalen Harns einen gewissen
Verlust, der für größere Mengen Milchzucker unerheblich, für kleine
dagegen nicht unbeträchtlich ist. Das bietet im allgemeinen keine
1) Arch. f. klin. Med. Band 58 p. 545.
2) Arch. f. exp. Path. u. Pharm. Bd. 47, 1902 p. 95.
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Schwierigkeiten. Bei Patienten jedoch, die große Albnmeumengen haben,
tritt dazu noch der durch die Enteiweißung bedingte Verlust (conf. die
Vorversuche der früheren Arbeit Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 98,
p. 31). Unter solchen Verhältnissen wird manchmal die wiedergewonDene
Menge so klein, daß sich derartige Fälle nicht sicher verwerten lassen.
Wir gingen deshalb seit einem Jahr dazu über, 20 ccm der 10% Lösung
= ca. 2 g MZ zu injizieren (mittels einer 20 ccm Luerspritze). Dadurch
vermindert sich auch der prozentuale Verlust durch die linksdrehenden
Substanzen des normalen Harns, und die Ausscheidung wird noeh
schärfer verfolgbar. Nach der Injektion wurde der Urin in stündlichen
oder halbstündlichen Intervallen aufgefangen, und sorgfältig darauf ge¬
achtet, daß stets die gesamte Menge zur Untersuchung kam. Diese
geschah in derselben Weise wie in der ersten Arbeit angegeben, durch
Polarisation nach eventueller Klärung und Enteiweißung. Die Klärung
wurde mit sehr geringen Mengen Blutkohle vorgenommen, die Ent¬
eiweißung meist durch Kochen und Essigsäurezusatz, gelegentlich auch
Esbach oder Alkohol, entsprechend den in der früheren Arbeit gegebenen
Erfahrungen hierüber.
Im allgemeinen ist das Ende der Milchzuckerausscheidung leicht zu
erkennen, sie ist in dem Augenblick abgeschlossen, wo der Ham wieder
seine normale schwache Linksdrehung zeigt. Nach den Studien des
einen von uns beträgt diese Linksdrehung im Durchschnitt von 100 Harnen
0,047b. 1 ) Mitunter ist der Umschlag jedoch nicht so scharf, besonders da,
wo sich die Milchzuckerausscheidung sehr lange hinzieht. Hier empfiehlt
sich, wie überhaupt, dringend, die qualitative Probe zum Vergleich und
Kontrolle heranzuziehen. Dazu benützten wir die Nylandersche Probe.
Die minimale Menge Milchzucker, welche sie anzeigt, beträgt ca. 0,03
bis 0,04%.
Bei geringen Milchzuckermengen kann sie als Kontrolle der Polari¬
sation sehr wertvoll werden. Wir haben sie seit längerer Zeit stets
neben der letzteren angewendet.
Will man sich rasch orientieren und verzichtet man auf den quanti¬
tativen Nachweis des Milchzuckers, so genügt es, die Nylanderprobe
allein mit den verschiedenen Urinportionen anzustellen. Dadurch wird
die Methode sehr vereinfacht und kann auch da angewendet werden, wo
kein feines Polarimeter zur Verfügung steht. Ebenso kann auf diese
Weise auch bei Patienten, bei denen ein Sammeln der gesamten Urin¬
menge wegen Inkontinenz ausgeschlossen ist, die Untersuchung durch¬
geführt werden. Vielleicht ist es bei größerer Erfahrung späterhin mög¬
lich, auf quantitative Untersuchung überhaupt zu verzichten und sich
mit der einfachen qualitativen zu begnügen. Wir haben vorläufig noch
vorgezogen, beide Methoden nebeneinander auszuüben, um eine möglichst
scharfe gegenseitige Kontrolle zu haben.
Auch beim normalen Menschen ergibt sich, wie beim normalen Tier,
ein gewisser Verlust an Milchzucker, der aus den oben angegebenen
Gründen um so größer sein wird, je kleiner die Menge des injizierten
1) Takayasu, Über die Linksdrehung des normalen Harns. Zentralbl. f.
innere Med. 1908.
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 347
Milchzuckers ist und unter pathologischen Bedingungen um so größer
aein wird, je höher die Albumenmenge in dem untersuchten Urin ist.
Schon bei unseren Studien an experimentellen Nephritiden haben wir
(auf p. 32) hervorgehoben, daß dadurch keine Unsicherheit entstehen
kann. Denn in erster Linie steht nicht die Größe der wiedergewonnenen
Menge, sondern die Dauer der Ausscheidung. Das gilt in noch viel
höherem Grade für die menschlichen Verhältnisse. Denn hier sind die
Ausschläge, gerade bei den vaskulären Nephritiden, sehr viel ausgeprägter
und deutlicher als bei den experimentellen. Auch die wiedergewonnenen
jlengen sind meist größer als dort, da die Klärung leichter ist und kein
'Traubenzucker entfernt zu werden braucht. Trotzdem möchten wir vor¬
läufig noch nicht von der Bestimmung der quantitativen Verhältnisse
abgehen; sie ist einmal, wie schon betont, eine wirksame Kontrolle;
haben wir 2,0 g injiziert und nach 4 Stunden 90°/ 0 wiedergefanden,
so werden wir sicher sein, daß in der Tat die Ausscheidung nach
4 Stunden beendet ist. Dann aber kann die quantitative Verfolgung
der Milchzuckerausscheidung uns unter Umständen auch einiges über
den Grad der Schädigung der Milchzuckerelimination sagen. Es ist im
allgemeinen aus äußeren Gründen (wegen der Forderung des stündlichen
Urinsammelns), nicht möglich, die Milchzuckerelimination länger als 12
Stunden zu verfolgen. In solchen Fällen, wo die Ausscheidung des
Milchzuckers nach 12 Stunden noch nicht beendigt ist, wird uns die
Menge des wiedergewonnenen Milchzuckers einen weiteren wertvollen
Anhalt für den Grad der Ausscheidungsstörung geben können. So können
unter zwei Fällen, die beide länger als 12 Stunden ausscheiden, im
einen Falle nach 12 Stunden 70 °/ 0 eliminiert sein, im anderen dagegen
nur 20°/ 0 . Außerdem ist noch zu untersuchen, ob nicht in der Art der
quantitativen Milchzuckerausscheidung, der Fähigkeit zur Milchzucker¬
konzentration weitere verwertbare Anhaltspunkte über die Arbeit der
Niere zu finden sind.
Jodkali wurde in einer Menge von 0,5 g gelöst per os gegeben.
Seine Bestimmung im Urin führten wir zu Anfang nach der üblichen
Methode mit rauchender Salpetersäure und Chloroform aus. Seit längerer
Zeit dagegen wählten wir die von Sandow angegebene sehr einfache
Methode. l ) Zu ca. 25 — 30 ccm Harn werden ca. 2 ccm verdünnte
Schwefelsäure und ca. 1 ccm 0,2 °/ 0 Natriumnitritlösung zugesetzt, dann
mit Chloroform ausgeschüttelt. Die Methode gestattet ein weit feineres
Verfolgen der Ausscheidung, zumal bei stark eiweißhaltigen Urinen, da
bei ihnen das Eiweiß dadurch nicht ausgefällt wird. Nach Sandow's
Angaben gibt die Methode noch 0,001 °/ 0 an. Auf quantitative Be¬
stimmung der Jodkaliausscheidung verzichteten wir vorläufig und bestimmten
nur das Ende der Jodkaliausscheidung. Zu diesem Zwecke wurden zwei¬
stündlich Urinproben aufgefangen und auf Jodkali untersucht.
Die Verfolgung des Wassers und Kochsalzes geschah nach den an
der Tübinger Klinik üblichen gleichmäßigen Regeln. Bei der über¬
wiegenden Mehrzahl aller Patienten wurde nicht nur die Wasserbilanz,
sondern auch der Kochsalzstoffwechsel (Einnahme und Ausgabe) über
1) Arch. f. Pharmacie Bd. 234, 1899 p. 177.
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Wochen und Monate hindurch dauernd verfolgt. Die Berechnung der
Kochsalzzufuhr hat eigens dafür von Herrn Stabsarzt Dr. P. Schmid
angefertigte Tabellen des Kochsalzgehalts der an der Klinik verabreichten
fertigen Speisen zur Grundlage.
Vorversuche.
Es war zunächst erforderlich, zu ermitteln, ob die körper¬
fremden Substanzen auch beim Menschen eine konstante Aus¬
scheidungszeit haben. Beim Tier hatte sie sich für Milckzucker
wie für Jodkali außerordentlich konstant gezeigt. Nächstdem war
zu untersuchen, wie lange die angewandten Mengen körperfremder
Substanzen zu ihrer Ausscheidung benötigen.
Die Elimination des Milchzuckers beim normalen Menschen
prüften wir in 16 Versuchen. Davon erhielten 12 Personen ca. 1 g
Milchzucker (s. nebenstehende Tabelle A). Von ihnen schieden acht den
Milchzucker binnen 4 Stunden aus, zwei brauchten 5 Stunden und
je einer 3 und 2 (Nr. 11 der Tab. A, darüber s. u.). Die Durch¬
schnittsdauer für die Ausscheidung war demnach 4 Stunden, das
Maximum 5 Stunden. Bei vier weiteren Normalmenschen injizierten
wir 2 g Milchzucker. Bei dreien von ihnen war auch jetzt die
Ausscheidung in 4 Stunden beendigt, nur einer brauchte 5 Stunden.
Danach ist für die Menge von 2 g Milchzucker die Ausscheidungs¬
zeit die gleiche wie für lg. Wir dürfen sie nach diesen Normal¬
versuchen für beide Mengen auf durchschnittlich 4, maximal
5 Stunden ansetzen.
Es wurde dann ferner untersucht, wie sich die Milchzucker¬
ausscheidung beim Menschen gegenüber sehr reichlicher Flüssig¬
keitszufuhr gestaltet. Beim Versuchstier hatte die gleiche l’uter-
suchung große Konstanz gegenüber starker Flüssigkeitszufuhr und
dadurch bedingter Polyurie resp. geringer Flüssigkeitszufuhr und
Oligurie ergeben. Drei der normalen Versuchspersonen (Nr. 8. 10
und 11) nahmen deshalb größere Quantitäten Flüssigkeit zu sich.
Bei zweien von ihnen blieb die Ausscheidungsdauer 4 Stunden.
Bei dem dritten (Nr. 11) dagegen erzeugte die Kombination einer
reichlichen Mahlzeit mit ausgiebiger Flüssigkeitsaufnahme (1100 ccm 1
eine Diurese von 1100 ccm in 4 Stunden; hier sank die Aus-
scheidungsdauer, die unter gewöhnlichen Verhältnissen bei ihm
ebenfalls 4 Stunden gewesen war (Nr. 7 der Tab. A), auf 2 Stunden.
Die prozentuelle Menge des wieder ausgeschiedenen Milchzucker»
war dabei etwa dieselbe in beiden Versuchen. Auch beim Menschen
vermag demnach starke Diurese die Milchzuckerelimination zu be-
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 349
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schleunigen. Jedoch ist dies offenbar nicht immer der Fall, wie
unsere beiden ersten Versuche zeigen, sondern nur unter sehr weit¬
gehenden Bedingungen, bei starker Diurese. Auch in dieser Hin¬
sicht verhält sich demnach der Mensch genau wie das Tier: wir
haben beim Kaninchen bei Erzeugung sehr starker Diurese dieselbe
Abkürzung der Milchzuckerausscheidung gefunden. — Den Einfluß
von Oligurie prüften wir bei Patienten, welche infolge Ascites be¬
trächtliche Oligurie aufwiesen. Im ganzen wurden drei derartige
Patienten injiziert, alle drei mit 1 g Milchzucker. Alle drei hatten
starken Ascites, zwei infolge von tuberkulöser Peritonitis, der dritte
infolge Polyserositis mit Perikardobiiteration und Pleuraexsudat
(s. nebenstehende Tab. B, Nr. 1,2, 3). Bei zweien von ihnen dauerte die
Ausscheidung 4 Stunden, bei dem dritten 5 Stunden, blieb also in
allen Fällen innerhalb der normalen Grenzen. Dieses Ergebnis ist von
doppeltem Interesse. Es zeigt einmal, daß selbst beträchtliche Oligurie
(nur 150 ccm Urin in 4—5 Stunden) die Ausscheidung des Milchzuckers
nicht zu verlängern vermag. Dies Resultat steht in vollkommenem
Einklänge mit unseren Erfahrungen beim Tiere: auch dort hatte
Oligurie keine Verlängerung der Milchzuckerausscheidung zur Folge.
Dann aber — und das ist für unsere Zwecke fast noch wesent¬
licher — lehren die Versuche, daß selbst so hochgradige Resorp¬
tionshindernisse, wie Ascites infolge tuberkulöser Peritonitis oder
Polyserositis, mit Pleuraexsudat kompliziert, auf die Ausscheidung
des Milchzuckers keinen Einfluß haben. Während bekanntermaßen
die Kochsalzausscheidung von diesen Hindernissen sehr stark be¬
troffen wird und auch in den betreffenden Fällen betroffen war,
wird der Milchzucker in ganz gleicher Zeit wie beim Normaltier
ausgeschieden. Der Organismus hat demnach die Fähigkeit, ge¬
wisse körperfremde Stoffe, wie Milchzucker, selbst bei Resorptions¬
störungen, bei denen körpereigene, wie Kochsalz, retiniert werden,
geradeso gut wie unter normalen Bedingungen auszuscheiden.
Jedoch auch diese Fähigkeit hat offenbar ihre Grenze. Bei
schweren universellen Resorptionsstörungen wird auch der Milchzucker
nicht mehr normal eliminiert. Hier leidet auch seine Ausscheidung
not. So verlängerte sich bei einem Patienten mit Herzschwäche,
maximalem cirrhotischem Ascites, Ödemen der Beine und der
ganzen unteren Rumpf hälfte die Milchzuckerausscheidung auf über
6 Stunden. Die Autopsie zeigte dabei die Nieren, auch mikro¬
skopisch, frei von Veränderungen (Tab. B, 4). Bei einem zweiten
Patienten mit Herzinsufficienz bei Emphysem fanden wir ebenfalls
die Milchzuckerelimination auf 6 Stunden verlängert (Tab. B. 5-
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 351
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Hier vermochten wir jedoch eine Beteiligung der Nieren an der
Verlängerung nicht so sicher auszuscbließen wie im ersten Fall
da keine Autopsie stattfand. Auch klinisch war der Patient nicht
ganz einwandfrei in dieser Hinsicht: er hatte eine leichte Hyper¬
tension (148—158 mm Hg, breite Manschette) und leichte Albu¬
minurie. Derselbe Grund, die Unmöglichkeit, eine Beteiligung der
Nieren ganz sicher auszuschließen, machte noch eine Anzahl von
weiteren Versuchen dieser Richtung unverwertbar. Der oben ge¬
schilderte einwandfreie Fall genügte, um uns zu zeigen, daß schwere
Herzinsufficienz und höchstgradige Resorptionsstörungen wohl im¬
stande sind, auch die Milchzuckerausscheidung zu beeinflussen.
Wir haben aus diesem Grunde davon abgesehen, die
Milchzuckerprüfung bei Herzinsufficienten resp.
Nierenkranken mit irgendwie stärker hervor¬
tretender Herzbeteiligung vorzunehmen. Auf diese
Weise ließ sich jede Unklarheit der Deutung, welche etwa von
dieser Seite stammen könnte, umgehen. Wir untersuchten nur rein
renale Fälle oder Nierenkranke mit gut kompensiertem Herzen.
Während Herzschwäche, zum mindesten in den höheren Graden,
auf die Ausscheidung des Milchzuckers einen deutlichen Eiufluß
hatte, hat bemerkenswerterweise Fieber keinerlei Einwirkung
darauf. Bei einer Anzahl von Patienten, die bis zu 40 0 fieberten,
war die Dauer der Milchzuckerausscheidung vollkommen normal,
nämlich 4 Stunden, maximal 5 Stunden. Unter ihnen befand sieb
auch einer der Fälle mit tuberkulöser Peritonitis, von denen oben
die Rede war (Tabelle B, Fall 3). Ebenso war bei einem der er¬
wähnten Patienten, welche nach Milchzuckerinjektion Schüttelfrost
mit Fieber bekamen, die Ausscheidungszeit trotz Fiebers von 3 9 *
nur 4 Stunden. Selbst starkes Fieber vermag demnach die Milch¬
zuckerausscheidung nicht zu verändern, und zwar auch dann nicht,
wenn mit ihm Oligurie und Oligochlorurie verbunden ist (cfr. Fall o.
Tabelle B).
Ganz analoge Erscheinungen zeigt die Elimination des Jod k a 1 i.
Über seine Ausscheidung beim Normalen sind wir durch zahlreiche
sorgfältige Untersuchungen genügend oiientiert. Nach diesen Studien
beträgt die Ausscheidungsdauer von 0,25—1,0 g zwischen 30 und
55 Stunden (Roux, Hecker, Purpus, Studeni). Für 0.5 g
fand Anten'-’) unter Heffter’s Leitung 40 Stunden als Durch-
1) Literatur siehe Ergebnisse der Phvsiol. Bd. II, 1 1903 p. 101.
2 ) Ergebt), d. Physiol. Bd. II, 1903 p* 106.
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Untersuchungen aber die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 353
schnitt, ln ausgedehnten Nonnaiversuchen fanden wir nach unserer
einfachen Methode des Nachweises im Durchschnitt annähernd die¬
selben Werte für dieselbe Menge, 44 Stunden. Die Ausscheidungs¬
dauer schwankt jedoch nach oben wie nach unten ziemlich stark.
Für unsere Zwecke kam es weniger darauf an, einen Durchschnitt
zu finden, als vielmehr die normale Maximalgrenze nach
oben zu ermitteln. Wir fanden sie für 0,5 g bei etwa 50 Stunden.
Was unterhalb dieser Grenze liegt, kann noch nicht sicher als
pathologisch betrachtet werden. Auch Werte bis zu 55 Stunden
verdienen diese Bezeichnung nicht mit aller Sicherheit. Wir haben
deshalb, um sicher zu gehen, einwandfreie Verlängerung erst von
60 Stunden ab angenommen. In praxi kommt dies für unsere Be¬
obachtungen nicht sehr in Betracht, da meist die Verlängerung
der Ausscheidung sehr ausgesprochen ist, so daß einige Stunden
keine Rolle spielen.
Genau wie beim Milchzucker untersuchten wir auch für die Jod¬
kalielimination den Einfluß von gesteigerter Diurese beim Menschen.
Beim Tier hatte sie sich außerordentlich konstant erwiesen
noch konstanter als die Ausscheidung des Milchzuckers. Weder
Oligurie noch Polyurie konnten die Jodkalielimination beim Ka¬
ninchen verändern. Maximale Polyurie, durch große Mengen
starker Kochsalzlösung erzielt, vermochte wohl die Milchzucker¬
aasscheidung zu kürzen, nicht aber die des Jodkali. Für den
Menschen hat Heffter 1 ) schon ganz ähnliche Befunde erhoben.
Er fand bei starker Diurese durch Biertrinken keine Abkürzung
der Jodkaliausscheidung. Einige analoge Versuche ergaben uns
das gleiche Resultat. Für die Polyurie liegen demnach die Ver¬
hältnisse genau so wie beim Tier. Auch Oligurie vermag die
Jodkaliausscheidung nicht zu beeinflussen. So zeigten dieselben
Patienten mit Ascites, an welchen wir die Prüfung der Milchzucker¬
ausscheidung vorgenommen hatten, trotz ihrer beträchtlichen Oli¬
gurie keine Verlängerung der Jodkaliausscheidung. Sie eliminierten
0.5 g in 50 und 34 Stunden (Tabelle B, Fall 1 und 3). Bei anderen
Patienten mit Ascites und auch solchen mit frischen pleuritischen
Exsudaten fand sich genau dasselbe Resultat.
Weder Oligurie noch Polyurie vermögen danach die Ausschei¬
dung des Jodkali zu verändern. Wie bei Milchzucker sehen wir
auch bei Jodkali, daß selbst starke Resorptionshindernisse, wie
Ascites und Pleuraexsudate, die Ausscheidung des Jodkali nicht
1) Ergebn. d. Pbysiol. Bd. II 1903 p. 106.
Deutsche» Archiv f. klin. Medizin. 10t. Bd. 23
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Schuaybr u. Takayasu.
854
beeinflussen. Sie bleibt dieselbe. Das ist für das Jodkali mit
Rücksicht auf den Kocbsalzstoffwechsel von besonderem Interesse.
Nach unseren tierexperimentellen Untersuchungen werden Jodkali
und Kochsalz an gleicher Stelle der Niere abgeschieden, in den
Tubulis. Bei jenen Fällen von Ascites tuberculosus sahen wir nun.
wie schon erwähnt, eine Retention von Kochsalz; daß diese durch
extrarenale Einflüsse bedingt ist, steht wohl außer Zweifel. Das
Jodkali wird jedoch von diesen Einflüssen nicht betroffen. Es geht
in normaler Weise ganz unabhängig von ihnen seinen Weg durch
die Niere- Bei Oligochlorurie, die nicht durch die. Niere verursacht
ist, wird also das Jodkali binnen normaler Zeit eliminiert. Auch
sehr starke Ausscheidung von Kochsalz vermag die Jodkaliaus¬
scheidung nicht wesentlich zu beeinflussen. So haben wir mehr¬
fach bei herzkranken Menschen, die unter Besserung ihrer Herz¬
kraft starke kardiale Ödeme und dabei große Kochsalzmengen
entleerten, die Jodkaliausscheidung nicht oder nicht wesentlich
sich abkürzen sehen. Kochsalzausscheidung und Jodkalielimination
gehen demnach nicht immer Hand in Hand, sondern die Jodkali¬
ausscheidung ist weit konstanter als die des Kochsalzes, die sehr
vielen extrarenalen Einflüssen unterliegt.
Das zeigt sich auch bei Herzinsufficienz. Während
Milchzucker bei schwerer Herzinsufficienz verlängert aasgeschieden
werden kann, ist die Jodkaliausscheidung noch immer innerhalb
normaler Grenzen; sie überschritt nach unseren Versuchen 54 Stunden
nie. In besonders ausgesprochener Weise demonstriert das jener
Patient mit schwerer Herzinsufficienz, Ödemen und Ascites, aber
autoptisch gesunden Nieren, bei dem der Milchzucker verlängert
ausgeschieden wurde (Tabelle B, Fall 4). Auch bei ihm war hoch¬
gradige Störung der Kochsalzausscheidung und hochgradige Oli¬
gurie vorhanden. Er brauchte trotzdem für die Jodkaliausscheidung
nur 52 Stunden. Hier verhält sich demnach das Jodkali, ebenso
wie gegenüber maximaler Polyurie noch konstanter als der Milch¬
zucker. Bei Fieber schließlich wird die Jodkalielimination eben¬
sowenig verändert wie die des Milchzuckers. Sie bleibt normal
(z. B. cfr. Fall 3, Tabelle B, Ascit tub. mit dauerndem hohem Fieber,
Dauer der Jodkaliausscheidung 34 Stunden).
Diese Versuche über die Art der Ausscheidungsverhältnisse
der beiden körperfremden Substanzen beim normalen und beim
nicht nierenkranken Menschen sind für ihre Verwendung beim
Nierenkranken von wesentlichem Interesse nach mehrfacher Rich¬
tung. Zunächst sei nochmals die Analogie mit den diesbezüglichen
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 355
Tierversuchen hervorgehoben. Es zeigt sich, daß die Ausscheidung
der beiden körperfremden Stoffe beim Menschen genan so verläuft
wie beim Tier. Auch beim Menschen findet sich wie beim Tier
eine außerordentlich große Konstanz der Ausscheidung für beide
Substanzen. Oligurie und Polyurie haben keinen Einfluß auf sie.
Physiologische Schwankungen und Differenzen des Menschen in
dieser Hinsicht kommen demnach für sie nicht in Betracht. Nur
sehr starke Polyurie kann auf Milchzucker verkürzend wirken.
Aber selbst pathologische Einflüsse extrarenaler Art, die weit¬
gehende Resorptionshindernisse darstellen, wirken nicht auf sie ein.
Weder Ascites noch Pleuraexsudate vermögen die Ausscheidung
zu verändern. Ja selbst Fieber und Herzinsufficienz sind dazu
nicht imstande. Damit beantwortet sich die oben besprochene
Frage, inwieweit die Zustände, die wir als akzidentelle Stoflfwechsel-
einflüsse extrarenaler Art bezeichneten, die Elimination der beiden
körperfremden Prüfungssubstanzen ändern können. Mit der einen
Ausnahme, daß schwere Herzinsufficienz die Milchzuckerelimination
verlängert, wird die Ausscheidung beider Substanzen selbst von
so erschwerten Resorptionsbedingungen nicht betroffen, sondern
bleibt vollkommen unbeeinflußt. Daraus ergibt sich, daß beiden
Substanzen auch beim Menschen — unter physiologischen wie unter
den geprüften pathologischen Bedingungen — die Eigenschaft zu¬
kommt, die für unsere Zwecke als ein notwendiges Desiderat er¬
scheint, eine hinreichend große Gleichmäßigkeit der Ausscheidungs¬
verhältnisse.
Untrennbar mit dieser Eigenschaft verbunden ist es, daß die
Ausscheidung beider körperfremden Stoffe mit der der körpereigenen,
soweit wir diese prüften, nicht parallel geht. Und zwar auch nicht
mit denjenigen körpereigenen Substanzen, mit denen sie, nach
unseren Untersuchungen am Tier, den gleichen Sekretionsort ge¬
meinsam haben. Wasser und Milchzucker werden an gleicher
Stelle abgesondert, in den Nierengefäßen. Schon beim normalen
Kaninchen gehen aber beide Stoffe keineswegs immer miteinander,
wie wir bereits in unserer früheren Arbeit betonten (Arch. f. klin.
Med., Bd. 98, p. 73). Dieses Auseinanderfallen war nicht bloß unter
physiologischen Verhältnissen der Fall, sondern auch unter denen
der experimentellen Nephritis.
Unsefe oben gegebenen Vorversuche zeigen, daß sich das beim
normalen resp. nicht nierenkranken Menschen ebenso verhält.
Auch bei ihm hat Oligurie und Polyurie (sofern letztere nicht sehr
stark ist) keinen Einfluß auf die Ausscheidung des Milchzuckers.
23 *
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Er bleibt in seiner Ausscheidung konstant. Selbst Oligurie, die
durch pathologische Resorptionsstörungen hervorgerufen ist, vermag
ihn nicht zu beeinflussen.
Ganz gleichartige Verhältnisse weisen Kochsalz und Jodkali
auf. Beide werden an gleicher Stelle, in den Tubulis abgesondert.
Schon beim normalen Tier ist die Ausscheidung des Jodkali so gut
wie unbeeinflußbar, die des Kochsalzes dagegen kann mit Leichtig¬
keit durch Theocin oder Diuretin gesteigert und beschleunigt
werden, wie zahlreiche Arbeiten ergeben haben. Ganz ebenso
liegen nach unseren Vorversuchen die Dinge beim Menschen: weder
die vermehrte noch die verminderte Kochsalzausscheidung beeinflußt
die Elimination des Jodkali in nennenswerter Weise. Sie bleibt
konstant.
Von einem Parallelismus zwischen den körpereigenen und den
an gleicher Stelle secernierten körperfremden Substanzen ist da¬
nach keine Rede. Unsere Studien ergeben, daß er bei Mensch und
Tier schon unter physiologischen Verhältnissen fehlt Sie zeigen,
daß die geprüften körperfremden Substanzen, Jodkali und Milch¬
zucker außerordentlich stabile Ausscheidungsverhältnisse haben,
die geprüften körpereigenen, Wasser und Kochsalz dagegen sehr
labile. Daraus erklärt sich, warum beide nicht parallel gehen
können. Die beiden körperfremden Substanzen unterliegen offenbar
sehr gleichmäßigen, wenig alterierbaren Eliminationsbedingungen,
während die Ausscheidung der beiden körpereigenen außerordent¬
lich wandelbar ist und von zahlreichen variablen, bald extrarenalen,
bald renalen Einflüssen bestimmt wird. Wir können demnach
auch nicht mit von Noorden 1 ) den Prüfungswert der körper¬
fremden Substanzen für die Nierendiagnostik danach bemessen, ob
sie mit den wichtigsten körpereigenen parallel gehen oder nicht.
Wir werden im Gegenteil ihre Konstanz gegenüber der Inkonstanz
der geprüften körpereigenen für unsere Zwecke als einen großen
Vorzug betrachten müssen, der sie besonders geeignet zu Unter¬
suchungen mit unseren Zielen macht.
Es wird Sache weiterer Untersuchungen sein, in gleicher
Weise zu erforschen, wie sich die Ausscheidungsbedingungen der
anderen körpereigenen Substanzen verhalten. Bis heute ist uns
darüber noch sehr wenig bekannt. Schon die bisherigen Erfah¬
rungen genügen, um zu zeigen, daß die Verhältnisse in dieser Hin¬
sicht keineswegs so einfach liegen, wie bisher die fast allgemein
1) Handb. d. Pathol. d. Stoffwechsels, Bd. 1 p. 1021.
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Untersuchungen Uber die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 307
übliche Annahme war. Sie lehren, daß offenbar die Ausscheid ungs-
bedingungen für die einzelnen Körper weitgehend verschieden sein
können, und zwar auch bei solchen, die an gleichem Orte abge¬
sondert werden. Die Vorstellungen, die wir auf diese Weise ge¬
winnen, nähern sich in bemerkenswertester Weise denjenigen, welche
Albarran 1 ) auf Grund seiner ausgedehnten und sorgfältigen
Stndien an einseitigen Nierenerkrankungen gewonnen hat. Von
ihm wird die Anschauung vertreten, daß jeder harnfähige Stoff
seine eigenen Ansscheidnngsbedingungen habe. Solange wir diese
nicht näher kennen, werden wir einen prinzipiellen Parallelismus
der Ausscheidung weder für den normalen, noch für den kranken
Menschen erwarten können. Wir werden vielmehr danach streben,
den Ausscheidnngscharakter jedes einzelnen Stoffes zu bestimmen,
die Wirkung extrarenaler Einflüsse auf ihn zu studieren und so
eine vertiefte Kenntnis von der Nierentätigkeit überhaupt zu ge¬
winnen. Eine Erweiterung unserer Kenntnisse in dieser Richtung
wird nicht ohne Einfluß auf die Diagnostik bleiben und auch dieser
fördernd zustatten kommen. Kennen wir die extrarenalen Faktoren,
welche die Ausscheidung eines Körpers beeinflussen, nnd seinen
renalen Ausscheidungstyp in dem oben dargelegten Sinne, so werden
wir Abweichungen in bestimmter Richtung wohl auch zu diagnos¬
tischen Schlüssen heranziehen können. Wir haben das einstweilen
nur für die angegebenen vier Substanzen getan.
Außer diesen Vorversuclien über die von uns verwendeten
körperfremden Substanzen haben wir auch eine Anzahl von Ver¬
suchen über die Beziehungen zwischen Wasser und Kochsalz beim
normalen Menschen ausgeführt. Sie betrafen die Art, wie eine
Kochsalzzulage vom normalen Menschen eliminiert wird. Rein
theoretisch betrachtet, kann diese Elimination auf zwei verschie¬
dene Arten erfolgen.
1. Es wird unter gleichzeitiger Zunahme der Wasserzufuhr
auch mehr Wasser ausgeschieden. Dann wird die Elimination des
mehrzugeführten Kochsalzes ohne Erhöhung der Kochsalzkonzen¬
tration vor sich gehen können.
2. Es wird bei gleichbleibender Wasserzufuhr auch die Wasser¬
ausfuhr nicht vermehrt. Dann muß, soll das Mehr an Kochsalz
eliminiert werden, notwendigerweise die Kochsalzkonzentration be¬
trächtlich ansteigen.
In der Tat finden sich diese beiden Typen genau so beim nor-
1) Albarran, Explorat. des fonct. renales.
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358
Schlaybb n. Takayasu
malen Menschen, wenn man ihm eine einmalige Kochsalzzulage von
10 g verabreicht. Wir fügen von jeder der beiden Typen ein
beim normalen Menschen gewonnenes Beispiel an.
Kurve 1 auf Taf. II zeigt den ersten Typ. Es fallt sogleich
ins Auge, daß hier- die Elimination der Kochsalzzulage ganz in der
Weise geschieht, wie bei der vaskulären Hyposthenurie: Ansteigen
des Wassers bei Gleichbleiben der Konzentration. Die Gesant-
kochsalzausfuhr überschießt sogar die Einfuhr etwas. Die Kon¬
zentration bleibt völlig konstant.
Kurve 2 auf Taf. II zeigt den zweiten Typ. Die Wasser-
ausfuhr nimmt bei gleichbleibender Zufuhr an dem Tage der Koch¬
salzzulage wie am nächsten Tage sogar etwas ab. Die Konzen¬
tration des Kochsalzes dagegen nimmt sehr beträchtlich zu (von 0.68
auf 0,89 # / 0 ). Trotz dieser Konzentrationserhöhung hat die Niere
es doch nicht vermocht, alles zugeführte Kochsalz an denn Tag der
Zulage zu eliminieren, sondern die Ausfuhr bleibt um nahezu 6.0 z
zurück. Der Ausgleich erfolgt erst am nächsten Tage: hier er¬
höht die Niere die Konzentration noch mehr (auf 0,94 °/ 0 ) und
eliminiert auf diese Weise einen Teil des retinierten Kochsalzes.
Am letzten Tage schließlich sinkt die Konzentration wieder zu der
anfänglichen Höhe herab. Dieser zweite Weg ist offenbar der für
die Elimination der Kochsalzzulage ungünstigere. Theoretisch sollte
die gesunde Niere auch auf diese Weise mit der Kochsalzzolage
ebensogut fertig werden wie auf die andere Art, indem sie einfach
die Konzentration des Kochsalzes so stark erhöht, als notwendig
ist, um das Kochsalz zu eliminieren. Das scheint jedoch schon
unter normalen Verhältnissen Grenzen zu haben. Nur selten ver¬
mag die normale Niere die Kochsalzkonzentration so stark zu er¬
höhen. Sie bleibt vielmehr meist zurück und dadurch wird ein
Teil des Kochsalzes nicht resp. erst am nächsten Tage ansgeschie¬
den. Wir sehen, bei Erhöhung der Wasserzufuhr wird das Koch¬
salz glatt eliminiert, bei gleichbleibender Wasserzufuhr dagegen
meist nicht sofort und unvollständig. Danach besteht zweifellos
eine gewisse Beziehung zwischen der Elimination des Wassers und
der des Kochsalzes. Die Ausscheidung des Kochsalzes ist bis zu
einem gewissen Grade von der des Wassers abhängig, wenigstens
da, wo es sich um Elimination von einem Mehr an Kochsalz
handelt.
Auf Grund unserer experimentellen Erfahrungen hegen wo¬
von diesen Verhältnissen folgende Vorstellung: Das Mehr an Koch-
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 359
salz wird nur da gut und prompt ausgeschieden, wo eine vermehrte
Wasserausscheidung eintritt. Diese vermehrte Wasserausscheidung
ist für uns das Zeichen einer vermehrten Arbeit der Nierengefäße.
Die Nierengefäße verhalten sich genau so wie beim Tier, wenn ihm
eine Kochsalzlösung in die Vene infundiert wird: sie erweitern sich
und sondern mehr Wasser ab. Antworten die Nierengefäße nicht
in dieser Weise auf die Mehrzufuhr von Kochsalz, so ist die Aus¬
scheidung des Kochsalzes selbst beim normalen meist nur unvoll¬
ständig; die Konzentration des Kochsalzes steigt wohl, aber nur
bis zu einer gewissen Grenze, d. h. die Tubuli können mit dem
mehreingeföhrten Kochsalz ohne die Mitwirkung der Nierengefäße
nicht fertig werden.
Die eben geschilderten beiden Typen der Ausscheidung einer
Kochsalzzulage sind zwei Extreme. Zwischen beiden finden sich
mannigfache Übergänge.
Ergebnisse bei nierenkranken Menschen.
Wir wandten die geschilderten Methoden hei nunmehr 150
nierenkranken Menschen an. Unter ihnen befinden sich Nieren¬
krankheiten der verschiedensten Arten, jedoch nur doppelseitige.
Der Lage der Dinge nach hat die Verwendung unserer Methoden
hei einseitigen Nephritiden keinen Zweck, da eine etwa vorhandene
einseitige Funktionsstörung ja jederzeit durch die andere Seite aus¬
geglichen werden kann. ' Für Prüfung mittels Ureterenkatheterismus
aber sind die Ausscheidungszeiten der körperfremden Substanzen zu
langdauernd. Es würden sich demnach nur unsere Erfahrungen hinsicht¬
lich der Wasser- und Kochsalzaussoheidung für einseitige Nephritiden
verwerten lassen. Inwieweit sie dafür in Betracht kommen, wird später¬
hin untersucht werden.
Die Einteilung unseres Materials haben wir nach den mit
unseren Methoden erhaltenen Resultaten vorgenommen. Wir unter¬
scheiden danach rein vaskuläre und rein tubuläre Nephritiden, und
ferner Nephritiden, bei denen Tubuli und Nierengefäße betroffen
sind. Unter ihnen wieder solche, bei denen die Nierengefäßschä¬
digung überwiegt (vaskulotubuläre) und solche, bei denen die Schä¬
digung der Tubuli überwiegt (tubulovaskuläre). Aus unserem
Material selbst wird sich ergeben, ob diese Einteilung bereits
überall durchführbar ist. Gleichzeitig steht zu hoffen, daß bei
dieser Einteilung die gemeinsamen Züge der einzelnen Formen der
Nephritiden deutlicher hervortreten.
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360
ScHLAYBR U. TAKAYASU
Wir beginnen mit den rein vaskulären bzw. überwiegend Tas¬
kulären Nephritiden.
I. Bein vaskuläre oder überwiegend vasknläre Nephritiden.
a) Akute.
Nach unseren experimentellen Erfahrungen müssen wir er¬
warten, daß bei reinen oder überwiegend vaskulären akuten Nephri¬
tiden, entsprechend der Gefäßschädigung, die Wasserabsondertine
und ebenso auch die Milchzuckerabscheidung leidet. Dagegen
müßte die Kochsalzausscheid ung und die Jodkalielimination sowohl
prozentual wie absolut nicht oder so gut wie nicht beeinträchtigt sein.
Die nachfolgenden Krankengeschichten mögen eine Reihe von
Beispielen dafür erbringen. Aus den einzelnen Fällen und ihrer
Entwicklung nach unseren Anschauungen wird am besten hervor¬
gehen, wie weit unsere Betrachtungsweise imstande ist, die Ver¬
hältnisse bei akuten Nephritiden zu klären.
1. N., 30jähr. Frau (s. Tabelle C, am Schlüsse der Arbeit, Fall 1).
Graviditätsnephritis: während der Schwangerschaft Ödeme von wechseln¬
der Stärke. 6 Wochen vor der Aufnahme normaler Partus. Mittelstarke
Ödeme bestehen noch, keine Urämie. Herz: o. B. Blutdruck 118— 123 .
Verhalten der Ausscheidung der körpereigenen Sub¬
stanzen:
Wasser: leichte Oligurie (1500 ccm Ausscheidung bei 2500 ccm
Einnahme).
Kochsalz: absolut: überschießt die Aufnahme etwas (12,96 resp.
13,44 g Ausscheidung gegen 11,2 resp. 11,4 g Aufnahme).
Prozentual: ausgezeichnete Ausscheidung (0,80 o / o im Durchschnitt.
0,84°/ 0 i“ roaximo).
Spez. Gewicht: 1016—20 bei 3 —6°/ 00 Albumen, also nach Abzug
des Eiweißes ein etwas dünner Urin.
Danach findet sich nur eine mäßige Oligurie. Von einer Hyposthenurie
kann kaum gesprochen werden, umsoweniger als hier auch das spezifische
Gewioht nicht fixiert ist, sondern ziemlich stark schwankt. Kochsalz
wird sowohl absolut wie prozentual sehr gut ausgeschieden.
Ausscheidung der körperfremden Substanzen: ergibt
für Milchzucker (2,0 g) eine Verlängerung auf das doppelte (8—9 Stunden
anstatt 4). Jodkali hingegen wird in normaler Zeit, in 50 Stunden, aus-
geschieden.
Verlauf: P. verließ die Klinik nach wenigen Tagen.
Wir haben hier die einfachsten Bedingungen vor uns. Pi«
einzige, krankhafte Veränderung der Ausscheidung von Wasser und
Kochsalz ist eine leichte Oligurie. Alles andere, das spezifische
Gewicht, die Kochsalzausscheidung, absolut und prozentual, ist
intakt. Wollen wir also hier auf der Basis unserer experiraen-
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 361
teilen Erfahrungen ein Urteil über den Charakter der Nephritis
abgeben, so ist die Antwort ganz eindeutig: nach ihnen hat
nephritische Oligurie eine Schädigung der Nierengefäße zur Grund¬
lage. Die Tubuli dagegen müßten nach der sehr guten Kochsalz¬
elimination intakt sein. Es muß sich also um eine reine vaskuläre
Schädigung handeln. Die Prüfung der körperfremden Substanzen
bestätigt das in bester Weise: Jodkali wird ganz übereinstimmend
mit der guten Kochsalzausscheidung normal eliminiert, die Milch¬
zuckerausscheidung dagegen ist auf das doppelte verlängert.
Beide Methoden geben danach gleichlautend an, daß es sich
um eine rein vaskuläre Nephritis handelt
Hier entspricht alles in jedem Punkte unseren Erwartungen.
Die Verhältnisse sind klar und eindeutig. Aber sie zeigen uns
leider nur einen kurzen Ausschnitt aus dem Bilde der akuten
vaskulären Nephritis, weil die Patientin die Klinik sehr bald ver¬
ließ. Dieser Mangel wird durch den nun folgenden Fall ergänzt.
Er schließt sich in seinem Beginn bis ins Detail dem vorausgehen¬
den an. Aber sein weiterer Verlauf bringt uns eine wesentliche
Erweiterung unserer Kenntnisse (s. Kurve 3 a auf Tafel II und
Tabelle C, Fall 2).
2. R., 19jährig. junger Mann. Akute Nephritis seit 6 Tagen,
Ätiologie unbekannt. Von vornherein Hämaturie. Keine Ödeme, keine
Urämie. Herz o. B. Blutdruck 122. Arterien stark gespannt, deutlich
palpabel.
Ausscheidung der körpereigenen Substanzen. Wasser:
Zu Beginn ca. 8tägige leichte Oligurie, dann dauernd etwa normale
Menge mit Neigung zu leichtester Polyurie (1500—1900 gegen 2000
Einfuhr), so auch zur Zeit der Milchzuckerinjektion.
Kochsalz: Von Anfang an sehr gute Elimination, sowohl absolut
wie prozentual; überscbießt die Einfuhr dauernd etwas (10—12 g Ein¬
fuhr gegen ca. 15 g Ausfuhr). Konzentration sehr hoch, ca. 0,8—0,9°/ o
bis 1,15°/^.
Spez. Gewicht schwankt bei 0,5 °/ 00 Albumen von 1014
bis 24.
In den Ausscheidungsverhältnissen der körpereigenen Substanzen ist
danach außer der zu Anfang vorhanden gewesenen Oligurie überhaupt
keine nennenswerte Änderung vorhanden. Es besteht nicht einmal eine
Hyposthenurie. Nur das Albumen, die Zylindrurie und die Hämaturie
zeigen das Vorhandensein einer Nierenschädigung an.
Ausscheidung der körperfremden Substanzen: Der Milch¬
zucker wird anstatt in 4 Stunden in 6 Stunden eliminiert, Jodkali da¬
gegen in 48 Stunden, also innerhalb normaler Grenzen.
Hier liegen die Dinge zunächst genau so wie in dem ersten
Fall: Es besteht eine deutliche Oligurie, aber keine Hyposthenurie,
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362
Schlaykb n. Takayasu
das Kochsalz wird sowohl absolut wie prozentual sehr gut ausge¬
schieden. Danach müssen wir anch hier eine rein oder doch weit
überwiegende vaskuläre Schädigung annehmen. Daß in der Tat
die Nierengefäße geschädigt sind, wird noch besonders wahrschein¬
lich durch die von Anfang an bestehende Hämaturie.
Aber allmählich verschwindet die Oligurie zusammen mit der
Hämaturie, und nun unterscheiden sich die Ausscheidungsverhält'
nisse in nichts mehr von der Norm. In Wirklichkeit ist jedoch die
vaskuläre Schädigung, die wir aus den anfänglichen Ausscheidung*-
verhalten erschlossen hatten, noch nicht ganz abgeklungen. Das
lehrt die Prüfung der körperfremden Substanzen. Es findet sich
noch eine, freilich geringe, Behinderung der Milchzuckers usschei-
dung. In voller Übereinstimmung mit den vorher gezogenen Schlüssen
auf eine rein vaskuläre Nephritis steht es, daß Jodkali in ganz
normaler Weise eliminiert wird.
Wir begegnen hier demnach zum erstenmal einer Erschei¬
nung, welche wir bei den experimentellen Nephritiden bisher nicht
kennen gelernt hatten: Bei vollkommen normaler, ja sogar leicht
vermehrter Wasserausscheidung wird Milchzucker deutlich, wenn
auch wenig verschlechtert ausgeschieden. Man wird sich fragen
müssen, welcher von den beiden Substanzen wir unter diesen Ver¬
hältnissen für unser Urteil mehr Gewicht beizulegen haben, den
Wasser oder dem Milchzucker. Nach unseren Vorversuchen kann
darüber kein Zweifel sein. Sie haben gelehrt, daß die Aasschei¬
dungsbedingungen des Wassers auch beim Menschen außerordentlich
labil, die des Milchzuckers dagegen sehr konstant sind. Unter
solchen Verhältnissen werden wir — vorausgesetzt, daß keine sehr
schweren anderweitigen Kesorptionsstörungen vorliegen — einer
Verlängerung des Milchzuckers eine weit größere Bedeutung bei¬
zumessen haben, als einem abweichenden Verhalten des Wassers.
Wenden wir dies auf den vorliegenden Fall an, so würde uns hier
die Verlängerung der Milchzuckerausscheidung zeigen, daß die zu
Beginn vorhandene vaskuläre Störung noch nicht ganz abgeheilt
ist. Das erscheint um so glaubhafter, als auch die Albuminurie
und die Oylindrurie noch nicht verschwunden sind.
Schon diese Überlegungen lassen es sehr wahrscheinlich er¬
scheinen, daß hier die Prüfung der Milchzuckerausscheidung das
Fortbestehen einer vaskulären Schädigung zu Recht anzeigt. In
noch viel deutlicherer Weise tut dies der Verlauf.
Verlauf (s. Kurve 3 a auf Tafel II): 7 Tage nach der Injektion
tritt unter Fieber eine typische Angina lacunaris auf. Sofortiges Wieder-
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 368
auftreten der Hämaturie, Alb. schnellt von 1 / 4 °/ 00 auf 7 °/ 00 empor. Das
Verhalten der körpereigenen Substanzen zeigt die Karvea starke Oligurie,
sehr starke Reduktion der prozentualen wie der absoluten Kochsalz¬
ausscheidung; darauf wird später an anderem Orte weiter einzugehen
sein. Es handelt sich also um einen akuten Nachschub der Nephritis.
Die Stärke, mit der er einsetzt, spricht dafür, daß in der Tat die vor¬
her vorhanden gewesene 8ohädigung noch nicht ganz ausgeglichen war.
Sehr bald sinkt mit der Entfieberung die Eiweißmenge wieder ab, die
Hämaturie verschwindet nach 6 Tagen und nun stellt sich auch prompt
wieder annähernd dasselbe Verhalten der Ausscheidung her, wie vor der
akuten Verschlimmerung. Das Wasser wird in annähernd normalem
Verhältnis zur Einfuhr eliminiert, gelegentlich leichte Polyurie. Das
Kochsalz wird sowohl absolut wie prozentual sehr gut ausgeschieden.
Das einzige, was gegenüber dem Verhalten vor der Verschlimmerung
auffällt, ist, daß nun das spezifische Gewicht sich dauernd niedriger hält,
und bei gleich niedrigem Eiweißgehalt viel geringere Schwankungen aus¬
führt als zuvor (vorher 1014—24, jetzt dauernd 1014—18). Es ist
demnach ein Sinken des Durchschnitts des spezifischen Gewiohts ein¬
getreten und gleichzeitig eine Fixation desselben. Im übrigen keine
Veränderung, keine Drucksteigerung, keine Urämie. Entlassen mit Spur
Albumen und einzelnen Zyl. ohne Erscheinungen von Herz- und Blut¬
druck.
9 Monate später: Zur Nachuntersuchung eine Woche aufge¬
nommen. Keine Ödeme, keine Urämie, Herz o. B. Druck 126 mm Hg,
Arterien wieder stark gespannt. (Kurve 8 b auf Tafel II.)
Aussaheidung der körpereigenen Substanzen:
Wasser: Deutliche beträchtliche Polyurie (2500 ccm Ausfuhr gegen
2000 Einfuhr).
Kochsalz: wird sowohl absolut wie prozentual sehr gut aus¬
geschieden. Einfuhr etwa gleich Ausfuhr resp. etwas überschießend
(10 g Einfuhr gegen 10,5 g Ausfuhr). Prozent. Konzentration 0,87 °/ 0
durchschnittlich. 8pez. Gewicht jetzt 1010—14. Deutliche Spuren von
Albumen und Zylindrurie.
Ausscheidung der körperfremden SubstaUzen: Jodkali wird wie
früher normal ausgeschieden (52 Stunden gegen 48 Stunden früher), der
Milchzucker aber wird nach wie vor verlängert ausgeschieden, und zwar
ebenso wie damals auf 6 Stunden.
Danach hat sich inzwischen der Typ der Ausscheidung wesent¬
lich geändert Während früher keine deutliche Hyposthenurie be¬
stand, ist jetzt eine solche vorhanden und zwar trägt sie den aus¬
gesprochenen Charakter der leichten vaskulären: überschießende
Urinmengen, hohe Kochsalzkonzentration, unbehinderte absolute
Kochsalzansscheidung.
Legen wir auch dieser Ausscheidungsveränderung unsere experi¬
mentellen Erfahrungen zugrunde, so ist inzwischen eine Über¬
empfindlichkeit der Nierengefäße eingetreten, welche früher
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364
Schlaykb u. Takayasu
nicht vorhanden war. Und ganz dementsprechend verhält sich das
spezifische Gewicht: es ist nicht bloß noch weiter gesunken als
gegen das Ende der ersten Beobachtung und hat jetzt einen sehr
niederen Grad erreicht, sondern es hält außerdem jetzt noch viel
ausgesprochener seine Höhe fest, mit anderen Worten, auch seine
Fixation hat zugenommen. Die Veränderung des spez. Gewichts,
welche sich zu Ende der ersten Periode schon in angedeuteter
Weise einstellte, hat also inzwischen ganz gleichmäßig und in
gleicher Richtung zugenommen.
Aus der Ausscheidungsveränderung, wie sie jetzt vorliegt,
können wir nur den Schluß ziehen, daß die Nierengefäße über¬
empfindlich sind, und ferner den, daß die Tubuli, nach der sehr
guten absoluten und prozentualen Kochsalzausscheidung zu urteilen,
nach wie vor normal arbeiten. Das letztere wird auch jetzt wieder
durch die Prüfung der Jodkaliausscheidung bestätigt. Hinsichtlich
der Nierengefäße aber liegen die Dinge besonders interessant Trotz
der inzwischen aufgetretenen Polyurie sehen wir auch jetzt noch
genau dieselbe Verschlechterung der Milchzuckerausscheidung wie
damals; danach besteht bei dem Patienten nach wie vor eine leichte
vaskuläre Schädigung fort, zugleich mit einer allmählich ausge¬
bildeten Überempfindlichkeit der Nierengefäße. Daß auch hier der
Milchzucker richtig anzeigt, daß in der Tat die Nephritis in den
neun dazwischenliegenden Monaten noch keineswegs ausgeheilt ist,
das zeigt nicht bloß das Albumen und die Cylindrurie, sondern auch
für unsere bisherige Betrachtungsweise die Ausscheidungsverände¬
rung, die durchaus den Typ der Schrumpfniere zeigt. Wir sehen
hier zum zweitenmal ein solches Auseinanderfallen von Wasser¬
ausscheidung und Milchzuckerelimination; das erste Mal zeigte sich
der Milchzucker bei anscheinend normaler Wasserausscheidung noch
verlängert; hier ist er es gar bei Polyurie.
Die Lehren, die dieser Fall gibt, erweitern unsere Vorstel¬
lungen: wir sehen, wie eine nach unseren Untersuchungen akute
vaskuläre Nephritis allmählich aus dem Zustande der Oligurie in
den anscheinend normaler Ausscheidungsverhältnisse übergeht. Die
Milchzuckerprüfung aber zeigt an, daß die vaskuläre Schädigung
noch nicht ausgeheilt ist. Und wie recht sie damit hat, beweist
die zweite Beobachtung neun Monate später: inzwischen haben sich
die Ausscheidungsbedingungen ganz so geändert wie bei einer
Schrumpfniere, und auch jetzt wieder zeigt nur der Milchzucker
dos Fortbestehen der vaskulären Schädigung direkt an. Wir haben
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 365
also hier vor unseren Augen aus einer akuten vaskulären Ne¬
phritis eine chronische resp. subchronische vaskuläre werden sehen.
In noch eindrucksvollerer Weise zeigt dasselbe Bild der nächst¬
folgende Fall:
3. H., 27jähriger Mann. Akute Nephritis seit 4 Tagen, Gesichts-
Ödem, leichte Urämie, Herz o. B. Blutdruck 130 mm Hg. Kein Fieber
(s. Kurve 4 a auf Tafel III und Tabelle C, Fall 3).
Verhalten der Ausscheidung der körpereigenen Substanzen:
Wasser: in den ersten Tagen Oligurie (800—1100 ccm Ausfuhr
gegen 2000 Einnahme). Am Tage vor der Milchzuckerinjektion und au
diesem selbst erstmals Besserung der Wasserausscheidung: 18—1900 gegen
2000 Einfuhr.
Kochsalz: absolut: in den ersten Tagen ist die Ausfuhr bei sehr
geringer Einfuhr (Milchdiät) ebenfalls sehr gering, erreicht jedoch die
Einfuhr, steigt allmählich und überschießt dann etwas die Zufuhr (3 1 /, g
Ausfuhr gegen ca. 3 g Einfuhr).
Die prozentuale Ausscheidung des Kochsalzes ist zu Anfang recht
niedrig, beginnt mit 0,21°/ 0 , bessert sich dann ebenso wie die absolute
Ausscheidung rasch auf 0,43 °/ 0 .
Am Tage der Injektion bleibt die NaCl-Ausfuhr trotz der besseren
Wasserdiurese etwas hinter der Einfuhr zurück (11,2 Einfuhr gegen 10 g
Ausfuhr). Die prozentuale Konzentration ist bereits wieder auf 0,66°/ 0
angelangt.
Spez. Gewicht 1010—14 bei l°/ 00 Albumen, ist stark fixiert.
Am Tage vor der Injektion setzte Hämaturie ein und blieb bis
zwei Tage nachher bestehen.
Es bestand demnach bis unmittelbar vor der Prüfung mit unsern
Methoden Oligurie, außerdem aber eine Hyposthenurie, die die Charakte¬
ristika einer leichten tubulären zeigt (niedrige absolute und prozentuale
Kochsalzausscheidung). Zur Zeit der Injektion waren die Erscheinungen
der letzteren so gut wie ausgeglichen, die Kochsalzkonzentration ist recht
gut, die absolute Kochsalzmenge fast gleich Einfuhr; die Hyposthenurie
nähert sich also jetzt mehr der vaskulären.
Prüfung der körperfremden Substanzen: Die Milchzuckerausschei¬
dung ist anstatt in 4 Stunden in 12 Stunden noch nicht beendigt (wieder¬
gewonnene Menge 73°/ 0 ), und Jodkali weist eine geringe Verlängerung bis
auf 68 Stunden auf.
Auch hier sehen wir zunächst eine Oligurie, aber sie unter¬
scheidet sich von den beiden vorausgegangenen Fällen dadurch,
daß sie bereits mit Hyposthenurie, niederem spez. Gewicht und
Fixation verknüpft ist, während jene beiden im Anfang keine
ausgeprägte Hyposthenurie aufwiesen. Wir könnten daraus schließen,
daß sich hier schon eine Überempfindlichkeit ausgebildet hat.
Daran hindert uns jedoch die sehr schlechte Kochsalzausscheidung
(absolut wie prozentual) zusammen mit der Oligurie: die Hyposthe-
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SCHLAYBR O. TAKAYASU
nurie trägt hier mehr das Bild der tubulären. Wir müssen als«
wohl eine Schädigung der Tubuli annehmen, und die zugleich be¬
stehende Oligurie weist auf eine gleichzeitige Läsion der Nieren-
gefäße hin.
Zur Zeit der Prüfung der körperfremden Substanzen haben
sich die Verhältnisse bereits geändert: die Kochsalzausscheidone
hat sich absolut wie prozentual so bedeutend gebessert, daß tob
einer ausgeprägten tubulären Hyposthenurie jetzt keine Rede mehr
sein kann, wenn auch das leichte Zurückbleiben der absolutes
Kochsalzausfuhr hinter der Einfuhr noch das Vorhandensein einer
gewissen Beschränkung der Tubulusfunktion anzeigt Auch die
Wasserausscheidung hat sich so gehoben, daß sie jetzt sogar schon
als leichte Polyurie zu bezeichnen ist.
Nach diesem Ausscheidungsverhalten ist also sowohl die Schä¬
digung der Tubuli, wie auch die der Nierengefäße wesentlich zurück¬
gegangen. An den Tubulis kann nur ein geringer Rest der Schä¬
digung vorhanden sein. Das Verhalten des spez. Gewichts und die
Polyurie lassen erkennen, daß an dep Nierengefäßen eine gewisse
Überempfindlichkeit besteht. Die Frage, ob nebenbei noch eine
Schädigung der Nierengefäße vorhanden ist, müßten wir, wollten
wir uns nach der Menge des geförderten Wassers richten, wie bis¬
her eigentlich stillschweigend geübte Grundvorstellung war. dahin
beantworten, daß eine solche nicht mehr in nennenswertem Grade
vorhanden sein könne.
Das ist von vornherein sehr unwahrscheinlich, denn wir können
uns kaum denken, daß eine so schwere Schädigung der Nierengefaße.
wie sie die vorausgehende Oligurie verriet, in zwei Tagen plötzlich ver¬
schwunden sein soll; erst recht spricht dagegen, daß unmittelbar
vor dem Einsetzen der besseren Wasserausscheidung auch frische
Hämaturie aufgetreten ist und noch andauert. Und in der Tat
gibt auch hier wieder die Prüfung der körperfremden Substanzen
einen sehr viel tieferen Einblick: während die körpereigene, in
ihrer Sekretion sehr labile Substanz, das Wasser, keine Nieren¬
gefäßschädigung mehr erkennen läßt, zeigt die körperfremde, in ihrer
Ausscheidung konstante Substanz, der Milchzucker, eine schwere
Schädigung der Nierengefäße an: sie ist auf mehr als das Drei¬
fache der Norm verschlechtert (nach 12 Stunden noch nicht be¬
endigt). Wir sehen hier zum drittenmal dieses eigenartige Ans¬
einanderfallen von Wasser- und Milchzuckerelimination bei Nieren¬
gefäßschädigung, und hier ist die gute Wasserausscheidung bei
verschlechterter Milchzuckerelimination nm so auffallender, als doch
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren keim Uenschen. 367
die starke Verschlechterung des Milchzuckers eine sehr schwere
Nierengefäßläsion anzudeuten scheint. Die schlechte Milchzucker-
ausseheidung bestätigt damit durchaus die Deutung, welche wir
der vorausgehenden Oligurie und der Hämaturie gegeben hatten.
Auch unsere Überlegungen für die Tubuli finden ihre Be¬
stätigung durch die körperfremde Substanz; Jodkali wird in der
Tat deutlich, wenn auch nur in geringem Grade verlängert aus¬
geschieden.
Damit ergibt sich als Gesamturteil: es handelt sich um eine
schwere vaskuläre Funktionsstörung neben einer im Abklingen be¬
griffenen leichten tubulären.
Sehen wir zu, was der weitere Verlauf dazu sagt.
Weiterer Verlauf (s.Kurve4a auf Tafel III): Parallel mit der Polyurie
Ansteigen des Drucks, ▼on 110 auf 130 mm Hg zuerst; dann tritt unter
weiterem Steigen des Drucks auf 175 mm leichte Oligurie (resp. scheinbar
normale Urinmenge) und ausgeprägte Urämie zusammen mit starkem Steigen
des Albumengehalts ein. Nun folgt gleichzeitig allmähliches Sinken des
Blutdrucks auf 130 mm Hg und Steigen der Urinmenge, dann unter
Verharren des Blutdrucks auf demselben niederen Niveau (135—145 mm Hg)
ziemlich plötzlich sehr starke Polyurie und Polychlorurie mit rapidem
Verschwinden der Ödeme (siehe Gewichtskurve).
Iu dieser Periode führten wir eine zweite Prüfung mit unseren
Methoden aus. Verhalten der körpereigenen Substanzen:
Wasser: starke Polyarie (3200-—3400 ccm gegen 2000 Einfuhr).
Kochsalz: absolut werden sehr große Mengen ausgefübrt, die Aus¬
fuhr überschießt die Einfuhr weit (10—13 g Einfuhr gegen 23—25 g
Ausfuhr); aber auch die prozentuale Konzentration ist sehr hoch (0,70
bi. 75*/,).
Spez. Gewicht des Urins bei 1—2°/ 00 Albumen dauernd 1010, also
vollkommene Fixation.
Die Hämaturie besteht in geringem Grade weiter.
Das Gesamtbild ist das typische der vaskulären Hyposthenurie: stärk
überschießende Wassermengen bei hoher Kochsalzkonzentration und un¬
behinderter absoluter Kochsalzelimination.
Ausscheidung der körperfremden Substanzen: Jodkali wird in
48 Stunden glatt eliminiert. Der Milchzucker wird nach wie vor ver¬
längert ausgeschieden. Er wird wohl etwas besser eliminiert als vorher
(in 8 Stunden gegen mehr als 12 bei der ersten Prüfung), aber immer
noch aufs Doppelte verlängert.
Diese Weiterentwicklung ist in mehrfacher Richtung von Inter¬
esse: Offensichtlich war die Besserung der Ausscheidung zur Zeit
der ersten Prüfung nur vorübergehender Natur. Ihr folgt jetzt
sofort eine Periode normaler Wasserausscheidung resp. leichtester
Oligurie; das Kochsalz wird davon kaum mehr berührt, sondern
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bleibt in guter Elimination. Diese anscheinend normale Wasser¬
ausscheidung entspricht jedoch keineswegs einer Wiederherstellani'
der Niere, ebensowenig wie in Fall 2. Das zeigt aufs deutlichste
die gleichzeitig einsetzende Urämie sowie das Hochschnellen des
Blutdrucks weisen darauf hin, daß noch eine schwere Störung der
Nierentätigkeit vorhanden sein muß und bestätigen damit das Er¬
gebnis der Milchzuckerausscheidung. Nun folgt eine Periode maxi¬
maler Polyurie und Polychlorurie.
Nach den bisher üblichen Vorstellungen ist diese Polyurie ein Zeichen,
daß die Niere wieder durchgängig geworden sei, und man pflegt solche
Polyurien als die Folge der Drncksteigerung zu betrachten, infolge Fil¬
tration unter erhöhtem Druck. Es spricht nicht gerade für diese An¬
schauungen, daß die Hämaturie trotz des Durchgängigwerdens fortbestek
und der Druck mit dem Einsetzen der Polyurie dauernd niedrig bleibt.
Nach unseren experimentellen Erfahrungen müssen wir in
dieser Polyurie und Polychlorurie eine typische vaskuläre Hyp>
sthenurie sehen. Sie bedeutet mithin für uns, daß die Nieren-
gefäße nun sehr stark überempfindlich sind. Ob sie geschädigt
sind oder nicht, können wir aus diesem Verhalten nicht erschließen.
Die Tubuli müssen, nach der vorzüglichen Kochsalzelimination
zu urteilen, jetzt intakt sein; selbstverständlich können wir in
diesem Falle die absolute Kochsalzausscheidung nur bedingt zn
diesem Urteil verwerten; denn die großen Urinmengen müssen
schon an sich eine gute absolute Kochsalzelimination bis zu einen
gewissen Grade gewährleisten. Wichtiger ist in solchem Falle die
Kochsalzkonzentration; auch sie ist jetzt im Gegensatz zu der
ersten Prüfung sehr gut. Gerade in solchen Fällen wie dem vor¬
liegenden ist die Annahme, die uns schon durch experimentelle
Erfahrungen nahegelegt wurde, sehr plausibel, daß hier auch die
Tubuli an dem starken Überempfindlichkeitsreiz, dem die Nieren¬
gefäße offensichtlich unterliegen, teilnehmen. Jedenfalls muß der
früher vorhanden gewesene Rest von tubulärer Schädigung jetzt
vollkommen verschwunden sein.
Dies wird bestätigt durch die Prüfung der körperfremden
Substanzen: die Jodkaliausscheidung ist jetzt in der Tat von ob
auf 48 Stunden, auf einen völlig normalen Wert herabgesunken:
nach beiden Methoden gemessen, arbeiten die Tubuli nunmehr
normal.
Die Nierengefaße dagegen bieten wieder das schon bekannte
Verhalten, nur diesmal in geradezu paradoxer Stärke des Gegen¬
satzes: während das Wasser in sehr großen Mengen ausgeschieden
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 369
wird, ist die MilchzuckerausscheiduDg nach wie vor verschlechtert,
zwar etwas weniger als früher, aber immer noch um das Doppelte
verlängert. Selbst diese starke Polyurie hat nicht vermocht, den
Milchzucker auch nur innerhalb der normalen Zeit auszuscheiden,
geschweige denn ihn verkürzt zu eliminieren. Die Vorstellung
einer einfachen Ausschwemmung des Milchzuckers wird man
unter solchen Verhältnissen gewiß nicht mehr aufrecht erhalten
können. Trotz der sehr starken Polyurie besteht also noch eine
recht beträchtliche Schädigung der Nierengefäße fort.
Auch hier wird dieser Schluß nicht nur durch das Fortbestehen
der Hämaturie, sondern auch durch den endgültigen Verlauf, wie
im Fall 2, eindringlich unterstützt:
Nach völliger Entleerung der Ödeme blieb nach wie vor eine
dauernde ziemlich beträchtliche Polyurie bestehen, das spezifische Gewicht
betrug dauernd zwischen 1007 und 1010, war also nicht nur sehr nie¬
drig, sondern auch fixiert, die Kochsalzausscheidung überschoß meist
etwas die Einfuhr, ihre prozentuale Konzentration schwankte zwischen
0,5—0,6 °/ 0 . Es blieb somit eine typische vaskuläre Hyposthenurie be¬
stehen, außerdem Spuren von Albumen und Zylinder. Der Druck war
auf 120 gesunken, das Herz o. B.
Auch hier sehen wir demnach die Dinge in das Verhalten der
Ausscheidung ausklingen, welches wir schon seit langem als chara-
teristisch für die sekundäre Schrumpfniere kennen, und daß bei
ihr in der Tat vaskuläre Veränderungen vorliegen, wird ja von
niemand bezweifelt.
Im wesentlichen ist es dasselbe Bild, welches sich hier vor
unseren Augen entrollt, wie in dem vorhergehenden Falle, nur daß
sich die Dinge hier viel rascher abwickeln als dort. Es handelt
sich wieder um eine ganz überwiegend vaskuläre Nephritis, die
nur zu Anfang Reste einer leichten tubulären Beteiligung auf¬
weist. Sie beginnt wieder mit Oligurie, dann folgt mächtigste
Polyurie mit den Zeichen sehr starker Überempfindlichkeit der
Nierengefäße, trotzdem Fortbestehen der Nierengefäßschädigung,
während die Tubulusschädigung inzwischen ausgeglichen ist, und
zum Schluß auch hier wieder Fortbestehen einer Ausscheidungs¬
veränderung, die auf Andauern der Nierengefäßüberempfindlichkeit
hinweist. Von besonderem Interesse ist bei diesem Fall wie im
vorhergehenden die Nachprüfung nach einer längeren Zeitspanne
(siehe Kurve 4 b auf Taf. III).
Ein Jahr später: volle Arbeitsfähigkeit, keine Ödeme, keine
Urämie, keine Veränderung am Herzen, Blutdruck 115 mm Hg, aber
nach wie vor stark gespannte und palpable Arterien.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bil. 24
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Körpereigene Substanzen: Wasser: wird noch immer stark
überschießend eliminiert bei 2200 Einnahme bis 2700 ccm Ausfuhr. 1 )
Kochsalz: absolute Ausscheidung überschießt deutlich (23,5 g Aus¬
fuhr gegen 15,0 g Einfuhr), die prozentuale Konzentration ist ans¬
gezeichnet (0,84°/ 0 ).
Spez. Gewicht ist nach wie vor sehr niedrig (1012) und -tark
fixiert.
Kein Albumen mehr, keine Zylindrurie.
Ausscheidung der körperfremdeu Substanzen: Jodkali wird nicht
geprüft, da die Kochsalzausscheidung ebenso wie bei der zweiten Prüfung
sehr gut ist, also eine Tubulusschädigung sicher nicht besteht. Der
Milchzucker wird jetzt in 5 Stunden ausgeschieden.
Es besteht demnach selbst ein volles Jahr Dach der Entlassung
noch dieselbe Ausscheidungsveränderung wie bei der Entlassung:
Absonderung eines sehr dünnen und reichlichen Urins, nach auseren
Anschauungen eine vaskuläre Hyposthenurie. Es muß somit noch
heute, nach wie vor eine Überempfindlichkeit der Nierengefäße vor¬
handen sein, und auch jetzt scheinen die Tubuli noch in geringem
Grade daran teilzunehmen. Was sich aber inzwischen wesentlich ver¬
ändert hat, das ist die Ausscheidung des Milchzuckers; sie beträgt
jetzt nur noch 5 Stunden, also einen Wert, der das Maximum der Norm
darstellt. Von einer deutlichen Verlängerung der Milchzuckerausschei¬
dung kann hier nicht mehr gesprochen werden: mit anderen Worten,
eine Schädigung der Nierengefäße ist jetzt nicht mehr sicher nach¬
weisbar. Damit soll keineswegs behauptet werden, daß sie die
frühere Schädigung auch anatomisch ohne Reste ausgeheilt sei:
darüber können wir nichts aussagen, wie schon in der Einleitung
betont. Dagegen können wir mit Sicherheit aus der Milchzucker¬
ausscheidung schließen, daß hier die Nierengefäßschädigung funk¬
tionell ausgeglichen ist. Dem entspricht auch vollkommen, daß
inzwischen Albumen und Zylindrurie spurlos verschwunden sind.
Trotzdem können wir diese Niere noch nicht als völlig normal be¬
trachten; denn noch besteht eine sehr ausgeprägte Ausscheidungs¬
veränderung, die uns zur Genüge darüber belehrt, daß noch eine
erhebliche Überempfindlichkeit der Nierengefäße vorhanden sein muß.
Wir verfügen noch über einige analoge Fälle, die in ganz gleicher
Weise abliefen. Sie sind in der Tabelle aufgeführt (s. Tabelle
Fall 8 und 9). Wir verzichten darauf, sie an dieser Stelle ausführ¬
licher mitzuteilen; sie bestätigen das, was wir im vorstehenden
!) An dem ersten Tag auf der Kurve (4. Juli) war nur ein Teil des Ge¬
samt urins gesammelt: erst der 5. Juli ist voll zu rechnen. Über diesen ersteu
Tag wird später zu sprechen sein.
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 371
bereits in typischen Beispielen gezeigt. Bei allen diesen Nephri¬
tiden setzt die Nephritis mit Oligurie ein, die Kochsalzaus¬
scheidung ist sehr gut, sowohl absolut wie prozentual und erscheint
in keiner Weise oder so gut wie nicht beeinträchtigt; das spe¬
zifische Gewicht, zum Teil schon niedrig und fixiert, zum Teil aber
auch noch in normaler Weise hoch und wechselnd. Prüft man in
diesem Stadium, so findet sich starke Verlängerung der Milchzucker¬
ausscheidung ohne Verlängerung der Jodkalielimination. In allen
diesen Fällen stimmen, wie die Tabelle zeigt, beide Methoden, die
Prüfung der körpereigenen, wie die der körperfremden überein:
sie zeigen immer eine rein vaskuläre Nephritis.
Dann folgt bei allen diesen Nephritiden eine Periode mehr
minder starker Polyurie, mit überschießenden Kochsalzmengen
und hoher absoluter Kochsalzkonzentration. In dieser Phase sinkt
das spezifische Gewicht auch da, wo es bisher hoch gewesen, rasch
ab und bleibt auf niedriger Höhe sehr gleichmäßig fixiert. Prüft
man jetzt von neuem, so ergibt sich mit derselben Gleichmäßigkeit,
wie in den gegebenen Beispielen, trotz der vielleicht sehr starken
Polyurie nach wie vor eine starke Verlängerung der Milchzucker¬
ausscheidung, während die Ausscheidung des Jodkali ebenso wie
vorher normal ist. Die Nierengefäßschädigung besteht. also trotz
der Polyurie noch fort, nur ist jetzt noch eine starke Überempfind¬
lichkeit der Nierengefäße hinzugetreten und in dieser sehen wir
die Ursache der Polyurie; darf man aus den stark überschießenden
Kochsalzmengen analog experimentellen Ergebnissen schließen, so
erstreckt sich diese Überempfindlichkeit vielleicht auch auf die
Tubuli. Daß bei solchen Verhältnissen in der Tat die Nieren¬
gefäßschädigung trotz der mitunter hochgradigen Polyurie noch
nicht abgeheilt ist, zeigen die häufigen Verschlechterungen und
Nachschübe, die gerade in dieser Zeit einsetzen und entsprechend
dem überwiegenden oder rein vaskulären Charakter der Nephritis
vorzugsweise die Nierengefäße treffen, und zwar selbst da, wo vor¬
her die Tubuli mitgeschädigt gewesen waren. Ein Beispiel dieser
Art zeigt schon in leichter Andeutung der Fall Nr. 3 nach der
ersten Prüfung (Kurve 4 a auf Taf. HI). Sehr deutlich zeigt sich
dieses Verhalten ebenso wie auch die Polyurie bei starker Gefä߬
schädigung im nachfolgenden Fall. Bei ihm ist auch die Ätiologie
der Nephritis bekannt und von besonderem Interesse.
4. Sch., 54jähr. Mann. Nephritiß acuta haemorrhagica bei phleg¬
monöser Infiltration des linken Armes, ausgehend von septischer Wunde.
Mittleres Fieber zwischen 38—39°, Milzschwellung, Ödeme, Herz o. B,
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Druck 140 mm Hg. Arterien trotz des Fiebers ziemlich gespannt (Tabelle C.
Nr. 4).
Ausscheidung der körpereigenen Substanzen: 'Wasser:
zunächst Oligurie für einige Tage, dann leichte Polyurie für etwa acht
Tage, nun aber wieder Absinken der Urinmenge auf eine absolut ge¬
messen normale Menge (2000 ccm Einfuhr gegen 1400—1600 Ausfuhr.
So auch am Tage der Injektion 2000 ccm Ausfuhr gegen 2500 ccm Einfuhr.
Kochsalz: überschießt die Einfuhr dauernd, auch während des
Absinkens der Urinmenge auf anscheinend normale Mengen. Am Tsg
der Injektion betrug die Ausfuhr 11,7 g gegen 8,9 g Einfuhr. Die
Konzentration war 0,55—0,58°/ 0 .
Spez. Gewicht trotz des Fiebers von Anfang an sehr niedrig, dabei
außerordentlich konstant, dauernd 1010, bei 1—2°/ 00 Albumen. Starke
Hämaturie.
Es handelt sich somit um eine ausgesprochene Hyposthenurie; sie
nähert sich in der Unbehindertheit der absoluten Kochsalzausscheidung
der vaskulären Hyposthenurie, unterscheidet sich jedoch von ihr dadurch,
daß sie nicht mit vermehrter WasserabBonderung einhergeht, sondern nur
mit einer annähernd normalen. Die Kocbsalzausscheidung ist absolut
seht* gut, dagegen ist die Konzentration etwas niedrig.
Die Ausscheidung der körperfremden Substanzen ergibt: Milch¬
zucker ist im Urin überhaupt quantitativ nicht wiederzugewinnen. Auch
der qualitative Nachweis mit Nylander ist kaum eben zu erbringen und
nur in den ersten Stunden nach der Injektion ganz schwach positiv,
später nicht mehr. Jodkali dagegen wird in 66 Stunden ausgeschiedeu.
Hier liegen die Verhältnisse höchst bemerkenswert: aus dem
Verhalten der Wasserausscheidung läßt sich — zur Zeit der In¬
jektion wenigstens — keinerlei sicherer Schluß auf die Nieren¬
gefäße ziehen; das niedere und fixierte spezifische Gewicht läßt
an eine Überempfindlichkeit der Nierengefäße denken, aber es fehlt
die damit sonst, wenigstens bei der typischen vaskulären Hypo¬
sthenurie verbundene Polyurie. Die Urinmenge ist hier im Ver¬
hältnis zur Einfuhr ganz normal. Die Prüfung der Milchzuckeraus-
scheidung aber zeigt, daß in Wirklichkeit eine sehr schwere Schä¬
digung der Niereugefaße vorliegt: der Milchzucker läßt sich quan¬
titativ überhaupt nicht wiedergewinnen.
Daß auch hier wieder die Milchzuckerausscheidung richtig an¬
gibt, lehrt die Exacerbation der Hämaturie, die gerade in diesen
Tagen auftrat, und ebenso zeigten gleichzeitig einsetzende urä¬
mische Symptome, daß es sich in der Tat um eine schwere Nephritis
handelte. Zu gleicher Zeit stieg auch der Druck auf 155 mm Hg.
Die Funktion der Tubuli ist in diesem Falle nicht ganz leicht
zu beurteilen. Nach der guten absoluten Kochsalzausscheidung
müßten sie intakt sein. Die prozentuale dagegen ist ziemlich
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 373
niedrig. Hätten wir es hier mit einer starken Polyurie zn tun,
so würde das keine Bedenken erwecken: es könnte sich analog
experimentellen Erfahrungen um eine so starke Überempfindlich¬
keit der Nierengefaße handeln, daß das Kochsalz nur in einiger
Verdünnung ansgeschieden werden kann. Aber hier ist keine
Polynrie vorhanden, sondern nur eine etwa normale Urinmenge,
und so kann die niedere Konzentration nicht nur auf diese Weise
erklärt werden, sondern muß wohl auch eine gewisse Beeinträch¬
tigung der Tubuli zur Ursache haben. Eine tiefgreifende Schädigung
ist jedoch nicht vorhanden, das zeigt nicht nur die gute absolute
Kochsalzausscheidung, sondern auch das Verhalten der Jodkaliaus¬
scheidung: sie ist nur in geringem Grade verlängert, auf 66 Stunden.
Auch hier ist der weitere Verlauf von wesentlichem Interesse:
Verlauf: Andauern des Fiebers, aber Sinken des Drucks auf 110
bis 112 mm Hg, ebenso enormes Sinken des Körpergewichts und Verschwin¬
den der Ödeme und der Urämie. Beträchtliche Polyurie und stark über¬
schießende Kochsalzmengen. Andauern der Hämaturie.
12 Tage nach der ersten Injektion zweite Prüfung:
Ausscheidung der körpereigenen Substanzen:
Was8er: überschießt stark, 2500—3000 ccm gegen 2500 ccm Zu¬
fuhr.
Kochsalz überschießt stark die Einfuhr (13—15 g Ausfuhr gegen
8 g Einfuhr). Prozentual 0,5—0,61 °/ # .
Spez. Gewicht gleich niedrig wie bei der ersten Prüfung, 1010 bei
V s °/ 00 Albumen.
Danach besteht jetzt eine ausgesprochene vaskuläre Hyposthenurie.
Die Kochsalzausscheidung hat sich in keiner Weise geändert, ist
auch prozentual etwa gleich geblieben.
Ausscheidung der kö rperfrem den Su bst an zen : Milch¬
zucker wird jetzt in deutlich verfolgbarer Weise eliminiert, aber nur bis
zu 6 Stunden, nach dieser Zeit ist er quantitativ nicht mehr zu finden.
Bis dahin sind erst 34 °/ 0 der injizierten Menge wiedergewonnen. Jod¬
kali wird wieder in 63 Stunden eliminiert.
Der einzige Unterschied in der Ausscheidung der körpereigenen
Substanzen besteht zur Zeit dieser zweiten Prüfung darin, daß jetzt
deutlich starke Polyurie herrscht. Diese Polyurie zeigt nun das aus¬
geprägte Bild der vaskulären Hyposthenurie: überschießende Urin¬
mengen, sehr gute absolute und auch leidliche prozentuale Koch¬
salzausscheidung. Wir müssen danach eine beträchtliche Über¬
empfindlichkeit der Nierengefäße annehmen. Darüber, ob sie ge¬
schädigt sind, erfahren wir aus der Wasserausscheidung nichts.
Der Milchzucker dagegen zeigt wieder eine sehr starke Schädigung
an; wir sehen auch hier wieder dasselbe Verhalten wie schon mehr¬
fach in Fall 2 und 3: schlechte Milchzuckerausscheidung bei sehr
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guter Wasserausscheidung, und insofern bildet der Fall nur eine
Wiederholung jener Erfahrungen. Von Interesse ist hier, daß di»*
Milchzuckerausscheidung jetzt, nachdem die Polyurie eingesetzt
hat, besser geworden ist, als zur Zeit der scheinbar normalen
Wasserausscheidung bei der ersten Prüfung. Danach scheint mit
der Polyurie doch eine Besserung der Nierengefäßtätigkeit ein¬
getreten zu sein. Damit stimmt auch das klinische Bild überein
Ödeme, Urämie und Drucksteigerung sind verschwunden; aber di«
Gefäßschädigung ist noch keineswegs abgeheilt, das zeigt neben
der Milchzuckerausscheidung wieder sehr deutlich das Fortbestehen
der Hämaturie.
Auch in diesem Falle möchten wir auf das geradezu entgegengesetzt«
Verhalten von Drucksteigerung und Polyurie hinweisen: jetzt, wo stark-
Polyurie herrscht, ist der Druck zur Norm abgefallen; vorher als relative
Oligurie vorhanden war, stieg er stark an.
Die Tubuli sind nach beiden Methoden so gut wie intakt in
ihrer Funktion. Die noch immer ziemlich niedrige Kochsalzkon¬
zentration könnte sich jetzt wohl durch die Polyurie in dem obigen
Sinne erklären, daß infolge der starken Überempfindlichkeit der
Nierengefäße das Kochsalz nur in niedriger Konzentration aus¬
geführt werden kann. Eine gröbere Störung der Tubuli kann zum
mindesten nicht mehr vorliegen.
Überblicken wir das Bild, das wir von dieser Nephritis mit
Hilfe unserer Methoden gewinnen, so handelt es sich um ein«
von septischer Infektion ausgehende weit überwiegend vaskuläre
Nephritis. Sie befand sich bei der ersten Prüfung in einem akuten
vaskulären Nachschub, der sich unmittelbar an eben einsetzende
Besserung anschloß. .Bei der zweiten Prüfung dagegen ist nun
eine definitive Besserung eingetreten; freilich besteht noch nach wie
vor eine schwere Schädigung der Nierengefäße mit Überempfind¬
lichkeit.
Dem entspricht der weitere Verlauf:
Verla-nf: Die Ödeme kehren nicht wieder. Der Blutdruck bleibt
niedrig. Dagegen bleibt ausgesprochene Polyurie mit Hypostbenune
dauernd bestehen, also der Typ der vaskulären Hyposthenurie, bei normaler
resp. etwas überschießender Kochsalzelimination. Ebenso bleibt in ge¬
ringem Grade die Hämaturie und die Albuminurie bestehen.
Die Überempfindlichkeit der Niereugefäße ist danach bei der
Entlassung noch immer vorhanden, und daß auch die Nierengcfaß-
schädigung noch nicht abgeklungen ist, zeigt die sehr hartnäckige
Hämaturie.
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 375
Alle Nephritiden, welche wir bisher anführten, heilten nicht
aus, sondern zeigten bei ihrer Entlassung, abgesehen von Spuren
von Eiweiß und Zylindrurie, auch in dem Ausscheidungsverhalten
deutliche und in allen Fällen (mit Ausnahme von Fall 1, der zu
kurz beobachtet wurde), gleichartige Veränderungen: Neigung zu
leichter oder stärkerer Polyurie, dabei niederes und stark fixiertes
spezifisches Gewicht, also Produktion eines reichlichen dünnen Urins.
Unseren experimentellen Erfahrungen entsprechend betrachten
wir diese Erscheinungen als Zeichen einer Überempfindlichkeit der
Nierengefaße. Jeder sekretorische Reiz, der die Nierengefäße in
diesem Zustand trifft, wird von ihnen mit Produktion einer großen
Menge von Wasser beantwortet. Dadurch wird einmal die Polyurie
bedingt, dann aber auch die Niedrigkeit und die Fixation des spe¬
zifischen Gewichts: Infolge der Überempfindlichkeit der Nieren¬
gefäße können die festen Substanzen nur in niedriger Konzen¬
tration ausgeschieden werden, und zwar um so niederer, je stärker
die Überempfindlichkeit ist. Solange sie ausgeprägt herrscht, wird die
Niere unter ihrem Zwang unfähig sein, wesentliche Änderungen des
spezifischen Gewichts, vor allem Erhöhungen, aber auch wohl Er¬
niedrigungen vorzunehmen; sie ist auf ein bestimmtes Niveau des
spezifischen Gewichts eingestellt.
Unter den vorliegenden Verhältnissen unterliegt es keinem
Zweifel, daß wir das Fortbestehen der Überempfindlichkeit als
einen Rest der Nierenerkrankung zu betrachten haben. Die eben
noch nachweisbar geschädigten Nierengefäße sind noch nicht ganz
zur Norm zurückgekehrt, sondern behalten als Rest die Überempfind¬
lichkeit zurück.
Im Gegensatz hierzu möchten wir nun noch einige andere
vaskuläre Nephritiden anfügen, die in ihrem Beginn die gleichen
Eigenschaften aufwiesen, wie die bisher angeführten, und insofern
nur eine Bestätigung und Erweiterung des bisher Festgestellten
geben. Sie unterscheiden sich jedoch von den vorausgehenden sehr
wesentlich durch ihren Ausgang.
5. F., 9jähr. Knabe. Nephritis acuta postscarlatinosa. 17 Tage
nach Einsetzen der Scarlatina, wenige Tage vor der Aufnahme, erkrankt
mit Fieber und Albuminurie. Keine Ödeme, keine Urämie. Fieber bis
39 ü . Herz o. B. Druck 85 — 90 mm Hg (siehe Kurve 5 auf Tafel IV,
Tabelle C, Fall 5).
Ausscheidung der körpereigenen Substanzen:
Was ser: dauernd annähernd gleich Einfuhr (also leichte Polyurie) oder
etwas über8cbießend (1900—2200 ccm Ausfuhr bei 1800—2200 ccm Zu¬
fuhr).
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Kochsalz: überschießt dauernd die Zufuhr etwas; 12— log Aus¬
fuhr gegen 10 g Einfuhr). Konzentration 0,68—0,82°/ 0 .
Spez. Gew. dauernd 1010—12, bei ca. 1 °/ 00 Albumen. Ziemlich
reichlich Erythrocyten im Sediment. Makroskopisch keine Hämaturie.
Es besteht also eine deutliche leichte vaskuläre Hyposthenarie:
Übernormale Urinmengen, hohe Kochsalzkonzentration und sehr gute
absolute Kochsalzelimination.
Ausscheidung der körperfremden Substanzen: Die
Miichzuckerausscheidung ist auf 6 Stunden anstatt des Durchschnitts voi
4 und des Maximums von 5 Stunden verlängert. Jodkali wurde nicht
geprüft.
Bei dieser Scharlachnephritis zeigt die Ausscheidung wie er¬
wähnt, den Charakter der vaskulären Hyposthenurie; danach
müssen wir eine Überempfindlichkeit der Nierengefäße annehmen.
Die verschlechterte Milchzuckerausscheidung lehrt, daß außer¬
dem auch eine Schädigung der Nierengefaße besteht. Sie ist
jedoch hier nur sehr leichten Grades, wenn wir nach dem Grad
der Milchzuckerverschlechterung schließen dürfen; anstatt 4 Stun¬
den dauert seine Elimination 6 Stunden. Die Tubuli sind nach der
Kochsalzausscheidung zu urteilen, intakt. Danach sehen wir das
schon geläufige Bild einer geringfügigen Gefäßschädigung, die mit
leichter Polyurie verbunden ist, also einer leichten rein vaskulären
Nephritis.
Von ganz besonderem Interesse ist der weitere Verlauf: Etwa
10 Tage nach der Prüfung trat, wie die Kurve zeigt, ein allmäh¬
liches Steigen des spez. Gewichts ein; gleichzeitig fing das spez.
Gewicht an, an Stelle der bisherigen Fixation Oscülationen auszu¬
führen, seine Fixation wurde geringer. Bei gelegentlichem Sinken
der Urinmenge tritt jetzt prompt Konzentrationserhöhung auf. Die
Urinmengen bleiben dabei etwas erhöht, die Albumenmenge nimmt
ab und das Blut verschwindet aus dem Urin. Nach weiteren
14 Tagen ist die Polyurie ganz verschwunden, die Harnmenge ent¬
spricht jetzt der Norm und das spezifische Gewicht ist nun auf
einer Durchschnittshöhe von 1018 angelangt, gegen 1010—1012 zu
Anfang, und schwankt zwischen 1013 und 1020. Albumen ist über¬
haupt nicht mehr nachweisbar, ebensowenig Blut.
Hier ist demnach in dem Ausscheidungsverhalten keine Spur
von Veränderung mehr zurückgeblieben. Im Gegensatz zu den
vorausgehenden Nephritiden hat die Niere die Fähigkeit wieder¬
gewonnen, das spezifische Gewicht zu steigern, wie überhaupt bald
ein niederes, bald ein hohes spezifisches Gewicht zu produzieren,
w ährend es dort dauernd auf niederer, unverrückbarer oder wenig
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Untersuchungen über die Fanktion kranker Nieren beim Menschen. 377
wechselnder Lage verharrte. Ebenso ist auch die Wasseraus¬
scheidung hier ganz allmählich wieder zu normalen Verhältnissen
zurückgekehrt. Mit dieser Rückkehr der Ausscheidungsverhält¬
nisse zur Norm sind gleichzeitig auch alle sonstigen klinischen
Symptome der Nephritis verschwunden, Albumen, Zylindrurie und
Hämaturie. Es besteht also keinerlei Anhalt mehr für ein Fort¬
bestehen irgendwelcher Nierenveränderung.
An diesen Fall schließt sich ein zweiter Fall von Scharlach¬
nephritis an. Sie trat während des Aufenthalts in der Klinik auf
und war somit vom ersten Tage ab verfolgbar.
6. Sch., 12jähr. Knabe. Nephritis acuta haemorrhagica postscarla-
tinosa. Otitis media. Während des Aufenthaltes in der Klinik trat
22 Tage nach dem Scharlach Albumen und Hämaturie ein. Keine
Ödeme, keine Urämie, Blutdruck 120 mm Hg. Herz o. B.
Ausscheidung der körpereigenen Substanzen: (s. Tabelle C,
Fall 6).
Wasser: leichte Oligurie, 2300 ccm Ausfuhr gegenüber 3400 Zufuhr.
Kochsalz: nicht verfolgt.
Spez. Gewicht: 1010—12 bei 1 °/ 00 Albumen, stark fixiert, trotz
schwankender UrinmengeD. Hämaturie makroskopisch und mikrosko¬
pisch.
Danach handelt es sich um eine Hyposthenurie mit Oligurie.
Die Prüfung der körperfremden Substanzen ergibt: Ver¬
längerung der Milchzuckerausscheidung auf das Doppelte, 8 Stunden.
Jodkali wurde nicht geprüft.
Die Oligurie deutet auf eine Schädigung der Nierengefäße hin.
Da das Kochsalz nicht mitbestimmt ist, so läßt sich nicht sicher
sagen, ob die gleichzeitig bestehende Hyposthenurie eine tubuläre
ist Sicher vermögen wir nur zu sagen, daß eine vaskuläre Schädi¬
gung vorhanden sein muß.
Die Prüfung der Milchzuckerausscheidung entspricht auch hier
wieder dieser Annahme vollkommen: sie ergibt eine Verlängerung
der Ausscheidung aufs Doppelte. Danach handelt es sich auch
hier wieder um eine vaskuläre Nephritis. An und für sich schon
wissen wir, daß gerade Scharlach ganz überwiegend zu vaskulären
Nephritiden führt, den anatomischen Glomerulonephritiden; daß im
vorliegenden Fall die Gefäße geschädigt sein müssen, zeigt außer¬
dem noch direkt die Hämaturie.
Weiterer Verlauf: Nach 10 Tagen langsam einsetzende leichte
Polyurie (Einfuhr gleich Ausfuhr).
äpez. Gewicht steigt von 1010—12 inzwischen langsam auf 1016,
dann 1018 und bleibt schließlich auf 1018 ziemlich konstant stehen,
während noch leichte Polyurie herrscht.
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ScHLAYER U. TAKAYASU
Die Hämaturie ist schon nach wenigen Tagen verschwanden.
Das Albumen sinkt sehr rasch und ist schon 10 Tage nach
ersten Prüfung vollkommen und dauernd verschwunden; der Druck sink’
von 120 auf 90 mm Hg.
Auch hier entwickelt sich also, wie bei den eingangs geschil¬
derten akuten vaskulären Nephritiden, im Anschluß an die Oligurie
langsam eine Polyurie, freilich nur geringen Grades. Während
aber bei den bisherigen Nephritiden mit dem Einsetzen der Polynri-
das spezifische Gewicht entweder gleich blieb oder gar sank, i?*
hier das Umgekehrte der Fall: das spezifische Gewicht steigt lang¬
sam immer höher trotz der Polyurie, und erreicht zum Schluß Wenn
welche wir nicht mehr als Zeichen einer abnorm starken Empfind¬
lichkeit der Nierengefäße betrachten können, die vielmehr bereit.'
der Norm angehören. Das einzige, was noch an eine Übererre*-
barkeit erinnert, ist eine leichte Fixation des spezifischen Gewicht'
neben der leichten Polyurie.
Wir sehen hier einen gleichgerichteten Verlauf der Nephrit*
wie im Fall Fr. (Nr. 5): zugleich mit dem Albnmen und der Häma¬
turie verschwinden auch die Erscheinungen der Übererregbarkdt
an den Nierengefäßen und die Ausscheidung nähert sich nun den
Verhalten, wie wir es für die Norm kennen, resp. unterscheidet
sich nur noch in sehr geringfügiger Weise davon. Dieser Fall er¬
innert in seinem Ausgange an das Ausklingen des Falles H. (Nr. 3 .
Auch dort bestand, wie hier, bei der letzten Prüfung kein Albaner,
mehr. Das Verhalten der Ausscheidung jedoch war bei H. zum
Schluß der Beobachtung noch viel tiefgreifender verändert: bei ihm
bestand, nach wie vor, eine starke vaskuläre flyposthenurie, als
eine deutliche Überempfindlichkeit der Nierengefäße, hier nnr noch
Reste davon.
Ähnliches Verhalten, jedoch weniger ausgeprägt und nicht
ganz bis zum Schlüsse verfolgt, zeigt der nun folgende Fall:
7. H., 14 jähriger Junge. Nephritis acuta haemorrhagica. Vor 3 Mo¬
naten Gesichtsödem. Damals wurde Albumen festgestellt. Ätiologie der
Nephritis dunkel. Auch bei der Aufnahme bestehen noch Gesichts¬
ödeme. Herz leicht nach links verbreitert, etwas hebender Spitzenstoß
Blutdruck 135 mm Hg. Arterien stark gespannt (siehe Tabelle C, Nr. 7i.
Ausscheidung der körpereigenen Substanzen:
Wasser: Zunächst leichte Oligurie, resp. etwa normale Urinmencr
(lti(H) ccm Ausfuhr bei 2200 ccm Einfuhr). Dann unter Verschwinden
der Ödeme leichte Polyurie (Einfuhr gleich Ausfuhr). Zur Zeit der
Prüfung besteht diese seit Wochen fort.
K o c h h a I z: wird während der Oligurie nur mäßig ausgeschiedec
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 379
^7,6 g bei ca. 8 g Einfuhr). Prozentuale Konzentration 0,53—0,64 °/ 0 .
"Während der anschließenden leichten Polyurie steigt die Kochsalzaus-
fuhr und öberscbießt die Einfuhr beträchtlich (16 g gegen ca. 10—11 g
Einfuhr). Prozentuale Konzentration beträgt jetzt zwischen 0,74 und
0,83 ° 0 , ist also ebenfalls gestiegen.
Spez. Gewicht: während der Oligurie und zu Beginn der Polyurie
1010— 11 , also stark fixiert, bei 1 °/oo Albumen und Hämaturie.
Steigt dann allmählich während der Polyurie an, bleibt aber noch ziem*
lieh stark fixiert (1016). Gleichzeitig sinkt das Albumen und die Hä¬
maturie verschwindet. Zur Zeit der Injektion ist das spez. Gewicht
noch etwas höher gestiegen und beginnt bereits gelegentlich starke Schwan¬
kungen auszuführen (von 1009 auf 1019), ist im Durchschnitt 1017—18
und im allgemeinen noch in dieser Lage ziemlich fest fixiert.
Die Prüfung der körperfremden Substanzen ergibt: Der
Milchzucker wird in 6 Stunden ausgeschieden, das Jodkali in 54 Stunden.
Das Verhalten der körpereigenen Substanzen zeigt, daß zu
Anfang eine beträchtliche Schädigung der Nierengefäße bestanden
haben muß. Das lehrt die hyposthenurische Oligurie ebenso wie
die Hämaturie. Ob die Hyposthenurie nicht eine tubuläre Kompo¬
nente enthielt, ob also die Tubuli nicht doch etwas mitbeteiligt
waren, ist nicht ganz sicher zu sagen. Die nicht sehr gute pro¬
zentuale und absolute Kochsalzausscheidung zu Beginn der Er¬
krankung scheinen darauf hinzuweisen.
Sobald aber im weiteren Verlaufe die Oligurie einer dauernden
leichten Polyurie Platz macht, sehen wir die unverkennbaren Er¬
scheinungen einer sehr leichten vaskulären Hyposthenurie: absolut
gute, ja überschießende-und auch prozentual gute Kochsalzelimination
bei überschießenden Flüssigkeitsmengen. Aus diesem Verhalten
ist zu schließen, daß die Tubuli nun intakt sind, die Nierengefäße
dagegen überempfindlich. Auch ihre Überempfindlichkeit hat aber
im weiteren Verlauf der Polyurie allmählich abgenommen. Das
zeigt aufs deutlichste das rasche Steigen des spezifischen Ge¬
wichts: eine Durchschuittshöhe von 1017—1018 können wir kaum
noch als niedriges spezifisches Gewicht bezeichnen; des ferneren
geht das aus der Tatsache hervor, daß das spezifische Gewicht
seine Fixation verloren resp. nur noch andeutungsweise beibe¬
halten hat. Zur Zeit der Injektion können wir im vorliegenden
Fall ebenso wie in dem letzten Abschnitt des vorhergehenden Falles
kaum mehr von einer Überempfindlichkeit sprechen; sie kann nur
noch geringsten Grades sein.
Die Prüfung der körperfremden Substanzen lehrt, daß trotz
dieser geringen Ausscheidungsveränderung doch noch eine vas¬
kuläre Schädigung besteht, aber sie ist nur leichtesten Grades:
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der Milchzucker wird in 6 Stunden, anstatt wie normal in 4 Stunks
ausgeschieden, ist also nur wenig verlängert.
Verlauf: P. wurde acht Tage nach der Prüfung entlassen. *
bestand noch leichte Neigung zur Polyurie, aber dasselbe hohe spezifisch
Gewicht, und dieselbe leichte Fixation wie vorher. Nebenbei noch ' 4 prc
mille Albumen.
Dieser ganze Verlauf bietet weitgehende Ähnlichkeit mit dto
der beiden vorhergehenden Fäile. Es handelt sich auch hier de
eine rein vaskuläre Nephritis. Wie dort beginnt auch hier in <k
späteren Stadien das spezifische Gewicht zu steigen, gleichzeitig
nimmt seine Beweglichkeit zu; noch besteht eine leichte Polyurie
Gleichzeitig nimmt auch hier wieder das Albumen ab und die
Hämaturie verschwindet. Aber die Ausgleichung ist hier keine *
vollkommene wie in den beiden vorausgehenden Fällen, vor allem
in dem ersten von beiden (Fall Fr., Nr. 5). Es bleibt noch eine
leichte Veränderung der Ausscheidung bestehen, die Albuminurie
dauert fort, während sie in jenen beiden verschwunden war. und
wirklich weist auch die Milchzuckerausscheidung nach, daß no^h
eine leichteste Schädigung der Nierengefäße vorhanden ist.
Nachprüfung: Ein Jahr später.
Keine Ödeme, keine Urämie, Herz o. B., keine Hypertension mehr
(Blutdruck 110 mm Hg).
Ausscheidung der körpereigenen Substanzen:
Wasger: nach wie vor Neigung zu Polyurie (1800—2000 cca
Ausfuhr bei 2000 ccm Einfuhr).
Kochsalz: absolut etwa gleich Einfuhr, resp. etwas übersebießen!
(15,7g Ausfuhr gegen 15 g Einfuhr), die Konzentration ist 0,87 ° # .
Spez. Gewicht: trotz ziemlich stark wechselnder Urinmengen dauernd
auf 1019—20 eingestellt. Albumen noch deutlich vorhanden, ca.
Ausscheidung der körperfremden Substanzen: Milchzucker
wird in 5—6 Stunden ausgeschieden, Jodkali in 48 Stunden.
Die Reste von Ausscheidungsveränderung, welche bei der Ent¬
lassung vor einem Jahre vorhanden waren, bestehen noch heute
in ganz gleicher Weise. Und auch die Prüfung der körperfremden
Substanzen gibt dasselbe Resultat wie damals: der Milchzucker
wird immer noch etwas verlängert ausgeschieden.
Danach besteht noch immer ein leichtester Grad von vasku¬
lärer Schädigung fort und damit stimmt auch überein, daß hier
noch immer deutlich Albuminurie nachweisbar ist.
Wir haben in den drei letzten Fällen im Gegensatz zu den
ersten vier Fällen akute vaskuläre Nephritiden vor uns, die die
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 381
ausgesprochene Tendenz zeigen, zu normalen Verhältnissen der
Ausscheidung zurückzukehren. Bei dem ersten Patienten (Nr. 5)
ist dies in mustergültiger Weise der Fall: Hier ist die Nephritis
vollkommen abgeheilt. Im zweiten Fall ist nur noch eine gering¬
fügige Veränderung der Ausscheidung vorhanden: eine leichte
Neigung zu Polyurie und eine leichte Fixation des spezifischen
Gewichts, also Reste einer Überempfindlichkeit der Nierengefäße.
Klinisch ist die Nephritis ausgeheilt. Im dritten Fall ist nach
dem Verhalten der Ausscheidung wohl auch die Tendenz der Aus¬
heilung vorhanden, aber eine definitive Heilung ist noch keines¬
wegs erfolgt; das zeigen alle drei in Betracht kommenden Fak¬
toren: das Fortbestehen der Albuminurie, das Fortbestehen einer
Ausscheidungsveränderung (leichte Polyurie und leichte Fixation
des spezifischen Gewichts) und schließlich vor allem die noch immer
vorhandene Verschlechterung der Milchzuckerausscheidung.
Wir haben im vorausgehenden eine Reihe von akuten Nephri¬
tiden angeführt, die wir nach dem Ausfall unserer Untersuchungs¬
methoden sämtlich als rein oder doch weit überwiegend vaskuläre
bezeichnen müssen. Ihnen allen gemeinsam ist einmal die sehr
gute Kochsalzausscheidung: sowohl absolut wie prozentual sind die
Werte durchaus diejenigen der Norm. Dementsprechend verhält
sich auch die Elimination des Jodkali: sie ist überall da, wo das
Kochsalz gut eliminiert wird, vollkommen normal. Beide Sub¬
stanzen, Kochsalz wie Jodkali, sind nur da in ihrer Ausscheidung
einigermaßen beeinträchtigt, wo Oligurie vorhanden ist; aber auch
hier nur bei stärkeren Graden der Oligurie, bei leichteren bleiben
sie unberührt, wie mehrere Beispiele unter den angeführten Nephri¬
tiden zeigen.
Fast alle diese Nephritiden beginnen mit Oligurie. Die Oligurie
ist bald sehr rasch, binnen wenigen Tagen verschwunden, bald
dauert sie, oft wechselnd mit normalen Mengen, ja Polyurie, wochen¬
lang an.
Überall, wo Oligurie vorliegt, zeigt sich auch die Milchzucker¬
ausscheidung deutlich verlängert (z. B. Fall Nr. 1, Nr. 6 usw.) und
zwar auf recht beträchtliche Werte.
In allen diesen Punkten entsprechen somit die geprüften
Nephritiden vollkommen den Erwartungen, wie wir sie auf Grund
unserer experimentellen Untersuchungen für vaskuläre Nephritiden
hegen mußten: gute Kochsalzausscheidung und gute Jodkalielimi-
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nation, und auf der anderen Seite Oligurie und Verschlechten!!!?
der Milchzuckerausscheidung.
Daraus geht hervor, daß unsere Untersuchungsmethoden and
beim Menschen aufs beste übereinstimmen: beide Methoden, sowrii
die Prüfung der körpereigenen wie die der körperfremden Sol-
stanzen sagen in vollkommener Harmonie aus, daß es sich in alk
den angeführten Fällen um reine resp. weit überwiegende Erkrankus?
der Nierengefäße handelt. Schon in dieser gegenseitigen Kon¬
trolle, welche die Resultate beider Methoden ausüben, sehen wir
eine Gewähr dafür, daß das Ergebnis richtig ist. Aber auch dir
klinische Beobachtung gibt uns weitere Tatsachen an die Hand
welche die Richtigkeit unserer Schlüsse nachdrücklich zu stützet
vermögen. Hier ist einmal die Ä t i o 1 o g i e der geprüften Nephritidrt
zu nennen. Bei manchen von ihnen können wir keine bestimm!'
ätiologische Einwirkung erkennen. Bei anderen dagegen lindes
wir als Ursache resp. Ausgangspunkt eine septische intizieitt-
Wunde, Anginen und vor allem Scharlach. Von allen dreien, be¬
sonders aber von dem letzteren ist es uns wohlbekanut, daß gerade
sie vorzugsweise zu einer Schädigung der Glomeruli fuhren: giii
doch die Scharlachnephritis als Prototyp der akuten Glomeiule-
nephritis; die Tubuli dagegen pflegen nur wenig und selten oder
erst in zweiter Linie geschädigt zu sein. In der anatomische;;
Veränderung der Glomeruli im Sinne einer Glomerulonephritis sehen
wir einen Ausdruck der vaskulären Nephritis; wie unsere experi¬
mentellen Erfahrungen lehrten, sind überall da, wo die Glomeruli
anatomisch lädiert erscheinen, die Nierengefäße aufs schwerste ge¬
schädigt. Das Ergebnis unserer funktionellen Methoden stimm:
danach auch in dieser Hinsicht vollkommen mit dem überein, was
uns die pathologisch-anatomische Erfahrung erwarten läßt 1 '
Noch ein zweites, direkteres Zeichen einer stattgehabten Niereii-
gefäßschädigung liefert uns die klinische Beobachtung: das ist die
Hämaturie. Bei der Durchsicht der Krankengeschichten der
geprüften Nephritiden fällt sofort in die Augen, wie häufig sie bei
ihnen ist. Weitaus die Mehrzahl dieser Patienten hatte nicht nur
mikroskopisch, sondern makroskopisch Hämaturie, zum Teil über
I ) Wir sind bis beute nicht in der Lage, den direkten anatomischen Be¬
weis für die Richtigkeit unserer Schlüsse zu erbringen, wenigstens hinsicbtlka
der akuten vaskulären Nephritiden. Keine der untersuchten Nephritiden führt«
'/iiiii Tode. Diese Ergänzung wird unter Berücksichtigung der Einschränkung
fiir die Verwertung des anatorn. Befundes, welche bereits in der Einleitung U-
sprurlieii sind, weiteren Untersuchungen überlassen bleiben.
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 888
Wochen hinweg (Fall Sch., Nr. 4 und H., Nr. 3). Schon bei den
experimentellen Nephritiden hatten unsere Studien ergeben, daß
es gerade die vaskulären Nephritiden sind, bei denen wir so starke
Hämaturie finden. 1 ) Schließlich könnte noch eine weitere Stütze
für das Vorhandensein einer Nierengefäßschädigung in den ge¬
prüften Fällen darin gesehen werden, daß sich bei so vielen unserer
akuten Nephritiden, zum Schluß der Beobachtung, soweit sie nicht
ausheilten, eine Ausscheidungsveränderung einstellte, die genau der
der Schrumpfniere, also einer ausgesprochen vaskulären Nephritis ent¬
spricht. Darüber wird bei den chronischen vaskulären Nephritiden
noch eingehender zu sprechen sein.
Diese Erfahrungen geben uns das Recht, eine Nephritis, die
mit Oligurie, intakter Kochsalzausscheidung, andererseits ver¬
längerter Milchzuckerelimination und intakter Jodkaliausscheidung
einhergeht, als eine reine oder weit überwiegend vaskuläre Ne¬
phritis zu bezeichnen. Insoweit liegen die Verhältnisse einfach und
entsprechen unseren experimentellen Erfahrungen.
In nahezu allen unseren akuten vaskulären Nephritiden haben
wir jedoch im weiteren Verlaufe der Erkrankung eine Erscheinung
auftreten sehen, für die das Tierexperiment uns bisher kein
Analogon gegeben hatte. Mit dem Abklingen der Oligurie schlägt
die Wasserabsonderung in das Gegenteil um, es kommt zu Polyurie,
manchmal scheint eine solche auch von vornherein zu bestehen.
Diese Polyurie kann nur leicht sein, so daß die Ausfuhr nun der
Einfuhr an Wasser entspricht, sie kann aber auch extreme Grade
erreichen. Prüfen wir während dieser Zeit die Milchzuckeraus¬
scheidung, so zeigt sich, daß seine Ausscheidung vielleicht etwas
besser als zur Zeit der Oligurie, aber noch keineswegs normal ist.
Ja, selbst bei hochgradiger Polyurie kann der Milchzucker so
schlecht ausgeschieden werden, daß er noch auf das Doppelte ver¬
längert oder sogar kaum nachweisbar ist (Fall H. und Sch., Nr. 3
und 4, beide zweite Prüfung).
Wir haben diese Erscheinung schon an Ort und Stelle bei jeder
einzelnen geprüften Nephritis zur Genüge betont, um erkennen zu
lassen, daß es sich hier nicht etwa um ein seltenes und ausnahms¬
weises Vorkommnis handelt. Vielmehr findet sich dieses Verhalten
mit großer Regelmäßigkeit bei fast allen vaskulären Nephritiden,
sobald sie aus dem Stadium der Oligurie in das der Polyurie über¬
gehen. Wir schließen aus dieser Erscheinung, daß in allen diesen
1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 90 p. 49.
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Fällen trotz der Polyurie die Nierengefäßschädigung noch keines¬
wegs abgeheilt ist. Wie sich bei der Betrachtung der einzelnes
Fälle ergeben hat, wurde dieser Schluß immer wieder durch dir
klinischen Erscheinungen bestätigt, sei es durch das Fortbestehen
der Hämaturie während der Polyurie, durch Auftreten von Urämie
oder durch den späteren Verlauf. Schon die klinischen Beobach¬
tungen ließen bei den meisten von diesen Nephritiden keinen
Zweifel, daß trotz der Polyurie noch eine schwere Nierengefaä-
schädigung bestehen müsse. Damit ergibt sich für uns der Schlnt
Nierengefäßschädigung braucht nicht immer mit
Oligurie verbunden zu sein; sie kann auch mit Poly¬
urie einhergehen, und zwar ist dies keine seltene Erscheinung,
sondern eine ebenso alltägliche, wie die der oligurischen Nieren¬
gefäßschädigung.
Diese Erfahrung scheint uns von größtem Interesse für dir
Pathologie der menschlichen Niere; sie vermag eine Reihe von
Beobachtungen zu erklären, die bisher vollständig unverständlich
erschienen.
Die bisherige Anschauung über diese Verhältnisse war die
daß das Einsetzen solcher Polyurie ein Wiederdurchgängigwerden
der Niere, also den Beginn der Heilung bedeute, eine Wiederher¬
stellung der Zirkulationsverhältnisse, wie Bartels 1 ) sich aus¬
drückt, und wie auch heute noch wohl allgemein angenommen wird
Die P o 1 y urie, das Überschreiten der normalen Urinmenge wurde
dabei als reine Folge der Retention aufgefaßt: das aufgespeicherte
Wasser wird durch die nun wieder durchgängigen Glomeruli filtriert
Für diese Auffassung muß vor allem der Übergang der akuten
Nephritiden in sekundäre Schrumpfniere die größten Schwierig¬
keiten bieten: bei der akuten Nephritis sieht man die Polyurie
als ein Zeichen der Genesung resp. Heilung an; bei der sekun¬
dären Schrumpfniere dagegen wird dieselbe Polyurie als ein Sym¬
ptom betrachtet, das auf eine vorhandene Schädigung der Niere
hinweist. Diese Erklärung wird vollends unannehmbar, wenn wir
die Polyurie der akuten Nephritis unter unseren Augen ganz gleich¬
mäßig in die Polyurie der sekundären Schrumpfniere übergehen
sehen.
Durch unsere Erfahrungen lernen wir, daß die Polyurie
der akuten Nephritiden fast immer mit einer Gefäßschädi¬
gung einhergeht, daß also die Nierengefaße trotz der Polyurie
1) Bartels, N'ierenkrankbeiten 2. Aufl. p. 342.
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Untersuchungen Uber die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 385
noch sehr stark beeinträchtigt sein können. Auf dieser neu¬
gewonnenen Basis werden uns solche Zusammenhänge nicht mehr
unerklärlich erscheinen. Wir sehen auch in der Polyurie der
akuten Nephritis nur eine Begleiterscheinung der Nierengefä߬
schädigung und kommen damit auch für sie zu der gleichen Deu¬
tung, wie sie die klinische Beobachtung und Erfahrung der Polyurie
bei der sekundären Schrumpfniere schon lange gegeben hat. Damit
begreift sich ohne Schwierigkeiten, wie es möglich ist, daß die
Polyurie bei akuter Nephritis direkt in diejenige der sekundären
Schrumpfniere übergehen kann.
Auf diese Weise läßt sich ferner verstehen, wie es kommt,
daß trotz der Polyurie und neben derselben ausgesprochene und
starke Hämaturie vorhanden sein kann, ja daß akute Nephritis
mitunter fast sofort mit Polyurie und gleichzeitig mit starker Häma¬
turie einsetzen kann (Fall H., Nr. 8 der Tabelle C). Derartige Er¬
fahrungen sind unverständlich, wenn man in der Polyurie lediglich
ein Zeichen des Wiederdurchgängigwerdens der Niere, eine Wieder¬
herstellung der Zirkulation sehen will, haben aber keine Schwierig¬
keiten, wenn man weiß, daß Polyurie auch mit Nierengefäßschädi¬
gung verbunden sein kann.
Die nächste Frage ist für uns: welche Faktoren bestimmen es,
ob bei einer Nierengefäßschädigung Oligurie oder Polyurie auftritt.
Sieht man sich die mitgeteilten Krankengeschichten daraufhin
durch, so ergibt sich, daß die meisten unserer akuten Nephritiden
mit Oligurie einsetzen und dann erst in Polyurie übergehen. In
diesem Falle finden wir immer wieder, daß die Milchzuckeraus¬
scheidung — bei ein und demselben Fall geprüft — während der
oligurischen Periode erheblich schlechter ist, als zur Zeit der
Polyurie. Danach ist in der Tat mit der Polyurie eine Besserung
der Nierengefäßschädigung verknüpft, und das erklärt auch die
uns allen so geläufige Auffassung der Polyurie als eines pro¬
gnostisch günstigen Zeichens. Aber keineswegs ist damit nun eine
volle Wiederherstellung verbunden, sondern lediglich eine relative
Besserung. Absolut genommen kann die Durchgängigkeit der
Nierengefäße nach wie vor hochgradig beeinträchtigt sein. Stellt
sich somit die von Polyurie begleitete Nierengefäßschädigung schon
hier als die leichtere dar gegenüber der mit Oligurie verknüpften,
so spricht in gleichem Sinne auch das Verhalten der Nephritiden,
die von vornherein oder nach einer sehr kurzen Periode der
Oligurie mit Polyurie einhergehen. Bei ihnen ist, wie die Milch¬
zuckerprüfung und übereinstimmend damit der Verlauf lehrt, im
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 25
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allgemeinen die Nierengefäßschädigung schon von vornherein leichter
(z. B. Fall H., Nr. 8 und Fall F., Nr. 5, Tabelle C).
Wir sehen ferner bei unseren akuten Nephritiden diese Polyurie
bald aus Oligurie entstehen, aber auch umgekehrt gelegentlich aus
einer schon eingetretenen Polyurie wieder eine Oligurie werden
(Fall H., Nr. 3, Anginarückfall, Fall Sch., Nr. 4, Tabelle C). Wie
schon seit langem bekannt, handelt es sich in letzterem Falle
immer um eine Verschlechterung der Nephritis, und oft demon¬
striert sich dies auch direkt durch einen Nachschub einer schon
verschwunden gewesenen Hämaturie.
Danach zeigt sich, daß die Nierengefäßschädigung,
welche mit Polyurie einhergeht, im allgemeinen einen leich¬
teren Grad der Nierengefäßschädigung darstellt, während die mit
Oligurie verbundene dem schwereren Grad entspricht. Die
Polyurie kann sich so aus der Oligurie entwickeln oder in die
Oligurie übergehen, je nach dem Verlauf der Nephritis. Es sei
jedoch nachdrücklich betont, daß solche Polyurie sich auch bei
recht schweren Gefäßschädigungen findet (Fall Sch., Nr. 4); in
solchen Fällen ist der Begriff der leichten Schädigung nur ein
relativer, gegenüber der noch schwereren während der Zeit der
Oligurie.
Diese Feststellungen erleichtern es wesentlich, sich bestimmte
Vorstellungen über das Wesen dieser mit Gefäßschädigung ver¬
bundenen Polyurie zu machen. Wir sehen hier ein starkes Aus-
einanderfallen der Ausscheidung zweier Körper, die nach unseren
Untersuchungen beide durch die Nierengefäße abgeschieden werden:
das Wasser wird in mehr minder stark vermehrter Menge abge¬
sondert, der Milchzucker dagegen trotzdem nicht einmal in nor¬
maler Zeit, sondern sogar verlängert.
Es handelt sich demnach um eine dissociierte Schädigung:
für die Elimination des Wassers ist keine Schädigung vorhanden,
wohl aber für die des Milchzuckers. Mit dieser Annahme ließe
sich wohl verstehen, warum Wasser ausgeschieden wird, Milch¬
zucker aber nicht. Keine Erklärung aber würden wir damit für
die P o 1 y urie gewinnen: das Wasser wird ja hier uicht bloß in
normaler Menge eliminiert, es wird sogar vermehrt ausgeschieden.
Man könnte diese vermehrte Ausscheidung, nach der bisher allge¬
mein üblichen Anschauung so erklären, daß nun eben das retioierte
Wasser durch die wieder durchgängig gewordenen Nierengeftße
filtriert werde. Die Nierengefäße sind aber nicht normal durch¬
gängig, wie die Milchzuckerausscheidung lehrt; sie können »gar
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 387
sehr schwer geschädigt und doch Polyurie vorhanden sein. Außer¬
dem ist bei dieser Anschauung nicht zu begreifen, warum die Poly¬
urie so oft nach völligem Verschwinden der Ödeme noch wochen-
nnd monatelang anhält, wenn die Ödeme längst verschwunden sind
und auch die Körpergewichtskurve schon längst wieder eine — nicht
auf Ödem beruhende — Zunahme aufweist, ja sogar gelegentlich
dann noch anhält, wenn bereits deutliche Anstrocknungserschei¬
nungen seitens des Körpers aufgetreten sind.
Als zweite Hypothese zur Erklärung der Polyurie wird eine
verstärkte Filtration durch erhöhten Blutdruck angenommen. Auch
anf sie kann bei diesen aknten Nephritiden nicht rekurriert werden,
znm mindesten gibt sie keine generelle Erklärung; denn sehr oft
sehen wir eine dauernde Polyurie ohne jede Drucksteigerung (z. B.
Fall H., Nr. 3, HL Prüfung, Fall Sch., Nr. 4, H. Prüfung, Fall He.,
Nr. 8 der Tabelle C), resp. in anderen Fällen, wie schon an Ort
und Stelle betont, den Blutdruck mit dem Einsetzen der Polyurie
auf normale Werte sinken.
Den Schlüssel zum Verständnis der Erscheinungen gibt auch
hier wieder die experimentelle Erfahrung. Wir sehen, daß diese
mit Nierengefäßschädigung verbundene Polyurie des Menschen genau
dem Typus der Ausscheidung entspricht, den wir durch unsere
Studien am Tier als vaskulär bedingte Hyposthenurie kennen
gelernt hatten: vermehrte Wasserausscheidung mit fixierter Konzen¬
tration ; auf Zulage von Kochsalz prompte Ausscheidung des Koch¬
salzes unter Ansteigen des Wassers, aber Gleichbleiben der Kon¬
zentration. Beim Tier hatten wir als Ursache dieses Verhaltens
der Ausscheidung eine Überempfindlichkeit der Nierengefäße gegen
sekretorische Beize gefunden; wir hatten dort bereits diese Über¬
empfindlichkeit als ein erstes Zeichen der Schädigung der Nieren¬
gefäße betrachtet (Deutsch. Archiv f. klin. Med. Band 98 p. 76).
Übertragen wir diese Erfahrung auf die analogen Verhältnisse beim
Menschen, so sehen wir sofort eine wesentliche Klärung der Dinge.
Die Polyurie zeigt sich nun nur als ein weiteres Glied einer großen
Kette von gleichartigen bereits bekannten biologischen Erschei¬
nungen, welche besagen, daß ein leichterer Grad von Schädigung
zu einer Überempfindlichkeit mit Mehrproduktion führt. Danach
ist die Polyurie als die Folge eines krankhaften Reizes an
den Nierengefäßen äufzufassen, der sie überempfindlich macht.
Aber nur der Körper wird von der Überempfindlichkeit betroffen, der
schon unter normalen Verhältnissen in seiner Ausscheidung von
physiologischen Reizwirkungen völlig bestimmt wird: das Wasser.
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Der Körper dagegen, der von diesen physiologischen Reizen in
seiner Ausscheidung nicht beeinflußt wird, der vielmehr sehr kon¬
stante Ausscheidungsbedingungen hat, der Milchzucker wird davon
nicht betroffen. Er bleibt in seiner Ausscheidung verschlechten
und zeigt damit die vorhandene Nierengefäßschädignng an, während
das Wasser durch die krankhaft überempfindlichen Nierengefäße in
vermehrter Menge eliminiert wird.
Damit läßt sich nun nicht bloß das Zustandekommen dieser
scheinbaren Mehrleistung verstehen, die uns bisher die Erkenntnis
der zugrundeliegenden Gefäßschädigung so sehr erschwerte, son¬
dern auch das eigentümliche Zusammentreffen von Schädigung mit
einseitiger Mehrleistung. Die Mehrleistung ist auch hier wie bei
unseren Tierversuchen ein Zeichen der Schädigung der Nieren¬
gefäße; die Nierengefäße sind durch die Schädigung überempfind¬
lich geworden. Nur daß wir beim Menschen diese Überempfind¬
lichkeit auch dann noch finden, wenn die Schädigung bereits zur
Verschlechterung der Milchzuckerausscheidung geführt hat. Beim
Tier fanden wir dagegen raschen Übergang der Überempfindlich¬
keit in Oligurie und damit auch Verschlechterung der Milchzocker¬
ausscheidung. Prinzipiell besteht kein Unterschied zwischen Mensch
und Tier: bei beiden sehen wir schwerste Nierengefaßschädigw
mit Oligurie einhergehen, leichtere dagegen mit Polyurie.
Wir können uns das nach den Vorstellungen, die wir Ehrlich
verdanken, vielleicht in der Weise denken, daß die schwere Nieren-
gefaßschädigung den Untergang einer großen Zahl von Rezeptoren
für sekretorische Wirkungen zur Folge hat. Die Zellen werden
unfähig, auf derartige Reize zu antworten, es tritt Oligurie ein.
Bei leichterer Schädigung oder bei Erholung wirkt die Schädigung
als Reiz auf die Zelle und macht sie überempfindlich.
In dieser Weise aufgefaßt fügen sich unsere Erfahrungen der
großen Reihe bekannter analoger biologischer Erscheinungen ohne
Schwierigkeit ein und bedeuten den erstmaligen Versuch, von experi¬
menteller Basis ausgehend diese biologischen Gesetze auf krankhafte
Lebensäußerungen eines einzelnen Organs anzuwenden. Es würdesfch
danach in letzter Linie um Änderungen der Zellfunktion handele,
welche es bedingen, ob wir Oligurie oder Polyurie bei einer Nieren¬
gefäßschädigung auftreten sehen.
Bei dieser Auffassuug der Dinge ergibt sich weiter, daß sich
gelegentlich beide Zustände, der der oligurischen Nierengefäßschi-
digung wie der der polyurischen Nierengefäßläsion in ein und der¬
selben Niere kombinieren können; schon das anatomische Bild zeigt
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 389
uns ja bei vielen Nephritiden, daß nicht alle Teile einer erkrankten
Niere z. B. nicht alle Glomeruli gleichmäßig intensiv geschädigt
sind. Es ist dnrchans möglich, daß die schwerer geschädigten Teile
schon resp. noch unempfindlich, refraktär gegen sekretorische Reize
sind, die leichter geschädigten dagegen überempfindlich. Daraus
ergeben sich mannigfache Kombinationsmöglichkeiten, die nicht ohne
Einfluß auf die Urinmenge bleiben können. So kann es unter
Umständen dazu kommen und so läßt es sich erklären, daß wir
oft eine scheinbar vollkommen normale Urinmenge feststellen,
während gleichzeitig die Milchzuckerausscheidung wie die klinische
Beobachtung keinen Zweifel darüber läßt, daß eine beträchtliche
Schädigung der Nierengefäße vorliegt, (Fall N., Nr. 4, Sch., Nr. 11
u. 12 usw.). Wir lernen daraus eine Tatsache, die uns wiederum
sehr wesentlich erscheint für die Pathologie der Niere: wie wenig
zuverlässig die Größe der Wasserausscheidung an sich für die Be¬
urteilung der Gesundheit oder Krankheit einer Niere ist. Hatten
wir früher schon erfahren, daß selbst bei hochgradigster Polyurie
starke Nierengefäßschädigung bestehen kann, so erfahren wir nun
Doch weiterhin, daß auch bei anscheinend ganz normaler Urin¬
menge eine schwere Nierengefäßschädigung vorhanden sein kann.
Diese Erfahrungen und die Vorstellungen, welche sie invol¬
vieren, stehen in einschneidendem Gegensatz zu den bisher allgemein
üblichen Anschauungen: Man legte praktisch bei den akuten
Nephritiden für die Beurteilung der Leistungsfähigkeit einer Niere
ganz überwiegenden Wert auf die Menge des Wassers, welche sie
produzierte. Sonderte sie wenig Wasser ab, so wurde sie als
schwer krank betrachtet, produzierte sie normale Mengen, dann im
allgemeinen auch als normal, und produzierte sie schließlich sehr
viel Wasser, so wurde sie als besonders gut durchgängig, resp.
unter besonderen der Harnsekretion sehr günstigen Bedingungen
stehend angesehen.
Von diesen Vorstellungen können wir nach unseren Ergeb¬
nissen nur an der einen festhalten, daß starke Oligurie bei
Nephritis — soweit sie nicht extrarenal bedingt ist — in der Tat¬
einer schweren Gefäßschädigung entspricht. Aber weder
die vermehrte noch die normale Urinmenge gestatten uns, eine in¬
takte oder besonders gute Funktion der Niere anzunehmen. Beide
stellen wohl im allgemeinen leichtere Grade der Nierengefä߬
schädigung dar, als die starke Oligurie, aber beide können mit
hochgradiger Schädigung der Nierengefäße ein hergehen.
Damit wird der Wert der Verfolgung der Wasser-Diurese
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für unser Urteil über den Zustand der Niere besonders da sehr
beeinträchtigt, wo die akut erkrankte Niere normale Wassermengen
ausscbeidet. Wir können nicht wissen, ob nicht doch damit eine
recht beträchtliche Nierengefäßschädigung verbunden ist; das be¬
weisen eine Reihe von unseren Beispielen. Aus der Wasseraus-
scheidung allein vermögen wir dies nicht zu erschließen, ebenso¬
wenig wie da, wo Polyurie herrscht. Das Wasser als sekretorisch
labiler Stoff erlaubt uns kein Urteil. Dazu sind seine Ausschei¬
dungsbedingungen zu vielseitig beeinflußbar; Auskunft über den
Zustand der Niere kann hier nur der Körper geben, der sehr
stabile Sekretionsbedingungen hat Gerade in solchen Fällen wird
sein Verhalten ganz ausschlaggebend sein. Wie wir später, bei
den chronischen vaskulären Nephritiden, sehen werden, brauchen
wir aber deshalb noch nicht ganz auf eine Verwertung der Aus¬
scheidungsverhältnisse des Wassers in solchen Fällen überhaupt zn
verzichten. Wir können vielmehr durch ein bestimmtes Vorgehen
aus seiner Ausscheidungsart eine Unterstützung resp. Kontrolle des
Ergebnisses der Milchzuckerausscheidung erhalten, die uns sehr
willkommen ist.
Wir haben oben die Polyurie, wie sie im Laufe der akoten
vaskulären Nephritiden auftritt, als eine Reizerscbeinung, die mit
Überempfindlichkeit der Nierengefaße verbunden ist, kennen ge¬
lernt. Die Durchsicht unserer Krankengeschichten dieser Nephri¬
tiden lehrt, daß das Einsetzen dieser Überempfindlichkeit der Nieren¬
gefäße sich sehr verschieden gestaltet In manchen Fällen, vor
allem den sehr kurz beobachteten, sehen wir nichts von einer
solchen Überempfindlichkeit, oder sie tritt vielleicht nur tageweise
auf, so daß Tage der Polyurie mit solchen der Oligurie wechseln
(z. B. Tabelle C, Nr. 11 u. 12). In anderen Fällen sehen wir lange
Zeit hindurch ebenfalls keine Erscheinungen der Überempfindlich¬
keit; ganz allmählich erst, vielleicht sogar erst nach Jahresfrist
bildet sie sich voll aus (Fall Nr. 2), und wir können die Art der
Ausbildung fast von Stufe zu Stufe verfolgen. In anderen Fällen
tritt sie schon nach kurzer Zeit des Bestehens der Nephritis sehr
ausgeprägt hervor und bleibt auch dauernd bestehen, und zwar nicht
nur einige Wochen hindurch, während der Dauer der eigentlichen
akuten Nephritis, sondern jahrelang (Fall H., Nr. 3). Gerade solche
Fälle sind es, welche der Erklärung der Polyurie als einer ein¬
fachen Entleerung retinierten Wassers größte Schwierigkeiten dar¬
bieten, während unsere Auffassung sie ohne Schwierigkeiten ver¬
ständlich erscheinen läßt.
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 391
In allen diesen Fällen, wo sich die Überempfindlichkeit unter
unseren Augen ausbildet, sehen wir, langsam oder ganz unver¬
mittelt, immer die gleichen Erscheinungen auftreten: das spez. Ge¬
wicht, das vielleicht bis dahin hoch war, fängt mit dem Einsetzen
der Polyurie an, langsam oder rasch zu sinken und gelangt schlie߬
lich auf ein bestimmtes, meist niedriges Niveau, das es mit großer
Konstanz einhält: es ist fixiert. Sehr rasch trat diese Erscheinung
auf bei Fall Sch. (Nr. 9 der Tab. C), ganz langsam bei dem schon
citierten Fall ß. (Nr. 2 der Tab. C).
Die Prüfung der Milchzuckerausscheidung hat gelehrt, daß da,
wo diese Überempfindlichkeit bei akuten Nephritiden auftritt und
nach ihrem Ablauf noch fortbesteht, auch gemeinhin die Nieren¬
gefäßschädigung noch nicht ausgeheilt ist. Und in vollkommener
Übereinstimmung damit ergibt die klinische Beobachtung, daß da,
wo diese Überempfindlichkeit bestehen bleibt, die Nephritis auch
klinisch nicht ausheilt, sondern bestenfalls stabil bleibt.
Die Prüfung der Milchzuckerelimination wie das klinische Ver¬
halten geben uns also das gleiche ßesultat.
Auf der anderen Seite zeigt sich, daß bei leichteren Nephri¬
tiden der Ablauf der Nephritis sich ganz anders gestalten kann
(Fall Fr., Sch., H., Nr. 5, 6, 7 der Tab. C). Ganz allmählich lassen
die Erscheinungen der Überempfindlichkeit, die Polyurie, die Fixation
und die Niedrigkeit des spez. Gewichts nach und nähern sich wieder
dem normalen Verhalten. Gewöhnlich fängt zuerst das spez. Ge¬
wicht an, in seiner absoluten Höhe zu steigen, behält aber noch
seine Fixation bei; die Urinmenge nimmt langsam ab, und schlie߬
lich sehen wir wieder normales Verhalten zwischen der Wasser¬
ausscheidung und dem spez. Gewicht eintreten; die Wasser¬
ausfuhr steht wieder im normalen Verhältnis zu der Einfuhr, und
das spez. Gewicht schwankt je nach der Wasserzufuhr stark und
ist im Durchschnitt nicht mehr niedrig, sondern hoch.
Aus diesem Verhalten ergibt sich, daß sich hier allmählich
die Überempfindlichkeit zurückgebildet hat zu normalen Aus¬
scheidungsverhältnissen. Gleichzeitig sehen wir aber auch klinisch
alle Zeichen der Nierenschädigung verschwinden: klinisch ist die
Niere geheilt In zwei von den drei Beobachtungen dieser Art
war von einer Nierenkrankheit in der Tat zum Schluß der Beob¬
achtung nichts mehr erkennbar.
Daraus würde sich die Folgerung ergeben: da, wo nach einer
akuten vaskulären Nephritis die Überempfindlichkeit der Nieren¬
gefäße bestehen bleibt, ist keine Ausheilung erfolgt: es ist immer
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392
SCHLAYBB U. TaKAYABO
noch eine Nierengefäßsc^ädignng vorhanden, oder die Überemp&nd-
lichkeit besteht weiter als letzter Rest der Nieren gefäßschädigune
(Fall H., Nr. 3, II. Prüfung, Tabelle C).
Dagegen da, wo die Überempfindlichkeit wieder verschwindet
und normalem Ausscheidungsverhalten Platz macht, werden wir
allermeist mit einer Heilung rechnen dürfen. Unter Zugrunde¬
legung unserer Anschauungen lassen sich auch diese Vorgänge wohl
verstehen: wir haben gesehen, daß bei der akuten Nephritis eine
Überempfindlichkeit der Nierengefäße, wie sie sich in der Ans¬
scheidung demonstriert, fast immer mit einer Nierengefaßschädigun?
gleichbedeutend ist, daß sie geradezu eine Nierengefäßschädigung
anzeigen kann. Danach müssen wir auch annehmen, daß, solange
die Nierengefäßüberempfindlichkeit fortbesteht, die Nierengefä߬
schädigung auch noch nicht ganz abgeheilt ist. 1 ) Verschwindet
aber die Überempfindlichkeit, so werden wir, wenn nicht besondere
Bedingungen vorliegen, in der Mehrzahl der Fälle annehmen dürfen,
daß auch die Gefäßschädigung abgeklungen ist.
Unsere bisherigen Erfahrungen und Nachprüfungen überstan-
dener akuter Nephritiden haben diesen Schlüssen recht gegeben,
mit der Ausnahme, daß offenbar trotz der Rückkehr zu normalen
Ausscheidungsbedingungen nicht immer mit einer vollkommenen
Ausheilung der Nierengefäßschädigung gerechnet werden kann.
So sehen wir in Fall H. und N. (Nr. 7, IL Prüfung, und Nr. 10 der
Tabelle C), trotzdem die Ausscheidungsverhältnisse sich so gut wie
normal verhalten, noch 8 Monate resp. 1 Jahr nach der akuten
Nephritis eine freilich nur leichteste Nierengefäßschädigung fort-
bestehen. Das lehrt in beiden Fällen die leichte Verlängerung
der Milchzuckerausscheidung, und die nicht unbeträchtliche Albn-
rainurie, die noch bestand, gibt diesem Schluß recht. Gerade in
diesem Punkte, dem Fortbestehen der Albuminurie unterscheiden
sich diese beiden Fälle auch wesentlich von Fall 5 und 6, die wir
als ganz ausgeheilt betrachten. Bei diesen letzteren beiden war
außer der Ausscheidungsstörung auch die Albuminurie vollkommen
verschwunden.
Wir sehen daraus, daß die Wiederherstellung der normalen
1) Um Mißverständnissen vorzubeugen, sei scharf betont, daß die Beobach¬
tung einer einzelnen Tagesportion des Urins nicht als Grundlage für die Fnee
gelten kann, ob noch eine Überempfindlichkeit besteht oder nicht. Solche ein¬
zelnen Urinportionen können sehr wohl ein wesentlich abweichendes Verhalten
hinsichtlich ihres spez. Gewichtes zeigen. Darüber wird bei den chronischen vas¬
kulären Nephritiden noch zu sprechen sein.
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Untersuchungen Uber die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 393
Ausscheidungsverhältnisse allein uns noch kein genügend sicheres
Urteil gestattet, ob eine akute Nephritis ausgeheilt ist oder nicht.
Sie ist nicht eindeutig; denn wie schon, speziell für das Wasser,
oben ausgeführt, kann gelegentlich auch mit einem ganz normalen
Ausscheidungsverhalten eine Nierengefäßschädigung verbunden sein.
Wir werden demnach in einer Wiederherstellung der normalen
Ausscheidungsverhältnisse nur ein Symptom erblicken dürfen, das
in der Richtung einer Heilung weist. Erst dann, wenn außerdem
auch die klinische Beobachtung und die Milchzuckerausscheidung
in gleichem Sinne sprechen, werden wir das Recht haben, die
Nephritis als geheilt zu betrachten.
Wir haben demnach drei Methoden, um uns über das Fort¬
bestehen einer Nierengefaßschädigung zu orientieren: außer der
bisher allein geübten klinischen (Beobachtung des Albumens usw.)
nun auch noch die Prüfung der Ausscheidungsverhältnisse (hin¬
sichtlich des Wassers und des spezifischen Gewichts) und endlich
noch die Prüfung der Milchzuckerausscheidung. Es steht zu hoffen,
daß es uns auf Grund dieser drei Methoden vielleicht gelingt, ein
schärferes Urteil, als es bisher möglich war, über die Frage zu
erhalten, ob eine Nephritis ausgeheilt ist oder nicht.
Wir haben in dem Voraufgehenden gesehen, daß die Niere
mit dem Abheilen der Schädigung die Fähigkeit wieder erlangt,
einen konzentrierten Urin auszuscheiden, während sie, solange die
Nephritis anhält, einen dünnen Harn mit niederem spezifischem
Gewicht produziert.
Aber auch im Beginn akuter vaskulärer Nephritiden finden
wir nicht selten ganz normale, ja selbst hohe Konzentrationswerte
(auch bei geringem oder fast fehlendem Albumengehalt, vgl. Fall R.,
Nr. 2, u. N., Nr. 1 der Tabelle C). Dabei lehren schon die gleich¬
zeitige Oligurie und Hämaturie, aber nicht minder die Prüfung
der Milchzuckerausscheidung, daß hier eine beträchtliche, ja oft
sogar schwere Nierengefäßschädigung vorliegt. Eine Nierengefä߬
schädigung kann also nicht nur mit einer etwa normalen Urin¬
menge einhergehen, wie oben betont, sondern auch mit eiuer recht
guten Konzentrationsfähigkeit verbunden sein. Diese Tatsache ist
an sich der internen Klinik schon lange bekannt, war aber bei
den bisherigen Vorstellungen unerklärbar. Die allgemeine An¬
schauung ging, besonders beeinflußt durch die Studien an den ein¬
seitigen Nephritiden, bisher dahin, daß die Produktion eines gut
konzentrierten Urins — wie schon das Wort „gut“ zeigt — ein
Zeichen hochwertiger Nierenarbeit sei. Daß dagegen die sogenannte
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394
Schlayir o. Takayasu
Konzentrationsunfähigkeit, d. h. die dauernde Produktion eines
dünnen Urins, ein Zeichen von Nierenschwäche sei. Danach mnßte
eine schwere Nephritis mit erhaltenem gutem Konzentrationsver¬
mögen unverständlich bleiben.
Die Dinge klären sich, sobald wir unsere Anschauungen zu¬
grunde legen: die gute Konzentration wird begreiflich da, wo nnr
die Nierengefäße, nicht aber die Tubuli geschädigt sind. Die
beträchtlich geschädigten Nierengefäße produzieren nur eine geringe
Menge Wassers; da die Tubuli aber normal oder so gut wie nor¬
mal arbeiten und noch keine Überempfindlichkeit herrscht, so mnil
das Resultat ein hochkonzentrierter Urin sein.
So wird es uns begreiflich, daß auch eine schwerkrankt
Niere hochkonzentrierten Urin produzieren kann. Wir können
demnach in der Tatsache eines hochkonzentrierten Urins an sich
noch keineswegs ein Zeichen guter Nierenarbeit erblicken, nnd
ebensowenig werden wir immer in der Produktion eines dünnen
Urins ein Zeichen von Schwäche der Niere erblicken. Dies wird
da wohl der Fall sein, wo eine tubuläre Hyposthenurie vorliegt,
dagegen bei einer einfachen vaskulären Hyposthenurie ist die
nicht ohne weiteres der FalL Bei ihr bedeutet die Produktion
eines dünnen Urins nur eine Überempfindlichkeit der Nierengefafie.
die Folge eines Reizes auf dieselben. Dabei kann aber, wie später
noch gezeigt werden wird, die Arbeit der Niere sonst vollkommen
normal sein. Hier handelt es sich nicht um eine Schwäche der
Niere, sondern um eine vielleicht nur einseitige Mehrleistung eine
Teils der Niere, der Nierengefäße.
Schon hieraus geht hervor, — und unsere demnächst folgenden
Studien über chronische vaskuläre Nephritiden werden das noch
wesentlich erweitern — daß die Konzentrationsfähigkeit an sich
überhaupt kein Maßstab für die Leistung der Niere in dem Sinne
ist, wie bisher verwandt. Die Beobachtungen und Erfahrungen,
auf welche sich diese bisherige Ansicht gründet, erklären sich
nach unseren Untersuchungen auf wesentlich andere Weise; das
tun schon die bisherigen Beispiele dar.
Für die Betrachtung dieser Verhältnisse und ihre diagnostische
Verwertung kommt ganz offenbar ein Faktor in Frage, der bisher
überhaupt nicht berücksichtigt wurde, der aber von allergrößtem
Einfluß auf die Art der Ausscheidung der festen Substanzen, also
die Konzentration des Urins ist, das biologische Verhalten
der Nierengefäße. Das zeigen gerade die Verhältnisse bei
den hier behandelten akuten vaskulären Nephritiden am deutlich-
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 395
sten, da bei ihnen die Tubnli intakt sind. Sind die Nierengefäße
infolge einer Schädigung in ihrer Arbeit stark beeinträchtigt, so
wird bei intakten Tubulis ein konzentrierter Urin produziert werden.
Sind sie dagegen durch die Schädigung überempfindlich geworden,
so wird selbst bei vollkommen intakten Tubulis ein dünner Urin
abgesondert.
Schon die Nierengefäße allein sind danach imstande, weitest¬
gehende Einwirkung auf die Art der Ausscheidung der festen Sub¬
stanzen auszuüben; schon sie vermögen die Konzentration in jeder
beliebigen Weise zu ändern. Das ist ein Ergebnis, auf das wir
besonders mit Rücksicht auf die demnächst folgenden chronischen
vaskulären Nephritiden Nachdruck legen.
Auf alle weiteren Schlüsse, welche sich aus unserer Art der
Auffassung für den Zusammenhang der akuten vaskulären Nephri¬
tiden mit Ödem, Urämie und Hypertension ergeben, möchten wir
hier noch nicht eingehen, sondern ihre Erörterung auf später ver¬
schieben.
Unsere Zusammenfassung lautet:
1. Als akute vaskuläre Nephritiden werden wir diejenigen
akuten Nephritiden bezeichnen dürfen, die mit Oligurie verbunden
sind, während gleichzeitig die Kochsalzausscheidung sowohl pro¬
zentual wie absolut intakt ist. In diesen Fällen ist immer, ent¬
sprechend unseren tierexperimentellen Erfahrungen, die Milchzucker¬
elimination verschlechtert, die Jodkaliausscheidung dagegen intakt.
2. Nierengefäßschädigung braucht nicht immer mit Oligurie
einherzugehen. Sie kann vielmehr auch mit Polyurie verbunden
sein. Diese Polyurie hat zur Ursache eine Überempfindlichkeit der
Nierengefäße infolge krankhaften Reizes.
3. Die polyurische Nierengefäßschädigung ist im allgemeinen
eine leichtere Form der Nierengefäßschädigung; sie kann der
schwereren, der Oligurie, entweder vorausgehen oder sich aus ihr
entwickeln.
4. Die Größe der Wasserausscheidung erlaubt kein sicheres
Urteil über den Zustand einer Niere: sowohl bei normaler Urin-
menge wie bei vermehrter Urinmenge kann beträchtliche Nieren¬
gefäßschädigung bestehen. Nur die nephritische Oligurie ist ein
sicheres Zeichen schwerer Nierengefäßschädigung.
5. Akute vaskuläre Nephritiden zeigen in ihrem Ausscheidungs¬
verhalten zwei verschiedene Ausgänge:
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396
SCHLAYER U. TAKAYASU
Entweder bleiben die Erscheinungen einer vaskulären Über¬
empfindlichkeit bestehen. Dann ist für gewöhnlich auch noch keine
Ausheilung erfolgt, sondern die Nierengefäßschädigung besteht fort.
Oder die Erscheinungen der Nierengefäßüberempfindlichkeit
gehen zurück und verschwinden. Dann ist meist Tendenz zur
Heilung vorhanden. Das Verschwinden der Überempfindlichkeit
allein gestattet jedoch noch kein genügend sicheres Urteil, ob die
Nephritis abgeheilt ist. Außer ihr ist auch noch das klinische
Verhalten und der Ausfall der Milchzuckerprüfung zu berück¬
sichtigen.
6. Nierengefäßschädigung kann sowohl mit hoher Konzen¬
tration des Urins, wie mit niederer einhergehen.
7. Die Produktion eines hochkonzentrierten Urins ist keines¬
wegs immer ein Zeichen guter Nierenarbeit resp. intakter Nieren.
Ebensowenig ist Produktion eines dünnen Urins immer ein Zeichen
von Schwäche der Niere. Bei intakten Tubulis hängt vielmehr
die Ausscheidung der festen Substanzen und damit auch die Höhe
des spezifischen Gewichts ganz maßgebend ab von dem biologischen
Zustand der Nierengefäße.
Arbeiten sie infolge einer Schädigung vermindert, so wird ein
konzentrierter Urin ausgeschieden. Sind sie dagegen überempfind¬
lich, so wird ein dünner Urin ausgeschieden.
h F. c. 1
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Tafel II
u F. C. W. Vogel 1 Druck von August Pries in Leipzig
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396
ScHLAYER U. TAKAYA8Ü
Entweder bleiben die Erscheinungen einer vaskulären Über“
empfindlichkeit bestehen. Dann ist für gewöhnlich auch noch keine
Ausheilung erfolgt, sondern die Nierengefäßschädigung besteht fort
Oder die Erscheinungen der Nierengefäßüberempündlichkeir
gehen zurück und verschwinden. Dann ist meist Tendenz zni
Heilung vorhanden. Das Verschwinden der Überempfindlichkeit
allein gestattet jedoch noch kein genügend sicheres Urteil, ob di
Nephritis abgeheilt ist Außer ihr ist auch noch das klinisd
Verhalten und der Ausfall der Milchzuckerprüfung zu bernc
sichtigen.
6. Nierengefäßschädigung kann sowohl mit hoher Konze
tration des Urins, wie mit niederer einhergehen.
7. Die Produktion eines hochkonzentrierten Urins ist keines
wegs immer ein Zeichen guter Nierenarbeit resp. intakter Niered
Ebensowenig ist Produktion eines dünnen Urins immer ein Zeichei
von Schwäche der Niere. Bei intakten Tubulis hängt vielmet
die Ausscheidung der festen Substanzen und damit auch die Hob;
des spezifischen Gewichts ganz maßgebend ab von dem biologische;
Zustand der Nierengefäße.
Arbeiten sie infolge einer Schädigung vermindert, so wird ei-
konzentrierter Urin ausgeschieden. Sind sie dagegen überempfind
lieb, so wird ein dünner Urin ausgeschieden. j
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Tafel II
Kurve 3b
druck | IQ | tl 112
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Druck von August Pries in Leipzig
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Original frn-m
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Tafel III
Kurve 4 b
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Druck von August Pries in Leipzig.
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Tafel IV
Druck von August Pries in Leipzig
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 397
Erklärung der Klirren anf Tafel II, III und IV.
Die schwarzen Säulen zeigen die Ausfuhr an; die unteren die des
Wassers, die oberen die des Kochsalzes.
Die schraffierten Säulen geben die Einfuhr an; die unteren die des
Wassers, die oberen die des Kochsalzes.
Die prozentuale Kochsalzkonzentration ist am Fuße der Kochsalzausfuhr¬
säulen angegeben.
Die untere schwarze ausgezogene Linie gibt das spezifische Ge¬
wicht an, die obere schwarze ausgezogene Linie den Blutdruck.
Die schwarze punktierte Lime zeigt den Eiweißgehalt des Urins an.
Die schwarze unterbrochene Linie schließlich die Schwankungen des
Körpergewichts.
Zeiten reiner Milchdiät resp. kochsalzarmer Kost sind besonders markiert
durch liegende Rechtecke. Der Zeitpunkt der vorgenommenen Funktionsprüfungen
ist durch einen senkrechten Pfeil markiert
Verabreichte Medikamente sind am unteren Rande der Kurve vermerkt.
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Schlaykr n. Takayasu
398
T»-
Name
1
1
1
Krankheit:
Ödeme, Urämie,
Hypertension
Wasser¬
elimination
NaCl
absolut
NaCl-
Konzentr.
a) durch-
schnittl.
b) höchste
%
NaCl- äfM
Zulage 6«
1. N.
!
Nephr. acuta
gravid, mit
Ödemen
Oligurie
gut
a) 0,82
b) 0,84
nicht ganz
eliminiert 1
2. R. 1 Nephr. acuta
I.Prüfung hämorrhag.
0 Ödeme, 0 Hy-
pertensiou
leichte Polyurie,
resp. normale
Menge
sehr gut
a) 0,91
b) 1,15
J
R.
II. Prü¬
fung
9 Monate später
beträchtl. Poly¬
urie
sehr gut
0,87
i
3. H.
I. Prüfung
Nephr. acuta
hämorrhag.,
.leichte Urämie,
Ödeme u. Hyper¬
tension
Oligurie vorher,
am Tage der
Injektion erst¬
mals Besserang
erstmals sehr
gut. über-
scnießt
a) 0,56
b) 0,73
1
H.
II. Prü¬
fung
Keine Ödeme
u. keine Urämie
mehr, noch
leichte Hämat.
enorme Polyurie
sehr gut
a) 0,7
b) 0,75
H.
III. Prü¬
fung
Ein Jahr später:
0 Ödeme,
0 Hypertension,
0 Urämie
beträchtliche
Polyurie
sehr gut,
überschießt
0,84
j
4. Sch.
I. Prüfung
Nephr. acuta
häinorrhag.
bei sept. Wunde,
Ödeme, ternpor.
Hypertension,
Urämie
normal
sehr gut
a) 0,55
b) 0,58
1
Sch.
II. Prü¬
fung
Ödeme und Urä¬
mie verschwun¬
den, ebenso
Hypertension
i beträchtl. Poly-
urie
j
1
sehr gut
a) 0,56
b) 0,61
j
5. F.
Nephr. acuta
j postscarlat.,
1 o Ödeme,
0 Urämie
i
leichte Polyurie
sehr gut
a) 0,68
b) 0,82
6. Sch
Nephr. acuta,
h ä m o r r h a g.-
postscarlat.,
0 Ödeme,
leichte Oligurie
— IO*
0 Urämie
i. hT
I. Prüfung
Nephr. acuta, leichte Polyurie
häinorrh. mit (
Gesichtsödem,
| leichte Hvper-
^ension, 0 Urämie.
sehr gut
1
0,85
—
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Untersuchungen über die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 399
>elle C. _
Milchzncker-
der Aus¬
eidung
ausscheidung
Jodkali
1 Al ’
Dauer,
in Std.
Menge
in tr
wieder¬
gewonnene
Menge
in %
Dauer
in Stund.
bumen
01
1 00
SchluOurteil
Verlauf
igurie J
8—9 Std.
2.0 g
60
50
2—4
rein vaskuläre
Störung
e Hypo-
enurie
6 Std.
1 g
99,3
" 48
7*
leichte vaskuläre
Schädigung
| siehe II. Prüfung.
zt typ.
ul. Hypo-
lenurie
6 Std.
2g
(30?)
52
Spur ,
vaskul. Schädigung
besteht fort, in¬
zwischen Überemp-
findl. eingetreten
—
einsetzen-
isk. Hypo-
enurie?
en abklin-
er tubul. ?
124-Std. r )
2,0 g
73
68
1=ST |
starke vaskuläre
Schädigung, Tubul.
eben abgelaufen (?)
siehe II. Prüfung.
. vaskul.
osthenurie
8 Std.
2,0 g
68
48
l
noch immer starke
vaskul. Schädigung
trotz Polyurie
siehe III. Prüfung.
. vaskul.
osthenurie i
5 Std.
2,0 g |
100
0
nur noch Über¬
empfindlichkeit der
Nierengefäße nach¬
weisbar
»osthenurie
ir vaskul.
arakters
nicht
wieder
erhalten
2,0 g
66
i—2
schwere vaskuläre
Schädigung trotz
normaler Urin-
menge
siehe II. Prüfung.
tzt reine
kul. Hypo-
thenurie
6+Std. 1 )
2,0 g
34!
63
V*
Noch immer
starke vaskul. Schä¬
digung trotz Poly¬
urie
Überempfindl. der
Nierengefäße und
Hämaturie bleibt
bestehen.
ite vaskul.
osthenurie
6 Std.
2,0 g
93,4
i 1
leichteste vaskuläre
..Schädigung mit
Überemptindlichkeit
Ausheilung unter
Ansteigen d. spez.
Gew.u.Verschwin-
den d. Polyurie u.
des Albaniens.
ignrie mit
posthenurie
! 8 Std. "
2,0 g
94
“TT'
beträchtl. vaskul.
Schädigung
Verschwinden der
Hyposthenurie, An¬
steigen des spez.
Gew., Rückgang
der Nephritis.
ioste von
? kul. Hypo-
sthennrie
6 Std.
2,0 g
73,3
54
v.
leichteste vaskuläre
Schädigung noch
zurückgeblieben
siehe II. Prüfung.
d. h. nach 12 resp. 6 Stuuden noch nicht beendigt.
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400
Schlayer n. Takayasu
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— —-
---
■ ■ ■ ■ — —
NaCl-
— -
Name
Krankheit:
i ..
1 Ödeme, Urämie,
Hypertension
i
Wasser-
eliminatioD
NaCl 1
absolut
Konzentr.
a) durch-
schnittl.
b) höchste
Ol
lo
NaCl-
Zulage Ge*
H. Ein Jahr später:
II. Prü- j 0 Ödeme,
fung | 0 Urämie,
0 Hypertension
leichte Polyurie sehr gut
8. II.,
30jähr.
Mann
Nephr. acuta
i hämorrhag.,
keine Ödeme,
keine Urämie,
keine Hyper¬
tension
sehr starke Poly-i
urie, nach ein¬
tägiger Oligurie
(1500 Ausfuhr
gegen 2000 ccm
Einfuhr)
9. Sch.,
18 jäbr.
Mann
Nephr. acuta
hämorrhag.,
Ödeme, Pe¬
techien, 0 Hyper
tension,0 Urämie!
10. N.
8jähr.
Knabe
sehr gut, =
überschießt j
stark (16,5
Ausf. gegen |
5 g Einfuhr)
0,87
a) 0,66
b) 0,76
fix
sehr gut und 101«
glatt ausge¬
schieden
zuerst 5 tägige ! sehr gut,
Oligurie mit tiberschießt
hoher Konzentr. stark (20,5 g
(1028 bei 5 °/ 00 Ausfuhr
Alb.) jetzt sehr gegen 10 g
starke Polyurie Einfuhr)
(8300 Ausfuhr !
gegen 2000 ccm
Einf.) |
a) 0,82
b) 0,86
von An¬
fang an
ii
Nephr. subacuta durchschnittl.
postscarlatin. annähernd nor-
(seit 8 Monaten), mal, öfters leichte
Früher Ödeme, j Polyurie (ca.
jetzt0, 0 Urämie,! Einfuhr gleich
keine Hyperten-j Ausfuhr)
sion i
Einfuhr
gleich Aus¬
fuhr
11. L.,
33jähr.
Frau
Nephr. subacuta stark wechselnd,
gravid.; vor 5 j bald Polyurie,
Monaten wäh- bald anscheinend
rend Gravidität normale Urin- j
Ödeme, auch nach menge; am Tage!
dem vor 3 Monat, der Prüfung etwa
erfolgten Partus,! normale Urin- ,
jetzt noch Spur menge (1400 Aus*
I Ödeme. R. R. Ifuhrbei 1800 ccm
1 138 mm Hg, l Zufuhr)
0 Urämie, Herz
i o. B. I
sehr gut
12. H. Nephr. subacuta, stark wechselnd,! sehr gut,
22 jähr. Beginn vor 6 Mo- bald leichte Poly-: Einfuhr
Mädchen nateu mit Ödem., urie, meist etwa 1 gleich Aus-
jetzt 0 Urämie, normale Urin- i fuhr
I kaum Ödeme,
0 Hypertension ,
(R.R. 130mm Hg)
0 Urämie, Herz
o. B.
menge
a) 0,78 trotz Mehre
b) 0,83 fuhr von 50(
Flüssigk. n
teilw. elira
niert [v. 17,i
Zufuhr nu
10,6 g elimi
0,86 nicht ganz 10!
eliminiert (von
23,7 g Zufuhr
aus geschieden
14,0gj
a) 0,73 I
b) 0,82
— iol
Gck igle
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Untersuchungen Uber die Funktion kranker Nieren beim Menschen. 401
Milchzuck« i -
ausscheidung
Jodkali
Al-
i u lyp der Aus*
Scheidung
Dauer,
Menge
wieder-
gewonnene
Menge
in °/ 0
Dauer
in Stund, i
binnen Schlußurteil
0
00
Verlauf
Reste von
vasknl. Hypo-
sthenurie
5—6 Std.
2,0 g
67
48
Spur noch immer Reste
von leichter vaskul.
.Schädigung ohne
Überempfindlichkeit!
typ. vaskul.
‘ Hyposthenurie
6 Std.
2,0 g
97
56
7i leichte vaskuläre
Schädigung bei
starker Überempfind-
lichkeit
Überempfindlich-
keit der Nieren¬
gefäße besteht fort.
_ rein va9-
knl. Hypo¬
sthenurie
7—8 Std.
2,0 g
50
52
2—3 rein vaskuläre
Schädigung bei
Polyurie
mehrfache Rück¬
fälle mit Hämat¬
urie u. Ansteigen
des Albumens und
Sinken der Uriu-
menge, sonst dau¬
ernde Polyurie mit
niedr. fix. spez.
Gewicht.
keine Hypo-
" sthennrie, an-
»* 5 ’ ■ scheinend nor-
>o mal
11* r.;
5—6 Std.
2,0 g
64
48
3 / 4 rein vaskuläre
Störung leichtesten
Grades ohne Über¬
empfindlichkeit,
Rest von Scharlach¬
nephritis
noch in Beobach¬
tung.
keine Hypo-
ihfi stheuurie
iS:
9 Std.
2,0 g
74
44
Spur rein vaskuläre
Störung ohne aus¬
gesprochene Über-
l j empfindlichkeit
Entlassen nach
14 Tagen mit
gleichem Befund.
1
keine Hypo-
^ sthenurie
i ,
i
5—6 StcL
2,0 g
94
1
H 52“
1 rein vaskuläre
Störung leichten
Grades ohne Über-
empfindlichkeit
j allmählich. Sinken
des spez. Gewichts
auf 1014—16, stär¬
kere Fixation, zu¬
nehmende Nei¬
gung zu leichter
Polyurie, also Aus¬
bildung von Uber-
empfindlichkeit.
Deutsches Archiv f. Ulin. Medizin. 101. Bd.
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Über eine kritische Frequenz des Herzens bei
paroxysmaler Tachykardie.
Von
K. F. Wenckebach
in Groningen.
(Mit 3 Abbildungen.)
In den folgenden Zeilen wird gezeigt werden, daß eine sehr
hohe Frequenz der Herztätigkeit an sich die Ursache bedeutender
Kreislaufstörung und nicht geringer Erweiterung des Herzens
sein kann.
Diese Tatsache ist wichtig für die klinische Beurteilung des
Herzens in Fällen von hoher Frequenz, besonders bei der paroiys-
malen Tachykardie. Gerade bei dieser Krankheit, wobei ich nur
die regelmäßige Form, nicht die sehr rapide „Arhythmia perpetoa*
ins Auge fasse, bestehen Meinungsverschiedenheiten über die Frag?,
ob während des Herzjagens akute Vergrößerung des Herzens, Er¬
weiterung der Herzhöhlen, eventuell Insufficienz der Klappen ent¬
stehe oder nicht. Die Antworten fallen verschieden aus je nach
den beobachteten Fällen.
Daß nun bei paroxysmaler Tachykardie sehr bedeutende Herz¬
vergrößerung mit starker venöser Stauung entstehen kann, steht
fest und wird u. a. von einem Falle aus der hiesigen Klinik (1905' '•
bewiesen.
Frau d. V., 37 Jahre, sonst immer gesund, leidet nur währen*)
der Gravidität an Anfallen von Herzklopfen mit starken Schmerzen
im Epigastrium. Das Herzklopfen geht den Leibschmerien
voran. Dies war auch der Fall, als 4 Tage vor der Aufnahme in di**
Klinik (16. November 1905) die Schmerzen wieder auftraten. Sie hatte
hier eine äußerst frequente, regelmäßige Herztätigkeit bis 240 pro Mi¬
nute (s. die Kurven der Fig. 3). Das Herz war nach allen Seiten hin
1) Siehe J. Lankhout. Essentieele paroxysmale Tachykardie. Ned. Tijl-
schrift voor Geneeskunde 1910 I p. 97.
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Über eine kritische Frequenz des Herzens bei paroxysmaler Tachykardie. 403
stark vergrößert, die ganze Regio cordis wogte bei den schnellen Schlägen,
die Töne waren rein. Es war starke Stauung der Halsvenen und be¬
sonders der Leber vorhanden: die „Leibschmerzen" stammten von der
akut geschwollenen Leber her. Der Puls war sehr klein, oft nicht fühl¬
bar, die Extremitäten kalt und cyanotisch, der Urin sehr spärlich, nur
500—550 ccm, ein geringer Hydrothorax ließ sich in der linken Brust-
hälfte feststellen.
Dieses Bild der kardialen Stauung, wie es bei gestörter Kompen-
sierung eines Klappenfehlers nicht anders ist, änderte sich schnell unter
Digitalisbehandlung und Sinken der Frequenz. Die Venen entleerten
Bich, die Herzgröße und die Leberschwellung nahmen schnell ab, der Urin
wurde reichlich entleert. Nach wenigen Tagen scheint Patientin geheilt
zu sein, als sich am 1. Dezember der Anfall wiederholt, wobei sich so¬
fort die Herzsilhouette vergrößert, die Regio cordis wieder heftig wogt.
Am nächsten Tage ist alles wieder verschwunden. Später wieder ein
Anfall, der 7 Tage dauerte, wobei wieder die nämliohen Symptome auf¬
traten, und auch die Leberschwellung, die Leibschmerzen und der Stau¬
ungsurin nicht ausblieben. Dieser Anfall hörte plötzlich mit einem
starken Schlage in der Herzgegend auf. Nachher verlief der Partus
ganz normal.
Es läßt sich somit nicht bezweifeln, daß bei übrigens gesundem
Herzen die extreme Tachykardie za starker Vergrößerung des
Herzens mit dem vollständigen Bilde der venösen Staunng in dem
großen Kreislauf führen kann.
Die Analyse der Pulskurven solcher Patienten ermöglicht
die Ursache dieser schnell eintretenden und wieder verschwindenden
Störung zu entdecken.
Schon bei mittlerer Frequenz ist dem Herzen nur kurze Ruhe¬
zeit zugemessen. Die Ventrikelsystole nimmt einen großen Teil
der Herzperiode ein; sehr bald nach dem Ende der V 8 fangen die
Vorhöfe ihre Kontraktion schon wieder an (Fig 1, I). Geht die
Frequenz in die Höhe, so folgt die A B sofort der vorhergehenden
V g nach (Fig. 1, II;. Besonders im Venenpulsbilde, neuerdings auch
im Elektrokardiogramm, läßt sich nachweisen, wie sich dabei die
Vorhofswellen den letzten Wellen der Ventrikelsystole unmittelbar
anschließen und damit verschmelzen. Die Füllungsbedingungen
für das Herz sind dabei noch recht günstige, weil die Diastole der
Ventrikel zusammenfällt mit der Systole der Vorhöfe. Bei steigender
Frequenz rücken die Schläge einander immer näher, bis schließlich
die Vorhofssystole eintritt vor dem Aufhören der V a des vorher¬
gehenden Schlages (Fig. 1, III). Sobald dieses Zusammentreffen
v on Ag und V 9 erfolgt, ist hierdurch eine bedeutende Störung des
Pumpmechanismus des Herzens eingetreten, welche fast unumgäng-
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404
Wbnckebach
lieh zu Kreislaufstörung führt, wie aus den folgenden Betrach
tungen und einschlägigen Beobachtungen hervorgeht.
Schematische Darstellung der Entstehung der Vorhofpfropfung durch Steigen
der Frequenz des Herzens in I, II und III.
Die Systole der Vorhöfe führt das in denselben erhaltene Blot
den Ventrikeln zu. Wenn aber in dem Augenblicke der A, die
Ventrikel sich in Systole befinden, so können sich die Vorhöfe
ihres Inhalts nicht in die normale Richtung entledigen, denn die
Mitral- und Trikuspidalklappen sind unter dem vollen Kammerdroek
geschlossen. Der rechte Vorhof wirft dann, wie aus den enormen
Venenwellen in der Vena jugularis hervorgeht, seinen Inhalt io
die Venen zurück, der linke Vorhof wird es wohl nicht anders
machen. Es wird das Blut statt befördert, aus den Vorhöfen
zurückgeworfen.
Diese Erscheinung ist schon bekannt und beschrieben worden
bei dem Auftreten von Extrasystolen. Bei sehr früh in der Vor¬
hofsdiastole auftretenden Vorhofsextrasystolen kann es Vorkommen,
daß die Ventrikel ihre Kontraktion noch nicht beendet haben, und
es zeigt sich dann ebenfalls eine sehr große Welle im Jugularis-
puls. x ) Allbekannt ist die Koinzidenz von A s und V s bei ven¬
trikulären Extrasystolen und beim Herzblock.
Bei hoher Frequenz habe ich den nämlichen Vorgang ebenfalls
1) Siehe Wenckebach, Beiträge zur Kenntnis der menschlichen Herz¬
tätigkeit. Zweiter'Teil, Fig. 1 u. 2. Arch. f. Physiol. 1907.
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Über eine kritische Frequenz des Herzens bei paroxysmaler Tachykardie. 405
nachgewiesen. 1 ) Das Ineinanderrüeken der Herzschläge und der
von denselben hervorgerufenen graphischen Wellen läßt sich be¬
sonders schön an solchen Fällen demonstrieren, wo die Frequenz
stark wechselt. Schon bei der einfachen Betrachtung der Hals¬
venen bemerkt man bei solchen Patienten das Auftreten starker
Venenpulsationen, auch eine stärkere Füllung der Venen während
der frequentesten Herztätigkeit; beide Erscheinungen verschwin¬
den, sobald das Herz ruhiger arbeitet. Die Kurvenanalyse ergibt
ein Zusammenrücken, ein Ineinandergeschobenwerden der einzelnen
Venenpulswellen und das Auftreten sehr hoher, oft für echten
positiven Venenpuls gehaltenen Pulsationen. Meistens macht sich
dabei auch eine Abnahme der arteriellen Pulshöhe deutlich be¬
merkbar, das Debit des Herzens wird eben kleiner.
Auf die Details dieser Vorgänge, welche ich früher (1. c. dritter
Teil) ausführlich beschrieben habe, muß ich hier verzichten und
in den Vordergrund stellen, daß auch bei der paroxysmalen Tachy¬
kardie eine solche Koinzidenz von A 8 und V 8 Vorkommen kann, ein
Vorgang, den man vielleicht passend mit dem Namen Vorhof¬
pfropfung bezeichnen könnte; wird doch die A„ auf die V 8 wie
gepfropft und der Ventrikel durch die V 8 wie mit einem Pfropfen
dem Blute verschlossen. So wird es begreiflich, daß bei dieser
Krankheit lediglich durch die hohe Frequenz eine starke
Kreislaufstörung sich ausbilden kann, ohnejede Insufficienz
des Herzmuskels.
Vor wenigen Wochen war ich in der Lage einen sehr prä¬
gnanten Fall dieser Art zu beobachten und einer Zahl von Hörern
zu demonstrieren:
Frau P., 47 Jahre alt, verheiratet und Mutter, leidet seit Jahren
an einer chronischen hypertrophischen Lebercirrhose unbekannter Her¬
kunft. Allgemeinbefinden seit ihrer Verpflegung in der Klinik recht
gut, keine Besonderheiten am Herzen, nur hat sie immer eine Pulsfre¬
quenz von 96—113 p. Min. bei normaler Temperatur.
Am 19. Oktober 1910 bekam sie, wie sie sagte nicht zum ersten
Male, einen Anfall von starkem Herzklopfen, ohne schwereren subjek¬
tiven Erscheinungen. Eine halbe Stunde nach dem Beginn des Anfalls
ist der Puls 180—200 p. Min., etwas wechselnd, aber regelmäßig (siehe
Fig. 2 a). Die Herztöne sind rein und kräftig, die ganze Regio cordis
ist stark gewölbt und in fortwährendem Wogen durch die Herzbewegungen.
Der Herzmuskel arbeitet also sehr kräftig, von Muskelschwäche kann
keine Rede sein. Trotzdem ist das Herz und sind namentlich die beiden
1) Wenckebach, Beiträge zur Kenntnis der menschlichen Herztätigkeit.
Dritter Teil, p. 67 Fig. 7, 8, 12, 13. Arch. f. Physiologie 1908.
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Wenckebach
Vorhöfe stark ausgedehnt. Der rechte Vorhof gibt starke Dämpfung
bis 6 cm rechts von der mittleren Sternallinie, der linke bis an die dritte
Rippe. Die Vorwölbung des Brustkorbes und der Interkostalräume und
die Bewegungen des Herzens zeigen den vergrößerten Umfang des
Herzens schon bei einfacher Inspektion.
a Abbild. 2.
Fall P. Herz-, Jugular- und Radialkurven bei paroxysmaler Tachykardie.
a Während des Anfalles sehr starke Vorhof-Venenpulswellen, infolge Koind-
denz von A s und V 8 . Pulsfrequenz = 195 p. Min.
b Sofort nach dem Sistieren des Anfalles durch Vagusdruck, Venenpuls ver¬
schwunden, Radialpuls größer. Frequenz = 140 p. Min.
Die Halsvenen sind dabei stark angeschwollen, füllen das Jugu-
lum und die Gegend der Jugularis interna ganz aus und zeigen auffallend
starke, scheinbar systolische Venenwellen.
Die Kurven (Fig. 2 a) zeigen die hohe Frequenz, den für die
paroxysmale Tachykardie typischen dikroten Puls und die hohen Venen¬
wellen, welche nahezu mit den arteriellen Wellen in der Radialarterie
zusammenfallen. So stark ist die Wellenbewegung in den Venen, daß
die Exkursionen des Schreibhebels bedeutend reduziert werden mußten,
um brauchbare Kurven zu bekommen.
Es war also starke venöse Stauung in den Halsvenen und stark*
Ausdehnung der Vorhöfe vorhanden.
Als ich den Fall demonstrierte, versuchte ich durch rechtsseitigen
Vagusdruck den Anfall zu coupieren. Bei dem zweiten Versuch gelang
mir dies, die Pulsfrequenz sank plötzlich, ohne Übergang, auf 140—145
ab. Ebenso plötzlich änderte sich das Außere der Patientin: auf ein¬
mal war die Überfüllung der Halsvenen verschwunden, Jugulum und
Supraclaviculargegend, vorher ganz von den Halsvenen gefüllt, waren ein¬
gesunken, von venösen Wellen keine Spur. Die sofort aufgenommenen
Kurven (Fig. 2 b) zeigten gar keinen Venenpuls (auch bei stark ver¬
größerndem Schreibhebel) und bedeutend bessere Füllung des arteriellen
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Über eine kritische Frequenz des Herzens bei paroxysmaler Tachykardie. 407
Pcüses (bei unveränderter Aufnahme des Pulses). Bei der nach wenigen
Minuten stattfindenden Untersuchung des Herzens war von der Herz¬
vergrößerung, von der Yorwölbung der Regio cordis und von den wogen¬
den Bewegungen nichts mehr zu finden; die Patientin gab an, das Herz¬
klopfen habe sofort und ganz aufgehört.
Wir beobachteten hier also bei einer übrigens nicht herzkranken
Frau eine starke Venenstauung und bedeutende Vergrößerung der
Vorhöfe des Herzens infolge eines vor einer halben Stunde ange¬
fangenen Anfalls von Tachykardie. Die Herzaktion ist vollkommen
regelmäßig, 180—200 in der Minute und so kräftig, daß die reinen
Herztöne sehr laut sind, die Regio cordis von den Herzbewegungen
stark gehoben wird und die Patientin über heftiges Herzklopfen klagt
Es gelingt durch Vagusdruck die Frequenz plötzlich auf
145 pro Minute zurückzubringen. Sofort sistieren trotz der
immerhin noch sehr hohen Frequenz alle Erscheinungen, das Herz¬
klopfen hört auf, die Venen entleeren sich, die Venenwellen, die
Herzvergrößerung, die Vorwölbung und das Wogen der Herz¬
gegend verschwinden, und dies Alles nicht etwa langsamerhand
sondern urplötzlich.
Die Erklärung der Stauung und der Herzerweiterung kann
hier nicht in einer akut aufgetretenen Herzinsufficienz oder gar
Schlußunfähigkeit der Trikuspidalklappen gesucht werden. Dazu
waren Beginn und Entwicklung der Erscheinungen viel zu rapid,
das sofortige Aufhören aller Symptome beim Systieren des Anfalls
zu plötzlich, zumal die Frequenz anfänglich noch eine recht hohe
war. Außerdem arbeitete das Herz gar nicht schwächlich, sondern
führte sehr starke Kontraktionen aus (kräftige Töne, starkes Wogen)
und waren die Mitral- und Trikuspidalklappen sicher nicht schlu߬
unfähig (absolut reine Töne).
Es liegt vor der Hand anzunehmen, daß sich die Stauung der
Venen und die ungenügende Entleerung der Vorhöfe hier ent¬
wickelten, als die Frequenz die kritische Höhe, wobei die Pfropfung
des A g auf die V 8 stattfindet, überstiegen hatte. Sobald die Fre¬
quenz nur wenig bis unter diesen kritischen Punkt herunterging
war, trotz an sich noch hoher Frequenz, die Ursache der Stauung
weggefallen und die richtige Funktion des Pumpmechanismus des
Herzens wieder hergestellt.
Die Stauung, die hohen Venenpulse, die akute Herzerweiterung,
welche sofort nach dem Aufhören der allerhöchsten Frequenz
sistierten, finden also in dem Übersteigen der „kritischen Frequenz“
und dem Auftreten der „Pfropfung“ eine einfache mechanische Er-
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Wenckebach
klärung. Eine etwaige mysteriöse relative Insnfficienz braucht
und darf nicht zur Erklärung herangezogen werden.
Die mitgeteilten Fälle und die hier gegebene Erklärung ver¬
langen eine Auseinandersetzung der Theorie des tachykardischeo
Anfalls und die Besprechung einiger Details der abgebildeten Kurven
und einschlägiger Beobachtungen Anderer.
Der Mechanismus des Herzens im tachykardischen Anfall.
Die Frage, ob in den Fällen von regelmäßigem Herzjagen dir
Schlagfolge von Vorhöfe und Ventrikel die normale ist, oder ob e<
sich um eine schnelle Reihenfolge abnormaler Systolen, also von
einer Art Extrasystolen handelt, ist wiederholt und besonders von
dem gründlichen Kenner des Herzjagens, A. Hoffmann, be¬
sprochen worden. Es unterliegt keinem Zweifel, daß in vielen
Fällen, welche zu der paroxysmalen Tachykardie gerechnet werden
können, viele Vorkommen welche auf abnormaler Reizbildung beruhen,
wodurch ein abnormaler Herzmechanismus hervorgerufen wird. Daß
solches vorkommt, darauf habe ich selbst auch schon in früheren
Publikationen hingewiesen. Jedoch unterliegt es ebenfalls keinem
Zweifel, daß in anderen Fällen, ich vermute sogar in der Mehr¬
zahl der Fälle, der Erregungsablauf und die Schlagfolge im Herzen
die normale sind. Besonders aufdringlich zeigen uns dies die Fülle,
wo alle Übergänge von der normalen zur beschleunigten Frequenz
und umgekehrt Vorkommen; wo der Anfall plötzlich sistiert, kann
man im Zweifel sein.
Das Elektrokardiogramm zeigt uns den Erregungsablanf im
Herzen und ist deshalb besonders geeignet, in solchen Fragen eine
Entscheidung zu bringen. Th. Lewis hat sich nun in einer
rezenten Arbeit über diese Krankheit 1 ) in der nämlichen Weise
geäußert und gezeigt, daß es Fälle von Tachykardie mit normaler
Schlagfolge gibt A. Hoffmann 8 ) hat vor kurzem auf Grund
seiner elektrokardiographischen Studien sich in ähnlichem Sinne ge¬
äußert, hält inseinen währenddes Anfalls gewonnenen Kurven einiger
Fälle die Systolen aber für „anatrische“, wo also die Vorhöfe nicht
mitschlagen, und sieht in den Unregelmäßigkeiten nach Vagus¬
druck das Abwechseln normaler und abnormaler Systolen. Mir
1) Th- Lewis, Paroxysmal Tachycardia. Heart. Vol. 1 p.43. 1909.
2) Aug. Hoffmann, Über „anatrische“ Herztätigkeit. Verh. des XXVII.
deutsch. Kongresses für inn. Med. 1910 p. 617. Siehe auch seine eben erschienene
Funktionelle Diagnostik des Herzens p. 190.
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Über eine kritische Frequenz des Herzens bei paroxysmaler Tachykardie. 409
scheint eine ungezwungene andere Erklärung der deutlichsten
Figuren Hoffmann’s geboten. Sowohl in seinen Figuren 2 als 3
sehe ich in der steilen Zacke, die Hoffmann nur für T hält, die
Summierung von T und der nächstfolgenden P (Yorhofszacke). ln
Fig. 3, wo der Rhythmus langsamer wird durch Vagusdruck, er¬
blickt man dann ein rhythmisches Auftreten von P (Vorhofszacke),
typische Leitungsstörung (Verlängerung des Intervalls P—R) und
dadurch verursachtem dreimal wiederholtem Ventrikelausfall.
Die nämliche Erklärung ließe sich auf die Figuren 4 und 5 an¬
wenden.
(Die Details der Kurven, die ungleiche Distanz R—T des näm¬
lichen Schlages, der Form der von Hoffmann für T gehaltenen
Zacke, die wechselnde Größe dieser Zacke, scheinen alle für die
hier gegebene Erklärung einer durch Vagusdruck geweckten
Leitungsstörung zu sprechen, können aber hier nicht weiter er¬
örtert werden.)
So scheinen mir die Hoffmann’ sehen Kurven eher für meine
und Lewis’ Auffassung zu sprechen, daß in der Tat bei paroxys¬
maler Tachykardie die normale Schlagfolge des Herzens vorherrscht.
Dieses festzustellen war notwendig, weil die gegebene Erklärung
durch Vorhofpfropfung nur zu Recht bestehen kann, falls die Schlag¬
folge der Herzabteilungen die normale ist Sollten z. B. atrio¬
ventrikuläre Extrasystolen vorliegen, so würde die Erklärung der
Venenwellen und der Stauung eine andere sein müssen; man sollte
dann ebensowenig an Insufßcienz des Herzens denken dürfen, son¬
dern die Koincidenz von A„ und V„ dem geänderten Ursprungs¬
reiz der Systole und die großen Venenwellen der rückläufigen Vor¬
hofssystole zuschreiben müssen.
Die Erklärung der abgebildeten Kurven.
Bei der Betrachtung der Fig. 2 kann Zweifel aufkommen, ob
die großen Wellen im Venenpulse wirklich die Bezeichnung a (Vor¬
hofswelle) verdienen und nicht als fällend im Bereiche der V 8 ,
doch als rückläufige Ventrikelwellen betrachtet werden müssen.
Hierzu muß folgendes bemerkt werden:
Allererst war in den beiden hier beschriebenen Fällen der erste
Tricuspidalton ganz rein, was bei einer so hohe Venen wellen liefern¬
den Insufficienz der Tricuspidalklappe nicht annehmbar erscheint.
Zweitens aber zeigt die Ausmessung der Kurven, daß die große
Venenwelle, wenn man ihr Verhältnis zur nächstfolgenden V 8 bringt,
an richtiger Stelle kommt. Tn Fig. 2 a (vom zweiten Fall) ist das
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410
Wenckebach
Intervall A s —V 8 noch nicht a / 26 Sekunde. Wenn man bedenkt
daß bei der extrem hohen Frequenz die Leitung von A auf V
leicht etwas verzögert sein kann, ist dieser Wert gar nicht hoch.
Abbild. 3.
Fall de V. Kurven bei paroxysmaler Tachykardie,
a Außerhalb des Anfalls, normaler Venenpuls. Intervall a— r = */*#Sek.
b nnd c während des Anfalls.
b Herzstoß und Radialpuls. Intervall V—r = 4 - 5 / so . Frequenz = 240 p. Min.
c Jugular- und Radialpuls. Die hohen A-Wellen in den Jugularvenen nur
während der hohen Frequenz. Frequenz = 212 p. Min.
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Über eine kritische Frequenz des Herzens bei paroxysmaler Tachykardie. 411
Auch an den Kurven des ersten Falles läßt sich nachweisen,
daß die hohe Venenwelle an den Zeitpunkt kommt, wo man die
A* des nächsten Schlages erwarten sollte. Hier wurden Venenpuls
und Herzstoß nicht zusammen, sondern beide mit dem Kadialpulse auf¬
geschrieben. Fig. 2c zeigt das Verhältnis zwischen Venenwelle und
Radialpuls; das Intervall Beginn A 8 —r beträgt 10 / 80 Sekunde. Wie
aus Fig. 3 b hervorgeht, mißt das Intervall Beginn V„—r ungefähr
M/ t0 Sekunde. Es bleibt also für den Intervall A 8 —V 8 während
des Anfalls ungefähr 4 > 6 / 80 Sekunde übrig, also noch nicht V« Se¬
kunde, was ebenfalls kein hoher Wert ist.
Hieraus ergibt sich, daß die Analyse der Kurven, wenn auch
in diesen Fällen keinen Beweis für die hier gegebene Erklärung
(was bei der hohen Frequenz überhaupt nicht möglich, siehe 1. c.
dritter Teil), doch auch keinen Beweis gegen die hier gegebene
Deutung liefert.
Das Debit des Herzens und die Blutdrucksenkung
während des Anfalls.
Henderson hat in seinen interessanten Untersuchungen über
Acapnia und Shock 1 ) folgende Behauptungen aufgestellt, erstens
daß das Debit des einzelnen Herzschlags kleiner wird parallel an
der Steigerung der Frequenz, zweitens daß die Vorhofssystole nur
wenig zu der Füllung der Ventrikel beiträgt.
Sollten diese Behauptungen ohne weiteres acceptiert werden
müssen, so würde besonders die zweite nicht recht vereinbar er¬
scheinen mit der von mir gegebenen Erklärung der Stauung durch
Vorhofpfropfung. Bei näherer Betrachtung folgt aber erstens aus
Henderson’s Figuren (4 und 6, 1. c. 1909, Nr. V, S. 357 und
367), daß auch dieser Forscher den Blutstrom pro Minute einmal
bei einer Frequenz von 200, das andere Mal bei einer solchen von
180 p. M. verringert sah. Zweitens aber scheint mir Hender¬
son’s Versuchsanordnung nicht geeignet, einen richtigen Einblick
in die Tätigkeit der Vorhöfe bei der Füllung der Ventrikel zu
gewähren. Er umklammert den Sulcus coronarius des Herzens mit
dem Rande eines die Kammer einschließenden Plethysmographen.
Wer nun Keith’s Untersuchungen und diejenigen älterer Unter¬
sucher über die Bewegungen der A—V-Grenze bei der A 8 und der
V, kennt, wird mir zustimmen, daß die Füllung der Ventrikel hier
1) Y&ndell Henderson, Acapnia and Shock. American Journal of phy-
siology 1906, 1908, 1909.
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Wbsckebaoh
nicht ungestört beobachtet worden ist. Daß übrigens bei rufe
Herztätigkeit die Ventrikel Zeit gehabt haben, sich ganz zu fülle:
und dann die Vorhöfe nicht viel Blut mehr in dieselben hinein-
zupressen vermögen, läßt sich leicht einsehen. Daß aber bei vit!
schnellerer Schlagfolge des Herzens, wie im Schema Fig. 1, II. di-
Vorhofstätigkeit nicht von der größten Bedeutung für die Füllung
der Ventrikel sein sollte, würde mir ganz unbegreiflich vorkommeL
Ich kann somit in den Ausführungen Henderson’s. welch-
übrigens außerordentlich interessant erscheinen, keinen triftige*
Einwand gegen die hier gegebene Erklärung erblicken.
Pal hat gefunden, daß während des tachykardischen Anfall:
sich eine starke Blutdrucksenkung bemerkbar macht. In allen
von diesem Autor untersuchten Fällen wurde während der hohen
Frequenz ein niedriger, oft ein sehr niedriger Blutdruck gefunden
Pal sagt zu diesen Befunden:
„Die Erniedrigung des Blutdrucks bildet einen integrierende:
Bestandteil der Anfälle. Sie tritt isochron mit der Tachy¬
kardie 2 ) ein und schwindet mit ihr.-Mit der An¬
nahme einer Herzschwäche im Anfalle wäre natürlich der niedrige
Blutdruck erklärt. Allein eine Herzschwäche läßt sich bei der
paroxysmalen Tachykardie gewöhnlich gar nicht nachweisen und
überdies sprechen die von mir erhobenen Befunde gegen die An¬
nahme einer Herabsetzung des Druckes vom Herzen aus.
Weder durch die Perkussion des Herzens noch dnrch di-
Röntgen-Untersuchung im Anfall konnte eine Erweiterung des
linken Ventrikels nachgewiesen werden. Wohl konnte in unserem
Falle mitunter deutliche Halsvenenschwellung 2 ) und ge¬
legentlich dann Verbreiterung der Herzdämpfung nach rechts er
hoben werden.-Es ist nach alledem unwahrscheinlich, daß
Tachykardie und Blutdrucksenkung hier in einfacher Kausal-
beziehung zueinander stehen. Es spricht vielmehr alles dafür, daß
wir es mit zwei koordinierten Erscheinungen zu tun haben."
Weiter nimmt dann Pal als wahrscheinliche Ursache des niedrigen
Blutdrucks eine gleichzeitig auftretende akute Erweiterung der
Bauchgefäße an.
Pal hat hier eine sehr interessante Frage angeschnitten und
seine Erklärung hat viel Bestechendes. Jedoch möchte ich anf
1) J. Pal, Über paroxysmale Tachykardie. Wiener med. Wochenschr. 19*
Nr. 14.
21 Die Sperrung ist von mir W.
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Über eine kritische Frequenz des Herzens bei paroxysmaler Tachykardie. 413
Grund der von mir beschriebenen Befunde eine andere Erklärung
als eine einfachere und wahrscheinliche vorstellen: der Blutdruck
sinkt sofort beim Überschreiten der kritischen Frequenz infolge
der Koincidenz von A s und V 8 , welche die Blutzufuhr zu den Ven¬
trikeln und dadurch die Blutzufuhr zu den Arterien sehr wesent¬
lich herabsetzt. Der Blutdruck ist nicht von den peripheren
Widerständen allein, sondern an erster Stelle auch von der Blut¬
versorgung seitens des Herzens abhängig. Und diese wird in den
Anfallen eine mangelhafte. Sehr richtig bemerkt Pal, daß man
von einer Herzschwäche in den meisten Fällen nicht reden darf,
und daß sich der linke Ventrikel nicht vergrößert zeigt. Auch ich
halte die Vergrößerung des linken Ventrikels im ersten hier be¬
schriebenen Falle für sekundär (bei der langen Dauer des Anfalls
durch mangelhaften Koronarkreislauf bedingt). Die Störung aber
befindet sich eben oberhalb der Ventrikel, in den Vorhöfen, welche
vergebens versuchen, sich in richtigerWeise ihres Inhalts zu ent¬
ledigen und sofort nach dem Eintreten der hohen Frequenz durch
eine jetzt nicht zu bewältigende Blutquantität ausgedehnt werden.
Hierzu liefern auch die gestauten Halsvenen, schließlich auch die
enorm gestaute Leber den beredten Beweis (1. Fall). Sind doch
diese beiden Gebiete, Halsvenen und Leber, gerade bei unge¬
nügender Herzarbeit das Terrain der stärksten Stauung; bei Er¬
weiterung des splanchnischen Kreislaufs bleiben diese Gebiete ohne
Stauung, weil sie nicht genügend Blut aus den atonischen Bauch¬
gefäßen erhalten.
Ich fühle mich deshalb gezwungen, den niedrigen Blutdruck
bei der Tachykardie dem mangelhaften Pumpmechanismus des
Herzens, durch A s -Propfung verursacht, zuzuschreiben, wenn ich
auch, wie ich schon hervorgehoben habe, Pal vollständig bei¬
stimme, daß hier von Herzinsufficienz oder Herzschwäche keine
Rede sein kann, und ein vasomotorischer Einfluß vielleicht in
einigen Fällen nebenbei vorhanden sein kann. Als alleinige oder
Hauptursache darf dieser letztere aber nicht angesehen werden.
Auch in der englischen Literatur ist die Frage der Über¬
füllung der Bauchgefäße bei paroxysmaler Tachykardie vor kurzem
besprochen werden. G o r d o n J ) beschreibt den günstigen Einfluß von
Kompression des Abdomens in einem Falle, welchen er aber ausdrück¬
lich als „a case of very rapid heart“, nicht als paroxysmale Tachy-
1) W. Gordon, The effect of abdominal compression in a case of very
rapid heart. Brit. med. Journal 1910 I p. 624.
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414
Wbnckrbach
kardie angesehen haben will. Trotzdem gibt Ewart, der Autor
vieler geistreichen Arbeiten in der englischen Literatur, in der
nächstfolgenden Nummer des Brit. Med. Journal in enthusiastischer
Weise als seine Ansicht, daß bei der wirklichen paroxysmalen Tachy¬
kardie ein vasomotorischer Einfluß, Erweiterung der splanchnisches
Gefäße, die Ursache des Anfalls sein sollte. Leider dürfen vir
uns auf Grund der schon von Pal erhobenen Befunde und des
hier Angeführten dieser Meinung nicht anschließen. Bei Erweite¬
rung der Bauchgefaße sind Leber und Halsvenen nicht gestaut
im Gegenteil; eine noch zu wenig angewandte Methode, festzu¬
stellen, ob Blutüberfüllung im Bauche besteht, ist eben eine starke
Kompression des Abdomens. Ist Bauchstasis vorhanden, so sich:
man bei diesem Handgriffe sofort die Halsvenen stark anschwellen.
Hebt man die Hand wieder ab, so fallen die Halsvenen sofort
wieder ein.
Ewart machte weiter die ganz zutreffende Beobachtung, dal
in dem tachykardischen Anfall die Dyspnoe fehlt. Insoweit Ewart
dieses Fehlen von starker Dyspnoe als Argument gegen die Hypo¬
these einer akuten Herzschwäche anfuhrt, kann ich ganz mit ihn
einstimmen. Die Ursache dieser Erscheinung liegt aber wo anders.
Dyspnoe, stärkere Kurzatmigkeit, angestrengte Atembewegungei
entstehen bei Überfüllung des Lungenkreislaufs. Diese aber kann
hier nicht entstehen, denn das Blut wird eben vor den
rechten Ventrikel aufgehalten. Der rechte Ventrikel kann
den Lungenkreislauf nicht überfüllen, denn er bekommt selber schon
zu wenig Blut, infolge des verdorbenen Pumpmechanismus bei der
A„-Pfropfung. Daher mag es kommen, daß wir im zweiten Falle
zwar Ausdehnung des linken Vorhofs, also unmittelbar vor dem
Hindernis im linken Herzen fanden, nicht aber eine bedeutende
Stauung in den Lungen.
Was schließlich den Einfluß von Druck auf das Abdomen an/
die Frequenz der Herztätigkeit betrifft, so muß man mit der Ver¬
wertung einschlägiger Beobachtungen vorsichtig sein. Der Mensch
steht zwar ziemlich weit vom Frosch ab, trotzdem gibt es Patienten
welche die Fähigkeit zum Goltz’sehen Klopfversuch beibehalten
oder in irgendeiner Weise zurückerlangt haben. Bei meiner früher
beschriebenen und hier zitierten Patientin mit Luciani'schen
Perioden (1. c. dritter Teil) beeinflußte ein Druck auf das F.pi-
gastrium allein die Herztätigkeit in ganz genau der nämlichen
1) W. Ewart, Brit. med. Journal 1910, I p. 724.
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Über eine kritische Frequenz des Herzens bei paroxysmaler Tachykardie. 415
Weise, als es Druck auf den Vagus am Halse tat. Hier darf also
nicht ohne weiteres auf Austreibung des Blutes aus dem Abdomen
zum Herzen geschlossen werden, es kann auch reflektorische Beein¬
flussung und zwar im Sinne einer Verlangsamung der Herztätig¬
keit vorliegen.
Wo liegt die kritische Frequenz?
Auf diese Frage kann ich, so weit meine Erfahrung geht, ant¬
worten, daß ich sie ungefähr bei 180 p. M. vermute.
Jedoch muß sofort hinzugefügt werden, daß das Eintreten der
As-Pfropfung in den verschiedenen Fällen, je nach dem Zustande
des Herzmuskels, bei einer anderen Frequenz liegen wird. Ein
Blick auf die schematische Figur 1 zeigt:
1. Wie länger das Intervall A g —V 8 ist, desto eher wird die
nächstfolgende A s die nachschleppende V B einholen. Das Intervall
Ag—V B aber wird von der Reizleitungsgeschwindigkeit bedingt.
Eine gestörte Leitung, wie sie bei der extremen Frequenz wohl
öfters Vorkommen wird (siehe den zitierten Hoffmann’schen Fall
und die Fälle von durch Vagusdruck halbierte Frequenz), wird
also das Eintreten der A a -Pfropfung in die Hand wirken, die
kritische Frequenz niedriger stellen.
2. Die Dauer der V B beherrscht ebenfalls den Zeitpunkt des
Eintretens der A 8 -Pfropfung. Wie länger die V B dauert, desto eher
wird die erwähnte Erscheinung auftret en. Die Dauer der V 8 aber hängt
unmittelbar von den Kontraktionsbedingungen des Herzens ab. Daher
darf man vielleicht erwarten, ob es immer zutrifft kann ich natür¬
lich nicht sagen, daß bei übrigens gesundem Herzen die A s -Pfropfung
eher, das heißt bei niedriger Frequenz, auftreten wird als bei ge¬
schwächtem Herzen mit kurzdauernder Ventrikelsystole. In diesem
Verbände ist es auffallend, daß in meinen beiden Fällen, ebenso
in Pal’s Fall, die Herztätigkeit eine sehr kräftige war.
Ein fester kritischer Punkt läßt sich somit beim Ansteigen
der Frequenz nicht für alle Fälle • angebeu. Es dürfte aber die
Mühe lohnen, mit dieser kritischen Frequenz bei der Beurteilung
des Herzens in Fällen von paroxysmaler Tachykardie zu rechnen
nnd einschlägige Beobachtungen zu publizieren, zur Erhärtung der
hier angegebenen Erklärungen.
Schlußsätze:
1. Wenn auch nicht alle Fälle, welche unter den Begriff der
paroxysmalen Tachykardie fallen, die normale Schlagfolge des
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416
Wenckebach
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Herzens aufweisen, läßt sich das Vorkommen dieser normalen
Schlagfolge in vielen Fällen nicht bezweifeln.
2. In diesen letzteren Fällen kann die Frequenz eine kritische
Höhe erreichen, bei welcher die A a mit der V 8 des vorhergehenden
Schlages zusammenfällt.
3. Diese Erscheinung, als A„-Pfropfung bezeichnet, ist an sieb
Ursache einer bedeutenden Obstipatio sanguinis in den Vorhöfen
und in den dem Herzen am meisten benachbarten venösen Gebieten,
den Halsvenen (und der Leber).
4. Die Höhe dieser „kritischen Frequenz“ liegt wahrscheinlich
bei ungefähr 180 p. M., ist aber von dem Zustande des Herzmukels.
speziell von der Reizleitung und von der Dauer der Y„ abhängig
5. Der Blutdruckabfäll während des Anfalles der Tachykardie
und das Fehlen stärkerer Dyspnoe können durch den geringen
Debit des Herzens infolge der Pfropfung vollständig erklärt werden
und bedürfen nicht des Heranziehens einer konkomittierenden Kr-
Weiterung der Bauchgefäße, welche auch sonst hier nicht annehm¬
bar erscheint.
6. Weitere Beobachtungen werden lehren müssen, ob und in
welchem Maße die hier geschilderten Vorgänge für die verschiedener
Fälle von paroxysmaler Tachykardie Geltung haben.
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Bemerkungen zur Arbeit Schlaepfer,
„Beiträge zur Histologie des Darmes bei perniziöser
Anämie“
dieses Archiv Bd. 100 p. 448.
Von
L. Aschoff.
In der oben erwähnten Arbeit bringt Schlaepfer eine sorgfältige
Beschreibung der Darraschleimhaut bei perniziöser Anämie und erwähnt
dabei auch das Vorkommen eigenartiger Zellen, die seiner Meinung nach
der Ausdruck eines entzündlichen Reizzustandes sind. Er belegt. diese
Zellformen auch mit Abbildungen und er glaubt, den feingekörnten In¬
halt dieser Zellen als lipoidartig ansehen zu müssen. Er hat diese bei
Vorbehandlung mit Kali bichromat. gelblich gefärbten Zellen in Kon-
trolldärmen nicht gefunden und fühlt sich daher um so mehr berechtigt,
in ihnen den Ausdruck eines besonderen Reizzustandes des Darmes zu
erblicken. Der von ihm geführte Nachweis der Lipoidnatur der in diesen
Zellen enthaltenen Granula interessiert mich sehr, doch möchte ich auf
Grund eigener Erfahrungen davor warnen, in dem Befund dieser Zellen
den Nachweis eines besonderen Reizzustandes des Darmes zu sehen.
Nur deshalb verweise ich auf die Arbeit meines Schülers J. E. Schmidt
im Archiv für mikroskopische Anatomie Bd. 66, 1905/06, in welchem
zum ersten Male diese gelben Zellen des Darmes beschrieben und ihr
regelmäßiges Vorkommen in Dünn- und Dickdarm bei Kindern und Er¬
wachsenen festgestellt worden ist. Über die Funktionen dieser Zellen
vermochte auch Schmidt nichts auszusagen. Jedenfalls stehen sie zu
den Paneth’schen Zellen, wie das neuerdings Marullaz (Archives de
Medecine experimentale et d’Anatomie pathologique 1910 Nr. 2), aller¬
dings ohne Kenntnis der S ch m i d t ’ sehen Arbeit behauptet hat, in keiner
Beziehung. Es handelt sich vielmehr bei diesen Schmidt’schen Zellen
um spezifische Zellen der normalen Darmschleimhaut, deren Funktion
noch ganz unbekannt ist. Die von Schlaepfer angenommene Lipoid¬
natur der Granula der Schmidt’schen oder sogenannten gelben Zellen
wird wohl zur weiteren Erforschung ihrer Funktionen anregen. Sehr
wohl möglich ist es, daß ihr gehäuftes Vorkommen bereits als patho¬
logisch angesehen werden muß. So erwähnt Schelble (Bakteriolo¬
gische und pathologisch-anatomische Studien bei Ernährungsstörungen der
Säuglinge, Leipzig 1910), daß er die Schraidt’schen Zellen besonders
reichlich bei drei Kindern gefunden hat, die alle drei parenterale In¬
fektionen bei Mehlnährschaden hatten.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 27
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Besprechungen.
1.
H. Lenhartz, Mikroskopie und Chemie am Krankenbett.
Sechste wesentlich mngearbeitete Auflage. Berlin, J. Springer
1910.
Diese Auflage des ausgezeichneten Werkes ist die letzte Arbeit
unseres verstorbenen Freundes. Sie zeigt ihn ganz wie er war, voller
Leben und Leidenschaft und mit ganzer Seele Arzt. Das ist der Kern*
punkt des Buches und das verleiht ihm meines Erachtens seinen großes
Wert, daß es uns zeigt, wie unsere feinen diagnostischen Methoden sieb
spiegeln im Kopfe eines hervorragenden Arztes der sie täglich am
Krankenbette übt. Man hat in unserer Zeit vielfach von Laboratorium»-
diagnostik gesprochen. Aber wir fragen zugleich: wer wird für aeiae
Diagnosen die feinen und feinsten Methoden des Laboratoriums ent¬
behren wollen? Niemand kann mehr ohne sie aaskommen. Es kommt
nur darauf an, daß sie von einem Verstand angewandt werden, der meb
mit ärztlichem Instinkt auf den ganzen kranken Menschen richtet. Das
tat Lenhartz wie wenige andere und das macht das Buch so inter¬
essant. Überall treten eigene Ansichten hervor; sie interessieren und
fesseln den Kundigen auch da, wo er nicht mit ihnen übereinstimmen
kann. So ist das Buch für jeden, der es studiert, von großem Nutzen.
Uns aber, die wir den Verstorbenen persönlich kannten und liebten, ist
es eine wehmütig schöne Erinnerung. Krekl.
2 .
Erben, Vergiftungen. Klinischer Teil. 2. Teil Therapie und
semiotische Übersicht der organischen Gifte. Aus Handbuch
der ärztlichen Sachverständigen-Tätigkeit von Dittrich. 7. Bd.
1. Teil. Wien, Braunmüller 1910.
Die Schwierigkeit jeder Abhandlung über Vergiftungen liegt darin,
daß der Darsteller zu einem erheblichen Teil auf die Literatur ange¬
wiesen ist, weil naturgemäß jeder Einzelne unter den vielen möglichen
Vorkommnissen nur eine verhältnismäßig kleine Zahl selbst erlebt hsi
Wie schwer es aber ist, die Literatur zu sichten, brauchbares und un¬
brauchbares zu trennen, das weiß jeder, der in dieser Richtung Versuche
machte. Das Erben 'sehe Werk zeigt eine sehr reichliche Berücksich¬
tigung der Literatur und wird vielen Hilfe gewähren. Über manche
Gck igle
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Besprechungen.
419
Einzelheiten kann man rechten; aber ich glaube es würde kaum mög¬
lich sein ein so breit angelegtes Werk vollkommen gleichmäßig zu ge¬
stalten. Ich möchte es für eine wertvolle Bereicherung unserer Literatur
halten. Krehl.
3.
Ernährung und Stoffwechsel. In ihren Gruudzügen dargestellt
von Dr. Graham L u s k. Zweite erweiterte Auflage. Ins Deutsche
übertragen und herausgegeben von Dr. Leo Heß (Wien). Berg¬
mann, Wiesbaden 1910.
Die verdienstvolle deutsche Übersetzung des leider bisher nur in
englischer Sprache vorliegenden Werkes von Lusk wird sicherlich all¬
gemein mit Freuden aufgenommen werden. Rubner hat dazu das
Vorwort geschrieben und darin die großen Vorzüge des Buches hervor¬
gehoben. Lusk ist aus der Voit’sehen Schule hervorgegangen, wie
schon aus der Widmung „Dem Andenken C. von Voit’s“ hervorgeht.
Aber auch sonst verrät sich fast auf jeder Seite der Schüler der
großen Münchener Physiologen. Demgemäß werden die Anschauungen
dieser Schnle in erster Linie hei der Darstellung berücksichtigt.
Die große Materie ist in 15 Kapiteln abgehandelt, die gewöhnlich
mit einer kurzen Übersicht über die historische Entwicklung der be¬
treffenden Frage eingeleitet werden. Als Anhang Bind Tabellen über
die chemische Zusammensetzung und den Nutzwert der hauptsächlichsten
Nahrungsmittel nach Atwater und Bryant angefügt.
Es gibt wohl wenig Darstellungen, die in so klarer, eleganter und
fesselnder Weise in die verwickelten theoretischen und praktischen Fragen
der Stoffwechselphysiologie und Pathologie einführen.
Die gute Übersetzung hat das Ihre dazu beigetragen.
E. Grafe, Heidelberg.
4 .
Die Zuckerkrankheit und ihre Behandlung von C. v. Noorden.
Fünfte vermehrte und veränderte Auflage. Berlin, Hirschwald
1910.
Die fünfte Auflage des bekannten Buches ist ihrer Vorgängerin
wieder in kurzem Abstande gefolgt. In dem dazwischen liegenden Zeit¬
räume von 3 Jahren ist wieder eine Fülle neuen Materials zur Ergrün-
düng de9 Diabetes zutage gefördert worden.
Frühere und jetzige Mitarbeiter v. Noorden’s haben einen be¬
sonders großen Anteil an diesen Arbeiten.
Vor allem sind durch die Arbeiten von Eppinger, Falta u. a.,
über die Korrelationen der Organe mit innerer Sekretion, so hypothetisch
sie vielleicht auch noch in manchen Punkten sein mögen, doch sehr
wertvolle neue Gesichtspunkte für die Auffassung vom Wesen der diabe¬
tischen Stoffwechselstörung gewonnen worden.
Demgemäß betrifft die größte Veränderung in der neuen Auflage
gegenüber der alten das Kapitel: „Zur Theorie des Diabetes“.
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Besprechungen.
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v. Noorden zieht hier das Fazit aus deu zahlreichen alten und
neuen Arbeiten und gelangt zu der Vorstellung, „daß beim Diabetiker
entweder infolge einer primären Anomalie der Leberzellen oder infolge
von stärkerer (chromaffinogener) Erregung oder infolge von geringerer
(pankreatogener) Hemmung der zuckerbildende Apparat sich im Zu¬
stande größerer Erregbarkeit befindet“. Infolge des Versagens der nor¬
malen Regulation kommt es zur Hyperglykämie und damit zur Zucker-
ausscheidung.
Die Bereicherung unserer Kenntnisse gerade durch die Arbeiten der
letzten Jahre ist sehr groß. Sie haben uns der Lösung des Problems
einen Schritt näher gebracht, aber noch vieles bleibt ungeklärt, and die
Lösung einer Frage hat wiöder neue ungelöste im Gefolge gehabt.
Neue therapeutische Gedanken und Erfolge beim Diabetes haben
die letzten Jahre nicht gefördert, ebensowenig eine wesentliche neue Be¬
reicherung der Kenntnisse des klinischen Bildes der Krankheit. Dem¬
gemäß sind die Abschnitte des Buches, welche diese Fragen behandelt
nur unwesentlich verändert. Die außerordentlich reiche Erfahrung, die
v. Noorden wie wenig andere auf diesem Gebiete besitzt, spricht sich
hier Überall deutlich aU8. E. Grafe f Heidelberg.
5,
Nahrungsmitteltabelle zur Aufstellung und Berechnung
von Diätvorschriften von Dr. H. Schall und Dr. A. Heißler.
Zweite bedeutend vermehrte Auflage. AVürzburg 1910.
Die Tafeln enthalten in sehr übersichtlicher Weise zusammengestellt
alles Analysenmaterial, welches für Kostberechnungen bei frischen und
zubereiteten Speisen erforderlich ist.
Zweckmäßigerweise ist überall auch der Kochsalzgehalt mit an¬
gegeben. E. Grafe, Heidelberg
fi.
Praktische Winke für die chlorarme Ernährung von Prof.
Dr. H. Strauß. Berlin, Verlag von Karger 1910.
Das kleine Schriftchen enthält nach einer kurzen Einleitung über
die Bedeutung und Technik der chlorarmen Ernährung sowie über die
Feststellung der Chlortoleranz ein umfassendes Zahlenmaterial über den
Kochsalzgehalt tischfertiger Nahrungsmittel. Da von dem Verf. und
seinen Schülern sehr viel eigene Analysenzahlen hinzukommen, sied
auch noch einzelne Lücken in den Königs’schen Tabellen ausgefüllt
worden. Auch Kochrezepte sind angegeben. E. Grafe. Heidelben:
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des
Nervus vagus, zugleich ein Beitrag zur Neurologie des
Herzens, der Bronchien und des Magens. 1 )
Von
Dr. L. R. Müller,
Oberarzt der inneren Abteilung des städt. Krankenhauses in Augsburg.
(Mit 9 Abbildungen im Text und Tafel V—XIV.)
Der X. Gehirnnerv, der Vagus, unterscheidet sich von allen
Gehirnnerven, ja von sämtlichen übrigen Nerven des cerebrospinalen
Systems dadurch, daß er große innere Organe versorgt; werden
doch von ihm außer dem Schlund- und Kehlkopf das Herz, die
Lungen und der Magen innerviert. Der Vagus hat also außer
seinen motorischen und sensiblen Funktionen auch noch vege¬
tativen Aufgaben gerecht zu werden. Freilich verlaufen auch
in den Spinalnerven vegetative Bahnen, welche zu den Gefäßen,
zu den Schweißdrüsen und zu den Haarbalgmuskeln ziehen, und
auch von den übrigen Gehirnnerven ist es erwiesen, daß sie Organe
mit glatter Muskulatur, wie die Iris und den Ciliarmuskel und
Drüsen, wie die Tränendrüsen und die Speicheldrüsen versorgen.
Diese vegetativen Bahnen unterscheiden sich aber von denjenigen
des Vagus dadurch, daß zwischen ihren Ursprungsstellen im Rücken¬
mark, im verlängerten Mark oder im Mittelhirn ein rein sym¬
pathisches Ganglion, wie solche des Grenzstranges und wie
am Kopfe das Ganglion ciliare, oder das Ganglion sphenopalatinum
eingelagert sind, während die Lungen, das Herz und der Magen
ohne größere zwischengeschaltete sympathische Ganglien vom
Vagus innerviert werden. Demnach würde der Vagus in Beziehung
auf seine vegetativen Bahnen eine einzigartige Sonderstellung vor
den übrigen Gehirn- und Rückenmarksnerven einnehmen. Tatsäch-
1) Über einen kleinen Teil der vorliegenden Untersuchungen habe ich auf
dem Kongreß für innere Medizin Wiesbaden 1910 kurzen Bericht erstattet.
Deutsches Archiv für klin. Medizin. 101. Bd. 28
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L. R. Mülleb
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lieh sind nirgends noch sympathische Ganglienzellen beschrieben
worden, die sich zwischen dem Vagus und den von ihm innervierten
Organen einschieben.
Bevor wir auf die visceralen Funktionen dieses Nerven und
auf die Histologie der vegetativen Bahnen näher eingehen. mag
es zweckmäßig sein, ganz kurz die makroskopische Anatomie dieses
Nerven zu rekapitulieren (vgl. Abbild. 1): Er entspringt mit 12—ls
feinen Wurzelfäserchen in einer Furche hinter der Olive unterhalb
der Fasern des Glossopharyngeus aus dem verlängerten Mark. Dir
zarten Bündel vereinigen sich zu einem lockeren Strang und bilden
noch innerhalb der Schädelhöhle eine knopfförmige, kaum klein¬
erbsengroße Verdickung, das Ganglion jugulare. Nachdem der
Nerv durch das Foramen jugulare aus der Schädelhöhle ausgetreten
ist und den Ramus meningeus posterior und den Ramus auricularis
abgegeben hat, durchsetzt er ein zweites Ganglion, das Ganglion
nodosum; dieses ist länger gezogen und gewinnt dadurch ans¬
gesprochen spindelige Gestaltung. Zum Unterschied von den übrigen
Gehirnnerven bildet also der Vagus ebenso wie der Glossopharyngeus
zwei Ganglien. Worauf der Umstand zurückzuführen ist, daß der
X. Gehirnnerv zwei Ganglien zu durchsetzen hat, ist noch unge¬
klärt; vermutlich ist dafür phylogenetisch die Zusammenlegung
zweier Nerven in einen verantwortlich zu machen. Wie auf
nebenstehender, schematischer Abbild. 1 dargestellt ist. bestehen
zwischen dem Vagus und dem anliegenden Glossopharyngeus und
dem Nervus accessorius, ja auch zwischen dem Vagus und dem
Ganglion cervicale supremum nervi sympathici zahlreiche Anastc-
mosen. 0 Vom Ganglion nodosum ab hat der Nervus vagus einen
langgestreckten Verlauf bis herab zum Magen. Entlang der unteren
Hälfte der Speiseröhre verästelt er sich häufig zu einem Plexus.
Bei der Aufzählung der einzelnen Äste des Vagus soll gedrängt
auch auf deren Funktion eingegangen werden. Eine Berücksich¬
tigung der Physiologie der einzelnen Vagusfasern scheint mir zum
Verständnis der unten darzulegenden histologischen Forschungen
unumgänglich notwendig. Der erste Nerv, welcher vom Vagus ab-
zweigt, der Ramus meningeus, entspringt unmittelbar hinter
dem Ganglion jugulare und wendet sich zu der Dura mater. Ganz
allgemein wird angenommen, daß dieser Nerv die harte Hirnhaut
1) Bei der Darstellung dieser Nervenverbindungen habe ich mich an die Ab¬
bildung 48 S 'Schema des Ursprungs des IX., X., XI. und XII. Gehimnervenpaart-
des anatomischen Atlas von Heitzmann (>. Auflage 1890 gehalten.
Go^ 'gle
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 423
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Abbild. 1. Schematische Darstellung des Nervus vagus und seiner Äste und
deren Beziehungen zum Grenzstrange des Sympathikus.
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L. R. Müller
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sensibel versorge. Sicher erwiesen ist diese Annahme aber hl t
freilich noch nicht; Sensibilitätsprüfungen sind dort wohl noch nicht
vorgenommen worden und es erscheint mir sehr wohl möglich, dau
der Eamus meningeus posterior auch vasomotorischen Funktionen
vorsteht, daß er also auch viscerale Fasern enthält.
Der zweite Ast des Vagus, der Eamus auricularis, ent¬
springt auch noch aus dem kurzen Stück zwischen den beiden
Ganglien dieses Nerven. Er enthält, wie auf Abbild. 1 zu sehen
ist, einen Faden von dem nahegelegenen Nervus glossopharyngeu?.
Er wendet sich nach hinten zu dem Canalicus mastoideus. um durch
diesen aus der Schädelhöhle auszutreten. Vom Eamus auriculari>
nervi vagi steht es fest, daß er die Sensibilität der hinteren Fläch?
der Ohrmuschel und des äußeren Gehörganges leitet. Bei der
Eeizung der tieferen Teile des äußeren Gehörganges werden durch
seine Vermittlung wohl infolge der Irradiation auf die nahe ge¬
legenen Fasern des N. laryngeus superior Husten und Schluck¬
zwang ausgelöst.
Nachdem der Vagus aus der Schädelhöhle ausgetreten ist und
sein zweites Ganglion, das Ganglion nodosum durchsetzt hat. gibt
er Eami pharyngei zum Schlundkopf ab. Diese bilden mir
Fasern des Nervus glossopharyngeus und mit solchen aus dem
Ganglion cervicale supremum nervi sympathici den Plexus pha-
ryngeus, sie sind vorwiegend motorischer Natur und innervierec
die Muskeln: Constrictores pharyngis, levator veli palatini.G M.
azygos uvulae, M. glossopalatinus, M. pharyngopalatinus. Zum Gan¬
glion nodosum, zum Vagusstamm und zu den dort entspringenden
Ästen für den Schlundkopf ziehen jedesmal auch feine Bündel von
dem nahe gelegenen Nervus accessorius.
Die sensible Innervation des Schlund- und Kehlkopfes wird
fast ausschließlich durch den Nervus laryngeus superior
geleitet. Dieser Ast entspringt aus der unteren Hälfte des Gan¬
glion nodosum. Er gibt manchmal einen feinen motorischen Zwei?
(Eam. extemus) zum M. constrictor pharyngis und jedesmal einen
solchen zum M. cricothyreoideus ab. Im Schlund innerviert er die
hinterste Partie der Zunge, die Schleimhaut des Kehldeckels und
1) L. Re t hi-Wien hat in einem Vortrag: Die motorische und sekretorisch: i
Innervation des weichen Gaumens auf der 3. Jahresversammlung der Gesellsch
deutsch. Nervenärzte in Wien 1909 (Sitzungsber. in d. deutsch. Zeitschr. f. Nerven- j
heilkunde 38. Bd.) wieder darauf hingewiesen, daß die Fasern für den M. levato: ,
veli palatini nicht dem Facialis sondern dem Vagus entstammen.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 425
seiner Umgebung und die des Kehlkopfes sensibel. Durch die
Reizung dieses Nervenastes, vornehmlich aber durch die Reizung
besonders empfindlicher „Schluckstellen“, so der Schleimhaut an der
Zungenwurzel und der dorsalen Pharynxwand wird der Schluckakt
ausgelöst. Dieser besteht bekanntlich in einem Heben des Zungen¬
grundes gegen die Mundhöhle, in einem Abschluß der Nasenhöhle
durch das Gaumensegel und in einem Heben und Andrücken des
Kehlkopfes an den Kehldeckel und an die Hinterwand der Zunge.
Sowohl der sensible als der motorische Teil des Schluckreflex¬
bogens verläuft also fast ausschließlich in den Ästen des Vagus.
Das Schluckzentrum liegt im verlängerten Mark. Dort
müssen Fasern den sensiblen Kern des Vagus, den Nucleus tracti
solitarii (siehe Abbild. 2) mit dem motorischen Kern dieses Nerven
(Nucleus ambiguus) verbinden. Die Reflexbewegungen sind be¬
kanntlich zwangsmäßig und lassen sich, einmal eingeleitet, nicht
mehr unterbrechen. Zwischen dem Schluck Zentrum und dem Atem¬
zentrum bestehen Beziehungen: Durch den Schluckakt wird die
Atmung, in welcher Phase sie sich auch gerade befindet, gehemmt.
Das Gefühl der Atemnot verschwindet im Moment des Schluckens.
Der Vorgang des Schluckens geht, wenn er ausgelöst ist, in gleich¬
mäßiger Folge vor sich. Von den quergestreiften Muskeln des
Schlundkopfes wird der Bissen zu den glatten Muskeln des Ösophagus
hinabgedrückt, um hier durch peristaltische Bewegungen nach dem
Magen befördert zu werden.
Der Nervus laryngeus inferior oder N. recurrens ist
im wesentlichen der motorische Nerv des Kehlkopfes. Er innerviert
im Larynx sämtliche Muskeln mit Ausnahme des M. cricothyreoideus.
Daneben gibt er aber auch noch Äste zum Halsteil, zur Trachea
ab, die zweifellos sensibler Natur sind. Außerdem zweigen vom
Recurrens häufig Äste zum Plexus cardiacus (Ramus cardiacus)
und ein solcher zur Aorta (Nervus depressor) ab. Demnach be¬
herbergt der Recurrens neben überwiegend motorischen Bahnen
auch sensible und viscerale Fasern. Wie später noch ausführlicher
dazulegen sein wird, fand ich am Nervus recurrens dort, wo er
sich in den Kehlkopf einsenkt, einmal ein stecknadelkopfgroßes
Ganglion, welches sich ausschließlich aus großen multipolaren, also
sympathischen Ganglienzellen zusammensetzte. Diese Ganglien¬
zellen und die zugehörigen Nervenfasern können meines Erachtens
nur für die Innervierung der Gefäße des Kehlkopfes oder der
Schilddrüse in Betracht kommen.
Die Nervi tracheales leiten die Empfindung der Luft-
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426
L. R. Mülleb
röhrenschleiinhaut zum Bewußtsein und lösen, wenn sie gereizt
werden, Hustenreflex aus.
Am wenigsten geklärt ist die Funktion des Flexas pai-
mon&lis. Die Fasern des Vagus, welche zur Lunge ziehen, setzen
sich zweifellos zum größten Teil aus Bahnen zusammen, welche
der Sensibilität der Bronchialschleimhaut dienen. Ob diese Fasern
auch bei der „Atemsteuerung“, wie sie von Hering und Brauer
angenommen wird, beteiligt sind, kann wohl nicht mit Sicherheit
entschieden werden. Nach der doppelseitigen Vagusdurchschneidunz
wird die Atmung langsamer und tiefer; vermutlich ist dies deshalb
der Fall, weil unter normalen Verhältnissen mit dem Schloß der
Inspiration vom Lungenvagus aus die Ausatmung angeregt wird.
Nach neueren Forschungen sollen die zentripetalen Lungen vagus¬
fasern lediglich hemmende Einflüsse dem Atemzentrum zuleiten.
Bei Reizung des Liingenvagus wird tatsächlich stets die Inspiration
gehemmt. Demnach wäre nur der exspiratorische Stillstand bei
der Lungenblähung auf eine Vagusreizung zurückzuführen. Die
zentripetalen Lungenäste des Vagus würden also ebenso wie der
Laryngeus superior und die Nervi tracheales sensible Fasern fuhren,
deren Reizung (z. B. durch giftige Gase) zu einer Innervations¬
hemmung im Atemzentrum führt. Ob diese Bahnen als viscero-
sensible, d. h. sympathische anzusprechen sind oder als einfach
sensible, wie sie auch von der Schleimhaut des Kehlkopfes und der
Luftröhre durch den Vagus nach dem verlängerten Marke geleitet
werden, kann z. Z. wohl kaum mit Bestimmtheit entschieden werden.
Persönlich scheint mir die Auffassung, daß es sich auch im Lungen¬
vagus um einfach sensible Fasern handelt, die zutreffende.
Reizung dieser Fasern durch Fremdkörper, durch Sputum oder
durch Entzündung löst zwangsmäßig Husten aus.
Für die Leitung der Lufthungerempfindung kommen
dagegen die zentripetalen Fasern des Lungenvagus sicher nicht
in Betracht. Bei durchschnittenen Vagi tritt kein Stillstand der
Atembewegungen ein, ebensowenig, wenn man alle hinteren Wurzeln
durchschneidet. Das Gefühl der Atemnot entsteht vielmehr nach
den klassischen Untersuchungen von J. Rosenthal autochthon
im Atemzentrum selbst. Es ist dieses imstande, aus sich allein
rhythmische Atembewegungen zu innervieren. Und zwar scheint
das Atemzentrum im verlängerten Marke und im obersten Hals¬
mark sowohl durch den Sauerstoffmangel als auch durch den Kohlen-
säureüberscliuß des kreisenden Blutes erregt zu werden.
Sichergestellt ist, daß der Lungenvagus auch zentrifugale
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Beiträge zur Anatomie. Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 427
Bahnen enthält Bei Reizung dieser Fasern kontrahiert sich die
glatte Bronchialmuskulatur. Ob die Vagi auch Bahnen mit sich
führen, deren Erregung eine Erschlaffung der Bronchialmuskulatur
verursacht, ist noch strittig. Wir wissen nur, daß nach Durch¬
schneidung der Vagusstämme die Bronchien sich erweitern. Der
physiologische Zweck der Bronchialmuskulatur ist noch nicht auf¬
geklärt. Ihre Kontraktion kann unter krankhaften Umständen
zu schwerer Atemnot (Asthma bronchiale) führen, aber auch bei
Gesunden kommt es infolge von großen seelischen Erregungen (z. B.
von Zorn) vorübergehend zu angestrengter, mühseliger, keuchender
Atmung, und dies ist zweifellos auf eine Verengerung der Luft¬
wege in den Bronchien zurückzuführen. Werden solche Zustände
von Dyspnoe nach Gemütserregungen anhaltender, so spricht man
von Asthma nervosum. *)
Bei Reizung des Vagus soll auch eine Erhöhung des
respiratorischen Stoffwechsels zu konstatieren sein. Da
zugleich eine Herabsetzung der Herzfrequenz eintritt, kann die Zu¬
nahme des Gasaustausches nicht auf eine Beschleunigung des Blut¬
stromes zurückgeführt werden. Nach Bohr 1 2 3 ) ist „der spezifische
Einfluß des N. vagus auf den Gaswechsel mit Sicherheit nachge¬
wiesen“.
Auf die Tätigkeit des Herzens hat der Vagus bekanntlich
einen hemmenden, frequenzherabsetzenden Einfluß. Die Fasern,
welche zum Herzen ziehen, befinden sich in einer dauernden toni¬
schen Erregung.®) Durchschneidung beider Vagi bedingt deshalb
eine anhaltende Beschleunigung des Herzschlages. Durch elek¬
trische Reizung läßt sich die Hemmung bis zum diastolischen Still¬
stand des Herzens steigern. Daß das Herzhemmungs¬
zentrum im verlängerten Mark gelegen ist, läßt sich
1) Im Anschluß an psychische Emotionen kann es aber auch zum echten
Asthma bronchiale kommen, so wurde uns schon wiederholt ein junger Kutscher
unter schwerer Atemnot, den Erscheinungen der akuten Lungenblähung, mit ver¬
längertem Exspirium und Blaufärbung des Gesichtes ins Krankenhaus gebracht,
bei dem dieser Zustand durch einen pathologischen Wutanfall ausgelöst war.
2) Blutgase und respiratorischer Gaswechsel in Nagel’s Handbuch der
Physiologie des Menschen, Braunschweig, F. Vieweg u. Sohn 1905.
3) Der Tonus der Herzvagi ist nach H. E. Hering (Die Funktionsprüfnng
der Herzvagi beim Menschen, Münch, med. Wochenschr. 1910 Nr. 37) ein stets
schwankender. „So zeigt er eine Abnahme bei der Inspiration, eine Zunahme bei
der Exspiration und ist im allgemeinen um so stärker, je ruhiger sich das Indi¬
viduum verhält und nimmt dementsprechend in dem Maße ab, als Muskel¬
bewegungen ausgeführt werden.“
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L. R. Mülleb
durch physiologische Versuche beweisen. Nach Durchschneidung
des Halsmarkes unterhalb der Medulla oblongata iibti Reizung de?
Trigeminus eine Erregung des Hemmungszentrums und damit eine
Verlangsamung der Herztätigkeit aus. Wenn der Schnitt oberhalb
des verlängerten Markes ausgefiihrt wurde, ist dies nicht mehr
möglich, daun aber kann durch Erregung von Spinalnerven eine
negativ chronotrope Wirkung bewirkt werden. Zweifellos maß
man den dorsalen Vaguskern als Sitz des Herzhemmungs¬
zentrums ansprechen. Erregt kann dieses Zentrum werden:
1. Durch intrakranielle Drucksteigerung, insbeson¬
dere durch Erhöhung des Druckes der Cerebrospinalflüssigkeit im
4. Ventrikel.
2. Durch psychische Vorgänge, durch Affekte und
Stimmungen; und zwar werden bei den Lustgefühlen die Herz¬
schläge seltener und kräftiger, bei den Unlustgefühlen, insbesondere
bei der Angst, beschleunigt.
3. Wird das Herzhemmungszentrum durch Reizung von
sensiblen Nerven erregt, wenn diese zu Schmerzeindrücken
führen. Aber nicht nur die Erregung von spinalen sensiblen
Fasern führt zur Verlangsamung der Herztätigkeit, auch die Rei¬
zung von viscero-sensiblen Bahnen bedingt eine solche. So
verursacht, wie Goltz durch seinen Klopfversuch nachgewiesen
hat, Reizung der Baucheingeweide Frequenzabnahme, ja sogar
Herzstillstand. Nach Durchschneidung beider Vagi bleibt dieser
Erfolg aus.
Das Herzhemmungszentrum wird schließlich auch durch sen¬
sible Bahnen, welche in den Herzvagusästen selbst
verlaufen, beeinflußt. Diese faßt man als N. depressor cordis
zusammen. Tatsächlich verursacht Reizung des zentralen Stumpfes
der extrakardialen Vagusäste Abnahme der Herzfrequenz, die nach
Durchschneidung beider Herzvagi wegfallt. Nach neueren Unter¬
suchungen 1 ) verästelt sich der Depressor an der Aorta und wird
1) Köster und Tschermak, Über den Ursprung und die Endigung des
Nervus depressor beim Kaninchen. Archiv f. Anatom, n. Physiol., anatom. Ab¬
teilung, Suppl.-Bd. 1902. Die Darstellung des N. depressor ist beim Menschen
wesentlich schwieriger als beim Hasen. Er scheint beim Menschen verhalt-
mäßig hoch oben zu entspringen, ja häufig zweigt er vom Nerv, laryngeus superior
ab. Er beteiligt sich dann meist an der Bildung des Plexus cardiacus und damit
ist er schwer weiter zu verfolgen und zu isolieren. Von den Asten des Plex
cardiacus wendet sich jedesmal eine Anzahl zum Aortenbogen und es ist wahr¬
scheinlich, daß diese Fasern dem Depressor angehören.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 429
durch Drucksteigerung dort erregt. Wie eben dargelegt, kommt
es dann zur Verlangsamung der Herztätigkeit und damit zum Ab¬
sinken des Blutdruckes. Im Nervus depressor würden wir demnach
ausgesprochen „viscero-sensible“ Fasern zu suchen haben,
durch deren Vermittlung ein visceraler Reflexvorgang aus¬
gelöst wird. *)
Als Antagonisten des Vagus wirken bekanntlich die¬
jenigen Fasern, welche vom sympathischen Grenzstrang zum Herzen
ziehen. Ihre Erregung führt zu einer Beschleunigung der Herz¬
tätigkeit. Die Acceleratoren scheinen den Grenzstrang am ersten
Brustganglion, zum Teil aber auch höher oben zu verlassen, von
hier aus ziehen sie zum Ganglion stellatum und von dort als mark¬
lose Fasern zum Plexus cardiacus.
Ich glaube die Annahme vertreten zu können, daß die unan¬
genehmen Empfindungen, welche bei manchen Herzkrankheiten
in der Herzgegend auftreten, durch diese sympathischen Fasern zum
Rückenmark und damit zum Bewußtsein geleitet werden. Die Tat¬
sache, daß bei Herzstörungen, insbesondere bei solchen der Kranz-
gefäße und der Herzmuskulatur, häufig schmerzhafte Empfindungen
in der oberen Brusthälfte, in den Armen und zwar besonders in
der dem 8. Cervikalsegment des linken Armes entsprechenden
Hauptpartie auftreten, und daß dort sehr häufig Zonen von erhöhter
Schmerzempfindlichkeit (H e a d’sche Hyperalgesien) auftreten, kann
nur durch Irradiation von nervösen Erregungen, die über sym¬
pathische Bahnen zum obersten Brust- und untersten Halsmark
geleitet werden, erklärt werden. 1 2 ) Der anatomische Nachweis, daß
sympathische Fasern über die Spinalganglien zum Rückenmark
ziehen, ist ja von Cajal und Dogiel erbracht. Die Irradiation
1) 0. BrunB u. J. Genner („Der Einfluß des Depressors auf die Herz¬
arbeit und die Aortenelastizität“ Deutsch, med. Wochenschr. 1910 Nr. 37) wiesen
durch Tierexperimente nach, daß nach Resektion des N. depressor das Herz hyper¬
trophisch wird. „Der Wegfall des Einflusses des Depressor auf die Blutregulation
mußte aber neben der Mehrarbeit für das Herz auch eine Mehrarbeit für die
elastischen Elemente der Aorta bedingen. In der Tat ergaben die entsprechenden
histologischen Untersuchungen der Aortenwand bei sämtlichen Hunden eine echte
Hypertrophie, wie wir sie aus der menschlichen Pathologie von den Anfangs¬
stadien der Schrumpfniere kennen.“
2) Auch G. A. Gibsou (Die nervösen Erkrankungen des Herzens. Über¬
setzung ans dem Englischen von M. Heller. Wiesbaden J. F. Bergmann 1910)
scheint zu ähnlicher Anschauung gekommen zu sein. In diesem Werke bringt
er eine instruktive Abbildung, wie er sich die Irradiation der Reize von den
sympathischen Bahnen auf die anliegenden sensiblen Bnhnen im Rückenmark
vorstellt.
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von Herzschmerzen auf die Haut der Brust und der Arme ist mit
einer Leitung von sensiblen Bahnen vom Herzen durch den Vasni'
zum verlängerten Mark nicht zu erklären; liegen doch den Vaga-
fasern nirgends solche von den oberen Brust- oder von den untersten
Halssegmenten an. Aus rein klinischen Gründen möchte ich mid
deshalb dahin aussprechen: Der Vagus kommt als zentri¬
petaler Nervfürdie unangenehmen Empfindungen air
Herzen nicht in Betracht.
Der Vagus versorgt nicht nur den Schlundkopf sondern aud
den mittleren und unteren Teil des Ösophagus. Es herrsch:
allerdings noch keine Einigkeit darüber, ob die Vagusinnervatki
den Verschluß oder die Öffnung des Ösophagus und der Cardia zar
Folge hat. Langley 1 2 ) erhielt nach Reizung des Vagus mei?t
Kontraktion der Cardia, nach Reizung des Sympathicus meist Öff¬
nung des Magenmundes. Von anderen Autoren wird angenommen
daß der Vagus Fasern für die Schließung und für die Öffnung
beherberge. Es ist erwiesen, daß der Tonus der Cardia sich trotz
der Durchschneidung der zuleitenden Nerven nach einiger Zei:
wiederherstellt und daß die vorübergehenden schweren Störungen
des Schluckmechanismus sich bald wieder beheben. Aus dieser
Tatsache muß geschlossen werden: die Muskulatur des «Öso¬
phagus und der Cardia trägt ihre Innervationsorgane in sich -i: den
Fasern des Sympathicus und des Vagus ist nur ein hemmender
oder ein anregender Einfluß auf die in der Muskulatur des Öso¬
phagus und der Cardia gelegenen Ganglienzellen zuzuschreiben.
Auf die Tätigkeit der Magenmuskulatur hat der Vagus augen¬
scheinlich eine beschleunigende Einwirkung. Durchschnei¬
dung beider Vagi am Halse führt, wiePawlow an Hunden naeii-
gewiesen hat, zu schwerer Motilitätsstörung des Magens. Dir
Speisen werden nicht ordentlich fortgeschafft und nur durch regel¬
mäßige Ausspülungen des Magens gelingt es, solche Tiere am
1) Citiert nach Cohnheim, Die Physiologie der Verdauung und Aufsaugung
W. Nage Ts Handbuch der Physiol. d. Menschen. 2 ßd. Braunschweig, F. Viewer
u. Sohn 1907.
2) H. Stark (Intrathorakale doppelseitige Vagusdurchschneidung. Münci
med. Wocheusehr. 1904) sah nach Resektion des Vagus keinen stärkeren Ansfal
in den Bewegungsvorgängen der Speiseröhre. Nach Cannou (On the moto:
activities of the aliinentary canal after splanchnic and vagus section. Proceei
of the Soc. for experim. Biol. a. Med. IV, 1 p. 8 1906 citiert aus Schmidt s Jahr*
Michern 1908) fuhrt doppelseitige Vagusdurchschneidung zu Lähmung des Öä-
pliagus, die sich jedoch nach einiger Zeit wieder ansgleicht.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 431
Leben zu erhalten. Nach einiger Zeit stellen sich aber auch bei
durchschnittenen Vagi wieder normale Magenbewegungen ein. Bei
der künstlichen Reizung des Vagus kommt es zur Verstärkung der
Magenperistaltik. 1 ) Bei Reizung von sensiblen Nerven irgendwo
am Körper tritt, wenn diese mit Schmerzempfindung verbunden ist,
ebenso wie bei seelischen Erregungen Sistierung der Magen¬
bewegungen ein. Freilich müssen wir auch für die Magen¬
muskulatur annehmen, daß der Vagus sie nicht direkt innerviert,
sondern daß er lediglich einen anregenden Einfluß auf die in den
Magenwänden gelegenen Ganglienzellen ausübt.
Vom Vagus wird aber nicht nur die normale Peristaltik,
sondern auch die Antiperistaltik des Magens, der Brechakt
ausgelöst. Dem Brechakt stehen zweifellos besondere, präformierte
Zentren in der Medulla oblongata zur Verfügung. Bei erhöhtem
Druck in der Schädelhöhle oder bei anderen diffusen Störungen im
Gehirn, wie bei der Gehirnerschütterung, wird dieses Zentrum ge¬
reizt und dann kommt es zum cerebralen Erbrechen. 2 ) Aber
auch durch seelische Vorgänge, wie durch starke psychische Er¬
regung oder durch eine Ekelempfindung, kann dieses Zentrum der
Antiperistaltik 8 ) des Magens erregt werden.
1) So schreibt Hotz (Beiträge zur Pathologie der Darmbewegungen, Mit¬
teilungen aus den Grenzgebieten der Medizin und Chirurgie 20. Bd. 1909): „Bei
Durchtrennung der Vagi unter dem- Diaphragma sieht man bei Kaninchen eine
kurze, kräftige Kontraktion, welche von der kleinen Kurvatur ausgeht.“ „Der
Vagus gilt allgemein als der motorische Nerv für den Magendarmkanal, sagen
wir besser für die Bahn, auf welcher erregende Impulse zugeführt werden. Für
den ungestörten Ablauf der Peristaltik ist er keineswegs notwendig. Ich konnte
in mehreren Experimenten Kaninchen über Monate gesund erhalten, bei denen
ich die beiden Vagusäste dicht am Zwerchfell reseziert hatte. Irgendwelche Störungen
in der Verdauung oder eine Gewichtsverminderung waren nicht nachweisbar.“
2) Das cerebrale Erbrechen erfolgt verhältnismäßig leicht und ohne stärkere
Übligkeit. Dagegen ist das durch ungeeignete oder durch allzureichliche Nahrung
bedingte Erbrechen mit starker Nausea verbunden. Zu dem Gefühl der Übligkeit
gesellt sich Schweißausbruch, Vasokonstriktion der Gesichtsgefäße, ja unter Um¬
ständen Herzklopfen und Durchfall, kurz es kommt zu einer Revolution im ge¬
samten sympathischen Nervensystem.
3) Daß es sich beim Erbrechen tatsächlich um aktive Kontraktionen des
Magens und nicht lediglich um Kompression des Magens durch die Bauchdecken
bei tiefstehendem Zwerchfell handelt, konnten Levy-Dorn und Mühlfelder:
Uber den Brechakt im Röntgenbild (Münch, med. Woehenschr. Nr. 9, 1910) nacli-
w r eisen. Sie schreiben: „Der Magen wird während des Erbrechens nicht allein
durch äußere Impulse in die Höhe getrieben, sondern er zieht sich auch kräftig
um seinen Inhalt zusammen.“ „Bisweilen ging der Magen in kurzen Stoßen
einige Male auf und nieder.“
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Sehr wichtig ist der Einfluß des Vagus auf die Drüsen-
Sekretion im Magen. Zwar war es schon früher bekannt, d&ü
beim Anblick oder beim Geruch von Speisen Magensaft sezernien
wird, doch wurde diese Tatsache in den letzten Jähren von
Pawlow besonders eingehend studiert. Pawlow 1 ) wies nach,
daß ein Hund beim Anblick von Fleisch oder von Brot nach einer
kurzen Latenzzeit einen reichlicheren und andersartig zusammen¬
gesetzten Magensaft ausscheidet als beim Anblick von Milch. Die
Reizung der Magendrüsen auf Grund von Geruchswahrnehmungei
oder auf Grund von optischen oder akustischen Wahrnehmungen,
welche mit der Nahrungsaufnahme Zusammenhängen, kann nur aut
dem Wege des Vagus erfolgen. So ist es experimentell festgestellt,
daß nach Durchschneidung beider Vagi durch psychische Eindrücke
keine Sekretion der Pepsindrüsen mehr auszulösen ist. Anderer¬
seits kann durch elektrische Erregung des peripherischen Vagus¬
stumpfes Sekretion der Magendrüsen hervorgerufen werden und
schließlich bleibt die Hemmung der Magensaftsekretion, welche bei
schmerzhafter Erregung von sensiblen Nerven erfolgt, nach doppel¬
seitiger Vagusdurchschneidung aus (Pawlow).
Es kann also kein Zweifel darüber bestehen, daß dem Magen
durch den Vagus sekretionsanregende und sekretionshemmende
Impulse zugehen. Freilich kommt es auch ohne Vermittlung der
Vagi zur Ausscheidung von Magensaft. 2 3 * * ) So bedingen chemische
Reize, wie Fleischextrakt Sekretion der Magendrüsen, auch wenn
sie unter Ausschaltung der Geschmacks- und Geruchsorgane direkt
dnreh eine Fistel in den Magen verbracht werden; ja selbst bei
der Einspritzung in das Blut wirken solche Stoffe sekretionsan¬
regend. 8 )
Ob neben diesen zentrifugalen Innervationen des Vagus in
diesem Nerven auch zentripetale Leitungen vom Magen nach
dem Gehirn zu Vorkommen, scheint mir sehr zweifelhaft. Wenn
1) Die Arbeit der Verdauungsdrüsen. Übersetz, von Walther. Wies¬
baden 1898.
2) Auch aus den Versuchen von Aldehoff und v. Mehring (Über der
Einfluß des Nervensystems auf die Funktionen des Magens. Verhandl. d. Kon¬
gresses f. inn. Med. 1899) ist zu entnehmen, daß nach doppelseitiger Vagotomie
die Entleerung und die Säureabsonderung des Magens noch in gehöriger Weise
vor sich geben.
3) Vgl. M. Reinhold, Über den Sekretionsablauf an dem der extragastralen
Nerven beraubten Magenblindsack. Internat. Beiträge zur Path. u. Therap. der
Ernährungsstörungen Bd. 1 II. 1. Ref. in der Berl. klin. Wochenschr. Nr. 11,1310
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 433
ich mich auch nicht den Forschern wie Lennander und Wilms
u. a. anschließen kann, welche behaupten, daß von den inneren
Organen der Bauchhöhle, also auch vom Magen, überhaupt keine
Schmerzen ausgelöst werden können, daß diese vielmehr immer
durch das parietale Peritoneum zustande kommen, so vermute ich
doch auch, daß für die Leitung der schmerzhaften Empfindungen
des Magens der Vagus nicht in Betracht kommt. Die lebhafte
Hyperalgesie der Hautpartien am linken Hypochondrium und links
neben der Wirbelsäule, die außerordentlich häufig bei wirklichen
Magenerkrankungen, wie bei Magengeschwüren objektiv nachge¬
wiesen werden kann, spricht dafür, daß die Magenschmerzen durch
das sympathische System geleitet werden und dort, wo dessen
Kami communicantes in die Spinalganglien oder in das Rücken¬
mark einmünden, zu Irradiationen des Schmerzes führen.
Die Behauptung, daß durch den Vagus die Empfindung des
Hungers und des Durstes zum Bewußtsein gebracht wird, kann
nicht begründet werden. Ja, es lassen sich manche Tatsachen
gegen eine solche Annahme anführen. Einmal ist ein leerer Magen
noch lange nicht gleichbedeutend mit Hunger- oder Durstgefühl.
So besteht z. B. in den frühen Morgenstunden bei völlig leerem
Magen sehr häufig noch gar kein Nahrungsbedürfnis. Andererseits
kann man bei vollem Magen ein lebhaftes Durstgefühl haben.
Dafür also, daß durch den Vagus sensible Ein¬
drücke vom Magen nach dem Gehirn zu geleitet
werden, sind keine Anhaltspunkte beizubringen.
Auf die Peristaltik des Dünndarmes hat der Vagus zweifellos
einen erregenden Einfluß,*) im Gegensatz zum Splanchnicus, welcher
die Bewegungen des Dünndarmes hemmt. Ob der Vagus auch die
Sekretion der Dünndarmdrüsen anregt, ist ebensowenig entschieden
wie die Frage, ob die Fasern des Vagus direkt zum Dünndarm
1) So schreibt R. Magnus: „Die Bewegungen des Verdauungsrohres“ im
Handbuch der physiologischen Methodik herausgegeben von R. Tigerstedt. „Am
Dünndarm hat der Vagus vorzugsweise eine bewegungsverstärkende Wirkung,
beim Hunde geht dem motorischen ein kurzer Hemmungseffekt voraus.“ J akoby,
Beiträge zur physiologischen und pharmakologischen Kenntnis der Darmbewegung.
Archiv f. exper. Path. u Therap. Bd. 29, 1892 (cit. nach Hotz), sah nach Reizung
der Halsvagi deutliche Darmbewegungen. Hotz konnte nach der doppelseitigen
Vagotomie keinerlei dauernde Ausfallserscheinungen in den Bewegungen des
Dünndarmes feststellen. Auffällig erschien ihm, daß nach Durchschneidung der
Vagi die Hemmungserscheinungen der Splanchnici, welche nach äußeien Reizen
sich einstellen, lebhafter und stärker waren als beim normalen Tiere.
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ziehen oder ob sie über das Ganglion solare dahin gelangen. 1
Jedenfalls ist in allen anatomischen Lehrbüchern eine Verbindui?
des Nervns vagns mit dem Plexus solare beschrieben.
Über die Einwirkung des Vagus auf die Pankreasfunk¬
tion ist wenig Positives bekannt. Pawlow 1 ) spricht sich dahii
aus, daß der „spezifisch sekretorische Einfluß des Vagus aa:
das Pankreas unumstößlich bewiesen ist“. Tatsächlich paralysier.
Atropin die Sekretionstätigkeit der Bauchspeicheldrüse, und da ein
Einfluß dieses Giftes auf die sezernierende Zelle ausgeschlossen
werden kann, so muß eine Lähmung des Sekretionsnerven ange¬
nommen werden. Auch der Umstand, daß das Erbrechen die nor¬
male Pankreasfunktion aufhebt, und daß beim körperlichen Schmerz
die Pankreassekretion ins Stocken kommt, spricht für die Beein¬
flussung dieser Drüse durch den Vagus. Den strikten Beweis für
diese Annahme erbrachte Pawlow durch die Feststellung, dai
Reizung des Vagus Pankreassekretion zur Folge hat. Freilich
wird eine solche sekretorische Einwirkung auch den sympathischen
Fasern zugeschrieben, welche zu der Bauchspeicheldrüse ziehen,
doch soll — ähnlich wie bei den Speicheldrüsen — das Sekret ver¬
schiedener Art sein, je nachdem man den Vagus oder die sympa¬
thischen Fasern reizt. Bei Erregung des Vagus soll ein sehr kon¬
zentrierter Saft mit hohem Fermentgehalt ausgeschieden werden/
Makroskopisch-anatomisch ist unzweifelhaft darzulegen. dai
2) Die Vagusreizung erreicht nach Bayliss and Starling (Jouni. of Pb y
siology Bd. 24, 1899) den Darm auf dem Wege der Mesenterialnerven. Auch dir-
Forscher sahen bei der Vagusreizung nach anfänglicher kurzer Hemmung eil
Anwachsen der Kontraktionen des Dünndarmes. Nach F. Winkler, Studie
über Bewegungsvorgänge in den beiden Muskelschichten der Darmwand unter
dem Einfluß des Vagus und des Splauchuicus. Beiträge zur experimentelle
Pathologie 1902 soll Reizung des Vagus zur Schließung und solche des Splacd:-
nicus zur Öffnung der Ileoeücalklappen führen (citiert nach Schmidts Jahrbuchen
1) Die äußere Arbeit der Verdauungsdrüsen und ihr Mechanismus. Nagt-*
Handbuch der Pbysiol. II. Bd. II. Hälfte.
2) Buch stab (Arbeit der Bauchspeicheldrüse nach Durchschneidung der
Splanchnici und Vagi. Dissertation, 8t. Petersburg 1904) führt die nach Durtlt-
schneidung der Vagi auf tretende Stüruug der Sekretionstätigkeit des Pankreas
z. T. auf die Beeinträchtigung der Magenverdauung und den verzögerten Über¬
gang der Speisen ins Duodenum zurück. „Über eine direkte Wirkung der
auf die Bauchspeicheldrüse kann dabei nicht geurteilt werden.* Citiert tue:
einem Referat von Boldireff in Schimdt’s Jahrbüchern. Scaffidi iCyt«*i-
gische Veränderungen im Pankreas nach Resektion und Reizung des Vagus aci
Sympathicus. Archiv f. Anat. u. Physiologie (physiolog. Abteilung 1907) will nac-
Vagusreizung gewisse Veräuderuugungen in den Pankreaszellen festgestellthabei
Nach einem Referat in Schmidt ? s Jahrbüchern citiert.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 435
der Vagus auch Fasern zur Leberpforte und zur Leber abgibt.
Die Bedeutung und die Funktion dieser Fasern ist freilich noch gar
nicht bekannt. Mit dem Vagus treten auch Nerven aus dem Plexus
coeliacus dort ein und folgen besonders der Leberarterie, aber auch
zur Gallenblase, zu den Gallengängen und zu der Glisson’schen
Kapsel treten feine Nervenfasern. Einen Hinweis auf die Funktion
dieser Nerven mag die Tatsache geben, daß nach einem Stich in
den Boden des vierten Ventrikels eine mehrere Stunden dauernde
Zuckerausscheidung durch den Harn erfolgt, dabei findet eine Ver¬
mehrung des Zuckers im Blute statt. Da durch einen solchen Stich
immer der dorsale Vaguskern lädiert und gereizt
wird, liegt es nahe, eine Störung in der Vagusinnervation der Leber
für die Zuckerausscheidung verantwortlich zu machen. Denn er¬
wiesenermaßen liefert die Leber den bei der Piqüre auftretenden
Zucker. Der Zuckerstich hat aber auch Erfolg nach Durchschnei¬
dung beider Vagi, dagegen bleibt er nach Durchtrennung der
Splanchnici unwirksam. Eine eindeutige Erklärung für die Tat¬
sache, daß nach Verletzung des Bodens des vierten Ventrikels die
Leber vermehrten Zucker ausscheidet, ist so lange nicht zu geben,
als die Funktion der zur Lebep ziehenden Äste des Vagus und des
Sympathicus so wenig bekannt ist.
Ebensowenig erforscht ist der Einfluß des Vagus auf die
Nierentätigkeit. Die bei Reizung des Vagus am Halse zu
beobachtende Abnahme der Hainabsonderung wurde auf die Ver¬
langsamung der Schlagfolge des Herzens und die dadurch bedingte
Abnahme des Blutdruckes zurückgeführt. Nach neueren Unter¬
suchungen 1 ) läßt sich aber eine Verminderung der Harnausschei¬
dung auch feststellen, wenn eine Blutdrucksenkung vermieden wird.
Nach diesen Forschungen müßten dem Vagus sekretionshemmende
Fasern für die Niere zugeschrieben werden. Damit würde über¬
einstimmen, daß nach Vagusdurchschneidung, wenn diese unterhalb
des Abgangs der Herzfasern ausgeführt wird, eine Vermehrung der
Diurese zu beobachten ist. Die sympathischen Fasern, welche zur
Niere ziehen und die aus den unteren Dorsalwurzeln entstammen,
1) Siehe die ausführliche Literaturangabe bei R. Metzner, Die Absonderung
und Herausbeförderung des Harnes. E. „Einfluß des Nervensystems auf die Harn¬
absonderung.“ W. Nagel’s Hamlb. d. Physiol. d. Menschen 1906 und Arthaud
et Butte, Action du pneumogastrique sur la seeretion renale. Archiv de Fhy-
siolog. XXII, 1890. Nach diesen Autoren setzt eine Reizung des Vagus auch
unterhalb des Herzens die Harnsekretion herab und zwar vermutlich durch Vaso¬
konstriktion (citiert nach Schmidt’s Jahrbüchern).
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sollen vorzügliche Vasodilatatoren beherbergen. Demnach wir:
auch bei der Niere ein Antagonismus zwischen Vagus (Sekretion¬
hemmung) und den Fasern des Sympathicus (Vasodilatation un:
Steigerung der Diurese) zu konstatieren. Die nach der Piqnr-
und bei Gehirnerkrankungen, die sich auf die Medulla oblonge
erstrecken, auftretende Polyurie könnte somit mit einer Störua;
der Funktion des visceralen Vaguskernes erklärt werden.
Histologie des Vagus.
Ursprungskerne des Vagus im verlängerten Marx
Den drei verschiedenen Funktionen, welchen der Vagus geren*
werden muß, der Innervation der quergestreiften Muskulatnr d~
Schlund- und des Kehlkopfes, der Leitung der Empfindung t.l
dort und Schließlich der Beeinflussung der glatten Bronchial¬
muskulatur, der Herztätigkeit, des Magens, des Darmes und der
großen Drüsen der Leibeshöhle, entsprechen auch drei ver¬
schiedene Kerne im verlängerten Marke. Über die
Lage dieser Kerne ist im Verlauf der letzten Jahre ziemlieh-
Einigkeit erzielt worden.
Als motorischer Kern für die quergestreifte Mus¬
kulatur des Schlund- und des Kehlkopfes ist zweifellos die gro߬
zellige Gangliengruppe des Nucleus ambiguus anzusprechen. Dieser
Kern enthält große multipolare Ganglienzellen von ausgesprochenes
Vorderhorntypus, entspricht er doch auch der Forsetzung der Vorder
säule in der Medulla oblongata. Auf Fig. 1 der Tafel V ist ein Mikr -
photogramm einer Zellgruppe aus dem Nucleus ambiguus wieder¬
gegeben. Dort ist die bedeutende Größe der Ganglienzellen ans emes
Vergleich mit den dazwischen liegenden quer- und längsgetroffenei
Nervenfasern gut zu ermessen. Zufälligerweise erscheinen am
diesem Bilde drei größere Zellen als bipolare Ganglienzellen, tat¬
sächlich handelt es sich aber um multipolare, die ihre langen Fort¬
sätze nach allen Seiten aussenden. Nach Durchtrennung des X
recurrens findet man, wie Kohnstamm u. a. nachgewiesen haben,
eine ausgesprochene Degeneration im gleichseitigen Nucleus ambignns
Von dem Nucleus ambiguus, der ventral von den übrigen
Vaguskernen und dorsal von der Olive zwischen der Oliven-
zwischenschicht und der Substantia gelatinosa gelegen ist (sieb*
Abbild. 2 im Text) strahlen die Nervenfasern dorsalwärts und leicht
medialwärts nach dem dorsalen Vaguskern, um, bevor sie diesen
erreichen, in scharfer hackenförmiger Biegung sich dessen Bahnen
anzuschließen. Mit diesen durchbrechen sie gemeinschaftlich das
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Beiträge zur Auatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 4H7
spinale Trigeminusfeld und treten in einer Furche hinter der Olive
aus dem verlängerten Marke aus (siehe Abbild. 2).
a r..J _ t- Nachus vaji
viscfralis
’umc
asariuus solltanus
(JVucLus vaui stnsi
L orpns
rutiformt
AlstujinJe__
T. fl r \lTZt
Suhst. (jdai-
J tiknstraiujh
Ijajiejüoih
\nodosurrv
ulnunwilis
Abbild. 2. Durchschnitt durch die Ursprungskerne des Vafifiis im verlän
ßferten Marke (motorische Bahnen blau, viscerale Bahnen griin, sensible Bahnen rot}.
Deutsches Archiv für klin. Med. 101. Bd. 29
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Nach Durchschneidnng des Vagus verfällt nun aber nicht nur der
Nucleus ambiguus, sondern wie Bunzl-Federn 1 2 * * ) nachgewiesen
hat, auch eine große Ganglienzellengruppe am Boden des 4. Ven¬
trikels lateral vom Hypoglossuskern der Tigrolyse. Es ist damit
erwiesen, daß auch diese Ganglienzellengruppe, der sogenannte dor¬
sale Vaguskern, zentrifugale Fasern aussendet. Da nun bei
Rekurrensdurchtrennung keine einzige Zelle des dorsalen Vagu>-
kernes degeneriert, diese aber nach Durchschneidung des Vagn>-
Stammes tiefer unten am Halse, also nach Abgang des Nervo.'
recurrens, in Entartung geraten, so bleibt, wie Kohnstamm udc
Wolfs tein a ) überzeugend darlegen, für den dorsalen Vaguskem
keine andere Funktion übrig, als die motorische Innervation von
visceralen Organen.
Die Ganglienzellen dieses dorsalen oder visceralen
Vaguskernes unterscheiden sich ganz wesentlich
von denjenigen des Nucleus ambiguus. Vor allem iE
der Größe. Der Vergleich des Mikrophotogrammes der Ganglien¬
zellen des Nucleus ambiguus (Fig. 1 auf Taf. V) mit dem der
Zellen vom dorsalen Vaguskern (Fig. 2 auf Taf. V) demonstriert
den Größenunterschied auf das Deutlichste. Beide Bilder
sind bei der gleichen mikroskopischen Vergrößerung aufgenommen.
Aber auch die Form der Ganglienzellen dieser beiden
Vaguskerne ist sehr verschieden. Die Zellen des Noclen>
ambiguus sind multipolar, sie zeigen zahlreiche lange, weithin zu
verfolgende schlanke Fortsätze. Der umfangreiche Zelleib wei>*
jedesmal ein großes Kernbläschen mit Kernkörperchen auf. Dit
kleinen Ganglienzellen des Nucleus visceralis sind meistens rund¬
lich oder bimförmig zu einer Spitze ausgezogen. 8 ) Multipolarc
Formen wurden nur ganz vereinzelt angetroffen. Die eiförmigen
Zellen weisen vielfach gar keine Fortsätze auf, manchmal setzt
sich an ihnen ein breiter Nervenfortsatz an und es entstehen danD
keulenähnliche Gebilde (siehe Fig. 2 auf Tafel V). Auch von den
1) Der zentrale Ursprung des Vagus. Monatsschr. f. Psychiatrie u. Neurods:
Bd. V 1899. Hudovernig (Beiträge zur mikrosk. Anatomie und zur Lokah«a
tionslehre einiger Hirnnerven (X hypogloss., vagus u. facialis) Jonrn. f. Psycho’
u. Xeurol. Bd. XI 1908) beschreibt einen Fall, bei welchem nach einer Vaga-
durchschneidnng gelegentlich einer Operation hochoben am Halse es zur „iaten-
siven Chromolyse des dorsalen Vaguskerues und des Nucleus ambiguus gekommet
war u .
2) Versuch einer physiologischen Anatomie der Vagusursprünge und
Kopfsynipathicus. Journal für Psychologie u. Neurologie Bd. VIII 1907.
Bi Bunzl-Federn (1. c.) beschreibt die Zellen als ei- oder spindelförmig
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TteitrÄge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 439
bimförmigen Zellen läßt sich häufig, dem Stiel entsprechend, ein
Fortsatz weiter verfolgen. Hin und wieder finden sich auch bipo¬
lare Zellen, die manche Ähnlichkeit mit Trypanosomenfiguren haben. *)
Zellkerne wiesen die Ganglienzellen des visceralen Vaguskernes
bei der Silberbehandlung nach Bielschowsky nicht auf, sie
färbten sich vielmehr gleichmäßig braun. Dagegen kam das
lockere, feinfaserige Nervenz wischenge webe sehr gut zur Dar¬
stellung. Die Nervenfasern sind hier viel zarter und schmäler
als auf dem übrigen Querschnitt des verlängerten Markes (vgl.
Fig. 2 mit Fig. 1 auf Tafel V). Um die Ganglienzellen herum
läßt das lockere, aus feinsten Nervenfasern bestehende Zwischen¬
gewebe stets einen kleinen Lymphraum frei. Eine scharfe Ab¬
grenzung des visceralen Vaguskernes ist nicht möglich. Medial-
wärts freilich hebt sich die Gruppe der großzelligen, multipolaren
Zellen des Hypoglossuskernes auf das Deutlichste von den kleinen
rundlichen Formen des Vaguskernes ab, lateralwärts und ventral-
wärts stoßen aber auch Gebiete mit kleineren Ganglienzellen an,
so daß eine Unterscheidung von der Zellgruppe des Glossopharyn-
geus und von dem sensiblen Vaguskern recht schwierig ist. Die
Zellen des visceralen Vaguskernes treten zu einzelnen Gruppen
etwas dichter zusammen; ob es aber möglich ist, eine Gesetzmäßig¬
keit in dieser Gruppenbildung festzustellen, wie dies R. Shima 1 2 )
getan hat, möchte ich bezweifeln. Dieser Autor gibt selbst zu,
daß es bisher „nicht gelungen ist, die einzelnen Gruppen des dor-
1) Die Gestaltung und Form der Ganglienzellen des dorsalen Vaguskernes
stimmt genau mit der Schilderung der Zelleu der Nuclei sympathici medullae
spinalis durch L. Jacobsohn (Über die Kerne des menschlichen Rückenmarkes,
Abhandl. d. königl. preuß. Akademie d. Wissensch. 1908, physikal.-mathem. Klasse)
überein. Auch Jacobsohn schildert die sympath. Ganglienzellen, die sich haupt¬
sächlich in der dorsalen Partie des Seitenhornes der grauen Rückenmarksfigur
finden, als spindelförmig, keulenförmig, kaulquappenförmig oder
spermatozoenartig, „viele Zellen erscheinen bei schwacher Vergrößerung
wie fortsatzlos.“ „Die Zellen des Nucleus sympathicus sind ungefähr halb so
groß wie die daneben liegenden des lateralen Zellkomplexes des Vorderhornes.“
Es scheint mir die Tatsache von großer Bedeutung zu sein, daß die Zelleu des
visceralen Vaguskerues durchaus den Ganglienzellen der sympathischen Kerne
des Rückenmarkes und damit den Ursprungszellen der visceralen Bahnen in den
peripherischen Nerven gleichen.
2) Zur vergleichenden Anatomie des dorsalen Vaguskernes. Arbeiten aus
dem neurologischen Institut an der Wiener Universität, herausgegeben von Ober¬
steiner, XVII. Bd. 1909. Shima unterscheidet einen Nucleus dorsalis medius,
«inen Nucleus dorsalis lateralis und einen 3. zur dorsalen Vagnsgrnppe zu rech¬
nenden Kern in der Substantia gelatinosa.
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salen Vaguskernes mit bestimmten Körperabschnitten (Lunge. Her?.
Baucheingeweide) in Zusammenhang zu bringen. Es scheint hier
weniger eine Gruppeneinteilung in der dorsoventralen als in der
orokaudalen Richtung maßgebend zu sein.“
Die rezeptorischen, sensiblen Bahnen des Vagus, welch-
die Empfindung vom Schlund- und Kehlkopf, von der Trachea unc
den Bronchien nach dem Gehirn zu leiten, haben ihr trophischo
Zentrum in den beiden Ganglien, die der Vagus durchsetzen mo>
(Ganglion jugulare und Ganglion nodosum). Von hier ziehen di-
sensiblen Fasern als dorsale Wurzeln, dorsal von den motorischer
und von den visceralen Fasern gelegen und gelangen zu dem Soli¬
tärbündel (Fasciculus solitarius) (siehe Abbild. 2 im Text). Hier
endigen die Fasern aber nicht sofort in Ganglienzellen, sondern si-
ziehen ähnlich wie die Bahnen des Trigeminus und die des Glos*-
pharyngeus im Solitärbündel noch nach abwärts, d. h. kaudal wärt',
um weiter unten erst in den Ganglienzellen des Solitärbündelkemes
(Nucleusfasciculisolitarii, medial und dorsal von der Trige¬
minuswurzel gelegen) zu endigen (vgl. Abbild. 3). Von hier ver¬
laufen dann, ebenso wie von den spinalen Trigeminuskernen Bogen¬
fasern zur medialen Schleife und damit zum Gehirn. Theoretisch ist
eine Verbindung des sensiblen Vaguskernes, des Nucleus fascicnli
solitarii mit dem motorischen Vaguskern, dem Nucleus ambiguus
zu fordern, denn nur hier können die Bahnen sein, welche drti
sensiblen Schenkel des Schluckreflexes mit dem motorischen
verbinden. Auch eine nur einseitige Zerstörung dieses Teilte
des verlängerten Markes, wie sie manchmal infolge einer Emboli-
oder einer Thrombose der Arteria cerebellaris posterior inferior zu¬
stande kommt, hebt den Schluckakt völlig auf. *)
Außerdem müssen vom Nucleus solitarius Fasern zu den Kernen
der Atemmuskeln ziehen, um bei Reizung der Kehlkopf- oder
Trachealschleimhaut zuerst Hemmung der Inspiration und danD
zwangsmäßig kräftige Exspiration bei geschlossener Glottis, Husten,
auszulösen.
Auf Abbild. 3 des Textes habe ich die Säulen der drei Vagus¬
kerne in den Längsverlauf des verlängerten Markes eingezeichnet,
um die gegenseitige Lagerung und den Zusammentritt der Wurzeln
zu illustrieren. Von den großen, multipolaren Ganglienzellen de*
Nucleus ambiguus ziehen die Fasern (blau gezeichnet) dorsalwärts.
1) Vgl. L. R. Müller, Über eiue typische Erkrankung des verlängertea
Markes. Deutsches Archiv für klin. Medizin Bd. 86.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 441
um dann umzubiegen; vom Nucleus dorsalis vagi am Boden des
vierten Ventrikels gehen die zarten Fasern (grün gezeichnet) im
geraden Verlauf in die Wurzeln über. Von den lateral, nahe
der Außenfläche gelegenen kleinen
Ganglienzellen des Nucleus tract.i
solitarii steigen die Fasern (rot ge¬
zeichnet) im Solitärbündel aufwärts,
um sich dann erst den übrigen Wurzel¬
fasern des Vagus auzuschließen.
Histologie des Ganglion jugnlare.
Unmittelbar nachdem die Wurzeln
des Vagus zu einem lockeren Bündel
zusammengetreten sind, verdickt sich
dieses zu der Größe eines kleinen
Weichselkernes zu dem Ganglion jugu-
lare. Die Mehrzahl der Faserbündel
durchsetzt das Ganglion, ohne sich
darin aufzulösen; sie ziehen dann, wie
auf Abbild. 3 der Tafel VI, die einem
Querschnitt durch das Ganglion ent¬
spricht, zu sehen ist, mitten durch
das Ganglion oder sie verlaufen in
oder außerhalb der fibrösen Kapsel,
welche das Ganglion umhüllt. Auf
Längsschnitten durch das Ganglion
kann man feststellen, daß die Faserbündel des Vagus tatsächlich
zum größeren Teil nicht mit den Zellgruppen des Jugularknotens
in Beziehung treten, zum kleineren Teil strahlen sie aber pinsel¬
artig zwischen die Ganglienzellen ein, um dort sich bald zu ver¬
lieren.
Die Ganglienzellen sind im .lugularknoten zu einzelnen Gruppen
von 15, 20 und mehr Zellen zusammengefaßt (vgl. Abbild. 3 auf
Tafel VI). Auf Präparaten, die mit Alaunkarmin, mit Hämatoxylin
oder nach Nißl gefärbt sind, stellen sich die Ganglienzellen aus¬
nahmslos als runde, fortsatzlose Scheiben dar, die ein Kernbläschen
und in diesem ein Kernkörperchen beherbergen. Sie sind stets von
einer kernhaltigen Kapsel umgeben. Färbt man solche Schnitte
nach der Methode von R. y Cajal oder von Bielschowsky.
so läßt sich konstatieren, daß die überwiegende Mehrzahl der Zellen
dem Typus von Ganglienzellen entspricht, wie er in den Spinal-
Abbild. 3. Schern atisehe Dar¬
stellung der Kernsäulen
des Vagus. Die motorischen
Bahnen (blau) verlaufen zuerst
dorsal und dann erst ventral, die
sensiblen Bahnen (rot) ziehen im
Faseicnlus kaudalwärts, um im
Nucleus solitarius zu endigen, die
visceralen Bahnen (grün) ver¬
laufen gestreckt.
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ganglien gefunden wird. Die Zellen haben sich durchweg gut nuJ
intensiv gefärbt, die Begrenzung ist scharf, ihre Form ist rundlich,
oval oder bimförmig. An den meisten Zellen findet man entweder
keine oder nur einen ganz kurzen, stummelförmig abgebrochenen
Achsenzylinder, wie solche unter E und der darüberliegenden Zeilr
auf Abbild. 4 der Tafel VI, in welcher nur Zellen aus dem Ganglion
jugulare zusammengestellt sind, genau nach dem Original gezeichnet
wurden. Nicht selten ist der von einer Spinalganglienzelle breit ent¬
springende, bandartige Fortsatz weithin zu verfolgen, er schlingt si< h
bisweilen um die Zelle herum (siehe die Zelle zwischen D und L
auf der Zeichnung und dieselbe Zelle rechts unten auf dem Mikro»
photogramm 6 der Tafel VII). Manchmal kommt es zu ganz unwahr¬
scheinlichen Schleifenbildungen. Eine Zelle, an welcher diese eigen¬
artigen Windungen des Achsenzylinders besonders klar beobachtet
werden können, ist unter K auf Abbild. 4 wiedergegeben. Ani-
falligerweise gelang es, diese Schleifenbildung des unipolaren Fort¬
satzes auch in der einen Ebene, welche ein Mikrophotogramm
bietet, überzeugend klar und schön zur Darstellung zu bringen
(siehe Abbild. 5 auf Tafel VII). Häufig windet sich der Achsen¬
zylinder knäuelartig um die Zelle (vgl. Abbild. 4 auf Tafel VI die
Zelle D), manchmal sind dann, wie zwischen Zelle F und K za
sehen ist, solche Schleifenbildungen ohne die zugehörige Zelle ge¬
troffen. l )
Neben diesen unipolaren Ganglienzellen, welche die überwie¬
gende Mehrheit bilden, sind nun im Ganglion jugulare stets auch
vereinzelte Zellen zu treffen, die kleine Fortsätze nach
allen Seiten aussenden, vgl. auf Abbild. 4 der Taf. VI die
Zellen A, B, F, G, H und L. 2 ) Auch diese Ganglienzellen sind
immer von einer faserigen Kapsel umgeben, welche zahlreiche bläs¬
chenartige Kerne aufweist. Die kurzen Fortsätze der multipolaren
1) Besonders schön ist die Knäuelbildung des Achsenzylinders der SpinaJ-
gauglienzellen auf den zahlreichen Tafeln reproduziert, welche dem Werke tob
A. S. Dogiel, Der Bau der Spinalganglien der Menschen und der Säugetiere
Verlag von G. Fischer, Jena 1908 beigegeben sind. Dogiel bediente sich einer
Methylenblaufärbnng der Schnitte, welche mir, obgleich er mir die genauen Vor¬
schriften übermittelte, trotz eifrigen Bemühens keine brauchbaren Resultit*
lieferte.
2) Das Verhältnis der multipolaren Ganglienzellen zu den unipolaren ant
dieser Zeichnung entspricht nicht der Wirklichkeit. Wie mehrfach erwähnt, sind
die inultipolaren Zellen nur sehr spärlich. Der Zweck der Zeichnung ist, die rer-
schiedenen Typen der Ganglienzellen, welche sich im Jugnlarknoten vorfindct:.
mit möglichster Genauigkeit wiederzngeben.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 443
Ganglienzellen bleiben stets intrakapsulär, d. h. sie durchbrechen die
Kapseln nie, aber gerade dort, wohin sich die Dendriten in die Kapsel
erstrecken, finden sich stets besonders zahlreiche Zellkerne. Die
Dendriten sind zart, vielfach etwas hakenförmig gebogen; sie teilen
sich manchmal am Ende noch gablig, siehe die Zelle H der Zeich¬
nung und das Mikrophotogramm einer multipolaren Zelle aus dem
Ganglion jugulare, Figur 7 auf Tafel VIII. Hin und wieder endigen
die Dendriten auch in einer knopfartigen Anschwellung. Immer
handelt es sich um den Typus von Ganglienzellen, den R. y Cajal
als „Kronenzelle“ bezeichnet hat. Nur selten gelingt es, den einen
langen Fortsatz zu Gesicht zu bekommen, welcher die Kapsel durch¬
bricht und der dann als Achsenzylinder zu bezeichnen ist. Auf
der Zeichnung der Ganglienzellentypen aus dem Ganglion jugulare
ist bei Zelle A ein längerer, sich schraubenzieherartig windender
Fortsatz getroffen; es ist das dieselbe Zelle, welche auch auf dem
Mikrophotogramm, Abbild. 6 links oben wiedergegeben ist Auf
diesem Lichtbild, das natürlich nur einer Ebene entspricht, sind die
Fortsätze der 3 zusammenstehenden multipolaren Zellen nicht so
gut zu studieren wie im Mikroskop unter Benutzung der Mikro¬
meterschraube, vergleiche dieselbe Zellgruppe auf der Zeichnung
Abbild. 4 links oben.
Das Protoplasma der multipolaren Zellen unterscheidet sich ent¬
schieden von dem der unipolaren Zellen. Es tingiert sich bei der
Silberfärbung weniger intensiv und läßt die netzartige, feinfibrilläre
Struktur der Spinalganglienzellen vermissen. Im Leibe der multi¬
polaren Zellen sieht man meist hellere Stellen, vergleiche die Zellen
F, G und H mit ihren Lichtungen.
Außen um die Kapsel der multipolaren Zellen schlingen sich
zahlreiche, sehr dünne Nervenfasern, die dann korbartige Verflech¬
tungen miteinander eingehen. Solche Faserkörbe um die Kapseln
sind auffälligerweise gerade in den Präparaten besonders deutlich,
in welchen die Ganglienzellen sich verwaschen gefärbt haben. Es
handelt sich dabei augenscheinlich um die Endaufsplitterung der¬
jenigen Nerven, von welchen die Ganglienzellen ihre Anregung zur
Tätigkeit bekommen.
Zweifellos sind also im Ganglion jugulare zweierlei Zell¬
typen zu unterscheiden: solche mit einem breiten, langen,
sich vielfach schleifenartig windenden Fortsatz und vereinzelte
Zellen mit zahlreichen kleinen, intrakapsulären Den¬
driten. Die ersteren entsprechen dem Spinalganglienzellentypus,
die letzteren sind meines Erachtens als sympathische Gan-
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glienzellen aufzufassen. Sie gleichen durchaus den Zellen,™
man sie in den sympathischen Ganglien am Schädel, im Ganglion
ciliare, sphenopalatinum, oticum und submaxillare findet. Demnach
ist der Jugularknoten als eine Mischung von spinalen und sym¬
pathischen Ganglienzelllen anzusehen, eine Tatsache von großer
theoretischer Bedeutung.
Freilich ist erst noch der Beweis zu liefern, daß es sich bei
den multipolaren Ganglienzellen wirklich auch um sympathische
Elemente handelt, und daß hier nicht vielleicht normale Gebilde
eines Spinalganglions oder Degenerations- oder gar Kunstprodnkte
vorliegen. Dieser Beweis ist um so mehr zu erfordern, als von
einer Anzahl von Autoren multipolare Ganglienzellen als normale
Bestandteile der Spinalganglien beschrieben wurden.
So schilderte R. y C a j a 1*) in den Spinalganglien einen Zelltypus,
„cellulas desgarradas o seniles“, dessen Peripherie eine größere Anzahl von
kleinen, winkelig gebogenen Ausläufern entspringen. Diese Zellart fand
Cajal nur bei alten Leuten und er nimmt an, daß sie dem jugendlichen
Individuum noch abgehen.
Marinesco-) (Bukarest) fand solche Ganglienzellen bei einem Fallt
von progressiver Paralyse und nach Kompression von Spinalgangiien.
einerlei ob diese durch Pachymeningitis tuberculosa oder experimentell
verursacht war. Er schreibt: „II est a remarquer que certaines cellules
devenues multipolaires simulent plus ou moins Faspect exterieur des cellules
sympatiques d’autant plus qiFelles sont parfois pourvues,d'une couronnedentri*
ques. w Marinesco hat, was für unsere Fragestellung von besonderem
Interesse ist, die Seidenfadenunterbindungen auch am Ganglion plexi-
foruiis des Vagus gemacht: „Immediament au dessus de la ligature on
constate un grand nornbre de cellules ayant completement change leur
aspect exterieur et leur forme.“ „Beaucoup de cellules deviennent mul-
tipolaires, cette inultipolarite difföre de celle de cellules sympatiques et
de celle de centres nerveux par son aspect etrange.“
Rossi J *) stellte nun aber auch in den Spinalganglien von jugend-
F) Tipos celulares de los ganglios sensitives de] hombre y mamiferos. Tra-
bajos de Lab. de Invest. Biolog. de la l'nivers. de Madrid T. 4 1905. Cajal
bildet multipolare Ganglienzellen aus dein Plexus ganglioformis des Vagus ab.
die völlig mit den hier geschilderten Zellen übereinstimmen.
2) Quelques reeherdies sur la morphologie normale et pathol. des cellules
des gangl- spinaux et sympath. de Flioiunie. Le Nevraxe V 8. Marinesco u.
Minea, Kecherches experimentales et anatom.-patholog. sur les lesions consecutive
ä la coinpression et ä Fecrasement- des ganglions sensit. Folia Neuro-Biolospca
V, 1 Xr. 1 1907 und Kecherches experimentales et anatomo-pathologiqnes snr les
cellules des ganglios spinaux et sympatliiques. Journ. für Psycholog, u. Neurol.
Ed. XIII 1908.
I ber einige morpliolng. Besonderheiten der 8pinalganglienzellen bei den
Säugetieren. Journal für Psychologie und Neurologie Kd. XI.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 445
liehen Individuen Ganglienzellen mit zahlreichen kleinen Ausläufern
fest, die dem „Desgarrado 1 2 3 4 -Typus von Cajal, den dieser Forscher aber
nur bei Individuen nach dem 60. Lebensjahr vorgefunden hat, entsprechen
sollen. Bos8i glaubt, daß diese Expansionen des Zellkörpers nicht
auf einen abnormen Status der Ganglienzellen hinweisen. Ebenso fand
Levi 1 ) bei seinen Untersuchungen der Spinalganglien „sämtlicher Klassen
der Wirbeltiere 4 bei den großen Säugern stets gefensterte Zellen und
solche mit keulenförmigen Endigungen. Levi spricht die Vermutung
aus, „daß die aus multipolaren Zellen bestehenden Abschnitte der Ganglien
der visceralen sensiblen Innervation bestimmt sind 4 .
Besonders wertvolle Untersuchungen über diese Frage verdanken
wir M. Bielschowsky.-) Auch dieser deutsche Forscher stellte neben
den typischen, unipolaren Spinalganglienzellen noch andere Zellformen
in den Spinalganglien fest. So solche, deren Randzonen durchlöchert
sind, entsprechend den Celulas fenestradas von Cajal, dann Zellen mit
kurzen, stummelartigen Dendriten. Diese Zellfortsätze hält Bielschowsky
„für Henkelfragmente, die auf der Höhe des Bogens abgeschnürt worden
sind 4 . Ferner schildert er feine, fadenförmige Fortsätze, welche in
kugelförmigen Anschwellungen auslaufen P ’ . c h n v * k y gesteht aber
auch zu, daß diese mit mehreren Fort wn/ w» v < n, j,_.. u , 1 /
in den Spinalganglien um so zahlreicher a«;tf t* ii, ; , r , T
Individuum ist. „Bei einem Neugeboren: n v 1 w : * '/> w nur ;; r:
vereinzelt vorhanden, bei einem 78 jährig»; f ne »• .. ?■ t
Zellen in den untersuchten Ganglien ck r V , r * i.. h ■ ^ K.6
einer 35jährigen Frau betrug die Durchschnitt mmrige d.-r Wi¬
derten Zellen in den Dorsalganglien ca. 6°/ 0 . 4 Bielschowsky kommt
zu dem Schlüsse, daß nicht nur das Alter und die Kachexie, sondern
daß insbesondere auch Erkrankungen des Zentralnervensysteme«, wie die
Tabes die multiple Sklerose und Kompression durch Geschwülste einen
formativen Reiz auf die Zellen der Spinalganglien ausüben und daß bei
diesen Krankheiten besonders zahlreiche Fensterzellen und solche mit
henkelartigen oder fädchenähnlichen Fortsätzen sich finden.
Schließlich hat Lenhossek 4 ) schon im Jahre 1906 darauf hin¬
gewiesen, daß sich in den Ganglienzellen neben typischen Unipolarzellen
1) I gangli cerebrospinali. Studi di istologia comparata e di istogenesi.
Sappl, al Arch. ital. di Anat. e di Enibriol. Firenze 1908. Ausführliches Auto¬
referat in Schmidt’s Jahrbüchern Bd. 304 lieft 11 p. 127.
2) Über den Bau der Spinalzellen unter normalen und pathol. Verhältnissen. •
Jonrn. für Psychologie u. Neurologie Bd. XI 1908.
3) Bei der Tabes wurden auch an den Ganglienzellen des Rückenmarkes
gewisse Auswüchse festgestellt. Vgl. Nagentte. Note sur la presence des
massues d’accroissernent dans la substance grise de la moelle. 0. R. de la Soe.
d. Biologie 12. V. 1906 (eit. nach Rossi) und Marinesco, Contribut. ä lctude
de fhistologie et de la pathologie du Tabes. Sein. ined. 1906 (eit. nach Bi ei¬
se ho wsky).
4) Zur Kenntnis der Spinalganglieii. Archiv f. mikrosk. Anatom, u. Ent¬
wicklungsgeschichte Bd. 79, 1906.
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L. R. Müllkk
auch multipolare Elemente finden“, „manchmal kehren schlingenfonnisr
Zellfortsätze wieder zum Zellkörper zurück (henkelartige Zellanhäagei*
Aus dieser Literaturzusammenstellung ist zu entnehmen, dai>
in den Spinalganglien tatsächlich neben den typischen unipolaren
Ganglienzellen stets auch solche mit kleinen fadenförmigen, haken-
öder henkelähnlichen Fortsätzen gefunden werden und daß die Zahl
dieser Zellen mit dem zunehmenden Alter, besonders aber bei Ent¬
kräftung und bei organischen Nervenerkrankungen steigt. Dir
Mehrzahl der Autoren spricht
sich dahin aus, daß es sich bei
diesen Zellen um Alters-, um
x »J Degenerations- und Regenera-
MM . | tionsprodukte handelt. Solche
Zellformen waren tatsächlich
. Cauch im Ganglion j ugulare
zu finden und zwar in um sc»
größerer Anzahl, je älter das
betreffende Individuum war. oder
l je mehr es durch eine zehrende
Krankheit heruntergekommen
war. In der Abbild. 4 des Texte'
X dffljgL \ sind zwe * solcher Zellen ans
dem Ganglion jugulare einer
alten Frau gezeichnet. Diese
Abbild. 4. Degenerationszellen aus dem
Ganglion jugulare.
1) Aus ganz ähnlichen, löcherigen, verwaschenen, wenig deutlich umschrie¬
benen Zellen setzt sich bei Erwachsenen das Gangliou sphenopalatinmn und da?
Gangl. oticum zusammen, vgl.: L. R. Müllern. Dahl, Die Beteiligung d sve-
path. Nervensystems a. d. Kopfinnervation Tafel VI. Deutsch. Arch f. klin. Met
Bd. 99.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 447
Anschwellungen verdicken oder sich noch gablig teilen. Um ein
völlig objektives Urteil über die Natur dieser Ganglienzellen zu
ermöglichen, habe ich nicht nur in Fig. 4 der Tafel VI Zeichnungen,
sondern auch in Fig. 6 und 7 der Tafel VII und VIII Mikrophotogramme
von multipolaren Zellen aus dem Ganglion jugulare gebracht. Aus der
Gestaltung dieser Zellen, insbesondere aus der Art ihrer kräftigen
sich gabelnden Dendriten (vgl. Abbild. 7 der Tafel VIII) muß man
meines Erachtens den Schluß ziehen, daß es sich bei den multi¬
polaren Ganglienzellen des Jugularknotens nicht um Entartungs¬
produkte, sondern um normale, vollwertigeZellenhandelt,
die auf der Höhe ihrer Funktion stehen.
Der Prozentgehalt, mit welchem die multipolaren Ganglienzellen
den unipolaren, spinalen Zellen im Ganglion jugulare beigemischt
sind, ist allerdings sehr wechselnd, wie ja auch die Größe dieses
Ganglions und sein Gehalt an Zellen überhaupt merkwürdigen
Schwankungen bei den verschiedenen Individuen unterworfen ist.
Da die ersten Untersuchungen über das Zahlenverhältnis der multi¬
polaren Zellen zu den unipolaren ganz. »riiversT;m* : >he Iliieren;- n
ergaben, so sah ich mich genötigt, eine üi r.ü« A.r/ihl
Jugnlarknoten zu untersuchen, was eine nicht geriu.-re An ...
wenn man in Betracht zieht, daß schon das Heiauspväparieren
dieses Ganglions aus der Schädelbasis nicht leicht ist und recht viel
Zeit in Anspruch nimmt, und daß die Silberfärbung der Präparate
auch dann, wenn man auf diese Methode schon eingeübt ist, doch
immer noch viel Schwierigkeiten macht und häufig noch Fehl¬
resultate gibt.
Tatsächlich konnten nun bei älteren Individuen oder bei solchen,
die an langdauerndem Sichtum, z. B. an Carcinom zugrunde ge¬
gangen waren, besonders zahlreiche „Degenerationszellen** festge¬
stellt werden. Diese unterscheiden sich von den anderen Gan¬
glienzellen dadurch, daß sie hell und blasig sind und daß aus ihrer
verwaschenen Peripherie feine, fadenförmige, vielfach henkelartige
Fortsätze entspringen. Daneben waren aber jedesmal scharf
umschriebene multipolare Ganglienzellen mit intrakapsulären Den¬
driten nachzuweisen. Solche sind also nicht nur bei kachektischen
oder bei alten Leuten zu finden. So konnte ich bei einem 17-
jährigen, kräftigen jungen Mann, der einer Rollw r agenverletzung
erlegen ist, im Ganglion jugulare 5 0 „ scharf umschriebener multi¬
polarer Ganglienzellen, neben 4 0 0 degenerierter Zellen zählen. Der¬
selbe Prozentsatz war bei einem 21jährigen Manne, welcher an einer
doppelseitigen Lungenentzündung starb, festzustellen.
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L. R. Mülleb
Das Ergebnis der Durchzählung der verschiedenen Zellart«)
im Ganglion jugulare von 24 Individuen im Alter von 18—75
Jahren habe ich dahin zusammenzufassen, daß der Gehalt u
Degenerationszellen von 4— 20 °/ 0 , ja 30 % wechselt und zweifello>
bei alten und entkräfteten Leuten höher ist als bei jugendlichen.
Der Prozentsatz der multipolaren, also sympathischen Ganglien¬
zellen schwankt nur zwischen 2 und 6 °/ 0 , er erhöht sich beim Alte
und mit der Kachexie nicht. Die multipolaren Ganglienzellen sine
meist ganz unregelmäßig in die überwiegende Mehrzahl der unipr*-
laren Zellen von Spinalganglientypus eingestreut; nur selten finde:
man eine kleine Gruppe von multipolaren Zellen beisammenstehend
{vgl. Abbild. 6 auf Tafel VII).
Um nun meine Behauptung, daß es sich mit der Beimischnn?
von multipolaren Zellen im Ganglion jugulare um etwas ganz Be¬
sonderes handle, zu kontrollieren, habe ich in mehreren Fällen
außerdem Schnitte durch das Ganglion Gasseri, durch das Ganglion
geniculi oder durch ein Spinalganglion angefertigt, mit Silber tin-
giert und durchgemustert; ich konnte in all diesen Präparaten nur
ein einziges Mal eine multipolare Ganglienzelle in einem Schnitt ans
einem Spinalganglion feststellen. Fast jedesmal wurde gleichzeitig
mit dem Ganglion jugulare auch das Ganglion nodosum heraus¬
genommen. Dieses letztere besteht nun, wie weiter unten noch
ausführlich darzulegen sein wird, ausschließlich aus unipolaren
Ganglienzellen.
Durch die regelmäßige Beimengung von multip<>-
laren Ganglienzellen unterscheidet sich das Ganglion
jugulare prinzipiell von dem Ganglion nodosum. Da
die multipolaren Ganglienzellen ganz dem Zelltypus gleichen, welcher
im Ganglion ciliare und in anderen sympathischen Ganglien ver¬
treten ist (Caja 1 ’scher Kronenzellentypus) liegt es nahe, sie auch
als sympathische Ganglienzellen anzusprechen. Welchen Funktionen
sie vorstehen, läßt sich allerdings kaum vermuten. Nachdem der
Vagus aber Fasern für die Bronchien, das Herz und den Magen mit
sich führt, so ist es wohl möglich, daß die multipolaren Zellen des
Jugularknotens mit der Innervation dieser Organe in Beziehung
stehen. Die Einlagerung von sehr zahlreichen marklosen Fasern
im Lungen-, Herz- und Magenvagns würde mit dieser Annahme
wohl übereinstimmen. Es wären dann die multipolaren Zellen im
Ganglion jugulare auch physiologisch den Zellen des Ganglion
ciliare oder der übrigen sympathischen Kopfganglien gleichzustellen
und von ihnen aus würde das marklose postganglionäre
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Beiträge znr Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 449
Neuron für die großen inneren Organe entspringen. Freilich ist
es aber auch möglich, daß sie lediglich vasomotorischen Innerva¬
tionen für den Nervus meningeus posterior dienen. Die Zahl der
multipolaren Zellen im Ganglion jugulare erscheint allerdings, wenn
man die Größe der von den visceralen Fasern des Vagus zu in¬
nervierenden Organen in der Brust- und Bauchhöhle in Betracht
zieht, recht klein. Durchschnittlich wurden auf jedem Präparat
aus dem Ganglion jugulare 3—8—10 multipolare Zellen gefunden.
Da das Ganglion in etwa 150 Schnitte zerlegt wurde, so ist die
Gesamtsumme der multipolaren Zellen auf etwa 12—1400 zu be¬
rechnen, eine Zahl, die andererseits zu groß erscheint, um lediglich
für die fraglichen vasomotorischen Impulse im Nervus meningeus
posterior in Betracht zu kommen.
Histologie des Ganglion nodosum.
Nachdem der Vagus durch das Foramen jugulare aus der
Schädelhöhle ausgetreten ist, schwillt er unmittelbar unter der
Basis cranii neuerlich an und bildet das langgezogene Ganglion
nodosum. Im Gegensatz zum Ganglion jugulare, welches eine kurze
knopfartige Anschwellung darstellt, ist die Form des Ganglion
nodosum ausgesprochen spindlig. Seine Länge kann bis zu 2, ja
2,5 cm betragen. Aus dem Verlaufe des Ganglions entspringen
3 Nerven: der Bamus auricularis vagi, der Bamus pharyngeus und
zwar meist in mehreren Ästen, und der Nervus laryngeus superior
(ygl. Abbild. 1 im Text)
Die Anordnung der Ganglienzellen im Ganglion nodosum ist
eine ganz andere als die im Ganglion jugulare. Waren sie hier
in kleinen rundlichen Gruppen vereinigt, so bilden die Zellen im
Ganglion nodosum zeilenartige Beihen zwischen den parallelen
Nervenfaserbündeln. Das Bild, das so entsteht, ist ein ähnliches, wie
wir es auf Längsschnitten durch die Spinalganglien sehen. Mustert
man nun Präparate, die nach der Methode von Cajal oder von
Bielschowsky tingiert worden sind, mit stärkeren Vergröße¬
rungen durch, so kann man feststellen, daß die Zellen sämtlich
gleichmäßig intensiv gefärbt und scharf begrenzt sind. Sie sind
ausnahmslos unipolar. Der Fortsatz ist meist nur auf eine kurze
Strecke zu sehen; die häufig ei- oder tropfenförmige Zelle bietet
dann, wenn der Achsenzylinder an dem schmalen Pole entspringt,
ein ähnliches Bild wie eine Birne mit ihrem Stiel. Nicht selten ist
aber der breite Achsenzylinder in seinen Windungen um die Zelle
oder in seinen korkzieherartigen Schleifen weiterhin zu verfolgen.
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L. R. Müller
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Multipolare Ganglienzellen konnten nun im Ganglion
nodosum nicht gefunden werden, obgleich sehr zahlreichr
wohlgelungene Präparate von 8 verschiedenen Fällen genau durcL-
gemustert wurden. 1 ) Ganz vereinzelt waren einige helle, blasige
Zellen mit fadenförmigen henkelartigen Fortsätzen nachzuweisen.
Die beiden nahe beisammen gelegenen Ganglien des Xervn>
vagus unterscheiden sich also nicht nur in der äußeren Form und
in der Art der Gruppierung der Ganglienzellen, sondern auch it
der Zusammensetzung. Der Umstand, daß multipolare Ganglien¬
zellen regelmäßig im Jugularknoten, niemals aber im Ganglion
nodosum festzustellen waren, scheint mir, nachdem die Unter¬
suchung stets an den zusammengehörigen Nervenknoten eines nnd
desselben Individuums vorgenommen wurde, ein weiterer Beweis
dafür, daß es sich bei den multipolaren Ganglienzellen des Gan¬
glion jugulare nicht um Degenerationsprodukte handeln kann.
Histologie des Nervus vagus.
Von den Wurzelfäserchen, welche aus der Medullaoblon-
gata entspringen, um dann zum Nervus vagus zusammenzutreter.
wurden Längs- und Querschnitte angefertigt und nach der Weigert-
sclien Methode gefärbt. Da zeigte sich nun, daß die überwiegende
Mehrzahl dieser Wurzelbündel sich hauptsächlich aus ganz
dünnen Markscheiden zusammensetzt, zwischen denen große,
dicke, segmentierte Markscheiden eingelagert sind. Der Quer¬
schnitt der zarten, schmalen Nervenfasern erreicht den Umfan:
eines roten Blutkörperchens bei weitem nicht. Der Querschnitt de:
dicken Markscheiden erscheint 8—10mal so groß als der der zarten
Hin und wieder findet sich in den Wurzelbündeln eine Ganglien¬
zelle eingelagert, die nach der regelmäßig entwickelten, kräftigen
pericellulären Kapsel zu schließen, dem Spinalganglienzellentyi'Q?
angehört. Marklose, nackte Achsenzylinder konnte ich in den
Wurzelfäden nicht vorfinden. Dagegen war jedesmal festzustellen.
daß von den 10—12 Wurzelfäserchen 1— 2 —3 Bündel ausschließlich
oder hauptsächlich dicke, breite Markscheiden enthalten.
Beim Zusammentritt zum Ganglion jugulare bleiben die
1) Welche Unklarheit bisher über die Natur des Ganglion nodosum
bestand, ist daraus zu entnehmen, daß z. B. in der eben erst heransgekommeEea
Diagnostik der Nervenkrankheiten von L. E. Bregmann (S. Karger, Berlin 1911
der Plexus nodosus vagi als den sympathischen Ganglien entsprechend beschrieb
wird.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 451
Bündel, welche nur dicke Nervenfasern beherbergen, abseits und
verlaufen in dem periganglionören Bindegewebe. Die übrigen
Wurzelfasern treten alle in das Ganglion ein und zwischen den
Ganglienzellen lassen sich sehr dünne Nervenfasern von ganz dicken
wohl unterscheiden; an Zahl überwiegen freilich auch hier die
ersteren ganz wesentlich.
In dem kurzen Abschnitt zwischen dem Ganglion
jugulare und dem Ganglion nodosum liegen die Verhält¬
nisse ganz ähnlich: Die überwiegende Mehrzahl der Fasern besteht
aus ganz dünnen markhaltigen Böhren, dazwischen sind zahlreiche
dicke plumpe Markscheiden eingelagert und abseits liegen einige
Bündel, die ausschließlich breite Markscheiden beherbergen. Diese
Faserbündel treten auch nicht in das Ganglion nodosum ein,
sie sind mit diesem höchstens durch lockere Bindegewebsbündel
verbunden. Da die Bündel dicker Markscheiden zweifellos den
Bahnen des motorischen Nervus laryngeus inferior entsprechen, so
kann ihr Verlauf sehr wohl mit einer motorischen Wurzel,
die an dem Spinalganglion des betrelfenden Segmentes vorbeizieht,
verglichen werden (siehe die schematische Darstellung der Nerven¬
fasern des Vagus auf Fig. 9 des Textes). Die übrigen Nerven¬
stränge scheinen aber alle das Ganglion nodosum zu durchsetzen.
Wie weit sie freilich mit den Ganglienzellen in Beziehung treten,
entzieht sich der Beurteilung. Jedenfalls sind in dem Ganglion
nodosum dünne und dicke Markscheiden festzustellen, die ersteren
überwiegen an Zahl bei weitem, ihre Markhülle ist so dünn, daß
sie eben an der Grenze der Sichtbarkeit steht, es handelt sich um
feinste Böhrchen, die hin und wieder Auftreibungen, niemals aber
Segmentierung aufweisen. Die dicken Markscheiden des Ganglions
sind plumpe Gebilde, die auf Längsschnitten jedesmal Lanter¬
mann’sehe Segmente zeigen oder feinlöcherige, wabenähnliche
Struktur bieten. Abseits des Ganglion nodosum konnten ebenso¬
wenig wie außerhalb des Ganglion jugulare Bündel von dünnen
Markfasern nachgewiesen werden. Die visceralen Fasern
des Vagus — und als solche dürfen wir wohl die zarten Mark¬
scheiden ansprechen — scheinen demnach die beiden
Ganglien zu durchsetzen.
Ein feines Nervenbündel, welches aus dem Ganglion nodosum
entsprang, enthielt lauter gleichmäßig dicke Markscheiden mittleren
Kalibers. Da diese Fasern sich im Ganglion um Ganglienzellen¬
gruppen aufsplitterten, so vermute ich, daß es sich um einen sen¬
siblen Gaumennerven handelte.
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Auf Querschnitten durch den Halsvagus lassen sich auch
stets verschiedene Arten von Nervenfasern feststellen, solche, die
von einem großen, breiten Markmantel umhüllt sind und schmal*
Fasern mit ganz zarter, dünner Markscheide. Auf Abbild. 5 de?
Textes ist zu sehen, daß diese beiden Arten von Nerven¬
fasern regellos durcheinander gemischt sind. In*
zarten Nerven überwiegen auch hier an Zahl ganz wesentlich.
Daneben finden sich hier schon vereinzelte marklose, also nacktr
Achsenzylinder. Der Vagus stellt sich niemals als ein kompakter
Nervenstrangdar. son¬
dern setzt sich stet>
aus zahlreichen Bün¬
deln, die nur durch
lockeres Bindegewebe
verbunden sind, zu¬
sammen. Wakelin
B a r r a t*) studierte
auf Querschnitten an>
verschiedenen Höhen
das Verhalten dieser
Bündel zueinander und
konnte dartun. daß da¬
bei nicht nur groß*
individuelle Verschie¬
denheiten bestehen,
sondern daß auch bei
einem und demselben
Individuum die Lage
der Nervenbündel zu¬
einander wechselt:
Abbild. 5.!
Querschnitt
durch den
Halsvagns.
1) On the anatomical structure of the Vagus Nerve. Journal of Anatom?
aud Physiology Vol. XXXII London Charles Griffin 1898.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 458
laryngei abzweigen. Besonders der Nervus laryngeus inferior, der
Recurrens setzt sich, nachdem er den Ramus cardiacus abgegeben
hat, fast ausschließlich aus breiten Markscheiden zusammen. Auf
Abbild. 6 des Textes ist ein Teil des Querschnittes des Recurrens
wiedergegeben. Hier sind nur große, plumpe, vielfach unregelmäßig
gebildete Markscheidenringe zu sehen, an anderen Stellen des
Querschnittes sind auch im Recurrens daneben noch zarte Nerven¬
fasern eingelagert und diese sind es wohl, welche die Gefäße des
Kehlkopfes und namentlich
der Thyreoidea versorgen. Daß
im Recurrens auch viscerale
Fasern verlaufen, kann ich mit
Bestimmtheit daraus entneh¬
men, daß ich bei der makro¬
skopischen Präparation des
Nervus recurrens einmal ein
feines Ästchen zum Isthmus
der Schilddrüse hin verfolgen
konnte, das in einem kaum
stecknadelkopfgroßen Knöt¬
chen endigte. Schnitte durch
dieses kleine Gebilde wiesen
nun multipolare Ganglienzellen
mit breiten, sich weithin er¬
streckenden und verzweigen¬
den Fortsätzen auf, wie ich
sie so schön kaum jemals in den Ganglien des Grenzstranges
oder im Ganglion Wrisbergii gesehen habe. 1 )
Der Halsvagus enthält auch unterhalb des Ganglion nodosum
noch Ganglienzellen, und zwar handelt es sich ausschließlich
um unipolare Zellen, um dieselbe Art, wre sie sich in den Spinal¬
ganglien vorfindet. Solche Zellen reichen jedesmal 1—1’/ 2 , ja 2 cm
kaudalwärts vom unteren Pol des spindligen Ganglion nodosum.
Ja es ist beschrieben worden, daß der Vagus in seinem ganzen
1) Paul Schultz (Die Beteiligung <les Sympathicus au (1er Kehlkopf¬
innervation, Archiv f. Laryugologie u. Rhinologie Bd. 16) wies nach, daß der
Halssympathicus keine motorischen Fasern für den Kehlkopf führe. Durch den
oben geschilderten Befund ist dagegen der Beweis geliefert, daß der Vagus
bzw. der Recurrens vegetative Fasern, die in der Kehlkopfgegend endigen,
beherbergt.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. dU
Abbild. 7. Querschnitt durch den Vagus
oberhalb der Cardia.
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454
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Verlaufe am Halse Ganglienzellen beherberge. 1 ) Dreimal habe ich
den Vagus in einzelnen Längsstückchen bis herunter zur Cardia
geschnitten, ich konnte aber, abgesehen von den nach unten ver¬
sprengten Zellen des Ganglion nodosum, keine weiteren Ganglien¬
zellen im Vagusstamm linden. Nur an der Einmündungsstelle des
Pulmonalplexus waren einmal einige unipolare Ganglienzellen nacli-
zuweisen.
Verfolgt man den Vagus vom Ganglion nodosum ab weiter
nach abwärts, so kann man sehen, wie sich die dicken Markfasern
zum größeren Teil nach der Peripherie wenden, um mit den Ästen
am Halse abzuzweigen. 2 ) Die Fasern, welche zum Herzen ziehen,
beherbergen neben vereinzelten dicken zahlreiche zarte Mark¬
scheiden und schon sehr viele nackte Achsenzylinder.
Unterhalb des Abganges vom Plexus pulmonalis
bietet der Vagus ein ganz anderes Bild (vgl. Abbild. 7). Hier sind
die marklosen Fasern in der Mehrzahl. In den einzelnen Feldern
sind die nackten Achsenzylinder bei der Weigert’scheu Mark¬
scheidenfärbung und Nachfärbung mit Alaunkarmin daran zu er¬
kennen, daß sie keinen Farbstoff aufgenommen haben und deshalb
hell und glasig erscheinen. Außerdem beherbergt der Vagus in
seinem unteren Drittel aber noch reichlich feine, markumhüllte
Fasern und ganz vereinzelte grobe dicke Markscheiden (siehe
Abbild. 7j. Auf Längsschnitten stellen die dünnen Markscheiden-
1) Vgl. L. A schuf f u. Gortlon Goodliart, Vorkommen von Paraganfflien-
im peripherischen Stamm des N. vagus. Deutsehe med. Wochenscbr. Kr. 38, UW.
Sitzungsbericht d. natnrforsch. Gesellseh. in Freibnrg i. Br. „Unter 80 unter*
suchten Vagi fand Herr Goodliart in etwa der Hälfte aller Fälle (janglien¬
zellen oder größere Ganglienzellengruppen im Halsteil. In 3 Fällen fanden sich
auch kleinere oder größere z. T. recht stattliche Zellhaufen, welche ihrer bio¬
logischen Struktur nach als Paraganglien angesprochen werden mußten, wenn
auch die Chromreaktion nicht mehr gelang.“ Darüber ob es sich um unipolare
oder rnultipolare Zellen handelt wird kein Aufschluß gegeben.
2 ) Dies wurde schon im Jahre 1886 v. \V. H. Gaskell in der klassischen
Abhandlung (Jonrn. of Physiol. Vol. III, 1 HS(>): „On the st.rncture, distribution
and function of the nerve* wliich irmervate the visceral and vascnlar System“
festgcstellt: „Tracing thcse fibres of the Vagus downwards it is instractive tosee
how the mcdullatcd fibres btdonging tu euch brauch group themselves together
at tlie peripbery of the main st cm before Hiev pass away as a separate branch
In this way groups of med ul lat ed fibres pass away in the laryngeal nerves; each
successive rteparture leaviug the core ot‘ non medullated nerves inore and more
fr^e from admixt-ure with mcdullatcd, mitil at last when the pulmonary nerves
have gone, the intestinal nerves are left as a muss of non medullated fibres
with a few medullated scattered aniong them.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 455
fasern zarte Röhrchen dar, welche hin und wieder Auftreibungen
zeigen. Die breiten Markscheiden sind auf Längsschnitten meist
klumpig zerfallen oder nach der von Lantermann beschriebenen
Art segmentiert. Die Struktur des Vagus kurz vor seinem Ein¬
tritt in den Magen hat viele Ähnlichkeit mit den Nerven des sym¬
pathischen Systems.
Lungenvagns.
Über die Fasern des Vagus, welche zur Lunge ziehen, und
über die Ganglienzellen der Bronchien sind meines Wissens ge¬
nauere Untersuchungen noch nicht vorgenommen worden. Bei der
makroskopischen Präparation ist man erstaunt, welch reiches Ge¬
flecht von Nervenfasern sich aus dem Vagus nach der Rückseite
der Bronchien zu wendet. Dort wo der Plexus bronchialis aus
dem Vagus entspringt, fand ich, wie oben schon berichtet, Gan¬
glienzellen, die in einer wohlgebildeten Kapsel eingeschlossen
waren und auf dem Schnitt keinen oder nur einen breiten und
gewundenen, langen Fortsatz aufwiesen. Diese sind zweifellos dem
Spinalganglientypus zuzurechnen. Sie gehören den sensiblen
Bahnen an, welche die Empfindung von den großen Bronchien
vermitteln und den zentripetalen Schenkel des Reflexbogens, der
zum Husten führt, bilden.
Die feinen Fädchen, die in die Bronchien ziehen, erwiesen sich
bei Untersuchungen an zwei verschiedenen Individuen als aus
dünnen, ausschließlich markhaltigen Nerven bestehend.
Zwischen den sehr schmalen, nicht segmentierten Markröhrchen
fanden sich nur ganz vereinzelt dicke Markscheiden, welche dann
starke Segmentierung aufwiesen. Marklose Nervenfasern
konnte ich in den Nervi bronchiales nicht feststellen.
Präpariert man die Bronchialäste bis an die Grenze der Sicht¬
barkeit, also etwa 4-6 cm in die Lungen hinein, so findet man
bisweilen an ihnen ein kleinstes Knötchen in der Bronchialwand
eingelagert, das besser noch zwischen den Fingerbeeren gefühlt
als gesehen werden kann. Diese Knötchen bestehen aus Gruppen
von Ganglienzellen. Färbt man solche Gruppen, die 4—6, aber
auch 8—10 Ganglienzellen enthalten, nach der Biel sch o wsky-
schen Methode, so zeigt sich, daß man multipolare Ganglien¬
zellen vor sich hat. Auf Abbild. 8 der Tafel VIII habe ich solche-
Zellen, genau nach den Präparaten gezeichnet, wiedergegeben. Die
Fortsätze der Zellen sind ziemlich dick und verästeln sich knorrig
(vgl. die Ganglienzelle links oben). Sie entspringen oft recht massig
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456
L. R. Müller
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am Zellkörper, um sich dann in eine dünne Nervenfaser auszuziehen
(siehe die Zelle rechts oben). Nicht selten verzweigen sich die Den¬
driten hirschgeweihähnlich. Im Gegensätze zu den zahlreichen
Fortsätzen der Ganglienzellen in den Magen wänden (vgl. Abbild. 18
und 19 auf Tafel XIII nnd XIV) scheinen die Dendriten der Ganglien¬
zellen in der Bronchialschleimhaut viel spärlicher zu sein. Wieder¬
holt konnte ich nur 2 Dendriten feststellen. Pericelluläre Kapseln
sind bei den multipolaren Ganglienzellen der Bronchien kaum aus¬
gebildet. Auch die Zellkerne in der Umgebung der Ganglienzellen
haben sich nicht deutlich darstellen lassen. Wohl aber findet sich um die
Ganglienzellen ein nestartig angeordnetes Gewirr von Nervenfasern
(siehe Zelle rechts oben) nnd die langen Dendriten bilden untereinander
ein Geflecht. Nach alldem ist nicht daran zu zweifeln, daß die Gan¬
glienzellen der Bronchien demjenigen Typus von Zellen entsprechen,
welcher in den Ganglien des Grenzstranges und in dem Ganglion
Wrisbergii vertreten ist. Der Mangel an einer kräftigen peri-
cellulären Kapsel mit ihren Kernen, der Umstand, daß die Den¬
driten breit entspringen, sich gabeln und weithin zu verfolgen sind,
läßt die Ganglienzellen der Bronchien von dem Kronenzellentypus,
wie er in den Kopfganglien vertreten ist und sich auch im Gan¬
glion jugulare findet (vgl. Abbild. 4, 6 und 7 der Tafeln VI, VII
und VIII), wohl unterscheiden.
Da die hier geschilderten Ganglienzellen zweifellos sym¬
pathischer Natur sind, so ist damit auch ein Hinweis auf ihre
Funktion gegeben. Vasomotorische Innervationen kommen in den
Bronchien wohl nicht so sehr in Betracht. Dagegen ist durch
Volkmann, 8chiff, Leo Ger 1 ach M und andere nachgewiesen,
daß Reizung des Vagus Kontraktion der Bronchiolen verursacht.
Zwischen dem Lungenvagus und der Bronchialmuskulatur sind aber
Ganglienzellen eingeschaltet, und diese sind es, über welche beim
Asthma bronchiale und beim Asthma nervosum und bei den seeli¬
schen Erregungen („er ringt nach Atem“) die bronchokonstrik-
torischen Erregungen geleitet werden. Nach Roy und Brown 3 '
sollen die Vagi „auch lungenerweiternde, d. h. die Bronchial¬
muskeln erschlaffende Fasern führen“. Doch werden von anderen
diese Funktionen den Fasern, welche aus dem Grenzstrang des
SympHtliieus zu den Bronchien ziehen, /.»geschrieben.
1) CititTt luirU II. Borutt.au, Die Atembewegung uud ihre Innervation.
Handbuch d. Physicd. von Naurtd 1. Bd. 1. Halite.
2i Journ. of Physiolog. f>, 4, citiert nach Boruttan.
Gck 'gle.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 457
Herzvagus.
Zum Herzen ziehen aus dem Stamm des Vagus meist drei
verschiedene Bündel. Das eine von ihnen entspringt hoch oben,
gleich unterhalb des Laryngeus superior und geht Verbindungen
mit Fasern vom Halssympathikus ein, die auch zum Herzen ge¬
langen. Der bedeutendste Herzast zweigt gewöhnlich vom Nervus
recurrens ab und schließlich gelangt auch vom Brustteile des
Vagus noch ein Ast zum Herzen. Ebenso wie der Ursprung, so ist
auch der Verlauf der Herzäste des Vagus ein recht wechselnder.
Die Äste, die sie an den Aortenbogen abgeben, dürfen wohl als
Depressorfasern angesprochen werden. Je näher die Vagusäste dem
Herzen kommen, desto mehr verzweigen sie sich. Inwieweit die
Fasern des Plexus cardiacus dem Vagus zugehören und inwieweit
sie von den sympathischen Nerven gebildet werden, läßt sich dann
nicht mehr unterscheiden. In den Lehrbüchern wird das Herzge¬
flecht in einen oberflächlichen und einen tiefer gelegenen .Teil
unterschieden. Zu dem Plexus cardiacus superficialis zieht vorzüg¬
lich der linke Herzvagus. Seine Verästelungen sind zwischen dem
Aortenbogen und der Arteria pulmonalis gelegen. Hier findet sich
auch manchmal ein kleiner, kaum linsengroßer Nervenknoten, das
Ganglion Wrisbergii, zu dem die Fasern des Vagus und
Sympathicus zusammenstrahlen (vgl. Fig. 1 im Text) und aus dem
dann feine Fädchen zur Wurzel des Herzens ziehen, um in dieses
sich einzusenken oder mit der Arteria coronaria sinistra im Sulcus
longitudinalis zu verlaufen.
Der rechte Herzvagus gibt zwar auch einige Zweigehen zum
Plexus superficialis ab, sein Hauptstamm bleibt aber in der Tiefe,
um sich zwischen der Hinterfläche der Aorta und den, in den linken
Vorhof ziehenden Pulmonalvenen zum Plexus cardiacus profundus zu
verästeln. Präpariert man die feinen Endverzweigungen des rechten
Herzvagus vorsichtig, wie dies Herr cand. med. Berberich im
Laboratorium des hiesigen Krankenhauses an mehreren Herzen mit
großer Gewissenhaftigkeit getan hat, so kann man nachweisen, daß
*ich Fädchen zum Teil in das Septum atriorum einsenken und
daß solche zur Einmündungsstelle der oberen Hohlvene in den
rechten Vorhof ziehen. Es gelang uns, auf Schnitten nach¬
zuweisen, daß gerade dort, wo die Vagusästchen von
hinten an den Trichter der Vena cava herantreten,
sich mehrere Gruppen von Ganglienzellen vorfanden.
Das histologische Bild der Vagusfasern, die zum Herzen
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458
L. R. Mülleb
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ziehen, ist ganz ähnlich dem Bilde, welches die mikroskopische
Untersuchung des Vagusstammes in der unteren Brusthöhle bietei
vgl. Abbild. 7 im Text. Auf dem Querschnitt von Präparaten, welche
nach der Weigert’schen Methode gefärbt werden, finden sich ir
der überwiegenden Mehrzahl marklose Nervenfasern (schätzungs¬
weise 70—80%); etwa 20% der Fasern weisen sehr dünne, aber
intensiv gefärbte Markscheiden auf, nur ganz vereinzelt trifft man
große, breite Ringchen, wie sie den Markscheiden in den peri¬
pherischen Nerven entsprechen. Auf Längsschnitten durch die
Vagusfasern, die zum Herzen ziehen, treten die spindligen Kernt
der marklosen Fasern besser hervor, bei starkem Abblenden lassen
sich an den mit Alaunkarmin nachgefärbten Präparaten die mark¬
losen Fasern deutlich als ganz dünne, wasserhelle Streifen erkennen.
Die schmalen markhaltigen Nervenfasern stellen sich als gleich¬
mäßig geformte feine Röhrchen dar, während die Markscheiden
der vereinzelten dicken Nervenfasern auf Längsschnitten stet«; in
Schollen oder in Segmente zerfallen sind.
Histologie des Ganglion Wrisbergii. 1 )
Das zwischen dem Aortenbogen und der Pulmonalis gelegene
Ganglion Wrisbergii war, obgleich ich 15 Präparate genan
darauf untersuchte, 2 ) nur zweimal nachzuweisen. Es hatte da?
Knötchen dann die Größe eines kleinen Stecknadelkopfes. Mehr¬
mals schnitt ich auf gut Glück die Verzweigungsstellen der Vagns-
fasern im Plexus cardiacus superficialis und tatsächlich fand ich
einmal in den Nervenästchen Ganglienzellen eingelagert. Die
extracardialen Ganglienzellen sind ebennicht immer
zu einem umschriebenen Knötchen zusammengefaßt,
sie scheinen vielmehr recht häufig in den Ästchen
des Herzgeflechtes zerstreut zu sein, ohne in diesen
zu Anschwellungen zu führen, die mit bloßem Äugt
erkannt werden könnten, ein Verhalten, das völlig mit den
1) In der Literatur konnte ich eine Schilderang der Ganglienzellen de?
Ganglion Wrisbergii nirgends finden.
2) Da das Präparieren an der frischen Leiche mich nicht zum Ziele brachte,
wurde das Herz mit den großen Gefäßen herausgenotnmen und in Formol ge¬
bracht; nach einigen Tagen verfolgte ich dann an dem gehärteten Präparat vom
Halsteil des Vagus aus dessen weiteren Verlauf und da ließ sich zweimal eii
Ast verfolgen, der in das Ganglion Wrisbergii einstrahlte. Wiederholt glaubt''
ich das Ganglion vor mir zu haben, bei der mikroskopischen Untersuchung er¬
wies sich das Knötchen aber als eine kleine Lymphdrilse.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 450
Verhältnissen des Ganglion ciliare, des Ganglion sphenopalatinum
und des Ganglion submaxillare übereinstimmt. Auch die Ganglien¬
zellen dieser Nervenzentren sind oft in den sich verteilenden
Nervenzweigchen eingelagert.
Hat man das Ganglion Wrisbergii nur einmal erst wirklich
gefunden, so macht die mikroskopische Darstellung der Ganglien
zellen und ihrer Fortsätze keine Schwierigkeiten, vorausgesetzt.
<laß man mit den Silbertinktionsmethoden vertraut ist. Die Prä¬
parate gelingen ausnahmslos, die Ganglienzellen und ihre Fortsätze
iärben sich, wie aus den Mikrophotogrammen 10 und 11 zu ent¬
nehmen ist, gut. Degenerierte Zellen mit unscharfen Konturen und
hellem, wabigen Leib sind nicht oder nur ganz vereinzelt einge¬
lagert.
Das histologische Bild des Ganglion Wrisbergii ist ganz
•das eines Vertebralganglions des Grenzstranges. 1 ) Die Ganglien¬
zellen sind groß, ihr Körper ist rundlich oder oval und von ihm
ziehen nach allen Seiten breite, knorrige, sich bald verästelnde
Fortsätze. Auf der Abbild. 9 der Tafel IX sind 6 Zellen aus ver¬
schiedenen Schnitten gezeichnet. Dort und auf den Mikrophoto¬
grammen 10 und 11 ist zu sehen, daß die Fortsätze sich weithin er¬
strecken und daß sie nicht den kurzen, intrakapsulären Dendriten
entsprechen, wie sie den Zellen der sympathischen Kopfganglien
und den multipolaren Zellen des Ganglion jugulare zu eigen sind.
An dem Zellkörper setzen die Fortsätze breit an und verzweigen
sich oft unmittelbar nach ihrem Ursprung (s. Abbild. 9), indem sie
nicht selten hirschgeweihähnliche Figuren bilden. Häufig trifft man
Zellen, deren Dendriten sternartig nach allen Richtungen sich erstrecken
(vgl. Abbild. 11 der Tafel X, dieses Photogramm entspricht der
mittleren Zelle der oberen Reihe auf Fig. 9), man ist also zur Ver¬
mutung wohl berechtigt, daß die Zellen von annähernd kugliger
Form sind und ähnlich wie ein Stechapfel nach allen Seiten hin
Fortsätze abgeben. Diese bilden mit den Dendriten benachbarter
Zellen ein lockeres Geflecht (s. Abbild. 10 der Tafel IX). Da die
Fortsätze sich so weit hin erstrecken, so ist es wirklich nicht zu
■entscheiden, welche als Dendriten zu bezeichnen sind und welcher
als Achsenzylinder angesprochen werden muß. Um den Zellkörper
herum findet sich fast stets ein schmaler Saum freien Raumes
(Lymphraum).
1) Vgl. Tafel XXVIII und Tafel XXIX in L. K. Mülle r, Studien über die
Auat. u. Histol. d. sympath. Grenzstrauges, insbesondere Uber seine Beziehungen
xu dem spinal. Nervensyst. Verhandl. des Kongr. f. inn. Med. Wiesbaden 1909.
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460
L. R. Müller
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Ein wesentlicher Unterschied zwischen dem Kronenzellentypas.
wie er unter A, B, F, G, H und L der Abbild. 4 und auf de»
Mikrophotogramm der Abbild. 7 wiedergegeben ist, und zwischen
den Zellen des Ganglion Wrisbergii besteht ferner darin, daß
bei den letzteren eine Kapsel um die Zelle entweder nicht oder
nur andeutungsweise zur Darstellung gekommen ist. Auch die Zell¬
kerne der Kapsel sind bei der Silberfärbung nur ganz spärlich und
schlecht zu sehen. Wenn auch in den meisten Präparaten aus dem
Ganglion Wrisbergii, ebenso wie auf dem Mikrophotogramm 10
und 11 von Zellkapseln nichts zu sehen ist, so zweifle ich doch
nicht an dem Vorhandensein einer solchen, doch ist diese sicher
viel weniger ausgebildet als bei den Spinalganglienzellen oder bei
dem Kronenzellentypus der Kopfganglien. Die mangelhafte Ent¬
wicklung der Kapsel und ihrer Zellkerne haben die Zellen des Gan¬
glion Wrisbergii auch mit denen der Ganglien des Grenzstranges
gemeinsam.
Um die rudimentäre Kapsel schlingt sich ein feines Netz von
zarten, meist kurz getroffenen Fasern, Nervenästchen. die wesent¬
lich dünner sind als die breiten, knorrigen Fortsätze der Zelle
( vgl. Abbild. 9, Zelle rechts oben, hier haben sich auch die Zell¬
kerne der Kapsel verhältnismäßig gut gefärbt). Manchmal ist die
Ganglienzelle mit zarten Pünktchen umgeben, die wohl den quer¬
getroffenen Fäserchen des pericellulären Korbes entsprechen vgl.
die mittlere Zelle der unteren Reihe auf Abbild. 9).
Die Ganglienzellen sind, wie auf dem Mikrophotogramm 10 zu
sehen ist, in Gruppen von 50—80 Stück zwischen dickeren Nerven¬
faserbündeln eingeschlossen; in allen Präparaten von drei ver¬
schiedenen Individuen konnte an den extrakardialen Zellen immer
und ausschließlich derselbe Typus mit großen, breiten,
nach allen Seiten sich erstreckenden Fortsätzen festgestellt werden.
Histologie der intrakardialen Ganglienzellen.
Der Vagus gibt durch den oberflächlichen, namentlich aber
durch den tiefen Plexus cardiacus Äste an die Wurzel des Herzens
ab, die sich zwischen dem Ursprung der großen Gefäße verlieren
und in das Septum atriorum einsenken. Jedesmal ist ein Ast zu
verfolgen, der sich zur Einmündungsstelle der Vena cava descen-
dens in den rechten Vorhof wendet. Herr cand. med. Berberich.
der den makroskopischen Verlauf der Herzvagusäste an vielen
Präparaten studierte, konnte einmal feststellen, daß ein Verhältnis-
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Beiträge zur Anatomie* Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 461
mäßig dickeres Fädchen direkt vom Brustvagus zum Cava¬
trichter zog. 1 )
Seit Remak, Ludwig und Bidder ist es bekannt, daß am
Übergang der oberen Hohlvene in den rechten Vorhof und daß in
der Vorhofscheidewand nahe der Atrioventrikulargrenze besonders
zahlreiche Ganglienzellen zu finden sind. Ihre Gestaltung ist freilich
mit den üblichen Kernfärbungen und auch mit der N i ß 1 ’sclien
Methode schlecht zu studieren, da sich eben nur der rundliche
Zelleib und sein Kernbläschen, nicht aber die Fortsätze der Gan¬
glienzellen färben. 2 ) Diese Methoden eignen sich infolgedessen auch
wenig zum Studium der pathologischen Veränderungen der intra¬
kardialen Ganglienzellen und es erscheint wohl verständlich, daß
die Untersuchungen von Kusnezow, 8 ) Aschoff u. Tawara, 4 )
W.Koch, 5 ) Fahr®) und anderen in dieser Hinsicht wenig erfolg¬
reich waren.
Geradeso wie die Zellen der Spinalganglien und wie die des
sympathischen Nervensystems, so sind auch die Ganglienzellen des
Herzens nur dann vollständig d. h. mit ihren Fortsätzen zur
Darstellung zu bringen, wenn man Metallimprägnationsverfahren T )
oder die von A. S. Dogiel angegebene Methylenblaufärbung an*
1} Ähnliche Beobachtungen scheinen auch Krehl und Romberg (Über die
Bedeut, des Herzmuskels u. <1. Herzganglien f. d. Herztätigkeit. Arch. f. exper.
Pathol. u. Pharmak. 30. Bd. 1892) gemacht zu haben. Sie schreiben: „Das Vor¬
hofgeflecht erhält außerdem einige Nervenfasern unmittelbar aus den Vagi
resp. den Brouchialästen derselben.“
2) VgL L. Ger lach, Über die Nervenendigungen in der Muskulatur des
Froschherzens. Virchow’s Archiv 1876 und J. Dogiel. Die Ganglienzellen des
Herzens bei verschiedenen Tieren und bei Menschen. Arch. f. mikrosk. Anat.
Bd. 14. 1877 (vorzügliche Tafeln!). Wo es sich nur um das Studium der Lagerung
der Ganglienzellen im Herzen handelt, genügen die einfachen Färbungsmethüden
völlig, siehe M. Lissauer, Über die Lage der Ganglienzellen des menschl. Herzens.
Arch. f. mikr. Anat. u. Entwicklungsgeschichte Bd. 74 (dieser Autor bediente sieh
der Thioninfärbung und der Färbung nach van Gieson) und Fahr (Zur Frage
der Ganglienzellen im menschl. Herzen. Zenfralbl. f. Herzkrankh. u. d. Erkrank,
d. Gefäße 1910 Nr.Hu.fi), welcher mir der N iss Eschen Methode färbte.
3) Über die Veränderungen der Herzganglien bei akuten und subakuten
Endokardit. Virchow’s Arch. Bd. 132, 1893.
4) Die heutige Lehre von der patholog.-unatom. Grundlage der Herzschwäche.
G. Fischer, Jena 1906.
ö) Zur pathol. Anatomie der Rhythmusstürmigen des Herzens. Berl. klin.
Wochenschr. 1910 Nr. 24.
6) 1. c.
7) F. B. Hoffman u (Das intrakardiale Nervensystem des Frosches. Arch.
f- Anatomie 1902) bediente sich der Methode von Golgj.
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wendet. 1 2 3 * ) Mit der letzteren Methode will der rassische Forscher
dreierlei verschiedene Typen von Zellen im Herzen gefunden hab*m
solche mit kurzen, mit mittleren und mit langen Dendriten. ;
Sergius Michailow, der sich auch der Methylenblaumethodr
bediente. 8 ) kann sich der Einteilung von Dogiel nicht anschließec.
er beschreibt noch mehr verschiedene Arten von Ganglienzellen,
darunter gefensterte Formen und Zellen, deren Protoplasma
rosettenförraiges Aussehen bietet. Ich muß gestehen, daß ich mit
der Methylenblaumethode von Do giel keine brauchbaren Resultatr-
erhielt. Um so bessere Präparate konnte ich mir verschallen. wenn
ich die Schnitte nach der von Bielschowsky angegebenen Me¬
thode behandelte.
An der Übergangsstelle der oberen Hohlvene zum rechten
Vorhof konnten nun jedesmal Ganglienzellen fest?e-
stellt werden. Besonders groß und reichlich waren die Gan-
glienzellengruppen dort, wo vom Plexus cardiacus oder direkt vom
Vagus kommende feine Nerveuäste sich am Cavatrichter anf-
splitterten. Hier waren dann auch stets sehr zahlreich*-
kleine Nervenbündelchen nachzuweisen, die sich, wie an:
Schnitten, die nach der Weigert’schen Methode gefärbt wurden,
festzustellen war, z. T. aus markhaltigen Fasern zusammensetzten,
Nervenfasern wie Ganglienzellen waren unmittelbar unterhalb de?
serösen Überzuges, also unter dem Perikard und seiner Umschlags¬
stelle im lockeren Bindegewebe und im Fettgewebe eingelagert.
Es erwies sich deshalb am zweckmäßigsten, am Cavatrichter von
außen her Flachschnitte anzufertigen; diese Schnitte wareu für
das Studium der Ganglienzellen besonders ergiebig.
In den Nervenbündelchen fanden sich Ganglienzellen nur ver¬
einzelt, sie waren meistens zu größeren oder kleineren Gruppen zu-
sammengefaßt (vgl. Abbild. 12 auf Tafel X und 13 auf Tafel XI.
Solche Gruppen enthielten 5—8, aber auch 15—20 Ganglienzellen.
Das Zwischengewebe zwischen den Ganglienzellen erwies sich ais
ungemein kernreich; ich habe den Eindruck gewonnen, daß die blä?-
chenartigen Zellkerne demselben Typus entsprechen wie die Kerne
der die Ganglienzellen umhüllenden Kapseln. Manchmal konnte
1) Eingehend beschrieben in A. S. Dogiel. Der Bau der SpinalgamrlieiL
Jena, G. Fischer 1908 p. 15—18.
2) A. S. Dogiel, Archiv f. mikrosk. Anatomie Bd. 53, 1899.
3) »Sergius Mich ai low, Zur Frage von der feineren Struktur der periphe¬
rischen sympath. Ganglien. Anatom. Anzeiger Bd. 33, 1908 Nr. 6u7.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 463
man feststellen, daß ein schmales Bündel von Nervenfasern in eine
solche Gruppe einmündete und dort pinselförmig ausstrahlte, vgl.
Mikrophotogramm 13, ja einmal war eine Gruppe so getroffen,
daß an zwei gegenüberliegenden Polen ein Nervenbündel ein- und
ein anderes austrat. Leider läßt sich an den nach der Biel-
schowsky’schen Methode gefärbten Präparaten kein sicheres
Urteil darüber gewinnen, wie weit die Nerven markhaltig sind.
Ich glaube aber in dem helleren, lockigen Nerven den zuführen¬
den, markhaltigen und in dem dichteren, dunkleren den abführen¬
den Nerven vermuten zu dürfen. Auch den Nervenast der kleinen,
durch Figur 13 wiedergegebenen Ganglienzellengruppe möchte ich
als ein Bündel markloser Nervenfasern ansprechen.
Von dem umgebenden lockeren, subperikardialen Gewebe sind
solche Gruppen von Ganglienzellen stets durch eine faserige
Hülle abgegrenzt.
Die Ganglienzellen stehen, wie auf Abbild. 12 und 13
zu sehen ist, ziemlich weit voneinander entfernt, ihre
Fortsätze erreichen sich also nicht und können deshalb auch nicht,
wie das im Ganglion Wrisbergii der Fall ist, untereinander ein
Geflecht bilden. Im weiteren Gegensätze zu den extrakardialen
Ganglienzellen sind die innerhalb des Herzens gelegenen Ganglien¬
zellen von einer kräftigen, faserig-hyalinen Kapsel umgeben, 1 )
deren Kerne sich außerordentlich intensiv gefärbt haben (vgl.
Abbild. 12, 13 und 14). Die Ganglienzellen füllen die Kapsel aber
nie völlig aus, sondern lassen immer noch einen Raum (Lymph-
raum) frei. Die Fortsätze der Ganglienzellen bleiben zum
größten Teil intrakapsulär, zum Teil erstrecken sie sich zwischen
die Zellkerne der Kapsel oder sie überragen die Kapsel noch um
ein kleines Stück (cfr. Abbild. 12 und Mikrophotogramm 14 auf
Tafel XI, dieses letztere Bild entspricht der kleinen Zelle rechts unten
der bei schwacher Vergrößerung aufgenommenen Figur 13). Die
Dendriten sind stets zart und dünn, fadenförmig, sie
verästeln sich nicht. Ein Fortsatz, zu dem sich die Ganglien¬
zelle bisweilen bimförmig auszieht (vgl. zwei kleine Zellen auf dem
Mikrophotogramm 13), ist manchmal auf weitere Strecken hin zu
verfolgen (Achsenzylinder?), aber auch dieser ist immer dünn und
zart. Um die fibröse Kapsel herum verästeln sich kranzartig feine
1) Die von Lenhossek (1. c.) ausgesprochene Vermutung, daß es sich bei
der pericellulären Kapsel um gliöses Gewebe handle, hat manches für sich, du
die faserigen Kapseln bei der van G ieson’schen Färbung nicht dieselbe Farben¬
reaktion geben wie das Bindegewebe.
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L. R. Müller
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Nerveufasern, die wohl der Reizüberleitung auf die Ganglienzelk
dienen.
Die Darstellung der Ganglienzellen in der Yorhofscheidt-
wand bot insofern wesentlich größere Schwierigkeiten, weil es nich;
so leicht gelang, sie zu finden. Viele Stückchen des Septums atrionnr
wurden geschnitten und erfolglos durchgemustert. Die Präparate, ir¬
denen Ganglienzellen enthalten waren, stammen alle aus der Gegend
der Einmündungsstelle der Vena coronaria; besonders ergiebig war
die Gegend unterhalb des Coronarvenentrichters, die Stelle <ie>
Tawara’schen Knotens und des Ursprungs des His'scheu
Bündels. Die Ganglienzellen lagen auch hier nicht in der Musku¬
latur, sondern unmittelbar unter dem Endokard, in lockerem Binde-
und Fettgewebe eingebettet. Ebenso wie am Cavatrichter. >.*
standen sie auch hier in Gruppen beisammen, nur selten wäret
sie vereinzelt zu treffen.
Die Form und die Gestaltung der Ganglienzellen in der Vor¬
hofscheidewand (siehe Abbild. 15 und 16 auf Tafel XII) scheint mir
durchaus derjenigen der Zellen im Cavatrichter zu entsprechen
Zarte, kurze Dendriten, die entweder rings von der Peripherie des
Zellkörpers entspringen oder nach einer Richtung hin reichlicher
entwickelt sind und ein längerer Fortsatz (Achsenzylinder , de:
sich einem Nervenbündel anschließt. Auch diese Zellen sind von
einer fibrös-hyalinen, zellkernreichen Kapsel umgeben und lassen
zwischen dieser und sich einen Lymphraum frei. Ganz be¬
sonders deutlich ist in all den Präparaten aus der
Vorhofscheidewand ein Netzwerk von feinen Nerven¬
fasern entwickelt, das sich um die Zellkapsel herunt-
schlingt (vgl. die mittlere Zelle der oberen Reihe auf Figur. IV.
Auf dem Mikrophotogramm einer Ganglienzelle aus der Yorhot-
scheidewand, Abbild. 16, ist die obere Partie des Faserkorbes sehr
gut zu sehen. Nach rechts scheint ein Achsenzylinderfortsatz das
Netz zu durchsetzen. Es ist das dieselbe Zelle, welche in der
Mitte der unteren Reihe auf Figur 15 allerdings um 80° gedreht
abgezeichnet wurde. Die zarten, pericellulären Nervenfäsercheo
verschlingen sich untereinander wie die Zweigehen eines Nestes
und zwischen sie hinein erstrecken sich die Dendriten der Gan¬
glienzellen. Einige Male glaubte ich den Übergang einer Nerven¬
faser in solche pericelluläre Körbe verfolgen zu können.
In der Umgehung der Ganglienzellengruppen waren stets zahl¬
reiche Nervenbündel im lockeren subendokardialen Gewebe eilige-
lagert. Auf Weigert- Präparaten zeigte sich, daß die Nervenfadcbcn
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 465
auch liier in der Vorhofscheidewand markhaltige Fasern beherbergten;
etwa ein Viertel oder ein Fünftel der Nervenfasern eines Bündels
war von dünnen, gleichmäßig röhrenförmigen Markscheiden umhüllt.
Bekanntlich verlaufen auch an der Außenseite des Herzens
feine Nervenfasern, sie ziehen in den beiden Längssulcus und im
Quersulcus parallel mit den entsprechenden Coronargefäßen. Es
ist beschrieben worden, daß auch in diesen Herznerven Ganglien¬
zellen eingelagert sind.*) Mir gelang es bei der Präparation von
12 Herzen nur zweimal, an den unmittelbar unterhalb des Peri¬
kards verlaufenden Fädchen Ganglienzellen zu finden. Auch diese
Ganglienzellen sind zu kleinen Gruppen vereinigt, sie werden meist
von einer kräftigen, zellkernhaltigen Kapsel umgeben und senden
in diese kurze intrakapsuläre Fortsätze (vgl. die Zelle links oben auf
Abbild. 17 Tafel XIII). Außerdem entspringen aber von diesen Zell¬
körpern auch mehrere lange, breite, faserige Dendriten, die sich
dann bald abbiegen und verwirren (siehe Zelle rechts oben) oder im
gestreckten Verlauf weithin zu verfolgen sind. Solche Zellen bieten
dann ein kometenähnliches Aussehen (vgl. die Zelle rechts unten).
Manchmal sind es auch nur zwei breitere und längere Fortsätze,
welche die Kapsel durchbrechen, oder ein besonders dicker gabelt
sich nach längerem Verlauf. Es sind das Zellen, die zweifellos einem
anderen Typus entsprechen als diejenigen, welche ich im Cava-
trichter und in der Vorhofscheidewand getroffen habe. Doch muß
ich darauf hinweisen, daß von A. S. Dogiel (1. c.) drei und von
Serg. Michailow (1. c.) fünf verschiedene Zelltypen im Herzen
beschrieben wurden. Wenn die bildlichen Darstellungen dieser
beiden russischen Forscher nicht mit den von mir gebrachten
Schilderungen, Zeichnungen und Mikrophotogrammen übereinstimmen,
so ist dies wohl darauf zurückzuführen, daß eben ganz verschiedene
Methoden der Färbung in Anwendung gekommen sind. Welcher
von beiden Tinktionsarten die der Wirklichkeit am nächsten kom¬
menden Bilder zukommen, wage ich nicht zu entscheiden. Ich
kann mich nach den Darstellungen von Michailow des Ein¬
druckes nicht erwehren, daß es bei der Methylenblaufärbung zu
1) „Les troncs nerveux, le long des arteres coronaires forment vera et
genuina ganglia“, Mollard, Les nerfs du coeur. Paris, Masson et Ci 1908 und
A. Waledinsky (Einige Ergänzungen zur Frage nach der Gegenwart und der
Verteilung der Nervenganglien in den Herzkammern einiger Säugetiere und des
Menschen. Anatomischer Anzeiger Bd. XXXVII Nr. 17/19) stellte hauptsächlich
die Nervenganglien an der Oberfläche des Herzens dar und beschreibt einen
«Plexus gangliosus ventrieulorum cordis superficialis’*.
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Quellungen kommt, 1 ) muß aber andererseits zugeben, daß bei de:
Formol-Silberbehandlung Schrumpfungen möglich sind, immerfam
hat die letztere Methode den großen Vorteil, daß mit ihr Daucr-
präparate zu gewinnen sind und daß man diese auf der phot«*-
graphischen Platte fixieren kann. Wenn Mikrophotogramme natür¬
licherweise auch lange nicht alles das geben, was mit Zeichnung^
unter der Benützung der Mikrometerschraube dargestellt werdta
kann, so glaubte ich doch von der Wiedergabe von Mikrophon»
grammen reichlich Gebrauch machen zu müssen, da solchen etwa
die völlige Objektivität zugute kommt.
Die Frage, ob bei den intrakardialen Ganglienzellen ver¬
schiedenartige Formen zu unterscheiden sind, kann ich au«
deshalb nicht mit Bestimmtheit beantworten, da von mir .nur
die Übergangsstelle der oberen Hohlvene zum rechten Vorht;
und die Vorhofscheidewand untersucht wurden. Die dort ge¬
fundenen Ganglienzellen schienen mir alle derselben Art zu sein
Da aber auch in den Herzohren 2 ) und in den Kammerwandungeo.
ja selbst in der Herzspitze 3 ) Ganglienzellen gefunden wurden, &*
kann ich die Möglichkeit nicht leugnen, daß auch innerhalb de?
Herzens verschiedene Typen von Ganglienzellen Vorkommen.
Auf das eine Moment muß aber als auf eine außerordent¬
lich wichtige Tatsache hingewiesen werden, das zwischen
den extrakardialen Ganglienzellen, wie sie im Ganglion Wris-
bergii vereinigt sind, und den intrakardialen Ganglienzellen
des Cavatrichters und der Vorhofscheidewand stets ein wesent¬
licher Unterschied festzustellen ist. Die im Plexus cardiacus
eingelagerten Ganglienzellen sind groß und senden nach allen
Seiten hin breite, knorrige, sich verästelnde Fortsätze, die unter¬
einander ein lockeres Geflecht bilden. Pericelluläre Kapseln sind
an ihnen nicht oder nur andeutungsweise entwickelt.
1) Während S. Michailow (Zur Frage über den feineren Ban des intra¬
kardialen Nervensystems der Säugetiere. International. Monatsschrift für Ana¬
tomie Bd. 25, 1908) anf Grund von Färbungen mit Methylenblau die Ganglien¬
zellen mit breiten, verwaschenen Fortsätzen beschreibt und abbildet, bringt er
in demselben Band derselben Zeitschrift eine Studie über „das intrakardiale
Nervensystem des Frosches und die Methode von K. y Cajai“, in welcher di-
Darstcllnugen der Ganglienzellen viel mehr'unseren Bildern entsprechen.
2) .1. Mollard (1. c.) schreibt, vom Herzohr eines Kindes „les cellale-
uervouses seit, en groupes. soit isolees, sont tellement nombreuses qu'elles nr
torment pour ainsi dire qu’un unique ganglion ininterrompu.“
3) Bethe, Allgemeine Anatomie u. Physiologie des Nervensystems. G.Thiene.
Leipzig 1903, eit. nach Fahr, Zur Frage der Ganglienzellen im menschl. Herzet
Zentral bl. f. Herzkrankheiten Nr. 5 u. 6, 1910.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 467
Im Gegensatz dazu werden die Ganglienzellen des Cava-
trichters und der Vorhofscheidewand stets von einer stark ent¬
wickelten, zellkernreichen Kapsel umhüllt. Die Dendriten sind
zart, verzweigen sich nicht, verbleiben zum größten Teil innerhalb
der faserigen Hülle oder überragen diese nur auf eine kurze Strecke.
Entsprechen die extrakardialen Zellen denjenigen,
wie wir sie in den Grenzstrangganglien vorfinden,
so sind die Zellen innerhalb des Herzens den kapsel¬
umhüllten Ganglienzellen des Ciliarknötchens oder
der übrigen Kopfganglien zu vergleichen. Auch das
perikapsuläre, korbartige Geflecht feiner Nervenfasern ist bei den
intrakardialen Ganglienzellen viel deutlicher und reichlicher aus¬
gebildet als bei den extrakardialen Nervenzellen.
Bei dem Studium der Ganglienzellen des Herzens drängt sich
unwillkürlich die Frage nach der Funktion dieser Gebilde auf.
Unter dem Einfluß der myogenen Theorie der Herztätigkeit wurde
diesen Zellen jede Wirkung auf die Bewegung des Herzens ab¬
gestritten, ja es wurde die Vermutung ausgesprochen, sie möchten
lediglich sensiblen Funktionen dienen. 1 ) Nachdem nun aber von
H i s jun. ein muskulöses Reizleitungssystem zwischen dem Vorhof¬
septum und der Ventrikelscheidewand festgestellt wurde und nach¬
dem von Aschoff-Tawara an der Ursprungsstelle des His’schen
Bündels unterhalb des Coronarvenentrichters, an demselben Ort, an
dem sich besonders viel Ganglienzellen in der Vorhofscheidewand
finden, ein muskulöser Knoten nachgewiesen wurde, und nachdem
schließlich in jüngster Zeit durch Aschoff-Engel *) der Über-
1) Krehl n. Romberg (1. c.) schreiben: „Die Herzganglien können nach
ihrer Abstammung und nach den negativen Resultaten unserer Versuche hinsicht¬
lich ihrer motorischen Natur als seiisible Organe bezeichnet werden.“
21 Die Nervengeflechte des Reizleitungssystems des Herzens. Deutsche med.
Wochenschr. 1910 Nr. 2. Durch die hier luitgeteilten Untersuchungen wird fest¬
gestellt, daß im musknlösen Reizleitungssystem zahlreiche Nervenfasern einge¬
lagert sind. „Damit ist auch für den Menschen die neuromuskuläre Zusammen¬
setzung des Reizleitungssystems erwiesen.“ Iu einer größeren Arbeit (Beiträge zur
normalen und pathologischen Histologie des Atrioventrikularbündels, Ziegler’s
Beitr. zur patbol. Anat. u. zur allgem. Pathol. 48. Bd) bringt J. Engel einen
eingehenden Bericht über ihre Untersuchungen des Atrioventrikularbündels. Es
ist ihr gelungen, nicht nur Nervenfasern, sondern auch Ganglienzellen in diesem
Bündel nachzuweisen. Wenn Engel schreibt: „Die Hauptmasse der Ganglien¬
zellen scheint unipolar zu sein, doch sieht man häutig auch bi- und multipolare,
letztere am seltensten,“ so glaube ich, daß diese Annahme auf einer nicht voll¬
kommenen Färbetechnik der Ganglienzellen beruht, ich konnte jedenfalls im Herzen
nur multipolare Ganglienzellen feststellen.
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gang von Nervenfasern in diesen Knoten und damit in das Reiz¬
leitungssystem konstatiert wurde, liegt es wahrlich nahe, der
Ganglienzellen einen Einfluß auf die Tätigkeit des Herzens zn-
zuschreiben. Diese Vermutung wird noch bestärkt durch die Tat¬
sache, daß an dem Übergang der oberen Hohlvene in den rechtet;
Vorhof, also gerade dort, wo schon von Remak Gruppen tot.
Ganglienzellen beschrieben wurden und wo auch wir sehr vir
Nervenfasern und sehr zahlreiche Zellen vorfanden, ein weitere:
Knäuel von embryonal gebliebener Muskulatur, der Sinusknoter
liegt, der von seinen Entdeckern, K e i t h und F1 a c k . au> L
als Ursprungsstelle von Herzreizen angesprochen wird. Vor
diesem Knoten ziehen dann muskulöse Leitungssysteme nad.
dem Vorhof, 1 ) ja von Thorei 2 ) wird behauptet, daß er eii>
Verbindung des Sinusknotens mit der Vorhofscheidewand nachge-
wiesen habe.
Der Umstand, daß die Ganglienzellen im Herzen am Sinn>-
knoten und an dem Ta war a’sehen Knoten, also an der Ursprung-
steile der Reizleitungssysteme besonders gehäuft sind, spricht eben¬
so wie physiologische Unterbindungsexperimente (Stannius'sche:
Versuch) und wie pathologische Erfahrungen (Adam-St okes'seU
Krankheit) für die motorische Funktion dieser Zellen. 3 )
Freilich bleiben auch, wenn diese Annahme sich bestätig:
sollte, noch viele Fragen zur Beantwortung übrig, so z. B. die¬
jenige, ob der Vagus direkt auf die Muskulatur de-
1) A. Keith u. J. Mackenzie (Recent researches on the anatomy ot rb-
heart. The Lancet 1910, Jau.) fanden regelmäßig ein schmales Band von Mn*kei:
und Nerven, welches die Endigung der oberen Hohlvene mit dem rechten Herz
ohr verbindet, „sino-auricular norte“.
2) Vorläufige Mitteil, über eine besondere Muskelverbindung zwischen «irr
€ava sup. u. a. His'sehen Bündel. Münch, med. Wochenschr. 1909 Nr. 42.
3) Erst in jüngster Zeit wurden von Thor Jäger (Eber die Bedeut*!!!’
•des Keith- Fla<*k ’sehen Knotens für den Herzrhythmits. Deutsches Arvh. f.
klin. Med. 1(K). Bd.) aus der med. Klinik zu Tübingen Versuche veröffentlicht,
welche die motorische Funktion des Sinusknotens in Frage stellen. Jäger ha:
diesen Knoten versehorft und darnach keinerlei Rhythmusstörungen beobachte:
können. Ob sein Schluß: „demnach ist der Knoten für den Herarhythmus i*-
langlos u auch für die Ganglienzellen zutrifft, möchte ich bezweifeln, da er dura
die Kauterisation sicher nicht alle Ganglienzellen des Cavatrichters zerstör*!
konnte. Im Gegensatz zu dieser Beobachtung sah Hering bei Einschnitt i:
die Gegend des Sinuskuotens Stillstand des Vorhofs. Auch Lan gen dorff n.
Lehmann konstatierten Vorhofstillstand nach Abtragung des oberen Cav*-
trichters fit. nach A sc hoff. Med. Klinik 1909 Nr. 8).
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagns etc. 469
Herzens einwirkt oder ob zwischen diesem Nerven
und der Muskulatur noch Ganglienzellen einge¬
schaltet sind. Krehl und ßomberg (1. c.) sprechen sich
dahin aus, daß „die Hemmungswirkung des Vagus eine Funktion
ist, deren Abhängigkeit von den Herzganglien durch sichere Be¬
weise nicht gestützt ist, auch anatomisch ist der Zusammen¬
hang von Vagusfasern mit Ganglien nach unseren heutigen An¬
schauungen nicht erwiesen.“ Im Gegensätze dazu schreiben
J. Dogiel und K. Archangelsky 1 2 ): „Die hemmende Wirkung
des Vagus auf das Herz besteht eher in einer Beeinflussung der
Ganglienzellen durch diesen Nerven als in einer direkten Wirkung
auf die Herzmuskeln.“ Aus der Beobachtung, daß am überlebenden
Herzen die Acceleranswirkung die Vaguswirkung lange überdauert,
schloß H. E. Hering,*) daß zum Unterschied vom Vagus „für
den Accelerans die intrakardiale nervöse Übertragung nicht durch
Ganglienzellen vermittelt wird.“ Auch die Tatsache, „daß wir
unter den vielen bekannten Giften kein einziges kennen, welches
die Acceleranswirkung in exklusiver Weise aufhebt, während die
Vagns Wirkung durch viele Gifte paralysiert wird“ (H. E. Hering),
scheint Für die Zwischenlagerung von Ganglienzellen zwischen dem
Nervus vagus und der Herzmuskulatnr zu sprechen.
Unsere anatomischen Untersuchungen deuten auch entschieden
darauf hin, daß die Vagusfasern im Herzen erst durch die Ver¬
mittlung von Ganglienzellen auf die Muskulatur einwirken: Gerade
dort, wo die zarten Vagusbündelchen von hinten her in die Über¬
gangsstelle der oberen Hohlvene zum rechten Vorhof einmünden,
fand ich besonders viele und besonders große Gruppen von Gan¬
glienzellen. Am Sinusknoten und in der Vorhofscheidewand sind
jedesmal sehr zahlreiche kleine Nervenbündel festzustellen, deren
Gehalt an Markscheiden ganz dem der Rami cardiaci des Vagus
entspricht, und schließlich glaubte ich nachweisen zu können, daß
sich von den feinen Nervenfasern des Cavatrichters und des Septum
atriorum Bündel abzweigen, welche die zarten Netzwerke um die
1) Der bewegungshemmende und der motor. Nervenapparat des Herzens.
Pflügers Archiv für die gesamte Physiol. 113. Bd. 1906.
2) „Sind zwischen dem extrakardialen Teile der zentrifugalen Herznerven
und der Herzmuskulatur Ganglienzellen eingeschaltet ? u und „Über die Wirk¬
samkeit der Nerven auf das durch Ringer’scbe Lüsung sofort oder mehrere
»Stunden nach dem Tode wiederbelebte Säuge tierherz“. Pfliiger's Archiv 99. Bd.
1903.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 31
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intrakardialen Ganglienzellen bilden. 1 ) Beim Studium solch um¬
sponnener Zellen konnte ich mich des Vergleiches mit der Um¬
wicklung eines Magnetes und dessen Beeinflussung durch den
elektrischen Strom nicht erwehren. Wirkt doch der Vagus auch
nicht auslösend, sondern nur hemmend auf die Tätigkeit der Gan¬
glienzellen ein.
Die Nerven und die Ganglienzellengruppen, welche im S u 1 c u >
transversarius und im Sulcus longitudinalis anterior
und posterior liegen und den Coronargefäßen folgen, dienen
vermutlich vasomotorischen Funktionen. Die Empfindungen
des „zusammenschnürenden“ Gefühls am Herzen bei der Angst und
die Empfindung der Wärme und der Völle bei der Freude (vgl. die Rede¬
wendungen „aus warmem Herzen“, „das Herz ist voll“) mögen wohl
durch Veränderungen der Weite der Coronargefäße bedingt sein
Welchen Funktionen die Zellen des Ganglion Wrisbergii
entsprechen, darüber lassen sich z. Z. noch kaum Vermutungen
aufstellen. Von verschiedenen Seiten, so von Hering (1. c.'. wird
die Annahme vertreten, daß die sympathischen Bahnen, d. h. dir
Fasern des Accelerans im Herzen ohne weitere Zwischenlagerung
von Ganglienzellen direkt in der Muskulatur des Herzens endigen.
Auch Aschoff*) vermutet, daß die Acceleransfasern nicht
mit dem Reizleitungssystem im Herzen in Beziehung treten, son¬
dern die Kammern direkt beeinflussen. Da die Zellen des Gan¬
glion Wrisbergii ganz denjenigen der Grenzstrangganglien ent¬
sprechen und da nach Langley nur zwei Neurone, ein prä- und
ein postganglionäres unterschieden werden können, so ist auch von
anatomisch-histologischer Seite aus die Möglichkeit zuzugeben, dab
diese sympathischen Bahnen im Herzen nicht nochmal durch Gan¬
glienzellen unterbrochen werden.
Schließlich wäre noch die Frage zu erörtern, ob die Ganglien¬
zellen des Herzens nicht vielleicht sensiblen Funktionen dienen:
wurden doch, wie oben schon erwähnt, von Krehl und Roinberg
im Jahre 1892 auf Grund „der negativen Resultate ihrer Versuche
hinsichtlich der motorischen Natur der Herzganglien“ diese als
li Ähnliche Beobachtungen scheint S. Michailow (Zur Frage über den
fein. Bau des intrakardial. Nervensystems der Säugetiere. Int. Monatsschrift fnr
Anat. Bd. 25. 1908) gemacht zu haben. Er schreibt: „Nachdem die markhaltigen
Nervenfasern ihre Markscheide verloren haben, schlängeln sie sich um die eine
oder andere Gauglienzelle, sich auf der Peripherie ihrer Kapsel lagernd ;peri-
kapsuläres Endnetz). u
2) l’ber die neueren anatom. Befunde ira Herzen und ihre Beziehungen zur
Herzpathologie. Med. Klinik 1909 Nr. 8.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 471
sensible Organe angesprochen. Zweifellos werden vom Herzen
unter krankhaften Verhältnissen unangenehme Empfindungen aus¬
gelöst, ob aber diese Empfindungen durch die Erregung der intra¬
oderextrakardial gelegenen Ganglienzellen Zustandekommen,erscheint
mir doch sehr zweifelhaft, ich möchte mich vielmehr der Anschau¬
ung Langley’s anschließen, der in allen sympathischen Ganglien¬
zellen nur visceromotorische Elemente sieht.
Hagenvagus.
Schon früher wurde dargelegt, daß der Vagus nach dem Ab¬
gang des Plexus pulmonalis nur mehr ganz vereinzelte dicke
Markscheiden enthält; der zum Magen ziehende Strang des Vagus
setzt sich also aus dünnen Markröhrchen und vorzüglich aus mark¬
losen Fasern zusammen (vgl. Abbild. 7 im Texte). Am unteren Teil
des Ösophagus zerteilt sich der Nerv meist wieder zu einem Geflecht.
An der Cardia tritt der linke Vagus an die Vorderfläche, der
rechte an die dorsale Seite des Magens über. Sobald die Vagusäste
unter die Serosa gelangen, sind sie durch die makroskopische
Präparation nicht mehr weiter zu verfolgen. Wohl aber trifft man
auf Flachschnitten durch die Magenwände unterhalb der Cardia
mikroskopisch noch auf feine Nervenbündelchen. Hier sind auch
stets Gruppen von Ganglienzellen eingelagert. Auf Abbild. 18 der
Tafel XIII ist eine solche Gruppe von 10 Ganglienzellen genau nach
dem mikroskopischen Präparat gezeichnet. Die Zellen liegen un¬
mittelbar unter der Serosa in lockerem Bindegewebe. Kapseln um
die Zellen und ihre Kerne sind kaum ausgebildet. Die Ganglien¬
zellen selbst sind auffällig groß und geben nach allen Seiten Den¬
driten ab. Diese verlaufen, obgleich sie vielfach sich abbiegen,
weithin, sie sind alle ziemlich gleich dünn und verästeln sich nicht
oder nur sehr wenig. An manchen Zellen (siehe Zeichnung rechts
unten) erscheinen die Dendriten bald abgebrochen. Ni rgends im
übrigen autonomen Nervensystem konnte ich Zellen
solcher Art feststellen, wie sie sich jedesmal am
Magen unterhalb der Cardia vorfinden. Auch von den
bronchialen und von den extra- und intrakardialen Ganglienzellen
unterscheiden sich die Zellen des Magens ganz wesentlich. Auf
dem Mikrophotogramm 19 der Tafel XIV ist die Zelle, welche in
der Figur 18 links oben wiedergegeben ist, gut getroffen. 16 Den¬
driten gehen allein in dieser Ebene von dem Protoplasmakörper
ab! Ihr Verlauf ist vielfach bogenförmig. Von einer umgebenden
Zellkapsel ist nichts zu sehen. Wohl aber liegt die Zelle in einem
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freien Lymphraum. Auf anderen Präparaten aus der Cardiagegeti
des Magens sind ganz blasse Zellkerne zwischen der UrsprunR-
stelle der Dendriten zu erkennen. Das Wirrwar der gewundenes
Fortsätze ist bisweilen dem Schlangenhaar des Medusenhauptes zu
vergleichen. Deutlich als Achsenzylinder anzusprechende Fortsätz?
konnte ich nicht feststellen.
Auch in der Muscularis des Magens — und zwar nicht nur
des kardialen Teiles, sondern auch der kleinen Kurvatur und d?>
Fundus sind reichlich Ganglienzellen anzutreffen. In spaltförmigen
Lücken zwischen den Bündeln glatter Muskelfasern sind sie zn
Gruppen von 3—8 Zellen von zartem, ganz lockerem Bindegewebe
zusammengefaßt. In nächster Nähe solcher Ganglienzellenkonglo-
merate sind stets Gefäße und ganz dünne Nervenfasern anzutreffen
Die Zellen selbst weisen sehr viele zarte aber lange, manchmal
büschelartig ausstrahlende Dendriten auf, die ringsum am Zellkörper
entspringen und wenig Neigung zum Verzweigen haben. Einige
Male ließ sich ein deutlich pericelluläres Nervennetz darstellen.
In der Submucosa konnte ich in der Cardiagegend und im
Fundus des Magens trotz eifrigen Suchens keine Ganglienzellen
vorfinden.
Viel größere Schwierigkeiten als im übrigen Teile des Magens
machte die Darstellung der Ganglienzellen am Pylorus. Nicht als
ob sie dort weniger zahlreich wären, im Gegenteil, man findet am
Magenausgang mehr Ganglienzellen als in der übrigen Magenwand.
Auffälligerweise gelang es aber nur selten, die Ganglienzellen mi!
ihren Fortsätzen zur Anschauung zu bringen. Meist tarbte sich
nur der Zellkörper und selbst dessen Grenzen blieben verwaschen
und unscharf. Dagegen trat dann das Zellbläschen mit dem Kera-
körperchen besonders deutlich hervor. Von der Vermutung ans¬
gehend, daß die Ganglienzellen des Pylorus, obgleich die Stückchen
manchmal schon wenige Stunden nach dem Tode fixiert wurden,
durch die Selbstverdauung des Magens verändert sein könnten,
nahm ich bei der Katze unmittelbar nach dem Chloroformtod den
Magen zur Darstellung der Ganglienzellen sofort heraus, hatte aber
auch hier keine besseren Resultate. Auch bei der Katze färbten
sich die Kernbläschen mit dem Kernkörperchen viel deutlicher mit
Silber als dies sonst an den Präparaten des autonomen Systems
der Fall ist; die Grenzen der Ganglienzellen des Magens und die
Dendriten blieben unscharf und verwaschen.
Das spärliche Ergebnis meiner Untersuchungen über die Gan¬
glienzellen des Pylorus kann kurz dahin zusammengefaßt werden.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 473
<Jaß sich solche sowohl unter der Serosa als hauptsächlich in
Spalten zwischen der hier so reichlich entwickelten Muskulatur
linden. Auch am Pylorus sind sie zu kleinen Gruppen vereinigt,
zwischen den Muskelfasern liegen die Zellen meist zu Zeilen an-
einandergereiht in lockerem Gewebe. Nur selten waren mit der
Ganglienzelle auch ihre Dendriten gefärbt. Neben großen Gan¬
glienzellen mit zahlreichen Fortsätzen, die ganz den eben beschrie¬
benen Zellen in der Subserosa des kardialen Magenabschnittes
gleichen, sind am Pylorus wesentlich kleinere Ganglienzellen' mit
spärlicheren Dendriten zu unterscheiden. Aber auch diese haben
keine pericelluläre Kapsel. Der Körper dieser kleineren Zelltypen
ist meist längsoval geformt oder sie ziehen sich bimförmig zu
einem langen Fortsatz aus, der weithin zu verfolgen ist, und da er
keine Verzweigungen abgibt, wohl als Achsenzylinder angesprochen
werden kann. Die Dendriten sind sehr zart, entspringen rings an
der Peripherie und verästeln sich nur wenig. Diese Zellen bieten
viele Ähnlichkeit mit den Gangliengebilden, welche A. Dogiel in
den Darmwandungen nachgewiesen und abgebildet bat. *)
Über die Funktion der geschilderten Ganglienzellen
des Magens lassen sich zurzeit bestimmte Angaben noch nicht
machen. Da sie der Muskulatur anliegen oder ihr eingelagert sind,
so liegt es nahe, ihnen m o t o r i s c h e Eigenschaften zuzuschreiben.
Ob sie freilich vom Vagus in ihrer Tätigkeit beeinflußt werden
oder ob sie unter der Einwirkung von sympathischen Fasern stehen,
kann auch noch nicht entschieden werden. Erwiesenermaßen tritt
aber der Vagus gerade an der Cardia und am Pylorus in die
Magenwände ein und da er einen beschleunigenden Einfluß auf die
Tätigkeit der Magenmuskulatur hat, so ist der Schluß, daß der
Vagus mit den geschilderten Ganglienzellen des Magens in Be¬
ziehung tritt, wohl erlaubt. Daneben werden die motorischen
Ganglienzellen des Magens aber auch von der Magenschleimhaut
her zur Tätigkeit angeregt. Denn auch bei durchschnittenen Vagi
wird eingeführte Nahrung aus dem Magen wieder entfernt; ja
selbst der aus der Leibeshöhle herausgenommene Magen führt noch
peristaltische Bewegungen aus.
Über den Modus der Innervation der Magendrüsen durch
öen Vagus Erörterungen anzustellen, ist müßig, nachdem uns die
Darstellung der Ganglienzellen in der Submucosa nicht gelang.
Doch glaube ich zu der Annahme berechtigt zu sein, daß auch
1) „Zur Frage über die Ganglien der Darmgefledite bei den Säugetieren.“
Anatom. Anzeiger X. Bd. Nr. 16.
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474
L. R. Müller
hier der Vagus nur durch die Vermittlung von Ganglienzellen
seinen Einfluß auf die Tätigkeit der Drüsen ausübt. Sezerniem
doch die Magendrüsen auch bei Ausschaltung des Vagus auf Reiz-
von der Magenschleimhaut in durchaus genügender Weise.
Cerebraler Verlauf der Vagusbahnen.
In den bisherigen Abschnitten wurde der Verlauf des Nem-
vagus von seinen Ursprungskernen im verlängerten Mark bis zt
seinen Endigungen in den verschiedenen Organen erörtert. NieL:
besprochen wurde noch der intracerebrale Verlauf der Vagusbahntn
Soweit die Innervation von quergestreiften, der Willkür unter
stehenden Muskeln und die Leitung von sensiblen Eindrücken tu.
der Luftröhre, dem Kehlkopf und dem Schlundkopf und von d*-
hinteren Partien des äußeren Ohres in Betracht kommt, sind dir
Wege im Gehirn wohl bekannt. Die sensiblen Bahnen d-
Vagus verlaufen aus dem Nucleus solitarius gemeinsam mit den-:
des anliegenden Trigeminuskernes. Sie kreuzen in Bogenfasern dir
Mittellinie, liegen anfänglich lateral und ventral vom Fascicoh'
longitudinalis posterior und gelangen schließlich mit den übrige.
Fasern der Schleife zum ventralen Thalamuskern (Tractus bnl'r- -
thalamicus Wallenbergs), um von hier nach der Hirnrinde zu au.-
zustrahlen und dort Felder einzunehmen, die den Empfindungen tur
Mundschleimhaut benachbart sind.
Die motorischen Rindenzentren für die Muskulatur des Keh
kopfes liegen in oder nahe der Broca’schen Windung am Fuße drr
III. Stirnwindung und auch das Innervationsgebiet für die G-l-
strictores pharyngi muß mit der Rindenpartie für die Zungen- ug:
Gaumenmuskulatur im untersten Teil der vorderen Zentral windcnz
verbunden sein.
Über den cerebralen Verlauf der visceralen Faser
des Vagus weiß man zurzeit noch gar nichts Bestimmtes. Di-
Frage, ob die zum Herzen, zu den Bronchialmuskeln und zum Magr;
ziehenden Fasern des Vagus auch ein Zentrum in der Hirnrind-
oder in dem subkortikalen Grau der Hemisphären haben, wird merk¬
würdigerweise nur wenig erörtert. Wie weiter unten noch au>-
führlich dargelegt werden soll, wird die Tätigkeit der genannten
Organe von psychischen Vorgängen, wie von Stimmungen und wn
der Empfindung körperlichen Schmerzes beeinflußt und dies schein*
ja für eine Abhängigkeit von der Hirnrinde zu sprechen. Darac'
ist aber noch nicht der zwangsmäßige Schluß zu ziehen, daß di
Zentren für die visceralen Funktionen auch in die Hirnrinde zr.
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 475
lokalisieren sind. Die Stimmungen und der körperliche Schmerz
haben ja auch auf andere Organe wie auf den Darm, die Gebär¬
mutter usw. einen Einfluß, die sicher keine Vertretung im grauen
Mantel des Gehirnes besitzen*) und so glaube ich die Auffassung
vertreten zu können, daß die Fasern von der Bronchial-
rauskulatur, vom Herzen und vom Magen nicht weiter
frontalwärts reichen als bis zum Nucleus dorsalisseu
visceralis vagi in der Medulla oblongata und daß die
Stimmungen und die Empfindung des körperlichen
Schmerzes eben ihren Einfluß auf dieses Zentrum im
verlängerten Marke ausüben. Zurzeit sind jedenfalls
noch keine sicheren Anhaltspunkte dafür beizu¬
bringen, daß irgendwo in der Hirnrinde ein Zentrum
für das Herz oder den Magen oder die Bronchialmus¬
kulatur bestehtund daß von dort Bahnen zum dorsalen
Vaguskern am Boden des vierten Ventrikels ziehen.
Bei manchen Tieren, deren Gehirn noch keinen Rindenmantel auf¬
weist, der unseren Großhirnhemisphären entsprechen würde, so z. B.
bei den Knochenfischen, sind, wieEdinger nachgewiesen hat, die
Vaguskerne in der Medulla oblongata ganz besonders stark ent¬
wickelt, ein Beweis dafür, daß sie keiner direkten Innervation von
der Rinde bedürfen. Während die von Hypoglossus versorgten
Muskeln wie alle Körpermuskeln Derivate der Urwirbel sind, gehen
die vom Vagus innervierten Muskeln am Hals aus den in den Kiemen¬
bogen eingeschlossenen Streifen der Seitenplatte hervor (Edinger).
Also auch die Kehlkopfmuskeln entstehen aus einem System,
welches bei den Fischen nur visceralen Funktionen (Schluckreflex)
dient. Erst mit der höheren Entwicklung der Tiere wird aus der
glatten, nur Reflexen zugänglichen Muskulatur eine quergestreifte
und mit der Ausbildung einer Stimme oder gar der Sprache stellt
sich eine Verbindung zwischen den Nervenzentren dieser Mus¬
kulatur im verlängerten Mark und dem Großhirn her. Die Bei¬
lagerung von sensiblen Fasern aus der Gegend des äußeren Ohres,
des Ramus auricularis an den Stamm des Vagus ist ein rein zu¬
fälliges Spiel der Phylogenie, variiert doch die' Anlage der Hirn-
1) In einer kürzlich erst veröffentlichten Arbeit (Gehirn und Sympathien»,
Arch. f. d. ges. Physiol. Bd. 135, 1910) wiesen Karplus n. Kreidl nach, daß
„im Zwischenhirn ein von der Rinde unabhängiger zentraler Mechanis¬
mus für den Halssympathicus gelegen ist“. Das Zentrum für die Innervation der
Pupillenerweiterung und für das Aufreißen der Lidspalte behält nach den Unter¬
suchungen dieser Autoren seine Erregbarkeit auch nach Entfernung der Hirnrinde.
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476
L. R. Müller
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nerven bei den Tieren unserer Staramesreihe und verfallen doch
manche Systeme, wie die Nerven für die Lateralorgane der Fische
dem Schwunde.O
Nach den bisherigen Darlegungen könnte man wohl vermuten,
daß dem Nervus vagus eine ganz außergewöhnliche Stellung im
cerebrospinalen System zukomme, d. h. daß er sich prinzipiell von
allen übrigen peripherischen Nerven unterscheide. Dem ist aber
nicht so. Wie schon eingangs erwähnt, enthält die Mehrzahl der
übrigen Nerven des Kopfes und des Rumpfes neben somatisch
motorischen und sensiblen Bahnen auch solche visceraler Natur.
Pie Fasern für die Gefäßmuskulatur, für die Schweißdrüsen und für
die Haarbalgmuskeln verlaufen alle in den peripherischen Nerven,
und auch die Gehirnnerven beherbergen Leitungsbahnen für die glatte
Muskulatur im Auge, für die Drüsen im Nasenrachenraum und für
die Tränen- und Speicheldrüsen. Zwischen dem Ursprung dieser
visceralen Nerven im Rückenmark oder in dem verlängerten Marke
und ihrer Endigung in den betreffenden Organen sind jedesmal
multipolare, sympathische Ganglienzellen eingeschaltet, die meistens
zu makroskopisch erkennbaren Knötchen, den Ganglien des Grenz-
stranges, dem Ganglion ciliare, sphenopalatinum, oticum und sub-
maxillare, zusammengehäuft sind. Manchmal freilich ist ein eigent¬
liches Knötchen nicht zu finden, die Ganglienzellen sind dann in
doii sich plexusartig aufteilenden Nervenfasern zerstreut. Nicht
selten, wie z. B. bei den Nerven, welche aus der Chorda tympani
zur Glandula submaxillaris ziehen, sind die Ganglienzellen erst an
den intraglandulären Verzweigungen der Nerven eingelagert. Auf
Abbild. 8 habe ich den Verlauf der visceralen Fasern der peri¬
pherischen Nerven schematisch dargestellt. Von ihrem Ursprung
in den mittleren Partien der grauen H-Figur gelangen sie durch
die vorderen Wurzeln und die Rami conmumicantes albi zum nahe-
gelegenen Ganglion des Grenzstranges und endigen dort an uuilti-
polaren Ganglienzellen. Von liier ziehen dann die post-cellularen,
anfänglich marklosen visceralen Bahnen wieder zurück zum peri-
]i lidin gor | Vorlesungen über den Ban der nervösen Zentralorgane dis
Menschen und der Tiere I I. Bd. Leipzig, F. ( '. W. Vogel) hält es fiir wahrselieiu-
lieb, dali die unirewöhnlich .starke Entwicklung des dorsalen Vaguskernes bei
l’etrom.vzon mit der Bildung eines elektrischen Nerven und eines elektrischen
Organes, das sieb aus tungewandelter Muskulatur entwickelt hat, in Zusammen¬
hang zu bringen ist. liie aus dem Lohns eleetricus entspringenden Nerven
,-i‘llen sich dem Vagus bei.
Artist
dkl:
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 477
pherischen Nerven, um mit diesem zu den Gefäßen, zu den Schwei߬
drüsen und zu den Haarbalgmuskeln der Haut zu verlaufen. Für die
visceralen Fasern des Vagus ist nun ein eigenes, abseits des Nerven-
verlaufes gelegenes sympathisches Ganglion nicht nachzuweisen,
wohl aber sind im Ganglion jugulare jedesmal multipolare Ganglien¬
zellen aufzufinden (vgl. Abbild. 4,6 u. 7 auf den Tafeln VI, VII und VIII).
Ich war früher geneigt, in diesen Zellen die Ursprungsstelle für die
postganglionären Fasern der Bronchien, des Herzens und des Magens
zu sehen und habe dieser meiner Vermutung auch in einem Vor¬
trag ,.über das Vagusproblem“ auf dem Kongresse für innere Medizin,
Wiesbaden 1910, Ausdruck gegeben. Die verhältnismäßig geringe
Zahl der multipolaren Zellen im Ganglion jugulare, hauptsächlich
aber der Umstand, daß sich dort, wo sich die Vagusfasern in die
Organe einsenken, jedesmal multipolare Ganglienzellen nachweisen
ließen, scheint mir aber jetzt gegen diese Annahme zu sprechen.
Abbild. 8. Schematische Darstellung des Verlaufes der visceralen Fasern des
peripherischen Nerven.
•Jedenfalls werden alle Bahnen, weiche von dein
Nucleus visceralis vagi am Boden des 4. Ventrikels
zur Lunge, zum Herzen oder zum Magen ziehen,
jedesmal von multipolaren Ganglienzellen unter¬
brochen und das stempelt sie zu Fasern des auto¬
nomen Systems. Liegen doch bei den übrigen Gehirnnerven
die Verhältnisse ganz ähnlich. Auch das Ganglion ciliare, das
Ganglion sphenopalatinum und insbesondere das Ganglion sub-
maxillare sind nahe den von ihnen innervierten Organen gelagert
und ihre Ganglienzellen, namentlich die des Submaxillare er-
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L. R. Müller
strecken sich, wie oben schon erwähnt, nicht selten bis in i»
Drüsen selbst hinein.
Der lange Verlauf des Vagus ist damit zu erklären, daß &
Medulla oblongata bei den Tieren unserer Stammesreihe, inst-
besondere bei den Fischen weiter kaudalwärts reicht und dai ix
Herz, die Lungen und der Magen bei den Tieren, aus denen r:
uns entwickelt haben, näher dem Kopfe liegen. Nur so ist es a
verstehen, daß diese Organe von einem Gehirnnerven versorr
werden.
Abbild. 9. Schematische Darstellung des Verlaufes der motorischen, senkte
und visceralen Fasern des Vagus.
Ein Vergleich der Abbild. 9 mit der Abbild. 8 im Texte «ft
daß die Anlage der drei verschiedenen Kerngroppf 1
des Vagus im verlängerten Marke durchaus der La?*’
rung der entsprechenden Zentren im Rückenmark?
analog ist; dies wird dann überzeugend klar, wenn man in ft-
tracht zieht, daß sich der Zentralkanal zum vierten Ventrikel
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 479
öffnet hat und daß die Hinterstränge und die Hinterhörner dadurch
seitlich verdrängt wurden. Den motorischen Zellen der Vorder-
säulen sind die großen multipolaren Ganglienzellen des Xucleus
ambiguus gleichzusetzen, welche die quergestreifte Muskulatur
des Kehlkopfes innervieren. Der sensible Vaguskern, der
Xucleus solitarius mit der ihm anhaftenden Substantia gelatinosa
ist als Kest des Hinterhornes anzusprechen, und der große
dorsale Vaguskern am Boden des vierten Ventrikels entspricht
ganz zweifellos dem Nucleus paracentralis des Rticken-
markes, 1 ) Gehen von dem letzteren die Bahnen für den
Splanchnicus und für die Organe der Haut aus, so entspringen
vom Nucleus visceralis vagi die Fasern für die Bronchien, für das
Herz und den Magen.
Auch in physiologischer Hinsicht entsprechen die
visceralen Fasern des Vagus durchaus den Innervationsbedingungen,
welche für das übrige autonome Nervensystem gelten. Ebenso¬
wenig wie dieses sind sie Willensimpulsen zugänglich. Wohl aber
werden sie durch die Empfindung lebhaften Schmerzes und
durch Stimmungen beeinflußt. Beim körperlichen Schmerz
kann es nicht nur zur Kontraktion der Bronchialmuskeln kommen,
so daß die Atmung erschwert und beschleunigt wird, auch das
Herz schlägt rascher und schließlich werden auch die Magen¬
bewegung und die Sekretion des Magensaftes durch den Schmerz
gehemmt.
Daß die Tätigkeit der Bronchialmuskeln, des Herzens und des
Magens gerade so wie die Gefäße des Gesichts, die Tränendrüsen
und die Schweißdrüsen von den verschiedenen Stimmungen beein-
1) Diese Auffassung wird auch von Edinger (1. c.) vertreten, wenn er
schreibt „der visceral-motorische Hirnnervenanteil hat seinen Ursprung in der
eerebralwärts mächtig anschwellenden Fortsetzung der Kerngruppe des Xucleus
paracentralis in der lateralen Wand des spinalen Zentralkanales“. Von A. Bruce
(Distribution of the Cells in the intermedio- lateral Tract of the spinal Cord,
Transactions of the royal society of Edinburgh Vol. XLV Part 1, 1906) wird
allerdings angenommen, daß die Ganglienzellen für die visceralen Fasern des
Rückenmarkes nicht so nahe am Zentralkanal sondern an der Peripherie des
Mittelhornes gelegen sind. Diese letztere Auffassung vertritt auch L. Jakob-
sohn in seiner vorzüglichen Arbeit „Über die Kerne des Rückenmarkes“ (Ab¬
handlungen der kgl. preußischen Akademie der Wissenschaften 1908. Physi¬
kalisch mathematische Klasse). Wie schon weiter oben dargelegt, entspricht die
Form der von Jacobsohn als sympathische Elemente beschriebenen Ganglien¬
zellen im Seitenhorne des Rückenmarkes durchaus der Gestaltung der Ganglien¬
zellen des visceralen Vaguskernes in der Mednlla oblougata.
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L. R. Müller
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flußt werden, das braucht nicht durch Versuche und ärztliche Be¬
obachtungen erhärtet werden, darauf weisen viele Redewendung:
der Völker zu allen Zeiten und in allen Sprachen hin. Beim Zorc-
wird die Atmung keuchend, die Freude macht die Brust frei
Seelische Erregungen sistieren nicht nur die normale Magea-
bewegung, sie können sogar zur Antiperistaltik, zum Erbrecht
führen. Die lebhafte Beeinflussung des Herzens durch den Vagr-
ist die Ursache dafür, daß der Dichtermund und Laienkreise nid
das Gehirn, sondern das Herz als den Sitz der Seele und der Stin -
raungen angesprochen haben.
Aber auch psychische Vorgänge, welche nicht den Stimmung:
zuzurechnen sind, können eine Einwirkung auf die vom Vag*
innervierten Organe haben, so hat Pawlow nachgewiesen. d&,
schon bei Ansichtigwerden des Fleisches oder beim Geruch ein-
Speise die Magendrüsen in Tätigkeit geraten und daß dies nacl
Durchschneidung der Vagi nicht der Fall ist.
Geradeso wie die Vasomotoren und die Schweißdrüsen duni.
einen lokalen Reiz, wie z. B. umschriebene Wärmeapplikation, h
Funktion treten und wie die Tränendrüsen auf Reizung der Km-
junktiva und die Speicheldrüsen auf Reizung der Mundschleimhaut
sezernieren, so reagieren auch die vom Vagus innervierten Orga:;-
auf örtliche Reize: Bei Einatmung scharfer oder giftiger Dämpf-
kontrahieren sich die Bronchialmuskeln; die Erhöhung des Blut¬
druckes in der Aorta führt über den Nervus depressor zur Ver¬
langsamung der Herztätigkeit, und Reizung der Magenschleimhaut
löst Sekretion der Magendrüsen aus. Ob bei diesen Innervationen
der Reflexbogen immer über die Medulla oblongata geht, läßt >i<i
zurzeit freilich noch nicht sicher entscheiden, die Magendrüsen
jedenfalls reagieren auf örtliche Reize auch bei Ausschaltung de>
Vagus.
Bekanntlich werden*die Pupillen, die Tränendrüsen und die
Speicheldrüsen nicht nur vom kranialen autonomen S) T stem. sondern
auch vom Grenzstrang des Sympathicus aus innerviert und zwar
ist diese Innervation eine antagonistische. Auch die vom VagU'
versorgten inneren Organe stehen außerdem alle nodi
durch Nervenfäden mit dem Grenzstrange des Sym-
pathicus in Beziehung und auch hier ist die Ein¬
wirkung der beiden verschiedenen Systeme ein- 1
gegensätzliche. Bedingt die Reizung des Vagus Kontraktil
der Broncliialnuiskeln, so führt diejenige des Sympathicus zur Er¬
weiterung der Bronchiallumina, verursacht der Vagus Verlang-
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2. Mikropliotogramin des Nucleus dorsalis seu visceralis va
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Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd.
Fig. 5. Mikrophotogramm einer Spinalganglienzelle aus dem Ganglion jugulare
mit schlingenartig gewundenem Achsenzylinder.
Tafel VII, VIII.
Mg. 7. Mikrophotogramrn einer multipolaren Zelle aus dem Ganglion jugulare.
Fig. 8. Ganglienzellen aus den Bronchien, bei starker Vergrösserung gezeichnet.
Diuck von Richard Hahn (H. '?if 1 Ilfelfizi«.
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rval from vertijC'-'
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Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd.
Fig. 13. Mikrophotogramm einer Ganglienzellengruppe des Cavatrichters
, mit ausstrahlenden Nerven (schwache Vergrösserung).
Fig. 14. Mikrophologramm einer Ganglienzelle aus dem Cavatrichter
(starke Vergrösserung).
L. R. Müll
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Tafel XI, XII.
Fig. 16. Ganglienzelle aus der Vorhofscheidewand mit perizellulären, korbartig
angeordneten Nervenfasern. Mikrophotogramm.
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Druck von Richard Hahn (M.
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Talei XIII, XIV.
Fig. 19. Mikrophotogramm einer Ganglienzelle aus dem der Cardia an-
grenzenden Teile des Magens (starke Vergrösserung).
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Original fram
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Beiträge zur Anatomie, Histologie und Physiologie des Nervus vagus etc. 481
samung der Herztätigkeit, so haben die vom Grenzstrang ent¬
springenden Nervi accelerantes, wie ihr Name sagt, Beschleunigung
zur Folge. Hemmt der sympathische Splanchnieus die oberen Ab¬
schnitte des Magendarmkanales, so regt der Vagus diese zur Be¬
wegung an. Der Antagonismus zwischen den aus dem verlängerten
Marke hervorgehenden autonomen Vagusfasern und den aus dem
Rückenmark entspringenden und über die Ganglien des Grenz¬
stranges ziehenden sympathischen Bahnen äußert sich auch in
pharmakologischer Beziehung, so wirkt z. B. Atropin nur auf
die Endapparate der kranialen autonomen Fasern lähmend, während
das Adrenalin nur auf die sympathischen Fasern einen er¬
regenden Einfluß ausübt. Bedingt das Alcaloid der Tollkirsche
durch Paralyse des Vagus Herzbeschleunigung, so verursacht der
Extrakt aus den Nebennieren durch Reizung des Nervus accelerans
Verstärkung und Beschleunigung des Herzschlages.
Die monographische Bearbeitung des X. Gehirnnerven darf ich
mit dem Hinweis schließen, daß sowohl die Histologie als die
Physiologie der im Vagus verlaufenden visceralen Fasern sich
durchaus den Gesetzen anschließen, welche für die Bahnen des
vegetativen Nervensystems gelten. Es besteht also kein Grund,
dem Vagus eine Sonderstellung vor den übrigen Gehirn - und
Rückenmarksnerven einzuräumen. Freilich so reichliche und so
wichtige viscerale Bahnen, wie sie sich im Vagus finden, sind
keinem anderen cerebrospinalen Nerven beigemengt.
Von der Überzeugung ausgehend, daß die Forschungen über
die visceralen Innervationen nicht einer, sich als Spezialität ab¬
sondernden Neurologie zuzurechnen sind, sondern dem eigensten
Gebiet der inneren Medizin angehören, habe ich die Redaktion des
Archivs für innere Medizin gebeten, den vorliegenden Erörterungen
in dieser Zeitschrift Platz zu gewähren.
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Aus der I. medizin. Abteilung des allgemeinen Krankenhauses
Nürnberg (Direktor: Prof. Dr. Joh. Müller).
Erfahrungen Uber die Spezifität der Wassermann’scben
Reaktion, die Bewertung und Entstehung inkompletter
Hemmungen.
Von
Dr. E. Scheidemandel,
Sekundärarzt.
Die hervorragende diagnostische Bedeutung der Wassermann-
schen Reaktion ist durch unzählige Arbeiten aus den verschieden¬
sten Gebieten der gesamten Medizin anerkannt. Die Serodia¬
gnostik der Syphilis ist in der relativ kurzen Zeit ihres Bestehens
ein unentbehrliches Hilfsmittel unserer klinischen Untersuchungs¬
methoden geworden, trotzdem wir über das Wesen der Reaktion
selbst noch völlig im unklaren sind. Nachdem erwiesen war. daß
die Komplementfixation nicht nur beim Zusammentreffen des supa¬
nierten Antigens in syphilitischen Leberextrakt, sondern in gleicher
Weise mit normalem Organextrakt und Luesserum erfolgt, mußte
die Annahme von einer spezifischen Reaktion im Sinne der Im¬
munitätslehre fallen. Zu gleicher Zeit tauchten naturgemäß für
jeden kritisch Denkenden Zweifel auf, ob die Methode nach der
Erschütterung ihrer theoretischen Grundlagen nicht an praktischem
Werte eingebüßt habe. Die Mehrzahl der Untersucher konnte auf
Grund ausgedehnter Erfahrungen erfreulicherweise diese Befürch¬
tungen zerstreuen. dagegen berichten Elias, Neubauer, Porges.
Salomo n aus der von Noorden’schen Klinik, ferner Weil und
Braun über positive Reaktionen bei nicht-luetischen Erkrankungen
wie Pneumonie, Tuberkulose, Tumoren und Diabetes, Much und
Eichelberg bei zahlreichen Scharlachfallen. Ebenso war bereits
vorher bekannt ein positiver Ausfall der Reaktion bei experimen¬
teller Dourine, Frambüsie und besonders bei Lepra. Bei der Mehr-
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Original frorn
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Erfahrungen Uber die Spezifität der Wassermann’schen Reaktion etc. 483
zahl dieser angeblich nicht spezifischen positiven Reaktionen handelt
es sich um akut fieberhafte oder schwere Konsumptionskrankheiten,
wie sie in erster Linie dem internen Kliniker unterlaufen. Nun
läßt es sich in der Regel ja wohl vermeiden eine Serumuntersuchung
auf Lucs während einer fieberhaften Erkrankung wie Scharlach,
Pneumonie anzustellen; dagegen ist für die Diagnose der häufig
fieberhaft verlaufenden visceralen Lues (speziell der Leber), ferner
für die Differenzierung von Lues gegenüber Tumor und Tuberkulose
die Entscheidung der Frage, ob wir in diesen Fällen eine positive
Reaktion unbedingt als spezifisch ansehen dürfen, von einschnei¬
dender Bedeutung. Ich habe daher seit ich mich mit der Wasser-
mann’schen Methode beschäftige von dem Gesichtspunkte der Spe¬
zifitätsfrage ausgehend neben nahezu sämtlichen vorkommenden
Krankheitsformen nicht luetischer Natur auch die oben erwähnten
Krankheitsgruppen in den Kreis meiner Untersuchungen gezogen.
Im Laufe von 2 1 j i Jahren habe ich 1212 Fälle untersucht, von
denen mehr als */$ klinisch und annamnestisch frei von Lues
waren. Auf die einzelnen Krankheiten verteilen sich dieselben
folgendermaßen:
Gesamtzahl
Positiv
! Zweifelhaft
Lues florid I—III
152
135
3
Lues latent
21
10
5
(bei verschiedenen Krankheiten)
Nervenkrankheiten:
Paralvse
80
76
2
Tabes
47
18
14
Lues cerebri
14
9
3
Tumor cerebri
11
1 (Lues?)
3
3
Meningitis luetica
3
—
Encephalitis luetica
2
2
—
Multiple Sklerose
13
1 (Lues)
—
Epilepsie
23
—
i
Neurasthenie
21
1 (Lues)
i
Verschiedenes
63
2 (Lues)
3
(Neuralgie, Cephalaea, Mye¬
litis usw.)
Herz, Gefäße. Nieren:
Aorteniusufficienz und Aneurysma
Sonstige und kongenitale Herzer¬
58
30
12
krankungen
30
1
2
Arteriosklerose
8
—
1
Nephritis (Urämie)
22
2 (Lues)!
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SCH KI DK MANDEL
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4K4
| Summe
Komplette
Hemmungen
Inkomplette
Hemmungen
Die
»i
Leber:
Icterus bei Cirrhose
4
3
i
Wi
V.
trm
„ „ akuter Atrophie
Phosphor Vergiftung
2
1
2
_
Id'
Icterus catarrhalis
7
5
—
Wi
Hepar Io bat um
3
—
—
trfi]
31 ilz-Schwe Hunden
17
1 (Lues)
i
Abi
unbekannter Ursache)
Blut- und Stoffwechsel:
Anämie
22 !
1 (Lues)
2
in?
•ein
i'tf
Chlorose
41
—
h
Perniziöse Anämie
2
—
1
Leukämie
i
—
—
iflrl
Skorbut und hämorrhag. Diathese
10
1 (Lues)
1
Pseudoleukämie
a
2
Hämoglobinurie
2
2
Diabetes mellitus
17
3 (1 Lues)
—
•*4jC
(’oma diabeticum
2
—
—
“i:ij
Diabetes insipidus
3
—
o
•dt-:
Sai
-■h
Vergiftungen:
Kohlenoxyd
10
Verschiedene
14
—
—
T u m o r e n :
(’arcinom
35'
1 (Lues)
4
Sarkom
10
—
3
3Iyelom
1
—
—
Infektionskrankheiten:
Scharlach ,
70
6
TK|'
Masern
a
—
—
. fi r
Diphtherie
7
—
—
Meningitis (tub. u. cerebrospinal)
10 j
— !
1
l n
Polyarthritis
12
15 i
2 (Lues)
5
Ul
Sepsis
—
Pneumonie
Typbus
28
27
4 1 2 Lues)
di
Schwere Tuberkulose
65 ,
4 (3 Lues)
12
Miliartuberkulose
7
—
Gastroenteritis
8
—
•ic
Ui
Variola
1
1
Hochf ieberh af te Erkrank.
22
1 (Lues)
6
i Pyelitis. Peritonitis, usw.)
V e r schi <* d e nes:
Luj us erythematus
1
1
ii
Ervtlicina liodosuin
a
—
2
vi:
MiiihiUluiur»*!!
5
—
—
U
Gelenk. Muskel, Knochen
18
4 (Lues)
—
Normalsera ( Kekonvalexentcn von
leb liten Erkrankungen)
132
1 (Lues)
2
^ !
1
Gck >glf
Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Erfahrungen über die Spezifität der Wassermann’schen Reaktion etc. 485
Bezüglich der Untersuchungstechnik möchte ich folgende Bemerkungen
nicht unerwähnt lassen: Zur Reaktion wurde nur Blutserum und Lum-
balflüssigkeit von lebenden Individuen verwendet nach der klassischen
Wassermann’schen Methode, wie ich sie am Laboratorium von Geh.-Bat
v. Wassermann selbst kennen gelernt habe. Die Gesamtmenge be¬
trug 5 ccm im Röhrchen, davon 0,2 Serum oder 0,4 Lumbalflüssigkeit.
In ca. 300 Fällen benutzte ich nur die halbe Menge, also 2,5 ccm ins¬
gesamt, um Meerschweinchenkomplement zu sparen. Die Blutentnahme
erfolgte nur direkt aus der Vene in einer Menge von 10 ccm, meist am
Abend vor der Reaktion, die stets mit 25—30 Seris zu gleicher Zeit
angestellt wurde. Niemals wurde Blut, wie von einigen Seiteu vorge¬
schlagen wurde, aus der Nasenscheidewand oder dem menstruierenden
Uterus entnommen, ebensowenig aus — mit Zugpflastern artifiziell er¬
zeugten — Hautblasen oder kleinen Hautstichen, aus denen man mit
Mühe die nötigen Mengen herausquetschen mufl. Für absolut einwand¬
frei halte ich nur die direkte Entnahme aus der Vene; nur so lassen
sich Verunreinigungen durch die Sekrete der Haut und Schleimhaut oder
durch medikamentöse Verunreinigungen vermieden, die zu störenden
Änderungen der Alkalescenz des Blutes führen können. Die bei Chirurgen
nicht unbeliebte Blutentnahme während einer Narkose muß unterbleiben,
seitdem man positiven Ausfall der Wassermann’schen Reaktion am
Narkoseblut normaler Menschen gesehen hat (Reicher, Wolfs¬
sohn). Sehr störend für den Hämolysevorgang können chylöse Sera
sein, wie es der Fall ist bald nach der Mahlzeit und bei Leuten, die
viel Milch erhalten. So sah ich bei 2 Ösophaguscarcinomen durch das
fettreiche, milchig-trübe Serum regelmäßig langsame, inkomplette Lösungen.
Kalb-Hoehne haben kürzlich (Berl. klin. Wochenschr. Nr. 29) direkt
empfohlen, das zu untersuchende Blut nach dem Essen zu entnehmen,
weil man dann wegen des Fettgehalts des Serums mehr positive Reak¬
tionen erhalte. Dies mag für die Zwecke einer dermato¬
logischen Klinik ohne Nachteil sein, dem Internisten,
der an und für sich bei manchen Erkrankungen mit in¬
kompletten, nichtspezifischen Reaktionen rechnen muß,
kann von dieser Technik nur abgeraten werden.
Die Inaktivierung und Untersuchung der Sera erfolgte innerhalb
24 Stunden. Sera, die in aktivem Zustande mehrere Tage aufbewahrt
sind, geben nicht selten unspezifische Hemmungen.
Als Extrakte habe ich anfangs wässerigen, im letzten Jahr nur noch
luetischen Fötalextrakt gleichzeitig neben Meerschweinchenherzextrakt nach
Leas er benutzt. Verschiedene Auszüge aus luetischen Lebern erwiesen
sich mir unbrauchbar, während die Normalherzextrakte eigentlich nie ver¬
sagten.
Hamraelblut beziehe ich aus dem Schlachthof; es wird nie länger
als 24 8tunden aufgehoben. Komplement wird durch Carotisdurch-
schneidung gewöhnlich durch Schlag betäubter Tiere gewonnen. Ich
lasse es über Nacht im Zusammenhang mit dem Blutkuchen im Eis¬
schrank, da nach meiner Erfahrung auf diese Weise eine gewisse Stabilität
in den sonst innerhalb Stunden wechselnden Faktoren des Komplements
ein tritt.
Deutsches Archiv f klin. Medizin. 101. Bd. 32
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486
ScHEIDEM AN DKL
Die Beurteilung der Reaktion ist folgende:
-j—{--f- komplette Hemmung ^
-j—j- fast komplette Hemmung} 8tar ^ positiv.
-f- große Kuppe, inkomplette Hemmung: schwach positiv.
4- fast komplette Lösung: zweifelhaft.
Die tabellarische Übersicht zeigt in bezug auf die Prozent¬
zahlen positiver Reaktionen bei Lues (93%), Paralyse (97.5 0 „i.
Tabes (66%) Übereinstimmung mit den Resultaten anderer Au¬
toren, auch auf dem Gebiete der Aorten erkrank un gen, deren
ätiologische Erkenntnis durch die Wassermann’sche Reaktion nach
unseren Erfahrungen ganz hervorragend gefördert wurde.
Systematische Untersuchungen bei primären Milzschwel¬
lungen, Neurasthenie und Mißbildungen haben keine
Anhaltspunkte für einen wesentlichen Einfluß der syphilitischen
Infektion bei diesen Gruppen ergeben.
Vier Fälle von sehr chronisch verlaufendem Gelenkrheu¬
matismus bei Individuen, die von einer Infektion nichts wußten,
werden durch stark positive Wassermann’sche Reaktion als luetisch
erkannt und durch spezifische Behandlung einer raschen Heilung
zugeführt In einem der Fälle wurde das spezifische Ulcus durch
die Rhinoscopia posterior an der Rachenmandel entdeckt.
Eine unter dem Bilde einer fieberhaft verlaufenden Stirnhöhlen-
affektion (Periostitis?) Erkrankung wurde ebenfalls durch die Reaktion
geklärt.
Als klinisch wichtig seien auch zwei Fälle von jugend¬
licher Tabes mit positiver Wassermaun’schen Reaktion bei einer
22jähr. Prostituierten und einem 19jähr. Dienstmädchen erwähnt.
Letztere war lange Zeit als Cardialgie und Enteritis membranacea be¬
handelt worden. Es bestanden bei uns typische Crises gastriques
und kaum auslösbare Patellarreflexe mit ungleichmäßigen Pupillen.
Auf zahlreiche, andere klinisch interessante Ergebnisse will
ich hier nicht näher eingehen, da diesbezügliche Ausführungen nicht
im Rahmen dieser Arbeit stehen sollen.
Die Zahl der Fälle, die lediglich zur Entscheidung der Spezili-
tätsfrage untersucht wurde, betrug ca. 600. Es sind fast ausschlie߬
lich jüngere Individuen bis zu 35. Jahren, die eine vorausgegamre
luetische Infektion auch bei fehlender Anamnese durch Drüsen.
Narben, Leukoderm usw. unschwer nachweisen lassen. Alle Fälle,
insbesondere alte Leute, bei denen die Erhebung einer zu¬
verlässigen Anamnese oder der klinische Nachweis einer latenten
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Erfahrungen über die Spezifität der Wassermann’schen Reaktion etc. 487
Lues auf Schwierigkeiten stieß, sind hier unberücksichtigt, mit Aus¬
nahme von Tumorkranken und Diabetikern.
Auf einzelne Krankheitsgruppen, die nach verschiedenen
Autoren speziell zu nichtspezifischen Reaktionen neigen, muß ich
besonders eingehen.
Tuberkulose: Nach Elias, Neubauer, Porges, Salomen
in 33 Fällen des II. und III. Stadiums 5 mal schwache bis mittelstarke
Reaktion, nach Weil und Braun in 21 Fällen 1 mal, Marschalkö,
Janesi ebenfalls in mehreren Fällen inkomplette Reaktion.
Eigene Fälle: 65. Davon mittelstarke bis schwache Reaktion
8mal, nur bei hochfieberhaften des II. und III. Stadiums, niemals
-}- Reaktion bei 30 leichten Fällen. Komplette Hemmung einmal bei
32jäbr. Frau (5 Wochen vor dem Tode) ohne Anhaltspunkt für Lues:
Lumbalflüssigkeit des gleichen Falles negativ, 4 weitere komplette Hem*
mungen nachträglich Lues zugegeben.
Sepsis: 15 Fälle, 5 inkomplette Hemmungen bei sehr lange
fiebernden Kranken, auch bei wiederholter Untersuchung -}-• Lues aus*
zuschließen.
Pneumonie: Weil und Braun: bei 12 croupösen Pneumonien
gaben 4 sehr schwere Fälle, darunter 2 jugendliche Personen, stark posi*
tive Wassermann* sehe Reaktion, ohne daß bei letzteren die Sektion und
der klinische Befund Lues ergab. Marschalkö: 8Pneumonien-J-Reaktion.
Nach Ablauf der Krise war in einem nochmals untersuchten Fall die
Reaktion negativ.
Eigene Untersuchungen: 28 Fälle, davon 4 stark positiv.
2 Fälle durch Lues geklärt, 2 Fälle ohne Zeichen von Lues, nach
der Krise vollkommen negativ. Schwach positive Reaktion in 3 Fällen.
Scharlach: Die durch Much und Eichelberg veröffentlichten
Untersuchungen — 25 Fälle mit 10 positiven Reaktionen — gaben zu
zahlreichen Arbeiten (Seligmann, Hecht, Hoehne, Jochmann,
Meier, Halberstädter, Lüdke, Frä und Koch usw.) Veran¬
lassung. Nur wenige bestätigen die ersten Angaben des Hamburger
Laboratoriums (Seligmann, Zeißler) mit weit geringeren Prozent-
z&hlen. Unter insgesamt 521 Fällen fand ich in der Literatur 48, zum
Teil nur schwach positive Reaktionen.
Eigene Fälle 70: Komplette Hemmungen 0. Inkom¬
plette Hemmungen 6. Nach Ablauf von 5 Wochen gab in 15 Fällen
die Untersuchung —Reaktion.
Typhus: Weil und Braun bei 20 Fällen 3 positive Reaktionen.
Eigene Fälle: 27, davon 25 negativ, 2 inkomplett.
Tumoren (Carcinom, Sarkom): Elias, Neubauer,
Porges, Salomon in 14 Fällen 4 positive, Weil und Braun in
11 Fällen 2 positive Reaktionen.
Eigene Fälle: Sarkome 10, positiv 0; Myelom 1, positiv 0;
Carcinom 35, positiv 1; Tumor cerebri 11, positiv 1.
Von letzteren eine komplette Hemmung: Lues nachträglich zuge*
32*
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488
Scheidemandel
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geben, außerdem 4 inkomplette Hemmungen bei Carcinom, 3 bei Sarkom.
3 bei Gehirntumoren.
Hämoglobinurie: Saathof, Moro und andere stets positive
Reaktionen, wobei Lues anaranestisch wahrscheinlich. Citron zweifelt
mit Krau8 an der Sicherheit der Reaktion bei dieser Erkrankung uod
halten es für möglich, daß hier nur ähnliche Reaktionsstoffe gebildet
werden, ohne daß Lues vorliegt. Auf Grund eigener Untersuchungen
komme ich zu demselben Schluß. Bei einem 20jährigen Mädchen mit
typischer, durch Kälte experimentell zu erzeugender paroxysmaler Hämo¬
globinurie fand ich 3 Tage nach dem Anfalle stark positive Reaktion
(Serum nicht hämoglobinbaltig, Serumkontrolle ohne Extrakt negativ) so¬
wohl mit wässerigem Extrakt (Laboratorium Wassermann) als mit
alkoholischem Meerschweinchenherzextrakt.
Nachuntersuchung ein halbes Jahr später 8 Tage nach einem Anfall
ergab schwach positive Reaktion. Nach weiteren 3 Wochen war die
Reaktion vollkommen negativ, ohne daß eine antiluetische Behandlung
jemals erfolgt war. Die Patientin (Virgo) hatte klinisch und anam¬
nestisch nichts für Lues. Sie stammt aus gesunder, aber etwas nervöser
Familie. Um kongenitale Lues auszuschließen, untersuchte ich die ver¬
heirateten Geschwister, die gesunde Kinder haben. Weder die zwei
älteren noch eine jüngere Schwester (ledig) gaben positive Wasser-
mann’sche Reaktion. Die seit Jahren in Behandlung meines Vaters
stehende Familie bot niemals Erscheinungen von Lues.
Bei einem zweiten Fall von Hämoglobinurie mit leichter Nephritis
nach recidivierenden Erysipel war die Reaktion während der Hämo¬
globinausscheidung zweimal stark positiv. Der 25jährige Mann (keine
Lues) kam 1 Monat später wieder zur Untersuchung mit der gleichen
Erkrankung in geringerem Grade. Die erste Untersuchung ergab zweifel¬
hafte Reaktion, die zweite nach Ablauf der Erkrankung negative Wasser-
mann’sche Reaktion.
Diabetes: Unter 7 Fällen 4mal positive Wassermann’sche Reak¬
tion (Eichelberg); nach dem Verschwinden des Zuckers in einem Fall
wieder negative Reaktion. Weil und Braun 4 Fälle, positiv 1 Fall;
Elias, Neubauer bei Diabetes-Acidosis ebenfalls eine stark positive
Wassermann’sche Reaktion. Meier und Bauer in 8 Fällen stets nega¬
tives Resultat.
Eigene Fälle: 17, davon negativ 14, darunter 2 Fälle,
die im diabetischen Coma starben.
1 Fall bei viermaliger Untersuchung stets stark positiv (Lues sehr
wahrscheinlich). 2 Fälle mit fast kompletter Hemmung (ohne
Acidosis) ohne Anhaltspunkte für Lues.
Diabetes insipidus: Eigene Fälle: 4, negativ 1, inkom¬
plett ohne nachweisbare Lues 2, stark positiv 1 (Lues sicher).
Icterus: Eigene Fälle 14, negativ 3.
In diesen 3 Fällen war das Serum nur schwach icterisch, stark
icterische Sera zeigten regelmäßig eine starke Eigenhemmung, die mit
dem Extrakt zusammen ebenfalls positiv reagierten. In zahlreichen
Arbeiten ist auch die Bedeutung der Wassermann’schen Reaktion für die
Diagnose der luetischen Lebererkrankungen hingewiesen. Solange kein
Gck igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Erfahrungen Uber die Spezifität der Wasserinann’schen Reaktion etc. 489
Icterus vorhanden, mag die Reaktion für diese Fälle brauchbar sein; da*
gegen ist nach meinen Erfahrungen jedes stärker icterische
Serum für die Wassermann’sche Reaktion unbrauchbar.
Nervenkrankheiten: Ebenso wie die Mitteilungen über positive
Wassermann’sche Reaktion bei Scharlach erregten die TJntersucbnngs*
ergebnisse von Nonne und Eichelberg über positive Wassermann’sche
Reaktion bei Epilepsie und multipler Sklerose — ebenfalls aus dem Ham¬
burger Laboratorium stammend — großes Aufsehen. Unter 9 Fällen von
Epilepsie wurde 5 mal -{- Wassermann’sche Reaktion gefunden, das gleiche
bei 8 multiplen Sklerosen. Plaut, Lippmann, Hübner konnten
diese Befunde nicht bestätigen. Inzwischen ist auch Nonne zu der
Überzeugung zurückgekommen, daß bei diesen Erkrankungen eine posi¬
tive Reaktion ohne Lues nicht vorkommt.
Unter 22 Epilepsien fand ich in einem fraglich luetischen Fall eine
schwache Reaktion, in 13 Fällen von multipler Sklerose war 1 Fall positiv,
der sich im weiteren Verlauf als Lues cerebri erwies. Bei allen übrigen
Nervenerkrankungen stimmte Reaktion und klinischer Befund überein.
Hodgin’sche Pseudoleukämie: Nach Caan in 3 Fällen
positive Reaktion, von 2 eigenen Fällen einmal inkomplette, nicht spezi¬
fische Hemmung.
Bei Lupus erythematodes fand ich eine fast komplette Wasser-
mann’scbe Reaktion (ohne Lues), wie Hauck.
Dazu inkomplette Reaktionen (ohne Lues) bei einem hoch fieber¬
haften Erysipel, 2 schweren Gelenkrheumatismus, 2 Ery-
thema nodosam *), 1 Skorbut, 2 Nephritis, 6 verschiedenen
fieberhaften Erkrankungen (Pyelitis, Parametritis).
Unter meinem gesamten Untersuchungsmaterial haben also nur
7 Fälle eine starke Wassermann’sche Reaktion gezeigt, die weder
durch Eigenhemmung noch durch Lues erklärt werden konnten. Fall I
ist eine hochfieberhafte Tuberkulöse, Fall II ein 25jähriger Mann,
der im Anschluß an Gelenkrheumatismus eine Herzbeutelsynechie mit
diastolischem Spitzenstoß aufwies. Fieber bestand nicht, der Kräfte¬
zustand war gut. Typische Herzfehlerfarbe ohne GallenfarbstofF
im Urin oder Serum. Spezialärztliche Untersuchung (Oberarzt Dr.
Neuberger) ließ keine Residuen für Lues finden. Da eine drei¬
malige Untersuchung stark positiv ausfiel, möchte ich Lues doch
nicht ausschließen. 2 weitere fast komplette Hemmungen gaben die
erwähnten Diabetesfälle, je ein Fall von Variola;vera (Agone), Lupus
erythematodes und Mammakrebs mit starker Kachexie. Zwei stark
positive Reaktionen bei letal verlaufender Nephritis ohne Anhalts¬
punkte für Lues wurden durch die Sektion als spezifisch erkannt
(Hodenschwiele; Aortitis luetica). Inkomplette Reaktionen in
1) Nachtrag: Neuerdings sah ich bei Erythema nodosum wieder eine
stark positive Reaktion, die nach Ablauf der Erkrankung verschwand. Lues war
nicht nachzuweisen.
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490
Scheidemandel
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einer Stärke wie man sie bei Tabes und gut behandelter Lues
häufig zu sehen bekommt, traten bei den verschiedensten,
hochfieberhaften Krankheiten auf. Daß bei Schar¬
lach der Prozentsatz höher gewesen wäre, kann icb
nicht behaupten, im Gegenteil. Nach Ablauf des Fiebers
waren, soweit Nachuntersuchungen vorgenommen wurden, die Re¬
aktion stets negativ, auch in 15 Fällen von Scharlach. Von einer
Einwirkung des aberstandenen Scharlach auf die
Reaktion nach Wochen oder Monaten — eine Ansicht, die man als
Folge der Much’schen Arbeit nicht selten hört — kann keine
Rede sein. Unter den gesunden Kontrollfällen befinden sich zu¬
dem zahlreiche Sera an früheren Scharlachkranken.
Die Spezifität der Reaktion ist demnach mit 99°/ 0 Wahr¬
scheinlichkeit eine nahezu absolute, solange man nur die kom¬
plette Hemmung als positiv bezeichnet; über den Einfluß des Diabetes
und der Gravidität sind weitere Untersuchungen noch erforderlich,
ebenso über das Verhalten der Reaktion bei Erythema nodosum.
Inkomplette Reaktionen kommen vor bei den verschiedensten
Krankheitsgruppen, vor allem fieberhaften und schweren Konsum¬
tionskrankheiten, ohne daß Lues vorliegt, in ca. 10% aller Fälle
gegenüber l°/ 0 bei gesunden Personen.
Die Wasserraann’sche Schule vertritt auch jetzt noch den
Standpunkt, daß man in zweifelhaften Fällen nur die vollständige
Komplementfixation als beweisend für eine luetische Infektion an-
sehen soll. Für die Zuverlässigkeit der Reaktion kann dieser Stand¬
punkt nur von Vorteil sein. Es ist ungerecht, der Methode den
Vorwurf der Nichtspezifität zu machen auf Grund inkompletter
Reaktionen, die offenbar bei den aufgezählten Krankheiten vielfach
ohne weiteres als positiv gerechnet wurden. Leider ist aber der
Wassermann’sche Standpunkt nur im serologischen Laboratorium,
nicht aber in der Praxis aufrecht zu erhalten. Der Dermatologe
kann es sich gestatten nur starke Hemmungen als positiv hinzu¬
nehmen, für den Neurologen und noch mehr für den internen
Kliniker würde bei der gleichen Stellungnahme die Reaktion ganz
wesentlich an Wert verlieren. Die Fälle, deren diagnostische
Schwierigkeiten uns die Wassermann’sche Reaktion beseitigen zu
helfen berufen ist, geben — mit der subtilsten Technik und deu
besten Materialien — eben in größerer Zahl nur halbe, resj>.
zweifelhafte Hemmungen. Gerade diesen + Reaktionen schreibt
Citron ein besonderes Interesse und besonderen Wert zu. Stark
positive Reaktionen habe ich bei metaluetischen Erkrankungen
Gck igle
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Erfahrungen über die Spezifität der Wasser mann’schen Reaktion etc. 491
regelmäßig nur bei Paralyse und Aortenaneurysmen
resp. Insufficienzen sowie bei kongenitaler Lues gesehen.
Die Tabes, Gehirnlues und andere Krankheitsformen des Spät¬
stadiums, die gerade dem Internisten unterlaufen, geben in einem
Drittel der Fälle inkomplette Reaktionen ähnlich denen von
gut behandelten Luetikern. Bei der Art des internen Kranken¬
materials, wo die Infektion oft Jahre bis Jahrzehnte zurückliegt,
können wir die halben Hemmungen nicht entbehren; ich stimme
darin mit Saathof, der über seine Erfahrungen an der Fr. v.
Müller’schen Klinik berichtet hat, vollkommen überein.
Die diagnostische Brauchbarkeit der Sera-Diagnostik der Lues
ist erwiesen. Die Serologen haben ihre Arbeit getan. In der Zu¬
kunft wird die Hauptaufgabe darin bestehen, daß die Kliniker und
in erster Linie die interne Klinik, der zum Studium das vielseitigste
Versuchsmaterial zur Verfügung steht, in die Reihe tritt und die Krank¬
heitszustände definitiv fixiert, deren störender Einfluß auf die Reak¬
tion die zuverlässige Bewertung derselben sehr erschweren kann.
Erst die Verwendung von Seris fieberhafter und in das Stoff¬
wechselleben schwerer eingreifender Krankheiten lehrte mich die
Mängel der einzelnen Komponenten, aus denen sich der Komplement¬
fixationsversuch zusaramensetzt, näher kennen. Marg. Stern 1 )
hat schon darauf aufmerksam gemacht, daß der Grenzwert schwach
positiver luetischer Sera, die in geringer Anzahl die Re¬
aktionsstoffe enthalten sich durch die geringsten Zufälligkeiten
nach der positiven oder negativen Seite hin verschieben
kann. So entstehen die sog. paradoxen Sera Meirowsky’s mit
tageweise wechselnden Reaktionen. Wenn man die inkompletten
Reaktionen verwerten will, muß man die Ursachen derselben kennen.
Neben dem Hämolysin und Hammelblut sind die wichtigsten Fehler¬
quellen :
1. Das Komplement, 2. der Extrakt, 3. die Eigen-
hemmung.
Das Komplement wird allgemein in einer Menge von 0,1 ccm
bei einer Gesamtmenge von 5 ccm in jedem Versuchsröhrchen benutzt.
Die Schwankungen im Titer werden ausgeglichen durch die im Vorver¬
such bestimmte Festsetzung der Amboceptormenge. Wir müssen aber
noch mit anderen wichtigen Faktoren rechnen, die in der Indi¬
vidualität jedes Meerschweinchenserums begründet sind.
Die Komplementmenge ist in einem Serum hoch, im anderen niedrig.
Ganz frisches Komplement wird in größeren Mengen gebunden als altes.
1) Zeitschr. für Immunitätsforschung 1910 Bd. 5.
Digitizeit by
Gck igle
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492
SCHKIDBMANDEL
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Browning und Marg. Stern unterscheiden daher zwischen einem
schwer und leicht deviablem Komplement. Ist das Komplement leicht
ablenkbar, wird es in höherer Menge gebunden, so können auch nicht-
luetische Sera, die an der Grenze der ReaktionBbreite stehen, ein posi¬
tives Resultat Vortäuschen. Im anderen Palle wird jeder Serologe die
Beobachtung machen, daß z. B. an einem Tage, wie auch M. Stern
erwähnt, auffallend viele Lösungen auftraten mit den gleichen Extrakten
und denselben Seris, die am Tage zuvor mit anderem Komplement
typische Hemmungen gaben. Ebenso habe ich beobachtet, daß in einer
Versuchsreihe von 25 Fällen durch die hochgradige Deviabilität des
Komplements eine Reihe sicher gesunder Kontrollsera mehr oder minder
starke Hemmung zeigten.
Im Vorversuch und in den Serumkontrollen lassen
sieb diese Störungen in der Deviabilität gar nicht er¬
kennen. Sie werden nahezu sicher übersehen in kleinen Laboratorien,
wo nur einige wenige Sera auf einmal zur Untersuchung kommen. Selbst
einem geübten Untersucher geben nur große Versuchsreihen mit
verschiedenen luetischen, normalen und zu inkompletten Reaktionen
neigenden Seris für die Bewertung der letzteren den richtigen Ma߬
stab. Läuft die Lösung im ganzen rasch und glatt ab, so resultieren
in der Regel wenig inkomplette Reaktionen, die dann sehr hoch bewertet
werden können. Die gleich starke Hemmung darf im anderen Fall bei
zögernder Lösung mit zahlreichen graduell differierenden Hemmungen nur
als zweifelhaft bezeichnet werden.
In der Überzeugung, daß das Komplement von
nicht zu unterschätzender Bedeutung für den Aus¬
fall der Wassermann’schen Reaktion sein kann, haben
mich in der letzten Zeit eigene Untersuchungen
wesentlich bestärkt. Ich habe eine Reihe yon Seris mit
denselben Reagentien zu der gleichen Zeit mit verschiedenen,
jedesmal gleichzeitig frisch entnommenen Komplementen untersucht
und dabei recht bemerkenswerte Unterschiede gefunden, von denen
ich nur einige hier anführe.
Komplement I
Komplement II
10. Normalblut
—
—
12. Parametritis (38,5°)
—
+
13. Tuberkulose (39 °)
+
14. Paralyse
+++
++
15. Paralyse
16. Lues I
++
4“
+++
17. Lues 11
+
H — f~
18. Aortitis
±
—
19. Skorbut
—
+
Aus dieser kleinen Tabelle ersehen wir folgende wichtige Tatsachen:
Zweifelhafte Sera reagieren mit einem Komplement schwach positiv, mit
dem anderen negativ, ohne daß etwa nur die eine Versuchsreihe gleich¬
mäßig — oder —Resultate zeigt. Stark positiv reagierende Sera (14,
Gck igle
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Erfahrungen über die Spezifität der Wassermann’schen Reaktion etc. 493
17, 15) geben im allgemeinen wenig Differenzen. Immerhin zeigt Fall 16
(Primäraffekt), daß wir mit einem Komplement eine absolutiv
negative, mit einem zweiten eine stark positive Reaktion er¬
halten können. Über meine Versuche mit verschiedenen und Misch¬
komplementen werde ich an anderer Stelle berichten; doch sei jetzt
schon erwähnt, daß eine Tabelle wie die obige, wenn man neben den
Komplementen noch verschiedene Extrakte heranzieht, ein
äußerst buntes Bild zeigen kann.
Das Hämolysin ist im allgemeinen frei von störenden Eigen¬
schaften. In der Regel nehme ich die 2 1 / 2 fache Menge der komplett
nach 2 Stunden lösenden Dosis, bei von Anfang an zögernder Hämolyse
die 3 fache Menge.
Das Hammelblut, das in 5 °/ 0 Lösung verwandt wird, muß in
seltenen Fällen je nach Dichtigkeit der Blutlösung etwas weiter verdünnt
resp. konzentriert werden. Die Farbe der 5 °/ 0 Emulsion kann nicht
allein von der Schärfe und Dauer des Zentrifugierens abhängen, sondern
auch von dem Hämoglobingehalt der Erythrocyten. Theoretisch sollte
man zwar annehraen, es müßte der Hämoglobingehalt für die hämo¬
lytische Krafteinwirkung des Amboceptors gleichgültig sein, in der Praxis
aber geht gleichzeitig eine erhöhte Resistenz der Blutkörperchen einher. Das
von mir benutzte Hammelblut war niemals älter als 24 Stunden. Bei
längerer Aufbewahrung nimmt die Löslichkeit der Blutkörperchen rasch zu.
Eigenhemmung der inaktivierten Sera, die eine positive Reaktion
Vortäuschen kann, sah ich besonders bei Icterus und hämoglobin-
haltigen Seris, wie sie fast spezifisch für Paralytiker sind,
ferner in einigen Fällen von Lues, Tuberkulose und länger
aufbewahrten Seris. Merkwürdigerweise finde ich die äußerst
störende Eigenhemmung bei icterischen Seris nirgends be¬
tont. Bei schwerem Icterus ist es nach meinen Erfahrungen daher
unmöglich, eine Diagnose auf Lues zu stellen. Als Kuriosa möchte ich
noch 2 Fälle von Eigenhemmung ohne gleichzeitige positive Wasser-
mann’sche Reaktion bei je einem Unfallkranken und einer Aorteninsuf-
ficienz erwähnen. Das eine dieser Sera fixierte bei 2 maliger Unter¬
suchung zuerst 0,5, am nächsten Tag 0,2 Komplement. In größerer
Anzahl wurden solche „autotrope“ Sera von Ballner und Duastello
bei der Verwendung von Rinderblut gesehen. Schon daraus ergibt sich
die Folgerung, das bewährte Hammelblut nicht zu ersetzen durch andere
Blutsorten, die zu unspezifischen Hemmungen führen.
Der Extrakt bereitet von jeher — darüber herrscht nur eine
Ansicht — dem Serologen die größten Schwierigkeiten. Wassermann
erklärt immer noch den wässerigen luetischen Extrakt als den zuver-
verlässigsten, gibt aber die Brauchbarkeit alkoholischer Normalorgan¬
extrakte neben dem ersteren zu. Da es äußerst schwierig ist, den seit
der Entdeckung der Luesdiagnostik sehr gesuchten Artikel der fötalen
Luesleber jederzeit zur Verfügung zu haben, so wird jetzt wohl allgemein
der alkoholische Herzextrakt verwandt, zumal nachdem für dessen Güte
autoritative Stellen, wie das Institut von Kolle, Ehrlich, die Wiener
Kliniken, Ledermann, Lesser, Michaelis usw. dafür eingetreten
sind. Ich selbst benutze für zweifelhafte Fälle stets alkoholischen Lues-
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494
Scheidemandel
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extrakt, da ich mit dem selbst bereiteten wässerigen keine guten Re¬
sultate bekam, gebe aber zu, daß ich mit wässerigen Extrakten aus dem
Wassermann 1 sehen Institut früher die besten — und vor allem spär¬
lichsten unklaren — Reaktionen bekam. Lediglich der Mangel an brauch¬
baren Luesextrakten hat mich veranlaßt, andere Extrakte anzuwendec.
als deren vorzüglichsten ich zurzeit den sogenannten Lesser sehen
Tauenzienextrakt bezeichnen muß. Er gibt die meisten positiven Re¬
sultate, steht aber der Spezifitätsgrenze sehr nahe. Ich
möchte diesen wässerigen Extrakt nicht mehr entbehren, weil er manche
mit Luesextrakt zweifelhaft reagierende sicher luetische Sera zu positiver
Reaktion verschärft. Neuere Erfahrungen haben mich veranlaßt, trotz¬
dem stets einen luetischen Extrakt mitzubenutzen, da dieser anderer¬
seits bei metaluetischen Erkrankungen, wie Tabes, positiv reagiert,
während der Herzextrakt hier versagen kann. Das Ideale wäre,
einen allgemein anerkannten Extrakt von einer zuver¬
lässigen Zentrale aus beziehen zu können. Derselbe müDt?
jedoch nicht nur an sicheren Normal- und Luesfällen, sondern auch at.
den von mir erwähnten Serie mit unspezifischer Hemmung austitrier:
werden. Außerdem wäre es erforderlich, die Abnehmer, ähnlich
wie beim Diphtherieheilserum, über die bei jedem Extrakt eio-
tretenden Schwankungen auf dem laufenden zu erhalten
Seligmann behauptet, es gebe überhaupt keinen Extrakt, der nicht
zu irgendeiner Zeit mit irgendeinem Normalserum positiv reagieren könne.
Auch Marg. Stern hat ähnliche Beobachtungen gemacht. Es ist da¬
her zweckmäßig und bereits in allen größeren Laboratorien üblich, jede«
Serum mit mehreren Extrakten anzusetzen. Kleinere Laboratorien können
den Mangel an geeigneten Kontrollseris nur auf diese Weise einiger¬
maßen ausgleichen.
Außer den erwähnten in den variablen Faktoren des ganzen
Systems liegenden Fehlerquellen gibt es noch eine Reihe anderer
in der Technik selbst liegender. Zunächst werden dieselben um
so größer, je geringer die zur Untersuchung kommende Serummenge
ist; ich kann mich daher für die Weidanz’sche Modfikatiou
(Verwendung kleinster Serummengen) nicht begeistern. Zur Er¬
sparung von Meerschweinchenkomplement benütze ich seit längerer
Zeit die im Ehrlich’schen Institut übliche Gesamtmenge von
2,5 ccm (also 0,1 ccm Serum), habe aber gefunden, daß bei der
Nachuntersuchung zweifelhaft reagierender Sera größere Mengen
(0.2 ccm Serum resp. 5 ccm im ganzen) die Resultate leichter be¬
urteilen lassen. Für alkoholische Extrakte ist an der fraktionierten
Verdünnung festzuhalten. Von außerordentlicher Bedeutung für
die Beurteilung der Endresultate eines Versuchs ist die Dauer des
Aufenthalts im Brutschrank. Je nach der Deviabilität des
Komplements läuft dieLösung heute rasch und glatt.
1 i Siehe p. 4 l J7 ds.
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Erfahrungen über die Spezifität der Wassermaun’schen Reaktion etc. 495
morgen langsam und zögernd ab. Ich lasse den Versuch
nicht schematisch 2 Standen im Brutschrank, sondern nehme ihn
heraus, sobald alle Kontrollen J /s Stunde gelöst sind. Diejenigen
Röhrchen, in denen eine Verzögerung der Lösung durch eine sehr
langsame resp. keine sichtbare Sedimentierung der Blutkörperchen
sich kundgibt, lasse ich auch bei gelösten Kontrollen länger bei 37 °.
Es sind dies häufig nichtspezifische schwächere Hemmungen.
Solche Röhrchen empfehle ich mehrmals zu
schütteln; es gelingt auf diese Weise meist das unspezifisch
fixierte Komplement aus seiner Verankerung frei zu machen und
eine rasche Hämolyse herbeizuführen. Das endgültige Resultat
bestimme ich in der Regel nach 4—6 Stunden, in zweifelhaften
Reaktionen erst nach 12—20 Stunden.
Nach meinen eigenen und anderen Untersuchungen kann es
kein Zweifel mehr sein, daß bei den verschiedensten Erkrankungen
nichtspezifische, schwach positive Reaktionen auftreten können.
Das hat nunmehr auch Citron, der immer an der absoluten Spe¬
zifität festhielt, zugegeben. Auffällig ist das übereinstimmende
Ergebnis der verschiedenen Untersucher bezüglich der Krankheits¬
gruppen, die luesähnliche Reaktionsstoffe produzieren. Worin die
Ursache liegt, ist noch unbekannt. Bergei weist in einer kürz¬
lich erschienenen interessanten Arbeit auf die Beziehungen zwischen
Wassermann’scher Reaktion und die fettspaltenden Eigenschaften der
bei Lues und den erwähnten Krankheiten vermehrten Lymphoeyten
hin. Der Lipoidgehalt der Sera ist unzweifelhaft von Bedeutung;
darauf deuten die nichtspezifischen Hemmungen bei Diabetes, fett¬
haltigen Seris nach Milchdiät, Narkose usw. hin. Zum Studium
dieser Fragen, die uns dem Wesen der rätselhaften Reaktion näher
kommen lassen, sind noch größere Versuche an dem vorwiegend
hierzu geeignetem Material einer inneren Klinik nötig. Es ist
keineswegs ausgeschlossen, daß uns noch verschiedene Einwirkungen
infektiöser oder chemischer Art auf den Ausfall der Reaktion un¬
bekannt sind. Solange wir mit dieser Möglichkeit rechnen müssen,
ist bei der definitiven Entscheidung, ob eine inkomplette Hemmung
als positiv oder negativ aufgefaßt werden soll, größte Vorsicht an¬
gezeigt. Wenn die Sicherheit der Wassermann’schen
Methode an den Klippen der zweifelhaften Reaktionen
nicht scheitern soll, müssen wir uns in erster Linie
von den klinischen Beobachtungen im jeweils vor¬
liegenden Fall leite* lassen.
Bei der ausgedehnten durch den Freudenberg’schen Vor-
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496
ScHEIDEM ANDEL
trag in der Berl. Med. Gesellschaft 1 ) hervorgerufenen Debatte
erhob sich bei der Forderung, dem Serologen klinische Daten in
die Hand zu geben, Widerspruch. Das würde das Mißtrauen der
Praktiker gegen die Wassermann’sche Eeaktion nur noch vermehren,
hieß es. Das kann aber doch nicht maßgebend sein, wenn es sieh
darum handelt, über ein Individuum das schwerwiegende Urteil:
Syphilis zu fällen. Der gewissenhafte Untersuchet* ist eben dann
gezwungen öfter als nötig die schwer zu verwertende Diagnose:
zweifelhaft zu stellen. Ich würde es niemals wagen anf
eine einmalige positive Eeaktion hin — wenn dies nicht
mit mehreren Extrakten der Fall ist — die Diagnose: Lues
auszusprechen, solange ich über den körperlichen Allge¬
meinzustand des Seruminhabers absolut im unklaren ge¬
halten werde. Ich setze z. B. den Fall: Fast komplette Hemmung
Klinisch: fehlende Patellarreflexe. Lues negiert. Tabes? Ist der
Patient nun schwerer Diabetiker, so würde ich mich hüten die
Diagnose auf positiv zu stellen. Ist es ein sonst Gesunder oder
auch ein Alkoholiker, so kann ich mit größter Wahrscheinlichkeit
sagen: Eeaktion positiv, weil ich eben weiß, daß Diabetes, nicht
aber Alkoholismus störend auf die Eeaktion einwirken kann. Bei
der Differentialdiagnose zwischen Lues und Carcinom werde ich
eine + Eeaktion überhaupt nicht verwerten können, da bei diesen
beiden Erkrankungen schwache Eeaktionen Vorkommen können.
Citron erwähnt einen anderen Fall: klinisch Mediastinaltnmor
oder Aneurysma. Eeaktion +. Hier sagt ihm die Erfahrung: Un¬
behandelte Aneurysmen geben in der Eegel starke Eeaktion: es ist
also in diesem Fall wahrscheinlich kein Aneurysma, sondern ein Tumor.
Bei rein dermatologischem Material hatte ich regelmäßig solche
ausgesprochene Hemmungen, bei dem internen Material sind die
Grenzreaktionen, die uns die meisten Schwierigkeiten bereiten, weit
häufiger. Ich könnte hierfür noch zahlreiche Beispiele anfiihren.
Aus den wenigen geht aber schon zur Genüge hervor, daß es von
entscheidendem Wert ist, den jeweiligen Krankheitszustand des
Patienten zu kennen. Dann werden einem geübten und in der
Immunitätslehre erfahrenen Untersucher, der mit größeren Ver¬
suchsreihen arbeitend die Mängel der komplizierten Methode jedes¬
mal herausfinden wird, auch in der Verwertung der wichtigen,
inkompletten Eeaktionen gröbere Irrtümer nicht unterlaufen. Nie¬
mals darf die Entscheidung in einer klinisch zweifelhaften Diagnose
einzig und allein dem Eeagenzglas des Serologen überlassen bleiben.
1) Berl. klin. Wochenschr. 1910 Nr. 26.
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Erfahrungen über die Spezifität der Wassermann’schen Reaktion etc. 497
nur in engem Zusammenhang mit der Klinik wird die moderne
Serodiagnostik den ihr gebührenden Platz festhalten können.
Zusammenfassung:
Die stark positive Wassermann’sche Reaktion ist fast
absolut für Lues spezifisch und unseren besten biologischen Methoden
an Sicherheit ebenbürtig.
Inkomplette (schwach positive) Hemmungen kommen auch bei
hochfieberhaften und konsumierenden Erkrankungen vor (Tuber¬
kulose, Tumoren, Diabetes usw.). Bei wenig gestörtem Allgemein¬
zustand sind sie selten und meist auf Lues zurückzuführen. Nur
durch wiederholte Untersuchung bei genauer Berücksichtigung des
klinischen Bildes kann eine zweifelhafte Reaktion unter Umständen
als positiv gerechnet werden.
Stark icterische Sera sind wegen Eigenhemmung unbrauchbar.
Unspezifische schwache Hemmungen treten bei luetischen Extrakten
seltener auf als bei normalen Organextrakten. Bei der Verwendung
der letzteren sind schwache Reaktionen geringer zu bewerten.
Neben den Extrakten ist für den Ausfall der Reaktion das Kom¬
plement von großer Bedeutung; es kann oft — auch bei florider
Lues — die alleinige Ursache einer negativen Reaktion sein.
Eine einmalige negative Reaktion beweist nichts: weder für
die Diagnose noch für die Heilung; aus dem gleichen Grunde sind
Schlüsse auf den Gehalt eines Serums an Antikörpern oder auf
den Einfluß der Therapie sehr problematisch. Die Kompliziertheit
der Methode und die Schwierigkeit der Beurteilung erfordert ein
größeres Laboratorium mit reichlichem Kontrollmaterial. Einzelne
Fehlerquellen sind selbst von einem erfahrenen Untersucher nur
in großen Versuchsreihen aufzudecken. Der Versuch, dem prak¬
tischen, nicht mit der Immunitätslehre vertrauten Arzt Modifi¬
kationen wie die von v. Düngern in die Hand ist daher verfrüht.
Im Interesse der Sicherheit der Wassermann’schen Reaktion
wäre dringend erwünscht, ein einheitliches Arbeiten aller Insti¬
tute nach der allgemein als zuverlässig anerkannten Originalmethode
möglichst unter Benutzung eines „Standardantigens“ (Arning), das
von einer Zentralstelle beziehbar, an den verschiedensten, auch zu
nicht spezifischen Reaktionen neigenden Seris austitriert und
ständig kontrolliert werden müßte. 1 )
1) Nachtrag bei der Korrektur: Inzwischen ist die Herstellung eines
•derartigen Standardantigens (unter Kontrolle von Wassermann u. Meier) er¬
folgt durch die Firma Gans in Frankfurt a. M.
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Aus der chirurgischen Klinik zu Königsberg i. Pr.
Direktor: Prof. Dr. Erich Lexer.
Radikale Appendizitisbehandlnng und ihre Ergebnisse
bei 611 Fällen der Königsberger chirurgischen Klinik.
Von
Dr. Ad. Ebner, Königsberg i. Pr.
Wenn ich trotz der zahlreichen und zum Teil so überaus um¬
fangreichen Zusammenstellungen, welche in den letzten Jahren
über die operativen Erfolge der Appendizitisbehandlung in den
verschiedenen Stadien der Erkrankung veröffentlicht worden sind,
es wagen darf, im folgenden einen weiteren Beitrag hierzu za
liefern, so glaube ich, daß derselbe insofern eines gewissen Interesses
nicht entbehren dürfte, als es sich bei den innerhalb der letzten
4V 2 Jahre bei Professor Lexer zur Behandlung und Operation
gelangten 661 Appendizitiskranken meiner Zusammenstellung um
Fälle handelt, welche durchweg nach dem gleichen, von mir an an¬
derer Stelle bereits ausführlich vertretenen Grundsatz des operativen
Eingriffs in jedem Stadium und zu jedem Zeitpunkt der Er¬
krankung behandelt worden sind. Gerade mit Rücksicht auf diese
Einheitlichkeit des Vorgehens im radikalen Sinne dürfte eine ein¬
gehendere Betrachtung derselben vornehmlich vom klinischen Ge¬
sichtspunkt aus für die Entscheidung der praktisch wichtigen, noch
strittigen Fragen insbesondere hinsichtlich des Eingriffs im Zwischen¬
stadium — zwischen Früh- und Spätstadium — manch wertvollen
Hinweis ergeben.
Bezüglich der Anordnung der Fälle werde ich mich der bereits
mehrfach von mir hervorgehobenen Einteilung bedienen, welche in
gleicher Weise dem zeitlichen, wie dem klinisch-therapeutischen
Prinzip gerecht zu werden vermag, indem ich zwischen dem ab¬
soluten Frühstadium innerhalb der ersten 24 Stunden, dem Zwischen¬
stadium (sog. Intermediärstadium) zwischen Früh- und Spätstadium
vom 3.—8. Tage der Erkrankung, dem Spätstadium vom 9. Tage
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Radikale Appendizitisbehandlnng und ihre Ergebnisse etc. 499
der Erkrankung ab und schließlich dem Sicherheitsstadium (sog.
Intervallstadium) nach Ablauf der Entzündungserscheinungen unter¬
scheide. Zu diesen kommt dann noch im Interesse der Vervoll¬
ständigung der Einteilung vom klinischen Gesichtspunkt aus das
Notstadium, in welchem durch den Eintritt der peritonealen All¬
gemeininfektion die Not am größten ist, das zeitlich naturgemäß
bereits vom ersten Tage der Erkrankung ab in jedem Stadium
einsetzen kann und bei dem wir noch im Gegensatz zu dem ab¬
soluten das relative Frühstadium innerhalb der ersten 48 Stunden
nach Beginn der peritonealen Allgemeininfektion wegen seiner relativ
günstigen Prognose für den operativen Eingriff unterscheiden müssen.
Daß klinisch dieser rein zeitlichen Einteilung die Einteilung
in die Appendicitis simplex, Periappendicitis incipiens, P. circum¬
scripta, P. chronica und P. diffusa in der Regel zu entsprechen
pflegt, ist ebenfalls bereits an anderer Stelle von mir hervorgehoben
worden, wenngleich bei dem so unendlich verschiedenartigen Ablauf
der Erscheinungen am Appendix und seiner Umgebung auch hin¬
sichtlich ihrer Schnelligkeit eine bestimmte Norm sich überhaupt
kaum aufstellen läßt, vielmehr recht häufig Abweichungen der
Befunde von dem zeitlich zu erwartenden Ergebnis Vorkommen.
Es sollen damit vielmehr lediglich diejenigen Veränderungen am
Appendix und seiner Umgebung angedeutet sein, welche man zeit¬
lich am häufigsten in den entsprechenden Stadien der Erkrankung
zu finden pflegt.
Wie wünschenswert, um nicht zu sagen notwendig, im übrigen
eine möglichst einheitliche Einteilung und Anordnung der Fälle
nach den gleichen zeitlichen und therapeutischen Gesichtspunkten,
bezw. eine definitive Einigung über die einzelnen Bezeichnungen
und Begriffe ist, zeigt immer wieder von neuem eine Durchsicht
der einzelnen Appendizitiszusammenstellungen bis auf den heutigen
Tag, indem verschiedene Autoren gerade unter der klinisch und
therapeutisch so überaus wichtigen Bezeichnung des Zwischen-
bzw. Indermediär- und Spätstadiums gänzlich verschiedene Begriffe
und Zeiträume der Erkrankung verstehen, so daß an einen Vergleich
der betreffenden Zusammenstellungen von auch nur annähernd
gleichen Gesichtspunkten aus gar nicht zu denken ist, und man
demgemäß über das Ergebnis in den einzelnen Stadien der Er¬
krankung kein einheitliches Übersichtsbild zu gewinnen vermag.
Im Interesse einer erfolgreichen und einheitlichen Betrachtung
der Ergebnisse kann daher namentlich im Hinblick auf die immer
weiter noch wachsende Zahl der Zusammenstellungen und Ver-
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500
Ebner
öffentlichungen auf diesem Gebiet nicht dringend und häufig genug
darauf hingewiesen werden, wie unbedingt nötig eine Einigung
darüber wäre, nach welchen Gesichtspunkten bzw. zeitlichen und
klinischen Begriffsbestimmungen sich die sämtlichen Autoren bei
ihren Aufstellungen zu richten hätten, um damit zur Entscheidung
zweifelhafter Fragen einen wirklich erfolgreichen Beitrag liefern zu
können.
Wenn sicherlich auch bezügl. gewisser klinischer Begriffe, wie
beispielsweise der genauen Begriffsbestimmung einer diffusen Peri¬
appendizitis bzw. peritonealen Allgemeininfektion, und therapeu¬
tischer Anschauungen für vereinzelte Stadien der Erkrankung eine
völlige Einigung sämtlicher Autoren sich innerhalb absehbarer
Zeit kaum herbeiführen lassen dürfte, für die zeitlichen Bezeich¬
nungen und Begriffe aber, mit denen man arbeitet, kann und muß
eine derartige Einigung zustande kommen, um so mehr als sie nur
von dem guten Willen der einzelnen Autoren abhängt, wenn anders
die so überaus zahlreichen und fleißigen Arbeiten auf diesem Ge¬
biet einen auch nur annähernd entsprechenden Erfolg in ihrer
Gesamtheit zeitigen sollen.
Es ist dies ein Punkt, der mir zu oft und zu augenfällig immer
wieder hinderlich bei einer vergleichenden Durchsicht der Literatur
in die Erscheinung getreten ist, als daß ich es mir versagen sollte,
an dieser Stelle einmal ausdrücklich auf die Nachteile dieses
dauernden Getrenntmarschierens bei der Bearbeitung wissenschalt-
licli gleichartiger Fragen hinzuweisen.
Das ist auch der Grund, weswegen ich im folgenden von dem
Anfuhren größerer und zahlreicher Statistiken im allgemeinen ab-
sehen und mich lediglich auf die Übersicht bzw. eine nähere
Besprechung der einzelnen Stadien und allenfalls einen kurzen
Vergleich unserer Fälle mit meiner Zusammenstellung des G arre-
sehen Materiales beschränken werde, der mir einer gewissen Be¬
rechtigung insofern nicht zu entbehren scheint, als das letztere
nach denselben völlig gleichen Gesichtspunkten s. Z. von mir zu¬
sammengestellt worden ist, und der auch insbesondere hinsichtlich
seiner Ergebnisse des verschiedenartigen Vorgehens im Zwischen¬
stadium von gewissem Interesse sein dürfte, da wir bei den letz¬
teren Fällen den auch heute noch von Garre vertretenen Stand¬
punkt des individualisierenden Vorgehens im Gegensatz zu unserem
erheblich radikaleren Vorgehen zum Ausdruck gebracht finden.
Unterziehen wir so das gesamte Material der Königsbergei
chirurgischen Klinik an Appendizitisfällen, die vom 1. Oktober 1905
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Radikale Appendizitisbehandlung and ihre Ergebnisse etc.
501
ab nach der bekannten Indikationsstellnng unter Professor Lex er
zur Behandlung und Operation gelangt sind, einer Einteilung und
Sichtung nach den oben erwähnten Stadien, so fällt von vorn¬
herein bei den insgesamt 611 Fällen von Appendizitis, welche bis
Anfang März 1910 zur Operation gelangt sind, eine ganz erhebliche
Zunahme der akuten Fälle gegen früher auf, indem heute 306
chronischen Fällen fast die gleiche Zahl von 305 akuten Fällen
gegenüber steht, was einem Prozentsatz von 50 : 50°/ 0 entsprechen
würde, während nach meiner früheren sich allerdings über den
langen Zeitraum von dreizehn Jahren erstreckenden Zusammen¬
stellung des Gar röschen Materials aus der Rostocker, Königsberger
und Breslauer Klinik bis zum Januar 1907 auf 346 Fälle im
chronischen Stadium nur 167 akute Erkrankungen kommen, was
den erheblich niedrigeren Prozentsatz von 32,5°/ 0 der akuten zu¬
gunsten von 67,5% der chronischen Fälle ergibt.
Es weisen demnach in meiner letzten Zusammenstellung die
akuten Fälle eine Zunahme um rund 17,5% gegen früher auf, und
diese Tatsache an sich dürfte den besten Beweis dafür bilden, wie
sehr mittlerweile die Erkenntnis von den Vorteilen des frühzeitigen
Eingriffs und einer möglichst radikalen Indikationsstellung An¬
erkennung gefunden hat.
Und wenn ich nun auch im folgenden versuchen werde, be¬
züglich der Mortalitätsverhältnisse einen gewissen Vergleich der
beiden nach den gleichen Gesichtspunkten von mir bearbeiteten
Aufstellungen durchzuführen, so liegt es mir selbstverständlich voll¬
ständig fern, damit eine Kritik des einen oder anderen Verfahrens
üben zu wollen, da dieses sich naturgemäß, abgesehen von der
individuell verschiedenen Indikationsstellung und Auffassung der
einzelnen Fälle, schon insofern von selbst verbietet, als ja die
Technik des Eingriffs, wie auch die Nachbehandlung sich innerhalb
des langen Zeitraumes von 16 Jahren erheblichen Wandlungen
und Verbesserungen unterzogen hat, die meiner späteren Zusammen¬
stellung entsprechend zugute kommen und damit auch eine absolut
einheitliche Beurteilung der gesamten Fälle bis zu einem gewissen
Grade ausschließen müssen.
Ich möchte vielmehr lediglich versuchen, auf diese Weise den
Beweis zu erbringen, daß trotz des gegenüber meiner ersten Zu-
•satamenstellung weit überwiegenden Prozentsatzes der akuten, und
zwar nicht allein der absoluten Frühfälle in meiner jetzigen Zu¬
sammenstellung die Resultate der letzteren hinsichtlich der Mor¬
talität zunächst ganz allgemein beurteilt, dennoch keine wesentlich
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 33
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502
Ebner
schlechteren Ergebnisse gezeitigt haben, als die der ersteren sich
vorwiegend aus chronischen Fällen zusammensetzenden Auf¬
stellung.
Zur besseren und gedrängten Übersicht über die Zahl und
die Mortalität unserer Fälle in den einzelnen Jahrgängen und ver¬
schiedenen Stadien der Erkrankung schicke ich kurz folgende kleine
Tabelle voraus, bei der die Zahl der gestorbenen Fälle in Klammern
beigefügt ist:
Frtihop.
Zwischenop.
Spätop.
Notop.
Sicherheitsop.
Summ
1905/6
6
6(1)
6(1)
3(1)
35
5« (3)
1906/7
6
9
20 (2)
6(4)
61
102 (6)
1907/8
14
19(1)
25
16(5)
69
143 (61
1908/9
21
14
23
18(6)
82
158161
1909/10
33
34(1)
14(1)
12(6)
59
152 (8)
Summa:
80
82(3)
88(4)
55(22)
306
611(29)
Aus dieser Tabelle ergibt sich zunächst hinsichtlich der ein¬
zelnen Jahrgänge ein Ansteigen sowohl der Fälle in ihrer Gesamt¬
heit, als auch in den einzelnen Stadien der Erkrankung, bei denen
allerdings der Löwenanteil dieses Anstiegs auf die Fälle im Früh-
Stadium — worunter im Gegensatz zu dem relativen stets das
absolute Frühstadium verstanden wird — und im Zwischenstadium
entfällt, die beide von 6 Fällen im ersten Jahr bis auf 33 bzn.
34 Fälle im letzten Jahre angestiegen sind.
In gleicher Weise lassen auch die chronischen Fälle ein Anwachsen
entsprechend der Zunahme des Operationsmaterials überhaupt er¬
kennen, während, gleich wie dieses auch bei meiner früheren Aof-
stellung besonders von mir hervorgehoben ist, auch hier wieder
die Spät- und Notoperationen sich auf einem ziemlich gleichbleiben¬
den Niveau bewegen, also im Verhältnis zu der stets wachsenden
Zahl der Fälle insgesamt und in den übrigen Stadien eigentlich
einen Rückgang erkennen lassen. Dieser Rückgang fallt gegen¬
über der erheblichen Zunahme der Früh- und Zwischenoperationen
um so schwerer ins Gewicht, da ein Zusammenhang dieser Vorgänge
insofern nicht zu leugnen sein dürfte, als mit der dauernden Zo-
nahme der Früh- und Zwischenoperationen die Zahl der Spät- nnd
Notoperationen mit ihrer mehr minder schlechten oder doch zweifel¬
haften Prognose solange zurückgehen muß, bis sie im idealen Sinne
gesprochen gleich 0 geworden und damit die Mortalität der Er¬
krankung um ein wesentliches gehoben sein dürfte. Daß wir zu
diesem erfreulichen Ergebnis auf dem besten Wege sind, scheint
mir durch die obige Verschiebung des Zahlenverhältnisses zwischen
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Radikale Appendizitisbehandlung und ihre Ergebnisse etc.
503
Früh- und Zwischenoperationen einerseits und den Spät- bzw. Not¬
operationen andererseits zugunsten der ersteren einwandsfrei be¬
wiesen zu sein.
Interessant dürfte sich ferner die Prüfung der Frage gestalten,
in welcher Weise diese Verschiebung der Prozentverhältnisse zu¬
gunsten der Eingriffe im akuten Stadium auf das Mortalitäts¬
verhältnis im ganzen eingewirkt haben mag. Treten wir dieser
Frage näher, so finden wir in unserer obigen Tabelle auf die Ge¬
samtzahl von 611 operativ behandelten Fällen verteilt 29 Todes¬
fälle, was einem Prozentsatz von 4,7°/ 0 Mortalität entsprechen
würde, während nach meiner früheren Zusammenstellung des Garre-
schen Materials auf insgesamt 513 operativ behandelte Fälle
rund 30 Todesfälle entfallen, was einem Prozentsatz von 5,8°/ 0
Mortalität entsprechen würde. Man ist demnach trotz des um 17,5°/o
überwiegenden Vorhandenseins der akuten Fälle in meiner letzten
Zusammenstellung in der Lage gewesen, eine noch um 1,1 °/ 0 ge¬
ringere Mortalität zu erzielen, und es scheint mir in dieser Tat¬
sache ebenfalls eine nicht unerhebliche Empfehlung des radikaleren
Vorgehens zu liegen, um so mehr als für dieses Ergebnis durchaus
nicht etwa eine überwiegende Steigerung der absoluten Frühfalle
allein mit ihrer ohnehin günstigen Prognose gegenüber einer ent¬
sprechend geringeren Zahl von Zwischen-, Spät- und Notfällen ver¬
antwortlich zu machen ist, wie man möglicherweise einwenden könnte.
Die prozentuale Berechnung der Frühfälle in ihrem Verhältnis
zur Gesamtzahl bei beiden Zusammenstellungen ergibt nämlich
eine Steigerung derselben um 5,3°/ 0 bei dem Garre’schen Material
gegenüber einer Zunahme derselben um 13,l°/ 0 bei meiner letzten
Zusammenstellung, was einer prozentualen Überlegenheit der Früh¬
fälle um 7,8°/ 0 bei L e x e r entsprechen würde, während die übrigen
akuten Fälle, also Zwischen-, Spät- und Notfälle zusammenge¬
nommen, von 27,3"/ 0 bei Gar re auf 36,8°/ 0 in meiner letzten Zu¬
sammenstellung gestiegen sind, was also einer prozentualen Ver¬
mehrung derselben um 9,5% entsprechen würde. Es ergibt sich
daraus, daß die prozentuale Steigerung der absoluten Frühfälle in
meiner letzten Zusammenstellung der gleichzeitigen Steigerung der
übrigen akuten Fälle nicht nur nicht überlegen, sondern sogar um
1,7% unterlegen ist, so daß von einer überwiegenden Beteiligung
der prognostisch ungleich günstigeren Frühfälle an dem Ergebnis
meiner letzten Zusammenstellung nicht gut die Rede sein kann.
Sehen wir nun des weiteren, in welcher Weise sich die 29
Todesfälle seit dem 1. 10. 05 auf die einzelnen Stadien der Er-
33*
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504
Ebner
krankung verteilen, bzw. wie sich die Mortalität innerhalb dieser
Stadien verhält, So finden wir zunächst 80 Fälle von absoluter
Frühoperation und 306 Sicherheitsoperationen, die, wie es an sich
ja auch nicht anders zu erwarten ist, ohne Todesfall verlaufen sind.
Es verteilen sich demnach die 29 Todesfälle unserer Zusammen¬
stellung lediglich auf diejenigen 225 Fälle, welche im Zwischen-.
Spät- und Notstadium zur Operation gelangt sind. Das ergibt für
diese Fälle den relativ hohen Prozentsatz von 12,9°/ 0 Mortalität
der jedoch in erster Linie der entsprechend hohen Sterblichkeit
bei den Notoperationen zur Last zu legen ist, gegen welche die
Mortalität bei den Zwischen- und Spätoperationen kaum ins Ge¬
wicht fällt, wie wir im folgenden sehen werden.
Es entfallen nämlich von ihnen auf rund 82 Zwischen¬
operationen nur drei Todesfälle, was zunächst dem an sich
schon nicht allzu hohen Prozentsatz von 3,6°/ 0 Mortalität entsprechen
würde, der nur um 0,6°/ 0 höher ist, als das von Sprengel in
seiner Zusammenstellung gefundene Ergebnis von 3 0 / o für das
Zwischenstadium.
Da aber in dem einen von diesen drei Fällen sich trotz ge¬
nauester Obduktion seitens des hiesigen pathologischen Instituts
eine Klarheit über die eigentliche Todesursache überhaupt nicht
erlangen ließ, sich insbesondere auch nicht die Anzeichen einer
stärkeren peritonealen Entzündung bzw. peritonealen Allgemein-
infektion, ebensowenig wie einer Embolie oder dgl. feststellen
ließen, so muß man wohl naturgemäß den letzteren Fall für die
eigentliche Wertung des operativen Eingriffs an sich im Zwischen¬
stadium in Abzug bringen und würde damit für das Zwischen¬
stadium den noch erheblich günstigeren Prozentsatz von nur 2,4 # »
Mortalität erhalten. Das muß um so mehr hervorgehoben werden,
als die Gegner der Zwischenoperation, wie Koerte, Garre.
Kuemmel, v. Eiseisberg, Sonnenburg u. a. sich bei ihrer
Abneigung gegen dieselbe auf die schlechten Ergebnisse ihrer
Statistik mit 8—16% Mortalität im Zwischenstadium stützen.
Diese können aber insofern nicht als beweisend erachtet werden,
als von ihnen eben nur die wirklich schweren Fälle, bei denen es
wegen drohender Gefahr der peritonealen Allgemeininfektion dringend
notwendig ist, in diesem Statium operiert werden, so daß es sich
dabei nicht allzu selten um Notoperationen, nicht aber um Zwischen¬
operationen im eigentlichen Sinne des Wortes gehandelt haben dürfte.
Daß wir im übrigen dabei auch selbst nach dem Vorgänge
Sprengels die Fälle von bereits vorhandener peritonealer All-
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Radikale Appendizitisbehandlung and ihre Ergebnisse etc. 505
gemeininfektion oder freier Peritonitis, wie sie Sprengel bezeichnet,
die innerhalb des Zwischenstadiums zur Operation gelangt sind,
fortlassen, versteht sich insofern von selbst, als diese dann eben’
Notoperationen sind, die in jedem, also auch im Zwischenstadiam
dringend indiziert sind und bei der bereits vorhandenen Allgemein*
infektion des Peritoneums von vornherein auch eine wesentlich
schlechtere Prognose ergeben müssen, wie die eigentliche Zwischen-
Operation, welche ja lediglich zur Verhütung der gleichsam sekun¬
dären Allgemeininfektion des Peritoneums unter entsprechender
Erweiterung der operativen Indikationsstellung auch für alle die
Fälle eben vorgeschlagen wird, die bereits eine gewisse Neigung
zur Umgrenzung und Abkapselung des Entzündungsvorganges zeigen:
und die auch heute noch nach der Ansicht der konservativeren
Chirurgen ein Noli me tangere darstellen sollen«
Etwas, aber nicht wesentlich höher gestaltet sich in uuserer
Zusammenstellung die Mortalität der Spätoperation mit 4 Todes¬
fällen auf 88 Operationen im Spätstadium der Erkrankung, w;as
zunächst einer Mortalität von 4,5% entsprechen würde. Sie ge¬
staltet sich danach also noch um 2,3% höher als unsere Mortalität
im Zwischenstadiuro, und ich möchte nicht verfehlen, das ganz be¬
sonders hervorzuheben gegenüber der vielfach noch üblichen An¬
schauung, daß die Eingriffe im Zwischenstadium sich erheblich
gefährlicher zu gestalten bzw. eine wesentlich schlechtere Mortalität
zu liefern pflegen, als im Spätstadium der abgekapselten Ent¬
zündungsherde und Abszesse.
Jedenfalls kann im Vergleich zu den Spätfällen meiner ersten
Zusammenstellung, nach Abzug der ursprünglich dabei mitgezählteü
Zwischenoperationen, mit einer Mortalität von 7,8% und zu den
weiteren Ergebnissen von Hab er er mit 5,9%, Silbermark
mit6%, Sprengel mit5—10%, Dannehl mit 11,6%, Kuemmel
und Battle mit je 10% das Ergebnis unserer Spätoperationen
zum mindesten nicht als ungünstig bezeichnet werden, selbst wenn
man unter Einrechnung der beiden durchaus zweifelhaften Fälle -
den höheren Mortalitätssatz von 4,5% als zurecht bestehend an-
sehen wollte.
Kommen wir nun schließlich zu den übrigen 22 Todesfällen,
welche sämtlich auf die im Notstadium, dem Stadium der perito¬
nealen Allgemeininfektion, zur Operation gelangten 55 Fälle ent¬
fallen, so ergibt das den gegenüber den anderen Stadien außer¬
ordentlich hohen Prozentsatz von rund 40,0% Mortalität, der sich
abgesehen von der Schwere der pathologischen Veränderungen zum
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506
Ebner
Teil vielleicht auch dadurch erklären lassen dürfte, daß die Falle
größtenteils von verschiedenen Assistenten operiert worden sind,
bei denen man naturgemäß nicht ohne weiteres den gleichen Erfolg
voraussetzen kann, als wenn sämtliche Fälle von der Hand des
gleichen erfahrerenen Chirurgen operiert worden wären, wie sich
das an großen Krankenhäusern, wie Braunschweig, Hamborg.
Frankfurt u. dgl. wohl durchführen läßt, aber an einem Lehrinstitut
aus mannigfachen Gründen äußerer und innerer Natur nicht gnt
möglich ist.
Daß dieser an sich ziemlich hohe Prozentsatz, namentlich aocb
der eigentlichen Notoperationen, im Verhältnis zu den Ergebnissen
anderer Autoren indes ebenfalls nicht als besonders ungünstig za
bezeichnen ist, dürfte sich am besten aus der folgenden kleinen
Tabelle ergeben, in welcher ich versucht habe einige Zusammen¬
stellungen derart lediglich nach der Höhe dieses Prozentsatzes bei
den Notoperationen im allgemeinen, also einschließlich der relativen
Frühoperationen zu ordnen, während ich das getrennte Ergebnis
der relativen Frühoperationen und der eigentlichen Notoperationen.
soweit mir dasselbe zugänglich war, daneben gestellt habe:
Autore. Notoperation.
Relative Frühop.
Eigentl. Notop.
Ebner (Lexer) 1910
40,0»/.
W/o
65,62%
Lindström
mx
22,0%
65,2%
Nötzel
49,1°/.
—
—
Heidenhain
54,76»/,
—
—
Trendelenburg
64,0»/,
—
—
Fowler
69,5»/,
—
—
Ebner (Garrö) 1908
70,4»/,
14,3 %
85,0»,
Dannehl
74,4»/,
--
—
v. Haberer
76,0»/,
—
—
v. Mikulicz 1903
83,0»/,
—
—
Kümmel
89,0»/,
—
—
Sprengel 1901
—
25,0 %
44,0%
Sprengel 1905
—
4,0 %
25,0%
Silbermark
—
10,0%
45,9%
Indem ich die Besprechung der einzelnen Todesfälle bei der
näheren Erörterung der einzelnen Stadien unserer Einteilung vor¬
nehmen werde, möchte ich noch kurz hinsichtlich des Geschlechtes
der Patienten hervQrheben, daß wir entsprechend dem Ergebnis
fast sämtlicher übrigen Aufstellungen vorwiegend das männliche
Geschlecht von der Erkrankung betroffen finden, insofern als von
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507
611 Erkrankungsfällen 358 auf das männliche und nur 253 auf das
weibliche Geschlecht entfallen, was einem Prozentsatz von 58,6°/ 0
zugunsten des männlichen Geschlechts gegenüber 41,2% für das
weibliche Geschlecht entsprechen würde.
In gleicher Weise habe ich in meiner ersten Zusammenstellung
von 550 Fällen des Gar röschen Materiales gegenüber 63,6% von
männlichen Patienten nur 36,4% Frauen gefunden, ebenso hat u. a.
auch Dan ne hl ein Verhältnis von 72,2% : 27,8 % und Ho ff mann
bei 2131 Fällen fast das gleiche Verhältnis mit 72,4% : 27,6%
zwischen der Beteiligung der beiden Geschlechter zugunsten des
männlichen Geschlechts gefunden. Asch off dürfte also mit dem
Ergebnis seiner Zusammenstellung der von ihm untersuchten 1000
Fälle hinsichtlich einer Beteiligung der Geschlechter an der Er*
krankung zu gleichen Teilen auch weiterhin ziemlich vereinzelt
dastehen.
Treten wir nun in die nähere Besprechung der einzelnen Stadien
der Erkrankung ein, so möchte ich zunächst diejenigen Kategorien
vorausschicken, deren Besprechung ich etwas summarischer ge¬
stalten kann.
Es sind dieses vorerst die im Slcherheitsstadium zur Operation
gelangten Fälle, deren Zahl sich auf 306 beläuft, und bei denen
ein Todesfall nicht zu verzeichnen ist.
Die Zahl der vorangegangenen Anfälle bewegt sich
bei diesen zwischen 1—12 Anfällen, und zwar waren vorausgegangen
ein Anfall in 91 Fällen, 2 in 98, 3 in 63, 4 in 27, 5 in 15, 6 in 7,
7 in 1, 10 in 3, und schließlich 12 Anfälle in einem Fall. Danach
ist also weitaus die Mehrzahl der Fälle, nämlich 189, bereits nach
dem ersten bis zweiten Anfall zur Operation gelangt, was einem
Prozentsatz von 61,8% entsprechen würde, während die Zahl der
später gekommenen Fälle sich auf 117 = 38,2% beläuft.
Der Zeitpunkt der Operation nach Ablauf des
letzten Anfalls fällt innerhalb der 1.—10. Woche in 213 Fällen,
innerhalb der 11.—20. Woche in 54 Fällen, innerhalb der 21.—30.
Woche in 17 Fällen, innerhalb der 31.—40. Woche in 9 Fällen
und innerhalb der 41.—50. Woche in 4 Fällen, während der Rest
von 9 Fällen erst nach einem Jahr oder noch später zur Operation
gelangt ist. Es sind danach 69,6% unserer chronischen Fälle
bereits innerhalb der ersten 10 Wochen nach Ablauf des letzten
Anfalls zur Operation gelangt
Daß es dabei durchaus nicht so notwendig und angesichts der
Möglichkeit neuer Rückfälle nicht einmal zweckmäßig ist, wie das
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508
Ebne«
früher vielfach der herrschenden Anschauung entsprach, mindestens
acht bis zehn Wochen oder darüber nach dem letzten Anfall bis
za dem Eingriff verstreichen za lassen, das geht aas dem Ergebnis
unserer Zusammenstellung insofern hervor, als fast die Hälfte
dieser Fälle bereits innerhalb der ersten drei Wochen nach dem
Ablanfe des Anfalls operiert worden ist, ohne daß dadurch irgend¬
eine Beeinflussung der Mortalität oder des Heilungsverlaufs im
ungünstigeren Sinne zutage getreten wäre.
Daß gelegentlich einmal so kurz nach einem schweren Aufall
noch Exsudatreste bzw. virulente Herde gefunden und entleert
werden können, liegt auf der Hand. Bei geeignetem Vorgehen und
entsprechender Technik des Eingriffs werden aber auch derartige
Entzünduqgsreste für den Patienten durch den Eingriff an sieb
nicht eine größere Gefahr bedingen, als die sonst im Körper noch
länger zurückbleibenden Herde virulenter Erreger. Vielmehr werden
im allgemeinen bereits vorhandene Verwachsungen so kurz nach
dem abgelaufenen Entzündungsvorgang immer noch leichter lösbar
sein, als wenn man einen längeren Zeitraum verstreichen läßt, bis
die Verwachsungen erst recht fest geworden und dementsprechend
schwieriger zu trennen sind. Und wie schwere Verwachsungen
man selbst nach 6, ja nach 9 Monaten und darüber noch antreffen
kann anstatt der erwarteten Resorption der Adhäsionen, falls NB.
inzwischen nicht ein neuer Anfall hinzugekommen ist, das dürfte
wohl so ziemlich jeder erlebt haben, der auf eine größere Anzahl
von Sicherheitsoperationen zurückblicken kann.
Sowohl von theoretischen Erwägungen, wie auch dem Ergebnis
unserer praktischen Erfahrungen ausgehend, können wir uns daher
auch hinsichtlich des Sicherheitsstadiums der früheren, mehr kon¬
servativen Anschauung nicht anschließen, sondern glauben vielmehr,
daß gleich wie während des gesamten Verlaufes der Erkrankung über¬
haupt, so auch im Sicherheitsstadium bzw. nach Ablauf der akuten
Entzündungserscheinungen der Eingriff jederzeit zweckmäßig und
empfehlenswert ist, und zwar im Hinblick auf die leichtere Löslich¬
keit der Verwachsungen je früher desto besser. Auch hier darf
man nach unseren Erfahrungen gleichwie im Zwischenstadium der
Erkrankung sich ruhig einer radikaleren Anschauung befleißigen,
als das früher der Fall gewesen ist.
Hinsichtlich der Behandlungsdauer der chronischen
Fälle sind innerhalb der ersten zwei Wochen 138 Fälle, gleich
44,8° ,,. und innerhalb der ersten drei Wochen weitere 101 Fälle,
im ganzen also 239 Fälle gleich 78% der gesamten chronischen
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Radikale Appendizitiabehandlnng and ihre Ergebnisse etc. 509
Fälle zur Entlassung gekommen, während der Rest von 65 Fällen,
gleich 22°/ 0 , erst innerhalb der 4.-5. Woche entlassen werden'
konnte. Der Appendix konnte in sämtlichen 306 Fällen entfernt werden.
Was die pathologisch - anatomischen Befunde im
Sicherheitsstadium anbelangt, so möchte ich dieselben lediglich
summarisch berichten und nur bei denjenigen Fällen etwas länger
verweilen, die von den üblichen Befunden Abweichendes darbieten.
Zunächst Zeichen vorausgegangener Entzündung
am Peritoneum in der Umgebung des Appendix in Gestalt von
älteren bzw. frischen Verwachsungen oder Exsudatresten finden wir
angegeben in 162 Fällen, gleich 52,9°/ 0 , also über der Hälfte der
gesamten Sicherheitsfälle. Von diesen handelte es sich um wenige
bzw. leichter lösliche Verwachsungen in 53 Fällen, während zahl¬
reiche und schwerer lösliche Verwachsungen in 87 Fällen gefunden
wurden, was also einem Prozentverhältnis von 17,3:28,4"/ 0 ent¬
sprechen und somit auf eine Überlegenheit der stärkeren Ver-
wachsungsfälle um 15,l°/ 0 über die Fälle mit leichten Verwachsungen
hinauslaufen würde, eine Tatsache, die mir für die Abwägung
zwischen den Vorteilen der Früh- und der Sicherheitsoperation be¬
achtenswert erscheint.
Zeichen einer erst kürzlich abgelaufenen Entzündung * in der
Umgebung des Appendix in Gestalt von Exsudatresten bzw. Gra¬
nulationen werden in weiteren 22 Fällen, dem Rest der oben er¬
wähnten 162 Fälle, angegeben, was einem Prozentsatz von 7.2°',,
der chronischen Fälle insgesamt entsprechen würde.
So hoch nun das Verhältnis dieser noch frischen Exsudatreste
bzw. noch vorhandenen Abszesse zu der gesamten Zahl der
chronischen Fälle auch von vornherein erscheinen mag, so erklärt
sich die Höhe desselben eben daraus, daß wir auch im Sicherheits¬
stadium die Fälle nach Ablauf der entzündlichen Erscheinungen
zu jeder Zeit operiert haben und eine verhältnismäßig große Zahl
von Fällen bereits 8—14 Tage nach dem Anfall zur Operation ge¬
langt ist, wo naturgemäß frische Entzündungsreste noch vorhanden
sein konnten.
Daß dadurch im übrigen die Prognose der Fälle wesentlich
verschlechtert wäre, kann man, wie das auch von anderen Autoren
gefunden ist, nach dem praktischen Ergebnis unserer kleinen
Statistik wohl kaum sagen.
Hinsichtlich der Merkmale von Entzündungsprozessen
am Appendix selbst möchte ich im folgenden der größeren
Übersichtlichkeit wegen unterscheiden zwischen denjenigen, welche
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510
Ebnkh
in der Haltung, der Form, der Wandung und schließlich dem Inhalt
des Appendix zum Ausdruck gelangt sind.
Was zunächst die Haltung des Appendix anbelangt, soweit
darüber Angaben vorhanden sind, so finden wir als die häufigste
Abnormität derselben erwähnt eine ausgesprochene Abknickung in
10 Fällen.
Eine weitere Haltungsanomalie des Appendix in Gestalt einer
„spiraligen" bzw. „korkzieherartigen" Drehung um seine Längs¬
achse wird nur in zwei Fällen erwähnt. Schließlich wird noch
in einem Falle eine „penisartige Erektion“ des Appendix besonders
hervorgehoben, als Zeichen der noch vorhandenen entzündlichen
Veränderung seiner Wand.
Hinsichtlich einer Formveränderung des Appendix
findet sieb eine durch Retention bedingte Auftreibung seines Lumens
in rund 30 Fällen erwähnt, was einem Prozentsatz von 9,8°/ 0 der
chronischen Fälle insgesamt entsprechen würde.
Zu den Formanomalien des Appendix möchte ich schließlich
noch rechnen die meist durch narbige Verwachsungen bedingten
Strikturen seines Lumens, die wir hier in 11 Fällen ausdrücklich
erwähnt finden.
Entzündliche Veränderungen der Wand des Appen¬
dix in Gestalt einer ausgesprochenen Schwellung bzw. umschriebenen
Ulceration derselben werden verzeichnet in 18 Fällen, bei denen
es sich einmal infolgedessen zu der oben bereits erwähnten penis¬
artigen Erektion des Appendix gekommen war.
Eine Stenose der Schleimhaut, im Gegensatz zu der durch
äußere Serosaveränderungen hervorgerufenen Striktur, wird an¬
gegeben in 6 Fällen. Die nächstfolgende Veränderung in Gestalt
einer Verklebung der Wand bzw. Obliteration des Appendixlumens
wird erwähnt in 23 Fällen, gleich 7,5%.
Eine noch nachweisbare Perforation der Wandung wird
angegeben in 12 Fällen, gleich 4% der chronischen Fälle. Als
immerhin recht seltener Befund war in einem Falle die Spitze des
Appendix in das Coekum hinein perforiert, so daß auf diese Weise
eine zweifache Amputation des Appendix sich als notwendig erwies.
Hinsichtlich des Inhaltes des Appendix möchte ich noch
hervorheben, daß von Fremdkörpern in seinem Lumen nur in
zwei Fällen berichtet wird, gleich 0,6%, die sich einmal in Gestalt
mehrerer Borsten, vermutlich von einer Zahnbürste herrührend, in
der Spitze des Appendix, und ein anderes Mal in Gestalt eines
Getreidekornes vorfanden, das durch eine vermutlich artefbriell
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Radikale Appendizitisbehandlong und ihre Ergebnisse etc.
511
während des Eingriffs entstandene Öffnung ebenfalls an der Spitze
herausschaute.
Das Vorhandensein von Kotsteinen wird ausdrücklich
hervorgehoben in 16 Fällen, gleich 5,2°/ 0 . Der größte dieser Steine
wird als bohnengroß angegeben. In zwei Fällen fanden sich zwei
Kotsteine gleichzeitig im Appendixlumen vor. In einem Falle war
unter dem Kotstein ein Ulcus gelegen, in einem anderen Falle
entsprach eine Deknbitnsstelle an der Spitze der Lage des Steines.
Hinsichtlich des OperationsVerlaufes möchte ich noch
erwähnen, daß in fünf Fällen während der Lösung der Appendix
ein- bzw. abgerissen wurde, und daß trotzdem nur in einem einzigen
von ihnen, sich eine Fistel etablierte, die noch bei der Entlassung
sich nicht geschlossen hatte. Bei den übrigen Fällen hingegen
trat nach Einlegen einer Drainage bzw. geringen Tamponade auf
den Stnmpf glatte Heilung ein, trotzdem sogar in zwei Fällen von
ihnen die Spitze des abgerissenen Appendix überhaupt nicht ge¬
funden wurde nnd zurückgelassen werden mußte.
Außer dieser eben erwähnten bei der Entlassung noch vor¬
handenen Fistel wird nur noch in zwei weiteren Fällen von einer
postoperativen Fistelbildung berichtet. Wir haben es
danach also nur in drei Fällen, gleich 1%, überhaupt mit einer
Fistelbildung nach dem Eingriff zu tun, von denen eine bereits bei
der Entlassung ausgeheilt war, während die beiden anderen sich
höchstwahrscheinlich innerhalb kürzerer Zeit nach der Entlassung
ebenfalls spontan geschlossen haben dürften, da sonst die Patienten
sich sicherlich früher oder später noch einmal zwecks Beseitigung
der Fistel vorgestellt hätten.
Eine Tamponade bzw. Drainage des Operationsfeldes war not¬
wendig in 33 Fällen, was dem immerhin noch recht hohen Prozent¬
satz von 10,8°/ o der chronischen Fälle insgesamt entsprechen würde.
Die Höhe dieses Prozentsatzes dürfte sich aber ohne weiteres
aus dem vielfach recht frühen Zeitpunkt unseres Vorgehens nach
dem Abklingen der entzündlichen Erscheinungen und der ent¬
sprechend vergrößerten Möglichkeit des Vorhandenseins frischer
Entzündungsreste zwanglos erklären lassen.
Der H eilungsverlauf derFälle nach derOperation
war in 286 Fällen, gleich 93,5°/ 0 , ohne Störung und fieberhafte
Temperatursteigerung. Auf den Best von 20 Fällen, gleich 6,5°/ 0
der chronischen Fälle überhaupt, entfallen Störungen des Wund¬
verlaufes in 9 Fällen, was einem Prozentsatz von 3 °/ 0 der Ge¬
samtfälle entsprechen würde. Und zwar bestand diese Störung in
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512
Ebner
7 Fällen in einer Faden- bzw. Nahteiterung. In einem weiteren
Falle wurde am 11. Tage post op. wegen eingetretenen Schüttel¬
frostes und Fieber durch Eröffnung der frischen Narbe ein Absceß
der rechten Leistengegend entleert und drainiert. In dem nennten
Falle schließlich wurde ein unterhalb der Nabt sekundär zur Ent¬
wicklung gelangter Absceß durch Eröffnung der Naht entleert und
drainiert, nachdem man trotz verhältnismäßig frischer Entzünd ungs-
reste sich dennoch in diesem Falle zum primären Verschluß der
Bauchwunde verstanden hatte.
Eine Störung durch Hämatombildung wird im ganzen
sechsmal gleich 2°/ 0 der Gesamtfälle verzeichnet. Und zwar saß
das Hämatom in fünf Fällen direkt in der Narbe und war somit
von den Bauchdecken ausgegangen. Nur in einem Falle handelte
es sich um ein intraperitoneal bzw. unterhalb der Bauchdecken
gelegenes Hämatom nach Tamponade wegen heftiger Blutungen
aus den zahlreichen Adhäsionen, das infolge Infektion vom Dann
aus vereitert war.
Von Störungen seitens der Lungen wird nur in 3Fällen.
gleich 1 %, der chronischen Fälle insgesamt berichtet. In allen
3 Fällen handelte es sich um außerordentlich leichte Erkrankungen,
die zweimal in einer leichten Bronchitis mit geringem Fieber bis
38,2° von 2—3 tägiger Dauer bestanden und einmal einer ganz
leichten Pleuritis serosa im komplementären Zwerchfellraum der
rechten Seite entsprachen.
Störungen seitens des Gefäßsystems werden nur in
einem Falle in Gestalt einer leichten Thrombose des rechten Unter¬
schenkels mit einer geringen Temperatursteigerung bis 37.6 be¬
richtet.
Störungen seitens des Darmtraktus werden gleich¬
falls nur in einem Falle, gleich 0,3%, berichtet, in dem es vom
3. bis 5. Tage nach dem Eingriff unter einem kurzen und ziemlich
steilen Temperaturanstieg bis 39,2° zu übelriechenden Durchfallen
kam, die wohl auf eine Störung der Darmtätigkeit im Sinne einer
Enteritis hinweisen dürften.
Die gleich günstige, wenn nicht noch günstigere Prognose, wie
die Sicherheitsoperation im chronischen Stadium liefert die abso¬
lute Frühoperation innerhalb der ersten 48 Stunden nach Beginn
der Erkrankung, eine Prognose, die wir ebenfalls mit einer Mor¬
talität von 0% an unseren 80 Fällen von absoluter Frühoperation
bestätigt gefunden haben.
Hinsichtlich der Anzahl der vorangegangenen Anfälle
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Radikale Appendizitisbehandlang und ihre Ergebnisse etc.
513
wird in der überwiegenden Mehrzahl von 43 Fällen der betreffende
Anfall als der erste angegeben, während es sich noch in 29 Fällen
um den zweiten, dagegen nur in 4 Fällen um den dritten, in 3 Fällen
nm den vierten Anfall und schließlich in 1 Falle um angeblich
zehn vorausgegangene Anfälle, allerdings mehr weniger leichten
Charakters, gehandelt hat. Es siud also 72 von 80 Fällen, gleich 90°/ o
unserer absoluten Frühoperationen, bereits im ersten bzw. zweiten
Anfall, also verhältnismäßig frühzeitig zur Operation gelangt,
während nur in 8 Fällen der dritte bis vierte Anfall bzw. noch
später abgewartet worden ist.
Auch hier konnte in sämtlichen Fällen der Appendix ohne be¬
sondere Schwierigkeit gefunden und entfernt werden.
Bezüglich des Zeitpunktes der Operation nach dem Be¬
ginn des Anfalles gelangte die Mehrzahl der Fälle, nämlich 55,
erst am zweiten Tage zur Operation, während nur 25 gleich am
ersten Tage die Hilfe des Chirurgen in Anspruch nahmen.
Hinsichtlich der Heilungsdauer gelangten inner¬
halb der ersten 3 Wochen 64 von 80 Fällen, gleich 80°, 0
der absoluten Frühoperationen, zur Entlassung. Der
Rest von 16 Fällen gleich 20°/o bedurfte zum Teil wegen einer
notwendigen Tamponade, zum Teil auch wegen späterer Zwischen¬
falle einer längeren Behandlungsdauer, auf die wir an geeigneter
Stelle noch näher zu sprechen kommen werden.
Immerhin ist trotzdem noch gegenüber 45,6 °/ 0 der Sicherheits¬
operationen, welche ebenfalls innerhalb der ersten 3 Wochen die
Klinik verlassen durften, ein um 34,4 °/ 0 überlegener Prozentsatz
der absoluten Frühoperationen innerhalb des gleichen Zeitraumes
zur Entlassung gelangt, eine Tatsache, die nicht gerade zuun¬
gunsten der Frühoperation und ihres Heilungsverlaufes gegenüber
der Sicherheitsoperation sprechen dürfte.
Was nun die gelegentlich des Eingriffs erhobenen patho¬
logisch-anatomischen Befunde der absoluten Früh¬
fälle anbelangt, so habe ich mich bemüht, dieselben wie im Sicher¬
heitsstadium hinsichtlich ihrer einzelnen Erscheinungen zu ordnen,
um so ein möglichst einheitliches Übersichtsbild von der Häufig¬
keit dieser Erscheinungen im Frühstadium der Erkrankung zu ge¬
winnen.
So finden wir hinsichtlich einer Beteiligung des Perito¬
neums ältere Entzündungsreste in Gestalt reichlicher bzw. festerer
Verwachsungen angegeben in 16 Fällen, neuere Entzündungsreste
in Gestalt geringerer bzw. leichter trennbarer Verwachsungen in
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514
Ebnbb
7 Fällen, so daß insgesamt in 23 Fällen, gleich 28>7 % der Frühfalle.
Entziindungsreste als Zeichen vorangegangener Anfalle am Peri¬
toneum festzustellen waren. Hinsichtlich frischer Entzündumrser-
scheinungen am Peritoneum und zwar in ziemlicher Übereinstimmung
mit dem Zeitraum seit dem angeblichen Beginn der Erkrankung
finden wir als ersten Grad derselben ein Ödem am Peritoneum
bzw. Mesenteriolum verzeichnet in 4 Fällen, gleich 5%, und als
zweiten Grad ein freies, rein seröses Exsudat in 10 Fällen, gleich
12,5 %• Ein trüb seröses bzw. eiterig getrübtes Exsudat als dritter
Grad der Entzündung fand sich in 12 Fällen, gleich 15 0 0 . In
allen diesen Fällen war das Exsudat durchweg auf die nähere
Umgebung des Appendix beschränkt, während die weitere Um¬
gebung bereits in Gestalt von mehr weniger reichlichen fibrinösen
Beschlägen der Serosa die ersten Ansätze zu beginnender Ver¬
klebung und Abgrenzung der Entzündung aufwies.
Eine ausgesprochene Absceßbildung wird unter den absoluten
Frühoperationen nur in 2 Fällen gleich 2,5 % berichtet und hatte
augenscheinlich sekundär zum Auftreten der neuen, als eigentlicher
Anfall imponierenden Entzündungserscbeinungen getührt.
Sowohl aus den obigen zum Teil bereits recht fortgeschrittenen
Reaktionserscheinungen am Peritoneum, wie namentlich auch den
beiden letzten Fällen, kann man wieder die Bestätigung des so oft
bereits hervorgehobenen Widerspruchs der tatsächlich vorhandenen
klinischen Erscheinungen mit dem seit dem angeblichen Beginn
der Erkrankung verstrichenen Zeitraum ersehen. Das muß um
so mehr hervorgehoben werden vom praktischen Gesichtspunkt aus,
als auf diese leichtverständliche Weise selbst der strikteste Gegner
der Zwischenoperation gelegentlich gezwungen sein kann, statt der
erwarteten Frühoperation eine Zwischenoperation dem Befunde
nach machen zu müssen, deren Erfolg ihn dann wohl zu einem
weiteren Beschreiten des zufällig betretenen Weges ermutigen
dürfte. Man kann eben niemals sowohl nach den rein klinischen
Erscheinungen, wie nach der zeitlichen Berechnung des Krank¬
heitsverlaufes ganz sicher sein, den erwarteten Befund auch wirk¬
lich anzutreffen, und darum wird es auch vom praktischen Stand¬
punkt aus immer sein mißliches haben, hier für den Eingriff ge¬
wisse zeitliche Grenzen des Krankheitsverlaufes festsetzen und
überhaupt irgendwelche auf dieser Basis beruhende Normen auf-
steilen zu wollen, die man beim besten Willen gar nicht befolgen
kann, weil sie eben pathologisch-anatomisch in zahlreichen Fällen
nicht zutreffen.
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.Radikale Appendizitisbehandlnng and ihre Ergebnisse etc.
515
Was nun die eigentlichen Veränderungen am Appen¬
dix bei unseren Frühfällen anbelangt, so linden wir als einen
leichteren Grad derselben lediglich eine Schwellung und Rötung
seiner Wand in 18 Fällen gleich 22,5 °/ 0 , und einen stärkeren Grad
derselben in Gestalt makroskopisch deutlich erkennbarer ulceröser
Veränderungen in 8 Fällen, gleich 10 °/ 0 , verzeichnet. Eine noch
stärkere Veränderung der Wand in Gestalt einer ausgesprochenen
Gangrän wird berichtet in 4 Fällen, von denen in einem Falle so¬
gar die ganze Schleimhaut des Appendix eine gangränöse Ver¬
färbung mit diphtherieähnlichen Belägen aufwies, während in den
anderen 3 Fällen eine mehr umschriebene Gangrän der Wand in
ihrer ganzen Dicke an der Spitze saß.
Multiple Hämorrhagien der Schleimhaut werden nur in
3 Fällen, gleich 3,7 °/ 0 , angegeben, von denen sie sich in einem Falle
gleichzeitig zusammen mit einem Kotstein vorfanden. Zur aus¬
gesprochenen Perforation der Wand war es nur in 4 Fällen
gleich 5 % der Frühoperationen gekommen. In 2 von diesen Fällen
fänden sich bezeichnenderweise auch Kotsteine vor.
Das Vorhandensein von Kotsteinen überhaupt finden wir
angegeben im ganzen nur in 6 Fällen, gleich 7,5 °/ 0 .
Zu einer Veränderung der Form des Appendix in¬
folge Retention seines Inhalts war es gekommen in 23 Fällen
gleich 28,7 °/ 0 .
Auch hier finden wir, gleich wie im Sicherheitsstadium, in
weitaus überwiegendem Maße die Spitze bzw. das obere Drittel des
Appendix von den akut entzündlichen Erscheinungen betroffen, die
stellenweise bereits zu den schwersten Störungen der Wand, ja
sogar mehrfach zur Perforation innerhalb des kurzen Zeitraums
seit dem angeblichen Beginn der Erkrankung geführt hatten.
Was nun den Eingriff selbst anbelangt, so spielte er sich
in der gleichen Weise wie der im chronischen Stadium ab.
Das Einlegen eines Tampons erwies sich notwendig in 19 Fällen
gleich 23,7 °/ 0 , ein Prozentsatz, der gegenüber 10,8 °/o der Tampon¬
fälle im Sicherheitsstadium über doppelt so hoch ausfällt, wie bei
den Sicherheitsoperationen. Diese an sich ja recht auffällige Tat¬
sache findet aber ohne weiteres ihre Erklärung in der Überlegung,
daß in den betreffenden Fällen die akuten Veränderungen am Appen¬
dix und Peritoneum bereits soweit fortgeschritten waren, daß man
es für vorsichtiger erachten mußte, für einige Tage die Wunde in
geringer Ausdehnung noch offen zu halten. Da im übrigen bereits
nach einem kurzen Zeitraum von 2—4 Tagen meist die geringe
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516
Ebner
Tamponade bzw. Drainage entfernt werden konnte, so trat eine
wesentliche Verlängerung des Heilungsverlaufes dadurch in der
Regel nicht ein.
Trotz dieser verhältnismäßig häufigen Tamponfälle wurde nnr
ein Fall, der ein ausgesprochen eiteriges Exsudat gehabt hatte
mit einer noch bestehenden geringen Eiterabsonderung ans der
kleinen Tamponfistel entlassen, die sich ebenfalls sehr schnell
spontan geschlossen haben durfte. Bei allen übrigen Fällen ist
die Tamponöffnung meist innerhalb kürzester Zeit nnd zwar durch
sekundäre Verklebung der Wundränder znr Heilung gelangt.
Der Heilungsverlauf der Fälle nach der Operation war
in 74 Fällen, gleich 92,5 °/ 0 . ohne weitere Störung. Bei dem Best
von 6 Fällen, gleich °/o? handelte es sich um eine Störung des
Wandverlaufes durch eine Faden- bzw. Nahteiterung in 2 Fällen
gleich 2,5 °/o» durch vorübergehende Retention mit entsprechendem
Temperaturanstieg nach Entfernung des Tampons in einem Falle.
In 2 Fällen kam eine geringe Störung seitens der Lungen vor.
Ganz besonders erschwert wurde schließlich der Verlauf des
6. Falles durch einen Vorgang, der mit der eigentlichen Erkran¬
kung an sich nichts zu tun hatte, der vielmehr lediglich dem bis
dahin von uns zur Ligatnr des Mesenteriolums verwandten Katgut-
material zur Last zu legen ist, indem nämlich durch nachträgliches
Abgleiten der Ligatur von der Art. appendicnlaris ein sehr großes
retrocökal gelegenes Hämatom unter entsprechender Anämie znr
Entwicklung gelangte. Wir haben uns diesen Fall zur Warnung
dienen lassen und seitdem nur noch mit Seide ligiert, worauf ein
derartiger Zwischenfall nicht mehr zu verzeichnen gewesen ist
Der Prozentsatz der postoperativen Zwischenfälle beim Früb-
stadium in Höhe von 7,5 °/ 0 stellt sich im übrigen ziemlich gleich
demjenigen im Sicherheitsstadium mit 6,5 °/ 0 , insbesondere wenn man
den letzten Fall, der ja überall hätte passieren können, dabei in
Abzug bringt, was dann einen Prozentsatz von 6,2 °/ 0 für das Früh¬
stadium unserer Zusammenstellung ergeben würde.
Kommen wir nun zu der Erörterung der im Zwischen¬
stad iura vom 3.—8. Tage der Erkrankung zur Operation ge¬
langten Fälle, so sind darunter, wie bereits oben bemerkt nur
diejenigen Fälle einbegriffen, welche nicht bereits zu einer aus¬
gesprochenen Allgemeininfektion des Peritoneums geführt hatten
und somit bereits eher eine gewisse Neigung zur Umgrenzung des
Entziindungsvorganges erkennen ließen, da ja die ersteren Fälle
von vorneherein unter anderer Indikationsstellung und Prognose
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Radikale Appeudizitisbehandlnng nnd ihre Ergebnisse etc.
517
stehen nnd zum Schluß unserer Ausführungen unter der Kategorie
der Notfälle bzw. Notoperationen gesondert besprochen werden
sollen.
Daß im übrigen nur nach diesen Gesichtspunkten aufgestellte
Zusammenstellungen in ihren Endergebnissen für die Entscheidung
über den Wert bzw. die Mortalität der Operation im Zwischen¬
stadium von Wert sein können, und daß demnach die vom indi¬
vidualisierenden Gesichtspunkt ans im Zwischenstadium behandelten
Fälle hinsichtlich der Wertung ihrer operativen Erfolge oder Mi߬
erfolge nur von bedingtem Wert sein können, ergibt sich insofern
von selbst, als nach der letzteren Behandlungsart nur bei Gefahr
einer drohenden peritonealen Allgemeininfektion zur Operation ge¬
schritten wird, die dann vielfach statt der drohenden die bereits
vorhandene peritoneale Allgemeininfektion ergeben nnd so ähnlich
wie vorher die Früh- zur Zwischenoperation, in diesem Falle statt
der Zwischen- znr Notoperation werden kann, so daß sie mit ihrer
entsprechend schlechteren Prognose selbstverständlich für die Wer¬
tung der eigentlichen Zwischenoperation an sich ohne weiteres
fortfallen muß. Von diesem Gesichtspunkt aus dürfte auch gerade
dem Mortalitätsergebnis unserer 82 Zwischenoperationen eine be¬
sondere Bedeutung für die Entscheidung der Frage insofern nicht
abzusprechen sein, als hier eben nur solche Fälle für die Zusammen¬
stellung verwendet sind, welche als Zwischenoperationen im eigent¬
lichen Sinne durchweg zu gelten haben.
Daß dabei die Infektionsgefahr für das übrige Peritoneum
durch die Lösung frisch entzündlicher Verwachsungen während des
Eingriffs durchaus nicht so naheliegend ist, wie das von den
Gegnern des radikaleren Vorgehens angenommen wird, das dürfte
neben anderen Ergebnissen auch das unsrige vom rein praktischen
Gesichtspunkt aus — der doch am Ende der einzig maßgebende
immer sein und bleiben wird — zu beweisen geeignet sein, wenn
wir mit 3 Todesfällen bei 82 Operationen auf einen Prozentsatz
von 3,6 °/o Mortalität im Zwischenstadium zurückblicken können,
der mit Abrechnung des bereits oben erwähnten Todesfalles, für
den eine Todesursache sich auch bei der Autopsie nicht finden
ließ, sich sogar auf 2,4 % Mortalität noch verringert. Daß eine
so günstige Mortalität im übrigen nicht vereinzelt dasteht oder auf
einem Zufallsergebnis beruht, zeigt neben anderen Zusammen¬
stellungen vor allem der von Sprengel für seine Fälle gefundene
Satz von 3 und diese Tatsache allein dürfte vom praktischen
Gesichtspunkt aus eine genügende Widerlegung der allzu über-
Dentacbes Archiv f. klin. Medizin. 101. Bd. 34
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518
Ebner
triebenen Befürchtungen vor dem Eingriff im Zwischenstadium zu
bilden geeignet sein.
Vom theoretischen Standpunkt aus ist ferner in Betracht zu
ziehen, daß gleich der von uns mehrfach experimentell nach¬
gewiesenen Immunität der reaktiven EntzQndungszone am Furankel
der Haut, so auch bei der meist deutlich erkennbaren hyperämi-
schen Reaktionszone der Darmserosa in der Umgebung des ent¬
zündeten Appendix eine erhöhte Produktion von bakteriolytischen
und bakteriziden Schutzstoffen stattfindet, welche in gleicher Weise
zu einer völligen Immunität des Peritoneums innerhalb dieser Zone
gegen eine sekundäre Infektion vom zentralen Entzündungsherd
aus führt, und daß somit auch vom theoretischen Standpunkt aus
eine Infektionsgefahr für das freie Peritoneum mit ziemlicher
Sicherheit auszuschließen ist, solange der Operateur sich möglichst
innerhalb dieser Sicherungszone hält. Wie weit er dieses im ein¬
zelnen Falle praktisch durchzuführen in der Lage ist, dürfte wohl
mit von der Erfahrung und Technik des betreffenden Chirurgen
abhängig zu machen sein.
Um nun nach dieser kurzen Abschweifung zu der näheren Be¬
sprechung unserer Fälle im Zwischenstadinm zurückznkehren. so
ist bezüglich der vorangegangenen Anfälle zu bemerken. da£
die weitaus größte Anzahl der Fälle, nämlich 52 gleich 63.4'%.
bereits im ersten Anfall zur Operation gelangt ist, während nur
20 Fälle gleich 24,4 % im zweiten Anfall, 6 gleich 7,3% im dritten.
3 im vierten und schließlich einer im fünften Anfall noch zur
chirurgischen Behandlung seine Zuflucht nehmen mußte.
Der Appendix konnte trotz des vorgeschritteneren Zeitraums
noch entfernt werden in 75 Fällen gleich 91,5%, während er in
nur 7 Fällen gleich 8,5% zurückgelassen werden mußte. Und zwar
handelte es sich bei den letzteren ausnahmslos um Inzisionen von
abgekapselten Abscessen, bei denen fünfmal der Appendix nicht
gefunden werden konnte, während man in 2 Fällen von der ge¬
waltsamen Entfernung des in und mit der Absceßwand fest ver¬
wachsenen Appendix Abstand nehmen mußte, um nicht die ge¬
schlossene Absceßhöhle zu eröffnen. Trotzdem gelangte nur in einem
dieser Fälle, bei dem die Spitze des Appendix perforiert und völlig
gangränös gewesen war, eine Kotfistel zur Ausbildung, die sich
jedoch bis zu der Entlassung des Patienten nach 31 tägiger Be¬
handlung von selbst schloß. Ein anderer von diesen Fällen ging
an einer langsam fortschreitenden retroperitonealen Phlegmone mit
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519
anschließender Peritonitis zugrunde und wird später noch genauer
besprochen werden.
Was nun den Zeitpunkt der Operation nach Beginn
des Anfalls anbelangt, so fällt derselbe auf den 3. Tag nach
Beginn der Erkrankung in. 31 Fällen, auf den 4. Tag in 16, den
5. Tag in 14, den 6. Tag in 7, den 7. Tag in 6, und schließlich
den 8. Tag in 9 Fällen. Auch hier ist wieder das Bestreben die
Fälle möglichst frühzeitig zur Operation zu senden, daraus ersicht¬
lich, daß die größte Anzahl der Fälle mit 31 gleich 38°/ 0 bereits
am 3. Tage der Erkrankung zur Operation gelangt ist, und daß
dieses Bestreben auch im Zwischenstadium immer noch voll und
ganz gerechtfertigt ist, wird wohl am besten durch die Tatsache
illustriert, daß sämtliche bis zum 4. Tage der Erkrankung zur
Operation gelangten Fälle ihren Ausgang in Heilung nahmen,
während von den 3 tödlich verlaufenen Fällen der eine am 5. und
die beiden anderen erst am 6. Tage der Erkrankung zur Operation
gelangt sind, Tage, die an sich ja auch von manchen für den Ver¬
lauf der Erkrankung als besonders kritisch angesehen zu werden
pflegen.
Die Behandlungsdauer der geheilten Fälle im Zwischenstadium
Anden wir entsprechend dem weiter fortgeschrittenen Entzündungs¬
stadium erheblich weiter hinausgerückt. Sie schwankt in der weiten
Grenze von 5 bis zu 104 Tagen, und zwar ist innerhalb der ersten
3 Wochen der erheblich niedrigere Prozentsatz von 49,4 °/ 0 der Fälle,
gegenüber 78 % im Sicherheitsstadium und 80 °/ 0 im absoluten Früh¬
stadium, zur Entlassung gelangt, während der Rest von 40 Fällen
gleich 50,6 °/ 0 erst innerhalb der 4.—7. Woche die Klinik verlassen
durften, abgesehen von 3 Fällen, die eine ausnahmsweise lange
Heilungsdauer von 62, 86 und 104 Tagen für sich in Anspruch
nahmen.
Kommen wir nun zu den pathologischen Befunden,
soweit sie sich beim Eingriff erheben ließen, so finden wir, daß in
27 Fällen gleich 33 °/ 0 ältere Entzündungen am Peritoneum vor¬
ausgegangen sind. Zeichen eines frischen EntzündungsVor¬
ganges am Peritoneum werden angegeben in insgesamt 58 Fällen
gleich 70,7 %• Dieselben waren noch nicht bzw. in eben erst be¬
ginnender Abgrenzung begriffen in 34 Fällen gleich 41,5%? sie
ließen eine deutliche Abgrenzung des Entzündungsvorganges er¬
kennen in Gestalt einer umschriebenen Absceßbildung in 24 Fällen
gleich 29,3 °/ 0 .
Vpn den ersteren noch nicht abgeschlossenen Entzündungs-
34*
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Ebner
erscheinungen finden wir nach den vier Graden der Entzündungs-
Vorgänge am Peritoneum eingeteilt den ersten und zweiten Grad
der Entzündung in Gestalt eines Ödems des Peritoneums bzw. eines
rein serösen Exsudats nur noch in 6 Fällen gleich 7,3 %, den dritten
Grad in Gestalt eines serös getrübten Exsudats in 8 Fällen gleich
9,7 °/ 0 , dagegen den vierten Grad in Gestalt eines ausgesprochen
eiterigen, zum Teil freien, zum Teil von beginnenden fibrinösen Ver¬
klebungen abgeschlossenen Exsudats in 20 Fällen gleich 24,4
Es handelt sich also in der überwiegenden Mehrzahl von friscben
Entzündungserscheinungen am Peritoneum entsprechend dem vor¬
geschrittenen Zeitraum tatsächlich um den vierten Grad der Ent¬
zündung in Gestalt einer ausgesprochenen eiterigen Exsndation
bzw. mit Sicherheit virulente Exsudate. Das darf nm so mehr
hervorgehoben werden, als trotzdem die so sehr gefürchtete sekun¬
däre Infektion des Peritoneums als Folge des Eingriffs im Zwischen¬
stadium doch nicht eingetreten ist
Was nun die Veränderungen am Appendix selbst aa-
belangt, so finden wir zunächst Abweichungen von der normalen
Haltung angegeben in 7 Fällen gleich 8,5°/ 0 , derart, daß er in
einem Falle leicht gekrümmt, in 2 Fällen deutlich in seinem Ver¬
lauf abgeknickt, in einem Falle penisartig erigiert und in 3 Fällen
spiralig um seine Längsachse gedreht war.
Abweichungen seitens der Form des Appendix in Gestalt
einer entzündlichen Schwellung und Verdickung werden angegeben
in 21 Fällen gleich 25,6 °/ 0 , in Gestalt einer ausgesprochenen Re¬
tention bzw. kolbigen Auftreibung seiner distalen Hälfte in 4 Fällen
gleich 4,9% und schließlich in Gestalt eines Empyems der Spitze
in nur einem Falle gleich 1,2%.
Frische Entzündungserscheinungen der Wand in Gestalt von
zahlreichen kleinen Hämorrbagien der ödematös geschwollenen
Schleimhaut finden sich verzeichnet in 3 Fällen gleich 3,7%, in
Gestalt eines Ulcus der Wand in 6 Fällen gleich 7,3%.
Noch häufiger, nämlich in 9 Fällen gleich 10,9%, fand sich
eine Gangrän der Wand, die in 6 Fällen bereits zu einen
Perforationsvorgang geführt hatte.
Abgesehen von diesen 6 auf einer ausgesprochenen Gangrän
der Wand beruhenden Perforationsfällen fand sich eine Per¬
foration der Wand des Appendix bei unseren Zwischeo-
operationen insgesamt noch in weiteren 17 Fällen, so daß wir da¬
nach mit einem Prozentsatz von mindestens 28,1 % der Perforations¬
fälle für das Zwischenstadinm überhaupt zu rechnen haben.
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Was schließlich noch den Inhalt des Appendix anbelangt,
so sei noch hervorgehoben, daß in 12 Fällen gleich 14,6% ein
Kot stein gefunden wurde, der in 6 Fällen noch innerhalb des
Appendix gelegen war. Um mehrere Kotsteine gleichzeitig handelte
es sich in 3 Fällen. Als größter der Steine darf ein als hasel¬
nußgroß bezeichneter Stein angesehen werden.
Fremdkörper im Appendix konnten nur in einem Falle
gleich 1,2 % und zwar in Gestalt von Ascaris lumbricoides kon¬
statiert werden, welche ihren Sitz an der Basis des Appendix eines
12 jährigen Knaben hatten.
Was den eigentlichen Operationsverlauf anbelangt, so
wurde in 4 Fällen vor seiner Entfernung der Appendix einge¬
rissen bzw. er brach infolge der prallen Spannung und brüchigen
Beschaffenheit seiner Wand ab, so daß er bei 3 Fällen in zwei
Partien herausgeschält und in dem 4. Falle teilweise zurück¬
gelassen werden mußte, da seine Spitze nicht zu finden war. In
sämtlichen 4 Fällen ist nach entsprechender Tamponade der Hei¬
lungsvorgang ungestört und ohne jede Fistelbildung vor sich ge¬
gangen.
Überhaupt ist im Gegensatz zu den absoluten Frühfällen, bei
denen nur in 23,7 % eine Tamponade notwendig war, die Zahl der¬
jenigen Fälle im Zwischenstadium, die eine Tamponade bzw. Drainage
des Abdomens erforderten, eine unverhältnismäßig höhere, indem
in rund 52 Fällen gleich 63,4 % der Zwischenoperationen ein pri¬
märer Verschluß der Bauchdecken zu gewagt erschien, so daß man
meist in der von Rehn-Noetzel angegebenen Weise ein Sicher¬
heitsventil herzustellen suchte.
Eine Fistelbildung post. op. wird angegeben in 6 Fällen
gleich 7,3%, von denen 3 bis zur Entlassung spontan heilten,
während der 4. erst durch einen operativen Eingriff beseitigt
werden mußte, und in den beiden letzten Fällen der Patient mit
einer kleinen Kotfistel entlassen wurde, die sich vermutlich später
spontan geschlossen haben dürfte, wie ja derartige Kotfisteln über¬
haupt bei einem entsprechend langen Heilungsverlauf bis zu 6 Mo¬
naten und bisweilen noch länger im allgemeinen eine gute Tendenz
zur Spontanheilung aufzuweisen pflegen.
Hinsichtlich des Heilungsverlaufes finden wir ausge¬
sprochene Störungen verzeichnet in 10 Fällen gleich 12,7%, was
gegenüber 7,5 % bei den absoluten Frühoperationen immerhin eine
Steigerung der Störungen im Zwischenstadium um 5,9 % gegen das
Frühstadium erkennen läßt. Und zwar gingen diese Störungen
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viermal gleich 4,9 °/ 0 vom Peritoneum in Gestalt einer nachträg¬
lichen gewissermaßen sekundären Absceßbildung und von den
Lungen in weiteren 4 Fällen gleich 4,9°/ 0 aus.
Schließlich sei noch ein kleines Hämatom der Narbe erwähnt,
wenn man ein solches als besondere Störung betrachten will, so¬
wie ferner ein Fall von Strangileus, der im Anschluß an die
Spaltung eines kleinen Abscesses mit Appendektomie und Drainage
auftrat und 12 Tage post. op. die mediane Laparotomie notwendig
machte, und als letzte Störung des Heilungsverlaufes ein Fall von
Thrombose des linken Oberschenkels, die bei einem 20jährigen
Manne aufgetreten war, der bei der Operation lediglich eine stärkere
Rötung und Schwellung an der Spitze des Appendix neben reich¬
lichen älteren Verwachsungen, also keinesfalls schwerere Krank¬
heitsveränderungen hatte erkennen lassen, welche für die Ent¬
stehung einer Thrombose gerade in diesem Falle heranzuziehen
wären.
Wenden wir schließlich noch etwas eingehender den drei
Todesfällen im Zwischenstadium unsere Aufmerksamkeit
zu, so bot der erste Fall bereits bei seiner Einlieferung am 5. Tage
der Erkrankung mit deutlichem Meteorismus, allgemeiner, besonders
rechts hervortretender Bauchdeckenspannung und Druckschmerz¬
haftigkeit ohne nachweisbare Peristaltik von vornherein ein recht
schweres Krankheitsbild dar, welches eher an eine allgemeine
Peritonitis mit der für diesen Zeitraum üblichen Prognose denken
ließ. Nachdem man bei dem Eingriff eine sehr große, anscheinend
geschlossene Absceßhöhle eröffnet und drainiert hatte, ohne dabei
den Appendix zu finden, bekam der Patient dann im weiteren Verlauf
noch einen rechtsseitigen metastatischen Parotisabsceß, der inzidiert
wurde, sowie später eine Schwellung auch der linken Parotis, und
ging trotz einer dauernd normalen Temperatur unter den Anzeichen
einer fortschreitenden Darmlähmung, die auch eine Enterostomie
nicht mehr aufzuhalten vermochte, im Verlauf von 18 Tagen zu¬
grunde. Klinisch glaubte mau den Fall im Sinne einer langsam
fortschreitenden retroperitonealen und besonders mesenterialen Phleg¬
mone wahrscheinlich lymphogener Natur deuten zu müssen, die
schließlich zur allgemeinen Peritonitis geführt hatte. Pathologisch¬
anatomisch ergab die Sektion als unmittelbare Todesursache eine
allgemeine eiterige Peritonitis mit abgekapselter Absceßbildung im
Becken. Der Appendix war am oberen Ende in großer Ausdehnung:
ulzeriert und durchgebrochen, ein Kotstein war weder innerhalb,
noch außerhalb des Appendix zu finden. Inwieweit hier zu dem
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Radikale Appendizitisbehandkmg and ihre Ergebnisse etc.
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traurigen Ausgang das Nichtfinden bzw. Zurücklassen des Appendix
beigetragen haben mag, bzw. ob ohne dasselbe der Ansgang ein
günstigerer hätte sein können, mag dahingestellt bleiben.
Der zweite der Todesfälle gehört in gewissem Sinne eigentlich
ebensogut zu dem Kapitel der stumpfen Bauchverletzungen wie des
Strangulationsileus, wenn er auch nach der Art seines Befundes unbe¬
dingt in einen zum mindesten mittelbaren ursächlichen Zusammen¬
hang mit den bereits vorher vorhandenen Veränderungen am Appendix
zu bringen ist. Er war erst am sechsten Tage nach Beginn der
peritonealen Erscheinungen im Gefolge eines Falles auf die Ruder¬
pinne schwerkrank, ohne ausgesprochene Bauchdeckenspannung,
aber auch ohne nachweisbare Darmperistaltik, lediglich mit einer
Druckschmerzhaftigkeit der rechten Unterbauchgegend und einem
Puls von 100 pro Minute zur Operation gelangt. Ein medianer
Banchschnitt ergab zunächst ein freies, braunrotes, etwas getrübtes
Exsudat, und eine starke Auftreibung des Dünndarmes. Vom Cökum
aus war ein alter, anscheinend entzündlicher Strang nach der
Mittellinie zu am Mesenterium einer Dünndarmschlinge verwachsen,
der das Ileum vor seiner Einmündung ins Cökum an zwei Stellen
abgeschnürt hatte. Nach seiner Lösung erweist er sich als der
teilweise obliterierte Appendix, der in üblicher Weise entfernt wird.
Darauf Resektion des zweiten Schnürringes in ca. 5 cm Länge des
Ileum, der sich nicht mehr erhalten würde. Der Ueumstumpf wurde
seitlich in das Colon eingenäht. Unter zunehmenden Kollaps¬
erscheinungen erfolgte dann am dritten Tage post op. der Tod des
Patienten, und die Sektion ergab, wie zu erwarten war, eine frische
Peritonitis mit guter Sufficienz der frisch verklebten Darmnähte.
Es war eben trotz des Eingriffs die bereits infolge der Abschnürung
des Ileum in Verbindung mit der beginnenden Peritonitis ent¬
standene Darmlähmung des Dünndarmbezirkes und mit ihr die
Peritonitis nicht mehr zurückgegangen, wie das ja leider von vorn¬
herein bei dem Fehlen einer jeglichen Peristaltik schon vor dem
Eingriff zu befürchten gewesen war. Daß jedenfalls hier durch den
Eingriff an sich irgendeine Verschlimmerung des vorhandenen
Erkrankungszustandes ausgelöst sein könnte, ist wohl nach dem
obigen Befund und Verlauf ohne weiteres mit Sicherheit von der
Hand zu weisen.
Was nun schließlich den letzten der drei Todesfälle anbelangt,,
so handelt es sich dabei um einen an der Spitze ulzerierten, dicht
vor der Perforation stehenden Appendix, der mit fibrinösen Belägen
im kleinen Becken verklebt, nach nicht allzu schwieriger Lösung
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in der üblichen Weise amputiert und versorgt wurde. Angesichts
der geringfügigen Veränderungen seiner Umgebung wurde die
Bauchwand primär geschlossen. In der Nacht darauf traten plötz¬
lich heftige Schmerzen im Abdomen auf, so daß man am nächsten
Tage noch einmal einging, ohne jedoch etwas anderes, als lediglich
nur ganz wenig seröses Exsudat zu finden, worauf das Abdomen
zur größeren Sicherheit durch Einlegen eines Drains und eines
kleinen Tampons offengehalten wurde. Trotzdem trat weiter ein unauf¬
haltsamer, schneller Verfall ein, der schon am nächsten Tage zum
Tode des Patienten führte. Die Sektion ergab nun keinerlei peri-
tonitische Erscheinungen, sowie auch trotz genauester Nachforschung
keine weitere Ursache für den schnellen Verfall des Patienten, so
daß die Todesursache in diesem Falle völlig unklar blieb. Wichtig
für unsere Zusammenstellung ist hier vor allem die Tatsache, daß
sich nicht die geringsten Anzeichen einer peritonealen Allgemein-
infektion, ebensowenig eines retroperitonealen Entzündungsvorganges,
einer Embolie o. dgl. feststellen ließen, so daß damit der Fall naturgemäß
für die eigentliche Wertung des operativen Eingriffs an sich in
Fortfall kommen müßte, womit wir dann von rechtswegen für unsere
Eingriffe im Zwischenstadium statt des Mortalitätsergebnisses von
3,6 °/ 0 eine Mortalität von nur 2,4 °/ e in Anspruch zu nehmen hätten.
Kommen wir nun zu der Erörterung des Spät Stadiums vom
9. Tage des Krankheitsverlaufes ab, wo man in der Regel ja mit
einer abgeschlossenen Absceßbildung zu rechnen hat, und das dem¬
gemäß auch nicht mit Unrecht als Absceßstadium bezeichnet zu
werden pflegt, so haben wir hier doch mit nach mancher Hinsicht
erheblich ungünstigeren Verhältnissen als in den bisher besprochenen
Erkrankungsstadien zu rechnen, was bereits in einer Steigerung
der Mortalität auf 4 Todesfälle bei 88 Spätoperationen, also auf
den nicht unwesentlich höheren Mortalitätssatz von 4,5 % zum
Ausdruck gelangt, und was neben später noch zu erörternden Unter¬
schieden auch in der weiteren Tatsache eine deutliche Illustration
findet, daß in nicht weniger als 52 Fällen gleich 59,1 % der Spit-
fälle der Appendix zurückgelassen werden mußte gegenüber 8,5°*
im Zwischenstadium, bei denen der Appendix ebenfalls nicht entfernt
werden konnte.
Bezüglich der vorausgegangenen Anfälle ist zu be¬
merken, daß in der weitaus überwiegenden Mehrzahl vbn 62 Fällen
gleich 70,5 °/ 0 es sich um den ersten Anfall handelte, entsprechend
der alten Beobachtung, daß vielfach gerade der erste Anfall am
schwersten aufzutreten pflegt, während nur in 17 Fällen gleich
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Radikale Appendizitisbeh&ndluug und ihre Ergebnisse etc.
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19,3 °/ 0 der zweite Anfall, in 7 Fällen gleich 7,9 % der dritte Anfall
und schließlich noch in 2 Fällen bereits der vierte Anfall in
Frage kam.
Was den Zeitpunkt der Operation nach dem Beginn
des Anfalls anbelangt, so ist weitaus die Mehrheit der Fälle,
nämlich 82 gleich 92,3 °/ 0 zwischen dem 9.—30. Tage, also etwa
innerhalb der ersten vier Wochen nach dem Beginn des Anfalls
zur Operation gelangt, während nur noch sechs weitere Fälle sich
bis auf einen Zeitraum von 8 Wochen nach Beginn der Erkrankung
verteilen.
Die Behandlungsdauer der Spätfälle ist eine ganz besonders
lange gegenüber den bisherigen Stadien. Es konnten nur 16 von
84 geheilten Fällen gleich 19,1 °/ 0 innerhalb der ersten drei Wochen
entlassen werden, gegen 80 % im absoluten Frühstadium, 78 % im
Sicherheitsstadium und 47,3 v / 0 im Zwischenstadium, während über
die Hälfte der Fälle, nämlich 50 Patienten gleich 59,5 °/ 0 erst
innerhalb der vierten bis sechsten Woche die Klinik verlassen
konnte und schließlich der Rest von 18 Fällen gleich immerhin
noch 21,4 °/ 0 , sich in ziemlich gleichmäßiger Weise auf eine Be¬
handlungsdauer bis zu rund 18 Wochen verteilt, Zahlen, die an sich
bereits genügend für die Nachteile des Eingriffs im Spätstadium
sprechen dürften.
Was die pathologischen Befunde der Spätfälle
während des Eingriffs anbelangt, so wurde das Bild vornehmlich
von älteren Verwachsungen mit geringeren, frischen Entzündungs¬
erscheinungen am Peritoneum und Appendix beherrscht in 9 Fällen
gleich 10,2 °/ 0 , von vorwiegend frischen Entzündungserscheinungen
und Verwachsungen in Gestalt fibrinöser Verklebungen der Darm¬
schlingen und bröckliger Exsudatreste bzw. Granulationen in 11
Fällen gleich 12,5 °j 0 , ohne daß dabei eine ausgesprochene Eiter¬
bildung vorhanden gewesen wäre. In zwei Fällen fand sich lediglich
ein freies, rein seröses Exsudat zwischen den infiltrierten Darm¬
schlingen, während in der weitaus überwiegenden Mehrzahl von
66 Fällen gleich 75 °/ 0 der Spätfälle es sich um mehr oder weniger
große Absceßbildungen handelte, bei denen man sich naturgemäß
in 59,1 °/ 0 mit der einfachen Inzision und Drainage der Höhle be¬
gnügen mußte.
Unter diesen 66 Absceßfällen handelte es sich um eine mehr¬
fache, nicht eigentlich multiple Absceßbildung in 4 Fällen,
während es sich in dem fünften Falle um multiple Abscesse im
eigentlichen Sinne des Wortes mit der bekannten üblen Prognose
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handelte, die auch hier leider sehr schnell ihre Bestätigung finden
sollte. Der betreffende Patient — der jüngste unserer Spätfälle,
ein Knabe im Alter von 2 Jahren — kam erst am 17. Tage nach
Beginn der Erkrankung in Behandlung und ging bereits am dritten
Tage nach der doppelseitigen Inzision und Drainage rettungslos
zugrunde. Die Sektion ergab eine multiple Absceßbildung, retro-
peritoneale Phlegmone nnd Lymphangitis mesenterialis purulent*.
Der schnelle Ausgang zum Tode dürfte in der Hauptsache auf die
Folgen der allgemeinen toxischen Infektion des Kindes durch den
Rest der zurückbleibenden Abscesse zu schieben sein, die sich durch
die Eröffnung des einen Abscesses rechts und links naturgemäß
nicht mehr aufhalten ließ.
Gleich diesem gehören auch die drei übrigen Todesfälle den
Absceßfällen an und sollen daher im folgenden gleich mit ab¬
gehandelt werden. Der zweite dieser Patienten gelangte am 14.
Tage der Erkrankung in chirurgische Behandlung. Er bekam
zwei Tage nach der üblichen rechtsseitigen Inzision eine Kotfistel
und ging schließlich nach einer 27 tägigen Behandlnngsdauer an
einer langsam fortschreitenden sekundären Peritonitis zugrunde,
die zur Bildung mehrerer abgekapselter Abscesse im Mesenterium
geführt hatte und in einer freien eiterigen Flüssigkeit über der Blase,
sowie im Hypochondrium beiderseits ihren weiteren Ausdruck fand.
Die beiden letzten Todesfälle im Spätstadium, die zwar in den
Journalen unter dem Titel einer Appendizitis geführt und in diesem
Sinne von mir in unsere Zusammenstellung aufgenommen sind,
bieten durch die Eigenartigkeit ihres Befundes bzw. durch das
Vorherrschen anderer vom Appendix unabhängiger pathologischer
Erscheinungen ein ganz besonderes Interesse dar und lassen gleich¬
zeitig begründete Zweifel an der Berechtigung einer Auffassung
derselben im Sinne einer eigentlichen, und sei es auch nur sekun¬
dären, Appendizitis aufsteigen.
In dem ersten dieser Fälle gelangte man mit einem rechts¬
seitigen Wechselschnitt zunächst auf schwartig verdicktes Peri¬
toneum, nach dessen Eröffnung man eine große mit kotigem Eiter
gefüllte Höhle entleerte. Von dieser aus führte ein Gang bis zur
Leber hinauf und ein weiterer Gang nach unten bis in den Douglas
hinab. Es wurde gleichzeitig nach oben und von unten her per
Rectum drainiert und daneben eine breite Tamponade eingelegt.
Vier Tage post op. konnte man Entleerung von Urin aus dem
Rektaldrain konstatieren; die Patientin ging dann trotz völligen
Abfalls der Temperatur nach 17 tägiger Behandlung nnter den
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Radikale Appendizitisbehandlung nnd ihre Ergebnisse etc.
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Erscheinungen einer zunehmenden Herzschwäche zugrunde. Die
Sektion ergab eine multiple Peritonealtuberkulose, eine Heocöcal-
tuberkulose mit Durchbruch in die Eiterhöhle, eine Blasenperforation,
sowie Rekto- und Vesikovaginalfistel, daneben eine rechtsseitige
Hydronephrose. Über den Befund am Appendix sind Angaben
überhaupt nicht vorhanden, und es erscheint daher die Vermutung
völlig gerechtfertigt, daß es sich in diesem Falle allerhöchstens
um eine sekundäre Appendixerkrankung gehandelt haben könnte,
wenn überhaupt eine solche Vorgelegen hat.
In dem zweiten Falle bestand bei dem bereits 74jährigen
Patienten eine rechtsseitige Leistenhernie, die seit 8 Tagen irre-
ponibel geblieben war trotz verschiedener Repositionsversuche
seitens des behandelnden Arztes. Der Patient gelangte mit einer
Temperatur von 37 0 und einem Puls von 108 p. M. zur Aufnahme und
zeigte bei der Untersuchung einen rechtsseitigen, ca. gänseeigroßen
Leistenbruch, wegen dessen sofort zur Operation geschritten wurde.
Die zunächst in üblicher Weise vorgenommene Herniotomie rechts
mit Spaltung des Bruchringes zeigte eine Dünndarmschlinge vor¬
liegend, in deren Wand eine alte, walnußgroße und eine etwas
kleinere Blutcyste lag. Der eine Schenkel der Dünndarmschlinge
war am Cöcum festgewachsen, der andere im kleinen Becken
adhärent. Bei Lösung dieser letzteren Adhäsionen im Becken er¬
folgte die Entleerung eines Kotabscesses aus dem Douglas, der
durch das Rektum und nach oben hin mit entsprechender Drainage
und Tamponade versorgt wurde. Das Mesenterium der vorliegenden
Dünndarmschlingen zeigte weiter eine keilförmige dunkle Ver¬
färbung augenscheinlich als Ausdruck einer vorhandenen Throm¬
bose der Mesenterialgefäße. Von der Blutcyste aus gelangte man
in diese dunkel gefärbte Stelle zwischen den beiden Mesenterial¬
blättern hinein, aus denen sich nach der Spaltung des zuführenden
Kanals jauchiger, übelriechender Eiter entleerte. Wegen der Ge¬
fahr einer ausgesprochenen Gangrän wurde die Resektion der be¬
treffenden Dünndarmschlinge mit den beiden Blutcysten unter seit¬
licher Vereinigung der Darmstümpfe vorgenommen. Trotzdem ging
der Patient innerhalb 3 Tagen bei normaler Temperatur unter
den Erscheinungen einer fortschreitenden Herzschwäche mit ent¬
sprechendem allgemeinen Verfall zugrunde, vermutlich da er bei
seinem hohen Alter den immerhin recht umfangreichen und lange
dauernden Eingriff doch nicht vertragen hatte. Wenigstens scheint
mir für die Richtigkeit dieser Annahme auch das Sektions¬
ergebnis zu sprechen, welches neben einer recht atrophischen
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Herzmuskulatur eine umschriebene Peritonitis an der Stelle der
Absceßhöhle, sowie eine Thrombose und Verjauchung der Mesen¬
terialgefäße ergab. Die Dannnähte der Anastomosenstelle hatten
gut gehalten. Auch hier ist, abgesehen von dem Kotabsceß im
Douglas, nicht das geringste Zeichen vorhanden, was mit Not¬
wendigkeit für eine gleichzeitig vorhandene, sei es nun primäre
oder sekundäre Erkrankung des Appendix sprechen würde, viel¬
mehr lassen sich die sämtlichen Erscheinungen ebensogut durch
die seit 8 Tagen bereits vorhandene Einklemmung der rechts¬
seitigen Leistenhernie zwanglos erklären, und dürfte danach eine
abweichende Auffassung auch dieses Falles lediglich im Sinne einer
Hernieneinklemmung und ihrer Folgeerscheinungen doch erheblich
näher liegen.
Es scheint mir daher bei dem Fehlen sämtlicher näherer An¬
haltspunkte für das Vorhandensein einer Appen dixerkrankung
durchaus berechtigt, diese beiden Fälle, die ich hauptsächlich ihres
eigenartigen Befundes halber und eben auch weil sie unter dem
Titel einer Appendizitis geführt worden sind, in meiner Aufstel¬
lung mit angeführt habe, nicht als Spätoperation einer tatsächlich
vorhandenen Appendizitis in Anschlag zu bringen, so daß wir nach
Fortfall derselben nur noch mit 2 Todesfällen auf 86 Spätopera¬
tionen zu rechnen hätten, was somit einem Mortalitätsergebnis von
nur 2,3 % entsprechen würde, das allerdings sogar noch um 0.1 * „
niedriger wäre als die Mortalität unserer Zwischenoperationen mit
2,4 °/o Todesfällen.
Hinsichtlich der Veränderungen am Appendix selbst
sind naturgemäß bei den Spätoperationen nur wenige Angaben
vorhanden, vermutlich, da in den meisten Fällen der Appendix,
auch wenn er gefunden werden konnte, bereits zu sehr zerstört
worden war, um nähere pathologisch-anatomische Einzelheiten noch
erkennen zu lassen. Es dürfte sich darum nicht verlohnen, auf
diese wenigen Fälle des näheren einzugehen, es sei vielmehr nur
kurz hervorgehoben, daß Kotsteine dabei in 10 Fällen, gleich
11,4% der Spätfälle, gefunden wurden, und zwar bezeichnender¬
weise in 8 Fällen davon frei in der Absceßhöhle liegend, während
nur in 2 Fällen zwei kleine Kotsteine noch innerhalb des Appen¬
dix saßen und mit diesem zusammen entfernt wurden. Wie oft
im übrigen noch innerhalb der Absceßhöhle gelegene Kotsteine der
Beobachtung entgangen sein mögen, entzieht sich selbstverständlich
einer auch nur annähernden Beurteilung.
Hinsichtlich des operativen Eingriffs selbst im Spät-
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Radikale Appendizitisbehandlnng und ihre Ergebnisse etc.
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Stadium dürfte es von Interesse sein, daß in rund 80 Fällen,
gleich 90,9 % der Spätfälle, das Einlegen einer Drainage bzw. Tam¬
ponade notwendig wurde, während nur in 8 Fällen, gleich 9,1 °/ 0 ,
sich ein primärer Verschluß der Bauchdecken als tunlich erwies.
Die Folgerungen daraus für die durchschnittliche Heilungsdauer
dieser Fälle entsprechend dem bereits oben von uns gefundenen
Zahlenverhältnis ergibt sich ohne weiteres von selbst
In 2 FäHen riß der Appendix bei dem Versuch seiner Ent¬
wicklung glatt ab, ohne daß, trotzdem in dem einen Falle der
Stumpf nicht einmal genäht werden konnte, eine Fistelbildung auf¬
getreten wäre. Dagegen kam es in 6 anderen Fällen, gleich 6,8 °/ 0 ,
zur postoperativen Ausbildung einer Kotfistel, die sich in 4 Fällen
noch vor der Entlassung spontan wieder schloß, während in dem
5. Falle noch 2 Monate nach der Absceßinzision eine erfolgreiche
Fisteloperation notwendig war, und der 6., bereits oben erwähnte
Fall 27 Tage nach der Operation an einer sekundären Peritonitis
zugrunde ging.
Kommen wir schließlich zu der Frage der postoperativen
Störungen unserer Spätfälle, so finden wir hier dieselben natur¬
gemäß in besonders reichlichem Grade vertreten. Und zwar kommen
an weitaus erster Stelle ihrer Häufigkeit nach die postoperativen
Abscesse, die wir in nicht weniger als 12 Fällen, gleich 13,6 %,
verzeichnet finden, und die zum Teil metastatischen Charakters,
zum Teil als mehrfache, sei es bei der Operation übersehene oder
nach dem Eingriff durch Retention von Erregern bzw. virulenten
Exsudats entstandene Absceßbildung anzusehen sein dürften.
Von weiteren Störungen des Heilungsverlaufes finden wir
solche seitens der Lungen erwähnt in 6 Fällen, gleich 6,8 °/„, und
zwar zweimal in Gestalt einer Bronchitis mit leichtem Verlauf,
zweimal in Gestalt einer serösen Pleuritis, die in einem Falle links
gelegen war und auf einmalige Punktion zurückging, während sie
in dem anderen Falle auf der rechten Seite lag und spontan zur
Rückbildung gelangte. Im 5. Falle kam es im Anschluß an eine
Lungenembolie zur Ausbildung eines Empyems der Lunge, das
dreimal vergeblich punktiert, schließlich auf Inzision mit nach¬
folgender Drainage zurückging. Im 6. Falle endlich handelte es
sich um eineu hämorrhagischen Infarkt der rechten Seite, der im
Anschluß an eine Thrombophlebitis im rechten Oberschenkel auf¬
getreten war, übrigens der einzige Fall, in dem wir derart eine
Störung seitens des Gefäßsystems verzeichnet finden, was einem
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Ebnbb
Prozentsatz von 1.1 °/ 0 zur Gesamtzahl der Spätfälle entsprechen
würde.
Zu der Ausbildung einer metastatischen Parotisentzündong
kam es ebenfalls nur in einem Falle, und zwar erst links, dann
rechts mit einer Spontanperforation des rechtsseitigen Parotis-
abscesses in den äußeren Gehörgang, während die linksseitige In¬
filtration der Parotisdrüse von selbst zur Rückbildung gelangte.
Zur Ausbildung von Ileuserscheinungen kam es nach dem Ein¬
griff noch in 2 Fällen, gleich 2,3 °/ 0 > derart, daß in dem einen Falle
9 Tage nach der vorausgegangenen Absceßinzision eine Laparo¬
tomie wegen Strangileus mit nachfolgender Drainage und weitere
19 Tage später eine zweite Laparotomie ebenfalls wegen neuer
Ileuserscheinungen notwendig wurde, die einen Volvulus einer
Dünndarmschlinge um einen vorhandenen Verwachsungsstrang er¬
gab. In dem zweiten Falle wurde ebenfalls 4 Wochen nach der
Absceßinzision die Laparotomie in der Mittellinie notwendig zur
Beseitigung der Ileuserscheinungen durch Lösung der zahlreichen
Verwachsungen, wobei gleichzeitig bei dem Vorgehen gegen die
Flexura sigmoidea ein zweiter Absceß eröffnet und durch eine
zweite Inzision linksseitig ausgiebig entleert und drainiert wurde.
Es ist das derselbe Fall, der gleichzeitig die vorher erwähnte
weitere Störung durch linksseitige und später rechtsseitige Ent¬
zündung und Vereiterung der Parotiden durchzumachen hatte.
Schließlich kam noch ein nach Absceßinzision bereits ent¬
lassener Fall 8 Wochen später wieder zur Aufnahme wegen aus¬
gesprochener Verwachsungsbeschwerden, mußte aber, da er die
Radikaloperation schlankweg ablehnte, ungebessert entlassen werden.
Wir haben demnach für das Spätstadium mit rund 23 einzelnen
Störungen des HeilungsVerlaufes zu rechnen, was zunächst dem an
sich ja außerordentlich hohen Prozentsatz von 26,1 °/o entsprechen
würde. Da sich diese Störungen insgesamt aber nur auf 20 Patienten
verteilen, so wird dieses Verhältnis auf den immer noch recht er¬
heblichen Prozentsatz von 22,7 % herabgemindert, der nahezu einem
Viertel sämtlicher zur Operation gelangten Spätfälle entspricht
und dem entsprechenden Prozentsatz der Zwischenoperationen von
13,4 °/ 0 immer noch um 9,3 °/ 0 überlegen ist, also ebenfalls nicht
gerade zugunsten der Spätoperation gegenüber der leider immer
noch vielfach mit einem gewissen Mißtrauen angesehenen Zwischen¬
operation sprechen dürfte.
Kommen wir nun schließlich zu der letzten Kategorie unserer
Einteilung, den Eingriffen im Notstadinm der peritonealen All-
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Radikale Appendizitisbehandlung und ihre Ergebnisse etc. 531
gemeininfektiön, so schnellt dabei der bis dahin im allgemeinen
so günstige Mortalitätssatz unserer Fälle ganz gewaltig in die
Höhe, insofern wir auf 55 operative Fälle in diesem Stadium ins¬
gesamt nicht weniger als 22 Todesfälle zu verzeichnen haben, was
dem verhältnismäßig hohen Prozentsatz von 40°/ o Mortalität ent¬
sprechen würde. Unterscheiden wir hier aber zwischen der rela¬
tiven Frühoperation und der eigentlichen Notoperation nach Ab¬
lauf der ersten 48 Stunden seit Beginn der peritonealen Allgemein¬
infektion, so finden wir, daß darunter 23 relative Frühoperationen
mit nur 1 Todesfall, gleich 4,3 % dieser Fälle, vertreten sind, gegen¬
über 32 Eingriffen im eigentlichen Notstadium, auf die allein der
Rest von 21 Todesfällen kommt, wodurch für diese das Mortali¬
tätsverhältnis noch entsprechend weiter bis auf 65,6% in die Höhe
schnellt. Dieses relativ hohe Mortalitätsverhältnis der eigentlichen
Notoperationen dürfte sich neben den oben angeführten Gründen
auch aus der Schwere der Fälle an sich erklären lassen, indem ich
nur diejenigen Fälle zu dieser Kategorie gerechnet habe, bei denen
tatsächlich aus der deutlich erkennbaren Unbegrenztheit des Ent¬
zündungsvorganges und der mehr oder weniger hervortretenden
Beteiligung des allgemeinen Peritoneums am Erkrankungsvorgang
die Bezeichnung der peritonealen Allgemeininfektion völlig und
sicher gerechtfertigt war.
Indem ich die nähere Besprechung der Todesfälle auf später
verschiebe, möchte ich hinsichtlich der vorangegangenen An¬
fälle bemerken, daß in nicht weniger als 42 Fällen, also 78,2 %
der Notoperationen, der Eingriff beim ersten Anfall bereits erfolgen
mußte, während es sich um den zweiten Anfall nur in 7 Fällen,
gleich 12,7%, um den dritten in 5 Fällen, gleich 9,1%, und den
vierten Anfall bei einem Patienten, gleich 1,8%, handelte. Auch
hieraus erhellt wieder die bereits mehrfach betonte alte Erfahrung,
daß häufig der erste Anfall gerade der heftigste und schwerste zu
sein pflegt, derart, daß er auch in unseren Fällen direkt zur peri¬
tonealen Allgemeininfektion und der dadurch bedingten Notwendig¬
keit des Eingriffs geführt hat.
Was den Zeitpunkt des Eingriffs in diesen Fällen nicht
nach Beginn der Erkrankung, sondern seit dem mutmaßlichen Be¬
ginn der peritonealen Allgemeininfektion anbelangt, so lag derselbe
am 1. Tage in 8 Fällen, am 2. in 1 b Fällen. Auf letztere entfällt
auch der einzige bei den relativen Frühoperationen vorhandene
Todesfall. Von den eigentlichen Notoperationen nach 48 Stunden
entfallen auf den 3. Tag 6 Elingriffe mit 5 Todesfällen, auf den
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Ebhkb
4. Tag 10 Eingriffe mit 6 Todesfällen, auf den 5. Tag 5 mit 2
Todesfällen, anf den 6. Tag 3 mit 2 Todesfällen, anf den 7. Ta*
1 Eingriff mit 1 Todesfall, anf den 8. Tag 5 mit 5 Todesfälle!
anf den 10. Tag 1 Eingriff mit 1 Todesfall tmd anf den 14 Ta*
schließlich noch 1 Fall, der geheilt wurde.
In Prozenten berechnet würde das für die einzelnen Tage da
Notstadiums bei unseren Fällen folgendes Mortalitätsverhiltnis
ergeben: Am 1. Tage 0°/ 0 , am 2. Tage 6,7°/ 0 , am 3. Tage 83.3%.
am 4. Tage 60 %, am 5. Tage 40,°/ 0 , am 6. Tage 66,6 %, am i.a
4ind 10. Tage je 100%. Es ist also hier ein ganz außerordentlicher
Anstieg von 6,7 % bis auf 83,3 % gewissermaßen als scharfe und
bedeutungsvolle Grenze zwischen dem relativen Frühstadinm und
dem eigentlichen Notstadinm vom zweiten auf den dritten Ta*
seit Beginn der peritonealen Allgemeininfektion zu verzeichnen,
während anscheinend in dem Abfall der Mortalität bis auf 40*,
am 5. Tage und dem dann erst allmählich wieder erfolgenden An¬
stieg ein Widerspruch zu dem häufig aufgestellten Satz von den
Ansteigen der Mortalität entsprechend dem Zeitpunkt der Ent¬
fernung vom Beginn der peritonealen Allgemeininfektion zu lieg«
scheint. Dieser Widerspruch dürfte aber nur scheinbar sein, denn
ausschlaggebend bleibt dann schließlich doch der sich gleich bleibende
Mortalitätssatz von 100 % am 7., 8. und 10. Tage seit Beginn des
Infektionsvorganges, während bei den geringen für die einzelnen
Tage an sich in Betracht kommenden Zahlen von 3—10 Fällen
namentlich zwischen dem 3.-6. Tage geringe Schwankungen bereits
so große Ausschläge erzielen, daß der vorübergehende Abfall der
Mortalität gegenüber dem schließlich und definitiven Anstieg de
Mortalität auf rund 100°/ o eine gewisse Bedeutung im Sinne einer
tatsächlich günstigeren Prognose für die betreffenden Tage kamt
beanspruchen kann.
Bezüglich der Behandlungsdauer der 33 geheilte«
Notoperationen insgesamt, d. h. einschließlich der rel. Frtb-
operationen, ist zu bemerken, daß innerhalb der ersten drei Woche®
5 von 33 geheilten Notoperationen entlassen werden konnten, was
einem Prozentsatz von 15,6% entspricht, der bezeichnenderweise
den Spätoperationen mit ll,4°/ 0 immer noch um 422% überleg®
ist, ein Ergebnis, das allerdings lediglich dem begreiflichen Einflüsse
der relativen Frühoperationen auf die Abkürzung der Heilungs¬
dauer im Notstadium zu verdanken ist.
Bezüglich der Behandlungsdauer der gestorbenen
Fälle möchte ich nur hervorheben, daß der tödliche Ausgang ii
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Radikale Appendizitisbehandlung und ihre Ergebnisse etc. 533
der Mehrzahl der Fälle, nämlich 12, an den ersten beiden Tagen
nach dem Eingriff und zwar an dem ersten Tage in 4 und am
zweiten Tage in 8 Fällen erfolgt ist, letzteres als die Höchstzahl
der Todesfälle an einem Tage nach der Notoperation überhaupt.
Die übrigen 10 Todesfälle verteilen sich dann ziemlich gleichmäßig
derart, daß auf den 3. Tag nach dem Eingriff 2, den 4. Tag 4,
den 6., 7., 8., 9. und schließlich den 33. Tag je ein Todesfall kommt.
Es entfällt somit die weitaus überwiegende Mehrheit der Todesfälle
auf den ersten bis vierten Tag nach der Notoperation in der Höhe
von 18 auf 22 Todesfälle insgesamt, was für diesen Zeitraum einem
Prozentsatz von 78,1 % der Todesfälle entsprechen würde, so daß
man danach wohl mit Recht die ersten vier Tage nach dem Ein¬
griff im Notstadium als den entscheidenden Zeitraum für den
Ausgang der Fälle im guten oder schlechten Sinne ansehen darf.
In einer verhältnismäßig hohen Anzahl von Fällen, nämlich
46, gelang es, die Entfernung des Appendix vorzunehmen,
was dem erheblich höheren Prozentsatz von 83,6% gegenüber nur
40,9% der Spätoperationen entsprechen würde, während nur in 9
Fällen gleich 16,4% der Appendix zurückgelassen werden mußte.
Dabei ist allerdings hervorzuheben, daß heute von uns wenn irgend
möglich auch im Notstadium durchaus die Entfernung des Appendix
angestrebt wird, und nur wenn das endgültige Aufsuchen desselben
mit dem tastenden Finger an die Widerstandsfähigkeit des Peri¬
toneums im besonderen und des Patienten im allgemeinen zu große
Anforderungen stellen würde, ausnahmsweise der Appendix zurück¬
gelassen zu werden pflegt.
Betrachten wir nun im Zusammenhang mit der obigen Tatsache
die auf die einzelnen der beiden Kategorien entfallenden Todesfälle,
um daraus vielleicht für die Entscheidung der Frage nach einer
möglichen Einwirkung des Zurücklassens oder der Entfernung des
Appendix auf den Ausgang der Notoperationen irgendwelchen
Hinweis zu gewinnen, so entfallen zunächst auf die 46 Fälle mit
Entfernung des Appendix nur 15 Todesfälle, was für diese 46 Fälle
eine Mortalität von 32,6% ergeben würde, während auf 9 Fälle mit
Znrücklassung des Appendix 6 Todesfälle gleich 66,6% Mortalität
entfallen würden. Dabei ist aber zu beachten, daß diese 46 Fälle
auch die sämtlichen 23 Fälle von relativen Frühoperationen ent¬
halten, so daß daraus wegen der an sich ja unendlich günstigeren
Prognose der Frühfälle überhaupt für die eigentliche Bedeutung
der Entfernung des Appendix in schweren Fällen bzw. bei den
Deutsches Archiv f. kliu. Medizin. 101. Bd. 35
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Ebner
eigentlichen Notoperationen sich kein einheitliches Bild im einen
oder anderen Sinne gewinnen läßt.
Vielmehr dürfen wir zu diesem Zweck lediglich die übrigen
23 Fälle von eigentlichen Notoperationen heranziehen, bei denen
der Appendix entfernt werden konnte, und auf die allein dann die
obigen 15 Todesfälle entfallen. Das würde aber für diese 23 Fälle
berechnet einem Prozentsatz von 65,2% Mortalität entsprechen
gegenüber 66,6% für die 9 Fälle mit Zurücklassung des Appendix,
und wir finden demnach für diejenigen Fälle, wo eine Entfernung
des Appendix möglich war, lediglich eine um 1,4% bessere Mor¬
talität, ein Unterschied, der doch zu gering erscheinen dürfte, um
irgendwelche Schlüsse daraus nach der einen oder anderen Richtung
ziehen zu wollen. Immerhin dürfte man dennoch daraus den (auch
von anderen Autoren bereits hervorgehobenen) Eindruck- gewinnen,
als ob für diese ganz schweren Fälle keineswegs in der Entfernung
des Appendix unter allen Umständen die Hauptsache, sondern
lediglich in der möglichst weitgehenden Beschleunigung und Gering¬
fügigkeit des Eingriffs an sich das entscheidende Moment für den
Ausgang des Falles zu erblicken sein dürfte.
Auf die technischen Einzelheiten unseres Vorgehens bei der
Operation und Nachbehandlung im Notstadium, insbesondere auf
die unendlichen Vorteile einer richtigen Hoch- oder Seitenlagerung
der Patienten, der permanenten Kochsalzinfusion per Rectum und.
wenn nötig, der subkutanen Physostigmininjektion zur Erregung
einer besseren Peristaltik habe ich erst kürzlich im Beiheft 6 der
„Med. Klinik“ 1910 so eingehend hingewiesen, daß ich mir ein näheres
Eingehen darauf an dieser Stelle ersparen darf.
Was nun die pathologischen Befunde der Fälle an¬
belangt, so habe ich sie der besseren Übersicht wegen von vorn¬
herein nach den beiden Kategorien der geheilten und gestorbenen
Fälle gesondert zu ordnen gesucht, um daraus vielleicht gleich¬
zeitig irgendwelche Gründe in Gestalt einer besonderen Schwere
der Veränderungen für den traurigen Ausgang der letzteren Fälle
herleiten zu können.
Und tatsächlich finden wir diese ohne weiteres bereits durch
einen Vergleich der prozentualen Verhältnisse bzgl. der Veränderungen
am Peritoneum selbst insofern zum Ausdruck gebracht, als wir
unter den 33 geheilten Fällen 4 gleich 9,4% mit einem freien
serösen Exsudat, ferner 20 Fälle gleich 62,5% mit einem serös¬
getrübten Exsudat und nur 9 Fälle mit einem ausgesprochen
eiterigen Exsudat gleich 28,1% finden, .während für die 22 ge-
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Radikale Appendizitisbehandlung and ihre Ergebnisse etc.
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storbenen Fälle sich die Verhältnisse derart verschieben, daß ein
seröses Exsudat dabei überhaupt nicht, ebenso ein serösgetrübtes
nur in 4 Fällen gleich 17,4°/ 0 , dagegen ein ausgesprochen eitriges
Exsudat in 19 Fällen gleich 82,6% bei dem Eingriff vorhanden
war. Zu letzteren Fällen mit einem freien deutlich eitrigen Exsudat
ist übrigens auch der einzige im relativen Frühstadium trotz des
Eingriffs zugrunde gegangene Fall zu zählen, der neben einer
Perforation an der Spitze des Appendix bereits fibrinöse Beläge,
sowie deutlichen Meteorismus der umliegenden Darmschlingen auf¬
wies, so daß er, wenn auch zeitlich nach dem Beginn der Er¬
scheinungen, so doch keinesfalls nach dem vorhandenen pathologisch¬
anatomischen Befund der relativen Erühoperation als solcher zur
Last zu legen ist, und somit auch hier wieder das so häufige
Mißverhältnis zwischen den zeitlich zu erwartenden und den
tatsächlich vorhandenen Veränderungen deutlich in die Erschei¬
nung tritt.
Bzgl. der Veränderungen am Appendix selbst habe ich
eine Appendicitis ulcerosa in den Journalen nur in 2 Fällen gleich
6,2 % verzeichnet gefunden.
Wesentlich häufiger, nämlich in 16 Fällen gleich 29,1%, handelte
es sich um eine Appendicitis gangraenosa mit mehr oder weniger
ausgedehnter Gangrän der Appendixwand, die in zwei Fällen so
ziemlich den Appendix in seiner ganzen Ausdehnung befallen hatte.
Und zwar entfallen von diesen 11 auf die geheilten Fälle gleich
34,3% der Heilungen, und nur 5 auf die Todesfälle gleich 21,7 %
der Todesfälle, wobei der verhältnismäßige geringe Prozentsatz
für die letzteren Fälle sich daraus erklärt, daß allein in 9 Fällen
von den Todesfällen der Appendix überhaupt nicht gefunden worden
ist und demgemäß für die Gesamtzahl dieser Fälle dadurch ein
geringerer Prozentsatz der am Appendix festgestellten Veränderungen
überhaupt herauskommen muß.
Ebenso muß naturgemäß aus dieser verständlichen Erwägung
heraus auch hinsichtlich der Perforation, sowie des Vorhanden¬
seins von Kotsteinen am Appendix ein anscheinend für die
Todesfälle günstigeres Verhältnis bzgl. ihrer Häufigkeit bei diesen
Zustandekommen, so paradox das auch auf den ersten Blick er¬
scheinen mag. Und tatsächlich finden wir diese Annahme auch
ohne weiteres bestätigt, insofern von 32 Fällen gleich 58,2% der
gesamten Notfälle, bei denen eine Perforation verzeichnet, ist, 22
auf die geheilten 33 und nur 10 auf die gestorbenen 22 Fälle
kommen, was einer Beteiligung des Perforationsvorganges bei den
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geheilten mit 66,1% gegenüber 45,4% bei den gestorbenen Fällen
entsprechen würde.
Das gleiche Verhältnis finden wir auch bzgL des Vorhanden*
seins von Kotsteinen, indem von 11 Fällen gleich 20% der Notfälle,
bei denen das Vorhandensein eines Kotsteines angegeben wird, 7
Fälle anf die geheilten und nnr 4 auf die gestorbenen Fälle ent¬
fallen, was einem Vorhandensein von Kotsteinen in 21,9% der
geheilten nnd nnr in 17,4% der gestorbenen Fälle entsprechen
würde. Wie oft im übrigen bei den letzteren der bereits in die
freie Bauchhöhle durchgebrochene Stein nicht gefunden sein mag,
entzieht sich naturgemäß jeder Schätzung, nm so mehr als bei weitem
nicht alle gestorbenen Fälle zur Obduktion gelangt sind, nnd selbst
da das Vorhandensein eines kleinen Kotsteines in der freien Bauch¬
höhle der Beobachtung ohne weiteres entgehen kann. Tatsächlich
handelte es sich bei den in diesem Stadium gefundenen Steinen
durchweg nm freie, bereits innerhalb der Bauchhöhle gelegene
Kotsteine, von denen einer sich ausnahmsweise einmal ans dem
sonst mit Unrecht so berüchtigten Kirschkern anscheinend ent¬
wickelt hatte, während in einem anderen Falle nicht weniger als
4 Kotsteine zugleich vorhanden waren, von denen zwei bereits in
die Bauchhöhle perforiert und die anderen beiden noch innerhalb
des Appendix gelegen waren.
Im Gegensatz hierzu finden wir entsprechend dem meist früh¬
zeitigeren Zeitpunkt des Eingriffs bei den geheilten Fällen nnr
zweimal einen Kotstein frei in der Bauchhöhle liegend, während
in den übrigen 5 Fällen die Kotsteine noch innerhalb des Lumens
vorhanden waren. Anch hier handelte es sich in 3 Fällen um eine
Mehrzahl von Kotsteinen, derart, daß in einem Falle 4 Kotsteine
gleichzeitig, in einem anderen Falle 2 Kotsteine und in einem
dritten Falle ebenfalls 2 Kotsteine im Lumen des Appendix ge¬
funden wurden, während noch ein dritter Kotstein bereits anfter-
halb des Appendix gelegen war.
Was den Eingriff an sich anbelangt, so war, wie es ja im
Notstadium nicht anders zu erwarten ist, in sämtlichen Fällen
eine Tamponade bzw. Drainage in einer der Schwere des Falles
entsprechenden Ansdehnnng erforderlich. Und zwar war diese
durch mehrfache Inzisionen vorgenommen bei den geheilten Fällen
entsprechend ihrer größeren Leichtigkeit nur in 4 Fällen gleich
12,5 %, derart, daß in 2 Fällen eine Inzision der Leistengegend
beiderseits, in dem 3. Falle eine Gegeninzision der rechten Lendea-
gegend und in dem 4. Falle eine dreifache Inzision in Gestalt einer
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Radikale A ppendizitisbehandlung and ihre Ergebnisse etc.
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beiderseitigen Eröffnung der Inguinalgegend und einer Gegen¬
inzision in der Lendengegend angelegt wurde.
Wesentlich höher gestaltete sich naturgemäß dieser Prozent¬
satz der mehrfachen Inzisionen bei den gestorbenen Fällen, indem
auf 23 von diesen rund 11 Fällen mit mehrfachen Inzisionen in
einer Anzahl von 2—6 kommen, was einem Prozentsatz von 47,8 °/ 0 ,
also nahezu der Hälfte der Fälle, entsprechen würde.
Inwieweit dieser höhere Prozentsatz der mehrfachen Inzisionen
gerade bei den gestorbenen Fällen mit der Schwere der Fälle an
sich zusammenhängt, und wie oft in diesen Fällen der tödliche
Ausgang trotz oder vielleicht auch gerade umgekehrt wegen der
mehrfachen Inzision erfolgt sein mag, das ist eine Frage, die ich
selbstverständlich nicht ohne weiteres lediglich an der Hand der
Journale beantworten kann und will. Zweifellos aber muß man
bei der Durchsicht der Krankenblätter den Eindruck gewinnen,
daß in einer Anzahl von Fällen der im unmittelbaren Anschluß
an ein derart eingreifendes Vorgehen erfolgte Tod des Patienten
einer direkten Shokwirkung des Eingriffs an sich auf die zum Teil
bereits sehr herabgekommenen Kranken zuzuschreiben ist Und
ebenso zweifellos dürfte in einer weiteren Anzahl von Fällen auch
späterhin noch der Tod als Folge der durch diese zahlreichen In¬
zisionen ganz außerordentlich herabgesetzten Druckverhältnisse im
Abdomen erfolgt sein, indem bei der an sich bereits darnieder
liegenden Herztätigkeit dadurch eine noch weitere Erniedrigung
des allgemeinen Blutdrucks, bei der an sich bereits herabgesetzten
Widerstandsfähigkeit und Gewebsvitalität der Därme eine weitere
Schädigung durch die entsprechend dem größeren Querschnitt der
intraabdominalen Gefäßlamina verlangsamte Darmzirkulation und
schließlich noch durch die Ausschaltung der Visatergo eine weitere
Verminderung des Sekretabflusses und damit der gewissermaßen
physiologischen Fortspülung der Erreger und ihrer Toxine bewirkt
wird, Faktoren, von denen bereits jeder im einzelnen genügen dürfte,
um das schwankende Zünglein der Wage in solchen Fällen zum
Schlechteren ausschlagen zu lassen.
Um so augenfälliger mußten uns gerade diesen Fällen gegen¬
über die Erfolge in die Erscheinung treten, welche wir bei den
geheilten Fällen trotz teilweiser bereits recht schwerer und fort¬
geschrittener Veränderungen, die selbstverständlich jedoch niemals
bis zur Lähmung der Dünndarmschlingen fortgeschritten waren,
mit der später bevorzugten kleinen Schnittführung und einer mög¬
lichst weitgehenden Beschränkung der Drainage und Tamponade
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Ebner
im Sinne von Rehn-Nötzel zu verzeichnen hatten. Wir konnten
um so eher zu dieser Beschränkung der Drainage übergehen, als
wir durch die gleichzeitige Hochlagerung der Patienten nach
Fowler, vielfach kombiniert mit einer gleichzeitigen Lagerung
auf die rechte Seite, die kleine Schnittöffnung zum tiefsten Punkte
des Drainagesystems machten und gleichzeitig durch die perma¬
nente Kochsalzinfusion per Rectum die an sich bereits vorhandene
bzw. auf diese Weise erhalten gebliebene Vis a tergo des intra¬
abdominalen Druckes durch eine entsprechend vermehrte peritoneale
Sekretionsmöglichkeit ganz erheblich verstärkten. Und ich möchte
nicht verfehlen, unter Hinweis auf meinen oben citierten Beitrag
zur „Medizin. Klinik“ auch an dieser Stelle nochmals ausdrücklich
darauf hinzuweisen, daß wir nach unseren Erfahrungen bei der
so oft umstrittenen Frage der Peritonitisbehandlung neben ent¬
sprechender Schnittführung und Drainage in der regelmäßigen und
genauesten Anwendung einer, derartigen Nachbehandlung die Con-
ditio sine qua non erblicken müssen, ohne welche die schwereren
Fälle trotz des technisch glänzend gelungensten Eingriffs nur selten
über den kritischen Zeitraum der ersten 4 Tage nach dem Ein¬
griff hinwegzubringen sein werden.
Was die Sektionsbefunde von 15 der gestorbenen Fälle
anbelangt, bei denen ein Ergebnis der Autopsie verzeichnet steht,
so bieten sie insofern nichts Bemerkenswertes dar, als es sich in
sämtlichen Fällen um eine allgemeine eiterige Peritonitis, ver¬
einzelt in Verbindung mit beginnender multipler Absceßbildung
handelte, mit Ausnahme nur eines Patienten, bei dem eine sekun¬
däre Perforation eines kleinen, neben dem gangränös veränderten
und perforierten Appendix gelegenen Abscesses in die freie Bauch¬
höhle vorlag, und der etwa 4 Tage nach diesem Vorgang zur
Operation gelangt ist Hier fand man entsprechend dem weiteren
postoperativen Verlauf des Falles, der ohne ausgesprochene peri-
tonitische Erscheinungen unter Fieber und zunehmendem Kollaps
zum Tode führte, auch bei der Sektion in Gestalt von Icterus.
Hepatitis, Nephritis, Enteritis, Splenitis und Bronchopneumonie die
untrüglichen Anzeichen einer allgemeinen Autointoxikation der
Organe, welcher der Patient augenscheinlich in erster Linie zum
Opfer gefallen war, während der örtliche Infektionsvorgang am
Peritoneum durch den Eingriff anscheinend derart beschränkt war.
daß es nicht mehr zu dem üblichen Bilde der allgemeinen eiterigen
Peritonitis gekommen war.
Werfen wir schließlich noch einen Blick auf den weiteren
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Radikale Appendizitisbehandlung nnd ihre Ergebnisse etc.
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*
Verlauf der geheilten Fälle nach dem Eingriff, so finden
wir in 5 Fällen, gleich 15,6 °/ 0 der 32 geheilten Fälle, die Not¬
wendigkeit einer späteren Spaltung von postoperativen Abscessen
angegeben, die sich auf einen Zeitraum zwischen dem 6.—20. Tage
yon der Operation ab verteilen. Von weiteren Zwischenfällen
findet sich nur einmal eine Bronchitis beiderseits, gleich 3,1 °/ 0 ,
und in einem weiteren Falle das Auftreten eines Strangileus an¬
gegeben, der am 16. Tage nach der vorausgegangenen Appendek¬
tomie die Vornahme einer medianen Laparotomie zur Lösung der
Adhäsionen erforderte.
Es war demnach also bei insgesamt 7 von 32 geheilten Fällen
der Heilungsverlauf durch die obigen Zwischenfälle gestört, so daß
wir für die Notoperationen, soweit sie zur Heilung gelangt sind,
danach mit einem Prozentsatz von 21,9 °/ 0 Störungen des Heilungs¬
verlaufes zu rechnen haben.
Werfen wir nun zum Schluß einen vergleichenden Rückblick
über die einzelnen Stadien der Erkrankung und fragen wir uns
nach dem praktischen Ergebnis der langen Reihe von Prozent¬
berechnungen , durch welche wir uns im Laufe unserer Erörte¬
rungen mühsam — zum Teil vielleicht auch gar nicht — hindurch¬
gewunden haben, so wird sich' aus aller dieser grauen Theorie des
Lebens grüner Baum in Gestalt eines praktischen und für die Praxis
brauchbaren Ergebnisses sehr bald insofern von selbst ergeben, als
wir eben aus dem vergleichsweisen Verhalten dieser Prozentsätze
zueinander in den einzelnen Stadien ohne weiteres unsere Folge¬
rungen für die zum Teil ja noch zweifelhafte Wertung der ein¬
zelnen Stadien in ihrem Verhältnis zu einer möglichst rationellen
chirurgischen Therapie werden ableiten können.
Wenn wir z. B. in der folgenden Übersichtstabelle hinsichtlich
der Behandlungsdauer finden, daß dieselbe betragen hat:
bis 2
bis
3
4-
5
6—7 Wochen
Wochen
Wochen
Wochen
und länger
bei den chron. Fällen in
44,8%
78
0/
io
21,1
°/o
0,9 %
absolut. Frühfällen
63,7 •/.
80
°/ A
10
16,2
%
3,8 °/ 0
Zwischenoperationen
20,3 %
45,6
0/
Io
43,0
01
Io
11,4 %
Spätoperationen
9,5 °/o
21,4
Ol
io
45,2
0/
Io
33,3 %
Notoperationen
6,0 %
15,2
Ol
Io
60,6
0
10
24,2 \
so ersehen wir daraus, wie in gleichmäßiger Linie die Zahl der
Entlassungen innerhalb der ersten 2 Wochen von 63,7 °/ 0 bei den
Frühoperationen bis auf 6,0 °/ 0 abfällt bei den Notoperationen, und
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wie gerade umgekehrt die Zahl der Entlassungen zwischen der
6.—7. Woche und darüber hinaus wiederum ansteigt von 3,8 ° 0 bei
den Frühfällen bis auf 33,3 °/ 0 bei den Spätfällen. Und wenn wir
insbesondere das Verhältnis der Früh-, Zwischen- und Spätopera¬
tionen zueinander von diesem Gesichtspunkt aus betrachten, so er¬
sehen wir daraus ohne weiteres, daß die Dauer des durchschnitt¬
lichen Heilungsverlaufes durchaus dem seit Beginn der Erkrankung
verflossenen Zeitraum bzw. dem jeweils vorgerückteren Erkran¬
kungsstadium entspricht, in welchem der Patient zur Operation ge¬
langt ist. Mathematisch ausgedrückt: Die Behandlungsdauer nach
der Operation ist der Krankheitsdaner vor der Operation als direkt
proportional anzusehen.
Dieses durchaus konstante Verhältnis des Heilungsverlaufes
zur voroperativen Erkrankungsdauer wird um so verständlicher,
wenn wir bei dem weiteren Vergleich der einzelnen Stadien finden,
daß der Appendix bei den Früh- und chronischen Fällen in 0%.
bei den Zwischenoperationen in 8,3 °/ 0 , bei den Notoperationen in
16,4 # /o and bei den Spätoperationen in 59,1 % der Fälle zurück-
gelassen werden mußte, was sicherlich nicht zur Abkürzung des
Heilungsverlaufes beigetragen haben dürfte, wenn wir weiter finden,
daß bei den chronischen Fällen in 10,8 °/ 0 , bei den Frühfällen in
23,7 °/ 0 , den Zwischenfällen in 63,4 °/ 0 , den Spätfällen in 90.9®«
und den Notfällen in 100 °/ 0 eine Tamponade bzw. Drainage am
Schlüsse des Eingriffs notwendig war, und wenn wir schließlich
bezüglich der Störungen des Heilungsverlaufes finden, daß solche
bei den chronischen Fällen in 6,3 °/ 0 , den Frühfällen in 7,5 ® 0 , den
Zwischenfällen in 26,1 % und den Notfällen in 21,9 °/ 0 vorhanden
waren.
Wir sehen auch hier wieder, daß entsprechend der Länge der
voroperativen Erkrankung, d. h. vom Frühstadium bis zn dem Spät¬
stadium der Erkrankung auch die Notwendigkeit einer Sicherung
des Operationsgebietes durch .Drainage wächst, derart, daß die
Häufigkeit der Tamponfälle von 23,7 °/ 0 im Frühstadium bis aof
90,9 0 0 im Spätstadium ansteigt, und wir sehen vor allem auch
daraus die nicht allzu oft hervorgehobene oder zum mindesten
doch kaum bewiesene Tatsache, daß auch die Zahl der nachopera¬
tiven Störungen des Heilungsverlaufes genau in dem gleichen Ver¬
hältnis, also direkt proportional dem voroperativen Erkrankungs¬
verlauf bzw. dem Bestehen des Entzündungsvorganges zunimmt,
indem sie eine Steigerung von 7,5 °/ 0 im Frühstadium bis auf 13.9
im Zwischenstadium und auf 26,1 ° 0 im Spätstadium erfährt, alles
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Tatsachen, die ein entsprechendes Anwachsen der Behandlungs-
d&uer unter solchen Umständen nicht weiter verwunderlich er¬
scheinen lassen durften.
Und wenn wir schließlich noch die Störungen des Heilungs¬
verlaufes in den verschiedenen Stadien im einzelnen betrachten, so
sehen wir weiter, daß die meisten bzw. am häufigsten in Betracht
kommenden Störungen, nämlich seitens der Lungen und durch post¬
operative bzw. metastatische Absceßbildung genau in dem gleichen
Verhältnis, wie die Zahl der Störungen insgesamt ansteigen, indem
die ersteren von 1 % bei den Sicherheitsoperationen bis auf 2,5 °/ 0
bei den Frühfällen, 4,9 % hei den Zwischenoperationen und 6,8 °/ 0
bei den Spätoperationen ansteigen, während das Verhältnis der
postoperativen Absceßbildung in noch viel steilerer Linie von 0,6 °/o
bei den chronischen Fällen, auf 1,2 °/ 0 bei den Frühfällen, 4,9 °/ 0
bei den Zwischenoperationen und 13,6 °,/ 0 bei der Spätlällen und
schließlich noch auf 15,6 °/ 0 bei den Notfällen ansteigt.
Werfen wir nun die Frage auf, was ergibt sich jetzt aus
unseren obigen Vergleichen und Ausführungen für die Entscheidung
der heute wohl noch umstrittensten Frage auf dem Gebiet der
Appendizitistherapie, nämlich für die Wertung des Zwischen¬
stadiums in seinem Verhältnis zur Operation und namentlich zu
dem von vielen Seiten immer noch als zweckmäßiger für den Ein¬
griff bevorzugten Spätstadium, so finden wir, daß nach unseren
Ergebnissen bei einer an sich ziemlich gleich geringen Mortalität
von 3,6—4,5 °/ 0 bzw. 2,4—2,3 % der Unterschied für den Eingriff
in beiden Stadien darin besteht, daß der Appendix im Zwischen¬
stadium in 8,5 °/ 0 , im Spatstadium in 59,1 °/ 0 der Fälle zurück¬
gelassen werden mußte, daß eine Drainage bzw. Tamponade der
Wunde in 23,7 °/ 0 der Zwischenfälle gegen 63,4 °/ 0 bei den Spät¬
fällen notwendig war, daß Störungen des Heilungsverlaufes im all¬
gemeinen vorkamen bei den Zwischenfällen in 12,7°/ 0 , den Spät¬
fällen in 26,1 °/ 0 , daß postoperative Abscesse im besonderen vor¬
kamen bei den Zwischenfällen in 4,9 °/ 0 , bei den Spätfallen in 13,6 °/ 0
und ebenso Störungen seitens der Lungen verzeichnet sind bei den
Zwischenoperationen in 4,9 %, bei den Spätoperationen in 6,8 °/ 0 ,
und daß schließlich entsprechend den bisher gefundenen Unter¬
schieden innerhalb der ersten 3 Wochen 45,6 % der Patienten im
Zwischenstadium gegenüber 21,4 °/ 0 beim Spätstadium und umge¬
kehrt erst in der 6.—7. Woche 11,4 °/ 0 im Zwischenstadium gegen
33,3 °/ 0 im Spätstadium entlassen werden konnten.
Es ist danach in unserer Zusammenstellung bei keineswegs
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542 Ebner, Radikale Appendizitisbehandlung und ihre Ergebnisse etc.
größerer, sondern eher noch geringerer Mortalität das Zwischen-
Stadium bzw. die Zwischenoperation der Spätoperation fraglos da¬
durch überlegen, daß dabei in 40,6 °/ 0 der Fälle mehr der Appendix
entfernt werden konnte, und dementsprechend in 27,5 % der Fälle
weniger tamponiert bzw. drainiert zu werden brauchte, daß Stö¬
rungen des Heilungsverlaufes im allgemeinen um 13,4 %, Störungen
durch postoperative Abscesse im besonderen um 8,7 °/ 0 und seitens
der Lungen um 1,9 °/ 0 weniger vorkamen, und daß schließlich die
Behandlungsdauer eine dementsprechend ganz erhebliche Verkürzung
gegenüber dem Spätstadium erfahren konnte.
Daß wir es unter solchen Umständen nicht gerade für zweck¬
mäßig erachten können, den Patienten prinzipiell den Gefahren
einer stets möglichen primären oder sekundären Perforation bzw
Allgemeininfektion des Peritoneums während einer konservativen
Behandlung im Zwischenstadium auszusetzen, um ihn damit, wenn
er das Glück hat, diese vermieden zu haben, schließlich der erheb¬
lich größeren Nachteile des um nichts weniger gefährlichen Ein¬
griffs im Spätstadium teilhaftig werden zu lassen, ist eine Schlu߬
folgerung, deren Berechtigung nach den praktischen Ergebnissen
an unserem Material wenigstens sich schwerlich bestreiten lasen
dürfte!
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Aus der medizinischen Klinik (Prof. Pel) und aus dem patholo¬
gischen Laboratorium (Prof, ßuitinga) der Universität von
Amsterdam.
1
Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne.
Von
Dr. J. C. Schippers,
Assistenten der Klinik.
Schon vor längerer Zeit ist es mehreren Untersuchern ge¬
lungen, im Blutserum von mit Fermentlösungen behandelten Tieren
Antifermente nachzuweisen (Morgenroth u. a. (1)).
Das Antitrypsin wurde zuerst von Achalme (2) studiert.
Dieser Forscher sah bei Meerschweinchen, nachdem er ihnen sub¬
kutan Trypsinlösungen einverleibt hatte, bald in der Nähe der
Einspritzungsstelle Nekrose des Gewebes auftreten, welche nach
1 %—3 Tagen durch den Tod des Tieres gefolgt wurde. Wenn er
nun den Meerschweinchen zuvor wiederholt kleinere Mengen Trypsin¬
lösung intraperitoneal eingespritzt hatte, reagierten die Tiere kaum
mehr auf die subkutane Injektion. Zu gleicher Zeit hatte das
Blutserum die Eigenschaft bekommen, eine 8 fach größere Menge
Trypsinlösung in seiner Wirkung auf Eiweiß zu hemmen als zuvor.
Nachdem Brieger und Trebing.(3) mitgeteilt hatten, daß
der Antitrypsingehalt des Blutserums Krebskranker dauernd er¬
höht war, und sie diesen Befund für die oft so schwierige Diagnose
des Krebses verwerten wollten, hat diese Frage auch das Interesse
der Kliniker gewonnen. Bald aber kam der Widerspruch und zu¬
mal von Bergmann und Meyer (4) zeigten, daß die Erhöhung
des antitryptischen Titers des Blutserums für Krebs nicht patho-
gnomonisch war, sondern bei allen zu Kachexie führenden Krank¬
heiten auftrat; man hat deshalb später von Kachexiereaktion
gesprochen. Aber auch dies trifft nicht zu, da mehrere Unter¬
sucher sie bei Krankheiten, welche keine Kachexie herbeiführen,
gelegentlich im Blutserum fanden: z. B. bei puerperalen Infek-
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544
Schippers
tionen (Thaler (5)), Abscessen und Phlegmonen (Landois 6 ,
croupöser Pneumonie (Ascoli und Bezzola (7)), künstlich er¬
nährten Säuglingen (von Reus(8)).
Während also die Bestimmung des antitryptischen Titers des
Blutserums in praktischer Hinsicht wahrscheinlich nur relativ ge¬
ringen Wert hat. so beansprucht sie doch ein gewisses theoretisches
Interesse. Es ist nämlich die Frage, ob wir mit einem wirkliches
Antikörper zu tun haben, oder ob im Blutserum ein chemisch de¬
finierbarer Körper, der imstande ist das Trypsin zu hemmen, in
größerer Menge auftritt Ich möchte aber sogleich betonen. daS
man eigentlich immer sagen muß Hemmung der Kaseinverdanun?
durch Trypsin, statt Hemmung der Trypsinwirkung, weil ja die
Mehrzahl der Untersucher, wie auch ich, mit der bekannten GroE-
sehen Methode gearbeitet hat Es ist ja möglich, daß die Ver¬
dauung anderer Eiweißkörper durch Trypsin nicht in gleicher
Weise beeinflußt wird.
Kurt Meyer (10) ist der Meinung, daß wir in den oben ge¬
nannten Fällen das hemmende Agens als einen wirklichen Anti¬
körper zu betrachten haben. Er sagt: „Als antigen spielen Pan¬
kreassekret und Leukocytenferment wahrscheinlich nur eine unter¬
geordnete Rolle; viel mehr sind wahrscheinlich proteolytische Zell¬
fermente die Erregung der Antikörperbildung. Zellzerfall als
solcher mit freiwerdenden autolytischen Fermenten führt nicht zur
Antitrypsinzunahme. Dies ist wahrscheinlich auf eine primäre
Vermehrung der proteolytischen Zellfermente zurückzuführen. für
deren Vorkommen verschiedene Anhaltspunkte vorliegen. Als Ur¬
sache der abnormen Fermentvermehrung sind Stoffwechselgifte an¬
zunehmen.“ Braunstein und Kepinow(ll), welche nach Ein¬
spritzen von fein zerriebenen Leber- und Krebsknoten eine Ver¬
mehrung des antitryptischen Titers des Blutserums beobachteten,
betrachten die proteolytischen Zellfermente als Antigene des Anti¬
trypsins. Landois (6) hält die aus zugrunde gegangenen Leuko-
cyten freikommenden Fermente für die Ursache der Antitrysin-
bildung. Cobliner(12) sah einige Zeit nach Entfernung des
Pankreas beim Hunde eine Erniedrigung des antitryptischen Titers,
welche später durch Verfütterung von Pankreaspräparaten bei¬
nahe zum ursprünglichen Wert erhöht werden konnte und meint
also, daß das Pankreastrypsin als Antigen wirkt.
Ganz anderer Meinung sind Pick und Pfibram(13) sowie
0. Schwarz (14). welche meinen, daß das „Antitrypsin“ ein Lipoid
sei. welches durch Zerfall zelliger Elemente in den Kreislauf gerät
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Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne. 545
Sie stützen sich unter anderem auf die Tatsache, daß das Blut¬
serum sein antitryptisches Vermögen durch Schütteln mit Äther
zum größten Teil einbüßt, während nachher das Zusetzen von
Lipoiden die antitryptische Wirkung wieder herstellt.
Kurt Meyer (10) und später Cobliner(12) konnten dies
nicht bestätigen: das Schütteln des Blutserums mit Äther übte
keinen Einfluß auf den antitryptischen Titer aus.
Wenn das Blutserum in den oben genannten Zuständen wirk¬
liche Antikörper enthalten soll, müssen es Autoantifermente sein.
Lange Zeit hat man gezweifelt, ab dies möglich ist, nach Bössle (15)
muß man es jedoch als wahrscheinlich ansehen, daß sich unter
Umständen wirkliche Autocytotoxine bilden können.
Auf Anregung meines verehrten Chefs Herrn Prof. Pel habe
ich die antitryptische Wirkung des Harnes bei verschiedenen patho¬
logischen Zuständen untersucht. Ich war schon seit einiger Zeit
hiermit beschäftigt, als ich mit der Arbeit von Bauer und
Reich (16) bekannt wurde, während ich nach Abschließung dieser
Untersuchung von den Mitteilungen von Bauer und Reich (Nach¬
trag) (17), E. Müllerund Kolaszec (18), E. Müller (19), Döb-
lin (20), J. Bauer (21) Kenntnis genommen habe. Ich werde des¬
halb ihre Resultate im Vergleich mit den meinigen am Schlüsse
besprechen.
Die frischen Morgenharne der Kranken wurden filtriert, ab¬
steigende Mengen (0,4, 0,8, 0,2 und 0,1 ccm) zu je 0,1 ccm Trypsin¬
lösung zugesetzt, und mit destilliertem Wasser die Volumina in die
Röhrchen gleich groß gemacht. Nach zweistündigem Erhitzen im
Thermostat auf 37,5 0 C wurde in jedes Röhrchen 2 ccm Kasein¬
lösung gegossen, und jetzt 3V 2 weitere Stunden im Thermostat
erhitzt; dann wurden die Röhrchen ausgenommen und jedem 0,1 ccm
einer 6 °/« Essigsäurelösung zugesetzt.
Die benutzte Kaseinlösung wurde jede 2 oder 3 Tage frisch
hergestellt nach Groß (9): lg Caseinum puriss. Grübler und 1 g
Natr. carbon. anhyd. aufgelöst in 1 Liter destillierten Wassers.
Weil die Kaseinlösungen nach einiger Zeit, bisweilen schon nach
2 oder 3 Tagen der Autohydrolyse anheimfallen, wie schon seiner¬
zeit Brailsford Robertson (22) ausführlich studiert hat, wurde
wiederholt zur Kontrolle zu gleicher Zeit auch Kaseinlösung während
3 1 /* Stunden auf 37,5 0 C erhitzt und nach Zusatz von Essigsäure
der Niederschlag verglichen mit jenem in nicht erhitzter Kasein¬
lösung, die Niederschläge waren immer gleich groß. Es war jetzt
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546
Schippers
überflüssig, zur Konservierung der Kaseinlösung Chloroform zuzn-
setzen, und so konnte mithin seine störende Wirkung auf di«
Trypsinlösung (Kaufmann (23)) vermieden werden.
Die Trypsinlösung wurde nach Angabe Kudo’s (24) hergestellt:
100 mg Trypsin Grübler, aufgelöst in 100g destillierten Wassers.
24 Stunden im Eisschrank ruhig gestellt, zentrifugiert, die eben-
stehende Flüssigkeit dekantiert und mit einem gleichen Volon
Glyzerin gemischt. Von der so hergestellten Trypsinlösung wurden
(mittels gleicher Teile destillierten Wassers und Glyzerin) auch
Verdünnungen */# und V« gemacht. In den Protokollen sind diese
3 Lösungen resp. angegeben als Trypsin 1 j 1 , */* und ’/«; sie hatten
nach 6 Monaten noch nicht merklich an Wirksamkeit eingebaut
Bei jedem Versuch wurde ihre Wirksamkeit aufs neue geprüft
Weil nach Hedin (25) die Bindung des Trypsins an das Anti¬
trypsin einige Zeit beansprucht, wurden Harne und Trypsinlösuns
vorher zusammen während 2 Stunden erhitzt.
An erster Stelle habe ich die Harne von verschiedenen Kranken
der Klinik untersucht nach unten stehendem Schema:
i
1 II
III
IV
V
Trypsinlösung ('!,)
0,1
0,1
0,1
! o,i
0,1 ccm
Harn
0,4
0,3
0,2
0.1
0,0
Destilliertes Wasser i
0,0
0,1
0,2
0,3
0,4
Kaseinlösung
2,0
2,0
2,0
2,0
2,0
Essigsäure von 6°/ 0
0,1
I
0,1
,
i
0,1
0,1
Während 2 Ständen anf
37,5® C.
Nach Zusatz der Kaseii-
lösang weitere 3', Std
anf 37,5® C.
Znm Schloß zugesetzt.
Das Resultat war folgendes:
Krankheit
1 Zahl der
untersuchten
Harne
Zahl der
hemmenden
Harne
Zahl der
Eiweiß hal¬
tenden
Hame
Tuberculosis! §£j n
8
10
1
pulmonum j Stad Iir
! ii
2
1 ö
Pneumonica catarrbalis
1 3
1
Bronchitis putrida
1
Emphysema pulmonum
1 3
|
1
Endocarditis subacuta
1 1
1
„ chronica
, 10
4
Myodegeneratio cordis
1 1
1
Carcinoma ventriculi
1 3
1
Ulcus ventriculi
12
1 1
Neurosis gastrica
1
Hyperacidität
1
1 1
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Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne.
547
Krankheit
Zahl der
untersuchten
Harne
Zahl der
hemmenden
Harne
Zahl der
Eiweiß hal¬
tenden
Harne
Echinococcus hepatis
i
Colica fellea
i
Icterus catarrhalis
i
!
!
Carcinoma vesicae felleae
i
Appendicitis acuta
2
I
Enteritis chronica
2
1
Peritonitis tuberculosa
1
Polyserositis tuberculosa
3
Nephritis interst. chron.
8
4
7
Albuminuria orthostatica
3
1
Pyelitis traumatica
1
Haemophilia renalis
1
1
1
Arthritis deformans
1
1
Rhenmatism. acut.
1
„ snbacnt.
1
„ chron.
2
Anaemia
6
1
Diabetes mellitus
7
2
2
Rhachitis
4
Spondylitis tuberc.
1
1
Febris puerperalis
1
1
1
Adnexitis
1
,
Scrophylodenna
1
!
Abscessus frigid ns
1
,
Tnbercul. lymphogland.
1
Thrombos. ven. crural.
1
Nervositas
2
Chorea minor
3
Morbus Basedowii
2
Meningitis tuberculosa i
1
i
Myxoedema
1
Acromegalia
1
Lues cerebri
1
Apoplexia cerebri
3
Tumor cerebri
2
i
Poliencephalitis ac.
2
Paralysis agitans
1
Scl&rose en plaques
1
Tabes dorsalis
4
Sine Morbo
6
Wenn wir obenstehende Tabelle betrachten, sehen wir, daß
einige Harne, teils eiweißhaltige, teils eiweißfreie, die Kaseinver¬
dauung des Trypsins hemmen. Zu gleicher Zeit war es aufgefallen,
daß sehr oft die Trypsinwirkung in dem Kontrollröhrchen (V)
im Gegensatz zu den anderen Röhrchen (I—IV) nicht komplett
war. An erster Stelle wurde nun untersucht, ob der Mangel an
Salzen hier die Ursache sei.
Es wurden je 0,1 ccm der Trypsinlösungen 1 I 1 , */* und 1 / a mit
0,4 ccm Kochsalzlösung wechselnder Konzentration während 2 Stun-
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548
SCHEPPXBS
den auf 37,5° C erhitzt, dann 2,0 ccm Kaseinlösung zugesetzt.
3 Vs weitere Stunden erwärmt, und zum Schlüsse 0,1 ccm 6% Essig¬
säure beigegossen. Das Resultat ist aus unten stehender Tabelle
ersichtlich:
Konzentration der 1 20
Kochsalzlösung
18 16
1
14 112 110 j 8
1
6 ! 4
2 1 0,5 0,0\
i 1
Trypsin ’/i 1 —
- -
- -
- - 1 — —
Trypsin Vs 1 —
- 1 -
- - ' - ’ -
1
-!->
Trypsin '/« i —
f " ’ j
| - j - j - | - |
—. Sp.
+ |+|+ T
Bei schwächeren Konzentrationen der Fermentlösungen vei-
läuft also die Kaseinverdauung durch Trypsin besser, je nachdem
der Salzgehalt der Lösung ein höherer ist. Es ergab sich weiter,
daß die Konzentration des Salzes keinen Einfluß hatte auf dir
Bildung des Essigsäureniederschlages, weder vor, noch nach der
Erhitzung.
Der Eiweißgehalt der einzelnen Harne wurde nach Esbach
bestimmt, es zeigt sich, daß die Harne bei einem Gehalte über
2 pro Mille immer hemmten und daß ein Gehalt unter 1 pro Mille
die Trypsin Wirkung nicht beeinflußte; dagegen fiel es auf, daß bei
einem Eiweißgehalt von 1—2 pro Mille die Harne ab und zn
hemmten. Es war in den letzten Fällen wahrscheinlich ein weiterer
Faktor mit im Spiele.
Ein Eiweißreiches Transsudat, das nur Spuren Kochsalz enthielt,
wurde jetzt nach oben beschriebener Methode untersucht. In eine
Serie wurden die Röhrchen mit 20°/ o Kochsalzlösung statt mit
destilliertem Wasser beschickt. Die Vorerwärmung war in allen
Serien dieselbe; nachdem Kaseinlösung zugesetzt war, wurden nach
verschiedenen Zeiten die Größe der Verdauung des Kaseins unter¬
sucht. Die Trypsinlösung 1 / 1 wurde benutzt.
Menge des Transsudates: 0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 ccm
Niederschlag nach 3 Stunden: -b + + + + *)
n n 4 „ : + + 4" 4" Sp.
)• »ö ’• : + + + + —
„ „5 „ : -|-(mit 20% NaCl 1
» » 24 „ H—b + “b
« «48 „ : -j-b -b +
Es zeigte sich, daß der hemmende Elinfluß des Eiweiße»,
wenigstens teilweise, durch Kochsalzzusatz zu beseitigen war.
*) Die Zeichen -f-+, Sp(nr) nsw. geben die OrSfie des Eaaigsinreaieder-
echlages an; sie sind jedoch in jeder Tabelle nur gegenseitig vergleichbar.
Difitized
bv Google
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Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne.
549
Ich machte jetzt denselben Versuch mit einem eiweißhaltigen
Harne mit dem gleichen Erfolg:
Nr. 166. Frau L. Nephritis haemorrhagica chronica.
Harn: Spez. Gew. = 1,014; Acidität = 2,35 cmm ^ NaOH;
Eiweißgehalt nach Scherer = 2,540 Gr. p. L.; Kochsalzgehalt nach
Volhardt = 8,022 Gr. p. L.
550
Schippers
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Nach: 1 Stunde 1% St. 2 St. 3 St. 4 St.
mit NaCl 20%: + Sp. Sp. -
mit Aq. dest.: + 4~ > + + < + Sp.
Es gibt also 2 Faktoren, welche die Kaseinverdauung durch
Trypsin beeinflussen:
1. der Eiweißgehalt, welcher hemmend wirkt auf
Trypsin;
2. der (Koch)salzgehalt, welcher, wenn groß genu».
die Trypsin Wirkung fördert.
Wenn also diese beiden Faktoren Zusammenwirken, können
wir eine kräftige Hemmung erwarten. Und wirklich ist das
der Fall.
Ich notiere hier unten in Vergleich miteinander die Resultate
zweier Harne. Nr. 162, einer Frau mit Krebs der Gallenwege,
und Nr. 165, einer Frau mit croupöser Lungenentzündung.
Trypsin ’/i
Harn-
mentre
Nr. 162
Nr. lt>5
0,4 0,3 0,2 0,1 0,0 0,4 0,3 < 0,2
+ ++++
+ s P . s P .
I-H- ++++
0,1 |0,0 0,4 0,3 0,2 0.1 U.Ü
f ; ' i
Sp. Sp. + Sp. -4— ~"
++; -rM-+ x ++~ —
I i
Sobald aber dem Harne der Pneumoniepatienten Kochsalz in
genügender Menge zugesetzt wurde, konnte die Hemmung teilweise
beseitigt werden.
Nr. 165. Frau 0. Pneumonia crouposa. 4. Krankheitstag.
Harn: Spez. Gew. = 1,024; Acidität = 4,3 ccm ^ NaOH;
Eiweißgehalt nach Esbach = 2%„; Kochsalzgehalt nach Vol-
hardt = 6,110 Gr. p. L.
Dieselbe. 6. Krankheitstag.
Harn: Spez. Gew. = 1,028; Acidität = 3,7 ccm ^ NaOH;
Eiweißgehalt nach Scherer = 2,100 Gr. p. L.; Kochsalzgehalt
nach Volhardt = 5,160 Gr. p. L.
Trypsin j ’/i j */« 1 V»
Harnmen ge: 0.4 0,3 0.2 .0,1 0,0 1.0,40,3 (0,2 0,1 |ü,0 ;0,4 0,3 0,2 0.1,0.0
. (mit Aq. «lest. %+ -H-1++ A-+ - -H--4-4- ++ -H- Sp.'++!++++++! i
‘ k \mit20°,, Nal'l -M-« + i + j ++ ++ -F , + I ++,++ + ■ ~
, r iinit Ai). «l«'st. :+ r+++-r + r — FF-,++++ -H%p. -H-'-H--H--H- +
b * la> » \mit20% Nat’l 1++++! + +! ++(+++ + ■++■++: - : r
Gck 'gle
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Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne.
551
In einem anderen Falle von croupöser Pneumonie war der
Eiweißgehalt niedriger, also die Hemmung weniger deutlich, jedoch
war auch hier nach Beigabe von Kochsalz die Trypsinwirkung
eine wesentlich bessere:
Nr. 177. Mann. Pneumonia crouposa. Digestion während 5
Stunden.
Harn: Spez. Gew. = 1,018; Acidität = 2,4 ccm ^ NaOH;
Eiweißgehalt nach Scherer = 1,240 Gr. p. L.; Kochsalzgehalt
nach Volhardt = 4,740 Gr. p. L.
Trypsin
| V.
i
V*
[
V«
Harnmenge
Mit Aq. dest.
Mit20° /o NaCl
0,4
l
0,3 | 0,2 , 0,1 0,0
! t’
0,4
0,3
0,2 0,1
Sp. i Sp.
0,0
Sp.
0,4
+
Sp.
0,3 0,2 ’0,1
+ + Sp.
Sp. Sp. Sp.
0,0
+
Auch von Schoenborn (26) fand, daß die Pneumonikerharne
besonders die Trypsinwirkung hemmten; ich meine, daß die oben
angeführten Versuche, welchen ich noch einige beifügen könnte,
eine befriedigende Erklärung geben.
Die Harne Carcinomkranker als solche hemmen die Trypsin¬
wirkung nicht, es sei denn, daß ihr Salzgehalt durch ungenügende
Fütterung zu niedrig wird. Zur Bestätigung führen wir 3 Bei¬
spiele an:
Nr. 173. Frau. Carcinom der Gallenwege; schwere Kachexie;
gebraucht nur Milch und ein wenig Zwieback.
Harn: Spez. Gew. = 1,014; Acidität = 2,5 ccm ^ NaOH;
eiweißfrei; viel Gallenfarbstoffe; Kochsalzgehalt nach Volhardt
= 5,639 Gr. p. L.
Nr. 164. Frau. Magencarcinom; schwere Kachexie; gebraucht
sehr wenig, etwas Milch, Tee, geweichtes Brot usw.
Harn: Spez. Gew. = 1,015; Acidität = 2,5 ccm ~ NaOH;
Eiweißgehalt nach Esbach: Vi°'oo ; Kochsalzgehalt nach Vol¬
hardt = 6,734 Gr. p. L.
Nr. 174. Frau. Großes Magencarcinom; keine subjektiven
Beschwerden, ißt und trinkt normal.
Harn: Spez. Gew. = 1,025; Acidität = 6,0 ccm ^ NaOH;
eiweißfrei; Kochsalzgehalt nach Volhardt = 10,018 Gr. p. L.
36*
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552
SCHIPPEHS
Trypsin
1
7*
V.
Harnmenge:
Nr. 173
Nr. 164
Nr. 174
1 1
! 0,4 J 0,3
:+ i +
r r
0,2
+
1
0,1 f c
±iä
M>
l
0,4
++
1 1
k
! i
\n
!
0,1 0,0
tt t
+ -t-r
Wir sehen hier bei Nr. 164 Hemmung durch Eiweiß -f- langsamere
Verdauung durch wenig Kochsalz; bei Nr. 173 eine langsamere
Verdauung durch zu wenig Kochsalz, während Nr. 174 sich wie
ein ganz normaler Harn benimmt.
Ich habe bei meinen Versuchen nur Kochsalz benutzt, weil
dieser Körper in größerer Menge im Harn anwesend ist und großen
Schwankungen unterliegt. Daß auch die anderen Harnsalze einen
Einfluß üben, zeigt der Umstand, daß z. B. eine 6°/ 0 Kochsalzlösung
die Kaseinverdauung durch Trypsin weniger anregt als ein Harn
mit einem gleich großen Gehalt an Kochsalz.
Es sei weiter bemerkt, daß die Anwesenheit von Glukose nicht
hemmend wirkt, wie auch Marcus (27) seinerzeit schon gesagt hat
In Widerspruch mit Döblin muß ich mit Bauer den Gallen¬
farbstoffen eine hemmende Wirkung absprechen; auch das Urobilin
ist dem Trypsin gegenüber indifferent. Während verschiedene
Eiweißkörper hemmen, fehlt Albumosen und Peptonen diese Eigen¬
schaft. Das Ureum übt wenigstens bis zu einer Konzentration von 3 *,
keinen Einfluß auf die Kasein Verdauung aus, ebensowenig das
Glykokoll in schwachen Lösungen.
Wir können also feststellen, daß der Gehalt an
Eiweiß und Kochsalz bei vielen Harnen, welche die
Kaseinverdauung durch Trypsin hemmen, als Ursache
dieser Hemmung angesehen werden muß.
Müller und Kolaszec untersuchten als erste die antipro¬
teolytische (antitryptische) Wirkung normaler Harne nach dem
Müller-Jochmann 'sehen Verfahren (28) und zwar mit negativem
Resultat. Später fand Müller Hemmung bei stark eiweißhaltigen
Harnen, und gerade bei Stauungsniere und chronischer paren¬
chymatöser Nephritis.
Marcus hat die Harne Zuckerkranker auf ihre antitryptische
Wirksamkeit untersucht und zwar mit negativem Erfolg. Bauer
und Reich sagen in ihrer Mitteilung: „Den größten antitryptischen
Index haben Harne von akuten und subakuten Nephritiden, Tuber-
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Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne. 553
kalose und Amyloidosen der Niere und von akuten Infektions¬
krankheiten,“ und weiter: „Die antitryptische Wirksamkeit des
Harns findet sich zumeist mit dem Eiweißgehalt desselben ver-
gesellschaftet, der antitryptische Index geht jedoch mit dem Eiwei߬
gehalt des Harns parallel.“ Ein Parallelismus zwischen erhöhtem
Autitrypsingehalt des Blutserums und der antitryptischen Wirkung
der Harne konnten sie nicht feststellen. Zur Erklärung berufen
sie sich auf die oben schon mitgeteilten Beobachtungen Pick und
Pribram’s und Schwarz’s, indem sie aus zugrunde gegangenen
Nierenepithelien und Epithelien der Harnwege stammende Li¬
poide für die Hemmung verantwortlich machen. Wie wir oben
schon sagten, ist die Hypothese von Pick und Pribram und
von Schwarz durch Kurt Meyer und Cob 1 iner experimentell
widerlegt worden. Ich selbst habe oben auf den Einfluß des Eiweiß-
und Kochsalzgehaltes aufmerksam gemacht, diese beiden Faktoren
werden auch in den von Bauer und Reich genannten Krank¬
heiten von Einfluß sein. Wie aber läßt sich erklären, daß das
Schütteln mit Äther die hemmende Kraft gewisser Harne ganz
oder teilweise aufhebt? Ich habe mich aufs neue mittels der oben
beschriebenen Methodik davon überzeugt, daß wässerige Suspen¬
sionen verschiedener Lipoide die Kaseinverdauung durch Trypsin
ganz aufhebt.
Ich untersuchte wässerige Suspensionen von einem eigenen
aus Hühnereiweiß hergestelltem Lecithin, von Lecithin ex ovo
Merck, von nach Drechsel (29) aus Pferdeleber hergestelltem
Jecorin, sowie von nach Hammarsten (30) bereitetem Protagon
aus menschlichem Gehirn. Wurden die Suspensionen mittels Äther
ausgeschüttelt, dann verloren sie ihre hemmende Eigenschaft. Das¬
selbe sah ich nach Zusetzung der Lipoidsuspensionen zu normalem
Harn. Cholesterine von Mensch und Schaf warefl der Trypsin¬
wirkung gegenüber indifferent. 1
Nun fiel es mir auf, daß in der Mehrzahl der von Bauer und
Reich genannten Fälle mit großer Wahrscheinlichkeit auch Blut
im Harn anwesend war und somit Lecithin; dieser Ümstand läßt
den Effekt des Ausschüttelns mit Äther ungezwungen erklären.
Nr. 178. Frau. Nephritis haemorrhagica chronica.
Harn: Spez. Gew. = 1,010; Acidität = 1,2 ccm ~ NaOH;
Eiweißgehalt nach Scherer = 1,510 Gr. p. L.; Kochsalzgehalt
nach Volhardt: 4,234 Gr. p. L.; sehr viel Blut.
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554
Schippers
Ein Teil des Harnes wurde mit */* Volum Äther einige Minuten
im Scheidetrichter geschüttelt, und der untenstehende Harn, nach¬
dem mittels eines Luftstromes der Äther entfernt worden war. anf
die bekannte Weise untersucht.
Trypsin
V,
Harnmenge
°A ;
, 0,3
0,2 !
1 0,1
0,0
Nicht behandelt 1
Mit Äther behandelt i
+4-
++
++ |
! ++ .
i
Sp.
Steensma’s (31) spektroskopische Blutreaktion (mit Pyridin
und Schwefelammon) war nach der Behandlung mit Äther auch
erheblich schwächer geworden. Es ließ sich in die gelatinöse
Masse, welche nach dem Schütteln mit Äther fast immer auf die
Scheidefläche der beiden Flüssigkeiten bildet, leicht Blutfarbstoff
nachweisen.
Daß nicht der Verlust an Eiweiß die Hemmung auf hebt, leuchtet
aus den folgenden Eiweißbestimmungen, welche in dem Harne des¬
selben Kranken (Nr. 178) an 2 folgenden Tagen vorgenommen
wurden, ein.
100 ccm Harn und 50 ccm Äther wurden während einer halben
Stunde im Scheidetrichter wiederholt geschüttelt; nachdem der
Äther mittels eines Luftstromes aus dem Harn vertrieben worden
war, wurde der Eiweißgehalt nach der Scherer’schen Methode
bestimmt.
Datum 4. Juli 5. Juli
mit Äther behandelt 1,500 Gr. p. L. 1,040 Gr. p. L.
nicht behandelt 1,500 Gr. p. L. 1,140 Gr. p. L.
Weiter wurden 2 blutfreie Harne mit hohem Eiweißgehalt
(resp. 1,6 Gr. und 7,61 Gr. p. L.) untersucht: das Schütteln mit
Äther hatte gar keinen Einfluß auf die hemmende Kraft
Das Blut ist also (wahrscheinlich durch seinen Gehalt an Lipoid*
ein weiterer Faktor beim Auftreten der Hemmungserscheinungen
in gewissen Harnen.
Döblin meint Antitrypsin in normalen Harnen nachgewiesen
zu haben. Die Harne normaler Personen wurden unter Xylolzusatz
während 2 oder 3 Tagen dialysiert gegen destilliertes Wasser, sodann
wurde die Keaktion mit Natriumkarbonat alkalisch gemacht. Mit
den so veränderten Flüssigkeiten, welche kaum mehr den Namen
Harne beanspruchen können, wurde nach der Groß ’schen Methode
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Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne.
555
die Prüfung auf die antitryptische Wirkung vorgenommen. Die
Hemmung zeigte sich am stärksten, wenn „ihr Salzgehalt dem
destillierten Wasser gleichkam“; das wirksame Prinzip konnte nicht
mit Äther ausgeschüttelt werden und war hitzebeständig. „Es
handelt sich scheinbar um ein Kolloid, dessen Herkunft möglicher¬
weise aus dem Blutserum erfolgt.“
Das Resultat meiner Versuche wird auch eine ganz andere
Deutung zulassen; wir haben hier, wenn man will, eine anti¬
tryptische Wirkung, d. h. die Kaseinverdauung durch Trypsin wird
durch die Flüssigkeit wenig gefordert, und das ist etwas anderes
als Hemmung; nicht die Anwesenheit eines Antikörpers, aber die
Abwesenheit der Salze kann hier als Faktor angenommen werden.
Sobald ich den Einfluß des Eiweißgehaltes auf die Trypsinwirkung
erkannt hatte, habe ich hemmende, eiweißhaltige Harne gekocht
Es zeigte sich, daß wenn man nur dafür sorgt, daß der Eiwei߬
gehalt derselbe bleibt indem man durch kräftiges Schütteln die
Flöckchen zerkleinert, und so die Suspension benutzt, die Hemmung
nicht sichtbar kleiner wird. Filtriert man den Harn nach der
Erhitzung, so nimmt mit dem Eiweißgehalt auch die Hemmung
ab. Ich sah dasselbe mit dem oben benutzten Transsudate und
auch mit 10 fach verdünntem menschlichen Blutserum. Es mag
dennoch möglich sein, daß sich im Harne kolloide Körper vorfinden,
welche die Trypsin Wirkung auf Kasein beeinträchtigen, jedoch ent¬
weder Müller und Kolaszec, Bauer noch ich konnten in
normalen unveränderten Harnen antitryptische Wirkung nach-
weisen.
Bauer kommt in seiner letzten Arbeit u. U. zu dem Schlüsse,
„(daß) das Antitrypsin keine einheitliche Substanz darstellt“. Ich
kann dieser Meinung nur beipflichten. Bei seinen Versuchen über
experimentelle Nephritis sagt er, daß kein Parallelismus zwischen
Eiweißgehalt und antitryptischer Wirkung zu bestehen scheint.
Auch dies kann ich jetzt begreifen, wenn ich den Einfluß des
Blutgehaltes dieser Harne in Betracht nehme. Hirata (32), der
auch experimentell Nephritis erzeugte, kommt in Widerspruch mit
Bauer und Reich zu dem Schlüsse, daß ein gewisser Paralle¬
lismus besteht zwischen dem Antitrypsingehalt des Serums und
des Harnes. Ich glaube, daß wenn man meine Befunde in Betracht
nimmt, viele Widersprüche der verschiedenen Untersucher erklärt
werden können.
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556 Schippers, Über die antitryptische Wirkung pathologischer Harne.
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Zusammenfassung.
1. Man soll einen Unterschied machen zwischen der
antitryptrschen Wirkung des Harnes und der even¬
tuellen Anwesenheit eines Antitrypsins.
2. Die antitryptische Wirkung vieler patholo¬
gischer Harne ist abhängig von mehreren Faktoren
und zwar von ihrem Gehalt an Eiweiß, Kochsalz und
Blut; warscheinlich können im Harne noch andere
Faktoren gefunden werden, welche die Kaseinver¬
dauung durch Trypsin beeinträchtigen.
3. Die Methode von Groß ist nicht geeignet, mit
genügender Bestimmtheit im Harne Antikörper naeh-
znweisen.
4. Es ist zweifelhaft, ob die Frage nach dem An¬
titrypsingehalte des Harnes vorläufig einiges klini¬
sches Interesse haben wird.
Literatnr.
1. Morgenroth, Zentralbl. f. Bakt. 26, 349, 1899.
2. Achaline, Annal. de l’Inst. Pasteur 1901, 737.
8. Briegeru. Trebing, Berl. klin. Wochenschr. 1908, 1041.
4. von Bergmann n. Meyer, Berl. klin. Wochenschr. 1908, 1064.
5. Thal er, Wien. klin. Wochenschr. 1909, 850.
6. Landois, Berl. klin, Wochenschr. 1909, 440.
7. Ascoli n. Bezzola, Berl. klin. Wochenschr. 1903, 391.
8. von Reus, Wien. klin. Wochenschr. 1909, 1171.
9. Groß, Arcb. f. exp. Path. n. Pharmak. 58, 157, 1908.
10. Kurt Meyer, Berl. klin. Wochenschr. 1909, 1064.
11. Kepinov n. Braunstein, Biochem. Zeitschr. 27, 170, 1910.
12. Cobliner, Biochem. Zeitschr. 25, 494, 1910.
13. Pick u. P/ibram, cit. nach 0. Schwarz (14).
14. 0. Schwarz, Wiener klin. Wochenschr. 1909, 1151.
15. Rössle, Lubarsch n. Ostertag, Ergebnisse usw. Uber 1909, II. Abt.
226, 1910.
16. Bauer u. Reich, Med. Klinik 1909, 1744.
.17. Dies., ibid. 1910, 65.
18. Müller n. Kolaszec, Münch, med. Wochenschr. 1907, 354.
19. Müller, Deutsch. Aren. f. klin. Med. 91, 291, 1907 und 92, 199. 1907.
20. Döblin, Zeitschr. f. Immunitätsforschung 4, 224, 1910.
21. Bauer, ibid. 5, 186, 1910.
22. Brailsford Robertson, Journ. of Biol. Chemistry 2, 317, 1907.
23. Kaufmann, cit. nach Oppenheimer, Die Fermente usw. 3. And. 297.
1909.
24. Kudo, Biochem. Zeitschr. 15, 473, 1908.
25. Hedin, Zeitschr. f. physiol. Chem. 52, 412, 1907.
26. vonSchoenborn, Zeitschr. f. Biol. 53, 386, 1910.
27. Marens, cit. nach Bauer u. Reich (16).
28. Müller u. Jochmann, Münch, med. Wochenschr. 1906, 1393.
29. Mein er tz, Zeitschr. f. physiol. Chem. 46, 346, 1905.
30. Hammarsten, Lehrbuch d. physiol. Chem. 484, 1907.
31. Steensma, Xederl. Tijdschr. v. Gen. 1908, 160.
32. Hirata, Biochem. Zeitschr. 27, 397, 1910.
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Aus der Anatomie des Johannstädter Krankenhauses Dresden.
Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die
Lungenarterie.
Von
Dr. P. Geipel.
(Mit 2 Abbildungen.)
Bei der Perforation eines Aortenaneurysmas in den Stamm der
Lungenarterie kommen ausschließlich Aneurysmen der aufsteigenden
Aorta in Betracht. Der anatomische Vorgang ist zumeist jener,
daß an der medialen Seite der Aorta ein Aneurysma sich ent¬
wickelt, nach Verwachsung mit der Adventitia der Pulmonalis die
letztere usuriert, hierbei in das Lumen sich vordrängend. Die
Lungenarterie erleidet durch das Aneurysma Veränderungen ihres
Volumens, die zumeist als Stenose zutage treten. Erstreckt sich
das Aneurysma bis in den Bereich der Halbmondklappen, dann
kommt durch Verwachsung einer Klappe eine Insufficienz zustande,
die sich naturgemäß mit einer Stenose des Ostiums vergesellschaften
kann. Am ungewöhnlichsten ist das Vordringen des Aneurysmas in
in den Endteil des Conus pulmonalis. Ebenso wie der Hauptstamm
der Pulmonalis können die beiden Hauptäste, insbesondere der
rechte, in Mitleidenschaft gezogen werden und das Aneurysma sich
in dieselben eröffnen. Durch sekundäre Ausbuchtungen des Aneu¬
rysmas (Rokitansky’s Aneurysma bilobum) können die verschie¬
densten Kombinationen entstehen. Die Perforation des Aneurysmas
ist zumeist einfach, mitunter zwei- bis dreifach. Eine übersicht¬
liche Zusammenstellung der bisher beobachteten Aneurysmen und
eine Besprechung, besonders der klinischen Verhältnisse, findet sich
bei Käppis. In folgendem bringe ich als weiteren Beitrag die
Schilderung zweier hierzugehöriger Fälle, deren erster der Mehr¬
zahl der bisherigen Beobachtungen entspricht, während der zweite
eine Veränderung der Pulmonalarterienwand aufweist, welche bei
derartigen Durchbrüchen noch nicht beobachtet worden ist, eine
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558
Geipel
Einstülpung der inneren Gefäßhäute in den Haupt-
stamm.
Fall I (siehe Fig. 1).
Karl Th., Maurer, 33 Jahr, -j* 2. Januar 1910.
Anamnestisch ist nur bekannt, daß Pat. herzleidend war. Er
starb sofort nach Überführung ins Krankenhaus.
Sektion: Mittelgroßer, kräftiger Mann. Haut schwach gelblich.
In beiden Pleurahöhlen je 1 Liter Transsudat. Die Bauchorgane stark
gestaut.
Herz: Die Länge d«
Fig. 1. Herzens 10 cm, Breite ander
r- Basis 10 cm, Dicke 7 cm.
// , Der rechte Ventrikel mäßig
V \ dilatiert, die Wand byper-
\ \ - - trophisch, zeigt im Konus
\ v 5—7 mm Durchmesser der
\ \ Wandmuskulatur, im Ventrikel
\ \ 6 mm. Linker Ventrikel:
^/ Klappen zart. Wandstärk«?
11 —12 mm. Dicht über der
Herzbasis an der Vorder-
fläche sieht man zwischen den
A : lfir ~ yjL 1 beiden großen Gefäßen eine
aneurysmatische Vorwölbung
' l wh ri von der Größe eines kleinen
V Apfels. Der Quer- und Längs-
\ 1 | A|' durchmesser beträgt 3 1 ;* cm.
B \ Bei Eröffnung der Aorta fin-
B det sich dicht oberhalb der
^ IBA, l Klappen beginnend eine ziem-
/ > ^ WfoSm lieh stark entwickelte Arte-
f A i 1 riosklerose, welche bis znm
11 Abgang der linken Arten*
subclavia reicht. Die Intima
ist verdickt, von bläulich-weißer Farbe, zeigt narbenartige Einziehungen,
sowie die gesamte Wand zeltförmige Ausbuchtungen. An der medialen
Seite findet sich dicht oberhalb der rechten Halbraondklappe ein rund¬
licher 22 mm im Durchmesser haltender Eingang in das
erwähnte Aneurysma. Die Aortenwand ist daselbst derart nach außen
umgebogen, daß die rechte Coronararterie dicht hinter dem Eingang in
das Aneurysma aus dem unteren Umfange desselben entspringt. Das
Ostium der rechten Coronaria ist demnach in den Hals des Aneurysma
mit einbezogen. Der größte Teil des Aneurysmas findet sich zwischen
den beiden großen Gefäßen. Bei Eröflhung der Pulmonalis findet sich
das Pulmonalostium mindestens auf zwei Drittel verengt durch die Vor-
buchtung des Aneurysmas an der inneren Wand, und zwar reicht das¬
selbe in die Kommissur zwischen rechter und linker Klappe bis zur unge¬
fähren Höhe der Ansatzstelle der Klappen. Die rechte Halbmondklappe
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Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die Lungenarterie. 559
desgleichen die linke, sind an den aneinanderstoßenden Hälften in das
Lnmen vorgedrängt, dieselben sind nicht mit dem Aneurysma verwachsen.
Der Umfang der Pulmonalis beträgt 7 cm in der Klappenhöhe, der Um¬
fang der Aorta ebenfalls 7 cm. Die Verengerung der Pulmonalis nimmt
bis zur Abgangsstelle der beiden Hauptäete durch die kugelige Vor¬
treibung des Aneurysmas derart zu, daß die Pulmonalis etwa io der
Mitte vollständig verlegt wird. Am obersten Umfang der Vorwölbung
findet sich ein annähernd querverlaufender Spalt von 11 mm
Länge und 4—5 mm Breite, welcher eine Perforation des
Aneurysmas in die Pulmonalis darstellt. Derselbe beginnt
direkt an der Pulmonalarterienwand. Die Ränder sind zugeschärft, von
ungleicher Dicke, etwas nach dem Lumen der Pulmonalis zu umgebogen.
Der rechte Pulraonalarterienast ist bis auf einen schmalen Spalt durch
das Aneurysma verlegt. Die Innenfläche^ der Pulmonalis ist völlig glatt.
Die vorgewölbte Fläche des Aneurysmas zeigt keine vollkommen
glatte Fläche, sondern ist schwach höckerig in dem vorderen inneren
Bereich. Abgesehen davon, daß das Aneurysma zwischen Pulmonalis
und Aorta sich nach vorn vordrängt, sowie auf der linken Seite in die
Pulmonalis herein, drängt es sich nach hinten 1 cm weit hinter der
linken Seite der Pulmonalis vorüber nach außen gegen die innere Wand
des linken Vorhofes, so daß die mediale Seite desselben flach einge¬
buchtet und der linke Vorhof im queren Durchmesser verengt wird. Das
Vorhofseptum biegt infolgedessen in seiner vorderen Hälfte nach links ab.
Die arteriosklerotischen Veränderungen der Aorta sind makro¬
skopisch als luetische aufzufassen. Durch die Verlegung des Lumens
und die Stenose des Ostiums der Pulmonalis wurde jedenfalls die
Hypertrophie des rechten Ventrikels hervorgerufen. Das Aneurysma
tritt außerdem zu dem linken Vorhof in "Beziehung, indem es die
vordere Hälfte von demselben einengt. Woselbst das Aneurysma
durch die Wand der Pulmonalis tritt, findet sich in Verlängerung
der medialen Wand der Arterie eine Einsenkung, welche auf der
Innenseite des Aneurysmas als eine leistenförmige Erhebung sich
kennzeichnet, desgleichen findet sich eine Verengerung des Lumens
des Aneurysmas an der Abgangsstelle des hinter der Pulmonalis
gelegenen Teiles, welcher die Innenwand des linken Vorhofs nach
links verdrängt. Das Aneurysma zeigt demnach drei verschiedene
Abschnitte, einen ersten, zwischen Aorta und Pulmonalis befind¬
lichen, welcher sich besonders nach vorn vorwölbt, einen zweiten,
welcher in die Pulmonalis hinein vorragt, einen dritten, welcher
hinter und links von der Pulmonalis gelegen ist.
Mikroskopische Untersuchung.
I. Umgebung der Perforationsstelle, äußerer Winkel
derselben.
Auf der Aneurysmaseite Fibrinauflagerungen, darunter eine ungleich-
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560
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mäßig dicke bindegewebige Lage. Bei der Färbung auf elastisch« Ge¬
webe stellt sich diese bindegewebige Lage als hochgradig veränderte Media
dar, welche von Bindegewebe durchwachsen ist. Nach dem freien Bande
verdünnt sich die Media außerordentlich, nur Trümmer und Stücke elasti¬
scher Fasern kennzeichnen die ursprüngliche mittlere Gefaßhaut. In dem
aufliegenden Fibrin des Aneurysmas sind geringe organisatorische Vor¬
gänge zu beobachten. Auf der pulmonalen Seite liegt der Media eine
neugebildete Intima von der Dicke der Media, sogar dieselbe noch über¬
treffend, auf. Dieselbe verschmälert sich stark nach dem freien Bande
der Öffnung zu, ähnlich wie die Media. Je mehr man sich demselben
nähert, um so zellreicher wird ihre Bauart. Innerhalb eines zarten
Stromas liegen massenhaft Bundzellen verstreut.
II. Die Pulmonalarterien wand.
Die inneren Schichten sind von normaler Bauart, dagegen finden
Bich in den äußersten der Adventitia benachbarten Partien eine geringe
Vermehrung des Bindegewebes auf Kosten des elastischen Gewebes.
III. Aortenwand zeigt sehr schwere Veränderungen zumal in der
Media, erstens ansgedehnte Nekrosen des elastischen Gewebes, Sub¬
stitution desselben durch Bindegewebe und neugebildete Gefäße, massen¬
hafte entzündliche Herde mit Biesenzellen über die Media verstreut
ebenso in der Adventitia. Daselbst sind die Vasa vasorum sehr stark
durch Intimawucherungen verengt. Die Intima ist in ein dickes Polster
umgewandelt, welches in die Defekte der Media vordringt.
IV. Pulmonalarterienwand mit TTmschlagsstelle des
Aneurysmas in mittlerer Höhe.
Die Media ist spitzwinkelig umgebogen an ihrem Übergang in da«
Aneurysma. Auf der pulmonalen Seite ist dieser Winkel ausgefüllt von
Fibrinmassen und einer qphr stark höckerig gewucherten Intima. Lot¬
gerissene Faserzüge der Media, welche in das Fibrin nach dem Pul¬
monallumen zu verlagert sind, zeigen die Umbiegungsstelle der Media
an. Je mehr man sich dem Aneurysma nähert, um so stärkere Ver¬
änderungen treten in der Media auf. Das Bindegewebe ist im Innen
der Media auf Kosten des elastischen Gewebes vermehrt, penetrierende
neugebildete Gefäße ziehen bis nahe an die inneren Schichten. Um die¬
selben herum liegen Anhäufungen von Lymphocyten.
Die innerste stärkere Lamelle, eine Art Elastica interna, ist mehr¬
fach durchgerissen, um hinter der Umbiegungsstelle völlig aufzuhörec.
Der Dickendurchmesser der Media sinkt auf ‘/ 8 bis */ 4 des ursprüng¬
lichen herab. Nach dem Grunde des Aneurysmas zu ist die Grenze
gegen das benachbarte Bindegewebe der Adventitia unscharf. Inseln von
Bindegewebe schieben sich zwischen die Mediazüge substituierend ein.
Schließlich hört sie ähnlich einem hochgradig ausgezogenen verdünnten
Bande völlig auf. In der Aneurysmawand ist schließlich keine Spor
elastischen Gewebes mehr vorhanden, nur hier und da begegnet man
einzelnen Inseln ausgezogener dünner Fasern.
Die gesamte Aneurysmawand besteht schließlich aus nichts anderem
als einer hochgradig verdickten und gewucherten Intima auf der Beite
des PulmonaUnmens. Diese Bindegewebslage ist größtenteils allein jh
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Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die Lungenarterie. 561
der Intima hervorgegangen, zum kleineren Teil aus organisierten Fibrin¬
massen, welche sich in dünnen Lagen auf der Oberfläche niedergeschlagen
haben. Hervorzuheben sind noch die Verwerfungen der verdickten In¬
tima, woselbst sie auf die normale Pulmonalarterienwand.sich überschlägt.
Mitsamt der anliegenden Media sind Stücke abgerissen. Diese Ver¬
werfungen erklären sich aus der beträchtlichen Zugwirkung, welche von
seiten des Aneurysmas auf die Anhaftungsstelle der neugebildeten Intima
auf die normale Gefäßwand ausgeübt wurde.
Der mikroskopische Befand zeigt demgemäß, abgesehen von
der syphilitischen Mesaortitis eine ausgedehnte Zerstörung der
Media der Pulmonalis, welche nur eine kurze Strecke sich an der
Bildung der Wand des Aneurysmas beteiligt. Jene durch den Blut¬
druck hervorgerufene Veränderungen sind sehr deutlich sichtbar
und bestehen in Zerreißungen, Einrissen der Media, Abreißen der
verdickten Intima von ihrem Ansatzpunkte. Die abgerissenen
Stücke sind durch Fibrinmassen miteinander zur Verklebung ge¬
bracht, mithin sind die kleinen Risse gleichsam ausgeheilt. Der
Haupteinriß erfolgte jedenfalls von der Umschlagsstelle des Aneu¬
rysmas auf die Pulmonalis aus, zum Unterschied von der Per¬
foration auf der Höhe der Konvexität an der Stelle der größten
Verdünnung in anderen Beobachtungen. Bei einem Aneurysma,
welches auf Kosten des Lumens der Pulmonalis eine derartige
Größe angenommen hat, geht die Media der letzteren genau in
derselben Weise zugrunde wie jene der Aorta. Entsprechend der
Ausdehnung des Aneurysmas werden sich mikroskopisch bei den
verschiedenen Fällen alle Übergänge von einfacher Dehnung der
der Media bis zur vollkommenen Druckatrophie finden. Zum Schluß
ist hervorzuheben die starke Hypertrophie des rechten Ventrikels,
ein beredtes Zeichen für die Stenose der Lungenarterie.
Fall H (siehe Fig. 2).
Joseph B., 48 Jahr, Arbeiter. Aufnahme 23. Februar 1909.
Exitus 30. März 1909.
Früher nicht wesentlich krank. Seit 11. Februar krank. Plötzlich
Übelkeit. Stechen im Rücken, in der Nacht starker Frost. Anfangs
noch Appetit. Der Atem wurde kürzer. Druck auf der Brust trat auf.
Seitdem bettlägerig. Bei Bewegung zunehmende Atemnot.
Status praesens: Kräftiger Muskel- und Knochenbau. Gesicht
und Extremitäten cyanotisch. Ödem an den Unterschenkeln, besonders
an den Knöcheln des linken Beines, Extremitäten kühl. Haut der Brust
und des Rückens von linsengroßen oberflächlichen Narben übersät, die
von einem Ausschlag, der im Herbst vorigen Jahres heBtand, herrühren
sollen (Syphilid?). Herzgrenzen: 4. Rippe, linker Sternalrand. Ictus
im V. Interkostalraum 10 cm von der Mittellinie nach außen nicht aus-
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562
Geipel
gesprochen hebend. Statt des I. Tones hört man ein systolisches und
diastolisches Geräusch, das auch sehr laut in der Mitte des Sternums
und II. Interkostalraums zu hören ist. Kein ausgesprochener Accent
Puls wenig groß, gleichmäßig, regelmäßig. Abdomen aufgetrieben. Leber
vergrößert, hart, Leibesumfang 86 cm. Milz nicht palpabel.
Fig. 2.
2. März. Ictus deutlich hebend. Im V. Interkostoalraum 10 cm
von der Mittellinie entfernt. Aktion regelmäßig. Dauernd kurzes diasto¬
lisches Geräusch über den Aortenklappen. Rasch vorübergehende An¬
fälle von Atemnot.
8. März. Links vom Sternum oben Dämpfung, daselbst auch leicht«
Pulsation zu fühlen, während vom Jugulum und linker Supraclavicular-
grübe die Aorta nicht fühlbar ist. Untere Extremitäten geschwollen.
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Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die Lungenarterie. 563
10. März. Durchleuchtung ergibt deutliche Erweiterung der Aorta
links vom Sternum im absteigenden Teil. Wassermann positiv.
29. März. Zunehmende Beschwerden. Atemnot. BeklemmungB-
gefühl. Schmerzen in den linken Arm ausstrahlend. Überschlagende
Stimme (Recurrenslähmung?).
30. März. Plötzlicher Exitus (Dr. P. Meyer).
Sektion: Große kräftige Leiche, Lippen livid. Ödem der Knöchel.
In der Brusthöhle ausgedehnte Verwachsung der Lungen mit der Thorax*
wand. Lungen von zäher Konsistenz, rostbrauner Schnittfläche (Herz¬
fehlerlunge). Geringe Sklerose der Lungenarterien. Bronchial- und
Trachealschleimhaut stark gerötet. Verknöcherung der Kehlkopfknorpel.
Bauchhöhle: Alte Verwachsungen der Milz mit dem Zwerchfell,
starke Stauung in der Milz, Leber und Niere. Multiple Blutungen in
der Nierenrinde. Alte Narbe im Duodenum.
Herzbeutel liegt in über Handtellergroße frei, enthält 2 Eßlöffel
Serum. Blätter glatt.
Das Herz ist in sämtlichen Dimensionen vergrößert. Länge 11 cm,
Breite 13 cm, Dicke 9 cm, der Umfang 26 cm an der Basis. Rechter
Vorhof stark dilatiert. Foramen ovale geschlossen. Die Wandstärke
des rechten Ventrikels beträgt 4—5 mm. Die Höhle ist stark erweitert.
Die Pulmonalklappen zart. Der Umfang der Pulmonalis beträgt 8 cm.
Linker Vorhof und linker Ventrikel stark erweitert. Wandstärke
der linken Herzkammer 13—15 mm. Mitralklappen zart, schlußfähig.
Der Umfang der Aorta 8 cm. Das Perikard ist über der aufsteigenden
Aorta verdickt. Die aufsteigende Aorta ist zylindrisch erweitert. Die
gesamte Intima ist verdickt, von weißlicher Farbe, von feinen Narben¬
zügen durchsetzt. Abgesehen von diesen finden sich zeltförmige Aus¬
stülpungen und Ausbuchtungen der Wand. Die Veränderungen reichen,
schwächer werdend, in die absteigende Aorta bis zum Durchtritt durch
das Zwerchfell. 2 cm oberhalb der Schlußlinie der Klappen findet sich
an der medialen Seite eine rundliche 4*/ 2 —5 x / 3 cm im Durchmesser be¬
tragende aneurysmatische, bis zum Anfang des Aortenbogens reichende
Erweiterung, welche zwischen Pulmonalis und Aorta sich einschiebt. Die
größte Tiefe des Aneurysmas beträgt 1 x / 2 cm und ist am oberen Um¬
fang vorhanden. Der übrige Boden des Aneurysmas steht fast in Höhe
der Aortenwand, so daß das Aneurysma die Gestalt einer flachen Schüssel
aufwemt. 1 cm vom Rande entfernt am unteren inneren Umfang findet
sich eine Perforation des Bodens des Aneurysmas in die
Pulmonalis. Dieselbe ist annähernd längs gestellt, 9 mm lang, 4 mm
breit, glatt.
Bei der Eröffnung der Pulmonalis findet sich an der rechten Seite
2 cm oberhalb der Scblußlinie der Klappen dieses erwähnte Loch, welches
direkt in die Aorta führt. Das Loch findet sich also an der Innenseite
der Berührungsfläche von aufsteigender Aorta und Pulmonalis. Die
Innenhaut (Intima und innere Mediaschicht) ist 1 cm
oberhalb der Schlußlinie der Klappen abgehoben, im
weiteren Verlaufe in großer Ausdehnung abgerissen, so
daß nur eine l 2 / 3 cm breite, unversehrte Innenfläche 1 cm
oberhalb der Kommissur der rechten und linken Klappe
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vorhanden iBt. Die Abrißstelle liegt ungefähr 1 cm
unterhalb der Sohlußlinie der Halbmondklappen, ver¬
läuft also annäherd quer. Die Abreißung beginnt dem¬
nach am proximalen Ende der Perforationsöffnnng und
geht um die ganze vordere Fläche der Pulmonalia herum.
4 *2 cm unterhalb der Schlußlinie setzt sich die abge¬
hobene Innenhaut in die normal anliegende fort. Die
losgelöste Innenhaut ist in das Lumen des Gefäßes, ein¬
gestülpt und verlegt dasselbe derart, daß nur ein 4 mm
im Durchmesser haltender Spalt der Lichtung offen
bleibt; die abgehobene Innenhaut ist gefaltet. Bei der Betrachtung
der umgeschlagenen Fläche finden sich feinste quer verlaufende Leistcheo.
im Bereich der Bißfläche fehlen diese feinen Bisse und Leisten stellen¬
weise, besonders in der Nachbarschaft der Perforation, woselbst die
Innenfläche von flach höckeriger Beschaffenheit ist. Ductus Botalli ge¬
schlossen. In mittlerer Brusthöhe beträgt der Aortenumfang 6 cm. Der
Abgang der Anonyma ist erweitert. Die sklerotischen Veränderungen
reichen nur einige Millimeter über die Abgangsstelle hinweg.
Mikroskopische Untersuchung.
I. Proximale Abrißstelle oberhalb der Kommissur der
vorderen und rechten Halbmondklappe.
Der Bau der Wand der Pulmonaüs entspricht der Norm. An der
Abrißstelle setzt sich das innere Drittel der Media kontinuierlich mit
der Intima in die abgehobene Lage fort. Die Innenfläche der hierdurch
gebildeten Tasche wird von einem dicken bindegewebigen Polster aui-
gekleidet, welches sich eine weite Strecke über die ihres inneren Drittelt
beraubte Media fortsetzt. Das Polster ist von ungleicher Dicke, ntcb
dem Gefäßlumen ist es schwach gewellt. Die Media zeigt einmal des
Abriß der inneren Schichten und zwar des inneren Drittels. Die Ri£-
flächen sind unregelmäßig gestaltet, Inseln elastischer Fasern, gleichsam
zusammengeschnurrt, liegen zu oberst, ferner finden sich abgelöste Fetzeo
elastischer Fasern freiliegend in der Tiefe der neugebildeten oberfläch¬
lichen Bindegewebslage, welche gleichmäßig die unregelmäßigen Lu-
senkungen überzieht. Durch die neugebildete Bindegewebslage werden
die entstandenen Unebenheiten gleichsam wieder ausgeglichen.
Die Gesamtstärke der Media beträgt 1,25 cm. Die Dicke der ab¬
gerissenen Media 240—320 (.i, demnach den 4.—5. Teil der Gesamt¬
stärke. Durch die neugebildete Bindegewebslage erreicht die von innerer
Lage entblößte Media die ungefähre Dicke von 1 cm.
H. .Vorderwand der Pulmonaüs etwa 1 cm oberhalb
der Mitte der vorderen Halbmondklappe.
Die Veränderungen sind noch stärker ansgebildet, die neugebildete
Bindegewebslage ist wesentlich stärker entwickelt, bildet buckelige Her-
vorragungen. In den tiefsten Schichten begegnet man. bereits maaaes-
haften neugebildeten feinsten elastischen Fäserchen. Die innere Lag*
erreicht stellenweise die Hälfte der Mediadicke (Dicke der Media 480 u-
innere Bindegewebslage 200—240 p).
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Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die Lungeuarterie. 565
III. Perforation mit benachbarter stromabwärts*
gelegener Umsohlagsstelle.
Im Schnitt ist sowohl der Q-rnnd des Aneurysmas auf der einen
Seite vorhanden, auf der anderen die Pulmonalarterienwand. Der Einriß
liegt in der Media zwischen mittlerem und äußerem Drittel, nach innen,
d. i. dem Lumen der Pulraonalis sind demnach zwei Drittel der ge¬
samten Mediawand eingeschlagen.
Auf der Aortenseite, also dem Grunde des Aneurysmas, liegen dicke
Fibrinauflagerungen mit schwach höckeriger Oberfläche. In direkter
Umgebung der Perforationsöffnung ist das elastische Lamellensystem der
Pulmonalis mehrfach durchrissen, ebenso zeigen in der nächsten Nachbar¬
schaft die äußeren Mediaschichten, welche an den Boden des Aneurysmas
stoßen, mehrfache Einrisse und Defekte. Je weiter man sich von der
Perforationsöffnung entfernt, um so normalere Beschaffenheit nimmt die
Media an. Während der Grund des Aneurysmas jedweder Endothellage
entbehrt, ist die Umgebung der Perforationsöffnung auf der Seite. der
Pulmonalis, also im Bereich der von ihren inneren zwei Drittel ent¬
blößten Media, ferner die abgehobene Media selbst mit einer mehr¬
schichtigen Lage gewucherter Endothelzellen bedeckt. Diese Lage ist
zellreicher als die unter I beschriebene, indes schmäler. Ihre Dicke
erreicht bis 48 fi, während anderweit eine Lage von 200—240 /u fest¬
gestellt werden konnte. Diese neugebildete Endothellage reicht bis an die
Ränder der Perforationsöffnung, setzt sich sogar eine kurze Strecke weit
über den Rand der Öffnung nach dem Boden des Aneurysmas fort.
IV. Pulmonalis, distale Abrißstelle an der linken
Wand.
Die Rißfläcbe ist völlig frisch. Daselbst liegt die mehrfach ein¬
gerissene, ihres inneren Drittels entblößte Media frei zutage, nirgends
begegnet man einer endothelialen Auflagerung. Die weitere Untersuchung
der Pulmonalarterienwand ergibt, daß die Größe der überhäuteten Fläche
etwa 1 l i der gesamten Abrißfläche beträgt, die übrigen 8 / 4 zeigen eine
frische Rißfläche.
V. Aorta.
In der Media sehr schwere Veränderungen mit ausgedehnter Zer¬
störung derselben, Narbenbildung, sowie frisches Granulationsgewebe. Die
entzündlichen Veränderungen setzen sich in die Adventitia fort. In der
Vasa vasorum ausgedehnte Intimawucherungen.
Die mikroskopische Untersuchung der Pulmonalarterienwand
ergibt eine Dissezierung der Media in wechselnder Höhe, am proxi¬
malen Teile ist knapp das innere Drittel abgehoben, distal die
beiden inneren Drittel, ferner zeigt sie eine ungleiche Beschaffen¬
heit der Rißflächen der Media. Ein Teil der abgerissenen sowie
Stehengebliebenen Media ist von einer neugebildeten, mehrschich¬
tigen Endothellage überzogen, während der andere eine völlig
nackte Beschaffenheit aufweist. Aus dieser ungleichen Beschaffen¬
heit ergibt sich, daß nicht mit einem Male die Abhebung der
Deutsches Archiv für klin. Medizin. 101. Bd. 37
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566
Gbipkl
inneren Media erfolgte, sondern zu zwei durch einen Inter¬
vall getrennten Zeiten. Die mit neugebildetem Endothel
überzogenen Abschnitte, welche gleichsam frisch überbautet waren,
sind die älteren, während die nackten Flächen, in denen die elasti¬
schen Lamellen bloß zutage liegen, den jüngeren Prozeß an zeigen.
Wie gestaltet sich der zeitliche Verlauf des anatomischen
Vorganges? Jedenfalls in der Weise, daß zuerst ein Riß in
den äußeren Schichten der Media erfolgte nnd die
inneren Lagen derselben durch den Blutstrom abgewühlt wurden,
genau wie beim Aneurysma dissecans der Aorta, nur daß der Ein¬
riß von außen in das Gefäß erfolgte, nicht von innen. Die ab¬
gehobene Media reißt nunmehr infolge des auf ihr lastenden Blut¬
drucks ein, das Aneurysma ist völlig in die Pulmonalarterie
perforiert. Dieser neue Zustand blieb unverändert eine Zeitlang
bestehen. Die Rißflächen begannen sich mit einer frischen Endothel¬
lage zu überkleiden, welche von den Seiten her bis zur Perforations¬
öffnung vorwärtsdrang. Diese Überhäutung erfolgte von der er¬
haltenen Endothellage der Ränder aus. Beweisend hierfür ist. daß
ihre Dicke nach der Perforationsöffnung stetig abnahm. Auf diese
Weise erfolgte eine Art Ausheilung, nämlich eine Überhäutung der
voneinander getrennten elastischen Lamellen der Media, ähnlich
wie beim geheilten Aneurysma dissecans (vgl. Bostroem).
Der zweite jüngere Vorgang bestand darin, daß
eine noch ausgedehntere Abreißung der inneren
Mediaschichten erfolgte und letztere in das Lumen
der Pulmonalis eingestülpt wurden. Die Länge des zeit¬
lichen Intervalls der beiden Vorgänge läßt sich im Anhalt an den
klinischen Verlauf auf ca. IVa Monat berechnen. Die Herz¬
beschwerden traten plötzlich 7 Wochen a. e. auf. Diese erste
schwere Attacke stellt möglicherweise den Moment des Durch¬
bruchs dar, während die zweite ausgiebige Ablösung und ihre Ein¬
stülpung in das Gefäßrohr mit dem plötzlichen Exitus zusammenfällt.
Beim Studium der Literatur begegnen wir einem analogen Fall
Rokitansky’s, welcher uns das erste Stadium des geschilderten
anatomischen Vorgangs wiedergibt. In seiner 7. Beobachtung fand
sich bei einem 49jährigen Kupferdrucker in der aufsteigenden
Aorta ein sackiges, faustgroßes Aneurysma mit kleinen sekundären
Ausbuchtungen. Zwei solche von Walnußgröße saßen nach innen
so auf, daß sie die Lungenarterie überragten. Sie gehörten einen
durch eine seichte Einschnürung in zwei übereinander liegenden
Wülsten gesonderten Aneurysma an (Aneurysma bilobum). Es war
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Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die Lnngenarterie. 567
mit der Lnngenarterie verwachsen und in deren Wand 3—4 über
den Klappen mit einer stumpfwinkligen, in jedem Schenkel etwa
4 V* betragenden Öffnung geborsten. Der Riß betraf drei
Schichten, Aneurysmawand, Ringfaserhaut, innere Gefäßhaut. Die
Ränder des Risses in den beiden letztgenannten Gefäßhäuten ins¬
besondere gefranst und die innere Gefäßhaut vom Risse
aus auf 3"' Entfernung losgeblättert Aus der Figur X
ist ersichtlich, wie sich diese losgeblätterte Gefäßwand einem ge¬
schwellten Segel gleich in die Lungenarterie vorwölbt, hierbei den
Eingang zum rechten Hauptast spaltförmig verengend.
Dieses Abreißen der inneren Gefäßhaut und die
Einstülpung in das Gefäßlumen muß als sehr ungewöhnlich
bezeichnet werden. In der mir zugänglichen Literatur fand sich
kein Fall von Perforation eines Aneurysmas in die Pulmonalis mit
einer derartigen Komplikation vergesellschaftet. Der Grund hier¬
für liegt jedenfalls in der Art des Einrisses der Media.
Durchsetzt derselbe die ganze Dicke der mittleren Gefäßhaut auf
einmal, so wird in der Nachbarschaft der Perforation keine Ab¬
hebung der inneren Häute erfolgen, die Perforationsstelle wird
sich überhäuten und, um mit Rokitansky zu reden, als eine
„geheilte“ Eröffnung sich darstellen. Ist der Riß kein voll¬
ständiger, alle Schichten der Media durchsetzender, sondern ein
partieller, dann können durch das sich ein wühlende Blut die
inneren Mediaschichten abgehoben resp. losgeblättert werden. Viel¬
leicht wird sich einmal eine Beobachtung finden, in welcher wir
die losgeblätterte innere Gefäßhaut in das Lumen sich vorbuchten
sehen, bevor eine Perforation derselben eingetreten ist. Wir hätten
dann eine Art Aneurysma dissecans der Aorta vor uns mit dem
Unterschiede, daß das Aortenblut nicht die Media der Aorta ein¬
reißt, sondern die Media der Pulmonalis. Hierbei wäre natürlich
zu berücksichtigen, daß das Blut nicht direkt aus der Aorta Über¬
tritt, sondern aus dem Aneurysma. Gewöhnlich wird die los¬
geblätterte Innenhaut dem Blutdruck keinen Stand halten und ein¬
reißen, wie wir in der 7. Beobachtung Rokitansky’s sehen. Je
ausgedehnter diese Losblätterung, um so eher wird es zu einer
Vergrößerung des Einrisses in die Media und zur Einstülpung des
inneren Gefäßrohres kommen.
Nicht die gleichen ätiologischen Faktoren bewirken die mit
Loslösung der Innenhaut vergesellschaftete Perforation, sowie die
Vergrößerung des Risses und die Einstülpung. Während der Druck
des Aortenblutes für die Entstehung der ersteren in Frage kommt,
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werden die letzteren im wesentlichen durch die Strömungsverhilt*
nisse in der Pulmonalis bedingt. Die einmal abgehobene Innen-
haut wird durch den Anprall des strömenden Blotes noch weiter
abgerissen und in der Richtung des Stromverlaufes vorgetriebe«.
Beim Studium der Frage, ob ähnliche Abreißungen der Innen-
haut mit sekundärer Einstülpung anderweit Vorkommen, zeigte
sich, daß beim Aneurysma dissecans der Aorta analoge
Beobachtungen Vorlagen, nur mit dem Unterschiede, daß der Hin-
riß in die Media nicht von außen her, sondern von innen, d. i. dem
Aortenlumen her erfolgte. Chiari berichtet über einen plötzlichen
Todesfall bei einem 63 jährigen Mann. In der Aorta zeigte sich ein
1,5 cm über der Coronararterie beginnendes Aneurysma dissecans,
der Querriß war ganz zirkulär und betraf die Intima und innere
Hälfte der Media. Dieser innere Zylinder des Aorten¬
rohres war ganz abgelöst, umgerollt und mit seinem
unteren Ende in die Arteria subclavia sinistra em
1,5 cm weit hineingesteckt Dadurch wurden die Ostien der Arten»
anonyma und Arteria carotis communis sinistra im Aortenbogen zu-
gedeckt Im äußeren Zylinder der Aorta ascendens war es etwa
3 cm über dem Ostium der Arteria coronaria sinistra zu einer
Dehiscenz gekommen und Blutung ins Perikard. Im Anschlnä
demonstrierte Mare sch einen ganz ähnlichen Fall, bestehend in
einer Ruptur der inneren Schicht der Aorta und Einstülpung der
abgelösten inneren Schicht mit Verschluß des Aortenbogens, h:
der älteren Literatur finden sich zwei sehr instruktive Beobach¬
tungen von Rokitansky.
22. Beobachtung. Plötzlicher Exitus einer 52jährigeu Frau. 1s
der Aorta war die Zellscheide in derem ganzen Verlaufe und zwar am
aufsteigenden Stücke ringsherum rein von Ringfaserhaut, am Bogen und
an der ganzen Brust* und Bauchaorta meist bis auf den dritten Teil ab¬
gelöst. Innerhalb der abgesonderten Zellscheide in dem aufsteigend«
Aortenstück war die Aorta in ihrer mittleren und inneren Haut 1" 9 “
über ihrer Klappe in der Quere gerissen, so daß bloß ein etwa 2 1 ,'
breiter, seiner Länge nach etwa die halbe Peripherie des Aortenrobrr-
betragender Spiralstreifen von deren hinterer Wand übrig blieb, die eia
Rißende mit dem anderen verband. Das untere Rißende klaffte infWf*
des blanken Querrisses mit fast kreisrunder Mündung nach aufwirt.',
das obere dagegen war von der konvexen Wand an*
größtenteils um* und eingestülpt und in die Höblnar
des Aortenbogens bis an die Subclavia sinistra hinein-
getrieben, ja in den Eingang zu dieser letzteren selbst war eine
konisch zusammengerollte Partie des eingestülpten Aortenrohres hineii-
gekrochen, so daß man aus ihr (8ubclavia sinistra) in das umgestülpte
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Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die Lungenarterie. 569
Aortenrohr und durch dieses in das C&vum der Zellscheide gelangte.
Nach außen war das Aneurysma dissecans in den Herzbeutel perforiert.
23. Beobachtung. Plötzlicher Exitus eines 76 jährigen Mannes.. Die
Zellscheide der Aorta von deren Ursprung bis jenseits des Abganges der
Arteria subclavia sinistra von der Ringfaserhaut abgelöst und zu einem
weiten Sack ausgedehnt. Innerhalb derselben war die Aorta 1 " über
ihren Klappen in der Ringfaserhaut und inneren Gefäßhaut schief, bei*
nahe quer mit einiger Ausfransung zerrissen, indem ein etwa linienbreiter
Streifen vom unteren Rißende losgelöst an die Zellscheide hintrat und
an ihr haftete. Das untere Rißende klaffte mit länglich runder Mündung
in den Sack der Zellscheide, das obere war aber in den Kanal
des Aortenbogens eingestülpt und sofort in Form eines
mehrfach gefalteten Konus in den Truncus anonymus
dergestalt eingetrieben, daß dessen Spitze beinahe an die Spal¬
tung des Gefäßes reichte. Die Zellscheide war im Umfange einer Erbse
geborsten, sekundär war das Blut in den Herzbeutel gelangt.
Diese drei Beobachtungen zeigen sämtlich einen Querver¬
lauf des Risses, zweimal einen totalen Querriß der inneren
Gefäßhäute (Chiari, Rokitansky, 23. Beobachtung), einmal
einen unvollständigen (22. Beobachtung). Bei dem totalen
Querriß erfolgte einmal die Einstülpung des inneren Zylinders in
die linke Subclavia, das andere Mal in die Anonyma, bei dem un¬
vollständigen in den Aortenbogen sowie die linke Arteria subclavia.
Gemeinsam ist sämtlichen drei Beobachtungen ein Einriß der Ad-
ventitia mit sekundärer Blutung in den Herzbeutel und zwar strom¬
aufwärts von der Einstülpung. Die Entstehung dieser Ruptur ist
sicherlich auf die hochgradige Drucksteigerung in der aufsteigenden
Aorta infolge Verlegung des Hauptgefäßes und der Hauptäste zu¬
rückzuführen, eine Ansicht, welche Chiari für seine Beobachtung
bereits erwähnte. Die aufsteigende Aorta erwies sich bei Chiari
wenig verändert, desgleichen fehlten bei Rokitansky anscheinend
schwere degenerative Prozesse. Ob eine derartige Beschaffenheit
der Aortenwand bei einem totalen oder fast totalen Querriß
günstigere Bedingungen zur Loslösung der gesamten inneren Ge-
faßhaut schafft als eine schwere sklerotische Gefäßwand, speziell
eine syphilitische Mesaortitis, ist immerhin möglich. Bei den
schweren Veränderungen, welche in der Media bei der produk¬
tiven Mesaortitis (Chiari) auftreten, erscheint infolge der un¬
gleichen Beschaffenheit der Media, der häufigen Unterbrechung der
elastischen Fasern durch Bindegewebszüge und penetrierende neu¬
gebildete Gefäßchen, der Verwerfung der elastischen Lamellen, eine
derartig glatte Dissezierung, überhaupt die Entstehung eines auf
weite Strecken ausgedehnten Aneurysma dissecans unmöglich.
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570 Geipkf., Zwei Fälle von perforierenden Aortenaneurysmen in die Lnn genauen-
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Erklärung der Figuren.
Fig. 1. Die Pnlmonalis eröffnet. Blick auf das sich vorwölbende Aneurriti
mit Perforation am oberen Umfange.
Fig. 2. Blick in die anfgeschnittene Pnlmonalis. Abgerissene Innenhaut ii
das Lnmen eingestülpt.
Literatur.
Rokitansky, Über einige der wichtigsten Krankheiten der Arterien. Wien
1852.
Bostroem, Das geheilte Aneurysma dissecans 1887. Festschrift für Zenker.
Ohiari, Aneurysma dissecans mit Inversion des inneren Zylinders. Verhand¬
lung der deutschen pathologischen Gesellschaft, 13. Tagnng 1909, 207.
Käppis, Die Perforation eines Aortenaneurysmas in die Pulmonalarterit.
Deutsches Archiv für klinische Medizin Bd. 90, 1907 p. 506.
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Aus der Akademie für praktische Medizin in Köln a. Rh.
Über den Pektoralfremitns.
Von
Prof. H. Hochhaus.
Die Bedeutung, welche heute der Prüfung des Stimmfremitus
bei der Diagnose der Respirationskrankheiten zukommt, erscheint
relativ gering gegenüber den vielen anderen diagnostischen Hilfs¬
mittel, mit denen uns die Neuzeit bereichert hat. Aber trotzdem
wird kein erfahrener Arzt diese Prüfung unterlassen, wenn es gilt
eine Infiltration der Lunge von einem pleuritischen Erguß zu
unterscheiden. Hier ist sie nach Ansicht fast aller Autoren noch
immer ein recht zuverlässiges Hilfsmittel. Liegt eine Infiltration
vor, wie das in besonders typischer Weise am häufigsten bei der
Pneumoniacrouposa der Fall ist, dann erscheint das Stimmzittern
verstärkt, handelt es sich dagegen um eine exsudative Pleuritis,
dann fühlt man dasselbe abgeschwächt oder überhaupt nicht. So
lautet die Lehre in fast allen Handbüchern 1 2 3 * ), die sich in der
Hauptsache stützen auf Experimente und Erfahrungen, die zuerst
Win trich *) veröffentlicht hat. Seine Erklärung für die Verstärkung
des Fremitus bei der Infiltration der Lunge gipfelte darin, daß die
Schwingungen der Stimmbänder um so besser fortgeleitet würden,
je gleichmäßiger und schwingungsfähiger die Lungen durch die
Einlagerung des Exsudats geworden. Nur wenige Beobachter waren
anderer Meinung, soerwähnt Wintrich selber schon Gri solle, der
nach seinen Untersuchungen den Fremitus bei der Pneumonie crouposa
fast nie verstärkt fand. Aber dieser vereinzelte Widerspruch schienden
meisten 8 ) genügend erklärt durch eine vorübergehende Verstopfung
1) Vgl. die Lehr-und Handbücher von Gerhardt, Geigel, Klemperer,
Sahli, Strümpell u. a.
2) Krankheiten der Respirationsorgane 1854 p. 66 f.
3) Siehe bei Jürgensen, Croupöse Pneumonie, Ziemssen’s Handbuch 1877
p. 94.
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572
Hochhaus
der Bronchien durch Schleim oder fibrinöse Gerinnsel; er konnte
jedenfalls nicht aufkommen gegen die allgemein anerkannte Lehre,
daß bei der cronpösen Pneumonie fast durchweg eine Verstärkung
des Pektoralfremitus nachweisbar sei.
In neuerer Zeit hat Arneth 1 ) das Verhalten des Pektoral¬
fremitus gerade bei der Pneumonie einem eingehenden Studium
unterzogen und gefunden, daß derselbe wohl im ersten und dritten
Stadium verstärkt, aber im zweiten meistens abgeschwächt sei
Als Ursache dieser Erscheinung gibt er an, daß die feste Infiltration
des 2. Stadiums für die Schallwellen ähnlich schwächend wirke,
wie ein flüssiges Medium und daher die Abnahme der Stimm-
Schwingungen zu erklären sei. Die bessere Leitung im 1. und 3.
Stadium sei bedingt durch die festweiche Beschaffenheit der Lunge,
welche zur Fortpflanzung der Schwingungen besonders geeignet sei
Auf meine Veranlassung hin hat dann Herr Dr. Wolter")
diese Resultate an einem großen Material nachgeprüft und kon¬
statiert, daß ein gesetzmäßiges Verhalten der Stimmschwingungen
bei der croupösen Pneumonie sich überhaupt nicht feststellen läßt
Abschwächung und Verstärkung kam sowohl im 1. wie im 2. und
3. Stadium vor, ohne daß für den jeweiligen Befund sich besondere
Gründe auffinden ließen. Wolter sah sich nicht in der Lage, eine
überzeugende Erklärung für die gefundenen Resultate abzugeben.
Jedenfalls konnte nach dem, was er gefunden, die Meinung Arneth's
nicht als stets gültig adoptiert werden und damit fielen auch
die von demselben gezogenen Schlüsse für die Diagnose der Pneu¬
monie weg.
Bei diesem Widerstreit der Meinungen um den Wert eines
doch recht wichtigen diagnostischen Hilfsmittels habe ich nun
versucht, auf Grund neuer Experimente und zahlreicher klinischer
Beobachtungen endgültig festzustellen, welche Änderungen das
Stiramzittern speziell durch eine Infiltration der Lunge bei der
croupösen Pneumonie erleidet, wodurch dieselben bedingt und welcher
Wert denselben für die Diagnose beizulegen ist.
Experimenteller Teil.
Die bekanntesten Versuche über den Stimmfremitus hat Win¬
trich 1 ) angestellt: er band in die Trachea von Lungen frisch ge-
1) Münch, med. Wochensehr. 1906 Nr. 17 u. 18,
2) Deutsche raed. Wochenschr. 1908 Nr. 39.
3) Loc. dt.
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Über den Pektor&lfremitus.
573
scblachteter Tiere ein hölzernes Röhrchen, ließ in dasselbe laut
hineinsprechen und konnte dann allerwärts an der Oberfläche der
Lunge ein deutliches Vibrieren fühlen. Dasselbe verschwand nicht,
wenn 2—3 Hände der Zuschauer übereinander auf die Oberfläche
der Lunge gelegt wurden, oder auch mehrere Lagen von Muskeln
oder von Haut, selbst nicht von Drüsen oder Gehirnmassen, mußte
demnach also von ziemlich bedeutender Intensität sein.
Diese Versuche habe ich nun an menschlichen Lungen nach¬
geprüft, die natürlich nicht ganz so frisch sein konnten wie die
von Wintrich angewendeten Versuchsobjekte. Die Versuchs¬
ordnung war dieselbe. Dabei ergab sich nun durchweg, daß der
Stimmfremitus an der normalen menschlichen Leichenlunge ein
außerordentlich schwacher ist, mochte ich den Trichter in die
Trachea oder in einen Bronchus hineinstecken; fast stets konnte,
trotzdem laut hineingesprochen wurde, nur ein ganz leichtes Vi¬
brieren an der Lunge gefühlt werden, gar nicht zu vergleichen
mit der Stärke des Pektoralfremitus beim Lebenden. Relativ noch
am stärksten war derselbe bei Leuten in den mittleren Jahren,
besonders, wenn eine leichte Blähung der Lunge vorhanden war.
Gleichzeitig habe ich dabei festzustellen versucht, auf welche
Weise sich die Stimmschwingungen innerhalb der Lunge fort¬
pflanzen; ob lediglich durch die Luft oder auch durch die festen
Bronchial wände. Darüber entschieden folgende Versuche: wenn
man den Trichter oder das Röhrchen tief in die Trachea hinein¬
steckte, aber ohne die Wand zu berühren, so war der fühlbare
Fremitus sehr viel schwächer, kaum merkbar. Ferner, wenn man
die Trachea kurz über der Bifurcation abschnitt und dann das
Röhrchen in einen Bronchus hineinsteckte, so wurden die Stimm¬
schwingungen auch über der anderen Lunge gefühlt. Die Fort¬
pflanzung der Schwingungen kann also in diesem Falle nur durch das
die beiden Bronchien noch verbindende Stück der Trachea erfolgt
sein. Wie sehr diese beiden, Trachea und Bronchien, an der Fort¬
leitung beteiligt sind, läßt sich bei der Ausführung der Versuche
durch einfache Palpation sehr gut feststellen; am stärksten vibriert
die Trachea und je weiter man den Bronchialbaum mit der Hand
heruntergleitet, um so geringer werden die fühlbaren Vibriationen
seiner Wände. Wintrich hat also vollkommen Recht, wenn er
angibt, daß die Schwingungen sich sowohl durch die Luft wie
durch die Bronchialwand fortleiten.
Dagegen ist auffallend und steht mit der Arbeit Wintrichs
in Widerspruch die außerordentlich geringe Intensität der Vi-
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574
Hochhacs
brationen an der Leichenlange, die zeigt, daß der Versuch an der
Leiche die Verhältnisse am Lebenden nur recht unvollkommen
wiedergibt; und in der Tat, eine einfache Überlegung zeigt schon
die großen Differenzen. Beim Sprechen wird zuerst durch eine
Inspiration die Lunge mit Luft gefüllt, unter einen gewissen Drnck
gesetzt und dann die Intonation bewirkt durch eine kräftige Ei-
spiration bei verengter Stimmritze. Lungengewebe und Brustkorb
werden dadurch sicher in die günstigsten Bedingungen zum Schwingen
gesetzt, was an der Leiche wohl kaum nachzumachen ist. Ob
dadurch allein der große Unterschied in der Stärke bei der Leiche
und beim Lebenden sich erklären läßt, sei dahin gestellt
Die Mitwirkung des Brustkorbes habe ich bis jetzt noch nicht
besprochen und möchte darauf mit einigen Worten zurückkoramen.
Alle Autoren erkennen an, daß die Schwingungsfähigkeit des
Thorax beim Zustandekommen des Fremitus eine gewisse Rolle
spielt und daß alle Momente, welche diese Eigenschaft beein¬
trächtigen, also Auflagerungen, Entzündungen, Verkrümmungen,
naturgemäß auch das Stimmzittern schwächen; aber die Bedeotnng
dieser Knochenleitang wird verschieden hoch geschätzt. Wint¬
rich, Arneth und besonders Gerhard legen ihr keinen großen
Wert bei, während Penzoldt 1 ) geneigt ist, auf Grund seiner Be¬
obachtungen bei einer Fissura sterni congenita die Leitung durch
den knöchernen Thorax recht hoch anzuschlagen. P. fand nämlicb.
daß über der in der Exspiration in die Spalte sich vordräugende
Lunge der Fremitus weit schwächer gefühlt wird, als dicht daneben
über dem Thorax selber. Daraus geht m. E. unzweifelhaft her¬
vor, daß tatsächlich die Knochenleitung eine recht bedeutende
Rolle spielt.
Auch meine Versuche an der Leiche, bei denen nur stets ein
ganz geringer Fremitus zu fühlen war, drängen zu der Annahme,
daß außer den eben schon angegebenen viel günstigeren Bedingungen,
unter denen sich die Lunge beim Sprechen befindet, noch ein anderer
Faktor sein muß, der zu dem so kräftigen Stimmzittern beim Le¬
benden beiträgt und der kann m. E. kaum etwas anderes als die
Fortleitung durch den knöchernen Thorax sein.
Nach dem Vorgänge von Wintrich, Arneth und Wolter
habe ich den Pektoralfremitus dann auch an einer größeren Zahl
von erkrankten Lungen geprüft. Der erst erwähnte Autor hatte
gefanden, daß jedwede Verdichtung der Bronchialwände durch
1) Deutsches Archiv für klin. Med. 24. Bd.
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Über den Pektoralfremitna.
575
Hepatisation, chronische Induration den Pektoralfremitus verstärkt,
wenn in den betreffenden Bronchialröhren Dämpfungsmedien fehlen.
Arneth 1 2 ) fand bei zwei pneumonisch infiltrierten Lungen auf
der Höhe der Hepatisation starke Abschwächung des Pektoral¬
fremitus; Wolter*) fand ebenfalls bei pneumonisch infiltrierten
Lungen eine Abschwächung.
Ich habe nun untersucht im ganzen 8 Fälle von croupöser
Pneumonie Es fand sich die Pneumonie in den verschiedensten
Stadien der Infiltration, aber trotz des verschiedenen anatomischen
Verhaltens war das Resultat bei der Prüfung des Pektoralfremitus
nach Wintrich stets das gleiche. Derselbe war immer deutlich
abgeschwächt. Es ist mir nie gelungen, weder im 1., noch 2., noch
3. Stadium eine Verstärkung nachzuweisen, auch wenn beim Lebenden
dieselbe deutlich war.
Auch bei 2 chronischen Pneumonien war das Resultat das
gleiche.
Zur weiteren Orientierung habe ich dann außer bei croupöser
Pneumonie auch noch bei einer Anzahl anderer Lungenerkrankungen
Versuche gemacht.
In 3 Fällen von ausgedehnter tuberkulöser Infiltration war
der Fremitus gleichfalls abgeschwächt. Bei einer Lunge fand sich
über einem Lappen, der an und für sich weniger verändert war, eine
ausgedehnte pleuritische Schwarte, über der der Fremitus ganz
besonders abgeschwächt war.
Bei 3 Fällen von ausgesprochenem Lungenödem war der
Pektoralfremitus kaum fühlbar.
Bei hypostatischer Pneumonie war der Fremitus entschieden
verringert.
Bei einer durch ein Exsudat stark komprimierten Lunge war
der Pektoralfremitus abgeschwächt. Bei Emphysema pulmonum
war das Verhalten ein verschiedenes, war dasselbe stark ausge¬
sprochen, so war eher eine Verringerung zu konstatieren, dagegen
habe ich mehrmals bei einer nur mäßigen Blähung eine deutliche
Verstärkung der Stimmvibriationen nachweisen können.
Wenn ich also die Resultate der Versuche an den Leichen
kurz zusammenfasse, so habe ich im Gegensatz zu Wintrich
niemals bei einer Infiltration der Lunge, weder bei einer pneu¬
monischen noch bei einer tuberkulösen eine wesentliche Verstär-
1) Loc. cit.
2) Loc. cit.
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576
Hochhaus
kung des Fremitus nach weisen können; selbstverständlich habe ick
jedesmal sorgfältig darauf geachtet, daß eine Verstopfung der
Bronchien weder durch Schleim noch durch Fibringerinnsel vorlag.
Auch bei ödematösen, atelectatischen Lungen war das gleiche
der Fall.
Klinischer Teil.
Seit Anfang dieses Jahres habe ich dann bei fast sämtlichen
Pneumonien auf meiner Abteilung den Pektoralfremitus studiert,
mit allen Kautelen; insbesondere darauf geachtet, daß stets sym¬
metrische Brustpartien untersucht wurden, daß sowohl mit der
Volarfläche wie auch mit der Ulnarseite der Hand die Betastung
vorgenommen wurde, und daß der Kranke auch aufgefordert wurde,
mehrmals zu husten. Wir haben die Untersuchung nicht bloß
einmal, sondern fortlaufend tagtäglich während des Verlaufs der
ganzen Erkrankung vorgenommen, um so über alle Schwankungen
dieser Erscheinung unterrichtet zu werden.
Es sind im ganzen 90*) Fälle von croupöser Pneumonie, die
ich seit Anfang dieses Jahres in dieser Art und Weise unter¬
suchen konnte. Von diesen zeigten eine Verstärkung des Pektoral¬
fremitus während des ganzen Verlaufs 32 Fälle, und zwar befinden
sich darunter solche aus allen Stadien; einzelne sogar vom 1. Tag
bis zu dem 8. Tag. Abgeschwächt war der Pektoralfremitus in
16 Fällen während der ganzen Beobachtungszeit, auch hier findet
sich die Abschwächung nicht an ein Stadium gebunden, sondern
sie ist von uns in allen Stadien beobachtet worden, sogar bei
3 Pneumonien, die am 1. Tage hereinkamen; wechselnd war sein
Verhalten in 28 Fällen, und zwar derart, daß er bald stärker, bald
schwächer, bald unverändert erschien. Auch hier ließ sich dies
Vorkommen in allen Stadien konstatieren. Ich bemerke ausdrück¬
lich, daß dieses wechselnde Verhalten nicht etwa bedingt sein
konnte durch Störungen der Expektoration des Sputums, denn wie
ich einleitend schon gesagt habe, war es die Regel, daß während
der Prüfung der Kranke auch aufgefordert wurde, mehrmals zu
husten. Ohne jede Änderung während des ganzen Verlaufs war
das Verhalten in 14 Fällen. Die sonstigen physikalischen Erschei¬
nungen, die neben dem Pektoralfremitus beobachtet wurden, waren
diejenigen, welche dem jeweiligen Stadium der Pneumonie ent¬
sprachen Also im 1. Stadium meist tympanitischer Perknssions-
1) Es sind inzwischen noch 12 hinzugekommen, bei denen das Resultat das
gleiche war.
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Über den Pektoralfremitua.
577
klang, mit hauchendem bis bronchialem Atem und inspiratorischem
Knisterrasseln; im 2. Stadium ausgesprochene Dämpfung mit lautem
Bronchialatmen und im 3. Stadium wieder ähnlich wie im 1. Sta¬
dium. Daß dabei zuweilen Abweichungen vorkamen ist selbstver¬
ständlich, denn es ist bekannt, daß die physikalischen Erscheinungen
in den 3 Stadien durchaus nicht immer die typischen sind, ins¬
besondere daß das Knisterrasseln manchmal periodisch zuweilen
während des ganzen Verlaufs der Erkrankung vollkommen fehlt.
Jedenfalls stimmt aber, was Arneth auch schon in seiner Arbeit
hervorgehoben hat, daß lautes Bronchialatmen und ebenso Broncho-
phonie deutlich vorhanden sein können und trotzdem eine Ab¬
schwächung des Pektoralfremitus besteht. Diese drei Erscheinungen
gehen also in ihrer Intensität durchaus nicht parallel.
Es würde zu weit führen und auch wohl kaum einen beson¬
deren Zweck haben, wenn ich die sämtlichen von mir beobachteten
Krankheitsfälle durch ausführliche Krankengeschichten belegen
wollte; einzelne indes, die mir von besonderem Wert auch für die
nachherigen theoretischen Erörterungen scheinen, seien hier kurz
angeführt.
Zuerst der Bericht über einen Fall, bei dem der Pektoral¬
fremitus während des ganzen Verlaufs verstärkt war und die Krise
eine ganz erhebliche Zeit überdauert hat.
Krankengeschichte.
Christian M., 36 Jahre, aafgenommen 2. Dezember 1909, geheilt
entlassen 7. Januar 1910.
Anamnese: Mit 9 Jahren Rippenfellentzündung. Am 25. No¬
vember erkrankt mit Schüttelfrost, Seitenstechen, Husten und gefärbtem
Auswurf. In den nächsten Tagen Husten und Auswurf stärker, starkes
Schwitzen.
Status: 3. Dezember. Großer kräftiger Mann, gut genährt, Haut
rot, sehr heiß mit Schweißtropfen bedeckt. Über den Lungen rechts
hinten unten von der Scapula an deutliche Schallabschwächung, Bronchial¬
atmen, feinblasiges inspiratorisches Knisterrasseln. Pektoralfremitus sehr
deutlich verstärkt; die übrigen Lungenpartien normal. Sputum reichlich,
schleimig-eiterig, bräunlich verfärbt. Herzbefund normal. Puls regel¬
mäßig, kräftig, 100 in der Minute. Temperatur 39,5.
5. Dezember. Lungenbefund derselbe, Pektoralfremitus rechts ver¬
stärkt. Temperatur 38,8 bis 39,5.
6. Dezember. Rechts hinten unten von der Mitte der Scapula an
Dämpfung mit bronchialem Atmen und mittelgroßblasigen inspiratorischen
feuchten Rasselgeräuschen. Pektoralfremitus rechts deutlich verstärkt.
Temperatur 38,8 bis 38,5.
9. Dezember. Dämpfung gering, verschärftes Vesikuläratmen, in-
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578
Hochhaus
spiratoriscbes feuchtes Rasseln. Sputum schleimig, weiß gefärbt. Pols
gut und kräftig; Temperatur normal.
17. Dezember. Der Schall über dem rechten Unterlappen wenit
gedämpft, Atmung vesikulär, vereinzeltes Giemen und Pfeifen; gering»
Sputum. Temperatur normal. Pektoralfremitus verstärkt.
7. Januar. Rechts hinten unten noch geringe Scballabschwlcbosg.
Atmung vesikulär, aber etwas leise, keine Nebengeräusche. Pektoral¬
fremitus rechts deutlich verstärkt. Geheilt entlassen.
Bemerkenswert an dem Verlaufe der Erkrankung ist, daß die
Verstärkung des Pektoralfremitus die Krise so lange Zeit über¬
dauert hat. Es scheint mir, daß diese Beobachtung, die ich no*:-h
durch eine größere Anzahl ähnlicher ergänzen kann, für die Dentuns
der Entstehung des Pektoralfremitus nicht ohne Wichtigkeit ist.
Bisher nahm man allgemein an, daß die Verstärkung des Fre¬
mitus am häufigsten vorkomme bei einer möglichst vollkommenen
und derben Infiltration eines ganzen Lungenlappens; daß ak
dadurch die besten Bedingungen für seine Entstehung gegeben
sein müßten. Solche Beobachtungen wie die vorstehenden zeigen
nun, daß die Verstärkung des Fremitus sich auch erhält,
wenn die Zeit der vollen Infiltration längst vorüber und
nur noch ganz minimale Veränderungen im Lungengewebe sein
können.
Der Abschwächung des Pektoralfremitus können die ver¬
schiedensten Ursachen zugrunde liegen. Am häufigsten wird er¬
wähnt die Verstopfung der Bronchien durch Schleim und Gerinnsel:
zweifellos kann dadurch die Abschwächung herbeigeführt werden
daß es aber gerade bei der Pneumonie häufig der Fall ist, möchte
ich nach meinen Erfahrungen kaum glauben und muß Ar¬
ne th darin zustimmen. Unbestritten ist auch der abschwächende
Einfluß eines pleuritischen Exsudats, das sich neben einer Pneu¬
monie entwickelt; obschon ich auch gesehen habe, daß trotz
eines Exsudats, das 1% cm dick war, der Fremitns verstärkt
sich erwies.
Auch Veränderungen der Brustwand, wie sie durch pleuritisctie
Adhäsionen, Schrumpfungen, Verbiegungen hervorgerufen werden,
mindern zweifelsohne das Stimmzittern. Indes kommen auch Fälle
genug vor, wo alle diese Momente fehlen, auch ein Exsudat nicht
vorhanden ist, wie die Punktion nach weist, und doch der Pektoral-
fremitus andauernd abgeschwächt ist. Ein charakteristischer Fall,
der auch sonst noch eine interessante Erscheinung darbot. ist
folgender:
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Über den Pektoralfremitus.
579
Krankengeschichte.
Peter R., 18 Jahre, aufgenommen 13. April 1910, geheilt entlassen
23. Mai 1910.
Anamnese: Am 8. April plötzlich erkrankt mit Schüttelfrost,
Schmerzen und Stichen in der linken Seite, Husten mit weißlichem
Auswurf.
Status: 13. April 1910. Kräftiger, gut ernährter junger Mann,
Haut heiß und feucht. Lungenbefund: Links hinten unten vom unteren
Rand der Scapula abwärts tympanitische Dämpfung, abgeschwächtes
hauchendes Atmen, keine Nebengeräusche. Pektoralfremitus vollkommen
aufgehoben. Temperatur 39,0. Pols 100. Die übrigen Organe normal.
15. April. Links hinten unten Dämpfung, schwaches Bronchial-
atmen, Pektoralfremitus aufgehoben. Rechts neben der Wirbelsäule scheint
ziemlich deutlich ein Grocco’sches Dreieck. Temperatur 39,8 bis 40,3.
20. April. Status idem. Temperatur normal.
27. April. Rechts hinten unten noch deutliche Dämpfung mit ab¬
geschwächten Atmen und aufgehobenem Pektoralfremitus. Rechts neben
der Wirbelsäule deutlich ein Grocco’sches Dreieck. Temperatur normal.
Da trotz mehrfachen Hustens Pektoralfremitus und Atmen sich gleich
blieben, wurde angenommen, daß sich nachträglich ein pleuritisches Ex¬
sudat entwickelt hätte; es wurde mit ziemlich dicker Kanüle eine Punktion
gemacht, indes kein Exsudat gefunden. Die Kanüle war augenscheinlich
direkt in die Lunge gedrungen.
23. Mai. Der gleiche Befund, wie eben beschrieben, wurde auch
noch heute erhoben. Das Allgemeinbefinden war rechts gut, aber die
Abschwächung des Schalles, des Atmens und des Pektoralfremitus ist
noch deutlich. Der Kranke wurde zum Genesungsheim entlassen.
Es handelt sich also hier um einen Fall von croupöser Pneu¬
monie mit verzögerter Lösung, der am 6. Tage hereinkam und
während des ganzen Verlaufes einen abgeschwächten Pektoral¬
fremitus und abgeschwächtes Atmen zeigte. Die Erscheinungen
waren so deutlich, daß man an das Hinzutreten einer Pleuritis
exsudativa denken mnßte. Hinzu kam der deutliche Nachweis des
Grocco’schen Dreiecks, das auch für Pleuritis exsudativa sprach.
Ich habe indes noch in einem anderen Falle, der diesem ganz
ähnlich ist, das Auftreten dieser Erscheinungen bei croupöser Pneu¬
monie konstatieren können; ohne daß ein Exsudat vorhanden war.
Die Abschwächung des Stimmfremitus bei sehr starker Infiltration
der Lungenlappen ist nicht so ganz selten beobachtet 1 ) und wird
diese starke Infiltration mit Vergrößerung des betreffenden Teiles
auch in Lehrbüchern unter den Ursachen der Fremitusabschwächung
stets erwähnt. Ich habe derartige Fälle mehrere beobachtet, von
denen ich den prägnantesten kurz beschreiben will.
1) Siehe bei Gerhardt, Arneth, Aufrecht u. a.
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580
Hochhaus
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Krankengeschichte.
Wilhelm N., 38 Jahre, anfgenommen 27. Angust 1909, gestorben
1. 8eptember 1909.
Anamnese: Am 26. August plötzlich erkrankt mit Schnttelfron.
Fieber, Kopfschmerzen, Husten und Stichen in der linken Seite.
Status: 28. August 1909. Kräftiger Mann in gutem Ernährung?-
zustand, Haut und sichtbaren Schleimhäute normal gefärbt. Uber aei
Lungen in der linken Axillargegend sowie linkB vorn fast bis zur 3. Rippe
tympanitische Dämpfung, sehr stark abgescbwächtes Atmen, mit verein¬
zelten Rasselgeräuschen. Pektoralfremitus daselbst ganz aufgehoben. Orr
Traube’sche Raum ist frei. Links hinten unten keine Dämpfung. Vesi¬
kuläratmen mit Brummen und Giemen, die rechte Lunge ist frei. Pu-?
weich, frequent. An den übrigen Organen nichts Besonderes.
30. August. Links vorn beginnt starke Dämpfung von der 3. Rippe
ab, die ganze Axillargegend ist gedämpft, ebenso Knks hinten unke
mäßige Dämpfung, das Atmungsgeräusch ist schwach und unbestimmt
und der Pektoralfremitus ist fast ganz aufgehoben. Das Spntum ist
schleimig, zäh, aber nicht gefärbt. Es besteht ziemlich starke Cysno*?
Der Puls wird auf Injektion von Strophanthin intravenös langsamer und
kräftiger. Es fällt schon bei äußerer Besichtigung auf, daß die gut»
linke Seite recht stark vorgewölbt ist.
31. August. Befinden leidlich gut, mäßige Dyspnoe und Cymo??
Der physikalische Befund über den Lungen ist ungefähr der gleiche
Der Herzspitzenstoß ist deutlich zu sehen und zwar 3 V 2 cm ein wärt--
von der Mamillarlinie. Die rechte Grenze der relativen Herzdämpfon:
überschreitet die Mediane um 5 cm. Die Ausdehnung der ganzen link«
Brustseite erschien heute noch deutlicher. Bei dieser augenscheinliche:
Verschiebung des Herzens, bei der Ausdehnung der linken Seite uod
dem physikalischen Befunde mußte ein Erguß in die Unke Pleurahöhle m
wahrscheinlich angenommen werden. Es wurde deshalb eine Probe¬
punktion gemacht mit einer ziemlich starken Kanüle an zwei Stellen
Erguß wurde nicht gefunden, sondern es drang die Kanüle sofort in dit
Lungenparenchym und sie gab syncron der Herzbewegung außerordentlich
starke Ausschläge. Der Puls wurde im Verlauf des Tages schlechter,
es wurde wiederum Strophanthin injiziert und jetzt war der Erfolg nich:
so gut wie am Tage vorher.
1. September. Die Cyanose sehr stark, Trachealrasseln, Pul» «1*
beschleunigt, flatternd, weich, kaum zu zählen, trotz Darreichung von
Exitantien erfolgte der Tod am Abend.
Bei der Obduktion fand sich fast die ganze linke Lunge
infiltriert und erheblich geschwollen; die Schwellung war so groß,
daß sie an Größe die rechte Lunge sicher um */• übertraf. Da*
Herz war deutlich nach der rechten Seite verschoben, ähnlich
wie bei einem pleuritischen Exsudat. Die Rippen waren auf der
Außenseite alle deutlich eingedrückt. Die Pleura war durch ab*
derbe Verwachsungen und auch neue Fibrinauflagerungen ad hären t.
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Über den Pektoralfremitus.
581
Auf dem Durchschnitt waren die Lungen in den unteren zwei Dritteln
fest hepatisiert in den verschiedensten Stadien, teils rot, teils gelb
und weiß; stellenweise sehr stark körnig und markig vorquellend.
In den kleinen Bronchien saß schleimig eitriges, zähes Sekret.
Der Fall ist bemerkenswert, weil Atmungsgeräusch und Pek-
toralfremitus fast ganz aufgehoben waren und dann durch die
außerordentliche Anschwellung, die so stark war, daß sie zu
einer deutlichen Ausdehnung der linken Brustseite und auch
zu Verschiebung des Herzens führte. Ein derartiges Vorkomm¬
nis ist selten, aber es beweist doch, entgegen der Anschauung von
Aufrecht und Arneth, daß eine pneumonische Verdichtung
gelegentlich einmal die Lunge derartig vergrößern kann, daß
es zu einer Ausdehnung der betreffenden Brustseite und zu einer
Verdrängung der Nachbarorgane kommen kann. Die übrigen
Fälle der Art, die ich beobachtet habe, es waren noch zwei,
gingen nicht mit so bedeutender Vergrößerung der Lunge ein¬
her, auch bei ihnen war der Pektoralfremitus stark abgeschwächt,
das Atmungsgeränsch auch in geringem Grade, aber nicht so stark
wie in dem ersten Fall. Die Tatsache, daß ich innerhalb von
8 Monaten drei derartige Fälle mit Exitus letalis beobachtet,
scheint darauf hinzuweisen, daß die Prognose dieser Fälle stets
eine sehr übele ist.
Wie es zu erklären ist, daß hier der Pektoralfremitus vollkommen
verschwindet, darüber soll nachher gesprochen werden.
Wechsel des Pektoralfremitus hat man schon früher beob¬
achtet und in der Regel darauf zurückgeführt, daß die Bronchien
zeitweise durch Schleim oder Gerinnsel verstopft und so die Luft¬
schwingungen mechanisch am Vordringen gehindert waren, wurde
dann durch einige kräftige Hustenstöße der Inhalt der Bronchien
entleert, so war der Fremitus wieder nachweisbar. Daß diese Er¬
scheinung zuweilen zu beobachten ist, habe ich bei meinen häufigen
Nachuntersuchungen auch gefunden, indes auch Fälle genug ge¬
sehen, wo der Husten sehr stark, sehr häufig, das Sputum sehr
gut entleert wurde und trotzdem der Pektoralfremitus verschwand
und spontan nach einiger Zeit wiederkehrte. Ich führe einen Fall
der Art an, der auch sonst von Interesse ist:
Krankengeschichte.
Julius "W., 42 Jahre, aufgenommen 15. Mai, entlassen 7. Juli 1910.
Anamnese: Vor 6 Jahren rechtsseitige Lungenentzündung. Am
13. Mai plötzlich Sohüttelfrost, Husten, stechende 8chmerzen in der
rechten Seite.
Deutsche« Archiv für klin. Medizin. 101 . Rd. 38
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Hochhaus
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Befund am 16. Mai. Mittelgroßer, mäßig kräftig gebauter Mann,
gut genährt. Gesicht ist stark gerötet. Über den Lungen rechts husten
unten vom unteren Band der Scapula an Dämpfung und lautes Bronchial-
atmen. Pektoralfremitus daselbst deutlich verstärkt. Sputum schleimig,
geballt, von braungelber Farbe. Puls regelmäßig, kräftig, 100—120 in
der Minute. Temperatur 39 bis 39,3. An den übrigen Organen nicht?
Besonderes.
17. Mai. Allgemeinzustand gut, Husten mit Auswurf von gelb¬
lichem Sputum. Bechts hinten unten Bronchialatmen mit Knisterrassek,
verstärktem Pektoralfremitus. Puls 120, Temperatur 39,0 bis 39,5.
19. Mai. Bechts hinten unten der gleiche physikalische Befand
nur findet man heute, daß der Pektoralfremitus abgeschwächt ist und dal
sich über der linken Seite deutlich ein Grocco’scbes Dreieck nachweisea
läßt. Temperatur 39,0 bis 39,3. Puls 120. Dabei ist das Sputum
reichlich.
20. Mai. Am Morgen rechts hinten unten Schallverkürzung mit
abgeschwächtem Pektoralfremitus, dagegen wurde am Abend über der
Dämpfung ein schwaches Bronchialatmen mit Knisterrasseln konstatiert
und der Pektoralfremitus war wieder stärker wie links.
21. Mai war der Pektoralfremitus wieder deutlich abgescbwächt; es
bestand Dämpfung mit einem fernklingenden Bronchialatmen. Auf der
anderen Seite war deutlich Grocco nachzuweisen. Am Abend spät wurde
Pektoralfremitus nochmals geprüft und er war dann wieder verstärkt.
30. Mai. Seit dem 24. ist der Patient fieberfrei, es besteht aber
immer noch Dämpfung in derselben Ausdehnung mit abgeschwächtem
Atmen, Pektoralfremitus ist wenig verstärkt und es läßt sich auf der
anderen Seite deutlich ein Grocco’sches Dreieck nachweisen. Mit Rück¬
sicht auf letzteren Befund wird eine Probepunktion vorgenommen, aber
Flüssigkeit nicht gefunden.
15. Juni. Das Allgemeinbefinden ist gut: kein Fieber, es besteht
aber immer Husten und Auswurf von weißlichem Schleim. Bechts hinten
unten läßt sich auch noch eine mäßige tympanitische Dämpfung mit
bauchendem Atmen und inspiratorischem feuchten Bassein nachweisen.
Der Pektoralfremitus ist verstärkt.
7. Juli. Der Klopfschall ist jetzt auch rechts unten ziemlich sonor,
das Atmen vesikulär, aber etwas abgeschwächt, der Pektoralfre-
mitus ist deutlich verstärkt. Der Kranke wird in ein Genesungsheim
entlassen.
Bemerkenswert an diesem Falle ist die Abschwächung des
Pektoralfremitus, die sich am 6., 7. nnd 8. Krankheitstage nach¬
weisen ließ und auch plötzlich wieder verschwand, die weder er¬
klärt werden kann durch ein pleuritisches Exsudat, denn die
Punktion hat das Nichtvorhandensein eines solchen erwiesen, noch
durch Verstopfung der Bronchien durch Schleim, denn der Kranke
hat während der Zeit sehr häufig und kräftig gehustet und auch
viel Schleim ausgeworfen, ohne daß sich an den Tagen eine Än¬
derung gezeigt hätte. Auch die Am ethische Meinung, daß das
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Über den Pektoralfremitus.
583
Stadium der Hepatisation daran Schuld gewesen, kann nach Lage
der Dinge wohl kaum in Betracht kommen. Was hier die Ursache
gewesen ist, läßt sich nicht mit Sicherheit sagen, jedenfalls habe ich
auch nicht den Eindruck gewonnen, als ob der Fall zu denen ge¬
hörte, bei denen eine außerordentliche Schwellung der Lunge die
Ursache ist. Bemerkenswert ist dann ferner, daß längere Hervor¬
treten eines Grocco’schen Dreiecks, eine Erscheinung, die wir ja
auch bei einem früheren Fall schon gesehen haben und dann noch
die lange Persistenz des verstärkten Fremitus, die wir noch am
Tage seiner Entlassung fast 2 Monate nach Beginn der Erkrankung
konstatieren konnten, zu einer Zeit, wo die Veränderungen in dem
erkrankten Lungenlappen jedenfalls nur noch sehr unbedeutende
sein konnten. Es zeigt sich also auch an diesem Falle wieder,
daß die Bedingungen für das Zustandekommen eines verstärkten
Fremitus unter Umständen auch durch relativ geringfügige Ver¬
änderungen innerhalb der Lunge erfüllt sein können.
Zum Schlüsse führe ich noch eine Krankengeschichte von
einem Manne an, bei dem ich den Pektoralfremitus sowohl während
des Lebens wie auch nachher an der Leiche geprüft habe.
Krankengeschichte.
Gerhard L., 44 Jahre, aufgenommen 29. Juni 1910, gestorben
30. Juni 1910.
Anamnese: Patient kommt leicht delirierend zur Aufnahme, ge¬
naue Anamnese ist von ihm nicht zu erfahren.
Befund am 29. Juni. Kräftiger Mann, gut ernährt, Gesicht leicht
cyanotisch, Haut fühlt sich heiß an. Zunge ist trocken, borkig belegt.
Links hinten unten vom 5. Brustwirbelfortsatz ab ist der Schall deutlich
gedämpft, das Atmen bronchial ohne Nebengeräusche. Der Stimmfremitus
ist verstärkt. Am Herzen ist nichts Besonderes; Puls ist klein, 140 in
der Minute; Temperatur 39 bis 39,5. Im Urin geringe Mengen Eiweiß.
30. Juni. Patient ist noch unruhig, redet durcheinander und hat
auch in der Nacht wenig geschlafen. Die Dyspnoe ist mäßig; über den
Lungen ist der gleiche physikalische Befund wie gestern, der Pektoral¬
fremitus verstärkt. Sputum zäh, bräunlich verfärbt. Bei einer weiteren
Prüfung des Stimmfremitus am Nachmittag fand sich derselbe links hinten
unten abgeschwächt. Abends 8 '/ 2 Uhr trat plötzlich unerwartet der Tod
ein unter den Erscheinungen der Herzinsufficienz.
Bei der Obduktion fand sich der ganze linke Unterlappen
stark verdichtet, von grauer Farbe, die im obersten Zipfel des
Unterlappens etwas ins rötliche übergeht.
Ich habe den Pektoralfremitus an der Leiche geprüft und ge¬
funden, daß derselbe nicht verstärkt, sondern stark abgeschwächt
war. Die Bronchien waren weder durch Schleim noch durch eine
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Hochhaus
stärkere Gerinnselbildnng verstopft. Es handelt sich demnach hier
nm eine Lunge in späteren Stadien der Entzündung, wo man an der
Leiche eigentlich eine Verstärkung des Pektoralfremitns nach den
Anschauungen von Arneth hätte erwarten müssen. Es war da«
aber nicht der Fall, trotzdem während des Lebens der Pektoral-
fremitus ja meistens verstärkt war. Ähnliche Fälle wie der vor¬
liegende könnte ich noch mehrere anführen; ich glaube indes daranf
verzichten zu können.
Nachdem ich die Resultate meiner Versuche an der Leiche
und meine klinischen Beobachtungen kurz dargelegt habe, käme
es nun daranf an, zu untersuchen, wie dieselben sich mit den bi«
jetzt bestehenden Anschauungen über den Pektoralfremitns ver¬
einigen lassen und inwieweit dieselben geeignet sind, zu einer
Klärung der noch strittigen Punkte beizutragen.
Wodurch -der Fremitus entsteht und wie er sich in den Luft¬
röhren fortpflanzt, darüber besteht glaube ich allgemeine Einigkeit.
Die Exkursionen der Stimmbänder besonders die ausgiebigeren
beim Intonieren mit tiefer Stimme werden sowohl durch die Loft,
wie auch durch die Bronchialwände in das Lungenparenchym hin¬
ein fortgetragen. Das hat Wintrich zuerst so gelehrt und meine
Versuche haben das bestätigt. Noch unaufgeklärt ist, welche Be¬
schaffenheit der Lunge am besten geeignet ist, die Schwingungen
fortzuleiten. Die Untersuchungen an der Leiche haben darüber
wenig Klärung ergeben. Der Stimmfremitus war stets sehr schwach
sowohl bei normalen wie bei pathologisch veränderten Lungen,
nur eins hat sich doch mit Sicherheit ergeben, bei einem mäßigen
Blähungszustand der Lungen war der fühlbare Fremitus auffallend
stark; offenbar war das die günstigste Bedingung des Parenchym.«
um die Schwingungen gut fortzuleiten. Dies ist das einzige posi¬
tive Resultat mit starkem Pektoralfremitns, welches ich bei den
Leichenversuchen gefunden habe. Ich habe niemals, anch bei des
stärksten und ausgedehntesten Infiltrationen pneumonischer Lungen
irgendeine Verstärkung nachweisen können, mochten dieselben sich
im l. r 2. oder 3. Stadium der Hepatisation befinden. Dabei habe ich
natürlich sorgfältig darauf geachtet, daß die Bronchien durch
Schleim oder Gerinnsel nicht verstopft waren. Aus diesen Ver¬
suchen geht hervor, daß jedenfalls eine Infiltration an der Leichen¬
lunge den Fremitus nie verstärkt, ihn höchstens etwas abschwächt
das würde übereinstimmen mit den Versuchen, die Arneth ge¬
macht hat, der sich allerdings nur auf zwei Experimente mit Lungen
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Über den Pektoralfremitus.
585
im Stadium der festen Infiltration stützen kann; es stände aber im
Gegensatz zu den vielen Beobachtungen von Wintrich.
Meine klinischen Erfahrungen sprechen weder für die Meinung
von Wintrich noch von Arneth. Nach des ersteren Theorie
sollen die Stimmschwingungen durch die gleichmäßige Infiltration
der Bronchialwandungen und der Lungen besser fortgeleitet und
verstärkt werden, nach des zweiten Meinung böte die infiltrierte
Lunge im 2. Stadium der Hepatisation, in dem die kleinen
Bronchien nach seiner Ansicht meist durch Gerinnsel ausgefüllt
sind, ein ähnliches Hindernis wie eine entsprechend dicke Flüssig*
keitsschicht und daher müßten alsdann die Stimmschwingungen ab¬
geschwächt oder gar nicht gefühlt werden; fast durchweg hat er
beobachtet, daß beim Übergang aus dem 1. in das 2. Stadium der
Pektoralfremitus ziemlich plötzlich an Intensität abnahm und daß
er umgekehrt, wenn die Lösung eintrat, wieder eine Verstärkung
des Fremitus sich zeigte. Der Übergang der Lunge aus einem
weicheren in den festen Zustand und aus dem festen wieder in
einen weicheren Zustand soll also die Ursache der Fremitusver-
änderung sein und zwar deshalb, weil die mehr weiche Beschaffen¬
heit der Lunge für die Fortpflanzung der Stimmschwingungen ganz
besonders geeignet sei.
Das, was ich gesehen habe, stimmt mit keiner der eben der eben
erörterten Ansichten überein; es zeigt meines Erachtens mit Sicher¬
heit, daß beim Lebenden die Bedingung für eine gute Fortleitang
durch das Lungenparenchym in allen Stadien der Pneumonie ge¬
geben sind, ganz unabhängig natürlich von Verstopfung der Bron¬
chien; welches dieselben nun sein müssen, ist mit aller Sicherheit
schwer zu sagen. Daß nicht die Stärke der Infiltration eine not¬
wendige Vorbedingung bildet, geht hervor aus den klinischen Be¬
obachtungen, die zeigen, daß der Pektoralfremitus auch noch
verstärkt ist, in der Rekonvalescenz von Pneumonien, zu einer
Zeit, wo anzunehmen ist, daß höchstens noch ganz geringe Reste
des Infiltrats vorhanden sind. Dieses beweist, daß nicht das Infil¬
trat an und für sich das bestimmende ist, sondern meines Erachtens
die durch die Hyperämie und die Exsudatsabsetzung bewirkte
Durchtränkung und Spannungsveränderung des eigentlichen Lungen¬
parenchyms. Ist diese Veränderung zufällig eine solche, daß
dadurch die Schwingung und Resonanzfähigkeit vermehrt wird, so
ist der Pektoralfremitus verstärkt und im umgekehrten Falle ver¬
mindert. Ich glaube, durch diese Annahme lassen sich alle Er¬
scheinungen am besten erklären. Es wird so begreiflich, daß in
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allen Stadien der Pneumonie eine Verstärkung oder Verminderung
beobachtet werden kann; meistens scheint er ja verstärkt zu sein.
Auch der Wechsel in der Stärke wird so erklärlich, denn die
in Betracht kommenden Faktoren, die Blutfüllung, die Durch¬
feuchtung des Parenchyms werden ja zweifelsohne auch je nach
dem Zustande des Herzens oder auch unter Bedingungen, die wir
nicht feststellen können, erheblich wechseln. Sicher ist, daß bei
den sehr ausgedehnten Infiltrationen mit Vergrößerung der Lunge
der Pektoralfremitus stets abnimmt. Offenbar wird durch die
starke Ausfüllung der Alveolen, die Schwingungsfahigkeit der
Lungen in ungünstigstem Sinne beeinflußt und daher stets eine
Abschwächung beobachtet. Daß dabei mechanisch auch noch die
Brustschwingungen gehindert werden, davon soll später die Rede
sein. Was Arneth erwähnt über das gleichzeitige Verhalten des
Atemgeräusches, nämlich, daß es häufig, trotz Abschwächung des
Pektoralfremitus, laut gehört wird, habe ich in der Regel nicht
immer bestätigen können; offenbar ist das Durchdringen des Bronchial-
atmens nicht an dieselben Bedingungen geknüpft.
Neben der Beschaffenheit des Lungenparenchyms spielen natür¬
lich noch andere Faktoren eine Rolle; in erster Linie die Brust¬
wandung. Wintrich macht darauf schon mit Recht aufmerksam
und andere Autoren schließen sich ihm an; und nach dem, was
Wintrich dafür anführt und was ich selber erfahren habe, über
die Fortleitung der Stimmschwingungen durch die Wandungen des
Larynx und der Bronchien, kann es wohl keinem Zweifel unter¬
liegen, daß diese ihre Vibriationen auch abgeben auf die ihr be¬
nachbarten festen Bestandteile des Mediastinums, auf die Wirbel¬
säule und von da aus auf die Rippen. Daß mithin alle Momente,
welche die Schwingungsfahigkeit der Rippen beeinträchtigen, wie
pleuritische Auflagerungen auf den Thoraxwandungen, Entzün¬
dungen derselben, besondere Stärke der den Thorax bedeckenden
Weichteile, auch eine Rolle spielen, erscheint von vornherein klar.
Demnach ist die Stärke des Pektoralfremitus abhängig in
erster Linie von dem Zustand der Lunge, in zweiter Linie von
der Beschaffenheit der Pleuren und der Brustwand, wenn ich davon
absehe, daß Ausfüllung der Bronchien durch Schleim oder Gerinnsel
nicht in Frage kommen. Welcher Faktor die Hauptrolle spielt,
das ist im Einzelfalle schwer zu sagen, da man nicht immer Auf¬
lagerungen der Pleuren, Entzündungen der Brustwand mit Sicher¬
heit diagnostizieren kann. Jedenfalls geht aber aus unseren Aus¬
führungen hervor, daß man den Pektoralfremitus nur mit einer
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Über den Pektoralfremitus.
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gewissen Vorsicht zur Diagnose benutzen kann. Ist derselbe
verstärkt, so kann man mit Sicherheit annehmen, daß die vor¬
liegende Affektion wohl eine Infiltration der Lunge ist und daß
eine exsudative Pleuritis auszuschließen ist. Liegt eine Abschwä-
chung des Pektoralfremitus vor, so kann die Ursache ein pleuritisches
Exsudat sein, braucht es aber durchaus nicht, und es kann auch
recht gut eine Lungeninfiltration vorliegen, die Differentialdiagnose
ist dann ohne Punktion manchmal nicht leicht.
Folgendes kann die Entscheidung erleichtern: Findet sich die
Abschwächung bei einer Pneumonie, so hört man häufig ein lautes
Bronchialatmen, deutliche Bronchophonie und Knisterrasseln, aber
nicht immer, zuweilen ist, wie ich das auch angeführt habe, beson¬
ders bei sehr massigen Infiltraten auch das Atemgeräusch und die
Bronchophonie abgeschwächt; dann kann häufig ein anderes Merk¬
mal die Aufklärung geben. Ist eine Abschwächung über einer
pleuritischen Dämpfung vorhanden, so pflegt meist oberhalb der
Dämpfung der Pektoralfremitus verstärkt zu sein, ein Merkmal,
das mich bei sehr vielen Untersuchungen nie getäuscht hat und
das ich deshalb als recht zuverlässig empfehlen kann. Die Ur¬
sache dieser Verstärkung anzugeben ist nicht leicht; nach meinen
Erfahrungen an der Leiche, scheint mir folgende Erklärung die
plausibelste: Die Lunge über dem pleuritischen Exsudat befindet
sich im Stadium der Retraktion, ist also wenig lufthaltig, an der
Atmung nimmt sie nur geringen Anteil, ist indes nach neueren
Erfahrungen nicht ganz davon ausgeschlossen, sondern es kommt
bei jeder Inspiration immerhin eine, wenn auch geringere Menge
Luft in die Alveolen hinein, besonders wohl in diejenigen, welche
noch wandständig und nicht von der Flüssigkeit komprimiert sind.
Da die Fähigkeit zur Exspiration aber eine sehr geringe ist, so
wird sich hier ein gewisser Grad von Emphysem in denselben ent¬
wickeln, und dieses ist, wie ich ja früher gefunden, ganz besonders
geeignet, die Stimmschwingungen fortzuleiten und zu verstärken.
Dagegen ist die Feststellung eines Grocco’schen Dreiecke auf der
anderen Seite, wie aus meinen Erfahrungen hervorgeht, differential¬
diagnostisch nicht so sicher.
Ich habe bei zwei Pneumonien sehr deutlich auf der gesunden
Seite ein Grocco’sches Dreieck nachweisen können, eine Erfahrung,
die auch von anderer Seite gemacht worden ist.*)
1) Siehe bei F. Hamburger, Wiener klin. Wochenschr. 1906 Xr. 14 u. 27
und Matthes, Med. Klinik 1908 Xr. 38.
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Hochhaus, Über den Pektoralfremitns.
Bei einer Abschwächung des Fremitus über einer Pneumonie
findet man oberhalb derselben jedenfalls nie eine Verstärkung.
Wenn ich meine Ansicht über den diagnostischen Wert des
Pektoralfremitus also znsammenfasse, so würde sie dahin gehen,
daß bei Verstärkung desselben sich wohl stets eine Infiltration der
Longe findet; bei einer Abschwächung desselben mnß die Frage,
ob Infiltration oder pleuritischer Erguß vorhanden, durch andere
Hilfsmittel sichergestellt werden.
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Aus der medizinischen Klinik der Universität Bonn
(Prof. Dr. F. Schultze).
Nene Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen
Probefrühstücks.
Von
Privatdozent Dr. 0. Prym,
Assistenten der Klinik.
Die butyrometrische Methode nach Sahli und Seiler zur
Untersuchung der Magenfunktionen, hat in der neuen Auflage von
S a h 1 i ’s Lehrbuch der klinischen Untersuchungsmethoden x ) gegen¬
über der Darstellung in der früheren Auflage des Lehrbuches und
in der Münchener medizinischen Wochenschrift 1 2 ) einige wesent¬
liche Änderungen erfahren.
1. Der Mageninhalt wird nach dem Probefrühstück nicht in
der gewöhnlichen Weise ausgehebert oder exprimiert und unter
Benutzung der Matthieu’schen Bestbestimmung der Gesamtmagen¬
inhalt — To — berechnet, sondern der Magen wird durch eine
neue Art der Ausheberung mit einer besonderen Magensonde voll¬
ständig entleert. Eine nachfolgende Spülung mit Wasser gibt im
Einzelfalle darüber Aufschluß, ob die vollständige Entleerung
gelungen ist oder nicht. Die Matthieu’sche Restbestimmung
fallt fort.
2. Zur butyrometrischen Bestimmung wird der Gesamtmagen¬
inhalt unmittelbar vor der Abmessung der hierzu nötigen Menge
erwärmt und gut durcbgeschüttelt.
3. Zur butyrometrischen Bestimmung werden Butyrometer ver¬
wendet, die nur die halbe Größe der früheren haben und die durch
1) V. nmgearbeitete und ergänzte Auflage, Leipzig n. Wien, Franz Deu-
ticke 1909.
2) Sabli, Über eine Vereinfachung der butyrometrischen Untersnchungs-
methode des Magens und die Verwendbarkeit desselben für den praktischen Arzt.
Münch, med. Wochenschr. 1905 p. 1273 u. 1338.
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Pbym
Aluminiumeinsätze auf jeder der gebräuchlichen Zentrifugen zentri¬
fugiert werden können.
4. Bei der Beurteilung der Resultate des Probefrühstücks wird
der verschluckte Speichel nicht mehr vollständig vernachlässigt
Punkt 3 ist eine rein technische Änderung. Sie soll die butvro-
metrische Bestimmung erleichtern. Ich konnte nicht mit dem
neuen Butyrometer arbeiten. Zur Zeit meiner Untersuchungen wir
es noch nicht hergestellt, ein eigentliches Modell desselben existierte
noch nicht (Mai 1910).
Punkt 4 trifft eine prinzipielle Frage der Methode. In seinen
früheren Mitteilungen glaubte Sahli den verschlackten Speichel
vernachlässigen zu dürfen und aus der Gesamtheit des Ausgeheberten
(To) abzüglich der durch die butyrometrische Methode berechneten
Suppenmenge (— Su) die Menge des „reinen Magensaftes, wie er
aus der Schleimhaut quillt“ *) (Ma) zu erhalten und die Acidität
dieses reinen Saftes berechnen zu können. Nach ihm bestand
also das Ausgeheberte nur aus Suppe und reinem Magensaft
(Su -f Ma = To). In der neuen Auflage seines Lehrbuches scheint
Sahli an dieser Ansicht für die meisten Fälle festzuhalten. Ich
sage absichtlich „scheint“, denn die sich auf diesen Punkt be¬
ziehenden Ausführungen sind nicht eindeutig. Jedenfalls aber gibt
Sahli die Möglichkeit zu, daß der verschluckte Speichel in
gewissen Fällen das Gesamtresultat beeinflussen kann und rät
„wo die sezernierte Menge abnorm hohe Magensaftmenge oder
abnorm niedrige Acidität des Sekretes ergibt, an die Möglichkeit
einer ungewöhnlichen Verdünnung des Magensaftes mit Speichel
zu denken. Eventuell kann in einem solchen Falle der Versuch
auch in der Weise wiederholt werden daß die Suppe getrunken
wird, wobei weniger Speichel sezerniert und verschluckt wird*. 1 2 3 * * '
So sehr ich mich freue, daß Sahli meinen diesbezüglichen Aus¬
führungen im Deutsch. Archiv 8 ) teilweise beistimmt, so bedauert
ich doch, daß er auf halbem Wege stehen bleibt, und daß nach
meinen ausführlichen Erörterungen an der angeführten Stelle die
im Grunde so einfach liegende Frage, nicht die klipp und klare Ent¬
scheidung dahin erhalten hat, daß Sahli zugibt, daß in allen
Fällen bei der Beurteilung des Ausgeheberten der verschluckte
1) Sahli, Lehrbuch IV. Aufl. p. 429.
2) Sahli, 1. c., V. Aufl. p. 546 Anm. 2.
3) 0. Prym, Die Bedeutung der schichtweisen Auffüllung des Magens für
die klinische Diagnostik, speziell für die Beurteilung des Sahli-Seilerschen Probe-
frühstiicks. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 90 p. 327.
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Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen Probefrühstücks. 591
Speichel mit berücksichtigt werden muß. Unexakt ist es, daß es
jetzt dem einzelnen Untersucher überlassen bleibt, ob er in einem
bestimmten Falle den mitverschluckten Speichel mit in Betracht
ziehen will, oder glaubt ihn vernachlässigen zu dürfen.*) Die Er¬
kenntnis, daß bei jedem Probefrühstück der mitverschluckte Speichel
einen Einfluß auf das Gesamtresultat ausüben kann und in der
allergrößten Mehrzahl der Fälle ausüben wird, führt uns mit
zwingender Notwendigkeit vor Augen, daß wir, um in der Er¬
kenntnis der Motilitäts- und Sekretionsanomalien des Magens weiter
Vordringen zu können, eine klinische Methode haben müssen, die
erlaubt, in jedem Einzelfall die auf die Probekost ergossene Speichel¬
menge zu bestimmen. Diese Forderung wird um so dringender,
je mehr die übrigen Voraussetzungen, welche einer verfeinerten
Diagnostik der Magenfunktion zugrunde liegen, erfüllt werden.
Es ist durch die neue Mitteilung von Sahli eine Voraus¬
setzung, welche ich a. a. 0. noch als unhaltbar bezeichnen mußte,
erfüllt worden. Es ist dies die II. Voraussetzung „Möglichkeit
der Bestimmung des Gesamtmageninhalts zur Zeit der Aus¬
heberung“. 1 2 3 ) Läßt sich durch die neue Sahli’sche Methode der
Magen in der Tat vollständig entleeren, so ist die II. Voraussetzung
erfüllt. To ist exakt bestimmbar. Ja noch mehr, es ist denkbar,
daß durch diese neue Methode, auch mein Ein wand gegen die
L Voraussetzung 8 ) hinfällig wird. Aus der Tatsache, daß im
Magen das Butterfett in der Suppe nicht in gleichmäßiger feiner
Verteilung bleibt, hatte ich geschlossen, daß es unmöglich ist, aus
der Menge des Fettes auf die Menge der im Magen noch vorhandenen
ursprünglichen Suppe zu schließen. Daß in der Tat eine ungleich¬
mäßige Verteilung des Fettes im Mageninhalt zustande kommt,
scheint Sahli jetzt auch selbst zuzugeben; die unter 2. ange¬
führte Vorschrift scheint zu bezwecken, nachträglich wieder im
Ausgeheberten eine feine gleichmäßige Verteilung des Butterfettes
herbeizuführen. Es ist nun denkbar, daß bei Benutzung des ge¬
samten Mageninhalts und nachträglicher gleichmäßiger Durch¬
mischung desselben zwar theoretisch der Einwand bestehen
bleibt, die Menge des wiedergewonnenen Fettes brauche nicht der
Menge der übrigen noch im Mageninhalt vorhandenen Bestand¬
teilen der ursprünglichen Suppe zu entsprechen, daß aber prak-
1) Sahli, 1. c., V. Anfl. p. 544 Anm. 1.
2 ) 0. Prym, 1. c. p. 326.
3) 0. Prym, 1. c. p. 324.
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592
Pbym
tisch die Differenz eine nur geringe ist, daß man also mit ge¬
nügender Genauigkeit ans dem Fettgehalt des Ausgeheberten aaf
seinen Gehalt an ursprünglicher Suppe schließen darf — oder mit
anderen Worten — daß trotz theoretischer Einwände Sn in To
sieh mit genügender Genauigkeit bestimmen läßt Damit wäre viel
gewonnen.
Ich habe deshalb versucht, die Grüße dieses Fehlers zu be¬
stimmen und bin auf Grund folgender Überlegung zum Ziel«
gekommen.
Man mußte der Probesuppe noch Substanzen von anderer
physikalischer Beschaffenheit als das Fett beimischen. Diese Sub¬
stanzen müssen sich in der Suppe gleichmäßig verteilen, ihre Meng«
muß sich relativ leicht bestimmen lassen. Von ihnen muß man
annehmen dürfen, daß sie während der Magenverdauung nicht
verändert werden, und daß sie den Magen nur durch den Pylorns
gemeinsam mit den übrigen Bestandteilen der Suppe verlassen.
Wenn man dann vom Ausgeheberten gleichzeitig Fett und diese
Substanzen quantitativ bestimmt, und die im Gesamtmageninhalt
noch vorhandene Suppenmenge aus der Menge dieser verschiedenen
Substanzen berechnet, so mußte es sich zeigen, ob die für dm*
selben Mageninhalt gefundenen Zahlen für die Suppern»enge eine
befriedigende Übereinstimmung zeigten oder nicht Stimmten die
Zahlen in einer größeren Untersuchungsreihe überein, so war jede
der Methoden in bezug anf die Genauigkeit ihrer Resultate braach-
bar und man würde dann der butyrometrischen Methode wegea
der relativen Einfachheit ihrer Ausführung und weil die Mehlfett*
suppe keinerlei unphysiologische Ingredienzien enthält, den Vorzug
geben. Stimmten die Zahlen aber nicht überein, so mußte eine
oder auch mehrere der angewandten Methoden falsch sein, und es
war dann zn untersuchen, welche Methode die richtigere and
welche die falschen Resultate liefert Ließ sich dies nicht ent¬
scheiden, so war die ganze Untersuchung unbrauchbar.
Als solche Substanz wählte ich erstens Bolus alba.
Etwa 8—10 g Bolus alba werden durch ein gans fernes Haarsieb
in dem zum Kochen der Snppe bestimmten Wasser anfs feinste anf-
geschwemmt und die Sappe unter stetem Rühren gekocht. Zuerst «uni«
versucht, Bolus alba, Mehl und Butter zusammen zu rösten und aus dem
erhaltenen Produkt die Suppe zu kochen. Eine so hergestellte Supp«
hat weniger guten Geschmack und erhält nicht die gleichmäßige sähmige
Beschaffenheit wie die ursprüngliche Sahli-Seiler’sche Probesuppe. Da¬
gegen erhielt die Suppe, wenn sie, wie vorher angegeben, statt mit klarem
Wasser mit der feinen Lehmaufschwemmung gekocht wurde, leidliches
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Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen Probefrühstücks. 593
Wohlgeschmack und gleichmäßig sähmige Beschaffenheit. Vollständig die
Eigenschaften der ursprünglichen 8alhi-8eiler’schen Probesuppe hatte sie
nicht: 1. Der Fettgehalt dieser Lehmmehlsuppe ließ sich nicht butyro-
metrisch bestimmen. Es kam anscheinend durch den Bolnsgehalt der
Sappe nicht znr Abscheidung der klaren Fettamylalkoholschicht.
2. Füllte man einen hohen Maßzylinder von 20 com Inhalt mit der
Mehlsuppe, einen anderen mit der Mehllehmsnppe, ließ beide 24 Stunden
stehen, so zeigte sich für den bloßen Anblick folgender Unterschied: Die
Mehlsuppe erschien nach 24 Stunden vollständig unverändert oder hatte
sich im ganzen etwas zusammengesetzt und hatte über sich eine nur
wenige Millimeter hohe Schicht klarer Flüssigkeit stehen; die Mehllehm*
suppe hatte sich regelmäßig im ganzen etwas zusammengesetzt und hatte
über sich eine bis zu 1 cm hohe Schicht klarer Flüssigkeit abgeBetzt.
Zu einer sichtbaren Absonderung von Fett war es nicht gekommen. Da¬
gegen befand sich zuweilen auf dem Boden des Maßzylinders eine ganz
schmale, nicht meßbar hohe 8chicht weißen Bolus. Wurde Meblsuppe
und Mehllehmsupe mit Pepsinsalzsäure verdaut, so zeigten beide Suppen
die bekannte Abscheidung von Fett an die Oberfläche, nnd die Mehl¬
lehmsuppe zeigt an den untersten Teilen des Zylinders einen deutlichen
vermehrten Bolnsgehalt. Diese Abscheidung des Lehmes in der ange-
dauten Snppe und seine Tendenz, der Schwere folgend nach unten zn
sinken, war für die Versuchsanordnung günstig. Ich hatte so in der
Suppe zwei Körper mit entgegengesetztem physikalischen Verhalten. Das
spezifisch leichte Fett mit seiner Neigung an die Oberfläche zu gelangen,
den spezifisch schweren Lehm mit seiner Neigung zu Boden zu sinken.
Um nun in dem Mageninhalt den Gehalt an ursprünglicher Mehl¬
lehmsuppe berechnen zu können, bestimmte ich die Asohe in 10 ccm des
Ausgeheberten und in 10 ccm der mit der gleichen Menge destillierten
Wassers verdünnten Suppe. Der Aschegehalt der Suppe ist durch den
Su
zugemischten Lehm sehr hoch, er beträgt für 10 com ca. 0,12 g.
Daraus ergab sich erstens, daß die Asche von 10 ccm bis auf Milligramm
gewogen mit genügender Genauigkeit die Suppenmenge berechnen ließ,
wie ich mich durch den direkten Versuch überzeugte.
I. 50 Mehllehmsuppe -J- 50 Normalsalzsäure
II. 65 Mebllehmsuppe -j- 35 Normalsalzsäure
Asche von 10 ccm von I 0,146 g, 0,148 g, Mittel 0,147 g
Asohe von 10 ccm von II 0,189 g, 0,189 g, Mittel 0,189 g
0,147 : 0,189 = 50: x. x = 64,3.
Also gefunden wurden 64,3 ccm Suppe in 100 To, statt 65 ccm Suppe
in 100 To. Das ist genügend genau.
Zweitens ergab sich aus dieser künstlichen Erhöhung des Asche¬
gehaltes der Suppe, daß der Aschegehalt der sich der Suppe zumischenden
Körpersäfte keinen allzugroßen Fehler bedingt. Speichel enthält ca. 0,5 °/ #
Asche; Magensaft 0,09 bis 0,16 °/ 0 Asche. Pankreassaft und Galle mit
ca. 0,9 °/ 0 Asche kamen bei den zur vergleichenden Untersuchung heran¬
gezogenen Fällen nicht in Betracht.
Unter der Annahme, daß die Hälfte des Ausgeheberten aus zu der
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Suppe hinzugekommenen Körpersäften besteht, und daß diese Körper¬
säfte höchstens einen Aschegehalt von 0,5 °/ 0 haben können, ergibt sich,
daß bei dem hohen Aschegehalt der Suppe von 2,4 °/ 0 im extremsten
Falle in 100 ccm Ausgeheberten 10 ccm Suppe bei der Berechnung durch
den Aschegehalt der hinzugekommenen Körpersäfte mehr vorgetäuscht
werden können, als in der Tat vorhanden sind. In den meisten Fallen
— in denen die hinzugekommenen Körpersäfte nicht nur Speichel sind —
ist der Fehler geringer. Jedenfalls gibt der Aschegehalt nach dieser
Überlegung maximale Werte für die ursprüngliche Suppe.
Als zweite Substanz wählte ich einen wasserlöslichen, fett-
unlöslichen Farbstoff und fand in dem Farbstoff der getrockneten
Heidelbeeren einen für meine Zwecke brauchbaren Körper.
Es hat außerordentliche Schwierigkeiten gemacht, aus der Suppe und
aus dem Ausgeheberten der Farbstoff wieder in absolut klarer Lösung so m
erhalten, daß er zu exakten vergleichenden Bestimmungen benutzt werden
konnte.
Die Schwierigkeiten bestanden darin, 1. daß die festen Substanzen
der Suppe den Farbstoff an sich rissen, 2. daß der Farbstoff je nach
der Acidität und sonstigen beigemengten — farblosen — Substanzen —
etwa Alkohol — einen anderen Ton annahm, 3. daß die Suppe und das
Ausgeheberte, um eine klare Flüssigkeit zu erhalten, nicht filtriert werden
durften — das Filter riß Farbstoff an sich — und 4. daß es unmöglich
war, durch einfaches Zentrifugieren eine vollständig klare Flüssigkeit aus
der Suppe und aus dem Ausgeheberten zu erhalten.
Schließlich führte folgendes Verfahren zum Ziele: die Gesamtacidität
des Ausgeheberten wurde bestimmt. Genau 30 ccm des Ausgeheberten
und der mit Wasser zu gleichen Teilen verdünnten Suppe wurden mit
Normal Salzsäure auf die gleiche Gesamtacidität von 100 gebracht; Pepsin-
Grübler wurde hinzugesetzt und die Proben 24 Stunden im dunklen
Brutschrank belassen. Dann wurde jede Probe auf genau 50 ccm ge¬
bracht, gut durchgeschüttelt und stark zentrifugiert. Es resultierte unten
Schicht fester Substanz. Darüber leicht getrübte Flüssigkeit, oben Schicht
fast reinen Fettes. Aus der leicht getrübten Schicht werden genau
10 ccm entnommen und in genau 10 ccm 1 °/ 0 Salzsäure-Alkohol ein-
fließen lassen, die sich in Zentrifugengläsern befinden. Dabei entsteht
eine intensive Trübung. Die Gläser werden im dunklen Eisschrank
mehrere Stunden sich selbst überlassen, dabei wird die Trübung flockig.
Dann wird zentrifugiert, und man erhält nun absolut klare Lösung,
deren Farbkonzentration sich mit dem Plesch’schen Kolorimeter 1 ) exakt
vergleichen ließ und der Menge der ursprünglichen Suppe im Auage-
heberten proportional war.
Die Grundlage für die vorige Betrachtung bilden die im folgendes
auszugsweise mitgeteilten Vorversuche.
1) J. Plesch, Hümodynamische Studien. Zeitschr. f. exp. Path. u. Therap.
Bd. VI p. 380.
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Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen Probefrühstücks. 595
1. Voryersuch.
I. 10 ccm salzsaures Heidelbeerinfus
II. 10 ccm salzsaures Heidelbeerinfus10 ccm Wasser
10 ccm I -}- 10 ccm 1 °/ 0 Salzsäure-Alkohol = A
10 ccm II 10 ccm 1 °j Q Salzsäure-Alkohol = B.
Kolorimetrie:
Eine 20 mm dicke Schicht von B hat die gleiche Farbenintensität
wie eine 10,3 mm dicke Schicht von A.
Also gefunden 10,3 mm, berechnet 10,0 mm.
Derselbe Versuch mit anderen Verdünnungsverhältnissen ergab gleich
gutes Resultat.
2. Vor versuch.
III. 50 ccm Heidelbeerinfussuppe -|~ 50 ccm 2 / 10 n Salzsäure
IV. 65 ccm Heidelbeerinfussuppe -j- 35 ccm 3 / 10 n Salzsäure
zentrifugiert mit Salzsäure-Alkohol zu gleichen Teilen verdünnt und noch¬
mal zentrifugiert wie oben beschrieben, ergibt die klaren Lösungen III a
und IV a.
Kol orimetrie :
Eine 20 mm dicke Schicht von III a hat die gleiche Farbeninten¬
sität wie eine 15,3 mm dicke Schicht von IV a. Das umgerechnet auf
die in IV a vorhandene Menge Ursprünglicher Suppe ergibt 65,3 ccm.
Also gefunden in 100 To 65,3 ccm, berechnet 65 ccm Su, Formel:
100 ov
TO
x = die gesuchte Zahl ccm Su, die in 100 ccm To enthalten sind.
ov = die Anzahl mm, welche die aus Su hergestellte klare Farbstoff-
lösung-Schichtdecke haben muß, um die gleiche Farbenintensität zu haben,
wie die durch to in mm bestimmte Schichtdicke der aus To hergestellten
klaren Farbstofflösung.
In dem angeführten Versuch:
Su
ov =10 mm (die aus hergestellte klare Lösung brauchte 20 mm
£
Schichtdicke; demnach die aus Su hergestellte 10 mm), to — 15,3 mm
100.10
15,3
= 65,3
3. Vorversuch.
Salzsäure - Heidelbeerinfus - Lehmmehlfettsuppe.
V. Im Eisschrank 72 Stunden,
VI. Aurch Zusatz von Pepsin im Brutschrank 72 Stunden.
Durch Zentrifugieren und Salzsäure-Alkoholzusatz hergestellt die klaren
Lösungen V a und VI a.
Kolorimetrie:
Eine 20 mm dicke Schicht von V a hat die gleiche Farbenintensität
wie eine 10 mm dicke Schicht von VI a.
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Also: Die ■ aus einer mit Pepsinsalzsäure verdauten Suppe her¬
gestellte klare Farblösung hat die doppelte Farbenintensität all eine so»
der gleichen aber unverdauten Suppe hergestellte klare Lösung.
4. Yorversucb.
I. 5 ccm Heidelbeersaft
II. 5 ccm „
DI. 5 ccm „
IV. 5 ccm „
50 ccm Suppe 45 ccm Salzsäurepepsin
30 ccm „ - - 65 ccm *
-|- ohne Suppe - - 95 ccm „
- - 95 ccm Salzsäurelösung.
von I—III 24 Stunden im Brutschrank und IV ohne Pepsin im Eisschrank.
Aus I, II, III, IV in der bekannten Weise die klaren Lösungen
I a, II a, III a, IV a hergestellt und kolorimetrisch verglichen: Eine 20 mm
dicke Schicht von IV a hat die gleiche Farbenintensität wie
eine 20,6 mm dicke Schicht von I a statt berechnet 20,0 mm
D 20,4 „ „ r n II a „ „ 20,0 „
* 20,2 „ Hla * „ 20,0 .
Weitere Versuche in der gleichen Art ergaben ähnliche gut über-
einstimmmende Werte, die stärkste Abweichung zeigte bald III a, bald
II a, bald wie oben I a.
Aus dem ersten angeführten Vorversuch ergibt sich, daß die Be¬
handlung des Heidelbeerinfuses mit Salzsäure und mit Alkohol unter
Berücksichtigung gleicher Konzentrationen dieser Zusätze vergleichbare
klare Farblösungen ergibt. Der zweite Vorversuch zeigt das gleiche für
die Suppe und zeigt, daß verschiedene Verdünnung der ursprünglich«!
Suppe Bich mit genügender Genauigkeit berechnen läßt, wenn die ver¬
schiedenen Proben unter ganz gleichen Bedingungen gehalten werden ii
dem Versuch, wenn keine derselben angedaut ist. Der dritte Vorvemci
zeigt die Unmöglichkeit, durch Vergleich unverdauter 8uppe und angf-
dauter Suppe verwertbare Resultate zu erhalten. Der vierte Vorvemci
zeigt, daß Pepsinsalzsäureverdauung aus verschiedener Suppenmenge den
Farbstoff so in Freiheit setzt, daß die absorbierende Eigenschaft der feste«
Bestandteile der Suppe für den Farbstoff hierdurch wieder vollständig
ausgeschaltet wird, und daß die Pepsinsalzsäureverdauung selbst den Farb¬
stoff nicht ändert. Gleichzeitig geht aus den Vorversuchen hervor, da£
die kolorimetrische Methode für unsere Zwecke genügend brauchbare
Resultate gibt.
Somit waren die Grnndlagen für eine vergleichende Bestimmung
des Gehaltes an ursprünglicher Suppe in dem Ausgeheberten ge¬
geben. Er wurde bestimmt
1. aus dem Fettgehalt |
2. aus dem Aschegehalt ; des Ausgeheberten verglichen mit
3. aus der Farbenintensität )
dem Fettgehalt, dem Aschegehalt und der Farbenintensität der
Suppe.
Jeder Versuch hatte folgende Anordnung: Mehl und Butter
waren auf Vorrat in dem von Sahli-Seiler angegebenen Mengen-
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Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen Probefriihstücks. 597
Verhältnisse geröstet und in Einzelportionen abgewogen. Die feine
Bolus-Aufschwemmung wurde wie angegeben hergestellt. Der Auf¬
schwemmung werden etwa 10 ccm eines klaren starken Heidel-
beerinfuses und etwa 2 g Kochsalz hinzugesetzt und die Suppe
mit diesem blaurötlichen trüben Wasser gekocht. Die so herge¬
stellte Suppe wurde als Suppe mit Heidelbeersaft den Patienten
übergeben. Sie ist nicht so wohlschmeckend wie die Sahli-
Seiler’sche Probesuppe, wurde aber von den Patienten ausnahms¬
los ohne Widerstreben genommen. Aus äußeren Gründen konnten
die Patienten die Suppe nicht zur Zeit ihres gewöhnlichen Früh¬
stücks bekommen, sondern erst 2 Stunden später. Ich fand nach
einer Stunde den Magen leer. Deshalb wurde der Magen bereits
nach Vs Stunde in der von Sahli angegebenen Weise entleert.
Bei der Entleerung wurde darauf geachtet, ob bei dem Umlegen
des Patienten — nachdem er vorher im Sitzen versucht hatte,
möglichst ohne jedes Würgen durch leichtes Pressen den Magen
zu entleeren — noch Mageninhalt aus der Sonde floß. Das trat
nun in der Tat in fast allen Fällen ein. Ein Beweis für die
Zweckmäßigkeit der neuen Sahli’schen Vorschrift. Eine Nach¬
spülung des Magens mit Wasser zeigte, daß in rund 80 % der
Fälle die nahezu vollständige Entleerung des Magens geglückt war.
Id einem Teil der Fälle zeigte sich sofort beim Aushebern, daß
sich der Farbenton — außer dem durch die Säure bedingten Umschlag
von dunkelblaurot in hellrot — geändert hatte, in anderen Fällen zeigte
sich eine Änderung des Farbentons erst in der klaren alkoholischen
Farblösung oder sogar erst heim Vergleich der Farblösung aus dem Aus¬
geheberten mit der Farblösung aus der ursprünglichen Suppe im Kolori¬
meter. Unzweifelhaft war in den Fällen starker Verfärbung diese durch
Gallenfarbstoff bedingt. ‘Wahrscheinlich war die gleiche Ursache —
Gallenbeimengung — auch für jene minimale erst im Kolorimeter deut¬
lich erkennbare Farbenänderung verantwortlich zu machen. Alle diese
Fälle mußten ansscheiden, da das Kolorimeter versagte, sobald die beiden
zu vergleichenden Lösungen nicht genau denselben Farbenton hatten.
Ich war erstaunt, wie außerordentlich häufig — in etwa der Hälfte der
Fälle — sich im Ausgeheberten Galle befand, viel häufiger als man
nach dem gewöhnlichen Teebrötchen-Probefrühstück vermutet.
Bei dem gewöhnlichen Teebrötchen - Probefrühstück können ge¬
ringe Gallenbeimengungen wegen der Eigenfarhe des Tees leicht der
Beobachtung entgehen. Die vollständige Entleerung des Magens dürfte
auch leichter geringe Gallenbeimengungen heraus befördern, die bei der
gewöhnlichen Art, den Magen zu entleeren, in demselben Zurückbleiben.
Schließlich mag auch der höhere Fettgehalt der Mehlsuppe mehr Galle
in den Magen gelangen lassen, als das beim Teebrötchen • Probefrüh¬
stück der Fall ist.
Deutsches Archiv f. klin. Medizin, toi. Bd. 39
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Für unsere Fälle konnten nur die Fälle herangezogen werden,
bei welchen die Entleerung des Magens vollständig gelang, nnd bei
welchen sich keine Spur Galle dem Mageninhalt beigemischt hatte
Das Ausgeheberte wurde gemessen, durch ein feines Drahtsieb
gegossen — um verschluckte Sputa und kompakten zähen Schleim
— von ihm zu trennen. Das durchgesiebte Ausgeheberte wurde
erwärmt und gut gemischt Unter dauerndem Rühren wurden mit
Pipette die erforderlichen Mengen zu den Bestimmungen entnommen.
Die zum Vergleich aufgehobene Suppenprobe wurde zu gleichen
Teilen mit Wasser verdünnt und genau so behandelt wie das Ans¬
geheberte.
Es wurde abgemessen 30 ccm zur Kolorimetrie wie vorher
angegeben. Diese Menge diente gleichzeitig zur Fettbestimmun?
Nach der Kolorimetrie wurde der Inhalt der einzelnen zusammen-
gehörenden Gläser quantiativ vereinigt. Es wurden essigsaom
Natron in geringem Überfluß zugesetzt und die ganze Menge mit
Kieselgur zur Trockne auf dem Wasserbad eingedampft, pnlveri-
siert und im Soxhlet-Apparat 2 X 12 Stunden mit Äther extrahiert
Der in der üblichen Weise gereinigte, vom Äther befreite und im
Trockenschrank bei 100° getrocknetem Extrakt gewogen.
10 ccm werden getrocknet verascht und gewogen.
Es ergab sich folgendes:
Versuch 1.
135 ccm To erhalten
Sa
2
Su
Asche aus 10 ccm
Fett aus 30 ccm
= 0,081 g, Asche aus 10 ccm To = 0,042 g
= 0,340 g, Fett aus 30 ccm To = 0,133 g
Kolorimetrie av = 5,6 mm, ro = 20,0 mm.
Hieraus wurde berechnet, wieviel ccm ursprüngliche Suppe die
100 ccm des Ausgeheberten an der Hand der einzelnen Bestimmung*-
arten waren; für Asche und Fett nach der Formel
/, = T»
1 »xTb
wenn
x die gesuchte Anzahl ccm ursprünglicher Suppe im Ausgebebeitsa
bedeutet, To den Asche- resp. Fettgehalt einer bestimmten Anzahl ccm
Sa . . 4
des Ausgeheberten, - den Asche- resp. Fettgehalt einer gleichen An-
JO
zahl ccm der um die Hälfte mit destilliertem Wasser verdünnten ur¬
sprünglichen Suppe. Zur Berechnung mit Hilfe der ans dem kolori-
metrischen Verfahren erhaltenen Daten diente die bereits erklärte FonwJ
100-Ot’
x = — .
io
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Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seilerschen Probefrühstücks. 599
Demnach x aus Asche
x „ Fett
= 25,6 ccm
= 19,5 „
x ,, Kolorimetrie = 28,0 ,,
Versuch 2.
100 ccm To erhalten * HCl -f-j freie Säure 34, G.-A. o2.
Su
Asche aus 10 ccm — = 0,144 g, Asche aus 10 ccm To = 0,066 g
A
Su
Fett aus 30 ccm = 0,390 g, Fett aus 30 ccm To = 0,219 g
Kolorimetrie ov = 3,8 mm, io — 20,0 mm.
Demnach x aus Asche = 22,9 ccm
x „ Fett = 28,0 „
x „ Kolorimetrie = 19,0 „
Versuch 3.
145 ccm To erhalten, HCl -f-» freie Säure 38, G.-A. 60.
Su
Asche aus 10 ccm -- = 0,144 g, Asche aus 10 ccm To = 0,102 g
A
Sn
Fett aus 30 ccm = 0,390 g, Fett aus 30 ccm To — 0,470 g
M
Kolorimetrie ov = 3,8 mm, vo = 9,5 mm.
Demnach x aus Asche = 35,4 ccm
x „ Fett = 60,3 „
x „ Kolorimetrie = 40,0 „
Versuch 4.
150 ccm To erhalten, HCl —, G.-A. 38.
Su
Asche aus 10 ccm -- = 0,126 g, Asche aus 10 ccm To = 0,227 g
Su
Fett aus 30 ccm = 0,312 g, Fett aus 30 ccm To = 0,639 g
mL
Kolorimetrie ov =17,0 mm,
Demnach x aus Asche = 90,0 ccm
x „ Fett = 102,4 „
Kolorimetrie = 85,0 „
jo = 20,0 mm.
n
v n
Versuch 5.
185 ccm To erhalten, HCl -f-, freie Säure 26, G.-A. 57.
Su
Asche aus 10 ccm = 0,116o g, Asche aus 10 ccm To = 0,103 g
A
Sn
Fett aus 30 ccm = 0,439 g, Fett aus 30 ccm To = 0,504 g
dt
Kolorimetrie ov = 8,65 mm,
Demnach x aus Asche = 44,2 ccm
x r Fett — 57,4 „
x - Kolorimetrie = 43,2 „
xo = 20,0 mm.
39*
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Gck 'gle
Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
600
Prym
Digitized by
Versuch 6.
100 ccm To erhalten, HCl freie Säure 16, G.-A. 46.
Asche aus 10 ccm = 0,108 g, Asche aus 10 ccm To = Ü,09Ug
Fett aus 30 ccm = 0,401 g, Fett aus 30 ccm To = 0,485 g
Kolorimetrie av — 10 mm, io = 26,1 ram.
Demnach x aus Asche = 41,6 ccm
x „ Fett = 60,4 „
x „ Kolorimetrie = 38,3 „
Versuch 7.
125 ccm To erhalten, HCl -J-, freie Säure 30, G.-A. 50.
Asche aus 10 ccm — = 0,108 g, Asche aus 10 ccm To = 0,111 g
Fett aus 30 ccm — 0,401 g, Fett aus 30 ccm To = 0,850 g
Kolorimetrie <ji — 10 mm, ro = 18,9 ram.
Demnach x aus Asche = 51,5 ccm
x „ Fett = 105,9 r
x „ Kolorimetrie = 52,9 „
Versuch 8.
180 ccm erhalten, HCl —, Milchsäure —, G.-A. 30.
Asche aus 10 ccm = 0,1315 g, Asche aus 10 ccm To = 0,202g
Fett aus 30 ccm " - - 0,348 g, Fett aus 30 ccm To = 0,713g
Kolorimetrie av — 7,65 mra, ro — 10,2mm.
Demnach x aus Asche = 76,8 ccm
x „ Fett = 102,4 „
x „ Kolorimetrie — 75,0 „
Versuch 9.
110 ccm To erhalten, HCl -J-, freie Säure 45, G.-A. 72.
Su
Asche aus 10 ccm - = 0,1315 g, Asche aus 10ccm To = 0,1075g
Fett aus 30 ccm = 0,348 g, Fett aus 30 ccm To = 0,502g
Kolorimetrie ov = 7,65 mm, io = 20,0 mm.
Demnach x aus Asche = 40,9 ccm
x „ Fett = 72,1 „
x r Kolorimetrie ----- 38,2 „
Gck 'gle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Nene Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen Probefrühstücks. 601
Versuch 10.
350 ccm To erhalten, HCl freie Säure 46, G.-A. 73.
8u
Asche aus 10 ccm — = 0,1315 g, Asche 'aus 10 ccm To = 0,147 g
Su
Fett aus 30 ccm — = 0,348 g, Fett aus 30 ccm To = 0,324 g
ml
Kolorimetrie ov = 7,65 mm, ro = 16,9 mm.
Demnach z aus Asche = 55,9 ccm
x „ Fett = 46,5 „
x „ Kolorimetrie = 45,2 „
Das Resultat der Versuche ist:
In 100 ccm des Ausgeheberten (To) ist ursprüngliche Suppe (Su).
In Ver- \
such
Nach Asche- |
bestimm an g
ccm |
Nach Fett¬
bestimmung
ccm
Nach
Kolorimetrie
i ccm
!
Größte Differenz
ccm
i !
25,6
19,5
1
28,0
8,5'
2
22,9
28,0
19,0
9,0
3 ;
35,4
60,3
40,0
24,9
4
90,0
102,4
85,0
17,4
5
44,2 1
57,4
43,2
14,2
6
41,6 1
60,4
38,3
22,1
7
51,6
105,9
52,9
54,4
8
76,8
102,4
76,0
27,4
9
40,9
72,1
38,2
34,9
10
55,9
46,5
| 45,2
10,7
i
I. Differenz zwischen
„Asche“ und „Fett“
II. Differenz zwischen
„Fett“ und Kolorimetrie „
III. Differenz zwischen
Asche“ und Kolorimetrie
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
+ 6,1
— 5,1
— 24,9
— 12,4
— 13,2
— 18,8
— 54,4
— 25,6
— 31,3
+ 9,4
— 8,5
+ 9,0
+ 20,3
— 17,4
— 14,2
-- 22,1
— 53,0
— 27,4
+ 34,9
— 10,7
+
2,4
3,9
4.6
o,0
1,0
3.3
1.4
1,8
2.7
10.4
Aus der Zusammenstellung geht hervor, daß eine annähernde
Übereinstimmung der mit den drei Bestimmungsmethoden erhaltenen
Werte nur in drei Fällen (1, 2, 10) erreicht worden ist; in den
übrigen sieben Fällen beträgt die größte Differenz zwischen den
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Gck igle
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
602
Prym
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für einen Versuch bestimmten einzelnen Werten 14,2 bis 54.4 ccm.
Suppe in 100 ccm des Ausgeheberten, also vollständig unbrauchbar
große Differenzen. Die Ursache dieser großen Differenzen liegt
darin, daß die durch Fett bestimmten Werte wesentlich höher ah
die durch Asche und Kolorimetrie bestimmten Werte sind. Die
durch Asche und Kolorimetrie bestimmten Werte stimmen pt
miteinander überein. In einem Falle (10) beträgt die Differenz
-}- 10,4 ccm, in den neun übrigen ist sie wesentlich kleiner (1,0 bis
5,0 ccm). Es ist jetzt die Frage, sind die durch die Fettbestimmungen
gefundenen Werte die richtigen oder die durch die Aschebestimmw
und die Kolorimetrie gefundenen?
Trotz der geringen Zahl von Versuchen spricht die Überein¬
stimmung der aus Asche und Kolorimetrie gefundenen Werte für
ihre Richtigkeit. Ferner erweist sich ein Teil der von diesen überein¬
stimmenden Werten abweichenden, durch die Fettbestimmung ge¬
fundenen Werte schon durch die Betrachtung dieser Werte an und
für sich als falsch. In drei Fällen (4, 7, 8) ist die aus dem Fett¬
gehalt im Ausgeheberten bestimmte Suppenmenge größer als die
Menge des Ausgeheberten selbst. In 100 ccm To 102,4 resp.
105,9 ccm Su. Das muß falsch sein.
Nach dem, was wir über das Verhalten des Fettes im Magen wissen,
ist die einfachste Erklärung für diesen Befund, daß das Fett sich voc
den übrigen Bestandteilen der Suppe getrennt und in relativ größerer
Menge als die übrigen Bestandteile der Suppe zur Zeit der Ausheberung
zurückgeblieben war, daß also die gefundene Fettmenge nicht der zur
Zeit der Ausheberung noch im Magen vorhandenen Suppenmenge ent¬
spricht. Auch folgender Erklärungsversuch drängt sich auf: Die feetea
Bestandteile der Suppe sind im Magen zusammengedrängt worden. Die
flüssigen Bestandteile der Suppe haben den Magen in vermehrter Menge
verlassen (ähnlich wie ich es bei Fütterung von FleiBchstückchen uni
Suppe beobachtet habe). 1 ) Wäre der Erklärungsversuch richtig, dann
müßte der aus der Asche berechnete Wert auch hoch sein, während der
durch Kolorimetrie bestimmte Wert niedrig sein würde, ln der Tat
stimmen aber in den drei Fällen die aus Asche und durch Kolorimetrie
bestimmten Werte gut miteinander überein und sind niedriger — in dem
ersten Fall um ca. 50 °/ 0 — als die aus dem Fett bestimmten Werte.
Der Erklärungsversuch ist demnach abzulehnen.
Es bleibt die Tatsache, daß bei Verwendung der
gefärbten Lehm-Fett-Mehlsuppe sich im Ausgeheber¬
ten die Menge der ursprünglichen Suppe aus dem
1) 0. Prym, Pie Entleerung des Magens, die Trennung des Festen nn<i
Flüssigen, das Verhalten des Fettes. Münch, med. Wochenschr. 1908 p. 57.
Gck igle
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Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler scheu Probefrühst ileks. 603
Aschegehalt und durch Kolorimetrie annähernd be¬
stimmen läßt, daß sich dies aber aus dem Fettgehalt
nicht machen läßt.
Ein Einwand ist möglich. Wie wir gesehen haben, bedingt
der Zusatz von Bolus alba eine geringe Änderung der physika¬
lischen Eigenschaften der Fett-Mehlsuppe. Vielleicht ist es daher
nicht erlaubt, die an der Lehm-Fett-Mehlsuppe gefundenen Resul¬
tate auf die Fett-Mehlsuppe ohne weiteres zu übertragen. Dieser
Einwand war der experimentellen Prüfung jetzt leicht zugänglich,
nachdem die vorigen Versuche gezeigt haben, daß die Kolorimetrie
brauchbare Resultate gibt. Es war nur nötig, die genau nach der
Sahli’schen Vorschrift hergestellte Suppe durch Heidelbeerinfus
zu färben, und im Ausgeheberten die butyrometrische und die
kolorimetrische Bestimmung zu machen und die aus diesen Be¬
stimmungen berechneten Werte miteinander zu vergleichen.
Versuch 11.
Nach s / 4 Stunde 200 ccm To erhalten, HCl -J-. freie Säure 53, G.-A. 70.
Fett in To = 20 ° ,
Fett in S 2 U = 18 " 00 ,
00
Kolorimetrie au = 4,85 mm, ro=16,l mm.
Demnach x aus Fett = 55,5 ccm,
x „ Kolorimetrie = 30,1 „
Versuch 12.
Nach ,r 4 Stunde 180 ccm To erhalten, HCl —, G.-A. 30.
Fett in ^ = 18 °/ 00 , Fett in To = 26 0 00
mi
• Kolorimetrie au = 4,85 mm, ro — 8,4 mm.
Demnach x aus Fett —72,2 ccm,
x „ Kolorimetrie — 57,7 „
Versuch 13.
Nach 3 4 Stunde 285 ccm To erhalten, HCl -f-, freie Säure 66, G.-A. 89.
Fett in = 18 %„, Fett in To = 24 % 0
£
Kolorimetrie au — 1,85 mm, ro = 15,6 mm.
Demnach x aus Fett — 66,6 ccm,
x ,, Kolorimetrie = 3 UO „
Versuch 14.
Nach 3 4 Stunde 250 ccm To erhalten, HCl -f-, freie Säure 94, G.-A. 114.
Fett in To — 8
Fett in = 18
kolorimetrie ar = 4,85
mm.
ro — 20,0 mm.
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Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA 1
604
Prym
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Demnach x aus Fett = 22,2 ccm,
x „ Kolorimetrie = 24,2 „
Versuch 15.
Nach 1 Stunde 75 ccm To erhalten, HCl -{-» freie Säure 65, G.-A. 84.
Su
Fett in - = 18°/ 00 ,
Fett in To = 36 % 0
Kolorimetrie ov = 2,45 mm, to = 17,4 mm.
Demnach x aus Fett = 100,0 ccm,
x „ Kolorimetrie = 14,0 „
Versuch 16.
Nach 1 Stunde 190 ccm To erhalten, HCl freie 8äure 71, G.-A. 87.
Su
Fett in 2 = 18 <>/ 00 , Fet t in To = 9 %
Kolorimetrie ov — 2,45 mm, to = 20,0 mm.
Demnach x aus Fett = 25,0 ccm,
x „ Kolorimetrie = 12,2 „
Versuch 17.
Nach 1 Stunde 155 ccm To erhalten, HCl 4-» freie Säure 31, G.-A. 47.
Su
Fett in — = 18 °/ 00 , Fett in To = 27 °; 00
Kolorimetrie ov = 2,45 mm, xo — 7,3 mm
Demnach x aus Fett = 75,0 ccm,
x „ Kolorimetrie = 33,5 „
Versuch 18.
Nach 1 Stunde 146 ccm To erhalten, HCl. -f"> freie Säure 18, G.-A. 44.
Su
Fett in — = i8 °/ 00 , Fett in To = 33 # / 00
Kolorimetrie ov — 2,45 mm, to — 5,8 mm.
Demnach x aus Fett =91,6 ccm,
x „ Kolorimetrie = 42,2 „
In den folgenden V ersuchen wurde eine Suppe verwandt mit einem
geringeren Fettgehalt als Sahli vorschreibt:
Versuch 19.
Nach * Stunde 190 ccm To erhalten, HCl 4-, freie Säure 35, G.-A. 65.
Su
Fett in 2=8 °/ 0 „, Fett in To = 10 °/ 00
Kolorimetrie a«'=10 mm, to — 25,1 mm.
Demnacli x aus Fett = 62,2 ccm,
x „ Kolorimetrie = 39,8 „ *
Gck igle
Original frnm
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Nene Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen Probefrühstücks. 605
Versuch 20.
Nach */ 2 Stunde 170 ccm To erhalten, HCl -f-, freie Säure 3, G.*A. 34.
Su
Fett in — = 8 ®/ 0# , Fett in To = 17,5 <>/ 00
Kolorimetrie av = 10 mm, r o = 18,2 mm.
Demnach x aus Fett = 109,3 ccm,
x „ Kolorimetrie = 55,0 „
Versuch 21.
Nach */ 9 Stunde 145 ccm To erhalten, HCl -f-, freie Säure 20, G.-A. 51.
Su
Fett in -- = 9 ®/ 0# , Fett in To = 7 «/ #0
Kolorimetrie av — 8,5 mm, ro = 20,0 mm.
Demnach x aus Fett = 38,8 ccm,
x „ Kolorimetrie = 40,2 „
Versuch 22.
Nach s / 4 Stunde To erhalten, HCl -}-, freie Säure 25, G.-A. 50.
Su
Fett in =8 °/ 00 , Fett in To = 10 °/ 0 o
m
Kolorimetrie av = 6,4 mm, ro — 20,0 mm.
Demnach x aus Fett = 62,2 ccm,
x „ Kolorimetrie = 32,0 „
Versuch 23.
Nach */ 4 Stunde 220 ccm To erhalten, HCl -f-, freie Säure 19, G.-A. 54.
Fett in S 2 U = 8 % 0 , Fett in To = 9 °/ 00
Kolorimetrie av = 6,4 mm, ro = 21,0 mm.
Demnach x aus Fett = 56,2 ccm,
x „ Kolorimetrie = 30,5 „
Versuch 24.
Nach a / 4 Stunde 30 ccm To erhalten, HCl -j-, freie Säure 44, G.-A. 60.
Su
Fett in Ä = 8 °/ nnf Fett in To = 3 °/ 0
2- 00 ’
Kolorimetrie av = 6,4 mm,
Demnach x aus Fett = 18,7 ccm,
x Kolorimetrie = 21,3 „
/oo
to = 30,0 mm.
Versuch 25.
Nach 1 ; 2 Stunde erhalten 175 ccm To. HCl -f-, freie Säure 40, G.-A. 67.
Fett in ^ =6 °/ 00 , Fett in To = 4 °/ 00
Kolorimetrie av = 7,8 mm, ro = 20,0 mm.
Demnach x aus Fett = 33,3 ccm,
x „ Kolorimetrie = 39,0 „
Digitized by
Goi igle
i
UMIVERSITY OF CALIFORN
606
Prym
Digitized by
Das Resultat der Versuche ist:
In 100 ccm des Ausgeheberten (To) ist ursprüngliche Sappe St.
In Ver¬
such i
i
Nach Fett¬
bestimmung
ccm
Nach
Kolorimetrie
ccm
Differenz, auf die durch
Kolorimetrie gefundenen
Werte bezogen
ccm
11 !
55,5
30,1
+ 25,4
12 :
72,2
57,7
+ 14,5
13 1
66,6
31,0
+ 35,6
14 1
22,2 |
24,2
- 2,0
15
100.0
14,0 |
+ 86,0
16 1
25,0
12,2
+ 12,8
17 ,
75,0
33,5
+ 41.5
18
91,6
42,2 ;
+ 49,4
19 '
62,2
39,8 |
+ 22.4
20 1
109,3 ,
55,0
+ 54.3
21
38,8
40,2
— 1,4
22
62,2
32,0
+ 30,2
23
56,2
30,5
+ 25.7
24
18,7
21,3
— 26
25 !
33,3
39,0 ,
— 5.7
Man sieht: nur in 4 Versuchen (14, 21, 24, 25) eine gute
Übereinstimmung der auf die beiden verschiedenen Methoden ge¬
fundenen Werte für Su; in allen übrigen Versuchen weitgehend?
Differenzen (von 12,8 bis 86,0 ccm Su in 100 ccm). Daß die an>
der Fettbestimmung gefundenen Zahlen die falschen sein müsset
wird für die Versuche 15 und 20 schon allein durch die Betrach¬
tung dieser Zahlen an und für sich bewiesen (100,0 und lOltf.
d. h. im Ausgeheberten in dem einen Versuch (15) der gleich?
Fettgehalt, in dem anderen Versuch (20) ein höherer Fettgehalt
als in der ursprünglichen Suppe, und dies in einem Ausgeheberten,
das durch seine Gesamtacidität und durch das Vorhandensein von
freier Salzsäure beweist, daß zu der ursprünglichen Sappe im
Magen Magensaft hinzugekommen ist. Die Suppe ist also in der
Tat verdünnt worden, der Fettgehalt zeigt dies aber nicht at
Bei der durch die Kolorimetrie gefundenen Werte finden sich solche
Unstimmigkeiten nicht. In den meisten Fällen verläßt also bei
der Entleerung des Magens das Fett und die übrigen Bestandteile
der Suppe den Magen nicht gleichmäßig. Vielmehr findet eine
Entmischung des Fettes aus der Suppe während der Magenrer-
dauung statt. Das entmischte Fett bleibt im Magen verhältnis¬
mäßig länger zurück als die übrigen festen und flüssigen Bestand¬
teile der Suppe. In vielen — den meisten — Fällen findet das
quantitativ in so bedeutendem Maße statt, daß nicht nur theo-
retische Bedenken bestehen, sondern daß auch praktisch ans
Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen Probefrühstücks. 607
dem Fettgehalt des Ausgeheberten der Gehalt an ur¬
sprünglicher Suppe im Ausgeheberten quantitativ
nicht bestimmt, ja nicht einmal annähernd abge¬
schätzt werden kann.
Kurz gesagt: To in Su läßt sich butyrometrisch nicht
bestimmen. „Die butyrometrische Methode nach Sahli
und Seiler zur Untersuchung der Magenfunktion“ ist
daher auch in der neuesten Modifikation noch nicht
einwandfrei.
Da sich — wie ich bei dieser Nachprüfung bestätigen konnte —
mit Hilfe der neuen Sahli’schen Methode To in der größten Mehr¬
zahl der Fälle mit genügender Genauigkeit bestimmen läßt, wird
es jetzt das erste Ziel sein, eine leicht anwendbare Methode zu
finden, um Su in To zu finden.
Meine hierfür angewandten Methoden — Aschebestimmung
nach Zusatz von Bolus alba zur Suppe, Kolorimetrie nach Zusatz
von Heidelbeerinfus zur Suppe — sind für die allgemeine Anwendung
unbrauchbar, weil sie zu kompliziert und zeitraubend sind. Zu
Untersuchungen dort, wo Laboratorien zur Verfügung stehen, kann
ich beide Methoden empfehlen. Die Aschebestimmung hat den
Vorteil, daß Beimischung von Galle sie nicht stört, den Nachteil,
daß der Bolus eine unphysiologische Beimengung zur Suppe dar¬
stellt. Die kolorimetrische Bestimmung hat den Vorteil, daß
keinerlei unphysiologische Beimengung in der Probesuppe enthalten
ist, den Nachteil, daß die geringste Beimengung von Galle oder
sonstigen färbenden Stoffen (etwa Blut) sie unmöglich macht. Sie
läßt sich also nur in einem Bruchteil der Fälle verwenden.
Ist Su in To bestimmt, so wird die zweite Aufgabe sein, sich
darüber klar zu werden, was To — Su ist, nicht reiner Magensaft,
sondern mehrere Komponenten, die beachtet werden müssen. Es
wird der Versuch gemacht werden müssen, sie auch quantitativ zu
sondern. In Betracht kommt der Mundspeichel, die Sekretionen
und Transsudationen der Magenschleimhaut und in einer sehr
großen Zahl von Fällen rückläufig in den Magen eingetretener
Duodenalinhalt (Galle, Darmsaft, Pankreassaft).
Zum Schlüsse noch einige Worte zu den Bemerkungen S a h 1 i ’s
über meine frühere Arbeit. *) Zunächst die Anmerkung auf p. 544
der V. Aufl. des Lehrbuchs. Der Leser gewinnt an dieser Stelle
den Eindruck, es sei deshalb auf die stärkere Speichelbeimengung
1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 90 p. 310 ff.
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608 Prym, Neue Versuche zur Kritik des Sahli-Seiler’schen Probefrühstücks.
beim Essen der Suppe aufmerksam gemacht worden, weil der be¬
treffende Autor — ich bin es — auf dem Standpunkte stehe, .der
beim Essen mitverschluckte Speichel sei nicht als ein notwendige
physiologisches Ingrediens des Mageninhaltes zu betrachtend Fenier
sei dieser Autor der Ansicht, „es sei ein Fehler im Schöpfungs-
plan, daß man das Essen nicht trinken kann“. Nun, meine Ansicht
ist das gewiß nicht. Ich habe gerade die Wichtigkeit der Speichel¬
sekretion hervorgehoben und es für falsch erklärt, daß Sahli sic
einfach vernachlässigen zu können glaubte.
Zu dem mir direkt gewidmeten Abschnitt p. 551 der V. And
des Lehrbuchs, der beginnt: „Um zu zeigen, in welch sonderbares
Weise mit dem Schlagworte Schichtung in dem Kampf m die
Mehlsuppe manipuliert und gegen dieselbe Stimmung gemacht wird
will ich als Kuriosum anführen, daß z. B. Prym usw. . ist
folgendes zu sagen: Manipulationen mit dem Schlagworte Schich¬
tung, in dem Sinne, wie Sahli das Wort braucht — Trennung
verschiedener Schichten der Schwere nach — habe ich überhaupt
nicht gemacht. Ich habe dazu das Wort „Sedimentierung“ benutzt
und mit Schichtung den Zustand des Mageninhaltes bezeichnet
der dadurch bedingt ist, daß die hintereinander genossenen Snppeu-
teile im Magen keine innige Durchmischung erfahren. Zwischen
dieser „Schichtung“ und der „Sedimentierung“ habe ich streng
unterschieden. Sahli hat mich also — merkwürdigerweise — in
diesem Punkte mißverstanden. Ich hoffe, daß Herr Professor Sahli
mich nach dieser Aufklärung richtig verstehen und zugeben wird,
„daß ich mir den Vorgang richtig überlegt habe“ und „daß meine
Versuche mit Bestimmtheit nicht gerade das Gegenteil von dem
beweisen, was ich aus ihnen geschlossen habe“.
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Gck igle
Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Aus der raed. Universitätsklinik zu Bonn.
Direktor Prof. Schultze.
Untersuchungen über Art und Ursache yon Getäß-
reflexstörungen bei Syringomyelie.
Von
Privatdozent Dr. H. Stursberg,
Assistenzarzt an der Klinik.
Das Bestehen von Störungen im Gebiete der Gefäßnerven bei
Syringomyelie wird in allen zusammenfassenden Abhandlungen, die
sich mit dieser Erkrankung beschäftigen, anscheinend als erwiesen
anerkannt. Diese Einmütigkeit ist um so auffallender, als nähere
Angaben über die Art der Störungen, soweit ich die Literatur
übersehe, bisher nicht vorliegen und als die Grundlagen für ihre
Annahme verhältnismäßig dürftig und zum Teil anfechtbar sind.
Denn die Erscheinungen, welche als Stütze für sie angeführt zu
werden pflegen, die regelwidrige Blutverteilung, die Ernährungs¬
störungen der Haut usw., sind durchaus nicht derart, daß daraus
mit Sicherheit auf eine Beeinträchtigung gerade der Gefäßnerven
geschlossen werden müßte. Sie können vielmehr mindestens teil¬
weise auf andere Umstände zurückgeführt werden, z. B. auf den
Nichtgebrauch infolge der Muskellähmung, auf Verletzungen infolge
der Empfindungsstörung oder auf Erkrankungen trophischer Nerven,
falls man solche annehmen will.
Genauere Feststellungen über das Verhalten der eigentlichen
Gefäßnerven, der Gefäßverengerer und Erweiterer, liegen meines
Wissens bisher nicht vor, obwohl die in den letzten Jahren ge¬
wonnenen Kenntnisse über das Verhalten der Gefäßreflexe einen
gangbaren Weg zur Prüfung dieser Fragen eröffnet haben.
Ich möchte im folgenden über derartige Untersuchungen be¬
richten, aus denen sich einige Schlüsse über die Art der Gefä߬
nervenstörungen bei der Syringomyelie ziehen lassen.
Nachdem ich mich im Beginn der Versuche von dem Vor¬
handensein von Gefäßreflexen in den erkrankten Gliedmaßen über-
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Gck igle
Original frorri
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
610
Stursbbrg
zeugt hatte, mußte ich mir die Frage vorlegen, ob der Abki
dieser Reflexvorgänge regelrecht erfolge, oder ob sich irgendwelel-
Besonderheiten dabei uachweisen ließen.
Wir müssen annehmen, daß ein Gefäßreflex in der gleicht.
Weise wie jeder andere Reflexvorgang, etwa wie ein Sehnen- »dt:
Hautreflex, abläuft: die sensible Erregung steigt zum Röckenmaik
auf, der Reiz wird hier auf eine Zelle übertragen und von d»n
in motorische Bahnen fortgeleitet. Daraus ergibt sich die M»z-
lichkeit, auch Störungen der Gefäßreflexe je nach dem Sitz der
zugrunde liegenden Erkrankung einzuteilen, und zwar 1. in Störanzti
bei welchen der sensible, zum Rückenmark hinleitende Teil dt?
Reflexorgans betroffen ist, 2. solche, bei denen die Erkrankung iE
motorischen Teil angreift und 3. solche, bei welchen beide Teil-
des Reflexbogens erkrankt sind. Endlich kämen noch Verände¬
rungen in nicht zum Reflexbogen gehörigen, aber mit ihm in Ver¬
bindung tretenden zentralen Bahnen in Betracht. Eine Be hindern nr
an der Übergangsstelle vom sensiblen zum motorischen Teil wir«
sich praktisch nicht von einer Erkrankung des sensiblen Teile?
unterscheiden lassen.
Zur Feststellung, ob eine Störung der Gefäßreflexe besteht,
und besonders, welche der drei erstgenannten Möglichkeiten zntriffi
bietet die Syringomyelie besonders günstige Verhältnisse. Wem
wir mittels des Plethysmographen die Volumenkurve eines Vorder
armes aufzeichnen und nun einen Kältereiz einmal auf den anderen
Vorderarm, das andere Mal auf die Füße einwirken lassen, so wird
im letzteren Falle sicher die Erregung in regelrechter Weise ii>
Rückenmark und von hier aus weiter fortgeleitet werden, in
ersteren dagegen in erkrankte Teile des Markes gelangen und sid
nicht oder wenigstens nicht in normaler Weise fortpflanzen. Fehlt
demnach bei Reizung des einen Unterarmes durch Kälte die normaler¬
weise eintretende Zusammenziehung der Gefäße des anderen Inter-
armes oder ist sie regelwidrig gering, so würde dies nur auf eint
Störung im Bereich des Reflexbogens für die Armgefäße überhaupt
schließen lassen. Bliebe dann bei Ausübung eines Kältereizes ani
die Füße ebenfalls eine Zusammenziehung der Armgefäße ans. *
müßte daraus der Schluß* gezogen werden, daß der motorische Teil
des Reflexbogens nicht normal sei, weil ja, wie gesagt, die Erregon?
von den Füßen aus in normaler Weise ins Rückenmark fortgeleitet
wird. Tritt dagegen in diesem Falle eine gute ZusammenziebiHiz
der Armgefäße ein, so würde dies regelrechtes Verhalten des moto¬
rischen Teiles des Reflexbogens für die Arme beweisen, die vorher
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Art und Ursache von Gefäßreflexstörungen bei Syringomyelie. 611
festgestellte Störung also im zuleitenden („afferenten“) Teil des¬
selben zu suchen sein. Das Vorhandensein oder Fehlen der soge¬
nannten „psychischen Reaktionen“ würde ähnliche Folgerungen
gestatten.
Verwickelt wird die Frage dadurch, daß für die Gefä߬
verengerer andere Wege anzunehmen sind wie für die Gefä߬
erweiterer, worauf später noch einzugehen sein wird, und daß es
sich dnrch beim Menschen anwendbare Versuchsanordnungen kaum
entscheiden lassen wird, ob Erweiterung der Gefäße durch Nach¬
laß des Tonus der Gefäßverengerer oder durch Reizung gefä߬
erweiternder Fasern bedingt ist.
Von den soeben entwickelten Gesichtspunkten ausgehend, habe
ich bei 5 Kranken mit Syringomyelie Versuche angestellt. Ein
näheres Eingehen auf die Krankengeschichten ist nicht erforderlich,
ich beschränke mich vielmehr auf eine kurze Kennzeichnung der
Fälle unter Hervorhebung der für das Verständnis der folgenden
Darlegungen wichtigen Punkte.
Fall I. 18jähriger Schriftsetzer; aufgenommen 23. Februar 1910.
Beginnende Syringomyelie. In der rechten Hand zeitweise Ge¬
fühl von Schwäche, deutliche Abmagerung der kleinen Handmuskeln mit
EaR. im ersten Zwischenknochenmuskel, stärkerer Herabsetzung der
Empfindung für Schmerz, geringerer für Temperaturunterschiede bei
völlig erhaltener Berührnngsempfindung.
An der Kleinfingerseite der linken Hand angeblich zeitweise Taub-
heitsgefnhl, sonst links keine Störung.
Fall II. K., Tagelöhner, 47 Jahre alt; aufgenommen am 18. Februar
1910. Mäßig fortgeschrittene Syringomyelie. Hände kühl,
bläulich, ausgesprochene Krallenstellung, rechts stärker als links, mit Ver¬
steifung einer größeren Anzahl von Fingergelenken. Haut der Hände
verdickt, zeigt eine Reihe älterer und frischerer Narben. Nägel ebenfalls
verändert. Alle diese Störungen rechts ) links. Deutliche Abmagerung
der kleinen Haadmoakeln mit EaR. Berührungsempfindung ganz wenig
beeinträchtigt. An der rechten Hand deutliche Herabsetzung der Schmerz¬
empfindung; links wechselnde Angaben hierüber, anscheinend auch Herab¬
setzung, jedoch weniger ausgesprochen als rechts. Temperaturempfindung
beiderseits an den Händen stark beeinträchtigt, r. )1., fast erloschen.
Reflexe an den Beinen leicht gesteigert, r. /1. Rechts Babinski’sches
Zeichen deutlich.
Fall III. 8t., Hausierer, 29 Jahre alt; äufgenommen 20. Juli 1910.
Mäß ig fortgeschrittene Syringomyelie. Deutliche Abmage¬
rung des rechten Armes (Umfang rechts 1—2 cm geringer als links) ein¬
schließlich der Schultergürtelmuskulatur. Besonders stark sind die kleinen
Handmuskeln rechts betroffen, die auch links etwas abgemagert sind.
Starke bündelformige Zuckungen am rechten Arm, die links fehlen.
EaR, in den kleinen Handmuskeln rechterseits, Herabsetzung der Erreg-
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612
Stursbbhg
barkeit in den Armmuskeln für beide Stromesarten. Reflexe an den
Armen gesteigert, besonders rechts, an den Beinen lebhaft aber nicht
deutlich erhöht; kein Babinski’sches Zeichen. An der rechten Hand
und am rechten Arm angeblich starke Störungen der Schmerz- und
Temperaturempfindung. Keine deutlichen trophischen Störungen der
Haut. Intelligenz gering. Eine gewisse Neigung zu Übertreibung scheint
vorzuliegen, so daß die subjektiven Angaben des zur Unfallbegutachtung
überwiesenen Kranken mit Vorsicht zu verwerten sind.
Fall IV. Kl., Schiffer, 35 Jahre alt; aufgenommen 27. Juli 1910.
(Bereits in früheren Jahren mehrfach beobachtet.) Sehr weit vor¬
geschrittene Syringomyelie. Fast unbrauchbare Krallenhand
beiderseits mit schweren trophischen Störungen der Haut an beiden
Händen und Armen, sehr weit vorgeschrittene Abmagerung der Muskeln,
starke Herabsetzung der Schmerzempfindung und der Temperaturempfin¬
dung. Nur starke Hitze wird wahrgenommen.
Fall V. R., Putzer, 40 Jahre alt. 1 ) Mäßig fortgeschrittene
Syringomyelie mit starken Störungen am rechten, ganz
geringen am linken Arm. Starke trophische Störungen an den
Fingern der linken Hand, besonders auch vitiligoartige Hautveränderungen,
links geringere Störungen gleicher Art fast ausschließlich auf die Finger¬
spitzen beschränkt. Muskulatur gut entwickelt, keine Abmagerung ein¬
zelner Muskeln erkennbar. Schmerzerapfindung an der rechten Hand,
am rechten Unterarm und an der Rückseite des rechten Oberarmes ziem¬
lich stark, am linken Unter- und Oberarm nur wenig herabgesetzt.
Temperaturempfindung an der rechten Hand fast aufgehoben, am rechten
Unterarm schwer gestört, links sehr gut erhalten, so daß selbst geringe
Temperaturunterschiede sofort und ohne Schwierigkeit erkannt werden.
Babinski’sches Zeichen und Kniereflexsteigerung recbterseits.
Über die Versuchsanordnung ist folgendes zu bemerken. Ein
Unterarm wurde in der üblichen Weise unter sorgfältiger Ver¬
meidung von Stauung in den Plethysmographen eingeschossen und
die Kurve mit Hilfe eines nach Strasburger’s Angaben her¬
gestellten Volumensclireibers J ) auf der Trommel des Kymogra-
phions aufgezeichnet. Der freie Unterarm wurde bequem in eine
Wanne gelagert und die Temperaturreize dann durch Eingießen
von Wasser in diese ausgeführt, natürlich unter möglichster Ver¬
meidung mechanischer Reizung. In gleicher Weise wurde bei Ein¬
wirkung auf die Füße verfahren. Zur Beendigung des Bades
wurde der Arm von einer Hilfsperson vorsichtig aus der Wanne
gehoben und fest gelagert. Das Fußbad dagegen wurde schnell
durch einen weiten Schlauch abgesaugt, weil ein Herausnehmen
1) Für Überweisung dieses Kranken bin ich der chirurgischen Klinik zu
besonderem Dank verpflichtet.
2] Bisher noch nicht veröffentlicht.
I
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Art und Ursache von Gefäßreflexstörungen bei Syringomyelie. 613
der Füße aus der Wanne nicht ohne Störung der Kurven möglich
war. Als „psychischer Reiz“ kam besonders Kopfrechnen zur An¬
wendung, ferner Fragen nach für den Kranken wichtigen Ange¬
legenheiten (z. B. Rente), Ankündigung unangenehmer Maßregeln,
deren Ausführung dann unterblieb, endlich in einigen Fällen leichte
Schmerzreize.
Das Ergebnis der Versuche ist in der umstehenden Über¬
sicht zusammengestellt, deren Anordnung wohl keiner eingehen¬
deren Erklärung bedarf. Die Zahlen geben die Abnahme und die
Zunahme des Volumens in Kubikzentimetern an. In beiden Fällen
ist die mittlere Stellung der Kurve vor Anwendung des Reizes
als Ausgangswert zugrunde gelegt, sodaß als Zunahme nur der
Anstieg über diese Höhe, nicht etwa die gesamte Zunahme vom
tiefsten Punkte der Senkung an, zu verstehen ist. Da es sich
wesentlich um einen Vergleich der Werte in den einzelnen Fällen
handelt, habe ich von einer Umrechnung auf "/„-Zahlen abgesehen
und nur angegeben, wie viel eine Änderung von 1 cciü auf 100
des Volumens berechnet ausmachen würde. Die Anwendung des
Zeichens für „mehr als“ ( ) erklärt sich dadurch, daß der von mir
benutzte Schreiber im äußersten Falle eine Änderung von 5 ccm
wiedergibt. Um größere Schwankungen aufzuzeichnen, muß der*
Schreibhebel unter Öffnung des übertragenden Luftraumes zurück¬
gestellt werden, was ich in der Mehrzahl der Fälle unterließ, weil
es mir nicht auf Feststellung absoluter Werte ankam. Einige
Male (besonders in Fall 5) erfolgte der Abfall so schnell und kräftig,
daß der Zylinder des Volumenschreibers leergesaugt wurde. Eine
Verdoppelung des Zeichens > bedeutet, daß hier nach der Art des
Abfalles und weiteren Verlaufes der Kurve ein beträchtliches Über¬
schreiten der angegebenen Zahlen anzunehmen war.
Wenn angängig wurden die Plethysmogramme abwechselnd
von beiden Vorderarmen gewonnen. Im Fall 3 mißlangen aber
die meisten Versuche am rechten Vorderarm, weil sehr oft außer¬
ordentlich starke bündelweise Zuckungen besonders im zweiköpfigen
Armmuskel erhebliche Störungen in der Aufzeichnung hervorriefen.
In Fall 4 war linkerseits infolge der starken Abmagerung der
Unterarmmuskeln, wodurch an der Streckseite eine Einsenkung
zwischen den Unterarmknochen entstand, eine Abdichtung des
Plethysmographen nicht in ausreichender Weise möglich, sodaß
ich hier nur Kurven vom rechten Arm erhalten konnte.
Daß die Zahlen bei gleicher Versuchsanordnung nicht jedes-
inal völlig gleichmäßig sind, kann nicht wundernehmen, weil die
Deutsches Archiv für klin. Medizin. 101. Bd. 40
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614
Stursberg
j
Bezeichnung
der
Beobachtung
Plethysmo¬
gramme
des Unter¬
armes
a) v. anderen U n t e i
Abnahme
Art des ' Stärke
Abfalles j ccm
I. Kälte
rarm ans
Zu¬
nahme
ccm
!
wirknng |
b) von den Füßen u j
Abnahme Zt
Art des ; Stärke i
Abfalles ccm ca '
1 ! 1
Pall 1. (N.)
rechts
zieml. steil
1,6
3,25
steil
»1.75 3.' 11
steil
>1,75
sehr steil
»3,25
links
steil
>2,5
steil
»3,5
steil
1,8
7
6,6
i!
!
(vielleicht
mehr)
Fall 2. (K.)
rechts
steil
2,0
2,5
steil
2,0 i.'
langsam
0,75
0,6
steil
4,0 beOS*
gebwta
langsam
0,75
0,5
langsam
1,1
?
links
Spur
Spur
langsam
2,6 06
langsam
0,7
V
steil
»2,5 ' |
langsam
0,26
ö
steil
»3,25 bei U Vj
langsam
1.2
2,0
zieml.steil
1,8
0
i j
Fall 3. (St.)
rechts
langsam
0,5
3.0
steil
m ! 15 ,
links
sehr
0,6
3,0
steil
>3,0 ! !
langsam
i
steil
3,0
1,25
sehr steil
»3,5 >
ziemlich
>3.4
0
sehr steil
»4,6 i 1
steil
Fall 4. (Kl.)
rechts
steil
1,0
1,0
steil
»2,5 | W
langsam
0,5 * |
0
steil
>4,5
langsam
0,7*
; 1
0
sehr steil i
9,0 1 i
j
i
1 ,
1 1
i
!
sehr steil
I
i
7,0
! i_
Fall 5. (R.)
rechts
Spur?
2,0
i
Spur? [ & 1
langsam
0,4*)
2,0
steil
2,2 I 0 ■
langsam
0,5*)‘) t
1,7 |
steil
2,2 ; U :
links
ziemlich
1,0
1,4
[ steil
2,4 j i? ;
steil
i
I
Spur
steil
i
3,5
langsam
i 0,8 *)
0,4
1
t .
i
i
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Art und Ursache von Gefäßreflexstöruugen bei Syringomyelie.
615
II. Wärmewirkung
aiv. anderen Unterarm aus b) von den Füßen aus
Abnahme Zu- Abnahme ! Zu-
Art des Stärke
Abfalles ccm
nähme
ccm
Art des Stärke
Abfalles 1 ccm
nähme
ccm
± 1 ccm
= ±0,147 %
langsam 0,5
ziemlich
steil
3,0* ziemlich
steil
„Psychische
Reaktion“
Auf Rechneu
keine
deutliche
Znsammen-
ziehung,
jedoch nur ein
Versuch.
bei 1,1 ab- Wechselnd; ± 1 ccm
gebrochen bei Rechnen =±0.12 %
einige Male
gering, zu
anderer Zeit
steiler Abfall *) In diesem Versuch
bei 1,75 um mehr ab' wurde eine kalte
abgebr. 3,0. Übergießung der
rechten Hand un¬
mittelbar ange-
schlossen, dabei nur
spurweise Volums¬
abnahme.
1,4
0,5
2,0
2,5
langsam
1,0
bei 2,2
gebrocl
1,0
1 0,6
1 langsam
0,8
0,7
Spur?
0,8 f
ziemlich
1.25
0,5
steil
1,0* '
0,5
Wechselnd:
im gangen auf
auf Schmerz
nicht besond.
ausgiebig.
±1.0 ccm
= 0,115 \
Sehr stark
auf alle
Reize,
z. B. bei
Rechnen
bis >3,5 ccm
Abnahme.
langsam
0,8
0
Spur
I
1,0
»teil
~ 0,75 1
1,7
langsam
langsam
Spur
2,1
Recht gut;
bei Rechnen
0,5
3,1
bis zu 4,0, bei
Besprechung
der Unfallan¬
1
1,5*) j
0,5
gelegenbeit
3,0 ccm Ab¬
nahme
±1,0 ccm
= ±0,125%
In den mit * bezeieh-
neten Versuchen war
die Volum sab nah ine
sehr kurzdauernd,
Vi Min. u. weniger.
In den mit f bezeich-
ueten Versuchen
wurde der Anstieg
mehrfach durch an¬
scheinend psychisch
bedingte Senkungen
unterbrochen.
± 1 ccm
= ± 0,1 %
*) Vgl. Bemerkung
zu Fall 4.
*) Vorher warmes
Bad d. 1.Unterarmes.
•*) Temperatur des
Fußbades 42°.
40*
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Stühsberg
61 t»
Versuchsbedingungen verwickelt und zum Teil unserer genauer
Einsicht entzogen sind. Besonders machen sich psychische Vor¬
gänge nicht selten störend bemerklich.
Gelegentlich ließ sich z. B. ein plötzliches Fallen der Karre dand
zurückführen, daß der Kranke, wie er auf Befragen angab, in dem be¬
treffenden Augenblick über dieses oder jenes nachgedacht hatte, oder et»
unvermuteter Abfall schloß sich unmittelbar an ein plötzliches Geräusch,
das Vorüberfahren eines Wagens oder ähnliches, an. Auch für die
Stärke der Zusaramenziehung bei Kälteeinwirkung spielt der Grad der
dadurch ausgelösten unangenehmen Empfindung, worauf wir später noch
zurückkommen werden, eine nicht zu unterschätzende Rolle.
Am klarsten und einfachsten ist die Beurteilung der Wirkunc
des Kältereizes und sie ist daher bei Besprechung der Versuch-
ergebnisse in erster Linie zu berücksichtigen.
Bei Durchsicht der in der Zusammenstellung unter Ia aufp-
führten Zahlen fallt sogleich auf, daß die Rückwirkung von Arm
zu Arm, soweit die Abnahme des Volumens in Frage kommt, nur
im 1. Falle in allen Versuchen, im 3. Falle in 2 Versuchen und
im 2. Falle ebenfalls in 2 Versuchen einigermaßen ausgiebig ist
In allen übrigen Versuchen ist sie gering und bleibt zweifellos
gegenüber den bei Gesunden beobachteten Werten ganz beträcht¬
lich zurück. Auch der Abfall der Kurve entspricht in der über¬
großen Mehrzahl der Versuche nicht der bei Gesunden gewöhnlich
beobachteten Form, die ich in der Zusammenstellung kurz ai'
„steil“ bezeichnet habe, sondern verläuft beträchtlich langsamer
Endlich sei noch bemerkt, daß auch die Dauer der Volumenabn&hmr
oft nur verhältnismäßig gering ist. Diejenigen Versuche, bei denen
dies am stärksten hervortrat, sind in der Zusammenstellung be¬
sonders gekennzeichnet, aber auch unter den übrigen finden sich
noch solche mit auffallend kurzer Dauer der Gefäßzusammen¬
ziehung.
Im Gegensätze hierzu ist die Rückwirkung von den Füßen
aus, Spaltelb, in der überwiegenden Mehrzahl der Versuche recht
ausgiebig und wohl im wesentlichen nicht geringer als bei ge¬
sunden Personen. Der Abfall der Kurve erfolgt dabei schnell and
steil und hält lange an. Am geringsten ist durchschnittlich die Ab¬
nahme im 5. Falle und fehlt hier in einem Versuche fast vollständig.
Wodurch letzteres bedingt war, ließ sich nicht mit Sicherheit ent¬
scheiden. Ein auffallend langsamer Abfall wurde außerdem nnr
lmal (in Fall 2) beobachtet.
Ein Vergleich zwischen den Spalten Ia und Ib ergibt im
4. Falle außerordentlich starkes Überwiegen der Zusammenziebong
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Art und Ursache von Gefäßreflexstörungen bei Syringomyelie.
617
der Armgefäße bei Kälteeinwirkung auf die Füße gegenüber der
durch Eältereiz auf den anderen Arm ausgelösten, beträchtliches
Überwiegen auch in der Mehrzahl der Versuche bei den Fällen 2
und 5. Nur in Fall 1 und 3 stehen sich beide Werte mehrfach
nahe. Auch in Bezug auf die Art des Kurvenabfalles ist ein deut-
licher Gegensatz zwischen Ia und Ib festzustellen, indem die
Häufigkeit regelwidrig langsamen Abfalles bei Abkühlung des
Armes bei weitem überwiegt.
Vergleichen wir die Größe dieser Unterschiede in den einzelnen
Fällen mit den oben angedeuteten klinischen Befunden, so ergibt
sich der größte Abstand zwischen beiden bei dem schwersten Falle
(Fall 4), der geringste bei dem leichtesten Falle (Fall 1). Fall 3,
der mehrfach gute Gefäßzusammenziehung bei Kältereiz am Arme
zeigte, nimmt in dieser Hinsicht eine Sonderstellung unter den
fortgeschritteneren Fällen ein. Er ist aber auch klinisch unge¬
wöhnlich durch das Bestehen einer Reflexsteigerung an den Armen,
die im Verein mit den von den Handmuskeln bis zum Schulter¬
gürtel ausgedehnten Muskelabmagerungen für sehr hohen Sitz der
Erkrankung bei beträchtlicher Längenausdehnung in der vorderen
grauen Substanz spricht. Man würde vielleicht daran denken
können, daß die zur Störung der Temperaturempfindung führende
Leitungsunterbrechung in diesem Falle verhältnismäßig hoch sitzt
an einer Stelle, welche für den, wie später noch zu besprechen
sein wird, abwärts gerichteten Gefäßreflexbogen nicht wesentlich
in Betracht kommt.
Das Ergebnis der bisherigen Erörterung können
wir dahin zusammenfassen, daß bei einem Teil der
untersuchten Fälle von Syringomyelie Abweichungen
im Bereiche der Gefäßreflexe bestehen und zwar in
dem Sinne eines regelwidrig großen Unterschiedes
zwischen der durch Kälteeinwirkung von den Beinen
und der durch gleiche Ein Wirkung vom anderen Arme
aus hervorgerufenen Gefäß Verengerung am Unter¬
arm. Auf Grund der Vorstellungen, von denen wir
oben ausgingen, müssen wir hieraus den Schluß
ziehen, daß höchstwahrscheinlich eine Störung
im zuführenden Teile des die Gefäßreflexe ver¬
mittelnden Reflexbogens vorliegt. Daß neben ihr auch
noch eine Störung im motorischen Teile besteht ist naturgemäß
nicht mit Sicherheit auszuschließen, im Vergleich mit der Beein-
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618
STUR8BKRG
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trächtigung des sensiblen Teiles kann sie aber nicht irgendwie
beträchtlich sein.
Unterstützt wird diese Anschauung durch das Verhalten der
psychischen Reaktionen. Daß dieses auch schon bei völlig gesunden
Personen große Unterschiede zeigt, ist bekannt und durchaus er¬
klärlich, wenn man berücksichtigt, wie viele schwer oder gar nicht
zu durchschauende Umstände, z. B. mehr oder weniger guter Wille,
eine gestellte Aufgabe zu lösen, verschiedene Empfindlichkeit gegen
Reize usw., auf den Ausfall des Versuchs einwirken. Ich habe
daher für diese Reaktionen anch von Berechnung eines zahlen¬
mäßigen Ergebnisses für jeden einzelnen Versuch abgesehen uni
gebe nur den Gesamteindruck wieder, den man bei Durchsicht der
Kurven erhält.
Die ausgiebigste Gefäßzusammenziehung am Arme auf psy¬
chische Reize hin, fand sich bei dem vierten Kranken, dem
schwersten der untersuchten Fälle, und zwar in allen Versuchen
ziemlich gleichmäßig. In den anderen Fällen war das Ergebnis
wechselnd. Gelegentlich fand sich starke Volumenabnahme, nur
bei Fall 1, bei dem allerdings nur ein Versuch in dieser Richtung
angestellt werden konnte, hatte Kopfrechnen keinen nennenswerten
Einfluß.
Außer im Falle 5 kam ein Überwiegen der psychischen Reak¬
tionen über die von den Beinen aus durch Kältewirkung hervor¬
gerufene Zusammenziehung der Armgefäße nur ausnahmsweise vor.
Die Wirkung des kalten Armbades wurde dagegen häufig von ihnen
übertroffen, ein Verhalten, welches bei gesunden Personen zum
mindesten recht ungewöhnlich zu sein scheint und welches wieder
bei dem schwersten Falle (Fall 4) am ausgesprochensten hervortrat
Auch diese Befunde beweisen eine jedenfalls im wesentlichen
regelrechte Tätigkeit der gefaßverengernden Nerven, unterstütze«
also, wie gesagt, die auf andere Weise erhaltenen Ergebnisse.
Der Umstand, daß die anfängliche Abnahme des Volumens bei
Anwendung warmer Fußbäder diejenige bei Wärmewirkung aut
den Arm wenig oder gar nicht überwiegt, spricht nicht gegen dir
obigen Ausführungen. Denn während ein kaltes Bad an den
Füßen eine oft als recht unangenehm bezeichnete Empfindung au>-
löste, neben dem Kältereiz also eine gelegentlich starke Unlust-
einpfindung einwirkte, die an den Teilen mit gestörter Temperatur¬
empfindung fehlte, wird ein Fußbad von 40° und selbst von noch
etwas höherer Temperatur meist durchaus nicht unangenehm
empfunden. Ein Teil des Reizes kommt also hier in Fortfall nnJ
G ck igle
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Art und Ursache von Gefäßreflexstörungen bei Syringomyelie.
619
dies macht sich naturgemäß in einer Verminderung der Reiz¬
wirkung bemerklich.
Diese Feststellung führt uns zu der Frage, ob sich der Teil
der sensiblen Bahn genauer bestimmen läßt, dessen Erkrankung
die Herabsetzung der Gefäßreflexe bei Einwirkung des Reizes auf
die Haut der Arme bedingt. Es sind mehrere Möglichkeiten zu
berücksichtigen. Zunächst könnte die schwächere Wirkung vom
Arme aus lediglich durch den Fortfall der Unlustempfindung bei
unversehrtem Reflexbogen bedingt sein, also auf einer Unter¬
brechung derjenigen Bahnen beruhen, welche die Kälteempfindung
zum Großhirn fortleiten. Sodann käme eine Erkrankung im sen¬
siblen Teile des Reflexbogens selbst in Betracht, also eine Störung,
welche, unabhängig von der zum Bewußtsein kommenden Empfindung,
die Leitung von der Haut zum Rückenmark oder in diesem unter¬
bricht. Endlich könnten die beiden bisher besprochenen Störungen
nebeneinander bestehen.
Eine für alle Fälle zutreffende Entscheidung darüber, welche
von diesen Möglichkeiten zutritft, wird sich schon mit Rücksicht
auf die verschiedene Ausdehnung der Erkrankung im Rückenmark
nicht treffen lassen. Eine hochsitzende Höhlenbildung wird z. B.
mehr die Leitung zum Gehirn hin unterbrechen, eine weiter ab¬
wärts gelegene dagegen vielleicht mehr den Reflexbogen treffen.
Jedenfalls muß aber zugegeben werden, daß die ersterwähnte
Möglichkeit, Fortfall der Unlustempfindung, sicher eine Rolle spielen
kann. Für allein ausschlaggebend möchte ich sie aber im Hin¬
blick auf den Befund im 5. Falle nicht halten, vielmehr spricht
diese Beobachtung für die Annahme einer Störung im Reflexbogen
selbst. Denn bei dem Kranken war (bei Fehlen nennenswerter
Störungen an den Muskeln beider Hände und Arme) die Tempera¬
turempfindung am linken Arm sicher völlig regelrecht, rechts da¬
gegen schwer gestört, und trotzddm waren die Gefäßreflexe bei
Einwirkung der Kälte am linken, regelrecht empfindenden Arm
eher noch etwas schwächer als bei Abkühlung des rechten Armes.
Handelte es sich allein um einen Ausfall der durch die Kälte
ausgelösten Unlustempfindung, so wäre doch wohl ein Über¬
wiegen der Gefäßzusammenziehung bei Abkühlung des linken
Armes eingetreten. Die Annahme einer erheblicheren Störung im
motorischen Teile des Gefäßrefiexbogens, die ja auch zur Er¬
klärung dieses Verhaltens herangezogen werden könnte, wird gerade
in diesem Falle durch die guten psychischen Reaktionen widerlegt. 1 )
1) Die 3. Beobachtung' kann leider hier nicht verwertet werden, weil am
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620
Stursberg
Die eben besprochene Beobachtung ist weiterhin noch für di«
Frage von Bedeutung, ob die Reize, welche die Gefäßreflexe m
lösen, durch die gleichen Bahnen vermittelt werden wie die Haat
empfindung oder ob ihnen besondere Bahnen zur Verfügung stehen.
Da keine nennenswerten Störungen im motorischen Teile des Reflei-
bogens erkennbar sind, so würde sich das Verhalten in derartigen
Fällen, gleichmäßig schlechte Rückwirkung von dem Arme mit er¬
haltener wie von dem mit gestörter Temperaturempfindung, wohl nar
durch die Annahme besonderer Bahnen erklären lassen, die oh&e
gleichzeitige Erkrankung der die Temperatur empfindung vermit¬
telnden Bahnen allein geschädigt sein können. Möglich wäre aller¬
dings auch, daß zwar die gleichen Nervenfasern die beiden ver¬
schiedenen Erregungen leiten, daß aber die Umsetzung des za-
geleiteten Reizes auf zentrale Bahnen für die Fortleitung nach
dem Gehirn zu an anderer Stelle geschieht als die Umsetzung für
die reflektorische Erregung der Gefäßnerven.
Da diese Fragen nicht nur für die Lehre von der Syringo¬
myelie , sondern noch mehr für die allgemeine Physiologie vuo
wesentlicher Bedeutung sind, wäre die Nachprüfung der Befand«
an ähnlichen Fällen von Syringomyelie mit vorwiegend einseitig«
Empfindungsstörungen dringend erwünscht.
Mit einigen Worten muß ich noch auf das Verhalten der
Volumenzunahme nach Ablauf der durch Kälte hervorgerufenen
Verengerung oder unter Wärmewirkung eingehen. Die Beurteilung
ist hier, wie bereits oben erwähnt wurde, naturgemäß unsicherer,
weil sich beim Versuch am Menschen nicht entscheiden läßt. 06
die Gefäßerweiterung durch Nachlaß des Tonus der gefäßver¬
engernden oder durch Reizung der gefäßerweiternden Nerven be¬
dingt ist.
Zusammenfassend läßt sich feststellen, daß in denjenigen Ver¬
suchen, welche ausreichend lange fortgeführt werden konnten, fast
ausnahmslos eine Gefäßerweiterung verzeichnet wurde, die aller¬
dings nur selten ausgiebig war! Unterschiede erheblicherer Art
zwischen der Rückwirkung vom Arm und derjenigen von den
Füßen aus sind hier nicht nachzuweisen. —
Um noch weiterhin die Richtigkeit unserer Darstellung zn
prüfen, scheint es mir zweckmäßig, die Ergebnisse daraufhin z®
Arm nur ein Versuch einwandfrei gelang. Außerdem zeigte sie ,il -
tilten erwähnten Abweichungen im klinischen Befunde, die ihre Beurteilen? «•
srhwiTOll.
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Art and Ursache von öefäßreflexstörangen bei Syringomyelie.
621
untersuchen, ob sie mit den über die Anatomie und Physiologie
der Gefäßnerven und über die Syringomyelie bekannten Tatsachen
in Einklang stehen. 1 )
Am besten geklärt sind die Verhältnisse bei den gefäßver¬
engernden Nerven, den Vasokonstriktoren oder Vasomotoren 2 ) im
engeren Sinne.
Die Zellen, von denen sie ausgehen, liegen wahrscheinlich in
den seitlichen Teilen der grauen Substanz des Rückenmarkes. Die
hier entspringenden Fasern verlaufen durch die vorderen Wurzeln
zu den weißen Zweigen der Rami communicantes und in diesen zu
den Nervenknoten des sympathischen Grenzstranges. Auf Grund
der Tierversuche muß angenommen werden, daß die für die vorderen
Gliedmaßen bestimmten Gefäß Verengerer aus dem mittleren Brust¬
mark hervorgehen. Nach Eintritt in einen Nervenknoten des Grenz¬
stranges werden alle Fasern durch eine Zelle unterbrochen und
ziehen dann zu den Gefäßen weiter, zum geringen Teile unmittel¬
bar, zum größeren Teile auf dem Wege durch das Armnerven¬
geflecht.
Die sympathischen Nervenzellen sind nach den Untersuchungen
von Langley nicht befähigt, echte Reflexe zu vermitteln, viel¬
mehr ist für das Zustandekommen solcher stets die Mitwirkung
des Zentralnervensystems nötig. Die sog. „Axonreflexe“ Lang¬
ley’s spielen für die Vermittelung der Reflexe von den Beinen zu
den Armgefäßen wohl kaum eine Rolle.
Bei einer umschriebenen Erkrankung im Halsmark, wie sie
die Syringomyelie darstellt, würde man also rein theoretisch, wenn
die Auffassung, daß die gefäßverengernden Nerven im Brustmark
1) Die folgenden Ausführungen stützen sich besonders auf die zusammen¬
fassenden Arbeiten von As her, Die Innervation der Gefäße, Ergebnisse der
Physiologie I. Jahrgang 1902, II; Langley, Das sympathische und verwandte
nervöse Systeme der Wirbeltiere (autonomes nervöses System), ebenda 2. Jahr¬
gang 1903, II; Bayliss, Die Innervation der Gefäße, II. Die Regulation der
Blutversorgung, ebenda 5. Jahrg. 1906; Luciani, Physiologie des Menschen,
I. Bd. p. 279ff.; Grützner, Über vasomotorische Nerven und die durch sie be¬
dingten Leistungen der Gefäße, Referat auf der 31. Wanderversammlung der
südwestdeutschen Neurologen und Irrenärzte in Baden-Baden 1906: L. R. Müller,
Studien über die Anat. u. Histologie des sympath. Grenzstranges usw., Verhandl.
des 26. Kongr. f. inn. Med., Wiesbaden 1909, p. 658.
2) Dieser in doppeltem Sinne gebrauchte und daher oft unklare Ausdruck
wird wohl zweckmäßigerweise durch die eindeutigen deutschen Bezeichnungen
„Gefäßnerven“ und „gefäßverengernde Nerven“ oder kurz „Gefäßverengerer“ er¬
setzt.
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622 Stürsbehg, Art and Ursache von Gefäßreflexstörungen bei SvringonT-jf
entspringen, auch beim Menschen zutrifft, regelrechte Tätigten
dieser Nerven erwarten müssen, soweit sie unabhängig von reflek
torischen Erregungen verläuft, ferner regelrechte Zuleitung uni
Umsetzung reflexerzeugender Beize von den Beinen und, solang
kein stärkerer Druck auf die absteigenden Bahnen im Halsmark
ausgeübt wird, auch vom Gehirn aus. Dagegen wäre eine Störung
in der Zuleitung solcher Beize von den Armen aus zu erwartet
Damit stimmt der von uns tatsächlich erhobene Be¬
fund vollkommen überein.
Bemerkenswert in theoretischer Hinsicht ist noch aus anderen
Gründen die 4. Beobachtung. Bei diesem Kranken bestand eine ganz
außerordentlich starke Abmagerung derVorderarm-und Handmuskeln,
so daß die verhältnismäßig große Masse des im Plethysmographen
eingeschlossenen Armes zum ganz überwiegenden Teile durch die
ungewöhnlich starken Knochen und die Haut dargestellt wurde,
und trotzdem hatten Kältereize zum Teil sehr kräftige Wirkungen.
Das Volumen zeigte Abnahmen bis zu 1,125 °/ 0 . Dieses Ergebnis
entspricht durchaus der Annahme, daß die Haut sehr reich¬
lich mit gefäßverengernden Nerven versorgt ist und sich aus¬
giebig an der durch Gefäßreflexe hervorgerufeuen Veränderung dts
Volumens beteiligt, während die Muskeln wesentlich ärmer an der¬
artigen Fasern sind.
Über Verlauf und Wirkungsweise der gefäßerweiternden Nerven
ist noch keine völlige Einigkeit erzielt, und ich kann von ihrer
Besprechung um so eher absehen, als, wie oben dargelegt wurde,
unsere Versuche keine sicheren Schlüsse über ihr Verhalten zn-
lassen. —
Die Versuchsanordnung, mit deren Hilfe die mitgeteilten Er¬
gebnisse erzielt wurden, Vergleich der Gefäßreflexstärke bei Ein¬
wirkung des Reizes auf gesunde und auf kranke Teile, wird auch
bei anderen Erkrankungen gewisse Aufschlüsse über das Verhalten
der Gefäßnerven erbringen können, die um so wertvoller sind. ab
sich unsere Kenntnisse auf diesem Gebiete bisher fast ausschlie߬
lich auf den Tierversuch gründen. So ließe sich z. B. in geeig¬
neten Fällen peripherer Neuritis feststellen, ob eine Erkrankung
der Gefäßnerven dabei vorliegt oder ob die sensiblen und moto¬
rischen Bahnen allein erkrankt sind. Versuche in dieser Richtung,
die ich bei einem Kranken mit schwerer Neuritis an beiden Armen
vornahm, scheiterten leider an dem ungeschickten Verhalten der
Versuchsperson.
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Besprechungen.
1 .
Shiraodaira, Experimentelle Beiträge zur Wirkungs¬
weise der Bier’schen Stauungstherapie. Arbeiten
aus dem Institute zur Erforschung der Infektionskrankheiten in
Bern (herausgegeben von Kolle) Heft 5. Jena 1910.
Nach eingehender Darstellung der bisherigen klinischen Erfahrungen
über die Bi er’sehe Stauung und der experimentell versuchten Erklärungen
berichtet Verf. seine Versuche an Kaninchen über den Gehalt des Stauungs-
ödemes an Opsoninen, Komplementen, komplementbindenden Substanzen,
Agglutininen und Bakteriziden teils bei normalen, teils bei infizierten
Tieren, und vergleicht die Werte mit den entsprechenden des zugehörigen
Blutserums. Keiner dieser Schutzstoffe ist im Stauungsgebiet derart ver¬
mehrt, daß allein dadurch die günstige Wirkung erklärt werden könnte.
Man muß nach Verf. ein kompliziertes Zusammenwirken vieler Faktoren
annehmen. Wurden in das Stauungsgebiet Bakterien (Cholerakultur) in¬
jiziert, so konnten nachher durch die Komplementbindungsreaktion keine
bakteriellen Substanzen (kein Antigen) nachgewiesen werden. Daraus
schließt Verf., daß sich die Bakterien im Stauungsgebiet nicht vermehren,
sondern zugrunde gehen, und daß die gelösten, aus den Bakterien stam¬
menden Stoffe rasch resorbiert oder vollkommen zerstört werden.
R. Siebeck, Heidelberg.
2 .
R. Bernert, Kardiale Dyspnoe. Leipzig und Wien, Franz Deu-
ticke 1910.
Nach einer Einleitung, in der die so komplizierten Beziehungen
zwischen Respiration und Zirkulation eingehend besprochen werden, teilt
Verf. seine eigenen Versuche mit; an kurarisierten Hunden wurden bei
künstlicher Atmung verschiedene Größen des Kreislaufes (so Arterien¬
druck, Vorhofdruck, Venendruck, Pulmonalisdruck), ihre Reaktion auf
elektrische Reizung des Ischiadicus, ihr Verhalten bei intakten und bei
durchschnittenen Vagi, bestimmt und mit den entsprechenden Verhält¬
nissen bei ungenügender Ventilation (also im „dyspnoischen“ Zustande)
verglichen; zum Teil wurde die Bock-Hering’sehe Anordnung be¬
nutzt. Die meisten Versuche sind so kompliziert, die Bedingungen nicht
nur durch die künstliche Atmung, sondern auch durch die für die Be¬
stimmungen notwendigen Eingriffe so unnatürlich, daß sich die Ergeb-
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624
Besprechungen.
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nisBe nur sehr schwer auf die natürlichen Verhältnisse Übertrags
lassen. Ganz besonders gilt dies, wie Verf. selbst zugibt, für die Beo:
teilung der direkten mechanischen Beeinflussung.
Von den Besultaten seien folgende Punkte hervorgehoben: bei ung*
nügender Ventilation steigt der Druck im 1. Vorhofe an, d. h. die Hen-
arbeit wird schlechter; bei Ischiadicusreizung im eupnoischen Zustand:
geht die Steigerung des arteriellen Druckes mit Vorhofsdrucksenhn?
im dyspnoischen Zustande mit Vorhofsdrucksteigerung einher: rechter
und linker Ventrikel verhalten sich im wesentlichen gleich. — Die ver¬
schiedenen Momente, die zur Erklärung der Kreislaufs Verhältnisse bei
Dyspnoe berangezogen werden können, werden ausführlich erörtert.
Ein weiteres Kapitel behandelt die von Basch'sehe Theorie-k
Langenschwellung und Lungen Starrheit, die Verf. durch eingehende Kritik
der Einwände, besonders von Hofbauer, Sihle, Einthoven and
Kraus, sowie durch die Ergebnisse eigener Versuche zu stützen sucht
Der Ansicht des Verf., daß die gegen die Thorie erhobenen Einwände
völlig widerlegt seien, kann ich mich nicht anschließen : vor allem schein:
mir die „Lungenschwellung“ weder durch die physikalisch-theoretische
Überlegung, noch durch das vorliegende Versnchsmaterial zwingend be¬
gründet zu sein.
Den Schlußsätzen der eingehenden Untersuchung, daß man für <hs
Zustandekommen der kardialen Dyspnoe mehrere Faktoren verantwortlich
machen muß, deren Wirkungen im einzelnen noch nicht zu übersehet
sind, wird jedermann zustimmen. R. Sisbeck. HeideP-eiv-
3.
Richard Stern, Über traumatische Entstehung innerer
Krankheiten. Klinische Stadien mit Berücksichtigung
Unfallbegutachtung. 2. Aufl. l.u. 2. Heft. Fischer, Jena.
Von dem bekannten Werk liegen bis jetzt 2 Hefte in neuer Auflage
vor. Das erste, die Infektionskrankheiten der Kreislaufsorgane behan¬
delnde, bereits 1907 erschienene Heft ist gegenüber der 1. Auflage
durch ausführlichere Behandlung der Infektions- und der Gefaßkrank-
heiten wesentlich erweitert und auch sonst mannigfach bereichert und mit
neueren Ergebnissen in Einklang gebracht. Es bringt als Einleitung all¬
gemeine Betrachtungen über die Bedeutung des TraumaB im allgemeinen,
über den Begriff Anstrengung und Unfall, über die Aufgaben der Unfall-
begutachtung und über allgemeine häufige Fehlschlüsse bei der Begut¬
achtung. Sie setzen in klarer Weise diese wichtigen Fragen auseinander
und führen deu Anfänger in der Unfallbegutachtung durch kritische, auf
eigener Erfahrung und eingehender Literaturkenntnis basierende Bar*
Stellung in der rechten Weise in das schwierige Gebiet ein. Das 2. Heft,
erschienen 1910, behandelt die Krankheiten der Lungen und des Brustfell*
Die einzelnen Krankheiten sind ihrer Häufigkeit und Bedeutung ah
(In fall folgen entsprechend kürzer oder ausführlicher, zum Teil »ehr ein¬
gehend, wie z. B. die Pneumonie, behandelt und durchwegs mit zahl¬
reichen, teilweise sehr instruktiven Krankengeschichten und Entschei¬
dungen aus der Unfallpraxis belegt. Dabei findet besonders die für Am
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Besprechungen.
62 f>
Richter wichtige Frage, wann ein Krankheitsfall nur als mögliche oder
vielmehr als wahrscheinliche Unfallfolge bezeichnet werden muß, ein¬
gehende Erörterung. An dem ganzen Werk ist die kritische, immer auf
pathologisch-anatomische Tatsachen, auf experimentelle Grundlagen und
sichere klinische Beobachtungen zurückgreifende, mit einem Wort wissen¬
schaftliche Darstellungsweise hervorzuheben. Den einzelnen Abschnitten
ist ein genaues Literaturverzeichnis angefügt. Das Werk ist geschrieben
in der Form klinischer Studien und liefert als solches bei der Lektüre
eine Fülle von Anregung und Belehrung, ist aber darüber hinaus ein
zuverlässiger Ratgeber für die Praxis der internen Unfallbegutacbtung.
Das Schlußheft (Bauchorgane, Blut und Stoffwechsel) ist für Anfang 1911
in Aussicht gestellt. Dietlen, Straßburg.
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Berichtigung
zu dem Aufsatze Skornjakoff's: Zur Frage der extra¬
medullären Blutbildung bei posthämorrhagische«
Anämien
(dieses Archiv Bd. 101 p. 251).
Von
Prof. Dr. Carl Sternberg.
In der Besprechung meiner Arbeit (Experimentelle Untersuchungen
über die Entstehung der myeloiden Metaplasie, Ziegler’s Beiträge, Bd. 46
p. 586) sagt Skornjakoff: es . . . „dürften sämtlichen Versnoben ge¬
wisse prinzipielle Fehler anhaften“ und motiviert diesen Vorwurf aal
folgende Weise: „Zunächst ist, wie ans den Protokollen Sternberg *
hervorgeht, in keinem Falle eine ausgesprochene Anämie erzielt worden
(der niedrigste angeführte Wert der roten Blutkörperchen = 3000000
Hämoglobinzahlen werden nicht angegeben). Weiter ließ Sternberg,
trotzdem er in Anlehnung an v. Do mar ns auf die Bedeutung der Er-
holungsperioden für das Zustandekommen der in Frage stehenden Ver¬
änderungen aufmerksam macht, hei seinen eigenen Versuchen die Ein¬
schaltung derartiger .Remissionen außer acht.“
Was den ersten Einwand anlangt, so habe ich p. 594 ausdrücklich
bemerkt, daß die durch den starken Blutzerfall bedingte Anämie in
meinen Versuchen „weniger in der Zahl der roten Blutkörperchen ah
im mikroskopischen Blutbefund und im Organbefund znm Ansdruck kam*
und an derselben Stelle darauf verwiesen, daß die relativ hohe Zahl der
roten Blutkörperchen (im Verhältnis zu den von v. Do mar ns ge¬
fundenen Werten) sich wohl dadurch erklären dürfte, daß ich „alle, aoci
die in ihrer Form und ihrem Hämoglobingehalt stark geschädigten roten
Blutkörperchen mitzählte“. Skornjakoff selbst, der bei der Zählung
in gleicher Weise vorging, erhielt in den mitgeteilten vier Versuchen bei
zwei Tieren ganz vorübergehend je einmal niedere Werte für die Erythro-
oyten, die Zahlen bei Beendigung der Versuche waren aber 2800000.
2 240000, 2 200000 und 4 760000, mithin Werte, die sich von den toh
mir gefundenen nicht wesentlich unterscheiden.
Was den zweiten Einwand anlangt, so habe ich p. 592 angegeben,
daß eine Reihe von Versuchstieren „nach dem Vorgang von v. Domaros
fast täglich mit Einschaltung 1—3 wöchentlicher Erholungsperioden in¬
jiziert“ wurde. Um den Umfang der Publikation nicht überflüssig«
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627
vergrößern, habe ich nur Beispiele hierfür veröffentlicht; aus den ent¬
sprechenden VersuchBprotokollen ist auch ersichtlich, daß die angegebenen
[Erholungsperioden eingehalten wurden. Für Zahl und Dauer derselben
läßt sich keine Hegel aufstellen; Skornjakoff gibt zwar p. 254 seiner
Arbeit an: „Bei Kaninchen 1, 3 und 4 suchte man die möglichst starke
Anämie durch hSafige Erholungsperioden zu unterbrechen u , aus den Zu¬
sammenfassungen am Schlüsse der einzelnen Versuchsprotokolle ergibt
sich jedoch, daß nur bei Kaninchen 3 vier Remissionen, bei Kaninchen 1
aber bloß zwei Remissionen und bei Kaninchen 4 gar nur eine Re¬
mission eingeschaltet wurden.
Ich glaube mithin den Vorwurf, daß meiner Arbeit prinzipielle
^Fehler anhaften, als unbegründet entschieden zurückweisen zu dürfen.
Inwiefern meine damaligen Ausführungen, wie Skornjakoff meint,
„komplizierte biologische Probleme in ein Schema zwängen, das not¬
wendigerweise wegen der darin enthaltenen Verallgemeinerung zu falschen
Schlußfolgerungen führen muß“, ist mir unverständlich; Verf. hat sich
auf diese „Verallgemeinerung“ beschränkt, ohne seinen Einwand näher
zu begründen.
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Bemerkungen zu der Arbeit von K. Grandaaer
„Der hemmende Einfluß derPsyche auf die Sekretion
des menschlichen Magens und seine Bedeutung für
diediagnostischeV erwertbarkeit des Probefrühstücks"
Bd. 101 p. 302f. dieses Archivs.
Von
H. Curschmanu, Mainz.
Unter dem obigen Titel hat K. Grandauer aus der Münch, med.
Poliklinik über Untersuchungen berichtet, die mich lebhaft interessiert
haben, um so mehr als ich bereits im April des vergangenen Jahres, auf
dem letzten Wiesbadener Kongreß, über ein dem obigen eng verwandtes
Thema „die Appetitmahlzeit als Probeessen 44 (auf Grund von mehr¬
jährigen klinischen Untersuchungen) vorgetragen hatte. Meine Arbeit ist
Grandauer aber anscheinend entgangen, trotzdem sie seit Herbst 1910
im Druck vorliegt l ) und im Mai vergangenen Jahres in den Kongre߬
berichten der med. Zeitschriften referiert wurde (in der Münch, med.
Wochenschr. erschien sogar ein ausführlicheres Autoreferat). Noch auf¬
fallender ist mir aber der Umstand, daß Grandauer in einer An¬
merkung bei der Korrektur einen Vortrag von Fischer-Leipzig über
Appetitmahlzeiten erwähnt, der sich ausdrücklich als Nachprüfung meiner
Untersuchungen deklarierte und als solche in den Berichten einiger
Wochenschriften referiert wurde, ohne sich die Mühe zu geben, nach der
ersten Publikation über dies Thema, nämlich der meinigen, zu suchen.
Hätte Grandauer das getan, so würde ihm auch nicht entgangen sein,
daß nach Abschluß meiner Arbeit Fr. Gigni (aus der med. Klinik in
Florenz) über individuell angepaßte Probespeisen berichtet hat. 2 )
Angesichts der mangelnden Berücksichtigung, die meine Arbeit, wie
ich sehe, gefunden hat, möchte ich an dieser Stelle kurz konstatieren,
daß mich ganz ähnliche Beobachtungen seinerzeit zu meinen Unter¬
suchungen angeregt haben, wie Herrn Prof. May, als er seinen Assi¬
stenten Grandauer zu den obigen Untersuchungen veranlaßte, nämlich die
Erfahrung, daß Patienten der Poliklinik nach dem Genuß des üblichen,
wenig schmackhaften Probefrühstücks, das sie in ängstlicher Erwartung
der drohenden Ausheberung verzehrten, eine sehr geringe Magensaft*
1) Verhandl. d. XXVII. deutsch. Kongr. f. innere Med. p. 323f.
2) Rivista critiea di clin. med. 1910, Nr. 5 u. 6, cit. nach Ref. der Theray.
Monatshefte 1910 H. 4 p. 204.
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Bemerkungen zn der Arbeit von K. Grandauer.
629
Sekretion und meist Subacidität zeigten. Diese wohl den meisten Poli¬
kliniken) geläufige Beobachtung prüft Grandauer nun noch einmal
nach und kommt zu dem zu erwartenden Resultat, daß psychische Hem¬
mungen (Angst, Erwartung) die Acidität vermindern. Zum Zustande¬
kommen eines einwandfreien Sekretionsresnltates fordert Grandauer
darum, daß dem Patienten die bevorstehende Ausheberung verschwiegen
werde, bzw. daß, falls dies nicht. möglich ist, diese Fehlerquelle (die
hemmende Wirkung der Angst) vom Arzt bei der Bewertung des Sekre¬
tionsresultates berücksichtigt werde. Außerdem, meint Grandauer, sei
es „in auszuwählenden Fällen sehr zweckdienlich ein Probefrühstück
(resp. eine Probemahlzeit) zu gehen, das in jeder Beziehung dem Appetit
des Pat. Genüge leistet und auch sonst seinen Gewohnheiten entspricht“.
Grandauer wird, wenn er nachträglich meine Arbeit liest, sehen,
daß dies Postulat bereits eingehend von mir erfüllt worden ist. Ich bin
sowohl für eine regionäre, als besonders für eine individuelle Variierung
der Prohespeisen — vor allem in allen Fällen von scheinbarer An- oder
Subacidität — eingetreten und habe speziell über die Resultate der
„Appetitmahlzeit“ berichtet. Als solche bezeichnete ich die Speise oder
die Speisenkombination, nach der der Patient gerade den größten Appetit
hat. Er wird möglichst unauffällig nach seiner „Leibspeise“ gefragt
und erfährt nicht, daß er nach dieser Mahlzeit ausgespült werden soll.
Die Forderung, deren Wichtigkeit Grand au er besonders betonte,
daß dem Patienten die drohende „Magenpumpe“ verschwiegen werde,
läßt Bich gerade durch die Appetitmablzeit besonders gut erfüllen. Denn
daß auf irgendeine freigewählte Mahlzeit (Kalbfleisch mit Bohnen,
Nieren mit Spätzle unter Zufügung eines Viertelliters Wein womög¬
lich) eine Magenspülung folgen wird, ahnt meiner Erfahrung nach auch
der älteste Spitalbabituö nicht, während diese Spezies die Neulinge über
die Bedeutung und Konsequenzen des typischen Probefrühstücks und der
allen bekannten Leube’scben Probemahlzeit stets rasch genug aufzuklären
pflegt. So hat die Appetitmahlzeit neben ihrem eigentlichen Zweck
und Erfolg, die optimale Magensaftsekretion hervorzurufen, auch den
Vorzug, eben durch ihre Vielgestaltigkeit dem Verdacht des drohenden
Magenschlauchs (und damit der psychischen Hemmung der Sekretion) am
besten vorzubengen. Bezüglich der Bedeutung meiner Probe für die
Einschränkung der Diagnose „Anacidität“ oder „Subacidität“ besonders
unter den funktionellen Dyspepsien, für die Differentialdiagnose organischer
und schwer nervöser Magenleiden und die möglichst rasche und relativ
schonende Feststellung der wirklichen Sekretionsmöglichkeit deB Patienten
verweise ich auf meine Arbeit.
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Lippert & Co. (G. Pätz’sehe ßuchdr.) G. m. b. H., Kaumburg a. *S.
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