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DEUTSCHES ARCHIV
fOr
i KLINISCHE MEDIZIN
HRRAÜ3GEGEBEN
j von
Prof. AUFRECHT in Berlin, Pbof. BAEUMLER in Frkiburg, Prof. BOSTRÖM in Giessen,
» Prof. BRAUER in Hamburg, Prof. CURSCHMANN in Rostöck, Prof. FIEDLER in Dresden,
I Prof. FÜRBRINGER in Berlin, Prof. HIRSCH in Bonn, Prof. HIS in Berlin, Prof.
F. A. HOFFMANN in Leipzig, Prof v. JAKSCH in Prag, Prof. v. KÄTLY in Budapest,
Prof KRAUS in Berlin, Prof. KREHL in Heidelberg, Prof. v. LEUBE in Stutt gart, Prof.
LICHTHEIM in Bern, Prof. MARTIUS in Rostock, Prof. MATTHES in Königsberg, Prof.
E. MEYER in Göttingkn, Prof. MORAWITZ in Würzburg, Prof. MORITZ in Cöln, Prof.
F. MÜLLER in München, Prof. L. R. MÜLLER in Erlangen, Prof. O. MÜLLER in Tübingen,
Prof. NAUNYN in Baden-Baden, Prof. v. NOORDKN in Frankfurt, Prof. PENZOLDT
in Erlangen, Prof. QUINCKE in Frankfurt, Prof. ROMBERG in München, Prof.
RUMPF in Bonn, Prof SAHLI in Bern, Prof. SCHREIBER in Königsberg, Prof.
F. SCHÜLTZEin Bonn, Prof. SCHWENKENBECHER in Marburg, Prof. ST1NTZING in Jena,
Prof. STRAUB in Halle, Prof. STRÜMPELL in Leipzig, Prof. THOMA in Heidklbbrg,
Prof. YOIT in Giessen, Prof. VOLHARD in Halle
REDIGIERT
VON
Dr. l. kkehl
Db. Jb\ MOBITZ
Prof, der medizinischen Klinik
in Heidelberg
Prof, der medizinischen Klinik
in CÖLN
Db. F. MÜLLER
Prof, der n. medizinischen Klinik
in München
Db. E. ROMBERG
Prof, der l medizinischen Klinik
in München
138. Band
Mit 8 Abbildungen, 21 Kurven im Text und 2 Tafeln
-- m mm i i -
LEIPZIG
VERLAG VON F.C.W. VOGEL
1922
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□ ri*pirkBl from
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Inhalt des einhundertachtunddreißigsten Bandes.
Erstes und Zweites Heft
aasgegeben am 20. Dezember 1921.
Utj, Kritische Stndie über die Infektionswege bei Pyelitis acuta auf Grund
klinischer Beobachtungen. 1
Herst, Zur Frage der diagnostischen Verwertbarkeit der Gruber-Widal’schen
Reaktion ..18
Schiffer und Brieger, Über die Muskelaktionsströme bei Myasthenia gravis
(Mit 4 Kurven) ..28
Gangs, Beobachtungen über Ulcus ventriculi.41
lanelson, Beobachtungen über paroxysmale Kältehämoglobinurie und
Kälteikterus. (Mit 3 Kurven).46
Hedfger, Experimentelle Studien zur Volnmholometrie. (Mit 1 Abbildung
und 7 Kurven).•.58
Heiliger, Ein Volumbolograph. (Mit 1 Abbildung und 4 Kurven) ... 71
Heyer, Der Stickstoffhaushalt im Greisenalter.76
Dein, Über den Reststickstoffgehalt des Blutes bei arteriosklerotischen
Hypertonien, ein Beitrag zur Kenntnis der Nierenfunktion bei der
benignen Nierensklerose.82
Bogendörfer, Über das Verhalten der Typbusbazillen gegenüber den
baktericiden Kräften des Blutes.120
Heinere Mitteilung:
Umaun, Bemerkung zur Arbeit von Dr. Wilhelm Neumann.126
Besprechungen:
1. Weil, Die innere Sekretion. ( Kämmerer ).127
1 Nagelschmidt, Lehrbuch der Diathermie. (Hammer) .127
Drittes und Viertes Heft
ausgegeben am 24. Januar 1922.
Horehardt, Über Abgrenzung und Entstehungsursachen des Infantilismus
öroedel. Was leistet das Röntgenverfahren für die Funktionsprüfung des
Herzens?..
Barit u. Hetdnyi, Der Reststickstoff im menschlichen Blut und Gewebe
bei Nierenerkrankungen.
Öeisch ti. Rftrup, Über den Rückfluß von Pankreassaft in den Magen und
die Bestimmung der Salzsäureresistenz des Trypsins.
Beoseli, Über die Serumkonzentration und die Viskosität des Blutes bei
der Basedowschen Krankheit.
Hoog, Der Einfluß der relativen Luftfeuchtigkeit auf die unmerkliche
Hautwasserabgabe.
Hetfnyi, Untersuchungen über die harnstoffbildende Tätigkeit der Leber bei
Leberkranken.
Herzog, Über die Entstehung des Cheyne-Stokes’sehen Atmens. (Mit 1 Kurve)
Straub u. Meier, Blutreaktion und Dyspnoe bei Nierenkranken ....
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IV
Seite
Fornet, Tuberkulosestudien II.229
Hafner, Über akute, diffuse, interstitielle Myokarditis. (Mit 2 Abbildungen) 236
Segall u. Händel, Über den Katalasegehalt des Blutes und seine differential¬
diagnostische Bedeutung ..243
Besprechungen:
1. Braus, Anatomie des Menschen ( Krehl) .249
2. Strauß. Nachkrankheiten der Ruhr (Posselt) .250
3. Feer, Diagnostik der Kinderkrankheiten (Moro) ....... 251
4. Kretschmer, Körperbau und Charakter (v. Weizsäcker) .... 252
Fünftes und Sechstes Heft
ausgegeben am 19. Februar 1922.
Hotz, Energom et rische Untersuchungen über die Wirkung des Adrenalins
auf den Kreislauf, nebst Bemerkungen über den Wanddruck der Ar¬
terien. (Mit 2 Abbildungen).257
Bauer u. Aschner, Über Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben.
(Mit 2 Kurven). 270
Ooldgchmid u. Isaac, Endothelhyperplasie als Systemerkrankung des hämato-
poetischen Apparates (zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der Spleno¬
megalie). (Mit 2 Tafeln).291
Adler, Über Urobilin. (Mit 2 Abbildungen).309
Meyer u. Knflpffer, Über den Einfluß der Nahrungsaufnahme auf den Blut¬
bilirubingehalt .321
Heß. Zur Herkunft der im strömenden Blut bei Endocarditis lenta vor¬
kommenden Endothelien.330
Krauß, Der Harnsäuregehalt des Blutes bei Erkrankungen der Niere im
Vergleich zum Reststickstoff und Kreatinin.340
Ewald, Frehse u. Hennig, Akute Monocyten- und Stammzellenleukämien 353
Roessingh, Die Beurteilung der Knochenmarksfunktion bei Anämien . . 367
Besprechungen:
1. Schade, Die physikalische Chemie in der inneren Medizin (Broemser) 380
2. Schmorl, Die pathologisch - histologischen Untersuchungsmethoden
( Schmincke ).380
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Uber atrioventrikuläre Automatie und sinnaurikuläre
Leitungsstorung beim Menschen.
Von
Ernst Edens.
(Mit 30 Kurven.)
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Fig. 5.
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Fig. 15.
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Fig. 22.
Fig. 24.
Fig. 25.
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Fig. 20.
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Fig. 28.
Fig. 29.
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Fig. 30.
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Aas der medizin. Universitäts-Poliklinik Hamburg
(Eppendorfer Krankenhaus).
(Vorstand Prof. Dr. Schottmtiller.)
Kritische Studie Aber die Infektionswege bei Pyelitis
acuta auf Grund klinischer Beobachtungen.
Von
Dr. Alfred Levy,
Hamburg.
Die akute Pyelitis ist auf Grund zahlreicher Arbeiten,
welche seit der ersten diesbezüglichen Mitteilung von Lenhartz
im Jahre 1906 erschienen sind, ein bekanntes Krankheitsbild.
Wir wissen, daß in etwa 70% der Fälle das Bacterium coli
der Infektionserreger ist.
Sehr umstritten dagegen ist noch bis heute der Infektions-
weg, d. h. die Frage, auf welche Weise das Bact. coli in das
Nierenbecken gelangt. Sie ist noch verwirrter geworden, seitdem
Franke im Jahre 1911 neue anatomische Bahnen beschrieben hat,
auf denen das Bact. coli vom Darme aus in das Nierenbecken ein¬
wandern soll und Baue reisen in der Wand des Ureters Lymph-
räume gefunden hat, die dem Bact coli von der Blase aus den
Weg ins Nierenbecken ermöglichen sollen.
Vergegenwärtigen wir uns nun, auf welche Weise das Bact.
' coli überhaupt in das Nierenbecken gelangen kann, so stehen ihm,
wie behauptet wird, folgende Möglichkeiten zur Verfügung:
L Die von irgendeinem Krankheitsherd des Körpers in die
Blutbahn gelangten Bakterien könnten durch die Nieren hindurch¬
treten und dabei im Nierenbecken die Entzündung hervorrufen
(hämatogener oder deszendierender Weg).
IL Das im Darm als harmloser Saprophyt lebende Bact. coli
soll aus irgendwelchem Anlaß pathogenen Charakter annehmen und
dort, wo Colon und (speziell rechte) Niere sich berühren, Darmwand
und Nierenkapsel durchdringen und so ins Nierenbecken gelangen
Deutsches Archiv für fclin. Medizin. 138. Bd. 1
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Lbvt
können; oder es soll den von Franke gefundenen Weg der Lymph-
bahnen, die vom Colon ascendens zur rechten Niere ziehen, be¬
nutzen, oder endlich, es soll von der Darmschleimhaut ans in die
vom Darme abführenden Blutgefäße und durch den Blntstrom
wieder deszendierend ins Nierenbecken gelangen (Überwandem ans
dem Darm).
IIL Die durch die Urethra aszendierend in die Blase gelangten
Colibakterien sollen die Blasenschleimhaut durchdringen und durch
Lymphbahnen in das Nierenbecken gelangen, die B a u e r e i s e n in der
Wandung von Blase und Ureter, intramural, zwischen Blase und.
Ureter einerseits und Niere und Ureter andererseits nachgewiesen
haben will derart, daß Nieren und Blase durch Lymphbahnen mit¬
einander in Verbindung stehen.
IV. Die durch die Urethra aszendierend in die Blase gelangten
Bakterien können, entgegen dem Sekretstrom, vermöge ihrer Eigen¬
bewegung aktiv im Lumen des Ureters aufwärts bis ins Nieren¬
becken wandern.
Zusammenfassend können die Möglichkeiten des Infektionsweges
bezeichnet werden:
L Hämatogen (deszendierend),
II. Überwandern aus dem Darm
a) lymphogen,
b) hämatogen.
III. Aszendierend,
a) intramural (lymphogen) in der Ureterwand,
b) im Sekretstrom des Ureters.
Jede dieser Möglichkeiten hat heute ihre Anhänger und ihre
Gegner, speziell die Franzosen und Amerikaner halten fast nur den
hämatogenen Infektionsweg für möglich und wollen auf diese Weise
selbst die Schwangerschaftspyelitis erklären. In Deutschland waren
und sind die Ansichten noch sehr geteilt, jedoch steht man auch
bei uns im Begriffe, dem hämatogenen Infektionsweg eine größere
Rolle zuzuschreiben als bisher.
Es erscheint daher begründet, wenn wir in der vorliegenden
Studie versuchen wollen, durch ein geeignetes Material und unter
Berücksichtigung der wichtigsten Literatur, zur Klärung dieser
Frage beizutragen, und wenn wir den hämatogenen Weg einer
besonderen Kritik unterziehen.
Die Voraussetzung für die hämatogene Entstehung der Pyelitis
wäre, wie wir oben andeuteten, entweder daß die Niere, als Aus-
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Kritische Studie Uber die Infektionswege bei Pyelitis akute usw.
3
sebeidungsorgan für verschiedene Stoffe, den Körper aoch von den
im Blute kreisenden Bakterien befreit, oder daß gelegentlich einer
Bakteriämie, infolge einer Organschädignng, die Keime dtircli das
Nierengewebe hindnrchtreten und dabei eine Pyelitis verursachen.
Die eine oder die andere Voraussetzung wird von den Verfechtern
der deszendierenden Theorie als gegeben angenommen. Es drängt
sich jedoch die Frage auf, besitzt die Niere überhaupt die Fähig¬
keit, die im Blute kreisenden Mikroorganismen mit dem Ham
„anszuscheiden“, ist das ihre physiologische Funktion; und,
falls nicht, kann überhaupt ein solcher Übergang stattfinden und
uter welchen Bedingungen?
Die Frage hat schon, ehe uns das Krankheitsbild der Pyelitis
bekannt war, eifriges Interesse erregt und man versuchte, sie durch
Experimente an Tieren zu lösen, denen man künstlich Bakterien
in die Blutbahn brachte. Den ersteh Versuch dieser Art hat 1877
Örawitz ausgeführt durch intravenöse Injektion von Schimmel-
püzsporen bei Hunden und Kaninchen; er fand, daß die Sporen
teilweise im Blute zugrunde gingen, teilweise durch die Nieren
ansgeschieden wurden. . „Es findet hierbei nicht eine Buptur
der Nierenkapillaren, etwa der Glomerulusschlingen statt, wobei
mit dem austretenden Blut gleichzeitg die Sporen in die Harawege
gelangten, sondern ohne das Vorhandensein von Blutkörperchen
im Ham, ohne daß nach dem Töten der Tiere Hämorrhagien in
dem Nierengewebe nachgewiesen werden konnten, enthielt der Ham
oft zahlreiche runde Pilzzellen.“
Grawi tz war also ein Vertreter der physiolgischen Bakterien -
znsscheidung. Nach ihm sind ähnliche Experimente mit den ver¬
schiedensten pathogenen und nicht pathogenen Bakterien von vielen
Autoren ausgeführt worden, deren Ergebnisse im Jahre 1908 Koch
in der im Literaturverzeichnis angegebenen Arbeit zusammengestellt
bat Hinzukommen die Tierversuche von Philippowicz,
Schweizer, Sherrington, Rolly, Vincenzi, Noetzel,
Arima, Harttung. Die Erwartung, durch die vielen Experi¬
mente Klarheit über die vorliegende Frage zu erhalten, wurde da-
dareh zunichte, daß die Resultate der Versuche sich teilweise dia¬
metral gegenüberstehen; so vertreten n. a. Biedl und Krauß die
Amicht, daß die Mikroorganismen nach ihrer Injektion in die Blut¬
bahn im normalen, blut- und eiweißfreien Harn, schon kurze Zeit
aach der Injektion ausgeschieden werden, ohne daß die Niere
aheriert werde, daß es sich um eine physiologische Bakterien-
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Lrvy
Sekretion handle; während andere Autoren aus ihren Experimenten
genan entgegengesetzte Schlösse ziehen.
Man findet also von dem einen Extrem der völligen Undurchlässig-
keit der normalen Niere für im Blute befindliche Bakterien bis zn
dem anderen Extrem der physiologischen Bakterienansscheidnng
durch die Niere, alle möglichen Übergänge vertreten. Worauf
diese Abweichungen in den Versuchsergebnissen beruhen, soll hier
nicht im einzelnen erniert werden, sicher ist, daß die Versuchs¬
bedingungen mancher Antoren berechtigter Kritik nicht stand¬
halten.
Es war von besonderem Interesse für diese Fragen, als im
Jahre 1914 die Veröffentlichungen von Schottmüller erschienen,
der das Verhalten der Nieren bei verschiedenen Bakteriämen
experimentell am Menschen studiert hat (Hamburger med. Über¬
seehefte 1914, H. 2 u. 3). Es wurde bei Patientinnen, bei denen
wegen eines fieberhaften Aborts eine manuelle oder instrumentelle
Ausräumung vorgenommen werdeD mußte, systematisch Blut und
Urin auf den Keimgehalt untersucht; es konnte der Moment der
Ausräumung, des operativen Eingriffs, als der Zeitpunkt angesehen
werden, in dem häufig Bakterien vom Uterus aus durch die klaffen¬
den Gefäßbahnen ins Blut geschwemmt wurden. Was im Tier¬
experiment durch die Injektion von künstlich gezQchteten Bakterien
in die Blutbahn erreicht werden sollte, das wurde hier beim Men¬
schen, wenn man so sagen darf, als pathologisch-physiologischer
Vorgang beobachtet. Die Feststellungen Schottmüller’s er¬
strecken sich auf das Verhalten der Nieren bei Staphylokokkämien,
Streptokokkämien (Streptococcus hämolyticus, Strep. viridans, Strep.
putridus) und bei Anwesenheit von Fraenkel’schen Gasbazillen
im Blut. Aus ihnen folgt, daß verschiedene Keime im Laufe einer
Bakteriämie die Niere durchwandern können. „Wenn es sich
nicht um schwere Veränderungen in der Niere han¬
delt, wie bei der Staphylokokkeninfektion, so ist die
Zahl der Keime eine verhältnismäßig geringe (unter
Umständen nur 10—20 Keime in 1 ccm Harn). Andererseits
konnten wir auch eine Reihe von negativen Resul¬
taten verzeichnen, so daß jedenfalls die Frage des
Übertritts der im Blute kreisenden Bakterien in die
Harnwege durch die Niere auf Grund unserer experi¬
mentellen Erfahrungen beim Menschen dahin ent¬
schieden werden muß, daß keineswegs bei jeder Bak¬
teriämie Keime die Niere passieren . . ., daß Keime
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Kritische Studie über die Infektionswege bei Pyelitis acuta usw.
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eben nur dann in den Harn gelangen, wenn eine ana-
tomischeSchädigung desGewebes stattgefnnden hat.“
Dafür genügt allerdings unter Umständen die Beratung einer
Kapillarwand in einem Glomerulus!
Daß es natürlich außerordentlich schwer oder unmöglich bzw.
ganz vom Zufall abhängig ist, bei der pathologisch-anatomischen,
makroskopischen oder mikroskopischen Untersuchung der Niere
einen solch isolierten Herd zu finden, leuchtet ohne weiteres ein.
In Anlehnung an diese Mitteilungen kann ich aus den weiteren
Beobachtungen auf der stationären Abteilung der Med. Univers.-
Poliklinik über eine Reihe von Bact. coli-Bakteriämien be¬
richten, die uns zunächst über die Frage, ob die Colibakterien
durch die Nieren hindurchgehen, dann weiter über eine etwaige
hämatogene Entstehung der Bact Colipyelitis Aufklärung geben
können.
Eis handelt sich um Patientinnen, die wegen eines fieber¬
haften Aborts Aufnahme in die Klinik fanden und bei denen
eine Uterusausräumung vorgenommen werden mußte. Bei jeder
Patientin wurde kurz nach der Aufnahme ein Cervixabstrich ge¬
macht und bakteriologisch untersucht, um die Art der im Uterus
befindlichen Bakterien festzustellen. Sodann wurden den Patien¬
tinnen, da wir den Zeitpunkt der Ausräumung als zusammenfallend
mit einer Bakterieninvasion in den Blutstrom ansehen durften
(Schottmüller), 3—60 Minuten nach der Ausräumung 15—20 ccm
Blut ans der Armvene entnommen und zur Kultur verwandt; in
sehr vielen Fällen war das Ergebnis positiv, d. h. nach der Aus¬
räumung konnten Keime aus dem Blute gezüchtet werden und
verhältnismäßig oft das Bact. coli, dessen Anwesenheit im
lebenden Blut bisher für eine Seltenheit galt.
Die Verarbeitung des gewonnenen Blutes geschah in jedem
Falle nach der von Schottmüller 1 ) angegebenen Methode.
Zur Entscheidung der uns interessierenden Frage wurde end¬
lich der unter sterilen Kautelen mit Katheter entnommene Urin
auf Colibakterien untersucht und zwar zunächst gleich nach der
Aufnahme und dann nach der Ausräumung. Es wurde regelmäßig
eine Menge von 1—2 ccm Harn, oft noch mehr, zur Kultur ver¬
wendet, damit auch bei Anwesenheit nur spärlicher Keime der
Nachweis gelingen mußte.
1) Über Einzelheiten dieser Methode vgl. Schottmttller, Zur Bedeutung
eisiger Anaerobier in der Pathologie, insbesondere bei puerperalen Erkrankungen.
Oreosgeb. der Medizin und Chir. 1910, Bd. 21.
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Zugleich wurde nach subjektiven Beschwerden von seiten des
Harnapparates stets besonders gefragt und auf Nierenbecken- und
Blasenkomplikationen besonders geachtet.
Es wurden nun im ganzen 40 Fälle von B. Col i-Bakterifimien
beobachtet, die wir entsprechend dem Ergebnis des Kulturver¬
fahrens in 3 Gruppen zusammengestellt haben. Folgende Tabelle
gibt über die Resultate der Urinkultur vor und nach der Abort¬
ausräumung einerseits und der Blutkultur andererseits Aufschluß.
Blutkultur TJrinkultur
vor nach
d. Ausräumung (Bakteriämie)
Gruppe I
Fall 1—16
positiv
neg. neg.
. II
„ 17-26
positiv
neg. pos.
. HI
» 27-40
positiv
pos. pos.
Betrachteu wir zunächst die 16 Fälle der Gruppe I mit Rücksicht
auf die uns beschäftigende Frage, so finden wir, daß bei sämtlichen
Patientinnen nach der Ausräumung, laut bakteriologischer Blut¬
untersuchung, Colibakterien im Blute vorhanden waren. Die vor
wie nach der Ausräumung angelegten Urinkulturen
dagegen blieben steril.
In diesen 16 Fällen der Gruppe I sind also die im Blute
nachgewiesenen Colibakterien überhaupt nicht durch die Niere
hindurchgetreten, die Patientinnen blieben, auch bei Colibakteriämie,
die teilweise drei Tage andauerte, frei von subjektiven und ob¬
jektiven Nieren- und Blasensymptomen und pathologischen Ver¬
änderungen im Harn.
Wenden wir uns nun der Gruppe II — 10 Fälle umfassend —
zu, so sahen wir hier ebenfalls in allen Fällen Colibakterien
im Blut, im Falle 26 sogar in einer Anzahl von 1200 Keimen
in 1 ccm. In diesem einen Falle war die Ausräumung schon
außerhalb der Klinik vorgenommen worden, Blut und Urin war
bereits bei der Aufnahme keimhaltig. In allen übrigen Fällen
blieb die Urinkultur vor der Ausräumung, also vor der
Bakteriämie, steril, während nach der Ausräumung
reichlich Colibakterien im Urin nachzuweisen waren. In
allen diesen Fällen sind also die Colibakterien durch
die Nieren hindurchgetreten, im Falle 21 sogar auf eine
Dauer von 9 Tagen, wobei die Anzahl der Keime in 1 ccm Harn
unzählbar war. Und in all diesen Fällen, bei denen Colibakterien
doch notwendigerweise das. Nierenbecken deszendierend passiert
haben müssen, obwohl sogar dieser Vorgang, wie bereits angeführt
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Kritische Studie über die Infektionswege bei Pyelitis acnta nsw.
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im Falle 21, 9 Tage lang zu verzeichnen war, blieben die Patien¬
tinnen frei von irgendwelchen Urinbeschwerden, lieferte die ob¬
jektive Untersuchung abgesehen von der Bakteriurie, niemals einen
pathologischen Befund, kurz, niemals bestanden die Zeichen
einer Pyelitis.
Und ähnlich steht es bei den zur Gruppe III zusammengestellten
14 Fällen (27—40); nur war der Urin nicht nur nach, sondern be¬
reits vor der Ausräumung keimhaltig. Hier müssen wir annehmen,
daß den Bakterien schon vor der ärztlichen Ausräumung wohl
durch weitgehende instrumentelle Eingriffe — es handelte sich durch¬
weg um kriminelle Aborte — ehe die Patientinnen in die Klinik
«ingeliefert wurden, Gelegenheit gegeben war, in die Blutbahn zu
gelangen. Wohl deshalb waren sie schon bei der ersten sterilen
Urinentnahme in der Klinik im Urin nachweisbar.
Aach hier ist die hämatogene Herkunft der im Urin angetroffenen
Keime unzweifelhaft, zumal in fast allen Fällen die Keime spätestens
am Tage nach der Ausräumung aus dem Urin verschwunden waren.
Aber auch bei dieser Gruppe haben sie keine Be¬
schwerden oder Krankheitserscheinungen von seiten
des Harnapparates irgendwelcher Art, insbesondere
keine Pyelitis, hervorgerufen.
Es wäre nun noch dem möglichen Einwand zu begegnen, daß die
im Harn nach der Ausräumung gefundenen Keime nicht von der
Niere her, sondern bei der vorhergehenden Harnentnahme aus der
Genitalflora (Cervix) mit dem Katheter durch die Urethra in die
Blase gebracht sind. Diese Annahme ist nicht berechtigt, sie wider¬
spräche unseren sonstigen täglichen Erfahrungen.
Es ist somit gezeigt, daß in allen 40 Fällen, obgleich eine
Colibakteriämie bestand, obwohl auch in zahlreichen Fällen ein
Durchwandern der Keime durch die Nieren mit absoluter Sicher¬
heit festgestellt ist (Gruppe II), obwohl sogar die Bakterien in
zahlloser Menge (Fall 21, 9 Tage lang) das Nierenbecken in des¬
zendierender Richtung passiert haben, es ist bewiesen, daß trotz¬
dem niemals eine Pyelitis entstanden ist. Dabei sei
zoch besonders betont, daß in allen Fällen, bei denen die Keime
im Blut gefunden wurden, der Bact. Colistamm pathogene
Eigenschaft besaß, denn er hatte primär zu einer Infektion im
Endometrium und hohem Fieber Veranlassung gegeben. Wenn
wirklich die Pyelitis auf hämatogenem Wege zustande käme, dann
hätte doch wenigstens unter den 40 Fällen von Bakteriämie ein
«der das andere Mal eine Pyelitis der Blutinfektion folgen müssen.
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Wir sind daher infolge dieser experimentell am Menschen erbrachten
Belege zu der Überzeugung gelangt, daß die „hämatogene“
Entstehung der Bact. Coli-Pyelitis bisher auf nichts weiter basiert
als anf therotischen Erwägungen, deren Unhaltbarkeit die vorstehen¬
den Untersuchungen zeigen und daß die hämatogene B. Coli-
Pyelitis überhaupt keine Rolle spielt Tatsächlich wnrde ihr Vor¬
kommen auch früher an der hiesigen Klinik, trotzdem die Unter¬
suchungen auf diesen Gegenstand seit 15 Jahren gerichtet waren
und trotzdem zu jeder Zeit Fälle von Pyelitis in Behandlung sind,
niemals beobachtet
Es blieben die beiden anderen Arten des Infektionsweges zn
besprechen, der aszendierende und der durch Überwandern vom
Darm. Viele Autoren halten das Einwandern des harmlos im Darm
lebenden Bact. coli bei geringen Darmstörungen, ja schon Ver¬
stopfung, direkt in die Blutbahn für möglich; vom Blute aus soll
dann wieder die Erkrankung des Nierenbeckens, deszendierend,
stattfinden. Diese, wie wir auf Grund der vorstehenden Beobach¬
tungen erwiesen haben, irrige Auffassung finden wir noch in den
neusten Handbüchern vertreten. Suter in Mohr-Staehelin
Bd.IIIS. 1767ff. C.Posner in Kraus-Brugsch Bd. VIIS.329flf.
L. Casper in Kraus-Brugsch Bd. VH. Ferner aber ist auch
das Einwandern des Bact. coli vom Darm in den Blutstrom bei
geringen Alterationen durchaus nicht verständlich. Hat man doch
nicht einmal bei Typhus oder Ruhr oder Tuberkulose oder anderen
schweren im Darm lokalisierten Infektionskrankheiten bei der
Blutuntersuchung das Bact. coli finden können, obgleich ihm doch
durch die Geschwüre reichlichste Gelegenheit geboten wäre, in die
Blutbahn zu gelangen. Uud doch finden wir noch viele Anhänger
dieser Möglichkeit und zwar vornehmlich unter den Kinderärzten,
die nur auf diese Weise das häufige Zusammentreffen von Darm¬
störung mit Pyelitis erklären, bzw. die Tatsache, daß nach den
Darmstörungen der Säuglinge oft bald eine Pyelitis einsetzt, die
erst verschwindet, wenn die Darmaffektion ausgeheilt ist. Hier
sind andere Faktoren in Betracht zu ziehen: die Pyelitis der
Säuglinge kommt, wie aus der Bezeichnung hervorgeht, im frühesten
Kindesalter bei Mädchen wie Knaben vor, also zu einer Zeit, wo
Darmstörungen eine häufige Erscheinung sind und wo die dünnen
Stühle durch das Einpacken der Säuglinge in Tücher und Verweilen
in diesen reichlich Gelegenheit haben, mit der äußeren Harnröhren¬
öffnung in Berührung zu kommen durch die dann die Colibakterien
aufwärts wandern können.
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Kritische Studie über die Infektionswege bei Pyelitis acnta uaw.
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im Falle 21, 9 Tage lang zu verzeichnen war, blieben die Patien¬
tinnen frei von irgendwelchen Urinbeschwerden, lieferte die ob¬
jektive Untersuchung abgesehen von der Bakteriurie, niemals einen
pathologischen Befund, kurz, niemals bestanden die Zeichen
einer Pyelitis.
Und ähnlich steht es bei den zur Gruppe III zusammengestellten
14 Fällen (27—40); nur war der Urin nicht nur nach, sondern be¬
reits vor der Ausräumung keimhaltig. Hier müssen wir annehmen,
daß den Bakterien schon vor der ärztlichen Ausräumung wohl
dnrch weitgehende instrumentelle Eingriffe — es handelte sich durch¬
weg um kriminelle Aborte — ehe die Patientinnen in die Klinik
«ingeliefert wurden, Gelegenheit gegeben war, in die Blutbahn zu
gelangen. Wohl deshalb waren sie schon bei der ersten sterilen
Urinentnahme in der Klinik im Urin nachweisbar.
Auch hier ist die hämatogene Herkunft der im Urin angetroffenen
Keime unzweifelhaft, zumal in fast allen Fällen die Keime spätestens
am Tage nach der Ausräumung aus dem Urin verschwunden waren.
Aber auch bei dieser Gruppe haben sie keine Be¬
schwerden oder Krankheitserscheinungen von seiten
des Harnapparates irgendwelcher Art, insbesondere
keine Pyelitis, hervorgerufen.
Es wäre nun noch dem möglichen Einwand zu begegnen, daß die
im Harn nach der Ausräumung gefundenen Keime nicht von der
Niere her, sondern bei der vorhergehenden Harnentnahme aus der
Genitalflora (Cervix) mit dem Katheter durch die Urethra in die
Blase gebracht sind. Diese Annahme ist nicht berechtigt, sie wider¬
spräche unseren sonstigen täglichen Erfahrungen.
Es ist somit gezeigt, daß in allen 40 Fällen, obgleich eine
Oolibakteriämie bestand, obwohl auch in zahlreichen Fällen ein
Durchwandern der Keime durch die Nieren mit absoluter Sicher¬
heit festgestellt ist (Gruppe II), obwohl sogar die Bakterien in
zahlloser Menge (Fall 21, 9 Tage lang) das Nierenbecken in des¬
zendierender Richtung passiert haben, es ist bewiesen, daß trotz¬
dem niemals eine Pyelitis entstanden ist. Dabei sei
noch besonders betont, daß in allen Fällen, bei denen die Keime
im Blut gefunden wurden, der Bact. Colistamm pathogene
Eigenschaft besaß, denn er hatte primär zu einer Infektion im
Endometrium und hohem Fieber Veranlassung gegeben. Wenn
wirklich die Pyelitis auf hämatogenem Wege zustande käme, dann
hätte doch wenigstens unter den 40 Fällen von Bakteriämie ein
oder das andere Mal eine Pyelitis der Blutinfektion folgen müssen.
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Qrigiral from
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sollen die Colibakterien durch die Niere ansgeschieden werden, ohne
diese zu alterieren, darauf sollen dieselben Bakterien, die das
Nierenbecken frei durchwanderten, an einer tieferen Stelle eine
Entzündung hervorrufen, die wieder zur Stauung nnd damit zur
entzündlichen Veränderung des Nierenbeckens Anlaß gegeben hat.
U. E. erfolgte auch hier die Infektion auf viel einfacherem Wege;
zumal durch die Autopsie der Beweis für die aszendierende Form
erbracht wurde, sind durchaus keine Gründe vorhanden, um das
Hineingelangen der Bakterien in die Harnwege ans dem
Darm auf dem Blutwege zu erklären. Und so glauben wir, daß
auch in diesem Falle die Pyelitis nur insofern einen Zusammen¬
hang mit der Enteritis hatte, als diese dem Bact. coli direkt das
Einwandern in die verhältnismäßig frei nnd offen und nahe dem
Anus gelegene weibliche Urethra ermöglichte. VonderUrethra
aus kam es aszendierend zur Pyelitis und Pyelonephritis.
Auf einen anderen Infektionsweg, auch vom Darme aus, hat
Franke hingewiesen. Er hat den Nachweis erbracht, daß zwi¬
schen Colon ascendens und der Kapsel der rechten Niere eine
direkte Verbindung durch Lymphbahnen bestehe, durch die die im
Darme lebenden Colibakterien unschwer zur Niere gelangen können,
znmal die Stromrichtung in diesen Lymphgefäßen vom Darm zur
Niere verlaufen soll. Gewiß ist es nach theoretischen Erwägungen,
wenn diese Bahnen eben bestehen, möglich, daß die Colikeime
durch sie zur Niere gelangen könnten. Zunächst bleibt dann je¬
doch die Frage der Entstehung für die, wenn auch seltenere, links¬
seitige Pyelitis ungeklärt, denn Franke konnte das Bestehen
jener Lymphbahnen nur an der rechten Seite nachweisen. Da¬
zu kommt noch, daß die Bahnen sowohl bei Frauen wie bei
Männern bestehen, die Zahl der Pyelitisfälle beim Manne dagegen
hinter denen des weiblichen Geschlechts fast völlig verschwindet;
wie erklärt sich nun diese Tatsache, daß gerade nur bei der Fran
eine solche Überwanderung stattfinden sollte, obgleich doch sämt¬
liche Bedingungen beim Manne ebenso gegeben wären? Und noch
ein weiteres kommt hinzn: Es ist noch nicht ein einziges
Mal gelungen, das Bact. coli in diesen Lymphwegen
anzutreffen, ja es ist noch nicht einmal der Versuch
gemacht worden, die Colibakterien in diesen Wegen
nachzuweisen, sondern einzig und allein ans der Tat¬
sache des Bestehens von Lymphbahnen leitete man die
Behauptung ab, daß dieser Weg auf Kosten irgend¬
eines anderen Infektionsmodus wesentlich unter-
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Kritische Studie aber die Infektionswege bei Pyelitis acuta usw. H
schätzt worden wäre. Dem können wir uns aber nicht an*
schließen nnd müssen so lange die Infektion des Nierenbeckens auf
dem Wege der Franke’ sehen Lymphbahnen ablehnen, bis wenig¬
stens einmal Colikeime in ihnen angetroffen worden sind.
Als letzte Möglichkeit bleibt die Einwanderung des Bact. coli
in das Nierenbecken auf aszendierendem Wege, nnd zwar entweder
in der Bahn des Sekretstromes diesem entgegen, oder innerhalb
der in der Wandnng dieser Hohlorgane befindlichen Lymphbahnen,
die neben Banereisen noch Müller nnd Steven experimentell
nachgewiesen und beschrieben haben. Sie sollen sich in der Wand
von Blase nnd Ureter befinden nnd in der Ureterenwandung hinauf
bis zur Niere ziehen, so daß Blase und Niere durch „intramural“
verlaufende Lymphbahnen miteinander in Verbindung stehen. Nach
Beschreibung der Art des Nachweises und des anatomischen Ver¬
laufs jener Lymphbahnen meint Bauereisen am Schlüsse seiner
Arbeit, daß er nun zwar nicht jede Pyelitis als auf diesem Wege
entstanden erklären will, daß aber dieser Infektionsmodus sicher
viel mehr in Betracht käme, als bisher angenommen wurde. Auch
diese Ansicht Bauereisen’s ist nichts mehr und nichts weniger
als eine Behauptung und weder Bauereisen noch Müller noch
Steven sind daran gegangen, dieselbe durch Nachweis der Coli-
b&kterien in den Lymphbahnen zu stützen; jedenfalls würde ein
solcher Nachweis unschwer zu erbringen sein, wenn die Colikeime
tatsächlich-in den Lymphbahnen aszendieren würden; und bis dieser
Nachweis erbracht ist, muß auch dieser Infektionsmodus als rein
theoretisch abgelehnt werden.
Im Gegensatz zu diesem lymphogen aszendierenden Modus
steht nun die Möglichkeit für das Bact. coli im Lumen von Harn¬
röhre, Harnblase, Ureter, entgegen dem Sekretström, aktiv aufwärts
zu wandern. Diese aszendierende, urogene Infektion des Nieren¬
beckens wird heute von vielen Seiten als rückständig und veraltet
aBgesprochen. Allemein anerkannt ist sie dagegen für die sekun¬
däre Pyelitis nach Stauung, Katheterismus, und von den meisten
deutschen Autoren auch für die Schwangerschaftspyelitis. Wenn
auch vereinzelte Autoren (Harttung) selbst für diese sekundären
Formen der Pyelitis den hämatogenen Weg für den zutreffenden halten,
lud Kapaammer in seinem Referat über Pyelitis auf dem medi¬
zinischen Kongreß in Budapest im Jahre 1910 so weit geht, daß
er die Entstehung der Pyelitis auf dem Blutwege selbst bei gleich¬
seitig bestehender primärer Eiterung in den unteren Harnwegen
als die Regel hinstellt, so dürfen wir diese Ansichten als unseren
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im ersten Teil mitgeteilten Erfahrungen und den natürlichen Ver¬
hältnissen widersprechend wohl jetzt übergehen und als erledigt
betrachten. Die französischen Forscher sehen zwar auch die
Schwangerschaftspyelitis als auf dem Blutwege entstanden an;
wenn sie auch oft infolge Stauung, Druck des schwangeren Uterus
auf den rechten Ureter unterhalten wird, nachdem einmal die In¬
fektion des Nierenbeckens erfolgt ist, so spricht doch schon für
den aszendierenden Infektionsweg die klinische Erfahrung, daß der
Pyelitis fast immer Anzeichen einer Cystitis vorangehen; die
Auflockerung und Schwellung, welche die Schleimhaut an der
äußeren Harnröhrenmündung durch und während der Gravidität
erfährt, macht das Eindringen der Keime in die Harnröhre ver¬
ständlich. Ein weiteres vielleicht zutreffendes Hilfsmoment kann
z; B. eine zwar gut gemeinte, aber in falscher Richtung ausgeführte
Reinigung im Bade sein (Fehling); andere Autoren behaupten
sogar, daß ein peinliches, aber sachkundiges Sauberhalten der
äußeren Genitalien Schwangerer,, insbesondere die Fernhaltung
einer Verunreinigung vom A'fter aus, in ihren Kliniken dazu ge¬
führt hat, daß die Schwangerschaftspyelitis eine kaum mehr anzu¬
treffende Erkrankung ist. Auch für die Deflorationspyelitis wird
der aszendierende Weg unbestritten sein, da hier ein mechanisches
Hinaufmassieren der Colikeime in die Harnröhrenmündung der Frau
durch den Penis stattfindet.
Wie bereits angedeutet, ist die primäre Pyelitis weitaus am
häufigsten bei Frauen anzutreffen, bei denen die Nähe des Anus
an der Urethramündung und ihr mangelhafter Verschluß das Ein¬
dringen, die Kürze der Urethra, das Aszendieren der Colibakterien
viel leichter ermöglichen als beim Manne. Es ist auch gelungen
(Savor), das Bact. coli in der normalen Harnröhre nachzuweisen,
ein regelmäßiger Bewohner derselben scheint es jedoch nicht zu
sein, da es andere Autoren wieder bei ihren systematischen Unter¬
suchungen nicht antreflfen konnten. Um so eher erklärt sich die
primäre B. Colipyelitis bei der Frau durch die angeführten ana¬
tomischen Eigentümlichkeiten und Überwandern vom After. Bei
den Säuglingen dagegen finden wir keine Bevorzugung des weib¬
lichen Geschlechts, vielmehr erkranken Knaben wie Mädchen gleich
oft, jedenfalls im Säuglingsalter, d. h. so lange Knaben wie Mäd¬
chen in Kindertücher eingepackt werden. Hier kommt dann die
männliche Harnröhre mit den in den Tüchern befindlichen Fäces
ebensoleicht und ebensooft in Berührung wie die weibliche Harn¬
röhrenmündung.
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Kritische Studie über di6 Infektionswege bei Pyelitis acnta usw. 13
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!
(
Was nan dem Bact. coli vor den übrigen Entzündung verur¬
sachenden Eitererregern das Aufwärtsgelangen in die oberen
Harnwege erleichtert, ist vor allem seine Eigenbewegung, die es
tot anderen in Betracht kommenden Erregern voraus hat, wenn
man nicht annehmen will — ein durchaus diskutierbarer Gedanke
— daß die Schleimhaut der Harnwege dem Bact. coli besonders
günstige Angriffs- und Ansiedelungsbedingungen bietet. Von man¬
cher Seite wird nun ein Aufwärtswandern deswegen bezweifelt,
weil die Eigenbewegung des Bact. coli nicht hinreichen soll, um
dem ständigen Sekretstrom, der im Ureter vorhanden ist, entgegen-
mwandern. Wir wissen jedoch (Aschoff) vom anatomischen Bau
des Ureters, daß dessen Schleimhaut zahlreiche Längsfurchen zeigt,
deren Fältchen wieder mit äußerst feinen Erhebungen besetzt
sind, die den Bakterien zahlreiche Schlupfwinkel und Schutz gegen
den entgegenkommenden Harnstrom bieten, bis sie ins Nierenbecken
gelangt sind, daß also Wege vorhanden sind, in denen die Bak¬
terien nicht vom Harnstrom berührt werden müssen. Noch ein
weiteres kommt den Bakterien zu Hilfe. Von Markus und be¬
sonders Lewin und Goldschmidt wurde am Kaninchen beob¬
achtet, wie sich bei allmählicher Füllung der noch kontraktions-
fahigen Harnblase an eine peristaltische Bewegung des Ureters
nach Ankunft der Welle an der Einmündung in die Blase, sofort
eine Kontraktion der Blase und eine rückläufige, antiperistaltische
Bewegung des Ureters anschloß, sodaß ein Teil des Blaseninhalts
(mit Milch oder Farbstoffen versetzter Harn) durch den Ureter bis
ins Nierenbecken zurückgebracht wurde. Es ist anzunehmen, daß
bei stärkerer Füllung oder Überdehnung der menschlichen Harn¬
blase analoge Bewegungen auch beim Menschen stattfinden; der
eigenartige schneidende und langsam abnehmende Schmerz bei
starker Blasenfüllung wird auch vielfach mit einer antiperistal¬
tischen Bewegung des Ureters gedeutet. Befindet sich nun in der
Harnblase bazillenhaltige Flüssigkeit, so ist es erklärlich, wie bei
Betention oder Überdehnung das Aufwärtsgelangen der Bakterien
interstützt wird.
8ehr klar wurde der aszendierende Modus noch durch die Ex¬
perimente "von Lewin bewiesen; er zeigte, daß auch gröbere Körper
als niedere Pilze nach Einspritzung in die Blase in die Niere ge¬
langen können, und zwar schon bald nach der Einspritzung.
Lewin injizierte einem Kaninchen eine Ultramaringrünaufschwem-
mung in die Blase und beobachtete schon während der Einspritzung,
durch die die Blase nur mäßig gefüllt wurde, ein rasches Aufsteigen
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des grfinen Inhaltes ans der Blase bis zum Nierenbecken, ohne
daß eine antiperistaltische Welle zu erkennen war, dagegen
machten sich einige peristaltische Bewegungen bemerkbar, die den
Ureterinhalt wieder in die Blase hinabtrieben. Der Ureter füllte
sich jedoch bald von neuem mit der grünen Flüssigkeit, anscheinend
durch Saugen. Nach 2 Stunden wurde das Tier getötet; die
Ultramarinkörnchen ließen sich mikroskopisch in den Hamwegen
bis in die Nierenrinde hinein nachweisen.
Eine andere Frage ist, warum machen die Colibakterien die
Entzündungserscheinungen zuweilen erst im Nierenbecken und
nicht bereits in der Harnblase, die sie bei diesem Modus der In¬
fektion doch passieren müssen, denn nicht jeder Pyelitis gehen die
Anzeichen einer Cystitis voran. Die Tatsache, daß die Pyelitis ge¬
legentlich — scheinbar — primär auftritt, ohne daß vorher Er¬
scheinungen einer Cystitis beobachtet sind, kann nicht als Be¬
weis gegen den aszendierenden Infektionsmodus angeführt werden.
Wir wissen, daß die Domäne des Bact. coli, das mit 80— 90 %
an der Spitze aller Infektionserreger im Bereiche der Harnwege
steht, Nierenbecken und Blase sind, wo es kürzer oder länger
dauernde Eiterungen hervorruft und sogar auf das Nierenparenchym
übergreifen kann. Andererseits kann das Bact coli auch in Blase
und Nierenbecken ohne Schädigung für die Schleimhaut vegetieren,
und erst auf irgendeinen meist mechanischen Anlaß hin, z. B. in¬
folge Stauung durch Stein oder Druck des graviden Uterus der
die Mukosa schädigt, entfaltet es krank machende Wirkung. Ferner
wies unter anderen Scheidemandel daraufhin, daß wir oft eine
lange Nierenbeckeneiterung sehen, bei welcher der Urin mit den
Colibakterien dauernd die Blase passiert, ohne deren Schleimhaut
merklich zu alterieren. Diese Resistenz der Blasenschleimhaut im
Vergleich zur Nierenbeckenschleimhaut, oder wohl richtiger, diese
besondere Affinität der Colibakterien zum Nierenbecken, wird auch
von den Anhängern der deszendierenden Theorie angenommen und
findet ihre Erklärung einfach in den anatomisch-mechanischen Ver¬
hältnissen: Enge des Nierenbeckens gegenüber dem weiten Volumen
der Blase mit ungehindertem Harnabfluß. Es ist jedoch jedem,
der viele Pyelitiden beobachtet hat, bekannt, daß eine primäre
Alteration der Blase aus der Anamnese der Kranken meist doch
zu entnehmen ist. Dort findet sich oft die Angabe über eine an¬
fängliche „Blasenreizung"; es bestand zunächst ein häufiger Urin¬
drang, leichtes Brennen, was sich wieder verlor, es folgte evtl, eine
kürzere oder längere krankheits- und beschwerdefreie Zeit, und
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Kritische Studie über die Infektionswege bei Pyelitis acnta usw. 15
dann setzte plötzlich, manchmal unter Schüttelfrost, mit dampfen
Schmerzen in der Nierengegend die Pyelitis ein, ohne daß jetzt
noch Blasenheschwerden bestanden.
So kommen wir denn auf Grand unserer Untersuchungen zu
folgendem Ergebnis, welches, wie bemerkt sei, dem von Schott¬
in aller schon längst vertretenen Standpunkt entspricht.
1. Von den verschiedenen Wegen, auf denen das Bact. coli in
das Nierenbecken gelangen und dort eine Pyelitis hervorrufen kann,
kommt der hämatogene, deszendierende Modus, wie experimentell
am Menschen nachgewiesen wurde, nicht in Betracht
2. Wenn auch die von Franke gefundenen Lymphbahnen
zwischen Colon ascendens und rechter Niere bestehen mögen, so
sprechen doch gegen eine Infektion auf diesem Wege die seltene
Erkrankung des Nierenbeckens beim Manne im Vergleich zur Frau,
sowie sämtliche Fälle linksseitiger Pyelitis. Zudem ist die Be¬
nutzung dieses Infektionsweges nur eine Hypothese und niemals
erwiesen; er muß durchaus abgelehnt werden.
3. Aus ähnlichen Gründen kommt eine Infektion des Nieren¬
beckens auf dem Wege der im Ureter verlaufenden Lymphbahnen
nicht in Betracht; das Einschlagen dieses Weges durch die Coli-
bakterien ist eine unbewiesene Behauptung und der Nachweis von
Bakterien in ihnen noch niemals erbracht worden.
4 Die aszendierende, urogene Infektion des Nierenbeckens in
der Bahn des Sekretstromes, im Lumen von Harnröhre, Harnblase,
Ureter, darf auch für die „primäre“ Pyelitis als der bei weitem
Torherrschende, wenn nicht alleinige Infektionsmodus gelten. Diese
Auffassung ist an sich schon die nächstliegende und den natür¬
lichen Verhältnissen entsprechende.
Wenn wir danach als bewiesen ansehen, daß bei Pyelitis die
Infektionserreger den aszendierenden Weg nehmen, so bezieht sich
diese Auffassung vor allen Dingen, wie aus unserem Beweismaterial
hervorgeht, auf Infektionen mit Bact colL Ob die von uns auf¬
gestellte Hegel in gleichem Umfange auch für andere Infektions¬
erreger, z. B„ Staphylokokken gilt, soll weiteren Untersuchungen
Vorbehalten bleiben.
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Deutsches Archiv für klin. Medizin. 138. Bd.
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Ans der medizin. Klinik und dem hygienischen Institut
der Universität Heidelberg.
Zu Frage der diagnostischen Verwertbarkeit der
Grnber-WidaTschen Reaktion.
Von
Dr. W. Hergt,
Assistent der med. Klinik,
Noch immer nicht endgültig geklärt ist die Frage, wie sieb
die während des Krieges gegen Typhus Schntzgeimpften im Falle
einer späteren spezifischen bzw. unspezifischen fieberhaften Infektion
verhalten. Die an unserer Klinik unter diesem Gesichtspunkt An¬
gestellten Untersuchungen bestätigen die auch anderwärts ge¬
machten Beobachtungen, daß unter dem Einfluß irgendeiner In¬
fektion erneut eine positive auf die Schutzimpfung zurückzufuhrende
Agglutination auftreten oder eine bereits vorhandene eine Steigerung
erfahren kann, auch in Fällen, in denen die letzte Impfung über
2 Jahre zurückliegt. Von 100 schntzgeimpften Kranken, die an
den verschiedensten Infektionskrankheiten litten, zeigten 7 eine
positive Gruber-Widal’sche Reaktion, deren Titer nicht unter einer
Serumverdünnung von 1:100 gelegen war und andererseits die
Grenze von 1: 200 nicht überschritt. Von diesen 7 Kranken waren
5 im Frühjahr 1918 und 2 im Herbst 1918 zum letztenmal gegen
Typhus geimpft worden. Unsere Untersuchungen fielen in die
Monate Februar, März, April und Mai 1920. Die Tatsache, daß
3 dieser Patienten an fieberhafter Lungentuberkulose litten, ist
bemerkenswert, da eine positive Agglutinationsprobe gerade bei
diesem Leiden, auch ohne daß eine künstliche Typhusimmunisierung
vorausgegangen war, wiederholt in der Literatur angegeben wird.
Von den 4 anderen Kranken hatte einer eine chronische Colitis,
einer eine Pleuritis exsudativa auf wahrscheinlich tuberkulöser
Grundlage, ein dritter einen paranephritischen Absceß und der
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Verwertbarkeit der Gruber-Widal’echen Beaktion.
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vierte eine Grippe, die mit Fieber bis zu 39° einherging. Dieser
letzte, der bei seiner Anfhahme untersucht wurde, Agglutinierte
am 2. III. 20 Typhus: 0
* 9. IIL 20 „ 1:200 +
„ 12.IU.20 „ 1:200 +
„ 15. UL 20 n 0.
Der Kranke war im Frühjahr 1918, also ca. 2 Jahre vor der
. Erkrankung, die ihn zu uns führte, zum letztenmal gegen Typhus
I geimpft worden. Die positiven Reaktionen fielen, mit der Fieber-
; hübe zusammen. Mit dem Abfall der Temperatur wurde die Probe
1 wieder negativ. Dieser Fall blieb vereinzelt. Die anderen hierher
gehörenden Patienten wiesen schon bei der ersten Untersuchung
eine positive Agglutination auf, die sich im Verlauf der nicht
typhösen Erkrankung durch drei, vier Untersuchungen auf derselben
Höhe hielt. Bei der Gleichartigkeit der Befunde erübrigt sich die
t Wiedergabe der Protokolle. Immerhin ist daran festzuhalten, daß
! ia einzelnen seltenen Fällen „der unspezifische Reiz einer nicht-
| typhösen Infektion bei Typhusschutzgeimpften“ einen positiven
Ausfall der Agglutinationsprobe bewirkte, die vor der Erkrankung
negativ gewesen war.
Die Versuche Fleckseder’s (1), welche die Möglichkeit eines
Wiederauftretens von Agglutininen bei Schutzgeimpften infolge
irgendeiner nichtspezifischen Infektion zu beweisen scheinen, sind
sieht unwidersprochen geblieben. So erklärt Brösamlen (2),
fer diese Befunde nicht bestätigen konnte, die abweichenden Re*
altate Fleckseder’s mit dem Hinweis darauf, „daß vielfach, so
umentlich bei den Tierversuchen von Conradi und Bieling (3)
he Agglutininneubildung auf die Typhusschutzimpfung noch nicht
ibgeschlossen war, als der neue, unspezifische Reiz einsetzte“.
Schutzgeimpfte Typhuskranke, bei denen die letzte Impfung
ebenfalls über 2 Jahre zurücklag, ließen in dem Verhalten ihrer
igglutinationskurven keinen nennenswerten Unterschied gegenüber
lieht schutzgeimpften Typhösen erkennen. Wie im allgemeinen
he Kurve des Agglutinationsvermögens Typhöser anfangs ein
williges Anwachsen zeigt, um gegen Ende der 2. und während
ler 3. Woche eine mehr weniger steile Steigerung zu erfahren, so
leigten auch die Titerkurven unserer geimpften Typhuspatienten
keinen auffallend hohen Anfangstiter. Im Gegensatz zu Typhus-
xhutzgeimpften, die unter dem Einfluß einer nichtspezifischen In¬
fektion oder neben einer solchen eine positive Gruber-Widal’sche
Beaktion von gleichbleibender Höhe aufweisen, sei jedoch hervor-
i 2*
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20
Hsbgt
gehoben, daß bei Typhuskranken in .der Hegel ein unverkennbares
Ansteigen des Titers nachzuweisen ist So fand ich bei nicht
Typhoskranken, daß die Agglutination entweder rasch wieder ver¬
schwand oder sich durch mehrere Untersuchungen hindurch auf
derselben mittleren Höhe hielt, nie war ein Ansteigen des Titers
zu beobachten. Das gleiche Resultat teilte Brösamlen mit, der
32 typhuskranke Schntzgeimpfte untersucht hat Eh* fand in „53 °/ 0
aller Fälle ein sehr steiles Ansteigen der Agglntinationskurve u .
Daß in den von nns untersuchten Fällen die Titerwerte weniger
steil ihre Höhe erreichten, mag seinen Grund darin haben, daß
hier die letzte Typhusschutzimpfung 2 Jahre und darüber zurücklag,
während die Patienten Brösamlen’s, wie aus seiner Tabelle
hervorgeht, vor viel kürzerer Zeit zum letztenmal geimpft wären.
Unsere Kurven näherten sich mehr einem Bild, wie man es bei
der Mehrzahl nichtgeimpfter Typhuskranker zu sehen gewohnt ist.
Bedenkt man jedoch, daß Impfagglutinine manchmal im Blute
nachzuweisen sind noch nach einer Zeit von über 25 Monaten
und zwar in recht erheblichen Serum Verdünnungen — in Brö¬
samlen’s Aufzeichnungen finden sich zwei gesqnde Typhus¬
schutzgeimpfte, von denen einer nach 28 Monaten in einer Ver¬
dünnung von 1:800 agglutininierte und ein anderer, der gar
nach 30 Monaten den Wert von 1:1000 erreichte — dann wird
man diesem Autor recht geben müssen, wenn er dem steilen
Anstieg des Titers diagnostische Bedeutung beimißt. Es kann
heute keinem Zweifel unterliegen, daß Typhusschutzgeimpfte noch
nach über Jahresfrist in einer Verdünnung agglutinieren können,
deren Titerhöhe auch dem skeptischsten Beurteiler Eindruck
machen muß. Hält man sich gegenwärtig, daß es genug Typhus¬
fälle gibt, die ganz aus dem Rahmen des gewohnten Krankheits¬
bildes herausfallen und deren Diagnose man unter Umständen von
dem Ausfall der Gruber-Widal’schen Reaktion abhängig machen
möchte, dann wird man sich mit Recht fragen dürfen, wie man
angesichts dieser Tatsachen der Gruber-Widal’schen Reaktion dia¬
gnostischen Wert überhaupt noch zusprechen kann. Und doch
wäre es verfehlt, immerhin seltene Beobachtungen verallgemeinern
zu wollen und zu vergessen, daß die überwiegende .Mehrzahl der
Kranken, nachdem nun seit der militärischerseits durchgeführten
Typhusschutzimpfungen über 2 Jahre vergangen sind, keine Ag¬
glutination mehr zeigt, auch nicht gelegentlich einer neuen nicht¬
spezifischen Infektion. Jene Ausnahmen zur Regel erheben zu
wollen, ist um so unzweckmäßiger als die tägliche Erfahrung auch
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Verwertbarkeit der Grober-Widal’schen Reaktion.
21
heute noch immer wieder beweist, wie wertvoll die Gruber-Widal-
sche Reaktion für den ist, der sie wertet als ein Symptom, das
niemals allein, sondern nur im Verein mit anderen Erscheinungen
die Diagnose stutzen kann. Wie der-negative Ausfall einer Ag¬
glutinationsprobe, besonders wenn sie nur einmal ansgeführt wurde,
selbst am Ende der 3. Woche die Diagnose des Typhus nicht zu
erschüttern braucht, so kann auch eine einmal auftretende positive
Agglutination nicht ohne weiteres eine typhöse Infektion beweisen.
Für die Praxis empfiehlt sich daher, sich nicht mit einer einzigen
Probe zu begnügen, sondern sie in zweifelhaften Fällen mehrmals
in Abständen von mehreren Tagen vom Ende der 2. Krankheits¬
woche an gerechnet vornehmen zn lassen.
Zur Frage der Dauer der Reaktion kann ich nur wiederholen,
was ältere Autoren an einem viel größeren Material, als es mir
zur Verfügung stand, erwiesen haben. In der Regel verschwinden
die Agglutinine aus dem Blut mit dem Aufhören der Krankheit,
nicht selten ist die Reaktion aber noch weit in die Rekonvalescenz
hinein positiv befunden worden. Daß in vereinzelten Fällen noch
nach Jahren eine positive Agglutination von mitunter beträcht¬
licher Höhe sich nachweisen läßt, wurde von verschiedenen
Forschern berichtet So wurde vereinzelt ein Überdauern der
Reaktion nach 8, 10 und mehr Jahren beobachtet (Lit. bei Palt-
auf) (4).
Bezüglich der Schwankungen, denen das Agglutinationsvermögen
bei demselben Kranken unterliegen kann, sei auf die Publikation
Pamarts (5) verwiesen, der 2 Typhuskranke täglich mehrmals
untersucht hat und ein Schwanken zwischen den extremen Titer-
werten von l: 100 bis 1:1500 feststellen konnte. Daß die Gruber-
Widal’sche Reaktion im Verlauf eines Typhus verschwinden und
wieder auftreten kann, lehrt ein Fall, der an unserer Klinik zur
Beobachtung gekommen ist. Es handelte sich dabei um eine
Krankenschwester, die an einem klinisch und bakteriologisch
sicheren Typhus abdominalis erkrankt war. Bei ihrer Aufnahme
in die Klinik in der 3. Krankheitswoche und in der Folge agglu-
tinierte sie am:
8. XI. 19:
3. XII. 19:
13. XH. 19:
14. XII. 19:
13.1. 20:
21 . 1 . 20 :
Ty 0
Ty 0
Ty bis 1:400 +
Ty bis 1:400 schwach +
Ty 0
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22
Hsbot
24.1. 20: Ty bis 1:100 +
28.L 20: Ty bis 1:200 +
4.n. 20: Ty bis 1:200 +
Von besonderem Interesse ist das Verhalten des Agglutinations¬
vermögens bei Typhusrecidiven. So konnte Späth (6) den Nach¬
weis erbringen, daß bei sämtlichen Typhusrecidiven eine positive
Grober-Widal’sche Reaktion vermißt wird und erst nach Ablauf
der 2. Erkrankung sich wieder einstellt. Diese Beobachtung gibt
vielleicht eine Erklärung ab für das Zustandekommen einer Wieder¬
erkrankung, deren Ursache dann „in dem Fehlen einer kräftigen
Abwehrreaktion der antikörpererzeugenden Organe“ (M fl 11er-
Graz) (7) gesucht werden kann. Auch die von uns beobachtete
Krankenschwester machte ein Recidiv durch, das bei Betrachtung
ihrer Agglutinationskurve, die schon im Verlauf der 1. Erkrankung
einmal auf Null abgesunken war, nicht mehr überrascht.
Um Aufschluß Aber die Häufigkeit nichtspezifischer Agglu¬
tination zu erhalten und zur Nachprüfung der Frage der sog.
Normalagglutination wurden eine Reihe von fieberhaftkranken
Frauen untersucht, die wegen der verschiedensten Infektions¬
krankheiten sich im Krankenhaus befanden. In meinen Proto¬
kollen überwiegen Grippeerkrankungen und im Anschluß an solche
sich entwickelnde Pneumonien. Im ganzen wurden die Sera von
100 Frauen, die natürlich nie Typhusimpfstoff erhalten, noch eine
typhöse Erkrankung durchgemacht hatten, auf ihr agglutinatorisches
Verhalten geprüft. Von diesen 100 Patienten zeigten 17 eine po¬
sitive Grober-Widal’sche Reaktion, dessen Titer sich zwischen 100
und 200 bewegt. Nicht eingerechnet sind solche, die nur in einer
Serumverdünnung von 1:50 agglutinierten (s. Tab. nächste Seite).
Die Resultate wurden nach 2 ständigem Aufenthalt der Proben im
Brutschrank bei 37 0 mit einer 10 fach vergrößernden Zeißlnpe abgelesen.
Die verwandten Typhusbazillen waren gut agglutinable Loboratoriums¬
stämme, die wiederholt auf ihre Reinheit untersucht und auf Differential-
nahrboden geprüft wurden. Die Schrägagarknlturen wurden mit 3 ocm
steriler physiologischer Kochsalzlösung abgeschwemmt und von der Ab¬
schwemmung je ein Tropfen in die einzelnen Serumverdünnungen einge¬
bracht. Daß jeder Probe eine Kochsalzkontrolle, die Spontanagglutination
aussohloß, beigegeben wurde, ist selbstverständlich. Die Kranken selbst
wurden, bevor man ihnen Blut abnahm, eingehend nach früheren Krank¬
heiten, insbesondere typhösen Infektionen und Erkrankungen der Gallen¬
wege befragt.
Die Deutung unserer Befunde ist nicht leicht. Selbst wenn
man annimmt, daß die eine oder andere der Patientinnen ohne
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Verwertbarkeit der Gruber*Widal’schen Reaktion.
23
Nr.
Name
Krankheit
| Datum
Gr.-W.
Reaktion
1
Eck.
Pn. crouposa
31. I. 20.
6. II. 20.
1:200 +
0
2
Ea.
Scarlatina
18. II. 20.
23. II. 20.
2. in. 20.
1:100—1
1:100-
1:100-
3
Br.
Erysipel
16. II. 20.
24. II. 20.
2. HI. 20.
1:100 +
0
0
4
Schw.
do.
16. n. 20.
24. II. 20.
2. III. 20.
0
1 :100-|
1:100 —|
-
5
Ge.
Pn. crouposa
17. n. 20.
18. II. 20.
23. II. 20.
3. UI. 20.
1:100 +
1:100 +
1:100 +
1:100 +
€
Wi.
do.
23. II. 20.
3. III. 20.
12. IIL 20.
0
0
1:200±
7
| Ne.
Polyarthritis
24. II. 20.
2. IIL 20.
0
1: 200 +
8
Schae.
i
i
Encephalitis
l.III. 20.
3. IIL 20.
9. IIL 20.
1:50 H
1:100-|
0
0
Kl.
. Grippe
1.UI. 20.
3. UI. 20.
1:100±
1:100+
10
Vö.
Erysipel
l.ra. 20.
6. in. 20.
0
1 :200 +
11
Kr.
Chorea min.
9.m. 20.
12. HI. 20.
1: 200+
1:200 +
12
Bu.
Pn. cronposa
12. Ul. 20.
1:200 +
13
Fa.
Grippe
16. IIL 20.
1:100 +
14
Hö.
do.
16 m. 20.
15. IV. 20.
1:200 +
1:200 +
16
Zi.
do.
16. IIL 20.
18. UI. 20.
1:100 +
1:100 +
16
Tr.
Encephalitis
23. m. 20.
26. IIL 20.
29. III. 20.
1 :100-J
1:100-]
0
17
Ze.
i
Pn. cronposa
23. in. 20.
28. UL 20.
1:200-1
! l:200-j
-
etwas davon zu wissen vor Jahren einen Typhus vielleicht ambu¬
lant Oberstanden hat — denn schließlich bleibt auch die exakteste
Anamnese abhängig vom Gedächtnis und der Intelligenz des Be¬
fragten — und die beobachtete Reaktion das Residuum einer
froheren Infektion ist, so bleiben noch genug übrig, auf welche
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24
Hkrgt
diese Erklärung sicher nicht zntrefifen kann. Daß also die tfehr-
zahl der vorstehend aufgeführten Kranken eine nichtspezifische
Agglutination aufwies, unterliegt keinem Zweifel Die Spezifität
der Agglutininbildung ist oft in Frage gesteht worden; vielleicht
sind die ausgedehnten, in den letzten Jahrzehnten angestellten
chemisch-physikalischen Untersuchungen, welche zur Erklärung des
Vorganges der Agglutination herangezogen werden, geeignet, auch
das Auftreten einer nicht auf Typhusinfektion beruhenden positiven
Gruber-Widal’schen Reaktion verständlich zu machen. Das Wesen
des Agglutinationsphänomens besteht in einer Ausflockung von
Bakterienaufschwemmungen, der nach den Anschauungen Borde t's
und anderer eine Veränderung der die Bakterien in Suspension
haltenden Schutzkolloide vorangeht. Diese Veränderung des Schutz¬
kolloids wird allein als spezifisch angesprochen. Streng kann diese
Spezifität jedoch nicht sein, da sonst das Vorkommen einer nor¬
malen Agglutination nicht möglich sein könnte. Vielmehr scheint
es so zu sein, daß auch spezifisch entstehende Agglutinine ein Sus¬
pensionskolloid zu verändern vermögen, das einem anderen Erreger
als dem ätiologisch in Betracht kommenden angehört. Trifft diese
Annahme zu, so würde die Agglutination, die im Verlauf mancher
nicht typhöser Infektionskrankheiten auftritt, eine Erklärung finden.
Man wird bei einer nicht spezifischen Gruber-Widal’schen Reaktion
nur fragen müssen, ob die die Infektion verschuldenden Erreger
agglutinogene Eigenschaften haben. Eine Einteilung der gewöhn¬
lichen pathogenen Keime in solche, die mit einem wohlentwickelten
Schutzkolloid ausgestattete Agglutininbildner sind, und in andere,
die diese Eigenschaft vermessen lassen, gibt v. Szent-Györgyi (8),
der auf den Zusammenhang zwischen Schutzkolloid und serologischer
Reaktion besonders hinweist.
Man hat die. Beobachtungen nicht spezifischer Agglutination
von Typhusbazillen unter dem Begriff der Normalagglutination zu¬
sammengefaßt, kommt doch auch normalem nicht von einem Kranken
stammenden Serum in nicht seltenen Fällen die Fähigkeit zu,
Typhusbazillen zu agglutinieren. Um die Feststellung eines Grenz¬
titers, über den hinaus eine Agglutination als spezifisch anzusprechen
sei, haben sich viele Forscher bemüht. Die Frage der Normal¬
agglutination hat durch die während des Krieges durchgefuhrten
Typhusschutzimpfungen erhöhtes Interesse gewonnen. Widal (9)
selbst, der besonderen Wert auf die mikroskopische Methode legte,
bezeichnet schon eine Titerhöhe von 1:26 als typhusverdächtig.
Citron (9) weist daraufhin, daß im normalen Serum die Agglu-
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Verwertbarkeit der Gruber-Widal’schen Reaktion. 25
tination nur bei starker Konzentration auftritt, er hält einen Titer
von 1:100 für spezifisch. Dy er (10) bestimmt auf Grund seiner
an typhusschutzgeimpften Kriegsteilnehmern ausgeführten Unter¬
suchungen eine Verdünnung von über 1:40 als Grenzwert Wieder
andere halten die Gruber-Widal’sche Reaktion erst in einer Ver¬
dünnung von 1:100—200 für diagnostisch verwertbar. Klemperer,
Oettinger u. Rosenthal(ll) möchten erst Werte von 1:400und
darüber als beweisend für eine typhöse Infektion ansprechen. Rie-
bold (12) verzichtet auf einen bestimmten Schwellenwert und ver¬
tritt mitLöwy(13)u.Brösamlen die Auffassung, daß diagnostische
Bedeutung der Gruber-WidaTschen Reaktion nbr zukommt, wenn in
mehreren Untersuchungen ein Ansteigen des Titers bezw. längeres
Verharren auf höheren Werten nachweisbar ist. Käthe Groh (14),
die eine größere Anzahl von Typhösen und an Ruhr und an typhus¬
ähnlichen Infektionen Erkrankten auf ihr agglutinatorisches Verhalten
mit verschiedenen Stämmen untersucht hat, hält die Gruber-Widal’sche
Reaktion auch unter den durch die obligatorische Typhusschutzimp-
fungbeim Heere geschaffenen Verhältnisse für diagnostisch sehr wohl
verwertbar, wenn nur bestimmte Versuchsbedingungen gewahrt
werden, unter denen sie das wiederholte Ansetzen der Probe und Ab¬
lesung nach 1—2 Stunden Aufenthalt bei 37 0 im Brutschrank neben
der Festsetzung einer der Agglutinabilität des verwandten Stammes
angemessenen Titergrenze hervorhebt. Von besonderem Interesse ist
ihre Beobachtung, daß zwei Typhusstämme, die sich gegen Typhus¬
immunserum nahezu gleich verhielten, von den Sera typhus schutz¬
geimpfter Personen verschieden stark beeinflußt wurden. Auf früh¬
zeitiges Ablesen legt die Verfasserin mit Recht hohen Wert, da
sie zeigen konnte, daß „die irreführenden Einflüsse von voraus¬
gegangener Schutzimpfung oder durch ruhrähnliche Erkrankung
um so stärker zum Ausdruck kommen, je länger man mit der Ab¬
lesung wartet.“
Die Schwierigkeiten, die der Festsetzungen von Standardwerten
entgegenstehen, erklären sich aus den wechselnden biologischen
Eigenschaften der Testkulturen und dem zahlenmäßig gar nicht
zu erfassenden individuell verschiedenen immunbiologischen Ver¬
halten des das Serum liefernden Menschen und nicht zuletzt aus dem
Fehlen einer einheitlich gehandhabten Methodik. So sei um nur
eines herauszugreifen, hingewiesen auf die großen zeitlichen Schwan¬
kungen, die z. B. Scheller bei dem Zustandekommen der Agglu¬
tination beobachtet hat und die besonders dann sich geltend machen
müssen, wenn bei der Untersuchung verschiedener Seren nicht gleich-
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Original frum
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26
Hbbgt
zeitig abgelesen wird. Man kann nicht genug hervorheben: Die
-Prüfung der Agglntinationsfähigkeit eines Krankenserams ist
eine ausgezeichnete diagnostische Methode, wenn sie von Kundigen
gehandhabt und von Kundigen in die diagnostische Rechnung ein¬
gestellt wird.
Z-nsammenfassnng:
1. Die Gruber-Widal’scbe Reaktion wird in ihrem Wert
von den durch den Krieg geschaffenen Verhältnissen (Typhusschutz¬
impfungen) in der Mehrzahl der Fälle nicht berührt.
2. Das Auftreten einer positiven Reaktion, die auf vorange¬
gangene Typhusschntzimpfnng bezogen werden muß, ist, nachdem
seit den letzten Impfungen über 2 Jahre vergangen sind, sehr selten
geworden.
3. Der Nachweis, daß es sich gegebenenfalls um eine durch
eine typhöse Infektion bedingte Agglutination oder um eine noch
bestehende Impfreaktion handelt, läßt sich aus einer einmaligen
Untersuchung nicht erbringen.
4. Das agglutinatorische Verhalten solcher Personen, die weder
nachweislich typhös erkrankt waren noch eine Typhusschutzimpfung
erhalten hatten, weicht von dem bei Typhus beobachteten in der
Regel wesentlich ab. Es bestehen nennenswerte Unterschiede be¬
züglich der Dauer der Reaktion und der Titerhöhe. Schwankungen
des Titers, wie sie beim Typhus gelegentlich nachweisbar sind,
scheinen hier vollkommen zu fehlen.
5. Nicht spezifische Agglutination findet sich hänfig bei Er¬
krankungen, deren Erreger entweder selbst agglutinogene Eigen¬
schaften haben oder bei denen wie bei der Tuberkulose und Grippe
es sich mit Wahrscheinlichkeit um Mischinfektionen mit Keimen
(Pneumokokken?) handelt, die ihrerseits Agglutininbildner sind.
6. Wesentliche Voraussetzung einer richtigen Beurteilung und
Handhabung der Reaktion ist allgemein neben der angewandten
Methode die Zahl der angestellten Untersuchungen und die Be¬
obachtung der Titerhöhen, aus deren quantitativem Verhältnis zu¬
einander allein ein eindeutiges Bild zu gewinnen ist
Literatur.
1. Fleckseder, Wiener klinische Wochenschr. 1916, Nr. 21. — 2. Brö-
samlen, Deutsches Arch. für klin. Med. 1919, Bd. 129. — 3. Conrad! n. Bie-
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Original fro-m
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Verwertbarkeit der Grnber-Widal’schen Reaktion.
27
lisg, Deutsche med. Wochenschr. 1916, Nr. 42. — 4. Paltauf, Handbnch der
ptthogenen Mikroorganismen. Kölle-Wassermann 1913, Bd. II, 3.483. — 6. Pa-
■art,Compt rend. soc. bioL 1899, S. 121.— 6. Späth, Wiener klin. Wochenschr.
1915, Nr. 49. — 7. Müller, Infektion und Immunität 1917 ; 8. 397. — 8. v.Ssent-
ßjörgyi, Zeitschr. f. Immunitätsforschung und expenm. Therapie Bd. XXX,
LTeü.H.2, S. 144. — 9. Citiertnach Käthe Grob. — 10.Dyer, Indian Jonrn.
cf med. Research. Vol. I, 1914, S. 729 (cit. nach Groh). — 11. Klemperer,
Oettinger n. Rosenthal, Therapie der Gegenwart, Jahrg. 56, 1915, S. 161.—
URiebold, Münchener med. Wochenschr. 1916, 3.620. — 13. Löwy, Wiener
Din. Wochenschr. 1916, 3.31. — 14. Käthe Groh, Inaug.-Diss. Heidelberg 1918.
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28
Aus der medizin. Universitätsklinik and der medizin. Abteilung B
der städt. Krankenanstalten Breslau
(Geheimrat Minkowski und Prof. Forschbach).
Über die Muskelaktionsströme bei Myasthenia gravis.
Von
Harry Schäffer und Heinrich Brieger.
(Mit 4 Kurven.)
ln Band 123 dieser Zeitschr. hat F. Herzog versucht, durch
Untersuchungen der Aktionsströme myasthenischer Muskeln dem
Verständnis der myasthenischen Reaktion (MyaR) näher zu kommen.
Auf Grund seiner Befunde glaubte er, den Entstehungsort der MyaR
in den Muskel selbst lokalisieren zu können. Ein Fall von
schwerer Myasthenie gab uns Gelegenheit zur Nachprüfung der
Herzog’sehen Befunde und der aus ihnen gezogenen Schlüsse.
In Folgendem seien Krankengeschichte und Befund des Pa¬
tienten kurz mitgeteilt.
Karl W., 33 Jahre alt, ehemaliger Bureauangestellter. Die Familien¬
anamnese ergibt nichts von Belang, insonderheit ist dem Patienten von
in Frage kommenden Erkrankungen ähnlicher Art nichts bekannt. Er
selbst hatte als Kind Masern und Diphtherie, 1907 Gonorrhoe. Aktive
Dienstzeit bei der Infanterie, Teilnahme am Kriege vom 5. August 1914
bis Ende September 1915 (Beckenschuß). Im August 1918 plötz¬
lich einsetzende, seitdem fortschreitende Schwäche der
Kaumuskulatur, die Dienstunfahigkeit bedingte. Ab 1. Mai 1919
wieder erhebliche Besserung, so daß "W. Bureauarbeit übernahm.
Aufgabe derselben bereits wieder im Juni 1919 infolge erneuter Er¬
krankung. In stationärer Behandlung wegen Pericarditis exsudativa und
Stauungsascites bis 9. August 1919. In den Krankenpapieren
aus dieser Zeit findet sich nichts von myasthenischen
Erscheinungen verzeichnet. Nach Entlassung aus dem Kranken¬
haus vorübergehende "Wiederaufnahme der Tätigkeit. Im Januar 1920
von neuem so starke myasthenische Beschwerden, besonders beim Kauen
und Sprechen, daß W. völlig erwerbsunfähig wurde. Seit März
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| Über die Muskelaktionsströme bei Myasthenia gravis. 29
t 1980 ent ambulant, dann stationär in Behandlung des Allerheiligen*
tapttals. 1 )
Befand: Stark abgemagerter Mann mit ausgesprochener Atro*
phie der Mnsknlatnr, insbesondere der Gesichtsmuskeln. Erythrasma
i der Schamgegend und an der Innenseite beider Oberschenkel. Vitiligo
in Bicken.
Sympathicosparese des rechten Anges von wechselnder Stärke.
An den inneren Organen außer dem Herzbefund nichts Ab*
Mimes. Isthmus der Thyreoidea fühlbar.
Herzbefund: Herzgrenzen zwei Querfinger einwärts von der
netten Mammillarlinie, ein Querfinger einwärts von der linken Mammil-
krUnie, II. Rippe. Spitzenstoß in der Herzgrube. Herztätigkeit regel-
nett. 1. Ton am deutlichsten rechts vom 8ternum.
Röntgenbefund: Das linke Zwerchfell ist infolge pleuritisoher
Schwartenbildung stark hochgezogen, das Herz infolgedessen nach rechts
«lagert, ebenso die Trachea. Aortenschatten deutlich verbreitert. Ob
äch hinter den Adhäsionen ein Mediastinaltumor verbirgt, läßt sioh nicht
otaheiden. Elektrokardiographische Aufnahmen ergeben in
do drei Ableitungen Fehlen der P- und T-Zacke.
Nervensystem: Armsehnenreflexe lebhaft, sonst Reflexe
»fflig normal. Keine sensiblen Störungen.
Herabsetzung der groben Kraft sämtlicher Muskeln. Ergo-
{nphische Registrierung zeigt bis auf schnellen Eintritt
^Ermüdung (und auffallend schnelle Erholung) nichts Besonderes.
Direkte mechanische Muskelerregbarkeit gesteigert;
i den Mm. pectorales ausgesprochene idiomuskuläre Wulstbildung.
Ii fast allen Muskeln, besonders in der Gesichts-
ud Schaltermuskulatur typische MyaR. In den be¬
dienen Muskeln z. T. deutliche Heraufsetzung der Reizschwelle
Sr den faradischen Strom.
Laryngologischer Befund: Glottis öffnet sioh bei der Re*
•Mion nicht zur vollen Atmungsweite (Primärarzt Dr. Goerke).
Während des Krankenhausaufenthaltes zeitweise hochgradige Besserung
1* Erscheinungen. Patient kann z. B. einige Tage laut sprechen, so*
pr singen, um dann wieder nahezu aphonisch und durch Erstickungs-
■fifle bedroht zu werden.
Va-R. in Serum und Liquor negativ. Chemischer und cytologischer
Liqnorbefond ohne Besonderheiten.
Urin frei von Eiweiß und Zucker.
Bas morphologische B lutbild zeigt wechselnd starke Lympho-
'Jtoae (28—50°/ o bei normalen Gasamtwerten) und Eosinopenie (0—1 °/ 0 ) i
•jtwdem besteht Hypochromie der Erythrocyten (Färbeindex 0,6—0,6
M durchschnittlich 5 Millionen Erythrocyten).
1) Für die Überlassung des Falles sprechen wir Herrn Prof. 0. Foerster
ergebensten Dank aus, ebenso Herrn Dr. Qoldberg für freundliche
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30
Schäffbb n. Binsen
Blutdruck dauernd auffallend niedrig; Durchschnittswert: 100/65
mmHg (Riva-Rocci).
Nach dem erhobenen klinischen Befund ließ sich demnach die
Diagnose: Myasthenie mit Sicherheit steilem Andere differential¬
diagnostisch in Frage kommende Erkrankungen wie progressive
Bulbärparalyse, Pseudobulbärparalyse, Dystrophia
musc. waren mit Rücksicht auf die Lokalisation, den auffälligen
Wechsel in der Schwere der Erscheinungen usw. leicht auszu-
schließen.
Der bloße Nachweis der Jolly’schen myasthenischen
Reaktion (MyaR) vermag nicht, wie früher angenommen wurde,
die Diagnose zu entscheiden, wenn sie auch eine wertvolle Stütze
derselben sein kann. Bekanntlich ist die MyaR bei einer ganzen
Reihe verschiedenartiger Affektionen beobachtet worden, bei Hirn-
und Rückenmarkstumoren, Syringomyelie, Friedreich’scher Krankheit
(Kramer), Tetanie und Basedow. Ihr Vorkommen gerade bei
diesen Erkrankungen liefert aber einen Hinweis auf die Ätio¬
logie, die jetzt wohl allgemein in einer Störung des endo¬
krinen Systems gesehen wird. Die zuerst von' Lewandowsky 1 2 3 )
in 10 von 30 Fällen nachgewiesene Thymushyperplasie, die Aplasie
der Ovarien in einem Fall Curschmanns, 9 ) das Schwinden
der myasthenischen Erscheinungen intra graviditatem (Goldflam),
schließlich das gleichzeitige Auftreten mit anderen sicher endo¬
krinen Erkrankungen (Sklerodermie (Mathias 9 ), auch Stoff¬
wechselstörungen usw.[Froböese-Thiele und Leschcziner]) 4 )
sprechen für die endokrine Genese der Krankheit. Ihr konstitu¬
tioneller Charakter wird durch die zuerst von Oppenheim 5 6 )
beschriebene Kombination mit anderen degenerativen Erscheinungen,
z. B. Polydaktylie, Mikrognatie, Gaumenspalte, Infantilismen, Ptosis
congenita, Anomalien im Zentralnervensystem, Hemiatrophia faciei
bewiesen. Zu diesen konstitutionellen Stigmata rechnet Bauer 4 )
auch das Zusammentreffen mit Tumoren. Auch der Nachweis der
Heredität konnte durch Marinesco 7 ) erbracht werden, der My-
1) Handb. d. Neur. II. 210, 1911.
2) Zeitschr. f. d. ges. N. u. Psych. Bd. 7, 1911.
3) Zeitschr. f. d. ges. Nenrol. u. Psych. Orig.-Bd. 63, 1921.
4) Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 86.
5) Die myasthenische Paralyse, Berlin 1901 und Lehrb. d. Nervenheilkunde,
Berlin 1913.
6) Die konstitutionelle Disposition zu inneren Krankh. Berlin 1917.
7) Semaine medicale 1908. S. 421, cit. nach Bauer.
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Über die Muskelaktionsströme bei Myasthenia gram. 31
asthenie bei zwei Schwestern beschrieben hat. Diesem Befände ist
ein neuerer von Hase 1 ) anzureihen, der Myasthenie in einer
Familie mit zahlreichen .degenerativen Stigmata teils endokriner,
teils „nervöser“ Natur fand.
Wie bei allen Erkrankungen endokriner Genese, so hat man
versucht, auch für die Myasthenie eine bestimmte endokrine Drüse
verantwortlich zu machen, und zwar ist hier vor allem die Epithel»
körperchentheorie von Lundborg-Chvostek 3 ) zu erwähnen.
Biedl und Bauer 8 ) fanden aber atich bei Injektion von Pankreas-
extrakt Auftreten der MyaE. Am nächsten lag es bei der Häufig¬
keit der Thymus persistens, die Erkrankung mit dieser Anomalie
in Zusammenhang zu bringen. 4 ) Unterstützt wurde dieser Gedanke
durch den Nachweis der Identität der Zellen in den häufig ge¬
fundenen Mediastinaltumoren und Muskelinfiltrationen (Weigert)
mit Thymuszellen.
Als mechanisches Auslösungsmoment der myasthenischen Erschei*
nungen kommen diese sicher nicht entzündlichen Muskelinfil¬
trationen bestimmt ebensowenig in Betracht wie die sekundären
degenerativen und regenerativen Muskelprozesse. Mancher klinisch
schwer erkrankte Muskel zeigt auch nur geringe histologische
Veränderungen; jedenfalls besteht keine Parallele zwischen klini¬
schem und histologischem Befunde. In unserem Falle fanden sich
z. B. in dem linken M. trapezius, der klinisch sich als schwer
affiziert erwies, histologisch nur vereinzelt typische Zellinfiltrate,
überwiegend degenerative Erscheinungen und ihre Folgen. 5 ) Auch
wechseln die myasthenischen Erscheinungen außerordentlich in
ihrer Intensität und können sogar, wie unser Fall zeigt, nach an¬
fänglich schwersten Symptomen bis zur praktischen Heilung ver¬
schwinden, so daß man sie als funktionell anzusehen hat.
Das Vorkommen dieser Infiltrate, der Thymushyperplasie, wie
anch der MyaR bei anderen endocrinen Störungen (z. B. bei
Basedow [Schütz]) machen die Frage notwendig, ob die Myasthenie
überhaupt als Krankheit sui generis oder nur als Symptom endo-
1) Berliner klm. Wochenschr. 1921, Nr. 8, S. 176.
2) Deutsche Zeitschr. f. Nervenheilkunde Bd. 27, S. 217, 1904. Wiener klin.
Wochenschr. 1907, 1908, 1914.
3) Innere Sekretion. III. Aufl. 1916 n. 1. c.
4) Von besonderer Bedeutung ist in dieser Hinsicht ein durch Schuh¬
macher und Both beschriebener Fall von Myasthenie und Basedow, der nach
Tbymectomie in „Heilung“ überging (Mitt. Grenzgeb. 1912, S. 746).
5) Herrn Priv.-Dozent Dr. Mathias sei auch an dieser Stelle für die freund¬
liche Unterstützung bei der Durchsicht der Präparate bestens gedankt.
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32
Scbävfkb n. Bbibssb
criner Störung zn betrachten ist. Diese Frage ist dahin zn be¬
antworten, daß es ohne Zweifel die Krankheitsform einer essentiellen
Myasthenie auf der Basis einer ganz bestimmten Störung der
funktionellen Korrelation endocriner Drüsen gibt, die nach initialer
Latenz (Curschmann) 1 2 ) in den dreißiger bis vierziger Jahren
aufzntreten pflegt. Inwieweit znr Auslösung der klinischen Sym¬
ptome noch eine besondere exogene Noxe notwendig ist, ist vor¬
läufig nicht zu entscheiden.
Auch unser Patient zeigte Erscheinungen, die auf endocrine
Störungen schließen lassen: Neben der myasthenischen Ermüdung
Adynamie, niedrigen Blutdruck, Lymphocytose, sexuelle Störungen
im Sinne langdauernden temporären Erlöschens der Libido. Eine
pharmakologische Prüfung des vegetativen Nervensystems konnte
mit Rücksicht auf den schlechten Zustand des Patienten nur mit
Adrenalin vorgenommen werden: Der Blutdruck stieg nach intra¬
muskulärer Injektion von 1 mg Suprarenin. hydrochloric. Merck
innerhalb von 5 Minuten von 100 auf 145 mm Hg., die Pulsfrequenz
nach 5 Minuten von 96 auf 108. Glykosurie trat nicht auf, ebenso
kein Tremor, nur kurz dauerndes Kältegefühl und Palpitatio cordis.
Das Blut zeigte folgende Veränderungen: A. inj. 6000 Leukoeyten,
davon 44 °/ 0 Neutrophile, 1 °/ 0 Eosinophile, 5°/ 0 große Mononucleäre,
50% Lymphocyten. 5 Minuten post inj. 7000 Leukoeyten, davon
24°/ 0 Neutrophile, 1 % große Mononucleäre, 75°/ 0 Lymphocyten.
15 Minuten post inj. 8000 Leukoeyten, davon 38% Neutrophile,
1 % Mastzellen, 61% Lymphocyten. Wiederholte Injektionen von
Adrenalin, das als therapeutisches Mittel bei Myasthenie empfohlen
worden ist, riefen eine deutliche Verschlechterung des Zustandes
und eine eigentümliche Steifigkeit in den Fingern hervor, die der
Patient mitunter auch spontan, besonders bei kühler Temperatur,
beobachtet haben will.
Um die Frage nach dem Entstehungsort der myasthenischen
Ermüdung ihrer Lösung näher zu bringen, untersuchten wir die
Muskelaktionsströme in ähnlicherWeise, wie dies bereits F. H e r z o g *)
getan hat. Nach diesem Autor ist die Ermüdung des myastheni¬
schen Muskels prinzipiell von der des normalen verschieden.
Leitet man die Ströme eines gesunden unermüdeten Muskels
während starker willkürlicher Kontraktionen zum Saitengalvano¬
meter ab, so erhält man eine Kurve von etwa 40—50 diaphasischen
1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 85, 1805.
2) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 123, 1917.
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Über die Mnskelationsströme bei Myasthenia gravis.
33
Schwankungen, jede unmittelbar der vorhergehenden folgend.
Anders, wenn der Mnskel ermüdet ist. Die Zahl der einzelnen
Schwingungen sinkt dann auf 20—30 pro Sekunde ab, während
ihre Amplitude zunächst noch relativ hoch bleibt, um erst bei
weiterem Fortschreiten der Ermüdung ebenfalls kleiner zu werden.
Da aber die Dauer jeder Schwingung ungefähr konstant bleibt
(ca. Vst» Sekunde), so treten zwischen ihnen Pausen wechselnder
Größe in der Kurve auf, in denen die Saite in Ruhe verharrt.
Zugleich superponieren sich den größeren Zacken kleine Neben¬
zacken. Dies wurde zuerst von Piper 1 ) gefunden und später von
Gregor und Schilder 2 ) bestätigt und näher ausgeführt.
Demgegenüber ist das Elektromyogramm des mj'asthenischen
Muskels nach Herzog dadurch charakterisiert, daß der Eintritt
der Ermüdung sich nur in einer Abnahme der Amplitude
der Schwingungen verrät, ohne daß ihre Zahl pro Sekunde
sich ändert. Es gleicht dadurch der Kurve, die man erhält, wenn
ein Gesunder seine unermüdeten Muskeln nur schwach innerviert.
Da nun nach Piper jede diphasische Schwankung einem
lnnervationsimpuls entspricht, so geht die Ermüdung des Normalen
mit einer Verringerung der Impulse einher. Das Nervensystem ist
also am Zustandekommen der Ermüdung wesentlich beteiligt. Beim
myasthenischen Muskel dagegen nimmt die Zahl der Impulse
nicht ab.
Das Kleinerwerden der Amplituden könnte nun zwei Ursachen
haben. Entweder wird die Stärke der Innervationsstöße geringer.
Das erscheint durchaus möglich, da wir ja wissen, daß Intensität
der Nervenerregung und Aktionsstromamplitude des zugehörigen
Muskels innerhalb gewisser Grenzen parallel gehen. Denkbar wäre
aber auch, daß der Muskel durch die Ermüdung derart verändert
wird, daß er trotz gleichbleibender Stärke der Nervenimpulse nur
mit einem schwächeren Aktionsstrom zu reagieren vermag. In
diesem Falle käme die Ermüdung also im Muskel selbst zustande.
Letzteres hält Herzog für das Wahrscheinlichere.
Wir benutzten bei unseren Untersuchungen das Saitengalvano¬
meter der Firma Huth-Berlin. Die Saite von 3 ju Dicke wurde in
der Regel stark gespannt, um den Ablauf der Aktionsströme mög¬
lichst getreu wiederzugeben. Zur Ableitung dienten unpolarisier-
1) Elektrophysiologie menschlicher Muskeln. Berlin, Springer 1912.
2) Zeitschr. f. d. ges. Neurol. u. Psych. 1918, Bd. 14, S. 359 und Bd. 15,
S. 604.
Deutsches Archiv für klin. Medizin. i:w. Bd. 3
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34
SCHAFFE« U. BhIKGER
bare mit Zinksulfat gefüllte Trichterelektroden nach Piper.
Zwischen Haut und Elektrode kamen einige Lagen mit physio¬
logischer Kochsalzlösung getränkten Mulls zu liegen.
Zur Prüfung der Willküraktion wurden die Elektroden im Ab¬
stand von etwa 10 cm auf den oberen Teil des linken M. trapezius,
in dem die histologische Untersuchung bereits die
typischen myasthenischen Veränderungen und die
elektrische Prüfung ausgesprochene myasthenische
Reaktion nachgewiesen hatten, aufgesetzt und dort während
der Dauer der Aufnahme von einem Gehilfen festgehalten.
Wurde nun eine Kurve aufgenommen, nachdem der Kranke in
ausgeruhtem Zustande eben begonnen hatte, in der Hand des
horizontal ausgestreckten linken Armes ein Gewicht von 0,5 kg
zu halten, so erhielten wir ein Bild, das sich in nichts von dem
des Gesunden unterschied. Im Mittel folgten 50—55 Schwingungen
pro Sekunde aufeinander (Fig. 1).
Aber schon wenige Augenblicke weiteren Haltens des Ge¬
wichtes genügten, um das Aussehen der Kurve erheblich zu ver¬
ändern. Die Amplitude der Schwingungen nahm deutlich ab, ihre
Zahl jedoch blieb unverändert. Zwischen deü einzelnen Zacken
der Kurve entstanden keine Intervalle. Die nächste Aufnahme
(Fig. 2), die der zweiten mit kurzer Pause folgt, zeigt die gleichen
Merkmale noch ausgeprägter. Immer noch bleibt die Zahl der
Schwankungen auf ca. 55 pro Sekunde.
Schließlich ist die Ermüdung so hochgradig geworden, daß der
Kranke das Gewicht nur noch mit größter Anstrengung zu halten
vermag. In diesem Zustande zeigt die Aufnahme äußerst kleine,
gerade noch erkennbare Zacken', deren Frequenz nun auch erheb¬
lich geringer ist. Doch darf hieraus keineswegs gefolgert werden,
daß bei diesem Grade der Ermüdung die Zahl der Innervations¬
impulse abgenommen habe, denn da die Größe der einzelnen
Amplituden niemals völlig übereinstimmt, so könnten einzelne
Schwankungen bereits so schwach geworden sein, daß sie die Saite
des Galvanometers nicht mehr zur Ablenkung bringen können
und sich damit der Erkennung entziehen.
Unsere Kurven sind somit eine völlige Bestätigung der Be¬
funde Herzogs. Die durch willkürliche Kontraktionen herbei¬
geführte Ermüdung des myasthenischen Muskels ist tatsächlich
von der des gesunden durchaus verschieden. Ob sie aber infolge
einer funktionellen Abartung des Muskels entsteht oder infolge
einer veränderten Innervationsweise seitens der nervösen Zentral-
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Über die Muskelationsströme bei Myasthenia gravis.
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organe, das zu entscheiden ist vorderhand noch unmöglich. Der
einzig exakte Weg wäre die gleichzeitige Verzeichnung der Aktions-
ströme von Nerv und Muskel. Es wäre dann zu erwarten, daß
bei Lokalisation des krankhaften Prozesses im Muskel die Nerven-
aktionsströme während willkürlicher Innervation noch zu einer
Zeit an Frequenz und Amplitudengröße unverändert blieben, in der
der Muskel schon eine deutliche Abnahme seiner Amplituden er¬
kennen läßt. Leider ist jedoch dieser Weg beim Menschen nicht
ohne weiteres gangbar, da die Ableitung der sehr schwachen
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Aktionsströme des 1. M. trapezius nach Ermüdung durch willkürliche Kontraktion.
Fadenspannung 15 mm pro 0,5 MV. Zeit ‘/s Sek.
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ScHÄF'FKR U. BkiECKK
Nervenaktionsströme aus technischen Gründen bisher nur an frei¬
gelegten Nerven gelingt.
Nun scheinen aber die Erfahrungen über das Verhalten des
myasthenischen Muskels bei faradischer Beizung seines Nerven
sehr für die Erkrankung des Muskels selbst zu sprechen. Ver¬
zeichnet man nämlich die Aktionsströme der Unterarmbeuger,
während der N. medianus mit faradischem Strom mittlerer Stärke
gereizt wird, so findet man, daß jedem Öftnungsschlag eine Schwan¬
kung normaler Form, Dauer und Höhe *) entspricht (Fig. 3).
Fig. 3. Aktionsströme der Unterarmbeuger im Beginn der faradischen Reizung
des N. medjanns. Unmittelbar vor der groben Schwankung die kleine Einbrnchs-
zacke des Öffnungsschlages, weiter vorher die des Schliebungsschlages. Faden¬
spannung 10 mm pro 0,5 MV. /eit ’/b Sek.
Wird dann die Reizung mehrere Minuten hindurch fortgesetzt,
so nimmt mit dem Eintritt der myasthenischen Reaktion auch die
Amplitude der Aktionsströme zusehends ab. So erhielten wir z. B.
die Kurve Fig. 4, indem die Reizung des Medianus mit gleich¬
bleibender Reizstärke 6 Minuten bei einer Frequenz von ca. 10 Öff¬
nungen pro Sekunde fortgesetzt wurde. Ganz entsprechende Re¬
sultate erhielt Herzog bei Reizung des N. ulnaris und Ableitung
vom M. flexor carpi ulnaris sowie vom Hypothenar.
Ein derartiges Verhalten des Muskels scheint nun zunächst
keine andere Deutung zuzulassen, als daß bei fortgesetzter Reizung
1) Dab der groben dipbasischen Schwankung eine zweite kleinere folgt (Fig. 3),
ist nicht als pathologisch zu betrachten, da es abhängig von der Lage der Elek¬
troden auch beim Gesunden gesehen wird.
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Über die Muskelatiousströme bei Myasthenia gravis.
37
dieselbe Nervenerregung nicht mehr mit der gleichen Intensität
des Kontraktionsprozesses beantwortet werden kann, daß also der
Muskel selbst für den Eintritt der Ermüdung verantwortlich zu
machen ist.
Fig. 4. Derselbe Versuch wie Fig. 3. Aktiousströme der Unterarmbeiiger nach
* Min. langer faradischer Reizung des N. medianus. Einbruchszacken des Reiz¬
stromes wie in Fig. 3. Fadenspannung 10 min pro 0,5 MV. Zeit l /i> Sek.
Ein solcher Schluß enthält jedoch eine Voraussetzung, die
keineswegs erfüllt zu sein braucht, die nämlich, daß hier ebenso
wie beim Gesunden der gleichen Stärke des Reizes stets auch die
gleiche Stärke der Nervenerregung entspricht. Denn einmal könnte
die Leitfähigkeit des ganzen Nerven ermüden. Zweitens aber ist
bekannt, daß es im Experiment leicht gelingt, einen markhaltigen
.Verven durch gewisse Eingritfe (Narkose, 0._,-Mangel; lokal so zu
verändern, daß die geschädigte Strecke eine Erregung nur mit
Dekrement leitet. Im Hinblick hierauf wäre also zu erwägen, ob
nicht im Nerven des Myastheniekranken auf den elektrischen Reiz
bin an der Reizstelle ein Dekrement auftritt und somit der Muskel
trotz gleichbleibender Stärke des Reizstromes umso schwächere
Erregungen empfängt, je länger die Reizung fortgesetzt wird.
Aus dieser Überlegung geht hervor, daß auch die Unter¬
suchung des Muskels bei Reizung des peripheren Nerven keinen
bindenden Schluß auf den Entstehungsort der krankhaften Er¬
müdung gestattet. Es ergibt sich daher die Frage, ob etwa die
zentral-nervösen Funktionen eine Abweichung von der Norm er¬
kennen lassen.
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38
Schaffer u. Brieger
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Um hierüber Aufschluß zu erhalten, bestimmte Herzog die
Latenzzeit des Patellarreflexes nach der Methode von Paul Hoff-
mann 1 ) und fand einen normalen Wert (0,02 Sek.). Er schließt
hieraus wohl mit Recht, daß die Geschwindigkeit der Erregungs¬
leitung im Nerven keine pathologische Veränderung aufweist. Da
zudem der Rhythmus der zentralen Erregungen, wie er in der
Aktionsstromkurve des willkürlich innervierten Muskels zum Aus¬
druck kommt, den Typus des gesunden Muskels zeigte, so konnte
er nichts Abnormes in der Funktion des Zentralnervensystems
finden und sieht hierin ein weiteres Argument für seine Annahme,
daß der Ursprung der krankhaften Ermüdbarkeit im Muskel selbst
zu suchen sei.
Offenbar vermag aber die Konstatierung einer normalen Reflex¬
latenzzeit kaum etwas über die Funktionstüchtigkeit der Zentral¬
organe auszüsagen, da es ja hier vor allem darauf ankommt fest¬
zustellen, wie sich die Funktion linter dem Einflüsse ihrer Be¬
anspruchung ändert. Wir gingen deshalb bei unseren Versuchen
in der Weise vor, daß wir die Latenzzeit des Achillesreflexes
unseres Kranken nach der Methode des einen von uns (Sch äff er) 2 * )
bestimmten, hierauf während ca. x / 2 Stunde den Reflex sehr häufig
auslösten und dann wiederum eine Latenzzeitbestimmung Vor¬
nahmen. Doch konnte zwischen beiden Messungen keine Differenz
ermittelt werden. Sie ergaben übereinstimmend 0,039 Sekunden
und hielten sich somit an der oberen Grenze der Norm, wenn wir
die Werte von F. A. Hoffmann 8 ) zum Vergleich heranziehen.
Zur Beurteilung ist zu bedenken, daß dieses Resultat möglicher¬
weise durch zwei entgegengesetzt wirkende Faktoren beeinflußt
wird. Einmal müßte eine etwa vorhandene pathologische Ermüd¬
barkeit des Reflexes die Latenzzeit verlängern, andererseits
würde sich der Einfluß der Bahnung, ähnlich wie dies vom Rücken¬
marksreflex des Frosches 4 ) bekannt ist, in einer Verkürzung
der Latenzzeit äußern. Beide Faktoren könnten sich gegenseitig
aufheben und der Einfluß der Ermüdung dadurch der Beobachtung
entzogen werden.
Wir halten uns demnach keineswegs für berechtigt, eine funk¬
tionelle Störung des Zentralnervensystems bei der Myasthenie aus-
zuschließen.
1) Arch. f. Phys. 1910, 8. 286.
2) Zeitschr. f. d. ges. Nein*, u. Psvch. (im Erscheinen j.
o) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 126, 1918, S. 818.
4) Veszi, Zeitschr. f. allg. Physiol. 1918, Bd. 18, S. 58.
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I
Über die Muskelationsströme bei Myastenia gravi».
39
Andererseits ist zuzugeben, daß die bemerkenswerten Be¬
obachtungen, die Herzog an den zeitweilig starren Muskeln
seines Patienten machen konnte, durchaus für eine Erkrankung
des Muskels selbst sprechen. Während die Starre in der Musku¬
latur des Kleinfingerballens bestand, traten nach kurzdauernder
faradischer Reizung des N. ulnaris auf einen Induktionsschlag hin
mehrfache Zuckungen von beträchtlicher Höhe auf und gleich¬
zeitig zeigte die Kurve des Aktionsstromes nach der anfänglichen
diphasischen Schwankung mehrere große wellenförmige Schwan¬
kungen. Ein solches Verhalten ist durch eine Störung des Nerven
nicht zu erklären und weist auf eine Anomalie des Muskels.
Es muß jedoch dahingestellt bleiben, wieweit man berechtigt
ist, derartige tonische Zustände dem Bilde der echten Myasthenie
zazusprechen und die für den Einzelfall gültigen Ergebnisse zu
rerallgemeinern. Das Auftreten mehrfacher Kontraktionen auf
«inen Reiz erinnert wohl am ehesten an die von Rautenberg 1 )
ebenfalls bei Myasthenie beschriebene Myautonomie. Doch betont
schon Rautenberg, daß ihr Vorkommen bei diesem Leiden
keineswegs konstant ist und sie auch bei anderen Muskelleiden
smgetrofFen wird. Bei unserem Kranken waren spontane tonische
iontraktionen zur Zeit der Untersuchung auch nicht andeutungs¬
weise zu beobachten. Doch sei hier an die in der Kranken¬
geschichte erwähnten Angaben des Patienten über früher auf¬
getretene derartige Zustände erinnert. Wir suchten daher fest-
zastellen, ob sich etwa eine latente Disposition in dieser Richtung
aachweisen ließe.
Als Weg hierzu wählten wir die Auslösung der kürzlich durch
fine n von uns (Sch äff er) näher studierten sog. Tiegel’schen
Kontraktur. 2 ; Der Unterarm wurde in der Armstütze des Mosso-
schen Ergographen befestigt und die Beugemuskulatur rhyth¬
misch intermittierend mit kurzen faradischen Strömen bipolar ge¬
reizt, während der Kranke mit seinem Mittelfinger gleichzeitig im
Tempo der Reizung ein Gewicht von 0,5 kg hob und senkte. Die
Bewegungen des Fingers wurden auf einem Kymographion ver¬
zeichnet Bezüglich der technischen Einzelheiten muß auf die aus¬
führliche Publikation a. a. 0. verwiesen werden. Tritt unter
<le» Einfluß der Kombination von Willkürimpuls und elektrischer
1) Dentsches Arch. f. kl in. Med. Bd. 93, 1908, S. 388.
2) Pflügers Arch. 1920, Bd. 185, S. 42 und Berliner klin. Wochensehr. 1920.
.Vr. 31, S. 728.
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40 Schaffer u. Brieger, Über die Muskelationsströme bei Myastenia gravis.
Beizung die Kontraktur ein, so zeigt die erhaltene Kurve, daß der
Muskel auch in der Pause zwischen je zwei Reizen anhaltend kon¬
trahiert bleibt. Bei geeigneten Individuen ist die Kontraktur
unter diesen Bedingungen schon mit schwachen faradischen und
galvanischen Strömen zu erzielen. Auch bei unserem Kranken trat
sie ein, bedurfte jedoch der Anwendung relativ starken faradischen
Stromes (R—A 40 mm). Von einer besonderen Disposition zur
Kontraktur kann also bei ihm nicht gesprochen werden.
Das Ergebnis unserer Untersuchungen wäre folgendermaßen
zusammenzufassen: Bei einem Kranken, der das voll ausgeprägte
Bild der Myasthenie bot, zeigte die Prüfung der Aktionsströme
mittels des Saitengalvanometers den eigenartigen Ermüdungstyp
der myasthenischen Muskeln uud bestätigte damit die Ergebnisse
von Fr. Herzog. Es bleibt nämlich die Zahl der diphasischen
Schwankungen und damit der Rhythmus der Iunervationsimpulse
unverändert, nur die Größe der Amplituden nimmt mit fort¬
schreitender Ermüdung immer mehr ab. Bei Reizung des Nerven
antwortet der zugehörige Muskel auf jeden Induktionsschlag mit
einer diphasischen Schwankung. Bei fortgesetzter faradischer
Reizung wird die Amplitude trotz gleichbleibender Stärke des
Reizstromes kleiner. In Übereinstimmung mit Herzog fanden
wir die Latenzzeit eines Sehnenreflexes normal. Sie betrug für
den Achillesreflex 0,039 Sek. und nahm auch durch vielfach wieder¬
holte Auslösung des Reflexes nicht nachweisbar ab. Trotzdem eine
Reihe von Tatsachen auf den Muskel als Hauptsitz der Erkran¬
kung hinweisen, darf doch eine Mitbeteiligung des Zentralnerven¬
systems am Zustandekommen der myasthenischen Ermüdung keines¬
wegs ausgeschlossen werden. Die größte Wahrscheinlichkeit be¬
sitzt zurzeit die Annahme, daß die gleiche innersekretorische
Störung koordiniert eine Funktionsschwäche des nervösen Zentral¬
organs wie der Muskeln bedingt.
Eine Lösung der Frage nach dem Sitz der myasthenischen
Ermüdung ist vielleicht von der gleichzeitigen Registrierung der
Aktionsströme von Nerv und Muskel zu erwarten.
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41
Aus der niedizin. Klinik in Heidelberg.
Beobachtungen Aber Ulcns ventriculi.
Von
Dr. Marie Clauss.
Wir versuchten, uns durch eingehende seelische und körper¬
liche Untersuchung von 100 Kranken mit chronischen Magenge¬
schwüren (29 Frauen, 71 Männern) ein Urteil zu verschaffen, oh
ind wie weit nervöse Momente im weitesten Sinne des Wortes
hei solchen Kranken in Betracht kommen oder eine Rolle spielen,
las „vegetative“ Nervensystem haben wir mit den alten Methoden
Versucht, weil sie uns immer noch sicherer zu sein scheinen, als
« zurzeit in der Klinik üblichen pharmakologischen Prüfungen.
lUr wählten nur solche Kranke, bei denen die Diagnose sicher
»ar. 87 hat Herr Prof. Enderlen operiert, 22 hatten Blutungen,
U zeigten einen ganz unzweideutigen, von Herrn Dr. Holthusen
erhobenen Röntgenbefund.
Bei einer Gruppe dieser Kranken (45), bestand von Jugend
<n allgemeine körperliche Schwächlichkeit. Die Frauen dieser
truppe sind alle erst spät entwickelt, zwischen dem 18. und 21.
Lebensjahr. Allgemein nervöse Symptome waren bei fast allen zu
finden, aber nicht bei allen. Ein großer Teil dieser Kranken gab
■n, daß bei Aufregungen sich die Beschwerden verschlimmerten,
find daß sie im ganzen viel leichter erregbar wären, wenn der
!'a?en Störungen machte. Hier beeinflußten sich also die beiden
Erscheinungen sicher gegenseitig: Verstärkung der allgemein
wvüsen Erscheinungen stört den Magen und Vermehrung der
Lv.'pepsie beeinträchtigt das Allgemeinbefinden. Einzelne nervöse
'ymptome haben sich bei manchen dieser Kranken, deren allgemein
•cfFöse und deren seeliche Verhältnisse sonst normal waren, erst
ei Verlauf der Krankheit entwickelt. Das ergab nicht allein die
-bmmnese, sondern auch die fortlaufende klinische Beobachtung
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42
Claus«
Hier ist der natürliche Schluß die althergebrachte Annahme, daß
die Kranken nervös geworden sind. Zwei Frauen, die im Krieg
starke körperliche Anstrengungen verbunden mit schweren Sorgen
hatten, wurden dabei reizbar, schlaflos, bekamen Magenbeschwerden
{eben die Erscheinungen des Ulcus ventriculi) und boten das Bild
außerordentlicher Ermüdung. Zwei Kranke dieser Gruppe waren
zwar schwächlich, zeigten aber keine Spur von psychisch nervösen
Symptomen. 7 Kranke von den 45 waren ausgesprochen geistig
minderwertig, 4 imbecill, 2 zeigten schwere Hysterie, 1 Epilepsie.
Alle Kranken, die psychisch erregbar waren, zeigten leichte
Veränderungen des „vegetativen“ Nervensystems: Dermographismus,
respiratorische Arhythmie, Wechsel zwischen Durchfall und Ver¬
stopfung. Bei einem Kranken traten die Schmerzen anfallsweise
auf, unabhängig von der Nahrung, und besserten sich immer schnell
auf Atropin. Während der Schmerzanfälle war der Magen als
harter Tumor zu fühlen. Radiologisch war die peristolische Tonus¬
erhöhung leider nicht zu Gesicht zu bringen. Bei der Operation
fand sich ein kleines Geschwür am Pylorus.
Zur zweiten Gruppe (37 Kranke) gehören gesunde, kräftige
Leute, hauptsächlich Männer (34 von 37). Die Magenbeschwerden
setzten meist (mit 8 Ausnahmen) erst nach dem 40. Jahre ein,
bis dahin waren die Leute ganz gesund. Bei einem Teil von
ihnen traten die Beschwerden während des Feldzuges auf, alle
hatten sehr stark geraucht, einzelne waren Säufer. Allgemein und
„lokal“ nervöse Symptome fehlen hier fast völlig. Die Kranken,
die 50 Jahre oder älter w r aren, hatten zum großen Teil deutliche
arterielle Veränderungen, 4 mit Hypertonie. Eine ausgesprochene
Nephritis war bei keinem vorhanden. Die meisten der älteren
Kranken waren zahnlos oder hatten sehr schlechte Zähne.
Zwischen diesen beiden Gruppen stehen Kranke (18), die sich
in keine zwanglos einreihen lassen. Zunächst kräftige Leute, bei
denen jede nervöse Erscheinung fehlt, deren Magenbeschwerden
aber bis in die frühe Jugend zurückreichen. Sie gehören dem
Wesen nach zu der oben genannten zweiten Gruppe. 5 von ihnen
hatten früher Gelenkrheumatismus gehabt. Weiter sahen wir
schwächliche nervös reizbare Menschen, namentlich Frauen, mit
allen Zeichen minderwertiger körperlicher Ausbildung, die erst
nach dem 40. Jahre unter den Erscheinungen des Magengeschwürs
erkrankt sind. Bei 5 von ihnen fällt der Beginn der Magenbe¬
schwerden mit dem Anfang der Menopause zusammen.
Sichere Anhaltspunkte für eine frühere Erkrankung oder eine
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Beobachtungen über Ulcns ventriculi.
43
Operation im Sinne Rössles fehlen fast ganz. Zweimal geht Ruhr,
einmal eine leichte Enteritis den Magenbeschwerden unmittelbar
voran. 7 Kranke hatten früher ein- oder mehrmals Gelenkrheu¬
matismus gehabt; bei dreien waren Herzklappenfehler vorhanden.
Blinddarmentzündung kommt in 5 Fällen in der Anamnese vor,
zweimal mit Operation. Alle 5 Kranke hatten ausgiebige Magen¬
blutungen. Einer wurde operiert (Gastronterostomie), und dabei
ein Ulcus am Pylorus gefunden. Eine sehr rüstige Bauersfrau
hatte 3 mal, unmittelbar nach 3 Geburten, starkes Blutbrechen
verbunden mit drückenden Schmerzen in der Magengegend gehabt.
Sie kam jetzt, 20 Jahre nach der letzten Blutung, mit erneuten,
sehr heftigen Schmerzen und Erbrechen. Bei der Röntgendurch¬
leuchtung fand sich ein Sanduhrmagen mit sehr enger Verbindung
zwischen beiden Abschnitten und Nischenbildung am oberen Teil.
Einmal ist, J /* Jahr, ehe die ersten Beschwerden auftraten, ein
Tonsillarabsceß eingeschnitten worden. Der Kranke war ein
schwächlicher, nervöser Mensch, 20 Jahre alt, als er die ersten
Schmerzen bekam. Nach dem Röntgenbild handelte es sich bei
ihm um ein Ulcus duodeni. Bei einem Kranken kann die
Entstehung des Ulcus mit einem Trauma, das die Magengegend
traf, in Zusammenhang gebracht werden. Unmittelbar auf den Un-
feil folgten Blutbrechen und Schmerzen. 7 Jahre später wurde er
operiert, und dabei fand sich ein Ulcus callosum an der kleinen
Kurvatur.
In ungefähr der Hälfte aller Fälle fand sich im Röntgenbild
eine ganz ausgesprochene Gastroptosis, und zwar bei Kranken der
1. und der 2. Gruppe.
Die Säurewerte waren bei den meisten Kranken normal oder
wenig erhöht (15—35 freie HCl, 30—70 Ges.-Acid., Indikatoren
Diamidoazobenzol und Phenolphthalein), nur bei 9 Kranken bestand
eine ausgesprochene Hyperacidität; davon gehörten 6, und zwar
mit den höheren Säurewerten, zur 2. Gruppe. Das mag wohl da¬
her kommen, daß diese Kranken meist frisch erkrankt in die
Klinik kamen, während zur 1. Gruppe viele der alten chronischen
Fälle gehörten. 4 Kranke hatten geringe Säurewerte, davon einer,
bei dem 2 Jahre vorher ein perforierendes Ulcus vernäht worden
war, ein Salzsäuredefizit.
Bei den meisten Kranken beider Gruppen traten die Schmerzen
in der typischen Weise bald nach dem Essen auf, aber bei einigen,
hauptsächlich der 1. Gruppe, kamen sie auch ganz unabhängig von
der Nahrung entweder nach Aufregungen und Anstrengungen oder
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44
Cr. Ai* s$
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ohne erkennbare Ursache. Eine Kranke der 2. Groppe war bei
vollem Wohlbefinden von einer Blntung überrascht worden. Bei
allen, die schon jahrelang krank waren, wechselten die Zeiten der
Magenstörungen mit Zeiten völligen Wohlbefindens; ein Kranker
der 1. Gruppe war seit 20 Jahren im Sommer immer krank, im
Winter gesund.
Nach den vorliegenden Beobachtungen kann man zusammen¬
fassend sagen, daß bei einem Teil der Kranken eine neurogene
Entstehung des Ulcus im Sinne v. Bergmann*s möglich ist.
Bei den anderen aber, und dazu gehören vor allem die in späterem
Alter Erkrankten und mehr Männer als Frauen, kommen nervöse
Momente nicht in Betracht. Viele von diesen sind Arteriosklerotiker,
und bei ihnen mögen Gefäßveränderungen für die Entstehung des
Geschwüres eine Holle spielen. Als zweite Krankheit könnte es
nach Rössle in den Fällen angesehen werden, in denen Poly-
arhritis rheumatica vorangegangen ist. Vielleicht dürfen wir
nochmals betonen, daß von den 7 Kranken mit Polyarthritis rheu¬
matica 5 ihren Krankheitserscheinungen nach weder in die 1.
noch in die 2. Gruppe paßten. Ganz sicher erscheint es unmöglich,
auch nach den Beobachtungen hier, eine einheitliche Genese des
Ulcus ventriculi anzunehmen.
Wir führen 4 Krankengeschichten als Beispiele an, drei für
die beiden Hauptgruppen und eine für Kranke, die nicht einzu¬
reihen sind.
I. W. Sch., 25 Jahre alt, Laborant, hatte vor 10 Jahren zum ersten¬
mal Magenbeschwerden, die 1 Jahr dauerten und nach Gebrauch von
Karlsbader Salz verschwanden. Während des Krieges war er als Zivil¬
gefangener in Kußland. In dieser Zeit bekam er wieder Schmerzen in
der Magengegend, unabhängig von der Nahrungsaufnahme. Die Schmerzen
kamen diesmal anfallsweise und hielten jedesmal ungefähr 10 Minuten an.
Dazwischen war er wochenlang frei von Beschwerden. Sch. war ein
großer schlanker Mann in geringem Ernährungszustand und mit wechselnder
Gesichtsfarbe. Die Haltung war gebückt. Seelisch war er leicht erregbar;
er schlief schlecht, klagte über viel Herzklopfen und lebte immer in Angst
vor neuen Schmerzanfällen, die täglich ein oder mehrere Male auftraten.
Während dieser Anfälle war der Magen als harter Tumor fühlbar. Bei
der Küntg ndurchleuchtung, die in schmerzfreier Zeit gemacht wurde,
war keine gesteigerte Peristaltik zu sehen. Der Stuhl war meist ver¬
stopft, dazwischen hatte er leichte Durchfälle, Blut war nie darin nach¬
zuweisen. Die Säurewerte des Mageninhalts nach Probefrühstück waren
wenig erhöht (fr. HCl 47, Ges. Acid. 74). Bei der Operation (Gastro¬
enterostomie) fand sich ein kleines Ulcus am Pylorus. 6 Monate nach
der Operation kam er wieder, hatte wieder Schmerzanfälle, die unterhalb
des Sternums ansetzten und in den linken Arm ausstrahlten. Er sah
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Beobachtungen über Ulcus ventriculi.
45
sehr blaß aus und batte Blut im Stuhl. Die Schmerzen besserten sich
rasch auf Atropin.
II. A. B., 42 Jahre alt, Landwirt, gab an, nie kräftig gewesen zu
sein. Er hatte nicht aktiv gedient, war auch nicht ira Krieg gewesen.
Seit 20 Jahren hatte er nach dem Essen Schmerzen und Druckgefühl
im Magen, die in den letzten Jahren heftiger und anhaltender geworden
waren. Seit einigen Monaten waren sie so schlimm, daß er nach jeder
Mahlzeit den Finger in den Hals steckte, um zu erbrechen, und sich da¬
durch Erleichterung zu schaffen.
B. war klein, blaß und sehr abgemagert. Die Haut war welk und
trocken. Seelisch war er, trotz seines quälenden Zustandes, ganz im
Gleichgewicht. Von nervösen Erscheinungen war nichts bei ihm zu
finden. Unterhalb des Nabels war der Magen als harter, glatter Tumor
zu fühlen; nach dem Betasten traten peristaltische Wellen auf. Der
Stuhl war frei von Blut. Morgens nüchtern war noch fa»*t alle Nahrung
vom Abend vorher im Magen. Bei der Röntgendurchleuchtung fand sich
ein Sanduhrmagen mit Nischenbildung an der kleinen Kurvatur. Nach
h Stunden war der Brei noch zum großen Teil im unteren Magenabschnitt.
Der Magen wurde oberhalb der Stenose reseziert. Ein Jahr später war
B. ganz frei von Beschwerden, sah wohl aus und konnte seine Arbeit
gut verrichten.
III. J. T., 59 Jahre alt, Bahnarbeiter, litt seit 1915 an Obstipation,
vorher war er immer gesund gewesen. 1919 war er zum erstenmal in
ü-t Klinik wegen Schmerzen am Magen, die nach dem Essen auftraten.
Damals fand sich im Röntgenbild eine Nische an der kleinen Kurvatur.
Der Kranke war ein sehr starker Raucher, hatte auch Tabak gekaut; ge¬
sunken hat er wenig. Am 7. August 1920 bekam er plötzlich Erbrechen
und sehr heftige Magenscbmerzen, die noch anhielten, als er 2 Tage später
m die Klinik kam. Er war groß, kräftig gebaut, der Ernährungszustand
war schlecht. Im Stuhl war die Gnajakprobe dauernd positiv. Die
Säurewerte nach Probefrühstück waren 30 fr. HCl, 46 Ges.-Acid. Bei
der Operation, Querresektion, Wurden multiple Ulcera gefunden. Nach
der Operation ausgezeichnetes Befinden.
IV. Ph. R., 45 Jahre, Arbeiter, hatte im 10., 18. und 31. Jahr
Gelenkrheumatismus gehabt. Seit dem 32. Jahr hatte er häufig Magen¬
beschwerden, die 1 / 2 Stunde nach dem Essen begannen, hauptsächlich
nach sauren Speisen, zuweilen auch nach Aufregungen. Der Stuhl war
immer etwas angehalten. R. kam in die Klinik, nachdem er von Lud¬
wigshafen wegen seiner Führerschaft beim Generalstreik hatte fliehen
müssen. In dieser Zeit großer seelischer Erregungen hatten sich seine
Beschwerden sehr verschlimmert. Er war ein großer, kräftiger Mensch
in gutem Ernährungszustand, nicht eigentlich nervös, aber leidenschaftlich
und undiszipliniert. Am Herzen fand sich eine „kompensierte u Aorten-
insufficienz. Der Stuhl enthielt Blut. Die Säurewerte waren normal.
Das Röntgenbild zeigte eine Nische in der Mitte des absteigenden Astes
der kleinen Kurvatur. Nach der Operation (Querresektion) wurde er völlig
gesund.
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Aus der I. medizin. Klinik der deutschen Universität in Prag
(Vorstand: Prof. R. Schmidt).
Beobachtungen Aber paroxysmale Kältehämoglobinurie
und Kälteikterns.
Von
Dr. Paul Kaznelson,
Assistent.
(Mit 3 Kurven.)
Die folgenden Mitteilungen berichten über Untersuchungen,
die an zwei Fällen von paroxysmaler Hämoglobinurie nach drei
verschiedenen Richtungen hin gemacht wurden:
1. über die näheren Beziehungen der intravaskulären Hämolyse
zur Entstehung von Hyperbilirubinämie und Ikterus,
2. über die quantitativen Verhältnisse des Donath-Land¬
stein er’schen Hämolysins und
3. über die therapeutische Beeinflußbarkeit der Anfälle von
Hämoglobinurie mittels hypertonischer Salzlösungen nach
Bondy und Strisower.
Fall I. Anna M., 37 Jahre alt, hat seit Oktober 1920 typische
Anfälle von Hämoglobinurie, die schon durch geringe Einwirkungen von
Kälte ausgelöst werden. Ihr Gatte soll eine Geschlechtskrankheit ge*
habt haben; sie selbst war bisher nie krank. Die klinische Unter¬
suchung der Patientin ergibt keine pathologischen Veränderungen.
Durch ein kaltes Fußbad von auch nur 3 Minuten Dauer gelingt
es regelmäßig, einen starken Anfall auszulösen: er beginnt mit Kreuz¬
schmerzen, Übelkeit, Erbrechen, Schüttelfrost; es kommt zu Fieber bis
über 39°; Stunde nach dem Bade tritt bereits Hb im Harn auf, nach
2 l l 4 Stunden wird auch Methb ausgeschieden. Die Dauer der Hämo¬
globinurie ist je nach der Kälteeinwdrkung kürzer oder länger.
Nachdem die später in Abschnitt JII beschriebenen therapeu¬
tischen Versuche keinen deutlichen Effekt hatten, wird eine Neosalvarsan-
kur eingeleitet, deren Beendigung sich Patientin jedoch entzieht.
Fall II. Arthur H., 42 Jahre alt, hat im Jahre 1901 wegen einea
Ulcus eine Schmierkur gemacht. Im Januar 1915 nach einer starken
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Beobachtungen über paroxymale Kältehämoglobinurie und Kälteikterus. 47
Erkältung erster Anfall von Hämoglobinurie, in typischer Weise ver¬
laufend. Im Januar 1916 hatte er wieder einige Anfälle und wurde
damals mit 10 Suhlimatinjektionen behandelt, wodurch die anfangs positive
Wa.-K. negativ wurde. Auch die Anfälle von Hämoglobinurie blieben
aus. Herbst 1920 Gumma am weichen Gaumen, das nach Jodkali ver¬
schwand; die positive Wa.-E. wird dadurch wieder negativ. Seit März
1920 bestehen Schmerzen in allen Gelenken; Hand-, Finger- und Zehen¬
gelenke sind auch geschwollen.
Die klinische Untersuchung ergibt außer den luetischen Gelenk¬
veränderungen (Röntgen) nichts Besonderes.
Am 31. März 1921 Kälteversuch: 10 Min. langes Eisfußbad, welches
außer einer Temperatursteigerung auf 37,4 keine Erscheinungen auslöst.
Deshalb 1 Stunde nachher ein zweites Eisbad 10 Minuten lang. 1 Stunde
nach diesem Schüttelfrost, Temperaturanstieg bis 37,9; nach 4 Stunden
ist die Temperatur wieder zur Norm zurückgekehrt. Zur Zeit des
Fiebers traten starke Schmerzen in den Kniegelenken und kleinen Finger¬
gelenken (Herdreaktion!) auf. Im viertelstündlich gelassenen Harn wurde
nie Hämoglobin gefunden, dagegen bereits */ 4 Stunde nach dem zweiten
Bade vermehrtes Urobilinogen, welches bis 2 s / 4 Stunden nach dem Bade
zunahm, dann wieder schwächer wurde und nach 5 Stunden ganz ver¬
schwunden war. Zur Zeit der starken Aldehydreaktion sind die Skleren
deutlich ikterisch. Am nächsten Tag ist der Ikterus wieder ver¬
schwunden.
Am 1. April wird der Kälteversuch (25 Minuten langes Fußbad)
mit ganz demselben Effekt wiederholt. Es gelingt also nie mehr,
Hämoglobinurie zu erzeugen, die künstlich provozierten Anfälle ver¬
laufen abortiv und äußern sich nur als paroxysmaler Kälteikterus.
Der Patient wird einer Neosalvarsankur unterzogen und bekommt
im ganzen 3,9 g Neosalvarsan. Danach bessern sich die Gelenks¬
erscheinungen bedeutend und auch das subjektive Befinden wird ein voll¬
kommen normales.
Am 17. Juni 1921 wird der Effekt der Kur auf die Kältewirkung
geprüft: Patient bekommt ein Eisbad von J / 2 Stunde Dauer. Diesmal
kommt es überhaupt zu keinem Temperaturanstieg oder irgendwelchen
anderen äußerlich sichtbaren Erscheinungen. Serumveränderungen siehe
unten.
U ntersuchungen über den Ikterus bei paroxysmaler
Hämoglobinurie.
Daß die Anfälle von Hämoglobinurie häufig mit Ikterus bzw.
mit ikterischer Verfärbung der Skleren einhergehen, ist eine ge¬
läufige Tatsache (siehe Lepehne, Meyer). Gewöhnlich heißt es,
der Ikterus folge den Anfällen nach. In unserem Fall II war er
wie in einem Fall von Bürger das einzige Äquivalent eines An¬
falles, so daß wir geradezu in diesem Falle von einem ..paroxys¬
malen Kälteikterus“ sprechen können. Es kann keinem Zweifel
unterliegen, daß in allen Fällen der Ikterus mit dem plötzlichen
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Kazsf.
48
Zerfall der Erythrocyten in der Blutbahn, also mit der Hämo-
globinämie in Zusammenhang steht. Wenn es auch in unserem
2. Falle nicht zu einer Hämoglobinurie gekommen war. so wies
doch schon das Auftreten des Ikterus auf das Bestehen einer intra¬
vaskulären Hämolyse hin. Wir konnten auch in der Tat nach
jedem Kälteversuch reichlich freies Hämoglobin im Serum des
Patienten nachweisen. Selbstverständlich wurde das Serum unter
besonderen Kautelen gewonnen, die Vene wurde mit trocken¬
sterilisierter Spritze und Kanüle punktiert und das erhaltene Blut
sofort zentrifugiert so daß sich das Serum aus einem erythrocyten-
freien Blutkuchen auspreßte. Auf solche Weise gelang es, in
normalen Fällen und vor dem Kälteversuch, immer ein fast voll¬
kommen hämoglobinfreies Serum zu erhalten. Einige Zeit nach
den Fußbädern war dagegen immer reichlich Hämoglobin im Serum.
Es war also unter dem Einfluß der Kälte auch in Fall II wie in
allen typischen Fällen zu einer deutlichen Hämoglobinämie ge¬
kommen.
Des in der Blutbahn frei gewordenen Hämoglobins sucht sich
der Organismus möglichst rasch als eines plasmafremden Elementes
zu entledigen. Das geschieht auf zweierlei Weise: es wird teils
unzersetzt durch die Niere ausgeschieden, teilweise jedoch zerstört
und im Körper zu indifferenten Substanzen abgebaut. Der erste
Weg führt zur Hämoglobinurie: jedoch wird dieser nur dann be¬
treten, wenn die Menge des im Kreislauf vorhandenen Hämoglobins
genügend groß ist, daß ein bestimmter Schwellenwert der Aus¬
scheidung durch die Niere erreicht ist. Geschieht das nicht, dann
bleibt nur der zweite Weg zur Entfernung des blutfremden freien
Hämoglobins übrig: der Abbau des Hämoglobins zum Bilirubin.
Auf diese Weise müssen wir uns das Geschehen in unserem
2. Falle vorstellen: das frei gewordene Hämoglobin beträgt viel
■weniger als in allen ausgebildeten Fällen von Kältehämoglobinurie
und wird quantitativ in Bilirubin umgewandelt, da es nicht den
.Schwellenwert der Niere erreicht. Der Prozeß der Umwandlung
des Hämoglobins in Bilirubin ließ sich im Verlauf der Anfälle in
unseren Fällen sehr gut verfolgen, indem die Kurve des Bilirubin¬
spiegels des Serums bestimmt wurde. Abb. 1. 2, 3 geben diese
Kurven wieder.
Das Auffallendste an den Kurven ist der rasche Anstieg des
Bilirubinspiegels. 1—2 Stunden nach dem Eisbad enthält das Serum
noch sehr reichlich Hämoglobin, wenn zu dieser Zeit auch be¬
reits die Hämolyse ihren Höhepunkt wohl überschritten hat. Fast
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Beobachtungen über paroxysmale Kältehämoglobinurie und Kälteikterus. 49
Abb. 2. Fall H.
A = Aldehydi'eaktion im Harn.
zu gleicher Zeit ist aber anch schon das Maximum des Bilirubin-
Spiegels festzustellen: beim 1. Falle finden wir vor dem Eisbad 0,6
BSirnbineinheiten nach Hijmans van dem Bergh und Hämo¬
globin nur in Spuren; 1 Stunde nachher einen Hb-Gehalt des
8erums von 16/4 = 4 Sahli, Bilirubin 2,15; nach einer weiteren
Stunde Serum-Hb 15/5 = 3 Sahli, Bilirubin 2,75. 6 Stunden nach
dem Bade ist das Serum nur noch sehr schwach Hb-haltig, Bili¬
rubin 1,20, 24 Stunden nachher nur Spuren von Hb, Bilirubin 1,0.
Bei Fall II beträgt der Bilirubinspiegel vor dem Eisbad 0,76,
Denteebes Archiv fOr klin. Medizin. 188 . Bd. d
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60
Kaznblson
1 Stunde nachher 6,6, gleichzeitig Hämoglobin im Serum -f-+;
2 Stunden nach dem Eisbad Bilirubin 4,10, Hämoglobin - j - f ;
3V* Stunden nachher Bilirubin 3,76, Hämoglobin nur in Spuren.
Am nächsten Tage ist der Bilirubinwert wieder auf den Ursprungs-
wert abgesunken.
Nach Durchführung der
Salvarsankur verhalten sich
bei Fall H die Bilirubinwerte
während des Kälteversuches
prinzipiell ganz gleich, nur
wurde nicht der hohe Wert
wie vorher erreicht und in¬
folgedessen auch nicht der
Schwellenwert des Bilirubin¬
spiegels, der zum Auftreten
eines äußerlich sichtbaren
Ikterus notwendig ist Von
0,6 vor dem Kälteversuch stieg
der Wert auf 1,76 1 Stunde
nachher und sank nach 2 Stun¬
den wieder auf 0,9, welcher
Wert auch nach 5 Stunden
noch erhalten wurde. Das Serum war nur 1 Stunde nach dem
Eisbad schwach rubinrot gefärbt
Der eben beschriebene letzte Kälteversuch, der sich klinisch
überhaupt nicht manifestierte, d. h. weder zur Hämoglobinurie noch
zu Temperatursteigerungen noch zu äußerlichem Ikterus führte,
zeigt, ein wie feines Kriterium das Verfolgen der Bilirubinkurve
in abortiven Fällen von Hämoglobinurie ist, denn sie beweist mit
Sicherheit, daß trotz des Fehlens äußerer Erscheinungen doch eine
akute Hämolyse durch die Kälteeinwirkung stattgefunden hat
Bei Fall II konnten wir auch die Ausscheidung des Uro-
biünogens durch den Harn in halbstündigen Intervallen verfolgen,
während beim I. Fall die genaue Ausscheidungskurve wegen der
Hämoglobinurie nicht zu erheben war; nur nach kürzester Kälte¬
einwirkung — 3 Min. bei 13° C — war die Hämoglobinurie so
gering, und dauerte nur 1 Stunde, so daß die Anstellung der
Aldehydreaktion möglich wurde. Wir fanden dann auch hier wie im
II. Fall erst 3—5 Stunden nach dem Eisbade eine stark vermehrte
Urobilinogenausscheidung, die nach dieser Zeit wieder abklang, manch¬
mal jedoch nach Verlauf einiger weiterer Stunden wieder anstieg.
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Original frurn
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Beobachtungen über paroxysmale Kältehämoglobinurie und Kälteikterus. 51
Diese Feststellungen Aber die zeitlichen Beziehungen des Auf¬
tretens des Bilirnbins im Verhältnis zom Zeitpunkt der Hämolyse
sind sehr auffallend. Hämoglobinämie nnd Bilirnbinämie folgen
derart schnell aufeinander, daß die Annahme einer direkten Um¬
wandlung des Hämoglobins in Bilirubin noch innerhalb der Ge fa߬
bahn sich aufdrängt. Unter diesen Umständen erscheint es aus¬
geschlossen, daß irgendwelche Stauungszustände in den Gallen¬
kapillaren durch Pleiochromie der Galle oder ähnliches einen Rück¬
fluß von Gallenfarbstoff und damit die Hyperbilirubinämie erzeugen.
Eine Prüfung der Reaktionsart (direkte Diazoreaktion nach van
dem Bergh) des Bilirubins ist leider wegen der starken Hämo¬
globinämie nicht möglich. Das Urobilinogen dagegen dürfte wohl
auch in diesem Falle hauptsächlich enteral entstanden sein, da es
erst zu einer Zeit im Harn vermehrt ist, w^ der größte Teil des
vermehrten Bilirubins bereits aus der Gefäßbahn verschwunden ist
nnd sich bereits im Darm befindet.
Unsere Feststellungen stehen im Widerspruch zur Ansicht von
Feigl und Querner, welche meinen, daß die Bilirnbinämie bei
Zuständen schweren akuten Blutzerfalls, also bei paroxysmaler
Hämoglobinurie, nicht die hervorragende Rolle spielt, wie bei
chronischen hämolytischen Vorgängen. Sie stützen diese Ansicht
auf wenige Untersuchungen in einem Falle, in welchem sie
1 Stunde nach dem Eisbad nur eine Verstärkung der Diazoreaktion
auf Bilirubin fanden, die aber nicht sehr hochgradig war. Weitere
nnd genauere quantitative Untersuchungen fehlen jedoch in dieser
Beobachtung.
Es erhebt sich nun die'Frage nach dem näheren Mechanismus
und Ort der Umwandlung des Hämoglobins in Bilirubin. Findet
diese sofort in den peripheren Gefäßen statt oder muß noch irgend¬
ein Organ, sei es Leber oder Milz in Tätigkeit treten, um das frei¬
gewordene Hämoglobin zu verarbeiten? Whipple und Hooper
haben in Experimenten an Hunden, denen sie nach Ausschaltung
der Leber durch Anlegung einer Eck’schen Fistel und gleich¬
zeitiger Ligatur der Arteria hepatica, ferner nach Herstellung eines
Brust-Kopfkreislaufes durch Unterbindung der Aorta über dem
Zwerchfell und der Vena cava inferior Hämoglobin intravenös in¬
jizierten, nachgewiesen, daß auch unter diesen Umständen noch
das freie Hämoglobin in der Blutbahn nmgewandelt wird. Wir
versuchten nun diese Experimente auch am Menschen mit ent¬
sprechenden Modifikationen nachzuahmen; unsere Fälle von paroxys¬
maler Hämoglobinurie schienen dazu besonders geeignet, da sich
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52
Kaxnklson
ja aaf leichte und ungefährliche Art jederzeit ein Auftreten von
freiem Hämoglobin im Blut hervorrufen ließ. Es maßte nur ver¬
hindert werden, daß dieses Hämoglobin in die Leber gelange. Das
läßt sich sehr einfach durch einen protrahierten Ehrlich’sehen
Versuch erreichen: Wir schalten einen Arm unseres Patienten voll¬
kommen aus dem übrigen Kreislauf aus, indem wir ihn mit einer
Esmarchbinde so fest abschnüren, daß der Radialpuls nicht mehr
fühlbar ist. Der abgeschnürte Ellbogen wird dann auf 2—5 Min.
in Eiswasser getaucht, eine Zeit, die genügt um eine starke Auf¬
lösung von Erythrocyten in dem abgekühlten Gefäßgebiet zu er¬
zeugen. Diese Stauungsbinde wird dann weitere 20—25 Min.
liegen gelassen. Längere Stauung war wegen auftretender Schmerzen
nicht möglich. Ein solcher Versuch verlief folgendermaßen:
Am 11. April wurde in Fall I am rechten Oberarm die Stauungs¬
binde fest angelegt, so daß der Radialpuls nicht mehr zu fühlen
ist. Der Ellbogen wird 3 Min. lang in Wasser von 7° C getaucht;
dann noch 20 Min. gestaut gelassen. Scharf abgegrenzt tritt
während dieser Zeit in dem Hautbezirke, der in Eiswasser ein¬
getaucht gewesen ist, durch Vasoparalyse eine blaurote Verfärbung
auf. Etwa V# Stunde nach Abnahme der Stauungsbinde tritt scharf
begrenzt in dem abgekühlten Bezirke eine sehr deutliche bräun¬
lichgelbe Verfärbung auf. Am nächsten Tag ist diese Gelbfärbung
schon wieder verschwunden. Aus der Vena cubiti des gestauten
Armes wird vor dem Eisbad und kurz vor Abnahme der Stauungs¬
binde Blut entnommen und sofort zentrifugiert: Die erste Probe
enthält im Serum fast kein Hämoglobin, die zweite ist dunkel-
rubinrot verfärbt. In ganz derselben Weise verläuft ein zweiter
Versuch am 16. April.
Es erschien also wirklich zu einem lokalen Ikterus im ab¬
gekühlten Gebiet gekommen zu sein. Ich glaubte anfangs, schon
aus der aufgetretenen zirkumskripten Gelbfärbung bereits eine Be¬
stätigung der Experimente von Whipple und Hooper auch für
den Menschen annehmen zu dürfen. 1 ) Genauere Überlegungen und
Untersuchungen müssen jedoch von dieser Ansicht abbringen und
ich glaube, meine früheren Ausführungen korrigieren zu müssen.
Um nämlich mit Sicherheit einen lokalen Ikterus annehmen zu
dürfen, mußte nachgewiesen werden, daß der Farbstoff, der die
lokale Verfärbung der Haut verursachte, Bilirubin war und nicht
etwa infolge der starken Vasoparalyse ausgetretenes Hämoglobin,
1) Siehe Prager Ärzte verein vom 20. Mai 1921, Med. Kl. 1921, S. 780.
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Beobachtungen über paroxysmale Kältehämoglobinurie and Kfilteikteras. 53
oder was einfacher za beweisen ist, ob sich im gestauten Gefä߬
bezirke wirklich Bilirubin gebildet hatte. Zu diesem Zwecke wurde
im ersten Versuch das im Anfang und am Ende der Stauung, im
zweiten Versuch das gleichzeitig (am Ende der Stauung) aus beiden
(dem gestauten und nicht gestauten) Armen entnommene Blut¬
serum auf Bilirubin untersucht Da ergaben sich jedoch gewisse
Schwierigkeiten, insofern es nicht gelang, durch konzentrierten
Alkohol das freie Hämoglobin im Serum vollständig auszufällen, 1 )
so daß eine quantitative Schätzung des Bilirubins nach Hijmans
van dem Bergh infolge eines starken gelblichen Stiches der
roten Azobilirubinlösung unmöglich wurde. 8ehr ausgesprochene
Differenzen der Rotkomponente nach Anstellung der Reaktion Ifüch
Hijmans van dem Bergh waren jedoch nicht vorhanden, es
konnten sich also höchstens wenn überhaupt nur geringe Mengen
von Bilirubin in den abgeschnürten Gefäßbezirken gebildet haben.
Vollkommen negativ verliefen die Versuche bei Fall II. Hier
trat nicht einmal eine Gelbfärbung im 25 Min. lang gestauten Ge¬
fäßbezirk auf. Die Hämolyse im Serum war sehr deutlich, der
Bilirubingehalt vor und nach dem Versuch jedoch der gleiche ge¬
blieben (ca. 0,55). Bedenken wir nun, daß beim gewöhnlichen
Kälteversuch innerhalb 1 Stunde bei Erhaltensein des ganzen
Blutkreislaufes der Bilirubinwert des Serums von 0,85 auf 6,6, d. i.
fast das achtfach^ zugenommen hatte, so erscheint eine ins Ge¬
wicht fallende Bildung von Bilirubin innerhalb der peripheren Ge¬
fäße sehr unwahrscheinlich. Viel wahrscheinlicher ist es, daß durch
die Mitwirkung irgendeines inneren Organes (Leber, Milz) die
starke Steigerung der Bilirubinämie hervorgerufen wird.
Diesem Ergebnisse entsprechen auch einige in vitro-Versuche,
die wir ansetzten, um ein eventuelles hypothetisches Ferment,
welches Hämoglobin in Bilirubin umwandelt, in der Blutflüssigkeit
nachzuweisen: Es wurden Sera, die zu verschiedenen Zeiten nach
einem Kälteversuch abgenommen waren, und deren Bilirubingehalt
bestimmt wurde, mehrere Tage bei Zimmertemperatur stehen ge¬
lassen oder 24 Stunden im Brutofen bei 37 0 gehalten, nachdem
etwas gelöstes Hämoglobin zugefügt worden war. Niemals konnte
eine Zunahme von Bilirubin gefunden werden, sondern regelmäßig
eine Abnahme. So wurde bei Fall II am 17. Juni je s / 4 ccm Serum,
das knapp vor einem Eisbad, 1 Stunde, 2 Stunden und 5 Stunden
1) Es steht dies in auffallendem Gegensatz zur leichten Fällbarkeit des
Hämoglobins in Proben, die bei den früheren regelrechten Kälteversuchen ent¬
nommen wurden.
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Kaznelsok
nachher gewonnen wurde, mit je einem Tropfen in destilliertem
Wasser aufgelöster Erythrocyten des Falles II versetzt und auf
24 Stunden in den Brutofen gestellt. Die Bilirubinwerte be¬
trugen :
Vor dem Eisbad 0,6; nach 24 Stunden Brutofen nnr Spuren
1 Stunde nach dem Eisbad 1,75; nach 24 Stunden Brutofen 1,15,
2 „ * „ „ 0,9 : „ 24 „ „0,8,
5 * n » » 0,9 ; „ 24 „ . „ 0,6.
Ein bilirubinbildendes Ferment, wie es Leschke im Liquor
nach Blutungen fand, ließ sich also im Serum unserer Fälle nicht
nachweisen.
Das quantitative Verhalten des Eältehämolysins.
Es ist auffallend, wie selten in der mir zugänglichen Literatur
bisher der Donath-Landsteiner’sehe Amboceptor austitriert
wurde. Es liegt doch der Gedanke nahe, daß die Schwere der Anfälle
von paroxysmaler Hämoglobinurie von der Konzentration abhängt, in
welcher das Kältehämolysin im Blute vorhanden ist Wenn man den
gewöhnlichen Donath-Landsteiner’schen Versuch ohne oder mit
Zusatz von Komplement ausftthrt, so erhält man bei positivem Aus¬
fall, der unter gewissen Kautelen wohl immer eintritt, 1 ) (siehe
Meyer, Matsno, jüngst Weinberg) eine gleich starke Hämo¬
lyse, ob nun der Patient eine wirkliche Hämoglobinurie hat oder
nur ein latenter Hämoglobinuriker ist, wie eine gewisse Prozent¬
zahl von Paralytikern oder tertiärluetischen Individuen (Donath
u. Landsteiner, Kumagai nnd Inoue u. a.). Und so war es
auch in unseren beiden Fällen, die sich klinisch so sehr vonein¬
ander unterscheiden: 0,2 ccm Serum + 1 Tropfen Erythrocyten-
brei -f- 2 Tropfen frisches Normalserum ergaben in beiden Fällen
nach % Stunden Eisbad und 2 Stunden Brutschrankaufenthalt starke
Hämolyse, die bei beiden Fällen gleich stark war. Titrierte man jedoch
die beiden Sera aus, so fanden sich ganz bedeutende Unterschiede:
Fall I:
0,26 ccm
0,026 „
0,012 „
0,008 „
0,005 „
0,26 „
Normalserum
inaktiviertes
Serum mit
'Kochsalzlösung
auf 0,26 ccm
aufgefüllt
-f- 1 Tropfen 1
R-Brei (Fall
von essent.
Hochdruck) -f-
2 Tropfen fri¬
sches Serum ;
Hämolyse
V, std.
Eis und
2 Stund.
Brut¬
schrank
1) In den 6 Fällen, die wir in den letzten Jahren sahen, war das auch
immer so.
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Beobachtungen über paroxysmale Kttltehämoglobinurie und Kälteikterus. 55
dagegen Fall II:
0,20 ccm Serum
0,15 „
0,10 „
0,05 „
0,03 „ „ J
mit Kochsalz
anf 0,2 auf¬
gefüllt
-f- 1 Tropfen
R-Brei -j-
' 2 Tropfen
frisches Serum
Hämolyse
*/ 4 Std. ++
Eis und -|-
2 Stund. -J-
Brut- negativ
schrank M
Wir sehen also, daß das Serum des Falles I noch in der ge¬
ringen Menge von 0,008 ccm löst, das Serum des Falles II höch¬
stens in einer Menge von 0,1 ccm. Der Amboceptor ist also in
Fall I in ungefähr 10 fach so starker Konzentration vorhanden wie
in Fall II. Die gleiche Differenz in den beiden Sera erhielten wir
ganz regelmäßig, auch bei Verwendung verschiedener Erythrocyten-
aufschwemmungen und der gegenseitigen Erythrocyten, so daß
diese Unterschiede nicht durch Verschiedenheit der Resistenz der
Erythrocyten erklärt werden können.
Unsere beiden Fälle allein genügen selbstverständlich nicht,
um mit Bestimmtheit auszusagen, daß die Intensität des Krankheits¬
bildes der Hämoglobinurie immer und allein von der Konzentration
des Kältehämolysins im Serum abhängt, doch glauben wir uns zur
Vermutung berechtigt, daß vorwiegend auf solche Weise die großen
Differenzen des Krankheitsbildes zustande kommen. Es wird jetzt
notwendig sein, in jedem Falle den Amboceptor auszutitrieren,
um ein größeres Material zu schaffen, das unsere Vermutung als
richtig oder falsch darlegen soll, das aber einem Einzelnen bei der
Seltenheit der Krankheit nicht zur Verfügung steht.
Für unsere Ansicht spricht in unseren Beobachtungen noch
der Umstand, daß in Fall II nach der Salvarsanbehandlung die
Konzentration des Kälteamboceptors noch weiterhin abnahm, so
daß die minimale lösende Dosis 0,15 wurde; und gleichzeitig hatte
auch, wie wir sahen, der Effekt der Kälteeinwirkung weiterhin ab¬
genommen.
Wir untersuchten mit der Titrationsmethode auch das Ver¬
halten des Amboceptors nach Kälteeinwirkungen. Und in der
Tat erhielten wir nach dem Kältebad in Fall I eine deutliche Ab¬
nahme des Kältehämolysins; nach einem sehr heftigen Anfall z.B.
löste das Serum nicht mehr in der Dosis von 0,025, in welcher vor
dem Eisbad noch starke.Lösung vorhanden war. In Fall II ließ
sich jedoch nie eine sichere Abnahme des Hämolysins nach Kälte¬
einwirkung nachweisen.
In ähnlicher Weise wurde der Einfluß des Anfalles auf die
Wa.-R geprüft. Im Gegensatz zu Jedlicka’s Beobachtung an
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56
Kaznblbok
einem Falle wurde nie eine Abnahme der minimalen, die Hämo¬
lyse hemmenden Serammenge (0,Q2 ccm) im Wassermann versuch
gefunden (Hyg. Inst, der deutschen Univ.) und ebensowenig nahm
dieser Minimalwert ab nach Bindung des Kältehämolysins durch
auch große Mengen von Erythrocyten im Eisbad; das bestätigt
die Untersuchungen von Moro u. Noda, Jamada, Matsuo, daß
der Wassermannkörper und das Autolysin nichts miteinander zu
tun haben. *
*
Therapeutische Versuche.
B o n d y und Strisower haben in zwei Fällen von paroxysmaler
Hämoglobinurie zur Unterdrückung der Anfälle hypertonische Salz¬
lösungen intravenös infundiert. Sie gingen von der Erfahrung
Matko’s u. a. aus, daß sich das Schwarzwasserfieber bei Malaria
durch Infusionen von 100 und mehr ccm 6 °/ 0 iger Dinatriumphosphat-
lösung im Beginn des Anfalles kupieren läßt. Während Matko
die Wirkung bei Schwarzwasserfieber als eine spezifische üämolyse-
hemmung durch das Phosphation aüffaßt, sehen Bondy u. Stri¬
sower den deutlichen Erfolg, den sie in ihren Fällen zu ver¬
zeichnen hatten, als eine unspezifische Wirkung der hypertonischen
Salzlösung an, da sie die gleichen Besultate auch mit 6°/ 0 iger
Kochsalzlösung erhalten konnten, und stellen diese Salztherapie in
volle Analogie zur Autoserumtherapie Widal’s, zur Wirkung der
Peptoninjektion nach Nolf und der Pferdeseruminjektion nach
Pick und Glässner.
Wir haben in unseren beiden Fällen in verschiedenen Ver¬
suchen die Wirkung 6 % iger Dinatriumphosphatlösung und 6 ®/ 0 iger
Kochsalzlösung nachgeprüft. In Fall I gaben wir einmal 5 Stunden
vor dem Kälteversuch 150 ccm 6 °/ 0 iger NaCl-Lösung intravenös,
ein andermal */* Stunde vor dem Kälteversuch 150 ccm Na,HP0 4 -
Lösung; in Fall II knapp vor dem Kälteversuch 120 ccm 6% iger
Na,HP0 4 -Lösung. Nie konnten wir eine Beeinflussung des künst¬
lich ausgelösten Anfalles sehen. In Fall I kam es genau wie
sonst zur Hämoglobinurie, in Fall II zu Hyperbilirubinämie. Der
therapeutische Effekt der Salzinfusionen ist also sicher kein kon¬
stanter und diese Tatsache spricht wohl mit Sicherheit für die An¬
schauung von Bondy u. Strisower und gegen Matko, daß es
sich nicht um spezifische Wirkungen von bestimmten Salzionen äuf
die Hämolyse handelt
Ebensowenig hatten drei Milchinjektionen in Fall I einen
sichtbaren therapeutischen Effekt. Wir möchten aber annehmen.
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Beobachtungen aber paroxysmale Kältehämoglobinurie und Kälteikterus. 57
daß die Proteinkörperbeh&ndlnng in diesem Falle zu kurz war,
da die Patientin nicht länger an der Klinik verweilen konnte;
denn Wi dal gelang es regelmäßig in drei Fällen durch fortgesetzte
Antosernminjektionen eine Abschwächnng der Anfälle zu erzielen.
In Zusammenfassung unserer Beobachtungen können wir also
sagen:
L Abortive Anfälle bei einem Falle, der pathogenetisch zur
Gruppe der paroxysmalen Hämoglobinurie gehört, äußern sich in
einer Kältehyperbilirnbinäpne. Der Nachweis dieser erscheint
neben dem Nachweis des Donath-Landsteiner’schen Amboceptors als
eines der wichtigsten Kriterien für die Diagnose der paroxysmalen
Hämoglobinurie. Die Hyperbilirubinämie kommt höchstwahrschein¬
lich nicht dnrch Bildung von Bilirubin im strömenden peripheren
Blut zustande.
£L Die Austitrierung des spezifischen Kältehämolysins ergibt
sehr große Verschiedenheiten in der Konzentration des Hämolysins
bei einem Fall von typischer Hämoglobinurie und einem Fall, der
sich nur als Kälteikterus äußert. Die wirksame Konzentration des
Hämolysins kann durch einen Anfall vermindert werden.
UI. Ein Effekt hypertonischer Salzlösungen auf die Anfälle
nach Bondy und Strisower war in unseren beiden Fällen nicht
festzustellen.
Literatur.
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I exp. Path. u. Therap. Bd. 10, 1912. — Bondy n. Strisower, Über die Be¬
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paroxysmale Hämoglobinurie. Zeitschr. f. klin. Med. 68, 1906. — Feigl u.
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experim. Path. u; Ther. IX, S. 681, 1911. — Jamada nach Matsuo. — Jed-
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thogenese des Ikterus. Ergehn, der inn. Med. u. Kinderbeilk. Bd. 20, 1921. —
Leschke, Über die Gelbfärbung der Cerebrospinalflüssigkeit. Deutsche med.
Wochenschr. 1921, 14, 8.376. — Matko, Über Wechselbeziehungen zwischen
Chinin und Harn in der Hämolyse. Wiener klin. Wochenschr. 1918, Nr. 3, 6, 23.
— Matsuo, Über klinische und serologische Untersuchungen der parox. Hämo¬
globinurie. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 107, S. 335. — Meyer, Die parox.
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»ed. Wochenschr. 1909, 8. 645. — Nolf, 8oc. m6d. des hop. 1909, S. 687, nach
Widal-Abrami-Brissand. — Weinberg, Untersuchungen bei der parox. Hämo¬
globinurie. Münchener med. Wochenschr. 1921, 14. — Whipple n. Hooper,
Icterus. A rapid cbange of hemoglobin into bilirubin. Jonrn. of exp. med. Bd. 17.
— Widal, Abrami u. Brissaud, Sur la proteinothärapie, Presse raedicale
1921, Nr. 19, 8.181 und L’autoanaphylaxie Sem. m€d. 24. XII. 1913.
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Ö8
Aus dem physiologischen Institut der Universität Zürich.
(Direktor: Prof. Dr. W. R. Heß.)
Experimentelle Studien zur Volumbolometrie.
Von
Dr. med. et phil. Stephan Hediger.
(Uit 1 Abbildung und 7 Kurven.)
Seitdem Marey gezeigt hat, daß die minimalen pulsatorischen
Kaliberschwankungen der Arterien dadurch ausgiebiger gemacht
werden können, daß man ihre Wandungen unter Drnck setzt, ist
diese Erscheinung der Ausgangspunkt eines wichtigen Teiles der
Pulsdiagnostik geworden, indem sie die Möglichkeit bot, mit Hilfe
mechanischer Vorrichtungen aller Art die Pulsbewegung zu über¬
tragen, sichtbar und meßbar zu gestalten. Die Änderungen dieser
Kaliberschwanknngen unter zunehmendem Außendruck bilden be¬
kanntlich das Kriterium bei der sog. oszillatorischen Messung des
Blutdrucks nach v. Recklinghausen.
Sahli war der erste, der an Stelle der einseitigen Betrachtungs¬
weise des der Statik entnommenen Druckbegriffes eine dynamische
Auffassung des Pulsproblems forderte unter Hinweis auf die Tatsache,
daß die Vorgänge bei der Blutbewegung von dynamischen Faktoren
bedingt seien, die durch reine Druckmessungen niemals exakt erfaßt
werden können. Sahli hat die energetische Messung des Pulses ein¬
geführt. Da aber der physikalische Begriff der Energie als das
Produkt zweier Größen — eines Druckes und eines Volumens —
definiert wird, so ergab sich für ihn die natürliche Folgerung,
eine Methode zu schaffen, die es ermöglichte, das dieser Energie¬
berechnung zugrundeliegende Volumen, das sogenannte Puls-
volnmen zn messen. Sahli hat in der von ihm begründeten
Volumbolometrie die endgültige Methode dieser Volummessung
des Pulses beschrieben (1), Sie besteht darin, daß der Betrag der
maximalen Arterienweitung beim entsprechenden optimalen Gegen-
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Experimentelle Stadien sar Volumbolometrie.
59
druck durch eine pneumatische Vorrichtung auf einen sog. träg¬
heitsfreien Index übertragen wird und an den Oszillationen des¬
selben direkt in ccm abgelesen werden kann. Mit der Pelotte des
Sahli’schen Volumbolometers mißt man einen 5 cm langen Gefä߬
abschnitt der Radialis. Sahli definiert dag Pulsvolumen als den
systolischen Füllungszuwachs des untersuchten Gefäßgebietes und
identifiziert die den Bolometeroszillationen zugrunde liegenden
Volomschwankungen dieses Gebietes mit dem Pulsvolum als Maß
der peripheren Zirkulationsgrüße.
Die Wünschbarkeit einer praktischen Messung dieser Art
leuchtet ein und ich habe keine Veranlassung, sie an dieser Stelle
näher auszuführen. Aber die Wichtigkeit der Methode fordert
dazu auf, sich die Kenntnis der Faktoren zu verschaffen, die dabei
eine Bolle spielen. Dazu gibt es wohl kein geeigneteres Mittel
als die Nachbildung der-natürlichen Verhältnisse durch ein System,
in dem sich die physikalischen Faktoren willkürlich ändern lassen
und das einen weit klareren Einblick in die Beziehung der¬
selben gestattet. Ich bemerke, daß ich bei der Auswertung der .
erhaltenen Resultate weniger die direkte Übertragung derselben
auf die Verhältnisse in vivo im Auge habe, als die Präzisierung
unserer Vorstellungen über die in Frage kommenden hämodyna-
mischen Faktoren. Eine solche Präzisierung wird uns bei der Be¬
urteilung biologischer Geschehnisse auch dann zugute kommen,
wenn diese noch durch andere, künstlich nicht faßbare Faktoren
beeinflußt werden. Ich möchte mich sogar zu der Auffassung be¬
kennen, daß wir uns einer Unterlassung schuldig machen würden,
die sich einmal rächen müßte, wenn wir eine derartige Klarstellung
der maßgebenden physikalischen Daten verabsäumen würden und
die Einführung der Volumbolometrie in den allgemeinen klinischen
Gebrauch ohne dieselbe sich vollziehen ließen.
Daß solche Fragen durch rein mathematische Deduktionen nicht
gelöst werden können, braucht nicht näher ausgeführt zu werden.
Denn eine Gleichung, die alle Unbekannten der hämodynamischen
Wechselbeziehungen enthält, wird wohl niemals aufgestellt werden.
Hier kann wirklich nur das Experiment entscheiden, welches unter
möglichster Anlehnung an die natürlichen Verhältnisse, und Be¬
schränkung auf ein Schema, gestattet, einige der wichtigsten
Variablen des Kreislaufes künstlich zu determinieren und in ihrer
Wirkung auf die übrigen Teile des Systemes zu verfolgen.
Soll das Schwergewicht bei der Pulsmessung der Bestimmung
der Zirkulationsgröße zufallen, so scheint es vor allem wichtig, die
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60 Hkdigkr
grundsätzliche Frage zu prüfen, welcher Betrag der peripheren
Dnrchströmung von der Messung erfaßt werden kann und welche
Beziehung zwischen diesem Betrage und den zentralen und peri¬
pheren Kreislaufvorgängen besteht. Die spezielle Methodik dm*
Volumbolometrie muß hier als bekannt vorausgesetzt werden; ich
verweise auf die Schriften Sahli’s und meine eigenen Abhand¬
lungen über den Gegenstand (2). Das Prinzip der Messung beruht
bekanntlich darauf, daß der Puls vermittelst einer pneumatischen
Aufnahmevorrichtung (Pelotte, bzw. Handgelenkmanschette) so
übertragen wird, daß in dem Luftraum, gegen deü die Index-
ozillatiouen stattfinden, keine Druckzunahme, also keine elastische
Gegenwirkung stattfinden kann, was zur Folge hat, daß uns die
Oszillationen des Index den vollen Volumbetrag anzeigen, der beim
systolischen Ginschießen der Blutwelle in dem gemessenen Arterien¬
abschnitt wirksam ist. , Verfasser ist später als Sahli, aber un¬
abhängig von ihm zum volumbolometrischen Meßprinzip gelangt
und hat seinen Apparat, der an Stelle der Pelotte eine Hand¬
gelenkmanschette mit einem die dorsalen Venen überbrückenden
Steg vorsieht, 1. c. beschrieben. Als wichtige Ergänzung der Me¬
thodik ist von Sahli in seinem neuen Lehrbuch II, 2, 1920 der
Schapowaloffsche Pulssammler erwähnt worden, der automatisch
die oszillatorischen Volumschwankungen des Bolometerindex addiert
und die Minutenwerte direkt zu messen gestattet. Ich habe ein
ähnliches Instrument eigener Konstruktion und auch seine An¬
wendungsweise beschrieben (3). Ich nannte den Apparat, der für
die Messung mit der Handgelenkmanschette bestimmt ist, Totali¬
sator. Die Minutensumme für die Eadialis, gemessen mit dem
Schapowaloifsehen Pulssammler ergibt nach Sahli ca. 8 ccm. Mit
meinem Totalisator erhält man für dieselbe Zeit etwa 16—25 ccm
bei im übrigen großen individuellen Schwankungen.
Bei dieser Differenz kann man m. E. nicht daran denken, daß
durch die volumbolometrische Methode die Messung einer ab¬
soluten Größe der Zirkulation vollzogen wird. Es ist wichtig,
dies zu betonen um irrtümlichen Auffassungen zu begegnen. Denn
die Sahli’sche Pelotte sowohl wie meine Handgelenkmanschette be¬
deckt nur ein willkürlich begrenztes Stück von 5 cm Länge eines ge¬
wählten Arteriengebietes. Es kann sich also bei dieser Messung nur
um die Darstellung relativer Größenänderungen der Zirkulation
handeln. Der Ausdruck Pulsvolumen, der für klinische Zwecke ge¬
eignet sein mag, präjudiziert nun aber den Begriff einer Identität
mit dem Blutvolumen, welches mit dem einzelnen Pnlsstoß unter
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Experimentelle Studien zur Volumbolometrie. gl
der Manschette hindurchströmt. Was wir aber volumbolometrisch
direkt messen, ist nicht der Blutstrom, sondern die Völum-
echwankung des untersuchten Arterienabschnittes, wenn der
systolische Druckzuwachs die durch den Manschettendruck zum kolla¬
bieren gebrachte Arterie entfaltet. Für die gegebeneManschettenbreite
stellt sich dieser Betrag dar als direkte Funktion der Qnerschnitts-
•ver&nderungen der Arterie beim Übergang von diastolischer Kolla-
bierung zur systolischen Entfaltung. Mit anderen Worten: das
gemessene Volumen istdas direkte Maß für dieQuer-
schittsamplitude. Ich werde in den folgenden Ansführungen
diesen Ausdruck als Bezeichnung für die tatsächlich gemessene
<Jröße beibehalten.
Unsere Frage lautet nun: welche Beziehung besteht zwischen
der Querschnittsamplitude und den verschiedenen hämodynamischen
Faktoren, welche einen Einfluß auf die quantitative Gestaltung
derselben ausüben können?
Wir werden nacheinander zu betrachten haben:
1. Den Einfluß des Schlagvolumens, bzw. der zentralen Spei¬
sung des Systems,
2. den Einfluß des Widerstandes jenseits des untersuchten Ge¬
fäßgebietes,
3. den Einfluß des kollateralen Widerstandes,
4. den Einfluß der Pulsform, bzw. der Änderungen in den
zeitlichen Verhältnissen des systolischen Zuflusses.
Methodik.
Ffir die künstliche Nachahmung der herzsystolischen Stromforderung
mußte eine Anordnung gewählt werden, welche dem dynamischen Vor-
gang der Ventrikelentleerung Rechnung trägt und dabei eine Dosierung
der Arterienfüllung und zeitliche Regulierung des systolischen Ein-
Schießens der Flüssigkeit zuließ. Bei Unterbrechung des kontinuier¬
lichen Gefälles einer Leitung mit einem Hahn, der im Rhythmus des
Pulses geöffnet und geschlossen wird, erhält man einen zu trägen Druck¬
anstieg. Zur Nachahmung der Kreislaufverhältnisse muß das System
«inen plötzlichen Volumzuwachs erfahren, der mit kräftigem Impuls in
die Leitung geworfen wird. Die nachfolgend beschriebene Versuchs¬
anordnung trägt dieser Forderung Rechnung (s. Fig. 1).
Ein erhöhtes Reservoir A wird durch einen Zulauf Z kontinuier¬
lich gespeist und das Niveau NN vermittelst des mittleren Abflusses D
konstant erhalten. Der Abfluß E des Reservoirs 'trägt einen Quetsch¬
hahn Q, mit dem der Zulauf zum System auf ein bestimmtes Minuten¬
volumen eingestellt werden kann.
Bei B befindet sich eine weite seitliche Öffnung, die mit einem
Schlauchstück versehen ist. Dasselbe kann manuell im Rhythmus des
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62
Hünen
Pulses geschlossen nnd geöffnet werden. Dadurch wird erreicht, daß die
lebendige Kraft der in beständigem Fluß befindlichen Flüssigkeitssäule
beim Verschloß von B plötzlich auf den ganzen unteren Leitungsinhalt
übertragen wird und dabei jenen Stoß ausübt, der die Herzsystole nach*
ahmen soll. Beim Öffnen von B ist dagegen nur noch das Druokgefälle
wirksam, das sich aus der Niveaudifferenz von B und dem horizontal
verlaufenden Leitungsstück ergibt. Das entsprechende Gefälle repräsen¬
tiert, auf den Kreislauf angewendet, den diastolischen Druck.
2
Bei V ist ein Kautsohukventil eingeschaltet, das stärkere Rück-
schlagswellen auffangt. Der Hahn H wird nur während der Dauer einer
Pulsserie geöffnet, so daß die gesamte dem System durch Q zufließende
Wassermenge bei B wieder zum Vorschein kommt und dort zur Messung
aufgefangen werden kann. Bei W t wird ein Windkessel mit regulier¬
barem Luftvolumen angebracht, welohes das elastische Prinzip in das im
übrigen aus Glasröhren helgestellte, starre System einführt. Das von
der horizontalen Leitung abzweigende Stüok C ist ebenfalls mit einem
Quetschhahn zur Regulierung versehen. Die durch diesen Schenkel
austretende Flüssigkeitsmenge entspricht dem Blutvolumen, welches, den
größten Teil des systolischen Zuflusses ableitet (Kollateralbahn). Bei F
folgt eine Abzweigung zu einem Staub’schen Druckschreiber behufs Re¬
gistrierung der Druckkurve des Pulses. Bei K ist ein Quecksilber¬
manometer angeschlossen, das zur Eichung der Druckkurven bestimmt
ist. An der Stelle TJ veijüngt sich die bis dahin 6 mm weite Leitung
auf 3 mm und mündet luftdicht in eine Glasröhre ein, wo sie in ein
5 cm langes Stück eines Schlauches übergeht, der aus 0,2 mm dicker
Gummiplatte gefertigt ist. Der innere Durchmesser der Gummiarterie
beträgt 2,7 mm, ihr Versohlnßdruck, d. h. der Außendruck, der not¬
wendig ist, um sie ohne Innendruck zu einem platten Bande zu defor¬
mieren, zu Anfang der Versuche 13 mm Hg, zu Ende der wochenlangen
Beanspruchung nur noch 2—3 mm Hg. Das Ende der Gummiarterie
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Experimentelle Studien zur Volumbolometrie. 6S
letzt sich in der 3 mm weiten Glasleitung ' fort, die die pneumatische
Kammer verlaßt und nach wenigen cm in die auswechselbare Wider*
Standsleitung übergeht, an deren Ende das Durohflußvolumen zur Messung
gelangt. Dicht hinter der pneumatischen Kammer ist noch ein zweiter,
etwa */ 8 ccm betragender Windkessel W 9 eingeschaltet, der die Elasti*
zi täte Wirkung des peripher von der Kunstarterie liegenden Gefäßgebietes
ersetzen soll. Die pneumatische Kammer ist mit dem Volnmbolometer,
bzw. der Meßrühre I verbunden und außerdem an verschiedene Zweig¬
leitungen angeschlossen, die zum Tonometer T, zur Luftpumpe P und
zum Puffervolumen £ führen. Bei d und e kann der Totalisator zur
Messung der Querschnittsamplitudensumme und bei g der später zu be¬
schreibende Volumbolograph zur Registrierung der Volumkurve des Pulses
angeschlossen werden. Druck* und Volumkurven werden so für jede
Versuchsserie gleichzeitig direkt auf das Kymographion geschrieben.
Der Höhenunterschied vom Niveau NN bis zum horizontalen Haupt¬
stück der Leitung beträgt 90 cm, entsprechend einem Druckgefälle von
66,2 mm Hg. Der Niveauunterschied des Ausflußrohres B und der
Hauptleitung beträgt 53,5 cm = 39,3 mm Hg. Die gemessenen systo¬
lischen Drucke sind teilweise höher als der hydrostatische Druck von
66,2 mm. Der über diesen Druck hinausgehende Betrag gibt somit das
Maß für die dynamische Wirkung der beim Verschluß von B ein¬
schießenden Wassersäule. Vermittels des Quetschbahnes Q kann das im
Leitungsstück EB zirkulierende Minutenvolumen auf einen bestimmten
Betrag eingestellt und so der systolische Zuwachs dosiert werden. Der
Verschluß von B wird manuell nach dem Takt eines auf 100 Schläge
pro Minute eingestellten Metronoms vorgenommen. Das ergibt pro Puls¬
schlag eine Gesamtdauer von ®/ 6 Sekunden. Die Erzeugung der systo¬
lischen Impulse mit der Hand hat den Vorteil, daß man nach einiger
Übung imstande ist, die Dosierung in besserer Weise zu beherrschen als
dies mit Hilfe maschineller Einrichtung möglich wäre. Insbesondere
kann auf diese Weise der Einfluß der Pulsform in den Bereich der Be¬
trachtungen gezogen werden. Durch rasches und kurzes Schließen kann
ein Pulsus celer, und durch kurzes Öffnen und Zuhalten während der
Bestzeit der ®/ 6 Sekunde ein Pulsus tardus nachgeahmt werden.
Die Einzelversuche wurden in der Weise vorgenommen, daß zunächst
bei geschlossenem Hahn H die Speisung des Systems auf einen fest¬
gesetzten Betrag reguliert und durch Auffangen des Minutenausflusses in
B gemessen wurde. Es kamen Minutenvolumina von 600 bis 2400 cm
in Anwendung. Der kollaterale Widerstand von C wurde durch den an
dieser Leitung befindlichen Quetschhahn reguliert und am Betrag des
Minutenausflusses bei einer Totalspeisung des Systemes von 1800 cm pro
Minute gemessen. Die mit dem Bolometer verbundene Gefäßstrecke war
bei dieser Messung geschlossen. Die Widerstände erhalten die Nummern
2, 3, 4, 5 und die ihnen zugeordneten Durchflußvolumina betragen 500,
300, 250, 100, 0. Die Widerstände distal der Abnahmestelle der Quer¬
schnittsamplitude wurden durch Glasröhren verschiedener Länge vom
Diameter 2 mm hergeBtellt. Diese Widerstände sind mit a, b, o und d
bezeichnet, sie entsprechen Bohrleitungen von 0, 40, 80 und 160 cm.
Die aus diesen Widerstandsrohren während einer Serie von je 20 hinter-
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Hboiobb
«inander folgenden Polsschlägen anzfließende Wassermenge ergibt den
zahlenmäßigen Wert für das Dnrchflußvolumen, welches in derselben
Zeit das bolometrisch kontrollierte Schlanchstück durchströmt.
Es gehört zum Wesen der volnmbolometrischen Messung, daß der
untersuchte Arterienabschnitt unter optimalen Stannngsdrnck versetzt
wird. Es ist dies der höchste Drnck, bei dem noch maximale Quer*
schnittsamplitnden erhalten werden. Man erhält in diesem Moment den
höchsten Energiewert für den Pnls; der Elastizitätskoeffizient der Arterie
wird dabei nach Frank gleich Noll. Um diesen Anforderungen der
Messung gereoht zu werden, wurde für jeden Versuch zuerst der optimale
Stauungsdruck der künstlichen Arterie ausprobiert. Derselbe ist nicht
eng begrenzt, so daß man, wie bei den Messungen am Menschen, eine
Druckzone erhält, über die die Ausschläge sich auf gleicher Höhe halten,
und deren Begrenzung nicht scharf ist. Es wurde konstatiert, daß eine
sehr genaue Einstellung nicht erforderlich ist, da kleinere Unterschiede
im Stauungsdruck keinen Einfluß auf das Durchflußvolumen ausüben.
Die beschriebene Einrichtung wird vervollständigt durch den an
anderer Stelle (3) publizierten Totalisator. In der zweiten Hälfte meiner
Versuche kam aber neben dem Totalisator noch der Volumbolograph
zur Verwendung, ein Instrument, das ich im Laufe dieser Untersuchungen
konstruierte. Die genauere Beschreibung desselben wird in einer be¬
sonderen, dieser Arbeit nachfolgenden Mitteilung gegeben werden, da
meines Erachtens dieses Instrument nicht nur für die in dieser Arbeit
beschriebenen Versuche sich eignete, sondern ein selbständiges Interesse
im Sinne einer allgemeinen klinischen Anwendung, beanspruchen darf.
Ich verweise in dieser Hinsicht auf die zweite Mitteilung. Die Eignung
des erwähnten Volumschreibers zur Registrierung von Volumkurven des
menschlichen Pulses dürfte aus den in der zweiten Mitteilung wieder¬
gegebenen Originalvolumbologrammen zur Genüge hervorgehen. Um
etwaige Unregelmäßigkeiten beim Erzeugen der Pulse zum Ausgleich za
bringen, wurde bei jedem Versuch die Summe von 20 hintereinander¬
folgenden Pulsen zum Vergleich herangezogen. Die mitgeteilten Zahlen
stellen Mittelwerte aus mehreren Versuchsserien dar.
Durchführung der Versuche.
Der Einzelversuch gestaltete sich so, daß nach Einstellung
aller Registrierapparate bei geschlossenem Hahn H und Aufstellung
der Gefäße zur Aufnahme der Durchflußvolumina bereits Pulse im
Rhythmus des Metronoms erzeugt wurden. Dann wurde der Hahn H
geöffnet, das Kymographion in Gang gesetzt und 20 Pulse auf¬
genommen. Nach dem letzten Pulse wurde H wieder geschlossen.
Die während dieser Zeit in Meßzylindern am Ausgang der kolla-
teralen und peripheren Leitung aufgefangenen Wassermengen er¬
gaben die Durchflußvolumina der betreffenden Bahn für die 20 Pulse.
Um die Wirkung hydrostatischer Druckdifferenzen auszuschalten
befanden sich die Ausflußöffnungen in gleicher Höhe. Dann wurden
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Experimentelle Studien zur Volumbolometrie.
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die Totalwerte der Querschnittsamplitnden gemessen, bzw. durch
Multiplikation eines Indexausschlages mit 20 berechnet, wenn der
Totalisator wegen Aufnahme der Volumkurve nicht in Aktion trat.
.Zuletzt wurde die Druckkurve mittelst des Manometers geeicht.
Als Erläuterung der erhaltenen Ergebnisse' meiner Versuche
mögen die nachfolgenden Tabellen und Kurven dienen. Alle
Flüssigkeitsmengen sind in ccm, alle Druckweite in mm Hg an¬
gegeben.
1. Einfluß der zentralen Speisung (Schlagvolumen)
auf die Querschnittsamplitude und das Durchflu߬
volumen (kollater. Widerstand 2 bis peripher. Widerstand a).
Tabelle 1.
Einfluß der Speisung (Schlagvolumen).
i
Speisung!
i
Qnerschn.- !
Amplit.-
Summe
Durchfluß- j
volumen des ,
Manschetten¬
abschnitts
Kollateral.
Durchflu߬
volumen
Systol.
Druck
1
1
Diast.
Druck
Optimal.
Stauungs¬
druck
600 |
2,9
8,9
79
88
34
38
1200 ;
5.8
11,8
89
54
34
45
1800
6,8
12.0
in
66
34
50
2400
7,4
i 12 ' 6
92
74
i
i 1
36
54
j
Die Abhängigkeit der Quer¬
schnittsamplitude und des Durch¬
flußvolumens von der zentralen Spei¬
sung des Systems ergab bei den
verschiedensten kollateralen und
peripheren Widerständen (d. h. peri¬
pher vom Manschettenabschnitt),
auf deren Wiedergabe hier ver¬
zichtet wird, ein durchaus ein¬
deutiges Resultat. Sämtliche ge¬
messenen Serienwerte zeigen eine
gleichsinnige Änderung der
Querschnittsamplitude und des
Stromvolumens mit der zentral ge¬
förderten Flüssigkeitsmenge. Dabei
steigt die periphere Strömung un¬
gefähr parallel mit der Volum¬
schwankung der untersuchten Ar-
Deutsches Archiv fUr klin. Medizin. 188 . Bd.
Fig. 2. Einfluß des Schlagvolumens
auf Querschnittsaraplitude und auf
Durchflußvoluiniua durch Man¬
schettenabschnitt und Kollateralab-
schnitt des Leitungssystenies. Man
erkennt die gleichsinnige Verände¬
rung der drei Großen.
5
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Hkdigbk
terie während der kollaterale Kreislauf einen viel geringeren pro¬
zentualen Anstieg erkennen läßt. Es zeigt sich, wie übrigens
in allen Versuchen, daß die Querschnittsamplitude ganz besonders
von der Größe der Druckamplitude beeinflußt scheint, die mit der
stärkeren systolischen Füllung rapid ansteigt. In der Differenz
zwischen dem gemessenen systolischen Druck von 74 mm bei
einer Minutenspeisung von 2400 und dem hydrostatischen Gefälle
von 66,2 mm drückt sich der überwiegende Einfluß der dynamischen
Wirkung aus. Der optimale Stauungsdruck weist ebenfalls einen
entsprechenden Anstieg auf und bildet ein ziemlich gutes Maß für
den Mitteldruck.
2. Einfluß des peripheren Widerstandes auf die
Querschnittsamplitude und das Durchfluß Volumen
(Speisung 1260 und kollateraler Widerstand 2).
Tabelle 2.
Einfluß des peripheren Widerstandes.
Periph. ,
Wider¬
stand
Querschn-
Amplit.-
Sumine
Peripher.
Durchflu߬
volumen
Kollnteral.
Durchflu߬
volumen
Systol.
Druck
Diastol.
Druck
i Optimal.
Stauungs-
i druck
|
a
5,8
17,0
76
58
22
44
b
6,45
14.9
78
60
23
44
c
6,5
12,6
80
58
24
44
d
6,5
11,0
78
58
24
14
Im Gegensatz zu der Abnahme der peripheren Durchströmung
infolge erhöhten Widerstandes zeigen unsere Zahlen für die Quer-
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Experimentelle Stndien znr Volnmbolometrie.
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schnittsamplitude eine
Steigerung. Diese Diver¬
genz zwischen den bolo-
metrisch meßbaren Wer¬
ten und dem Strom -
volumen im untersuchten
Gebiet ist offenbar eine
Folge der mit wachsen¬
dem Widerstand zuneh¬
menden Sperrung des Ab¬
flusses. Der kollaterale
Kreislauf nimmt, wie
zu erwarten war, auf
Kosten des peripheren
um ein weniges zu, wäh¬
rend die Druckwerte sich
auf ungefähr gleicher
Höhe halten.
Fig. 5. Einfluß des Widerstandes peripher vom
Manschettenabschnitt auf Qnerschnittsamplitnde
und peripheres Dnrchflußvolnmen. Mit zunehmen¬
dem Widerstand vergrößert sich die Querschnitts-
amplitnde und verringert sich der Durchfluß
dnrch den Manschettenabschnitt (peripheres
Dnrchflußvolnmen).
3. Einfluß des kollateralen Widerstandes
(Speisung 1800 und peripherer Widerstand 1).
Tabelle 3.
Einfluß der Widerstandsänderung im Kollateraiabschnitte des Strömungssystemes.
Kollater.
Wider¬
stand
Querschn.-
Amplit.-
Sntnme
1
Peripher.
Durchfluß-
volnmen
Kollateral.
Durchflu߬
volumen
Systol.
Druck
Diastol.
Druck
Optimal.
Staunngs-
druck
2
1 6,1
15,8
86
58
36
45
3
6,6
17,0
52
64
38
.50
4
7,15
17,8
38,5
66
39
50
5
7,4
18,5
25
70
40
52
oo
7,45
23,0
0
78
40
55
Die Widerstandserhöhung der kollateralen Strombahn bewirkt,
wie Fig. 6 und Tabelle 3 zeigen, eine gleichsinnige Vermehrung
des peripheren Durchflußvolumens und der Querschnittsamplidute.
Bei völligem Verschluß des Kollateralkreislaufes steigt das periphere
Stromvolumen noch beträchtlich an, während die Querschnitts¬
amplitude konstant bleibt.
5*
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68
Hedigek
Fig. 6. Einfluß der
Wiederstandsänderung iiu kol-
lateralen Abschnitt des Strö-
mungssystems. Mit steigen¬
dem Widerstand vergrößern
sichQnerschnittsamplitndennd
Durchfluß durch Manschetten-
abscbnitt (peripheres Dnrcli-
flußvolumeu).
4. Einfluß der Puls form (celer und tardus) auf die
Querschnittsamplitude und das Durchflußvolumeu.
Tabelle 4.
Einfluß der Pulsform (hierzu Fig. 7 u. 8J.
Puls-
form
Quernsch.-
Amplit.-
Summe
Peripher.
Durchfluß-
volumeu
Kollateral.
Durchflu߬
volumen
1
Spei¬
sung
Kol lat.
Wider¬
stand
|
Systol Diast.
Druck Druck
Optimal.
Stauungs-
druck
celer
4,0
15,2
30
600
4
50
38
42
tard.
3,9
20,0
32
50
40
42
celer
5,8
11.8
87
1200
2
l 54
34
45
tard.
5,6
15,5
90
54
36
45
celer
6,8
12,5
91
1800
2
66
38
50
tard.
6,8
15,4
94
66
38
52
Fig. 7. Druck- und Volnmkurve (Pulsus celer).
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Experimentelle Studien znr Volnnibolometrie.
69
Fig. 8. Druck- und Volumkurve (Pulsus tardns).
Die Bedeutung dieser Versuchsreihe liegt darin, daß sie uns
auf experimentellem Wege die Ursache aufdeckt, der zufolge die
volumbolometrische Messung keinen Ausdruck für den absoluten
Betrag des Stromvolumens darstellen kann. Während der systo¬
lischen Öffnungszeit der Arterie muß eine Flüssigkeitssäule mit
bestimmter Geschwindigkeit in den untersuchten Abschnitt ein¬
strömen und die Wandung zur Entfaltung bringen. Es ist nun
zn erwarten, daß, je länger die Entfaltung dauert (d. li. je lang¬
samer der Druckabfall erfolgte, d. h. je tarder der Puls ist), ein
am so größeres Stromvolumen hindurchtritt ohne daß dies in der
Querschnittsamplitude zum Ausdruck kommt. Unsere Versuche und
deren Interpretation führen uns also dazu, die Volumschwan¬
kungen bzw. Querschnittsschwankungen der unter Druck be¬
findlichen Arterie und die das gestaute Gefäßgebiet durch -
strömenden Blutvolumina prinzipiell auseinander zu halten.
Eine deutliche, gleichsinnige Abhängigkeit der beiden Größen von
zum Teil denselben wesentlichen Faktoren des Kreislaufes — z. B.
dem systolischen Füllungszuwachs des Systems (des Schlag¬
volumens) — ist vorhanden. Andere Faktoren hingegen können, wie
wir gesehen haben, und wie aus der Überlegung der physikalischen
Verhältnisse hervorgeht, eine andere Beeinflussung zustande bringen.
Die Frage der klinischen Verwertbarkeit der völumbolometri-
schen Messung wird durch diese Feststellungen keineswegs prä-
judiziert. Nur dürfen wir die damit erhaltenen Werte nicht mit
dem unter der Manschette hindurch fließenden Stromvolumen iden¬
tifizieren, das auf unblutigem Weg überhaupt nicht zu messen
sein wird. (Auch die rechnerisch komplizierte kalorimetrische Me¬
thode von Stewart gibt nur Annäherungswerte.) Mit dieser
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70 Hkdiobb, Experimentelle Studien zur Volumbolometrie.
•>
Präzisierung wird sich die Methode abfinden müssen. Ihr Schwer¬
gewicht liegt nicht in dem Erfassen einer absoluten Größe, wie
ich das schon früher ausgesprochen habe (4), sondern in der Mög¬
lichkeit, mit großer Empfindlichkeit Änderungen an der
Zirkulation zahlenmäßig zum Ausdruck zu bringen, die
mit anderen Methoden nicht erkannt werden können.
Literaturverzeichnis.
1. Sahli, Über die Volummessung des menschlichen Kadialispulses usw.
Deutsches Arch. f. klin. Med. 1914. — D e r s., Lehrbuch der klin. Untersuchungs¬
methoden 2, 1920. — 2. Hediger, Die Methode der Volumbolometrie. Zeit-
schr. f. klin. Med. Bd. 88, 1 u. 2. — Ders., Volumbolometriscke Messungen der
Kreislaufwirkuug einfacher und kohlenBauter Bäder. Schweizer med. Wochenschr.
1920, Nr. 24. — 3. Ders., Die direkte Messung des Minutenpuls Volumens. Med.
Klinik 1921, Nr. 17. — 4. Ders., Vortrag in der medin. Gesellschaft Basel.
Schweizer med. Wochenschr. 1921, Nr. 21, 8. 497.
Gck igle
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71
Aus dem physiologischen Institut der Universität Zürich
(Direktor: Prof. Dr. W. R. Heß).
Ein Volumbolograph.
Von
Dr. nied. et phil. Stephan Hediger.
(Mit 1 Abbildung und 4 Kurven.)
Bei der Methode der Volumbolometrie geben die Exkursionen
eines Index das direkte Maß für die Arterienentfaltung des unter¬
suchten Gefäßgebietes unter dem systolischen Blutzuschuß. Es ist ein
großer Vorteil der Methode, daß sie diese Entfaltung der Arterien
in absolutem Maße zu messen gestattet und die minimalsten Unter¬
schiede der einzelnen Pulsschläge sichtbar werden läßt. Welche
Rücksichten uns bei der Beurteilung der angezeigten Volumände¬
rungen als Maß für die periphere Zirkulationsgröße zu leiten haben,
ist in der vorhergehenden Arbeit erwähnt worden.
Durch die Einführung eines Apparates, der die einzelnen
Volumschwankungen automatisch speichert, ist es möglich ge¬
worden, die Minutensumme für die Messung an der Hand zum Ver¬
gleich zu bringen und auf diese Weise Änderungen der Zirkulation
mit großer Genauigkeit aufzudecken, deren Darstellung bisher
mit keiner Methode, auch nicht mit der Plethysmographie, in dieser
Weise möglich war. Ich verweise in dieser Hinsicht auf meine
Arbeit über die direkte Messung des Minutenpulsvolumens in der
Med. Klinik 1921, Nr. 17.
Trotzdem mußte es als ein Nachteil der Methode empfunden
werden, daß diese klinisch wichtigen Änderungen zwar zahlen¬
mäßig zum Ausdruck kamen, jedoch nicht in objektiver Weise
graphisch fixiert werden konnten. Sahli hat in seinem neuen
Lehrbuch, Auflage 1920, II, 2, eine Anzahl photographisch auf¬
genommener Volumbologramme wiedergegeben, die aber infolge tech¬
nischer Schwierigkeiten sehr mangelhaft ausfielen und ihn nach
seinen eigenen Angaben veranlaßt haben, diese Methode wieder
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72
Hbdigkb
aufzugeben und sie durch die Konstruktion des absoluten
Volumbologramms zu ersetzen. Es leuchtet ein, daß eine solche
Konstruktion ebensowenig befriedigen kann als die daselbst an¬
gegebene Umzeichnung der Sphygmogramme mit dem Sphygmo-
meter nach Nenadovics. Die direkte Volumschreibung der
Manschettenpulse scheiterte bisher an der Schwierigkeit, welche
darin besteht, daß die Volumschwankungen in einem geschlossenen
System unter Druck erfolgen, während die Aufschreibung dieser
Schwankungen in gewöhnlichem Atmosphärendruck ohne elastische
oder mechanische Gegenwirkung zu geschehen hat. Das Marey-
Prinzip der LuftUbertragung kann deshalb hier nicht zur Anwen¬
dung kommen.
Es ist mir nun gelungen, diese Schwierigkeit mit einem ein¬
fachen Instrument zu überwinden und da meines Wissens das
Prinzip desselben bisher nicht angegeben worden ist, so soll der
Apparat in den nachfolgenden Zeilen in seinen wesentlichen Teilen
kurz beschrieben werden. Als Illustrierung seiner Leistungsfähig¬
keit sind am Schluß dieser Mitteilung einige mit demselben auf¬
genommene Kurven wiedergegeben. (Andere, mit Druckkurven
zugleich aufgenommene Volumbologramme sind in der vorangehenden
Arbeit enthalten.)
Der Volumbolograph besteht aus einem Gefäß in Form einer
Flasche F, in deren weite Öffnung ein Glasrohr von T-Form luft¬
dicht eingelassen ist. Der senkrechte Schenkel dieses Rohres,
dessen lichte Weite 11—12 mm beträgt, taucht unten etwa 1 cm
tief in Petroleum ein und enthält ein Korkscheibchen als Schwimmer.
Der Kork trägt einen Strohhalm, der am oberen Ende mit einem quqr
gestellten verzinkten Stahldraht N artikuliert. Der obere Schenkel des
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Ein Volumbolograph.
73
Glasrohres ist an seinem einen Ausgang durch einen durchlochten
Gummistopfen geschlossen, dessen 5 mm weite Öffnung mit einer
dünnen Gummimembran verklebt ist. Der Stahldraht durchsetzt
diese Membran und ist an der Durchtrittsstelle mit einem Tropfen
Paragummilösung luftdicht verkittet. Diese Stelle dient dem Draht
als Aufhänge- und Drehpunkt. Das freie Ende desselben wird mit
einem feinen Strohhalm, der eine Schreibspitze trägt, versehen.
Das Innere des T-Stückes kommuniziert durch die Röhre B mit
dem Manschettenvolumen während der Flaschenansatz A die Luft
in F mit dem großen Puffervolumen verbindet. Zur Ingangsetzung
des Instrumentes genügt es, den Hahn H zu schließen. Die Man¬
schettenpulse gelangen dann nur in das T-Stück und teilen dem
Schwimmer die Volumschwankungen mit, die sich auf den Zeiger
übertragen. Die Schreibung erfolgt bei jedem Manschettendruck
mit gleicher Präzision.
Der Vorteil des Schwimmers vor einem Pistonrekorder, der
nach demselben Prinzip konstruiert werden könnte, besteht in der
geringeren Reibung des Schwimmers, aber auch darin, daß er eine
Ruhelage besitzt infolge der Einstellung auf das Flüssigkeitsniveau.
Die gesamte bewegte Masse des Systems beträgt im Maximum
0,25 g. Da bei Wahl eines genügend großen Puffervolumens der
elastische Widerstand der Luft praktisch dahinfallt, so erhält man
mit diesem Schreiber eine reine Volumregistrierung, die den ge¬
nauen Ausdruck der Volumschwankungen des Bolometerindex
darstellt. Die Schreibspitze erhält durch sanftes Anpressen an
das Kymographion die nötige Führung. Zur Vermeidung eines zu
hohen Trägheitsmomentes darf der Strohhalm des Zeigers nicht zu
lange gewählt und die Berußung der Schreibffäche nicht zu dicht
gemacht werden.
Einige Volumbologramme mögen die Präzision der Schreibung
dartun, die unseres Erachtens für klinische und physiologische
Zwecke vollkommen exakt genug ist. Es kommen dabei nicht nur
die Traube-Hering’schen und S. Maier sehen Wellen sehr deutlich
zur Erscheinung, sondern das Bologramm deckt auch Einzelheiten
auf, die bei einer Druckkurve nicht zum Vorschein gebracht werden
können. Durch Eichung der Kurven läßt sich das Volumen für
jeden Puls an der Höhe des Ordinatenabstandes ausmessen (s. Fig. 2).
Es wird die Aufgabe weiterer Untersuchungen sein, mit Hilfe
dieses Verfahrens Aufschlüsse an der gesunden und kranken Zir¬
kulation zu suchen d. h. die erhaltenen Volumbologramme deuten
zu lernen. Aus einem Vergleich sphygmographischer und bolo-
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74
Hedigek
Fig. 2. Ydnmbologramm mit Volumeichung. Äquidistanz der Abszissen: 0,1 ccm.
graphischer Kurven hat sich aber jetzt schon ergeben, daß die
Volumbolographie der bisherigen Registrierung des Pulses über¬
legen ist. Es ergibt sich dies unter anderem auch aus Kurven
pathologischer Fälle, deren Aufnahme ich der Freundlichkeit des
Oberarztes der medizin. Klinik. Herrn Dr. Liebmann, verdanke.
Als Beispiel diene das Volumbologramm und das gleichzeitig auf- ,
genommene Sphygmogramm einer Mitralinsufficienz.
Fig. 3. Volnmbologramiu bei langsamem Gang des Kymographions.
Hering’sche Wellen.
Puls
Atmung
Fig. 4. Volumbologramm mit Registrierung der Atmung. S. Maier'sche Wellen.
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Ein Volumbolograph.
75
Fig. 5. Volumbologramm (oben) und Sphygmogramm einer Mitralinsufficieuz.
53jäbr. Mann. Manschettenstauungsdruck: 90 mm.
Ich glaube, daß wir vom weiteren Ausbau der Volumbolo-
metrie. insbesondere demjenigen der hier zum ersten Male be¬
schriebenen Volumbolographie noch manche wertvolle Bereicherung
unserer klinischen und physiologischen Kenntnisse erwarten dürfen.
Zn einer endgültigen Beurteilung der Methodik ist es nötig, durch
klinische Anwendung derselben soviel Erfahrungsmaterial beizü-
bringen, daß die Deutung der Kurven von einer gesicherten Basis
aus erfolgen kann. ,
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.76
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Aus der 2. med. Universitätsklinik München.
(Direktor: Prof. Fr. Müller.)
Der Stickstoffhanshalt im Greisen alter. 1 )
Von
G. R. Heyer.
Im Verlauf von Untersuchungen, die Stoffwechselstörungen bei
verschiedenen Krankheitszuständen betreffen, stellte sich uns das
Bedürfnis heraus, auch über den Stickstoffhaushalt von Individuen,
die nicht dem mittleren Lebensalter angehören, genauere Kennt¬
nisse zu erhalten. Mir ist die Aufgabe zugefallen, mich mit dem
Studium des N-Stoffwechsels im Senium zu beschäftigen. Es kann
nicht ohne weiteres angenommen werden, daß sich dieser mit dem
von Personen des mittleren Lebensalters deckt; man könnte sich
denken, daß er — infolge der im Senium verminderten biologischen
Prozesse — geringer wäre; oder auch,' daß er — infolge Versagens
der auf Sparsamkeit zielenden Umsetzungen — oberhalb der für
den Erwachsenen bekannten Maße läge.
Die bislang vorliegenden Untersuchungen früherer Autoren
genügen nicht. Sie haben sich meist darauf beschränkt festzustellen,
ob mit (ihren Anschauungen nach) ,.mäßigen Eiweißmengen“ auch
der Greis auskäme. So gab v. Limbeck (1) ca. 0,303 g N pr. d.
und kg (d. h. etwa 73 g Eiweiß täglich), Pfeiffer und Scholz (2)
noch mehr; Uhl mann (3) erzielte mit einej täglichen Gabe von
1) Die ausführlichen Tabellen über die in dieser Arbeit niedergelegten Stoff-
weehseluntersuelinngen konnten im Text nicht abgedruckt werden, da die Her¬
stellung der Tabellen mit außergewöhnlich hohen Kosten verbanden ist. Da
jedoch die Einsicht in die Tabellen für die kritische Würdigung der Arbeit not¬
wendig sein kann, so hat sich die Verlagsbuchhandlung auf Anregung der Her¬
ausgeber entschlossen, derartige Tabellen photographisch zu reproduzieren und
eine Keihe von Abdrücken dem Autor zur Verfügung zu stellen. Diejenigen
Leser, welche die ausführlichen Zahlen der vorliegenden Arbeit kenneu zu lernen
wünschen, können Abzüge davon vom Autor gegen Erstattung der Selbstkosten
auf Wunsch beziehen.
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Der Stickstoffhaushalt im Greisenalter.
77
4Bö g N noch eine positive Bilanz; zu etwa dem gleichen Resultat
kam E. Koch (4) bei einer Untersuchung im Armenhaus Helsingfors
(im Mittel 106 g Eiweiß täglich). In einer 1901 erschienenen
Untersuchung Kövesis (5) bekamen die alten Leute tägliche Stick¬
stoffmengen von 10,34—16,58 g (d. h. pr. d. ca. 70 g Eiweiß bzw.
ca. 0,235 g N pr. d. und kg) und erzielten dabei lebhaften Ansatz
von Eiweiß. Der Kalorienbedarf ist hier stets reichlich gedeckt.
So sorgfältig und in vieler Hinsicht aufschlußreich diese Arbeiten
auch sind, so können sie doch eine einwandfreie Antwort über den
tatsächlichen Eiweißumsatz nicht geben. Denn abgesehen davon,
daß die Versuchsperioden vielfach zu kurz sind, wissen wir heute,
daß das normale Individuum mittleren Lebensalters wenigstens für
eine Zeit seinen Stickstoff bedarf mit viel geringeren Mengen von
Nahrungseiweiß decken kann, als jene Untersucher verfüttert haben,
wenn mit den N-freien Anteilen der Nahrung ausreichend Kalorien
gegeben werden. Ferner folgt aus den neueren Arbeiten — vor
allen Rubner’s (6) —, daß man über das zur stofflichen Erhaltung
nötige Maß von Eiweiß nicht so sehr dadurch genaues erfährt, daß
man überhaupt N-Einnahme und -Ausgabe in irgendein Gleichge¬
wicht bringt, sondern man hat hierzu zweierlei festzustellen: erst¬
lieh die geringste Eiweißmenge, mit der bei konstantem Körper¬
gewicht eine +N-Bilanz erzielt werden kann: das minimale Stick¬
stoffgleichgewicht, oder es ist bei praktisch stickstofffreier Kost
diejenige N-Ausscheidung zu bestimmen, die nach Ausschwemmung
alles noch retinierten Eiweißes erfolgt: die sog. „Abnützungsquote“.
Beides sind nur theoretisch identische Werte.
Wir gingen von der Annahme aus, daß der °/ 0 Eiweißgewichts¬
anteil des Körpergesamtgewichtes beim mittleren Lebensalter und
beim Greis der gleiche sei, die gefundenen N-Werte sich also, aufs
Körperkilogramm bezogen, direkt vergleichen lassen.
Die Versuchspersonen wurden in gleiche und gleichbleibende
Lebensbedingungen gebracht; sie hielten sich während des ganzen
Versuchs im Zimmer auf, in dem sie sich so weit bewegen durften
und bewegten, wie das ihr Wunsch war. Nach ihrer Gewohnheit
lagen sie viel im Bett. An Kalorien gaben wir, da wir den tat¬
sächlichen Bedarf hier nicht feststellen können, soviel, daß bei dem
eher herabgesetzten Bedarf des alten Individuums (vgl. Kövesi,
Uhlmann, Sondön und Tigerstedt (8) ihre Menge sicher
mehr als ausreichte. 1 ) Die Aufnahme der Kost und der — auf
1) Herrn Prof. Fischler vom Lebensmittelnmt möchte ich auch bei dieser
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78
Heyer
500—750 ccm rationierten — Flüssigkeit erfolgte unter genauer
Beobachtung aller gebotenen Eautelen, ebenso die Untersuchung
des Urins bezüglich Eiweiß, Zucker und N.*) Die Stickstoffmengen
der Nahrung wurden mittels Analyse bestimmt.
Zur Errechnung der Stickstoffbilanz wurde die im Kot aus-
geschiedene Menge von der täglich gegebenen N-Zufuhr abgezogen,
also nnter Zugrundelegung der tatsächlichen Stickstoffaufhahrae.
Daß dabei die aus den Darmsekreten, also aus dem Körper und
nicht aus der Nahrung stammende Menge mit einbezogen wird,
wissen wir wohl, glauben aber, so bei den — z. T. durch die reich¬
liche Kh.-Kost bedingten — größeren Stickstoffverlusten mit dem
Kot am sichersten zu gehen. Bei der Errechnung der „Ab¬
nützungsquote“ ist der mit der Nahrung gegebene N in Abzug ge¬
bracht.
Die Versuchspersonen waren alte Leute von 64—72 Jahren
(3 Männer, 1 Frau), denen zufolge genauer klinischer Untersuchung
außer physiologischen Alterserscheinungen und -beschwerden nichts
fehlte. Lediglich der 64jährige Schilling litt an Gastritis chron.
(ehemaliger Potator). Insbesondere war die Temperatur stets nor¬
mal. Die Nieren waren geprüft und gesund. Das Gebiß war
ausreichend. Der Ernährungszustand sämtlicher Versuchsper¬
sonen war befriedigend, etwaiges durch vorherigen N-Hunger vor¬
handenes Bedürfnis nach Eiweißansatz war auszuschließen, da sie
vor Versuchsbeginn alle schon längere Wochen im Krankenhaus in
Verpflegung standen.
Versuche.
I. V.-P.: Peschei, August, 71 Jahre, 1,68 m groß.
1. Versuch: Stickstoffgleichgewicht.
Aus äußeren Gründen mußte der Versuch abgebrochen werden, ehe
völliges Stickstoffgleichgewicht erreicht war. Es wurde fast ersieh bei
täglich 4,11 g (= pro kg 0,062 g) N; es dürften 4,95 (= 0,071) zur
völligen -{--Bilanz gereicht haben (Tabelle 1).
2. Versuch: Abnützungsquote.
Der durchschnittliche tägliche N-Verlust betrug 2,44 g = pro kg
0,037 g (Tabelle 2).
Die kalorimetrische Bestimmung ergab als Kalorienverlust im Kot
bei Versuch 1:
Gelegenheit für sein großes Entgegenkommen bei «ler Zuweisung der nötigen
Nahrungsmittel meinen Dauk anssprechen.
1) Herr cand. ined. Cerf hat mich dabei vielfach liebenswürdig unterstützt.
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Der Stickstoffbaashalt im Greisenalter.
79
VersuchBtag 1—17: 5,7 °/ 0 , Tag 18—22: 5,4 °/ 0 ,
bei Versuch 2: Tag 1—7: 3,8 °/ 0 ,
die Verloste hielten sich also in den üblichen Grenzen, müssen hei Ver¬
such 2 sogar aasgesprochen niedrig genannt werden.
II. V.-P.: Baumgartner, Karl, 68 Jahre, 1,62 groß.
1. Versuch: Abnützungsquote (bauptsächl. Sauerkraut-Kohlrabikost).
2. Versuch: Abnützungsquote (bauptsächl. Kartoffelkost), direkt an¬
schließend.
3. Versuch: Abnützungsquote (bauptsächl. Kartoffelkost) nach 14
Tagen Zwischenraum mit tägl. 2,14 g N.
Der durchschnittliche tägliche N- Verlust betrug in
Versuch 1: 2,35 = pro kg 0,038 g
„ 2:1,97 == pro kg 0,032 g
„ 3: 1,65 = pro kg 0,026 g.
Wir nehmen den letzten Wert, weil von der längsten Periode
stammend, als maßgeblich an (Tabelle 3—5).
III. V.-P.: Schilling, Franz, 64 Jahre, 1,70 groß.
1. Versuch: Stickstoffgleicbgewicht.
N-Gleichgewicht wurde erzielt bei tägl. 4,35 g N = pro kg 0,0707 gN.
Gelegentliche Untersuchungen ergaben 89 —96 °/ # UN (Tabelle 6).
2. Versuch: Abnützungsquote (direkt an vorigen Versuch an¬
schließend).
Der tägl. N-VerluBt betrug im Durchschnitt: 3,24 g = pro kg: 0,052.
Gelegentliche Untersuchungen ergaben 73—77 °/ 0 UN (Tabelle 7).
IV. V.-P.: Stuckert, Elise 72 Jahre, 1,55 groß.
Versuch: Stickstoffgleichgewicht.
Stickstoffgleichgewicht idt erzielt mit tägl. 4,37 g N = pro kg:
0,105 g N. Gelegentliche Untersuchungen auf UN ergaben:
Versuchstag VI: 86 °/ 0 des Gesamt-N.
„ XI: 85 °/ 0 „
„ XII: 74 °/ 0 „
„ XX: 62% „
Der NH g schwankte um 0,3— 1,0 °/ 0 (Tabelle 8).
Ich stelle die gefundenen Werte nochmals zusammen:
Abqützungsquote und N-Gleichge wicht.
Name
Gewicht
in kg
;
Abnützungsquote
gr N
insges. j pro kg
N-Gleichgewicht
bei g N
insges. pro kg
Peschei
65,0
i
2,44
I |
0,037
ea. 4,95
0,071
Schilling
61,5
3,24
0,052
4,35
0,071
Baumgartner
61,5
! 1,65
0,026
—
—
Stuckert
41,5
1
—
4,37
0,105
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QrigirifB ffom
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80
Hbyer
Die Höhe des Urin-N verhält sich nach verschiedenen Autoren
bei Menschen mittleren Lebensalters bei N freier Kost, wie folgende
Tabelle zeigt:')
I
Nr.
1
Versuchs-
tag
Urin in
Körpergew.
in kg
N pro kg
Antor
1
10
3,8
61,0
0,059
Folin
2
4
3,76
69,7
0,053
Landergren
3
5
3,5
70.5
0,049
Folin
4
4
3,04
62,4
0,048
Landergren
5 ;
5
2,7
55,7
0,048
Folin
8
3,12
63,5
0,048
Klemperer
7
: 7
3,34
71,3
0,046
1 Landergren
8
7
2,42
57,5
0,042
Roehl
9
12
2,6
64.0
0,040
i Folin
10
1 8
2,51
i 65,0
0,039
| Klemperer
11
1 -
2,98
76,2
0.039
j Thomas
12
6
2,01
88,0
0,031
af Klerker
13
; 7
1,84
58,0
0.031
Si ven
. t Rechnen wir zum Vergleich mit dieser Zusammenstellung nicht,
wie das bisher geschah, um zu möglichst exakten Ergebnissen zu
kommen, die N-Bilanz, sondern nur die durchschnittliche N-Abgabe
so erhalten wir für
Peschei Schilling Baumgärtner
3,70 4,17 2,56 Urin-N in g
0,055 0,067 0,041 Urin-N pro kg.
Es ist nach Rubner’s Vorgang üblich, die Eiweißmengen
entsprechend ihrem fiktiven kalorischen Wert im °/o'Verbältnis zur
Gesamtkalorienmenge anzugeben (dies ist eine rein theoretische
Berechnung, da es sich ja gerade um nicht kalorisch, sondern
stofflich verwendete Nährsubstanz handelt). Bei unseren Ver¬
suchspersonen wurde das N-Gleichgewicht erreicht mit: Bei Peschei
4,1 o/o, Schilling 3,6 °/ 0 , Stuckert 5,1 °/ 0 Eiweißkalorien der — über¬
reichlich gegebenen — Gesamtkalorien der Nahrung.
Unsere gefundenen Werte liegen für die Abnutzungsquote
innerhalb des Durchschnittes an dessen oberer Grenze. Auch die
Stickstoffmengen, mit denen wir unsere Versuchspersonen auf das
minimale Gleichgewicht brachten, weichen von den beim Erwachsenen
neuerlich gefundenen Werten nicht ab (vgl. z. B. die Ergebnisse
Jansen’s (10) an unserer Klinik). Lediglich die Versuchsperson
Stuckert zeigt einen vielleicht etwas hohen Wert. Auffallend
1) Citiertnach Thomas, Über die biol. Wertigkeit der Stickstoffsubstanzen.
Arch. f. Physiol. 1909, S. 244.
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Der Stickstoffhausbalt im Qreisenalter.
81
waren uns die besonders großen Schwankungen im Urin-N während
aller Perioden. Deshalb haben wir auch geglaubt, die Perioden
möglichst lang nehmen und die jeweiligen Besultate nicht wie das
sonst vielfach geschieht nach dem letzten Tag der Periode, sondern
als Durchschnitt der Gesamtperiode ansetzen zu sollen. —
Abnutzungsquote und minimales N-Gleichgewicht decken sich
nicht, es bedurfte größerer N-Zufuhr, als dem N-Verlust bei eiwei߬
loser Kost entsprach, um N-Gleichgewicht zu erzielen.
Der naheliegende Schluß, daß dem Eiweißansatz des wachsen¬
den Individuums und dem auffallend konstanten Eiweißhaushalt
des Erwachsenen ein Eiweißabbau im Senium entspreche, wird
durch die mitgeteilten Versuche nicht bewiesen, wenn es auch
vielleicht bemerkenswert ist, daß unsere Werte an der oberen
Grenze der Norm liegen. Gäbe es aber auch tatsächlich einen ver¬
mehrten Eiweißabbäu des alten Individuums, so würde es schwer
halten, ihn im Stoffwechsel versuch zu fassen: die auf die Versuchs¬
perioden treffende Menge vermehrt ausgeschiedenen Eiweißes ist
zu gering und liegt weit unter der Fehlergrenze. Aufschluß aus
weiteren Untersuchungen ist erst zu erwarten, wenn wir klarer
wissen, was die sog. „Abnutzungsquote“ eigentlich physiologisch
bedeutet.
Bislang gilt vor dem Problem der senilen Involution immer noch
der Satz Fr. Müll er’s (11), „daß es bisher noch nicht gelungen ist,
für eine so alltägliche Erfahrungstatsache, wie sie das Altern und
der Tod der Lebewesen darstellen, eine befriedigende Erkenntnis
zu gewinnen.“ _
Literatur.
1. Zeitschr. f. klin. Med. 1894, Bd. XXVI, S. 437. — 2. Deutsches Arch. f.
Hin. Med. Bd. 63, 1899. — 3. Internat. Beitr. z. Path. u. Ther. d. Ern.Strg.
1912, III, 239. — 4. Skand. Arch. f. Physiol. 25, 1911. — 5. Centralbl. f. inn.
Med. 1901, Nr. 6. — 6. Vgl. bes. Das Probl. d. Lebensdauer . . . München 1908.
— 7. Arch. f. Physiol. Suppl.-Bd. z. Jahrg. 1910. — 8. Skand. Arch. 1895, VI. cit.
Meli Koch (4). — 9. Centralbl. f. inn. Med. 1901, Nr. 21. — 10. Deutsches Arch.
f. i. Med. Bd. 124, S. 1. — 11. Volkmann’s Saminl. klin. Vorträge Nr. 79, 1915.
Deatsehei Archiv f. klin. Medizin, iss. Bd. 6
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Ans der medizin. Klinik R Jaksch-Wartenhorst in Prag.
Über den Beststickstoffgehalt des Blutes bei arterio¬
sklerotischen Hypertonien, ein Beitrag zur Kenntnis der
Nierenfunktion bei der benignen Nierensklerose.
Von
Dr. Otto Klein.
Den Ausgangspunkt für die Untersuchungen, deren Resultate
im Nachstehenden niedergelegt sind, bildete die Frage nach der
Nierenfunktion bei den Fällen dauernder arteriosklerotischer Hyper¬
tonie. Dieses Problem ist in den letzten 3 Jahrzehnten, wie kaum
ein zweites, Gegenstand zahlreicher Untersuchungen gewesen. Der
Grund, weshalb dieses Problem so sehr im Vordergründe des all¬
gemeinen Interesses von Pathologen und Klinikern stand und auch
heute noch steht, ist wohl in der Bedeutung zu suchen, die es für
die allgemeine Pathologie besitzt. Fällt doch die Frage nach der
Pathogenese der arteriosklerotischen Nierenerkrankungen und der
arteriosklerotischen Hypertonie mit der Frage nach der Patho¬
genese der Hypertonie überhaupt zum Teil wenigstens zusammen.
Allerdings wird die Frage nach der Rolle der Nierenerkrankung
bei der Genese der arteriosklerotischen Hypertonie, die wohl in
gewissem Sinne den Kernpunkt des Problems bildet, von der Mehr¬
zahl der Autoren, aber durchaus nicht von allen als erledigt an¬
gesehen. Es herrscht die Anschauung vor, daß die Genese der
Hypertonie unabhängig ist von Veränderungen in der Niere. Es
ist dies nicht der Ort, auf die historische Entwicklung der Frage
einzugehen. Es sei hier nur darauf hingewiesen, daß bekanntlich
die Vertreter der letzt erwähnten Anschauung die permanente hohe
arteriosklerotische Hypertonie als Ausdruck und Folge einer System¬
erkrankung sämtlicher kleinen Arterien des großen Kreislaufes
ansehen (Arterio-Kapillarflbrosis, Arteriolosklerose, permanente
Hypertonie, allgemeine vaskuläre Hypertonie, essentieller Hoch-
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Über den Beststickstoffgehalt des Blutes usw.
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druck, Arteriosklerose der präkapillaren Arterien, Müller, 1 )
Jores, *) Münzer,*) Pal, 4 ) R. Schmidt, 6 ) Krehl, •)
Huchard, Gnll n. Sntton n. a.). Den dem entgegenge¬
setzten Standpunkt vertritt am konsequentesten Bömberg 7 )
und seine Schule (Fischer 8 ), Savada 8 ), Harpuder 10 )).
Nach dieser Anschauung kommt die Blutdrucksteigerung bei Arterio¬
sklerose auf demselben Wege zustande, wie bei der Nephritis. In
beiden Fällen sind Veränderungen der Niere die unerläßliche Be¬
dingung für das Zustandekommen der Hypertonie. Einen zwischen
den genannten beiden Anschauungen in gewisser Hinsicht ver¬
mittelnden Standpunkt nahmen Volhard 11 ) und Fahr 1S , 18 ) (ähnlich
früher bereits v. Leyden 14 ) ein. In ihren in vielen Fragen der
modernen Nierenpathologie Richtung gebenden Monographien weisen
die genannten Autoren unter gleicher Berücksichtigung anatomi¬
scher und klinischer Tatsachen auf die engen Beziehungen zwischen
Veränderungen am Gefäßapparat der Niere und dem Vor¬
kommen von Hypertonie hin, welche sowohl bei der akuten, dif-
fnsen Glomerulonephritis, als auch bei den primären angiogenen
Sklerosen in die Augen fallende sind. Diese widerstreitenden An¬
sichten über die Rolle der Niere bei der Pathogenese des Krank¬
heitsbildes der arteriosklerotischen Hypertonie gaben uns die An¬
regung zu unseren Untersuchungen. Da wir vom rein klinischen
Standpunkte an die Frage herantraten, führte unser Weg bei der
Bearbeitung dieser Frage vor allem zur Untersuchung der Nieren-
1) Fr. v. Müller, im Lehrb. d. inn. Med. (v. Mehring-Krehl) X. Aufl.
1918, Bd. 2, 8. 89. — Verhandl. der deutschen pathol. Ges. 1905.
2) Jores, Virch. Arch. Bd. 178, S. 396; ebenda Bd. 181, S. 568; ebenda
Bi 221, 8. 14; Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 94, S.l.
3) M Unser, Med. Klin. 1910, S. 924; Zeitschr. f. exp. Path. u. Ther. Bd. 7,
i 167; Wiener klin. Wochenschr. 1910, Nr. 38.
4) Pal, Med. Klin. 1909, 8. 1312 u. 8. 1356; Med. Klinik 1919, 8. 662.
5) B. Schmidt, Med. Klinik 1916, 8. 765 u. 8. 992.
6) Krehl, Die Erkrankungen des Herzmuskels 2. Aufl., S. 394S.
7) ▼. Bömberg, Lehrb. d. Krankh. d. Herz. u. d. Gefäße 1909, S. 439ff.;
ebenda 8. 81 u. 129. Verhandl. d. 21. Kongr. f. inn. Med. 1904, 8. 60.
8) Fischer, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 109, 8. 470.
9) Savada, Deutsche med. Wochenschr. 1904. 8. 425.
10) Harpuder, Deutsche Arch. f. klin. Med. Bd. 129, S. 74.
11) F. Volhard, Die doppels. hämat. Nierenerkrauk. (im Handb. f. inn. Med.
v. Vohr-StShelin, HL Bd., 8.1298.
12) Volh-ard u. Fahr, Die Brigt’sche Nierenkrankh. Berlin 1914.
13) Fahr, Virch. Arch. Bd. 195, 8. 228.
14) ▼. Leyden, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 2, 8. 148, 162—164.
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Klxin
funktion. Selbstverständlich — das geht ans den nachstehenden
Ausführungen hervor — mußte auch das gesamte klinische Sym-
ptomenbild mit in die Untersuchung und Beurteilung des einzelnen
Falles herheigezogen werden. Doch ist ja schon seit langem be¬
kannt, wie' arm oft gerade die arteriosklerotischen Nierenerkran¬
kungen an deutlichen klinischen Symptomen renaler Natur sind.
Wie oft findet sich bei Obduktionen anatomisch das ausgesprochene
Bild der öranularatrophie der Niere, ohne daß man in der Zeit,
während welcher man den Kranken beobachten konnte, jemals
Albuminurie, Zylindrurie oder sonst ein renales Symptom hätte fest¬
stellen können. Auch mit der Funktionsprüfung steht es ganz
ähnlich. Auch hier werden oft deutliche Störungen der Funktion
vermißt, oft werden solche nur zeitweise gefunden und erweisen
sich bei wiederholter Untersuchung als vorübergehender Natur.
Auf diese Verhältnisse wurde in fast allen modernen Arbeiten, die
sich mit dieser Frage befassen, immer wieder hingewiesen.
Volhard und Fahr *) unterscheiden unter den echten angio-
genen Nierensklerosen bekanntlich zwei Formen. Die eine die
sog. blande Nierensklerose oder blande Hypertonie, von Volhard*)
auch gutartige Sklerose genannt, mit normaler Nierenfunktion und
vorwiegend kardiovaskulärem Symptomenbild (Herzhypertrophie,
Hypertonie eventuell deren Folgen: Herzinsufficienz, Häroorrhagia
cerebri usw.) und die maligne Sklerose oder Kombinationsform, bei
der die renalen Züge im Krankheitsbild (Albuminurie, Zylindrurie,
Hyposthenurie, Polyurie, N-Retention, Retinitis albuminurica, sowie
sämtliche anderen Symptome renaler Funktionsstörung bis zur
kompletten Niereninsufficienz mit Isothenurie und echt urämischen
Symptomen) mehr oder weniger oft mit in den Vordergrund treten.
Auch bei Strauß*) findet sich eine ähnliche Scheidung der Fälle
mit sufficienter Nierentätigkeit (eudynamische anazotämische Form)
und solcher mit gestörter Nierenfunktion (adynamische, azotämische
Form). Ribbert, 1 2 3 4 ) Volhard (1. c.) und Fahr (1. c.) nehmen an,
daß beiden Formen auch anatomisch verschiedene Prozesse zu¬
grunde liegen. Während es sich bei der benignen Form der Nieren¬
sklerose mit intakter Funktion bloß um arteriosklerotische Ver¬
änderungen des Gefäßapparats handelt, soll bei der malignen
Sklerose oder Kombinationsform noch ein zweites Moment hinzu-
1) 1. c.
2) 1. c. S. 1637 ff.
3) H. Strauß, Nephritiden. II. Aufl. 1917, S. 13.
4) Bibbert, Deutsche med. Wochenschr. 1916, S. 37.
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Über den Beststickstoffgehalt des Blutes usw. 85
kommen: eine mehr weniger entzündliche Veränderung der Intima
der kleinen Nierenarterien, die einer Endarteritis obliterans, ähn¬
lich wie sie bei der diffusen Glomerulonephritis beobachtet wird,
nahe kommt, mit konsekutiver stärkerer Reaktion im Parenchym
nnd Interstitium der Niere, hervorgerufen durch die noch stärkere
Einengung der Gefäßlumina und den daraus resultierenden noch
stärkeren Zirkulationsdefekt. Die Ätiologie soll bei der blanden
Nierensklerose nach Fahr 1 ) mit der Ätiologie der Arteriosklerose
nberhaupt zusammenfallen, während bei der malignen Form noch
ein anderer ätiologischer Faktor, der die obliterierende Endarteritis
verursacht, hinzukommt; insbesondere sollen hier Lues, Blei u. a.
ätiologische Momente in Betracht kommen. Gegen die scharfe
Trennung dieser beiden Formen als zwei dem Wesen und der Ätio¬
logie nach verschiedene Krankheitsbilder wurde vielfach, so nament¬
lich von anatomischer Seite (Löhlein, s ) Jores 8 ), Stellung ge¬
nommen und vor allem auf den einheitlichen Charakter der
anatomischen Veränderungen bei beiden Formen hingewiesen. Die
Verschiedenheit der klinischen Symptomenbilder soll nur eine quan¬
titative Verschiedenheit in der Intensität und Extensität der
anatomischen Veränderungen des Gefäßapparates der Niere zur
Grundlage haben. Ist dem so, so ist zu erwarten, daß auch in den
klinischen Krankheitsbildern alle Übergänge und Abstufungen
zwischen beiden Formen Vorkommen und auch hier die Grenze
keine scharfe ist. Darauf ist in letzter Zeit von klinischer Seite
wiederholt hingewiesen worden, daß Übergänge Vorkommen und
daß im konkreten Fall die Zugehörigkeit zu einer der beiden Krank¬
heitsformen oft nur schwer entschieden werden kann (Maschwitz
* «.Rosenberg, 4 ) Rosenthal, 6 ) Munk, 6 ) u. a.). Namentlich in
betreff der Nierenfunktion wird zugegeben, daß auch bei der
benignen Form Störungen derselben Vorkommen. Allerdings werden
diese bei der benignen Form mehr auf Rechnung des kardialen
Faktors gesetzt (Abnahme der Strömungsgeschwindigkeit des Blutes
in der Niere, Stauungsniere, Volhard, 7 ) Machwitz u. Rosenberg).
1) Fahr, Münchener med. Wockensehr 1918, 8. 493. — Deutsches Arch. f.
Mn. Med. Bd. 134, 8. 336.
2) Löhlein, Med. Klinik 1916, S. 741 ff.
3) 1. c. Bd. 221, 8. 14.
4) Machwitz n. Bosen berg, Deutsche med. Wochenschr. 1916, S. 1188
n. 1219.
3) 0. Bosenthal, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 133, S. 163.
• 6) Mnnk, Nephrosen, Nephritiden nnd Schrnmpfnieren 1918, S. 288 u. 300.
7) 1. c. 8.1671-1676.
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Klein
Die Untersuchungen der Nierenfunktion bei arteriosklerotischen
Hypertonien unternahmen wir also im Hinblick auf zwei Fragen:
ob bei den Fällen von arteriosklerotischer Hypertonie im allge-
meinen Störungen der Nierenfunktion in der Hegel Vorkommen und
ob man daraus Schlösse auf das Vorhandensein einer Nieren*
affektion bzw. einer Affektion des Gefäßapparates der Niere ziehen
kann, und ob vom klinischen Standpunkt aus, also im Hinblick auf
die Nierenfunktion, in der Tat Fälle mit intakter Nierenfnnktion
(benigne Formen) von solchen mit gestörter Funktion (maligne
Formen) zu scheiden sind. Unsere Untersuchungen bezogen sich
naturgemäß vor allem auf die benignen Formen. Bei den malignen
Formen, jenen Fällen, bei denen also deutliche renale Symptome
bestehen, ist ja das Vorhandensein einer Nierenerkrankung fest¬
stehend. Wir haben eine Anzahl von solchen Fällen nur des Ver¬
gleiches halber mit untersucht. Hauptsächlich betreffen aber unsere
Untersuchungen jene Fälle von Hypertonie, die in das Gebiet des
als genuine Hypertonie oder benigne (blande) Nierensklerose be-
zeichneten Krankbeitsbildes fallen. Denn nur hier ist die Rolle
der Nierenerkrankung oder besser der Nierengefäßveränderungen
unklar und das Vorhandensein von Nierenfunktionsstörungen in
Frage gestellt. Es ist auch das hierher gehörige Material vor
allem geeignet, auf die Frage der Beziehung zwischen Hypertonie
und Nierenerkrankung, soweit dies vom klinischen Standpunkt
überhaupt möglich ist, einiges Licht zu werfen. Als solche in
diesen Rahmen gehörige Fälle haben wir jene angesehen, wie sie
durch die von den meisten Autoren gegebene Charakterisierung
des Krankheitsbildes mehr oder weniger scharf umgrenzt werden.
Es handelt sich um Fälle von permanenter mittelhoher oder hoher
Hypertonie (über 160 mm R-R Maxim.), ohne deutliche renale Sym¬
ptome mit annähernd normaler Akkommodationsbreite der Niere, was
das spezifische Gewicht des Urins betrifft. Mäßige oder geringgradige
Albuminurie und Zylindrurie waren bei manchen dieser Fälle
dauernd, bei manchen vorübergehend vorhanden. Echte Retinitis
albuminurica fehlte, dagegen waren bei einer Anzahl von ihnen
arteriosklerotische Veränderungen der Netzhautgefäße, Blutungen
usw. nachweisbar. Es handelte sich also hier um klinische Bilder,
die mehr den Eindruck einer Gefäß- bzw. einer Herzgefäßerkran¬
kung als den einer Nierenerkrankung machten.
Wir schieden unter diesen Fällen sorgfältig jene aus, bei denen
sich manifeste Symptome cardialer Insufficienz, wie Stauungserscheinungen .
in den großen Körpervenen oder gar Ödeme zeigten. Wir taten dies
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QriginaMröm
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Über den Reststickstoffgehalt des Blutes usw.
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deshalb, weil bei der in solchen Fällen vorhandenen Stannngsniere (V o 1 -
hard 1 2 3 ) eo ipso Funktionsstörungen Vorkommen und sich daher ans den
Besaiteten der angestellten Funktionsprüfung keine Schlüsse auf die
primäre rein renale Funktionsschädigung ziehen lassen. Außerdem spielen
ja gerade bei cardialer Stauung andere extra-renale, ganz unkontrollier¬
bare Momente eine Bolle. Eine Ausnahme machen einige in der Zu¬
sammenstellung ausdrücklich als solche vermerkte Fälle, bei denen wir
Funküonsprüfungen Vornahmen, wiewohl bei ihnen, allerdings meist erst
terminal Herzinsufficienz und cardialer Hydrops bestand. Was die Prü¬
fung der Nierenfunktion selbst betrifft, so legten wir das Hauptgewicht
auf die Bestimmung des BN-Oehaltes des Blutes. Denn gerade die
Höhe des Beststickstoffes im Blute ist, wenn man gewisse Einflüsse (Ei-
veißzerfall, Fieber usw. b. weiter unten) ausschließen kann, am wenigsten
mn extrarenalen Faktoren abhängig, durch deren Einwirkung die Be¬
urteilung der Nierenleistung auf Grund der anderen Funktionsprüfungs-
methoden so sehr erschwert, ja oft unmöglich gemacht wird. Die Höhe
des BN im Blute, ist, wenn man jene störenden Momente ausschließen
kann, demnach am meisten von allen durch die Methoden der Nieren-
fnnktionsprüfung feststellbaren Werten von derNierenleistungab-
hängig; daß dies allerdings nicht ganz der Fall ist, haben neuere
Untersuchungen gezeigt. Wir wollen später darauf zurückkommen. Wir
haben getrachtet bei den einzelnen Fällen möglichst oft zu verschiedenen
Zeitpunkten BN-Bestimmungen vorzunehmen. Denn bei dem starken
Wechsel, den subjektives Befinden und objektive 8ymptome, und hier
wiederum besonders der Blutdruck bei den Fällen von arteriosklerotischer
Hypertonie zeigen, schien es uns wichtig, möglichst oft und zu ver¬
schiedenen Zeiten die Höhe des BN-Spiegels zu bestimmen, um so ev.
auch Vorübergehende Störungen der Nierenfunktion aufzudecken. Die
übrigen Methoden der Nierenfunktionsprüfung wandten wir in einer An¬
zahl von Fällen an, bei allen konnten wir es abhon aus äußeren Gründen
nicht tun. 9 ) Wir wandten sie vor allem dort an, wo klinische Symptome,
der erhöhte BN-Spiegel, die Möglichkeit nahe legten, daß auch die
anderen Methoden der Funktionsprüfung Störungen aufdecken dürften.
Was die Methode der BN-Bestimmungen betrifft, so benutzten wir
die von Oszacki 8 ) angegebene Methode der EiweißfäUung mit Uranyl-
acetat und die N-Bestimmung nach Kjeldahl. Der Vorgang ist dabei
folgender: Eine bestimmte Menge Blutserum (20 ccm) wird vierfach mit
Aqu. destil. verdünnt, hierauf läßt man eine der Menge des verwendeten
Blutserums gleich große Menge Uranylacetats (1 1 / a °/ 0 ige Lösung) Zu¬
flüßen ; nach vollendeter EiweißfäUung wird gut durchgemischt und dann
filtriert. Im Filtrate wird der N nach Kjeldahl bestimmt. Die
Gründe weshalb wir diese Methode angewandt haben, waren folgende:
1. Ist das TJranylacetat ein Beagens, das uns jederzeit in genügender
Menge zur Verfügung stand; bei der großen Zahl von Bestimmungen
1) L c. 8.1671—1676.
2) Es wurden diese Methoden bei den Fällen angewendet, die dauernd in
Um. Beobachtung waren.
3) Oszacki, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 77, S. 1.
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fiel dieser Umstand natürlich sehr ins Qewicht. 2. Hat die Methode den
Vorteil, daß sie bei Verwendnng von nicht allzu großen Mengen Blut¬
serums — nach Angaben Oszacfci’s genügen 15—20 ccm — genaue
Resultate liefert. Dieser Umstand war insbesondere deshalb für die
Wahl dieser Methode ausschlaggebend, weil wir ja unsere Fälle wieder¬
holt untersuchten und es uns natürlich wünschenswert erschien, die
Kranken nicht allzuviel Blut verlieren zu lassen.
Nach dieser Methode bestimmten wir also den gesamten nicht koagu-
ablen Stickstoff. Eigene Harnstoffbestimmungen im Serum, so wie Be¬
stimmungen des Amidosäurestickstoffes, Blutindikans, usw. führten wir
im allgemeinen nicht aus. Denn es kam uns ja nur darauf an, aus der
Höhe des jeweils gefundenen RN-Spiegels auf die Nierenfunktion zu
schließen; mit der Feststellung der quantitativen Vermehrung der einzelnen
Stoffe des RN .hätten wir gar nicht mehr erreicht, als mit der Be¬
stimmung des gesamtem RN. Denn aus der überaus großen Literatur
über das quantitative Verhalten des RN, als auch über das relative Ver¬
hältnis der einzelnen chemischen Bestandteile des RN zueinander unter
normalen und pathologischen Verhältnissen konnten wir nnr entnehmen,
daß bei Niereninsufficienz der RN im Blute erhöht ist. Über das Vor¬
herrschen der einen oder der anderen chemischen Komponente sind die
Resultate der verschiedenen Untersuchungen auch heute noch different.
Überwiegend zeigen jedoch die meisten Untersuchungen, daß der Harn¬
stoff quantitativ den größten Anteil am RN besitzt, eine Tatsache auf
die Jaksch 1 2 ) bereits vor langer Zeit hingewiesen hat. Nach Jaksch
beträgt bei Niereninsufficienz der Anteil des Ü ungefähr 90 °/ 0 des ge¬
samten Nichteiweißstickstoffs, nach Strauß 3 ) beträgt der Anteil des
Harnstoffs 75°/o des gesamten RN, nach Volhard 8 ) 50—60°/ o , nach
Hohlweg 4 5 6 ) 60°/o- Fast alle aber stimmen darin überein, daO bei Er¬
höhungen des RN infolge von Niereninsufficienz der Anteil des Harn¬
stoffs am gesamten RN bedeutend anwächst (nach Volhard biB zu 80 bis
90 °/ 0 des gesamten RN). Doch wollen wir nicht unerwähnt lassen, daß
sich in neueren Arbeiten zum Teil dem widersprechende Resultate vor¬
finden; so fand Ullmaun, ö ) daß bei Niereninsufficienz der Anteil der
Nichtharnstoffkomponente des RN relativ zunimmt. Auch Chabanier
und Galhardo 0 ) fanden, daß bei Niereninsufficienz der Nichtharn¬
stoffanteil des RN relativ ansteigt. Jedenfalls kennen wir nach dem
heutigen Stande der Forschung noch keine bestimmte Substanz, der
man unter den bei Niereninsufficienz retinierten Stoffen bei der Er¬
zeugung der klinischen Symptome eine Hauptrolle zuerkennen könnte.
Dies gilt sogar von jenen höchsten Graden von Niereninsufficienz mit
1) Jaksch, Zeitschr. f.Heilk. Bd.24, S. 401. — Festscbr. f. Leyden 1902, S. 194*
2) 1. c. S. 74.
3) 1. c. S. 1192 u. 1388. (Die Angaben der 3 letzten Antoren beziehen sich
anf normale Nierenfunktion.)
4) Hohlweg, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 104, 8. 216.
5) Ullmaun, Würzburger Abhandl. aus dem Geb. d. prakt. Med. (n. d.
Ref. i. Zentralbl. f. d. ges. inn. Med. Bd. 20, 1920.
6) Compt. rend. de Ia soc. de biol. Bd. 83, S. 723.
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Über den Reststickstoffgehalt des Blutes usw. 89
RN-Erhöhung, die mit dem Symptomenbild der echten Urämie einher*
gehen. Hier scheint allerdings die Holle des Harnstoffs schon wegen
des so starken Anstiegs seiner relativen Beteiligung am gesamten RN
eine sehr große zu sein (Volhard 1 )). Bei den nicht so hochgradigen
Erhöhungen des RN, wie wir sie bei unseren Fällen mit vorübergehen¬
der Funktionsstörung meist nur mäßigen Grades fanden, glaubten wir
uns mit der Bestimmung des gesamten RN begnügen, zu können, ohne
das Verhältnis der einzelnen chemischen Komponenten zu berücksichtigen.
Hit den meisten Autoren (Strauß, 2 3 ) Volhard, 8 9 ) Siebec * 6 k 4 ) u. a.)
sahen wir 40 — 50 mg RN pro 100 ccm Blut als obere Grenze der Norm
an, was den von Jaksch für den Blutharnstoff angegebenen Werten
vollkommen entspricht ( 0 , 05 — 0,06 g auf 100 ccm Blut). Was das Aus-
gangsmaterial betrifft, so nahmen wir die Bestimmungen im Blutserum
vor. 8 ) Es ist ja der RN-Gebalt des Serums von dem des Gesamtblutes
nur wenig verschieden. In betreff des Harnstoffs enthält das Serum
nur etwas mehr U als das Gesamtblut (Jaksch 1. c., Philipp 4 ))*,
doch fallen diese überaus geringen Differenzen nicht ins Gewicht. Hin¬
sichtlich der Quantität des Ausgangsmaterials wäre noch zu sagen, daß
wir meist 15—20 ccm Serum verarbeiteten. Es wurden stets Doppel¬
bestimmungen vorgenommen und stets zur Kontrolle der Enteiweißung
eine 3. Probe angesetzt, nach dem Abfiltrieren des Uranylacetateiweiß-
niederschlages wurde das Filtrat auf Eiweiß mit der Heller’schen Probe,
sowie auf Biuretreaktion geprüft. Was die weitere Verarbeitung be-
triflt, so bestimmten wir den N-Gehalt des Filtrates nach Kjeldahl. 7 )
Als Vorlage uud zur Titration benützten wir n/ 20 Säure, bzw. n/ 20 Lange, 8 )
da auf diese Weise die Ablesungsfebler verringert und die Genauigkeit
der Titrationsresultate erhöht wurde. Die Normallösungen waren auf
Oxalsäurenormallösung eingestellt. Was die Genauigkeit der Gesamt¬
resultate betrifft, so betrug die Differenz zwischen den zwei zusammen¬
gehörigen Doppelbestimmnngen höchstens 4 °/ 0 ; Bestimmungen die Btärker
differierten, wurden nicht verwertet. Erwähnt sei noch, daß je nach
einer Anzahl von Bestimmungen eine Leerbestimmung zur Feststellung
des N-Gehaltes der Reagenzien vorgenommen wurde. Das Blut wurde
stets am Morgen oder Vormittag 2 —3 Stunden nach einem eiweißarmen
Frühstück entnommen (durch Aderlaß). Wiewohl nach Strauß 0 ) u. a.
1) 1. c. S. 1192.
2) 1. c. 8. 66 u. 67.
3) 1. c. 8. 1192.
4) Siebeck, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 116, 8. 58; die Beurteil, u.
Behandl. d. Nierenerkrank. 1920, S. 38 u. 39.
6) Auch Volhard empfiehlt die RN-Bestimmungen im Serum vorsunehmen
0- c. 8. 1196).
6) Philipp, Med. Elin. 1913, S. 912.
7) Bei der Ausführung hielten wir uns an die von Jaksch (1. c.) in seiner
Diagnostik gegebenen Vorschriften, s. Jaksch, Klinische Diagnostik, 6. Aufl.,
8.484 ff. u. 8.602.
8) Statt n/ 4 -Lö8ungen, wie sie bei der Bestimmung des Gesamt-N im Ham
verwendet werden.
9) L c. 8. 68 u. 69.
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die Eiweißaufnahme durch die Nahrung normalerweise einen nur geringen
Einfluß auf den RN-Gehalt des Blutes ausübt, haben wir doch vorsichts¬
halber jene Regel eingehalten. Die meisten von den klinisch beobach¬
teten Kranken standen unter ausgesprochen eiweißarmer Diät.
Wir wollen hier nun eine kurze Zusammenstellung der Resul¬
tate unserer Untersuchungen folgen lassen, so gut dies eben bei
der Enge des zur Verfügung stehenden Raumes möglich ist. Zu¬
nächst von den bei unseren Fällen gefundenen Werten für die
Höhe des RN-Spiegels im Blute! Wir haben im Ganzen bei 54
Fällen von typischer benigner Nierensklerose zu verschiedenen
Zeiten die Höhe des RN-Spiegels bestimmt. Es wurden bei diesen
Fällen im Ganzen 192 Bestimmungen (384 Doppelbestimmnngen)
vorgenommen, d. s. also durchschnittlich für den einzelnen Fall
4 Bestimmungen.
Dabei gab es allerdings Fälle (12 an der Zahl) bei denen aus
äußeren Gründen nur 1—2 Bestimmungen vorgenommen werden konnten.
Anderseits haben wir dafür bei einer Anzahl von Fällen 6—7 mal, bei
einem Fall sogar 8 mal zu verschiedenen Zeitpunkten die Höhe des RN
im Blute bestimmt. Die meisten von den Fällen befanden sich in klini¬
scher Beobachtung, eine geringe Zahl von ihnen stand in ambulatorischer
Behandlung. Die Zeitdauer, durch welche die einzelnen Fälle in Be¬
obachtung standen, so wie die Intervalle nach denen der KN-Gehalt des
Blutes immer wieder bestimmt wurde, war bei den einzelnen Fällen ver¬
schieden. Es handelte sich bei uns natürlich darum, möglichst oft zu
verschiedenen Zeitpunkten bei den einzelnen Fällen RN-Bestimmungen
vorzunehmen. Daß wir da von verschiedenen Momenten, insbesondere
auch von äußeren Umständen abhängig waren, liegt an der Hand. Dies
um so mehr, als wir uns bemühten, Momente, welche auf die Höhe des
RN- im BluteEinflaß nehmen konnten, möglichst auszuschalten (s. weitern.).
Die meisten Patienten wurden immer wieder für einige Zeit auf die
Klinik aufgenommen, manche wurden, nachdem sie eine Zeitlang an der
Klinik in Beobachtung gestanden hatten, ambulatorisch weiter be¬
obachtet. Die Beobachtungsdauer betrug bei unseren Fällen durch¬
schnittlich 4—6 Monate, bei einigen allerdings nur 6 Wochen, bei
anderen wiederum über 1 Jahr, bei zweien sogar 18 Monate. Die Inter¬
valle zwischen je zwei Bestimmungen betrugen bei den einen Fällen
2—3 Wochen, bei anderen mehr bis zu 2—3 Monaten.
Was die Resultate betrifft, so fielen von den 192 Bestimmungen
119 in den Bereich des Normalen (50 mg als obere Grenze an¬
genommen); bei 73 Bestimmungen (also ungefähr in ’/# sämtlicher
Bestimmungen) wurden erhöhte Werte für den RN im Blute ge¬
ll Krankengeschichten konnten leider wegen Raummangel nicht aufge¬
nommen werden; anch eine tabellar. Zusammenstellung der Fälle mit den kün.
Symptomen, Resultaten der Nierenfunktionsprüfung und RN-Werten mußte aus*
demselben Grunde entfallen (Anm. b. d. Korrektur).
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Über den Beststickstoffgehalt des Blutes nsw.
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fanden. Wichtiger und instruktiver erscheint ans aber die Be¬
trachtungsweise, wie sich die verschiedenen Resultate der Bestim¬
mungen auf die Fälle verteilen. Wir kamen zn dem Ergebnis, daß
von den 54 zn verschiedenen Zeitpunkten untersuchten Fällen von
benigner Nierenskjerose nur in 17 Fällen (d. i. also in nicht ganz
Vs der Fälle) ein ständig normaler Wert für den RN im Blute
gefunden wurde— bei allen zu den verschiedenen Zeiten
vorgenommenen Bestimmungen. Bei den übrigen 37 Fällen
(also in rund */» der Fälle) wurde zum mindesten 1 mal (in
einem Zeitpunkt), bei vielen aber 2—3mal ein erhöhter
Reststickstoffgehalt im Blute gefunden.
Als Beispiel seien hier 2 Fälle angeführt.
1. Patientin M. Sch,, 66 Jahre alt, an leichten Asthmaanfallen
and Stenokardie leidend, Zeichen von Hypertrophie des linken Ven¬
trikels nnd Arteriosklerose der Aorta; Blutdruck zwischen 200/135 bis
155/96 mm (Riva-Rocci) schwankend, im Harn zeitweise Spuren von Ei¬
weiß und Zylinder, zeitweise Polyurie, meist Nykturie, im Wasser versuch
dberschießende Wasserausscheidung, leichte Einschränkung (1024) im
Konsentrationsversuch. RN-Gehalt des Blutes
am 22. XII.: 49,0 mg pro 100 ccm Blut,
,, 10. I.: 34,6 „ ,, ,, ,, ,,
,, 29. I.: 63,0 „ ,, ,, ,, ,,
„ 9. II.: 84,0 ,, ,, ,, „ „
„ 23. II.: 44,8 ,, ,, ,, ,, ,,
2. Patientin Marie M., 54 Jahre alt, an Asthma, Kopfschmerzen
nnd Druckgefühl auf der Brust leidend, Hypertrophie d. 1. Ventrikels,
Arteriosklerose der Aorta; Blutdruck zwischen 240/160 und 190/125
nun Hg (Riva-Rocci) schwankend, zeitweise Polyurie und Nykturie, meist
Eiweiß und Zylinder. RN-Gehalt .
am 30. IV.: 44,2 mg pro 100 ccm Blut,
57.4 „ ,, ,, ,, ,,
22.4
29. IX.:
2. XI.:
6. I.: 42,0
16. HI.: 25,2
2. IV.: 63,0
12. V.: 46,0
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99
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99
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99
99
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99
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99
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99
99
99
99
99
99
99
99
99
99
99
Die gefundenen pathologischen Werte bewegten sich in der
überwiegenden Mehrzahl zwischen 55—75 mg, die Erhöhungen
waren also nur mäßige, doch immerhin waren sie deutlich. (Bei
Vergleichsbestimmungen von Nierengesunden haben wir niemals,
zu keiner Zeit derartige Erhöhungen des RN-Gehaltes im Blute
gefunden.) Nur in wenigen Fällen stieg der Wert über 80 mg
hinauf; bei 3 Fällen überstieg die Höhe des RN-8piegels je ein¬
mal 90 mg, bei einem Falle 100 mg. Bei den ersten zwei Fällen
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92
Klbin
konnten Herzinsufficienz, Stannng in den Körpervenen und Stauungs¬
niere ausgeschlossen werden, bei letzterem waren sie vorhanden
und mögen wohl zu der besonders starken Erhöhung des RN-
Spiegels (106 mg) beigetragen haben. Es sei hier noch erwähnt,
daß auch unter vielen noch als normal anzusehenden gefundenen
Werten bei unseren Fällen ein auffallend großer Teil an der oberen
Grenze der Norm stand, in dem sich hier der RN-Gehalt des Blutes
zwischen 40—50 mg bewegte.
Zusammenfassend können wir also sagen, daß bei den von ans
untersuchten 54 Fällen von benigner Nierensklerose der RN-
Gehalt des Blutes zu verschiedenen Zeiten ein ver¬
schiedener war, und zwar derart, daß bei ein und demselben
Fall zu verschiedenen Zeiten einmal ein normaler, das anderemal
ein pathologisch erhöhter RN-Gehalt im Blute gefunden wurde.
Wir konnten also bei unseren Fällen ein Schwanken des
RN-Spiegels im Blute konstatieren. Wir glauben, daß diese
Schwankungen des RN-Spiegels im Blute bei den Fällen von arte¬
riosklerotischer Hypertonie wohl nur renal bedingt sein können,
hervorgerufen durch eine zu verschiedenen Zeiten ver¬
schiedene Nierenfunktion, in dem Sinne, daß die zeitweise
feststellbaren periodischen Erhöhungen des RN-Spiegels durch
vorübergehende Störungen der Nierenfunktion verursacht werden.
Um dies zu beweisen, ist es notwendig, erstens andere Ursachen
für eine Erhöhung des RN im Blute auszuschließen und zweitens
zu sehen, ob andere Zeichen oder Symptome gestörter Nieren¬
tätigkeit bei unseren Fällen festzustellen waren. -
Ad. 1. Als andere sozusagen extrarenale Ursachen fiir eine Er¬
höhung des RN im Blute könnten in Betracht kommen: a) Erhöhter
Eiweißzerfall infolge Fieber, anderer konsumierender Prozesse im Körper,
Schwitzprozeduren, hochgradige körperliche Anstrengungen, parenterale
Eiweißzufuhr usw. b) Cardiale Stauung, und c) übermäßige Eiwei߬
zufuhr durch die Nahrung. Alle diese Momente konnten wir bei unseren
Fällen zu der Zeit, wo wir den RN-Gehalt im Blute bestimmten, mit
Sicherheit ausschließen. Fieberhafte Kranke, solche mit konsumierenden
Prozessen, epileptischen Anfällen gab es unter den Fällen, bei denen
wir unsere Untersuchungen Vornahmen, nicht; sie wurden von vornherein
ausgeschlossen. Schwitzprozeduren, die wie neuere Untersuchungen zeigen,
den RN-Gehalt des Blutes beeinflussen können (Löwy u. Mendel), 1 )
ebenso körperliche Anstrengungen wurden von den Kranken, bei denen
wir Untersuchungen Vornahmen, vermieden. Fälle mit cardialer Insuffi-
cienz verbunden mit Stauung in den Körpervenen und Stauungsniere,
1) J. Löwy u. R. Mendl, Deutsches Arcli. f. klin. Med. Bd. 136. 112.
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Über den Reststickstoffgekalt des Blutes usw. 93
worden, wie schon erwähnt, im allgemeinen ebenfalls von unseren Unter*
Buchungen ausgeschlossen. In einigen untersachten Fällen kam es aller¬
dings terminal zu Herzinsufficienz und cardialem Hydrops, doch wurden
in diesem Zustand gewöhnlich keine Bestimmungen des RN-Gehaltes
mehr vorgenommen. Bei strenger Kritik können wir sagen, daß bei
höchstens 3—4 von den gefundenen erhöhten Werten für den RN die
cardiale Stauung und deren Folgen (Stauungsniere) beim Zustandekommen
des Anstieges des RN eine Rolle gespielt hat. Auch hier, so glauben
wir, war dies nur teilweise der Fall; denn wir haben bei einigen Fällen
von cardialer Insufficienz (meist Klappenfehler) wiederholt den RN-Gehalt
des Blutes bestimmt — bei Kranken, welche verschiedene Abstufungen
cardialer Dekompensation und cardialer Hydropsie zeigten, — und ge¬
funden, daß hier der Anstieg des RN-Spiegels meist ein nur mäßiger
ist und oft überhaupt erst dann eintritt, wenn die cardiale 8tauung
schon eine gewisse zeitlang bestanden hat. Bei unseren Kranken war
aber, abgesehen von jenen erwähnten Ausnahmen von einer cardialen
Stauung (Stauung in den Venen des Körperkreislaufes und Stauungsniere)
keine Rede. Die cardialen Symptome, die manche unserer Fälle zeigten,
bestanden meistens in Stenocardie und Atemnot, jenem Asthma der
Hypertoniker, das duroh vorübergehendes Erlahmen des linken Ventrikels
gegenüber dem hohen Blutdruck hervorgerufen wird und mit einer Stauung
im kleinen Kreislauf einhergeht — leichteste Grade von relativer Insnffi-
cienz des muskelstarken Herzens (V o 1 h a r d). *) Es bleibt hier natur¬
gemäß bei ungestörter Tätigkeit des rechten Ventrikels
eine Stauung im großen Kreislauf und in der Niere aus; somit konnte
auch bei unseren Fällen die Stauungsniere nicht die Ursache für den
Funktionsausfall bilden.
Auch übermäßige Eiweißzufuhr durch die Nahrung konnte nicht die
Ursache für den zeitweise gefundenen Anstieg des RN im Blute bei
unseren Fällen sein. Wir erwähnten schon, daß fast alle unsere Kranken
nnter eiweißarmer Diät standen und daß die Blutentnahme durch Ader¬
laß stets am Morgen erfolgte. Außerdem gilt es ja als charakteristisch
für die gut funktionierende Niere, daß trotz alimentärer Belastung der
BN-8piegel im Blut eine mehr weniger strenge Stabilität zeigt, welche
durch prompte Akkommodation der Niere in der Ausscheidung der N-
haltigen harnfähigen Stoffe gewährleistet wird. Eine durch alimentäre
Eingriffe zutage tretende größere Labilität des RN-Spiegels spricht ja
schon für einen gewissen Grad von Störung der Nierenfunktion (Strauß,*)
Widal,*) Ambard, 8 ) Siebeck (1. c.)).
Da wir nun alle anderen Ursachen für den Anstieg des BN-
Spiegels im Blnte ausschließen mußten, bleibt uns nur die An¬
nahme übrig, ihn als durch eine Störung der Nierenfunktion ver¬
ursacht zu erklären.
1) 1. c. 8. 1662.
2) 1. c. 8. 69.
3) Cit. nach Volhard.
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Original frum
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94
Klein
Ad. 2. Wir glauben uns za dieser Erklärung unserer Resultate
um bo mehr berechtigt, als wir aueh mit den anderen Methoden der Nieren¬
funktionsprüfung bei unseren Fällen Zeichen von gestörter Nierentätig¬
keit finden konnten. Allerdings wiesen dieselben nur auf einen gering¬
gradigen Funktionsausfall hin. Die Ausschläge. waren hier bei weitem
nicht so deutlich, wie sie durch die Resultate der Bestimmung des RN-
Spiegels aufgedeckt wurden. Wir haben bereits erwähnt, dafi bei den
meisten unserer Fälle zeitweise Albuminurie und Cylindrurie bestand. 1 2 3 )
Die Eiweißmenge war meist gering, die Zylinder in spärlicher Anzahl;
doch wurden unter den 54 Fällen bei 46 wenigstens einmal während
der ganzen Beobachtungsdauer Eiweiß und Zylinder im Harn gefunden.
Wir wollen hier betonen, was ja auch sonst bekannt ist, daß diese
Symptome, wie bei Schrumpfnierenkranken überhaupt, so auch bei unseren
Fällen ausgesprochen periodischen Charakter zeigten und oft nur zeit¬
weise gefunden wurden. Von den verschiedenen beute üblichen Methoden
der Nierenfunktionsprüfung wandten wir außer der Bestimmung des RN
im Blute folgende an: Wasser- und Konzentrationsversuch *), bestimmten
in den konzentriertesten Portionen den Kochsalz- und den U- beziehungs¬
weise Gesamt-N-Gehalt. In einigen Fällen nahmen wir die Belastung
mit Kochsalz (10 g) und Harnstoff (20 g) vor, un'd verfolgten die Aus¬
scheidung, schließlich stellten wir in einigen Fällen den Milchzucker und
Jodkaliversuch an. Von den übrigen Funktionsprüfungsmethoden (Farb¬
stoffproben, Methylenblau, Phenolsulfophtalein usw.) machten wir bet
unseren' Fällen keinen Gebrauch. Es herrscht ja heute allgemein die
Auffassung, daß für die Beurteilung der Nierenfunktion bei beiderseitigen
hämatogenen Nierenerkrankungen die Prüfung der Ausscheidung der
körpereigenen Stoffe (Wasser, NaCl und U) genügt und deutlichere
und klarere Resultate liefert als die Prüfung mit körperfremden Stoffen.
Durch letztere gewinnt man für die Beurteilung der Nierenfunktion im
allgemeinen keine neuen Gesichtspunkte, die man nicht durch Anstellung
der Funktionsprüfung mit körpereigenen Substanzen erhalten würde.
Der Wasser- und Konzentrationsversuch wurde nach den Angaben von
Strauß 8 ) und Volhard 4 ) in der bekannten Weise angestellt: Um
8 Uhr morgens wurden 1 1 / a 1 Wasser getrunken und in den durch
4 Stunden halbstündig entleerten Harnportionen Harnmenge und spez.
Gewicht bestimmt; anschließend wurde der Konzentrationsversuch vor-
genommen (ab 8 Uhr morgens wurde von den Kranken keine Flüßig-
keit mehr eingenommen) und hier wiederum in den 1 ständig entleerten
Harnportionen Menge und spez. Gewicht bestimmt. In Fällen, wo wir
den Eindruck hatten, daß der Verdünnungsversuoh auf den Ausfall des
anschließenden Konzentrationsversuch von Einfluß war (verzögerte Wasser-
ausscheidung, Ödembereitschaft) wurde letzterer nochmals ohne voran-
1) Bei den meisten bestand ausgesprochene Nyktorie.
2) Die Funktionsprttfnngsinethoden wurden bei den meisten klinisch be¬
obachteten Fällen angewandt.
3) 1. c. S. 34.
4) 1. c. S. 1197.
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Über den Bestetickstoffgebalt des Blutes usw. 95
gebenden Wasserversuch angestellt. Die Besultate des Wasserversacbes
waren in nicht ganz 50 °/ 0 der Fälle, in denen er angestellt wurde, als
normal anzusehen. Von den übrigen Fällen zeigten ungefähr 30%
aberschießende Wasserausscheidung (Typ. I), bei den übrigen 20 °/ 0 war
die gesamte Ausscheidung der 1 % 1 zwar in 4 Stunden vollendet, doch
war die Aussoheidungskurve eine etwas flache (Typ. II); in den ersten
8 Stunden waren hier kaum 50°/ 0 der aufgenommenen Flüssigkeit aus*
geschieden. Eine direkt ungenügende, ausgesprochen protrahierte Wasser*
ausscheidung sahen wir nur in einem Fall. Störungen des Konzentra*
tionsvermögens sahen wir im ganzen bei 1 Drittel der darauf unter¬
suchten Fälle. Doch handelte es sich ebenso wie bei den Störungen
des Verdünnungsv'ermögens nur um solche geringen Orades. Wir konnten
dabei 2 Typen unterscheiden; bei der einen Art von Störung wurde das
sonst als normal geltende Maximum der Konzentration (spez. Gewicht:
1028—1030) überhaupt nicht erreicht, bei der anderen Art wurde es
zwar erreicht, jedoch in einem viel späteren Zeitpunkt als es normaler¬
weise erreicht wird. Es handelte sich hier also offenbar um eine ver¬
zögerte Ausscheidung der festen harnpflichtigen Stoffe oder besser um
eine etwas torpide Anpassungsfähigkeit der Niere in bezug auf Aus¬
scheidung derselben (Harnstoff?). Bei den Fällen des ersten Typus war
das Maximum der Harndichte, die im Konzentrationsversuch erreicht
wurde, 1023—1026, also eine deutliche, wenn auch geringe Störung!
Bei den Fällen des II. Typus wurde die maximale Konzentration statt
am 6 Uhr abends, wie dies in normalen Fällen zu sein -pflegt, erst um
8 Uhr abends oder gar erst in der Nachtportion erreicht.
Wir lassen hier die Besultate des Wasser- und Konzentrations¬
versuches bei 2 Fällen, von denen jeder ein Beispiel für je einen der
beiden Typen darstellt, folgen. In beiden Fällen wurden von 7 h 30 bis
8» morgens 1 % 1 Wasser getrunken und von da ab keine Flüssigkeit
an dem Tage eingenommen.
Verdünnungsversuch
Typ. I. (Franz Sch.) Typ. II. (Franziska K.)
Portion
um
Harnmenge
spez. Gew.
Portion
um
Hammenge
spez. Gew,
8*
550 cm 8
1003
8»
440 cm 8
1009
8 h 30
136 „
1003
8» 30
490 „
1002
9*
122 „
1002
9»
330 „
1001
9 h 30
100 „
1001
9» 30
0 n
—
10»
130 „
1002
10»
230 „
1004
10» 30
288 „
1004
10» 30
0 »
—
11»
70 „
1006
11»
0 „
—
11» 30
58 „
1012
11» 30
0 »
—
12»
45 „
1012 %
12»
0 n
—
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Klein
Konzentrationsversuch
Typ. I. Typ. II.
Portion
um
Harnmenge
spez. Gew.
Portion
um
Harnmenge
spei. Gew.
l h
100
cm*
1014
l h
0
—
2 h
55
n
1017
2 h
0
—
3 h
54
n
1018
3 h
0
—
4 h
55
7?
1018
4 h
235 cm*
1018
5 h
55
r>
1019
5 h
0
—
6 h
42
r
1020
6 h
0
—
7*
38
n
1021
7 h
0
—
8 h
27
V
1025
8 h
90 cm a
1019
Nachtportion 274
n
1024
Nachtportion
215 „
1030
Diese hier angeführten Beispiele stellen gewiß Extreme dar, doch
ließen sieh die meisten von der Norm abweichenden Resultate bei unseren
Fällen in einen der beiden Typen einreihen. Was den Was Servers uch
betrifft, so zeigten beide hier angeführten Beispiele deutlich überschießende
Wasserausscheidung. Namentlich das Beispiel Typ. IT, wo fast die ganze
aufgenommene Wassermenge bereits in den ersten 2 Stunden ausgeschieden
wurde, weshalb wohl auch in den meisten übrigen Zeitpunkten gar kein
Harn mehr erhältlich war. Bei Beispiel Typ. I, war die Wasseransscheidung
wohl anfangs auch überschießend, bewegte sich später aber in etwas flacher
Kurve. In ähnlich flacher Kurve bewegte sich der Anstieg des spezif.
Gewichtes bei Typusl besonders im Konzentrationsversuch *); das
Maximum wurde hier um 8 Uhr abends erreicht und war 1025. Beim
Beispiel Typ. II. wurde zwar das normale Maximum der Konzentration
1030 erreicht, jedoch erst in der Nachtportion.
Es sei hier noch darauf (angewiesen, daß bei der Anstellung dieser
Versuche in allen Fällen auf die Vorperiode, die ja sicherlich auf den
Ausfall der Resultate von großem Einfluß ist, besonders geachtet wurde.
Besondere störende alimentäre Einflüsse (stark gesalzene und gewürzte
Speisen, reichliche Flüssigkeitsaufnahme, Dursten usw.), sowie solche
äußerer Natur (Schwitzprozeduren, Aderlässe usw.) wurden in den Tagen
vor dem Versuch nach Möglichkeit von den Kranken ferngehalten *).
Die Bestimmung des NaCl und des Hamstoffgehaltes bzw. Gesamt*
N-Gehaltes in den konzentriertesten Portionen ergab nur in wenigen
Fällen Abweichungen von der Norm. Besonders die NaCl-Konzentration
zeigte stets die normale Höhe (1 */ a °/ 0 ); eher war die Konzentration des
TJ in einigen Fällen, besonders dort, wo im Konzentrationsversuch ein
abnorm niedriges spez. Gew. erreicht wurde, etwas geringer. Ein ähn-
1) Hier fiel auch auf, daß die im einzelnen stündlich entleerten Harnportionen
fast gleich groß waren.
2) Daß doch eine gewisse Beeinflussung unserer Versuche durch die Vor¬
periode stattgefunden haben mag, können wir nicht ausschließen. Doch ist dies
stets der Fall; es liegt eben in der Natur dieser Methode und ist wohl kaum je
ganz zu vermeiden (s. bei Siebeck, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 138
S. 173).
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Über den Reststickstoffgehalt des Blntes usw.
97
liches Verhalten trat zutage bei den Versuchen mit alimentärer Be¬
lastung von NaOl (10 g) und U (20 g). Die NaCl-Ausscheidung war
hin* eine stets der Norm entsprechende, sowohl was Ausscheidungsdauer,
als auch was maxim. Konzentration betrifft. Die N-Ausscheidung war
dagegen in einigen wenigen Fällen etwas von der Norm abweichend.
Namentlich war die maxim. Konzentration etwas zu niedrig (1 1 j i °/ 0 auf
U berechnet). Wie man sieht, weisen die hier vorliegenden, wenn auch
sehr geringen Störungen vor allem auf einen Defekt der N-Ausscheidung
hin und es sind diese Fälle zu den Formen der Nierenfunktionsstörungen
zu zählen, die Monakow 1 3 ) als bypazoturischen Typus bezeichnet hat
und die vor allem auf eine Schädigung des Qlomerulusapparates hin-
weisen. Dafür spricht vielleicht auch der Ausfall des Jodkali- und
Uilehzuckerverauches. *) Während ersterer bei allen Fällen, bei denen
er nagestellt wurde, normal ausfiel (nach 48 h kein Jod im Ham mehr
nachweisbar!) zeigte letzterer in 2—-3 Fällen geringe Störungen, im Sinne
einer verzögerten Ausscheidung des Milchzuckers (6—7 h ); nach* Schlayer
würde anch dieser Befund für eine Glomerulusaffektion sprechen. 8 )
Es handelte sich also überall um sehr geringe Abweichungen von
der Norm. Auffallend war es, daß bei Fällen, bei denen der RN im
Blute mäßig erhöht war, bei Harnstoffbelastung keine stärkere Retention
nachweisbar war, der Harnstoff scheinbar prompt, wenn auch nicht in
der der Norm entsprechenden Konzentration (polyurischer Typus
8trauß) 4 * ) ausgeschieden wurde — eine Tatsache, die vielleicht mit dem
diuretischen Reiz des Harnstoffes zusammenhängt und früher schon
wiederholt beobachtet und so erklärt wurde (Widal, Am bar d).
Auffallend war ferner die Labilität sämtlicher durch die mit¬
geteilten Funktionsprüfungsmethoden ermittelten Störungen. Eben¬
so wie der BN-Spiegel, zeigten auch die anderen Resultate der
Funktionsprüfung den Charakter der Unbeständigkeit, indem das
eine Mal deutliche Störungen zutage traten, das andere Mal bei
demselben Falle normale Verhältnisse gefunden wurden.
Vor allem geht also aus unseren Untersuchungen als Tatsache
hervor, daß das Krankheitsbild der benignen Nieren¬
sklerose charakterisiert ist durch eine Labilität der Nieren¬
funktion, die am deutlichsten ihren Ausdruck findet
in einer zu verschiedenen Zeiten verschiedenen
1) Monakow, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 116, S. 1 u. 29ff.
2) Jodkali 0,5 g per os zugeführt, Milchzucker 2 g in 10°/ o iger Lösung
intravenös.
3) Wiewohl man heute nach Volhard’s überzeugender Darlegung (1. c.)
von einer topischen Lokalisation der Partialfunktionen der Niere nicht mehr
nden kann, glaubten wir doch auch diese für eine Schädigung des Gefäßapparates
der Niere sprechenden Befunde hier anführen zu müssen.
4) 1. c. S. 51.
Dentachee Archiv f. klin. Medizin. 138 . Bd. 7
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98
Klein
Höhe des RN-8piegels im Blute. Es wechseln dabei
Perioden guter Nierenfunktion (mit norm. RN-Gehalt) mit solchen
ab, in denen eine Nierenfunktionsstörung geringeren oder höheren
Grades mit RN-Erhöhung nachweisbar ist Die Resultate der
übrigen Funktionsprüfungsmethoden sprechen, wenn auch nicht so
deutlich, in einem ähnlichen Sinne.
Es scheint dem za widersprechen, daß in einem Drittel der unter-»
sachten Fälle ein stets normaler RN* Gehalt im Blate gefunden wurde,
und auch die übrige Nierenfunktion eich als normal erwies. Doch wenn
wir näher Zusehen, gehören diese Fälle von ständig normaler Nieren»
funktion gerade zu denen, die am wenigsten lange beobachtet wurden
und bei denen am wenigsten oft der RN* Gehalt des Blutes bestimmt
wurde (mit einer einzigen Ausnahme sind es Fälle, bei denen höchstens
3 mal zu verschiedenen Zeitpunkten RN-Bestimmungen vorgenommen
wurden). Es kann uns daher Behr leicht eine Periode gestörter Nieren¬
funktion mit erhöhtem RN-Gehalt im Blut entgangen sein. Daraus er¬
klärt sich auch die Angabe vieler Autoren, daß bei den Fällen von
benigner Nierensklerose stets gute Nierenfunktion und ein normaler RN-
Spiegel im Blute gefunden wird. Um hier Störungen aufzudecken, be¬
darf es eben möglichst vieler Untersuchungen zu möglichst verschiedenen
Zeitpunkten.
Nur noch einige klinische Daten, von unseren Fällen, die nicht
die Nierenerkrankung selbst betreffen. Bei allen unseren Fällen
handelte es sich um alte Individuen. Alle hatten das 40. Lebens¬
jahr überschritten, */ 4 war über 50 Jahre alt — eine Tat¬
sache, die mit der Angabe von Fahr, 1 ) daß die benigne
Sklerose eine Krankheit des höheren Alters ist, wohl übereinstimmt.
Bei allen Fällen war der systolische Blutdruck die größte Zeit
hindurch über 160 mm Riva-Rocci, der diastolische über 90 mm.
Auffallend waren die Schwankungen und zwar sowohl Tages¬
schwankungen als auch größere Schwankungen während der Be¬
obachtungsdauer; namentlich häufig war das Absinken des anfangs
hohen Blutdrucks während der klinischen Beobachtung bei Bett¬
ruhe der Kranken. Der größte Teil unserer Kranken hatte sub¬
jektive Herzbeschwerden (Herzpalpitationen, Stenokardie und
Asthma cardiale). Objektiv waren in allen Fällen Zeichen der
Hypertrophie des linken Ventrikels (verstärkter, langsam hebender
Spitzenstoß, Akzentuation des IL Aortentons) und manchmal auch
solche der Dilatation desselben (Vergrößerung der Dämpfung, Ver¬
breiterung am Röntgenschirm) nachweisbar. Sonst waren in mehr
als der Hälfte der Fälle Symptome von Arteriosklerose der Aorta
1) Virch. Arch. Bd. 226, S. 119; Deutsches Arcli. f. felin. Med. Bd. 134, S. 336.
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Über den Beststickstoffgehalt des Blotes usw.
99
vorhanden. Andere Komplikationen von Seite des Herzens (Klappen*
fehler, Coronarsklerose) fanden sich bei 13 Fällen. Von diesen
befanden sich 8 unbedingt im Staäium der Kompensation, nur in
5 Fällen wurde terminal eine ausgebildete Herzinsufficienz mit
Stauung im großen Kreislauf und Ödemen von cardialem Typus
beobachtet; die in diesem Krankheitsstadium vorgenommenen Unter¬
suchungen (RN-Bestimmungen) wurden nicht in den Bereich unserer
Schlußfolgerungen einbezogen. Die Untersuchung des Augenhinter-
grandes 1 ) ergab bei ungefähr 50% der Fälle Arteriosklerose der
Netzhautgefäße und Blutungen. Bei einer Anzahl von Fällen
waren auch Symptome cerebraler Arteriosklerose vorhanden. Ab¬
gesehen von den Folgeerscheinungen alter Blutungen und Erwei¬
chungen (Hemiplegien, Monoplegien usw.) fanden sich bei einer
Anzahl von Fällen andere Symptome cerebraler Natur, wie Ge¬
dächtnisschwäche, psychische Depression, Aufregungszustände, leichte
Sprachstörungen usw.; bei einigen Fällen waren wiederum Be¬
schwerden zu beobachten, die wir auf eine Arteriosklerose der
Mesenterialgefäße beziehen mußten (Anfälle von Meteorismus und
Schmerzen). Alle diese Symptome, sowie die Herzbe¬
schwerden zeigten einen ausgesprochen transito¬
rischen, labilen Charakter, ähnlich wie die Störungen der
Nierenfunktion, indem sie periodisch auftraten und dann wieder
normalem Verhalten Platz machten. Von unseren 64 Fällen von
benigner Sklerose starben 5 während der klinischen Beobachtungs¬
dauer; bei allen 5 erfolgte der Tod aus cardialer Ursache. Bei
2 Fällen lagen Klappenfehler vor *), bei 3 bestand Coronarsklerose,
Myomalacia cordis und Sklerose der Aorta. Der Nierenbefund
war bei allen der der arteriosklerotischen Schrumpfniere (rote
Öranularniere — Jores) ohne die Zeichen der malignen Nieren¬
sklerose (Kombinationsform).
Ehe wir min zur näheren Ausführung und Erklärung unserer Be¬
fände übergehen, wäre hier noch zu erwähnen, daß wir bei einer An-
sahl nicht hierher, in den Rahmen des KrankheitBbildes der benignen
* Sklerose, gehörenden Fälle des Vergleiches halber und um unsere Me¬
thoden zu prüfen die Nierenfunktion untersucht haben, insbesondere den
RN-Spiegel im Blute bestimmt haben (auch hier wieder bei jedem Falle
mehrere Male und zu verschiedenen Zeitpunkten): So bei 9 Fällen von
maligner Nierensklerose, 5 Fällen chronischen Nephritis im II. und
HL Stadium, 4 Fällen von akut. Glomerulonephritis, 2 Fällen von
Nephrose, 5 Fällen von dekompens. Herzklappenfehlern und einer Anzahl
1) Befunde der de'atpchsn Augenklinik Prof. Elschnig.
2) Sektionsbefunde nah dem path.'anat. Institut .Trof. Ohon).
7*
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100
Kuhn
von Nierengesonden. Bei letzteren sowie bei den Füllen von Nephrose
und bei 2 Fällen von chron. Nephritis (II. Stadium) haben wir stets
normale Werte für den BN gefunden, bei den Fällen von dekompens.
Vitium und cardial. Hydrops sahen wir zeitweise mäßige Erhöhungen
(bis 70 mg), jedoch meist nur dann, wenn die Stauung und Ödeme
längere Zeit bestanden haben. Bei den anderen Fällen von sekundärer
Schrumpfniere, bei den Fällen von akuter Glomerulonephritis fanden wir
den Gehalt im Blute stets erhöht. Ebenso bei den Fällen von maligner
Nierensklerose. Bei 4 von den letzteren wurde die Diagnose durch die
Sektion, bei allen 9 durch die ophtalmoskop. Feststellung einer Retinitis
albumin. erhärtet. Wir.'wollen hier betonen, daß wir bei diesen Fällen
von maligner Sklerose, ebenfalls bei jedem Fall mehrere Male zu ver-
schiedenen Zeiten den RN-Gehalt im Blute bestimmt haben und hier im
Gegensatz zu den Fällen von benigner Sklerose stets pathologisch
hohe Werte (über 50 mg) gefunden haben. Ebenso ergaben die
übrigen Methoden der Funktionsprüfung hier jederzeit Resultate, die
deutlich für das Vorhandensein von Niereninsufficienz sprachen; ins¬
besondere waren hier meist Hyposthenurie und deutliche Starre in der
Akkommodationsfähigkeit der Niere mehr weniger ausgesprochen.
Kehren wir nun zu unserem eigentlichen Thema, der Nieren¬
funktion bei den benignen Formen der Nierensklerose, zurück.
Was wir da aus den Resultaten unserer Untersuchungen der
Nierenfunktion bei unseren Fällen geschlossen haben, war, daß bei
der überwiegenden Mehrzahl der als benigne Formen anzusehenden
Fälle von Nierensklerose periodische Störungen der Nierenfunktion
Vorkommen. Am deutlichsten finden diese ihren Ausdruck in der
zeitweise feststellbaren Erhöhung des RN im Blute; aber auch die
anderen Prüfungsmethoden decken oft, wenn auch nicht so häufig
und in geringerem Grade, mehr oder weniger deutliche Störungen
auf. Zugleich sehen wir, daß das Aufdecken von Störungen hier
nur dann möglich ist (namentlich betrifft das den RN-Spiegel), wenn
die Fälle genügeud lange beobachtet und die Untersuchungen mög¬
lichst oft und zu verschiedenen Zeiten vorgenommen werden.
Wenn wir nun demgegenüber die des Vergleiches halber
untersuchten Fälle von maligner Sklerose betrachten, so fallt uns
auf, daß hier die Funktionsstörungen einen konstanten Charakter
haben. So sehen wir vor allem, daß die Höhe des RN-Spiegels,
wenn sie auch schwankt, stets im Bereiche des Pathologischen liegt.
Auch die Resultate der übrigen Prüfungsmethoden — wir konnten
sie leider nicht alle des Näheren mitteilen — ergaben mehr oder
weniger starke aber doch stets deutliche Abweichungen von der
Norm. Wir haben es demnach bei den Fällen von maligner Sklerose
mit einer konsianrteu Schädigung dei Nierenfunktion
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Über den Reststickstoffgehalt des Blutes new.
101
za tan, wäh re nd bei den benignen Fäl len dieStörungen
der Nierenfnnktion nur vorübergehend auftreten, also
einen ausgesprochen labilen Charakter zeigen.
Es fragt sich nun, in welchen Beziehungen steht dieser Unter¬
schied, welchen die beiden Formen in der Art der Nierenfunktions¬
störung zeigen, zu den sonstigen klinischen Erscheinungen und den
anatomischen Verhältnissen, welche bei den beiden Arten von
arteriosklerotischen Nierenerkrankungen gefunden werden und ihr
Wesen ausmachen?
Es sind sich ja heute Physiologen,*) Anatomen und Kliniker dar¬
über einig, daß speziell in der menschlichen Pathologie beim Zustande¬
kommen von Funktionsstörungen der Niere zirkulatorische Momente
die Hauptrolle spielen. Die Funktion der Parenchymzelle der
Niere ist ja aufs Innigste von der Blutzufuhr (Versorgung mit
Sauerstoff und Nahrung) abhängig. Für jene Nierenerkrankungen,
die mit Funktionsstörungen der Niere einhergehen, hat ja Volhard
das zirkulatorische Moment zum einheitlichen pathogenetischen
Faktor erhoben. Nach Volhard und Fahr zeigen vor allem jene
Nierenerkrankungen eine deutliche Funktionsstörung, bei denen
sich Störungen und Veränderungen im Gefäßapparat der Niere
finden (diffuse akute und chronische Glomerulonephritis, Sklerosen),
wo also eine Störung der Blutzufuhr zu den überaus empfindlichen
Parenchymzellen der Niere vorliegt. Daß speziell bei den vasku¬
lären Sklerosen (arteriosklerotischen Nierenerkrankungen) Gefä߬
veränderungen, Schädigungen der Zirkulation die Ursache auch
der anatomischen Veränderungen in der Niere abgeben, ist durch
die Arbeiten von Thoma, 1 2 3 ) Ziegler, 8 ) Löhlein, 4 5 6 ) Jores, # )
Aschoff,®) Fahr 7 ) sichergestellt worden.
Auch in den klinischen Untersuchungen und Monographien
(Leyden (1. c.), Senator, 9 ) Strauß, 9 ) Munk, 10 ) Vol-
1) Siehe Landois-Rosemann, Lehrb. d. Physiologie. 12. Aufl., I. Bd,,
8. 422 and Meyer-Gottlieb, Experim. Pharmakologie 3. Auf., S. 336.
2) Thoma, Virch. Arch. Bd. 177.
3) Ziegler, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 25, S. 586.
4) 1. c.
5) 1. c.
6) Aschoff, Pathol. Anat. II. Aufl., 1911, Bd. II, S. 420ff.
7) 1. c.
8) Senator, Die Erkrankungen der Nieren (in Nothnagel’s Handb. der
»pe*. Path. u. Therap. II. Aufl. 1902, S. 290 ff.
9) 1. c. 8. 136 u. 136.
10) Nephrosen usw. 8. 278 u. 288 ff.
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102
Klein
hard, 1 2 3 ) Siebeck 8 ) u.a.) wird die souveräne Rolle der Zirkulations¬
störung in der Pathogenese der Sklerosen übereinstimmend aner¬
kannt.
Wenn also bei den Nierensklerosen die Zirkulationstörnngen
die Ursache der Schädigung der Nierenfunktion bilden, so müssen
wir zur Erklärung unserer oben festgestellten Befunde annehmen,
daß diese Zirkulationsstörungen bei den malignen Sklerosen
stets vorhanden sind, woraus eine konstante Schädigung der
Nierenfunktion resultiert, während sie bei den benignen Formen
nur zeitweise bestehen oder wenigstens nur zeitweise in so
hohem Grade vorhanden sind, daß sie zu einer Störung der
Funktion führen, weshalb bei den benignen Formen die Funktions¬
störung einen ausgesprochen labilen transitorischen Charakter hat.
Daß bei der benignen Sklerose leichte Störungen der Nierenfunktion
Vorkommen, haben, wie schon erwähnt, verschiedene Kliniker fest¬
stellen können. So hat bereits Jacksch, 8 ) später Philipp 4 5 )
bei Fällen von Arteriosklerose mit erhöhtem Blutdruck mäßig er¬
höhte Werte für den Blutharnstoff gefunden. Strauß, 6 ) Mach¬
witz u. Rosenberg (1. c.), Rosenthal, 6 ) fanden auch bei
benigner Sklerose Funktionsstörungen, auch Fahr 7 ) weist neuer¬
dings auf letztere Tatsache hin. Ebenso gibt auch Volhard 8 ) zu,
daß bei benigner Sklerose Zeichen von Störung der Nierenfunktion,
erhöhter RN Vorkommen. Letzterer und auch die oben genannten
Autoren nehmen aber an, daß die Funktionsstörungen zum Teil aus
cardialer Ursache zustande kommen. Die Insufficienz des Herzens,
Stauung in den Venen des Körperkreislaufes und damit ver¬
bundene Stauung in der Niere sollen die Ursachen für die Störungen
der Nierenfuktion und die gefundenen erhöhten Werte für den
RN bei der benignen Sklerose sein. Immerhin wurden vereinzelt
Nierenfunktionsstörungen und RN-Erhöhungen bei Fällen gefunden,
bei denen keine Zeichen von Herzinsufficienz und cardialer Stauung
Vorlagen (Machwitz und Rosenberg (1. c.), Rosenthal (1. c.).
Bei den meisten unserer Fälle von benigner Sklerose konnten wir
1) 1. c. S. 1637 ff. n. a. viel. a. Ort.
2) Die Beurteilung u. Behandl. d. Nierenkrank. S. 227—229.
3) 1. c.
4) 1. c.
5) 1. c. S. 135 u. 136.
6) 1. c.
7) 1. c. Bd. 226, S. 119; Münchener med. Wocheuscbr. 1918, 493.
8) 1. c. 8.1671—1676.
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Über den Beststickstoffgehalt des Blntes nsw. 103
auch zu Zeiten, in denen wir eine Erhöhung des RN im Blute
fanden, keine Zeichen von Stanung in den Körpervenen nachweisen.
Wir mußten daher die Stauung in der Niere als Ursache für die
gefundene Funktionsstörung, besonders für die Erhöhung des RN-
Spiegels im Blute ausschließen. Die cardialen Symptome, die wir
bei unseren Fällen beobachtet haben, bestanden in Atemnot vom
Typus des Asthma cardiale der Hypertoniker, jenen leichtesten
Graden von relativer Insufficiens des muskelstarken Herzens (Vol-
hard, 1 2 ) die hervorgerufen werden durch ein vorübergehendes Er¬
lahmen des linken Ventrikels gegenüber dem hohen Blutdruck mit
anschließender Stauung im Lungenkreislauf. Eine vollständig aus¬
gebildete Herzinsufficienz mit Erlahmen des rechten Ven¬
trikels und konsekutiver Stauung in den großen
Körpervenen, die allein zu einer Stauung in der Niere führen
kann, war bei diesen Fällen mit den wenigen Ausnahmen, die bei
der Zusammenstellung vermerkt sind, nicht vorhanden. Des¬
gleichen fehlten cardiale Ödeme. Wir fanden auch, daß bei car-
dialer Stauung in der Niere der R-N im Blute nur sehr langsam
ansteigt und daß überhaupt nur dann erhöhte Werte gefunden
werden, wenn die Stauung schon eine gewisse Zeit gedauert hat.
Die cardiale (venöse) Stauung kann also bei unseren Fällen nicht
zur Erklärung der vorübergehenden Störungen der Nierenfunktion
und des vorübergehenden Anstieges des RN herangezogen werden.
Wir glauben vielmehr, daß die zur Funktionsstörung bei unseren
Fällen von benigner Sklerose führenden Zirkulationsstörungen der¬
selben Art sind, wie sie Volhard*) bei Erklärung der Genese der
Funktionsstörungen bei der malignen Sklerose annimmt Auch bei
den benignen Formen kann die Zirkulationsstörung nur in einer
arteriellen Ischämie bestehen — einer Behinderung der Blutzufuhr
zum Nierenparenchym durch Verengerung des Lumens der zu-
führenden kleinen Nierenarterien. Allerdings muß hier die Be¬
hinderung der Blutzufuhr, die arterielle Ischämie notwendigerweise
vorübergehender Natur sein, da ja auch die vorhandene Funktions¬
störung einen transitorischen Charakter zeigt. Das könnte nur
dann der Fall sein, wenn die vorliegende Verengerung des Lumens
der kleinen Nierenarterien zum Teil wenigstens funktioneller Natur
wäre. Aus klinischen Tatsachen läßt sich dies gewiß nicht er¬
weisen. Immerhin gibt es doch reichlich klinische Gesichtspunkte,
1) 1. c. S. 1662.
2) I. c. 8. 1682-1684.
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104
Kleis
welche jenes Verhalten als sehr naheliegend und wahrscheinlich
erscheinen lassen.
Daß in arteriosklerotisch erkrankten Gefaßgebieten funktionelle
Kontraktionszustände häufig Vorkommen, wird von Klinikern all¬
gemein angenommen. Sowohl Kontraktionszustände, das ganze
System der kleinen Körperarterien betreffend, Gefaßkrämpfe
(Vaqnez), Gefaßkrisen (Pal) *), als auch Kontraktionszustände ein*
zelner Gefaßgebiete kommen bei Arteriosklerose vor; hierher ge¬
hören vielleicht ein Teil der als arteriosklerotische (cerebrale)
Pseudourämie der Schrnmpfnierenkranken (Volhard,*) Strauß 8 ))
bezeichneten Symptomenbilder. Ebenso geläufig ist ja die Tatsache,
daß Organe, deren Gefäßsystem arteriosklerotisch erkrankt ist,
vorübergehend in ihrer Funktion erlahmen. Dieses Erlahmen wird,
so nehmen die meisten an. zum Teil hervorgerufen durch Kon¬
traktionszustände der kleinen Arterien des betreffenden Gefä߬
gebietes und dadurch verursachte Behinderung der Blutzufuhr zu
dem betreffenden Organ. Die als „arteriosklerotische Dyspraxien“
bekannten Symptomenbilder, die Dysbasia intermittens angio-
sclerotica (Charcot-Erb), die Dyspraxia intermittens intesti¬
nalis (Ortner) 4 ) bei Sklerose der Mesenterialgefaße, vielleicht
auch die Angina pectoris bei Sklerose der Coronargefäße gehören
hierher; ebenso müssen gewisse vorübergehende Störungen der Ge¬
hirntätigkeit bei Arteriosklerose der Cerebralgefaße, wie vorüber¬
gehende Kopfschmerzen. Gedächtnisschwäche, psychische Depression,
Polydipsie, vorübergehende Schwächezustände in einer Extremität,
vielleicht auch manche Formen von Dyspnoe (nach Huchard,
Heß, 8 )— medulläre Dyspnoe— bei Zirkulationsstörungen in der
Mednlla oblongata) hierher gerechnet werden. Charakteristisch für
diese Zustände ist ihr intermittierendes Auftreten und
ihr transitorischer Charakter, nach Abklingen• derselben
tritt wieder normale Funktion ein. Vieles spricht dafür, daß jene
von uns beobachteten transitorischen Funktionsstörungen der Niere
bei Arteriosklerose der Nierengefäße hierher gehören, daß sie also
hervorgerufen werden durch vorübergehende funktionelle Verenge-
-—— %
1) 1. c.
2) 1. c. 8. 1342 a. 1366.
3) 1. c. 8. 111 n. 113.
4) Ortner, Cit. n. Külbs im Handb. d. in». Med. v. Mohr Släbelin Bd. II,
S. 1121.
5) Heß, Med. Klin. 1920, S. 721.
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Über den Reststickstoffgeh< des Blutes usw.
105
rang des Lumens der zuführenden Arterien, oder besser gesagt
einer funktionellen Steigerung der bestehenden organischen Ver¬
engerung des Lumens der arteriosklerotischen Gefäße, die zu einer
transitorischen Behinderung der Blutzufuhr zum Nierenparenchym
fahrt Wir konnten nämlich bei unseren Fällen von benigner
Sklerose die Beobachtung machen, daß in den Zeitperioden, in denen
der RN-Spiegel im Blute erhöht war, auch andere Erscheinungen
auftraten. Von den sonstigen Zeichen renaler Funktionsstörung,
wie leichte Konzentrationsschwäche, überschießende Wasseraus¬
scheidung usw. wurde bereits oben gesprochen; außerdem aber
haben wir zu diesen Zeiten oft Polyurie und deutliche Nykturie
beobachten können. Aber auch Störungen des Allgemeinbefindens
und eine gestörte Tätigkeit anderer Organe trat in jenen Perioden
oft in erhöhtem Grade hervor. Viele Kranke klagten über Mattig¬
keit, Kopfschmerzen, Schwindel und Sehstörungen, manche zeigten
deutliche psychische Depression; bei anderen traten oft gehäuft
Anfälle von Asthma cardiale auf. Einzelne Kranke klagten auch
über heftige Schmerzen in der Niereugegend. Noch wichtiger er¬
scheint aber in diesen Fällen das Verhalten des Blutdruckes. Daß
der Blutdruck bei Arteriosklerotikern oft große Schwankungen
zeigt, ist ja bekannt. Auch Volhard 1 ) betont, daß bei den Fällen
von benigner Nierensklerose der Blutdruck eine große Labilität
zeigt. So erwähnt er Fälle, bei denen der Blutdruck von 230 mm
Riva-Rocci systol. binnen wenigen Tagen bei Bettruhe des Patienten
bis nahezu zur Norm abgesunken ist. Er nennt solche Fälle
„transitorische Hypertonien“. Auch wir konnten wiederholt ein
starkes Absinken des Blutdruckes, wie überhaupt starke Schwan¬
kungen desselben bei den Fällen von benigner Sklerose beobachten.
Dieses Absinken des Blutdruckes vollzog sich bei den Patienten,
die sich bei Bettruhe und schonender Diät in klinischer Beobach¬
tung befanden, recht häufig; oft zeigte es sich auch, daß der Blut¬
druck, wenn jene Kranken entlassen wurden und wieder ihrer ge¬
wöhnlichen Beschäftigung nacbgingen, wieder sehr schnell zur
früheren Höhe anstieg. Häufig ging dem Absinken des Blutdruckes
eine Besserung der allgemeinen Beschwerden und Symptome,
manchmal auch eine solche der renalen Funktionsstörung parallel.
Beispiele derartiger Schwankungen des Blutdruckes sehen wir nach¬
stehend.
1) L c. S. 1658 u. 1659.
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Klrin
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Patientin M. Sch.
Patient Heinrich 8eh.
am 21. XII. 175 nun Hg syst.
„ 28. XII. 145 „ „ „
n 13» I. 165 r> n r>
„ 28. I. 180 „ n „
« 2. TI. 195 n n n
» 22. n. 140 „ „ „
(River-
fiocci)
am 11. VI. 200 mm Hg syst.
„ 19. VI. 145 „ „ „
» 28. V T. 150 » «i t>
„ 10. Vin. 176 „ „ „
* 12. VIH. 150 „ „ „
Wir konnten aber anch Schwankungen innerhalb 24 Standen be¬
obachten, die für die Kürze der Zeit besonders hochgradig erscheinen;
so zeigte z. B. Patientin M. Sch.
am 26. I.
um
6*
abends einen
Blutdruck
von
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mm
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syst.
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Patientin
F.
K.
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am 26. X.
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V
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190
V
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v
11
2* :
nachmitt. „
n
n
200
n
n
*
Wir sehen dabei, daß der Blutdruck am Abend meist höher war
als bei Tag, und am Morgen meist niedriger als sonst zu einer Tages¬
zeit. J )
Es soll aber damit nicht gesagt sein, daß es sich hier um einen
strengen, etwa gesetzmäßigen Parallelismus zwischen der Höhe des Blut¬
druckes und der Schwere der klinischen Symptome, der renalen Funk¬
tionsstörung oder gar der Höhe des RN-Spiegels im Blute handelt. Da¬
von kann wohl gar keine Bede sein. Immerhin haben wir ziemlich oft
dieses Absinken des Blutdruckes während Bettruhe des Patienten mit
gleichzeitiger Besserung der klinischen Symptome beobachten können.
Ebenso fanden wir oft beim Eintritte des Patienten in die Klinik, als
seine Beschwerden ziemlich hochgradige waren, einen erhöhten RN-Wert
im Blut, während nach einiger Zeit, nachdem sich der betreffende Kranke
bei Bettruhe und Schonungsdiät erholt hatte und seine Beschwerden
fast geschwunden waren, der Wert für den RN im Blute normal ge¬
funden wurde.
Was wir aber aus den angeführten Beobachtungen entnehmen
können, sind zwei wichtige Tatsachen: 1. daß bei den Fällen von
benigner Nierensklerose, bei denen es sich meist um eine allge-
gemeine Arteriosklerose, jedenfalls aber um Arteriosklerose auch
anderer Qefäßgebiete handelt, periodische Störungen der Tätigkeit
1) cf. Siebeck (1. c. S. 227—229 u. S. 109) führt die Schwankungen des
Blutdruckes bei Arteriosklerose auf eine abnorme Einstellung des Vasomotoren-
zentrnms zurück.
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Über den Beststickstoffgehalt des Blotes naw. 107
verschiedener Organe Vorkommen; denn die oben geschilderten
subjektiven und objektiven Symptome können nur so gedeutet
weiden, daß es sich nm eine Störung der Organtätigkeit infolge
behinderter Blutzufuhr durch die arteriosklerotisch erkrankten
Arterien der betreffenden Organe handelt; 2. daß bei den Fällen
von benigner Sklerose der Eontraktionsznstand der kleinen Arterien
eine große Labilität auf weist, welche in den Schwankungen des
arteriellen Blutdruckes znm Ausdruck kommt. Und es ist wohl
sehr wahrscheinlich, daß beide Tatsachen in gewissem Sinne zu¬
einander in Beziehung stehen. Die periodischen Störungen der
Tätigkeit der verschiedenen Organe bei jenen Kranken können nur
darin ihre Ursache haben, daß es in ihrem arteriosklerotisch er¬
krankten Gefäßgebiet vorübergehend zu Zirkulationsstörungen in¬
folge periodisch bestehender Kontraktionszustände der kleinen
Arterien und Verengerung des Lumens derselben kommt. Beim
Nachlassen des Kontraktionszustandes wird die Zirkulationsgröße
wieder eine normale und die Organfunktion kann wieder ungestört
erfolgen. Für das intermittierende Hinken, für die intestinalen
Dyspraxien bei Sklerose der Mesenterialgefäße wird von den
meisten, für die Angina pectoris von vielen diese Genese der
Funktionsstörung angenommen. Es ist mehr als naheliegend, daß
die bei unseren Fällen von benigner Nierensklerose beobachteten
Störungen der Nierenfunktion der gleichen Genese sind. Es handelt
sich also hier nm zeitweise bestehende Störungen der Nieren-
fonktion, die ihre Ursache haben in periodischen Kontraktions-
zuständen der kleinen arteriosklerotisch erkrankten Nierenarterien
und Verengerung des Lumens derselben; auf diese Weise kommt
es zu einer Behinderung der Blutzufnhr zu den Parenchymzellen
der Niere. Es ist klar, daß bei der dadurch bedingten Abnahme
der Sauerstoffzufuhr und der Störung des Stoffumsatzes jene über¬
aus empfindlichen Parenchymzellen in ihrer spezifischen Tätigkeit
geschädigt werden müssen.
Sicherlich spielt hier auch der cardiale Faktor eine nicht un¬
wesentliche Rolle. Doch glauben wir, daß hier der Zusammenhang
ein anderer ist als ihn Volhard 1 ) und die oben genannten Autoren
annehmen. Anf keinen Fall kann bei unseren Fällen cardiale
Stauung als das die Funktionsstörung verursachende Moment in
Frage kommen. Vielmehr glauben wir, daß hier die Rolle des
Herzens die gleiche ist, wie sie beim Zustandekommen von Zir-
1) 1. c. 3. 1671—1676
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108
Kuhn
kulationsstörungen in der Niere auch sonst zu sein pflegt and wie
es Volhard 1 ) für das Zustandekommen der Ischämie bei der
malignen Sklerose in klassischer Weise darlegt. Hier soll der
Grad der resultierenden Zirkulationsstörung in der Niere von
2 Faktoren abhängig sein, 1. von dem Grad der arteriellen Ischämie,
bedingt durch die Größe des Hindernisses in der arteriellen Strom*
bahn und 2. von der Herzkraft, der Vis a tergo, die jenes Hindernis
zu überwinden bestrebt ist. Beim Nachlassen der Herzkraft muß
natürlich die Durchblutung verschlechtert werden und der Grad
der arteriellen Ischämie erhöht werden. Wir glaubeD, daß dieser
Zusammenhang auch bei der benignen Sklerose der gleiche ist.
Auch hier ist das Ineinandergreifen und die gegenseitige Ab*
hängigkeit beider Faktoren — des Hindernisses in der Peripherie
durch Verengerung des Lumens der arteriosklerotischen Arterien
und der kompensatorisch wirkenden jenes Hindernis überwindenden
Kraft des hypertrophischen Herzens — eine so innige, daß man
im konkreten Fall nicht sagen kann, wie viel von der vorliegenden
Zirkulationsstörung und Funktionsstörung auf Kosten des peripheren
Stromhindernisses (Enge des Arterienlumens) und wieviel auf das
Konto der unzureichenden Herzkraft zu setzen ist, die nicht im¬
stande ist, das Hindernis zu überwinden und die Zirkulation in
der Niere aufrecht zu erhalten. Maßgebend für die resul¬
tierende Zirkulationsgröße in der Niere ist eben das
Verhältnis zwischen, jenen beiden Faktoren 9 ). Ist
dieses gestört und tritt ein Mißverhältnis ein in dem Sinne,
daß die Herzkraft nicht mehr imstande ist, bei dem
Hindernis in der arteriellen Strombahn die Zirku¬
lation in der Niere aufrecht zu erhalten oder daß
umgekehrt durch Verengerung des Arterienlumens
(Kontraktionszustand der Arterie) bei der vorhan¬
denen Vis a tergo (Herzkraft) die Blutzufuhr zur
Niere gedrosselt wird und unter einen gewissen
Grad herabsinkt, dann wird jene von Volhard*) gekenn¬
zeichnete „kritische Linie“ erreicht, wo die für die spe¬
zifische Tätigkeit der Nierenzellen notwendige Zir¬
kulationsgröße nicht mehr gewährleistet wird; es
kommt dann zu einem mehr minder großen Ausfall in der Nieren-
1) 1. c. S. 1682—1984.
2) Eine ähnliche Vorstellung äußert Fahr. 1. c. Bd. 226, S. 119 u. 163.
3) I. c. S. 1686.
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Über den Beststickstoffgehalt des Blotes usw. 109
fanktion. Bei der malignen Nierensklerose ist jenes
Mißverhältnis mehr oder weniger immer da, so daß die
resultierende Zirkulationsgröße eine znr Aufrechterhaitang der
ungestörten Nierenfunktion stets unzureichende ist; daher ist
die Funktionsstörung eine konstante, so verschiedenen
Grades sie auch sonst sein mag. Dies stimmt ja auch mit unseren
Befunden, namentlich mit den gefundenen Werten für den RN,
die bei der malignen Sklerose, fast stets erhöht waren, überein.
Im Gegensatz dazu ist jenes Mißverhältnis bei den beni¬
gnen Formen der Nierensklerose nur vorübergehend
vorhanden, die Nierenfunktionsstörung daher nur
zeitweise bestehend.
Dies scheint auch durch die von Volhard und Fahr beschriebenen
Verschiedenheiten in den anatomischen Verhältnissen der beiden Formen
begründet zu sein. Bei der malignen Sklerose ist das Hindernis in der
arteriellen Strombahn ein quantitativ, vielleicht auch qualitativ anderes
als bei der benignen Sklerose; auf alle Fälle ist dort die Verengerung des
Lumens der kleinen Nierenarterien eine ganz besonders hochgradige, die
arteriosklerotischen Veränderungen (vielleicht handelt es sich auch um
obliterierende Endarteritis) sind besonders schwere. Das Hindernis
in der arteriellen Strombahn ist hier offenbar stets so groß, daß trotz
der kompensatorischen Arbeitsleistung des hypertrophischen Herzens die
für die intakte Tätigkeit notwendige Zirkulationsgröße in der Niere nicht
aufrecht erhalten werden kann. Bei der benignen Form sind offenbar
die anatomischen Veränderungen, die organischen Hindernisse in der
arteriellen Strombahn nicht groß genug; bei intakter Herzkraft wird die
Zirkulation in der Niere aufrecht erhalten. Erst wenn zu der bestehen¬
den organischen Verengerung der arteriosklerotischen Nierenarterien noch
«ine funktionelle Verengerung (erhöhter Kontraktionszustand) hinzukommt,
wird jenes Mißverhältnis erreicht, bei dem die Zirkulationsgröße in der
Niere unter die oben gekennzeichnete „kritische Linie“ sinkt, von
welcher angefangen eine Störung der Nierenfunktion resultieren muß.
80 wie bei der malignen Sklerose kann auch hier der 2. Faktor einen
Ausschlag geben in dem Sinne, daß z. B. bei Nachlassen der Herz¬
kraft (vorübergehende Schwächezustände des linken Ventrikels) jene
kritische Linie früher erreicht wird, da beim Nachlassen der vis a
tergo die Zirkulationsgröße natürlich viel schneller sinken muß. Auf
diese Weise spielt der cardiale Faktor beim Zustandekommen der Funk¬
tionsstörungen auch bei den benignen Sklerosen eine sicher nicht un¬
wesentliche Rolle.
Aus all dem geht aber hervor, daß die Grenze
zwischen benigner und maligner Form der Nieren¬
sklerose vom klinischen Gesichtspunkt wenigstens keine
scharfe sein kann: darauf weisen ja die ganzen Tatsachen
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mit großer Wahrscheinlichkeit hin. Ist doch in jenen Pe¬
rioden gestörter Nierentätigkeit, in denen der RN im
Blute erhöht gefunden wird, das Bild, das unsere Fälle von
benigner Sklerose darboten, sowohl in bezug auf klinische
Symptome, als anch in der Art der Nierenfunktionsstörung von
dem Bilde, das die leichteren Fälle der malignen
Form, insbesondere aber von dem Bilde, das diese
Fälle im Initialstadium zeigen, kaum zu unter¬
scheiden. Daß zwischen benigner und maligner Sklerose keine
scharfe Grenze besteht, daß die Entscheidung, welche von beiden
Formen im konkreten Falle die vorliegende ist, oft sehr schwer ist,
wird in letzter Zeit von verschiedenen klinischen Autoren immer
wieder betont (Siebeck 1 2 * ), Monakow*), Machwitz u. Rosen¬
berg*). Die beiden letztem und Sieb eck weisen insbesondere
darauf hin, daß Übergänge zwischen beiden Formen Vorkommen
und daß vor allem jede maligne Sklerose stets ein benignes- Vor¬
stadium besitzt, das allerdings nicht immer — oft auch anam¬
nestisch nicht — feststellbar ist, da es ohne größere subjektive
Beschwerden bestehen kann. Schließlich vertritt auch Volhard 4 * )
selbst eine ähnliche Anschanung: daß jede maligne Sklerose aus
einer benignen hervorgeht. Von anatomischer Seite wurde nament¬
lich von Löhlein 6 ) und Jores 0 ) darauf hingewiesen, daß zwischen
beiden Formen die Grenze keine scharfe ist nnd die Übergänge
fließende sind. Nach Löh lein unterscheidet sich ja die maligne
von der benignen Sklerose nnr durch die Intensität und Exten¬
sität der Gefäßveränderangen, indem hier bei der malignen Skle¬
rose die arteriosklerotischen Veränderungen der kleinsten Nieren-
arteriolen besonders schwere und daher die konsekutiven Ver¬
änderungen am Nierenparenchym besonders hochgradige sind
(Nephrosklerosis vascularis progress. seu pernic.). Demgegenüber
glanbt Jores, daß es sich bei der benignen Form bloß um eine
herdförmige Ausbreitung, bei der malignen aber um eine diffuse
Ausbreitung der Veränderungen handelt. Auch Rosenthal (1- c.)
1 ) 1. c. S. 164.
2) 1. c. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 133, S. 129
8 ) 1. c.
4) 1. c. S. 1682—1684. Es heißt dort wörtlich (S. 1683): „Wir müssen da¬
her annehmen, daß in dem Vorstadium der bösartigen Sklerose die Erkrankung
einen gutartigen Charakter besessen hat“, s. auch bei F ah r (Bd. 226, S. 119n. S. 169)
6 ) 1. c.
6 ) 1. c. Bd. 221, S. 14
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Über den Reststickstofigehalt des Blutes usw.
111
hebt hervor, daß vom anatomischen, aber auch vom klinischen Stand¬
punkte zwischen benigner und maligner Form der Nierensklerose nur
rein quantitative aber keine qualitativen Unterschiede bestehen. Die
entgegengesetzte Anschauung vertritt vor allem Fahr 1 2 ); nach ihm
ist die maligne Sklerose von der benignen in bezug auf die anato¬
mischen Veränderungen verschieden, verschieden auch in bezug auf
die Pathogenese und* das Wesen des ganzen pathologischen Prozesses.
Bei der letzteren handelt es sich um rein arteriosklerotische Verän¬
derungen in den Arterien und deren Folgeerscheinungen, die Ätiologie
fällt hier mit der der Arteriosklerose zusammen; bei der ersteren (auch
Kombinationsform genannt) herrschen neben arteriosklerotischen Ver¬
änderungen entzündliche vor, im Sinne einer obliterierenden End-
arteritis, die Ätiologie ist hier neben der, die zur Arteriosklerose führt,
noch in besonderen spezifischen Noxen gelegen (Lues, Blei, Gelenk¬
rheumatismus u. a.). Erstere befällt vor allem ältere Individuen, bei
denen die Arteriosklerose vorherrscht, während letztere auch bei
jüngeren Individuen vorkommt. Doch erkennt auch Fahr in seinen
letzten Arbeiten*) an, daß es Grenzfälle gibt, die zwischen beiden
Formen stehen. Unser eigenes klinisches Beobachtungsmaterial weist,
wie gesagt, mit Sicherheit darauf hin, daß der Unterschied zwischen
beiden Formen ein rein quantitativer ist und daß die Übergänge
fließende sind. Denn die durch Zirkulationsstörung her¬
vorgerufene Schädigung der Nierenfunktion, jenes
Moment, das vom klinischen Standpunkt als das wichtigste anzu¬
sehen ist, ist bei beiden vorhanden. Der Unterschied
ist nur der, daß jene Zirkulationsstörung und Fnnk-
tionsschädigung hier, bei der benignen Form, eine
vorübergehende, weil z. T. funktionell bedingte,
während sie dort, bei der malignen Form, eine kon¬
stante, weil bereits anatomisch fixierte, ist Es liegt
doch sehr nahe, daß immer wiederkehrende funktionelle Verände¬
rungen, wie die Kontraktionsznstände der kleinen Arterien schlie߬
lich anatomisch fixiert werden. Dies soll ja überhaupt der gewöhn¬
liche Vorgang — so nehmen viele an — bei der Entstehung der
Arteriosklerose sein. Daher befinden sich alle Fälle von
benigner Sklerose in allmählichem Übergang auf
dem Wege zur malignen Form. Was das Schicksal der
Veränderungen in der Niere und damit auch das Schicksal des
1) L c. bes. Bd. 226, S. 119.
2) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 134, S. 336. Virck. Arck. Bd. 226, S. 137.
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112
Klbik
Kranken entscheidet ist die Verlaufsart, das heißt die
Schnelligkeit der Entwicklung der Veränderungen. Bei einer
großen Zahl der Fälle bleiben bis zum Tode die klinischen Er¬
scheinungen der benignen Sklerose bestehen, die Obduktion ergibt
die Veränderungen der blanden Sklerose, weil die Kranken bei
dem langsamen Verlauf ihres Leidens das maligne Stadium nicht
erleben, sondern zuvor aus irgendeiner Ursache (Hämorrhagie
cerebri, Herzinsufficienz usw.) zugrunde gehen. Auf diese Be¬
deutung der Verlaufsart, des Tempos beim Zustandekommen der
Unterschiede in den klinischen Erscheinungen und anatomischen
Veränderungen bei beiden Formen hat mit besonderem Nachdruck
zuerst Volhard 1 ) aufmerksam gemacht. In seiner neuen Mono¬
graphie, in der er in bezug auf die Pathogenese der beiden
Formen der Nierensklerose einen mehr unitaristischen Standpunkt
einnimmt, bezeichnet Volhard die verschiedene Verlaufs¬
art als den wesentlichsten Unterschied zwischen den
beiden Formen. Auch die Beobachtungen an unseren Fällen
lassen es wahrscheinlich erscheinen, daß bei vielen Kranken die
anfangs vorübergehenden Störungen der Nierenfunktion später kon¬
stante werden, wenn die Kranken nicht zuvor aus anderer Ur¬
sache sterben. Sowohl die Intensität jener periodischen Störungen
der Nierenfunktion, als auch die Häufigkeit des Auftretens der¬
selben war bei den verschiedenen Fällen unseres Beobachtungs¬
materials verschieden. Wir sahen hier alle Abstufungen von
völlig normalem Verhalten während der ganzen Be¬
obachtungsdauer bis zu ziemlich deutlichen oft sich
wiederholenden, wenn auch stets vorübergehenden
Störungen der Nierenfunktion mit einem recht wesent¬
lichen Anstieg des RN im Blute. Wir können hier beinahe von
einer kontinuierlichen Reihe von fließenden Über¬
gängen zur malignen Form der Nephrosklerose sprechen.
Nun kommen wir zu der Frage, welche anatomischen Ver¬
änderungen in unseren h'ällen Vorlagen. Von den untersuchten
Fällen von benigner Sklerose kamen nur 5 Fälle zur Sektion,
d. i. nicht ganz 10 a / 0 unseres Beobachtungsmaterials an benigner
Sklerose. Es wurde bereits erwähnt, daß bei allen 5 Fällen der
Tod aus cardialer Ursache erfolgte. Die Niere zeigte das Bild
der Granularatrophie mit Arteriosklerose der kleinen Nieren-
1) 1. c. S. 1682-1684, S. 1652.
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113
Über £en Reststickstoffgehalt des Blutes usw.
arteriell (rote Granularniere, Jo res), was also dem Bilde der
benignen Sklerose von Volhard nnd Fahr entspricht. Gef&ß-
veränderungen und Parencbymveränderungen, wie sie die maligne
Form charakterisieren, fehlten hier. Wir halten uns natürlich nicht
ffir berechtigt, aas dieser nur geringen Anzahl von vorliegenden
Sektionsbefanden einen Schluß anf die bei unseren übrigen Fällen
vorhandenen anatomischen Veränderungen zu ziehen. .Es ist gewiß
nicht mit Sicherheit aaszuschließen, daß die Störung der Zirku¬
lation in der Niere, welche die von uns konstatierten Funktions¬
störungen verursachte, nicht in manchen der Fälle rein funktioneller
Genese gewesen ist. Doch ist dies, wie zugegeben werden muß,
sehr unwahrscheinlich. Denn wir wissen erstens, daß vorwiegend
in den Gefaßgebieten Kontraktionszustände (Gefäßkrämpfe) Vor¬
kommen, welche arteriosklerotisch erkrankt sind. Von den Er¬
scheinungen des intermittierenden Hinkens und den Funktions¬
störungen in anderen Organen, die bei Arteriosklerose auftreten
and wohl durch Kontraktionszustände der Gefäße hervorgerufen
werden, können wir mit Bestimmtheit sagen, daß sie vornehmlich
in d e n Organen auftreten, deren Arterien schwere Veränderungen
im Sinne von Arteriosklerose zeigen. Zweitens waren in allen
anseren Fällen deutliche Zeichen von Arteriosklerose anderer Ge-
faßgebiete vorhanden. Auch am Augenhintergrund bestanden bei sehr
vielen Fällen arteriosklerotische Veränderungen. Drittens befanden
sich alle Fälle in einem Alter (über 40, die meisten über 50 Jahre),
in welchem die Arteriosklerose dominiert. Aus all dem dürfen wir
also mit größter Wahrscheinlichkeit schließen, daß es sich in allen
anseren Fällen um arteriosklerotische Veränderungen in den Nieren¬
arterien und deren Folgen oder kurz nm eine Nephrosklerose
(benigne Form derselben) gehandelt hat.
Hier sind wir nun auch bei den viel diskutierten Fragen nach den
Beiiehungen zwischen Arteriosklerose und Hypertonie einerseits, zwisohen
Hypertonie und Nierenerkrankung andererseits, sowie der Frage nach der
Pathogenese der Hypertonie überhaupt angelangt. Es kann hier nicht
4er Ort sein, diese Fragen in ihrer Gänze aufzurollen. Immerhin ergibt
sieh notwendigerweise eine Stellungnahme insofern, als die vorge brachten
Beobachtungen das Material dazu liefern. Gleich eingangs erwähnten
wir bereits, daß heute die Mehrzahl der Autoren, Kliniker und Anatomen,
in bezug auf die ersten 2 Fragen den Standpunkt vertreten, daß die
Hypertonie bei Arteriosklerose eine von der Niere unabhängige Erschei¬
nung ist. Die Fräkapillarsklerose, Arteriolosklerose, permanente Hyper¬
tonie, essentielle Hypertonie oder der essentielle Hochdruck der verschie¬
denen Autoren (Jores, Münzer, Müller, Krehl, Monakow,
Drotecbee Archiv für klln. Medizin, iss. Bd. 8
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114
Klkin
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B. Schmidt, Pal, Janowski, 1 2 3 ) Munk*) n. a.) ist eine JSrkran«
knng der kleinen präkapillaren Artenden, eine den ganzen Kreislauf be¬
treffende Systemerkrankung, deren Kardinalsymptom die Hypertonie ist.
Gleichgültig, ob anatomische Veränderungen an den Artenden das Pri¬
märe sind (Arteriokapillarfibrosis v. Gull und Sutton) 8 ) oder ob
funktionelle Kontraktionszustände derselben, eine allmählich zunehmende
Hypertrophie der Elastica oder Muscularis (Johnson, 8 ) Präsklerese
V. Huohard) den degenerativen Veränderungen in den Gefäßen voran¬
gehen, das Wesentliche und Wichtige ist, daß diese Erkrankung und ihr
wichtigstes klinisches Symptom der erhöhte Blutdruck ohne Nieren¬
affektion Vorkommen können und von dieser unabhängig sind. Letztere
hat nur die Rolle einer subordinierten, wenn auch häufigen und klinisch
wichtigen Begleiterscheinung. Demgegenüber hat die Ansicht Bon-
b erg’s (1. c.) und seiner Schüler, daß bei allen Fällen von hoher per¬
manenter Hypertonie dieses Symptom durch das Vorhandensein einer
chronischen interstitiellen Nephritis bedingt wird, weniger Anhänger.
Die vermittelnde Anschauung, die früher schon von Leyden (1. c.) und
Senator, 4 5 ) heute in moderner Fassung insbesondere von Volhard
und Fahr vertreten wird, 6 * ) betont vor allem die klinisch und anatomisch
immer wieder zutage tretende Beziehung zwischen permanenter Hyper¬
tonie und der Erkrankung der Nierengefaße. In der Tat scheint letzter»
Ansicht, die in gleicher Weise das klinische und anatomische Material
berücksichtigt, den Tatsachen am nächsten zu kommen. Auch auf Grund
unseres Materials glauben wir, daß letztere Anschauung sehr viel für
sich hat. Wenn wir auch von unseren nicht sehr zahlreichen Sektion»-
befunden absehen wollen, so müssen wir doch auf Grund der Tatsache,
daß wir bei der Mehrzahl der Fälle von permanenter hoher Hypertonie,
bei fast allen, die wir längere Zeit beobachten konnten, Störungen *) der
Nierenfunktion festgestellt haben, die, wie wir auegefuhrt haben, nur in
Zirkulationsstörungen infolge Sklerose der kleinen Nierenarterien ihre
Ursache haben mußten, zugeben, daß unsere Beobachtungen mit eine
Stütze für jene 3. Anschauung bilden. Auch sonst erinnern wir uns,
abgesehen von den in dieser Arbeit mitgeteilten Fällen, meistens bei den
Kranken, bei welchen während der klinischen Beobachtung eine perma¬
nente hohe Hypertonie bestand, bei der Sektion Veränderungen in den
Nieren, so gut wie immer arteriosklerotische Veränderungen in den
Nierenarterien gesehen zu haben.
Zur Frage nach der Pathogenese der Hypertonie als Symptom der
Nierenerkrankung können wir auf Grund unseres Materiales noch weniger
Stellung nehmen als zu den beiden anderen oben genannten Fragen.
Die Anschauungen sind ja hier noch mehr geteilte und noch mehr in
1) Janowski, Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 80, S. 401.
2) 1. c.
3) Cit. nach Volhard.
4) I. c.
5) Auch Strauß (1. c. S. 95) nimmt eine Stellung ein, die dieser Anschauung
nicht fernsteht.
*) sc. periodisch bestehende Störungen.
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Über den Reststicketoffgehalt des Blutes usw.
115
Entwicklung befindliche. Nach den einen handelt es sioh um einen Ton
der Niere (den Nierengeläßen und dem Glomeruluaapparat) ausgelösten
BeflexYorgang (M. B. Schmidt, 1 2 * ) Loeb, *) Volhard); 8 9 ) von hier
ans soll ein Kontraktionssnstand der kleinen Arterien des ganzen Körper¬
kreislaufes ausgelöst werden. Weloher Art dieser Reflex ist, welchen
Weg er nimmt (Vasomotorenaentrum ?), welche Rolle dabei die Neben¬
niere and das Adrenalin (Volhard 5 6 , 4 ) Wiesel, Schur) spielt, erscheint
von sekundärer Bedeutung. Die andere, bereits alte Theorie von der
Rolle der Blntvermehrung (Plethora vera) beim Zustandekommen der
Hypertonie scheint nenerdings wieder Anhänger zu gewinnen (Jawein). 8 )
Auoh Volhard 4 ) erkennt ihr eine gewisse Bedeutung zu. Die dritte
Ansicht, die heute noch Geltung hat, ist die von der toxischen Genese
der Hypertonie bei Nierenerkrankungen, daß nämlich die durch die in-
sufficiente Niere nicht ausgesohiedenen stickstoffhaltigen Schlacken des
Stoffwechsels die Hypertonie hervorrufen (Senator, 7 ) Strauß, 8 )
Müller), *) ja daß die die Hypertonie erzeugenden Substanzen vielleicht
identisch sind mit denen, welche die echte Urämie hervorrufen (Müller
1. c.). Unsere Befunde geben, wie gesagt, keiner dieser Ansichten reoht,
noch widersprechen sie einer derselben. Es wird ja wohl überhaupt
schwer möglich sein, jener Frage von klinischen Beobachtungen und
Untersuchungen ausgehend näher zu treten. Keinesfalls können wir
sagen, daß unsere Resultate für die letztgenannte Theorie sprechen,
daß etwa die im Blute angehäuften Stoffe des RN die Hypertonie er¬
zeugen. So viel ist sicher, daß man zu Zeiten die höchsten
Blutdruckwerte bei Kranken feststellen kann, ohne daß
der RN im Blute erhöht gefunden würde. Eher könnte man
von einem in gewissen Sinne umgekehrten Verhältnis sprechen: Daß der
Kontraktionszustand der kleinen Arterien der Niere, der oft mit einem
solchen der übrigen kleinen Arterien des Körperkreislaufes vergesell¬
schaftet ist und dann in einer Hochstellung des Blutdruckes seinen Aus¬
druck findet, zur Zirkulationsstörung in der Niere führt und auf diese
Weise selbst in gewissem Sinne zur Ursache für den Anstieg des RN
im Blute wird. Immerhin glauben wir, daß man bei strenger Kritik der
vorliegenden Tatsachen auch heute noch nicht berechtigt ist, die Theorie
von der toxischen Genese der Hypertonie bei Nierenerkrankungen als
erledigt anzusehen. Die von Strauß 10 ) hervorgehobene Tatsache, daß
vornehmlich jene Arten von Nierenerkrankungen mit Hypertonie einher¬
gehen, die eine Neigung zur Retention N-haltiger Schlacken des Stoff-
1) M. B. Schmidt, Verhandl. des deutsch, path. Ges. 1905.
2) Loeb, Deutsch. Arch. f. klin. Med. Bd. 86, S. 348.
3} 1. c. S. 1297 ff.
4) 1. c. S. 1291 u. 1299.
5) Ja wein, Berliner klin. Wochenschr. 1920, S. 869.
6 ) L c. S. 1284.
7) 1. c. S. 126 u. a. 0.
8 ) 1. c. S. 91-93 u. 96-97.
9) 1. c.
10 ) 1. c.
8 +
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116
Kuhn
Wechsels besitzen, der Umstand ferner, daß die Substanzen des RN ins
Blnt injiziert, eine Blntdraeksteigernng bewirken (Backmann),*) sind
doch wichtige Momente, die nicht außer Acht zu lassen sind. Audi
die Befunde, daß bei Kranken mit hoher Hypertonie der RN-8piegel
im Blute oft normal gefunden wird, widersprechen vielleicht nur schein¬
bar jener Theorie. Nach neueren Untersuchungen (Becher,*) Mona¬
kow)*) besteht nämlich ein Gefälle zwischen dem RN-Gebalt der Ge¬
webe und dem des Blutes *) der Art, daß die Gewebe meist relativ mehr
RN enthalten als das Blut. Die Gewebe zeigen die Eigenschaft die
Stoffe des RN zu speichern und bei Retention des RN durch die Nieren
steigt derselbe im Blute erst dann an, wenn die Gewebe gesättigt sind.
Demnach ist es sehr wohl möglich, daß in den Fällen von Hypertonie
(vielleicht auch bei den von uns beobachteten), bei denen die Höhe des
RN-Spiegels im Blute normal gefunden wird, dooh eine Retention be¬
steht und der retinierte RN in den Geweben angehäuft ist. Es bestünde
dann auch die Möglichkeit, daß die in den Geweben angehäuften toxischen
Substanzen des RN eventuell von einem zentralen Angriffspunkt aus
(Medulla oblongata, Vasomotorenzentrum) die Hypertonie erzeugen.
Es ist wohl einzusehen, daß das alles für den Kliniker vor¬
läufig nur den Wert von Hypothesen hat Den Eindruck wird
man aber nicht von der Hand weisen können, daß die Rolle der
Niere bei der Pathogenese der Hypertonie, wenn auch keine aus¬
schließlich dominierende, so doch eine sehr große ist. Zwar sprechen
gewisse Beobachtungen von hoher Hypertonie ohne Veränderungen
an der Niere (Pal, 1 2 * 4 5 6 ) R. Schmidt 6 )), vielleicht dagegen. Dem¬
gegenüber stehen die Befunde von Fahr nnd v. Romberg and
seinen Schülern von Fällen mit starker Herzhypertropbie and
Hypertonie ohne Veränderungen in den kleinen präkapillaren
Arterien de3 übrigen Körperkreislaufes, ferner Befunde von Herz¬
hypertrophie und Hypertonie, wo bei der Autopsie nur in den
kleinen Nierenarterien hochgradige Veränderungen gefunden worden.
Diejenigen Autoren, die das größte Material von arteriosklerotischen
Hypertonien (bzw. Nierensklerosen) klinisch und anatomisch be¬
arbeitet haben (Volhard u. Fahr, Harpuder) betonen, daß die
Beziehung von Hypertonie und Veränderungen am Gefäßapparat
der Niere eine in die Augen fallende sei. So betont Fahr (L c.),
daß sich bei den Fällen von permanenter hoher Hypertonie — nur
solche kommen hier in Betracht — zumeist deutliche Verände-
1) Cit. nach Volhard.
2) Becher, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 128, S. 1, u. Bd. 129, S. 1.
8) 1. c.
4) Vgl. auch Löwy u. Men dl (1. c.).
5) Pal, Med. Klin. 1919, S. 662.
6) 1. c.
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Über den Restatickatoffgehalt des Blntes usw.
117
rangen in den kleinen Nierengefäßen nachweisen lassen. An einem
fiberaas großen Material zeigt ferner Harpuder, 1 2 3 ) daß bei den
Fällen von permanenter hoher Hypertonie (über 160 mm Riva-Rocci
max.) in 90 % der Fälle St&rangen der Nierenfanktion vorhanden
sind and sich in fast 100% bei der Autopsie Veränderungen an
den Nieren vorfinden. Eine zweite Tatsache, die für die große
Bedeutung der Niere oder besser des Qefäßapparates der Niere
bei der Genese der Hypertonie spricht, ist die Blutdrucksteigerung
beider akuten diffusen Glomerulonephritis. Hier sehen wir die gewaltige
Reaktion der Blntdrncksteigerung binnen wenigen Tagen eintreten.
Es läßt sich wohl der Einfluß, den der Gefäßapparat der Niere
auf den Kontraktionsznstand der gesamten Arteriolen des Kreis-
laufes, somit auch auf den Blutdruck ausübt, kaum verkennen.
Sehen wir doch gerade bei den Nierenerkrankungen
Blutdrucksteigerung auftreten, bei denen derGefäß-
apparat der Niere (Nierenarterien und Glomerulus) mit¬
ergriffen ist (diffuse Glomerulonephritis und Sklerose) (Vol-
hard*)). Es trifft wohl mit das Wesentliche dieses Zusammen¬
hangs, wenn Fahr*) u. Strauß 4 * ) zu seiner teilweisen Erklärung
darauf hinweisen, daß der Gefäßapparat der Niere den übrigen
Gefäßgebieten des Organismus gegenüber eine Sonderstellung 6 )
einnimmt. Denn in der Niere hat der Gefäßapparat nicht nur die
Aufgabe der Blutzufuhr, sondern er tritt in Form des Glomerulus-
apparates und seiner Schlingen zur Funktion des Organes selbst
in innigste Beziehung, so daß es begreiflich erscheint, daß Erkran¬
kungen und Schädigungen daselbst bei der Wichtigkeit jener
F'unktion*) große Wirkungen auf entfernte Teile im Organismus
ausüben. Es übt auch kein anderes Organ eine solche Fernwirkung
in kürzester Zeit auf den ganzen Zirkulationsapparat, speziell auf
die Einstellung des Tonus der kleinen Arterien aus, wie die Niere.
Es mag zutreffen, daß die Arteriosklerose der kleinen Arterien die
primäre Veränderung ist, eine Folge der Abnützung durch die
Schädigungen des Lebens, zu einer permanenten hohen Hypertonie
kommt es aber vorzüglich dann, vielleicht überhaupt erst dann,
1) I. c.
2) L c.
3) 1. c. Bd. 226, S. 119 u. S. 176.
4) ). c.
6) Siehe die grundlegenden A,nsführnngen bei Stranfi (1. c. S. 961.
6) Durch den Einflnfi, den die Nierentätigkeit auch auf die Blntbeschaffen-
beit nimmt.
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118
Klkik
wenn die kleinen Nieren&rterien mitergriffen werden
und die Blntznfnhr znr Niere behindert ist
Gerade hier ergibt sich ein Gesichtspunkt, der für das Ver¬
ständnis der Bolle des Gefäßapparates der Niere bei der Genese
der Hypertonie mit der wichtigste ist: das ist der biologische.
Eine einerseits im ganzen Organismus so eingreifende, andererseits
in der menschlichen Pathologie so verbreitete mächtige Reaktion,
wie sie die Blntdrucksteigernng darstellt, ist vom biologischen
Standpunkt aus nicht anders faßbar als ein Kompensations Vorgang,
eine Regulationseinrichtung. Am einleuchtendsten ist es, wenn
man, wie dies viele Forscher 1 ) taten, annimmt, daß Herzhyper¬
trophie und Hypertonie als kompensatorische Kräfte wirken gegen¬
über Hindernissen im renalen Kreislauf und diese Hindernisse fiber¬
windend die Zirkulation in der Niere aufrecht erhalten. Mit dem
Erlahmen jener Kräfte und der Stagnation der Blutzufuhr zur
Niere ist das Leben unvereinbar, wie es uns die menschliche Patho¬
logie ja immer wieder vor Augen fuhrt. Es ist das Phänomen der
Hypertonie vom biologischen Standpunkt fast nur so verständlich*
wenn wir sie für eine Kompensationseinrichtung, für einen im
Laufe der Phylogenese erworbenen Regulationsmechanismus im
Sinne der Biologie ansehen, der dann in Aktion tritt, wenn die
Blutznfubr zur Niere und damit die Harnbereitnng gestört ist
Fassen wir unsere Resultate kurz zusammen, so müssen wir
sagen, daß wir unter mehr als öO Fällen von hoher arteriosklero¬
tischer Hypertonie, von denen der größte Teil in länger dauernder
klinischer Beobachtung stand, in mehr als */ 8 der Fälle vorüber¬
gehend Störungen der Nierenfunktion feststellen konnten. Unter
diesen periodisch nachweisbaren Störungen waren vor allem vor¬
übergehende mäßige Erhöhungen des RN-Spiegels im Blute
am auffallendsten. Häufig konnten wir in den Fällen auch
Störungen der Tätigkeit anderer Organe beobachten, die ihrer
Natur nach als durch Arteriosklerose des betreffenden Gefäßgebietes
bedingt aufgefaßt werden mußten; oft traten letztere Störungen
gerade in jenen Perioden gestörter Nierenfunktion stärker hervor,
ebenso zeigten nicht selten die subjektiven Beschwerden der
Kranken zu diesen Zeiten eine auffallende Verschlechterung. Die
hierher gehörenden Fälle mußten ihrem klinischen Symptomenbild,
sowie dem Verhalten der Nierenfunktion nach (außerhalb jener
1) cf. Strauß, 1. c.; Bier, Münchener med. Wochenachr. 1900, H. 16 n.
xl Volhard (1. c .).
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Über den Beststickstoffgehalt des Blntes usw. 119
Perioden!) unter die Formen gezählt werden, die von Volhard
und Fahr als benigne oder blande Nierensklerose cherakterisiert
wurden. Demgegenüber zeigte eine Anzahl von Fällen, die nach
der von Volhard gegebenen Charakterisiemng als maligne Nieren¬
sklerosen aufgefaßt werden mußten (sämtliche mit Retinitis albu¬
minurica!) eine stets gestörte Nierenfunktion; insbesondere war
der auch hier wiederholt bestimmte RN-Spiegel im Blute stets er¬
höht Die periodischen Störungen der Nierenfunktion bei den
Fällen von benigner Sklerose können nicht durch cardiale Stauung
erklärt werden; denn mit wenigen Ausnahmen zeigten die be¬
obachteten Fälle keine Zeichen von allgemeiner Herzinsufficienz
und keine Stauung in den Venen des großen Kreislaufes. Die
einzig mögliche Erklärung für jene periodischen Störungen
der Nierenfunktion bei den benignen Sklerosen ist die, daß bei
vorhandener Arteriosklerose der kleinen Nierengefäße (Arterio¬
sklerose) zeitweise erhöhte Zirkulationsstörungen jene Störungen
der Nierenfunktion herbeiführen; dieses vorübergehende Sinken
der Zirkulationsgröße hat wahrscheinlich zum großen Teil seine
Ursache in einer Erhöhung des Hindernisses in der
arteriellen Strombahn, durch funktionelle Kontrak¬
tionszustände der kleinen Nierenarterien, analog denen, wie sie
bei Arteriosklerose anderer Gefäßgebiete mit konsekutiver Störung
der Organfunktion schon lange bekannt sind. Eine gewisse Rolle
muß auch gewissen vorübergehenden Schwächezuständen des linken
Ventrikels mit Abnahme der treibenden Kraft (Vis a tergo) beim
Zustandekommen jener Zirkulationsstörungen zuerkannt werden.
Im Gegensatz dazu dürfte bei der malignen Sklerose das Zirku¬
lationshindernis überwiegend durch hochgradige anatomische
Veränderungen in den kleinen Arterien der Niere bedingt sein;
infolge des hier mehr anatomisch fixierten Hindernisses zeigen
auch Zirkulations- und Funktionsstörung ein mehr konstantes
Verhalten.
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120
Aus der medizin. Klinik Wttrzburg.
Über das Verhalten der Typhnsbazillen gegenüber den
baktericiden Kräften des Blntes.
Von
Dr. L. Bogendörfer,
Assistent der Klinik.
Bakterämien sind beim Typhus abdominalis eine regelmäßige
Erscheinung; doch gelingt es bei den einzelnen Fällen nicht, zu
allen Zeiten während der Erkrankung aus dem Blute die Typhus-
bezillen zu züchten, auch bestehen erhebliche Tagesschwankungen
in der Menge der im Blut befindlichen Keime. Faßt man neben
diesen klinischen Erscheinungen die Tatsache ins Auge, das in
vitro Typhusbazillen rasch den baktericiden Einflüssen des Blutes
erliegen, so ist wohl der Schluß zulässig, daß die in den Blutkreis¬
lauf gelangten Typhuskeime dort zugrunde gehen.
Die Tatsache jedoch, Typhusbazillen trotz ihrer geringen Wider¬
standskraft den keimvernichtenden Kräften des Blutes gegenüber
auf bluthaltigen Nährböden zu züchten, wurde als merkwürdige
Erscheinung Gegenstand eingehender Untersuchungen, besonders
von Stern und seinen Schülern. Man glaubte annehmen zu
können, daß die im Blut befindlichen Keime eine Art von Immu¬
nität gegen die blutbaktericiden Kräfte sich erworben hätten und
sie deshalb im Gegensatz zu Laboratoriumsstämmen resistent
gegenüber der Baktericidie des Blutes wären.
Daß aber trotzdem auch die dem Blute Typhöser entstammen¬
den Typhusbazillen Einwirkungen durch die baktericide Kraft des
sie beherbergenden Blutes erleiden, erhellt sich aus Beobachtungen
Schottmüller’s. Bei der Züchtung von Typhusbazillen wachsen
im Gegensatz zu Blutnährböden, denen Galle zugesetzt ist, ledig¬
lich auf Blutplatten (Mischung von je 2—3 ccm Yenenblut mit
5 ccm Agar) wenige Keime; man muß also annehmen, daß eine
nicht unbeträchtliche Anzahl von Keimen entweder abgetötet
wurde oder sich jedenfalls nicht zur Kolonie vermehrte. Auch der
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Über das Verhalten der Typhosbaeillen usw.
121
Umstand, daß die aufgehenden Kolonien erst nach Ablanf einer
viel längeren Spanne Zeit sich zeigen als auf den gallehaltigen
Nährböden, gilt Schottmüller als Beweis für die hier wirkenden
baktericiden Kräfte des Blutes.
In einer in jüngster Zeit aus der Klinik Schottmülle r’s
hervorgegangenen Arbeit von Weinberg, „Über die Blutbakte-
ricidie des Menschenblutes gegenüber der Typhus-Coligrnppe“ wurde
wiederum die starke bakterienvernichtende Kraft des Menschen¬
blutes Typhusbazillen gegenüber betont. Unterschiede in dem
Verhalten verschiedenartiger Typhusstärome wurden dabei nicht
beobachtet. In früheren Arbeiten dagegen, speziell in der von
Marmann mit dem Ziel ausgeführten, die Blutbaktericidie als
diagnostisches Hilfsmittel zu verwenden, wurde immer die unter¬
schiedliche Widerstandsfähigkeit von Typhuskeimen hervorgehoben.
Ich hielt es deshalb nicht für unwichtig, nochmals Versuche zur
Klärung der Frage anzustellen, ob gesetzmäßige Unterschiede in
der Resistenz der Typhuskeime gegenüber dem menschlichen Blut
festzustellen sind unter Berücksichtigung der Herkunft der einzelnen
Stämme.
Eine Reihe von baktericiden Plattenversuchen mit verschiedenen
Typhusstämmen sollte darüber Aufklärung verschaffen und zwar
wurden verwendet
1. Stämme, die frisch aus dem Blute Typböser gezüchtet waren;
2. Stämme aus dem Stuhl von Typhuspatienten;
3. ein aus dem Harn gezüchteter Stamm;
4. verschiedene Laboratoriumsstämme.
Die Stämme wurden auf Agar gezüchtet. Die Versuchsanord-
nnng war folgende: Das unter sterilen Kautelen der Versuchsperson
entnommene Blut wurde durch Schütteln in einem Glasperlen ent¬
haltenden Pulverglas defibriniert, 6 ccm davon in einem Reagenzglas
mit 0,1 ccm einer hochgradig verdünnten Bouillon-Bakterienauf¬
schwemmung beimpft und davon dann sofort nach der Beimpfung,
nach 3, 6 und 12 Stunden Blutplatten gegossen. Die zu diesen
Versuchen angewandte Technik entspricht der von Schott¬
müller zum „Virulenzversuch“ angegebenen. Sie unterscheidet
sich von der von Stern und Marmann benutzten, wo lediglich
das Serum verwendet wurde und von der Methode von Epp¬
stein und Körte, die durch Natriumoxalat flüssig erhaltenes
Blut zur Anwendung brachten. Dabei waren folgende Gründe
maßgebend bei der Anwendung dieser Technik: Bei ausschlie߬
licher Verwendung des Serums können zwar durch fallende Ver-
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122
Bogindöbybb
dünnnngen feinere Unterschiede be¬
obachtet werden; aber die Blutbak-
tericidie ist zweifellos sowohl von den
Corpnsculären als anch von den flüssigen
Blutbestandteilen abhängig. Defibri-
niertes Blut-wurde verwendet nnd nicht
solches, wo durch chemische Zusätze
die Gerinnung aufgehoben war, weil
dies Verfahren am wenigsten Fehler¬
quellen bir&t.
Bei meinen Versuchen waren stete
die aus dem Blute und dem Stuhl
der einzelnen Typhuspatienten ge¬
züchteten Stämme gleich alt
Zur Veranschaulichung der Ergeb¬
nisse dieser Versuche siehe Tabelle I.
Bei Fall 1 nnd II wurde das bei
der Entnahme steril befundene Blut
der Typhuskranken verwendet, ans
deren Blut einige Tage vorher die be¬
treffenden Stämme gezüchtet waren.
Das Blut von Fall III stammt von
einem Typhusrekonvaleszenten, im
Fall IV und V wurde Blut von Ge¬
sunden in Anwendung gebracht.
Bei allen Fällen wurden jedesmal
verschiedene Typhnsstämme geprüft;
bei den Versuchen mit Blut von Re¬
konvaleszenten und Gesunden wurden
auch mehrfache Paralleluntersuchungen
vorgenommen.
Es zeigte sich bei all diesen Fällen,
daß in vitro die Typhusbazillen der
Einwirkung der keimvernichtenden
Kräfte im Blnte erliegen; bei den ans
dem Stuhl gezüchteten Stämmen nnd
solchen, die schon längere Zeit auf
künstlichen Nährboden wuchsen (La¬
boratoriumsstämme) erfolgte die Keim¬
vernichtung schon innerhalb von 12
Stunden. Im Gegensatz dazn fanden
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Über daa Verhalten der Typhnsbazillen usw.
123
sich hei den mit Blutstämmen* geimpften Reagenzröhrchen noch
regelmäßig nach 12 Standen lebensfähige, bei der Anssaat auf
Platten sich zu Kolonien vermehrende Keime. Nach 24 Stunden
allerdings waren auch von diesen Blutstämmen alle Keime der
Blutbaktericidie erlegen.
Aus diesen durchwegs gleichartigen Beobachtungen darf wohl
4er Schluß gezogen werden, daß die frisch aus dem Blut gezüch¬
teten Typhusstämme Vesistenter gegen die keimvernichtenden Kräfte
des Blutes sind als die aus dem Stuhle Typhöser gewonnenen.
Außer der Lösung der Frage nach Resistenzunterschieden von
ihrer Herkunft nach unterschiedlichen Bazillusstämmen sollten diese
Versuche auch zur Beantwortung der Fragen dienen, ob im Verlauf
einer Typhuserkrankung sich die Blutbaktericidie ändert und ob dies¬
bezügliche Unterschiede zwischen dem Blut Gesunder und Typhöser
bestehen. Aus der klinischen Erfahrungstatsache, daß im weiteren
Verlauf des Typhus die Bakterämie eine immer seltenere Erscheinung
wird, kann zwar nicht eine Steigerung der die ins Blut eingedrungenen
Keime vernichtenden Kräfte angenommen werden; es werden eben
vom Entwicklungsherd der Keime aus — Typhus als Sepsis aufge¬
faßt im Sinne Schottmüller’s — weniger häufige und starke
Invasionen in die Blutbahn erfolgen. Doch wäre es denkbar, bei
der allmählichen Vermehrung der Abwehrstoffe im Verlaufe der
Heilung, daß auch die Blutbaktericidie eine Steigerung erfährt;
andererseits wäre auch die Möglichkeit eines Verbrauchs und
einer Minderung der keimvernicbtenden Kräfte im Blute nicht
anszuschließen.
Die Frage nach einer Zunahme baktericider Kräfte des Blutes
während einer Typhuserkrankung wurde mehrmals schon aufge¬
worfen, meist aber nur bei Verfolgung anderer Ziele gestreift.
Stern findet ebenso wie Widal keine wesentliche Änderung
dieser Verhältnisse während des KrankheitsVerlaufs; diese Befunde
aber wurden, wie Eppstein und Körte bemerken, mittels sehr
ungenauer Versuchsanordnung erhoben, wohl weil sie nicht im
eigentlichen Rahmen der jeweiligen Fragestellung lagen. Mar-
mann beobachtete beim baktericiden Reagenzglasversuch bei
Verwendung besonders geeigneter Typhusstämme Unterschiede
zugunsten stärkerer Baktericidie des Blutes Typhöser; Voraus¬
setzung ist aber Verwendung besonders wenig resistenter Labo¬
ratoriumsstämme.
Analog der Versuchsanordnung zur Prüfung der Resistenz
einzelner Typhusstämme gegenüber der Blutbaktericidie wurde in
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124
Bogkndöbrr
einer weiteren Versnchsreihe das ’Blot von Typhuspatienten znm
baktericiden Plattenyersnch verwandt zu verschiedenen Zeiten
der Erkrankung. Beim Eintritt in das amphibolische Stadium
gelang es leicht während der Fieberremissionen steriles Blut zu
entnehmen. Die baktericide Wirksamkeit dieses Blutes wurde
nun gegenüber nnr wenige Tage alten, aus Blut und Stuhl ge¬
züchteten, vom gleichen Patienten herrührenden Stämmen geprüft
und in entsprechenden Zwischenräumen diese Versuche wiederholt
In 2 Fällen konnten aus dem Blut noch während des amphi-
bolischen Stadiums neue Stämme gezüchtet werden; ferner auch
einmal noch am 30. Krankheitstag während eines leichten Becidivs.
Die Ergebnisse sind aus Tabelle II ersichtlich.
Auch bei diesen Versuchen erlagen stets die Keime den bak¬
tericiden Kräften im Blute; die dem Blute entstammenden Bazillen
zeigten sich stets resistenter als die ans dem Stuhle gezüchteten.
Eine deutliche Zu- oder Abnahme der baktericiden Kräfte des
Blutes während der Krankheitsdauer konnte nicht gefunden werden.
Bei Fall VI erfolgte zwar am 38. Krankheitstag die Abtötung
auch der aus dem eigenen Blute stammenden Keime schon inner¬
halb 12 Stunden, während an früheren Terminen stets nach diesem
Zeitraum noch lebens- und vermehrungsfähige Keime vorhanden
waren. Trotzdem soll dies nicht als Zunahme der baktericiden
Kräfte gedeutet werden, denn erstens war der hier verwendete
Stamm schon 10 Tage alt und zweitens bestand zn dieser Zeit
wegen eines Staphylokokkenabscesses eine nicht unbeträchtliche
Leukocytose. Wie aber bekannt, wird durch reichliche Leukocyten-
anWesenheit die Blutbaktericidie gesteigert; da aber eine wie im
erwähnten Falle beobachtete Leukocytose nicht bei normalem Ver¬
lauf eines Typhus abdominalis auftritt, so ist auch die hier an¬
scheinend erhöhlte Blutbaktericidie nicht als typisch anzusprechen.
Daß im Falle VII am 48. Krankheitstage der damals bereits
22 Tage alte, letzte aus dem eigenen Blute gezüchtete Stamm
ebenfalls innerhalb 12 Stunden vernichtet wurde, kann auch nicht
als Zeichen einer zunehmenden Blutbaktericidie gedeutet werden,
da dieser Stamm schon als wenig resistenter Laboratoriumsstamm
aufgefaßt werden muß. Beachtenswert ist im Fall VJU die ver¬
hältnismäßig große Resistenz des frisch aus dem Harn des Patienten
gezüchteten Stammes.
Bei Vergleichen mit dem Blut Gesunder zeigte sich, daß auch
hier im allgemeinen frisch aus dem Blut gezüchtete Stämme Aber
12 Stunden den baktericiden Kräften des Blutes stand halten.
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126
Bogkndöbfbb, Über du Verhalten der TyphnsbaaiUan nsw.
verglichen mit solchen aus dem Stnhle stammenden und Labo-
ratorinmsstämmen.
2. Unterschiede in der Stärke der baktericiden Kräfte im
Blute scheinen während des Verlaufs eines Typhus nicht aufzu¬
treten, wenigstens gelingt ihr Nachweis nicht mit der hier an¬
gewandten Methode; auch bestehen wohl keine nennenswerten
Unterschiede in diesem Sinne zwischen dem Blut Typhöser und
Gesunder.
Literatur.
Stern, Klinisch-bakt. Beiträge enr Patb. n. Ther. des Abdominaltyphtu.
Leipzig 189&. — Korten.Eppstein, Münchenermed. Wochenscbr. 1906, 8.1149.
— Harmann, Arch. f. Hygiene Bd. 76, 1912. — Bunge-Boosen, Zcntralb).
f. Bakteriol. Bd. 48. — Müller-Gräf, Ebenda H. 8. — Schottmüller, Mohr-
Stäbelin, Handb. d. inn. Med. Bd. 1. — Schottmüller n. Barfnrt, Beitr. *.
Klinik d. Infektionskrankh. 8, 8. 291. — Bogendörfer, Münchener med. Wocben-
scbr. 1921, Nr. 36. — Weinberg, Dissert. Hamburg 8. 8. 6, 1921.
Kleinere Mitteilung,
Bemerkung zur Arbeit von Br. Wilhelm Neumann:
,.Die Bedeutung des zweigeteilten rechten Vorhof¬
bogens im Röntgenbilde“
in Bd. 137, H. 3/4 des Deutschen Archivs f. klin. Med.
Von
H. Aßmann,
Leipzig.
Die Deutung der Zweiteilung des rechten Herzrandes ist nicht
mehr strittig gewesen, wie Neumann meint, sondern die Er¬
klärung durch den oberhalb des rechten Vorhofs vorspringenden
linken Vorhof von mir in dem Vortrage: „Herz und Lunge bei
Mitralfehlern im Röntgenbilde“ auf dem 32. Deutschen Kongreß
för innere Medizin, Dresden 1920 gegeben und durch autoptische
Belege bewiesen worden.
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127
Besprechungen.
1.
A. Weil, Die innere Sekretion. Julias Springer, Berlin, 1921.
Dm Bach geht nicht wie die meisten anderen Werke über innere
Sekretion von den einzelnen Blutdrüsen aus, sondern amgekehrt von den
einzelnen Funktionen, es wird der Anteil der verschiedenen Sekrete an
den Lebensäußernngen zu analysieren versucht. Im ersten Kapitel wird
in einem historischen Überblick die Entstehung des Begriffes innere
8ekretion und seine Erklärung auseinandergesetzt, dann folgt zunächst
eine kurze, aber genügende Darstellung der Entwicklungsgeschichte
and Histologie der Blutdrüsen mit hübschen Bildern. Das eigentliche
Thema, die Beeinflussung der einzelnen Funktionen beginnt dann mit
dem Blut, in weiteren Kapiteln werden Kreislauf, Atmung und Stimm¬
bildung, Stoffwechsel, Wachstum und Körperform, Fortpflanzung, Oe-
schlechte trieb, Seelenleben abgehandelt. Der Beeinflussung der pri¬
mären und sekundären Geschlechtsmerkmale und des Geschlechtstriebes
ist im Verhältnis ein besonders breiter Baum gewährt, wohl mit Bück-
sieht auf die zurzeit allgemein interessierenden Steinach’schen Lehren.
Einen Hinweis anf die Beeinflussung der Immunsubstanzen fand ich nicht,
doch dürfte auf diesem Gebiet wenig Sicheres bekannt sein. Begrüßens¬
wert sind die dann noch folgenden Kapitel über Chemie der Sekrete
and Methoden za ihrem Nachweis. DaB klar geschriebene Büchlein kann
besonders zur Einführung aufs beste empfohlen werden.
(H. Kämmerer, München.)
2 .
Franz Nagelschmidt, Lehrbuch der Diathermie. 2. durch¬
gesehene Auflage. 328 S. 155 Textabbildungen. J. Springer,
Berlin. Preis 56,— M., geb. 64,— M.
Nach 7 Jahren erscheint die schon längst vergriffene Diathermie
von Nagelschmidt in 2. Auflage. Man darf sagen „endlich“, denn
mit dem Neuerscheinen wird eine große Lücke ausgefüllt, nimmt doch
das allgemeine Interesse an der Hochfrequenztherapie immer mehr zu.
In der Neuauflage ist die zahlreiche, in den letzten Jahren erschienene
Literatur eingehend berücksichtigt. Trotzdem haben sich größere Ände¬
rungen nicht als nötig erwiesen, ein Beweis für die erschöpfende und
Mitgemäße Darstellung des Stoffes schon in der 1. Auflage. Nur das
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128
Besprechungen.
Kapitel über die Augendiathermie ist erheblioh erweitert, das über die
«Kriegsdiathermie" neu hinzugekommen.
Nach einer kurzen, leicht verständlichen Rekapitulation der wich¬
tigsten Grundlagen der Elektrizitätslehre werden die physikalischen and
technischen Grundlagen der HochfrequenzBtröme und der Diathermie im
besonderen besprochen. Dieses wichtige Kapitel — denn gründliche.
Kenntnis der Apparatur und der Technik ist für den Therapeuten un-
erläßlich — ist in kurzer, aber erschöpfender, auch für den pbysikaliach
nicht geschulten Leser in leicht verständlicher Weise dargestellt. Bei
einer Neuauflage ließe sich wohl eine Übereinstimmung der Erklärungs-
buchstaben in den Sohaltungsechemen und im Text durchführen.
Von großer Wichtigkeit ist auch das Kapitel über die experimen¬
tellen und biologischen Wirkungen. Nur ihre genaue Kenntnis läßt eine
richtige IndikationBstellung zu und schützt vor kritikloser Anwendung,
die dieses wichtige Heilmittel nur in Mißkredit bringen kann. Auch
die Kontraindikationen lassen sich zwanglos aus den biologischen Wir¬
kungen ableiten.
Das Kapitel über die klinische Anwendung der Diathermie wird in
medizinische und chirurgische geteilt. Unter Berücksichtigung
des ganzen Krankheitsgeschehens wird die Wirkung auf die einzelnen
Krankheiten der verschiedenen Organsysterae erklärt. Frappante Bei¬
spiele veranschaulichen die Wirkungsweise. Besonderes Interesse er¬
weckt die Anwendung der Diathermie bei Zirkulationserkran¬
kungen. Durch Anwendung verschiedenster Technik haben wir in den
Hochfrequenzströmen ein Mittel, in mannigfaltiger Weise auf den Blut-
druok, auf den Tonus von Herz und Gefäßen einzuwirken. Zahlreiche
Abbildungen von Pulskurven belegen die beschriebenen Erfolge, die be¬
sonders bei Arteriosklerose mit ihren mannigfaltigen Symptomen in Er¬
scheinung treten. Besonders erwähnenswert sind auch die günstigen
wenn auch nur symptomatischen Erfolge bei Tabes.
Die erfolgreiche und .relativ einfach zu handhabende chirurgische
Diathermie bei malignen und benignen Tumoren, Naevis usw. wird durch
viele gute Abbildungen veranschaulicht, die z. T. Dauerheilungen dar¬
stellen. Ein besonderes Kapitel ist der LupuBbehandlung gewidmet,
bei dessen Lokalisation auf den Schleimhäuten die diathermisohe Koagu¬
lation als das aussichtsreichste Verfahren hingestellt wird.
Die „Kriegsdiathermie" hat sich bei der Nachbehandlung von Ver¬
wundeten, besonders gut in Kombination mit Medikomechanik, bewährt.
So gibt Nagelschmidt eine ausgezeichnete Übersicht über das
weite Anwendungsgebiet der Hochfrequenzstrome. Wie der Verfasser
aber richtig betont, sind die oft an Wunderheilungen erinnernden Er¬
folge nur bei gründlicher Kenntnis des Krankheitsgeschehens und ver¬
ständnisvoller Anwendung einer exakten Technik möglich.
(Gerb. Hammer, München.)
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I
129
Über Abgrenzung nnd Entstehungsursachen des
Infantilismns.
Von
i
| Prof. Dr. Borchardt (Königsberg).
Wenn der Infantilismusbegriff bis heute die verschieden¬
sten Deutungen nnd Abgrenzungen erfahren hat, so hat das znm
Teil historische Gründe. Dieser Begriff ist von Frankreich berüber-
gekommen, wo man ursprünglich unter Infantilismus eine Ent-
j vicklungshemmung verstand, die sich sowohl auf körper¬
liche wie geistige Eigenschaften bezog. Diese klare
und dem Worte Infantilismus durchaus entsprechende Bedeutung
fand aber nicht allgemeine Anerkennung. In Frankreich unter¬
schied man sehr bald zwei Typen: den Typ Lorrain, der durch
j Schwäche und Kleinheit des Körpers und Entwicklungshemmung
ausgezeichnet ist; und den Typ Brissaud, der auf Schilddiüsen-
insufficienz beruhen sollte. Mit Einführung dieses Typ Brissaud
begann die Begriffsverwirrung, die in der Frage der Umgrenzung
des Infantilismus auch heute noch nicht verschwunden ist.
Der Infantilismus ist bisher auf drei verschiedene Arten
von Störungen zurückgeführt worden: entweder auf Ent¬
wicklungshemmung (Subevolutionismus) oder auf Er¬
baltenbleiben kindlicher Eigenschaften und Ent-
| wicklungsstufen oder schließlich auf mangelhafte Ent¬
wicklung nnd Unterfunktion gewisser endocriner
Drüsen. Es sind also sehr verschiedene Momente zur Definition
des Infantilismus herangezogen worden. Die Zurückführung des
Infantilismus auf die Unterfunktion endocriner Drüsen beruht auf
der Erfahrung, daß vor allem bei Hypothyreoidismus und Hypo-
pitaitarismus infantile Erscheinungen zu den regelmäßigsten Sym¬
ptomen gehören. Umstritten ist aber die Frage, ob die dabei beobach¬
teten Erscheinungen von Entwicklungshemmung gleichmäßig den ge-
DmtMbM Archiv ftr klin. Medizin. 188. Bd. 9
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Original fram
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130
Bobchaädt
samten Organismus betreffen oder nur einzelne Teile. Nur im ersteren
Falle darf man von universellem Infantilismus sprechen; Falta, *)
Mathes, 8 ) Quadri, Bauer u. a. lehnen daher den endocnn be¬
dingten Infantilismus ab. Die durch Hypogenitalismus hervor¬
gerufenen Veränderungen gehören sicherlich dem universellen In¬
fantilismus nicht zu. Ich 8 ) habe in einer früheren Arbeit darauf
hingewiesen, daß beim Hypogenitalismus die Symptome kindlicher
Psyche und andere Zeichen von Infantilismus fehlen können. Die
übrigen Symptome, insbesondere die Disproportion, d. h. die
abnorme Extremitätenlänge, sind von den Erscheinungen des uni¬
versellen Infantilismus so verschieden, daß es unverständlich ist,
wie Peritz 1 2 3 4 * ) den Eunuchoidismus als die reinste Form des
materiellen Infantilismus bezeichnen konnte. Nicht das Wachsen
über das Alter hinaus, in dem der Mensch heranreift, ist für den
Infantilismus charakteristisch, sondern gerade das verlangsamte
Wachsen, die Entwicklungshemmung. Der primäre Hypo¬
genitalismus hat also mit Infantilismus nichts zu tun.
Ich hebe das besonders hervor, weil neuerdings Br an dis 6 ) das
Fehlen sekundärer Geschlechtsmerkmale als ausreichendes Kriterium
des Infantilismus hinstellt Nach Br an dis heißt Infantilismus
„Stehenbleiben auf kindlicher Entwicklungsstufe“. Diese Begriffs¬
bestimmung muß entschieden abgelehnt werden. Es gibt keine
kindliche Entwicklungsstufe, sondern nur eine Durchschnittsent¬
wicklung für ein bestimmtes Alter. Und es gibt kein Stehen¬
bleiben, so lange Leben besteht, sondern nur Evolution und In¬
volution. In das Gebiet des Infantilismus gehören nur
die Störungen der Evolution, so weit der in einem
bestimmten Alter zu erwartende Durchschnitt nicht
erreicht wird.
Es erscheint daher auch nicht zweckmäßig, die Feststellung
kindlicher Formen, Proportionen, Größe und Psyche zur Grundlage
des Infantilismusbegriffs zu machen, da diese Feststellungen immer
nur relativen Wert haben. Nur die Beziehung zu dem durch¬
schnittlichen Verhalten gleichaltriger Individuen gibt solchen Be-
1) Die Erkrankungen der Blutdrttsen. Berlin 1913.
2) Der Infantilismus, die Asthenie nnd deren Beziehungen zum Nerven¬
system 1912.
3) Berl. klin. Wochenschr. 1918, S. 348.
4) Der Infantilismus in Kraus-Brugsch, 8pez. Path u. Ther. innerer
Krankh. Bd. 1, 1919.
6) Deutsches Arch. f. klin. Med. 1921, 138, S. 323.
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Über Abgrenzung und Entstehungaurs&chen des Infantilismus. 131
gnffebestimmungen einen Inhalt. Das Vorhandensein kindlicher
Proportionen kann auch dann nicht als Zeichen von Infantilismus
«gesehen werden, wenn diese Proportionen einem wesentlich
früheren Entwicklungszustand entsprechen als die übrige körper¬
liche und geistige Entwicklung. Ich werde später bei Besprechung
der von Peritz beschriebenen Fälle von hypophysärem Zwerg¬
wuchs auf diese Verhältnisse noch näher einzugehen haben.
Aus alledem geht hervor, daß als einzige Grundlage für eine
Begriffsbestimmung des Infantilismus die Entwicklungshem¬
mung, der Snbevolutionismus, zu brauchen ist. Ich sehe
daher den Infantilismus als einen Zustand von Entwick¬
lungshemmung an, der beim heranwachsenden Indi¬
viduum dazu führt, daß körperliche und psychische
Eigenschaften einem um mehrere Jahre jüngeren
Alter entsprechen; beim Erwachsenen kann der In¬
fantilismus erkennbar bleiben, wenn die erreichte
körperliche und geistige Entwicklung wesentlich
hinter dem Durchschnitt zurückgeblieben ist.
Die verschiedenen Einteilungsgrundsätze, die dem Infantilismus¬
begriff zugrunde gelegt worden sind, haben ihre Wurzel in den
verschiedenen Einflüssen, die die Entwicklung und das
Wachstum des Organismus und seiner Teile be¬
herrschen. Im allgemeinen unterscheidet man drei verschiedene
Paktorengruppen, die auf das Wachstum von Einfluß sind: 1. die
ererbten „Wachstumsanlagen“, die als funktionelle (energe¬
tische) Grundlagen für die individuelle und artspezifische Entwick¬
lung des Individuums bzw. seiner Teile anzusehen sind; 2. die
von den endocrinen Drüsen, vielleicht auch vom Nervensystem
ausgehenden positiven und negativen Wachstumsreize; 3. die
iofleren, durch Ernährung, Klima, physikalische und chemische Ein¬
flüsse, Infektionen und Intoxikationen charakterisierten Faktoren.
Diese äußeren Faktoren können sowohl eine der Keimzellen als
auch den durch Vereinigung der Keimzellen entstandenen Körper,
das Soma, betreffen. Die dadurch bedingten Schädigungen können
also blastogen oder somatisch sein.
Der Infantilismus — als ein durch Wachstumshemmung
bedingtes Symptomenbild — kann mithin in vierfacher Weise
entstehen: 1. durch Vererbung; 2. durch Keimschädigung
(Blastophthorie); 3. durch Störungen imendocrinenApparat;
4. durch äußere Einflüsse auf das Soma. Die ersten beiden
Störungen sind blastogen, die letzten beiden somatisch bedingt.
9*
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132
Bobchardt
Bevor auf die einzelnen Formen des Infantilismns näher ei§-
gegangen werden kann, müssen hier dieBeziehungenzwischen
Infantilismns und typischen Konstitutionsanomalien
auseinandergesetzt werden. Der Rahmen, den Tandler dem Kon¬
stitutionsbegriff zugewiesen, indem er alle somatischen Einflüsse
auf die Körperbeschaffenheit als konditionell von den konstitutio¬
nellen abtrennte, unter denen er lediglich die ererbten Störungen
verstand, hat sich für die Pathologie der Konstitutionsanomalien
als zu eng erwiesen. Wenn auch heute noch eine Reihe von
Autoren die Trennung in Konstitution und Kondition im Tandler-
schen Sinne beizubehalten sucht, so ergibt doch das nähere Studium
der typischen Konstitutionsstörungen, daß eine solche Einteilung
die überwiegende Mehrzahl der typischen Konstitutionsanomalien
(exsudative Diathese, Status thymico-lymphaticus, eosinophile
Diathese, Vagotonie, Arthritismus usw.) in zwei Teile schneiden
müßte, weil diese Störungen eben zweifellos in einer großen Zahl
von Fällen erst durch Keimschädigung oder intra- oder extrauterine
Einflüsse erworben sind. Ebensowenig wie man berechtigt ist, die durch
Diphtherie-, Influenzabazillen usw. bedingte Hirnhautentzündung von
dem klinischeu Bilde der Meningitis abzutrennen, ebensowenig darf
man den erworbenen Lymphatismus von den Konstitutionsstörungen
abtrennen. Und damit ergibt sich die Notwendigkeit von selbst
auch unter Konstitution die gesamte Körperbeschaffen¬
heit zu verstehen, mögen die Faktoren, die sie bedingen,
vor oder nach Vereinigung der Keimzellen wirksam
geworden sein. Die auf die Konstitution einwirkenden Fak¬
toren können zu bla'stogenen (vom Keime herstammenden) oder
somatischen (den Körper betreffenden) Konstitutions¬
störungen führen. Die blastogenen können ererbt oder
durch Keimschädigung erworben, die somatischen
intra- oder extrauterin entstanden sein.
Der Infantilismus läßt sich in dieses ätiologische System
der typischen Konstitutionsstörungen nicht ohne weiteres ein¬
gliedern; er findet sich bei allen Formen typischer Kon¬
stitutionsanomalien, natürlich nur, soweit die Schädigungen
den Organismus noch zur Zeit der Evolution, der Aufwärts¬
entwicklung, treffen. So findet sich der Infantilismus zusammen
mit exsudativer Diathese, Status thymico-lymphaticus, Vagotonie,
eosinophiler Diathese usw. und ebenso bei der Asthenie. Dagegen
wird er naturgemäß bei den die absteigende Lebensperiode be¬
vorzugenden Erscheinungen des Arthritismus (Diabetes, Fettsucht,
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Über Abgrenzung nnd Entstehnngsursachen des Infantilismus. 133
Gicht, chronischen * Gelenkleiden, Arteriosklerose usw.) nicht an¬
getroffen.
In einer Abhandlung über die typischen Konstitutionsanomalien
habe icb 1 ) gezeigt, daß die konstitutionellen Abwei¬
chungen nicht nur morphologischer, sondern vor allem funk¬
tioneller Art sind, und daß sie sich in einer gesteigerten
oder herabgesetzten Reaktionsfähigkeit auf Reize
äußern. Auf einer herabgesetzten Reaktionsfähigkeit
beruht der Status asthenicus. Steigerung der Re¬
aktionsfähigkeit findet sich bei allen anderen Formen von
Konstitutionsstörungen, die ich deshalb unter dem gemeinsamen
Namen Statusirritabilis zusammengefaßt habe. Beide Formen
entstehen häufig auf einem durch Variationen und Abwegigkeiten
aller Art ausgezeichneten Terrain, das meist als „degeneratives
Terrain“ bezeichnet wird, obwohl es sich um Abartungen, aber
nur gelegentlich um Entartungen handelt.
Auf Grund der Einteilung der Konstitutionsstörungen läßt sich
nun auch eine ätiologische Einteilung des Infantilismus
geben. Bei einer Form der ererbten Konstitutionsstörnngen, näm¬
lich bei der Asthenie, ist der Infantilismus Teilerscheinung der
allgemein herabgesetzten Reaktionsfähigkeit. Die Entwicklungs¬
hemmung kann hier als Teilerscheinung der geringen Reaktions¬
fähigkeit angesehen werden. Nur in dieser Form findet sich ein
ererbter universeller Infantilismus. Partialinfantilismen können
Variationen oder Deviationen sein, die — wie jede Variation —
bei jeder Form von Konstitutionsanomalie häufiger sind als bei
normaler Körperverfassung. Diese Variationen gehören nicht zum
Bilde des ererbten universellen Infantilismus. — Die Entwicklungs¬
hemmung durch Keimschädigung liegt der Mehrzahl der toxischen
Formen von Infantilismus zugrunde. Es handelt sich auch hier
nm einen universellen Infantilismus, aber in der Regel ohne
Asthenie. Die inkretorischen Störungen, die der dritten Gruppe
der Formen des Infantilismus zugrunde liegen, entstehen in der
Mehrzahl der Fälle auf der Basis eines Status irritabilis. Der
Infantilismus ist dann von der Funktionsstörung gewisser endo-
criner Drüsen abhängig. Die überragende Bedeutung der endo-
crinen Drüsen für den Gesamtorganismus äußert sich u. a. auch
darin, daß inkretorische Erkrankungen die Funktionsfähigkeit des
Gesamtorganismus im Sinne erhöhter Reaktionsfähigkeit zu ändern
pflegen. Die Erkrankungen endocriner Drüsen gehören daher auch
1) Allgem. Uin. Konstitutioualehre. Ergeh, d. inn. Med. u. Kinderheilk. 21,1922.
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134
Bobohabot
zu den wichtigsten Entstehungsursachen des Status irritabilis. Die
in der vierten Gruppe zu besprechenden Fälle von Infantilismus,
die durch äußere Einflüsse zustande kommen, haben mit typischen
Konstitutionsstörungen nichts zu tun. Nor wenn diese Einflosse
anßerdem ausgeprägte Funktionsstörungen endocriner Drüsen zur
Folge haben, können sie zugleich die Erscheinungen des Status
irritabilis hervorrufen.
Auf Grund dieser Überlegungen erscheint mir die folgende
Einteilung des universellen Infantilismus geboten:
1. Infantilismus durch abnorme Wachstumsanlage
= erblicher Infantilismus.
2. Infantilismus durch Keimschädigung (Alkohol,
Blei, Röntgenstrahlen usw.).
3. Infantilismus auf Grundlage endocriner Stö¬
rungen:
a) dysthyreogener Infantilismus;
b) hypophysärer Infantilismus;
c) pluriglandulärer Infantilismus.
4. Dystrophischer Infantilismus:
a) als Folge früh (u. U. intrauterin) erworbener Infektion
(Lues, Tuberkulose, Lepra, Malaria, Pellagra, Echino¬
coccus) ;
b) als Folge von Ernährungsschäden;
c) als Folge frühzeitiger Intoxikation (Alkohol);
d) bei angeborenen und früh erworbenen Herzfehlern.
1. Infantilismus durch abnorm^ Wachstumsanlage
= erblicher Infantilismus.
Fall U. K., 40 J., Aufwärterin, unverheiratet. Eltern und 4 Ge¬
schwister kräftig und breit gebaut. Die Mutter bekam ihr letztes Kind
mit 45 Jahren, verlor die Periode Ende der vierziger Jahre. Beide
Schwestern bekamen die Menses mit 17—18 Jahren, Bind aber kräftig
entwickelt. Die Großmutter mütterlicherseits war besonders klein, schmal
gebaut und sehr schwächlich und hat die Periode ungewöhnlich früh
verloren. — Pat. bekam die erste Regel mit 17 Jahren, die zweite
1 Jahr später, dann regelmäßig, alle 14 Tage, sehr stark, bis sie be¬
reits mit 28 Jahren immer seltener wurde und mit 32 Jahren ganz auf-
hörte. Pat. war immer klein und sehr schwächlich, ist aber im letzten
Jahre stark abgemagert infolge eines inoperablen Magencarcinoms, wegen
dessen sie jetzt zum Arzt kommt. — Größe 1,52 m, Gewicht 36 */* kg.
Sehr zierlicher Körperbau, schmaler paralytischer Brustkorb mit weiten
Interkostalräumen, spitzem Rippenwinkel. Beiderseits Costa X. fluctuans.
Fehlende Achselhaare, spärliche Schamhaare, infantiles Genitale. (Die
vom Magencarcinom herrührenden Erscheinungen sollen hier nicht ge-
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Über Abgrenzung und Entstehungsursachen des lnfantilismus. 135
schildert werden.) Kein Eiweiß, kein Zocker. Blut : 52 °/ 0 Hb., 4270000 R.,
7300 W., 63 */, °/ 0 Neutroph., 39 */ a °/ 0 kl. Lympho., J / 9 °/ 0 gr. Lympho.,
*/, °/ 0 Eos., 1 / 4 °/ 0 Reizongsf., 5 1 / 2 w / 0 Mononuol.
Die von der Großmutter mütterlicherseits ererbte verlangsamte
Wachstnmstendenz ist hier sehr ausgesprochen. Sie verursacht die
auffallend geringe Körpergröße, ein niedriges Körpergewicht (das
durch die Komplikation mit Magencarcinom auf 36,5 kg gesunken
ist), spätes Auftreten und frühzeitiges Erlöschen der Menses, zier¬
liche Körperform usw. Der Hypogenitalismus erscheint durchaus in
Abhängigkeit vom Infantilismus. Fälle dieser Art werden in der
Regel als asthenischer Infantilismus beschrieben. Dieser
Ansdruck ist von Math es und neuerdings von Albrecht weit
über Gebühr auf eine Reihe von körperlichen Abweichungen des
weiblichen Organismus ausgedehnt worden, die entweder der Asthenie
oder dem Infantilismus nicht zugehören. Die angeborenen Zeichen
körperlicher Abartung (die meist als Degenerationszeichen be¬
zeichnet werden, besser aber Deviationszeichen genannt werden)
haben mit dem universellen Infantilismus nichts zu tun. Der
Rahmen für den Begriff des asthenischen Infantilismus ist also
enger zu ziehen als gemeinhin geschieht. Nur die Fälle von
Asthenie, bei denen die Entwicklungshemmung als Folge herab¬
gesetzter Reaktionsfähigkeit Teilerscheinung der Asthenie ist, ge¬
hören hierher.
2. Infantilismus durch Keimschädigung.
Seitdem Forel aut die Keimschädigung oder Blastophthorie
als ursächliches Moment einer ganzen Reihe psychischer und
körperlicher Degenerationszeichen hingewiesen hat, muß die Keim¬
schädigung als ein wichtiger Faktor bei der Entstehung zahlreicher
angeborener Formanomalien angesehen werden, zu denen auch der
Infantilismus zu rechnen ist. Insbesondere darf es wohl als sicher
gelten, daß Alkoholismus gelegentlich durch Keimschädigung zu
Infantilismus der Nachkommenschaft führen kann. Inwieweit auch
andere chronisch wirkende Gifte lediglich durch Schädigung der
Keimzellen zum Infantilismus führen, ist schwer zu entscheiden.
Aus vereinzelten Fällen läßt sich ja ein solcher Zusammenhang
nie mit Sicherheit erkennen.
Bei Tieren ist es wiederholt gelungen durch große Alkohol¬
gaben hemmend auf die Körperentwicklung einzuwirken. Bei Reh¬
pinschern soll es sogar ziemlich regelmäßig möglich sein durch
fortgesetzte Alkoholvergiftung der Eltern Zwergpinscher zu er-
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136
Bobchabdt
zeugen. Stockard 1 ) paarte männliche und weibliche alkoholisierte
Meerschweinchen. Von 42 Paarungen erzielte er nur 18 lebend ge¬
borene Junge. Von den 7 Tieren, die länger als «einige Wochen
am Leben blieben, waren 6 auffallend klein und in der körper¬
lichen Entwicklung deutlich zurückgeblieben.
Einen Fall von Infantilismus, der wahrscheinlich durch
Zeugung im Rausch entstanden ist, habe ich kürzlich be¬
obachtet:
Fall M. P., 28 J., Bucbhandlnngsgehilfin. — Vater ehemaliger
Fleischermeister, schwerer Potator, verstorben. Mutter gesund. Keine
erblichen Krankheiten. Pat. ist die 8. von 4 Schwestern. Ihre
Schwestern sind normal entwickelt. Sie selbst war immer die kleinste
in der Schule, bat etwas schwer gelernt. Erste Menses mit 20 Jahren,
immer unregelmäßig, schmerzhaft, im letzten Winter */ 8 Jahr ausgeblieben.
ReligionBschwärmerin. Hat eine Sekte gegründet. Lebt in ihren Re¬
ligionsgedanken wie in einer Märchenwelt. Hat deshalb ihre Stellung
aufgegeben. — Größe 150 cm, Gewicht 52 kg. Zierlicher Körperbau
mit ganz gutem Fettpolster. Sekundäre Geschlechtscharaktere aus¬
reichend entwickelt. 64 °/o Hbg. — Nach Annahme der sehr intelli¬
genten ältesten Schwester ist Zeugung im Rausch als ursächlicher Faktor
recht wahrscheinlich.
Die Frage, ob durch Röntgenbestrahlung der Keim¬
drüsen Infantilismus der Nachkommen hervorgerufen werden
kann, ist neuerdings von Werner 2 3 ) in bejahendem Sinne beant¬
wortet worden. Auch Stettner 8 ) teilt einen einschlägigen Fall
mit Wie bei der Schädigung durch Alkohol ist hier die Neigung
zu frühzeitiger Unterbrechung der Schwangerschaft besonders groß.
Die Kinder zeigen bei der Geburt keine Schädigung, die auf die
vorausgegangene Bestrahlung der Mutter zurückgeführt werden
konnte. „In den späteren Jahren scheint allerdings bei manchen
Kindern ein gewisses Zurückbleiben in der Entwicklung feststell¬
bar.“ — Diese Resultate stehen vorläufig im Gegensatz zu Unter¬
suchungen von Nürnberger undPankow, die bei Tieren durch
Röntgenbestrahlung der Keimdrüsen keine Schädigung der Nach¬
kommen hervorrufen konnten.
Für die viel verbreitete Annahme, daß Infektionskrank¬
heiten der Eltern durch Keimschädigung zu Infantilismus der
Kinder führen können, lassen sich keine Beweise erbringen.
Peritz behauptet zwar, daß Syphilis, Tuberkulose, Pellagra und
1) Arch. of int med. 1912, S. 369.
2) Münchner med. Wochenschr. 1921, S. 767.
3) Jahrb. f. Kinderheilk. 95, 1921, H. 3/4.
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Über Abgrenzung und Entstehnngsnrsachen des Infantilismns. 137
Malaria lediglich durch Keimschädigung bei Erkrankung der
Eltern eintreten können. Es scheint mir aber viel wahrschein¬
licher, daß es sich in diesen Fällen um eine intrauterine Infektion
handelt, da die Annahme schwer fällt, daß infizierte Keimzellen
die Fähigkeit der Befruchtung und Weiterentwicklung beibehalten
können. Ein Infantilismus durch Keimschädigung bei Syphilis oder
Tuberkulose der Eltern ist ebenso wenig bewiesen wie die erb¬
liche Übertragung dieser Krankheiten selbst durch die Keimzellen.
3. Inf an tilismus auf Grundlage endocr in er Störungen.
Bekanntlich führt im Tierversuch frühzeitige Entfernung von
Schilddrüse, Hypophyse, Thymus zu einer sehr erheblichen Wachs¬
tumshemmung, insbesondere an den Extremitätenknochen. Dasselbe
Bild findet sich auch bei Menschen, die mit einer apiastischen
oder hypoplastischen Schilddrüse seit der Geburt behaftet
and, oder die in frühem Kindesalter an Myxoedem erkrankt
sind. Und in gleicher Weise findet mau die Wachstumshemmung
als Teilerscheinung des Kretinismus, bei dem ja die hypoplastische
Erkrankung der Schilddrüse zu den wichtigsten Teilerscbeinungen
des Krankheitsbildes gehört.
Auf die Unterfunktion der Hypophyse im kindlichen
Alter als Ursache des Infantilismus hat Bran dis neuerdings
wieder hingewiesen. So gehört Infantilismus zu den regelmäßigen
Begleiterscheinungen der hypophysärenFettsuchtim Kindes¬
alter. Die Wachstumshemmung ist hier um so auffallender als die
Erkrankung mit Hypogenitalismus verknüpft ist und Ausfall der
Öenitalfunktion sonst zu einem verlängerten Extremitätenwachs-
tnm fuhrt (s. u.). Obwohl nun die Dystrophia adiposogenitalis nach
Nonne 1 ) in einem Teil der Fälle auf angeborene Lues zurück-
znführen ist, finden sich doch zweifellos die Erscheinungen des
Infantilismns bei dieser Krankheit auch in solchen Fällen, in denen
eine Lues congenita nicht in Betracht kommt. Der Infantilismus
ist daher in diesen Fällen von der Hypophyse abhängig zu denken.
Ein nicht unerheblicher Teil der Fälle von Dystrophia adiposo¬
genitalis ist mit Diabetes insipidus verbunden, der nach
Frank ebenfalls auf die Funktionsstörung der Hypophyse zurück-
znfnhren ist. Auch Fälle von Diabetes insipidus ohne Fettsucht
sind nicht selten infantil (Strauß, Weber, Mamrot, Zundel
n. a.). Einen einschlägigen Fall habe ich vor kurzem beobachtet:
1) Deutsche med. Wochenschr. 1916, S. 1338.
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138
Bobchabdt
Fall E. W., Lernende, 15 J. Eltern nnd 6 Geschwister gesund
and normal entwickelt, nnr bei einer Schwester besteht erhebliche Poly¬
arie. Sie selbst leidet seit 4. Lebensjahr an Polyarie and Polydipsie.
Bis zum 8. Jahre Bettnässen. Seit 1 Jahre Nachtschweiße. In den
letzten Monaten etwas Husten, ziemlich starke Kopfschmerzen. — Etwas
blasses Mädchen von kindlichem Aussehen, noch völlig unentwickelt.
Größe 1,38 m. Gewicht 32 kg. Scham- and Acbselbaare fehlen noch.
Brüste noch völlig kindlich geformt. TJrinentleerung täglich 4—5 1.
Kein Eiweiß, kein Zucker, spez. Gewicht 1003. Köntgenbild ergibt keine
Erweiterung, aber deutliche Vertiefung der Sella turcica. Wassermann
negativ.
Der beschriebene Fall ist in mancher Hinsicht nicht ganz ge¬
klärt Trotzdem ergibt sich mit ziemlicher Sicherheit ein deut¬
licher Grad von Wachstumshemmung im Zusammenhang mit den
Erscheinungen des Diabetes insipidus offenbar anf der Grundlage
einer Veränderung der Hypophyse.
Von den hier beschriebenen Formen des hypophysären In¬
fantilismus ist der hypophysäre Zwergwuchs abzutrennen,
bei dem nicht eine einfache Wachstumshemmung, sondern ver-
wickeltere Entwicklungsstörungen vorliegen. Ich denke hier be¬
sonders an die von Peritz beschriebenen Fälle, bei denen die
Proportionen einem wesentlich früheren Kindesalter entsprechen als
die übrige körperliche und geistige Entwicklung. Wenn einer der
beschriebenen Zwerge mit 19 Jahren die Größe eines 11jährigen
Kindes (135 cm), aber hinsichtlich der Größe seines Kopfes die
Proportionen eines 5 jährigen aufweist, so kann es sich nicht mehr
nm eine gleichmäßige Entwicklungshemmung handeln, wie sie dem
Infantilismus zugrunde liegt. Solche Fälle sind daher unbedingt
vom Infantilismus abzutrennen, dessen Wesen in einer gleichmäßigen
Entwicklungshemmung aller Teile zu erblicken ist.
Insbesondere muß es völlig verwirren, wenn Peritz auch
den Hypogenitalismus dem Infantilismus zurechnet und den
Eunuchoidismus als die reinste Form des materiellen Infan¬
tilismus anspricht, „bei dem die kindliche Eigenart des Wachsens
über die Zeit hinaus bestehen bleibt, in der der gewöhnliche Mensch
wächst“. Das Wachsen der Extremitätenknochen wird in der Norm
durch die hemmenden Einflüsse der Sexualhormone aufgehalten.
Fehlt diese Hemmung, so wachsen die Gliedmaßen über das nor¬
male Maß hinaus in die Länge. Das hat mit Infantilismus nichts
zu tun, sondern lediglich mit der inneren Sekretion der Sexual¬
hormone. Für den Infantilismus ist gerade die geringe Wachs-
tumstendenz charakteristisch. Nun finden sich ja allerdings beim
Eunuchoidismus gewisse Erscheinungen von Wachstumshemmung,
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Über Abgrenzung und Entstehnngsursachen des Infantilismus. 139
Tor allem der Geschlechtsorgane nnd der sekundären Geschlechts¬
merkmale; aber eine gleichmäßige Wachstumshemmung fehlt, die
als das Wesen des Infantilismus universalis anzusehen ist.
Der Hypogenitalismus kann als Teilerscheinung des Infantilis¬
mus auftreten; dann erstreckt sich die herabgesetzte Wachstums¬
tendenz auch auf die langen Extremitätenknochen; der beim Hypo¬
genitalismus sonst auftretende Hochwuchs bleibt aus. Diese Ver¬
hältnisse finden sich z. B. in dem oben beschriebenen Fall U. E.
von Infantilismus mit Asthenie auf erblicher Grundlage (8. 134).
Wo aber der Hypogenitalismus zu vermehrtem Längenwachstum
fuhrt, hat er mit dem Infantilismus universalis nichts zu tun,
wenn auch die fehlende Genitalfunktion zu Entwicklungshemmung
der sekundären Geschlechtsmerkmale führt. Es finden sich aller¬
dings beim Eunuchoidismus gewisse Erscheinungen von Wachs¬
tumshemmung, aber eine gleichmäßige Wachstumshemmung aller
Organe fehlt.
Auch die psychischen Veränderungen der Hypogenitalen sind
— wie ich bereits einmal früher auseinander gesetzt habe 1 ) —
nicht als psychischer Infantilismus zu deuten. Sie können ganz
fehlen oder sind als psychischer Feminismus zu bewerten, dürfen
aber keinesfalls dazn führen, den Hypogenitalismus dem Infantilis-
mus ohnes weiteres zuzurechnen.
Die Beziehungen zwischen Infantilismus und Hypo¬
genitalismus können sich nun noch in einer anderen Form
äußern. Auch ohne daß die Erscheinungen der Asthenie vor¬
liegen, kann der Hypogenitalismus als Teilerscheinung des Infan¬
tilismus auftreten; auch hier bleibt — wie beim asthenischen Infan¬
tilismus — das abnorme Längenwachstum der Extremitäten aus.
Fall F. K., 17 Jahre, Dienstmädchen. Aus gesunder Familie.
Etwas schwächlich. Noch nicht menstruiert. Gewicht 43 kg. Größe
1,50 m. Noch völlig unentwickelt. Brüste infantil. Uterus auffallend
klein, Adnexe nicht tastbar. Fehlen der Scham- und Achselhaare.
Kindliche Beckenform. Mäßiges Fettpolster. Schilddrüse eben tastbar. Keine
Zeichen einer Hypophysenerkrankung. Normales Blutbild. 70°/ 0 Hbg.
Die Entstehungsursache dieses Falles ist ungeklärt. Handelte
es sich primär um einen Hypogenitalismus, so wären sicher Er¬
scheinungen von Hochwuchs festzustellen gewesen. Asthenie war
nach dem ganzen Habitus auszuschließen. Andere endocrine Er¬
krankungen waren nicht nachweisbar. Dennoch darf eine primäre
endocrine Störung (an der Schilddrüse oder Hypophyse) ohne nach-
1) I. c.
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140
Borchabdt
weisbare Krankheitserscheinungen als wahrscheinliche Entstehungs-
Ursache angesehen werden, da eine andere Erklärung noch weniger
Wahrscheinlichkeit fiir sich hätte.
4. Dystrophischer Infantilismns.
Über den Einfluß der Ernährung auf das Körper-
Wachstum sind eine Reihe von Tatsachen bekannt, die für die
Entstehung des dystrophischen Infantilismus zweifellos von Be¬
deutung sind. Während vollkommene Nahrungsentziehung das
Wachstum des jungen Tieres nicht zum Stillstand bringt, macht
das Fehlen gewisser Bausteine des Eiweißmoleküls (Trypto¬
phan und Lysin) das Wachsen unmöglich. Durch Tryptophan¬
zusatz allein erfolgt Wachstumsstillstand. Erst der weitere Zu¬
satz von Lysin läßt erneutes Wachsen des Organismus erkennen.
Nach Stepp führt der Mangel an Lipoidsubstanzen
in der Nahrung zum Wachstumsstillstand. Dem Lipoidmangel
kommt wahrscheinlich eine allgemeinere Bedeutung für die Ent¬
stehung des Infantilismus zu. Die Feststellungen St epp’s bilden
daher die wichtigste Grundlage für das Verständnis des dystro¬
phischen Infantilismus. Nach Peritz 1 2 3 ) kommt durch Lipoidver¬
armung der Infantilismus bei angeborener oder früh erworbener
Syphilis zustande; die Luestoxine haben eine große Verwandt¬
schaft zu den Lipoiden, binden sich mit ihnen und entziehen sie
auf diese Weise dem Körper. Nach Calmette*) haben Tuberkel¬
bazillen und Tuberkulin, nach Petit 8 ) Tetanus- und Diphtherie¬
toxin die Eigenschaft Lezithin zu binden. Es ist also nicht un¬
wahrscheinlich, daß früh erworbene Infektionskrankheiten, vor
allem die Lues und Tuberkulose, durch Lipoidentziehung die Er¬
scheinungen des Infantilismus hervorrufen. Peritz hat Recht,
wenn er hervorhebt, daß diese Krankheiten nicht angeboren zu
sein brauchen, um zum Infantilismus zu führen. Der von ihm an¬
geführte Fall zweier Schwestern mit Infantilismus, die mit 4 und
6 Jahren Lues akquiriert hatten, ist besonders charakteristisch.
Einen Fall von Infantilismus durch früh erworbene Tuberkulose
sah ich während des Krieges. Er betrifft ein 14jähriges Mädchen
aus gesunder Familie von der Größe und Entwicklung^ eines 10-
bis 11-jährigen Kindes, das mit 3 bis 4 Jahren eine Lungentuber¬
kulose akquiriert hatte, an der sie noch litt.
1) Berliner klin. Wochenschr. 1908.
2) C. r. de l’ac. des Sciences 1908.
3) C. r. soc. de biol. 64, 1908, 8. 811.
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Über Abgrenzung und Entstehungsursachen des Infantilismus. 141
Von anderen Infektionskrankheiten, die in früher Jugend zu
Infantilismus führen können, sind Lepra, Malaria, Pellagra,
Echinococcus zu nennen. Auch hier dürfte der erworbene
Lipoidmangel das auslösende Moment für die Wachstumshemmung
darstellen.
Wenn somit schon bei den Infektionskrankheiten mit Wahr¬
scheinlichkeit die Lipoidarmnt als wichtigstes ursächliches Moment
für den Infantilismus anzusehen ist, so gilt das für diejenigen
Formen des Infantilismus, die durch Ernährungsstörungen
bedingt sind, vermutlich in gleichem Maße. Allerdings liegen beim
Menschen die Verhältnisse wesentlich verwickelter als im Tierver¬
such. Der Nachweis, daß eine lipoidfreie oder lipoidarme Ernährung
den Infantilismus verursacht hat, wird sich beim Menschen nie mit
Sicherheit erbringen lassen. Wahrscheinlich gehören hierher die
von Herter u. a. als intestinaler Infantilismus be¬
schriebenen Formen bei kleinen Kindern mit gastro-intestinalen
Störungen. Fälle dieser Art sind selten und bisher nur bei
Kindern beobachtet worden. Auch bei Ernährungsstörungen vor¬
übergehender Natur können — wie mir scheint — die Er¬
scheinungen des Infantilismus gelegentlich ausgelöst werden. Ich
lasse hier einen Fall folgen, der offenbar nicht dem Herter-
schen Typus entspricht:
Fall G. P., 7 Jahre, Faktorkind. Vater gesund, Mutter tuberkulös.
Eine Schwester von 4 Jahren ist fast ebenso groß und schwer, der
5jährige Bruder größer und schwerer als Pat. — War als Säugling
2 Monate an der Brust, dann 4 Monate in Pflege. Dort bekam sie
meist unverdünnten Haferschleim, fast keine Milch, bis sie in elendem
Zustande mit schwerem Magen-Darmkatarrh von der Mutter nach Hause
genommen wurde. Seitdem immer körperlich zurückgeblieben. Keine
Tuberkulöse. Größe 1,09 m. Gewicht 18 kg. 62 °/ 0 Hbg. Klein und
schwächlich. Innere Organe o. B.
Wie bei den Infektionskrankheiten, so spielt auch bei ge¬
wissen Vergiftungen, die zu Infantilismus führen, derLipoid-
mangel — wie es scheint — die wesentlichste Rolle. Infolge
seiner Lipoidlöslichkeit wirkt der Alkohol vornehmlich als Lipoid¬
gift. Durch Alkoholisierung junger Tiere kann man besonders kleine
Exemplare künstlich großziehen. Beim Menschen gehört der Infan-
tilismus dnrch frühzeitigen reichlichen Alkoholgenuß glücklicher¬
weise noch zu den Seltenheiten. Über einen besonders krassen
Fall, den ich vor .17 Jahren beobachtet habe, will ich hier kurz
berichten:
Ein 5 jähriger Knabe, der mit Typhusverdacht zur Krankenhaus-
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142
Bobchabdt
auf nah me kam, und dessen Erkrankung sich als richtiges Delirium tremens
erwies, war im Wachstum wesentlich zurückgeblieben and erweckte den
Eindruck eines 3 jährigen Kindes. Wie Nachforschungen ergaben, war
der Junge durch den Vater, der selbst Trinker war, an Bier- und
Schnapsgennß gewöhnt worden.
In das Gebiet des dystrophischen Infantilismns gehören auch
die Fälle von Infantilismns bei angeborenen oder früh erworbenen
Herzfehlern, über die ich keine eigenen Erfahrungen habe.
Hier kann man die ungenügende Versorgung der Organe mit O t
und Nährstoffen für die Entstehung des Infantilismns verantwort¬
lich machen. Ob 0,-Mangel allein oder CO a -Überladung des Blutes
das Wachstum hemmt, ist noch nicht festgestellt. Es darf aber
als wahrscheinlich gelten, daß auch hier ganz bestimmte Faktoren,
d. h. der Mangel an bestimmten notwendigen Nährstoffen die Zelle
in ihrer Entwicklung hemmt.
Die hier gegebene Auffassung über das Wesen des Infantilismns
führt notwendig dazu die Möglichkeit infantiler Veränderungen zn
den verschiedensten Zeiten tles menschlichen Lebens anzunehmen.
Das Alter der von mir beschriebenen Fälle schwankt zwischen 6
und 40 Jahren. Eine solche zeitlich weite Auffassung des Infan¬
tilismusbegriffs bedarf der Rechtfertigung. Alle Autoren, die das
„Kindbleiben“ als die wesentlichste Eigenschaft der Infantilen
ansehen, erkennen nur solche Fälle als echten Infantilismus an,
die in einem Alter, in dem in der Regel die Entwicklung beendet
ist, noch deutliche Zeichen des Eindseins darbieten. In der Tat
läßt es sich nicht leugnen, daß in und nach der Pubertät der
Infantilismus die deutlichsten Erscheinungen macht. Der formative
Einfluß der Keimdrüsen auf den Gesamtorganismus ist so groß,
daß die Erscheinungen der verzögerten Geschlechtsreife als Teil¬
erscheinungen des Infantilismus besonders auffallen müssen. So
haben die meisten beschriebenen Infantilen ein Alter von 17 bis
25 Jahren. Es ist aber ganz zweifellos — und die oben beschrie¬
benen Fälle zeigen das deutlich —, daß Entwicklungshemmungen
auch während der Kindheit deutliche Erscheinungen machen können.
Nimmt man an der Bezeichnung Infantilismus im Kindes¬
alter Anstand, so soll man ihn durch Subevolutionismns
ersetzen. Es ist aber nicht angängig, für den von Herter be¬
schriebenen intestilalen Infantilismus — wie das Peritz vor¬
schlägt— den Ausdruck Fötalismus zn wählen, da es sich nicht
um einen Rückschlag in eine fötale Entwicklungsstufe, sondern um
eine Wachstumshemmung in der kindlichen Entwicklungszeit handelt
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Über Abgrenzung und Entstehungsurzachen des Infantilismus. 143
über den sog. partiellen Infantilismus soll hier nicht
ausführlich gesprochen werden. Man versteht darunter isolierte
Hemmungsbildungen, die sich in allen möglichen Kombinationen
finden können. Jedenfalls gelten für den partiellen Infantilismus
ganz andere Bedingungen wie für den universellen; so darf man
z. B. auch gewisse Erscheinungen des Hypogenitalismus, auch
wenn dieser zum Hochwuchs führt, dem partiellen Infantilismus
zuzählen. Dem letzteren kommt aber eine selbständige Stellung
im System der Krankheiten nicht zu; er bezeichnet nur eine be¬
stimmte Art von Symptomen.
Auch der Zwergwuchs steht dem universellen Infantilismus
weniger nahe als meistens angenommen wird. Zwischen Infantilis-
mus und Zwergwuchs ist nicht nur ein quantitativer, sondern auch
ein qualitativer Unterschied. Von den beiden Typen von Zwerg¬
wuchs, die Hansemann unterscheidet, ist die Nanosomia pri¬
mordial is ausgezeichnet durch eine abnorme Kleinheit aller Pro¬
portionen bei normal eintretender Entwicklungs- und Reifezeit. Es
handelt sich also nicht um eine Entwicklungshemmung, sondern
um abnorm klein angelegte Individuen. Die Anomalie ist erblich.
Ob die übrigen Fälle von Zwergwuchs, die unter dem Begriff
Nanosomia infantilis zusammengefaßt zu werden pflegen, einen
einheitlichen Typus darstellen, ist noch unentschieden. Jedenfalls
unterscheiden sie sich vom Infantilismus universalis dadurch, daß
die Entwicklungshemmung nicht gleichmäßig alle Körperproportionen
betrifft, sondern ungleichmäßig, so daß Individuen resultieren, die
nicht nur zurückgeblieben, sondern auch abnorm entwickelt sind.
So erscheint der universelle Infantilismus als ein
gut abgrenzbarer Begriff, der mit dem Begriff der
allgemeinen, gleichmäßigen körperlichen und
geistigen Entwicklungshemmung gleichgestellt
werden darf. Diese Entwicklungshemmung kann
blastogen oder somatisch, ererbt, durch Keimschädi¬
gung oder im intra- oder extrauterinen Leben er¬
worben sein. Als Ursache des erworbenen Infantilis¬
mus sind einerseits Unterfunktion endocriner
Drüsen, andererseits Infektionen, Intoxikationen
und Ernährungsschäden bekannt. Ein Teil dieser
Schäden wirkt allem Anschein nach durch Mangel
an dem als wichtiger und unentbehrlicher Wachs¬
tumsreiz bekannten Lezithin.
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144
Aas dem Sanatorium Groedel in Bad Nauheim.
Was leistet das Böntgenverfahren für die Fanktions-
prüfang des Herzens?
Von
Privatdozent Dr. Franz M. Groedel,
Frankfurt &. M.—Bad Nauheim.
Wenn wir die Funktion des Herzens am Röntgenschirm prüfen
wollen, so werden wir unser Augenmerk wohl unwillkürlich zuerst
auf die Art der Herzpulsation richten.
„Eine abnorm schwache Pulsation sieht man besonders bei
Myokarditis,“ sagte ich 1914 in der zweiten Auflage meiner Röntgen¬
diagnostik. 1 ) Dagegen bezeichnete ich den verstärkten Aktions¬
typus als Charakteristikum der Aorteninsufficienz, der Bradykardie
und des Herzblocks, also jener Fälle, bei denen die Auswurfsmenge
des Herzens abnorm groß ist. Andererseits findet sich der schon
von Criegern für das gesunde Herz beschriebene verstärkte
Aktionstypus besonders bei nervösen und asthenischen Individuen.“
Diese kurze Zusammenstellung genügt wohl, um die Behauptung
aufznstellen, daß der Aktionstypus des Herzens, wie wir ihn mit
Hilfe der Röntgenstrahlen beobachten können, einen Rückschluß
auf den Zustand des Herzmuskels nicht gestattet, mit der einen
Ausnahme, daß bei hochgradiger Muskeldegeneration die Herz¬
bewegungen sehr schlapp und wenig ausgiebig sind.
Wenn ich nun noch darauf hin weise, daß bei sehr frequenter Herz¬
tätigkeit, wie wir sie bei Anfallen von paroxysmaler Tachykardie, bei Morbus
Basedowii usw. oft am Röntgenschirm beobachten können, die Pulsations¬
ausschläge flimmernd und schwach erscheinen, dann ergibt sich ohne
weiteres die Schlußfolgerung, daß wir röntgenologisch beweisen können,
daß der Pulsationstypus des Herzens, in erster Linie vom Nervensystem
(Frequenz) in zweiter Linie von der Auswurfsgröße deB Herzens und
1) Groedel, Atlas und Grandriß der Röntgendiagnostik in der inneren
Medizin. J. F. Lehmann, München.
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Was leistet das Röntgenverfahren für die FunktionsprÜfung des Herzens? 145
erst in letzter Linie vom Maskelznstand bedingt wird, daß also auch von
diesem Gesichtspunkte ans ein von verschiedenen Antoren versuchter
röntgenologischer Rückschluß auf feinere Tonusvarietäten aus der Pul*
sationsform nicht gezogen werden kann. Und somit erübrigt sich auch
für funktionelle Prüfungen jede kompliziertere Feststellung der Herz¬
pulsationsbreite resp. der systolisch-diastolischen Formdifferenz des Herzens,
einer Feststellung auf die Huismans wohl allzu großen Wert ge¬
legt hat.
Wie verhält es sich nun mit der Schattenform des Herzens
bei verschiedenen Graden des Muskeltonus? Können wir aus der
Form der Herzsilhouette einen Schluß auf den Zustand des Herz¬
muskels ziehen?
In der ersten Auflage der Röntgendiagnostik (1909) sagte ich
bereits bei Besprechung des Röntgenbildes der Myokarditis, „so
finden wir neben der schon erwähnten schlaffen Pulsation auch
eine schlaffe Herzform mit meist nicht abgrenzbaren Randbogen.
Das Herz hat mehr oder weniger Dreieckform, dessen meist sehr
breite Basis auf dem Zwerchfell ruht. u In meinen späteren
Arbeiten habe ich stets in ähnlichem Sinne über das schlaffe Herz
bei Myokarditis berichtet.
Ich glaube, diese Charakterisierung der schlaffen Herzform
(bei Myokarditis resp. Myodegeneration) auch heute nicht treffender
geben zu können.
Etwas Ähnliches hat F. A. Hoff mann 1 ) beschrieben, wenn er
sagt, daß in jenen Fällen, in welchen der von der HerzläogBachse und
dem Zwerchfell gebildete Winkel mehr als 90° beträgt, eine Atonie des
Herzens vor liegt. Ich glaube aber, daß dieses Kriterium leicht zu Ver¬
wechslungen führen kann, denn schließlich ist der Herzlängeachse-
Zwerchfell winkel von der Körperform und den Körperproportionen der¬
art abhängig, daß er für irgendeine weitere Entscheidung nicht heran¬
gesogen werden kann.
Ganz besonders unzuverlässig muß uns aber die Beurteilung des
Herztonus nach dem Herzzwerchfellwinkel erscheinen, wenn Hoffmann
Atonie des Herzens findet: bei Fettleibigkeit, allgemeinem körperlichem
Verfall, bei Neurathenie, beim Tropfenherz usw.
Noch weitere diagnostische Schlüsse auf den Muskelzustand,
aus. der Herzform zu ziehen, wie oben von mir geschehen, halte
ich nicht für zulässig. Geringe Tonusändernngen des Herzmuskels
können jedenfalls meiner Ansicht nach aus der Form der Herz¬
silhouette nicht festgestellt werden.
Nnn ist ja wohl der Begriff „Tonus“ für den Herzmuskel über-
1) Hoffmann, F. A., Kordatonie und Herzneurasthenie. Deutsche med.
Wochensehr. 1907, Nr. 48.
Deutsches Archiv ffir kltn. Medizin. 1S8. Bd. 10
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146
Gboidbl
haupt besser za vermeiden. Und wenn Zehbe 1 ) neben dem
prallelastischen normalen Tonns und dem schlaffen Tonne des de¬
generierten oder myasthenischen Herzens den erhöhten Tonns des
hypertrophischen Herzens beschreibt, so setzt er Tonns = Muskel-
zustand. Es soll hier darüber nicht diskutiert werden, wie weit
dies zulässig ist Jedenfalls dürfte es zweckmäßiger sein, die
Begriffe:
1. normaler Muskel,
2. Muskelschwäche (Myasthenia cordis),
3. Muskeldegeneration, einerseits und
4. Dilatatio cordis,
5. Hypertrophia cordis andererseits
unseren Erörterungen zugrunde zu legen, dagegen den Muskeltonus
ebensowenig wie die Kontraktilität des Herzmuskels usw. in unsere
für herzphysiologische Untersuchungen recht grob mechanischen
Untersuchungen einzuscbließen.
Wenn wir bisher von den pulsatorischen und morphologischen
charakteristischen Röntgenerscheinungen des Herzens sprachen, die
bei den unter dem Sammelbegriff „Myokarditis“ vereinten Fällen
zu beobachten sind, so haben wir hiermit zugleich die Röntgen¬
symptome der Dilatation gestreift.
Denn das was wir als typisch für die Myokarditis schilderten
— die schlaffe Herzform und -pulsation — das wäre in gleicher
Weise auch für die Dilatation anzuführen.
Hier ist besonders das Röntgenbild der relativen Tricuspid&l-
insufficienz sehr lehrreich. Wir sehen bei diesem die Mitralfehler
so oft komplizierenden Vitium, den rechten unteren Schattenbogen
der Herzsilhouette — den rechten Vorhof — weit ausgebuchtet
und dem Zwerchfell beutelförmig aufsitzend.
Und im Gegensatz zum Bild des dilatierten rechten Vorhofs
sehen wir dann oft beim gleichen Falle den linken Herzrand be¬
sonders scharf geschwungen, als Ausdruck einer starken Hyper¬
trophie des linken und mehr noch des rechten Ventrikels.
Gleiches gilt auch von dem kugelig und äußerst scharf konturierten
Nephritisherzen, wie auch von der Schattenzeichnung des hyper¬
trophischen linken Ventrikels bei Aortenfehlern.
Es wäre sonach zu sagen: bei starker Hypertrophie eines Herz-
teiles sehen wir seine Röntgenschattenkonturen stärker geschwungen
1) Zehbe, Beobachtungen am Herzen und der Aorta. Deutsche med.
Wochenschr. 1916, Nr. 11.
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Wm leistet das Böntgen verfahren für die Funktionsprüfun g des Herzens? 147
and besonders scharf gezeichnet,' bei Dilatation sind dagegen die
Sehattenkonturen verstrichen, der betreffende Herzteil oder das
ganze Herz zeigt schlaffe Beutelform. Letzteres ist gleichzeitig
das markante Röntgenbild der Myokarditis.
Selbstverständlich gibt es aber alle möglichen Übergänge
zwischen den beiden Formen, je nachdem die Hypertrophie mit
einer Dilatation vergesellschaftet, die Dilatation durch eine Muskel-
bypertrophie kompensiert und anatomisch stabilisiert ist. Und
ebenso wird die „schlaffe Myokarditisform“ des Herzröntgenogramms
verschieden ausgeprägt sein, je nachdem es sich um eine schwere
Muskeldegeneration allein, oder als Folge lange bestehender, primär
zur Hypertrophie fahrender Krankheiten (Nephritis, Sklerose nsw.)
bandelt Man hüte sich sonach vor einer Überwertung oder ein¬
seitigen Bewertung des Röntgenbildes bei der Beurteilung des
Herzmuskels.
Jedenfalls sind also die Zwischenstadien zwischen der abnorm
scharf konturierten und der abnorm schlaff konturierten Herz¬
röntgensilhouette nur mit Vorsicht diagnostisch zu verwerten, be¬
sonders aber kaum geeignet, Aufschluß über leichtere Krankheits¬
formen zu geben.
Vor einigen Jahren hat nun Zehbe mitgeteilt, daß bei nor¬
malem Herzen bei tiefer In- und Exspiration die Herzachse sich
parallel zu sich selbst verschiebt, daß aber bei schlaffer Herz¬
muskulatur ein Herz, das eventuell bei Inspiration noch eine
ganz normale Form haben könnte, bei der Exspiration wie eine
formlose Masse, wie ein Klumpen Teig auf dem Zwerchfell liegt.
„Seine Längsachse hat sich aus der früher mehr vertikalen Stel¬
lung in eine fast horizontale bewegt, der Neigungswinkel ist also
bei der Exspiration kleiner geworden, hat sich mehr dem rechten
genähert Die Herzform ist völlig verändert, sie ist gewissermaßen
auseinander gegangen, nach rechts und links breiter geworden, sie
bat sich förmlich der Zwerchfellkappe angeschmiegt; das ist der
Typ des schlaffen Herzens.“
Es kommt hier also ein "weiterer Faktor für die Beurteilung
des Hermuskels in Anwendung, die Formveränderung des
Herzens durch Änderung des Zwerchfellstandes —
' denn nur durch diesen wird die Herzform bei der Tiefatmung
verändert
Zunächst ist es ein Irrtum, anzunehmen, die Herzachse ver¬
schiebe sich bei tiefer Atmung parallel zu sich selbst Wenn man
nachliest, was Jam in und was ich selbst über die respiratorischen
10 *
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148
Gkobdbl
Herzbewegungen gesagt habe, so wird man finden, daß wir im
Gegensatz zu Zehbe bei der Atmung, besonders aber bei der Tief¬
atmung eine Stellungsändernng der Herzachse beobachtet und auch
durch Abbildungen bestätigt haben.
Und das gleiche sehen wir bei Veränderung des Zwerchfell¬
standes durch die Körperstellung, bei Untersuchung im Stehen und
Liegen (Moritz, Dietlen u. &.). Ganz allgemein ist zu sagen,
daß im Liegen durch das höher tretende Zwerchfell das Herz stets
breit gedruckt wird — also kann sich sein Längsdurchmesser nicht
parallel verschieben. Sonach wird es schwer fallen, gerade bei
Zwerchfellhochstand, einerlei auf welche Weise entstanden, eine
schlaffe Herzform von einer nur durch den Zwerchfellstand breit
gedrückten Herzfigur zu unterscheiden, dies um so weniger, wenn
man gar noch wie C. Plaut ^ vorschlägt, den Magen mit Luft füllt!
Aber sehen wir von dem Verhalten der Längsachse ganz ab
und fragen wir nur, ob bei Zwerchfellhochstand die bei normalem
Zwerchfellstand normale Herzform überhaupt schlaff erscheint;
wenn ja, bei welchen Fällen dies der Fall ist; ob speziell die bei
normalem Zwerchfellstand schlaff befundene Herzform bei Zwerch¬
fellhochstand sich noch schlaffer darstellt.
Ich habe einige Monate lang das „Zehbe’sche Phänomen“
bei jeder Herz- und Thoraxuntersuchung gesucht Aus druck¬
technischen Gründen ist es leider nicht möglich, Beispiele aufzu¬
führen. Ich kann nur mitteilen, daß meine Statistik ein ver¬
nichtendes Urteil über das Zehbe’sche Phänomen spricht.
Das Zehbe’sche Phänomen fällt auch bei gesundem Herzmuskel
positiv, auch bei krankem Herzen negativ aus; es steht jedenfalls
graduell in gar keiner Relation zum Herzzustand, ist außerdem
technisch oft nicht zu kontrollieren.
Wie man sich die exspiratorische „Erschlaffung“ des pulsieren¬
den Herzens eigentlich beim asthenischen Herzen vorzustellen hat,
also bei einem nicht dilatierten Herz, einem nicht degenerierten
Muskel, das ist mir unklar. Ich muß feststellen, daß gerade so wie
vor Jahren die Volumschwankungen, so in letzter Zeit die Form-
schwankungen des Herzens überschätzt worden sind.
TJnd wenn man einmal die respiratorischen, individuell so weohsel-
reicben Zwerchfellbewegungen studiert hat, dann wird man verstehen, daß
das Zehbe’sche Phänomen auch technisch sehr schwer nacbznprüfen ist.
Gerade bei Asthenie des Herzens, bei wirklioh labiler Zirkulation, wird
1) Plaut, C., Über schlaffe Herzen im Röntgenbild, zugleich eiu Beitrag
zur Beurteilung des Zehbe’schen Phänomens. Fortschr. Bd. XXVI, H. 1, 1918.
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Was leistet das Röntgenverfahren ftlr die Fonktionsprüfong des Henens ? 149
man eine geringe Zwercbfellexkursion sehen, oft eine an Atemsperre
grenaende respiratorische Bähe. Der Astheniker ist ja bekanntlich ein
sehlechter Atemkünstler und trotz aller Mühe erreicht man oft keine aus*
giebige Atemexkursion des Zwerchfells. Wie soll da aber in solohen
Fällen — und sie sind die wichtigsten — das Phänomen beobachtet
werden?
Aber man stelle dann einen Menschen vor den Schirm, der es ver¬
steht, Bein Herz abdominal zu massieren, d. h. exspiratorisch durch Be¬
tätigung der ßauchpresse das Zwerchfell hoch zu schrauben. Man wird
erstaunt sein, wie das Herz quer gelagert, breit gepreßt, deformiert
wird. Vor Jahren zog ein Mann von Klinik zu Klinik, der das in be¬
sonders hohem Maße fertig brachte und sich überall bestaunen ließ. Kr
konnte auch eine Bradykardie künstlich hervorrufen — doch wohl nur
mit der Bauchpresse. Und so möchte ich folgern, daß bei Asthenie
kombiniert mit Vagotonie, wie wir sie im Kriege häufig sahen, Yago-
tonie und Zehbe’sches Phänomen auf der gleichen Ursache beruhen, näm¬
lich auf anormaler Beteiligung der Bauchpresse bei der Atmung, auf
Überwiegen der abdominalen Atmung gegenüber der thorakalen.
Ich konnte jedenfalls aus Beobachtungen über den Einfluß
des Zwerchfellstandes auf die Herzform keinen Gewinn ziehen für
die Diagnose der Herzdilatation oder gar der Herzschlappheit
(Asthenie). Eher noch ließ sich erwarten, und scheint aus meiner
Zusammenstellung hervorzugehen, daß sich geringe Grade einer
Herzhypertrophie an der respiratorischen „Unbeeinflußbarkeit“ der
Herzform und -läge erkennen lassen, was für starke Hypertrophien
bezüglich des Lagewechsels schon berichtet wurde (Dietlen,
Groedel).
Wichtiger und aussichtsreicher wäre die Beobachtung des
Verhaltens des Herzens bei dosierter Arbeit Wir
nehmen heute an (Moritz), daß eine übermäßig große Arbeits¬
leistung bei gesundem Herzen eine anfängliche Verkleinerung mit
nachfolgender geringer Vergrößerung und schnellem Rückgang zur
Norm bewirkt Beim muskelschwachen Herzen läßt sich dagegen
vermuten, daß sofort eine Dilatation auftritt, die unter Umständen
auch bestehen bleibt
Aber abgesehen von der Geringfügigkeit derartiger Größen¬
schwankungen sind sie auch nicht eindeutig und nicht sicher
genug erwiesen, als daß wir sie funktionell-diagnostisch ver¬
werten könnten.
Wir kommen hier nun zu einem anderen für die Funktions-
beurteilnng wichtigen Faktor: der Herzgröße selbst Es ist
klar, daß die Herzgröße, soweit sie nicht durch Hypertrophie ver¬
ändert ist, uns einen Anhaltspunkt für die Beurteilung der Herz-
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Gbobdkl
funktion gibt Denn ein beträchtlich vergrößertes Herz, das ja in
jedem Falle einen veränderten, weniger leistungsfähigen Muskel
besitzen muß, muß ja schon einmal, oder auch öfters, den ge¬
stellten Ansprüchen nicht mehr genügt haben. Je größer also
das Herz ist, um so weniger gut werden wir es bewerten. Aber
es gibt wichtige Ausnahmen! Bei reiner Mitralstenose z. B. sehen
wir jahrzehntelang keine Vergrößerung und ganz plötzlich tritt
trotzdem eine schwere Insufficienz auf. Und wie oft sehen wir bei
normal großem oder doch nur wenig übernormal großem Herzen
plötzlich ein Lungenödem einsetzen oder periodisch kleine Anfälle
von Lungenödem auftreten?
Hier ist dann das „kleine Herz“ zu nennen. Man braucht
wirklich die Herzmessung nicht zu überwerten, wenn man sagt,
daß das de facto unternormal große Herz auch weniger leistungs¬
fähig ist und sein muß wie das normale Herz. Freilich muß
man richtig messen und richtig auswerten. Und ferner darf man
„Leistungsfähigkeit“ hier nicht in dem Sinne der momentanen
Sufficienz, sondern im Sinne der Belastungsfähigkeit an wenden.
Ein derartiges hypoplastisches, asthenisches Herz kann dank der
feinen Regulationsmechanismen des Kreislaufs lange Zeit relativ
große Gesamtarbeitsleistungen aufweisen, aber unerwartet plötz¬
lich wird sich die „Insufficienz“ einstellen.
Schließlich ist hier noch anzufübren, daß deutliche Größen-
veränderungen, die im Verlaufe längerer Beobachtungsinter¬
valle auftreten, meist ein sehr schlechtes Omen sind. Der kritisch
beobachtende Herzspezialist weiß, daß sich das Herz durchaus nicht
so gummiartig und nach Belieben ausdehnt und znsammenzieht, wie
zeitweise von einzelnen Autoren angenommen wurde. Tritt also
eine merkliche Herzgrößenveränderung bei einem Patienten ein,
dann ist dies ein alarmierendes Signal.
Hiermit wären die am Herzen direkt zu beobachtenden
Faktoren, aus denen sich die Herzfunktion beurteilen läßt, be¬
schrieben und kritisiert
Es bleibt noch der indirekte Beweis zu besprechen, der
Nachweis, daß das Herz den Ansprüchen nicht mehr genügt, daß
es zu Stauungen kommt, von denen uns hier natürlich nur die
pulmonalen interessieren — also jene Erscheinung, die wir zu den
Kompensationsstörungen rechnen.
Während die bisher erörterten Symptome (Pulsationsform,
Silhouettenform, Einfluß der Atmung, der Körperlage, kurz des
Zwerchfellstandes auf die Silhouettenform, Herzgröße, Herzgrößen-
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Was leistet das Röntgenverfahren für die Fonktionsprüfong des Herzens? 151
Änderung bei Herzbelastung und ohne solche), die als direkte zu
bezeichnen sind und wie wir sahen diagnostisch relativ wenig er¬
giebig sind, uns hauptsächlich über den Zustand, die Kraft, die
vermutliche Belastungsfähigkeit des Herzmuskels orientieren können,
sagen uns die indirekten Symptome — die Erscheinungen der Herz-
insufficienz —, daß das Herz den Ansprüchen des Körpers nicht
mehr oder im Augenblick nicht nachkommen kann, daß gefor¬
derte Leistung und Leistungsfähigkeit in einem
Mißverhältnis stehen, wobei natürlich noch die Frage offen
bleibt, ob die Forderung oder die Leistung anormal ist
Unter Inkompensation nnd Dekompensation resp. Insufficienz des
Herzens, besonders bei Herzfehlern, verstehen wir also einen Zustand mangel¬
hafter Leistungsfähigkeit des Herzens, ein Mißverhältnis zwischen ge¬
forderter nnd geleisteter Herzarbeit.
Die nachweisbaren Folgen sind, neben subjektiven Erscheinungen:
Dilatation des Herzens, Arhythmie und Stauungen. Ursache und Folge
and dabei oft schwer zu unterscheiden. Erhöhter Widerstand im kleinen
Kreislauf kann z. B. zum Versagen der Herzkraft führen; umgekehrt
hat aber auch mangelhafte Herzarbeit Stauung in der Lunge — ver¬
schlechterte und erschwerte Zirkulationsverhältnisse — zur Folge. Eben¬
so mag erhöhter, speziell peripherer Widerstand im großen Kreislauf
das Kreislaufgleichgewicht stören; andererseits entstehen aber bei nach-
lassender Herzkraft Stauungssymptome im großen Kreislauf, deren be¬
kanntestes der Hydrops in seinen verschiedenen Formen ist.
Einerlei, ob wir die Stase als Folge oder als auslösendes
Moment der Herzinsufficienz betrachten, stellt sie ein höchst
ominöses Symptom bei Herzkranken dar. Die frühzeitige Er¬
kennung eines derartigen Symptoms ist selbstverständlich praktisch
sehr wichtig.
Während nun in manchen Gefäßgebieten Stauungen sehr leicht
zu erkennen, vom Arzt und Patienten kaum zu übersehen sind,
bietet ihre rechtzeitige Feststellung in anderen Bezirken große
Schwierigkeiten.
Zu letzteren gehört vor allem die Stase im kleinen Kreislauf.
Bekannt ist ja der Stauungshusten, der braungefärbte Auswurf
(Herzfehlerzellen) und der Hydrothorax des Herzkranken. Aber
schon bevor es zu diesen bedrohlichen Symptomen kommt, läßt
das Thoraxröntgenbild die Lungenstauung erkennen und alarmiert
den wachsamen Untersucher.
Das Lungenbild bei dekompensiertem Herzen habe
ich wohl als erster beschrieben 1 ) und auf die Stauungser-
1) Groedel, Röntgendiagnostik der Herz- and Gefäßerkrankungen.
H. Meußer, Berlin 1912.
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ÖBOKDBL
scheinungen in der Lange and an der Pulmonalis
aufmerksam gemacht. „In vielen Fällen finden wir — abgesehen
von leichtem Hastenreiz — oft keinerlei klinische Zeichen einer
Dekompensation, während wir bei der Durchleuchtung die Lungen¬
zeichnung vollkommen verwaschen, die Lungen verdunkelt, die
Pulmonalis ausgedehnt sehen“, ein Zustand, der auf Digitalis oft
sofort verschwindet.
Aber in vielen Fällen sind die Erscheinungen anfangs nicht
so hochgradig. Meist sehen wir als Beginn der Lungenstase nur
eine Verstärkung der Hiluszeichnung.
Was ist das anatomische Substrat der Hiluszeic hnung?
Aßmann hat iü jüngster Zeit diese Frage wieder angeschnitten und
— wie mir deucht — einseitig beleuchtet. Ich habe von jeher den
Standpunkt vertreten, daß jedes am Aufbau der Lunge beteiligte Ge¬
webe auch am Zustandekommen der Lungenzeichnung beteiligt sei. Die
mancherorts gefallene Behauptung,* die Bronchien lieferten die Hauptbau¬
steine, ist natürlich nicht haltbar. Aber ebensowenig ist meiner Ansicht
nach stichhaltig, was Aß mann zur Begründung der Hypothese, die
Blutgefäße lieferten das Lungenzeichnungssubstrat, sagt. Wenn er von
der gegenseitigen Verlaufsanordnung von Gefäßen und Bronchien spricht,
so denkt er immer an den Medianschnitt des Thorax und vernachlässigt
ganz die baumkronenartige Verzweigung und Verbreitung des Bronchial¬
baumes.
Auf dem Thoraxphotogramm eines gesunden Menschen sehen wir
die Hiluszeichnung nicht einfach reiserartig peripherwärts streben. Wir
sehen knorrige sehr kurze sich schnell verjüngende Schatten, die teil¬
weise fast vollkommen verschwinden, wieder erscheinen, wieder ver¬
schwinden usw. Diese knorrigen und knolligen Stellen, die nach schatten-
freiem Intervall wieder erscheinenden Stränge, das alles sind vielleicht
zu einem beträchtlichen Teil Gefaßschatten. Aber sioher nicht allein.
Je mehr wir uns der Lungenwurzel von der Peripherie aus nähern, um
so mehr Bronchien und Gefäße konfluieren. So werden die einzelnen
Schattenbildner wohl mächtiger, in der Hauptsache wächst aber die
Kreuzungs- resp. Summationsmöglichkeit mehrerer parallel, sich kreuzend
oder senkrecht zueinander verlaufenden Gefäße und Bronchien, auch
häufen sich die Bronchialdrüsen. In den so entstehenden Schatten sieht
man allerdings die größten Bronchialzweige noch als doppelkonturierte
Schattenaussparungen. Bald aber hört das darstellbare Lumen auf, es
werfen nur noch die Wände — besonders die tangential getroffenen
Bronchienteile — Schatten. Daß diese Schattenaussparung die den
Hilus8cbatten vom Herzen trennende helle Zone erzeugen soll, ist ein
mir unerklärlicher Irrtum Aß mann’s.
Man betrachte sich gute Brustkorbaufnabmen, möglichst mit der
Einschlagtecbnik hergestellt — bei sorgfältiger Beobachtung sieht man
den unteren Hauptbronchus bald durch den Hilusschatten genau zentral
hindurch, bald'über das Herz, bald neben dem Herz verlaufen. Be¬
sonders charakteristisch ist ein von Weinberger im XXII. Band der
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Was leistet das ßöntgenverfahren für die Funktiousprüfung des Herzens? 15S
Fortschritte veröffentlichtes Bild — einer jener recht zahlreichen Fälle
von Übertritt einer Kontrastäofschwemmnng in den Bronchialbaum. Man
rieht dort den Kontrastschatten als tiefdunklen zentralen Kanal durch
den etwas vergrößerten Hilosschatten verlaufen, rechts und links von
einem lichteren Schatten überragt.
Auf Leichenversuche will ich nicht eingehen. Nur verweisen will
ich noch auf die Veränderungen des Hilusschattens unter verschiedenen
pathologischen Umständen.
Bei Lungenerkrankungen, speziell bei beginnender Lungenphthise
sehen wir die Hiluszeichnung im ganzen verstärkt, aber vor allem weiter
in die Lunge hinein verfolgbar. Bei Hilustuberkulose wird wohl durch
die mächtigen Drüsenpakete der Hilusschatten knollig verstärkt. In allen
anderen Fällen nimmt aber die Hilusschattenverstärkung mehr in der
Lüge als in der Breite der einzelnen Schatten zu. Die freie Zone
neben dem Herzen bleibt lange hell.
Wie bei der Hilustuberkulose, so sehen wir auch bei Leukämie, bei
Bronchitis usw. den Hilusschatten knollig verstärkt, eben durch die
Summation der Drüsenschatten. Die helle Zone neben dem Herzen wird
bald vollkommen überlagert.
Bei kardialer Stauung endlich sehen wir eine wieder mehr
knollige oder besser gesagt fleckige, jedenfalls anfangs nur die
Lnngenwurzel betreffende Verstärkung der Lungenzeicbnung und
Verschwinden der hellen Zone neben dem Herzen. Die übrige
Lungenzeichnung bleibt zunächst unbeeinflußt.
Es ließe sich hier noch manches Interessante zu der Frage
anführen. Wir wollen aber nicht von unserem Thema abweichen.
Jedenfalls ist die knollige, fleckige Verstärkung des Lungen¬
wurzelschattens (ob pulsierend oder nicht ist Nebensache, denn
jede Drüse kann reitende Pulsationen ausführen) ein Frühsymptom
der Herzinsufficienz, gleichzeitige allgemeine Lungenverdunkelung
das Zeichen schwerer Stauung im kleinen Kreislauf.
Unsere Besprechung ergibt sonach: Bei hochgradiger Muskel-
degeneration sehen wir einen schlappen Aktionstypus. Die Pulsations¬
breite des Herzröntgenbildes läßt keinen Schluß auf Tonusvarietäten
zu. Die schlaffe Silhouetten form (verstrichene Randbogen) finden
wir bei Myodegeneratio. Dagegen lassen 6ich feinere diagnostische
Differenzierungen auf Grund der Formstudien nicht vornehmen.
Speziell hat die schlaffe Herzform nichts Beweisendes für My¬
asthenie, Neurasthenie, Hypoplasie usw. Die stärksten Grade der
(beutelförmigen) schlaffen Herzsilhouette sehen wir bei Dilatatio
cordis, die schärfste Randzeichnung bei Hypertrophia cordis. Als
frühzeitig feststellbares Röntgensymptom der Herzinsufficienz ist
nur die Beschattung der Hilusgegend im Röntgenbild zu nennen.
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154
Aus der HL medizin. Universitätsklinik in Budapest.
(Direktor: Prof. Baron A. v. Kor&nyi.)
Der Beststickstoff im menschlichen ßlnt nnd Gewebe bei
Nierenerkranknngen.
Von
Dr. Irene Bar&t und Dr. G^za Hetänyi.
Einen Einblick in die Stoffwechselvorgänge bei den diffusen
hämatogenen Nierenkrankheiten zu gewinnen, gehört wohl zu den
schwierigsten Aufgaben der menschlichen Pathologie. Durch die
Kontrolle der eingeführten Nahrung und durch Analyse der in den
Exkreteu erscheinenden Endprodukte des Stoffwechsels sind wir
zwar zur Aufstellung einer Stoffwechselbilanz befähigt, welche
Vorgänge sich aber inzwischen im Organismus abspielen, entzog
sich bis vor kurzer Zeit unserem Einblicke.
Lange Zeit hindurch war daher die positive oder negative
N-Bilanz in erster ßeihe maßgebend für die Beurteilung des Zn-
standes und der Prognose einer Nierenerkrankung. Bald zeigte
sich jedoch, daß zwischen klinischem Bilde und laboratorischen
Analysen gar nicht selten ein scharfer Widerspruch besteht So
beobachtete man bei schwersten Urämien N-Gleichgewicht, oder gar
negative N-Bilanz. Man flüchtete sich zur Annahme (Ascoli),
daß der Stoffwechsel der Nierenkranken viel unregelmäßiger als
der der Gesunden sei, ohne mit der Ursache dieser scheinbaren
Ungesetzmäßigkeit im klaren zu sein.
Es war ein Verdienst von v. Koränyi im Blute auf ein neues,
unschwer zugängliches Feld für die Beurteilung dieser Vorgänge
hinzuweisen. Er benutzte hierzu die physikalisch-chemischen Unter¬
suchungsmethoden und konnte aus Erhöhung der Gefrierpunkts¬
erniedrigung auf eine Retention gelöster Moleküle im Blute schließen.
Durch die Bestimmung des nicht koagulablen Stickstoffgebaltes
des Blutes, welche Untersuchungsmethode von Strauß eingeföhrt
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Der Bestetickstoff im menschlichen Blot n. Gewebe bei Nierenerkranknngen. 155
wurde, — bot sich ein neues Kriterium chemischer Art zur Be¬
urteilung eines Krankheitsfalles. Der Reststickstoffgehalt des Blutes
sagt uns aber auch nichts mehr, als eben das, wieviel RN im Mo¬
ment der Blutentnahme im Blute vorhanden ist. Wenn man aber
in Betracht zieht, aus welchen Quellen diese Stoffe herstammen,
sieht man, daß diese recht verschiedener Art sind. Ein Teil der¬
selben entspricht zweifellos der N-Retention im Blute selbst infolge
herabgesetzter Nierentätigkeit, ein anderer Teil aber ist sicherlich
als der Ausdruck des in den Geweben sich abspielenden Eiwei߬
abbauprozesses aufzufassen. Drittens mußte die Frage offen ge¬
lassen werden, ob nicht ein Teil der im Blute retinierten Schlacken
in das Gewebe übergeht, was ja nach physiologischen Analogien
von vornherein als sehr wahrscheinlich erschien.
In neuerer Zeit wurde die Aufmerksamkeit mehrerer Forscher
dieser Frage zngewendet Von der älteren Literatur ist bloß die
Arbeit von Voit aus dem Jahre 1868 zu nennen, der in Tier¬
experimenten nachwies, daß der eingeführte Harnstoff sich zuerst
im Blute ansammelt, nach Sättigung desselben aber auch der Harn¬
stoffgehalt der Gewebe mächtig ansteigt. Im Gegensatz hierzu
fand Rosemann, daß der RN zuerst in den Geweben aufgestapelt
wird. So erklärt er diejenige Formen der Urämie, in welchen der
RN-Gehalt des Blutes keine wesentliche Steigerung aufweist. In
diesen Fällen wird also die Urämie durch Historetention zustande¬
gebracht Soetbeer und Schmidt fanden eine gleichzeitige Er¬
höhung im Blute und in den Geweben. Auch Monakow kommt
auf Grund seiner Untersuchungen zu dem Schlüsse, daß in den Ge¬
weben die primäre Retention stattfindet, und der RN im Blute erst
dann anwächst, wenn die Aufnahmefähigkeit der Gewebe bereits
erschöpft ist Dagegen wird im Falle der Entleerung von Reten¬
tionen das Blut später von den Schlacken befreit, als die Gewebe,
da doch die Entleerung durch das Blut ihren Weg nimmt. Auch
die interessante Arbeit von Wolf und Gntmann wäre hier zu
erwähnen, die auch ein klinisches Interesse darbietet Sie unter¬
suchten den Einfluß der Aderlässe auf den RN-Gehalt des Blutes,
und fanden, daß nach einer Venaesektion der RN des Blutes eine
Steigerung aufweist, obwohl sich dabei der Zustand des Kranken
wesentlich bessert. Das kann nur durch ein, der Blutentziehung
folgendes Einströmen aus den Geweben in das Blut erklärt werden,
wodurch die Gewebe eines Teiles der Schlacken entlastet werden.
Monakow war der erste der daraufhingewiesen hat, daß
eine Erhöhung des RN auch ohne exogene Anhäufung möglich ist,
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156
Bahat vl Hetänyi
und zwar in den Fällen, wo sich im Organismus ein übermäßiger
Eiweißzerfall abspielt, und die Ausscheidung den erhöhten An¬
sprüchen nicht nachkommen kann. Man darf also nnr dann auf
eine N-Retention schließen, wenn ein erhöhter Eiweißzerfall im
Körper sich nicht abspielt
Rosenberg untersuchte das Verhältnis der N-Bilanz zum
Blntreststiekstoff, und ist — wie auch schon Strauß — zu dem
Ergebnisse gekommen, daß der RN auch bei negativer N-Bilanz
sich , erhöhen, andererseits bei positiver N-Bilanz abnehmen oder
normal bleiben kann. Die erste Möglichkeit findet ihre Erklärung
in dem erhöhten Eiweißzerfall im Körper, oder einer N-Strömung
in der Richtung Gewebeblut. Zur Erklärung der zweiten Even¬
tualität nimmt Rosenberg an, daß die retinierten Eiweißprodukte
im intermediären Eiweißstoffwechsel wieder verbraucht werden.
Es sind bereits auch einige Arbeiten erschienen, welche direkt
in den Geweben den RN bestimmen, Becher teilte solche Unter¬
suchungen als erster mit. Zuerst in tierischen, später in mensch¬
lichen Organen bestimmte er in mehreren Fällen den RN-Gehalt
der Gewebe. Es stellte sich heraus, daß der RN-Gehalt der Ge¬
webe den Blut-RN immer wesentlich übertrifft. Die Gewebewerte
bei einer Pneumonie waren niedriger als diejenigen eines Falles
von Glomerulonephritis, wo auch der Serum-RN bedeutend erhöht
war. In einem Falle von Nephrose erklärt Becher die gefundenen
hohen Gewebewerte mit einer vorausgegangenen therapeutischen
Urea-Einfuhr.
Rosenberg hat Untersuchungen auch über einzelne Bestand¬
teile des Reststickstoffes (so Harnstoff, Indikan, Kreatinin) in den
Geweben angestellt, ohne aber eine Gesetzmäßigkeit im Verhalten
dieser Stoffe finden zu können. Mars hall und Davis unter¬
suchten den U-Gehalt verschiedener Organe und fanden eine ungefähr
gleichmäßige Verteilung derselben. Falta untersuchte die Histo-
retention im Blute selbst, und kam zu dem interessanten Ergeb¬
nisse, daß die roten Blutkörperchen bei Urämischen immer RN
enthalten, während sie bei Nierengesunden keine Spur davon auf-
weisen. Er ist daher geneigt, die Urämie als eine — nunmehr
direkt nachweisbare — Vergiftung der Körperzellen mit N-haltigen
Schlacken aufzufassen.
Unsere Untersuchungen, die wir noch vor dem Erscheinen der
Becher’schen Arbeiten im Oktober 1919 begonnen hatten, haben
wir in folgender Richtung ausgeführt:
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Der Restetickstoff im menschlieben Blut n. Gewebe bei Nierenerkranknngen. 157
1. Ist eine Schlackenanhäufung in den Geweben direkt nach¬
weisbar?
2. Welche Formen der Nierenerkranknngen werden durch
höhere RN-Werte in den Geweben gekennzeichnet?
3. Gibt es einen Ansgleichprozeß zwischen Blnt und Gewebe,
wenn ja, in welchem Stadium ist dieser nachweisbar?
Wir gingen folgendermaßen vor: Der Blutreststickstoff wurde
in vivo 1—2 Tage ante Exitum, bei Kranken, die unter klinischer
Beobachtung standen, bestimmt Die Organe entnahmen wir aus
Leichen, die 8—12 Stunden post exitnm zur Sezierung kamen.
Zuerst mußte also untersucht werden, ob die Befunde von Rosen-
berg sowie von Becher, wonach die durch die postmortalen
Zerfallsprodukte der Gewebe verursachte Erhöhung des Nicht¬
proteinstickstoffes vernachlässigt werden kann, wirklich zu Recht
bestehen.
Zu diesem Zwecke stellten wir folgende Tierversuche an: Von
einem Kaninchen, das zu anderen Zwecken geopfert wurde, haben
wir verschiedene Organe herausgenommen, ihren RN-Gehalt be¬
stimmt, und die Organe in einem Becherglase aufgehoben. Nach
8 und nach 24 Stunden wurden weitere Bestimmungen gemacht.
Wann untersucht?
Milz
Leber
Muskel
Niere
Serum
sofort
133
137
201
176
53
nach 8 Stunden
149
167
215
204
63
«24 „
176
214
241
224
65
Wie ans den Tabellen ersichtlich, gibt sich die postmortale
Autolyse der Organe' durch eine Erhöhung der RN-Werte kund.
Diese Erhöhung beträgt nach 8-12 Stunden 10—30°/ 0 , nach
24 Stunden bereits 30 —70% der Originalwerte. In den darauf
untersuchten Organen fand sich eine ungefähr gleichmäßige Er¬
höhung und es ließ sich eine solche auch im Blute nachweisen.
Sodann untersuchten wir die postmortale Autolyse bei einem
Kaninchen, an welchem wir experimentell eine Chromnephritis
hervorriefen. — 20. Jnni 1921. Subkntane Injektion von 0,6 ccm
15% Kalium chromicum-Lösung. — 21. Juni. Idem. — 22. Juni.
Idem. — 23. Juni. Kaninchen wird durch Nackenschlag getötet,
Organe sofort verarbeitet, sodann in der Leiche aufbewahrt.
24. Juni. Die 24 Stunden lang in der Leiche verbliebenen
Organe wurden wieder auf ihren RN-Wert untersucht.
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BabIt u. Hbtänyi
Wann untersucht?
Niere
Herz
Muskel
Blutserum
sofort
223
266
346
161
nach 24 Stunden
262
322
320
286
Eine Erhöhung des RN-Wertes konnte auch hier beobachtet
werden. 8ie ist bei den -Geweben eine mäßige, im Blutserum je¬
doch eine auffallend starke. Es ist die Möglichkeit nicht von der
Hand zn weisen, daß bei Niereninsufficienz die Autolyse des Blut¬
serums bedeutend größere Grade erreicht, als bei Nierengesunden.
Unsere Ergebnisse werden durch diese Analysen insofern be¬
einflußt, als wir die Organe erst 8—12 Stunden nach dem Exitus
verarbeiten konnten. Die absoluten Werte des Gewebereststick¬
stoffes sind also aller Wahrscheinlichkeit nach um 10—30 °/ 0 nied¬
riger. Diese Erhöhung der Gewebewerte muß also in uuseren Er¬
gebnissen noch abgerechnet werden, wenn wir sie mit unseren in
vivo erhaltenen Serumwerten vergleichen wollen.
Bei den RN-Bestimmungen bedienten wir uns der Bang’scben
Mikromethode, welche bei einiger Übung, wie wir nns mehrfach
durch Eontrollbestimmungen mit der auch von Becher benutzten
Folin’schen Makromethode überzeugt haben, — sehr genaue Resul¬
tate gibt, und dabei sehr geringe Mengen Reagentien benötigt.
Wir haben dünnste Gewebescheiben von einem Gewicht von un¬
gefähr 100—120 mg auf das Bang’sche Löschpapier gebracht, und
deren Gewicht mit der Torsionswage bestimmt Zur Extraktion
diente die Bang’sche Phosphormolybdennatriumlösung, in welcher
wir die abgewogenen Gewebsstücke 20 Stunden stehen ließen.
Das weitere Verarbeiten geschah ebenfalls nach der Bang’schen
Methode.
Znr Bearbeitung der ersten Frage mußten wir uns zuerst über
den Reststickstoffgehalt der Gewebe bei Nierengesunden orientieren,
ln folgender Tabelle sehen wir die Ergebnisse vier solcher Fälle
wiedergegeben. Die Zahlen bedeuten in Milligrammen den RN-Wert
in 100 g Gewebe.
Krankheit
Herzmuskel
Milz
Leber
Niere
1. Typhus abd.
209
277
292
268
2. Myokarditis
205
195
172
199
3. Anaemia pern.
109
106
099
099
4. lnsuff. aortae
176
193
184
206
Becher:
Pneumonie
263
232
225
204
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Der Beststickstoff im menschlichen Blut n. Gewebe bei Nierenerkranknngen. 159
Wenn wir unsere Werte mit denjenigen von Becher ver¬
gleichen (Pneumonie), so sehen wir, daß Fall 3 sehr niedrige,
* Fall 2 und 4 den Becher ’schen fast gleichkommende und Fall 1
etwas höhere Werte lieferten. Letzteres kann zwanglos auf einen
toxischen Eiweißzerfall zurfickgefährt werden. (Abdominaltyphus!)
Die Verteilung unter den Organen ist eine ziemlich gleichmäßige,
und man kann als Mittelwert ungefähr den Wert von 0,19°/»
(0,175—0,205) ansehen, während der RN-Gehalt des Blutes sich
normalerweise zwischen 0,02 % und 0,05% bewegt. Wir finden
also, daß in den Geweben auch bei Nierengesunden ein höherer
RN-Gehalt als im Blute nachznweisen ist
Nun folgen die Fälle der untersuchten Nierenkranken:
1. Frau I. P., 39 Jahre alt. Diagnose: Glomerulonephritis, Lues.
Der Tod erfolgte in Uräipie. Im Urin waren 10 % 0 Albuinen, viel
Erythrocyten und granulierte Zylinder vorhanden. Blutdruck: 110. Keine
Ödeme. Wa.R.: -f--|—(-. RN des Serums 2 Tage ante mortem 0,168%.
Bei der Sektion fand sich eine allgemeine Amyloidose und ein Hepar
lobatnm syphiliticum. Die histologisohe Untersuchung, die wir in jedem
Falle durchführten, ergab eine amyloide Degeneration der Glomeruli.
Gewebewerte:
Serum Leber Herzmuskel Milz Niere Muskel
168 467 275 287 339 325
Wir finden also bedeutende Erhöhung der RN-Werte. Es ist
aber in diesem Falle nicht wahrscheinlich, daß dieser Erhöhung aus¬
schließlich die auch histologisch nachgewiesene Läsion der Glome¬
ruli zugrunde lag. Es ist vielmehr anzunehmen, daß hier auch
die Eiweißzerfallsprodukte der Körperzellen eine Rolle spielten,
indem sie infolge des geschädigten Ausscheidungsvermögens der
Nieren retiniert wurden. Bei der Kranken konnte während ihrem
kurzen Verweilen in der Klinik keine N-Bilanz bestimmt werden,
ihre Ernährung war eine minimale. So müssen wir bei der Be¬
urteilung dieses Falles in erster Reihe die endogene Anhäufung
(Eiweißzerfall) berücksichtigen.
2. Dr. S. K., 63 Jahre alt. Diagnose: NekroBis renis mercurialis.
Es entwickelte sich daa bekannte Vergiftungsbild, das nach 2 Wochen
mit Urämie endete. Während der ganzen Zeit bedeutende Oligurie, im
Harn 15 % 0 Albumen, im Sediment Zylinder und Erythrocyten. Blut¬
druck: 130. Keine Ödeme. RN im Serum 0,264%. Bei der Sektion
fanden wir in den Nieren ausgesprochene Petrifikation. Im histologischen
Präparat war vollständige Nekrose des Epithels mit Kalkablagerung za
sehen.
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BaBAT U. Hbt6»YI
Gewebewerte:
Serum Herzmuskel Milz Leber Niere Muskel
264 295 292 378 — 279
Bedeutende Erhöhung sowohl im Blute als in den Geweben,
die Erhöhung im Blute ist jedoch viel ausgesprochener. Dies ist
eine Erscheinung, die, wie wir noch sehen werden, für die akuten
Fälle im allgemeinen zutrifft Zuerst häufen sich die Schlacken
im Blute an, um erst bei hochgradiger ßetention in die Gewebe
überzugehen. Der Tod trat in diesem Falle, bevor dieser Aus¬
gleichsprozeß vollständig zustande kommen konnte, ein. Speziell
bei der Sublimätnekrose wäre auch eine Schädigung der Gewebe
infolge der Vergiftung, die mit einem erhöhten Eiweißzerfall ein-
herging, in Erwägung zu ziehen.
3. Frau J. S., 79 Jahre alt. Diagnose: Glomerulonephritis chro¬
nica, Uraemia. — Im Urin 1,75 °/ 00 Albumen, im 8ediment einzelne
granulierte Zylinder. Blutdruck: 205. Ödeme an den unteren Extre¬
mitäten. BN im Serum: 0,132 °/ 0 Die Sektion ergab das Bild einer
chronischen Glomerulonephritis. Histologisch ließ sich neben einer Läsion
der Glomeruli auch eine degenerative Veränderung an den Tubulär-
epithelien nachweisen.
Gewebewerte:
Serum Herzmuskel Milz Leber Niere Muskel
132 259 289 254 305 287
Hier sehen wir einen ähnlichen Fall, wie der vorhergehende,
nur daß hier der prozentuelle Anstieg in Blut und Geweben bereits
ein gleichmäßiger wurde.
4. K. B., 20 Jahre alt. Diagnose: Nephritis subacuta. Der Tod
erfolgte in rapid einBetzender Urämie. Der klinische Verlauf konnte
nioht beobachtet werden, ebenso unterblieb aus äußeren Gründen eine
Bestimmung des 8erum-RN.
Gewebewerte:
Serum Herzmuskel Milz Leber Niere Muskel
? 217 233 219 212 206
Also eine sehr geringgradige Erhöhung der Gewebewerte, trotz
Niereninsufficienz. Unseren bisherigen Besultaten nach mußten wir
hier eine Steigerung des BN im Blute supponieren.
5. M. K., 27 Jahre alt. Diagnose: Glomerulonephritis aouta.
Exitus in Urämie, trotz beiderseitiger Dekapsulation der Nieren. Im
Urin 9 °/ 0 Albumen, im Sediment reichlich granulierte Zylinder and
Erythrocyten. Blutdruck 180. Generalisiertes Ödem. BN im Seram
Tor dem chirurgischen Eingriff, 0,162 °/ 0 . Wegen der drohenden Anurie
Dekapsulation, die zu einer zweitägigen scheinbaren Besserung führte,
dann aber in einer Urämie rasch endete.
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Der BeststickstofF im menschlichen Blnt tL Gewebe bei Nierenerkranknngen. 101
Gewebewerte:
Seram Herzmuskel Milz Leber Niere Muskel
162 377 398 424 400 367
(3 Tage früher).
Die Nephritis trat hier nach einer Tonsillitis anf, die mit
hohem Fieber einherging. Die hohen absoluten Werte sind daher
teilweise zweifellos einem gesteigerten Eiweidzerfall, also einer
endogenen Schlackenanhäufung zuzuschreiben.
■ 6. A. R., 26 Jahre alt. Diagnose: Nephrosis chronica. Exitus in
Pneumokokkenperitonitis. Im Urin 10—12 °/ 0 Albumen. Im Sediment
hyaline Zylinder. Blutdruck 80. Ödemen an den Unterschenkeln, zeit*
weise tritt auch ein Lidodem auf. Wa.R. -f—f-. Es wurde eine kon*
genitale Lues angenommen. RN im Serum: 0,020°/ 0 . Sowohl der kli*
mache, wie auch der pathologisch-anatomische Befund entsprachen voll¬
ständig einer chronischen tubulären Nephrose.
Gewebewerte:
Serum Herzmuskel Milz Leber Nieren Muskel
20 338 280 237 286 280
Das ist unser einziger Fall von reinster Nephrose, welches
Krankheitsbild auch ziemlich selten zu beobachten ist Wir sehen
hier neben niedrigem Serumreststickstoff bedeutende Erhöhung in
den Geweben. Die Erklärung hierfür sehen wir in dem Eiweiß-
zerfall in den Geweben bei unbehinderter N-Ausführ durch die
Glomeruli. Dem Eiweißzerfall kann sowohl der in der Ätiologie
der Nephrose vorhandener degenerativer Faktor, als auch ein
toxischer Einfluß der Pnenmokokken-Infektion zugrunde liegen.
7. Ch. Fl, 43jährige Frau. Diagnose: Glomerulonephritis chronioa.
Wurde in urämischem Zustande nach einer genitalen Totalexstirpation
eingeliefert. Exitus in 2 Tagen. Im Urin 3,5 °/ 0 Albumen. Blutdruck 180.
Kein Ödem. RN im Serum : 0,264 °/ 0 .
Gewebewerte:
' Serum Herzmuskel Milz .Leber Niere Muskel
264 354 346 350 315 368
Hohe absolute Werte mit Prevalieren der RN-Erhöhung im
Blute, das nach der gesagten der akuten Verschlimmerung des Zu¬
standes entspricht.
Wir wollen noch einige Beispiele für solche Fälle anführen,
wo der Tod durch kardiale Dekompensation herbeigeführt war.
Da sehen wir die Erhöhung den normalen Werten parallel zu
gehen, ohne einen auffallenden Anstieg des Blut-RN aufzuweisen.
8. M. B., 36 Jahre alt. Diagnose: Glomerulonephritis chronica.
Vitium cordis. Perikarditis. Tod unter Symptomen einer Her zin su ffi oienz.
Deutsches Archiv für klin. Medizin 138. Bd. 11
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162
BabIt a. Ektänyi
Im Urin 10 °/ 0 Albumen, im Sediment rote und weiße Blutkörperchen,
hyaline und granulierte Zylinder. Blutdruck: 155. Allgemeines ödem.
RN im Serum: 0,095°/ 0 .
Gewebewerte:
Serum Herzmuskel Milz Leber Niere Muskel
95 299 306 309 275 —
Ein Stadium, in welchem der Ausgleich der RN-Verteilung
zwischen Blut und Gewebe bereits vollendet war.
9. Frau J. Sch., 48 Jabre alt. Diagnose: Nepbrosis cbron. Tbrom-
bosis art. Foasae Sylvii. Der Tod erfolgte durch Herzinsuifioiens. Im
Urin waren 10—20 °/oo Albumen, im Sediment einzelne rote, viele weiße
Blutkörperchen. Blutdruck: 100. Allgemeine Ödeme. RN im Serum:
0,096 °/ 0 . "Wa.R.: -|—|—Bei der Obduktion fanden sich große öde*
matöse Nieren (nephrotischer Typhus), histologisch konnte aber auch eine
Schädigung der Glomeruli naohgewiesen werden.
Gewebewerte:
Serum Herzmuskel Milz Leber Niere Muskel
96 234 237 257 207 239
Eine normale Verteilung im Blut und Gewebe.
10. J. G., 68 Jahre alt. Diagnose: Nephrosklerosis benigna. Der
Tod trat infolge einer eardialen Dekompensation ein. Im Urin Albumen
in Spuren, im Sediment vereinzelte Erythrocyten, einige hyaline Zylinder.
Blutdruck: 170. Ödeme an den unteren Extremitäten, an Extensität
immer zunehmend. RN des Serums: 0,068°/ 0 . Fathol. anat. Befund
(makroskopisch und histologisoh): Primäre Schrumpfhiere.
Gewebewerte:
Serum Herzmuskel Milz Leber Niere Muskel
068 232 201 192 179 265
Die Werte sind kaum etwas erhöht, die Erhöhung eine mit
der normalen Verteilung übereinstimmende in Blut und Gewebe.
Hier ist eben eine lang anhaltende chronische Retention vorhanden,
während dessen genügend Zeit war zum Ausgleich der retinierten
Schlacken.
11. Frau A. R., 50 Jahre alt. Diagnose: Sten. ost. von. sin. Ne*
phrosklerosis benigna. Der klinische Verlauf untspricht vollständig dem
sub 10 angeführten. RN im Serum; 0075°/ 0 .
Gewebewerte:
Serum Herzmuskel Milz Leber Niere Muskel
75 209 268 260 226 —
Ebenfalls eine mäßige, jedoch der normalen Verteilung ent*
sprechende Erhöhung.
Zuletzt wollen wir noch über ein Tierexperiment berichten,
welches wir zu dem Zwecke anstellten, um den Einfluß einer akuten,
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Original frum
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Der Reststickstoff im menschlichen Blnt n. Gewebe bei Nierenerkranknngen. 163
mechanischen Anurie auf den RN-Gehalt des Blntes and der Ge¬
webe zn untersuchen.
Dr. G6za v. Takäcs-Grosz hatte die Liebenswürdigkeit
die Operation durchzuführen, ln Äthernarkose wurde die rechte
Niere entfernt, sodann der linke Ureter unterbunden. Letzteres
geschah ohne Schädigung der Nierengefäße, um die Zirkulation in
den Nieren nicht zu beeinflussen.
Der RN-Gehalt betrug in dem, während der Operation ent¬
nommenen Blute 0,044%, in der exstirpierten Niere 0,223%.
Nach drei Tagen, während welcher Zeit der Hund still in
seinem Käfig saß, Somnolenz zeigte und nur wenig Nahrung zu
sich nahm, trat der Exitus ein. Sektion sofort nach dem Tode
ausgeführt. RN im Serum: 0,313%.
Gewebewerte:
Leber Herz Niere
369 346 332
Ein ähnliches Bild wie im Falle 7. Die immer (auch normaler¬
weise) bestehende Differenz zwischen Blut und Gewebewerten wird
durch stärkste Erhöhung des Blut-RN beinahe ausgeglichen. Dies
verstärkt uns in der Annahme, daß in akuten Fällen von Reten¬
tion zuerst der Blut-RN-Gehalt ansteigt, welcher Anstieg erst
später zwischen Blut und Gewebe ausgeglichen wird.
Zusammenfassend läßt sich also folgendes sagen:
1. Der RN-Gehalt der Gewebe ist auch physiologischer Weise
höher als derjenige des Blutes.
2. Die Gewebewerte bei den diffusen hämatogenen Nieren¬
erkrankungen zeigen eine deutliche Erhöhung.
3. Bei akuten Nierenerkrankungen, sowie in akuter Ver¬
schlimmerung chronischer Prozesse, übertrifft die prozentuelle Er¬
höhung des Blutreststickstoffes diejenige der Gewebe.
4. Bei der Nephrose, Amyloidose, bei Nephritiden toxischen
Ursprunges ist infolge des pathologisch gesteigerten Eiweißzerfalles
die Erhöhung der Gewebewerte größer.
5. Bei ausgesprochenen chronischen Prozessen, besonders bei
denjenigen, die zu keiner renalen, sondern zu einer kardialen De¬
kompensation führen (benigne Nephrosklerose), ist die prozentuelle
Erhöhung der Blut- und Gewebewerte — wenn vorhanden — eine
annähernd gleichmäßige.
6. Ein Unterschied in der Retentionsfähigkeit der verschie¬
denen Organe konnte nicht beobachtet werden.
n*
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
164 BakIt u. Hbtänyi, Der Beststickstofi im menschlichen Blut ubw.
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Literatur.
1. Ascoli, Vorlesungen Ober die Urämie 1903. — 2. Becher, Deutsches
Arch. f. klin. Med. 128, 129. — 8; Falt», Vortrag auf dem äratl. Fortbildungs¬
kurs in Wien 1921. — 4. Fei gl, ßiochem. Zeitschr. 81, 84, 87. — 6. Ders.,
Arch. f. experim. Pathol. 83, 1915. — 6. Marshali u. Davis. Journ. of. Biol.
Chem. 1914, 18. — 7. Monakow, Deutsches Arcb. t klin. Mea. 115 u. 116. —
8. Rosenberg, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 86 u. 87 —9. Bosemann,
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Biologie, 4, 1868. — 14. Wolf u. Gutmann, Deutsches Arch. f. klin. Med. 118.
Gck igle
ÜriginE Törn
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
165
Ans der medizin. Universitätspoliklinik zu Rostock
(Direktor: Prof. Dr. Hans Curschmann).
Über den Röckflnß von Pankreassaft in den Magen und
die Bestimmung der Salzsäoreresistenz des Trypsins.
Von
G. Densch und H. Bttrup.
Durch die bekannten an Hunden vorgenommenen Untersuchungen
Boldyreffs sind wir über die Bedingungen, unter denen ein Rück¬
fluß von Darmsaft in den Magen erfolgt, unterrichtet. Wir wissen
ferner durch die Arbeiten Volhard’s, Lewinski’s u. a., daß
auch beim Menschen nach Einführung von Fetten in den Magen
ein Rückfluß von Duodenalsaft erfolgt, eine Beobachtung, die von
großer praktischer Bedeutung wurde, da sich auf ihr eine Methode
zur Gewinnung von Duodenalsaft zum Zwecke der Funktionsprüfung
des Pankreas auf baut Aber auch ohne diese Maßnahme finden wir
in dem Erbrochenen oder zur Untersuchung des Magenchemismus
mit dem Magenschlauch ausgeheberten Mageninhalt nicht selten
Trypsin oder Galle nnd können daraus auf einen Rückfluß von
Duodenalsaft schließen. Boldyreff schreibt dem Rückfluß des
Duodenalsaftes eine große physiologische Bedeutung zu: Der alka¬
lische Darmsaft hat die Aufgabe, die Säure des Magensaftes so
weit zu neutralisieren, bis der für die Pepsinverdauung günstigste
Säuregrad von 0,15 °/o HCL erreicht ist, den auch gleichzeitig der
Darm gut verträgt. Es fragt sich nun, wie weit diese durch
Untersuchungen an Fistelhunden gewonnenen Anschauungen Bol¬
dyreffs auch für den Menschen zutreffen. Beim Menschen stehen
der Klärung dieser Frage ungleich größere Schwierigkeiten ent¬
gegen. An Menschen mit Magenfisteln und gleichzeitig normaler
Magenfunktion werden wir nur in allerseltensten Fällen arbeiten
können. Bei dem durch Aushebern mit dem Magenschlauch ge¬
wonnenen Mageninhalt arbeiten wir mit einer großen Fehlerquelle,
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166
DETSCH O. BlBTP
da durch die mit dem Aashebern verbundenen Würgbewegungen
an sich schon eine Regurgitation von Duodenalsaft erfolgen kann.
Neuerdings hat nun 0. Groß an einem Knaben, der wegen völligen
Verschlusses der Speiseröhre infolge Laugenverätzung durch eine
Magenfistel ernährt wurde, Untersuchungen über den Rückfluß von
Duodenalsaft angestellt Als Indikator diente ihm der Nachweis
des diastatischen Ferments im Mageninhalt Da Mundspeichel*
diastase in diesem Fall mit Sicherheit auszuschließen war, konnte
die Diastase nur aus dem Pankreas stammen. Tatsächlich gelang es
ihm stets, sowohl im nüchternen Mageninhalt als auch nach Auf*
nähme verschiedener Nahrung Diastase nachzuweisen. 0. Groß
zieht aus seinen Beobachtungen an diesem Knaben, der keinerlei
Störungen der Magenfunktion aufwies und dieselben Versuchsbe¬
dingungen bot, wie eine Reihe der Magenfistelhunde Boidy-
reff’s, den mit den Anschauungen Boldyreff’s übereinstim¬
menden Schluß, daß es sich bei dem Rückfluß des Duodenalsaftes
um einen physiologischen Vorgang handele. So wertvoll die Be¬
obachtungen von 0. Groß gerade im Hinblick auf die* seltene
Möglichkeit derartiger Untersuchungen am Menschen sind, so er¬
scheint es andererseits doch sehr mißlich, eine Frage von so all¬
gemeiner Bedeutung auf Grund von Untersuchungen an einem
Falle zu entscheiden. Wir haben daher, angeregt durch die Mit¬
teilung von 0. Groß, den Versuch unternommen, auf breiterer
Basis zur Lösung dieser Frage beizutragen.
Die erste Schwierigkeit war die Gewinnung von Magensaft,
ohne daß Würg- und Brechbewegungen anftreten. Mit dem Magen¬
schlauch erschien das nicht möglich. Wir machten daher einen
Versuch mit der Ei nhorn’sehen Duodenalsonde, eine Möglich¬
keit, die auch 0. Groß in Betracht zieht In der Tat konnten
wir feststellen, daß mehrere Kollegen und Patienten die Duodenal¬
sonde schluckten, ohne daß wir Würgbewegungen sahen. Aach vor
dem Röntgenschirm überzeugten wir uns hiervon, indem wir nach
Kontrastfüllung des Magens die Sonde schlucken ließen. Es waren
keine Würgbewegnngen and antiperistaltische Wellen zu sehen,
während die Einführung eines Magenschlauches in den zur besseren
Sichtbarmachung ein weicher, biegsamer, am distalen Ende knopf-
förmig umgebogener Draht eingelegt war, in den meisten Fällen
stärkere Würgbewegungen und Antiperistaltik hervorriet Aller¬
dings würgten einzelne Patienten auch beim Schlacken der Duo¬
denalsonde, aber wir konnten doch auf Grund dieser Vorversuche
damit rechnen, eine größere Anzahl von Personen zu finden, bei
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Über den Rückfluß von Pankreassaft in den Magen nsw. 107
denen eine einwandsfreie Gewinnung von Mageninhalt mit der
Ein ho rn’schen Sonde möglich wäre. Statt des Boas-Ewald'
sehen Probefrühstticks, hei dem sich durch Brotbröckel die Sonde
leicht verstopft* mußten wir allerdings eine Plasmonaufschwemmung
(15 g Plasmon auf 300 ccm Wasser) geben.
Als Indikator für den Rückfluß von Duodenalsaft war für
unsere Versuchsanordnung der Nachweis von Diastase im Magen¬
inhalt, dessen sich 0. Groß bediente, nicht brauchbar, da in der
möglichen Anwesenheit von Mundspeicheldiastase eine nicht zu
umgehende Fehlerquelle lag. Der Nachweis von Galle kam eben¬
falls nicht in Frage, da schon aus den Versuchen Boldyreff’s
hervorgeht, daß Gallenbestandteile im zurückgeflossenen Darmsaft
nicht selten fehlen. Wohl aber schien uns das Trypsin ein ge¬
eigneter Indikator zu sein, entgegen der Ansicht von 0. Groß,
der das Trypsin wegen seiner Säureempfindlichkeit für unbrauchbar
hält. Unsere Annahme der Säurefestigkeit des Trypsins stützte sich
auf vor einigen Jahren in der hiesigen medizinischen Poliklinik vor¬
genommene Untersuchungen von Boenheim und Putensen, die
in Übereinstimmung mit Ehr mann und Lederer u. a. zu dem
Ergebnis gekommen waren, daß das Trypsin durch die Salzsäure des
Mageninhalts nicht angegriffen werde. Nach einer Reihe von Vorver¬
suchen gewannen wir jedoch den Eindruck, daß doch eine Beziehung
zwischen dem Vorkommen des Trypsins im Mageninhalt und dessen
Säuregrad bestehen müsse und sahen uns daher veranlaßt, zu¬
nächst diese Frage einer nochmaligen eingehenden Nachprüfung zu
unterziehen. Über diese Untersuchungen werden wir im folgenden
berichten. Sie ergaben, wie gleich vorausgenommen werden soll,
daß das Trypsin in der Tat nur bis zu einem gewissen Säuregrad
existieren kann, darüber hinaus aber zerstört wird. Damit mußte
unser Versuch, die Frage des Rückflusses von Duodenalsaft in den
Magen mit Hilfe des Trypsinnachweises auf breiter Basis zu unter¬
suchen, als gescheitert gelten. Doch erscheint es uns immerhin
möglich, mit Hilfe unserer Versuchsanordnung wenigstens in solchen
Fällen, deren Säuregrad unter dem von uns bestimmten Schwellen¬
wert bleibt, brauchbare Ergebnisse zu gewinnen. In dieser Richtung
sollen unsere Versuche fortgesetzt und über sie später berichtet
werden.
Die Frage der Beziehungen zwischen dem Vorkommen des
Trypsins im Mageninhalt und dessen Säuregrad ist in mehrfacher
Hinsicht von Bedeutung. Ihre Beantwortung ist nicht nur, wie
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168
Dbubch q. Böbüp
bereits erwähnt, entscheidend für die Verwertbarkeit des Trypsin»
zum Nachweis eines Rückflusses von Duodenalsaft in den Magen.
Auch die Möglichkeit einer tryptischen Eiweißverdauung im Magen,
wie sie neuerdings Boenheim bei einigen Fällen von Achylia
gastrica mit Hilfe der Formoltitrierung in Stadien nach Sörensen
nachgewiesen hat, ist abhängig von dem Verhalten des Trypsins
gegenüber der Salzsäure des Magens. Schließlich entscheidet dieses
über die Verwendbarkeit des Mageninhaltes zur Prüfung der sekre¬
torischen Funktion des Pankreas mit Hilfe des Trypsinnachweises.
In der klinischen Literatur finden wir mehrere Angaben über
Beziehungen zwischen dem Trypsin und der Acidität des Magen¬
saftes, doch stimmen sie durchaus nicht alle überein. Dorner
konnte in neutralen und wenig sauren Magensäften in der Mehr¬
zahl der Fälle Trypsin nachweisen, in superaciden Säften dagegen
nicht. Ebenso ist nach L e w i n s k i die Nachweisbarkeit des
Trypsins im wesentlichen von den Magensaftverhältnissen ab¬
hängig. Reichlich vorhanden ist es in schwach alkalischen oder
neutralen Säften, bei saurer Reaktion tritt es zurück, bei stark
saurer mit reichlicher freier HCl verschwindet es ist jedoch auch in
solchen Fällen nach vorausgegangener Alkalidarreicbung nachweis¬
bar. Bei „Hypersekretion“ (besser Hyperchlorhydrie) fanden auch
Ehr mann und Lederer meist kein Trypsin im Mageninhalt,
machen aber dafür nicht die schädigende Wirkung der HCl allein
verantwortlich. Sie nehmen vielmehr an, daß das Trypsin gegen
HCl nicht allzu empfindlich ist. Ehren reich, der im allge¬
meinen ein Sinken der Trypsinkurve bei ansteigender Sänrekurve
sah, nimmt gleichwohl an, daß das Ferment nicht durch die HCl
zerstört werde, weil er in einigen Fällen und auch im Experiment
sah, daß das Trypsin selbst gegen höbe Säuregrade widerstands¬
fähig sei. In gleicher Weise halten, wie erwähnt, Boenheim
und Putensen das Trypsin für säureresistent und lehnen eine
Abhängigkeit seines Vorkommens von dem Grade der Acidität ab»
Abgesehen davon, daß hiernach eine Übereinstimmung keines¬
wegs besteht, sind die Angaben der Untersucher, die eine Ab¬
hängigkeit vom Säuregrad des Mageninhaltes fanden, insofern
nicht befriedigend, als nirgends ein Grenzwert ermittelt wurde,
bis zu dem das Trypsin noch nachweisbar war. Gerade auf diesen
Punkt richteten wir daher bei unseren Untersuchungen unser
Augenmerk.
Wir untersuchten den Mageninhalt von 40 teils Magenge¬
sunden, teils -kranken auf ihren Trypsingehalt Der Mageninhalt
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Über den Rückfluß von Pankreassaft in den Magen naw. 169
wurde gewonnen durch Anshebern teils mit dem Magenschlauch,
teils mit der in den Magen eingeführten Einhorn 'sehen Duo¬
denalsonde und zwar teils nach Boas-Ewald’schem Probe-
frühstück, teils nach Darreichung einer Plasmonaufschwemmung.
Die verschiedene Art der Gewinnung des Saftes sowie die des
gereichten Probefrühstücks als auch die Art der Magenerkrankung
können für unser Ziel, das ja lediglich in der Feststellung der
Beziehungen zwischen Säuregrad und Trypsingehalt besteht, ganz
außer Betracht bleiben. Freie HCl und Gesamtacidität wurden
durch Titration mit Dimethylamidoazobenzol bzw. Phenolphtalein
bestimmt,, der Trypsingehalt nach der Caseinmethode von F u 1 d -
Groß nach vorausgegangener Neutralisation saurer Mageninhalte.
Da bei der Neutralisation stark saurer Säfte infolge des Zusetzens
nicht unerheblicher Mengen von n/, 0 NaOH eine unkontrollierbare
Verdünnung entsteht, vermieden wir diese Fehlerquelle dadurch,
daß wir nach Neutralisation den Mageninhalt auf das doppelte
der vor dieser vorhandenen Menge mit destilliertem Wasser auf¬
füllten und nunmehr stets in 1 ccm Flüssigkeit 0,5 ccm reinen
Mageninhalt hatten. Der so vorbehandelte Mageninhalt wurde in
absteigenden Mengen in 10 Reagenzgläser eingefüllt, so daß das
nachfolgende Glas immer die Hälfte des vorhergehenden enthielt,
und dann die Trypsinbestimmung in der üblichen Weise vorge¬
nommen. Das letzte Glas, dessen Inhalt klar blieb, in dem also
alles Casein verdaut war, wurde als Grenze angenommen und aus
ihm die Trypsinmenge berechnet. Auf die Menge des Trypsins
legen wir jedoch kein großes Gewicht, da diese naturgemäß noch
von anderen Faktoren als dem Säuregrad des Mageninhaltes ab¬
hängig sein muß.
In der Tabelle I sind unsere Ergebnisse zusammengestellt,
wobei die Fälle nach ihrem Gehalt an freier HCl in aufsteigender
Reihe geordnet sind. Mit Rücksicht auf die Raumbeschränkung
sind von mehreren Fällen mit gleichen Werten für freie HCl stets
nur einzelne aüfgeführt, soweit hinsichtlich des Trypsingehaltes
kein verschiedenes Verhalten vorlag.
Aus der Tabelle ist ohne weiteres ersichtlich, daß bei fehlender
oder nur geringer freier HCl Trypsin fast ausnahmslos nachweisbar
war, daß aber von einer bestimmten Konzentration der freien HCl
an das Ferment niemals vorhanden war. Diese Grenze liegt bei
Fall 29 der Tabelle: bei einer Konzentration von 0,051 °/ 0 freier
HCl ist noch Trypsin nachzuweisen, von der nächsthöheren ge¬
fundenen Konzentration 0,069 °/ 0 an wird es stets zerstört. Die Ge-
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170
Dkdsch u. Röhüp
samtacidität des Mageninhaltes spielt offenbar keine Holle, sondern
nur der Gehalt an freier HCl.
Tabelle I.
Fall
Nr.
Freie HCl
Gesamt-
acidität
Trypsingehalt
ccm
n/ 10 NaOH
%
Grenzglas
Einheiten
1
alka
isch
0
0
2
I
1
3
— 87
0
43
II
4
4
— 74
0
23
II
4
5
— 49
0
44
VI
66
7
— 45
0
69
III
8
9
— 36
0
25
III
8
10
— 32
0
37
VI
66
11
— 30
0
38
IV
16
14
— 18
0
19
0
0
15
— 12
0
52
IV
16
18
— 12
0
42
0
0
20
-11
0
25
II
4
21
— 10
0
30
II
4
22
0
0
17
VIII
250
24
8
0,0292
38
II
4
25
9
0,0329
48
II
4
28
10
00365
28
II
4
14
(».0511
4M
11 1
4
30
1»
0.06935
3M
0
o
31
23
ü,083y;>
59
0
0
32
26
0,09125
73
0
0
33
26
0.0949
56
0
0
34
27
0,09855
54
0
0
35
36
0.1314
76
0
0
36
50
0,1825
88
0
0
38
60
0,219
93
0
0
39
64
0,2336
75
0
0
40
• 2
0,2628
92
0
0
Es könnte allerdings eingewendet werden, daß in den Fällen
Nr. 30—40 überhaupt kein Trypsin in den Magen gelangt sei.
Wir konnten zwar in keinem dieser Fälle eine gallige Verfärbung
des Mageninhaltes nach weisen, aber auch in den trypsinpositiven
Fällen war das nur ganz vereinzelt möglich. Wir untersuchten
daher, um den Nachweis zu erbringen, daß die HCl tatsächlich in
bestimmter Konzentration eine trypsinvernichtende Wirkung zu¬
kommt, den Einfluß der HCl auf trypsinhaltigen Mageninhalt in
vitro. Zunächst konnten wir durch eine Anzahl von Vorversuchen
feststellen, daß sich der Trypsingehalt des filtrierten und neutra¬
lisierten Mageninhalts selbst bei mehrtägigem Stehen bei Zimmer¬
temperatur nicht ändert. Nach Zusatz wechselnder Mengen von
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Über den fiftckiluß von Pranbreassaft in den Magen nsw.
171
ii/ 10 HCl zu neutralisiertem trypsinhaltigen Mageninhalt war bei
Zimmertemperatur selbst bei Konzentration bis 0,31% HCl nach
2 Stunden das Trypsin unverändert nachweisbar, nach 24 Stunden
jedoch meist zerstört.
Wir beschickten nun mehrere Reagenzgläser mit der gleichen
Menge neutralisierten Mageninhaltes von bekannten Trypsingehalt
und setzten wechselnde Mengen n/ I0 HCl zu. Dann wurden die
Röhrchen 1 Stunde lang in ein Wasserbad von 38 0 gesetzt, darauf
nach rascher Abkühlung und Neutralisation der Trypsingehalt be¬
stimmt. Aus der Tabelle II ergibt sich, daß bei einer HCl-Konzen-
tration von 0,0427 % nach 1 stündiger Einwirkung noch Trypsin
nachweisbar war, bei einer Konzentration von 0,06% HCl jedoch
nicht mehr. Zwischen diesen beiden Zahlen liegt also der Grenz¬
wert, bis zu dem das Trypsin in Verdauungstemperatur haltbar
ist Das Ergebnis unserer Reagenzglasversuche stimmt also sehr
gut mit dem aus Tabelle I ersichtlichen Grenzwert von 0,051%,
bei dem wir im ausgeheberten Mageninhalt noch Trypsin fest¬
stellen konnten, überein. Es ergibt sich also, daß der
Grenzwert für die Widerstandsfähigkeit des Tryp¬
sins gegen HCl bei Verdauungstemperatur etwa bei
0,06% HCl liegt Eine Angabe des Heidelberger Physiologen
Kühne aus dem Jahre 1876, die in der klinischen Literatur nicht
berücksichtigt ist, und die wir erst nach Abschluß unserer Unter¬
suchungen fanden, stimmt mit diesem von uns ermittelten Werte
völlig überein. Kühne fand bei Verdauungsversuchen in vitro, daß
eine Konzentration von 0,5 % 0 HCl die Grenze ist, bis zu welcher
das Trypsin bei Verdauungstemperatur nicht geschädigt wird.
Tabelle II.
Magen¬
inhalt
Trypsin¬
gehalt
(Grenzglas)
Zusatz von
n/io HCl
ccm
HCl-Konzen-
tration
%
Trypsin¬
gehalt nach
1 Stunde
bei 38°
C.
III
0,1
0,03285
+
0,2
0,06085
0,3
—
0,4
—
D.
IV
0,1
0,0427
+
0,2
0,07666
0,3
—
0,4
—
E.
II
0,1
0,04318
+
0,2
0,06085
0,3
—
0,4
—
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172
Dbusch u. Rüriip
Schließlich sachten wir noch die Zeitdauer za bestimmen, in
der das Trypsin von Säuregraden, die gerade oberhalb des Grenz*
wertes liegen, zerstört wird. Wir brachten za diesem Zweck
mehrere Reagenzgläser mit trypsinhaltigem Mageninhalt von be¬
stimmtem HCl-Gehalt in ein Wasserbad von 38°, nahmen sie zu
verschiedenen Zeiten wieder heraus and bestimmten den Trypsin*
gehalt. Es haften dieser Versachsanordnung insofern gewisse
Fehlerquellen an, als uns die Zeit, in der das Gemisch die Tempe¬
ratur des Wasserbades annimmt, nicht bekannt war, zumal im
Winter die Temperatur des Arbeitsraumes stark schwankte. Dar¬
aus erklären sich wohl auch die nicht ganz einheitlichen Ergeb¬
nisse, die aus Tabelle III ersichtlich sind. Doch ist immerhin
soviel daraus zu entnehmen, daß bei Säuregraden, die eben hin-
reichen, um das Trypsin bei Verdauungstemperatur unwirksam za
machen, die Zerstörung schon nach einigen Minuten erfolgt ist.
Tabelle III.
Magen¬
inhalt
Trypsin¬
gehalt
(Grenzglas)
HCl-Konzen¬
tration nach
Zusatz von
n'io HCl
Verweildauer
im Wasser¬
bad von 38 0
Minuten
Trypsin¬
gehalt
C.
III
0,06085
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—
D.
IV
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3
(+)
0,06085
o
15
+
20
E.
0,06085 ~
3
—
0,0476
3
+
5
Unsere Untersuchungen ergeben also, daß das Trypsin bei
fehlender freier Salzsäure und bei einem HCl-Wert bis etwa
0,06 °/ 0 fast stets nachweisbar ist, daß es bei einer stärkeren HC1-
Konzentration dagegen im Magen rasch zerstört wird. Wenn wir
Werte zwischen 20—40 für freie HCl nach Boas-Ewald’schem
Probefrühstück für unsere Gegend als normal ansehen, was einer
HCl-Konzentration von 0,07—0,15 °/ 0 entspricht, so ergibt sich dar¬
aus, daß in solchen normaciden Mageninhalten das Trypsin gar
nicht existieren kann, sondern nur bei A- oder Hypochlorhydrie.
Demgegenüber ist es auffallend, daß Putensen, auf dessen
Untersuchungen sich auch Boenheim’s Angaben stützen, in
einer Reihe von Fällen von Hyperchlorbydrie bis zu einem Werte
für freie HCl von 63 = 0,22995% HCl Trypsin stets nachweisen
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Über den Rückfluß von Pankrease aft in den Hagen nsw. 173
konnte nnd zwar ebenfalls nach der Methode yon Fuld-Groß.
Nun fiel uns anf, daß Putensen hei ausführlicher Beschreibung
der Methodik von einer Neutralisation des sauren Mageninhaltes
nichts erwähnt, so daß wir vermuten, daß diese unterlassen wurde,
und Putensen kein Trypsin sondern Pepsin bestimmt hat Nur
so erscheint uns der Widerspruch zwischen seinen nnd unseren Re¬
sultaten erklärlich. Selbst E h r m a n n und Lederer, nach deren
Ansicht das Trypsin gegen HCl nicht allzu empfindlich ist, stimmen
mit uns insoweit fiberein, als sie bei Hyperchlorhydrie meist kein
Trypsin fanden. Auch das von Boenheim beobachtete gleich¬
zeitige Vorkommen von Pepsin und Trypsin spricht keinesfalls ffir
eine erhebliche HCl-Resistenz des Trypsins. Schittenhelm, der
schon früher auf das gleichzeitige Vorkommen der beiden Fer¬
mente im Mageninhalt hingewiesen hat, fand es nur bei schwach
saurer Reaktion, und zwar war die peptische Wirkung dieses
Mageninhaltes gegenüber der tryptischen nur gering. Das stimmt
mit unseren Beobachtungen völlig fiberein. Wir haben auf Pepsin¬
bestimmungen verzichtet, da ohne weiteres angenommen werden
darf, daß bei Anwesenheit von HCl auch Pepsin vorhanden ist
Es ergibt sich daraus, daß auch in unseren Fällen von Hypochlor-
hydrie Trypsin und Pepsin nebeneinander existieren. Daß neben
der HCl auch dem Pepsin eine trypsinzerstörende Wirkung zu¬
komme, wurde schon von Kühne und Baginsky behauptet von
Fermi und Pernossi dagegen später bestritten. Wir haben
diese Frage nicht nochmals untersucht es erscheint uns aber
außer Frage, daß das Trypsin nach seiner Koagulation durch die
HCl als Eiweißkörper der peptischen Verdauung unterliegt.
Die Ergebnisse unserer Untersuchungen gestatten uns weiter¬
hin einen Schluß auf die Möglichkeit einer tryptischen Verdauung
im Magen. Es ergibt sich ohne weiteres, daß eine solche nur in
Fällen von A- oder Hypochlorhydrie möglich ist soweit der HC1-
Gehalt unter dem ermittelten Grenzwerte bleibt oder wenn die
HCl-Konzentration im Ablauf des Verdauungsvorganges unter dem
Grenzwert sinkt. Daß die Verwendbarkeit des Trypsins als In¬
dikator eines Rückflusses von Duodenalsaft in den Magen ent¬
sprechend seiner leichten Zerstörbarkeit durch HCl eine be¬
schränkte ist, wurde bereits eingangs erörtert Was die Ver¬
wendbarkeit des nüchtern oder nach einem beliebigen Probefrüh¬
stück ausgeheberten Mageninhaltes zur Prüfung der Pankreas¬
funktion betrifft, so ergibt sich aus unseren Untersuchungen, daß
diese Methode nur dann verwertbar ist, wenn der HCl-Gehalt
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174 Dsusch n. Rübup, Über den Rückfluß von P&nkreaasaft in den Magen mw.
unterhalb des Grenzwertes von 0,05 % bleibt. Nur dann ist ein
negativer Ansfall der Trypsinprobe verwertbar, oberhalb dieses
Wertes dagegen nicht, da infolge der Zerstörung des in den Magen
gelangten Fermentes dieses nicht nachweisbar ist selbst bei völlig
intakter Funktion der Bauchspeicheldrüse.
Literatur.
1. Baginsky, Jahresberichte der Tierchemie. XIII. 416,1884. — 2. Böen*
heim, Arch. f. Verdauungskrankheiten XXV, 258, 1919. — 8. Boldyreff,
Pflüg. Arch. CXXI, 18, 1908. Ergehn, d. Physiol. IX. 119, 1911. — 4. Dorner,
Deutsches Arch. f. klin. Med. CXVII, 540. — 5. Ehrenreich, Zeitscbr. f. klm.
Med. LXXV, 231, 1912. — 6. Ehrmann, Deutsche med. Wochenschr. 1906,
8. 1409. — 7. Ehrmann und Lederer, Berliner klin. Wochenschr. 1906,
S. 1460. — 8. Fermi n. Pernossi, Zeitschr. i. Hyg. XVIII, 81, 1894.—
9. Oroß, Deutsches Arcb. f. klin. Med CXXXII, 121, 1920. — 10. Kühne, Ver*
handl. d. NatmecL Ver. au Heidelberg, Neue Folge I, 119, 1877. — 11. Le*
winski, Deutsche med. Wochenschr. 1908, Nr.37. — 12. Putensen, Din.
Rostock 1918. — 13. Schittenhelm, Münchener med. Wochenschr. 1908, S.1469.
— 14. Volhard, Münchener med. Wochenschr. 1907, S. 403.
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175
Ans der medizin. Universitätspoliklinik zu Rostock
(Direktor: Prof. Hans Cnrschmann).
Ober die Sernmkonzentration und die Viskosität des
Blutes bei der Basedowschen Krankheit.
Von
Dr. Gustav Deosch,
Assistenzarzt der Poliklinik.
Eines der bemerkenswertesten Symptome im Bilde der Base¬
dowschen Krankheit ist die Steigerung des Energienmsatzes. Be¬
reits im Grundumsatz ist der Sauerstoffverbrauch erhöht und wird
noch weiter gesteigert durch die dauernde Unruhe der Kranken.
Die Steigerung der Oxydationsvorgänge macht sich bemerkbar in
einem vermehrten Eiweiß-, Fett- und Glykogenabbau. Die Base¬
dowsche Krankheit ist in dieser wie auch in mannigfacher anderer
Hinsicht das Gegenbild des Myxödems. Vor kurzem konnte ich
nachweisen, daß beim Myxödem infolge der verminderten Eiwei߬
verbrennung mit dem bereits bekannten Eiweißansatz im Gewebe
meist eine Erhöhung des Eiweißgehaltes und dementsprechend auch
der Viskosität des Blutserums einhergeht, die mitunter sehr hohe
Grade erreicht. Das gegensätzliche Verhalten des Myxödems und
des M. Basedowii hinsichtlich ihres Eiweißstoffwechsels drängte ohne
weiteres dazu, dieselben Untersuchungen auch bei der Basedowschen
Krankheit vorzunehmen.
Nach Kottmann’s Angabe soll die Viskosität des Blates bei der
Basedowschen Krankheit vermehrt sein, während Blunsohy in 2 Fällen
wo physiologisches Verhalten der Blutviskosität fand. Klose gibt anf
Grand von Untersuchungen von Kaeß in 15 Fällen an, daß die innere
Ifeibung des Blates innerhalb normaler Grenzen entsprechend dem Hämo¬
globingehalt schwankt, dabei jedoch aber eine Neigung zur Verminderung
seigt Mehr finde ich nicht in der mir zugänglichen Literatur. An¬
gaben über die Viskosität und den Eiweißgebalt des Serums fehlen völlig.
Ich habe in 11 Fällen von Basedowscher Krankheit die Vis¬
kosität des Gesamtblutes und des Serums sowie dessen Eiweiß-
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176
DBU8CH
gehalt bestimmt. Die Technik war genau dieselbe wie bei meinen
analogen Untersuchungen beim :Myxödem. Die Viskosität wurde
mit dem Heß ’schen Viskosimeter, der Eiweißgehalt des Serums
mit dem Pul f rieh'sehen Eintauchrefraktometer bestimmt unter
Beobachtung aller Kautelen. Zur Bestimmung der Viskosität des
Oesamtblutes benutzte ich aus der Fingerbeere entnommenes Kapillar-
blut Das Serum wurde durch Zentrifugieren ans ohne Stauung
entnommenem Venenblut gewonnen. Selbstverständlich wurden in
allen Fällen der Hämoglobingehalt und das cytologische Verhalten
des Blutes bestimmt Auf letzteres gehe ich hier nicht näher ein,
es sei nur darauf hingewiesen, daß die Mehrzahl der Fälle, wie
aus der Tabelle ersichtlich ist, die von Th. Kochern, a. als typisch
beschriebene Leukopenie, und fast alle eine Lymphocytose, teil¬
weise bis zu hohen Graden, aufweisen.
Die Ergebnisse meiner Untersuchungen sind in der beigefügten
Tabelle zusammengefaßt. Die Viskosität des Gesamtblutes
ist im wesentlichen abhängig von Zahl und Größe der roten Blut¬
körperchen und dem Hämoglobingehalt einerseits, andererseits von
dem Viskositätsgrad des Serums. Die Leukocyten spielen wegen
ihrer geringen Zahl keine ausschlaggebende Rolle. Diese Ab¬
hängigkeitsbeziehungen der Blutviskosität bestätigen sich auch bei
der Basedow’schen Krankheit. Ihrem Werte nach schwankt sie
innerhalb normaler Grenzen. In Fällen wie Nr. 7, wo Erythrocyten-
zahl und Serumviskosität gleichzeitig verändert sind, ist auch der
Wert für die Blutviskosität niedrig, in anderen wie z. B. Fall 4,
wo die entsprechenden Größen höhere Werte aufweisen, ist auch
die innere Reibung des Blutes eine größere. Schließlich können
sich niedrige Werte für Serum Viskosität und hohe Hämoglobin-
bzw. Erythrocytenwerte und umgekehrt ausgleichen. Die Blut¬
viskosität zeigt also bei der Basedow’schen Krankheit, da sie eine
durchaus komplexe, von ganz verschiedenen Faktoren abhängige
Größe ist, ebensowenig ein charakteristisches Verhalten wie beim
Myxödem.
Anders verhält es sich dagegen mit der Viskosität des
Serums. Da der Kohlensäuregehalt des Blutes “ebenso wie der
Salzgehalt des Serums keinen wesentlichen Einfluß auf sie haben,
ist sie fast ausschließlich vom Eiweißgehalt des Serums abhängig.
Naegeli gibt als normale Werte 1,7—2,0 (bezogen auf Aq. dest)
an. Ich fand in der Norm Schwankungen zwischen 1.6—1,8. Dar¬
nach ist, wie sich aus der Tabelle ergibt, in 4 Fällen und zwar
gerade denjenigen, die mit den größten Stoffwechselstörungen ein-
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Über die Serumkonzentration nnd die Viskosität des Blntes usw. 177
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Deatschez Archiv für klin. Medizin. 138. Bd.
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178
ÜKU8CH
hergingen, die Viskosität des Sernms vermindert, und zwar bis ztt
dem niedrigsten Wert von 1,3 in Fall 5. In den übrigen Fällen
schwankt der Wert innerhalb der normalen Grenzen, überschreitet
diese jedoch niemals nach oben. Hier unterscheiden sich auch
M. Basedowii und Myxödem sehr deutlich. Während bei
ersterem die Werte für die innere Reibung sich innerhalb der
Grenzen von 1,3 und 1,8 halten mit einem Durchschnittswert von
1,63, bewegen sich beim Myxödem, wie ich früher nachwies, die
entsprechenden Werte zwischen 1,75 und 2,3 mit einem Durch¬
schnittswert von 1,94.
Ganz entsprechend der Viskosität des Serums verhält sich sein
Lichtbrechungsvermögen, das ja ebenfalls ganz wesentlich durch
den Eiweißgehalt des Serums bestimmt wird. Normalerweise
schwankt der refraktometrisch bestimmte Eiweißgehalt des Serams
nach E. Reiß zwischen 7,0 und 9,0%. In 4 Fällen liegt, wie
sich aus der Tabelle ersehen läßt, der Wert für die Serumkonzen¬
tration unter 7,0 % und ist mit 6,3 % am niedrigsten im Falle 7.
Diese Fälle sind dieselben, die auch die niedrigsten Werte für die
Viskosität des Serums aufweisen. In den übrigen Fällen hält sich
die Serumkonzentration innerhalb der normalen Grenzen, jedoch
wiederum ohne diese nach oben hin nur annähernd zu erreichen.
Während beim M. Basedowii nach der Tabelle der Eiweißgehalt
des Serums zwischen 6,3 und 8,042 % bei einem Durchschnittswert
von 7,21% schwankt, fand ich früher beim Myxödem Grenz¬
werte von 8,0 und 10,41 % und einen Durchschnittswert von 9,13 %.
Die viskosimetrische und refraktometrische Untersuchung des
Serums ergeben also übereinstimmend, daß in schweren Fällen
von Basedow’scher Krankheit mit erheblicherer Abmage¬
rung entsprechend der gesteigerten Eiweißverbrennung der Ei¬
weißgehalt des Blutserums vermindert ist. In leichteren
Fällen, bei denen er sich innerhalb normaler Werte hält, besteht
immer noch ein beträchtlicher Unterschied gegenüber den beim
Myxödem gefundenen Werten.
In den Fällen 3, 6 und 7 konnte ich den Einfluß der Therapie
auf die Serumkonzentration beobachten. In diesen Fällen stieg in
Fall 3 nach Operation, in den Fällen 6 und 7 nach Röntgen¬
bestrahlung der Schilddrüse entsprechend der klinischen Besserung
die Serumkonzentration erheblich an. Eines besonderen Hinweises
bedarf noch der Fall 7. Es handelt sich um eine 19jährige'
Patientin mit komplettem M. Basedowii und Fettleibigkeit Sie
hatte während der Ausbildung des Basedow in % Jahre 27 Pfund
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Über die Seramkonzentration and die Viskosität des Blutes usw. 179
angenommen. Durch Röntgenbestrahlung der Schilddrüse wurde
sie innerhalb 3 Monaten weitgehend gebessert bei gleichzeitiger
Gewichtsabnahme von 18 Pfund und beträchtlicher Zunahme der
Serumkonzentration. Das Zusammentreffen von Fettleibigkeit und
M. Basedowii ist an sich nicht ganz ungewöhnlich. Basedowkranke
stammen nach v. Dalmady meist aus zu Fettleibigkeit neigenden
Familien und sind oft selbst fettleibig gewesen; daß sie es im
Laufe der Erkrankung erst werden, ist aber doch selten. Be¬
merkenswert ist jedoch das ungleichsinnige Verhalten von Gewicht
und Serumkonzentration, das dafür zu sprechen scheint, daß Eiweiß-
und Fettstoffwechsel durchaus nicht in gleichem Sinne gestört sein
müssen. Da keine Ödeme vorhanden waren, liegt kein Grund zur
Annahme vor, daß die Gewichtsverschiebungen etwa durch Wasser¬
retention bzw. Wasserausschwemmung verursacht wurden.
Die durch den verminderten Eiweißgehalt des Serums in
schweren Fällen von Basedowscher Krankheit bedingte Herab¬
setzung der Viskosität und des Lichtbrechungsvermögens des
Serums steht in engstem Zusammenhang mit der veränderten Tätig¬
keit der Schilddrüse. Tbyreoidinzufuhr bewirkt, wie ich beim
Myxödem nachgewiesen habe, in gleicherweise eine Herabsetzung
der erhöhten Viskosität und Eiweißkonzentration des Serums.
Fr owein untersuchte auf meine Veranlassung die Wirkung des
Thyreoiditis auf das Blutserum des Gesunden und fand das näm¬
liche Verhalten. Weder bei der Basedow’schen Krankheit noch
bei der Tbyreoidinzufuhr handelt es sich jedoch dabei um eine un¬
mittelbare Wirkung auf das Blutserum, sondern die Eiweißabnahme
im Serum ist eine Folge der allgemeinen Störung des Eiweißstoff¬
wechsels, des vermehrten Eiweißabbaues. Als wirksamer Körper
spielt dabei zweifellos das Jod eine wesentliche Rolle, wenn auch
in dem angegebenem Sinne nur eine indirekte. Es erscheint das
besonders bemerkenswert im Hinblick auf die bekannten Unter¬
suchungen 0. Müller’s und Inada’s über die Herabsetzung der
Viskosität des Gesamtblutes durch Zufuhr von Jodalkalien. Der
Abnahme der inneren Reibung des Gesamtblutes ging dabei die¬
jenige des Serums nicht parallel, nahm im Gegenteil mitunter zu,
so daß die genannten Autoren eine Veränderung der Blutflüssigkeit
als Ursache der Viskositätsänderung des Blutes ausschließen und
geneigt sind, Veränderungen der körperlichen Elemente für sie
verantwortlich zu machen. Wie diese zustande kommen könnten,
ob durch einen vermehrten Gehalt des Blutes an anorganischen
oder organischen Jodverbindungen, darüber wissen wir ebensowenig
12 *
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Original frarn
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180 Dkosch, Über die Serumkonzentration und die Viskosität des Blotes usw.
etwas Sicheres wie über den Jodgehalt des Blutes nnd die Art
der Jodbindnng bei Jod- oder Tbyreoidinzufuhr oder bei M. Base-
dowii. Andererseits ist bekannt, daß anorganische Jodsalze bei
längerer Darreichung in gleicher Weise wie Schilddrüsenpräparate
Stoffwechselstörungen mit erheblicher Abmagerung hervorrufen
können. Es handelt sich hier zweifellos um eine sekundäre Wirkung
des Jods auf dem Wege über die Schilddrüse (H. Meyer). Man
darf vermuten, daß auch in solchen Fällen der Eiweißgehalt
des Serums eine Herabsetzung erfährt. Mit Rücksicht auf unsere
Beobachtungen über das Verhalten der Viskosität und Eiwei߬
konzentration des Serums in schweren Fällen von M. Basedowii
nnd bei Zufnhr von Schilddrüsenpräparaten und in Anbetracht der
erwähnten bei Zufuhr von Jodkali beobachteten Stoffwechsel¬
störungen, erscheinen mir die Ergebnisse 0. Müller’s und Inadas
einer Nachprüfung wert
Die praktische Bedeutung der viskosimetrischen oder refrakto-
metrischen Untersuchung des Blutserums bei der Basedow'schen
Krankheit liegt darin, daß besonders die letztere Methode nns
rasch einen annähernden Überblick über das Verhalten des Eiwei߬
stoffwechsels gibt. Sie ersetzt bei weitem nicht den exakten Stoff¬
wechselversuch, wohl aber ermöglicht sie, grobe Störungen rasch
und auf einfache Weise aufzudecken, und scheint uns eine objek¬
tive Methode mehr zu sein, um Besserungsvorgänge festzustellen.
Literatur.
1. Blunschy Zur Lehre von der Viskosität des Blntes. Disa. Zürich 1906
(cit. n. Klose). — 2. v. Dalmady, Zeitschr. f. phys. n. diät. Ther. 14, 204 (cit.
n. Bauer, Die konstitutionelle Disposition zu inneren Krankheiten, 2. Anfi n
1921). — 3. Deusch, Deutsches Arch. f. klin. Med. 1H4, S. 342. — 4. Fro wein,
Zeitschr. f. d. ges. exp. Patholog. 1921. — 6. H. Klose, Erg. d. inn. Med. u.
Kinderheilk X, 6, 165. — 6. Kottmann, Zeitschr. f. klin. Med. 71. — 7. Meyer
u. Oottlieb, Experimentelle Pharmakologie 4. Anfl. 1920. — 8. 0. Müller o.
R. Inada, Deutsche med. Wochenschr. 1904, 1751. — 9. 0. Naegeli, Blut¬
krankheiten und Blutdiagnostik, 3. Anfl. 1919. — 10. E. Reiß, Erg. 3. inn. Med.
n. Kinderheilk. X, S. 531.
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
181
Ans der medizin. Klinik Marburg a. L.
(Direktor: Prof. Schwenkenbecher.)
Der Einfluß der relatiyen Luftfeuchtigkeit auf die
unmerkliche Hautwaseerabgabe.
Von
Priv.-Doz. Dr. 0. Moog,
Oberarzt der Klinik.
Trotz der zahlreichen Arbeiten, die seit Jahrhunderten über
die unmerkliche Wasserabgabe der Haut verfaßt worden sind, ist
man bis heute noch nicht zu einer völligen Einigung über das
Wesen dieses Vorganges gelangt. Es handelt sich hierbei vor¬
nehmlich um die Frage, ob die insensible Perspiration in der
Hauptsache eine Abdunstung von Gewebswasser durch die ge¬
samte Oberhaut darstellt oder ob ihr ein Sekretionsprozeß, d. h.
eine unmerkliche Tätigkeit der Schweißdrüsen zugrunde liegt. Die
Diskussion über diesen Punkt ist seit der Entdeckung der Schwei߬
drüsen durch Malpighi im Gange. 1 2 3 ) Von den neueren Autoren,
die sich mit diesem Gebiet am eingehendsten beschäftigt haben,
sindRubner*) und seine Mitarbeiter, ferner v. Willebrand 8 ),
Schwenkenbecher, 4 ) Loewy und Wechselmann 5 6 * ) und
Loewy®) zu nennen. Am weitesten auseinander gehen die Auf¬
fassungen von Loewy und Wechselmann und Schwenken¬
becher.
1) Eine körne historische Zusammenstellung der verschiedenen Meinungen
findet sich bei Loewy u. W. Wechselmann, Virchow’s Arch. Bd. 206, 1911.
Eingehende Lit. s. bei Schwenkenbecher in Erehl-Marchand, Handbach der
•11g. Pathol. Bd. 2, H: Die patbol. Störungen der Hantsekretion.
2) Bnbner, Arch. f. Hyg.: Bd. XI n. Bd. XXIX.
3) v. Willebrand, Skand. Arch. f. Physiol. Bd. XUI, 1902.
4) Schwenkenbecher, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 79, 1904 und
XXV. Kongr. f. inn. Med. 1908.
6) A. Loewy u. W. Wechselmann, a. a. 0.
6) A. Loewy, Biochem. Zeitschr. 67. Bd., 1914.
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182
Moog
Während die beiden ersten Forscher die unmerkliche Haut-
wasserabgabe in der Hauptsache als einen Verdunstungsvorgang
durch die Hornschicht der gesamten Hant ansehen, der yor allem
von dem Zustande der Haut mit ihrer jeweiligen Gefäßweite be¬
stimmt werde, bezeichnet sie Schwenkenbecher vornehmlich
als eine insensible Schweißsekretion, v. Willebrand nimmt
einen Kompromißstandpunkt ein. Wenn er auch der Meinung ist,
daß der größte Teil des Hautwassers durch Diffusion den Körper
verläßt, so spricht er den Schweißdrüsen hierbei doch nicht jede
Mitwirkung ab. ßubner hat in seinen grundlegenden, hierher
gehörigen Arbeiten nachgewiesen, daß die Hautwasserabgabe von
einer Reihe komplizierter und sich gegenseitig beeinflussender
Faktoren abhängig ist und er betrachtet die Wasserabgabe durch
die Haut als eine physiologische Funktion des Organismus, bei der
die rein physikalischen Momente keineswegs in erster Linie in Be¬
tracht kommen.
Es ist nicht unsere Absicht, schon jetzt in eine Diskussion
über die vorliegenden Anschauungen einzutreten, sondern wir
haben uns zunächst lediglich die Aufgabe gestellt, die eine oder
andere Frage von neuem experimentell zu prüfen. Erst nach Ab¬
schluß dieser Untersuchungen sollen die erwähnten Auffassungen,
so weit das möglich ist, kritisch besprochen werden.
Zunächst haben wir von neuem festzustellen versucht, ob und
inwieweit die relative Feuchtigkeit der Außenluft einen Einfluß
auf die unmerkliche Hautwasserabgabe ausübt. Schon eine ganze
Reihe älterer Autoren hat sich mit dem Studium dieser Frage be¬
schäftigt. Die Mehrzahl von ihnen kam zu dem Schluß, daß der
Feuchtigkeitsgehalt der Atmosphäre ein ausschlaggebender Faktor
für die insensible Hautwasserabgabe sei, insofern als bei hoher
relativer Feuchtigkeit weniger und bei trockener Luft mehr Wasser
ausgeschieden würde. In diesem gegenseitigen Abhängigkeitsver¬
hältnis erblickte man einen besonders strikten Beweis für die An¬
schauung, daß es sich bei der unmerklichen Wasserabgabe durch
die Haut um einen rein passiven physikalischen Verdunstungsvor¬
gang handele.
Von den neueren Forschern, die diesem Problem experimentell
nachgingen, sind v. Willebrand, 1 2 ) Wolpert, 8 ) Rubner und
1) v. Willebrand, Skand. Arcb. f. Pliysiol. Bd. 13, 1902.
2) Wolpert, Arch. f. Hyg. Bd. 38, S. 206.
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Der Einfluß der relativen Luftfeuchtigkeit uaw. 183
v. Le wasche w *) und Nuttall 8 ) zu nennen, v. Wille¬
brand stellte fest, daß mit steigender relativer Feuchtigkeit die
Hantwasserabgabe abnimmt. Die von ihm gewählten Schwan¬
kungen der relativen Feuchtigkeit betragen jedoch nur 15% (von
40—51 %), eine Differenz, die nach der Anschauung de* meisten
Untersucher nicht imstande ist, einen nennenswerten Einflnß auf
die Hautwasserabgabe auszuöben, so daß diesen Versuchen eine
besondere Beweiskraft nicht eingeränmt werden kann.
Wolpert, ferner Rubner und v. Lewaschew wiesen
in zahlreichen Experimenten nach, daß die gesamte nnmerk-
liche Wasserabgabe (Lunge nnd Haut) umgekehrt proportional
geht dem jeweiligen Feuchtigkeitsgehalt der Außenlnft. Rubner
und v. Lewaschew berechneten aus ihren für das gesamte
Wasser gewonnen Zahlen, die Werte für die von der Haut abge¬
gebenen Wassermengen nnd kamen auf diese Weise zu dem Er¬
gebnis, daß für das Hautwasser allein dasselbe Abhängigkeits¬
verhältnis besteht, wie für das durch Lunge und Haut ansgetretene
Wasser. Ob dieses Verfahren ohne weiteres zulässig ist, wage ich
nicht mit Sicherheit zu entscheiden. Im Gegensatz hierzu konnte
Natt all, ebenfalls im Rubner’schen Laboratorium, zeigen, daß
bei Temperaturen von 28,8—29,7° C die bloße Wasserausscheidung
durch die Haut nicht den von Rubner und v. Lewaschew
aufgestellten Gesetzen folgt. Nuttall glaubte keinen wesentlichen
Einfluß der relativen Feuchtigkeit auf die Hautwasserabgabe an-
nebmen zu dürfen. Auf diese Arbeit werden wir später noch ein¬
mal zurückkommen. Denselben Standpunkt nahm Schwenken¬
becher 8 ) in dieser Frage ein. Er hat aber' in seiner ent¬
sprechenden Arbeit schon djffhals betont, daß der Einfluß der rela¬
tiven Feuchtigkeit auf die Hautwasserabgabe, wegen der wider¬
sprechenden Meinungen, einer nochmaligen Prüfung bedürfe. Dieser
Aufgabe habe ich mich unterzogen.
Methodik: Die Versuche wurden mit dem Schwenkenbecher'schön
Kesten *) ausgeführt, der andernorts eingehend beschrieben ist. Das Prinzip
des Apparates besteht darin, daß die Wasserabgabe der Gesamtoberfläche
des menschlichen Körpers unter Ausschluß des Kopfes bestimmt wird.
Ke Versuchsperson ruht in halb liegender Stellung auf einer porösen
Hängematte und trägt um den Hals zur Erzielung eines luftdichten Ab-
1) Bnbner u. v. Lewaschew, Arch. f. Hyg. Bd. 29, S. 1.
2) Nuttall, Arch. f. Hyg. Bd. 23, S. 184.
8) Schwenkenbecher, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 79, S. 39.
4) Ders., Ebenda S. 56.
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184
Mooo
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Schlusses einen gut anliegenden Gummikragen. Die ausgeschiedenen
WasBermengen werden mit der Hygrometermethode ermittelt. Zu diesem
Zwecke sind in dem Ein- nnd Ausstrom der den Kasten passierenden
Lall je 2 Koppe’sche Haarhygrometer aufgestellt. Mit ihrer Hilfe konnten
dann unter Benutzung der Wolpert’schen Tabelle J ) die absoluten Werte
für die Hautwaaserabgabe errechnet werden. Die in den Versuchskasten
eingeleitete Luft wurde unmittelbar aus dem Zimmer entnommen nnd
nicht etwa kurz vor Eintritt in den Kasten relativ wasserarm oder wasser¬
reich gemacht. Ihr Volumen wird mit einer großen Elster'sehen Gas¬
uhr bestimmt. In dem Versuchsraum war durch Zentralheizung and
durch besonders geschützte Lage bei geringem Feuchtigkeitsgehalt der
Atmosphäre der Wassergehalt der Zimmerluft verhältnismäßig niedrig.
Aus den Tabellen geht die jeweilige relative Feuchtigkeit, die während
des Versuchs in den Zimmer resp. im Kasten herrschte, ohne weiteres
hervor. Es muß jedoch bemerkt werden, daß die angegebenen Prozent¬
zahlen der relativen Feuchtigkeit der Durchschnittsfeuchtigkeit im Kasten
entsprechen, d. h. daß das Mittel aus den Ein- und Ausstromhygrometer-
zahlen genommen wurde.
Es waren zwei Gründe, die uns veranlaßt haben, keine niedrigeren
Feuchtigkeitsgrade für unsere Experimente zu wählen. Zunächst waren
es rein technische Gesichtspunkte, hauptsächlich aber lag uns daran, die
bei unseren klimatologischen Verhältnissen herrschende untere Grenze
des Wassergehalts der Luft nicht wesentlich zu überschreiten. Eine
hohe relative Feuchtigkeit wurde dadurch erreicht, daß wir rings herum
an den Wänden des Zimmers Bettücher aufhängten, die am Abend vor
jedem Versuch mit Wasser bespritzt wurden. Der Wassergehalt der
Luft wurde am Vorabend des Versuchstages bis auf nicht ganz 100 °/ #
gebracht. Im Laufe der Nacht ging die prozentuale Feuchtigkeit bü auf
den Wert zurück, der in den Tabellen verzeichnet ist. Es erwies sich
als unzweckmäßig, höhere Grade von Luftfeuchtigkeit zu erzeugen, da
die Gefahr der Kondensation des Wassers an den Wänden des Kastens
und des Behältnisses des Ausstrombygrometers bestand. Auch mußte
verhütet werden, daß die Hygrometer Vferte von über 85 °/ (l anzeigten,
denn die Genauigkeit der Ablesung ist von dieser Grenze an stark in
Frage gestellt. Anfangs waren wir gezwungen, als wir diese Gesichts¬
punkte noch nicht genügend zu berücksichtigen gelernt hatten, eine
Beihe von Experimenten als unbrauchbar ^uszuschalten.
Die Temperatur des Versuchszimmers konnte von einem Tag zum
andern nicht völlig konstant gehalten werden, weil sie durch die Be¬
heizung der Nebenräume zum Teil mit beeinflußt wurde, ferner weil
durch die künstliche Wasseranreicherung der Luft die Temperatur, in¬
folge mehr oder weniger starker Verdunstung zu besonderen Schwan¬
kungen veranlaßt wurde. Eine absolute Gleichmäßigkeit der Zimmer¬
wärme zu erreichen, lag auch nicht in unserer Absicht, da wir uns von
vornherein vorgenommen hatten, die Durchschnittswerte von längeren
Versuchsreihen miteinander zu vergleichen. Wie aus den Tabellen er¬
sichtlich, ist es uns für den Durchschnitt gelungen hei einer ungefähr
1) A. u. H. Wolpert, Die Luft und die Methoden der Hygrometrie.
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Der Einfluß der relativen Luftfeuchtigkeit usw.
185
gleich hohen Temperstar za arbeiten. In Tabelle 1 liegt die Durch-
sehnittetemperatnr bei hober relativer Feaehtigkeit am 0,5° C höher ab
die bei niederer Loftfeachtigkeit. Wenn diesem Unterschied auch keine
io große Bedeutung beigemessen werden kann, so soll er doch nicht
ganz unerwähnt bleiben. Vielleicht bt es diesem Umstand zazuschreiben,
daß gerade bei diesem Versuch, der prozentuale Zuwachs der Haut-
Tuserabgabe, wie später gezeigt wird, besonders groß ausgefallen ist.
Während des Einzelversaches betragen die Temperaturschwankangen des
Zimmers bis 1 / s ° C. Für die Zeit des eigentlichen Experimentes war
also eine genügende Gleichmäßigkeit der Luftwärme gegeben.
Es wurde gerade die Darcbschnittstemperatur von 25° C gewählt,
veil sich die Versuchspersonen hierbei am wohlsten fühlten. Jedes Un¬
behagen, vor allem durch zu niedrige Temperatur, muß vermieden werden,
veil besonders hierdurch gar nioht selten größere Schwankungen in der
Haatwasserabgabe hervorgerufen werden.
Die Untersuchungen wurden ausnahmslos morgens zwischen 7 und
10 Uhr ausgeführt. Die Personen betraten 1 / i Stande vor Beginn den
Saum, um sich zunächst dem Milieu anzupassen. Sie waren sämtlich
nüchtern und hielten während der Verenchsperiode dauernd Bettruhe
ein. Der eigentliche Versuch dauerte 1 J / 2 Stunden. Die Ergebnisse
vurden auf 1 Stunde berechnet. Die Vorventilation erstreckte sich über
30 Minuten. Bei allen Versuchen betrug die Ventilationsgröße im Durch¬
schnitt ziemlich genau 6 cbm pro Stunde. Es kamen vereinzelt Schwan¬
kungen vor, die zwischen 5,7 und 6,1 cbm lagen.
Die Ergebnisse unserer Untersuchungen gehen ziemlich ein¬
deutig aus den 3 mitgeteilten Tabellen hervor. Die Einzel ver¬
suche sind schon wegen der nicht völlig gleich hohen Temperatur
nicht ohne weiteres miteinander vergleichbar, auch ist bekannt,
daß bei ein und derselben Person die Wasserabgabe durch die
Haut an verschiedenen Tagen bei derselben Temperaturhöhe dif¬
ferent gefunden werden kann. Vor allen Dingen spielt dabei das
körperliche und psychische Befinden eine bedeutende Rolle, eine
Erfahrung, auf die schon Schwenkenbecher in seinen Arbeiten
mehrfach hingewiesen hat und die hier noch einmal ausdrücklich be¬
tont werden soll. Aus diesen Gründen haben wir Durchschnittswerte
zueinander in Parallele gesetzt. In allen Fällen kommt zum Aus¬
druck, dafi bei hoher relativer Feuchtigkeit, die unmerkliche Wasser¬
abgabe durch die Haut vermehrt ist. Die Differenzen der in den
Tabellen mitgeteilten absoluten Werte betragen etwa 5 g pro
Stunde. Bei 2 weiteren Individuen — die Protokolle sind zwecks
Baumersparnis nicht aufgeführt — ergaben sich Unterschiede von
und 8 g. Auf den ersten Blick mögen diese Zahlen ziemlich
klein erscheinen, bei der prozentualen Berechnung jedoch erweisen
sie sich als teils recht bedeutend, und zwar erhält man fortlaufend
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die Prozentzahlen von 82,9, 26, 22,6, 14,3 und 24. Es handelt sich
also um Schwankungen, die sich zwischen 14 und 33°/ 0 bewegen.
Da die zu den Experimenten verwandten Personen in jeder Be¬
ziehung körperlich voneinander verschieden waren, ist es nicht
verwunderlich, wenn die prozentuale Steigerung der unmerklichen
Wasserabgabe bei hoher relativer Feuchtigkeit bei den einzelnen
Individuen ungleich ausgefallen ist.
Tabelle 1.
Maria K., 32 J. alt, 58,3 kg. Leichte multiple Sklerose. Nüchtern, Hemd.
Durch¬
schnittliche
Kasten-
temp.
Durch¬
schnittliche
relative
Feuchtigkeit
im Kasten
Hautwasser
pro Stunde
in g
Durch¬
schnittliche
Kasten-
temp.
Durch¬
schnittliche
relative
Feuchtigkeit
im Kasten
Hautwasser
pro Stunde
in g
C
in °/ 0
C
in % 1
24,8
27
14
26.0
71
23
25,6
31
14
26,0
66 1
22
26.7
28
20
26,1
58
22
25,3
31
14
25,2
71
17
23.6
23
16
24,5
62
22
23,5
25
15
24,7
74
18
Gesamt¬
Gesamt¬
Gesamt-
Gesamt¬
Gesamt-
Gesamt-
durchschnitt
durchschnitt
der relativen
dnrchachnitt
des Haut-
durchschnitt
durchschnitt
der relativen
durchschnitt
des Hant-
der Temp.
Feuchtigkeit
in °/ 0
wasaers
der Temp.
Feuchtigkeit
wassers
pro Stunde
26,2
in %
pro Stande
24,7
27,5
15,5
67
20,6
Tabelle 2.
Johann K., 22 J. alt, 48 kg. Abgelaufene Bronchitis. Nüchtern, Hemd.
Durch¬
schnittliche
Kasten-
temp.
l)urt*h-
scbnittliche
relative
Feuchtigkeit
Gautwasser
pro Stunde
im Kasten
in g
C
in °/ 0
26,6
35
30
27,0
33
19
25,4
36
20
24,1
27
14
25,6
29
18
Gesamt¬
Gesamt¬
| Gesamt-
durchschnitt
durchschnitt
der relativen
! durchschnitt
des Haut¬
der Temp.
Feuchtigkeit
in %
wassers
pro Stunde
25,7
32
20
Durch¬
schnittliche
Kasten-
temp.
C
Durch¬
schnittliche
relative
Feuchtigkeit
im Kasten
in »/«
Hautwasser
pro Stunde
in g
25,4
69
29
25.6
69
• 15
26,3
67
15
26.5
66
23
26,1
72
22
24,8
67
19
26,0
‘ 66
21
Gesamt¬
Gesamt¬
Gesamt-
durchschnitt
durchschnitt
durcbs'hnitt
der relativen
des Hant-
der Temp.
Feuchtigkeit
was8era
in %
pro Stunde
25,7
68
25
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Der Einfluß der relativen Luftfeuchtigkeit usw.
Tabelle 3.
Maria L. f 19 J. alt, 48 kg. Gesund. Nüchtern, Hemd.
187
Durch¬
schnittliche
Kasten-
temp.
Durch¬
schnittliche
relative
Feuchtigkeit
Hautwasser
pro Stunde
Durch¬
schnittliche
Kasteu-
temp.
Durch¬
schnittliche
relative
Feuchtigkeit
Hautwasser
pro Stunde
im Kasten
• in g
im Kasten
in g
C
in °/o
C
in %
23,4
37
18
24,0
71
24
25,5
38
20
25,3
66
25
28.0
40
26
28,2
77
32
26,0
41
21
25,9
51
26
24,3
37
23
24,5
81
26
Gesamt^
Gesamt-
Gesamt¬
Gesamt¬
Gesamt-
Gesamt-
dorchschnitt
dorchxchnitt
der relativen
durchschnitt
des Hant-
durchschnitt
dnrchschnitt
der relativen
dnrchschnitt
des Haut¬
der Temp.
Feuchtigkeit
in u / 0
wassers
der Temp.
Fenehtigkeit
in °/,
wassers
pro Stunde
pro Stunde
25,4
1
138,6
;
21,6
25,6
69
26,6
Nach den mitgeteilten Versuchsergebnissen glaube ich zu der
Annahme berechtigt zu sein, daß bei gleichbleibender Durchschnitts¬
temperatur die Steigerung der relativen Feuchtigkeit um 30—40 %,
wie sie bei unseren Versuchen statt gehabt hat, zu einer vermehrten
Abgabe des unmerklichen Hautwassers führt. Die Resultate können
jedoch zunächst nur für die in den Protokollen .mitgeteilten Tem¬
peraturen Geltung haben, d. h. also für Wärmegrade, die etwa
bei 25 0 C liegen. Auf diesen Punkt werden wir später nochmals
eingehen.
Es erhebt sich nun die Frage: Wie sind diese Ergebnisse mit
den bisherigen Untersuchungsresultaten über den Einfluß der rela¬
tiven Feuchtigkeit im Einklang zu bringen? Experimente älterer
Autoren, die zur Entscheidung dieses Problems nur an einzelnen
Körperstellen angestellt oder ohne Ventilation ausgeführt wurden,
fallen nicht in die Wagschale. Denn die dabei verwandten Me¬
thoden können nicht als gleichwertig mit unserer Apparatur be¬
trachtet werden, auch gestatten Werte, die z. B. an einer Extre¬
mität gewonnen sind, noch keine Rückschlüsse auf das Verhalten
des Gesamtkörpers. Auf diesen Punkt hat Loewy (a. a. 0.)
nenerdings wieder aufmerksam gemacht.
Anders steht es mit den Resultaten Nuttalls (a. a. 0.), die
mit einwandfreier Methodik erzielt worden sind. Er schließt aus
seinen Tabellen, daß die relative Feuchtigkeit keinen wesentlichen
Einfluß auf die anmerkliche Hautwasserabgabe habe. Tatsächlich
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188
Moog
hat sich aber auch bei ihm, wie ans der Tabelle der Durchschnitts¬
werte hervorgeht, und die ich hier wiedergebe, eine Steigerung
des Hautwassers bei hoher relativer Feuchtigkeit herausgestellt.
Tabelle nach Nuttall.
Temp. im Durchschnitt
Relative Feuchtigkeit der Luft
Wasser in 24 Stunden
28,8
12,6—19,7
804,2
29,0
21,8-33,6
294,6
29,6
37,9—66,5
278,4
29,7
60,4—63,7
380,4'
pro Stunde berechnet:
12,7
12,3
11,6
! 15,8 g
Berechnet man die pro Stunde abgegebene Menge Wasser (ich
habe die Zahlen der Tabelle angefügt), so ist daraus ersichtlich,
daß bei der höchsten relativen Feuchtigkeit auch der größte Wert
für die Wassermenge zu finden ist und zwar ist die Vermehrung,
wenn man die Prozentzahlen der relativen Feuchtigkeit in Be¬
tracht zieht, die denen bei unseren Versuchen in etwas entsprechen
— also vom 2—4. Stab der Tabelle an — von der von uns ge¬
fundenen nicht auffallend verschieden. Die Übereinstimmung wird
noch deutlicher, wenn man den Zuwachs an Wasser prozentual be¬
stimmt Man findet dann eine Steigerung der Wasserabgabe von
28,4 °/ 0 , eine Zahl, die sich gut in die von uns ermittelten Werte
einreihen läßt. Die um 0,7 0 C differierende Temperatur dürfte
kaum einen wesentlichen Einfluß auf die Wasserabgabe gehabt
haben. Da Nuttall seine Versuche nur an einer Person anstellte,
konnte er nicht ungezwungen zu einem anderen Schluß kommen,
nämlich dem, daß die relative Feuchtigkeit keinen nennenswerten
Einfluß auf die Hautwasserabgabe ausübe. Nachdem es uns ge¬
lungen ist, entsprechende Resultate an 5 weiteren Individuen zn
gewinnen, glaube ich die Nuttall’schen Ergebnisse in dem oben
entwickelten Sinne deuten zu müssen.
Nach den grundlegenden Rubner’schen *) Forschungen ist die
Wasserdampfabgabe von einer Reihe von komplizierten sich gegen¬
seitig beeinflussenden Faktoren abhängig. Beim hungernden be¬
haarten Tier wird zunächst die G e s a m t wasserdampfabgabe durch
die relative Feuchtigkeit der Luft bestimmt und zwar besteht eine
direkte Proportionalität zwischen „der relativen Trockenheit“, wie
Rubner sich ausdrückt, und der Wasserdampfausscheidung. Schon
1) Rubner, Arch. f. Hygiene Bd. XI: Die Beziehungen der atmosphäri¬
schen Feuchtigkeit zur Wasserdampfabgabe und Arch. f. Hygiene Bd. XI: Ther¬
mische Wirklingen der Luftfeuchtigkeit
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Der Einfluß der relativen Luftfeuchtigkeit uaw.
189
anders liegen die Verhältnisse bei einem reichlich gefütterten Tiere.
Hier vermag zwar erhöhte Luftfeuchtigkeit auch die Wasserdampf¬
abgabe einzuschränken, aber in einem weit geringerem Maße als
bei einem nur mäßig genährten Organismus. Bei gleichen Schwan¬
kungen des Wasserdampfgehalts der Luft bewirkt verschiedene Er¬
nährung eine durchaus differente Gesamtwasserabgabe.
Untersucht man nun die Wasserabgabe bei gleichbleibender
relativer Feuchtigkeit, so zeigt sich, „daß der Körper in Abhängig¬
keit von der Umgebungstemperatur aktiv Wasser ausstößt“. Aber
auch hier spielt der Ernährungszustand eine wichtige Rolle. Bis
zu der Grenze von 20° C hat er zwar keine Bedeutung, aber von
da an sind die Schwankungen der Temperatur für die Größe der
Wasserdampfabgabe ausschlaggebend. „Anscheinend gering¬
fügige Zuwächse derselben wirken im hohen Grade
beschleunigend auf die Wasserabgabe.“ Ernährungszu¬
stand, relative Feuchtigkeit und Temperatur stehen also in außer¬
ordentlich mannigfaltiger Verbindung. Unter Berücksichtigung dieser
Faktoren kommt Rubner im Verlaufe seiner Untersuchungen am
behaarten Tier zu dem Schluß, daß die Wasserdampfabgabe eine
„rein physiologische Funktion des Organismus“ darstellt. Die „rein
physikalischen Momente“ kommen keineswegs in erster Linie in Be¬
tracht. Der äußerst komplizierte Vorgang der Wasserdarapfabgabe
kann nach Ansicht Rubner’s nur vom Standpunkte der Wärme¬
regulation aus verstanden werden. Unter diesem Gesichtspunkte
sind die Wirkungen der relativen Feuchtigkeit auf die Wasserdampf¬
abgabe zu betrachten. Der Zusammenhang zwischen wechselnder
Luftfeuchtigkeit und Wasserdampfabgabe ist nur ein scheinbarer.
Und zwar drückt hohe Luftfeuchtigkeit nicht direkt den Wasser¬
verlust herunter, sondern indirekt, indem sie, in förderndem Sinne,
antagonistisch auf die Abgabe der Wärme durch Leitung und
Strahlung einwirkt Steigt also die relative Feuchtigkeit, so wird
zwar die Wärmeabgabe durch die Wasserverdunstung eingeschränkt,
dafür tritt aber vikariierend eine Vermehrung der Wärmeabgabe
durch Leitung und Strahlung ein. Denn je feuchter die Luft ist,
desto größer ist ihr Wärmeleitungsvermögen.
ln unserem Falle sollte man zunächst erwarten, daß bei gleich¬
bleibender Temperatur, wie sie bei unseren Versuchen im Durch¬
schnitt vorhanden war, bei hoher relativer Feuchtigkeit, weil unter
dieser Bedingung Leitung und Strahlung vermehrt ist, weniger
Wasserdampf abgegeben wird, als bei geringerem Wassergehalt
der Luft. Wie wir jedoch weiter unten sehen werden, trifft diese
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190
Moog
Annahme nnr für niedrige Temperaturen zu. Hier findet durch
sehr feuchte Luft eine vermehrte Wärmeabgabe durch die ver¬
besserte Leitung und Strahlung und dementsprechend eine Ein¬
schränkung der Hautwasserabgabe statt.
Nun ist die Wärmeabgabe durch Leitung und Strahlung von
dem Temperaturgefälle zwischen Haut und umgebender Luft ab¬
hängig. Bei hoher Luftfeuchtigkeit wird aber nach den Rubner-
schen Feststellungen dieses Temperaturgefälle nach außen immer
geringer eben wegen der vermehrten Leitung und Strahlung. Es
findet eine größere Annäherung zwischen Körper und Umgebungs¬
temperatur statt. Diese Verringerung des Temperaturgefälles
bleibt bei niederen Wärmegraden ganz ohne Einfluß auf die Wärme¬
abgabe, sie macht sich erst bemerkbar bei höheren Temperaturen,
weil sich hier Körper- und Umgebungstemperatur immer mehr
nähern und das Temperaturgefälle unter diesen Bedingungen auch
schon bei geringer relativer Feuchtigkeit verhältnismäßig niedrig
wird. Diese Verminderung des Temperaturgefälles macht sich
nach Rnbner für den Mechanismus der Wärmeregulation schon
von 20° C an geltend, insofern als von diesen Punkt an die Ab¬
gabe der Wärme durch Leitung und Strahlung immer deutlicher
in den Hintergrund tritt, während diejenige durch Wasserver¬
dunstung mehr und mehr die Oberhand gewinnt. Wird nun das
an sich schon niedrige Temperaturgefälle bei höheren Temperaturen,
durch großen Feuchtigkeitsgehalt der Luft, noch weiter verringert,
so wird zur Aufrechterhaltung des Wärmegleichgewichts eine
Steigerung der Hautwasserabgabe als Folge eintreten.
Diese bisher erörterten Rubner’schen Untersuchungsresultate
haben jedoch nur für das behaarte Tier Geltung. Darauf hat R u b n e r
besonders hingewiesen. Nach seinen Feststellungen verhält sich ein
ungeschorenes Tier bei 20° C etwa so wie ein geschorenes bei 25° C.
Für das geschorene Tier liegt demnach die Temperaturgrenze, bei
der die Wärmeabgabe durch Leitung und Strahlung gegenüber der
durch Wasserverdunstung allmählich geringer wird bei 25° C. Da
unsere Experimente an nur mit einem Hemd bekleideten Menschen
ausgeführt wurden, haben wir Verhältnisse in Betracht zu ziehen,
wie sie weder beim geschorenen noch ungeschorenen Tier in Be¬
tracht kommen. Sie dürften ziemlich in der Mitte liegen. Eine
Einschränkung der Wärmeabgabe durch Leitung und Strahlung
wird für den mit einem Hemd leicht bekleideten Menschen bei
25° C sicherlich schon nachweisbar sein. Diese Temperatur haben
wir in unseren Versuchen durchschnittlich erreicht. Was wir oben
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Der Einfluli der relativen Luftfeuchtigkeit osw.
191
also für das behaarte Tier anseinandergesetzt haben, dürfte für
unsere Versuchspersonen wohl von einer Temperatur von 25° C an
gelten. Bei diesem Punkt tritt die Wärmeabgabe durch Wasser¬
verdunstung mehr und mehr in den Vordergrund, während diejenige
durch Leitung und Strahlung nicht mehr von ausschlaggebender Be¬
deutung ist. Wird nun durch hohe Luftfeuchtigkeit, wie schon
gesagt, das Temperaturgefälle weiter erniedrigt, so wird unter Um¬
ständen das Wärmegleichgewicht durch Leitung und Strahlung
nicht mehr aufrecht erhalten werden können und deshalb eine
Steigerung der Wasserabgabe resultieren müssen. Das hat sich
in unseren Versuchen gezeigt.
Ein weiterer Punkt mag für die Erklärung unserer Resultate
noch in Erwägung zu ziehen sein. Bei hoher Luftfeuchtigkeit
dürfte die Verdunstung des unmerklichen Hautwassers zunächst
nicht, so prompt erfolgen, wie bei niedriger relativer Feuchtigkeit.
Da nun bei höheren Temperaturgraden die Wärmeabgabe durch
Leitung und Strahlung nicht mehr völlig ausreicht, kommt es zu
einer geringen Überwärmung des Organismus, die ihrerseits wieder
zu einer vermehrten Wasserabgabe durch die Haut Veranlassung gibt.
Es muß jedoch betont werden, daß wegen der zahlreichen in-
einandergreifenden Mechanismen bei der Wärmeregulation die mit¬
geteilten'Ergebnisse nur für die von uns gewählten Bedingungen
Geltung haben dürften. Daß die Verhältnisse bei Temperaturen
über 25° C, noch bevor es zu sicht- und fühlbarem Schweißausbruch
kommt, sich ähnlich verhalten, geht aus den mitgeteilten Versuchen
Nuttal’s hervor, der bei Temperaturen von 28,8—29,7° C ge¬
arbeitet hat. Wie die Ergebnisse bei Wärmegraden von 20—25° C
sein werden, kann nicht mit Sicherheit ohne Experimente voraus¬
gesagt werden. Wir haben bei diesen Temperaturgraden keine
Untersuchungen angestellt, weil uns daran lag, die Personen unter
Bedingungen zu beobachten, die kein körperliches Mißbehagen
hervorrufen. Denn unter diesen Umständen hat man stets mit
Komplikationen besonders psychisch-nervöser Art zu rechnen, die
die Versuchsresultate stark beeinträchtigen können.
Aus unseren Versuchen geht deutlich hervor, daß unter den
von uns gewählten Bedingungen die insensible Hautwasserabgabe
nicht etwa ein einfacher Verdunstungsprozeß ist, sondern vielmehr
einen komplizierten physiologischen Lebensvorgang des Organismus
darstellt, denn sonst wäre es nicht erklärlich, wie bei hoher rela¬
tiver Feuchtigkeit die unmerkliche Hautwasserabgabe stärker sein
sollte als bei geringerem Wasserdampfgehalt der Luft. „Der Körper
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192
Mooo, Der Einfluß der relativen Luftfeuchtigkeit usw.
stößt,“ um mit Rubner zu reden, „aktiv Wasser aus.“ Unsere
Ergebnisse lassen sich vom Standpunkt der Wärmeregulation auf
Grund der Rubner’schen Arbeiten verstehen.
Zusammenfassung.
Bei 6 Personen wurde nachgewiesen, daß bei Schwankungen
der relativon Feuchtigkeit um 30—40% und bei einer Durch¬
schnittstemperatur von 25° C die unmerkliche Wasser¬
abgabe durch die Haut bei hoher relativer Feuchtig¬
keit größer ist als bei niedrigem Feuchtigkeits¬
gehalt der Luft. Die unmerkliche Wasserabgabe muß unter
den gestellten Versuchsbedingungen als eine physiologische
Funktion des Organismus aufgefaßt werden, die im
Dienste der Wärmeregulation steht.
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193
Aus der in. medizin. Universitätsklinik in Budapest.
(Direktor: Prof. Baron Alexander von Koränyi.)
Untersnchnngen Ober die harnstoffbildende Tätigkeit der
Leber bei Leberkranken.
Von
Dr. G6za Hetenyi.
Unsere physiologischen Kenntnisse über die Rolle der Leber
im Eiweißstoffwechsel sind bereits älterer Herkunft. Wir wissen,
daß die wichtigste Funktion der Leber im Eiweißstoffwechsel die
Ureasynthese ist. Die in der Nahrung eingefülirten Eiwei߬
körper werden im Verdauungskanal durch die proteolytischen
Fermente zu verschiedenen Aminosäuren zerlegt, welche dann zu
den einfachsten Endprodukten: zu Kohlensäure, Ammoniak und
Wasser verbrannt werden. Durch die Gefäße der Darmwand auf-
senommen, langen diese Endprodukte mit der Vena portae in die
Leber, wo sie gemäß der Formel
NH 2
C0 2 + 2XH 8 = <’o/ +H 2 0
nh 2
zu Urea synthetisiert werden. Dasselbe, was das Eiweiß betrifft,
bezieht sich auch auf andere N-haltige Verbindungen. So kommt
es, daß 80—90 °/ 0 des im Harn erhaltenen Stickstoffes in Form des
Harnstoffes nachzuweisen ist.
Die Kenntnis dieser Prozesse verdanken wir jahrzehntelang fort¬
gesetzten Arbeiten.
Es war nun an der Hand gelegen diese physiologischen Kenntnisse
auf die menschliche Pathologie zu übertragen und den Verlauf der
UreasyntheBe bei den Lebererkrankungen einer genauen Untersuchung zu
unterwerfen. An Versuchen solcher Art fehlte es auch nicht! Besonders
NH
der Erhöhung des -Quotienten wurde eine pathognomische Bedeu¬
tung zugemessen:, sobald die Ureasynthese — infolge insufficienter
Leberfunktion — nachgelassen hat, muß dasjenige Ammoniak, das der
Deutsches Archiv für klin. Medizin. 138. Bd. 13
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194
Hbt£nyi
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Verarbeitung entgangen, im Harn erscheinen, woraus eine Erhöhung^
dieses Quotienten resultiert. In der Tat finden wir diesen Quotienten
bei Lebererkrankungen häufig erhöbt; ihr diagnostischer Wert ist trotz¬
dem verschwindend klein: einerseits weil wir bis nun auch bei schweister
Hepatargie nicht imstande waren eine direkte Abnahme der Harnurea
nachzuweisen, andererseits weil eB sich herausstellte, daß die Erhöhung
des Ammoniaks eine andere Ursache hat und zwar in einer die Leber¬
krankheiten begleitenden Acidose; besonders die Fleischmilchsäure wird
im Organismus Leberkranker in höherem Maße produziert.
Der Gedankengang der hier mitgeteilten Untersuchungen war
folgender: Wenn die Abnahme der Ureasynthese bei Leberkranken
aus einer Verminderung der Harnurea nicht nachzuweisen ist, so
hat das seinen Grund darin, daß die unversehrten Parenchym¬
partien die Funktion der untergegangenen Zellen vikariierend über¬
nehmen und so die Synthese der Eiweißstoffwechselsendprodukte
durch verstärkte Arbeit ermöglichen. (Es ist ohne Zweifel, daß
die Ureasynthese ein absolut lebenswichtiger Vorgang ist. Viel¬
leicht weil sie vor einer Alkalose den Körper beschützt. Nach
Fischler ist Harnstoff = entgiftetes Ammoniak.) Nun konnte man
sich nach anderen Organen entnommenen Analogien vorstellen, daß
die an Zahl verminderten Zellen dem normalen Bedürfnisse ent¬
sprechen können, eine eventuelle Belastung jedoch eine Mangel¬
haftigkeit der Funktion an den Tag legen kann. Die Bausteine
des Harnstoffes müssen daher in großer Quantität und zu gleicher
Zeit in den Körper eingeführt werden, damit wir die latente In-
sufficienz der Leber temporär zu einer manifesten umwandeln. In
der Literatur fand ich nur an einer Stelle ähnliche Versuche.
Weintraud untersuchte in 4 Fällen von Cirrhose den Ammoniak¬
gehalt des Urins nach Einführung von zitronensaurera Ammoniak
und fand, daß es gerade so zu Harnstoff wurde, wie bei Gesunden.
In einem einzigen Falle erschien ein Teil des eingeführten Am¬
moniaks — 1 Tag ante exitum — im Harn. Seine Methodik war
aber keine entsprechende: diese ist aber von einer enormen Wichtig¬
keit, weshalb ich — vor Mitteilung meiner Ergebnisse — die von
mir benützte Methodik besprechen will.
Die Methodik hatte drei Schwierigkeiten zu bekämpfen:
1. Die Wahl des einzuführenden Ammonsalzes, die Art seiner Ein¬
führung und die Notwendigkeit es in eine zur Einführung geeignete
Form zu bringen.
2. Erreichen einer zur Beurteilung der Ergebnisse notwendigen
ständigen Harnstoffausscheidung.
3. Exakte Methoden der quantitativen Urea- und Ammoniak¬
bestimmung.
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Die harnstoff bildende Tätigkeit der Leber bei Leberkranken. 1^5
Ad 1. Das Ammoniak kann nur in Form seiner Salze in den Körper
eingeführt werden. In der Beziehung aber, wie sie sich im Organismus
zu Harnstoff umwandeln, besteht zwischen organischen und anorganischen
Ammonsalzen ein bedeutender Unterschied. Derselbe Unterschied ist
zwischen der Toxizität der genannten Verbindungen aufzufinden und
zwar derart, daß die anorganischen Salze (Chlorid, Phosphat, Sulfat)
nach ihrer Einführung teilweise unverändert als Ammoniak ausgeschieden
werden und dieselben auch eine größere Toxizität aufweisen, wogegen
die organischen Ammonsalze (Forxniat, Acetat, Citrat, Laktat usw.) im
Körper quantitativ in Urea übergehen und auch ihre Toxizität viel ge¬
ringer ist. Für den Unterschied in der Umgestaltung ist vielleicht als
Grund anzunehmen, daß nach Einführung anorganischer Salze das'frei¬
werdende Säureradikal auf die Umwandlung weiterer Ammoniakmoleküle
zu Urea hemmend einwirkt. Auch die Toxizität von Ammonium carbo-
nicum ist jedoch eine bedeutende.
Zu meinen Untersuchungen wählte ich das zitronensaure Ammoniak,
welches ich selbst in der Weise herstellte, daß ich zu Ammonium carbo-
nicum so lange kristallisierte Zitronensäure gab, bis die Reaktion der
Lösung schwach sauer wurde. Die Konzentration der Lösung schwankte
zwischen 1—2 °/ 0 , die eingeführte Dosis zwischen 4—8 g und blieb nur
in einem einzigen Falle unter dieser Grenze.
Als Einführungsart wählte ich die Einfuhr per os, einerseits damit
das Ammoniak sofort zur Leber gelange (was bei einer intravenösen In*
jektion unter ungünstigeren Verhältnissen geschähe), andererseits weil
ich so genau dosieren konnte (bei rektaler Einfuhr ist die Menge des
resorbierten Ammoniaks einfach unberechenbar).
Um die sehr unangenehm schmeckende Lösung zur Eingabe geeignet
zu machen, mußte sie zuerst präpariert werden. Dies geschah durch
Zugabe von Menthol und Saccharin. Zur Vermeidung subjektiver Un¬
annehmlichkeiten gab ich die Lösung nie auf nüchternen Magen.
Ad 2. Die Erreichung einer ständigen Ureaausscheidung ist Grund¬
bedingung der Versuche. Ohne sie kann ja das Ergebnis der alimen¬
tären Belastung nicht beurteilt werden. Wir können auf zwei ver¬
schiedene Weisen eine ständige Harnstoffausscheidung erreichen: a) durch
Hungern. Hauptsächlich Durcbblutungsversuche empfehlen uns diese
Methode. Die genannten Versuche zeigten nämlich, daß die im Zu¬
stande der Verdauung befindliche Leber auch dann zu einer Ureaanhäu¬
fung in der durcbleiteten Flüssigkeit führt, wenn dieselbe kein Ammoniak
enthielt. Dieser Umstand ist uns erklärlich, da wir wissen, daß in der
Leber eine gewisse Menge von präforraiertem Harnstoff aufgestapelt ist.
Diese aber verschwindet nach einer gewissen Zeit (ungefähr nach 3 Tagen)
Hungerns und dann entspricht die Konzentration der abfließenden
Flüssigkeit an Harnstoff genau dem der zufließenden Flüssigkeit zu¬
gesetztem Ammoniak. Doch können die Ergebnisse, die an überlebenden
Organen gewonnen werden, nicht ohne weiteres auf den Gesamtorganis-
raus, wo die Korrelation der verschiedenen Organe geänderte Verhält¬
nisse schaffen kann, übertragen werden. Außerdem können Kranke aus
diagnostischen Gründen nicht Tage lang gehungert lassen werden. Es
13 *
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196
II KT KM VI
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ist auch fraglich, ob der Hunger selbst die Funktion der Leber nicht
irgendwie beeinflußt.
b) Ständige Harnstoffausscheidung kann einfach in der Weise er¬
reicht werden, daß man die Kranken bei einer ständigen Diät hält und
sie so in N-Gleichgewicht bringt.
Ich habe zu meinen Untersuchungen die letztere Methode gewählt,
in der Zusammenstellung der Diät jedoch auch die sub a) Erwähnten in
Betracht gezogen. Ich gab daher den Kranken eine quantitativ unzu¬
reichende Kost und habe besonders die Eiweißmenge beschränkt. Letzteres
ist aus dem Grunde vorteilhaft, weil man so mit relativ kleinen Mengen
von Ammoniak einen starken Anstieg im Urin hervorrufen kann. Die
Kranken waren an dieser Diät, bis sich das Urea-Gleichgewicht ein¬
stellte, wozu man durchschnittlich 4—6 Tage benötigte. Dann erhielten sie
die Ammoniumcitricum-Lösung, wonach die Ausscheidung bei derselben
Diät noch weitere 3 Tage untersucht wurde.
Ad 3. Während der Dauer der Untersuchungen bestimmte ich täg¬
lich den Gehalt des Harnes an Urea und Ammoniak. Die älteren Harn-
stoffbestimmungsmethoden sind teils sehr umständlich, teils unverläßlich.
Vorzügliche Resultate ergab mir die von Hahn angegebene Urease-
Metbode, welche — so einfach und geistreich sie ist — so exakte Er¬
gebnisse sie liefert. Um ihre Exaktheit noch zu steigern wendete ich
sie in der Form an, wie sie Hahn zur Bestimmung des Ureagehaltes
des Blutes empfahl (jodometrisches Titrieren). Bezüglich der Details
der Methode weise ich auf die Originalbeschreibung. — Zur Bestimmung
des Ammoniaks benutzte ich zuerst die Krüger-Reich-Schitten-
helm’sche Methode. Später ging ich aber zu Malfatti’s Verfahren
über, welches — in bezug vergleichender Bewertung — der erstgenannten
umständlicheren Methode gleichkommt. Die Bestimmungen geschahen in
den 24 stüudlichen Urinen. Alkalisch wurde der Urin nie — was einen
Ammoniakverlust verursachen können hätte.
Nur die Beobachtung der hier beschriebenen Um¬
stände kann die Verläßlichkeit der Ergebnisse ver¬
bürgen. Aus diesem Grunde befaßte ich mich so ausführlich mit
der Methodik.
Was nun die Ergebnisse meiner Untersuchungen betrifft, fasse
ich dieselben in den folgenden Tabellen zusammen. In die erste
habe ich die P'älle von Lebergesunden, in die zweite diejenige von
Leberkranken aufgenommen. Um einen Vergleich mit den ge¬
bräuchlicheren Untersuchungsmethoden zu haben, habe ich in jedem
Falle die Untersuchung auf alimentäre Lüvulosurie und auf Uro-
bilinogenurie ausgeführt (s. Tab. I).
Wie aus der Tabelle ersichtlich, haben sämtliche Kranken, unter
denen kein einziger Zeichen einer Lebererkrankung aufwies, das einge¬
führte Ammoniak binnen 24 Stunden quantitativ zu Urea synthetisiert.
Gck igle
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Die harnstoffbildende Tätigkeit der Leber bei Leberkranken. 197
Diese Ergebnisse entsprechen also durchaus demjenigen, die in der
Einleitung erwähnt wurden.
T a b e 11 e Nr. I.
Fall
Diagnose
1
2
Ulcns ventricnli
Diabetes mellitus
3
4
5
6
Ptosis ventricnli
Diabetes mellitus
Polyarthritis cbron.
Ammonak-
| einfahr L
! als 0 I
gerechnet
Erhöhung der
Ureaausscheidung
am
! am
am
1.
2.
3.
Tage
Alimen-
j täre
j Lävulos-
■ nrie
5,29 g I 5,56
6.04 g ! 6,60
6,20 g , 6.92
6,36 g 6,21
5.18 g 5,04
6.09 g 6,16
0,35 — 1,02:
— 0,60 0,42;
- 0 , 10 ; 0 . 66 :
0,60 0,03
0,35 0,47'
-0,04 0,23
! I
0
0
0
Urobili-
nogen-
urie
Tabelle Nr. II.
Fall
Ammonak-
einfuhr
als Ü
gerechnet
Erhöhung der i
Ureaausscheidung |
Alimen¬
täre
Lävulos-
urie
Urobili
Nr
Diagnose
.
am
1.
am 1
2.
Tage
- !
am |
3- ,
l
1
nogen-
urie
7
Cbolelithiasis. Ikterus
1 8,26 g !
10,92
0,40
— 0,78
+
~r
8
Aikoholismas chronicus
4 48 g
3,92
2,02
- 0.72
-i-
' +
9
Lues hepatis
6,34 g
5.08
1.72
- 1,04
+
+
10
Alkoholismus chronicus
7.i4 g ;
3.69
1,80
0,70
—
-j-
11
Ikterus catarrhalis
2,3« g ;
1,05
1,45
0,07
+
4-
12
Iusutficientia aortae. Ik¬
terus catarrhalis
1 4,20 g j
1
1.66
2,48,
0,94
~r
13
Cirrhosis atrophica
5,66 g !
4,82
002
0.92
+
+
14
Cholelithiasis. Ikterus
6.30 g
• 6,62
— 0,92
0,19
+
-U
15
Cirrhosis atrophica
4,70 g 1
3,88
0,22)
0.40
4- '
+
16
n
4,96 g i
2,70
1,38!
1,00
-1-
+
In zwei weiteren Fällen gelang es mir auch nach 8 Tagen
nicht eine ständige Ureaausscheidung zu erreichen. Ob dies eine
pathologische Bedeutung hat, kann ich nicht entscheiden. Am
wahrscheinlichsten ist es aber, daß die Kranken die vorgeschriebene
Kost trotz sorgsamster Überwachung nicht eingehalten haben.
Bezüglich der Ammoniakausscheidung muß bemerkt werden,
daß dieselbe nicht im entferntesten so regelmäßig ist, wie die des
Harnstoffes. Eine Erhöhung des Ammoniak wertes am Tage der
Ammoniakeinfuhr, welche außer den Grenzen der in der Vorperiode
erhaltenen Werte fiele, war nur in einem einzigen Falle (Nr. 9)
nachzuweisen.
Die Ergebnisse der II. Tabelle sind solcher Art, daß sie gar
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198
Hbt£nyi
keinen Zweifel über ihr systematisches Vorkommen anfkommen
lassen. Wir sehen, daß — außer den Fällen Nr. 7 und Nr. 14 —
kein einziger Fall den bei Lebergesnnden gefundenen Typus zeigt.
Obzwar die Ammoniakausfuhr in keinem Falle erheblich anstieg.
blieb die Ureaausscheidung am Tage der Einfuhr hinter der er¬
warteten Steigerung zurück. Den fehlenden Teil finden wir dann
im Harn des 2. oder auch des 3. Tages. Interessant ist es, daß
die genannten zwei Ausnahmefälle bei Gallensteinkrankheit auf¬
tretende Gelbsucht betrafen, wogegen eine Verzögerung der Urea¬
ausscheidung bei Cirrhosis atrophica, Lues hepatis und Ikterus
catarrhalis nachzuweisen war. Die Resultate dieser Untersuch¬
ungen treffen vollkommen mit der heutigen Auffassung zusammen,
wonach die sog. katarrhalische Gelbsucht mit einem mehr-weniger
schweren Schaden des Leberparenchyms einhergeht, während die
Funktion der Leber bei dem einfachen mechanischen Stauungs-
ikterus kaum beeinträchtigt wird. Von den gebräuchlichen funk¬
tionellen Untersuchungsmethoden gibt besonders die alimentäre
Galaktosurie (Bauer) ähnliche Ergebnisse, wogegen die alimentäre
Lävulosurie durch ihr häufiges Vorkommen zu einer Unterscheidung
zwischen einzelnen Lebererkrankungen nicht geeignet ist. Aus
äußeren Gründen unterblieb in meinen Fällen die Untersuchung
auf alimentäre Galaktosurie.
Wie wir also gesehen haben, wird bei Erkrankungen der Leber
auch ihre Funktion im Eiweißstoffwechsel gestört. Diese Störung
erreicht gewöhnlich nicht solche Grade, daß sie sich klinisch mani¬
festiere, und kann nur durch pünktliche Analysen bewiesen werden.
Daß Weintraud ähnliche Störung nicht nachweisen konnte, hat
seinen Grund in erster Reihe darin, daß er nach der Einfuhr nur
das Harnammoniak bestimmte. Dies konnte er natürlich — auch
nach meinen Untersuchungen — nicht erhöht finden.
Die praktische Bedeutung dieser Untersuchungen bezieht sich
vielleicht auf die Diät der Leberkranken. Es ist ein alter Ge¬
brauch. welcher bisher nur auf Empirie fußte, daß man Leber¬
kranken nur wenig Eiweiß in der Nahrung erlaubte. Meine Unter¬
suchungen scheinen dieser Tradition eine gewisse Grundlage zu
schaffen. Doch nur mit einer gewissen Einschränkung! Wir sahen,
daß der Leberkranke einer einmaligen Belastung — wenn auch
mit einer Verzögerung — nachkommen kann. Ob er sich auch
bei ständiger Belastung ähnlich verhält, kann aus diesen Unter¬
suchungen natürlich nicht ersehen werden. Prophylaktisch werden
wir die Diät der Kranken jedenfalls so zusammenstellen, daß sie
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Die harnstofibildende Tätigkeit der Leber bei Leberkranken.
199
einer Ei weiß Überfütterung nicht ausgesetzt werden. In das andere
Extrem zu verfallen und das Eiweiß übertrieben restringieren zu
wollen, wäre natürlich gerade so verfehlt, als die Erhöhung der
Eiweißzufuhr.
Zusammenfassung.
1. Durch genaue Analysen gelingt es in pathologischen Zu¬
ständen der Leber die Störung ihrer harnstoffbildenden Tätigkeit
nachzuweisen.
2. Diese Störung besteht darin, daß die Synthese eingeführter
Ammonsalze zu Urea nicht so rasch, wie bei Lebergesunden, vor
sich geht Statt ungefähr 24 Stunden nimmt sie 48—72 Stunden
in Anspruch.
3. Diese Funktionsstörung war bei der atrophischen Cirrhose,
bei luetischer Hepatitis und beim Ikterus catarrhalis eine ausge¬
sprochene, wogegen der einfache mechanische Stauungsikterus mit
keiner Funktionsabnahme einhergeht.
4. Aus diesem Grunde ist es ratsam, in der Diät der Leber¬
kranken jedwede Eiweißbelastung zu vermeiden, doch ist eine über¬
triebene Eiweißreduktion im Sinne obiger Untersuchungen im
bleichen Maße unnötig.
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200
Aus der medizin. Klinik der königl. Ungar. Elisabeth-Universität
in Pozsony. 1 )
Über die Entstehung des Cheyne-Stokes’schen Atmens.
Von
Prof. Dr. Franz Herzog.
(Mit 1 Kurve.)
Die Verschiedenheit der zur Erklärung der Oheyne-Stokes-
schen Atmung aufgestellten Hypothesen beweist, daß das Entstehen
dieses Phänomens noch immer ungeklärt ist. Diese Hypothesen
(von Traube, Filehne. Luciani, Rosenbach u. a.) sind
allgemein bekannt und es würde zu viel Raum beanspruchen sich
mit denselben eingehend zu beschäftigen. Ich beschränke mich
darauf, zu erwähnen, daß die eine Gruppe dieser Hypothesen die
Periodizität der Atmung dadurch zu erklären versucht, daß während
des Cheyne-Stokes ! scheu Atmens die Reize des Atmuugszen-
trums periodisch schwanken und daß infolge von O-Mangel die
Reizbarkeit des Atmungszentrums herabgesetzt ist, und daß dem¬
gegenüber andere Hypothesen als Ursache des Cheyne-Stokes-
schen Atmens eine periodisch eintretende abnorme Ermüdbarkeit
oder Abnahme der Reizbarkeit des Atmungszentrums annehmen.
Die ersteren Hypothesen können nicht befriedigend erklären, durch
was das Eintreten der Periodizität ausgelöst wird, denn das pe¬
riodische Schwanken in den Reizen des Atmungszentrums ist eben
eine Folge und nicht die Ursache der Periodizität, letztere kann
also keineswegs dadurch hervorgerufen, sondern höchstens aufrecht¬
erhalten werden, und es muß daher zur Erklärung der ersten At¬
mungspause, der damit beginnenden ersten Periode eine ziemlich
plötzliche Abnahme der Reizbarkeit des Atmungszentrums ange¬
nommen werden, was nicht sehr wahrscheinlich ist. Die zweite
1) Die medizinische Fakultät der Universität wurde im Herbst 1919 durch
die Tschechen geschlossen, das Personal entlassen.
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Über die Entstehung des Cheyne-Stokes scheu Atiuens.
201
Erklärung ist darum nicht befriedigend, weil sie nicht bewiesen
werden kann und weil ihr manche Beobachtung widerspricht, denn
es kommt nicht selten vor, daß der Patient auch in der Pause zu
atmen vermag und somit kann die Pause keinesfalls durch die
Ermüdung oder die verminderte Erregbarkeit des Atmungszen¬
trums allein verursacht sein.
Die Beobachtung von 9 Fällen ergab eine neue charakteristische
Eigenschaft des Cheyne-Stokes’schen Atmens, die auch auf das
Entstehen desselben schließen läßt. Außer den bekannten Eigen¬
schaften zeigen meine Kurven noch folgende, nach meiner Ansicht
wichtige Besonderheit, welche in der relativen Dauer der Aus- und
Einatmung zum Ausdruck kommt. Wenn man die Dauer der Ex¬
spiration mit der Dauer der Inspiration vergleicht (E/I), kann man
folgende, regelmäßige Veränderung beobachten. Das Verhältnis E/I
verändert sich vom Anfang bis zum Ende der Periode, im Anfang
dauert die Einatmung lange und die Ausatmung ist verhältnis¬
mäßig kurz, am Ende der Periode wird die Einatmung kürzer und
die Ausatmung länger. Der Wert von E/I ist also im Anfang der
Periode kleiner, als am Ende und dies beobachtete ich in jedem
Falle, in 4 Fällen war sogar im Beginn der Periode die Dauer
der Einatmung absolut länger, als jene der Ausatmung (E/I<1).
Ferner beobachtete ich in 7 Fällen, daß die Dauer eines Atem¬
zuges im Anfangsteil der Periode — bei Vergleich von Atemzügen
gleicher Größe — länger war als im zweiten Teil der Periode.
. Atinungskurve eines Falles von Arteriosklerose nnd Myokarditis chrou mit kar¬
dialer Stauung. Die Kurve wurde von links nach rechts geschrieben, Inspiration
Die Atmung ist in der zweiten Hälfte der Periode etwas frequenter, als in der
ersten Hälfte. Während der Periode Veränderung der relativen Dauer der Aus-
und Einatmung: im Anfangsteil dauert die Einatmung bedeutend länger, als in
der zweiten Hälfte der Periode.
Diese Veränderung im Verhältnis der Dauer der Aus- und
Einatmung zeigt sich so regelmäßig, daß man schon darum sich
damit befassen muß. Um so mehr kann man dieser periodischen
Veränderung eine Bedeutung zuschreiben, weil beim gesunden
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202
Hkbzog
Menschen, bei derselben Person, das Verhältnis der Dauer der
Aus- und Einatmung fast konstant ist. Bei verschiedenen Per¬
sonen ist dieses Verhältnis zwar nicht ganz dasselbe, doch schwankt
dessen Wert nur innerhalb bestimmter Grenzen: die Ausatmung
dauert immer länger als die Einatmung, sie erreicht aber nie die
doppelte Dauer der Einatmung (E/I^) 1 )-
Sehr auffallend verändert sich das Verhältnis der Aus- und
Einatmungsdauer, wie ich beobachten konnte, in jenen Fällen, wo
die Selbststeuerung der Atmung vermindert ist, so bei Gehirn¬
krankheiten und auch bei Asthma bronchiale in der Zeit nach
dem Anfall 1 ). In diesen Fällen ergab sich, daß die Dauer der
Einatmung durchschnittlich größer ist als jene der Ausatmung
(E/I<1). Erwähnen muß ich noch, daß ich diese Veränderung der
Atmung unter anderen Umständen nicht beobachtete, daß also
dieselbe nur infolge der Verminderung der Selbststeuerung zu¬
stande kommt.
Infolgedessen kann die beobachtete Veränderung in der relativen
Dauer der Aus- und Einatmung beim Clieyne - Stokes'sehen
Phänomen nur mit einer Veränderlichkeit der Selbststeuerung im
Zusammenhang sein. Nur die Verminderung der Selbststeuerung
konnte die Verlängerung der Einatmung irti Anfang der Periode
verursachen und ebenso muß man es der Verbesserung der Selbst¬
steuerung zuschreiben, daß am Ende der Periode die Dauer der
Einatmung kürzer, jene der Ausatmung länger wird 2 j.
Durch diese periodische Schwankung der Selbststeuerung werden
auch andere Eigenschaften der Cheyne-Stokes’schen Atmung er¬
klärt. Im Beginn und in der ersten Hälfte der Periode dauert oft
ein Atemzug länger als gegen Ende derselben und dies kann durch
die Verminderung der Selbststeuerung am Anfang der Periode ver¬
ursacht sein. Während nämlich bei der Arbeitsdyspnoe des Gesunden
die Atemzüge trotz größerer Tiefe kürzere Zeit dauern als bei
ruhiger Atmung, beobachtete ich bei Kranken mit herabgesetzter
Selbststeuerung während der Arbeitsdyspnoe außer Vertiefung auclu
eine Verlängerung der Dauer der Atemzüge. Die Verminderung der
Selbststeuerung verlängert also die Dauer der dyspnoischen Atem-
1) F. Herzog. Über die Selbststeuerung der Atmung des Menschen usw.
Arch. f. kliu. Med. Bd. 124.
2) Die Prüfung der Selbststeuerung durch Auslösen des „Ausatunmgsreflex u es
ist in den Fällen von Cliey ne-Stokes’sclien Atmen nicht möglich, da die At¬
mung dyspnoisch ist und meist auch der Allgeraeinzustand des Kranken nicht
entsprechend ist.
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Über die Entstehung des Cheyne-Stokes’schen Atmens.
203
zöge, somit kann diese Erscheinung im Anfangsteil der Periode des
Cheyne-Stokes’schen Atmens hierdurch erklärt werden. Inden
erwähnten Fällen von verminderter Selbststeuerung war die Aus¬
atmung sowohl bei ruhiger, wie bei dyspnoischer Atmung manch¬
mal unvollständig und darum kann man auch beim Cheyne-
Stokes 'sehen Atmen die, besonders in der ersten Hälfte der
Periode vorkommende Unvollständigkeit der Ausatmung durch die
zu dieser Zeit verminderte Selbststeuerung erklären. Mit der Ver¬
besserung der Selbststeuerung am Ende der Periode wird auch die
Ausatmung vollkommen.
Es fragt sich nun: welche Bedeutung hat diese periodische
Schwankung der Selbststeuerung? Es wäre möglich, daß dieselbe
nur eine Folge der Periodizität der Atmung wäre, doch anderer¬
seits könnte die Schwankung der Selbststeuerung auch primär sein
und in diesem Falle könnte hierdurch vielleicht die Periodizität
der Atmung verursacht werden. Bezüglich der ersten Möglichkeit
könnte von Bedeutung sein, daß im Verlauf der periodischen At¬
mung der Gasgehalt des Blutes sich periodisch verändert, daß
während der Pause die C0. 2 sich ansammelt und das 0 weniger
wird, und während der Atmung die Menge dieser Gase in ent¬
gegengesetztem Sinne sich verändert. Man könnte daran denken,
daß die periodische Schwankung der Selbststeuerung damit Zu¬
sammenhänge. insbesondere daß die Verminderung der Selbst¬
steuerung im Beginn der Periode durch C0 2 - Anhäufung und
O-Mangel verursacht werde. Daß dies nicht der Fall ist, daß
die größere Venosität des Blutes die Selbststeuerung nicht herab¬
setzt, wird dadurch bewiesen, daß in Fällen von kardialer Stauung
trotz sehr starker Cyanose und Dyspnoe die relative Dauer der
Aus- und Einatmung vollkommen normal ist, die Selbststeuerung,
die dieses Verhältnis aufrechterhält, ist also ungestört. Eben
darum und weil wir keinen anderen Umstand kennen, der beim
€heyne-Stokes’schen Atmen auf die Selbststeuerung einwirken
könnte, muß man die periodische Verminderung und Verbesserung
der Selbststeuerung beim Cheyne-Stokes'sehen Atmen für
primär halten.
Diese Annahme erklärt auch noch andere Eigenschaften der
Cheyne-Stokes’schen Atmung. Im Beginn der Periode ist
die Selbststeuerung, welche auf die Inspiration hemmend wirken
könnte, vermindert, die Einatmung kann infolgedessen immer tiefer
werden. Dazu kommt noch, daß die ersten Atemzüge den Gasgehalt
des Blutes nur wenig oder noch nicht verbesserten (die Cyanose
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204
Herzog
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steigert sich oft noch während der ersten Hälfte der Periode», daß
also zu dieser Zeit die Reize des Atmungszentrums noch znnehmen.
So entsteht das sehr tiefe, seufzende Atmen in der Mitte der Periode.
Infolge dieser tiefen Atmung vermindern sich die Reize des Atmungs-
Zentrums und andererseits ist zu dieser Zeit die Selbststeuerung
wieder verbessert, so daß deren inspirationshemmende Wirkung
auch zur Geltung kommt Beide Faktoren wirken im gleichen
Sinne auf die Einatmung, die Größe der Inspirationen vermindert
sich in der zweiten Hälfte der Periode. Die weitere Verminderung
der Reize des Atemzentrums zusammen .mit der inspirationshem¬
menden Wirkung der Selbststeuerung verursacht dann die Atem¬
pause. Während der Pause werden die Reize des Atemzentrums
immer größer und wenn dieselben einen gewissen Grad erreicht
haben, werden sie Atembewegnngen auslösen, was auch dadurch
erleichtert wird, daß im Beginn der Atmungsperiode die Selbst¬
steuerung vermindert ist, eine inspirationshemmende Wirkung der¬
selben also nicht vorhanden oder gering ist.
Durch die periodische Ab- und Zunahme der Selbststeuerung
kann man also alle Erscheinungen des Cheyne-Stokes^schen
Atmens erklären, besonders auch die Atempause. Beim Entstehen
der Pause muß man der durch die Lungenvagi vermittelten Selbst¬
steuerung eine hervorragende Rolle zuschreiben, dafür spricht, daß
man im Tierexperiment durch forcierte künstliche Atmung nur bei
intakten Vagi eine Apnoe erzielen kann, während nach Durch¬
schneidung dieser Nerven dies nicht gelingt. Dies beweist, daß
die Reizung der N. vagi auf das Atemzentrum deprimierend wirkt,
und daß beim Fehlen dieser Wirkung (nach Durchschneiden der
Vagi) die Reizbarkeit des Atemzentrums sich nicht so weit ver¬
mindert, daß die Atmung Stillstehen würde. Die wichtige Rolle
der Lungenvagusreiznng wird am besten dadurch bewiesen, daß
nach forcierter künstlicher Atmung das Tier auch dann noch
apnoisch bleiben kann, wenn das Blut schon stark venös geworden
ist, ja das Tier kann sogar in der Apnoe durch Erstickung zu¬
grunde gehen. Eben darum ist es wahrscheinlich, daß auch die
Pausen der Ch ey ne-Stokes’schen Atmung in erster Reihe durch
die während der Atmung entstandene deprimierende Wirkung der
Vagusreizung auf das Atemzentrum verursacht sind und daß
demgegenüber die Abnahme derVenosität des Blutes nur eine ge¬
ringere Bedeutung hat. Diese Annahme ist auch darum berechtigt,
weil die Patienten oft fortwährend, auch in der Pause, stark cya-
Gck igle
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Über die Entstehung des Uheyne-Stokesschen Atmens.
205
notisch sind, somit also auch zu dieser Zeit die Reize des Atem¬
zentrums nicht wesentlich vermindert sein können.
Der wechselnde Gasgehalt des Blutes, die Zu- und Abnahme
der Venosität, ist also nicht die Ursache, sondern eine Folge des
Cheyne-Stokes’schen Atmens, welche aber dazu beiträgt, daß
die Periodizität aufrecht erhalten wird. Außer den besprochenen
mnß man noch mit einem anderen Umstand rechnen, der auch die
einmal eingetretene Periodizität befördert. Tierexperimente be¬
weisen, daß die Reizbarkeit des Atemzentrums durch Vagusreizung
vermindert, durch Fehlen dieser Reize erhöht wird. Die Rolle des
ersteren Umstandes beim Entstehen der Pause habe ich soeben
besprochen. Im Anfang der Periode hingegen ist die Selbst¬
steuerung herabgesetzt, es sind also die durch den Vagus ver¬
mittelten Reize geringer und infolgedessen die Reizbarkeit des
Atemzentrums wohl größer als in der zweiten Hälfte der Periode,
wo mit der Verbesserung der Selbststeuerung größere Reize durch
den Vagus zum Atemzentrum gelangen und dessen Reizbarkeit
herabsetzen. Infolge der Schwankungen in der Selbststeuerung
entstehen also wahrscheinlich auch in der Reizbarkeit des Atem¬
zentrums periodische Schwankungen, die zum Erhalten der Perio¬
dizität der Atmung beitragen, indem im Beginn der Periode die
Reizbarkeit größer ist, um dann abzunehmen. Ob eine primäre
periodische Schwankung in der Reizbarkeit des Atemzentrums
• Luciani) oder eine abnorme schnelle Emüdbarkeit desselben
(Rosenbach) beim Cheyne-Stokes’schen Atmen eine Rolle
spielt, darüber fehlen Beweise, obwohl es nicht unwahrscheinlich
erscheint.
Bezüglich des Weges der Selbststeuerung ist der Lungenvagus
von größter Bedeutung; dies beweisen die Tierexperiniente von
Hering und Breuer. Außerdem hat auch das Gehirn einen
ähnlichen, aber viel geringeren Einfluß auf die Atmung. Bei
Durchschneidung über dem verlängerten Mark entsteht zwar keine
Störung im Rhythmus der Atmung, doch erfolgt, wenn vorher auch
die Vagi durchschnitten wurden, eine viel schwerere Rhythmus¬
störung, als wenn nur die beiden Vagi allein durchschnitten wurden.
Auf der Annahme einer Störung des regulierenden Einflusses
des Großhirns beim Cheyne-Stokes’schen Atmen basiert die
Theorie von Unverricht. Er beobachtete, daß bei Hemiplegie
dieses Phänomen mit der Lähmung zugleich entstand und wieder
verschwand, in einem Falle von Kopftrauma bestand Cheyne-
Stokes’sches Atmen als einziges Symptom und daraus folgert er,
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206
Herzog
daß dieses Phänomen den anderen Gehirnsymptomen analog sei
und infolge einer Störung der cortikalen Regulation der Atmung
entstehe. Meine eigenen Beobachtungen beweisen,
daß beim Cheyne-Stokes’schen Atmen die Selbst¬
steuerung periodisch schwankt und daß diese Schwan¬
kung nicht eine Folge dieses Atmungstypus sein
kann, sondern primär ist; nach meiner Annahme
wird das Cheyne-Stokes’sche Atmen durch diese Zu-
und Abnahme der Selbstbesteuerung verursacht.
Es lassen sich hierdurch nämlich alleEigenschaften
dieses Phänomens erklären. Über den Ort dieser Störung
jedoch, ob dabei hauptsächlich der Lungenvagus oder das Großhirn
in Betracht kommt, läßt sich auf Grund meiner Beobachtungen
nichts aussagen. Die Tierexperimente beweisen die größere regu¬
latorische Wirkung des Lungenvagus und darum ist es wahrschein¬
lich, daß dieser auch beim Menschen eine größere Wirkung auf
den Rhythmus der Atmung hat, daß also hauptsächlich eine
periodische Störung der Regulation durch den Vagus das Cheyne-
Stokes’sche Atmen verursacht.
Mit meiner Annahme muß ich mich aber noch aus folgenden
zwei Gesichtspunkten befassen. Einerseits damit, ob diese Er¬
klärung des Cheyne-Stokes’schen Atmens mit den übrigen Er¬
scheinungen, die dabei oft Vorkommen, im Einklang ist und ob
diese Erklärung auch vom Standpunkte jener Umstände ent¬
sprechend erscheint, unter denen dieses Phänomen beobachtet wird.
Während der Pause verschwindet die Atemnot, Schmerzen ver¬
gehen, der Patient schläft auch ein oder wird bewußtlos, sobald
jedoch die Atmung wieder eiusetzt, entsteht Atemnot und Unwohl¬
sein, das Bewußtsein kehrt zurück. Während der Pause wird oft
Bradykardie und Miose beobachtet und dies verschwindet in der
Periode des Atmens. Manchmal schwankt auch der Blutdruck
periodisch. Alle diese Erscheinungen können unmöglich durch das
Aussetzen und Wiedererscheinen der Atmung erklärt werden, diese
Erscheinungen sind auf keinen Fall eine Folge der Periodizität
der Atmung, sondern mit dieser gleichwertig und daher aus der¬
selben Ursache entstanden, wie die Cheyne-Stokes’sche Atmung
selbst. Diese Erscheinungen sind wohl alle die Folge einer
periodisch sich verändernden Funktion des Nervensystems und dies
stimmt damit überein, daß das Cheyne-Stokes’sche Phänomen
durch eine Zu- und Abnahme der Selbststeuerung der Atmung.
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Über die Entstehung des Cheyue-Stokes'schen Atmens.
207
also auch durch eine periodisch auftretende Schwankung einer
Nervenfunktion verursacht ist.
Bezüglich des Vorkommens der Cheyne-Stokes’schen At¬
mung muß ich mich vor allem darauf berufen, daß nach der all¬
gemeinen Auffassung zwischen diesem Typus der Atmung und
jener periodischen Atmung, bei welcher zwischen den typischen
Perioden Pausen nicht vorhanden sind, ein wesentlicher Unter¬
schied nicht besteht. Die Zusammengehörigkeit dieser beiden
Formen beweist am besten, daß oft die eine in die andere über¬
geht. Hiervon ausgehend kann man sagen, daß das periodische
Atmen unter den verschiedensten Umständen beobachtet wird, so¬
wohl beim gesunden wie beim kranken Menschen in verschiedenen
Krankheiten. In letzterem Falle ist das Phänomen meistens
typischer und geht öfters mit kürzeren oder längeren Pausen einher.
Beim Gesunden wird das periodische Atmen während des Schlafes
beobachtet, auch der Aufenthalt in großen Höhen kann es hervor-
rufen. Bei Schwerkranken, besonders bei Herz- und Nierenkranken,
bei Arteriosklerose und Gehirnkrankheiten kommt es oft vor und
erscheint besonders häufig, wenn der Zustand des Patienten sich
verschlechtert. Auch hier zeigt es sich oft nur im Schlafe. Manch¬
mal wird es durch Medikamente, vorzüglich durch Morphium, her¬
vorgerufen. Schließlich aber wird es auch bei Kranken beobachtet,
deren Allgemeinzustand gut ist. Doch kennen wir keine Krank¬
heit, die regelmäßig zu Cheyne-Stokes'schem Atmen führen
würde. In Anbetracht dieser Verhältnisse muß man es für wahr¬
scheinlich halten, daß beim Entstehen dieser periodi¬
schen Atmung eine individuelle Eigenschaft eine
Rolle spielt, welche beimKranken ebenso vorhanden
ist, wie beim Gesunden. Unter gewissen Umständen
beim Gesunden und bei Krankheiten, die auch auf das
Nervensystem einwirken, tritt diese Eigenschaft, im
Sinne unserer Annahme die nicht ganz vollkommene,
periodisch schwankende Selbststeuerung der At¬
mung, in stärkerem Grade hervor und führt zum
Periodischwerden der Atmung. Dieser supponierten ge¬
ringen Schwankung der Selbststeuerung der Atmung des gesunden
Menschen darf man als analoge Erscheinungen an die Seite stellen
die von der Atmung und der Herztätigkeit unabhängigen periodi¬
schen Schwankungen des Blutdrucks (Traube und Hering) und
die von der Atmung unabhängigen periodischen Schwankungen der
Herzaktion (Pick).
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208
Aus der I. uiedizin. Klinik der Universität München (Direktor:
Prof. Dr. E. v. Romberg) und aus der medizin. Poliklinik der
Universität Halle (Direktor: Prof. Dr. H. Straub).
Blutreaktion und Dyspnoe bei Nierenkranken.
Von
H. Straub und Klothilde Meier.
(Mit 1 Abbildung.)
Die Untersuchung der Kohlensäurebindungskurve von Nieren¬
kranken *) bat ergeben, daß abgesehen von cardialer und pulmonaler
Dyspnoe bei diesen Kranken noch zwei grundsätzlich verschiedene
Formen von Dyspnoe Vorkommen. Die durch Tierexperimente ge¬
stützte Reaktionstheorie der Atmungsregulation von Winter¬
stein besagt, daß weder Sauerstoffmangel, noch Kohlensäure-
Spannung als solche, sondern allein die Wasserstoffionenkonzentration
des Blutes die chemische Regulation der Atmung besorgt. Unter
den untersuchten dyspnoischen Nierenkranken hatte sich nun eine
große Gruppe von Fällen gefunden, bei denen zur Bindung der
Kohlensäure im Blute abnorm geringe Mengen basischer Valenzen
zur Verfügung standen. Die Bindungskurve zeigte also ausge¬
sprochene Hypokapnie. Dieses Verhalten kann dahin verstanden
werden, daß in dem Blute dieser Kranken abnorme Mengen nicht
flüchtiger saurer Valenzen kreisen, die der Kohlensäure das Alkali
wegnehmen und dadurch Kohlensäure aus dem Blute verdrängen.
Jedenfalls kann bei dem gefundenen Verhalten der Kohlensäure¬
bindungskurve dieser Kranken nach dem Massenwirkungsgesetze
die das Atemzentrum reizende Zahl der freien Wasserstofiiönen
nur dann normal sein, wenn eine abnorm geringe Menge freier
Kohlensäure zugegen ist. d. h. wenn die Kohlensäurespannung des
1) H. Straub und Kl. Meier, Biochem. Zeitscbr. 1921.
2) H. \Yin ter s tein, Pfiiiger’s Arch. 138,1911, S.45. Biochem. Zeitsehr. 70.
1!*15, S. 45. PHiig^er’s Areh. 187, 1921. S. 298.
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Blutreaktion and Dyspnoe bei Nierenkranken,
20$
Arterienblutes dieser Kranken unter die Norm herabgesetzt ist
Um diese Herabsetzung der Kohlensäurespannung zu erreichen,
ist erhöhte Ventilation der Alveolen erforderlich, die klinisch zu
Schweratmigkeit führen muß. Bei den untersuchten Quecksilber¬
nieren, akuten und chronischen Glomerulonephritiden und Sklerosen
hatte sich nun jeweils eine große Gruppe gefunden, bei der Hypo¬
kapnie des Blutes mit Dyspnoe verbunden war und bei der der
Grad der Dyspnoe ungefähr dem Grade der Hypokapnie des Blutes
entsprach. Bei diesen Fällen bestand also die Möglichkeit, die be¬
obachtete Dyspnoe entsprechend der Reaktionstheorie Winter¬
st ein’s durch die festgestellte Hypokapnie des Blutes zu erklären.
Diesen Fällen von Dyspnoe durch Hypokapnie des Blutes steht
eine andere Gruppe mit etwa ebenso vielen Fällen gegenüber, bei
denen zum Teil eine besonders hochgradige Dyspnoe bestand, ohne
daß sich in der Zusammensetzung des Blutes ein Grund für diese
Dyspnoe ergäbe. Die Kohlensäurebindungskurve verläuft teils im
normalen Bezirke, eukapnisch, teils werden abnorm hohe Mengen von
Kohlensäure gebunden, es besteht Hyperkapnie. Nach dem Verhalten
des Blutes sollte namentlich bei den zuletztgenannten Fällen ange¬
nommen werden, daß durch das Blut ein abnorm geringer Reiz
auf das Atemzentrum ausgeübt werde, so daß sich eine verminderte
Ventilation der Alveolen ergeben müßte. Wenn trotzdem Dyspnoe
besteht, so wies dies aut ein abnormes Verhalten des Atem¬
zentrums hin.
Um über die zugrunde liegende Störung, namentlich aber über
die quantitativen Verhältnisse Klarheit zu gewinnen, ist es not¬
wendig, außer der Bindungskurve auch die aktuelle Reaktion des
arteriellen Blutes, seine Wasserstoffionenkonzentration zu kennen.
Dann läßt sich sagen, inwiefern die klinisch ermittelte Reaktion
des Atemzentrums, die Ventilationsgröße, von der Stärke des Atem¬
reizes, nämlich der Reaktion des Blutes, bestimmt wird. Zwei Wege,
ein direkter und ein indirekter, stehen zur Ermittlung der aktuellen
Reaktion des Arterienblutes zur Verfügung. Der direkte besteht
in der Analyse des durch Arterienpunktion nach Htirter 1 ) ge¬
wonnenen Blutes. Die Punktion muß in der Weise vorgenommen
werden, daß das Blut vor jeder Berührung mit Luft geschützt
wird und seine Kohlensäurespannung unverändert beibehält. Zur
weiteren Verarbeitung stehen wieder drei Wege offen. Entweder
kann die Messung der aktuellen Reaktion mit Hilfe der Gaskette
1) HQrter, Deutsches Arch. f. klin. Med. 108, 1912, 8.1.
Deutsches Archiv für klin. Medizin. 138. Bd. 14
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210
Stbaub u. Mbikb
direkt durchgeführt werden. Die Fehlerbreite der Methode ist
nicht unbeträchtlich. Doch ist es möglich, anf diesem Wege aus¬
reichend genaue Ergebnisse zu erzielen. Ans der so ermittelten
Wasserstoffzahl des Arterienblutes nnd ans der Kohlensäurebindungs-
kurve kann dann die Kohlensäurespannung des Arterienblutes mit
der Genauigkeit ermittelt werden, die die Fehlerbreite der Methode
gestattet. Dieser Weg ist bisher noch nicht versucht worden, vor
allem wegen des ziemlich zeitraubenden Verfahrens. Einfacher er¬
mittelt man umgekehrt die Wasserstoffzahl des Arterienblutes aus
seiner Kohlensänrespannnng und Kohlensäurekapazität Wieder ist
es notwendig, arterielles Blut durch Arterienpunktion zu gewinnen.
In diesem Blute läßt sich die Kohlensäurespannung durch Mikro¬
gasanalyse mit der Kapillare vonKrogh 1 2 ) ermitteln. Die Fehler-
breite der Methode ist jedoch recht groß. Auch ist die Technik
keineswegs einfach. So bleibt die dritte Möglichkeit, Wasserstoff¬
zahl und Kohlensäurespannung dadurch zu ermitteln, daß man den
Kohlensäuregehalt des Arterienblutes direkt bestimmt und die ge¬
suchten Werte ans dieser Bestimmung mit Hilfe der Kohlensänre-
bindungskurve ableitet. Dieser Weg, der wieder eine Analyse im
direkt entnommenen Arterienblute verlangt, ist von Haggard
und Henderson 3 ) im Tierversuch verwendet und von Means,
Bock und Wood well neuerdings 8 ) beim Menschen begangen
worden. Steigt die Kohlensäurebindungskurve in dem kritischen
Spannungsbezirk steil auf, so kann man mit diesem Verfahren
den Punkt, der das physikalisch-chemische Verhalten des Arterien¬
blutes bestimmt, sehr genau ermitteln. Sobald aber die Kurve
flacher verläuft, bedeutet ein geringer Fehler in der Bestimmung
des Kohlensäuregehaltes einen großen Fehler in der Kohlensäure¬
spannung. Darum ist diese Methode für Untersuchungen am
Menschen nicht ausreichend genau. 4 * * * )
1) A. Krogh, Skand. Arch. f. Physiol. 20, 1908, S. 279 and Abderhalden’»
Handbuch der biol. Arbeitsmethoden 1920, Abt. IV, 10, S. 179.
2) H. W. Haggard nnd T. Henderson, Jonrn. of biol. Chem. 39, 1919,
8. 163.
3) J. H. Means, A. V. Bock nnd H. N. Weodwell, Jonrn. of exp. Med.
33,1921,8.201.
4) Anmerkung b. d. Korrektur: In einer soeben erschienenen Arbeit Uber
kardiale Dyspnoe haben Eppinger n. Schiller (Wiener An-h. f. klin. Med. 2,
1921, 8.681) Analysen dnrch Arterienpnnkrion gewonnenen Blntea durch geführt
Leider haben sie sich im allgemeinen darauf beschränkt, die Kohlensäurekapazität
des Blutes bei Sättigung mit einer einzigen Gasmischung bekannten Kohlensänre-
gehaltes (nicht bekannter Kohlensäurespannung!) zu bestimmen. Dabei ergab
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Blntre&ktion und Dyspnoe bei Nierenkranken. 211
Dem direkten Wege der Bestimmnng der Wasserstoffzahl des
Arterienblates durch Analyse einer durch Arterienpunktion ge¬
wonnenen Blutprobe steht der indirekte Weg gegenüber,, der die
Kohlensäurespannung des Arterienblutes aus der Analyse der mit
dem Arterienblute im Spannungsgleichgewicht stehenden Alveolar¬
luft ermittelt Die Alveolargasanalyse nach Haldane, die wir
schon früher 1 ) bei Nierenkranken angewendet hatten, wurde des¬
halb bei zahlreichen unserer Kranken auch im Rahmen der vor¬
liegenden Untersuchungen ausgeführt Der Nachteil des Verfahrens
besteht darin, daß die Methode eine Mitwirkung des Untersuchten
vor&ussetzt Bei bewußtlosen Kranken ist sie also nicht anwendbar.
Doch gelang es uns, auch bei somnolenten Kranken zuverlässige
Analysen zu erhalten, wenn das Verfahren früher mit ihnen ein¬
geübt war. Brachte man dann den Kopf in die gewohnte Lage
vor das Mundstück des Analysenschlauches und gab im richtigen
Augenblick das gewohnte Kommando zur forcierten Exspiration, so
wurde es oft überraschend gut befolgt Ein weiterer Nachteil liegt
darin, daß bei schweren Kreislaufstörungen und bei Erkrankungen
der Atmungsorgane nach den Feststellungen von Siebeck über¬
haupt die Alveolarluft nicht einheitlich zusammengesetzt ist Man
erhält dann mit der Analyse nach Haldane nur annähernde
sieb, daß die Kohlensäurebindungsfähigkeit des Arterienblates sieb von der von
ans and anderen bestimmten des viel einfacher zu gewinnenden Venenblntes nur
am kleine Beträge unterscheidet. Aach da, wo E. u. Sch. den ursprünglichen
K ohlensä aregehalt des vor Berührung mit Luft geschützten Arterienblutes be¬
stimmt haben, haben sie es unterlassen, die von ans als notwendig geschilderte
and &nch von den amerikanischen Autoren beachtete Beziehung zur Bindungs¬
kurve herzustellen und daraus die Kohlensäure Spannung zu ermitteln. Andern
springenden Punkte der ganzen Dyspnoefrage, nämlich der gleichzeitigen Er¬
mittelung der Bindungsfähigkeit und der Spannung und der daraus möglichen
Berechnung der Wasserstoffzahl, gehen E. n. Sch. vollkommen vorbei, zumal sie
über diese Beziehungen und über das Verhältnis der „freien“ zur „gebundenen“
Ko hlensä ure auf 8.616 ff. ihrer Arbeit ganz unzutreffende Vorstellungen ent¬
wickeln. Sie verkennen, daß die „freie“ Kohlensäure, die sie als „absorbierte“
bezeichnen, eiue lineare Funktion der Kohlensäurespannung ist und daß durch
8chütteln mit Luft nicht nur die freie, sondern auch der größte Teil der ge¬
bundenen Kohlensäure ausgetrieben wird, wie der Verlauf der Bindnngskurve
zeigt. Die Zahlen ihrer Tabelle XVII verlieren dadurch ihre Bedeutung. Die
mühevolle Arbeit von E. u. Sch. kann deshalb die Entstehung der kardialen
Dyspuoe nicht endgültig klären. Unsere Untersuchungen zu dieser Frage be¬
rücksichtigen die von E. u. Sch. übersehenen Gesichtspunkte. Ihre Ergebnisse
haben wir in einer kurzen Mitteilung (Deutsches Arch. f. klin. Med. 125, 1918,
S. 477) niedergelegt, die E. u. Sch. anscheinend entgangen ist.
1) H. Straub und C. Schlayer, Münchener med. Wochenschr. 1912, Nr. 11.
14 “
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212
Stbaub u. Xsm
Durchschnittswerte. Da aber bei der Mehrzahl unserer Kranken
solche Komplikationen nicht Vorlagen, konnte bei ihnen das Ver¬
fahren unbedenklich verwendet werden. Diesen Nachteilen siebt
der große Vorzag gegenüber, daß die immerhin unangenehme Ar-
terienpunktion überflüssig wird.
Gelingt die Alveolargasbestimmung einwandfrei, so hat die
Methode den weiteren Vorzug großer Genauigkeit Nach dieser
Methode haben wir bei 21 der in der früheren Mitteilung 1 2 * ) ver¬
werteten 50 Nierenkranken aus der Kohlensäurespannnng der Al¬
veolarluft die Kohlensäurespannung des arteriellen Blutes ermittelt
Unmittelbar danach wurde Blut zur Bestimmung der Kohlensäure-
bindungskurve entnommen. Der Pnnkt der Bindongskurve, der die
ermittelte Kohlensäurespannung aufweist, definiert den Zustand
des Arterienblutes eindeutig. Man kennt aus diesem Punkte den
Kohlensänregehalt des Arterienblutes als die dem Punkte zuge¬
hörige Ordinate. Man kennt auch nach Hasselbalch’s*) Formel
die zugehörige Wasserstoffzahl. Auch Means, Bock nnd Wood¬
well haben bei einer Reihe von Fällen mit verschiedenen Er¬
krankungen dieses Verfahren gebraucht
Durch die so ermittelten Punkte kann festgestellt werden, ob
bei den untersuchten Fällen die Reaktionstheorie der Atmungs¬
regulation von Winterstein gilt und welche quantitativen Ab¬
weichungen von ihr Vorkommen. Die Ergebnisse der ansgeführten
31 Bestimmungen bei 21 Kranken sind in Abb. 1 in das auch in
der genannten Mitteilung gebrauchte Koordinatensystem einge¬
tragen. In den Bezirk zwischen den schraffierten Kurven fallen
die Bindungskurven normaler Kontrollpersonen. In den ebenfalls
schraffiert abgegrenzten Bezirk der Kohlensäurespannnng zwischen
35 und 45 mm fallt die Kohlensäurespannnng des Arterienblutes
Gesunder. Die normalen arteriellen Punkte liegen also in dem
von beiden Schraffierungen begrenzten unregelmäßigen Viereck
Von dem Nullpunkt des Koordinatensystems geht eine nach der
Formel Hasselbalch’s berechnete Kurvenschar aus, deren Linien
Punkte gleicher Wasserstoffzahl verbinden. Die Wasserstoffzahl, die
jedem der ermittelten arteriellen Punkte entspricht, läßt sich ans
dem so gestalteten Koordinatensystem ohne weiteres ablesen. Diese
Wasserstoffzahl heißt regulierte Wasserstoffzahl 8 ) nach Hassel-
1) II. Straub u. Kl. Meier, Biochem. Zeitschr. 1921.
2 ) K. A. Hasse Iba Ich, Biochem. Zeitschr. 78, 1916, S. 112.
B) K. A. Hasselba Ich, Biochem. Zeitschr. 74, 1916, S. 66.
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Blutreaktion und Dyspnoe bei Nierenkranken. 213
balch. Sie ist diejenige Wasserstoffzahl, die in der Formulierung
des Reaktionsgesetzes von Winterstein den tatsächlichen Reiz
für das Atemzentrum bildet. Soweit also dieses Gesetz gilt, darf
Punkt« der Eohlensänrespannnng und Eohlensänrebindnng des Arterienblntes
Ton Nierenkranken. Sie geben zugleich die aktuelle Reaktion des Arterienblntes
an. Schraffierter Bezirk = Bezirk normaler Eohlensänrebindnng und normaler
Eohlensänrespannnng (zwischen 35 nnd 45 mm). Die Punkte normalen Blntes
liegen in dem von beiden schraffierten Bezirken eingeschlossenen unregelmäßigen
Viereck. Schraffiertes Dreieck am Unterrande = physikalisch absorbierte, „freie“
Kohlensäure. Die vom Nullpunkte des Koordinaten sytems ausgehende Eurven-
schar verbindet Punkte gleicher Wasserstoffzahl. Diese Wasserstoffzahl ist am
Ende jeder dieser Eurven angegeben.
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214
Straub u. Mbirb
diese Wasserstoffzahl nur in sehr engen Grenzen schwanken.
Gröbere Abweichungen von dem Normalwert weisen auf eine
Störung der Atmungsregulation hin.
Die Ergebnisse der Untersuchungen sind in Tabelle I zu-
sammenge8tellt. Die reduzierte Wasserstoffzahl (Hasselbalch 1 )
ist die Wasserstoffzahl des Blutes bei Eohlensäurespannung 40 mm.
Sie gibt ein Maß für die Höhe, in der die Kohlensäurebind ungskurve
verläuft. Die regulierte Wasserstoffzahl (Hasselbalch 1 ) ist die
Wasserstoffzahl des Arterienblutes. Sie ist ermittelt aus der Kohlen-
säurebindungskurve als die Wasserstoffzahl des Blutes bei der in
der Alveolarluft herrschenden Eohlensäurespannung. Die Eohlen¬
säurespannung der Alveolarluft ist nach Haldane ermittelt Der
Kohlensäuregehalt des Arterienblutes endlich ist ebenfalls aus der
Bindungskurve ermittelt als die Kohlensäurekapazität bei der in
der Alveolarluft herrschenden Eohlensäurespannung. Die Nummern
der Patienten sind dieselben wie in der ersten Mitteilung, 2 ) die
klinischen Daten sind dort angegeben.
Die Durchsicht der Tabelle I und ein Blick auf Abb. 1 zeigen,
daß von den Punkten, die den Zustand des arteriellen Blutes de¬
finieren, nur verhältnismäßig wenige in dem normalen Bezirk liegen,
der von den Grenzen des normalen Bindnngsbereichs und dem nor¬
malen Spannungsbereich umschlossen wird. Es sind die Punkte,
die zu den Fällen 6 (2 Punkte), 8,14,16,31 (2 Punkte) und 1 Punkt,
der zu Fall 44 gehört. Diese Punkte gehören zu zwei akuten
Glomerulonephritiden ohne Niereninsufficienz (Fall 6, 8), zwei
chronischen Glomerulonephritiden ohne Niereninsufficienz (Fall 14
und 15) einer benignen Sklerose (Fall 31), und der Punkt des
Falles 44 (Sklerose mit Niereninsufficienz) wurde zu einer Zeit
ermittelt, wo noch keine Niereninsufficienz bestand. Diese im
Normalbezirk liegenden Punkte gehören also durchweg zu gering¬
fügigen Nierenstörungen, bei denen auch sonst Zeichen gröberer
Nierenschädigung fehlen. Die Wasserstoffzahl des Arterienblutes
dieser Kranken, wie sie durch die Lage des Punktes definiert
wird, ist nur unbedeutend verschieden. Alle Punkte liegen zwischen
den Wasserstofflinien 7,30 und 7,40 und zwar im allgemeinen näher
dem ersteren Werte. Als Durchschnitt ergibt sich der auch für
Gesunde von uns gefundene Wert der Wasserstoffzahl für das
Arterienblut zu 7,33. Die dieser Wasserstoffzahl entsprechende
1) Ders., Ebenda (e. vorige Seite).
2) H. Straub u. KI. Meier, Biochem. Zeitechr. 1921.
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Blntreaktion und Dyspnoe bei Nierenkranken. 215
Tabelle I.
Nr.
Datum
PH
rednz.
PH
regul.
Alv.-CO*
CO t -
Gehalt
des
Arterien-
blotes
°U
Hg.-Nieren
3
4. VII. 17
6. VII. 17
6,95
7,04
7,17
7,345
20,3
18,5
16
22
Akute Glomernlonephr.
6
2. VI. 17
7,32
7,326
37,9
47,6
ohne N iereninsnfficienz
22. VI. 17
7,32
7,326
37,9
47,5
7
12. XI. 17
7,42
7,466
36,7
65
8
12. V. 17
7,33
7,308
43,3
53
mit Niereninsnfficienz
11
6. X. 17
7,30
7,349
33,1
44,5
6. XI. 17
7,33
7,297
46,3
55,5
12
2. VH.17
7,10
7,11
35,6
26
Chron. Glomernlonephr.
14
21. IX. 17
7,38
7,394
40,7
61
ohne Niereninsnfficienz
15
11. VI. 17
7,33
36,1
49
mit Niereninsnfficienz
22
26. VH.17
7,12
25,8, 24,4
22
23
8. VI. 17
7,24
7,347
29,5
37,5
24
14. V. 17
7,24
7,297
33,5
38,5
10. VH.17
7,17
7,216
34,6
32,5
26
18. V. 17
7,21
31,8
36,6
6. VI. 17
7,15
7,21
34,5
32
25. IX. 17
7,22
7,399
24,3
34,5
28
10. XI. 17
7,27
7,88
30,1
42,0
Sklerosen
29
11. X. 17
7,36
7.408
35,1
63,5
ohne Niereninsnfficienz
31
15. V. 17
7,34
7,356
38,5
67
14. IX. 17
7,30
7,834
36,9
47
mit Dyspnoe
35
4. IV. 18
7,64
7,690
25,9
76,6
mit Niereninsnfficienz
7,655
81,1
72,5
ohne Hypokapnie
37
9. I. 18
7,47
7,478
39,1
72
39
12. X. 17
7,36
7,631
19,9
49,5
7,504
29,4
65
mit Niereninsnfficienz
und Hypokapnie
43
10. X. 17
7,29
7,432
26,0
40,5
44
7. V. 17
7,34
7,326
41,8
53
12. VI. 17
7,25
7,233
40,8
41
50
19. VII. 17
6,87
7,031
20,9
12
Linie ist in das Koordinatensystem der Abb. 1 gestrichelt einge¬
tragen. Ans unseren diesbezüglichen Untersuchungen ergibt sich
also: das Atemzentrum reguliert die Lungen Ventilation bei Ge¬
sunden so, daß die Wasserstoffzahl des Arterienblutes von 7,33
nur unbedeutend ab weicht Diese Lage der Wasserstoffzahl des
Arterienblutes Gesunder stimmt fast absolut mit der von Me ans
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216
Stbaub u. Mbibb
Bock und Woodwell 1 2 * ) durch etwas abweichende Technik er¬
mittelten fiberein. Auch bei Untersuchungen mit der Gaskette¬
wird derselbe Wert gefunden. 9 )
Aber anch unter den gutartigen Nierenstörungen, die unter¬
sucht wurden, finden sich 2 Fälle (Nr. 7 und 29), deren arterieller
Pnnkt nicht im Normalbezirk liegt, wenngleich er diesen nnr eben
überschreitet Der eine dieser Punkte (Nr. 7), der von einer akuten
Glomerulonephritis stammt liegt zwar im normalen Spannungsbe¬
zirk aber oberhalb des normalen Bindnngsbezirkes, entsprechend
der leicht hyperkapnischen Bindungskurve. Die Lage des Punktes
weist auf eine leichte Niereninsufficienz hin. Die Niere ist nicht
imstande, den Überschuß der basischen Valenzen des Blutes zu be¬
seitigen. Aber der Pnnkt zeigt anch sonst noch pathologisches Ver¬
halten insofern, als trotz der hohen Lage der Bindnngskurve die
alveoläre Kohlensäurespannnng nahe der unteren Grenze der Norm
liegt Infolge dieser niedrigen Kohlensäurespannnng ist die Reaktion
des Arterienblutes in diesem Falle ganz abnorm weit nach der ba¬
sischen Seite verschoben, sie liegt bei der Wasserstoffzahl 7,466,
während alle anderen bisher betrachteten Punkte zwischen 7,30 und
7,40 gelegen sind. Die deutliche Abweichung der Reaktion des Ar-
terienblutes nach der alkalischen Seite weist auf eine abnorme Reiz¬
barkeit des Atemzentrums hin, das trotz der stark basischen Re¬
aktion des Blutes die Kohlensäurespannnng der Alveolarluft nahe
der untersten Grenze hält. Im Falle 29, einer benignen Sklerose,
endlich verläuft die Kohlensäurebindungskurve eukapnisch, etwa
in der Mitte des normalen Bezirkes. Trotzdem liegt die alveoläre
Kohlensäurespannnng dicht an der untersten Grenze der Norm, bei
35,1 mm, so daß wie im vorhergehenden Falle die Reaktion des
arteriellen Blutes abnorm weit nach der basischen Seite, auf, die
Wasserstoffzahl 7,408, verschoben ist. Auch hier muß demnach
eine abnorme Reizbarkeit des Atemzentrums angenommen werden,
die jedoch weniger hochgradig ist als im vorangehenden Falle.
Bei allen untersuchten Fällen, bei denen klinisch Zeichen einer
stärkeren Nierenstörung bestanden, liegt der Punkt des arteriellen
Blutes irgendwie außerhalb des normalen Bezirkes, lö Punkte
liegen unterhalb des normalen Bindungsbezirks, sie gehören also
zu hypokapnischen Bindungskurven. Nur einer von diesen Punkten
1) J. H. Means, A.V. Book und U. N.Woodwell, Joorn. of exp. Med.
33, 1921, S. 201.
2) C. Michaelis n. Davidoff, Biochem. Zeitsehr. 46, 1912, S. 181.
K. A. Hasselbalch, Ebenda 49, 1913, 8. 461.
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Blutreaktion und Dyspnoe bei Nierenkranken.
217
(Fall 44, zweite Bestimmung) liegt im normalen Spannungsbezirk,
ein weiterer, von Fall 12, an der untersten Grenze dieses Span*
nungsbezirks. Alle übrigen hypokapnischen Punkte liegen bei
abnorm niedriger Kohlensäurespannung. Dieses Verhalten ent¬
spricht dem, was nach der Reaktionstheorie Winterstein’s zu er¬
warten wäre. Entsprechend der Hypokapnie wird ein vermehrter
Beiz des Arterienblutes auf das Atemzentrum ausgeübt und da¬
durch die Kohlensäurespannung der Alveolarluft herabgesetzt.
Die niedrige Kohlensäurespannung in den Alveolen ist der objektiv
meßbare Ausdruck für die bei all diesen Fällen klinisch beobachtete
Dyspnoe. Bei zahlreichen aller hypokapnischen Punkte geht die
Herabsetzung der alveolären Kohlensäurespannung so weit, daß
der arterielle Punkt zwischen den Wasserstoffzahlen 7,30 und 7,40
bleibt Die Punkte liegen nahe benachbart der Wasserstofflinie
7,33, d. h. die Wasserstoffzahl des Arterienblutes ist in diesen
Fällen trotz der Hypokapnie durch Herabsetzung der Kohlensäure-
spannung auf dem normalen Werte gehalten. Dies trifft zu für
die Fälle 3 (zweite Bestimmung), 11 (erste Bestimmung), 23, 24
(erste Bestimmung) und angenähert für die Fälle 26 (letzte Be¬
stimmung) und 28. Trotz ausgesprochener Hypokapnie besteht also
tei diesen Fällen keine Acidose im strengen Sinne, d. h. keine
Änderung der Wasserstoffzahl des arteriellen Blutes. Die Richtig¬
keit der Reaktionstheorie ist also für diese Fälle streng bewiesen,
namentlich bei dem Fall 3, bei dem die Wasserstoffzahl trotz
enormer Hypokapnie gewahrt bleibt. Das arterielle Blut enthält
nur noch 22 Volum-°/ 0 Kohlensäure, statt mindestens 47% in der
Norm. Trotzdem ist durch Überventilation der Alveolen und Herab¬
setzung der Kohlensäurespannung bis auf 16 mm die Wasserstoff¬
zahl auf dem normalen Werte gehalten. Bei Fall 11, einer akuten
Glomerulonephritis, stellt sich mit fortschreitender Besserung
Enkapnie des Blutes wieder her. Gleichzeitig steigt die alveoläre
Kohlensäurespannung auf den abnorm hohen Wert von 46,3 mm,
so daß infolge des hohen Kohlensäuregehaltes die Reaktion etwas
nach der sauren Seite verschoben wird, von 7,349 auf 7,297. An¬
scheinend muß dieser Befund auf eine leichte Ermüdung des Atem¬
zentrums bezogen werden.
Aber nicht alle hypokapnischen Punkte zeigen den Grad von
Überventilation, der gerade zur Kompensation ausreicht und die
normale Wasserstoffzahl des Arterienblutes erhält. Bei zwei
Paukten ist die Ventilation über das erforderliche Maß hinaus er¬
höht, die Kohlensäurespannung so weit herabgesetzt, daß die wahre
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218
Straub u. Ubier
Reaktion des Arterienblutes, nach der basischen Seite verschoben
ist, trotz der Hypokapnie besteht Alkalose. Es handelt sich hm
Punkt 48, eine Sklerose mit Niereninsufficienz, und um die letzte
der drei Bestimmungen des Falles 26, einer glomerulären Schrumpf*
niere. Fall 43 weist nur eine ganz geringe Hypokapnie auf, der
Punkt liegt dicht an der unteren Grenze des normalen Bindungs¬
bezirks. Trotzdem ist die alveoläre Kohlensäurespannung sehr er¬
heblich, nämlich auf 26 mm, herabgesetzt. Die Wasserstoffzahl
des Arterienblutes ist dadurch auf 7,482 gebracht, einen deutlich
pathologischen Wert. Schon bei der klinischen Schilderung des
Falles 1 ) war hervorgehoben, daß in diesem Falle die erhebliche
Dyspnoe, die in der niedrigen Kohlensäurespannung objektiv znm
Ausdruck kommt, durch die geringe Hypokapnie nicht ausreichend
erklärt ist. Wie bei den schon besprochenen zwei Punkten mit
Eukapnie und Alkalose (7 und 29) muß auch im vorliegenden Falle
eine abnorme Reizbarkeit bzw. Reizung des Atemzentrums zur Er¬
klärung der Lage des arteriellen Punktes herangezogen werden.
Auch im Falle 26 läßt sich aus den Beobachtungen ein abnormes
Verhalten des Atemzentrums folgern. Bei der ersten Beobachtung
(18. Mai 1917) ist die Hypokapnie durch Überventilation gerade
kompensiert, die Wasserstoffzahl des Arterienblutes beträgt 7,301.
Bei der zweiten Beobachtung (5. Juni 1917), die in die gleich zu
besprechende Gruppe gehört, reicht die Überventilation nicht aus,
die Hypokapnie zu kompensieren, die Reaktion des Arterienblutes
ist abnorm sauer. Und bei der letzten Beobachtung schließlich
(25. Sept. 1917), von der hier die Rede ist, ist offenbar ein neues
Moment dazngekommen. Die Ventilationsgröße ist jetzt über den
Bedarf gesteigert, die Reaktion abnorm alkalisch, 7,399. Offenbar
kommt aber dieses Ereignis einer Überkompensation bei
Hypokapnie verhältnismäßig selten vor, unter den 15 hypo-
kapnischen Punkten zeigen nur 2 dieses Verhalten, beide in mäßig
hohem Grade.
Viel häufiger ist offenbar bei Hypokapnie das umgekehrte Ver¬
halten. Die zur Kompensation erforderliche Überventilation bleibt
aus (Fall 44) oder erreicht noch nicht den zu voller Kompensation
erforderlichen Grad (Fall 3, erster Punkt, 12, 22, ein Punkt von
24 und 26, und Fall 50). Bei fast der Hälfte (7) aller Fälle mit hypo-
kapnischer Bindungskurve reicht also die Überventilation nicht
aus, um die normale Blutreaktion aufrecht zu erhalten. Der Grad
1) VgL die klinischen Daten in der vorangehenden Mitteilung.
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Blutreaktion and Dyspnoe bei Nierenkranken. 219
der Herabsetzung der alveolären Kohlensäurespannung; ist kein
eindeutiger Maßstab des Grades der Hypokapnie, die Reaktion des
Arterienblutes ist, obgleich meist eine Überventilation besteht,
abnorm sauer, es besteht Hypokapnie mit echter Acidose des Blutes.
Die Hypokapnie ist nicht ausreichend kompensiert. Unter diesen
dekompensierten Fällen finden sich vor allem die mit besonders
hochgradiger Hypokapnie (Fall 50, 3 und 22). Dies weist darauf 1
hin, daß ein Grad von Hypokapnie erreicht werden kann, bei dem
alle Kompensationsmöglichkeiten versagen. Wie weit die An¬
strengungen des Organismus zur Kompensation gehen, zeigt die
Beobachtung des Falles 3, bei dem 2 Tage später die Hypokapnie
etwas geringer ist und trotzdem die Überventilation noch etwas
höhere Grade erreicht. Die alveoläre Kohlensäurespannung ist
noch eine Spur weiter gesunken und nun eine normale Wasserstoff¬
zahl des Blutes erzielt. Am stärksten nach der sauren Seite ver¬
schoben ist die ßlutreaktion im Falle 60 mit 7,031, demnächst im
Falle 12 mit 7,11; im Falle 3 mit 7,17 und im Falle 22 mit 7,204.
Aber auch bei ziemlich mäßiger Hypokapnie kann die durch Über¬
ventilation erreichbare Kompensation versagen, die Blutreaktion
nach der sauren Seite verschoben sein (Fall 44 und je ein Punkt
von Fall 24 und 26). Bei allen diesen 7 Beobachtungen handelt
es sich also um ein Versagen des Atemzentrums, das nicht mehr
vermag, durch ausreichende Hyperventilation die Blutreaktion auf
dem normalen Werte zu erhalten.
Aber nicht nur bei Hypokapnie des Blutes kann die Wasser-
stoflzahl von der Norm ab weichen. Sämtliche hyperkapnischen und
ein Teil der untersuchten eukapnischen Kurven haben ebenfalls
eine pathologische Blutreaktion. Mit Ausnahme des schon be¬
sprochenen Falles 7 handelt es sich bei unseren Bestimmungen aus¬
schließlich um Sklerosen mit Niereninsufficienz (Fall 35,37 und 39).
Unter ihnen reagiert der Fall 37 auf die sehr erhebliche Hyper-
kapnie nicht mit Erhöhung der Kohlensäurespannung, sondern
sie liegt nahe der Mitte des Normalbezirks bei 39,1 mm. Fttr die
bestehende Hyperkapnie ist also die Ventilation relativ zu ausgiebig,
die arterielle Blutreaktion dadurch stark nach der alkalischen Seite
verschoben auf 7,478. Noch viel auffallendere Verhältnisse zeigen
die Fälle 35 und 39, bei denen trotz stark hyperkapnischer bzw.
eukapniscber Bindungskurve eine sehr hochgradige Überventilation
bestand. In beiden Fällen wies auch schon das klinische Verhalten
auf hochgradige Störungen der Atmungsregulation hin. Bei Fall 36
mit der sehr erheblichen Hyperkapnie wechselten Zustände von
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220
Straub u. Mbibr
Somnolenz mit starker Erregnng. Dementsprechend wechselte di»
Tiefe der Atmung. Es gelang, in beiden Stadien einwandfreie
Alveolargasanalysen ausznführen. Während einer Periode von Er¬
regung war die alveoläre Kohlensäurespannung sehr stark, bis auf
21,1 mm herabgesetzt. Während der somnolenten Periode war die
Spannung höher, wie dies dem normalen Verhalten während des Ein¬
schlafens entspricht. 1 ) Aber auch im Schlaf stieg die Spannung
nicht bis auf Normalwerte an, die Analyse ergab 25,9 mm.' Die
aus der Alveolargasanalyse zu erschließende Reizung des Atem¬
zentrums bestand auch während der Somnolenz fort. Die Blut¬
reaktion war sowohl durch die Hyperkapnie als namentlich durch
die außerdem bestehende Überventilation ganz außerordentlich nach
der basischen Seite verschoben, im Schlaf betrug sie 7,690, während
der Erregung 7,755, den äußersten basischen Wert des Arterien¬
blutes, der bisher beobachtet wurde. Noch auffallender war die
Atemstörung im Falle 39, dem eine eukapnische Bindungskurve
zukam. Am Tage der Untersuchung bestand ein schwerer Grad
von periodischem Atmen. Während der Zeiten tiefer Atemzüge
war der Patient sehr erregt, rang laut keuchend nach Luft Auf
der Höhe dieser tiefen, dyspnoischen Atmung wurde nach Haldane
am Ende des Inspiriums eine alveoläre Kohlensäurespannung von
19,5, am Ende des Exspirium von 20,3 mm, im Mittel also 19,9 mm
gefunden. Auch während der Atempause gelang es, den Patienten
dnrch energische Aufforderung zu forcierter Exspiration in den
Analysenschlauch zu veranlassen. Wenn man ungefähr das ver¬
mutliche Ende der Atempause abpaßte, so erhielt man auf diese
Weise für die alveoläre Kohlensäurespannung Werte von 28,4 bia
29,4 mm. Sucht man die zu diesen Kohlensäurespannungen gehörigen
Punkte auf der Kohlensäurebindungskurve auf, so sieht man, daß
das Atemzentrum im vorliegenden Falle zur Tätigkeit angeregt
wird, wenn die Wasserstoffzahl des Arterienblutes auf 7,504 ge¬
stiegen ist. Die Apnoe endet also trotz einer abnorm stark basi¬
schen Reaktion. Durch die tiefen folgenden Atemzüge wird Kohlen¬
säure aus dem Blute entfernt und die Reaktion noch stärker nach
der basischen Seite verschoben. Ist dadurch die Kohlensäure¬
spannung auf 20 mm gefallen und die stark basische Wasserstoff¬
zahl 7,631 erreicht, so hört der Reiz für das Atemzentrum auf, es
folgt eine Periode der Apnoe. Also auch im vorliegenden Falle
reagiert das Atemzentrum auf den Reiz eines abnorm stark basi¬
schen Blutes. Die normale Atemregulation ist gestört.
1) H. Straub, Deutsches Arch. f. klin. Med. 117, 1916, 8.397.
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Blutreaktion und Dyspnoe bei Nierenkranken.
221
Um also ein Urteil über die Verhältnisse zu gewinnen, die für
die Dyspnoe der Nierenkranken verantwortlich sind, genügt weder
die Bestimmung der Kohlensänrebindnngsknrve noch die Bestim¬
mung der Eohlensftare8spannnng des Arterienblutes durch Alveolar¬
gasanalyse allein. Erst die Kombination beider Methoden gestattet
ein klares Verständnis der maßgebenden Einflüsse und eine Prüfung
des Geltungsbereichs der Reaktionstheorie der Atmungsregnlation.
Durch dieses Prüfungsverfahren erkennt man, daß tatsächlich bei
fielen Nierenkranken ebenso wie beim Gesunden die Kohlensäure-
Spannung des Arterienblutes durch die Ventilationsgröße so ein¬
gestellt wird, daß die Wasserstoff zahl des Arterienblntes sich von
dem Werte 7,33 nur unbedeutend entfernt. Wird die Kohlensäure¬
kapazität des Blutes durch die Nierenkrankheit und ihre Folgen
herabgesetzt, besteht also Hypokapnie des Blutes, so kann selbst
bei sehr hochgradiger Herabsetzung der Bindungskurve trotzdem
durch Überventilation die arterielle Wasserstoffzahl normal erhalten
werden. Dieser physiologische Kompensationsmechanismus führt
zu einer Form der Dyspnoe, die zweckmäßig und für den Organis¬
mus nützlich ist. Die Dyspnoe vieler Nierenkranker ist also durch
die Hypokapnie des Blutes erklärt und bedeutet eine Kompensation
dieser Hypokapnie entsprechend der Reaktionstheorie der Atmungs¬
regulation. Sie erhält die Wasserstoffzahl des Arterienblutes auf
ihrem normalen Werte.
Damit grenzt sich eine Form der Dyspnoe bei Nierenkranken
ab, die durch Hypokapnie des Blutes ausgelöst wird. Hypokapnie
ist im vorliegenden Zusammenhang der Ausdruck einer schweren
Niereninsufficienz. 1 ) Dementsprechend tritt diese Form der Dypnoe
im Spätstadium der Nierenkrankheiten auf. Es erscheint
richtig, ausschließlich für diese im Spätstadium als
Ausdruck einer Niereninsufficienz auftretende Dys¬
pnoe durch Hypokapnie des Blutes die Bezeichnung
„urämische Dyspnoe“ vorzubehalten.
Bei einer Reihe von Nierenkranken ist die durch Hypokapnie
ausgelöste Hyperventilation nicht ausreichend, um die Wasserstoff¬
zahl des Blutes normal zu erhalten, es besteht Hypokapnie mit
echter Acidose, d. h. mit einer abnorm schwach basischen, teil¬
weise nahezu neutralen Reaktion des Arterienblutes. Diese Fälle
sind als dekompensierte Hypokapnie zu bezeichnen. Sie lassen sich
»
1) H. Straub u. Kl. Meier, Biochem. Zeitschr. 1921.
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222
Stkaub n. Msnra
nur durch die Bestimmung der aktuellen Beaktion des Arterien¬
blutes von den kompensierten Hypokapnien unterscheiden.
Diesen Fällen von Dyspnoe der Nierenkranken durch kompen¬
sierte oder dekompensierte Eypokapnie steht nun aber eine etwa
ebenso große Anzahl von Fällen gegenüber, bei denen die klinisch
beobachtete hochgradige Dyspnoe, die zu objektiv nachweisbarer
Herabsetzung der alveolären Kohlensäurespannung führt, nicht
durch Hypokapnie erklärt werden kann. Die Hypokapnie ist ent¬
weder zn geringfügig für den Qrad der auftretenden Dyspnoe, oder
es besteht Eukapnie, vielfach sogar Hyperkapnie des Blntes. Ge¬
meinsam ist allen diesen Fällen die Tatsache, daß die aktuelle
Blutreaktion nicht normal wie bei den kompensierten oder gar
zu sauer wie bei den dekompensierten Hypokapnien ist, sondern
daß im Gegenteil' ganz abnorm stark basische Blutreaktion ge¬
funden wird. Bei diesen Kranken ist also die Dyspnoe und Über¬
ventilation keine durch die Beschaffenheit des Blutes bedingte,
hämatogene,*) sondern sie muß auf abnorme Verhältnisse im Atem¬
zentrum bezogen werden, ist also in der Nomenklatur von Winter¬
stein als zentrogene zu bezeichnen. Durch die Arbeiten von
Winterstein sowie von Henderson und seinen Mitarbeitern
kennen wir als Vertreter der zentrogenen Hyperpnoe die durch
oberflächliche Narkose, durch Schmerz und durch Sauerstoffmangel
ausgelöste. Ob bei diesen Formen von Hyperpnoe so außerordent¬
lich stark basische Reaktionen im Blute auftreten können wie in
den von uns beobachteten Fällen, ist freilich bisher nicht be¬
obachtet worden.
Außer der hämatogenen kommt also bei zahlreichen Nieren¬
kranken eine grundsätzlich verschiedene zentrogene, cere¬
brale Form von Dyspnoe vor. Diese cerebrale Dyspnoe der
Nierenkranken ist verschieden von der zentrogenen Dyspnoe durch
Sauerstoffmangel. Unsere Nierenkranken lebten in einer Atmo¬
sphäre mit vollkommen ausreichendem Sauerstoffgehalt, infolge der
Überventilation der Alveolen war zweifellos der Sauerstoffpartiar-
druck in diesen abnorm hoch. Das Blut hatte also vollkommen aus¬
reichende Möglichkeit, sich in den Lungen mit Sauerstoff zu sättigen.
Eine Erkrankung der Lungen, die den Gasaustausch in den Al¬
veolen behindern könnte, lag nicht vor. Eine ungenügende Sätti¬
gung des Blutes mit Sauerstoff kann also nicht für diese Dyspnoe
verantwortlich gemacht werden. Winterstein hat nun seine
1) H. Winterstein, Pflüger’s Arch. 187, 1921, S. 293.
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Blntreaktion und Dyspnoe bei Nierenkranken.
223
Beaktionstheorie in der Weise formuliert, daß nicht eigentlich die
Beaktion des Arterienblutes, sondern die Beaktion der Gewebs¬
flüssigkeit in den Atemzentren selbst die Größe der Ventilation
bestimme. Bei der hämatogenen Dyspnoe stimmt die Reaktion des
Blutes mit der der Gewebsflüssigkeit im wesentlichen fiberein.
Nicht so bei der zentrogenen Dyspnoe. Ist diese durch Sauerstoff¬
mangel hervorgerufen, so werden in den Atemzentren selbst ab¬
norme Mengen saurer unvollständiger Reaktionsprodukte gebildet.
Da bei den Nierenkranken ein universeller Sauerstoffmangel nicht
angenommen werden kann, lassen sich die bei diesen Kranken ma߬
gebenden Verhältnisse nur dann im Rahmen der bisherigen Vor¬
stellungen unterbringen, wenn an Stelle des allgemeinen Sauerstoff¬
mangels entweder eine lokale Asphyxie der Atemzentren oder ein
anbekannter Atemreiz für die Dyspnoe verantwortlich gemacht
wird. Man müßte also zur Erklärung eine lokale Kreislaufstörung
im Bereich bestimmter Gehirngebiete annehmen. Sieht man die
einschlägigen Fälle auf diese Möglichkeit an, so gewinnt die Ver¬
mutung an Wahrscheinlichkeit. Ein großer Teil der typischen
hierher gehörigen Fälle sind arteriolosklerotische Nierenerkrankungen
(Fall 35—43). Sie weisen außer der Dyspnoe auch sonst vielfach
Zeichen cerebraler Störungen auf. Sie waren hochgradig erregt,
drängten aus dem Bett. Starke motorische Unruhe fiel neben zum
Teil hochgradiger Somnolenz auf. Weiterhin bestanden Kopf¬
schmerz, Schwindel, Erbrechen und Schlaflosigkeit. Bei mehreren
hierher gehörigen Fällen traten Gehirnblutungen auf, teils als
typische Hemiplegien (Fall 19, 36), teils als multiple Erweichungs¬
herde mit Ponsblutung (Fall 39). Daß durch dieselben Gefäßver-
inderungen auch Kreislaufstörungen in dem besonders empfind¬
lichen Atemzentrum ausgelöst werden können, ist wohl glaubhaft.
Aber nicht unbedingt muß es sich dabei um anatomisch faßbare
Gefäßveränderungen handeln. Von Volhard ist ja bei Nieren¬
kranken das Auftreten von Gefäßspasmen für eine Reihe von
Krankheitserscheinungen verantwortlich gemacht worden. Solche
lokale Gefäßspasmen sind bei Fall 19 im Bereich der Gehirngefäße
direkt nachweisbar. Mehrfach kam es in diesem Falle zu transi¬
torischen Amaurosen, wobei ophthalmoskopisch nur stark'verengte
Betinalarterien nachweisbar waren. Durch solche lokale Kreislauf¬
störungen wäre es gut zu erklären, weshalb bei* vielen Nieren¬
kranken die Atemnot ausgesprochen anfallsweise auftritt, weshalb
diese Anfälle mit besonderer Vorliebe bei Nacht auftreten und
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224
Stbaüb u. Msibb
weshalb sie bei manchen Fällen von psychischen Einflössen ab¬
hängig zn sein scheinen.
Die Beobachtungen weisen mit fiberwiegender Wahrscheinlich¬
keit darauf hin, daß der bei manchen Nierenkranken auftretenden
hämatogenen Dyspnoe durch Hypokapnie des Blutes eine grund¬
sätzlich verschiedene Form von Dyspnoe gegenfiberzu-
stellen ist, die als zentrogene, cerebrale aufgefaßt
werden muß, mit Eukapnie oder Hyperkapnie des
Blutes einhergeht und wahrscheinlich durch lokale
Kreislaufstörungen im Bereich des Atemzentrums
ausgelöst wird. Diese Form der Dyspnoe wäre also keine im
strengen Sinne urämische, sondern eine bis zu einem gewissen
Grade von der Nierensekretion unabhängige, asphyktische Dys¬
pnoe. Auch das Auftreten periodischen Atmens ist offenbar nicht
durch eine Veränderung in der Zusammensetzung des Blutes in¬
folge der Nierenerkrankung zu erklären, sondern der Ausdruck
der lokalen Asphyxie des Atemzentrums. Nach den Feststellungen
von Haldane 1 ) tritt periodisches Atmen dann auf, wenn die At¬
mungsregulation nicht mehr allein durch Kohlensäurefiberschuß,
sondern zu einem erheblichen Teil durch Sauerstoffmangel be¬
sorgt wird.
Die cerebrale Form der Dyspnoe der Nierenkranken ist also
auf lokale Kreislaufstörungen im Bereich der Atemzentren zu be¬
ziehen. Sie kann durch anatomisch nachweisbare Gefäßverände¬
rungen bedingt sein. Die klinischen Erscheinungen machen es
aber wahrscheinlich, daß diese Dyspnoe vielfach auf lokalen Ge¬
fäßspasmen beruht Sie ist demnach der Ausdruck derselben Vor¬
gänge, die ffir die transitorischen Amaurosen und transitorischen
Hemiplegien der Nierenkranken ohne objektiven anatomischen Be¬
fund verantwortlich zu machen sind, der Vorgänge, die auch das
starke Schwanken des arteriellen Blutdruckes im Frfihstadinm
vieler Nierenerkrankungen, besonders der Sklerosen mit Hypertonie,
hervorrufen. Diese Form der Dyspnoe kann dementsprechend nicht
nur im Spätstadium, sondern schon im Frfihstadinm der Krankheit
auftreten, so lange von schweren Störungen der Nierenfunktion,
von Niereninsufficienz, noch keine Rede ist. Es empfiehlt sich des¬
halb, diese Form der Dyspnoe als „cerebrales Asthma der
Hypertoniker“ zu kennzeichnen. Diese Form der Dyspnoe hat
offenbar Neigung, in den periodischen Typus der Atmung öberzu-
1) C. G. Douglas u. J. S. Haldane, Journ. of Physiol. 45, 1912, S. 235.
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Blutreaktion nnd Dyapnoe bei Nierenkranken.
225
gehen. Das bei schweren Fällen cerebralen Asthmas auftretende
Lungenödem bedarf noch der Aufklärung. Als Zeichen von primärer
Herzschwäche kann es jedenfalls nicht wohl gedeutet werden.
Herrn Professor von Romberg verdanken wir den Hinweis, daß
schon O. Rosenbach 1 ) das klinische Krankbeitsbild der cerebralen
Dyspnoe als eigene Form der Schweratmigkeit betont und abzugrenzen
-versucht hat. Seine Schilderung der klinischen Erscheinungen spricht
für die Güte seiner Beobachtung, die sich bei der Abgrenzung und Er¬
klärung des Krankheitsbildes nicht auf die seitdem neu gewonnenen
theoretischen Vorstellungen und auf naturwissenschaftlich exakte Unter¬
suchungen stützen konnte und deshalb nicht die ihr gebührende Beach¬
tung zu finden vermochte. Rosenbach bezieht die cerebrale Form der
Dyspnoe auf durch Venenstauung im Hirn bedingte psychische Angst-
2 ustände (S. 106) und betrachtet Bie als häufigen Vorboten einer späteren
Gehirnerkrankung, häufiger einer Erweichung als einer Blutung (S. 296).
Eine Beteiligung des Herzens lehnt er ab und bezeichnet dieses Asthma
als Storung der Regulation, aber nicht als Zeichen des Sauerstoffmangels,
•der die Ursache des wahren Herzasthmas bilde. Ähnliche Erscheinungen
habe er auch bei Paralytikern und Epileptikern beobachtet (S. 298
und 358). Auf S. 610 betont er nochmals die eigentümliche als Folge
der bloßen Zirkulationsstörung im Gehirn auftretende Form asthmatischer
Beschwerden, das cerebrale Asthma, das durch enorme Angstgefühle
bei Abwesenheit aller sonstigen Symptome von Atmungs- und Herz-
insufficienz, wie Dyspnoe, Cyanose u. dgl. gekennzeichnet ist und
gewöhnlich nicht in beschleunigter, sondern in sehr vertiefter Atmung
seinen Ausdruck findet. Im Anschluß hieran bespricht er die periodische
Atmung.
Die hämatogene Hyperpnoe beruht also primär auf einer
Veränderung der Blutznsammensetznng, deren wesentlichstes Kenn¬
zeichen die Hypokapnie ist. Diese Hypokapnie führt primär zu
einer Veränderung der Blutreaktion im Sinne einer Verschiebung
nach der sauren Seite. Sekundär ist eine Kompensation dieser Re¬
aktionsänderung durch Überventilation und entsprechende Senkung
der Kohlensäurespannung möglich. Die Blutreaktion wird nach
Eintritt der Kompensation wieder normal. Bei der zentrogenen,
«cerebralen Überventilation ist primär die Zusammensetzung des
Blutes ungeändert, jedenfalls besteht in typischen Fällen znnächst
keine Hypokapnie. Das primäre ist vielmehr die erhöhte Tätig¬
keit des Atemzentrums, sei es durch Zunahme seiner Erregbarkeit, oder
durch Asphyxie infolge allgemeinen oder lokalen Sauerstoffmangels.
Die Hyperventilation führt primär zu einer Senkung der Kohlen¬
säurespannung. Die Ausschwemmung der Kohlensäure ohne Än-
1) 0. Kosenbach, Krankheiten des Herzens. Wien u. Leipzig 1897.
Deutsches Archiv für klin. Medizin. 138. Bd. Io
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226 Stbaub n. Meier
derung der verfügbaren basischen Valenzen verschiebt primär
die Blutreaktion nach der alkalischen Seite. Haggard und
Henderson 1 , 2 ) vertreten nun die Auffassung, daß gesetzmäßig
diese abnorm alkalische Reaktion des Blutes infolge von primärer
zentrogener Überventilation kompensiert werde, indem sekundär
Alkali aus dem strömenden Blute verschwinde, so daß schließlich
ebenfalls eine Hypokapnie des Blutes entstehe. Die Hypokapnie
ist also bei dieser Form der Dyspnoe der sekundäre, kompen¬
sierende Faktor. Der Unterschied zwischen haematogener und
zentrogener Überventilation bestünde demnach nicht in dem End¬
zustände. Dieser wäre vielmehr identisch: beidemale Hyperven¬
tilation und Hypokapnie. Aber bei hämatogener bzw. renaler
Störung führe der Weg zu diesem Endzustand primär zur Hypo¬
kapnie mit abnorm saurer Blutreaktion, sekundär kompensatorisch
zur Überventilation, Herabsetzung der Eohlensäurespannung und
Wiederherstellung der normalen Blutreaktion. Bei der zentro¬
gen en Störung führe der Weg primär zur Überventilation, Herab¬
setzung der Kohlensäurespannung und dadurch zu abnorm alka¬
lischer ßlutreaktion bei normaler Kohlensäurekapazität, Eukapnie
des Blutes. Sekundär, kompensatorisch werde dann Alkali aus
dem strömenden Blute entfernt, die Kohlensäurekapazität des
Blutes herabgesetzt und durch diese sekundäre Hypokapnie die
normale Blutreaktion wiederhergestellt
Diese Auffassung wird von den amerikanischen Autoren durch
Beobachtungen bei der Hypokapnie nach oberflächlicher Äther¬
narkose begründet und auf die Überventilation bei Sauerstoffmangel
übertragen. Bei unseren Nierenkranken mit zentrogener Überven-
tilation jedoch besteht dieses Gesetz der amerikanischen Autoreu
nicht zu Recht. Unter allen Fällen mit abnorm basischer Blut¬
reaktion und Überventilation befinden sich nur zwei, bei denen
Hypokapnie des Blutes vorhanden ist (Fall 26 und 43). Von diesen
beiden Fällen ist es für Fall 26 direkt nachweisbar, daß die
Hypokapnie das Primäre ist, die Überventilation war zuerst ge¬
rade so hochgradig, daß die normale Blutreaktion gewahrt wurde
(18. Mai 1Ü17). Dann verschob sich die Blutreaktion sogar nach
der sauren Seite, die Hypokapnie wurde dekompensiert (5. Juni
1‘J17). Erst gegen Ende des Lebens kam zu der ursprünglich rein-
1) Y. Henderson u. H. W. Haggard, Journ. of biol. Chem. 33, 1918.
S. 345.
2) H. W. Haggard u. Y. Henderson, Journ. of biol. Chem. 39, 1919.
8. 103.
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Blutreaktion and Dyspnoe bei Nierenkranken. 227
hämatogenen Überventilation sekundär eine übermäßige Tätigkeit
des Atemzentrums mit Überkompensation hinzu (25. September 1917).
Bei Fall 43 läßt sich der Beweis, daß die Hypokapnie primär
durch die Nierenerkrankung bedingt, hämatogen ist, nicht direkt
erbringen. Aber die Hypokapnie ist so geringfügig, daß der Fall
zur Entscheidung der Frage nicht herangezogen werden kann.
Dem stehen aber 16 Fälle gegenüber (Fall 15—22, bei letzterem
nur die zweite Beobachtung, und Fall 35—42), bei denen die
Überventilation nicht zu Hypokapnie des Blutes geführt hat. Im
Gegenteil findet sich bei 5 Fällen (22, 35, 36, 37, 38) eine z. T.
sehr beträchtliche Hyperkapnie trotz teilweise sehr starker Über¬
ventilation (vgl. die arteriellen Punkte der Fälle 35, 37, 39). Von
einer sekundären kompensatorischen Entfernung basischer Valenzen
aus dem Blute kann in diesen Fällen keine Rede sein. Haggard
und Henderson machen keine Angaben, auf welchem Wege die
überschüssigen basischen Valenzen aus dem Blute entfernt werden.
Sollte dabei die Niere eine Rolle spielen, was theoretisch wahr¬
scheinlich ist, so ließe sich der Unterschied in der Blutreaktion
bei der zentrogenen Hyperventilation Nierenkranker gegenüber
dem Verhalten bei Narkose und Sauerstoffmangel vielleicht als
Niereninsufficienz erklären. Doch fehlen alle Tatsachen, die eine
Entscheidung dieser wichtigen Frage ermöglichen würden.
Zusammenfassung.
Bei 21 Nierenkranken wurde gleichzeitig die Kohlensäure¬
bindungskurve des Blutes und die Kohlensäurespannung der Al¬
veolarluft festgestellt und aus beiden Bestimmungen die aktuelle
Reaktion des arteriellen Blutes ermittelt (31 Bestimmungen).
Bei leichten Nierenstörungen liegt diese Reaktion ebenso wie
bei Gesunden zwischen den Wasserstoffzahlen 7,30 und 7,40 und
nähert sich 7,33.
Bei zahlreichen Nierenkranken mit erniedrigter Kohlensäure¬
bindungskurve (Hypokapnie) ist durch Überventilation die Kohlen¬
säurespannung so weit herabgesetzt, daß die aktuelle Reaktion
normal bleibt. Die Hypokapnie ist kompensiert. Für diese Fälle
ist also die Gültigkeit der Reaktionstheorie der Atmungsregulation
von Winterstein erwiesen.
In anderen Fällen von Hypokapnie jedoch bleibt die Über¬
ventilation aus oder ist nicht hochgradig genug, um die Hypo¬
kapnie völlig zu kompensieren. Die Blutreaktion wird nach der
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228 Straub u. Meibr, Blntreaktion und Dyspnoe bei Nierenkranken.
sauren Seite verschoben, namentlich bei den Fällen mit besonders
hochgradiger Hypokapnie.
Bei diesen Fällen mit Hypokapnie des Blutes ist die Dyspnoe
durch die primäre Blutveränderung erklärt. Es handelt sich also
um eine hämatogene Dyspnoe. Es erscheint richtig, ausschlie߬
lich für diese im Spätstadium als Ausdruck der Niereninsufficienz
auftretende Dyspnoe durch Hypokapnie die Bezeichnung „urä¬
mische Dyspnoe“ vorzubehalten.
Diesen Fällen hämatogener Dyspnoe stehen zahlreiche andere
gegenüber, bei denen hochgradige Überventilation mit starker Herab¬
setzung der Kohlensäurespannung besteht, obgleich die Kohlensäure¬
bindungskurve eukapnisch oder sogar byperkapnisch verläuft. Die
Blutreaktion dieser Fälle ist nach der alkalischen Seite verschobeu.
Die Überventilation dieser Fälle ist demnach im Gegensatz zu
der hämatogenen als zentrogene aufzufassen. Wahrscheinlich be¬
ruht sie auf Asphyxie des Atemzentrums durch lokale Kreislauf¬
störungen. Diese Form der Dyspnoe ist also keine eigentlich
urämische. Sie kann durch anatomisch nachweisbare Gefaßver-
änderungen, aber auch durch Gefäßspasmen hervorgerufen werden,
also durch dieselben Veränderungen, die zu transitorischer Amau¬
rose, transitorischer Hemiplegie und zu starkem Schwanken des
arteriellen Blutdrucks führen. Diese Form der Dyspnoe kann
schon im Frühstadium der Krankheit auftreten und wird zweck¬
mäßig als „cerebrales Asthma der Hypertoniker“ bezeichnet. Sie
hat Neigung, in den periodischen Atemtypus überzugehen.
Die Überventilation führt in diesen Fällen zentrogener Dyspnoe
der Nierenkranken nicht zu sekundärer Herabsetzung der Kohlen¬
säurebindungsfähigkeit des Blutes, wie es die Theorie von Hag-
gard und Henderson für die zentrogene Hyperventilation als
Gesetz formuliert.
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229
Tnberkulosestudien II.
Ein Tuberkulosediagnostikum.
Von
W. Fornet,
Saarbrücken.
Obwohl jetzt fast 40 Jahre seit der Entdeckung des Tuberkel-
bacillns und mehr als 30 Jahre seit der Bekanntgabe des Tuber¬
kulins durch Robert Koch vergangen sind, besitzen wir doch
auch heute noch kein allgemein anerkanntes Verfahren zur spezi¬
fischen Diagnose oder zur spezifischen Behandlung der Tuberkulose.
Wir haben es noch nicht gelernt, die spezifischen Eigenschaften
des Tuberkelbacillus für die Erkennung, Verhütung oder Behand¬
lung der Tuberkulose nutzbar zu machen. Fast könnte es scheinen,
als ob der Tuberkelbacillus eine Ausnahme von dem biologischen
Gesetz bildet, daß der in die inneren Gewebe eines höheren Or¬
ganismus eingedrungene Parasit die Körpersäfte seines Wirtes
nachweisbar umstimmt und als ob bei der Tuberkulose diejenigen
Zustandsänderungen ausbleiben, die wir bei anderen Infektions¬
krankheiten als Immunitätsvorgänge zu bezeichnen gewohnt sind.
Das Blutsernm tuberkulöser Personen besitzt nach unseren bis¬
herigen Kenntnissen keine besonderen charakteristischen Eigen¬
schaften, die dessen Unterscheidung von dem Serum nichttuber¬
kulöser Personen zuließen. Es gelingt auch bisher nicht, Tiere
durch Injektion von Tuberkelbazillen vor einer nachfolgenden In¬
fektion mit Tuberkelbazillen zu schützen und dem Serum derartig
behandelter Tiere fehlt bisher die Eigenschaft, andere Tiere vor
der Infektion mit Tuberkulose zu schützen oder gar von einer be¬
reits bestehenden Infektion zu heilen. Alles Immunitätserschei¬
nungen, die wir bei so vielen anderen Infektionskrankheiten tag¬
täglich beobachten können.
Und doch muß es auch bei der Tuberkulose eine Immunität
geben. Die bekannten Beobachtungen von Nägeli in Zürich, von
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Burkhardt in Dresden und von Necker in Wien sprechen dafür,
daß über 90°/ o aller Erwachsenen mit Tuberkulose infiziert sind.
Da aber nur die wenigsten von ihnen an Tuberkulose erkranken
und da von allen Menschen nur etwa 10 °/ 0 an Tuberkulose sterben,
muß bei den übrigen 80°/ 0 eine Tuberkuloseimmunität vorhanden
sein, die so stark ist, daß sie klinische Erkrankung und Tod trotz
voraufgegangener nachweisbarer Infektion mit Tuberkelbazillen
wirksam verhindert. Wer einmal die fast wunderbaren und voll¬
ständigen Heilungen von Tuberkulose und besonders von chirur¬
gischer Tuberkulose bei Rolli er in Leysin und anderwärts unter
dem Einfluß des Höhenklimas gesehen hat, der kann an der Mög¬
lichkeit, bei Tuberkulose willkürlich eine Immunität hervorzurufen,
nicht mehr zweifeln.
Wenn wir diese Immunität mit unseren bei anderen Infektions¬
krankheiten bewährten Methoden bisher nicht nachweisen noch
willkürlich hervorrufen können, so sollte man erst in letzter Linie
an die Möglichkeit denken, daß der Tuberkelbacillus tatsächlich
eine Ausnahme von den anerkannten biologischen Immunitäts¬
gesetzen bildet. Man sollte viel eher mit der Wahrscheinlichkeit
rechnen, daß wir bisher beim Tuberkelbacillus noch nicht gelernt
haben, die richtige Technik anzuwenden, um die auch für ihn
gültigen Immunitätsgesetze an ihm selbst demonstrieren zu können.
Die ersten Versuche in dieser Richtung liegen weit zurück. Im
Jahre 1898 teilte S. Arloing(l) mit, daß seine homogene Kultur
von Tuberkelbazillen durch das Serum tuberkulöser Menschen und
Tiere in spezifischer Weise agglutiniert würde, v. Behring u.
Romberg (2) suchten dieses Verfahren durch Einführung einer
„Testflüssigkeit“ zu verbessern, auf deren weitere Vervollkommnung
dann RobertKoch(3) viel Arbeit verwendet hat. Das Ergebnis
der Serumuntersuchungen mit diesen und anderen Agglutinations¬
flüssigkeiten war aber so unbefriedigend, daß Robert Koch sie
selbst zur Frühdiagnose der Tuberkulose als ungeeignet bezeichnet
hat. In der Tat ist denn auch die Agglutinationsprobe als Ver¬
fahren zur Erkennung und Beurteilung der Tuberkulose jetzt gänz¬
lich verlassen worden. In Übereinstimmung damit wird die Agglu¬
tination bei Tuberkulose als diagnostisches Hilfsmittel von zwei
auf diesem Gebiet so erfahrenen Autoren wie E. Löwenstein (4)
und A. Calmette(5) auch jetzt noch grundsätzlich abgelehnt.
Nachdem wir uns aber früher in gemeinschaftlichen Arbeiten
mit Porter (6) und Krencker(7) persönlich davon überzeugt
hatten, daß der schwankende Opsoningehalt des Serums Tuberku-
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Taoerkulosestudien II.
231
löser ein charakteristisches Unterscheidungsmerkmal gegenüber
nichttuberkulösem Serum darstellt, kamen wir auf die oben be¬
gründete Anschauung zurück, daß das bisherige Versagen der Ag¬
glutinationsprobe nicht in einer immunbiologischen Ausnahmestel¬
lung der Tuberkulose, sondern in der bisherigen Unvollständigkeit
unserer Technik begründet ist.
Bei dem Tuberkelbacillus findet sich allerdings die Immunitäts¬
technik vor eine ganz besondere Aufgabe gestellt. Im Gegensatz
zu den meisten anderen pathogenen Bakterien ist der Tuberkel¬
bacillus mit einer Fettwachshülle ausgestattet, der er drei be¬
sondere Eigenschaften verdankt, und die sämtlich auf die schwere
Durchlässigkeit dieser Fettwachshülle zurückzuführen sind: die
Fettwachshülle ist wasserunlöslich und unbenetzbar, es ist daher
unmöglich, mit Tuberkelbazillen ohne weiteres eine Emulsion her¬
zustellen. Die Emulgierbarkeit eines Bakteriums ist aber eine
Vorbedingung zur Gewinnung von brauchbaren Agglutinations¬
flüssigkeiten, welche durch das korrespondierende Immunserum spe¬
zifisch ausgefällt werden sollen.
Bisher sind bereits verschiedene Wege bekannt geworden, auf
denen es gelingt, den Tuberkelbacillus trotz seiner Fettwachshülle
zu einer Emulsion zu verarbeiten. Ferrän (8) erreichte dieses
Ziel durch Gewinnung seiner homogenen Kultur, ebenso Arloing.
Behring u. Romberg (2) suchten die Fettwachshülle der Tu¬
berkelbazillen durch Alkalien aufzuschließen, RobertKoch wandte
zu gleichem Zweck die mechanische Zerkleinerung an und Cal-
metteu. Guerin(9) konnten nachweisen, daß der Tuberkel¬
bacillus emulgierbar wird, wenn man ihn auf Glyzerin-Galle¬
kartoffeln züchtet oder ihn im Achatmörser mit etwas Rindergalle,
Eigelb oder Lecithin verreibt.
Durch die genannten Verfahren, deren Liste noch vervoll¬
ständigt werden könnte, wurde nun zwar die für die Herstellung
von Agglutinationsflüssigkeiten aus dem Tuberkelbacillus hinder¬
liche Eigenschaft, sein Mangel an Emulgierbarkeit, beseitigt, aber
seine beiden anderen ebenfalls der Fettwachshülle zuzuschreibenden
unerwünschten Eigenschaften blieben erhalten: auch nach der auf
die beschriebenen Arten erzielten Emulgierung blieb der Tuberkel¬
bacillus fast unbeeinflußbar durch die Agglutinine tuberkulösen Se¬
rums und blieb auch weiterhin unfähig, von den Körpersäften des infi¬
zierten Organismus angegriffen und zu wirksamem Antituberkulose¬
serum verarbeitet zu werden. Die homogenen Kulturen von
Arloing und Courmont wurden von tuberkulösem Serum hoch-
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232
Formet
stens in Verdünnungen bis zu 1:50 spezifisch agglntiniert nnd die
Injektion der nach den genannten Verfahren homogenisierten Tu¬
berkelbazillen war nicht imstande, bei Versuchstieren eine wirk¬
same Immunität auszulösen.
Versuche, über die in späteren Mitteilungen berichtet werden
soll, hatten uns nun zu der Überzeugung gebracht, daß die Fett¬
wachshülle des Tuberkelbazillus kein Artmerkmal, sondern nur die
Eigenschaft eines bestimmten Zustandes des Tuberkelbacillus ist.
Nach unseren Versuchen ist die Fett wachshülle für das Leben de»
Tuberkelbacillus entbehrlich und die „nackten Tuberkelbazillen“
besitzen tatsächlich alle antigenen und immunisatorischen Eigen¬
schaften, die wir bisher vergeblich nur bei seiner säurefesten Er¬
scheinungsform gesucht haben. Hier konnte man sie nicht finden,
weil der Fettwachspanzer des Tuberkelbacillus den Flüssigkeits¬
austausch zwischen seinem spezifischen Eiweiß und den ihn um¬
gebenden Körpersäften auf ein Minimum reduziert. Der Fettwachs¬
mantel des Tuberkelbacillus dient so der Erhaltung der Art, wie
schon angedeutet, auf doppelte Weise: indem er die Zerstörung de»
lebenswichtigen Teils des Tuberkelbacillus durch die natürlichen
Abwehrkräfte des Wirtsorganismus ungemein erschwert und indem
er den Übertritt von spezifisch antigenen Eiweißstoffen des Tu¬
berkelbacillus in den Wirtsorganismus nahezu unterbindet, wodurch
die Ausbildung von wirksamen Immunstoffen im Wirtskörper hintan¬
gehalten wird. Neben dem Vorteil, den die Fettwachshülle so
für den Tuberkelbacillus mit sich bringt, bedeutet sie aber gleich¬
zeitig für ihn auch einen Nachteil, indem sie sein Wachstum und
seine Vermehrung in außerordentlichem Maße verlangsamt. Da»
im Gegensatz zu der kurzen Generationsdauer der meisten Bak¬
terien stehende, außerordentlich langsame Wachstum des Tuberkel¬
bacillus ist ja allgemein bekannt und wurde bisher ebenfalls als für
ihn charakteristisch gehalten, tatsächlich ist es aber, ebenso wie
die Säurefestigkeit, nur eine Funktion seiner entbehrlichen Fett¬
wachshülle. Kaubt man diese dem Tuberkelbacillus, so wachsen
die Tuberkelbazillen genau so wie die meisten anderen Bakterien
in wenigen Stunden.
Nachdem wir einmal die akzessorische Natur der Fettwachs-
hiille erkannt hatten, lag der Gedanke nahe, den Tuberkelbacillus,
unter Schonung seines spezifischen Plasmas nach Möglichkeit von
ihr zu befreien und ihm so die drei durch den Fettwachsmantel
geraubten Eigenschaften wiederzugeben: die Emulgierbarkeit, die
Beeinflußbarkeit durch Immunserum und die Fähigkeit, zur Bildung
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Tuberkulosestudien II.
233
wirksamer Antikörper anzuregen. Hierzu mußten wir uns eines
Mittels bedienen, das einerseits die Fettwaclishiille energisch angriff,
andererseits aber das spezifische Eiweiß des Tuberkelbacillus möglichst
unberührt ließ. Alkalien, Säuren und mechanische Zertrümmerung
sind hierzu natürlich ungeeignet. Beide Forderungen werden aber
in nahezu idealer Weise durch dampfförmigen Äther erfüllt. Be¬
arbeitet man eine Aufschwemmung von Tuberkelbazillen mehrere
Stunden lang bei etwa 40° mit Ätherdampf, so wird ein erheb¬
licher Teil der Fettsubstanzen des Tuberkelbacillus gelöst und
bildet auf der Oberfläche der durch die Ätherdämpfe dauernd in
starker Wallung gehaltenen Aufschwemmung eine dicke Rahm¬
schicht. Nach Verjagen des Äthers bildet die zurückbleibende
Emulsion die Grundlage für eine brauchbare Agglutinationsflüssig¬
keit. Das so gewonnene „Tuberkulosediagnostikum“ (10; stellt eine
äußerst stabile, ziemlich dichte Emulsion von Tuberkelbazillen dar,
die infolge von Auflockerung ihres Fettwachsmantels einen Teil
ihrer Säurefestigkeit eingebüßt und dafür eine erhöhte Beeinflu߬
barkeit durch die spezifischen Immunstoife tuberkulösen Serums
ein getauscht haben. Die Ätherisierung der Tuberkulosekulturen
erfolgt in dem von uns früher veröffentlichten (11) Apparat.
Das beschriebene „Tuberkulosediagnostikum“ wird von dem
Serum Tuberkulöser spezifisch agglutiniert, und zwar in Serum¬
verdünnungen bis zu 1:500 und mehr. Es ist ohne weiteres ein¬
zusehen, daß eine Agglutinationsflüssigkeit mit einer derartigen
Aktionsbreite mehr Aussicht hat, die spezifischen Unterschiede
zwischen tuberkulösem und normalem Serum deutlich hervortreten
zu lassen, als etwa die homogene Tuberkulosekultur von Arloing-
Courmont, bei der Serum Verdünnungen von 1:50 bereits un¬
wirksam sind, einerlei ob sie von Tuberkulösen oder von Gesunden
herstammen.
Die Handhabung des „Tuberkulosediagnostikums“ ist denkbar
einfach und lehnt sich an die des Ficker’schen Diagnostikums
bei Typhus an. Die Beurteilung erfolgt makroskopisch.
Bisher wurden 132 Tuberkulöse und 44 Nichttuberkulöse mit
dem Diagnostikum untersucht. 1 ) Dabei ergab sich bei 93°/ 0 der
Tuberkulösen eine positive und bei 95 °/ 0 der Nicht-Tuberkulösen
eine negative Agglutination. Sollte sich dieses Ergebnis auch an
einem erheblich größeren Material bestätigen, so hätten wir in
1) Anmerkung bei der Korrektur: Inzwischen ist die Zahl der mit dein
Diagnostikum untersuchten Fälle auf ca. 1000 gestiegen.
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234
Forxbt
dem Diagnostikum ein wertvolles Hilfsmittel für die Diagnose der
Tuberkulose zu erblicken.
Über Einzelheiten der Tuberkuloseagglutination mittels des
Diagnostikums, über seine praktische Anwendung und seine klinische
Brauchbarkeit wird von anderer Seite berichtet werden. Bevor
die Grenzen der Leistungsfähigkeit des Tuberkulosediagnostikums
und die klinische Bewertung des mit ihm ermittelten Aggluti¬
nationstiters endgültig festgelegt werden können, werden noch
viele Tausende von Beobachtungen an Gesunden und Kranken an¬
gestellt und kritisch gesichtet werden müssen.
Besonders vorteilhaft würde dabei ein Vergleich mit der in
Deutschland leider noch wenig geübten, aber in Frankreich schon
an Zehntausenden von Fällen erprobten Komplementbindungs¬
methode nach Besredka(12) sein. Die Komplementbindungs¬
methode als solche ist ja schon vielfach Gegenstand der Unter¬
suchung bei Tuberkulose gewesen. Diagnostisch hat sie sich bis¬
her nicht als brauchbar erwiesen. Hierin kann aber kein ge¬
nügender Grund dafür erblickt werden, daß die Komplementbindungs¬
methode nach Besredka bei uns einfach mit Stillschweigen über¬
gangen wird, wiedas bisher der Fall gewesen ist. Denn Besredka : s
Verfahren weist gegenüber den bisher angewandten Methoden einen
prinzipiellen Unterschied auf.
Besredka verwendet für die Komplementbindungsmethode
ein besonderes Antigen, nämlich Tuberkelbazillen, die auf dem von
ihm und Jupille (13) angegebenen Eiernährboden gewachsen sind.
Erinnert man sich nun der schon oben erwähnten Beobachtung
Calmette’s, daß Tuberkelbazillen durch Zusatz von Eigelb und
Lezithin emulgierbar gemacht werden, dann versteht man warum
das Tuberkuloseantigen Besredka’s unter allen anderen bisher
für die Komplementbindung empfohlenen Tuberkuloseantigenen eine
besondere Stellung einnimmt und eine besondere Beachtung ver¬
dient. Die unter dem Einfluß des Eigelbs und Lezithins ein¬
setzende Emulgierbarkeit des Tuberkelbacillus ist nach unserer
weiter oben dargelegten Auffassung ein Zeichen für die Lockerung
der Fettwachslnille des Tuberkelbacillus. Diese Lockerung bringt
es nun mit sich, daß das daraus hergestellte Antigen dem Einfluß
der komplementbindenden Antikörper im tuberkulösen Serum viel
leichter zugänglich ist, als alle bisher für diesen Zweck her¬
gestellten und nur aus hochgradig säurefesten Tuberkelbazillen be¬
stehenden Antigene.
So erklären sich die guten diagnostischen Resultate, die wohl
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Tuberkulosestudien II.
?35
alle Beobachter bei der Komplementbindungsmethode nach Bes-
redka festgestellt haben. So erzielten beispielsweise Debains
und Jupille (14) damit unter 580 klinisch genau untersuchten
Personen eine positive Komplementbindung bei 90,6 % der Tuber¬
kulösen und eine negative bei 96,8% der Gesunden, während bei
Kranken ohne klinisch nachweisbare Tuberkulose die Reaktion in
17,3 °/ 0 der Fälle positiv ausfiel.
Ein Vergleich mit diesem so vielfach praktisch erprobten Ver¬
fahren der Komplementbindung nach Besredka wird uns am
ehesten einen brauchbaren Maßstab für die richtige Bewertung
des Tuberkulosediagnostikums liefern. Soviel scheint aber schon
jetzt festzustehen, daß eine positive Agglutination (1:60 und dar¬
über) für, eine negative gegen Tuberkulose spricht, daß der Agglu¬
tinationstiter mit der Schwere der Krankheit ansteigt, um erst vor
dem Exitus wieder zu fallen und endlich, daß sich die aktive
Tuberkulose von der inaktiven meist durch ein Schwanken des
Agglutinationstiters unterscheiden läßt.
Zum Schluß ist es mir eine angenehme Pflicht der Dankbar¬
keit, Herrn Dr. Christenseu für seine unermüdliche und wert¬
volle Mitarbeit, sowie allen denjenigen auch an dieser Stelle zu
danken, die uns durch ihre tatkräftige Hilfe und durch Überlassung
von Material bei unseren Untersuchungen in so freundlicher Weise
unterstützt haben.
Literatur.
1. Arloing, S., Compt. rend. des l’acad. de Sciences 9. Mai 1898 — 2. Hom¬
berg, Münch.med. Wocheuschr. 1902 (cit. nach E. Löwenstein). — 3.Koch, ß.,
Deutsche med. Wocheuschr. 1901. — 4. Löwenstein, E., Vorlesungen über
Tuberkulose, Gustav Fischer, Jena 1920. — ö. Calmette, A., La Tubercnlose,
Masson et Cie, Paris 1920. — 6. Fornet, W. u. Porter, A. E., Zentralbl. f.
Bakt. Abt. I. Orig. 51, 1909, S. 138. — 7. Fornet u. Krencker, Deutsches
Arch. f klin. Med. 97, 1909, 8. 282. — 8. Ferran, J., Compt. rend. de l’acad.
des scienc. 11. Okt. 1897. — 9. Calmette u. Gnerin, cit. nach Calmette
S. 365. — 10. Fornet, W., Zur Serodiagnostik der Tuberkulose. 33. Knngr.
f. inn. med. Wiesbaden 18.—21. April 1921. — 11. Fornet, W., Centralbl.f ßakt.
Abt. I., Orig. 87, 1921, H. 1. — 12. Besredka, A., Zeitschr. f. Immunitäts f. Orig.
21,1914, S. 77.— 13. Besredka u. Jupille, Ann. Inst. Pasteur 1913, S. 1069
u. 1914, S. 576. — 14. Debains u. Jupille, Ann. Inst. Pasteur, April 1915.
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236
Aus der inneren Abteilung des städt. Krankenhauses Augsburg-
(Prof. Fr. Port).
Über akute, diffase, interstitielle Myokarditis.
Von
Dr. A. Hafner.
(Mit 2 Abbildungen.)
Auf die Bedeutung der im Interstitium des Herzmuskels sich
abspielenden Entzündungsprozesse im Anschluß an Infektionskrank¬
heiten hat wohl als erster Hayem aufmerksam gemacht.
Später hat E. v. Romberg das Krankheitsbild der inter¬
stitiellen Myokarditis nach Diphtherie, Scharlach, Tj’phus abdomi¬
nalis vom klinischen und pathologisch-anatomischen Standpunkt
aus eingehend beleuchtet und zu einem abgerundeten Ganzen zu-
sammengefügt.
Eine Sonderstellung im Krankheitsbild der interstitiellen Myo¬
karditis sowohl durch das primäre und isolierte Erkranken des
Myokards, wie durch das kryptogenetische Auftreten der Infektion
(Förster) nehmen nun eine Reihe von Fällen ein, die von Rind¬
fleisch, Freund, Fiedler, Carpenter,Sellentin,Salty-
kow und Förster beschrieben sind. Fiedler, der 4 Krank¬
heitsfälle beobachtete, schlägt für die Erkrankung den Namen
„akute, interstitielle Myokarditis“ vor, während sie Sellentin mit
Rücksicht auf das isolierte Vorkommen im Myokard „isolierte, inter¬
stitielle Myokarditis“ benannte.
Die Krankheit wurde, soweit mir die Literatur bekannt ist,
einmal beim Kinde (Förste r), in den übrigen Fällen bei Erwachsenen
meist im 2. und 3. Jahrzehnt beobachtet.
Klinisch begann die Krankheit meist mit Schüttelfrost, Er¬
brechen, Dyspnoe. Schon nach wenigen Tagen fiel das Fieber ab,
es traten in einigen Fällen Krämpfe auf, deren Dauer nach
Fiedler 5—6 Sekunden betrugen. Erscheinungen von seiten des
Herzens traten oft ganz in den Hintergrund. Einige Autoren be-
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Über akute, diffuse, interstitielle Myokarditis.
237
richten über Schmerzen in der Gegend des Sternums. Wo Herz-
störnngen beobachtet wurden, bestand meist Arythmie, Pulsfrequenz
von 120—150, in einem Fall Fiedler’s auch Bradykardie (36).
Im allgemeinen erfolgte zwischen dem 6. und 10. Tage der
Exitus, in mehreren Fällen unmittelbar nach einem Krampfanfall.
Nor Steffen (zit. nach Förster) berichtet über einen Fall von
..akuter idiopathischer Myokarditis“ bei einem 40jährigen Herrn,
dessen Verlauf 5—6 Wochen betrug.
Die Diagnose konnte gewöhnlich erst bei der Autopsie ge¬
stellt werden. Ein klinisch ähnlicher Fall von mehrwöchiger Dauer
kam im vorigen Sommer am hiesigen Krankenhause zur Beob¬
achtang.
Es handelte sich um eine 26 jährige Köchin, die als Kind Diphtherie
durchgemacht hatte; sonst sei sie nie ernstlich krank gewesen. Im März
1920 habe sie wegen „Grippe“ 8 Tage lang das Bett hüten müssen.
Seit dieser Zeit sei sie herzleidend, sie habe häufig Herzklopfen, nach
geringer Anstrengung starke Atemnot. Seit kurzer Zeit auch Schwindel,
Flimmern vor den Augen, so daß sie während der Arbeit häufig ruhen
müsse.
Aufnahme am 7. Mai 1920.
Körperlicher Befund: 26 Jahre altes Mädchen in mittlerem Er¬
nährungszustand. Deutliche Cyanose im Gesicht und an den Extremi¬
täten. Nirgends Ödeme. Atmung frequent, oberflächlich. Ängstlich.
Lunge: o. B. Herz: Relative Grenze rechter Sternalrand, oberer
Rand der 3. Rippe, Mammillarlinie. Töne laut, kein Geräusch hörbar.
Die Aktion ist bei der Aufnahme sehr beschleunigt, nicht zählbar. Puls
klein, unregelmäßig und ungleichmäßig. Abdomen o. B. Temperatur
38,3 axillar. Nach einigen Stunden betrug die Pulsfrequenz 134 Schläge
i. d. M.
Auf Digitalis bei absoluter Bettruhe rasche Besserung. Schwinden
der Cyanose tags darauf; am 8. Mai hatte Patientin frühmorgens einen
schweren, krampfähnlichen Anfall von Dyspnoe von kurzer Dauer. Sie
sei dabei bewußilos gewesen, habe um sich geschlagen, auf Anrede nicht
reagiert; am 9. Mai wiederum Anfall von hochgradiger Atemnot mit
Cyanose. Pulsfrequenz 140, Puls kaum fühlbar. Nachts Auftreten von
Singultus, wiederholtes Erbrechen von gallig gefärbter, wässeriger Flüssig¬
keit. Digalen. Am 11. Mai 1920 betrug die Pulsfrequenz 92 bei
besserem Allgemeinbefinden. Herz: Spitzenstoß im 5. ICR. außerhalb
der Mammillarlinie. Aktion sehr unregelmäßig. Extrasystolen. Pulsus
inaequalis et irregularis. Blutdruck 95 RR.
Am 16. Mai. Ständig normale Temperatur. Pulsfrequenz ständig
zwischen 90 und 100. Herzaktion und Puls unverändert. Strophantin.
Am 26. Mai. Herzaktion regelmäßig. Keine Extrasystolen mehr.
Spitzenstoß unverändert. Temperatur dauernd zwischen 36,5 und 37,5
(axillar).
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238
Hafner
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Am 2. Juni. Wassermann’sehe Reaktion im Blut negativ. —
Röntgenbefand: Leichte Verbreiterang des Herzschattens nach rechts and
links. Mittleres Lungenfeld rinnenförmig eingeengt. Stauungslange.
Am 11. Juni klagt die Kranke wieder neuerdings über Stechen in
der Herzgegend. Untersuchungsbefund: Grenzen unverändert. Aktion
regelmäßig. Keine Extrasystolen, kein Geräusch. Pulsfrequenz 92—96
Schläge in der Minute.
Am 12. Juni vormittags neuerdings Anfall von Dyspnoe mit hoch¬
gradiger Pulsfrequenz. Exitus letalis.
Sektionsbefund: Mittelgroße, weibliche Leiche, kräftiger Körperbau,
mittelmäßige Muskulatur, ebensolches Fettpolster. Starke Cyanose der
Haut und der Schleimhäute auch an den nicht abhängigen Körperteilen.
Keine Narben am Körper wahrnehmbar.
Gehirnsektion wurde nicht vorgenommen. Brustkorb gut gewölbt,
in den Pleurahöhlen keine Flüssigkeit. Beide Lungen etwas gebläht,
den Herzbeutel nicht erheblich überlagernd. Lungen überall luithaltig.
Hilusdrüsen nicht erheblich vergrößert, auf der Schnittfläche schwarz.
Im Herzbeutel etwa 30 ccm klare, gelbe Flüssigkeit. Viszerales
und parietales Blatt des Perikards überall glatt, spiegelnd.
Das Herz selbst ist größer als die Faust der Leiche, in den Herz¬
höhlen reichlich Cruor- und Speckgerinnsel. Mäßige Dilatation des
rechten Vorhofs. Subepikardiales Fett über dem linken Ventrikel gering,
über dem rechten Ventrikel und besonders dem rechten Vorhof reich¬
licher entwickelt. Mitralklappen an den Ansatzstellen der Sehnenfäden
verdickt und milchig getrübt, von derber Konsistenz, schlußtäbig. Die
übrigen Klappen sind zart und schlußfähig. Endokard des linken Ven¬
trikels trübe, teilweise verdickt. Vereinzelt sieht man bis stecknadel¬
kopfgroße, gelblich-weiße Knötchen durchschimmern. Linker Vorhof
nicht erweitert. Herzohren frei von Thromben. Myokard des linken
Ventrikels l 1 /^ cm dick. Papillarmuskel und Trabekel hypertrophisch,
auf der Schnittfläche von grau-weißer Farbe und derber Konsistenz.
Myokard des rechten Ventrikels 1 / 2 cm dick, erscheint auf verschiedenen
Schnitten nicht verändert; dagegen zeigt der Muskel des linken Ven¬
trikels von der Atrioventrikulargrenze beginnend bis zur Herzspitze an
Intensität abnehmend eine graugelbe, zusammenhängende Zone mit zahl¬
reichen hanfkorn- bis stecknadelkopfgroßen hellen, runden Herden, die bis ins
Endokard hineinreichen. Der umgebende Muskel ist von guter Konsi¬
stenz, vielleicht etwas braun. Vorhofseptum nicht verändert, im Kammer¬
septum einige auf dem Durchschnitt grau weiße Herde. Die Leber ist
groß, von deutlicher Zeichnung, dunkelbraunroter Farbe. Milz ebenfalls
groß, derb, 17:9:4 cm, von fester Konsistenz. Beide Nieren groß,
dunkelblaurot, prall, von deutlicher Zeichnung.
Die übrigen Organe bilden keinen besonderen Befund.
Mikroskopische Untersuchung: Es wurde eine Anzahl von Schnitten
aus der Muskulatur des linken Ventrikels und des Kammerseptums teils
hier im Krankenhaus, teils am patholog. Institut in München untersucht.
Herrn Prof. Schmincke sei für die Liebenswürdigkeit, die Unter¬
suchungen zu übernehmen, auch an dieser Stelle nochmals gedankt. Die
Präparate wurden nach Mitteilung von Herrn Prof. Schmincke nach
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Über akute, diffuse, interstitielle Myokarditis.
239
van Gieson, Giemsa, Ünna-Pappenheim, Bielschowsky
und mit Hämatoxylin gefärbt, nachdem schon am hiesigen Krankenhaus
eine Reihe von Schnitten auf Tuberkelbazillen und Spirochaeta pallida
gefärbt und untersucht waren.
Es fanden sich in allen zur Untersuchung gekommenen Schnitten
zellig entzündliche Infiltrate. Diese waren vorwiegend einkernige Rund¬
zellen vom Charakter kleiner und mittelgroßer Lymphocyten. Ferner
fanden sich ziemlich häufig rad-kernige Plasmazellen, polymorphkernige
Leukocyten und unter diesen wieder zahlreiche eosinophile. Die Infil¬
trate fanden sich perivaskulär, gingen über in kleinere Herde, in denen
auch eine Wucherung von Bindegewebszellen vorhanden war an einzelnen
Stellen so, daß direkt Granulationsgewebsknötchen zur Ausbildung ge¬
kommen waren. Die Knötchen führten über zu größeren Einlagerungen
im Muskelgewebe, die zentrale Nekrose zeigten. Um diese Nekroseherde
herum fand sich Grannlationsgewebe und darin zahlreiche, vielkernige
Riesenzellen. An den Übergängen einiger dieser Riesenzellen in Muskel¬
fasern, an der an einigen Riesenzellen noch zu beobachtenden Längs¬
und Querstreifung ließ sich unschwer deren myogene Natur nachweisen.
In den nekrotischen Herden fanden sich reichlich Reste zerfallener Kerne
in Form von Kernschutt, Bakterien waren in den nekrotischen Bezirken
nicht nachweisbar. Histologische Diagnose: Akute, diffuse, interstitielle
Myokarditis. (Siehe die beigefügten Mikrophotogramme.) Diese histolo¬
gischen Verhältnisse fanden sich in der Muskulatur des linken Ven¬
trikels, in den Papillarmuskeln und Trabekeln des linken und rechten
Ventrikels und im Kammerseptum. Die rechte Herzwand, beide Vorhöfe
und die Herzohren waren frei oder nur ganz geringfügig zellig infiltriert.
Abb. 1.
Abb. 2.
An den Muskelfasern selbst fand sich fettige Degeneration nur ganz
vereinzelt. Wo der Muskel entaitete, kam es zu einem Schwund der
Längs- und Querstreifung, der Muskel wurde strukturlos, trüb, war ge¬
quollen. An manchen Stellen fand sich auch eine Vergrößerung der
Muskelkerne mit intensiverer Färbbarkeit.
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240
Hafner
Die in der Literatur beschriebenen Fälle weisen analoge Ver¬
hältnisse auf. Makroskopisch war das Herz meist vergrößert, in
einzelnen Fällen fand sich auch Dilatation der Ventrikel. Perikard,
Endokard und Klappen waren stets frei. Die Herzwand war stets
schlaff, weich, brüchig, die Farbe des Muskels blaß, grau, gelblich,
gelblich-weiß, sein Aussehen fleckig. Vereinzelt fanden sich auch
prominierende, stecknadelkopfgroße Herde (Saltykow). Fiedler
berichtet über Ekchymosen in der Muskulatur und im Perikard.
Mikroskopisch waren die Muskelfasern stets durch Zellanhäu¬
fungen auseinander gedrängt, oft so, daß sich ganze Herde bildeten,
während an anderen Stellen die Zellinfiltration weniger stark in
den Vordergrund trat. Doch fand sich bei genauer Durchsicht der
mikroskopischen Präparate stets das gesamte interstitielle Gewebe
infiltriert. Die Zellformen werden verschieden beschrieben. Meist
fanden sich polymorphkernige Leukocyten, Lymphocyten, vereinzelt
eosinophile Leukocyten, Plasmazellen und Fibroblasten mit Wuche¬
rung der Bindegewebszellen.
An den Gefäßen selbst fanden sich gewöhnlich keine krank¬
haften Veränderungen, nur Saltykow beobachtete Thromben¬
bildung in und um die Nekroseherde herum, weshalb er auch den
Schluß zieht, daß die schädigende Noxe auf dem Blutwege ins
Herzfleisch gelange.
Die Veränderungen an den Muskelfasern werden verschieden
beschrieben. Es fanden sich Zerklüftung, Verlust der Querstreifung,
Kernschwund, Zerfall in hyaline Schollen einerseits, andererseits
wieder Vermehrung und Vergrößerung der Kerne.
Doch sind diese Veränderungen an den Muskelfasern von allen
Autoren übereinstimmend als sekundäre Prozesse aufgefaßt worden,
es springen doch nach Sellentin „die Wucherungs- und Infiltrats¬
prozesse zu sehr in die Augen“.
Um kurz auf die Histogenese einzugehen, sind es vor allem
die Riesenzellen, die das Interesse fesseln. Fiedler und Salty¬
kow haben in 3 Fällen deren Vorkommen beschrieben. Da die
Zellen sich teils direkt als Fortsetzung der Muskelfasern, teilweise
frei im nekrotischen Gewebe fanden, zweifeln die Autoren nicht an
ihrer myogenen Herkunft. Bei spezifischer Myokarditis wurden sie
häufiger beobachtet. Busse, Thorei, Baumgartner, Berb-
linger haben bei spezifischer Myokarditis deren myogene Ent¬
stehung durch verschiedene Färbemethoden nachweisen können,
während Binder bei kongenital syphilit. Hepatitis und Oppen¬
heimer bei Leberlues die Riesenzellen aus Parenchymzellen ableiten.
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Über akute, diffuse, interstitielle Myokarditis.
241
Aach ein Teil des Granulationsgewebes ist nach Untersuchungen
von Oppel’s, Busse’s, von Huellen’s und Baumgartner’s
myogener Herkunft.
Das Auftreten eosinophiler Leukocyten in interstitiellen Zell*
ansamtnlungen sind von Asch off und Kaufmann besonders am
Diphtherieherzen beschrieben. Ihr gehäuftes Auftreten führte zur
Aufstellung eines gesonderten Krankheitsbildes, der eosinophilen
Myokarditis. Lieb mann hat dieses Krankheitsbild weiterhin
dahin präzisiert, daß er nur bei ausgesprochen herdförmiger Ver¬
teilung von eosinophiler Myokarditis spricht. Tanaka hat später
eosinophile Zellen vor allem in den Herzen solcher Diphtherie¬
kranker gefunden, die der Infektion erst spät erlegen waren und
will daher in ihrem Auftreten ein Symptom subakut verlaufener
Infektion sehen. Wulff ins bringt das Auftreten eosinophiler
Zellen mit Tuberkulose in Verbindung. Saltykow glaubt, daß
es sich bei der akuten Myokarditis gewöhnlich nur um eine dichte
Durchsetzung des Protoplasmas neutrophiler Leukocyten mit pseudo-
eosinophiler Granula handelt, die aus Zerfallsprodukten roter Blut¬
körperchen sich bilde.
Alle Versuche der Autoren, die Ätiologie der Erkrankung zu
klären, sind ergebnislos verlaufen. Rindfleisch konnte zwar
aus dem Muskel Kulturen von Staphylococcus pyogenes citreus
züchten, doch glaubte Fiedler an eine Verunreinigung. Er stützt
seine Ansicht dabei auf das Mißverhältnis zwischen dem klinischen
Verlauf der Krankheit und dem bakteriologischen Befund.
Da die Erkrankung im Anschluß an Gelenkrheumatismus
(Freund), Karbunkel und Fluor albus (Sellentin), Ulcus cruris
(Fiedler), operierte Lymphdrüsen und Verbrennung (Saltykow)
aufgetreten ist, dürfte deren infektiöser Ursprung wohl sicher sein.
Auch in unserem Fall ist sie im Anschluß an eine fieberhafte Er¬
krankung, die die Patientin mit Grippe bezeichnete, aufgetreten.
Sellentin dachte an einen bisher noch nicht bekannten Mikro¬
organismus, doch ist die Annahme einer rein toxischen Wirkung
viel wahrscheinlicher, zumal auch das häufige bzw. regelmäßige
Fehlen von Bakterien bei interstitieller Myokarditis nach Diphtherie,
Typhus, Tuberkulose, Erysipel, Gonorrhoe und Lues für die toxi¬
sche Natur der Erkrankung im Anschluß an diese Krankheiten
spricht.
Deutsches Archiv für klin. Medizin. 138. Bd.
16
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242 Havkbb, Über akute, diffuse, interstitielle Myokarditis.
Literatur.
1. Fiedler, Über akute, interstitielle Myokarditis. Festschrift rar Feier
des 60 jährigen Bestehens des Krankenhauses Dresden 1899, II, 3. — 8. Rind¬
fleisch, Ein Fall von akuter, diffuser Myokarditis. Inang.-Diss. Königsberg
1898. — 3. Freund, Zur Kenntnis der akuten, diffusen Myokarditis. Berliner
klin. Wochenschr. 1898, Nr. 49, 60. — 4. Sellentin, Akute, isolierte, inter¬
stitielle Myokarditis. Zeitschr. f. klin. Med. Bd. 64, 298. — 6. Saltykow, Über
diffuse Myokarditis. Virchow’s Arch. 182. — 6. Förster, Über Myokarditis usw.
Deutcbes Arch. f. klin. Med. Bd. 86. — 7. Steffen, Zur akuten Myokarditis
Jahrb. f. Kinderbeilk.' N. F. 27. Bd. — 8. Aschoff, Zur Myokarditisfrage. Ver¬
band!. der pathoL Ges. 1904. — 9. Anitschkow, Experiment. Untersuchungen
über die Neubildung von Granulationsgewebe im Herzmuskel. Beiträge cur pathoL
Anatomie 1913, 66. — 10. Busse, Uber die Beteiligung der quergestr. Muskel¬
fasern an der Myocarditis interstitialis. Deutsche med. Wochenschr. Ver.-Beilage
1902. — 11. Baumgartner, Spezifische, interstitielle Myokarditis. Frankfurter
Zeitschr. 1 Pathologie Bd. 18. — 12. Tanaka, Virchow’s Arch. 207. —13. Hüb¬
ner, Deutsches Arch. f. klin. Med. 104.
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243
Aus der EL med. Univ.-Klinik (Hofrat Ortner) inWien.
Über den Katalasegehalt des Blntes nnd seine differential-
diagnostische Bedeutung.
Von
Dr. E. Segall und M. Händel.
Auf Anregung des Herrn Assistenten Dr. A. Lug er der
hiesigen Klinik führten wir nach einer Arbeit von vanThienen(l)
über den Katalasegehalt des Blutes und seine differentialdiagno¬
stische Verwertbarkeit bei Anämien Katalasebestimmungen durch.
VanThienen stellt den Begriff des Katalaseindex von neuem
auf, d. L das Verhältnis der von ihm modifizierten Y o 11 e s 'sehen
Katalasezahl zu der Millionenzahl der roten Blutkörperchen pro emm
und faßt seine abnorme Erhöhung als eigenes Symptom der perni¬
ziösen Anämie auf.
Wir arbeiteten im wesentlichen nach der von vanThienen modi¬
fizierten Permanganatmethode, die weiter unten genauer beschrieben
wird. Um vom wechselnden Einfluß des Lichtes und der Temperatur
möglichst unabhängig zu sein, ließen wir die Reaktion im Brut¬
schrank bei 37° vor sich gehen. Wir verwendeten Kölbchen aus
Jenaer Normalglas, da wir uns überzeugt hatten, daß die Glas¬
qualität einen beträchtlichen Einfluß auf die Bestimmung ausübt.
Wir entnahmen aus der gereinigten Fingerbeere mittels einer
Kapillarpipette 50 emm Blut und übertrugen es in ein vorher mit
50 ccm physiologischer Kochsalzlösung gefülltes Kölbchen. Von
dieser gut aufgeschüttelten 1 °/ 00 Blutmischung wurden 10 ccm heraus¬
genommen und mit genau 30 ccm einer ungefähr 1% Wasserstoff¬
superoxydlösung 2 Stunden im Brutschrank stehen gelassen. Hier¬
auf wurden & ccm herausgenommen und nach Zusatz von einigen
Tropfen einer 50 °/ 0 Schwefelsäure mit einer Permanganatlösung
titriert, die möglichst genau 3,7195 g KMn0 4 pro Liter enthielt
(1 ccm dieser KMn0 4 -Lösung entspricht 2 mg fl 8 0,). Die Berech-
16 *
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244
Sbgall u. Händel
nung wollen wir an einem Beispiel erläutern. Wir stellten ans
zunächst durch Verdünnen eine etwa 1% Wasserstoffsuperoxyd¬
lösung her und bestimmten ihren Gehalt, indem wir 5 ccm mit
KMn0 4 -Lösung titrierten, dabei verbrauchten wir, sagen wir,
26,45 ccm. 30 ccm der H a O a -Lösung entsprechen also 158,7 ccm
KMn0 4 -Lösung. Ebenso stellten wir fest, wieviel von den 30 ccm
HjOj-Lösung nach 2 Stunden unzersetzt geblieben waren, indem
wir 5 ccm in der oben beschriebenen Weise titrierten. Da diese
5 ccm den- 8. Teil der im Kölbchen enthaltenen Menge (30 ccm
H^Oj-Lösung+lO ccm Blutlösung) darstellen, mußten wir die Zahl
der verbrauchten ccm KMn0 4 -Lösung mit 8 multiplizieren, um die
nach 2 Stunden noch vorhandene H a O a -Menge zu erfahren. Wenn
wir also im genannten Beispiel nach 2 Stunden zum Oxydieren
der 5 ccm 9,4 ccm der KMn0 4 -Lösung verwendeten, so wären zum
Titrieren der ganzen, unzersetzt gebliebenen H s O,-Menge 75,2 ccm
KMn0 4 -Lösung notwendig gewesen (8 mal 9,4). Die Differenz aus
der der ursprünglich vorhandenen H 2 0 2 -Menge entsprechenden Zahl
verbrauchter ccm KMn0 4 -Lösung (in unserem Beispiel 158,7) und
der der unzersetzt gebliebenen Menge (in unserem Falle 75,2) er¬
gibt die der unzersetzten Menge von entsprechende Zahl von
ccm KMn0 4 -Lösung, in unserem Falle also 83,5 (d. i. 158,7 weniger
75,2). Diese Zahl mit 2 multipliziert (da 1 ccm meiner KMn0 4 -
Lösung 2 mg H,O a entspricht) und durch 10 dividiert (da wir
10 ccm Blutlösung verwendeten) ergibt direkt die KatalasezahL
'Diese durch die Millionenzahl der roten Blutkörperchen pro ccm
dividiert, in unserem Falle durch 4840000, ergibt den Katalase¬
index, in unserem Falle also 3,4 (d. i. 16,7 dnrch 4,84).
Die Fähigkeit des Blutes, H 3 O a -Lösungen unter Bildung von
freiem Sauerstoff zu zersetzen, ist im wesentlichen an die Erythro-
cyten gebunden, es haben aber auch mehrere der in Blntplasma
gelösten Stoffe eine hemmende bzw. fördernde Wirkung auf die
H a O a -Zersetzung. Harnstoff (2) hemmt die Zersetzung des Wasser¬
stoffsuperoxyds schon in einer Konzentration von 0,04 °/ 00 . Der
Reststickstoffgehalt, der im wesentlichen von Harnstoff geliefert
wird, hat im Serum eine Konzentration von ca. 0,3°/o 0 , die bei
perniziösen Anämien bis auf 1,7 °/oo erhöht sein kann. (3) Fibrin oder
ein Gewebsfetzen, der im Blute schwimmt (und der bei der tiefen
Wunde, die gerade bei schwer Anämischen nötig ist, um Blut für
die Erythrocytenzählung und die Katalasebestimmang zu bekommen,
nicht sicher zu vermeiden ist) hat stark fördernde Wirkung.
Schwach fordernde Wirkung haben Cl-Ionen.(4) Die anderen Blut-
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Über den Katalasegehalt des Blotes nsw.
245
bestandteile haben für unsere Frage weniger Interesse. Auch die
Zeit, die vom Austritt des Blutes aus der Wunde bis zur Ent¬
nahme, sowie die Zeit, die vom Ansetzen der Blutmischung bis
zum Zusetzen der H t O a -Lösung verstreicht, hat einen Einfluß auf
die Größe der Katalasezahl.
Die in weiteü Grenzen wechselnde Konzentration der ver¬
schiedenen Blutbestandteile läßt von vornherein konstante Be¬
ziehungen zwischen Katalasewirkung und der Zahl der morpho¬
logischen Bestandteile des Blutes nicht erwarten.
In Übereinstimmung mit den vorstehenden Überlegungen wird
z. B. bei einer Nephritis mit Erhöhung des Reststickstoffgehaltes
eine kleine Katalasezahl und ein kleiner Katalaseindex zu erwarten
sein, bei Anämien müssen wir eine Verminderung der Katalase¬
wirkung entsprechend der Erythrocytenabnahme und eine (schein¬
bar) vermehrte Katalasewirkung entsprechend dem oft erhöhten
Reststickstoffgehalt erwarten. Im Gegensätze zu Ville und
Moitessier(ö) u. a., welche dem Serum an sich H s O a zersetzende
Kraft zuschreiben, konnten wir eine solche in ganz frischem Serum
nicht finden, wohl aber in einige Zeit gestandenem. Wir kommen
zu dem Schluß, daß außer der Hyperfunktion des einzelnen Blut¬
körperchens bei perniziösen Anämien im Sinne von Ehrlich und
Nägeli auch noch andere Momente bei der H 9 O s -Zersetzung durch
Blut in Betracht zu ziehen sind. Wir lassen eine Tabelle folgen,
in der Katalasezahlen von Gesunden und Kranken enthalten sind.
Tabelle.
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246
Sbqall u. Handbl
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Erythro-
Katalase-
Kntilsnr
cyten
sahl
indes
C. Affektionen ohne Animie.
a) Minner.
R. E., Nephritis, Mesaortit Inet Ascites
T., Apicit., Cirrh. hep. Sigmoidit. Tbc.
intest?
H. B., Ulc. Dnod. Cholecystitis
I. R., Colit. ehr.
E., Ulcus parapvl., Pylorusstenose
T., Arterioekl. Schrumpfniere
N., Insuff. valv. mitr.
P., Ulc. iuxtapvl.
V. L., Myocard. acuta
P., Insaff. valy., aort Atheroma, aort.
Struma
E. , Tbc. pulm. Ostit fibr.
B., Myocard. chron. Cirrh. hep. mixta.
D. , Lues cerebrospin.
S. , Ulc. ventr.
K. D., Ulc. duod.
L E., Mitralinsufflcienz, Atheroma aort.
6. S., Tumor der rechten Bauchgegend
I. K., Ulc. ventr.
F. , Eemipleg. rud. dextra, encephalo-
malacia cerebr. arterioscl., Atheroma
aort., ArterioscL, art. peripher, prae-
cipue, art ren.
P., Cholecyst. Sepsis, Pneumonie, Tumor
lien. e malaria trop.
F. E., Pleurit. exsud.
A. S., Ulc. ventr., Cystopyel., Apicit.,
Bronchiektasie
E. , Ulc. ventr.
P. D., Diabetes mell.
Dr. P. L., Oonit. Tuberculosa
3840000
4940000
5008000
4510000
5380000
5830000
4600000
4420000
5300000
4 400000
5830000
5312009
4800000
4550000
5255000
5340000
6380000
12,8
12,0
12.3
12.4
28,6
10,6
16,1
9.2
13,6
4.3
12.7
10,4
7,81
14,9
14.6
14
10,2
11.8
12.6
6,8
10,2
10,8
17,8
10.4
16.5
3,7
2,6
6.7
2.3
2.8
1,6
0,9
3,1
2.7
3.1
1.8
2.2
2,6
1,5
1,9
1,9
2
b) Frauen.
M. R., Peritonit. adhaes. ehr. Stenosis
intest t
S., Cirrh. hep. Addison?
6560000
4000000
12.7
11.8
1,8
2,9
D. Carcinome mit Anämie
(Männer).
S., Ca. ventr.
D., Ca. ventr. subphren. Abscefi
J. R, Lungenca.
K. W., Ca.i prostat., perniciosaähnliches
Blutbild
3730000
3070000
3800000
2850000
18,7
8,6
14
5,1
5
2,8
3.7
1.8
E. Anämien,
a) Minner
G., Ulc. ventr., postoperat Pneumon.,
Anämie
C., Lues hep., Ict.
2680000
2860000
16,7
6,8
4,9
2
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Über den Katalasegehalt des Blutes usw.
247
Erythro-
Katalase-
Katalase-
cyten
zahl
index
V. F.. Cystorniere (Rest-N 100 mg pro
100 ccm)
3830000
7,8
2
b) Frauen.
M. Z., Chlorose
2160000
13,1
6,2
F. Leukämien.
a) Männer.
A., Lene, lymph. Anämie, lymph. leuc.
mediast. Intumesc., lymphogland.
univ. Pleurit., Tumor nep. et lien.
2001000
10,4
3,3
b) Frauen.
A. A., MyeL Leucämie
3600000
3,4
0,9
F. Perniciöse Anämien.
a) Männer.
J. P., Anaem. pernic.
1600000
8,2
6,1
1820000
4,2
2,7
b) Frauen.
A. W., Anaem. pernic.
1446 000
3,3
2,3
A. W., Mach Milzexstirpation
1846000
4,3
2,4
Ch. St., Anaem. pernic.
662000
2,8
4,4
L. St., „ „
4226000
16
3,6
G., . „ Befund durch
1610000
5,1
3,2
Obduktion bestätigt
Zusammenfassung.
Wir finden bei Gesunden wohl entsprechend den bekannten
Ernährungsverhältnissen in Österreich und unserer etwas abge¬
änderten Methodik kleinere Katalasezahlen als van Thienen.
Die Katalasewerte bei Frauen sind nach unseren allerdings nicht
sehr ausgedehnten Untersuchungen kleiner als bei Männern. Bei
verschiedenen Krankheiten, besonders solchen, die mit Kachexie
einhergehen, finden wir eine auffällige Verminderung der Kata¬
lasezahl.
Bei Anämien finden wir die Katalasezahlen, auch wo keine
wesentliche Kachexie besteht stark vermindert, besonders bei
perniziösen Anämien.
Was den Katalaseindex nach van Thienen betrifft, so ist
derselbe bei perniziösen Anämien wohl manchmal, aber nicht immer
abnorm erhöht Dagegen findet sich abnorme Erhöhung des Kata¬
laseindex bei Anämien von sicher nicht perniziösem Charakter.
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248 Seoall u. Händel, Über den Katalasegehalt des Blotes uaw.
Wir können also die abnorme Erhöhung des Katalaseindex nicht
als ein konstantes, eigenes Symptom der perniziösen Anämie
auffassen.
Literatur. ij
1. van Thienen, Über die perniziöse Anämie als eine selbständige Krank¬
heit. Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 131, 3. Heft, 1920. — 2. Hof mann, Ei-
perimentalchemie. — 3. Strauß in Noorden’s Handbuch I, 1906. — v. Jaksch
in t. Leyden’s Festschr. Berlin 1902. — 4. Dämmer, Handbuch der anorg.
Chemie. — 5. Soc. Biol. 65, 1126.
]
l
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249
Besprechungen.
1.
H. Braus, Anatomie des Menschen. 1. Teil. Bewegungsapparat.
J. Springer, Berlin, 1921. Preis 96,— M. geb.
Viele von uns Ärzten werden den Bau des menschlichen Körpers
so gelernt haben, wie er sich zusammensetzt aus den einzelnen Geweben,
Organen und Organsystemen. Da das Studium am Toten getrieben wird,
so beruhte für uns auch die Anatomie des Lebenden wesentlich auf der
ZoBammenordnung der toten Teile. Z. B. die Funktion der Glieder-
mnskeln wird abgeleitet aus den Möglichkeiten der Knochenbewegungen
gegeneinander und den Ansatzstellen der Muskeln, die die Sichtung
des Muskelzugs angeben. Sie gewinnt dadurch leicht etwas Lebloses,
Unnatürliches, in Wahrheit „Konstruiertes“. M. E. haben wir deswegen
auch so große Schwierigkeiten ein sicheres Urteil über die Faktoren
zu gewinnen, die Knochen, Muskeln, Gelenke beeinflussend Art und Um¬
fang einer Bewegung zustande kommen lassen. H. Braus behandelt
im ersten Bande seiner Anatomie die Bewegungsapparate und baut dabei
die Strnktur jedes einzelnen funktionell wichtigen Körperabschnitts aus
leinen, für den Arzt natürlich untrennbar zusammengehörigen Teilen:
Knochen, Gelenken, Sehnen, Muskeln, Haut auf. Obwohl ich das Glück
hatte Anatomie und Physiologie von Männern zu hören, die noch beide
Wissenschaften gleichzeitig getrieben hatten, von Ludwig, His und
Braune, ist mir doch durch die Braus’sche Form der Darstellung
die Anatomie lebendig geworden — allerdings auch ungleich kompli¬
zierter als wir so leicht denken. Aber das hilft nichts. Denn uns
Arsten nützen nicht Schemata, wie es in der Natur sein könnte; wir
müssen wissen wie es ist.
Nach einer allgemein-entwicklungsgeschichtlichen und allgemein-
anatomischen Einleitung werden die Bewegungsapparate der dorsalen und
ventrolateralen Bumpfwand, der oberen und unteren Extremitäten sowie
des Kopfs dargestellt. Systematisch und topographisch sind für jede
Begion die einzelnen Bestandteile geschildert. Das für den Arzt so
wichtige Problem: wie kommt unter verschiedenen Bedingungen die
Stellung des Körpers und seiner einzelnen Teile zustande, wie entstehen
die einzelnen Bewegungen, wird ausführlich und höchst lehrreich erörtert.
Gerade dadurch lernen wir so viel, daß Braus topographisch gewisser¬
maßen die ganze Gegend anfzeigt, an der sich ein Bewegungsvorgang
abspielt. Denn der Arzt hat eben nicht Knochen mit Muskelansätzen
und Muskelrichtungen vor sich, sondern den ganzen Körper. Gewiß geht
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250
Besprechungen.
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such Braus zunächst noch von den einzelnen Teilen aus z. B. für eine
Bewegung von den Muskeln, Gelenken, Bändern. Das ist als Grundlage
unbedingt notwendig. Aber er bereitet überall schon die physiologische
Anatomie der Zukunft vor, die alles bei einer Bewegung Beteiligte zusammen-
fassen wird. Jede Bewegung ist gegeben durch die Gesamtheit der Verhält¬
nisse. Welche ungemein wichtige Bolle für diese Aufgabe z. B. gerade die
duroh Bänder und Muskeln gegebenen Spannungen und Hemmungen spielen
und vor allem: wie verschiedene Muskeln und Muskelgruppen sich für
einen Plan zusammen ordnen, sehen wir hier, soweit das bis jetzt möglich ist»
dargestellt. Wenn es noch nicht angängig ist, werden die Grundlagen
für die Aufgabe geschaffen. Wir innervieren ja nicht willkürlich Muskeln,
sondern wir wollen eine Aufgabe erfüllen und hierfür machen wir, ohne
zu wissen wie, eine Bewegung. Jede, auch die scheinbar einfachste, ist
verwickelt und erfordert ebenso Innervationen wie Hemmungen mehrerer
Muskeln. Die „Buhe“ in Stellungen und Lagen ist nicht nur ein Er¬
gebnis von Muskelinnervationen und ihrem Aufhören, sondern auoh von
höchst sinnreichen Balancierungen. Für das Studium des jetzt soviel
behandelten Muskeltonus findet man in dem Buche mancherlei wichtige
Hinweise.
Es sohadet nichts, daß der Lernende den Stoff, so wie er hier in
der ganzen Kompliziertheit des Zusammenwirkens von Organ und Organ- ■
Systemen sich darbietet, sich etwas mühsam erobern muß. Er wird be¬
lohnt durch die Wirkungen frühzeitiger Übung und Erziehung, die Dinge
nicht nur bildhaft vorzustellen, sondern auch funktionell tätig, bewegt zu
denken. Das Übergewicht, welches die anatomische Bildung oft über
das physiologische Denken bekommen bat, erschwert bei vielen Lernenden
die Auffassung des pathologischen Geschehens. Braus zwingt die
Phantasie seines Lesers von Anfang an, sich die Form nicht erstaunt,
sondern veränderlich, nach festen Begeln fließend, also im Dienste der
Leistung vorzustellen. So wird das Auge früh daran gewöhnt sich die '
Bequemlichkeit reiner Morphologie zu versagen und in jedem kleinsten
Falle sich des ärztlich und biologisch allein Entscheidenden, des Ver¬
hältnisses von Struktur und Funktion bewußt zu werden. Wir erfahren
hier im Überblick, wieweit auch die Anatomie mit ihren Mitteln in dieser
Sichtung vorzudringen vermag. Gewiß, es ist nicht wenig. Und doch
ist noch ein weiter Weg. Beides werden Arzte, die um das Verstehen
von Erscheinungen bemüht sind, gleich lebhaft dankbar und begeistert
empfinden, wenn sie die anregende Fülle dieses Werks, seiner Gedanken und
seiner wunderschönen eindrucksvollen Bilder auf sich haben wirken lassen.
(L. KrehL)
2 .
H. Strauß, Nachkrankheiten der Buhr. Samml. zwangt. Ab-
handl. aus d. Geb. der Verdauungs- u. Stoffwechselkrankheiten.
VII. Bd. Heft 1/2. C. Marhold, Halle a. S., 1921. 61 S.
In Erweiterung seiner Ausführungen auf der Homburger Tagung
gibt H. Strauß eine für praktisch-ärztliche Zwecke bereohnete Über¬
sicht über die Gesamtheit der Folgezustände der Buhr, welche Nach-
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Original frum
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Besprechungen. 251
krankheiten, intestinale und extra intestinale in recht an¬
schaulicher Weise näher erörtert werden.
Bei ersteren unterscheidet er klinisch einen diarrhöischen und
hjperalgetisch-spastiscben Typus, welche Grundformen wiederum hämor¬
rhagisch und anhämorrhagiscb, febril und afebril, eupeptisch und hypo¬
peptisch verlaufen. Topisch lassen sich allgemein prokto-sigmoiditische,
typhlitische und diffus-kolitische Formen gegenüberstellen. Die Fern¬
wirkungen bzw. extraintestinalen Nachwirkungen finden ihre Einteilung
in: allgemeine Ernährungsstörungen, toxisch neurogene bzw. myogene
und entzündlich metastatische Folgen. Das Hauptaugenmerk richtet der
Verf. entsprechend seinen reiohen Erfahrungen und Untersuchungen auf
die Magenverhältnisse.
Unter 117 klinisch beobachteten Krankheitsfällen fand sich Gärungs¬
dyspepsie in 10 °/ 0 , Anacidität in 21 °/ 0 , Subacidität in 29 °/ 0 . Manche
poetdysenterische Magenbeschwerden sind jedoch pseudogastrisch (kologen, '
extrastomachal) oder funktioneller Art an Ulcus parapyloricum erinnernd.
Eine sehr übersichtliche Darstellung finden die prokto-sigmoskopischen
und Röntgenbefunde, denen in Kürze die bakteriologisch-serologischen
angereiht werden. Bei der Agglutination fordert er einen Titer von
1:100, womöglich 1:150, wobei er auch die feinflockige gelten läßt.
Eine präzisere Heraushebung hätte das Kapitel Komplikationen: Fern¬
wirkungen bzw. extraintestinale Nachkrankheiten verdient, insbesondere
wie sich die einzelnen Organstörungen in ihrer Häufigkeit verhalten,
hierbei hätten vor allem die Ruhrrheumatoide eine eingehendere
Behandlung erfahren sollen und die so wichtigen Herzstörungen
speziell Myocardschädigungen eine Besprechung verdient; Ähn¬
liches gilt für die neurologischen und Augennachkrankheiten, welche
allerdings mehr in das spezial »tische Gebiet fidlen.
Den Schluß bildet die Therapie der Nachkrankheiten, wobei ins¬
besondere die endoskopische und chirurgische Behandlung näher dar¬
gestellt wird. Ein alphabetisches Register wäre erwünscht gewesen.
Strauß hat hiermit ein recht praktisches, rasch orientierendes
Nachschlagsheftchen über dieses wiobtige Thema geschaffen, das gerade
jetzt in der Nachkriegszeit, wo die Ruhrfolgen eine so bedeutende Rolle
spielen, willkommen sein wird. (4, p o s s e 11, Innsbruck.)
3.
E. Feer, Diagnostik der Kinderkrankheiten. J. Springer,
Berlin, 1921. 276 S. Pr. 40,— M.
Wenn ein Pädiater, von so reicher persönlicher Erfahrung wie
Feer eine „Diagnostik“ veröffentlicht, dann darf man von vornherein
annehmen, daß damit etwas „Besseres“ geboten wird. Und in der Tat
— man wird in seinen Erwartungen nicht getäuscht. Was hier vorliegt
ist mehr als eine Diagnostik im landläufigen Sinne. Es ist ein mit
großer Liebe zur Sache niedergelegtes und mit meisterhafter Sorgfalt
zusammengestelltes Bekenntnis eines ausgezeichneten Klinikers, das Ver¬
mächtnis eines äußerst zuverlässigen, feinen und originellen Beobachters.
An gewissen scheinbaren Kleinigkeiten wird der Fernerstehende vermut-
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Original frum
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252
Besprechungen.
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lieh achtlos vorübergehen, aber dem Zünftigen fallen sie sofort als
„Eigenbau“ auf. Ich erinnere nur an die habituellen Stirnrunzeln bei
Pylorusstenose, an das Glanzauge kongenitaler Luetiker, an das starke
Aufsperren der Augen bei Pacbymeningitis, an die Unterscheidung von
Hunger« und Schmerzgeschrei bei Säuglingen. Und solche Feinheiten,
die dem Buche vielfach eine stark persönliche Note verleihen, finden sich
in großer Zahl. Feer hat die schlichte, klinische Beobachtung auf sein
Schild geschrieben und ist sich darin seit jeher treu geblieben.
Indes wird auch der „Laboratoriumsdiagnose“ der gebührende Platz
eingeräumt. Aber sie kommt grundsätzlich erst an zweiter Stelle. Zu«
nächst das Bestreben das Krankheitsbild gewissermaßen jungfräulich auf
sich einwirken zu lassen und mit einfachsten Mitteln zu entziffern, dann,
vielleicht erst nach Tagen: Lumbalpunktion, Tuberkulin und Wasser¬
mann. Daß bei solchem Vorgeben der Blick mehr geschärft und den
Verhältnissen, wie sie die Praxis draußen bietet, mehr Rechnung ge¬
tragen wird, ist klar. Außerdem bereitet dem richtigen Feinschmecker
das Fahren mit der-Postkutsche u. U. größeren Genuß, als das Rasen
mit dem Automobil. Das Ziel wird zwar, wenn es keine Panne gibt,
schneller erreicht, aber die intimen Reize der Landschaft gehen verloren.
Zur Einteilung des Stoffes wählte Feer das didaktisch am besten
bewährte semiotische Prinzip. Freilich muß man dabei den unvermeid¬
lichen Nachteil mehrfacher Wiederholungen mit in Kauf nehmen. Aber
für den Neuling wird es wohl nur von Nutzen sein, wenn er in ver¬
schiedenen Zusammenhängen an wichtige Dinge immer und immer wieder
erinnert wird.
Anläßlich einer Neuauflage wird es vielleicht erwägenswert sein,
folgendes nachträglich einzufügen: Im Ödemkapitel die Hand- und Faß-
rückenödeme bei Tetanie, bei den Larynxstenosen die allerdings seltene
Laryngitis fibrinosa s. aphthosa, bei der Intoxikation den hochgehobenen
Thorax, bei der Invagination die Purpura, b^i der Pneumokokkenperi¬
tonitis den Herpes, beim Ekzemtod das Frühjahr, bei den ruhrartigen
Stühlen die eosinophilen Darmkrisen („intestinale Urticaria“) exsudativer
Kinder und beim Mongolismus jenseits des Sänglingsalters das so häufige,
aber m. W. bisher gar nicht gewürdigte Symptom der rauhen, tiefen,
stets etwas heiser klingenden Stimme.
Ganz ausgezeichnet gelungen und glänzend reproduziert sind die
zahlreichen (226) vom Autor selbst aufgenommenen photographischen
Bilder. Sie werden nicht allein dem Lernenden, sondern auch jedem
Lehrer der Kinderheilkunde, der im Besitze eines Projektionsapparates
ist, vorzügliche Dienste leisten. (Moro, Heidelberg.)
4 .
Ernst Kretschmer, Körperbau und Charakter. Unter¬
suchungen zum Konstitntionsproblem und zur Lehre von den
Temperamenten. Berlin, Springer, 1921, 192 S.
Kretschmer’s Arbeit macht eine Quintessenz der modernen
Psychiatrie nutzbar für eine allgemeine KonBtitutionslehre. Das manisoh-
depressive Irresein und die Schizophrenie erscheinen hier lediglich als
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I
Besprechungen.
253
die extremen paychopathologischen Zuspitzungen zweier in der großen
Messe der „Normalen“ überall schon vorgebildeten Arten der Anlage:
der cyklothymen und der schizothymen. Überall so auf den Schultern
von Kri pelm and Bleuler stehend gelangt er zu einem umfassenden
System der Temperamente, das von verhältnismäßig großer Einfachheit
igL Es greift, wie das der Antike, durch die psychische und die phy¬
sische Welt hindurch, darin besteht formal betrachtet ein Vorzug und
eine Faszination. Dieses gescheite, begabte, fruchtbare, anfechtbare, ge¬
fährliche und aufrüttelnde Buch ist voll anziehender und abstoßender
Wirkungen. Es ist das Ergebnis eines schöpferischen Impulses zu einem
System des Ganzen und einer geistvollen Konzeption. Darüber kann
die äußerlich voranstehende induktive Methode nicht täuschen. Es be¬
ginnt mit einer statistischen Untersuchung von 85 Manisch-depressiven
and 175 Schizophrenen auf ihren körperlichen Habitus: Körpermaße,
Oesichtsmaße, Hautbeschaffenheit, Behaarung, Fettpolster und viele andere
Dinge (mit Ausnahme der Bewegungen, also des gesamten Bewegungs¬
ausdrucks und der Physiologie). Sehr eindrucksvoll schält sich so ein
psychophysischer' Parallelismus heraus: eine Zuordnung „pyknischer“ ge¬
drungener Körpertypen zur cyklothymen Gruppe, eine Zuordnung der
asthenischen, athletischen und einiger dysplastischer Typen zur schizo¬
phrenen Gruppe. Von dieser Basis ausgehend hat Kretschmer sich
mit dem Problem der Vererbung auseinanderzusetzen; wie fast alle
neueren Konstitutionslehren muß er den Konstitutionsaufbau als phäno¬
typische Auswirkung der Erbmasse erfassen. Körperbau und Psychose
sind ihm nicht BelbBt in der Erbmasse gegebene Konstitution, sondern
eben nur Teile ihrer phänotypischen Manifestierung.
Die Tatsache, daß Körperbau und Psychose durchaus nicht in einem
so festen, klinisch gesetzmäßigen Verhältnis stehen, sondern manche Aus¬
nahme- und Mischbeziehung zeigen, wird so formuliert, daß Körperbau
und Psychose zwar affine Beziehung haben aber doch auch selbständig
gehen können. „Legierungen“, „Überkreuzungen“, „Dominanzwechsel“
müssen herangezogen werden, um die stärker atypischen Fälle dem Grund¬
schema angliedern zu können. Trotzdem, und damit erfolgt nun der
Übergang zu der allgemeingültigen (nicht nur pathologischen) Tempera-
mentenlehre, lassen sich Typen cykloider und Typen schizoider Familien
heraosgreifen. In diesem zweiten, ein Temperamentenschema ausarbeiten¬
den Teil beschränkt sich Kretschmer f s Darlegung überwiegend auf
die Aufzeigung psychologischer Charakteristik und eilt in einem wachsen¬
den Tempo zur Masse der Durchschnittlichen und über diese zu einer
Typologie der Genialen. Auch hier bleibt die große Grundscheidnng in
Cyklothyme und Schizothyme; diese beiden Hauptgruppen werden aber
weiter aufgelöst in zahlreiche Untergruppen. Beispiele dieser letzteren
lind etwa der „pathetische Idealistentypus“, oder der „feinsinnig-kühle
Aristokratentypus“ aus der schizoiden, oder die „bequemen Genießer“
and „tatkräftigen Praktiker“ aus der cykloiden Gruppe. In diesem Teil
tritt an die Stelle der Statistik die Kasuistik, an die Stelle der Verall¬
gemeinerungen die psychologisch-novellistische Schilderei. Die Methodik
dieser Schilderungen besteht in der Anwendung von besonders 4 Gesichts¬
punkten: 1. Psychästhesie und Stimmung, 8. Psychisches Tempo, 3. Psycho-
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254
Besprechungen.
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motilität, 4. Affiner Körperbautypns. In dieser Aufzählung hatten wir
also gewissermaßen den rationalen psychologischen Begriffsapparat
Kretschmer’s yor uns, demicht offiziell und theoretisch begründet
wird, sondern gleichsam harmlos eben da ist, ähnlich wie dies etwa
mit den seelendynamischen Vorstellungen Fr eud ’s der Fall war. Diesem
Sohema und diesem Apparat entgehen wie bemerkt auch die Genialen
und Speziellbegabten nicht, und dies ist ein .schmerzlicher Punkt: was
würden unsere Romantiker und Metaphysiker sagen, wenn sie sich hinter
den Gitterstäben des Linienschemas „8chizothymiker“ zusammen mit den
„kalten Rechnern“ und den „Despoten“ eingesperrt wiederfänden? —
Es ist ein billiges Vergnügen einem kühn Wagenden find in die
Höhe Kletternden die grotesken Stellungen vorzuhalten, die er an
schwierigen Stellen einnahm, vielleicht einnehmen mußte, wie kann es
der Zuschauer wissen? Nicht darum erlaubt sich der Ref. den Finger
auf eine wunde Stelle zu legen. Eine ernste Kritik des Buches könnte
leicht 10 Bücher seines Umfangs ausmachen, und dies bedeutet sicher
mehr Anerkennung als Ablehnung. Unzählige Einzelfragen sind ja an»
geschnitten, über die zu reden wäre und über die geredet werden wird.
Denn wie viele Faktoren mußten ausgeschaltet werden, um in der un¬
endlichen Fülle der Individualitäten überhaupt einmal zur Typenbildung,
zur Generalisierung zu kommen. Denn in wie vielen anderen Ebenen
ließen sich solche einteilende Schnitte durch die unübersehbare Mannig¬
faltigkeit der Charaktere legen. Der Dualismus schizothym-cyklothym
ist hier his über seine Tragfähigkeit angespannt worden. Wie wird er
überlagert von den Momenten des Geschlechtes, der Rasse, der Nation,
der geschichtlichen, der sozialen, der ethischen und der Schicksals-
bedingung? Alle diese Fragen sind, offenbar bewußt, nicht aufgerollt
worden. Auch nicht die Beziehung etwa zum epileptoiden, zum hyste¬
rischen Charakter, oder die zur thyreogenen oder myzödematösen Tempe¬
ramentslage ist erörtert worden. Wie viel Sachliches, wie viel Prinzi¬
pielles und wie viel Methodisches hier zu sagen sein wird kann hier
beiseite bleiben. Wichtiger und weniger selbstverständlich erscheint mir
folgendes.
Kretschmer ist sich bewußt, daß er „naturwissenschaftlich*
biologisches Denken in solche Provinzen geistigen Lebens hineinträgt,
die ihm bisher fremd waren“. Dieser Versuch hat ja schon längst seine
Geschichte und geistige Tradition. Englische Denker haben dies von
jeher versucht, Nietzsche muß hier genannt werden und Deszendenten
Nietzsche’s wie Klages und Jaspers. Es liegt in der ganzen Gleichung:
Charakter = Psychologie, die hier zugrunde liegt, und die besagt, daß nicht
Geist und Freiheit, sondern „Konstitution“, „Anlage“, psychophysische
Struktur, mit einem Wort Natur mechanismus hinter dem Charakter eines
Menschen stehe, nicht Werte die für ihn gelten, die er bejaht, verneint,
sondern Erbmasse, biologische Substanz. Es liegt in dieser, wie ich glaube
illegitimen, Anwendung (und Überspannung) des Artbegriffs der Bio¬
logie, die man vornimmt wenn man Luther und Schiller als pyknische
und schizoide „Typen“ bezeichnet; wohlgemerkt nicht die Anatomie und
Physiologie Luther’s und Schiller’s, sondern, man möchte zerspringen vor
Ungeduld, eben ausgerechnet Luther und Schiller. 8ie sollten nicht die
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Besprechungen. 255
Diktatoren und Spender des Charakteristischen sondern die Sklaven einer
biologischen Typologie sein!
Indem Kretschmer diesen Schritt tat berührt er in der Tat
kritische Kragen seines Fachs und der Wissenschaften überhaupt. Soll
wirklich gemeint sein, daß meine schizoide oder cykloide Erbanlage dar«
Sber entscheidet ob ioh Empiriker oder Metaphysiker bin (vgl. Schema
8. 192)? Sollte Kretschmer übersehen haben, daß er hier Schul*
begriffe deutscher Philosophie in biologische Schubfächer gesperrt hat?
Wie kann man Metaphysiker, Empiriker und Romantiker mit „flotten
Organisatoren“, „verständigen Vermittlern“ und „derben Draufgängern“
tnf einer Tafel vereinigen? Nein, hier ist der Landsmann Hegel’s and
Hölderlin’s von .seinen guten Genien verlassen worden. Wieviel tiefe
Wahrheit in solchen Kombinationen liegen könnte, das hat Nietzsche,
wir wiederholen es, ahnen lassen, was wir hier sehen grenzt ans
Groteske. So kann die Durchdringung geistes- and naturwissenschaft¬
lichen Denkens, um die die Gegenwart ringt — Kretschmer ist ein
lebendiger Exponent dieses Ringens — nicht anssehen. Es wird, des
bin ich gewiß, an den Problemen der Psychiatrie immer lebhafter ent¬
brennen ; es wird Schritte wie den, der hier getan wurde wagen müssen,
aber nach anderen Vorbereitungen als denen einer mit Meßstange, Wage
und Photographie aofgenommenen Statistik. Bleibt diese auch der
im Sinne der Medizin wirklich wertvolle Teil des Buches, so ist doch
sein Durchstoßen nach medizinfemen Regionen das Interessante und, als
Blickrichtung wirklich Bedentende des Buches. Niemand wird, so
wünschen wir ihm, aus einer Pedanterie der „gesicherten Ergebnisse“
und der „exakten Beweisführung“ heraus übersehen, daß hier Kräfte
der Erneuerung am Werke sind; hier definitive Klarheit und Ab-
rnndnng zu fordern ist nioht möglich. Von der Kritik ist bis zur
Ablehnung ein weiter Schritt, und ablehnen dürfte nur der, welcher
die Aufgabe besser lösen oder das letzte Ziel als falsch erweisen könnte.
Aber dies möge doch mit voller Schärfe gesagt sein: wer sich mit der
naturwissenschaftlichen Biologie und ihren Methoden an das Problem des
Charakters, des Genies und der Geistesgeschichte wagt, muß außerdem
lebendigere Werte und größere Wahrheiten als die des Cykloiden und
Schizoiden mitbringen. Ais gelegentliche Pinselstriche wären sie erlaubt,
all übergreifendes System enthalten sie zu wenig Ehrfurcht. Und dies
wird sich vielleicht in Kürze entscheiden: daß, wer mit Biologie und
Psychologie an Charakter, Weltanschauung, Geist herantritt auB dem
was bisher Psychologie und Biologie hieß, einen Charakter, eine Welt¬
anschauung, einen Geist zu machen hätte. /
Mit dieser letzten Forderung greife ich über die Ziele der
Kretschmer'sehen Arbeit hinaas: ihr Verf. hat sich solche Ziele
gewiß nicht gestellt, er erhebt gegenüber geisteswissenschaftlichen Auf¬
gaben für sich selbst keine Prätentionen. Aber gerade darin scheint
der Fehler zu bestehen: daß die Prätentionen zu bescheidene sind,
als daß Bie an das Phänomen deB Genialen heranreichten; höher, nicht
noch niedriger müssen die Ansprüche fliegen, wenn er das Genie zu
begreifen sieh vorsetzt. Weltanschauung einsetzen und nicht beiseite
schieben heißt es, wenn die ersten und vornehmsten Bildner von Welt-
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256
Besprechungen.
anschanung vor Augen geführt werden sollen. Daß dies nicht geschah,
hat seinen Grund nicht in Mangel an Verständnis oder Begabung, son¬
dern vielmehr in gewissen prinzipiellen methodischen und wissenschaft¬
lichen Überzeugungen Kretschmer’s, die selbst eine Welt-
anschauung repräsentieren. Es ist der konsequente Glaube an
die unbegrenzte Leistungsfähigkeit biologisch-kausalen Denkens auch auf
solchem Gebiet. Daß sein Buch an die Schwelle dieser unendlich be¬
deutsamen Kampffrage hinführt, ist sein größtes Verdienst und war nur
möglich bei einem Autor, in dem die Untergründe und Gegensätze
unserer gesamten wissenschaftlichen Lage sich aneinander abarbeiten.
Wir hoffen, daß diese Schrift in der Enthüllung dieser geheimen Span¬
nungen einen guten Schritt vorwärts bringen wird und in diesem „vor¬
wärts“ und diesem vielleicht ungewollten Rühren an eine wissenschaft¬
liche Grundfrage fühlt der Referent eine Übereinstimmung, in der Lösung
aber einen klaren Gegensatz.
Über den fachlich psychiatrischen Wert des Buches, erlaubt er sich
kein Urteil; dieser bleibt von dem Gesagten unberührt. Nicht wir,
sondern Kretschmer hat jedoch in die weitere Sphäre des ärztlichen
und wissenschaftlichen, ja des allgemein menschlichen Denkens hinein¬
gegriffen und hier mußte so scharf wie möglich der Posten besetzt
werden. Nur dann kann die Gärung zur Klärung führen, wenn wir so
offen wie möglich sind. Auoh der Nicht-Psychiater wird das Buch aus
der Hand legen gleichsam mit einem neuen Auge für gewisse Beziehungen,
geschärft und eingestellt auf ein wichtiges Tatsachengebiet, auf Forschungs¬
möglichkeiten oder vielleicht auch nur Anschauungsformen, nach denen
ein allgemeines Bedürfnis herrscht. Unabsehbar sind die Möglich¬
keiten die ein nachdenklicher Leser aus Kretschmer’s Buch folgern
wird. Aber auch, wenn man sich gewagte Folgerungen versagt, so wird
man finden, daß man an seiner Hand sich inmitten einer verworrenen
Fülle plötzlich leicht und sicher bewegen und verständlich machen kann.
Über seine schematische Brauchbarkeit kann ein Zweifel gar nicht
bestehen. Zweifel beginnen vielmehr dort, wo wir uns sagen müssen,
daß nicht nur dieses sondern jenes Schema ein Fehlgriff wäre.
Daß Kretschmer so viele Schwierigkeiten in darstellerischem
Glanz und ungewöhnlicher gedanklicher Stoßkraft gleichsam hat hin¬
schmelzen lassen wird die Kenner dieses Autors nicht überraschen.
(V. v. Weizsäcker, Heidelberg.)
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Aus der Universitätskinderklinik in Zürich.
(Direktor: Prof. Dr. E. Feer).
Energometrische Untersnchnngen Uber die Wirkung des
Adrenalins auf den Kreislauf, nebst Bemerkungen Uber
den Wanddruck der Arterien.
Von
Dr. A. Hotz,
Oberarzt der Klinik.
(Mit 2 Abbildungen.)
Eine der bekanntesten und praktisch wichtigsten Eigenschaften
des Adrenalins ist seine blutdrueksteigernde Wirkung. Ihre Ur¬
sache ist eine in der Gefäßwand angreifende hochgradige Ver¬
engerung der kleinsten Arterien. Daneben kommt noch eine direkte,
anfierordentlich kräftig erregende Wirkung aüf das Herz in Be¬
tracht (Meyer u. Gott lieb 1 2 3 ). Nach Steinach und Kahn*)
ist eine Beteiligung der Kapillaren an der Vasokonstriktion kaum
zu bezweifeln. Nach P o p h a 1 8 ) ist die Beteiligung der verschiedenen
Gefäßbezirke an der Verengerung durchaus nicht allgemein. Am
stärksten kontrahieren sich die vom Splanchnicus innervierten Ge¬
fäße, die des Darmes, der Leber und der Niere, während die Hirn-
Netzhaut- Coronar- Lungen- und Extremitätengefäße sich an der
Vasokonstriktion gar nicht, oder nur in geringem Maße beteiligen.
Im gleichen Sinne äußert sich auch Biedl 4 5 * ). In bezug auf die
Wirkung des Adrenalins auf die Coronargefaße, steht heute die
Auffassung ganz 'im Vordergrund, daß es dieselben erweitert
Diese Annahme gründet sich hauptsächlich auf die Untersuchungen
von Langendorff*) am Arterienstreifenpräparat und am über-
1) Meyer u. Gottlielb, Experim. Pharmakologie. 4. Aufl. 1920.
2) Cit. nach Pophal.
3) Ergehn, d. inn. Med. u. Kinderheilk. Bd. 19, 1921.
4) Cit. nach Bauer, Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 107, 1912.
5) Zentralbl. f. Physiol. Bd. 21, 1908.)
Deutsches Archiv f. klin. Medizin. 138. Bd. 17
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lebenden Herzen verschiedener Säugetiere, und auf diejenigen von
Morawitz und Zahn 1 2 ) an lebenden Hunden und Katzen.
Im Gegensatz zu allen diesen Befunden nimmt Barbour*)
auf Grund von Untersuchungen am Arterienstreifenpräparat an.
daß während beim Hund, Kaninchen, Schaf, Schwein, der Katze,
das Adrenalin die Coronararterien erweitert, dieselben beim Menschen
und beim Alfen im Gegenteil verengert werden. Dazu schreiben
Morawitz und Zahn: „Wir können uns nur schwer vorstellen,
daß ein so prinzipieller Vorgang wie die Adrenalinwirkung auf
Gefäße beim Menschen nun gerade umgekehrt sein soll wie bei
der Mehrzahl der Säugetiere.“ Dieser Einwand scheint mir sehr
berechtigt zu sein. Überdies wurden die Befunde Barbour’s mit der
Arterienstreifenmethode erhoben, und man darf deswegen aus den¬
selben Schlüsse auf die Verhältnisse beim Lebenden jedenfalls nicht
ohne weiteres ziehen. Die Frage der Adrenalin Wirkung auf die
Zirkulation ist auch schon mittels klinischer Methoden bearbeitet
worden, so z. B. von Rosenow 3 ) auf plethysmographischem Wege.
Dieser Autor konnte die vonOliver und Schäfer 4 )im Tierversuch
erhobenen Befunde bestätigen, die dahin lauten, daß nach Injektion
von Adrenalin das Volumen der Extremitäten zunimmt. Diese
Volumzunahme erklärt Rosenow durch eine Dilatation der Ex¬
tremitätengefäße, die bedingt ist durch eine Verlagerung des
Blutes aus dem Splanchnicusgebiet, das auf die vasokonstriktorische
Wirkung des Adrenalins stärker und früher anspricht. Die Dila¬
tation ist nach ihm eine rein passive. Oliver und Schäfer
konnten im Tierversuch diese Blutverlagerung onkoraetrisch nach-
weisen.
Vor Rosenow, nämlich schon 1913, hat Drouven 5 ) auf
energometrischem Wege die Wirkung des Adrenalins auf den
Kreislauf untersucht. Durch diese Untersuchungen konnte eine
mit Blutdruckerhöhung einhergehende Volumzunahme, also Er¬
weiterung der Brachialis, direkt nachgewiesen werden. Ferner
fand Drouven, daß die Herzwirkung des Adrenalins dessen Ge¬
fäßwirkung überdauert, indem nämlich die Füllung der Brachialis
noch weiter zunimmt, wenn der Blutdruck bereits zu sinken be¬
ginnt und nach dessen Rückkehr zur Norm noch einige Zeit ver-
1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 1 lß.
2) Journ. of exp. Med. Bd. 15, 1912.
3) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 127, 1918.
4) Journal of pbysiolog. 18, 1895.
5) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 112, 1913.
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Energoraetrische Untersuchungen über die Wirkung des Adrenalins usw. 259
größert bleibt. Aus diesen Befunden zieht Christen 1 ) den
weiteren Schluß, daß das Adrenalin die Coronargefäße erweitern
müsse. Denn da das Herz vermehrte Arbeit leistet, sagt Christen,
ist auch eine vermehrte Durchblutung seiner Muskulatur notwendig,
folglich müssen die Coronargefäße sich erweitern.
Wie aus meinen bisherigen Ausführungen ersichtlich ist, haben
uns nicht nur das Tierexperiment, sondern auch klinische Unter¬
suchungen wertvolle Aufschlüsse über die Wirkung des Adrenalins
auf den Kreislauf geliefert, wobei eine weitgehende Überein¬
stimmung der klinischen und tierexperimentellen Befunde zu kon¬
statieren ist. Ich habe mir nun die Aufgabe gestellt, die Wirkung
des Adrenalins klinisch noch weiter zu analysieren. In erster
Linie erscheint eine solche Analyse angezeigt, für die unter Adrena¬
lin dntretende Blutdrucksteigerung. Was wir klinisch als Blutdruck
bezeichnen, oder nach Schulthess 2 3 ) richtiger als Pulssperrdruck,
ist ja die Resultante von einer ganzen Anzahl von Faktoren: Schlag¬
volumen, Kraft und Frequenz des Herzens, resp. des Pulses, Wand¬
spannung deri Kapillaren, der kleinen und großen Gefäße, Blut¬
menge usw. Christen hat gewiß recht, wenn er den Blutdruck
als einen verkappten Energiewert bezeichnet. Von den genannten
Faktoren treten am Puls die Füllung und die Wandspannung der
Arterie direkt in Erscheinung und es muß für die Beurteilung der
Zirkulation von großem Wert sein, wenn es gelingt, dieselben
einzeln und zahlenmäßig zu messen. Methoden, welche für solche
Untersuchungen in Betracht kommen, besitzen wir in der Volum-
bolometrie nach Sahli 8 ) und in der Energometrie nach Christen.
Für die Bestimmung des Wanddrucks der Arterie kommt noch die
plethysmographische Methode nach de Vries Reilingh 4 * ] hinzu.
Ich habe mich bei meinen eigenen Untersuchungen der energo-
metrischen Methode bedient, deren Prinzip ich hier nur kurz skizzieren
will. Es handelt sich um eine Manschettenmethode : Die Manschette wird
am besten am Oberarm appliziert. Es wird der systolische Volums¬
zuwachs des unter der Manschette liegenden Teiles des OberarmB, welcher
dnrch die systolische Füllung der Arterie bedingt ist, gemessen. Dur« h
Multiplikation dieser Größe V mit dem mittleren Druck P, entgegen
welchem diese Füllung erreicht wird, erhält man die Energie des Puls-
1) Christen, Die dynamische Pnlsuntersuchnng. Verlag von F. C. \V.
Vogel, Leipzig 1914.
2) Zentral bl. f. Herz- u. Gefäßkrankheiten Bd. 7, H. 4 u. 5, 1915.
3) Sahli, Lehrb. d. klin. Untersuchungsmeth. 6. Aufl., 2. Rd., 2. Hälfte.
4) Zeitschr. f. klin. Jded. Bd. 83, 1916.
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Stoßes nach der Formel E — P.V. Die Größe V findet man auf fol¬
gende Weise:
Durch den systolischen Volumszuwachs des von der Manschette um¬
schlossenen Teiles des Oberarmes wird an einem trägheitsfreien Mano¬
meter eine bestimmte Druckerhöhung, z. B. von 100 auf 106 cm Wasser
bewirkt. Nun wird der Stempel eines mit demselben Manometer in
Verbindung stehenden Metalltubus, der sog. Volumspritze, soweit vor¬
geschoben, bis die obere Grenze der Druckschwankung des Manometer¬
zeigers zur unteren Grenze wird. An der Graduierung der Volum¬
spritze kann man dann die Größe V direkt ablesen. Man kann nun I'
bei verschiedenen Druckhöhen bestimmen und die bei aufeinanderfolgenden
Druckwerten erhaltenen Werte in ein Koordinatensystem eintragen, mit
P als Abscisae und V als Ordinate und erhält auf diese W<i-e die sog.
Volumkurve. Wenn man diese Kurve in das von Christen ange¬
gebene Pulsdiagramm einträgt, kann man mit Hilfe der eingezeichneten
Parabeln den zu jedem Wert von V gehörenden Energiewert E direkt
ablesen. Durch Multiplikation von E mit der Pulsfrequenz und Division
durch 60 erhält man die Sekundenarbeit oder Leistung L.
Meine Untersuchungen wurden an größeren Kindern ausgeführt,
die meist wegen leichterer Erkrankungen in unsere Klinik gehracht
worden waren und kurz vor der Entlassung standen, also als ge¬
sund zu betrachten waren. Vor allem befinden sich umer ihnen
keine Kinder mit Erkrankungen der Kreislaufsorgane. Es kam
mir in diesen Untersuchungen hauptsächlich darauf an, die Wirkung
des Adrenalins zur Zeit der höchsten Blutdrucksteigerung möglichst
weitgehend zu analysieren. Diese Wirkung trat in meinen Fällen
in ca. 10—30 Min. ein. Zwei Fälle habe ich noch bis zur 40. und
einen bis zur 60. Min. verfolgt, und ich will diese Fälle zunächst
einer kurzen Besprechung unterziehen. In Übereinstimmung mit
Drouven (6 Fälle) ergab sich in erster Linie, daß die Größe V
(Pulsvolumen) auch nach 40—60 Min. noch vergrößert war. Der
systolische Blutdruck war bei Drouven nach 40 Min. in allen
Fällen noch erhöht, nach 60 Min. im Gegensatz zu V, das in einigen
Fällen noch weiter angestiegen war, wieder zur Norm zurückge¬
kehrt. Ich fand bei dem einen, bis 60 Min. beobachteten Kind, noch
deutliche Erhöhung des Blutdrucks, während derselbe in den beiden
anderen Fällen schon nach 40 Min. wieder zur Norm zurückgekehrt
war. Die Drouven’scheu Befunde der Rückkehr des Blutdrucks
zur Norm bei noch vergrößertem Volumen stimmen gut überein
mit den schon erwähnten tierexperimentellen Beobachtungen von
Mora witz und Zahn, welche nach Rückkehr des Carotisdrnckes
zur Norm noch eine starke Vermehrung der Ausflußmenge des
Blutes aus den Kranzarterien konstatierten. Der diastolische Blut-
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Euergometrische Untersuchungen über die Wirkung des Adrenalins usw. 261
druck war in allen 3 in Rede stehenden Fällen auch nach 40,
resp. 60 Min. noch vermindert, der Wanddruck der Arterie, der
innerhalb der ersten 20 Min. gesteigert war, wieder zur Norm zurück¬
gekehrt. Neben Drouven hat u. a. Bauer 1 ) Untersuchungen
über die Wirkung des Adrenalins auf den Kreislauf an einem
größeren Material angestellt (35 Fälle). Er injizierte 7io, in ein¬
zelnen Fällen 1 mg Adrenalin subkutan, ln 20 Fällen fand er
systolische Blutdrucksteigerung (wobei allerdings nur Zunahmen
von 10 mm Hg und mehr als solche gerechnet wurden), in 30 Fällen
Zunahme der Pulsfrequenz. 4 mal wurde eine Abnahme der Puls¬
frequenz konstatiert. In 2 Fällen handelte es sich um Patienten
mit großen Strumen. Das Verhalten des Pulses wird mit dieser
Affektion, resp. einem dadurch bedingten Überwiegen der Vagus¬
erregung in Zusammenhang gebracht.
Bei 5 Untersuchten trat nach 25—85 Min. eine Drucksenkung
unter den Ausgangsdruck vor der Injektion ein. Nach Bayer 2 * * )
handelt es sich in solchen Fällen wahrscheinlich nicht um eine
Erschlaffung der Gefäße durch Ermüdung, da nach Kret-schmer 8 )
zahlreiche hintereinander gemachte Adrenalininjektionen stets von
der gleichen Blutdrucksteigerung gefolgt sind. Er hält die gleich¬
zeitige Reizung diktatorischer Elemente für wahrscheinlicher, die
erst nach dem Abklingen der Vasokonstriktion zum Vorschein kommt;
in ähnlicher Weise wie das auch bei gleichzeitiger elektrischer
Reizung von Vasokonstriktoren und Dilatatoren der Fall ist. Mora¬
witz und Zahn konnten nicht nur durch Adrenalin, sondern auch
durch elektrische Reizung des Accelerans eine Erweiterung der
Coronargefäße, resp. eine Vermehrung der Ausflußmenge erzielen.
Sie ziehen daraus den sicheren Schluß, daß im Acceierans Vaso¬
dilatatoren für die Kranzgefäße verlaufen. Nach Bauer kann
die Pulsfrequenz nach Absinken des Blutdrucks noch erhöht sein,
was mit meinen Beobachtungen übereinstimmt.
Bei 6 Versuchspersonen hat Bauer auch den diastolischen
Blutdruck bestimmt und jedesmal ein Sinken desselben
nach weisen können. Er schreibt zu diesem Befund: „Eine
Abnahme des diastolischen Druckes ist nur durch eine Vasodilatation
im untersuchten Gefäßgebiet zu erklären. Die Zunahme des
systolischen Druckes kann also in jenen Fällen, wo gleichzeitig
1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 107, 1912.
2) Ergebnisse d. allgemeinen Pathol. u. patbol. Anatomie Bd. 14, 1911, cit.
nach Bauer.
8) Archiv f. experim. Pathol. n. Pharmak. Bd. 57, 1907, cit. nach Bauer.
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eine Abnahme des diastolischen Druckes erfolgt, unmöglich auf
eine Konstriktion im untersuchten Gefäßgebiet bezogen werden,
sondern kann nur durch eine Verstärkung der Herzarbeit bedingt
sein.“ Die Gefäßdilatation sieht Bauer als eine passive an.
Um nun zu den Hauptresultaten meiner Untersuchungen über¬
zugehen, so bilden sie zunächst eine Bestätigung der ja schon
vielfach festgestellten Tatsache, daß unter der Wirkung des
Adrenalins der systolische Blutdruck und die Pulsfrequenz in den
meisten Fällen ansteigen. Sodann bestätigen sie die Angabe
Bauer’s in bezug auf den diastolischen Druck, daß dieser nämlich
meistens sinkt. In 3 von 10 Fällen blieb der diastolische Blut¬
druck gleich, nie konnte ich einen Anstieg desselben konstatieren.
In bezug auf die Pulsfrequenz konnte ich bei 2 Neugeborenen
mit kongenitaler Struma auf subkutane Injektion von 0,1 resp.
0,2 mg Adrenalin eine ganz bedeutende, ca. 1 Stunde anhaltende
Pulsverlangsamung konstatieren. Diese Fälle bilden also ein Ana¬
logon zu den beiden erwähnten erwachsenen Strumapatienten
ßauer’s.
Was das Verhalten der dynamischen Größen anbetrifft, so
ist in erster Linie das Pulsvolumen zu erwähnen. Es zeigt in
Übereinstimmung mit allen bisherigen tierexperimentellen und kli¬
nischen Untersuchungen so gut wie' regelmäßig eine Zunahme. Sie
beträgt im Durchschnitt 24 %, also rund ’/i- Aus den 6 von
Drouven untersuchten Fällen ergibt sich eine durchschnittliche
Zunahme des Pulsvolumens von rund 35%. Die Zunahme der
Bruttoenergie und der Leistung (Sekundenarbeit) kann aus
den Drouven’schen Kurven ebenfalls berechnet werden, und zwar
beträgt die mittlere Zunahme von I? = 44%, diejenige von
L = b2°l 0 . Die Durchschnittszunahme von L stimmt in meinen
Fällen mit 48% fast genau mit Drouven’s Zahl überein, wäh¬
rend die mittlere Zunahme von E in meinen Fällen mit 30% ca.
um Vs kleiner ist.
Was nun die Größe E anbetrifft, so habe ich nicht nur deren
Gesamt- und Bruttowert bestimmt, sondern dieselbe noch weiter
analysiert und die beiden Komponenten, aus denen sie sich zu¬
sammensetzt, nämlich die Nettoenergie und die Energie des
Wand drucks in jedem Falle berechnet. Der Erläuterung der
Resultate will ich noch einige theoretische Bemerkungen voraus¬
schicken ’).
1) Ich habe die Resultate meiner Untersuchungen in drei Tabellen zu
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E nergometrische Untersuchungen Uber die Wirkung des Adrenalins usw. 263
Betrachten wir das normale Pulsdiagramm eines 14jähr. Mädchens
i Fig. 1). Auf der Abscisse finden wir die Druckwerte, auf der Ordinate
die Volumwerte angegeben. Die eingezeichnete Kurve ist die Volum¬
kurve. Diese Kurve verläuft zunächst leicht ansteigend bis zum Punkt d ,
um von hier an unter Bildung eines Knies bedeutend steiler zum Gipfel b
anzusteigen. Der dem Punkt d entsprechende, resp. ein um weniges
höherer Druck, ist gleich dem diastolischen Blutdruck. Wenn der Außen¬
druck, also der Manschettendruck, gleich ist dem diastolischen Blutdruck,
also dem Innendruck der Arterie in Diastole, so hat die Arterie ihr sog.
Nullvolumen. Wenn nun der Außendruck weiter ansteigt, so wird
zwar in Systole die Arterie zunächst noch vollkommen entfaltet (sogar
noch um weniges über ihr Nullvolumen hinaus); in Diastole wird sie
aber in zunehmendem Maße eingebogen; ihr diastolisches Volumen wird
kleiner, je mehr der Außendruck ansteigt. Das plötzliche Größerwerden
der Größe F, das sich bei der Untersuchung durch das plötzliche Größer¬
werden der Ausschläge des Manometerzeigers äußert, beginnt im Moment
der diastolischen Einbiegung, also unmittelbar nachdem der Außendruck
den diastolischen Blutdruck überschritten hat. Daher der plötzliche
steilere Anstieg der Volumkurve beim Punkt*/. Wenn nun der Manschetten¬
druck mehr und mehr erhöht und dadurch die Arterienwand in Diastole
mehr und mehr eingebogen wird, so kommt der Moment, wo die Arterie
in Diastole vollständig verschlossen wird, während die Energie des Puls¬
stoßes sie in Systole eben noch vollständig auf ihr Nullvolumen zu
entfalten vermag. Dieser Moment entspricht dem Gipfel b der Kurve.
Hier erreicht der Wert für V sein Maximum.
Durch die zunehmende Manschettenkompression der Arterie, die
während der Diastole im Druckgebiet, das zwischen d und b liegt statt¬
findet, wird in der Arterienwand in zunehmendem Maße potentielle
Energie aufgespeichert. Diese Energie wirkt also in der gleichen
Richtung wie die Energie des Pulsstoßes, d. h. der Blutsäule, die in
Systole unter die Manschette getrieben wird, also von innen nach außen.
Was als Energie des Pulsstoßes auf die Manschette übertragen wird, ist
also eine zusammengesetzte Größe, bestehend aus der Energie der Blut¬
säule = Nettoenergie -j~ der Energie des Wanddruckes. Im Gipfel der
Kurve entspricht dieser Wanddruck, wie wir gesehen haben, dem Ver¬
schlußdruck. Derselbe wird dargestellt, durch die Horizontal¬
projektion des aufsteigenden Schenkels, also durch die Strecke d — c.
In Wirklichkeit ist der Verschlußdruck wohl meist etwas kleiner,
als der Strecke d—c entspricht. Er ist gleich der Druckdifferenz
zwischen dem Gipfeldruck (entsprechend dem Punkt b der Kurve) und
dem diastolischen Blutdruck. Am Knie der Kurve (Punkt */), wo der
Druck = 70 cm Wasser beträgt, ist V noch klein. Beim folgenden
Punkt der Kurve, entsprechend dem Druck von 80 cm Wasser ist V
-erheblich größer, der diastolische Blutdruck ist also sicher überschritten.
Wir kommen wohl dem wirklichen diastolischen Druck am nächsten,
wenn wir zwischen beiden Druck werten das Mittel nehmen, also 75 cm
sammengestellt. Auf die Reproduktion derselben muß aber leider aus äußeren
Gründen verzichtet werden.
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264
Motz
Fig. I
n 3 ch der * *
L. Julie. /V- J. o/A
Fig. 2 .
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Energometrische Untersuchungen über die Wirkung des Adrenalins usw. 2ßf>
Wasser. Diese Korrektur habe ich bei allen Berechnungen berück¬
sichtigt.
Die Arbeit des Wanddrucks läßt sich für jeden Punkt des auf¬
steigenden Schenkels berechnen. Wir wollen uns aber hier nur mit
derjenigen des Verschlußdrucks befassen. Wo also im folgenden von
Wanddruck die Rede ist, ist immer der Verschlußdruck gemeint.
Diese Energie wird dargestellt durch die Fläche des Dreiecks d b c r
v • w
sie ist also = ——.
2
Da Bruttoenergie = Nettoenergie Energie des Wanddrucks, ist
die Nettoenergie = Bruttoenergie — Energie des Wanddrucks oder in
einer Formel ausgedrückt:
v • w
Nettoenergie = P.V. — - .
Ich habe schon in einer früheren Arbeit 1 ) Untersuchungen
über das Größenverhältnis der Nettoenergie und der Energie des
Wanddrucks zur Gesamtenergie angestellt, und dabei gefunden, daß die
Energie des Wanddrucks ca. 20 °/ 0 der Gesamtenergie des Pulsstoßes
ausmacht. Unter Berücksichtigung der oben angegebenen Korrektur
des Wanddrucks und auf Grund eines größeren Materials und ge¬
übterer Technik haben sich mir in den letzten Jahren etwas kleinere
Werte für die Arbeit des Wanddrucks ergeben, die in den vorliegen¬
den Untersuchungen gefundenen entsprechen. Danach beträgt beim
gesunden Kind die Energie des Wanddrucks im Durchschnitt ca.
11 °/ 0 der Bruttoenergie und steigt unter Adrenalinwirkung auf
rund 16 Obschon die Energie des Wanddrucks in absoluten
Zahlen im Durchschnitt auf das Doppelte steigt, zeigt ihr Anteil
an der Gesamtenergie eine bedeutend kleinere Zunahme, nämlich
von rund 7, 0 auf V 7 . Der Wanddruck der Arterie selbst steigt
unter der Wirkung des Adrenalins von durchschnittlich 27,5 auf
41 cm Wasser, d. h. um ö0°/ o . Die Schwankungsbreite bewegt
sich zwischen 30 und 80°/ 0 .
Die Bestimmung des arteriellen Wanddrucks hat zweifellos ein
großes klinisches Interesse, einmal für die Beurteilung der Wir¬
kungsweise von Medikamenten auf den Kreislauf, sodann auch für
die 1 Beantwortung der Frage, ob eine Zirkulationsstörung vor¬
wiegend durch eine Schädigung des Herzens oder durch eine peri¬
phere Gefäßlähmung bedingt ist.
Klinische Untersuchungen über den Wanddruck der Arterien
liegen meines Wissens bisher nur sehr spärlich vor. So hat d e
Vries Reilingh 2 ) mit seiner kombinierten plethysmographischen
1) Jahrb. f. Kinderheilk. Bd. 84, Heft 6, 1916.
2) Zeitechr. f. klin. Med. Bd. 83. 1916.
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266
Hotz
Methode solche Bestimmungen ausgeführt. Er fand, um das vor¬
wegzunehmen, eine beträchtliche Erhöhung des Wanddrucks unter
der Wirkung des Adrenalins. Der Wanddruck der Arteria brachialis
beträgt nach seinen Untersuchungen beim gesunden Erwachsenen
im Durchschnitt 19mmHg = 26cm Wasser. Ich habe mit der
energometrischen Methode bei 7 gesunden Erwachsenen zwischen
20—30 Jahren folgende Zahlen gefunden: Mittlerer diastolischer
Blutdruck = 95 cm Wasser, mittlerer Gipfeldruck der Yolum-
kurve=125cm Wasser, mittlerer Wanddruck also 125 — 95
= 30 cm Wasser = 22 mm Hg.
Bei der energometrischen Untersuchung von 30 zwanzigjährigen
gesunden Erwachsenen (Rekruten) fand ich einen durchschnittlichen
Gipfeldruck von 120 cm Wasser. Der diastolische Blutdruck
wurde nicht besonders bestimmt. Nach Brugsch undSchitten-
helm 2 ) beträgt der durchschnittliche diastolische Blutdruck beim
gesunden erwachsenen Mann 100 cm Wasser, bestimmt mit dem
Recklinghausen’schen Tonometer.
Ich werde kaum wesentlich fehlgehen, wenn ich bei den Re¬
kruten den gleichen Mittelwert annehme, wie bei den 20—30jäh-
rigen, also 95 cm. Der wahre Wert würde vielleicht noch etwas
tiefer sein. Der Wanddruck der Arterie wäre dann 120 — 95
= 25 cm Wasser=18.5 mm Hg. Es ergibt sich also für
den Wanddruck der Arterie des gesunden Erwachse¬
nen eine fast vollständige Übereinstimmung der Re¬
sultate der Christen’schen und der de Vries Reilingh-
schen, also zweier ganz verschiedener Methoden.
Hingegen weichen in bezug auf den durchschnittlichen arteriellen
Wanddruck bei Kindern meine Zahlen wesentlich von denjenigen
von de Vries Reilingh ab. Ich fand bei Kindern von 9—15 Jahren
ungefähr die gleichen Durchschnittswerte wie beim jugendlichen Er¬
wachsenen. De Vries Reilingh fand bei Kindern im Alter von
8—12 Jahren Werte von nur 6—7 mmHg = 8 — 9,5 cm Wasser.
De Vries Reilingh schreibt, daß zur Wanddruckbestimmung
der Arterie nicht alle Fälle geeignet sind. Auch mittels des
Energometers läßt sich der Wanddruck nicht bei allen Versuchs¬
personen gleich gut bestimmen. Die Genauigkeit der Bestimmung
hängt vor allem zusammen mit der Schärfe des Übergangs der
kleinen zu den größeren Zeigerausschlägen bei steigendem Man-
1) Brugsch u. Schittenheim, Lehrb. d. klin. Untersuchnngsmethoden.
3. Auf!., 1914, 1. Bd., S. 183.
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Euergumetrische Untersuchungen über die Wirkung des Adrenalins usw. 267
schettendruck, d. h. also mit der Genauigkeit, mit welcher sich im
einzelnen Fall der diastolische Blutdruck bestimmen läßt. Auch
muß man sich zu den Untersuchungen Zeit lassen und die psychi-
sehen Momente, die bei der Versuchsperson eine Rolle spielen
können, wohl berücksichtigen. Man beobachtet z. B. nicht selten,
daß infolge Erregung zu Beginn der Untersuchung der Blutdruck
höher ist, als einige Minuten nachher. In diesen Fällen muß man
natürlich warten, bis man bei wiederholter Bestimmung der zu
messenden Größen konstante Werte erhält, wenn man brauchbare
Resulultate erzielen will. Unter Berücksichtigung dieser Kautelen
fand ich bei meinen Untersuchungen am Gesunden bei ein und
derselben Versuchsperson an verschiedenen Tagen selten Unter¬
schiede im Wanddruck, die größer waren als 10 cm Wasser.
Um nun wieder zu unserem Hauptthema, der Wirkung des
Adrenalins auf den Kreislauf zurückzukehren, so haben wir als
wichtigstes Resultat in Übereinstimmung mit allen tierexperimen¬
tellen und klinischen Untersuchungen gefunden, daß das Pulsvolumen
der Brachialis unter Adrenalin zunimmt, daß also eine Erweiterung
der Arterie stattfindet. Es erhebt sich nun die weitere Frage, ob
diese Erweiterung eine aktive oder eine passive sei. In bezug
auf die Extremitätenarterien ist diese Frage von fast allen Autoren
in letzterem Sinne beantwortet wmrden. Nur Kretschmer hält
eine aktive Erweiterung durch Reizung der Vasodilatatoren für
wahrscheinlicher. Für die Kranzgefäße nehmen, wie schon erwähnt,
Morawitz und Zahn mit Sicherheit eine aktive Erweiterung
durch die Accelerans verlaufende Vasodilatatoren an.
Vergegenwärtigen wir uns noch einmal die Erscheinungen, die
das Adrenalin beim Gesunden an der Arteria brachialis hervorruft:
Unter Anstieg des systolischen Blutdrucks und des Wanddrucks der
Arterie tritt eine Vergrößerung des Pulsvolumens, d. h. eine Ge-
faßer Weiterung ein. Dabei sinkt meistensder diastolische
Blutdruck. (In Figur 2 ist dieses typische Verhalten graphisch
dargestellt.)
Unter welchen Umständen kann nun der diastolische Blutdruck
sinken?
1. Wenn die Aortenklappe insufficient ist und in¬
folgedessen in Diastole ein Teil des Blutes in den linken Ventrikel
zurückströmt. Diese Möglichkeit fällt, da wir vom intakten Zirku¬
lationssystem ausgehen, außer Betracht.
2. Wenn ein vermehrter Abfluß von Blut nach dem
rechten Herzen zu stattfindet. Ein solcher kommt nach
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268
Hotz
den plethysmographischen Untersuchungen von Cloetta und
Anderes 1 ) in erster Linie in Betracht. Diese Autoren konnten
nämlich im Tierexperiment zeigen, daß unter der Wirkung des Adre¬
nalins das Volumen der Lunge zunimmt und daß diese Zunahme in
der Hauptsache durch den vermehrten Zufluß von Blut zum rechten
Herzen bedingt ist. Diese Wirkung vollzieht sich nach Cloetta und
Anderes in folgender Weise und Reihenfolge: „Zuerst Verengerung
der kleinen Gefäße der Peripherie des großen Kreislaufs, dadurch
Druckerhöhung im Kapillarsystem und Zuschieben einer größeren
Menge Blut in den rechten Ventrikel, was Ansteigen des Pulmonalis-
d ruck es und Größerwerden der Pulsationen des Plethysmogramms
verursacht.“ Sie konnten ferner den Nachweis erbringen, daß das
Adrenalin die Lungengefäße nicht verengt und bezeichnen die¬
selben als das Überlaufventil der Adrenalinwirkung. Man muß
fernerhin annehmen, daß infolge der bedeutenden Verstärkung der
Herzaktion, die unter der Wirkung des Adrenalins eintritt, einer¬
seits der erhöhte Widerstand in den kontrahierten Gefäßen besser
überwunden wird und andererseits der vermehrte Abfluß nach dem
rechten Vorhof durch die verstärkte diastolische Saugwirkung des
Herzens weiter begünstigt wird.
3. Wenn eine Gefäßerweiterung eintritt. Das trifft
nun in unserem Falle zweifellos zu. Nach Bauer kann, wie wir
gehört haben, als Ursache des Sinkens des diastolischen Blutdrucks
nur eine Gefäßerweiterung, und zwar hält er sie für eine rein
passive, in Betracht kommen. Nach unseren sub 2. gemachten Aus¬
führungen können wir ihm darin nicht beistimmen. Nehmen wir
aber einmal an, die Ansicht von Bauer bestehe zu Recht. Könnte
dann die Gefäßerweiterung eine rein passive sein?
Wir müssen uns gegenwärtig halten, daß unter physiologischen
. Bedingungen, also bei nicht komprimierter Arterie, in Systole stets
eine, durch die Blutsäule bewirkte, wenn auch geringe passive
Dehnung der Arterienwand stattfindet. Diese Dehnung ist es, die
im Energometerexperiment die kleinen Ausschläge am Manometer-
/.eiger bewirkt, die auftreten, solange der Außendruck (Manschetten¬
druck) kleiner ist, als der diastolische Blutdruck, also links vom
Knie des aufsteigenden Schenkels der Volumkurve. Durch diese
Dehnung wird potentielle Energie in der Arterien wand aufgespeichert,
die von außen nach innen, also entgegen der Blutsäule wirkt, und
beim Nachlassen des Pulsstoßes, als in Diastole, wieder abgebaut
1) Archiv f. experim. Pathologie u. Pharmakologie. Bd. 76 u. 79.
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KuergoiuetriBche Untersuchungen über die Wirkung des Adrenalins usw. 269
wird. Die Arterie lastet dann wieder mit demselben Druck auf
der Blutsäule, wie in der vorhergehenden Diastole. Würde nun
durch das infolge der Adrenalininjektion verstärkte Kaliber der
Blutsäule die Arterie einfach passiv stärker gedehnt, so müßte
infolge der vermehrten, in der Arterienwand aufgespeicherten
potentiellen Energie, ein erhöhter Gegendruck entstehen. Dieser
müßte, stets unter der Voraussetzung, daß infolge der erhöhten
Widerstände in den kleinsten arteriellen Gefäßen ein vermehrter
Abfluß nach dem Herzen zu nicht stattfindet, zu einer Art diasto¬
lischer arterieller Stauung führen. Dabei müßte der diastolische
Blutdruck steigen.
Nehmen wir aber, stets unter denselben Voraussetzungen, an,
daß die unter der Wirkung des Adrenalins eintretende Erweiterung
der Arterie wenigstens zum Teil eine aktive sei, so ist darin die
Vorstellung enthalten, daß das Strombett, das nun dem Blutstrom
zur Verfügung steht, breiter ist, als vorher. Selbst wenn nun
auch die passive Komponente der Gefäßerweiterung ebenfalls größer
wäre, so würde das Sinken des diastolischen Blutdrucks verständlich.
Um zu unserem eigenen Standpunkt zurückzukehren, so sehen
wir aber, wie schon erwähnt, nicht in der Vasodilatation die Ur¬
sache — jedenfalls nicht die hauptsächlichste — der diastolischen
Blutdrucksenkung, sondern in einem vermehrten Abfluß von Blut,
nach dem rechten Herzen aus der Peripherie des großen Kreislaufs,
wie er von Cloetta und Anderes nachgewiesen wurde. Dafür,
daß dieser vermehrte Blutabfluß auch im Gefäßgebiet der Brachialis
stattfindet, spricht gerade das Sinken des diastolischen Blutdrucks
in dieser Arterie und er bildet zugleich die plausibelste Erklärung
dafür. Diese Anschauung nun läßt sich mit der Annahme einer
rein passiven Erweiterung der Arterie ungezwungen in Einklang
bringen. Daß die Vasodilatation auch eine aktive Koniponente
enthält, ist denkbar, aber nicht notwendig. Vielleicht wäre dabei
auch noch an eine Beteiligung der Längsmuskulatur im Sinn einer
Kontraktion zu denken.
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270
Aus der medizin. Abteilung der allgemeinen Poliklinik in Wien
(Direktor: Prof. Dr. Mannaberg).
Über AnstauschYorgänge zwischen Blut und Geweben.
I. Mitteilang.
Der Einfluß der Diuretica.
Von
Priv.-Doz. Dr. Julius Bauer und Dr. Berta Aschner.
(Mit 2 Kurven.)
Die überaus regen und in ihrer Mannigfaltigkeit kaum überseh¬
baren Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben, die gleich¬
zeitig nach beiden Seiten hin gerichteten Stoffverschiebungen an
den Wänden der Kapillargefäße haben in letzter Zeit mehrfach
das Interesse biologischer Forscher gefesselt, ohne daß wir bisher
über ausreichende Kenntnisse der feinen Regulationsmechanismen
dieser unendlich präzise arbeitenden Apparate verfügen würden.
Verschiedene Gesichtspunkte sind für das hohe Interesse ma߬
gebend, das man diesen Austausch Vorgängen entgegenbringt. Wir
wollen hier nur einzelne hervorheben.
In der Frage der Ödementstehung spielte die „abnorme
Durchlässigkeit der Gefäße“ seit langem eine wesentliche
Rolle, ja sie wird auch noch in der jüngsten Zeit bei der Erörte¬
rung der Pathogenese der Ödemkrankheit immer wieder als Hilfs¬
hypothese herangezogen, so von Schittenhelm und Schlecht, 1 )
Maase und Zondek, 2 3 ) Pollag, 8 ) Jansen 4 5 ) u. a. Wir konnten
aber zeigen, 8 ) daß eine selbst beträchtlich gegenüber der Norm
gesteigerte Gefäßdurchlässigkeit, wofern man diesen Ausdruck bei-
1) Schittenhelm, A. n. Schlecht, H., Zeitschr. f. exper. Mediz. 9, 1919,
2) Maase, C. u. Zondek, H, Das Hungerödem. G. Thieme, Leipzig 1920,
3) Pol lag, S., Die Ödemkrankheit. A. Hirsch wald, Berlin 1920.
4) Jansen, W. H., Deutsches Arch. f. klin. Med. 131, 1920.
5) Bauer, J. u. Aschner, B., Wiener klin. Wochenschr. 1919 Nr. 50.
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Über Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben. 271
behalten will, bestehen kann, ohne daß Ödembildung die Folge sein
müßte. Die gesteigerte Gefäßdurchlässigkeit war allzunehmen, weil
in diesen Fällen schon wenige Minuten nach einer rasch durch-
geführten venösen Infusion von 500—550 ccm physiologischer
NaCl-Lösung die zugeführte Flüssigkeitsmenge die Blutbahn ver¬
lassen hatte und das Blut im Gegensatz zum normalen Verhalten
nicht mehr verdünnt, eventuell sogar etwas eingedickt war. Das
war ja auch der Grund, die von de Crinis J ) angegebene Methode
zur Bestimmung der zirkulierenden Blutmenge durch Verdünnung
mit einem abgemessenen Quantum physiologischerNaCl-Lösung als für
pathologische Fälle unbrauchbar abzulehnen (vgl. auch J. Löwy 2 )).
Gesteigerte Durchlässigkeit der Kapillarwände für Wasser bedeutet
also noch nicht Ödembildung. Von einer gesteigerten Durchlässig¬
keit für NaCl läßt sich wohl überhaupt nicht sprechen, denn intra¬
venös zugeführtes NaCl verläßt, wie wir gezeigt haben, in blut¬
isotonischer und, wie wir gleich hinzufügen wollen, auch in hyper¬
tonischer Lösung schon beim Gesunden nahezu augenblicklich die
Blutbahn, um in die Gewebe abzuwandern.
Ganz ähnlich wie NaCl strömen auch andere in die Blutbahn
gebrachte Substanzen sehr rasch in die Gewebe ab, so Sulfat,
Phosphat, Nitrat, Dextrose, Laktose (Magnus, 8 ) Münzer, 4 )
v. Brasol, 6 ) Klikowicz, 6 ) Thannhauser u. Pfister, 7 >
0. Schwarz u.Pulay, 8 ) Bürgern.Hagemann, 9 ) u. a.), Harn¬
stoff (Nonnenbruch, 10 )) Aminosäuren (van Slyke u. Meyer, 1 11 ))
Fett (B u s q u e t u. V i s c h n i a c, 12 )) Digitaliskörper (G o 111 i e b), 18 )
Optochin (Schnabel) 14 ) u. a. Es ist sehr die Fiage, ob der von
uns in gewissen Fällen beobachtete, abnorm rasche Abfluß des in¬
fundierten Wassers überhaupt als Folge gesteigerter Gefäßdurch-
1) de Crinis, M., Zeitschr. f. phys. Chem. 99, Bd. 1917.
2) Löwy, J., Zen trat bl. f. inn. Med. 1920, Nr. 19, 819 u. Nr. 48, 387.
3) Magnus, R., Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 44 , 68, 1900.
4) Münzer, E., Arch. f. exp. Path. n. Pharm. 41 , 74, 1898.
5) v. Brasol, Arch. f. (Anat. u.) Phys. 1884, 210.
6) Klikowicz, ibid. 1886, 518.
7) Thannhauser n. Pfister, Münchener med. Wochenschr. 1913, 2155.
8) Schwarz, 0. u. Pulay, Zeitschr. f. exp. Path. u. Ther. 17, 1915.
9) Bürger, M. u. Hagemann, E. Zeitschr. f. exp. Med. 11 , 239, 1920.
10) Nonnenbrnch, W., Arch. f. exp. Path. n. Pharm. 89, 1921.
11) van Slyke, D. D. u. Meyer, G. M., Journ. of biol. chem. 16, 197, 1913.
12) Busquet, H. u. Vischniac, Ch., C. R. Soc. Biol. 83, Nr. 20, 908, 1920.
13) Gottlieb, R., Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 82, 1, 1917.
14) Schnabel, A., Biocb. Zeitschr. 112, 112, 1920.
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272
Bauer u. Aschner
lässigkeit augesehen werden darf und nicht vielmehr bestimmte
Bedingungen, die in der Gewebsbeschaifenheit gegeben sind, diesen
raschen Abfluß bewirkt haben. Jedenfalls sollte mit dem Begriff
<ler gesteigerten Gefäßpermeabilität viel vorsichtiger umgegangen
werden, als dies im allgemeinen noch zu geschehen pflegt.
Dies bezieht sich übrigens auch auf die von Veil 1 ) ange¬
nommene, der Urämie zugrunde gelegte Regulationsstörung im
Austausch zwischen Blut und Gewebe infolge schwerster Schädi¬
gung der für diesen Austausch maßgebenden Faktoren, der Gefäß-
und Lymphendothelien. Auch für den Diabetes insipidus
wurden primäre Anomalien im intermediären Wasser- und Salz¬
austausch angenommen (Leschke, 2 ) Veil 8 )). Doch konnten
wir 4 ) ebenso wie Oehine 6 ) zeigen^ daß es sich hier nur um se¬
kundäre Folgen einer primären Anomalie der Nierenfunktion handelt.
Mit staunenswerter Präzision passen sich die Austauschvorgänge
zwischen Blut und Gewebe der fortlaufenden Durchspülung des
Organismus Insipiduskranker mit den oft ungeheueren Flüssigkeits¬
mengen an.
Nicht minder bewundernswert ist diese Anpassung bei Krank¬
heitszuständen, in welchen die Nierentätigkeit im Sinne herab¬
gesetzter Ausscheidungsfähigkeit gestört ist oder wo durch brüske
Änderungen in der Tätigkeit der Nierenschleuse durch therapeu¬
tische Maßnahmen gelegentlich enorme Wasser- und Substanz¬
mengen eliminiert werden, ohne daß nennenswerte Konzentrations-
änderunsren im Blute nachzuweisen wären. Auf diese wichtige
Tatsache werden wir im folgenden noch eingehender znrückkommen.
Zunächst weist sie uns aber auf die in neuerer Zeit mehrfach
diskutierte Frage des extrarenalen Angriffspunktes der
Diuretica hin.
V o 1 h a r d °) präzisiert seinen extremen Standpunkt in dieser
Frage mit folgenden Worten: „Ohne die Möglichkeit, daß die Diu-
retica die Nierengefäße erweitern und auch die Endothelien der
Nierengefäße und die Epithelien der Niere zu verstärkter Leistung
anregen können, leugnen zu wollen, müssen wir nach Beobachtungen
1. Veil, W. H., Bioeh. Zeitsohr. 91 , 1918.
> Leschke, E.. Zeitschr. f. klin. Med. 87, 1918.
*>} 1. c.
4i Bauer, J. u. Aschner, B., Wiener Arch, f. inn. Med. I, 1920.
•>) Oehme, C., Med. Klin. 1919, Nr. 35; Zeitschr. f. exp. Med. 9, 251, 1919.
6) \ ul hurd. F., Die doppelseit. hämatog. Niereuerkrankungen (Bright’sche
Krankheit). Springer. Berlin, 1918.
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Über Austausch vorg&nge zwischen Blnt nnd Geweben.
273
am Krankenbette doch sagen, wie weit die Dinretica auf die Nieren
wirken, ist noch ungewiß, daß sie aber aberwiegend extrarenal an¬
greifen and den Einstrom von Wasser in das Blut befördern, das
steht unseres Erachtens außer Zweifel“ (1. c. 8. 127). Volhard
stützt seine Auffassung durch die von ihm und seinen Mitarbeitern
beobachtete Erscheinung, daß' bei jeder Entwässerung der Wasser¬
süchtigen durch Diuretica der Diurese ein deutlicher Wasserein¬
strom in das Blut vorausgeht, der sich aus einer Hydrämie mit
Abnahme der Eiweißkonzentration und Trockensubstanz sowie der
Erythrocytenzahl erschließen läßt Nicht nur die eigentlichen
Diuretica, sondern auch Strophantin, protrahierte warme Bäder,
Schwitzprozeduren und Aderlaß sollen die Diurese auf dem Um¬
wege über die primär entstehende Hydrämie in Gang setzen; sie
sollen also primär hauptsächlich an der „Vorniere“, d. h. an den
den Austausch zwischen Gewebs- und Blutflüssigkeit vermittelnden
Endothelzellen angreifen. Diesen Standpunkt vertritt Volhard 1 2 * )
auch noch angesichts der von Veil und Spiro 8 ) vorliegenden
Untersuchungen.
Veil 8 ) konstatierte an gesunden Menschen stets eine Blut¬
eindickung bei der durch Purinkörper herbeigeführten Diurese, nur
bei Ödematösen fand er eine Blutverdünnung, die er aber als die
durch den sekundären Einstrom der Gewebsflüssigkeit bedingte
Folge der primären Diuresewirkung ansieht. Theocin und die
anderen Purinkörper führen nach Veil und Spiro stets zu einer
Eindickung, meistens auch zu einer NaCl-Verarmung des Blutes,
und zwar auch am entnierten Tier, also offenbar nicht infolge der
renalen Ausschwemmung von Wasser und NaCl sondern infolge
ihres Abströmens in die Gewebe. Die Purindiurese würde also
nach der Darstellung Spiro’s 4 * ) gewissermaßen gleichzeitig durch
die Glomerulusschlingen in die Nierenkanälchen und durch die
Körperkapillaren in die Gewebe hinein erfolgen. Volhard hält
jedoch diesen Versuch am Tier und an nicht ödematösen Menschen
nicht für beweisend und erblickt „die therapeutische und sicher
extrarenale Wirkung“ nicht in der Blutein dickung sondern in der
Blutverdünnung, in der der Diurese vorangehenden Hydrämie. ln
1) Volhard, F., Diskussionsbemerkung ia Münchener med. Wochenschr.
1921, Nr. 32, 1033.
2) Veil, W. H. n.P. Spiro, Münchener med. Wochenschr. 1918, Nr. 41,1119.
8) Veil, W. H., Deutsches Arch. f. klin. Med. 112, 1913 n. 118, 1914.
4) Spiro, P., Arch. f. exp. Psth. n. Pharm. 84, 1919.
Deutsches Archiv für klin. Medisin. 138. Bd. 18
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Original frum
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274
Bum n.
dieser Streitfrage sind wir nnn auf Grand mehrjähriger Unter¬
suchungen in der Lage, Stellung zu nehmen.
Die Untersuchungen wurden in der Weise vorgenommen, daß
nach einer entsprechenden Vorperiode, in der keine wesentliche
medikamentöse Beeinflussung stattfand, das Diureticum intravenös
verabreicht wurde. Das zur Untersuchung benötigte Blot wurde
durch Punktion aus den Venen der EUenbeuge entnommen, jedoch
stets ohne vorangehende Stauung. Bei einiger Übung gelingt es
leicht, auch ganz ohne Stauung genügend große Blutmengen za
gewinnen. Die Versuche wurden stets früh morgens am liegenden
Patienten, in der Regel im nüchternen Zustande vorgenommen.
Die Eiweißbestimmung geschah mit dem Pulfrich’schen Eintauch¬
refraktometer, der NaCl-Gehalt wurde nach dem sehr genauen
jodometrischen Verfahren von Mc Lean und van Slyke 1 ) be¬
stimmt. Durch Doppel bestimmungen überzeugten wir uns wieder¬
holt von der Zuverlässigkeit der Resultate. Die in den Tabellen
gemachte Angabe über diuretische Wirkung bezieht sich auf die
24 ständige Harnmenge.
Aus den in Tabelle I angeführten Versuchen ergehen sich
folgende Tatsachen: 1. Die Diuretica Theocin, Theophyllin
und Euphyllin erzeugen, wenn sie intravenös verabreicht werden,
keine Hydrämie sondern, wie dies Veil und Spiro angegeben
und auch schon Nonnenbruch und Szyszka*) bestätigt haben,
eine Bluteindickung. Diese Wirkung kann nur durch unmittelbare
Beeinflussung des Flüssigkeitsaustausches an den Kapillarendothelien
der Gewebe und nicht etwa als Folge einer diuretischen Wirkung
erklärt werden, da sie sich schon binnen wenigen Minuten und
auch dann einstellt, wenn eine nennenswerte Diurese gar nicht ein¬
gesetzt hat Das entspricht ja auch den analogen Beobachtungen
Veil und Spiro’s an nephrektomierten Tieren. Die Diurese kann,
wie z. B. Nr. 5 zeigt, sehr beträchtlich sein, ohne daß auch nur
die von Volhard postulierte initiale und geringfügige Hydrämie
eingetreten wäre. In einem einzigen Falle, in Nr. 8, fanden wir
eine minimale, nur 0,09°/ 0 Eiweiß betragende Verdünnung des
Blutes 5 Min. nach der Injektion von Euphyllin. Diese Wert¬
änderung liegt zweifellos innerhalb der Fehlergrenzen; überdies
hat gerade in diesem Falle mit ausgebreiteten Ödemen eine
diuretische Wirkung nicht eingesetzt
1) McLean, F. C. n. van Slyke, D. D., Jonra. of. biol. ehern. 21,361,1916.
2) Nonnenbrach, W. n. Saysika, W., Deutsch. Arch. f. klin. Med. IM,
1920.
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Über AuBtauschvorgänge zwischen Blut und Geweben.
Tabelle I.
275
Nr.
Präparat
Zeit
Be-
frakt
Serum
Ei¬
weiß
in %
NaCl
in %
Versuchszahl
und Fall
Bemerkungen
1
Theocin
0,3:15,0
venös.
vorher
nach 6*
62,25
68,2
8.762
8,965
0,6496
0,5523
95. B.F., 9,
66 J.
Dyspepsie.
i
Theo«
phyllin
natrio-
acetic.
0,25:5,0
venös.
vorher
nach 20*
nach 2 St.
20*
62,0
62.02
55,35
1
j
6,652
6,556
7,276
0,5252
0,5968
0,6677
24. G. M., 9,
60 J.
Sekund.
Leberkrebs
mit allgem.
marant. Hy«
drops.
Spärlicher hochge¬
stellter Harn . (spes.
Gew. 1028) Ödem-
flttssigkeit mittels
Curschmann’scher
Nadeln */, St. vor
bis 8 St. 20 Min. nach
d. Injektion aufge¬
fangen u. in 5 Por¬
tionen untersucht.
Befraktom. 21,8 —
22,0-21,8. NaCl
0,6878 — 0,6748 —
0,6553 °/ 0 . Keine
Diuresewirkung.
3
Theo¬
phyllin
natrio
acetic.
0,25:10,0
venös.
vorher
nach 12*
nach 38*
59.35
69.35
60,0
8,139
8,139
8,28
0,3290
0,3782
0,3245
73. K. K., 9,
60 J.
Ghron.
Glomerulo¬
nephritis
mit Hoch¬
druck u.
Urämie (Au¬
topsie)... Ge¬
ringes Odem.
Salzfreie Kost.
4
Snphyllin
0,5 venös.
vorher
nach 7*
nach 1 St.
56,15
58,3
58,3
7,448
7,913
7,913
0,5724
0,5663
0,5684
208. B.J.,9,
62 J.
Carcinoma
abdominis.
Keine dinretische
Wirkung-
6
Euphyllin
0,80 venös.
vorher
nach 12*
58,6
66,3
6,898
7,265
0,5658
0,5329
216. B. 8., 9,
67 J.
Inkompens.
Mitralvitium.
Ödeme.
Diurese steigt von
5§0ccm auf 2 <00ccm,
Ödeme schwinden.
6
Euphyllin
0,80 yenös.
vorher
nach 4'
nach 11'
56,3
65,75
67,2
7,265
7,362
7,675
0,5312
0,5132
218. Derselbe
Fall, eine
Wochespäter.
Hochgradige
Oligurie.
Diurese steigt von
100 ccm auf 650 ccm,
7
Euphyllin
0,80 venös.
vorher
nach 3*
nach 20*
59,45
60,16
60,40
8,161
8,312
8,366
0,5605
0,5328
218 a. L. J.,
o*, 63 J.
Tbc. periton.
mit Ascites.
Keine dinretische
Wirkung.
8
I
Euphyllin
0,80 venös.
vorher
nach 5*
64,23
53,8
7,084
6,941
0,4709
0,4760
219. P.K., o*,
60 J.
Aleukämische
Lymphoma¬
töse mit allg.
Hydrops (Au¬
topsie).
do.
18 *
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276
Bacbb u. Aschhbb
2. Die Änderung des NaCl-Spiegels im Blutserum geht der
Änderung des Eiweißgehaltes nicht parallel. Nach Theocin und
Theophyllin fanden wir im Gegensatz zu Veil und Spiro eine
initiale Zunahme des NaCl im Serum, wie wir dies schon früher
angegeben haben. 1 2 ) Übrigens ist der initiale Anstieg des Serum¬
kochsalzes auch aus der Kurve 1 von Veil und Spiro zu ent¬
nehmen. Dem Anstieg des NaCl-Wertes im Blute entspricht die
in Nr. 2 beobachtete deutliche Abnahme des NaCl-Gehaltes in der
Ödemflüssigkeit Es kann also von einem Abströmen des NaCl
aus dem Blute in die Gewebe unter der Wirkung des Theophyllins
hier — im Gegensatz zu Veil und Spiro — gewiß keine Rede
sein. Die gleiche Wirkung, nämlich Abnahme des NaCl in der
Ödemflüssigkeit bei Zunahme desselben im Blut hat Beckmann 1 )
in der ersten Zeit nach einmaliger Verabreichung einer hohen
Diuretindosis beobachtet.
Enphyllin bewirkte konform den Angaben Veil und Spiro’s
eine NaCl-Verarmung des Serums. Auf die Dissoziation in der
Verschiebung des Wassers und NaCl macht auch Spiro aufmerksam,
ebenso darauf, daß offenbar nicht alle Diuretica der Purinreihe
den gleichen Einfluß auf die NaCl-Verschiebung ausüben. Während
nämlich in Spiro’s Versuchen das Coffein, pur., Theocin. pur. and
Theocin. natrioacetic. den NaCl-Spiegel im Serum drückten, stieg
bei Kaninchen auf Coffein, natriobenzoic. das Serum-NaCl an. Er
schließt daraus mit Recht, daß die Verminderung des Wassergehaltes
im Blute und die Veränderung des NaCl-Spiegels nach Verabreichung
von Purinkörpern voneinander unabhängige Effekte darstellen und
auf der Wirksamkeit verschiedener Regulationsmechanismen beruhen.
Eine wesentliche pharmakodynamische Differenz zwischen Euphyllin
und Theocin-Theophyllin haben — allerdings bezüglich der ge¬
rinnungsbeschleunigenden Wirkung auf das Blut — auch Nonnen-
bruch und Szyszka festgestellt.
3. Veil und Spiro sind der Meinung, daß der NaCl-Bestand
des Blutes maßgebend ist für die diuretische Wirkung der Purin¬
körper. Sinkt dieser Bestand unter ein gewisses Niveau, dann
bleibt die Purindiurese aus, wird NaCl zugeführt, so tritt die
Diurese wieder ein. Darauf sollte die bekannte Erscheinung der
„Ermüdung“ bei der Purinkörperdiurese beruhen. Aus unseren
1) 1. c. In Nr. 1 ist die zweite Blutentnahme offenbar noch vor dem Ein¬
setzen der charakteristischen Austausch Vorgänge erfolgt, wie wir sie s. B. nach
peroraler Theocinverabre’cbung später noch kennen lernen werden.
2) Beckmann, K., Deutsches Arch. f. klin. Med. 135, 1921.
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Über Aus taDsch Vorgänge zwischen Blnt nnd Qeweben. 277
Versuchen läßt sich der Schluß ziehen, daß der NaCl-Gebalt des
Blutes keinesfalls allein maßgebend sein kann für die diuretische
Wirkung, verabreichter Purinkörper. Damit befinden wir uns in
Übereinstimmung mit Beckmann.
Wenn also unsere bisher besprochenen Versuche zeigen, daß
die von Volhard vertretene Lehre unhaltbar ist, der zufolge
die Purinkörperdiurese in erster Linie infolge einer extrarenal
entstandenen 'Hydrämie erfolgen soll, so können wir ebenso wenig
den Schluß ziehen, daß der von Veil und Spiro eingenommene
Standpunkt zutreffend wäre. Ja, wie die folgende Tabelle zeigt,
ist er ebenso abzulehnen wie der Volhard’sche.
Tabelle IL
Nr.
Präparat
Zeit
Re-
frakt.
Serum
Ei¬
weiß
°/o
NaCl
in %
Versuch8eahl
und Fall
Bemerkungen
1
Diuretin
0,75:5,0
venös.
vorher
nach 30'
nach 2 St.
30*
öS,6
60,5
60,9
6,898
6,228
6,314
0.5685
0,5526
0,5789
55. Sch. A.,
o* 58 J.
Emphysema
pulm. Dila-
tatio cordis.
Keine Diurese.
2
Diuretin
1,0:10,0
venOs.
vorher
nach 40'
!
51,0
48,2
6,336
6,728
0,4678
0,4079
60. J.H.,a*,
25 J.
Concretio
pericard. c.
corde. Ödeme.
Keine Diurese.
%
3
Diuretin
1,0: 10,0
venös.
vorher
nach 30*
nach 7 Vs
St
68,95
57.4
66,6
8,053
7,718
7,330
0,6050
0.6026
0,6184
61. W.J.,$,
21 J.
Ulcus vent.
3. Blutentnahme
4 Stunden nach
dem Mittagessen.
Keine Diurese.
•
Diuretin
2,0:20,0
venös.
vorher
nach 6*
nach 36*
58.3
69,22
68.4
7,913
8,112
7,934
0,6946
0,5833
0,5833
70. B.J., 9,
54 J.
Permanenter
arterieller
Hochdruck
(über200RR).
Keine Diurese.
Wenn zwischen Theocin*Theophyllin einer- und Euphyllin
andererseits bezüglich der extrarenalen Beeinflussung des NaCl-
Spiegels im Blute ein Unterschied besteht, so unterscheiden sich
bezüglich des Einflusses auf den Wassergehalt des Blutes alle diese
drei Mittel vom Diu re t in. Das Diuretin verursacht in der Regel,
wenn es intravenös gegeben wird, zum Unterschied vom Theocin,
Theophyllin und Euphyllin keine Bluteindickung sondern eine
ausgesprochene Hydrämie. Diese Hydrämie wirkt nicht, wie es
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278
Baukb u. Aschkeb
sich Volhard vorstellt, als aaslösendes Moment der Diärese, denn
in keinem der Fälle, auch nicht bei dem zweiten, bydropischen,
bewirkte das intravenös gegebene Diuretin eine nennenswerte Ver¬
mehrung der Harnmenge. Bei Nr. 4 kam es unter der Wirkung
des Diuretins zu keiner Hydrämie, ja sogar zu einer geringfügigen
Eindickung des Blutes, die offenbar rasch wieder abklang. Wahr¬
scheinlich hängt dies mit einer Besonderheit des Krankheitsfalles
zusammen, auf welche wir in einer folgenden Mitteilung noch näher
zu sprechen kommen werden. Es handelte sich um eine permanente
arterielle Drucksteigerung über 200 mm Hg RR und, wie wir
später eingehender darznlegen beabsichtigen, besteht bei derartigen
Fällen eine gewisse Herabsetzung der Disponibilität des Gewebs¬
wassers; solche Fälle reagieren sehr häufig auch auf die intravenöse
Injektion hypertonischer Salzlösungen nicht oder nur in beseht änktem
Maße mit einem Einstrom von Gewebsflüssigkeit. Der Fall wäre
also für die Beurteilung der Diuretinwirknng auf die Austausch¬
vorgänge zwischen Blut und Gewebe zunächst auszuscheiden und
beansprucht von einem ganz anderen, später zu verfolgenden Ge¬
sichtspunkt besonderes Interesse. Der NaCl-Spiegel des Blutes
blieb in drei Fällen fast unbeeinflußt, nur im zweiten Falle sank
er ab; es ist dies auch der Fall, in welchem die stärkste Ver¬
dünnung des Blutes eintrat
Ehe wir auf die Bedeutung dieser sicherlich extrarenal zu¬
stande kommenden Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben
eingehen, haben wir vorerst zwei Fragen zu erledigen: erstens ob
die von uns gefundenen Änderungen im Eiweißgehalt des Blut¬
serums einen Schluß auf Zustrom oder Abfluß eiweißfreier oder
mindestens sehr eiweißarmer Flüssigkeit in die oder aus der Blnt-
bahn zulassen; zweitens ob ein solcher Zustrom überhaupt durch
die Kapillarendothelien und nicht etwa auf dem Wege der Lymph¬
gefäße durch den Ductus thoracicus erfolgt
Was den ersten Punkt anlangt, so betont ja seit einiger Zeit
Nonnenbruch 1 ) immer wieder, daß die Bestimmung des Re¬
fraktionswertes allein keinen brauchbaren Maßstab für die Ver¬
änderungen der Blntkonzentration abgeben könne und hierzu einzig
and allein genaue Erythrocytenzählungen im Kapillarblut und zwar
wie dies Nägel i angegeben hat, nach einem heißen Handbad von
1) Nonnenbrnch, W., Deutsches Arch. f. Uin.Ued.186, 1981 — Nonnen*
brach u. Siyszka, Arch. f. exp. Path. u. Pharm. 86, 281, 1920. Bogen¬
dörfer u. Nonnenbrnch, Deutsches Arch. f. klin. Med. ISS, 389, 1990 u.Lc.
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Ober Austauschvorgänge zwischen Blat and Geweben.
279
ö Min. Dauer geeignet seien, denn es sei festgestellt, daß die dnrch
die Kapillarendotbelien ein- und aastretende Flüssigkeit durchaus
nicht eiweißfrei sein müsse, sondern recht erhebliche Eiweißmengen
mitfübren könne (Bogendörfer und Nonnenbruch. 1 ) Daß
Eiweiß unter gewissen Umständen tatsächlich durch die Gefä߬
wände hindurchtreten kann, ist ja vor allem durch die M agnus’schen
Versuche erwiesen, aber da handelt es sich doch wohl um ganz
grobpathologische Vorgänge, wo ein Tier mit verhältnismäßig
ungeheueren Flüssigkeitsmengen durchspült wird. Und selbst da
braucht ein derartiger Austausch von Eiweiß zwischen Blut und
Gewebe eine gewisse Zeit und kann kaum im Laufe weniger
Minuten zustande kommen. Es ist ja ähnlich wie mit der Perme¬
abilität der Glomerulusschlingen in der Niere für Eiweiß, welche
auch nur unter gewissen pathologischen Bedingungen einen nennens¬
werten Grad erreicht. Eine „ Albuminurie ins Gewebe“ (Eppinger*))
setzt doch immer krankhafte Veränderungen der beteiligten Apparate
voraus (vgl. auch Beckmann, 1 * )) ja Ellinger und Heymann*)
halten nicht einmal den Beweis für erbracht, daß Plasmaeiweiß in
vermehrter Menge durch die Gefäße hindurchtreten kann, und wir
dürfen wohl mitBayliß, 4 * 6 ) Böhme*,) Öhme,*) Ellinger,*) u. a.
annehmen, daß die Blutgefäßwände in der Norm Kolloide nicht
passieren lassen und daher im allgemeinen aus einer Zunahme des
Eiweißgehaltes im Serum auf einen Flüssigkeitsaustritt aus dem
Blute und umgekehrt aus einer Abnahme des Eiweißgehaltes auf
einen Bücktritt von Gewebsflüssigkeit in das Blut geschlossen
werden darf.
Wie langsam und mangelhaft Kolloide aus den Geweben in
die Blutbahn eindringen, geht aus den Versuchen von Smith,
Belt und Whipple 7 ) über den Ersatz der Plasmaproteine nach
deren Entfernung aus dem Blute (sog. „Plasmapharesis“) hervor.
Wird jungen Hunden Blut aus der Arterie entnommen und gleich¬
zeitig eine entsprechende Erythrocytensuspension in kolloidfreier
Locke’scher Lösung in die Vene infundiert, so kann man eine Ver-
1) l. c.
2) Eppinger, H., Zur Pathol. d. mansch]. Ödems. Springer, Berlin 1917.
8) Ellinger, A., u. Heymann, P., Arch. f. exper. Path. n. Pharm. 90,
1921.
4) Cit. nach Ellinger n. Heymann.
6) Böhme, A., Deutsches Arch. f. klin. Med. 10S, 522, 1911.
6) Öhme, C., Arch. f. exper. Path. n. Pharm. 89, 301, 1921.
7) Smith, H. P., Belt, A. E. u. Whipple, G. H., Amer. journ. of phy-
eioL 52, 64, 1920. (Bef. Kongrefisentr. 18, 616.)
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28a
Baues u. Abchheb * 4
r
minderung der Serumproteine bis auf V« erreichen. Der Ersatz
der Seramproteine setzt zwar schon in den ersten 15 Min. ein,
beträgt aber in dieser Zeit nicht mehr als 0,5—0,7°/ 0 , in den ersten
24 Standen nar etwa 2°/ 0 . Es ist also mit Rücksicht auf* die
Langsamkeit and das geringe Aasmaß der eventuellen Eiwei߬
verschiebungen zwischen Blut und Geweben die von ans gewählte
refraktometrische Methode aasreichend, um sich ein Urteil über
Flüssigkeitsbewegungen darch die Kapillarendothelien za bilden.
Daß die Endothelien etwa nnter der Einwirkung der verwendeten
Pharmaka eiweißdurchlässiger geworden sein sollten, ist höchst
unwahrscheinlich, da dies ja aach für die Glomertüusendothelien
der Niere nicht der Fall ist. Andererseits ist* es gewiß, daß
Hämoglobinbestimmungen oder Erythrocytenzählungen im KapiÜar-
blut recht beträchtliche Fehlerquellen mit sich bringen, die wohl -
auch durch die Vorsichtsmaßnahme von'Bogendörfer and
Nonnenbrach nicht völlig za beseitigen sein dürften (vgl.
F. 0. H e ß 1 2 3 ), welche überdies für unsere Zwecke eine neue Fehler¬
quelle eingeführt hätte, da es nicht bekannt ist, ob nicht ein heißes
Handbad allein schon Aastauschvorgänge zwischen Blat and Ge¬
weben anregt. Die Versnchsprotokolle Bogendörfer’s und >
Nonnenbrach’s legen eine solche Annahme sogar nahe. Aach
P. Schenk*) bezweifelt die Zweckmäßigkeit der Erythrocyten-
zählung im Kapillarblut zum Zwecke der Beurteilung der Blut¬
konzentration and Spiro,*) der Mitarbeiter Veil’s, hat sich ebenso
wie Bürger und Hagemann*) und wie wir mit der refrakto-
metrischen Bestimmung begnügt.
Schon im Jahre 1888 haben ja J. Cohnstein und N. Zuntz 4 )
nachweisen können, daß die Verteilung der Erythrocyten in den
verschiedenen Gefäßgebieten wechselnd ist und von der Weite der
Kapillaren abhängt. Die Kapillaren sind ärmer an Blutkörperchen
als die großen Gefäßstämme und ihr relativer Gehalt an Erythro¬
cyten schwankt mit ihrer Weite und der Strömungsgeschwindigkeit
des Blutes. Enge Kapillaren führen relativ viel Plasma und wenig
Erythrocyten, werden die Kapillaren weiter* so nimmt die Erythro-
cytenzahl in ihnen zu. Selbstverständlich muß sie dem entsprechend
in anderen Kapillaren abnehmen. So können Kontraktionszustände
gewisser Gefäßgebiete z. B. der Abdominalgefaße die Verteilung
1) Heü, F. 0., Deutsches Arch. f. klin. Med 1*7, 200, 1921.
2) Schenk, P., Zeitschr. f. exper. Med. 11, 166, 1920.
3) 1. c.
4) Cohnstein, J. n. Zants, N., Pflöger’s Arch. f. Physiol. 42,308, 1888.
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Original frum
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Über Austausch Vorgänge zwischen Blnt und Geweben.
281
der roten Blutkörperchen erheblich beeinflussen, d. h. ihre Zahl in
der Peripherie erhöhen, Erweiterungen ihre Zahl erniedrigen.
Durch starken Druck auf die angestochene Fingerkuppe ändert
sich die Beschaffenheit des austretenden Blutes in der Weise, daß
dife Erythrocytenzahl ab-, die Serumkonzentration aber zunimmt.
Auch unter verschiedenartigen anderen Umständen, so bei Stauung,
Kältewirkung, beim Heben oder Senken des Armes u. a. ändern
sich die relative Erythrocytenzahl und die Serumkonzentration
nicht gleichsinnig (vgl. Böhme 1 2 )). Wegen der quantitativ nicht
genügend übersehbaren Sedimentierungsvorgänge der roten Blut'
körperchen wird man also wohl im allgemeinen mit Böhme den
Änderungen der refraktometrisch bestimmten Serumkonzentration
eine größere Bedeutung für Fragen des Flüssigkeitsaustausches
zwischen Blut und Geweben einräumen dürfen als den Veränderungen
der relativen Erythrocytenmenge. Das lehrten uns auch eigene
spezielle Erfahrungen.
Die zweite Frage ist, ob der von uns beobachtete extrarenal
ausgelöste Flüssigkeitszustrom aus den Geweben überhaupt durch
die Gefäßwandendothelien hindurch und nicht vielmehr durch eine
stärkere Lymphzufuhr via Ductus thoracicus stattfindet. Dies ist
um so näher liegend, als K. Spiro und H. Schneider 8 ) feststellen
konnten, daß nach Koffeininjektion die aus dem Ductus thoracicus
ausfließende Lymphmenge beim Kaninchen in der auf die Injektion
folgenden halben Stunde um das Drei- bis Fünffache stieg. Da
die Lymphe erheblich eiweißärmer ist als das Blutserum, könnte
die von uns beobachtete Diuretinwirkung auf den Bluteiweißwert
sehr wohl der Beobachtung Spiro und Schneider’s entsprechen
und durch einen vermehrten Lymphzufluß via Ductus thoracicus
bedingt sein. Wir sind um so weniger in der Lage, auf Grund
unserer bisherigen Versuche diese Frage zu entscheiden, als wir
die Hydrämie erst % Stunde nach der Diuretininjektion festgestellt
haben und vorläufig nicht wissen, ob sie auch schon sofort nach
der Injektion eintritt, was dann eher zugunsten eines Austausches
durch die Kapillarendothelien sprechen würde. Es wäre jedenfalls
bemerkenswert, daß die lymphagoge Wirkung des Koffeins und
Diuretins — wofern überhaupt diese Alternative zutrifft — dem
Theocin, Theophyllin und Euphyllin nicht zukommt
Wie dem auch sei, es hat sich ein prinzipieller Unterschied
1) 1. c.
2) Cit nach P. Spiro, 1. e.
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282
Baurb u. Aschmkb
zwischen dem Diuretin einerseits und dem Theocin-Theopbyllin
und Enphyllin andererseits bezüglich der extrarenal ansgelösten
Fl&ssigkeitsverschiebungen im Organismus heräusgestellt und ebenso
zeigt die NaCl-Verschiebung Differenzen zwischen allen drei Arten
von Purinkörpern. Daraus allein muß es eigentlich schon recht
fraglich erscheinen, ob denn diese extrarenalen Wirkungen der
Purinkörper überhaupt mit der Diurese etwas zu tun haben.
Volhard hält die extrarenal entstehende Hydrämie für das ma߬
gebendste Moment bei der diuretischen Wirkung, Spiro glaubt,
die extrarenal entstehende Eindickung des Blutes unter dem Ein¬
fluß von Theocin sei an der Auslösung der Purinkörperdiurese be¬
teiligt. Wir müssen einen unmittelbaren kausalen
Zusammenhang zwischen der geschilderten extra¬
renalen Wirkung der Diuretica und ihrem diu¬
retischen Effekt überhaupt ablehnen. Die Gründe hier¬
für sind folgende:
1. Es besteht, wie wir eben besprochen haben, kein Paralle¬
lismus zwischen diuretischem Effekt und der Art und Größe der
Wasser^ und NaCl-Verschiebung zwischen Blut und Geweben.
2. Die gleichen extrarenalen Wasser- und NaCl-Verschiebungen
zwischen Blut und Geweben lassen sich auch durch andere Mittel
und Maßnahmen herbeiführen, welchen eine dinretische Wirkung
nicht zukommt. Von dieser Beobachtung soll in einer späteren
Mitteilung die Rede sein. Hier sei nur bemerkt, daß die venöse
Injektion hypertonischer Salz- oder Traubenzuckerlösungen in der
Regel von einer Blutverdünnung, also einer Hydrämie gefolgt ist,
die aber durchaus keine Diurese zur Folge haben muß.
3. Verfolgt man die Austauschvorgänge zwischen Blut und
Geweben, also speziell den Eiweiß- und NaCl-Wert im Serum
während einer durch perorale Darreichung der üblichen Diuretica
hervorgerufenen mächtigen Diurese, so ist man verblüfft, mit welcher
Beharrlichkeit der Eiweiß- und NaCl-Wert im Serum konstant er*
halten wird, obwohl dem Blute plötzlich gewaltige Wasser- und
NaCl-Mengen durch die Niere entzogen werden. Wir sehen z. B.
an den beiden Kurven 1 und 2 unter Diuretinbehandlung eine ge¬
waltige Wasser- und NaCl-Ausfuhr durch die Nieren eintreten,
die Harnmengen steigen im ersten Falle von 1 auf 3 */i Liter, im
zweiten sogar von 500 ccm bis auf 7 Liter pro Tag, ohne daß
sich diese plötzlich einsetzende, kolossale Entziehung im Eiwei߬
oder NaCl-Wert des Serums in nennenswertem Grade kundgeben
* würde. Das renal ausgeschiedene NaCl strömt prompt in der ent-
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Über Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben.
283
sprechenden Menge ans den Geweben nach und der Eiweißwert
steigt erst, wenn nicht mehr genfigend Flüssigkeit in den Geweben
zum Ersatz der ansgeschiedenen disponibel ist. Im ersten Falle
ohne nennenswerte Ödeme steigt er demzufolge früher, im zweiten
mit beträchtlichem Hydrops hält ei* sich während der Zeit der
maximalen Diurese konstant nnd steigt erst an, als auch schon die
dinretische Wirkung abflaut. Kein Unvoreingenommener wird bei
Betrachtung dieser Kurven auch nur an die Möglichkeit denken,
täglich 4 g Diuretin. m
Kurve 1. Versuch 63, Sch. A., 62 J., Emphysem. C&rdi&le Dekompensation.
es könnten primäre Änderungen in den extrarenalen Austausch-
Vorgängen zwischen Blut und Geweben die Diurese hervorgerufen
haben, jeder wird herauslesen, daß die sonderbare Konstanz der
Blutwerte nur darauf beruhen kann, daß eben gerade so viel an
Wasser nnd NaCl aus den Geweben in das Blut nachrückt, als
ihm durch die Niere entzogen wird (vgl. auch Meyer und Gott¬
lieb), 1 ) oder, wie dies Veil*) selbst früher einmal im Gegensatz
1) Meyer, H. H., u. Gottlieb, R., Exper. Pharmakologie. 4. Auf., S. 403.
Urban u. Schwarzenberg 1920.
3) Veil, W. H., Deutsches Arch. f. klin. Med. 118, 1914.
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Über Anstanschvorgänge zwischen Blot nnd Geweben.
285
daneben noch extrarenale Effekte, wie Steigerung der Perspiration,
anftreten oder nicht. Denn ein primär extrarenales Ereignis kann
seinen Einfluß anf die Diurese nur durch Vermittlung des Zirku¬
lationsapparates, durch Änderung der Blutzusammensetzung oder
dorch nervös-reflektorische Einwirkung auf die Nieren geltend
machen. Keines dieser Momente konnte Nonnenbruch in seinen
Novasurolversuchen feststellen. Nur auf Grund einer Steigerung
der Perspiration durch Novasurol dessen diuretische Wirksamkeit
als primär extrarenal bedingt anzusehen, halten wir für unzulässig.
Die oben beschriebenen extrarenplen Verschiebungen von
Wasser nnd NaCl zwischen Blut und Gewebe, welche wir nach
intravenöser Darreichung der Diuretica gesehen haben, kommen in
den Diuretinkurven nicht zum Ausdruck, wo die Blutuntersuchung
nur einmal täglich ausgeführt wurde. In Kurve 2 sieht man aller¬
dings, daß auch nach peroraler Theocingabe der Eiweißwert an¬
fangs etwas ansteigt, viel mehr noch aber das Serum-NaCl zu¬
nimmt, ganz wie wir es im Gegensatz zu Veil und Spiro nach
venöser Applikation oben beschrieben haben. In einem anderen
Falle, bei einem etwa 40jährigen Manne mit einer luetischen
Nephrose und hochgradigen Ödemen (Vers. 21), stieg der NaCl-Ge-
halt des Blutserums nach 0,6 Theocin natrioacet. per os im Laufe
von 2V* Stunden von 518,7 mg % auf 612,5 mg % und betrug nach
weiteren 1% Stunden noch 605,6 mg %. Der Eiweißwert stieg in
den gleichen Zeiten ganz wie in Kurve 2, zunächst von 5,75%
anf 6,03 %, um dann auf 5,43 % abzusinken. Die erzielte Diurese
war hier recht mäßig. Bei demselben Manne brachte zehn Tage
später mehrtägige Darreichung von 3 g Diuretin gleichfalls nur
eine vorübergehende geringe Diurese zustande, ohne daß sich
während dieser Zeit der Refraktometerwert und der NaCl-Gehalt
des Serum überhaupt nennenswert geändert hätte.
An der extrarenal einsetzenden Wirkung der Diu¬
retica ist also nach allem gar nicht zu zweifeln, am
klarsten tritt sie ja an dem NaCl-Einstrom ins Blut
nach Darreichung von Theocin hervor, welcher sicher¬
lich noch vor dem Einsetzen einer nennenswerten
Diurese statthat und mit einer gleichzeitigen Ein¬
dickung des Blutes einhergeht. Diese extrarenale
Wirkung der Diuretica kann aber nicht maßgebend
sein für den Eintritt der Diurese, sie kann besten¬
falls ihren Grad und Verlauf modifizieren. Gegen die
lange Zeit herrschende Auffassung, daß die Nierenarbeit unmittel-
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286
Baubb u. Aschhbb
bar diktiert wird von der Blntzosammensetznng nnd mehr oder
minder komplizierte aber exakte und fixe Beziehungen bestehen
zwischen dem Gehalt des Blutes an gewissen Substanzen und deren
renaler Ausscheidungsgröße (vgl. u. a. besonders A m b ar d, *)) sind ja
nun schon maßgebende Stimmen aufgetreten (vgl. 0. Schwarz, 1 )
Oehme*) u. a.). Die Nierenarbeit wird viel weniger durch die
Zusammensetzung des Blutes als durch die des ganzen Körpers
(0. Schwarz) bestimmt, wenn uns auch der Weg, auf welchem die
Regulation der gegenseitigen Wechselwirkung von Geweben und
Nieren erfolgt, noch unbekannt ist Auf die Frage, wie die extra¬
renale Wirkung der Diuretica zustande kommt, ob sie auf einer „Um¬
stimmung der Angiothelien“ (Weber, 4 )) einer unmittelbaren Be¬
einflussung der Gewebe (Beckmann 8 )) oder etwa auf einer all¬
gemeinen Kolloid Wirkung (Ellinger 5 )) beruht, sei zun&chst nicht
weiter eingegangen, nur ihre tatsächliche Existenz hervorgehoben.
Die Versuche von Weber haben sie übrigens zuerst bewiesen,
jene von Gaisböck 8 ) und Erna Oeser 7 ) nicht widerlegt
Auch andere Diuretica als die der Purinreihe haben einen
extrarenalen Angriffspunkt Strophantin, intravenös gegeben,
führt zu einer Blutverdünnung. Darauf hatte Lüthje 8 ) als Erster
aufmerksam gemacht, Volhard führt auf diese extrarenal hervor¬
gerufene Hydrämie die diuretische Wirkung des Strophantins zurück.
Auch wir konnten die Blutverdünnung nach Strophantin feststellen
— der NaCl-Gehalt des Blutes hält sich gleich. Mit der diure-
tischen Wirkung möchten wir diesen Strophantineffekt aber so wenig
in Zusammenhang bringen wie die extrarenalen Purinkörpereffekte.
Nach intramuskulärer Digipuratinjektion sahen wir keine
bemerkenswerte Änderung im Serum eintreten, ebensowenig nach
einmaliger subkutaner Injektion von 6 ccm 25% Kamp her-
öls bei einem Falle von Concretio pericardii cum corde mit Stau¬
ung und Ödemen. Treten Änderungen im Serum auf, wie in den
von Beckmann 9 ) untersuchten Fällen, so sind sie Folge der
renalen Ausschwemmung, keinesfalls Ursache derselben. Für die
1) Cit nach Schwäre, 0.
2) Schwarz, 0., Zentralbl. f. d. Grenzgeb. d. Med. a. Chir. 19, 461, 1916.
3) Öhme, C., Arch. f. exper. Path. n. Pharm. 89, 301, 1921.
4) Weber, S., Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 86, 889, 1911.
5) Ellinger, Al., Münchener med. Wochenschr. 1920, Nr. 49, 1399.
6) Gaisböck, F., Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 68, 387, 1911.
7) Oeser, Erna, Cit nach Spiro, L c.
8) Cit. nach Veil, Deutsches Arch. f. klin. Med. US, 260.
9) 1. c.
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Über Austauschvorgänge zwischen Blnt and Geweben.
287
Kalomeldinrese hatte Jendrassik 1 2 * * ) eine primär entstehende
Hydrämie als maßgebend für die diuretische Wirkung angesprochen.
Wir verfügen diesbezüglich über keine eigenen Erfahrungen. Harn¬
stoff in der Dosis von 3,5—4,5 g auf 20 ccm Wasser intravenös
injiziert hatte 30—60 Minuten nachher keine Veränderung im Eiweiß-
und NaCl-Gehalt des Serums hervorgebracht. Auch der Beststick-
stoffwert blieb im Blut unverändert, da der zugeführte Harnstoff
stoff sehr rasch aus der Blutbahn in die Gewebe abströmt (Nonnen-
bruch).*) Einer der untersuchten Fälle betraf eine kardiale De¬
kompensation mit Hydrops. Dagegen sahen wir bei einer luetischen
Nephrose mit schweren Odemen unter täglicher peroraler Zufuhr
von vier Eßlöffeln Urea innerhalb von zwei Tagen den Eiwei߬
gehalt des Blutes von 5,9% auf 6,84%, den NaCl-Gehalt des
Serams von 596,7 mg% auf 687,8 mg % ansteigen, wobei auch die
Diurese in mäßigem Umfange zunahm. Eine primär extrarenale
Wirkung läßt sich aus diesem Befunde nicht mit Sicherheit ent¬
nehmen. Nonnenbruch findet nach Harnstoffgaben keine ge¬
setzmäßigen Schwankungen der Eiweiß- und NaCl-Werte des
Serams (vgl. Henderson und Löwi. 8 ))
So können wir wohl außer den Purinkörpern nur dem Stro¬
phantin und Kalomel eine gesetzmäßige primäre extrarenale Wirk¬
samkeit in bezug auf die Austauschvorgänge zwischen Blnt und
Geweben zuerkqnnen, wobei wir trotz der „Gesetzmäßigkeit“ nicht
verkennen dürfen, daß eben nach den wechselnden und mannig¬
fachen Besonderheiten des Falles das effektive, am Eiweiß- und
NaCl-Gehalt des Serams beurteilte Ergebnis verschieden sein kann.
Wir meinen also, daß trotz der gleichartigen nnd gesetzmäßigen,
in ihrem Wesen uns noch unbekannten extrarenalen Wirkung der
besprochenen Substanzen die Eiweiß- und NaCl-Werte im Serum
verschiedene Schwankungen zeigen können, da diese eben nicht
bloß von jener gesetzmäßigen extrarenalen Wirkung der Purin¬
körper, des Strophantins und Kalomeis sondern auch von dem
Wasser- und NaCI Bestand im Blut und Gewebe, von ihrem Bin-
dnngszustand, vom Quellungsdruck der Blut- und Gewebekolloide,
vom Zustand des Zirkulations- und Lymphapparates, vor allem
der kleinen Gefäße und vom Grade der renalen und sonstigen
sekretorischen Elimination aus dem Blute mitabhängen. So ein-
1) Jendrassik, E., Deutsches Arch. f. klin. Med. S8, 499 nnd 47, 226.
2) Nonnenbrnch, W., Arch. f. exper. Path. u. Pharm. 89, 200, 1921.
8) Henderson, Y. E. n. Löwi, 0., Arcb. f. exper. Patbo). n. Pharm. 6t,
49, 1906.
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288 Baukr n. Aschkkb
fach liegen eben die Verhältnisse nicht, wie sie sich Veil ur¬
sprünglich vorstellte: Die Diurese beim Nichtödematösen erfolge
stets unter Bluteindickung, weil der Gewebeafflux nicht Schritt
hält mit der Elimination von Wasser und NaCl aus dem Blute;
die Entwässerung des Ödematösen aber erfolge stets, ob nun kar¬
diale oder renale Ödeme vorliegen und ob sie mit diesen oder
jenen Maßnahmen beseitigt werden, unter anfänglicher Hydrämie
und nachfolgender Eindickung des Blutes, wobei die Hydrämie als
Ausdruck des überschüssigen Nachströmens der Gewebsflüssigkeit
unter dem Einfluß der primär entstandenen Diurese anzusehen sei
Wir werden uns nicht wundern, wenn wir wegen der Mannigfaltig¬
keit« der mitwirkenden Bedingungen gelegentlich keine Blutein¬
dickung nach Theocin oder keine Hydrämie nach Diuretin werden
finden können, an der Gesetzmäßigkeit ihrer extrarenalen, die Aus-
tanschvorgänge zwischen Blut und Geweben beeinflussenden Wirk¬
samkeit kann dies nichts ändern, so wenig wir den Einstrom von
Gewebsflüssigkeit und NaCl ins Blut im Anschluß an einen Ader¬
laß nicht als gesetzmäßig ansehen werden, weil unter gewissen
Umständen sogar eine initiale Eindickung des Blutes, wie sie Beck¬
mann und auch wir gesehen haben, oder eine NaCl-Abnahme im
Serum, wie wir sie einmal bei einer arteriellen Hypertonie be¬
obachteten, Vorkommen kann.
Die diuretische Wirkung der auch extrarenal in die Austausch¬
vorgänge zwischen Blut und Gewebe eingreifenden Diuretica kommt
also nicht infolge dieser ihrer extrarenalen Wirksamkeit sondern
auf andere Weise zustande. In erster Linie offenbar durch ihre
unmittelbar renale Wirkung, in zweiter Linie wohl auch durch
Beeinflussung der Zirkulationsverhältnisse und der kolloidalen Blut¬
beschaffenheit, also durch Herabsetzung des Quellungsdruckes der
Eiweißkörper (Ellinger).
Es erhebt sich nun nochmals die Frage nach der Lokalisation
■des extrarenalen Angriffspunktes der Diuretica bezüglich ihrer
Beeinflussung der Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben.
In Änderungen der vasomotorischen Innervation kann der Grund
dieser Beeinflussung nicht erblickt werden. Dagegen sprechen
schon die Unterschiede in der extrarenalen Wirkung der einzelneh
Diuretica, vor allem aber die gesetzmäßige Dissoziation von Wasser-
und NaCl-Verschiebungen. Diese Dissoziation steht auch in Wider¬
spruch mit der sehr nahe liegenden Annahme, daß eine direkte
Beeinflussung des Quellungsdruckes der Blut- oder Gewebekolloide im
Sinne von Ellinger alle beobachteten Erscheinungen erklären könnte.
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Über Austauschvorgäuge zwischen Blut und Geweben. 289
Daß eine solche Beeinflussung tatsächlich erfolgt, daß das
Koffein z. B. die Hydratation der Eiweißsole herabsetzt, dadurch
deren innere ßeibung und Quellungsdruck vermindert und ihre
Filtrationsfähigkeit erhöht, ist ja durch die ingeniösen Unter¬
suchungen E11 i n g e r ’s erwiesen. Man könnte sich also wohl vor¬
stellen, daß durch eine entsprechende Beeinflussung des Quellungs¬
drucks der Eiweißkörper im Blut einerseits und in den Geweben
andererseits und durch das verschieden rasche Eindringen der be¬
treffenden Pharmaka aus dem Blut in die Gewebe die Verschieden¬
heiten in der Richtung der Wasserströmung durch die Kapillar¬
wände sich erklären ließen. Wenn also beispielsweise das Diuretin
schneller -als das Theocin und Euphyllin aus dem Blute in die Ge¬
webe gelangen und infolgedessen den Quellungsdruck der Gewebs-
kolloide rascher und stärker herabsetzen würde als den der Blut¬
kolloide, so müßte ein Abströmen aus den Geweben ins Blut, also
eine Hydrämie resultieren, und umgekehrt würde das länger im
Blut verweilende Theocin und Euphjdlin den Quellungsdruck der
Blutkolloide stärker herabsetzen und dadurch ein Abströmen aus
dem Blute in die Gewebe veranlassen. Warum aber das eine Mal
das NaCl aus den Geweben ins Blut strömt, wie nach Theocin,
das andere Mal aus dem Blut in die Gewebe abwandert, wie nach
Euphyllin, das dritte Mal konstant bleibt, wie nach Diuretin, das
läßt sich wohl auch mit der Elllinger’schen Hypothese nicht
recht erklären. Auch die kombinierte Wirkung der Beeinflussung
des Quellungsdrucks einerseits und der Vermehrung des Lymph-
zuflusses auf dem Wege des Ductus thoracicus andererseits kann
nicht die rasche und in entgegengesetztem Sinne erfolgende Ver¬
schiebung von Wasser und NaCl unter Theocin erklären. Wir
müssen also letzten Endes vorläufig doch noch auf eine spezifische
sekretorische Beeinflussung der Kapillarwandendothelien oder ihrer
nervösen Regulationsapparate zurückgreifen, wenn wir uns nicht
lieber mit einem „ignoramus“ begnügen wollen.
Zusammenfassung.
1. Die Diuretica der Purinreihe beeinflussen den Austausch
von Wasser und NaCl zwischen Blut und Geweben auf extrarenalem
Wege, ohne daß diese extrarenale Wirkung für den diuretischen
Effekt der betreffenden Mittel wesentlich in Betracht käme.
2. Zwischen den einzelnen Diureticis der Purinreihe bestehen
wesentliche Unterschiede in der Art ihrer extrarenalen Beeinflussung
der Wasser- und NaCl-Verschiebung zwischen Blut und Geweben.
Deutsches Archiv filr klin. Medizin. 138. Bd. 19
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290 Bauer u. Aschnbb, Über Austausch Vorgänge zwischen Blut u. Geweben.
Theocin, Theophyllin und Euphyllin erzeugen zunächst eine Ein¬
dickung, Diuretin, venös gegeben, in der Regel eine Verdünnung
des Blutes. Der NaCl-Gehalt des Blutserums steigt nach Theocin
und Theophyllin zunächst an, fällt nach Euphyllin ab und bleibt
nach Diuretin regelmäßig unverändert.
3. Die Mannigfaltigkeit der mitwirkenden Bedingungen für
den Austausch zwischen Blut und Geweben erklärt gelegentliche
Abweichungen von diesen Gesetzmäßigkeiten.
4. Es können durch eine pharmakodynamische Anregung der
Diurese ganz enorme Mengen Wasser und NaCl aus dem Blute
ausgeschwemmt werden, ohne daß sich im Verlaufe der gewaltigen
Diurese nennenswerte Änderungen des Wasser- oder NaC^Gehaltes
im Serum ergeben würden, was dafür spricht, daß die Diurese nicht
infolge der durch die extrarenale Wirkung der Diurese erfolgenden
Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben zustande kommt.
Das durch die Nieren aus dem Blute eliminierte Material wird
mit außerordentlicher Präzision von den Geweben an das Blut
nachgeliefert.
5. Das venös injizierte Strophantin führt durch extrarenale
Beeinflussung der Austauschvorgänge zwischen Blut und Geweben
zu einer initialen Hydrämie.
6. Eine befriedigende physikalisch-chemische Vorstellung über
die Art und Lokalisation des extrarenalen Angriffspunktes der
Diuretica läßt sich vorläufig nicht gewinnen; man muß wohl au
eine spezifische sekretorische Beeinflussung der Kapillarendothelien
oder ihrer nervösen Regulationsapparate durch die wirksamen Stoffe
denken.
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Original frorn
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291
Aus der medizin. Poliklinik (Prof. Strasburger) und dem
Senckenbergischen Pathologischen Institut (Prof. B. Fischer) der
Universität Frankfurt a/M.
Endothelhyperplasie als Systemerkrankung des hämato-
poetischen Apparates
(zugleich ein Beitrag zur Kenntnis der Splenomegalie.»
Von
Priv.-Doz. Dr. E. Goldschmid, und Professor Dr. S. Isaac,
Prosektor am pathol. Institut. Oberarzt an der med. Poliklinik.
(Mit 2 Tafeln.)
Die hyperplastischen Erkrankungen des hämätopoetischen Appa¬
rates sind, wie wir es besonders von der Leukämie her kennen,
meistens Systemaffektionen, d. h. alle Teile des blutbildenden Systems
(Knochenmark, Milz, Leber, Lymphdrüsen) sind mehr oder weniger
hochgradig von den Wucherungen betroffen. Wo, wie in Leber
und Milzpulpa, das spezifische blutzellbildende Parenchym im extra¬
uterinen Leben nicht mehr in Tätigkeit ist, erwacht unter dem Ein¬
flüsse der leukämischen Reize die Bildung von Blutzellen bzw.
* ihrer Vorstufen aufs neue: es entsteht z. B. bei deu myeloiden
Leukämien das Bild der sogenannten myeloiden Metaplasie in Leber
und Milzpulpa. Da in embryonaler Zeit das hämatopoetische Ge¬
webe aus den Gefäßwandzellen seinen Ursprung nimmt, entspricht
die metaplastische Reizung einer Zurück Versetzung in den embryo-
naleu Tätigkeitszustand. Es ist noch unentschieden, ob das unter
pathologischen Bedingungen in den genannten Organen sich bildende
leukoblastisch-erythroblastische Gewebe aus den Endothelien der
Gefäße oder dem perivaskulären Bindegewebe (Adventitialzellen»
oder den sogenannten retikulären Zellen hervorgeht, eine Frage, die
an sich von geringerer Bedeutung zu sein scheint, zumal in neuerer
Zeit besonders von Aschoff und seiner Schule die funktionelle
Einheit dieses „reticulo-endothelialen Apparates“ betont wurde.
19*
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292
Goi.dschmid u. Isaac
Neben der Fähigkeit Blntzellen zu bilden haben die Retikulum¬
zellen und Endothelien noch andere gemeinsame Funktionen, wie
die Speicherung von Farbstoffen und Lipoiden nnd möglicherweise
auch die Bildung von Gallenfarbstoff.
Dieser reticulo-endotheliale Apparat kann nun auch, in ähn¬
licher Weise, wie wir es von der Leukämie her wissen, in allen
blutbildenden Organen wuchern, ohne daß es dabei jedoch zu einer
Blutzellhildung zu kommen braucht. Bei der sogenannten Spleno-
' megalie Gauch er, die ursprünglich als eine isolierte Erkrankung
der Milz galt, findet sich, wie Schlagenhaufer zuerst erkannt
hat, eine systematische Wucherung der Reticulumzellen in allen
znm hämatopoetischen System gehörigen Organen, so daß man von
einer Systemaffektion des retikulären Gewebes sprechen kann. Es
entsteht eine Art Pseudoleukämie, bei der nicht die parenchyma¬
töse, sondern die retikuläre Komponente in Wucherung geraten
ist. Diese Erkrankung ist bereits gut gekannt: nach Schlagen¬
haufer haben Marchand, Risel, deJong und vanHeuke-
lom, Man die bäum u. a. einschlägige Fälle 1 ) mitgeteilt. Ein
gewisses Licht auf ihre Pathogenese werfen experimentelle Unter¬
suchungen von Anitschkow, 2 ) der zeigen konnte, daß Tiere, die
lange mit Cholesterin gefüttert waren, in allen entsprechenden
Organen, ähnlich wie bei der Gaucher’schen Erkrankung, eine
enorme Hyperplasie der Retikulumzellen bekommen, die mit Lipoi¬
den beladen sind. Audi bei Fällen von diabetischer Lipämie des
Menschen hatSchultze in der Milz ähnliche Bilder erhalten. Wenn
auch beim Morbus Gau eher lipoide Substanzen in den gewucher¬
ten und vergrößerten Retikulumzellen nicht nachweisbar sind, so
ist es doch wahrscheinlich, daß abnorme Produkte des Stoffwechsels
in diesen Zellen zur Ablagerung gelangen. Alle neueren Autoren,
welche sich mit der Histogenese der Gaucher‘sehen Krankheit
beschäftigt haben, vertreten die Auffassung, daß hier die Zell¬
hyperplasie ausschließlich auf Kosten der retikulären Zellen zu¬
stande kommt, und daß Veränderungen der Endothelien in größerem
Umfange nicht nachweisbar sind; nur in den erwähnten Versuchen
von A n i t s c h k o w hatten neben den Retikulumzellen auch die
Endothelien Lipoide gespeichert. Man kann daraus vielleicht
schließen, daß der physiologisch eine Einheit bildende reticulo-
1) Literatur z. B bei Maudlebauin a. Downe v in Fol. bämatol. 20. 1S8,
Utlß.
2 ) Ziegler’s Beitrüge r>6, 1014.
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Endothelhyperplasie als Systemerkrankung usw.
293
endotheliale Stoffweckseiapparat auf pathologische Reize nicht
einheitlich reagiert. Diese Annahme liegt um so näher, als be¬
reits einige spärliche Beobachtungen vorliegen, aus denen hervorgeht,
daß auch die Endothelien der blutbildenden Organe in mehr
oder weniger systematischer Weise für sich erkranken und zu
hyperplastischen Bildungen führen können.
Im folgenden soll ein klinisch und anatomisch genau unter¬
suchter Fall mitgeteilt werden, der in diese letztere Kategorie ge¬
hört und uns Gelegenheit geben wird, auf einige in der Einleitung
kurz berührte Gesichtspunkte näher einzugehen.
54 jährige Frau M. W., Familienanamnese o. B. Im Jahre 1903
hat sie eine rheumatische Erkrankung durchgemacht, sonst war sie immer
gesund. Im Jahre 1919 erkrankte sie im Januar plötzlich mit Schüttel¬
frost und lag damals 4 Wochen zu Bett. Es hat sich anscheinend um
eine Grippe mit Lungenentzündung gebandelt. Der Arzt soll damals
auch bereits eine Schwellung der Milz festgestellt haben. Nach
Ablauf dieser Erkrankung hat sie sich wieder leidlich wohl gefühlt, bis
Anfang März 1920 Schmerzen in der linken TJnterbauchgegend, Appetit¬
losigkeit und allgemeines 8chwächegefühl sich einstellten. Wegen dieser
Beschwerden suchte sie am 10. Mai 1920 zuerst die medizinische Uni¬
versitäts-Poliklinik auf.
Befund: Mittelgroße Frau in herabgesetztem Ernährungs- und
Kräftezustand. Haut und Schleimhäute sehr blaß mit einem leichten
Stich ins Gelbliche. Nirgends Drüsenschwellungen. Keine Ödeme. Kein
Ascites.
Lungen: Links vorn bis zur 3. Rippe, hinten bis zur Schulter¬
blattgräte Dämpfung mit verschärftem Atmen und reichlichen mittel¬
blasigen Rasselgeräuschen. Kein Husten oder Auswurf.
Herz: Dämpfung nicht verbreitert, Spitzenstoß etwas hebend, aber
innerhalb der Mammillarlinie. Uber allen Ostien hört man ein lautes
systolisches Geräusch. Puls regelmäßig, von mittlerer Füllung und
Spannung. Blutdruck 118/80 mm Hg.
Abdomen: Im allgemeinen weich und nirgends druckschmerzhaft.
Der Leib ist in den linken unteren und mittleren Partien etwas aufge¬
trieben. Die Leber überragt den Rippenbogen etwa handbreit und ist
von mittlerer Härte.
Die Milz ist stark vergrößert. Sie reicht fast bis ins
kleine Becken und überschreitet die Medianlinie um 2 Finger breit.
Der Milztumor ist von beträchtlicher Härte. Die Maße der Milz be¬
tragen 26:10 cm.
Das Nervensystem ist ohne Veränderungen.
Der Harn ist frei von Eiweiß und Zucker, enthält kein Bilirubin,
zeigt aber eine positive Urobilin- und Urobilinogenreaktion.
Die Röntgendurchleuchtung des Thorax ergibt eine intensive
Trübung des linken Oberlappens.
Die Blut Untersuchung hatte folgendes Resultat:
Hämaglobin: 50 (Sahli), Erythrocyten: 2 860 000. Färbeindex: 1.
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294
Goldschmid u. Isaac
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Leukocyten: 9 000, Polymorphkernige neutrophile: 80°/ 0 , Eosino¬
phile: 0°/ 0 , Mastzellen: 0,5°^, Lymphocyten: 16,0°/ 0 , Monocyten: 1,5%,
Myelocyten 2‘7 0 .
Auf 200 rote Blutkörperchen kommen 3 Normoblasten und 3 basophil
punktierte Erythrocyten. Ausgesprochene Anisocytose und Polychromasie.
Der Bilirubingehalt des Blutes, nach Hijmans van den Bergh
geschätzt, ist nicht vermehrt. Die Wassermann’sche Reaktion ist
negativ. Die Resistenz der Erythrocyten ist nicht vermindert.
Die Diagnose blieb zunächst unklar. Klinisch ließ sich das
Krankheitsbild nicht ohne weiteres rubrizieren.
Therapeutisch wurde neben innerlicher Verabfolgung von Arsacetin
zunächst die Milz bestrahlt. In der Zeit vom 19. Mai 1920 bis Juli 1920
erhielt die Patientin 7 Röntgenbestrahlungen der in Felder eingeteilten
Milz, und zwar jedesmal 150 Fürstenau pro Feld unter Filterung von
0,5 mm Zink. Die Milz verkleinerte sich etwas unter dem Einfluß der
Bestrahlungen, auch hob sich das Allgemeinbefinden, so daß die Frau
ihren Haushalt besorgen konnte. Der Blutbefund wurde nicht beeinflußt.
Am 18. Oktober 1920 hatte die Milz wieder ihre alte Größe er¬
reicht. Über dem linken Oberlappen reichlich feuchte Rasselgeräusche.
Eine Punktion der Milz ergab im Ausstrichpräparat zahlreiche große
Zellen mit ungranuliertem Protoplasma und großem Kern. Die Zellen
hatten am ehesten da9 Aussehen von Pulpazellen.
Vom 28. Februar 1921 bis zum 21. März 1921 wurde die Milz
wiederum 4 mal bestrahlt, aber ohne daß eine Verkleinerung zu erreichen
war. Im übrigen verlief die Erkrankung ganz einförmig. Die Frau
klagte jetzt nur über allgemeine Schwäche und über die Beschwerden,
welche ihr der große Milztumor verursachte. Aus letzterem Grunde
wurde ihr die Milzexstirpation vorgeschlagen, zumal eine pseudoleukämische
Erkrankung, etwa eine myeloide Pseudoleukämie der Milz nach dem Er¬
gebnis der Milzpunktion ausgeschlossen werden konnte.
Am 22. April 1921 Aufnahme in die klinische Abteilung der Med.
Univ. Poliklinik. Der allgemeine Befund zeigte keine Veränderung.
Der Mageninhalt war anacid. Im Blutserum keine Vermehrung des
Bilirubingehaltes. Der Blutbefund war folgender:
Hämoglobin: 35 (Sahli), Erythrocyten: 2 900 000, Leukocyten:
7 200, Färbeindex: 0,6, Polymorphkernige Leukocyten: 65,8 M / 0 , Lympho-
cyten: 28,2°/ 0 , Monocyten: 3,3°/ 0 , eosinophile Leukocyten: 2,4°/ 0 .
Im Ausstrichpräparat zeigt sich Anisocytose, Poikilocytose, Poly¬
chromasie. Neben reichlicheren Normoblasten werden auch vereinzelte
Myelocyten gefunden sowie Megaloblasten. Die Zahl der Blutplättchen
beträgt 292 000 im ccm.
Im Harn mäßig starke Urobilinreaktion. Es sollten vor der Milz¬
exstirpation noch einige Stoffwechseluntersuchungen ausgeführt werden.
Es kam aber Dicht mehr zur Ausführung, da Ende April plötzlich eine
rapide Vorschlechterung des Befindens einsetzte, welche unter mäßigem
Fieber und hochgradiger Schwäche am 3. Mai 1921 zum Tode führte.
Zusammengefaßt verlief die Krankheit unter dem Bilde einer
schweren Anämie mit großem Milztumor und Leber-
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Endothelhyperplasie als Systemerkranknng usw.
295
Schwellung. Diagnostisch kam eine perniziöse Anämie nicht in
Frage, auch eine hämolytische Anämie (hämolytischer Ikterus) mußte
bei der dauernd fehlenden Vermehrung des Bilirubingehaltes des
Blutes ausgeschlossen werden. Auch die übrigen mit Milzvergröße¬
rung und Anämie einhergehenden Krankheitsbilder wie Pseudo-
leokämie, hepato-lienale Granulomatose, Splenomegalie Typ G a u c h e r,
Morbus Banti konnten nicht in Frage kommen. Die Aufklärung
brachte erst die Sektion mit der histologischen Untersuchung der
Organe.
Die am 4. Mai 1921 vom Prosektor Dr. Goldsohmid vorge¬
nommene Sektion (Protokoll Nr. 461, 1921 des Senckenbergisohen
Pathologischen Instituts) hatte folgendes Ergebnis:
Geh. 1265, Lb. 2820, Hz. 365, M. 1780, N. 265, Lg. 1710 g.
Leiche einer mittelgroßen Frau von etwa 60 Jahren in mittlerem
Ernährungszustand. Giöße 1,68 m, Gewicht 52 kg. Hautfarbe durchweg
<jrau. Striae abdominales. Mammae flach. Wenig Schlängelung der
Hautvenen an den beiden unteren Extremitäten. Totenflecke an den ab¬
hängigen Partien. Totenstarre erhalten.
Situs abdominalis: Die Leber liegt breit vor, überragt den Rippen¬
bogen r. um 85, unter dem Proc. xiphoideus 105, den 1. Rippenrand um
20 mm. Ihr Rand ist scharf, die Oberfläche besonders links unten etwas
körnig, die Konsistenz derb. Der Dickdarm hat ein langes Mesocolon. Magen
liegt handbreit über der Symphyse. Die Milz steht mit dem unteren Pol
65 mm oberhalb des 1. Beckenrandes, ist groß, derb, nicht sehr dick.
Gallenblasengegend und Appendix frei. Zwerchfellstand r. 5., 1. 4. JCR.
Situs thoracicus: 1. Pleurahöhle obliteriert, die r. Lunge nach
1. verzogen, der ROL auf die 1. Seite hinüberragend. Herz nach 1. ver¬
zogen. Das Knochenmark im Sternum blaßrot, sehr saftreich. Herz¬
beutel enthält wenige ccm einer klaren, gelblichen Flüssigkeit. Herz
von entsprechender Größe, r. vorn ein Sehnenfleck. Im rechten Herzen reich¬
lich Speckgerinnsel. Adhäsionen der r. Lunge sind leicht stumpf zu lösen.
Milz mit einer Reihe von strangförmigen Kapsel Verwachsungen.
Die Vena lienalis ist daumendick. Pfortaderstamm und -Wurzeln enthalten
reichlich Speckgerinnsel. Milz selbst walzenförmig, Größe 31:14: 6,5 cm,
Konsistenz gleichmäßig, an der Oberfläche stellenweise gleichmäßige
Kapsel Verdickungen. Auf der Schnittfläche graurot, etwas körnig.
Follikel nicht, Trabekel kaum erkennbar. Keinerlei Einlagerungen.
Leber: Hdusgebilde o. B. Strangförmige Adhäsionen an der Ober¬
fläche. Größe 29 : 26 : 9 cm. Konsistenz deutlich vermehrt. Schnitt¬
fläche rosa und graurot gefeldert, die peripheren Teile etwas vortretend,
die Zentren etwas eingesunken. Saft- und Blutgehalt gering. Kapsel¬
verdickungen. Gallenblase groß, stark mit Galle gefüllt.
Große Venen o. B. Nebennieren von deutlicher Zeichnung
und ohne Veränderungen.
L. Niere: derbe Kapseladhäsionen. Größe8 : 6,5 : 2,5 cm. Kon¬
sistenz vermehrt. Kleines Cystchen an der Oberfläche. Zeichnung eben
erkennbar. Rindenbreite 6 mm. Kleinstes grauweißes Knötchen in der
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296
Goldschmid u. Isaac
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Rinde. Nierenbecken o. B. R. Niere: 11 :6:3cm. Rinde knapp 6 mm,
verhält sich wie die 1.
Beckenorgane: Blaee o. B. Im r. Ovarium 2 kleine Follikel-
cystchen. Das 1. Ovarium ist in eine einzelne Cyste von ca. 7 cm Durch¬
messer umgewandelt, die prall mit klarer Flüssigkeit gefüllt ist. Die
Tube verläuft im Bogen um die Cyste, ist fest mit ihr verwachsen.
Rectum o. B., Uterus o. B.
Magen und Darm o. B. Pankreas o. B.
Die r. Lunge ist groß, voluminös, auf der Schnittfläche blaß, sehr
saftreich. Der Saft ist klar und schaumig. Die 1. Spitze, besonders
hinten, schwartig verwachsen, die 1. Lunge selbst wesentlich kleiner als
die r. Ihre Spitze derb, auf der Schnittfläche ist sie blaß, Saftgehalt kaum
vermehrt, Blutgebalt der gewöhnliche. Der Oberlappen ist sehr saftreich,
in der Spitze anthrakotisch. Die Spitzenbronchien etwas erweitert.
Flache Verkalkungen, doch keine Knötchen in der Spitze. In den
Bronchien etwas eitriger Schleim.
Herz: Myokard blaß mit kleinen Fettgewebseinlagerungen. Klappen
zart. Koronararterien mit kleinen fleckenförmigen Intimaverdickungen.
Aorta o. B.
Halsorgane o. B., nur im rechten Schilddrüsenlappen ein etwa
walnußgroßer Kolloidknoten.
Schädeldach kräftig, symmetrisch, o. B. Gehirn: Schnitt¬
fläche sehr saftreich. Basale Gefäße zart, sonst o. B. Nebenhöhlen o. B.
Wirbelsäule und Femur enthalten blaßrotes Knochenmark, das
Femur auch kleinste Fettmarksiuseln.
Lyrophdrüsen nirgends verändert.
Auf Grund dieses Befundes wurde zunächst folgende anatomische
Diagnose gestellt: Großer, roter Milztumor, Leberschwellnng.
Rotes Knochenmark. Anämie.
Anthrakotische Induration der linken Spitze mit Verkalkung. Adi¬
positas cordis. Pleuraobliteration links. Pleuraadhäsionen rechts. Leber¬
und Milzadhäsionen. Nierenkapseladhäsion.
Bronchopneumonische Herde beider Unterlappen. Doppelseitiges
Lungenödem der Oberlappen. Gehirnödem. Kleiner. Rindentumor der
Niere. Follikelcystchen des linken Ovariums. Cystische Umwandlung des
rechten Ovariums. Nierencystchen. Sehnenfleck des rechten Herzens.
Z. T. fibröser Kolloidknoten der Schilddrüse. Gastrocoloptose.
Die mikroskopische Untersuchung der Organe ergab folgendes:
Milz. Struktur ist verwischt; keinerlei Follikel oder sichere Reste von
solchen sichtbar. Die Kapsel ist etwas verdickt, die Trabekel sind
von gewöhnlicher Breite. Eine stärkere Blutfüllung zeigt sich nur in
den dicht unterhalb der Kapsel befindlichen Partien. Die Milz macht
den Eindruck eines großen Gefäßschw r ammes. Da Follikel, welche das
Bild unterbrächen, nicht vorhanden sind, so sieht man in der Pulpa im
wesentlichen Blutgefäße und -Bäume, welche von kernhaltigen Zellen
ausgefüllt und von ihnen umgeben sind. Unter diesen Zellen fallen schon
bei schwacher Vergrößerung Riesenzellen ins Auge, welche stellen¬
weise das Gesichtsfeld völlig beherrschen, so werden in einem Gesichts¬
feld 54 Riesenzellen gezählt (Apochr. 16 mm, Kompens.-Okul. 4). Bei
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Endothelhyperplasie als Systemerkrankung usw.
297
mittlerer Vergrößerung (Apochr. 8 mm, Kompens.-Okul. 4) fallt zu¬
nächst auf, daß in längs getroffenen Venen das Lumen etwa zur Hälfte
von einkernigen Zellen eingenommen wird, der Rest von roten Blut¬
körperchen. Weiter finden sich überall Haufen und Stränge von mittel¬
großen einkernigen Zellen, welche die Bluträume ausfüllen und stellen¬
weise zusammenhängende Beläge zu bilden scheinen.
Bei starker Vergrößerung (Apochr. 3 mm) zeigt sich bei
diesen Zellen ein schmaler Protoplasmasaum, welcher sich mit den be¬
nachbarten Zellen abplattet und oft epithelartig mit den Nachbarn zu¬
sammenliegt. Der Kern ist groß, chromatinreich, nur selten mit Kern¬
körperchen versehen. Gelegentlich sind die gleichen Elemente mehr
oval als rundlich, manchmal rechteckig. Diese Zellen scheinen die
Hauptmasse der Pulpa zu bilden. Dazwischen finden sich außer roten
Blutkörperchen kleinere lymphocytenartige Elemente und die oben be¬
schriebenen zahlreichen Riesenzellen.
Die Riesenzellen sind der Größe nach ziemlich gleichmäßig ge¬
staltet. 8ie gleichen nirgends den Langhans’schen oder Sternberg-
schen Riesenzellen. Die Formen, die man meistens sieht, sind runde oder
etwas abgeplattete Protoplasmaklürapchen, mit Eosin deutlich rosa gefärbt,
die einen großen einfachen oder mehrere kleinere Kerne beherbergen. Die
einfachen Kerne' sind stark färbbar und haben Flaschen- oder Haken¬
form. Gelegentlich vorhandene, ganz große, einfache Kerne scheinen
aus mehreren Kernen zusammengesintert. Sind mehrere Kerne da, so
sieht man mehrere mittelgroße oder kleinere Kerne, welche nebeneinander
liegen oder Bich z. T. überdecken, oder bandartig über die ganze Breite
der Zelle hinübergehen oder auch gelegentlich die ganze Zelle ausfüllen.
Vereinzelt finden sich noch Formen, bei denen sich ein kleiner, an¬
scheinend geschrumpfter Kern so gelagert findet wie die Linse am Bulbus,
oder ein ganz exzentrischer Kern wie der Kern einer Plasmazelle.
Die Bluträume bzw. größeren Venen haben oft einen Endothel¬
belag vom Aussehen eines kubischen Epithels, d. h. die Zellen sind so
hoch wie breit und im wesentlichen von ihrem Kern ausgefüllt. Fast
überall sind sie z. T. in das Lumen desquamiert, so daß meist das Lumen
von Zellen vollkommen ausgefüllt ist. Gelegentlich, sobald eine Zelle
isoliert zwischen roten Blutkörperchen zu sehen ist, zeigt sie an einer
Seite einen deutlichen spornartigen, schwanzähnlichen Fortsatz.
Im Giern s a präparat wird das Bild von den großen Zellen und Riesen¬
zellen beherrscht. Die Bluträume sind von ihnen angefüllt, sie finden
sich vereinzelt wie in endothelmäßigen Komplexen. Ihr Protoplasmaleib
ist deutlich, wenn auch meistens schmal. Der Kern ist, ebenso wie der
Leib, blau gefärbt und frei von Granulis. Der Kernkontur ist durchweg
wesentlich schärfer als Chromatingerüst. Zwischen diesen Zellen liegen
Erythrocyten, polymorphkernige Leukocyten und kleine Phagocyten mit
körnigem braunem Pigment. Stellenweise sind die Leukocyten (gelegent¬
lich auch das Protoplasma der Riesenzellen) leicht rötlich gefärbt.
Das Pigment gibt Berlinerblau-Reaktion. Die Oxydasereaktion zeigt
nur ganz vereinzelt positiven Ausfall.
Milzausstriche. Es zeigen sich zusammengesinterte Erythro¬
cyten sowie vereinzelte polymorphkernige Leukocyten. DieHaupt-
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Goldschmid u. Isaac
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ma8ße der Zellen wird repräsentiert durch mittelgroße einkernige
Zellen, deren Protoplasraaleib zwar zu erkennen ist, aber undeutlich
bleibt. Der Kern ist rund und stark färbbar, das Chromatinnetz dicht,
Kernkörperchen sind nur ganz vereinzelt sichtbar. Die Zellen enthalten
keine sicheren Granula. Außer diesen Zellen finden sich größere
und kleinere als die eben beschriebenen. Die kleineren Zellen
haben ebenfalls einen einfachen runden Kern, der sich deutlich und noch
dunkler färbt als der Kern der oben beschriebenen größeren Zellen.
Auch bei den kleineren Zellen ist der Protoplasmaleib nicht deutlich
erkennbar. Das Chromatingerüst der Kerne ist undeutlich, Kern¬
körperchen treten in ihnen nicht hervor. Diese kleineren Zellen sind
im ganzen lymphocytenähnlich. Die größeren Elemente sind etwa
doppelt so groß wie die eben beschriebenen. Ihr Protoplasmaleib ist
nicht erkennbar, und ihre Kerne sind ebenso färbbar wie bei den
mittelgroßen Zellen. In diesen größeren Zellen sind manchmal 1 oder
2 Kernkörperchen sichtbar, und bei ihnen sind manche Kerne oval, manche
polyedrisch gestaltet. Gelegentlich findet man mehrere Exemplare ab¬
geplattet nebeneinander liegen. Bei den größten Zellen ist die
Keinstruktur öfters deutlich granuliert („gehöckert“). Vereinzelt finden
sich in ihnen auch leicht blaugefarbte Kernkörperchen (Pappenheims
panoptische Färbung). Zwischendurch sieht man gelegentlich mißförmige
(zerdrückte?, degenerierende?), anscheinend freie Kerne. Vereinzelt
riesenzellartige Bildungen.
Bei Betrachtnng mit horoog. Immersion, Apochr. 1,5, nura. Ap. 1, 3
und Kompens.-Okul. 6 lassen Bich mit Hilfe des Okularmikrometers fol¬
gende (in „Strichen“ ausgedrückte) M aße für die Kerne ermitteln:
Mittlere Elemente — Durchmesser 4 l / s Strich
Größere „ — „ 1 % *
Kleinere „ — „ 4 „
Ovale ,, — größte Länge 9 } j 2 „
Leber. Bei schwacher Vergrößerung zeigt sich im van Gieson-
Präparat eine im ganzen wohl erhaltene Bälkchenstruktur. Auffallend
ist sofort auf den ersten Blick der Zellreichtum. Das bindegewebige
Retikulum ist überall deutlich erkennbar. Die Leberzellbalken sind herd¬
weise verschmälert; die zugehörigen Kapillaren z. T. entsprechend er¬
weitert. Eine beträchtliche Infiltration des periportalen Gewebes ist
nirgends erkennbar, nur findet sich subkapsulär vielleicht an einzelnen
Stellen eine Spur von gewöhnlicher rundzelliger Infiltration. Die Kapsel
ist nicht deutlich verdickt. Bei mittlerer Vergrößerung fällt ganz
besonders die große Anzahl von Riesenzellen und ungewöhnlich
großen Kernen auf. Ebenso sind auffallend deutlich (Formolfixierung!)
die Leberzellgrenzen. Die Riesenzellen sind bei schwacher und
mittlerer Vergrößerung als unförmig große, mit Eisenhämatoxylin dunkel¬
blauschwarz gefärbte Flecke sichtbar. (Bei schwacher Vergrößerung finden
sich in einem Gesichtsfeld 19 Riesenzellen oder Bildungen, die als solche
imponieren. Ebenso läßt sich schon hier auf manchen Strecken eine
hochgradige Füllung der Kapillaren mit großen, dunkel gefärbten Kernen
erkennen.)
Bei starker Vergrößerung finden sich dann Kapillaren mit
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Endothel von gewöhnlichem Verhalten. Im Lumen rote Blutkörperchen,
Leukocyten und große einkernige Zellen, die durchaus den in der Milz
beschriebenen gleichen. Weiter finden sich in diesen Kapillaren riesen¬
zellartige Gebilde verschiedenster Größe mit verschieden gestaltetem
Protoplasmaleib und mit allen Arten bizarr gestalteter Riesenkerne sowie
pyknotischen Kernkonglomeraten.
Bei Ölimmersion finden sich bei einfacher Kernfärbung auf¬
fallende Bildungen in den Kapillaren ira Bereich der Kupffer’schen Stern¬
zellen. So zeigt sich z. B. eine Kapillare mit 2 typischen, aneinander
anschließenden Kupfferzellen auf einer 8eite und ihnen gegenüber einem
auffallenden Gebilde. Dieses erscheint wie eine bizarr vergrößerte, mehr¬
kernige Sternzelle. Sie ist zum Teil von den Leberzellen abgelöst, ist
vielleicht eine Spur länger als die beiden anderen Zellen zu¬
sammen und beherbergt ein"gut färbbares Kerngebilde, von dem nicht
mit Sicherheit zu sagen ist, ob es sich um 2 oder 3 einzelne Kerne
handelt oder einen in verschiedenen Ebenen liegenden und daher beim
Verstellen der Mikrometerschraube verschieden getroffenen einzelnen Kern.
Bei genauester Betrachtung gewinnt man jedoch durchaus den Eindruck,
daß es sich zunächst um ein wurstförmiges, z-förmig geknicktes, übergroßes
Kerngebilde handelt, über dessen unterem Ende ein zweiter Kern von
dem gewöhnlichen Verhalten der Sternzellkerne liegt und neben dem
sich abermals ein dritter Kern, ebenfalls von dem gewöhnlichen Aus¬
sehen dieser Kerne, findet. Über dem nicht mehr deutlich erkennbaren
Ende des Protoplasmaleibes findet sich ein nicht deutlich färbbarer und
erkennbarer Kern einer Leberzelle. Es handelt sich hier offenbar um
2 auf der gleichen 8eite hart nebeneinander liegende Kupfferzellen, von
denen die eine mehrkernig, die andere einkernig ist. An einer anderen
Stelle zeigt sich eine Kapillare, an deren einer Seite sich untereinander
3 Kerne finden, ein jeder fast so groß wie ein Leberzellkern, der mittlere
nierenförmig, der obere dreieckig, der untere rund. Alle 3 Kerne haben
ein deutliches Chromatingerüst mit reichlichen Chromatinkörnchen. Ein
Zellleib ist nur an der mittleren und unteren Zelle in geringem Um¬
fange erkennbar. Die obere Zelle sitzt in der Wand, die untere bitzt
der Wand an und ragt stark ins Lumen vor, von der mittleren ist nicht
mit Sicherheit zu sagen, ob sie der Wand anliegt und nur zum größten
Teil abgesprengt ist, oder ob sie frei im Lumen liegt. Die Ähnlichkeit
dieser Zellen mit den in der Milz beschriebenen ist unverkennbar.
Wiederum an einer anderen Stelle, in nächster Nähe, zeigt sich eine
Kapillare mit fädigen Massen und 2 polymorphkernigen Leukocyten. In
ihr findet sich, anscheinend an der Wand, ein dem zuerst beschriebenen
Gebilde ganz ähnliche große Zelle mit einem einheitlichen, chromatin-
reichen Kern, der in der Mitte zwerchsackähnlich eingezogen ist. Das
Gebilde ist länger als die benachbarten Leberzellkerne. Verfolgt man
die gleiche Kapillare weiter, so findet sich, eben von der Wand abge¬
löst, eine Sternzelle von typischer Flügelforra mit einem ganz großen
in der Mitte eingeschnürten, einfachen Kern; ihr angelagert ein pykno-
tischer Leukocyt, und etwas weiter davon entfernt, frei im Lumen, ein
Kern von der Form eines Pilzes, dessen Stiel in die Luft steht, und
dessen Zellleib nicht mehr erkennbar ist. Er macht nach Gestalt, Größe
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GoLDSCHMID tt. lSAAC
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und Färbbarkeit den Eindruck eines in Degeneration begriffenen Leber*
Zellkernes. Die Ähnlichkeit zwischen den eben beschriebenen verän-
derten großen Sternzellen und den in der Milz gefundenen Riesenzelleu
ist auffallend. Ein weiterer Typ von riesenzellartigen Gebilden findet
sich gelegentlich in den Kapillaren in Form von großen, bei Gieson-
färbung gelblichgrau gefärbten Blasen, in deren Lumen mehrere, ver¬
schieden große, pyknotische Kernbildungen liegen. In den gleichen
Kapillaren finden sich Sternzellen mit entweder übergroßem oder mehr¬
fachem Kern, weiter Leukocyten und rote Blutkörperchen. Gelegentlich
erinnern diese Gebilde im Groben in der Form ihres Leibes und Kerne»
an die Megakaryocyten des Knochenmarkes.
Stellenweise finden sich in den Kapillaren mit Eisenbämatoxylin
gefärbte Konglomerate mit eben erkennbarem Protoplasmaleib, welche
das ganze Lumen ausfüllen und nicht weiter aufzulösen sind.
Schließlich sieht man an zahlreichen Stellen auffallend große Stern¬
zellen von typischer Form, deren Kern aber auch ungewöhnlich groß
und breit ist. Daneben finden sich dann im Lumen der Kapillaren
Zellen mit großemKern und deutlichem Protoplasmaleib,
welche den in der Milz beschriebenen großen einkernigen Zellen
durchaus gleichen. Offenbar handelt es sich also in den Leberkapillaren
vor allem um hochgradige Veränderungen der Kupffer’sehen
Sternzellen.
Im G i e in s a * Präparat erscheinen in den Kapillaren neben Erythro-
cyten und polymorphkernigen Leukocyten große und mittelgroße Ein¬
kernige in großer Zahl, ferner Riesenzellen. Kern- und Protoplasma-
leib ist durchweg blau, Granula finden sich nirgends. Die Kerne dieser
Zellen haben etwa die Größe der Leberzellkerne. Ganz vereinzelt finden
sich nach längerem Suchen auch kernhaltige Rote.
E i s e n reaktion blieb negativ. Im Fett präparat findet sich nur in
den peripheren Abschnitten eine Spur von Verfettung.
Die Bielscho ws ky-Färbung hat weder in der Leber noch in der
Milz einen Zusammenhang zwischen den beschriebenen Zellen und
irgendwelchen Retikulumfasern ergeben.
Knochenmark: Das Knochenmark zeigt im van Gieson-
Präparat bei schwacher Vergrößerung ein sehr zellreiches Gewebe mit
spärlichen Fettlücken. Auch die Knochen! älkchen sind spärlich. Ea
überwiegen auch hier bei schwacher Vergrößerung die Riesenzellen
(bei Komp. Okular 4, Apochromat 16 mm finden sich z. B. 64 in einem
Gesichtsfeld). Bei mittlerer Vergrößerung zeigt sich, daß die Haupt¬
masse der Zellen aus mittelgroßen Elementen mit großem, chromatin-
reichem Kern und deutlichem, schwach gefärbtem, Protoplasmaleib be¬
steht, ganz ähnlich dem Bilde, wie es in Milz und Leber beschrieben
wurde; nur ist hier der Protoplasmaleib überall deutlich zu erkennen
und die Riesenzellen sind noch häufiger als in den eben genannten Or¬
ganen. Nur vereinzelt finden sich dazwischen kleinere Zellen mit dunkel
gefärbtem, einfachem rundem oder gelapptem Kern (Markzellen, lympho-
cytenähnliche Zellen?) sowie polynucleäre Leukocyten.
Bei Ol immersion besteht die Hauptmasse der Elemente aus
großen Zellen mit großen deutlich gefärbten Kernen, die rund oder oval
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Endothelhyperplasie als Systemerkrankung usw.
301
sind und ein deutliches Chromatingeräst mit Andeutung von Kern¬
körperchen haben. Die Größe der Kerne dieser Zellen beträgt durch¬
schnittlich „4 — 5 Strich“. Die Zellen sind also genau so groß wie die
in der Milz beschriebenen. Die größten Kerne sind vereinzelt r 6 Strich“
groß. (Die Erythrocyten sind „3 Strich“ groß.) Daneben finden sich
kleinere Zellen mit deutlichem Protoplasmaleib und dunklem Kern so¬
wie deutlichem Chromatingerüst; der Kern dieser Zellen ist durchschnitt¬
lich „3 Strich“ groß. Es handelt sich hier wohl um Markzellen. Die
Oxydasereaktion zeigt nur an vereinzelten Zellen positiven Ausfall.
Untersucht man bei G iemsa-Färbung, so finden sich in sehr spär¬
licher Zahl schön granulierte Myelocyten und zwar durchschnittlich 3
bis 4 im Gesichtsfeld bei Olimmersion. Die Myelocyten entsprechen also
offenbar den oben beschriebenen kleineren Zellen. Die großen Zellen
stehen auch hier durchaus im Vordergrund, sind ungranuliert, zeigen
aber meist deutliche Kernkörperchen. Sie erscheinen auch hier von der
mehrfachen Größe der Myelocyten. Der Befund an eosinophilen Zellen
ist unsicher, ebenso sind Erythroblasten auch hier nicht mit Sicherheit
festzustellen, Erythrocyten sind nur spärlich vorhanden.
Die Riesenzellen zeigen bei Immersion den gleichen Typus wie
die in Milz und Leber beschriebenen, d. h. es finden sich verschiedene
Arten sehr großer, protoplasmareicher Zellen mit vielgestaltigen oder
sehr zahlreichen Kernen. Irgendwelche der bekannten Typen von Riesen¬
zellen (Sternberg, Langhaus, Megakaryocyten) finden sich auch
hier nicht.
Knochenmarkausstriche zeigen wenige zusammengesinterte
Erythrocyten. Die übrigen Zelltypen bieten das gleiche Bild wie die in den
Milzausstrichen, doch sind die polymorphkernigen Leukocyten zahlreicher.
Ganz vereinzelt finden sich Myeloblasten und Myelocyten, sowie bin und
wieder Megakaryocyten.
Lunge: Alveolen teils von gewöhnlicher Weite, teils etwas er-
weitert. Alveolarepithel ohne irgendwelche Besonderheiten. Bindegewebe
überall sehr beträchtlich vermehrt; sehr reichliche Anthrakose.
Die Lymphgefäße von gewöhnlicher Weite, z. T. mit körnigem,
durch Hämatoxylin blaugefärbtein Inhalt gefüllt (Lymphe, Zellkerne,
Kerntrümmer, mit Kohlepigment beladene Phagocyten). Das Endothel
meist deutlich erkennbar. Die einzelnen Zellen manchmal größer als
gewöhnlich, etwa kubisch oder grob-spindelig: ihr Kern groß und dunkel
gefärbt, öfters auch vorspringend etwa wie beim Endothel der Milzvenen.
Vereinzelte Lymphgefäße vollgestopft mit großen Endothelzellen, die eine
große Ähnlichkeit mit den in Milz usw. beschriebenen Zellen aufweisen.
(Es stand leider nur Material aus dem anthrakotisch-indurierten Bezirk
zur Verfügung.)
Faßt man das Ergebnis der mikroskopischen Untersuchung
zusammen, so handelt es sich um eine hochgradige Zell¬
wucherung in der Milz, den Leberkapillaren und dem
Knochenmark. Die gewucherten Zellen sind ziemlich große
Gebilde mit schmalem Protoplasmasaum und einem großen, wenig
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GOLD8CHMIU u. Isaac
strukturierten Kern, der nur selten mit deutlichen Kernkörperchen
versehen ist. Daneben finden sich eigenartige Kiesenzellen in
größter Zahl. Das ganze Bild in Leber und Knochenmark (Nieren
und Lymphknoten waren frei von gröberen Veränderungen) war
auf den ersten Blick das einer Leukämie bzw. Pseudoleukämie,
während das Milzpräparat bei oberflächlicher Betrachtung wohl
auch an Tumor denken ließ, und man mußte sich daher die Frage
vorlegen, ob die beschriebenen Zellen nicht undifferenzierte Vor¬
stufen der Blutzellen, also Lymphoidocyten (Pappenheim) bzw.
Myeloblasten sind. Dagegen sprach aber das ganze Veihalten der
Zellen besonders auch in den Organausstriehen und den Milz¬
punktaten. Während die Lymphoidocyten charakterisiert sind durch
ein gut erkennbares, stark basophiles Protoplasma und einen großen
Kern mit meist 3—4 Nucleolen, war bei unseren Zellen der Proto¬
plasmaleib in den Ausstrichen meist unsicher zu erkennen, und die
wenigsten Kerne zeigten Kernkörperchen. Auch war die Oxydase-
reaktion negativ. Granulierte Zellen (Myelocyten) oder Übergänge
zu solchen fanden sich nur im Knochenmark und auch da nur
spärlich. Schließlich hatte während der ganzen Beobachtungszeit
von einem Jahr eine Ausschwemmung der beschriebenen Zellen
ins Blut, wie man es bei einer derartig generalisierten Erkran¬
kung hätte erwarten^ dürfen, falls sie echt leukämischer Natur
gewesen wäre, nicht stattgefunden. Vergleicht man weiterhin mit
unseren histologischen Bildern diejenigen, welche sich bei der in
der Einleitung erwähnten Gaucher-Schlagenhaufer’schen
Erkrankung finden, so ergeben sich schon auf den ersten Blick
weseniliche Unterschiede in Hinsicht auf die Zellstruktur: In unserem
Fall beherrschen die Riesenzellen das Bild. Beim Morbus Gaue her
große helle Zellen mit kleinem Kern, die bei bestimmten Färbe¬
methoden einen deutlichen Zusammenhang mit den Retikulumfaser»
zeigen, sowie völliges Fehlen von Riesenzellen. Ferner finden sich
bei der Gaucher’sclien Erkrankung im allgemeinen keine Ver¬
änderungen der Kapillarendothelien und der Endothelien der venösen
Sinus. Die aus diesen Befunden und Überlegungen sich ergebende
Vermutung, daß unsere Zellen Abkömmlinge des Kapillar¬
endothels bzw.'gewucherte Endothelien seien, die ganze Er¬
krankung also vom Endothel seinen Ausgang nehme, stützt sich
auf folgende Punkte:
1. Die Zellen liegen in den Kapillaren der Leber und
den venösen Sinus der Milz, füllen letzere mehr oder
weniger aus und bilden hier endothelmäßige Komplexe.
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Endothelhyperplasie als Systemerkrankung usw.
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2. Häufig läßt sich ein inniger Zusammenhang der ge¬
wucherten Zellen mit der Kapillarwand nach weisen.
3. Das Endothel der letzteren ist häufig stark verändert,
wie. die Befunde an den Kupifer’schen Sternzellen und den
Wandungen der Milzsinus zeigen.
4. Das Milzretikulum und die Gitterfasern der Leber stehen
in keinem nachweisbaren Zusammenhang mit den patho¬
logischen Zellen.
5. Das Auftreten der Riesenzellen läßt sich, wie unten
noch erörtert werden wird, mit der Endothelnatur der
gewucherten Zellen in Zusammenhang bringen.
Die beschriebene Wucherung der Endothelien erstreckt sich
nun nicht nur auf Milz und Leber, sondern auch auf das Knochen¬
mark. Wir kommen somit zur Aufstellung eines neuen
Krankheitstypus, der zu charakterisieren wäre als
Systemerkrankung der Endothelien des hämatopoe-
tischen Apparates. Er stellt ein Analogon zur G auch er¬
schlagen haufer’schen Erkrankung dar, mit dem Unterschied,
daß bei dieser eine Proliferation der retikulären Zellen der blut¬
bildenden Organe eingetreten ist, bei der von uns beschriebenen
Krankheit aber eine solche der Endothelien. Hieraus ergibt sich
eicht, daß Endothel und Retikulumzellen die Möglichkeit
haben auf Reize zu reagieren, und zwar ein jeder für sich.
Sucht man in der Literatur nach ähnlichen Beobachtungen
wie die hier mitgeteilten, so würde der im Jahre 1903 von Anna
Borissowa ^publizierte Fall am ehesten dem unserigen entsprechen.
Dieser Fall wurde von der Verfasserin damals zu Unrecht als
Banti’sehe Kraukheit aufgefaßt; ebensowenig dürfte es aber be¬
rechtigt sein, ihn dem Typus Gauch er zuzuzählen, wie dies z. B.
Eppinger 1 2 ) tut. Der Befund Borissowa’s stimmt insofern mit
dem unserigen überein, als es sich ebenfalls um eine Systemerkran¬
kung der hämatopoetischen Organe handelte, bei der in den venösen
Kapillaren der Milz und auch in der Pulpa, sowie in den Leber¬
kapillaren und dem Knochenmark Zellen auftraten, die mit den von
uns beschriebenen in Form und Größe übereinstimmen und die
auch tatsächlich von der Verfasserin als veränderte Endothelien
aufgefaßt wurden. Neben geringen, nicht sehr wesentlichen Ver¬
schiedenheiten der mikroskopischen Bilder wäre im Falle Bo-
1) Borissowa, Virchow’s Arch. Bd. 172, 1903.
2) Eppinger, Die hepato-lienalen Erkrankungen S. 3(i0.
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rissowa’s das Fehlen der von uns zahlreich gefundenen Rieseu¬
zellen hervorzuheben.
Eine gewisse Übereinstimmung mit unserem Falle zeigt dann
noch der im Jahre 1916 von J. Pentmann 1 ) aus dem Basler
pathologischen Institut veröffentlichte Fall. Auch hier bestand
eine diffuse Endothelzell-Wucherung in Leber und Milz mit Riesen¬
zellen. Daneben waren in diesen Organen kavernöse Hämangiome
vorhanden. Wenn auch in diesem Falle das Knochenmark von der
Endothelproliferation frei war, so darf man ihn doch wohl un¬
bedenklich mit dem von uns aufgestellten Typus identifizieren;
wissen wir doch auch von der Leukämie, daß aus unbekannten
Gründen gelegentlich eines der t hämatopoetischen Organe nicht an
den Wucherungen beteiligt ist. Übrigens hat bereits Pentmann
bei Besprechung seines Falles den Gedanken einer Endothelhyper-
plasie als Systemerkrankung des blutbildenden Apparates in Er¬
wägung gezogen.
Es erhebt sich weiter die Frage, in welcher Beziehung das
von uns beschriebene Bild der diffusen Endothelhyperplasie in Milz,
Leber und Knochenmark zu jenem der hochgradigen Endothel¬
wucherung steht, die isoliert in einzelnen Organen (Leber, Milz,
Knochenmark) auftritt und hier zu Tumorbildungen führt, den so¬
genannten Endotheliomen. Speziell in der Leber sind in neuerer Zeit
solche Endotheliome von B. Fischer, 2 3 ) Löh lein, 8 ) Kothny 4 )
und Schlesinger 5 ) ausführlich beschrieben worden.
Ferner gehören hierzu die Fälle von Falkowski, 6 ) Kahle, 7 )
Bernhard Müller, 8 ; Veeden and Austin. 8 )
Legt man die von B. Fischer gegebene, als typisch zu be¬
trachtende Darstellung zugrunde, so handelt es sich bei diesen
Endotheliomen der Leber um eine die ganzen Kapillarendothelien
betreffende diffuse Erkankung. An vielen Stellen ist die Wuche¬
rung der Endothelien so enorm, daß solide Tumoren vom Aussehen
1 Pentmann, Frankfurter Zeitsclir. f. Pathol. 18, 1916.
2 Fischer, R. 00. Versaimnl. deutscher Naturforscher und Arzte 1908.
II. Teil. 2. H. und Frankfurter Zeitsehr. f. Pathol. 12, 1913.
3 Löhlein, Verhandl. d. Pathol. Ges. 1909.
4) Kothny. Frankfurter Zeitsekr. f. Pathol. 10, 1912.
5i Schlesinger, Primäres malignes Angioendotheliom der cirrhot. Leber.
Jnaug.-Piss. Frankfurt 1920
6i Falkowski. Zieglers Beitr. Bd. 57, 1914.
7) Kahle, Virchows Arcli. Bd. 226, 1919.
8) Müller, B., Virchow’s Arch. Bd. 209, 1912.
9) Veeden and Austin, Americ. Jonrn. of the med. Science. Jan. 1912.
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Endothelhyperplasie als Systemerkrankung usw.
305
eines polymorphzelligen Sarkoms entstehen, welche das Leber¬
gewebe destniieren und weite Bluträume umschließen. Solche
Lebern zeigen alle Übergänge von Geschwulstbildern zu makro¬
skopisch scheinbar unveränderten Stellen. In diesen Bezirken finden
sich entweder nur eine leichte Wucherung des Endothels oder Ver¬
änderungen, welche völlig den von uns beschriebenen Bildern ent¬
sprechen. Diese Übereinstimmung wird besonders gut durch die
folgenden Sätze aus der Beschreibung B. Fischer’s illustriert:
„Die Endothelien ... sind vielfach geschwollen, haben eine kubische
Form und keinen platten, sondern einen runden Kern. Man sieht,
wie . . . an Stelle des sonst so flachen und nur eben sichtbaren
Endothels eine riesige Zelle mit einem ungeheueren Kern liegt.
Diese plumpen chromatinreichen Kerne haben die verschiedensten
Formen und entsprechen vollständig den Biesenkernen ... in den
sarkomatösen Geschwulstzellen.“
Bei der großen histologischen Ähnlichkeit dieser isolierten Endo-
theliome der Leber mit unseren mehr diffusen Endothelwucherungen
drängt sich die Überlegung auf, ob denn diese Endotheliome tat¬
sächlich zu den echten malignen Tumoren gehören. B. Fischer
hat sich in seiner Arbeit aus anderen Überlegungen heraus bereits
diese Frage vorgelegt, und wenn er sie auch schließlich bejaht,
doch nachdrücklich auf die Sonderstellung hingewiesen, welche die
Leberendotheliome hinsichtlich der Art ihres Wachstums gegenüber
den malignen Tumoren einnehmen. Während hei diesen, z. B. in
den späteren Stadien des Karzinoms, eine Umwandlung des nor¬
malen Epithels in Karzinomepithel nicht mehr stattfindet, läßt sich
bei den offenbar primären, multiplen Endotheliombildungen der
Leber tatsächlich nachweisen, daß der Tumor durch sukzessive Um¬
wandlung des umliegenden anscheinend normalen Gewebes in Ge¬
schwulstgewebe wächst (B. F i s c h e r). Auf Grund der durch unseren
Fall neu gewonnenen Erkenntnis würde man daher unwillkürlich
dazu geführt, diese Endotheliome nicht als echte maligne Tumoren,
sondern als hyperplastische Bildungen anzusehen, die sich nur gra¬
duell von Fällen, wie dem hier mitgeteilten unterscheiden, indem
die Wucherungen nur zirkumskripter und die Endothelien nur eines
Organes erkrankt sind. Übrigens liegen auch in den neueren Fällen
von B. F i s c h e r und K o t h n y genauere Untersuchungen der übrigen
hämatopoetischen Organe nicht vor, so daß eine Mitbeteiligung der¬
selben nicht ganz auszuschließen ist. Wir haben es hier mit dem
gleichen Problem zu tun, das schon seit einiger Zeit bei einer
anderen Erkrankung des hämatopoetischen Apparates, nämlich den
Deutsches Archiv für klin. Medizin. 188. Bd. 20
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Goldschhid u. Isaac
multiplen Myelomen 1 2 ) diskutiert wird; auch hier finden sich teils
diffuse, das Mark aller Knochen befallende, mehr hyperplastische
Wucherungen ohne destruierendes Wachstum, teils mehr lokali¬
sierte Bildungen, die tumorartig wachsen und die Knochenschale
zerstören. Aber trotz der lokalen Aggressivität und der klinischen
Malignität dieser letzteren Fälle werden die Myelome jetzt von
einer Reihe maßgebender Forscher za den hyperplastischen System¬
erkrankungen des hämatopoetischen Apparates und nicht zu des
malignen Tumoren gerechnet.. Wir möchten daher auch annehmen,
daß es sich bei den Endotheliomen der Leber im Prinzip
um den gleichen Prozeß handelt wie in unserem Fall, nur daß er
dort mehr tumorartig, hier in diffuser Weise zur Auswirkung ge¬
langt Möglicherweise gehören auch Fälle wie der von Ri sei 1 )
unter dem Namen „Endotheliales Sarkom der Milz - publi¬
zierte und die spärlichen Fälle von Endotheliom des Knochen¬
markes in diese von uns aufgestellte Krankheitsgruppe.
So würden diese auf den ersten Blick so verschiedenen Pro¬
zesse in einem genetischen Zusammenhang gebracht Bei
der Unklarheit ihrer Ätiologie überhaupt vermag man natürlich
nichts darüber auszusagen, warum es einmal zu Tumorbildung, in
anderen Fällen zu diffusen Erkrankungen kommt, ebensowenig wie
wir bei den Myelomen und auch den eigentlichen Leukämien und
Pseudoleukämien über den gleichen Punkt etwas Sicheres wissen.
Auch bei letzeren gibt es fließende Übergänge von einfach hypo¬
plastischen Formen zu geschwulstmäßigem Wachstum.
Auch sonst steht der von uns beschriebene Krankheitstypus
der mehr oder weniger systematisierten Endothelhyper¬
plasie in naher Verwandtschaft zu den eigentlichen leukä¬
mischen Erkrankungen. Sind doch die Endothelien der extra¬
medullären hämatopoetischen Organe, wie schon in der Einleitung
hervorgehoben wurde, wahrscheinlich die Stammzellen des auf patho¬
logische Reize in diesen gebildeten myeloiden Gewebes. In unserem
Falle sind diese Stammzellen selbst gewuchert, ohne daß sie sich
in Lymphoidocyten bzw. Myeloblasten weiter differenziert haben.
Man könnte daher von einer „ Gefäß wandzellen-Psendoleukämie“
sprechen. Daß es aber auch hier fließende Übergänge zu geben
scheint, dafür spricht eine bisher nur im Referate zugängliche
1) Vgl. hierzu z. B. S. Isaac, Die multiplen Myelome. Ergehn, der Chirur,
u. Orthop. Bd. 14, 1920.
2) Ziegler’s Beitr. 46, 1909.
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Endothelhyperplasie als Systemerkranknng nsw.
307
Mitteilung von Barnewitz 1 2 * ) über einen Fall von „atypischer
Leukämie“, in dem offenbar neben einer Wucherung der Retikulo-
endothelien eine myeloische Metaplasie der Organe vorhanden war:
also ein Bild, das in der Mitte zwischen der reinen Endothelhyper¬
plasie und den echten leukämischen Erkrankungen steht. Auch
in dem Fisch er’schen Falle von Leberendotheliom war eine aus¬
gedehnte Bildung von Zellen der myeloischen Reihe in den Leber¬
kapillaren vorhanden.
Der für unseren Fall so außerordentlich charakteristische Be¬
fund von Biesenzellen, der auch in den.Fällen von Fischer
und Pentmann erhoben, wurde, bedarf noch einer kurzen Er¬
örterung. Es liegt nahe, diese eigenartige Zellform, die sich mit
keinem sonstigen als Riesenzellen bezeichneten Gebilde patholo¬
gischer Gewebe vergleichen läßt, mit den Megakaryocyten zu iden¬
tifizieren, trotzdem sie morphologisch mit den normalen Riesen¬
zellen des Knochenmarkes nicht übereinstimmen. Es ist aber daran
zu erinnern, daß auch die Megakaryocyten des normalen Markes häufig
Degenerationserscheinungen zeigen können, die zum Teil den von
uns beschriebenen Bildern entsprechen. Fälle von atypischer Riesen¬
zellwucherung und sogar von Ausschwemmung derselben sind bei
Leukämien früher von Askanazy, Schwarz u. a. beschrieben
worden. 9 ) Man kann daher mit allem Vorbehalt daran denken,
daß es auch in unserem Falle zu einer atypischen Megakaryocyten-
bildung aus den Endothelien gekommen ist, was den ganzen Pro¬
zeß noch weiter den leukämischen Erkrankungen nähert.
Kehren wir zum Schluß zum klinischen Bilde der Erkran¬
kung zurück. Diese verlief in ganz monotoner Weise als Sple¬
nomegalie mit sekundärer Anämie. Letztere ist ihrer Genese
nach eine hypo-metaplastische, insofern es zu einer Substitution des
erythroblastischen Gewebes durch die pathologischen Zellen und
dadurch bedingter verminderter Blutbildung gekommen ist. Die
Anämie als hämolytische anzusehen, liegt kein Grund vor, znmal
auch eine Erhöhung des Bilirubingehaltes des Blutes niemals nach¬
weisbar war. Differentialdiagnostisch kommt vor allem die Sple¬
nomegalie, Typ Gaucher, in Betracht. Die dieser Erkrankung
eigentümliche bräunliche Färbung der Haut und die Neigung zu
hämorrhagischer Diathese wurde in unserem Falle vermißt; auch
war von einem familiären Vorkommen der Erkrankung wie bei
1) Vgl. E. Hel ly, Die hämatopoetischen Organe. Wien 1906.
2) Deutsche med. Wochenschr. 1921, 27, S. 796.
20 *
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308 Goldschmid n. Isaac, Endothelhyperplasie als Systemerkrankung usw.
Morbus Gaucher in unserem Falle nichts bekannt. Die spär¬
lichen Beobachtungen gestatten jedenfalls noch nicht,, ein dem ana¬
tomischen Befund entsprechendes charakteristisches klinisches Bild
herauszuarbeiten.
Was die Therapie der Erkrankung betrifft, so ist bemer¬
kenswert, daß Röntgenbestrahlungen zunächst eine geringe Ver¬
kleinerung des Milztumors bewirkten, dann aber überhaupt keinen
Einfluß auf die Größe der Milz ausübten. Wieweit bei einer der¬
artig ausgedehnten, sich auf verschiedene Organe erstreckenden
Krankheit die Exstirpation der Milz, die in unserem Falle nicht
mehr vorgenommen werden konnte, von Nutzen sein kann, läßt sich
nicht Voraussagen. Bei der Gau eher’sehen Splenomegalie scheint
die Entfernung der Milz nachteilige Folgen nicht zu haben.
Erklärung der Abbildungen auf den 2 Tafeln.
1. Milz. (Zeiß AA, Okul. 4.) Übersichtsbild. Struktur verwischt. Überall
Riesenzellen nnd Haufen von großkernigen Zellen (Endothelien).
2. Milz. (Zeiß Apochr. 3 mm, Kompensat.-Okul. 4.) Vene mit stark ver¬
mehrten und geschwollenen Endothelien. Im Lumen ein Haufen freier Endo¬
thelien und eine mehrkemige Riesenzelle.
3. Milz. (Zeiß Apochr. 3 mm, Kompensat.-Okul. 4.) Venen mit Endo¬
thelien und Riesenzellen, welche z. T. der Wand noch anhangen. Links eine mit
Endothelien vollgestopfte Vene.
4. Leber. (Zeiß AA, Okul. 4.) Übersichtsbild. Zwischen den Leberzell¬
balken die weiten Kapillaren, welche große Mengen von großkernigen Zellen, so¬
wie Riesenzellen enthalten. Die wandständigen Kupffer’schen Sternzellen auf¬
fallend groß und deutlich, mit großem, dunklem Kern.
5. Leber. (Zeiß Apochr. 3 mm, Komp.-Okul. 4.) Die Kapillare aus dem
Zentrum von Bild 4. Freie Endothelien und Riesenzellen. Sternzellen z. T. ge¬
schwollen und mit großem Kern.
6. Knochenmark. (Zeiß AA, Okul. 4.) Übersichtsbild. Sehr zellreiches Mark
mit massenhaften Riesenzellen.
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Druck v. Sinsel & (
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309
Aas der medizin. Universitätsklinik Leipzig
(Direktor: Geh.-Rat Prof. v. Strümpell).
Über Urobilin.
1. Klinische Methode der (approximatiY-)qnantitativen
Urobilinbestimmnng in den Ansscheidnngen des Körpers.
Von
i Dr. A. Adler,
Assistent der Klinik.
(Mit 2 Abbildungen.)
j 1. Urobilin im Harn.
; In der Literatur kehrt häufig der Vergleich wieder, der darauf
I hinausläuft, Albuminurie und Urobilinurie in Parallele zu setzen
l (Meyer-B etz (1)). Wie die Eiweißausscheidung im Harn auf
* eine Schädigung der Nieren — sei diese primärer oder sekundärer
, Natur — hinweist, so soll im gleichen Sinne Urobilinurie zur Dia-
I gnose der Leberschädigung zu verwerten sein. Nur ist hier der
positive Befund nicht so eindeutig und einfach wie bei dem Eiwei߬
nachweis. Leberkrankheiten sind im Anfang oft schwer zu er¬
kennen. Daß Urobilinurie auf Lebererkrankung hin weist, ist lange
bekannt. Es ist jedoch das Vorkommen von Urobilin bei allen
möglichen Krankheiten ein so allgemeines, daß dadurch der dia¬
gnostische Wert der Urobilinausscheidung im Harne sehr stark ein¬
geschränkt wird. Infolgedessen hat diese sich bisher keinen rechten
Platz in der Diagnostik sichern können. Darauf wies schon Friedrich
Müller hin (vgl. 1, 4). Es wäre aber dennoch Bonderbar, wenn der
Nachweis eines Stoffes, der unter normalen Bedingungen höchstens
nnr in geringen Mengen im Harn ausgeschieden wird und in
krankhaften Zuständen in wechselnden, oft aber sehr reichlichen
Mengen auftritt, für die Diagnostik nicht nutzbar gemacht werden
könnte. Es muß daher nach den Gründen gesucht werden, die die
Ursache dafür bilden, daß die Urobilinausscheidung noch nicht nach
einheitlichen Gesichtspunkten geordnet werden konnte. Das liegt
an einer Reihe von Umständen:
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310
Adler
1. Gebricht es an einer Methodik, die eine für die Klinik not¬
wendige Einfachheit einerseits mit einer für klinische Zwecke hin¬
länglichen Genauigkeit andererseits verbindet
2. Schuld daran ist ferner die außerordentliche Mannigfaltigkeit
der Urobilinurie.
3. Das Auftreten dieses Farbstoffes im Stuhl sowohl als im Urin.
Erschwerend kommt hierzu noch die Tatsache, daß man von
einer Einheitlichkeit des Urobilins als chemischem Individuum nicht
sprechen kann (H. Fischer). Für klinische Zwecke muß jedoch
die Urobilinurie nutzbar gemacht werden, ehe es der physiologischen
Chemie gelungen ist, die einwandfreie chemische Konstitution fest-
zulegen, d. h. es kristallisiert zn erhalten. Stellt doch die Er¬
scheinung der Urobilinausscheidung eine leicht faßliche und der
Untersuchung am Krankenbett leicht zugängliche Handhabe dar.
So darf diese Farbstoffausscheidung des Organismus, die zweifellos,
wie ich in anderorts zu veröffentlichenden Untersuchungen zeigen
konnte, gewissen Gesetzmäßigkeiten unterliegt, nicht unbeachtet
bleiben, allein wegen der Tatsache, daß unsere chemische Methodik
uns seine genaue konstitutionelle Kenntnis noch versagt hat
4. muß darauf hingewiesen werden, wie ebenfalls folgende
Mitteilungen ergeben werden, daß es keineswegs gleichgültig
ist, welche Harnportion auf Urobilin zur Untersuchung kommt.
Der Morgenurin verhält sich anders als der Abendurin, und
dieser wieder anders als der nach dem Essen entleerte Urin.
Schon beim Normalen ist die Urobilinausscheidung des Harnes
Schwankungen unterworfen, um wie viel mehr erst im krankhaften
Zustande. Es soll an dieser Stelle nicht eingehend untersucht
werden, ob die Eppinger’sehe Auffassung zu Recht besteht(4),
die besagt, daß die Urobilinausscheidung des Harnes nur im Zu¬
sammenhang mit der der Fäces diagnostisch brauchbare Aufschlüsse
gibt, oder ob sie auch ohne diese verwertet werden kann. Es soll
nur auf einige Punkte hingewiesen werden, die zeigen, daß aus
der Urobilinurie allein Schlüsse zu ziehen sich ermöglicht Wenn
man die enterogene Entstehungsweise des Urobilins zugrunde
legt, (ob entsprechende Zugeständnisse an die evtl unter patho¬
logischen Bedingungen vor sich gehende hepatische Bildung
des Urobilins, wie sie Fischler (7) annimmt, zu machen
sind, wird später 1 ) besprochen) (vgL Kraus (10)), so ist klar, daß
alles Harnurobilin nur aus der Leber direkt stammen muß,
1) Vgl. die folgenden Abhandlungen.
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Über Urobilin.
311
während das Stuhlurobilin normaliter nur aus dem Bilirubin der
Galle gebildet wird und nur unter krankhaften Bedingungen
grbflere Mengen von Leberurobilin 1 ) enthalten kann. In der Uro¬
bilinmenge des Stuhles hat man sodann einen Maßstab für die
Erythrocytenmauserung des Blutes (45), während man in der Uro-
bilinurie u. U. einen Maßstab für die Lebertätigkeit erblicken kann.
Bis gilt daher zunächst das Maß des Urobilins festzustellen, das im
Ham vorhanden sein kann, ohne daß krankhafte Bedingungen vor¬
handen sind. Gestützt auf die heute allgemein rezipierte An¬
schauung (Friedrich Müller), die die Entstehung des Urobilins
in den Darmkanal verlegt und uns einen Kreislauf über die Pfort¬
ader zur Leber lehrt, in der es zurückresorbiert wird oder in der
es, falls diese erkrankt, funktionsuntüchtig, oder auch nur funk¬
tionell stärker in Anspruch genommen ist, wieder zu mehr oder
weniger großem Teile in die Blutbahn und so im Ham zur Aus¬
scheidung gelangt, bestehen 3 Möglichkeiten für die diagnostische
Verwertbarkeit der quantitativen Untersuchung auf Urobilin des
Harnes allein ohne die des Stuhles.
1. Im Ham ist mehr Urobilin als im Stuhl. Dann ist klar,
daß ein Rückschluß auf die Insufßcienz der Leber gezogen werden
kann, denn das im Ham erschienene Urobilin kann ja nur auf
dem Wege über die Leber in die Blutbahn gelangt sein. Die
gleiche Deduktion trifft für den 2. möglichen Fall zu, wenn Hara-
und Stuhlausscheidung dieses Farbstoffes gleich groß sind. Die
Frage ist nur bei der 3. Möglichkeit, wenn die Harnausscheidung
geringer ist, als die des Stuhles. Hier kommt es m. E. lediglich auf
die Harnausscheidung als Leberfunktionsprüfung an. Liegt diese
im Bereich des Normalen, so hat die Leber offenbar normale Funk¬
tion erwiesen, indem kein Urobilin über den Leberweg in die Blut¬
bahn gelangte, um im Harne ausgeschieden zu werden. Liegt diese
wieder oberhalb der Norm, so weiß ich auch daraus wiederum, daß
«ine Störung im Lebergebiete vorhanden sein muß. Aus diesen
Auseinandersetzungen erhellt zur Genüge, daß eine quantitative
Messung der Urobilinurie unter jeweilig gleichen und bekannten
Bedingungen von Wert sein muß, und daß auch nur diese, solcher¬
maßen durchgeführt, allein von Wert sein kann, wie das in der
folgenden Abhandlung gezeigt werden wird. Das veranlaßte mich
zur Ausarbeitung einer Methode der Urobilinbestimmung, die den
oben gestellten Anforderungen für klinische Zwecke genügt.
1) d. h. Urobilin, das die Leber passiert hat
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312
Adlsb
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Prinzipielles zur Methodik.
Gründe, weshalb die Bestimmung des Urobilins und nicht die des
Urobilinogens gewählt wnrde.
Im klinischen Interesse liegt es, daß man einen Anhaltspunkt für
die Menge des Gesamturobilins hat. Nun ist im Harn fast immer, auch
oft schon im frischgelassenen, eine bestimmte Menge von Urobilinogen
schon in Urobilin umgewandelt, wie in einer Beihe von Fällen fest-
gestellt werden konnte. 1 )
Wenn der Harn zur Untersuchung kommt, ist erfahrungsgemäß
meist sogar schon eine beträchtliche Menge dieses Farbstoffes nicht mehr
in der Chromogenform vorhanden. Man hat nun 2 Wege, entweder
sämtliches noch vorhandene Urobilinogen zu Urobilin zu oxydieren, oder
aber das schon umgewandelte Urobilin zu Urobilinogen zu reduzieren,
und die gesamte Farbstoffmenge in dieser letzteren Form nachzuweisen.
Charnas(2) hat diesen letzteren Weg zu seinen Bestimmungen gewählt.
Es ist auch durchaus zu verstehen, wenn dieser Weg gewählt wird, da
durch die Untersuchungen von Hans Fischer das Urobilinogen als
wohlcharakterisierter chemischer Körper bekannt ist. So bat F. Kraus
kürzlich vorgeschlagen, nur noch von Hemibilirubinurie zu reden. Hier*
zu ist zu bemerken: Die Zurückverwandlung von Urobilin zu Urobilinogen
geschieht aber wohl nicht quantitativ. Ferner entsteht, wie Charnas (3)
und Brug8ch(2) gezeigt haben, bei der alkalischen Harngärung, die
als Methode der Zurückverwandlung des Urobilins in sein Chromogen in
Betracht käme, ein dem Urobilinogen ähnlicher Körper, der aber sich von
dem Urobilinogen durch verschiedene Eigenschaften, unterscheidet, und
der nicht mehr in Urobilin umgewandelt werden kann, so daß möglicher'
weise hier Verluste entstehen. Schließlich dauert die Umwandlung von
Urobilin zu Urobilinogen einige Zeit (1—2 Tage). In Anbetracht dieser
Tatsachen schien eB mir ratsam, für klinische Zwecke doch die quanti¬
tative Bestimmung des Urobilins zu benutzen.
Zur quantitativen Urobilinbestimmung war es naheliegend, daß man
sich an die Schlesinger'sehe Reaktion hielt, auf deren große Emp¬
findlichkeit schon Fischler(7) hingewiesen hat. Es galt nun einer¬
seits festzustellen, ob die Reaktion quantitativ vonstatten geht, und
wenn dies der Fall ist, sie so auszuführen, daß sie immer in maximalster
Intensität verläuft. Den von Fischler untersuchten quantitativen Ver¬
lauf konnte ich bestätigen. Es fiel mir jedoch auf, daß diese Methode
immer in der gleichen Weise angewandt und zwar in der Form, wie sie
später von Hildebrandt (9) modifiziert wurde, dennoch nicht immer
zu den gleichen Ergebnissen führt. Es galt nun die Bedingungen zu
eruieren, unter denen eine möglichst starke Fluorescenz zustande kommt.
Beim Verfolgen der etwa für die verschiedenen Ausfälle der einzelnen
Fluorescenzproben vorhandenen Ursachen zeigte sich, daß das Reagens,
das zu dieser Methode benützt wird, im Stehen seine Zusammensetzung
ändert. Schon oft nach 1—2 tägigem Stehen bildet das Zinkaoetat in
der Lösung von absolutem Alkohol eine feste Masse, die kaum mehr
aufzuschütteln ist, so daß der Alkohol nioht mehr die genügende Konsen-
1) Die Tabellen mußten wegen Platzmangel weggelasBen werden.
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Über Urobilin.
313
tration von Zinkacetat hat. Ich ging deshalb dazu über, mir jedesmal
vor Anstellung der Probe das Beagens frisch za bereiten, indem ich die
einzelnen Teile getrennt hinzafügte and zwar, da das Beagens 10 °/ 0 Zink¬
acetat in absolutem Alkohol darstellte, za 10 ccm Harn 10 ccm absoluten
Alkohol and 1 g Zinkacetat. Als Mittel zur Oxydation des etwa im
Harn noch vorhandenen Urobilinogens za TJrobilin versuchte ich 2 Bea-
gentien Salpetersäure und Jodtinktur. Ich entschloß mich jedoch fiir
die letztere, da die Salpetersäure, wie noch später gezeigt werden wird,
den Harn unter Umständen zu stark ansäuert und dadurch wird eine oft
erhebliche Beeinträchtigung der Fluorescenz hervorgerufen. Die Jod¬
tinktur darf nioht zu konzentriert genommen werden, da sonst die Färbung
des Urins eine zu intensive wird; das führt ebenfalls zu einer Be¬
einträchtigung der Stärke der Fluorescenz. Als Oxydationsmittel ist die
Jodtinktur der Salpetersäure überlegen, wie in dieser Bichtung angestellte
Versuche lehrten.
Ich wählte eine 3 °/ 0 alkoholische Jodlösung. Die Beaktion des
HarneB ist ebenfalls von Bedeutung für den Ausfall der Fluorescenz-
probe. Es galt die Beaktion zu ermitteln, bei der die Fluorescenz
am intensivsten wird. Ich stellte mir von demselben Harn, der eine
Beaktion von ph. = 5,85 hatte, verschiedene Aciditätsgrade durch Zu¬
fügen von NH S und Salpetersäure her und stellte in den einzelnen
Proben die Schlesinger’sche Beaktion an, und immer lieferte die Breite
von 5,58—5,9 die intensivste Fluorescenz. Dasselbe Ergebnis hatten
Untersuchungen an reinen Urobilinlösungen.
Um nun quantitative Anhaltspunkte für die Stärke der Fluorescenz
zu erhalten, kann man 2 Wege einschlagen. Man kann sich gewichts¬
analytisch Urobilinlösungen von bestimmtem Gehalte herstellen, mit denen
man die Schlesinger’sche Probe in der oben beschriebenen Weise
ausfuhrt und erhält so eine Skala von den konzentrierten bis ganz ver¬
dünnten Lösungen. Man kann dann einfach durch Vergleich, der in
einem hierzu eigens konstruierten Dunkelkasten angeBtellt wird, den Ge¬
halt an Urobilin ablesen. Der Dunkelkasten hat, 1 ) an der dem Auge gegen¬
überliegenden Wand ein kleines Gehäuse, in dem eine elektrische Birne
sitzt, die nach 2 Seiten hin nur in einem schmalen Spalt Licht durchwirft,
das in die beiden Urobilinlösungen seitlich hineinfallt. Da jedoch diese
Standardlösungen nicht lange haltbar sind, auch wenn sie im Dunkeln und
in eingeschmolzenen Böhrchen aufbewahrt werden und die Herstellung der¬
selben immerhin etwas zeitraubend ist, so wählte ich statt dessen eine
2. Methode, die die Anwendung der Standardlösungen überflüssig macht.
Ich ging dazu über, die erhaltenen Proben solange zu verdünnen,
bis sie keine grüne Fluorescenz mehr zeigten. Die Wahl der Ver¬
dünnungsflüssigkeit machte Schwierigkeiten. Wasser schwächte die Fluo¬
rescenz frühzeitig ab, desgleichen absoluter Alkohol. Ammoniakalisches
Wasser rief Niederschläge hervor. Man kann allerdings aus mit Wasser ver¬
dünnten Proben durch Amylalkohol das grün fluorescierende Urobilinzink-
salz zum größten Teil wieder entfernen. Amylalkohol hat die Eigenschaft, aus
einer wässerigen Urobilinzinksalzlösung nahezu quantitativ das Urobilinzink-
1) Die Abbildungen haben wegen Raummangels weggelassen werden müssen.
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314
Adlkb
«als an der Grenzfläche anznreichern. Anf diese Weise führte ich die Proben
anfänglich eine Zeitlang ans. Han erhält dabei an der Berührungsfläche von
Amylalkohol und Lösung einen schönen grünen Bing, der in dünnen
Lösungen erst naoh 15—20 Min. deutlich wird. Da jedoch das Arbeiten
mit Amylalkohol subjektiv sehr unangenehm ist, der Amylalkohol außerdem
oft recht unrein ist und kolloidale Trübungen aufweist, die die Reaktion
stören, so mußte ich weiter Buchen. Tabelle IV zeigt das Verhältnis
der Verdünnungswerte mit Aq. dest. und nachfolgender Grenzflächen«
anreicherung mittels Amylalkohol zu den Werten, wie sie mit der gleich
zu besprechenden Methode erhalten wurden.
Tabelle IV.
Verdünnungswert mit Verdünnungswert mit
Aq. dest. u. Amylalkohol. Ale. absol.-j-Zn. acetat.
1:4 1:10
1: 20 1:40
1 : 80 1:120
1: 600 1: 800
Auch 10°/ 0 wässerige Zinkacetat-Lösung erwies sich zur Ver¬
dünnen gsflüssigkeit als unbrauchbar. So drängte sich der Gedanke auf,
daß die Fluorescenz dann deutlich erhalten bleiben muß, wenn die ver¬
dünnte Lösung des fluoreszierenden Urobilinzinksalzes eine immer ge¬
nügende Konzentration von Alkohol und Zinkacetat aufweist, so daß es
nahelag, eine Verdünnungsflüssigkeit zu wählen, die aus absolutem
Alkohol und Zinkacetatlösung bestand etwa im Mischungsverhältnis des
Schlesinger’schen Reagens. Mit dieser gelang es nun in der Tat,
-die Fluorescenz noch in Spuren von Urobilin zu erhalten. Aus jeweils
erhaltenen Verdünnungswerten war dann ein Vergleich der Stärke der
einzelnen Reaktionen möglich. Wenn man nun noch mit einer möglichst
reinen Urobilinlösung (d. h. eine Urobilinogenlösung, die zu Urobilin
unter Einwirkung des Sonnenlichtes verwandelt wurde) die spektrophoto-
metrisch untersucht, und deren Gehalt man gewichtsanalytisch festgelegt
hat, die Reaktionen unter mannigfachen Variationen ausführt, dann kann
man aus diesen VerdünnungBzahlen leicht absolute Werte gewinnen. Das
habe ioh nun im folgenden ausgeführt. Übrig bleibt noch zu erwähnen,
daß die Verdünnungen in einem Dunkelkasten, in den nur von oben
Licht dringen konnte, ausgeführt wurden, und daß hiermit das unbe¬
waffnete Auge noch die geringste Fluorescenz erkennt. Das Tageslicht,
bzw. Sonnenlicht ist für die Ablesung am besten geeignet. 1 )
Größe des Kastens, der mit schwarzem Papier von innen und außen
ausgeklebt ist: (Vgl. Fig. 1 u. 2) Breite 20 cm, Länge 15 cm, Höhe 5 cm.
Der Kasten kann noch, wie die Figur zeigt, mit einem um eine horizontale
Aohse drehbaren Spiegel versehen werden, durch den das Licht besser
in die Gläschen geworfen werden kann, eine Einrichtung, die aber nicht
unbedingt erforderlich ist.
1) Auch kann eine 50 herzige elektrische Birne (110 oder 220 Voltladung)
mit mattem Glas als 'Beleuchtungsquelle benutzt werden.
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Über Urobilin.
315
Fig. 1.
Größe eines Gläschens: Höhe 6,0 cm
Äußerer Durchmesser 16 mm
Innerer Durchmesser 14 mm.
Die Ausführung der Methodik selbst gestaltet sich wie folgt: 10 ccm
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316
Adlbb
des za untersuchenden Harns werden, nachdem die Reaktion festgestellt
worden ist und je nachdem etwas mit verd. Essigsäure angesäuert worden
ist, mit 10 ccm absolutem Alkohol versetzt, 1 g pulverisiertes Zink¬
acetat hinzugefiigt (ich halte mir 1 g fassendes Holzlöffelchen für diesen
Zweck bereit), ferner kommen noch 3 Tropfen 3°/ 0 alkoholische Jod¬
lösung hinzu. Eb wird kräftig umgesehüttelt und filtriert, bis daß klares
Filtrat erzielt ist.
Herstellung der Verdünnungsflüssigkeit: 20 g Zinkacetat werden mit
Wasser in ein Meßkölbchen von 100 ccm bis zur Marke aufgefüllt und
kalt gelöst. Diese Lösung mit 100 ccm absolutem Alkohol verdünnt.
Für den Fall eine feine Trübung entsteht, wird abfiltriert.
Die Verdünnungen erfolgen nun nach folgenden Tabellen, immer
ergänzt auf 2 ccm mit in 1 / 100 ccm geteilten Pipetten, und zwar ver¬
wende ich langgezogene dünne Pipetten, aus denen die Abmessung bequem
und recht genan möglich war; und zwar zum Urinfiltrat meist eine 1 ccm,
zur Verdünnungsflüesigkeit eine 2 ccm fassende Pipette. Im Vorversuch
wurde festgestellt, wo man die Verdünnung zu beginnen hatte, um in
einer Reihe zu einem negativen Resultat zu gelangen. Die gründliche
Spülung der Filtratpipette zwischen je zwei Verdünnungen ist Selbst¬
verständlichkeit.
Eichung der Skala.
Herstellung reinen Urobilins auf dem Wege des Urobilinogens
(Charnas, Friedrich Müller, D. Gerhardt).
Die Urobilinlösung wurde spektrophotometrisch untersucht, der
Extinktionskoeffizient und das Absorptionsverhältnis festgestellt. 'Ferner
der Extinktionskoeffizient an verschiedenen Stellen des Spektrums ge¬
messen, indem ferner die Verdünnungen variiert wurden. Hat man reine
Lösungen vor sich, so müssen die Quotienten der Extinktionskoeffizienten
an verschiedenen Stellen des Spektrums eine Konstante ergeben (vgl.
Hüfner). Das war bei meinen Lösungen der Fall. Der Quotient be¬
trug immer nahezu 0,5. Ein Beispiel sei unten kurz erwähnt 1 ). Da¬
rüber wird ausführlicher in einer späteren Arbeit die Rede sein.
Zu einer Menge von 11 mg Urobilin werden 11 ccm absoluter
Alkohol gefügt. Es lösen sich sofort 8,5 mg (durch Zurückwiegen fest-
gestellt). Von dieser Lösung (8,5 mg auf 11 ccm) werden nun eine
Reihe von Verdünnungen hergestellt von 1: 200 bis 1: 1000, und mit
diesen Verdünnungen wird die Schlesinger’sche Reaktion ausgeführt,
wie oben beschrieben. Es ergibt sich, daß bei einer Verdünnung von
1:1000 keine Fluorescenz mehr nachweisbar ist, bei 1:900 jedoch
diese noch vorhanden ist. Auch die Verdünnung der Fluorescenzproben
der konzentrierten Lösungen ergibt den Grenzwert bei einer Verdünnung
von 1: 900, so daß Verdünnung der Urobilinlösung und Verdünnung der
fertigen Probe gleich sind. Das würde heißen: bei 0,085 mg Urobilin
1) a (Extinktionskoeffizient):
grüne Hg-Linie a = 0,0921
violette Hg-Linie a = 0,1869
Quotient Q*? 9 ?* = 0,49.
v 0,1859 ’
7a Konzentration:
grüne Hg-Linie a = 0,0664
violette Hg-Linie a = 0,1087
Quotient
0,0564
0,1087
= 0,60.
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Über Urobilin.
317
in 100 Flüssigkeit ist eben noch die in der oben beschriebenen Weise
ansgefübrte Schlesinger’sche Reaktion positiv. Das bedeutet eine etwa
2 1 /,mal so große Empfindlichkeit wie Schlesinger (1. c.) und später
Fischler (1. c.) sie angaben. Danach gestalten sich die absoluten
Werte bei den einzelnen Verdünnungen folgendermaßen auf 100 g be
rechnet:
Urinfiltrat
ccm
Verdünnungs-
fltissigkeit
ccm
Verdünnungs-
zahl
Absoluter Wert
mg °/o
Unverdünnt:
2,0
1/2
0,17
1,6
0,5
3/8
0,31
1,0
1,0
1/4
0,340
0,8
1,2
1/6
0,425
0,5
lj6
1/8
0,68
0,4
1,6
1/10
0,85
0,8
1,7
3/40
1,10
0,26
1,74
1/15
1,275
0,2
1,8
1/20
1,70
0,16
1,84
1/25
2,125
0,13
1,87
1/30
2,55
0,1 !
1,9 1
1/40
3,40
Verdünnung: 1
: 10 ccm.
0,8
0,63
0,57
0,5
0,4
0,3
0,26
0,2
0,16
0,13
0,1
1,2
1,34
1.43
1.5
1.6
1.7
1,74
1.8
1,84
1,87
1,9
1/50
1/60
1/70
1/80
1/100
3/400
1/150
1/200
1/250
1/300
1/400
4,25
6,10
6,95
6,80
8,50
11,00
12,75
17,05
21,25
25,50
34,0
Verdünnung: 1:100 ccm.
0,8
0,66
0,67
0,5
0,4
0,3
1,2
1,34
1,43
1.5
1.6
1,7
1/500
1/600
1/700
1/800
1/900
1/1000
42.5
51,0
69.5
68,0
77,0
86,0
Durch entsprechende Interpolation ist Feststellung der Zwischenwerte leicht
möglich.
Es ergibt sich nun die obere Grenze der Urobilinurie beim Normalen,
wie aus den anderweitig zu machenden Ausführungen und Tabellen
hervorgeben wird, etwa 20—25 mg pro die, das würde bei einer Tages¬
menge von durchschnittlich 1500 ccm Urin eine Verdünnung von 1 / 15
bis x /ao Meißen. Bei konzentriertem Harn kann vielleicht 1:40 noch
normal bleiben, während bei dünnem Harn beispielsweise 1 :8 schon
einen pathologischen Wert bedeuten kann. Es geht daher nicht an,
wie Marcnssen und Svend-Hansen das getan haben, */,<, als
obere Grenze der Norm festzusetzen.
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318
Adlbb
Was leistet die Methode?
Die Tabelle VI lehrt, daß in den Zehner-Verdünnungen die
Fehlergrenze, wenn etwa die letzte erreichte Verdünnung zweifel¬
haft ist, die folgende negativ und die vorausgehende sicher positiv ist,
etwa 1 mg °/ 0 meist aber weniger beträgt, in den Einerverdünnungen
noch weniger. In den Hunderterverdünnungen, in denen es sich doch
ohnehin um pathologische Vermehrungen handelt, beträgt die Fehler¬
grenze höchstens 7—9mg°/ 0 > in den Tansender handelt es sich
um 10—15 mg. Das sind irrelevante Unterschiede, so daß die
Methode in der Tat imstande ist, den Anforderungen für klinische
Zwecke in überaus guter Weise gerecht zu werden.
2. Urobilinbestimmung im Stuhl.
Die frisch entleerten Fäces werden gewogen, sodann gut durch¬
gemengt, und 5 g davon abgewogen und in eine Reibschale verbracht,
in dieser werden sie mit 20 ccm Petroläther (oder anch Ligroin) über¬
gossen und 2—3 Minuten lang gut durchgerieben. Der Petroläther
abgegossen und erneut mit dem gleichen Quantum Petroläther
versetzt und abermals gut verrieben. In dem möglichst vollständig
abgegossenen Petroläther kann eine Schlesinger’sche Reaktion an¬
gestellt werden und für den Fall, daß diese positiv ausfällt, eine erneute
Auswaschung vorgenommen werden. Diese Auswaschung dient znr
vollständigen Entfernung des Indol undScatol aus den Fäces, die be¬
kanntlich beide die Schlesinger’sche Reaktion geben. Der Rest wird
dann mit 10 ccm Alcohol absolutus, von 1 g Zinkacetat und 3 Tropfen
Jodtinktur versetzt. Diese Mischung wird gut durchgerieben und
durch ein gehärtetes Filter filtriert. Dieses Filtrat wird wie beim
Harn zur Feststellung des quantitativen Gehaltes weiter verarbeitet.
Nur ist dabei zu beachten, daß die Ausgangszahl der anzustellenden
Verdünnungen bis die Probe negativ wird, nicht mit */«> sondern
mit Vs 211 multiplizieren ist. Diese Methode liefert sehr schöne
und brauchbare Werte für die quantitative Urobilinbestimmung
in den Fäces, wie die in den folgenden Mitteilungen zu veröffent¬
lichenden Untersuchungen zeigen werden. Es ergaben sich als
Norm Gehalt 120—200 mg°/ 0 Urobilin. Die Tatsache, daß bei
verschiedenen Krankheitszuständen die erhaltenen Werte in dem¬
selben Bereiche liegen, wie sie von anderen Autoren (vgl. bes.
Eppinger) durch umständliche Methoden gewonnen wurden,
beweist die Brauchbarkeit der hier beschriebenen Methodik. (Vgl.
die späteren Mitteilungen. 1 ))
1) Bei Untersuchung von Neugebornenst&hlen, die stark bilirnbinhaltig sind.
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Über Urobilin.
319
3. Urobilinbestimmungen im Duodenalsaft.
Ferner wurden Duodenalsaftuntersuchungen nach dieser Me¬
thode vorgenommen. Es ist zu berücksichtigen, daß im Duodenal¬
saft immer reichlich Bilirubin vorhanden ist, wenn die Probe mit
Jodtinktur angestellt wird, so verwandelt sich dieses in Biliverdin.
Man muß deshalb etwas weniger Jodtinktur nehmen. 1 ) Bei An¬
stellung der Verdünnung zeigt sich dann bei hohem Urobilingehalt,
daß die Biliverdinfarbe für die Beurteilung für die Fluorescenz nicht
störend wirkt, da die Biliverdinfärbung längst verschwunden, wenn
noch Urobilinfluorescenz vorhanden ist. Normaliter wurde eine Ver¬
dünnung von etwa 1:50 gefunden, auf 100 ccm berechnet ungefähr
4—5 mg. Unter pathologischen Bedingungen ist der Urobilingehalt
des Duodenalsaftes enorm vermehrt, so fand ich in Fällen Magen-
carcinom 1: 800 positiv, d. h. 68 mg °/ 0 . Ferner einmal 85 mg %.
In einem Falle von Gallengangscarcinom mit riesigen Lebermeta¬
stasen ohne Gallenstauung, in dem ich 80 ccm Duodenalsaft ent¬
leerte, 780 mg auf 100 ccm!
Will man die quantitative Bestimmung im Blute ausführen r
so wendet man am besten die von Strauß und Hahn, ZentralbL
l inn. Med. 1920, angegebene Methode an. Die Verdünnung darf
alsdann nicht mit der oben angegebenen Verdünnuugsflüssigkeit
geschehen, sondern mit absolutem Alkohol Die Blutwerte sind
sehr gering. In pathologischen Fällen fand ich bis zu V 6 , d. h.
0,5 mg V)
hat sich als bequeme Trennungsmethode des Bilirubins vom Urobilin, die Fällung
mit kolloidalem Eisenhydroxyd erwiesen, wie eine spätere Mitteilung noch zeigen
wird. Dasselbe gilt für Stauungsikterusharn und Duodenalsaft. Auch Kalk¬
milch ist als Trennungsmittel brauchbar.
1) Man kann auch den Duodenalsaft 24 Stunden im Licht stehen lassen
und dann die beschriebene Schlesinger’sche Reaktion ohne Jodzusatz anstellen.
Beide Methoden liefern die gleichen Ergebnisse.
*) Anmerk.: Die beschriebene Methode wende ich seit länger als einem Jahre für
klinische Zwecke an. Ihre Veröffentlichung unterblieb jedoch bis jetzt, weil mir
eine Arbeit von Marcussen und Svend Hansen (11) nur unter dem Namen
Marcussen in einem ganz kurzen Referat im Chemischen Zentralblatt 1918
bekannt geworden war. Erst jetzt ist es mir gelungen, diese Arbeit im Original
zu erhalten. Herrn Dr. S. Hansen sei an dieser Stelle für die Zusendung
bestens gedankt. Ich ersehe aus ihr, daß die beiden Autoren in wesentlichen
Punkten zum gleichen Resultate wie ich gekommen sind. Sie sind allerdings-
nicht dazu übergegangen aus ihrer Verdünnungsprobe absolute Werte zu er¬
halten.
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320
Adlbh, Über Urobilin.
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Literatur.
1. Meyer-Betz, Über Urobilin. Ergebnisse für innere Med. nnd Kinder-
heilk. 1913. — 2. Brugsch, Zeitschr. f. exper. Path. nnd Ther. Bd. 6, 8,9,11.
— 3. Charnas, Quantitative Urobilinbestimmung, Biochem. Zeitschr. 1909.—
— 4. Eppinger, Die hepatolienalen Erkrankungen, 1920, Julius Springer. —
— 5. Ders.. Der Ikterns in Krans-Brngsch’ Handbuch d. spez. Path. u. Ther.
— 6. Fiscner, H., Zur Kenntnis des Gallenfarbstoffs. Zeitschr. f. physioL
Chemie 73 u. 76. — 7. Fischler, Das Urobilin. Habilitationsschr. 1906. —
8. Flatow, Quantitative UrobilinogenbestimmuDg. Münch. med.Wochenschr.1911..
— 9. Hildebrandt, Über Urobilin. Zeitschr. f. klin. Med. 1906, Bd. 69. —
10. Kraus, Berl. klm. Wochenschr. 1920. — 11. Marcussen und Svend-
Hansen, Journal of biological Chemistry 1918, Bd. 36. — 12. Peters, Chen.
Zentralbl. 1920. — 13. ScnleBinger, Nachweis des Urobilins. Deutsche med.
Wochenschr. 1908.
v
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Aus der medizin. Klinik Greifswald
(Direktor: Prof. Dr. Morawitz).
Über den Einfluß der Nahrungsaufnahme auf den
ßlntbilirabingehalt.
Von
Dr. Ernst Christoph Meyer,
Assistenzarzt der Klinik,
und
Herbert Knüpffer,
Medizinalpraktikant.
Vor einigen Jahren gestalteten Hijmans v. d. Bergh und
seine Mitarbeiter die durch Ehrlich entdeckte, durch Pro sch er
näher studierte Diazoreaktion auf Bilirubin im Blute zu einer
quantitativen Methode aus. Bei ihren Untersuchungen entdeckten
sie zufällig, daß das Bilirubin, das in der Galle enthalten ist, ohne
Zusatz von Alkohol diese Reaktion sofort gibt, während das aus
Gallensteinen hergestellte Bilirubin diese Reaktion nur nach Zusatz
von Alkohol gibt. Alsdann stellten sie fest, daß das Blut norma¬
ler Menschen diese Diazoreaktion ohne Alkoholzusatz nur mit Ver¬
zögerung (nach etwa Minute beginnend, erst nach einigen Mi¬
nuten bis Stunden maximal werdend) gibt (sog. verzögerte di¬
rekte Reaktion), während das Blut von Menschen mit Stauungs-
ikterus sofort ohne Alkoholzusatz diese Diazoreaktion gibt (sog.
prompte direkte Reaktion). Feigl undQuerner machten
darauf aufmerksam, daß die Reaktion zuweilen zweiphasig verläuft,
indem sogleich ein deutlicher Farbenumschlag eintritt, der erst
nach einigen Minuten beginnt stärker zu werden. Die zweiphasige
Reaktion trennt Lepehne noch in einen zweiphasig prompten mit
stärkerem prompten und in einen zweiphasig verzögerten mit stär¬
kerem verzögerten Anteil.
Auf Grund dieser Entdeckung war nach Hij mans v. d. Bergh
die Möglichkeit gegeben, zu unterscheiden, ob das im Blute vor-
Deutsches Archiv für klin. Medizin, n». Bd -t
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322
Meyer u. Kslpffkr
handene Bilirubin die Leberzellen bereits passiert habe und durch
Resorption aus den Gallen wegen in das Blut gelangt sei (Stauungs¬
bilirubin) — prompte direkte Reaktion — oder ob das Bili¬
rubin außerhalb der Leber gebildet sei — verzögerte direkte
Reaktion —.
Im Anschluß an diese Entdeckungen Hijmans v. d. Bergh's
wurden von verschiedenen Forschern die Bilirubinverhältnisse bei
verschiedenen Krankheitszuständen und auch im Tierexperiment
untersucht. Eine Abhängigkeit des Blutbilirubingehaltes von ver¬
schiedenen Arzneimitteln glauben Bauer undSpiegel nachgewiesen
zu haben. Sie gingen von der Voraussetzung aus, daß der Bili¬
rubingehalt des Blutes bei ein und demselben Individuum konstant
sei, eine Ansicht, der bereits von Lepehne widersprochen wurde.
Eine Beständigkeit des Blutbilirubingehaltes erscheint unwahr¬
scheinlich, wenn man in Betracht zieht, daß die Gallenausschei¬
dung in den Darm abhängig von der Nahrungsaufnahme stattfindet.
Auch die Beobachtungen an Hunden, bei denen zuweilen schon
nach 1—3 tägigen Hungern Bilirubin im Urin auftreten soll, spricht
dafür, daß Schwankungen im Blutbilirubingehalt durch die Nah¬
rungsaufnahme eintreten. Im gleichem Sinne sprachen auch die
Versuche, die Gilbert mit seiner Oxydationsmethode an wenigen
Personen vorgenommen hat.
Zur Entscheidung dieser Frage untersuchten wir an einer
großen Anzahl normaler Personen den Blutbilirubingehalt vor und
nach der Hauptmahlzeit.
Wir wählten zunächst die Zeit 1V 2 —2 Stunden nach dem
Mittagsessen ((Truppe I), das aus der üblichen Krankenhauskost
(Gemüse, Kartotfeln, Fleisch, Fett zusammengekocht) bestand. Die
ei sten Versuchspersonen zeigten in der Tat nach dieser Zeit schon
eine deutliche Abnahme des Blutbilirubingehaltes, so daß wir zu¬
nächst an diesem Zeitraum festhielten. Je größer aber unsere
Versuche in dieser Anordnung wurden, desto mehr Personen fanden
wir, die in dieser Zeit noch keine Schwankungen des Bilirubin¬
gehaltes zeigten. Unter 23 untersachten Personen — es waren
hauptsächlich Rekonvaleszenten — fanden wir 10mal eine deutliche
Abnahme: die stärkste Abnahme betrug von 1,5 auf 0,6 Bilirubin
Einheiten, bei 4 von diesen Fällen fiel der Bilirubin wert auf die
Hälfte, z. B. von 0,8 auf 0,4 Bi. E., bei den übrigen 5 Personen
betrug die Abnahme mindestens 30 °/ 0 des Anfangswertes, z. B. von
0,55 auf 0,35 Bi. E. Die übrigen 13 Fälle zeigten in dieser Zeit
keine Abnahme. Daher dehnten wir, wie wir weiter unten sehen
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Über den Einfluß der Nahrungsaufnahme auf den Blutbilirubiugehalt. 323
werden, später unsere Beobachtungszeit nach dein Essen noch um
einige Stunden aus. Zunächst zogen wir noch den Vormittag, an
dem ja die Versuchspersonen nüchtern blieben — letzte Nahrungs¬
aufnahme am vorhergehenden Abend um 6 h — mit in den Be¬
reich unserer Untersuchungen, indem wir morgens um 9 K und
um V 2 I 2 1 ' eine Blutentnahme Vornahmen, außerdem noch ein¬
mal — wie in Gruppe I — l 1 /.,—2 Stunden nach dem Essen.
Zwischen diesen Zeiten zeigten sich entweder keine Unterschiede
oder eine geringe Zunahme (Gruppe II). Es wurden 9 Personen
in dieser Weise untersucht. Die Zunahme im Laufe des Vor¬
mittages bei nüchternem Magen betrug nur einmal über 30 % des
Anfangswertes, sonst blieb sie immer innerhalb der Fehlergrenzen.
Bei 5 Personen war innerhalb der 2 Stunden nach dem Essen
wieder eine deutliche Abnahme wahrnehmbar um 30—45% des
Anfangswertes, bei 4 Fällen keine Abnahme.
Während also innerhalb von 1 V 2 —2 Stunden nach der Nahrungs¬
aufnahme nur bei dem kleineren Teile der untersuchten Personen
eine Abnahme des Blutbilirubingehaltes festzustellen war, wurden
die Resultate einheitlich, als ich die Beobachtungs/.eit bis auf
5 Stunden nach dem Essen ausdehnte (Gruppe III). Bei dieser
Versuchsanordnung zeigte sich bei sämtlichen untersuchten Fällen
eine deutliche Abnahme 4 — 5 Stunden nach dem Essen, bei den¬
jenigen Fällen, bei denen ich dann nach 8 Stunden nach dem Essen
eine Blutuntersuchung vornahm, zeigte sich dann schon wieder ein
geringer Anstieg oder noch ein Gleichbleiben, eine weitere Ab¬
nahme konnte ich dann nicht mehr feststellen: Ich untersuchte
10 gesunde Personen in dieser Versuchsanordnung. Während bei
6 Personen der Blutbilirubinwert mittags 12 h nüchtern 0,1 bzw.
0,4 Bi. E. betrug, fand ich 5 Stunden nach der Mittagsmahlzeit
einmal eine geringe Spur, in den übrigen Fällen überhaupt kein
Bilirubin mehr. Bei den übrigen 4 Personen mit Nüchternwerten
von 0,2 bis 0,95 Bi.E. betrug die Abnahme 35—50% des Anfangs¬
wertes.
Um mit Sicherheit sagen zu können, daß die festgestellten
Schwankungen des Blutbilirubingehaltes auf die Nahrungsaufnahme
zu beziehen sind und nicht etwa durch irgendwelche anderen Um¬
stände bedingte tageszeitliche Schwankungen sind, ließ ich die Ver¬
suchspersonen vom vorhergehenden Abend 6 h bis zum nächsten
Abend 6 h hungern und untersuchte das Blut mittags um 12 h ,
2 h und um 6 h (Gruppe IV). Bei sämtlichen 5 untersuchten Per¬
sonen ergab sich in diesen Zeiten ein Ansteigen des Blutbilirubins
21*
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Mkykr ii. Kmtfeer
324
um 20—200 °/ 0 des Anfangswertes — im Gegensatz zu den Personen,
die um 12 '■ eine Mahlzeit zu sich genommen hatten und danach
einen Abfall des Blutbilirubins aufwiesen. Untersuchte ich alsdann
das Blut der Hungerpersonen noch 3—4 Stunden nach der Nahrungs¬
aufnahme, die um 6 h abends nach 24 Stunden Hunger erfolgte, so
zeigte sich wieder prompt ein deutlicher Abfall, der gewöhnlich um
50% niedriger lag als der Anfangswert mittags 12 h , in 2 Fällen
sogar von 0,6 bzw. 0,45 auf 0 herabgesunken war. War bereits
schon durch diese Versuche erwiesen, daß es die Nahrungsauf¬
nahme ist, welche das Absinken des Blutbilirubins bewirkt, und
daß es der Hunger ist, welcher zu einem Anstieg führt, so änderte
ich doch noch die Versuch sanordnuug bei einer Reihe von Personen
so ab (Gruppe V), daß ich morgens nüchtern eine Blutprobe ent¬
nahm, dann sofort eine dem gewöhnlichen Mittagessen entsprechende
Mahlzeit gab und nun nach 2, 5 und 8 Stunden das Blut wieder
untersuchte. Auch bei diesen Fällen zeigte sich nach 5 Stunden
ein Tiefstand bis auf einen Fall, der erst nach 8 Stunden auf den
niedrigsten Wert herabgesunken war, während bei den übrigen
5 untersuchten Fällen nach 8 Stunden bereits wieder eine deutlich
nachweisbare Zunahme aufzuweisen war. Als Beispiel sei ange¬
führt: Va 9'' nüchtern 0,25 Bi. E., */ 2 12' 1 '2 1 /,. Stunde nach dem
Essen 0,2 Bi. E., 5 Stunden nach dem Essen 0,05 Bi. E. 8 Stunden
nach dem Essen 0,2 Bi.E. Beim Vergleich dieser Gruppe mit den
in Gruppe II untersuchten Personen wird der Unterschied beson¬
ders deutlich: Bei den mittagessenden Personen im Laufe des Vor¬
mittags geringe Zunahme, dann bis 2—3 h geringe Abnahme, die
bis ;V' noch deutlicher wird; bei den morgens essenden Personen
im Laufe des Vormittags bereits geringe Abnahme, das Tief ist
um 2 '* erreicht und um 5 h , in welcher Zeit bei jener Gruppe das
Tief vorhanden ist, findet hier bereits wieder ein Anstieg statt.
Der Genuß von 1 1 Wasser wirkte bei den Versuchspersonen nicht
als Nahrungsaufnahme, denn der Blutbilirubingehalt stieg danach
an wie bei nüchternen Personen, dagegen rief bei 2 Personen der
Genuß von Bariumsul tat brei (w ie er zur Röntgendiagnostik ver¬
wendet wird) eine Abnahme des Bilirubingehaltes hervor, überein¬
stimmend mit der Tatsache, daß sich ja in den weißen Barium-
taces reichlich l'robilinogen und Urobilin nachweisen lassen. Es
scheint also schon das llineingelangen eines festen Breis die Gallen¬
sekretion zu verstärken. Um direkt den Einfluß des Galleabflnsses
auf den Bilirubingehalt des Blutes nachzuweisen, versuchte ich
durch Eingabe von Witte-l\*pton in das Duodenum einen stärkeren
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I ber deu Einfluli der Nahrungsaufnahme auf den Klutbilirubingehalt. 325
Galleabfluß hervorzurufen. Es gelang mir allerdings nur in 2 Fällen,
etwa 70 ccm dunklere Blasengalle im Laufe von 30 Minuten zu
gewinnen, ein Abfluß, der anscheinend nicht groß genug war, um
eine Herabsetzung des Blutbilirubingehaltes zu bewirken, denn diese
Personen verhielten sich so, als wenn sie einfach nüchtern geblieben
wären; ein älterer Mann, dem ich auch die Duodenalsonde in das
Duodenum eingeführt, ihm aber nichts eingab, sondern einfach
nüchtern ließ, zeigte ein merkwürdiges Verhalten. Bei durchaus
normalen Bilirubinwerten zeigte sich ein Ansteigen von 0,15 auf
0.45 in 6 Stunden; während nun in der Ersten und zweiten Blut¬
probe die direkte Reaktion verzögert war, war sie in der dritten
Blutprobe zweiphasig prompt. Öfteres Ansaugen durch die Duo¬
denalsonde ergab hellgelbe, alkalische Flüssigkeit, die die direkte
prompte Diazoreaktion gab. Dadurch, daß ich 250 ccm Ochsen¬
galle in das Duodenum innerhalb von */ 2 Stunde vermittelst Duo-
denalsonde einfließen ließ, erreichte ich wohl einen Anstieg des
Bilirubingehaltes im Blute. Er war aber nur unbedeutend größer
als der bei einer nüchternen Person. Allerdings ist darauf hin¬
zuweisen, daß nach 5 Stunden die direkte Reaktion zweiphasig
auftrat, was wohl darauf hindeutet, daß ein kleiner Teil des aus
dem Darm resorbierten Bilirubins (bei den sicherlich günstigen
Resorptionsbedingungen) — 250 ccm Galle in den leeren Darm —
die Leber passiert hat und in das Blut gelangte.
Auf dieses sonderbare Verhalten des Blutbilirubingehaltes komme
ich bei der Besprechung der an lebergeschädigten Menschen vor¬
genommenen Untersuchungen noch zurück.
Bis auf diese 2 Fälle war die direkte Reaktion bei allen bis¬
her mitgeteilten Personen verzögert.
Durch diese Versuche ist also einwandfrei erwiesen, daß beim
Menschen einbes tändiges Schwan kendes Blutbilirubin¬
geh altes stattfindet, das durch die Nähr ungsaufn ah me
bedingt ist. Diese Tatsache ist bei Versuchen zu berücksichtigen,
die etwa darauf ausgehen, den Blutbilirubingehalt pharmakologisch
zu beeinflussen. Nimmt man derart ige Versuche vor etwa 2—5 Stunden
nach der letzten Nahrungsaufnahme, so würde nur ein Anstieg be¬
weisend sein, andererseits würden Versuche, die etwa am Vor¬
mittage bei Nüchternheit vorgenomnien wurden, nur dann für eine
Wirksamkeit der verabreichten Pharmaka sprechen, wenn dieselben
eine Abnahme bewirkten. Desgleichen muß diese Tatsache bei
vergleichenden Untersuchungen Berücksichtigung finden. Es wird
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326
Mkykr ii. Kmi'ku k
empfohlen, derartige Untersuchungen stets morgens nüclitern vor¬
zunehmen.
Wie ist nun dieses Schwanken zu erklären?
Zunächst möchte ich einen Augenblick bei der Tatsache ver¬
weilen, daß überhaupt ein Ab- und insbesondere ein Anstieg vor¬
handen ist! Diese vorkommenden Schwankungen können über 100 °/ 0
betragen! Es kann also ein Anstieg des Bilirubinge¬
haltes im Blute sicherlich ohne irgendwelche Rup¬
turen der Gallenkapillaren erfolgen!
Findet nun das Ansteigen nach länger als 5—8 ständigem
Hunger durch einen Übertritt von Bilirubin aus der Leber in das
Blut statt, oder wird das etwa in der Blutbahn oder im reticulo-
endothelialen Apparat außerhalb der Leber gebildete Bilirubin
weniger von der Leber aus dem Blute abgefangen? Für das Ab¬
sinken scheint mir die einleuchtendste Erklärung die zu sein, daß
die durch die Verdauung bedingte stärkere Sekretion der Galle in
den Darm ein schnelleres Abfließen der Galle auch aus den Gallen¬
kapillaren und eine verstärkte Tätigkeit der Leberzellen zur Folge
hat. Dadurch wird dann das im Blute kreisende Bilirubin verstärkt
abgefangen.
Daß bei diesen normalen Fällen stets — auch bei den höchsten
Bilirubinwerten — die direkte Reaktion verzögert auftrat, braucht
nicht unbedingt dafür zu sprechen, daß der Anstieg durch anhepa¬
tisch gebildetes Bilirubin zustande kommt; denn auch Lepehne
laml bei einigen seiner Kaninchen nach Unterbindung des Ductus
choledochus erst nach 22 Stunden bei einer Zunahme des Blut¬
bilirubins verzögerte direkte Reaktion. Es wäre also wohl mög¬
lich, daß die lieberzelle nach zwei Seiten das Bilirubin sezernieren
kann — hauptsächlich in die Gallenkapillaren. Wenn diese aber
infolge geringen Abflusses in den Darm eine gewisse Füllung er¬
reicht haben, so wäre es denkbar, daß die Sekretion reichlicher
in das Blut erfolgte. — Andererseits schließen allerdings diese
Schwankumren durch die Nahrungsaufnahme auch nicht aus, daß
die Leberzellen um so weniger Bilirubin aus dem Blute aufnehmen,
je stärker die Gallenkapillaren (im Hunger) gefüllt sind.
Fine andere Möglichkeit, wie Bilirubin in das Blut gelangen
könne, glaube ich hier noch zur Diskussion stellen zu müssen auf
Grund von Befunden, die ich au einigen Personen mit deutlicher
Urobilinurie erheben konnte. Ehe ich näher auf diese Frage ein¬
gehe. möchte ich das Verhalten der lebergeschädigten Personen be¬
schreiben. Ein Teil der Fälle, welche deutliche llrobilinurie auf-
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Uber den Einfluß der Nahrungsaufnahme auf den Blutbilirubingehalt. 327
weisen, verhalten sich normal, d. h. der Bilirubingehalt nimmt nach
der Nahrungsaufnahme ab. Unter diesen Fälle befinden sich
sowohl solche mit akuten Infektionskrankheiten (Scharlach, Diph¬
therie), als auch solche mit dekompensierten Herzen, mit Chole-
lithiasis und noch im Abklingen begriffenem katarrhalischem Ik¬
terus. Selbst Fälle, bei denen die direkte Reaktion prompt erfolgte,
zeigen das Verhalten der normalen Versuchspersonen. Andererseits
zeigen Fälle, bei denen anscheinend die Urobilinurie durch die
gleichen Ursachen wie bei den eben beschriebenen Fällen verursacht
wird (Scarlatina, Tbc. pulm., Cholecystitis, Hepatitis luetica, Ikterus
catarrh., Salvarsanikterus, dekompensiertes vitium cordis) ein ab¬
normes Verhalten, indem nach der Nahrungsaufnahme nicht nur
nicht eine Abnahme des Blutbilirubingehaltes, sondern im Gegen¬
teil eine Zunahme stattfindet. Sie verhalten sich also nach
Nahrungsaufnahme so wie normale Personen im nüchternen Zu¬
stande. Hier könnte vielleicht der Einwand gemacht werden, daß
eben hier tatsächlich praktisch die Verhältnisse der Nüchternheit
Vorlagen, weil die Patienten z. T. schwer krank waren und nur
wenig zu sich nahmen und so nur eine geringe Gallesekretion ver¬
anlaßt wurde. Dagegen ist einzuwenden, daß ja auch unter den
Fällen der Gruppe VI sich solche mit akuten Infektionen befanden,
die auch nur Milch und Reis oder Grießbrei zu sich nahmen und
doch eine Abnahme aufwiesen. Andererseits befinden sich unter
den Fällen mit abnormem Verhalten solche, welche die übliche
Mittagsmahlzeit in normaler Menge zu sich nahmen. Schließlich
zeigten auch normale Personen einen Abfall nach Genuß von J /a 1
Milch und V 2 Teller Reisbrei.
Wie erklärt sich nun das abnorme Verhalten? Reagiert etwa
die Leber auf die Nahrungsaufnahme nicht wie normalerweise
durch eine stärkere Sekretion? Wenn das der Fall wäre, dann
müßte es doch, wenn dieser Zustand nur einige Tage anhielte,
infolge der geringeren Abscheidung der Galle in den Darm zu
einem größeren Anstieg des Blutbilirubingehaltes kommen! Das
ist aber nicht der Fall. Dagegen erscheint mir eine andere An¬
nahme einleuchtend, zu welcher ich auf Grund des Befundes au
3 Fällen geführt wurde. Hier beobachteten wir nämlich, daß die
direkte Reaktion vor dem Essen verzögert, nach dem Essen da¬
gegen zweiphasig prompt auftrat. Dieses Verhalten erklärten wir
nns folgendermaßen: Es ist ja bekannt, daß ein Teil des in den
Darm ergossenen Bilirubins resorbiert und der Leber wieder zu-
geführt wird. Da nun nach dem Essen die direkte Reaktion im
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328
Meyer n. Knlpffbr
Blute prompt auftrat, liegt die Annahme nahe, daß das Bilirubin,
das im Darm resorbiert wird, der Leber wieder zugeführt wurde,
von dieser nicht in normalerweise wieder ausgeschieden wurde,
sondern ähnlich wie das Urobilin die geschädigte Leber passierte.
Zum Schluß möchte ich noch anhangsweise das Resultat ein¬
maliger Untersuchungen bei verschiedenen Krankheitszuständen
bringen. Sie zeigen, daß bei verschiedenen Infektionskrankheiten
die direkte Reaktion bald prompt; bald verzögert auftreten kann.
Bei Diphtherie (5 Fälle) fand ich immer die direkte Reaktion ver¬
zögert, bei Scharlach (6 Fälle) dagegen — im Gegensatz zu Lepehne
— trat die direkte Reaktion entweder prompt oder zweiphasig
prompt auf. Auch bei Typhus (6 Fälle) fand ich stets prompte
oder zweiphasig prompte direkte Reaktion, desgleichen bei schwerer
Lungentuberkulose.
Bei 5 Fällen kronpöser Pneumonie war die direkte Reaktion
prompt, während sie bei akutem Darmkatarrh mit sehr hohem
Fieber verzögert verlief.
Besonders hinweisen möchte ich noch auf Fälle von Salvarsan-
ikterus, bei denen die direkte Reaktion prompt auftrat
Insgesamt wurden 194 Personen in den Kreis
unserer Untersuchungen gezogen.
Methodik.
Das Blut wurde stets durch Venenpunktion entnommen, frühestens
etwa J / 2 Stunden nach der Entnahme wurde das Blut in einer elektrischen
Zentrifuge zentrifugiert. Nachdem alle Blutentnahmen des betr. Tages
gemacht waren, wurde möglichst gleichzeitig die Alkoholfallung des Serums
vorgenommen und schnell hintereinander zentrifugiert, dann wurde gleich¬
zeitig bei allen zu vergleichenden Proben das Diagoreagens zugeBetzt und
der Wert mit Hilfe des Autenrieth'sehen Kolorimeters bestimmt.
Als Vergleichsflüssigkeit diente die von van der Bergh angegebene
Rhodanidlösung. Noch deutlicher als im Autenrieth’schen Kolori¬
meter ließen sich die Unterschiede in gleich weiten, vollständig farblosen
Reagenzgläsern nachweisen in auffallendem Lichte vor einer weißen
Unterlage. — Nachdem uns schon bei den ersten Untersuchungen auf¬
gefallen war, daß noch in den ersten Minuten bei der indirekten Reaktion
ein geringes Nachröten stattfindet, so wurde bei den späteren Unter¬
suchungen prinzipiell nach 15 Minuten abgelesen, dann war meistens der
höchste Wert erreicht. Auch Hans Fischer stellte in einer kürzlich
erschienenen Arbeit fest, daß bei der Diazoreaktion auf Bilirubin das
Maximum mit 10 Minuten erreicht ist.
Zusammenfassung:
I. Bei normalen Personen tritt innerhalb von 2—5 Stunden
nach der Nahrungsaufnahme eine Abnahme des Blutbilirubingehaltes
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Über den Einfluß der Nahrungsaufnahme auf den Blutbilirnbingehalt. 329
ein. Das Tief ist gewöhnlich nach 5 Stunden erreicht, nach
8 Stunden ist in den meisten Fällen schon wieder ein Anstieg zu
bemerken.
IL Bei Personen, die seit dem Abend vorher keine Nahrung
zu sich genommen haben, tritt bei Nahrungsenthaltung im Laufe
des Tages eine Zunahme des Blutbilirubingehaltes einr.
III. Auch Milch und Milchreisbrei führt zu einer Abnahme
des Bilirubins.
IV. Bariumsulfatbrei hat die gleiche Wirkung, dagegen hat
Aufnahme von 11 Wasser keinen Einfluß auf das Blutbilirnbin.
Dieses Verhalten des Blutbilirubins wird dadurch erklärt, daß die
Nahrungsaufnahme eine Sekretion der Galle in den Darm hervor¬
ruft. Dadurch wird entweder das Bilirubin verstärkt aus dem
Blute von der Leber aufgenomroen oder in geringerem Maße von
der Leberzelle in die Blutbahn sezerniert, als bei stark gefüllten
Gallenkapillaren, d. h. im nüchternen Zustande.
V. Während ein großer Teil von Personen mit Leberschädigung
(Urobilinurie) normales Verhalten zeigt, weist ein Teil dieser Fälle
eine Zunahme des Bilirubins im Blute nach der Nahrungsaufnahme
auf. Dieses Verhalten wird dadurch erklärt, daß bei diesen Fällen
das aus dem Darm wieder resorbierte Bilirubin die geschädigte
Leber passiert — ähnlich wie das Urobilin. Für diese Annahme
spricht, daß bei einem Teil dieser Fälle nach dem Essen die direkte
Reaktion prompt oder zweiphasig prompt auftrat, während sie vor
dem Essen verzögert war.
Es werden qualitative und quantitative Angaben über das
Blntbilirubin bei verschiedenen Krankheiten gemacht.
Literatur.
Hijmans van den Bergh, Der Gallenfarbstoff im Blnte. Leipzig u.
Leyden 1918. —Ehrlich, Zentralbl. f. klin. Med. 1883. — Prüscher. Zeitschr.
f. Physiol. Chemie 29. # — Feigl u. Qnerner, Zeitschr. f. d. ges. exper. Med. 9,
S. 163. — Lepehne, Deutsches Arch. f. klin. Med. 132, 8.90 n. 135, 8. 79.
Ergeb. d. inn. Med. n. Kinderheilk. 20, S. 221. — Bauer n. Spiegel, Deutsches
Arch. f. klin. Med. 129, S. 17. — Gilbert et Herrscher, Sur les variations de
la cholemie physiologique. Presse medicale 1906, Nr. 27. — Hans Fischer,
Zeitschr. physiol. Chem. 1921.
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Aus der II. raed. Klinik der Universität Köln
(Direktor: Prof. Dr. Moritz).
Zur Herkunft der im strömenden Blut bei Endocarditis
lenta yorkommenden Endothelien.
Von
Privatdozent Dr. Fr. Otto Heß,
Oberarzt.
Bei dem 46 jährigen Patienten Schm., der wegen chron. Endo¬
karditis lenta im September 1919 in unserer Klinik lag, wurden
gelegentlich einer Blutuntersuchung folgende Befunde erhoben.
Im sog. Kapillarblut des Ohrläppchens zählten wir 45 522 und
im Blut aus einer Fingerkuppe der rechten Hand bei gleicher Ent¬
nahmetechnik nur 5344 Leukocyten; diese auffallende Differenz,
die zuerst nur an einen Zählfehler denken ließ, wurde aber wieder¬
holt beobachtet. Gleichzeitig fielen Frl. Dr. Weber und mir bei
der Leukocytenzählung große, z. T. an Amöben erinnernde, blasige
Zellen mit randständigem ovalen Kern in beträchtlicher Zahl auf.
die im gefärbten Ausstrich als endothelartige Gebilde oft mit einem
oder mehreren phagocytierten Blutkörperchen erschienen; sie fanden
sich nur im Ohrläppchenblut.
Derartige Zellen im strömenden Blut sind früher mehrfach und
neuerdings — während wir mit der Bearbeitung dieses Gegen¬
standes beschäftigt waren — von Schilling und Bittorf be¬
schrieben. so daß ich auf eine ausführliche Beschreibung der Zellen
unter Hinweis auf diese Arbeiten and gute Abbildungen x ) ver¬
zichten kann. Ich möchte nur eine für die Erkennung der Zellen
wichtige Tatsache betonen, daß man sie am leichtesten und schön¬
sten im frischen Präparat besonders in der Zählkammer bei Ver-
1) March and (grolie Phagocvten, leukocytoide Zellen (I. Tagung d. path.
Oes. S. 7<>), Ketouseck, van Nnys, Weil], Kaznelson, Kraus u. a.
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Im strömenden Blut bei Endocarditis lenta verkommenden Endothelieu. 331
dünnung des Blutes mit Essigsäure und Zusatz von Gentianaviolett
auffindet.
Sie heben sich da als meist wesentlich größere, blasige, oft amöben-
artige Zellen von den anderen ab: der Kern liegt gewöhnlich eigenartig
halbmondförmig an der einen Seite der rundlichen bis wurstförmigen
Zelle, in der oft'Einschlüsse zu erkennen sind; häufig sieht es so aus,
als ob der Kern die Zelle seitlich überrage, oder der Zelleib hängt wie
eine Blase unter dem Kern. Auf dem geheizten Objekttisch zeigten sie
einigemal deutliche Gestaltsveränderung, während Phagocytose, wie sie
R owley und Eason sahen, nie sicher beobachtet wurde.
Im Ausstrich sahen auch wir häufig ganze Konvolute, z. T. abnorm
gestalteter, großer mit Fortsätzen versehener Makrophagen; einzelne
kleinere mehr längliche mit ovalem Kern lassen sich nicht immer mit
Sicherheit von normalen sog. Monocyten unterscheiden; sehr schön sind
die verschiedenen Zelleinscblüsse zu erkennen: polymorphkernige Leuko-
cyten, Lymphocyten, Blutplättchen, rote Blutkörperchen (mit der Benzidin-
probe und Methylenblau dargestellt); Bakterien konnten mit Sicherheit
nicht nachgewiesen werden. Ein großer Teil der fraglichen Zellen ent¬
hält eine oder mehrere Vakuolen.
Unsere Befunde forderten zur Bearbeitung folgender Fragen auf:
1. finden sich derartig auffallende Differenzen der Leukocyten-
zalil zwischen Ohr- und Fingerblut häufiger, ev. bei welchen
Krankheitszuständen, und wodurch werden sie bedingt?
2. bei welchen Erkrankungen sind die großen endothelialen
z. T. Phagocytose aufweisenden Zellen im strömenden Blut nach¬
weisbar ?
3. wo stammen diese Zellen her?
Bei dem Patienten Schm, fanden wir die Endothelien nur
im Ohrblut; diese Tatsache machte meine anfängliche Annahme,
daß es sich um Zellen des reticulo-endothelialen Apparates von
Milz und Leber handele, sehr unwahrscheinlich und führte zu der
Vermutung, daß diese eigenartigen Zellen vom Ort der Blutentnahme
heiTührten, was auch Bittorf annimmt; dies wurde auf Grund
weiterer klinischer Untersuchungen noch wahrscheinlicher, konnte
aber nur durch anatomische Untersuchungen bewiesen werden.
Diese waren nun bei dem Patienten Schm, nicht angängig, da er
kurz vor seinem Tod seine Verlegung nach Hause wünschte. Aus
diesem Grunde unterblieb damals die Publikation der an sich auf¬
fälligen Befunde.
In der Folgezeit hatte ich nun Gelegenheit, 10 weitere Fälle
von Endocarditis lenta klinisch zu beobachten und z. T. autoptisch
zu untersuchen, so daß mir die Beantwortung der gestellten Fragen
möglich wurde.
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1. Die Differenz der Leukocytenzahlen zwischen Finger- und
Ohrblut.
Vergleichsuntersuchungen bei den verschiedensten Erkrankun¬
gen l 2 ) ergaben, daß weit außerhalb der Fehlergrenzen liegende
Differenzen sich sehr häufig bei Endocarditis lenta fanden, während
andere, besonders auch Herzerkrankungen sie nicht zeigten; nur
in einigen Typhusfällen wurde Ähnliches wie bei Endocarditis lenta
beobachtet. Die Lenkocytenzahlen waren nun bei den Endocarditis-
fällen nicht nur im Blut aus Finger und Ohr, sondern oft auch au>
dem rechten und linken Ohr verschieden groß, während Zählungen
von der rechten und linken Hand meist gut übereinstimmten. Dies
soll nur durch folgenden Befund illustriert werden. -’)
Fall Ni». Konrad, 50 J. Endocarditis (ulcerosa) lenta.
10. Juni arterielles (Art. rad.) Blut. 3 920 Leukoeyten
venöses (Ven. mediana» .. 4 270
Finger lk. 4 390
Finger r. 4 500
Ohr lk. 112 000
Ohr r. 75 900
21. Juli Ohr lk. 36 800
Ohr r. 54 900
Finger lk. 4 300
Finger r. 4 900
Zehe r. 7 200
Auch an einzelnen Tagen, ja zu verschiedenen Stunden des Tages
schwankten die Leukocytenzahlen des Ohrblutes oft beträchtlich.
Es bestand auch darin keine Gesetzmäßigkeit, daß etwa nach der
ersten Entnahme die Leukocytenzahlen geringer wurden oder um¬
gekehrt. Kurz: die Leukocytendifferenzen zeigten bei Endocarditis
lenta eine große Regellosigkeit, nur war zumeist im Ohrblut
eine wesentlich höhere mit den Leukocytenzahlen des
übrigen Körpers nicht übereinstimmende Zahl;, damit,
ging Hand in Hand ein großer Reichtum desOhrblutes
an Endothelien.
1) Siebe Inaug.-Piss. Otten, Köln.
2) Auf Wunsch der Redaktion habe ich alle Protokolle weggelassen: sie
w-rden zum grollten Teil der Dissertation Ot ten noch beigefügt, sodaß darin
Einzelheiten über die Zahlungen besonders auch der Endothelien nacbgeleseu
-«v^rdon können.
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Im strömenden Blut bei Endocarditis lenta vorkommeaden Eadothelien. 333
2. Bei welchen Erkrankungen treffen wir nun jene Endothelien
im Blut?
Mit absoluter Regelmäßigkeit fanden wir sie in
verschieden großer Zahl bisher in allen Fällen von
chron. Viridans-Sepsis;*) nur in einem ganz akut verlaufenden
Fall ’) wurden sie vermißt.
Während etwa 1 */ 4 Jahren wurde nicht nur bei allen infek¬
tiösen besonders chronischen Erkrankungen, sondern auch bei allen
sonstigen LeukocytenZählungen von meinen Mitarbeitern und mir
anf solche Zellen geachtet; wir sahen sie recht selten, noch am
häufigsten im Ohrblut beim Typhus abdominalis und zwar am
regelmäßigsten während einer länger andauernden Fieberperiode;
sie wurden seltener in der Rekonvalescenz, um dann ganz zu ver¬
schwinden. Öfter ließen sich im Blut aus Roseolen zahlreiche
Endothelien und endothelähnliche Zellen nachweisen.
Desgleichen fand ich sie bei einem Flecktyphus, bei zwei
Fällen von Anaemia pseudoleukaemica infantum, 2 ) nach langem
Suchen bei einer akuten lymph. Leukämie und bei zwei Fällen
von pernic. Anämie, während bei anderen Perniciosafällen und
schweren sek. Anämien (bes. Ca. und myoloische Leukämie) ver¬
geblich danach gesucht wurde. Ebensowenig wie N a e g e 1 i konnte
ich sie bei zwei Kranken mit hämolytischem Ikterus nachweisen
und zwar weder vor noch nach Splenektomie (bei dem einen
Kranken hatte ich vor 5 Jahren die Milz mit bestem Erfolg exstir-
pieren lassen).
In der Literatur sind Endothel befunde außer bei Endocarditis
lenta noch bei anderen Krankheiten notiert, so bei Carcinom
Netouseck, Kaznelson), bei Protozoenkrankheiten (Connal),
bei Cholera, Chlorose, Basedow und myeloischer Leukämie (Netou-
^eck) und Tuberkulose (Kaznelson, Weill).
Meine Befunde stimmen mit den schon bekannten darin über¬
ein, daß sich die Endothelien ganz vorwiegend — auch der Zahl
nach — bei Endocarditis lenta finden. Während sie hier bis über
20°/ 0 der kernhaltigen Blutelemente (bis über 50°/ o bei Bittorf,
Schilling) ausmachen können, wurden bei anderen Erkrankungen,
*) Anui. b. (1. Korrektur: desgleichen auch iu den nach Abschluß der Ar-
beit beobachteten und aut.opti.sch bestätigten Fällen.
1) Aus der Kinderklinik; ich bin Herrn Geh.-Rat Siegel t zu bes. Dank
verpflichtet, daß er mir die Untersuchung verschiedener Fälle seiner Klinik ge¬
stattete.
2) Aus der Kinderklinik.
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bei denen sie ab und zu, aber keineswegs regelmäßig vorkamen,
0,5—2°/ 0 bei Typhus bis 4,5 °/ 0 gezählt.
Es darf nicht unerwähnt bleiben, daß man auch bei Durchsicht
sehr vieler normaler Präparate ab und zu einer Zelle be¬
gegnet, die endothelialen Charakter hat; sie zeigt dazn häufig eine
eigenartige ganz isoliert schlechte Färbung und Protoplasmastruktnr-
veränderungen, die auf Nekrobiose schließen lassen, so daß man an
abgeschilfertes Gefäßendothei (Patella) denken könnte.
Im Gegensatz zuKrizenecki möchte ich dem Auftreten der
Endothelien im Blut doch eine diagnostische Bedeutung zusprechen,
jedoch nur den so reichlichen und regelmäßigen Befanden
bei Endocarditis lenta chronica.
Die Endothelien haben wir nun — besonders bei den Endo-
carditisfällen — ganz vorwiegend und am zahlreichsten im Ohrblut
gefunden. Sie waren allerdings — wenn auch oft recht mühsam —
auch im Venenblut (Mediana), etwas eher noch im Blut aus der
Fingerbeere und selten der Zehen nachweisbar. Nie habe ich sie
im strömenden arteriellen Blut 1 ) (Radialis, Cubitalis) gesehen.
Durch besondere Manipulationen ließ sich die Zahl der Endo¬
thelien wenig und nicht regelmäßig beeinflussen, so z. B. durch
Collargol- oder Adrenalininjektionen; dabei ist zu bedenken, daß
— selbst wenn man bei letzterer mit einer Ausschwemmung aus
der Milz rechnet — die Zellen in der Peripherie noch nicht nach¬
weisbar zu sein brauchen, da sie ja unterwegs höchst wahrscheinlich
in Leber und Lunge abgefangen werden. Auch längere venöse
Stauung oder starkes Reiben und Drücken des Entnahmegebietes
bewirkt keine sichere Zunahme, sogar einigemal im Gegensatz zu
den Beobachtungen Bittorf’s Abnahme der kernhaltigen Elemente,
Ein Urteil darüber, ob andere Untersucher die fraglichen Zellen
auch nur oder vorwiegend im Ohrblut gefunden haben, wie es bei
Schilling und Bittorf der Fall zu sein scheint, ist mangels
Angabe des Entnahmegebietes nicht immer möglich.
Zugleich mit der grö ßten Zahl Endothelien zeigte
das betreffende Blut (meist Ohr) auch die jeweils
höchste Leukocytenzahl.
3. Woher stammen nun die in vivo gefundenen Endothelien 1
Ich glaube, daß die folgenden anatomischen Untersuchungen
die Frage beantworten.
1) Technik siehe: Heß, Fr. 0.. Deutsches Arch. f. klin. Med. 137.
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Im strömenden Blut bei Endocarditia lenta vorkommenden Endotbelien. 335
Bei entsprechenden Autopsien (path. - anat. Institut, Prof. Dr.
Dietrich) schwemmte ich mir von den verschiedensten Organen Ab¬
striche in Kochsalzlösung auf und verdünnte etwas davon wie bei Blut¬
körperchenzählungen mit Essigsäure, sah frische Präparate und gefärbte
Ausstriche durch. Von Herzklappen, Aorta, Leber und besonders Milz
konnten den unseren ähnliche Zellen gewonnen werden; sie zeigten
jedoch selten den eigenartig blasigen Charakter und waren zumeist kleiner,
gestreckter mit mehr spindelförmigem Kern; nur in den Leber- und
Milzabstrichen waren auch größere, den in Frage stehenden völlig gleiche
Gebilde mit Phagocytose und z. T. Kernteilung zu erkennen.
Dies würde damit in Einklang stehen, daß wir bei einem Patienten
(Fall 1) in dem Milzpunktat Zellen nachweisen konnten, die mit den
gleichzeitig im Ohrblut gefundenen Phagöcyten völlig übereinstimmten.
Außerdem wurden möglichst rasch nach dem Tod bei 4 Fällen von
Endocarditis lenta (Nr. 2, 5, 7, 8) kleine Stückchen vom Ohrläppchen,
einer Finger- und Zehenbeere entnommen, in Paraffin eingebettet und
die Schnitte mit Hämatoxylin-Eosin gefärbt. ] )
Die mikroskopische Untersuchung der Präparate ergab zu¬
sammengefaßt folgendes: Die Schnitte von Finger, Zehe und Ohi
zeigen einen deutlichen Unterschied darin, daß sich in letzteren
reichlich Veränderungen am Endothel der kleinen Gefäße finden,
die in den anderen Präparaten nur spärlich oder gar nicht festzu¬
stellen waren. Nur im Fall 7 waren sie am Finger etwas reich¬
licher, desgleichen in vivo die Endothelien.
Die nachweisbaren Endothelveränderungen bestehen in Quellung
und Aufhellung des Protoplasma, Auflockerung der Zellverbände
und Sprossung von verschieden großen, blasigen Endo¬
thelien in das Gefäßlumen bis zur Knöpfchenbildung,
die z. T. als verruköse Gebilde sich der Wand auf¬
setzen und das Lumen stark verengern.
Einige Endothelien im lockeren Verband zeigten auch deutliche
Einschlüsse wie in den Blutpräparaten. An anderen Stellen sieht
man neben ausgesprochenen Endothelwucherungen kleine Endothel-
bzw. Wandnekrosen, denen meist eine dichte homogene an Plättchen¬
thromben erinnernde Masse aufsitzt — Veränderungen, wie sie
Herzog bei Flecktyphus abgebildet und beschrieben hat. Bei
einem Fall (Nr. 2) waren zahlreiche kleine Gefäßchen fast völlig
von Endothelwucherungen und thrombotischen Massen ausgefüllt.
Außerdem sind bald mehr bald weniger kleine Gefäße buchtig er-
1) Für die im pathol. Institut besorgte Anfertigung der Präparate bin ich
Herrn Prof. Dr. Dietrich und Herrn Priv.-Doz. Dr. Siegmund zu besonderen
Dank verpflichtet; Herr Prof. Dietrich hatte auch die Liebenswürdigkeit, meine
Befunde zu bestätigen.
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weitert und besonders scheinen Strecken vor oder in der Umgebung
ausgesprochener Wandveränderungen betroffen zu sein. Hier be¬
sonders sieht man dem Endothelbelag dicht aufgelagert sehr zahl¬
reiche oft nicht sicher zu differenzierende weiße Blutelemente.
Weiterhin wurde und zwar wieder vorwiegend am Ohr eine
oft ganz bedeutende Zellwucherung in der unmittelbarsten Um¬
gebung kleiner Gefäße beobachtet, eine Wucherung, die oft den
Charakter eines das Gefäß innig umschließenden Zellringes oder
walles hat. Sie findet sich jedoch nicht überall da, wo Endothel¬
wucherung nachzuweisen ist. Vielleicht sind an einigen Stellen auch
Endothelzellen an der perivaskulären Wucherung beteiligt, denn es ist
oft nicht leicht, die Grenze zwischen den ins Lumen und den in die
Umgebung wuchernden Zellen festzustellen, besonders da manchmal
scheinbar auch andersartige als die Endothelzellen mehr vom
Charakter der Adventitiazellen und der kleinen Lymphocyten sich
zwischen Endothelzellen nach dem Gefäßlumen zu vorschieben. Die
perivaskulären Herdchen setzen sich z. T. aus Zellen zusammen
die nicht mit Sicherheit zu differenzieren sind, aber besonders aus
gewucherten adventitialen Zellen.
Welche Gründe für die auffällige Bevorzugung des Ohrläppchens
maßgebend sind, kann ich nicht entscheiden; vielleicht spielen der
Gefäßreichtum des Ohrläppchens und der Umstand eine Rolle, daß
das Gebiet nicht so sehr Bewegungen und traumatischen Einflüssen
ausgesetzt ist.
Zu der Frage der Beteiligung von Gewebszellen an der Blut-
körpercheubildung, besonders der Monocyten, möchte ich auf Grund
der mir bisher vorliegenden Präparate noch nicht Stellung nehmen.
Nach Untersuchungen anderer Autoren (Schilling, cf. Lit.) so¬
wie eigenen klinisch-hämatologischen Beobachtungen scheint es
wahrscheinlich, daß die sog. Monocyten ein eigenes System analog
den myeloischen und lymphatischen Elementen darstellen. So
deutet manches darauf hin, daß die Monocyten dem gesamten Ge¬
fäßendothel (cf. Mallory, endotheliale Leukocyten) entstammen
und dies vielleicht vorwiegend bei bestimmten Infektionskrank¬
heiten, gewöhnlich aber dem sog. reticulo-endothelialen Apparat
von Milz, Lymphdrüsen, Leber und Knochenmark. Gerade bei der
ehron. Endoc. 1. wurden häulig Zellen gesehen, die zwischen Endo-
thelien und Monocyten stehen (u. a. auch bei Schilling und
Bittorf). Derartige ..Übergangszellen“ lassen sich besonders zahl¬
reich in einer bestimmten Phase nach Adrenalininjektion *) be-
l s lütrubpr uu amleror iS teile iui*t*iihrlu*h.
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Im strömenden Blut bei Endocarditis leuta Torkommenden Endotkelien. 337
obachten — manchmal aoch bei Fällen, bei denen sie vorher nicht
im Blut nachweisbar waren.
Es scheint die Frage berechtigt, ob wir es hier nicht analog
unreifen myeloischen oder lymphatischen Zellen mit solchen des endo¬
thelialen Systems za tan haben.
Ehe diese Zusammenhänge völlig klar liegen, müssen wir ans
auch mit der nichtssagenden Bezeichnung „Monocyten“ abfinden;
es wäre sehr zu wünschen, wenn von berufener Seite dieser Name
durch einen besseren — die Herkunft bezeichnenden — ersetzt würde.
Für die Beurteilung meiner Befunde sei noch besonders hervor¬
gehoben, daß ich mir wohl bewußt bin, daß die eine oder andere
Veränderung auch als Folge der Einstiche zur Blutentnahme ge¬
deutet werden könnte.
Trotzdem lassen die pathologisch-anatomischen Untersuchungen
wohl folgende Schlüsse zu:
1. die auch von anderer Seite (bes. Bittorf) ge¬
äußerte Vermutung, es fänden sich bei der Endo¬
carditis lenta auch periphere Gefäßveränderungen,
ist richtig.
2. die intra vitam im menschlichen Blut nach¬
gewiesenen großen phagocytierenden Zellen stammen
vorwiegend vom Ort der Entnahme (hier Ohr). Eine Ver¬
schleppung von Endothelien ans inneren Organen in die Peri¬
pherie wird nie ganz von der Hand zu weisen sein, jedoch dürfte
sie nach den bekannten Untersuchungen von Marchand und
Aschoff-Kiyono praktisch von untergeordneter Bedeutung sein,
da die großen Zellen ja unterwegs abgefangen werden. Dafür
sprechen auch meine negativen Befunde am arteriellen Blut.
Es wird vielmehr so sein, daß man im wesentlichen nur an
Stellen mit entsprechenden Gefäßveränderungen Endothelien, die
durch die Reinigung und den Einstich zur Blutentnahme oder durch
Stauung losgelöst sind, wird auffinden können.
Das gleiche dürfte für die nur zusammen mit reichlich Endo¬
thelien gefundenen hohen Leukocytenzahlen gelten; die Erklärungen
von Schilling und Bittorf treffen für meine Beobachtungen
nicht zu.
Nach einigen Stellen der Präparate (vgl. auch 0gata) scheint
mir die Annahme gerechtfertigt, daß es in den veränderten Gefä߬
bezirken zu einer Anhäufung weißer Blutelemente — vielleicht ver¬
mehrter Randschichtenbildung — kommt; vielleicht spielen auch die
Deutliches Archiv fiir Ulin. Medizin. ßd. --
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perivaskulären Zellanhäufungen in dem einen oder anderen Fall
eine gewisse Rolle.
Jedenfalls werden auch die bei Endocarditis lenta so seltenen
Hyperlenkocytosen (Lenhartz, Steinert) jetzt erklärlich. Man
wird bei der Endocarditis lenta (und vielleicht auch beim Typhus
abdominalis) zur exakten Feststellung der Leukocytenzahlen zweck¬
mäßig ungestautes venöses oder arterielles Blut verwenden, wäh¬
rend man die Endothelien am besten im Ohr- (oder Finger-)Blut
sucht.
Unsere anatomischen Befunde machen es wahrscheinlich, daß
man auch sonst am Gefäßsystem gleiche oder ähnliche Endothel-
veränderungen wird nachweisen können. 1 ) Wir kennen ja solche in
Leber und Milz bei der Endocarditis lenta und bei anderen Er¬
krankungen (Borst, Marchand-Ledingham, Aschoff-
Kiyono, Herzog, Schilling); sie sind aber auch schon an
anderen Gefäßbezirken beobachtet (Borst, Herzog). Besonders
sei hier auch der Befunde bei Typhus abdominalis (Mallory.
Gr äff) und Flecktyphus (Asch off) gedacht; vielleicht gehören
hierher auch jene von Endothelien hergeleiteten Riesenzellen von
Brosch.
Trifft die Vermutung einer allgemeinen Gefäßveränderung
bei der Endocarditis lenta zu, so wäre damit eine interessante
biologische Tatsache gegeben: es wird — hier wohl durch die
Streptokokken resp. deren Toxine — eine Reaktion des ge¬
samten endothelialen Systems hervorgerufen, die in
mehr oder weniger hochgradiger Zellwucherung (mit
Phagocytose) besteht.
Es ist danach auch die Frage berechtigt, ob nicht solche Ge¬
fäßveränderungen — ganz abgesehen von ihrer allgemeinen Be¬
deutung für die Erklärung krankhaft veränderter Gefäß- und
Kapillarfunktion — außer zu Blutungen auch direkt oder indirekt
zu der gerade bei Endocarditis lenta so häufigen Embolie und
Thrombose Veranlassung sein können. Von besonderem Interesse
wäre es, ob sich etwa bei der L ö h 1 e i n ’ sehen embolischen Herd¬
nephritis an Stellen, an denen Embolien zu beobachten sind, auch
derartige Gefäßwandveränderungen nachweisen lassen.
Weitere anatomische Untersuchungen auf diesem Gebiet werden
ll Antn. bei d. Korrektur: cf. Jnngmaun, Deutsche med. Wochenschr.
l'.iiil, Nr. 18, sowie die dort citierten Arbeiten von Lubarsch und Krttck-
m a n n.
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Im strömenden Blnt bei Endocarditis lenta vorkommenden Endothelien. 389*
sich auf alle die Erkrankungen zu erstrecken haben, bei denen
in vivo Endothelien nachgewiesen sind. Denn es wäre von großer
diagnostischer und prognostischer Bedeutung, wenn derartige Endo¬
thelbefunde einen sicheren Rückschluß auf allgemeine Gefäßwand¬
schädigungen gestatteten.
Köln, Mai 1921.
Literatur.
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A. 15.' Verb. d. path. Ges. 1913. — Bittorf, Dentscbes Arch. f. klin. Med. 133,
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Marchand, Verhandl. der Deutschen pathol. Gesellscb. 1; 4; 5; 16. — Mar-
chand-Ledingham, Zeitschr. f. Hyg. n. Infekt. 47, 1. — Naegeli. Blut¬
krankheiten 1920. — Netouseck, Fol. haem. A. 17, 407. — van Nuys,
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Patella, Cit. nach Schilling. — Rowley, Journ. of experim. medic. 10, 78. —
Schilling, Zeitschr.f. klin.Med.88, 377. — Schmidt, M. B. Ziegler’s Beitr. 11.
— Steinert, Münchener med. Wochenschr. 1910, 1927. — Weill. Fol. haem. A.
26, 27.
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Aus der II. mediziu. Klinik der Universität Mönchen
(Vorstand: Prof. Friedrich Möller).
Der Harnsänregehalt des Blutes bei Erkrankungen der
Niere im Vergleich znm Reststickstoff und Kreatinin.
Von
Erich Krauß.
Nachdem Haas in der Höhe des Blutindikans einen besondere
feinen Gradmesser der Niereninsufficienz gefunden za haben glaubte, hatte
sich das Interesse der letzten Jahre vor allem dem Indikan und Krea¬
tinin zugewandt (Rosenberg, Feigl, Stepp, Becher). Rosen¬
berg konnte jedoch zeigen, daß der Harnstoffgehalt des Blutes bei be¬
ginnender Niereninsufficienz in der Regel früher in die Höhe geht als
das Indikan und das Kreatinin. Die Arbeiten hatten aber auch ein
positives Resultat, indem sie dartun, daß ein erhöhter Indikan- oder
Kreatiningehalt des Blutes troz normalen Harnstoffgehalts bei chro¬
nischem Verlauf, des Nierenleidens ein prognostisch ungünstiges Zeichen
bedentet und ein baldiges Wiederanschnellen der Stickstoffschlacken im
Blut ankündigt.
Gestützt auf zahlreiche Blutuntersuchungen an Nierenkranken
gilt an unserer Klinik schon seit Jahren (siehe auch von Monakow,
Th au n hause r) die Beobachtung als gesichert, daß nicht die Harn¬
stoff-, sondern die Harnsäureausscheidung diejenige Partialfunktion
der Niere ist, die am ehesten leidet. Die gleiche Wahrnehmung
haben auch Myers, Fine und Lough gemacht. Die Tatsache,
daß bei schweren Nephritiden eine U-Vermehrung im Blut vor-
kommt, war bereits Garrod bekannt und wurde von v. Jaksch,
Strauß, Kocher. Brugsch und Schittenhelm, Folin,
Myers und ihren Mitarbeitern bestätigt.
Die vorliegenden Untersuchungen 1 ) beziehen sich auf den Harn-
.sHiiregehidt, den Kreatiningebalt und den Rest-N des Blutserums bei
den verschiedenen Formen der Nierenerkrankungen unserer Klinik
während der letzten 2 1 Jahre und sollen die besondere Emflndlichkeit
der Harnsaureausscheidung dartun. lu den Tabellen ist immer nur ein
Teil des zur Verfügung stellenden Materials aufgenomraen, das zu den
1) Herrn I>r. Sch wen kert und Krl. Hr. W e i n s r li e li k spreche ich hier
meinen Hank fiir ihre Hut ereilt/uiur hei den Bestimmungen aus.
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Der Harnsiinregelialt des Blotes bei ErkrankoDgen der Niere usw. 341
ausgeführten FestlegoDgen diente. Die Blutentnahmen erfolgten fast
durchweg bei purinfreier Kost. Der Rest-N wurde durch Kjeldahlisieren
bestimmt, Harnsäure und Kreatinin nach den an unserer Klinik üblichen
Modifikationen der kolorimetrischen Methoden von Fol in und Denis,
der Harnstoff mit ürease, das Kochsalz nach Volhard. Mit wenigen
Ausnahmen wurde neben dem Rest-N der Harnstoff nicht bestimmt.
Bekanntermaßen hat der Harnstoff bei Rest-N-Werten zwischen 25—60
mg°/ 0 immer ungefähr denselben prozentualen Anteil am Rest-N. Ein
Rest-N-Wert von 40mg°/ o im Blutserum begreift deshalb auch den nor¬
malen oberen Harnstoffwert in sich.
Bei purinfreier Kost habe ich im Blutserum 3,0—3,3 mg°/ 0 U
als oberen Normalwert gefunden. Die Beobachtung von Fei gl
und Gudzent, daß die alten Leute im Durchschnitt einen höheren
Ü-Gehalt des Blutes aufweisen als junge, wird durch meine Zahlen
von gesunden Menschen nicht bestätigt, sobald ich die Nieren¬
sklerosen ausschalte, deren Verhalten weiter unten besprochen
werden soll. Die beiden Autoren haben allerdings ihre*Bestimmun-
gen bei gemischter Kost gemacht, worauf die divergierenden Re¬
sultate leicht zurückgeführt werden können. Die Abhängigkeit des
Ü-Gehaltes im Blut von der Nahrungszufuhr hat bereits Wein-
traud als bedeutungsvoll erkannt.
Die Vermehrung der Harnsäure im Blut von Gichtikern ist
seit Garrod’s klassischer Beschreibung der Gicht ein bekanntes
pathognomonisches Zeichen dieser Krankheit (von Jaksch,
Klemperer u. a.). Die Behauptung von Folin und Denis
jedoch, daß jede Ü-Vermehrung bei normalem Rest-N des Blutes
eine der vielgestaltigen Formen der gichtischen Diathese aufdecke,
entspricht keineswegs den Tatsachen. Außer den Nierenerkrankun¬
gen gibt es noch eine ganze Reihe von Krankheitszuständen, die
mit einer vermehrten Blutharnsäure bei normalem Rest-N einher¬
gehen. In erster Linie ist hier die Leukämie und Pseudoleukämie
zu nennen (Magnus-Levy, Kocher Brugseh und Schitten-
helm). Bei einer akuten Leukämie wurde an unserer Klinik der
enorme Wert von 34 mg°/ 0 U im Blutserum beobachtet. Unter
den Infektionskrankheiten ist die vermehrte Blutharnsäure für die
Pneumonie von v. Jaksch, Kocher nachgewiesen, für das Ery¬
sipel von Kocher. Das gleiche gilt auch für die Polyoy thämie
und die Sepsis. Mit dem Kreatinin (Rosenberg) hat die Harn¬
säure das Gemeinsame, daß sie bei schweren Herzinsufticienzien
(v. Jaksch, v. Monakow) und im Coma diabeticum meist ver¬
mehrt ist. Die Harnsäure zeigt sogar auch hier schon eine Er¬
höhung, wo das Kreatinin und der Rest-N noch ein normales Ver-
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342
Krauss
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halten aufweisen. Sie ist ferner erhöht, meist als alleinige Kom¬
ponente des Rest-N bei manchen Formen des Carcinoms (Kocher).
Die Kohlenoxydvergiftung (Czoniczer), aber auch andere Ver¬
giftungen schwereren Grades weisen eine vermehrte Blutharnsäure
auf, ln schwereren Fällen ist ebenfalls das Kreatinin erhöht, und
der Rest-N zeigt terminal eine geringe Erhöhung. Am prämortalen
Rest-N-Anstieg nimmt die Harnsäure in besonderem Maße teil,
während das Kreatinin lange nicht dieselbe Vermehrung aufweist.
Tabelle 1.
Nr.
Diagnose
Bemerkungen
u
Kreatinin
Rest-N
1
Aorten-
insafficienz.
dekompensiert.
6,18
27,36
2
Kombinierter
Aorten u. Mitral¬
Asthma cardiale, Ödeme.
4,5
2,1
32.04
fehler.
8
Muskuläre Herz-
Kompensiert.
2,25
1.0
35.10
insufficienz.
Dekompensiert.
3,55
1,1
28.08
4
Sepsis.
7,75
2,25 :
47,03
a
Pneumonie.
3.85
25.27
6
Pneumonie.
3,95
— ■
30,82
7
Diabetes
Blutzucker
3,5
1,1
39,31
mellitus.
383 mg % (Bang).
i
83,61
Blutzucker 700 mg°/ 0 .
Ooma diabeticum. Exitus
l 1 /* Std. später. Sektion:
Schram pfnieren.
6,9
1,85
32,07
H
(■hron. myeloi¬
7,23
2,10 '
sche Leukämie.
Akute myeloi¬
34,0
—-
—
sche Leukämie.
9
Polycythämie.
Blutdruck RR 75.
4,65
—
26,68 .
systolisch.
i
10
! Polvcythäinie.
| Blutdruck RR 180/110.
1 7.30
f 2.85
26,67
11
Carcinomatose.
i 5,85
• —-
17,55
12
Pa der pars
RR 140/120. Wasser ver-
i 5,10
1 ,7
21.0«
pylorica.
such tadellos. Purinzulage;
in Form von Gehirn ohne!
Verzögerung ausge¬
schieden.
18
( iasvergiftung.
6,35
—
31.59
14
Gasvergiftung.
5,2
2,8
30,89
Ante exitum.
6.0
2,35
49.14
i;>
Gasvergiftung.
Urin in 12 Std. 655 ccm
Ü 0,0148°' =0,*,934 g, bis
6.6
l.l
l
50,54
,
zum Tod 6 Std.: 170 ccm
U 0.0404% - 0.0789 g, in
18 Std. 0,3723 g.
1 i
10
Lysolvergiftung
3.85
_ 1 1
22.4
17
i Veronal-
vergilt nng.
■
3,90
' 1,25 ■ |
30.89
IS
Benigne Nieren-
Kurz vor dem Tode ent-
4.15
: 1,8
42,12
. sklerose.
1 110 m men.
7.25
1,5 |
77,28
Gck igle
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UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Der Harusäuregehalt des Blates bei Erkrankungen der Niere usw. 343
Die U-Vermebrang im Blut dürfte bei den angeführten Krank¬
heitszuständen größtenteils durch einen gesteigerten Abbau von
Kernsubstanzen hervorgerufen sein. Heilner und Petri haben
zugleich mit dem prämortalen Rest-N-Anstieg das Auftreten von
Abbaufermenten im Blut nachweisen können, die gegen das Organ¬
eiweiß des gleichen Individuums gerichtet waren. Es stellen sich
offenbar schon viele Stunden vor dem Tode gewaltige Umwälzungen
im Organismus ein, die davor warnen, Beobachtungen am Leichen¬
gewebe auf den lebendigen Organismus anzuwenden. Von der
Leukämie wissen wir durch Magnus-Levy, daß dem erhöhten
Ö-Gehalt des Blutes eine vermehrte Harnsäureausscheidung im
Urin entspricht. Man darf wohl annehmen, daß die Ambard’sche
Konstante mit derselben Reserve auf die Harnsäure angewandt
werden kann wie auf den Harnstoff (McLean, v. Monakow)
und das Kreatinin (Brogsitter). Zum Unterschied von den
Nierenerkrankungen dürfte in den meisten Fällen von gesteigertem
Zellzerfall die Ambardsche Konstante wenig verändert sein. Bei
der Gasvergiftung (Nr. 15) geht das weniger aus der prozentualen
als aus der absoluten Höhe der U-Ausscheidung im Urin hervor.
Beim Carcinom (Nr. 12) ist eine erhöhte Blutharnsäure begleitet
von einer vollkommen normalen täglichen Ü-Ausscheidung von
durchschnittlich 0,34 gr (purinfreie Kost). Die Amard’sche Kon¬
stante ist infolgedessen überschritten. Eine Purinzulage wird
prompt am 1. Tag ausgeschieden. Dieses abweichende Verhalten
kann vielleicht durch weitere Untersuchungen noch geklärt werden.
Um eine Erhöhung der Harnsäure im Blut auf eine Funktions¬
störung der Nieren zurückführen zu können, dürfen demnach außer
den Symptomen des Nierenleidens keine von den eben erwähnten
krankhaften Zuständen mit im Spiele sein. Dies gilt vor allem
für die Untersuchungen bei den genuinen Schrumpfnieren, die sehr
oft von einer schweren Herzdekompensation begleitet sind. Sehen
wir also von diesen Komplikationen ab, so ist unter" den akuten
Nephritiden unserer Klinik während der letzten 2 Jahre kein Fall
beobachtet, wo ein anderer N-Bestandteil im Blutserum erhöht ge¬
wesen wäre ohne Vermehrung der Harnsäure, dagegen eine ganze
Reihe, wo nur die erhöhte Blutharnsäure auf eine beginnende Nieren-
insufficienz hin wies. Aus der Arbeit von Fine und Chace geht
hervor, daß die Erhöhung der Blutharnsäure bei der Nephritis in
der Hauptsache auf eine Retention zurückzuführen ist (s. Tab. 2).
Bei der akuten Nephritis ist es weitaus die Regel, daß nicht
zuerst der Harnstoff, wie Rosenberg meint, sondern die Harn-
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344
Kbä US8
Tabelle 2.
Nr.
Diagnose
Bemerkungen
ü
Kreatinin
Rest-N
19
Akute Nephritis.
! i
i i
3,5
2,0
26,32
20
n
1 Ü-N 12,99 = 43°/ 0 des
Rest-N. 1
4,05
1,55
30,19
21
n
4.0
2.0
28,0
22
n
4,4
1,5
42,12
23
n
Alb.: Kuppe; Hämaturie,
Cyliudrnrie.
Alb. Opal. Sediment o. B.
Außer Wasserausscheiduug
keine Stürnng.
6,5
5,0
3.0
2,0
48,0
22,4
24
n
Alb. 1/2 0/00 Esbach^
Hämaturie, Oylindrurie.
I Alb., vereinzelte Erythro-
cyten undhyaline Zylinder.
10,2
5,0
4,55
2,4
72,3
41,41
25
)7
5,0
2,5
42,8
20
n
Ü-N 14,04 = 63% des
Rest-N.
3,5
2,2
26,5
27
» |
j
Ü-N 38,61 = 58% des
Rest-N.
6,4
1
3,0
66,5
säure
zuerst ansteigt, und beim Ausgang
in Heilung ist es meist
wieder die Harnsäure, die noch am längsten eine Erhöhung im
Blut aufweist.
Da die Harnsäure im Blut bei den abheilenden akuten Nephri¬
tiden oft am längsten erhöht bleibt, entspricht es ganz unseren
Erwartungen, wenn wir die Harnsäure bei chronischen Nephritiden
oft als alleinig erhöhten N-Bestandteil antreffen (s. Tab. 3).
Fall Nr! 31 ist einer jener typischen Fälle, die auf eine diäte- ;
tische Behandlung hin eine allgemeine Besserung erfahren. Im j
Wasserversuch zeigt nur mehr die Wasserausscheidung eine merk- ;
liehe Storung, während die Verdünnungs- und Konzentrationsfähig- j
keit noch leidlich erhalten ist. Unter den N-Komponenten des j
Blutes ist es zum Schluß nur die Harnsäure, die auf eine noch ;
weiter bestehende Funktionsschädigung der Niere hinweist. j
Das Gleiche gilt auch für die sekundären Schrumpfnieren, j
solange sie durch ihre Polyurie kompensiert sind (s. Tab. 4). J
Unter den Schrumpfnieren gibt es Formen ohne hochgradige !
Funktionsstörung, die andauernd leichte Kopfschmerzen, leichtes ]
Sehwindelgot'iihl mit Brechreiz haben und bei jeder Steigerang I
dieser cerebralen Störungen eine leichte Erhöhung der Blutharn- t
säure und weniger ausgesprochen auch des Blutkreatinins zeigen,
während der Kest-N keine Änderung erfährt und der Wasserver-
“■meh keine Verschlechterung gegen fiüher aufweist (Fall Nr. 34
Gck >gle
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Der Harnsäuregehalt des Blutes bei Erkrankungen der Niere nsw. 345
Tabelle 3.
Diagnose
Bemerkungen
U
Kreatinin
i
Rest-N
28
29
30
jChron. Nephritis.
Wasseransscheidnng über¬
schießend. Verdünnung u.
Konzentration gut.
Wasserversuch tadellos.
Retinitis albnminnrica
Wasser versuch schlecht.
31
Alb. 1/2 Säule, Hämaturie,
Cylindrurie,Was8erveisuch
sehr schlecht Blutdruck
175 90.
Blutdruck 15095.
Blutdruck 14590.
Blutdruck 140/85, Alb. 1/5
Säule, Hämaturie, Zylinder
wenig. Verdünnung gut,
Wasseraussrheidung und
Konzentration schlecht.
8 Monate später: Alb.
Kuppe, wenig Erythroc,
Konzentration u. Ver¬
dünnung gut, Wasseraus-j
Scheidung noch mäßig. |
5,25
2,05
36.1
5.05
6,0
6,0
6,0
6,85
1,25
5.5
3.6
4.5
8.2
39,66
42,12
56,16
67,0
108,81
9,90
6,15
4.0
2,0
115,83
99,68
44,93
4,5
2,0
42,12
und 35). Der Ü-Anstieg im Blut zeigt in diesen Fällen eine par¬
tielle Verschlechterung der Nierenfunktion an und erweist sich
auch hier als ein äußerst feiner Indikator. Man wird jedoch kaum
in. der Harnsäure selbst den toxischen Stoff vermuten dürfen, der
durch seine vermehrte Anhäufung im Blut die cerebralen Störungen
hervorruft.
Für die Prognose des chronischen Nierenleidens leistet die
Ü-Untersuchung des Blutes dasselbe wie das Kreatinin und das
Indikan. Im Gegenteil, sie weist noch Störungen nach, wo das
Kreatinin versagt. Wenn man die Reihenuntersuchungen daraufhin
ansieht, so scheint die Blutharnsäure viel enger dem Schwanken
des Rest-N zu folgen als das Kreatinin. Dies ist jedoch nicht
durchweg der Fall, was ebenfalls von den Amerikanern beobachtet
wurde. Die Höhe der Harnsäure sagt nichts Sicheres über die
Höhe des Rest-N aus. Bei Nierenkranken können Ü-Werte bis zu
6 mg°/ 0 mit normalem Rest-N einhergehen, in anderen Fällen aber
auch mit einer Erhöhung des Rest-N aufs Doppelte und Dreifache
des Normalen. Wenn die Urämie klinisch deutlich ausgesprochene
Symptome bietet, das Serum-NaCl schon absinkt, steigt der Rest-N
immer noch weiter an. Die Harnsäure bleibt meist auf derselben
Höhe stehen oder kann sogar etwas absinken. Der Fall Nr. 35
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346
Kkauss
Tabelle 4.
Nr.
Diagnose
I
Bemerkungen l Datum
i
u
Krea-
tinin
Re»t-N
KiT
32
Sekundäre
27. X. 20.
6,0
2,0
40,72
596
Sehrumpfniere.
Besserung. 10. XI. 20.
4,55
1,25
35,1
560
33
29. VII. 19.
6,25
2,2
84.24
„ 14. IX. 19.
4,?
21.0
580
34
Retinitis albu
Kopfschmerzen, Brechreiz. 9. I. 21.
4,05
\ 2,0
33.69
570
minurica.
Besserungd. Beschwerden.! 5. II. 21.
:3,: j 0
—
35:686
580
Sekundäre
Beschwerden stärker, i Einige Mo-
5,10
2.5
35.1
610
Schrumpfniere.
eingenommener Kopf, nate später
j
Schwindelgefühl. j
Besserung abermals. 7 Tage später;
3,0
2,0
32.29
590
35
n
Wasserversuch ohne deut. 1 11. V. 20. '
4,45
—
19.66
581'
36
u
38
■fci Sekundäre
Schrumpf niere.
liehe Störung. Blutdruck
schwankend zwischen
170/110 und 270/180. Kopf¬
schmerzen.
Kopfschmerzen leichter. 23
VI.
20.
3,65
—
28,08
585
Apoplektischer 7.
Insult.
III.
21.
3,5
3,0
28,78
DSU
Soporös, Erbrechen. 26.
IV. 21.
8,5
—
71,64
—
Hat sich wieder erholt. 30.
VI.
21.
5,45
2,55
32.0
590
Frei von Beschwerden. 25. VII. 21.
Kopfschmerzen, Schwindel.
2,6
4,5
2,0
2,5
32,0
30.8
f»i
6lXi
| U-N 56,16 = 78 °/ 0 des 1.
! Rest-N.
X
20.
7,1
5,5
72,02
—
Remission 8.
X.
20.
52
2,65
56,82
560
15.
X.
20.
7.2
5.0
116,53
56t'
1 1.
XI.
20
8,5
6,9
11<>,92
590
!8.
XI.
20.
10,1
9,56
148.23
570
Urämie, Exitus. U-N 22.
180=89 % des Rest-N. i
XII.
20.
i
14,7
1
12,1
202,18
46t)
Alb. 5/6 Säule, Zylindrurie. 19.
keine Ervthroeyten. Blut¬
druck 130/70. Allgemeiner
Hydrops. NaCl wird reti*
niert, Ü-Zulage gut elimi¬
niert.
XI.
15.
i
35.0
1
■Urämie, Cor normal, Blut- 16.
druck 105/57. Dauerndes
Erbrechen. Alb. 1/3 Säule,
wenig Zylinder. Soporös.
IV.
21.
! 11,8
20,0
292,03
50»
Ante exituin. 18.
IV.
21.
11,25
30,0
|
| 342,58
480
22.
VI.
19.
! 5,0
1 50,89
! 625
12.
. v.
21.
6,5
9,5
133,0
6U‘
Benommenheit. Erbrechen. 18.
V.
21.
j 6,5
; 9,0
147,42
1 605
Krampfanfälle. 20.
V.
21.
! 9,2
! 13,7
—
; 60'
Ante exitum. 21.
V.
21.
15,0
15,3
204,98
i 56 '
Blutdruck 155 95. 23. VIII.
20.
4,23
| 1,9
43,88
64»'
Blutdruck 135 100. 12.
IX.
20.:
4,40
1 2,65
43,75
57'
Blutdruck 250/130. 22.
IX.
21.
9,6
1 9,5
182,0
5fv
Urämie von asthenischem 24.
Typ-
IX.
21.
| 15,0
20,0
224,0
53
Blutdruck 160/70. *26.
IX.
21.
1 18,6
i 28,0
273,0
490
Ante exitum. 27.
IX.
21.
16,4
22,0
295,0
4 10
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Original fro-m
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
Der Barn*änregehalt des Blutes bei Erkrankungen der Niere nsw. 347
Fortsetzung von Tabelle 4.
Nr. Diagnose
W Gicht-
schrnjnpfnieie.
11 Bleigicht-
schrumpfniere.
4> Subehronische
Glomerulo¬
nephritis. Blei
1*5 Sublimat-
niere.
Bemerkungen
1903 typischer Gichtanfall.
Herzinsnfficienz, Exitus.
Mit 26 Jahren 1. Bleikolik.
Urämie, Exitus.
1914 Bleikolik,
Urämie, Exitus.
1. Bleikolik mit 15 Jahren,!
Urämie.
Ante exitnm.
Chemigraph, 1905 Gicht¬
anfall. I
Urämie, Exitus. j
1884 Bleikolik, allgemeiner
, Hydrops, Hydrämie.
; Kachexie, Exitus.
Am 5. V. 20. abends Sub¬
limat eingenommen. An-|
urie, Oligurie. !
Erbrechen, profuse blntiee;
Diarrhöe, Blutdruck 123/65.
Blutdruck 153/75.
17. V. 20. Exitus.
Datum
IV. 19.
IX. 20.
XI. 19.
VII. 20.
VII. 20.
VII. 20.
XII. 19.
I. 21.
IX. 20
IX. 20.
III. 20.
III. 20.
II. 20.
II. 20.
V. 20.
7,84 10,0
4,25 : —
10.0 ! 3,55
9,54 ' 10,0
V. 20. 9,96 13,6
V. 20.
V. 20.
11.04 16.7
li;62 15,3
Rest-N
23,16
63,18
214.81
108.10
163;21
238,68
39,31
44,92
280,1
321,52
71,95
183,92
37,21
146,06
160,06
238,68
zeigt, daß auch ein Blutharnsäurewert von über 8 mg°/ 0 nicht das
sichere Eintreten einer tödlichen Urämie voraussagt. In unseren
Fällen war erst ein Ü-Wert von über 10 mg°/ 0 ein prognostisch
ungünstiges Zeichen.
Der höchste von mir beobachtete U-Wert bei Nierenkranken
war 19,5 mg°/ 0 (mit 30 mg°/ 0 Kreatinin und 321,52 mg°/ 0 Rest-N)
und gehörte einem Fall von Bleigichtschrumpfniere zu. Es ist be¬
merkenswert, daß Gicht- und Bleigichtschrumpfnieren trotz gleichen
Rest-N-Gehaltes meist mit einem höheren Blutharnsäurewert aus¬
gezeichnet sind im Vergleich zu den rein entzündlichen Schrumpf¬
nieren. Bei den Gichtschrumpfnieren folgt die von Anfang an stark
erhöhte Harnsäure dem Anwachsen des Rest-N äußerst träge.
Die Nephrosen haben einen normalen Gehalt des Blutes an
Harnsäure, Kreatinin und Rest-N, solange das Konzentrationsver¬
mögen erhalten ist. Sobald dieses aber auch eine merkliche Störung
erleidet, tritt bei normalem Rest-N eine Steigerung zuerst der Harn¬
säure und dann auch weniger hervorstechend des Kreatinins ein.
Hier dürfte der ll-Untersuchung des Blutes eine besondere pro¬
gnostische Bedeutung zukommen (S. Tab. 5).
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Original from
UNIVERSITY OF CALIFORNIA
348
Kra IJSS
Tabelle 5.
Nr. !
1
Diagnose
47
Nephrose.
48
49
50
51
, Amyloidniere.
Nephrotische
Schrumpfuiere')
Amyloidniere.
Amyloidniere.
Bemerkungen
Wasseransscbeidnng
schlecht; Verdünnung,
Konzentration gut. NaCl-
u. U-Zulagen etwas ver j
zögert ausgeschieden. \
Wasserausscheidung j
schlecht. Verdünnung, .
Konzentration gut.
Wasserausscheidung
schlecht, Isosthenurie, [
Polyurie. ,
Nierenfunktion erheblich
gestört.
Nierenfnnktion erheblich
gestört. |
i
Ü 'Kreatininl Rest-N
2,45 — 24.57
3.25
7,3
5.9
1.0
4.25 —
2,5
2,55
35.1
37,9
38,61
33.69
Die arteriolosklerotischen Nierenkrankheiten mit gutartiger
Tendenz, die man vielfach nach Volhard auch als benigne Nieren¬
sklerosen bezeichnet, zeigen hinsichtlich der Blutharnsäure in
unseren Fällen ein ganz regelloses Verhalten. Es fand sich ein
ganz normaler U-Wert in Fällen, die gekennzeichnet waren durch
eine Störung der Wasserausscheidung, die ferner eine Harnstotf-
oder Kreatininzulage leicht verzögert herausbrachten. In anderen
Fällen gleichen Charakters war die Harnsäure wiederum einwand¬
frei erhöht, ohne daß eine Herzdekompensation dafür anzuschuldigeu
wäre. Daß die Blutharnsäure sehr oft einen normalen Wert hat
bei den Formen, die keine Störung der Nierenfnnktion aufweisen,
entspricht eigentlich unseren Erwartungen. Es ist keine von den
gutartigen Formen der genuinen Schrumpfniere an Urämie gestorben,
sondern an Apoplexien, Herzinsufficienz oder interkurrenten Krank¬
heiten. Die Harnsäureerhöhung des Blutes bei einer genuinen
Schrumpfniere sagt deshalb nichts aus über den weiteren Verlauf.
Wie z. B. Fall Nr. 59, kann sie später einmal eine Neigung zur
N-Retention an den Tag legen oder aber wie Fall Nr. 57 bis ans
Ende den gutartigen Charakter bewahren. Hier leistet die U-Be-
stimmuug im Blut in diagnostischer Hinsicht und prognostisch eher
weniger als die Kreatininbestimmung, insofern als die später sich
zweifellos als maligne erweisenden genuinen Schrumpfnieren unseres
Materials auch im kompensierten Stadium bereits eine Vermehrung
des Kreatinins neben der Harnsäureerhöhung aufweisen. Den sog.
!.• Veröffentlicht Peutsch. Archiv 1920. Bd. 133. S. 183.
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Der Harnsäuregehalt des Blutes bei Erkrankungen der Niere usw. 349
benignen Formen kommt diese Kreatininerhöhnng nicht zn. Im
dekompensierten Stadium bieten die zur Urämie neigenden Formen
der genuinen Schrumpfniere keine anderen Gesichtspunkte als die
sekundären Schrumpfnieren (s. Tab. 6).
Tabelle 6.
Nr.
Jahre Dia « n08e |
Bemerkungen
.
r
Datum j
U
Krea¬
tinin
Rest-N
;,«)
i
52 i Gutartige ar-
Apoplexie 1918, Kopf¬
17.
i
IX 19. |
3.0
21,0
teriolosklero-
schmerzen, Schwindeb
tische Schrumpf-
Wasserversuch gut. Alb.
1
niere.
—, geringe Cylindrurie.
t
X)
74
Kopfschmerzen, Wasser¬
3.
VII. 2t.
3,25
2,0
27,0
versuch schlecht.
f
54
54 1 1
H i r> |
Wasser ausscheidungs¬
9. VIII. 21. i
2,3
1.25
17,55
!
kurve plateauartig hin¬
gezogen, Polyurie, Nykt-
IJ-N
urie. NaCl-, Ü-Zulage
etwas verzögert, Kreatinin¬
.
•
zulage glatt ausge¬
I
i
schieden.
,V>
62 '
1919 Retinitis circinata.
Wasserausscheidung tiber-
27.
X. 20.
4,6
t.7 |
37,91
schießend, Verdünnung,
Konzentration leidlich.
1
.
75
Angina pectoris. Wasser¬
versuch schlecht, Nykturie.
30.
VII. 21.
3,55
1,75 [
31.59
.17
63
Emphysem, Vitium cordis 26.
III. 19.
4,8
—
28.67
kom pens. W asserversuch
i
schlecht, f 1. XII. 19
|
1
an Herzinsufficienz.
!
;
>
f
72
1916 Apoplexie. Kopf¬
schmerzen. f 29. IX. 19
1.
VII. 19.
4,65
43,87
j
an Herzinsufficienz.
I
i
!
1 :n
56
Stenocardie. Wasser ver¬
i
i
I
' Übergang zur
such schlecht.
11.
VI. 19.
! 3.85
I _
! 38,61
malignen Form.
29.
VI. 1».
i 6.10
—
57.91
11.
XII. 20.
4.9
2.4
45.63
2. IV. 21 f Herz-
15.
I. 21.
; 4,0
2,5
41,42
insufficienz.
i
Hl
Genuine
7.
I. 21.
I 4,25
8,0
87,05
j
Schrumpf niere,
t 20. IV. 20 Broncho¬
24.
I. 21.
| 3,55
3,0
1 42,12
i
i maligne Form.
!
II. 21.
j 4,8
4,5
! 44,93
t
pneumonie.
X. 19.
; «‘*1
Betinitis circinata.
24.
| 7,5
3,4
; 78.62
*
i "
: !
Wasser versuch sehr
schlecht.
,
1
Vitium cordis kompensiert
14.
I. 20.
5,45
—
40,71
20.
IV. 20
6.65
4,2
i 54,7
10.
VI. 20.
1 9.15
' 82,8
i r>.
VI. 20.
11.13
—
103,4
m.
VI. 20.
7.12
4.25
84.2
' Ante exitum. ßrouoho-
: 4.
VII. 20.
! 12,2
5,6
1 123.5
67 w
pneum.
!
»W
; Hemiplegie.
24.
IV. 20.
5.55
—
44.7
Ante exitum.
3.
V. 20.
12,4
—
182.5
Venenthrombose, y ilerz-
insufricienz.
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UNIVERSITY 0F CALIFORNIA
Der Harnsänregebalt des Blutes bei Erkrankungen der Niere usw. 351
, Die Fälle reiner Hypertonie (s. Tab. 7), bei denen auch bei längerer
Beobachtung nie Anhaltspunkte für eine Nierenstörung aufznfinden
sind und auch post mortem sich mikroskopisch keine Nierenver¬
änderungen' nach weisen lassen, schließen sich in dem Verhalten
ihrer Blutharnsäure den sog. benignen Nierensklerosen an. Bereits
Kocher hatte bei 2 derartigen Fällen einen vermehrten D-Gehalt
des Blutes festgestellt, und wenn man die von v. Monakow mit¬
geteilten Fälle daraufhin ansieht, so fällt dem Betrachter sofort
auf, daß neben wenigen Ansnahmen die Harnsäure eine Erhöhung
aufweist. 1 ) Nimmt man die Familienanamnese dieser Hypertoniker
sorgfältig auf, so läßt sich meist bei näheren oder entfernteren
Verwandten eine der vielgestaltigen Formen des „arthritisme“
nachweisen. Es kann deshalb die Vermutung nicht allzusehr be¬
fremden, daß der meist erhöhte D-Wert bei diesen Hypertonikern
ebenfalls auf die Zugehörigkeit dieser Fälle zu dem Komplex des
„arthritisme“ hinweist, über dessen letzte gemeinsame Ursache wir
Doch im Dunkeln sind. Wer der Anschauung ist, daß die Hyper¬
tonie in jedem Fall nephrogenen Ursprungs ist, wird in der Blut¬
harnsäureerhöhung dieser Hypertoniker einen Beweis seiner An¬
sicht sehen.
Zusammenfassung.
Die Anschauung von Fol in und Denis, daß ein erhöhter
Ö-Gehalt des Blutes bei normalem Rest-N auf eine gichtische Dia-
these hin weist, entspricht nicht den Tatsachen. Bei normalem Rest-
N kann die Harnsäure erhöht sein bei der Leukämie (34 mg°/ 0 ),
Polycythämie, bei schwereren Vergiftungen, Herzdekompensationen,
bei manchen Formen von Carcinom. Am prämortalen Rest-N-
Anstieg nimmt sie neben dem Harnstoff einen hervorragenden Anteil.
Bei diesen Formen der Ü-Anhäufung im Blut spielt der Zellzerfall
neben einer leichten Nierenschädigung eine wesentliche Rolle.
Die akuten Nephritiden, bei denen die Retention infolge der
Nierenschädigung im Vordergrund steht, zeigen vor dem Anstieg
des Harnstoffs eine Vermehrung der Blutharnsäure. Bei der Heilung
bleibt die Harnsäure oft am längsten erhöht, und bei den chroni¬
schen Formen ist ihre Vermehrung oft der einzige abnorme Befund
im Blut, der auf eine noch bestehende Nierenschädigung hinweist.
Die Harnsäureuntersuchung leistet also auch hier mehr als das
1) Herr Prof. Müller verfugt in seiuer Privatpraxis über eine ganze Reihe
von derartigen Fällen, bei denen sich teils eine P>höhung, teils ein normaler
Wert der Blntharnsäure fand.
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352 Kr/iuss, Der Harnsäuregehalt des Blutes bei Erkrankungen der Niere usw.
Kreatinin and das Indikan. Werte über 10 mg°/„ geben eine un¬
günstige Prognose. Bei höheren Graden der N-Retention hält der
Harnsäuregehalt nicht durchweg gleichen Schritt mit dem Rest-N
oder dem Kreatinin.
Bei den Nephrosen ist der Ü-Gehalt des Blutes normal und
steigt nach Schädigung der Konzentrationsfähigkeit als erster Be¬
standteil des Rest-N.
Die gutartigen genuinen Schrumpfnieren sind begleitet von einer
Ü-Vermehrung des Blutes neben Störungen der Wasserausscheidung,
der Konzentrations- und Verdünnungsfähigkeit und auch seltener
ohne sie. Sie ist jedoch bei diesen Fällen keineswegs die.Regel.
Ihre Vermehrung gibt kein prognostisches Zeichen, etwa in dem
Sinne, daß die Fälle mit U-Vermehrung späterhin zur malignen
Form übergingen. Die zur Urämie neigenden Formen der genuinen
Schrumpfniere schließen sich in ihrem Verhalten den entzündlichen
Schrumpfnieren an.
Reine Hypertonien, welche keine Zeichen einer Nierenaffektion
. bieten, gehen sehr oft mit einer Vermehrung der Blutharnsäure einher.
Die bequem auszuführende Ü-Bestimmung im Blut kann demnach
bei der Beurteilung von Nierenerkrankungen die Bestimmung der
übrigen N-Komponenten meistens erübrigen, weil bei Nierenerkran¬
kungen einem normalen Ü-Wert in der Regel ein normaler Rest-N
entspricht.
Literatur.
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traud, Wiener klin. Rundschau 1890. Nr. 1 u. 2.
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353
Aus der medizin. Klinik, dem Samariterhaus und dem
pathologischen Institut in Heidelberg.
Akute Monocyten- und StammzeUenleukämien.
Von
Dr. Ewald,
Assistent am Samariterbaus,
Stabsarzt Dr. Frehse,
kommandiert zur medizinischen Klinik
und
Dr. Hennig,
Volontärassistent am pathologischen Institut.
Die Monocyten gelten jetzt manchen Autoren als Zellen be¬
sonderer Art mit Abstammung vom Retikuloendothel (Schilling)
andere Forscher sehen sie als Elemente der myeloischen Zellreihe
an (Naegeli), wieder andere glauben, daß sie Produkte sowohl
des myeloischen als auch des lymphatischen Systems sein können
(Pappenheim). Pappenheim meinte, daß die Monocyten in vielen
Dingen den lymphatischen Zellen verwandt seien.
In den letzten Wochen sahen wir in der Klinik zwei Fälle
von akuter Monocyten- bzw. Stammzellenleukämie, deren Blutbilder
unsere Vorstellungen von den Monocyten nach einer gewissen Rich¬
tung hin leiteten.
Nr. 1. Der 32 jährige Irrenpfleger Peter A. wurde am 18. April
1921 in die Klinik aufgenommen. Familienanamnese belanglos. Abge¬
sehen von Kinderkrankheiten und einem Paratyphus (1918) war Patient
stets gesund. Am 3. April d. J. erkrankte er plötzlich mit Fieber,
Halsschmerzen und Schluckbeschwerden. Nach wenigen Tagen bemerkte
er eine Schwellung an den Kieferwinkeln und im Gesicht: auch das
Zahnfleisch war geschwollen und blutete leicht. Dann traten Kopf¬
schmerzen und Atemnot auf und der Harn wurde blutig. Die Tempe¬
ratur betrug 38—38.5°.
A uf n ah m e b e f un d: Großer Mann in schlechtem Ernährungs¬
zustände; Haut und sichtbare Schleimhäute blaß; am linken Oberschenkel
mehrere stecknadelkojM- bis linsengroße Hautblutungen. Gesicht nament¬
lich in der Gegend des Mundes und des Unterkiefers geschwollen ; unter
dem Kinn einige reichlich erbsengroße Drüsen. Mundschleimhaut gerötet
Deutsches Archiv für klin. Medizin. i:-;8. Bd. 23
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354
Ewald, Frbhsk u. Henhig
und geschwollen, am Zahnfleisch und der Schleimhaut der linken Wange
mehrere flächenhafte Blutungen, auf dem Zahnfleisch mißfarbene, fibel¬
riechende Beläge. Grobe Bronchitis. Am Herzen ein unreiner 1. Ton,
sonst nichts. Puls 100. Leber unter dem rechten Rippenbogen eben
fühlbar, Milz unter dem linken Rippenbogen als weicher Tumor zu
tasten. Im Harn Eiweiß, Blut und Leukocyten. Blutdruck 120 mm
Hg, W.-R. im Blut negativ« Blutplatten und Bouillonkultur steril.
Der Zustand des Patienten verschlechterte sich zusehends. Zahlreiche
.kleine und einzelne flächenhafte Hautblutungen traten auf. Leber und
Milz vergrößerten sich. Das Fieber schwankte zwischen 38,5—40°.
Am 27. April trat der Tod ein.
Nr. 2. 30 jähriger Bahnarbeiter Georg K. lag im Dez. 1920 wegen
Polyarthritis rheumatica in der Klinik. Erkrankte am 1. Mai plötzlich
mit Anschwellung eines Knies und eines Fußes angeblich ohne Fieber.
Nach 14 Tagen ließ die Schwellung nach. Patient stand auf, mußte
sich aber nach 3 Tagen wegen erneuter Gelenkschwellungen wieder legen.
SteigendcB Fieber. Ende Mai trat „Mundfäule“ und DrüsenschwelluDg
an den Kieferwinkeln hinzu. 9. Juni aufgenommen. Grazil gebauter
Mann, Ernährungszustand schlecht. Haut und sichtbare Schleimhäute
blaß. Pflaumengroßes derbes Drüsenpaket am linken Kieferwinkel. An
der rechten Halsseite, am rechten Ohr und auf der Stirn im Abheilen
begriffene Furunkel. In beiden Nasenlöchern Blutschorfe. Gingivitis und
Stomatitis mit üblem Geruch. Der Mund kann nur unvollkommen ge¬
öffnet werden. Kompression des Brustkorbes außerordentlich schmerzhaft:
Grobe Bronchitis, am Herzen nichts Abnormes, Puls 100, Blutdruck
100 mm Hg. Temperatur 38,5°; Milz weich, 2 Querfinger unterhalb
des Rippenbogens zu tasten. Im Harn Spur Eiweiß, im Sediment zahl¬
reiche weiße, vereinzelte rote Blutzellen, Epithelien und vereinzelte
granulierte Zylinder. Gelenke nicht geschwollen. Röhrenknochen druck¬
schmerzhaft. W.-R. im Blut verdächtig. Am 13. Juni traten an Brust
und Rücken zahlreiche Hautblutungen auf, der Harn wurde stark hämor¬
rhagisch, der Patient verfiel zusehends; am 15. Juni subikterische Gesichts¬
farbe, am ganzen Körper punktförmige Blutungen. Temperatur zwischen
39 und 40,5°. Patient ist dauernd leicht benommen. Am 16. Juni Tod.
Das Blutbild des ersten Kranken zeigte auf der Höhe der
Erkrankung folgenden Befund : Häraoglobingehalt 27 % (S a h 1 i\
Erythrocyten 1480000, Färbeindex 0,9, Leukocyten 139500, Blut¬
plättchen 118 000, Serumeiweiß (refraktometrisch) 7,03%. Panop-
tisclie Färbung der weißen Zellen mit May-Grünwald-Pauchrom.
Neutrophile polymorphkernige Leukocyten 1,5 — 5%, eosinophile
0—0,5%, Mastzellen 0 0.3%, Lymphocyten 6— 9,5%, Monocyten
80—87 %, Stammzellen 4,5—8%. Das Blutbild wurde beherrscht
von Zellen, die rein morphologisch betrachtet, ^onocyt^eg w^ren.
Sie hatten große gelappte Kerne mit verWascliener, gequollener,
grob netzförmiger Struktur, zum Teil mit mehreren dunkelgeförbten
Chromatinschollen, die sich von den Nucleolen der Stammzellen
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Akute Monocyten und Stammzellenleukäimeu.
355
deutlich unterschieden. Der hellblaue (basophile) Plasmaleib war
von verschiedener Breite, zum Teil mit feiner staubförmiger Azur¬
granulation. Diese letztere scheint uns als Unterscheidungsmerk¬
mal praktisch nicht sehr geeignet. Naegeli sagt, daß sie kon-
stant und in ihrer Art für die Monocyten charakteristisch sei,
während P a p p e n h e i m sie für einen bloßen temporären Funktions- C\
zustand der Zellen erklärt. — Die Granulation der Promyelocyten
z. B. hielt Pappenheim für eine Azurgranulation, was Naegeli, als
„völlig irrig“ bezeichnet. Wenn aber schon ein so erfahrener Hämato¬
loge wie Pappenheim diese Granulation nicht richtig zu deuten
vermochte, so dürfte der Versuch einer generellen Unterscheidung v v
für die weitaus größere Anzahl aller Ärzte von vornherein aus >r /
sichtslos sein. Die Zellen glichen ganz den in Pappenheims „Morplio- <■
logischer Hämatologie“ Bd. 2 Taf. IH Bild 6 abgebildeten Zellen^’
Die relative Zahl der Stammzellen war niedrig, es waren aber -
fließende Übergänge von den Stammzellen zu den Monocyten vor- ' v
handen, so daß der Anblick des Präparates dem Unbefangenen
durchaus den Eindruck erwecken mußte, daß es sich um verschiedene
Entwicklungsstufen derselben Zellart handelte. Auch Naegeli
sagt, daß unter leukämischen Zellen die Unterscheidung der Mono¬
cyten gegenüber Myeloblasten recht schwer sein kann, und daß
Zwischenstufen zwischen beiden Vorkommen. Er beobachtete auch
das Übergehen einer anfänglichen Monocytenleukämie in eine Myelo¬
blastenleukämie. Wir sind geneigt, in diesem Falle die Monocyten
als Altersformen der indifferenten Stammzellen aufzufassen. Myelor
cyten haben wir bei diesen Kranken während des ganzen Krank¬
heitsverlaufes — soweit er bei uns beobachtet ist — niemals gesehen.
Man konnte also sagen: Monocytenleukämie mit Stammzellen.
Herr Prof. Naegeli war so freundlich, Blutpräparate von diesem
Kranken durchzuselien und zu begutachten. Er deutete das Bild
in Übereinstimmung mit der in der 3. Auflage seiner „Blutkrank¬
heiten“ gegebenen Darstellung (S. 177 u.f.) als Myeloblastenleukämie,
im wesentlichen im Zustandsbilde der Monocytenleukämie. — V.
Schilling, der auch die Güte hatte, uns sein Urteil über das
Blutbild zu senden, diagnostizierte „akute myeloische Leukämie in
weitgehender Entartung, so daß sie fast wie eine Myeloblasten¬
leukämie erscheint“.
Der Blutbefund des zweiten Kranken war folgender: 35%
Hämoglobin, 1600000 Erythrocyten, Leukocyten 99600. Weiße
Zellen: 0—3% Polymorphkernige Neutrophile, 2—6% Lymphocyten,
5—7 % Monocyten, 90 % Lymphoidocyten. Diese letzteren waren
. " 23 *
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356
Ewald, Fkehse u. Hkkniu
-Zellen von sehr verschiedener Größe mit relativ großem, meist
'• runden, zuweilen an einer Seite abgeflachten oder leicht einge¬
buchteten Kern mit stark gefärbtem, gleichmäßigem, fein netzförmigen
jChromatin^erüst und durchweg^ deutlichen Nukleolen (2—5). Das
Protoplasma war nie reichlich, bei verschiedenen Zellen sehr ver-
' schieden massig, bei vielen äußerst spärlich, bei manchen fehlte es
ganz. Der Plasmaleib war stark basophil mit deutlicher peri-
nuleärer heller Zone und oft mit reichlicher meist feinkörniger Azur-
z granulation. (Ygl. Papp enlieim ,.Mor ph nlngisp.hp Hä matologie“ Bd . 2,
■ v Taf. II, Bild 3, Nr. 4—22.) Nie sahen wir Granulationen, die denen
" bei myeloisch differenzierten Zellen entsprachen. Die Kerne be¬
fanden sich relativ häufig in amitotischer Teilung. Von diesen
Zellen fanden sich Übergänge zu Zellen, welche die oben beschrie¬
bene Kernform und Kernart der Monocyten hatten. Das Proto¬
plasma zeigte feine Azurbestäubung, wie es als charakteristisches
Merkmal der echten Monocyten beschrieben ist (Naegeli). Die
absolute Zahl dieser Zellen betrug 5—7000, war also beträchtlich
erhöht Da aber doch das histologische Bild den Grund zur Be¬
nennung abgibt, so ist man hier u. E. berechtigt, ja gezwungen,
von Monocyten zu sprechen. Also auch hier eine akute Leukämie
mit zahlreichen Monocyten.
Ob die Stammzellen Vorstufen der lymphatischen oder der mye¬
loischen Reihe waren, vermochten wir nicht zu entscheiden. Prof.
Krehl hat den zweiten Kranken in der Klinik als Beispiel einer
akuten Stammzellenleukämie vorgestellt und sich außer Stande
erklärt, hier die Zugehörigkeit zur myeloischen oder lymphatischen
Form der Leukämie auch nur mit irgendwelcher Wahrscheinlich¬
keit festzustellen. Ja, das Fehlen jeglicher Myelocyten hat uns
sogar dazu veranlaßt, eher zur Annahme einer Lymphämie zu neigen.
Prof. Naegeli und V. Schilling waren so freundlich, auch
diese Präparate zu begutachten. Naegeli hat sie als Myeloblasten¬
leukämie angesprochen, Schilling als myeloische Leukämie.
Die Oxydasereaktion versagte bei uns infolge Unbrauchbarkeit
der Reagentien. V. Schilling hatte die Liebenswürdigkeit uns
mitzuteilen, daß im ersten Falle fast alle Zellen deutlich positiv
reagierten und daß im zweiten Falle die Zellen zum größten Teil
voll oder parteriell die Oxydasereaktion gaben. In unserer Er¬
kenntnis fördert uns das freilich auch nicht wesentlich, da die
Monocyten nach Naegeli als myeloische Zellen die Indophenol¬
blausynthese gaben, während Pappenheim und V. Schilling das
bestreiten. Diese Frage bedarf aNo auch noch der Klärung. Offen-
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Akute Monocyten- und Stammzellenleukäraien.
357
bar verstehen die Autoren unter „Monocyten“ z. T. ganz verschie¬
dene Zellen, indem die einen den Begriff enger (histogenetisch), die
anderen weiter (morphologisch) fassen.
Selbst die Autopsie und die Beurteilung der Präparate durch
Herrn Prof. Ernst hat einen klaren Aufschluß über die Herkunft
der Zellen nicht ergeben. Im Hinblick auf die Arbeiten von
Asch off und Kiyono über Intravitalfärbung mit Karmin sowie
die Arbeiten von Schilling über die Abstammung der Monocyten
vom Reticuloendothel hatten wir — in der Annahme, daß es sich
um eine echte Monocytenleukämie handele — dem ersten Kranken
subkutan und intramuskulär Karmin gegeben, in der Hoffnung, den
Farbstoff später in den Monocyten des Blutausstriches oder wenig¬
stens in dem — vielleicht gewucherten — Reticuloendothel ge¬
speichert zu finden. Diese Hoffnung hat sich nicht bestätigt, da
der Kranke infolge des rapiden Verlaufes der Krankheit nur 3 mal
Karmin erhielt. Nur im Milzausstrich fanden sich einzelne mit
Karmin beladene Zellen.
Nr. 3. (Aus dem Samariterhaus.) Frl. E. Pf., 29 Jahre, Büro¬
fräulein, Familienanamnese belanglos. Mit 14 Jahren Polypen aus Nase
und Rachen entfernt, damals auch bleichsüchtig; später aber immer
rotbäckig und gesund. Anfang JunL starke Zahnschmerzen und ein
Zahngeschwür, ausgehend von der Wurzel eines rechten unteren Back¬
zahnes. Diese Wurzel wurde gezogen. Nach 2 Tagen wieder starke
Schwellung der ganzen rechten Wan^fe ^seither Fieber und zeitweise
Erbrechen. Es bildete sich ein Geschwür innen an der rechten Wangen¬
schleimhaut, und das Zahnfleisch der ganzen rechten Unterkieferseite
schwoll an und wurde sehr schmerzhaft. Von dem Geschwür stießen
sich dauernd nekrotische Fetzen ab. Vom Arzt wurde eine Probeexzision
gemacht, deren Untersuchung Geschwürsbildung und chronische entzünd¬
liche Infiltration ohne spez. Charakter ergab.
Aufnahme 8 . Juli 1921 wegen Verdacht auf Wnngensarkom. E>
fallt bei gutem Ernährungszustand der Patientin die Blässe der äußeren
Haut und der Schleimhäute auf. Skleren etwas gelblich. Links kleine
Hornhautblutung. Hautblutungen an der Brust. Verfärbung der Haut
durch ältere Blutextravasate an mehreren Stellen beider Beine.
Das ganze Zahnfleisch ist aufgelockert, stark geschwollen und neigt
zu Blutungen. Zweimarkstückgroßes Geschwür innen an der rechten
Wange mit weißgelben), schmierigem, diphtherischem Belag. Schwellung
der rechten Tonsille und des Gaumens bis zur Uvula.
Brustorgan o. B. Puls klein und beschleunigt, Blutdruck 80—10“ mm
Hg. Leber mit derbem Rand w r enig unterhalb des Rippenbogens zu
fühlen; ebenso ist die Milz bei tiefer Inspiration deutlich uerb und ver¬
größert zu fühlen. Nervensystem o. B. Lin Harn geringer Ehveißgehalt,
Harnsäurekristalle, Epithelien, rote und w r eißc Blutkörperchen und granu-
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E\vau>, Fbeiisk u. Hbnnio
358
Horte Zylinder. W.-R. und Sachs-Georgi-R. negativ. Die Blutunter-
uucbung ergab:
Hb. = 40 °/ 0 , Rote = 2 000000, Weiße = 56 000. Neutroph. 4 °j n ,
Eosinoph. 1 °/ 0 , Mastzellen keine, Lympbocyten ll°/ 0 , Monocyten
00 °/ 0 , Stammzellen 24 °/ 0 .
Damit war die Diagnose: „Akute Stammzellenleukämie,
nionocytoide Form“ gegeben.
Röntgenbestrahlung und Enzytoleiospritzungen. Der Zustand ver¬
schlechterte sich zusehends; Tod am 16. Juli. Die Darreichnng von
Karmin führte wegen der Schnelligkeit des Verlaufs nicht zum Ergebnis.
Blutbefund während des Verlaufs folgender:
lUUuin
Hb.
Rote Weiße
L*-, ,J
Nentr.
t
Eos.
!
Mast. Lymph.
i
i
Mono-
cyt.
Stamm-
Zellen
Neutr.
Myelo¬
cyten
VII.
40
2 000000 56 000
4
1
| 1
!
0
i
11,0
60,0
24,0
VII.
! 2»
1 440 000 510001
14
i 0
0
13.5
55,0
17,5
11,
VII.
40 (XX)
14
, 0
0,7 *
13.0
55.0
16.0
1.3
VII.
: 2.,
1 000 000 28 OOOi
i
- 17.5
o
0.5
29,0
42,5
6,5
4.0
Der Blutbefund hat sich iu den 8 Tagen, die die Patientin bei
uns lag, also erheblich geändert. Die Zählungen erfolgten stets
zur gleichen Tageszeit mit Hilfe der Bürkersehen Kammer:
Färbung der Ausstriche nach der Pappenheim’schen Methode
mit May-Grilnwald-Panohrom. Die morphologisch als Monocyten
imponierenden Zellen waren durchweg „Monocytoide Leuko-
blasten“ Pa p p en h ei m's tvgl. P a p p e n h e j m, Morph. Hämatologie.
Tat'. IIP. also nicht weiter entwicklungsfalYig^ ontogenetische Alters-
forrnen der Stammzellen bis zu reinen Monocyten. Die bei den
beiden letzten Untersuchungen auftretendeu Myelocyten sind ge¬
nauer als Metamyelocyten zu bezeichnen: es handelt sich also nur
um eine Verschiebung des neutrophilen Blutbildes nach links: irgend¬
welche 1'bei gangsformen der S t a m m z e 11 e n zu jungen Myelocyten
>. irr zur myeloischen Keilte überhaupt waren nicht zu finden-
lm Yer.er.Kat vom 12. Juli waren Pneumokokken gewachsen: Blut
v m 10. Juli war >tetil ,wohl eine Folge der Encytolinjektionen):
\ :\ug >ei hi. r schon bemerkt, daß in Ausstriehpräparaten der Mesen-
■ f.P.lytr.j hkr.vttn wieder re ichlieh Pneumokokken nachzuweisen sind.
W ir haben also b
ubt-r. einander
den l'lutbefunden zwei verschiedene Prozesse
:n V.te-n: 1. 1';e Statt,n:zeUcr,leukän;ie. die Stegen
F
t
L .
IV ue o
C.:
* vfUI .1- 11^ i .<■ ..V!' 11
P-rk'V- b
r-.tvr.
,_r. l
Zeigt, und 2. eine zunehmende
Blut bi lies, die w.hl als direkte
butas'eu i't. wahrend wir den
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Akute Monocjten- und Stammzellenleukämien.
359
Rückgang der leukämischen Zelle auf die Bestrahlung und deren
chemische Imitation*) durch das Encytol zurückfuhren. Die Zu¬
nahme der Neutrophilen und Lymphocyten ist nur eine scheinbare,
die absoluten Zahlen sind mit geringen Schwankungen gleich ge¬
blieben :
Absolute Zahlen der
Nentrophilen
Lymphocyten
am 9. VII.
2240
6160
13. VII.
7140 1
6885
14. VII.
5600
5200
16. VII.
4900 ;
i
8120
Die Oxydasereaktion fiel an den Blutausstrichen, die intra vitam
gemacht waren, negativ aus, während sie an den Organausstrichen
(Leber, Milz und Lymphknoten) des gleichen Falles und an normalen
Kontrollblutpräparaten gleichzeitig mit denselben Reagenzien posi¬
tiven Ausfall gab. Dieser Befund sei,hier nur erwähnt; wir gehen
aber nicht auf das Für und Wider der Beweiskraft der Oxydase¬
reaktion näher ein.
Ob im vorliegendem Falle die Leukämie eine Folge oder ein
Ausdruck der vom Zahngeschwür ausgehenden Sepsis war, oder ob
das Zahngeschwür nur der klinisch bemerkbare Beginn der Leukä¬
mie war, läßt sich leider nicht mehr feststellen, da keine früheren
Blutbefunde vorliegen.
Auszug aus den Sektionsprotokollen: Fall 1 (Dr. Froboese)
Diagnose: Leukämie: leukämische Infiltrate der Haut, der submaxil-
laren, cervikalen, supraclavicularen, trachealen, retroperitonealen,
inguinalen Lymphdrüsen, des Magens, Darmes, der Leber, der Nieren,
der Blase, der Tonsillen, der Zunge, der Milz. Allgemeine hämorrha¬
gische Diathese.
Pyoides Knochenmark. Allgemeine Anämie. Pachymeningitis
hämorrhagica interna, leichtes Piaödem. Anämische Infarkte der Milz.
Das zur histologischen Untersuchung entnommene Material
wurde in Formol (zur Oxydasereaktion), Orth’scher Lösung und
Helly’schem Gemisch fixiert und mit Hämatoxylin Eosin und May-
Grünwald-Panchrom (Pappenheim) gefärbt.
In der Leber sind die acinösen Kapillaren etwas erweitert und
ziemlich reichlich mit leukämischen Blutzellen erfüllt. Außerdem finden
sich in dem Glisson’schen Bindegewebe diffuse leukämische Infiltrate, die
oft in breiten Zügen mit dem intralobnlären Zusammenhängen, und an
diesen Stellen die Abgrenzung der Azini gegenüber dem Zwischengewebe
1) Werner u. Lichtenberg, Deutsche metl. Wochensclir. 1906, 1.
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360
Ewald, Frbhsk u. Hennig
l
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verwiscbeo. Meist handelt es sich um größere Zellen mit schwach baso¬
philen angekörntem Protoplasmaleib und einem bläschenförmigen runden
bis ovalen eingebuchteten Kern, der eine gleichmäßige feinnetzige
Chromatinatruktux^ aufweist und oft ein gder-melirere JÜucleoIen erkennen^
läßt. Diese Zellen sind Stammzellen. Gegen diese im Vordergrund
stehenden Zellen treten Zellen mit deutlich oxyphilen Protoplasma, rund«
liehen bis stark gebuchteten , intensiver blau gefärbten und mehr grob-
bröckligem Chromatingerüst aufweisenden Kern mehr zurück. (Myelo-
cyten). Ganz vereinzelt finden sich zwischen diesen Zellen dunkelkernige
Lympbocyten. Reife neutrophile und eosinophile Granulocyten und
Mastzellen ließen sich nicht naebweisen. Von diesen leukämischen Zell¬
elementen beben sich die Endothelzellen mit ihren längsovalen oder
spindelförmigen ziemlich dunklen Kernen deutlich ab und zeigen keinerlei
Übergänge zu ihnen. In den Leberzellbalken und den Knpffer’scben
Sternzellen findet sich überaus reichlich gelbbräunliches Pigment, das
positive Berlinerblau-Reaktion gibt.
Die Milzßtruktur ist vollkommen verwischt. Von den Malpighi-
schen Körperchen ist auch nicht ein Rest mehr vorhanden. Die ganze
Milzpulpa ist in eine diffuse leukomatöse Zellinfiltration verwandelt, in
der man nur die Trabekel und Zentralarterien als typische Milzreßte
erkennen kann. Die meisten Infiltratzellen präsentieren sich als Stamm-
zellen mit rundlichem bis gebuchtetem Kern, der ein leichtes feinnetziges
Chromatingerüst aufweist. Auch hier treten wieder Zellen mit mehr
grohstrukturierten dunkler gefärbten Kernen (neutr. u. eos. Myelocyten)
in den Hintergrund. Vereinzelt finden sieb auch reife Granulocyten.
Untermischt sind die Zellen mit spärlichen Lympbocyten, Plasmazellen,
letztere bisweilen in Grüppchen zusammengeordnet, und ei^iitunfllthe
größere Zellen, die oft ganz mit sich dunkelfärbenden Körnchen erfüllt
sind, teilweise mehrere Kerne aufweisen. (Makrophagen). In den Pulpa¬
zellen findet sich ziemlich reichlich Hämosiderinpigment.
Die typische Lymphdrüsenstruktur ist fast vollkommen ver¬
wischt. Hin und wieder sieht man noch einzelne Reste von Follikeln.
Eine Abgrenzung von Lymphsinus und Marksträngen ist infolge dichter
Zellinfiltration nicht möglich. Die Infiltratzellen, die von typischen
Lympbocyten und Plasmazellen , die öfters in Gruppen zusammenliegen,
durchsetzt sind, sind auch hier in der Mehrzahl. Stammzellen mit licht-
kernigem, feinnetzigem Kerngerüst, daneben viel seltener Myelocyten.
Reife granulierte Zellen fehlen aucli liier. Auch finden sich reichlich
hümosi denn haltige Zellen.
Knochenmark (Oberschenkel). Die Fettareolen sind durch eine
starke Zellvermehrung fast ganz verdrängt. Die Veränderung gleicht
fast völlig dem Bilde tätigen Knochenmarks, nur daß hier die erythro*
poetische Komponente in den Hintergrund tritt. Stammzellen stehen im
Vordergrund, daneben liegen neutrophile und eosinophile Myelocyten in
buntem Wechsel nebeneinander. Spärlicher sind die reifen Elemente
und Erythroblasten. Es fehlen die Knoclienmarksriesenzellen. Zerstreut
finden sich pigmenthaltige Zellen. *’
Uber das ganze Nierengewebe zerstreut finden sich locker und
dichter stellend leukämische Infiltratzellen, die stellenweise herdförmigen
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Akute Monocyten- und StaramzelJenleukämien.
861
Charakter annehmen, besonders in der Umgebung der Glomeruli und in
noch viel ausgesprochenerem Maße in der Marksubstanz zwischen den
geraden Harnkanälchen, die auf diese Weise förmlich voneinander abge¬
drängt werden. Auch hier bestehen die Infiltrationsherde aus denselben
Zelltypen wie in den vorberbeschriebenen Organen: vorwiegend Stamm¬
zellen, zwischen denen sich nicht ganz selten typische Plasmazellen be¬
finden. Stellenweise ausgedehnt Hämorrhagien:
Fall 2: (Dr. Froboese) Diagnose: Akute Leukämie; rostfarbene
Leber; leukämischer Milztumor, leukämische Infiltration des Nieren¬
beckens, Ureters, Hodens, der Tonsillen, der cervikalen, trachealen,
mesenterialen und inguinalen Lymphdrüsen, der Magenschleimhaut.
Kleiner leukämischer ulcerierter Magenschleimhauttumor. Fettinfil¬
tration des Herzens; parenchymatöse Degeneration der Nieren;
Lungenödem. Blutungen in Haut, Bauchfell, Hoden, Zahnfleisch,
Trachea, Pharynx, Zwerchfell, Epikard, Endokard, Gehirn, Pleura;
schiefrige Pigmentation der Darmfollikel; pseudomembranöse Ent¬
zündung der Dickdarmschleimhaut; myeloische Knochenmarksver- '
änderungen. Stomatitis haemorrhagica.
Leber: Das Glisson'sche Bindegewebe ist durchweg erfüllt mit
mäßig dichten Infiltratberden, die sich vornehmlich um die Gefäße herum
gruppieren. Von diesen interlobären Herden erstrecken sich die Infil¬
trate aber auch überall zwischen die Leberzellenbalken, so daß die intra-
acinösen Kapillaren etwas erweitert und mäßig stark mit Zellen erfüllt
sind. Die Leberstruktur ist im großen und ganzen gut gewahrt. Die
Zellen, aus denen sich die Lymphomherde zusammensetzen, zeigen fast
durchweg die gleiche Beschaffenheit. Der Protoplasmaleib ist ziemlich
schmal und ohne jede Gianulation. Die Kerne meist groß, bläschen- , 7 ,
förmig, blaß gefärbt, rund, oval oder leicht eingebuchtet. Die Kerne
zeigen eine deutliche Kemmembran und ein feines netzförmiges Chromatin-
gerust. Meistens enthalten sie ein oder mehrere kleine dunkle, rundliche
KTe^ß. — Kernkörperchen. Es handelt sich hier um Starmnzellen.
Nicht so selten sieht man in den Zellen der Glissonherde Kernteilungs-
fignren. Vereinzelt sieht man daneben etwas häufiger in den iutraacinösen
Kapillaren kleinere Zellen mit runden, verwaschenen, sich intensiv
dunkelblau färbendem Kern , die als Lymphocyten anzusprechen sind.
Die Endothelzellen der Leberkapillaren hoben sich durch ihre länglich
ovale bis spindelförmige Gestalt deutlich von den Infiltratzellen ab und
zeigen keinerlei Übergänge zu ihnen. Es fehlen vollkommen die granu¬
lierten Formen (Myelocyten) und reife Grannlocyten.
Die Oxydasereaktion fiel bei allen blaßkernigen Infiltratzellen
positiv aus.
Die typische Struktur der Milz ist fast vollkommen verwischt. —
Das trabekuläre Gerüst lieht sich deutlich von der ziemlich gleichmäßigen
Infiltration des übrigen Gewebes ab, das einen Unterschied von Pulpa
und Follikeln kaum mehr unterscheiden läßt. Nur vereinzelt sieht man
noch Beste von Follikeln mit ihren Zentralarterien, um die sich ein
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362
Ewald, Frehse u. Hennig
schmaler Saum typischer Lymphocyten gruppiert, die ohne scharfe Grenze
in das übrige Pulpagewebe übergehen. Die Pulpa setzt sich aus dicht
gelagerten Zellen zusammen, die von gleichem Typus sind wie die Infiltrat¬
zellen der Leber mit mehr oder weniger rundem, ovalem, bis leicht
eingebuchtetem Kern, lichtem zartem Chromatinnetzwerk und schmalem
Plasmaleib. Zwischen diesen hellbläschenkernigen Zellen finden sich ver¬
einzelt dunkelkernige Lymphocyten. Auch hier fehlen völlig die granu¬
lierten Elemente, Myelocyten, neutrophile und eosinophile Granulocyten.
Pigmenthaltige Zellen finden sich hier nur selten.
Eine H&lslymphdrüse zeigt eine vollkommene Verwischung
der typischen Lymphdrüsenstruktur; nirgends lassen sich Mark stränge,
Follikel und Lymphsinus gegeneinander abgrenzen. Nur unter der Kapsel
sieht man hin und wieder noch Beste von Follikeln, die sich aus kleinen
Haufen dunkelkerniger Lymphocyten zusammensetzen und ohne scharfe
Grenze in das angrenzende Gewebe übergehen. Der ganze übrige Teil
der Drüse setzt sich aus dicht gedrängten Zellen zusammen, die ein
sehr monotones Bild bieten und sich bei starker Vergrößerung* als vom
gleichen Habitus wie die Infiltratzellen der vorher beschriebenen Organe
entpuppen. Die Bindegewebekapsel zeigt allenthalben starke Durch¬
setzung mit den großen lichtkernigen Zellen, die oft in breiten Zügen
und Strängen infiltrierend das Bindegewebe durchsetzen und sich bis in
das periglanduläre Zellgewebe hineinschieben. Nicht selten finden sich
in den intra und periglandulären Infiltratzellen Kernteilungsfiguren.
Das Knochenmark (Mitte des Oberschenkels) ist überaus zell-
reich, die Fettareolen fast vollkommen verschwunden. Bei starker Ver¬
größerung sieht man, daß das Groß der Zellen aus einer einheitlichen
Zellgattung besteht. Der Kern dieser Zellen ist rund, oval oder leicht
gebuchtet, bläschenförmig mit einem feinen, netzförmigen Chromatingerüst.
In den meisten Kernen finden sich ein oder mehrere Nucleolen. Der
Protoplasmaleib* ist ziemlich schmal ohne jede Granulation. In vielen
dieser Zellen trifft man Kernteilungsfiguren. Zwischen diesen Zellen
finden sich nicht ganz selten Zellen mit kleinen oder größeren, isoliert
liegenden dunklen Massen, die als pyknotische Kerntrümmer aufzufassen
sind. Nur spärlich finden sich eosinophile, noch seltener neutrophile
Granulocyten bzw. Myelocyten. Erythroblasten und Megakaryocyten
lassen jaich. nicht nach weisen^ ——— ' "
Das ganze Nierengewebe, sowohl der Mark- als auch der
Rindenzonen, ist diffus mit lockeren oder herdförmig gruppierten leuko-
matösen Infiltraten, die aus den bekannten Zellen bestehen, durchsetzt.
Die Infiltrationsherde im Zwischengewebe haben stellenweise eine der¬
artige Ausdehnung erlangt, daß das zwischenliegende Parenchym voll¬
kommen auseinandergedrängt ist. Zahlreiche Glomeruli sind zugrunde
gegangen, in hyaline kernarme Kugeln umgewandelt. In vielen geraden
und gewundenen Harnkanälchen läßt der epitheliale Überzug eine deut¬
liche Zellgrenze vermissen, und die Zellen haben an Kernfarbbarkeit
eingebüßt. Sehr auffallend ist in diesem Präparate das überaus häufige
Vorkommen von Kernteilungsfiguren in den Infiltratzellen.
ln den Lungen finden sich dicht stehende leukämische Infiltrat¬
zellen, die sich namentlich um oder in der Nachbarschaft von Gefäßen
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Akute Monocyten- und Stammzellenleukämieu. 363
zu dichten Herden zusammenlagern, und so zu einer beträchtlichen Ver¬
breiterung der interlobulären Septen führen, wodurch häufig die angren¬
zenden Alveolen komprimiert werden. Auch die schmalen Alveolarsepten,
die meist stark gefüllte und geschlängelte Kapillaren aufweisen, sind
durchweg durchsetzt von Infiltratzellen. Herdweise finden sich die
Alveolenlumina erfüllt mit Erythrocyten, desquamierten Epithelien, gro߬
kernigen Zellen und geronnenen Eiweißmassen. Weder in den Infiltraten
der Scheidewände noch unter den Exsudatzellen finden sich gelappt¬
kernige Leukocyten.
Der anatomischen Beobachtung ist hier die Frage vorgelegt ob'sie
eine Auskunft zu geben imstande ist über die lymphoide oder myeolide
Herkunft der Zellen, die bei dem beschriebenen Kranken die große
Mehrzahl der weißen Blutzellen wie der Infiltratzellen in den Ge¬
weben bilden. Bei den 3 Kranken sind ja unzweifelhaft. Formen
da, die einen weiter vorgeschrittenen Entwicklungszustand in der
Richtung der Myeloidzellen darstellen, sowohl im Blut, während
der späteren Zeit des Krankheitsverlaufes, als auch in den Organen.
Aber bei den ersten beiden Kranken haben wir auch in den Or¬
ganen nur eine Art von Zellen, die untereinander, zwar mit
zahlreichen kleinen Verschiedenheiten versehen, im ganzen doch
nur den Typus der Stammzelle, und zwar ihre myeloide Form,
darstellen. In allen Organen: Knochenmark, Lymphdrüsen, Milz,
Leber, Niere fanden sich aber die gleichen Zellen. Nirgends tragen
sie Kennzeichen davon, daß sie zur lymphoiden oder myeloiden
Reihe gehören — immer und immer findet sich anatomisch eine
Anzahl der gleichen Zellen, die jedes von beiden sein können.
Also anatomisch läßt sich nur sagen: man findet eine außerordent¬
liche Hyperplasie der noch indifferenten Mutterzellen; sei es, daß
diese überall entstehen, sei es, daß sie nur in einem Gewebe ent¬
stehen und überall hin massenhaft verschleppt werden. Dann
läßt sich aber nicht sagen wo der morphologische Bildungsherd
ist. Deswegen scheint die erstere Annahme wahrscheinlicher. Die
Oxydasereaktion konnte in Fall 1 aus technischen Gründen nicht
ausgeführt werden, fiel aber im Fall 2 in der Leber bei allen
Stammzellen positiv aus.
Fall 3 (Dr. Eckstein). Diagnose: Leukämie: Schwellung
der Milz mit ausgedehnten perisplenitischen Verwachsungen und
Kapselverdickungen; Thrombose fast aller kleinen Milzarterien.
Leukämische Infiltration beider Nieren (350 bzw. 310 g) mit hoch¬
gradiger Vergrößerung und multiplen Hämorrliagien an der Ober¬
fläche. Leukämische Vergrößerung der Leber (2520 gl. Hoch¬
gradige Stomatitis und Pharyngitis. Geringe Schwellung der
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364 Ewald, Frehse u. Hennig
linken, beinahe walnußgroße der rechten Tonsille. Kleine Hämor-
rhagien des Epikards, der Pleura, beider Lungen und der Blasen¬
schleimhaut. Hochgradige allgemeine Anämie. Harnsäurekonkre¬
mente im rechten Nierenbecken und Ureter. Schwellung portaler
und lumbaler Lymphdrüsen.
Leber: Daa Glisson’sche Bindegewebe ist ziemlich stark ver¬
breitert und weist lockere leukämische Infiltrate auf. Ira Gegensatz
hierzu enthalten die intraazinären Kapillaren nicht sehr zahlreiche leuk¬
ämische Zellen, eher noch in nächster Nachbarschaft der Zsntralvene.
Hier finden sich nicht ganz selten Nekrosen, die mit leukämischen Zellen
dicht durchsetzt sind. Infolge Erweiterung der Kapillaren im zentralen
Teile der Azini (offenbar durch Stauung) sind hier die Leberbalken stark
verschmälert, teilweise finden sich nur noch einzelne oder zusammen¬
hängende Zellen als Reste von ihnen. In einem Teil der Läppchen
findet sifeh feinkörnige Verfettung der Leberbalken (Sudanfärbung).
Die Infiltratzellen bestehen zum kleineren Teile aus Stammzellen
mit leicht basophilem Protoplasma und rundem bis leicht ausgebuchtetera
feinnetzigem Kern. Viel häufiger finden sich Myelocyten mit ßtark oxy-
philem Protoplasmaleib und rundlichen bis starkgelappten plump struk¬
turierten Kernen. Auch reife Granulocyten und Lyraphocyten finden
sich nicht selten.
Milz: Die Struktur ist stark verwischt. Follikulär und perifolli¬
kulär finden sich ausgedehnt rundliche scharf gegen das angrenzende
Gewebe abgegrenzte Hämorrhagien. Die meist in der Mitte der Hämor-
rhagien gelegenen Zentralarterien heben sich bei Elastikafärbung sehr
schön heraus und zeigen eine ziemlich dicke Wandung, zum Teil sind
sie noch von einem schmalen Saum typischer Lymphocyten umgeben.
Die Pulpa ist aufs dichteste von leukämischen Zellen durchsetzt, zwischen
denen sich Hämosiderinpigment findet. Auch hier präsentieren sich die
Infiltratzellen zum größten Teil als Jugendformen der myeloischen Reihe.
Wenig Stammzellen, reichlich Myelocyten (ziemlich viel eosinophile Mye-
locyten) und mehr zuriiektretend reife Elemente. Im Milzausstrich fanden
sich reichlich Pneumokokken.
In der Niere finden sich in Rinde wie im Mark dichte Infiltrate
leukämischer Zellen, durch die die Harnkanälchen teilweise auseinander-
gedrängt werden. Tn den Harnkanälchen zeigen die Epithelien fein-
körni'je Vorfi*11ung.
Die lntiitrutzellen sind hier von gleicher Art wie in den übrigen
Organen, Vertreter der myeloischen Reihe, — Die Oxydasereaktion Gel
bei allen diesen Zollen positiv aus.
Lumbale Lymphdrüsen: Die Drüsenstruktur ist stark ver¬
wischt. Nur dicht unter der Kapsel finden sieh noch Reste von Fol¬
likeln. Im übrigen besteht dichte Durchsetzung mit leukämischen Blut-
zellen, die an einer Stelle infiltrierend die Kapsel durchsetzt und sich in
das perilymphatisehe Fettgewebe vorschiebt. Die noch über das ganze Ge¬
webe zerstreuten Lymphocyten und Reticulumzellen sind durchsetzt von
myeloischen Elementen: Stammzellen mit runden und gebuchteten Kernen,
Myelocyten, und vereinzelt neutrophile und eosinophile Granulocyten.
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Akute Monocyten- und StaoimzellenleukämieD. 365
Es scheint uns in diesen drei Fällen nur folgende Deutung
möglich: der Reiz, der in den Blutbildungsstätten die Neubildung
der Zellen hervorruft, führt hier durch die Stärke seiner Wirkung
zu einer gewaltigen Cytogenese. Sie findet an den Mutterzellen
des hämatopoetischen Systems statt. Wir vermögen weder durch
die morphologische Untersuchung des Blutes noch durch die histo¬
logische Durchmusterung der Gewebe festzustellen, ob der Reiz
wesentlich in den eigentlichen Blutbildungsstätten angreift, d. h.
in den Geweben, die am Erwachsenen die Blutbildung besorgen,
oder aus den überall verbreiteten Endothelien neue Blutbildungs¬
herde schafft. Wahrscheinlich veranlaßt er eine Umwandlung ubi¬
quitärer Fibroblasten und Endothelien zu indifferenten Stammzellen
und schädigt an diesen bald die Fähigkeit zur Weiterentwicklung
zur myeloischen, bald die zur Entwicklung zur lymphatischen Zelle.
Für unsere ersten beiden Fälle müßte man eiöe derartige Schädi¬
gung der Stammzellen annehmen, daß eine weitere Differenzierung
überhaupt nicht stattfindet, sondern daß sie — ins periphere Blut
gelangt — hier altern und — morphologisch — zu Monocyten
werden. Nur bei dem 3. Kranken zeigte sich in den Organen und
während des späteren Verlaufes im strömenden Blut eine Bildung
vieler entwickelter myeloischer Zellen. Indessen eine solche Ent¬
scheidung muß weiteren cytologischen und pathologischen Beobach¬
tungen Vorbehalten bleiben.
Mit der Annahme einer Stammzellenleukämie ohne weitere
Differenzierung möchten wir gar keine prinzipiellen Anschauungen
über Blutentstehung oder Blutentwicklung bringen. Nur das
möchten wir hervorheben, daß es — wenn man nicht ausgesprochener
Blutspezialist ist, aber auch selbst dann nicht immer — trotz aller
Mühewaltung nicht in allen Fällen gelingt, Stammzellen unter allen
Umständen als solche des einen oder des anderen Systems zu
charakterisieren. Uns scheint es besser, dann nur indifferente
Stammzellen zu diagnostizieren, um so mehr als der klinische Ver¬
lauf und die pathologisch-histologische Untersuchung keine Gesichts¬
punkte und keine Entscheidungen nach der einen oder der anderen
Richtung hin geben. Es scheint uns auch, als ob gewöhnlich nicht
genügend im Auge behalten wird, daß es sich doch höchstwahr¬
scheinlich um krankhaft veränderte Zellen handelt. Der patholo¬
gische Reiz führt wohl an den Mutterzellen zur Produktion ab¬
normer Zellen. Die Zellen sind untereinander sehr verschieden:
fast keine sieht aus wie die andere im Gegensatz zu der als End-
Stadium dei myeloischen Leukämie zuweilen auftretenden Myelo-
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366 Ewald, Fkbhse u. Heknig, Akute Monocyten- und StammzeUenleukämieu.
blastenleukämie, die durch die Gleichförmigkeit ihrer Zellen charak¬
terisiert istiCAlle Zellbilder die in Pappen heim’s Atlas als
Lymphoidocyten abgebildet sind, kommen in unseren Fällen in dem
gleichen Präparat voi\T> Außer diesen Formen finden sich zahlreiche
Übergänge zu Zellen; die morphologisch alle Eigenschaften der
Monocyten haben. Es liegt uns fern damit etwas Abschließendes
über die Entstehung der Monocyten sagen zu wollen, das Eine aber
ist sicher: Zellen, die alle Zeichen der Monocyten aufweisen, können
eine Entwicklungsstufe von Stammzellen sein. Wir neigen dazu,
sie als Altersformen der Stammzellen anzusehen, die sich nicht
mehr weiter entwickeln. Dazu würde die Tatsache gut passen^
daß in unserem zweiten Falle, in dem die Zahl der Monocyten
weniger groß war, die Stammzellen zahlreiche amitotische Kern-:
teilungsfiguren zeigten. • . —
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I
367
Ans der medizin. Universitätsklinik in Utrecht
(Prof. Dr. A. A. Hymans van den Bergh).
Die Beurteilung der Knochenmarksfunktion bei Anämien.
Von
Dr. M. J. Roessingh,
Assistent der Klinik.
Der Grad einer Anämie an einem bestimmten Augenblick wird
von zwei Faktoren bedingt. Erstens ist die Blutmenge von Be¬
deutung, die täglich der Zirkulation entzogen wird, entweder durch
den im Körper stattfindenden Erythrocytenzerfall oder (und) durch
eine äußere oder innere Blutung. Zweitens ist die Fähigkeit des
Knochenmarks, neue Blutkörperchen zu bilden, in dieser Hinsicht
von Wichtigkeit.
Wir können den Wert der zwei erstgenannten Faktoren
ziemlich gut bestimmen. Die Größe einer äußeren Blutung kann
ungefähr gemessen werden. Für innere Hämorrhagien, z. B. aus
dem Magen oder Darmkanal, sind wir auf Taxierungen des ßlut-
gehaltes der Fäces angewiesen.
Symptome vermehrten Blutzerfalls gibt es viele, man hat sich
ihrem Studium in den letzten Jahren mit vielem Interesse zuge¬
wandt. Ich nenne hier als die wichtigsten den Nachweis von
Hämoglobin, Hämatin, freiem Eisen oder von anderen Blutfarbstoff-
derivaten im Serum, den vermehren GallenfarbstofFgehalt des Blutes
und die erhöhte Urobilin- resp. Urobilinogenausscheidung mit den
Fäces und dem Urin. Bei postmortalen Untersuchungen ist der
Befnnd von Siderosis von Leber und Milz und einigen anderen
Organen in dieser Hinsicht von großer Bedeutung.
An dieser Stelle will ich mich aber nur mit dem Regenerations¬
vermögen des Marks beschäftigen. Die Beurteilung dieser Funktion
ist viel schwieriger als die des Blutverlustes und unser Studium
befindet sich hier nur noch in seinen Anfängen. Z. T. kommt es
zweifellos daher, daß uns der Reiz, der das Knochenmark zur
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368 Koessingh
NeubilduDg der roten Blutkörperchen anregt, noch unbekannt ist.
Und doch muß man bei der merkwürdigen Unveränderlichkeit der
Blutkörperchenzahl im cmm einen regulierenden Mechanismus
voraussetzen.
Man hat hier wohl an chemische Körper gedacht („Häraa-
poetinen“ von Carnot); aber den meisten Untersuchem ist es nicht
gelungen, diese Substanzen im Blute nachzuweisen.
Sauerstoffmangel ist auch schon früh als Reiz zur Neubildung
der Erythrocyten angenommen. Man hat aber in genauen gas¬
analytischen Untersuchungen sein Vorkommen bei Anämien nicht
nachweisen können. Und auch in normalen Verhältnissen kann
ihm doch keine Bedeutung zugeschrieben werden. 1 )
Es ist wahrscheinlich, daß das Knochenmark unter dem Ein¬
fluß von verschiedenen anderen Organen steht. Veranlaßt durch
das Vorkommen von Leuko- und Thrombopenie, bei vielen Fällen
von Splenomegalie, hat E. Frank 2 3 ) einen Antagonismus zwischen
Milz und Mark angenommen. Es sind aber auch andere Erklärungen
für diese Erscheinungen gegeben.
Auch werden nach Splenektomie manche abnormale Eigen¬
schaften der roten Blutkörperchen beobachtet (erhöhte Resistenz
gegen hypotonische Salzlösungen, hämolytische Sera, Saponin und
Kobragift, Howell-Jolly’sche Körperchen “)).
Schließlich kann ich noch auf die Chlorose hinweisen, wobei
von vielen Untersuchern an einen Einfluß der interstitiellen Eier-
stockdriise auf das Mark gedacht wird (v. Noorden, 4 ) Nägeli 5 )).
Auch beim Morbus Addisonii und beim Myxödem wird öfters
eine leichte Anämie beobachtet, die wahrscheinlich in dieser Weise
erklärt werden muß (Nägeli fl )).
Das Vorkommen von Fällen von Blutarmut verursacht durch
ungenügende Arbeit des Marks kann nicht bezweifelt werden.
Die deutlichsten Beispiele sind Anämien bei Tumoren der Medulla
ossium (Myelom, Careinom, Sarkom, einige Fälle von myeloider und
lymphoider Leukämie), wo der Erythroblastenapparat von den
progressiv wachsenden pathologischen Geweben zerstört wird. Bei
1) Literatur bei Morawitz, Ergebnisse der innereu Medizin Bd. 11, 1913.
2) Berliner klin. Wochen sehr. 1915. T6 u. ’17.
3) Literatur bei Hirsch fehl in Kraus u. Brugsch, Spez. Pathol. u.
Therapie Bd. VIII, 1915.
4) Nothnagel. .Spez. Pathol. u. Therapie Bd. VII.
5 Blutkrankheiten 1919.
Ui Folia Haeinutologica Bd. 25, 1920.
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Die Beurteilung der Knochenmarksfunktion bei Anämien. 369
der Benzol Vergiftung werden ähnliche Zerstörungen beschrieben
(Selling, 1 ) Hurwitz und C. Drinker 2 * )).
Meistens ist die Rolle des Knochenmarks schwieriger zu
würdigen. Die Methoden die wir zu dieser Beurteilung benutzen
können, werde ich im folgenden besprechen.
Vollständigkeitshalber nenne ich nur die von Ghedini 8 ) vor¬
geschlagene Probepunktion des Marks, weil eigene Erfahrungen
mir fehlen. Nachfolger hat seine Methode zu diesem Zweck, so¬
viel ich weiß, auch nicht gefunden.
A. Anwendung von bestimmten Reizen.
In der gegenwärtigen Blütezeit der funktionellen Diagnostik
darf es wundern, daß noch keine Körper beschrieben worden sind,
die diesen Dienst beim Knochenmark leisten können.
Die Beurteilung der Reservekraft dieses Organs ist doch
ungemein wichtig. Die Verhältnisse sind hier aber schwierig.
Es findet doch in der Medulla die Neubildung von verschiedenen
Zellarten statt, zwischen-welcher öfters ein gewisser Zusammenhang
nicht zu verkennen ist (man sehe z. B. das Blutbild bei vielen
Infektionskrankheiten bei Kindern); manchmal verhalten sie sich
ganz* unabhängig von einander. Man müßte also Mittel haben, die
uns in den Stand setzten die Funktionen des Erythroblasten-, des
Myeloblasten- Myelocyten- und des Megakaryocytenapparates (das
nach vieler Meinung die Thrombocyten liefert) zu beurteilen. So¬
weit sind wir aber noch nicht,
Körper, die Leukocytose erregen, kennen wir und sind in der
(Chirurgie in diagnostischer und therapeutischer Absicht, wie das
Natrium nucleinicum, das Gelatin und das Kollargol verwendet
(Renner, 4 ) v. Decastello u. Krjukoff 5 * )). Siegeben aber keine
Auskunft über die Fähigkeit des Markes, rote Blutkörperchen zu
bilden. In dieser Hinsicht würde man vielleicht geneigt sein, an das
Eisen und das Arsenik zu denken, aber die Wirkungsweise dieser
zwei wichtigen Heilmittel ist noch zu unsicher, daß sie für unseren
Zweck Verwendung finden könnten.
Im Experiment ist es leichter. Man macht das Tier anämisch
und untersucht jetzt die Regeneration, beeinflußt von verschiedenen
1) Zieglers Beitrüge z. allgem. Pathol. u. path. Anatomie B l. 51, HUI.
2) Journ. of exper. Med. Vol. 21, HU 5.
5) Cit. n. Gilbert u. Weinberg, Traite du Sang. H*13.
4) Mitteil. a. d. Grenzgebieten d. Med. u. ('hirurgie. Bd. 15. lHufi.
5) Med. Klinik HUI.
Deutsches Archiv für klin. Medizin. Bd. 24
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370
Koessi.noh
Faktoren. Ein Versuch, der damit verglichen werden kann, ist
auch beim Menschen gemacht worden. Bierfreund, 1 2 ) hat in der
Klinik von Mikulicz bei einer sehr großen Zahl von Patienten
den Hämoglobingehalt vor und nach der Operation, die doch
meistens von einem kleinen Blutverlust begleitet wird, bestimmt.
Aus seinen Tabellen ist deutlich zu sehen, wie die Regeneration
des Blutes bei steigendem Alter langsamer vor sich geht und wie
Tuberkulose, Syphilis, besonders aber maligne Tumoren einen
hemmenden Einfluß in dieser Hinsicht haben.
Es ist mir aber nicht gelungen, spätere ähnliche Untersuchungen
in der Literatur aufzufinden.
B. Beurteilung des Blutpräparats.
Meistens sucht man zur Beurteilung der Regenerationsfähigkeit
des Marks im Blutpräparate nach jugendlichen Zellformen. Man
achtet dabei auf die folgenden Eigenschaften der Erythrocyten:
Polychromatophilie, basophile Tüpfelung und Anwesenheit eines
Kernes. Der Nachweis der Howell-Jolly’Schen Körper und der
Cabot’schen Ringe bleibt hier ihrer besonderen Bedeutung wegen
außer Betrachtung.
Es ist hier nicht am Platz, diese verschiedenen Vorgänge aus¬
führlich zu besprechen; in den hämatologischen Handbüchern ist
in dieser Hinsicht alles Nötige zu finden.
Man ist wohl einer Meinung darüber, daß Polychromasie im
strömenden Blut die Anwesenheit von jungen Erythrocy ten anzeigt.
Die basophile Tüpfelung wird auch gewöhnlich als Regenerations¬
zeichen, sei es auch in pathologischer Richtung, gedeutet.
Es ist uns noch wenig bekannt, weshalb die Erythroblasten
in den peripheren Gefäßen erscheinen. Man weiß, in welcher großen
Zahl sie öfters bei Knochenmarkstumoren gesehen werden, was
einer Reizung des Marks zugeschrieben wird.
Bei Blutungsanämien werden sie öfters, nicht immer, gesehen,
verschwinden aber manchmal bei Wiederholung der Blutung.
C. Drinker, M. Drink er und Kreutzmann 5 ) haben vor
einigen Jahren versucht, in dieser Frage mehr Klarheit zu bringen.
Bei Tieren erschienen nach großer körperlicher Anstrengung zahl¬
reiche Normoblasten im peripheren Blut. Die Autoren sind der
Meinung, daß sie aus inneren Venen stammen, wo sie in großer
1) Arcli. f. kl in. Cliimr. Kd. 41, 18<H).
2) Journ. of e\]»criim*n(. Muderine. Vol. 27, 11*18.
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Die Beurteilung der Knochenmarksfunktion bei Anämien.
371
Zahl zu finden sind. Bei Wiederholung der Arbeit wurden die kern¬
haltigen Zellen nicht mehr gesehen. Nach Blutung wurde eine
geringe Zunahme der Erythroblasten beobachtet; bei starker Neu¬
bildung werden sie zahlreich, verschwinden aber bei Wiederholung
des Versuches. Die Autoren nehmen auch hier hauptsächlich eine
andere Verteilung der kernhaltigen Zellen in den verschiedenen
Gefäßgebieten an, eine Seite dieser Frage, die nur noch wenig
gewürdigt ist.
Werden diese Versuche bestätigt, dann sehen wir, daß auch das
Vorkommen von Normoblasten im peripheren Blute noch wenig über
die Regenerätionsfähigkeit des .Marks aussagt.
Auch die Polychromatophilie und die basophile Tüpfelung haben
in dieser Hinsicht doch nur geringen Wert. 'Wir möchten diese
Regeneration doch gerne quantitativ beurteilen.
Die basophile Tüpfelung wird zu selten gefunden und hat doch
auch eine besondere pathologische Bedeutung. Die Polychromato¬
philie ist aber ungemein schwierig quantitativ zu schätzen, so daß
zwei Untersucher dasselbe Präparat zweifellos verschieden beurteilen
werden.
In dem letzten Jahrzehnt sind nun einige Methoden beschrieben
worden, die uns hier helfen können. Es sind die vitale Färbung
und die Sauerstoffzehrung. Ich habe sie daher bei einer großen
Zahl von Patienten einer Prüfung unterworfen, worüber im folgen¬
den Abschnitte berichtet wird.
Vitale Färbung.
Es ist bekannt, daß man hierbei das Blut gleich vom Finger
in die Farbstofflösung auffängt und später ein Präparat anfertigt.
Ich bekam stets ausgezeichnete Resultate mit der Methode von
W id a 1, A b r a m i und B r u 1 e x ): In einem Reagenzgläschen mischt
man 2 ccm einer 1 x / 2 % Kaliumoxalat-Lösung in 0,9 NaCl mit 10
Tropfen Polychrom-Metbylenblau von Unna, 5 Tropfen Blut läßt
man vom Finger in diese Lösung fallen. Nach 10 Minuten zentri¬
fugiert man und stellt vom Bodenbesatz ein Trockenpräparat her.
Die Erythrocyten sind schwach blau, die Tüpfelung ist dunkel¬
braun, bisweilen sieht man Körnchen, bisweilen auch Stäbchen,
so daß der französische Name „Substance granulo-filamenteuse“ gut
geprägt ist.
Im Jahre 1895 zuerst von Israel und Pappenheim be-
1) Cit. n. Chauffard u. Troisier in Gilbert n. Weinberg, Traitr
dn Sang, 1918.
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Bukssingh
schrieben, hat diese Tüpfelung das Entstehen einer großen Litera¬
tur angeregt, an welcher sich besonders italienische und franzö¬
sische Autoren beteiligt haben. Man weiß jetzt, daß diese vital¬
färbbaren Zellen beim Embryo im Mark und im Blut, bei Er¬
wachsenen im Mark stets in ziemlich großer Zahl gefunden werden.
Aber auch im peripheren Blut trifft man sie in normalen Verhält¬
nissen an; meistens wird 1—2°/ 0 angegeben. Nägeli 1 ) spricht
aber neulich von nur 0,1 —0,2 °/ 0 .
Weil man diese Substanz auch in Normoblasten mit noch ganz
intaktem Kern und in den Erythrocyten der Vögel antrifft, ist ihr
nucleärer Ursprung unwahrscheinlich. Nach Fixation kann die
Tüpfelung durch keine Färbung mehr hervorgerufen werden, sie
ist also eine Reaktion des lebenden oder agonalen Protoplasmas
mit dem Farbstoff aufzufassen. Weder mit der basophilen Tüpfe¬
lung noch mit der Polychromatophilie ist sie gleich zu stellen, ob¬
gleich ein naher Zusammenhang angenommen wird, wie aus der
nachfolgenden Giemsafärbung deutlich wird (S c h i 11 i n g - T o r g a u 2 * ).
Von der übergroßen Mehrheit der Autoren wird die vitale
Tüpfelung als eine Eigenschaft junger Zellen aufgefaßt (vgl. Fer-
rata 8 ). Klinische Bedeutung bekam dieses Symptom bekannter¬
weise, als von Chauffard, Widal und ihren Schülern sein häu¬
figes Vorkommen beim hämolytischen Ikterus nachgewiesen wurde.
Nachher wurde auch bei anderen Anämien ihre Zunahme fest-
gestellt. Allmählich ist so die Auffassung entstanden, daß wir in
dieser vitalen Tüpfelung ein wuchtiges Symptom starker Knochen-
marksfunktion sehen können, eine Meinung, die besonders in der
amerikanischen Literatur der letzten Jahre zum Ausdruck kommt
(Minot, 4 5 ) Pepper und Peet, s ) Musser, 6 ) Harrop, 7 ) Cun-
ningham,*) Rieux, 9 } Nägeli 10 }).
Eine Bestätigung dieser Auffassung fiuden wir in den Ver¬
gehen von Robe r t s o n. 1 ') Bei Tieren wurden täglich kleine Blut-
1) Blutkrankheiten, 1919.
2) Fulia liaeinatologica Bd. 11, 1911.
3i Ebenda Bd. 9 u. 10, 1010.
4) Americ. Journ. uf the medical Sciences, 1016.
5) Archive* of internal Medeciue, 1014, cit. n. Minot, etc.
6) ibid.
7) Archive* oi internal Medeciue 1010.
8) Ehernl. 1020.
9) Archive* d. Maladies du cour et du Saug, 1920.
10) Blutkraukheiten, 1919.
11; Journ. of exjierim. Medeciue. V. 26, 1917.
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Die Beurteilung der Knochenmarkafunktion bei Anämien.
373
transfusionen gemacht, die dem täglichen Blutzerfall ungefähr ent¬
sprachen. Die Anregung zur Neubildung junger Erythrocyten wurde
dadurch dem Mark entnommen und man sah denn auch die vital
getüpfelten Zellen ganz aus dem peripheren Blut verschwinden.
Bei einer großen Anzahl von anämischen Patienten habe ich
die vitale Tüpfelung untersucht und verglichen mit einer anderen
Eigenschaft der roten Blutkörperchen, die Sauerstoffzehrung.
Zuerst habe ich bei 30 gesunden Personen die vitale Tüpfe¬
lung bestimmt. Die Ungewißheit, welche Zahlen man als normal
betrachten mußte, machte diese Untersuchung notwendig. Ich fand
dabei, daß 0,4—1,8 °/ 0 der roten Blutkörperchen getüpfelt waren.
€. Sauerstoffzehrung der Erythrocyten.
Die Eigenschaft der roten Blutkörperchen unter bestimmten
Verhältnissen eine meßbare Menge Sauerstoff für ihre Atmung zu
gebrauchen und dazu ihr eigenes Oxyhämoglobin zu reduzieren ist
zuerst von Morawitz und Itami 1 ) bei Menschen mit verschie¬
denen Krankheiten näher untersucht. Die Zahl ihrer Patienten
ist aber nicht sehr groß und eine Nachprüfung hat diese Methode,
soviel ich weiß, fast nicht gefunden. Weil diese „Sauerstoff¬
zehrung“, wie diese Eigenschaft von Morawitz genannt worden
ist, aber als ein Zeichen der Jugend der Erythrocyten aufgefaßt
wird, schien es wichtig, diese Methode in eine Untersuchung, die
sich mit der Regenerationsfähigkeit des Knochenmarks beschäftigt,
zu beziehen.
Wie bekannt ist, wird diese Zehrung folgenderweise bestimmt:
Mittels einer Spritze aus einer Armvene entnommenes Blut wird
defibriniert und einige Male mit physiologischer Salzlösung aus¬
gewaschen. Man fertigt dann eine Emulsion roter Blutkörperchen
von willkürlicher, aber ziemlich großer Stärke an. Diese wird
durch lange anhaltendes Schütteln mit Sauerstoff gesättigt In
einem Teil dieser Emulsion wird die maximale Sauerstoffkapazität
nach Haldane und Barcroft 2 ) mittels Ferricyankalium in ihrem
alten oder neuen Apparat bestimmt.
Einen anderen Teil gießt man in ein kleines mit genau
schließendem Qummikorken versehenem Reagensgläschen in welchem
sich einige Glasperlen befinden. Mit einiger Geschicklichkeit ist
es möglich, daß dieses geschieht, ohne daß eine Luftblase unter
1) Deutsches Arch. f. klin. Med. Bd. 100, 1910.
2) Respiratory Function of the Blood, 1914.
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374
Roessingh
dem Korke übrig bleibt. Man stellt das Gläschen 4 Stunden in
einem Brutschrank von 37 0 C, und bestimmt nach dieser Zeit den
Sauerstoffgehalt.
Eine absolute Bedingung bei dieser Versuchsanordnnng ist
natürlich ein vollkommen steriles Arbeiten, weil Bakterien sonst
das Oxyhämoglobin reduzieren würden; die größte Sorgfalt ist also
nötig, aber wie öfters angelegte Kulturen mir bewiesen, ist diese
Sterilität gut zu erreichen.
Wird eine Verringerung des O-Gehaltes, verglichen mit der
ursprünglich bestimmten O-Kapazität, festgestellt, dann gibt es
verschiedene Möglichkeiten. Wir wissen, wie sehr bald sich in
einer Blutlösung in einem Brutschrank bei 37° Methämoglobin
bildet. Bei vollkommenem Luftabschluß findet dieses aber in dieser
Zeitdauer nicht statt, wie vor einer nachherigen Sättigung mit 0 *
bewiesen wird.
Aus der O-Dissoziationskurve des Hämoglobins, wie sie von
Barcroft 1 ) u. a. bestimmt ist, wissen wir, daß Blutkörperchen¬
emulsionen, die bei 15° mit 0 gesättigt sind, bei 37° einen Teil
ihres Sauerstoffs verlieren. Dieser geringe Verlust kann aber nicht
die bisweilen sehr große Abnahme des Gehalts erklären. Weiter
haben die Untersuchungen von H a 1 d a n e und seinen Mitarbeitern
gezeigt, daß die C0 2 -bindende Fähigkeit des Hämoglobins von außer¬
halb dem Körper verwahrten Blut abnimmt, was der Bildung von
sauren Stoffen zugeschrieben wird, die auch die O-Dissoziations¬
kurve stark beeinflussen. Bei der kurzen Dauer unseres Ver¬
suches ist dies aber nicht zu fürchten, wie auch hier wieder von
einer nachherigen wiederholten Sättigung mit 0 bewiesen wird.
Man wird also die Schlußfolgerung machen müssen, daß die
Erythrocyten ebenso wie andere Körperzellen 0 verbrauchen und
dazu ihr Oxyhämoglobin reduzieren. Man nimmt gewöhnlich an,
daß die roten Blutkörperchen ihrer Kernlosigkeit wegen eine ge¬
ringe Vitalität besitzen und wenn wir den O-Verbrauch als Grund¬
lage nehmen, so ist das auch beim Menschen in der Tat der Fall,
während z. B. die Vogelerythrocyten eine deutliche O-Zehrung
zeigen (W a r b u r g 2 )).
Morawitz 3 ) hat nun nachgewiesen, daß unter bestimmten
Verhältnissen diese Eigenschaft auch beim Säuger gefunden wird.
Wird das Versuchstier anämisch gemacht, dann tritt eine deut-
1) 1. c.
2) Zeitschr. f. physiol. Chemie, Bd. 59, 1909, Bd. 69 u. 70, 1910,
3) Areh. f. exper. Pathol. u. Pharmakologie Bd. 60, 1908.
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Die Beurteilung der Knochenmarksfunktion bei Anämien.
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liehe O-Zehrung auf, was von ihm der Gegenwart junger Erythro-
cyten in der Zirkulation zugeschrieben wird, eine Meinung, die von
dem Vorkommen eines hohen P-Gehalts des Blutes mit starker
Zehrung unterstützt wird (Masing 1 )). Morawitz’Resultate sind
von Itami, 2 3 ) Douglas 8 ) und Harrop 4 ) bestätigt worden. Ein
Unterschied trat dabei hervor zwischen Anämien angeregt durch
Aderlaß und denjenigen verursacht durch Pyrodininjektionen. Im
zweiten Fall, wo die Blutreste größtenteils im Körper bleiben, ist
die Zehrung größer als bei erstgenannten Versuchstieren. .
Der O-Verbrauch ist an der Integrität der Zelle gebunden;
steriles, lackfarbenes Blut zeigt nach 4 Stunden in dem Brut¬
schrank, wie ich ebenso wie die anderen Autoren in meinen Versuchen
feststellen konnte, keine Änderung seines O-Gehaltes.
Leukocyten und Thrombocyten beteiligen sich natürlich leb¬
haft an dieser Atmung, die letzten werden aber durch das Defibri-
nieren entfernt und die ersten sind in zu geringer Anzahl an¬
wesend, daß sie Einfluß haben könnten. Die folgenden Zahlen
bestätigen das:
I. v. K. Ca. ventriculi:
O-Kapazität: 19,98 °/ 0 ,
O-Gehalt nach dem Brutschrank: 18,89°/ 0 ,
O-Verbrauch: 0,19°/ 0 ,
Leukocyten in der Emulsion: 4750.
II. v. B. Tumor retroperitonealis:
O-Kapazität: 20,11 %,
O-Gehalt nach dem Brutschrank: 19,18%,
O-Verbrauch: 0,02%,
Leukocyten in der Emulsion: 3675.
III. v. H. Ca. ventriculi:
O-Kapazität: 5,57%,
O-Gehalt nach dem Brutschrank 4,92%,
kein O-Verbrauch,
Leukocyten in der Emulsion 2350.
Nach Itami 5 ) soll man 0,1% des O-Verbrauchs auf je 1000
Leukocyten pro 1 emm annehmen. Obgleich diese Zahl eher zu
1) Archiv f. exper. Pathol. u. Pharmakologie, Bd. 66, 1911.
2) Ebenda Bd. 62, 1909.
3) Journ. of Physiology, V. 39, 1909/10.
4) Archiv, of internal Medecine, V. 23, 1919.
5) Archiv f. exper. Pathol. u. Pharmakol. Bd. 62, 1909.
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Roessingh
Loch als zu niedrig ist, habe ich mich doch bei meinen Berech¬
nungen an diese Aufgabe gehalten.
Das Prinzip der Methode ist oben auseinandergesetzt. Für
die genauere Technik muß nach der ausführlichen Beschreibung
von Morawitz, Barcroft u. a. verwiesen werden.
In dieser Weise wird also die Sauerstoffzehrung bestimmt,
eine Zahl, die in Prozenten das Verhältnis der O-Abnahme zu der
maximalen O-Kapazität darstellt.
t )as Ergebnis meiner Untersuchungen ist das folgende: 1 )
Nabelvenenblut zeigt im allgemeinen eine starke Zehrung und
vermehrte vitale Tüpfelung (Mittelwert von 7 Fällen Zehrung
22,71 %, Tüpfelung 4,8 u / 0 ). Es wäre interessant diese Eigenschaften
in den ersten Lebensjahren zu untersuchen. In Übereinstimmung
mit Morawitz fand ich, daß das Blut eines normalen Erwachsenen
keine O-Zehrung und eine Tüpfelung von nicht mehr als 2 % zeigt
Das Blut muß also wahrscheinlich diese Eigenschaften in den
Kinderjahren verloren haben.
Bei sekundären Anämien sind die Ergebnisse sehr verschieden.
So zeigten z. B. 5 Patienten mit Ulcus ventriculi und Magenblutung
bei einem Hämoglobingehalt von resp. 20, 45, 58, 85 und 72%
eine Zehrung von 37,34, 31,80, 35,29, 7,37 und 14,89% und eine
Tüpfelung von 4,3, 4,7, 4,1, 2,4 und 6,8%.
Eine Patientin mit Blutarmut nach einem Abortus hatte 4,6%
getüpfelte Zellen und eine Zehrung von 46,56% (Hämoglobin*
gehalt 54%).
Interessant sind auch zwei Fälle von Myxödem und Anämie
nach Thyreoidgebrauch mit deutlich erhöhten Zahlen: I. Hb.-Geh.
52%, Zehrung . 57,70%, Tüpfelung 4,6%; II. Hb.-Geh. 68%,
Zehrung 9,04 %, Tüpfelung 4,2%.
Die Zahl der von mir untersuchten Tuberkulosepatienten ist
zu klein, um daraus entnehmen zu können, daß hier Markinaktivität
eine, bedeutende Bolle beim Zustandekommen der Anämie spielen
sollte. Zweimal wurde kein Sauerstoff von der Emulsion verbraucht
(Hb.-Geh. resp. 50 und 65 %), einmal war die Zehrung 8,21%
(Hb.-Geh. 70%), während sie bei einem Mädchen von 16 Jahren
die Höhe von 19,73%, erreichte (Hb.-Geh. 85%). Die Tüpfelung
war bei den ersten drei genannten Personen normal, beim Mädchen
ergab sich eine leichte Vermehrung bis zu 2,8%.
Auffallend gering sind die Zeichen der Markaktivität beim
1) I he Tabellen sind auf Wunsch der Redaktion wegijelassen.
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Die Beurteilung der Knochenmarksfanktion bei Anämien.
377
Carcinom. Sechsmal konnte kein Sauerstoffverbrauch nachgewiesen
werden, fünfmal zeigte sich eine leichte Zehrung, während die 1
Tüpfelung nicht vermehrt war mit Ausnahme eines Lebercarcinoms
(4,8 °/ 0 ) und zwei Fälle mit Knochentumorenmetastasen (3,3 resp.
12%)- Die Frage der Carcinomanämie wird in einer späteren
Mitteilung noch näher erörtert werden.
Einige Patienten mit septischen Erkrankungen zeigten leb¬
hafte Neubildung roter Blutkörperchen, z. B. G. (nach Fiebernach¬
laß): Hb. 25 %, Zehrung 32,29 %, Tüpfelung 12 %; D.: 72 %, 17,62 %
resp. 5,2 °/ 0 .
Manchmal lassen sich die Heilungstendenzen einer Anämie
schön an den hier untersuchten Eigenschaften nachweisen:
A. Chloroanämie unbekannter Ursache; beim Eintritt in die
Klinik:
Hb.-Geh. 48°/ 0 , Zehrung 0,9 %, Tüpfelung 0,9%,
nach 4 Wochen: „ 85°/ 0 , „ 24,58%, „ 2,4%.
B. Chloroanämie unbekannter Ursache:
Hb.-Geh. 32%, Zehrung 2,70%, Tüpfelung 0,8 %
nach 3 Wochen: „ 42%, „ 26,85%, „ 11,3%.
S. Hämolytischer Ikterus:
Hb.-Geh. 20%, Zehrung keine, Tüpfelung 7,2%
nach 5 Wochen: „ 45%, „ 22,62%. „ 4,6%.
Der Einfluß einer wegen wiederholten Schmerzanfällen in der
Milzgegend ausgeführten Splenektomie bei einer anderen Patientin
mit hämolytischem Ikterus ergibt sich aus den folgenden Zahlen:
H. Hb.-Geh. 78%, Zehrung 6,15 %, Tüpfelung 1,8%
9 Tage nach der Splenektomie:
Hb.-Geh. 75%, , 15,63%, ,. 5,7%
50 Tage nach der Splenektomie:
Hb.-Geh. 80%, „ 6,80 %, „ 14,8%.
Bei der perniziösen Anämie 1 ) wurde fast regelmäßig erhöhte
Neubildung gefunden. Die Zehrung schwankte bei 12 Patienten
zwischen 1,53 und 66,80%, Mittelwert 19,89%. Für die Tüpfelung
waren diese Zahlen 0,5, 19 und 8,6%.
Bei einigen Patienten mit perniziöser Anämie habe ich vitale
1) Ich möchte zur Diagnose der perniziösen Anämie bemerken, daß diese
Krankheit hier als eine klinische Einheit aufgefaßt wird, wenn Magen-Darm*
erscheinungeu, Zungenbeschwerden, hypercbrome Anämie mit Megaloblasten im
Ausstrich, Leuko- und Thrombopenie, erhöhter Bilirubingehalt des Blutserums
und der bekannte Verlauf mit Remissionen Zusammentreffen.
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378
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Tüpfelung und O-Zehrung öfters bestimmt. Die Notwendigkeit
jedesmal Venapunktionen zu machen und die zeitraubende Me¬
thodik machten nur eine kleine Reihe von Bestimmungen möglich.
Gewöhnlich sieht man bekanntlich, daß die Patienten beim Ein¬
tritt in die Klinik sich in einem Stadium starken Blutzerfalls und
geringer Regeneration befinden. Nach einiger Zeit tritt Besserung
ein. Der Bilirubingehalt des Serums und die Urobilinurie nehmen
ab. Die meisten meiner Fälle sind in diesem Stadium untersucht.
Ist der Anfall vorüber, wobei der eine Patient 80 % Hämoglobin
erreicht, der andere nie über 60 °/ 0 hinaussteigt, so nehmen vitale
Tüpfelung und O-Zehrung ab um eine Höhe, wie sie bei normalen
Personen vorkommt, zu erreichen. Auch der Bilirubingehalt ist in
diesem Stadium als Regel nicht erhöht.
Besonders interessant sind die Fälle mit Bluttransfusion. Wie
bekannt haben wir noch keine deutliche Vorstellung, in welcher
Weise dieser Eingriff wirkt. Gewiß ist es nicht allererst die Ver-
mehrnng der Hämoglobinmenge. Nur in seltenen Fällen — mit
Ausnahme der akuten, traumatischen Verblutungsanämien — be¬
kommt man den Eindruck, daß diese der bestimmende Faktor ist.
Der dritte Patient, bei welchem Transfusion gemacht wurde, hatte
vor dieser kleinen Operation 220000 rote Blutkörperchen im cmm,
war dyspnoisch und desorientiert. Gleich nach dem Eingriff (*/., 1
Blut) war das Sensorium frei und der Patient teilte mit, daß er
weniger Beschwerden als vorher hatte (nach 2 Tagen 560000 rote
Blutkörperchen). Meistens wird die Anregung des Knochenmarkes
zu erneuter und erstarkter Neubildung als Mechanismus der
zweifellos öfters günstigen Wirkung der Transfusion betrachtet.
Diese Auffassung wird von den Resultaten meiner Untersuchung
unterstützt. Eine Zunahme der O-Zehrung und mehr oder weniger
auch der vitalen Tüpfelung ist in 3 von den 4 Fällen deutlich.
H. Enterogene Anämie:
Hb.-Geh. 25%, Zehrung keine, Tüpfelung 3,4%,
5 Tage nach Bluttransfusion:
Hb.-Geh. 30%,
„ 17,36%,
4,2 %
V. Perniziöse Anämie:
Hb.-Geh. 65 %,
, 4,26%,
2,3%
in einem neuen Anfall, 7 Tage
nach Bluttransf.:
Hb.-Geh. 40%,
27,73%,
2,0%
5 Wochen nach Bluttransf.:
Hb.-Geh. 65%,
,. 41.30%,
n
7,5%.
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Die Benrteiluug der Knochenmarksfunktion bei Anämien.
379
H. Perniziöse Anämie:
Hb.-Geh. 25°/ 0 , Zehrung35,27%, Tüpfelung 7,2%
3 Tage nach Bluttransf.:
Hb.-Geh. 20°/ o , „ 63,25 °/ 0 , „ 8,6 °/ 0
7 Wochen nach Bluttransf.:
Hb.-Geh. 43°/ 0 , „ keine, „ 4,3%
(Patient erreichte keinen höheren Hämoglobingehalt,)
W. Perniziöse Anämie:
Hb.-Geh. 25%, Zehrung, 27,42 %
10Tage nach Bluttransf.: „ 43%, ,, 5,89%.
(Patientin starb einige Wochen später.)
Die Ergebnisse meiner Untersuchungen scheinen mir zu zeigen,
daß .wir in der Bestimmung der Sauerstoffzehrung und der vitalen
Tüpfelung wertvolle Methoden haben zur Beurteilung der erythro-
cytenbildenden Funktion des Knochenmarks. Weitere Versuche
werden die Grenzen und Fehler dieser Methodik zeigen müssen.
Schade ist es nur, daß die Bestimmung der O-Zehrung ziemlich
viel Zeit und Übung beansprucht. Die vitale Tüpfelung ist natür¬
lich sehr einfach zu prüfen; es scheint mir aber, daß die Unter¬
suchung der beiden Eigenschaften zusammen die meisten Auskünfte
geben wird, weil Zehrung und Tüpfelung nicht immer im gleichen
Maß erhöht sind.
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y,*o
Besprechungen.
1.
H. Schade, Die physikalische Chemie in der inneren
Medizin. Dresden u. Leipzig. 1921. VII, 59ö S. Prei-
60.— M.
Das Bach ist in drei Teile gegliedert. Im ersten wir! ein sehr
gedrängter Überblick über die physikalisch-chemiscnea GrnndtatSachen
gegeben, der dritte enthält eine kurze Zusammenstellung der medizinisch
wichtigen physikalisch-chemischen Methoden mit Abbildung zahlreicher
Apparate und Anweisungen zur praktischen Durchführung der Messungen.
Der jittlere Abschnitt, der weitaus den grüßten Teil des Ge^amtumfangs
in Anspruch nimmt (368 S.), ist der Bedeutung der physikalisch-che¬
mischen Forschung»- und Denkmethoden für die innere Medizin gewidmet.
Er ist nach Krankheitsgebieten geordnet und ausgesprochen auf die
pathologischen Erscheinungen zugeschnitten. Die verarbeitete Literatur
macht keinen Anspruch auf Vollständigkeit, sondern ist im allgemeinen
im Sinne der eigenen Arbeiten des Verf. ausgewählt. Arbeiten kolioid-
chemischen Inhalts stehen im Vordergrund. In dem Bestreben ein mög¬
lichst abgerundetes und aussichtsreiches Bild de3 Wissensgebietes zu
geben, ist das vorliegende experimentelle Material nur in geringem Mat
kritisch gesichtet. Dabei werden die Abstände, die häutig zwischen der.
gesicherten Grundlagen der physikalischen Chemie und pathologischen
Vorgängen bestehen, weniger betont, als durch spekulative Analogien
verschleiert. Dadurch wird allerdings vieles zu einem anregenden Lese¬
stoff. Es sei in diesem Sinne nur hingewiesen auf die r Physikochemie
der Entzündung- (S. 92 ff.) und die -klinische Kolloidchemie des Muskels"
S. 398 ff). Eine Skizze über die Möglichkeit einer allgemeinen Therapie
auf physiko-ckeinischer Grundlage schließt den Hauptteil ab.
Im ganzen bietet das Buch die Möglichkeit einen Überblick über
die Bedeutung der physikalischen Chemie in der klinischen Medizin zu
gewinnen und sich an Hand der Literaturangaben in diesen Wissens¬
zweig einzuarbeiten. Br-m^r. München.
2 .
Schmorl. G., Die pathologisch-histologischen "Unter¬
such u n g s m e t h o d e n. 10. und 11. neu bearbeitete Auflage.
Leipzig. Ver lag von F. C. W. Vogel, 1921.
Das rühm liehst bekannte und wohl in jedem pathologisch-histolo-
logi-chen Laboratorium zum unentbehrlichen Inventarstück gewordene
Buch von Schmorl liegt in neuer Auflage vor. Die einzelnen Kapitel
sind erneut durchgearbeitet und entsprechend den Fortschritten der histo¬
logischen Technik erweitert (so ist z. B. die Gelatineeinbettungsmethodt*
aufgenommen worden). Das wird dem hervorragend praktischen und ge¬
brauchsfähigen Buch zu den alt»m Freunden neue gewinnen.
Sr hmir.rke. Graz ■
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