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Full text of "Deutsches Archiv für klinische Medizin. v.138.1922"

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DEUTSCHES ARCHIV 


fOr 

i KLINISCHE MEDIZIN 


HRRAÜ3GEGEBEN 

j von 

Prof. AUFRECHT in Berlin, Pbof. BAEUMLER in Frkiburg, Prof. BOSTRÖM in Giessen, 
» Prof. BRAUER in Hamburg, Prof. CURSCHMANN in Rostöck, Prof. FIEDLER in Dresden, 
I Prof. FÜRBRINGER in Berlin, Prof. HIRSCH in Bonn, Prof. HIS in Berlin, Prof. 
F. A. HOFFMANN in Leipzig, Prof v. JAKSCH in Prag, Prof. v. KÄTLY in Budapest, 
Prof KRAUS in Berlin, Prof. KREHL in Heidelberg, Prof. v. LEUBE in Stutt gart, Prof. 
LICHTHEIM in Bern, Prof. MARTIUS in Rostock, Prof. MATTHES in Königsberg, Prof. 

E. MEYER in Göttingkn, Prof. MORAWITZ in Würzburg, Prof. MORITZ in Cöln, Prof. 

F. MÜLLER in München, Prof. L. R. MÜLLER in Erlangen, Prof. O. MÜLLER in Tübingen, 
Prof. NAUNYN in Baden-Baden, Prof. v. NOORDKN in Frankfurt, Prof. PENZOLDT 
in Erlangen, Prof. QUINCKE in Frankfurt, Prof. ROMBERG in München, Prof. 
RUMPF in Bonn, Prof SAHLI in Bern, Prof. SCHREIBER in Königsberg, Prof. 
F. SCHÜLTZEin Bonn, Prof. SCHWENKENBECHER in Marburg, Prof. ST1NTZING in Jena, 
Prof. STRAUB in Halle, Prof. STRÜMPELL in Leipzig, Prof. THOMA in Heidklbbrg, 

Prof. YOIT in Giessen, Prof. VOLHARD in Halle 


REDIGIERT 


VON 

Dr. l. kkehl 


Db. Jb\ MOBITZ 


Prof, der medizinischen Klinik 
in Heidelberg 


Prof, der medizinischen Klinik 
in CÖLN 


Db. F. MÜLLER 

Prof, der n. medizinischen Klinik 
in München 


Db. E. ROMBERG 

Prof, der l medizinischen Klinik 
in München 


138. Band 


Mit 8 Abbildungen, 21 Kurven im Text und 2 Tafeln 


-- m mm i i - 

LEIPZIG 

VERLAG VON F.C.W. VOGEL 

1922 


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Inhalt des einhundertachtunddreißigsten Bandes. 


Erstes und Zweites Heft 
aasgegeben am 20. Dezember 1921. 


Utj, Kritische Stndie über die Infektionswege bei Pyelitis acuta auf Grund 
klinischer Beobachtungen. 1 

Herst, Zur Frage der diagnostischen Verwertbarkeit der Gruber-Widal’schen 
Reaktion ..18 

Schiffer und Brieger, Über die Muskelaktionsströme bei Myasthenia gravis 
(Mit 4 Kurven) ..28 


Gangs, Beobachtungen über Ulcus ventriculi.41 

lanelson, Beobachtungen über paroxysmale Kältehämoglobinurie und 
Kälteikterus. (Mit 3 Kurven).46 

Hedfger, Experimentelle Studien zur Volnmholometrie. (Mit 1 Abbildung 
und 7 Kurven).•.58 

Heiliger, Ein Volumbolograph. (Mit 1 Abbildung und 4 Kurven) ... 71 

Heyer, Der Stickstoffhaushalt im Greisenalter.76 

Dein, Über den Reststickstoffgehalt des Blutes bei arteriosklerotischen 
Hypertonien, ein Beitrag zur Kenntnis der Nierenfunktion bei der 

benignen Nierensklerose.82 

Bogendörfer, Über das Verhalten der Typbusbazillen gegenüber den 
baktericiden Kräften des Blutes.120 

Heinere Mitteilung: 

Umaun, Bemerkung zur Arbeit von Dr. Wilhelm Neumann.126 

Besprechungen: 

1. Weil, Die innere Sekretion. ( Kämmerer ).127 

1 Nagelschmidt, Lehrbuch der Diathermie. (Hammer) .127 


Drittes und Viertes Heft 
ausgegeben am 24. Januar 1922. 

Horehardt, Über Abgrenzung und Entstehungsursachen des Infantilismus 
öroedel. Was leistet das Röntgenverfahren für die Funktionsprüfung des 

Herzens?.. 

Barit u. Hetdnyi, Der Reststickstoff im menschlichen Blut und Gewebe 

bei Nierenerkrankungen. 

Öeisch ti. Rftrup, Über den Rückfluß von Pankreassaft in den Magen und 

die Bestimmung der Salzsäureresistenz des Trypsins. 

Beoseli, Über die Serumkonzentration und die Viskosität des Blutes bei 

der Basedowschen Krankheit. 

Hoog, Der Einfluß der relativen Luftfeuchtigkeit auf die unmerkliche 
Hautwasserabgabe. 


Hetfnyi, Untersuchungen über die harnstoffbildende Tätigkeit der Leber bei 

Leberkranken. 

Herzog, Über die Entstehung des Cheyne-Stokes’sehen Atmens. (Mit 1 Kurve) 
Straub u. Meier, Blutreaktion und Dyspnoe bei Nierenkranken .... 


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129 

144 

154 

165 

175 

181 

193 

‘200 

208 


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IV 


Seite 

Fornet, Tuberkulosestudien II.229 

Hafner, Über akute, diffuse, interstitielle Myokarditis. (Mit 2 Abbildungen) 236 
Segall u. Händel, Über den Katalasegehalt des Blutes und seine differential¬ 
diagnostische Bedeutung ..243 

Besprechungen: 

1. Braus, Anatomie des Menschen ( Krehl) .249 

2. Strauß. Nachkrankheiten der Ruhr (Posselt) .250 

3. Feer, Diagnostik der Kinderkrankheiten (Moro) ....... 251 

4. Kretschmer, Körperbau und Charakter (v. Weizsäcker) .... 252 


Fünftes und Sechstes Heft 
ausgegeben am 19. Februar 1922. 

Hotz, Energom et rische Untersuchungen über die Wirkung des Adrenalins 


auf den Kreislauf, nebst Bemerkungen über den Wanddruck der Ar¬ 
terien. (Mit 2 Abbildungen).257 

Bauer u. Aschner, Über Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben. 

(Mit 2 Kurven). 270 

Ooldgchmid u. Isaac, Endothelhyperplasie als Systemerkrankung des hämato- 
poetischen Apparates (zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der Spleno¬ 
megalie). (Mit 2 Tafeln).291 

Adler, Über Urobilin. (Mit 2 Abbildungen).309 

Meyer u. Knflpffer, Über den Einfluß der Nahrungsaufnahme auf den Blut¬ 
bilirubingehalt .321 

Heß. Zur Herkunft der im strömenden Blut bei Endocarditis lenta vor¬ 
kommenden Endothelien.330 

Krauß, Der Harnsäuregehalt des Blutes bei Erkrankungen der Niere im 

Vergleich zum Reststickstoff und Kreatinin.340 

Ewald, Frehse u. Hennig, Akute Monocyten- und Stammzellenleukämien 353 
Roessingh, Die Beurteilung der Knochenmarksfunktion bei Anämien . . 367 
Besprechungen: 


1. Schade, Die physikalische Chemie in der inneren Medizin (Broemser) 380 

2. Schmorl, Die pathologisch - histologischen Untersuchungsmethoden 

( Schmincke ).380 


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Uber atrioventrikuläre Automatie und sinnaurikuläre 
Leitungsstorung beim Menschen. 

Von 

Ernst Edens. 

(Mit 30 Kurven.) 



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Fig. 5. 
















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Fig. 15. 




































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Fig. 22. 



Fig. 24. 



Fig. 25. 



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Fig. 20. 


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Fig. 28. 



Fig. 29. 


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Fig. 30. 


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1 


Aas der medizin. Universitäts-Poliklinik Hamburg 
(Eppendorfer Krankenhaus). 

(Vorstand Prof. Dr. Schottmtiller.) 

Kritische Studie Aber die Infektionswege bei Pyelitis 
acuta auf Grund klinischer Beobachtungen. 

Von 

Dr. Alfred Levy, 

Hamburg. 


Die akute Pyelitis ist auf Grund zahlreicher Arbeiten, 
welche seit der ersten diesbezüglichen Mitteilung von Lenhartz 
im Jahre 1906 erschienen sind, ein bekanntes Krankheitsbild. 

Wir wissen, daß in etwa 70% der Fälle das Bacterium coli 
der Infektionserreger ist. 

Sehr umstritten dagegen ist noch bis heute der Infektions- 
weg, d. h. die Frage, auf welche Weise das Bact. coli in das 
Nierenbecken gelangt. Sie ist noch verwirrter geworden, seitdem 
Franke im Jahre 1911 neue anatomische Bahnen beschrieben hat, 
auf denen das Bact. coli vom Darme aus in das Nierenbecken ein¬ 
wandern soll und Baue reisen in der Wand des Ureters Lymph- 
räume gefunden hat, die dem Bact coli von der Blase aus den 
Weg ins Nierenbecken ermöglichen sollen. 

Vergegenwärtigen wir uns nun, auf welche Weise das Bact. 
' coli überhaupt in das Nierenbecken gelangen kann, so stehen ihm, 
wie behauptet wird, folgende Möglichkeiten zur Verfügung: 

L Die von irgendeinem Krankheitsherd des Körpers in die 
Blutbahn gelangten Bakterien könnten durch die Nieren hindurch¬ 
treten und dabei im Nierenbecken die Entzündung hervorrufen 
(hämatogener oder deszendierender Weg). 

IL Das im Darm als harmloser Saprophyt lebende Bact. coli 
soll aus irgendwelchem Anlaß pathogenen Charakter annehmen und 
dort, wo Colon und (speziell rechte) Niere sich berühren, Darmwand 
und Nierenkapsel durchdringen und so ins Nierenbecken gelangen 

Deutsches Archiv für fclin. Medizin. 138. Bd. 1 


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können; oder es soll den von Franke gefundenen Weg der Lymph- 
bahnen, die vom Colon ascendens zur rechten Niere ziehen, be¬ 
nutzen, oder endlich, es soll von der Darmschleimhaut ans in die 
vom Darme abführenden Blutgefäße und durch den Blntstrom 
wieder deszendierend ins Nierenbecken gelangen (Überwandem ans 
dem Darm). 

IIL Die durch die Urethra aszendierend in die Blase gelangten 
Colibakterien sollen die Blasenschleimhaut durchdringen und durch 
Lymphbahnen in das Nierenbecken gelangen, die B a u e r e i s e n in der 
Wandung von Blase und Ureter, intramural, zwischen Blase und. 
Ureter einerseits und Niere und Ureter andererseits nachgewiesen 
haben will derart, daß Nieren und Blase durch Lymphbahnen mit¬ 
einander in Verbindung stehen. 

IV. Die durch die Urethra aszendierend in die Blase gelangten 
Bakterien können, entgegen dem Sekretstrom, vermöge ihrer Eigen¬ 
bewegung aktiv im Lumen des Ureters aufwärts bis ins Nieren¬ 
becken wandern. 

Zusammenfassend können die Möglichkeiten des Infektionsweges 
bezeichnet werden: 

L Hämatogen (deszendierend), 

II. Überwandern aus dem Darm 

a) lymphogen, 

b) hämatogen. 

III. Aszendierend, 

a) intramural (lymphogen) in der Ureterwand, 

b) im Sekretstrom des Ureters. 

Jede dieser Möglichkeiten hat heute ihre Anhänger und ihre 
Gegner, speziell die Franzosen und Amerikaner halten fast nur den 
hämatogenen Infektionsweg für möglich und wollen auf diese Weise 
selbst die Schwangerschaftspyelitis erklären. In Deutschland waren 
und sind die Ansichten noch sehr geteilt, jedoch steht man auch 
bei uns im Begriffe, dem hämatogenen Infektionsweg eine größere 
Rolle zuzuschreiben als bisher. 

Es erscheint daher begründet, wenn wir in der vorliegenden 
Studie versuchen wollen, durch ein geeignetes Material und unter 
Berücksichtigung der wichtigsten Literatur, zur Klärung dieser 
Frage beizutragen, und wenn wir den hämatogenen Weg einer 
besonderen Kritik unterziehen. 

Die Voraussetzung für die hämatogene Entstehung der Pyelitis 
wäre, wie wir oben andeuteten, entweder daß die Niere, als Aus- 


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Kritische Studie Uber die Infektionswege bei Pyelitis akute usw. 


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sebeidungsorgan für verschiedene Stoffe, den Körper aoch von den 
im Blute kreisenden Bakterien befreit, oder daß gelegentlich einer 
Bakteriämie, infolge einer Organschädignng, die Keime dtircli das 
Nierengewebe hindnrchtreten und dabei eine Pyelitis verursachen. 
Die eine oder die andere Voraussetzung wird von den Verfechtern 
der deszendierenden Theorie als gegeben angenommen. Es drängt 
sich jedoch die Frage auf, besitzt die Niere überhaupt die Fähig¬ 
keit, die im Blute kreisenden Mikroorganismen mit dem Ham 
„anszuscheiden“, ist das ihre physiologische Funktion; und, 
falls nicht, kann überhaupt ein solcher Übergang stattfinden und 
uter welchen Bedingungen? 

Die Frage hat schon, ehe uns das Krankheitsbild der Pyelitis 
bekannt war, eifriges Interesse erregt und man versuchte, sie durch 
Experimente an Tieren zu lösen, denen man künstlich Bakterien 
in die Blutbahn brachte. Den ersteh Versuch dieser Art hat 1877 
Örawitz ausgeführt durch intravenöse Injektion von Schimmel- 
püzsporen bei Hunden und Kaninchen; er fand, daß die Sporen 
teilweise im Blute zugrunde gingen, teilweise durch die Nieren 
ansgeschieden wurden. . „Es findet hierbei nicht eine Buptur 
der Nierenkapillaren, etwa der Glomerulusschlingen statt, wobei 
mit dem austretenden Blut gleichzeitg die Sporen in die Harawege 
gelangten, sondern ohne das Vorhandensein von Blutkörperchen 
im Ham, ohne daß nach dem Töten der Tiere Hämorrhagien in 
dem Nierengewebe nachgewiesen werden konnten, enthielt der Ham 
oft zahlreiche runde Pilzzellen.“ 

Grawi tz war also ein Vertreter der physiolgischen Bakterien - 
znsscheidung. Nach ihm sind ähnliche Experimente mit den ver¬ 
schiedensten pathogenen und nicht pathogenen Bakterien von vielen 
Autoren ausgeführt worden, deren Ergebnisse im Jahre 1908 Koch 
in der im Literaturverzeichnis angegebenen Arbeit zusammengestellt 
bat Hinzukommen die Tierversuche von Philippowicz, 
Schweizer, Sherrington, Rolly, Vincenzi, Noetzel, 
Arima, Harttung. Die Erwartung, durch die vielen Experi¬ 
mente Klarheit über die vorliegende Frage zu erhalten, wurde da- 
dareh zunichte, daß die Resultate der Versuche sich teilweise dia¬ 
metral gegenüberstehen; so vertreten n. a. Biedl und Krauß die 
Amicht, daß die Mikroorganismen nach ihrer Injektion in die Blut¬ 
bahn im normalen, blut- und eiweißfreien Harn, schon kurze Zeit 
aach der Injektion ausgeschieden werden, ohne daß die Niere 
aheriert werde, daß es sich um eine physiologische Bakterien- 

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Sekretion handle; während andere Autoren aus ihren Experimenten 
genan entgegengesetzte Schlösse ziehen. 

Man findet also von dem einen Extrem der völligen Undurchlässig- 
keit der normalen Niere für im Blute befindliche Bakterien bis zn 
dem anderen Extrem der physiologischen Bakterienansscheidnng 
durch die Niere, alle möglichen Übergänge vertreten. Worauf 
diese Abweichungen in den Versuchsergebnissen beruhen, soll hier 
nicht im einzelnen erniert werden, sicher ist, daß die Versuchs¬ 
bedingungen mancher Antoren berechtigter Kritik nicht stand¬ 
halten. 

Es war von besonderem Interesse für diese Fragen, als im 
Jahre 1914 die Veröffentlichungen von Schottmüller erschienen, 
der das Verhalten der Nieren bei verschiedenen Bakteriämen 
experimentell am Menschen studiert hat (Hamburger med. Über¬ 
seehefte 1914, H. 2 u. 3). Es wurde bei Patientinnen, bei denen 
wegen eines fieberhaften Aborts eine manuelle oder instrumentelle 
Ausräumung vorgenommen werdeD mußte, systematisch Blut und 
Urin auf den Keimgehalt untersucht; es konnte der Moment der 
Ausräumung, des operativen Eingriffs, als der Zeitpunkt angesehen 
werden, in dem häufig Bakterien vom Uterus aus durch die klaffen¬ 
den Gefäßbahnen ins Blut geschwemmt wurden. Was im Tier¬ 
experiment durch die Injektion von künstlich gezQchteten Bakterien 
in die Blutbahn erreicht werden sollte, das wurde hier beim Men¬ 
schen, wenn man so sagen darf, als pathologisch-physiologischer 
Vorgang beobachtet. Die Feststellungen Schottmüller’s er¬ 
strecken sich auf das Verhalten der Nieren bei Staphylokokkämien, 
Streptokokkämien (Streptococcus hämolyticus, Strep. viridans, Strep. 
putridus) und bei Anwesenheit von Fraenkel’schen Gasbazillen 
im Blut. Aus ihnen folgt, daß verschiedene Keime im Laufe einer 
Bakteriämie die Niere durchwandern können. „Wenn es sich 
nicht um schwere Veränderungen in der Niere han¬ 
delt, wie bei der Staphylokokkeninfektion, so ist die 
Zahl der Keime eine verhältnismäßig geringe (unter 
Umständen nur 10—20 Keime in 1 ccm Harn). Andererseits 
konnten wir auch eine Reihe von negativen Resul¬ 
taten verzeichnen, so daß jedenfalls die Frage des 
Übertritts der im Blute kreisenden Bakterien in die 
Harnwege durch die Niere auf Grund unserer experi¬ 
mentellen Erfahrungen beim Menschen dahin ent¬ 
schieden werden muß, daß keineswegs bei jeder Bak¬ 
teriämie Keime die Niere passieren . . ., daß Keime 


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Kritische Studie über die Infektionswege bei Pyelitis acuta usw. 


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eben nur dann in den Harn gelangen, wenn eine ana- 
tomischeSchädigung desGewebes stattgefnnden hat.“ 
Dafür genügt allerdings unter Umständen die Beratung einer 
Kapillarwand in einem Glomerulus! 

Daß es natürlich außerordentlich schwer oder unmöglich bzw. 
ganz vom Zufall abhängig ist, bei der pathologisch-anatomischen, 
makroskopischen oder mikroskopischen Untersuchung der Niere 
einen solch isolierten Herd zu finden, leuchtet ohne weiteres ein. 
In Anlehnung an diese Mitteilungen kann ich aus den weiteren 
Beobachtungen auf der stationären Abteilung der Med. Univers.- 
Poliklinik über eine Reihe von Bact. coli-Bakteriämien be¬ 
richten, die uns zunächst über die Frage, ob die Colibakterien 
durch die Nieren hindurchgehen, dann weiter über eine etwaige 
hämatogene Entstehung der Bact Colipyelitis Aufklärung geben 
können. 

Eis handelt sich um Patientinnen, die wegen eines fieber¬ 
haften Aborts Aufnahme in die Klinik fanden und bei denen 
eine Uterusausräumung vorgenommen werden mußte. Bei jeder 
Patientin wurde kurz nach der Aufnahme ein Cervixabstrich ge¬ 
macht und bakteriologisch untersucht, um die Art der im Uterus 
befindlichen Bakterien festzustellen. Sodann wurden den Patien¬ 
tinnen, da wir den Zeitpunkt der Ausräumung als zusammenfallend 
mit einer Bakterieninvasion in den Blutstrom ansehen durften 
(Schottmüller), 3—60 Minuten nach der Ausräumung 15—20 ccm 
Blut ans der Armvene entnommen und zur Kultur verwandt; in 
sehr vielen Fällen war das Ergebnis positiv, d. h. nach der Aus¬ 
räumung konnten Keime aus dem Blute gezüchtet werden und 
verhältnismäßig oft das Bact. coli, dessen Anwesenheit im 
lebenden Blut bisher für eine Seltenheit galt. 

Die Verarbeitung des gewonnenen Blutes geschah in jedem 
Falle nach der von Schottmüller 1 ) angegebenen Methode. 

Zur Entscheidung der uns interessierenden Frage wurde end¬ 
lich der unter sterilen Kautelen mit Katheter entnommene Urin 
auf Colibakterien untersucht und zwar zunächst gleich nach der 
Aufnahme und dann nach der Ausräumung. Es wurde regelmäßig 
eine Menge von 1—2 ccm Harn, oft noch mehr, zur Kultur ver¬ 
wendet, damit auch bei Anwesenheit nur spärlicher Keime der 
Nachweis gelingen mußte. 

1) Über Einzelheiten dieser Methode vgl. Schottmttller, Zur Bedeutung 
eisiger Anaerobier in der Pathologie, insbesondere bei puerperalen Erkrankungen. 
Oreosgeb. der Medizin und Chir. 1910, Bd. 21. 


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Zugleich wurde nach subjektiven Beschwerden von seiten des 
Harnapparates stets besonders gefragt und auf Nierenbecken- und 
Blasenkomplikationen besonders geachtet. 

Es wurden nun im ganzen 40 Fälle von B. Col i-Bakterifimien 
beobachtet, die wir entsprechend dem Ergebnis des Kulturver¬ 
fahrens in 3 Gruppen zusammengestellt haben. Folgende Tabelle 
gibt über die Resultate der Urinkultur vor und nach der Abort¬ 
ausräumung einerseits und der Blutkultur andererseits Aufschluß. 

Blutkultur TJrinkultur 
vor nach 

d. Ausräumung (Bakteriämie) 


Gruppe I 

Fall 1—16 

positiv 

neg. neg. 

. II 

„ 17-26 

positiv 

neg. pos. 

. HI 

» 27-40 

positiv 

pos. pos. 


Betrachteu wir zunächst die 16 Fälle der Gruppe I mit Rücksicht 
auf die uns beschäftigende Frage, so finden wir, daß bei sämtlichen 
Patientinnen nach der Ausräumung, laut bakteriologischer Blut¬ 
untersuchung, Colibakterien im Blute vorhanden waren. Die vor 
wie nach der Ausräumung angelegten Urinkulturen 
dagegen blieben steril. 

In diesen 16 Fällen der Gruppe I sind also die im Blute 
nachgewiesenen Colibakterien überhaupt nicht durch die Niere 
hindurchgetreten, die Patientinnen blieben, auch bei Colibakteriämie, 
die teilweise drei Tage andauerte, frei von subjektiven und ob¬ 
jektiven Nieren- und Blasensymptomen und pathologischen Ver¬ 
änderungen im Harn. 

Wenden wir uns nun der Gruppe II — 10 Fälle umfassend — 
zu, so sahen wir hier ebenfalls in allen Fällen Colibakterien 
im Blut, im Falle 26 sogar in einer Anzahl von 1200 Keimen 
in 1 ccm. In diesem einen Falle war die Ausräumung schon 
außerhalb der Klinik vorgenommen worden, Blut und Urin war 
bereits bei der Aufnahme keimhaltig. In allen übrigen Fällen 
blieb die Urinkultur vor der Ausräumung, also vor der 
Bakteriämie, steril, während nach der Ausräumung 
reichlich Colibakterien im Urin nachzuweisen waren. In 
allen diesen Fällen sind also die Colibakterien durch 
die Nieren hindurchgetreten, im Falle 21 sogar auf eine 
Dauer von 9 Tagen, wobei die Anzahl der Keime in 1 ccm Harn 
unzählbar war. Und in all diesen Fällen, bei denen Colibakterien 
doch notwendigerweise das. Nierenbecken deszendierend passiert 
haben müssen, obwohl sogar dieser Vorgang, wie bereits angeführt 


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Kritische Studie über die Infektionswege bei Pyelitis acnta nsw. 


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im Falle 21, 9 Tage lang zu verzeichnen war, blieben die Patien¬ 
tinnen frei von irgendwelchen Urinbeschwerden, lieferte die ob¬ 
jektive Untersuchung abgesehen von der Bakteriurie, niemals einen 
pathologischen Befund, kurz, niemals bestanden die Zeichen 
einer Pyelitis. 

Und ähnlich steht es bei den zur Gruppe III zusammengestellten 
14 Fällen (27—40); nur war der Urin nicht nur nach, sondern be¬ 
reits vor der Ausräumung keimhaltig. Hier müssen wir annehmen, 
daß den Bakterien schon vor der ärztlichen Ausräumung wohl 
durch weitgehende instrumentelle Eingriffe — es handelte sich durch¬ 
weg um kriminelle Aborte — ehe die Patientinnen in die Klinik 
«ingeliefert wurden, Gelegenheit gegeben war, in die Blutbahn zu 
gelangen. Wohl deshalb waren sie schon bei der ersten sterilen 
Urinentnahme in der Klinik im Urin nachweisbar. 

Aach hier ist die hämatogene Herkunft der im Urin angetroffenen 
Keime unzweifelhaft, zumal in fast allen Fällen die Keime spätestens 
am Tage nach der Ausräumung aus dem Urin verschwunden waren. 
Aber auch bei dieser Gruppe haben sie keine Be¬ 
schwerden oder Krankheitserscheinungen von seiten 
des Harnapparates irgendwelcher Art, insbesondere 
keine Pyelitis, hervorgerufen. 

Es wäre nun noch dem möglichen Einwand zu begegnen, daß die 
im Harn nach der Ausräumung gefundenen Keime nicht von der 
Niere her, sondern bei der vorhergehenden Harnentnahme aus der 
Genitalflora (Cervix) mit dem Katheter durch die Urethra in die 
Blase gebracht sind. Diese Annahme ist nicht berechtigt, sie wider¬ 
spräche unseren sonstigen täglichen Erfahrungen. 

Es ist somit gezeigt, daß in allen 40 Fällen, obgleich eine 
Colibakteriämie bestand, obwohl auch in zahlreichen Fällen ein 
Durchwandern der Keime durch die Nieren mit absoluter Sicher¬ 
heit festgestellt ist (Gruppe II), obwohl sogar die Bakterien in 
zahlloser Menge (Fall 21, 9 Tage lang) das Nierenbecken in des¬ 
zendierender Richtung passiert haben, es ist bewiesen, daß trotz¬ 
dem niemals eine Pyelitis entstanden ist. Dabei sei 
zoch besonders betont, daß in allen Fällen, bei denen die Keime 
im Blut gefunden wurden, der Bact. Colistamm pathogene 
Eigenschaft besaß, denn er hatte primär zu einer Infektion im 
Endometrium und hohem Fieber Veranlassung gegeben. Wenn 
wirklich die Pyelitis auf hämatogenem Wege zustande käme, dann 
hätte doch wenigstens unter den 40 Fällen von Bakteriämie ein 
«der das andere Mal eine Pyelitis der Blutinfektion folgen müssen. 


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Luvt 


Wir sind daher infolge dieser experimentell am Menschen erbrachten 
Belege zu der Überzeugung gelangt, daß die „hämatogene“ 
Entstehung der Bact. Coli-Pyelitis bisher auf nichts weiter basiert 
als anf therotischen Erwägungen, deren Unhaltbarkeit die vorstehen¬ 
den Untersuchungen zeigen und daß die hämatogene B. Coli- 
Pyelitis überhaupt keine Rolle spielt Tatsächlich wnrde ihr Vor¬ 
kommen auch früher an der hiesigen Klinik, trotzdem die Unter¬ 
suchungen auf diesen Gegenstand seit 15 Jahren gerichtet waren 
und trotzdem zu jeder Zeit Fälle von Pyelitis in Behandlung sind, 
niemals beobachtet 

Es blieben die beiden anderen Arten des Infektionsweges zn 
besprechen, der aszendierende und der durch Überwandern vom 
Darm. Viele Autoren halten das Einwandern des harmlos im Darm 
lebenden Bact. coli bei geringen Darmstörungen, ja schon Ver¬ 
stopfung, direkt in die Blutbahn für möglich; vom Blute aus soll 
dann wieder die Erkrankung des Nierenbeckens, deszendierend, 
stattfinden. Diese, wie wir auf Grund der vorstehenden Beobach¬ 
tungen erwiesen haben, irrige Auffassung finden wir noch in den 
neusten Handbüchern vertreten. Suter in Mohr-Staehelin 
Bd.IIIS. 1767ff. C.Posner in Kraus-Brugsch Bd. VIIS.329flf. 
L. Casper in Kraus-Brugsch Bd. VH. Ferner aber ist auch 
das Einwandern des Bact. coli vom Darm in den Blutstrom bei 
geringen Alterationen durchaus nicht verständlich. Hat man doch 
nicht einmal bei Typhus oder Ruhr oder Tuberkulose oder anderen 
schweren im Darm lokalisierten Infektionskrankheiten bei der 
Blutuntersuchung das Bact. coli finden können, obgleich ihm doch 
durch die Geschwüre reichlichste Gelegenheit geboten wäre, in die 
Blutbahn zu gelangen. Uud doch finden wir noch viele Anhänger 
dieser Möglichkeit und zwar vornehmlich unter den Kinderärzten, 
die nur auf diese Weise das häufige Zusammentreffen von Darm¬ 
störung mit Pyelitis erklären, bzw. die Tatsache, daß nach den 
Darmstörungen der Säuglinge oft bald eine Pyelitis einsetzt, die 
erst verschwindet, wenn die Darmaffektion ausgeheilt ist. Hier 
sind andere Faktoren in Betracht zu ziehen: die Pyelitis der 
Säuglinge kommt, wie aus der Bezeichnung hervorgeht, im frühesten 
Kindesalter bei Mädchen wie Knaben vor, also zu einer Zeit, wo 
Darmstörungen eine häufige Erscheinung sind und wo die dünnen 
Stühle durch das Einpacken der Säuglinge in Tücher und Verweilen 
in diesen reichlich Gelegenheit haben, mit der äußeren Harnröhren¬ 
öffnung in Berührung zu kommen durch die dann die Colibakterien 
aufwärts wandern können. 


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Kritische Studie über die Infektionswege bei Pyelitis acnta uaw. 


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im Falle 21, 9 Tage lang zu verzeichnen war, blieben die Patien¬ 
tinnen frei von irgendwelchen Urinbeschwerden, lieferte die ob¬ 
jektive Untersuchung abgesehen von der Bakteriurie, niemals einen 
pathologischen Befund, kurz, niemals bestanden die Zeichen 
einer Pyelitis. 

Und ähnlich steht es bei den zur Gruppe III zusammengestellten 
14 Fällen (27—40); nur war der Urin nicht nur nach, sondern be¬ 
reits vor der Ausräumung keimhaltig. Hier müssen wir annehmen, 
daß den Bakterien schon vor der ärztlichen Ausräumung wohl 
dnrch weitgehende instrumentelle Eingriffe — es handelte sich durch¬ 
weg um kriminelle Aborte — ehe die Patientinnen in die Klinik 
«ingeliefert wurden, Gelegenheit gegeben war, in die Blutbahn zu 
gelangen. Wohl deshalb waren sie schon bei der ersten sterilen 
Urinentnahme in der Klinik im Urin nachweisbar. 

Auch hier ist die hämatogene Herkunft der im Urin angetroffenen 
Keime unzweifelhaft, zumal in fast allen Fällen die Keime spätestens 
am Tage nach der Ausräumung aus dem Urin verschwunden waren. 
Aber auch bei dieser Gruppe haben sie keine Be¬ 
schwerden oder Krankheitserscheinungen von seiten 
des Harnapparates irgendwelcher Art, insbesondere 
keine Pyelitis, hervorgerufen. 

Es wäre nun noch dem möglichen Einwand zu begegnen, daß die 
im Harn nach der Ausräumung gefundenen Keime nicht von der 
Niere her, sondern bei der vorhergehenden Harnentnahme aus der 
Genitalflora (Cervix) mit dem Katheter durch die Urethra in die 
Blase gebracht sind. Diese Annahme ist nicht berechtigt, sie wider¬ 
spräche unseren sonstigen täglichen Erfahrungen. 

Es ist somit gezeigt, daß in allen 40 Fällen, obgleich eine 
Oolibakteriämie bestand, obwohl auch in zahlreichen Fällen ein 
Durchwandern der Keime durch die Nieren mit absoluter Sicher¬ 
heit festgestellt ist (Gruppe II), obwohl sogar die Bakterien in 
zahlloser Menge (Fall 21, 9 Tage lang) das Nierenbecken in des¬ 
zendierender Richtung passiert haben, es ist bewiesen, daß trotz¬ 
dem niemals eine Pyelitis entstanden ist. Dabei sei 
noch besonders betont, daß in allen Fällen, bei denen die Keime 
im Blut gefunden wurden, der Bact. Colistamm pathogene 
Eigenschaft besaß, denn er hatte primär zu einer Infektion im 
Endometrium und hohem Fieber Veranlassung gegeben. Wenn 
wirklich die Pyelitis auf hämatogenem Wege zustande käme, dann 
hätte doch wenigstens unter den 40 Fällen von Bakteriämie ein 
oder das andere Mal eine Pyelitis der Blutinfektion folgen müssen. 


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sollen die Colibakterien durch die Niere ansgeschieden werden, ohne 
diese zu alterieren, darauf sollen dieselben Bakterien, die das 
Nierenbecken frei durchwanderten, an einer tieferen Stelle eine 
Entzündung hervorrufen, die wieder zur Stauung nnd damit zur 
entzündlichen Veränderung des Nierenbeckens Anlaß gegeben hat. 
U. E. erfolgte auch hier die Infektion auf viel einfacherem Wege; 
zumal durch die Autopsie der Beweis für die aszendierende Form 
erbracht wurde, sind durchaus keine Gründe vorhanden, um das 
Hineingelangen der Bakterien in die Harnwege ans dem 
Darm auf dem Blutwege zu erklären. Und so glauben wir, daß 
auch in diesem Falle die Pyelitis nur insofern einen Zusammen¬ 
hang mit der Enteritis hatte, als diese dem Bact. coli direkt das 
Einwandern in die verhältnismäßig frei nnd offen und nahe dem 
Anus gelegene weibliche Urethra ermöglichte. VonderUrethra 
aus kam es aszendierend zur Pyelitis und Pyelonephritis. 

Auf einen anderen Infektionsweg, auch vom Darme aus, hat 
Franke hingewiesen. Er hat den Nachweis erbracht, daß zwi¬ 
schen Colon ascendens und der Kapsel der rechten Niere eine 
direkte Verbindung durch Lymphbahnen bestehe, durch die die im 
Darme lebenden Colibakterien unschwer zur Niere gelangen können, 
znmal die Stromrichtung in diesen Lymphgefäßen vom Darm zur 
Niere verlaufen soll. Gewiß ist es nach theoretischen Erwägungen, 
wenn diese Bahnen eben bestehen, möglich, daß die Colikeime 
durch sie zur Niere gelangen könnten. Zunächst bleibt dann je¬ 
doch die Frage der Entstehung für die, wenn auch seltenere, links¬ 
seitige Pyelitis ungeklärt, denn Franke konnte das Bestehen 
jener Lymphbahnen nur an der rechten Seite nachweisen. Da¬ 
zu kommt noch, daß die Bahnen sowohl bei Frauen wie bei 
Männern bestehen, die Zahl der Pyelitisfälle beim Manne dagegen 
hinter denen des weiblichen Geschlechts fast völlig verschwindet; 
wie erklärt sich nun diese Tatsache, daß gerade nur bei der Fran 
eine solche Überwanderung stattfinden sollte, obgleich doch sämt¬ 
liche Bedingungen beim Manne ebenso gegeben wären? Und noch 
ein weiteres kommt hinzn: Es ist noch nicht ein einziges 
Mal gelungen, das Bact. coli in diesen Lymphwegen 
anzutreffen, ja es ist noch nicht einmal der Versuch 
gemacht worden, die Colibakterien in diesen Wegen 
nachzuweisen, sondern einzig und allein ans der Tat¬ 
sache des Bestehens von Lymphbahnen leitete man die 
Behauptung ab, daß dieser Weg auf Kosten irgend¬ 
eines anderen Infektionsmodus wesentlich unter- 


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Kritische Studie aber die Infektionswege bei Pyelitis acuta usw. H 

schätzt worden wäre. Dem können wir uns aber nicht an* 
schließen nnd müssen so lange die Infektion des Nierenbeckens auf 
dem Wege der Franke’ sehen Lymphbahnen ablehnen, bis wenig¬ 
stens einmal Colikeime in ihnen angetroffen worden sind. 

Als letzte Möglichkeit bleibt die Einwanderung des Bact. coli 
in das Nierenbecken auf aszendierendem Wege, nnd zwar entweder 
in der Bahn des Sekretstromes diesem entgegen, oder innerhalb 
der in der Wandnng dieser Hohlorgane befindlichen Lymphbahnen, 
die neben Banereisen noch Müller nnd Steven experimentell 
nachgewiesen und beschrieben haben. Sie sollen sich in der Wand 
von Blase nnd Ureter befinden nnd in der Ureterenwandung hinauf 
bis zur Niere ziehen, so daß Blase und Niere durch „intramural“ 
verlaufende Lymphbahnen miteinander in Verbindung stehen. Nach 
Beschreibung der Art des Nachweises und des anatomischen Ver¬ 
laufs jener Lymphbahnen meint Bauereisen am Schlüsse seiner 
Arbeit, daß er nun zwar nicht jede Pyelitis als auf diesem Wege 
entstanden erklären will, daß aber dieser Infektionsmodus sicher 
viel mehr in Betracht käme, als bisher angenommen wurde. Auch 
diese Ansicht Bauereisen’s ist nichts mehr und nichts weniger 
als eine Behauptung und weder Bauereisen noch Müller noch 
Steven sind daran gegangen, dieselbe durch Nachweis der Coli- 
b&kterien in den Lymphbahnen zu stützen; jedenfalls würde ein 
solcher Nachweis unschwer zu erbringen sein, wenn die Colikeime 
tatsächlich-in den Lymphbahnen aszendieren würden; und bis dieser 
Nachweis erbracht ist, muß auch dieser Infektionsmodus als rein 
theoretisch abgelehnt werden. 

Im Gegensatz zu diesem lymphogen aszendierenden Modus 
steht nun die Möglichkeit für das Bact. coli im Lumen von Harn¬ 
röhre, Harnblase, Ureter, entgegen dem Sekretström, aktiv aufwärts 
zu wandern. Diese aszendierende, urogene Infektion des Nieren¬ 
beckens wird heute von vielen Seiten als rückständig und veraltet 
aBgesprochen. Allemein anerkannt ist sie dagegen für die sekun¬ 
däre Pyelitis nach Stauung, Katheterismus, und von den meisten 
deutschen Autoren auch für die Schwangerschaftspyelitis. Wenn 
auch vereinzelte Autoren (Harttung) selbst für diese sekundären 
Formen der Pyelitis den hämatogenen Weg für den zutreffenden halten, 
lud Kapaammer in seinem Referat über Pyelitis auf dem medi¬ 
zinischen Kongreß in Budapest im Jahre 1910 so weit geht, daß 
er die Entstehung der Pyelitis auf dem Blutwege selbst bei gleich¬ 
seitig bestehender primärer Eiterung in den unteren Harnwegen 
als die Regel hinstellt, so dürfen wir diese Ansichten als unseren 


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im ersten Teil mitgeteilten Erfahrungen und den natürlichen Ver¬ 
hältnissen widersprechend wohl jetzt übergehen und als erledigt 
betrachten. Die französischen Forscher sehen zwar auch die 
Schwangerschaftspyelitis als auf dem Blutwege entstanden an; 
wenn sie auch oft infolge Stauung, Druck des schwangeren Uterus 
auf den rechten Ureter unterhalten wird, nachdem einmal die In¬ 
fektion des Nierenbeckens erfolgt ist, so spricht doch schon für 
den aszendierenden Infektionsweg die klinische Erfahrung, daß der 
Pyelitis fast immer Anzeichen einer Cystitis vorangehen; die 
Auflockerung und Schwellung, welche die Schleimhaut an der 
äußeren Harnröhrenmündung durch und während der Gravidität 
erfährt, macht das Eindringen der Keime in die Harnröhre ver¬ 
ständlich. Ein weiteres vielleicht zutreffendes Hilfsmoment kann 
z; B. eine zwar gut gemeinte, aber in falscher Richtung ausgeführte 
Reinigung im Bade sein (Fehling); andere Autoren behaupten 
sogar, daß ein peinliches, aber sachkundiges Sauberhalten der 
äußeren Genitalien Schwangerer,, insbesondere die Fernhaltung 
einer Verunreinigung vom A'fter aus, in ihren Kliniken dazu ge¬ 
führt hat, daß die Schwangerschaftspyelitis eine kaum mehr anzu¬ 
treffende Erkrankung ist. Auch für die Deflorationspyelitis wird 
der aszendierende Weg unbestritten sein, da hier ein mechanisches 
Hinaufmassieren der Colikeime in die Harnröhrenmündung der Frau 
durch den Penis stattfindet. 

Wie bereits angedeutet, ist die primäre Pyelitis weitaus am 
häufigsten bei Frauen anzutreffen, bei denen die Nähe des Anus 
an der Urethramündung und ihr mangelhafter Verschluß das Ein¬ 
dringen, die Kürze der Urethra, das Aszendieren der Colibakterien 
viel leichter ermöglichen als beim Manne. Es ist auch gelungen 
(Savor), das Bact. coli in der normalen Harnröhre nachzuweisen, 
ein regelmäßiger Bewohner derselben scheint es jedoch nicht zu 
sein, da es andere Autoren wieder bei ihren systematischen Unter¬ 
suchungen nicht antreflfen konnten. Um so eher erklärt sich die 
primäre B. Colipyelitis bei der Frau durch die angeführten ana¬ 
tomischen Eigentümlichkeiten und Überwandern vom After. Bei 
den Säuglingen dagegen finden wir keine Bevorzugung des weib¬ 
lichen Geschlechts, vielmehr erkranken Knaben wie Mädchen gleich 
oft, jedenfalls im Säuglingsalter, d. h. so lange Knaben wie Mäd¬ 
chen in Kindertücher eingepackt werden. Hier kommt dann die 
männliche Harnröhre mit den in den Tüchern befindlichen Fäces 
ebensoleicht und ebensooft in Berührung wie die weibliche Harn¬ 
röhrenmündung. 


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Kritische Studie über di6 Infektionswege bei Pyelitis acnta usw. 13 




I 

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Was nan dem Bact. coli vor den übrigen Entzündung verur¬ 
sachenden Eitererregern das Aufwärtsgelangen in die oberen 
Harnwege erleichtert, ist vor allem seine Eigenbewegung, die es 
tot anderen in Betracht kommenden Erregern voraus hat, wenn 
man nicht annehmen will — ein durchaus diskutierbarer Gedanke 
— daß die Schleimhaut der Harnwege dem Bact. coli besonders 
günstige Angriffs- und Ansiedelungsbedingungen bietet. Von man¬ 
cher Seite wird nun ein Aufwärtswandern deswegen bezweifelt, 
weil die Eigenbewegung des Bact. coli nicht hinreichen soll, um 
dem ständigen Sekretstrom, der im Ureter vorhanden ist, entgegen- 
mwandern. Wir wissen jedoch (Aschoff) vom anatomischen Bau 
des Ureters, daß dessen Schleimhaut zahlreiche Längsfurchen zeigt, 
deren Fältchen wieder mit äußerst feinen Erhebungen besetzt 
sind, die den Bakterien zahlreiche Schlupfwinkel und Schutz gegen 
den entgegenkommenden Harnstrom bieten, bis sie ins Nierenbecken 
gelangt sind, daß also Wege vorhanden sind, in denen die Bak¬ 
terien nicht vom Harnstrom berührt werden müssen. Noch ein 
weiteres kommt den Bakterien zu Hilfe. Von Markus und be¬ 
sonders Lewin und Goldschmidt wurde am Kaninchen beob¬ 
achtet, wie sich bei allmählicher Füllung der noch kontraktions- 
fahigen Harnblase an eine peristaltische Bewegung des Ureters 
nach Ankunft der Welle an der Einmündung in die Blase, sofort 
eine Kontraktion der Blase und eine rückläufige, antiperistaltische 
Bewegung des Ureters anschloß, sodaß ein Teil des Blaseninhalts 
(mit Milch oder Farbstoffen versetzter Harn) durch den Ureter bis 
ins Nierenbecken zurückgebracht wurde. Es ist anzunehmen, daß 
bei stärkerer Füllung oder Überdehnung der menschlichen Harn¬ 
blase analoge Bewegungen auch beim Menschen stattfinden; der 
eigenartige schneidende und langsam abnehmende Schmerz bei 
starker Blasenfüllung wird auch vielfach mit einer antiperistal¬ 
tischen Bewegung des Ureters gedeutet. Befindet sich nun in der 
Harnblase bazillenhaltige Flüssigkeit, so ist es erklärlich, wie bei 
Betention oder Überdehnung das Aufwärtsgelangen der Bakterien 
interstützt wird. 

8ehr klar wurde der aszendierende Modus noch durch die Ex¬ 
perimente "von Lewin bewiesen; er zeigte, daß auch gröbere Körper 
als niedere Pilze nach Einspritzung in die Blase in die Niere ge¬ 
langen können, und zwar schon bald nach der Einspritzung. 
Lewin injizierte einem Kaninchen eine Ultramaringrünaufschwem- 
mung in die Blase und beobachtete schon während der Einspritzung, 
durch die die Blase nur mäßig gefüllt wurde, ein rasches Aufsteigen 


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des grfinen Inhaltes ans der Blase bis zum Nierenbecken, ohne 
daß eine antiperistaltische Welle zu erkennen war, dagegen 
machten sich einige peristaltische Bewegungen bemerkbar, die den 
Ureterinhalt wieder in die Blase hinabtrieben. Der Ureter füllte 
sich jedoch bald von neuem mit der grünen Flüssigkeit, anscheinend 
durch Saugen. Nach 2 Stunden wurde das Tier getötet; die 
Ultramarinkörnchen ließen sich mikroskopisch in den Hamwegen 
bis in die Nierenrinde hinein nachweisen. 

Eine andere Frage ist, warum machen die Colibakterien die 
Entzündungserscheinungen zuweilen erst im Nierenbecken und 
nicht bereits in der Harnblase, die sie bei diesem Modus der In¬ 
fektion doch passieren müssen, denn nicht jeder Pyelitis gehen die 
Anzeichen einer Cystitis voran. Die Tatsache, daß die Pyelitis ge¬ 
legentlich — scheinbar — primär auftritt, ohne daß vorher Er¬ 
scheinungen einer Cystitis beobachtet sind, kann nicht als Be¬ 
weis gegen den aszendierenden Infektionsmodus angeführt werden. 

Wir wissen, daß die Domäne des Bact. coli, das mit 80— 90 % 
an der Spitze aller Infektionserreger im Bereiche der Harnwege 
steht, Nierenbecken und Blase sind, wo es kürzer oder länger 
dauernde Eiterungen hervorruft und sogar auf das Nierenparenchym 
übergreifen kann. Andererseits kann das Bact coli auch in Blase 
und Nierenbecken ohne Schädigung für die Schleimhaut vegetieren, 
und erst auf irgendeinen meist mechanischen Anlaß hin, z. B. in¬ 
folge Stauung durch Stein oder Druck des graviden Uterus der 
die Mukosa schädigt, entfaltet es krank machende Wirkung. Ferner 
wies unter anderen Scheidemandel daraufhin, daß wir oft eine 
lange Nierenbeckeneiterung sehen, bei welcher der Urin mit den 
Colibakterien dauernd die Blase passiert, ohne deren Schleimhaut 
merklich zu alterieren. Diese Resistenz der Blasenschleimhaut im 
Vergleich zur Nierenbeckenschleimhaut, oder wohl richtiger, diese 
besondere Affinität der Colibakterien zum Nierenbecken, wird auch 
von den Anhängern der deszendierenden Theorie angenommen und 
findet ihre Erklärung einfach in den anatomisch-mechanischen Ver¬ 
hältnissen: Enge des Nierenbeckens gegenüber dem weiten Volumen 
der Blase mit ungehindertem Harnabfluß. Es ist jedoch jedem, 
der viele Pyelitiden beobachtet hat, bekannt, daß eine primäre 
Alteration der Blase aus der Anamnese der Kranken meist doch 
zu entnehmen ist. Dort findet sich oft die Angabe über eine an¬ 
fängliche „Blasenreizung"; es bestand zunächst ein häufiger Urin¬ 
drang, leichtes Brennen, was sich wieder verlor, es folgte evtl, eine 
kürzere oder längere krankheits- und beschwerdefreie Zeit, und 


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Kritische Studie über die Infektionswege bei Pyelitis acnta usw. 15 


dann setzte plötzlich, manchmal unter Schüttelfrost, mit dampfen 
Schmerzen in der Nierengegend die Pyelitis ein, ohne daß jetzt 
noch Blasenheschwerden bestanden. 

So kommen wir denn auf Grand unserer Untersuchungen zu 
folgendem Ergebnis, welches, wie bemerkt sei, dem von Schott¬ 
in aller schon längst vertretenen Standpunkt entspricht. 

1. Von den verschiedenen Wegen, auf denen das Bact. coli in 
das Nierenbecken gelangen und dort eine Pyelitis hervorrufen kann, 
kommt der hämatogene, deszendierende Modus, wie experimentell 
am Menschen nachgewiesen wurde, nicht in Betracht 

2. Wenn auch die von Franke gefundenen Lymphbahnen 
zwischen Colon ascendens und rechter Niere bestehen mögen, so 
sprechen doch gegen eine Infektion auf diesem Wege die seltene 
Erkrankung des Nierenbeckens beim Manne im Vergleich zur Frau, 
sowie sämtliche Fälle linksseitiger Pyelitis. Zudem ist die Be¬ 
nutzung dieses Infektionsweges nur eine Hypothese und niemals 
erwiesen; er muß durchaus abgelehnt werden. 

3. Aus ähnlichen Gründen kommt eine Infektion des Nieren¬ 
beckens auf dem Wege der im Ureter verlaufenden Lymphbahnen 
nicht in Betracht; das Einschlagen dieses Weges durch die Coli- 
bakterien ist eine unbewiesene Behauptung und der Nachweis von 
Bakterien in ihnen noch niemals erbracht worden. 

4 Die aszendierende, urogene Infektion des Nierenbeckens in 
der Bahn des Sekretstromes, im Lumen von Harnröhre, Harnblase, 
Ureter, darf auch für die „primäre“ Pyelitis als der bei weitem 
Torherrschende, wenn nicht alleinige Infektionsmodus gelten. Diese 
Auffassung ist an sich schon die nächstliegende und den natür¬ 
lichen Verhältnissen entsprechende. 

Wenn wir danach als bewiesen ansehen, daß bei Pyelitis die 
Infektionserreger den aszendierenden Weg nehmen, so bezieht sich 
diese Auffassung vor allen Dingen, wie aus unserem Beweismaterial 
hervorgeht, auf Infektionen mit Bact colL Ob die von uns auf¬ 
gestellte Hegel in gleichem Umfange auch für andere Infektions¬ 
erreger, z. B„ Staphylokokken gilt, soll weiteren Untersuchungen 
Vorbehalten bleiben. 


Literaturverzeichnis. 

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Kritische Studie über die Infektionswege bei Pyelitis acuta usw. 17 


akuten Nephritis). Münchener med. Wochenschr. 1913, Nr. 31 u. 32. — 42. Ders., 
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verletzte Nieren in den Harn eindringen. Zeitschr. f. Hyg.u. Infektionskrankh. 1909, 
Bd.62. — 51. Wiens, Zur Kasuistik der Colibakteriämie. Münchener med. 
Wochenschr. 1910, Nr. 19. — 52. Wyssokowicz, Über die Schicksale der ins 
Blut injizierten Mikroorganismen im Körper der Warmblüter. Zeitschr. f. Hyg. 
u. InfL-Krankh. 1886, Ba. 1. — 53. Ders., Über die Passierbarkeit der kranken 
Nieren für Bakterien. Zeitschr. f. Hyg. u. Inf.-Krankh. Bd. 59. 


Deutsches Archiv für klin. Medizin. 138. Bd. 


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Ans der medizin. Klinik und dem hygienischen Institut 
der Universität Heidelberg. 

Zu Frage der diagnostischen Verwertbarkeit der 
Grnber-WidaTschen Reaktion. 

Von 

Dr. W. Hergt, 

Assistent der med. Klinik, 

Noch immer nicht endgültig geklärt ist die Frage, wie sieb 
die während des Krieges gegen Typhus Schntzgeimpften im Falle 
einer späteren spezifischen bzw. unspezifischen fieberhaften Infektion 
verhalten. Die an unserer Klinik unter diesem Gesichtspunkt An¬ 
gestellten Untersuchungen bestätigen die auch anderwärts ge¬ 
machten Beobachtungen, daß unter dem Einfluß irgendeiner In¬ 
fektion erneut eine positive auf die Schutzimpfung zurückzufuhrende 
Agglutination auftreten oder eine bereits vorhandene eine Steigerung 
erfahren kann, auch in Fällen, in denen die letzte Impfung über 

2 Jahre zurückliegt. Von 100 schntzgeimpften Kranken, die an 
den verschiedensten Infektionskrankheiten litten, zeigten 7 eine 
positive Gruber-Widal’sche Reaktion, deren Titer nicht unter einer 
Serumverdünnung von 1:100 gelegen war und andererseits die 
Grenze von 1: 200 nicht überschritt. Von diesen 7 Kranken waren 
5 im Frühjahr 1918 und 2 im Herbst 1918 zum letztenmal gegen 
Typhus geimpft worden. Unsere Untersuchungen fielen in die 
Monate Februar, März, April und Mai 1920. Die Tatsache, daß 

3 dieser Patienten an fieberhafter Lungentuberkulose litten, ist 
bemerkenswert, da eine positive Agglutinationsprobe gerade bei 
diesem Leiden, auch ohne daß eine künstliche Typhusimmunisierung 
vorausgegangen war, wiederholt in der Literatur angegeben wird. 
Von den 4 anderen Kranken hatte einer eine chronische Colitis, 
einer eine Pleuritis exsudativa auf wahrscheinlich tuberkulöser 
Grundlage, ein dritter einen paranephritischen Absceß und der 


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Verwertbarkeit der Gruber-Widal’echen Beaktion. 


19 


vierte eine Grippe, die mit Fieber bis zu 39° einherging. Dieser 
letzte, der bei seiner Anfhahme untersucht wurde, Agglutinierte 
am 2. III. 20 Typhus: 0 

* 9. IIL 20 „ 1:200 + 

„ 12.IU.20 „ 1:200 + 

„ 15. UL 20 n 0. 

Der Kranke war im Frühjahr 1918, also ca. 2 Jahre vor der 
. Erkrankung, die ihn zu uns führte, zum letztenmal gegen Typhus 
I geimpft worden. Die positiven Reaktionen fielen, mit der Fieber- 
; hübe zusammen. Mit dem Abfall der Temperatur wurde die Probe 
1 wieder negativ. Dieser Fall blieb vereinzelt. Die anderen hierher 
gehörenden Patienten wiesen schon bei der ersten Untersuchung 
eine positive Agglutination auf, die sich im Verlauf der nicht 
typhösen Erkrankung durch drei, vier Untersuchungen auf derselben 
Höhe hielt. Bei der Gleichartigkeit der Befunde erübrigt sich die 
t Wiedergabe der Protokolle. Immerhin ist daran festzuhalten, daß 
! ia einzelnen seltenen Fällen „der unspezifische Reiz einer nicht- 
| typhösen Infektion bei Typhusschutzgeimpften“ einen positiven 
Ausfall der Agglutinationsprobe bewirkte, die vor der Erkrankung 
negativ gewesen war. 

Die Versuche Fleckseder’s (1), welche die Möglichkeit eines 
Wiederauftretens von Agglutininen bei Schutzgeimpften infolge 
irgendeiner nichtspezifischen Infektion zu beweisen scheinen, sind 
sieht unwidersprochen geblieben. So erklärt Brösamlen (2), 
fer diese Befunde nicht bestätigen konnte, die abweichenden Re* 
altate Fleckseder’s mit dem Hinweis darauf, „daß vielfach, so 
umentlich bei den Tierversuchen von Conradi und Bieling (3) 
he Agglutininneubildung auf die Typhusschutzimpfung noch nicht 
ibgeschlossen war, als der neue, unspezifische Reiz einsetzte“. 

Schutzgeimpfte Typhuskranke, bei denen die letzte Impfung 
ebenfalls über 2 Jahre zurücklag, ließen in dem Verhalten ihrer 
igglutinationskurven keinen nennenswerten Unterschied gegenüber 
lieht schutzgeimpften Typhösen erkennen. Wie im allgemeinen 
he Kurve des Agglutinationsvermögens Typhöser anfangs ein 
williges Anwachsen zeigt, um gegen Ende der 2. und während 
ler 3. Woche eine mehr weniger steile Steigerung zu erfahren, so 
leigten auch die Titerkurven unserer geimpften Typhuspatienten 
keinen auffallend hohen Anfangstiter. Im Gegensatz zu Typhus- 
xhutzgeimpften, die unter dem Einfluß einer nichtspezifischen In¬ 
fektion oder neben einer solchen eine positive Gruber-Widal’sche 
Beaktion von gleichbleibender Höhe aufweisen, sei jedoch hervor- 
i 2* 


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20 


Hsbgt 


gehoben, daß bei Typhuskranken in .der Hegel ein unverkennbares 
Ansteigen des Titers nachzuweisen ist So fand ich bei nicht 
Typhoskranken, daß die Agglutination entweder rasch wieder ver¬ 
schwand oder sich durch mehrere Untersuchungen hindurch auf 
derselben mittleren Höhe hielt, nie war ein Ansteigen des Titers 
zu beobachten. Das gleiche Resultat teilte Brösamlen mit, der 
32 typhuskranke Schntzgeimpfte untersucht hat Eh* fand in „53 °/ 0 
aller Fälle ein sehr steiles Ansteigen der Agglntinationskurve u . 
Daß in den von nns untersuchten Fällen die Titerwerte weniger 
steil ihre Höhe erreichten, mag seinen Grund darin haben, daß 
hier die letzte Typhusschutzimpfung 2 Jahre und darüber zurücklag, 
während die Patienten Brösamlen’s, wie aus seiner Tabelle 
hervorgeht, vor viel kürzerer Zeit zum letztenmal geimpft wären. 
Unsere Kurven näherten sich mehr einem Bild, wie man es bei 
der Mehrzahl nichtgeimpfter Typhuskranker zu sehen gewohnt ist. 
Bedenkt man jedoch, daß Impfagglutinine manchmal im Blute 
nachzuweisen sind noch nach einer Zeit von über 25 Monaten 
und zwar in recht erheblichen Serum Verdünnungen — in Brö¬ 
samlen’s Aufzeichnungen finden sich zwei gesqnde Typhus¬ 
schutzgeimpfte, von denen einer nach 28 Monaten in einer Ver¬ 
dünnung von 1:800 agglutininierte und ein anderer, der gar 
nach 30 Monaten den Wert von 1:1000 erreichte — dann wird 
man diesem Autor recht geben müssen, wenn er dem steilen 
Anstieg des Titers diagnostische Bedeutung beimißt. Es kann 
heute keinem Zweifel unterliegen, daß Typhusschutzgeimpfte noch 
nach über Jahresfrist in einer Verdünnung agglutinieren können, 
deren Titerhöhe auch dem skeptischsten Beurteiler Eindruck 
machen muß. Hält man sich gegenwärtig, daß es genug Typhus¬ 
fälle gibt, die ganz aus dem Rahmen des gewohnten Krankheits¬ 
bildes herausfallen und deren Diagnose man unter Umständen von 
dem Ausfall der Gruber-Widal’schen Reaktion abhängig machen 
möchte, dann wird man sich mit Recht fragen dürfen, wie man 
angesichts dieser Tatsachen der Gruber-Widal’schen Reaktion dia¬ 
gnostischen Wert überhaupt noch zusprechen kann. Und doch 
wäre es verfehlt, immerhin seltene Beobachtungen verallgemeinern 
zu wollen und zu vergessen, daß die überwiegende .Mehrzahl der 
Kranken, nachdem nun seit der militärischerseits durchgeführten 
Typhusschutzimpfungen über 2 Jahre vergangen sind, keine Ag¬ 
glutination mehr zeigt, auch nicht gelegentlich einer neuen nicht¬ 
spezifischen Infektion. Jene Ausnahmen zur Regel erheben zu 
wollen, ist um so unzweckmäßiger als die tägliche Erfahrung auch 


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Verwertbarkeit der Grober-Widal’schen Reaktion. 


21 


heute noch immer wieder beweist, wie wertvoll die Gruber-Widal- 
sche Reaktion für den ist, der sie wertet als ein Symptom, das 
niemals allein, sondern nur im Verein mit anderen Erscheinungen 
die Diagnose stutzen kann. Wie der-negative Ausfall einer Ag¬ 
glutinationsprobe, besonders wenn sie nur einmal ansgeführt wurde, 
selbst am Ende der 3. Woche die Diagnose des Typhus nicht zu 
erschüttern braucht, so kann auch eine einmal auftretende positive 
Agglutination nicht ohne weiteres eine typhöse Infektion beweisen. 
Für die Praxis empfiehlt sich daher, sich nicht mit einer einzigen 
Probe zu begnügen, sondern sie in zweifelhaften Fällen mehrmals 
in Abständen von mehreren Tagen vom Ende der 2. Krankheits¬ 
woche an gerechnet vornehmen zn lassen. 

Zur Frage der Dauer der Reaktion kann ich nur wiederholen, 
was ältere Autoren an einem viel größeren Material, als es mir 
zur Verfügung stand, erwiesen haben. In der Regel verschwinden 
die Agglutinine aus dem Blut mit dem Aufhören der Krankheit, 
nicht selten ist die Reaktion aber noch weit in die Rekonvalescenz 
hinein positiv befunden worden. Daß in vereinzelten Fällen noch 
nach Jahren eine positive Agglutination von mitunter beträcht¬ 
licher Höhe sich nachweisen läßt, wurde von verschiedenen 
Forschern berichtet So wurde vereinzelt ein Überdauern der 
Reaktion nach 8, 10 und mehr Jahren beobachtet (Lit. bei Palt- 
auf) (4). 

Bezüglich der Schwankungen, denen das Agglutinationsvermögen 
bei demselben Kranken unterliegen kann, sei auf die Publikation 
Pamarts (5) verwiesen, der 2 Typhuskranke täglich mehrmals 
untersucht hat und ein Schwanken zwischen den extremen Titer- 
werten von l: 100 bis 1:1500 feststellen konnte. Daß die Gruber- 
Widal’sche Reaktion im Verlauf eines Typhus verschwinden und 
wieder auftreten kann, lehrt ein Fall, der an unserer Klinik zur 
Beobachtung gekommen ist. Es handelte sich dabei um eine 
Krankenschwester, die an einem klinisch und bakteriologisch 
sicheren Typhus abdominalis erkrankt war. Bei ihrer Aufnahme 
in die Klinik in der 3. Krankheitswoche und in der Folge agglu- 
tinierte sie am: 


8. XI. 19: 
3. XII. 19: 

13. XH. 19: 

14. XII. 19: 

13.1. 20: 

21 . 1 . 20 : 






Ty 0 
Ty 0 

Ty bis 1:400 + 

Ty bis 1:400 schwach + 
Ty 0 


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22 


Hsbot 


24.1. 20: Ty bis 1:100 + 

28.L 20: Ty bis 1:200 + 

4.n. 20: Ty bis 1:200 + 

Von besonderem Interesse ist das Verhalten des Agglutinations¬ 
vermögens bei Typhusrecidiven. So konnte Späth (6) den Nach¬ 
weis erbringen, daß bei sämtlichen Typhusrecidiven eine positive 
Grober-Widal’sche Reaktion vermißt wird und erst nach Ablauf 
der 2. Erkrankung sich wieder einstellt. Diese Beobachtung gibt 
vielleicht eine Erklärung ab für das Zustandekommen einer Wieder¬ 
erkrankung, deren Ursache dann „in dem Fehlen einer kräftigen 
Abwehrreaktion der antikörpererzeugenden Organe“ (M fl 11er- 
Graz) (7) gesucht werden kann. Auch die von uns beobachtete 
Krankenschwester machte ein Recidiv durch, das bei Betrachtung 
ihrer Agglutinationskurve, die schon im Verlauf der 1. Erkrankung 
einmal auf Null abgesunken war, nicht mehr überrascht. 

Um Aufschluß Aber die Häufigkeit nichtspezifischer Agglu¬ 
tination zu erhalten und zur Nachprüfung der Frage der sog. 
Normalagglutination wurden eine Reihe von fieberhaftkranken 
Frauen untersucht, die wegen der verschiedensten Infektions¬ 
krankheiten sich im Krankenhaus befanden. In meinen Proto¬ 
kollen überwiegen Grippeerkrankungen und im Anschluß an solche 
sich entwickelnde Pneumonien. Im ganzen wurden die Sera von 
100 Frauen, die natürlich nie Typhusimpfstoff erhalten, noch eine 
typhöse Erkrankung durchgemacht hatten, auf ihr agglutinatorisches 
Verhalten geprüft. Von diesen 100 Patienten zeigten 17 eine po¬ 
sitive Grober-Widal’sche Reaktion, dessen Titer sich zwischen 100 
und 200 bewegt. Nicht eingerechnet sind solche, die nur in einer 
Serumverdünnung von 1:50 agglutinierten (s. Tab. nächste Seite). 

Die Resultate wurden nach 2 ständigem Aufenthalt der Proben im 
Brutschrank bei 37 0 mit einer 10 fach vergrößernden Zeißlnpe abgelesen. 
Die verwandten Typhusbazillen waren gut agglutinable Loboratoriums¬ 
stämme, die wiederholt auf ihre Reinheit untersucht und auf Differential- 
nahrboden geprüft wurden. Die Schrägagarknlturen wurden mit 3 ocm 
steriler physiologischer Kochsalzlösung abgeschwemmt und von der Ab¬ 
schwemmung je ein Tropfen in die einzelnen Serumverdünnungen einge¬ 
bracht. Daß jeder Probe eine Kochsalzkontrolle, die Spontanagglutination 
aussohloß, beigegeben wurde, ist selbstverständlich. Die Kranken selbst 
wurden, bevor man ihnen Blut abnahm, eingehend nach früheren Krank¬ 
heiten, insbesondere typhösen Infektionen und Erkrankungen der Gallen¬ 
wege befragt. 

Die Deutung unserer Befunde ist nicht leicht. Selbst wenn 
man annimmt, daß die eine oder andere der Patientinnen ohne 


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Verwertbarkeit der Gruber*Widal’schen Reaktion. 


23 


Nr. 

Name 

Krankheit 

| Datum 

Gr.-W. 

Reaktion 

1 

Eck. 

Pn. crouposa 

31. I. 20. 

6. II. 20. 

1:200 + 

0 

2 

Ea. 

Scarlatina 

18. II. 20. 
23. II. 20. 

2. in. 20. 

1:100—1 
1:100- 
1:100- 


3 

Br. 

Erysipel 

16. II. 20. 
24. II. 20. 

2. HI. 20. 

1:100 + 

0 

0 

4 

Schw. 

do. 

16. n. 20. 

24. II. 20. 

2. III. 20. 

0 

1 :100-| 
1:100 —| 

- 

5 

Ge. 

Pn. crouposa 

17. n. 20. 

18. II. 20. 
23. II. 20. 

3. UI. 20. 

1:100 + 
1:100 + 
1:100 + 
1:100 + 

€ 

Wi. 

do. 

23. II. 20. 

3. III. 20. 
12. IIL 20. 

0 

0 

1:200± 

7 

| Ne. 

Polyarthritis 

24. II. 20. 

2. IIL 20. 

0 

1: 200 + 

8 

Schae. 

i 

i 

Encephalitis 

l.III. 20. 

3. IIL 20. 
9. IIL 20. 

1:50 H 
1:100-| 
0 


0 

Kl. 

. Grippe 

1.UI. 20. 

3. UI. 20. 

1:100± 

1:100+ 

10 

Vö. 

Erysipel 

l.ra. 20. 
6. in. 20. 

0 

1 :200 + 

11 

Kr. 

Chorea min. 

9.m. 20. 
12. HI. 20. 

1: 200+ 
1:200 + 

12 

Bu. 

Pn. cronposa 

12. Ul. 20. 

1:200 + 

13 

Fa. 

Grippe 

16. IIL 20. 

1:100 + 

14 

Hö. 

do. 

16 m. 20. 

15. IV. 20. 

1:200 + 
1:200 + 

16 

Zi. 

do. 

16. IIL 20. 
18. UI. 20. 

1:100 + 
1:100 + 

16 

Tr. 

Encephalitis 

23. m. 20. 
26. IIL 20. 
29. III. 20. 

1 :100-J 
1:100-] 
0 


17 

Ze. 

i 

Pn. cronposa 

23. in. 20. 
28. UL 20. 

1:200-1 
! l:200-j 

- 


etwas davon zu wissen vor Jahren einen Typhus vielleicht ambu¬ 
lant Oberstanden hat — denn schließlich bleibt auch die exakteste 
Anamnese abhängig vom Gedächtnis und der Intelligenz des Be¬ 
fragten — und die beobachtete Reaktion das Residuum einer 
froheren Infektion ist, so bleiben noch genug übrig, auf welche 


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24 


Hkrgt 


diese Erklärung sicher nicht zntrefifen kann. Daß also die tfehr- 
zahl der vorstehend aufgeführten Kranken eine nichtspezifische 
Agglutination aufwies, unterliegt keinem Zweifel Die Spezifität 
der Agglutininbildung ist oft in Frage gesteht worden; vielleicht 
sind die ausgedehnten, in den letzten Jahrzehnten angestellten 
chemisch-physikalischen Untersuchungen, welche zur Erklärung des 
Vorganges der Agglutination herangezogen werden, geeignet, auch 
das Auftreten einer nicht auf Typhusinfektion beruhenden positiven 
Gruber-Widal’schen Reaktion verständlich zu machen. Das Wesen 
des Agglutinationsphänomens besteht in einer Ausflockung von 
Bakterienaufschwemmungen, der nach den Anschauungen Borde t's 
und anderer eine Veränderung der die Bakterien in Suspension 
haltenden Schutzkolloide vorangeht. Diese Veränderung des Schutz¬ 
kolloids wird allein als spezifisch angesprochen. Streng kann diese 
Spezifität jedoch nicht sein, da sonst das Vorkommen einer nor¬ 
malen Agglutination nicht möglich sein könnte. Vielmehr scheint 
es so zu sein, daß auch spezifisch entstehende Agglutinine ein Sus¬ 
pensionskolloid zu verändern vermögen, das einem anderen Erreger 
als dem ätiologisch in Betracht kommenden angehört. Trifft diese 
Annahme zu, so würde die Agglutination, die im Verlauf mancher 
nicht typhöser Infektionskrankheiten auftritt, eine Erklärung finden. 
Man wird bei einer nicht spezifischen Gruber-Widal’schen Reaktion 
nur fragen müssen, ob die die Infektion verschuldenden Erreger 
agglutinogene Eigenschaften haben. Eine Einteilung der gewöhn¬ 
lichen pathogenen Keime in solche, die mit einem wohlentwickelten 
Schutzkolloid ausgestattete Agglutininbildner sind, und in andere, 
die diese Eigenschaft vermessen lassen, gibt v. Szent-Györgyi (8), 
der auf den Zusammenhang zwischen Schutzkolloid und serologischer 
Reaktion besonders hinweist. 

Man hat die. Beobachtungen nicht spezifischer Agglutination 
von Typhusbazillen unter dem Begriff der Normalagglutination zu¬ 
sammengefaßt, kommt doch auch normalem nicht von einem Kranken 
stammenden Serum in nicht seltenen Fällen die Fähigkeit zu, 
Typhusbazillen zu agglutinieren. Um die Feststellung eines Grenz¬ 
titers, über den hinaus eine Agglutination als spezifisch anzusprechen 
sei, haben sich viele Forscher bemüht. Die Frage der Normal¬ 
agglutination hat durch die während des Krieges durchgefuhrten 
Typhusschutzimpfungen erhöhtes Interesse gewonnen. Widal (9) 
selbst, der besonderen Wert auf die mikroskopische Methode legte, 
bezeichnet schon eine Titerhöhe von 1:26 als typhusverdächtig. 
Citron (9) weist daraufhin, daß im normalen Serum die Agglu- 


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Verwertbarkeit der Gruber-Widal’schen Reaktion. 25 

tination nur bei starker Konzentration auftritt, er hält einen Titer 
von 1:100 für spezifisch. Dy er (10) bestimmt auf Grund seiner 
an typhusschutzgeimpften Kriegsteilnehmern ausgeführten Unter¬ 
suchungen eine Verdünnung von über 1:40 als Grenzwert Wieder 
andere halten die Gruber-Widal’sche Reaktion erst in einer Ver¬ 
dünnung von 1:100—200 für diagnostisch verwertbar. Klemperer, 
Oettinger u. Rosenthal(ll) möchten erst Werte von 1:400und 
darüber als beweisend für eine typhöse Infektion ansprechen. Rie- 
bold (12) verzichtet auf einen bestimmten Schwellenwert und ver¬ 
tritt mitLöwy(13)u.Brösamlen die Auffassung, daß diagnostische 
Bedeutung der Gruber-WidaTschen Reaktion nbr zukommt, wenn in 
mehreren Untersuchungen ein Ansteigen des Titers bezw. längeres 
Verharren auf höheren Werten nachweisbar ist. Käthe Groh (14), 
die eine größere Anzahl von Typhösen und an Ruhr und an typhus¬ 
ähnlichen Infektionen Erkrankten auf ihr agglutinatorisches Verhalten 
mit verschiedenen Stämmen untersucht hat, hält die Gruber-Widal’sche 
Reaktion auch unter den durch die obligatorische Typhusschutzimp- 
fungbeim Heere geschaffenen Verhältnisse für diagnostisch sehr wohl 
verwertbar, wenn nur bestimmte Versuchsbedingungen gewahrt 
werden, unter denen sie das wiederholte Ansetzen der Probe und Ab¬ 
lesung nach 1—2 Stunden Aufenthalt bei 37 0 im Brutschrank neben 
der Festsetzung einer der Agglutinabilität des verwandten Stammes 
angemessenen Titergrenze hervorhebt. Von besonderem Interesse ist 
ihre Beobachtung, daß zwei Typhusstämme, die sich gegen Typhus¬ 
immunserum nahezu gleich verhielten, von den Sera typhus schutz¬ 
geimpfter Personen verschieden stark beeinflußt wurden. Auf früh¬ 
zeitiges Ablesen legt die Verfasserin mit Recht hohen Wert, da 
sie zeigen konnte, daß „die irreführenden Einflüsse von voraus¬ 
gegangener Schutzimpfung oder durch ruhrähnliche Erkrankung 
um so stärker zum Ausdruck kommen, je länger man mit der Ab¬ 
lesung wartet.“ 

Die Schwierigkeiten, die der Festsetzungen von Standardwerten 
entgegenstehen, erklären sich aus den wechselnden biologischen 
Eigenschaften der Testkulturen und dem zahlenmäßig gar nicht 
zu erfassenden individuell verschiedenen immunbiologischen Ver¬ 
halten des das Serum liefernden Menschen und nicht zuletzt aus dem 
Fehlen einer einheitlich gehandhabten Methodik. So sei um nur 
eines herauszugreifen, hingewiesen auf die großen zeitlichen Schwan¬ 
kungen, die z. B. Scheller bei dem Zustandekommen der Agglu¬ 
tination beobachtet hat und die besonders dann sich geltend machen 
müssen, wenn bei der Untersuchung verschiedener Seren nicht gleich- 


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26 


Hbbgt 


zeitig abgelesen wird. Man kann nicht genug hervorheben: Die 
-Prüfung der Agglntinationsfähigkeit eines Krankenserams ist 
eine ausgezeichnete diagnostische Methode, wenn sie von Kundigen 
gehandhabt und von Kundigen in die diagnostische Rechnung ein¬ 
gestellt wird. 


Z-nsammenfassnng: 

1. Die Gruber-Widal’scbe Reaktion wird in ihrem Wert 
von den durch den Krieg geschaffenen Verhältnissen (Typhusschutz¬ 
impfungen) in der Mehrzahl der Fälle nicht berührt. 

2. Das Auftreten einer positiven Reaktion, die auf vorange¬ 
gangene Typhusschntzimpfnng bezogen werden muß, ist, nachdem 
seit den letzten Impfungen über 2 Jahre vergangen sind, sehr selten 
geworden. 

3. Der Nachweis, daß es sich gegebenenfalls um eine durch 
eine typhöse Infektion bedingte Agglutination oder um eine noch 
bestehende Impfreaktion handelt, läßt sich aus einer einmaligen 
Untersuchung nicht erbringen. 

4. Das agglutinatorische Verhalten solcher Personen, die weder 
nachweislich typhös erkrankt waren noch eine Typhusschutzimpfung 
erhalten hatten, weicht von dem bei Typhus beobachteten in der 
Regel wesentlich ab. Es bestehen nennenswerte Unterschiede be¬ 
züglich der Dauer der Reaktion und der Titerhöhe. Schwankungen 
des Titers, wie sie beim Typhus gelegentlich nachweisbar sind, 
scheinen hier vollkommen zu fehlen. 

5. Nicht spezifische Agglutination findet sich hänfig bei Er¬ 
krankungen, deren Erreger entweder selbst agglutinogene Eigen¬ 
schaften haben oder bei denen wie bei der Tuberkulose und Grippe 
es sich mit Wahrscheinlichkeit um Mischinfektionen mit Keimen 
(Pneumokokken?) handelt, die ihrerseits Agglutininbildner sind. 

6. Wesentliche Voraussetzung einer richtigen Beurteilung und 
Handhabung der Reaktion ist allgemein neben der angewandten 
Methode die Zahl der angestellten Untersuchungen und die Be¬ 
obachtung der Titerhöhen, aus deren quantitativem Verhältnis zu¬ 
einander allein ein eindeutiges Bild zu gewinnen ist 


Literatur. 

1. Fleckseder, Wiener klinische Wochenschr. 1916, Nr. 21. — 2. Brö- 
samlen, Deutsches Arch. für klin. Med. 1919, Bd. 129. — 3. Conrad! n. Bie- 


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Original fro-m 

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Verwertbarkeit der Grnber-Widal’schen Reaktion. 


27 


lisg, Deutsche med. Wochenschr. 1916, Nr. 42. — 4. Paltauf, Handbnch der 
ptthogenen Mikroorganismen. Kölle-Wassermann 1913, Bd. II, 3.483. — 6. Pa- 
■art,Compt rend. soc. bioL 1899, S. 121.— 6. Späth, Wiener klin. Wochenschr. 
1915, Nr. 49. — 7. Müller, Infektion und Immunität 1917 ; 8. 397. — 8. v.Ssent- 
ßjörgyi, Zeitschr. f. Immunitätsforschung und expenm. Therapie Bd. XXX, 
LTeü.H.2, S. 144. — 9. Citiertnach Käthe Grob. — 10.Dyer, Indian Jonrn. 
cf med. Research. Vol. I, 1914, S. 729 (cit. nach Groh). — 11. Klemperer, 
Oettinger n. Rosenthal, Therapie der Gegenwart, Jahrg. 56, 1915, S. 161.— 
URiebold, Münchener med. Wochenschr. 1916, 3.620. — 13. Löwy, Wiener 
Din. Wochenschr. 1916, 3.31. — 14. Käthe Groh, Inaug.-Diss. Heidelberg 1918. 


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28 


Aus der medizin. Universitätsklinik and der medizin. Abteilung B 
der städt. Krankenanstalten Breslau 
(Geheimrat Minkowski und Prof. Forschbach). 

Über die Muskelaktionsströme bei Myasthenia gravis. 

Von 

Harry Schäffer und Heinrich Brieger. 

(Mit 4 Kurven.) 

ln Band 123 dieser Zeitschr. hat F. Herzog versucht, durch 
Untersuchungen der Aktionsströme myasthenischer Muskeln dem 
Verständnis der myasthenischen Reaktion (MyaR) näher zu kommen. 
Auf Grund seiner Befunde glaubte er, den Entstehungsort der MyaR 
in den Muskel selbst lokalisieren zu können. Ein Fall von 
schwerer Myasthenie gab uns Gelegenheit zur Nachprüfung der 
Herzog’sehen Befunde und der aus ihnen gezogenen Schlüsse. 

In Folgendem seien Krankengeschichte und Befund des Pa¬ 
tienten kurz mitgeteilt. 

Karl W., 33 Jahre alt, ehemaliger Bureauangestellter. Die Familien¬ 
anamnese ergibt nichts von Belang, insonderheit ist dem Patienten von 
in Frage kommenden Erkrankungen ähnlicher Art nichts bekannt. Er 
selbst hatte als Kind Masern und Diphtherie, 1907 Gonorrhoe. Aktive 
Dienstzeit bei der Infanterie, Teilnahme am Kriege vom 5. August 1914 
bis Ende September 1915 (Beckenschuß). Im August 1918 plötz¬ 
lich einsetzende, seitdem fortschreitende Schwäche der 
Kaumuskulatur, die Dienstunfahigkeit bedingte. Ab 1. Mai 1919 
wieder erhebliche Besserung, so daß "W. Bureauarbeit übernahm. 
Aufgabe derselben bereits wieder im Juni 1919 infolge erneuter Er¬ 
krankung. In stationärer Behandlung wegen Pericarditis exsudativa und 
Stauungsascites bis 9. August 1919. In den Krankenpapieren 
aus dieser Zeit findet sich nichts von myasthenischen 
Erscheinungen verzeichnet. Nach Entlassung aus dem Kranken¬ 
haus vorübergehende "Wiederaufnahme der Tätigkeit. Im Januar 1920 
von neuem so starke myasthenische Beschwerden, besonders beim Kauen 
und Sprechen, daß W. völlig erwerbsunfähig wurde. Seit März 


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| Über die Muskelaktionsströme bei Myasthenia gravis. 29 

t 1980 ent ambulant, dann stationär in Behandlung des Allerheiligen* 
tapttals. 1 ) 

Befand: Stark abgemagerter Mann mit ausgesprochener Atro* 
phie der Mnsknlatnr, insbesondere der Gesichtsmuskeln. Erythrasma 
i der Schamgegend und an der Innenseite beider Oberschenkel. Vitiligo 
in Bicken. 

Sympathicosparese des rechten Anges von wechselnder Stärke. 

An den inneren Organen außer dem Herzbefund nichts Ab* 
Mimes. Isthmus der Thyreoidea fühlbar. 

Herzbefund: Herzgrenzen zwei Querfinger einwärts von der 
netten Mammillarlinie, ein Querfinger einwärts von der linken Mammil- 
krUnie, II. Rippe. Spitzenstoß in der Herzgrube. Herztätigkeit regel- 
nett. 1. Ton am deutlichsten rechts vom 8ternum. 

Röntgenbefund: Das linke Zwerchfell ist infolge pleuritisoher 
Schwartenbildung stark hochgezogen, das Herz infolgedessen nach rechts 
«lagert, ebenso die Trachea. Aortenschatten deutlich verbreitert. Ob 
äch hinter den Adhäsionen ein Mediastinaltumor verbirgt, läßt sioh nicht 
otaheiden. Elektrokardiographische Aufnahmen ergeben in 
do drei Ableitungen Fehlen der P- und T-Zacke. 

Nervensystem: Armsehnenreflexe lebhaft, sonst Reflexe 
»fflig normal. Keine sensiblen Störungen. 

Herabsetzung der groben Kraft sämtlicher Muskeln. Ergo- 
{nphische Registrierung zeigt bis auf schnellen Eintritt 
^Ermüdung (und auffallend schnelle Erholung) nichts Besonderes. 
Direkte mechanische Muskelerregbarkeit gesteigert; 
i den Mm. pectorales ausgesprochene idiomuskuläre Wulstbildung. 
Ii fast allen Muskeln, besonders in der Gesichts- 
ud Schaltermuskulatur typische MyaR. In den be¬ 
dienen Muskeln z. T. deutliche Heraufsetzung der Reizschwelle 
Sr den faradischen Strom. 

Laryngologischer Befund: Glottis öffnet sioh bei der Re* 
•Mion nicht zur vollen Atmungsweite (Primärarzt Dr. Goerke). 
Während des Krankenhausaufenthaltes zeitweise hochgradige Besserung 
1* Erscheinungen. Patient kann z. B. einige Tage laut sprechen, so* 
pr singen, um dann wieder nahezu aphonisch und durch Erstickungs- 
■fifle bedroht zu werden. 

Va-R. in Serum und Liquor negativ. Chemischer und cytologischer 
Liqnorbefond ohne Besonderheiten. 

Urin frei von Eiweiß und Zucker. 

Bas morphologische B lutbild zeigt wechselnd starke Lympho- 
'Jtoae (28—50°/ o bei normalen Gasamtwerten) und Eosinopenie (0—1 °/ 0 ) i 
•jtwdem besteht Hypochromie der Erythrocyten (Färbeindex 0,6—0,6 
M durchschnittlich 5 Millionen Erythrocyten). 

1) Für die Überlassung des Falles sprechen wir Herrn Prof. 0. Foerster 
ergebensten Dank aus, ebenso Herrn Dr. Qoldberg für freundliche 


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30 


Schäffbb n. Binsen 


Blutdruck dauernd auffallend niedrig; Durchschnittswert: 100/65 
mmHg (Riva-Rocci). 

Nach dem erhobenen klinischen Befund ließ sich demnach die 
Diagnose: Myasthenie mit Sicherheit steilem Andere differential¬ 
diagnostisch in Frage kommende Erkrankungen wie progressive 
Bulbärparalyse, Pseudobulbärparalyse, Dystrophia 
musc. waren mit Rücksicht auf die Lokalisation, den auffälligen 
Wechsel in der Schwere der Erscheinungen usw. leicht auszu- 
schließen. 

Der bloße Nachweis der Jolly’schen myasthenischen 
Reaktion (MyaR) vermag nicht, wie früher angenommen wurde, 
die Diagnose zu entscheiden, wenn sie auch eine wertvolle Stütze 
derselben sein kann. Bekanntlich ist die MyaR bei einer ganzen 
Reihe verschiedenartiger Affektionen beobachtet worden, bei Hirn- 
und Rückenmarkstumoren, Syringomyelie, Friedreich’scher Krankheit 
(Kramer), Tetanie und Basedow. Ihr Vorkommen gerade bei 
diesen Erkrankungen liefert aber einen Hinweis auf die Ätio¬ 
logie, die jetzt wohl allgemein in einer Störung des endo¬ 
krinen Systems gesehen wird. Die zuerst von' Lewandowsky 1 2 3 ) 
in 10 von 30 Fällen nachgewiesene Thymushyperplasie, die Aplasie 
der Ovarien in einem Fall Curschmanns, 9 ) das Schwinden 
der myasthenischen Erscheinungen intra graviditatem (Goldflam), 
schließlich das gleichzeitige Auftreten mit anderen sicher endo¬ 
krinen Erkrankungen (Sklerodermie (Mathias 9 ), auch Stoff¬ 
wechselstörungen usw.[Froböese-Thiele und Leschcziner]) 4 ) 
sprechen für die endokrine Genese der Krankheit. Ihr konstitu¬ 
tioneller Charakter wird durch die zuerst von Oppenheim 5 6 ) 
beschriebene Kombination mit anderen degenerativen Erscheinungen, 
z. B. Polydaktylie, Mikrognatie, Gaumenspalte, Infantilismen, Ptosis 
congenita, Anomalien im Zentralnervensystem, Hemiatrophia faciei 
bewiesen. Zu diesen konstitutionellen Stigmata rechnet Bauer 4 ) 
auch das Zusammentreffen mit Tumoren. Auch der Nachweis der 
Heredität konnte durch Marinesco 7 ) erbracht werden, der My- 


1) Handb. d. Neur. II. 210, 1911. 

2) Zeitschr. f. d. ges. N. u. Psych. Bd. 7, 1911. 

3) Zeitschr. f. d. ges. Nenrol. u. Psych. Orig.-Bd. 63, 1921. 

4) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 86. 

5) Die myasthenische Paralyse, Berlin 1901 und Lehrb. d. Nervenheilkunde, 
Berlin 1913. 

6) Die konstitutionelle Disposition zu inneren Krankh. Berlin 1917. 

7) Semaine medicale 1908. S. 421, cit. nach Bauer. 


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Über die Muskelaktionsströme bei Myasthenia gram. 31 

asthenie bei zwei Schwestern beschrieben hat. Diesem Befände ist 
ein neuerer von Hase 1 ) anzureihen, der Myasthenie in einer 
Familie mit zahlreichen .degenerativen Stigmata teils endokriner, 
teils „nervöser“ Natur fand. 

Wie bei allen Erkrankungen endokriner Genese, so hat man 
versucht, auch für die Myasthenie eine bestimmte endokrine Drüse 
verantwortlich zu machen, und zwar ist hier vor allem die Epithel» 
körperchentheorie von Lundborg-Chvostek 3 ) zu erwähnen. 
Biedl und Bauer 8 ) fanden aber atich bei Injektion von Pankreas- 
extrakt Auftreten der MyaE. Am nächsten lag es bei der Häufig¬ 
keit der Thymus persistens, die Erkrankung mit dieser Anomalie 
in Zusammenhang zu bringen. 4 ) Unterstützt wurde dieser Gedanke 
durch den Nachweis der Identität der Zellen in den häufig ge¬ 
fundenen Mediastinaltumoren und Muskelinfiltrationen (Weigert) 
mit Thymuszellen. 

Als mechanisches Auslösungsmoment der myasthenischen Erschei* 
nungen kommen diese sicher nicht entzündlichen Muskelinfil¬ 
trationen bestimmt ebensowenig in Betracht wie die sekundären 
degenerativen und regenerativen Muskelprozesse. Mancher klinisch 
schwer erkrankte Muskel zeigt auch nur geringe histologische 
Veränderungen; jedenfalls besteht keine Parallele zwischen klini¬ 
schem und histologischem Befunde. In unserem Falle fanden sich 
z. B. in dem linken M. trapezius, der klinisch sich als schwer 
affiziert erwies, histologisch nur vereinzelt typische Zellinfiltrate, 
überwiegend degenerative Erscheinungen und ihre Folgen. 5 ) Auch 
wechseln die myasthenischen Erscheinungen außerordentlich in 
ihrer Intensität und können sogar, wie unser Fall zeigt, nach an¬ 
fänglich schwersten Symptomen bis zur praktischen Heilung ver¬ 
schwinden, so daß man sie als funktionell anzusehen hat. 

Das Vorkommen dieser Infiltrate, der Thymushyperplasie, wie 
anch der MyaR bei anderen endocrinen Störungen (z. B. bei 
Basedow [Schütz]) machen die Frage notwendig, ob die Myasthenie 
überhaupt als Krankheit sui generis oder nur als Symptom endo- 

1) Berliner klm. Wochenschr. 1921, Nr. 8, S. 176. 

2) Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde Bd. 27, S. 217, 1904. Wiener klin. 
Wochenschr. 1907, 1908, 1914. 

3) Innere Sekretion. III. Aufl. 1916 n. 1. c. 

4) Von besonderer Bedeutung ist in dieser Hinsicht ein durch Schuh¬ 
macher und Both beschriebener Fall von Myasthenie und Basedow, der nach 
Tbymectomie in „Heilung“ überging (Mitt. Grenzgeb. 1912, S. 746). 

5) Herrn Priv.-Dozent Dr. Mathias sei auch an dieser Stelle für die freund¬ 
liche Unterstützung bei der Durchsicht der Präparate bestens gedankt. 


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32 


Scbävfkb n. Bbibssb 


criner Störung zn betrachten ist. Diese Frage ist dahin zn be¬ 
antworten, daß es ohne Zweifel die Krankheitsform einer essentiellen 
Myasthenie auf der Basis einer ganz bestimmten Störung der 
funktionellen Korrelation endocriner Drüsen gibt, die nach initialer 
Latenz (Curschmann) 1 2 ) in den dreißiger bis vierziger Jahren 
aufzntreten pflegt. Inwieweit znr Auslösung der klinischen Sym¬ 
ptome noch eine besondere exogene Noxe notwendig ist, ist vor¬ 
läufig nicht zu entscheiden. 

Auch unser Patient zeigte Erscheinungen, die auf endocrine 
Störungen schließen lassen: Neben der myasthenischen Ermüdung 
Adynamie, niedrigen Blutdruck, Lymphocytose, sexuelle Störungen 
im Sinne langdauernden temporären Erlöschens der Libido. Eine 
pharmakologische Prüfung des vegetativen Nervensystems konnte 
mit Rücksicht auf den schlechten Zustand des Patienten nur mit 
Adrenalin vorgenommen werden: Der Blutdruck stieg nach intra¬ 
muskulärer Injektion von 1 mg Suprarenin. hydrochloric. Merck 
innerhalb von 5 Minuten von 100 auf 145 mm Hg., die Pulsfrequenz 
nach 5 Minuten von 96 auf 108. Glykosurie trat nicht auf, ebenso 
kein Tremor, nur kurz dauerndes Kältegefühl und Palpitatio cordis. 
Das Blut zeigte folgende Veränderungen: A. inj. 6000 Leukoeyten, 
davon 44 °/ 0 Neutrophile, 1 °/ 0 Eosinophile, 5°/ 0 große Mononucleäre, 
50% Lymphocyten. 5 Minuten post inj. 7000 Leukoeyten, davon 
24°/ 0 Neutrophile, 1 % große Mononucleäre, 75°/ 0 Lymphocyten. 
15 Minuten post inj. 8000 Leukoeyten, davon 38% Neutrophile, 
1 % Mastzellen, 61% Lymphocyten. Wiederholte Injektionen von 
Adrenalin, das als therapeutisches Mittel bei Myasthenie empfohlen 
worden ist, riefen eine deutliche Verschlechterung des Zustandes 
und eine eigentümliche Steifigkeit in den Fingern hervor, die der 
Patient mitunter auch spontan, besonders bei kühler Temperatur, 
beobachtet haben will. 

Um die Frage nach dem Entstehungsort der myasthenischen 
Ermüdung ihrer Lösung näher zu bringen, untersuchten wir die 
Muskelaktionsströme in ähnlicherWeise, wie dies bereits F. H e r z o g *) 
getan hat. Nach diesem Autor ist die Ermüdung des myastheni¬ 
schen Muskels prinzipiell von der des normalen verschieden. 

Leitet man die Ströme eines gesunden unermüdeten Muskels 
während starker willkürlicher Kontraktionen zum Saitengalvano¬ 
meter ab, so erhält man eine Kurve von etwa 40—50 diaphasischen 


1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 85, 1805. 

2) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 123, 1917. 


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Original fro-m 

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Über die Mnskelationsströme bei Myasthenia gravis. 


33 


Schwankungen, jede unmittelbar der vorhergehenden folgend. 
Anders, wenn der Mnskel ermüdet ist. Die Zahl der einzelnen 
Schwingungen sinkt dann auf 20—30 pro Sekunde ab, während 
ihre Amplitude zunächst noch relativ hoch bleibt, um erst bei 
weiterem Fortschreiten der Ermüdung ebenfalls kleiner zu werden. 
Da aber die Dauer jeder Schwingung ungefähr konstant bleibt 
(ca. Vst» Sekunde), so treten zwischen ihnen Pausen wechselnder 
Größe in der Kurve auf, in denen die Saite in Ruhe verharrt. 
Zugleich superponieren sich den größeren Zacken kleine Neben¬ 
zacken. Dies wurde zuerst von Piper 1 ) gefunden und später von 
Gregor und Schilder 2 ) bestätigt und näher ausgeführt. 

Demgegenüber ist das Elektromyogramm des mj'asthenischen 
Muskels nach Herzog dadurch charakterisiert, daß der Eintritt 
der Ermüdung sich nur in einer Abnahme der Amplitude 
der Schwingungen verrät, ohne daß ihre Zahl pro Sekunde 
sich ändert. Es gleicht dadurch der Kurve, die man erhält, wenn 
ein Gesunder seine unermüdeten Muskeln nur schwach innerviert. 

Da nun nach Piper jede diphasische Schwankung einem 
lnnervationsimpuls entspricht, so geht die Ermüdung des Normalen 
mit einer Verringerung der Impulse einher. Das Nervensystem ist 
also am Zustandekommen der Ermüdung wesentlich beteiligt. Beim 
myasthenischen Muskel dagegen nimmt die Zahl der Impulse 
nicht ab. 

Das Kleinerwerden der Amplituden könnte nun zwei Ursachen 
haben. Entweder wird die Stärke der Innervationsstöße geringer. 
Das erscheint durchaus möglich, da wir ja wissen, daß Intensität 
der Nervenerregung und Aktionsstromamplitude des zugehörigen 
Muskels innerhalb gewisser Grenzen parallel gehen. Denkbar wäre 
aber auch, daß der Muskel durch die Ermüdung derart verändert 
wird, daß er trotz gleichbleibender Stärke der Nervenimpulse nur 
mit einem schwächeren Aktionsstrom zu reagieren vermag. In 
diesem Falle käme die Ermüdung also im Muskel selbst zustande. 
Letzteres hält Herzog für das Wahrscheinlichere. 

Wir benutzten bei unseren Untersuchungen das Saitengalvano¬ 
meter der Firma Huth-Berlin. Die Saite von 3 ju Dicke wurde in 
der Regel stark gespannt, um den Ablauf der Aktionsströme mög¬ 
lichst getreu wiederzugeben. Zur Ableitung dienten unpolarisier- 


1) Elektrophysiologie menschlicher Muskeln. Berlin, Springer 1912. 

2) Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. 1918, Bd. 14, S. 359 und Bd. 15, 
S. 604. 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. i:w. Bd. 3 

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34 


SCHAFFE« U. BhIKGER 


bare mit Zinksulfat gefüllte Trichterelektroden nach Piper. 
Zwischen Haut und Elektrode kamen einige Lagen mit physio¬ 
logischer Kochsalzlösung getränkten Mulls zu liegen. 

Zur Prüfung der Willküraktion wurden die Elektroden im Ab¬ 
stand von etwa 10 cm auf den oberen Teil des linken M. trapezius, 
in dem die histologische Untersuchung bereits die 
typischen myasthenischen Veränderungen und die 
elektrische Prüfung ausgesprochene myasthenische 
Reaktion nachgewiesen hatten, aufgesetzt und dort während 
der Dauer der Aufnahme von einem Gehilfen festgehalten. 

Wurde nun eine Kurve aufgenommen, nachdem der Kranke in 
ausgeruhtem Zustande eben begonnen hatte, in der Hand des 
horizontal ausgestreckten linken Armes ein Gewicht von 0,5 kg 
zu halten, so erhielten wir ein Bild, das sich in nichts von dem 
des Gesunden unterschied. Im Mittel folgten 50—55 Schwingungen 
pro Sekunde aufeinander (Fig. 1). 

Aber schon wenige Augenblicke weiteren Haltens des Ge¬ 
wichtes genügten, um das Aussehen der Kurve erheblich zu ver¬ 
ändern. Die Amplitude der Schwingungen nahm deutlich ab, ihre 
Zahl jedoch blieb unverändert. Zwischen deü einzelnen Zacken 
der Kurve entstanden keine Intervalle. Die nächste Aufnahme 
(Fig. 2), die der zweiten mit kurzer Pause folgt, zeigt die gleichen 
Merkmale noch ausgeprägter. Immer noch bleibt die Zahl der 
Schwankungen auf ca. 55 pro Sekunde. 

Schließlich ist die Ermüdung so hochgradig geworden, daß der 
Kranke das Gewicht nur noch mit größter Anstrengung zu halten 
vermag. In diesem Zustande zeigt die Aufnahme äußerst kleine, 
gerade noch erkennbare Zacken', deren Frequenz nun auch erheb¬ 
lich geringer ist. Doch darf hieraus keineswegs gefolgert werden, 
daß bei diesem Grade der Ermüdung die Zahl der Innervations¬ 
impulse abgenommen habe, denn da die Größe der einzelnen 
Amplituden niemals völlig übereinstimmt, so könnten einzelne 
Schwankungen bereits so schwach geworden sein, daß sie die Saite 
des Galvanometers nicht mehr zur Ablenkung bringen können 
und sich damit der Erkennung entziehen. 

Unsere Kurven sind somit eine völlige Bestätigung der Be¬ 
funde Herzogs. Die durch willkürliche Kontraktionen herbei¬ 
geführte Ermüdung des myasthenischen Muskels ist tatsächlich 
von der des gesunden durchaus verschieden. Ob sie aber infolge 
einer funktionellen Abartung des Muskels entsteht oder infolge 
einer veränderten Innervationsweise seitens der nervösen Zentral- 


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Über die Muskelationsströme bei Myasthenia gravis. 


35 



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organe, das zu entscheiden ist vorderhand noch unmöglich. Der 
einzig exakte Weg wäre die gleichzeitige Verzeichnung der Aktions- 
ströme von Nerv und Muskel. Es wäre dann zu erwarten, daß 
bei Lokalisation des krankhaften Prozesses im Muskel die Nerven- 
aktionsströme während willkürlicher Innervation noch zu einer 
Zeit an Frequenz und Amplitudengröße unverändert blieben, in der 
der Muskel schon eine deutliche Abnahme seiner Amplituden er¬ 
kennen läßt. Leider ist jedoch dieser Weg beim Menschen nicht 
ohne weiteres gangbar, da die Ableitung der sehr schwachen 

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Aktionsströme des 1. M. trapezius nach Ermüdung durch willkürliche Kontraktion. 
Fadenspannung 15 mm pro 0,5 MV. Zeit ‘/s Sek. 































36 


ScHÄF'FKR U. BkiECKK 


Nervenaktionsströme aus technischen Gründen bisher nur an frei¬ 
gelegten Nerven gelingt. 

Nun scheinen aber die Erfahrungen über das Verhalten des 
myasthenischen Muskels bei faradischer Beizung seines Nerven 
sehr für die Erkrankung des Muskels selbst zu sprechen. Ver¬ 
zeichnet man nämlich die Aktionsströme der Unterarmbeuger, 
während der N. medianus mit faradischem Strom mittlerer Stärke 
gereizt wird, so findet man, daß jedem Öftnungsschlag eine Schwan¬ 
kung normaler Form, Dauer und Höhe *) entspricht (Fig. 3). 



Fig. 3. Aktionsströme der Unterarmbeuger im Beginn der faradischen Reizung 
des N. medjanns. Unmittelbar vor der groben Schwankung die kleine Einbrnchs- 
zacke des Öffnungsschlages, weiter vorher die des Schliebungsschlages. Faden¬ 
spannung 10 mm pro 0,5 MV. /eit ’/b Sek. 

Wird dann die Reizung mehrere Minuten hindurch fortgesetzt, 
so nimmt mit dem Eintritt der myasthenischen Reaktion auch die 
Amplitude der Aktionsströme zusehends ab. So erhielten wir z. B. 
die Kurve Fig. 4, indem die Reizung des Medianus mit gleich¬ 
bleibender Reizstärke 6 Minuten bei einer Frequenz von ca. 10 Öff¬ 
nungen pro Sekunde fortgesetzt wurde. Ganz entsprechende Re¬ 
sultate erhielt Herzog bei Reizung des N. ulnaris und Ableitung 
vom M. flexor carpi ulnaris sowie vom Hypothenar. 

Ein derartiges Verhalten des Muskels scheint nun zunächst 
keine andere Deutung zuzulassen, als daß bei fortgesetzter Reizung 

1) Dab der groben dipbasischen Schwankung eine zweite kleinere folgt (Fig. 3), 
ist nicht als pathologisch zu betrachten, da es abhängig von der Lage der Elek¬ 
troden auch beim Gesunden gesehen wird. 


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Über die Muskelatiousströme bei Myasthenia gravis. 


37 


dieselbe Nervenerregung nicht mehr mit der gleichen Intensität 
des Kontraktionsprozesses beantwortet werden kann, daß also der 
Muskel selbst für den Eintritt der Ermüdung verantwortlich zu 
machen ist. 



Fig. 4. Derselbe Versuch wie Fig. 3. Aktiousströme der Unterarmbeiiger nach 
* Min. langer faradischer Reizung des N. medianus. Einbruchszacken des Reiz¬ 
stromes wie in Fig. 3. Fadenspannung 10 min pro 0,5 MV. Zeit l /i> Sek. 

Ein solcher Schluß enthält jedoch eine Voraussetzung, die 
keineswegs erfüllt zu sein braucht, die nämlich, daß hier ebenso 
wie beim Gesunden der gleichen Stärke des Reizes stets auch die 
gleiche Stärke der Nervenerregung entspricht. Denn einmal könnte 
die Leitfähigkeit des ganzen Nerven ermüden. Zweitens aber ist 
bekannt, daß es im Experiment leicht gelingt, einen markhaltigen 
.Verven durch gewisse Eingritfe (Narkose, 0._,-Mangel; lokal so zu 
verändern, daß die geschädigte Strecke eine Erregung nur mit 
Dekrement leitet. Im Hinblick hierauf wäre also zu erwägen, ob 
nicht im Nerven des Myastheniekranken auf den elektrischen Reiz 
bin an der Reizstelle ein Dekrement auftritt und somit der Muskel 
trotz gleichbleibender Stärke des Reizstromes umso schwächere 
Erregungen empfängt, je länger die Reizung fortgesetzt wird. 

Aus dieser Überlegung geht hervor, daß auch die Unter¬ 
suchung des Muskels bei Reizung des peripheren Nerven keinen 
bindenden Schluß auf den Entstehungsort der krankhaften Er¬ 
müdung gestattet. Es ergibt sich daher die Frage, ob etwa die 
zentral-nervösen Funktionen eine Abweichung von der Norm er¬ 
kennen lassen. 


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Schaffer u. Brieger 


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Um hierüber Aufschluß zu erhalten, bestimmte Herzog die 
Latenzzeit des Patellarreflexes nach der Methode von Paul Hoff- 
mann 1 ) und fand einen normalen Wert (0,02 Sek.). Er schließt 
hieraus wohl mit Recht, daß die Geschwindigkeit der Erregungs¬ 
leitung im Nerven keine pathologische Veränderung aufweist. Da 
zudem der Rhythmus der zentralen Erregungen, wie er in der 
Aktionsstromkurve des willkürlich innervierten Muskels zum Aus¬ 
druck kommt, den Typus des gesunden Muskels zeigte, so konnte 
er nichts Abnormes in der Funktion des Zentralnervensystems 
finden und sieht hierin ein weiteres Argument für seine Annahme, 
daß der Ursprung der krankhaften Ermüdbarkeit im Muskel selbst 
zu suchen sei. 

Offenbar vermag aber die Konstatierung einer normalen Reflex¬ 
latenzzeit kaum etwas über die Funktionstüchtigkeit der Zentral¬ 
organe auszüsagen, da es ja hier vor allem darauf ankommt fest¬ 
zustellen, wie sich die Funktion linter dem Einflüsse ihrer Be¬ 
anspruchung ändert. Wir gingen deshalb bei unseren Versuchen 
in der Weise vor, daß wir die Latenzzeit des Achillesreflexes 
unseres Kranken nach der Methode des einen von uns (Sch äff er) 2 * ) 
bestimmten, hierauf während ca. x / 2 Stunde den Reflex sehr häufig 
auslösten und dann wiederum eine Latenzzeitbestimmung Vor¬ 
nahmen. Doch konnte zwischen beiden Messungen keine Differenz 
ermittelt werden. Sie ergaben übereinstimmend 0,039 Sekunden 
und hielten sich somit an der oberen Grenze der Norm, wenn wir 
die Werte von F. A. Hoffmann 8 ) zum Vergleich heranziehen. 

Zur Beurteilung ist zu bedenken, daß dieses Resultat möglicher¬ 
weise durch zwei entgegengesetzt wirkende Faktoren beeinflußt 
wird. Einmal müßte eine etwa vorhandene pathologische Ermüd¬ 
barkeit des Reflexes die Latenzzeit verlängern, andererseits 
würde sich der Einfluß der Bahnung, ähnlich wie dies vom Rücken¬ 
marksreflex des Frosches 4 ) bekannt ist, in einer Verkürzung 
der Latenzzeit äußern. Beide Faktoren könnten sich gegenseitig 
aufheben und der Einfluß der Ermüdung dadurch der Beobachtung 
entzogen werden. 

Wir halten uns demnach keineswegs für berechtigt, eine funk¬ 
tionelle Störung des Zentralnervensystems bei der Myasthenie aus- 
zuschließen. 

1) Arch. f. Phys. 1910, 8. 286. 

2) Zeitschr. f. d. ges. Nein*, u. Psvch. (im Erscheinen j. 

o) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 126, 1918, S. 818. 

4) Veszi, Zeitschr. f. allg. Physiol. 1918, Bd. 18, S. 58. 


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I 



Über die Muskelationsströme bei Myastenia gravi». 


39 


Andererseits ist zuzugeben, daß die bemerkenswerten Be¬ 
obachtungen, die Herzog an den zeitweilig starren Muskeln 
seines Patienten machen konnte, durchaus für eine Erkrankung 
des Muskels selbst sprechen. Während die Starre in der Musku¬ 
latur des Kleinfingerballens bestand, traten nach kurzdauernder 
faradischer Reizung des N. ulnaris auf einen Induktionsschlag hin 
mehrfache Zuckungen von beträchtlicher Höhe auf und gleich¬ 
zeitig zeigte die Kurve des Aktionsstromes nach der anfänglichen 
diphasischen Schwankung mehrere große wellenförmige Schwan¬ 
kungen. Ein solches Verhalten ist durch eine Störung des Nerven 
nicht zu erklären und weist auf eine Anomalie des Muskels. 

Es muß jedoch dahingestellt bleiben, wieweit man berechtigt 
ist, derartige tonische Zustände dem Bilde der echten Myasthenie 
zazusprechen und die für den Einzelfall gültigen Ergebnisse zu 
rerallgemeinern. Das Auftreten mehrfacher Kontraktionen auf 
«inen Reiz erinnert wohl am ehesten an die von Rautenberg 1 ) 
ebenfalls bei Myasthenie beschriebene Myautonomie. Doch betont 
schon Rautenberg, daß ihr Vorkommen bei diesem Leiden 
keineswegs konstant ist und sie auch bei anderen Muskelleiden 
smgetrofFen wird. Bei unserem Kranken waren spontane tonische 
iontraktionen zur Zeit der Untersuchung auch nicht andeutungs¬ 
weise zu beobachten. Doch sei hier an die in der Kranken¬ 
geschichte erwähnten Angaben des Patienten über früher auf¬ 
getretene derartige Zustände erinnert. Wir suchten daher fest- 
zastellen, ob sich etwa eine latente Disposition in dieser Richtung 
aachweisen ließe. 

Als Weg hierzu wählten wir die Auslösung der kürzlich durch 
fine n von uns (Sch äff er) näher studierten sog. Tiegel’schen 
Kontraktur. 2 ; Der Unterarm wurde in der Armstütze des Mosso- 
schen Ergographen befestigt und die Beugemuskulatur rhyth¬ 
misch intermittierend mit kurzen faradischen Strömen bipolar ge¬ 
reizt, während der Kranke mit seinem Mittelfinger gleichzeitig im 
Tempo der Reizung ein Gewicht von 0,5 kg hob und senkte. Die 
Bewegungen des Fingers wurden auf einem Kymographion ver¬ 
zeichnet Bezüglich der technischen Einzelheiten muß auf die aus¬ 
führliche Publikation a. a. 0. verwiesen werden. Tritt unter 
<le» Einfluß der Kombination von Willkürimpuls und elektrischer 

1) Dentsches Arch. f. kl in. Med. Bd. 93, 1908, S. 388. 

2) Pflügers Arch. 1920, Bd. 185, S. 42 und Berliner klin. Wochensehr. 1920. 
.Vr. 31, S. 728. 


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40 Schaffer u. Brieger, Über die Muskelationsströme bei Myastenia gravis. 

Beizung die Kontraktur ein, so zeigt die erhaltene Kurve, daß der 
Muskel auch in der Pause zwischen je zwei Reizen anhaltend kon¬ 
trahiert bleibt. Bei geeigneten Individuen ist die Kontraktur 
unter diesen Bedingungen schon mit schwachen faradischen und 
galvanischen Strömen zu erzielen. Auch bei unserem Kranken trat 
sie ein, bedurfte jedoch der Anwendung relativ starken faradischen 
Stromes (R—A 40 mm). Von einer besonderen Disposition zur 
Kontraktur kann also bei ihm nicht gesprochen werden. 

Das Ergebnis unserer Untersuchungen wäre folgendermaßen 
zusammenzufassen: Bei einem Kranken, der das voll ausgeprägte 
Bild der Myasthenie bot, zeigte die Prüfung der Aktionsströme 
mittels des Saitengalvanometers den eigenartigen Ermüdungstyp 
der myasthenischen Muskeln uud bestätigte damit die Ergebnisse 
von Fr. Herzog. Es bleibt nämlich die Zahl der diphasischen 
Schwankungen und damit der Rhythmus der Iunervationsimpulse 
unverändert, nur die Größe der Amplituden nimmt mit fort¬ 
schreitender Ermüdung immer mehr ab. Bei Reizung des Nerven 
antwortet der zugehörige Muskel auf jeden Induktionsschlag mit 
einer diphasischen Schwankung. Bei fortgesetzter faradischer 
Reizung wird die Amplitude trotz gleichbleibender Stärke des 
Reizstromes kleiner. In Übereinstimmung mit Herzog fanden 
wir die Latenzzeit eines Sehnenreflexes normal. Sie betrug für 
den Achillesreflex 0,039 Sek. und nahm auch durch vielfach wieder¬ 
holte Auslösung des Reflexes nicht nachweisbar ab. Trotzdem eine 
Reihe von Tatsachen auf den Muskel als Hauptsitz der Erkran¬ 
kung hinweisen, darf doch eine Mitbeteiligung des Zentralnerven¬ 
systems am Zustandekommen der myasthenischen Ermüdung keines¬ 
wegs ausgeschlossen werden. Die größte Wahrscheinlichkeit be¬ 
sitzt zurzeit die Annahme, daß die gleiche innersekretorische 
Störung koordiniert eine Funktionsschwäche des nervösen Zentral¬ 
organs wie der Muskeln bedingt. 

Eine Lösung der Frage nach dem Sitz der myasthenischen 
Ermüdung ist vielleicht von der gleichzeitigen Registrierung der 
Aktionsströme von Nerv und Muskel zu erwarten. 


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41 


Aus der niedizin. Klinik in Heidelberg. 

Beobachtungen Aber Ulcns ventriculi. 

Von 

Dr. Marie Clauss. 

Wir versuchten, uns durch eingehende seelische und körper¬ 
liche Untersuchung von 100 Kranken mit chronischen Magenge¬ 
schwüren (29 Frauen, 71 Männern) ein Urteil zu verschaffen, oh 
ind wie weit nervöse Momente im weitesten Sinne des Wortes 
hei solchen Kranken in Betracht kommen oder eine Rolle spielen, 
las „vegetative“ Nervensystem haben wir mit den alten Methoden 
Versucht, weil sie uns immer noch sicherer zu sein scheinen, als 
« zurzeit in der Klinik üblichen pharmakologischen Prüfungen. 
lUr wählten nur solche Kranke, bei denen die Diagnose sicher 
»ar. 87 hat Herr Prof. Enderlen operiert, 22 hatten Blutungen, 
U zeigten einen ganz unzweideutigen, von Herrn Dr. Holthusen 
erhobenen Röntgenbefund. 

Bei einer Gruppe dieser Kranken (45), bestand von Jugend 
<n allgemeine körperliche Schwächlichkeit. Die Frauen dieser 
truppe sind alle erst spät entwickelt, zwischen dem 18. und 21. 
Lebensjahr. Allgemein nervöse Symptome waren bei fast allen zu 
finden, aber nicht bei allen. Ein großer Teil dieser Kranken gab 
■n, daß bei Aufregungen sich die Beschwerden verschlimmerten, 
find daß sie im ganzen viel leichter erregbar wären, wenn der 
!'a?en Störungen machte. Hier beeinflußten sich also die beiden 
Erscheinungen sicher gegenseitig: Verstärkung der allgemein 
wvüsen Erscheinungen stört den Magen und Vermehrung der 
Lv.'pepsie beeinträchtigt das Allgemeinbefinden. Einzelne nervöse 
'ymptome haben sich bei manchen dieser Kranken, deren allgemein 
•cfFöse und deren seeliche Verhältnisse sonst normal waren, erst 
ei Verlauf der Krankheit entwickelt. Das ergab nicht allein die 
-bmmnese, sondern auch die fortlaufende klinische Beobachtung 


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42 


Claus« 


Hier ist der natürliche Schluß die althergebrachte Annahme, daß 
die Kranken nervös geworden sind. Zwei Frauen, die im Krieg 
starke körperliche Anstrengungen verbunden mit schweren Sorgen 
hatten, wurden dabei reizbar, schlaflos, bekamen Magenbeschwerden 
{eben die Erscheinungen des Ulcus ventriculi) und boten das Bild 
außerordentlicher Ermüdung. Zwei Kranke dieser Gruppe waren 
zwar schwächlich, zeigten aber keine Spur von psychisch nervösen 
Symptomen. 7 Kranke von den 45 waren ausgesprochen geistig 
minderwertig, 4 imbecill, 2 zeigten schwere Hysterie, 1 Epilepsie. 

Alle Kranken, die psychisch erregbar waren, zeigten leichte 
Veränderungen des „vegetativen“ Nervensystems: Dermographismus, 
respiratorische Arhythmie, Wechsel zwischen Durchfall und Ver¬ 
stopfung. Bei einem Kranken traten die Schmerzen anfallsweise 
auf, unabhängig von der Nahrung, und besserten sich immer schnell 
auf Atropin. Während der Schmerzanfälle war der Magen als 
harter Tumor zu fühlen. Radiologisch war die peristolische Tonus¬ 
erhöhung leider nicht zu Gesicht zu bringen. Bei der Operation 
fand sich ein kleines Geschwür am Pylorus. 

Zur zweiten Gruppe (37 Kranke) gehören gesunde, kräftige 
Leute, hauptsächlich Männer (34 von 37). Die Magenbeschwerden 
setzten meist (mit 8 Ausnahmen) erst nach dem 40. Jahre ein, 
bis dahin waren die Leute ganz gesund. Bei einem Teil von 
ihnen traten die Beschwerden während des Feldzuges auf, alle 
hatten sehr stark geraucht, einzelne waren Säufer. Allgemein und 
„lokal“ nervöse Symptome fehlen hier fast völlig. Die Kranken, 
die 50 Jahre oder älter w r aren, hatten zum großen Teil deutliche 
arterielle Veränderungen, 4 mit Hypertonie. Eine ausgesprochene 
Nephritis war bei keinem vorhanden. Die meisten der älteren 
Kranken waren zahnlos oder hatten sehr schlechte Zähne. 

Zwischen diesen beiden Gruppen stehen Kranke (18), die sich 
in keine zwanglos einreihen lassen. Zunächst kräftige Leute, bei 
denen jede nervöse Erscheinung fehlt, deren Magenbeschwerden 
aber bis in die frühe Jugend zurückreichen. Sie gehören dem 
Wesen nach zu der oben genannten zweiten Gruppe. 5 von ihnen 
hatten früher Gelenkrheumatismus gehabt. Weiter sahen wir 
schwächliche nervös reizbare Menschen, namentlich Frauen, mit 
allen Zeichen minderwertiger körperlicher Ausbildung, die erst 
nach dem 40. Jahre unter den Erscheinungen des Magengeschwürs 
erkrankt sind. Bei 5 von ihnen fällt der Beginn der Magenbe¬ 
schwerden mit dem Anfang der Menopause zusammen. 

Sichere Anhaltspunkte für eine frühere Erkrankung oder eine 


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Beobachtungen über Ulcns ventriculi. 


43 


Operation im Sinne Rössles fehlen fast ganz. Zweimal geht Ruhr, 
einmal eine leichte Enteritis den Magenbeschwerden unmittelbar 
voran. 7 Kranke hatten früher ein- oder mehrmals Gelenkrheu¬ 
matismus gehabt; bei dreien waren Herzklappenfehler vorhanden. 
Blinddarmentzündung kommt in 5 Fällen in der Anamnese vor, 
zweimal mit Operation. Alle 5 Kranke hatten ausgiebige Magen¬ 
blutungen. Einer wurde operiert (Gastronterostomie), und dabei 
ein Ulcus am Pylorus gefunden. Eine sehr rüstige Bauersfrau 
hatte 3 mal, unmittelbar nach 3 Geburten, starkes Blutbrechen 
verbunden mit drückenden Schmerzen in der Magengegend gehabt. 
Sie kam jetzt, 20 Jahre nach der letzten Blutung, mit erneuten, 
sehr heftigen Schmerzen und Erbrechen. Bei der Röntgendurch¬ 
leuchtung fand sich ein Sanduhrmagen mit sehr enger Verbindung 
zwischen beiden Abschnitten und Nischenbildung am oberen Teil. 
Einmal ist, J /* Jahr, ehe die ersten Beschwerden auftraten, ein 
Tonsillarabsceß eingeschnitten worden. Der Kranke war ein 
schwächlicher, nervöser Mensch, 20 Jahre alt, als er die ersten 
Schmerzen bekam. Nach dem Röntgenbild handelte es sich bei 
ihm um ein Ulcus duodeni. Bei einem Kranken kann die 
Entstehung des Ulcus mit einem Trauma, das die Magengegend 
traf, in Zusammenhang gebracht werden. Unmittelbar auf den Un- 
feil folgten Blutbrechen und Schmerzen. 7 Jahre später wurde er 
operiert, und dabei fand sich ein Ulcus callosum an der kleinen 
Kurvatur. 

In ungefähr der Hälfte aller Fälle fand sich im Röntgenbild 
eine ganz ausgesprochene Gastroptosis, und zwar bei Kranken der 
1. und der 2. Gruppe. 

Die Säurewerte waren bei den meisten Kranken normal oder 
wenig erhöht (15—35 freie HCl, 30—70 Ges.-Acid., Indikatoren 
Diamidoazobenzol und Phenolphthalein), nur bei 9 Kranken bestand 
eine ausgesprochene Hyperacidität; davon gehörten 6, und zwar 
mit den höheren Säurewerten, zur 2. Gruppe. Das mag wohl da¬ 
her kommen, daß diese Kranken meist frisch erkrankt in die 
Klinik kamen, während zur 1. Gruppe viele der alten chronischen 
Fälle gehörten. 4 Kranke hatten geringe Säurewerte, davon einer, 
bei dem 2 Jahre vorher ein perforierendes Ulcus vernäht worden 
war, ein Salzsäuredefizit. 

Bei den meisten Kranken beider Gruppen traten die Schmerzen 
in der typischen Weise bald nach dem Essen auf, aber bei einigen, 
hauptsächlich der 1. Gruppe, kamen sie auch ganz unabhängig von 
der Nahrung entweder nach Aufregungen und Anstrengungen oder 


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Cr. Ai* s$ 


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ohne erkennbare Ursache. Eine Kranke der 2. Groppe war bei 
vollem Wohlbefinden von einer Blntung überrascht worden. Bei 
allen, die schon jahrelang krank waren, wechselten die Zeiten der 
Magenstörungen mit Zeiten völligen Wohlbefindens; ein Kranker 
der 1. Gruppe war seit 20 Jahren im Sommer immer krank, im 
Winter gesund. 

Nach den vorliegenden Beobachtungen kann man zusammen¬ 
fassend sagen, daß bei einem Teil der Kranken eine neurogene 
Entstehung des Ulcus im Sinne v. Bergmann*s möglich ist. 
Bei den anderen aber, und dazu gehören vor allem die in späterem 
Alter Erkrankten und mehr Männer als Frauen, kommen nervöse 
Momente nicht in Betracht. Viele von diesen sind Arteriosklerotiker, 
und bei ihnen mögen Gefäßveränderungen für die Entstehung des 
Geschwüres eine Holle spielen. Als zweite Krankheit könnte es 
nach Rössle in den Fällen angesehen werden, in denen Poly- 
arhritis rheumatica vorangegangen ist. Vielleicht dürfen wir 
nochmals betonen, daß von den 7 Kranken mit Polyarthritis rheu¬ 
matica 5 ihren Krankheitserscheinungen nach weder in die 1. 
noch in die 2. Gruppe paßten. Ganz sicher erscheint es unmöglich, 
auch nach den Beobachtungen hier, eine einheitliche Genese des 
Ulcus ventriculi anzunehmen. 

Wir führen 4 Krankengeschichten als Beispiele an, drei für 
die beiden Hauptgruppen und eine für Kranke, die nicht einzu¬ 
reihen sind. 

I. W. Sch., 25 Jahre alt, Laborant, hatte vor 10 Jahren zum ersten¬ 
mal Magenbeschwerden, die 1 Jahr dauerten und nach Gebrauch von 
Karlsbader Salz verschwanden. Während des Krieges war er als Zivil¬ 
gefangener in Kußland. In dieser Zeit bekam er wieder Schmerzen in 
der Magengegend, unabhängig von der Nahrungsaufnahme. Die Schmerzen 
kamen diesmal anfallsweise und hielten jedesmal ungefähr 10 Minuten an. 
Dazwischen war er wochenlang frei von Beschwerden. Sch. war ein 
großer schlanker Mann in geringem Ernährungszustand und mit wechselnder 
Gesichtsfarbe. Die Haltung war gebückt. Seelisch war er leicht erregbar; 
er schlief schlecht, klagte über viel Herzklopfen und lebte immer in Angst 
vor neuen Schmerzanfällen, die täglich ein oder mehrere Male auftraten. 
Während dieser Anfälle war der Magen als harter Tumor fühlbar. Bei 
der Küntg ndurchleuchtung, die in schmerzfreier Zeit gemacht wurde, 
war keine gesteigerte Peristaltik zu sehen. Der Stuhl war meist ver¬ 
stopft, dazwischen hatte er leichte Durchfälle, Blut war nie darin nach¬ 
zuweisen. Die Säurewerte des Mageninhalts nach Probefrühstück waren 
wenig erhöht (fr. HCl 47, Ges. Acid. 74). Bei der Operation (Gastro¬ 
enterostomie) fand sich ein kleines Ulcus am Pylorus. 6 Monate nach 
der Operation kam er wieder, hatte wieder Schmerzanfälle, die unterhalb 
des Sternums ansetzten und in den linken Arm ausstrahlten. Er sah 


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Beobachtungen über Ulcus ventriculi. 


45 


sehr blaß aus und batte Blut im Stuhl. Die Schmerzen besserten sich 
rasch auf Atropin. 

II. A. B., 42 Jahre alt, Landwirt, gab an, nie kräftig gewesen zu 
sein. Er hatte nicht aktiv gedient, war auch nicht ira Krieg gewesen. 
Seit 20 Jahren hatte er nach dem Essen Schmerzen und Druckgefühl 
im Magen, die in den letzten Jahren heftiger und anhaltender geworden 
waren. Seit einigen Monaten waren sie so schlimm, daß er nach jeder 
Mahlzeit den Finger in den Hals steckte, um zu erbrechen, und sich da¬ 
durch Erleichterung zu schaffen. 

B. war klein, blaß und sehr abgemagert. Die Haut war welk und 
trocken. Seelisch war er, trotz seines quälenden Zustandes, ganz im 
Gleichgewicht. Von nervösen Erscheinungen war nichts bei ihm zu 
finden. Unterhalb des Nabels war der Magen als harter, glatter Tumor 
zu fühlen; nach dem Betasten traten peristaltische Wellen auf. Der 
Stuhl war frei von Blut. Morgens nüchtern war noch fa»*t alle Nahrung 
vom Abend vorher im Magen. Bei der Röntgendurchleuchtung fand sich 
ein Sanduhrmagen mit Nischenbildung an der kleinen Kurvatur. Nach 
h Stunden war der Brei noch zum großen Teil im unteren Magenabschnitt. 
Der Magen wurde oberhalb der Stenose reseziert. Ein Jahr später war 
B. ganz frei von Beschwerden, sah wohl aus und konnte seine Arbeit 
gut verrichten. 

III. J. T., 59 Jahre alt, Bahnarbeiter, litt seit 1915 an Obstipation, 
vorher war er immer gesund gewesen. 1919 war er zum erstenmal in 
ü-t Klinik wegen Schmerzen am Magen, die nach dem Essen auftraten. 
Damals fand sich im Röntgenbild eine Nische an der kleinen Kurvatur. 
Der Kranke war ein sehr starker Raucher, hatte auch Tabak gekaut; ge¬ 
sunken hat er wenig. Am 7. August 1920 bekam er plötzlich Erbrechen 
und sehr heftige Magenscbmerzen, die noch anhielten, als er 2 Tage später 
m die Klinik kam. Er war groß, kräftig gebaut, der Ernährungszustand 
war schlecht. Im Stuhl war die Gnajakprobe dauernd positiv. Die 
Säurewerte nach Probefrühstück waren 30 fr. HCl, 46 Ges.-Acid. Bei 
der Operation, Querresektion, Wurden multiple Ulcera gefunden. Nach 
der Operation ausgezeichnetes Befinden. 

IV. Ph. R., 45 Jahre, Arbeiter, hatte im 10., 18. und 31. Jahr 
Gelenkrheumatismus gehabt. Seit dem 32. Jahr hatte er häufig Magen¬ 
beschwerden, die 1 / 2 Stunde nach dem Essen begannen, hauptsächlich 
nach sauren Speisen, zuweilen auch nach Aufregungen. Der Stuhl war 
immer etwas angehalten. R. kam in die Klinik, nachdem er von Lud¬ 
wigshafen wegen seiner Führerschaft beim Generalstreik hatte fliehen 
müssen. In dieser Zeit großer seelischer Erregungen hatten sich seine 
Beschwerden sehr verschlimmert. Er war ein großer, kräftiger Mensch 
in gutem Ernährungszustand, nicht eigentlich nervös, aber leidenschaftlich 
und undiszipliniert. Am Herzen fand sich eine „kompensierte u Aorten- 
insufficienz. Der Stuhl enthielt Blut. Die Säurewerte waren normal. 
Das Röntgenbild zeigte eine Nische in der Mitte des absteigenden Astes 
der kleinen Kurvatur. Nach der Operation (Querresektion) wurde er völlig 
gesund. 


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Aus der I. medizin. Klinik der deutschen Universität in Prag 
(Vorstand: Prof. R. Schmidt). 

Beobachtungen Aber paroxysmale Kältehämoglobinurie 

und Kälteikterns. 

Von 

Dr. Paul Kaznelson, 

Assistent. 

(Mit 3 Kurven.) 

Die folgenden Mitteilungen berichten über Untersuchungen, 
die an zwei Fällen von paroxysmaler Hämoglobinurie nach drei 
verschiedenen Richtungen hin gemacht wurden: 

1. über die näheren Beziehungen der intravaskulären Hämolyse 
zur Entstehung von Hyperbilirubinämie und Ikterus, 

2. über die quantitativen Verhältnisse des Donath-Land¬ 
stein er’schen Hämolysins und 

3. über die therapeutische Beeinflußbarkeit der Anfälle von 
Hämoglobinurie mittels hypertonischer Salzlösungen nach 
Bondy und Strisower. 

Fall I. Anna M., 37 Jahre alt, hat seit Oktober 1920 typische 
Anfälle von Hämoglobinurie, die schon durch geringe Einwirkungen von 
Kälte ausgelöst werden. Ihr Gatte soll eine Geschlechtskrankheit ge* 
habt haben; sie selbst war bisher nie krank. Die klinische Unter¬ 
suchung der Patientin ergibt keine pathologischen Veränderungen. 

Durch ein kaltes Fußbad von auch nur 3 Minuten Dauer gelingt 
es regelmäßig, einen starken Anfall auszulösen: er beginnt mit Kreuz¬ 
schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schüttelfrost; es kommt zu Fieber bis 
über 39°; Stunde nach dem Bade tritt bereits Hb im Harn auf, nach 
2 l l 4 Stunden wird auch Methb ausgeschieden. Die Dauer der Hämo¬ 
globinurie ist je nach der Kälteeinwdrkung kürzer oder länger. 

Nachdem die später in Abschnitt JII beschriebenen therapeu¬ 
tischen Versuche keinen deutlichen Effekt hatten, wird eine Neosalvarsan- 
kur eingeleitet, deren Beendigung sich Patientin jedoch entzieht. 

Fall II. Arthur H., 42 Jahre alt, hat im Jahre 1901 wegen einea 
Ulcus eine Schmierkur gemacht. Im Januar 1915 nach einer starken 


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Beobachtungen über paroxymale Kältehämoglobinurie und Kälteikterus. 47 

Erkältung erster Anfall von Hämoglobinurie, in typischer Weise ver¬ 
laufend. Im Januar 1916 hatte er wieder einige Anfälle und wurde 
damals mit 10 Suhlimatinjektionen behandelt, wodurch die anfangs positive 
Wa.-K. negativ wurde. Auch die Anfälle von Hämoglobinurie blieben 
aus. Herbst 1920 Gumma am weichen Gaumen, das nach Jodkali ver¬ 
schwand; die positive Wa.-E. wird dadurch wieder negativ. Seit März 
1920 bestehen Schmerzen in allen Gelenken; Hand-, Finger- und Zehen¬ 
gelenke sind auch geschwollen. 

Die klinische Untersuchung ergibt außer den luetischen Gelenk¬ 
veränderungen (Röntgen) nichts Besonderes. 

Am 31. März 1921 Kälteversuch: 10 Min. langes Eisfußbad, welches 
außer einer Temperatursteigerung auf 37,4 keine Erscheinungen auslöst. 
Deshalb 1 Stunde nachher ein zweites Eisbad 10 Minuten lang. 1 Stunde 
nach diesem Schüttelfrost, Temperaturanstieg bis 37,9; nach 4 Stunden 
ist die Temperatur wieder zur Norm zurückgekehrt. Zur Zeit des 
Fiebers traten starke Schmerzen in den Kniegelenken und kleinen Finger¬ 
gelenken (Herdreaktion!) auf. Im viertelstündlich gelassenen Harn wurde 
nie Hämoglobin gefunden, dagegen bereits */ 4 Stunde nach dem zweiten 
Bade vermehrtes Urobilinogen, welches bis 2 s / 4 Stunden nach dem Bade 
zunahm, dann wieder schwächer wurde und nach 5 Stunden ganz ver¬ 
schwunden war. Zur Zeit der starken Aldehydreaktion sind die Skleren 
deutlich ikterisch. Am nächsten Tag ist der Ikterus wieder ver¬ 
schwunden. 

Am 1. April wird der Kälteversuch (25 Minuten langes Fußbad) 
mit ganz demselben Effekt wiederholt. Es gelingt also nie mehr, 
Hämoglobinurie zu erzeugen, die künstlich provozierten Anfälle ver¬ 
laufen abortiv und äußern sich nur als paroxysmaler Kälteikterus. 

Der Patient wird einer Neosalvarsankur unterzogen und bekommt 
im ganzen 3,9 g Neosalvarsan. Danach bessern sich die Gelenks¬ 
erscheinungen bedeutend und auch das subjektive Befinden wird ein voll¬ 
kommen normales. 

Am 17. Juni 1921 wird der Effekt der Kur auf die Kältewirkung 
geprüft: Patient bekommt ein Eisbad von J / 2 Stunde Dauer. Diesmal 
kommt es überhaupt zu keinem Temperaturanstieg oder irgendwelchen 
anderen äußerlich sichtbaren Erscheinungen. Serumveränderungen siehe 
unten. 

U ntersuchungen über den Ikterus bei paroxysmaler 

Hämoglobinurie. 

Daß die Anfälle von Hämoglobinurie häufig mit Ikterus bzw. 
mit ikterischer Verfärbung der Skleren einhergehen, ist eine ge¬ 
läufige Tatsache (siehe Lepehne, Meyer). Gewöhnlich heißt es, 
der Ikterus folge den Anfällen nach. In unserem Fall II war er 
wie in einem Fall von Bürger das einzige Äquivalent eines An¬ 
falles, so daß wir geradezu in diesem Falle von einem ..paroxys¬ 
malen Kälteikterus“ sprechen können. Es kann keinem Zweifel 
unterliegen, daß in allen Fällen der Ikterus mit dem plötzlichen 


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Kazsf. 


48 

Zerfall der Erythrocyten in der Blutbahn, also mit der Hämo- 
globinämie in Zusammenhang steht. Wenn es auch in unserem 
2. Falle nicht zu einer Hämoglobinurie gekommen war. so wies 
doch schon das Auftreten des Ikterus auf das Bestehen einer intra¬ 
vaskulären Hämolyse hin. Wir konnten auch in der Tat nach 
jedem Kälteversuch reichlich freies Hämoglobin im Serum des 
Patienten nachweisen. Selbstverständlich wurde das Serum unter 
besonderen Kautelen gewonnen, die Vene wurde mit trocken¬ 
sterilisierter Spritze und Kanüle punktiert und das erhaltene Blut 
sofort zentrifugiert so daß sich das Serum aus einem erythrocyten- 
freien Blutkuchen auspreßte. Auf solche Weise gelang es, in 
normalen Fällen und vor dem Kälteversuch, immer ein fast voll¬ 
kommen hämoglobinfreies Serum zu erhalten. Einige Zeit nach 
den Fußbädern war dagegen immer reichlich Hämoglobin im Serum. 
Es war also unter dem Einfluß der Kälte auch in Fall II wie in 
allen typischen Fällen zu einer deutlichen Hämoglobinämie ge¬ 
kommen. 

Des in der Blutbahn frei gewordenen Hämoglobins sucht sich 
der Organismus möglichst rasch als eines plasmafremden Elementes 
zu entledigen. Das geschieht auf zweierlei Weise: es wird teils 
unzersetzt durch die Niere ausgeschieden, teilweise jedoch zerstört 
und im Körper zu indifferenten Substanzen abgebaut. Der erste 
Weg führt zur Hämoglobinurie: jedoch wird dieser nur dann be¬ 
treten, wenn die Menge des im Kreislauf vorhandenen Hämoglobins 
genügend groß ist, daß ein bestimmter Schwellenwert der Aus¬ 
scheidung durch die Niere erreicht ist. Geschieht das nicht, dann 
bleibt nur der zweite Weg zur Entfernung des blutfremden freien 
Hämoglobins übrig: der Abbau des Hämoglobins zum Bilirubin. 

Auf diese Weise müssen wir uns das Geschehen in unserem 
2. Falle vorstellen: das frei gewordene Hämoglobin beträgt viel 
■weniger als in allen ausgebildeten Fällen von Kältehämoglobinurie 
und wird quantitativ in Bilirubin umgewandelt, da es nicht den 
.Schwellenwert der Niere erreicht. Der Prozeß der Umwandlung 
des Hämoglobins in Bilirubin ließ sich im Verlauf der Anfälle in 
unseren Fällen sehr gut verfolgen, indem die Kurve des Bilirubin¬ 
spiegels des Serums bestimmt wurde. Abb. 1. 2, 3 geben diese 
Kurven wieder. 

Das Auffallendste an den Kurven ist der rasche Anstieg des 
Bilirubinspiegels. 1—2 Stunden nach dem Eisbad enthält das Serum 
noch sehr reichlich Hämoglobin, wenn zu dieser Zeit auch be¬ 
reits die Hämolyse ihren Höhepunkt wohl überschritten hat. Fast 


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Beobachtungen über paroxysmale Kältehämoglobinurie und Kälteikterus. 49 




Abb. 2. Fall H. 

A = Aldehydi'eaktion im Harn. 


zu gleicher Zeit ist aber anch schon das Maximum des Bilirubin- 
Spiegels festzustellen: beim 1. Falle finden wir vor dem Eisbad 0,6 
BSirnbineinheiten nach Hijmans van dem Bergh und Hämo¬ 
globin nur in Spuren; 1 Stunde nachher einen Hb-Gehalt des 
8erums von 16/4 = 4 Sahli, Bilirubin 2,15; nach einer weiteren 
Stunde Serum-Hb 15/5 = 3 Sahli, Bilirubin 2,75. 6 Stunden nach 
dem Bade ist das Serum nur noch sehr schwach Hb-haltig, Bili¬ 
rubin 1,20, 24 Stunden nachher nur Spuren von Hb, Bilirubin 1,0. 

Bei Fall II beträgt der Bilirubinspiegel vor dem Eisbad 0,76, 

Denteebes Archiv fOr klin. Medizin. 188 . Bd. d 


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Kaznblson 


1 Stunde nachher 6,6, gleichzeitig Hämoglobin im Serum -f-+; 

2 Stunden nach dem Eisbad Bilirubin 4,10, Hämoglobin - j - f ; 
3V* Stunden nachher Bilirubin 3,76, Hämoglobin nur in Spuren. 
Am nächsten Tage ist der Bilirubinwert wieder auf den Ursprungs- 
wert abgesunken. 



Nach Durchführung der 
Salvarsankur verhalten sich 
bei Fall H die Bilirubinwerte 
während des Kälteversuches 
prinzipiell ganz gleich, nur 



wurde nicht der hohe Wert 
wie vorher erreicht und in¬ 
folgedessen auch nicht der 
Schwellenwert des Bilirubin¬ 
spiegels, der zum Auftreten 
eines äußerlich sichtbaren 
Ikterus notwendig ist Von 
0,6 vor dem Kälteversuch stieg 
der Wert auf 1,76 1 Stunde 
nachher und sank nach 2 Stun¬ 
den wieder auf 0,9, welcher 
Wert auch nach 5 Stunden 


noch erhalten wurde. Das Serum war nur 1 Stunde nach dem 


Eisbad schwach rubinrot gefärbt 

Der eben beschriebene letzte Kälteversuch, der sich klinisch 
überhaupt nicht manifestierte, d. h. weder zur Hämoglobinurie noch 
zu Temperatursteigerungen noch zu äußerlichem Ikterus führte, 
zeigt, ein wie feines Kriterium das Verfolgen der Bilirubinkurve 
in abortiven Fällen von Hämoglobinurie ist, denn sie beweist mit 
Sicherheit, daß trotz des Fehlens äußerer Erscheinungen doch eine 
akute Hämolyse durch die Kälteeinwirkung stattgefunden hat 
Bei Fall II konnten wir auch die Ausscheidung des Uro- 
biünogens durch den Harn in halbstündigen Intervallen verfolgen, 
während beim I. Fall die genaue Ausscheidungskurve wegen der 
Hämoglobinurie nicht zu erheben war; nur nach kürzester Kälte¬ 
einwirkung — 3 Min. bei 13° C — war die Hämoglobinurie so 
gering, und dauerte nur 1 Stunde, so daß die Anstellung der 
Aldehydreaktion möglich wurde. Wir fanden dann auch hier wie im 
II. Fall erst 3—5 Stunden nach dem Eisbade eine stark vermehrte 
Urobilinogenausscheidung, die nach dieser Zeit wieder abklang, manch¬ 
mal jedoch nach Verlauf einiger weiterer Stunden wieder anstieg. 


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Beobachtungen über paroxysmale Kältehämoglobinurie und Kälteikterus. 51 

Diese Feststellungen Aber die zeitlichen Beziehungen des Auf¬ 
tretens des Bilirnbins im Verhältnis zom Zeitpunkt der Hämolyse 
sind sehr auffallend. Hämoglobinämie nnd Bilirnbinämie folgen 
derart schnell aufeinander, daß die Annahme einer direkten Um¬ 
wandlung des Hämoglobins in Bilirubin noch innerhalb der Ge fa߬ 
bahn sich aufdrängt. Unter diesen Umständen erscheint es aus¬ 
geschlossen, daß irgendwelche Stauungszustände in den Gallen¬ 
kapillaren durch Pleiochromie der Galle oder ähnliches einen Rück¬ 
fluß von Gallenfarbstoff und damit die Hyperbilirubinämie erzeugen. 
Eine Prüfung der Reaktionsart (direkte Diazoreaktion nach van 
dem Bergh) des Bilirubins ist leider wegen der starken Hämo¬ 
globinämie nicht möglich. Das Urobilinogen dagegen dürfte wohl 
auch in diesem Falle hauptsächlich enteral entstanden sein, da es 
erst zu einer Zeit im Harn vermehrt ist, w^ der größte Teil des 
vermehrten Bilirubins bereits aus der Gefäßbahn verschwunden ist 
nnd sich bereits im Darm befindet. 

Unsere Feststellungen stehen im Widerspruch zur Ansicht von 
Feigl und Querner, welche meinen, daß die Bilirnbinämie bei 
Zuständen schweren akuten Blutzerfalls, also bei paroxysmaler 
Hämoglobinurie, nicht die hervorragende Rolle spielt, wie bei 
chronischen hämolytischen Vorgängen. Sie stützen diese Ansicht 
auf wenige Untersuchungen in einem Falle, in welchem sie 
1 Stunde nach dem Eisbad nur eine Verstärkung der Diazoreaktion 
auf Bilirubin fanden, die aber nicht sehr hochgradig war. Weitere 
nnd genauere quantitative Untersuchungen fehlen jedoch in dieser 
Beobachtung. 

Es erhebt sich nun die'Frage nach dem näheren Mechanismus 
und Ort der Umwandlung des Hämoglobins in Bilirubin. Findet 
diese sofort in den peripheren Gefäßen statt oder muß noch irgend¬ 
ein Organ, sei es Leber oder Milz in Tätigkeit treten, um das frei¬ 
gewordene Hämoglobin zu verarbeiten? Whipple und Hooper 
haben in Experimenten an Hunden, denen sie nach Ausschaltung 
der Leber durch Anlegung einer Eck’schen Fistel und gleich¬ 
zeitiger Ligatur der Arteria hepatica, ferner nach Herstellung eines 
Brust-Kopfkreislaufes durch Unterbindung der Aorta über dem 
Zwerchfell und der Vena cava inferior Hämoglobin intravenös in¬ 
jizierten, nachgewiesen, daß auch unter diesen Umständen noch 
das freie Hämoglobin in der Blutbahn nmgewandelt wird. Wir 
versuchten nun diese Experimente auch am Menschen mit ent¬ 
sprechenden Modifikationen nachzuahmen; unsere Fälle von paroxys¬ 
maler Hämoglobinurie schienen dazu besonders geeignet, da sich 

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Kaxnklson 


ja aaf leichte und ungefährliche Art jederzeit ein Auftreten von 
freiem Hämoglobin im Blut hervorrufen ließ. Es maßte nur ver¬ 
hindert werden, daß dieses Hämoglobin in die Leber gelange. Das 
läßt sich sehr einfach durch einen protrahierten Ehrlich’sehen 
Versuch erreichen: Wir schalten einen Arm unseres Patienten voll¬ 
kommen aus dem übrigen Kreislauf aus, indem wir ihn mit einer 
Esmarchbinde so fest abschnüren, daß der Radialpuls nicht mehr 
fühlbar ist. Der abgeschnürte Ellbogen wird dann auf 2—5 Min. 
in Eiswasser getaucht, eine Zeit, die genügt um eine starke Auf¬ 
lösung von Erythrocyten in dem abgekühlten Gefäßgebiet zu er¬ 
zeugen. Diese Stauungsbinde wird dann weitere 20—25 Min. 
liegen gelassen. Längere Stauung war wegen auftretender Schmerzen 
nicht möglich. Ein solcher Versuch verlief folgendermaßen: 

Am 11. April wurde in Fall I am rechten Oberarm die Stauungs¬ 
binde fest angelegt, so daß der Radialpuls nicht mehr zu fühlen 
ist. Der Ellbogen wird 3 Min. lang in Wasser von 7° C getaucht; 
dann noch 20 Min. gestaut gelassen. Scharf abgegrenzt tritt 
während dieser Zeit in dem Hautbezirke, der in Eiswasser ein¬ 
getaucht gewesen ist, durch Vasoparalyse eine blaurote Verfärbung 
auf. Etwa V# Stunde nach Abnahme der Stauungsbinde tritt scharf 
begrenzt in dem abgekühlten Bezirke eine sehr deutliche bräun¬ 
lichgelbe Verfärbung auf. Am nächsten Tag ist diese Gelbfärbung 
schon wieder verschwunden. Aus der Vena cubiti des gestauten 
Armes wird vor dem Eisbad und kurz vor Abnahme der Stauungs¬ 
binde Blut entnommen und sofort zentrifugiert: Die erste Probe 
enthält im Serum fast kein Hämoglobin, die zweite ist dunkel- 
rubinrot verfärbt. In ganz derselben Weise verläuft ein zweiter 
Versuch am 16. April. 

Es erschien also wirklich zu einem lokalen Ikterus im ab¬ 
gekühlten Gebiet gekommen zu sein. Ich glaubte anfangs, schon 
aus der aufgetretenen zirkumskripten Gelbfärbung bereits eine Be¬ 
stätigung der Experimente von Whipple und Hooper auch für 
den Menschen annehmen zu dürfen. 1 ) Genauere Überlegungen und 
Untersuchungen müssen jedoch von dieser Ansicht abbringen und 
ich glaube, meine früheren Ausführungen korrigieren zu müssen. 
Um nämlich mit Sicherheit einen lokalen Ikterus annehmen zu 
dürfen, mußte nachgewiesen werden, daß der Farbstoff, der die 
lokale Verfärbung der Haut verursachte, Bilirubin war und nicht 
etwa infolge der starken Vasoparalyse ausgetretenes Hämoglobin, 

1) Siehe Prager Ärzte verein vom 20. Mai 1921, Med. Kl. 1921, S. 780. 


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Beobachtungen über paroxysmale Kältehämoglobinurie and Kfilteikteras. 53 


oder was einfacher za beweisen ist, ob sich im gestauten Gefä߬ 
bezirke wirklich Bilirubin gebildet hatte. Zu diesem Zwecke wurde 
im ersten Versuch das im Anfang und am Ende der Stauung, im 
zweiten Versuch das gleichzeitig (am Ende der Stauung) aus beiden 
(dem gestauten und nicht gestauten) Armen entnommene Blut¬ 
serum auf Bilirubin untersucht Da ergaben sich jedoch gewisse 
Schwierigkeiten, insofern es nicht gelang, durch konzentrierten 
Alkohol das freie Hämoglobin im Serum vollständig auszufällen, 1 ) 
so daß eine quantitative Schätzung des Bilirubins nach Hijmans 
van dem Bergh infolge eines starken gelblichen Stiches der 
roten Azobilirubinlösung unmöglich wurde. 8ehr ausgesprochene 
Differenzen der Rotkomponente nach Anstellung der Reaktion Ifüch 
Hijmans van dem Bergh waren jedoch nicht vorhanden, es 
konnten sich also höchstens wenn überhaupt nur geringe Mengen 
von Bilirubin in den abgeschnürten Gefäßbezirken gebildet haben. 

Vollkommen negativ verliefen die Versuche bei Fall II. Hier 
trat nicht einmal eine Gelbfärbung im 25 Min. lang gestauten Ge¬ 
fäßbezirk auf. Die Hämolyse im Serum war sehr deutlich, der 
Bilirubingehalt vor und nach dem Versuch jedoch der gleiche ge¬ 
blieben (ca. 0,55). Bedenken wir nun, daß beim gewöhnlichen 
Kälteversuch innerhalb 1 Stunde bei Erhaltensein des ganzen 
Blutkreislaufes der Bilirubinwert des Serums von 0,85 auf 6,6, d. i. 
fast das achtfach^ zugenommen hatte, so erscheint eine ins Ge¬ 
wicht fallende Bildung von Bilirubin innerhalb der peripheren Ge¬ 
fäße sehr unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist es, daß durch 
die Mitwirkung irgendeines inneren Organes (Leber, Milz) die 
starke Steigerung der Bilirubinämie hervorgerufen wird. 

Diesem Ergebnisse entsprechen auch einige in vitro-Versuche, 
die wir ansetzten, um ein eventuelles hypothetisches Ferment, 
welches Hämoglobin in Bilirubin umwandelt, in der Blutflüssigkeit 
nachzuweisen: Es wurden Sera, die zu verschiedenen Zeiten nach 
einem Kälteversuch abgenommen waren, und deren Bilirubingehalt 
bestimmt wurde, mehrere Tage bei Zimmertemperatur stehen ge¬ 
lassen oder 24 Stunden im Brutofen bei 37 0 gehalten, nachdem 
etwas gelöstes Hämoglobin zugefügt worden war. Niemals konnte 
eine Zunahme von Bilirubin gefunden werden, sondern regelmäßig 
eine Abnahme. So wurde bei Fall II am 17. Juni je s / 4 ccm Serum, 
das knapp vor einem Eisbad, 1 Stunde, 2 Stunden und 5 Stunden 

1) Es steht dies in auffallendem Gegensatz zur leichten Fällbarkeit des 
Hämoglobins in Proben, die bei den früheren regelrechten Kälteversuchen ent¬ 
nommen wurden. 


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Kaznelsok 


nachher gewonnen wurde, mit je einem Tropfen in destilliertem 
Wasser aufgelöster Erythrocyten des Falles II versetzt und auf 
24 Stunden in den Brutofen gestellt. Die Bilirubinwerte be¬ 
trugen : 

Vor dem Eisbad 0,6; nach 24 Stunden Brutofen nnr Spuren 

1 Stunde nach dem Eisbad 1,75; nach 24 Stunden Brutofen 1,15, 

2 „ * „ „ 0,9 : „ 24 „ „0,8, 

5 * n » » 0,9 ; „ 24 „ . „ 0,6. 

Ein bilirubinbildendes Ferment, wie es Leschke im Liquor 
nach Blutungen fand, ließ sich also im Serum unserer Fälle nicht 
nachweisen. 


Das quantitative Verhalten des Eältehämolysins. 


Es ist auffallend, wie selten in der mir zugänglichen Literatur 
bisher der Donath-Landsteiner’sehe Amboceptor austitriert 
wurde. Es liegt doch der Gedanke nahe, daß die Schwere der Anfälle 
von paroxysmaler Hämoglobinurie von der Konzentration abhängt, in 
welcher das Kältehämolysin im Blute vorhanden ist Wenn man den 
gewöhnlichen Donath-Landsteiner’schen Versuch ohne oder mit 
Zusatz von Komplement ausftthrt, so erhält man bei positivem Aus¬ 
fall, der unter gewissen Kautelen wohl immer eintritt, 1 ) (siehe 
Meyer, Matsno, jüngst Weinberg) eine gleich starke Hämo¬ 
lyse, ob nun der Patient eine wirkliche Hämoglobinurie hat oder 
nur ein latenter Hämoglobinuriker ist, wie eine gewisse Prozent¬ 
zahl von Paralytikern oder tertiärluetischen Individuen (Donath 
u. Landsteiner, Kumagai nnd Inoue u. a.). Und so war es 
auch in unseren beiden Fällen, die sich klinisch so sehr vonein¬ 
ander unterscheiden: 0,2 ccm Serum + 1 Tropfen Erythrocyten- 
brei -f- 2 Tropfen frisches Normalserum ergaben in beiden Fällen 
nach % Stunden Eisbad und 2 Stunden Brutschrankaufenthalt starke 
Hämolyse, die bei beiden Fällen gleich stark war. Titrierte man jedoch 
die beiden Sera aus, so fanden sich ganz bedeutende Unterschiede: 


Fall I: 


0,26 ccm 
0,026 „ 
0,012 „ 
0,008 „ 
0,005 „ 
0,26 „ 


Normalserum 


inaktiviertes 
Serum mit 
'Kochsalzlösung 
auf 0,26 ccm 
aufgefüllt 


-f- 1 Tropfen 1 
R-Brei (Fall 
von essent. 
Hochdruck) -f- 
2 Tropfen fri¬ 
sches Serum ; 


Hämolyse 


V, std. 

Eis und 
2 Stund. 
Brut¬ 
schrank 



1) In den 6 Fällen, die wir in den letzten Jahren sahen, war das auch 
immer so. 


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Beobachtungen über paroxysmale Kttltehämoglobinurie und Kälteikterus. 55 


dagegen Fall II: 
0,20 ccm Serum 
0,15 „ 

0,10 „ 

0,05 „ 

0,03 „ „ J 


mit Kochsalz 
anf 0,2 auf¬ 
gefüllt 


-f- 1 Tropfen 
R-Brei -j- 
' 2 Tropfen 
frisches Serum 


Hämolyse 
*/ 4 Std. ++ 

Eis und -|- 

2 Stund. -J- 

Brut- negativ 
schrank M 


Wir sehen also, daß das Serum des Falles I noch in der ge¬ 
ringen Menge von 0,008 ccm löst, das Serum des Falles II höch¬ 
stens in einer Menge von 0,1 ccm. Der Amboceptor ist also in 
Fall I in ungefähr 10 fach so starker Konzentration vorhanden wie 
in Fall II. Die gleiche Differenz in den beiden Sera erhielten wir 
ganz regelmäßig, auch bei Verwendung verschiedener Erythrocyten- 
aufschwemmungen und der gegenseitigen Erythrocyten, so daß 
diese Unterschiede nicht durch Verschiedenheit der Resistenz der 
Erythrocyten erklärt werden können. 

Unsere beiden Fälle allein genügen selbstverständlich nicht, 
um mit Bestimmtheit auszusagen, daß die Intensität des Krankheits¬ 
bildes der Hämoglobinurie immer und allein von der Konzentration 
des Kältehämolysins im Serum abhängt, doch glauben wir uns zur 
Vermutung berechtigt, daß vorwiegend auf solche Weise die großen 
Differenzen des Krankheitsbildes zustande kommen. Es wird jetzt 
notwendig sein, in jedem Falle den Amboceptor auszutitrieren, 
um ein größeres Material zu schaffen, das unsere Vermutung als 
richtig oder falsch darlegen soll, das aber einem Einzelnen bei der 
Seltenheit der Krankheit nicht zur Verfügung steht. 

Für unsere Ansicht spricht in unseren Beobachtungen noch 
der Umstand, daß in Fall II nach der Salvarsanbehandlung die 
Konzentration des Kälteamboceptors noch weiterhin abnahm, so 
daß die minimale lösende Dosis 0,15 wurde; und gleichzeitig hatte 
auch, wie wir sahen, der Effekt der Kälteeinwirkung weiterhin ab¬ 
genommen. 

Wir untersuchten mit der Titrationsmethode auch das Ver¬ 
halten des Amboceptors nach Kälteeinwirkungen. Und in der 
Tat erhielten wir nach dem Kältebad in Fall I eine deutliche Ab¬ 
nahme des Kältehämolysins; nach einem sehr heftigen Anfall z.B. 
löste das Serum nicht mehr in der Dosis von 0,025, in welcher vor 
dem Eisbad noch starke.Lösung vorhanden war. In Fall II ließ 
sich jedoch nie eine sichere Abnahme des Hämolysins nach Kälte¬ 
einwirkung nachweisen. 

In ähnlicher Weise wurde der Einfluß des Anfalles auf die 
Wa.-R geprüft. Im Gegensatz zu Jedlicka’s Beobachtung an 


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Kaznblbok 


einem Falle wurde nie eine Abnahme der minimalen, die Hämo¬ 
lyse hemmenden Serammenge (0,Q2 ccm) im Wassermann versuch 
gefunden (Hyg. Inst, der deutschen Univ.) und ebensowenig nahm 
dieser Minimalwert ab nach Bindung des Kältehämolysins durch 
auch große Mengen von Erythrocyten im Eisbad; das bestätigt 
die Untersuchungen von Moro u. Noda, Jamada, Matsuo, daß 
der Wassermannkörper und das Autolysin nichts miteinander zu 

tun haben. * 

* 

Therapeutische Versuche. 

B o n d y und Strisower haben in zwei Fällen von paroxysmaler 
Hämoglobinurie zur Unterdrückung der Anfälle hypertonische Salz¬ 
lösungen intravenös infundiert. Sie gingen von der Erfahrung 
Matko’s u. a. aus, daß sich das Schwarzwasserfieber bei Malaria 
durch Infusionen von 100 und mehr ccm 6 °/ 0 iger Dinatriumphosphat- 
lösung im Beginn des Anfalles kupieren läßt. Während Matko 
die Wirkung bei Schwarzwasserfieber als eine spezifische üämolyse- 
hemmung durch das Phosphation aüffaßt, sehen Bondy u. Stri¬ 
sower den deutlichen Erfolg, den sie in ihren Fällen zu ver¬ 
zeichnen hatten, als eine unspezifische Wirkung der hypertonischen 
Salzlösung an, da sie die gleichen Besultate auch mit 6°/ 0 iger 
Kochsalzlösung erhalten konnten, und stellen diese Salztherapie in 
volle Analogie zur Autoserumtherapie Widal’s, zur Wirkung der 
Peptoninjektion nach Nolf und der Pferdeseruminjektion nach 
Pick und Glässner. 

Wir haben in unseren beiden Fällen in verschiedenen Ver¬ 
suchen die Wirkung 6 % iger Dinatriumphosphatlösung und 6 ®/ 0 iger 
Kochsalzlösung nachgeprüft. In Fall I gaben wir einmal 5 Stunden 
vor dem Kälteversuch 150 ccm 6 °/ 0 iger NaCl-Lösung intravenös, 
ein andermal */* Stunde vor dem Kälteversuch 150 ccm Na,HP0 4 - 
Lösung; in Fall II knapp vor dem Kälteversuch 120 ccm 6% iger 
Na,HP0 4 -Lösung. Nie konnten wir eine Beeinflussung des künst¬ 
lich ausgelösten Anfalles sehen. In Fall I kam es genau wie 
sonst zur Hämoglobinurie, in Fall II zu Hyperbilirubinämie. Der 
therapeutische Effekt der Salzinfusionen ist also sicher kein kon¬ 
stanter und diese Tatsache spricht wohl mit Sicherheit für die An¬ 
schauung von Bondy u. Strisower und gegen Matko, daß es 
sich nicht um spezifische Wirkungen von bestimmten Salzionen äuf 
die Hämolyse handelt 

Ebensowenig hatten drei Milchinjektionen in Fall I einen 
sichtbaren therapeutischen Effekt. Wir möchten aber annehmen. 


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Beobachtungen aber paroxysmale Kältehämoglobinurie und Kälteikterus. 57 


daß die Proteinkörperbeh&ndlnng in diesem Falle zu kurz war, 
da die Patientin nicht länger an der Klinik verweilen konnte; 
denn Wi dal gelang es regelmäßig in drei Fällen durch fortgesetzte 
Antosernminjektionen eine Abschwächnng der Anfälle zu erzielen. 
In Zusammenfassung unserer Beobachtungen können wir also 


sagen: 

L Abortive Anfälle bei einem Falle, der pathogenetisch zur 
Gruppe der paroxysmalen Hämoglobinurie gehört, äußern sich in 
einer Kältehyperbilirnbinäpne. Der Nachweis dieser erscheint 
neben dem Nachweis des Donath-Landsteiner’schen Amboceptors als 
eines der wichtigsten Kriterien für die Diagnose der paroxysmalen 
Hämoglobinurie. Die Hyperbilirubinämie kommt höchstwahrschein¬ 
lich nicht dnrch Bildung von Bilirubin im strömenden peripheren 
Blut zustande. 

£L Die Austitrierung des spezifischen Kältehämolysins ergibt 
sehr große Verschiedenheiten in der Konzentration des Hämolysins 
bei einem Fall von typischer Hämoglobinurie und einem Fall, der 
sich nur als Kälteikterus äußert. Die wirksame Konzentration des 
Hämolysins kann durch einen Anfall vermindert werden. 

UI. Ein Effekt hypertonischer Salzlösungen auf die Anfälle 
nach Bondy und Strisower war in unseren beiden Fällen nicht 
festzustellen. 


Literatur. 

Bfirger, Über Iso- und Autolysine im meuschlichen Blutserum. Zeitschr. 
I exp. Path. u. Therap. Bd. 10, 1912. — Bondy n. Strisower, Über die Be¬ 
einflussung der Kältehämoglobinurie durch hypertonische Salzlösungen. Wiener 
Areh. f. inn. Medizin Bd. 2, S. 141, 1920. — Donath n. Landsteiner, Über 
paroxysmale Hämoglobinurie. Zeitschr. f. klin. Med. 68, 1906. — Feigl u. 
Querner, Bilirubinämie. Zeitschr. d. ges. exper. Med 1919, S. 243. — Olässner 
m. Pick, Serotherapent. Beobachtungen bei parox. Hämoglobinurie. Zeitschr. f. 
experim. Path. u; Ther. IX, S. 681, 1911. — Jamada nach Matsuo. — Jed- 
licka, Die Bedeutung des Cholesterins bei der parox. Hämoglobinurie. (Tschech.) 
Sbornlk ISkarsky 1921. — Kumagai u. Inoue, Beitrag zur Kenntnis der 

K rox. Hämoglobinurie. Deutsche med. Wochenschr. 1912, S. 361. — Lepehne, 
thogenese des Ikterus. Ergehn, der inn. Med. u. Kinderbeilk. Bd. 20, 1921. — 
Leschke, Über die Gelbfärbung der Cerebrospinalflüssigkeit. Deutsche med. 
Wochenschr. 1921, 14, 8.376. — Matko, Über Wechselbeziehungen zwischen 
Chinin und Harn in der Hämolyse. Wiener klin. Wochenschr. 1918, Nr. 3, 6, 23. 
— Matsuo, Über klinische und serologische Untersuchungen der parox. Hämo¬ 
globinurie. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 107, S. 335. — Meyer, Die parox. 
Hämoglobinurie in Bd. 8 von Krans-Brugsch, Spez. Path. u. Therapie 1920. 
— Moro n. Noda, Parox. Hämoglobinurie und Hämolyse in vitro. Münchener 
»ed. Wochenschr. 1909, 8. 645. — Nolf, 8oc. m6d. des hop. 1909, S. 687, nach 
Widal-Abrami-Brissand. — Weinberg, Untersuchungen bei der parox. Hämo¬ 
globinurie. Münchener med. Wochenschr. 1921, 14. — Whipple n. Hooper, 
Icterus. A rapid cbange of hemoglobin into bilirubin. Jonrn. of exp. med. Bd. 17. 
— Widal, Abrami u. Brissaud, Sur la proteinothärapie, Presse raedicale 
1921, Nr. 19, 8.181 und L’autoanaphylaxie Sem. m€d. 24. XII. 1913. 


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Ö8 


Aus dem physiologischen Institut der Universität Zürich. 

(Direktor: Prof. Dr. W. R. Heß.) 

Experimentelle Studien zur Volumbolometrie. 

Von 

Dr. med. et phil. Stephan Hediger. 

(Uit 1 Abbildung und 7 Kurven.) 

Seitdem Marey gezeigt hat, daß die minimalen pulsatorischen 
Kaliberschwankungen der Arterien dadurch ausgiebiger gemacht 
werden können, daß man ihre Wandungen unter Drnck setzt, ist 
diese Erscheinung der Ausgangspunkt eines wichtigen Teiles der 
Pulsdiagnostik geworden, indem sie die Möglichkeit bot, mit Hilfe 
mechanischer Vorrichtungen aller Art die Pulsbewegung zu über¬ 
tragen, sichtbar und meßbar zu gestalten. Die Änderungen dieser 
Kaliberschwanknngen unter zunehmendem Außendruck bilden be¬ 
kanntlich das Kriterium bei der sog. oszillatorischen Messung des 
Blutdrucks nach v. Recklinghausen. 

Sahli war der erste, der an Stelle der einseitigen Betrachtungs¬ 
weise des der Statik entnommenen Druckbegriffes eine dynamische 
Auffassung des Pulsproblems forderte unter Hinweis auf die Tatsache, 
daß die Vorgänge bei der Blutbewegung von dynamischen Faktoren 
bedingt seien, die durch reine Druckmessungen niemals exakt erfaßt 
werden können. Sahli hat die energetische Messung des Pulses ein¬ 
geführt. Da aber der physikalische Begriff der Energie als das 
Produkt zweier Größen — eines Druckes und eines Volumens — 
definiert wird, so ergab sich für ihn die natürliche Folgerung, 
eine Methode zu schaffen, die es ermöglichte, das dieser Energie¬ 
berechnung zugrundeliegende Volumen, das sogenannte Puls- 
volnmen zn messen. Sahli hat in der von ihm begründeten 
Volumbolometrie die endgültige Methode dieser Volummessung 
des Pulses beschrieben (1), Sie besteht darin, daß der Betrag der 
maximalen Arterienweitung beim entsprechenden optimalen Gegen- 


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Experimentelle Stadien sar Volumbolometrie. 


59 


druck durch eine pneumatische Vorrichtung auf einen sog. träg¬ 
heitsfreien Index übertragen wird und an den Oszillationen des¬ 
selben direkt in ccm abgelesen werden kann. Mit der Pelotte des 
Sahli’schen Volumbolometers mißt man einen 5 cm langen Gefä߬ 
abschnitt der Radialis. Sahli definiert dag Pulsvolumen als den 
systolischen Füllungszuwachs des untersuchten Gefäßgebietes und 
identifiziert die den Bolometeroszillationen zugrunde liegenden 
Volomschwankungen dieses Gebietes mit dem Pulsvolum als Maß 
der peripheren Zirkulationsgrüße. 

Die Wünschbarkeit einer praktischen Messung dieser Art 
leuchtet ein und ich habe keine Veranlassung, sie an dieser Stelle 
näher auszuführen. Aber die Wichtigkeit der Methode fordert 
dazu auf, sich die Kenntnis der Faktoren zu verschaffen, die dabei 
eine Bolle spielen. Dazu gibt es wohl kein geeigneteres Mittel 
als die Nachbildung der-natürlichen Verhältnisse durch ein System, 
in dem sich die physikalischen Faktoren willkürlich ändern lassen 
und das einen weit klareren Einblick in die Beziehung der¬ 
selben gestattet. Ich bemerke, daß ich bei der Auswertung der . 
erhaltenen Resultate weniger die direkte Übertragung derselben 
auf die Verhältnisse in vivo im Auge habe, als die Präzisierung 
unserer Vorstellungen über die in Frage kommenden hämodyna- 
mischen Faktoren. Eine solche Präzisierung wird uns bei der Be¬ 
urteilung biologischer Geschehnisse auch dann zugute kommen, 
wenn diese noch durch andere, künstlich nicht faßbare Faktoren 
beeinflußt werden. Ich möchte mich sogar zu der Auffassung be¬ 
kennen, daß wir uns einer Unterlassung schuldig machen würden, 
die sich einmal rächen müßte, wenn wir eine derartige Klarstellung 
der maßgebenden physikalischen Daten verabsäumen würden und 
die Einführung der Volumbolometrie in den allgemeinen klinischen 
Gebrauch ohne dieselbe sich vollziehen ließen. 

Daß solche Fragen durch rein mathematische Deduktionen nicht 
gelöst werden können, braucht nicht näher ausgeführt zu werden. 
Denn eine Gleichung, die alle Unbekannten der hämodynamischen 
Wechselbeziehungen enthält, wird wohl niemals aufgestellt werden. 
Hier kann wirklich nur das Experiment entscheiden, welches unter 
möglichster Anlehnung an die natürlichen Verhältnisse, und Be¬ 
schränkung auf ein Schema, gestattet, einige der wichtigsten 
Variablen des Kreislaufes künstlich zu determinieren und in ihrer 
Wirkung auf die übrigen Teile des Systemes zu verfolgen. 

Soll das Schwergewicht bei der Pulsmessung der Bestimmung 
der Zirkulationsgröße zufallen, so scheint es vor allem wichtig, die 


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60 Hkdigkr 

grundsätzliche Frage zu prüfen, welcher Betrag der peripheren 
Dnrchströmung von der Messung erfaßt werden kann und welche 
Beziehung zwischen diesem Betrage und den zentralen und peri¬ 
pheren Kreislaufvorgängen besteht. Die spezielle Methodik dm* 
Volumbolometrie muß hier als bekannt vorausgesetzt werden; ich 
verweise auf die Schriften Sahli’s und meine eigenen Abhand¬ 
lungen über den Gegenstand (2). Das Prinzip der Messung beruht 
bekanntlich darauf, daß der Puls vermittelst einer pneumatischen 
Aufnahmevorrichtung (Pelotte, bzw. Handgelenkmanschette) so 
übertragen wird, daß in dem Luftraum, gegen deü die Index- 
ozillatiouen stattfinden, keine Druckzunahme, also keine elastische 
Gegenwirkung stattfinden kann, was zur Folge hat, daß uns die 
Oszillationen des Index den vollen Volumbetrag anzeigen, der beim 
systolischen Ginschießen der Blutwelle in dem gemessenen Arterien¬ 
abschnitt wirksam ist. , Verfasser ist später als Sahli, aber un¬ 
abhängig von ihm zum volumbolometrischen Meßprinzip gelangt 
und hat seinen Apparat, der an Stelle der Pelotte eine Hand¬ 
gelenkmanschette mit einem die dorsalen Venen überbrückenden 
Steg vorsieht, 1. c. beschrieben. Als wichtige Ergänzung der Me¬ 
thodik ist von Sahli in seinem neuen Lehrbuch II, 2, 1920 der 
Schapowaloffsche Pulssammler erwähnt worden, der automatisch 
die oszillatorischen Volumschwankungen des Bolometerindex addiert 
und die Minutenwerte direkt zu messen gestattet. Ich habe ein 
ähnliches Instrument eigener Konstruktion und auch seine An¬ 
wendungsweise beschrieben (3). Ich nannte den Apparat, der für 
die Messung mit der Handgelenkmanschette bestimmt ist, Totali¬ 
sator. Die Minutensumme für die Eadialis, gemessen mit dem 
Schapowaloifsehen Pulssammler ergibt nach Sahli ca. 8 ccm. Mit 
meinem Totalisator erhält man für dieselbe Zeit etwa 16—25 ccm 
bei im übrigen großen individuellen Schwankungen. 

Bei dieser Differenz kann man m. E. nicht daran denken, daß 
durch die volumbolometrische Methode die Messung einer ab¬ 
soluten Größe der Zirkulation vollzogen wird. Es ist wichtig, 
dies zu betonen um irrtümlichen Auffassungen zu begegnen. Denn 
die Sahli’sche Pelotte sowohl wie meine Handgelenkmanschette be¬ 
deckt nur ein willkürlich begrenztes Stück von 5 cm Länge eines ge¬ 
wählten Arteriengebietes. Es kann sich also bei dieser Messung nur 
um die Darstellung relativer Größenänderungen der Zirkulation 
handeln. Der Ausdruck Pulsvolumen, der für klinische Zwecke ge¬ 
eignet sein mag, präjudiziert nun aber den Begriff einer Identität 
mit dem Blutvolumen, welches mit dem einzelnen Pnlsstoß unter 


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Experimentelle Studien zur Volumbolometrie. gl 

der Manschette hindurchströmt. Was wir aber volumbolometrisch 
direkt messen, ist nicht der Blutstrom, sondern die Völum- 
echwankung des untersuchten Arterienabschnittes, wenn der 
systolische Druckzuwachs die durch den Manschettendruck zum kolla¬ 
bieren gebrachte Arterie entfaltet. Für die gegebeneManschettenbreite 
stellt sich dieser Betrag dar als direkte Funktion der Qnerschnitts- 
•ver&nderungen der Arterie beim Übergang von diastolischer Kolla- 
bierung zur systolischen Entfaltung. Mit anderen Worten: das 
gemessene Volumen istdas direkte Maß für dieQuer- 
schittsamplitude. Ich werde in den folgenden Ansführungen 
diesen Ausdruck als Bezeichnung für die tatsächlich gemessene 
<Jröße beibehalten. 

Unsere Frage lautet nun: welche Beziehung besteht zwischen 
der Querschnittsamplitude und den verschiedenen hämodynamischen 
Faktoren, welche einen Einfluß auf die quantitative Gestaltung 
derselben ausüben können? 

Wir werden nacheinander zu betrachten haben: 

1. Den Einfluß des Schlagvolumens, bzw. der zentralen Spei¬ 
sung des Systems, 

2. den Einfluß des Widerstandes jenseits des untersuchten Ge¬ 
fäßgebietes, 

3. den Einfluß des kollateralen Widerstandes, 

4. den Einfluß der Pulsform, bzw. der Änderungen in den 
zeitlichen Verhältnissen des systolischen Zuflusses. 

Methodik. 

Ffir die künstliche Nachahmung der herzsystolischen Stromforderung 
mußte eine Anordnung gewählt werden, welche dem dynamischen Vor- 
gang der Ventrikelentleerung Rechnung trägt und dabei eine Dosierung 
der Arterienfüllung und zeitliche Regulierung des systolischen Ein- 
Schießens der Flüssigkeit zuließ. Bei Unterbrechung des kontinuier¬ 
lichen Gefälles einer Leitung mit einem Hahn, der im Rhythmus des 
Pulses geöffnet und geschlossen wird, erhält man einen zu trägen Druck¬ 
anstieg. Zur Nachahmung der Kreislaufverhältnisse muß das System 
«inen plötzlichen Volumzuwachs erfahren, der mit kräftigem Impuls in 
die Leitung geworfen wird. Die nachfolgend beschriebene Versuchs¬ 
anordnung trägt dieser Forderung Rechnung (s. Fig. 1). 

Ein erhöhtes Reservoir A wird durch einen Zulauf Z kontinuier¬ 
lich gespeist und das Niveau NN vermittelst des mittleren Abflusses D 
konstant erhalten. Der Abfluß E des Reservoirs 'trägt einen Quetsch¬ 
hahn Q, mit dem der Zulauf zum System auf ein bestimmtes Minuten¬ 
volumen eingestellt werden kann. 

Bei B befindet sich eine weite seitliche Öffnung, die mit einem 
Schlauchstück versehen ist. Dasselbe kann manuell im Rhythmus des 


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62 


Hünen 


Pulses geschlossen nnd geöffnet werden. Dadurch wird erreicht, daß die 
lebendige Kraft der in beständigem Fluß befindlichen Flüssigkeitssäule 
beim Verschloß von B plötzlich auf den ganzen unteren Leitungsinhalt 
übertragen wird und dabei jenen Stoß ausübt, der die Herzsystole nach* 
ahmen soll. Beim Öffnen von B ist dagegen nur noch das Druokgefälle 
wirksam, das sich aus der Niveaudifferenz von B und dem horizontal 
verlaufenden Leitungsstück ergibt. Das entsprechende Gefälle repräsen¬ 
tiert, auf den Kreislauf angewendet, den diastolischen Druck. 


2 



Bei V ist ein Kautsohukventil eingeschaltet, das stärkere Rück- 
schlagswellen auffangt. Der Hahn H wird nur während der Dauer einer 
Pulsserie geöffnet, so daß die gesamte dem System durch Q zufließende 
Wassermenge bei B wieder zum Vorschein kommt und dort zur Messung 
aufgefangen werden kann. Bei W t wird ein Windkessel mit regulier¬ 
barem Luftvolumen angebracht, welohes das elastische Prinzip in das im 
übrigen aus Glasröhren helgestellte, starre System einführt. Das von 
der horizontalen Leitung abzweigende Stüok C ist ebenfalls mit einem 
Quetschhahn zur Regulierung versehen. Die durch diesen Schenkel 
austretende Flüssigkeitsmenge entspricht dem Blutvolumen, welches, den 
größten Teil des systolischen Zuflusses ableitet (Kollateralbahn). Bei F 
folgt eine Abzweigung zu einem Staub’schen Druckschreiber behufs Re¬ 
gistrierung der Druckkurve des Pulses. Bei K ist ein Quecksilber¬ 
manometer angeschlossen, das zur Eichung der Druckkurven bestimmt 
ist. An der Stelle TJ veijüngt sich die bis dahin 6 mm weite Leitung 
auf 3 mm und mündet luftdicht in eine Glasröhre ein, wo sie in ein 
5 cm langes Stück eines Schlauches übergeht, der aus 0,2 mm dicker 
Gummiplatte gefertigt ist. Der innere Durchmesser der Gummiarterie 
beträgt 2,7 mm, ihr Versohlnßdruck, d. h. der Außendruck, der not¬ 
wendig ist, um sie ohne Innendruck zu einem platten Bande zu defor¬ 
mieren, zu Anfang der Versuche 13 mm Hg, zu Ende der wochenlangen 
Beanspruchung nur noch 2—3 mm Hg. Das Ende der Gummiarterie 


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Experimentelle Studien zur Volumbolometrie. 6S 

letzt sich in der 3 mm weiten Glasleitung ' fort, die die pneumatische 
Kammer verlaßt und nach wenigen cm in die auswechselbare Wider* 
Standsleitung übergeht, an deren Ende das Durohflußvolumen zur Messung 
gelangt. Dicht hinter der pneumatischen Kammer ist noch ein zweiter, 
etwa */ 8 ccm betragender Windkessel W 9 eingeschaltet, der die Elasti* 
zi täte Wirkung des peripher von der Kunstarterie liegenden Gefäßgebietes 
ersetzen soll. Die pneumatische Kammer ist mit dem Volnmbolometer, 
bzw. der Meßrühre I verbunden und außerdem an verschiedene Zweig¬ 
leitungen angeschlossen, die zum Tonometer T, zur Luftpumpe P und 
zum Puffervolumen £ führen. Bei d und e kann der Totalisator zur 
Messung der Querschnittsamplitudensumme und bei g der später zu be¬ 
schreibende Volumbolograph zur Registrierung der Volumkurve des Pulses 
angeschlossen werden. Druck* und Volumkurven werden so für jede 
Versuchsserie gleichzeitig direkt auf das Kymographion geschrieben. 

Der Höhenunterschied vom Niveau NN bis zum horizontalen Haupt¬ 
stück der Leitung beträgt 90 cm, entsprechend einem Druckgefälle von 
66,2 mm Hg. Der Niveauunterschied des Ausflußrohres B und der 
Hauptleitung beträgt 53,5 cm = 39,3 mm Hg. Die gemessenen systo¬ 
lischen Drucke sind teilweise höher als der hydrostatische Druck von 
66,2 mm. Der über diesen Druck hinausgehende Betrag gibt somit das 
Maß für die dynamische Wirkung der beim Verschluß von B ein¬ 
schießenden Wassersäule. Vermittels des Quetschbahnes Q kann das im 
Leitungsstück EB zirkulierende Minutenvolumen auf einen bestimmten 
Betrag eingestellt und so der systolische Zuwachs dosiert werden. Der 
Verschluß von B wird manuell nach dem Takt eines auf 100 Schläge 
pro Minute eingestellten Metronoms vorgenommen. Das ergibt pro Puls¬ 
schlag eine Gesamtdauer von ®/ 6 Sekunden. Die Erzeugung der systo¬ 
lischen Impulse mit der Hand hat den Vorteil, daß man nach einiger 
Übung imstande ist, die Dosierung in besserer Weise zu beherrschen als 
dies mit Hilfe maschineller Einrichtung möglich wäre. Insbesondere 
kann auf diese Weise der Einfluß der Pulsform in den Bereich der Be¬ 
trachtungen gezogen werden. Durch rasches und kurzes Schließen kann 
ein Pulsus celer, und durch kurzes Öffnen und Zuhalten während der 
Bestzeit der ®/ 6 Sekunde ein Pulsus tardus nachgeahmt werden. 

Die Einzelversuche wurden in der Weise vorgenommen, daß zunächst 
bei geschlossenem Hahn H die Speisung des Systems auf einen fest¬ 
gesetzten Betrag reguliert und durch Auffangen des Minutenausflusses in 
B gemessen wurde. Es kamen Minutenvolumina von 600 bis 2400 cm 
in Anwendung. Der kollaterale Widerstand von C wurde durch den an 
dieser Leitung befindlichen Quetschhahn reguliert und am Betrag des 
Minutenausflusses bei einer Totalspeisung des Systemes von 1800 cm pro 
Minute gemessen. Die mit dem Bolometer verbundene Gefäßstrecke war 
bei dieser Messung geschlossen. Die Widerstände erhalten die Nummern 
2, 3, 4, 5 und die ihnen zugeordneten Durchflußvolumina betragen 500, 
300, 250, 100, 0. Die Widerstände distal der Abnahmestelle der Quer¬ 
schnittsamplitude wurden durch Glasröhren verschiedener Länge vom 
Diameter 2 mm hergeBtellt. Diese Widerstände sind mit a, b, o und d 
bezeichnet, sie entsprechen Bohrleitungen von 0, 40, 80 und 160 cm. 
Die aus diesen Widerstandsrohren während einer Serie von je 20 hinter- 


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64 


Hboiobb 


«inander folgenden Polsschlägen anzfließende Wassermenge ergibt den 
zahlenmäßigen Wert für das Dnrchflußvolumen, welches in derselben 
Zeit das bolometrisch kontrollierte Schlanchstück durchströmt. 

Es gehört zum Wesen der volnmbolometrischen Messung, daß der 
untersuchte Arterienabschnitt unter optimalen Stannngsdrnck versetzt 
wird. Es ist dies der höchste Drnck, bei dem noch maximale Quer* 
schnittsamplitnden erhalten werden. Man erhält in diesem Moment den 
höchsten Energiewert für den Pnls; der Elastizitätskoeffizient der Arterie 
wird dabei nach Frank gleich Noll. Um diesen Anforderungen der 
Messung gereoht zu werden, wurde für jeden Versuch zuerst der optimale 
Stauungsdruck der künstlichen Arterie ausprobiert. Derselbe ist nicht 
eng begrenzt, so daß man, wie bei den Messungen am Menschen, eine 
Druckzone erhält, über die die Ausschläge sich auf gleicher Höhe halten, 
und deren Begrenzung nicht scharf ist. Es wurde konstatiert, daß eine 
sehr genaue Einstellung nicht erforderlich ist, da kleinere Unterschiede 
im Stauungsdruck keinen Einfluß auf das Durchflußvolumen ausüben. 

Die beschriebene Einrichtung wird vervollständigt durch den an 
anderer Stelle (3) publizierten Totalisator. In der zweiten Hälfte meiner 
Versuche kam aber neben dem Totalisator noch der Volumbolograph 
zur Verwendung, ein Instrument, das ich im Laufe dieser Untersuchungen 
konstruierte. Die genauere Beschreibung desselben wird in einer be¬ 
sonderen, dieser Arbeit nachfolgenden Mitteilung gegeben werden, da 
meines Erachtens dieses Instrument nicht nur für die in dieser Arbeit 
beschriebenen Versuche sich eignete, sondern ein selbständiges Interesse 
im Sinne einer allgemeinen klinischen Anwendung, beanspruchen darf. 
Ich verweise in dieser Hinsicht auf die zweite Mitteilung. Die Eignung 
des erwähnten Volumschreibers zur Registrierung von Volumkurven des 
menschlichen Pulses dürfte aus den in der zweiten Mitteilung wieder¬ 
gegebenen Originalvolumbologrammen zur Genüge hervorgehen. Um 
etwaige Unregelmäßigkeiten beim Erzeugen der Pulse zum Ausgleich za 
bringen, wurde bei jedem Versuch die Summe von 20 hintereinander¬ 
folgenden Pulsen zum Vergleich herangezogen. Die mitgeteilten Zahlen 
stellen Mittelwerte aus mehreren Versuchsserien dar. 

Durchführung der Versuche. 

Der Einzelversuch gestaltete sich so, daß nach Einstellung 
aller Registrierapparate bei geschlossenem Hahn H und Aufstellung 
der Gefäße zur Aufnahme der Durchflußvolumina bereits Pulse im 
Rhythmus des Metronoms erzeugt wurden. Dann wurde der Hahn H 
geöffnet, das Kymographion in Gang gesetzt und 20 Pulse auf¬ 
genommen. Nach dem letzten Pulse wurde H wieder geschlossen. 
Die während dieser Zeit in Meßzylindern am Ausgang der kolla- 
teralen und peripheren Leitung aufgefangenen Wassermengen er¬ 
gaben die Durchflußvolumina der betreffenden Bahn für die 20 Pulse. 
Um die Wirkung hydrostatischer Druckdifferenzen auszuschalten 
befanden sich die Ausflußöffnungen in gleicher Höhe. Dann wurden 


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Experimentelle Studien zur Volumbolometrie. 


65 


die Totalwerte der Querschnittsamplitnden gemessen, bzw. durch 
Multiplikation eines Indexausschlages mit 20 berechnet, wenn der 
Totalisator wegen Aufnahme der Volumkurve nicht in Aktion trat. 
.Zuletzt wurde die Druckkurve mittelst des Manometers geeicht. 

Als Erläuterung der erhaltenen Ergebnisse' meiner Versuche 
mögen die nachfolgenden Tabellen und Kurven dienen. Alle 
Flüssigkeitsmengen sind in ccm, alle Druckweite in mm Hg an¬ 
gegeben. 


1. Einfluß der zentralen Speisung (Schlagvolumen) 
auf die Querschnittsamplitude und das Durchflu߬ 
volumen (kollater. Widerstand 2 bis peripher. Widerstand a). 


Tabelle 1. 


Einfluß der Speisung (Schlagvolumen). 


i 

Speisung! 

i 

Qnerschn.- ! 
Amplit.- 
Summe 

Durchfluß- j 
volumen des , 
Manschetten¬ 
abschnitts 

Kollateral. 

Durchflu߬ 

volumen 

Systol. 

Druck 

1 

1 

Diast. 

Druck 

Optimal. 

Stauungs¬ 

druck 

600 | 

2,9 

8,9 

79 

88 

34 

38 

1200 ; 

5.8 

11,8 

89 

54 

34 

45 

1800 

6,8 

12.0 

in 

66 

34 

50 

2400 

7,4 

i 12 ' 6 

92 

74 

i 

i 1 

36 

54 

j 


Die Abhängigkeit der Quer¬ 
schnittsamplitude und des Durch¬ 
flußvolumens von der zentralen Spei¬ 
sung des Systems ergab bei den 
verschiedensten kollateralen und 
peripheren Widerständen (d. h. peri¬ 
pher vom Manschettenabschnitt), 
auf deren Wiedergabe hier ver¬ 
zichtet wird, ein durchaus ein¬ 
deutiges Resultat. Sämtliche ge¬ 
messenen Serienwerte zeigen eine 
gleichsinnige Änderung der 
Querschnittsamplitude und des 
Stromvolumens mit der zentral ge¬ 
förderten Flüssigkeitsmenge. Dabei 
steigt die periphere Strömung un¬ 
gefähr parallel mit der Volum¬ 
schwankung der untersuchten Ar- 

Deutsches Archiv fUr klin. Medizin. 188 . Bd. 



Fig. 2. Einfluß des Schlagvolumens 
auf Querschnittsaraplitude und auf 
Durchflußvoluiniua durch Man¬ 
schettenabschnitt und Kollateralab- 
schnitt des Leitungssystenies. Man 
erkennt die gleichsinnige Verände¬ 
rung der drei Großen. 

5 


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66 


Hkdigbk 



terie während der kollaterale Kreislauf einen viel geringeren pro¬ 
zentualen Anstieg erkennen läßt. Es zeigt sich, wie übrigens 
in allen Versuchen, daß die Querschnittsamplitude ganz besonders 
von der Größe der Druckamplitude beeinflußt scheint, die mit der 
stärkeren systolischen Füllung rapid ansteigt. In der Differenz 
zwischen dem gemessenen systolischen Druck von 74 mm bei 
einer Minutenspeisung von 2400 und dem hydrostatischen Gefälle 
von 66,2 mm drückt sich der überwiegende Einfluß der dynamischen 
Wirkung aus. Der optimale Stauungsdruck weist ebenfalls einen 
entsprechenden Anstieg auf und bildet ein ziemlich gutes Maß für 
den Mitteldruck. 

2. Einfluß des peripheren Widerstandes auf die 
Querschnittsamplitude und das Durchfluß Volumen 
(Speisung 1260 und kollateraler Widerstand 2). 

Tabelle 2. 

Einfluß des peripheren Widerstandes. 


Periph. , 
Wider¬ 
stand 

Querschn- 

Amplit.- 

Sumine 

Peripher. 

Durchflu߬ 

volumen 

Kollnteral. 

Durchflu߬ 

volumen 

Systol. 

Druck 

Diastol. 

Druck 

i Optimal. 
Stauungs- 
i druck 

| 

a 

5,8 

17,0 

76 

58 

22 

44 

b 

6,45 

14.9 

78 

60 

23 

44 

c 

6,5 

12,6 

80 

58 

24 

44 

d 

6,5 

11,0 

78 

58 

24 

14 


Im Gegensatz zu der Abnahme der peripheren Durchströmung 
infolge erhöhten Widerstandes zeigen unsere Zahlen für die Quer- 


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Experimentelle Stndien znr Volnmbolometrie. 


67 


schnittsamplitude eine 
Steigerung. Diese Diver¬ 
genz zwischen den bolo- 
metrisch meßbaren Wer¬ 
ten und dem Strom - 
volumen im untersuchten 
Gebiet ist offenbar eine 
Folge der mit wachsen¬ 
dem Widerstand zuneh¬ 
menden Sperrung des Ab¬ 
flusses. Der kollaterale 
Kreislauf nimmt, wie 
zu erwarten war, auf 
Kosten des peripheren 
um ein weniges zu, wäh¬ 
rend die Druckwerte sich 
auf ungefähr gleicher 
Höhe halten. 



Fig. 5. Einfluß des Widerstandes peripher vom 
Manschettenabschnitt auf Qnerschnittsamplitnde 
und peripheres Dnrchflußvolnmen. Mit zunehmen¬ 
dem Widerstand vergrößert sich die Querschnitts- 
amplitnde und verringert sich der Durchfluß 
dnrch den Manschettenabschnitt (peripheres 
Dnrchflußvolnmen). 


3. Einfluß des kollateralen Widerstandes 
(Speisung 1800 und peripherer Widerstand 1). 

Tabelle 3. 

Einfluß der Widerstandsänderung im Kollateraiabschnitte des Strömungssystemes. 


Kollater. 

Wider¬ 

stand 

Querschn.- 

Amplit.- 

Sntnme 

1 

Peripher. 

Durchfluß- 

volnmen 

Kollateral. 

Durchflu߬ 

volumen 

Systol. 

Druck 

Diastol. 

Druck 

Optimal. 

Staunngs- 

druck 

2 

1 6,1 

15,8 

86 

58 

36 

45 

3 

6,6 

17,0 

52 

64 

38 

.50 

4 

7,15 

17,8 

38,5 

66 

39 

50 

5 

7,4 

18,5 

25 

70 

40 

52 

oo 

7,45 

23,0 

0 

78 

40 

55 


Die Widerstandserhöhung der kollateralen Strombahn bewirkt, 
wie Fig. 6 und Tabelle 3 zeigen, eine gleichsinnige Vermehrung 
des peripheren Durchflußvolumens und der Querschnittsamplidute. 
Bei völligem Verschluß des Kollateralkreislaufes steigt das periphere 
Stromvolumen noch beträchtlich an, während die Querschnitts¬ 
amplitude konstant bleibt. 

5* 


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68 


Hedigek 


Fig. 6. Einfluß der 
Wiederstandsänderung iiu kol- 
lateralen Abschnitt des Strö- 
mungssystems. Mit steigen¬ 
dem Widerstand vergrößern 
sichQnerschnittsamplitndennd 
Durchfluß durch Manschetten- 
abscbnitt (peripheres Dnrcli- 
flußvolumeu). 


4. Einfluß der Puls form (celer und tardus) auf die 
Querschnittsamplitude und das Durchflußvolumeu. 


Tabelle 4. 

Einfluß der Pulsform (hierzu Fig. 7 u. 8J. 


Puls- 

form 

Quernsch.- 

Amplit.- 

Summe 

Peripher. 

Durchfluß- 

volumeu 

Kollateral. 

Durchflu߬ 

volumen 

1 

Spei¬ 

sung 

Kol lat. 
Wider¬ 
stand 

| 

Systol Diast. 
Druck Druck 

Optimal. 

Stauungs- 

druck 

celer 

4,0 

15,2 

30 

600 

4 

50 

38 

42 

tard. 

3,9 

20,0 

32 



50 

40 

42 

celer 

5,8 

11.8 

87 

1200 

2 

l 54 

34 

45 

tard. 

5,6 

15,5 

90 



54 

36 

45 

celer 

6,8 

12,5 

91 

1800 

2 

66 

38 

50 

tard. 

6,8 

15,4 

94 



66 

38 

52 




Fig. 7. Druck- und Volnmkurve (Pulsus celer). 


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Go igle 


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Experimentelle Studien znr Volnnibolometrie. 


69 



Fig. 8. Druck- und Volumkurve (Pulsus tardns). 

Die Bedeutung dieser Versuchsreihe liegt darin, daß sie uns 
auf experimentellem Wege die Ursache aufdeckt, der zufolge die 
volumbolometrische Messung keinen Ausdruck für den absoluten 
Betrag des Stromvolumens darstellen kann. Während der systo¬ 
lischen Öffnungszeit der Arterie muß eine Flüssigkeitssäule mit 
bestimmter Geschwindigkeit in den untersuchten Abschnitt ein¬ 
strömen und die Wandung zur Entfaltung bringen. Es ist nun 
zn erwarten, daß, je länger die Entfaltung dauert (d. li. je lang¬ 
samer der Druckabfall erfolgte, d. h. je tarder der Puls ist), ein 
am so größeres Stromvolumen hindurchtritt ohne daß dies in der 
Querschnittsamplitude zum Ausdruck kommt. Unsere Versuche und 
deren Interpretation führen uns also dazu, die Volumschwan¬ 
kungen bzw. Querschnittsschwankungen der unter Druck be¬ 
findlichen Arterie und die das gestaute Gefäßgebiet durch - 
strömenden Blutvolumina prinzipiell auseinander zu halten. 
Eine deutliche, gleichsinnige Abhängigkeit der beiden Größen von 
zum Teil denselben wesentlichen Faktoren des Kreislaufes — z. B. 
dem systolischen Füllungszuwachs des Systems (des Schlag¬ 
volumens) — ist vorhanden. Andere Faktoren hingegen können, wie 
wir gesehen haben, und wie aus der Überlegung der physikalischen 
Verhältnisse hervorgeht, eine andere Beeinflussung zustande bringen. 

Die Frage der klinischen Verwertbarkeit der völumbolometri- 
schen Messung wird durch diese Feststellungen keineswegs prä- 
judiziert. Nur dürfen wir die damit erhaltenen Werte nicht mit 
dem unter der Manschette hindurch fließenden Stromvolumen iden¬ 
tifizieren, das auf unblutigem Weg überhaupt nicht zu messen 
sein wird. (Auch die rechnerisch komplizierte kalorimetrische Me¬ 
thode von Stewart gibt nur Annäherungswerte.) Mit dieser 


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70 Hkdiobb, Experimentelle Studien zur Volumbolometrie. 

•> 

Präzisierung wird sich die Methode abfinden müssen. Ihr Schwer¬ 
gewicht liegt nicht in dem Erfassen einer absoluten Größe, wie 
ich das schon früher ausgesprochen habe (4), sondern in der Mög¬ 
lichkeit, mit großer Empfindlichkeit Änderungen an der 
Zirkulation zahlenmäßig zum Ausdruck zu bringen, die 
mit anderen Methoden nicht erkannt werden können. 


Literaturverzeichnis. 

1. Sahli, Über die Volummessung des menschlichen Kadialispulses usw. 
Deutsches Arch. f. klin. Med. 1914. — D e r s., Lehrbuch der klin. Untersuchungs¬ 
methoden 2, 1920. — 2. Hediger, Die Methode der Volumbolometrie. Zeit- 
schr. f. klin. Med. Bd. 88, 1 u. 2. — Ders., Volumbolometriscke Messungen der 
Kreislaufwirkuug einfacher und kohlenBauter Bäder. Schweizer med. Wochenschr. 
1920, Nr. 24. — 3. Ders., Die direkte Messung des Minutenpuls Volumens. Med. 
Klinik 1921, Nr. 17. — 4. Ders., Vortrag in der medin. Gesellschaft Basel. 
Schweizer med. Wochenschr. 1921, Nr. 21, 8. 497. 


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71 


Aus dem physiologischen Institut der Universität Zürich 
(Direktor: Prof. Dr. W. R. Heß). 

Ein Volumbolograph. 

Von 

Dr. nied. et phil. Stephan Hediger. 

(Mit 1 Abbildung und 4 Kurven.) 

Bei der Methode der Volumbolometrie geben die Exkursionen 
eines Index das direkte Maß für die Arterienentfaltung des unter¬ 
suchten Gefäßgebietes unter dem systolischen Blutzuschuß. Es ist ein 
großer Vorteil der Methode, daß sie diese Entfaltung der Arterien 
in absolutem Maße zu messen gestattet und die minimalsten Unter¬ 
schiede der einzelnen Pulsschläge sichtbar werden läßt. Welche 
Rücksichten uns bei der Beurteilung der angezeigten Volumände¬ 
rungen als Maß für die periphere Zirkulationsgröße zu leiten haben, 
ist in der vorhergehenden Arbeit erwähnt worden. 

Durch die Einführung eines Apparates, der die einzelnen 
Volumschwankungen automatisch speichert, ist es möglich ge¬ 
worden, die Minutensumme für die Messung an der Hand zum Ver¬ 
gleich zu bringen und auf diese Weise Änderungen der Zirkulation 
mit großer Genauigkeit aufzudecken, deren Darstellung bisher 
mit keiner Methode, auch nicht mit der Plethysmographie, in dieser 
Weise möglich war. Ich verweise in dieser Hinsicht auf meine 
Arbeit über die direkte Messung des Minutenpulsvolumens in der 
Med. Klinik 1921, Nr. 17. 

Trotzdem mußte es als ein Nachteil der Methode empfunden 
werden, daß diese klinisch wichtigen Änderungen zwar zahlen¬ 
mäßig zum Ausdruck kamen, jedoch nicht in objektiver Weise 
graphisch fixiert werden konnten. Sahli hat in seinem neuen 
Lehrbuch, Auflage 1920, II, 2, eine Anzahl photographisch auf¬ 
genommener Volumbologramme wiedergegeben, die aber infolge tech¬ 
nischer Schwierigkeiten sehr mangelhaft ausfielen und ihn nach 
seinen eigenen Angaben veranlaßt haben, diese Methode wieder 


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72 


Hbdigkb 


aufzugeben und sie durch die Konstruktion des absoluten 
Volumbologramms zu ersetzen. Es leuchtet ein, daß eine solche 
Konstruktion ebensowenig befriedigen kann als die daselbst an¬ 
gegebene Umzeichnung der Sphygmogramme mit dem Sphygmo- 
meter nach Nenadovics. Die direkte Volumschreibung der 
Manschettenpulse scheiterte bisher an der Schwierigkeit, welche 
darin besteht, daß die Volumschwankungen in einem geschlossenen 
System unter Druck erfolgen, während die Aufschreibung dieser 
Schwankungen in gewöhnlichem Atmosphärendruck ohne elastische 
oder mechanische Gegenwirkung zu geschehen hat. Das Marey- 
Prinzip der LuftUbertragung kann deshalb hier nicht zur Anwen¬ 
dung kommen. 

Es ist mir nun gelungen, diese Schwierigkeit mit einem ein¬ 
fachen Instrument zu überwinden und da meines Wissens das 
Prinzip desselben bisher nicht angegeben worden ist, so soll der 
Apparat in den nachfolgenden Zeilen in seinen wesentlichen Teilen 
kurz beschrieben werden. Als Illustrierung seiner Leistungsfähig¬ 
keit sind am Schluß dieser Mitteilung einige mit demselben auf¬ 
genommene Kurven wiedergegeben. (Andere, mit Druckkurven 
zugleich aufgenommene Volumbologramme sind in der vorangehenden 
Arbeit enthalten.) 



Der Volumbolograph besteht aus einem Gefäß in Form einer 
Flasche F, in deren weite Öffnung ein Glasrohr von T-Form luft¬ 
dicht eingelassen ist. Der senkrechte Schenkel dieses Rohres, 
dessen lichte Weite 11—12 mm beträgt, taucht unten etwa 1 cm 
tief in Petroleum ein und enthält ein Korkscheibchen als Schwimmer. 
Der Kork trägt einen Strohhalm, der am oberen Ende mit einem quqr 
gestellten verzinkten Stahldraht N artikuliert. Der obere Schenkel des 


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Ein Volumbolograph. 


73 

Glasrohres ist an seinem einen Ausgang durch einen durchlochten 
Gummistopfen geschlossen, dessen 5 mm weite Öffnung mit einer 
dünnen Gummimembran verklebt ist. Der Stahldraht durchsetzt 
diese Membran und ist an der Durchtrittsstelle mit einem Tropfen 
Paragummilösung luftdicht verkittet. Diese Stelle dient dem Draht 
als Aufhänge- und Drehpunkt. Das freie Ende desselben wird mit 
einem feinen Strohhalm, der eine Schreibspitze trägt, versehen. 
Das Innere des T-Stückes kommuniziert durch die Röhre B mit 
dem Manschettenvolumen während der Flaschenansatz A die Luft 
in F mit dem großen Puffervolumen verbindet. Zur Ingangsetzung 
des Instrumentes genügt es, den Hahn H zu schließen. Die Man¬ 
schettenpulse gelangen dann nur in das T-Stück und teilen dem 
Schwimmer die Volumschwankungen mit, die sich auf den Zeiger 
übertragen. Die Schreibung erfolgt bei jedem Manschettendruck 
mit gleicher Präzision. 

Der Vorteil des Schwimmers vor einem Pistonrekorder, der 
nach demselben Prinzip konstruiert werden könnte, besteht in der 
geringeren Reibung des Schwimmers, aber auch darin, daß er eine 
Ruhelage besitzt infolge der Einstellung auf das Flüssigkeitsniveau. 
Die gesamte bewegte Masse des Systems beträgt im Maximum 
0,25 g. Da bei Wahl eines genügend großen Puffervolumens der 
elastische Widerstand der Luft praktisch dahinfallt, so erhält man 
mit diesem Schreiber eine reine Volumregistrierung, die den ge¬ 
nauen Ausdruck der Volumschwankungen des Bolometerindex 
darstellt. Die Schreibspitze erhält durch sanftes Anpressen an 
das Kymographion die nötige Führung. Zur Vermeidung eines zu 
hohen Trägheitsmomentes darf der Strohhalm des Zeigers nicht zu 
lange gewählt und die Berußung der Schreibffäche nicht zu dicht 
gemacht werden. 

Einige Volumbologramme mögen die Präzision der Schreibung 
dartun, die unseres Erachtens für klinische und physiologische 
Zwecke vollkommen exakt genug ist. Es kommen dabei nicht nur 
die Traube-Hering’schen und S. Maier sehen Wellen sehr deutlich 
zur Erscheinung, sondern das Bologramm deckt auch Einzelheiten 
auf, die bei einer Druckkurve nicht zum Vorschein gebracht werden 
können. Durch Eichung der Kurven läßt sich das Volumen für 
jeden Puls an der Höhe des Ordinatenabstandes ausmessen (s. Fig. 2). 

Es wird die Aufgabe weiterer Untersuchungen sein, mit Hilfe 
dieses Verfahrens Aufschlüsse an der gesunden und kranken Zir¬ 
kulation zu suchen d. h. die erhaltenen Volumbologramme deuten 
zu lernen. Aus einem Vergleich sphygmographischer und bolo- 


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74 


Hedigek 



Fig. 2. Ydnmbologramm mit Volumeichung. Äquidistanz der Abszissen: 0,1 ccm. 


graphischer Kurven hat sich aber jetzt schon ergeben, daß die 
Volumbolographie der bisherigen Registrierung des Pulses über¬ 
legen ist. Es ergibt sich dies unter anderem auch aus Kurven 
pathologischer Fälle, deren Aufnahme ich der Freundlichkeit des 
Oberarztes der medizin. Klinik. Herrn Dr. Liebmann, verdanke. 
Als Beispiel diene das Volumbologramm und das gleichzeitig auf- , 
genommene Sphygmogramm einer Mitralinsufficienz. 



Fig. 3. Volnmbologramiu bei langsamem Gang des Kymographions. 

Hering’sche Wellen. 


Puls 


Atmung 


Fig. 4. Volumbologramm mit Registrierung der Atmung. S. Maier'sche Wellen. 



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Ein Volumbolograph. 


75 



Fig. 5. Volumbologramm (oben) und Sphygmogramm einer Mitralinsufficieuz. 

53jäbr. Mann. Manschettenstauungsdruck: 90 mm. 

Ich glaube, daß wir vom weiteren Ausbau der Volumbolo- 
metrie. insbesondere demjenigen der hier zum ersten Male be¬ 
schriebenen Volumbolographie noch manche wertvolle Bereicherung 
unserer klinischen und physiologischen Kenntnisse erwarten dürfen. 
Zn einer endgültigen Beurteilung der Methodik ist es nötig, durch 
klinische Anwendung derselben soviel Erfahrungsmaterial beizü- 
bringen, daß die Deutung der Kurven von einer gesicherten Basis 
aus erfolgen kann. , 



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.76 


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Aus der 2. med. Universitätsklinik München. 

(Direktor: Prof. Fr. Müller.) 

Der Stickstoffhanshalt im Greisen alter. 1 ) 

Von 

G. R. Heyer. 

Im Verlauf von Untersuchungen, die Stoffwechselstörungen bei 
verschiedenen Krankheitszuständen betreffen, stellte sich uns das 
Bedürfnis heraus, auch über den Stickstoffhaushalt von Individuen, 
die nicht dem mittleren Lebensalter angehören, genauere Kennt¬ 
nisse zu erhalten. Mir ist die Aufgabe zugefallen, mich mit dem 
Studium des N-Stoffwechsels im Senium zu beschäftigen. Es kann 
nicht ohne weiteres angenommen werden, daß sich dieser mit dem 
von Personen des mittleren Lebensalters deckt; man könnte sich 
denken, daß er — infolge der im Senium verminderten biologischen 
Prozesse — geringer wäre; oder auch,' daß er — infolge Versagens 
der auf Sparsamkeit zielenden Umsetzungen — oberhalb der für 
den Erwachsenen bekannten Maße läge. 

Die bislang vorliegenden Untersuchungen früherer Autoren 
genügen nicht. Sie haben sich meist darauf beschränkt festzustellen, 
ob mit (ihren Anschauungen nach) ,.mäßigen Eiweißmengen“ auch 
der Greis auskäme. So gab v. Limbeck (1) ca. 0,303 g N pr. d. 
und kg (d. h. etwa 73 g Eiweiß täglich), Pfeiffer und Scholz (2) 
noch mehr; Uhl mann (3) erzielte mit einej täglichen Gabe von 

1) Die ausführlichen Tabellen über die in dieser Arbeit niedergelegten Stoff- 
weehseluntersuelinngen konnten im Text nicht abgedruckt werden, da die Her¬ 
stellung der Tabellen mit außergewöhnlich hohen Kosten verbanden ist. Da 
jedoch die Einsicht in die Tabellen für die kritische Würdigung der Arbeit not¬ 
wendig sein kann, so hat sich die Verlagsbuchhandlung auf Anregung der Her¬ 
ausgeber entschlossen, derartige Tabellen photographisch zu reproduzieren und 
eine Keihe von Abdrücken dem Autor zur Verfügung zu stellen. Diejenigen 
Leser, welche die ausführlichen Zahlen der vorliegenden Arbeit kenneu zu lernen 
wünschen, können Abzüge davon vom Autor gegen Erstattung der Selbstkosten 
auf Wunsch beziehen. 


Gck igle 


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Der Stickstoffhaushalt im Greisenalter. 


77 


4Bö g N noch eine positive Bilanz; zu etwa dem gleichen Resultat 
kam E. Koch (4) bei einer Untersuchung im Armenhaus Helsingfors 
(im Mittel 106 g Eiweiß täglich). In einer 1901 erschienenen 
Untersuchung Kövesis (5) bekamen die alten Leute tägliche Stick¬ 
stoffmengen von 10,34—16,58 g (d. h. pr. d. ca. 70 g Eiweiß bzw. 
ca. 0,235 g N pr. d. und kg) und erzielten dabei lebhaften Ansatz 
von Eiweiß. Der Kalorienbedarf ist hier stets reichlich gedeckt. 
So sorgfältig und in vieler Hinsicht aufschlußreich diese Arbeiten 
auch sind, so können sie doch eine einwandfreie Antwort über den 
tatsächlichen Eiweißumsatz nicht geben. Denn abgesehen davon, 
daß die Versuchsperioden vielfach zu kurz sind, wissen wir heute, 
daß das normale Individuum mittleren Lebensalters wenigstens für 
eine Zeit seinen Stickstoff bedarf mit viel geringeren Mengen von 
Nahrungseiweiß decken kann, als jene Untersucher verfüttert haben, 
wenn mit den N-freien Anteilen der Nahrung ausreichend Kalorien 
gegeben werden. Ferner folgt aus den neueren Arbeiten — vor 
allen Rubner’s (6) —, daß man über das zur stofflichen Erhaltung 
nötige Maß von Eiweiß nicht so sehr dadurch genaues erfährt, daß 
man überhaupt N-Einnahme und -Ausgabe in irgendein Gleichge¬ 
wicht bringt, sondern man hat hierzu zweierlei festzustellen: erst¬ 
lieh die geringste Eiweißmenge, mit der bei konstantem Körper¬ 
gewicht eine +N-Bilanz erzielt werden kann: das minimale Stick¬ 
stoffgleichgewicht, oder es ist bei praktisch stickstofffreier Kost 
diejenige N-Ausscheidung zu bestimmen, die nach Ausschwemmung 
alles noch retinierten Eiweißes erfolgt: die sog. „Abnützungsquote“. 
Beides sind nur theoretisch identische Werte. 

Wir gingen von der Annahme aus, daß der °/ 0 Eiweißgewichts¬ 
anteil des Körpergesamtgewichtes beim mittleren Lebensalter und 
beim Greis der gleiche sei, die gefundenen N-Werte sich also, aufs 
Körperkilogramm bezogen, direkt vergleichen lassen. 

Die Versuchspersonen wurden in gleiche und gleichbleibende 
Lebensbedingungen gebracht; sie hielten sich während des ganzen 
Versuchs im Zimmer auf, in dem sie sich so weit bewegen durften 
und bewegten, wie das ihr Wunsch war. Nach ihrer Gewohnheit 
lagen sie viel im Bett. An Kalorien gaben wir, da wir den tat¬ 
sächlichen Bedarf hier nicht feststellen können, soviel, daß bei dem 
eher herabgesetzten Bedarf des alten Individuums (vgl. Kövesi, 
Uhlmann, Sondön und Tigerstedt (8) ihre Menge sicher 
mehr als ausreichte. 1 ) Die Aufnahme der Kost und der — auf 

1) Herrn Prof. Fischler vom Lebensmittelnmt möchte ich auch bei dieser 


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78 


Heyer 


500—750 ccm rationierten — Flüssigkeit erfolgte unter genauer 
Beobachtung aller gebotenen Eautelen, ebenso die Untersuchung 
des Urins bezüglich Eiweiß, Zucker und N.*) Die Stickstoffmengen 
der Nahrung wurden mittels Analyse bestimmt. 

Zur Errechnung der Stickstoffbilanz wurde die im Kot aus- 
geschiedene Menge von der täglich gegebenen N-Zufuhr abgezogen, 
also nnter Zugrundelegung der tatsächlichen Stickstoffaufhahrae. 
Daß dabei die aus den Darmsekreten, also aus dem Körper und 
nicht aus der Nahrung stammende Menge mit einbezogen wird, 
wissen wir wohl, glauben aber, so bei den — z. T. durch die reich¬ 
liche Kh.-Kost bedingten — größeren Stickstoffverlusten mit dem 
Kot am sichersten zu gehen. Bei der Errechnung der „Ab¬ 
nützungsquote“ ist der mit der Nahrung gegebene N in Abzug ge¬ 
bracht. 

Die Versuchspersonen waren alte Leute von 64—72 Jahren 
(3 Männer, 1 Frau), denen zufolge genauer klinischer Untersuchung 
außer physiologischen Alterserscheinungen und -beschwerden nichts 
fehlte. Lediglich der 64jährige Schilling litt an Gastritis chron. 
(ehemaliger Potator). Insbesondere war die Temperatur stets nor¬ 
mal. Die Nieren waren geprüft und gesund. Das Gebiß war 
ausreichend. Der Ernährungszustand sämtlicher Versuchsper¬ 
sonen war befriedigend, etwaiges durch vorherigen N-Hunger vor¬ 
handenes Bedürfnis nach Eiweißansatz war auszuschließen, da sie 
vor Versuchsbeginn alle schon längere Wochen im Krankenhaus in 
Verpflegung standen. 

Versuche. 

I. V.-P.: Peschei, August, 71 Jahre, 1,68 m groß. 

1. Versuch: Stickstoffgleichgewicht. 

Aus äußeren Gründen mußte der Versuch abgebrochen werden, ehe 
völliges Stickstoffgleichgewicht erreicht war. Es wurde fast ersieh bei 
täglich 4,11 g (= pro kg 0,062 g) N; es dürften 4,95 (= 0,071) zur 
völligen -{--Bilanz gereicht haben (Tabelle 1). 

2. Versuch: Abnützungsquote. 

Der durchschnittliche tägliche N-Verlust betrug 2,44 g = pro kg 
0,037 g (Tabelle 2). 

Die kalorimetrische Bestimmung ergab als Kalorienverlust im Kot 
bei Versuch 1: 


Gelegenheit für sein großes Entgegenkommen bei «ler Zuweisung der nötigen 
Nahrungsmittel meinen Dauk anssprechen. 

1) Herr cand. ined. Cerf hat mich dabei vielfach liebenswürdig unterstützt. 


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Der Stickstoffbaashalt im Greisenalter. 


79 


VersuchBtag 1—17: 5,7 °/ 0 , Tag 18—22: 5,4 °/ 0 , 
bei Versuch 2: Tag 1—7: 3,8 °/ 0 , 

die Verloste hielten sich also in den üblichen Grenzen, müssen hei Ver¬ 
such 2 sogar aasgesprochen niedrig genannt werden. 

II. V.-P.: Baumgartner, Karl, 68 Jahre, 1,62 groß. 

1. Versuch: Abnützungsquote (bauptsächl. Sauerkraut-Kohlrabikost). 

2. Versuch: Abnützungsquote (bauptsächl. Kartoffelkost), direkt an¬ 
schließend. 

3. Versuch: Abnützungsquote (bauptsächl. Kartoffelkost) nach 14 
Tagen Zwischenraum mit tägl. 2,14 g N. 

Der durchschnittliche tägliche N- Verlust betrug in 
Versuch 1: 2,35 = pro kg 0,038 g 

„ 2:1,97 == pro kg 0,032 g 

„ 3: 1,65 = pro kg 0,026 g. 

Wir nehmen den letzten Wert, weil von der längsten Periode 

stammend, als maßgeblich an (Tabelle 3—5). 

III. V.-P.: Schilling, Franz, 64 Jahre, 1,70 groß. 

1. Versuch: Stickstoffgleicbgewicht. 

N-Gleichgewicht wurde erzielt bei tägl. 4,35 g N = pro kg 0,0707 gN. 
Gelegentliche Untersuchungen ergaben 89 —96 °/ # UN (Tabelle 6). 

2. Versuch: Abnützungsquote (direkt an vorigen Versuch an¬ 
schließend). 

Der tägl. N-VerluBt betrug im Durchschnitt: 3,24 g = pro kg: 0,052. 
Gelegentliche Untersuchungen ergaben 73—77 °/ 0 UN (Tabelle 7). 

IV. V.-P.: Stuckert, Elise 72 Jahre, 1,55 groß. 

Versuch: Stickstoffgleichgewicht. 

Stickstoffgleichgewicht idt erzielt mit tägl. 4,37 g N = pro kg: 
0,105 g N. Gelegentliche Untersuchungen auf UN ergaben: 

Versuchstag VI: 86 °/ 0 des Gesamt-N. 

„ XI: 85 °/ 0 „ 

„ XII: 74 °/ 0 „ 

„ XX: 62% „ 

Der NH g schwankte um 0,3— 1,0 °/ 0 (Tabelle 8). 


Ich stelle die gefundenen Werte nochmals zusammen: 

Abqützungsquote und N-Gleichge wicht. 


Name 

Gewicht 
in kg 

; 

Abnützungsquote 
gr N 

insges. j pro kg 

N-Gleichgewicht 
bei g N 

insges. pro kg 

Peschei 

65,0 

i 

2,44 

I | 

0,037 

ea. 4,95 

0,071 

Schilling 

61,5 

3,24 

0,052 

4,35 

0,071 

Baumgartner 

61,5 

! 1,65 

0,026 

— 

— 

Stuckert 

41,5 

1 

— 

4,37 

0,105 


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QrigirifB ffom 

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80 


Hbyer 


Die Höhe des Urin-N verhält sich nach verschiedenen Autoren 
bei Menschen mittleren Lebensalters bei N freier Kost, wie folgende 
Tabelle zeigt:') 


I 

Nr. 

1 

Versuchs- 

tag 

Urin in 

Körpergew. 
in kg 

N pro kg 

Antor 

1 

10 

3,8 

61,0 

0,059 

Folin 

2 

4 

3,76 

69,7 

0,053 

Landergren 

3 

5 

3,5 

70.5 

0,049 

Folin 

4 

4 

3,04 

62,4 

0,048 

Landergren 

5 ; 

5 

2,7 

55,7 

0,048 

Folin 


8 

3,12 

63,5 

0,048 

Klemperer 

7 

: 7 

3,34 

71,3 

0,046 

1 Landergren 

8 

7 

2,42 

57,5 

0,042 

Roehl 

9 

12 

2,6 

64.0 

0,040 

i Folin 

10 

1 8 

2,51 

i 65,0 

0,039 

| Klemperer 

11 

1 - 

2,98 

76,2 

0.039 

j Thomas 

12 

6 

2,01 

88,0 

0,031 

af Klerker 

13 

; 7 

1,84 

58,0 

0.031 

Si ven 


. t Rechnen wir zum Vergleich mit dieser Zusammenstellung nicht, 
wie das bisher geschah, um zu möglichst exakten Ergebnissen zu 
kommen, die N-Bilanz, sondern nur die durchschnittliche N-Abgabe 
so erhalten wir für 

Peschei Schilling Baumgärtner 

3,70 4,17 2,56 Urin-N in g 

0,055 0,067 0,041 Urin-N pro kg. 

Es ist nach Rubner’s Vorgang üblich, die Eiweißmengen 
entsprechend ihrem fiktiven kalorischen Wert im °/o'Verbältnis zur 
Gesamtkalorienmenge anzugeben (dies ist eine rein theoretische 
Berechnung, da es sich ja gerade um nicht kalorisch, sondern 
stofflich verwendete Nährsubstanz handelt). Bei unseren Ver¬ 
suchspersonen wurde das N-Gleichgewicht erreicht mit: Bei Peschei 
4,1 o/o, Schilling 3,6 °/ 0 , Stuckert 5,1 °/ 0 Eiweißkalorien der — über¬ 
reichlich gegebenen — Gesamtkalorien der Nahrung. 

Unsere gefundenen Werte liegen für die Abnutzungsquote 
innerhalb des Durchschnittes an dessen oberer Grenze. Auch die 
Stickstoffmengen, mit denen wir unsere Versuchspersonen auf das 
minimale Gleichgewicht brachten, weichen von den beim Erwachsenen 
neuerlich gefundenen Werten nicht ab (vgl. z. B. die Ergebnisse 
Jansen’s (10) an unserer Klinik). Lediglich die Versuchsperson 
Stuckert zeigt einen vielleicht etwas hohen Wert. Auffallend 

1) Citiertnach Thomas, Über die biol. Wertigkeit der Stickstoffsubstanzen. 
Arch. f. Physiol. 1909, S. 244. 


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Der Stickstoffhausbalt im Qreisenalter. 


81 


waren uns die besonders großen Schwankungen im Urin-N während 
aller Perioden. Deshalb haben wir auch geglaubt, die Perioden 
möglichst lang nehmen und die jeweiligen Besultate nicht wie das 
sonst vielfach geschieht nach dem letzten Tag der Periode, sondern 
als Durchschnitt der Gesamtperiode ansetzen zu sollen. — 

Abnutzungsquote und minimales N-Gleichgewicht decken sich 
nicht, es bedurfte größerer N-Zufuhr, als dem N-Verlust bei eiwei߬ 
loser Kost entsprach, um N-Gleichgewicht zu erzielen. 

Der naheliegende Schluß, daß dem Eiweißansatz des wachsen¬ 
den Individuums und dem auffallend konstanten Eiweißhaushalt 
des Erwachsenen ein Eiweißabbau im Senium entspreche, wird 
durch die mitgeteilten Versuche nicht bewiesen, wenn es auch 
vielleicht bemerkenswert ist, daß unsere Werte an der oberen 
Grenze der Norm liegen. Gäbe es aber auch tatsächlich einen ver¬ 
mehrten Eiweißabbäu des alten Individuums, so würde es schwer 
halten, ihn im Stoffwechsel versuch zu fassen: die auf die Versuchs¬ 
perioden treffende Menge vermehrt ausgeschiedenen Eiweißes ist 
zu gering und liegt weit unter der Fehlergrenze. Aufschluß aus 
weiteren Untersuchungen ist erst zu erwarten, wenn wir klarer 
wissen, was die sog. „Abnutzungsquote“ eigentlich physiologisch 
bedeutet. 

Bislang gilt vor dem Problem der senilen Involution immer noch 
der Satz Fr. Müll er’s (11), „daß es bisher noch nicht gelungen ist, 
für eine so alltägliche Erfahrungstatsache, wie sie das Altern und 
der Tod der Lebewesen darstellen, eine befriedigende Erkenntnis 
zu gewinnen.“ _ 

Literatur. 

1. Zeitschr. f. klin. Med. 1894, Bd. XXVI, S. 437. — 2. Deutsches Arch. f. 
Hin. Med. Bd. 63, 1899. — 3. Internat. Beitr. z. Path. u. Ther. d. Ern.Strg. 
1912, III, 239. — 4. Skand. Arch. f. Physiol. 25, 1911. — 5. Centralbl. f. inn. 
Med. 1901, Nr. 6. — 6. Vgl. bes. Das Probl. d. Lebensdauer . . . München 1908. 
— 7. Arch. f. Physiol. Suppl.-Bd. z. Jahrg. 1910. — 8. Skand. Arch. 1895, VI. cit. 
Meli Koch (4). — 9. Centralbl. f. inn. Med. 1901, Nr. 21. — 10. Deutsches Arch. 
f. i. Med. Bd. 124, S. 1. — 11. Volkmann’s Saminl. klin. Vorträge Nr. 79, 1915. 


Deatsehei Archiv f. klin. Medizin, iss. Bd. 6 


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82 


Ans der medizin. Klinik R Jaksch-Wartenhorst in Prag. 

Über den Beststickstoffgehalt des Blutes bei arterio¬ 
sklerotischen Hypertonien, ein Beitrag zur Kenntnis der 
Nierenfunktion bei der benignen Nierensklerose. 

Von 

Dr. Otto Klein. 

Den Ausgangspunkt für die Untersuchungen, deren Resultate 
im Nachstehenden niedergelegt sind, bildete die Frage nach der 
Nierenfunktion bei den Fällen dauernder arteriosklerotischer Hyper¬ 
tonie. Dieses Problem ist in den letzten 3 Jahrzehnten, wie kaum 
ein zweites, Gegenstand zahlreicher Untersuchungen gewesen. Der 
Grund, weshalb dieses Problem so sehr im Vordergründe des all¬ 
gemeinen Interesses von Pathologen und Klinikern stand und auch 
heute noch steht, ist wohl in der Bedeutung zu suchen, die es für 
die allgemeine Pathologie besitzt. Fällt doch die Frage nach der 
Pathogenese der arteriosklerotischen Nierenerkrankungen und der 
arteriosklerotischen Hypertonie mit der Frage nach der Patho¬ 
genese der Hypertonie überhaupt zum Teil wenigstens zusammen. 
Allerdings wird die Frage nach der Rolle der Nierenerkrankung 
bei der Genese der arteriosklerotischen Hypertonie, die wohl in 
gewissem Sinne den Kernpunkt des Problems bildet, von der Mehr¬ 
zahl der Autoren, aber durchaus nicht von allen als erledigt an¬ 
gesehen. Es herrscht die Anschauung vor, daß die Genese der 
Hypertonie unabhängig ist von Veränderungen in der Niere. Es 
ist dies nicht der Ort, auf die historische Entwicklung der Frage 
einzugehen. Es sei hier nur darauf hingewiesen, daß bekanntlich 
die Vertreter der letzt erwähnten Anschauung die permanente hohe 
arteriosklerotische Hypertonie als Ausdruck und Folge einer System¬ 
erkrankung sämtlicher kleinen Arterien des großen Kreislaufes 
ansehen (Arterio-Kapillarflbrosis, Arteriolosklerose, permanente 
Hypertonie, allgemeine vaskuläre Hypertonie, essentieller Hoch- 


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Über den Beststickstoffgehalt des Blutes usw. 


83 


druck, Arteriosklerose der präkapillaren Arterien, Müller, 1 ) 
Jores, *) Münzer,*) Pal, 4 ) R. Schmidt, 6 ) Krehl, •) 
Huchard, Gnll n. Sntton n. a.). Den dem entgegenge¬ 
setzten Standpunkt vertritt am konsequentesten Bömberg 7 ) 
und seine Schule (Fischer 8 ), Savada 8 ), Harpuder 10 )). 
Nach dieser Anschauung kommt die Blutdrucksteigerung bei Arterio¬ 
sklerose auf demselben Wege zustande, wie bei der Nephritis. In 
beiden Fällen sind Veränderungen der Niere die unerläßliche Be¬ 
dingung für das Zustandekommen der Hypertonie. Einen zwischen 
den genannten beiden Anschauungen in gewisser Hinsicht ver¬ 
mittelnden Standpunkt nahmen Volhard 11 ) und Fahr 1S , 18 ) (ähnlich 
früher bereits v. Leyden 14 ) ein. In ihren in vielen Fragen der 
modernen Nierenpathologie Richtung gebenden Monographien weisen 
die genannten Autoren unter gleicher Berücksichtigung anatomi¬ 
scher und klinischer Tatsachen auf die engen Beziehungen zwischen 
Veränderungen am Gefäßapparat der Niere und dem Vor¬ 
kommen von Hypertonie hin, welche sowohl bei der akuten, dif- 
fnsen Glomerulonephritis, als auch bei den primären angiogenen 
Sklerosen in die Augen fallende sind. Diese widerstreitenden An¬ 
sichten über die Rolle der Niere bei der Pathogenese des Krank¬ 
heitsbildes der arteriosklerotischen Hypertonie gaben uns die An¬ 
regung zu unseren Untersuchungen. Da wir vom rein klinischen 
Standpunkte an die Frage herantraten, führte unser Weg bei der 
Bearbeitung dieser Frage vor allem zur Untersuchung der Nieren- 


1) Fr. v. Müller, im Lehrb. d. inn. Med. (v. Mehring-Krehl) X. Aufl. 
1918, Bd. 2, 8. 89. — Verhandl. der deutschen pathol. Ges. 1905. 

2) Jores, Virch. Arch. Bd. 178, S. 396; ebenda Bd. 181, S. 568; ebenda 
Bi 221, 8. 14; Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 94, S.l. 

3) M Unser, Med. Klin. 1910, S. 924; Zeitschr. f. exp. Path. u. Ther. Bd. 7, 
i 167; Wiener klin. Wochenschr. 1910, Nr. 38. 

4) Pal, Med. Klin. 1909, 8. 1312 u. 8. 1356; Med. Klinik 1919, 8. 662. 

5) B. Schmidt, Med. Klinik 1916, 8. 765 u. 8. 992. 

6) Krehl, Die Erkrankungen des Herzmuskels 2. Aufl., S. 394S. 

7) ▼. Bömberg, Lehrb. d. Krankh. d. Herz. u. d. Gefäße 1909, S. 439ff.; 
ebenda 8. 81 u. 129. Verhandl. d. 21. Kongr. f. inn. Med. 1904, 8. 60. 

8) Fischer, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 109, 8. 470. 

9) Savada, Deutsche med. Wochenschr. 1904. 8. 425. 

10) Harpuder, Deutsche Arch. f. klin. Med. Bd. 129, S. 74. 

11) F. Volhard, Die doppels. hämat. Nierenerkrauk. (im Handb. f. inn. Med. 
v. Vohr-StShelin, HL Bd., 8.1298. 

12) Volh-ard u. Fahr, Die Brigt’sche Nierenkrankh. Berlin 1914. 

13) Fahr, Virch. Arch. Bd. 195, 8. 228. 

14) ▼. Leyden, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 2, 8. 148, 162—164. 

6 * 


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84 


Klxin 


funktion. Selbstverständlich — das geht ans den nachstehenden 
Ausführungen hervor — mußte auch das gesamte klinische Sym- 
ptomenbild mit in die Untersuchung und Beurteilung des einzelnen 
Falles herheigezogen werden. Doch ist ja schon seit langem be¬ 
kannt, wie' arm oft gerade die arteriosklerotischen Nierenerkran¬ 
kungen an deutlichen klinischen Symptomen renaler Natur sind. 
Wie oft findet sich bei Obduktionen anatomisch das ausgesprochene 
Bild der öranularatrophie der Niere, ohne daß man in der Zeit, 
während welcher man den Kranken beobachten konnte, jemals 
Albuminurie, Zylindrurie oder sonst ein renales Symptom hätte fest¬ 
stellen können. Auch mit der Funktionsprüfung steht es ganz 
ähnlich. Auch hier werden oft deutliche Störungen der Funktion 
vermißt, oft werden solche nur zeitweise gefunden und erweisen 
sich bei wiederholter Untersuchung als vorübergehender Natur. 
Auf diese Verhältnisse wurde in fast allen modernen Arbeiten, die 
sich mit dieser Frage befassen, immer wieder hingewiesen. 

Volhard und Fahr *) unterscheiden unter den echten angio- 
genen Nierensklerosen bekanntlich zwei Formen. Die eine die 
sog. blande Nierensklerose oder blande Hypertonie, von Volhard*) 
auch gutartige Sklerose genannt, mit normaler Nierenfunktion und 
vorwiegend kardiovaskulärem Symptomenbild (Herzhypertrophie, 
Hypertonie eventuell deren Folgen: Herzinsufficienz, Häroorrhagia 
cerebri usw.) und die maligne Sklerose oder Kombinationsform, bei 
der die renalen Züge im Krankheitsbild (Albuminurie, Zylindrurie, 
Hyposthenurie, Polyurie, N-Retention, Retinitis albuminurica, sowie 
sämtliche anderen Symptome renaler Funktionsstörung bis zur 
kompletten Niereninsufficienz mit Isothenurie und echt urämischen 
Symptomen) mehr oder weniger oft mit in den Vordergrund treten. 
Auch bei Strauß*) findet sich eine ähnliche Scheidung der Fälle 
mit sufficienter Nierentätigkeit (eudynamische anazotämische Form) 
und solcher mit gestörter Nierenfunktion (adynamische, azotämische 
Form). Ribbert, 1 2 3 4 ) Volhard (1. c.) und Fahr (1. c.) nehmen an, 
daß beiden Formen auch anatomisch verschiedene Prozesse zu¬ 
grunde liegen. Während es sich bei der benignen Form der Nieren¬ 
sklerose mit intakter Funktion bloß um arteriosklerotische Ver¬ 
änderungen des Gefäßapparats handelt, soll bei der malignen 
Sklerose oder Kombinationsform noch ein zweites Moment hinzu- 

1) 1. c. 

2) 1. c. S. 1637 ff. 

3) H. Strauß, Nephritiden. II. Aufl. 1917, S. 13. 

4) Bibbert, Deutsche med. Wochenschr. 1916, S. 37. 


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Über den Beststickstoffgehalt des Blutes usw. 85 

kommen: eine mehr weniger entzündliche Veränderung der Intima 
der kleinen Nierenarterien, die einer Endarteritis obliterans, ähn¬ 
lich wie sie bei der diffusen Glomerulonephritis beobachtet wird, 
nahe kommt, mit konsekutiver stärkerer Reaktion im Parenchym 
nnd Interstitium der Niere, hervorgerufen durch die noch stärkere 
Einengung der Gefäßlumina und den daraus resultierenden noch 
stärkeren Zirkulationsdefekt. Die Ätiologie soll bei der blanden 
Nierensklerose nach Fahr 1 ) mit der Ätiologie der Arteriosklerose 
nberhaupt zusammenfallen, während bei der malignen Form noch 
ein anderer ätiologischer Faktor, der die obliterierende Endarteritis 
verursacht, hinzukommt; insbesondere sollen hier Lues, Blei u. a. 
ätiologische Momente in Betracht kommen. Gegen die scharfe 
Trennung dieser beiden Formen als zwei dem Wesen und der Ätio¬ 
logie nach verschiedene Krankheitsbilder wurde vielfach, so nament¬ 
lich von anatomischer Seite (Löhlein, s ) Jores 8 ), Stellung ge¬ 
nommen und vor allem auf den einheitlichen Charakter der 
anatomischen Veränderungen bei beiden Formen hingewiesen. Die 
Verschiedenheit der klinischen Symptomenbilder soll nur eine quan¬ 
titative Verschiedenheit in der Intensität und Extensität der 
anatomischen Veränderungen des Gefäßapparates der Niere zur 
Grundlage haben. Ist dem so, so ist zu erwarten, daß auch in den 
klinischen Krankheitsbildern alle Übergänge und Abstufungen 
zwischen beiden Formen Vorkommen und auch hier die Grenze 
keine scharfe ist. Darauf ist in letzter Zeit von klinischer Seite 
wiederholt hingewiesen worden, daß Übergänge Vorkommen und 
daß im konkreten Fall die Zugehörigkeit zu einer der beiden Krank¬ 
heitsformen oft nur schwer entschieden werden kann (Maschwitz 
* «.Rosenberg, 4 ) Rosenthal, 6 ) Munk, 6 ) u. a.). Namentlich in 
betreff der Nierenfunktion wird zugegeben, daß auch bei der 
benignen Form Störungen derselben Vorkommen. Allerdings werden 
diese bei der benignen Form mehr auf Rechnung des kardialen 
Faktors gesetzt (Abnahme der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes 
in der Niere, Stauungsniere, Volhard, 7 ) Machwitz u. Rosenberg). 

1) Fahr, Münchener med. Wockensehr 1918, 8. 493. — Deutsches Arch. f. 
Mn. Med. Bd. 134, 8. 336. 

2) Löhlein, Med. Klinik 1916, S. 741 ff. 

3) 1. c. Bd. 221, 8. 14. 

4) Machwitz n. Bosen berg, Deutsche med. Wochenschr. 1916, S. 1188 
n. 1219. 

3) 0. Bosenthal, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 133, S. 163. 

• 6) Mnnk, Nephrosen, Nephritiden nnd Schrnmpfnieren 1918, S. 288 u. 300. 

7) 1. c. 8.1671-1676. 


i 


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l 



86 


Klein 


Die Untersuchungen der Nierenfunktion bei arteriosklerotischen 
Hypertonien unternahmen wir also im Hinblick auf zwei Fragen: 
ob bei den Fällen von arteriosklerotischer Hypertonie im allge- 
meinen Störungen der Nierenfunktion in der Hegel Vorkommen und 
ob man daraus Schlösse auf das Vorhandensein einer Nieren* 
affektion bzw. einer Affektion des Gefäßapparates der Niere ziehen 
kann, und ob vom klinischen Standpunkt aus, also im Hinblick auf 
die Nierenfunktion, in der Tat Fälle mit intakter Nierenfnnktion 
(benigne Formen) von solchen mit gestörter Funktion (maligne 
Formen) zu scheiden sind. Unsere Untersuchungen bezogen sich 
naturgemäß vor allem auf die benignen Formen. Bei den malignen 
Formen, jenen Fällen, bei denen also deutliche renale Symptome 
bestehen, ist ja das Vorhandensein einer Nierenerkrankung fest¬ 
stehend. Wir haben eine Anzahl von solchen Fällen nur des Ver¬ 
gleiches halber mit untersucht. Hauptsächlich betreffen aber unsere 
Untersuchungen jene Fälle von Hypertonie, die in das Gebiet des 
als genuine Hypertonie oder benigne (blande) Nierensklerose be- 
zeichneten Krankbeitsbildes fallen. Denn nur hier ist die Rolle 
der Nierenerkrankung oder besser der Nierengefäßveränderungen 
unklar und das Vorhandensein von Nierenfunktionsstörungen in 
Frage gestellt. Es ist auch das hierher gehörige Material vor 
allem geeignet, auf die Frage der Beziehung zwischen Hypertonie 
und Nierenerkrankung, soweit dies vom klinischen Standpunkt 
überhaupt möglich ist, einiges Licht zu werfen. Als solche in 
diesen Rahmen gehörige Fälle haben wir jene angesehen, wie sie 
durch die von den meisten Autoren gegebene Charakterisierung 
des Krankheitsbildes mehr oder weniger scharf umgrenzt werden. 
Es handelt sich um Fälle von permanenter mittelhoher oder hoher 
Hypertonie (über 160 mm R-R Maxim.), ohne deutliche renale Sym¬ 
ptome mit annähernd normaler Akkommodationsbreite der Niere, was 
das spezifische Gewicht des Urins betrifft. Mäßige oder geringgradige 
Albuminurie und Zylindrurie waren bei manchen dieser Fälle 
dauernd, bei manchen vorübergehend vorhanden. Echte Retinitis 
albuminurica fehlte, dagegen waren bei einer Anzahl von ihnen 
arteriosklerotische Veränderungen der Netzhautgefäße, Blutungen 
usw. nachweisbar. Es handelte sich also hier um klinische Bilder, 
die mehr den Eindruck einer Gefäß- bzw. einer Herzgefäßerkran¬ 
kung als den einer Nierenerkrankung machten. 

Wir schieden unter diesen Fällen sorgfältig jene aus, bei denen 
sich manifeste Symptome cardialer Insufficienz, wie Stauungserscheinungen . 
in den großen Körpervenen oder gar Ödeme zeigten. Wir taten dies 


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QriginaMröm 

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Über den Reststickstoffgehalt des Blutes usw. 


87 


deshalb, weil bei der in solchen Fällen vorhandenen Stannngsniere (V o 1 - 
hard 1 2 3 ) eo ipso Funktionsstörungen Vorkommen und sich daher ans den 
Besaiteten der angestellten Funktionsprüfung keine Schlüsse auf die 
primäre rein renale Funktionsschädigung ziehen lassen. Außerdem spielen 
ja gerade bei cardialer Stauung andere extra-renale, ganz unkontrollier¬ 
bare Momente eine Bolle. Eine Ausnahme machen einige in der Zu¬ 
sammenstellung ausdrücklich als solche vermerkte Fälle, bei denen wir 
Funküonsprüfungen Vornahmen, wiewohl bei ihnen, allerdings meist erst 
terminal Herzinsufficienz und cardialer Hydrops bestand. Was die Prü¬ 
fung der Nierenfunktion selbst betrifft, so legten wir das Hauptgewicht 
auf die Bestimmung des BN-Oehaltes des Blutes. Denn gerade die 
Höhe des Beststickstoffes im Blute ist, wenn man gewisse Einflüsse (Ei- 
veißzerfall, Fieber usw. b. weiter unten) ausschließen kann, am wenigsten 
mn extrarenalen Faktoren abhängig, durch deren Einwirkung die Be¬ 
urteilung der Nierenleistung auf Grund der anderen Funktionsprüfungs- 
methoden so sehr erschwert, ja oft unmöglich gemacht wird. Die Höhe 
des BN im Blute, ist, wenn man jene störenden Momente ausschließen 
kann, demnach am meisten von allen durch die Methoden der Nieren- 
fnnktionsprüfung feststellbaren Werten von derNierenleistungab- 
hängig; daß dies allerdings nicht ganz der Fall ist, haben neuere 
Untersuchungen gezeigt. Wir wollen später darauf zurückkommen. Wir 
haben getrachtet bei den einzelnen Fällen möglichst oft zu verschiedenen 
Zeitpunkten BN-Bestimmungen vorzunehmen. Denn bei dem starken 
Wechsel, den subjektives Befinden und objektive 8ymptome, und hier 
wiederum besonders der Blutdruck bei den Fällen von arteriosklerotischer 
Hypertonie zeigen, schien es uns wichtig, möglichst oft und zu ver¬ 
schiedenen Zeiten die Höhe des BN-Spiegels zu bestimmen, um so ev. 
auch Vorübergehende Störungen der Nierenfunktion aufzudecken. Die 
übrigen Methoden der Nierenfunktionsprüfung wandten wir in einer An¬ 
zahl von Fällen an, bei allen konnten wir es abhon aus äußeren Gründen 
nicht tun. 9 ) Wir wandten sie vor allem dort an, wo klinische Symptome, 
der erhöhte BN-Spiegel, die Möglichkeit nahe legten, daß auch die 
anderen Methoden der Funktionsprüfung Störungen aufdecken dürften. 

Was die Methode der BN-Bestimmungen betrifft, so benutzten wir 
die von Oszacki 8 ) angegebene Methode der EiweißfäUung mit Uranyl- 
acetat und die N-Bestimmung nach Kjeldahl. Der Vorgang ist dabei 
folgender: Eine bestimmte Menge Blutserum (20 ccm) wird vierfach mit 
Aqu. destil. verdünnt, hierauf läßt man eine der Menge des verwendeten 
Blutserums gleich große Menge Uranylacetats (1 1 / a °/ 0 ige Lösung) Zu¬ 
flüßen ; nach vollendeter EiweißfäUung wird gut durchgemischt und dann 
filtriert. Im Filtrate wird der N nach Kjeldahl bestimmt. Die 
Gründe weshalb wir diese Methode angewandt haben, waren folgende: 
1. Ist das TJranylacetat ein Beagens, das uns jederzeit in genügender 
Menge zur Verfügung stand; bei der großen Zahl von Bestimmungen 


1) L c. 8.1671—1676. 

2) Es wurden diese Methoden bei den Fällen angewendet, die dauernd in 
Um. Beobachtung waren. 

3) Oszacki, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 77, S. 1. 


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Klein 


fiel dieser Umstand natürlich sehr ins Qewicht. 2. Hat die Methode den 
Vorteil, daß sie bei Verwendnng von nicht allzu großen Mengen Blut¬ 
serums — nach Angaben Oszacfci’s genügen 15—20 ccm — genaue 
Resultate liefert. Dieser Umstand war insbesondere deshalb für die 
Wahl dieser Methode ausschlaggebend, weil wir ja unsere Fälle wieder¬ 
holt untersuchten und es uns natürlich wünschenswert erschien, die 
Kranken nicht allzuviel Blut verlieren zu lassen. 

Nach dieser Methode bestimmten wir also den gesamten nicht koagu- 
ablen Stickstoff. Eigene Harnstoffbestimmungen im Serum, so wie Be¬ 
stimmungen des Amidosäurestickstoffes, Blutindikans, usw. führten wir 
im allgemeinen nicht aus. Denn es kam uns ja nur darauf an, aus der 
Höhe des jeweils gefundenen RN-Spiegels auf die Nierenfunktion zu 
schließen; mit der Feststellung der quantitativen Vermehrung der einzelnen 
Stoffe des RN .hätten wir gar nicht mehr erreicht, als mit der Be¬ 
stimmung des gesamtem RN. Denn aus der überaus großen Literatur 
über das quantitative Verhalten des RN, als auch über das relative Ver¬ 
hältnis der einzelnen chemischen Bestandteile des RN zueinander unter 
normalen und pathologischen Verhältnissen konnten wir nnr entnehmen, 
daß bei Niereninsufficienz der RN im Blute erhöht ist. Über das Vor¬ 
herrschen der einen oder der anderen chemischen Komponente sind die 
Resultate der verschiedenen Untersuchungen auch heute noch different. 
Überwiegend zeigen jedoch die meisten Untersuchungen, daß der Harn¬ 
stoff quantitativ den größten Anteil am RN besitzt, eine Tatsache auf 
die Jaksch 1 2 ) bereits vor langer Zeit hingewiesen hat. Nach Jaksch 
beträgt bei Niereninsufficienz der Anteil des Ü ungefähr 90 °/ 0 des ge¬ 
samten Nichteiweißstickstoffs, nach Strauß 3 ) beträgt der Anteil des 
Harnstoffs 75°/o des gesamten RN, nach Volhard 8 ) 50—60°/ o , nach 
Hohlweg 4 5 6 ) 60°/o- Fast alle aber stimmen darin überein, daO bei Er¬ 
höhungen des RN infolge von Niereninsufficienz der Anteil des Harn¬ 
stoffs am gesamten RN bedeutend anwächst (nach Volhard biB zu 80 bis 
90 °/ 0 des gesamten RN). Doch wollen wir nicht unerwähnt lassen, daß 
sich in neueren Arbeiten zum Teil dem widersprechende Resultate vor¬ 
finden; so fand Ullmaun, ö ) daß bei Niereninsufficienz der Anteil der 
Nichtharnstoffkomponente des RN relativ zunimmt. Auch Chabanier 
und Galhardo 0 ) fanden, daß bei Niereninsufficienz der Nichtharn¬ 
stoffanteil des RN relativ ansteigt. Jedenfalls kennen wir nach dem 
heutigen Stande der Forschung noch keine bestimmte Substanz, der 
man unter den bei Niereninsufficienz retinierten Stoffen bei der Er¬ 
zeugung der klinischen Symptome eine Hauptrolle zuerkennen könnte. 
Dies gilt sogar von jenen höchsten Graden von Niereninsufficienz mit 

1) Jaksch, Zeitschr. f.Heilk. Bd.24, S. 401. — Festscbr. f. Leyden 1902, S. 194* 

2) 1. c. S. 74. 

3) 1. c. S. 1192 u. 1388. (Die Angaben der 3 letzten Antoren beziehen sich 
anf normale Nierenfunktion.) 

4) Hohlweg, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 104, 8. 216. 

5) Ullmaun, Würzburger Abhandl. aus dem Geb. d. prakt. Med. (n. d. 
Ref. i. Zentralbl. f. d. ges. inn. Med. Bd. 20, 1920. 

6) Compt. rend. de Ia soc. de biol. Bd. 83, S. 723. 


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Über den Reststickstoffgehalt des Blutes usw. 89 

RN-Erhöhung, die mit dem Symptomenbild der echten Urämie einher* 
gehen. Hier scheint allerdings die Holle des Harnstoffs schon wegen 
des so starken Anstiegs seiner relativen Beteiligung am gesamten RN 
eine sehr große zu sein (Volhard 1 )). Bei den nicht so hochgradigen 
Erhöhungen des RN, wie wir sie bei unseren Fällen mit vorübergehen¬ 
der Funktionsstörung meist nur mäßigen Grades fanden, glaubten wir 
uns mit der Bestimmung des gesamten RN begnügen, zu können, ohne 
das Verhältnis der einzelnen chemischen Komponenten zu berücksichtigen. 
Hit den meisten Autoren (Strauß, 2 3 ) Volhard, 8 9 ) Siebec * 6 k 4 ) u. a.) 
sahen wir 40 — 50 mg RN pro 100 ccm Blut als obere Grenze der Norm 
an, was den von Jaksch für den Blutharnstoff angegebenen Werten 
vollkommen entspricht ( 0 , 05 — 0,06 g auf 100 ccm Blut). Was das Aus- 
gangsmaterial betrifft, so nahmen wir die Bestimmungen im Blutserum 
vor. 8 ) Es ist ja der RN-Gebalt des Serums von dem des Gesamtblutes 
nur wenig verschieden. In betreff des Harnstoffs enthält das Serum 
nur etwas mehr U als das Gesamtblut (Jaksch 1. c., Philipp 4 ))*, 
doch fallen diese überaus geringen Differenzen nicht ins Gewicht. Hin¬ 
sichtlich der Quantität des Ausgangsmaterials wäre noch zu sagen, daß 
wir meist 15—20 ccm Serum verarbeiteten. Es wurden stets Doppel¬ 
bestimmungen vorgenommen und stets zur Kontrolle der Enteiweißung 
eine 3. Probe angesetzt, nach dem Abfiltrieren des Uranylacetateiweiß- 
niederschlages wurde das Filtrat auf Eiweiß mit der Heller’schen Probe, 
sowie auf Biuretreaktion geprüft. Was die weitere Verarbeitung be- 
triflt, so bestimmten wir den N-Gehalt des Filtrates nach Kjeldahl. 7 ) 
Als Vorlage uud zur Titration benützten wir n/ 20 Säure, bzw. n/ 20 Lange, 8 ) 
da auf diese Weise die Ablesungsfebler verringert und die Genauigkeit 
der Titrationsresultate erhöht wurde. Die Normallösungen waren auf 
Oxalsäurenormallösung eingestellt. Was die Genauigkeit der Gesamt¬ 
resultate betrifft, so betrug die Differenz zwischen den zwei zusammen¬ 
gehörigen Doppelbestimmnngen höchstens 4 °/ 0 ; Bestimmungen die Btärker 
differierten, wurden nicht verwertet. Erwähnt sei noch, daß je nach 
einer Anzahl von Bestimmungen eine Leerbestimmung zur Feststellung 
des N-Gehaltes der Reagenzien vorgenommen wurde. Das Blut wurde 
stets am Morgen oder Vormittag 2 —3 Stunden nach einem eiweißarmen 
Frühstück entnommen (durch Aderlaß). Wiewohl nach Strauß 0 ) u. a. 

1) 1. c. S. 1192. 

2) 1. c. 8. 66 u. 67. 

3) 1. c. 8. 1192. 

4) Siebeck, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 116, 8. 58; die Beurteil, u. 

Behandl. d. Nierenerkrank. 1920, S. 38 u. 39. 

6) Auch Volhard empfiehlt die RN-Bestimmungen im Serum vorsunehmen 
0- c. 8. 1196). 

6) Philipp, Med. Elin. 1913, S. 912. 

7) Bei der Ausführung hielten wir uns an die von Jaksch (1. c.) in seiner 
Diagnostik gegebenen Vorschriften, s. Jaksch, Klinische Diagnostik, 6. Aufl., 
8.484 ff. u. 8.602. 

8) Statt n/ 4 -Lö8ungen, wie sie bei der Bestimmung des Gesamt-N im Ham 
verwendet werden. 

9) L c. 8. 68 u. 69. 


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die Eiweißaufnahme durch die Nahrung normalerweise einen nur geringen 
Einfluß auf den RN-Gehalt des Blutes ausübt, haben wir doch vorsichts¬ 
halber jene Regel eingehalten. Die meisten von den klinisch beobach¬ 
teten Kranken standen unter ausgesprochen eiweißarmer Diät. 

Wir wollen hier nun eine kurze Zusammenstellung der Resul¬ 
tate unserer Untersuchungen folgen lassen, so gut dies eben bei 
der Enge des zur Verfügung stehenden Raumes möglich ist. Zu¬ 
nächst von den bei unseren Fällen gefundenen Werten für die 
Höhe des RN-Spiegels im Blute! Wir haben im Ganzen bei 54 
Fällen von typischer benigner Nierensklerose zu verschiedenen 
Zeiten die Höhe des RN-Spiegels bestimmt. Es wurden bei diesen 
Fällen im Ganzen 192 Bestimmungen (384 Doppelbestimmnngen) 
vorgenommen, d. s. also durchschnittlich für den einzelnen Fall 
4 Bestimmungen. 

Dabei gab es allerdings Fälle (12 an der Zahl) bei denen aus 
äußeren Gründen nur 1—2 Bestimmungen vorgenommen werden konnten. 
Anderseits haben wir dafür bei einer Anzahl von Fällen 6—7 mal, bei 
einem Fall sogar 8 mal zu verschiedenen Zeitpunkten die Höhe des RN 
im Blute bestimmt. Die meisten von den Fällen befanden sich in klini¬ 
scher Beobachtung, eine geringe Zahl von ihnen stand in ambulatorischer 
Behandlung. Die Zeitdauer, durch welche die einzelnen Fälle in Be¬ 
obachtung standen, so wie die Intervalle nach denen der KN-Gehalt des 
Blutes immer wieder bestimmt wurde, war bei den einzelnen Fällen ver¬ 
schieden. Es handelte sich bei uns natürlich darum, möglichst oft zu 
verschiedenen Zeitpunkten bei den einzelnen Fällen RN-Bestimmungen 
vorzunehmen. Daß wir da von verschiedenen Momenten, insbesondere 
auch von äußeren Umständen abhängig waren, liegt an der Hand. Dies 
um so mehr, als wir uns bemühten, Momente, welche auf die Höhe des 
RN- im BluteEinflaß nehmen konnten, möglichst auszuschalten (s. weitern.). 
Die meisten Patienten wurden immer wieder für einige Zeit auf die 
Klinik aufgenommen, manche wurden, nachdem sie eine Zeitlang an der 
Klinik in Beobachtung gestanden hatten, ambulatorisch weiter be¬ 
obachtet. Die Beobachtungsdauer betrug bei unseren Fällen durch¬ 
schnittlich 4—6 Monate, bei einigen allerdings nur 6 Wochen, bei 
anderen wiederum über 1 Jahr, bei zweien sogar 18 Monate. Die Inter¬ 
valle zwischen je zwei Bestimmungen betrugen bei den einen Fällen 
2—3 Wochen, bei anderen mehr bis zu 2—3 Monaten. 

Was die Resultate betrifft, so fielen von den 192 Bestimmungen 
119 in den Bereich des Normalen (50 mg als obere Grenze an¬ 
genommen); bei 73 Bestimmungen (also ungefähr in ’/# sämtlicher 
Bestimmungen) wurden erhöhte Werte für den RN im Blute ge¬ 
ll Krankengeschichten konnten leider wegen Raummangel nicht aufge¬ 
nommen werden; anch eine tabellar. Zusammenstellung der Fälle mit den kün. 
Symptomen, Resultaten der Nierenfunktionsprüfung und RN-Werten mußte aus* 
demselben Grunde entfallen (Anm. b. d. Korrektur). 


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Über den Beststickstoffgehalt des Blutes nsw. 


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fanden. Wichtiger und instruktiver erscheint ans aber die Be¬ 
trachtungsweise, wie sich die verschiedenen Resultate der Bestim¬ 
mungen auf die Fälle verteilen. Wir kamen zn dem Ergebnis, daß 
von den 54 zn verschiedenen Zeitpunkten untersuchten Fällen von 
benigner Nierenskjerose nur in 17 Fällen (d. i. also in nicht ganz 
Vs der Fälle) ein ständig normaler Wert für den RN im Blute 
gefunden wurde— bei allen zu den verschiedenen Zeiten 
vorgenommenen Bestimmungen. Bei den übrigen 37 Fällen 
(also in rund */» der Fälle) wurde zum mindesten 1 mal (in 
einem Zeitpunkt), bei vielen aber 2—3mal ein erhöhter 
Reststickstoffgehalt im Blute gefunden. 

Als Beispiel seien hier 2 Fälle angeführt. 

1. Patientin M. Sch,, 66 Jahre alt, an leichten Asthmaanfallen 
and Stenokardie leidend, Zeichen von Hypertrophie des linken Ven¬ 
trikels nnd Arteriosklerose der Aorta; Blutdruck zwischen 200/135 bis 
155/96 mm (Riva-Rocci) schwankend, im Harn zeitweise Spuren von Ei¬ 
weiß und Zylinder, zeitweise Polyurie, meist Nykturie, im Wasser versuch 
dberschießende Wasserausscheidung, leichte Einschränkung (1024) im 
Konsentrationsversuch. RN-Gehalt des Blutes 


am 22. XII.: 49,0 mg pro 100 ccm Blut, 

,, 10. I.: 34,6 „ ,, ,, ,, ,, 

,, 29. I.: 63,0 „ ,, ,, ,, ,, 

„ 9. II.: 84,0 ,, ,, ,, „ „ 

„ 23. II.: 44,8 ,, ,, ,, ,, ,, 


2. Patientin Marie M., 54 Jahre alt, an Asthma, Kopfschmerzen 
nnd Druckgefühl auf der Brust leidend, Hypertrophie d. 1. Ventrikels, 
Arteriosklerose der Aorta; Blutdruck zwischen 240/160 und 190/125 
nun Hg (Riva-Rocci) schwankend, zeitweise Polyurie und Nykturie, meist 
Eiweiß und Zylinder. RN-Gehalt . 

am 30. IV.: 44,2 mg pro 100 ccm Blut, 

57.4 „ ,, ,, ,, ,, 

22.4 


29. IX.: 

2. XI.: 

6. I.: 42,0 
16. HI.: 25,2 
2. IV.: 63,0 
12. V.: 46,0 


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Die gefundenen pathologischen Werte bewegten sich in der 
überwiegenden Mehrzahl zwischen 55—75 mg, die Erhöhungen 
waren also nur mäßige, doch immerhin waren sie deutlich. (Bei 
Vergleichsbestimmungen von Nierengesunden haben wir niemals, 
zu keiner Zeit derartige Erhöhungen des RN-Gehaltes im Blute 
gefunden.) Nur in wenigen Fällen stieg der Wert über 80 mg 
hinauf; bei 3 Fällen überstieg die Höhe des RN-8piegels je ein¬ 
mal 90 mg, bei einem Falle 100 mg. Bei den ersten zwei Fällen 


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konnten Herzinsufficienz, Stannng in den Körpervenen und Stauungs¬ 
niere ausgeschlossen werden, bei letzterem waren sie vorhanden 
und mögen wohl zu der besonders starken Erhöhung des RN- 
Spiegels (106 mg) beigetragen haben. Es sei hier noch erwähnt, 
daß auch unter vielen noch als normal anzusehenden gefundenen 
Werten bei unseren Fällen ein auffallend großer Teil an der oberen 
Grenze der Norm stand, in dem sich hier der RN-Gehalt des Blutes 
zwischen 40—50 mg bewegte. 

Zusammenfassend können wir also sagen, daß bei den von ans 
untersuchten 54 Fällen von benigner Nierensklerose der RN- 
Gehalt des Blutes zu verschiedenen Zeiten ein ver¬ 
schiedener war, und zwar derart, daß bei ein und demselben 
Fall zu verschiedenen Zeiten einmal ein normaler, das anderemal 
ein pathologisch erhöhter RN-Gehalt im Blute gefunden wurde. 
Wir konnten also bei unseren Fällen ein Schwanken des 
RN-Spiegels im Blute konstatieren. Wir glauben, daß diese 
Schwankungen des RN-Spiegels im Blute bei den Fällen von arte¬ 
riosklerotischer Hypertonie wohl nur renal bedingt sein können, 
hervorgerufen durch eine zu verschiedenen Zeiten ver¬ 
schiedene Nierenfunktion, in dem Sinne, daß die zeitweise 
feststellbaren periodischen Erhöhungen des RN-Spiegels durch 
vorübergehende Störungen der Nierenfunktion verursacht werden. 
Um dies zu beweisen, ist es notwendig, erstens andere Ursachen 
für eine Erhöhung des RN im Blute auszuschließen und zweitens 
zu sehen, ob andere Zeichen oder Symptome gestörter Nieren¬ 
tätigkeit bei unseren Fällen festzustellen waren. - 

Ad. 1. Als andere sozusagen extrarenale Ursachen fiir eine Er¬ 
höhung des RN im Blute könnten in Betracht kommen: a) Erhöhter 
Eiweißzerfall infolge Fieber, anderer konsumierender Prozesse im Körper, 
Schwitzprozeduren, hochgradige körperliche Anstrengungen, parenterale 
Eiweißzufuhr usw. b) Cardiale Stauung, und c) übermäßige Eiwei߬ 
zufuhr durch die Nahrung. Alle diese Momente konnten wir bei unseren 
Fällen zu der Zeit, wo wir den RN-Gehalt im Blute bestimmten, mit 
Sicherheit ausschließen. Fieberhafte Kranke, solche mit konsumierenden 
Prozessen, epileptischen Anfällen gab es unter den Fällen, bei denen 
wir unsere Untersuchungen Vornahmen, nicht; sie wurden von vornherein 
ausgeschlossen. Schwitzprozeduren, die wie neuere Untersuchungen zeigen, 
den RN-Gehalt des Blutes beeinflussen können (Löwy u. Mendel), 1 ) 
ebenso körperliche Anstrengungen wurden von den Kranken, bei denen 
wir Untersuchungen Vornahmen, vermieden. Fälle mit cardialer Insuffi- 
cienz verbunden mit Stauung in den Körpervenen und Stauungsniere, 


1) J. Löwy u. R. Mendl, Deutsches Arcli. f. klin. Med. Bd. 136. 112. 


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Über den Reststickstoffgekalt des Blutes usw. 93 

worden, wie schon erwähnt, im allgemeinen ebenfalls von unseren Unter* 
Buchungen ausgeschlossen. In einigen untersachten Fällen kam es aller¬ 
dings terminal zu Herzinsufficienz und cardialem Hydrops, doch wurden 
in diesem Zustand gewöhnlich keine Bestimmungen des RN-Gehaltes 
mehr vorgenommen. Bei strenger Kritik können wir sagen, daß bei 
höchstens 3—4 von den gefundenen erhöhten Werten für den RN die 
cardiale Stauung und deren Folgen (Stauungsniere) beim Zustandekommen 
des Anstieges des RN eine Rolle gespielt hat. Auch hier, so glauben 
wir, war dies nur teilweise der Fall; denn wir haben bei einigen Fällen 
von cardialer Insufficienz (meist Klappenfehler) wiederholt den RN-Gehalt 
des Blutes bestimmt — bei Kranken, welche verschiedene Abstufungen 
cardialer Dekompensation und cardialer Hydropsie zeigten, — und ge¬ 
funden, daß hier der Anstieg des RN-Spiegels meist ein nur mäßiger 
ist und oft überhaupt erst dann eintritt, wenn die cardiale 8tauung 
schon eine gewisse zeitlang bestanden hat. Bei unseren Kranken war 
aber, abgesehen von jenen erwähnten Ausnahmen von einer cardialen 
Stauung (Stauung in den Venen des Körperkreislaufes und Stauungsniere) 
keine Rede. Die cardialen Symptome, die manche unserer Fälle zeigten, 
bestanden meistens in Stenocardie und Atemnot, jenem Asthma der 
Hypertoniker, das duroh vorübergehendes Erlahmen des linken Ventrikels 
gegenüber dem hohen Blutdruck hervorgerufen wird und mit einer Stauung 
im kleinen Kreislauf einhergeht — leichteste Grade von relativer Insnffi- 
cienz des muskelstarken Herzens (V o 1 h a r d). *) Es bleibt hier natur¬ 
gemäß bei ungestörter Tätigkeit des rechten Ventrikels 
eine Stauung im großen Kreislauf und in der Niere aus; somit konnte 
auch bei unseren Fällen die Stauungsniere nicht die Ursache für den 
Funktionsausfall bilden. 

Auch übermäßige Eiweißzufuhr durch die Nahrung konnte nicht die 
Ursache für den zeitweise gefundenen Anstieg des RN im Blute bei 
unseren Fällen sein. Wir erwähnten schon, daß fast alle unsere Kranken 
nnter eiweißarmer Diät standen und daß die Blutentnahme durch Ader¬ 
laß stets am Morgen erfolgte. Außerdem gilt es ja als charakteristisch 
für die gut funktionierende Niere, daß trotz alimentärer Belastung der 
BN-8piegel im Blut eine mehr weniger strenge Stabilität zeigt, welche 
durch prompte Akkommodation der Niere in der Ausscheidung der N- 
haltigen harnfähigen Stoffe gewährleistet wird. Eine durch alimentäre 
Eingriffe zutage tretende größere Labilität des RN-Spiegels spricht ja 
schon für einen gewissen Grad von Störung der Nierenfunktion (Strauß,*) 
Widal,*) Ambard, 8 ) Siebeck (1. c.)). 

Da wir nun alle anderen Ursachen für den Anstieg des BN- 
Spiegels im Blnte ausschließen mußten, bleibt uns nur die An¬ 
nahme übrig, ihn als durch eine Störung der Nierenfunktion ver¬ 
ursacht zu erklären. 


1) 1. c. 8. 1662. 

2) 1. c. 8. 69. 

3) Cit. nach Volhard. 


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Ad. 2. Wir glauben uns za dieser Erklärung unserer Resultate 
um bo mehr berechtigt, als wir aueh mit den anderen Methoden der Nieren¬ 
funktionsprüfung bei unseren Fällen Zeichen von gestörter Nierentätig¬ 
keit finden konnten. Allerdings wiesen dieselben nur auf einen gering¬ 
gradigen Funktionsausfall hin. Die Ausschläge. waren hier bei weitem 
nicht so deutlich, wie sie durch die Resultate der Bestimmung des RN- 
Spiegels aufgedeckt wurden. Wir haben bereits erwähnt, dafi bei den 
meisten unserer Fälle zeitweise Albuminurie und Cylindrurie bestand. 1 2 3 ) 
Die Eiweißmenge war meist gering, die Zylinder in spärlicher Anzahl; 
doch wurden unter den 54 Fällen bei 46 wenigstens einmal während 
der ganzen Beobachtungsdauer Eiweiß und Zylinder im Harn gefunden. 
Wir wollen hier betonen, was ja auch sonst bekannt ist, daß diese 
Symptome, wie bei Schrumpfnierenkranken überhaupt, so auch bei unseren 
Fällen ausgesprochen periodischen Charakter zeigten und oft nur zeit¬ 
weise gefunden wurden. Von den verschiedenen beute üblichen Methoden 
der Nierenfunktionsprüfung wandten wir außer der Bestimmung des RN 
im Blute folgende an: Wasser- und Konzentrationsversuch *), bestimmten 
in den konzentriertesten Portionen den Kochsalz- und den U- beziehungs¬ 
weise Gesamt-N-Gehalt. In einigen Fällen nahmen wir die Belastung 
mit Kochsalz (10 g) und Harnstoff (20 g) vor, un'd verfolgten die Aus¬ 
scheidung, schließlich stellten wir in einigen Fällen den Milchzucker und 
Jodkaliversuch an. Von den übrigen Funktionsprüfungsmethoden (Farb¬ 
stoffproben, Methylenblau, Phenolsulfophtalein usw.) machten wir bet 
unseren' Fällen keinen Gebrauch. Es herrscht ja heute allgemein die 
Auffassung, daß für die Beurteilung der Nierenfunktion bei beiderseitigen 
hämatogenen Nierenerkrankungen die Prüfung der Ausscheidung der 
körpereigenen Stoffe (Wasser, NaCl und U) genügt und deutlichere 
und klarere Resultate liefert als die Prüfung mit körperfremden Stoffen. 
Durch letztere gewinnt man für die Beurteilung der Nierenfunktion im 
allgemeinen keine neuen Gesichtspunkte, die man nicht durch Anstellung 
der Funktionsprüfung mit körpereigenen Substanzen erhalten würde. 
Der Wasser- und Konzentrationsversuch wurde nach den Angaben von 
Strauß 8 ) und Volhard 4 ) in der bekannten Weise angestellt: Um 
8 Uhr morgens wurden 1 1 / a 1 Wasser getrunken und in den durch 
4 Stunden halbstündig entleerten Harnportionen Harnmenge und spez. 
Gewicht bestimmt; anschließend wurde der Konzentrationsversuch vor- 
genommen (ab 8 Uhr morgens wurde von den Kranken keine Flüßig- 
keit mehr eingenommen) und hier wiederum in den 1 ständig entleerten 
Harnportionen Menge und spez. Gewicht bestimmt. In Fällen, wo wir 
den Eindruck hatten, daß der Verdünnungsversuoh auf den Ausfall des 
anschließenden Konzentrationsversuch von Einfluß war (verzögerte Wasser- 
ausscheidung, Ödembereitschaft) wurde letzterer nochmals ohne voran- 


1) Bei den meisten bestand ausgesprochene Nyktorie. 

2) Die Funktionsprttfnngsinethoden wurden bei den meisten klinisch be¬ 
obachteten Fällen angewandt. 

3) 1. c. S. 34. 

4) 1. c. S. 1197. 


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Über den Bestetickstoffgebalt des Blutes usw. 95 

gebenden Wasserversuch angestellt. Die Besultate des Wasserversacbes 
waren in nicht ganz 50 °/ 0 der Fälle, in denen er angestellt wurde, als 
normal anzusehen. Von den übrigen Fällen zeigten ungefähr 30% 
aberschießende Wasserausscheidung (Typ. I), bei den übrigen 20 °/ 0 war 
die gesamte Ausscheidung der 1 % 1 zwar in 4 Stunden vollendet, doch 
war die Aussoheidungskurve eine etwas flache (Typ. II); in den ersten 
8 Stunden waren hier kaum 50°/ 0 der aufgenommenen Flüssigkeit aus* 
geschieden. Eine direkt ungenügende, ausgesprochen protrahierte Wasser* 
ausscheidung sahen wir nur in einem Fall. Störungen des Konzentra* 
tionsvermögens sahen wir im ganzen bei 1 Drittel der darauf unter¬ 
suchten Fälle. Doch handelte es sich ebenso wie bei den Störungen 
des Verdünnungsv'ermögens nur um solche geringen Orades. Wir konnten 
dabei 2 Typen unterscheiden; bei der einen Art von Störung wurde das 
sonst als normal geltende Maximum der Konzentration (spez. Gewicht: 
1028—1030) überhaupt nicht erreicht, bei der anderen Art wurde es 
zwar erreicht, jedoch in einem viel späteren Zeitpunkt als es normaler¬ 
weise erreicht wird. Es handelte sich hier also offenbar um eine ver¬ 
zögerte Ausscheidung der festen harnpflichtigen Stoffe oder besser um 
eine etwas torpide Anpassungsfähigkeit der Niere in bezug auf Aus¬ 
scheidung derselben (Harnstoff?). Bei den Fällen des ersten Typus war 
das Maximum der Harndichte, die im Konzentrationsversuch erreicht 
wurde, 1023—1026, also eine deutliche, wenn auch geringe Störung! 
Bei den Fällen des II. Typus wurde die maximale Konzentration statt 
am 6 Uhr abends, wie dies in normalen Fällen zu sein -pflegt, erst um 
8 Uhr abends oder gar erst in der Nachtportion erreicht. 

Wir lassen hier die Besultate des Wasser- und Konzentrations¬ 
versuches bei 2 Fällen, von denen jeder ein Beispiel für je einen der 
beiden Typen darstellt, folgen. In beiden Fällen wurden von 7 h 30 bis 
8» morgens 1 % 1 Wasser getrunken und von da ab keine Flüssigkeit 
an dem Tage eingenommen. 


Verdünnungsversuch 


Typ. I. (Franz Sch.) Typ. II. (Franziska K.) 


Portion 

um 

Harnmenge 

spez. Gew. 

Portion 

um 

Hammenge 

spez. Gew, 

8* 

550 cm 8 

1003 

8» 

440 cm 8 

1009 

8 h 30 

136 „ 

1003 

8» 30 

490 „ 

1002 

9* 

122 „ 

1002 

9» 

330 „ 

1001 

9 h 30 

100 „ 

1001 

9» 30 

0 n 

— 

10» 

130 „ 

1002 

10» 

230 „ 

1004 

10» 30 

288 „ 

1004 

10» 30 

0 » 

— 

11» 

70 „ 

1006 

11» 

0 „ 

— 

11» 30 

58 „ 

1012 

11» 30 

0 » 

— 

12» 

45 „ 

1012 % 

12» 

0 n 

— 


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Original fram 

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96 


Klein 


Konzentrationsversuch 


Typ. I. Typ. II. 


Portion 

um 

Harnmenge 

spez. Gew. 

Portion 

um 

Harnmenge 

spei. Gew. 

l h 

100 

cm* 

1014 

l h 

0 

— 

2 h 

55 

n 

1017 

2 h 

0 

— 

3 h 

54 

n 

1018 

3 h 

0 

— 

4 h 

55 

7? 

1018 

4 h 

235 cm* 

1018 

5 h 

55 

r> 

1019 

5 h 

0 

— 

6 h 

42 

r 

1020 

6 h 

0 

— 

7* 

38 

n 

1021 

7 h 

0 

— 

8 h 

27 

V 

1025 

8 h 

90 cm a 

1019 

Nachtportion 274 

n 

1024 

Nachtportion 

215 „ 

1030 


Diese hier angeführten Beispiele stellen gewiß Extreme dar, doch 
ließen sieh die meisten von der Norm abweichenden Resultate bei unseren 
Fällen in einen der beiden Typen einreihen. Was den Was Servers uch 
betrifft, so zeigten beide hier angeführten Beispiele deutlich überschießende 
Wasserausscheidung. Namentlich das Beispiel Typ. IT, wo fast die ganze 
aufgenommene Wassermenge bereits in den ersten 2 Stunden ausgeschieden 
wurde, weshalb wohl auch in den meisten übrigen Zeitpunkten gar kein 
Harn mehr erhältlich war. Bei Beispiel Typ. I, war die Wasseransscheidung 
wohl anfangs auch überschießend, bewegte sich später aber in etwas flacher 
Kurve. In ähnlich flacher Kurve bewegte sich der Anstieg des spezif. 
Gewichtes bei Typusl besonders im Konzentrationsversuch *); das 
Maximum wurde hier um 8 Uhr abends erreicht und war 1025. Beim 
Beispiel Typ. II. wurde zwar das normale Maximum der Konzentration 
1030 erreicht, jedoch erst in der Nachtportion. 

Es sei hier noch darauf (angewiesen, daß bei der Anstellung dieser 
Versuche in allen Fällen auf die Vorperiode, die ja sicherlich auf den 
Ausfall der Resultate von großem Einfluß ist, besonders geachtet wurde. 
Besondere störende alimentäre Einflüsse (stark gesalzene und gewürzte 
Speisen, reichliche Flüssigkeitsaufnahme, Dursten usw.), sowie solche 
äußerer Natur (Schwitzprozeduren, Aderlässe usw.) wurden in den Tagen 
vor dem Versuch nach Möglichkeit von den Kranken ferngehalten *). 
Die Bestimmung des NaCl und des Hamstoffgehaltes bzw. Gesamt* 
N-Gehaltes in den konzentriertesten Portionen ergab nur in wenigen 
Fällen Abweichungen von der Norm. Besonders die NaCl-Konzentration 
zeigte stets die normale Höhe (1 */ a °/ 0 ); eher war die Konzentration des 
TJ in einigen Fällen, besonders dort, wo im Konzentrationsversuch ein 
abnorm niedriges spez. Gew. erreicht wurde, etwas geringer. Ein ähn- 


1) Hier fiel auch auf, daß die im einzelnen stündlich entleerten Harnportionen 
fast gleich groß waren. 

2) Daß doch eine gewisse Beeinflussung unserer Versuche durch die Vor¬ 
periode stattgefunden haben mag, können wir nicht ausschließen. Doch ist dies 
stets der Fall; es liegt eben in der Natur dieser Methode und ist wohl kaum je 
ganz zu vermeiden (s. bei Siebeck, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 138 
S. 173). 


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Über den Reststickstoffgehalt des Blntes usw. 


97 


liches Verhalten trat zutage bei den Versuchen mit alimentärer Be¬ 
lastung von NaOl (10 g) und U (20 g). Die NaCl-Ausscheidung war 
hin* eine stets der Norm entsprechende, sowohl was Ausscheidungsdauer, 
als auch was maxim. Konzentration betrifft. Die N-Ausscheidung war 
dagegen in einigen wenigen Fällen etwas von der Norm abweichend. 
Namentlich war die maxim. Konzentration etwas zu niedrig (1 1 j i °/ 0 auf 
U berechnet). Wie man sieht, weisen die hier vorliegenden, wenn auch 
sehr geringen Störungen vor allem auf einen Defekt der N-Ausscheidung 
hin und es sind diese Fälle zu den Formen der Nierenfunktionsstörungen 
zu zählen, die Monakow 1 3 ) als bypazoturischen Typus bezeichnet hat 
und die vor allem auf eine Schädigung des Qlomerulusapparates hin- 
weisen. Dafür spricht vielleicht auch der Ausfall des Jodkali- und 
Uilehzuckerverauches. *) Während ersterer bei allen Fällen, bei denen 
er nagestellt wurde, normal ausfiel (nach 48 h kein Jod im Ham mehr 
nachweisbar!) zeigte letzterer in 2—-3 Fällen geringe Störungen, im Sinne 
einer verzögerten Ausscheidung des Milchzuckers (6—7 h ); nach* Schlayer 
würde anch dieser Befund für eine Glomerulusaffektion sprechen. 8 ) 

Es handelte sich also überall um sehr geringe Abweichungen von 
der Norm. Auffallend war es, daß bei Fällen, bei denen der RN im 
Blute mäßig erhöht war, bei Harnstoffbelastung keine stärkere Retention 
nachweisbar war, der Harnstoff scheinbar prompt, wenn auch nicht in 
der der Norm entsprechenden Konzentration (polyurischer Typus 
8trauß) 4 * ) ausgeschieden wurde — eine Tatsache, die vielleicht mit dem 
diuretischen Reiz des Harnstoffes zusammenhängt und früher schon 
wiederholt beobachtet und so erklärt wurde (Widal, Am bar d). 

Auffallend war ferner die Labilität sämtlicher durch die mit¬ 
geteilten Funktionsprüfungsmethoden ermittelten Störungen. Eben¬ 
so wie der BN-Spiegel, zeigten auch die anderen Resultate der 
Funktionsprüfung den Charakter der Unbeständigkeit, indem das 
eine Mal deutliche Störungen zutage traten, das andere Mal bei 
demselben Falle normale Verhältnisse gefunden wurden. 

Vor allem geht also aus unseren Untersuchungen als Tatsache 
hervor, daß das Krankheitsbild der benignen Nieren¬ 
sklerose charakterisiert ist durch eine Labilität der Nieren¬ 
funktion, die am deutlichsten ihren Ausdruck findet 
in einer zu verschiedenen Zeiten verschiedenen 


1) Monakow, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 116, S. 1 u. 29ff. 

2) Jodkali 0,5 g per os zugeführt, Milchzucker 2 g in 10°/ o iger Lösung 
intravenös. 

3) Wiewohl man heute nach Volhard’s überzeugender Darlegung (1. c.) 
von einer topischen Lokalisation der Partialfunktionen der Niere nicht mehr 
nden kann, glaubten wir doch auch diese für eine Schädigung des Gefäßapparates 
der Niere sprechenden Befunde hier anführen zu müssen. 

4) 1. c. S. 51. 

Dentachee Archiv f. klin. Medizin. 138 . Bd. 7 


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98 


Klein 


Höhe des RN-8piegels im Blute. Es wechseln dabei 
Perioden guter Nierenfunktion (mit norm. RN-Gehalt) mit solchen 
ab, in denen eine Nierenfunktionsstörung geringeren oder höheren 
Grades mit RN-Erhöhung nachweisbar ist Die Resultate der 
übrigen Funktionsprüfungsmethoden sprechen, wenn auch nicht so 
deutlich, in einem ähnlichen Sinne. 

Es scheint dem za widersprechen, daß in einem Drittel der unter-» 
sachten Fälle ein stets normaler RN* Gehalt im Blate gefunden wurde, 
und auch die übrige Nierenfunktion eich als normal erwies. Doch wenn 
wir näher Zusehen, gehören diese Fälle von ständig normaler Nieren» 
funktion gerade zu denen, die am wenigsten lange beobachtet wurden 
und bei denen am wenigsten oft der RN* Gehalt des Blutes bestimmt 
wurde (mit einer einzigen Ausnahme sind es Fälle, bei denen höchstens 
3 mal zu verschiedenen Zeitpunkten RN-Bestimmungen vorgenommen 
wurden). Es kann uns daher Behr leicht eine Periode gestörter Nieren¬ 
funktion mit erhöhtem RN-Gehalt im Blut entgangen sein. Daraus er¬ 
klärt sich auch die Angabe vieler Autoren, daß bei den Fällen von 
benigner Nierensklerose stets gute Nierenfunktion und ein normaler RN- 
Spiegel im Blute gefunden wird. Um hier Störungen aufzudecken, be¬ 
darf es eben möglichst vieler Untersuchungen zu möglichst verschiedenen 
Zeitpunkten. 

Nur noch einige klinische Daten, von unseren Fällen, die nicht 
die Nierenerkrankung selbst betreffen. Bei allen unseren Fällen 
handelte es sich um alte Individuen. Alle hatten das 40. Lebens¬ 
jahr überschritten, */ 4 war über 50 Jahre alt — eine Tat¬ 
sache, die mit der Angabe von Fahr, 1 ) daß die benigne 
Sklerose eine Krankheit des höheren Alters ist, wohl übereinstimmt. 
Bei allen Fällen war der systolische Blutdruck die größte Zeit 
hindurch über 160 mm Riva-Rocci, der diastolische über 90 mm. 
Auffallend waren die Schwankungen und zwar sowohl Tages¬ 
schwankungen als auch größere Schwankungen während der Be¬ 
obachtungsdauer; namentlich häufig war das Absinken des anfangs 
hohen Blutdrucks während der klinischen Beobachtung bei Bett¬ 
ruhe der Kranken. Der größte Teil unserer Kranken hatte sub¬ 
jektive Herzbeschwerden (Herzpalpitationen, Stenokardie und 
Asthma cardiale). Objektiv waren in allen Fällen Zeichen der 
Hypertrophie des linken Ventrikels (verstärkter, langsam hebender 
Spitzenstoß, Akzentuation des IL Aortentons) und manchmal auch 
solche der Dilatation desselben (Vergrößerung der Dämpfung, Ver¬ 
breiterung am Röntgenschirm) nachweisbar. Sonst waren in mehr 
als der Hälfte der Fälle Symptome von Arteriosklerose der Aorta 


1) Virch. Arch. Bd. 226, S. 119; Deutsches Arcli. f. felin. Med. Bd. 134, S. 336. 


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Über den Beststickstoffgehalt des Blotes usw. 


99 


vorhanden. Andere Komplikationen von Seite des Herzens (Klappen* 
fehler, Coronarsklerose) fanden sich bei 13 Fällen. Von diesen 
befanden sich 8 unbedingt im Staäium der Kompensation, nur in 
5 Fällen wurde terminal eine ausgebildete Herzinsufficienz mit 
Stauung im großen Kreislauf und Ödemen von cardialem Typus 
beobachtet; die in diesem Krankheitsstadium vorgenommenen Unter¬ 
suchungen (RN-Bestimmungen) wurden nicht in den Bereich unserer 
Schlußfolgerungen einbezogen. Die Untersuchung des Augenhinter- 
grandes 1 ) ergab bei ungefähr 50% der Fälle Arteriosklerose der 
Netzhautgefäße und Blutungen. Bei einer Anzahl von Fällen 
waren auch Symptome cerebraler Arteriosklerose vorhanden. Ab¬ 
gesehen von den Folgeerscheinungen alter Blutungen und Erwei¬ 
chungen (Hemiplegien, Monoplegien usw.) fanden sich bei einer 
Anzahl von Fällen andere Symptome cerebraler Natur, wie Ge¬ 
dächtnisschwäche, psychische Depression, Aufregungszustände, leichte 
Sprachstörungen usw.; bei einigen Fällen waren wiederum Be¬ 
schwerden zu beobachten, die wir auf eine Arteriosklerose der 
Mesenterialgefäße beziehen mußten (Anfälle von Meteorismus und 
Schmerzen). Alle diese Symptome, sowie die Herzbe¬ 
schwerden zeigten einen ausgesprochen transito¬ 
rischen, labilen Charakter, ähnlich wie die Störungen der 
Nierenfunktion, indem sie periodisch auftraten und dann wieder 
normalem Verhalten Platz machten. Von unseren 64 Fällen von 
benigner Sklerose starben 5 während der klinischen Beobachtungs¬ 
dauer; bei allen 5 erfolgte der Tod aus cardialer Ursache. Bei 
2 Fällen lagen Klappenfehler vor *), bei 3 bestand Coronarsklerose, 
Myomalacia cordis und Sklerose der Aorta. Der Nierenbefund 
war bei allen der der arteriosklerotischen Schrumpfniere (rote 
Öranularniere — Jores) ohne die Zeichen der malignen Nieren¬ 
sklerose (Kombinationsform). 

Ehe wir min zur näheren Ausführung und Erklärung unserer Be¬ 
fände übergehen, wäre hier noch zu erwähnen, daß wir bei einer An- 
sahl nicht hierher, in den Rahmen des KrankheitBbildes der benignen 
* Sklerose, gehörenden Fälle des Vergleiches halber und um unsere Me¬ 
thoden zu prüfen die Nierenfunktion untersucht haben, insbesondere den 
RN-Spiegel im Blute bestimmt haben (auch hier wieder bei jedem Falle 
mehrere Male und zu verschiedenen Zeitpunkten): So bei 9 Fällen von 
maligner Nierensklerose, 5 Fällen chronischen Nephritis im II. und 
HL Stadium, 4 Fällen von akut. Glomerulonephritis, 2 Fällen von 
Nephrose, 5 Fällen von dekompens. Herzklappenfehlern und einer Anzahl 


1) Befunde der de'atpchsn Augenklinik Prof. Elschnig. 

2) Sektionsbefunde nah dem path.'anat. Institut .Trof. Ohon). 

7* 


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100 


Kuhn 


von Nierengesonden. Bei letzteren sowie bei den Füllen von Nephrose 
und bei 2 Fällen von chron. Nephritis (II. Stadium) haben wir stets 
normale Werte für den BN gefunden, bei den Fällen von dekompens. 
Vitium und cardial. Hydrops sahen wir zeitweise mäßige Erhöhungen 
(bis 70 mg), jedoch meist nur dann, wenn die Stauung und Ödeme 
längere Zeit bestanden haben. Bei den anderen Fällen von sekundärer 
Schrumpfniere, bei den Fällen von akuter Glomerulonephritis fanden wir 
den Gehalt im Blute stets erhöht. Ebenso bei den Fällen von maligner 
Nierensklerose. Bei 4 von den letzteren wurde die Diagnose durch die 
Sektion, bei allen 9 durch die ophtalmoskop. Feststellung einer Retinitis 
albumin. erhärtet. Wir.'wollen hier betonen, daß wir bei diesen Fällen 
von maligner Sklerose, ebenfalls bei jedem Fall mehrere Male zu ver- 
schiedenen Zeiten den RN-Gehalt im Blute bestimmt haben und hier im 
Gegensatz zu den Fällen von benigner Sklerose stets pathologisch 
hohe Werte (über 50 mg) gefunden haben. Ebenso ergaben die 
übrigen Methoden der Funktionsprüfung hier jederzeit Resultate, die 
deutlich für das Vorhandensein von Niereninsufficienz sprachen; ins¬ 
besondere waren hier meist Hyposthenurie und deutliche Starre in der 
Akkommodationsfähigkeit der Niere mehr weniger ausgesprochen. 

Kehren wir nun zu unserem eigentlichen Thema, der Nieren¬ 
funktion bei den benignen Formen der Nierensklerose, zurück. 

Was wir da aus den Resultaten unserer Untersuchungen der 
Nierenfunktion bei unseren Fällen geschlossen haben, war, daß bei 
der überwiegenden Mehrzahl der als benigne Formen anzusehenden 
Fälle von Nierensklerose periodische Störungen der Nierenfunktion 
Vorkommen. Am deutlichsten finden diese ihren Ausdruck in der 
zeitweise feststellbaren Erhöhung des RN im Blute; aber auch die 
anderen Prüfungsmethoden decken oft, wenn auch nicht so häufig 
und in geringerem Grade, mehr oder weniger deutliche Störungen 
auf. Zugleich sehen wir, daß das Aufdecken von Störungen hier 
nur dann möglich ist (namentlich betrifft das den RN-Spiegel), wenn 
die Fälle genügeud lange beobachtet und die Untersuchungen mög¬ 
lichst oft und zu verschiedenen Zeiten vorgenommen werden. 

Wenn wir nun demgegenüber die des Vergleiches halber 
untersuchten Fälle von maligner Sklerose betrachten, so fallt uns 
auf, daß hier die Funktionsstörungen einen konstanten Charakter 
haben. So sehen wir vor allem, daß die Höhe des RN-Spiegels, 
wenn sie auch schwankt, stets im Bereiche des Pathologischen liegt. 
Auch die Resultate der übrigen Prüfungsmethoden — wir konnten 
sie leider nicht alle des Näheren mitteilen — ergaben mehr oder 
weniger starke aber doch stets deutliche Abweichungen von der 
Norm. Wir haben es demnach bei den Fällen von maligner Sklerose 
mit einer konsianrteu Schädigung dei Nierenfunktion 

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Über den Reststickstoffgehalt des Blutes new. 


101 


za tan, wäh re nd bei den benignen Fäl len dieStörungen 
der Nierenfnnktion nur vorübergehend auftreten, also 
einen ausgesprochen labilen Charakter zeigen. 

Es fragt sich nun, in welchen Beziehungen steht dieser Unter¬ 
schied, welchen die beiden Formen in der Art der Nierenfunktions¬ 
störung zeigen, zu den sonstigen klinischen Erscheinungen und den 
anatomischen Verhältnissen, welche bei den beiden Arten von 
arteriosklerotischen Nierenerkrankungen gefunden werden und ihr 
Wesen ausmachen? 

Es sind sich ja heute Physiologen,*) Anatomen und Kliniker dar¬ 
über einig, daß speziell in der menschlichen Pathologie beim Zustande¬ 
kommen von Funktionsstörungen der Niere zirkulatorische Momente 
die Hauptrolle spielen. Die Funktion der Parenchymzelle der 
Niere ist ja aufs Innigste von der Blutzufuhr (Versorgung mit 
Sauerstoff und Nahrung) abhängig. Für jene Nierenerkrankungen, 
die mit Funktionsstörungen der Niere einhergehen, hat ja Volhard 
das zirkulatorische Moment zum einheitlichen pathogenetischen 
Faktor erhoben. Nach Volhard und Fahr zeigen vor allem jene 
Nierenerkrankungen eine deutliche Funktionsstörung, bei denen 
sich Störungen und Veränderungen im Gefäßapparat der Niere 
finden (diffuse akute und chronische Glomerulonephritis, Sklerosen), 
wo also eine Störung der Blutzufuhr zu den überaus empfindlichen 
Parenchymzellen der Niere vorliegt. Daß speziell bei den vasku¬ 
lären Sklerosen (arteriosklerotischen Nierenerkrankungen) Gefä߬ 
veränderungen, Schädigungen der Zirkulation die Ursache auch 
der anatomischen Veränderungen in der Niere abgeben, ist durch 
die Arbeiten von Thoma, 1 2 3 ) Ziegler, 8 ) Löhlein, 4 5 6 ) Jores, # ) 
Aschoff,®) Fahr 7 ) sichergestellt worden. 

Auch in den klinischen Untersuchungen und Monographien 
(Leyden (1. c.), Senator, 9 ) Strauß, 9 ) Munk, 10 ) Vol- 


1) Siehe Landois-Rosemann, Lehrb. d. Physiologie. 12. Aufl., I. Bd,, 
8. 422 and Meyer-Gottlieb, Experim. Pharmakologie 3. Auf., S. 336. 

2) Thoma, Virch. Arch. Bd. 177. 

3) Ziegler, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 25, S. 586. 

4) 1. c. 

5) 1. c. 

6) Aschoff, Pathol. Anat. II. Aufl., 1911, Bd. II, S. 420ff. 

7) 1. c. 

8) Senator, Die Erkrankungen der Nieren (in Nothnagel’s Handb. der 
»pe*. Path. u. Therap. II. Aufl. 1902, S. 290 ff. 

9) 1. c. 8. 136 u. 136. 

10) Nephrosen usw. 8. 278 u. 288 ff. 


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102 


Klein 


hard, 1 2 3 ) Siebeck 8 ) u.a.) wird die souveräne Rolle der Zirkulations¬ 
störung in der Pathogenese der Sklerosen übereinstimmend aner¬ 
kannt. 

Wenn also bei den Nierensklerosen die Zirkulationstörnngen 
die Ursache der Schädigung der Nierenfunktion bilden, so müssen 
wir zur Erklärung unserer oben festgestellten Befunde annehmen, 
daß diese Zirkulationsstörungen bei den malignen Sklerosen 
stets vorhanden sind, woraus eine konstante Schädigung der 
Nierenfunktion resultiert, während sie bei den benignen Formen 
nur zeitweise bestehen oder wenigstens nur zeitweise in so 
hohem Grade vorhanden sind, daß sie zu einer Störung der 
Funktion führen, weshalb bei den benignen Formen die Funktions¬ 
störung einen ausgesprochen labilen transitorischen Charakter hat. 
Daß bei der benignen Sklerose leichte Störungen der Nierenfunktion 
Vorkommen, haben, wie schon erwähnt, verschiedene Kliniker fest¬ 
stellen können. So hat bereits Jacksch, 8 ) später Philipp 4 5 ) 
bei Fällen von Arteriosklerose mit erhöhtem Blutdruck mäßig er¬ 
höhte Werte für den Blutharnstoff gefunden. Strauß, 6 ) Mach¬ 
witz u. Rosenberg (1. c.), Rosenthal, 6 ) fanden auch bei 
benigner Sklerose Funktionsstörungen, auch Fahr 7 ) weist neuer¬ 
dings auf letztere Tatsache hin. Ebenso gibt auch Volhard 8 ) zu, 
daß bei benigner Sklerose Zeichen von Störung der Nierenfunktion, 
erhöhter RN Vorkommen. Letzterer und auch die oben genannten 
Autoren nehmen aber an, daß die Funktionsstörungen zum Teil aus 
cardialer Ursache zustande kommen. Die Insufficienz des Herzens, 
Stauung in den Venen des Körperkreislaufes und damit ver¬ 
bundene Stauung in der Niere sollen die Ursachen für die Störungen 
der Nierenfuktion und die gefundenen erhöhten Werte für den 
RN bei der benignen Sklerose sein. Immerhin wurden vereinzelt 
Nierenfunktionsstörungen und RN-Erhöhungen bei Fällen gefunden, 
bei denen keine Zeichen von Herzinsufficienz und cardialer Stauung 
Vorlagen (Machwitz und Rosenberg (1. c.), Rosenthal (1. c.). 
Bei den meisten unserer Fälle von benigner Sklerose konnten wir 

1) 1. c. S. 1637 ff. n. a. viel. a. Ort. 

2) Die Beurteilung u. Behandl. d. Nierenkrank. S. 227—229. 

3) 1. c. 

4) 1. c. 

5) 1. c. S. 135 u. 136. 

6) 1. c. 

7) 1. c. Bd. 226, S. 119; Münchener med. Wocheuscbr. 1918, 493. 

8) 1. c. 8.1671—1676. 


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Über den Beststickstoffgehalt des Blntes nsw. 103 

auch zu Zeiten, in denen wir eine Erhöhung des RN im Blute 
fanden, keine Zeichen von Stanung in den Körpervenen nachweisen. 
Wir mußten daher die Stauung in der Niere als Ursache für die 
gefundene Funktionsstörung, besonders für die Erhöhung des RN- 
Spiegels im Blute ausschließen. Die cardialen Symptome, die wir 
bei unseren Fällen beobachtet haben, bestanden in Atemnot vom 
Typus des Asthma cardiale der Hypertoniker, jenen leichtesten 
Graden von relativer Insufficiens des muskelstarken Herzens (Vol- 
hard, 1 2 ) die hervorgerufen werden durch ein vorübergehendes Er¬ 
lahmen des linken Ventrikels gegenüber dem hohen Blutdruck mit 
anschließender Stauung im Lungenkreislauf. Eine vollständig aus¬ 
gebildete Herzinsufficienz mit Erlahmen des rechten Ven¬ 
trikels und konsekutiver Stauung in den großen 
Körpervenen, die allein zu einer Stauung in der Niere führen 
kann, war bei diesen Fällen mit den wenigen Ausnahmen, die bei 
der Zusammenstellung vermerkt sind, nicht vorhanden. Des¬ 
gleichen fehlten cardiale Ödeme. Wir fanden auch, daß bei car- 
dialer Stauung in der Niere der R-N im Blute nur sehr langsam 
ansteigt und daß überhaupt nur dann erhöhte Werte gefunden 
werden, wenn die Stauung schon eine gewisse Zeit gedauert hat. 
Die cardiale (venöse) Stauung kann also bei unseren Fällen nicht 
zur Erklärung der vorübergehenden Störungen der Nierenfunktion 
und des vorübergehenden Anstieges des RN herangezogen werden. 
Wir glauben vielmehr, daß die zur Funktionsstörung bei unseren 
Fällen von benigner Sklerose führenden Zirkulationsstörungen der¬ 
selben Art sind, wie sie Volhard*) bei Erklärung der Genese der 
Funktionsstörungen bei der malignen Sklerose annimmt Auch bei 
den benignen Formen kann die Zirkulationsstörung nur in einer 
arteriellen Ischämie bestehen — einer Behinderung der Blutzufuhr 
zum Nierenparenchym durch Verengerung des Lumens der zu- 
führenden kleinen Nierenarterien. Allerdings muß hier die Be¬ 
hinderung der Blutzufuhr, die arterielle Ischämie notwendigerweise 
vorübergehender Natur sein, da ja auch die vorhandene Funktions¬ 
störung einen transitorischen Charakter zeigt. Das könnte nur 
dann der Fall sein, wenn die vorliegende Verengerung des Lumens 
der kleinen Nierenarterien zum Teil wenigstens funktioneller Natur 
wäre. Aus klinischen Tatsachen läßt sich dies gewiß nicht er¬ 
weisen. Immerhin gibt es doch reichlich klinische Gesichtspunkte, 


1) 1. c. S. 1662. 

2) I. c. 8. 1682-1684. 


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104 


Kleis 


welche jenes Verhalten als sehr naheliegend und wahrscheinlich 
erscheinen lassen. 

Daß in arteriosklerotisch erkrankten Gefaßgebieten funktionelle 
Kontraktionszustände häufig Vorkommen, wird von Klinikern all¬ 
gemein angenommen. Sowohl Kontraktionszustände, das ganze 
System der kleinen Körperarterien betreffend, Gefaßkrämpfe 
(Vaqnez), Gefaßkrisen (Pal) *), als auch Kontraktionszustände ein* 
zelner Gefaßgebiete kommen bei Arteriosklerose vor; hierher ge¬ 
hören vielleicht ein Teil der als arteriosklerotische (cerebrale) 
Pseudourämie der Schrnmpfnierenkranken (Volhard,*) Strauß 8 )) 
bezeichneten Symptomenbilder. Ebenso geläufig ist ja die Tatsache, 
daß Organe, deren Gefäßsystem arteriosklerotisch erkrankt ist, 
vorübergehend in ihrer Funktion erlahmen. Dieses Erlahmen wird, 
so nehmen die meisten an. zum Teil hervorgerufen durch Kon¬ 
traktionszustände der kleinen Arterien des betreffenden Gefä߬ 
gebietes und dadurch verursachte Behinderung der Blutzufuhr zu 
dem betreffenden Organ. Die als „arteriosklerotische Dyspraxien“ 
bekannten Symptomenbilder, die Dysbasia intermittens angio- 
sclerotica (Charcot-Erb), die Dyspraxia intermittens intesti¬ 
nalis (Ortner) 4 ) bei Sklerose der Mesenterialgefaße, vielleicht 
auch die Angina pectoris bei Sklerose der Coronargefäße gehören 
hierher; ebenso müssen gewisse vorübergehende Störungen der Ge¬ 
hirntätigkeit bei Arteriosklerose der Cerebralgefaße, wie vorüber¬ 
gehende Kopfschmerzen. Gedächtnisschwäche, psychische Depression, 
Polydipsie, vorübergehende Schwächezustände in einer Extremität, 
vielleicht auch manche Formen von Dyspnoe (nach Huchard, 
Heß, 8 )— medulläre Dyspnoe— bei Zirkulationsstörungen in der 
Mednlla oblongata) hierher gerechnet werden. Charakteristisch für 
diese Zustände ist ihr intermittierendes Auftreten und 
ihr transitorischer Charakter, nach Abklingen• derselben 
tritt wieder normale Funktion ein. Vieles spricht dafür, daß jene 
von uns beobachteten transitorischen Funktionsstörungen der Niere 
bei Arteriosklerose der Nierengefäße hierher gehören, daß sie also 
hervorgerufen werden durch vorübergehende funktionelle Verenge- 
-—— % 

1) 1. c. 

2) 1. c. 8. 1342 a. 1366. 

3) 1. c. 8. 111 n. 113. 

4) Ortner, Cit. n. Külbs im Handb. d. in». Med. v. Mohr Släbelin Bd. II, 
S. 1121. 

5) Heß, Med. Klin. 1920, S. 721. 


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Über den Reststickstoffgeh&lt des Blutes usw. 


105 


rang des Lumens der zuführenden Arterien, oder besser gesagt 
einer funktionellen Steigerung der bestehenden organischen Ver¬ 
engerung des Lumens der arteriosklerotischen Gefäße, die zu einer 
transitorischen Behinderung der Blutzufuhr zum Nierenparenchym 
fahrt Wir konnten nämlich bei unseren Fällen von benigner 
Sklerose die Beobachtung machen, daß in den Zeitperioden, in denen 
der RN-Spiegel im Blute erhöht war, auch andere Erscheinungen 
auftraten. Von den sonstigen Zeichen renaler Funktionsstörung, 
wie leichte Konzentrationsschwäche, überschießende Wasseraus¬ 
scheidung usw. wurde bereits oben gesprochen; außerdem aber 
haben wir zu diesen Zeiten oft Polyurie und deutliche Nykturie 
beobachten können. Aber auch Störungen des Allgemeinbefindens 
und eine gestörte Tätigkeit anderer Organe trat in jenen Perioden 
oft in erhöhtem Grade hervor. Viele Kranke klagten über Mattig¬ 
keit, Kopfschmerzen, Schwindel und Sehstörungen, manche zeigten 
deutliche psychische Depression; bei anderen traten oft gehäuft 
Anfälle von Asthma cardiale auf. Einzelne Kranke klagten auch 
über heftige Schmerzen in der Niereugegend. Noch wichtiger er¬ 
scheint aber in diesen Fällen das Verhalten des Blutdruckes. Daß 
der Blutdruck bei Arteriosklerotikern oft große Schwankungen 
zeigt, ist ja bekannt. Auch Volhard 1 ) betont, daß bei den Fällen 
von benigner Nierensklerose der Blutdruck eine große Labilität 
zeigt. So erwähnt er Fälle, bei denen der Blutdruck von 230 mm 
Riva-Rocci systol. binnen wenigen Tagen bei Bettruhe des Patienten 
bis nahezu zur Norm abgesunken ist. Er nennt solche Fälle 
„transitorische Hypertonien“. Auch wir konnten wiederholt ein 
starkes Absinken des Blutdruckes, wie überhaupt starke Schwan¬ 
kungen desselben bei den Fällen von benigner Sklerose beobachten. 
Dieses Absinken des Blutdruckes vollzog sich bei den Patienten, 
die sich bei Bettruhe und schonender Diät in klinischer Beobach¬ 
tung befanden, recht häufig; oft zeigte es sich auch, daß der Blut¬ 
druck, wenn jene Kranken entlassen wurden und wieder ihrer ge¬ 
wöhnlichen Beschäftigung nacbgingen, wieder sehr schnell zur 
früheren Höhe anstieg. Häufig ging dem Absinken des Blutdruckes 
eine Besserung der allgemeinen Beschwerden und Symptome, 
manchmal auch eine solche der renalen Funktionsstörung parallel. 
Beispiele derartiger Schwankungen des Blutdruckes sehen wir nach¬ 
stehend. 


1) L c. S. 1658 u. 1659. 


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106 


Klrin 


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Patientin M. Sch. 


Patient Heinrich 8eh. 


am 21. XII. 175 nun Hg syst. 

„ 28. XII. 145 „ „ „ 

n 13» I. 165 r> n r> 

„ 28. I. 180 „ n „ 

« 2. TI. 195 n n n 

» 22. n. 140 „ „ „ 


(River- 

fiocci) 


am 11. VI. 200 mm Hg syst. 

„ 19. VI. 145 „ „ „ 

» 28. V T. 150 » «i t> 

„ 10. Vin. 176 „ „ „ 

* 12. VIH. 150 „ „ „ 


Wir konnten aber anch Schwankungen innerhalb 24 Standen be¬ 
obachten, die für die Kürze der Zeit besonders hochgradig erscheinen; 
so zeigte z. B. Patientin M. Sch. 


am 26. I. 

um 

6* 

abends einen 

Blutdruck 

von 

185 

mm 

Hg 

syst. 


n 

8 h 

* n 

n 

w 

190 

17 

J» 

fl 


u 

9* 

. * n 

H 

n 

180 

ri 

» 

r 

am 27. I. 

r 

7*30 

morgens „ 

n 

n 

165 

n 

n 

r 


„ io* 

n n 

5? 

n 

165 

n 

ii - 

n 



1* 

mittags „ 


n 

172 

f) 

n 

n 

Patientin 

F. 

K. 








am 25. X. 

um 

7* 

abends einen 

Blutdruck 

von 

210 

mm 

Hg 

syst. 


11 

9* 

I» n 

» 

n 

220 

n 

fl 

n 

am 26. X. 

r i 

7*30 

morgens „ 

n 

71 

192 

r 

fl 

n 


n 

9*30 

v n 

V 

n 

190 

V 

W 

v 


11 

2* : 

nachmitt. „ 

n 

n 

200 

n 

n 

* 


Wir sehen dabei, daß der Blutdruck am Abend meist höher war 
als bei Tag, und am Morgen meist niedriger als sonst zu einer Tages¬ 
zeit. J ) 

Es soll aber damit nicht gesagt sein, daß es sich hier um einen 
strengen, etwa gesetzmäßigen Parallelismus zwischen der Höhe des Blut¬ 
druckes und der Schwere der klinischen Symptome, der renalen Funk¬ 
tionsstörung oder gar der Höhe des RN-Spiegels im Blute handelt. Da¬ 
von kann wohl gar keine Bede sein. Immerhin haben wir ziemlich oft 
dieses Absinken des Blutdruckes während Bettruhe des Patienten mit 
gleichzeitiger Besserung der klinischen Symptome beobachten können. 
Ebenso fanden wir oft beim Eintritte des Patienten in die Klinik, als 
seine Beschwerden ziemlich hochgradige waren, einen erhöhten RN-Wert 
im Blut, während nach einiger Zeit, nachdem sich der betreffende Kranke 
bei Bettruhe und Schonungsdiät erholt hatte und seine Beschwerden 
fast geschwunden waren, der Wert für den RN im Blute normal ge¬ 
funden wurde. 


Was wir aber aus den angeführten Beobachtungen entnehmen 
können, sind zwei wichtige Tatsachen: 1. daß bei den Fällen von 
benigner Nierensklerose, bei denen es sich meist um eine allge- 
gemeine Arteriosklerose, jedenfalls aber um Arteriosklerose auch 
anderer Qefäßgebiete handelt, periodische Störungen der Tätigkeit 


1) cf. Siebeck (1. c. S. 227—229 u. S. 109) führt die Schwankungen des 
Blutdruckes bei Arteriosklerose auf eine abnorme Einstellung des Vasomotoren- 
zentrnms zurück. 


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Über den Beststickstoffgehalt des Blotes naw. 107 

verschiedener Organe Vorkommen; denn die oben geschilderten 
subjektiven und objektiven Symptome können nur so gedeutet 
weiden, daß es sich nm eine Störung der Organtätigkeit infolge 
behinderter Blutzufuhr durch die arteriosklerotisch erkrankten 
Arterien der betreffenden Organe handelt; 2. daß bei den Fällen 
von benigner Sklerose der Eontraktionsznstand der kleinen Arterien 
eine große Labilität auf weist, welche in den Schwankungen des 
arteriellen Blutdruckes znm Ausdruck kommt. Und es ist wohl 
sehr wahrscheinlich, daß beide Tatsachen in gewissem Sinne zu¬ 
einander in Beziehung stehen. Die periodischen Störungen der 
Tätigkeit der verschiedenen Organe bei jenen Kranken können nur 
darin ihre Ursache haben, daß es in ihrem arteriosklerotisch er¬ 
krankten Gefäßgebiet vorübergehend zu Zirkulationsstörungen in¬ 
folge periodisch bestehender Kontraktionszustände der kleinen 
Arterien und Verengerung des Lumens derselben kommt. Beim 
Nachlassen des Kontraktionszustandes wird die Zirkulationsgröße 
wieder eine normale und die Organfunktion kann wieder ungestört 
erfolgen. Für das intermittierende Hinken, für die intestinalen 
Dyspraxien bei Sklerose der Mesenterialgefäße wird von den 
meisten, für die Angina pectoris von vielen diese Genese der 
Funktionsstörung angenommen. Es ist mehr als naheliegend, daß 
die bei unseren Fällen von benigner Nierensklerose beobachteten 
Störungen der Nierenfunktion der gleichen Genese sind. Es handelt 
sich also hier nm zeitweise bestehende Störungen der Nieren- 
fonktion, die ihre Ursache haben in periodischen Kontraktions- 
zuständen der kleinen arteriosklerotisch erkrankten Nierenarterien 
und Verengerung des Lumens derselben; auf diese Weise kommt 
es zu einer Behinderung der Blutzufnhr zu den Parenchymzellen 
der Niere. Es ist klar, daß bei der dadurch bedingten Abnahme 
der Sauerstoffzufuhr und der Störung des Stoffumsatzes jene über¬ 
aus empfindlichen Parenchymzellen in ihrer spezifischen Tätigkeit 
geschädigt werden müssen. 

Sicherlich spielt hier auch der cardiale Faktor eine nicht un¬ 
wesentliche Rolle. Doch glauben wir, daß hier der Zusammenhang 
ein anderer ist als ihn Volhard 1 ) und die oben genannten Autoren 
annehmen. Anf keinen Fall kann bei unseren Fällen cardiale 
Stauung als das die Funktionsstörung verursachende Moment in 
Frage kommen. Vielmehr glauben wir, daß hier die Rolle des 
Herzens die gleiche ist, wie sie beim Zustandekommen von Zir- 


1) 1. c. 3. 1671—1676 


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108 


Kuhn 


kulationsstörungen in der Niere auch sonst zu sein pflegt and wie 
es Volhard 1 ) für das Zustandekommen der Ischämie bei der 
malignen Sklerose in klassischer Weise darlegt. Hier soll der 
Grad der resultierenden Zirkulationsstörung in der Niere von 
2 Faktoren abhängig sein, 1. von dem Grad der arteriellen Ischämie, 
bedingt durch die Größe des Hindernisses in der arteriellen Strom* 
bahn und 2. von der Herzkraft, der Vis a tergo, die jenes Hindernis 
zu überwinden bestrebt ist. Beim Nachlassen der Herzkraft muß 
natürlich die Durchblutung verschlechtert werden und der Grad 
der arteriellen Ischämie erhöht werden. Wir glaubeD, daß dieser 
Zusammenhang auch bei der benignen Sklerose der gleiche ist. 
Auch hier ist das Ineinandergreifen und die gegenseitige Ab* 
hängigkeit beider Faktoren — des Hindernisses in der Peripherie 
durch Verengerung des Lumens der arteriosklerotischen Arterien 
und der kompensatorisch wirkenden jenes Hindernis überwindenden 
Kraft des hypertrophischen Herzens — eine so innige, daß man 
im konkreten Fall nicht sagen kann, wie viel von der vorliegenden 
Zirkulationsstörung und Funktionsstörung auf Kosten des peripheren 
Stromhindernisses (Enge des Arterienlumens) und wieviel auf das 
Konto der unzureichenden Herzkraft zu setzen ist, die nicht im¬ 
stande ist, das Hindernis zu überwinden und die Zirkulation in 
der Niere aufrecht zu erhalten. Maßgebend für die resul¬ 
tierende Zirkulationsgröße in der Niere ist eben das 
Verhältnis zwischen, jenen beiden Faktoren 9 ). Ist 
dieses gestört und tritt ein Mißverhältnis ein in dem Sinne, 
daß die Herzkraft nicht mehr imstande ist, bei dem 
Hindernis in der arteriellen Strombahn die Zirku¬ 
lation in der Niere aufrecht zu erhalten oder daß 
umgekehrt durch Verengerung des Arterienlumens 
(Kontraktionszustand der Arterie) bei der vorhan¬ 
denen Vis a tergo (Herzkraft) die Blutzufuhr zur 
Niere gedrosselt wird und unter einen gewissen 
Grad herabsinkt, dann wird jene von Volhard*) gekenn¬ 
zeichnete „kritische Linie“ erreicht, wo die für die spe¬ 
zifische Tätigkeit der Nierenzellen notwendige Zir¬ 
kulationsgröße nicht mehr gewährleistet wird; es 
kommt dann zu einem mehr minder großen Ausfall in der Nieren- 


1) 1. c. S. 1682—1984. 

2) Eine ähnliche Vorstellung äußert Fahr. 1. c. Bd. 226, S. 119 u. 163. 

3) I. c. S. 1686. 


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Über den Beststickstoffgehalt des Blotes usw. 109 

fanktion. Bei der malignen Nierensklerose ist jenes 
Mißverhältnis mehr oder weniger immer da, so daß die 
resultierende Zirkulationsgröße eine znr Aufrechterhaitang der 
ungestörten Nierenfunktion stets unzureichende ist; daher ist 
die Funktionsstörung eine konstante, so verschiedenen 
Grades sie auch sonst sein mag. Dies stimmt ja auch mit unseren 
Befunden, namentlich mit den gefundenen Werten für den RN, 
die bei der malignen Sklerose, fast stets erhöht waren, überein. 
Im Gegensatz dazu ist jenes Mißverhältnis bei den beni¬ 
gnen Formen der Nierensklerose nur vorübergehend 
vorhanden, die Nierenfunktionsstörung daher nur 
zeitweise bestehend. 

Dies scheint auch durch die von Volhard und Fahr beschriebenen 
Verschiedenheiten in den anatomischen Verhältnissen der beiden Formen 
begründet zu sein. Bei der malignen Sklerose ist das Hindernis in der 
arteriellen Strombahn ein quantitativ, vielleicht auch qualitativ anderes 
als bei der benignen Sklerose; auf alle Fälle ist dort die Verengerung des 
Lumens der kleinen Nierenarterien eine ganz besonders hochgradige, die 
arteriosklerotischen Veränderungen (vielleicht handelt es sich auch um 
obliterierende Endarteritis) sind besonders schwere. Das Hindernis 
in der arteriellen Strombahn ist hier offenbar stets so groß, daß trotz 
der kompensatorischen Arbeitsleistung des hypertrophischen Herzens die 
für die intakte Tätigkeit notwendige Zirkulationsgröße in der Niere nicht 
aufrecht erhalten werden kann. Bei der benignen Form sind offenbar 
die anatomischen Veränderungen, die organischen Hindernisse in der 
arteriellen Strombahn nicht groß genug; bei intakter Herzkraft wird die 
Zirkulation in der Niere aufrecht erhalten. Erst wenn zu der bestehen¬ 
den organischen Verengerung der arteriosklerotischen Nierenarterien noch 
«ine funktionelle Verengerung (erhöhter Kontraktionszustand) hinzukommt, 
wird jenes Mißverhältnis erreicht, bei dem die Zirkulationsgröße in der 
Niere unter die oben gekennzeichnete „kritische Linie“ sinkt, von 
welcher angefangen eine Störung der Nierenfunktion resultieren muß. 
80 wie bei der malignen Sklerose kann auch hier der 2. Faktor einen 
Ausschlag geben in dem Sinne, daß z. B. bei Nachlassen der Herz¬ 
kraft (vorübergehende Schwächezustände des linken Ventrikels) jene 
kritische Linie früher erreicht wird, da beim Nachlassen der vis a 
tergo die Zirkulationsgröße natürlich viel schneller sinken muß. Auf 
diese Weise spielt der cardiale Faktor beim Zustandekommen der Funk¬ 
tionsstörungen auch bei den benignen Sklerosen eine sicher nicht un¬ 
wesentliche Rolle. 

Aus all dem geht aber hervor, daß die Grenze 
zwischen benigner und maligner Form der Nieren¬ 
sklerose vom klinischen Gesichtspunkt wenigstens keine 
scharfe sein kann: darauf weisen ja die ganzen Tatsachen 


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HO 


Klein 


mit großer Wahrscheinlichkeit hin. Ist doch in jenen Pe¬ 
rioden gestörter Nierentätigkeit, in denen der RN im 
Blute erhöht gefunden wird, das Bild, das unsere Fälle von 
benigner Sklerose darboten, sowohl in bezug auf klinische 
Symptome, als anch in der Art der Nierenfunktionsstörung von 
dem Bilde, das die leichteren Fälle der malignen 
Form, insbesondere aber von dem Bilde, das diese 
Fälle im Initialstadium zeigen, kaum zu unter¬ 
scheiden. Daß zwischen benigner und maligner Sklerose keine 
scharfe Grenze besteht, daß die Entscheidung, welche von beiden 
Formen im konkreten Falle die vorliegende ist, oft sehr schwer ist, 
wird in letzter Zeit von verschiedenen klinischen Autoren immer 
wieder betont (Siebeck 1 2 * ), Monakow*), Machwitz u. Rosen¬ 
berg*). Die beiden letztem und Sieb eck weisen insbesondere 
darauf hin, daß Übergänge zwischen beiden Formen Vorkommen 
und daß vor allem jede maligne Sklerose stets ein benignes- Vor¬ 
stadium besitzt, das allerdings nicht immer — oft auch anam¬ 
nestisch nicht — feststellbar ist, da es ohne größere subjektive 
Beschwerden bestehen kann. Schließlich vertritt auch Volhard 4 * ) 
selbst eine ähnliche Anschanung: daß jede maligne Sklerose aus 
einer benignen hervorgeht. Von anatomischer Seite wurde nament¬ 
lich von Löhlein 6 ) und Jores 0 ) darauf hingewiesen, daß zwischen 
beiden Formen die Grenze keine scharfe ist nnd die Übergänge 
fließende sind. Nach Löh lein unterscheidet sich ja die maligne 
von der benignen Sklerose nnr durch die Intensität und Exten¬ 
sität der Gefäßveränderangen, indem hier bei der malignen Skle¬ 
rose die arteriosklerotischen Veränderungen der kleinsten Nieren- 
arteriolen besonders schwere und daher die konsekutiven Ver¬ 
änderungen am Nierenparenchym besonders hochgradige sind 
(Nephrosklerosis vascularis progress. seu pernic.). Demgegenüber 
glanbt Jores, daß es sich bei der benignen Form bloß um eine 
herdförmige Ausbreitung, bei der malignen aber um eine diffuse 
Ausbreitung der Veränderungen handelt. Auch Rosenthal (1- c.) 


1 ) 1. c. S. 164. 

2) 1. c. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 133, S. 129 

8 ) 1. c. 

4) 1. c. S. 1682—1684. Es heißt dort wörtlich (S. 1683): „Wir müssen da¬ 
her annehmen, daß in dem Vorstadium der bösartigen Sklerose die Erkrankung 

einen gutartigen Charakter besessen hat“, s. auch bei F ah r (Bd. 226, S. 119n. S. 169) 

6 ) 1. c. 

6 ) 1. c. Bd. 221, S. 14 


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Über den Reststickstofigehalt des Blutes usw. 


111 


hebt hervor, daß vom anatomischen, aber auch vom klinischen Stand¬ 
punkte zwischen benigner und maligner Form der Nierensklerose nur 
rein quantitative aber keine qualitativen Unterschiede bestehen. Die 
entgegengesetzte Anschauung vertritt vor allem Fahr 1 2 ); nach ihm 
ist die maligne Sklerose von der benignen in bezug auf die anato¬ 
mischen Veränderungen verschieden, verschieden auch in bezug auf 
die Pathogenese und* das Wesen des ganzen pathologischen Prozesses. 
Bei der letzteren handelt es sich um rein arteriosklerotische Verän¬ 
derungen in den Arterien und deren Folgeerscheinungen, die Ätiologie 
fällt hier mit der der Arteriosklerose zusammen; bei der ersteren (auch 
Kombinationsform genannt) herrschen neben arteriosklerotischen Ver¬ 
änderungen entzündliche vor, im Sinne einer obliterierenden End- 
arteritis, die Ätiologie ist hier neben der, die zur Arteriosklerose führt, 
noch in besonderen spezifischen Noxen gelegen (Lues, Blei, Gelenk¬ 
rheumatismus u. a.). Erstere befällt vor allem ältere Individuen, bei 
denen die Arteriosklerose vorherrscht, während letztere auch bei 
jüngeren Individuen vorkommt. Doch erkennt auch Fahr in seinen 
letzten Arbeiten*) an, daß es Grenzfälle gibt, die zwischen beiden 
Formen stehen. Unser eigenes klinisches Beobachtungsmaterial weist, 
wie gesagt, mit Sicherheit darauf hin, daß der Unterschied zwischen 
beiden Formen ein rein quantitativer ist und daß die Übergänge 
fließende sind. Denn die durch Zirkulationsstörung her¬ 
vorgerufene Schädigung der Nierenfunktion, jenes 
Moment, das vom klinischen Standpunkt als das wichtigste anzu¬ 
sehen ist, ist bei beiden vorhanden. Der Unterschied 
ist nur der, daß jene Zirkulationsstörung und Fnnk- 
tionsschädigung hier, bei der benignen Form, eine 
vorübergehende, weil z. T. funktionell bedingte, 
während sie dort, bei der malignen Form, eine kon¬ 
stante, weil bereits anatomisch fixierte, ist Es liegt 
doch sehr nahe, daß immer wiederkehrende funktionelle Verände¬ 
rungen, wie die Kontraktionsznstände der kleinen Arterien schlie߬ 
lich anatomisch fixiert werden. Dies soll ja überhaupt der gewöhn¬ 
liche Vorgang — so nehmen viele an — bei der Entstehung der 
Arteriosklerose sein. Daher befinden sich alle Fälle von 
benigner Sklerose in allmählichem Übergang auf 
dem Wege zur malignen Form. Was das Schicksal der 
Veränderungen in der Niere und damit auch das Schicksal des 


1) L c. bes. Bd. 226, S. 119. 

2) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 134, S. 336. Virck. Arck. Bd. 226, S. 137. 


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112 


Klbik 


Kranken entscheidet ist die Verlaufsart, das heißt die 
Schnelligkeit der Entwicklung der Veränderungen. Bei einer 
großen Zahl der Fälle bleiben bis zum Tode die klinischen Er¬ 
scheinungen der benignen Sklerose bestehen, die Obduktion ergibt 
die Veränderungen der blanden Sklerose, weil die Kranken bei 
dem langsamen Verlauf ihres Leidens das maligne Stadium nicht 
erleben, sondern zuvor aus irgendeiner Ursache (Hämorrhagie 
cerebri, Herzinsufficienz usw.) zugrunde gehen. Auf diese Be¬ 
deutung der Verlaufsart, des Tempos beim Zustandekommen der 
Unterschiede in den klinischen Erscheinungen und anatomischen 
Veränderungen bei beiden Formen hat mit besonderem Nachdruck 
zuerst Volhard 1 ) aufmerksam gemacht. In seiner neuen Mono¬ 
graphie, in der er in bezug auf die Pathogenese der beiden 
Formen der Nierensklerose einen mehr unitaristischen Standpunkt 
einnimmt, bezeichnet Volhard die verschiedene Verlaufs¬ 
art als den wesentlichsten Unterschied zwischen den 
beiden Formen. Auch die Beobachtungen an unseren Fällen 
lassen es wahrscheinlich erscheinen, daß bei vielen Kranken die 
anfangs vorübergehenden Störungen der Nierenfunktion später kon¬ 
stante werden, wenn die Kranken nicht zuvor aus anderer Ur¬ 
sache sterben. Sowohl die Intensität jener periodischen Störungen 
der Nierenfunktion, als auch die Häufigkeit des Auftretens der¬ 
selben war bei den verschiedenen Fällen unseres Beobachtungs¬ 
materials verschieden. Wir sahen hier alle Abstufungen von 
völlig normalem Verhalten während der ganzen Be¬ 
obachtungsdauer bis zu ziemlich deutlichen oft sich 
wiederholenden, wenn auch stets vorübergehenden 
Störungen der Nierenfunktion mit einem recht wesent¬ 
lichen Anstieg des RN im Blute. Wir können hier beinahe von 
einer kontinuierlichen Reihe von fließenden Über¬ 
gängen zur malignen Form der Nephrosklerose sprechen. 

Nun kommen wir zu der Frage, welche anatomischen Ver¬ 
änderungen in unseren h'ällen Vorlagen. Von den untersuchten 
Fällen von benigner Sklerose kamen nur 5 Fälle zur Sektion, 
d. i. nicht ganz 10 a / 0 unseres Beobachtungsmaterials an benigner 
Sklerose. Es wurde bereits erwähnt, daß bei allen 5 Fällen der 
Tod aus cardialer Ursache erfolgte. Die Niere zeigte das Bild 
der Granularatrophie mit Arteriosklerose der kleinen Nieren- 


1) 1. c. S. 1682-1684, S. 1652. 


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113 


Über £en Reststickstoffgehalt des Blutes usw. 

arteriell (rote Granularniere, Jo res), was also dem Bilde der 
benignen Sklerose von Volhard nnd Fahr entspricht. Gef&ß- 
veränderungen und Parencbymveränderungen, wie sie die maligne 
Form charakterisieren, fehlten hier. Wir halten uns natürlich nicht 
ffir berechtigt, aas dieser nur geringen Anzahl von vorliegenden 
Sektionsbefanden einen Schluß anf die bei unseren übrigen Fällen 
vorhandenen anatomischen Veränderungen zu ziehen. .Es ist gewiß 
nicht mit Sicherheit aaszuschließen, daß die Störung der Zirku¬ 
lation in der Niere, welche die von uns konstatierten Funktions¬ 
störungen verursachte, nicht in manchen der Fälle rein funktioneller 
Genese gewesen ist. Doch ist dies, wie zugegeben werden muß, 
sehr unwahrscheinlich. Denn wir wissen erstens, daß vorwiegend 
in den Gefaßgebieten Kontraktionszustände (Gefäßkrämpfe) Vor¬ 
kommen, welche arteriosklerotisch erkrankt sind. Von den Er¬ 
scheinungen des intermittierenden Hinkens und den Funktions¬ 
störungen in anderen Organen, die bei Arteriosklerose auftreten 
and wohl durch Kontraktionszustände der Gefäße hervorgerufen 
werden, können wir mit Bestimmtheit sagen, daß sie vornehmlich 
in d e n Organen auftreten, deren Arterien schwere Veränderungen 
im Sinne von Arteriosklerose zeigen. Zweitens waren in allen 
anseren Fällen deutliche Zeichen von Arteriosklerose anderer Ge- 
faßgebiete vorhanden. Auch am Augenhintergrund bestanden bei sehr 
vielen Fällen arteriosklerotische Veränderungen. Drittens befanden 
sich alle Fälle in einem Alter (über 40, die meisten über 50 Jahre), 
in welchem die Arteriosklerose dominiert. Aus all dem dürfen wir 
also mit größter Wahrscheinlichkeit schließen, daß es sich in allen 
anseren Fällen um arteriosklerotische Veränderungen in den Nieren¬ 
arterien und deren Folgen oder kurz nm eine Nephrosklerose 
(benigne Form derselben) gehandelt hat. 

Hier sind wir nun auch bei den viel diskutierten Fragen nach den 
Beiiehungen zwischen Arteriosklerose und Hypertonie einerseits, zwisohen 
Hypertonie und Nierenerkrankung andererseits, sowie der Frage nach der 
Pathogenese der Hypertonie überhaupt angelangt. Es kann hier nicht 
4er Ort sein, diese Fragen in ihrer Gänze aufzurollen. Immerhin ergibt 
sieh notwendigerweise eine Stellungnahme insofern, als die vorge brachten 
Beobachtungen das Material dazu liefern. Gleich eingangs erwähnten 
wir bereits, daß heute die Mehrzahl der Autoren, Kliniker und Anatomen, 
in bezug auf die ersten 2 Fragen den Standpunkt vertreten, daß die 
Hypertonie bei Arteriosklerose eine von der Niere unabhängige Erschei¬ 
nung ist. Die Fräkapillarsklerose, Arteriolosklerose, permanente Hyper¬ 
tonie, essentielle Hypertonie oder der essentielle Hochdruck der verschie¬ 
denen Autoren (Jores, Münzer, Müller, Krehl, Monakow, 

Drotecbee Archiv für klln. Medizin, iss. Bd. 8 


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114 


Klkin 


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B. Schmidt, Pal, Janowski, 1 2 3 ) Munk*) n. a.) ist eine JSrkran« 
knng der kleinen präkapillaren Artenden, eine den ganzen Kreislauf be¬ 
treffende Systemerkrankung, deren Kardinalsymptom die Hypertonie ist. 
Gleichgültig, ob anatomische Veränderungen an den Artenden das Pri¬ 
märe sind (Arteriokapillarfibrosis v. Gull und Sutton) 8 ) oder ob 
funktionelle Kontraktionszustände derselben, eine allmählich zunehmende 
Hypertrophie der Elastica oder Muscularis (Johnson, 8 ) Präsklerese 
V. Huohard) den degenerativen Veränderungen in den Gefäßen voran¬ 
gehen, das Wesentliche und Wichtige ist, daß diese Erkrankung und ihr 
wichtigstes klinisches Symptom der erhöhte Blutdruck ohne Nieren¬ 
affektion Vorkommen können und von dieser unabhängig sind. Letztere 
hat nur die Rolle einer subordinierten, wenn auch häufigen und klinisch 
wichtigen Begleiterscheinung. Demgegenüber hat die Ansicht Bon- 
b erg’s (1. c.) und seiner Schüler, daß bei allen Fällen von hoher per¬ 
manenter Hypertonie dieses Symptom durch das Vorhandensein einer 
chronischen interstitiellen Nephritis bedingt wird, weniger Anhänger. 
Die vermittelnde Anschauung, die früher schon von Leyden (1. c.) und 
Senator, 4 5 ) heute in moderner Fassung insbesondere von Volhard 
und Fahr vertreten wird, 6 * ) betont vor allem die klinisch und anatomisch 
immer wieder zutage tretende Beziehung zwischen permanenter Hyper¬ 
tonie und der Erkrankung der Nierengefaße. In der Tat scheint letzter» 
Ansicht, die in gleicher Weise das klinische und anatomische Material 
berücksichtigt, den Tatsachen am nächsten zu kommen. Auch auf Grund 
unseres Materials glauben wir, daß letztere Anschauung sehr viel für 
sich hat. Wenn wir auch von unseren nicht sehr zahlreichen Sektion»- 
befunden absehen wollen, so müssen wir doch auf Grund der Tatsache, 
daß wir bei der Mehrzahl der Fälle von permanenter hoher Hypertonie, 
bei fast allen, die wir längere Zeit beobachten konnten, Störungen *) der 
Nierenfunktion festgestellt haben, die, wie wir auegefuhrt haben, nur in 
Zirkulationsstörungen infolge Sklerose der kleinen Nierenarterien ihre 
Ursache haben mußten, zugeben, daß unsere Beobachtungen mit eine 
Stütze für jene 3. Anschauung bilden. Auch sonst erinnern wir uns, 
abgesehen von den in dieser Arbeit mitgeteilten Fällen, meistens bei den 
Kranken, bei welchen während der klinischen Beobachtung eine perma¬ 
nente hohe Hypertonie bestand, bei der Sektion Veränderungen in den 
Nieren, so gut wie immer arteriosklerotische Veränderungen in den 
Nierenarterien gesehen zu haben. 

Zur Frage nach der Pathogenese der Hypertonie als Symptom der 
Nierenerkrankung können wir auf Grund unseres Materiales noch weniger 
Stellung nehmen als zu den beiden anderen oben genannten Fragen. 
Die Anschauungen sind ja hier noch mehr geteilte und noch mehr in 


1) Janowski, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 80, S. 401. 

2) 1. c. 

3) Cit. nach Volhard. 

4) I. c. 

5) Auch Strauß (1. c. S. 95) nimmt eine Stellung ein, die dieser Anschauung 

nicht fernsteht. 

*) sc. periodisch bestehende Störungen. 


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Über den Reststicketoffgehalt des Blutes usw. 


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Entwicklung befindliche. Nach den einen handelt es sioh um einen Ton 
der Niere (den Nierengeläßen und dem Glomeruluaapparat) ausgelösten 
BeflexYorgang (M. B. Schmidt, 1 2 * ) Loeb, *) Volhard); 8 9 ) von hier 
ans soll ein Kontraktionssnstand der kleinen Arterien des ganzen Körper¬ 
kreislaufes ausgelöst werden. Weloher Art dieser Reflex ist, welchen 
Weg er nimmt (Vasomotorenaentrum ?), welche Rolle dabei die Neben¬ 
niere and das Adrenalin (Volhard 5 6 , 4 ) Wiesel, Schur) spielt, erscheint 
von sekundärer Bedeutung. Die andere, bereits alte Theorie von der 
Rolle der Blntvermehrung (Plethora vera) beim Zustandekommen der 
Hypertonie scheint nenerdings wieder Anhänger zu gewinnen (Jawein). 8 ) 
Auoh Volhard 4 ) erkennt ihr eine gewisse Bedeutung zu. Die dritte 
Ansicht, die heute noch Geltung hat, ist die von der toxischen Genese 
der Hypertonie bei Nierenerkrankungen, daß nämlich die durch die in- 
sufficiente Niere nicht ausgesohiedenen stickstoffhaltigen Schlacken des 
Stoffwechsels die Hypertonie hervorrufen (Senator, 7 ) Strauß, 8 ) 
Müller), *) ja daß die die Hypertonie erzeugenden Substanzen vielleicht 
identisch sind mit denen, welche die echte Urämie hervorrufen (Müller 
1. c.). Unsere Befunde geben, wie gesagt, keiner dieser Ansichten reoht, 
noch widersprechen sie einer derselben. Es wird ja wohl überhaupt 
schwer möglich sein, jener Frage von klinischen Beobachtungen und 
Untersuchungen ausgehend näher zu treten. Keinesfalls können wir 
sagen, daß unsere Resultate für die letztgenannte Theorie sprechen, 
daß etwa die im Blute angehäuften Stoffe des RN die Hypertonie er¬ 
zeugen. So viel ist sicher, daß man zu Zeiten die höchsten 
Blutdruckwerte bei Kranken feststellen kann, ohne daß 
der RN im Blute erhöht gefunden würde. Eher könnte man 
von einem in gewissen Sinne umgekehrten Verhältnis sprechen: Daß der 
Kontraktionszustand der kleinen Arterien der Niere, der oft mit einem 
solchen der übrigen kleinen Arterien des Körperkreislaufes vergesell¬ 
schaftet ist und dann in einer Hochstellung des Blutdruckes seinen Aus¬ 
druck findet, zur Zirkulationsstörung in der Niere führt und auf diese 
Weise selbst in gewissem Sinne zur Ursache für den Anstieg des RN 
im Blute wird. Immerhin glauben wir, daß man bei strenger Kritik der 
vorliegenden Tatsachen auch heute noch nicht berechtigt ist, die Theorie 
von der toxischen Genese der Hypertonie bei Nierenerkrankungen als 
erledigt anzusehen. Die von Strauß 10 ) hervorgehobene Tatsache, daß 
vornehmlich jene Arten von Nierenerkrankungen mit Hypertonie einher¬ 
gehen, die eine Neigung zur Retention N-haltiger Schlacken des Stoff- 


1) M. B. Schmidt, Verhandl. des deutsch, path. Ges. 1905. 

2) Loeb, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 86, S. 348. 

3} 1. c. S. 1297 ff. 

4) 1. c. S. 1291 u. 1299. 

5) Ja wein, Berliner klin. Wochenschr. 1920, S. 869. 

6 ) L c. S. 1284. 

7) 1. c. S. 126 u. a. 0. 

8 ) 1. c. S. 91-93 u. 96-97. 

9) 1. c. 

10 ) 1. c. 

8 + 


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116 


Kuhn 


Wechsels besitzen, der Umstand ferner, daß die Substanzen des RN ins 
Blnt injiziert, eine Blntdraeksteigernng bewirken (Backmann),*) sind 
doch wichtige Momente, die nicht außer Acht zu lassen sind. Audi 
die Befunde, daß bei Kranken mit hoher Hypertonie der RN-8piegel 
im Blute oft normal gefunden wird, widersprechen vielleicht nur schein¬ 
bar jener Theorie. Nach neueren Untersuchungen (Becher,*) Mona¬ 
kow)*) besteht nämlich ein Gefälle zwischen dem RN-Gebalt der Ge¬ 
webe und dem des Blutes *) der Art, daß die Gewebe meist relativ mehr 
RN enthalten als das Blut. Die Gewebe zeigen die Eigenschaft die 
Stoffe des RN zu speichern und bei Retention des RN durch die Nieren 
steigt derselbe im Blute erst dann an, wenn die Gewebe gesättigt sind. 
Demnach ist es sehr wohl möglich, daß in den Fällen von Hypertonie 
(vielleicht auch bei den von uns beobachteten), bei denen die Höhe des 
RN-Spiegels im Blute normal gefunden wird, dooh eine Retention be¬ 
steht und der retinierte RN in den Geweben angehäuft ist. Es bestünde 
dann auch die Möglichkeit, daß die in den Geweben angehäuften toxischen 
Substanzen des RN eventuell von einem zentralen Angriffspunkt aus 
(Medulla oblongata, Vasomotorenzentrum) die Hypertonie erzeugen. 

Es ist wohl einzusehen, daß das alles für den Kliniker vor¬ 
läufig nur den Wert von Hypothesen hat Den Eindruck wird 
man aber nicht von der Hand weisen können, daß die Rolle der 
Niere bei der Pathogenese der Hypertonie, wenn auch keine aus¬ 
schließlich dominierende, so doch eine sehr große ist. Zwar sprechen 
gewisse Beobachtungen von hoher Hypertonie ohne Veränderungen 
an der Niere (Pal, 1 2 * 4 5 6 ) R. Schmidt 6 )), vielleicht dagegen. Dem¬ 
gegenüber stehen die Befunde von Fahr nnd v. Romberg and 
seinen Schülern von Fällen mit starker Herzhypertropbie and 
Hypertonie ohne Veränderungen in den kleinen präkapillaren 
Arterien de3 übrigen Körperkreislaufes, ferner Befunde von Herz¬ 
hypertrophie und Hypertonie, wo bei der Autopsie nur in den 
kleinen Nierenarterien hochgradige Veränderungen gefunden worden. 
Diejenigen Autoren, die das größte Material von arteriosklerotischen 
Hypertonien (bzw. Nierensklerosen) klinisch und anatomisch be¬ 
arbeitet haben (Volhard u. Fahr, Harpuder) betonen, daß die 
Beziehung von Hypertonie und Veränderungen am Gefäßapparat 
der Niere eine in die Augen fallende sei. So betont Fahr (L c.), 
daß sich bei den Fällen von permanenter hoher Hypertonie — nur 
solche kommen hier in Betracht — zumeist deutliche Verände- 

1) Cit. nach Volhard. 

2) Becher, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 128, S. 1, u. Bd. 129, S. 1. 

8) 1. c. 

4) Vgl. auch Löwy u. Men dl (1. c.). 

5) Pal, Med. Klin. 1919, S. 662. 

6) 1. c. 


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Über den Restatickatoffgehalt des Blntes usw. 


117 


rangen in den kleinen Nierengefäßen nachweisen lassen. An einem 
fiberaas großen Material zeigt ferner Harpuder, 1 2 3 ) daß bei den 
Fällen von permanenter hoher Hypertonie (über 160 mm Riva-Rocci 
max.) in 90 % der Fälle St&rangen der Nierenfanktion vorhanden 
sind and sich in fast 100% bei der Autopsie Veränderungen an 
den Nieren vorfinden. Eine zweite Tatsache, die für die große 
Bedeutung der Niere oder besser des Qefäßapparates der Niere 
bei der Genese der Hypertonie spricht, ist die Blutdrucksteigerung 
beider akuten diffusen Glomerulonephritis. Hier sehen wir die gewaltige 
Reaktion der Blntdrncksteigerung binnen wenigen Tagen eintreten. 
Es läßt sich wohl der Einfluß, den der Gefäßapparat der Niere 
auf den Kontraktionsznstand der gesamten Arteriolen des Kreis- 
laufes, somit auch auf den Blutdruck ausübt, kaum verkennen. 
Sehen wir doch gerade bei den Nierenerkrankungen 
Blutdrucksteigerung auftreten, bei denen derGefäß- 
apparat der Niere (Nierenarterien und Glomerulus) mit¬ 
ergriffen ist (diffuse Glomerulonephritis und Sklerose) (Vol- 
hard*)). Es trifft wohl mit das Wesentliche dieses Zusammen¬ 
hangs, wenn Fahr*) u. Strauß 4 * ) zu seiner teilweisen Erklärung 
darauf hinweisen, daß der Gefäßapparat der Niere den übrigen 
Gefäßgebieten des Organismus gegenüber eine Sonderstellung 6 ) 
einnimmt. Denn in der Niere hat der Gefäßapparat nicht nur die 
Aufgabe der Blutzufuhr, sondern er tritt in Form des Glomerulus- 
apparates und seiner Schlingen zur Funktion des Organes selbst 
in innigste Beziehung, so daß es begreiflich erscheint, daß Erkran¬ 
kungen und Schädigungen daselbst bei der Wichtigkeit jener 
F'unktion*) große Wirkungen auf entfernte Teile im Organismus 
ausüben. Es übt auch kein anderes Organ eine solche Fernwirkung 
in kürzester Zeit auf den ganzen Zirkulationsapparat, speziell auf 
die Einstellung des Tonus der kleinen Arterien aus, wie die Niere. 
Es mag zutreffen, daß die Arteriosklerose der kleinen Arterien die 
primäre Veränderung ist, eine Folge der Abnützung durch die 
Schädigungen des Lebens, zu einer permanenten hohen Hypertonie 
kommt es aber vorzüglich dann, vielleicht überhaupt erst dann, 


1) I. c. 

2) L c. 

3) 1. c. Bd. 226, S. 119 u. S. 176. 

4) ). c. 

6) Siehe die grundlegenden A,nsführnngen bei Stranfi (1. c. S. 961. 

6) Durch den Einflnfi, den die Nierentätigkeit auch auf die Blntbeschaffen- 
beit nimmt. 


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Klkik 


wenn die kleinen Nieren&rterien mitergriffen werden 
und die Blntznfnhr znr Niere behindert ist 

Gerade hier ergibt sich ein Gesichtspunkt, der für das Ver¬ 
ständnis der Bolle des Gefäßapparates der Niere bei der Genese 
der Hypertonie mit der wichtigste ist: das ist der biologische. 
Eine einerseits im ganzen Organismus so eingreifende, andererseits 
in der menschlichen Pathologie so verbreitete mächtige Reaktion, 
wie sie die Blntdrucksteigernng darstellt, ist vom biologischen 
Standpunkt aus nicht anders faßbar als ein Kompensations Vorgang, 
eine Regulationseinrichtung. Am einleuchtendsten ist es, wenn 
man, wie dies viele Forscher 1 ) taten, annimmt, daß Herzhyper¬ 
trophie und Hypertonie als kompensatorische Kräfte wirken gegen¬ 
über Hindernissen im renalen Kreislauf und diese Hindernisse fiber¬ 
windend die Zirkulation in der Niere aufrecht erhalten. Mit dem 
Erlahmen jener Kräfte und der Stagnation der Blutzufuhr zur 
Niere ist das Leben unvereinbar, wie es uns die menschliche Patho¬ 
logie ja immer wieder vor Augen fuhrt. Es ist das Phänomen der 
Hypertonie vom biologischen Standpunkt fast nur so verständlich* 
wenn wir sie für eine Kompensationseinrichtung, für einen im 
Laufe der Phylogenese erworbenen Regulationsmechanismus im 
Sinne der Biologie ansehen, der dann in Aktion tritt, wenn die 
Blutznfubr zur Niere und damit die Harnbereitnng gestört ist 

Fassen wir unsere Resultate kurz zusammen, so müssen wir 
sagen, daß wir unter mehr als öO Fällen von hoher arteriosklero¬ 
tischer Hypertonie, von denen der größte Teil in länger dauernder 
klinischer Beobachtung stand, in mehr als */ 8 der Fälle vorüber¬ 
gehend Störungen der Nierenfunktion feststellen konnten. Unter 
diesen periodisch nachweisbaren Störungen waren vor allem vor¬ 
übergehende mäßige Erhöhungen des RN-Spiegels im Blute 
am auffallendsten. Häufig konnten wir in den Fällen auch 
Störungen der Tätigkeit anderer Organe beobachten, die ihrer 
Natur nach als durch Arteriosklerose des betreffenden Gefäßgebietes 
bedingt aufgefaßt werden mußten; oft traten letztere Störungen 
gerade in jenen Perioden gestörter Nierenfunktion stärker hervor, 
ebenso zeigten nicht selten die subjektiven Beschwerden der 
Kranken zu diesen Zeiten eine auffallende Verschlechterung. Die 
hierher gehörenden Fälle mußten ihrem klinischen Symptomenbild, 
sowie dem Verhalten der Nierenfunktion nach (außerhalb jener 

1) cf. Strauß, 1. c.; Bier, Münchener med. Wochenachr. 1900, H. 16 n. 
xl Volhard (1. c .). 


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Über den Beststickstoffgehalt des Blntes usw. 119 

Perioden!) unter die Formen gezählt werden, die von Volhard 
und Fahr als benigne oder blande Nierensklerose cherakterisiert 
wurden. Demgegenüber zeigte eine Anzahl von Fällen, die nach 
der von Volhard gegebenen Charakterisiemng als maligne Nieren¬ 
sklerosen aufgefaßt werden mußten (sämtliche mit Retinitis albu¬ 
minurica!) eine stets gestörte Nierenfunktion; insbesondere war 
der auch hier wiederholt bestimmte RN-Spiegel im Blute stets er¬ 
höht Die periodischen Störungen der Nierenfunktion bei den 
Fällen von benigner Sklerose können nicht durch cardiale Stauung 
erklärt werden; denn mit wenigen Ausnahmen zeigten die be¬ 
obachteten Fälle keine Zeichen von allgemeiner Herzinsufficienz 
und keine Stauung in den Venen des großen Kreislaufes. Die 
einzig mögliche Erklärung für jene periodischen Störungen 
der Nierenfunktion bei den benignen Sklerosen ist die, daß bei 
vorhandener Arteriosklerose der kleinen Nierengefäße (Arterio¬ 
sklerose) zeitweise erhöhte Zirkulationsstörungen jene Störungen 
der Nierenfunktion herbeiführen; dieses vorübergehende Sinken 
der Zirkulationsgröße hat wahrscheinlich zum großen Teil seine 
Ursache in einer Erhöhung des Hindernisses in der 
arteriellen Strombahn, durch funktionelle Kontrak¬ 
tionszustände der kleinen Nierenarterien, analog denen, wie sie 
bei Arteriosklerose anderer Gefäßgebiete mit konsekutiver Störung 
der Organfunktion schon lange bekannt sind. Eine gewisse Rolle 
muß auch gewissen vorübergehenden Schwächezuständen des linken 
Ventrikels mit Abnahme der treibenden Kraft (Vis a tergo) beim 
Zustandekommen jener Zirkulationsstörungen zuerkannt werden. 
Im Gegensatz dazu dürfte bei der malignen Sklerose das Zirku¬ 
lationshindernis überwiegend durch hochgradige anatomische 
Veränderungen in den kleinen Arterien der Niere bedingt sein; 
infolge des hier mehr anatomisch fixierten Hindernisses zeigen 
auch Zirkulations- und Funktionsstörung ein mehr konstantes 
Verhalten. 


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Aus der medizin. Klinik Wttrzburg. 

Über das Verhalten der Typhnsbazillen gegenüber den 
baktericiden Kräften des Blntes. 

Von 

Dr. L. Bogendörfer, 

Assistent der Klinik. 

Bakterämien sind beim Typhus abdominalis eine regelmäßige 
Erscheinung; doch gelingt es bei den einzelnen Fällen nicht, zu 
allen Zeiten während der Erkrankung aus dem Blute die Typhus- 
bezillen zu züchten, auch bestehen erhebliche Tagesschwankungen 
in der Menge der im Blut befindlichen Keime. Faßt man neben 
diesen klinischen Erscheinungen die Tatsache ins Auge, das in 
vitro Typhusbazillen rasch den baktericiden Einflüssen des Blutes 
erliegen, so ist wohl der Schluß zulässig, daß die in den Blutkreis¬ 
lauf gelangten Typhuskeime dort zugrunde gehen. 

Die Tatsache jedoch, Typhusbazillen trotz ihrer geringen Wider¬ 
standskraft den keimvernichtenden Kräften des Blutes gegenüber 
auf bluthaltigen Nährböden zu züchten, wurde als merkwürdige 
Erscheinung Gegenstand eingehender Untersuchungen, besonders 
von Stern und seinen Schülern. Man glaubte annehmen zu 
können, daß die im Blut befindlichen Keime eine Art von Immu¬ 
nität gegen die blutbaktericiden Kräfte sich erworben hätten und 
sie deshalb im Gegensatz zu Laboratoriumsstämmen resistent 
gegenüber der Baktericidie des Blutes wären. 

Daß aber trotzdem auch die dem Blute Typhöser entstammen¬ 
den Typhusbazillen Einwirkungen durch die baktericide Kraft des 
sie beherbergenden Blutes erleiden, erhellt sich aus Beobachtungen 
Schottmüller’s. Bei der Züchtung von Typhusbazillen wachsen 
im Gegensatz zu Blutnährböden, denen Galle zugesetzt ist, ledig¬ 
lich auf Blutplatten (Mischung von je 2—3 ccm Yenenblut mit 
5 ccm Agar) wenige Keime; man muß also annehmen, daß eine 
nicht unbeträchtliche Anzahl von Keimen entweder abgetötet 
wurde oder sich jedenfalls nicht zur Kolonie vermehrte. Auch der 


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Über das Verhalten der Typhosbaeillen usw. 


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Umstand, daß die aufgehenden Kolonien erst nach Ablanf einer 
viel längeren Spanne Zeit sich zeigen als auf den gallehaltigen 
Nährböden, gilt Schottmüller als Beweis für die hier wirkenden 
baktericiden Kräfte des Blutes. 

In einer in jüngster Zeit aus der Klinik Schottmülle r’s 
hervorgegangenen Arbeit von Weinberg, „Über die Blutbakte- 
ricidie des Menschenblutes gegenüber der Typhus-Coligrnppe“ wurde 
wiederum die starke bakterienvernichtende Kraft des Menschen¬ 
blutes Typhusbazillen gegenüber betont. Unterschiede in dem 
Verhalten verschiedenartiger Typhusstärome wurden dabei nicht 
beobachtet. In früheren Arbeiten dagegen, speziell in der von 
Marmann mit dem Ziel ausgeführten, die Blutbaktericidie als 
diagnostisches Hilfsmittel zu verwenden, wurde immer die unter¬ 
schiedliche Widerstandsfähigkeit von Typhuskeimen hervorgehoben. 
Ich hielt es deshalb nicht für unwichtig, nochmals Versuche zur 
Klärung der Frage anzustellen, ob gesetzmäßige Unterschiede in 
der Resistenz der Typhuskeime gegenüber dem menschlichen Blut 
festzustellen sind unter Berücksichtigung der Herkunft der einzelnen 
Stämme. 

Eine Reihe von baktericiden Plattenversuchen mit verschiedenen 
Typhusstämmen sollte darüber Aufklärung verschaffen und zwar 
wurden verwendet 

1. Stämme, die frisch aus dem Blute Typböser gezüchtet waren; 

2. Stämme aus dem Stuhl von Typhuspatienten; 

3. ein aus dem Harn gezüchteter Stamm; 

4. verschiedene Laboratoriumsstämme. 

Die Stämme wurden auf Agar gezüchtet. Die Versuchsanord- 
nnng war folgende: Das unter sterilen Kautelen der Versuchsperson 
entnommene Blut wurde durch Schütteln in einem Glasperlen ent¬ 
haltenden Pulverglas defibriniert, 6 ccm davon in einem Reagenzglas 
mit 0,1 ccm einer hochgradig verdünnten Bouillon-Bakterienauf¬ 
schwemmung beimpft und davon dann sofort nach der Beimpfung, 
nach 3, 6 und 12 Stunden Blutplatten gegossen. Die zu diesen 
Versuchen angewandte Technik entspricht der von Schott¬ 
müller zum „Virulenzversuch“ angegebenen. Sie unterscheidet 
sich von der von Stern und Marmann benutzten, wo lediglich 
das Serum verwendet wurde und von der Methode von Epp¬ 
stein und Körte, die durch Natriumoxalat flüssig erhaltenes 
Blut zur Anwendung brachten. Dabei waren folgende Gründe 
maßgebend bei der Anwendung dieser Technik: Bei ausschlie߬ 
licher Verwendung des Serums können zwar durch fallende Ver- 


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122 


Bogindöbybb 



dünnnngen feinere Unterschiede be¬ 
obachtet werden; aber die Blutbak- 
tericidie ist zweifellos sowohl von den 
Corpnsculären als anch von den flüssigen 
Blutbestandteilen abhängig. Defibri- 
niertes Blut-wurde verwendet nnd nicht 
solches, wo durch chemische Zusätze 
die Gerinnung aufgehoben war, weil 
dies Verfahren am wenigsten Fehler¬ 
quellen bir&t. 

Bei meinen Versuchen waren stete 
die aus dem Blute und dem Stuhl 
der einzelnen Typhuspatienten ge¬ 
züchteten Stämme gleich alt 

Zur Veranschaulichung der Ergeb¬ 
nisse dieser Versuche siehe Tabelle I. 

Bei Fall 1 nnd II wurde das bei 
der Entnahme steril befundene Blut 
der Typhuskranken verwendet, ans 
deren Blut einige Tage vorher die be¬ 
treffenden Stämme gezüchtet waren. 
Das Blut von Fall III stammt von 
einem Typhusrekonvaleszenten, im 
Fall IV und V wurde Blut von Ge¬ 
sunden in Anwendung gebracht. 

Bei allen Fällen wurden jedesmal 
verschiedene Typhnsstämme geprüft; 
bei den Versuchen mit Blut von Re¬ 
konvaleszenten und Gesunden wurden 
auch mehrfache Paralleluntersuchungen 
vorgenommen. 

Es zeigte sich bei all diesen Fällen, 
daß in vitro die Typhusbazillen der 
Einwirkung der keimvernichtenden 
Kräfte im Blnte erliegen; bei den ans 
dem Stuhl gezüchteten Stämmen nnd 
solchen, die schon längere Zeit auf 
künstlichen Nährboden wuchsen (La¬ 
boratoriumsstämme) erfolgte die Keim¬ 
vernichtung schon innerhalb von 12 
Stunden. Im Gegensatz dazn fanden 


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Über daa Verhalten der Typhnsbazillen usw. 


123 


sich hei den mit Blutstämmen* geimpften Reagenzröhrchen noch 
regelmäßig nach 12 Standen lebensfähige, bei der Anssaat auf 
Platten sich zu Kolonien vermehrende Keime. Nach 24 Stunden 
allerdings waren auch von diesen Blutstämmen alle Keime der 
Blutbaktericidie erlegen. 

Aus diesen durchwegs gleichartigen Beobachtungen darf wohl 
4er Schluß gezogen werden, daß die frisch aus dem Blut gezüch¬ 
teten Typhusstämme Vesistenter gegen die keimvernichtenden Kräfte 
des Blutes sind als die aus dem Stuhle Typhöser gewonnenen. 

Außer der Lösung der Frage nach Resistenzunterschieden von 
ihrer Herkunft nach unterschiedlichen Bazillusstämmen sollten diese 
Versuche auch zur Beantwortung der Fragen dienen, ob im Verlauf 
einer Typhuserkrankung sich die Blutbaktericidie ändert und ob dies¬ 
bezügliche Unterschiede zwischen dem Blut Gesunder und Typhöser 
bestehen. Aus der klinischen Erfahrungstatsache, daß im weiteren 
Verlauf des Typhus die Bakterämie eine immer seltenere Erscheinung 
wird, kann zwar nicht eine Steigerung der die ins Blut eingedrungenen 
Keime vernichtenden Kräfte angenommen werden; es werden eben 
vom Entwicklungsherd der Keime aus — Typhus als Sepsis aufge¬ 
faßt im Sinne Schottmüller’s — weniger häufige und starke 
Invasionen in die Blutbahn erfolgen. Doch wäre es denkbar, bei 
der allmählichen Vermehrung der Abwehrstoffe im Verlaufe der 
Heilung, daß auch die Blutbaktericidie eine Steigerung erfährt; 
andererseits wäre auch die Möglichkeit eines Verbrauchs und 
einer Minderung der keimvernicbtenden Kräfte im Blute nicht 
anszuschließen. 

Die Frage nach einer Zunahme baktericider Kräfte des Blutes 
während einer Typhuserkrankung wurde mehrmals schon aufge¬ 
worfen, meist aber nur bei Verfolgung anderer Ziele gestreift. 
Stern findet ebenso wie Widal keine wesentliche Änderung 
dieser Verhältnisse während des KrankheitsVerlaufs; diese Befunde 
aber wurden, wie Eppstein und Körte bemerken, mittels sehr 
ungenauer Versuchsanordnung erhoben, wohl weil sie nicht im 
eigentlichen Rahmen der jeweiligen Fragestellung lagen. Mar- 
mann beobachtete beim baktericiden Reagenzglasversuch bei 
Verwendung besonders geeigneter Typhusstämme Unterschiede 
zugunsten stärkerer Baktericidie des Blutes Typhöser; Voraus¬ 
setzung ist aber Verwendung besonders wenig resistenter Labo¬ 
ratoriumsstämme. 

Analog der Versuchsanordnung zur Prüfung der Resistenz 
einzelner Typhusstämme gegenüber der Blutbaktericidie wurde in 


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Bogkndöbrr 


einer weiteren Versnchsreihe das ’Blot von Typhuspatienten znm 
baktericiden Plattenyersnch verwandt zu verschiedenen Zeiten 
der Erkrankung. Beim Eintritt in das amphibolische Stadium 
gelang es leicht während der Fieberremissionen steriles Blut zu 
entnehmen. Die baktericide Wirksamkeit dieses Blutes wurde 
nun gegenüber nnr wenige Tage alten, aus Blut und Stuhl ge¬ 
züchteten, vom gleichen Patienten herrührenden Stämmen geprüft 
und in entsprechenden Zwischenräumen diese Versuche wiederholt 
In 2 Fällen konnten aus dem Blut noch während des amphi- 
bolischen Stadiums neue Stämme gezüchtet werden; ferner auch 
einmal noch am 30. Krankheitstag während eines leichten Becidivs. 

Die Ergebnisse sind aus Tabelle II ersichtlich. 

Auch bei diesen Versuchen erlagen stets die Keime den bak¬ 
tericiden Kräften im Blute; die dem Blute entstammenden Bazillen 
zeigten sich stets resistenter als die ans dem Stuhle gezüchteten. 
Eine deutliche Zu- oder Abnahme der baktericiden Kräfte des 
Blutes während der Krankheitsdauer konnte nicht gefunden werden. 
Bei Fall VI erfolgte zwar am 38. Krankheitstag die Abtötung 
auch der aus dem eigenen Blute stammenden Keime schon inner¬ 
halb 12 Stunden, während an früheren Terminen stets nach diesem 
Zeitraum noch lebens- und vermehrungsfähige Keime vorhanden 
waren. Trotzdem soll dies nicht als Zunahme der baktericiden 
Kräfte gedeutet werden, denn erstens war der hier verwendete 
Stamm schon 10 Tage alt und zweitens bestand zn dieser Zeit 
wegen eines Staphylokokkenabscesses eine nicht unbeträchtliche 
Leukocytose. Wie aber bekannt, wird durch reichliche Leukocyten- 
anWesenheit die Blutbaktericidie gesteigert; da aber eine wie im 
erwähnten Falle beobachtete Leukocytose nicht bei normalem Ver¬ 
lauf eines Typhus abdominalis auftritt, so ist auch die hier an¬ 
scheinend erhöhlte Blutbaktericidie nicht als typisch anzusprechen. 
Daß im Falle VII am 48. Krankheitstage der damals bereits 
22 Tage alte, letzte aus dem eigenen Blute gezüchtete Stamm 
ebenfalls innerhalb 12 Stunden vernichtet wurde, kann auch nicht 
als Zeichen einer zunehmenden Blutbaktericidie gedeutet werden, 
da dieser Stamm schon als wenig resistenter Laboratoriumsstamm 
aufgefaßt werden muß. Beachtenswert ist im Fall VJU die ver¬ 
hältnismäßig große Resistenz des frisch aus dem Harn des Patienten 
gezüchteten Stammes. 

Bei Vergleichen mit dem Blut Gesunder zeigte sich, daß auch 
hier im allgemeinen frisch aus dem Blut gezüchtete Stämme Aber 
12 Stunden den baktericiden Kräften des Blutes stand halten. 


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Bogkndöbfbb, Über du Verhalten der TyphnsbaaiUan nsw. 


verglichen mit solchen aus dem Stnhle stammenden und Labo- 
ratorinmsstämmen. 

2. Unterschiede in der Stärke der baktericiden Kräfte im 
Blute scheinen während des Verlaufs eines Typhus nicht aufzu¬ 
treten, wenigstens gelingt ihr Nachweis nicht mit der hier an¬ 
gewandten Methode; auch bestehen wohl keine nennenswerten 
Unterschiede in diesem Sinne zwischen dem Blut Typhöser und 
Gesunder. 


Literatur. 

Stern, Klinisch-bakt. Beiträge enr Patb. n. Ther. des Abdominaltyphtu. 
Leipzig 189&. — Korten.Eppstein, Münchenermed. Wochenscbr. 1906, 8.1149. 
— Harmann, Arch. f. Hygiene Bd. 76, 1912. — Bunge-Boosen, Zcntralb). 
f. Bakteriol. Bd. 48. — Müller-Gräf, Ebenda H. 8. — Schottmüller, Mohr- 
Stäbelin, Handb. d. inn. Med. Bd. 1. — Schottmüller n. Barfnrt, Beitr. *. 
Klinik d. Infektionskrankh. 8, 8. 291. — Bogendörfer, Münchener med. Wocben- 
scbr. 1921, Nr. 36. — Weinberg, Dissert. Hamburg 8. 8. 6, 1921. 


Kleinere Mitteilung, 

Bemerkung zur Arbeit von Br. Wilhelm Neumann: 

,.Die Bedeutung des zweigeteilten rechten Vorhof¬ 
bogens im Röntgenbilde“ 
in Bd. 137, H. 3/4 des Deutschen Archivs f. klin. Med. 

Von 

H. Aßmann, 

Leipzig. 

Die Deutung der Zweiteilung des rechten Herzrandes ist nicht 
mehr strittig gewesen, wie Neumann meint, sondern die Er¬ 
klärung durch den oberhalb des rechten Vorhofs vorspringenden 
linken Vorhof von mir in dem Vortrage: „Herz und Lunge bei 
Mitralfehlern im Röntgenbilde“ auf dem 32. Deutschen Kongreß 
för innere Medizin, Dresden 1920 gegeben und durch autoptische 
Belege bewiesen worden. 


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127 


Besprechungen. 

1. 

A. Weil, Die innere Sekretion. Julias Springer, Berlin, 1921. 

Dm Bach geht nicht wie die meisten anderen Werke über innere 
Sekretion von den einzelnen Blutdrüsen aus, sondern amgekehrt von den 
einzelnen Funktionen, es wird der Anteil der verschiedenen Sekrete an 
den Lebensäußernngen zu analysieren versucht. Im ersten Kapitel wird 
in einem historischen Überblick die Entstehung des Begriffes innere 
8ekretion und seine Erklärung auseinandergesetzt, dann folgt zunächst 
eine kurze, aber genügende Darstellung der Entwicklungsgeschichte 
and Histologie der Blutdrüsen mit hübschen Bildern. Das eigentliche 
Thema, die Beeinflussung der einzelnen Funktionen beginnt dann mit 
dem Blut, in weiteren Kapiteln werden Kreislauf, Atmung und Stimm¬ 
bildung, Stoffwechsel, Wachstum und Körperform, Fortpflanzung, Oe- 
schlechte trieb, Seelenleben abgehandelt. Der Beeinflussung der pri¬ 
mären und sekundären Geschlechtsmerkmale und des Geschlechtstriebes 
ist im Verhältnis ein besonders breiter Baum gewährt, wohl mit Bück- 
sieht auf die zurzeit allgemein interessierenden Steinach’schen Lehren. 
Einen Hinweis anf die Beeinflussung der Immunsubstanzen fand ich nicht, 
doch dürfte auf diesem Gebiet wenig Sicheres bekannt sein. Begrüßens¬ 
wert sind die dann noch folgenden Kapitel über Chemie der Sekrete 
and Methoden za ihrem Nachweis. DaB klar geschriebene Büchlein kann 
besonders zur Einführung aufs beste empfohlen werden. 

(H. Kämmerer, München.) 

2 . 

Franz Nagelschmidt, Lehrbuch der Diathermie. 2. durch¬ 
gesehene Auflage. 328 S. 155 Textabbildungen. J. Springer, 
Berlin. Preis 56,— M., geb. 64,— M. 

Nach 7 Jahren erscheint die schon längst vergriffene Diathermie 
von Nagelschmidt in 2. Auflage. Man darf sagen „endlich“, denn 
mit dem Neuerscheinen wird eine große Lücke ausgefüllt, nimmt doch 
das allgemeine Interesse an der Hochfrequenztherapie immer mehr zu. 
In der Neuauflage ist die zahlreiche, in den letzten Jahren erschienene 
Literatur eingehend berücksichtigt. Trotzdem haben sich größere Ände¬ 
rungen nicht als nötig erwiesen, ein Beweis für die erschöpfende und 
Mitgemäße Darstellung des Stoffes schon in der 1. Auflage. Nur das 


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128 


Besprechungen. 


Kapitel über die Augendiathermie ist erheblioh erweitert, das über die 
«Kriegsdiathermie" neu hinzugekommen. 

Nach einer kurzen, leicht verständlichen Rekapitulation der wich¬ 
tigsten Grundlagen der Elektrizitätslehre werden die physikalischen and 
technischen Grundlagen der HochfrequenzBtröme und der Diathermie im 
besonderen besprochen. Dieses wichtige Kapitel — denn gründliche. 
Kenntnis der Apparatur und der Technik ist für den Therapeuten un- 
erläßlich — ist in kurzer, aber erschöpfender, auch für den pbysikaliach 
nicht geschulten Leser in leicht verständlicher Weise dargestellt. Bei 
einer Neuauflage ließe sich wohl eine Übereinstimmung der Erklärungs- 
buchstaben in den Sohaltungsechemen und im Text durchführen. 

Von großer Wichtigkeit ist auch das Kapitel über die experimen¬ 
tellen und biologischen Wirkungen. Nur ihre genaue Kenntnis läßt eine 
richtige IndikationBstellung zu und schützt vor kritikloser Anwendung, 
die dieses wichtige Heilmittel nur in Mißkredit bringen kann. Auch 
die Kontraindikationen lassen sich zwanglos aus den biologischen Wir¬ 
kungen ableiten. 

Das Kapitel über die klinische Anwendung der Diathermie wird in 
medizinische und chirurgische geteilt. Unter Berücksichtigung 
des ganzen Krankheitsgeschehens wird die Wirkung auf die einzelnen 
Krankheiten der verschiedenen Organsysterae erklärt. Frappante Bei¬ 
spiele veranschaulichen die Wirkungsweise. Besonderes Interesse er¬ 
weckt die Anwendung der Diathermie bei Zirkulationserkran¬ 
kungen. Durch Anwendung verschiedenster Technik haben wir in den 
Hochfrequenzströmen ein Mittel, in mannigfaltiger Weise auf den Blut- 
druok, auf den Tonus von Herz und Gefäßen einzuwirken. Zahlreiche 
Abbildungen von Pulskurven belegen die beschriebenen Erfolge, die be¬ 
sonders bei Arteriosklerose mit ihren mannigfaltigen Symptomen in Er¬ 
scheinung treten. Besonders erwähnenswert sind auch die günstigen 
wenn auch nur symptomatischen Erfolge bei Tabes. 

Die erfolgreiche und .relativ einfach zu handhabende chirurgische 
Diathermie bei malignen und benignen Tumoren, Naevis usw. wird durch 
viele gute Abbildungen veranschaulicht, die z. T. Dauerheilungen dar¬ 
stellen. Ein besonderes Kapitel ist der LupuBbehandlung gewidmet, 
bei dessen Lokalisation auf den Schleimhäuten die diathermisohe Koagu¬ 
lation als das aussichtsreichste Verfahren hingestellt wird. 

Die „Kriegsdiathermie" hat sich bei der Nachbehandlung von Ver¬ 
wundeten, besonders gut in Kombination mit Medikomechanik, bewährt. 

So gibt Nagelschmidt eine ausgezeichnete Übersicht über das 
weite Anwendungsgebiet der Hochfrequenzstrome. Wie der Verfasser 
aber richtig betont, sind die oft an Wunderheilungen erinnernden Er¬ 
folge nur bei gründlicher Kenntnis des Krankheitsgeschehens und ver¬ 
ständnisvoller Anwendung einer exakten Technik möglich. 

(Gerb. Hammer, München.) 


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I 


129 


Über Abgrenzung nnd Entstehungsursachen des 
Infantilismns. 

Von 

i 

| Prof. Dr. Borchardt (Königsberg). 

Wenn der Infantilismusbegriff bis heute die verschieden¬ 
sten Deutungen nnd Abgrenzungen erfahren hat, so hat das znm 
Teil historische Gründe. Dieser Begriff ist von Frankreich berüber- 
gekommen, wo man ursprünglich unter Infantilismus eine Ent- 
j vicklungshemmung verstand, die sich sowohl auf körper¬ 
liche wie geistige Eigenschaften bezog. Diese klare 
und dem Worte Infantilismus durchaus entsprechende Bedeutung 
fand aber nicht allgemeine Anerkennung. In Frankreich unter¬ 
schied man sehr bald zwei Typen: den Typ Lorrain, der durch 
j Schwäche und Kleinheit des Körpers und Entwicklungshemmung 
ausgezeichnet ist; und den Typ Brissaud, der auf Schilddiüsen- 
insufficienz beruhen sollte. Mit Einführung dieses Typ Brissaud 
begann die Begriffsverwirrung, die in der Frage der Umgrenzung 
des Infantilismus auch heute noch nicht verschwunden ist. 

Der Infantilismus ist bisher auf drei verschiedene Arten 
von Störungen zurückgeführt worden: entweder auf Ent¬ 
wicklungshemmung (Subevolutionismus) oder auf Er¬ 
baltenbleiben kindlicher Eigenschaften und Ent- 
| wicklungsstufen oder schließlich auf mangelhafte Ent¬ 
wicklung nnd Unterfunktion gewisser endocriner 
Drüsen. Es sind also sehr verschiedene Momente zur Definition 
des Infantilismus herangezogen worden. Die Zurückführung des 
Infantilismus auf die Unterfunktion endocriner Drüsen beruht auf 
der Erfahrung, daß vor allem bei Hypothyreoidismus und Hypo- 
pitaitarismus infantile Erscheinungen zu den regelmäßigsten Sym¬ 
ptomen gehören. Umstritten ist aber die Frage, ob die dabei beobach¬ 
teten Erscheinungen von Entwicklungshemmung gleichmäßig den ge- 

DmtMbM Archiv ftr klin. Medizin. 188. Bd. 9 


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Bobchaädt 


samten Organismus betreffen oder nur einzelne Teile. Nur im ersteren 
Falle darf man von universellem Infantilismus sprechen; Falta, *) 
Mathes, 8 ) Quadri, Bauer u. a. lehnen daher den endocnn be¬ 
dingten Infantilismus ab. Die durch Hypogenitalismus hervor¬ 
gerufenen Veränderungen gehören sicherlich dem universellen In¬ 
fantilismus nicht zu. Ich 8 ) habe in einer früheren Arbeit darauf 
hingewiesen, daß beim Hypogenitalismus die Symptome kindlicher 
Psyche und andere Zeichen von Infantilismus fehlen können. Die 
übrigen Symptome, insbesondere die Disproportion, d. h. die 
abnorme Extremitätenlänge, sind von den Erscheinungen des uni¬ 
versellen Infantilismus so verschieden, daß es unverständlich ist, 
wie Peritz 1 2 3 4 * ) den Eunuchoidismus als die reinste Form des 
materiellen Infantilismus bezeichnen konnte. Nicht das Wachsen 
über das Alter hinaus, in dem der Mensch heranreift, ist für den 
Infantilismus charakteristisch, sondern gerade das verlangsamte 
Wachsen, die Entwicklungshemmung. Der primäre Hypo¬ 
genitalismus hat also mit Infantilismus nichts zu tun. 
Ich hebe das besonders hervor, weil neuerdings Br an dis 6 ) das 
Fehlen sekundärer Geschlechtsmerkmale als ausreichendes Kriterium 
des Infantilismus hinstellt Nach Br an dis heißt Infantilismus 
„Stehenbleiben auf kindlicher Entwicklungsstufe“. Diese Begriffs¬ 
bestimmung muß entschieden abgelehnt werden. Es gibt keine 
kindliche Entwicklungsstufe, sondern nur eine Durchschnittsent¬ 
wicklung für ein bestimmtes Alter. Und es gibt kein Stehen¬ 
bleiben, so lange Leben besteht, sondern nur Evolution und In¬ 
volution. In das Gebiet des Infantilismus gehören nur 
die Störungen der Evolution, so weit der in einem 
bestimmten Alter zu erwartende Durchschnitt nicht 
erreicht wird. 

Es erscheint daher auch nicht zweckmäßig, die Feststellung 
kindlicher Formen, Proportionen, Größe und Psyche zur Grundlage 
des Infantilismusbegriffs zu machen, da diese Feststellungen immer 
nur relativen Wert haben. Nur die Beziehung zu dem durch¬ 
schnittlichen Verhalten gleichaltriger Individuen gibt solchen Be- 


1) Die Erkrankungen der Blutdrttsen. Berlin 1913. 

2) Der Infantilismus, die Asthenie nnd deren Beziehungen zum Nerven¬ 
system 1912. 

3) Berl. klin. Wochenschr. 1918, S. 348. 

4) Der Infantilismus in Kraus-Brugsch, 8pez. Path u. Ther. innerer 

Krankh. Bd. 1, 1919. 

6) Deutsches Arch. f. klin. Med. 1921, 138, S. 323. 


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Über Abgrenzung und Entstehungaurs&chen des Infantilismus. 131 

gnffebestimmungen einen Inhalt. Das Vorhandensein kindlicher 
Proportionen kann auch dann nicht als Zeichen von Infantilismus 
«gesehen werden, wenn diese Proportionen einem wesentlich 
früheren Entwicklungszustand entsprechen als die übrige körper¬ 
liche und geistige Entwicklung. Ich werde später bei Besprechung 
der von Peritz beschriebenen Fälle von hypophysärem Zwerg¬ 
wuchs auf diese Verhältnisse noch näher einzugehen haben. 

Aus alledem geht hervor, daß als einzige Grundlage für eine 
Begriffsbestimmung des Infantilismus die Entwicklungshem¬ 
mung, der Snbevolutionismus, zu brauchen ist. Ich sehe 
daher den Infantilismus als einen Zustand von Entwick¬ 
lungshemmung an, der beim heranwachsenden Indi¬ 
viduum dazu führt, daß körperliche und psychische 
Eigenschaften einem um mehrere Jahre jüngeren 
Alter entsprechen; beim Erwachsenen kann der In¬ 
fantilismus erkennbar bleiben, wenn die erreichte 
körperliche und geistige Entwicklung wesentlich 
hinter dem Durchschnitt zurückgeblieben ist. 

Die verschiedenen Einteilungsgrundsätze, die dem Infantilismus¬ 
begriff zugrunde gelegt worden sind, haben ihre Wurzel in den 
verschiedenen Einflüssen, die die Entwicklung und das 
Wachstum des Organismus und seiner Teile be¬ 
herrschen. Im allgemeinen unterscheidet man drei verschiedene 
Paktorengruppen, die auf das Wachstum von Einfluß sind: 1. die 
ererbten „Wachstumsanlagen“, die als funktionelle (energe¬ 
tische) Grundlagen für die individuelle und artspezifische Entwick¬ 
lung des Individuums bzw. seiner Teile anzusehen sind; 2. die 
von den endocrinen Drüsen, vielleicht auch vom Nervensystem 
ausgehenden positiven und negativen Wachstumsreize; 3. die 
iofleren, durch Ernährung, Klima, physikalische und chemische Ein¬ 
flüsse, Infektionen und Intoxikationen charakterisierten Faktoren. 
Diese äußeren Faktoren können sowohl eine der Keimzellen als 
auch den durch Vereinigung der Keimzellen entstandenen Körper, 
das Soma, betreffen. Die dadurch bedingten Schädigungen können 
also blastogen oder somatisch sein. 

Der Infantilismus — als ein durch Wachstumshemmung 
bedingtes Symptomenbild — kann mithin in vierfacher Weise 
entstehen: 1. durch Vererbung; 2. durch Keimschädigung 
(Blastophthorie); 3. durch Störungen imendocrinenApparat; 
4. durch äußere Einflüsse auf das Soma. Die ersten beiden 
Störungen sind blastogen, die letzten beiden somatisch bedingt. 

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Bobchardt 


Bevor auf die einzelnen Formen des Infantilismns näher ei§- 
gegangen werden kann, müssen hier dieBeziehungenzwischen 
Infantilismns und typischen Konstitutionsanomalien 
auseinandergesetzt werden. Der Rahmen, den Tandler dem Kon¬ 
stitutionsbegriff zugewiesen, indem er alle somatischen Einflüsse 
auf die Körperbeschaffenheit als konditionell von den konstitutio¬ 
nellen abtrennte, unter denen er lediglich die ererbten Störungen 
verstand, hat sich für die Pathologie der Konstitutionsanomalien 
als zu eng erwiesen. Wenn auch heute noch eine Reihe von 
Autoren die Trennung in Konstitution und Kondition im Tandler- 
schen Sinne beizubehalten sucht, so ergibt doch das nähere Studium 
der typischen Konstitutionsstörungen, daß eine solche Einteilung 
die überwiegende Mehrzahl der typischen Konstitutionsanomalien 
(exsudative Diathese, Status thymico-lymphaticus, eosinophile 
Diathese, Vagotonie, Arthritismus usw.) in zwei Teile schneiden 
müßte, weil diese Störungen eben zweifellos in einer großen Zahl 
von Fällen erst durch Keimschädigung oder intra- oder extrauterine 
Einflüsse erworben sind. Ebensowenig wie man berechtigt ist, die durch 
Diphtherie-, Influenzabazillen usw. bedingte Hirnhautentzündung von 
dem klinischeu Bilde der Meningitis abzutrennen, ebensowenig darf 
man den erworbenen Lymphatismus von den Konstitutionsstörungen 
abtrennen. Und damit ergibt sich die Notwendigkeit von selbst 
auch unter Konstitution die gesamte Körperbeschaffen¬ 
heit zu verstehen, mögen die Faktoren, die sie bedingen, 
vor oder nach Vereinigung der Keimzellen wirksam 
geworden sein. Die auf die Konstitution einwirkenden Fak¬ 
toren können zu bla'stogenen (vom Keime herstammenden) oder 
somatischen (den Körper betreffenden) Konstitutions¬ 
störungen führen. Die blastogenen können ererbt oder 
durch Keimschädigung erworben, die somatischen 
intra- oder extrauterin entstanden sein. 

Der Infantilismus läßt sich in dieses ätiologische System 
der typischen Konstitutionsstörungen nicht ohne weiteres ein¬ 
gliedern; er findet sich bei allen Formen typischer Kon¬ 
stitutionsanomalien, natürlich nur, soweit die Schädigungen 
den Organismus noch zur Zeit der Evolution, der Aufwärts¬ 
entwicklung, treffen. So findet sich der Infantilismus zusammen 
mit exsudativer Diathese, Status thymico-lymphaticus, Vagotonie, 
eosinophiler Diathese usw. und ebenso bei der Asthenie. Dagegen 
wird er naturgemäß bei den die absteigende Lebensperiode be¬ 
vorzugenden Erscheinungen des Arthritismus (Diabetes, Fettsucht, 


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Über Abgrenzung nnd Entstehnngsursachen des Infantilismus. 133 

Gicht, chronischen * Gelenkleiden, Arteriosklerose usw.) nicht an¬ 
getroffen. 

In einer Abhandlung über die typischen Konstitutionsanomalien 
habe icb 1 ) gezeigt, daß die konstitutionellen Abwei¬ 
chungen nicht nur morphologischer, sondern vor allem funk¬ 
tioneller Art sind, und daß sie sich in einer gesteigerten 
oder herabgesetzten Reaktionsfähigkeit auf Reize 
äußern. Auf einer herabgesetzten Reaktionsfähigkeit 
beruht der Status asthenicus. Steigerung der Re¬ 
aktionsfähigkeit findet sich bei allen anderen Formen von 
Konstitutionsstörungen, die ich deshalb unter dem gemeinsamen 
Namen Statusirritabilis zusammengefaßt habe. Beide Formen 
entstehen häufig auf einem durch Variationen und Abwegigkeiten 
aller Art ausgezeichneten Terrain, das meist als „degeneratives 
Terrain“ bezeichnet wird, obwohl es sich um Abartungen, aber 
nur gelegentlich um Entartungen handelt. 

Auf Grund der Einteilung der Konstitutionsstörungen läßt sich 
nun auch eine ätiologische Einteilung des Infantilismus 
geben. Bei einer Form der ererbten Konstitutionsstörnngen, näm¬ 
lich bei der Asthenie, ist der Infantilismus Teilerscheinung der 
allgemein herabgesetzten Reaktionsfähigkeit. Die Entwicklungs¬ 
hemmung kann hier als Teilerscheinung der geringen Reaktions¬ 
fähigkeit angesehen werden. Nur in dieser Form findet sich ein 
ererbter universeller Infantilismus. Partialinfantilismen können 
Variationen oder Deviationen sein, die — wie jede Variation — 
bei jeder Form von Konstitutionsanomalie häufiger sind als bei 
normaler Körperverfassung. Diese Variationen gehören nicht zum 
Bilde des ererbten universellen Infantilismus. — Die Entwicklungs¬ 
hemmung durch Keimschädigung liegt der Mehrzahl der toxischen 
Formen von Infantilismus zugrunde. Es handelt sich auch hier 
nm einen universellen Infantilismus, aber in der Regel ohne 
Asthenie. Die inkretorischen Störungen, die der dritten Gruppe 
der Formen des Infantilismus zugrunde liegen, entstehen in der 
Mehrzahl der Fälle auf der Basis eines Status irritabilis. Der 
Infantilismus ist dann von der Funktionsstörung gewisser endo- 
criner Drüsen abhängig. Die überragende Bedeutung der endo- 
crinen Drüsen für den Gesamtorganismus äußert sich u. a. auch 
darin, daß inkretorische Erkrankungen die Funktionsfähigkeit des 
Gesamtorganismus im Sinne erhöhter Reaktionsfähigkeit zu ändern 
pflegen. Die Erkrankungen endocriner Drüsen gehören daher auch 

1) Allgem. Uin. Konstitutioualehre. Ergeh, d. inn. Med. u. Kinderheilk. 21,1922. 


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134 


Bobohabot 


zu den wichtigsten Entstehungsursachen des Status irritabilis. Die 
in der vierten Gruppe zu besprechenden Fälle von Infantilismus, 
die durch äußere Einflüsse zustande kommen, haben mit typischen 
Konstitutionsstörungen nichts zu tun. Nor wenn diese Einflosse 
anßerdem ausgeprägte Funktionsstörungen endocriner Drüsen zur 
Folge haben, können sie zugleich die Erscheinungen des Status 
irritabilis hervorrufen. 

Auf Grund dieser Überlegungen erscheint mir die folgende 
Einteilung des universellen Infantilismus geboten: 

1. Infantilismus durch abnorme Wachstumsanlage 

= erblicher Infantilismus. 

2. Infantilismus durch Keimschädigung (Alkohol, 

Blei, Röntgenstrahlen usw.). 

3. Infantilismus auf Grundlage endocriner Stö¬ 
rungen: 

a) dysthyreogener Infantilismus; 

b) hypophysärer Infantilismus; 

c) pluriglandulärer Infantilismus. 

4. Dystrophischer Infantilismus: 

a) als Folge früh (u. U. intrauterin) erworbener Infektion 
(Lues, Tuberkulose, Lepra, Malaria, Pellagra, Echino¬ 
coccus) ; 

b) als Folge von Ernährungsschäden; 

c) als Folge frühzeitiger Intoxikation (Alkohol); 

d) bei angeborenen und früh erworbenen Herzfehlern. 

1. Infantilismus durch abnorm^ Wachstumsanlage 
= erblicher Infantilismus. 

Fall U. K., 40 J., Aufwärterin, unverheiratet. Eltern und 4 Ge¬ 
schwister kräftig und breit gebaut. Die Mutter bekam ihr letztes Kind 
mit 45 Jahren, verlor die Periode Ende der vierziger Jahre. Beide 
Schwestern bekamen die Menses mit 17—18 Jahren, Bind aber kräftig 
entwickelt. Die Großmutter mütterlicherseits war besonders klein, schmal 
gebaut und sehr schwächlich und hat die Periode ungewöhnlich früh 
verloren. — Pat. bekam die erste Regel mit 17 Jahren, die zweite 
1 Jahr später, dann regelmäßig, alle 14 Tage, sehr stark, bis sie be¬ 
reits mit 28 Jahren immer seltener wurde und mit 32 Jahren ganz auf- 
hörte. Pat. war immer klein und sehr schwächlich, ist aber im letzten 
Jahre stark abgemagert infolge eines inoperablen Magencarcinoms, wegen 
dessen sie jetzt zum Arzt kommt. — Größe 1,52 m, Gewicht 36 */* kg. 
Sehr zierlicher Körperbau, schmaler paralytischer Brustkorb mit weiten 
Interkostalräumen, spitzem Rippenwinkel. Beiderseits Costa X. fluctuans. 
Fehlende Achselhaare, spärliche Schamhaare, infantiles Genitale. (Die 
vom Magencarcinom herrührenden Erscheinungen sollen hier nicht ge- 


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Über Abgrenzung und Entstehungsursachen des lnfantilismus. 135 


schildert werden.) Kein Eiweiß, kein Zocker. Blut : 52 °/ 0 Hb., 4270000 R., 
7300 W., 63 */, °/ 0 Neutroph., 39 */ a °/ 0 kl. Lympho., J / 9 °/ 0 gr. Lympho., 
*/, °/ 0 Eos., 1 / 4 °/ 0 Reizongsf., 5 1 / 2 w / 0 Mononuol. 

Die von der Großmutter mütterlicherseits ererbte verlangsamte 
Wachstnmstendenz ist hier sehr ausgesprochen. Sie verursacht die 
auffallend geringe Körpergröße, ein niedriges Körpergewicht (das 
durch die Komplikation mit Magencarcinom auf 36,5 kg gesunken 
ist), spätes Auftreten und frühzeitiges Erlöschen der Menses, zier¬ 
liche Körperform usw. Der Hypogenitalismus erscheint durchaus in 
Abhängigkeit vom Infantilismus. Fälle dieser Art werden in der 
Regel als asthenischer Infantilismus beschrieben. Dieser 
Ansdruck ist von Math es und neuerdings von Albrecht weit 
über Gebühr auf eine Reihe von körperlichen Abweichungen des 
weiblichen Organismus ausgedehnt worden, die entweder der Asthenie 
oder dem Infantilismus nicht zugehören. Die angeborenen Zeichen 
körperlicher Abartung (die meist als Degenerationszeichen be¬ 
zeichnet werden, besser aber Deviationszeichen genannt werden) 
haben mit dem universellen Infantilismus nichts zu tun. Der 
Rahmen für den Begriff des asthenischen Infantilismus ist also 
enger zu ziehen als gemeinhin geschieht. Nur die Fälle von 
Asthenie, bei denen die Entwicklungshemmung als Folge herab¬ 
gesetzter Reaktionsfähigkeit Teilerscheinung der Asthenie ist, ge¬ 
hören hierher. 

2. Infantilismus durch Keimschädigung. 

Seitdem Forel aut die Keimschädigung oder Blastophthorie 
als ursächliches Moment einer ganzen Reihe psychischer und 
körperlicher Degenerationszeichen hingewiesen hat, muß die Keim¬ 
schädigung als ein wichtiger Faktor bei der Entstehung zahlreicher 
angeborener Formanomalien angesehen werden, zu denen auch der 
Infantilismus zu rechnen ist. Insbesondere darf es wohl als sicher 
gelten, daß Alkoholismus gelegentlich durch Keimschädigung zu 
Infantilismus der Nachkommenschaft führen kann. Inwieweit auch 
andere chronisch wirkende Gifte lediglich durch Schädigung der 
Keimzellen zum Infantilismus führen, ist schwer zu entscheiden. 
Aus vereinzelten Fällen läßt sich ja ein solcher Zusammenhang 
nie mit Sicherheit erkennen. 

Bei Tieren ist es wiederholt gelungen durch große Alkohol¬ 
gaben hemmend auf die Körperentwicklung einzuwirken. Bei Reh¬ 
pinschern soll es sogar ziemlich regelmäßig möglich sein durch 
fortgesetzte Alkoholvergiftung der Eltern Zwergpinscher zu er- 


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Bobchabdt 


zeugen. Stockard 1 ) paarte männliche und weibliche alkoholisierte 
Meerschweinchen. Von 42 Paarungen erzielte er nur 18 lebend ge¬ 
borene Junge. Von den 7 Tieren, die länger als «einige Wochen 
am Leben blieben, waren 6 auffallend klein und in der körper¬ 
lichen Entwicklung deutlich zurückgeblieben. 

Einen Fall von Infantilismus, der wahrscheinlich durch 
Zeugung im Rausch entstanden ist, habe ich kürzlich be¬ 
obachtet: 

Fall M. P., 28 J., Bucbhandlnngsgehilfin. — Vater ehemaliger 
Fleischermeister, schwerer Potator, verstorben. Mutter gesund. Keine 
erblichen Krankheiten. Pat. ist die 8. von 4 Schwestern. Ihre 
Schwestern sind normal entwickelt. Sie selbst war immer die kleinste 
in der Schule, bat etwas schwer gelernt. Erste Menses mit 20 Jahren, 
immer unregelmäßig, schmerzhaft, im letzten Winter */ 8 Jahr ausgeblieben. 
ReligionBschwärmerin. Hat eine Sekte gegründet. Lebt in ihren Re¬ 
ligionsgedanken wie in einer Märchenwelt. Hat deshalb ihre Stellung 
aufgegeben. — Größe 150 cm, Gewicht 52 kg. Zierlicher Körperbau 
mit ganz gutem Fettpolster. Sekundäre Geschlechtscharaktere aus¬ 
reichend entwickelt. 64 °/o Hbg. — Nach Annahme der sehr intelli¬ 
genten ältesten Schwester ist Zeugung im Rausch als ursächlicher Faktor 
recht wahrscheinlich. 

Die Frage, ob durch Röntgenbestrahlung der Keim¬ 
drüsen Infantilismus der Nachkommen hervorgerufen werden 
kann, ist neuerdings von Werner 2 3 ) in bejahendem Sinne beant¬ 
wortet worden. Auch Stettner 8 ) teilt einen einschlägigen Fall 
mit Wie bei der Schädigung durch Alkohol ist hier die Neigung 
zu frühzeitiger Unterbrechung der Schwangerschaft besonders groß. 
Die Kinder zeigen bei der Geburt keine Schädigung, die auf die 
vorausgegangene Bestrahlung der Mutter zurückgeführt werden 
konnte. „In den späteren Jahren scheint allerdings bei manchen 
Kindern ein gewisses Zurückbleiben in der Entwicklung feststell¬ 
bar.“ — Diese Resultate stehen vorläufig im Gegensatz zu Unter¬ 
suchungen von Nürnberger undPankow, die bei Tieren durch 
Röntgenbestrahlung der Keimdrüsen keine Schädigung der Nach¬ 
kommen hervorrufen konnten. 

Für die viel verbreitete Annahme, daß Infektionskrank¬ 
heiten der Eltern durch Keimschädigung zu Infantilismus der 
Kinder führen können, lassen sich keine Beweise erbringen. 
Peritz behauptet zwar, daß Syphilis, Tuberkulose, Pellagra und 

1) Arch. of int med. 1912, S. 369. 

2) Münchner med. Wochenschr. 1921, S. 767. 

3) Jahrb. f. Kinderheilk. 95, 1921, H. 3/4. 


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Über Abgrenzung und Entstehnngsnrsachen des Infantilismns. 137 

Malaria lediglich durch Keimschädigung bei Erkrankung der 
Eltern eintreten können. Es scheint mir aber viel wahrschein¬ 
licher, daß es sich in diesen Fällen um eine intrauterine Infektion 
handelt, da die Annahme schwer fällt, daß infizierte Keimzellen 
die Fähigkeit der Befruchtung und Weiterentwicklung beibehalten 
können. Ein Infantilismus durch Keimschädigung bei Syphilis oder 
Tuberkulose der Eltern ist ebenso wenig bewiesen wie die erb¬ 
liche Übertragung dieser Krankheiten selbst durch die Keimzellen. 

3. Inf an tilismus auf Grundlage endocr in er Störungen. 

Bekanntlich führt im Tierversuch frühzeitige Entfernung von 
Schilddrüse, Hypophyse, Thymus zu einer sehr erheblichen Wachs¬ 
tumshemmung, insbesondere an den Extremitätenknochen. Dasselbe 
Bild findet sich auch bei Menschen, die mit einer apiastischen 
oder hypoplastischen Schilddrüse seit der Geburt behaftet 
and, oder die in frühem Kindesalter an Myxoedem erkrankt 
sind. Und in gleicher Weise findet mau die Wachstumshemmung 
als Teilerscheinung des Kretinismus, bei dem ja die hypoplastische 
Erkrankung der Schilddrüse zu den wichtigsten Teilerscbeinungen 
des Krankheitsbildes gehört. 

Auf die Unterfunktion der Hypophyse im kindlichen 
Alter als Ursache des Infantilismus hat Bran dis neuerdings 
wieder hingewiesen. So gehört Infantilismus zu den regelmäßigen 
Begleiterscheinungen der hypophysärenFettsuchtim Kindes¬ 
alter. Die Wachstumshemmung ist hier um so auffallender als die 
Erkrankung mit Hypogenitalismus verknüpft ist und Ausfall der 
Öenitalfunktion sonst zu einem verlängerten Extremitätenwachs- 
tnm fuhrt (s. u.). Obwohl nun die Dystrophia adiposogenitalis nach 
Nonne 1 ) in einem Teil der Fälle auf angeborene Lues zurück- 
znführen ist, finden sich doch zweifellos die Erscheinungen des 
Infantilismns bei dieser Krankheit auch in solchen Fällen, in denen 
eine Lues congenita nicht in Betracht kommt. Der Infantilismus 
ist daher in diesen Fällen von der Hypophyse abhängig zu denken. 

Ein nicht unerheblicher Teil der Fälle von Dystrophia adiposo¬ 
genitalis ist mit Diabetes insipidus verbunden, der nach 
Frank ebenfalls auf die Funktionsstörung der Hypophyse zurück- 
znfnhren ist. Auch Fälle von Diabetes insipidus ohne Fettsucht 
sind nicht selten infantil (Strauß, Weber, Mamrot, Zundel 
n. a.). Einen einschlägigen Fall habe ich vor kurzem beobachtet: 

1) Deutsche med. Wochenschr. 1916, S. 1338. 


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Bobchabdt 


Fall E. W., Lernende, 15 J. Eltern nnd 6 Geschwister gesund 
and normal entwickelt, nnr bei einer Schwester besteht erhebliche Poly¬ 
arie. Sie selbst leidet seit 4. Lebensjahr an Polyarie and Polydipsie. 
Bis zum 8. Jahre Bettnässen. Seit 1 Jahre Nachtschweiße. In den 
letzten Monaten etwas Husten, ziemlich starke Kopfschmerzen. — Etwas 
blasses Mädchen von kindlichem Aussehen, noch völlig unentwickelt. 
Größe 1,38 m. Gewicht 32 kg. Scham- and Acbselbaare fehlen noch. 
Brüste noch völlig kindlich geformt. TJrinentleerung täglich 4—5 1. 
Kein Eiweiß, kein Zucker, spez. Gewicht 1003. Köntgenbild ergibt keine 
Erweiterung, aber deutliche Vertiefung der Sella turcica. Wassermann 
negativ. 

Der beschriebene Fall ist in mancher Hinsicht nicht ganz ge¬ 
klärt Trotzdem ergibt sich mit ziemlicher Sicherheit ein deut¬ 
licher Grad von Wachstumshemmung im Zusammenhang mit den 
Erscheinungen des Diabetes insipidus offenbar anf der Grundlage 
einer Veränderung der Hypophyse. 

Von den hier beschriebenen Formen des hypophysären In¬ 
fantilismus ist der hypophysäre Zwergwuchs abzutrennen, 
bei dem nicht eine einfache Wachstumshemmung, sondern ver- 
wickeltere Entwicklungsstörungen vorliegen. Ich denke hier be¬ 
sonders an die von Peritz beschriebenen Fälle, bei denen die 
Proportionen einem wesentlich früheren Kindesalter entsprechen als 
die übrige körperliche und geistige Entwicklung. Wenn einer der 
beschriebenen Zwerge mit 19 Jahren die Größe eines 11jährigen 
Kindes (135 cm), aber hinsichtlich der Größe seines Kopfes die 
Proportionen eines 5 jährigen aufweist, so kann es sich nicht mehr 
nm eine gleichmäßige Entwicklungshemmung handeln, wie sie dem 
Infantilismus zugrunde liegt. Solche Fälle sind daher unbedingt 
vom Infantilismus abzutrennen, dessen Wesen in einer gleichmäßigen 
Entwicklungshemmung aller Teile zu erblicken ist. 

Insbesondere muß es völlig verwirren, wenn Peritz auch 
den Hypogenitalismus dem Infantilismus zurechnet und den 
Eunuchoidismus als die reinste Form des materiellen Infan¬ 
tilismus anspricht, „bei dem die kindliche Eigenart des Wachsens 
über die Zeit hinaus bestehen bleibt, in der der gewöhnliche Mensch 
wächst“. Das Wachsen der Extremitätenknochen wird in der Norm 
durch die hemmenden Einflüsse der Sexualhormone aufgehalten. 
Fehlt diese Hemmung, so wachsen die Gliedmaßen über das nor¬ 
male Maß hinaus in die Länge. Das hat mit Infantilismus nichts 
zu tun, sondern lediglich mit der inneren Sekretion der Sexual¬ 
hormone. Für den Infantilismus ist gerade die geringe Wachs- 
tumstendenz charakteristisch. Nun finden sich ja allerdings beim 
Eunuchoidismus gewisse Erscheinungen von Wachstumshemmung, 


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Über Abgrenzung und Entstehnngsursachen des Infantilismus. 139 

Tor allem der Geschlechtsorgane nnd der sekundären Geschlechts¬ 
merkmale; aber eine gleichmäßige Wachstumshemmung fehlt, die 
als das Wesen des Infantilismus universalis anzusehen ist. 

Der Hypogenitalismus kann als Teilerscheinung des Infantilis¬ 
mus auftreten; dann erstreckt sich die herabgesetzte Wachstums¬ 
tendenz auch auf die langen Extremitätenknochen; der beim Hypo¬ 
genitalismus sonst auftretende Hochwuchs bleibt aus. Diese Ver¬ 
hältnisse finden sich z. B. in dem oben beschriebenen Fall U. E. 
von Infantilismus mit Asthenie auf erblicher Grundlage (8. 134). 
Wo aber der Hypogenitalismus zu vermehrtem Längenwachstum 
fuhrt, hat er mit dem Infantilismus universalis nichts zu tun, 
wenn auch die fehlende Genitalfunktion zu Entwicklungshemmung 
der sekundären Geschlechtsmerkmale führt. Es finden sich aller¬ 
dings beim Eunuchoidismus gewisse Erscheinungen von Wachs¬ 
tumshemmung, aber eine gleichmäßige Wachstumshemmung aller 
Organe fehlt. 

Auch die psychischen Veränderungen der Hypogenitalen sind 
— wie ich bereits einmal früher auseinander gesetzt habe 1 ) — 
nicht als psychischer Infantilismus zu deuten. Sie können ganz 
fehlen oder sind als psychischer Feminismus zu bewerten, dürfen 
aber keinesfalls dazn führen, den Hypogenitalismus dem Infantilis- 
mus ohnes weiteres zuzurechnen. 

Die Beziehungen zwischen Infantilismus und Hypo¬ 
genitalismus können sich nun noch in einer anderen Form 
äußern. Auch ohne daß die Erscheinungen der Asthenie vor¬ 
liegen, kann der Hypogenitalismus als Teilerscheinung des Infan¬ 
tilismus auftreten; auch hier bleibt — wie beim asthenischen Infan¬ 
tilismus — das abnorme Längenwachstum der Extremitäten aus. 

Fall F. K., 17 Jahre, Dienstmädchen. Aus gesunder Familie. 
Etwas schwächlich. Noch nicht menstruiert. Gewicht 43 kg. Größe 
1,50 m. Noch völlig unentwickelt. Brüste infantil. Uterus auffallend 
klein, Adnexe nicht tastbar. Fehlen der Scham- und Achselhaare. 
Kindliche Beckenform. Mäßiges Fettpolster. Schilddrüse eben tastbar. Keine 
Zeichen einer Hypophysenerkrankung. Normales Blutbild. 70°/ 0 Hbg. 

Die Entstehungsursache dieses Falles ist ungeklärt. Handelte 
es sich primär um einen Hypogenitalismus, so wären sicher Er¬ 
scheinungen von Hochwuchs festzustellen gewesen. Asthenie war 
nach dem ganzen Habitus auszuschließen. Andere endocrine Er¬ 
krankungen waren nicht nachweisbar. Dennoch darf eine primäre 
endocrine Störung (an der Schilddrüse oder Hypophyse) ohne nach- 

1) I. c. 


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140 


Borchabdt 


weisbare Krankheitserscheinungen als wahrscheinliche Entstehungs- 
Ursache angesehen werden, da eine andere Erklärung noch weniger 
Wahrscheinlichkeit fiir sich hätte. 

4. Dystrophischer Infantilismns. 

Über den Einfluß der Ernährung auf das Körper- 
Wachstum sind eine Reihe von Tatsachen bekannt, die für die 
Entstehung des dystrophischen Infantilismus zweifellos von Be¬ 
deutung sind. Während vollkommene Nahrungsentziehung das 
Wachstum des jungen Tieres nicht zum Stillstand bringt, macht 
das Fehlen gewisser Bausteine des Eiweißmoleküls (Trypto¬ 
phan und Lysin) das Wachsen unmöglich. Durch Tryptophan¬ 
zusatz allein erfolgt Wachstumsstillstand. Erst der weitere Zu¬ 
satz von Lysin läßt erneutes Wachsen des Organismus erkennen. 

Nach Stepp führt der Mangel an Lipoidsubstanzen 
in der Nahrung zum Wachstumsstillstand. Dem Lipoidmangel 
kommt wahrscheinlich eine allgemeinere Bedeutung für die Ent¬ 
stehung des Infantilismus zu. Die Feststellungen St epp’s bilden 
daher die wichtigste Grundlage für das Verständnis des dystro¬ 
phischen Infantilismus. Nach Peritz 1 2 3 ) kommt durch Lipoidver¬ 
armung der Infantilismus bei angeborener oder früh erworbener 
Syphilis zustande; die Luestoxine haben eine große Verwandt¬ 
schaft zu den Lipoiden, binden sich mit ihnen und entziehen sie 
auf diese Weise dem Körper. Nach Calmette*) haben Tuberkel¬ 
bazillen und Tuberkulin, nach Petit 8 ) Tetanus- und Diphtherie¬ 
toxin die Eigenschaft Lezithin zu binden. Es ist also nicht un¬ 
wahrscheinlich, daß früh erworbene Infektionskrankheiten, vor 
allem die Lues und Tuberkulose, durch Lipoidentziehung die Er¬ 
scheinungen des Infantilismus hervorrufen. Peritz hat Recht, 
wenn er hervorhebt, daß diese Krankheiten nicht angeboren zu 
sein brauchen, um zum Infantilismus zu führen. Der von ihm an¬ 
geführte Fall zweier Schwestern mit Infantilismus, die mit 4 und 
6 Jahren Lues akquiriert hatten, ist besonders charakteristisch. 
Einen Fall von Infantilismus durch früh erworbene Tuberkulose 
sah ich während des Krieges. Er betrifft ein 14jähriges Mädchen 
aus gesunder Familie von der Größe und Entwicklung^ eines 10- 
bis 11-jährigen Kindes, das mit 3 bis 4 Jahren eine Lungentuber¬ 
kulose akquiriert hatte, an der sie noch litt. 

1) Berliner klin. Wochenschr. 1908. 

2) C. r. de l’ac. des Sciences 1908. 

3) C. r. soc. de biol. 64, 1908, 8. 811. 


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Über Abgrenzung und Entstehungsursachen des Infantilismus. 141 

Von anderen Infektionskrankheiten, die in früher Jugend zu 
Infantilismus führen können, sind Lepra, Malaria, Pellagra, 
Echinococcus zu nennen. Auch hier dürfte der erworbene 
Lipoidmangel das auslösende Moment für die Wachstumshemmung 
darstellen. 

Wenn somit schon bei den Infektionskrankheiten mit Wahr¬ 
scheinlichkeit die Lipoidarmnt als wichtigstes ursächliches Moment 
für den Infantilismus anzusehen ist, so gilt das für diejenigen 
Formen des Infantilismus, die durch Ernährungsstörungen 
bedingt sind, vermutlich in gleichem Maße. Allerdings liegen beim 
Menschen die Verhältnisse wesentlich verwickelter als im Tierver¬ 
such. Der Nachweis, daß eine lipoidfreie oder lipoidarme Ernährung 
den Infantilismus verursacht hat, wird sich beim Menschen nie mit 
Sicherheit erbringen lassen. Wahrscheinlich gehören hierher die 
von Herter u. a. als intestinaler Infantilismus be¬ 
schriebenen Formen bei kleinen Kindern mit gastro-intestinalen 
Störungen. Fälle dieser Art sind selten und bisher nur bei 
Kindern beobachtet worden. Auch bei Ernährungsstörungen vor¬ 
übergehender Natur können — wie mir scheint — die Er¬ 
scheinungen des Infantilismus gelegentlich ausgelöst werden. Ich 
lasse hier einen Fall folgen, der offenbar nicht dem Herter- 
schen Typus entspricht: 

Fall G. P., 7 Jahre, Faktorkind. Vater gesund, Mutter tuberkulös. 
Eine Schwester von 4 Jahren ist fast ebenso groß und schwer, der 
5jährige Bruder größer und schwerer als Pat. — War als Säugling 
2 Monate an der Brust, dann 4 Monate in Pflege. Dort bekam sie 
meist unverdünnten Haferschleim, fast keine Milch, bis sie in elendem 
Zustande mit schwerem Magen-Darmkatarrh von der Mutter nach Hause 
genommen wurde. Seitdem immer körperlich zurückgeblieben. Keine 
Tuberkulöse. Größe 1,09 m. Gewicht 18 kg. 62 °/ 0 Hbg. Klein und 
schwächlich. Innere Organe o. B. 

Wie bei den Infektionskrankheiten, so spielt auch bei ge¬ 
wissen Vergiftungen, die zu Infantilismus führen, derLipoid- 
mangel — wie es scheint — die wesentlichste Rolle. Infolge 
seiner Lipoidlöslichkeit wirkt der Alkohol vornehmlich als Lipoid¬ 
gift. Durch Alkoholisierung junger Tiere kann man besonders kleine 
Exemplare künstlich großziehen. Beim Menschen gehört der Infan- 
tilismus dnrch frühzeitigen reichlichen Alkoholgenuß glücklicher¬ 
weise noch zu den Seltenheiten. Über einen besonders krassen 
Fall, den ich vor .17 Jahren beobachtet habe, will ich hier kurz 
berichten: 

Ein 5 jähriger Knabe, der mit Typhusverdacht zur Krankenhaus- 


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Bobchabdt 


auf nah me kam, und dessen Erkrankung sich als richtiges Delirium tremens 
erwies, war im Wachstum wesentlich zurückgeblieben and erweckte den 
Eindruck eines 3 jährigen Kindes. Wie Nachforschungen ergaben, war 
der Junge durch den Vater, der selbst Trinker war, an Bier- und 
Schnapsgennß gewöhnt worden. 

In das Gebiet des dystrophischen Infantilismns gehören auch 
die Fälle von Infantilismns bei angeborenen oder früh erworbenen 
Herzfehlern, über die ich keine eigenen Erfahrungen habe. 
Hier kann man die ungenügende Versorgung der Organe mit O t 
und Nährstoffen für die Entstehung des Infantilismns verantwort¬ 
lich machen. Ob 0,-Mangel allein oder CO a -Überladung des Blutes 
das Wachstum hemmt, ist noch nicht festgestellt. Es darf aber 
als wahrscheinlich gelten, daß auch hier ganz bestimmte Faktoren, 
d. h. der Mangel an bestimmten notwendigen Nährstoffen die Zelle 
in ihrer Entwicklung hemmt. 

Die hier gegebene Auffassung über das Wesen des Infantilismns 
führt notwendig dazu die Möglichkeit infantiler Veränderungen zn 
den verschiedensten Zeiten tles menschlichen Lebens anzunehmen. 
Das Alter der von mir beschriebenen Fälle schwankt zwischen 6 
und 40 Jahren. Eine solche zeitlich weite Auffassung des Infan¬ 
tilismusbegriffs bedarf der Rechtfertigung. Alle Autoren, die das 
„Kindbleiben“ als die wesentlichste Eigenschaft der Infantilen 
ansehen, erkennen nur solche Fälle als echten Infantilismus an, 
die in einem Alter, in dem in der Regel die Entwicklung beendet 
ist, noch deutliche Zeichen des Eindseins darbieten. In der Tat 
läßt es sich nicht leugnen, daß in und nach der Pubertät der 
Infantilismus die deutlichsten Erscheinungen macht. Der formative 
Einfluß der Keimdrüsen auf den Gesamtorganismus ist so groß, 
daß die Erscheinungen der verzögerten Geschlechtsreife als Teil¬ 
erscheinungen des Infantilismus besonders auffallen müssen. So 
haben die meisten beschriebenen Infantilen ein Alter von 17 bis 
25 Jahren. Es ist aber ganz zweifellos — und die oben beschrie¬ 
benen Fälle zeigen das deutlich —, daß Entwicklungshemmungen 
auch während der Kindheit deutliche Erscheinungen machen können. 
Nimmt man an der Bezeichnung Infantilismus im Kindes¬ 
alter Anstand, so soll man ihn durch Subevolutionismns 
ersetzen. Es ist aber nicht angängig, für den von Herter be¬ 
schriebenen intestilalen Infantilismus — wie das Peritz vor¬ 
schlägt— den Ausdruck Fötalismus zn wählen, da es sich nicht 
um einen Rückschlag in eine fötale Entwicklungsstufe, sondern um 
eine Wachstumshemmung in der kindlichen Entwicklungszeit handelt 


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Über Abgrenzung und Entstehungsurzachen des Infantilismus. 143 

über den sog. partiellen Infantilismus soll hier nicht 
ausführlich gesprochen werden. Man versteht darunter isolierte 
Hemmungsbildungen, die sich in allen möglichen Kombinationen 
finden können. Jedenfalls gelten für den partiellen Infantilismus 
ganz andere Bedingungen wie für den universellen; so darf man 
z. B. auch gewisse Erscheinungen des Hypogenitalismus, auch 
wenn dieser zum Hochwuchs führt, dem partiellen Infantilismus 
zuzählen. Dem letzteren kommt aber eine selbständige Stellung 
im System der Krankheiten nicht zu; er bezeichnet nur eine be¬ 
stimmte Art von Symptomen. 

Auch der Zwergwuchs steht dem universellen Infantilismus 
weniger nahe als meistens angenommen wird. Zwischen Infantilis- 
mus und Zwergwuchs ist nicht nur ein quantitativer, sondern auch 
ein qualitativer Unterschied. Von den beiden Typen von Zwerg¬ 
wuchs, die Hansemann unterscheidet, ist die Nanosomia pri¬ 
mordial is ausgezeichnet durch eine abnorme Kleinheit aller Pro¬ 
portionen bei normal eintretender Entwicklungs- und Reifezeit. Es 
handelt sich also nicht um eine Entwicklungshemmung, sondern 
um abnorm klein angelegte Individuen. Die Anomalie ist erblich. 
Ob die übrigen Fälle von Zwergwuchs, die unter dem Begriff 
Nanosomia infantilis zusammengefaßt zu werden pflegen, einen 
einheitlichen Typus darstellen, ist noch unentschieden. Jedenfalls 
unterscheiden sie sich vom Infantilismus universalis dadurch, daß 
die Entwicklungshemmung nicht gleichmäßig alle Körperproportionen 
betrifft, sondern ungleichmäßig, so daß Individuen resultieren, die 
nicht nur zurückgeblieben, sondern auch abnorm entwickelt sind. 

So erscheint der universelle Infantilismus als ein 
gut abgrenzbarer Begriff, der mit dem Begriff der 
allgemeinen, gleichmäßigen körperlichen und 
geistigen Entwicklungshemmung gleichgestellt 
werden darf. Diese Entwicklungshemmung kann 
blastogen oder somatisch, ererbt, durch Keimschädi¬ 
gung oder im intra- oder extrauterinen Leben er¬ 
worben sein. Als Ursache des erworbenen Infantilis¬ 
mus sind einerseits Unterfunktion endocriner 
Drüsen, andererseits Infektionen, Intoxikationen 
und Ernährungsschäden bekannt. Ein Teil dieser 
Schäden wirkt allem Anschein nach durch Mangel 
an dem als wichtiger und unentbehrlicher Wachs¬ 
tumsreiz bekannten Lezithin. 


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Aas dem Sanatorium Groedel in Bad Nauheim. 

Was leistet das Böntgenverfahren für die Fanktions- 
prüfang des Herzens? 

Von 

Privatdozent Dr. Franz M. Groedel, 

Frankfurt &. M.—Bad Nauheim. 

Wenn wir die Funktion des Herzens am Röntgenschirm prüfen 
wollen, so werden wir unser Augenmerk wohl unwillkürlich zuerst 
auf die Art der Herzpulsation richten. 

„Eine abnorm schwache Pulsation sieht man besonders bei 
Myokarditis,“ sagte ich 1914 in der zweiten Auflage meiner Röntgen¬ 
diagnostik. 1 ) Dagegen bezeichnete ich den verstärkten Aktions¬ 
typus als Charakteristikum der Aorteninsufficienz, der Bradykardie 
und des Herzblocks, also jener Fälle, bei denen die Auswurfsmenge 
des Herzens abnorm groß ist. Andererseits findet sich der schon 
von Criegern für das gesunde Herz beschriebene verstärkte 
Aktionstypus besonders bei nervösen und asthenischen Individuen.“ 

Diese kurze Zusammenstellung genügt wohl, um die Behauptung 
aufznstellen, daß der Aktionstypus des Herzens, wie wir ihn mit 
Hilfe der Röntgenstrahlen beobachten können, einen Rückschluß 
auf den Zustand des Herzmuskels nicht gestattet, mit der einen 
Ausnahme, daß bei hochgradiger Muskeldegeneration die Herz¬ 
bewegungen sehr schlapp und wenig ausgiebig sind. 

Wenn ich nun noch darauf hin weise, daß bei sehr frequenter Herz¬ 
tätigkeit, wie wir sie bei Anfallen von paroxysmaler Tachykardie, bei Morbus 
Basedowii usw. oft am Röntgenschirm beobachten können, die Pulsations¬ 
ausschläge flimmernd und schwach erscheinen, dann ergibt sich ohne 
weiteres die Schlußfolgerung, daß wir röntgenologisch beweisen können, 
daß der Pulsationstypus des Herzens, in erster Linie vom Nervensystem 
(Frequenz) in zweiter Linie von der Auswurfsgröße deB Herzens und 


1) Groedel, Atlas und Grandriß der Röntgendiagnostik in der inneren 
Medizin. J. F. Lehmann, München. 


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Was leistet das Röntgenverfahren für die FunktionsprÜfung des Herzens? 145 

erst in letzter Linie vom Maskelznstand bedingt wird, daß also auch von 
diesem Gesichtspunkte ans ein von verschiedenen Antoren versuchter 
röntgenologischer Rückschluß auf feinere Tonusvarietäten aus der Pul* 
sationsform nicht gezogen werden kann. Und somit erübrigt sich auch 
für funktionelle Prüfungen jede kompliziertere Feststellung der Herz¬ 
pulsationsbreite resp. der systolisch-diastolischen Formdifferenz des Herzens, 
einer Feststellung auf die Huismans wohl allzu großen Wert ge¬ 
legt hat. 

Wie verhält es sich nun mit der Schattenform des Herzens 
bei verschiedenen Graden des Muskeltonus? Können wir aus der 
Form der Herzsilhouette einen Schluß auf den Zustand des Herz¬ 
muskels ziehen? 

In der ersten Auflage der Röntgendiagnostik (1909) sagte ich 
bereits bei Besprechung des Röntgenbildes der Myokarditis, „so 
finden wir neben der schon erwähnten schlaffen Pulsation auch 
eine schlaffe Herzform mit meist nicht abgrenzbaren Randbogen. 
Das Herz hat mehr oder weniger Dreieckform, dessen meist sehr 
breite Basis auf dem Zwerchfell ruht. u In meinen späteren 
Arbeiten habe ich stets in ähnlichem Sinne über das schlaffe Herz 
bei Myokarditis berichtet. 

Ich glaube, diese Charakterisierung der schlaffen Herzform 
(bei Myokarditis resp. Myodegeneration) auch heute nicht treffender 
geben zu können. 

Etwas Ähnliches hat F. A. Hoff mann 1 ) beschrieben, wenn er 
sagt, daß in jenen Fällen, in welchen der von der HerzläogBachse und 
dem Zwerchfell gebildete Winkel mehr als 90° beträgt, eine Atonie des 
Herzens vor liegt. Ich glaube aber, daß dieses Kriterium leicht zu Ver¬ 
wechslungen führen kann, denn schließlich ist der Herzlängeachse- 
Zwerchfell winkel von der Körperform und den Körperproportionen der¬ 
art abhängig, daß er für irgendeine weitere Entscheidung nicht heran¬ 
gesogen werden kann. 

Ganz besonders unzuverlässig muß uns aber die Beurteilung des 
Herztonus nach dem Herzzwerchfellwinkel erscheinen, wenn Hoffmann 
Atonie des Herzens findet: bei Fettleibigkeit, allgemeinem körperlichem 
Verfall, bei Neurathenie, beim Tropfenherz usw. 

Noch weitere diagnostische Schlüsse auf den Muskelzustand, 
aus. der Herzform zu ziehen, wie oben von mir geschehen, halte 
ich nicht für zulässig. Geringe Tonusändernngen des Herzmuskels 
können jedenfalls meiner Ansicht nach aus der Form der Herz¬ 
silhouette nicht festgestellt werden. 

Nnn ist ja wohl der Begriff „Tonus“ für den Herzmuskel über- 

1) Hoffmann, F. A., Kordatonie und Herzneurasthenie. Deutsche med. 
Wochensehr. 1907, Nr. 48. 

Deutsches Archiv ffir kltn. Medizin. 1S8. Bd. 10 


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Gboidbl 


haupt besser za vermeiden. Und wenn Zehbe 1 ) neben dem 
prallelastischen normalen Tonns und dem schlaffen Tonne des de¬ 
generierten oder myasthenischen Herzens den erhöhten Tonns des 
hypertrophischen Herzens beschreibt, so setzt er Tonns = Muskel- 
zustand. Es soll hier darüber nicht diskutiert werden, wie weit 
dies zulässig ist Jedenfalls dürfte es zweckmäßiger sein, die 
Begriffe: 

1. normaler Muskel, 

2. Muskelschwäche (Myasthenia cordis), 

3. Muskeldegeneration, einerseits und 

4. Dilatatio cordis, 

5. Hypertrophia cordis andererseits 

unseren Erörterungen zugrunde zu legen, dagegen den Muskeltonus 
ebensowenig wie die Kontraktilität des Herzmuskels usw. in unsere 
für herzphysiologische Untersuchungen recht grob mechanischen 
Untersuchungen einzuscbließen. 

Wenn wir bisher von den pulsatorischen und morphologischen 
charakteristischen Röntgenerscheinungen des Herzens sprachen, die 
bei den unter dem Sammelbegriff „Myokarditis“ vereinten Fällen 
zu beobachten sind, so haben wir hiermit zugleich die Röntgen¬ 
symptome der Dilatation gestreift. 

Denn das was wir als typisch für die Myokarditis schilderten 
— die schlaffe Herzform und -pulsation — das wäre in gleicher 
Weise auch für die Dilatation anzuführen. 

Hier ist besonders das Röntgenbild der relativen Tricuspid&l- 
insufficienz sehr lehrreich. Wir sehen bei diesem die Mitralfehler 
so oft komplizierenden Vitium, den rechten unteren Schattenbogen 
der Herzsilhouette — den rechten Vorhof — weit ausgebuchtet 
und dem Zwerchfell beutelförmig aufsitzend. 

Und im Gegensatz zum Bild des dilatierten rechten Vorhofs 
sehen wir dann oft beim gleichen Falle den linken Herzrand be¬ 
sonders scharf geschwungen, als Ausdruck einer starken Hyper¬ 
trophie des linken und mehr noch des rechten Ventrikels. 
Gleiches gilt auch von dem kugelig und äußerst scharf konturierten 
Nephritisherzen, wie auch von der Schattenzeichnung des hyper¬ 
trophischen linken Ventrikels bei Aortenfehlern. 

Es wäre sonach zu sagen: bei starker Hypertrophie eines Herz- 
teiles sehen wir seine Röntgenschattenkonturen stärker geschwungen 


1) Zehbe, Beobachtungen am Herzen und der Aorta. Deutsche med. 
Wochenschr. 1916, Nr. 11. 


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Wm leistet das Böntgen verfahren für die Funktionsprüfun g des Herzens? 147 

and besonders scharf gezeichnet,' bei Dilatation sind dagegen die 
Sehattenkonturen verstrichen, der betreffende Herzteil oder das 
ganze Herz zeigt schlaffe Beutelform. Letzteres ist gleichzeitig 
das markante Röntgenbild der Myokarditis. 

Selbstverständlich gibt es aber alle möglichen Übergänge 
zwischen den beiden Formen, je nachdem die Hypertrophie mit 
einer Dilatation vergesellschaftet, die Dilatation durch eine Muskel- 
bypertrophie kompensiert und anatomisch stabilisiert ist. Und 
ebenso wird die „schlaffe Myokarditisform“ des Herzröntgenogramms 
verschieden ausgeprägt sein, je nachdem es sich um eine schwere 
Muskeldegeneration allein, oder als Folge lange bestehender, primär 
zur Hypertrophie fahrender Krankheiten (Nephritis, Sklerose nsw.) 
bandelt Man hüte sich sonach vor einer Überwertung oder ein¬ 
seitigen Bewertung des Röntgenbildes bei der Beurteilung des 
Herzmuskels. 

Jedenfalls sind also die Zwischenstadien zwischen der abnorm 
scharf konturierten und der abnorm schlaff konturierten Herz¬ 
röntgensilhouette nur mit Vorsicht diagnostisch zu verwerten, be¬ 
sonders aber kaum geeignet, Aufschluß über leichtere Krankheits¬ 
formen zu geben. 

Vor einigen Jahren hat nun Zehbe mitgeteilt, daß bei nor¬ 
malem Herzen bei tiefer In- und Exspiration die Herzachse sich 
parallel zu sich selbst verschiebt, daß aber bei schlaffer Herz¬ 
muskulatur ein Herz, das eventuell bei Inspiration noch eine 
ganz normale Form haben könnte, bei der Exspiration wie eine 
formlose Masse, wie ein Klumpen Teig auf dem Zwerchfell liegt. 
„Seine Längsachse hat sich aus der früher mehr vertikalen Stel¬ 
lung in eine fast horizontale bewegt, der Neigungswinkel ist also 
bei der Exspiration kleiner geworden, hat sich mehr dem rechten 
genähert Die Herzform ist völlig verändert, sie ist gewissermaßen 
auseinander gegangen, nach rechts und links breiter geworden, sie 
bat sich förmlich der Zwerchfellkappe angeschmiegt; das ist der 
Typ des schlaffen Herzens.“ 

Es kommt hier also ein "weiterer Faktor für die Beurteilung 
des Hermuskels in Anwendung, die Formveränderung des 
Herzens durch Änderung des Zwerchfellstandes — 

' denn nur durch diesen wird die Herzform bei der Tiefatmung 
verändert 

Zunächst ist es ein Irrtum, anzunehmen, die Herzachse ver¬ 
schiebe sich bei tiefer Atmung parallel zu sich selbst Wenn man 
nachliest, was Jam in und was ich selbst über die respiratorischen 

10 * 


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Gkobdbl 


Herzbewegungen gesagt habe, so wird man finden, daß wir im 
Gegensatz zu Zehbe bei der Atmung, besonders aber bei der Tief¬ 
atmung eine Stellungsändernng der Herzachse beobachtet und auch 
durch Abbildungen bestätigt haben. 

Und das gleiche sehen wir bei Veränderung des Zwerchfell¬ 
standes durch die Körperstellung, bei Untersuchung im Stehen und 
Liegen (Moritz, Dietlen u. &.). Ganz allgemein ist zu sagen, 
daß im Liegen durch das höher tretende Zwerchfell das Herz stets 
breit gedruckt wird — also kann sich sein Längsdurchmesser nicht 
parallel verschieben. Sonach wird es schwer fallen, gerade bei 
Zwerchfellhochstand, einerlei auf welche Weise entstanden, eine 
schlaffe Herzform von einer nur durch den Zwerchfellstand breit 
gedrückten Herzfigur zu unterscheiden, dies um so weniger, wenn 
man gar noch wie C. Plaut ^ vorschlägt, den Magen mit Luft füllt! 

Aber sehen wir von dem Verhalten der Längsachse ganz ab 
und fragen wir nur, ob bei Zwerchfellhochstand die bei normalem 
Zwerchfellstand normale Herzform überhaupt schlaff erscheint; 
wenn ja, bei welchen Fällen dies der Fall ist; ob speziell die bei 
normalem Zwerchfellstand schlaff befundene Herzform bei Zwerch¬ 
fellhochstand sich noch schlaffer darstellt. 

Ich habe einige Monate lang das „Zehbe’sche Phänomen“ 
bei jeder Herz- und Thoraxuntersuchung gesucht Aus druck¬ 
technischen Gründen ist es leider nicht möglich, Beispiele aufzu¬ 
führen. Ich kann nur mitteilen, daß meine Statistik ein ver¬ 
nichtendes Urteil über das Zehbe’sche Phänomen spricht. 

Das Zehbe’sche Phänomen fällt auch bei gesundem Herzmuskel 
positiv, auch bei krankem Herzen negativ aus; es steht jedenfalls 
graduell in gar keiner Relation zum Herzzustand, ist außerdem 
technisch oft nicht zu kontrollieren. 

Wie man sich die exspiratorische „Erschlaffung“ des pulsieren¬ 
den Herzens eigentlich beim asthenischen Herzen vorzustellen hat, 
also bei einem nicht dilatierten Herz, einem nicht degenerierten 
Muskel, das ist mir unklar. Ich muß feststellen, daß gerade so wie 
vor Jahren die Volumschwankungen, so in letzter Zeit die Form- 
schwankungen des Herzens überschätzt worden sind. 

TJnd wenn man einmal die respiratorischen, individuell so weohsel- 
reicben Zwerchfellbewegungen studiert hat, dann wird man verstehen, daß 
das Zehbe’sche Phänomen auch technisch sehr schwer nacbznprüfen ist. 
Gerade bei Asthenie des Herzens, bei wirklioh labiler Zirkulation, wird 

1) Plaut, C., Über schlaffe Herzen im Röntgenbild, zugleich eiu Beitrag 
zur Beurteilung des Zehbe’schen Phänomens. Fortschr. Bd. XXVI, H. 1, 1918. 


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Was leistet das Röntgenverfahren ftlr die Fonktionsprüfong des Henens ? 149 

man eine geringe Zwercbfellexkursion sehen, oft eine an Atemsperre 
grenaende respiratorische Bähe. Der Astheniker ist ja bekanntlich ein 
sehlechter Atemkünstler und trotz aller Mühe erreicht man oft keine aus* 
giebige Atemexkursion des Zwerchfells. Wie soll da aber in solohen 
Fällen — und sie sind die wichtigsten — das Phänomen beobachtet 
werden? 

Aber man stelle dann einen Menschen vor den Schirm, der es ver¬ 
steht, Bein Herz abdominal zu massieren, d. h. exspiratorisch durch Be¬ 
tätigung der ßauchpresse das Zwerchfell hoch zu schrauben. Man wird 
erstaunt sein, wie das Herz quer gelagert, breit gepreßt, deformiert 
wird. Vor Jahren zog ein Mann von Klinik zu Klinik, der das in be¬ 
sonders hohem Maße fertig brachte und sich überall bestaunen ließ. Kr 
konnte auch eine Bradykardie künstlich hervorrufen — doch wohl nur 
mit der Bauchpresse. Und so möchte ich folgern, daß bei Asthenie 
kombiniert mit Vagotonie, wie wir sie im Kriege häufig sahen, Yago- 
tonie und Zehbe’sches Phänomen auf der gleichen Ursache beruhen, näm¬ 
lich auf anormaler Beteiligung der Bauchpresse bei der Atmung, auf 
Überwiegen der abdominalen Atmung gegenüber der thorakalen. 

Ich konnte jedenfalls aus Beobachtungen über den Einfluß 
des Zwerchfellstandes auf die Herzform keinen Gewinn ziehen für 
die Diagnose der Herzdilatation oder gar der Herzschlappheit 
(Asthenie). Eher noch ließ sich erwarten, und scheint aus meiner 
Zusammenstellung hervorzugehen, daß sich geringe Grade einer 
Herzhypertrophie an der respiratorischen „Unbeeinflußbarkeit“ der 
Herzform und -läge erkennen lassen, was für starke Hypertrophien 
bezüglich des Lagewechsels schon berichtet wurde (Dietlen, 
Groedel). 

Wichtiger und aussichtsreicher wäre die Beobachtung des 
Verhaltens des Herzens bei dosierter Arbeit Wir 
nehmen heute an (Moritz), daß eine übermäßig große Arbeits¬ 
leistung bei gesundem Herzen eine anfängliche Verkleinerung mit 
nachfolgender geringer Vergrößerung und schnellem Rückgang zur 
Norm bewirkt Beim muskelschwachen Herzen läßt sich dagegen 
vermuten, daß sofort eine Dilatation auftritt, die unter Umständen 
auch bestehen bleibt 

Aber abgesehen von der Geringfügigkeit derartiger Größen¬ 
schwankungen sind sie auch nicht eindeutig und nicht sicher 
genug erwiesen, als daß wir sie funktionell-diagnostisch ver¬ 
werten könnten. 

Wir kommen hier nun zu einem anderen für die Funktions- 
beurteilnng wichtigen Faktor: der Herzgröße selbst Es ist 
klar, daß die Herzgröße, soweit sie nicht durch Hypertrophie ver¬ 
ändert ist, uns einen Anhaltspunkt für die Beurteilung der Herz- 


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Gbobdkl 


funktion gibt Denn ein beträchtlich vergrößertes Herz, das ja in 
jedem Falle einen veränderten, weniger leistungsfähigen Muskel 
besitzen muß, muß ja schon einmal, oder auch öfters, den ge¬ 
stellten Ansprüchen nicht mehr genügt haben. Je größer also 
das Herz ist, um so weniger gut werden wir es bewerten. Aber 
es gibt wichtige Ausnahmen! Bei reiner Mitralstenose z. B. sehen 
wir jahrzehntelang keine Vergrößerung und ganz plötzlich tritt 
trotzdem eine schwere Insufficienz auf. Und wie oft sehen wir bei 
normal großem oder doch nur wenig übernormal großem Herzen 
plötzlich ein Lungenödem einsetzen oder periodisch kleine Anfälle 
von Lungenödem auftreten? 

Hier ist dann das „kleine Herz“ zu nennen. Man braucht 
wirklich die Herzmessung nicht zu überwerten, wenn man sagt, 
daß das de facto unternormal große Herz auch weniger leistungs¬ 
fähig ist und sein muß wie das normale Herz. Freilich muß 
man richtig messen und richtig auswerten. Und ferner darf man 
„Leistungsfähigkeit“ hier nicht in dem Sinne der momentanen 
Sufficienz, sondern im Sinne der Belastungsfähigkeit an wenden. 
Ein derartiges hypoplastisches, asthenisches Herz kann dank der 
feinen Regulationsmechanismen des Kreislaufs lange Zeit relativ 
große Gesamtarbeitsleistungen aufweisen, aber unerwartet plötz¬ 
lich wird sich die „Insufficienz“ einstellen. 

Schließlich ist hier noch anzufübren, daß deutliche Größen- 
veränderungen, die im Verlaufe längerer Beobachtungsinter¬ 
valle auftreten, meist ein sehr schlechtes Omen sind. Der kritisch 
beobachtende Herzspezialist weiß, daß sich das Herz durchaus nicht 
so gummiartig und nach Belieben ausdehnt und znsammenzieht, wie 
zeitweise von einzelnen Autoren angenommen wurde. Tritt also 
eine merkliche Herzgrößenveränderung bei einem Patienten ein, 
dann ist dies ein alarmierendes Signal. 

Hiermit wären die am Herzen direkt zu beobachtenden 
Faktoren, aus denen sich die Herzfunktion beurteilen läßt, be¬ 
schrieben und kritisiert 

Es bleibt noch der indirekte Beweis zu besprechen, der 
Nachweis, daß das Herz den Ansprüchen nicht mehr genügt, daß 
es zu Stauungen kommt, von denen uns hier natürlich nur die 
pulmonalen interessieren — also jene Erscheinung, die wir zu den 
Kompensationsstörungen rechnen. 

Während die bisher erörterten Symptome (Pulsationsform, 
Silhouettenform, Einfluß der Atmung, der Körperlage, kurz des 
Zwerchfellstandes auf die Silhouettenform, Herzgröße, Herzgrößen- 


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Was leistet das Röntgenverfahren für die Fonktionsprüfong des Herzens? 151 

Änderung bei Herzbelastung und ohne solche), die als direkte zu 
bezeichnen sind und wie wir sahen diagnostisch relativ wenig er¬ 
giebig sind, uns hauptsächlich über den Zustand, die Kraft, die 
vermutliche Belastungsfähigkeit des Herzmuskels orientieren können, 
sagen uns die indirekten Symptome — die Erscheinungen der Herz- 
insufficienz —, daß das Herz den Ansprüchen des Körpers nicht 
mehr oder im Augenblick nicht nachkommen kann, daß gefor¬ 
derte Leistung und Leistungsfähigkeit in einem 
Mißverhältnis stehen, wobei natürlich noch die Frage offen 
bleibt, ob die Forderung oder die Leistung anormal ist 

Unter Inkompensation nnd Dekompensation resp. Insufficienz des 
Herzens, besonders bei Herzfehlern, verstehen wir also einen Zustand mangel¬ 
hafter Leistungsfähigkeit des Herzens, ein Mißverhältnis zwischen ge¬ 
forderter nnd geleisteter Herzarbeit. 

Die nachweisbaren Folgen sind, neben subjektiven Erscheinungen: 
Dilatation des Herzens, Arhythmie und Stauungen. Ursache und Folge 
and dabei oft schwer zu unterscheiden. Erhöhter Widerstand im kleinen 
Kreislauf kann z. B. zum Versagen der Herzkraft führen; umgekehrt 
hat aber auch mangelhafte Herzarbeit Stauung in der Lunge — ver¬ 
schlechterte und erschwerte Zirkulationsverhältnisse — zur Folge. Eben¬ 
so mag erhöhter, speziell peripherer Widerstand im großen Kreislauf 
das Kreislaufgleichgewicht stören; andererseits entstehen aber bei nach- 
lassender Herzkraft Stauungssymptome im großen Kreislauf, deren be¬ 
kanntestes der Hydrops in seinen verschiedenen Formen ist. 

Einerlei, ob wir die Stase als Folge oder als auslösendes 
Moment der Herzinsufficienz betrachten, stellt sie ein höchst 
ominöses Symptom bei Herzkranken dar. Die frühzeitige Er¬ 
kennung eines derartigen Symptoms ist selbstverständlich praktisch 
sehr wichtig. 

Während nun in manchen Gefäßgebieten Stauungen sehr leicht 
zu erkennen, vom Arzt und Patienten kaum zu übersehen sind, 
bietet ihre rechtzeitige Feststellung in anderen Bezirken große 
Schwierigkeiten. 

Zu letzteren gehört vor allem die Stase im kleinen Kreislauf. 
Bekannt ist ja der Stauungshusten, der braungefärbte Auswurf 
(Herzfehlerzellen) und der Hydrothorax des Herzkranken. Aber 
schon bevor es zu diesen bedrohlichen Symptomen kommt, läßt 
das Thoraxröntgenbild die Lungenstauung erkennen und alarmiert 
den wachsamen Untersucher. 

Das Lungenbild bei dekompensiertem Herzen habe 
ich wohl als erster beschrieben 1 ) und auf die Stauungser- 

1) Groedel, Röntgendiagnostik der Herz- and Gefäßerkrankungen. 
H. Meußer, Berlin 1912. 


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152 


ÖBOKDBL 


scheinungen in der Lange and an der Pulmonalis 
aufmerksam gemacht. „In vielen Fällen finden wir — abgesehen 
von leichtem Hastenreiz — oft keinerlei klinische Zeichen einer 
Dekompensation, während wir bei der Durchleuchtung die Lungen¬ 
zeichnung vollkommen verwaschen, die Lungen verdunkelt, die 
Pulmonalis ausgedehnt sehen“, ein Zustand, der auf Digitalis oft 
sofort verschwindet. 

Aber in vielen Fällen sind die Erscheinungen anfangs nicht 
so hochgradig. Meist sehen wir als Beginn der Lungenstase nur 
eine Verstärkung der Hiluszeichnung. 

Was ist das anatomische Substrat der Hiluszeic hnung? 
Aßmann hat iü jüngster Zeit diese Frage wieder angeschnitten und 
— wie mir deucht — einseitig beleuchtet. Ich habe von jeher den 
Standpunkt vertreten, daß jedes am Aufbau der Lunge beteiligte Ge¬ 
webe auch am Zustandekommen der Lungenzeichnung beteiligt sei. Die 
mancherorts gefallene Behauptung,* die Bronchien lieferten die Hauptbau¬ 
steine, ist natürlich nicht haltbar. Aber ebensowenig ist meiner Ansicht 
nach stichhaltig, was Aß mann zur Begründung der Hypothese, die 
Blutgefäße lieferten das Lungenzeichnungssubstrat, sagt. Wenn er von 
der gegenseitigen Verlaufsanordnung von Gefäßen und Bronchien spricht, 
so denkt er immer an den Medianschnitt des Thorax und vernachlässigt 
ganz die baumkronenartige Verzweigung und Verbreitung des Bronchial¬ 
baumes. 

Auf dem Thoraxphotogramm eines gesunden Menschen sehen wir 
die Hiluszeichnung nicht einfach reiserartig peripherwärts streben. Wir 
sehen knorrige sehr kurze sich schnell verjüngende Schatten, die teil¬ 
weise fast vollkommen verschwinden, wieder erscheinen, wieder ver¬ 
schwinden usw. Diese knorrigen und knolligen Stellen, die nach schatten- 
freiem Intervall wieder erscheinenden Stränge, das alles sind vielleicht 
zu einem beträchtlichen Teil Gefaßschatten. Aber sioher nicht allein. 
Je mehr wir uns der Lungenwurzel von der Peripherie aus nähern, um 
so mehr Bronchien und Gefäße konfluieren. So werden die einzelnen 
Schattenbildner wohl mächtiger, in der Hauptsache wächst aber die 
Kreuzungs- resp. Summationsmöglichkeit mehrerer parallel, sich kreuzend 
oder senkrecht zueinander verlaufenden Gefäße und Bronchien, auch 
häufen sich die Bronchialdrüsen. In den so entstehenden Schatten sieht 
man allerdings die größten Bronchialzweige noch als doppelkonturierte 
Schattenaussparungen. Bald aber hört das darstellbare Lumen auf, es 
werfen nur noch die Wände — besonders die tangential getroffenen 
Bronchienteile — Schatten. Daß diese Schattenaussparung die den 
Hilus8cbatten vom Herzen trennende helle Zone erzeugen soll, ist ein 
mir unerklärlicher Irrtum Aß mann’s. 

Man betrachte sich gute Brustkorbaufnabmen, möglichst mit der 
Einschlagtecbnik hergestellt — bei sorgfältiger Beobachtung sieht man 
den unteren Hauptbronchus bald durch den Hilusschatten genau zentral 
hindurch, bald'über das Herz, bald neben dem Herz verlaufen. Be¬ 
sonders charakteristisch ist ein von Weinberger im XXII. Band der 


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Was leistet das ßöntgenverfahren für die Funktiousprüfung des Herzens? 15S 

Fortschritte veröffentlichtes Bild — einer jener recht zahlreichen Fälle 
von Übertritt einer Kontrastäofschwemmnng in den Bronchialbaum. Man 
rieht dort den Kontrastschatten als tiefdunklen zentralen Kanal durch 
den etwas vergrößerten Hilosschatten verlaufen, rechts und links von 
einem lichteren Schatten überragt. 

Auf Leichenversuche will ich nicht eingehen. Nur verweisen will 
ich noch auf die Veränderungen des Hilusschattens unter verschiedenen 
pathologischen Umständen. 

Bei Lungenerkrankungen, speziell bei beginnender Lungenphthise 
sehen wir die Hiluszeichnung im ganzen verstärkt, aber vor allem weiter 
in die Lunge hinein verfolgbar. Bei Hilustuberkulose wird wohl durch 
die mächtigen Drüsenpakete der Hilusschatten knollig verstärkt. In allen 
anderen Fällen nimmt aber die Hilusschattenverstärkung mehr in der 
Lüge als in der Breite der einzelnen Schatten zu. Die freie Zone 
neben dem Herzen bleibt lange hell. 

Wie bei der Hilustuberkulose, so sehen wir auch bei Leukämie, bei 
Bronchitis usw. den Hilusschatten knollig verstärkt, eben durch die 
Summation der Drüsenschatten. Die helle Zone neben dem Herzen wird 
bald vollkommen überlagert. 

Bei kardialer Stauung endlich sehen wir eine wieder mehr 
knollige oder besser gesagt fleckige, jedenfalls anfangs nur die 
Lnngenwurzel betreffende Verstärkung der Lungenzeicbnung und 
Verschwinden der hellen Zone neben dem Herzen. Die übrige 
Lungenzeichnung bleibt zunächst unbeeinflußt. 

Es ließe sich hier noch manches Interessante zu der Frage 
anführen. Wir wollen aber nicht von unserem Thema abweichen. 

Jedenfalls ist die knollige, fleckige Verstärkung des Lungen¬ 
wurzelschattens (ob pulsierend oder nicht ist Nebensache, denn 
jede Drüse kann reitende Pulsationen ausführen) ein Frühsymptom 
der Herzinsufficienz, gleichzeitige allgemeine Lungenverdunkelung 
das Zeichen schwerer Stauung im kleinen Kreislauf. 

Unsere Besprechung ergibt sonach: Bei hochgradiger Muskel- 
degeneration sehen wir einen schlappen Aktionstypus. Die Pulsations¬ 
breite des Herzröntgenbildes läßt keinen Schluß auf Tonusvarietäten 
zu. Die schlaffe Silhouetten form (verstrichene Randbogen) finden 
wir bei Myodegeneratio. Dagegen lassen 6ich feinere diagnostische 
Differenzierungen auf Grund der Formstudien nicht vornehmen. 
Speziell hat die schlaffe Herzform nichts Beweisendes für My¬ 
asthenie, Neurasthenie, Hypoplasie usw. Die stärksten Grade der 
(beutelförmigen) schlaffen Herzsilhouette sehen wir bei Dilatatio 
cordis, die schärfste Randzeichnung bei Hypertrophia cordis. Als 
frühzeitig feststellbares Röntgensymptom der Herzinsufficienz ist 
nur die Beschattung der Hilusgegend im Röntgenbild zu nennen. 


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Aus der HL medizin. Universitätsklinik in Budapest. 

(Direktor: Prof. Baron A. v. Kor&nyi.) 

Der Beststickstoff im menschlichen ßlnt nnd Gewebe bei 

Nierenerkranknngen. 

Von 

Dr. Irene Bar&t und Dr. G^za Hetänyi. 

Einen Einblick in die Stoffwechselvorgänge bei den diffusen 
hämatogenen Nierenkrankheiten zu gewinnen, gehört wohl zu den 
schwierigsten Aufgaben der menschlichen Pathologie. Durch die 
Kontrolle der eingeführten Nahrung und durch Analyse der in den 
Exkreteu erscheinenden Endprodukte des Stoffwechsels sind wir 
zwar zur Aufstellung einer Stoffwechselbilanz befähigt, welche 
Vorgänge sich aber inzwischen im Organismus abspielen, entzog 
sich bis vor kurzer Zeit unserem Einblicke. 

Lange Zeit hindurch war daher die positive oder negative 
N-Bilanz in erster ßeihe maßgebend für die Beurteilung des Zn- 
standes und der Prognose einer Nierenerkrankung. Bald zeigte 
sich jedoch, daß zwischen klinischem Bilde und laboratorischen 
Analysen gar nicht selten ein scharfer Widerspruch besteht So 
beobachtete man bei schwersten Urämien N-Gleichgewicht, oder gar 
negative N-Bilanz. Man flüchtete sich zur Annahme (Ascoli), 
daß der Stoffwechsel der Nierenkranken viel unregelmäßiger als 
der der Gesunden sei, ohne mit der Ursache dieser scheinbaren 
Ungesetzmäßigkeit im klaren zu sein. 

Es war ein Verdienst von v. Koränyi im Blute auf ein neues, 
unschwer zugängliches Feld für die Beurteilung dieser Vorgänge 
hinzuweisen. Er benutzte hierzu die physikalisch-chemischen Unter¬ 
suchungsmethoden und konnte aus Erhöhung der Gefrierpunkts¬ 
erniedrigung auf eine Retention gelöster Moleküle im Blute schließen. 

Durch die Bestimmung des nicht koagulablen Stickstoffgebaltes 
des Blutes, welche Untersuchungsmethode von Strauß eingeföhrt 


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Der Bestetickstoff im menschlichen Blot n. Gewebe bei Nierenerkranknngen. 155 

wurde, — bot sich ein neues Kriterium chemischer Art zur Be¬ 
urteilung eines Krankheitsfalles. Der Reststickstoffgehalt des Blutes 
sagt uns aber auch nichts mehr, als eben das, wieviel RN im Mo¬ 
ment der Blutentnahme im Blute vorhanden ist. Wenn man aber 
in Betracht zieht, aus welchen Quellen diese Stoffe herstammen, 
sieht man, daß diese recht verschiedener Art sind. Ein Teil der¬ 
selben entspricht zweifellos der N-Retention im Blute selbst infolge 
herabgesetzter Nierentätigkeit, ein anderer Teil aber ist sicherlich 
als der Ausdruck des in den Geweben sich abspielenden Eiwei߬ 
abbauprozesses aufzufassen. Drittens mußte die Frage offen ge¬ 
lassen werden, ob nicht ein Teil der im Blute retinierten Schlacken 
in das Gewebe übergeht, was ja nach physiologischen Analogien 
von vornherein als sehr wahrscheinlich erschien. 

In neuerer Zeit wurde die Aufmerksamkeit mehrerer Forscher 
dieser Frage zngewendet Von der älteren Literatur ist bloß die 
Arbeit von Voit aus dem Jahre 1868 zu nennen, der in Tier¬ 
experimenten nachwies, daß der eingeführte Harnstoff sich zuerst 
im Blute ansammelt, nach Sättigung desselben aber auch der Harn¬ 
stoffgehalt der Gewebe mächtig ansteigt. Im Gegensatz hierzu 
fand Rosemann, daß der RN zuerst in den Geweben aufgestapelt 
wird. So erklärt er diejenige Formen der Urämie, in welchen der 
RN-Gehalt des Blutes keine wesentliche Steigerung aufweist. In 
diesen Fällen wird also die Urämie durch Historetention zustande¬ 
gebracht Soetbeer und Schmidt fanden eine gleichzeitige Er¬ 
höhung im Blute und in den Geweben. Auch Monakow kommt 
auf Grund seiner Untersuchungen zu dem Schlüsse, daß in den Ge¬ 
weben die primäre Retention stattfindet, und der RN im Blute erst 
dann anwächst, wenn die Aufnahmefähigkeit der Gewebe bereits 
erschöpft ist Dagegen wird im Falle der Entleerung von Reten¬ 
tionen das Blut später von den Schlacken befreit, als die Gewebe, 
da doch die Entleerung durch das Blut ihren Weg nimmt. Auch 
die interessante Arbeit von Wolf und Gntmann wäre hier zu 
erwähnen, die auch ein klinisches Interesse darbietet Sie unter¬ 
suchten den Einfluß der Aderlässe auf den RN-Gehalt des Blutes, 
und fanden, daß nach einer Venaesektion der RN des Blutes eine 
Steigerung aufweist, obwohl sich dabei der Zustand des Kranken 
wesentlich bessert. Das kann nur durch ein, der Blutentziehung 
folgendes Einströmen aus den Geweben in das Blut erklärt werden, 
wodurch die Gewebe eines Teiles der Schlacken entlastet werden. 

Monakow war der erste der daraufhingewiesen hat, daß 
eine Erhöhung des RN auch ohne exogene Anhäufung möglich ist, 


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156 


Bahat vl Hetänyi 


und zwar in den Fällen, wo sich im Organismus ein übermäßiger 
Eiweißzerfall abspielt, und die Ausscheidung den erhöhten An¬ 
sprüchen nicht nachkommen kann. Man darf also nnr dann auf 
eine N-Retention schließen, wenn ein erhöhter Eiweißzerfall im 
Körper sich nicht abspielt 

Rosenberg untersuchte das Verhältnis der N-Bilanz zum 
Blntreststiekstoff, und ist — wie auch schon Strauß — zu dem 
Ergebnisse gekommen, daß der RN auch bei negativer N-Bilanz 
sich , erhöhen, andererseits bei positiver N-Bilanz abnehmen oder 
normal bleiben kann. Die erste Möglichkeit findet ihre Erklärung 
in dem erhöhten Eiweißzerfall im Körper, oder einer N-Strömung 
in der Richtung Gewebeblut. Zur Erklärung der zweiten Even¬ 
tualität nimmt Rosenberg an, daß die retinierten Eiweißprodukte 
im intermediären Eiweißstoffwechsel wieder verbraucht werden. 

Es sind bereits auch einige Arbeiten erschienen, welche direkt 
in den Geweben den RN bestimmen, Becher teilte solche Unter¬ 
suchungen als erster mit. Zuerst in tierischen, später in mensch¬ 
lichen Organen bestimmte er in mehreren Fällen den RN-Gehalt 
der Gewebe. Es stellte sich heraus, daß der RN-Gehalt der Ge¬ 
webe den Blut-RN immer wesentlich übertrifft. Die Gewebewerte 
bei einer Pneumonie waren niedriger als diejenigen eines Falles 
von Glomerulonephritis, wo auch der Serum-RN bedeutend erhöht 
war. In einem Falle von Nephrose erklärt Becher die gefundenen 
hohen Gewebewerte mit einer vorausgegangenen therapeutischen 
Urea-Einfuhr. 

Rosenberg hat Untersuchungen auch über einzelne Bestand¬ 
teile des Reststickstoffes (so Harnstoff, Indikan, Kreatinin) in den 
Geweben angestellt, ohne aber eine Gesetzmäßigkeit im Verhalten 
dieser Stoffe finden zu können. Mars hall und Davis unter¬ 
suchten den U-Gehalt verschiedener Organe und fanden eine ungefähr 
gleichmäßige Verteilung derselben. Falta untersuchte die Histo- 
retention im Blute selbst, und kam zu dem interessanten Ergeb¬ 
nisse, daß die roten Blutkörperchen bei Urämischen immer RN 
enthalten, während sie bei Nierengesunden keine Spur davon auf- 
weisen. Er ist daher geneigt, die Urämie als eine — nunmehr 
direkt nachweisbare — Vergiftung der Körperzellen mit N-haltigen 
Schlacken aufzufassen. 

Unsere Untersuchungen, die wir noch vor dem Erscheinen der 
Becher’schen Arbeiten im Oktober 1919 begonnen hatten, haben 
wir in folgender Richtung ausgeführt: 


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Der Restetickstoff im menschlieben Blut n. Gewebe bei Nierenerkranknngen. 157 


1. Ist eine Schlackenanhäufung in den Geweben direkt nach¬ 
weisbar? 

2. Welche Formen der Nierenerkranknngen werden durch 
höhere RN-Werte in den Geweben gekennzeichnet? 

3. Gibt es einen Ansgleichprozeß zwischen Blnt und Gewebe, 
wenn ja, in welchem Stadium ist dieser nachweisbar? 

Wir gingen folgendermaßen vor: Der Blutreststickstoff wurde 
in vivo 1—2 Tage ante Exitum, bei Kranken, die unter klinischer 
Beobachtung standen, bestimmt Die Organe entnahmen wir aus 
Leichen, die 8—12 Stunden post exitnm zur Sezierung kamen. 
Zuerst mußte also untersucht werden, ob die Befunde von Rosen- 
berg sowie von Becher, wonach die durch die postmortalen 
Zerfallsprodukte der Gewebe verursachte Erhöhung des Nicht¬ 
proteinstickstoffes vernachlässigt werden kann, wirklich zu Recht 
bestehen. 

Zu diesem Zwecke stellten wir folgende Tierversuche an: Von 
einem Kaninchen, das zu anderen Zwecken geopfert wurde, haben 
wir verschiedene Organe herausgenommen, ihren RN-Gehalt be¬ 
stimmt, und die Organe in einem Becherglase aufgehoben. Nach 
8 und nach 24 Stunden wurden weitere Bestimmungen gemacht. 


Wann untersucht? 

Milz 

Leber 

Muskel 

Niere 

Serum 

sofort 

133 

137 

201 

176 

53 

nach 8 Stunden 

149 

167 

215 

204 

63 

«24 „ 

176 

214 

241 

224 

65 


Wie ans den Tabellen ersichtlich, gibt sich die postmortale 
Autolyse der Organe' durch eine Erhöhung der RN-Werte kund. 
Diese Erhöhung beträgt nach 8-12 Stunden 10—30°/ 0 , nach 
24 Stunden bereits 30 —70% der Originalwerte. In den darauf 
untersuchten Organen fand sich eine ungefähr gleichmäßige Er¬ 
höhung und es ließ sich eine solche auch im Blute nachweisen. 

Sodann untersuchten wir die postmortale Autolyse bei einem 
Kaninchen, an welchem wir experimentell eine Chromnephritis 
hervorriefen. — 20. Jnni 1921. Subkntane Injektion von 0,6 ccm 
15% Kalium chromicum-Lösung. — 21. Juni. Idem. — 22. Juni. 
Idem. — 23. Juni. Kaninchen wird durch Nackenschlag getötet, 
Organe sofort verarbeitet, sodann in der Leiche aufbewahrt. 

24. Juni. Die 24 Stunden lang in der Leiche verbliebenen 
Organe wurden wieder auf ihren RN-Wert untersucht. 


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BabIt u. Hbtänyi 


Wann untersucht? 

Niere 

Herz 

Muskel 

Blutserum 

sofort 

223 

266 

346 

161 

nach 24 Stunden 

262 

322 

320 

286 


Eine Erhöhung des RN-Wertes konnte auch hier beobachtet 
werden. 8ie ist bei den -Geweben eine mäßige, im Blutserum je¬ 
doch eine auffallend starke. Es ist die Möglichkeit nicht von der 
Hand zn weisen, daß bei Niereninsufficienz die Autolyse des Blut¬ 
serums bedeutend größere Grade erreicht, als bei Nierengesunden. 

Unsere Ergebnisse werden durch diese Analysen insofern be¬ 
einflußt, als wir die Organe erst 8—12 Stunden nach dem Exitus 
verarbeiten konnten. Die absoluten Werte des Gewebereststick¬ 
stoffes sind also aller Wahrscheinlichkeit nach um 10—30 °/ 0 nied¬ 
riger. Diese Erhöhung der Gewebewerte muß also in uuseren Er¬ 
gebnissen noch abgerechnet werden, wenn wir sie mit unseren in 
vivo erhaltenen Serumwerten vergleichen wollen. 


Bei den RN-Bestimmungen bedienten wir uns der Bang’scben 
Mikromethode, welche bei einiger Übung, wie wir nns mehrfach 
durch Eontrollbestimmungen mit der auch von Becher benutzten 
Folin’schen Makromethode überzeugt haben, — sehr genaue Resul¬ 
tate gibt, und dabei sehr geringe Mengen Reagentien benötigt. 
Wir haben dünnste Gewebescheiben von einem Gewicht von un¬ 
gefähr 100—120 mg auf das Bang’sche Löschpapier gebracht, und 
deren Gewicht mit der Torsionswage bestimmt Zur Extraktion 
diente die Bang’sche Phosphormolybdennatriumlösung, in welcher 
wir die abgewogenen Gewebsstücke 20 Stunden stehen ließen. 
Das weitere Verarbeiten geschah ebenfalls nach der Bang’schen 
Methode. 

Znr Bearbeitung der ersten Frage mußten wir uns zuerst über 
den Reststickstoffgehalt der Gewebe bei Nierengesunden orientieren, 
ln folgender Tabelle sehen wir die Ergebnisse vier solcher Fälle 
wiedergegeben. Die Zahlen bedeuten in Milligrammen den RN-Wert 
in 100 g Gewebe. 


Krankheit 

Herzmuskel 

Milz 

Leber 

Niere 

1. Typhus abd. 

209 

277 

292 

268 

2. Myokarditis 

205 

195 

172 

199 

3. Anaemia pern. 

109 

106 

099 

099 

4. lnsuff. aortae 

176 

193 

184 

206 

Becher: 

Pneumonie 

263 

232 

225 

204 


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Der Beststickstoff im menschlichen Blut n. Gewebe bei Nierenerkranknngen. 159 


Wenn wir unsere Werte mit denjenigen von Becher ver¬ 
gleichen (Pneumonie), so sehen wir, daß Fall 3 sehr niedrige, 
* Fall 2 und 4 den Becher ’schen fast gleichkommende und Fall 1 
etwas höhere Werte lieferten. Letzteres kann zwanglos auf einen 
toxischen Eiweißzerfall zurfickgefährt werden. (Abdominaltyphus!) 
Die Verteilung unter den Organen ist eine ziemlich gleichmäßige, 
und man kann als Mittelwert ungefähr den Wert von 0,19°/» 
(0,175—0,205) ansehen, während der RN-Gehalt des Blutes sich 
normalerweise zwischen 0,02 % und 0,05% bewegt. Wir finden 
also, daß in den Geweben auch bei Nierengesunden ein höherer 
RN-Gehalt als im Blute nachznweisen ist 

Nun folgen die Fälle der untersuchten Nierenkranken: 

1. Frau I. P., 39 Jahre alt. Diagnose: Glomerulonephritis, Lues. 
Der Tod erfolgte in Uräipie. Im Urin waren 10 % 0 Albuinen, viel 
Erythrocyten und granulierte Zylinder vorhanden. Blutdruck: 110. Keine 
Ödeme. Wa.R.: -f--|—(-. RN des Serums 2 Tage ante mortem 0,168%. 
Bei der Sektion fand sich eine allgemeine Amyloidose und ein Hepar 
lobatnm syphiliticum. Die histologisohe Untersuchung, die wir in jedem 
Falle durchführten, ergab eine amyloide Degeneration der Glomeruli. 

Gewebewerte: 

Serum Leber Herzmuskel Milz Niere Muskel 

168 467 275 287 339 325 

Wir finden also bedeutende Erhöhung der RN-Werte. Es ist 
aber in diesem Falle nicht wahrscheinlich, daß dieser Erhöhung aus¬ 
schließlich die auch histologisch nachgewiesene Läsion der Glome¬ 
ruli zugrunde lag. Es ist vielmehr anzunehmen, daß hier auch 
die Eiweißzerfallsprodukte der Körperzellen eine Rolle spielten, 
indem sie infolge des geschädigten Ausscheidungsvermögens der 
Nieren retiniert wurden. Bei der Kranken konnte während ihrem 
kurzen Verweilen in der Klinik keine N-Bilanz bestimmt werden, 
ihre Ernährung war eine minimale. So müssen wir bei der Be¬ 
urteilung dieses Falles in erster Reihe die endogene Anhäufung 
(Eiweißzerfall) berücksichtigen. 

2. Dr. S. K., 63 Jahre alt. Diagnose: NekroBis renis mercurialis. 
Es entwickelte sich daa bekannte Vergiftungsbild, das nach 2 Wochen 
mit Urämie endete. Während der ganzen Zeit bedeutende Oligurie, im 
Harn 15 % 0 Albumen, im Sediment Zylinder und Erythrocyten. Blut¬ 
druck: 130. Keine Ödeme. RN im Serum 0,264%. Bei der Sektion 
fanden wir in den Nieren ausgesprochene Petrifikation. Im histologischen 
Präparat war vollständige Nekrose des Epithels mit Kalkablagerung za 
sehen. 


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160 


BaBAT U. Hbt6»YI 


Gewebewerte: 

Serum Herzmuskel Milz Leber Niere Muskel 

264 295 292 378 — 279 

Bedeutende Erhöhung sowohl im Blute als in den Geweben, 
die Erhöhung im Blute ist jedoch viel ausgesprochener. Dies ist 
eine Erscheinung, die, wie wir noch sehen werden, für die akuten 
Fälle im allgemeinen zutrifft Zuerst häufen sich die Schlacken 
im Blute an, um erst bei hochgradiger ßetention in die Gewebe 
überzugehen. Der Tod trat in diesem Falle, bevor dieser Aus¬ 
gleichsprozeß vollständig zustande kommen konnte, ein. Speziell 
bei der Sublimätnekrose wäre auch eine Schädigung der Gewebe 
infolge der Vergiftung, die mit einem erhöhten Eiweißzerfall ein- 
herging, in Erwägung zu ziehen. 

3. Frau J. S., 79 Jahre alt. Diagnose: Glomerulonephritis chro¬ 
nica, Uraemia. — Im Urin 1,75 °/ 00 Albumen, im 8ediment einzelne 
granulierte Zylinder. Blutdruck: 205. Ödeme an den unteren Extre¬ 
mitäten. BN im Serum: 0,132 °/ 0 Die Sektion ergab das Bild einer 
chronischen Glomerulonephritis. Histologisch ließ sich neben einer Läsion 
der Glomeruli auch eine degenerative Veränderung an den Tubulär- 
epithelien nachweisen. 

Gewebewerte: 

Serum Herzmuskel Milz Leber Niere Muskel 

132 259 289 254 305 287 

Hier sehen wir einen ähnlichen Fall, wie der vorhergehende, 
nur daß hier der prozentuelle Anstieg in Blut und Geweben bereits 
ein gleichmäßiger wurde. 

4. K. B., 20 Jahre alt. Diagnose: Nephritis subacuta. Der Tod 
erfolgte in rapid einBetzender Urämie. Der klinische Verlauf konnte 
nioht beobachtet werden, ebenso unterblieb aus äußeren Gründen eine 
Bestimmung des 8erum-RN. 

Gewebewerte: 

Serum Herzmuskel Milz Leber Niere Muskel 

? 217 233 219 212 206 

Also eine sehr geringgradige Erhöhung der Gewebewerte, trotz 
Niereninsufficienz. Unseren bisherigen Besultaten nach mußten wir 
hier eine Steigerung des BN im Blute supponieren. 

5. M. K., 27 Jahre alt. Diagnose: Glomerulonephritis aouta. 
Exitus in Urämie, trotz beiderseitiger Dekapsulation der Nieren. Im 
Urin 9 °/ 0 Albumen, im Sediment reichlich granulierte Zylinder and 
Erythrocyten. Blutdruck 180. Generalisiertes Ödem. BN im Seram 
Tor dem chirurgischen Eingriff, 0,162 °/ 0 . Wegen der drohenden Anurie 
Dekapsulation, die zu einer zweitägigen scheinbaren Besserung führte, 
dann aber in einer Urämie rasch endete. 


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Der BeststickstofF im menschlichen Blnt tL Gewebe bei Nierenerkranknngen. 101 

Gewebewerte: 

Seram Herzmuskel Milz Leber Niere Muskel 

162 377 398 424 400 367 

(3 Tage früher). 

Die Nephritis trat hier nach einer Tonsillitis anf, die mit 
hohem Fieber einherging. Die hohen absoluten Werte sind daher 
teilweise zweifellos einem gesteigerten Eiweidzerfall, also einer 
endogenen Schlackenanhäufung zuzuschreiben. 

■ 6. A. R., 26 Jahre alt. Diagnose: Nephrosis chronica. Exitus in 
Pneumokokkenperitonitis. Im Urin 10—12 °/ 0 Albumen. Im Sediment 
hyaline Zylinder. Blutdruck 80. Ödemen an den Unterschenkeln, zeit* 
weise tritt auch ein Lidodem auf. Wa.R. -f—f-. Es wurde eine kon* 
genitale Lues angenommen. RN im Serum: 0,020°/ 0 . Sowohl der kli* 
mache, wie auch der pathologisch-anatomische Befund entsprachen voll¬ 
ständig einer chronischen tubulären Nephrose. 

Gewebewerte: 

Serum Herzmuskel Milz Leber Nieren Muskel 

20 338 280 237 286 280 

Das ist unser einziger Fall von reinster Nephrose, welches 
Krankheitsbild auch ziemlich selten zu beobachten ist Wir sehen 
hier neben niedrigem Serumreststickstoff bedeutende Erhöhung in 
den Geweben. Die Erklärung hierfür sehen wir in dem Eiweiß- 
zerfall in den Geweben bei unbehinderter N-Ausführ durch die 
Glomeruli. Dem Eiweißzerfall kann sowohl der in der Ätiologie 
der Nephrose vorhandener degenerativer Faktor, als auch ein 
toxischer Einfluß der Pnenmokokken-Infektion zugrunde liegen. 

7. Ch. Fl, 43jährige Frau. Diagnose: Glomerulonephritis chronioa. 
Wurde in urämischem Zustande nach einer genitalen Totalexstirpation 
eingeliefert. Exitus in 2 Tagen. Im Urin 3,5 °/ 0 Albumen. Blutdruck 180. 
Kein Ödem. RN im Serum : 0,264 °/ 0 . 

Gewebewerte: 

' Serum Herzmuskel Milz .Leber Niere Muskel 
264 354 346 350 315 368 

Hohe absolute Werte mit Prevalieren der RN-Erhöhung im 
Blute, das nach der gesagten der akuten Verschlimmerung des Zu¬ 
standes entspricht. 

Wir wollen noch einige Beispiele für solche Fälle anführen, 
wo der Tod durch kardiale Dekompensation herbeigeführt war. 
Da sehen wir die Erhöhung den normalen Werten parallel zu 
gehen, ohne einen auffallenden Anstieg des Blut-RN aufzuweisen. 

8. M. B., 36 Jahre alt. Diagnose: Glomerulonephritis chronica. 

Vitium cordis. Perikarditis. Tod unter Symptomen einer Her zin su ffi oienz. 
Deutsches Archiv für klin. Medizin 138. Bd. 11 


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162 


BabIt a. Ektänyi 


Im Urin 10 °/ 0 Albumen, im Sediment rote und weiße Blutkörperchen, 
hyaline und granulierte Zylinder. Blutdruck: 155. Allgemeines ödem. 
RN im Serum: 0,095°/ 0 . 

Gewebewerte: 

Serum Herzmuskel Milz Leber Niere Muskel 

95 299 306 309 275 — 

Ein Stadium, in welchem der Ausgleich der RN-Verteilung 
zwischen Blut und Gewebe bereits vollendet war. 

9. Frau J. Sch., 48 Jabre alt. Diagnose: Nepbrosis cbron. Tbrom- 
bosis art. Foasae Sylvii. Der Tod erfolgte durch Herzinsuifioiens. Im 
Urin waren 10—20 °/oo Albumen, im Sediment einzelne rote, viele weiße 
Blutkörperchen. Blutdruck: 100. Allgemeine Ödeme. RN im Serum: 
0,096 °/ 0 . "Wa.R.: -|—|—Bei der Obduktion fanden sich große öde* 
matöse Nieren (nephrotischer Typhus), histologisch konnte aber auch eine 
Schädigung der Glomeruli naohgewiesen werden. 

Gewebewerte: 

Serum Herzmuskel Milz Leber Niere Muskel 

96 234 237 257 207 239 

Eine normale Verteilung im Blut und Gewebe. 

10. J. G., 68 Jahre alt. Diagnose: Nephrosklerosis benigna. Der 
Tod trat infolge einer eardialen Dekompensation ein. Im Urin Albumen 
in Spuren, im Sediment vereinzelte Erythrocyten, einige hyaline Zylinder. 
Blutdruck: 170. Ödeme an den unteren Extremitäten, an Extensität 
immer zunehmend. RN des Serums: 0,068°/ 0 . Fathol. anat. Befund 
(makroskopisch und histologisoh): Primäre Schrumpfhiere. 

Gewebewerte: 

Serum Herzmuskel Milz Leber Niere Muskel 

068 232 201 192 179 265 

Die Werte sind kaum etwas erhöht, die Erhöhung eine mit 
der normalen Verteilung übereinstimmende in Blut und Gewebe. 
Hier ist eben eine lang anhaltende chronische Retention vorhanden, 
während dessen genügend Zeit war zum Ausgleich der retinierten 
Schlacken. 

11. Frau A. R., 50 Jahre alt. Diagnose: Sten. ost. von. sin. Ne* 
phrosklerosis benigna. Der klinische Verlauf untspricht vollständig dem 
sub 10 angeführten. RN im Serum; 0075°/ 0 . 

Gewebewerte: 

Serum Herzmuskel Milz Leber Niere Muskel 

75 209 268 260 226 — 

Ebenfalls eine mäßige, jedoch der normalen Verteilung ent* 
sprechende Erhöhung. 

Zuletzt wollen wir noch über ein Tierexperiment berichten, 
welches wir zu dem Zwecke anstellten, um den Einfluß einer akuten, 


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Original frum 

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Der Reststickstoff im menschlichen Blnt n. Gewebe bei Nierenerkranknngen. 163 

mechanischen Anurie auf den RN-Gehalt des Blntes and der Ge¬ 
webe zn untersuchen. 

Dr. G6za v. Takäcs-Grosz hatte die Liebenswürdigkeit 
die Operation durchzuführen, ln Äthernarkose wurde die rechte 
Niere entfernt, sodann der linke Ureter unterbunden. Letzteres 
geschah ohne Schädigung der Nierengefäße, um die Zirkulation in 
den Nieren nicht zu beeinflussen. 

Der RN-Gehalt betrug in dem, während der Operation ent¬ 
nommenen Blute 0,044%, in der exstirpierten Niere 0,223%. 

Nach drei Tagen, während welcher Zeit der Hund still in 
seinem Käfig saß, Somnolenz zeigte und nur wenig Nahrung zu 
sich nahm, trat der Exitus ein. Sektion sofort nach dem Tode 
ausgeführt. RN im Serum: 0,313%. 

Gewebewerte: 

Leber Herz Niere 

369 346 332 

Ein ähnliches Bild wie im Falle 7. Die immer (auch normaler¬ 
weise) bestehende Differenz zwischen Blut und Gewebewerten wird 
durch stärkste Erhöhung des Blut-RN beinahe ausgeglichen. Dies 
verstärkt uns in der Annahme, daß in akuten Fällen von Reten¬ 
tion zuerst der Blut-RN-Gehalt ansteigt, welcher Anstieg erst 
später zwischen Blut und Gewebe ausgeglichen wird. 

Zusammenfassend läßt sich also folgendes sagen: 

1. Der RN-Gehalt der Gewebe ist auch physiologischer Weise 
höher als derjenige des Blutes. 

2. Die Gewebewerte bei den diffusen hämatogenen Nieren¬ 
erkrankungen zeigen eine deutliche Erhöhung. 

3. Bei akuten Nierenerkrankungen, sowie in akuter Ver¬ 
schlimmerung chronischer Prozesse, übertrifft die prozentuelle Er¬ 
höhung des Blutreststickstoffes diejenige der Gewebe. 

4. Bei der Nephrose, Amyloidose, bei Nephritiden toxischen 
Ursprunges ist infolge des pathologisch gesteigerten Eiweißzerfalles 
die Erhöhung der Gewebewerte größer. 

5. Bei ausgesprochenen chronischen Prozessen, besonders bei 
denjenigen, die zu keiner renalen, sondern zu einer kardialen De¬ 
kompensation führen (benigne Nephrosklerose), ist die prozentuelle 
Erhöhung der Blut- und Gewebewerte — wenn vorhanden — eine 
annähernd gleichmäßige. 

6. Ein Unterschied in der Retentionsfähigkeit der verschie¬ 
denen Organe konnte nicht beobachtet werden. 

n* 


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164 BakIt u. Hbtänyi, Der Beststickstofi im menschlichen Blut ubw. 


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Literatur. 

1. Ascoli, Vorlesungen Ober die Urämie 1903. — 2. Becher, Deutsches 
Arch. f. klin. Med. 128, 129. — 8; Falt», Vortrag auf dem äratl. Fortbildungs¬ 
kurs in Wien 1921. — 4. Fei gl, ßiochem. Zeitschr. 81, 84, 87. — 6. Ders., 
Arch. f. experim. Pathol. 83, 1915. — 6. Marshali u. Davis. Journ. of. Biol. 
Chem. 1914, 18. — 7. Monakow, Deutsches Arcb. t klin. Mea. 115 u. 116. — 
8. Rosenberg, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 86 u. 87 —9. Bosemann, 
Deutsche med. Wochenschr. 1904, Nr. 12 u Pfliiget’s Arch. 72. — 10 Salkowski, 
Zeitschr. f. klin. Med. 17. — 11. Soetbeer, Eongr. f. inn. M«*d. 1909, 26. — 
12. Strauß. Deutsches Arch. f. klin. Med. 106, 1912. — 13. Voit. Zeitschr. f. 
Biologie, 4, 1868. — 14. Wolf u. Gutmann, Deutsches Arch. f. klin. Med. 118. 


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ÜriginE Törn 

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165 


Ans der medizin. Universitätspoliklinik zu Rostock 
(Direktor: Prof. Dr. Hans Curschmann). 

Über den Röckflnß von Pankreassaft in den Magen und 
die Bestimmung der Salzsäoreresistenz des Trypsins. 

Von 

G. Densch und H. Bttrup. 

Durch die bekannten an Hunden vorgenommenen Untersuchungen 
Boldyreffs sind wir über die Bedingungen, unter denen ein Rück¬ 
fluß von Darmsaft in den Magen erfolgt, unterrichtet. Wir wissen 
ferner durch die Arbeiten Volhard’s, Lewinski’s u. a., daß 
auch beim Menschen nach Einführung von Fetten in den Magen 
ein Rückfluß von Duodenalsaft erfolgt, eine Beobachtung, die von 
großer praktischer Bedeutung wurde, da sich auf ihr eine Methode 
zur Gewinnung von Duodenalsaft zum Zwecke der Funktionsprüfung 
des Pankreas auf baut Aber auch ohne diese Maßnahme finden wir 
in dem Erbrochenen oder zur Untersuchung des Magenchemismus 
mit dem Magenschlauch ausgeheberten Mageninhalt nicht selten 
Trypsin oder Galle nnd können daraus auf einen Rückfluß von 
Duodenalsaft schließen. Boldyreff schreibt dem Rückfluß des 
Duodenalsaftes eine große physiologische Bedeutung zu: Der alka¬ 
lische Darmsaft hat die Aufgabe, die Säure des Magensaftes so 
weit zu neutralisieren, bis der für die Pepsinverdauung günstigste 
Säuregrad von 0,15 °/o HCL erreicht ist, den auch gleichzeitig der 
Darm gut verträgt. Es fragt sich nun, wie weit diese durch 
Untersuchungen an Fistelhunden gewonnenen Anschauungen Bol¬ 
dyreffs auch für den Menschen zutreffen. Beim Menschen stehen 
der Klärung dieser Frage ungleich größere Schwierigkeiten ent¬ 
gegen. An Menschen mit Magenfisteln und gleichzeitig normaler 
Magenfunktion werden wir nur in allerseltensten Fällen arbeiten 
können. Bei dem durch Aushebern mit dem Magenschlauch ge¬ 
wonnenen Mageninhalt arbeiten wir mit einer großen Fehlerquelle, 


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166 


DETSCH O. BlBTP 


da durch die mit dem Aashebern verbundenen Würgbewegungen 
an sich schon eine Regurgitation von Duodenalsaft erfolgen kann. 
Neuerdings hat nun 0. Groß an einem Knaben, der wegen völligen 
Verschlusses der Speiseröhre infolge Laugenverätzung durch eine 
Magenfistel ernährt wurde, Untersuchungen über den Rückfluß von 
Duodenalsaft angestellt Als Indikator diente ihm der Nachweis 
des diastatischen Ferments im Mageninhalt Da Mundspeichel* 
diastase in diesem Fall mit Sicherheit auszuschließen war, konnte 
die Diastase nur aus dem Pankreas stammen. Tatsächlich gelang es 
ihm stets, sowohl im nüchternen Mageninhalt als auch nach Auf* 
nähme verschiedener Nahrung Diastase nachzuweisen. 0. Groß 
zieht aus seinen Beobachtungen an diesem Knaben, der keinerlei 
Störungen der Magenfunktion aufwies und dieselben Versuchsbe¬ 
dingungen bot, wie eine Reihe der Magenfistelhunde Boidy- 
reff’s, den mit den Anschauungen Boldyreff’s übereinstim¬ 
menden Schluß, daß es sich bei dem Rückfluß des Duodenalsaftes 
um einen physiologischen Vorgang handele. So wertvoll die Be¬ 
obachtungen von 0. Groß gerade im Hinblick auf die* seltene 
Möglichkeit derartiger Untersuchungen am Menschen sind, so er¬ 
scheint es andererseits doch sehr mißlich, eine Frage von so all¬ 
gemeiner Bedeutung auf Grund von Untersuchungen an einem 
Falle zu entscheiden. Wir haben daher, angeregt durch die Mit¬ 
teilung von 0. Groß, den Versuch unternommen, auf breiterer 
Basis zur Lösung dieser Frage beizutragen. 

Die erste Schwierigkeit war die Gewinnung von Magensaft, 
ohne daß Würg- und Brechbewegungen anftreten. Mit dem Magen¬ 
schlauch erschien das nicht möglich. Wir machten daher einen 
Versuch mit der Ei nhorn’sehen Duodenalsonde, eine Möglich¬ 
keit, die auch 0. Groß in Betracht zieht In der Tat konnten 
wir feststellen, daß mehrere Kollegen und Patienten die Duodenal¬ 
sonde schluckten, ohne daß wir Würgbewegungen sahen. Aach vor 
dem Röntgenschirm überzeugten wir uns hiervon, indem wir nach 
Kontrastfüllung des Magens die Sonde schlucken ließen. Es waren 
keine Würgbewegnngen and antiperistaltische Wellen zu sehen, 
während die Einführung eines Magenschlauches in den zur besseren 
Sichtbarmachung ein weicher, biegsamer, am distalen Ende knopf- 
förmig umgebogener Draht eingelegt war, in den meisten Fällen 
stärkere Würgbewegungen und Antiperistaltik hervorriet Aller¬ 
dings würgten einzelne Patienten auch beim Schlacken der Duo¬ 
denalsonde, aber wir konnten doch auf Grund dieser Vorversuche 
damit rechnen, eine größere Anzahl von Personen zu finden, bei 


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Über den Rückfluß von Pankreassaft in den Magen nsw. 107 

denen eine einwandsfreie Gewinnung von Mageninhalt mit der 
Ein ho rn’schen Sonde möglich wäre. Statt des Boas-Ewald' 
sehen Probefrühstticks, hei dem sich durch Brotbröckel die Sonde 
leicht verstopft* mußten wir allerdings eine Plasmonaufschwemmung 
(15 g Plasmon auf 300 ccm Wasser) geben. 

Als Indikator für den Rückfluß von Duodenalsaft war für 
unsere Versuchsanordnung der Nachweis von Diastase im Magen¬ 
inhalt, dessen sich 0. Groß bediente, nicht brauchbar, da in der 
möglichen Anwesenheit von Mundspeicheldiastase eine nicht zu 
umgehende Fehlerquelle lag. Der Nachweis von Galle kam eben¬ 
falls nicht in Frage, da schon aus den Versuchen Boldyreff’s 
hervorgeht, daß Gallenbestandteile im zurückgeflossenen Darmsaft 
nicht selten fehlen. Wohl aber schien uns das Trypsin ein ge¬ 
eigneter Indikator zu sein, entgegen der Ansicht von 0. Groß, 
der das Trypsin wegen seiner Säureempfindlichkeit für unbrauchbar 
hält. Unsere Annahme der Säurefestigkeit des Trypsins stützte sich 
auf vor einigen Jahren in der hiesigen medizinischen Poliklinik vor¬ 
genommene Untersuchungen von Boenheim und Putensen, die 
in Übereinstimmung mit Ehr mann und Lederer u. a. zu dem 
Ergebnis gekommen waren, daß das Trypsin durch die Salzsäure des 
Mageninhalts nicht angegriffen werde. Nach einer Reihe von Vorver¬ 
suchen gewannen wir jedoch den Eindruck, daß doch eine Beziehung 
zwischen dem Vorkommen des Trypsins im Mageninhalt und dessen 
Säuregrad bestehen müsse und sahen uns daher veranlaßt, zu¬ 
nächst diese Frage einer nochmaligen eingehenden Nachprüfung zu 
unterziehen. Über diese Untersuchungen werden wir im folgenden 
berichten. Sie ergaben, wie gleich vorausgenommen werden soll, 
daß das Trypsin in der Tat nur bis zu einem gewissen Säuregrad 
existieren kann, darüber hinaus aber zerstört wird. Damit mußte 
unser Versuch, die Frage des Rückflusses von Duodenalsaft in den 
Magen mit Hilfe des Trypsinnachweises auf breiter Basis zu unter¬ 
suchen, als gescheitert gelten. Doch erscheint es uns immerhin 
möglich, mit Hilfe unserer Versuchsanordnung wenigstens in solchen 
Fällen, deren Säuregrad unter dem von uns bestimmten Schwellen¬ 
wert bleibt, brauchbare Ergebnisse zu gewinnen. In dieser Richtung 
sollen unsere Versuche fortgesetzt und über sie später berichtet 
werden. 


Die Frage der Beziehungen zwischen dem Vorkommen des 
Trypsins im Mageninhalt und dessen Säuregrad ist in mehrfacher 
Hinsicht von Bedeutung. Ihre Beantwortung ist nicht nur, wie 


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168 


Dbubch q. Böbüp 


bereits erwähnt, entscheidend für die Verwertbarkeit des Trypsin» 
zum Nachweis eines Rückflusses von Duodenalsaft in den Magen. 
Auch die Möglichkeit einer tryptischen Eiweißverdauung im Magen, 
wie sie neuerdings Boenheim bei einigen Fällen von Achylia 
gastrica mit Hilfe der Formoltitrierung in Stadien nach Sörensen 
nachgewiesen hat, ist abhängig von dem Verhalten des Trypsins 
gegenüber der Salzsäure des Magens. Schließlich entscheidet dieses 
über die Verwendbarkeit des Mageninhaltes zur Prüfung der sekre¬ 
torischen Funktion des Pankreas mit Hilfe des Trypsinnachweises. 

In der klinischen Literatur finden wir mehrere Angaben über 
Beziehungen zwischen dem Trypsin und der Acidität des Magen¬ 
saftes, doch stimmen sie durchaus nicht alle überein. Dorner 
konnte in neutralen und wenig sauren Magensäften in der Mehr¬ 
zahl der Fälle Trypsin nachweisen, in superaciden Säften dagegen 
nicht. Ebenso ist nach L e w i n s k i die Nachweisbarkeit des 
Trypsins im wesentlichen von den Magensaftverhältnissen ab¬ 
hängig. Reichlich vorhanden ist es in schwach alkalischen oder 
neutralen Säften, bei saurer Reaktion tritt es zurück, bei stark 
saurer mit reichlicher freier HCl verschwindet es ist jedoch auch in 
solchen Fällen nach vorausgegangener Alkalidarreicbung nachweis¬ 
bar. Bei „Hypersekretion“ (besser Hyperchlorhydrie) fanden auch 
Ehr mann und Lederer meist kein Trypsin im Mageninhalt, 
machen aber dafür nicht die schädigende Wirkung der HCl allein 
verantwortlich. Sie nehmen vielmehr an, daß das Trypsin gegen 
HCl nicht allzu empfindlich ist. Ehren reich, der im allge¬ 
meinen ein Sinken der Trypsinkurve bei ansteigender Sänrekurve 
sah, nimmt gleichwohl an, daß das Ferment nicht durch die HCl 
zerstört werde, weil er in einigen Fällen und auch im Experiment 
sah, daß das Trypsin selbst gegen höbe Säuregrade widerstands¬ 
fähig sei. In gleicher Weise halten, wie erwähnt, Boenheim 
und Putensen das Trypsin für säureresistent und lehnen eine 
Abhängigkeit seines Vorkommens von dem Grade der Acidität ab» 

Abgesehen davon, daß hiernach eine Übereinstimmung keines¬ 
wegs besteht, sind die Angaben der Untersucher, die eine Ab¬ 
hängigkeit vom Säuregrad des Mageninhaltes fanden, insofern 
nicht befriedigend, als nirgends ein Grenzwert ermittelt wurde, 
bis zu dem das Trypsin noch nachweisbar war. Gerade auf diesen 
Punkt richteten wir daher bei unseren Untersuchungen unser 
Augenmerk. 

Wir untersuchten den Mageninhalt von 40 teils Magenge¬ 
sunden, teils -kranken auf ihren Trypsingehalt Der Mageninhalt 


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Über den Rückfluß von Pankreassaft in den Magen naw. 169 

wurde gewonnen durch Anshebern teils mit dem Magenschlauch, 
teils mit der in den Magen eingeführten Einhorn 'sehen Duo¬ 
denalsonde und zwar teils nach Boas-Ewald’schem Probe- 
frühstück, teils nach Darreichung einer Plasmonaufschwemmung. 
Die verschiedene Art der Gewinnung des Saftes sowie die des 
gereichten Probefrühstücks als auch die Art der Magenerkrankung 
können für unser Ziel, das ja lediglich in der Feststellung der 
Beziehungen zwischen Säuregrad und Trypsingehalt besteht, ganz 
außer Betracht bleiben. Freie HCl und Gesamtacidität wurden 
durch Titration mit Dimethylamidoazobenzol bzw. Phenolphtalein 
bestimmt,, der Trypsingehalt nach der Caseinmethode von F u 1 d - 
Groß nach vorausgegangener Neutralisation saurer Mageninhalte. 
Da bei der Neutralisation stark saurer Säfte infolge des Zusetzens 
nicht unerheblicher Mengen von n/, 0 NaOH eine unkontrollierbare 
Verdünnung entsteht, vermieden wir diese Fehlerquelle dadurch, 
daß wir nach Neutralisation den Mageninhalt auf das doppelte 
der vor dieser vorhandenen Menge mit destilliertem Wasser auf¬ 
füllten und nunmehr stets in 1 ccm Flüssigkeit 0,5 ccm reinen 
Mageninhalt hatten. Der so vorbehandelte Mageninhalt wurde in 
absteigenden Mengen in 10 Reagenzgläser eingefüllt, so daß das 
nachfolgende Glas immer die Hälfte des vorhergehenden enthielt, 
und dann die Trypsinbestimmung in der üblichen Weise vorge¬ 
nommen. Das letzte Glas, dessen Inhalt klar blieb, in dem also 
alles Casein verdaut war, wurde als Grenze angenommen und aus 
ihm die Trypsinmenge berechnet. Auf die Menge des Trypsins 
legen wir jedoch kein großes Gewicht, da diese naturgemäß noch 
von anderen Faktoren als dem Säuregrad des Mageninhaltes ab¬ 
hängig sein muß. 

In der Tabelle I sind unsere Ergebnisse zusammengestellt, 
wobei die Fälle nach ihrem Gehalt an freier HCl in aufsteigender 
Reihe geordnet sind. Mit Rücksicht auf die Raumbeschränkung 
sind von mehreren Fällen mit gleichen Werten für freie HCl stets 
nur einzelne aüfgeführt, soweit hinsichtlich des Trypsingehaltes 
kein verschiedenes Verhalten vorlag. 

Aus der Tabelle ist ohne weiteres ersichtlich, daß bei fehlender 
oder nur geringer freier HCl Trypsin fast ausnahmslos nachweisbar 
war, daß aber von einer bestimmten Konzentration der freien HCl 
an das Ferment niemals vorhanden war. Diese Grenze liegt bei 
Fall 29 der Tabelle: bei einer Konzentration von 0,051 °/ 0 freier 
HCl ist noch Trypsin nachzuweisen, von der nächsthöheren ge¬ 
fundenen Konzentration 0,069 °/ 0 an wird es stets zerstört. Die Ge- 


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170 


Dkdsch u. Röhüp 


samtacidität des Mageninhaltes spielt offenbar keine Holle, sondern 
nur der Gehalt an freier HCl. 


Tabelle I. 


Fall 

Nr. 

Freie HCl 

Gesamt- 

acidität 

Trypsingehalt 

ccm 

n/ 10 NaOH 

% 

Grenzglas 

Einheiten 

1 

alka 

isch 


0 

0 

2 




I 

1 

3 

— 87 

0 

43 

II 

4 

4 

— 74 

0 

23 

II 

4 

5 

— 49 

0 

44 

VI 

66 

7 

— 45 

0 

69 

III 

8 

9 

— 36 

0 

25 

III 

8 

10 

— 32 

0 

37 

VI 

66 

11 

— 30 

0 

38 

IV 

16 

14 

— 18 

0 

19 

0 

0 

15 

— 12 

0 

52 

IV 

16 

18 

— 12 

0 

42 

0 

0 

20 

-11 

0 

25 

II 

4 

21 

— 10 

0 

30 

II 

4 

22 

0 

0 

17 

VIII 

250 

24 

8 

0,0292 

38 

II 

4 

25 

9 

0,0329 

48 

II 

4 

28 

10 

00365 

28 

II 

4 


14 

(».0511 

4M 

11 1 

4 

30 

1» 

0.06935 

3M 

0 

o 

31 

23 

ü,083y;> 

59 

0 

0 

32 

26 

0,09125 

73 

0 

0 

33 

26 

0.0949 

56 

0 

0 

34 

27 

0,09855 

54 

0 

0 

35 

36 

0.1314 

76 

0 

0 

36 

50 

0,1825 

88 

0 

0 

38 

60 

0,219 

93 

0 

0 

39 

64 

0,2336 

75 

0 

0 

40 

• 2 

0,2628 

92 

0 

0 


Es könnte allerdings eingewendet werden, daß in den Fällen 
Nr. 30—40 überhaupt kein Trypsin in den Magen gelangt sei. 
Wir konnten zwar in keinem dieser Fälle eine gallige Verfärbung 
des Mageninhaltes nach weisen, aber auch in den trypsinpositiven 
Fällen war das nur ganz vereinzelt möglich. Wir untersuchten 
daher, um den Nachweis zu erbringen, daß die HCl tatsächlich in 
bestimmter Konzentration eine trypsinvernichtende Wirkung zu¬ 
kommt, den Einfluß der HCl auf trypsinhaltigen Mageninhalt in 
vitro. Zunächst konnten wir durch eine Anzahl von Vorversuchen 
feststellen, daß sich der Trypsingehalt des filtrierten und neutra¬ 
lisierten Mageninhalts selbst bei mehrtägigem Stehen bei Zimmer¬ 
temperatur nicht ändert. Nach Zusatz wechselnder Mengen von 


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Über den fiftckiluß von Pranbreassaft in den Magen nsw. 


171 


ii/ 10 HCl zu neutralisiertem trypsinhaltigen Mageninhalt war bei 
Zimmertemperatur selbst bei Konzentration bis 0,31% HCl nach 
2 Stunden das Trypsin unverändert nachweisbar, nach 24 Stunden 
jedoch meist zerstört. 

Wir beschickten nun mehrere Reagenzgläser mit der gleichen 
Menge neutralisierten Mageninhaltes von bekannten Trypsingehalt 
und setzten wechselnde Mengen n/ I0 HCl zu. Dann wurden die 
Röhrchen 1 Stunde lang in ein Wasserbad von 38 0 gesetzt, darauf 
nach rascher Abkühlung und Neutralisation der Trypsingehalt be¬ 
stimmt. Aus der Tabelle II ergibt sich, daß bei einer HCl-Konzen- 
tration von 0,0427 % nach 1 stündiger Einwirkung noch Trypsin 
nachweisbar war, bei einer Konzentration von 0,06% HCl jedoch 
nicht mehr. Zwischen diesen beiden Zahlen liegt also der Grenz¬ 
wert, bis zu dem das Trypsin in Verdauungstemperatur haltbar 
ist Das Ergebnis unserer Reagenzglasversuche stimmt also sehr 
gut mit dem aus Tabelle I ersichtlichen Grenzwert von 0,051%, 
bei dem wir im ausgeheberten Mageninhalt noch Trypsin fest¬ 
stellen konnten, überein. Es ergibt sich also, daß der 
Grenzwert für die Widerstandsfähigkeit des Tryp¬ 
sins gegen HCl bei Verdauungstemperatur etwa bei 
0,06% HCl liegt Eine Angabe des Heidelberger Physiologen 
Kühne aus dem Jahre 1876, die in der klinischen Literatur nicht 
berücksichtigt ist, und die wir erst nach Abschluß unserer Unter¬ 
suchungen fanden, stimmt mit diesem von uns ermittelten Werte 
völlig überein. Kühne fand bei Verdauungsversuchen in vitro, daß 
eine Konzentration von 0,5 % 0 HCl die Grenze ist, bis zu welcher 
das Trypsin bei Verdauungstemperatur nicht geschädigt wird. 


Tabelle II. 


Magen¬ 

inhalt 

Trypsin¬ 

gehalt 

(Grenzglas) 

Zusatz von 
n/io HCl 
ccm 

HCl-Konzen- 

tration 

% 

Trypsin¬ 
gehalt nach 

1 Stunde 
bei 38° 

C. 

III 

0,1 

0,03285 

+ 



0,2 

0,06085 




0,3 


— 



0,4 


— 

D. 

IV 

0,1 

0,0427 

+ 



0,2 

0,07666 




0,3 


— 



0,4 


— 

E. 

II 

0,1 

0,04318 

+ 



0,2 

0,06085 




0,3 


— 



0,4 


— 


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172 


Dbusch u. Rüriip 


Schließlich sachten wir noch die Zeitdauer za bestimmen, in 
der das Trypsin von Säuregraden, die gerade oberhalb des Grenz* 
wertes liegen, zerstört wird. Wir brachten za diesem Zweck 
mehrere Reagenzgläser mit trypsinhaltigem Mageninhalt von be¬ 
stimmtem HCl-Gehalt in ein Wasserbad von 38°, nahmen sie zu 
verschiedenen Zeiten wieder heraus and bestimmten den Trypsin* 
gehalt. Es haften dieser Versachsanordnung insofern gewisse 
Fehlerquellen an, als uns die Zeit, in der das Gemisch die Tempe¬ 
ratur des Wasserbades annimmt, nicht bekannt war, zumal im 
Winter die Temperatur des Arbeitsraumes stark schwankte. Dar¬ 
aus erklären sich wohl auch die nicht ganz einheitlichen Ergeb¬ 
nisse, die aus Tabelle III ersichtlich sind. Doch ist immerhin 
soviel daraus zu entnehmen, daß bei Säuregraden, die eben hin- 
reichen, um das Trypsin bei Verdauungstemperatur unwirksam za 
machen, die Zerstörung schon nach einigen Minuten erfolgt ist. 


Tabelle III. 


Magen¬ 

inhalt 

Trypsin¬ 

gehalt 

(Grenzglas) 

HCl-Konzen¬ 
tration nach 
Zusatz von 
n'io HCl 

Verweildauer 
im Wasser¬ 
bad von 38 0 
Minuten 

Trypsin¬ 

gehalt 

C. 

III 

0,06085 

! 5 

— 

D. 

IV 

■ 0,0766 

3 

(+) 



0,06085 

o 

15 

+ 




20 


E. 


0,06085 ~ 

3 

— 



0,0476 

3 

+ 




5 



Unsere Untersuchungen ergeben also, daß das Trypsin bei 
fehlender freier Salzsäure und bei einem HCl-Wert bis etwa 
0,06 °/ 0 fast stets nachweisbar ist, daß es bei einer stärkeren HC1- 
Konzentration dagegen im Magen rasch zerstört wird. Wenn wir 
Werte zwischen 20—40 für freie HCl nach Boas-Ewald’schem 
Probefrühstück für unsere Gegend als normal ansehen, was einer 
HCl-Konzentration von 0,07—0,15 °/ 0 entspricht, so ergibt sich dar¬ 
aus, daß in solchen normaciden Mageninhalten das Trypsin gar 
nicht existieren kann, sondern nur bei A- oder Hypochlorhydrie. 
Demgegenüber ist es auffallend, daß Putensen, auf dessen 
Untersuchungen sich auch Boenheim’s Angaben stützen, in 
einer Reihe von Fällen von Hyperchlorbydrie bis zu einem Werte 
für freie HCl von 63 = 0,22995% HCl Trypsin stets nachweisen 


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Über den Rückfluß von Pankrease aft in den Hagen nsw. 173 

konnte nnd zwar ebenfalls nach der Methode yon Fuld-Groß. 
Nun fiel uns anf, daß Putensen hei ausführlicher Beschreibung 
der Methodik von einer Neutralisation des sauren Mageninhaltes 
nichts erwähnt, so daß wir vermuten, daß diese unterlassen wurde, 
und Putensen kein Trypsin sondern Pepsin bestimmt hat Nur 
so erscheint uns der Widerspruch zwischen seinen nnd unseren Re¬ 
sultaten erklärlich. Selbst E h r m a n n und Lederer, nach deren 
Ansicht das Trypsin gegen HCl nicht allzu empfindlich ist, stimmen 
mit uns insoweit fiberein, als sie bei Hyperchlorhydrie meist kein 
Trypsin fanden. Auch das von Boenheim beobachtete gleich¬ 
zeitige Vorkommen von Pepsin und Trypsin spricht keinesfalls ffir 
eine erhebliche HCl-Resistenz des Trypsins. Schittenhelm, der 
schon früher auf das gleichzeitige Vorkommen der beiden Fer¬ 
mente im Mageninhalt hingewiesen hat, fand es nur bei schwach 
saurer Reaktion, und zwar war die peptische Wirkung dieses 
Mageninhaltes gegenüber der tryptischen nur gering. Das stimmt 
mit unseren Beobachtungen völlig fiberein. Wir haben auf Pepsin¬ 
bestimmungen verzichtet, da ohne weiteres angenommen werden 
darf, daß bei Anwesenheit von HCl auch Pepsin vorhanden ist 
Es ergibt sich daraus, daß auch in unseren Fällen von Hypochlor- 
hydrie Trypsin und Pepsin nebeneinander existieren. Daß neben 
der HCl auch dem Pepsin eine trypsinzerstörende Wirkung zu¬ 
komme, wurde schon von Kühne und Baginsky behauptet von 
Fermi und Pernossi dagegen später bestritten. Wir haben 
diese Frage nicht nochmals untersucht es erscheint uns aber 
außer Frage, daß das Trypsin nach seiner Koagulation durch die 
HCl als Eiweißkörper der peptischen Verdauung unterliegt. 

Die Ergebnisse unserer Untersuchungen gestatten uns weiter¬ 
hin einen Schluß auf die Möglichkeit einer tryptischen Verdauung 
im Magen. Es ergibt sich ohne weiteres, daß eine solche nur in 
Fällen von A- oder Hypochlorhydrie möglich ist soweit der HC1- 
Gehalt unter dem ermittelten Grenzwerte bleibt oder wenn die 
HCl-Konzentration im Ablauf des Verdauungsvorganges unter dem 
Grenzwert sinkt. Daß die Verwendbarkeit des Trypsins als In¬ 
dikator eines Rückflusses von Duodenalsaft in den Magen ent¬ 
sprechend seiner leichten Zerstörbarkeit durch HCl eine be¬ 
schränkte ist, wurde bereits eingangs erörtert Was die Ver¬ 
wendbarkeit des nüchtern oder nach einem beliebigen Probefrüh¬ 
stück ausgeheberten Mageninhaltes zur Prüfung der Pankreas¬ 
funktion betrifft, so ergibt sich aus unseren Untersuchungen, daß 
diese Methode nur dann verwertbar ist, wenn der HCl-Gehalt 


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174 Dsusch n. Rübup, Über den Rückfluß von P&nkreaasaft in den Magen mw. 

unterhalb des Grenzwertes von 0,05 % bleibt. Nur dann ist ein 
negativer Ansfall der Trypsinprobe verwertbar, oberhalb dieses 
Wertes dagegen nicht, da infolge der Zerstörung des in den Magen 
gelangten Fermentes dieses nicht nachweisbar ist selbst bei völlig 
intakter Funktion der Bauchspeicheldrüse. 


Literatur. 

1. Baginsky, Jahresberichte der Tierchemie. XIII. 416,1884. — 2. Böen* 
heim, Arch. f. Verdauungskrankheiten XXV, 258, 1919. — 8. Boldyreff, 
Pflüg. Arch. CXXI, 18, 1908. Ergehn, d. Physiol. IX. 119, 1911. — 4. Dorner, 
Deutsches Arch. f. klin. Med. CXVII, 540. — 5. Ehrenreich, Zeitscbr. f. klm. 
Med. LXXV, 231, 1912. — 6. Ehrmann, Deutsche med. Wochenschr. 1906, 

8. 1409. — 7. Ehrmann und Lederer, Berliner klin. Wochenschr. 1906, 
S. 1460. — 8. Fermi n. Pernossi, Zeitschr. i. Hyg. XVIII, 81, 1894.— 

9. Oroß, Deutsches Arcb. f. klin. Med CXXXII, 121, 1920. — 10. Kühne, Ver* 
handl. d. NatmecL Ver. au Heidelberg, Neue Folge I, 119, 1877. — 11. Le* 
winski, Deutsche med. Wochenschr. 1908, Nr.37. — 12. Putensen, Din. 
Rostock 1918. — 13. Schittenhelm, Münchener med. Wochenschr. 1908, S.1469. 
— 14. Volhard, Münchener med. Wochenschr. 1907, S. 403. 


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175 


Ans der medizin. Universitätspoliklinik zu Rostock 
(Direktor: Prof. Hans Cnrschmann). 

Ober die Sernmkonzentration und die Viskosität des 
Blutes bei der Basedowschen Krankheit. 

Von 

Dr. Gustav Deosch, 

Assistenzarzt der Poliklinik. 

Eines der bemerkenswertesten Symptome im Bilde der Base¬ 
dowschen Krankheit ist die Steigerung des Energienmsatzes. Be¬ 
reits im Grundumsatz ist der Sauerstoffverbrauch erhöht und wird 
noch weiter gesteigert durch die dauernde Unruhe der Kranken. 
Die Steigerung der Oxydationsvorgänge macht sich bemerkbar in 
einem vermehrten Eiweiß-, Fett- und Glykogenabbau. Die Base¬ 
dowsche Krankheit ist in dieser wie auch in mannigfacher anderer 
Hinsicht das Gegenbild des Myxödems. Vor kurzem konnte ich 
nachweisen, daß beim Myxödem infolge der verminderten Eiwei߬ 
verbrennung mit dem bereits bekannten Eiweißansatz im Gewebe 
meist eine Erhöhung des Eiweißgehaltes und dementsprechend auch 
der Viskosität des Blutserums einhergeht, die mitunter sehr hohe 
Grade erreicht. Das gegensätzliche Verhalten des Myxödems und 
des M. Basedowii hinsichtlich ihres Eiweißstoffwechsels drängte ohne 
weiteres dazu, dieselben Untersuchungen auch bei der Basedowschen 
Krankheit vorzunehmen. 

Nach Kottmann’s Angabe soll die Viskosität des Blates bei der 
Basedowschen Krankheit vermehrt sein, während Blunsohy in 2 Fällen 
wo physiologisches Verhalten der Blutviskosität fand. Klose gibt anf 
Grand von Untersuchungen von Kaeß in 15 Fällen an, daß die innere 
Ifeibung des Blates innerhalb normaler Grenzen entsprechend dem Hämo¬ 
globingehalt schwankt, dabei jedoch aber eine Neigung zur Verminderung 
seigt Mehr finde ich nicht in der mir zugänglichen Literatur. An¬ 
gaben über die Viskosität und den Eiweißgebalt des Serums fehlen völlig. 

Ich habe in 11 Fällen von Basedowscher Krankheit die Vis¬ 
kosität des Gesamtblutes und des Serums sowie dessen Eiweiß- 


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176 


DBU8CH 


gehalt bestimmt. Die Technik war genau dieselbe wie bei meinen 
analogen Untersuchungen beim :Myxödem. Die Viskosität wurde 
mit dem Heß ’schen Viskosimeter, der Eiweißgehalt des Serums 
mit dem Pul f rieh'sehen Eintauchrefraktometer bestimmt unter 
Beobachtung aller Kautelen. Zur Bestimmung der Viskosität des 
Oesamtblutes benutzte ich aus der Fingerbeere entnommenes Kapillar- 
blut Das Serum wurde durch Zentrifugieren ans ohne Stauung 
entnommenem Venenblut gewonnen. Selbstverständlich wurden in 
allen Fällen der Hämoglobingehalt und das cytologische Verhalten 
des Blutes bestimmt Auf letzteres gehe ich hier nicht näher ein, 
es sei nur darauf hingewiesen, daß die Mehrzahl der Fälle, wie 
aus der Tabelle ersichtlich ist, die von Th. Kochern, a. als typisch 
beschriebene Leukopenie, und fast alle eine Lymphocytose, teil¬ 
weise bis zu hohen Graden, aufweisen. 

Die Ergebnisse meiner Untersuchungen sind in der beigefügten 
Tabelle zusammengefaßt. Die Viskosität des Gesamtblutes 
ist im wesentlichen abhängig von Zahl und Größe der roten Blut¬ 
körperchen und dem Hämoglobingehalt einerseits, andererseits von 
dem Viskositätsgrad des Serums. Die Leukocyten spielen wegen 
ihrer geringen Zahl keine ausschlaggebende Rolle. Diese Ab¬ 
hängigkeitsbeziehungen der Blutviskosität bestätigen sich auch bei 
der Basedow’schen Krankheit. Ihrem Werte nach schwankt sie 
innerhalb normaler Grenzen. In Fällen wie Nr. 7, wo Erythrocyten- 
zahl und Serumviskosität gleichzeitig verändert sind, ist auch der 
Wert für die Blutviskosität niedrig, in anderen wie z. B. Fall 4, 
wo die entsprechenden Größen höhere Werte aufweisen, ist auch 
die innere Reibung des Blutes eine größere. Schließlich können 
sich niedrige Werte für Serum Viskosität und hohe Hämoglobin- 
bzw. Erythrocytenwerte und umgekehrt ausgleichen. Die Blut¬ 
viskosität zeigt also bei der Basedow’schen Krankheit, da sie eine 
durchaus komplexe, von ganz verschiedenen Faktoren abhängige 
Größe ist, ebensowenig ein charakteristisches Verhalten wie beim 
Myxödem. 

Anders verhält es sich dagegen mit der Viskosität des 
Serums. Da der Kohlensäuregehalt des Blutes “ebenso wie der 
Salzgehalt des Serums keinen wesentlichen Einfluß auf sie haben, 
ist sie fast ausschließlich vom Eiweißgehalt des Serums abhängig. 
Naegeli gibt als normale Werte 1,7—2,0 (bezogen auf Aq. dest) 
an. Ich fand in der Norm Schwankungen zwischen 1.6—1,8. Dar¬ 
nach ist, wie sich aus der Tabelle ergibt, in 4 Fällen und zwar 
gerade denjenigen, die mit den größten Stoffwechselstörungen ein- 


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Über die Serumkonzentration nnd die Viskosität des Blntes usw. 177 


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Deatschez Archiv für klin. Medizin. 138. Bd. 


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178 


ÜKU8CH 


hergingen, die Viskosität des Sernms vermindert, und zwar bis ztt 
dem niedrigsten Wert von 1,3 in Fall 5. In den übrigen Fällen 
schwankt der Wert innerhalb der normalen Grenzen, überschreitet 
diese jedoch niemals nach oben. Hier unterscheiden sich auch 
M. Basedowii und Myxödem sehr deutlich. Während bei 
ersterem die Werte für die innere Reibung sich innerhalb der 
Grenzen von 1,3 und 1,8 halten mit einem Durchschnittswert von 
1,63, bewegen sich beim Myxödem, wie ich früher nachwies, die 
entsprechenden Werte zwischen 1,75 und 2,3 mit einem Durch¬ 
schnittswert von 1,94. 

Ganz entsprechend der Viskosität des Serums verhält sich sein 
Lichtbrechungsvermögen, das ja ebenfalls ganz wesentlich durch 
den Eiweißgehalt des Serums bestimmt wird. Normalerweise 
schwankt der refraktometrisch bestimmte Eiweißgehalt des Serams 
nach E. Reiß zwischen 7,0 und 9,0%. In 4 Fällen liegt, wie 
sich aus der Tabelle ersehen läßt, der Wert für die Serumkonzen¬ 
tration unter 7,0 % und ist mit 6,3 % am niedrigsten im Falle 7. 
Diese Fälle sind dieselben, die auch die niedrigsten Werte für die 
Viskosität des Serums aufweisen. In den übrigen Fällen hält sich 
die Serumkonzentration innerhalb der normalen Grenzen, jedoch 
wiederum ohne diese nach oben hin nur annähernd zu erreichen. 
Während beim M. Basedowii nach der Tabelle der Eiweißgehalt 
des Serums zwischen 6,3 und 8,042 % bei einem Durchschnittswert 
von 7,21% schwankt, fand ich früher beim Myxödem Grenz¬ 
werte von 8,0 und 10,41 % und einen Durchschnittswert von 9,13 %. 

Die viskosimetrische und refraktometrische Untersuchung des 
Serums ergeben also übereinstimmend, daß in schweren Fällen 
von Basedow’scher Krankheit mit erheblicherer Abmage¬ 
rung entsprechend der gesteigerten Eiweißverbrennung der Ei¬ 
weißgehalt des Blutserums vermindert ist. In leichteren 
Fällen, bei denen er sich innerhalb normaler Werte hält, besteht 
immer noch ein beträchtlicher Unterschied gegenüber den beim 
Myxödem gefundenen Werten. 

In den Fällen 3, 6 und 7 konnte ich den Einfluß der Therapie 
auf die Serumkonzentration beobachten. In diesen Fällen stieg in 
Fall 3 nach Operation, in den Fällen 6 und 7 nach Röntgen¬ 
bestrahlung der Schilddrüse entsprechend der klinischen Besserung 
die Serumkonzentration erheblich an. Eines besonderen Hinweises 
bedarf noch der Fall 7. Es handelt sich um eine 19jährige' 
Patientin mit komplettem M. Basedowii und Fettleibigkeit Sie 
hatte während der Ausbildung des Basedow in % Jahre 27 Pfund 


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Über die Seramkonzentration and die Viskosität des Blutes usw. 179 


angenommen. Durch Röntgenbestrahlung der Schilddrüse wurde 
sie innerhalb 3 Monaten weitgehend gebessert bei gleichzeitiger 
Gewichtsabnahme von 18 Pfund und beträchtlicher Zunahme der 
Serumkonzentration. Das Zusammentreffen von Fettleibigkeit und 
M. Basedowii ist an sich nicht ganz ungewöhnlich. Basedowkranke 
stammen nach v. Dalmady meist aus zu Fettleibigkeit neigenden 
Familien und sind oft selbst fettleibig gewesen; daß sie es im 
Laufe der Erkrankung erst werden, ist aber doch selten. Be¬ 
merkenswert ist jedoch das ungleichsinnige Verhalten von Gewicht 
und Serumkonzentration, das dafür zu sprechen scheint, daß Eiweiß- 
und Fettstoffwechsel durchaus nicht in gleichem Sinne gestört sein 
müssen. Da keine Ödeme vorhanden waren, liegt kein Grund zur 
Annahme vor, daß die Gewichtsverschiebungen etwa durch Wasser¬ 
retention bzw. Wasserausschwemmung verursacht wurden. 

Die durch den verminderten Eiweißgehalt des Serums in 
schweren Fällen von Basedowscher Krankheit bedingte Herab¬ 
setzung der Viskosität und des Lichtbrechungsvermögens des 
Serums steht in engstem Zusammenhang mit der veränderten Tätig¬ 
keit der Schilddrüse. Tbyreoidinzufuhr bewirkt, wie ich beim 
Myxödem nachgewiesen habe, in gleicherweise eine Herabsetzung 
der erhöhten Viskosität und Eiweißkonzentration des Serums. 
Fr owein untersuchte auf meine Veranlassung die Wirkung des 
Thyreoiditis auf das Blutserum des Gesunden und fand das näm¬ 
liche Verhalten. Weder bei der Basedow’schen Krankheit noch 
bei der Tbyreoidinzufuhr handelt es sich jedoch dabei um eine un¬ 
mittelbare Wirkung auf das Blutserum, sondern die Eiweißabnahme 
im Serum ist eine Folge der allgemeinen Störung des Eiweißstoff¬ 
wechsels, des vermehrten Eiweißabbaues. Als wirksamer Körper 
spielt dabei zweifellos das Jod eine wesentliche Rolle, wenn auch 
in dem angegebenem Sinne nur eine indirekte. Es erscheint das 
besonders bemerkenswert im Hinblick auf die bekannten Unter¬ 
suchungen 0. Müller’s und Inada’s über die Herabsetzung der 
Viskosität des Gesamtblutes durch Zufuhr von Jodalkalien. Der 
Abnahme der inneren Reibung des Gesamtblutes ging dabei die¬ 
jenige des Serums nicht parallel, nahm im Gegenteil mitunter zu, 
so daß die genannten Autoren eine Veränderung der Blutflüssigkeit 
als Ursache der Viskositätsänderung des Blutes ausschließen und 
geneigt sind, Veränderungen der körperlichen Elemente für sie 
verantwortlich zu machen. Wie diese zustande kommen könnten, 
ob durch einen vermehrten Gehalt des Blutes an anorganischen 
oder organischen Jodverbindungen, darüber wissen wir ebensowenig 

12 * 

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Original frarn 

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180 Dkosch, Über die Serumkonzentration und die Viskosität des Blotes usw. 

etwas Sicheres wie über den Jodgehalt des Blutes nnd die Art 
der Jodbindnng bei Jod- oder Tbyreoidinzufuhr oder bei M. Base- 
dowii. Andererseits ist bekannt, daß anorganische Jodsalze bei 
längerer Darreichung in gleicher Weise wie Schilddrüsenpräparate 
Stoffwechselstörungen mit erheblicher Abmagerung hervorrufen 
können. Es handelt sich hier zweifellos um eine sekundäre Wirkung 
des Jods auf dem Wege über die Schilddrüse (H. Meyer). Man 
darf vermuten, daß auch in solchen Fällen der Eiweißgehalt 
des Serums eine Herabsetzung erfährt. Mit Rücksicht auf unsere 
Beobachtungen über das Verhalten der Viskosität und Eiwei߬ 
konzentration des Serums in schweren Fällen von M. Basedowii 
nnd bei Zufnhr von Schilddrüsenpräparaten und in Anbetracht der 
erwähnten bei Zufuhr von Jodkali beobachteten Stoffwechsel¬ 
störungen, erscheinen mir die Ergebnisse 0. Müller’s und Inadas 
einer Nachprüfung wert 

Die praktische Bedeutung der viskosimetrischen oder refrakto- 
metrischen Untersuchung des Blutserums bei der Basedow'schen 
Krankheit liegt darin, daß besonders die letztere Methode nns 
rasch einen annähernden Überblick über das Verhalten des Eiwei߬ 
stoffwechsels gibt. Sie ersetzt bei weitem nicht den exakten Stoff¬ 
wechselversuch, wohl aber ermöglicht sie, grobe Störungen rasch 
und auf einfache Weise aufzudecken, und scheint uns eine objek¬ 
tive Methode mehr zu sein, um Besserungsvorgänge festzustellen. 


Literatur. 

1. Blunschy Zur Lehre von der Viskosität des Blntes. Disa. Zürich 1906 
(cit. n. Klose). — 2. v. Dalmady, Zeitschr. f. phys. n. diät. Ther. 14, 204 (cit. 
n. Bauer, Die konstitutionelle Disposition zu inneren Krankheiten, 2. Anfi n 
1921). — 3. Deusch, Deutsches Arch. f. klin. Med. 1H4, S. 342. — 4. Fro wein, 
Zeitschr. f. d. ges. exp. Patholog. 1921. — 6. H. Klose, Erg. d. inn. Med. u. 
Kinderheilk X, 6, 165. — 6. Kottmann, Zeitschr. f. klin. Med. 71. — 7. Meyer 
u. Oottlieb, Experimentelle Pharmakologie 4. Anfl. 1920. — 8. 0. Müller o. 
R. Inada, Deutsche med. Wochenschr. 1904, 1751. — 9. 0. Naegeli, Blut¬ 
krankheiten und Blutdiagnostik, 3. Anfl. 1919. — 10. E. Reiß, Erg. 3. inn. Med. 
n. Kinderheilk. X, S. 531. 


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181 


Ans der medizin. Klinik Marburg a. L. 

(Direktor: Prof. Schwenkenbecher.) 

Der Einfluß der relatiyen Luftfeuchtigkeit auf die 
unmerkliche Hautwaseerabgabe. 

Von 

Priv.-Doz. Dr. 0. Moog, 

Oberarzt der Klinik. 

Trotz der zahlreichen Arbeiten, die seit Jahrhunderten über 
die unmerkliche Wasserabgabe der Haut verfaßt worden sind, ist 
man bis heute noch nicht zu einer völligen Einigung über das 
Wesen dieses Vorganges gelangt. Es handelt sich hierbei vor¬ 
nehmlich um die Frage, ob die insensible Perspiration in der 
Hauptsache eine Abdunstung von Gewebswasser durch die ge¬ 
samte Oberhaut darstellt oder ob ihr ein Sekretionsprozeß, d. h. 
eine unmerkliche Tätigkeit der Schweißdrüsen zugrunde liegt. Die 
Diskussion über diesen Punkt ist seit der Entdeckung der Schwei߬ 
drüsen durch Malpighi im Gange. 1 2 3 ) Von den neueren Autoren, 
die sich mit diesem Gebiet am eingehendsten beschäftigt haben, 
sindRubner*) und seine Mitarbeiter, ferner v. Willebrand 8 ), 
Schwenkenbecher, 4 ) Loewy und Wechselmann 5 6 * ) und 
Loewy®) zu nennen. Am weitesten auseinander gehen die Auf¬ 
fassungen von Loewy und Wechselmann und Schwenken¬ 
becher. 


1) Eine körne historische Zusammenstellung der verschiedenen Meinungen 
findet sich bei Loewy u. W. Wechselmann, Virchow’s Arch. Bd. 206, 1911. 
Eingehende Lit. s. bei Schwenkenbecher in Erehl-Marchand, Handbach der 
•11g. Pathol. Bd. 2, H: Die patbol. Störungen der Hantsekretion. 

2) Bnbner, Arch. f. Hyg.: Bd. XI n. Bd. XXIX. 

3) v. Willebrand, Skand. Arch. f. Physiol. Bd. XUI, 1902. 

4) Schwenkenbecher, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 79, 1904 und 

XXV. Kongr. f. inn. Med. 1908. 

6) A. Loewy u. W. Wechselmann, a. a. 0. 

6) A. Loewy, Biochem. Zeitschr. 67. Bd., 1914. 


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182 


Moog 


Während die beiden ersten Forscher die unmerkliche Haut- 
wasserabgabe in der Hauptsache als einen Verdunstungsvorgang 
durch die Hornschicht der gesamten Hant ansehen, der yor allem 
von dem Zustande der Haut mit ihrer jeweiligen Gefäßweite be¬ 
stimmt werde, bezeichnet sie Schwenkenbecher vornehmlich 
als eine insensible Schweißsekretion, v. Willebrand nimmt 
einen Kompromißstandpunkt ein. Wenn er auch der Meinung ist, 
daß der größte Teil des Hautwassers durch Diffusion den Körper 
verläßt, so spricht er den Schweißdrüsen hierbei doch nicht jede 
Mitwirkung ab. ßubner hat in seinen grundlegenden, hierher 
gehörigen Arbeiten nachgewiesen, daß die Hautwasserabgabe von 
einer Reihe komplizierter und sich gegenseitig beeinflussender 
Faktoren abhängig ist und er betrachtet die Wasserabgabe durch 
die Haut als eine physiologische Funktion des Organismus, bei der 
die rein physikalischen Momente keineswegs in erster Linie in Be¬ 
tracht kommen. 

Es ist nicht unsere Absicht, schon jetzt in eine Diskussion 
über die vorliegenden Anschauungen einzutreten, sondern wir 
haben uns zunächst lediglich die Aufgabe gestellt, die eine oder 
andere Frage von neuem experimentell zu prüfen. Erst nach Ab¬ 
schluß dieser Untersuchungen sollen die erwähnten Auffassungen, 
so weit das möglich ist, kritisch besprochen werden. 

Zunächst haben wir von neuem festzustellen versucht, ob und 
inwieweit die relative Feuchtigkeit der Außenluft einen Einfluß 
auf die unmerkliche Hautwasserabgabe ausübt. Schon eine ganze 
Reihe älterer Autoren hat sich mit dem Studium dieser Frage be¬ 
schäftigt. Die Mehrzahl von ihnen kam zu dem Schluß, daß der 
Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre ein ausschlaggebender Faktor 
für die insensible Hautwasserabgabe sei, insofern als bei hoher 
relativer Feuchtigkeit weniger und bei trockener Luft mehr Wasser 
ausgeschieden würde. In diesem gegenseitigen Abhängigkeitsver¬ 
hältnis erblickte man einen besonders strikten Beweis für die An¬ 
schauung, daß es sich bei der unmerklichen Wasserabgabe durch 
die Haut um einen rein passiven physikalischen Verdunstungsvor¬ 
gang handele. 

Von den neueren Forschern, die diesem Problem experimentell 
nachgingen, sind v. Willebrand, 1 2 ) Wolpert, 8 ) Rubner und 


1) v. Willebrand, Skand. Arcb. f. Pliysiol. Bd. 13, 1902. 

2) Wolpert, Arch. f. Hyg. Bd. 38, S. 206. 


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Der Einfluß der relativen Luftfeuchtigkeit uaw. 183 

v. Le wasche w *) und Nuttall 8 ) zu nennen, v. Wille¬ 
brand stellte fest, daß mit steigender relativer Feuchtigkeit die 
Hantwasserabgabe abnimmt. Die von ihm gewählten Schwan¬ 
kungen der relativen Feuchtigkeit betragen jedoch nur 15% (von 
40—51 %), eine Differenz, die nach der Anschauung de* meisten 
Untersucher nicht imstande ist, einen nennenswerten Einflnß auf 
die Hautwasserabgabe auszuöben, so daß diesen Versuchen eine 
besondere Beweiskraft nicht eingeränmt werden kann. 

Wolpert, ferner Rubner und v. Lewaschew wiesen 
in zahlreichen Experimenten nach, daß die gesamte nnmerk- 
liche Wasserabgabe (Lunge nnd Haut) umgekehrt proportional 
geht dem jeweiligen Feuchtigkeitsgehalt der Außenlnft. Rubner 
und v. Lewaschew berechneten aus ihren für das gesamte 
Wasser gewonnen Zahlen, die Werte für die von der Haut abge¬ 
gebenen Wassermengen nnd kamen auf diese Weise zu dem Er¬ 
gebnis, daß für das Hautwasser allein dasselbe Abhängigkeits¬ 
verhältnis besteht, wie für das durch Lunge und Haut ansgetretene 
Wasser. Ob dieses Verfahren ohne weiteres zulässig ist, wage ich 
nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Im Gegensatz hierzu konnte 
Natt all, ebenfalls im Rubner’schen Laboratorium, zeigen, daß 
bei Temperaturen von 28,8—29,7° C die bloße Wasserausscheidung 
durch die Haut nicht den von Rubner und v. Lewaschew 
aufgestellten Gesetzen folgt. Nuttall glaubte keinen wesentlichen 
Einfluß der relativen Feuchtigkeit auf die Hautwasserabgabe an- 
nebmen zu dürfen. Auf diese Arbeit werden wir später noch ein¬ 
mal zurückkommen. Denselben Standpunkt nahm Schwenken¬ 
becher 8 ) in dieser Frage ein. Er hat aber' in seiner ent¬ 
sprechenden Arbeit schon djffhals betont, daß der Einfluß der rela¬ 
tiven Feuchtigkeit auf die Hautwasserabgabe, wegen der wider¬ 
sprechenden Meinungen, einer nochmaligen Prüfung bedürfe. Dieser 
Aufgabe habe ich mich unterzogen. 

Methodik: Die Versuche wurden mit dem Schwenkenbecher'schön 
Kesten *) ausgeführt, der andernorts eingehend beschrieben ist. Das Prinzip 
des Apparates besteht darin, daß die Wasserabgabe der Gesamtoberfläche 
des menschlichen Körpers unter Ausschluß des Kopfes bestimmt wird. 
Ke Versuchsperson ruht in halb liegender Stellung auf einer porösen 
Hängematte und trägt um den Hals zur Erzielung eines luftdichten Ab- 


1) Bnbner u. v. Lewaschew, Arch. f. Hyg. Bd. 29, S. 1. 

2) Nuttall, Arch. f. Hyg. Bd. 23, S. 184. 

8) Schwenkenbecher, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 79, S. 39. 
4) Ders., Ebenda S. 56. 


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184 


Mooo 


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Schlusses einen gut anliegenden Gummikragen. Die ausgeschiedenen 
WasBermengen werden mit der Hygrometermethode ermittelt. Zu diesem 
Zwecke sind in dem Ein- nnd Ausstrom der den Kasten passierenden 
Lall je 2 Koppe’sche Haarhygrometer aufgestellt. Mit ihrer Hilfe konnten 
dann unter Benutzung der Wolpert’schen Tabelle J ) die absoluten Werte 
für die Hautwaaserabgabe errechnet werden. Die in den Versuchskasten 
eingeleitete Luft wurde unmittelbar aus dem Zimmer entnommen nnd 
nicht etwa kurz vor Eintritt in den Kasten relativ wasserarm oder wasser¬ 
reich gemacht. Ihr Volumen wird mit einer großen Elster'sehen Gas¬ 
uhr bestimmt. In dem Versuchsraum war durch Zentralheizung and 
durch besonders geschützte Lage bei geringem Feuchtigkeitsgehalt der 
Atmosphäre der Wassergehalt der Zimmerluft verhältnismäßig niedrig. 
Aus den Tabellen geht die jeweilige relative Feuchtigkeit, die während 
des Versuchs in den Zimmer resp. im Kasten herrschte, ohne weiteres 
hervor. Es muß jedoch bemerkt werden, daß die angegebenen Prozent¬ 
zahlen der relativen Feuchtigkeit der Durchschnittsfeuchtigkeit im Kasten 
entsprechen, d. h. daß das Mittel aus den Ein- und Ausstromhygrometer- 
zahlen genommen wurde. 

Es waren zwei Gründe, die uns veranlaßt haben, keine niedrigeren 
Feuchtigkeitsgrade für unsere Experimente zu wählen. Zunächst waren 
es rein technische Gesichtspunkte, hauptsächlich aber lag uns daran, die 
bei unseren klimatologischen Verhältnissen herrschende untere Grenze 
des Wassergehalts der Luft nicht wesentlich zu überschreiten. Eine 
hohe relative Feuchtigkeit wurde dadurch erreicht, daß wir rings herum 
an den Wänden des Zimmers Bettücher aufhängten, die am Abend vor 
jedem Versuch mit Wasser bespritzt wurden. Der Wassergehalt der 
Luft wurde am Vorabend des Versuchstages bis auf nicht ganz 100 °/ # 
gebracht. Im Laufe der Nacht ging die prozentuale Feuchtigkeit bü auf 
den Wert zurück, der in den Tabellen verzeichnet ist. Es erwies sich 
als unzweckmäßig, höhere Grade von Luftfeuchtigkeit zu erzeugen, da 
die Gefahr der Kondensation des Wassers an den Wänden des Kastens 
und des Behältnisses des Ausstrombygrometers bestand. Auch mußte 
verhütet werden, daß die Hygrometer Vferte von über 85 °/ (l anzeigten, 
denn die Genauigkeit der Ablesung ist von dieser Grenze an stark in 
Frage gestellt. Anfangs waren wir gezwungen, als wir diese Gesichts¬ 
punkte noch nicht genügend zu berücksichtigen gelernt hatten, eine 
Beihe von Experimenten als unbrauchbar ^uszuschalten. 

Die Temperatur des Versuchszimmers konnte von einem Tag zum 
andern nicht völlig konstant gehalten werden, weil sie durch die Be¬ 
heizung der Nebenräume zum Teil mit beeinflußt wurde, ferner weil 
durch die künstliche Wasseranreicherung der Luft die Temperatur, in¬ 
folge mehr oder weniger starker Verdunstung zu besonderen Schwan¬ 
kungen veranlaßt wurde. Eine absolute Gleichmäßigkeit der Zimmer¬ 
wärme zu erreichen, lag auch nicht in unserer Absicht, da wir uns von 
vornherein vorgenommen hatten, die Durchschnittswerte von längeren 
Versuchsreihen miteinander zu vergleichen. Wie aus den Tabellen er¬ 
sichtlich, ist es uns für den Durchschnitt gelungen hei einer ungefähr 


1) A. u. H. Wolpert, Die Luft und die Methoden der Hygrometrie. 


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Der Einfluß der relativen Luftfeuchtigkeit usw. 


185 


gleich hohen Temperstar za arbeiten. In Tabelle 1 liegt die Durch- 
sehnittetemperatnr bei hober relativer Feaehtigkeit am 0,5° C höher ab 
die bei niederer Loftfeachtigkeit. Wenn diesem Unterschied auch keine 
io große Bedeutung beigemessen werden kann, so soll er doch nicht 
ganz unerwähnt bleiben. Vielleicht bt es diesem Umstand zazuschreiben, 
daß gerade bei diesem Versuch, der prozentuale Zuwachs der Haut- 
Tuserabgabe, wie später gezeigt wird, besonders groß ausgefallen ist. 
Während des Einzelversaches betragen die Temperaturschwankangen des 
Zimmers bis 1 / s ° C. Für die Zeit des eigentlichen Experimentes war 
also eine genügende Gleichmäßigkeit der Luftwärme gegeben. 

Es wurde gerade die Darcbschnittstemperatur von 25° C gewählt, 
veil sich die Versuchspersonen hierbei am wohlsten fühlten. Jedes Un¬ 
behagen, vor allem durch zu niedrige Temperatur, muß vermieden werden, 
veil besonders hierdurch gar nioht selten größere Schwankungen in der 
Haatwasserabgabe hervorgerufen werden. 

Die Untersuchungen wurden ausnahmslos morgens zwischen 7 und 
10 Uhr ausgeführt. Die Personen betraten 1 / i Stande vor Beginn den 
Saum, um sich zunächst dem Milieu anzupassen. Sie waren sämtlich 
nüchtern und hielten während der Verenchsperiode dauernd Bettruhe 
ein. Der eigentliche Versuch dauerte 1 J / 2 Stunden. Die Ergebnisse 
vurden auf 1 Stunde berechnet. Die Vorventilation erstreckte sich über 
30 Minuten. Bei allen Versuchen betrug die Ventilationsgröße im Durch¬ 
schnitt ziemlich genau 6 cbm pro Stunde. Es kamen vereinzelt Schwan¬ 
kungen vor, die zwischen 5,7 und 6,1 cbm lagen. 

Die Ergebnisse unserer Untersuchungen gehen ziemlich ein¬ 
deutig aus den 3 mitgeteilten Tabellen hervor. Die Einzel ver¬ 
suche sind schon wegen der nicht völlig gleich hohen Temperatur 
nicht ohne weiteres miteinander vergleichbar, auch ist bekannt, 
daß bei ein und derselben Person die Wasserabgabe durch die 
Haut an verschiedenen Tagen bei derselben Temperaturhöhe dif¬ 
ferent gefunden werden kann. Vor allen Dingen spielt dabei das 
körperliche und psychische Befinden eine bedeutende Rolle, eine 
Erfahrung, auf die schon Schwenkenbecher in seinen Arbeiten 
mehrfach hingewiesen hat und die hier noch einmal ausdrücklich be¬ 
tont werden soll. Aus diesen Gründen haben wir Durchschnittswerte 
zueinander in Parallele gesetzt. In allen Fällen kommt zum Aus¬ 
druck, dafi bei hoher relativer Feuchtigkeit, die unmerkliche Wasser¬ 
abgabe durch die Haut vermehrt ist. Die Differenzen der in den 
Tabellen mitgeteilten absoluten Werte betragen etwa 5 g pro 
Stunde. Bei 2 weiteren Individuen — die Protokolle sind zwecks 
Baumersparnis nicht aufgeführt — ergaben sich Unterschiede von 

und 8 g. Auf den ersten Blick mögen diese Zahlen ziemlich 
klein erscheinen, bei der prozentualen Berechnung jedoch erweisen 
sie sich als teils recht bedeutend, und zwar erhält man fortlaufend 


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ItOOG 


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die Prozentzahlen von 82,9, 26, 22,6, 14,3 und 24. Es handelt sich 
also um Schwankungen, die sich zwischen 14 und 33°/ 0 bewegen. 
Da die zu den Experimenten verwandten Personen in jeder Be¬ 
ziehung körperlich voneinander verschieden waren, ist es nicht 
verwunderlich, wenn die prozentuale Steigerung der unmerklichen 
Wasserabgabe bei hoher relativer Feuchtigkeit bei den einzelnen 
Individuen ungleich ausgefallen ist. 


Tabelle 1. 

Maria K., 32 J. alt, 58,3 kg. Leichte multiple Sklerose. Nüchtern, Hemd. 


Durch¬ 

schnittliche 

Kasten- 

temp. 

Durch¬ 
schnittliche 
relative 
Feuchtigkeit 
im Kasten 

Hautwasser 
pro Stunde 
in g 

Durch¬ 

schnittliche 

Kasten- 

temp. 

Durch¬ 
schnittliche 
relative 
Feuchtigkeit 
im Kasten 

Hautwasser 
pro Stunde 
in g 

C 

in °/ 0 

C 

in % 1 

24,8 

27 

14 

26.0 

71 

23 

25,6 

31 

14 

26,0 

66 1 

22 

26.7 

28 

20 

26,1 

58 

22 

25,3 

31 

14 

25,2 

71 

17 

23.6 

23 

16 

24,5 

62 

22 

23,5 

25 

15 

24,7 

74 

18 

Gesamt¬ 

Gesamt¬ 

Gesamt- 

Gesamt¬ 

Gesamt- 

Gesamt- 

durchschnitt 

durchschnitt 
der relativen 

dnrchachnitt 
des Haut- 

durchschnitt 

durchschnitt 
der relativen 

durchschnitt 
des Hant- 

der Temp. 

Feuchtigkeit 
in °/ 0 

wasaers 

der Temp. 

Feuchtigkeit 

wassers 

pro Stunde 

26,2 

in % 

pro Stande 

24,7 

27,5 

15,5 

67 

20,6 


Tabelle 2. 

Johann K., 22 J. alt, 48 kg. Abgelaufene Bronchitis. Nüchtern, Hemd. 


Durch¬ 

schnittliche 

Kasten- 

temp. 

l)urt*h- 

scbnittliche 

relative 

Feuchtigkeit 

Gautwasser 
pro Stunde 

im Kasten 

in g 

C 

in °/ 0 

26,6 

35 

30 

27,0 

33 

19 

25,4 

36 

20 

24,1 

27 

14 

25,6 

29 

18 

Gesamt¬ 

Gesamt¬ 

| Gesamt- 

durchschnitt 

durchschnitt 
der relativen 

! durchschnitt 
des Haut¬ 

der Temp. 

Feuchtigkeit 
in % 

wassers 


pro Stunde 

25,7 

32 

20 


Durch¬ 

schnittliche 

Kasten- 

temp. 

C 

Durch¬ 
schnittliche 
relative 
Feuchtigkeit 
im Kasten 
in »/« 

Hautwasser 
pro Stunde 
in g 

25,4 

69 

29 

25.6 

69 

• 15 

26,3 

67 

15 

26.5 

66 

23 

26,1 

72 

22 

24,8 

67 

19 

26,0 

‘ 66 

21 

Gesamt¬ 

Gesamt¬ 

Gesamt- 

durchschnitt 

durchschnitt 

durcbs'hnitt 

der relativen 

des Hant- 

der Temp. 

Feuchtigkeit 

was8era 


in % 

pro Stunde 

25,7 

68 

25 


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Der Einfluß der relativen Luftfeuchtigkeit usw. 
Tabelle 3. 

Maria L. f 19 J. alt, 48 kg. Gesund. Nüchtern, Hemd. 


187 


Durch¬ 

schnittliche 

Kasten- 

temp. 

Durch¬ 

schnittliche 

relative 

Feuchtigkeit 

Hautwasser 
pro Stunde 

Durch¬ 

schnittliche 

Kasteu- 

temp. 

Durch¬ 

schnittliche 

relative 

Feuchtigkeit 

Hautwasser 
pro Stunde 

im Kasten 

• in g 

im Kasten 

in g 

C 

in °/o 

C 

in % 

23,4 

37 

18 

24,0 

71 

24 

25,5 

38 

20 

25,3 

66 

25 

28.0 

40 

26 

28,2 

77 

32 

26,0 

41 

21 

25,9 

51 

26 

24,3 

37 

23 

24,5 

81 

26 

Gesamt^ 

Gesamt- 

Gesamt¬ 

Gesamt¬ 

Gesamt- 

Gesamt- 

dorchschnitt 

dorchxchnitt 
der relativen 

durchschnitt 
des Hant- 

durchschnitt 

dnrchschnitt 
der relativen 

dnrchschnitt 
des Haut¬ 

der Temp. 

Feuchtigkeit 
in u / 0 

wassers 

der Temp. 

Fenehtigkeit 
in °/, 

wassers 

pro Stunde 

pro Stunde 

25,4 

1 

138,6 

; 

21,6 

25,6 

69 

26,6 


Nach den mitgeteilten Versuchsergebnissen glaube ich zu der 
Annahme berechtigt zu sein, daß bei gleichbleibender Durchschnitts¬ 
temperatur die Steigerung der relativen Feuchtigkeit um 30—40 %, 
wie sie bei unseren Versuchen statt gehabt hat, zu einer vermehrten 
Abgabe des unmerklichen Hautwassers führt. Die Resultate können 
jedoch zunächst nur für die in den Protokollen .mitgeteilten Tem¬ 
peraturen Geltung haben, d. h. also für Wärmegrade, die etwa 
bei 25 0 C liegen. Auf diesen Punkt werden wir später nochmals 
eingehen. 

Es erhebt sich nun die Frage: Wie sind diese Ergebnisse mit 
den bisherigen Untersuchungsresultaten über den Einfluß der rela¬ 
tiven Feuchtigkeit im Einklang zu bringen? Experimente älterer 
Autoren, die zur Entscheidung dieses Problems nur an einzelnen 
Körperstellen angestellt oder ohne Ventilation ausgeführt wurden, 
fallen nicht in die Wagschale. Denn die dabei verwandten Me¬ 
thoden können nicht als gleichwertig mit unserer Apparatur be¬ 
trachtet werden, auch gestatten Werte, die z. B. an einer Extre¬ 
mität gewonnen sind, noch keine Rückschlüsse auf das Verhalten 
des Gesamtkörpers. Auf diesen Punkt hat Loewy (a. a. 0.) 
nenerdings wieder aufmerksam gemacht. 

Anders steht es mit den Resultaten Nuttalls (a. a. 0.), die 
mit einwandfreier Methodik erzielt worden sind. Er schließt aus 
seinen Tabellen, daß die relative Feuchtigkeit keinen wesentlichen 
Einfluß auf die anmerkliche Hautwasserabgabe habe. Tatsächlich 


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188 


Moog 


hat sich aber auch bei ihm, wie ans der Tabelle der Durchschnitts¬ 
werte hervorgeht, und die ich hier wiedergebe, eine Steigerung 
des Hautwassers bei hoher relativer Feuchtigkeit herausgestellt. 


Tabelle nach Nuttall. 


Temp. im Durchschnitt 

Relative Feuchtigkeit der Luft 
Wasser in 24 Stunden 

28,8 

12,6—19,7 

804,2 

29,0 

21,8-33,6 

294,6 

29,6 

37,9—66,5 

278,4 

29,7 

60,4—63,7 
380,4' 

pro Stunde berechnet: 

12,7 

12,3 

11,6 

! 15,8 g 


Berechnet man die pro Stunde abgegebene Menge Wasser (ich 
habe die Zahlen der Tabelle angefügt), so ist daraus ersichtlich, 
daß bei der höchsten relativen Feuchtigkeit auch der größte Wert 
für die Wassermenge zu finden ist und zwar ist die Vermehrung, 
wenn man die Prozentzahlen der relativen Feuchtigkeit in Be¬ 
tracht zieht, die denen bei unseren Versuchen in etwas entsprechen 
— also vom 2—4. Stab der Tabelle an — von der von uns ge¬ 
fundenen nicht auffallend verschieden. Die Übereinstimmung wird 
noch deutlicher, wenn man den Zuwachs an Wasser prozentual be¬ 
stimmt Man findet dann eine Steigerung der Wasserabgabe von 
28,4 °/ 0 , eine Zahl, die sich gut in die von uns ermittelten Werte 
einreihen läßt. Die um 0,7 0 C differierende Temperatur dürfte 
kaum einen wesentlichen Einfluß auf die Wasserabgabe gehabt 
haben. Da Nuttall seine Versuche nur an einer Person anstellte, 
konnte er nicht ungezwungen zu einem anderen Schluß kommen, 
nämlich dem, daß die relative Feuchtigkeit keinen nennenswerten 
Einfluß auf die Hautwasserabgabe ausübe. Nachdem es uns ge¬ 
lungen ist, entsprechende Resultate an 5 weiteren Individuen zn 
gewinnen, glaube ich die Nuttall’schen Ergebnisse in dem oben 
entwickelten Sinne deuten zu müssen. 

Nach den grundlegenden Rubner’schen *) Forschungen ist die 
Wasserdampfabgabe von einer Reihe von komplizierten sich gegen¬ 
seitig beeinflussenden Faktoren abhängig. Beim hungernden be¬ 
haarten Tier wird zunächst die G e s a m t wasserdampfabgabe durch 
die relative Feuchtigkeit der Luft bestimmt und zwar besteht eine 
direkte Proportionalität zwischen „der relativen Trockenheit“, wie 
Rubner sich ausdrückt, und der Wasserdampfausscheidung. Schon 


1) Rubner, Arch. f. Hygiene Bd. XI: Die Beziehungen der atmosphäri¬ 
schen Feuchtigkeit zur Wasserdampfabgabe und Arch. f. Hygiene Bd. XI: Ther¬ 
mische Wirklingen der Luftfeuchtigkeit 


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Der Einfluß der relativen Luftfeuchtigkeit uaw. 


189 


anders liegen die Verhältnisse bei einem reichlich gefütterten Tiere. 
Hier vermag zwar erhöhte Luftfeuchtigkeit auch die Wasserdampf¬ 
abgabe einzuschränken, aber in einem weit geringerem Maße als 
bei einem nur mäßig genährten Organismus. Bei gleichen Schwan¬ 
kungen des Wasserdampfgehalts der Luft bewirkt verschiedene Er¬ 
nährung eine durchaus differente Gesamtwasserabgabe. 

Untersucht man nun die Wasserabgabe bei gleichbleibender 
relativer Feuchtigkeit, so zeigt sich, „daß der Körper in Abhängig¬ 
keit von der Umgebungstemperatur aktiv Wasser ausstößt“. Aber 
auch hier spielt der Ernährungszustand eine wichtige Rolle. Bis 
zu der Grenze von 20° C hat er zwar keine Bedeutung, aber von 
da an sind die Schwankungen der Temperatur für die Größe der 
Wasserdampfabgabe ausschlaggebend. „Anscheinend gering¬ 
fügige Zuwächse derselben wirken im hohen Grade 
beschleunigend auf die Wasserabgabe.“ Ernährungszu¬ 
stand, relative Feuchtigkeit und Temperatur stehen also in außer¬ 
ordentlich mannigfaltiger Verbindung. Unter Berücksichtigung dieser 
Faktoren kommt Rubner im Verlaufe seiner Untersuchungen am 
behaarten Tier zu dem Schluß, daß die Wasserdampfabgabe eine 
„rein physiologische Funktion des Organismus“ darstellt. Die „rein 
physikalischen Momente“ kommen keineswegs in erster Linie in Be¬ 
tracht. Der äußerst komplizierte Vorgang der Wasserdarapfabgabe 
kann nach Ansicht Rubner’s nur vom Standpunkte der Wärme¬ 
regulation aus verstanden werden. Unter diesem Gesichtspunkte 
sind die Wirkungen der relativen Feuchtigkeit auf die Wasserdampf¬ 
abgabe zu betrachten. Der Zusammenhang zwischen wechselnder 
Luftfeuchtigkeit und Wasserdampfabgabe ist nur ein scheinbarer. 
Und zwar drückt hohe Luftfeuchtigkeit nicht direkt den Wasser¬ 
verlust herunter, sondern indirekt, indem sie, in förderndem Sinne, 
antagonistisch auf die Abgabe der Wärme durch Leitung und 
Strahlung einwirkt Steigt also die relative Feuchtigkeit, so wird 
zwar die Wärmeabgabe durch die Wasserverdunstung eingeschränkt, 
dafür tritt aber vikariierend eine Vermehrung der Wärmeabgabe 
durch Leitung und Strahlung ein. Denn je feuchter die Luft ist, 
desto größer ist ihr Wärmeleitungsvermögen. 

ln unserem Falle sollte man zunächst erwarten, daß bei gleich¬ 
bleibender Temperatur, wie sie bei unseren Versuchen im Durch¬ 
schnitt vorhanden war, bei hoher relativer Feuchtigkeit, weil unter 
dieser Bedingung Leitung und Strahlung vermehrt ist, weniger 
Wasserdampf abgegeben wird, als bei geringerem Wassergehalt 
der Luft. Wie wir jedoch weiter unten sehen werden, trifft diese 


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190 


Moog 


Annahme nnr für niedrige Temperaturen zu. Hier findet durch 
sehr feuchte Luft eine vermehrte Wärmeabgabe durch die ver¬ 
besserte Leitung und Strahlung und dementsprechend eine Ein¬ 
schränkung der Hautwasserabgabe statt. 

Nun ist die Wärmeabgabe durch Leitung und Strahlung von 
dem Temperaturgefälle zwischen Haut und umgebender Luft ab¬ 
hängig. Bei hoher Luftfeuchtigkeit wird aber nach den Rubner- 
schen Feststellungen dieses Temperaturgefälle nach außen immer 
geringer eben wegen der vermehrten Leitung und Strahlung. Es 
findet eine größere Annäherung zwischen Körper und Umgebungs¬ 
temperatur statt. Diese Verringerung des Temperaturgefälles 
bleibt bei niederen Wärmegraden ganz ohne Einfluß auf die Wärme¬ 
abgabe, sie macht sich erst bemerkbar bei höheren Temperaturen, 
weil sich hier Körper- und Umgebungstemperatur immer mehr 
nähern und das Temperaturgefälle unter diesen Bedingungen auch 
schon bei geringer relativer Feuchtigkeit verhältnismäßig niedrig 
wird. Diese Verminderung des Temperaturgefälles macht sich 
nach Rnbner für den Mechanismus der Wärmeregulation schon 
von 20° C an geltend, insofern als von diesen Punkt an die Ab¬ 
gabe der Wärme durch Leitung und Strahlung immer deutlicher 
in den Hintergrund tritt, während diejenige durch Wasserver¬ 
dunstung mehr und mehr die Oberhand gewinnt. Wird nun das 
an sich schon niedrige Temperaturgefälle bei höheren Temperaturen, 
durch großen Feuchtigkeitsgehalt der Luft, noch weiter verringert, 
so wird zur Aufrechterhaltung des Wärmegleichgewichts eine 
Steigerung der Hautwasserabgabe als Folge eintreten. 

Diese bisher erörterten Rubner’schen Untersuchungsresultate 
haben jedoch nur für das behaarte Tier Geltung. Darauf hat R u b n e r 
besonders hingewiesen. Nach seinen Feststellungen verhält sich ein 
ungeschorenes Tier bei 20° C etwa so wie ein geschorenes bei 25° C. 
Für das geschorene Tier liegt demnach die Temperaturgrenze, bei 
der die Wärmeabgabe durch Leitung und Strahlung gegenüber der 
durch Wasserverdunstung allmählich geringer wird bei 25° C. Da 
unsere Experimente an nur mit einem Hemd bekleideten Menschen 
ausgeführt wurden, haben wir Verhältnisse in Betracht zu ziehen, 
wie sie weder beim geschorenen noch ungeschorenen Tier in Be¬ 
tracht kommen. Sie dürften ziemlich in der Mitte liegen. Eine 
Einschränkung der Wärmeabgabe durch Leitung und Strahlung 
wird für den mit einem Hemd leicht bekleideten Menschen bei 
25° C sicherlich schon nachweisbar sein. Diese Temperatur haben 
wir in unseren Versuchen durchschnittlich erreicht. Was wir oben 


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Der Einfluli der relativen Luftfeuchtigkeit osw. 


191 


also für das behaarte Tier anseinandergesetzt haben, dürfte für 
unsere Versuchspersonen wohl von einer Temperatur von 25° C an 
gelten. Bei diesem Punkt tritt die Wärmeabgabe durch Wasser¬ 
verdunstung mehr und mehr in den Vordergrund, während diejenige 
durch Leitung und Strahlung nicht mehr von ausschlaggebender Be¬ 
deutung ist. Wird nun durch hohe Luftfeuchtigkeit, wie schon 
gesagt, das Temperaturgefälle weiter erniedrigt, so wird unter Um¬ 
ständen das Wärmegleichgewicht durch Leitung und Strahlung 
nicht mehr aufrecht erhalten werden können und deshalb eine 
Steigerung der Wasserabgabe resultieren müssen. Das hat sich 
in unseren Versuchen gezeigt. 

Ein weiterer Punkt mag für die Erklärung unserer Resultate 
noch in Erwägung zu ziehen sein. Bei hoher Luftfeuchtigkeit 
dürfte die Verdunstung des unmerklichen Hautwassers zunächst 
nicht, so prompt erfolgen, wie bei niedriger relativer Feuchtigkeit. 
Da nun bei höheren Temperaturgraden die Wärmeabgabe durch 
Leitung und Strahlung nicht mehr völlig ausreicht, kommt es zu 
einer geringen Überwärmung des Organismus, die ihrerseits wieder 
zu einer vermehrten Wasserabgabe durch die Haut Veranlassung gibt. 

Es muß jedoch betont werden, daß wegen der zahlreichen in- 
einandergreifenden Mechanismen bei der Wärmeregulation die mit¬ 
geteilten'Ergebnisse nur für die von uns gewählten Bedingungen 
Geltung haben dürften. Daß die Verhältnisse bei Temperaturen 
über 25° C, noch bevor es zu sicht- und fühlbarem Schweißausbruch 
kommt, sich ähnlich verhalten, geht aus den mitgeteilten Versuchen 
Nuttal’s hervor, der bei Temperaturen von 28,8—29,7° C ge¬ 
arbeitet hat. Wie die Ergebnisse bei Wärmegraden von 20—25° C 
sein werden, kann nicht mit Sicherheit ohne Experimente voraus¬ 
gesagt werden. Wir haben bei diesen Temperaturgraden keine 
Untersuchungen angestellt, weil uns daran lag, die Personen unter 
Bedingungen zu beobachten, die kein körperliches Mißbehagen 
hervorrufen. Denn unter diesen Umständen hat man stets mit 
Komplikationen besonders psychisch-nervöser Art zu rechnen, die 
die Versuchsresultate stark beeinträchtigen können. 

Aus unseren Versuchen geht deutlich hervor, daß unter den 
von uns gewählten Bedingungen die insensible Hautwasserabgabe 
nicht etwa ein einfacher Verdunstungsprozeß ist, sondern vielmehr 
einen komplizierten physiologischen Lebensvorgang des Organismus 
darstellt, denn sonst wäre es nicht erklärlich, wie bei hoher rela¬ 
tiver Feuchtigkeit die unmerkliche Hautwasserabgabe stärker sein 
sollte als bei geringerem Wasserdampfgehalt der Luft. „Der Körper 


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192 


Mooo, Der Einfluß der relativen Luftfeuchtigkeit usw. 


stößt,“ um mit Rubner zu reden, „aktiv Wasser aus.“ Unsere 
Ergebnisse lassen sich vom Standpunkt der Wärmeregulation auf 
Grund der Rubner’schen Arbeiten verstehen. 

Zusammenfassung. 

Bei 6 Personen wurde nachgewiesen, daß bei Schwankungen 
der relativon Feuchtigkeit um 30—40% und bei einer Durch¬ 
schnittstemperatur von 25° C die unmerkliche Wasser¬ 
abgabe durch die Haut bei hoher relativer Feuchtig¬ 
keit größer ist als bei niedrigem Feuchtigkeits¬ 
gehalt der Luft. Die unmerkliche Wasserabgabe muß unter 
den gestellten Versuchsbedingungen als eine physiologische 
Funktion des Organismus aufgefaßt werden, die im 
Dienste der Wärmeregulation steht. 


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193 


Aus der in. medizin. Universitätsklinik in Budapest. 
(Direktor: Prof. Baron Alexander von Koränyi.) 


Untersnchnngen Ober die harnstoffbildende Tätigkeit der 
Leber bei Leberkranken. 


Von 

Dr. G6za Hetenyi. 


Unsere physiologischen Kenntnisse über die Rolle der Leber 
im Eiweißstoffwechsel sind bereits älterer Herkunft. Wir wissen, 
daß die wichtigste Funktion der Leber im Eiweißstoffwechsel die 
Ureasynthese ist. Die in der Nahrung eingefülirten Eiwei߬ 
körper werden im Verdauungskanal durch die proteolytischen 
Fermente zu verschiedenen Aminosäuren zerlegt, welche dann zu 
den einfachsten Endprodukten: zu Kohlensäure, Ammoniak und 
Wasser verbrannt werden. Durch die Gefäße der Darmwand auf- 
senommen, langen diese Endprodukte mit der Vena portae in die 
Leber, wo sie gemäß der Formel 

NH 2 

C0 2 + 2XH 8 = <’o/ +H 2 0 

nh 2 

zu Urea synthetisiert werden. Dasselbe, was das Eiweiß betrifft, 
bezieht sich auch auf andere N-haltige Verbindungen. So kommt 
es, daß 80—90 °/ 0 des im Harn erhaltenen Stickstoffes in Form des 
Harnstoffes nachzuweisen ist. 


Die Kenntnis dieser Prozesse verdanken wir jahrzehntelang fort¬ 
gesetzten Arbeiten. 

Es war nun an der Hand gelegen diese physiologischen Kenntnisse 
auf die menschliche Pathologie zu übertragen und den Verlauf der 
UreasyntheBe bei den Lebererkrankungen einer genauen Untersuchung zu 
unterwerfen. An Versuchen solcher Art fehlte es auch nicht! Besonders 
NH 

der Erhöhung des -Quotienten wurde eine pathognomische Bedeu¬ 
tung zugemessen:, sobald die Ureasynthese — infolge insufficienter 
Leberfunktion — nachgelassen hat, muß dasjenige Ammoniak, das der 
Deutsches Archiv für klin. Medizin. 138. Bd. 13 


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194 


Hbt£nyi 


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Verarbeitung entgangen, im Harn erscheinen, woraus eine Erhöhung^ 
dieses Quotienten resultiert. In der Tat finden wir diesen Quotienten 
bei Lebererkrankungen häufig erhöbt; ihr diagnostischer Wert ist trotz¬ 
dem verschwindend klein: einerseits weil wir bis nun auch bei schweister 
Hepatargie nicht imstande waren eine direkte Abnahme der Harnurea 
nachzuweisen, andererseits weil eB sich herausstellte, daß die Erhöhung 
des Ammoniaks eine andere Ursache hat und zwar in einer die Leber¬ 
krankheiten begleitenden Acidose; besonders die Fleischmilchsäure wird 
im Organismus Leberkranker in höherem Maße produziert. 

Der Gedankengang der hier mitgeteilten Untersuchungen war 
folgender: Wenn die Abnahme der Ureasynthese bei Leberkranken 
aus einer Verminderung der Harnurea nicht nachzuweisen ist, so 
hat das seinen Grund darin, daß die unversehrten Parenchym¬ 
partien die Funktion der untergegangenen Zellen vikariierend über¬ 
nehmen und so die Synthese der Eiweißstoffwechselsendprodukte 
durch verstärkte Arbeit ermöglichen. (Es ist ohne Zweifel, daß 
die Ureasynthese ein absolut lebenswichtiger Vorgang ist. Viel¬ 
leicht weil sie vor einer Alkalose den Körper beschützt. Nach 
Fischler ist Harnstoff = entgiftetes Ammoniak.) Nun konnte man 
sich nach anderen Organen entnommenen Analogien vorstellen, daß 
die an Zahl verminderten Zellen dem normalen Bedürfnisse ent¬ 
sprechen können, eine eventuelle Belastung jedoch eine Mangel¬ 
haftigkeit der Funktion an den Tag legen kann. Die Bausteine 
des Harnstoffes müssen daher in großer Quantität und zu gleicher 
Zeit in den Körper eingeführt werden, damit wir die latente In- 
sufficienz der Leber temporär zu einer manifesten umwandeln. In 
der Literatur fand ich nur an einer Stelle ähnliche Versuche. 
Weintraud untersuchte in 4 Fällen von Cirrhose den Ammoniak¬ 
gehalt des Urins nach Einführung von zitronensaurera Ammoniak 
und fand, daß es gerade so zu Harnstoff wurde, wie bei Gesunden. 
In einem einzigen Falle erschien ein Teil des eingeführten Am¬ 
moniaks — 1 Tag ante exitum — im Harn. Seine Methodik war 
aber keine entsprechende: diese ist aber von einer enormen Wichtig¬ 
keit, weshalb ich — vor Mitteilung meiner Ergebnisse — die von 
mir benützte Methodik besprechen will. 

Die Methodik hatte drei Schwierigkeiten zu bekämpfen: 

1. Die Wahl des einzuführenden Ammonsalzes, die Art seiner Ein¬ 
führung und die Notwendigkeit es in eine zur Einführung geeignete 
Form zu bringen. 

2. Erreichen einer zur Beurteilung der Ergebnisse notwendigen 
ständigen Harnstoffausscheidung. 

3. Exakte Methoden der quantitativen Urea- und Ammoniak¬ 
bestimmung. 


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Die harnstoff bildende Tätigkeit der Leber bei Leberkranken. 1^5 

Ad 1. Das Ammoniak kann nur in Form seiner Salze in den Körper 
eingeführt werden. In der Beziehung aber, wie sie sich im Organismus 
zu Harnstoff umwandeln, besteht zwischen organischen und anorganischen 
Ammonsalzen ein bedeutender Unterschied. Derselbe Unterschied ist 
zwischen der Toxizität der genannten Verbindungen aufzufinden und 
zwar derart, daß die anorganischen Salze (Chlorid, Phosphat, Sulfat) 
nach ihrer Einführung teilweise unverändert als Ammoniak ausgeschieden 
werden und dieselben auch eine größere Toxizität aufweisen, wogegen 
die organischen Ammonsalze (Forxniat, Acetat, Citrat, Laktat usw.) im 
Körper quantitativ in Urea übergehen und auch ihre Toxizität viel ge¬ 
ringer ist. Für den Unterschied in der Umgestaltung ist vielleicht als 
Grund anzunehmen, daß nach Einführung anorganischer Salze das'frei¬ 
werdende Säureradikal auf die Umwandlung weiterer Ammoniakmoleküle 
zu Urea hemmend einwirkt. Auch die Toxizität von Ammonium carbo- 
nicum ist jedoch eine bedeutende. 

Zu meinen Untersuchungen wählte ich das zitronensaure Ammoniak, 
welches ich selbst in der Weise herstellte, daß ich zu Ammonium carbo- 
nicum so lange kristallisierte Zitronensäure gab, bis die Reaktion der 
Lösung schwach sauer wurde. Die Konzentration der Lösung schwankte 
zwischen 1—2 °/ 0 , die eingeführte Dosis zwischen 4—8 g und blieb nur 
in einem einzigen Falle unter dieser Grenze. 

Als Einführungsart wählte ich die Einfuhr per os, einerseits damit 
das Ammoniak sofort zur Leber gelange (was bei einer intravenösen In* 
jektion unter ungünstigeren Verhältnissen geschähe), andererseits weil 
ich so genau dosieren konnte (bei rektaler Einfuhr ist die Menge des 
resorbierten Ammoniaks einfach unberechenbar). 

Um die sehr unangenehm schmeckende Lösung zur Eingabe geeignet 
zu machen, mußte sie zuerst präpariert werden. Dies geschah durch 
Zugabe von Menthol und Saccharin. Zur Vermeidung subjektiver Un¬ 
annehmlichkeiten gab ich die Lösung nie auf nüchternen Magen. 

Ad 2. Die Erreichung einer ständigen Ureaausscheidung ist Grund¬ 
bedingung der Versuche. Ohne sie kann ja das Ergebnis der alimen¬ 
tären Belastung nicht beurteilt werden. Wir können auf zwei ver¬ 
schiedene Weisen eine ständige Harnstoffausscheidung erreichen: a) durch 
Hungern. Hauptsächlich Durcbblutungsversuche empfehlen uns diese 
Methode. Die genannten Versuche zeigten nämlich, daß die im Zu¬ 
stande der Verdauung befindliche Leber auch dann zu einer Ureaanhäu¬ 
fung in der durcbleiteten Flüssigkeit führt, wenn dieselbe kein Ammoniak 
enthielt. Dieser Umstand ist uns erklärlich, da wir wissen, daß in der 
Leber eine gewisse Menge von präforraiertem Harnstoff aufgestapelt ist. 
Diese aber verschwindet nach einer gewissen Zeit (ungefähr nach 3 Tagen) 
Hungerns und dann entspricht die Konzentration der abfließenden 
Flüssigkeit an Harnstoff genau dem der zufließenden Flüssigkeit zu¬ 
gesetztem Ammoniak. Doch können die Ergebnisse, die an überlebenden 
Organen gewonnen werden, nicht ohne weiteres auf den Gesamtorganis- 
raus, wo die Korrelation der verschiedenen Organe geänderte Verhält¬ 
nisse schaffen kann, übertragen werden. Außerdem können Kranke aus 
diagnostischen Gründen nicht Tage lang gehungert lassen werden. Es 

13 * 


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196 


II KT KM VI 


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ist auch fraglich, ob der Hunger selbst die Funktion der Leber nicht 
irgendwie beeinflußt. 

b) Ständige Harnstoffausscheidung kann einfach in der Weise er¬ 
reicht werden, daß man die Kranken bei einer ständigen Diät hält und 
sie so in N-Gleichgewicht bringt. 

Ich habe zu meinen Untersuchungen die letztere Methode gewählt, 
in der Zusammenstellung der Diät jedoch auch die sub a) Erwähnten in 
Betracht gezogen. Ich gab daher den Kranken eine quantitativ unzu¬ 
reichende Kost und habe besonders die Eiweißmenge beschränkt. Letzteres 
ist aus dem Grunde vorteilhaft, weil man so mit relativ kleinen Mengen 
von Ammoniak einen starken Anstieg im Urin hervorrufen kann. Die 
Kranken waren an dieser Diät, bis sich das Urea-Gleichgewicht ein¬ 
stellte, wozu man durchschnittlich 4—6 Tage benötigte. Dann erhielten sie 
die Ammoniumcitricum-Lösung, wonach die Ausscheidung bei derselben 
Diät noch weitere 3 Tage untersucht wurde. 

Ad 3. Während der Dauer der Untersuchungen bestimmte ich täg¬ 
lich den Gehalt des Harnes an Urea und Ammoniak. Die älteren Harn- 
stoffbestimmungsmethoden sind teils sehr umständlich, teils unverläßlich. 
Vorzügliche Resultate ergab mir die von Hahn angegebene Urease- 
Metbode, welche — so einfach und geistreich sie ist — so exakte Er¬ 
gebnisse sie liefert. Um ihre Exaktheit noch zu steigern wendete ich 
sie in der Form an, wie sie Hahn zur Bestimmung des Ureagehaltes 
des Blutes empfahl (jodometrisches Titrieren). Bezüglich der Details 
der Methode weise ich auf die Originalbeschreibung. — Zur Bestimmung 
des Ammoniaks benutzte ich zuerst die Krüger-Reich-Schitten- 
helm’sche Methode. Später ging ich aber zu Malfatti’s Verfahren 
über, welches — in bezug vergleichender Bewertung — der erstgenannten 
umständlicheren Methode gleichkommt. Die Bestimmungen geschahen in 
den 24 stüudlichen Urinen. Alkalisch wurde der Urin nie — was einen 
Ammoniakverlust verursachen können hätte. 

Nur die Beobachtung der hier beschriebenen Um¬ 
stände kann die Verläßlichkeit der Ergebnisse ver¬ 
bürgen. Aus diesem Grunde befaßte ich mich so ausführlich mit 
der Methodik. 

Was nun die Ergebnisse meiner Untersuchungen betrifft, fasse 
ich dieselben in den folgenden Tabellen zusammen. In die erste 
habe ich die P'älle von Lebergesunden, in die zweite diejenige von 
Leberkranken aufgenommen. Um einen Vergleich mit den ge¬ 
bräuchlicheren Untersuchungsmethoden zu haben, habe ich in jedem 
Falle die Untersuchung auf alimentäre Lüvulosurie und auf Uro- 
bilinogenurie ausgeführt (s. Tab. I). 

Wie aus der Tabelle ersichtlich, haben sämtliche Kranken, unter 
denen kein einziger Zeichen einer Lebererkrankung aufwies, das einge¬ 
führte Ammoniak binnen 24 Stunden quantitativ zu Urea synthetisiert. 


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Die harnstoffbildende Tätigkeit der Leber bei Leberkranken. 197 


Diese Ergebnisse entsprechen also durchaus demjenigen, die in der 
Einleitung erwähnt wurden. 


T a b e 11 e Nr. I. 


Fall 

Diagnose 


1 

2 


Ulcns ventricnli 
Diabetes mellitus 


3 

4 

5 

6 


Ptosis ventricnli 
Diabetes mellitus 
Polyarthritis cbron. 


Ammonak- 
| einfahr L 
! als 0 I 
gerechnet 


Erhöhung der 
Ureaausscheidung 


am 

! am 

am 

1. 

2. 

3. 


Tage 



Alimen- 
j täre 
j Lävulos- 
■ nrie 


5,29 g I 5,56 
6.04 g ! 6,60 
6,20 g , 6.92 
6,36 g 6,21 
5.18 g 5,04 
6.09 g 6,16 


0,35 — 1,02: 

— 0,60 0,42; 
- 0 , 10 ; 0 . 66 : 
0,60 0,03 

0,35 0,47' 

-0,04 0,23 

! I 


0 

0 

0 


Urobili- 

nogen- 

urie 


Tabelle Nr. II. 


Fall 


Ammonak- 
einfuhr 
als Ü 
gerechnet 

Erhöhung der i 
Ureaausscheidung | 

Alimen¬ 

täre 

Lävulos- 

urie 

Urobili 

Nr 

Diagnose 

. 

am 

1. 

am 1 
2. 

Tage 

- ! 

am | 

3- , 

l 

1 

nogen- 

urie 

7 

Cbolelithiasis. Ikterus 

1 8,26 g ! 

10,92 

0,40 

— 0,78 

+ 

~r 

8 

Aikoholismas chronicus 

4 48 g 

3,92 

2,02 

- 0.72 

-i- 

' + 

9 

Lues hepatis 

6,34 g 

5.08 

1.72 

- 1,04 

+ 

+ 

10 

Alkoholismus chronicus 

7.i4 g ; 

3.69 

1,80 

0,70 

— 

-j- 

11 

Ikterus catarrhalis 

2,3« g ; 

1,05 

1,45 

0,07 

+ 

4- 

12 

Iusutficientia aortae. Ik¬ 
terus catarrhalis 

1 4,20 g j 

1 

1.66 

2,48, 

0,94 

~r 


13 

Cirrhosis atrophica 

5,66 g ! 

4,82 

002 

0.92 

+ 

+ 

14 

Cholelithiasis. Ikterus 

6.30 g 

• 6,62 

— 0,92 

0,19 

+ 

-U 

15 

Cirrhosis atrophica 

4,70 g 1 

3,88 

0,22) 

0.40 

4- ' 

+ 

16 

n 

4,96 g i 

2,70 

1,38! 

1,00 

-1- 

+ 


In zwei weiteren Fällen gelang es mir auch nach 8 Tagen 
nicht eine ständige Ureaausscheidung zu erreichen. Ob dies eine 
pathologische Bedeutung hat, kann ich nicht entscheiden. Am 
wahrscheinlichsten ist es aber, daß die Kranken die vorgeschriebene 
Kost trotz sorgsamster Überwachung nicht eingehalten haben. 

Bezüglich der Ammoniakausscheidung muß bemerkt werden, 
daß dieselbe nicht im entferntesten so regelmäßig ist, wie die des 
Harnstoffes. Eine Erhöhung des Ammoniak wertes am Tage der 
Ammoniakeinfuhr, welche außer den Grenzen der in der Vorperiode 
erhaltenen Werte fiele, war nur in einem einzigen Falle (Nr. 9) 
nachzuweisen. 

Die Ergebnisse der II. Tabelle sind solcher Art, daß sie gar 


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198 


Hbt£nyi 


keinen Zweifel über ihr systematisches Vorkommen anfkommen 
lassen. Wir sehen, daß — außer den Fällen Nr. 7 und Nr. 14 — 
kein einziger Fall den bei Lebergesnnden gefundenen Typus zeigt. 
Obzwar die Ammoniakausfuhr in keinem Falle erheblich anstieg. 
blieb die Ureaausscheidung am Tage der Einfuhr hinter der er¬ 
warteten Steigerung zurück. Den fehlenden Teil finden wir dann 
im Harn des 2. oder auch des 3. Tages. Interessant ist es, daß 
die genannten zwei Ausnahmefälle bei Gallensteinkrankheit auf¬ 
tretende Gelbsucht betrafen, wogegen eine Verzögerung der Urea¬ 
ausscheidung bei Cirrhosis atrophica, Lues hepatis und Ikterus 
catarrhalis nachzuweisen war. Die Resultate dieser Untersuch¬ 
ungen treffen vollkommen mit der heutigen Auffassung zusammen, 
wonach die sog. katarrhalische Gelbsucht mit einem mehr-weniger 
schweren Schaden des Leberparenchyms einhergeht, während die 
Funktion der Leber bei dem einfachen mechanischen Stauungs- 
ikterus kaum beeinträchtigt wird. Von den gebräuchlichen funk¬ 
tionellen Untersuchungsmethoden gibt besonders die alimentäre 
Galaktosurie (Bauer) ähnliche Ergebnisse, wogegen die alimentäre 
Lävulosurie durch ihr häufiges Vorkommen zu einer Unterscheidung 
zwischen einzelnen Lebererkrankungen nicht geeignet ist. Aus 
äußeren Gründen unterblieb in meinen Fällen die Untersuchung 
auf alimentäre Galaktosurie. 

Wie wir also gesehen haben, wird bei Erkrankungen der Leber 
auch ihre Funktion im Eiweißstoffwechsel gestört. Diese Störung 
erreicht gewöhnlich nicht solche Grade, daß sie sich klinisch mani¬ 
festiere, und kann nur durch pünktliche Analysen bewiesen werden. 
Daß Weintraud ähnliche Störung nicht nachweisen konnte, hat 
seinen Grund in erster Reihe darin, daß er nach der Einfuhr nur 
das Harnammoniak bestimmte. Dies konnte er natürlich — auch 
nach meinen Untersuchungen — nicht erhöht finden. 

Die praktische Bedeutung dieser Untersuchungen bezieht sich 
vielleicht auf die Diät der Leberkranken. Es ist ein alter Ge¬ 
brauch. welcher bisher nur auf Empirie fußte, daß man Leber¬ 
kranken nur wenig Eiweiß in der Nahrung erlaubte. Meine Unter¬ 
suchungen scheinen dieser Tradition eine gewisse Grundlage zu 
schaffen. Doch nur mit einer gewissen Einschränkung! Wir sahen, 
daß der Leberkranke einer einmaligen Belastung — wenn auch 
mit einer Verzögerung — nachkommen kann. Ob er sich auch 
bei ständiger Belastung ähnlich verhält, kann aus diesen Unter¬ 
suchungen natürlich nicht ersehen werden. Prophylaktisch werden 
wir die Diät der Kranken jedenfalls so zusammenstellen, daß sie 


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Die harnstofibildende Tätigkeit der Leber bei Leberkranken. 


199 


einer Ei weiß Überfütterung nicht ausgesetzt werden. In das andere 
Extrem zu verfallen und das Eiweiß übertrieben restringieren zu 
wollen, wäre natürlich gerade so verfehlt, als die Erhöhung der 
Eiweißzufuhr. 


Zusammenfassung. 

1. Durch genaue Analysen gelingt es in pathologischen Zu¬ 
ständen der Leber die Störung ihrer harnstoffbildenden Tätigkeit 
nachzuweisen. 

2. Diese Störung besteht darin, daß die Synthese eingeführter 
Ammonsalze zu Urea nicht so rasch, wie bei Lebergesunden, vor 
sich geht Statt ungefähr 24 Stunden nimmt sie 48—72 Stunden 
in Anspruch. 

3. Diese Funktionsstörung war bei der atrophischen Cirrhose, 
bei luetischer Hepatitis und beim Ikterus catarrhalis eine ausge¬ 
sprochene, wogegen der einfache mechanische Stauungsikterus mit 
keiner Funktionsabnahme einhergeht. 

4. Aus diesem Grunde ist es ratsam, in der Diät der Leber¬ 
kranken jedwede Eiweißbelastung zu vermeiden, doch ist eine über¬ 
triebene Eiweißreduktion im Sinne obiger Untersuchungen im 
bleichen Maße unnötig. 


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200 


Aus der medizin. Klinik der königl. Ungar. Elisabeth-Universität 

in Pozsony. 1 ) 

Über die Entstehung des Cheyne-Stokes’schen Atmens. 

Von 

Prof. Dr. Franz Herzog. 

(Mit 1 Kurve.) 

Die Verschiedenheit der zur Erklärung der Oheyne-Stokes- 
schen Atmung aufgestellten Hypothesen beweist, daß das Entstehen 
dieses Phänomens noch immer ungeklärt ist. Diese Hypothesen 
(von Traube, Filehne. Luciani, Rosenbach u. a.) sind 
allgemein bekannt und es würde zu viel Raum beanspruchen sich 
mit denselben eingehend zu beschäftigen. Ich beschränke mich 
darauf, zu erwähnen, daß die eine Gruppe dieser Hypothesen die 
Periodizität der Atmung dadurch zu erklären versucht, daß während 
des Cheyne-Stokes ! scheu Atmens die Reize des Atmuugszen- 
trums periodisch schwanken und daß infolge von O-Mangel die 
Reizbarkeit des Atmungszentrums herabgesetzt ist, und daß dem¬ 
gegenüber andere Hypothesen als Ursache des Cheyne-Stokes- 
schen Atmens eine periodisch eintretende abnorme Ermüdbarkeit 
oder Abnahme der Reizbarkeit des Atmungszentrums annehmen. 
Die ersteren Hypothesen können nicht befriedigend erklären, durch 
was das Eintreten der Periodizität ausgelöst wird, denn das pe¬ 
riodische Schwanken in den Reizen des Atmungszentrums ist eben 
eine Folge und nicht die Ursache der Periodizität, letztere kann 
also keineswegs dadurch hervorgerufen, sondern höchstens aufrecht¬ 
erhalten werden, und es muß daher zur Erklärung der ersten At¬ 
mungspause, der damit beginnenden ersten Periode eine ziemlich 
plötzliche Abnahme der Reizbarkeit des Atmungszentrums ange¬ 
nommen werden, was nicht sehr wahrscheinlich ist. Die zweite 

1) Die medizinische Fakultät der Universität wurde im Herbst 1919 durch 
die Tschechen geschlossen, das Personal entlassen. 


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Über die Entstehung des Cheyne-Stokes scheu Atiuens. 


201 


Erklärung ist darum nicht befriedigend, weil sie nicht bewiesen 
werden kann und weil ihr manche Beobachtung widerspricht, denn 
es kommt nicht selten vor, daß der Patient auch in der Pause zu 
atmen vermag und somit kann die Pause keinesfalls durch die 
Ermüdung oder die verminderte Erregbarkeit des Atmungszen¬ 
trums allein verursacht sein. 

Die Beobachtung von 9 Fällen ergab eine neue charakteristische 
Eigenschaft des Cheyne-Stokes’schen Atmens, die auch auf das 
Entstehen desselben schließen läßt. Außer den bekannten Eigen¬ 
schaften zeigen meine Kurven noch folgende, nach meiner Ansicht 
wichtige Besonderheit, welche in der relativen Dauer der Aus- und 
Einatmung zum Ausdruck kommt. Wenn man die Dauer der Ex¬ 
spiration mit der Dauer der Inspiration vergleicht (E/I), kann man 
folgende, regelmäßige Veränderung beobachten. Das Verhältnis E/I 
verändert sich vom Anfang bis zum Ende der Periode, im Anfang 
dauert die Einatmung lange und die Ausatmung ist verhältnis¬ 
mäßig kurz, am Ende der Periode wird die Einatmung kürzer und 
die Ausatmung länger. Der Wert von E/I ist also im Anfang der 
Periode kleiner, als am Ende und dies beobachtete ich in jedem 
Falle, in 4 Fällen war sogar im Beginn der Periode die Dauer 
der Einatmung absolut länger, als jene der Ausatmung (E/I<1). 
Ferner beobachtete ich in 7 Fällen, daß die Dauer eines Atem¬ 
zuges im Anfangsteil der Periode — bei Vergleich von Atemzügen 
gleicher Größe — länger war als im zweiten Teil der Periode. 



. Atinungskurve eines Falles von Arteriosklerose nnd Myokarditis chrou mit kar¬ 
dialer Stauung. Die Kurve wurde von links nach rechts geschrieben, Inspiration 
Die Atmung ist in der zweiten Hälfte der Periode etwas frequenter, als in der 
ersten Hälfte. Während der Periode Veränderung der relativen Dauer der Aus- 
und Einatmung: im Anfangsteil dauert die Einatmung bedeutend länger, als in 

der zweiten Hälfte der Periode. 

Diese Veränderung im Verhältnis der Dauer der Aus- und 
Einatmung zeigt sich so regelmäßig, daß man schon darum sich 
damit befassen muß. Um so mehr kann man dieser periodischen 
Veränderung eine Bedeutung zuschreiben, weil beim gesunden 


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202 


Hkbzog 


Menschen, bei derselben Person, das Verhältnis der Dauer der 
Aus- und Einatmung fast konstant ist. Bei verschiedenen Per¬ 
sonen ist dieses Verhältnis zwar nicht ganz dasselbe, doch schwankt 
dessen Wert nur innerhalb bestimmter Grenzen: die Ausatmung 
dauert immer länger als die Einatmung, sie erreicht aber nie die 
doppelte Dauer der Einatmung (E/I^) 1 )- 

Sehr auffallend verändert sich das Verhältnis der Aus- und 
Einatmungsdauer, wie ich beobachten konnte, in jenen Fällen, wo 
die Selbststeuerung der Atmung vermindert ist, so bei Gehirn¬ 
krankheiten und auch bei Asthma bronchiale in der Zeit nach 
dem Anfall 1 ). In diesen Fällen ergab sich, daß die Dauer der 
Einatmung durchschnittlich größer ist als jene der Ausatmung 
(E/I<1). Erwähnen muß ich noch, daß ich diese Veränderung der 
Atmung unter anderen Umständen nicht beobachtete, daß also 
dieselbe nur infolge der Verminderung der Selbststeuerung zu¬ 
stande kommt. 

Infolgedessen kann die beobachtete Veränderung in der relativen 
Dauer der Aus- und Einatmung beim Clieyne - Stokes'sehen 
Phänomen nur mit einer Veränderlichkeit der Selbststeuerung im 
Zusammenhang sein. Nur die Verminderung der Selbststeuerung 
konnte die Verlängerung der Einatmung irti Anfang der Periode 
verursachen und ebenso muß man es der Verbesserung der Selbst¬ 
steuerung zuschreiben, daß am Ende der Periode die Dauer der 
Einatmung kürzer, jene der Ausatmung länger wird 2 j. 

Durch diese periodische Schwankung der Selbststeuerung werden 
auch andere Eigenschaften der Cheyne-Stokes’schen Atmung er¬ 
klärt. Im Beginn und in der ersten Hälfte der Periode dauert oft 
ein Atemzug länger als gegen Ende derselben und dies kann durch 
die Verminderung der Selbststeuerung am Anfang der Periode ver¬ 
ursacht sein. Während nämlich bei der Arbeitsdyspnoe des Gesunden 
die Atemzüge trotz größerer Tiefe kürzere Zeit dauern als bei 
ruhiger Atmung, beobachtete ich bei Kranken mit herabgesetzter 
Selbststeuerung während der Arbeitsdyspnoe außer Vertiefung auclu 
eine Verlängerung der Dauer der Atemzüge. Die Verminderung der 
Selbststeuerung verlängert also die Dauer der dyspnoischen Atem- 

1) F. Herzog. Über die Selbststeuerung der Atmung des Menschen usw. 
Arch. f. kliu. Med. Bd. 124. 

2) Die Prüfung der Selbststeuerung durch Auslösen des „Ausatunmgsreflex u es 
ist in den Fällen von Cliey ne-Stokes’sclien Atmen nicht möglich, da die At¬ 
mung dyspnoisch ist und meist auch der Allgeraeinzustand des Kranken nicht 
entsprechend ist. 


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Über die Entstehung des Cheyne-Stokes’schen Atmens. 


203 


zöge, somit kann diese Erscheinung im Anfangsteil der Periode des 
Cheyne-Stokes’schen Atmens hierdurch erklärt werden. Inden 
erwähnten Fällen von verminderter Selbststeuerung war die Aus¬ 
atmung sowohl bei ruhiger, wie bei dyspnoischer Atmung manch¬ 
mal unvollständig und darum kann man auch beim Cheyne- 
Stokes 'sehen Atmen die, besonders in der ersten Hälfte der 
Periode vorkommende Unvollständigkeit der Ausatmung durch die 
zu dieser Zeit verminderte Selbststeuerung erklären. Mit der Ver¬ 
besserung der Selbststeuerung am Ende der Periode wird auch die 
Ausatmung vollkommen. 

Es fragt sich nun: welche Bedeutung hat diese periodische 
Schwankung der Selbststeuerung? Es wäre möglich, daß dieselbe 
nur eine Folge der Periodizität der Atmung wäre, doch anderer¬ 
seits könnte die Schwankung der Selbststeuerung auch primär sein 
und in diesem Falle könnte hierdurch vielleicht die Periodizität 
der Atmung verursacht werden. Bezüglich der ersten Möglichkeit 
könnte von Bedeutung sein, daß im Verlauf der periodischen At¬ 
mung der Gasgehalt des Blutes sich periodisch verändert, daß 
während der Pause die C0. 2 sich ansammelt und das 0 weniger 
wird, und während der Atmung die Menge dieser Gase in ent¬ 
gegengesetztem Sinne sich verändert. Man könnte daran denken, 
daß die periodische Schwankung der Selbststeuerung damit Zu¬ 
sammenhänge. insbesondere daß die Verminderung der Selbst¬ 
steuerung im Beginn der Periode durch C0 2 - Anhäufung und 
O-Mangel verursacht werde. Daß dies nicht der Fall ist, daß 
die größere Venosität des Blutes die Selbststeuerung nicht herab¬ 
setzt, wird dadurch bewiesen, daß in Fällen von kardialer Stauung 
trotz sehr starker Cyanose und Dyspnoe die relative Dauer der 
Aus- und Einatmung vollkommen normal ist, die Selbststeuerung, 
die dieses Verhältnis aufrechterhält, ist also ungestört. Eben 
darum und weil wir keinen anderen Umstand kennen, der beim 
€heyne-Stokes’schen Atmen auf die Selbststeuerung einwirken 
könnte, muß man die periodische Verminderung und Verbesserung 
der Selbststeuerung beim Cheyne-Stokes'sehen Atmen für 
primär halten. 

Diese Annahme erklärt auch noch andere Eigenschaften der 
Cheyne-Stokes’schen Atmung. Im Beginn der Periode ist 
die Selbststeuerung, welche auf die Inspiration hemmend wirken 
könnte, vermindert, die Einatmung kann infolgedessen immer tiefer 
werden. Dazu kommt noch, daß die ersten Atemzüge den Gasgehalt 
des Blutes nur wenig oder noch nicht verbesserten (die Cyanose 


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Herzog 


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steigert sich oft noch während der ersten Hälfte der Periode», daß 
also zu dieser Zeit die Reize des Atmungszentrums noch znnehmen. 
So entsteht das sehr tiefe, seufzende Atmen in der Mitte der Periode. 
Infolge dieser tiefen Atmung vermindern sich die Reize des Atmungs- 
Zentrums und andererseits ist zu dieser Zeit die Selbststeuerung 
wieder verbessert, so daß deren inspirationshemmende Wirkung 
auch zur Geltung kommt Beide Faktoren wirken im gleichen 
Sinne auf die Einatmung, die Größe der Inspirationen vermindert 
sich in der zweiten Hälfte der Periode. Die weitere Verminderung 
der Reize des Atemzentrums zusammen .mit der inspirationshem¬ 
menden Wirkung der Selbststeuerung verursacht dann die Atem¬ 
pause. Während der Pause werden die Reize des Atemzentrums 
immer größer und wenn dieselben einen gewissen Grad erreicht 
haben, werden sie Atembewegnngen auslösen, was auch dadurch 
erleichtert wird, daß im Beginn der Atmungsperiode die Selbst¬ 
steuerung vermindert ist, eine inspirationshemmende Wirkung der¬ 
selben also nicht vorhanden oder gering ist. 

Durch die periodische Ab- und Zunahme der Selbststeuerung 
kann man also alle Erscheinungen des Cheyne-Stokes^schen 
Atmens erklären, besonders auch die Atempause. Beim Entstehen 
der Pause muß man der durch die Lungenvagi vermittelten Selbst¬ 
steuerung eine hervorragende Rolle zuschreiben, dafür spricht, daß 
man im Tierexperiment durch forcierte künstliche Atmung nur bei 
intakten Vagi eine Apnoe erzielen kann, während nach Durch¬ 
schneidung dieser Nerven dies nicht gelingt. Dies beweist, daß 
die Reizung der N. vagi auf das Atemzentrum deprimierend wirkt, 
und daß beim Fehlen dieser Wirkung (nach Durchschneiden der 
Vagi) die Reizbarkeit des Atemzentrums sich nicht so weit ver¬ 
mindert, daß die Atmung Stillstehen würde. Die wichtige Rolle 
der Lungenvagusreiznng wird am besten dadurch bewiesen, daß 
nach forcierter künstlicher Atmung das Tier auch dann noch 
apnoisch bleiben kann, wenn das Blut schon stark venös geworden 
ist, ja das Tier kann sogar in der Apnoe durch Erstickung zu¬ 
grunde gehen. Eben darum ist es wahrscheinlich, daß auch die 
Pausen der Ch ey ne-Stokes’schen Atmung in erster Reihe durch 
die während der Atmung entstandene deprimierende Wirkung der 
Vagusreizung auf das Atemzentrum verursacht sind und daß 
demgegenüber die Abnahme derVenosität des Blutes nur eine ge¬ 
ringere Bedeutung hat. Diese Annahme ist auch darum berechtigt, 
weil die Patienten oft fortwährend, auch in der Pause, stark cya- 


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Über die Entstehung des Uheyne-Stokesschen Atmens. 


205 


notisch sind, somit also auch zu dieser Zeit die Reize des Atem¬ 
zentrums nicht wesentlich vermindert sein können. 

Der wechselnde Gasgehalt des Blutes, die Zu- und Abnahme 
der Venosität, ist also nicht die Ursache, sondern eine Folge des 
Cheyne-Stokes’schen Atmens, welche aber dazu beiträgt, daß 
die Periodizität aufrecht erhalten wird. Außer den besprochenen 
mnß man noch mit einem anderen Umstand rechnen, der auch die 
einmal eingetretene Periodizität befördert. Tierexperimente be¬ 
weisen, daß die Reizbarkeit des Atemzentrums durch Vagusreizung 
vermindert, durch Fehlen dieser Reize erhöht wird. Die Rolle des 
ersteren Umstandes beim Entstehen der Pause habe ich soeben 
besprochen. Im Anfang der Periode hingegen ist die Selbst¬ 
steuerung herabgesetzt, es sind also die durch den Vagus ver¬ 
mittelten Reize geringer und infolgedessen die Reizbarkeit des 
Atemzentrums wohl größer als in der zweiten Hälfte der Periode, 
wo mit der Verbesserung der Selbststeuerung größere Reize durch 
den Vagus zum Atemzentrum gelangen und dessen Reizbarkeit 
herabsetzen. Infolge der Schwankungen in der Selbststeuerung 
entstehen also wahrscheinlich auch in der Reizbarkeit des Atem¬ 
zentrums periodische Schwankungen, die zum Erhalten der Perio¬ 
dizität der Atmung beitragen, indem im Beginn der Periode die 
Reizbarkeit größer ist, um dann abzunehmen. Ob eine primäre 
periodische Schwankung in der Reizbarkeit des Atemzentrums 
• Luciani) oder eine abnorme schnelle Emüdbarkeit desselben 
(Rosenbach) beim Cheyne-Stokes’schen Atmen eine Rolle 
spielt, darüber fehlen Beweise, obwohl es nicht unwahrscheinlich 
erscheint. 

Bezüglich des Weges der Selbststeuerung ist der Lungenvagus 
von größter Bedeutung; dies beweisen die Tierexperiniente von 
Hering und Breuer. Außerdem hat auch das Gehirn einen 
ähnlichen, aber viel geringeren Einfluß auf die Atmung. Bei 
Durchschneidung über dem verlängerten Mark entsteht zwar keine 
Störung im Rhythmus der Atmung, doch erfolgt, wenn vorher auch 
die Vagi durchschnitten wurden, eine viel schwerere Rhythmus¬ 
störung, als wenn nur die beiden Vagi allein durchschnitten wurden. 

Auf der Annahme einer Störung des regulierenden Einflusses 
des Großhirns beim Cheyne-Stokes’schen Atmen basiert die 
Theorie von Unverricht. Er beobachtete, daß bei Hemiplegie 
dieses Phänomen mit der Lähmung zugleich entstand und wieder 
verschwand, in einem Falle von Kopftrauma bestand Cheyne- 
Stokes’sches Atmen als einziges Symptom und daraus folgert er, 


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Herzog 


daß dieses Phänomen den anderen Gehirnsymptomen analog sei 
und infolge einer Störung der cortikalen Regulation der Atmung 
entstehe. Meine eigenen Beobachtungen beweisen, 
daß beim Cheyne-Stokes’schen Atmen die Selbst¬ 
steuerung periodisch schwankt und daß diese Schwan¬ 
kung nicht eine Folge dieses Atmungstypus sein 
kann, sondern primär ist; nach meiner Annahme 
wird das Cheyne-Stokes’sche Atmen durch diese Zu- 
und Abnahme der Selbstbesteuerung verursacht. 
Es lassen sich hierdurch nämlich alleEigenschaften 
dieses Phänomens erklären. Über den Ort dieser Störung 
jedoch, ob dabei hauptsächlich der Lungenvagus oder das Großhirn 
in Betracht kommt, läßt sich auf Grund meiner Beobachtungen 
nichts aussagen. Die Tierexperimente beweisen die größere regu¬ 
latorische Wirkung des Lungenvagus und darum ist es wahrschein¬ 
lich, daß dieser auch beim Menschen eine größere Wirkung auf 
den Rhythmus der Atmung hat, daß also hauptsächlich eine 
periodische Störung der Regulation durch den Vagus das Cheyne- 
Stokes’sche Atmen verursacht. 

Mit meiner Annahme muß ich mich aber noch aus folgenden 
zwei Gesichtspunkten befassen. Einerseits damit, ob diese Er¬ 
klärung des Cheyne-Stokes’schen Atmens mit den übrigen Er¬ 
scheinungen, die dabei oft Vorkommen, im Einklang ist und ob 
diese Erklärung auch vom Standpunkte jener Umstände ent¬ 
sprechend erscheint, unter denen dieses Phänomen beobachtet wird. 

Während der Pause verschwindet die Atemnot, Schmerzen ver¬ 
gehen, der Patient schläft auch ein oder wird bewußtlos, sobald 
jedoch die Atmung wieder eiusetzt, entsteht Atemnot und Unwohl¬ 
sein, das Bewußtsein kehrt zurück. Während der Pause wird oft 
Bradykardie und Miose beobachtet und dies verschwindet in der 
Periode des Atmens. Manchmal schwankt auch der Blutdruck 
periodisch. Alle diese Erscheinungen können unmöglich durch das 
Aussetzen und Wiedererscheinen der Atmung erklärt werden, diese 
Erscheinungen sind auf keinen Fall eine Folge der Periodizität 
der Atmung, sondern mit dieser gleichwertig und daher aus der¬ 
selben Ursache entstanden, wie die Cheyne-Stokes’sche Atmung 
selbst. Diese Erscheinungen sind wohl alle die Folge einer 
periodisch sich verändernden Funktion des Nervensystems und dies 
stimmt damit überein, daß das Cheyne-Stokes’sche Phänomen 
durch eine Zu- und Abnahme der Selbststeuerung der Atmung. 


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Über die Entstehung des Cheyue-Stokes'schen Atmens. 


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also auch durch eine periodisch auftretende Schwankung einer 
Nervenfunktion verursacht ist. 

Bezüglich des Vorkommens der Cheyne-Stokes’schen At¬ 
mung muß ich mich vor allem darauf berufen, daß nach der all¬ 
gemeinen Auffassung zwischen diesem Typus der Atmung und 
jener periodischen Atmung, bei welcher zwischen den typischen 
Perioden Pausen nicht vorhanden sind, ein wesentlicher Unter¬ 
schied nicht besteht. Die Zusammengehörigkeit dieser beiden 
Formen beweist am besten, daß oft die eine in die andere über¬ 
geht. Hiervon ausgehend kann man sagen, daß das periodische 
Atmen unter den verschiedensten Umständen beobachtet wird, so¬ 
wohl beim gesunden wie beim kranken Menschen in verschiedenen 
Krankheiten. In letzterem Falle ist das Phänomen meistens 
typischer und geht öfters mit kürzeren oder längeren Pausen einher. 
Beim Gesunden wird das periodische Atmen während des Schlafes 
beobachtet, auch der Aufenthalt in großen Höhen kann es hervor- 
rufen. Bei Schwerkranken, besonders bei Herz- und Nierenkranken, 
bei Arteriosklerose und Gehirnkrankheiten kommt es oft vor und 
erscheint besonders häufig, wenn der Zustand des Patienten sich 
verschlechtert. Auch hier zeigt es sich oft nur im Schlafe. Manch¬ 
mal wird es durch Medikamente, vorzüglich durch Morphium, her¬ 
vorgerufen. Schließlich aber wird es auch bei Kranken beobachtet, 
deren Allgemeinzustand gut ist. Doch kennen wir keine Krank¬ 
heit, die regelmäßig zu Cheyne-Stokes'schem Atmen führen 
würde. In Anbetracht dieser Verhältnisse muß man es für wahr¬ 
scheinlich halten, daß beim Entstehen dieser periodi¬ 
schen Atmung eine individuelle Eigenschaft eine 
Rolle spielt, welche beimKranken ebenso vorhanden 
ist, wie beim Gesunden. Unter gewissen Umständen 
beim Gesunden und bei Krankheiten, die auch auf das 
Nervensystem einwirken, tritt diese Eigenschaft, im 
Sinne unserer Annahme die nicht ganz vollkommene, 
periodisch schwankende Selbststeuerung der At¬ 
mung, in stärkerem Grade hervor und führt zum 
Periodischwerden der Atmung. Dieser supponierten ge¬ 
ringen Schwankung der Selbststeuerung der Atmung des gesunden 
Menschen darf man als analoge Erscheinungen an die Seite stellen 
die von der Atmung und der Herztätigkeit unabhängigen periodi¬ 
schen Schwankungen des Blutdrucks (Traube und Hering) und 
die von der Atmung unabhängigen periodischen Schwankungen der 
Herzaktion (Pick). 


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Aus der I. uiedizin. Klinik der Universität München (Direktor: 
Prof. Dr. E. v. Romberg) und aus der medizin. Poliklinik der 
Universität Halle (Direktor: Prof. Dr. H. Straub). 

Blutreaktion und Dyspnoe bei Nierenkranken. 

Von 

H. Straub und Klothilde Meier. 

(Mit 1 Abbildung.) 

Die Untersuchung der Kohlensäurebindungskurve von Nieren¬ 
kranken *) bat ergeben, daß abgesehen von cardialer und pulmonaler 
Dyspnoe bei diesen Kranken noch zwei grundsätzlich verschiedene 
Formen von Dyspnoe Vorkommen. Die durch Tierexperimente ge¬ 
stützte Reaktionstheorie der Atmungsregulation von Winter¬ 
stein besagt, daß weder Sauerstoffmangel, noch Kohlensäure- 
Spannung als solche, sondern allein die Wasserstoffionenkonzentration 
des Blutes die chemische Regulation der Atmung besorgt. Unter 
den untersuchten dyspnoischen Nierenkranken hatte sich nun eine 
große Gruppe von Fällen gefunden, bei denen zur Bindung der 
Kohlensäure im Blute abnorm geringe Mengen basischer Valenzen 
zur Verfügung standen. Die Bindungskurve zeigte also ausge¬ 
sprochene Hypokapnie. Dieses Verhalten kann dahin verstanden 
werden, daß in dem Blute dieser Kranken abnorme Mengen nicht 
flüchtiger saurer Valenzen kreisen, die der Kohlensäure das Alkali 
wegnehmen und dadurch Kohlensäure aus dem Blute verdrängen. 
Jedenfalls kann bei dem gefundenen Verhalten der Kohlensäure¬ 
bindungskurve dieser Kranken nach dem Massenwirkungsgesetze 
die das Atemzentrum reizende Zahl der freien Wasserstofiiönen 
nur dann normal sein, wenn eine abnorm geringe Menge freier 
Kohlensäure zugegen ist. d. h. wenn die Kohlensäurespannung des 

1) H. Straub und Kl. Meier, Biochem. Zeitscbr. 1921. 

2) H. \Yin ter s tein, Pfiiiger’s Arch. 138,1911, S.45. Biochem. Zeitsehr. 70. 
1!*15, S. 45. PHiig^er’s Areh. 187, 1921. S. 298. 


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Blutreaktion and Dyspnoe bei Nierenkranken, 


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Arterienblutes dieser Kranken unter die Norm herabgesetzt ist 
Um diese Herabsetzung der Kohlensäurespannung zu erreichen, 
ist erhöhte Ventilation der Alveolen erforderlich, die klinisch zu 
Schweratmigkeit führen muß. Bei den untersuchten Quecksilber¬ 
nieren, akuten und chronischen Glomerulonephritiden und Sklerosen 
hatte sich nun jeweils eine große Gruppe gefunden, bei der Hypo¬ 
kapnie des Blutes mit Dyspnoe verbunden war und bei der der 
Grad der Dyspnoe ungefähr dem Grade der Hypokapnie des Blutes 
entsprach. Bei diesen Fällen bestand also die Möglichkeit, die be¬ 
obachtete Dyspnoe entsprechend der Reaktionstheorie Winter¬ 
st ein’s durch die festgestellte Hypokapnie des Blutes zu erklären. 

Diesen Fällen von Dyspnoe durch Hypokapnie des Blutes steht 
eine andere Gruppe mit etwa ebenso vielen Fällen gegenüber, bei 
denen zum Teil eine besonders hochgradige Dyspnoe bestand, ohne 
daß sich in der Zusammensetzung des Blutes ein Grund für diese 
Dyspnoe ergäbe. Die Kohlensäurebindungskurve verläuft teils im 
normalen Bezirke, eukapnisch, teils werden abnorm hohe Mengen von 
Kohlensäure gebunden, es besteht Hyperkapnie. Nach dem Verhalten 
des Blutes sollte namentlich bei den zuletztgenannten Fällen ange¬ 
nommen werden, daß durch das Blut ein abnorm geringer Reiz 
auf das Atemzentrum ausgeübt werde, so daß sich eine verminderte 
Ventilation der Alveolen ergeben müßte. Wenn trotzdem Dyspnoe 
besteht, so wies dies aut ein abnormes Verhalten des Atem¬ 
zentrums hin. 

Um über die zugrunde liegende Störung, namentlich aber über 
die quantitativen Verhältnisse Klarheit zu gewinnen, ist es not¬ 
wendig, außer der Bindungskurve auch die aktuelle Reaktion des 
arteriellen Blutes, seine Wasserstoffionenkonzentration zu kennen. 
Dann läßt sich sagen, inwiefern die klinisch ermittelte Reaktion 
des Atemzentrums, die Ventilationsgröße, von der Stärke des Atem¬ 
reizes, nämlich der Reaktion des Blutes, bestimmt wird. Zwei Wege, 
ein direkter und ein indirekter, stehen zur Ermittlung der aktuellen 
Reaktion des Arterienblutes zur Verfügung. Der direkte besteht 
in der Analyse des durch Arterienpunktion nach Htirter 1 ) ge¬ 
wonnenen Blutes. Die Punktion muß in der Weise vorgenommen 
werden, daß das Blut vor jeder Berührung mit Luft geschützt 
wird und seine Kohlensäurespannung unverändert beibehält. Zur 
weiteren Verarbeitung stehen wieder drei Wege offen. Entweder 
kann die Messung der aktuellen Reaktion mit Hilfe der Gaskette 

1) HQrter, Deutsches Arch. f. klin. Med. 108, 1912, 8.1. 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. 138. Bd. 14 


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210 


Stbaub u. Mbikb 


direkt durchgeführt werden. Die Fehlerbreite der Methode ist 
nicht unbeträchtlich. Doch ist es möglich, anf diesem Wege aus¬ 
reichend genaue Ergebnisse zu erzielen. Ans der so ermittelten 
Wasserstoffzahl des Arterienblutes nnd ans der Kohlensäurebindungs- 
kurve kann dann die Kohlensäurespannung des Arterienblutes mit 
der Genauigkeit ermittelt werden, die die Fehlerbreite der Methode 
gestattet. Dieser Weg ist bisher noch nicht versucht worden, vor 
allem wegen des ziemlich zeitraubenden Verfahrens. Einfacher er¬ 
mittelt man umgekehrt die Wasserstoffzahl des Arterienblutes aus 
seiner Kohlensänrespannnng und Kohlensäurekapazität Wieder ist 
es notwendig, arterielles Blut durch Arterienpunktion zu gewinnen. 
In diesem Blute läßt sich die Kohlensäurespannung durch Mikro¬ 
gasanalyse mit der Kapillare vonKrogh 1 2 ) ermitteln. Die Fehler- 
breite der Methode ist jedoch recht groß. Auch ist die Technik 
keineswegs einfach. So bleibt die dritte Möglichkeit, Wasserstoff¬ 
zahl und Kohlensäurespannung dadurch zu ermitteln, daß man den 
Kohlensäuregehalt des Arterienblutes direkt bestimmt und die ge¬ 
suchten Werte ans dieser Bestimmung mit Hilfe der Kohlensänre- 
bindungskurve ableitet. Dieser Weg, der wieder eine Analyse im 
direkt entnommenen Arterienblute verlangt, ist von Haggard 
und Henderson 3 ) im Tierversuch verwendet und von Means, 
Bock und Wood well neuerdings 8 ) beim Menschen begangen 
worden. Steigt die Kohlensäurebindungskurve in dem kritischen 
Spannungsbezirk steil auf, so kann man mit diesem Verfahren 
den Punkt, der das physikalisch-chemische Verhalten des Arterien¬ 
blutes bestimmt, sehr genau ermitteln. Sobald aber die Kurve 
flacher verläuft, bedeutet ein geringer Fehler in der Bestimmung 
des Kohlensäuregehaltes einen großen Fehler in der Kohlensäure¬ 
spannung. Darum ist diese Methode für Untersuchungen am 
Menschen nicht ausreichend genau. 4 * * * ) 


1) A. Krogh, Skand. Arch. f. Physiol. 20, 1908, S. 279 and Abderhalden’» 
Handbuch der biol. Arbeitsmethoden 1920, Abt. IV, 10, S. 179. 

2) H. W. Haggard nnd T. Henderson, Jonrn. of biol. Chem. 39, 1919, 
8. 163. 

3) J. H. Means, A. V. Bock nnd H. N. Weodwell, Jonrn. of exp. Med. 
33,1921,8.201. 

4) Anmerkung b. d. Korrektur: In einer soeben erschienenen Arbeit Uber 

kardiale Dyspnoe haben Eppinger n. Schiller (Wiener An-h. f. klin. Med. 2, 

1921, 8.681) Analysen dnrch Arterienpnnkrion gewonnenen Blntea durch geführt 

Leider haben sie sich im allgemeinen darauf beschränkt, die Kohlensäurekapazität 
des Blutes bei Sättigung mit einer einzigen Gasmischung bekannten Kohlensänre- 

gehaltes (nicht bekannter Kohlensäurespannung!) zu bestimmen. Dabei ergab 


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Blntre&ktion und Dyspnoe bei Nierenkranken. 211 

Dem direkten Wege der Bestimmnng der Wasserstoffzahl des 
Arterienblates durch Analyse einer durch Arterienpunktion ge¬ 
wonnenen Blutprobe steht der indirekte Weg gegenüber,, der die 
Kohlensäurespannung des Arterienblutes aus der Analyse der mit 
dem Arterienblute im Spannungsgleichgewicht stehenden Alveolar¬ 
luft ermittelt Die Alveolargasanalyse nach Haldane, die wir 
schon früher 1 ) bei Nierenkranken angewendet hatten, wurde des¬ 
halb bei zahlreichen unserer Kranken auch im Rahmen der vor¬ 
liegenden Untersuchungen ausgeführt Der Nachteil des Verfahrens 
besteht darin, daß die Methode eine Mitwirkung des Untersuchten 
vor&ussetzt Bei bewußtlosen Kranken ist sie also nicht anwendbar. 
Doch gelang es uns, auch bei somnolenten Kranken zuverlässige 
Analysen zu erhalten, wenn das Verfahren früher mit ihnen ein¬ 
geübt war. Brachte man dann den Kopf in die gewohnte Lage 
vor das Mundstück des Analysenschlauches und gab im richtigen 
Augenblick das gewohnte Kommando zur forcierten Exspiration, so 
wurde es oft überraschend gut befolgt Ein weiterer Nachteil liegt 
darin, daß bei schweren Kreislaufstörungen und bei Erkrankungen 
der Atmungsorgane nach den Feststellungen von Siebeck über¬ 
haupt die Alveolarluft nicht einheitlich zusammengesetzt ist Man 
erhält dann mit der Analyse nach Haldane nur annähernde 

sieb, daß die Kohlensäurebindungsfähigkeit des Arterienblates sieb von der von 
ans and anderen bestimmten des viel einfacher zu gewinnenden Venenblntes nur 
am kleine Beträge unterscheidet. Aach da, wo E. u. Sch. den ursprünglichen 
K ohlensä aregehalt des vor Berührung mit Luft geschützten Arterienblutes be¬ 
stimmt haben, haben sie es unterlassen, die von ans als notwendig geschilderte 
and &nch von den amerikanischen Autoren beachtete Beziehung zur Bindungs¬ 
kurve herzustellen und daraus die Kohlensäure Spannung zu ermitteln. Andern 
springenden Punkte der ganzen Dyspnoefrage, nämlich der gleichzeitigen Er¬ 
mittelung der Bindungsfähigkeit und der Spannung und der daraus möglichen 
Berechnung der Wasserstoffzahl, gehen E. n. Sch. vollkommen vorbei, zumal sie 
über diese Beziehungen und über das Verhältnis der „freien“ zur „gebundenen“ 
Ko hlensä ure auf 8.616 ff. ihrer Arbeit ganz unzutreffende Vorstellungen ent¬ 
wickeln. Sie verkennen, daß die „freie“ Kohlensäure, die sie als „absorbierte“ 
bezeichnen, eiue lineare Funktion der Kohlensäurespannung ist und daß durch 
8chütteln mit Luft nicht nur die freie, sondern auch der größte Teil der ge¬ 
bundenen Kohlensäure ausgetrieben wird, wie der Verlauf der Bindnngskurve 
zeigt. Die Zahlen ihrer Tabelle XVII verlieren dadurch ihre Bedeutung. Die 
mühevolle Arbeit von E. u. Sch. kann deshalb die Entstehung der kardialen 
Dyspuoe nicht endgültig klären. Unsere Untersuchungen zu dieser Frage be¬ 
rücksichtigen die von E. u. Sch. übersehenen Gesichtspunkte. Ihre Ergebnisse 
haben wir in einer kurzen Mitteilung (Deutsches Arch. f. klin. Med. 125, 1918, 
S. 477) niedergelegt, die E. u. Sch. anscheinend entgangen ist. 

1) H. Straub und C. Schlayer, Münchener med. Wochenschr. 1912, Nr. 11. 

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212 


Stbaub u. Xsm 


Durchschnittswerte. Da aber bei der Mehrzahl unserer Kranken 
solche Komplikationen nicht Vorlagen, konnte bei ihnen das Ver¬ 
fahren unbedenklich verwendet werden. Diesen Nachteilen siebt 
der große Vorzag gegenüber, daß die immerhin unangenehme Ar- 
terienpunktion überflüssig wird. 

Gelingt die Alveolargasbestimmung einwandfrei, so hat die 
Methode den weiteren Vorzug großer Genauigkeit Nach dieser 
Methode haben wir bei 21 der in der früheren Mitteilung 1 2 * ) ver¬ 
werteten 50 Nierenkranken aus der Kohlensäurespannnng der Al¬ 
veolarluft die Kohlensäurespannung des arteriellen Blutes ermittelt 
Unmittelbar danach wurde Blut zur Bestimmung der Kohlensäure- 
bindungskurve entnommen. Der Pnnkt der Bindongskurve, der die 
ermittelte Kohlensäurespannung aufweist, definiert den Zustand 
des Arterienblutes eindeutig. Man kennt aus diesem Punkte den 
Kohlensänregehalt des Arterienblutes als die dem Punkte zuge¬ 
hörige Ordinate. Man kennt auch nach Hasselbalch’s*) Formel 
die zugehörige Wasserstoffzahl. Auch Means, Bock nnd Wood¬ 
well haben bei einer Reihe von Fällen mit verschiedenen Er¬ 
krankungen dieses Verfahren gebraucht 

Durch die so ermittelten Punkte kann festgestellt werden, ob 
bei den untersuchten Fällen die Reaktionstheorie der Atmungs¬ 
regulation von Winterstein gilt und welche quantitativen Ab¬ 
weichungen von ihr Vorkommen. Die Ergebnisse der ansgeführten 
31 Bestimmungen bei 21 Kranken sind in Abb. 1 in das auch in 
der genannten Mitteilung gebrauchte Koordinatensystem einge¬ 
tragen. In den Bezirk zwischen den schraffierten Kurven fallen 
die Bindungskurven normaler Kontrollpersonen. In den ebenfalls 
schraffiert abgegrenzten Bezirk der Kohlensäurespannnng zwischen 
35 und 45 mm fallt die Kohlensäurespannnng des Arterienblutes 
Gesunder. Die normalen arteriellen Punkte liegen also in dem 
von beiden Schraffierungen begrenzten unregelmäßigen Viereck 
Von dem Nullpunkt des Koordinatensystems geht eine nach der 
Formel Hasselbalch’s berechnete Kurvenschar aus, deren Linien 
Punkte gleicher Wasserstoffzahl verbinden. Die Wasserstoffzahl, die 
jedem der ermittelten arteriellen Punkte entspricht, läßt sich ans 
dem so gestalteten Koordinatensystem ohne weiteres ablesen. Diese 
Wasserstoffzahl heißt regulierte Wasserstoffzahl 8 ) nach Hassel- 


1) II. Straub u. Kl. Meier, Biochem. Zeitschr. 1921. 

2 ) K. A. Hasse Iba Ich, Biochem. Zeitschr. 78, 1916, S. 112. 

B) K. A. Hasselba Ich, Biochem. Zeitschr. 74, 1916, S. 66. 


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Blutreaktion und Dyspnoe bei Nierenkranken. 213 


balch. Sie ist diejenige Wasserstoffzahl, die in der Formulierung 
des Reaktionsgesetzes von Winterstein den tatsächlichen Reiz 
für das Atemzentrum bildet. Soweit also dieses Gesetz gilt, darf 



Punkt« der Eohlensänrespannnng und Eohlensänrebindnng des Arterienblntes 
Ton Nierenkranken. Sie geben zugleich die aktuelle Reaktion des Arterienblntes 
an. Schraffierter Bezirk = Bezirk normaler Eohlensänrebindnng und normaler 
Eohlensänrespannnng (zwischen 35 nnd 45 mm). Die Punkte normalen Blntes 
liegen in dem von beiden schraffierten Bezirken eingeschlossenen unregelmäßigen 
Viereck. Schraffiertes Dreieck am Unterrande = physikalisch absorbierte, „freie“ 
Kohlensäure. Die vom Nullpunkte des Koordinaten sytems ausgehende Eurven- 
schar verbindet Punkte gleicher Wasserstoffzahl. Diese Wasserstoffzahl ist am 
Ende jeder dieser Eurven angegeben. 


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214 


Straub u. Mbirb 


diese Wasserstoffzahl nur in sehr engen Grenzen schwanken. 
Gröbere Abweichungen von dem Normalwert weisen auf eine 
Störung der Atmungsregulation hin. 

Die Ergebnisse der Untersuchungen sind in Tabelle I zu- 
sammenge8tellt. Die reduzierte Wasserstoffzahl (Hasselbalch 1 ) 
ist die Wasserstoffzahl des Blutes bei Eohlensäurespannung 40 mm. 
Sie gibt ein Maß für die Höhe, in der die Kohlensäurebind ungskurve 
verläuft. Die regulierte Wasserstoffzahl (Hasselbalch 1 ) ist die 
Wasserstoffzahl des Arterienblutes. Sie ist ermittelt aus der Kohlen- 
säurebindungskurve als die Wasserstoffzahl des Blutes bei der in 
der Alveolarluft herrschenden Eohlensäurespannung. Die Eohlen¬ 
säurespannung der Alveolarluft ist nach Haldane ermittelt Der 
Kohlensäuregehalt des Arterienblutes endlich ist ebenfalls aus der 
Bindungskurve ermittelt als die Kohlensäurekapazität bei der in 
der Alveolarluft herrschenden Eohlensäurespannung. Die Nummern 
der Patienten sind dieselben wie in der ersten Mitteilung, 2 ) die 
klinischen Daten sind dort angegeben. 

Die Durchsicht der Tabelle I und ein Blick auf Abb. 1 zeigen, 
daß von den Punkten, die den Zustand des arteriellen Blutes de¬ 
finieren, nur verhältnismäßig wenige in dem normalen Bezirk liegen, 
der von den Grenzen des normalen Bindnngsbereichs und dem nor¬ 
malen Spannungsbereich umschlossen wird. Es sind die Punkte, 
die zu den Fällen 6 (2 Punkte), 8,14,16,31 (2 Punkte) und 1 Punkt, 
der zu Fall 44 gehört. Diese Punkte gehören zu zwei akuten 
Glomerulonephritiden ohne Niereninsufficienz (Fall 6, 8), zwei 
chronischen Glomerulonephritiden ohne Niereninsufficienz (Fall 14 
und 15) einer benignen Sklerose (Fall 31), und der Punkt des 
Falles 44 (Sklerose mit Niereninsufficienz) wurde zu einer Zeit 
ermittelt, wo noch keine Niereninsufficienz bestand. Diese im 
Normalbezirk liegenden Punkte gehören also durchweg zu gering¬ 
fügigen Nierenstörungen, bei denen auch sonst Zeichen gröberer 
Nierenschädigung fehlen. Die Wasserstoffzahl des Arterienblutes 
dieser Kranken, wie sie durch die Lage des Punktes definiert 
wird, ist nur unbedeutend verschieden. Alle Punkte liegen zwischen 
den Wasserstofflinien 7,30 und 7,40 und zwar im allgemeinen näher 
dem ersteren Werte. Als Durchschnitt ergibt sich der auch für 
Gesunde von uns gefundene Wert der Wasserstoffzahl für das 
Arterienblut zu 7,33. Die dieser Wasserstoffzahl entsprechende 

1) Ders., Ebenda (e. vorige Seite). 

2) H. Straub u. KI. Meier, Biochem. Zeitechr. 1921. 


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Blntreaktion und Dyspnoe bei Nierenkranken. 215 


Tabelle I. 



Nr. 

Datum 

PH 

rednz. 

PH 

regul. 

Alv.-CO* 

CO t - 

Gehalt 

des 

Arterien- 

blotes 

°U 

Hg.-Nieren 

3 

4. VII. 17 

6. VII. 17 

6,95 

7,04 

7,17 

7,345 

20,3 

18,5 

16 

22 

Akute Glomernlonephr. 

6 

2. VI. 17 

7,32 

7,326 

37,9 

47,6 

ohne N iereninsnfficienz 


22. VI. 17 

7,32 

7,326 

37,9 

47,5 


7 

12. XI. 17 

7,42 

7,466 

36,7 

65 


8 

12. V. 17 

7,33 

7,308 

43,3 

53 

mit Niereninsnfficienz 

11 

6. X. 17 

7,30 

7,349 

33,1 

44,5 



6. XI. 17 

7,33 

7,297 

46,3 

55,5 


12 

2. VH.17 

7,10 

7,11 

35,6 

26 

Chron. Glomernlonephr. 

14 

21. IX. 17 

7,38 

7,394 

40,7 

61 

ohne Niereninsnfficienz 

15 

11. VI. 17 

7,33 


36,1 

49 

mit Niereninsnfficienz 

22 

26. VH.17 

7,12 


25,8, 24,4 

22 


23 

8. VI. 17 

7,24 

7,347 

29,5 

37,5 


24 

14. V. 17 

7,24 

7,297 

33,5 

38,5 



10. VH.17 

7,17 

7,216 

34,6 

32,5 


26 

18. V. 17 

7,21 


31,8 

36,6 



6. VI. 17 

7,15 

7,21 

34,5 

32 



25. IX. 17 

7,22 

7,399 

24,3 

34,5 


28 

10. XI. 17 

7,27 

7,88 

30,1 

42,0 

Sklerosen 

29 

11. X. 17 

7,36 

7.408 

35,1 

63,5 

ohne Niereninsnfficienz 

31 

15. V. 17 

7,34 

7,356 

38,5 

67 



14. IX. 17 

7,30 

7,834 

36,9 

47 

mit Dyspnoe 

35 

4. IV. 18 

7,64 

7,690 

25,9 

76,6 

mit Niereninsnfficienz 




7,655 

81,1 

72,5 

ohne Hypokapnie 

37 

9. I. 18 

7,47 

7,478 

39,1 

72 


39 

12. X. 17 

7,36 

7,631 

19,9 

49,5 





7,504 

29,4 

65 

mit Niereninsnfficienz 
und Hypokapnie 

43 

10. X. 17 

7,29 

7,432 

26,0 

40,5 

44 

7. V. 17 

7,34 

7,326 

41,8 

53 



12. VI. 17 

7,25 

7,233 

40,8 

41 


50 

19. VII. 17 

6,87 

7,031 

20,9 

12 


Linie ist in das Koordinatensystem der Abb. 1 gestrichelt einge¬ 
tragen. Ans unseren diesbezüglichen Untersuchungen ergibt sich 
also: das Atemzentrum reguliert die Lungen Ventilation bei Ge¬ 
sunden so, daß die Wasserstoffzahl des Arterienblutes von 7,33 
nur unbedeutend ab weicht Diese Lage der Wasserstoffzahl des 
Arterienblutes Gesunder stimmt fast absolut mit der von Me ans 


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216 


Stbaub u. Mbibb 


Bock und Woodwell 1 2 * ) durch etwas abweichende Technik er¬ 
mittelten fiberein. Auch bei Untersuchungen mit der Gaskette¬ 
wird derselbe Wert gefunden. 9 ) 

Aber anch unter den gutartigen Nierenstörungen, die unter¬ 
sucht wurden, finden sich 2 Fälle (Nr. 7 und 29), deren arterieller 
Pnnkt nicht im Normalbezirk liegt, wenngleich er diesen nnr eben 
überschreitet Der eine dieser Punkte (Nr. 7), der von einer akuten 
Glomerulonephritis stammt liegt zwar im normalen Spannungsbe¬ 
zirk aber oberhalb des normalen Bindnngsbezirkes, entsprechend 
der leicht hyperkapnischen Bindungskurve. Die Lage des Punktes 
weist auf eine leichte Niereninsufficienz hin. Die Niere ist nicht 
imstande, den Überschuß der basischen Valenzen des Blutes zu be¬ 
seitigen. Aber der Pnnkt zeigt anch sonst noch pathologisches Ver¬ 
halten insofern, als trotz der hohen Lage der Bindnngskurve die 
alveoläre Kohlensäurespannnng nahe der unteren Grenze der Norm 
liegt Infolge dieser niedrigen Kohlensäurespannnng ist die Reaktion 
des Arterienblutes in diesem Falle ganz abnorm weit nach der ba¬ 
sischen Seite verschoben, sie liegt bei der Wasserstoffzahl 7,466, 
während alle anderen bisher betrachteten Punkte zwischen 7,30 und 
7,40 gelegen sind. Die deutliche Abweichung der Reaktion des Ar- 
terienblutes nach der alkalischen Seite weist auf eine abnorme Reiz¬ 
barkeit des Atemzentrums hin, das trotz der stark basischen Re¬ 
aktion des Blutes die Kohlensäurespannnng der Alveolarluft nahe 
der untersten Grenze hält. Im Falle 29, einer benignen Sklerose, 
endlich verläuft die Kohlensäurebindungskurve eukapnisch, etwa 
in der Mitte des normalen Bezirkes. Trotzdem liegt die alveoläre 
Kohlensäurespannnng dicht an der untersten Grenze der Norm, bei 
35,1 mm, so daß wie im vorhergehenden Falle die Reaktion des 
arteriellen Blutes abnorm weit nach der basischen Seite, auf, die 
Wasserstoffzahl 7,408, verschoben ist. Auch hier muß demnach 
eine abnorme Reizbarkeit des Atemzentrums angenommen werden, 
die jedoch weniger hochgradig ist als im vorangehenden Falle. 

Bei allen untersuchten Fällen, bei denen klinisch Zeichen einer 
stärkeren Nierenstörung bestanden, liegt der Punkt des arteriellen 
Blutes irgendwie außerhalb des normalen Bezirkes, lö Punkte 
liegen unterhalb des normalen Bindungsbezirks, sie gehören also 
zu hypokapnischen Bindungskurven. Nur einer von diesen Punkten 

1) J. H. Means, A.V. Book und U. N.Woodwell, Joorn. of exp. Med. 
33, 1921, S. 201. 

2) C. Michaelis n. Davidoff, Biochem. Zeitsehr. 46, 1912, S. 181. 

K. A. Hasselbalch, Ebenda 49, 1913, 8. 461. 


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Blutreaktion und Dyspnoe bei Nierenkranken. 


217 


(Fall 44, zweite Bestimmung) liegt im normalen Spannungsbezirk, 
ein weiterer, von Fall 12, an der untersten Grenze dieses Span* 
nungsbezirks. Alle übrigen hypokapnischen Punkte liegen bei 
abnorm niedriger Kohlensäurespannung. Dieses Verhalten ent¬ 
spricht dem, was nach der Reaktionstheorie Winterstein’s zu er¬ 
warten wäre. Entsprechend der Hypokapnie wird ein vermehrter 
Beiz des Arterienblutes auf das Atemzentrum ausgeübt und da¬ 
durch die Kohlensäurespannung der Alveolarluft herabgesetzt. 
Die niedrige Kohlensäurespannung in den Alveolen ist der objektiv 
meßbare Ausdruck für die bei all diesen Fällen klinisch beobachtete 
Dyspnoe. Bei zahlreichen aller hypokapnischen Punkte geht die 
Herabsetzung der alveolären Kohlensäurespannung so weit, daß 
der arterielle Punkt zwischen den Wasserstoffzahlen 7,30 und 7,40 
bleibt Die Punkte liegen nahe benachbart der Wasserstofflinie 
7,33, d. h. die Wasserstoffzahl des Arterienblutes ist in diesen 
Fällen trotz der Hypokapnie durch Herabsetzung der Kohlensäure- 
spannung auf dem normalen Werte gehalten. Dies trifft zu für 
die Fälle 3 (zweite Bestimmung), 11 (erste Bestimmung), 23, 24 
(erste Bestimmung) und angenähert für die Fälle 26 (letzte Be¬ 
stimmung) und 28. Trotz ausgesprochener Hypokapnie besteht also 
tei diesen Fällen keine Acidose im strengen Sinne, d. h. keine 
Änderung der Wasserstoffzahl des arteriellen Blutes. Die Richtig¬ 
keit der Reaktionstheorie ist also für diese Fälle streng bewiesen, 
namentlich bei dem Fall 3, bei dem die Wasserstoffzahl trotz 
enormer Hypokapnie gewahrt bleibt. Das arterielle Blut enthält 
nur noch 22 Volum-°/ 0 Kohlensäure, statt mindestens 47% in der 
Norm. Trotzdem ist durch Überventilation der Alveolen und Herab¬ 
setzung der Kohlensäurespannung bis auf 16 mm die Wasserstoff¬ 
zahl auf dem normalen Werte gehalten. Bei Fall 11, einer akuten 
Glomerulonephritis, stellt sich mit fortschreitender Besserung 
Enkapnie des Blutes wieder her. Gleichzeitig steigt die alveoläre 
Kohlensäurespannung auf den abnorm hohen Wert von 46,3 mm, 
so daß infolge des hohen Kohlensäuregehaltes die Reaktion etwas 
nach der sauren Seite verschoben wird, von 7,349 auf 7,297. An¬ 
scheinend muß dieser Befund auf eine leichte Ermüdung des Atem¬ 
zentrums bezogen werden. 

Aber nicht alle hypokapnischen Punkte zeigen den Grad von 
Überventilation, der gerade zur Kompensation ausreicht und die 
normale Wasserstoffzahl des Arterienblutes erhält. Bei zwei 
Paukten ist die Ventilation über das erforderliche Maß hinaus er¬ 
höht, die Kohlensäurespannung so weit herabgesetzt, daß die wahre 


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218 


Straub u. Ubier 


Reaktion des Arterienblutes, nach der basischen Seite verschoben 
ist, trotz der Hypokapnie besteht Alkalose. Es handelt sich hm 
Punkt 48, eine Sklerose mit Niereninsufficienz, und um die letzte 
der drei Bestimmungen des Falles 26, einer glomerulären Schrumpf* 
niere. Fall 43 weist nur eine ganz geringe Hypokapnie auf, der 
Punkt liegt dicht an der unteren Grenze des normalen Bindungs¬ 
bezirks. Trotzdem ist die alveoläre Kohlensäurespannung sehr er¬ 
heblich, nämlich auf 26 mm, herabgesetzt. Die Wasserstoffzahl 
des Arterienblutes ist dadurch auf 7,482 gebracht, einen deutlich 
pathologischen Wert. Schon bei der klinischen Schilderung des 
Falles 1 ) war hervorgehoben, daß in diesem Falle die erhebliche 
Dyspnoe, die in der niedrigen Kohlensäurespannung objektiv znm 
Ausdruck kommt, durch die geringe Hypokapnie nicht ausreichend 
erklärt ist. Wie bei den schon besprochenen zwei Punkten mit 
Eukapnie und Alkalose (7 und 29) muß auch im vorliegenden Falle 
eine abnorme Reizbarkeit bzw. Reizung des Atemzentrums zur Er¬ 
klärung der Lage des arteriellen Punktes herangezogen werden. 
Auch im Falle 26 läßt sich aus den Beobachtungen ein abnormes 
Verhalten des Atemzentrums folgern. Bei der ersten Beobachtung 
(18. Mai 1917) ist die Hypokapnie durch Überventilation gerade 
kompensiert, die Wasserstoffzahl des Arterienblutes beträgt 7,301. 
Bei der zweiten Beobachtung (5. Juni 1917), die in die gleich zu 
besprechende Gruppe gehört, reicht die Überventilation nicht aus, 
die Hypokapnie zu kompensieren, die Reaktion des Arterienblutes 
ist abnorm sauer. Und bei der letzten Beobachtung schließlich 
(25. Sept. 1917), von der hier die Rede ist, ist offenbar ein neues 
Moment dazngekommen. Die Ventilationsgröße ist jetzt über den 
Bedarf gesteigert, die Reaktion abnorm alkalisch, 7,399. Offenbar 
kommt aber dieses Ereignis einer Überkompensation bei 
Hypokapnie verhältnismäßig selten vor, unter den 15 hypo- 
kapnischen Punkten zeigen nur 2 dieses Verhalten, beide in mäßig 
hohem Grade. 

Viel häufiger ist offenbar bei Hypokapnie das umgekehrte Ver¬ 
halten. Die zur Kompensation erforderliche Überventilation bleibt 
aus (Fall 44) oder erreicht noch nicht den zu voller Kompensation 
erforderlichen Grad (Fall 3, erster Punkt, 12, 22, ein Punkt von 
24 und 26, und Fall 50). Bei fast der Hälfte (7) aller Fälle mit hypo- 
kapnischer Bindungskurve reicht also die Überventilation nicht 
aus, um die normale Blutreaktion aufrecht zu erhalten. Der Grad 


1) VgL die klinischen Daten in der vorangehenden Mitteilung. 


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Blutreaktion and Dyspnoe bei Nierenkranken. 219 

der Herabsetzung der alveolären Kohlensäurespannung; ist kein 
eindeutiger Maßstab des Grades der Hypokapnie, die Reaktion des 
Arterienblutes ist, obgleich meist eine Überventilation besteht, 
abnorm sauer, es besteht Hypokapnie mit echter Acidose des Blutes. 
Die Hypokapnie ist nicht ausreichend kompensiert. Unter diesen 
dekompensierten Fällen finden sich vor allem die mit besonders 
hochgradiger Hypokapnie (Fall 50, 3 und 22). Dies weist darauf 1 
hin, daß ein Grad von Hypokapnie erreicht werden kann, bei dem 
alle Kompensationsmöglichkeiten versagen. Wie weit die An¬ 
strengungen des Organismus zur Kompensation gehen, zeigt die 
Beobachtung des Falles 3, bei dem 2 Tage später die Hypokapnie 
etwas geringer ist und trotzdem die Überventilation noch etwas 
höhere Grade erreicht. Die alveoläre Kohlensäurespannung ist 
noch eine Spur weiter gesunken und nun eine normale Wasserstoff¬ 
zahl des Blutes erzielt. Am stärksten nach der sauren Seite ver¬ 
schoben ist die ßlutreaktion im Falle 60 mit 7,031, demnächst im 
Falle 12 mit 7,11; im Falle 3 mit 7,17 und im Falle 22 mit 7,204. 
Aber auch bei ziemlich mäßiger Hypokapnie kann die durch Über¬ 
ventilation erreichbare Kompensation versagen, die Blutreaktion 
nach der sauren Seite verschoben sein (Fall 44 und je ein Punkt 
von Fall 24 und 26). Bei allen diesen 7 Beobachtungen handelt 
es sich also um ein Versagen des Atemzentrums, das nicht mehr 
vermag, durch ausreichende Hyperventilation die Blutreaktion auf 
dem normalen Werte zu erhalten. 

Aber nicht nur bei Hypokapnie des Blutes kann die Wasser- 
stoflzahl von der Norm ab weichen. Sämtliche hyperkapnischen und 
ein Teil der untersuchten eukapnischen Kurven haben ebenfalls 
eine pathologische Blutreaktion. Mit Ausnahme des schon be¬ 
sprochenen Falles 7 handelt es sich bei unseren Bestimmungen aus¬ 
schließlich um Sklerosen mit Niereninsufficienz (Fall 35,37 und 39). 
Unter ihnen reagiert der Fall 37 auf die sehr erhebliche Hyper- 
kapnie nicht mit Erhöhung der Kohlensäurespannung, sondern 
sie liegt nahe der Mitte des Normalbezirks bei 39,1 mm. Fttr die 
bestehende Hyperkapnie ist also die Ventilation relativ zu ausgiebig, 
die arterielle Blutreaktion dadurch stark nach der alkalischen Seite 
verschoben auf 7,478. Noch viel auffallendere Verhältnisse zeigen 
die Fälle 35 und 39, bei denen trotz stark hyperkapnischer bzw. 
eukapniscber Bindungskurve eine sehr hochgradige Überventilation 
bestand. In beiden Fällen wies auch schon das klinische Verhalten 
auf hochgradige Störungen der Atmungsregulation hin. Bei Fall 36 
mit der sehr erheblichen Hyperkapnie wechselten Zustände von 


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220 


Straub u. Mbibr 


Somnolenz mit starker Erregnng. Dementsprechend wechselte di» 
Tiefe der Atmung. Es gelang, in beiden Stadien einwandfreie 
Alveolargasanalysen ausznführen. Während einer Periode von Er¬ 
regung war die alveoläre Kohlensäurespannung sehr stark, bis auf 
21,1 mm herabgesetzt. Während der somnolenten Periode war die 
Spannung höher, wie dies dem normalen Verhalten während des Ein¬ 
schlafens entspricht. 1 ) Aber auch im Schlaf stieg die Spannung 
nicht bis auf Normalwerte an, die Analyse ergab 25,9 mm.' Die 
aus der Alveolargasanalyse zu erschließende Reizung des Atem¬ 
zentrums bestand auch während der Somnolenz fort. Die Blut¬ 
reaktion war sowohl durch die Hyperkapnie als namentlich durch 
die außerdem bestehende Überventilation ganz außerordentlich nach 
der basischen Seite verschoben, im Schlaf betrug sie 7,690, während 
der Erregung 7,755, den äußersten basischen Wert des Arterien¬ 
blutes, der bisher beobachtet wurde. Noch auffallender war die 
Atemstörung im Falle 39, dem eine eukapnische Bindungskurve 
zukam. Am Tage der Untersuchung bestand ein schwerer Grad 
von periodischem Atmen. Während der Zeiten tiefer Atemzüge 
war der Patient sehr erregt, rang laut keuchend nach Luft Auf 
der Höhe dieser tiefen, dyspnoischen Atmung wurde nach Haldane 
am Ende des Inspiriums eine alveoläre Kohlensäurespannung von 
19,5, am Ende des Exspirium von 20,3 mm, im Mittel also 19,9 mm 
gefunden. Auch während der Atempause gelang es, den Patienten 
dnrch energische Aufforderung zu forcierter Exspiration in den 
Analysenschlauch zu veranlassen. Wenn man ungefähr das ver¬ 
mutliche Ende der Atempause abpaßte, so erhielt man auf diese 
Weise für die alveoläre Kohlensäurespannung Werte von 28,4 bia 
29,4 mm. Sucht man die zu diesen Kohlensäurespannungen gehörigen 
Punkte auf der Kohlensäurebindungskurve auf, so sieht man, daß 
das Atemzentrum im vorliegenden Falle zur Tätigkeit angeregt 
wird, wenn die Wasserstoffzahl des Arterienblutes auf 7,504 ge¬ 
stiegen ist. Die Apnoe endet also trotz einer abnorm stark basi¬ 
schen Reaktion. Durch die tiefen folgenden Atemzüge wird Kohlen¬ 
säure aus dem Blute entfernt und die Reaktion noch stärker nach 
der basischen Seite verschoben. Ist dadurch die Kohlensäure¬ 
spannung auf 20 mm gefallen und die stark basische Wasserstoff¬ 
zahl 7,631 erreicht, so hört der Reiz für das Atemzentrum auf, es 
folgt eine Periode der Apnoe. Also auch im vorliegenden Falle 
reagiert das Atemzentrum auf den Reiz eines abnorm stark basi¬ 
schen Blutes. Die normale Atemregulation ist gestört. 

1) H. Straub, Deutsches Arch. f. klin. Med. 117, 1916, 8.397. 


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Blutreaktion und Dyspnoe bei Nierenkranken. 


221 


Um also ein Urteil über die Verhältnisse zu gewinnen, die für 
die Dyspnoe der Nierenkranken verantwortlich sind, genügt weder 
die Bestimmung der Kohlensänrebindnngsknrve noch die Bestim¬ 
mung der Eohlensftare8spannnng des Arterienblutes durch Alveolar¬ 
gasanalyse allein. Erst die Kombination beider Methoden gestattet 
ein klares Verständnis der maßgebenden Einflüsse und eine Prüfung 
des Geltungsbereichs der Reaktionstheorie der Atmungsregnlation. 
Durch dieses Prüfungsverfahren erkennt man, daß tatsächlich bei 
fielen Nierenkranken ebenso wie beim Gesunden die Kohlensäure- 
Spannung des Arterienblutes durch die Ventilationsgröße so ein¬ 
gestellt wird, daß die Wasserstoff zahl des Arterienblntes sich von 
dem Werte 7,33 nur unbedeutend entfernt. Wird die Kohlensäure¬ 
kapazität des Blutes durch die Nierenkrankheit und ihre Folgen 
herabgesetzt, besteht also Hypokapnie des Blutes, so kann selbst 
bei sehr hochgradiger Herabsetzung der Bindungskurve trotzdem 
durch Überventilation die arterielle Wasserstoffzahl normal erhalten 
werden. Dieser physiologische Kompensationsmechanismus führt 
zu einer Form der Dyspnoe, die zweckmäßig und für den Organis¬ 
mus nützlich ist. Die Dyspnoe vieler Nierenkranker ist also durch 
die Hypokapnie des Blutes erklärt und bedeutet eine Kompensation 
dieser Hypokapnie entsprechend der Reaktionstheorie der Atmungs¬ 
regulation. Sie erhält die Wasserstoffzahl des Arterienblutes auf 
ihrem normalen Werte. 

Damit grenzt sich eine Form der Dyspnoe bei Nierenkranken 
ab, die durch Hypokapnie des Blutes ausgelöst wird. Hypokapnie 
ist im vorliegenden Zusammenhang der Ausdruck einer schweren 
Niereninsufficienz. 1 ) Dementsprechend tritt diese Form der Dypnoe 
im Spätstadium der Nierenkrankheiten auf. Es erscheint 
richtig, ausschließlich für diese im Spätstadium als 
Ausdruck einer Niereninsufficienz auftretende Dys¬ 
pnoe durch Hypokapnie des Blutes die Bezeichnung 
„urämische Dyspnoe“ vorzubehalten. 

Bei einer Reihe von Nierenkranken ist die durch Hypokapnie 
ausgelöste Hyperventilation nicht ausreichend, um die Wasserstoff¬ 
zahl des Blutes normal zu erhalten, es besteht Hypokapnie mit 
echter Acidose, d. h. mit einer abnorm schwach basischen, teil¬ 
weise nahezu neutralen Reaktion des Arterienblutes. Diese Fälle 
sind als dekompensierte Hypokapnie zu bezeichnen. Sie lassen sich 


» 

1) H. Straub u. Kl. Meier, Biochem. Zeitschr. 1921. 


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222 


Stkaub n. Msnra 


nur durch die Bestimmung der aktuellen Beaktion des Arterien¬ 
blutes von den kompensierten Hypokapnien unterscheiden. 

Diesen Fällen von Dyspnoe der Nierenkranken durch kompen¬ 
sierte oder dekompensierte Eypokapnie steht nun aber eine etwa 
ebenso große Anzahl von Fällen gegenüber, bei denen die klinisch 
beobachtete hochgradige Dyspnoe, die zu objektiv nachweisbarer 
Herabsetzung der alveolären Kohlensäurespannung führt, nicht 
durch Hypokapnie erklärt werden kann. Die Hypokapnie ist ent¬ 
weder zn geringfügig für den Qrad der auftretenden Dyspnoe, oder 
es besteht Eukapnie, vielfach sogar Hyperkapnie des Blntes. Ge¬ 
meinsam ist allen diesen Fällen die Tatsache, daß die aktuelle 
Blutreaktion nicht normal wie bei den kompensierten oder gar 
zu sauer wie bei den dekompensierten Hypokapnien ist, sondern 
daß im Gegenteil' ganz abnorm stark basische Blutreaktion ge¬ 
funden wird. Bei diesen Kranken ist also die Dyspnoe und Über¬ 
ventilation keine durch die Beschaffenheit des Blutes bedingte, 
hämatogene,*) sondern sie muß auf abnorme Verhältnisse im Atem¬ 
zentrum bezogen werden, ist also in der Nomenklatur von Winter¬ 
stein als zentrogene zu bezeichnen. Durch die Arbeiten von 
Winterstein sowie von Henderson und seinen Mitarbeitern 
kennen wir als Vertreter der zentrogenen Hyperpnoe die durch 
oberflächliche Narkose, durch Schmerz und durch Sauerstoffmangel 
ausgelöste. Ob bei diesen Formen von Hyperpnoe so außerordent¬ 
lich stark basische Reaktionen im Blute auftreten können wie in 
den von uns beobachteten Fällen, ist freilich bisher nicht be¬ 
obachtet worden. 

Außer der hämatogenen kommt also bei zahlreichen Nieren¬ 
kranken eine grundsätzlich verschiedene zentrogene, cere¬ 
brale Form von Dyspnoe vor. Diese cerebrale Dyspnoe der 
Nierenkranken ist verschieden von der zentrogenen Dyspnoe durch 
Sauerstoffmangel. Unsere Nierenkranken lebten in einer Atmo¬ 
sphäre mit vollkommen ausreichendem Sauerstoffgehalt, infolge der 
Überventilation der Alveolen war zweifellos der Sauerstoffpartiar- 
druck in diesen abnorm hoch. Das Blut hatte also vollkommen aus¬ 
reichende Möglichkeit, sich in den Lungen mit Sauerstoff zu sättigen. 
Eine Erkrankung der Lungen, die den Gasaustausch in den Al¬ 
veolen behindern könnte, lag nicht vor. Eine ungenügende Sätti¬ 
gung des Blutes mit Sauerstoff kann also nicht für diese Dyspnoe 
verantwortlich gemacht werden. Winterstein hat nun seine 

1) H. Winterstein, Pflüger’s Arch. 187, 1921, S. 293. 


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Blntreaktion und Dyspnoe bei Nierenkranken. 


223 


Beaktionstheorie in der Weise formuliert, daß nicht eigentlich die 
Beaktion des Arterienblutes, sondern die Beaktion der Gewebs¬ 
flüssigkeit in den Atemzentren selbst die Größe der Ventilation 
bestimme. Bei der hämatogenen Dyspnoe stimmt die Reaktion des 
Blutes mit der der Gewebsflüssigkeit im wesentlichen fiberein. 
Nicht so bei der zentrogenen Dyspnoe. Ist diese durch Sauerstoff¬ 
mangel hervorgerufen, so werden in den Atemzentren selbst ab¬ 
norme Mengen saurer unvollständiger Reaktionsprodukte gebildet. 
Da bei den Nierenkranken ein universeller Sauerstoffmangel nicht 
angenommen werden kann, lassen sich die bei diesen Kranken ma߬ 
gebenden Verhältnisse nur dann im Rahmen der bisherigen Vor¬ 
stellungen unterbringen, wenn an Stelle des allgemeinen Sauerstoff¬ 
mangels entweder eine lokale Asphyxie der Atemzentren oder ein 
anbekannter Atemreiz für die Dyspnoe verantwortlich gemacht 
wird. Man müßte also zur Erklärung eine lokale Kreislaufstörung 
im Bereich bestimmter Gehirngebiete annehmen. Sieht man die 
einschlägigen Fälle auf diese Möglichkeit an, so gewinnt die Ver¬ 
mutung an Wahrscheinlichkeit. Ein großer Teil der typischen 
hierher gehörigen Fälle sind arteriolosklerotische Nierenerkrankungen 
(Fall 35—43). Sie weisen außer der Dyspnoe auch sonst vielfach 
Zeichen cerebraler Störungen auf. Sie waren hochgradig erregt, 
drängten aus dem Bett. Starke motorische Unruhe fiel neben zum 
Teil hochgradiger Somnolenz auf. Weiterhin bestanden Kopf¬ 
schmerz, Schwindel, Erbrechen und Schlaflosigkeit. Bei mehreren 
hierher gehörigen Fällen traten Gehirnblutungen auf, teils als 
typische Hemiplegien (Fall 19, 36), teils als multiple Erweichungs¬ 
herde mit Ponsblutung (Fall 39). Daß durch dieselben Gefäßver- 
inderungen auch Kreislaufstörungen in dem besonders empfind¬ 
lichen Atemzentrum ausgelöst werden können, ist wohl glaubhaft. 
Aber nicht unbedingt muß es sich dabei um anatomisch faßbare 
Gefäßveränderungen handeln. Von Volhard ist ja bei Nieren¬ 
kranken das Auftreten von Gefäßspasmen für eine Reihe von 
Krankheitserscheinungen verantwortlich gemacht worden. Solche 
lokale Gefäßspasmen sind bei Fall 19 im Bereich der Gehirngefäße 
direkt nachweisbar. Mehrfach kam es in diesem Falle zu transi¬ 
torischen Amaurosen, wobei ophthalmoskopisch nur stark'verengte 
Betinalarterien nachweisbar waren. Durch solche lokale Kreislauf¬ 
störungen wäre es gut zu erklären, weshalb bei* vielen Nieren¬ 
kranken die Atemnot ausgesprochen anfallsweise auftritt, weshalb 
diese Anfälle mit besonderer Vorliebe bei Nacht auftreten und 


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224 


Stbaüb u. Msibb 


weshalb sie bei manchen Fällen von psychischen Einflössen ab¬ 
hängig zn sein scheinen. 

Die Beobachtungen weisen mit fiberwiegender Wahrscheinlich¬ 
keit darauf hin, daß der bei manchen Nierenkranken auftretenden 
hämatogenen Dyspnoe durch Hypokapnie des Blutes eine grund¬ 
sätzlich verschiedene Form von Dyspnoe gegenfiberzu- 
stellen ist, die als zentrogene, cerebrale aufgefaßt 
werden muß, mit Eukapnie oder Hyperkapnie des 
Blutes einhergeht und wahrscheinlich durch lokale 
Kreislaufstörungen im Bereich des Atemzentrums 
ausgelöst wird. Diese Form der Dyspnoe wäre also keine im 
strengen Sinne urämische, sondern eine bis zu einem gewissen 
Grade von der Nierensekretion unabhängige, asphyktische Dys¬ 
pnoe. Auch das Auftreten periodischen Atmens ist offenbar nicht 
durch eine Veränderung in der Zusammensetzung des Blutes in¬ 
folge der Nierenerkrankung zu erklären, sondern der Ausdruck 
der lokalen Asphyxie des Atemzentrums. Nach den Feststellungen 
von Haldane 1 ) tritt periodisches Atmen dann auf, wenn die At¬ 
mungsregulation nicht mehr allein durch Kohlensäurefiberschuß, 
sondern zu einem erheblichen Teil durch Sauerstoffmangel be¬ 
sorgt wird. 

Die cerebrale Form der Dyspnoe der Nierenkranken ist also 
auf lokale Kreislaufstörungen im Bereich der Atemzentren zu be¬ 
ziehen. Sie kann durch anatomisch nachweisbare Gefäßverände¬ 
rungen bedingt sein. Die klinischen Erscheinungen machen es 
aber wahrscheinlich, daß diese Dyspnoe vielfach auf lokalen Ge¬ 
fäßspasmen beruht Sie ist demnach der Ausdruck derselben Vor¬ 
gänge, die ffir die transitorischen Amaurosen und transitorischen 
Hemiplegien der Nierenkranken ohne objektiven anatomischen Be¬ 
fund verantwortlich zu machen sind, der Vorgänge, die auch das 
starke Schwanken des arteriellen Blutdruckes im Frfihstadinm 
vieler Nierenerkrankungen, besonders der Sklerosen mit Hypertonie, 
hervorrufen. Diese Form der Dyspnoe kann dementsprechend nicht 
nur im Spätstadium, sondern schon im Frfihstadinm der Krankheit 
auftreten, so lange von schweren Störungen der Nierenfunktion, 
von Niereninsufficienz, noch keine Rede ist. Es empfiehlt sich des¬ 
halb, diese Form der Dyspnoe als „cerebrales Asthma der 
Hypertoniker“ zu kennzeichnen. Diese Form der Dyspnoe hat 
offenbar Neigung, in den periodischen Typus der Atmung öberzu- 


1) C. G. Douglas u. J. S. Haldane, Journ. of Physiol. 45, 1912, S. 235. 


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Blutreaktion nnd Dyapnoe bei Nierenkranken. 


225 


gehen. Das bei schweren Fällen cerebralen Asthmas auftretende 
Lungenödem bedarf noch der Aufklärung. Als Zeichen von primärer 
Herzschwäche kann es jedenfalls nicht wohl gedeutet werden. 

Herrn Professor von Romberg verdanken wir den Hinweis, daß 
schon O. Rosenbach 1 ) das klinische Krankbeitsbild der cerebralen 
Dyspnoe als eigene Form der Schweratmigkeit betont und abzugrenzen 
-versucht hat. Seine Schilderung der klinischen Erscheinungen spricht 
für die Güte seiner Beobachtung, die sich bei der Abgrenzung und Er¬ 
klärung des Krankheitsbildes nicht auf die seitdem neu gewonnenen 
theoretischen Vorstellungen und auf naturwissenschaftlich exakte Unter¬ 
suchungen stützen konnte und deshalb nicht die ihr gebührende Beach¬ 
tung zu finden vermochte. Rosenbach bezieht die cerebrale Form der 
Dyspnoe auf durch Venenstauung im Hirn bedingte psychische Angst- 
2 ustände (S. 106) und betrachtet Bie als häufigen Vorboten einer späteren 
Gehirnerkrankung, häufiger einer Erweichung als einer Blutung (S. 296). 
Eine Beteiligung des Herzens lehnt er ab und bezeichnet dieses Asthma 
als Storung der Regulation, aber nicht als Zeichen des Sauerstoffmangels, 
•der die Ursache des wahren Herzasthmas bilde. Ähnliche Erscheinungen 
habe er auch bei Paralytikern und Epileptikern beobachtet (S. 298 
und 358). Auf S. 610 betont er nochmals die eigentümliche als Folge 
der bloßen Zirkulationsstörung im Gehirn auftretende Form asthmatischer 
Beschwerden, das cerebrale Asthma, das durch enorme Angstgefühle 
bei Abwesenheit aller sonstigen Symptome von Atmungs- und Herz- 
insufficienz, wie Dyspnoe, Cyanose u. dgl. gekennzeichnet ist und 
gewöhnlich nicht in beschleunigter, sondern in sehr vertiefter Atmung 
seinen Ausdruck findet. Im Anschluß hieran bespricht er die periodische 
Atmung. 

Die hämatogene Hyperpnoe beruht also primär auf einer 
Veränderung der Blutznsammensetznng, deren wesentlichstes Kenn¬ 
zeichen die Hypokapnie ist. Diese Hypokapnie führt primär zu 
einer Veränderung der Blutreaktion im Sinne einer Verschiebung 
nach der sauren Seite. Sekundär ist eine Kompensation dieser Re¬ 
aktionsänderung durch Überventilation und entsprechende Senkung 
der Kohlensäurespannung möglich. Die Blutreaktion wird nach 
Eintritt der Kompensation wieder normal. Bei der zentrogenen, 
«cerebralen Überventilation ist primär die Zusammensetzung des 
Blutes ungeändert, jedenfalls besteht in typischen Fällen znnächst 
keine Hypokapnie. Das primäre ist vielmehr die erhöhte Tätig¬ 
keit des Atemzentrums, sei es durch Zunahme seiner Erregbarkeit, oder 
durch Asphyxie infolge allgemeinen oder lokalen Sauerstoffmangels. 
Die Hyperventilation führt primär zu einer Senkung der Kohlen¬ 
säurespannung. Die Ausschwemmung der Kohlensäure ohne Än- 


1) 0. Kosenbach, Krankheiten des Herzens. Wien u. Leipzig 1897. 
Deutsches Archiv für klin. Medizin. 138. Bd. Io 


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226 Stbaub n. Meier 

derung der verfügbaren basischen Valenzen verschiebt primär 
die Blutreaktion nach der alkalischen Seite. Haggard und 
Henderson 1 , 2 ) vertreten nun die Auffassung, daß gesetzmäßig 
diese abnorm alkalische Reaktion des Blutes infolge von primärer 
zentrogener Überventilation kompensiert werde, indem sekundär 
Alkali aus dem strömenden Blute verschwinde, so daß schließlich 
ebenfalls eine Hypokapnie des Blutes entstehe. Die Hypokapnie 
ist also bei dieser Form der Dyspnoe der sekundäre, kompen¬ 
sierende Faktor. Der Unterschied zwischen haematogener und 
zentrogener Überventilation bestünde demnach nicht in dem End¬ 
zustände. Dieser wäre vielmehr identisch: beidemale Hyperven¬ 
tilation und Hypokapnie. Aber bei hämatogener bzw. renaler 
Störung führe der Weg zu diesem Endzustand primär zur Hypo¬ 
kapnie mit abnorm saurer Blutreaktion, sekundär kompensatorisch 
zur Überventilation, Herabsetzung der Eohlensäurespannung und 
Wiederherstellung der normalen Blutreaktion. Bei der zentro¬ 
gen en Störung führe der Weg primär zur Überventilation, Herab¬ 
setzung der Kohlensäurespannung und dadurch zu abnorm alka¬ 
lischer ßlutreaktion bei normaler Kohlensäurekapazität, Eukapnie 
des Blutes. Sekundär, kompensatorisch werde dann Alkali aus 
dem strömenden Blute entfernt, die Kohlensäurekapazität des 
Blutes herabgesetzt und durch diese sekundäre Hypokapnie die 
normale Blutreaktion wiederhergestellt 

Diese Auffassung wird von den amerikanischen Autoren durch 
Beobachtungen bei der Hypokapnie nach oberflächlicher Äther¬ 
narkose begründet und auf die Überventilation bei Sauerstoffmangel 
übertragen. Bei unseren Nierenkranken mit zentrogener Überven- 
tilation jedoch besteht dieses Gesetz der amerikanischen Autoreu 
nicht zu Recht. Unter allen Fällen mit abnorm basischer Blut¬ 
reaktion und Überventilation befinden sich nur zwei, bei denen 
Hypokapnie des Blutes vorhanden ist (Fall 26 und 43). Von diesen 
beiden Fällen ist es für Fall 26 direkt nachweisbar, daß die 
Hypokapnie das Primäre ist, die Überventilation war zuerst ge¬ 
rade so hochgradig, daß die normale Blutreaktion gewahrt wurde 
(18. Mai 1Ü17). Dann verschob sich die Blutreaktion sogar nach 
der sauren Seite, die Hypokapnie wurde dekompensiert (5. Juni 
1‘J17). Erst gegen Ende des Lebens kam zu der ursprünglich rein- 

1) Y. Henderson u. H. W. Haggard, Journ. of biol. Chem. 33, 1918. 
S. 345. 

2) H. W. Haggard u. Y. Henderson, Journ. of biol. Chem. 39, 1919. 
8. 103. 


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Blutreaktion and Dyspnoe bei Nierenkranken. 227 

hämatogenen Überventilation sekundär eine übermäßige Tätigkeit 
des Atemzentrums mit Überkompensation hinzu (25. September 1917). 
Bei Fall 43 läßt sich der Beweis, daß die Hypokapnie primär 
durch die Nierenerkrankung bedingt, hämatogen ist, nicht direkt 
erbringen. Aber die Hypokapnie ist so geringfügig, daß der Fall 
zur Entscheidung der Frage nicht herangezogen werden kann. 
Dem stehen aber 16 Fälle gegenüber (Fall 15—22, bei letzterem 
nur die zweite Beobachtung, und Fall 35—42), bei denen die 
Überventilation nicht zu Hypokapnie des Blutes geführt hat. Im 
Gegenteil findet sich bei 5 Fällen (22, 35, 36, 37, 38) eine z. T. 
sehr beträchtliche Hyperkapnie trotz teilweise sehr starker Über¬ 
ventilation (vgl. die arteriellen Punkte der Fälle 35, 37, 39). Von 
einer sekundären kompensatorischen Entfernung basischer Valenzen 
aus dem Blute kann in diesen Fällen keine Rede sein. Haggard 
und Henderson machen keine Angaben, auf welchem Wege die 
überschüssigen basischen Valenzen aus dem Blute entfernt werden. 
Sollte dabei die Niere eine Rolle spielen, was theoretisch wahr¬ 
scheinlich ist, so ließe sich der Unterschied in der Blutreaktion 
bei der zentrogenen Hyperventilation Nierenkranker gegenüber 
dem Verhalten bei Narkose und Sauerstoffmangel vielleicht als 
Niereninsufficienz erklären. Doch fehlen alle Tatsachen, die eine 
Entscheidung dieser wichtigen Frage ermöglichen würden. 

Zusammenfassung. 

Bei 21 Nierenkranken wurde gleichzeitig die Kohlensäure¬ 
bindungskurve des Blutes und die Kohlensäurespannung der Al¬ 
veolarluft festgestellt und aus beiden Bestimmungen die aktuelle 
Reaktion des arteriellen Blutes ermittelt (31 Bestimmungen). 

Bei leichten Nierenstörungen liegt diese Reaktion ebenso wie 
bei Gesunden zwischen den Wasserstoffzahlen 7,30 und 7,40 und 
nähert sich 7,33. 

Bei zahlreichen Nierenkranken mit erniedrigter Kohlensäure¬ 
bindungskurve (Hypokapnie) ist durch Überventilation die Kohlen¬ 
säurespannung so weit herabgesetzt, daß die aktuelle Reaktion 
normal bleibt. Die Hypokapnie ist kompensiert. Für diese Fälle 
ist also die Gültigkeit der Reaktionstheorie der Atmungsregulation 
von Winterstein erwiesen. 

In anderen Fällen von Hypokapnie jedoch bleibt die Über¬ 
ventilation aus oder ist nicht hochgradig genug, um die Hypo¬ 
kapnie völlig zu kompensieren. Die Blutreaktion wird nach der 

15* 


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228 Straub u. Meibr, Blntreaktion und Dyspnoe bei Nierenkranken. 

sauren Seite verschoben, namentlich bei den Fällen mit besonders 
hochgradiger Hypokapnie. 

Bei diesen Fällen mit Hypokapnie des Blutes ist die Dyspnoe 
durch die primäre Blutveränderung erklärt. Es handelt sich also 
um eine hämatogene Dyspnoe. Es erscheint richtig, ausschlie߬ 
lich für diese im Spätstadium als Ausdruck der Niereninsufficienz 
auftretende Dyspnoe durch Hypokapnie die Bezeichnung „urä¬ 
mische Dyspnoe“ vorzubehalten. 

Diesen Fällen hämatogener Dyspnoe stehen zahlreiche andere 
gegenüber, bei denen hochgradige Überventilation mit starker Herab¬ 
setzung der Kohlensäurespannung besteht, obgleich die Kohlensäure¬ 
bindungskurve eukapnisch oder sogar byperkapnisch verläuft. Die 
Blutreaktion dieser Fälle ist nach der alkalischen Seite verschobeu. 

Die Überventilation dieser Fälle ist demnach im Gegensatz zu 
der hämatogenen als zentrogene aufzufassen. Wahrscheinlich be¬ 
ruht sie auf Asphyxie des Atemzentrums durch lokale Kreislauf¬ 
störungen. Diese Form der Dyspnoe ist also keine eigentlich 
urämische. Sie kann durch anatomisch nachweisbare Gefaßver- 
änderungen, aber auch durch Gefäßspasmen hervorgerufen werden, 
also durch dieselben Veränderungen, die zu transitorischer Amau¬ 
rose, transitorischer Hemiplegie und zu starkem Schwanken des 
arteriellen Blutdrucks führen. Diese Form der Dyspnoe kann 
schon im Frühstadium der Krankheit auftreten und wird zweck¬ 
mäßig als „cerebrales Asthma der Hypertoniker“ bezeichnet. Sie 
hat Neigung, in den periodischen Atemtypus überzugehen. 

Die Überventilation führt in diesen Fällen zentrogener Dyspnoe 
der Nierenkranken nicht zu sekundärer Herabsetzung der Kohlen¬ 
säurebindungsfähigkeit des Blutes, wie es die Theorie von Hag- 
gard und Henderson für die zentrogene Hyperventilation als 
Gesetz formuliert. 


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229 


Tnberkulosestudien II. 

Ein Tuberkulosediagnostikum. 

Von 

W. Fornet, 

Saarbrücken. 

Obwohl jetzt fast 40 Jahre seit der Entdeckung des Tuberkel- 
bacillns und mehr als 30 Jahre seit der Bekanntgabe des Tuber¬ 
kulins durch Robert Koch vergangen sind, besitzen wir doch 
auch heute noch kein allgemein anerkanntes Verfahren zur spezi¬ 
fischen Diagnose oder zur spezifischen Behandlung der Tuberkulose. 
Wir haben es noch nicht gelernt, die spezifischen Eigenschaften 
des Tuberkelbacillus für die Erkennung, Verhütung oder Behand¬ 
lung der Tuberkulose nutzbar zu machen. Fast könnte es scheinen, 
als ob der Tuberkelbacillus eine Ausnahme von dem biologischen 
Gesetz bildet, daß der in die inneren Gewebe eines höheren Or¬ 
ganismus eingedrungene Parasit die Körpersäfte seines Wirtes 
nachweisbar umstimmt und als ob bei der Tuberkulose diejenigen 
Zustandsänderungen ausbleiben, die wir bei anderen Infektions¬ 
krankheiten als Immunitätsvorgänge zu bezeichnen gewohnt sind. 
Das Blutsernm tuberkulöser Personen besitzt nach unseren bis¬ 
herigen Kenntnissen keine besonderen charakteristischen Eigen¬ 
schaften, die dessen Unterscheidung von dem Serum nichttuber¬ 
kulöser Personen zuließen. Es gelingt auch bisher nicht, Tiere 
durch Injektion von Tuberkelbazillen vor einer nachfolgenden In¬ 
fektion mit Tuberkelbazillen zu schützen und dem Serum derartig 
behandelter Tiere fehlt bisher die Eigenschaft, andere Tiere vor 
der Infektion mit Tuberkulose zu schützen oder gar von einer be¬ 
reits bestehenden Infektion zu heilen. Alles Immunitätserschei¬ 
nungen, die wir bei so vielen anderen Infektionskrankheiten tag¬ 
täglich beobachten können. 

Und doch muß es auch bei der Tuberkulose eine Immunität 
geben. Die bekannten Beobachtungen von Nägeli in Zürich, von 


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230 


Formst 


Burkhardt in Dresden und von Necker in Wien sprechen dafür, 
daß über 90°/ o aller Erwachsenen mit Tuberkulose infiziert sind. 
Da aber nur die wenigsten von ihnen an Tuberkulose erkranken 
und da von allen Menschen nur etwa 10 °/ 0 an Tuberkulose sterben, 
muß bei den übrigen 80°/ 0 eine Tuberkuloseimmunität vorhanden 
sein, die so stark ist, daß sie klinische Erkrankung und Tod trotz 
voraufgegangener nachweisbarer Infektion mit Tuberkelbazillen 
wirksam verhindert. Wer einmal die fast wunderbaren und voll¬ 
ständigen Heilungen von Tuberkulose und besonders von chirur¬ 
gischer Tuberkulose bei Rolli er in Leysin und anderwärts unter 
dem Einfluß des Höhenklimas gesehen hat, der kann an der Mög¬ 
lichkeit, bei Tuberkulose willkürlich eine Immunität hervorzurufen, 
nicht mehr zweifeln. 

Wenn wir diese Immunität mit unseren bei anderen Infektions¬ 
krankheiten bewährten Methoden bisher nicht nachweisen noch 
willkürlich hervorrufen können, so sollte man erst in letzter Linie 
an die Möglichkeit denken, daß der Tuberkelbacillus tatsächlich 
eine Ausnahme von den anerkannten biologischen Immunitäts¬ 
gesetzen bildet. Man sollte viel eher mit der Wahrscheinlichkeit 
rechnen, daß wir bisher beim Tuberkelbacillus noch nicht gelernt 
haben, die richtige Technik anzuwenden, um die auch für ihn 
gültigen Immunitätsgesetze an ihm selbst demonstrieren zu können. 
Die ersten Versuche in dieser Richtung liegen weit zurück. Im 
Jahre 1898 teilte S. Arloing(l) mit, daß seine homogene Kultur 
von Tuberkelbazillen durch das Serum tuberkulöser Menschen und 
Tiere in spezifischer Weise agglutiniert würde, v. Behring u. 
Romberg (2) suchten dieses Verfahren durch Einführung einer 
„Testflüssigkeit“ zu verbessern, auf deren weitere Vervollkommnung 
dann RobertKoch(3) viel Arbeit verwendet hat. Das Ergebnis 
der Serumuntersuchungen mit diesen und anderen Agglutinations¬ 
flüssigkeiten war aber so unbefriedigend, daß Robert Koch sie 
selbst zur Frühdiagnose der Tuberkulose als ungeeignet bezeichnet 
hat. In der Tat ist denn auch die Agglutinationsprobe als Ver¬ 
fahren zur Erkennung und Beurteilung der Tuberkulose jetzt gänz¬ 
lich verlassen worden. In Übereinstimmung damit wird die Agglu¬ 
tination bei Tuberkulose als diagnostisches Hilfsmittel von zwei 
auf diesem Gebiet so erfahrenen Autoren wie E. Löwenstein (4) 
und A. Calmette(5) auch jetzt noch grundsätzlich abgelehnt. 

Nachdem wir uns aber früher in gemeinschaftlichen Arbeiten 
mit Porter (6) und Krencker(7) persönlich davon überzeugt 
hatten, daß der schwankende Opsoningehalt des Serums Tuberku- 


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Taoerkulosestudien II. 


231 


löser ein charakteristisches Unterscheidungsmerkmal gegenüber 
nichttuberkulösem Serum darstellt, kamen wir auf die oben be¬ 
gründete Anschauung zurück, daß das bisherige Versagen der Ag¬ 
glutinationsprobe nicht in einer immunbiologischen Ausnahmestel¬ 
lung der Tuberkulose, sondern in der bisherigen Unvollständigkeit 
unserer Technik begründet ist. 

Bei dem Tuberkelbacillus findet sich allerdings die Immunitäts¬ 
technik vor eine ganz besondere Aufgabe gestellt. Im Gegensatz 
zu den meisten anderen pathogenen Bakterien ist der Tuberkel¬ 
bacillus mit einer Fettwachshülle ausgestattet, der er drei be¬ 
sondere Eigenschaften verdankt, und die sämtlich auf die schwere 
Durchlässigkeit dieser Fettwachshülle zurückzuführen sind: die 
Fettwachshülle ist wasserunlöslich und unbenetzbar, es ist daher 
unmöglich, mit Tuberkelbazillen ohne weiteres eine Emulsion her¬ 
zustellen. Die Emulgierbarkeit eines Bakteriums ist aber eine 
Vorbedingung zur Gewinnung von brauchbaren Agglutinations¬ 
flüssigkeiten, welche durch das korrespondierende Immunserum spe¬ 
zifisch ausgefällt werden sollen. 

Bisher sind bereits verschiedene Wege bekannt geworden, auf 
denen es gelingt, den Tuberkelbacillus trotz seiner Fettwachshülle 
zu einer Emulsion zu verarbeiten. Ferrän (8) erreichte dieses 
Ziel durch Gewinnung seiner homogenen Kultur, ebenso Arloing. 
Behring u. Romberg (2) suchten die Fettwachshülle der Tu¬ 
berkelbazillen durch Alkalien aufzuschließen, RobertKoch wandte 
zu gleichem Zweck die mechanische Zerkleinerung an und Cal- 
metteu. Guerin(9) konnten nachweisen, daß der Tuberkel¬ 
bacillus emulgierbar wird, wenn man ihn auf Glyzerin-Galle¬ 
kartoffeln züchtet oder ihn im Achatmörser mit etwas Rindergalle, 
Eigelb oder Lecithin verreibt. 

Durch die genannten Verfahren, deren Liste noch vervoll¬ 
ständigt werden könnte, wurde nun zwar die für die Herstellung 
von Agglutinationsflüssigkeiten aus dem Tuberkelbacillus hinder¬ 
liche Eigenschaft, sein Mangel an Emulgierbarkeit, beseitigt, aber 
seine beiden anderen ebenfalls der Fettwachshülle zuzuschreibenden 
unerwünschten Eigenschaften blieben erhalten: auch nach der auf 
die beschriebenen Arten erzielten Emulgierung blieb der Tuberkel¬ 
bacillus fast unbeeinflußbar durch die Agglutinine tuberkulösen Se¬ 
rums und blieb auch weiterhin unfähig, von den Körpersäften des infi¬ 
zierten Organismus angegriffen und zu wirksamem Antituberkulose¬ 
serum verarbeitet zu werden. Die homogenen Kulturen von 
Arloing und Courmont wurden von tuberkulösem Serum hoch- 


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232 


Formet 


stens in Verdünnungen bis zu 1:50 spezifisch agglntiniert nnd die 
Injektion der nach den genannten Verfahren homogenisierten Tu¬ 
berkelbazillen war nicht imstande, bei Versuchstieren eine wirk¬ 
same Immunität auszulösen. 

Versuche, über die in späteren Mitteilungen berichtet werden 
soll, hatten uns nun zu der Überzeugung gebracht, daß die Fett¬ 
wachshülle des Tuberkelbazillus kein Artmerkmal, sondern nur die 
Eigenschaft eines bestimmten Zustandes des Tuberkelbacillus ist. 
Nach unseren Versuchen ist die Fett wachshülle für das Leben de» 
Tuberkelbacillus entbehrlich und die „nackten Tuberkelbazillen“ 
besitzen tatsächlich alle antigenen und immunisatorischen Eigen¬ 
schaften, die wir bisher vergeblich nur bei seiner säurefesten Er¬ 
scheinungsform gesucht haben. Hier konnte man sie nicht finden, 
weil der Fettwachspanzer des Tuberkelbacillus den Flüssigkeits¬ 
austausch zwischen seinem spezifischen Eiweiß und den ihn um¬ 
gebenden Körpersäften auf ein Minimum reduziert. Der Fettwachs¬ 
mantel des Tuberkelbacillus dient so der Erhaltung der Art, wie 
schon angedeutet, auf doppelte Weise: indem er die Zerstörung de» 
lebenswichtigen Teils des Tuberkelbacillus durch die natürlichen 
Abwehrkräfte des Wirtsorganismus ungemein erschwert und indem 
er den Übertritt von spezifisch antigenen Eiweißstoffen des Tu¬ 
berkelbacillus in den Wirtsorganismus nahezu unterbindet, wodurch 
die Ausbildung von wirksamen Immunstoffen im Wirtskörper hintan¬ 
gehalten wird. Neben dem Vorteil, den die Fettwachshülle so 
für den Tuberkelbacillus mit sich bringt, bedeutet sie aber gleich¬ 
zeitig für ihn auch einen Nachteil, indem sie sein Wachstum und 
seine Vermehrung in außerordentlichem Maße verlangsamt. Da» 
im Gegensatz zu der kurzen Generationsdauer der meisten Bak¬ 
terien stehende, außerordentlich langsame Wachstum des Tuberkel¬ 
bacillus ist ja allgemein bekannt und wurde bisher ebenfalls als für 
ihn charakteristisch gehalten, tatsächlich ist es aber, ebenso wie 
die Säurefestigkeit, nur eine Funktion seiner entbehrlichen Fett¬ 
wachshülle. Kaubt man diese dem Tuberkelbacillus, so wachsen 
die Tuberkelbazillen genau so wie die meisten anderen Bakterien 
in wenigen Stunden. 

Nachdem wir einmal die akzessorische Natur der Fettwachs- 
hiille erkannt hatten, lag der Gedanke nahe, den Tuberkelbacillus, 
unter Schonung seines spezifischen Plasmas nach Möglichkeit von 
ihr zu befreien und ihm so die drei durch den Fettwachsmantel 
geraubten Eigenschaften wiederzugeben: die Emulgierbarkeit, die 
Beeinflußbarkeit durch Immunserum und die Fähigkeit, zur Bildung 


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Tuberkulosestudien II. 


233 


wirksamer Antikörper anzuregen. Hierzu mußten wir uns eines 
Mittels bedienen, das einerseits die Fettwaclishiille energisch angriff, 
andererseits aber das spezifische Eiweiß des Tuberkelbacillus möglichst 
unberührt ließ. Alkalien, Säuren und mechanische Zertrümmerung 
sind hierzu natürlich ungeeignet. Beide Forderungen werden aber 
in nahezu idealer Weise durch dampfförmigen Äther erfüllt. Be¬ 
arbeitet man eine Aufschwemmung von Tuberkelbazillen mehrere 
Stunden lang bei etwa 40° mit Ätherdampf, so wird ein erheb¬ 
licher Teil der Fettsubstanzen des Tuberkelbacillus gelöst und 
bildet auf der Oberfläche der durch die Ätherdämpfe dauernd in 
starker Wallung gehaltenen Aufschwemmung eine dicke Rahm¬ 
schicht. Nach Verjagen des Äthers bildet die zurückbleibende 
Emulsion die Grundlage für eine brauchbare Agglutinationsflüssig¬ 
keit. Das so gewonnene „Tuberkulosediagnostikum“ (10; stellt eine 
äußerst stabile, ziemlich dichte Emulsion von Tuberkelbazillen dar, 
die infolge von Auflockerung ihres Fettwachsmantels einen Teil 
ihrer Säurefestigkeit eingebüßt und dafür eine erhöhte Beeinflu߬ 
barkeit durch die spezifischen Immunstoife tuberkulösen Serums 
ein getauscht haben. Die Ätherisierung der Tuberkulosekulturen 
erfolgt in dem von uns früher veröffentlichten (11) Apparat. 

Das beschriebene „Tuberkulosediagnostikum“ wird von dem 
Serum Tuberkulöser spezifisch agglutiniert, und zwar in Serum¬ 
verdünnungen bis zu 1:500 und mehr. Es ist ohne weiteres ein¬ 
zusehen, daß eine Agglutinationsflüssigkeit mit einer derartigen 
Aktionsbreite mehr Aussicht hat, die spezifischen Unterschiede 
zwischen tuberkulösem und normalem Serum deutlich hervortreten 
zu lassen, als etwa die homogene Tuberkulosekultur von Arloing- 
Courmont, bei der Serum Verdünnungen von 1:50 bereits un¬ 
wirksam sind, einerlei ob sie von Tuberkulösen oder von Gesunden 
herstammen. 

Die Handhabung des „Tuberkulosediagnostikums“ ist denkbar 
einfach und lehnt sich an die des Ficker’schen Diagnostikums 
bei Typhus an. Die Beurteilung erfolgt makroskopisch. 

Bisher wurden 132 Tuberkulöse und 44 Nichttuberkulöse mit 
dem Diagnostikum untersucht. 1 ) Dabei ergab sich bei 93°/ 0 der 
Tuberkulösen eine positive und bei 95 °/ 0 der Nicht-Tuberkulösen 
eine negative Agglutination. Sollte sich dieses Ergebnis auch an 
einem erheblich größeren Material bestätigen, so hätten wir in 


1) Anmerkung bei der Korrektur: Inzwischen ist die Zahl der mit dein 
Diagnostikum untersuchten Fälle auf ca. 1000 gestiegen. 


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234 


Forxbt 


dem Diagnostikum ein wertvolles Hilfsmittel für die Diagnose der 
Tuberkulose zu erblicken. 

Über Einzelheiten der Tuberkuloseagglutination mittels des 
Diagnostikums, über seine praktische Anwendung und seine klinische 
Brauchbarkeit wird von anderer Seite berichtet werden. Bevor 
die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Tuberkulosediagnostikums 
und die klinische Bewertung des mit ihm ermittelten Aggluti¬ 
nationstiters endgültig festgelegt werden können, werden noch 
viele Tausende von Beobachtungen an Gesunden und Kranken an¬ 
gestellt und kritisch gesichtet werden müssen. 

Besonders vorteilhaft würde dabei ein Vergleich mit der in 
Deutschland leider noch wenig geübten, aber in Frankreich schon 
an Zehntausenden von Fällen erprobten Komplementbindungs¬ 
methode nach Besredka(12) sein. Die Komplementbindungs¬ 
methode als solche ist ja schon vielfach Gegenstand der Unter¬ 
suchung bei Tuberkulose gewesen. Diagnostisch hat sie sich bis¬ 
her nicht als brauchbar erwiesen. Hierin kann aber kein ge¬ 
nügender Grund dafür erblickt werden, daß die Komplementbindungs¬ 
methode nach Besredka bei uns einfach mit Stillschweigen über¬ 
gangen wird, wiedas bisher der Fall gewesen ist. Denn Besredka : s 
Verfahren weist gegenüber den bisher angewandten Methoden einen 
prinzipiellen Unterschied auf. 

Besredka verwendet für die Komplementbindungsmethode 
ein besonderes Antigen, nämlich Tuberkelbazillen, die auf dem von 
ihm und Jupille (13) angegebenen Eiernährboden gewachsen sind. 
Erinnert man sich nun der schon oben erwähnten Beobachtung 
Calmette’s, daß Tuberkelbazillen durch Zusatz von Eigelb und 
Lezithin emulgierbar gemacht werden, dann versteht man warum 
das Tuberkuloseantigen Besredka’s unter allen anderen bisher 
für die Komplementbindung empfohlenen Tuberkuloseantigenen eine 
besondere Stellung einnimmt und eine besondere Beachtung ver¬ 
dient. Die unter dem Einfluß des Eigelbs und Lezithins ein¬ 
setzende Emulgierbarkeit des Tuberkelbacillus ist nach unserer 
weiter oben dargelegten Auffassung ein Zeichen für die Lockerung 
der Fettwachslnille des Tuberkelbacillus. Diese Lockerung bringt 
es nun mit sich, daß das daraus hergestellte Antigen dem Einfluß 
der komplementbindenden Antikörper im tuberkulösen Serum viel 
leichter zugänglich ist, als alle bisher für diesen Zweck her¬ 
gestellten und nur aus hochgradig säurefesten Tuberkelbazillen be¬ 
stehenden Antigene. 

So erklären sich die guten diagnostischen Resultate, die wohl 


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Tuberkulosestudien II. 


?35 


alle Beobachter bei der Komplementbindungsmethode nach Bes- 
redka festgestellt haben. So erzielten beispielsweise Debains 
und Jupille (14) damit unter 580 klinisch genau untersuchten 
Personen eine positive Komplementbindung bei 90,6 % der Tuber¬ 
kulösen und eine negative bei 96,8% der Gesunden, während bei 
Kranken ohne klinisch nachweisbare Tuberkulose die Reaktion in 
17,3 °/ 0 der Fälle positiv ausfiel. 

Ein Vergleich mit diesem so vielfach praktisch erprobten Ver¬ 
fahren der Komplementbindung nach Besredka wird uns am 
ehesten einen brauchbaren Maßstab für die richtige Bewertung 
des Tuberkulosediagnostikums liefern. Soviel scheint aber schon 
jetzt festzustehen, daß eine positive Agglutination (1:60 und dar¬ 
über) für, eine negative gegen Tuberkulose spricht, daß der Agglu¬ 
tinationstiter mit der Schwere der Krankheit ansteigt, um erst vor 
dem Exitus wieder zu fallen und endlich, daß sich die aktive 
Tuberkulose von der inaktiven meist durch ein Schwanken des 
Agglutinationstiters unterscheiden läßt. 

Zum Schluß ist es mir eine angenehme Pflicht der Dankbar¬ 
keit, Herrn Dr. Christenseu für seine unermüdliche und wert¬ 
volle Mitarbeit, sowie allen denjenigen auch an dieser Stelle zu 
danken, die uns durch ihre tatkräftige Hilfe und durch Überlassung 
von Material bei unseren Untersuchungen in so freundlicher Weise 
unterstützt haben. 


Literatur. 

1. Arloing, S., Compt. rend. des l’acad. de Sciences 9. Mai 1898 — 2. Hom¬ 
berg, Münch.med. Wocheuschr. 1902 (cit. nach E. Löwenstein). — 3.Koch, ß., 
Deutsche med. Wocheuschr. 1901. — 4. Löwenstein, E., Vorlesungen über 
Tuberkulose, Gustav Fischer, Jena 1920. — ö. Calmette, A., La Tubercnlose, 
Masson et Cie, Paris 1920. — 6. Fornet, W. u. Porter, A. E., Zentralbl. f. 
Bakt. Abt. I. Orig. 51, 1909, S. 138. — 7. Fornet u. Krencker, Deutsches 
Arch. f klin. Med. 97, 1909, 8. 282. — 8. Ferran, J., Compt. rend. de l’acad. 
des scienc. 11. Okt. 1897. — 9. Calmette u. Gnerin, cit. nach Calmette 
S. 365. — 10. Fornet, W., Zur Serodiagnostik der Tuberkulose. 33. Knngr. 
f. inn. med. Wiesbaden 18.—21. April 1921. — 11. Fornet, W., Centralbl.f ßakt. 
Abt. I., Orig. 87, 1921, H. 1. — 12. Besredka, A., Zeitschr. f. Immunitäts f. Orig. 
21,1914, S. 77.— 13. Besredka u. Jupille, Ann. Inst. Pasteur 1913, S. 1069 
u. 1914, S. 576. — 14. Debains u. Jupille, Ann. Inst. Pasteur, April 1915. 


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236 


Aus der inneren Abteilung des städt. Krankenhauses Augsburg- 

(Prof. Fr. Port). 

Über akute, diffase, interstitielle Myokarditis. 

Von 

Dr. A. Hafner. 

(Mit 2 Abbildungen.) 

Auf die Bedeutung der im Interstitium des Herzmuskels sich 
abspielenden Entzündungsprozesse im Anschluß an Infektionskrank¬ 
heiten hat wohl als erster Hayem aufmerksam gemacht. 

Später hat E. v. Romberg das Krankheitsbild der inter¬ 
stitiellen Myokarditis nach Diphtherie, Scharlach, Tj’phus abdomi¬ 
nalis vom klinischen und pathologisch-anatomischen Standpunkt 
aus eingehend beleuchtet und zu einem abgerundeten Ganzen zu- 
sammengefügt. 

Eine Sonderstellung im Krankheitsbild der interstitiellen Myo¬ 
karditis sowohl durch das primäre und isolierte Erkranken des 
Myokards, wie durch das kryptogenetische Auftreten der Infektion 
(Förster) nehmen nun eine Reihe von Fällen ein, die von Rind¬ 
fleisch, Freund, Fiedler, Carpenter,Sellentin,Salty- 
kow und Förster beschrieben sind. Fiedler, der 4 Krank¬ 
heitsfälle beobachtete, schlägt für die Erkrankung den Namen 
„akute, interstitielle Myokarditis“ vor, während sie Sellentin mit 
Rücksicht auf das isolierte Vorkommen im Myokard „isolierte, inter¬ 
stitielle Myokarditis“ benannte. 

Die Krankheit wurde, soweit mir die Literatur bekannt ist, 
einmal beim Kinde (Förste r), in den übrigen Fällen bei Erwachsenen 
meist im 2. und 3. Jahrzehnt beobachtet. 

Klinisch begann die Krankheit meist mit Schüttelfrost, Er¬ 
brechen, Dyspnoe. Schon nach wenigen Tagen fiel das Fieber ab, 
es traten in einigen Fällen Krämpfe auf, deren Dauer nach 
Fiedler 5—6 Sekunden betrugen. Erscheinungen von seiten des 
Herzens traten oft ganz in den Hintergrund. Einige Autoren be- 


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Über akute, diffuse, interstitielle Myokarditis. 


237 


richten über Schmerzen in der Gegend des Sternums. Wo Herz- 
störnngen beobachtet wurden, bestand meist Arythmie, Pulsfrequenz 
von 120—150, in einem Fall Fiedler’s auch Bradykardie (36). 

Im allgemeinen erfolgte zwischen dem 6. und 10. Tage der 
Exitus, in mehreren Fällen unmittelbar nach einem Krampfanfall. 
Nor Steffen (zit. nach Förster) berichtet über einen Fall von 
..akuter idiopathischer Myokarditis“ bei einem 40jährigen Herrn, 
dessen Verlauf 5—6 Wochen betrug. 

Die Diagnose konnte gewöhnlich erst bei der Autopsie ge¬ 
stellt werden. Ein klinisch ähnlicher Fall von mehrwöchiger Dauer 
kam im vorigen Sommer am hiesigen Krankenhause zur Beob¬ 
achtang. 

Es handelte sich um eine 26 jährige Köchin, die als Kind Diphtherie 
durchgemacht hatte; sonst sei sie nie ernstlich krank gewesen. Im März 
1920 habe sie wegen „Grippe“ 8 Tage lang das Bett hüten müssen. 
Seit dieser Zeit sei sie herzleidend, sie habe häufig Herzklopfen, nach 
geringer Anstrengung starke Atemnot. Seit kurzer Zeit auch Schwindel, 
Flimmern vor den Augen, so daß sie während der Arbeit häufig ruhen 
müsse. 

Aufnahme am 7. Mai 1920. 

Körperlicher Befund: 26 Jahre altes Mädchen in mittlerem Er¬ 
nährungszustand. Deutliche Cyanose im Gesicht und an den Extremi¬ 
täten. Nirgends Ödeme. Atmung frequent, oberflächlich. Ängstlich. 

Lunge: o. B. Herz: Relative Grenze rechter Sternalrand, oberer 
Rand der 3. Rippe, Mammillarlinie. Töne laut, kein Geräusch hörbar. 
Die Aktion ist bei der Aufnahme sehr beschleunigt, nicht zählbar. Puls 
klein, unregelmäßig und ungleichmäßig. Abdomen o. B. Temperatur 
38,3 axillar. Nach einigen Stunden betrug die Pulsfrequenz 134 Schläge 
i. d. M. 

Auf Digitalis bei absoluter Bettruhe rasche Besserung. Schwinden 
der Cyanose tags darauf; am 8. Mai hatte Patientin frühmorgens einen 
schweren, krampfähnlichen Anfall von Dyspnoe von kurzer Dauer. Sie 
sei dabei bewußilos gewesen, habe um sich geschlagen, auf Anrede nicht 
reagiert; am 9. Mai wiederum Anfall von hochgradiger Atemnot mit 
Cyanose. Pulsfrequenz 140, Puls kaum fühlbar. Nachts Auftreten von 
Singultus, wiederholtes Erbrechen von gallig gefärbter, wässeriger Flüssig¬ 
keit. Digalen. Am 11. Mai 1920 betrug die Pulsfrequenz 92 bei 
besserem Allgemeinbefinden. Herz: Spitzenstoß im 5. ICR. außerhalb 
der Mammillarlinie. Aktion sehr unregelmäßig. Extrasystolen. Pulsus 
inaequalis et irregularis. Blutdruck 95 RR. 

Am 16. Mai. Ständig normale Temperatur. Pulsfrequenz ständig 
zwischen 90 und 100. Herzaktion und Puls unverändert. Strophantin. 

Am 26. Mai. Herzaktion regelmäßig. Keine Extrasystolen mehr. 
Spitzenstoß unverändert. Temperatur dauernd zwischen 36,5 und 37,5 
(axillar). 


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Hafner 


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Am 2. Juni. Wassermann’sehe Reaktion im Blut negativ. — 
Röntgenbefand: Leichte Verbreiterang des Herzschattens nach rechts and 
links. Mittleres Lungenfeld rinnenförmig eingeengt. Stauungslange. 

Am 11. Juni klagt die Kranke wieder neuerdings über Stechen in 
der Herzgegend. Untersuchungsbefund: Grenzen unverändert. Aktion 
regelmäßig. Keine Extrasystolen, kein Geräusch. Pulsfrequenz 92—96 
Schläge in der Minute. 

Am 12. Juni vormittags neuerdings Anfall von Dyspnoe mit hoch¬ 
gradiger Pulsfrequenz. Exitus letalis. 

Sektionsbefund: Mittelgroße, weibliche Leiche, kräftiger Körperbau, 
mittelmäßige Muskulatur, ebensolches Fettpolster. Starke Cyanose der 
Haut und der Schleimhäute auch an den nicht abhängigen Körperteilen. 
Keine Narben am Körper wahrnehmbar. 

Gehirnsektion wurde nicht vorgenommen. Brustkorb gut gewölbt, 
in den Pleurahöhlen keine Flüssigkeit. Beide Lungen etwas gebläht, 
den Herzbeutel nicht erheblich überlagernd. Lungen überall luithaltig. 
Hilusdrüsen nicht erheblich vergrößert, auf der Schnittfläche schwarz. 

Im Herzbeutel etwa 30 ccm klare, gelbe Flüssigkeit. Viszerales 
und parietales Blatt des Perikards überall glatt, spiegelnd. 

Das Herz selbst ist größer als die Faust der Leiche, in den Herz¬ 
höhlen reichlich Cruor- und Speckgerinnsel. Mäßige Dilatation des 
rechten Vorhofs. Subepikardiales Fett über dem linken Ventrikel gering, 
über dem rechten Ventrikel und besonders dem rechten Vorhof reich¬ 
licher entwickelt. Mitralklappen an den Ansatzstellen der Sehnenfäden 
verdickt und milchig getrübt, von derber Konsistenz, schlußtäbig. Die 
übrigen Klappen sind zart und schlußfähig. Endokard des linken Ven¬ 
trikels trübe, teilweise verdickt. Vereinzelt sieht man bis stecknadel¬ 
kopfgroße, gelblich-weiße Knötchen durchschimmern. Linker Vorhof 
nicht erweitert. Herzohren frei von Thromben. Myokard des linken 
Ventrikels l 1 /^ cm dick. Papillarmuskel und Trabekel hypertrophisch, 
auf der Schnittfläche von grau-weißer Farbe und derber Konsistenz. 
Myokard des rechten Ventrikels 1 / 2 cm dick, erscheint auf verschiedenen 
Schnitten nicht verändert; dagegen zeigt der Muskel des linken Ven¬ 
trikels von der Atrioventrikulargrenze beginnend bis zur Herzspitze an 
Intensität abnehmend eine graugelbe, zusammenhängende Zone mit zahl¬ 
reichen hanfkorn- bis stecknadelkopfgroßen hellen, runden Herden, die bis ins 
Endokard hineinreichen. Der umgebende Muskel ist von guter Konsi¬ 
stenz, vielleicht etwas braun. Vorhofseptum nicht verändert, im Kammer¬ 
septum einige auf dem Durchschnitt grau weiße Herde. Die Leber ist 
groß, von deutlicher Zeichnung, dunkelbraunroter Farbe. Milz ebenfalls 
groß, derb, 17:9:4 cm, von fester Konsistenz. Beide Nieren groß, 
dunkelblaurot, prall, von deutlicher Zeichnung. 

Die übrigen Organe bilden keinen besonderen Befund. 

Mikroskopische Untersuchung: Es wurde eine Anzahl von Schnitten 
aus der Muskulatur des linken Ventrikels und des Kammerseptums teils 
hier im Krankenhaus, teils am patholog. Institut in München untersucht. 
Herrn Prof. Schmincke sei für die Liebenswürdigkeit, die Unter¬ 
suchungen zu übernehmen, auch an dieser Stelle nochmals gedankt. Die 
Präparate wurden nach Mitteilung von Herrn Prof. Schmincke nach 


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Über akute, diffuse, interstitielle Myokarditis. 


239 


van Gieson, Giemsa, Ünna-Pappenheim, Bielschowsky 
und mit Hämatoxylin gefärbt, nachdem schon am hiesigen Krankenhaus 
eine Reihe von Schnitten auf Tuberkelbazillen und Spirochaeta pallida 
gefärbt und untersucht waren. 

Es fanden sich in allen zur Untersuchung gekommenen Schnitten 
zellig entzündliche Infiltrate. Diese waren vorwiegend einkernige Rund¬ 
zellen vom Charakter kleiner und mittelgroßer Lymphocyten. Ferner 
fanden sich ziemlich häufig rad-kernige Plasmazellen, polymorphkernige 
Leukocyten und unter diesen wieder zahlreiche eosinophile. Die Infil¬ 
trate fanden sich perivaskulär, gingen über in kleinere Herde, in denen 
auch eine Wucherung von Bindegewebszellen vorhanden war an einzelnen 
Stellen so, daß direkt Granulationsgewebsknötchen zur Ausbildung ge¬ 
kommen waren. Die Knötchen führten über zu größeren Einlagerungen 
im Muskelgewebe, die zentrale Nekrose zeigten. Um diese Nekroseherde 
herum fand sich Grannlationsgewebe und darin zahlreiche, vielkernige 
Riesenzellen. An den Übergängen einiger dieser Riesenzellen in Muskel¬ 
fasern, an der an einigen Riesenzellen noch zu beobachtenden Längs¬ 
und Querstreifung ließ sich unschwer deren myogene Natur nachweisen. 
In den nekrotischen Herden fanden sich reichlich Reste zerfallener Kerne 
in Form von Kernschutt, Bakterien waren in den nekrotischen Bezirken 
nicht nachweisbar. Histologische Diagnose: Akute, diffuse, interstitielle 
Myokarditis. (Siehe die beigefügten Mikrophotogramme.) Diese histolo¬ 
gischen Verhältnisse fanden sich in der Muskulatur des linken Ven¬ 
trikels, in den Papillarmuskeln und Trabekeln des linken und rechten 
Ventrikels und im Kammerseptum. Die rechte Herzwand, beide Vorhöfe 
und die Herzohren waren frei oder nur ganz geringfügig zellig infiltriert. 



Abb. 1. 


Abb. 2. 



An den Muskelfasern selbst fand sich fettige Degeneration nur ganz 
vereinzelt. Wo der Muskel entaitete, kam es zu einem Schwund der 
Längs- und Querstreifung, der Muskel wurde strukturlos, trüb, war ge¬ 
quollen. An manchen Stellen fand sich auch eine Vergrößerung der 
Muskelkerne mit intensiverer Färbbarkeit. 


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240 


Hafner 


Die in der Literatur beschriebenen Fälle weisen analoge Ver¬ 
hältnisse auf. Makroskopisch war das Herz meist vergrößert, in 
einzelnen Fällen fand sich auch Dilatation der Ventrikel. Perikard, 
Endokard und Klappen waren stets frei. Die Herzwand war stets 
schlaff, weich, brüchig, die Farbe des Muskels blaß, grau, gelblich, 
gelblich-weiß, sein Aussehen fleckig. Vereinzelt fanden sich auch 
prominierende, stecknadelkopfgroße Herde (Saltykow). Fiedler 
berichtet über Ekchymosen in der Muskulatur und im Perikard. 

Mikroskopisch waren die Muskelfasern stets durch Zellanhäu¬ 
fungen auseinander gedrängt, oft so, daß sich ganze Herde bildeten, 
während an anderen Stellen die Zellinfiltration weniger stark in 
den Vordergrund trat. Doch fand sich bei genauer Durchsicht der 
mikroskopischen Präparate stets das gesamte interstitielle Gewebe 
infiltriert. Die Zellformen werden verschieden beschrieben. Meist 
fanden sich polymorphkernige Leukocyten, Lymphocyten, vereinzelt 
eosinophile Leukocyten, Plasmazellen und Fibroblasten mit Wuche¬ 
rung der Bindegewebszellen. 

An den Gefäßen selbst fanden sich gewöhnlich keine krank¬ 
haften Veränderungen, nur Saltykow beobachtete Thromben¬ 
bildung in und um die Nekroseherde herum, weshalb er auch den 
Schluß zieht, daß die schädigende Noxe auf dem Blutwege ins 
Herzfleisch gelange. 

Die Veränderungen an den Muskelfasern werden verschieden 
beschrieben. Es fanden sich Zerklüftung, Verlust der Querstreifung, 
Kernschwund, Zerfall in hyaline Schollen einerseits, andererseits 
wieder Vermehrung und Vergrößerung der Kerne. 

Doch sind diese Veränderungen an den Muskelfasern von allen 
Autoren übereinstimmend als sekundäre Prozesse aufgefaßt worden, 
es springen doch nach Sellentin „die Wucherungs- und Infiltrats¬ 
prozesse zu sehr in die Augen“. 

Um kurz auf die Histogenese einzugehen, sind es vor allem 
die Riesenzellen, die das Interesse fesseln. Fiedler und Salty¬ 
kow haben in 3 Fällen deren Vorkommen beschrieben. Da die 
Zellen sich teils direkt als Fortsetzung der Muskelfasern, teilweise 
frei im nekrotischen Gewebe fanden, zweifeln die Autoren nicht an 
ihrer myogenen Herkunft. Bei spezifischer Myokarditis wurden sie 
häufiger beobachtet. Busse, Thorei, Baumgartner, Berb- 
linger haben bei spezifischer Myokarditis deren myogene Ent¬ 
stehung durch verschiedene Färbemethoden nachweisen können, 
während Binder bei kongenital syphilit. Hepatitis und Oppen¬ 
heimer bei Leberlues die Riesenzellen aus Parenchymzellen ableiten. 


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Über akute, diffuse, interstitielle Myokarditis. 


241 


Aach ein Teil des Granulationsgewebes ist nach Untersuchungen 
von Oppel’s, Busse’s, von Huellen’s und Baumgartner’s 
myogener Herkunft. 

Das Auftreten eosinophiler Leukocyten in interstitiellen Zell* 
ansamtnlungen sind von Asch off und Kaufmann besonders am 
Diphtherieherzen beschrieben. Ihr gehäuftes Auftreten führte zur 
Aufstellung eines gesonderten Krankheitsbildes, der eosinophilen 
Myokarditis. Lieb mann hat dieses Krankheitsbild weiterhin 
dahin präzisiert, daß er nur bei ausgesprochen herdförmiger Ver¬ 
teilung von eosinophiler Myokarditis spricht. Tanaka hat später 
eosinophile Zellen vor allem in den Herzen solcher Diphtherie¬ 
kranker gefunden, die der Infektion erst spät erlegen waren und 
will daher in ihrem Auftreten ein Symptom subakut verlaufener 
Infektion sehen. Wulff ins bringt das Auftreten eosinophiler 
Zellen mit Tuberkulose in Verbindung. Saltykow glaubt, daß 
es sich bei der akuten Myokarditis gewöhnlich nur um eine dichte 
Durchsetzung des Protoplasmas neutrophiler Leukocyten mit pseudo- 
eosinophiler Granula handelt, die aus Zerfallsprodukten roter Blut¬ 
körperchen sich bilde. 

Alle Versuche der Autoren, die Ätiologie der Erkrankung zu 
klären, sind ergebnislos verlaufen. Rindfleisch konnte zwar 
aus dem Muskel Kulturen von Staphylococcus pyogenes citreus 
züchten, doch glaubte Fiedler an eine Verunreinigung. Er stützt 
seine Ansicht dabei auf das Mißverhältnis zwischen dem klinischen 
Verlauf der Krankheit und dem bakteriologischen Befund. 

Da die Erkrankung im Anschluß an Gelenkrheumatismus 
(Freund), Karbunkel und Fluor albus (Sellentin), Ulcus cruris 
(Fiedler), operierte Lymphdrüsen und Verbrennung (Saltykow) 
aufgetreten ist, dürfte deren infektiöser Ursprung wohl sicher sein. 
Auch in unserem Fall ist sie im Anschluß an eine fieberhafte Er¬ 
krankung, die die Patientin mit Grippe bezeichnete, aufgetreten. 
Sellentin dachte an einen bisher noch nicht bekannten Mikro¬ 
organismus, doch ist die Annahme einer rein toxischen Wirkung 
viel wahrscheinlicher, zumal auch das häufige bzw. regelmäßige 
Fehlen von Bakterien bei interstitieller Myokarditis nach Diphtherie, 
Typhus, Tuberkulose, Erysipel, Gonorrhoe und Lues für die toxi¬ 
sche Natur der Erkrankung im Anschluß an diese Krankheiten 
spricht. 


Deutsches Archiv für klin. Medizin. 138. Bd. 


16 


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242 Havkbb, Über akute, diffuse, interstitielle Myokarditis. 


Literatur. 

1. Fiedler, Über akute, interstitielle Myokarditis. Festschrift rar Feier 
des 60 jährigen Bestehens des Krankenhauses Dresden 1899, II, 3. — 8. Rind¬ 
fleisch, Ein Fall von akuter, diffuser Myokarditis. Inang.-Diss. Königsberg 
1898. — 3. Freund, Zur Kenntnis der akuten, diffusen Myokarditis. Berliner 
klin. Wochenschr. 1898, Nr. 49, 60. — 4. Sellentin, Akute, isolierte, inter¬ 
stitielle Myokarditis. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 64, 298. — 6. Saltykow, Über 
diffuse Myokarditis. Virchow’s Arch. 182. — 6. Förster, Über Myokarditis usw. 
Deutcbes Arch. f. klin. Med. Bd. 86. — 7. Steffen, Zur akuten Myokarditis 
Jahrb. f. Kinderbeilk.' N. F. 27. Bd. — 8. Aschoff, Zur Myokarditisfrage. Ver¬ 
band!. der pathoL Ges. 1904. — 9. Anitschkow, Experiment. Untersuchungen 
über die Neubildung von Granulationsgewebe im Herzmuskel. Beiträge cur pathoL 
Anatomie 1913, 66. — 10. Busse, Uber die Beteiligung der quergestr. Muskel¬ 
fasern an der Myocarditis interstitialis. Deutsche med. Wochenschr. Ver.-Beilage 
1902. — 11. Baumgartner, Spezifische, interstitielle Myokarditis. Frankfurter 
Zeitschr. 1 Pathologie Bd. 18. — 12. Tanaka, Virchow’s Arch. 207. —13. Hüb¬ 
ner, Deutsches Arch. f. klin. Med. 104. 


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243 


Aus der EL med. Univ.-Klinik (Hofrat Ortner) inWien. 

Über den Katalasegehalt des Blntes nnd seine differential- 
diagnostische Bedeutung. 

Von 

Dr. E. Segall und M. Händel. 

Auf Anregung des Herrn Assistenten Dr. A. Lug er der 
hiesigen Klinik führten wir nach einer Arbeit von vanThienen(l) 
über den Katalasegehalt des Blutes und seine differentialdiagno¬ 
stische Verwertbarkeit bei Anämien Katalasebestimmungen durch. 

VanThienen stellt den Begriff des Katalaseindex von neuem 
auf, d. L das Verhältnis der von ihm modifizierten Y o 11 e s 'sehen 
Katalasezahl zu der Millionenzahl der roten Blutkörperchen pro emm 
und faßt seine abnorme Erhöhung als eigenes Symptom der perni¬ 
ziösen Anämie auf. 

Wir arbeiteten im wesentlichen nach der von vanThienen modi¬ 
fizierten Permanganatmethode, die weiter unten genauer beschrieben 
wird. Um vom wechselnden Einfluß des Lichtes und der Temperatur 
möglichst unabhängig zu sein, ließen wir die Reaktion im Brut¬ 
schrank bei 37° vor sich gehen. Wir verwendeten Kölbchen aus 
Jenaer Normalglas, da wir uns überzeugt hatten, daß die Glas¬ 
qualität einen beträchtlichen Einfluß auf die Bestimmung ausübt. 

Wir entnahmen aus der gereinigten Fingerbeere mittels einer 
Kapillarpipette 50 emm Blut und übertrugen es in ein vorher mit 
50 ccm physiologischer Kochsalzlösung gefülltes Kölbchen. Von 
dieser gut aufgeschüttelten 1 °/ 00 Blutmischung wurden 10 ccm heraus¬ 
genommen und mit genau 30 ccm einer ungefähr 1% Wasserstoff¬ 
superoxydlösung 2 Stunden im Brutschrank stehen gelassen. Hier¬ 
auf wurden & ccm herausgenommen und nach Zusatz von einigen 
Tropfen einer 50 °/ 0 Schwefelsäure mit einer Permanganatlösung 
titriert, die möglichst genau 3,7195 g KMn0 4 pro Liter enthielt 
(1 ccm dieser KMn0 4 -Lösung entspricht 2 mg fl 8 0,). Die Berech- 

16 * 


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Sbgall u. Händel 


nung wollen wir an einem Beispiel erläutern. Wir stellten ans 
zunächst durch Verdünnen eine etwa 1% Wasserstoffsuperoxyd¬ 
lösung her und bestimmten ihren Gehalt, indem wir 5 ccm mit 
KMn0 4 -Lösung titrierten, dabei verbrauchten wir, sagen wir, 
26,45 ccm. 30 ccm der H a O a -Lösung entsprechen also 158,7 ccm 
KMn0 4 -Lösung. Ebenso stellten wir fest, wieviel von den 30 ccm 
HjOj-Lösung nach 2 Stunden unzersetzt geblieben waren, indem 
wir 5 ccm in der oben beschriebenen Weise titrierten. Da diese 
5 ccm den- 8. Teil der im Kölbchen enthaltenen Menge (30 ccm 
H^Oj-Lösung+lO ccm Blutlösung) darstellen, mußten wir die Zahl 
der verbrauchten ccm KMn0 4 -Lösung mit 8 multiplizieren, um die 
nach 2 Stunden noch vorhandene H a O a -Menge zu erfahren. Wenn 
wir also im genannten Beispiel nach 2 Stunden zum Oxydieren 
der 5 ccm 9,4 ccm der KMn0 4 -Lösung verwendeten, so wären zum 
Titrieren der ganzen, unzersetzt gebliebenen H s O,-Menge 75,2 ccm 
KMn0 4 -Lösung notwendig gewesen (8 mal 9,4). Die Differenz aus 
der der ursprünglich vorhandenen H 2 0 2 -Menge entsprechenden Zahl 
verbrauchter ccm KMn0 4 -Lösung (in unserem Beispiel 158,7) und 
der der unzersetzt gebliebenen Menge (in unserem Falle 75,2) er¬ 
gibt die der unzersetzten Menge von entsprechende Zahl von 
ccm KMn0 4 -Lösung, in unserem Falle also 83,5 (d. i. 158,7 weniger 
75,2). Diese Zahl mit 2 multipliziert (da 1 ccm meiner KMn0 4 - 
Lösung 2 mg H,O a entspricht) und durch 10 dividiert (da wir 
10 ccm Blutlösung verwendeten) ergibt direkt die KatalasezahL 
'Diese durch die Millionenzahl der roten Blutkörperchen pro ccm 
dividiert, in unserem Falle durch 4840000, ergibt den Katalase¬ 
index, in unserem Falle also 3,4 (d. i. 16,7 dnrch 4,84). 

Die Fähigkeit des Blutes, H 3 O a -Lösungen unter Bildung von 
freiem Sauerstoff zu zersetzen, ist im wesentlichen an die Erythro- 
cyten gebunden, es haben aber auch mehrere der in Blntplasma 
gelösten Stoffe eine hemmende bzw. fördernde Wirkung auf die 
H a O a -Zersetzung. Harnstoff (2) hemmt die Zersetzung des Wasser¬ 
stoffsuperoxyds schon in einer Konzentration von 0,04 °/ 00 . Der 
Reststickstoffgehalt, der im wesentlichen von Harnstoff geliefert 
wird, hat im Serum eine Konzentration von ca. 0,3°/o 0 , die bei 
perniziösen Anämien bis auf 1,7 °/oo erhöht sein kann. (3) Fibrin oder 
ein Gewebsfetzen, der im Blute schwimmt (und der bei der tiefen 
Wunde, die gerade bei schwer Anämischen nötig ist, um Blut für 
die Erythrocytenzählung und die Katalasebestimmang zu bekommen, 
nicht sicher zu vermeiden ist) hat stark fördernde Wirkung. 
Schwach fordernde Wirkung haben Cl-Ionen.(4) Die anderen Blut- 


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Über den Katalasegehalt des Blotes nsw. 


245 


bestandteile haben für unsere Frage weniger Interesse. Auch die 
Zeit, die vom Austritt des Blutes aus der Wunde bis zur Ent¬ 
nahme, sowie die Zeit, die vom Ansetzen der Blutmischung bis 
zum Zusetzen der H t O a -Lösung verstreicht, hat einen Einfluß auf 
die Größe der Katalasezahl. 

Die in weiteü Grenzen wechselnde Konzentration der ver¬ 
schiedenen Blutbestandteile läßt von vornherein konstante Be¬ 
ziehungen zwischen Katalasewirkung und der Zahl der morpho¬ 
logischen Bestandteile des Blutes nicht erwarten. 

In Übereinstimmung mit den vorstehenden Überlegungen wird 
z. B. bei einer Nephritis mit Erhöhung des Reststickstoffgehaltes 
eine kleine Katalasezahl und ein kleiner Katalaseindex zu erwarten 
sein, bei Anämien müssen wir eine Verminderung der Katalase¬ 
wirkung entsprechend der Erythrocytenabnahme und eine (schein¬ 
bar) vermehrte Katalasewirkung entsprechend dem oft erhöhten 
Reststickstoffgehalt erwarten. Im Gegensätze zu Ville und 
Moitessier(ö) u. a., welche dem Serum an sich H s O a zersetzende 
Kraft zuschreiben, konnten wir eine solche in ganz frischem Serum 
nicht finden, wohl aber in einige Zeit gestandenem. Wir kommen 
zu dem Schluß, daß außer der Hyperfunktion des einzelnen Blut¬ 
körperchens bei perniziösen Anämien im Sinne von Ehrlich und 
Nägeli auch noch andere Momente bei der H 9 O s -Zersetzung durch 
Blut in Betracht zu ziehen sind. Wir lassen eine Tabelle folgen, 
in der Katalasezahlen von Gesunden und Kranken enthalten sind. 


Tabelle. 




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246 


Sbqall u. Handbl 


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Erythro- 

Katalase- 

Kntilsnr 


cyten 

sahl 

indes 


C. Affektionen ohne Animie. 


a) Minner. 

R. E., Nephritis, Mesaortit Inet Ascites 
T., Apicit., Cirrh. hep. Sigmoidit. Tbc. 

intest? 

H. B., Ulc. Dnod. Cholecystitis 

I. R., Colit. ehr. 

E., Ulcus parapvl., Pylorusstenose 
T., Arterioekl. Schrumpfniere 
N., Insuff. valv. mitr. 

P., Ulc. iuxtapvl. 

V. L., Myocard. acuta 
P., Insaff. valy., aort Atheroma, aort. 
Struma 

E. , Tbc. pulm. Ostit fibr. 

B., Myocard. chron. Cirrh. hep. mixta. 

D. , Lues cerebrospin. 

S. , Ulc. ventr. 

K. D., Ulc. duod. 

L E., Mitralinsufflcienz, Atheroma aort. 
6. S., Tumor der rechten Bauchgegend 
I. K., Ulc. ventr. 

F. , Eemipleg. rud. dextra, encephalo- 

malacia cerebr. arterioscl., Atheroma 
aort., ArterioscL, art. peripher, prae- 
cipue, art ren. 

P., Cholecyst. Sepsis, Pneumonie, Tumor 
lien. e malaria trop. 

F. E., Pleurit. exsud. 

A. S., Ulc. ventr., Cystopyel., Apicit., 
Bronchiektasie 

E. , Ulc. ventr. 

P. D., Diabetes mell. 

Dr. P. L., Oonit. Tuberculosa 


3840000 


4940000 

5008000 

4510000 

5380000 

5830000 

4600000 

4420000 


5300000 
4 400000 
5830000 
5312009 
4800000 


4550000 

5255000 


5340000 

6380000 


12,8 

12,0 


12.3 

12.4 
28,6 
10,6 
16,1 

9.2 
13,6 

4.3 


12.7 
10,4 

7,81 

14,9 

14.6 
14 
10,2 

11.8 

12.6 


6,8 

10,2 

10,8 


17,8 

10.4 

16.5 


3,7 


2,6 

6.7 
2.3 

2.8 
1,6 


0,9 

3,1 


2.7 

3.1 

1.8 

2.2 

2,6 


1,5 

1,9 

1,9 

2 


b) Frauen. 

M. R., Peritonit. adhaes. ehr. Stenosis 
intest t 

S., Cirrh. hep. Addison? 


6560000 

4000000 


12.7 

11.8 


1,8 

2,9 


D. Carcinome mit Anämie 
(Männer). 

S., Ca. ventr. 

D., Ca. ventr. subphren. Abscefi 

J. R, Lungenca. 

K. W., Ca.i prostat., perniciosaähnliches 

Blutbild 


3730000 

3070000 

3800000 

2850000 


18,7 

8,6 

14 

5,1 


5 

2,8 

3.7 

1.8 


E. Anämien, 
a) Minner 

G., Ulc. ventr., postoperat Pneumon., 
Anämie 

C., Lues hep., Ict. 


2680000 

2860000 


16,7 

6,8 


4,9 

2 


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Über den Katalasegehalt des Blutes usw. 


247 



Erythro- 

Katalase- 

Katalase- 


cyten 

zahl 

index 

V. F.. Cystorniere (Rest-N 100 mg pro 
100 ccm) 

3830000 

7,8 

2 

b) Frauen. 




M. Z., Chlorose 

2160000 

13,1 

6,2 

F. Leukämien. 




a) Männer. 




A., Lene, lymph. Anämie, lymph. leuc. 
mediast. Intumesc., lymphogland. 
univ. Pleurit., Tumor nep. et lien. 

2001000 

10,4 

3,3 

b) Frauen. 




A. A., MyeL Leucämie 

3600000 

3,4 

0,9 

F. Perniciöse Anämien. 




a) Männer. 




J. P., Anaem. pernic. 

1600000 

8,2 

6,1 


1820000 

4,2 

2,7 

b) Frauen. 




A. W., Anaem. pernic. 

1446 000 

3,3 

2,3 

A. W., Mach Milzexstirpation 

1846000 

4,3 

2,4 

Ch. St., Anaem. pernic. 

662000 

2,8 

4,4 

L. St., „ „ 

4226000 

16 

3,6 

G., . „ Befund durch 

1610000 

5,1 

3,2 

Obduktion bestätigt 




Zusammenfassung. 

Wir finden bei Gesunden wohl entsprechend den bekannten 
Ernährungsverhältnissen in Österreich und unserer etwas abge¬ 
änderten Methodik kleinere Katalasezahlen als van Thienen. 
Die Katalasewerte bei Frauen sind nach unseren allerdings nicht 
sehr ausgedehnten Untersuchungen kleiner als bei Männern. Bei 
verschiedenen Krankheiten, besonders solchen, die mit Kachexie 
einhergehen, finden wir eine auffällige Verminderung der Kata¬ 
lasezahl. 

Bei Anämien finden wir die Katalasezahlen, auch wo keine 
wesentliche Kachexie besteht stark vermindert, besonders bei 
perniziösen Anämien. 

Was den Katalaseindex nach van Thienen betrifft, so ist 
derselbe bei perniziösen Anämien wohl manchmal, aber nicht immer 
abnorm erhöht Dagegen findet sich abnorme Erhöhung des Kata¬ 
laseindex bei Anämien von sicher nicht perniziösem Charakter. 


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248 Seoall u. Händel, Über den Katalasegehalt des Blotes uaw. 

Wir können also die abnorme Erhöhung des Katalaseindex nicht 
als ein konstantes, eigenes Symptom der perniziösen Anämie 
auffassen. 


Literatur. ij 

1. van Thienen, Über die perniziöse Anämie als eine selbständige Krank¬ 
heit. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 131, 3. Heft, 1920. — 2. Hof mann, Ei- 
perimentalchemie. — 3. Strauß in Noorden’s Handbuch I, 1906. — v. Jaksch 
in t. Leyden’s Festschr. Berlin 1902. — 4. Dämmer, Handbuch der anorg. 
Chemie. — 5. Soc. Biol. 65, 1126. 


] 

l 


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249 


Besprechungen. 

1. 

H. Braus, Anatomie des Menschen. 1. Teil. Bewegungsapparat. 

J. Springer, Berlin, 1921. Preis 96,— M. geb. 

Viele von uns Ärzten werden den Bau des menschlichen Körpers 
so gelernt haben, wie er sich zusammensetzt aus den einzelnen Geweben, 
Organen und Organsystemen. Da das Studium am Toten getrieben wird, 
so beruhte für uns auch die Anatomie des Lebenden wesentlich auf der 
ZoBammenordnung der toten Teile. Z. B. die Funktion der Glieder- 
mnskeln wird abgeleitet aus den Möglichkeiten der Knochenbewegungen 
gegeneinander und den Ansatzstellen der Muskeln, die die Sichtung 
des Muskelzugs angeben. Sie gewinnt dadurch leicht etwas Lebloses, 
Unnatürliches, in Wahrheit „Konstruiertes“. M. E. haben wir deswegen 
auch so große Schwierigkeiten ein sicheres Urteil über die Faktoren 
zu gewinnen, die Knochen, Muskeln, Gelenke beeinflussend Art und Um¬ 
fang einer Bewegung zustande kommen lassen. H. Braus behandelt 
im ersten Bande seiner Anatomie die Bewegungsapparate und baut dabei 
die Strnktur jedes einzelnen funktionell wichtigen Körperabschnitts aus 
leinen, für den Arzt natürlich untrennbar zusammengehörigen Teilen: 
Knochen, Gelenken, Sehnen, Muskeln, Haut auf. Obwohl ich das Glück 
hatte Anatomie und Physiologie von Männern zu hören, die noch beide 
Wissenschaften gleichzeitig getrieben hatten, von Ludwig, His und 
Braune, ist mir doch durch die Braus’sche Form der Darstellung 
die Anatomie lebendig geworden — allerdings auch ungleich kompli¬ 
zierter als wir so leicht denken. Aber das hilft nichts. Denn uns 
Arsten nützen nicht Schemata, wie es in der Natur sein könnte; wir 
müssen wissen wie es ist. 

Nach einer allgemein-entwicklungsgeschichtlichen und allgemein- 
anatomischen Einleitung werden die Bewegungsapparate der dorsalen und 
ventrolateralen Bumpfwand, der oberen und unteren Extremitäten sowie 
des Kopfs dargestellt. Systematisch und topographisch sind für jede 
Begion die einzelnen Bestandteile geschildert. Das für den Arzt so 
wichtige Problem: wie kommt unter verschiedenen Bedingungen die 
Stellung des Körpers und seiner einzelnen Teile zustande, wie entstehen 
die einzelnen Bewegungen, wird ausführlich und höchst lehrreich erörtert. 
Gerade dadurch lernen wir so viel, daß Braus topographisch gewisser¬ 
maßen die ganze Gegend anfzeigt, an der sich ein Bewegungsvorgang 
abspielt. Denn der Arzt hat eben nicht Knochen mit Muskelansätzen 
und Muskelrichtungen vor sich, sondern den ganzen Körper. Gewiß geht 


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250 


Besprechungen. 


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such Braus zunächst noch von den einzelnen Teilen aus z. B. für eine 
Bewegung von den Muskeln, Gelenken, Bändern. Das ist als Grundlage 
unbedingt notwendig. Aber er bereitet überall schon die physiologische 
Anatomie der Zukunft vor, die alles bei einer Bewegung Beteiligte zusammen- 
fassen wird. Jede Bewegung ist gegeben durch die Gesamtheit der Verhält¬ 
nisse. Welche ungemein wichtige Bolle für diese Aufgabe z. B. gerade die 
duroh Bänder und Muskeln gegebenen Spannungen und Hemmungen spielen 
und vor allem: wie verschiedene Muskeln und Muskelgruppen sich für 
einen Plan zusammen ordnen, sehen wir hier, soweit das bis jetzt möglich ist» 
dargestellt. Wenn es noch nicht angängig ist, werden die Grundlagen 
für die Aufgabe geschaffen. Wir innervieren ja nicht willkürlich Muskeln, 
sondern wir wollen eine Aufgabe erfüllen und hierfür machen wir, ohne 
zu wissen wie, eine Bewegung. Jede, auch die scheinbar einfachste, ist 
verwickelt und erfordert ebenso Innervationen wie Hemmungen mehrerer 
Muskeln. Die „Buhe“ in Stellungen und Lagen ist nicht nur ein Er¬ 
gebnis von Muskelinnervationen und ihrem Aufhören, sondern auoh von 
höchst sinnreichen Balancierungen. Für das Studium des jetzt soviel 
behandelten Muskeltonus findet man in dem Buche mancherlei wichtige 
Hinweise. 

Es sohadet nichts, daß der Lernende den Stoff, so wie er hier in 
der ganzen Kompliziertheit des Zusammenwirkens von Organ und Organ- ■ 
Systemen sich darbietet, sich etwas mühsam erobern muß. Er wird be¬ 
lohnt durch die Wirkungen frühzeitiger Übung und Erziehung, die Dinge 
nicht nur bildhaft vorzustellen, sondern auch funktionell tätig, bewegt zu 
denken. Das Übergewicht, welches die anatomische Bildung oft über 
das physiologische Denken bekommen bat, erschwert bei vielen Lernenden 
die Auffassung des pathologischen Geschehens. Braus zwingt die 
Phantasie seines Lesers von Anfang an, sich die Form nicht erstaunt, 
sondern veränderlich, nach festen Begeln fließend, also im Dienste der 
Leistung vorzustellen. So wird das Auge früh daran gewöhnt sich die ' 
Bequemlichkeit reiner Morphologie zu versagen und in jedem kleinsten 
Falle sich des ärztlich und biologisch allein Entscheidenden, des Ver¬ 
hältnisses von Struktur und Funktion bewußt zu werden. Wir erfahren 
hier im Überblick, wieweit auch die Anatomie mit ihren Mitteln in dieser 
Sichtung vorzudringen vermag. Gewiß, es ist nicht wenig. Und doch 
ist noch ein weiter Weg. Beides werden Arzte, die um das Verstehen 
von Erscheinungen bemüht sind, gleich lebhaft dankbar und begeistert 
empfinden, wenn sie die anregende Fülle dieses Werks, seiner Gedanken und 
seiner wunderschönen eindrucksvollen Bilder auf sich haben wirken lassen. 

(L. KrehL) 


2 . 

H. Strauß, Nachkrankheiten der Buhr. Samml. zwangt. Ab- 
handl. aus d. Geb. der Verdauungs- u. Stoffwechselkrankheiten. 
VII. Bd. Heft 1/2. C. Marhold, Halle a. S., 1921. 61 S. 

In Erweiterung seiner Ausführungen auf der Homburger Tagung 
gibt H. Strauß eine für praktisch-ärztliche Zwecke bereohnete Über¬ 
sicht über die Gesamtheit der Folgezustände der Buhr, welche Nach- 


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Besprechungen. 251 

krankheiten, intestinale und extra intestinale in recht an¬ 
schaulicher Weise näher erörtert werden. 

Bei ersteren unterscheidet er klinisch einen diarrhöischen und 
hjperalgetisch-spastiscben Typus, welche Grundformen wiederum hämor¬ 
rhagisch und anhämorrhagiscb, febril und afebril, eupeptisch und hypo¬ 
peptisch verlaufen. Topisch lassen sich allgemein prokto-sigmoiditische, 
typhlitische und diffus-kolitische Formen gegenüberstellen. Die Fern¬ 
wirkungen bzw. extraintestinalen Nachwirkungen finden ihre Einteilung 
in: allgemeine Ernährungsstörungen, toxisch neurogene bzw. myogene 
und entzündlich metastatische Folgen. Das Hauptaugenmerk richtet der 
Verf. entsprechend seinen reiohen Erfahrungen und Untersuchungen auf 
die Magenverhältnisse. 

Unter 117 klinisch beobachteten Krankheitsfällen fand sich Gärungs¬ 
dyspepsie in 10 °/ 0 , Anacidität in 21 °/ 0 , Subacidität in 29 °/ 0 . Manche 
poetdysenterische Magenbeschwerden sind jedoch pseudogastrisch (kologen, ' 
extrastomachal) oder funktioneller Art an Ulcus parapyloricum erinnernd. 

Eine sehr übersichtliche Darstellung finden die prokto-sigmoskopischen 
und Röntgenbefunde, denen in Kürze die bakteriologisch-serologischen 
angereiht werden. Bei der Agglutination fordert er einen Titer von 
1:100, womöglich 1:150, wobei er auch die feinflockige gelten läßt. 
Eine präzisere Heraushebung hätte das Kapitel Komplikationen: Fern¬ 
wirkungen bzw. extraintestinale Nachkrankheiten verdient, insbesondere 
wie sich die einzelnen Organstörungen in ihrer Häufigkeit verhalten, 
hierbei hätten vor allem die Ruhrrheumatoide eine eingehendere 
Behandlung erfahren sollen und die so wichtigen Herzstörungen 
speziell Myocardschädigungen eine Besprechung verdient; Ähn¬ 
liches gilt für die neurologischen und Augennachkrankheiten, welche 
allerdings mehr in das spezial »tische Gebiet fidlen. 

Den Schluß bildet die Therapie der Nachkrankheiten, wobei ins¬ 
besondere die endoskopische und chirurgische Behandlung näher dar¬ 
gestellt wird. Ein alphabetisches Register wäre erwünscht gewesen. 

Strauß hat hiermit ein recht praktisches, rasch orientierendes 
Nachschlagsheftchen über dieses wiobtige Thema geschaffen, das gerade 
jetzt in der Nachkriegszeit, wo die Ruhrfolgen eine so bedeutende Rolle 
spielen, willkommen sein wird. (4, p o s s e 11, Innsbruck.) 


3. 

E. Feer, Diagnostik der Kinderkrankheiten. J. Springer, 
Berlin, 1921. 276 S. Pr. 40,— M. 

Wenn ein Pädiater, von so reicher persönlicher Erfahrung wie 
Feer eine „Diagnostik“ veröffentlicht, dann darf man von vornherein 
annehmen, daß damit etwas „Besseres“ geboten wird. Und in der Tat 
— man wird in seinen Erwartungen nicht getäuscht. Was hier vorliegt 
ist mehr als eine Diagnostik im landläufigen Sinne. Es ist ein mit 
großer Liebe zur Sache niedergelegtes und mit meisterhafter Sorgfalt 
zusammengestelltes Bekenntnis eines ausgezeichneten Klinikers, das Ver¬ 
mächtnis eines äußerst zuverlässigen, feinen und originellen Beobachters. 
An gewissen scheinbaren Kleinigkeiten wird der Fernerstehende vermut- 


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252 


Besprechungen. 


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lieh achtlos vorübergehen, aber dem Zünftigen fallen sie sofort als 
„Eigenbau“ auf. Ich erinnere nur an die habituellen Stirnrunzeln bei 
Pylorusstenose, an das Glanzauge kongenitaler Luetiker, an das starke 
Aufsperren der Augen bei Pacbymeningitis, an die Unterscheidung von 
Hunger« und Schmerzgeschrei bei Säuglingen. Und solche Feinheiten, 
die dem Buche vielfach eine stark persönliche Note verleihen, finden sich 
in großer Zahl. Feer hat die schlichte, klinische Beobachtung auf sein 
Schild geschrieben und ist sich darin seit jeher treu geblieben. 

Indes wird auch der „Laboratoriumsdiagnose“ der gebührende Platz 
eingeräumt. Aber sie kommt grundsätzlich erst an zweiter Stelle. Zu« 
nächst das Bestreben das Krankheitsbild gewissermaßen jungfräulich auf 
sich einwirken zu lassen und mit einfachsten Mitteln zu entziffern, dann, 
vielleicht erst nach Tagen: Lumbalpunktion, Tuberkulin und Wasser¬ 
mann. Daß bei solchem Vorgeben der Blick mehr geschärft und den 
Verhältnissen, wie sie die Praxis draußen bietet, mehr Rechnung ge¬ 
tragen wird, ist klar. Außerdem bereitet dem richtigen Feinschmecker 
das Fahren mit der-Postkutsche u. U. größeren Genuß, als das Rasen 
mit dem Automobil. Das Ziel wird zwar, wenn es keine Panne gibt, 
schneller erreicht, aber die intimen Reize der Landschaft gehen verloren. 

Zur Einteilung des Stoffes wählte Feer das didaktisch am besten 
bewährte semiotische Prinzip. Freilich muß man dabei den unvermeid¬ 
lichen Nachteil mehrfacher Wiederholungen mit in Kauf nehmen. Aber 
für den Neuling wird es wohl nur von Nutzen sein, wenn er in ver¬ 
schiedenen Zusammenhängen an wichtige Dinge immer und immer wieder 
erinnert wird. 

Anläßlich einer Neuauflage wird es vielleicht erwägenswert sein, 
folgendes nachträglich einzufügen: Im Ödemkapitel die Hand- und Faß- 
rückenödeme bei Tetanie, bei den Larynxstenosen die allerdings seltene 
Laryngitis fibrinosa s. aphthosa, bei der Intoxikation den hochgehobenen 
Thorax, bei der Invagination die Purpura, b^i der Pneumokokkenperi¬ 
tonitis den Herpes, beim Ekzemtod das Frühjahr, bei den ruhrartigen 
Stühlen die eosinophilen Darmkrisen („intestinale Urticaria“) exsudativer 
Kinder und beim Mongolismus jenseits des Sänglingsalters das so häufige, 
aber m. W. bisher gar nicht gewürdigte Symptom der rauhen, tiefen, 
stets etwas heiser klingenden Stimme. 

Ganz ausgezeichnet gelungen und glänzend reproduziert sind die 
zahlreichen (226) vom Autor selbst aufgenommenen photographischen 
Bilder. Sie werden nicht allein dem Lernenden, sondern auch jedem 
Lehrer der Kinderheilkunde, der im Besitze eines Projektionsapparates 
ist, vorzügliche Dienste leisten. (Moro, Heidelberg.) 


4 . 

Ernst Kretschmer, Körperbau und Charakter. Unter¬ 
suchungen zum Konstitntionsproblem und zur Lehre von den 
Temperamenten. Berlin, Springer, 1921, 192 S. 

Kretschmer’s Arbeit macht eine Quintessenz der modernen 
Psychiatrie nutzbar für eine allgemeine KonBtitutionslehre. Das manisoh- 
depressive Irresein und die Schizophrenie erscheinen hier lediglich als 


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I 


Besprechungen. 


253 


die extremen paychopathologischen Zuspitzungen zweier in der großen 
Messe der „Normalen“ überall schon vorgebildeten Arten der Anlage: 
der cyklothymen und der schizothymen. Überall so auf den Schultern 
von Kri pelm and Bleuler stehend gelangt er zu einem umfassenden 
System der Temperamente, das von verhältnismäßig großer Einfachheit 
igL Es greift, wie das der Antike, durch die psychische und die phy¬ 
sische Welt hindurch, darin besteht formal betrachtet ein Vorzug und 
eine Faszination. Dieses gescheite, begabte, fruchtbare, anfechtbare, ge¬ 
fährliche und aufrüttelnde Buch ist voll anziehender und abstoßender 
Wirkungen. Es ist das Ergebnis eines schöpferischen Impulses zu einem 
System des Ganzen und einer geistvollen Konzeption. Darüber kann 
die äußerlich voranstehende induktive Methode nicht täuschen. Es be¬ 
ginnt mit einer statistischen Untersuchung von 85 Manisch-depressiven 
and 175 Schizophrenen auf ihren körperlichen Habitus: Körpermaße, 
Oesichtsmaße, Hautbeschaffenheit, Behaarung, Fettpolster und viele andere 
Dinge (mit Ausnahme der Bewegungen, also des gesamten Bewegungs¬ 
ausdrucks und der Physiologie). Sehr eindrucksvoll schält sich so ein 
psychophysischer' Parallelismus heraus: eine Zuordnung „pyknischer“ ge¬ 
drungener Körpertypen zur cyklothymen Gruppe, eine Zuordnung der 
asthenischen, athletischen und einiger dysplastischer Typen zur schizo¬ 
phrenen Gruppe. Von dieser Basis ausgehend hat Kretschmer sich 
mit dem Problem der Vererbung auseinanderzusetzen; wie fast alle 
neueren Konstitutionslehren muß er den Konstitutionsaufbau als phäno¬ 
typische Auswirkung der Erbmasse erfassen. Körperbau und Psychose 
sind ihm nicht BelbBt in der Erbmasse gegebene Konstitution, sondern 
eben nur Teile ihrer phänotypischen Manifestierung. 

Die Tatsache, daß Körperbau und Psychose durchaus nicht in einem 
so festen, klinisch gesetzmäßigen Verhältnis stehen, sondern manche Aus¬ 
nahme- und Mischbeziehung zeigen, wird so formuliert, daß Körperbau 
und Psychose zwar affine Beziehung haben aber doch auch selbständig 
gehen können. „Legierungen“, „Überkreuzungen“, „Dominanzwechsel“ 
müssen herangezogen werden, um die stärker atypischen Fälle dem Grund¬ 
schema angliedern zu können. Trotzdem, und damit erfolgt nun der 
Übergang zu der allgemeingültigen (nicht nur pathologischen) Tempera- 
mentenlehre, lassen sich Typen cykloider und Typen schizoider Familien 
heraosgreifen. In diesem zweiten, ein Temperamentenschema ausarbeiten¬ 
den Teil beschränkt sich Kretschmer f s Darlegung überwiegend auf 
die Aufzeigung psychologischer Charakteristik und eilt in einem wachsen¬ 
den Tempo zur Masse der Durchschnittlichen und über diese zu einer 
Typologie der Genialen. Auch hier bleibt die große Grundscheidnng in 
Cyklothyme und Schizothyme; diese beiden Hauptgruppen werden aber 
weiter aufgelöst in zahlreiche Untergruppen. Beispiele dieser letzteren 
lind etwa der „pathetische Idealistentypus“, oder der „feinsinnig-kühle 
Aristokratentypus“ aus der schizoiden, oder die „bequemen Genießer“ 
and „tatkräftigen Praktiker“ aus der cykloiden Gruppe. In diesem Teil 
tritt an die Stelle der Statistik die Kasuistik, an die Stelle der Verall¬ 
gemeinerungen die psychologisch-novellistische Schilderei. Die Methodik 
dieser Schilderungen besteht in der Anwendung von besonders 4 Gesichts¬ 
punkten: 1. Psychästhesie und Stimmung, 8. Psychisches Tempo, 3. Psycho- 


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254 


Besprechungen. 


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motilität, 4. Affiner Körperbautypns. In dieser Aufzählung hatten wir 
also gewissermaßen den rationalen psychologischen Begriffsapparat 
Kretschmer’s yor uns, demicht offiziell und theoretisch begründet 
wird, sondern gleichsam harmlos eben da ist, ähnlich wie dies etwa 
mit den seelendynamischen Vorstellungen Fr eud ’s der Fall war. Diesem 
Sohema und diesem Apparat entgehen wie bemerkt auch die Genialen 
und Speziellbegabten nicht, und dies ist ein .schmerzlicher Punkt: was 
würden unsere Romantiker und Metaphysiker sagen, wenn sie sich hinter 
den Gitterstäben des Linienschemas „8chizothymiker“ zusammen mit den 
„kalten Rechnern“ und den „Despoten“ eingesperrt wiederfänden? — 

Es ist ein billiges Vergnügen einem kühn Wagenden find in die 
Höhe Kletternden die grotesken Stellungen vorzuhalten, die er an 
schwierigen Stellen einnahm, vielleicht einnehmen mußte, wie kann es 
der Zuschauer wissen? Nicht darum erlaubt sich der Ref. den Finger 
auf eine wunde Stelle zu legen. Eine ernste Kritik des Buches könnte 
leicht 10 Bücher seines Umfangs ausmachen, und dies bedeutet sicher 
mehr Anerkennung als Ablehnung. Unzählige Einzelfragen sind ja an» 
geschnitten, über die zu reden wäre und über die geredet werden wird. 
Denn wie viele Faktoren mußten ausgeschaltet werden, um in der un¬ 
endlichen Fülle der Individualitäten überhaupt einmal zur Typenbildung, 
zur Generalisierung zu kommen. Denn in wie vielen anderen Ebenen 
ließen sich solche einteilende Schnitte durch die unübersehbare Mannig¬ 
faltigkeit der Charaktere legen. Der Dualismus schizothym-cyklothym 
ist hier his über seine Tragfähigkeit angespannt worden. Wie wird er 
überlagert von den Momenten des Geschlechtes, der Rasse, der Nation, 
der geschichtlichen, der sozialen, der ethischen und der Schicksals- 
bedingung? Alle diese Fragen sind, offenbar bewußt, nicht aufgerollt 
worden. Auch nicht die Beziehung etwa zum epileptoiden, zum hyste¬ 
rischen Charakter, oder die zur thyreogenen oder myzödematösen Tempe¬ 
ramentslage ist erörtert worden. Wie viel Sachliches, wie viel Prinzi¬ 
pielles und wie viel Methodisches hier zu sagen sein wird kann hier 
beiseite bleiben. Wichtiger und weniger selbstverständlich erscheint mir 
folgendes. 

Kretschmer ist sich bewußt, daß er „naturwissenschaftlich* 
biologisches Denken in solche Provinzen geistigen Lebens hineinträgt, 
die ihm bisher fremd waren“. Dieser Versuch hat ja schon längst seine 
Geschichte und geistige Tradition. Englische Denker haben dies von 
jeher versucht, Nietzsche muß hier genannt werden und Deszendenten 
Nietzsche’s wie Klages und Jaspers. Es liegt in der ganzen Gleichung: 
Charakter = Psychologie, die hier zugrunde liegt, und die besagt, daß nicht 
Geist und Freiheit, sondern „Konstitution“, „Anlage“, psychophysische 
Struktur, mit einem Wort Natur mechanismus hinter dem Charakter eines 
Menschen stehe, nicht Werte die für ihn gelten, die er bejaht, verneint, 
sondern Erbmasse, biologische Substanz. Es liegt in dieser, wie ich glaube 
illegitimen, Anwendung (und Überspannung) des Artbegriffs der Bio¬ 
logie, die man vornimmt wenn man Luther und Schiller als pyknische 
und schizoide „Typen“ bezeichnet; wohlgemerkt nicht die Anatomie und 
Physiologie Luther’s und Schiller’s, sondern, man möchte zerspringen vor 
Ungeduld, eben ausgerechnet Luther und Schiller. 8ie sollten nicht die 


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Besprechungen. 255 

Diktatoren und Spender des Charakteristischen sondern die Sklaven einer 
biologischen Typologie sein! 

Indem Kretschmer diesen Schritt tat berührt er in der Tat 
kritische Kragen seines Fachs und der Wissenschaften überhaupt. Soll 
wirklich gemeint sein, daß meine schizoide oder cykloide Erbanlage dar« 
Sber entscheidet ob ioh Empiriker oder Metaphysiker bin (vgl. Schema 
8. 192)? Sollte Kretschmer übersehen haben, daß er hier Schul* 
begriffe deutscher Philosophie in biologische Schubfächer gesperrt hat? 
Wie kann man Metaphysiker, Empiriker und Romantiker mit „flotten 
Organisatoren“, „verständigen Vermittlern“ und „derben Draufgängern“ 
tnf einer Tafel vereinigen? Nein, hier ist der Landsmann Hegel’s and 
Hölderlin’s von .seinen guten Genien verlassen worden. Wieviel tiefe 
Wahrheit in solchen Kombinationen liegen könnte, das hat Nietzsche, 
wir wiederholen es, ahnen lassen, was wir hier sehen grenzt ans 
Groteske. So kann die Durchdringung geistes- and naturwissenschaft¬ 
lichen Denkens, um die die Gegenwart ringt — Kretschmer ist ein 
lebendiger Exponent dieses Ringens — nicht anssehen. Es wird, des 
bin ich gewiß, an den Problemen der Psychiatrie immer lebhafter ent¬ 
brennen ; es wird Schritte wie den, der hier getan wurde wagen müssen, 
aber nach anderen Vorbereitungen als denen einer mit Meßstange, Wage 
und Photographie aofgenommenen Statistik. Bleibt diese auch der 
im Sinne der Medizin wirklich wertvolle Teil des Buches, so ist doch 
sein Durchstoßen nach medizinfemen Regionen das Interessante und, als 
Blickrichtung wirklich Bedentende des Buches. Niemand wird, so 
wünschen wir ihm, aus einer Pedanterie der „gesicherten Ergebnisse“ 
und der „exakten Beweisführung“ heraus übersehen, daß hier Kräfte 
der Erneuerung am Werke sind; hier definitive Klarheit und Ab- 
rnndnng zu fordern ist nioht möglich. Von der Kritik ist bis zur 
Ablehnung ein weiter Schritt, und ablehnen dürfte nur der, welcher 
die Aufgabe besser lösen oder das letzte Ziel als falsch erweisen könnte. 
Aber dies möge doch mit voller Schärfe gesagt sein: wer sich mit der 
naturwissenschaftlichen Biologie und ihren Methoden an das Problem des 
Charakters, des Genies und der Geistesgeschichte wagt, muß außerdem 
lebendigere Werte und größere Wahrheiten als die des Cykloiden und 
Schizoiden mitbringen. Ais gelegentliche Pinselstriche wären sie erlaubt, 
all übergreifendes System enthalten sie zu wenig Ehrfurcht. Und dies 
wird sich vielleicht in Kürze entscheiden: daß, wer mit Biologie und 
Psychologie an Charakter, Weltanschauung, Geist herantritt auB dem 
was bisher Psychologie und Biologie hieß, einen Charakter, eine Welt¬ 
anschauung, einen Geist zu machen hätte. / 

Mit dieser letzten Forderung greife ich über die Ziele der 
Kretschmer'sehen Arbeit hinaas: ihr Verf. hat sich solche Ziele 
gewiß nicht gestellt, er erhebt gegenüber geisteswissenschaftlichen Auf¬ 
gaben für sich selbst keine Prätentionen. Aber gerade darin scheint 
der Fehler zu bestehen: daß die Prätentionen zu bescheidene sind, 
als daß Bie an das Phänomen deB Genialen heranreichten; höher, nicht 
noch niedriger müssen die Ansprüche fliegen, wenn er das Genie zu 
begreifen sieh vorsetzt. Weltanschauung einsetzen und nicht beiseite 
schieben heißt es, wenn die ersten und vornehmsten Bildner von Welt- 


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Besprechungen. 


anschanung vor Augen geführt werden sollen. Daß dies nicht geschah, 
hat seinen Grund nicht in Mangel an Verständnis oder Begabung, son¬ 
dern vielmehr in gewissen prinzipiellen methodischen und wissenschaft¬ 
lichen Überzeugungen Kretschmer’s, die selbst eine Welt- 
anschauung repräsentieren. Es ist der konsequente Glaube an 
die unbegrenzte Leistungsfähigkeit biologisch-kausalen Denkens auch auf 
solchem Gebiet. Daß sein Buch an die Schwelle dieser unendlich be¬ 
deutsamen Kampffrage hinführt, ist sein größtes Verdienst und war nur 
möglich bei einem Autor, in dem die Untergründe und Gegensätze 
unserer gesamten wissenschaftlichen Lage sich aneinander abarbeiten. 
Wir hoffen, daß diese Schrift in der Enthüllung dieser geheimen Span¬ 
nungen einen guten Schritt vorwärts bringen wird und in diesem „vor¬ 
wärts“ und diesem vielleicht ungewollten Rühren an eine wissenschaft¬ 
liche Grundfrage fühlt der Referent eine Übereinstimmung, in der Lösung 
aber einen klaren Gegensatz. 

Über den fachlich psychiatrischen Wert des Buches, erlaubt er sich 
kein Urteil; dieser bleibt von dem Gesagten unberührt. Nicht wir, 
sondern Kretschmer hat jedoch in die weitere Sphäre des ärztlichen 
und wissenschaftlichen, ja des allgemein menschlichen Denkens hinein¬ 
gegriffen und hier mußte so scharf wie möglich der Posten besetzt 
werden. Nur dann kann die Gärung zur Klärung führen, wenn wir so 
offen wie möglich sind. Auoh der Nicht-Psychiater wird das Buch aus 
der Hand legen gleichsam mit einem neuen Auge für gewisse Beziehungen, 
geschärft und eingestellt auf ein wichtiges Tatsachengebiet, auf Forschungs¬ 
möglichkeiten oder vielleicht auch nur Anschauungsformen, nach denen 
ein allgemeines Bedürfnis herrscht. Unabsehbar sind die Möglich¬ 
keiten die ein nachdenklicher Leser aus Kretschmer’s Buch folgern 
wird. Aber auch, wenn man sich gewagte Folgerungen versagt, so wird 
man finden, daß man an seiner Hand sich inmitten einer verworrenen 
Fülle plötzlich leicht und sicher bewegen und verständlich machen kann. 
Über seine schematische Brauchbarkeit kann ein Zweifel gar nicht 
bestehen. Zweifel beginnen vielmehr dort, wo wir uns sagen müssen, 
daß nicht nur dieses sondern jenes Schema ein Fehlgriff wäre. 

Daß Kretschmer so viele Schwierigkeiten in darstellerischem 
Glanz und ungewöhnlicher gedanklicher Stoßkraft gleichsam hat hin¬ 
schmelzen lassen wird die Kenner dieses Autors nicht überraschen. 

(V. v. Weizsäcker, Heidelberg.) 


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Aus der Universitätskinderklinik in Zürich. 

(Direktor: Prof. Dr. E. Feer). 

Energometrische Untersnchnngen Uber die Wirkung des 
Adrenalins auf den Kreislauf, nebst Bemerkungen Uber 
den Wanddruck der Arterien. 

Von 

Dr. A. Hotz, 

Oberarzt der Klinik. 

(Mit 2 Abbildungen.) 

Eine der bekanntesten und praktisch wichtigsten Eigenschaften 
des Adrenalins ist seine blutdrueksteigernde Wirkung. Ihre Ur¬ 
sache ist eine in der Gefäßwand angreifende hochgradige Ver¬ 
engerung der kleinsten Arterien. Daneben kommt noch eine direkte, 
anfierordentlich kräftig erregende Wirkung aüf das Herz in Be¬ 
tracht (Meyer u. Gott lieb 1 2 3 ). Nach Steinach und Kahn*) 
ist eine Beteiligung der Kapillaren an der Vasokonstriktion kaum 
zu bezweifeln. Nach P o p h a 1 8 ) ist die Beteiligung der verschiedenen 
Gefäßbezirke an der Verengerung durchaus nicht allgemein. Am 
stärksten kontrahieren sich die vom Splanchnicus innervierten Ge¬ 
fäße, die des Darmes, der Leber und der Niere, während die Hirn- 
Netzhaut- Coronar- Lungen- und Extremitätengefäße sich an der 
Vasokonstriktion gar nicht, oder nur in geringem Maße beteiligen. 
Im gleichen Sinne äußert sich auch Biedl 4 5 * ). In bezug auf die 
Wirkung des Adrenalins auf die Coronargefaße, steht heute die 
Auffassung ganz 'im Vordergrund, daß es dieselben erweitert 
Diese Annahme gründet sich hauptsächlich auf die Untersuchungen 
von Langendorff*) am Arterienstreifenpräparat und am über- 

1) Meyer u. Gottlielb, Experim. Pharmakologie. 4. Aufl. 1920. 

2) Cit. nach Pophal. 

3) Ergehn, d. inn. Med. u. Kinderheilk. Bd. 19, 1921. 

4) Cit. nach Bauer, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 107, 1912. 

5) Zentralbl. f. Physiol. Bd. 21, 1908.) 

Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 138. Bd. 17 


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Hotz 


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lebenden Herzen verschiedener Säugetiere, und auf diejenigen von 
Morawitz und Zahn 1 2 ) an lebenden Hunden und Katzen. 

Im Gegensatz zu allen diesen Befunden nimmt Barbour*) 
auf Grund von Untersuchungen am Arterienstreifenpräparat an. 
daß während beim Hund, Kaninchen, Schaf, Schwein, der Katze, 
das Adrenalin die Coronararterien erweitert, dieselben beim Menschen 
und beim Alfen im Gegenteil verengert werden. Dazu schreiben 
Morawitz und Zahn: „Wir können uns nur schwer vorstellen, 
daß ein so prinzipieller Vorgang wie die Adrenalinwirkung auf 
Gefäße beim Menschen nun gerade umgekehrt sein soll wie bei 
der Mehrzahl der Säugetiere.“ Dieser Einwand scheint mir sehr 
berechtigt zu sein. Überdies wurden die Befunde Barbour’s mit der 
Arterienstreifenmethode erhoben, und man darf deswegen aus den¬ 
selben Schlüsse auf die Verhältnisse beim Lebenden jedenfalls nicht 
ohne weiteres ziehen. Die Frage der Adrenalin Wirkung auf die 
Zirkulation ist auch schon mittels klinischer Methoden bearbeitet 
worden, so z. B. von Rosenow 3 ) auf plethysmographischem Wege. 
Dieser Autor konnte die vonOliver und Schäfer 4 )im Tierversuch 
erhobenen Befunde bestätigen, die dahin lauten, daß nach Injektion 
von Adrenalin das Volumen der Extremitäten zunimmt. Diese 
Volumzunahme erklärt Rosenow durch eine Dilatation der Ex¬ 
tremitätengefäße, die bedingt ist durch eine Verlagerung des 
Blutes aus dem Splanchnicusgebiet, das auf die vasokonstriktorische 
Wirkung des Adrenalins stärker und früher anspricht. Die Dila¬ 
tation ist nach ihm eine rein passive. Oliver und Schäfer 
konnten im Tierversuch diese Blutverlagerung onkoraetrisch nach- 
weisen. 

Vor Rosenow, nämlich schon 1913, hat Drouven 5 ) auf 
energometrischem Wege die Wirkung des Adrenalins auf den 
Kreislauf untersucht. Durch diese Untersuchungen konnte eine 
mit Blutdruckerhöhung einhergehende Volumzunahme, also Er¬ 
weiterung der Brachialis, direkt nachgewiesen werden. Ferner 
fand Drouven, daß die Herzwirkung des Adrenalins dessen Ge¬ 
fäßwirkung überdauert, indem nämlich die Füllung der Brachialis 
noch weiter zunimmt, wenn der Blutdruck bereits zu sinken be¬ 
ginnt und nach dessen Rückkehr zur Norm noch einige Zeit ver- 

1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 1 lß. 

2) Journ. of exp. Med. Bd. 15, 1912. 

3) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 127, 1918. 

4) Journal of pbysiolog. 18, 1895. 

5) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 112, 1913. 


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Energoraetrische Untersuchungen über die Wirkung des Adrenalins usw. 259 


größert bleibt. Aus diesen Befunden zieht Christen 1 ) den 
weiteren Schluß, daß das Adrenalin die Coronargefäße erweitern 
müsse. Denn da das Herz vermehrte Arbeit leistet, sagt Christen, 
ist auch eine vermehrte Durchblutung seiner Muskulatur notwendig, 
folglich müssen die Coronargefäße sich erweitern. 

Wie aus meinen bisherigen Ausführungen ersichtlich ist, haben 
uns nicht nur das Tierexperiment, sondern auch klinische Unter¬ 
suchungen wertvolle Aufschlüsse über die Wirkung des Adrenalins 
auf den Kreislauf geliefert, wobei eine weitgehende Überein¬ 
stimmung der klinischen und tierexperimentellen Befunde zu kon¬ 
statieren ist. Ich habe mir nun die Aufgabe gestellt, die Wirkung 
des Adrenalins klinisch noch weiter zu analysieren. In erster 
Linie erscheint eine solche Analyse angezeigt, für die unter Adrena¬ 
lin dntretende Blutdrucksteigerung. Was wir klinisch als Blutdruck 
bezeichnen, oder nach Schulthess 2 3 ) richtiger als Pulssperrdruck, 
ist ja die Resultante von einer ganzen Anzahl von Faktoren: Schlag¬ 
volumen, Kraft und Frequenz des Herzens, resp. des Pulses, Wand¬ 
spannung deri Kapillaren, der kleinen und großen Gefäße, Blut¬ 
menge usw. Christen hat gewiß recht, wenn er den Blutdruck 
als einen verkappten Energiewert bezeichnet. Von den genannten 
Faktoren treten am Puls die Füllung und die Wandspannung der 
Arterie direkt in Erscheinung und es muß für die Beurteilung der 
Zirkulation von großem Wert sein, wenn es gelingt, dieselben 
einzeln und zahlenmäßig zu messen. Methoden, welche für solche 
Untersuchungen in Betracht kommen, besitzen wir in der Volum- 
bolometrie nach Sahli 8 ) und in der Energometrie nach Christen. 
Für die Bestimmung des Wanddrucks der Arterie kommt noch die 
plethysmographische Methode nach de Vries Reilingh 4 * ] hinzu. 

Ich habe mich bei meinen eigenen Untersuchungen der energo- 
metrischen Methode bedient, deren Prinzip ich hier nur kurz skizzieren 
will. Es handelt sich um eine Manschettenmethode : Die Manschette wird 
am besten am Oberarm appliziert. Es wird der systolische Volums¬ 
zuwachs des unter der Manschette liegenden Teiles des OberarmB, welcher 
dnrch die systolische Füllung der Arterie bedingt ist, gemessen. Dur« h 
Multiplikation dieser Größe V mit dem mittleren Druck P, entgegen 
welchem diese Füllung erreicht wird, erhält man die Energie des Puls- 


1) Christen, Die dynamische Pnlsuntersuchnng. Verlag von F. C. \V. 
Vogel, Leipzig 1914. 

2) Zentral bl. f. Herz- u. Gefäßkrankheiten Bd. 7, H. 4 u. 5, 1915. 

3) Sahli, Lehrb. d. klin. Untersuchungsmeth. 6. Aufl., 2. Rd., 2. Hälfte. 

4) Zeitschr. f. klin. Jded. Bd. 83, 1916. 

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Stoßes nach der Formel E — P.V. Die Größe V findet man auf fol¬ 
gende Weise: 

Durch den systolischen Volumszuwachs des von der Manschette um¬ 
schlossenen Teiles des Oberarmes wird an einem trägheitsfreien Mano¬ 
meter eine bestimmte Druckerhöhung, z. B. von 100 auf 106 cm Wasser 
bewirkt. Nun wird der Stempel eines mit demselben Manometer in 
Verbindung stehenden Metalltubus, der sog. Volumspritze, soweit vor¬ 
geschoben, bis die obere Grenze der Druckschwankung des Manometer¬ 
zeigers zur unteren Grenze wird. An der Graduierung der Volum¬ 
spritze kann man dann die Größe V direkt ablesen. Man kann nun I' 
bei verschiedenen Druckhöhen bestimmen und die bei aufeinanderfolgenden 
Druckwerten erhaltenen Werte in ein Koordinatensystem eintragen, mit 
P als Abscisae und V als Ordinate und erhält auf diese W<i-e die sog. 
Volumkurve. Wenn man diese Kurve in das von Christen ange¬ 
gebene Pulsdiagramm einträgt, kann man mit Hilfe der eingezeichneten 
Parabeln den zu jedem Wert von V gehörenden Energiewert E direkt 
ablesen. Durch Multiplikation von E mit der Pulsfrequenz und Division 
durch 60 erhält man die Sekundenarbeit oder Leistung L. 

Meine Untersuchungen wurden an größeren Kindern ausgeführt, 
die meist wegen leichterer Erkrankungen in unsere Klinik gehracht 
worden waren und kurz vor der Entlassung standen, also als ge¬ 
sund zu betrachten waren. Vor allem befinden sich umer ihnen 
keine Kinder mit Erkrankungen der Kreislaufsorgane. Es kam 
mir in diesen Untersuchungen hauptsächlich darauf an, die Wirkung 
des Adrenalins zur Zeit der höchsten Blutdrucksteigerung möglichst 
weitgehend zu analysieren. Diese Wirkung trat in meinen Fällen 
in ca. 10—30 Min. ein. Zwei Fälle habe ich noch bis zur 40. und 
einen bis zur 60. Min. verfolgt, und ich will diese Fälle zunächst 
einer kurzen Besprechung unterziehen. In Übereinstimmung mit 
Drouven (6 Fälle) ergab sich in erster Linie, daß die Größe V 
(Pulsvolumen) auch nach 40—60 Min. noch vergrößert war. Der 
systolische Blutdruck war bei Drouven nach 40 Min. in allen 
Fällen noch erhöht, nach 60 Min. im Gegensatz zu V, das in einigen 
Fällen noch weiter angestiegen war, wieder zur Norm zurückge¬ 
kehrt. Ich fand bei dem einen, bis 60 Min. beobachteten Kind, noch 
deutliche Erhöhung des Blutdrucks, während derselbe in den beiden 
anderen Fällen schon nach 40 Min. wieder zur Norm zurückgekehrt 
war. Die Drouven’scheu Befunde der Rückkehr des Blutdrucks 
zur Norm bei noch vergrößertem Volumen stimmen gut überein 
mit den schon erwähnten tierexperimentellen Beobachtungen von 
Mora witz und Zahn, welche nach Rückkehr des Carotisdrnckes 
zur Norm noch eine starke Vermehrung der Ausflußmenge des 
Blutes aus den Kranzarterien konstatierten. Der diastolische Blut- 


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Euergometrische Untersuchungen über die Wirkung des Adrenalins usw. 261 


druck war in allen 3 in Rede stehenden Fällen auch nach 40, 
resp. 60 Min. noch vermindert, der Wanddruck der Arterie, der 
innerhalb der ersten 20 Min. gesteigert war, wieder zur Norm zurück¬ 
gekehrt. Neben Drouven hat u. a. Bauer 1 ) Untersuchungen 
über die Wirkung des Adrenalins auf den Kreislauf an einem 
größeren Material angestellt (35 Fälle). Er injizierte 7io, in ein¬ 
zelnen Fällen 1 mg Adrenalin subkutan, ln 20 Fällen fand er 
systolische Blutdrucksteigerung (wobei allerdings nur Zunahmen 
von 10 mm Hg und mehr als solche gerechnet wurden), in 30 Fällen 
Zunahme der Pulsfrequenz. 4 mal wurde eine Abnahme der Puls¬ 
frequenz konstatiert. In 2 Fällen handelte es sich um Patienten 
mit großen Strumen. Das Verhalten des Pulses wird mit dieser 
Affektion, resp. einem dadurch bedingten Überwiegen der Vagus¬ 
erregung in Zusammenhang gebracht. 

Bei 5 Untersuchten trat nach 25—85 Min. eine Drucksenkung 
unter den Ausgangsdruck vor der Injektion ein. Nach Bayer 2 * * ) 
handelt es sich in solchen Fällen wahrscheinlich nicht um eine 
Erschlaffung der Gefäße durch Ermüdung, da nach Kret-schmer 8 ) 
zahlreiche hintereinander gemachte Adrenalininjektionen stets von 
der gleichen Blutdrucksteigerung gefolgt sind. Er hält die gleich¬ 
zeitige Reizung diktatorischer Elemente für wahrscheinlicher, die 
erst nach dem Abklingen der Vasokonstriktion zum Vorschein kommt; 
in ähnlicher Weise wie das auch bei gleichzeitiger elektrischer 
Reizung von Vasokonstriktoren und Dilatatoren der Fall ist. Mora¬ 
witz und Zahn konnten nicht nur durch Adrenalin, sondern auch 
durch elektrische Reizung des Accelerans eine Erweiterung der 
Coronargefäße, resp. eine Vermehrung der Ausflußmenge erzielen. 
Sie ziehen daraus den sicheren Schluß, daß im Acceierans Vaso¬ 
dilatatoren für die Kranzgefäße verlaufen. Nach Bauer kann 
die Pulsfrequenz nach Absinken des Blutdrucks noch erhöht sein, 
was mit meinen Beobachtungen übereinstimmt. 

Bei 6 Versuchspersonen hat Bauer auch den diastolischen 
Blutdruck bestimmt und jedesmal ein Sinken desselben 
nach weisen können. Er schreibt zu diesem Befund: „Eine 
Abnahme des diastolischen Druckes ist nur durch eine Vasodilatation 
im untersuchten Gefäßgebiet zu erklären. Die Zunahme des 
systolischen Druckes kann also in jenen Fällen, wo gleichzeitig 

1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 107, 1912. 

2) Ergebnisse d. allgemeinen Pathol. u. patbol. Anatomie Bd. 14, 1911, cit. 

nach Bauer. 

8) Archiv f. experim. Pathol. n. Pharmak. Bd. 57, 1907, cit. nach Bauer. 


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eine Abnahme des diastolischen Druckes erfolgt, unmöglich auf 
eine Konstriktion im untersuchten Gefäßgebiet bezogen werden, 
sondern kann nur durch eine Verstärkung der Herzarbeit bedingt 
sein.“ Die Gefäßdilatation sieht Bauer als eine passive an. 

Um nun zu den Hauptresultaten meiner Untersuchungen über¬ 
zugehen, so bilden sie zunächst eine Bestätigung der ja schon 
vielfach festgestellten Tatsache, daß unter der Wirkung des 
Adrenalins der systolische Blutdruck und die Pulsfrequenz in den 
meisten Fällen ansteigen. Sodann bestätigen sie die Angabe 
Bauer’s in bezug auf den diastolischen Druck, daß dieser nämlich 
meistens sinkt. In 3 von 10 Fällen blieb der diastolische Blut¬ 
druck gleich, nie konnte ich einen Anstieg desselben konstatieren. 

In bezug auf die Pulsfrequenz konnte ich bei 2 Neugeborenen 
mit kongenitaler Struma auf subkutane Injektion von 0,1 resp. 
0,2 mg Adrenalin eine ganz bedeutende, ca. 1 Stunde anhaltende 
Pulsverlangsamung konstatieren. Diese Fälle bilden also ein Ana¬ 
logon zu den beiden erwähnten erwachsenen Strumapatienten 
ßauer’s. 

Was das Verhalten der dynamischen Größen anbetrifft, so 
ist in erster Linie das Pulsvolumen zu erwähnen. Es zeigt in 
Übereinstimmung mit allen bisherigen tierexperimentellen und kli¬ 
nischen Untersuchungen so gut wie' regelmäßig eine Zunahme. Sie 
beträgt im Durchschnitt 24 %, also rund ’/i- Aus den 6 von 
Drouven untersuchten Fällen ergibt sich eine durchschnittliche 
Zunahme des Pulsvolumens von rund 35%. Die Zunahme der 
Bruttoenergie und der Leistung (Sekundenarbeit) kann aus 
den Drouven’schen Kurven ebenfalls berechnet werden, und zwar 
beträgt die mittlere Zunahme von I? = 44%, diejenige von 
L = b2°l 0 . Die Durchschnittszunahme von L stimmt in meinen 
Fällen mit 48% fast genau mit Drouven’s Zahl überein, wäh¬ 
rend die mittlere Zunahme von E in meinen Fällen mit 30% ca. 
um Vs kleiner ist. 

Was nun die Größe E anbetrifft, so habe ich nicht nur deren 
Gesamt- und Bruttowert bestimmt, sondern dieselbe noch weiter 
analysiert und die beiden Komponenten, aus denen sie sich zu¬ 
sammensetzt, nämlich die Nettoenergie und die Energie des 
Wand drucks in jedem Falle berechnet. Der Erläuterung der 
Resultate will ich noch einige theoretische Bemerkungen voraus¬ 
schicken ’). 

1) Ich habe die Resultate meiner Untersuchungen in drei Tabellen zu 


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E nergometrische Untersuchungen Uber die Wirkung des Adrenalins usw. 263 

Betrachten wir das normale Pulsdiagramm eines 14jähr. Mädchens 
i Fig. 1). Auf der Abscisse finden wir die Druckwerte, auf der Ordinate 
die Volumwerte angegeben. Die eingezeichnete Kurve ist die Volum¬ 
kurve. Diese Kurve verläuft zunächst leicht ansteigend bis zum Punkt d , 
um von hier an unter Bildung eines Knies bedeutend steiler zum Gipfel b 
anzusteigen. Der dem Punkt d entsprechende, resp. ein um weniges 
höherer Druck, ist gleich dem diastolischen Blutdruck. Wenn der Außen¬ 
druck, also der Manschettendruck, gleich ist dem diastolischen Blutdruck, 
also dem Innendruck der Arterie in Diastole, so hat die Arterie ihr sog. 
Nullvolumen. Wenn nun der Außendruck weiter ansteigt, so wird 
zwar in Systole die Arterie zunächst noch vollkommen entfaltet (sogar 
noch um weniges über ihr Nullvolumen hinaus); in Diastole wird sie 
aber in zunehmendem Maße eingebogen; ihr diastolisches Volumen wird 
kleiner, je mehr der Außendruck ansteigt. Das plötzliche Größerwerden 
der Größe F, das sich bei der Untersuchung durch das plötzliche Größer¬ 
werden der Ausschläge des Manometerzeigers äußert, beginnt im Moment 
der diastolischen Einbiegung, also unmittelbar nachdem der Außendruck 
den diastolischen Blutdruck überschritten hat. Daher der plötzliche 
steilere Anstieg der Volumkurve beim Punkt*/. Wenn nun der Manschetten¬ 
druck mehr und mehr erhöht und dadurch die Arterienwand in Diastole 
mehr und mehr eingebogen wird, so kommt der Moment, wo die Arterie 
in Diastole vollständig verschlossen wird, während die Energie des Puls¬ 
stoßes sie in Systole eben noch vollständig auf ihr Nullvolumen zu 
entfalten vermag. Dieser Moment entspricht dem Gipfel b der Kurve. 
Hier erreicht der Wert für V sein Maximum. 

Durch die zunehmende Manschettenkompression der Arterie, die 
während der Diastole im Druckgebiet, das zwischen d und b liegt statt¬ 
findet, wird in der Arterienwand in zunehmendem Maße potentielle 
Energie aufgespeichert. Diese Energie wirkt also in der gleichen 
Richtung wie die Energie des Pulsstoßes, d. h. der Blutsäule, die in 
Systole unter die Manschette getrieben wird, also von innen nach außen. 
Was als Energie des Pulsstoßes auf die Manschette übertragen wird, ist 
also eine zusammengesetzte Größe, bestehend aus der Energie der Blut¬ 
säule = Nettoenergie -j~ der Energie des Wanddruckes. Im Gipfel der 
Kurve entspricht dieser Wanddruck, wie wir gesehen haben, dem Ver¬ 
schlußdruck. Derselbe wird dargestellt, durch die Horizontal¬ 
projektion des aufsteigenden Schenkels, also durch die Strecke d — c. 

In Wirklichkeit ist der Verschlußdruck wohl meist etwas kleiner, 
als der Strecke d—c entspricht. Er ist gleich der Druckdifferenz 
zwischen dem Gipfeldruck (entsprechend dem Punkt b der Kurve) und 
dem diastolischen Blutdruck. Am Knie der Kurve (Punkt */), wo der 
Druck = 70 cm Wasser beträgt, ist V noch klein. Beim folgenden 
Punkt der Kurve, entsprechend dem Druck von 80 cm Wasser ist V 
-erheblich größer, der diastolische Blutdruck ist also sicher überschritten. 
Wir kommen wohl dem wirklichen diastolischen Druck am nächsten, 
wenn wir zwischen beiden Druck werten das Mittel nehmen, also 75 cm 

sammengestellt. Auf die Reproduktion derselben muß aber leider aus äußeren 
Gründen verzichtet werden. 


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Motz 



Fig. I 



n 3 ch der * * 

L. Julie. /V- J. o/A 
Fig. 2 . 


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Energometrische Untersuchungen über die Wirkung des Adrenalins usw. 2ßf> 


Wasser. Diese Korrektur habe ich bei allen Berechnungen berück¬ 
sichtigt. 

Die Arbeit des Wanddrucks läßt sich für jeden Punkt des auf¬ 
steigenden Schenkels berechnen. Wir wollen uns aber hier nur mit 
derjenigen des Verschlußdrucks befassen. Wo also im folgenden von 
Wanddruck die Rede ist, ist immer der Verschlußdruck gemeint. 

Diese Energie wird dargestellt durch die Fläche des Dreiecks d b c r 
v • w 

sie ist also = ——. 

2 

Da Bruttoenergie = Nettoenergie Energie des Wanddrucks, ist 
die Nettoenergie = Bruttoenergie — Energie des Wanddrucks oder in 
einer Formel ausgedrückt: 

v • w 

Nettoenergie = P.V. — - . 

Ich habe schon in einer früheren Arbeit 1 ) Untersuchungen 
über das Größenverhältnis der Nettoenergie und der Energie des 
Wanddrucks zur Gesamtenergie angestellt, und dabei gefunden, daß die 
Energie des Wanddrucks ca. 20 °/ 0 der Gesamtenergie des Pulsstoßes 
ausmacht. Unter Berücksichtigung der oben angegebenen Korrektur 
des Wanddrucks und auf Grund eines größeren Materials und ge¬ 
übterer Technik haben sich mir in den letzten Jahren etwas kleinere 
Werte für die Arbeit des Wanddrucks ergeben, die in den vorliegen¬ 
den Untersuchungen gefundenen entsprechen. Danach beträgt beim 
gesunden Kind die Energie des Wanddrucks im Durchschnitt ca. 
11 °/ 0 der Bruttoenergie und steigt unter Adrenalinwirkung auf 
rund 16 Obschon die Energie des Wanddrucks in absoluten 
Zahlen im Durchschnitt auf das Doppelte steigt, zeigt ihr Anteil 
an der Gesamtenergie eine bedeutend kleinere Zunahme, nämlich 
von rund 7, 0 auf V 7 . Der Wanddruck der Arterie selbst steigt 
unter der Wirkung des Adrenalins von durchschnittlich 27,5 auf 
41 cm Wasser, d. h. um ö0°/ o . Die Schwankungsbreite bewegt 
sich zwischen 30 und 80°/ 0 . 

Die Bestimmung des arteriellen Wanddrucks hat zweifellos ein 
großes klinisches Interesse, einmal für die Beurteilung der Wir¬ 
kungsweise von Medikamenten auf den Kreislauf, sodann auch für 
die 1 Beantwortung der Frage, ob eine Zirkulationsstörung vor¬ 
wiegend durch eine Schädigung des Herzens oder durch eine peri¬ 
phere Gefäßlähmung bedingt ist. 

Klinische Untersuchungen über den Wanddruck der Arterien 
liegen meines Wissens bisher nur sehr spärlich vor. So hat d e 
Vries Reilingh 2 ) mit seiner kombinierten plethysmographischen 

1) Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 84, Heft 6, 1916. 

2) Zeitechr. f. klin. Med. Bd. 83. 1916. 


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266 


Hotz 


Methode solche Bestimmungen ausgeführt. Er fand, um das vor¬ 
wegzunehmen, eine beträchtliche Erhöhung des Wanddrucks unter 
der Wirkung des Adrenalins. Der Wanddruck der Arteria brachialis 
beträgt nach seinen Untersuchungen beim gesunden Erwachsenen 
im Durchschnitt 19mmHg = 26cm Wasser. Ich habe mit der 
energometrischen Methode bei 7 gesunden Erwachsenen zwischen 
20—30 Jahren folgende Zahlen gefunden: Mittlerer diastolischer 
Blutdruck = 95 cm Wasser, mittlerer Gipfeldruck der Yolum- 
kurve=125cm Wasser, mittlerer Wanddruck also 125 — 95 
= 30 cm Wasser = 22 mm Hg. 

Bei der energometrischen Untersuchung von 30 zwanzigjährigen 
gesunden Erwachsenen (Rekruten) fand ich einen durchschnittlichen 
Gipfeldruck von 120 cm Wasser. Der diastolische Blutdruck 
wurde nicht besonders bestimmt. Nach Brugsch undSchitten- 
helm 2 ) beträgt der durchschnittliche diastolische Blutdruck beim 
gesunden erwachsenen Mann 100 cm Wasser, bestimmt mit dem 
Recklinghausen’schen Tonometer. 

Ich werde kaum wesentlich fehlgehen, wenn ich bei den Re¬ 
kruten den gleichen Mittelwert annehme, wie bei den 20—30jäh- 
rigen, also 95 cm. Der wahre Wert würde vielleicht noch etwas 
tiefer sein. Der Wanddruck der Arterie wäre dann 120 — 95 
= 25 cm Wasser=18.5 mm Hg. Es ergibt sich also für 
den Wanddruck der Arterie des gesunden Erwachse¬ 
nen eine fast vollständige Übereinstimmung der Re¬ 
sultate der Christen’schen und der de Vries Reilingh- 
schen, also zweier ganz verschiedener Methoden. 
Hingegen weichen in bezug auf den durchschnittlichen arteriellen 
Wanddruck bei Kindern meine Zahlen wesentlich von denjenigen 
von de Vries Reilingh ab. Ich fand bei Kindern von 9—15 Jahren 
ungefähr die gleichen Durchschnittswerte wie beim jugendlichen Er¬ 
wachsenen. De Vries Reilingh fand bei Kindern im Alter von 
8—12 Jahren Werte von nur 6—7 mmHg = 8 — 9,5 cm Wasser. 
De Vries Reilingh schreibt, daß zur Wanddruckbestimmung 
der Arterie nicht alle Fälle geeignet sind. Auch mittels des 
Energometers läßt sich der Wanddruck nicht bei allen Versuchs¬ 
personen gleich gut bestimmen. Die Genauigkeit der Bestimmung 
hängt vor allem zusammen mit der Schärfe des Übergangs der 
kleinen zu den größeren Zeigerausschlägen bei steigendem Man- 


1) Brugsch u. Schittenheim, Lehrb. d. klin. Untersuchnngsmethoden. 
3. Auf!., 1914, 1. Bd., S. 183. 


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Euergumetrische Untersuchungen über die Wirkung des Adrenalins usw. 267 


schettendruck, d. h. also mit der Genauigkeit, mit welcher sich im 
einzelnen Fall der diastolische Blutdruck bestimmen läßt. Auch 
muß man sich zu den Untersuchungen Zeit lassen und die psychi- 
sehen Momente, die bei der Versuchsperson eine Rolle spielen 
können, wohl berücksichtigen. Man beobachtet z. B. nicht selten, 
daß infolge Erregung zu Beginn der Untersuchung der Blutdruck 
höher ist, als einige Minuten nachher. In diesen Fällen muß man 
natürlich warten, bis man bei wiederholter Bestimmung der zu 
messenden Größen konstante Werte erhält, wenn man brauchbare 
Resulultate erzielen will. Unter Berücksichtigung dieser Kautelen 
fand ich bei meinen Untersuchungen am Gesunden bei ein und 
derselben Versuchsperson an verschiedenen Tagen selten Unter¬ 
schiede im Wanddruck, die größer waren als 10 cm Wasser. 

Um nun wieder zu unserem Hauptthema, der Wirkung des 
Adrenalins auf den Kreislauf zurückzukehren, so haben wir als 
wichtigstes Resultat in Übereinstimmung mit allen tierexperimen¬ 
tellen und klinischen Untersuchungen gefunden, daß das Pulsvolumen 
der Brachialis unter Adrenalin zunimmt, daß also eine Erweiterung 
der Arterie stattfindet. Es erhebt sich nun die weitere Frage, ob 
diese Erweiterung eine aktive oder eine passive sei. In bezug 
auf die Extremitätenarterien ist diese Frage von fast allen Autoren 
in letzterem Sinne beantwortet wmrden. Nur Kretschmer hält 
eine aktive Erweiterung durch Reizung der Vasodilatatoren für 
wahrscheinlicher. Für die Kranzgefäße nehmen, wie schon erwähnt, 
Morawitz und Zahn mit Sicherheit eine aktive Erweiterung 
durch die Accelerans verlaufende Vasodilatatoren an. 

Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Erscheinungen, die 
das Adrenalin beim Gesunden an der Arteria brachialis hervorruft: 
Unter Anstieg des systolischen Blutdrucks und des Wanddrucks der 
Arterie tritt eine Vergrößerung des Pulsvolumens, d. h. eine Ge- 
faßer Weiterung ein. Dabei sinkt meistensder diastolische 
Blutdruck. (In Figur 2 ist dieses typische Verhalten graphisch 
dargestellt.) 

Unter welchen Umständen kann nun der diastolische Blutdruck 
sinken? 

1. Wenn die Aortenklappe insufficient ist und in¬ 
folgedessen in Diastole ein Teil des Blutes in den linken Ventrikel 
zurückströmt. Diese Möglichkeit fällt, da wir vom intakten Zirku¬ 
lationssystem ausgehen, außer Betracht. 

2. Wenn ein vermehrter Abfluß von Blut nach dem 
rechten Herzen zu stattfindet. Ein solcher kommt nach 


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268 


Hotz 


den plethysmographischen Untersuchungen von Cloetta und 
Anderes 1 ) in erster Linie in Betracht. Diese Autoren konnten 
nämlich im Tierexperiment zeigen, daß unter der Wirkung des Adre¬ 
nalins das Volumen der Lunge zunimmt und daß diese Zunahme in 
der Hauptsache durch den vermehrten Zufluß von Blut zum rechten 
Herzen bedingt ist. Diese Wirkung vollzieht sich nach Cloetta und 
Anderes in folgender Weise und Reihenfolge: „Zuerst Verengerung 
der kleinen Gefäße der Peripherie des großen Kreislaufs, dadurch 
Druckerhöhung im Kapillarsystem und Zuschieben einer größeren 
Menge Blut in den rechten Ventrikel, was Ansteigen des Pulmonalis- 
d ruck es und Größerwerden der Pulsationen des Plethysmogramms 
verursacht.“ Sie konnten ferner den Nachweis erbringen, daß das 
Adrenalin die Lungengefäße nicht verengt und bezeichnen die¬ 
selben als das Überlaufventil der Adrenalinwirkung. Man muß 
fernerhin annehmen, daß infolge der bedeutenden Verstärkung der 
Herzaktion, die unter der Wirkung des Adrenalins eintritt, einer¬ 
seits der erhöhte Widerstand in den kontrahierten Gefäßen besser 
überwunden wird und andererseits der vermehrte Abfluß nach dem 
rechten Vorhof durch die verstärkte diastolische Saugwirkung des 
Herzens weiter begünstigt wird. 

3. Wenn eine Gefäßerweiterung eintritt. Das trifft 
nun in unserem Falle zweifellos zu. Nach Bauer kann, wie wir 
gehört haben, als Ursache des Sinkens des diastolischen Blutdrucks 
nur eine Gefäßerweiterung, und zwar hält er sie für eine rein 
passive, in Betracht kommen. Nach unseren sub 2. gemachten Aus¬ 
führungen können wir ihm darin nicht beistimmen. Nehmen wir 
aber einmal an, die Ansicht von Bauer bestehe zu Recht. Könnte 
dann die Gefäßerweiterung eine rein passive sein? 

Wir müssen uns gegenwärtig halten, daß unter physiologischen 
. Bedingungen, also bei nicht komprimierter Arterie, in Systole stets 
eine, durch die Blutsäule bewirkte, wenn auch geringe passive 
Dehnung der Arterienwand stattfindet. Diese Dehnung ist es, die 
im Energometerexperiment die kleinen Ausschläge am Manometer- 
/.eiger bewirkt, die auftreten, solange der Außendruck (Manschetten¬ 
druck) kleiner ist, als der diastolische Blutdruck, also links vom 
Knie des aufsteigenden Schenkels der Volumkurve. Durch diese 
Dehnung wird potentielle Energie in der Arterien wand aufgespeichert, 
die von außen nach innen, also entgegen der Blutsäule wirkt, und 
beim Nachlassen des Pulsstoßes, als in Diastole, wieder abgebaut 

1) Archiv f. experim. Pathologie u. Pharmakologie. Bd. 76 u. 79. 


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KuergoiuetriBche Untersuchungen über die Wirkung des Adrenalins usw. 269 


wird. Die Arterie lastet dann wieder mit demselben Druck auf 
der Blutsäule, wie in der vorhergehenden Diastole. Würde nun 
durch das infolge der Adrenalininjektion verstärkte Kaliber der 
Blutsäule die Arterie einfach passiv stärker gedehnt, so müßte 
infolge der vermehrten, in der Arterienwand aufgespeicherten 
potentiellen Energie, ein erhöhter Gegendruck entstehen. Dieser 
müßte, stets unter der Voraussetzung, daß infolge der erhöhten 
Widerstände in den kleinsten arteriellen Gefäßen ein vermehrter 
Abfluß nach dem Herzen zu nicht stattfindet, zu einer Art diasto¬ 
lischer arterieller Stauung führen. Dabei müßte der diastolische 
Blutdruck steigen. 

Nehmen wir aber, stets unter denselben Voraussetzungen, an, 
daß die unter der Wirkung des Adrenalins eintretende Erweiterung 
der Arterie wenigstens zum Teil eine aktive sei, so ist darin die 
Vorstellung enthalten, daß das Strombett, das nun dem Blutstrom 
zur Verfügung steht, breiter ist, als vorher. Selbst wenn nun 
auch die passive Komponente der Gefäßerweiterung ebenfalls größer 
wäre, so würde das Sinken des diastolischen Blutdrucks verständlich. 

Um zu unserem eigenen Standpunkt zurückzukehren, so sehen 
wir aber, wie schon erwähnt, nicht in der Vasodilatation die Ur¬ 
sache — jedenfalls nicht die hauptsächlichste — der diastolischen 
Blutdrucksenkung, sondern in einem vermehrten Abfluß von Blut, 
nach dem rechten Herzen aus der Peripherie des großen Kreislaufs, 
wie er von Cloetta und Anderes nachgewiesen wurde. Dafür, 
daß dieser vermehrte Blutabfluß auch im Gefäßgebiet der Brachialis 
stattfindet, spricht gerade das Sinken des diastolischen Blutdrucks 
in dieser Arterie und er bildet zugleich die plausibelste Erklärung 
dafür. Diese Anschauung nun läßt sich mit der Annahme einer 
rein passiven Erweiterung der Arterie ungezwungen in Einklang 
bringen. Daß die Vasodilatation auch eine aktive Koniponente 
enthält, ist denkbar, aber nicht notwendig. Vielleicht wäre dabei 
auch noch an eine Beteiligung der Längsmuskulatur im Sinn einer 
Kontraktion zu denken. 


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270 


Aus der medizin. Abteilung der allgemeinen Poliklinik in Wien 
(Direktor: Prof. Dr. Mannaberg). 

Über AnstauschYorgänge zwischen Blut und Geweben. 

I. Mitteilang. 

Der Einfluß der Diuretica. 

Von 

Priv.-Doz. Dr. Julius Bauer und Dr. Berta Aschner. 

(Mit 2 Kurven.) 

Die überaus regen und in ihrer Mannigfaltigkeit kaum überseh¬ 
baren Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben, die gleich¬ 
zeitig nach beiden Seiten hin gerichteten Stoffverschiebungen an 
den Wänden der Kapillargefäße haben in letzter Zeit mehrfach 
das Interesse biologischer Forscher gefesselt, ohne daß wir bisher 
über ausreichende Kenntnisse der feinen Regulationsmechanismen 
dieser unendlich präzise arbeitenden Apparate verfügen würden. 
Verschiedene Gesichtspunkte sind für das hohe Interesse ma߬ 
gebend, das man diesen Austausch Vorgängen entgegenbringt. Wir 
wollen hier nur einzelne hervorheben. 

In der Frage der Ödementstehung spielte die „abnorme 
Durchlässigkeit der Gefäße“ seit langem eine wesentliche 
Rolle, ja sie wird auch noch in der jüngsten Zeit bei der Erörte¬ 
rung der Pathogenese der Ödemkrankheit immer wieder als Hilfs¬ 
hypothese herangezogen, so von Schittenhelm und Schlecht, 1 ) 
Maase und Zondek, 2 3 ) Pollag, 8 ) Jansen 4 5 ) u. a. Wir konnten 
aber zeigen, 8 ) daß eine selbst beträchtlich gegenüber der Norm 
gesteigerte Gefäßdurchlässigkeit, wofern man diesen Ausdruck bei- 


1) Schittenhelm, A. n. Schlecht, H., Zeitschr. f. exper. Mediz. 9, 1919, 

2) Maase, C. u. Zondek, H, Das Hungerödem. G. Thieme, Leipzig 1920, 

3) Pol lag, S., Die Ödemkrankheit. A. Hirsch wald, Berlin 1920. 

4) Jansen, W. H., Deutsches Arch. f. klin. Med. 131, 1920. 

5) Bauer, J. u. Aschner, B., Wiener klin. Wochenschr. 1919 Nr. 50. 


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Über Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben. 271 

behalten will, bestehen kann, ohne daß Ödembildung die Folge sein 
müßte. Die gesteigerte Gefäßdurchlässigkeit war allzunehmen, weil 
in diesen Fällen schon wenige Minuten nach einer rasch durch- 
geführten venösen Infusion von 500—550 ccm physiologischer 
NaCl-Lösung die zugeführte Flüssigkeitsmenge die Blutbahn ver¬ 
lassen hatte und das Blut im Gegensatz zum normalen Verhalten 
nicht mehr verdünnt, eventuell sogar etwas eingedickt war. Das 
war ja auch der Grund, die von de Crinis J ) angegebene Methode 
zur Bestimmung der zirkulierenden Blutmenge durch Verdünnung 
mit einem abgemessenen Quantum physiologischerNaCl-Lösung als für 
pathologische Fälle unbrauchbar abzulehnen (vgl. auch J. Löwy 2 )). 
Gesteigerte Durchlässigkeit der Kapillarwände für Wasser bedeutet 
also noch nicht Ödembildung. Von einer gesteigerten Durchlässig¬ 
keit für NaCl läßt sich wohl überhaupt nicht sprechen, denn intra¬ 
venös zugeführtes NaCl verläßt, wie wir gezeigt haben, in blut¬ 
isotonischer und, wie wir gleich hinzufügen wollen, auch in hyper¬ 
tonischer Lösung schon beim Gesunden nahezu augenblicklich die 
Blutbahn, um in die Gewebe abzuwandern. 

Ganz ähnlich wie NaCl strömen auch andere in die Blutbahn 
gebrachte Substanzen sehr rasch in die Gewebe ab, so Sulfat, 
Phosphat, Nitrat, Dextrose, Laktose (Magnus, 8 ) Münzer, 4 ) 
v. Brasol, 6 ) Klikowicz, 6 ) Thannhauser u. Pfister, 7 > 
0. Schwarz u.Pulay, 8 ) Bürgern.Hagemann, 9 ) u. a.), Harn¬ 
stoff (Nonnenbruch, 10 )) Aminosäuren (van Slyke u. Meyer, 1 11 )) 
Fett (B u s q u e t u. V i s c h n i a c, 12 )) Digitaliskörper (G o 111 i e b), 18 ) 
Optochin (Schnabel) 14 ) u. a. Es ist sehr die Fiage, ob der von 
uns in gewissen Fällen beobachtete, abnorm rasche Abfluß des in¬ 
fundierten Wassers überhaupt als Folge gesteigerter Gefäßdurch- 


1) de Crinis, M., Zeitschr. f. phys. Chem. 99, Bd. 1917. 

2) Löwy, J., Zen trat bl. f. inn. Med. 1920, Nr. 19, 819 u. Nr. 48, 387. 

3) Magnus, R., Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 44 , 68, 1900. 

4) Münzer, E., Arch. f. exp. Path. n. Pharm. 41 , 74, 1898. 

5) v. Brasol, Arch. f. (Anat. u.) Phys. 1884, 210. 

6) Klikowicz, ibid. 1886, 518. 

7) Thannhauser n. Pfister, Münchener med. Wochenschr. 1913, 2155. 

8) Schwarz, 0. u. Pulay, Zeitschr. f. exp. Path. u. Ther. 17, 1915. 

9) Bürger, M. u. Hagemann, E. Zeitschr. f. exp. Med. 11 , 239, 1920. 

10) Nonnenbrnch, W., Arch. f. exp. Path. n. Pharm. 89, 1921. 

11) van Slyke, D. D. u. Meyer, G. M., Journ. of biol. chem. 16, 197, 1913. 

12) Busquet, H. u. Vischniac, Ch., C. R. Soc. Biol. 83, Nr. 20, 908, 1920. 

13) Gottlieb, R., Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 82, 1, 1917. 

14) Schnabel, A., Biocb. Zeitschr. 112, 112, 1920. 


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272 


Bauer u. Aschner 


lässigkeit augesehen werden darf und nicht vielmehr bestimmte 
Bedingungen, die in der Gewebsbeschaifenheit gegeben sind, diesen 
raschen Abfluß bewirkt haben. Jedenfalls sollte mit dem Begriff 
<ler gesteigerten Gefäßpermeabilität viel vorsichtiger umgegangen 
werden, als dies im allgemeinen noch zu geschehen pflegt. 

Dies bezieht sich übrigens auch auf die von Veil 1 ) ange¬ 
nommene, der Urämie zugrunde gelegte Regulationsstörung im 
Austausch zwischen Blut und Gewebe infolge schwerster Schädi¬ 
gung der für diesen Austausch maßgebenden Faktoren, der Gefäß- 
und Lymphendothelien. Auch für den Diabetes insipidus 
wurden primäre Anomalien im intermediären Wasser- und Salz¬ 
austausch angenommen (Leschke, 2 ) Veil 8 )). Doch konnten 
wir 4 ) ebenso wie Oehine 6 ) zeigen^ daß es sich hier nur um se¬ 
kundäre Folgen einer primären Anomalie der Nierenfunktion handelt. 
Mit staunenswerter Präzision passen sich die Austauschvorgänge 
zwischen Blut und Gewebe der fortlaufenden Durchspülung des 
Organismus Insipiduskranker mit den oft ungeheueren Flüssigkeits¬ 
mengen an. 

Nicht minder bewundernswert ist diese Anpassung bei Krank¬ 
heitszuständen, in welchen die Nierentätigkeit im Sinne herab¬ 
gesetzter Ausscheidungsfähigkeit gestört ist oder wo durch brüske 
Änderungen in der Tätigkeit der Nierenschleuse durch therapeu¬ 
tische Maßnahmen gelegentlich enorme Wasser- und Substanz¬ 
mengen eliminiert werden, ohne daß nennenswerte Konzentrations- 
änderunsren im Blute nachzuweisen wären. Auf diese wichtige 
Tatsache werden wir im folgenden noch eingehender znrückkommen. 
Zunächst weist sie uns aber auf die in neuerer Zeit mehrfach 
diskutierte Frage des extrarenalen Angriffspunktes der 
Diuretica hin. 

V o 1 h a r d °) präzisiert seinen extremen Standpunkt in dieser 
Frage mit folgenden Worten: „Ohne die Möglichkeit, daß die Diu- 
retica die Nierengefäße erweitern und auch die Endothelien der 
Nierengefäße und die Epithelien der Niere zu verstärkter Leistung 
anregen können, leugnen zu wollen, müssen wir nach Beobachtungen 

1. Veil, W. H., Bioeh. Zeitsohr. 91 , 1918. 

> Leschke, E.. Zeitschr. f. klin. Med. 87, 1918. 

*>} 1. c. 

4i Bauer, J. u. Aschner, B., Wiener Arch, f. inn. Med. I, 1920. 

•>) Oehme, C., Med. Klin. 1919, Nr. 35; Zeitschr. f. exp. Med. 9, 251, 1919. 

6) \ ul hurd. F., Die doppelseit. hämatog. Niereuerkrankungen (Bright’sche 
Krankheit). Springer. Berlin, 1918. 


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Über Austausch vorg&nge zwischen Blnt nnd Geweben. 


273 


am Krankenbette doch sagen, wie weit die Dinretica auf die Nieren 
wirken, ist noch ungewiß, daß sie aber aberwiegend extrarenal an¬ 
greifen and den Einstrom von Wasser in das Blut befördern, das 
steht unseres Erachtens außer Zweifel“ (1. c. 8. 127). Volhard 
stützt seine Auffassung durch die von ihm und seinen Mitarbeitern 
beobachtete Erscheinung, daß' bei jeder Entwässerung der Wasser¬ 
süchtigen durch Diuretica der Diurese ein deutlicher Wasserein¬ 
strom in das Blut vorausgeht, der sich aus einer Hydrämie mit 
Abnahme der Eiweißkonzentration und Trockensubstanz sowie der 
Erythrocytenzahl erschließen läßt Nicht nur die eigentlichen 
Diuretica, sondern auch Strophantin, protrahierte warme Bäder, 
Schwitzprozeduren und Aderlaß sollen die Diurese auf dem Um¬ 
wege über die primär entstehende Hydrämie in Gang setzen; sie 
sollen also primär hauptsächlich an der „Vorniere“, d. h. an den 
den Austausch zwischen Gewebs- und Blutflüssigkeit vermittelnden 
Endothelzellen angreifen. Diesen Standpunkt vertritt Volhard 1 2 * ) 
auch noch angesichts der von Veil und Spiro 8 ) vorliegenden 
Untersuchungen. 

Veil 8 ) konstatierte an gesunden Menschen stets eine Blut¬ 
eindickung bei der durch Purinkörper herbeigeführten Diurese, nur 
bei Ödematösen fand er eine Blutverdünnung, die er aber als die 
durch den sekundären Einstrom der Gewebsflüssigkeit bedingte 
Folge der primären Diuresewirkung ansieht. Theocin und die 
anderen Purinkörper führen nach Veil und Spiro stets zu einer 
Eindickung, meistens auch zu einer NaCl-Verarmung des Blutes, 
und zwar auch am entnierten Tier, also offenbar nicht infolge der 
renalen Ausschwemmung von Wasser und NaCl sondern infolge 
ihres Abströmens in die Gewebe. Die Purindiurese würde also 
nach der Darstellung Spiro’s 4 * ) gewissermaßen gleichzeitig durch 
die Glomerulusschlingen in die Nierenkanälchen und durch die 
Körperkapillaren in die Gewebe hinein erfolgen. Volhard hält 
jedoch diesen Versuch am Tier und an nicht ödematösen Menschen 
nicht für beweisend und erblickt „die therapeutische und sicher 
extrarenale Wirkung“ nicht in der Blutein dickung sondern in der 
Blutverdünnung, in der der Diurese vorangehenden Hydrämie. ln 


1) Volhard, F., Diskussionsbemerkung ia Münchener med. Wochenschr. 
1921, Nr. 32, 1033. 

2) Veil, W. H. n.P. Spiro, Münchener med. Wochenschr. 1918, Nr. 41,1119. 

8) Veil, W. H., Deutsches Arch. f. klin. Med. 112, 1913 n. 118, 1914. 

4) Spiro, P., Arch. f. exp. Psth. n. Pharm. 84, 1919. 

Deutsches Archiv für klin. Medisin. 138. Bd. 18 


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274 


Bum n. 


dieser Streitfrage sind wir nnn auf Grand mehrjähriger Unter¬ 
suchungen in der Lage, Stellung zu nehmen. 

Die Untersuchungen wurden in der Weise vorgenommen, daß 
nach einer entsprechenden Vorperiode, in der keine wesentliche 
medikamentöse Beeinflussung stattfand, das Diureticum intravenös 
verabreicht wurde. Das zur Untersuchung benötigte Blot wurde 
durch Punktion aus den Venen der EUenbeuge entnommen, jedoch 
stets ohne vorangehende Stauung. Bei einiger Übung gelingt es 
leicht, auch ganz ohne Stauung genügend große Blutmengen za 
gewinnen. Die Versuche wurden stets früh morgens am liegenden 
Patienten, in der Regel im nüchternen Zustande vorgenommen. 
Die Eiweißbestimmung geschah mit dem Pulfrich’schen Eintauch¬ 
refraktometer, der NaCl-Gehalt wurde nach dem sehr genauen 
jodometrischen Verfahren von Mc Lean und van Slyke 1 ) be¬ 
stimmt. Durch Doppel bestimmungen überzeugten wir uns wieder¬ 
holt von der Zuverlässigkeit der Resultate. Die in den Tabellen 
gemachte Angabe über diuretische Wirkung bezieht sich auf die 
24 ständige Harnmenge. 

Aus den in Tabelle I angeführten Versuchen ergehen sich 
folgende Tatsachen: 1. Die Diuretica Theocin, Theophyllin 
und Euphyllin erzeugen, wenn sie intravenös verabreicht werden, 
keine Hydrämie sondern, wie dies Veil und Spiro angegeben 
und auch schon Nonnenbruch und Szyszka*) bestätigt haben, 
eine Bluteindickung. Diese Wirkung kann nur durch unmittelbare 
Beeinflussung des Flüssigkeitsaustausches an den Kapillarendothelien 
der Gewebe und nicht etwa als Folge einer diuretischen Wirkung 
erklärt werden, da sie sich schon binnen wenigen Minuten und 
auch dann einstellt, wenn eine nennenswerte Diurese gar nicht ein¬ 
gesetzt hat Das entspricht ja auch den analogen Beobachtungen 
Veil und Spiro’s an nephrektomierten Tieren. Die Diurese kann, 
wie z. B. Nr. 5 zeigt, sehr beträchtlich sein, ohne daß auch nur 
die von Volhard postulierte initiale und geringfügige Hydrämie 
eingetreten wäre. In einem einzigen Falle, in Nr. 8, fanden wir 
eine minimale, nur 0,09°/ 0 Eiweiß betragende Verdünnung des 
Blutes 5 Min. nach der Injektion von Euphyllin. Diese Wert¬ 
änderung liegt zweifellos innerhalb der Fehlergrenzen; überdies 
hat gerade in diesem Falle mit ausgebreiteten Ödemen eine 
diuretische Wirkung nicht eingesetzt 

1) McLean, F. C. n. van Slyke, D. D., Jonra. of. biol. ehern. 21,361,1916. 

2) Nonnenbrach, W. n. Saysika, W., Deutsch. Arch. f. klin. Med. IM, 

1920. 


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Über AuBtauschvorgänge zwischen Blut und Geweben. 
Tabelle I. 


275 


Nr. 

Präparat 

Zeit 

Be- 

frakt 

Serum 
Ei¬ 
weiß 
in % 

NaCl 
in % 

Versuchszahl 

und Fall 

Bemerkungen 

1 

Theocin 
0,3:15,0 
venös. 

vorher 
nach 6* 

62,25 

68,2 

8.762 

8,965 

0,6496 

0,5523 

95. B.F., 9, 
66 J. 

Dyspepsie. 


i 

Theo« 

phyllin 

natrio- 

acetic. 

0,25:5,0 

venös. 

vorher 
nach 20* 
nach 2 St. 
20* 

62,0 

62.02 

55,35 

1 

j 

6,652 

6,556 

7,276 

0,5252 

0,5968 

0,6677 

24. G. M., 9, 
60 J. 
Sekund. 
Leberkrebs 
mit allgem. 
marant. Hy« 
drops. 

Spärlicher hochge¬ 
stellter Harn . (spes. 
Gew. 1028) Ödem- 
flttssigkeit mittels 
Curschmann’scher 
Nadeln */, St. vor 
bis 8 St. 20 Min. nach 
d. Injektion aufge¬ 
fangen u. in 5 Por¬ 
tionen untersucht. 
Befraktom. 21,8 — 
22,0-21,8. NaCl 
0,6878 — 0,6748 — 
0,6553 °/ 0 . Keine 
Diuresewirkung. 

3 

Theo¬ 
phyllin 
natrio 
acetic. 
0,25:10,0 
venös. 

vorher 
nach 12* 
nach 38* 

59.35 

69.35 
60,0 

8,139 

8,139 

8,28 

0,3290 

0,3782 

0,3245 

73. K. K., 9, 
60 J. 
Ghron. 
Glomerulo¬ 
nephritis 
mit Hoch¬ 
druck u. 
Urämie (Au¬ 
topsie)... Ge¬ 
ringes Odem. 

Salzfreie Kost. 

4 

Snphyllin 
0,5 venös. 

vorher 
nach 7* 
nach 1 St. 

56,15 

58,3 

58,3 

7,448 

7,913 

7,913 

0,5724 

0,5663 

0,5684 

208. B.J.,9, 
62 J. 

Carcinoma 

abdominis. 

Keine dinretische 
Wirkung- 

6 

Euphyllin 
0,80 venös. 

vorher 
nach 12* 

58,6 

66,3 

6,898 

7,265 

0,5658 

0,5329 

216. B. 8., 9, 
67 J. 

Inkompens. 

Mitralvitium. 

Ödeme. 

Diurese steigt von 
5§0ccm auf 2 <00ccm, 
Ödeme schwinden. 

6 

Euphyllin 
0,80 yenös. 

vorher 
nach 4' 
nach 11' 

56,3 

65,75 

67,2 

7,265 

7,362 

7,675 

0,5312 

0,5132 

218. Derselbe 
Fall, eine 
Wochespäter. 
Hochgradige 
Oligurie. 

Diurese steigt von 
100 ccm auf 650 ccm, 

7 

Euphyllin 
0,80 venös. 

vorher 
nach 3* 
nach 20* 

59,45 

60,16 

60,40 

8,161 

8,312 

8,366 

0,5605 

0,5328 

218 a. L. J., 
o*, 63 J. 
Tbc. periton. 
mit Ascites. 

Keine dinretische 
Wirkung. 

8 

I 

Euphyllin 
0,80 venös. 

vorher 
nach 5* 

64,23 

53,8 

7,084 

6,941 

0,4709 

0,4760 

219. P.K., o*, 
60 J. 

Aleukämische 
Lymphoma¬ 
töse mit allg. 
Hydrops (Au¬ 
topsie). 

do. 


18 * 


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276 


Bacbb u. Aschhbb 


2. Die Änderung des NaCl-Spiegels im Blutserum geht der 
Änderung des Eiweißgehaltes nicht parallel. Nach Theocin und 
Theophyllin fanden wir im Gegensatz zu Veil und Spiro eine 
initiale Zunahme des NaCl im Serum, wie wir dies schon früher 
angegeben haben. 1 2 ) Übrigens ist der initiale Anstieg des Serum¬ 
kochsalzes auch aus der Kurve 1 von Veil und Spiro zu ent¬ 
nehmen. Dem Anstieg des NaCl-Wertes im Blute entspricht die 
in Nr. 2 beobachtete deutliche Abnahme des NaCl-Gehaltes in der 
Ödemflüssigkeit Es kann also von einem Abströmen des NaCl 
aus dem Blute in die Gewebe unter der Wirkung des Theophyllins 
hier — im Gegensatz zu Veil und Spiro — gewiß keine Rede 
sein. Die gleiche Wirkung, nämlich Abnahme des NaCl in der 
Ödemflüssigkeit bei Zunahme desselben im Blut hat Beckmann 1 ) 
in der ersten Zeit nach einmaliger Verabreichung einer hohen 
Diuretindosis beobachtet. 

Enphyllin bewirkte konform den Angaben Veil und Spiro’s 
eine NaCl-Verarmung des Serums. Auf die Dissoziation in der 
Verschiebung des Wassers und NaCl macht auch Spiro aufmerksam, 
ebenso darauf, daß offenbar nicht alle Diuretica der Purinreihe 
den gleichen Einfluß auf die NaCl-Verschiebung ausüben. Während 
nämlich in Spiro’s Versuchen das Coffein, pur., Theocin. pur. and 
Theocin. natrioacetic. den NaCl-Spiegel im Serum drückten, stieg 
bei Kaninchen auf Coffein, natriobenzoic. das Serum-NaCl an. Er 
schließt daraus mit Recht, daß die Verminderung des Wassergehaltes 
im Blute und die Veränderung des NaCl-Spiegels nach Verabreichung 
von Purinkörpern voneinander unabhängige Effekte darstellen und 
auf der Wirksamkeit verschiedener Regulationsmechanismen beruhen. 
Eine wesentliche pharmakodynamische Differenz zwischen Euphyllin 
und Theocin-Theophyllin haben — allerdings bezüglich der ge¬ 
rinnungsbeschleunigenden Wirkung auf das Blut — auch Nonnen- 
bruch und Szyszka festgestellt. 

3. Veil und Spiro sind der Meinung, daß der NaCl-Bestand 
des Blutes maßgebend ist für die diuretische Wirkung der Purin¬ 
körper. Sinkt dieser Bestand unter ein gewisses Niveau, dann 
bleibt die Purindiurese aus, wird NaCl zugeführt, so tritt die 
Diurese wieder ein. Darauf sollte die bekannte Erscheinung der 
„Ermüdung“ bei der Purinkörperdiurese beruhen. Aus unseren 

1) 1. c. In Nr. 1 ist die zweite Blutentnahme offenbar noch vor dem Ein¬ 
setzen der charakteristischen Austausch Vorgänge erfolgt, wie wir sie s. B. nach 
peroraler Theocinverabre’cbung später noch kennen lernen werden. 

2) Beckmann, K., Deutsches Arch. f. klin. Med. 135, 1921. 


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Über Aus taDsch Vorgänge zwischen Blnt nnd Qeweben. 277 

Versuchen läßt sich der Schluß ziehen, daß der NaCl-Gebalt des 
Blutes keinesfalls allein maßgebend sein kann für die diuretische 
Wirkung, verabreichter Purinkörper. Damit befinden wir uns in 
Übereinstimmung mit Beckmann. 

Wenn also unsere bisher besprochenen Versuche zeigen, daß 
die von Volhard vertretene Lehre unhaltbar ist, der zufolge 
die Purinkörperdiurese in erster Linie infolge einer extrarenal 
entstandenen 'Hydrämie erfolgen soll, so können wir ebenso wenig 
den Schluß ziehen, daß der von Veil und Spiro eingenommene 
Standpunkt zutreffend wäre. Ja, wie die folgende Tabelle zeigt, 
ist er ebenso abzulehnen wie der Volhard’sche. 


Tabelle IL 


Nr. 

Präparat 

Zeit 

Re- 

frakt. 

Serum 

Ei¬ 

weiß 

°/o 

NaCl 

in % 

Versuch8eahl 

und Fall 

Bemerkungen 

1 

Diuretin 
0,75:5,0 
venös. 

vorher 
nach 30' 
nach 2 St. 
30* 

öS,6 
60,5 
60,9 

6,898 

6,228 

6,314 

0.5685 

0,5526 

0,5789 

55. Sch. A., 
o* 58 J. 
Emphysema 
pulm. Dila- 
tatio cordis. 

Keine Diurese. 

2 

Diuretin 
1,0:10,0 
venOs. 

vorher 
nach 40' 

! 

51,0 

48,2 

6,336 

6,728 

0,4678 

0,4079 

60. J.H.,a*, 
25 J. 
Concretio 
pericard. c. 
corde. Ödeme. 

Keine Diurese. 

% 

3 

Diuretin 
1,0: 10,0 
venös. 

vorher 
nach 30* 
nach 7 Vs 
St 

68,95 

57.4 

66,6 

8,053 

7,718 

7,330 

0,6050 

0.6026 

0,6184 

61. W.J.,$, 
21 J. 

Ulcus vent. 

3. Blutentnahme 

4 Stunden nach 
dem Mittagessen. 
Keine Diurese. 

• 

Diuretin 
2,0:20,0 
venös. 

vorher 
nach 6* 
nach 36* 

58.3 
69,22 

68.4 

7,913 

8,112 

7,934 

0,6946 

0,5833 

0,5833 

70. B.J., 9, 
54 J. 

Permanenter 
arterieller 
Hochdruck 
(über200RR). 

Keine Diurese. 


Wenn zwischen Theocin*Theophyllin einer- und Euphyllin 
andererseits bezüglich der extrarenalen Beeinflussung des NaCl- 
Spiegels im Blute ein Unterschied besteht, so unterscheiden sich 
bezüglich des Einflusses auf den Wassergehalt des Blutes alle diese 
drei Mittel vom Diu re t in. Das Diuretin verursacht in der Regel, 
wenn es intravenös gegeben wird, zum Unterschied vom Theocin, 
Theophyllin und Euphyllin keine Bluteindickung sondern eine 
ausgesprochene Hydrämie. Diese Hydrämie wirkt nicht, wie es 


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278 


Baukb u. Aschkeb 


sich Volhard vorstellt, als aaslösendes Moment der Diärese, denn 
in keinem der Fälle, auch nicht bei dem zweiten, bydropischen, 
bewirkte das intravenös gegebene Diuretin eine nennenswerte Ver¬ 
mehrung der Harnmenge. Bei Nr. 4 kam es unter der Wirkung 
des Diuretins zu keiner Hydrämie, ja sogar zu einer geringfügigen 
Eindickung des Blutes, die offenbar rasch wieder abklang. Wahr¬ 
scheinlich hängt dies mit einer Besonderheit des Krankheitsfalles 
zusammen, auf welche wir in einer folgenden Mitteilung noch näher 
zu sprechen kommen werden. Es handelte sich um eine permanente 
arterielle Drucksteigerung über 200 mm Hg RR und, wie wir 
später eingehender darznlegen beabsichtigen, besteht bei derartigen 
Fällen eine gewisse Herabsetzung der Disponibilität des Gewebs¬ 
wassers; solche Fälle reagieren sehr häufig auch auf die intravenöse 
Injektion hypertonischer Salzlösungen nicht oder nur in beseht änktem 
Maße mit einem Einstrom von Gewebsflüssigkeit. Der Fall wäre 
also für die Beurteilung der Diuretinwirknng auf die Austausch¬ 
vorgänge zwischen Blut und Gewebe zunächst auszuscheiden und 
beansprucht von einem ganz anderen, später zu verfolgenden Ge¬ 
sichtspunkt besonderes Interesse. Der NaCl-Spiegel des Blutes 
blieb in drei Fällen fast unbeeinflußt, nur im zweiten Falle sank 
er ab; es ist dies auch der Fall, in welchem die stärkste Ver¬ 
dünnung des Blutes eintrat 

Ehe wir auf die Bedeutung dieser sicherlich extrarenal zu¬ 
stande kommenden Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben 
eingehen, haben wir vorerst zwei Fragen zu erledigen: erstens ob 
die von uns gefundenen Änderungen im Eiweißgehalt des Blut¬ 
serums einen Schluß auf Zustrom oder Abfluß eiweißfreier oder 
mindestens sehr eiweißarmer Flüssigkeit in die oder aus der Blnt- 
bahn zulassen; zweitens ob ein solcher Zustrom überhaupt durch 
die Kapillarendothelien und nicht etwa auf dem Wege der Lymph¬ 
gefäße durch den Ductus thoracicus erfolgt 

Was den ersten Punkt anlangt, so betont ja seit einiger Zeit 
Nonnenbruch 1 ) immer wieder, daß die Bestimmung des Re¬ 
fraktionswertes allein keinen brauchbaren Maßstab für die Ver¬ 
änderungen der Blntkonzentration abgeben könne und hierzu einzig 
and allein genaue Erythrocytenzählungen im Kapillarblut und zwar 
wie dies Nägel i angegeben hat, nach einem heißen Handbad von 


1) Nonnenbrnch, W., Deutsches Arch. f. Uin.Ued.186, 1981 — Nonnen* 
brach u. Siyszka, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 86, 281, 1920. Bogen¬ 
dörfer u. Nonnenbrnch, Deutsches Arch. f. klin. Med. ISS, 389, 1990 u.Lc. 


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Ober Austauschvorgänge zwischen Blat and Geweben. 


279 


ö Min. Dauer geeignet seien, denn es sei festgestellt, daß die dnrch 
die Kapillarendotbelien ein- und aastretende Flüssigkeit durchaus 
nicht eiweißfrei sein müsse, sondern recht erhebliche Eiweißmengen 
mitfübren könne (Bogendörfer und Nonnenbruch. 1 ) Daß 
Eiweiß unter gewissen Umständen tatsächlich durch die Gefä߬ 
wände hindurchtreten kann, ist ja vor allem durch die M agnus’schen 
Versuche erwiesen, aber da handelt es sich doch wohl um ganz 
grobpathologische Vorgänge, wo ein Tier mit verhältnismäßig 
ungeheueren Flüssigkeitsmengen durchspült wird. Und selbst da 
braucht ein derartiger Austausch von Eiweiß zwischen Blut und 
Gewebe eine gewisse Zeit und kann kaum im Laufe weniger 
Minuten zustande kommen. Es ist ja ähnlich wie mit der Perme¬ 
abilität der Glomerulusschlingen in der Niere für Eiweiß, welche 
auch nur unter gewissen pathologischen Bedingungen einen nennens¬ 
werten Grad erreicht. Eine „ Albuminurie ins Gewebe“ (Eppinger*)) 
setzt doch immer krankhafte Veränderungen der beteiligten Apparate 
voraus (vgl. auch Beckmann, 1 * )) ja Ellinger und Heymann*) 
halten nicht einmal den Beweis für erbracht, daß Plasmaeiweiß in 
vermehrter Menge durch die Gefäße hindurchtreten kann, und wir 
dürfen wohl mitBayliß, 4 * 6 ) Böhme*,) Öhme,*) Ellinger,*) u. a. 
annehmen, daß die Blutgefäßwände in der Norm Kolloide nicht 
passieren lassen und daher im allgemeinen aus einer Zunahme des 
Eiweißgehaltes im Serum auf einen Flüssigkeitsaustritt aus dem 
Blute und umgekehrt aus einer Abnahme des Eiweißgehaltes auf 
einen Bücktritt von Gewebsflüssigkeit in das Blut geschlossen 
werden darf. 

Wie langsam und mangelhaft Kolloide aus den Geweben in 
die Blutbahn eindringen, geht aus den Versuchen von Smith, 
Belt und Whipple 7 ) über den Ersatz der Plasmaproteine nach 
deren Entfernung aus dem Blute (sog. „Plasmapharesis“) hervor. 
Wird jungen Hunden Blut aus der Arterie entnommen und gleich¬ 
zeitig eine entsprechende Erythrocytensuspension in kolloidfreier 
Locke’scher Lösung in die Vene infundiert, so kann man eine Ver- 

1) l. c. 

2) Eppinger, H., Zur Pathol. d. mansch]. Ödems. Springer, Berlin 1917. 

8) Ellinger, A., u. Heymann, P., Arch. f. exper. Path. n. Pharm. 90, 

1921. 

4) Cit. nach Ellinger n. Heymann. 

6) Böhme, A., Deutsches Arch. f. klin. Med. 10S, 522, 1911. 

6) Öhme, C., Arch. f. exper. Path. n. Pharm. 89, 301, 1921. 

7) Smith, H. P., Belt, A. E. u. Whipple, G. H., Amer. journ. of phy- 
eioL 52, 64, 1920. (Bef. Kongrefisentr. 18, 616.) 


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28a 


Baues u. Abchheb * 4 

r 

minderung der Serumproteine bis auf V« erreichen. Der Ersatz 
der Seramproteine setzt zwar schon in den ersten 15 Min. ein, 
beträgt aber in dieser Zeit nicht mehr als 0,5—0,7°/ 0 , in den ersten 
24 Standen nar etwa 2°/ 0 . Es ist also mit Rücksicht auf* die 
Langsamkeit and das geringe Aasmaß der eventuellen Eiwei߬ 
verschiebungen zwischen Blut und Geweben die von ans gewählte 
refraktometrische Methode aasreichend, um sich ein Urteil über 
Flüssigkeitsbewegungen darch die Kapillarendothelien za bilden. 

Daß die Endothelien etwa nnter der Einwirkung der verwendeten 
Pharmaka eiweißdurchlässiger geworden sein sollten, ist höchst 
unwahrscheinlich, da dies ja aach für die Glomertüusendothelien 
der Niere nicht der Fall ist. Andererseits ist* es gewiß, daß 
Hämoglobinbestimmungen oder Erythrocytenzählungen im KapiÜar- 
blut recht beträchtliche Fehlerquellen mit sich bringen, die wohl - 
auch durch die Vorsichtsmaßnahme von'Bogendörfer and 
Nonnenbrach nicht völlig za beseitigen sein dürften (vgl. 

F. 0. H e ß 1 2 3 ), welche überdies für unsere Zwecke eine neue Fehler¬ 
quelle eingeführt hätte, da es nicht bekannt ist, ob nicht ein heißes 
Handbad allein schon Aastauschvorgänge zwischen Blat and Ge¬ 
weben anregt. Die Versnchsprotokolle Bogendörfer’s und > 
Nonnenbrach’s legen eine solche Annahme sogar nahe. Aach 
P. Schenk*) bezweifelt die Zweckmäßigkeit der Erythrocyten- 
zählung im Kapillarblut zum Zwecke der Beurteilung der Blut¬ 
konzentration and Spiro,*) der Mitarbeiter Veil’s, hat sich ebenso 
wie Bürger und Hagemann*) und wie wir mit der refrakto- 
metrischen Bestimmung begnügt. 

Schon im Jahre 1888 haben ja J. Cohnstein und N. Zuntz 4 ) 
nachweisen können, daß die Verteilung der Erythrocyten in den 
verschiedenen Gefäßgebieten wechselnd ist und von der Weite der 
Kapillaren abhängt. Die Kapillaren sind ärmer an Blutkörperchen 
als die großen Gefäßstämme und ihr relativer Gehalt an Erythro¬ 
cyten schwankt mit ihrer Weite und der Strömungsgeschwindigkeit 
des Blutes. Enge Kapillaren führen relativ viel Plasma und wenig 
Erythrocyten, werden die Kapillaren weiter* so nimmt die Erythro- 
cytenzahl in ihnen zu. Selbstverständlich muß sie dem entsprechend 
in anderen Kapillaren abnehmen. So können Kontraktionszustände 
gewisser Gefäßgebiete z. B. der Abdominalgefaße die Verteilung 

1) Heü, F. 0., Deutsches Arch. f. klin. Med 1*7, 200, 1921. 

2) Schenk, P., Zeitschr. f. exper. Med. 11, 166, 1920. 

3) 1. c. 

4) Cohnstein, J. n. Zants, N., Pflöger’s Arch. f. Physiol. 42,308, 1888. 


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Über Austausch Vorgänge zwischen Blnt und Geweben. 


281 


der roten Blutkörperchen erheblich beeinflussen, d. h. ihre Zahl in 
der Peripherie erhöhen, Erweiterungen ihre Zahl erniedrigen. 
Durch starken Druck auf die angestochene Fingerkuppe ändert 
sich die Beschaffenheit des austretenden Blutes in der Weise, daß 
dife Erythrocytenzahl ab-, die Serumkonzentration aber zunimmt. 
Auch unter verschiedenartigen anderen Umständen, so bei Stauung, 
Kältewirkung, beim Heben oder Senken des Armes u. a. ändern 
sich die relative Erythrocytenzahl und die Serumkonzentration 
nicht gleichsinnig (vgl. Böhme 1 2 )). Wegen der quantitativ nicht 
genügend übersehbaren Sedimentierungsvorgänge der roten Blut' 
körperchen wird man also wohl im allgemeinen mit Böhme den 
Änderungen der refraktometrisch bestimmten Serumkonzentration 
eine größere Bedeutung für Fragen des Flüssigkeitsaustausches 
zwischen Blut und Geweben einräumen dürfen als den Veränderungen 
der relativen Erythrocytenmenge. Das lehrten uns auch eigene 
spezielle Erfahrungen. 

Die zweite Frage ist, ob der von uns beobachtete extrarenal 
ausgelöste Flüssigkeitszustrom aus den Geweben überhaupt durch 
die Gefäßwandendothelien hindurch und nicht vielmehr durch eine 
stärkere Lymphzufuhr via Ductus thoracicus stattfindet. Dies ist 
um so näher liegend, als K. Spiro und H. Schneider 8 ) feststellen 
konnten, daß nach Koffeininjektion die aus dem Ductus thoracicus 
ausfließende Lymphmenge beim Kaninchen in der auf die Injektion 
folgenden halben Stunde um das Drei- bis Fünffache stieg. Da 
die Lymphe erheblich eiweißärmer ist als das Blutserum, könnte 
die von uns beobachtete Diuretinwirkung auf den Bluteiweißwert 
sehr wohl der Beobachtung Spiro und Schneider’s entsprechen 
und durch einen vermehrten Lymphzufluß via Ductus thoracicus 
bedingt sein. Wir sind um so weniger in der Lage, auf Grund 
unserer bisherigen Versuche diese Frage zu entscheiden, als wir 
die Hydrämie erst % Stunde nach der Diuretininjektion festgestellt 
haben und vorläufig nicht wissen, ob sie auch schon sofort nach 
der Injektion eintritt, was dann eher zugunsten eines Austausches 
durch die Kapillarendothelien sprechen würde. Es wäre jedenfalls 
bemerkenswert, daß die lymphagoge Wirkung des Koffeins und 
Diuretins — wofern überhaupt diese Alternative zutrifft — dem 
Theocin, Theophyllin und Euphyllin nicht zukommt 

Wie dem auch sei, es hat sich ein prinzipieller Unterschied 


1) 1. c. 

2) Cit nach P. Spiro, 1. e. 


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282 


Baurb u. Aschmkb 


zwischen dem Diuretin einerseits und dem Theocin-Theopbyllin 
und Enphyllin andererseits bezüglich der extrarenal ansgelösten 
Fl&ssigkeitsverschiebungen im Organismus heräusgestellt und ebenso 
zeigt die NaCl-Verschiebung Differenzen zwischen allen drei Arten 
von Purinkörpern. Daraus allein muß es eigentlich schon recht 
fraglich erscheinen, ob denn diese extrarenalen Wirkungen der 
Purinkörper überhaupt mit der Diurese etwas zu tun haben. 
Volhard hält die extrarenal entstehende Hydrämie für das ma߬ 
gebendste Moment bei der diuretischen Wirkung, Spiro glaubt, 
die extrarenal entstehende Eindickung des Blutes unter dem Ein¬ 
fluß von Theocin sei an der Auslösung der Purinkörperdiurese be¬ 
teiligt. Wir müssen einen unmittelbaren kausalen 
Zusammenhang zwischen der geschilderten extra¬ 
renalen Wirkung der Diuretica und ihrem diu¬ 
retischen Effekt überhaupt ablehnen. Die Gründe hier¬ 
für sind folgende: 

1. Es besteht, wie wir eben besprochen haben, kein Paralle¬ 
lismus zwischen diuretischem Effekt und der Art und Größe der 
Wasser^ und NaCl-Verschiebung zwischen Blut und Geweben. 

2. Die gleichen extrarenalen Wasser- und NaCl-Verschiebungen 
zwischen Blut und Geweben lassen sich auch durch andere Mittel 
und Maßnahmen herbeiführen, welchen eine dinretische Wirkung 
nicht zukommt. Von dieser Beobachtung soll in einer späteren 
Mitteilung die Rede sein. Hier sei nur bemerkt, daß die venöse 
Injektion hypertonischer Salz- oder Traubenzuckerlösungen in der 
Regel von einer Blutverdünnung, also einer Hydrämie gefolgt ist, 
die aber durchaus keine Diurese zur Folge haben muß. 

3. Verfolgt man die Austauschvorgänge zwischen Blut und 
Geweben, also speziell den Eiweiß- und NaCl-Wert im Serum 
während einer durch perorale Darreichung der üblichen Diuretica 
hervorgerufenen mächtigen Diurese, so ist man verblüfft, mit welcher 
Beharrlichkeit der Eiweiß- und NaCl-Wert im Serum konstant er* 
halten wird, obwohl dem Blute plötzlich gewaltige Wasser- und 
NaCl-Mengen durch die Niere entzogen werden. Wir sehen z. B. 
an den beiden Kurven 1 und 2 unter Diuretinbehandlung eine ge¬ 
waltige Wasser- und NaCl-Ausfuhr durch die Nieren eintreten, 
die Harnmengen steigen im ersten Falle von 1 auf 3 */i Liter, im 
zweiten sogar von 500 ccm bis auf 7 Liter pro Tag, ohne daß 
sich diese plötzlich einsetzende, kolossale Entziehung im Eiwei߬ 
oder NaCl-Wert des Serums in nennenswertem Grade kundgeben 
* würde. Das renal ausgeschiedene NaCl strömt prompt in der ent- 


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Über Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben. 


283 


sprechenden Menge ans den Geweben nach und der Eiweißwert 
steigt erst, wenn nicht mehr genfigend Flüssigkeit in den Geweben 
zum Ersatz der ansgeschiedenen disponibel ist. Im ersten Falle 
ohne nennenswerte Ödeme steigt er demzufolge früher, im zweiten 
mit beträchtlichem Hydrops hält ei* sich während der Zeit der 
maximalen Diurese konstant nnd steigt erst an, als auch schon die 
dinretische Wirkung abflaut. Kein Unvoreingenommener wird bei 
Betrachtung dieser Kurven auch nur an die Möglichkeit denken, 



täglich 4 g Diuretin. m 

Kurve 1. Versuch 63, Sch. A., 62 J., Emphysem. C&rdi&le Dekompensation. 

es könnten primäre Änderungen in den extrarenalen Austausch- 
Vorgängen zwischen Blut und Geweben die Diurese hervorgerufen 
haben, jeder wird herauslesen, daß die sonderbare Konstanz der 
Blutwerte nur darauf beruhen kann, daß eben gerade so viel an 
Wasser nnd NaCl aus den Geweben in das Blut nachrückt, als 
ihm durch die Niere entzogen wird (vgl. auch Meyer und Gott¬ 
lieb), 1 ) oder, wie dies Veil*) selbst früher einmal im Gegensatz 

1) Meyer, H. H., u. Gottlieb, R., Exper. Pharmakologie. 4. Auf., S. 403. 
Urban u. Schwarzenberg 1920. 

3) Veil, W. H., Deutsches Arch. f. klin. Med. 118, 1914. 


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Über Anstanschvorgänge zwischen Blot nnd Geweben. 


285 


daneben noch extrarenale Effekte, wie Steigerung der Perspiration, 
anftreten oder nicht. Denn ein primär extrarenales Ereignis kann 
seinen Einfluß anf die Diurese nur durch Vermittlung des Zirku¬ 
lationsapparates, durch Änderung der Blutzusammensetzung oder 
dorch nervös-reflektorische Einwirkung auf die Nieren geltend 
machen. Keines dieser Momente konnte Nonnenbruch in seinen 
Novasurolversuchen feststellen. Nur auf Grund einer Steigerung 
der Perspiration durch Novasurol dessen diuretische Wirksamkeit 
als primär extrarenal bedingt anzusehen, halten wir für unzulässig. 

Die oben beschriebenen extrarenplen Verschiebungen von 
Wasser nnd NaCl zwischen Blut und Gewebe, welche wir nach 
intravenöser Darreichung der Diuretica gesehen haben, kommen in 
den Diuretinkurven nicht zum Ausdruck, wo die Blutuntersuchung 
nur einmal täglich ausgeführt wurde. In Kurve 2 sieht man aller¬ 
dings, daß auch nach peroraler Theocingabe der Eiweißwert an¬ 
fangs etwas ansteigt, viel mehr noch aber das Serum-NaCl zu¬ 
nimmt, ganz wie wir es im Gegensatz zu Veil und Spiro nach 
venöser Applikation oben beschrieben haben. In einem anderen 
Falle, bei einem etwa 40jährigen Manne mit einer luetischen 
Nephrose und hochgradigen Ödemen (Vers. 21), stieg der NaCl-Ge- 
halt des Blutserums nach 0,6 Theocin natrioacet. per os im Laufe 
von 2V* Stunden von 518,7 mg % auf 612,5 mg % und betrug nach 
weiteren 1% Stunden noch 605,6 mg %. Der Eiweißwert stieg in 
den gleichen Zeiten ganz wie in Kurve 2, zunächst von 5,75% 
anf 6,03 %, um dann auf 5,43 % abzusinken. Die erzielte Diurese 
war hier recht mäßig. Bei demselben Manne brachte zehn Tage 
später mehrtägige Darreichung von 3 g Diuretin gleichfalls nur 
eine vorübergehende geringe Diurese zustande, ohne daß sich 
während dieser Zeit der Refraktometerwert und der NaCl-Gehalt 
des Serum überhaupt nennenswert geändert hätte. 

An der extrarenal einsetzenden Wirkung der Diu¬ 
retica ist also nach allem gar nicht zu zweifeln, am 
klarsten tritt sie ja an dem NaCl-Einstrom ins Blut 
nach Darreichung von Theocin hervor, welcher sicher¬ 
lich noch vor dem Einsetzen einer nennenswerten 
Diurese statthat und mit einer gleichzeitigen Ein¬ 
dickung des Blutes einhergeht. Diese extrarenale 
Wirkung der Diuretica kann aber nicht maßgebend 
sein für den Eintritt der Diurese, sie kann besten¬ 
falls ihren Grad und Verlauf modifizieren. Gegen die 
lange Zeit herrschende Auffassung, daß die Nierenarbeit unmittel- 


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286 


Baubb u. Aschhbb 


bar diktiert wird von der Blntzosammensetznng nnd mehr oder 
minder komplizierte aber exakte und fixe Beziehungen bestehen 
zwischen dem Gehalt des Blutes an gewissen Substanzen und deren 
renaler Ausscheidungsgröße (vgl. u. a. besonders A m b ar d, *)) sind ja 
nun schon maßgebende Stimmen aufgetreten (vgl. 0. Schwarz, 1 ) 
Oehme*) u. a.). Die Nierenarbeit wird viel weniger durch die 
Zusammensetzung des Blutes als durch die des ganzen Körpers 
(0. Schwarz) bestimmt, wenn uns auch der Weg, auf welchem die 
Regulation der gegenseitigen Wechselwirkung von Geweben und 
Nieren erfolgt, noch unbekannt ist Auf die Frage, wie die extra¬ 
renale Wirkung der Diuretica zustande kommt, ob sie auf einer „Um¬ 
stimmung der Angiothelien“ (Weber, 4 )) einer unmittelbaren Be¬ 
einflussung der Gewebe (Beckmann 8 )) oder etwa auf einer all¬ 
gemeinen Kolloid Wirkung (Ellinger 5 )) beruht, sei zun&chst nicht 
weiter eingegangen, nur ihre tatsächliche Existenz hervorgehoben. 
Die Versuche von Weber haben sie übrigens zuerst bewiesen, 
jene von Gaisböck 8 ) und Erna Oeser 7 ) nicht widerlegt 

Auch andere Diuretica als die der Purinreihe haben einen 
extrarenalen Angriffspunkt Strophantin, intravenös gegeben, 
führt zu einer Blutverdünnung. Darauf hatte Lüthje 8 ) als Erster 
aufmerksam gemacht, Volhard führt auf diese extrarenal hervor¬ 
gerufene Hydrämie die diuretische Wirkung des Strophantins zurück. 
Auch wir konnten die Blutverdünnung nach Strophantin feststellen 
— der NaCl-Gehalt des Blutes hält sich gleich. Mit der diure- 
tischen Wirkung möchten wir diesen Strophantineffekt aber so wenig 
in Zusammenhang bringen wie die extrarenalen Purinkörpereffekte. 
Nach intramuskulärer Digipuratinjektion sahen wir keine 
bemerkenswerte Änderung im Serum eintreten, ebensowenig nach 
einmaliger subkutaner Injektion von 6 ccm 25% Kamp her- 
öls bei einem Falle von Concretio pericardii cum corde mit Stau¬ 
ung und Ödemen. Treten Änderungen im Serum auf, wie in den 
von Beckmann 9 ) untersuchten Fällen, so sind sie Folge der 
renalen Ausschwemmung, keinesfalls Ursache derselben. Für die 

1) Cit nach Schwäre, 0. 

2) Schwarz, 0., Zentralbl. f. d. Grenzgeb. d. Med. a. Chir. 19, 461, 1916. 

3) Öhme, C., Arch. f. exper. Path. n. Pharm. 89, 301, 1921. 

4) Weber, S., Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 86, 889, 1911. 

5) Ellinger, Al., Münchener med. Wochenschr. 1920, Nr. 49, 1399. 

6) Gaisböck, F., Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 68, 387, 1911. 

7) Oeser, Erna, Cit nach Spiro, L c. 

8) Cit. nach Veil, Deutsches Arch. f. klin. Med. US, 260. 

9) 1. c. 


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Über Austauschvorgänge zwischen Blnt and Geweben. 


287 


Kalomeldinrese hatte Jendrassik 1 2 * * ) eine primär entstehende 
Hydrämie als maßgebend für die diuretische Wirkung angesprochen. 
Wir verfügen diesbezüglich über keine eigenen Erfahrungen. Harn¬ 
stoff in der Dosis von 3,5—4,5 g auf 20 ccm Wasser intravenös 
injiziert hatte 30—60 Minuten nachher keine Veränderung im Eiweiß- 
und NaCl-Gehalt des Serums hervorgebracht. Auch der Beststick- 
stoffwert blieb im Blut unverändert, da der zugeführte Harnstoff 
stoff sehr rasch aus der Blutbahn in die Gewebe abströmt (Nonnen- 
bruch).*) Einer der untersuchten Fälle betraf eine kardiale De¬ 
kompensation mit Hydrops. Dagegen sahen wir bei einer luetischen 
Nephrose mit schweren Odemen unter täglicher peroraler Zufuhr 
von vier Eßlöffeln Urea innerhalb von zwei Tagen den Eiwei߬ 
gehalt des Blutes von 5,9% auf 6,84%, den NaCl-Gehalt des 
Serams von 596,7 mg% auf 687,8 mg % ansteigen, wobei auch die 
Diurese in mäßigem Umfange zunahm. Eine primär extrarenale 
Wirkung läßt sich aus diesem Befunde nicht mit Sicherheit ent¬ 
nehmen. Nonnenbruch findet nach Harnstoffgaben keine ge¬ 
setzmäßigen Schwankungen der Eiweiß- und NaCl-Werte des 
Serams (vgl. Henderson und Löwi. 8 )) 

So können wir wohl außer den Purinkörpern nur dem Stro¬ 
phantin und Kalomel eine gesetzmäßige primäre extrarenale Wirk¬ 
samkeit in bezug auf die Austauschvorgänge zwischen Blnt und 
Geweben zuerkqnnen, wobei wir trotz der „Gesetzmäßigkeit“ nicht 
verkennen dürfen, daß eben nach den wechselnden und mannig¬ 
fachen Besonderheiten des Falles das effektive, am Eiweiß- und 
NaCl-Gehalt des Serams beurteilte Ergebnis verschieden sein kann. 
Wir meinen also, daß trotz der gleichartigen nnd gesetzmäßigen, 
in ihrem Wesen uns noch unbekannten extrarenalen Wirkung der 
besprochenen Substanzen die Eiweiß- und NaCl-Werte im Serum 
verschiedene Schwankungen zeigen können, da diese eben nicht 
bloß von jener gesetzmäßigen extrarenalen Wirkung der Purin¬ 
körper, des Strophantins und Kalomeis sondern auch von dem 
Wasser- und NaCI Bestand im Blut und Gewebe, von ihrem Bin- 
dnngszustand, vom Quellungsdruck der Blut- und Gewebekolloide, 
vom Zustand des Zirkulations- und Lymphapparates, vor allem 
der kleinen Gefäße und vom Grade der renalen und sonstigen 
sekretorischen Elimination aus dem Blute mitabhängen. So ein- 

1) Jendrassik, E., Deutsches Arch. f. klin. Med. S8, 499 nnd 47, 226. 

2) Nonnenbrnch, W., Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 89, 200, 1921. 

8) Henderson, Y. E. n. Löwi, 0., Arcb. f. exper. Patbo). n. Pharm. 6t, 

49, 1906. 


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288 Baukr n. Aschkkb 

fach liegen eben die Verhältnisse nicht, wie sie sich Veil ur¬ 
sprünglich vorstellte: Die Diurese beim Nichtödematösen erfolge 
stets unter Bluteindickung, weil der Gewebeafflux nicht Schritt 
hält mit der Elimination von Wasser und NaCl aus dem Blute; 
die Entwässerung des Ödematösen aber erfolge stets, ob nun kar¬ 
diale oder renale Ödeme vorliegen und ob sie mit diesen oder 
jenen Maßnahmen beseitigt werden, unter anfänglicher Hydrämie 
und nachfolgender Eindickung des Blutes, wobei die Hydrämie als 
Ausdruck des überschüssigen Nachströmens der Gewebsflüssigkeit 
unter dem Einfluß der primär entstandenen Diurese anzusehen sei 
Wir werden uns nicht wundern, wenn wir wegen der Mannigfaltig¬ 
keit« der mitwirkenden Bedingungen gelegentlich keine Blutein¬ 
dickung nach Theocin oder keine Hydrämie nach Diuretin werden 
finden können, an der Gesetzmäßigkeit ihrer extrarenalen, die Aus- 
tanschvorgänge zwischen Blut und Geweben beeinflussenden Wirk¬ 
samkeit kann dies nichts ändern, so wenig wir den Einstrom von 
Gewebsflüssigkeit und NaCl ins Blut im Anschluß an einen Ader¬ 
laß nicht als gesetzmäßig ansehen werden, weil unter gewissen 
Umständen sogar eine initiale Eindickung des Blutes, wie sie Beck¬ 
mann und auch wir gesehen haben, oder eine NaCl-Abnahme im 
Serum, wie wir sie einmal bei einer arteriellen Hypertonie be¬ 
obachteten, Vorkommen kann. 

Die diuretische Wirkung der auch extrarenal in die Austausch¬ 
vorgänge zwischen Blut und Gewebe eingreifenden Diuretica kommt 
also nicht infolge dieser ihrer extrarenalen Wirksamkeit sondern 
auf andere Weise zustande. In erster Linie offenbar durch ihre 
unmittelbar renale Wirkung, in zweiter Linie wohl auch durch 
Beeinflussung der Zirkulationsverhältnisse und der kolloidalen Blut¬ 
beschaffenheit, also durch Herabsetzung des Quellungsdruckes der 
Eiweißkörper (Ellinger). 

Es erhebt sich nun nochmals die Frage nach der Lokalisation 
■des extrarenalen Angriffspunktes der Diuretica bezüglich ihrer 
Beeinflussung der Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben. 
In Änderungen der vasomotorischen Innervation kann der Grund 
dieser Beeinflussung nicht erblickt werden. Dagegen sprechen 
schon die Unterschiede in der extrarenalen Wirkung der einzelneh 
Diuretica, vor allem aber die gesetzmäßige Dissoziation von Wasser- 
und NaCl-Verschiebungen. Diese Dissoziation steht auch in Wider¬ 
spruch mit der sehr nahe liegenden Annahme, daß eine direkte 
Beeinflussung des Quellungsdruckes der Blut- oder Gewebekolloide im 
Sinne von Ellinger alle beobachteten Erscheinungen erklären könnte. 


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Über Austauschvorgäuge zwischen Blut und Geweben. 289 

Daß eine solche Beeinflussung tatsächlich erfolgt, daß das 
Koffein z. B. die Hydratation der Eiweißsole herabsetzt, dadurch 
deren innere ßeibung und Quellungsdruck vermindert und ihre 
Filtrationsfähigkeit erhöht, ist ja durch die ingeniösen Unter¬ 
suchungen E11 i n g e r ’s erwiesen. Man könnte sich also wohl vor¬ 
stellen, daß durch eine entsprechende Beeinflussung des Quellungs¬ 
drucks der Eiweißkörper im Blut einerseits und in den Geweben 
andererseits und durch das verschieden rasche Eindringen der be¬ 
treffenden Pharmaka aus dem Blut in die Gewebe die Verschieden¬ 
heiten in der Richtung der Wasserströmung durch die Kapillar¬ 
wände sich erklären ließen. Wenn also beispielsweise das Diuretin 
schneller -als das Theocin und Euphyllin aus dem Blute in die Ge¬ 
webe gelangen und infolgedessen den Quellungsdruck der Gewebs- 
kolloide rascher und stärker herabsetzen würde als den der Blut¬ 
kolloide, so müßte ein Abströmen aus den Geweben ins Blut, also 
eine Hydrämie resultieren, und umgekehrt würde das länger im 
Blut verweilende Theocin und Euphjdlin den Quellungsdruck der 
Blutkolloide stärker herabsetzen und dadurch ein Abströmen aus 
dem Blute in die Gewebe veranlassen. Warum aber das eine Mal 
das NaCl aus den Geweben ins Blut strömt, wie nach Theocin, 
das andere Mal aus dem Blut in die Gewebe abwandert, wie nach 
Euphyllin, das dritte Mal konstant bleibt, wie nach Diuretin, das 
läßt sich wohl auch mit der Elllinger’schen Hypothese nicht 
recht erklären. Auch die kombinierte Wirkung der Beeinflussung 
des Quellungsdrucks einerseits und der Vermehrung des Lymph- 
zuflusses auf dem Wege des Ductus thoracicus andererseits kann 
nicht die rasche und in entgegengesetztem Sinne erfolgende Ver¬ 
schiebung von Wasser und NaCl unter Theocin erklären. Wir 
müssen also letzten Endes vorläufig doch noch auf eine spezifische 
sekretorische Beeinflussung der Kapillarwandendothelien oder ihrer 
nervösen Regulationsapparate zurückgreifen, wenn wir uns nicht 
lieber mit einem „ignoramus“ begnügen wollen. 

Zusammenfassung. 

1. Die Diuretica der Purinreihe beeinflussen den Austausch 
von Wasser und NaCl zwischen Blut und Geweben auf extrarenalem 
Wege, ohne daß diese extrarenale Wirkung für den diuretischen 
Effekt der betreffenden Mittel wesentlich in Betracht käme. 

2. Zwischen den einzelnen Diureticis der Purinreihe bestehen 
wesentliche Unterschiede in der Art ihrer extrarenalen Beeinflussung 
der Wasser- und NaCl-Verschiebung zwischen Blut und Geweben. 

Deutsches Archiv filr klin. Medizin. 138. Bd. 19 


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290 Bauer u. Aschnbb, Über Austausch Vorgänge zwischen Blut u. Geweben. 

Theocin, Theophyllin und Euphyllin erzeugen zunächst eine Ein¬ 
dickung, Diuretin, venös gegeben, in der Regel eine Verdünnung 
des Blutes. Der NaCl-Gehalt des Blutserums steigt nach Theocin 
und Theophyllin zunächst an, fällt nach Euphyllin ab und bleibt 
nach Diuretin regelmäßig unverändert. 

3. Die Mannigfaltigkeit der mitwirkenden Bedingungen für 
den Austausch zwischen Blut und Geweben erklärt gelegentliche 
Abweichungen von diesen Gesetzmäßigkeiten. 

4. Es können durch eine pharmakodynamische Anregung der 
Diurese ganz enorme Mengen Wasser und NaCl aus dem Blute 
ausgeschwemmt werden, ohne daß sich im Verlaufe der gewaltigen 
Diurese nennenswerte Änderungen des Wasser- oder NaC^Gehaltes 
im Serum ergeben würden, was dafür spricht, daß die Diurese nicht 
infolge der durch die extrarenale Wirkung der Diurese erfolgenden 
Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben zustande kommt. 
Das durch die Nieren aus dem Blute eliminierte Material wird 
mit außerordentlicher Präzision von den Geweben an das Blut 
nachgeliefert. 

5. Das venös injizierte Strophantin führt durch extrarenale 
Beeinflussung der Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben 
zu einer initialen Hydrämie. 

6. Eine befriedigende physikalisch-chemische Vorstellung über 
die Art und Lokalisation des extrarenalen Angriffspunktes der 
Diuretica läßt sich vorläufig nicht gewinnen; man muß wohl au 
eine spezifische sekretorische Beeinflussung der Kapillarendothelien 
oder ihrer nervösen Regulationsapparate durch die wirksamen Stoffe 
denken. 


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Aus der medizin. Poliklinik (Prof. Strasburger) und dem 
Senckenbergischen Pathologischen Institut (Prof. B. Fischer) der 
Universität Frankfurt a/M. 

Endothelhyperplasie als Systemerkrankung des hämato- 
poetischen Apparates 

(zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der Splenomegalie.» 

Von 

Priv.-Doz. Dr. E. Goldschmid, und Professor Dr. S. Isaac, 

Prosektor am pathol. Institut. Oberarzt an der med. Poliklinik. 

(Mit 2 Tafeln.) 

Die hyperplastischen Erkrankungen des hämätopoetischen Appa¬ 
rates sind, wie wir es besonders von der Leukämie her kennen, 
meistens Systemaffektionen, d. h. alle Teile des blutbildenden Systems 
(Knochenmark, Milz, Leber, Lymphdrüsen) sind mehr oder weniger 
hochgradig von den Wucherungen betroffen. Wo, wie in Leber 
und Milzpulpa, das spezifische blutzellbildende Parenchym im extra¬ 
uterinen Leben nicht mehr in Tätigkeit ist, erwacht unter dem Ein¬ 
flüsse der leukämischen Reize die Bildung von Blutzellen bzw. 
* ihrer Vorstufen aufs neue: es entsteht z. B. bei deu myeloiden 
Leukämien das Bild der sogenannten myeloiden Metaplasie in Leber 
und Milzpulpa. Da in embryonaler Zeit das hämatopoetische Ge¬ 
webe aus den Gefäßwandzellen seinen Ursprung nimmt, entspricht 
die metaplastische Reizung einer Zurück Versetzung in den embryo- 
naleu Tätigkeitszustand. Es ist noch unentschieden, ob das unter 
pathologischen Bedingungen in den genannten Organen sich bildende 
leukoblastisch-erythroblastische Gewebe aus den Endothelien der 
Gefäße oder dem perivaskulären Bindegewebe (Adventitialzellen» 
oder den sogenannten retikulären Zellen hervorgeht, eine Frage, die 
an sich von geringerer Bedeutung zu sein scheint, zumal in neuerer 
Zeit besonders von Aschoff und seiner Schule die funktionelle 
Einheit dieses „reticulo-endothelialen Apparates“ betont wurde. 

19* 


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292 


Goi.dschmid u. Isaac 


Neben der Fähigkeit Blntzellen zu bilden haben die Retikulum¬ 
zellen und Endothelien noch andere gemeinsame Funktionen, wie 
die Speicherung von Farbstoffen und Lipoiden nnd möglicherweise 
auch die Bildung von Gallenfarbstoff. 

Dieser reticulo-endotheliale Apparat kann nun auch, in ähn¬ 
licher Weise, wie wir es von der Leukämie her wissen, in allen 
blutbildenden Organen wuchern, ohne daß es dabei jedoch zu einer 
Blutzellhildung zu kommen braucht. Bei der sogenannten Spleno- 
' megalie Gauch er, die ursprünglich als eine isolierte Erkrankung 
der Milz galt, findet sich, wie Schlagenhaufer zuerst erkannt 
hat, eine systematische Wucherung der Reticulumzellen in allen 
znm hämatopoetischen System gehörigen Organen, so daß man von 
einer Systemaffektion des retikulären Gewebes sprechen kann. Es 
entsteht eine Art Pseudoleukämie, bei der nicht die parenchyma¬ 
töse, sondern die retikuläre Komponente in Wucherung geraten 
ist. Diese Erkrankung ist bereits gut gekannt: nach Schlagen¬ 
haufer haben Marchand, Risel, deJong und vanHeuke- 
lom, Man die bäum u. a. einschlägige Fälle 1 ) mitgeteilt. Ein 
gewisses Licht auf ihre Pathogenese werfen experimentelle Unter¬ 
suchungen von Anitschkow, 2 ) der zeigen konnte, daß Tiere, die 
lange mit Cholesterin gefüttert waren, in allen entsprechenden 
Organen, ähnlich wie bei der Gaucher’schen Erkrankung, eine 
enorme Hyperplasie der Retikulumzellen bekommen, die mit Lipoi¬ 
den beladen sind. Audi bei Fällen von diabetischer Lipämie des 
Menschen hatSchultze in der Milz ähnliche Bilder erhalten. Wenn 
auch beim Morbus Gau eher lipoide Substanzen in den gewucher¬ 
ten und vergrößerten Retikulumzellen nicht nachweisbar sind, so 
ist es doch wahrscheinlich, daß abnorme Produkte des Stoffwechsels 
in diesen Zellen zur Ablagerung gelangen. Alle neueren Autoren, 
welche sich mit der Histogenese der Gaucher‘sehen Krankheit 
beschäftigt haben, vertreten die Auffassung, daß hier die Zell¬ 
hyperplasie ausschließlich auf Kosten der retikulären Zellen zu¬ 
stande kommt, und daß Veränderungen der Endothelien in größerem 
Umfange nicht nachweisbar sind; nur in den erwähnten Versuchen 
von A n i t s c h k o w hatten neben den Retikulumzellen auch die 
Endothelien Lipoide gespeichert. Man kann daraus vielleicht 
schließen, daß der physiologisch eine Einheit bildende reticulo- 

1) Literatur z. B bei Maudlebauin a. Downe v in Fol. bämatol. 20. 1S8, 

Utlß. 

2 ) Ziegler’s Beitrüge r>6, 1014. 


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Endothelhyperplasie als Systemerkrankung usw. 


293 


endotheliale Stoffweckseiapparat auf pathologische Reize nicht 
einheitlich reagiert. Diese Annahme liegt um so näher, als be¬ 
reits einige spärliche Beobachtungen vorliegen, aus denen hervorgeht, 
daß auch die Endothelien der blutbildenden Organe in mehr 
oder weniger systematischer Weise für sich erkranken und zu 
hyperplastischen Bildungen führen können. 

Im folgenden soll ein klinisch und anatomisch genau unter¬ 
suchter Fall mitgeteilt werden, der in diese letztere Kategorie ge¬ 
hört und uns Gelegenheit geben wird, auf einige in der Einleitung 
kurz berührte Gesichtspunkte näher einzugehen. 

54 jährige Frau M. W., Familienanamnese o. B. Im Jahre 1903 
hat sie eine rheumatische Erkrankung durchgemacht, sonst war sie immer 
gesund. Im Jahre 1919 erkrankte sie im Januar plötzlich mit Schüttel¬ 
frost und lag damals 4 Wochen zu Bett. Es hat sich anscheinend um 
eine Grippe mit Lungenentzündung gebandelt. Der Arzt soll damals 
auch bereits eine Schwellung der Milz festgestellt haben. Nach 
Ablauf dieser Erkrankung hat sie sich wieder leidlich wohl gefühlt, bis 
Anfang März 1920 Schmerzen in der linken TJnterbauchgegend, Appetit¬ 
losigkeit und allgemeines 8chwächegefühl sich einstellten. Wegen dieser 
Beschwerden suchte sie am 10. Mai 1920 zuerst die medizinische Uni¬ 
versitäts-Poliklinik auf. 

Befund: Mittelgroße Frau in herabgesetztem Ernährungs- und 
Kräftezustand. Haut und Schleimhäute sehr blaß mit einem leichten 
Stich ins Gelbliche. Nirgends Drüsenschwellungen. Keine Ödeme. Kein 
Ascites. 

Lungen: Links vorn bis zur 3. Rippe, hinten bis zur Schulter¬ 
blattgräte Dämpfung mit verschärftem Atmen und reichlichen mittel¬ 
blasigen Rasselgeräuschen. Kein Husten oder Auswurf. 

Herz: Dämpfung nicht verbreitert, Spitzenstoß etwas hebend, aber 
innerhalb der Mammillarlinie. Uber allen Ostien hört man ein lautes 
systolisches Geräusch. Puls regelmäßig, von mittlerer Füllung und 
Spannung. Blutdruck 118/80 mm Hg. 

Abdomen: Im allgemeinen weich und nirgends druckschmerzhaft. 
Der Leib ist in den linken unteren und mittleren Partien etwas aufge¬ 
trieben. Die Leber überragt den Rippenbogen etwa handbreit und ist 
von mittlerer Härte. 

Die Milz ist stark vergrößert. Sie reicht fast bis ins 
kleine Becken und überschreitet die Medianlinie um 2 Finger breit. 
Der Milztumor ist von beträchtlicher Härte. Die Maße der Milz be¬ 
tragen 26:10 cm. 

Das Nervensystem ist ohne Veränderungen. 

Der Harn ist frei von Eiweiß und Zucker, enthält kein Bilirubin, 
zeigt aber eine positive Urobilin- und Urobilinogenreaktion. 

Die Röntgendurchleuchtung des Thorax ergibt eine intensive 
Trübung des linken Oberlappens. 

Die Blut Untersuchung hatte folgendes Resultat: 

Hämaglobin: 50 (Sahli), Erythrocyten: 2 860 000. Färbeindex: 1. 


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Goldschmid u. Isaac 


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Leukocyten: 9 000, Polymorphkernige neutrophile: 80°/ 0 , Eosino¬ 
phile: 0°/ 0 , Mastzellen: 0,5°^, Lymphocyten: 16,0°/ 0 , Monocyten: 1,5%, 
Myelocyten 2‘7 0 . 

Auf 200 rote Blutkörperchen kommen 3 Normoblasten und 3 basophil 
punktierte Erythrocyten. Ausgesprochene Anisocytose und Polychromasie. 
Der Bilirubingehalt des Blutes, nach Hijmans van den Bergh 
geschätzt, ist nicht vermehrt. Die Wassermann’sche Reaktion ist 
negativ. Die Resistenz der Erythrocyten ist nicht vermindert. 

Die Diagnose blieb zunächst unklar. Klinisch ließ sich das 
Krankheitsbild nicht ohne weiteres rubrizieren. 

Therapeutisch wurde neben innerlicher Verabfolgung von Arsacetin 
zunächst die Milz bestrahlt. In der Zeit vom 19. Mai 1920 bis Juli 1920 
erhielt die Patientin 7 Röntgenbestrahlungen der in Felder eingeteilten 
Milz, und zwar jedesmal 150 Fürstenau pro Feld unter Filterung von 
0,5 mm Zink. Die Milz verkleinerte sich etwas unter dem Einfluß der 
Bestrahlungen, auch hob sich das Allgemeinbefinden, so daß die Frau 
ihren Haushalt besorgen konnte. Der Blutbefund wurde nicht beeinflußt. 

Am 18. Oktober 1920 hatte die Milz wieder ihre alte Größe er¬ 
reicht. Über dem linken Oberlappen reichlich feuchte Rasselgeräusche. 
Eine Punktion der Milz ergab im Ausstrichpräparat zahlreiche große 
Zellen mit ungranuliertem Protoplasma und großem Kern. Die Zellen 
hatten am ehesten da9 Aussehen von Pulpazellen. 

Vom 28. Februar 1921 bis zum 21. März 1921 wurde die Milz 
wiederum 4 mal bestrahlt, aber ohne daß eine Verkleinerung zu erreichen 
war. Im übrigen verlief die Erkrankung ganz einförmig. Die Frau 
klagte jetzt nur über allgemeine Schwäche und über die Beschwerden, 
welche ihr der große Milztumor verursachte. Aus letzterem Grunde 
wurde ihr die Milzexstirpation vorgeschlagen, zumal eine pseudoleukämische 
Erkrankung, etwa eine myeloide Pseudoleukämie der Milz nach dem Er¬ 
gebnis der Milzpunktion ausgeschlossen werden konnte. 

Am 22. April 1921 Aufnahme in die klinische Abteilung der Med. 
Univ. Poliklinik. Der allgemeine Befund zeigte keine Veränderung. 
Der Mageninhalt war anacid. Im Blutserum keine Vermehrung des 
Bilirubingehaltes. Der Blutbefund war folgender: 

Hämoglobin: 35 (Sahli), Erythrocyten: 2 900 000, Leukocyten: 
7 200, Färbeindex: 0,6, Polymorphkernige Leukocyten: 65,8 M / 0 , Lympho- 
cyten: 28,2°/ 0 , Monocyten: 3,3°/ 0 , eosinophile Leukocyten: 2,4°/ 0 . 

Im Ausstrichpräparat zeigt sich Anisocytose, Poikilocytose, Poly¬ 
chromasie. Neben reichlicheren Normoblasten werden auch vereinzelte 
Myelocyten gefunden sowie Megaloblasten. Die Zahl der Blutplättchen 
beträgt 292 000 im ccm. 

Im Harn mäßig starke Urobilinreaktion. Es sollten vor der Milz¬ 
exstirpation noch einige Stoffwechseluntersuchungen ausgeführt werden. 
Es kam aber Dicht mehr zur Ausführung, da Ende April plötzlich eine 
rapide Vorschlechterung des Befindens einsetzte, welche unter mäßigem 
Fieber und hochgradiger Schwäche am 3. Mai 1921 zum Tode führte. 

Zusammengefaßt verlief die Krankheit unter dem Bilde einer 
schweren Anämie mit großem Milztumor und Leber- 


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Endothelhyperplasie als Systemerkranknng usw. 


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Schwellung. Diagnostisch kam eine perniziöse Anämie nicht in 
Frage, auch eine hämolytische Anämie (hämolytischer Ikterus) mußte 
bei der dauernd fehlenden Vermehrung des Bilirubingehaltes des 
Blutes ausgeschlossen werden. Auch die übrigen mit Milzvergröße¬ 
rung und Anämie einhergehenden Krankheitsbilder wie Pseudo- 
leokämie, hepato-lienale Granulomatose, Splenomegalie Typ G a u c h e r, 
Morbus Banti konnten nicht in Frage kommen. Die Aufklärung 
brachte erst die Sektion mit der histologischen Untersuchung der 
Organe. 

Die am 4. Mai 1921 vom Prosektor Dr. Goldsohmid vorge¬ 
nommene Sektion (Protokoll Nr. 461, 1921 des Senckenbergisohen 
Pathologischen Instituts) hatte folgendes Ergebnis: 

Geh. 1265, Lb. 2820, Hz. 365, M. 1780, N. 265, Lg. 1710 g. 

Leiche einer mittelgroßen Frau von etwa 60 Jahren in mittlerem 
Ernährungszustand. Giöße 1,68 m, Gewicht 52 kg. Hautfarbe durchweg 
<jrau. Striae abdominales. Mammae flach. Wenig Schlängelung der 
Hautvenen an den beiden unteren Extremitäten. Totenflecke an den ab¬ 
hängigen Partien. Totenstarre erhalten. 

Situs abdominalis: Die Leber liegt breit vor, überragt den Rippen¬ 
bogen r. um 85, unter dem Proc. xiphoideus 105, den 1. Rippenrand um 
20 mm. Ihr Rand ist scharf, die Oberfläche besonders links unten etwas 
körnig, die Konsistenz derb. Der Dickdarm hat ein langes Mesocolon. Magen 
liegt handbreit über der Symphyse. Die Milz steht mit dem unteren Pol 
65 mm oberhalb des 1. Beckenrandes, ist groß, derb, nicht sehr dick. 
Gallenblasengegend und Appendix frei. Zwerchfellstand r. 5., 1. 4. JCR. 

Situs thoracicus: 1. Pleurahöhle obliteriert, die r. Lunge nach 
1. verzogen, der ROL auf die 1. Seite hinüberragend. Herz nach 1. ver¬ 
zogen. Das Knochenmark im Sternum blaßrot, sehr saftreich. Herz¬ 
beutel enthält wenige ccm einer klaren, gelblichen Flüssigkeit. Herz 
von entsprechender Größe, r. vorn ein Sehnenfleck. Im rechten Herzen reich¬ 
lich Speckgerinnsel. Adhäsionen der r. Lunge sind leicht stumpf zu lösen. 

Milz mit einer Reihe von strangförmigen Kapsel Verwachsungen. 
Die Vena lienalis ist daumendick. Pfortaderstamm und -Wurzeln enthalten 
reichlich Speckgerinnsel. Milz selbst walzenförmig, Größe 31:14: 6,5 cm, 
Konsistenz gleichmäßig, an der Oberfläche stellenweise gleichmäßige 
Kapsel Verdickungen. Auf der Schnittfläche graurot, etwas körnig. 
Follikel nicht, Trabekel kaum erkennbar. Keinerlei Einlagerungen. 

Leber: Hdusgebilde o. B. Strangförmige Adhäsionen an der Ober¬ 
fläche. Größe 29 : 26 : 9 cm. Konsistenz deutlich vermehrt. Schnitt¬ 
fläche rosa und graurot gefeldert, die peripheren Teile etwas vortretend, 
die Zentren etwas eingesunken. Saft- und Blutgehalt gering. Kapsel¬ 
verdickungen. Gallenblase groß, stark mit Galle gefüllt. 

Große Venen o. B. Nebennieren von deutlicher Zeichnung 
und ohne Veränderungen. 

L. Niere: derbe Kapseladhäsionen. Größe8 : 6,5 : 2,5 cm. Kon¬ 
sistenz vermehrt. Kleines Cystchen an der Oberfläche. Zeichnung eben 
erkennbar. Rindenbreite 6 mm. Kleinstes grauweißes Knötchen in der 


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Goldschmid u. Isaac 


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Rinde. Nierenbecken o. B. R. Niere: 11 :6:3cm. Rinde knapp 6 mm, 
verhält sich wie die 1. 

Beckenorgane: Blaee o. B. Im r. Ovarium 2 kleine Follikel- 
cystchen. Das 1. Ovarium ist in eine einzelne Cyste von ca. 7 cm Durch¬ 
messer umgewandelt, die prall mit klarer Flüssigkeit gefüllt ist. Die 
Tube verläuft im Bogen um die Cyste, ist fest mit ihr verwachsen. 
Rectum o. B., Uterus o. B. 

Magen und Darm o. B. Pankreas o. B. 

Die r. Lunge ist groß, voluminös, auf der Schnittfläche blaß, sehr 
saftreich. Der Saft ist klar und schaumig. Die 1. Spitze, besonders 
hinten, schwartig verwachsen, die 1. Lunge selbst wesentlich kleiner als 
die r. Ihre Spitze derb, auf der Schnittfläche ist sie blaß, Saftgehalt kaum 
vermehrt, Blutgebalt der gewöhnliche. Der Oberlappen ist sehr saftreich, 
in der Spitze anthrakotisch. Die Spitzenbronchien etwas erweitert. 
Flache Verkalkungen, doch keine Knötchen in der Spitze. In den 
Bronchien etwas eitriger Schleim. 

Herz: Myokard blaß mit kleinen Fettgewebseinlagerungen. Klappen 
zart. Koronararterien mit kleinen fleckenförmigen Intimaverdickungen. 
Aorta o. B. 

Halsorgane o. B., nur im rechten Schilddrüsenlappen ein etwa 
walnußgroßer Kolloidknoten. 

Schädeldach kräftig, symmetrisch, o. B. Gehirn: Schnitt¬ 
fläche sehr saftreich. Basale Gefäße zart, sonst o. B. Nebenhöhlen o. B. 

Wirbelsäule und Femur enthalten blaßrotes Knochenmark, das 
Femur auch kleinste Fettmarksiuseln. 

Lyrophdrüsen nirgends verändert. 

Auf Grund dieses Befundes wurde zunächst folgende anatomische 
Diagnose gestellt: Großer, roter Milztumor, Leberschwellnng. 
Rotes Knochenmark. Anämie. 

Anthrakotische Induration der linken Spitze mit Verkalkung. Adi¬ 
positas cordis. Pleuraobliteration links. Pleuraadhäsionen rechts. Leber¬ 
und Milzadhäsionen. Nierenkapseladhäsion. 

Bronchopneumonische Herde beider Unterlappen. Doppelseitiges 
Lungenödem der Oberlappen. Gehirnödem. Kleiner. Rindentumor der 
Niere. Follikelcystchen des linken Ovariums. Cystische Umwandlung des 
rechten Ovariums. Nierencystchen. Sehnenfleck des rechten Herzens. 
Z. T. fibröser Kolloidknoten der Schilddrüse. Gastrocoloptose. 

Die mikroskopische Untersuchung der Organe ergab folgendes: 
Milz. Struktur ist verwischt; keinerlei Follikel oder sichere Reste von 
solchen sichtbar. Die Kapsel ist etwas verdickt, die Trabekel sind 
von gewöhnlicher Breite. Eine stärkere Blutfüllung zeigt sich nur in 
den dicht unterhalb der Kapsel befindlichen Partien. Die Milz macht 
den Eindruck eines großen Gefäßschw r ammes. Da Follikel, welche das 
Bild unterbrächen, nicht vorhanden sind, so sieht man in der Pulpa im 
wesentlichen Blutgefäße und -Bäume, welche von kernhaltigen Zellen 
ausgefüllt und von ihnen umgeben sind. Unter diesen Zellen fallen schon 
bei schwacher Vergrößerung Riesenzellen ins Auge, welche stellen¬ 
weise das Gesichtsfeld völlig beherrschen, so werden in einem Gesichts¬ 
feld 54 Riesenzellen gezählt (Apochr. 16 mm, Kompens.-Okul. 4). Bei 


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Endothelhyperplasie als Systemerkrankung usw. 


297 


mittlerer Vergrößerung (Apochr. 8 mm, Kompens.-Okul. 4) fallt zu¬ 
nächst auf, daß in längs getroffenen Venen das Lumen etwa zur Hälfte 
von einkernigen Zellen eingenommen wird, der Rest von roten Blut¬ 
körperchen. Weiter finden sich überall Haufen und Stränge von mittel¬ 
großen einkernigen Zellen, welche die Bluträume ausfüllen und stellen¬ 
weise zusammenhängende Beläge zu bilden scheinen. 

Bei starker Vergrößerung (Apochr. 3 mm) zeigt sich bei 
diesen Zellen ein schmaler Protoplasmasaum, welcher sich mit den be¬ 
nachbarten Zellen abplattet und oft epithelartig mit den Nachbarn zu¬ 
sammenliegt. Der Kern ist groß, chromatinreich, nur selten mit Kern¬ 
körperchen versehen. Gelegentlich sind die gleichen Elemente mehr 
oval als rundlich, manchmal rechteckig. Diese Zellen scheinen die 
Hauptmasse der Pulpa zu bilden. Dazwischen finden sich außer roten 
Blutkörperchen kleinere lymphocytenartige Elemente und die oben be¬ 
schriebenen zahlreichen Riesenzellen. 

Die Riesenzellen sind der Größe nach ziemlich gleichmäßig ge¬ 
staltet. 8ie gleichen nirgends den Langhans’schen oder Sternberg- 
schen Riesenzellen. Die Formen, die man meistens sieht, sind runde oder 
etwas abgeplattete Protoplasmaklürapchen, mit Eosin deutlich rosa gefärbt, 
die einen großen einfachen oder mehrere kleinere Kerne beherbergen. Die 
einfachen Kerne' sind stark färbbar und haben Flaschen- oder Haken¬ 
form. Gelegentlich vorhandene, ganz große, einfache Kerne scheinen 
aus mehreren Kernen zusammengesintert. Sind mehrere Kerne da, so 
sieht man mehrere mittelgroße oder kleinere Kerne, welche nebeneinander 
liegen oder Bich z. T. überdecken, oder bandartig über die ganze Breite 
der Zelle hinübergehen oder auch gelegentlich die ganze Zelle ausfüllen. 
Vereinzelt finden sich noch Formen, bei denen sich ein kleiner, an¬ 
scheinend geschrumpfter Kern so gelagert findet wie die Linse am Bulbus, 
oder ein ganz exzentrischer Kern wie der Kern einer Plasmazelle. 

Die Bluträume bzw. größeren Venen haben oft einen Endothel¬ 
belag vom Aussehen eines kubischen Epithels, d. h. die Zellen sind so 
hoch wie breit und im wesentlichen von ihrem Kern ausgefüllt. Fast 
überall sind sie z. T. in das Lumen desquamiert, so daß meist das Lumen 
von Zellen vollkommen ausgefüllt ist. Gelegentlich, sobald eine Zelle 
isoliert zwischen roten Blutkörperchen zu sehen ist, zeigt sie an einer 
Seite einen deutlichen spornartigen, schwanzähnlichen Fortsatz. 

Im Giern s a präparat wird das Bild von den großen Zellen und Riesen¬ 
zellen beherrscht. Die Bluträume sind von ihnen angefüllt, sie finden 
sich vereinzelt wie in endothelmäßigen Komplexen. Ihr Protoplasmaleib 
ist deutlich, wenn auch meistens schmal. Der Kern ist, ebenso wie der 
Leib, blau gefärbt und frei von Granulis. Der Kernkontur ist durchweg 
wesentlich schärfer als Chromatingerüst. Zwischen diesen Zellen liegen 
Erythrocyten, polymorphkernige Leukocyten und kleine Phagocyten mit 
körnigem braunem Pigment. Stellenweise sind die Leukocyten (gelegent¬ 
lich auch das Protoplasma der Riesenzellen) leicht rötlich gefärbt. 

Das Pigment gibt Berlinerblau-Reaktion. Die Oxydasereaktion zeigt 
nur ganz vereinzelt positiven Ausfall. 

Milzausstriche. Es zeigen sich zusammengesinterte Erythro¬ 
cyten sowie vereinzelte polymorphkernige Leukocyten. DieHaupt- 


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Goldschmid u. Isaac 


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ma8ße der Zellen wird repräsentiert durch mittelgroße einkernige 
Zellen, deren Protoplasraaleib zwar zu erkennen ist, aber undeutlich 
bleibt. Der Kern ist rund und stark färbbar, das Chromatinnetz dicht, 
Kernkörperchen sind nur ganz vereinzelt sichtbar. Die Zellen enthalten 
keine sicheren Granula. Außer diesen Zellen finden sich größere 
und kleinere als die eben beschriebenen. Die kleineren Zellen 
haben ebenfalls einen einfachen runden Kern, der sich deutlich und noch 
dunkler färbt als der Kern der oben beschriebenen größeren Zellen. 
Auch bei den kleineren Zellen ist der Protoplasmaleib nicht deutlich 
erkennbar. Das Chromatingerüst der Kerne ist undeutlich, Kern¬ 
körperchen treten in ihnen nicht hervor. Diese kleineren Zellen sind 
im ganzen lymphocytenähnlich. Die größeren Elemente sind etwa 
doppelt so groß wie die eben beschriebenen. Ihr Protoplasmaleib ist 
nicht erkennbar, und ihre Kerne sind ebenso färbbar wie bei den 
mittelgroßen Zellen. In diesen größeren Zellen sind manchmal 1 oder 
2 Kernkörperchen sichtbar, und bei ihnen sind manche Kerne oval, manche 
polyedrisch gestaltet. Gelegentlich findet man mehrere Exemplare ab¬ 
geplattet nebeneinander liegen. Bei den größten Zellen ist die 
Keinstruktur öfters deutlich granuliert („gehöckert“). Vereinzelt finden 
sich in ihnen auch leicht blaugefarbte Kernkörperchen (Pappenheims 
panoptische Färbung). Zwischendurch sieht man gelegentlich mißförmige 
(zerdrückte?, degenerierende?), anscheinend freie Kerne. Vereinzelt 
riesenzellartige Bildungen. 

Bei Betrachtnng mit horoog. Immersion, Apochr. 1,5, nura. Ap. 1, 3 
und Kompens.-Okul. 6 lassen Bich mit Hilfe des Okularmikrometers fol¬ 
gende (in „Strichen“ ausgedrückte) M aße für die Kerne ermitteln: 
Mittlere Elemente — Durchmesser 4 l / s Strich 

Größere „ — „ 1 % * 

Kleinere „ — „ 4 „ 

Ovale ,, — größte Länge 9 } j 2 „ 

Leber. Bei schwacher Vergrößerung zeigt sich im van Gieson- 
Präparat eine im ganzen wohl erhaltene Bälkchenstruktur. Auffallend 
ist sofort auf den ersten Blick der Zellreichtum. Das bindegewebige 
Retikulum ist überall deutlich erkennbar. Die Leberzellbalken sind herd¬ 
weise verschmälert; die zugehörigen Kapillaren z. T. entsprechend er¬ 
weitert. Eine beträchtliche Infiltration des periportalen Gewebes ist 
nirgends erkennbar, nur findet sich subkapsulär vielleicht an einzelnen 
Stellen eine Spur von gewöhnlicher rundzelliger Infiltration. Die Kapsel 
ist nicht deutlich verdickt. Bei mittlerer Vergrößerung fällt ganz 
besonders die große Anzahl von Riesenzellen und ungewöhnlich 
großen Kernen auf. Ebenso sind auffallend deutlich (Formolfixierung!) 
die Leberzellgrenzen. Die Riesenzellen sind bei schwacher und 
mittlerer Vergrößerung als unförmig große, mit Eisenhämatoxylin dunkel¬ 
blauschwarz gefärbte Flecke sichtbar. (Bei schwacher Vergrößerung finden 
sich in einem Gesichtsfeld 19 Riesenzellen oder Bildungen, die als solche 
imponieren. Ebenso läßt sich schon hier auf manchen Strecken eine 
hochgradige Füllung der Kapillaren mit großen, dunkel gefärbten Kernen 
erkennen.) 

Bei starker Vergrößerung finden sich dann Kapillaren mit 


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Endothelbyperplasie als Systemerkrankung usw. 


299 


Endothel von gewöhnlichem Verhalten. Im Lumen rote Blutkörperchen, 
Leukocyten und große einkernige Zellen, die durchaus den in der Milz 
beschriebenen gleichen. Weiter finden sich in diesen Kapillaren riesen¬ 
zellartige Gebilde verschiedenster Größe mit verschieden gestaltetem 
Protoplasmaleib und mit allen Arten bizarr gestalteter Riesenkerne sowie 
pyknotischen Kernkonglomeraten. 

Bei Ölimmersion finden sich bei einfacher Kernfärbung auf¬ 
fallende Bildungen in den Kapillaren ira Bereich der Kupffer’schen Stern¬ 
zellen. So zeigt sich z. B. eine Kapillare mit 2 typischen, aneinander 
anschließenden Kupfferzellen auf einer 8eite und ihnen gegenüber einem 
auffallenden Gebilde. Dieses erscheint wie eine bizarr vergrößerte, mehr¬ 
kernige Sternzelle. Sie ist zum Teil von den Leberzellen abgelöst, ist 
vielleicht eine Spur länger als die beiden anderen Zellen zu¬ 
sammen und beherbergt ein"gut färbbares Kerngebilde, von dem nicht 
mit Sicherheit zu sagen ist, ob es sich um 2 oder 3 einzelne Kerne 
handelt oder einen in verschiedenen Ebenen liegenden und daher beim 
Verstellen der Mikrometerschraube verschieden getroffenen einzelnen Kern. 
Bei genauester Betrachtung gewinnt man jedoch durchaus den Eindruck, 
daß es sich zunächst um ein wurstförmiges, z-förmig geknicktes, übergroßes 
Kerngebilde handelt, über dessen unterem Ende ein zweiter Kern von 
dem gewöhnlichen Verhalten der Sternzellkerne liegt und neben dem 
sich abermals ein dritter Kern, ebenfalls von dem gewöhnlichen Aus¬ 
sehen dieser Kerne, findet. Über dem nicht mehr deutlich erkennbaren 
Ende des Protoplasmaleibes findet sich ein nicht deutlich färbbarer und 
erkennbarer Kern einer Leberzelle. Es handelt sich hier offenbar um 

2 auf der gleichen 8eite hart nebeneinander liegende Kupfferzellen, von 
denen die eine mehrkernig, die andere einkernig ist. An einer anderen 
Stelle zeigt sich eine Kapillare, an deren einer Seite sich untereinander 

3 Kerne finden, ein jeder fast so groß wie ein Leberzellkern, der mittlere 
nierenförmig, der obere dreieckig, der untere rund. Alle 3 Kerne haben 
ein deutliches Chromatingerüst mit reichlichen Chromatinkörnchen. Ein 
Zellleib ist nur an der mittleren und unteren Zelle in geringem Um¬ 
fange erkennbar. Die obere Zelle sitzt in der Wand, die untere bitzt 
der Wand an und ragt stark ins Lumen vor, von der mittleren ist nicht 
mit Sicherheit zu sagen, ob sie der Wand anliegt und nur zum größten 
Teil abgesprengt ist, oder ob sie frei im Lumen liegt. Die Ähnlichkeit 
dieser Zellen mit den in der Milz beschriebenen ist unverkennbar. 

Wiederum an einer anderen Stelle, in nächster Nähe, zeigt sich eine 
Kapillare mit fädigen Massen und 2 polymorphkernigen Leukocyten. In 
ihr findet sich, anscheinend an der Wand, ein dem zuerst beschriebenen 
Gebilde ganz ähnliche große Zelle mit einem einheitlichen, chromatin- 
reichen Kern, der in der Mitte zwerchsackähnlich eingezogen ist. Das 
Gebilde ist länger als die benachbarten Leberzellkerne. Verfolgt man 
die gleiche Kapillare weiter, so findet sich, eben von der Wand abge¬ 
löst, eine Sternzelle von typischer Flügelforra mit einem ganz großen 
in der Mitte eingeschnürten, einfachen Kern; ihr angelagert ein pykno- 
tischer Leukocyt, und etwas weiter davon entfernt, frei im Lumen, ein 
Kern von der Form eines Pilzes, dessen Stiel in die Luft steht, und 
dessen Zellleib nicht mehr erkennbar ist. Er macht nach Gestalt, Größe 


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GoLDSCHMID tt. lSAAC 


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und Färbbarkeit den Eindruck eines in Degeneration begriffenen Leber* 
Zellkernes. Die Ähnlichkeit zwischen den eben beschriebenen verän- 
derten großen Sternzellen und den in der Milz gefundenen Riesenzelleu 
ist auffallend. Ein weiterer Typ von riesenzellartigen Gebilden findet 
sich gelegentlich in den Kapillaren in Form von großen, bei Gieson- 
färbung gelblichgrau gefärbten Blasen, in deren Lumen mehrere, ver¬ 
schieden große, pyknotische Kernbildungen liegen. In den gleichen 
Kapillaren finden sich Sternzellen mit entweder übergroßem oder mehr¬ 
fachem Kern, weiter Leukocyten und rote Blutkörperchen. Gelegentlich 
erinnern diese Gebilde im Groben in der Form ihres Leibes und Kerne» 
an die Megakaryocyten des Knochenmarkes. 

Stellenweise finden sich in den Kapillaren mit Eisenbämatoxylin 
gefärbte Konglomerate mit eben erkennbarem Protoplasmaleib, welche 
das ganze Lumen ausfüllen und nicht weiter aufzulösen sind. 

Schließlich sieht man an zahlreichen Stellen auffallend große Stern¬ 
zellen von typischer Form, deren Kern aber auch ungewöhnlich groß 
und breit ist. Daneben finden sich dann im Lumen der Kapillaren 
Zellen mit großemKern und deutlichem Protoplasmaleib, 
welche den in der Milz beschriebenen großen einkernigen Zellen 
durchaus gleichen. Offenbar handelt es sich also in den Leberkapillaren 
vor allem um hochgradige Veränderungen der Kupffer’sehen 
Sternzellen. 

Im G i e in s a * Präparat erscheinen in den Kapillaren neben Erythro- 
cyten und polymorphkernigen Leukocyten große und mittelgroße Ein¬ 
kernige in großer Zahl, ferner Riesenzellen. Kern- und Protoplasma- 
leib ist durchweg blau, Granula finden sich nirgends. Die Kerne dieser 
Zellen haben etwa die Größe der Leberzellkerne. Ganz vereinzelt finden 
sich nach längerem Suchen auch kernhaltige Rote. 

E i s e n reaktion blieb negativ. Im Fett präparat findet sich nur in 
den peripheren Abschnitten eine Spur von Verfettung. 

Die Bielscho ws ky-Färbung hat weder in der Leber noch in der 
Milz einen Zusammenhang zwischen den beschriebenen Zellen und 
irgendwelchen Retikulumfasern ergeben. 

Knochenmark: Das Knochenmark zeigt im van Gieson- 
Präparat bei schwacher Vergrößerung ein sehr zellreiches Gewebe mit 
spärlichen Fettlücken. Auch die Knochen! älkchen sind spärlich. Ea 
überwiegen auch hier bei schwacher Vergrößerung die Riesenzellen 
(bei Komp. Okular 4, Apochromat 16 mm finden sich z. B. 64 in einem 
Gesichtsfeld). Bei mittlerer Vergrößerung zeigt sich, daß die Haupt¬ 
masse der Zellen aus mittelgroßen Elementen mit großem, chromatin- 
reichem Kern und deutlichem, schwach gefärbtem, Protoplasmaleib be¬ 
steht, ganz ähnlich dem Bilde, wie es in Milz und Leber beschrieben 
wurde; nur ist hier der Protoplasmaleib überall deutlich zu erkennen 
und die Riesenzellen sind noch häufiger als in den eben genannten Or¬ 
ganen. Nur vereinzelt finden sich dazwischen kleinere Zellen mit dunkel 
gefärbtem, einfachem rundem oder gelapptem Kern (Markzellen, lympho- 
cytenähnliche Zellen?) sowie polynucleäre Leukocyten. 

Bei Ol immersion besteht die Hauptmasse der Elemente aus 
großen Zellen mit großen deutlich gefärbten Kernen, die rund oder oval 


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Endothelhyperplasie als Systemerkrankung usw. 


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sind und ein deutliches Chromatingeräst mit Andeutung von Kern¬ 
körperchen haben. Die Größe der Kerne dieser Zellen beträgt durch¬ 
schnittlich „4 — 5 Strich“. Die Zellen sind also genau so groß wie die 
in der Milz beschriebenen. Die größten Kerne sind vereinzelt r 6 Strich“ 
groß. (Die Erythrocyten sind „3 Strich“ groß.) Daneben finden sich 
kleinere Zellen mit deutlichem Protoplasmaleib und dunklem Kern so¬ 
wie deutlichem Chromatingerüst; der Kern dieser Zellen ist durchschnitt¬ 
lich „3 Strich“ groß. Es handelt sich hier wohl um Markzellen. Die 
Oxydasereaktion zeigt nur an vereinzelten Zellen positiven Ausfall. 

Untersucht man bei G iemsa-Färbung, so finden sich in sehr spär¬ 
licher Zahl schön granulierte Myelocyten und zwar durchschnittlich 3 
bis 4 im Gesichtsfeld bei Olimmersion. Die Myelocyten entsprechen also 
offenbar den oben beschriebenen kleineren Zellen. Die großen Zellen 
stehen auch hier durchaus im Vordergrund, sind ungranuliert, zeigen 
aber meist deutliche Kernkörperchen. Sie erscheinen auch hier von der 
mehrfachen Größe der Myelocyten. Der Befund an eosinophilen Zellen 
ist unsicher, ebenso sind Erythroblasten auch hier nicht mit Sicherheit 
festzustellen, Erythrocyten sind nur spärlich vorhanden. 

Die Riesenzellen zeigen bei Immersion den gleichen Typus wie 
die in Milz und Leber beschriebenen, d. h. es finden sich verschiedene 
Arten sehr großer, protoplasmareicher Zellen mit vielgestaltigen oder 
sehr zahlreichen Kernen. Irgendwelche der bekannten Typen von Riesen¬ 
zellen (Sternberg, Langhaus, Megakaryocyten) finden sich auch 
hier nicht. 

Knochenmarkausstriche zeigen wenige zusammengesinterte 
Erythrocyten. Die übrigen Zelltypen bieten das gleiche Bild wie die in den 
Milzausstrichen, doch sind die polymorphkernigen Leukocyten zahlreicher. 
Ganz vereinzelt finden sich Myeloblasten und Myelocyten, sowie bin und 
wieder Megakaryocyten. 

Lunge: Alveolen teils von gewöhnlicher Weite, teils etwas er- 
weitert. Alveolarepithel ohne irgendwelche Besonderheiten. Bindegewebe 
überall sehr beträchtlich vermehrt; sehr reichliche Anthrakose. 

Die Lymphgefäße von gewöhnlicher Weite, z. T. mit körnigem, 
durch Hämatoxylin blaugefärbtein Inhalt gefüllt (Lymphe, Zellkerne, 
Kerntrümmer, mit Kohlepigment beladene Phagocyten). Das Endothel 
meist deutlich erkennbar. Die einzelnen Zellen manchmal größer als 
gewöhnlich, etwa kubisch oder grob-spindelig: ihr Kern groß und dunkel 
gefärbt, öfters auch vorspringend etwa wie beim Endothel der Milzvenen. 
Vereinzelte Lymphgefäße vollgestopft mit großen Endothelzellen, die eine 
große Ähnlichkeit mit den in Milz usw. beschriebenen Zellen aufweisen. 
(Es stand leider nur Material aus dem anthrakotisch-indurierten Bezirk 
zur Verfügung.) 

Faßt man das Ergebnis der mikroskopischen Untersuchung 
zusammen, so handelt es sich um eine hochgradige Zell¬ 
wucherung in der Milz, den Leberkapillaren und dem 
Knochenmark. Die gewucherten Zellen sind ziemlich große 
Gebilde mit schmalem Protoplasmasaum und einem großen, wenig 


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GOLD8CHMIU u. Isaac 


strukturierten Kern, der nur selten mit deutlichen Kernkörperchen 
versehen ist. Daneben finden sich eigenartige Kiesenzellen in 
größter Zahl. Das ganze Bild in Leber und Knochenmark (Nieren 
und Lymphknoten waren frei von gröberen Veränderungen) war 
auf den ersten Blick das einer Leukämie bzw. Pseudoleukämie, 
während das Milzpräparat bei oberflächlicher Betrachtung wohl 
auch an Tumor denken ließ, und man mußte sich daher die Frage 
vorlegen, ob die beschriebenen Zellen nicht undifferenzierte Vor¬ 
stufen der Blutzellen, also Lymphoidocyten (Pappenheim) bzw. 
Myeloblasten sind. Dagegen sprach aber das ganze Veihalten der 
Zellen besonders auch in den Organausstriehen und den Milz¬ 
punktaten. Während die Lymphoidocyten charakterisiert sind durch 
ein gut erkennbares, stark basophiles Protoplasma und einen großen 
Kern mit meist 3—4 Nucleolen, war bei unseren Zellen der Proto¬ 
plasmaleib in den Ausstrichen meist unsicher zu erkennen, und die 
wenigsten Kerne zeigten Kernkörperchen. Auch war die Oxydase- 
reaktion negativ. Granulierte Zellen (Myelocyten) oder Übergänge 
zu solchen fanden sich nur im Knochenmark und auch da nur 
spärlich. Schließlich hatte während der ganzen Beobachtungszeit 
von einem Jahr eine Ausschwemmung der beschriebenen Zellen 
ins Blut, wie man es bei einer derartig generalisierten Erkran¬ 
kung hätte erwarten^ dürfen, falls sie echt leukämischer Natur 
gewesen wäre, nicht stattgefunden. Vergleicht man weiterhin mit 
unseren histologischen Bildern diejenigen, welche sich bei der in 
der Einleitung erwähnten Gaucher-Schlagenhaufer’schen 
Erkrankung finden, so ergeben sich schon auf den ersten Blick 
weseniliche Unterschiede in Hinsicht auf die Zellstruktur: In unserem 
Fall beherrschen die Riesenzellen das Bild. Beim Morbus Gaue her 
große helle Zellen mit kleinem Kern, die bei bestimmten Färbe¬ 
methoden einen deutlichen Zusammenhang mit den Retikulumfaser» 
zeigen, sowie völliges Fehlen von Riesenzellen. Ferner finden sich 
bei der Gaucher’sclien Erkrankung im allgemeinen keine Ver¬ 
änderungen der Kapillarendothelien und der Endothelien der venösen 
Sinus. Die aus diesen Befunden und Überlegungen sich ergebende 
Vermutung, daß unsere Zellen Abkömmlinge des Kapillar¬ 
endothels bzw.'gewucherte Endothelien seien, die ganze Er¬ 
krankung also vom Endothel seinen Ausgang nehme, stützt sich 
auf folgende Punkte: 

1. Die Zellen liegen in den Kapillaren der Leber und 
den venösen Sinus der Milz, füllen letzere mehr oder 
weniger aus und bilden hier endothelmäßige Komplexe. 


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Endothelhyperplasie als Systemerkrankung usw. 


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2. Häufig läßt sich ein inniger Zusammenhang der ge¬ 
wucherten Zellen mit der Kapillarwand nach weisen. 

3. Das Endothel der letzteren ist häufig stark verändert, 
wie. die Befunde an den Kupifer’schen Sternzellen und den 
Wandungen der Milzsinus zeigen. 

4. Das Milzretikulum und die Gitterfasern der Leber stehen 
in keinem nachweisbaren Zusammenhang mit den patho¬ 
logischen Zellen. 

5. Das Auftreten der Riesenzellen läßt sich, wie unten 
noch erörtert werden wird, mit der Endothelnatur der 
gewucherten Zellen in Zusammenhang bringen. 

Die beschriebene Wucherung der Endothelien erstreckt sich 
nun nicht nur auf Milz und Leber, sondern auch auf das Knochen¬ 
mark. Wir kommen somit zur Aufstellung eines neuen 
Krankheitstypus, der zu charakterisieren wäre als 
Systemerkrankung der Endothelien des hämatopoe- 
tischen Apparates. Er stellt ein Analogon zur G auch er¬ 
schlagen haufer’schen Erkrankung dar, mit dem Unterschied, 
daß bei dieser eine Proliferation der retikulären Zellen der blut¬ 
bildenden Organe eingetreten ist, bei der von uns beschriebenen 
Krankheit aber eine solche der Endothelien. Hieraus ergibt sich 
eicht, daß Endothel und Retikulumzellen die Möglichkeit 
haben auf Reize zu reagieren, und zwar ein jeder für sich. 

Sucht man in der Literatur nach ähnlichen Beobachtungen 
wie die hier mitgeteilten, so würde der im Jahre 1903 von Anna 
Borissowa ^publizierte Fall am ehesten dem unserigen entsprechen. 
Dieser Fall wurde von der Verfasserin damals zu Unrecht als 
Banti’sehe Kraukheit aufgefaßt; ebensowenig dürfte es aber be¬ 
rechtigt sein, ihn dem Typus Gauch er zuzuzählen, wie dies z. B. 
Eppinger 1 2 ) tut. Der Befund Borissowa’s stimmt insofern mit 
dem unserigen überein, als es sich ebenfalls um eine Systemerkran¬ 
kung der hämatopoetischen Organe handelte, bei der in den venösen 
Kapillaren der Milz und auch in der Pulpa, sowie in den Leber¬ 
kapillaren und dem Knochenmark Zellen auftraten, die mit den von 
uns beschriebenen in Form und Größe übereinstimmen und die 
auch tatsächlich von der Verfasserin als veränderte Endothelien 
aufgefaßt wurden. Neben geringen, nicht sehr wesentlichen Ver¬ 
schiedenheiten der mikroskopischen Bilder wäre im Falle Bo- 


1) Borissowa, Virchow’s Arch. Bd. 172, 1903. 

2) Eppinger, Die hepato-lienalen Erkrankungen S. 3(i0. 


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(ioI.DSCHJiin n. Isaac 


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rissowa’s das Fehlen der von uns zahlreich gefundenen Rieseu¬ 
zellen hervorzuheben. 

Eine gewisse Übereinstimmung mit unserem Falle zeigt dann 
noch der im Jahre 1916 von J. Pentmann 1 ) aus dem Basler 
pathologischen Institut veröffentlichte Fall. Auch hier bestand 
eine diffuse Endothelzell-Wucherung in Leber und Milz mit Riesen¬ 
zellen. Daneben waren in diesen Organen kavernöse Hämangiome 
vorhanden. Wenn auch in diesem Falle das Knochenmark von der 
Endothelproliferation frei war, so darf man ihn doch wohl un¬ 
bedenklich mit dem von uns aufgestellten Typus identifizieren; 
wissen wir doch auch von der Leukämie, daß aus unbekannten 
Gründen gelegentlich eines der t hämatopoetischen Organe nicht an 
den Wucherungen beteiligt ist. Übrigens hat bereits Pentmann 
bei Besprechung seines Falles den Gedanken einer Endothelhyper- 
plasie als Systemerkrankung des blutbildenden Apparates in Er¬ 
wägung gezogen. 

Es erhebt sich weiter die Frage, in welcher Beziehung das 
von uns beschriebene Bild der diffusen Endothelhyperplasie in Milz, 
Leber und Knochenmark zu jenem der hochgradigen Endothel¬ 
wucherung steht, die isoliert in einzelnen Organen (Leber, Milz, 
Knochenmark) auftritt und hier zu Tumorbildungen führt, den so¬ 
genannten Endotheliomen. Speziell in der Leber sind in neuerer Zeit 
solche Endotheliome von B. Fischer, 2 3 ) Löh lein, 8 ) Kothny 4 ) 
und Schlesinger 5 ) ausführlich beschrieben worden. 

Ferner gehören hierzu die Fälle von Falkowski, 6 ) Kahle, 7 ) 
Bernhard Müller, 8 ; Veeden and Austin. 8 ) 

Legt man die von B. Fischer gegebene, als typisch zu be¬ 
trachtende Darstellung zugrunde, so handelt es sich bei diesen 
Endotheliomen der Leber um eine die ganzen Kapillarendothelien 
betreffende diffuse Erkankung. An vielen Stellen ist die Wuche¬ 
rung der Endothelien so enorm, daß solide Tumoren vom Aussehen 

1 Pentmann, Frankfurter Zeitsclir. f. Pathol. 18, 1916. 

2 Fischer, R. 00. Versaimnl. deutscher Naturforscher und Arzte 1908. 
II. Teil. 2. H. und Frankfurter Zeitsehr. f. Pathol. 12, 1913. 

3 Löhlein, Verhandl. d. Pathol. Ges. 1909. 

4) Kothny. Frankfurter Zeitsekr. f. Pathol. 10, 1912. 

5i Schlesinger, Primäres malignes Angioendotheliom der cirrhot. Leber. 
Jnaug.-Piss. Frankfurt 1920 

6i Falkowski. Zieglers Beitr. Bd. 57, 1914. 

7) Kahle, Virchows Arcli. Bd. 226, 1919. 

8) Müller, B., Virchow’s Arch. Bd. 209, 1912. 

9) Veeden and Austin, Americ. Jonrn. of the med. Science. Jan. 1912. 


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Endothelhyperplasie als Systemerkrankung usw. 


305 


eines polymorphzelligen Sarkoms entstehen, welche das Leber¬ 
gewebe destniieren und weite Bluträume umschließen. Solche 
Lebern zeigen alle Übergänge von Geschwulstbildern zu makro¬ 
skopisch scheinbar unveränderten Stellen. In diesen Bezirken finden 
sich entweder nur eine leichte Wucherung des Endothels oder Ver¬ 
änderungen, welche völlig den von uns beschriebenen Bildern ent¬ 
sprechen. Diese Übereinstimmung wird besonders gut durch die 
folgenden Sätze aus der Beschreibung B. Fischer’s illustriert: 
„Die Endothelien ... sind vielfach geschwollen, haben eine kubische 
Form und keinen platten, sondern einen runden Kern. Man sieht, 
wie . . . an Stelle des sonst so flachen und nur eben sichtbaren 
Endothels eine riesige Zelle mit einem ungeheueren Kern liegt. 
Diese plumpen chromatinreichen Kerne haben die verschiedensten 
Formen und entsprechen vollständig den Biesenkernen ... in den 
sarkomatösen Geschwulstzellen.“ 

Bei der großen histologischen Ähnlichkeit dieser isolierten Endo- 
theliome der Leber mit unseren mehr diffusen Endothelwucherungen 
drängt sich die Überlegung auf, ob denn diese Endotheliome tat¬ 
sächlich zu den echten malignen Tumoren gehören. B. Fischer 
hat sich in seiner Arbeit aus anderen Überlegungen heraus bereits 
diese Frage vorgelegt, und wenn er sie auch schließlich bejaht, 
doch nachdrücklich auf die Sonderstellung hingewiesen, welche die 
Leberendotheliome hinsichtlich der Art ihres Wachstums gegenüber 
den malignen Tumoren einnehmen. Während hei diesen, z. B. in 
den späteren Stadien des Karzinoms, eine Umwandlung des nor¬ 
malen Epithels in Karzinomepithel nicht mehr stattfindet, läßt sich 
bei den offenbar primären, multiplen Endotheliombildungen der 
Leber tatsächlich nachweisen, daß der Tumor durch sukzessive Um¬ 
wandlung des umliegenden anscheinend normalen Gewebes in Ge¬ 
schwulstgewebe wächst (B. F i s c h e r). Auf Grund der durch unseren 
Fall neu gewonnenen Erkenntnis würde man daher unwillkürlich 
dazu geführt, diese Endotheliome nicht als echte maligne Tumoren, 
sondern als hyperplastische Bildungen anzusehen, die sich nur gra¬ 
duell von Fällen, wie dem hier mitgeteilten unterscheiden, indem 
die Wucherungen nur zirkumskripter und die Endothelien nur eines 
Organes erkrankt sind. Übrigens liegen auch in den neueren Fällen 
von B. F i s c h e r und K o t h n y genauere Untersuchungen der übrigen 
hämatopoetischen Organe nicht vor, so daß eine Mitbeteiligung der¬ 
selben nicht ganz auszuschließen ist. Wir haben es hier mit dem 
gleichen Problem zu tun, das schon seit einiger Zeit bei einer 
anderen Erkrankung des hämatopoetischen Apparates, nämlich den 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. 188. Bd. 20 


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Goldschhid u. Isaac 


multiplen Myelomen 1 2 ) diskutiert wird; auch hier finden sich teils 
diffuse, das Mark aller Knochen befallende, mehr hyperplastische 
Wucherungen ohne destruierendes Wachstum, teils mehr lokali¬ 
sierte Bildungen, die tumorartig wachsen und die Knochenschale 
zerstören. Aber trotz der lokalen Aggressivität und der klinischen 
Malignität dieser letzteren Fälle werden die Myelome jetzt von 
einer Reihe maßgebender Forscher za den hyperplastischen System¬ 
erkrankungen des hämatopoetischen Apparates und nicht zu des 
malignen Tumoren gerechnet.. Wir möchten daher auch annehmen, 
daß es sich bei den Endotheliomen der Leber im Prinzip 
um den gleichen Prozeß handelt wie in unserem Fall, nur daß er 
dort mehr tumorartig, hier in diffuser Weise zur Auswirkung ge¬ 
langt Möglicherweise gehören auch Fälle wie der von Ri sei 1 ) 
unter dem Namen „Endotheliales Sarkom der Milz - publi¬ 
zierte und die spärlichen Fälle von Endotheliom des Knochen¬ 
markes in diese von uns aufgestellte Krankheitsgruppe. 

So würden diese auf den ersten Blick so verschiedenen Pro¬ 
zesse in einem genetischen Zusammenhang gebracht Bei 
der Unklarheit ihrer Ätiologie überhaupt vermag man natürlich 
nichts darüber auszusagen, warum es einmal zu Tumorbildung, in 
anderen Fällen zu diffusen Erkrankungen kommt, ebensowenig wie 
wir bei den Myelomen und auch den eigentlichen Leukämien und 
Pseudoleukämien über den gleichen Punkt etwas Sicheres wissen. 
Auch bei letzeren gibt es fließende Übergänge von einfach hypo¬ 
plastischen Formen zu geschwulstmäßigem Wachstum. 

Auch sonst steht der von uns beschriebene Krankheitstypus 
der mehr oder weniger systematisierten Endothelhyper¬ 
plasie in naher Verwandtschaft zu den eigentlichen leukä¬ 
mischen Erkrankungen. Sind doch die Endothelien der extra¬ 
medullären hämatopoetischen Organe, wie schon in der Einleitung 
hervorgehoben wurde, wahrscheinlich die Stammzellen des auf patho¬ 
logische Reize in diesen gebildeten myeloiden Gewebes. In unserem 
Falle sind diese Stammzellen selbst gewuchert, ohne daß sie sich 
in Lymphoidocyten bzw. Myeloblasten weiter differenziert haben. 
Man könnte daher von einer „ Gefäß wandzellen-Psendoleukämie“ 
sprechen. Daß es aber auch hier fließende Übergänge zu geben 
scheint, dafür spricht eine bisher nur im Referate zugängliche 


1) Vgl. hierzu z. B. S. Isaac, Die multiplen Myelome. Ergehn, der Chirur, 
u. Orthop. Bd. 14, 1920. 

2) Ziegler’s Beitr. 46, 1909. 


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Endothelhyperplasie als Systemerkranknng nsw. 


307 


Mitteilung von Barnewitz 1 2 * ) über einen Fall von „atypischer 
Leukämie“, in dem offenbar neben einer Wucherung der Retikulo- 
endothelien eine myeloische Metaplasie der Organe vorhanden war: 
also ein Bild, das in der Mitte zwischen der reinen Endothelhyper¬ 
plasie und den echten leukämischen Erkrankungen steht. Auch 
in dem Fisch er’schen Falle von Leberendotheliom war eine aus¬ 
gedehnte Bildung von Zellen der myeloischen Reihe in den Leber¬ 
kapillaren vorhanden. 

Der für unseren Fall so außerordentlich charakteristische Be¬ 
fund von Biesenzellen, der auch in den.Fällen von Fischer 
und Pentmann erhoben, wurde, bedarf noch einer kurzen Er¬ 
örterung. Es liegt nahe, diese eigenartige Zellform, die sich mit 
keinem sonstigen als Riesenzellen bezeichneten Gebilde patholo¬ 
gischer Gewebe vergleichen läßt, mit den Megakaryocyten zu iden¬ 
tifizieren, trotzdem sie morphologisch mit den normalen Riesen¬ 
zellen des Knochenmarkes nicht übereinstimmen. Es ist aber daran 
zu erinnern, daß auch die Megakaryocyten des normalen Markes häufig 
Degenerationserscheinungen zeigen können, die zum Teil den von 
uns beschriebenen Bildern entsprechen. Fälle von atypischer Riesen¬ 
zellwucherung und sogar von Ausschwemmung derselben sind bei 
Leukämien früher von Askanazy, Schwarz u. a. beschrieben 
worden. 9 ) Man kann daher mit allem Vorbehalt daran denken, 
daß es auch in unserem Falle zu einer atypischen Megakaryocyten- 
bildung aus den Endothelien gekommen ist, was den ganzen Pro¬ 
zeß noch weiter den leukämischen Erkrankungen nähert. 

Kehren wir zum Schluß zum klinischen Bilde der Erkran¬ 
kung zurück. Diese verlief in ganz monotoner Weise als Sple¬ 
nomegalie mit sekundärer Anämie. Letztere ist ihrer Genese 
nach eine hypo-metaplastische, insofern es zu einer Substitution des 
erythroblastischen Gewebes durch die pathologischen Zellen und 
dadurch bedingter verminderter Blutbildung gekommen ist. Die 
Anämie als hämolytische anzusehen, liegt kein Grund vor, znmal 
auch eine Erhöhung des Bilirubingehaltes des Blutes niemals nach¬ 
weisbar war. Differentialdiagnostisch kommt vor allem die Sple¬ 
nomegalie, Typ Gaucher, in Betracht. Die dieser Erkrankung 
eigentümliche bräunliche Färbung der Haut und die Neigung zu 
hämorrhagischer Diathese wurde in unserem Falle vermißt; auch 
war von einem familiären Vorkommen der Erkrankung wie bei 


1) Vgl. E. Hel ly, Die hämatopoetischen Organe. Wien 1906. 

2) Deutsche med. Wochenschr. 1921, 27, S. 796. 

20 * 


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308 Goldschmid n. Isaac, Endothelhyperplasie als Systemerkrankung usw. 

Morbus Gaucher in unserem Falle nichts bekannt. Die spär¬ 
lichen Beobachtungen gestatten jedenfalls noch nicht,, ein dem ana¬ 
tomischen Befund entsprechendes charakteristisches klinisches Bild 
herauszuarbeiten. 

Was die Therapie der Erkrankung betrifft, so ist bemer¬ 
kenswert, daß Röntgenbestrahlungen zunächst eine geringe Ver¬ 
kleinerung des Milztumors bewirkten, dann aber überhaupt keinen 
Einfluß auf die Größe der Milz ausübten. Wieweit bei einer der¬ 
artig ausgedehnten, sich auf verschiedene Organe erstreckenden 
Krankheit die Exstirpation der Milz, die in unserem Falle nicht 
mehr vorgenommen werden konnte, von Nutzen sein kann, läßt sich 
nicht Voraussagen. Bei der Gau eher’sehen Splenomegalie scheint 
die Entfernung der Milz nachteilige Folgen nicht zu haben. 


Erklärung der Abbildungen auf den 2 Tafeln. 

1. Milz. (Zeiß AA, Okul. 4.) Übersichtsbild. Struktur verwischt. Überall 
Riesenzellen nnd Haufen von großkernigen Zellen (Endothelien). 

2. Milz. (Zeiß Apochr. 3 mm, Kompensat.-Okul. 4.) Vene mit stark ver¬ 
mehrten und geschwollenen Endothelien. Im Lumen ein Haufen freier Endo¬ 
thelien und eine mehrkemige Riesenzelle. 

3. Milz. (Zeiß Apochr. 3 mm, Kompensat.-Okul. 4.) Venen mit Endo¬ 
thelien und Riesenzellen, welche z. T. der Wand noch anhangen. Links eine mit 
Endothelien vollgestopfte Vene. 

4. Leber. (Zeiß AA, Okul. 4.) Übersichtsbild. Zwischen den Leberzell¬ 
balken die weiten Kapillaren, welche große Mengen von großkernigen Zellen, so¬ 
wie Riesenzellen enthalten. Die wandständigen Kupffer’schen Sternzellen auf¬ 
fallend groß und deutlich, mit großem, dunklem Kern. 

5. Leber. (Zeiß Apochr. 3 mm, Komp.-Okul. 4.) Die Kapillare aus dem 
Zentrum von Bild 4. Freie Endothelien und Riesenzellen. Sternzellen z. T. ge¬ 
schwollen und mit großem Kern. 

6. Knochenmark. (Zeiß AA, Okul. 4.) Übersichtsbild. Sehr zellreiches Mark 
mit massenhaften Riesenzellen. 


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Druck v. Sinsel & ( 


























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309 


Aas der medizin. Universitätsklinik Leipzig 
(Direktor: Geh.-Rat Prof. v. Strümpell). 

Über Urobilin. 

1. Klinische Methode der (approximatiY-)qnantitativen 
Urobilinbestimmnng in den Ansscheidnngen des Körpers. 

Von 

i Dr. A. Adler, 

Assistent der Klinik. 

(Mit 2 Abbildungen.) 

j 1. Urobilin im Harn. 

; In der Literatur kehrt häufig der Vergleich wieder, der darauf 
I hinausläuft, Albuminurie und Urobilinurie in Parallele zu setzen 
l (Meyer-B etz (1)). Wie die Eiweißausscheidung im Harn auf 
* eine Schädigung der Nieren — sei diese primärer oder sekundärer 
, Natur — hinweist, so soll im gleichen Sinne Urobilinurie zur Dia- 
I gnose der Leberschädigung zu verwerten sein. Nur ist hier der 
positive Befund nicht so eindeutig und einfach wie bei dem Eiwei߬ 
nachweis. Leberkrankheiten sind im Anfang oft schwer zu er¬ 
kennen. Daß Urobilinurie auf Lebererkrankung hin weist, ist lange 
bekannt. Es ist jedoch das Vorkommen von Urobilin bei allen 
möglichen Krankheiten ein so allgemeines, daß dadurch der dia¬ 
gnostische Wert der Urobilinausscheidung im Harne sehr stark ein¬ 
geschränkt wird. Infolgedessen hat diese sich bisher keinen rechten 
Platz in der Diagnostik sichern können. Darauf wies schon Friedrich 
Müller hin (vgl. 1, 4). Es wäre aber dennoch Bonderbar, wenn der 
Nachweis eines Stoffes, der unter normalen Bedingungen höchstens 
nnr in geringen Mengen im Harn ausgeschieden wird und in 
krankhaften Zuständen in wechselnden, oft aber sehr reichlichen 
Mengen auftritt, für die Diagnostik nicht nutzbar gemacht werden 
könnte. Es muß daher nach den Gründen gesucht werden, die die 
Ursache dafür bilden, daß die Urobilinausscheidung noch nicht nach 
einheitlichen Gesichtspunkten geordnet werden konnte. Das liegt 
an einer Reihe von Umständen: 


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310 


Adler 


1. Gebricht es an einer Methodik, die eine für die Klinik not¬ 
wendige Einfachheit einerseits mit einer für klinische Zwecke hin¬ 
länglichen Genauigkeit andererseits verbindet 

2. Schuld daran ist ferner die außerordentliche Mannigfaltigkeit 
der Urobilinurie. 

3. Das Auftreten dieses Farbstoffes im Stuhl sowohl als im Urin. 

Erschwerend kommt hierzu noch die Tatsache, daß man von 

einer Einheitlichkeit des Urobilins als chemischem Individuum nicht 
sprechen kann (H. Fischer). Für klinische Zwecke muß jedoch 
die Urobilinurie nutzbar gemacht werden, ehe es der physiologischen 
Chemie gelungen ist, die einwandfreie chemische Konstitution fest- 
zulegen, d. h. es kristallisiert zn erhalten. Stellt doch die Er¬ 
scheinung der Urobilinausscheidung eine leicht faßliche und der 
Untersuchung am Krankenbett leicht zugängliche Handhabe dar. 
So darf diese Farbstoffausscheidung des Organismus, die zweifellos, 
wie ich in anderorts zu veröffentlichenden Untersuchungen zeigen 
konnte, gewissen Gesetzmäßigkeiten unterliegt, nicht unbeachtet 
bleiben, allein wegen der Tatsache, daß unsere chemische Methodik 
uns seine genaue konstitutionelle Kenntnis noch versagt hat 

4. muß darauf hingewiesen werden, wie ebenfalls folgende 
Mitteilungen ergeben werden, daß es keineswegs gleichgültig 
ist, welche Harnportion auf Urobilin zur Untersuchung kommt. 
Der Morgenurin verhält sich anders als der Abendurin, und 
dieser wieder anders als der nach dem Essen entleerte Urin. 
Schon beim Normalen ist die Urobilinausscheidung des Harnes 
Schwankungen unterworfen, um wie viel mehr erst im krankhaften 
Zustande. Es soll an dieser Stelle nicht eingehend untersucht 
werden, ob die Eppinger’sehe Auffassung zu Recht besteht(4), 
die besagt, daß die Urobilinausscheidung des Harnes nur im Zu¬ 
sammenhang mit der der Fäces diagnostisch brauchbare Aufschlüsse 
gibt, oder ob sie auch ohne diese verwertet werden kann. Es soll 
nur auf einige Punkte hingewiesen werden, die zeigen, daß aus 
der Urobilinurie allein Schlüsse zu ziehen sich ermöglicht Wenn 
man die enterogene Entstehungsweise des Urobilins zugrunde 
legt, (ob entsprechende Zugeständnisse an die evtl unter patho¬ 
logischen Bedingungen vor sich gehende hepatische Bildung 
des Urobilins, wie sie Fischler (7) annimmt, zu machen 
sind, wird später 1 ) besprochen) (vgL Kraus (10)), so ist klar, daß 
alles Harnurobilin nur aus der Leber direkt stammen muß, 


1) Vgl. die folgenden Abhandlungen. 


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Über Urobilin. 


311 


während das Stuhlurobilin normaliter nur aus dem Bilirubin der 
Galle gebildet wird und nur unter krankhaften Bedingungen 
grbflere Mengen von Leberurobilin 1 ) enthalten kann. In der Uro¬ 
bilinmenge des Stuhles hat man sodann einen Maßstab für die 
Erythrocytenmauserung des Blutes (45), während man in der Uro- 
bilinurie u. U. einen Maßstab für die Lebertätigkeit erblicken kann. 
Bis gilt daher zunächst das Maß des Urobilins festzustellen, das im 
Ham vorhanden sein kann, ohne daß krankhafte Bedingungen vor¬ 
handen sind. Gestützt auf die heute allgemein rezipierte An¬ 
schauung (Friedrich Müller), die die Entstehung des Urobilins 
in den Darmkanal verlegt und uns einen Kreislauf über die Pfort¬ 
ader zur Leber lehrt, in der es zurückresorbiert wird oder in der 
es, falls diese erkrankt, funktionsuntüchtig, oder auch nur funk¬ 
tionell stärker in Anspruch genommen ist, wieder zu mehr oder 
weniger großem Teile in die Blutbahn und so im Ham zur Aus¬ 
scheidung gelangt, bestehen 3 Möglichkeiten für die diagnostische 
Verwertbarkeit der quantitativen Untersuchung auf Urobilin des 
Harnes allein ohne die des Stuhles. 

1. Im Ham ist mehr Urobilin als im Stuhl. Dann ist klar, 
daß ein Rückschluß auf die Insufßcienz der Leber gezogen werden 
kann, denn das im Ham erschienene Urobilin kann ja nur auf 
dem Wege über die Leber in die Blutbahn gelangt sein. Die 
gleiche Deduktion trifft für den 2. möglichen Fall zu, wenn Hara- 
und Stuhlausscheidung dieses Farbstoffes gleich groß sind. Die 
Frage ist nur bei der 3. Möglichkeit, wenn die Harnausscheidung 
geringer ist, als die des Stuhles. Hier kommt es m. E. lediglich auf 
die Harnausscheidung als Leberfunktionsprüfung an. Liegt diese 
im Bereich des Normalen, so hat die Leber offenbar normale Funk¬ 
tion erwiesen, indem kein Urobilin über den Leberweg in die Blut¬ 
bahn gelangte, um im Harne ausgeschieden zu werden. Liegt diese 
wieder oberhalb der Norm, so weiß ich auch daraus wiederum, daß 
«ine Störung im Lebergebiete vorhanden sein muß. Aus diesen 
Auseinandersetzungen erhellt zur Genüge, daß eine quantitative 
Messung der Urobilinurie unter jeweilig gleichen und bekannten 
Bedingungen von Wert sein muß, und daß auch nur diese, solcher¬ 
maßen durchgeführt, allein von Wert sein kann, wie das in der 
folgenden Abhandlung gezeigt werden wird. Das veranlaßte mich 
zur Ausarbeitung einer Methode der Urobilinbestimmung, die den 
oben gestellten Anforderungen für klinische Zwecke genügt. 


1) d. h. Urobilin, das die Leber passiert hat 


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312 


Adlsb 


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Prinzipielles zur Methodik. 

Gründe, weshalb die Bestimmung des Urobilins und nicht die des 
Urobilinogens gewählt wnrde. 

Im klinischen Interesse liegt es, daß man einen Anhaltspunkt für 
die Menge des Gesamturobilins hat. Nun ist im Harn fast immer, auch 
oft schon im frischgelassenen, eine bestimmte Menge von Urobilinogen 
schon in Urobilin umgewandelt, wie in einer Beihe von Fällen fest- 
gestellt werden konnte. 1 ) 

Wenn der Harn zur Untersuchung kommt, ist erfahrungsgemäß 
meist sogar schon eine beträchtliche Menge dieses Farbstoffes nicht mehr 
in der Chromogenform vorhanden. Man hat nun 2 Wege, entweder 
sämtliches noch vorhandene Urobilinogen zu Urobilin zu oxydieren, oder 
aber das schon umgewandelte Urobilin zu Urobilinogen zu reduzieren, 
und die gesamte Farbstoffmenge in dieser letzteren Form nachzuweisen. 
Charnas(2) hat diesen letzteren Weg zu seinen Bestimmungen gewählt. 
Es ist auch durchaus zu verstehen, wenn dieser Weg gewählt wird, da 
durch die Untersuchungen von Hans Fischer das Urobilinogen als 
wohlcharakterisierter chemischer Körper bekannt ist. So bat F. Kraus 
kürzlich vorgeschlagen, nur noch von Hemibilirubinurie zu reden. Hier* 
zu ist zu bemerken: Die Zurückverwandlung von Urobilin zu Urobilinogen 
geschieht aber wohl nicht quantitativ. Ferner entsteht, wie Charnas (3) 
und Brug8ch(2) gezeigt haben, bei der alkalischen Harngärung, die 
als Methode der Zurückverwandlung des Urobilins in sein Chromogen in 
Betracht käme, ein dem Urobilinogen ähnlicher Körper, der aber sich von 
dem Urobilinogen durch verschiedene Eigenschaften, unterscheidet, und 
der nicht mehr in Urobilin umgewandelt werden kann, so daß möglicher' 
weise hier Verluste entstehen. Schließlich dauert die Umwandlung von 
Urobilin zu Urobilinogen einige Zeit (1—2 Tage). In Anbetracht dieser 
Tatsachen schien eB mir ratsam, für klinische Zwecke doch die quanti¬ 
tative Bestimmung des Urobilins zu benutzen. 

Zur quantitativen Urobilinbestimmung war es naheliegend, daß man 
sich an die Schlesinger'sehe Reaktion hielt, auf deren große Emp¬ 
findlichkeit schon Fischler(7) hingewiesen hat. Es galt nun einer¬ 
seits festzustellen, ob die Reaktion quantitativ vonstatten geht, und 
wenn dies der Fall ist, sie so auszuführen, daß sie immer in maximalster 
Intensität verläuft. Den von Fischler untersuchten quantitativen Ver¬ 
lauf konnte ich bestätigen. Es fiel mir jedoch auf, daß diese Methode 
immer in der gleichen Weise angewandt und zwar in der Form, wie sie 
später von Hildebrandt (9) modifiziert wurde, dennoch nicht immer 
zu den gleichen Ergebnissen führt. Es galt nun die Bedingungen zu 
eruieren, unter denen eine möglichst starke Fluorescenz zustande kommt. 
Beim Verfolgen der etwa für die verschiedenen Ausfälle der einzelnen 
Fluorescenzproben vorhandenen Ursachen zeigte sich, daß das Reagens, 
das zu dieser Methode benützt wird, im Stehen seine Zusammensetzung 
ändert. Schon oft nach 1—2 tägigem Stehen bildet das Zinkaoetat in 
der Lösung von absolutem Alkohol eine feste Masse, die kaum mehr 
aufzuschütteln ist, so daß der Alkohol nioht mehr die genügende Konsen- 

1) Die Tabellen mußten wegen Platzmangel weggelasBen werden. 


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Über Urobilin. 


313 


tration von Zinkacetat hat. Ich ging deshalb dazu über, mir jedesmal 
vor Anstellung der Probe das Beagens frisch za bereiten, indem ich die 
einzelnen Teile getrennt hinzafügte and zwar, da das Beagens 10 °/ 0 Zink¬ 
acetat in absolutem Alkohol darstellte, za 10 ccm Harn 10 ccm absoluten 
Alkohol and 1 g Zinkacetat. Als Mittel zur Oxydation des etwa im 
Harn noch vorhandenen Urobilinogens za TJrobilin versuchte ich 2 Bea- 
gentien Salpetersäure und Jodtinktur. Ich entschloß mich jedoch fiir 
die letztere, da die Salpetersäure, wie noch später gezeigt werden wird, 
den Harn unter Umständen zu stark ansäuert und dadurch wird eine oft 
erhebliche Beeinträchtigung der Fluorescenz hervorgerufen. Die Jod¬ 
tinktur darf nioht zu konzentriert genommen werden, da sonst die Färbung 
des Urins eine zu intensive wird; das führt ebenfalls zu einer Be¬ 
einträchtigung der Stärke der Fluorescenz. Als Oxydationsmittel ist die 
Jodtinktur der Salpetersäure überlegen, wie in dieser Bichtung angestellte 
Versuche lehrten. 

Ich wählte eine 3 °/ 0 alkoholische Jodlösung. Die Beaktion des 
HarneB ist ebenfalls von Bedeutung für den Ausfall der Fluorescenz- 
probe. Es galt die Beaktion zu ermitteln, bei der die Fluorescenz 
am intensivsten wird. Ich stellte mir von demselben Harn, der eine 
Beaktion von ph. = 5,85 hatte, verschiedene Aciditätsgrade durch Zu¬ 
fügen von NH S und Salpetersäure her und stellte in den einzelnen 
Proben die Schlesinger’sche Beaktion an, und immer lieferte die Breite 
von 5,58—5,9 die intensivste Fluorescenz. Dasselbe Ergebnis hatten 
Untersuchungen an reinen Urobilinlösungen. 

Um nun quantitative Anhaltspunkte für die Stärke der Fluorescenz 
zu erhalten, kann man 2 Wege einschlagen. Man kann sich gewichts¬ 
analytisch Urobilinlösungen von bestimmtem Gehalte herstellen, mit denen 
man die Schlesinger’sche Probe in der oben beschriebenen Weise 
ausfuhrt und erhält so eine Skala von den konzentrierten bis ganz ver¬ 
dünnten Lösungen. Man kann dann einfach durch Vergleich, der in 
einem hierzu eigens konstruierten Dunkelkasten angeBtellt wird, den Ge¬ 
halt an Urobilin ablesen. Der Dunkelkasten hat, 1 ) an der dem Auge gegen¬ 
überliegenden Wand ein kleines Gehäuse, in dem eine elektrische Birne 
sitzt, die nach 2 Seiten hin nur in einem schmalen Spalt Licht durchwirft, 
das in die beiden Urobilinlösungen seitlich hineinfallt. Da jedoch diese 
Standardlösungen nicht lange haltbar sind, auch wenn sie im Dunkeln und 
in eingeschmolzenen Böhrchen aufbewahrt werden und die Herstellung der¬ 
selben immerhin etwas zeitraubend ist, so wählte ich statt dessen eine 
2. Methode, die die Anwendung der Standardlösungen überflüssig macht. 

Ich ging dazu über, die erhaltenen Proben solange zu verdünnen, 
bis sie keine grüne Fluorescenz mehr zeigten. Die Wahl der Ver¬ 
dünnungsflüssigkeit machte Schwierigkeiten. Wasser schwächte die Fluo¬ 
rescenz frühzeitig ab, desgleichen absoluter Alkohol. Ammoniakalisches 
Wasser rief Niederschläge hervor. Man kann allerdings aus mit Wasser ver¬ 
dünnten Proben durch Amylalkohol das grün fluorescierende Urobilinzink- 
salz zum größten Teil wieder entfernen. Amylalkohol hat die Eigenschaft, aus 
einer wässerigen Urobilinzinksalzlösung nahezu quantitativ das Urobilinzink- 


1) Die Abbildungen haben wegen Raummangels weggelassen werden müssen. 


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314 


Adlkb 


«als an der Grenzfläche anznreichern. Anf diese Weise führte ich die Proben 
anfänglich eine Zeitlang ans. Han erhält dabei an der Berührungsfläche von 
Amylalkohol und Lösung einen schönen grünen Bing, der in dünnen 
Lösungen erst naoh 15—20 Min. deutlich wird. Da jedoch das Arbeiten 
mit Amylalkohol subjektiv sehr unangenehm ist, der Amylalkohol außerdem 
oft recht unrein ist und kolloidale Trübungen aufweist, die die Reaktion 
stören, so mußte ich weiter Buchen. Tabelle IV zeigt das Verhältnis 
der Verdünnungswerte mit Aq. dest. und nachfolgender Grenzflächen« 
anreicherung mittels Amylalkohol zu den Werten, wie sie mit der gleich 
zu besprechenden Methode erhalten wurden. 

Tabelle IV. 

Verdünnungswert mit Verdünnungswert mit 

Aq. dest. u. Amylalkohol. Ale. absol.-j-Zn. acetat. 

1:4 1:10 

1: 20 1:40 

1 : 80 1:120 

1: 600 1: 800 

Auch 10°/ 0 wässerige Zinkacetat-Lösung erwies sich zur Ver¬ 
dünnen gsflüssigkeit als unbrauchbar. So drängte sich der Gedanke auf, 
daß die Fluorescenz dann deutlich erhalten bleiben muß, wenn die ver¬ 
dünnte Lösung des fluoreszierenden Urobilinzinksalzes eine immer ge¬ 
nügende Konzentration von Alkohol und Zinkacetat aufweist, so daß es 
nahelag, eine Verdünnungsflüssigkeit zu wählen, die aus absolutem 
Alkohol und Zinkacetatlösung bestand etwa im Mischungsverhältnis des 
Schlesinger’schen Reagens. Mit dieser gelang es nun in der Tat, 
-die Fluorescenz noch in Spuren von Urobilin zu erhalten. Aus jeweils 
erhaltenen Verdünnungswerten war dann ein Vergleich der Stärke der 
einzelnen Reaktionen möglich. Wenn man nun noch mit einer möglichst 
reinen Urobilinlösung (d. h. eine Urobilinogenlösung, die zu Urobilin 
unter Einwirkung des Sonnenlichtes verwandelt wurde) die spektrophoto- 
metrisch untersucht, und deren Gehalt man gewichtsanalytisch festgelegt 
hat, die Reaktionen unter mannigfachen Variationen ausführt, dann kann 
man aus diesen VerdünnungBzahlen leicht absolute Werte gewinnen. Das 
habe ioh nun im folgenden ausgeführt. Übrig bleibt noch zu erwähnen, 
daß die Verdünnungen in einem Dunkelkasten, in den nur von oben 
Licht dringen konnte, ausgeführt wurden, und daß hiermit das unbe¬ 
waffnete Auge noch die geringste Fluorescenz erkennt. Das Tageslicht, 
bzw. Sonnenlicht ist für die Ablesung am besten geeignet. 1 ) 

Größe des Kastens, der mit schwarzem Papier von innen und außen 
ausgeklebt ist: (Vgl. Fig. 1 u. 2) Breite 20 cm, Länge 15 cm, Höhe 5 cm. 
Der Kasten kann noch, wie die Figur zeigt, mit einem um eine horizontale 
Aohse drehbaren Spiegel versehen werden, durch den das Licht besser 
in die Gläschen geworfen werden kann, eine Einrichtung, die aber nicht 
unbedingt erforderlich ist. 

1) Auch kann eine 50 herzige elektrische Birne (110 oder 220 Voltladung) 
mit mattem Glas als 'Beleuchtungsquelle benutzt werden. 


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Über Urobilin. 


315 


Fig. 1. 



Größe eines Gläschens: Höhe 6,0 cm 
Äußerer Durchmesser 16 mm 
Innerer Durchmesser 14 mm. 

Die Ausführung der Methodik selbst gestaltet sich wie folgt: 10 ccm 


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316 


Adlbb 


des za untersuchenden Harns werden, nachdem die Reaktion festgestellt 
worden ist und je nachdem etwas mit verd. Essigsäure angesäuert worden 
ist, mit 10 ccm absolutem Alkohol versetzt, 1 g pulverisiertes Zink¬ 
acetat hinzugefiigt (ich halte mir 1 g fassendes Holzlöffelchen für diesen 
Zweck bereit), ferner kommen noch 3 Tropfen 3°/ 0 alkoholische Jod¬ 
lösung hinzu. Eb wird kräftig umgesehüttelt und filtriert, bis daß klares 
Filtrat erzielt ist. 

Herstellung der Verdünnungsflüssigkeit: 20 g Zinkacetat werden mit 
Wasser in ein Meßkölbchen von 100 ccm bis zur Marke aufgefüllt und 
kalt gelöst. Diese Lösung mit 100 ccm absolutem Alkohol verdünnt. 
Für den Fall eine feine Trübung entsteht, wird abfiltriert. 

Die Verdünnungen erfolgen nun nach folgenden Tabellen, immer 
ergänzt auf 2 ccm mit in 1 / 100 ccm geteilten Pipetten, und zwar ver¬ 
wende ich langgezogene dünne Pipetten, aus denen die Abmessung bequem 
und recht genan möglich war; und zwar zum Urinfiltrat meist eine 1 ccm, 
zur Verdünnungsflüesigkeit eine 2 ccm fassende Pipette. Im Vorversuch 
wurde festgestellt, wo man die Verdünnung zu beginnen hatte, um in 
einer Reihe zu einem negativen Resultat zu gelangen. Die gründliche 
Spülung der Filtratpipette zwischen je zwei Verdünnungen ist Selbst¬ 
verständlichkeit. 

Eichung der Skala. 

Herstellung reinen Urobilins auf dem Wege des Urobilinogens 
(Charnas, Friedrich Müller, D. Gerhardt). 

Die Urobilinlösung wurde spektrophotometrisch untersucht, der 
Extinktionskoeffizient und das Absorptionsverhältnis festgestellt. 'Ferner 
der Extinktionskoeffizient an verschiedenen Stellen des Spektrums ge¬ 
messen, indem ferner die Verdünnungen variiert wurden. Hat man reine 
Lösungen vor sich, so müssen die Quotienten der Extinktionskoeffizienten 
an verschiedenen Stellen des Spektrums eine Konstante ergeben (vgl. 
Hüfner). Das war bei meinen Lösungen der Fall. Der Quotient be¬ 
trug immer nahezu 0,5. Ein Beispiel sei unten kurz erwähnt 1 ). Da¬ 
rüber wird ausführlicher in einer späteren Arbeit die Rede sein. 

Zu einer Menge von 11 mg Urobilin werden 11 ccm absoluter 
Alkohol gefügt. Es lösen sich sofort 8,5 mg (durch Zurückwiegen fest- 
gestellt). Von dieser Lösung (8,5 mg auf 11 ccm) werden nun eine 
Reihe von Verdünnungen hergestellt von 1: 200 bis 1: 1000, und mit 
diesen Verdünnungen wird die Schlesinger’sche Reaktion ausgeführt, 
wie oben beschrieben. Es ergibt sich, daß bei einer Verdünnung von 
1:1000 keine Fluorescenz mehr nachweisbar ist, bei 1:900 jedoch 
diese noch vorhanden ist. Auch die Verdünnung der Fluorescenzproben 
der konzentrierten Lösungen ergibt den Grenzwert bei einer Verdünnung 
von 1: 900, so daß Verdünnung der Urobilinlösung und Verdünnung der 
fertigen Probe gleich sind. Das würde heißen: bei 0,085 mg Urobilin 


1) a (Extinktionskoeffizient): 
grüne Hg-Linie a = 0,0921 
violette Hg-Linie a = 0,1869 

Quotient Q*? 9 ?* = 0,49. 
v 0,1859 ’ 


7a Konzentration: 
grüne Hg-Linie a = 0,0664 
violette Hg-Linie a = 0,1087 


Quotient 


0,0564 

0,1087 


= 0,60. 


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Über Urobilin. 


317 


in 100 Flüssigkeit ist eben noch die in der oben beschriebenen Weise 
ansgefübrte Schlesinger’sche Reaktion positiv. Das bedeutet eine etwa 
2 1 /,mal so große Empfindlichkeit wie Schlesinger (1. c.) und später 
Fischler (1. c.) sie angaben. Danach gestalten sich die absoluten 
Werte bei den einzelnen Verdünnungen folgendermaßen auf 100 g be 
rechnet: 


Urinfiltrat 

ccm 

Verdünnungs- 

fltissigkeit 

ccm 

Verdünnungs- 

zahl 

Absoluter Wert 

mg °/o 

Unverdünnt: 

2,0 


1/2 

0,17 

1,6 

0,5 

3/8 

0,31 

1,0 

1,0 

1/4 

0,340 

0,8 

1,2 

1/6 

0,425 

0,5 

lj6 

1/8 

0,68 

0,4 

1,6 

1/10 

0,85 

0,8 

1,7 

3/40 

1,10 

0,26 

1,74 

1/15 

1,275 

0,2 

1,8 

1/20 

1,70 

0,16 

1,84 

1/25 

2,125 

0,13 

1,87 

1/30 

2,55 

0,1 ! 

1,9 1 

1/40 

3,40 

Verdünnung: 1 

: 10 ccm. 




0,8 

0,63 

0,57 

0,5 

0,4 

0,3 

0,26 

0,2 

0,16 

0,13 

0,1 


1,2 

1,34 

1.43 

1.5 

1.6 

1.7 

1,74 

1.8 
1,84 
1,87 
1,9 


1/50 

1/60 

1/70 

1/80 

1/100 

3/400 

1/150 

1/200 

1/250 

1/300 

1/400 


4,25 

6,10 

6,95 

6,80 

8,50 

11,00 

12,75 

17,05 

21,25 

25,50 

34,0 


Verdünnung: 1:100 ccm. 


0,8 

0,66 

0,67 

0,5 

0,4 

0,3 


1,2 

1,34 

1,43 

1.5 

1.6 

1,7 


1/500 

1/600 

1/700 

1/800 

1/900 

1/1000 


42.5 
51,0 

69.5 
68,0 
77,0 
86,0 


Durch entsprechende Interpolation ist Feststellung der Zwischenwerte leicht 


möglich. 


Es ergibt sich nun die obere Grenze der Urobilinurie beim Normalen, 
wie aus den anderweitig zu machenden Ausführungen und Tabellen 
hervorgeben wird, etwa 20—25 mg pro die, das würde bei einer Tages¬ 
menge von durchschnittlich 1500 ccm Urin eine Verdünnung von 1 / 15 
bis x /ao Meißen. Bei konzentriertem Harn kann vielleicht 1:40 noch 
normal bleiben, während bei dünnem Harn beispielsweise 1 :8 schon 
einen pathologischen Wert bedeuten kann. Es geht daher nicht an, 
wie Marcnssen und Svend-Hansen das getan haben, */,<, als 
obere Grenze der Norm festzusetzen. 


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318 


Adlbb 


Was leistet die Methode? 

Die Tabelle VI lehrt, daß in den Zehner-Verdünnungen die 
Fehlergrenze, wenn etwa die letzte erreichte Verdünnung zweifel¬ 
haft ist, die folgende negativ und die vorausgehende sicher positiv ist, 
etwa 1 mg °/ 0 meist aber weniger beträgt, in den Einerverdünnungen 
noch weniger. In den Hunderterverdünnungen, in denen es sich doch 
ohnehin um pathologische Vermehrungen handelt, beträgt die Fehler¬ 
grenze höchstens 7—9mg°/ 0 > in den Tansender handelt es sich 
um 10—15 mg. Das sind irrelevante Unterschiede, so daß die 
Methode in der Tat imstande ist, den Anforderungen für klinische 
Zwecke in überaus guter Weise gerecht zu werden. 

2. Urobilinbestimmung im Stuhl. 

Die frisch entleerten Fäces werden gewogen, sodann gut durch¬ 
gemengt, und 5 g davon abgewogen und in eine Reibschale verbracht, 
in dieser werden sie mit 20 ccm Petroläther (oder anch Ligroin) über¬ 
gossen und 2—3 Minuten lang gut durchgerieben. Der Petroläther 
abgegossen und erneut mit dem gleichen Quantum Petroläther 
versetzt und abermals gut verrieben. In dem möglichst vollständig 
abgegossenen Petroläther kann eine Schlesinger’sche Reaktion an¬ 
gestellt werden und für den Fall, daß diese positiv ausfällt, eine erneute 
Auswaschung vorgenommen werden. Diese Auswaschung dient znr 
vollständigen Entfernung des Indol undScatol aus den Fäces, die be¬ 
kanntlich beide die Schlesinger’sche Reaktion geben. Der Rest wird 
dann mit 10 ccm Alcohol absolutus, von 1 g Zinkacetat und 3 Tropfen 
Jodtinktur versetzt. Diese Mischung wird gut durchgerieben und 
durch ein gehärtetes Filter filtriert. Dieses Filtrat wird wie beim 
Harn zur Feststellung des quantitativen Gehaltes weiter verarbeitet. 
Nur ist dabei zu beachten, daß die Ausgangszahl der anzustellenden 
Verdünnungen bis die Probe negativ wird, nicht mit */«> sondern 
mit Vs 211 multiplizieren ist. Diese Methode liefert sehr schöne 
und brauchbare Werte für die quantitative Urobilinbestimmung 
in den Fäces, wie die in den folgenden Mitteilungen zu veröffent¬ 
lichenden Untersuchungen zeigen werden. Es ergaben sich als 
Norm Gehalt 120—200 mg°/ 0 Urobilin. Die Tatsache, daß bei 
verschiedenen Krankheitszuständen die erhaltenen Werte in dem¬ 
selben Bereiche liegen, wie sie von anderen Autoren (vgl. bes. 
Eppinger) durch umständliche Methoden gewonnen wurden, 
beweist die Brauchbarkeit der hier beschriebenen Methodik. (Vgl. 
die späteren Mitteilungen. 1 )) 

1) Bei Untersuchung von Neugebornenst&hlen, die stark bilirnbinhaltig sind. 


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Über Urobilin. 


319 


3. Urobilinbestimmungen im Duodenalsaft. 

Ferner wurden Duodenalsaftuntersuchungen nach dieser Me¬ 
thode vorgenommen. Es ist zu berücksichtigen, daß im Duodenal¬ 
saft immer reichlich Bilirubin vorhanden ist, wenn die Probe mit 
Jodtinktur angestellt wird, so verwandelt sich dieses in Biliverdin. 
Man muß deshalb etwas weniger Jodtinktur nehmen. 1 ) Bei An¬ 
stellung der Verdünnung zeigt sich dann bei hohem Urobilingehalt, 
daß die Biliverdinfarbe für die Beurteilung für die Fluorescenz nicht 
störend wirkt, da die Biliverdinfärbung längst verschwunden, wenn 
noch Urobilinfluorescenz vorhanden ist. Normaliter wurde eine Ver¬ 
dünnung von etwa 1:50 gefunden, auf 100 ccm berechnet ungefähr 
4—5 mg. Unter pathologischen Bedingungen ist der Urobilingehalt 
des Duodenalsaftes enorm vermehrt, so fand ich in Fällen Magen- 
carcinom 1: 800 positiv, d. h. 68 mg °/ 0 . Ferner einmal 85 mg %. 
In einem Falle von Gallengangscarcinom mit riesigen Lebermeta¬ 
stasen ohne Gallenstauung, in dem ich 80 ccm Duodenalsaft ent¬ 
leerte, 780 mg auf 100 ccm! 

Will man die quantitative Bestimmung im Blute ausführen r 
so wendet man am besten die von Strauß und Hahn, ZentralbL 
l inn. Med. 1920, angegebene Methode an. Die Verdünnung darf 
alsdann nicht mit der oben angegebenen Verdünnuugsflüssigkeit 
geschehen, sondern mit absolutem Alkohol Die Blutwerte sind 
sehr gering. In pathologischen Fällen fand ich bis zu V 6 , d. h. 
0,5 mg V) 


hat sich als bequeme Trennungsmethode des Bilirubins vom Urobilin, die Fällung 
mit kolloidalem Eisenhydroxyd erwiesen, wie eine spätere Mitteilung noch zeigen 
wird. Dasselbe gilt für Stauungsikterusharn und Duodenalsaft. Auch Kalk¬ 
milch ist als Trennungsmittel brauchbar. 

1) Man kann auch den Duodenalsaft 24 Stunden im Licht stehen lassen 
und dann die beschriebene Schlesinger’sche Reaktion ohne Jodzusatz anstellen. 
Beide Methoden liefern die gleichen Ergebnisse. 

*) Anmerk.: Die beschriebene Methode wende ich seit länger als einem Jahre für 
klinische Zwecke an. Ihre Veröffentlichung unterblieb jedoch bis jetzt, weil mir 
eine Arbeit von Marcussen und Svend Hansen (11) nur unter dem Namen 
Marcussen in einem ganz kurzen Referat im Chemischen Zentralblatt 1918 
bekannt geworden war. Erst jetzt ist es mir gelungen, diese Arbeit im Original 
zu erhalten. Herrn Dr. S. Hansen sei an dieser Stelle für die Zusendung 
bestens gedankt. Ich ersehe aus ihr, daß die beiden Autoren in wesentlichen 
Punkten zum gleichen Resultate wie ich gekommen sind. Sie sind allerdings- 
nicht dazu übergegangen aus ihrer Verdünnungsprobe absolute Werte zu er¬ 
halten. 


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320 


Adlbh, Über Urobilin. 


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Literatur. 

1. Meyer-Betz, Über Urobilin. Ergebnisse für innere Med. nnd Kinder- 
heilk. 1913. — 2. Brugsch, Zeitschr. f. exper. Path. nnd Ther. Bd. 6, 8,9,11. 

— 3. Charnas, Quantitative Urobilinbestimmung, Biochem. Zeitschr. 1909.— 

— 4. Eppinger, Die hepatolienalen Erkrankungen, 1920, Julius Springer. — 

— 5. Ders.. Der Ikterns in Krans-Brngsch’ Handbuch d. spez. Path. u. Ther. 

— 6. Fiscner, H., Zur Kenntnis des Gallenfarbstoffs. Zeitschr. f. physioL 
Chemie 73 u. 76. — 7. Fischler, Das Urobilin. Habilitationsschr. 1906. — 
8. Flatow, Quantitative UrobilinogenbestimmuDg. Münch. med.Wochenschr.1911.. 

— 9. Hildebrandt, Über Urobilin. Zeitschr. f. klin. Med. 1906, Bd. 69. — 
10. Kraus, Berl. klm. Wochenschr. 1920. — 11. Marcussen und Svend- 
Hansen, Journal of biological Chemistry 1918, Bd. 36. — 12. Peters, Chen. 
Zentralbl. 1920. — 13. ScnleBinger, Nachweis des Urobilins. Deutsche med. 
Wochenschr. 1908. 


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Aus der medizin. Klinik Greifswald 
(Direktor: Prof. Dr. Morawitz). 

Über den Einfluß der Nahrungsaufnahme auf den 
ßlntbilirabingehalt. 

Von 

Dr. Ernst Christoph Meyer, 

Assistenzarzt der Klinik, 
und 

Herbert Knüpffer, 

Medizinalpraktikant. 

Vor einigen Jahren gestalteten Hijmans v. d. Bergh und 
seine Mitarbeiter die durch Ehrlich entdeckte, durch Pro sch er 
näher studierte Diazoreaktion auf Bilirubin im Blute zu einer 
quantitativen Methode aus. Bei ihren Untersuchungen entdeckten 
sie zufällig, daß das Bilirubin, das in der Galle enthalten ist, ohne 
Zusatz von Alkohol diese Reaktion sofort gibt, während das aus 
Gallensteinen hergestellte Bilirubin diese Reaktion nur nach Zusatz 
von Alkohol gibt. Alsdann stellten sie fest, daß das Blut norma¬ 
ler Menschen diese Diazoreaktion ohne Alkoholzusatz nur mit Ver¬ 
zögerung (nach etwa Minute beginnend, erst nach einigen Mi¬ 
nuten bis Stunden maximal werdend) gibt (sog. verzögerte di¬ 
rekte Reaktion), während das Blut von Menschen mit Stauungs- 
ikterus sofort ohne Alkoholzusatz diese Diazoreaktion gibt (sog. 
prompte direkte Reaktion). Feigl undQuerner machten 
darauf aufmerksam, daß die Reaktion zuweilen zweiphasig verläuft, 
indem sogleich ein deutlicher Farbenumschlag eintritt, der erst 
nach einigen Minuten beginnt stärker zu werden. Die zweiphasige 
Reaktion trennt Lepehne noch in einen zweiphasig prompten mit 
stärkerem prompten und in einen zweiphasig verzögerten mit stär¬ 
kerem verzögerten Anteil. 

Auf Grund dieser Entdeckung war nach Hij mans v. d. Bergh 
die Möglichkeit gegeben, zu unterscheiden, ob das im Blute vor- 

Deutsches Archiv für klin. Medizin, n». Bd -t 


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322 


Meyer u. Kslpffkr 


handene Bilirubin die Leberzellen bereits passiert habe und durch 
Resorption aus den Gallen wegen in das Blut gelangt sei (Stauungs¬ 
bilirubin) — prompte direkte Reaktion — oder ob das Bili¬ 
rubin außerhalb der Leber gebildet sei — verzögerte direkte 
Reaktion —. 

Im Anschluß an diese Entdeckungen Hijmans v. d. Bergh's 
wurden von verschiedenen Forschern die Bilirubinverhältnisse bei 
verschiedenen Krankheitszuständen und auch im Tierexperiment 
untersucht. Eine Abhängigkeit des Blutbilirubingehaltes von ver¬ 
schiedenen Arzneimitteln glauben Bauer undSpiegel nachgewiesen 
zu haben. Sie gingen von der Voraussetzung aus, daß der Bili¬ 
rubingehalt des Blutes bei ein und demselben Individuum konstant 
sei, eine Ansicht, der bereits von Lepehne widersprochen wurde. 

Eine Beständigkeit des Blutbilirubingehaltes erscheint unwahr¬ 
scheinlich, wenn man in Betracht zieht, daß die Gallenausschei¬ 
dung in den Darm abhängig von der Nahrungsaufnahme stattfindet. 
Auch die Beobachtungen an Hunden, bei denen zuweilen schon 
nach 1—3 tägigen Hungern Bilirubin im Urin auftreten soll, spricht 
dafür, daß Schwankungen im Blutbilirubingehalt durch die Nah¬ 
rungsaufnahme eintreten. Im gleichem Sinne sprachen auch die 
Versuche, die Gilbert mit seiner Oxydationsmethode an wenigen 
Personen vorgenommen hat. 

Zur Entscheidung dieser Frage untersuchten wir an einer 
großen Anzahl normaler Personen den Blutbilirubingehalt vor und 
nach der Hauptmahlzeit. 

Wir wählten zunächst die Zeit 1V 2 —2 Stunden nach dem 
Mittagsessen ((Truppe I), das aus der üblichen Krankenhauskost 
(Gemüse, Kartotfeln, Fleisch, Fett zusammengekocht) bestand. Die 
ei sten Versuchspersonen zeigten in der Tat nach dieser Zeit schon 
eine deutliche Abnahme des Blutbilirubingehaltes, so daß wir zu¬ 
nächst an diesem Zeitraum festhielten. Je größer aber unsere 
Versuche in dieser Anordnung wurden, desto mehr Personen fanden 
wir, die in dieser Zeit noch keine Schwankungen des Bilirubin¬ 
gehaltes zeigten. Unter 23 untersachten Personen — es waren 
hauptsächlich Rekonvaleszenten — fanden wir 10mal eine deutliche 
Abnahme: die stärkste Abnahme betrug von 1,5 auf 0,6 Bilirubin 
Einheiten, bei 4 von diesen Fällen fiel der Bilirubin wert auf die 
Hälfte, z. B. von 0,8 auf 0,4 Bi. E., bei den übrigen 5 Personen 
betrug die Abnahme mindestens 30 °/ 0 des Anfangswertes, z. B. von 
0,55 auf 0,35 Bi. E. Die übrigen 13 Fälle zeigten in dieser Zeit 
keine Abnahme. Daher dehnten wir, wie wir weiter unten sehen 


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Über den Einfluß der Nahrungsaufnahme auf den Blutbilirubiugehalt. 323 

werden, später unsere Beobachtungszeit nach dein Essen noch um 
einige Stunden aus. Zunächst zogen wir noch den Vormittag, an 
dem ja die Versuchspersonen nüchtern blieben — letzte Nahrungs¬ 
aufnahme am vorhergehenden Abend um 6 h — mit in den Be¬ 
reich unserer Untersuchungen, indem wir morgens um 9 K und 
um V 2 I 2 1 ' eine Blutentnahme Vornahmen, außerdem noch ein¬ 
mal — wie in Gruppe I — l 1 /.,—2 Stunden nach dem Essen. 
Zwischen diesen Zeiten zeigten sich entweder keine Unterschiede 
oder eine geringe Zunahme (Gruppe II). Es wurden 9 Personen 
in dieser Weise untersucht. Die Zunahme im Laufe des Vor¬ 
mittages bei nüchternem Magen betrug nur einmal über 30 % des 
Anfangswertes, sonst blieb sie immer innerhalb der Fehlergrenzen. 
Bei 5 Personen war innerhalb der 2 Stunden nach dem Essen 
wieder eine deutliche Abnahme wahrnehmbar um 30—45% des 
Anfangswertes, bei 4 Fällen keine Abnahme. 

Während also innerhalb von 1 V 2 —2 Stunden nach der Nahrungs¬ 
aufnahme nur bei dem kleineren Teile der untersuchten Personen 
eine Abnahme des Blutbilirubingehaltes festzustellen war, wurden 
die Resultate einheitlich, als ich die Beobachtungs/.eit bis auf 

5 Stunden nach dem Essen ausdehnte (Gruppe III). Bei dieser 
Versuchsanordnung zeigte sich bei sämtlichen untersuchten Fällen 
eine deutliche Abnahme 4 — 5 Stunden nach dem Essen, bei den¬ 
jenigen Fällen, bei denen ich dann nach 8 Stunden nach dem Essen 
eine Blutuntersuchung vornahm, zeigte sich dann schon wieder ein 
geringer Anstieg oder noch ein Gleichbleiben, eine weitere Ab¬ 
nahme konnte ich dann nicht mehr feststellen: Ich untersuchte 
10 gesunde Personen in dieser Versuchsanordnung. Während bei 

6 Personen der Blutbilirubinwert mittags 12 h nüchtern 0,1 bzw. 
0,4 Bi. E. betrug, fand ich 5 Stunden nach der Mittagsmahlzeit 
einmal eine geringe Spur, in den übrigen Fällen überhaupt kein 
Bilirubin mehr. Bei den übrigen 4 Personen mit Nüchternwerten 
von 0,2 bis 0,95 Bi.E. betrug die Abnahme 35—50% des Anfangs¬ 
wertes. 

Um mit Sicherheit sagen zu können, daß die festgestellten 
Schwankungen des Blutbilirubingehaltes auf die Nahrungsaufnahme 
zu beziehen sind und nicht etwa durch irgendwelche anderen Um¬ 
stände bedingte tageszeitliche Schwankungen sind, ließ ich die Ver¬ 
suchspersonen vom vorhergehenden Abend 6 h bis zum nächsten 
Abend 6 h hungern und untersuchte das Blut mittags um 12 h , 
2 h und um 6 h (Gruppe IV). Bei sämtlichen 5 untersuchten Per¬ 
sonen ergab sich in diesen Zeiten ein Ansteigen des Blutbilirubins 

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Mkykr ii. Kmtfeer 


324 

um 20—200 °/ 0 des Anfangswertes — im Gegensatz zu den Personen, 
die um 12 '■ eine Mahlzeit zu sich genommen hatten und danach 
einen Abfall des Blutbilirubins aufwiesen. Untersuchte ich alsdann 
das Blut der Hungerpersonen noch 3—4 Stunden nach der Nahrungs¬ 
aufnahme, die um 6 h abends nach 24 Stunden Hunger erfolgte, so 
zeigte sich wieder prompt ein deutlicher Abfall, der gewöhnlich um 
50% niedriger lag als der Anfangswert mittags 12 h , in 2 Fällen 
sogar von 0,6 bzw. 0,45 auf 0 herabgesunken war. War bereits 
schon durch diese Versuche erwiesen, daß es die Nahrungsauf¬ 
nahme ist, welche das Absinken des Blutbilirubins bewirkt, und 
daß es der Hunger ist, welcher zu einem Anstieg führt, so änderte 
ich doch noch die Versuch sanordnuug bei einer Reihe von Personen 
so ab (Gruppe V), daß ich morgens nüchtern eine Blutprobe ent¬ 
nahm, dann sofort eine dem gewöhnlichen Mittagessen entsprechende 
Mahlzeit gab und nun nach 2, 5 und 8 Stunden das Blut wieder 
untersuchte. Auch bei diesen Fällen zeigte sich nach 5 Stunden 
ein Tiefstand bis auf einen Fall, der erst nach 8 Stunden auf den 
niedrigsten Wert herabgesunken war, während bei den übrigen 
5 untersuchten Fällen nach 8 Stunden bereits wieder eine deutlich 
nachweisbare Zunahme aufzuweisen war. Als Beispiel sei ange¬ 
führt: Va 9'' nüchtern 0,25 Bi. E., */ 2 12' 1 '2 1 /,. Stunde nach dem 
Essen 0,2 Bi. E., 5 Stunden nach dem Essen 0,05 Bi. E. 8 Stunden 
nach dem Essen 0,2 Bi.E. Beim Vergleich dieser Gruppe mit den 
in Gruppe II untersuchten Personen wird der Unterschied beson¬ 
ders deutlich: Bei den mittagessenden Personen im Laufe des Vor¬ 
mittags geringe Zunahme, dann bis 2—3 h geringe Abnahme, die 
bis ;V' noch deutlicher wird; bei den morgens essenden Personen 
im Laufe des Vormittags bereits geringe Abnahme, das Tief ist 
um 2 '* erreicht und um 5 h , in welcher Zeit bei jener Gruppe das 
Tief vorhanden ist, findet hier bereits wieder ein Anstieg statt. 
Der Genuß von 1 1 Wasser wirkte bei den Versuchspersonen nicht 
als Nahrungsaufnahme, denn der Blutbilirubingehalt stieg danach 
an wie bei nüchternen Personen, dagegen rief bei 2 Personen der 
Genuß von Bariumsul tat brei (w ie er zur Röntgendiagnostik ver¬ 
wendet wird) eine Abnahme des Bilirubingehaltes hervor, überein¬ 
stimmend mit der Tatsache, daß sich ja in den weißen Barium- 
taces reichlich l'robilinogen und Urobilin nachweisen lassen. Es 
scheint also schon das llineingelangen eines festen Breis die Gallen¬ 
sekretion zu verstärken. Um direkt den Einfluß des Galleabflnsses 
auf den Bilirubingehalt des Blutes nachzuweisen, versuchte ich 
durch Eingabe von Witte-l\*pton in das Duodenum einen stärkeren 


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I ber deu Einfluli der Nahrungsaufnahme auf den Klutbilirubingehalt. 325 

Galleabfluß hervorzurufen. Es gelang mir allerdings nur in 2 Fällen, 
etwa 70 ccm dunklere Blasengalle im Laufe von 30 Minuten zu 
gewinnen, ein Abfluß, der anscheinend nicht groß genug war, um 
eine Herabsetzung des Blutbilirubingehaltes zu bewirken, denn diese 
Personen verhielten sich so, als wenn sie einfach nüchtern geblieben 
wären; ein älterer Mann, dem ich auch die Duodenalsonde in das 
Duodenum eingeführt, ihm aber nichts eingab, sondern einfach 
nüchtern ließ, zeigte ein merkwürdiges Verhalten. Bei durchaus 
normalen Bilirubinwerten zeigte sich ein Ansteigen von 0,15 auf 
0.45 in 6 Stunden; während nun in der Ersten und zweiten Blut¬ 
probe die direkte Reaktion verzögert war, war sie in der dritten 
Blutprobe zweiphasig prompt. Öfteres Ansaugen durch die Duo¬ 
denalsonde ergab hellgelbe, alkalische Flüssigkeit, die die direkte 
prompte Diazoreaktion gab. Dadurch, daß ich 250 ccm Ochsen¬ 
galle in das Duodenum innerhalb von */ 2 Stunde vermittelst Duo- 
denalsonde einfließen ließ, erreichte ich wohl einen Anstieg des 
Bilirubingehaltes im Blute. Er war aber nur unbedeutend größer 
als der bei einer nüchternen Person. Allerdings ist darauf hin¬ 
zuweisen, daß nach 5 Stunden die direkte Reaktion zweiphasig 
auftrat, was wohl darauf hindeutet, daß ein kleiner Teil des aus 
dem Darm resorbierten Bilirubins (bei den sicherlich günstigen 
Resorptionsbedingungen) — 250 ccm Galle in den leeren Darm — 
die Leber passiert hat und in das Blut gelangte. 

Auf dieses sonderbare Verhalten des Blutbilirubingehaltes komme 
ich bei der Besprechung der an lebergeschädigten Menschen vor¬ 
genommenen Untersuchungen noch zurück. 

Bis auf diese 2 Fälle war die direkte Reaktion bei allen bis¬ 
her mitgeteilten Personen verzögert. 

Durch diese Versuche ist also einwandfrei erwiesen, daß beim 
Menschen einbes tändiges Schwan kendes Blutbilirubin¬ 
geh altes stattfindet, das durch die Nähr ungsaufn ah me 
bedingt ist. Diese Tatsache ist bei Versuchen zu berücksichtigen, 
die etwa darauf ausgehen, den Blutbilirubingehalt pharmakologisch 
zu beeinflussen. Nimmt man derart ige Versuche vor etwa 2—5 Stunden 
nach der letzten Nahrungsaufnahme, so würde nur ein Anstieg be¬ 
weisend sein, andererseits würden Versuche, die etwa am Vor¬ 
mittage bei Nüchternheit vorgenomnien wurden, nur dann für eine 
Wirksamkeit der verabreichten Pharmaka sprechen, wenn dieselben 
eine Abnahme bewirkten. Desgleichen muß diese Tatsache bei 
vergleichenden Untersuchungen Berücksichtigung finden. Es wird 


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326 


Mkykr ii. Kmi'ku k 


empfohlen, derartige Untersuchungen stets morgens nüclitern vor¬ 
zunehmen. 

Wie ist nun dieses Schwanken zu erklären? 

Zunächst möchte ich einen Augenblick bei der Tatsache ver¬ 
weilen, daß überhaupt ein Ab- und insbesondere ein Anstieg vor¬ 
handen ist! Diese vorkommenden Schwankungen können über 100 °/ 0 
betragen! Es kann also ein Anstieg des Bilirubinge¬ 
haltes im Blute sicherlich ohne irgendwelche Rup¬ 
turen der Gallenkapillaren erfolgen! 

Findet nun das Ansteigen nach länger als 5—8 ständigem 
Hunger durch einen Übertritt von Bilirubin aus der Leber in das 
Blut statt, oder wird das etwa in der Blutbahn oder im reticulo- 
endothelialen Apparat außerhalb der Leber gebildete Bilirubin 
weniger von der Leber aus dem Blute abgefangen? Für das Ab¬ 
sinken scheint mir die einleuchtendste Erklärung die zu sein, daß 
die durch die Verdauung bedingte stärkere Sekretion der Galle in 
den Darm ein schnelleres Abfließen der Galle auch aus den Gallen¬ 
kapillaren und eine verstärkte Tätigkeit der Leberzellen zur Folge 
hat. Dadurch wird dann das im Blute kreisende Bilirubin verstärkt 
abgefangen. 

Daß bei diesen normalen Fällen stets — auch bei den höchsten 
Bilirubinwerten — die direkte Reaktion verzögert auftrat, braucht 
nicht unbedingt dafür zu sprechen, daß der Anstieg durch anhepa¬ 
tisch gebildetes Bilirubin zustande kommt; denn auch Lepehne 
laml bei einigen seiner Kaninchen nach Unterbindung des Ductus 
choledochus erst nach 22 Stunden bei einer Zunahme des Blut¬ 
bilirubins verzögerte direkte Reaktion. Es wäre also wohl mög¬ 
lich, daß die lieberzelle nach zwei Seiten das Bilirubin sezernieren 
kann — hauptsächlich in die Gallenkapillaren. Wenn diese aber 
infolge geringen Abflusses in den Darm eine gewisse Füllung er¬ 
reicht haben, so wäre es denkbar, daß die Sekretion reichlicher 
in das Blut erfolgte. — Andererseits schließen allerdings diese 
Schwankumren durch die Nahrungsaufnahme auch nicht aus, daß 
die Leberzellen um so weniger Bilirubin aus dem Blute aufnehmen, 
je stärker die Gallenkapillaren (im Hunger) gefüllt sind. 

Fine andere Möglichkeit, wie Bilirubin in das Blut gelangen 
könne, glaube ich hier noch zur Diskussion stellen zu müssen auf 
Grund von Befunden, die ich au einigen Personen mit deutlicher 
Urobilinurie erheben konnte. Ehe ich näher auf diese Frage ein¬ 
gehe. möchte ich das Verhalten der lebergeschädigten Personen be¬ 
schreiben. Ein Teil der Fälle, welche deutliche llrobilinurie auf- 


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Uber den Einfluß der Nahrungsaufnahme auf den Blutbilirubingehalt. 327 

weisen, verhalten sich normal, d. h. der Bilirubingehalt nimmt nach 
der Nahrungsaufnahme ab. Unter diesen Fälle befinden sich 
sowohl solche mit akuten Infektionskrankheiten (Scharlach, Diph¬ 
therie), als auch solche mit dekompensierten Herzen, mit Chole- 
lithiasis und noch im Abklingen begriffenem katarrhalischem Ik¬ 
terus. Selbst Fälle, bei denen die direkte Reaktion prompt erfolgte, 
zeigen das Verhalten der normalen Versuchspersonen. Andererseits 
zeigen Fälle, bei denen anscheinend die Urobilinurie durch die 
gleichen Ursachen wie bei den eben beschriebenen Fällen verursacht 
wird (Scarlatina, Tbc. pulm., Cholecystitis, Hepatitis luetica, Ikterus 
catarrh., Salvarsanikterus, dekompensiertes vitium cordis) ein ab¬ 
normes Verhalten, indem nach der Nahrungsaufnahme nicht nur 
nicht eine Abnahme des Blutbilirubingehaltes, sondern im Gegen¬ 
teil eine Zunahme stattfindet. Sie verhalten sich also nach 
Nahrungsaufnahme so wie normale Personen im nüchternen Zu¬ 
stande. Hier könnte vielleicht der Einwand gemacht werden, daß 
eben hier tatsächlich praktisch die Verhältnisse der Nüchternheit 
Vorlagen, weil die Patienten z. T. schwer krank waren und nur 
wenig zu sich nahmen und so nur eine geringe Gallesekretion ver¬ 
anlaßt wurde. Dagegen ist einzuwenden, daß ja auch unter den 
Fällen der Gruppe VI sich solche mit akuten Infektionen befanden, 
die auch nur Milch und Reis oder Grießbrei zu sich nahmen und 
doch eine Abnahme aufwiesen. Andererseits befinden sich unter 
den Fällen mit abnormem Verhalten solche, welche die übliche 
Mittagsmahlzeit in normaler Menge zu sich nahmen. Schließlich 
zeigten auch normale Personen einen Abfall nach Genuß von J /a 1 
Milch und V 2 Teller Reisbrei. 

Wie erklärt sich nun das abnorme Verhalten? Reagiert etwa 
die Leber auf die Nahrungsaufnahme nicht wie normalerweise 
durch eine stärkere Sekretion? Wenn das der Fall wäre, dann 
müßte es doch, wenn dieser Zustand nur einige Tage anhielte, 
infolge der geringeren Abscheidung der Galle in den Darm zu 
einem größeren Anstieg des Blutbilirubingehaltes kommen! Das 
ist aber nicht der Fall. Dagegen erscheint mir eine andere An¬ 
nahme einleuchtend, zu welcher ich auf Grund des Befundes au 
3 Fällen geführt wurde. Hier beobachteten wir nämlich, daß die 
direkte Reaktion vor dem Essen verzögert, nach dem Essen da¬ 
gegen zweiphasig prompt auftrat. Dieses Verhalten erklärten wir 
nns folgendermaßen: Es ist ja bekannt, daß ein Teil des in den 
Darm ergossenen Bilirubins resorbiert und der Leber wieder zu- 
geführt wird. Da nun nach dem Essen die direkte Reaktion im 


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328 


Meyer n. Knlpffbr 


Blute prompt auftrat, liegt die Annahme nahe, daß das Bilirubin, 
das im Darm resorbiert wird, der Leber wieder zugeführt wurde, 
von dieser nicht in normalerweise wieder ausgeschieden wurde, 
sondern ähnlich wie das Urobilin die geschädigte Leber passierte. 

Zum Schluß möchte ich noch anhangsweise das Resultat ein¬ 
maliger Untersuchungen bei verschiedenen Krankheitszuständen 
bringen. Sie zeigen, daß bei verschiedenen Infektionskrankheiten 
die direkte Reaktion bald prompt; bald verzögert auftreten kann. 
Bei Diphtherie (5 Fälle) fand ich immer die direkte Reaktion ver¬ 
zögert, bei Scharlach (6 Fälle) dagegen — im Gegensatz zu Lepehne 
— trat die direkte Reaktion entweder prompt oder zweiphasig 
prompt auf. Auch bei Typhus (6 Fälle) fand ich stets prompte 
oder zweiphasig prompte direkte Reaktion, desgleichen bei schwerer 
Lungentuberkulose. 

Bei 5 Fällen kronpöser Pneumonie war die direkte Reaktion 
prompt, während sie bei akutem Darmkatarrh mit sehr hohem 
Fieber verzögert verlief. 

Besonders hinweisen möchte ich noch auf Fälle von Salvarsan- 
ikterus, bei denen die direkte Reaktion prompt auftrat 

Insgesamt wurden 194 Personen in den Kreis 
unserer Untersuchungen gezogen. 

Methodik. 

Das Blut wurde stets durch Venenpunktion entnommen, frühestens 
etwa J / 2 Stunden nach der Entnahme wurde das Blut in einer elektrischen 
Zentrifuge zentrifugiert. Nachdem alle Blutentnahmen des betr. Tages 
gemacht waren, wurde möglichst gleichzeitig die Alkoholfallung des Serums 
vorgenommen und schnell hintereinander zentrifugiert, dann wurde gleich¬ 
zeitig bei allen zu vergleichenden Proben das Diagoreagens zugeBetzt und 
der Wert mit Hilfe des Autenrieth'sehen Kolorimeters bestimmt. 
Als Vergleichsflüssigkeit diente die von van der Bergh angegebene 
Rhodanidlösung. Noch deutlicher als im Autenrieth’schen Kolori¬ 
meter ließen sich die Unterschiede in gleich weiten, vollständig farblosen 
Reagenzgläsern nachweisen in auffallendem Lichte vor einer weißen 
Unterlage. — Nachdem uns schon bei den ersten Untersuchungen auf¬ 
gefallen war, daß noch in den ersten Minuten bei der indirekten Reaktion 
ein geringes Nachröten stattfindet, so wurde bei den späteren Unter¬ 
suchungen prinzipiell nach 15 Minuten abgelesen, dann war meistens der 
höchste Wert erreicht. Auch Hans Fischer stellte in einer kürzlich 
erschienenen Arbeit fest, daß bei der Diazoreaktion auf Bilirubin das 
Maximum mit 10 Minuten erreicht ist. 

Zusammenfassung: 

I. Bei normalen Personen tritt innerhalb von 2—5 Stunden 
nach der Nahrungsaufnahme eine Abnahme des Blutbilirubingehaltes 


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Über den Einfluß der Nahrungsaufnahme auf den Blutbilirnbingehalt. 329 


ein. Das Tief ist gewöhnlich nach 5 Stunden erreicht, nach 
8 Stunden ist in den meisten Fällen schon wieder ein Anstieg zu 
bemerken. 

IL Bei Personen, die seit dem Abend vorher keine Nahrung 
zu sich genommen haben, tritt bei Nahrungsenthaltung im Laufe 
des Tages eine Zunahme des Blutbilirubingehaltes einr. 

III. Auch Milch und Milchreisbrei führt zu einer Abnahme 
des Bilirubins. 

IV. Bariumsulfatbrei hat die gleiche Wirkung, dagegen hat 
Aufnahme von 11 Wasser keinen Einfluß auf das Blutbilirnbin. 
Dieses Verhalten des Blutbilirubins wird dadurch erklärt, daß die 
Nahrungsaufnahme eine Sekretion der Galle in den Darm hervor¬ 
ruft. Dadurch wird entweder das Bilirubin verstärkt aus dem 
Blute von der Leber aufgenomroen oder in geringerem Maße von 
der Leberzelle in die Blutbahn sezerniert, als bei stark gefüllten 
Gallenkapillaren, d. h. im nüchternen Zustande. 

V. Während ein großer Teil von Personen mit Leberschädigung 
(Urobilinurie) normales Verhalten zeigt, weist ein Teil dieser Fälle 
eine Zunahme des Bilirubins im Blute nach der Nahrungsaufnahme 
auf. Dieses Verhalten wird dadurch erklärt, daß bei diesen Fällen 
das aus dem Darm wieder resorbierte Bilirubin die geschädigte 
Leber passiert — ähnlich wie das Urobilin. Für diese Annahme 
spricht, daß bei einem Teil dieser Fälle nach dem Essen die direkte 
Reaktion prompt oder zweiphasig prompt auftrat, während sie vor 
dem Essen verzögert war. 

Es werden qualitative und quantitative Angaben über das 
Blntbilirubin bei verschiedenen Krankheiten gemacht. 


Literatur. 

Hijmans van den Bergh, Der Gallenfarbstoff im Blnte. Leipzig u. 
Leyden 1918. —Ehrlich, Zentralbl. f. klin. Med. 1883. — Prüscher. Zeitschr. 
f. Physiol. Chemie 29. # — Feigl u. Qnerner, Zeitschr. f. d. ges. exper. Med. 9, 
S. 163. — Lepehne, Deutsches Arch. f. klin. Med. 132, 8.90 n. 135, 8. 79. 
Ergeb. d. inn. Med. n. Kinderheilk. 20, S. 221. — Bauer n. Spiegel, Deutsches 
Arch. f. klin. Med. 129, S. 17. — Gilbert et Herrscher, Sur les variations de 
la cholemie physiologique. Presse medicale 1906, Nr. 27. — Hans Fischer, 
Zeitschr. physiol. Chem. 1921. 


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Aus der II. raed. Klinik der Universität Köln 
(Direktor: Prof. Dr. Moritz). 

Zur Herkunft der im strömenden Blut bei Endocarditis 
lenta yorkommenden Endothelien. 


Von 

Privatdozent Dr. Fr. Otto Heß, 

Oberarzt. 


Bei dem 46 jährigen Patienten Schm., der wegen chron. Endo¬ 
karditis lenta im September 1919 in unserer Klinik lag, wurden 
gelegentlich einer Blutuntersuchung folgende Befunde erhoben. 

Im sog. Kapillarblut des Ohrläppchens zählten wir 45 522 und 
im Blut aus einer Fingerkuppe der rechten Hand bei gleicher Ent¬ 
nahmetechnik nur 5344 Leukocyten; diese auffallende Differenz, 
die zuerst nur an einen Zählfehler denken ließ, wurde aber wieder¬ 
holt beobachtet. Gleichzeitig fielen Frl. Dr. Weber und mir bei 
der Leukocytenzählung große, z. T. an Amöben erinnernde, blasige 
Zellen mit randständigem ovalen Kern in beträchtlicher Zahl auf. 
die im gefärbten Ausstrich als endothelartige Gebilde oft mit einem 
oder mehreren phagocytierten Blutkörperchen erschienen; sie fanden 
sich nur im Ohrläppchenblut. 

Derartige Zellen im strömenden Blut sind früher mehrfach und 
neuerdings — während wir mit der Bearbeitung dieses Gegen¬ 
standes beschäftigt waren — von Schilling und Bittorf be¬ 
schrieben. so daß ich auf eine ausführliche Beschreibung der Zellen 
unter Hinweis auf diese Arbeiten and gute Abbildungen x ) ver¬ 
zichten kann. Ich möchte nur eine für die Erkennung der Zellen 
wichtige Tatsache betonen, daß man sie am leichtesten und schön¬ 
sten im frischen Präparat besonders in der Zählkammer bei Ver- 


1) March and (grolie Phagocvten, leukocytoide Zellen (I. Tagung d. path. 
Oes. S. 7<>), Ketouseck, van Nnys, Weil], Kaznelson, Kraus u. a. 


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Im strömenden Blut bei Endocarditis lenta verkommenden Endothelieu. 331 


dünnung des Blutes mit Essigsäure und Zusatz von Gentianaviolett 
auffindet. 

Sie heben sich da als meist wesentlich größere, blasige, oft amöben- 
artige Zellen von den anderen ab: der Kern liegt gewöhnlich eigenartig 
halbmondförmig an der einen Seite der rundlichen bis wurstförmigen 
Zelle, in der oft'Einschlüsse zu erkennen sind; häufig sieht es so aus, 
als ob der Kern die Zelle seitlich überrage, oder der Zelleib hängt wie 
eine Blase unter dem Kern. Auf dem geheizten Objekttisch zeigten sie 
einigemal deutliche Gestaltsveränderung, während Phagocytose, wie sie 
R owley und Eason sahen, nie sicher beobachtet wurde. 

Im Ausstrich sahen auch wir häufig ganze Konvolute, z. T. abnorm 
gestalteter, großer mit Fortsätzen versehener Makrophagen; einzelne 
kleinere mehr längliche mit ovalem Kern lassen sich nicht immer mit 
Sicherheit von normalen sog. Monocyten unterscheiden; sehr schön sind 
die verschiedenen Zelleinscblüsse zu erkennen: polymorphkernige Leuko- 
cyten, Lymphocyten, Blutplättchen, rote Blutkörperchen (mit der Benzidin- 
probe und Methylenblau dargestellt); Bakterien konnten mit Sicherheit 
nicht nachgewiesen werden. Ein großer Teil der fraglichen Zellen ent¬ 
hält eine oder mehrere Vakuolen. 

Unsere Befunde forderten zur Bearbeitung folgender Fragen auf: 

1. finden sich derartig auffallende Differenzen der Leukocyten- 
zalil zwischen Ohr- und Fingerblut häufiger, ev. bei welchen 
Krankheitszuständen, und wodurch werden sie bedingt? 

2. bei welchen Erkrankungen sind die großen endothelialen 
z. T. Phagocytose aufweisenden Zellen im strömenden Blut nach¬ 
weisbar ? 

3. wo stammen diese Zellen her? 

Bei dem Patienten Schm, fanden wir die Endothelien nur 
im Ohrblut; diese Tatsache machte meine anfängliche Annahme, 
daß es sich um Zellen des reticulo-endothelialen Apparates von 
Milz und Leber handele, sehr unwahrscheinlich und führte zu der 
Vermutung, daß diese eigenartigen Zellen vom Ort der Blutentnahme 
heiTührten, was auch Bittorf annimmt; dies wurde auf Grund 
weiterer klinischer Untersuchungen noch wahrscheinlicher, konnte 
aber nur durch anatomische Untersuchungen bewiesen werden. 
Diese waren nun bei dem Patienten Schm, nicht angängig, da er 
kurz vor seinem Tod seine Verlegung nach Hause wünschte. Aus 
diesem Grunde unterblieb damals die Publikation der an sich auf¬ 
fälligen Befunde. 

In der Folgezeit hatte ich nun Gelegenheit, 10 weitere Fälle 
von Endocarditis lenta klinisch zu beobachten und z. T. autoptisch 
zu untersuchen, so daß mir die Beantwortung der gestellten Fragen 
möglich wurde. 


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1. Die Differenz der Leukocytenzahlen zwischen Finger- und 

Ohrblut. 

Vergleichsuntersuchungen bei den verschiedensten Erkrankun¬ 
gen l 2 ) ergaben, daß weit außerhalb der Fehlergrenzen liegende 
Differenzen sich sehr häufig bei Endocarditis lenta fanden, während 
andere, besonders auch Herzerkrankungen sie nicht zeigten; nur 
in einigen Typhusfällen wurde Ähnliches wie bei Endocarditis lenta 
beobachtet. Die Lenkocytenzahlen waren nun bei den Endocarditis- 
fällen nicht nur im Blut aus Finger und Ohr, sondern oft auch au> 
dem rechten und linken Ohr verschieden groß, während Zählungen 
von der rechten und linken Hand meist gut übereinstimmten. Dies 
soll nur durch folgenden Befund illustriert werden. -’) 

Fall Ni». Konrad, 50 J. Endocarditis (ulcerosa) lenta. 

10. Juni arterielles (Art. rad.) Blut. 3 920 Leukoeyten 


venöses (Ven. mediana» .. 4 270 

Finger lk. 4 390 

Finger r. 4 500 

Ohr lk. 112 000 

Ohr r. 75 900 

21. Juli Ohr lk. 36 800 

Ohr r. 54 900 

Finger lk. 4 300 

Finger r. 4 900 

Zehe r. 7 200 


Auch an einzelnen Tagen, ja zu verschiedenen Stunden des Tages 
schwankten die Leukocytenzahlen des Ohrblutes oft beträchtlich. 
Es bestand auch darin keine Gesetzmäßigkeit, daß etwa nach der 
ersten Entnahme die Leukocytenzahlen geringer wurden oder um¬ 
gekehrt. Kurz: die Leukocytendifferenzen zeigten bei Endocarditis 
lenta eine große Regellosigkeit, nur war zumeist im Ohrblut 
eine wesentlich höhere mit den Leukocytenzahlen des 
übrigen Körpers nicht übereinstimmende Zahl;, damit, 
ging Hand in Hand ein großer Reichtum desOhrblutes 
an Endothelien. 

1) Siebe Inaug.-Piss. Otten, Köln. 

2) Auf Wunsch der Redaktion habe ich alle Protokolle weggelassen: sie 
w-rden zum grollten Teil der Dissertation Ot ten noch beigefügt, sodaß darin 
Einzelheiten über die Zahlungen besonders auch der Endothelien nacbgeleseu 
-«v^rdon können. 


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Im strömenden Blut bei Endocarditis lenta vorkommeaden Eadothelien. 333 


2. Bei welchen Erkrankungen treffen wir nun jene Endothelien 

im Blut? 

Mit absoluter Regelmäßigkeit fanden wir sie in 
verschieden großer Zahl bisher in allen Fällen von 
chron. Viridans-Sepsis;*) nur in einem ganz akut verlaufenden 
Fall ’) wurden sie vermißt. 

Während etwa 1 */ 4 Jahren wurde nicht nur bei allen infek¬ 
tiösen besonders chronischen Erkrankungen, sondern auch bei allen 
sonstigen LeukocytenZählungen von meinen Mitarbeitern und mir 
anf solche Zellen geachtet; wir sahen sie recht selten, noch am 
häufigsten im Ohrblut beim Typhus abdominalis und zwar am 
regelmäßigsten während einer länger andauernden Fieberperiode; 
sie wurden seltener in der Rekonvalescenz, um dann ganz zu ver¬ 
schwinden. Öfter ließen sich im Blut aus Roseolen zahlreiche 
Endothelien und endothelähnliche Zellen nachweisen. 

Desgleichen fand ich sie bei einem Flecktyphus, bei zwei 
Fällen von Anaemia pseudoleukaemica infantum, 2 ) nach langem 
Suchen bei einer akuten lymph. Leukämie und bei zwei Fällen 
von pernic. Anämie, während bei anderen Perniciosafällen und 
schweren sek. Anämien (bes. Ca. und myoloische Leukämie) ver¬ 
geblich danach gesucht wurde. Ebensowenig wie N a e g e 1 i konnte 
ich sie bei zwei Kranken mit hämolytischem Ikterus nachweisen 
und zwar weder vor noch nach Splenektomie (bei dem einen 
Kranken hatte ich vor 5 Jahren die Milz mit bestem Erfolg exstir- 
pieren lassen). 

In der Literatur sind Endothel befunde außer bei Endocarditis 
lenta noch bei anderen Krankheiten notiert, so bei Carcinom 
Netouseck, Kaznelson), bei Protozoenkrankheiten (Connal), 
bei Cholera, Chlorose, Basedow und myeloischer Leukämie (Netou- 
^eck) und Tuberkulose (Kaznelson, Weill). 

Meine Befunde stimmen mit den schon bekannten darin über¬ 
ein, daß sich die Endothelien ganz vorwiegend — auch der Zahl 
nach — bei Endocarditis lenta finden. Während sie hier bis über 
20°/ 0 der kernhaltigen Blutelemente (bis über 50°/ o bei Bittorf, 
Schilling) ausmachen können, wurden bei anderen Erkrankungen, 

*) Anui. b. (1. Korrektur: desgleichen auch iu den nach Abschluß der Ar- 
beit beobachteten und aut.opti.sch bestätigten Fällen. 

1) Aus der Kinderklinik; ich bin Herrn Geh.-Rat Siegel t zu bes. Dank 
verpflichtet, daß er mir die Untersuchung verschiedener Fälle seiner Klinik ge¬ 
stattete. 

2) Aus der Kinderklinik. 


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334 

bei denen sie ab und zu, aber keineswegs regelmäßig vorkamen, 
0,5—2°/ 0 bei Typhus bis 4,5 °/ 0 gezählt. 

Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß man auch bei Durchsicht 
sehr vieler normaler Präparate ab und zu einer Zelle be¬ 
gegnet, die endothelialen Charakter hat; sie zeigt dazn häufig eine 
eigenartige ganz isoliert schlechte Färbung und Protoplasmastruktnr- 
veränderungen, die auf Nekrobiose schließen lassen, so daß man an 
abgeschilfertes Gefäßendothei (Patella) denken könnte. 

Im Gegensatz zuKrizenecki möchte ich dem Auftreten der 
Endothelien im Blut doch eine diagnostische Bedeutung zusprechen, 
jedoch nur den so reichlichen und regelmäßigen Befanden 
bei Endocarditis lenta chronica. 

Die Endothelien haben wir nun — besonders bei den Endo- 
carditisfällen — ganz vorwiegend und am zahlreichsten im Ohrblut 
gefunden. Sie waren allerdings — wenn auch oft recht mühsam — 
auch im Venenblut (Mediana), etwas eher noch im Blut aus der 
Fingerbeere und selten der Zehen nachweisbar. Nie habe ich sie 
im strömenden arteriellen Blut 1 ) (Radialis, Cubitalis) gesehen. 

Durch besondere Manipulationen ließ sich die Zahl der Endo¬ 
thelien wenig und nicht regelmäßig beeinflussen, so z. B. durch 
Collargol- oder Adrenalininjektionen; dabei ist zu bedenken, daß 
— selbst wenn man bei letzterer mit einer Ausschwemmung aus 
der Milz rechnet — die Zellen in der Peripherie noch nicht nach¬ 
weisbar zu sein brauchen, da sie ja unterwegs höchst wahrscheinlich 
in Leber und Lunge abgefangen werden. Auch längere venöse 
Stauung oder starkes Reiben und Drücken des Entnahmegebietes 
bewirkt keine sichere Zunahme, sogar einigemal im Gegensatz zu 
den Beobachtungen Bittorf’s Abnahme der kernhaltigen Elemente, 

Ein Urteil darüber, ob andere Untersucher die fraglichen Zellen 
auch nur oder vorwiegend im Ohrblut gefunden haben, wie es bei 
Schilling und Bittorf der Fall zu sein scheint, ist mangels 
Angabe des Entnahmegebietes nicht immer möglich. 

Zugleich mit der grö ßten Zahl Endothelien zeigte 
das betreffende Blut (meist Ohr) auch die jeweils 
höchste Leukocytenzahl. 

3. Woher stammen nun die in vivo gefundenen Endothelien 1 

Ich glaube, daß die folgenden anatomischen Untersuchungen 
die Frage beantworten. 

1) Technik siehe: Heß, Fr. 0.. Deutsches Arch. f. klin. Med. 137. 


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Im strömenden Blut bei Endocarditia lenta vorkommenden Endotbelien. 335 

Bei entsprechenden Autopsien (path. - anat. Institut, Prof. Dr. 
Dietrich) schwemmte ich mir von den verschiedensten Organen Ab¬ 
striche in Kochsalzlösung auf und verdünnte etwas davon wie bei Blut¬ 
körperchenzählungen mit Essigsäure, sah frische Präparate und gefärbte 
Ausstriche durch. Von Herzklappen, Aorta, Leber und besonders Milz 
konnten den unseren ähnliche Zellen gewonnen werden; sie zeigten 
jedoch selten den eigenartig blasigen Charakter und waren zumeist kleiner, 
gestreckter mit mehr spindelförmigem Kern; nur in den Leber- und 
Milzabstrichen waren auch größere, den in Frage stehenden völlig gleiche 
Gebilde mit Phagocytose und z. T. Kernteilung zu erkennen. 

Dies würde damit in Einklang stehen, daß wir bei einem Patienten 
(Fall 1) in dem Milzpunktat Zellen nachweisen konnten, die mit den 
gleichzeitig im Ohrblut gefundenen Phagöcyten völlig übereinstimmten. 

Außerdem wurden möglichst rasch nach dem Tod bei 4 Fällen von 
Endocarditis lenta (Nr. 2, 5, 7, 8) kleine Stückchen vom Ohrläppchen, 
einer Finger- und Zehenbeere entnommen, in Paraffin eingebettet und 
die Schnitte mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt. ] ) 

Die mikroskopische Untersuchung der Präparate ergab zu¬ 
sammengefaßt folgendes: Die Schnitte von Finger, Zehe und Ohi 
zeigen einen deutlichen Unterschied darin, daß sich in letzteren 
reichlich Veränderungen am Endothel der kleinen Gefäße finden, 
die in den anderen Präparaten nur spärlich oder gar nicht festzu¬ 
stellen waren. Nur im Fall 7 waren sie am Finger etwas reich¬ 
licher, desgleichen in vivo die Endothelien. 

Die nachweisbaren Endothelveränderungen bestehen in Quellung 
und Aufhellung des Protoplasma, Auflockerung der Zellverbände 
und Sprossung von verschieden großen, blasigen Endo¬ 
thelien in das Gefäßlumen bis zur Knöpfchenbildung, 
die z. T. als verruköse Gebilde sich der Wand auf¬ 
setzen und das Lumen stark verengern. 

Einige Endothelien im lockeren Verband zeigten auch deutliche 
Einschlüsse wie in den Blutpräparaten. An anderen Stellen sieht 
man neben ausgesprochenen Endothelwucherungen kleine Endothel- 
bzw. Wandnekrosen, denen meist eine dichte homogene an Plättchen¬ 
thromben erinnernde Masse aufsitzt — Veränderungen, wie sie 
Herzog bei Flecktyphus abgebildet und beschrieben hat. Bei 
einem Fall (Nr. 2) waren zahlreiche kleine Gefäßchen fast völlig 
von Endothelwucherungen und thrombotischen Massen ausgefüllt. 
Außerdem sind bald mehr bald weniger kleine Gefäße buchtig er- 


1) Für die im pathol. Institut besorgte Anfertigung der Präparate bin ich 
Herrn Prof. Dr. Dietrich und Herrn Priv.-Doz. Dr. Siegmund zu besonderen 
Dank verpflichtet; Herr Prof. Dietrich hatte auch die Liebenswürdigkeit, meine 
Befunde zu bestätigen. 


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weitert und besonders scheinen Strecken vor oder in der Umgebung 
ausgesprochener Wandveränderungen betroffen zu sein. Hier be¬ 
sonders sieht man dem Endothelbelag dicht aufgelagert sehr zahl¬ 
reiche oft nicht sicher zu differenzierende weiße Blutelemente. 

Weiterhin wurde und zwar wieder vorwiegend am Ohr eine 
oft ganz bedeutende Zellwucherung in der unmittelbarsten Um¬ 
gebung kleiner Gefäße beobachtet, eine Wucherung, die oft den 
Charakter eines das Gefäß innig umschließenden Zellringes oder 
walles hat. Sie findet sich jedoch nicht überall da, wo Endothel¬ 
wucherung nachzuweisen ist. Vielleicht sind an einigen Stellen auch 
Endothelzellen an der perivaskulären Wucherung beteiligt, denn es ist 
oft nicht leicht, die Grenze zwischen den ins Lumen und den in die 
Umgebung wuchernden Zellen festzustellen, besonders da manchmal 
scheinbar auch andersartige als die Endothelzellen mehr vom 
Charakter der Adventitiazellen und der kleinen Lymphocyten sich 
zwischen Endothelzellen nach dem Gefäßlumen zu vorschieben. Die 
perivaskulären Herdchen setzen sich z. T. aus Zellen zusammen 
die nicht mit Sicherheit zu differenzieren sind, aber besonders aus 
gewucherten adventitialen Zellen. 

Welche Gründe für die auffällige Bevorzugung des Ohrläppchens 
maßgebend sind, kann ich nicht entscheiden; vielleicht spielen der 
Gefäßreichtum des Ohrläppchens und der Umstand eine Rolle, daß 
das Gebiet nicht so sehr Bewegungen und traumatischen Einflüssen 
ausgesetzt ist. 

Zu der Frage der Beteiligung von Gewebszellen an der Blut- 
körpercheubildung, besonders der Monocyten, möchte ich auf Grund 
der mir bisher vorliegenden Präparate noch nicht Stellung nehmen. 
Nach Untersuchungen anderer Autoren (Schilling, cf. Lit.) so¬ 
wie eigenen klinisch-hämatologischen Beobachtungen scheint es 
wahrscheinlich, daß die sog. Monocyten ein eigenes System analog 
den myeloischen und lymphatischen Elementen darstellen. So 
deutet manches darauf hin, daß die Monocyten dem gesamten Ge¬ 
fäßendothel (cf. Mallory, endotheliale Leukocyten) entstammen 
und dies vielleicht vorwiegend bei bestimmten Infektionskrank¬ 
heiten, gewöhnlich aber dem sog. reticulo-endothelialen Apparat 
von Milz, Lymphdrüsen, Leber und Knochenmark. Gerade bei der 
ehron. Endoc. 1. wurden häulig Zellen gesehen, die zwischen Endo- 
thelien und Monocyten stehen (u. a. auch bei Schilling und 
Bittorf). Derartige ..Übergangszellen“ lassen sich besonders zahl¬ 
reich in einer bestimmten Phase nach Adrenalininjektion *) be- 

l s lütrubpr uu amleror iS teile iui*t*iihrlu*h. 


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Im strömenden Blut bei Endocarditis leuta Torkommenden Endotkelien. 337 

obachten — manchmal aoch bei Fällen, bei denen sie vorher nicht 
im Blut nachweisbar waren. 

Es scheint die Frage berechtigt, ob wir es hier nicht analog 
unreifen myeloischen oder lymphatischen Zellen mit solchen des endo¬ 
thelialen Systems za tan haben. 

Ehe diese Zusammenhänge völlig klar liegen, müssen wir ans 
auch mit der nichtssagenden Bezeichnung „Monocyten“ abfinden; 
es wäre sehr zu wünschen, wenn von berufener Seite dieser Name 
durch einen besseren — die Herkunft bezeichnenden — ersetzt würde. 

Für die Beurteilung meiner Befunde sei noch besonders hervor¬ 
gehoben, daß ich mir wohl bewußt bin, daß die eine oder andere 
Veränderung auch als Folge der Einstiche zur Blutentnahme ge¬ 
deutet werden könnte. 

Trotzdem lassen die pathologisch-anatomischen Untersuchungen 
wohl folgende Schlüsse zu: 

1. die auch von anderer Seite (bes. Bittorf) ge¬ 
äußerte Vermutung, es fänden sich bei der Endo¬ 
carditis lenta auch periphere Gefäßveränderungen, 
ist richtig. 

2. die intra vitam im menschlichen Blut nach¬ 
gewiesenen großen phagocytierenden Zellen stammen 
vorwiegend vom Ort der Entnahme (hier Ohr). Eine Ver¬ 
schleppung von Endothelien ans inneren Organen in die Peri¬ 
pherie wird nie ganz von der Hand zu weisen sein, jedoch dürfte 
sie nach den bekannten Untersuchungen von Marchand und 
Aschoff-Kiyono praktisch von untergeordneter Bedeutung sein, 
da die großen Zellen ja unterwegs abgefangen werden. Dafür 
sprechen auch meine negativen Befunde am arteriellen Blut. 

Es wird vielmehr so sein, daß man im wesentlichen nur an 
Stellen mit entsprechenden Gefäßveränderungen Endothelien, die 
durch die Reinigung und den Einstich zur Blutentnahme oder durch 
Stauung losgelöst sind, wird auffinden können. 

Das gleiche dürfte für die nur zusammen mit reichlich Endo¬ 
thelien gefundenen hohen Leukocytenzahlen gelten; die Erklärungen 
von Schilling und Bittorf treffen für meine Beobachtungen 
nicht zu. 

Nach einigen Stellen der Präparate (vgl. auch 0gata) scheint 
mir die Annahme gerechtfertigt, daß es in den veränderten Gefä߬ 
bezirken zu einer Anhäufung weißer Blutelemente — vielleicht ver¬ 
mehrter Randschichtenbildung — kommt; vielleicht spielen auch die 

Deutliches Archiv fiir Ulin. Medizin. ßd. -- 


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perivaskulären Zellanhäufungen in dem einen oder anderen Fall 
eine gewisse Rolle. 

Jedenfalls werden auch die bei Endocarditis lenta so seltenen 
Hyperlenkocytosen (Lenhartz, Steinert) jetzt erklärlich. Man 
wird bei der Endocarditis lenta (und vielleicht auch beim Typhus 
abdominalis) zur exakten Feststellung der Leukocytenzahlen zweck¬ 
mäßig ungestautes venöses oder arterielles Blut verwenden, wäh¬ 
rend man die Endothelien am besten im Ohr- (oder Finger-)Blut 
sucht. 

Unsere anatomischen Befunde machen es wahrscheinlich, daß 
man auch sonst am Gefäßsystem gleiche oder ähnliche Endothel- 
veränderungen wird nachweisen können. 1 ) Wir kennen ja solche in 
Leber und Milz bei der Endocarditis lenta und bei anderen Er¬ 
krankungen (Borst, Marchand-Ledingham, Aschoff- 
Kiyono, Herzog, Schilling); sie sind aber auch schon an 
anderen Gefäßbezirken beobachtet (Borst, Herzog). Besonders 
sei hier auch der Befunde bei Typhus abdominalis (Mallory. 
Gr äff) und Flecktyphus (Asch off) gedacht; vielleicht gehören 
hierher auch jene von Endothelien hergeleiteten Riesenzellen von 
Brosch. 

Trifft die Vermutung einer allgemeinen Gefäßveränderung 
bei der Endocarditis lenta zu, so wäre damit eine interessante 
biologische Tatsache gegeben: es wird — hier wohl durch die 
Streptokokken resp. deren Toxine — eine Reaktion des ge¬ 
samten endothelialen Systems hervorgerufen, die in 
mehr oder weniger hochgradiger Zellwucherung (mit 
Phagocytose) besteht. 

Es ist danach auch die Frage berechtigt, ob nicht solche Ge¬ 
fäßveränderungen — ganz abgesehen von ihrer allgemeinen Be¬ 
deutung für die Erklärung krankhaft veränderter Gefäß- und 
Kapillarfunktion — außer zu Blutungen auch direkt oder indirekt 
zu der gerade bei Endocarditis lenta so häufigen Embolie und 
Thrombose Veranlassung sein können. Von besonderem Interesse 
wäre es, ob sich etwa bei der L ö h 1 e i n ’ sehen embolischen Herd¬ 
nephritis an Stellen, an denen Embolien zu beobachten sind, auch 
derartige Gefäßwandveränderungen nachweisen lassen. 

Weitere anatomische Untersuchungen auf diesem Gebiet werden 

ll Antn. bei d. Korrektur: cf. Jnngmaun, Deutsche med. Wochenschr. 
l'.iiil, Nr. 18, sowie die dort citierten Arbeiten von Lubarsch und Krttck- 
m a n n. 


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Im strömenden Blnt bei Endocarditis lenta vorkommenden Endothelien. 389* 

sich auf alle die Erkrankungen zu erstrecken haben, bei denen 
in vivo Endothelien nachgewiesen sind. Denn es wäre von großer 
diagnostischer und prognostischer Bedeutung, wenn derartige Endo¬ 
thelbefunde einen sicheren Rückschluß auf allgemeine Gefäßwand¬ 
schädigungen gestatteten. 

Köln, Mai 1921. 


Literatur. 

1. Aschoff, Med. Klinik 1915. 798. — Ascboff-Kiyono., Fol. haem. 
A. 15.' Verb. d. path. Ges. 1913. — Bittorf, Dentscbes Arch. f. klin. Med. 133, 
64; Kongreß f. innere Med. 1920. — Borat, Lubarsch-Ostertag 1897, 4, 461. — 
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chand-Ledingham, Zeitschr. f. Hyg. n. Infekt. 47, 1. — Naegeli. Blut¬ 
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Boston medic. and surgical Journ. 156, 390. — Ogata, Ziegler’s Beitr. 55. — 
Patella, Cit. nach Schilling. — Rowley, Journ. of experim. medic. 10, 78. — 
Schilling, Zeitschr.f. klin.Med.88, 377. — Schmidt, M. B. Ziegler’s Beitr. 11. 

— Steinert, Münchener med. Wochenschr. 1910, 1927. — Weill. Fol. haem. A. 
26, 27. 


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Aus der II. mediziu. Klinik der Universität Mönchen 
(Vorstand: Prof. Friedrich Möller). 

Der Harnsänregehalt des Blutes bei Erkrankungen der 
Niere im Vergleich znm Reststickstoff und Kreatinin. 

Von 

Erich Krauß. 

Nachdem Haas in der Höhe des Blutindikans einen besondere 
feinen Gradmesser der Niereninsufficienz gefunden za haben glaubte, hatte 
sich das Interesse der letzten Jahre vor allem dem Indikan und Krea¬ 
tinin zugewandt (Rosenberg, Feigl, Stepp, Becher). Rosen¬ 
berg konnte jedoch zeigen, daß der Harnstoffgehalt des Blutes bei be¬ 
ginnender Niereninsufficienz in der Regel früher in die Höhe geht als 
das Indikan und das Kreatinin. Die Arbeiten hatten aber auch ein 
positives Resultat, indem sie dartun, daß ein erhöhter Indikan- oder 
Kreatiningehalt des Blutes troz normalen Harnstoffgehalts bei chro¬ 
nischem Verlauf, des Nierenleidens ein prognostisch ungünstiges Zeichen 
bedentet und ein baldiges Wiederanschnellen der Stickstoffschlacken im 
Blut ankündigt. 

Gestützt auf zahlreiche Blutuntersuchungen an Nierenkranken 
gilt an unserer Klinik schon seit Jahren (siehe auch von Monakow, 
Th au n hause r) die Beobachtung als gesichert, daß nicht die Harn¬ 
stoff-, sondern die Harnsäureausscheidung diejenige Partialfunktion 
der Niere ist, die am ehesten leidet. Die gleiche Wahrnehmung 
haben auch Myers, Fine und Lough gemacht. Die Tatsache, 
daß bei schweren Nephritiden eine U-Vermehrung im Blut vor- 
kommt, war bereits Garrod bekannt und wurde von v. Jaksch, 
Strauß, Kocher. Brugsch und Schittenhelm, Folin, 
Myers und ihren Mitarbeitern bestätigt. 

Die vorliegenden Untersuchungen 1 ) beziehen sich auf den Harn- 
.sHiiregehidt, den Kreatiningebalt und den Rest-N des Blutserums bei 
den verschiedenen Formen der Nierenerkrankungen unserer Klinik 
während der letzten 2 1 Jahre und sollen die besondere Emflndlichkeit 
der Harnsaureausscheidung dartun. lu den Tabellen ist immer nur ein 
Teil des zur Verfügung stellenden Materials aufgenomraen, das zu den 

1) Herrn I>r. Sch wen kert und Krl. Hr. W e i n s r li e li k spreche ich hier 
meinen Hank fiir ihre Hut ereilt/uiur hei den Bestimmungen aus. 


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Der Harnsiinregelialt des Blotes bei ErkrankoDgen der Niere usw. 341 

ausgeführten FestlegoDgen diente. Die Blutentnahmen erfolgten fast 
durchweg bei purinfreier Kost. Der Rest-N wurde durch Kjeldahlisieren 
bestimmt, Harnsäure und Kreatinin nach den an unserer Klinik üblichen 
Modifikationen der kolorimetrischen Methoden von Fol in und Denis, 
der Harnstoff mit ürease, das Kochsalz nach Volhard. Mit wenigen 
Ausnahmen wurde neben dem Rest-N der Harnstoff nicht bestimmt. 
Bekanntermaßen hat der Harnstoff bei Rest-N-Werten zwischen 25—60 
mg°/ 0 immer ungefähr denselben prozentualen Anteil am Rest-N. Ein 
Rest-N-Wert von 40mg°/ o im Blutserum begreift deshalb auch den nor¬ 
malen oberen Harnstoffwert in sich. 

Bei purinfreier Kost habe ich im Blutserum 3,0—3,3 mg°/ 0 U 
als oberen Normalwert gefunden. Die Beobachtung von Fei gl 
und Gudzent, daß die alten Leute im Durchschnitt einen höheren 
Ü-Gehalt des Blutes aufweisen als junge, wird durch meine Zahlen 
von gesunden Menschen nicht bestätigt, sobald ich die Nieren¬ 
sklerosen ausschalte, deren Verhalten weiter unten besprochen 
werden soll. Die beiden Autoren haben allerdings ihre*Bestimmun- 
gen bei gemischter Kost gemacht, worauf die divergierenden Re¬ 
sultate leicht zurückgeführt werden können. Die Abhängigkeit des 
Ü-Gehaltes im Blut von der Nahrungszufuhr hat bereits Wein- 
traud als bedeutungsvoll erkannt. 

Die Vermehrung der Harnsäure im Blut von Gichtikern ist 
seit Garrod’s klassischer Beschreibung der Gicht ein bekanntes 
pathognomonisches Zeichen dieser Krankheit (von Jaksch, 
Klemperer u. a.). Die Behauptung von Folin und Denis 
jedoch, daß jede Ü-Vermehrung bei normalem Rest-N des Blutes 
eine der vielgestaltigen Formen der gichtischen Diathese aufdecke, 
entspricht keineswegs den Tatsachen. Außer den Nierenerkrankun¬ 
gen gibt es noch eine ganze Reihe von Krankheitszuständen, die 
mit einer vermehrten Blutharnsäure bei normalem Rest-N einher¬ 
gehen. In erster Linie ist hier die Leukämie und Pseudoleukämie 
zu nennen (Magnus-Levy, Kocher Brugseh und Schitten- 
helm). Bei einer akuten Leukämie wurde an unserer Klinik der 
enorme Wert von 34 mg°/ 0 U im Blutserum beobachtet. Unter 
den Infektionskrankheiten ist die vermehrte Blutharnsäure für die 
Pneumonie von v. Jaksch, Kocher nachgewiesen, für das Ery¬ 
sipel von Kocher. Das gleiche gilt auch für die Polyoy thämie 
und die Sepsis. Mit dem Kreatinin (Rosenberg) hat die Harn¬ 
säure das Gemeinsame, daß sie bei schweren Herzinsufticienzien 
(v. Jaksch, v. Monakow) und im Coma diabeticum meist ver¬ 
mehrt ist. Die Harnsäure zeigt sogar auch hier schon eine Er¬ 
höhung, wo das Kreatinin und der Rest-N noch ein normales Ver- 


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342 


Krauss 


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halten aufweisen. Sie ist ferner erhöht, meist als alleinige Kom¬ 
ponente des Rest-N bei manchen Formen des Carcinoms (Kocher). 
Die Kohlenoxydvergiftung (Czoniczer), aber auch andere Ver¬ 
giftungen schwereren Grades weisen eine vermehrte Blutharnsäure 
auf, ln schwereren Fällen ist ebenfalls das Kreatinin erhöht, und 
der Rest-N zeigt terminal eine geringe Erhöhung. Am prämortalen 
Rest-N-Anstieg nimmt die Harnsäure in besonderem Maße teil, 
während das Kreatinin lange nicht dieselbe Vermehrung aufweist. 

Tabelle 1. 


Nr. 

Diagnose 

Bemerkungen 

u 

Kreatinin 

Rest-N 

1 

Aorten- 

insafficienz. 

dekompensiert. 

6,18 


27,36 

2 

Kombinierter 
Aorten u. Mitral¬ 

Asthma cardiale, Ödeme. 

4,5 

2,1 

32.04 


fehler. 





8 

Muskuläre Herz- 

Kompensiert. 

2,25 

1.0 

35.10 


insufficienz. 

Dekompensiert. 

3,55 

1,1 

28.08 

4 

Sepsis. 

7,75 

2,25 : 

47,03 

a 

Pneumonie. 


3.85 


25.27 

6 

Pneumonie. 


3,95 

— ■ 

30,82 

7 

Diabetes 

Blutzucker 

3,5 

1,1 

39,31 


mellitus. 

383 mg % (Bang). 

i 

83,61 



Blutzucker 700 mg°/ 0 . 
Ooma diabeticum. Exitus 
l 1 /* Std. später. Sektion: 
Schram pfnieren. 

6,9 

1,85 

32,07 

H 

(■hron. myeloi¬ 

7,23 

2,10 ' 


sche Leukämie. 





Akute myeloi¬ 


34,0 

—- 

— 


sche Leukämie. 




9 

Polycythämie. 

Blutdruck RR 75. 

4,65 

— 

26,68 . 


systolisch. 

i 



10 

! Polvcythäinie. 

| Blutdruck RR 180/110. 

1 7.30 

f 2.85 

26,67 

11 

Carcinomatose. 


i 5,85 

• —- 

17,55 

12 

Pa der pars 

RR 140/120. Wasser ver- 

i 5,10 

1 ,7 

21.0« 


pylorica. 

such tadellos. Purinzulage; 
in Form von Gehirn ohne! 





Verzögerung ausge¬ 






schieden. 




18 

( iasvergiftung. 


6,35 

— 

31.59 

14 

Gasvergiftung. 


5,2 

2,8 

30,89 



Ante exitum. 

6.0 

2,35 

49.14 

i;> 

Gasvergiftung. 

Urin in 12 Std. 655 ccm 
Ü 0,0148°' =0,*,934 g, bis 

6.6 

l.l 

l 

50,54 


, 

zum Tod 6 Std.: 170 ccm 





U 0.0404% - 0.0789 g, in 
18 Std. 0,3723 g. 


1 i 


10 

Lysolvergiftung 

3.85 

_ 1 1 

22.4 

17 

i Veronal- 

vergilt nng. 

■ 

3,90 

' 1,25 ■ | 

30.89 

IS 

Benigne Nieren- 

Kurz vor dem Tode ent- 

4.15 

: 1,8 

42,12 


. sklerose. 

1 110 m men. 

7.25 

1,5 | 

77,28 


Gck igle 


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Der Harusäuregehalt des Blates bei Erkrankungen der Niere usw. 343 


Die U-Vermebrang im Blut dürfte bei den angeführten Krank¬ 
heitszuständen größtenteils durch einen gesteigerten Abbau von 
Kernsubstanzen hervorgerufen sein. Heilner und Petri haben 
zugleich mit dem prämortalen Rest-N-Anstieg das Auftreten von 
Abbaufermenten im Blut nachweisen können, die gegen das Organ¬ 
eiweiß des gleichen Individuums gerichtet waren. Es stellen sich 
offenbar schon viele Stunden vor dem Tode gewaltige Umwälzungen 
im Organismus ein, die davor warnen, Beobachtungen am Leichen¬ 
gewebe auf den lebendigen Organismus anzuwenden. Von der 
Leukämie wissen wir durch Magnus-Levy, daß dem erhöhten 
Ö-Gehalt des Blutes eine vermehrte Harnsäureausscheidung im 
Urin entspricht. Man darf wohl annehmen, daß die Ambard’sche 
Konstante mit derselben Reserve auf die Harnsäure angewandt 
werden kann wie auf den Harnstoff (McLean, v. Monakow) 
und das Kreatinin (Brogsitter). Zum Unterschied von den 
Nierenerkrankungen dürfte in den meisten Fällen von gesteigertem 
Zellzerfall die Ambardsche Konstante wenig verändert sein. Bei 
der Gasvergiftung (Nr. 15) geht das weniger aus der prozentualen 
als aus der absoluten Höhe der U-Ausscheidung im Urin hervor. 
Beim Carcinom (Nr. 12) ist eine erhöhte Blutharnsäure begleitet 
von einer vollkommen normalen täglichen Ü-Ausscheidung von 
durchschnittlich 0,34 gr (purinfreie Kost). Die Amard’sche Kon¬ 
stante ist infolgedessen überschritten. Eine Purinzulage wird 
prompt am 1. Tag ausgeschieden. Dieses abweichende Verhalten 
kann vielleicht durch weitere Untersuchungen noch geklärt werden. 

Um eine Erhöhung der Harnsäure im Blut auf eine Funktions¬ 
störung der Nieren zurückführen zu können, dürfen demnach außer 
den Symptomen des Nierenleidens keine von den eben erwähnten 
krankhaften Zuständen mit im Spiele sein. Dies gilt vor allem 
für die Untersuchungen bei den genuinen Schrumpfnieren, die sehr 
oft von einer schweren Herzdekompensation begleitet sind. Sehen 
wir also von diesen Komplikationen ab, so ist unter" den akuten 
Nephritiden unserer Klinik während der letzten 2 Jahre kein Fall 
beobachtet, wo ein anderer N-Bestandteil im Blutserum erhöht ge¬ 
wesen wäre ohne Vermehrung der Harnsäure, dagegen eine ganze 
Reihe, wo nur die erhöhte Blutharnsäure auf eine beginnende Nieren- 
insufficienz hin wies. Aus der Arbeit von Fine und Chace geht 
hervor, daß die Erhöhung der Blutharnsäure bei der Nephritis in 
der Hauptsache auf eine Retention zurückzuführen ist (s. Tab. 2). 

Bei der akuten Nephritis ist es weitaus die Regel, daß nicht 
zuerst der Harnstoff, wie Rosenberg meint, sondern die Harn- 


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344 


Kbä US8 

Tabelle 2. 




Nr. 

Diagnose 

Bemerkungen 

ü 

Kreatinin 

Rest-N 

19 

Akute Nephritis. 

! i 

i i 

3,5 

2,0 

26,32 

20 

n 

1 Ü-N 12,99 = 43°/ 0 des 

Rest-N. 1 

4,05 

1,55 

30,19 

21 

n 


4.0 

2.0 

28,0 

22 

n 


4,4 

1,5 

42,12 

23 

n 

Alb.: Kuppe; Hämaturie, 
Cyliudrnrie. 

Alb. Opal. Sediment o. B. 
Außer Wasserausscheiduug 
keine Stürnng. 

6,5 

5,0 

3.0 

2,0 

48,0 

22,4 

24 

n 

Alb. 1/2 0/00 Esbach^ 
Hämaturie, Oylindrurie. 

I Alb., vereinzelte Erythro- 
cyten undhyaline Zylinder. 

10,2 

5,0 

4,55 

2,4 

72,3 

41,41 

25 

)7 


5,0 

2,5 

42,8 

20 

n 

Ü-N 14,04 = 63% des 
Rest-N. 

3,5 

2,2 

26,5 

27 

» | 

j 

Ü-N 38,61 = 58% des 
Rest-N. 

6,4 

1 

3,0 

66,5 

säure 

zuerst ansteigt, und beim Ausgang 

in Heilung ist es meist 

wieder die Harnsäure, die noch am längsten eine Erhöhung im 
Blut aufweist. 


Da die Harnsäure im Blut bei den abheilenden akuten Nephri¬ 


tiden oft am längsten erhöht bleibt, entspricht es ganz unseren 
Erwartungen, wenn wir die Harnsäure bei chronischen Nephritiden 
oft als alleinig erhöhten N-Bestandteil antreffen (s. Tab. 3). 

Fall Nr! 31 ist einer jener typischen Fälle, die auf eine diäte- ; 
tische Behandlung hin eine allgemeine Besserung erfahren. Im j 
Wasserversuch zeigt nur mehr die Wasserausscheidung eine merk- ; 
liehe Storung, während die Verdünnungs- und Konzentrationsfähig- j 
keit noch leidlich erhalten ist. Unter den N-Komponenten des j 

Blutes ist es zum Schluß nur die Harnsäure, die auf eine noch ; 

weiter bestehende Funktionsschädigung der Niere hinweist. j 

Das Gleiche gilt auch für die sekundären Schrumpfnieren, j 

solange sie durch ihre Polyurie kompensiert sind (s. Tab. 4). J 

Unter den Schrumpfnieren gibt es Formen ohne hochgradige ! 
Funktionsstörung, die andauernd leichte Kopfschmerzen, leichtes ] 
Sehwindelgot'iihl mit Brechreiz haben und bei jeder Steigerang I 
dieser cerebralen Störungen eine leichte Erhöhung der Blutharn- t 
säure und weniger ausgesprochen auch des Blutkreatinins zeigen, 
während der Kest-N keine Änderung erfährt und der Wasserver- 
“■meh keine Verschlechterung gegen fiüher aufweist (Fall Nr. 34 


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Der Harnsäuregehalt des Blutes bei Erkrankungen der Niere nsw. 345 


Tabelle 3. 



Diagnose 


Bemerkungen 


U 


Kreatinin 

i 


Rest-N 


28 


29 

30 


jChron. Nephritis. 


Wasseransscheidnng über¬ 
schießend. Verdünnung u. 

Konzentration gut. 
Wasserversuch tadellos. 
Retinitis albnminnrica 
Wasser versuch schlecht. 


31 


Alb. 1/2 Säule, Hämaturie, 
Cylindrurie,Was8erveisuch 
sehr schlecht Blutdruck 
175 90. 

Blutdruck 15095. 

Blutdruck 14590. 
Blutdruck 140/85, Alb. 1/5 
Säule, Hämaturie, Zylinder 
wenig. Verdünnung gut, 
Wasseraussrheidung und 
Konzentration schlecht. 

8 Monate später: Alb. 
Kuppe, wenig Erythroc, 
Konzentration u. Ver¬ 
dünnung gut, Wasseraus-j 
Scheidung noch mäßig. | 


5,25 


2,05 


36.1 


5.05 

6,0 

6,0 

6,0 

6,85 


1,25 

5.5 

3.6 
4.5 
8.2 


39,66 

42,12 

56,16 

67,0 

108,81 


9,90 

6,15 

4.0 


2,0 


115,83 

99,68 

44,93 


4,5 


2,0 


42,12 


und 35). Der Ü-Anstieg im Blut zeigt in diesen Fällen eine par¬ 
tielle Verschlechterung der Nierenfunktion an und erweist sich 
auch hier als ein äußerst feiner Indikator. Man wird jedoch kaum 
in. der Harnsäure selbst den toxischen Stoff vermuten dürfen, der 
durch seine vermehrte Anhäufung im Blut die cerebralen Störungen 
hervorruft. 

Für die Prognose des chronischen Nierenleidens leistet die 
Ü-Untersuchung des Blutes dasselbe wie das Kreatinin und das 
Indikan. Im Gegenteil, sie weist noch Störungen nach, wo das 
Kreatinin versagt. Wenn man die Reihenuntersuchungen daraufhin 
ansieht, so scheint die Blutharnsäure viel enger dem Schwanken 
des Rest-N zu folgen als das Kreatinin. Dies ist jedoch nicht 
durchweg der Fall, was ebenfalls von den Amerikanern beobachtet 
wurde. Die Höhe der Harnsäure sagt nichts Sicheres über die 
Höhe des Rest-N aus. Bei Nierenkranken können Ü-Werte bis zu 
6 mg°/ 0 mit normalem Rest-N einhergehen, in anderen Fällen aber 
auch mit einer Erhöhung des Rest-N aufs Doppelte und Dreifache 
des Normalen. Wenn die Urämie klinisch deutlich ausgesprochene 
Symptome bietet, das Serum-NaCl schon absinkt, steigt der Rest-N 
immer noch weiter an. Die Harnsäure bleibt meist auf derselben 
Höhe stehen oder kann sogar etwas absinken. Der Fall Nr. 35 


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346 


Kkauss 


Tabelle 4. 


Nr. 

Diagnose 

I 

Bemerkungen l Datum 

i 

u 

Krea- 

tinin 

Re»t-N 

KiT 

32 

Sekundäre 

27. X. 20. 

6,0 

2,0 

40,72 

596 


Sehrumpfniere. 

Besserung. 10. XI. 20. 

4,55 

1,25 

35,1 

560 

33 


29. VII. 19. 

6,25 

2,2 

84.24 




„ 14. IX. 19. 

4,? 


21.0 

580 

34 

Retinitis albu 

Kopfschmerzen, Brechreiz. 9. I. 21. 

4,05 

\ 2,0 

33.69 

570 


minurica. 

Besserungd. Beschwerden.! 5. II. 21. 

:3,: j 0 

— 

35:686 

580 


Sekundäre 

Beschwerden stärker, i Einige Mo- 

5,10 

2.5 

35.1 

610 


Schrumpfniere. 

eingenommener Kopf, nate später 






j 

Schwindelgefühl. j 







Besserung abermals. 7 Tage später; 

3,0 

2,0 

32.29 

590 

35 

n 

Wasserversuch ohne deut. 1 11. V. 20. ' 

4,45 

— 

19.66 

581' 


36 


u 


38 


■fci Sekundäre 
Schrumpf niere. 


liehe Störung. Blutdruck 
schwankend zwischen 
170/110 und 270/180. Kopf¬ 
schmerzen. 


Kopfschmerzen leichter. 23 

VI. 

20. 

3,65 

— 

28,08 

585 

Apoplektischer 7. 

Insult. 

III. 

21. 

3,5 

3,0 

28,78 

DSU 

Soporös, Erbrechen. 26. 

IV. 21. 

8,5 

— 

71,64 

— 

Hat sich wieder erholt. 30. 

VI. 

21. 

5,45 

2,55 

32.0 

590 

Frei von Beschwerden. 25. VII. 21. 
Kopfschmerzen, Schwindel. 

2,6 

4,5 

2,0 

2,5 

32,0 

30.8 

f»i 

6lXi 

| U-N 56,16 = 78 °/ 0 des 1. 

! Rest-N. 

X 

20. 

7,1 

5,5 

72,02 

— 

Remission 8. 

X. 

20. 

52 

2,65 

56,82 

560 

15. 

X. 

20. 

7.2 

5.0 

116,53 

56t' 

1 1. 

XI. 

20 

8,5 

6,9 

11<>,92 

590 

!8. 

XI. 

20. 

10,1 

9,56 

148.23 

570 

Urämie, Exitus. U-N 22. 
180=89 % des Rest-N. i 

XII. 

20. 

i 

14,7 

1 

12,1 

202,18 

46t) 

Alb. 5/6 Säule, Zylindrurie. 19. 
keine Ervthroeyten. Blut¬ 
druck 130/70. Allgemeiner 
Hydrops. NaCl wird reti* 
niert, Ü-Zulage gut elimi¬ 
niert. 

XI. 

15. 

i 


35.0 

1 

■Urämie, Cor normal, Blut- 16. 
druck 105/57. Dauerndes 
Erbrechen. Alb. 1/3 Säule, 
wenig Zylinder. Soporös. 

IV. 

21. 

! 11,8 

20,0 

292,03 

50» 

Ante exituin. 18. 

IV. 

21. 

11,25 

30,0 

| 

| 342,58 

480 

22. 

VI. 

19. 

! 5,0 


1 50,89 

! 625 

12. 

. v. 

21. 

6,5 

9,5 

133,0 

6U‘ 

Benommenheit. Erbrechen. 18. 

V. 

21. 

j 6,5 

; 9,0 

147,42 

1 605 

Krampfanfälle. 20. 

V. 

21. 

! 9,2 

! 13,7 

— 

; 60' 

Ante exitum. 21. 

V. 

21. 

15,0 

15,3 

204,98 

i 56 ' 

Blutdruck 155 95. 23. VIII. 

20. 

4,23 

| 1,9 

43,88 

64»' 

Blutdruck 135 100. 12. 

IX. 

20.: 

4,40 

1 2,65 

43,75 

57' 

Blutdruck 250/130. 22. 

IX. 

21. 

9,6 

1 9,5 

182,0 

5fv 

Urämie von asthenischem 24. 
Typ- 

IX. 

21. 

| 15,0 

20,0 

224,0 

53 

Blutdruck 160/70. *26. 

IX. 

21. 

1 18,6 

i 28,0 

273,0 

490 

Ante exitum. 27. 

IX. 

21. 

16,4 

22,0 

295,0 

4 10 


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Gck 'gle 


Original fro-m 

UNIVERSITY OF CALIFORNIA 



Der Barn*änregehalt des Blutes bei Erkrankungen der Niere nsw. 347 


Fortsetzung von Tabelle 4. 


Nr. Diagnose 


W Gicht- 
schrnjnpfnieie. 
11 Bleigicht- 
schrumpfniere. 


4> Subehronische 
Glomerulo¬ 
nephritis. Blei 
1*5 Sublimat- 
niere. 


Bemerkungen 


1903 typischer Gichtanfall. 
Herzinsnfficienz, Exitus. 
Mit 26 Jahren 1. Bleikolik. 


Urämie, Exitus. 

1914 Bleikolik, 
Urämie, Exitus. 

1. Bleikolik mit 15 Jahren,! 
Urämie. 

Ante exitnm. 
Chemigraph, 1905 Gicht¬ 
anfall. I 

Urämie, Exitus. j 
1884 Bleikolik, allgemeiner 
, Hydrops, Hydrämie. 

; Kachexie, Exitus. 

Am 5. V. 20. abends Sub¬ 
limat eingenommen. An-| 
urie, Oligurie. ! 
Erbrechen, profuse blntiee; 
Diarrhöe, Blutdruck 123/65. 

Blutdruck 153/75. 

17. V. 20. Exitus. 


Datum 


IV. 19. 
IX. 20. 
XI. 19. 
VII. 20. 
VII. 20. 
VII. 20. 
XII. 19. 

I. 21. 

IX. 20 

IX. 20. 
III. 20. 

III. 20. 
II. 20. 

II. 20. 
V. 20. 


7,84 10,0 

4,25 : — 

10.0 ! 3,55 
9,54 ' 10,0 


V. 20. 9,96 13,6 


V. 20. 
V. 20. 


11.04 16.7 

li;62 15,3 


Rest-N 


23,16 

63,18 

214.81 

108.10 

163;21 

238,68 

39,31 

44,92 

280,1 

321,52 

71,95 

183,92 

37,21 


146,06 

160,06 

238,68 


zeigt, daß auch ein Blutharnsäurewert von über 8 mg°/ 0 nicht das 
sichere Eintreten einer tödlichen Urämie voraussagt. In unseren 
Fällen war erst ein Ü-Wert von über 10 mg°/ 0 ein prognostisch 
ungünstiges Zeichen. 

Der höchste von mir beobachtete U-Wert bei Nierenkranken 
war 19,5 mg°/ 0 (mit 30 mg°/ 0 Kreatinin und 321,52 mg°/ 0 Rest-N) 
und gehörte einem Fall von Bleigichtschrumpfniere zu. Es ist be¬ 
merkenswert, daß Gicht- und Bleigichtschrumpfnieren trotz gleichen 
Rest-N-Gehaltes meist mit einem höheren Blutharnsäurewert aus¬ 
gezeichnet sind im Vergleich zu den rein entzündlichen Schrumpf¬ 
nieren. Bei den Gichtschrumpfnieren folgt die von Anfang an stark 
erhöhte Harnsäure dem Anwachsen des Rest-N äußerst träge. 

Die Nephrosen haben einen normalen Gehalt des Blutes an 
Harnsäure, Kreatinin und Rest-N, solange das Konzentrationsver¬ 
mögen erhalten ist. Sobald dieses aber auch eine merkliche Störung 
erleidet, tritt bei normalem Rest-N eine Steigerung zuerst der Harn¬ 
säure und dann auch weniger hervorstechend des Kreatinins ein. 
Hier dürfte der ll-Untersuchung des Blutes eine besondere pro¬ 
gnostische Bedeutung zukommen (S. Tab. 5). 


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348 


Kra IJSS 


Tabelle 5. 


Nr. ! 

1 

Diagnose 

47 

Nephrose. 


48 

49 

50 

51 


, Amyloidniere. 

Nephrotische 
Schrumpfuiere') 

Amyloidniere. 

Amyloidniere. 


Bemerkungen 


Wasseransscbeidnng 
schlecht; Verdünnung, 
Konzentration gut. NaCl- 
u. U-Zulagen etwas ver j 
zögert ausgeschieden. \ 
Wasserausscheidung j 
schlecht. Verdünnung, . 
Konzentration gut. 
Wasserausscheidung 
schlecht, Isosthenurie, [ 
Polyurie. , 

Nierenfunktion erheblich 
gestört. 

Nierenfnnktion erheblich 
gestört. | 


i 

Ü 'Kreatininl Rest-N 


2,45 — 24.57 


3.25 


7,3 

5.9 


1.0 


4.25 — 


2,5 

2,55 


35.1 

37,9 

38,61 

33.69 


Die arteriolosklerotischen Nierenkrankheiten mit gutartiger 
Tendenz, die man vielfach nach Volhard auch als benigne Nieren¬ 
sklerosen bezeichnet, zeigen hinsichtlich der Blutharnsäure in 
unseren Fällen ein ganz regelloses Verhalten. Es fand sich ein 
ganz normaler U-Wert in Fällen, die gekennzeichnet waren durch 
eine Störung der Wasserausscheidung, die ferner eine Harnstotf- 
oder Kreatininzulage leicht verzögert herausbrachten. In anderen 
Fällen gleichen Charakters war die Harnsäure wiederum einwand¬ 
frei erhöht, ohne daß eine Herzdekompensation dafür anzuschuldigeu 
wäre. Daß die Blutharnsäure sehr oft einen normalen Wert hat 
bei den Formen, die keine Störung der Nierenfnnktion aufweisen, 
entspricht eigentlich unseren Erwartungen. Es ist keine von den 
gutartigen Formen der genuinen Schrumpfniere an Urämie gestorben, 
sondern an Apoplexien, Herzinsufficienz oder interkurrenten Krank¬ 
heiten. Die Harnsäureerhöhung des Blutes bei einer genuinen 
Schrumpfniere sagt deshalb nichts aus über den weiteren Verlauf. 
Wie z. B. Fall Nr. 59, kann sie später einmal eine Neigung zur 
N-Retention an den Tag legen oder aber wie Fall Nr. 57 bis ans 
Ende den gutartigen Charakter bewahren. Hier leistet die U-Be- 
stimmuug im Blut in diagnostischer Hinsicht und prognostisch eher 
weniger als die Kreatininbestimmung, insofern als die später sich 
zweifellos als maligne erweisenden genuinen Schrumpfnieren unseres 
Materials auch im kompensierten Stadium bereits eine Vermehrung 
des Kreatinins neben der Harnsäureerhöhung aufweisen. Den sog. 

!.• Veröffentlicht Peutsch. Archiv 1920. Bd. 133. S. 183. 


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Der Harnsäuregehalt des Blutes bei Erkrankungen der Niere usw. 349 


benignen Formen kommt diese Kreatininerhöhnng nicht zn. Im 
dekompensierten Stadium bieten die zur Urämie neigenden Formen 
der genuinen Schrumpfniere keine anderen Gesichtspunkte als die 
sekundären Schrumpfnieren (s. Tab. 6). 


Tabelle 6. 


Nr. 

Jahre Dia « n08e | 

Bemerkungen 

. 

r 

Datum j 

U 

Krea¬ 

tinin 

Rest-N 

;,«) 

i 

52 i Gutartige ar- 

Apoplexie 1918, Kopf¬ 

17. 

i 

IX 19. | 

3.0 


21,0 


teriolosklero- 

schmerzen, Schwindeb 







tische Schrumpf- 

Wasserversuch gut. Alb. 


1 





niere. 

—, geringe Cylindrurie. 


t 




X) 

74 

Kopfschmerzen, Wasser¬ 

3. 

VII. 2t. 

3,25 

2,0 

27,0 



versuch schlecht. 


f 


54 

54 1 1 

H i r> | 

Wasser ausscheidungs¬ 

9. VIII. 21. i 

2,3 

1.25 

17,55 


! 

kurve plateauartig hin¬ 
gezogen, Polyurie, Nykt- 





IJ-N 



urie. NaCl-, Ü-Zulage 








etwas verzögert, Kreatinin¬ 




. 



• 

zulage glatt ausge¬ 




I 



i 

schieden. 






,V> 

62 ' 

1919 Retinitis circinata. 
Wasserausscheidung tiber- 

27. 

X. 20. 

4,6 

t.7 | 

37,91 



schießend, Verdünnung, 
Konzentration leidlich. 




1 

. 



75 

Angina pectoris. Wasser¬ 
versuch schlecht, Nykturie. 

30. 

VII. 21. 

3,55 

1,75 [ 

31.59 

.17 

63 

Emphysem, Vitium cordis 26. 

III. 19. 

4,8 

— 

28.67 



kom pens. W asserversuch 



i 




schlecht, f 1. XII. 19 

| 



1 




an Herzinsufficienz. 

! 



; 


> 

f 

72 

1916 Apoplexie. Kopf¬ 
schmerzen. f 29. IX. 19 

1. 

VII. 19. 

4,65 


43,87 

j 


an Herzinsufficienz. 

I 

i 



! 


1 :n 

56 

Stenocardie. Wasser ver¬ 

i 



i 

I 



' Übergang zur 

such schlecht. 

11. 

VI. 19. 

! 3.85 

I _ 

! 38,61 


malignen Form. 


29. 

VI. 1». 

i 6.10 

— 

57.91 



11. 

XII. 20. 

4.9 

2.4 

45.63 



2. IV. 21 f Herz- 

15. 

I. 21. 

; 4,0 

2,5 

41,42 



insufficienz. 



i 



Hl 

Genuine 


7. 

I. 21. 

I 4,25 

8,0 

87,05 

j 

Schrumpf niere, 

t 20. IV. 20 Broncho¬ 

24. 

I. 21. 

| 3,55 

3,0 

1 42,12 

i 

i maligne Form. 

! 

II. 21. 

j 4,8 

4,5 

! 44,93 

t 

pneumonie. 


X. 19. 




; «‘*1 


Betinitis circinata. 

24. 

| 7,5 

3,4 

; 78.62 

* 

i " 

: ! 

Wasser versuch sehr 






schlecht. 



, 




1 

Vitium cordis kompensiert 

14. 

I. 20. 

5,45 

— 

40,71 



20. 

IV. 20 

6.65 

4,2 

i 54,7 




10. 

VI. 20. 

1 9.15 


' 82,8 




i r>. 

VI. 20. 

11.13 

— 

103,4 




m. 

VI. 20. 

7.12 

4.25 

84.2 



' Ante exitum. ßrouoho- 

: 4. 

VII. 20. 

! 12,2 

5,6 

1 123.5 


67 w 

pneum. 

! 





»W 

; Hemiplegie. 

24. 

IV. 20. 

5.55 

— 

44.7 



Ante exitum. 

3. 

V. 20. 

12,4 

— 

182.5 



Venenthrombose, y ilerz- 








insufricienz. 






1 

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Original from 

UNIVERSITY 0F CALIFORNIA 






Der Harnsänregebalt des Blutes bei Erkrankungen der Niere usw. 351 

, Die Fälle reiner Hypertonie (s. Tab. 7), bei denen auch bei längerer 
Beobachtung nie Anhaltspunkte für eine Nierenstörung aufznfinden 
sind und auch post mortem sich mikroskopisch keine Nierenver¬ 
änderungen' nach weisen lassen, schließen sich in dem Verhalten 
ihrer Blutharnsäure den sog. benignen Nierensklerosen an. Bereits 
Kocher hatte bei 2 derartigen Fällen einen vermehrten D-Gehalt 
des Blutes festgestellt, und wenn man die von v. Monakow mit¬ 
geteilten Fälle daraufhin ansieht, so fällt dem Betrachter sofort 
auf, daß neben wenigen Ansnahmen die Harnsäure eine Erhöhung 
aufweist. 1 ) Nimmt man die Familienanamnese dieser Hypertoniker 
sorgfältig auf, so läßt sich meist bei näheren oder entfernteren 
Verwandten eine der vielgestaltigen Formen des „arthritisme“ 
nachweisen. Es kann deshalb die Vermutung nicht allzusehr be¬ 
fremden, daß der meist erhöhte D-Wert bei diesen Hypertonikern 
ebenfalls auf die Zugehörigkeit dieser Fälle zu dem Komplex des 
„arthritisme“ hinweist, über dessen letzte gemeinsame Ursache wir 
Doch im Dunkeln sind. Wer der Anschauung ist, daß die Hyper¬ 
tonie in jedem Fall nephrogenen Ursprungs ist, wird in der Blut¬ 
harnsäureerhöhung dieser Hypertoniker einen Beweis seiner An¬ 
sicht sehen. 

Zusammenfassung. 

Die Anschauung von Fol in und Denis, daß ein erhöhter 
Ö-Gehalt des Blutes bei normalem Rest-N auf eine gichtische Dia- 
these hin weist, entspricht nicht den Tatsachen. Bei normalem Rest- 
N kann die Harnsäure erhöht sein bei der Leukämie (34 mg°/ 0 ), 
Polycythämie, bei schwereren Vergiftungen, Herzdekompensationen, 
bei manchen Formen von Carcinom. Am prämortalen Rest-N- 
Anstieg nimmt sie neben dem Harnstoff einen hervorragenden Anteil. 
Bei diesen Formen der Ü-Anhäufung im Blut spielt der Zellzerfall 
neben einer leichten Nierenschädigung eine wesentliche Rolle. 

Die akuten Nephritiden, bei denen die Retention infolge der 
Nierenschädigung im Vordergrund steht, zeigen vor dem Anstieg 
des Harnstoffs eine Vermehrung der Blutharnsäure. Bei der Heilung 
bleibt die Harnsäure oft am längsten erhöht, und bei den chroni¬ 
schen Formen ist ihre Vermehrung oft der einzige abnorme Befund 
im Blut, der auf eine noch bestehende Nierenschädigung hinweist. 
Die Harnsäureuntersuchung leistet also auch hier mehr als das 

1) Herr Prof. Müller verfugt in seiuer Privatpraxis über eine ganze Reihe 
von derartigen Fällen, bei denen sich teils eine P>höhung, teils ein normaler 
Wert der Blntharnsäure fand. 


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352 Kr/iuss, Der Harnsäuregehalt des Blutes bei Erkrankungen der Niere usw. 


Kreatinin and das Indikan. Werte über 10 mg°/„ geben eine un¬ 
günstige Prognose. Bei höheren Graden der N-Retention hält der 
Harnsäuregehalt nicht durchweg gleichen Schritt mit dem Rest-N 
oder dem Kreatinin. 

Bei den Nephrosen ist der Ü-Gehalt des Blutes normal und 
steigt nach Schädigung der Konzentrationsfähigkeit als erster Be¬ 
standteil des Rest-N. 

Die gutartigen genuinen Schrumpfnieren sind begleitet von einer 
Ü-Vermehrung des Blutes neben Störungen der Wasserausscheidung, 
der Konzentrations- und Verdünnungsfähigkeit und auch seltener 
ohne sie. Sie ist jedoch bei diesen Fällen keineswegs die.Regel. 
Ihre Vermehrung gibt kein prognostisches Zeichen, etwa in dem 
Sinne, daß die Fälle mit U-Vermehrung späterhin zur malignen 
Form übergingen. Die zur Urämie neigenden Formen der genuinen 
Schrumpfniere schließen sich in ihrem Verhalten den entzündlichen 
Schrumpfnieren an. 

Reine Hypertonien, welche keine Zeichen einer Nierenaffektion 
. bieten, gehen sehr oft mit einer Vermehrung der Blutharnsäure einher. 

Die bequem auszuführende Ü-Bestimmung im Blut kann demnach 
bei der Beurteilung von Nierenerkrankungen die Bestimmung der 
übrigen N-Komponenten meistens erübrigen, weil bei Nierenerkran¬ 
kungen einem normalen Ü-Wert in der Regel ein normaler Rest-N 
entspricht. 

Literatur. 

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traud, Wiener klin. Rundschau 1890. Nr. 1 u. 2. 


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353 


Aus der medizin. Klinik, dem Samariterhaus und dem 
pathologischen Institut in Heidelberg. 

Akute Monocyten- und StammzeUenleukämien. 

Von 

Dr. Ewald, 

Assistent am Samariterbaus, 

Stabsarzt Dr. Frehse, 

kommandiert zur medizinischen Klinik 
und 

Dr. Hennig, 

Volontärassistent am pathologischen Institut. 

Die Monocyten gelten jetzt manchen Autoren als Zellen be¬ 
sonderer Art mit Abstammung vom Retikuloendothel (Schilling) 
andere Forscher sehen sie als Elemente der myeloischen Zellreihe 
an (Naegeli), wieder andere glauben, daß sie Produkte sowohl 
des myeloischen als auch des lymphatischen Systems sein können 
(Pappenheim). Pappenheim meinte, daß die Monocyten in vielen 
Dingen den lymphatischen Zellen verwandt seien. 

In den letzten Wochen sahen wir in der Klinik zwei Fälle 
von akuter Monocyten- bzw. Stammzellenleukämie, deren Blutbilder 
unsere Vorstellungen von den Monocyten nach einer gewissen Rich¬ 
tung hin leiteten. 

Nr. 1. Der 32 jährige Irrenpfleger Peter A. wurde am 18. April 
1921 in die Klinik aufgenommen. Familienanamnese belanglos. Abge¬ 
sehen von Kinderkrankheiten und einem Paratyphus (1918) war Patient 
stets gesund. Am 3. April d. J. erkrankte er plötzlich mit Fieber, 
Halsschmerzen und Schluckbeschwerden. Nach wenigen Tagen bemerkte 
er eine Schwellung an den Kieferwinkeln und im Gesicht: auch das 
Zahnfleisch war geschwollen und blutete leicht. Dann traten Kopf¬ 
schmerzen und Atemnot auf und der Harn wurde blutig. Die Tempe¬ 
ratur betrug 38—38.5°. 

A uf n ah m e b e f un d: Großer Mann in schlechtem Ernährungs¬ 
zustände; Haut und sichtbare Schleimhäute blaß; am linken Oberschenkel 
mehrere stecknadelkojM- bis linsengroße Hautblutungen. Gesicht nament¬ 
lich in der Gegend des Mundes und des Unterkiefers geschwollen ; unter 
dem Kinn einige reichlich erbsengroße Drüsen. Mundschleimhaut gerötet 
Deutsches Archiv für klin. Medizin. i:-;8. Bd. 23 


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354 


Ewald, Frbhsk u. Henhig 


und geschwollen, am Zahnfleisch und der Schleimhaut der linken Wange 
mehrere flächenhafte Blutungen, auf dem Zahnfleisch mißfarbene, fibel¬ 
riechende Beläge. Grobe Bronchitis. Am Herzen ein unreiner 1. Ton, 
sonst nichts. Puls 100. Leber unter dem rechten Rippenbogen eben 
fühlbar, Milz unter dem linken Rippenbogen als weicher Tumor zu 
tasten. Im Harn Eiweiß, Blut und Leukocyten. Blutdruck 120 mm 
Hg, W.-R. im Blut negativ« Blutplatten und Bouillonkultur steril. 

Der Zustand des Patienten verschlechterte sich zusehends. Zahlreiche 
.kleine und einzelne flächenhafte Hautblutungen traten auf. Leber und 
Milz vergrößerten sich. Das Fieber schwankte zwischen 38,5—40°. 
Am 27. April trat der Tod ein. 

Nr. 2. 30 jähriger Bahnarbeiter Georg K. lag im Dez. 1920 wegen 
Polyarthritis rheumatica in der Klinik. Erkrankte am 1. Mai plötzlich 
mit Anschwellung eines Knies und eines Fußes angeblich ohne Fieber. 
Nach 14 Tagen ließ die Schwellung nach. Patient stand auf, mußte 
sich aber nach 3 Tagen wegen erneuter Gelenkschwellungen wieder legen. 
SteigendcB Fieber. Ende Mai trat „Mundfäule“ und DrüsenschwelluDg 
an den Kieferwinkeln hinzu. 9. Juni aufgenommen. Grazil gebauter 
Mann, Ernährungszustand schlecht. Haut und sichtbare Schleimhäute 
blaß. Pflaumengroßes derbes Drüsenpaket am linken Kieferwinkel. An 
der rechten Halsseite, am rechten Ohr und auf der Stirn im Abheilen 
begriffene Furunkel. In beiden Nasenlöchern Blutschorfe. Gingivitis und 
Stomatitis mit üblem Geruch. Der Mund kann nur unvollkommen ge¬ 
öffnet werden. Kompression des Brustkorbes außerordentlich schmerzhaft: 
Grobe Bronchitis, am Herzen nichts Abnormes, Puls 100, Blutdruck 
100 mm Hg. Temperatur 38,5°; Milz weich, 2 Querfinger unterhalb 
des Rippenbogens zu tasten. Im Harn Spur Eiweiß, im Sediment zahl¬ 
reiche weiße, vereinzelte rote Blutzellen, Epithelien und vereinzelte 
granulierte Zylinder. Gelenke nicht geschwollen. Röhrenknochen druck¬ 
schmerzhaft. W.-R. im Blut verdächtig. Am 13. Juni traten an Brust 
und Rücken zahlreiche Hautblutungen auf, der Harn wurde stark hämor¬ 
rhagisch, der Patient verfiel zusehends; am 15. Juni subikterische Gesichts¬ 
farbe, am ganzen Körper punktförmige Blutungen. Temperatur zwischen 
39 und 40,5°. Patient ist dauernd leicht benommen. Am 16. Juni Tod. 

Das Blutbild des ersten Kranken zeigte auf der Höhe der 
Erkrankung folgenden Befund : Häraoglobingehalt 27 % (S a h 1 i\ 
Erythrocyten 1480000, Färbeindex 0,9, Leukocyten 139500, Blut¬ 
plättchen 118 000, Serumeiweiß (refraktometrisch) 7,03%. Panop- 
tisclie Färbung der weißen Zellen mit May-Grünwald-Pauchrom. 
Neutrophile polymorphkernige Leukocyten 1,5 — 5%, eosinophile 
0—0,5%, Mastzellen 0 0.3%, Lymphocyten 6— 9,5%, Monocyten 
80—87 %, Stammzellen 4,5—8%. Das Blutbild wurde beherrscht 
von Zellen, die rein morphologisch betrachtet, ^onocyt^eg w^ren. 
Sie hatten große gelappte Kerne mit verWascliener, gequollener, 
grob netzförmiger Struktur, zum Teil mit mehreren dunkelgeförbten 
Chromatinschollen, die sich von den Nucleolen der Stammzellen 


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Akute Monocyten und Stammzellenleukäimeu. 


355 


deutlich unterschieden. Der hellblaue (basophile) Plasmaleib war 
von verschiedener Breite, zum Teil mit feiner staubförmiger Azur¬ 
granulation. Diese letztere scheint uns als Unterscheidungsmerk¬ 
mal praktisch nicht sehr geeignet. Naegeli sagt, daß sie kon- 
stant und in ihrer Art für die Monocyten charakteristisch sei, 
während P a p p e n h e i m sie für einen bloßen temporären Funktions- C\ 
zustand der Zellen erklärt. — Die Granulation der Promyelocyten 
z. B. hielt Pappenheim für eine Azurgranulation, was Naegeli, als 
„völlig irrig“ bezeichnet. Wenn aber schon ein so erfahrener Hämato¬ 
loge wie Pappenheim diese Granulation nicht richtig zu deuten 
vermochte, so dürfte der Versuch einer generellen Unterscheidung v v 
für die weitaus größere Anzahl aller Ärzte von vornherein aus >r / 
sichtslos sein. Die Zellen glichen ganz den in Pappenheims „Morplio- <■ 
logischer Hämatologie“ Bd. 2 Taf. IH Bild 6 abgebildeten Zellen^’ 

Die relative Zahl der Stammzellen war niedrig, es waren aber - 
fließende Übergänge von den Stammzellen zu den Monocyten vor- ' v 
handen, so daß der Anblick des Präparates dem Unbefangenen 
durchaus den Eindruck erwecken mußte, daß es sich um verschiedene 
Entwicklungsstufen derselben Zellart handelte. Auch Naegeli 
sagt, daß unter leukämischen Zellen die Unterscheidung der Mono¬ 
cyten gegenüber Myeloblasten recht schwer sein kann, und daß 
Zwischenstufen zwischen beiden Vorkommen. Er beobachtete auch 
das Übergehen einer anfänglichen Monocytenleukämie in eine Myelo¬ 
blastenleukämie. Wir sind geneigt, in diesem Falle die Monocyten 
als Altersformen der indifferenten Stammzellen aufzufassen. Myelor 
cyten haben wir bei diesen Kranken während des ganzen Krank¬ 
heitsverlaufes — soweit er bei uns beobachtet ist — niemals gesehen. 

Man konnte also sagen: Monocytenleukämie mit Stammzellen. 

Herr Prof. Naegeli war so freundlich, Blutpräparate von diesem 
Kranken durchzuselien und zu begutachten. Er deutete das Bild 
in Übereinstimmung mit der in der 3. Auflage seiner „Blutkrank¬ 
heiten“ gegebenen Darstellung (S. 177 u.f.) als Myeloblastenleukämie, 
im wesentlichen im Zustandsbilde der Monocytenleukämie. — V. 
Schilling, der auch die Güte hatte, uns sein Urteil über das 
Blutbild zu senden, diagnostizierte „akute myeloische Leukämie in 
weitgehender Entartung, so daß sie fast wie eine Myeloblasten¬ 
leukämie erscheint“. 

Der Blutbefund des zweiten Kranken war folgender: 35% 
Hämoglobin, 1600000 Erythrocyten, Leukocyten 99600. Weiße 
Zellen: 0—3% Polymorphkernige Neutrophile, 2—6% Lymphocyten, 

5—7 % Monocyten, 90 % Lymphoidocyten. Diese letzteren waren 

. " 23 * 

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356 


Ewald, Fkehse u. Hkkniu 


-Zellen von sehr verschiedener Größe mit relativ großem, meist 
'• runden, zuweilen an einer Seite abgeflachten oder leicht einge¬ 
buchteten Kern mit stark gefärbtem, gleichmäßigem, fein netzförmigen 
jChromatin^erüst und durchweg^ deutlichen Nukleolen (2—5). Das 
Protoplasma war nie reichlich, bei verschiedenen Zellen sehr ver- 
' schieden massig, bei vielen äußerst spärlich, bei manchen fehlte es 
ganz. Der Plasmaleib war stark basophil mit deutlicher peri- 
nuleärer heller Zone und oft mit reichlicher meist feinkörniger Azur- 
z granulation. (Ygl. Papp enlieim ,.Mor ph nlngisp.hp Hä matologie“ Bd . 2, 

■ v Taf. II, Bild 3, Nr. 4—22.) Nie sahen wir Granulationen, die denen 
" bei myeloisch differenzierten Zellen entsprachen. Die Kerne be¬ 
fanden sich relativ häufig in amitotischer Teilung. Von diesen 
Zellen fanden sich Übergänge zu Zellen, welche die oben beschrie¬ 
bene Kernform und Kernart der Monocyten hatten. Das Proto¬ 
plasma zeigte feine Azurbestäubung, wie es als charakteristisches 
Merkmal der echten Monocyten beschrieben ist (Naegeli). Die 
absolute Zahl dieser Zellen betrug 5—7000, war also beträchtlich 
erhöht Da aber doch das histologische Bild den Grund zur Be¬ 
nennung abgibt, so ist man hier u. E. berechtigt, ja gezwungen, 
von Monocyten zu sprechen. Also auch hier eine akute Leukämie 
mit zahlreichen Monocyten. 

Ob die Stammzellen Vorstufen der lymphatischen oder der mye¬ 
loischen Reihe waren, vermochten wir nicht zu entscheiden. Prof. 
Krehl hat den zweiten Kranken in der Klinik als Beispiel einer 
akuten Stammzellenleukämie vorgestellt und sich außer Stande 
erklärt, hier die Zugehörigkeit zur myeloischen oder lymphatischen 
Form der Leukämie auch nur mit irgendwelcher Wahrscheinlich¬ 
keit festzustellen. Ja, das Fehlen jeglicher Myelocyten hat uns 
sogar dazu veranlaßt, eher zur Annahme einer Lymphämie zu neigen. 

Prof. Naegeli und V. Schilling waren so freundlich, auch 
diese Präparate zu begutachten. Naegeli hat sie als Myeloblasten¬ 
leukämie angesprochen, Schilling als myeloische Leukämie. 

Die Oxydasereaktion versagte bei uns infolge Unbrauchbarkeit 
der Reagentien. V. Schilling hatte die Liebenswürdigkeit uns 
mitzuteilen, daß im ersten Falle fast alle Zellen deutlich positiv 
reagierten und daß im zweiten Falle die Zellen zum größten Teil 
voll oder parteriell die Oxydasereaktion gaben. In unserer Er¬ 
kenntnis fördert uns das freilich auch nicht wesentlich, da die 
Monocyten nach Naegeli als myeloische Zellen die Indophenol¬ 
blausynthese gaben, während Pappenheim und V. Schilling das 
bestreiten. Diese Frage bedarf aNo auch noch der Klärung. Offen- 


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Akute Monocyten- und Stammzellenleukäraien. 


357 


bar verstehen die Autoren unter „Monocyten“ z. T. ganz verschie¬ 
dene Zellen, indem die einen den Begriff enger (histogenetisch), die 
anderen weiter (morphologisch) fassen. 

Selbst die Autopsie und die Beurteilung der Präparate durch 
Herrn Prof. Ernst hat einen klaren Aufschluß über die Herkunft 
der Zellen nicht ergeben. Im Hinblick auf die Arbeiten von 
Asch off und Kiyono über Intravitalfärbung mit Karmin sowie 
die Arbeiten von Schilling über die Abstammung der Monocyten 
vom Reticuloendothel hatten wir — in der Annahme, daß es sich 
um eine echte Monocytenleukämie handele — dem ersten Kranken 
subkutan und intramuskulär Karmin gegeben, in der Hoffnung, den 
Farbstoff später in den Monocyten des Blutausstriches oder wenig¬ 
stens in dem — vielleicht gewucherten — Reticuloendothel ge¬ 
speichert zu finden. Diese Hoffnung hat sich nicht bestätigt, da 
der Kranke infolge des rapiden Verlaufes der Krankheit nur 3 mal 
Karmin erhielt. Nur im Milzausstrich fanden sich einzelne mit 
Karmin beladene Zellen. 

Nr. 3. (Aus dem Samariterhaus.) Frl. E. Pf., 29 Jahre, Büro¬ 
fräulein, Familienanamnese belanglos. Mit 14 Jahren Polypen aus Nase 
und Rachen entfernt, damals auch bleichsüchtig; später aber immer 
rotbäckig und gesund. Anfang JunL starke Zahnschmerzen und ein 
Zahngeschwür, ausgehend von der Wurzel eines rechten unteren Back¬ 
zahnes. Diese Wurzel wurde gezogen. Nach 2 Tagen wieder starke 
Schwellung der ganzen rechten Wan^fe ^seither Fieber und zeitweise 
Erbrechen. Es bildete sich ein Geschwür innen an der rechten Wangen¬ 
schleimhaut, und das Zahnfleisch der ganzen rechten Unterkieferseite 
schwoll an und wurde sehr schmerzhaft. Von dem Geschwür stießen 
sich dauernd nekrotische Fetzen ab. Vom Arzt wurde eine Probeexzision 
gemacht, deren Untersuchung Geschwürsbildung und chronische entzünd¬ 
liche Infiltration ohne spez. Charakter ergab. 

Aufnahme 8 . Juli 1921 wegen Verdacht auf Wnngensarkom. E> 
fallt bei gutem Ernährungszustand der Patientin die Blässe der äußeren 
Haut und der Schleimhäute auf. Skleren etwas gelblich. Links kleine 
Hornhautblutung. Hautblutungen an der Brust. Verfärbung der Haut 
durch ältere Blutextravasate an mehreren Stellen beider Beine. 

Das ganze Zahnfleisch ist aufgelockert, stark geschwollen und neigt 
zu Blutungen. Zweimarkstückgroßes Geschwür innen an der rechten 
Wange mit weißgelben), schmierigem, diphtherischem Belag. Schwellung 
der rechten Tonsille und des Gaumens bis zur Uvula. 

Brustorgan o. B. Puls klein und beschleunigt, Blutdruck 80—10“ mm 
Hg. Leber mit derbem Rand w r enig unterhalb des Rippenbogens zu 
fühlen; ebenso ist die Milz bei tiefer Inspiration deutlich uerb und ver¬ 
größert zu fühlen. Nervensystem o. B. Lin Harn geringer Ehveißgehalt, 
Harnsäurekristalle, Epithelien, rote und w r eißc Blutkörperchen und granu- 


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E\vau>, Fbeiisk u. Hbnnio 


358 


Horte Zylinder. W.-R. und Sachs-Georgi-R. negativ. Die Blutunter- 
uucbung ergab: 

Hb. = 40 °/ 0 , Rote = 2 000000, Weiße = 56 000. Neutroph. 4 °j n , 
Eosinoph. 1 °/ 0 , Mastzellen keine, Lympbocyten ll°/ 0 , Monocyten 
00 °/ 0 , Stammzellen 24 °/ 0 . 

Damit war die Diagnose: „Akute Stammzellenleukämie, 
nionocytoide Form“ gegeben. 

Röntgenbestrahlung und Enzytoleiospritzungen. Der Zustand ver¬ 
schlechterte sich zusehends; Tod am 16. Juli. Die Darreichnng von 
Karmin führte wegen der Schnelligkeit des Verlaufs nicht zum Ergebnis. 

Blutbefund während des Verlaufs folgender: 


lUUuin 

Hb. 

Rote Weiße 

L*-, ,J 

Nentr. 

t 

Eos. 

! 

Mast. Lymph. 

i 

i 

Mono- 

cyt. 

Stamm- 

Zellen 

Neutr. 

Myelo¬ 

cyten 


VII. 

40 

2 000000 56 000 

4 

1 

| 1 

! 

0 

i 

11,0 

60,0 

24,0 



VII. 

! 2» 

1 440 000 510001 

14 

i 0 

0 

13.5 

55,0 

17,5 


11, 

VII. 


40 (XX) 

14 

, 0 

0,7 * 

13.0 

55.0 

16.0 

1.3 


VII. 

: 2., 

1 000 000 28 OOOi 

i 

- 17.5 

o 

0.5 

29,0 

42,5 

6,5 

4.0 


Der Blutbefund hat sich iu den 8 Tagen, die die Patientin bei 
uns lag, also erheblich geändert. Die Zählungen erfolgten stets 
zur gleichen Tageszeit mit Hilfe der Bürkersehen Kammer: 
Färbung der Ausstriche nach der Pappenheim’schen Methode 
mit May-Grilnwald-Panohrom. Die morphologisch als Monocyten 
imponierenden Zellen waren durchweg „Monocytoide Leuko- 
blasten“ Pa p p en h ei m's tvgl. P a p p e n h e j m, Morph. Hämatologie. 
Tat'. IIP. also nicht weiter entwicklungsfalYig^ ontogenetische Alters- 
forrnen der Stammzellen bis zu reinen Monocyten. Die bei den 
beiden letzten Untersuchungen auftretendeu Myelocyten sind ge¬ 
nauer als Metamyelocyten zu bezeichnen: es handelt sich also nur 


um eine Verschiebung des neutrophilen Blutbildes nach links: irgend¬ 
welche 1'bei gangsformen der S t a m m z e 11 e n zu jungen Myelocyten 
>. irr zur myeloischen Keilte überhaupt waren nicht zu finden- 
lm Yer.er.Kat vom 12. Juli waren Pneumokokken gewachsen: Blut 
v m 10. Juli war >tetil ,wohl eine Folge der Encytolinjektionen): 
\ :\ug >ei hi. r schon bemerkt, daß in Ausstriehpräparaten der Mesen- 
■ f.P.lytr.j hkr.vttn wieder re ichlieh Pneumokokken nachzuweisen sind. 
W ir haben also b 


ubt-r. einander 


den l'lutbefunden zwei verschiedene Prozesse 
:n V.te-n: 1. 1';e Statt,n:zeUcr,leukän;ie. die Stegen 


F 

t 

L . 

IV ue o 


C.: 


* vfUI .1- 11^ i .<■ ..V!' 11 


P-rk'V- b 


r-.tvr. 


,_r. l 


Zeigt, und 2. eine zunehmende 
Blut bi lies, die w.hl als direkte 
butas'eu i't. wahrend wir den 


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Akute Monocjten- und Stammzellenleukämien. 


359 


Rückgang der leukämischen Zelle auf die Bestrahlung und deren 
chemische Imitation*) durch das Encytol zurückfuhren. Die Zu¬ 
nahme der Neutrophilen und Lymphocyten ist nur eine scheinbare, 
die absoluten Zahlen sind mit geringen Schwankungen gleich ge¬ 
blieben : 


Absolute Zahlen der 

Nentrophilen 

Lymphocyten 

am 9. VII. 

2240 

6160 

13. VII. 

7140 1 

6885 

14. VII. 

5600 

5200 

16. VII. 

4900 ; 

i 

8120 


Die Oxydasereaktion fiel an den Blutausstrichen, die intra vitam 
gemacht waren, negativ aus, während sie an den Organausstrichen 
(Leber, Milz und Lymphknoten) des gleichen Falles und an normalen 
Kontrollblutpräparaten gleichzeitig mit denselben Reagenzien posi¬ 
tiven Ausfall gab. Dieser Befund sei,hier nur erwähnt; wir gehen 
aber nicht auf das Für und Wider der Beweiskraft der Oxydase¬ 
reaktion näher ein. 

Ob im vorliegendem Falle die Leukämie eine Folge oder ein 
Ausdruck der vom Zahngeschwür ausgehenden Sepsis war, oder ob 
das Zahngeschwür nur der klinisch bemerkbare Beginn der Leukä¬ 
mie war, läßt sich leider nicht mehr feststellen, da keine früheren 
Blutbefunde vorliegen. 

Auszug aus den Sektionsprotokollen: Fall 1 (Dr. Froboese) 
Diagnose: Leukämie: leukämische Infiltrate der Haut, der submaxil- 
laren, cervikalen, supraclavicularen, trachealen, retroperitonealen, 
inguinalen Lymphdrüsen, des Magens, Darmes, der Leber, der Nieren, 
der Blase, der Tonsillen, der Zunge, der Milz. Allgemeine hämorrha¬ 
gische Diathese. 

Pyoides Knochenmark. Allgemeine Anämie. Pachymeningitis 
hämorrhagica interna, leichtes Piaödem. Anämische Infarkte der Milz. 

Das zur histologischen Untersuchung entnommene Material 
wurde in Formol (zur Oxydasereaktion), Orth’scher Lösung und 
Helly’schem Gemisch fixiert und mit Hämatoxylin Eosin und May- 
Grünwald-Panchrom (Pappenheim) gefärbt. 

In der Leber sind die acinösen Kapillaren etwas erweitert und 
ziemlich reichlich mit leukämischen Blutzellen erfüllt. Außerdem finden 
sich in dem Glisson’schen Bindegewebe diffuse leukämische Infiltrate, die 
oft in breiten Zügen mit dem intralobnlären Zusammenhängen, und an 
diesen Stellen die Abgrenzung der Azini gegenüber dem Zwischengewebe 

1) Werner u. Lichtenberg, Deutsche metl. Wochensclir. 1906, 1. 


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360 


Ewald, Frbhsk u. Hennig 


l 

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verwiscbeo. Meist handelt es sich um größere Zellen mit schwach baso¬ 
philen angekörntem Protoplasmaleib und einem bläschenförmigen runden 
bis ovalen eingebuchteten Kern, der eine gleichmäßige feinnetzige 
Chromatinatruktux^ aufweist und oft ein gder-melirere JÜucleoIen erkennen^ 
läßt. Diese Zellen sind Stammzellen. Gegen diese im Vordergrund 
stehenden Zellen treten Zellen mit deutlich oxyphilen Protoplasma, rund« 
liehen bis stark gebuchteten , intensiver blau gefärbten und mehr grob- 
bröckligem Chromatingerüst aufweisenden Kern mehr zurück. (Myelo- 
cyten). Ganz vereinzelt finden sich zwischen diesen Zellen dunkelkernige 
Lympbocyten. Reife neutrophile und eosinophile Granulocyten und 
Mastzellen ließen sich nicht naebweisen. Von diesen leukämischen Zell¬ 
elementen beben sich die Endothelzellen mit ihren längsovalen oder 
spindelförmigen ziemlich dunklen Kernen deutlich ab und zeigen keinerlei 
Übergänge zu ihnen. In den Leberzellbalken und den Knpffer’scben 
Sternzellen findet sich überaus reichlich gelbbräunliches Pigment, das 
positive Berlinerblau-Reaktion gibt. 

Die Milzßtruktur ist vollkommen verwischt. Von den Malpighi- 
schen Körperchen ist auch nicht ein Rest mehr vorhanden. Die ganze 
Milzpulpa ist in eine diffuse leukomatöse Zellinfiltration verwandelt, in 
der man nur die Trabekel und Zentralarterien als typische Milzreßte 
erkennen kann. Die meisten Infiltratzellen präsentieren sich als Stamm- 
zellen mit rundlichem bis gebuchtetem Kern, der ein leichtes feinnetziges 
Chromatingerüst aufweist. Auch hier treten wieder Zellen mit mehr 
grohstrukturierten dunkler gefärbten Kernen (neutr. u. eos. Myelocyten) 
in den Hintergrund. Vereinzelt finden sieb auch reife Granulocyten. 
Untermischt sind die Zellen mit spärlichen Lympbocyten, Plasmazellen, 
letztere bisweilen in Grüppchen zusammengeordnet, und ei^iitunfllthe 
größere Zellen, die oft ganz mit sich dunkelfärbenden Körnchen erfüllt 
sind, teilweise mehrere Kerne aufweisen. (Makrophagen). In den Pulpa¬ 
zellen findet sich ziemlich reichlich Hämosiderinpigment. 

Die typische Lymphdrüsenstruktur ist fast vollkommen ver¬ 
wischt. Hin und wieder sieht man noch einzelne Reste von Follikeln. 
Eine Abgrenzung von Lymphsinus und Marksträngen ist infolge dichter 
Zellinfiltration nicht möglich. Die Infiltratzellen, die von typischen 
Lympbocyten und Plasmazellen , die öfters in Gruppen zusammenliegen, 
durchsetzt sind, sind auch hier in der Mehrzahl. Stammzellen mit licht- 
kernigem, feinnetzigem Kerngerüst, daneben viel seltener Myelocyten. 
Reife granulierte Zellen fehlen aucli liier. Auch finden sich reichlich 
hümosi denn haltige Zellen. 

Knochenmark (Oberschenkel). Die Fettareolen sind durch eine 
starke Zellvermehrung fast ganz verdrängt. Die Veränderung gleicht 
fast völlig dem Bilde tätigen Knochenmarks, nur daß hier die erythro* 
poetische Komponente in den Hintergrund tritt. Stammzellen stehen im 
Vordergrund, daneben liegen neutrophile und eosinophile Myelocyten in 
buntem Wechsel nebeneinander. Spärlicher sind die reifen Elemente 
und Erythroblasten. Es fehlen die Knoclienmarksriesenzellen. Zerstreut 
finden sich pigmenthaltige Zellen. *’ 

Uber das ganze Nierengewebe zerstreut finden sich locker und 
dichter stellend leukämische Infiltratzellen, die stellenweise herdförmigen 


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Akute Monocyten- und StaramzelJenleukämien. 


861 


Charakter annehmen, besonders in der Umgebung der Glomeruli und in 
noch viel ausgesprochenerem Maße in der Marksubstanz zwischen den 
geraden Harnkanälchen, die auf diese Weise förmlich voneinander abge¬ 
drängt werden. Auch hier bestehen die Infiltrationsherde aus denselben 
Zelltypen wie in den vorberbeschriebenen Organen: vorwiegend Stamm¬ 
zellen, zwischen denen sich nicht ganz selten typische Plasmazellen be¬ 
finden. Stellenweise ausgedehnt Hämorrhagien: 

Fall 2: (Dr. Froboese) Diagnose: Akute Leukämie; rostfarbene 
Leber; leukämischer Milztumor, leukämische Infiltration des Nieren¬ 
beckens, Ureters, Hodens, der Tonsillen, der cervikalen, trachealen, 
mesenterialen und inguinalen Lymphdrüsen, der Magenschleimhaut. 
Kleiner leukämischer ulcerierter Magenschleimhauttumor. Fettinfil¬ 
tration des Herzens; parenchymatöse Degeneration der Nieren; 
Lungenödem. Blutungen in Haut, Bauchfell, Hoden, Zahnfleisch, 
Trachea, Pharynx, Zwerchfell, Epikard, Endokard, Gehirn, Pleura; 
schiefrige Pigmentation der Darmfollikel; pseudomembranöse Ent¬ 
zündung der Dickdarmschleimhaut; myeloische Knochenmarksver- ' 
änderungen. Stomatitis haemorrhagica. 

Leber: Das Glisson'sche Bindegewebe ist durchweg erfüllt mit 
mäßig dichten Infiltratberden, die sich vornehmlich um die Gefäße herum 
gruppieren. Von diesen interlobären Herden erstrecken sich die Infil¬ 
trate aber auch überall zwischen die Leberzellenbalken, so daß die intra- 
acinösen Kapillaren etwas erweitert und mäßig stark mit Zellen erfüllt 
sind. Die Leberstruktur ist im großen und ganzen gut gewahrt. Die 
Zellen, aus denen sich die Lymphomherde zusammensetzen, zeigen fast 
durchweg die gleiche Beschaffenheit. Der Protoplasmaleib ist ziemlich 
schmal und ohne jede Gianulation. Die Kerne meist groß, bläschen- , 7 , 
förmig, blaß gefärbt, rund, oval oder leicht eingebuchtet. Die Kerne 
zeigen eine deutliche Kemmembran und ein feines netzförmiges Chromatin- 
gerust. Meistens enthalten sie ein oder mehrere kleine dunkle, rundliche 
KTe^ß. — Kernkörperchen. Es handelt sich hier um Starmnzellen. 
Nicht so selten sieht man in den Zellen der Glissonherde Kernteilungs- 
fignren. Vereinzelt sieht man daneben etwas häufiger in den iutraacinösen 
Kapillaren kleinere Zellen mit runden, verwaschenen, sich intensiv 
dunkelblau färbendem Kern , die als Lymphocyten anzusprechen sind. 

Die Endothelzellen der Leberkapillaren hoben sich durch ihre länglich 
ovale bis spindelförmige Gestalt deutlich von den Infiltratzellen ab und 
zeigen keinerlei Übergänge zu ihnen. Es fehlen vollkommen die granu¬ 
lierten Formen (Myelocyten) und reife Grannlocyten. 

Die Oxydasereaktion fiel bei allen blaßkernigen Infiltratzellen 
positiv aus. 

Die typische Struktur der Milz ist fast vollkommen verwischt. — 
Das trabekuläre Gerüst lieht sich deutlich von der ziemlich gleichmäßigen 
Infiltration des übrigen Gewebes ab, das einen Unterschied von Pulpa 
und Follikeln kaum mehr unterscheiden läßt. Nur vereinzelt sieht man 
noch Beste von Follikeln mit ihren Zentralarterien, um die sich ein 


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362 


Ewald, Frehse u. Hennig 


schmaler Saum typischer Lymphocyten gruppiert, die ohne scharfe Grenze 
in das übrige Pulpagewebe übergehen. Die Pulpa setzt sich aus dicht 
gelagerten Zellen zusammen, die von gleichem Typus sind wie die Infiltrat¬ 
zellen der Leber mit mehr oder weniger rundem, ovalem, bis leicht 
eingebuchtetem Kern, lichtem zartem Chromatinnetzwerk und schmalem 
Plasmaleib. Zwischen diesen hellbläschenkernigen Zellen finden sich ver¬ 
einzelt dunkelkernige Lymphocyten. Auch hier fehlen völlig die granu¬ 
lierten Elemente, Myelocyten, neutrophile und eosinophile Granulocyten. 
Pigmenthaltige Zellen finden sich hier nur selten. 

Eine H&lslymphdrüse zeigt eine vollkommene Verwischung 
der typischen Lymphdrüsenstruktur; nirgends lassen sich Mark stränge, 
Follikel und Lymphsinus gegeneinander abgrenzen. Nur unter der Kapsel 
sieht man hin und wieder noch Beste von Follikeln, die sich aus kleinen 
Haufen dunkelkerniger Lymphocyten zusammensetzen und ohne scharfe 
Grenze in das angrenzende Gewebe übergehen. Der ganze übrige Teil 
der Drüse setzt sich aus dicht gedrängten Zellen zusammen, die ein 
sehr monotones Bild bieten und sich bei starker Vergrößerung* als vom 
gleichen Habitus wie die Infiltratzellen der vorher beschriebenen Organe 
entpuppen. Die Bindegewebekapsel zeigt allenthalben starke Durch¬ 
setzung mit den großen lichtkernigen Zellen, die oft in breiten Zügen 
und Strängen infiltrierend das Bindegewebe durchsetzen und sich bis in 
das periglanduläre Zellgewebe hineinschieben. Nicht selten finden sich 
in den intra und periglandulären Infiltratzellen Kernteilungsfiguren. 

Das Knochenmark (Mitte des Oberschenkels) ist überaus zell- 
reich, die Fettareolen fast vollkommen verschwunden. Bei starker Ver¬ 
größerung sieht man, daß das Groß der Zellen aus einer einheitlichen 
Zellgattung besteht. Der Kern dieser Zellen ist rund, oval oder leicht 
gebuchtet, bläschenförmig mit einem feinen, netzförmigen Chromatingerüst. 
In den meisten Kernen finden sich ein oder mehrere Nucleolen. Der 
Protoplasmaleib* ist ziemlich schmal ohne jede Granulation. In vielen 
dieser Zellen trifft man Kernteilungsfiguren. Zwischen diesen Zellen 
finden sich nicht ganz selten Zellen mit kleinen oder größeren, isoliert 
liegenden dunklen Massen, die als pyknotische Kerntrümmer aufzufassen 
sind. Nur spärlich finden sich eosinophile, noch seltener neutrophile 
Granulocyten bzw. Myelocyten. Erythroblasten und Megakaryocyten 
lassen jaich. nicht nach weisen^ ——— ' " 

Das ganze Nierengewebe, sowohl der Mark- als auch der 
Rindenzonen, ist diffus mit lockeren oder herdförmig gruppierten leuko- 
matösen Infiltraten, die aus den bekannten Zellen bestehen, durchsetzt. 
Die Infiltrationsherde im Zwischengewebe haben stellenweise eine der¬ 
artige Ausdehnung erlangt, daß das zwischenliegende Parenchym voll¬ 
kommen auseinandergedrängt ist. Zahlreiche Glomeruli sind zugrunde 
gegangen, in hyaline kernarme Kugeln umgewandelt. In vielen geraden 
und gewundenen Harnkanälchen läßt der epitheliale Überzug eine deut¬ 
liche Zellgrenze vermissen, und die Zellen haben an Kernfarbbarkeit 
eingebüßt. Sehr auffallend ist in diesem Präparate das überaus häufige 
Vorkommen von Kernteilungsfiguren in den Infiltratzellen. 

ln den Lungen finden sich dicht stehende leukämische Infiltrat¬ 
zellen, die sich namentlich um oder in der Nachbarschaft von Gefäßen 


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Akute Monocyten- und Stammzellenleukämieu. 363 

zu dichten Herden zusammenlagern, und so zu einer beträchtlichen Ver¬ 
breiterung der interlobulären Septen führen, wodurch häufig die angren¬ 
zenden Alveolen komprimiert werden. Auch die schmalen Alveolarsepten, 
die meist stark gefüllte und geschlängelte Kapillaren aufweisen, sind 
durchweg durchsetzt von Infiltratzellen. Herdweise finden sich die 
Alveolenlumina erfüllt mit Erythrocyten, desquamierten Epithelien, gro߬ 
kernigen Zellen und geronnenen Eiweißmassen. Weder in den Infiltraten 
der Scheidewände noch unter den Exsudatzellen finden sich gelappt¬ 
kernige Leukocyten. 

Der anatomischen Beobachtung ist hier die Frage vorgelegt ob'sie 
eine Auskunft zu geben imstande ist über die lymphoide oder myeolide 
Herkunft der Zellen, die bei dem beschriebenen Kranken die große 
Mehrzahl der weißen Blutzellen wie der Infiltratzellen in den Ge¬ 
weben bilden. Bei den 3 Kranken sind ja unzweifelhaft. Formen 
da, die einen weiter vorgeschrittenen Entwicklungszustand in der 
Richtung der Myeloidzellen darstellen, sowohl im Blut, während 
der späteren Zeit des Krankheitsverlaufes, als auch in den Organen. 
Aber bei den ersten beiden Kranken haben wir auch in den Or¬ 
ganen nur eine Art von Zellen, die untereinander, zwar mit 
zahlreichen kleinen Verschiedenheiten versehen, im ganzen doch 
nur den Typus der Stammzelle, und zwar ihre myeloide Form, 
darstellen. In allen Organen: Knochenmark, Lymphdrüsen, Milz, 
Leber, Niere fanden sich aber die gleichen Zellen. Nirgends tragen 
sie Kennzeichen davon, daß sie zur lymphoiden oder myeloiden 
Reihe gehören — immer und immer findet sich anatomisch eine 
Anzahl der gleichen Zellen, die jedes von beiden sein können. 
Also anatomisch läßt sich nur sagen: man findet eine außerordent¬ 
liche Hyperplasie der noch indifferenten Mutterzellen; sei es, daß 
diese überall entstehen, sei es, daß sie nur in einem Gewebe ent¬ 
stehen und überall hin massenhaft verschleppt werden. Dann 
läßt sich aber nicht sagen wo der morphologische Bildungsherd 
ist. Deswegen scheint die erstere Annahme wahrscheinlicher. Die 
Oxydasereaktion konnte in Fall 1 aus technischen Gründen nicht 
ausgeführt werden, fiel aber im Fall 2 in der Leber bei allen 
Stammzellen positiv aus. 

Fall 3 (Dr. Eckstein). Diagnose: Leukämie: Schwellung 
der Milz mit ausgedehnten perisplenitischen Verwachsungen und 
Kapselverdickungen; Thrombose fast aller kleinen Milzarterien. 
Leukämische Infiltration beider Nieren (350 bzw. 310 g) mit hoch¬ 
gradiger Vergrößerung und multiplen Hämorrliagien an der Ober¬ 
fläche. Leukämische Vergrößerung der Leber (2520 gl. Hoch¬ 
gradige Stomatitis und Pharyngitis. Geringe Schwellung der 


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364 Ewald, Frehse u. Hennig 

linken, beinahe walnußgroße der rechten Tonsille. Kleine Hämor- 
rhagien des Epikards, der Pleura, beider Lungen und der Blasen¬ 
schleimhaut. Hochgradige allgemeine Anämie. Harnsäurekonkre¬ 
mente im rechten Nierenbecken und Ureter. Schwellung portaler 
und lumbaler Lymphdrüsen. 

Leber: Daa Glisson’sche Bindegewebe ist ziemlich stark ver¬ 
breitert und weist lockere leukämische Infiltrate auf. Ira Gegensatz 
hierzu enthalten die intraazinären Kapillaren nicht sehr zahlreiche leuk¬ 
ämische Zellen, eher noch in nächster Nachbarschaft der Zsntralvene. 
Hier finden sich nicht ganz selten Nekrosen, die mit leukämischen Zellen 
dicht durchsetzt sind. Infolge Erweiterung der Kapillaren im zentralen 
Teile der Azini (offenbar durch Stauung) sind hier die Leberbalken stark 
verschmälert, teilweise finden sich nur noch einzelne oder zusammen¬ 
hängende Zellen als Reste von ihnen. In einem Teil der Läppchen 
findet sifeh feinkörnige Verfettung der Leberbalken (Sudanfärbung). 

Die Infiltratzellen bestehen zum kleineren Teile aus Stammzellen 
mit leicht basophilem Protoplasma und rundem bis leicht ausgebuchtetera 
feinnetzigem Kern. Viel häufiger finden sich Myelocyten mit ßtark oxy- 
philem Protoplasmaleib und rundlichen bis starkgelappten plump struk¬ 
turierten Kernen. Auch reife Granulocyten und Lyraphocyten finden 
sich nicht selten. 

Milz: Die Struktur ist stark verwischt. Follikulär und perifolli¬ 
kulär finden sich ausgedehnt rundliche scharf gegen das angrenzende 
Gewebe abgegrenzte Hämorrhagien. Die meist in der Mitte der Hämor- 
rhagien gelegenen Zentralarterien heben sich bei Elastikafärbung sehr 
schön heraus und zeigen eine ziemlich dicke Wandung, zum Teil sind 
sie noch von einem schmalen Saum typischer Lymphocyten umgeben. 
Die Pulpa ist aufs dichteste von leukämischen Zellen durchsetzt, zwischen 
denen sich Hämosiderinpigment findet. Auch hier präsentieren sich die 
Infiltratzellen zum größten Teil als Jugendformen der myeloischen Reihe. 
Wenig Stammzellen, reichlich Myelocyten (ziemlich viel eosinophile Mye- 
locyten) und mehr zuriiektretend reife Elemente. Im Milzausstrich fanden 
sich reichlich Pneumokokken. 

In der Niere finden sich in Rinde wie im Mark dichte Infiltrate 
leukämischer Zellen, durch die die Harnkanälchen teilweise auseinander- 
gedrängt werden. Tn den Harnkanälchen zeigen die Epithelien fein- 
körni'je Vorfi*11ung. 

Die lntiitrutzellen sind hier von gleicher Art wie in den übrigen 
Organen, Vertreter der myeloischen Reihe, — Die Oxydasereaktion Gel 
bei allen diesen Zollen positiv aus. 

Lumbale Lymphdrüsen: Die Drüsenstruktur ist stark ver¬ 
wischt. Nur dicht unter der Kapsel finden sieh noch Reste von Fol¬ 
likeln. Im übrigen besteht dichte Durchsetzung mit leukämischen Blut- 
zellen, die an einer Stelle infiltrierend die Kapsel durchsetzt und sich in 
das perilymphatisehe Fettgewebe vorschiebt. Die noch über das ganze Ge¬ 
webe zerstreuten Lymphocyten und Reticulumzellen sind durchsetzt von 
myeloischen Elementen: Stammzellen mit runden und gebuchteten Kernen, 
Myelocyten, und vereinzelt neutrophile und eosinophile Granulocyten. 


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Akute Monocyten- und StaoimzellenleukämieD. 365 

Es scheint uns in diesen drei Fällen nur folgende Deutung 
möglich: der Reiz, der in den Blutbildungsstätten die Neubildung 
der Zellen hervorruft, führt hier durch die Stärke seiner Wirkung 
zu einer gewaltigen Cytogenese. Sie findet an den Mutterzellen 
des hämatopoetischen Systems statt. Wir vermögen weder durch 
die morphologische Untersuchung des Blutes noch durch die histo¬ 
logische Durchmusterung der Gewebe festzustellen, ob der Reiz 
wesentlich in den eigentlichen Blutbildungsstätten angreift, d. h. 
in den Geweben, die am Erwachsenen die Blutbildung besorgen, 
oder aus den überall verbreiteten Endothelien neue Blutbildungs¬ 
herde schafft. Wahrscheinlich veranlaßt er eine Umwandlung ubi¬ 
quitärer Fibroblasten und Endothelien zu indifferenten Stammzellen 
und schädigt an diesen bald die Fähigkeit zur Weiterentwicklung 
zur myeloischen, bald die zur Entwicklung zur lymphatischen Zelle. 
Für unsere ersten beiden Fälle müßte man eiöe derartige Schädi¬ 
gung der Stammzellen annehmen, daß eine weitere Differenzierung 
überhaupt nicht stattfindet, sondern daß sie — ins periphere Blut 
gelangt — hier altern und — morphologisch — zu Monocyten 
werden. Nur bei dem 3. Kranken zeigte sich in den Organen und 
während des späteren Verlaufes im strömenden Blut eine Bildung 
vieler entwickelter myeloischer Zellen. Indessen eine solche Ent¬ 
scheidung muß weiteren cytologischen und pathologischen Beobach¬ 
tungen Vorbehalten bleiben. 

Mit der Annahme einer Stammzellenleukämie ohne weitere 
Differenzierung möchten wir gar keine prinzipiellen Anschauungen 
über Blutentstehung oder Blutentwicklung bringen. Nur das 
möchten wir hervorheben, daß es — wenn man nicht ausgesprochener 
Blutspezialist ist, aber auch selbst dann nicht immer — trotz aller 
Mühewaltung nicht in allen Fällen gelingt, Stammzellen unter allen 
Umständen als solche des einen oder des anderen Systems zu 
charakterisieren. Uns scheint es besser, dann nur indifferente 
Stammzellen zu diagnostizieren, um so mehr als der klinische Ver¬ 
lauf und die pathologisch-histologische Untersuchung keine Gesichts¬ 
punkte und keine Entscheidungen nach der einen oder der anderen 
Richtung hin geben. Es scheint uns auch, als ob gewöhnlich nicht 
genügend im Auge behalten wird, daß es sich doch höchstwahr¬ 
scheinlich um krankhaft veränderte Zellen handelt. Der patholo¬ 
gische Reiz führt wohl an den Mutterzellen zur Produktion ab¬ 
normer Zellen. Die Zellen sind untereinander sehr verschieden: 
fast keine sieht aus wie die andere im Gegensatz zu der als End- 
Stadium dei myeloischen Leukämie zuweilen auftretenden Myelo- 


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366 Ewald, Fkbhse u. Heknig, Akute Monocyten- und StammzeUenleukämieu. 

blastenleukämie, die durch die Gleichförmigkeit ihrer Zellen charak¬ 
terisiert istiCAlle Zellbilder die in Pappen heim’s Atlas als 
Lymphoidocyten abgebildet sind, kommen in unseren Fällen in dem 
gleichen Präparat voi\T> Außer diesen Formen finden sich zahlreiche 
Übergänge zu Zellen; die morphologisch alle Eigenschaften der 
Monocyten haben. Es liegt uns fern damit etwas Abschließendes 
über die Entstehung der Monocyten sagen zu wollen, das Eine aber 
ist sicher: Zellen, die alle Zeichen der Monocyten aufweisen, können 
eine Entwicklungsstufe von Stammzellen sein. Wir neigen dazu, 
sie als Altersformen der Stammzellen anzusehen, die sich nicht 
mehr weiter entwickeln. Dazu würde die Tatsache gut passen^ 
daß in unserem zweiten Falle, in dem die Zahl der Monocyten 
weniger groß war, die Stammzellen zahlreiche amitotische Kern-: 
teilungsfiguren zeigten. • . — 


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367 


Ans der medizin. Universitätsklinik in Utrecht 
(Prof. Dr. A. A. Hymans van den Bergh). 

Die Beurteilung der Knochenmarksfunktion bei Anämien. 

Von 

Dr. M. J. Roessingh, 

Assistent der Klinik. 

Der Grad einer Anämie an einem bestimmten Augenblick wird 
von zwei Faktoren bedingt. Erstens ist die Blutmenge von Be¬ 
deutung, die täglich der Zirkulation entzogen wird, entweder durch 
den im Körper stattfindenden Erythrocytenzerfall oder (und) durch 
eine äußere oder innere Blutung. Zweitens ist die Fähigkeit des 
Knochenmarks, neue Blutkörperchen zu bilden, in dieser Hinsicht 
von Wichtigkeit. 

Wir können den Wert der zwei erstgenannten Faktoren 
ziemlich gut bestimmen. Die Größe einer äußeren Blutung kann 
ungefähr gemessen werden. Für innere Hämorrhagien, z. B. aus 
dem Magen oder Darmkanal, sind wir auf Taxierungen des ßlut- 
gehaltes der Fäces angewiesen. 

Symptome vermehrten Blutzerfalls gibt es viele, man hat sich 
ihrem Studium in den letzten Jahren mit vielem Interesse zuge¬ 
wandt. Ich nenne hier als die wichtigsten den Nachweis von 
Hämoglobin, Hämatin, freiem Eisen oder von anderen Blutfarbstoff- 
derivaten im Serum, den vermehren GallenfarbstofFgehalt des Blutes 
und die erhöhte Urobilin- resp. Urobilinogenausscheidung mit den 
Fäces und dem Urin. Bei postmortalen Untersuchungen ist der 
Befnnd von Siderosis von Leber und Milz und einigen anderen 
Organen in dieser Hinsicht von großer Bedeutung. 

An dieser Stelle will ich mich aber nur mit dem Regenerations¬ 
vermögen des Marks beschäftigen. Die Beurteilung dieser Funktion 
ist viel schwieriger als die des Blutverlustes und unser Studium 
befindet sich hier nur noch in seinen Anfängen. Z. T. kommt es 
zweifellos daher, daß uns der Reiz, der das Knochenmark zur 


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368 Koessingh 

NeubilduDg der roten Blutkörperchen anregt, noch unbekannt ist. 
Und doch muß man bei der merkwürdigen Unveränderlichkeit der 
Blutkörperchenzahl im cmm einen regulierenden Mechanismus 
voraussetzen. 

Man hat hier wohl an chemische Körper gedacht („Häraa- 
poetinen“ von Carnot); aber den meisten Untersuchem ist es nicht 
gelungen, diese Substanzen im Blute nachzuweisen. 

Sauerstoffmangel ist auch schon früh als Reiz zur Neubildung 
der Erythrocyten angenommen. Man hat aber in genauen gas¬ 
analytischen Untersuchungen sein Vorkommen bei Anämien nicht 
nachweisen können. Und auch in normalen Verhältnissen kann 
ihm doch keine Bedeutung zugeschrieben werden. 1 ) 

Es ist wahrscheinlich, daß das Knochenmark unter dem Ein¬ 
fluß von verschiedenen anderen Organen steht. Veranlaßt durch 
das Vorkommen von Leuko- und Thrombopenie, bei vielen Fällen 
von Splenomegalie, hat E. Frank 2 3 ) einen Antagonismus zwischen 
Milz und Mark angenommen. Es sind aber auch andere Erklärungen 
für diese Erscheinungen gegeben. 

Auch werden nach Splenektomie manche abnormale Eigen¬ 
schaften der roten Blutkörperchen beobachtet (erhöhte Resistenz 
gegen hypotonische Salzlösungen, hämolytische Sera, Saponin und 
Kobragift, Howell-Jolly’sche Körperchen “)). 

Schließlich kann ich noch auf die Chlorose hinweisen, wobei 
von vielen Untersuchern an einen Einfluß der interstitiellen Eier- 
stockdriise auf das Mark gedacht wird (v. Noorden, 4 ) Nägeli 5 )). 

Auch beim Morbus Addisonii und beim Myxödem wird öfters 
eine leichte Anämie beobachtet, die wahrscheinlich in dieser Weise 
erklärt werden muß (Nägeli fl )). 

Das Vorkommen von Fällen von Blutarmut verursacht durch 
ungenügende Arbeit des Marks kann nicht bezweifelt werden. 
Die deutlichsten Beispiele sind Anämien bei Tumoren der Medulla 
ossium (Myelom, Careinom, Sarkom, einige Fälle von myeloider und 
lymphoider Leukämie), wo der Erythroblastenapparat von den 
progressiv wachsenden pathologischen Geweben zerstört wird. Bei 

1) Literatur bei Morawitz, Ergebnisse der innereu Medizin Bd. 11, 1913. 

2) Berliner klin. Wochen sehr. 1915. T6 u. ’17. 

3) Literatur bei Hirsch fehl in Kraus u. Brugsch, Spez. Pathol. u. 
Therapie Bd. VIII, 1915. 

4) Nothnagel. .Spez. Pathol. u. Therapie Bd. VII. 

5 Blutkrankheiten 1919. 

Ui Folia Haeinutologica Bd. 25, 1920. 


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Die Beurteilung der Knochenmarksfunktion bei Anämien. 369 

der Benzol Vergiftung werden ähnliche Zerstörungen beschrieben 
(Selling, 1 ) Hurwitz und C. Drinker 2 * )). 

Meistens ist die Rolle des Knochenmarks schwieriger zu 
würdigen. Die Methoden die wir zu dieser Beurteilung benutzen 
können, werde ich im folgenden besprechen. 

Vollständigkeitshalber nenne ich nur die von Ghedini 8 ) vor¬ 
geschlagene Probepunktion des Marks, weil eigene Erfahrungen 
mir fehlen. Nachfolger hat seine Methode zu diesem Zweck, so¬ 
viel ich weiß, auch nicht gefunden. 

A. Anwendung von bestimmten Reizen. 

In der gegenwärtigen Blütezeit der funktionellen Diagnostik 
darf es wundern, daß noch keine Körper beschrieben worden sind, 
die diesen Dienst beim Knochenmark leisten können. 

Die Beurteilung der Reservekraft dieses Organs ist doch 
ungemein wichtig. Die Verhältnisse sind hier aber schwierig. 

Es findet doch in der Medulla die Neubildung von verschiedenen 
Zellarten statt, zwischen-welcher öfters ein gewisser Zusammenhang 
nicht zu verkennen ist (man sehe z. B. das Blutbild bei vielen 
Infektionskrankheiten bei Kindern); manchmal verhalten sie sich 
ganz* unabhängig von einander. Man müßte also Mittel haben, die 
uns in den Stand setzten die Funktionen des Erythroblasten-, des 
Myeloblasten- Myelocyten- und des Megakaryocytenapparates (das 
nach vieler Meinung die Thrombocyten liefert) zu beurteilen. So¬ 
weit sind wir aber noch nicht, 

Körper, die Leukocytose erregen, kennen wir und sind in der 
(Chirurgie in diagnostischer und therapeutischer Absicht, wie das 
Natrium nucleinicum, das Gelatin und das Kollargol verwendet 
(Renner, 4 ) v. Decastello u. Krjukoff 5 * )). Siegeben aber keine 
Auskunft über die Fähigkeit des Markes, rote Blutkörperchen zu 
bilden. In dieser Hinsicht würde man vielleicht geneigt sein, an das 
Eisen und das Arsenik zu denken, aber die Wirkungsweise dieser 
zwei wichtigen Heilmittel ist noch zu unsicher, daß sie für unseren 
Zweck Verwendung finden könnten. 

Im Experiment ist es leichter. Man macht das Tier anämisch 
und untersucht jetzt die Regeneration, beeinflußt von verschiedenen 

1) Zieglers Beitrüge z. allgem. Pathol. u. path. Anatomie B l. 51, HUI. 

2) Journ. of exper. Med. Vol. 21, HU 5. 

5) Cit. n. Gilbert u. Weinberg, Traite du Sang. H*13. 

4) Mitteil. a. d. Grenzgebieten d. Med. u. ('hirurgie. Bd. 15. lHufi. 

5) Med. Klinik HUI. 

Deutsches Archiv für klin. Medizin. Bd. 24 


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370 


Koessi.noh 


Faktoren. Ein Versuch, der damit verglichen werden kann, ist 
auch beim Menschen gemacht worden. Bierfreund, 1 2 ) hat in der 
Klinik von Mikulicz bei einer sehr großen Zahl von Patienten 
den Hämoglobingehalt vor und nach der Operation, die doch 
meistens von einem kleinen Blutverlust begleitet wird, bestimmt. 
Aus seinen Tabellen ist deutlich zu sehen, wie die Regeneration 
des Blutes bei steigendem Alter langsamer vor sich geht und wie 
Tuberkulose, Syphilis, besonders aber maligne Tumoren einen 
hemmenden Einfluß in dieser Hinsicht haben. 

Es ist mir aber nicht gelungen, spätere ähnliche Untersuchungen 
in der Literatur aufzufinden. 

B. Beurteilung des Blutpräparats. 

Meistens sucht man zur Beurteilung der Regenerationsfähigkeit 
des Marks im Blutpräparate nach jugendlichen Zellformen. Man 
achtet dabei auf die folgenden Eigenschaften der Erythrocyten: 
Polychromatophilie, basophile Tüpfelung und Anwesenheit eines 
Kernes. Der Nachweis der Howell-Jolly’Schen Körper und der 
Cabot’schen Ringe bleibt hier ihrer besonderen Bedeutung wegen 
außer Betrachtung. 

Es ist hier nicht am Platz, diese verschiedenen Vorgänge aus¬ 
führlich zu besprechen; in den hämatologischen Handbüchern ist 
in dieser Hinsicht alles Nötige zu finden. 

Man ist wohl einer Meinung darüber, daß Polychromasie im 
strömenden Blut die Anwesenheit von jungen Erythrocy ten anzeigt. 

Die basophile Tüpfelung wird auch gewöhnlich als Regenerations¬ 
zeichen, sei es auch in pathologischer Richtung, gedeutet. 

Es ist uns noch wenig bekannt, weshalb die Erythroblasten 
in den peripheren Gefäßen erscheinen. Man weiß, in welcher großen 
Zahl sie öfters bei Knochenmarkstumoren gesehen werden, was 
einer Reizung des Marks zugeschrieben wird. 

Bei Blutungsanämien werden sie öfters, nicht immer, gesehen, 
verschwinden aber manchmal bei Wiederholung der Blutung. 
C. Drinker, M. Drink er und Kreutzmann 5 ) haben vor 
einigen Jahren versucht, in dieser Frage mehr Klarheit zu bringen. 
Bei Tieren erschienen nach großer körperlicher Anstrengung zahl¬ 
reiche Normoblasten im peripheren Blut. Die Autoren sind der 
Meinung, daß sie aus inneren Venen stammen, wo sie in großer 

1) Arcli. f. kl in. Cliimr. Kd. 41, 18<H). 

2) Journ. of e\]»criim*n(. Muderine. Vol. 27, 11*18. 


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Origiral frcm 

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Die Beurteilung der Knochenmarksfunktion bei Anämien. 


371 


Zahl zu finden sind. Bei Wiederholung der Arbeit wurden die kern¬ 
haltigen Zellen nicht mehr gesehen. Nach Blutung wurde eine 
geringe Zunahme der Erythroblasten beobachtet; bei starker Neu¬ 
bildung werden sie zahlreich, verschwinden aber bei Wiederholung 
des Versuches. Die Autoren nehmen auch hier hauptsächlich eine 
andere Verteilung der kernhaltigen Zellen in den verschiedenen 
Gefäßgebieten an, eine Seite dieser Frage, die nur noch wenig 
gewürdigt ist. 

Werden diese Versuche bestätigt, dann sehen wir, daß auch das 
Vorkommen von Normoblasten im peripheren Blute noch wenig über 
die Regenerätionsfähigkeit des .Marks aussagt. 

Auch die Polychromatophilie und die basophile Tüpfelung haben 
in dieser Hinsicht doch nur geringen Wert. 'Wir möchten diese 
Regeneration doch gerne quantitativ beurteilen. 

Die basophile Tüpfelung wird zu selten gefunden und hat doch 
auch eine besondere pathologische Bedeutung. Die Polychromato¬ 
philie ist aber ungemein schwierig quantitativ zu schätzen, so daß 
zwei Untersucher dasselbe Präparat zweifellos verschieden beurteilen 
werden. 

In dem letzten Jahrzehnt sind nun einige Methoden beschrieben 
worden, die uns hier helfen können. Es sind die vitale Färbung 
und die Sauerstoffzehrung. Ich habe sie daher bei einer großen 
Zahl von Patienten einer Prüfung unterworfen, worüber im folgen¬ 
den Abschnitte berichtet wird. 

Vitale Färbung. 

Es ist bekannt, daß man hierbei das Blut gleich vom Finger 
in die Farbstofflösung auffängt und später ein Präparat anfertigt. 
Ich bekam stets ausgezeichnete Resultate mit der Methode von 
W id a 1, A b r a m i und B r u 1 e x ): In einem Reagenzgläschen mischt 
man 2 ccm einer 1 x / 2 % Kaliumoxalat-Lösung in 0,9 NaCl mit 10 
Tropfen Polychrom-Metbylenblau von Unna, 5 Tropfen Blut läßt 
man vom Finger in diese Lösung fallen. Nach 10 Minuten zentri¬ 
fugiert man und stellt vom Bodenbesatz ein Trockenpräparat her. 
Die Erythrocyten sind schwach blau, die Tüpfelung ist dunkel¬ 
braun, bisweilen sieht man Körnchen, bisweilen auch Stäbchen, 
so daß der französische Name „Substance granulo-filamenteuse“ gut 
geprägt ist. 

Im Jahre 1895 zuerst von Israel und Pappenheim be- 


1) Cit. n. Chauffard u. Troisier in Gilbert n. Weinberg, Traitr 
dn Sang, 1918. 


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372 


Bukssingh 


schrieben, hat diese Tüpfelung das Entstehen einer großen Litera¬ 
tur angeregt, an welcher sich besonders italienische und franzö¬ 
sische Autoren beteiligt haben. Man weiß jetzt, daß diese vital¬ 
färbbaren Zellen beim Embryo im Mark und im Blut, bei Er¬ 
wachsenen im Mark stets in ziemlich großer Zahl gefunden werden. 
Aber auch im peripheren Blut trifft man sie in normalen Verhält¬ 
nissen an; meistens wird 1—2°/ 0 angegeben. Nägeli 1 ) spricht 
aber neulich von nur 0,1 —0,2 °/ 0 . 

Weil man diese Substanz auch in Normoblasten mit noch ganz 
intaktem Kern und in den Erythrocyten der Vögel antrifft, ist ihr 
nucleärer Ursprung unwahrscheinlich. Nach Fixation kann die 
Tüpfelung durch keine Färbung mehr hervorgerufen werden, sie 
ist also eine Reaktion des lebenden oder agonalen Protoplasmas 
mit dem Farbstoff aufzufassen. Weder mit der basophilen Tüpfe¬ 
lung noch mit der Polychromatophilie ist sie gleich zu stellen, ob¬ 
gleich ein naher Zusammenhang angenommen wird, wie aus der 
nachfolgenden Giemsafärbung deutlich wird (S c h i 11 i n g - T o r g a u 2 * ). 

Von der übergroßen Mehrheit der Autoren wird die vitale 
Tüpfelung als eine Eigenschaft junger Zellen aufgefaßt (vgl. Fer- 
rata 8 ). Klinische Bedeutung bekam dieses Symptom bekannter¬ 
weise, als von Chauffard, Widal und ihren Schülern sein häu¬ 
figes Vorkommen beim hämolytischen Ikterus nachgewiesen wurde. 
Nachher wurde auch bei anderen Anämien ihre Zunahme fest- 
gestellt. Allmählich ist so die Auffassung entstanden, daß wir in 
dieser vitalen Tüpfelung ein wuchtiges Symptom starker Knochen- 
marksfunktion sehen können, eine Meinung, die besonders in der 
amerikanischen Literatur der letzten Jahre zum Ausdruck kommt 
(Minot, 4 5 ) Pepper und Peet, s ) Musser, 6 ) Harrop, 7 ) Cun- 
ningham,*) Rieux, 9 } Nägeli 10 }). 

Eine Bestätigung dieser Auffassung fiuden wir in den Ver¬ 
gehen von Robe r t s o n. 1 ') Bei Tieren wurden täglich kleine Blut- 

1) Blutkrankheiten, 1919. 

2) Fulia liaeinatologica Bd. 11, 1911. 

3i Ebenda Bd. 9 u. 10, 1010. 

4) Americ. Journ. uf the medical Sciences, 1016. 

5) Archive* of internal Medeciue, 1014, cit. n. Minot, etc. 

6) ibid. 

7) Archive* oi internal Medeciue 1010. 

8) Ehernl. 1020. 

9) Archive* d. Maladies du cour et du Saug, 1920. 

10) Blutkraukheiten, 1919. 

11; Journ. of exjierim. Medeciue. V. 26, 1917. 


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Die Beurteilung der Knochenmarkafunktion bei Anämien. 


373 


transfusionen gemacht, die dem täglichen Blutzerfall ungefähr ent¬ 
sprachen. Die Anregung zur Neubildung junger Erythrocyten wurde 
dadurch dem Mark entnommen und man sah denn auch die vital 
getüpfelten Zellen ganz aus dem peripheren Blut verschwinden. 

Bei einer großen Anzahl von anämischen Patienten habe ich 
die vitale Tüpfelung untersucht und verglichen mit einer anderen 
Eigenschaft der roten Blutkörperchen, die Sauerstoffzehrung. 

Zuerst habe ich bei 30 gesunden Personen die vitale Tüpfe¬ 
lung bestimmt. Die Ungewißheit, welche Zahlen man als normal 
betrachten mußte, machte diese Untersuchung notwendig. Ich fand 
dabei, daß 0,4—1,8 °/ 0 der roten Blutkörperchen getüpfelt waren. 

€. Sauerstoffzehrung der Erythrocyten. 

Die Eigenschaft der roten Blutkörperchen unter bestimmten 
Verhältnissen eine meßbare Menge Sauerstoff für ihre Atmung zu 
gebrauchen und dazu ihr eigenes Oxyhämoglobin zu reduzieren ist 
zuerst von Morawitz und Itami 1 ) bei Menschen mit verschie¬ 
denen Krankheiten näher untersucht. Die Zahl ihrer Patienten 
ist aber nicht sehr groß und eine Nachprüfung hat diese Methode, 
soviel ich weiß, fast nicht gefunden. Weil diese „Sauerstoff¬ 
zehrung“, wie diese Eigenschaft von Morawitz genannt worden 
ist, aber als ein Zeichen der Jugend der Erythrocyten aufgefaßt 
wird, schien es wichtig, diese Methode in eine Untersuchung, die 
sich mit der Regenerationsfähigkeit des Knochenmarks beschäftigt, 
zu beziehen. 

Wie bekannt ist, wird diese Zehrung folgenderweise bestimmt: 
Mittels einer Spritze aus einer Armvene entnommenes Blut wird 
defibriniert und einige Male mit physiologischer Salzlösung aus¬ 
gewaschen. Man fertigt dann eine Emulsion roter Blutkörperchen 
von willkürlicher, aber ziemlich großer Stärke an. Diese wird 
durch lange anhaltendes Schütteln mit Sauerstoff gesättigt In 
einem Teil dieser Emulsion wird die maximale Sauerstoffkapazität 
nach Haldane und Barcroft 2 ) mittels Ferricyankalium in ihrem 
alten oder neuen Apparat bestimmt. 

Einen anderen Teil gießt man in ein kleines mit genau 
schließendem Qummikorken versehenem Reagensgläschen in welchem 
sich einige Glasperlen befinden. Mit einiger Geschicklichkeit ist 
es möglich, daß dieses geschieht, ohne daß eine Luftblase unter 


1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 100, 1910. 

2) Respiratory Function of the Blood, 1914. 


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374 


Roessingh 


dem Korke übrig bleibt. Man stellt das Gläschen 4 Stunden in 
einem Brutschrank von 37 0 C, und bestimmt nach dieser Zeit den 
Sauerstoffgehalt. 

Eine absolute Bedingung bei dieser Versuchsanordnnng ist 
natürlich ein vollkommen steriles Arbeiten, weil Bakterien sonst 
das Oxyhämoglobin reduzieren würden; die größte Sorgfalt ist also 
nötig, aber wie öfters angelegte Kulturen mir bewiesen, ist diese 
Sterilität gut zu erreichen. 

Wird eine Verringerung des O-Gehaltes, verglichen mit der 
ursprünglich bestimmten O-Kapazität, festgestellt, dann gibt es 
verschiedene Möglichkeiten. Wir wissen, wie sehr bald sich in 
einer Blutlösung in einem Brutschrank bei 37° Methämoglobin 
bildet. Bei vollkommenem Luftabschluß findet dieses aber in dieser 
Zeitdauer nicht statt, wie vor einer nachherigen Sättigung mit 0 * 
bewiesen wird. 

Aus der O-Dissoziationskurve des Hämoglobins, wie sie von 
Barcroft 1 ) u. a. bestimmt ist, wissen wir, daß Blutkörperchen¬ 
emulsionen, die bei 15° mit 0 gesättigt sind, bei 37° einen Teil 
ihres Sauerstoffs verlieren. Dieser geringe Verlust kann aber nicht 
die bisweilen sehr große Abnahme des Gehalts erklären. Weiter 
haben die Untersuchungen von H a 1 d a n e und seinen Mitarbeitern 
gezeigt, daß die C0 2 -bindende Fähigkeit des Hämoglobins von außer¬ 
halb dem Körper verwahrten Blut abnimmt, was der Bildung von 
sauren Stoffen zugeschrieben wird, die auch die O-Dissoziations¬ 
kurve stark beeinflussen. Bei der kurzen Dauer unseres Ver¬ 
suches ist dies aber nicht zu fürchten, wie auch hier wieder von 
einer nachherigen wiederholten Sättigung mit 0 bewiesen wird. 

Man wird also die Schlußfolgerung machen müssen, daß die 
Erythrocyten ebenso wie andere Körperzellen 0 verbrauchen und 
dazu ihr Oxyhämoglobin reduzieren. Man nimmt gewöhnlich an, 
daß die roten Blutkörperchen ihrer Kernlosigkeit wegen eine ge¬ 
ringe Vitalität besitzen und wenn wir den O-Verbrauch als Grund¬ 
lage nehmen, so ist das auch beim Menschen in der Tat der Fall, 
während z. B. die Vogelerythrocyten eine deutliche O-Zehrung 
zeigen (W a r b u r g 2 )). 

Morawitz 3 ) hat nun nachgewiesen, daß unter bestimmten 
Verhältnissen diese Eigenschaft auch beim Säuger gefunden wird. 
Wird das Versuchstier anämisch gemacht, dann tritt eine deut- 

1) 1. c. 

2) Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 59, 1909, Bd. 69 u. 70, 1910, 

3) Areh. f. exper. Pathol. u. Pharmakologie Bd. 60, 1908. 


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Die Beurteilung der Knochenmarksfunktion bei Anämien. 


376 


liehe O-Zehrung auf, was von ihm der Gegenwart junger Erythro- 
cyten in der Zirkulation zugeschrieben wird, eine Meinung, die von 
dem Vorkommen eines hohen P-Gehalts des Blutes mit starker 
Zehrung unterstützt wird (Masing 1 )). Morawitz’Resultate sind 
von Itami, 2 3 ) Douglas 8 ) und Harrop 4 ) bestätigt worden. Ein 
Unterschied trat dabei hervor zwischen Anämien angeregt durch 
Aderlaß und denjenigen verursacht durch Pyrodininjektionen. Im 
zweiten Fall, wo die Blutreste größtenteils im Körper bleiben, ist 
die Zehrung größer als bei erstgenannten Versuchstieren. . 

Der O-Verbrauch ist an der Integrität der Zelle gebunden; 
steriles, lackfarbenes Blut zeigt nach 4 Stunden in dem Brut¬ 
schrank, wie ich ebenso wie die anderen Autoren in meinen Versuchen 
feststellen konnte, keine Änderung seines O-Gehaltes. 

Leukocyten und Thrombocyten beteiligen sich natürlich leb¬ 
haft an dieser Atmung, die letzten werden aber durch das Defibri- 
nieren entfernt und die ersten sind in zu geringer Anzahl an¬ 
wesend, daß sie Einfluß haben könnten. Die folgenden Zahlen 
bestätigen das: 

I. v. K. Ca. ventriculi: 

O-Kapazität: 19,98 °/ 0 , 

O-Gehalt nach dem Brutschrank: 18,89°/ 0 , 

O-Verbrauch: 0,19°/ 0 , 

Leukocyten in der Emulsion: 4750. 

II. v. B. Tumor retroperitonealis: 

O-Kapazität: 20,11 %, 

O-Gehalt nach dem Brutschrank: 19,18%, 

O-Verbrauch: 0,02%, 

Leukocyten in der Emulsion: 3675. 

III. v. H. Ca. ventriculi: 

O-Kapazität: 5,57%, 

O-Gehalt nach dem Brutschrank 4,92%, 
kein O-Verbrauch, 

Leukocyten in der Emulsion 2350. 

Nach Itami 5 ) soll man 0,1% des O-Verbrauchs auf je 1000 
Leukocyten pro 1 emm annehmen. Obgleich diese Zahl eher zu 


1) Archiv f. exper. Pathol. u. Pharmakologie, Bd. 66, 1911. 

2) Ebenda Bd. 62, 1909. 

3) Journ. of Physiology, V. 39, 1909/10. 

4) Archiv, of internal Medecine, V. 23, 1919. 

5) Archiv f. exper. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 62, 1909. 


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376 


Roessingh 


Loch als zu niedrig ist, habe ich mich doch bei meinen Berech¬ 
nungen an diese Aufgabe gehalten. 

Das Prinzip der Methode ist oben auseinandergesetzt. Für 
die genauere Technik muß nach der ausführlichen Beschreibung 
von Morawitz, Barcroft u. a. verwiesen werden. 

In dieser Weise wird also die Sauerstoffzehrung bestimmt, 
eine Zahl, die in Prozenten das Verhältnis der O-Abnahme zu der 
maximalen O-Kapazität darstellt. 

t )as Ergebnis meiner Untersuchungen ist das folgende: 1 ) 

Nabelvenenblut zeigt im allgemeinen eine starke Zehrung und 
vermehrte vitale Tüpfelung (Mittelwert von 7 Fällen Zehrung 
22,71 %, Tüpfelung 4,8 u / 0 ). Es wäre interessant diese Eigenschaften 
in den ersten Lebensjahren zu untersuchen. In Übereinstimmung 
mit Morawitz fand ich, daß das Blut eines normalen Erwachsenen 
keine O-Zehrung und eine Tüpfelung von nicht mehr als 2 % zeigt 
Das Blut muß also wahrscheinlich diese Eigenschaften in den 
Kinderjahren verloren haben. 

Bei sekundären Anämien sind die Ergebnisse sehr verschieden. 
So zeigten z. B. 5 Patienten mit Ulcus ventriculi und Magenblutung 
bei einem Hämoglobingehalt von resp. 20, 45, 58, 85 und 72% 
eine Zehrung von 37,34, 31,80, 35,29, 7,37 und 14,89% und eine 
Tüpfelung von 4,3, 4,7, 4,1, 2,4 und 6,8%. 

Eine Patientin mit Blutarmut nach einem Abortus hatte 4,6% 
getüpfelte Zellen und eine Zehrung von 46,56% (Hämoglobin* 
gehalt 54%). 

Interessant sind auch zwei Fälle von Myxödem und Anämie 
nach Thyreoidgebrauch mit deutlich erhöhten Zahlen: I. Hb.-Geh. 
52%, Zehrung . 57,70%, Tüpfelung 4,6%; II. Hb.-Geh. 68%, 
Zehrung 9,04 %, Tüpfelung 4,2%. 

Die Zahl der von mir untersuchten Tuberkulosepatienten ist 
zu klein, um daraus entnehmen zu können, daß hier Markinaktivität 
eine, bedeutende Bolle beim Zustandekommen der Anämie spielen 
sollte. Zweimal wurde kein Sauerstoff von der Emulsion verbraucht 
(Hb.-Geh. resp. 50 und 65 %), einmal war die Zehrung 8,21% 
(Hb.-Geh. 70%), während sie bei einem Mädchen von 16 Jahren 
die Höhe von 19,73%, erreichte (Hb.-Geh. 85%). Die Tüpfelung 
war bei den ersten drei genannten Personen normal, beim Mädchen 
ergab sich eine leichte Vermehrung bis zu 2,8%. 

Auffallend gering sind die Zeichen der Markaktivität beim 

1) I he Tabellen sind auf Wunsch der Redaktion wegijelassen. 


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Die Beurteilung der Knochenmarksfanktion bei Anämien. 


377 


Carcinom. Sechsmal konnte kein Sauerstoffverbrauch nachgewiesen 
werden, fünfmal zeigte sich eine leichte Zehrung, während die 1 
Tüpfelung nicht vermehrt war mit Ausnahme eines Lebercarcinoms 
(4,8 °/ 0 ) und zwei Fälle mit Knochentumorenmetastasen (3,3 resp. 
12%)- Die Frage der Carcinomanämie wird in einer späteren 
Mitteilung noch näher erörtert werden. 

Einige Patienten mit septischen Erkrankungen zeigten leb¬ 
hafte Neubildung roter Blutkörperchen, z. B. G. (nach Fiebernach¬ 
laß): Hb. 25 %, Zehrung 32,29 %, Tüpfelung 12 %; D.: 72 %, 17,62 % 
resp. 5,2 °/ 0 . 

Manchmal lassen sich die Heilungstendenzen einer Anämie 
schön an den hier untersuchten Eigenschaften nachweisen: 

A. Chloroanämie unbekannter Ursache; beim Eintritt in die 
Klinik: 

Hb.-Geh. 48°/ 0 , Zehrung 0,9 %, Tüpfelung 0,9%, 
nach 4 Wochen: „ 85°/ 0 , „ 24,58%, „ 2,4%. 

B. Chloroanämie unbekannter Ursache: 

Hb.-Geh. 32%, Zehrung 2,70%, Tüpfelung 0,8 % 
nach 3 Wochen: „ 42%, „ 26,85%, „ 11,3%. 

S. Hämolytischer Ikterus: 

Hb.-Geh. 20%, Zehrung keine, Tüpfelung 7,2% 
nach 5 Wochen: „ 45%, „ 22,62%. „ 4,6%. 

Der Einfluß einer wegen wiederholten Schmerzanfällen in der 
Milzgegend ausgeführten Splenektomie bei einer anderen Patientin 
mit hämolytischem Ikterus ergibt sich aus den folgenden Zahlen: 

H. Hb.-Geh. 78%, Zehrung 6,15 %, Tüpfelung 1,8% 

9 Tage nach der Splenektomie: 

Hb.-Geh. 75%, , 15,63%, ,. 5,7% 

50 Tage nach der Splenektomie: 

Hb.-Geh. 80%, „ 6,80 %, „ 14,8%. 

Bei der perniziösen Anämie 1 ) wurde fast regelmäßig erhöhte 
Neubildung gefunden. Die Zehrung schwankte bei 12 Patienten 
zwischen 1,53 und 66,80%, Mittelwert 19,89%. Für die Tüpfelung 
waren diese Zahlen 0,5, 19 und 8,6%. 

Bei einigen Patienten mit perniziöser Anämie habe ich vitale 


1) Ich möchte zur Diagnose der perniziösen Anämie bemerken, daß diese 
Krankheit hier als eine klinische Einheit aufgefaßt wird, wenn Magen-Darm* 
erscheinungeu, Zungenbeschwerden, hypercbrome Anämie mit Megaloblasten im 
Ausstrich, Leuko- und Thrombopenie, erhöhter Bilirubingehalt des Blutserums 
und der bekannte Verlauf mit Remissionen Zusammentreffen. 


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Robssingh 


Tüpfelung und O-Zehrung öfters bestimmt. Die Notwendigkeit 
jedesmal Venapunktionen zu machen und die zeitraubende Me¬ 
thodik machten nur eine kleine Reihe von Bestimmungen möglich. 
Gewöhnlich sieht man bekanntlich, daß die Patienten beim Ein¬ 
tritt in die Klinik sich in einem Stadium starken Blutzerfalls und 
geringer Regeneration befinden. Nach einiger Zeit tritt Besserung 
ein. Der Bilirubingehalt des Serums und die Urobilinurie nehmen 
ab. Die meisten meiner Fälle sind in diesem Stadium untersucht. 
Ist der Anfall vorüber, wobei der eine Patient 80 % Hämoglobin 
erreicht, der andere nie über 60 °/ 0 hinaussteigt, so nehmen vitale 
Tüpfelung und O-Zehrung ab um eine Höhe, wie sie bei normalen 
Personen vorkommt, zu erreichen. Auch der Bilirubingehalt ist in 
diesem Stadium als Regel nicht erhöht. 

Besonders interessant sind die Fälle mit Bluttransfusion. Wie 
bekannt haben wir noch keine deutliche Vorstellung, in welcher 
Weise dieser Eingriff wirkt. Gewiß ist es nicht allererst die Ver- 
mehrnng der Hämoglobinmenge. Nur in seltenen Fällen — mit 
Ausnahme der akuten, traumatischen Verblutungsanämien — be¬ 
kommt man den Eindruck, daß diese der bestimmende Faktor ist. 
Der dritte Patient, bei welchem Transfusion gemacht wurde, hatte 
vor dieser kleinen Operation 220000 rote Blutkörperchen im cmm, 
war dyspnoisch und desorientiert. Gleich nach dem Eingriff (*/., 1 
Blut) war das Sensorium frei und der Patient teilte mit, daß er 
weniger Beschwerden als vorher hatte (nach 2 Tagen 560000 rote 
Blutkörperchen). Meistens wird die Anregung des Knochenmarkes 
zu erneuter und erstarkter Neubildung als Mechanismus der 
zweifellos öfters günstigen Wirkung der Transfusion betrachtet. 
Diese Auffassung wird von den Resultaten meiner Untersuchung 
unterstützt. Eine Zunahme der O-Zehrung und mehr oder weniger 
auch der vitalen Tüpfelung ist in 3 von den 4 Fällen deutlich. 


H. Enterogene Anämie: 

Hb.-Geh. 25%, Zehrung keine, Tüpfelung 3,4%, 
5 Tage nach Bluttransfusion: 


Hb.-Geh. 30%, 

„ 17,36%, 


4,2 % 

V. Perniziöse Anämie: 




Hb.-Geh. 65 %, 

, 4,26%, 


2,3% 

in einem neuen Anfall, 7 Tage 

nach Bluttransf.: 



Hb.-Geh. 40%, 

27,73%, 


2,0% 

5 Wochen nach Bluttransf.: 


Hb.-Geh. 65%, 

,. 41.30%, 

n 

7,5%. 


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Die Benrteiluug der Knochenmarksfunktion bei Anämien. 


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H. Perniziöse Anämie: 

Hb.-Geh. 25°/ 0 , Zehrung35,27%, Tüpfelung 7,2% 

3 Tage nach Bluttransf.: 

Hb.-Geh. 20°/ o , „ 63,25 °/ 0 , „ 8,6 °/ 0 

7 Wochen nach Bluttransf.: 

Hb.-Geh. 43°/ 0 , „ keine, „ 4,3% 

(Patient erreichte keinen höheren Hämoglobingehalt,) 

W. Perniziöse Anämie: 

Hb.-Geh. 25%, Zehrung, 27,42 % 

10Tage nach Bluttransf.: „ 43%, ,, 5,89%. 

(Patientin starb einige Wochen später.) 

Die Ergebnisse meiner Untersuchungen scheinen mir zu zeigen, 
daß .wir in der Bestimmung der Sauerstoffzehrung und der vitalen 
Tüpfelung wertvolle Methoden haben zur Beurteilung der erythro- 
cytenbildenden Funktion des Knochenmarks. Weitere Versuche 
werden die Grenzen und Fehler dieser Methodik zeigen müssen. 
Schade ist es nur, daß die Bestimmung der O-Zehrung ziemlich 
viel Zeit und Übung beansprucht. Die vitale Tüpfelung ist natür¬ 
lich sehr einfach zu prüfen; es scheint mir aber, daß die Unter¬ 
suchung der beiden Eigenschaften zusammen die meisten Auskünfte 
geben wird, weil Zehrung und Tüpfelung nicht immer im gleichen 
Maß erhöht sind. 


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y,*o 


Besprechungen. 

1. 

H. Schade, Die physikalische Chemie in der inneren 
Medizin. Dresden u. Leipzig. 1921. VII, 59ö S. Prei- 
60.— M. 

Das Bach ist in drei Teile gegliedert. Im ersten wir! ein sehr 
gedrängter Überblick über die physikalisch-chemiscnea GrnndtatSachen 
gegeben, der dritte enthält eine kurze Zusammenstellung der medizinisch 
wichtigen physikalisch-chemischen Methoden mit Abbildung zahlreicher 
Apparate und Anweisungen zur praktischen Durchführung der Messungen. 
Der jittlere Abschnitt, der weitaus den grüßten Teil des Ge^amtumfangs 
in Anspruch nimmt (368 S.), ist der Bedeutung der physikalisch-che¬ 
mischen Forschung»- und Denkmethoden für die innere Medizin gewidmet. 
Er ist nach Krankheitsgebieten geordnet und ausgesprochen auf die 
pathologischen Erscheinungen zugeschnitten. Die verarbeitete Literatur 
macht keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern ist im allgemeinen 
im Sinne der eigenen Arbeiten des Verf. ausgewählt. Arbeiten kolioid- 
chemischen Inhalts stehen im Vordergrund. In dem Bestreben ein mög¬ 
lichst abgerundetes und aussichtsreiches Bild de3 Wissensgebietes zu 
geben, ist das vorliegende experimentelle Material nur in geringem Mat 
kritisch gesichtet. Dabei werden die Abstände, die häutig zwischen der. 
gesicherten Grundlagen der physikalischen Chemie und pathologischen 
Vorgängen bestehen, weniger betont, als durch spekulative Analogien 
verschleiert. Dadurch wird allerdings vieles zu einem anregenden Lese¬ 
stoff. Es sei in diesem Sinne nur hingewiesen auf die r Physikochemie 
der Entzündung- (S. 92 ff.) und die -klinische Kolloidchemie des Muskels" 
S. 398 ff). Eine Skizze über die Möglichkeit einer allgemeinen Therapie 
auf physiko-ckeinischer Grundlage schließt den Hauptteil ab. 

Im ganzen bietet das Buch die Möglichkeit einen Überblick über 
die Bedeutung der physikalischen Chemie in der klinischen Medizin zu 
gewinnen und sich an Hand der Literaturangaben in diesen Wissens¬ 
zweig einzuarbeiten. Br-m^r. München. 


2 . 

Schmorl. G., Die pathologisch-histologischen "Unter¬ 
such u n g s m e t h o d e n. 10. und 11. neu bearbeitete Auflage. 
Leipzig. Ver lag von F. C. W. Vogel, 1921. 

Das rühm liehst bekannte und wohl in jedem pathologisch-histolo- 
logi-chen Laboratorium zum unentbehrlichen Inventarstück gewordene 
Buch von Schmorl liegt in neuer Auflage vor. Die einzelnen Kapitel 
sind erneut durchgearbeitet und entsprechend den Fortschritten der histo¬ 
logischen Technik erweitert (so ist z. B. die Gelatineeinbettungsmethodt* 
aufgenommen worden). Das wird dem hervorragend praktischen und ge¬ 
brauchsfähigen Buch zu den alt»m Freunden neue gewinnen. 

Sr hmir.rke. Graz ■ 

G. P.t h-, i’.Mv hhu« te-i • i Liiert ^ i.’o. o. »i \. H . Niuim ' 1 101: :i. > 1 . S. 


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